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MICHIGAV.
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MICH
TOHNL
THE

30

LIBRARIES
Ottmar Eberbach .
bum
Andenlen von

Katharine, Eliſabeth y hikele


Reiſer .
Stuttg d. 22. Not
1865.
John Bungan .

6
Pilgerreife
31t2

feligen Ewigkeit.
Bon Johann Suntani.

Erfier Theil: Der Pilger.

Nus dem Engliſchen .

( Nach dem Driginal der Londoner Traktat - Geſellſchaft.)


9

Bmeit: Auflage.

Herausgegeben von der Wupperthaler Trattat-Geſellſchaft.

Barment, 1859.
Gebrudt bel 3. F. Steinhaus.
Bu baben bei dem Orpedienten der Craftat - Geſellſchaft, 3. 5. I.
Biermann in Barmen .
GRAD
828
39427p
W96
t
6981
HATCH / GRAD
gift
0 * 2 / 03/ hod

Fnhalts -Derzeichniß.
Seite
Erfte 8 Rapitel. Pilgers Angſt, flucht und Weg
weifer 1

3weite 8 Kapitel. Pilgers 3rrfahrt, Reue und


Umkehr 11

Drittes Rapitel. Pilgers Ankunft an der Pforte


und Eingang . 21

Biertes Rapitel. Pilger in der Soule Auslegers 25


fünftes Kapitel. Pilgers Erfahrungen am Kreuze 36

Sestes Kapitel. Pilgers Erlebniffe an und auf


bem Hügel Bewerbe . 41

Siebentes Kapitel. Pilgers Erlebniſſe im Pallaft.


Prachtvoll 45

Note8 Sapitel. Piiger im Thale Demuth 57

Neuntes Kapitel. Pilger im Thal der Todesíchatten 64


3ebntes sapitel. Pilgers Gefährte . 70
Eilftes Rapitel. Ein Dritter geſellt fic hinzu . 81

3 wölftes Kapitel. Pilger finden einen treuen


Freund wieder • 95

Dreizehntes Rapitel. Die Pilger in der Stadt


Eitelkeit . 98
Seite .
Bierzehntes Rapitel. Herr Nebenwege und Ger
noffen • 110
Fünfzehntes Kapitel. Der Pilger Verirrung,
Einterferung und Errettung aus der Zweifelsburg 125
Sed $ 3 ehnte$ Kapitel. Pilger bei den Hirten
auf den lieblichen Bergen . 135

Siebenzeyntes apitel. Kleinglaubens Art und


Treiben . . 140
Atzehntes Sapitel. Mas fou to thun, daß ich
felig werde ? 154
Neunzehntes Kapitel. Unwiſſenheit und Abfall 166
Trombon e
3 w anzigftes Kapitel. Der Pliger Ankunft im
in
bluumliſchen Jeruſalem . -179
afiatima 15 ம் எப்ப பப்பட்ட
Word ( alert algui palha omist ,
ght in Ghita visten og tryggise chin
onOmtrent UUD
diston Teatingg
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Erftes Kapitel.
Pilgers Angſt, Flucht und Wegweiſer.
Als ich durch die Wüſte dieſer Welt wanderte, kam
ich an eine Stelle, me eine Höhle ') war. Hier legte
ich mich nieder , um zu ſchlafen , und als ich chlief,
hatte ich einen Traum. Wir träuinte , und ſiehe ich
fah cinen Mann pa ſtehen, der war gekleidet in ſdmutige
Lumpen , das Geſicht hatte er von ſeinem Hauſe weg
gewandt, ein Buch in der Hand und eine große Laſt
auf dem Rücken.2) Ich gab Acht und ſah, daß er das
Buch aufinachte und darin las. lind als er las , fing
er an zu weinen und zu zittern , und da er ſich nicht
länger halten fonnte , brady er in den Angſtidrei aus :
Was Toll ich thun ? " 3)
In ſolchem Zuſtande' ging er nach Hauſe und
ſuchte die Angſtſeines Herzens, ſo lange wie er konnte,
vor Weið und Kindern zu verbergen; da aber ſeine lins
ruhe zunahm , war es ihm nicht möglich, lange zit ſchwei
gen : deßwegen ſchüttete er zulegt ſein Herz vor ihnen
aus und ſprad ): O , liebe Frau und liebe Kinder , ich
muß euch ſagen , es iſt vorbei mit mir, denn es liegt
mir eine ſchwere laſt auf, und überdem habe ich in
) Das Gefängniß zit Bedford , in welches Bunyan um
ſeines Bekenntniſſes willen geworfen ward.
a) Jeſ. 64, 6. Pf. 38, 5. luf. 14, 33. — * ) Apg [ch. 2 , 37.
9, 6. 1.6, 30 .
2

gewiſſe Erfahrung gebracht, daß die Stadt, ' ) worin


wir wohnen , durch Feuer vom Himmel verzehrt wers
den wird; bei dieſer furchtbaren Zerſtörung Tollen wir
aber Alle, ich, du liebe Frau und ihr meine ſüßen Kinds
lein , jämmerlich umfommen ,?) es ſei denn , daß wir
einen Weg ausfindig machten , auf dem wir dem Ver
berben entrinnen fönnten, aber ich weiß keinen .
Durch dieſe Aeußerungen wurden die Seinigen in
ſchmerzliche Beſtürzung verſetzt, aber nicht darum , weil
ſie glaubten , daß das , was er ihnen geſagt, wahr ſei,
fondern weil ſie meinten , daß er verwirrt im Kopfe
geworden. Sie hofften indeſſen , daß der Schlaf ſeine
Sinne wieder in Nube bringen werde, und ſuchten ihn
daher, indem gerade die Nadt kam , in aller Eile zu
Bette zu bringen. Allein die Nacht war nicht minder
beunruhigend für ihn wie der Tag, und ſo úradhte er
fie, ſtatt mit Schlafen , nur mit Seufzen und Weinen
hin. Als die Seinigen ihn andern Morgens fragten,
wie es ihm gehe ? ſagte er: es wird nur ſchlimmer und
ſchlimmer! Auch fing er wieder an zu ihnen zu reden,
wie Tags vorher ; aber er predigte tauben Dhren . Nun
nahmen ſie fich vor, ſeine Seelenangſt durch ein bar
ſches und finſteres Benehmengegen ihn zu vertreiben,
und ſo kam es denn, daß ſie ihn bald zum Geſpött mach
ten , ' bald ausſchalten und bald ſich gar nicht um ihn
bekümmerten. Daher zog er ſich in ſein Hämmerlein
zurück, wo er voll Mitleid für die Seinigen betete und
ſein eigenes Elend beklagte; zuweilen ging er auch ein
fam hinaus in's Feld , und las oder betete : auf dieſe
Weiſe: brachte er einige Tage ſeifte Zeit zu. Als ich
ihn ſo eines Tages im Felde umhergehen und ſeiner
Gewohnheit nach in ſeinem Buche leſen ſah , bemerkte
idh, daß er ſehr befümmert ward, dabei rief er oft wie
früher aus : „Was ſoll ich thun, daß ich ſelig werde ?".
Hierauf jah ich , wie er bald auf dieſen , bald auf
jenen Weg hinblickte, als hätte er davonlaufen wollen,
' ) die Welt. 2) 2. Petr. 3, 7.
1
TIMMEN
PREINTEN
3

indeſſen blieb er dennoch ſtehen , denn ich merkte ) er


war ungewiß , welchen Weg er wählen ſollte. Endlich
fab ich einen Mann, Namens Evangeliſt , auf ihn zu:
kommen , der fragte ihn : „Warum ſchreieſt du jo ?"
Er antwortete : Ach , lieber Herr! aus dem Buche,
was ich hier habe, ſehe ich, daß ich verurtheilt bin zu
ſterben , darnach aber in das Gericht zu kommen ; in
deſſen finde ich, daß ich weber zu dein Einen willig,
noch zu dem Ändern geſchict bin . 1) Da ſagte Evan
geliſt: Wie ? du biſt nicht willig zu ſterben, da doch
das Leben mit ſo viel Uebel und Plagen verbunden iſt?
Ja , antwortete ber Mann , ich fürchte aber, daß die
laſt, die ich auf dem Rücken habe , mich noch tiefer
hinabdrücken werde, als in das Grab , daß ich in die
Hölle hinunterfalle. 2) . Bin ich - nun nicht geſdrickt in's
Gefängniß zu gehen , ſo bin ich auch nicht geſchickt in's
Gericht zu treten und darnach die Strafe auszuſtehen.
Das ſind die Gedanken, die machen , daß ich ſo ängſt
lich rufen muß. Iſt es ſo mit bir , ſagte Evangeliſt,
wie kommt es dann, daß du noch ſtille ſteheſt? uch,
erwieberte er, weil ich nicht weiß , wo ich hingehen ſoll.
Da zeigte Evangeliſt, wie geſchrieben ſteht in dem Buche :
Entrinnet dem zukünftigen Zorn. " 3) Als der;
Mann dieſe Worte geleſen hatte, jah er betrübt Evan
gelift an und fragte : Wo ſoll ich denn hinfliehen ?
Hierauf ſagte Évangeliſt, indem er mit ſeinem Finger
über ein weites, weites Feld hinzeigte, ſiehſt du bort
die kleine enge Pforte ? 4) Nein, antwortete der Mann.
Da ſagte der Andere: Sichſt du denn da nicht ein
ſcheinendes Licht? 5) 3a, ſprach beann , ich glaube
wohl. Nun , 'fuhr Evangeliſt for behalte dieſes
Licht im Auge und gehe gerade darzu , fo wirſt du
die enge Pforte ſehen , und wenn duan dieſelbe an
klopfeſt, ſo wird man dir weiter ſagen, was du thun ( ollſt.
2 Bebr. 9,27. Siob 16, 21. Seſek. 22, 14. :) Je1.30,33.
5 ) Matth.3,7, vergi. 1. M 07.19, 17 . * ) Matth. 7,13.
- ) Pfalm . 105. 2 Petr. 1, 19.
4

Nun ſah ich in meinem Traume, daß der Mann


ſogleich anfing zu laufen. Als er aber nahe an ſeiner
Thüre vorbeikam , riefen ſeine Frau und Stinder ihm
nach : „ Kehre docy um !" Allein der Mann hielt ſich
die Ohren zu und lief borwärts , indem er ausrief:
Leben ! Leben! ewiges Leben ! Er ſah nicht hinter ſich,
ſondern eilte gerade fort durch Bas Feld hin. ) Ebenſo
kamen die Nachbaren heräus, ihn zu ſehen , ?) und als
ſie ihn ſo laufen ſahen, verſpotteten ihn Einige, Andere
aber drohten ihm, und wieder Andere riefenihm nach),
er möge doch umfehren. Zwei von ihnen nahmen fich
bor , ihn mit Gewalt zurückzuholen . Der Eine hieß
Störrig , der Andere Willig. Indeſſen hatte der
Mann einen ziemlichen Vorſprung vor ihnen gewonnen ,
nichts beſtoweniger beharrten ſie dabei, ihm nachzuſeßen
und holten ihn auch wirklich bald ein . Da fragte ſie
der Mann, liebe Nachbarn , was wollt ihr ? Sie ant
worteten : Wir wollen dich bewegen , mit uns umzus
kehren. Er aber ſagte : das kann auf keinen Fall ges
ſchehen; ihr wohnt in der Stadt Verderben , in der
auch ich geboren ward. Ich weiß aber gewiß, daß wer
barin ſtirbt, früher oder ſpäter tiefer hinabſinkt, als das
Grab, in einen Ort , der mit Feuer und Schwefel
brennt: drum macht weiter keine Umſtände, liebe Nach
barn, und gehet mit mir.
Störr. Was ſagſt du da? Mit dir gehen, and
unſere Freunde und Vergnügungen drangeben?
Ja, ſagte Chriſt (benn das war der Name des
Mannes ), weil all jene Dinge nidyt werth ſind der
Herrlichkeit, die ich ſuche. 3) Wollt ihr nun mit mir
gehen und thun wie ich, dann werdet ihr ſie gleichers
weiſe erlangen , denn wo ich hingehe, iſt fein Mangel,
ſondern volleGenüge.4) Kommet, und ihr werdet fins
ben , daß ich Recht habe.
Störr. Was für Dinge ſind es denn, die du
ſuchſt und die du zu finden, die ganze Welt verläſſeſt?
r
) Luk. 14 , 26. 1 M05.19, 17. ? ) Jer. 20, 10 . - * ) 2 Co .
4, 17. - 4) Luk. 15 ,17. 22,35. Joh. 10,11.
5

Chriſt. Ich fuche ein unvergängliches, unbeflect


te8 und unverwelfliches Erbe, das behalten wird im .
Himmel, auf daß es zur beſtimmten Zeit gegeben werde
denen , die darnach tradyten mit allem Fleiß. Hier ſehet,
wenn ihr woût, wie das in meinem Buche ſteht: 1 )
Störr. Pah ! weg mit deinem Buche! Willſt
du umkehren mit uns oder nicht ?
Chriſt. Nein, ich nicht, denn ich habe die Hand
einmal an den Pflug gelegt. 2 )
Störr. So komm denn , Nachbar Willig , und
Laß uns ohne ihn wieder nach Hauſe gehen : es gibt
eine Art verſchrobener Köpfe, die, wenn ſieeinmal einert
tollen Gedanken gefaßt haben, ſich weifer dünfen , als
ſieben vernünftige Menſchen , welche jagen fönnen , war
um ſie etwas thun.
Willig. Laß dody das ſchimpfen ! Wenn das wahr
iſt , was der gute Chriſt ſagt , dann ſind die Dinge,
nach denen er trachtet, beſſer als die unſrigen. Ich bin
Wiútens mit meinem Nachbar zu gehen.
Störr. Wie ! noch ein Narr mehr ? Raß dir
doch rathen von mir und kehre wieder mit mir um .
Wer weiß, wohin bich folch ein hirnkranker Menſchnoch
führen wird ? Komm zurüc! Komm zurück undſei flug !
Chriſt. Komm mit mir , Nachbar Willig, denn
alt die Dinge , von denen ich vorhin ſpracy, ſind dort
zu bekommen und noch viel þerrlichere dazu. ' Glaubſt
du mir nicht, ſo lies einmal in dieſem Buche, und wiſſe,
daß die Wahrheit von Allem was darin ſteht, bekräfs
tigt iſt mit dem Blute Deſſen, der es gemacht hat. )
Willig. Wohlan , Nachbar Störrig , ich fomme
zu einem Entſchluſſe. Ich will mit dieſem guten Manne
gehen und es wagen mit ihm . Aber , lieber Reiſes
gefährte, weiſt du auch den Weg zu dem Orte , nach
bem wir verlangen ?!
3
Chriſt. & in Mann, Namens Evangeliſt hat mich
) 1 Petr.1, 4. Hebr.11, 16. Nóm.2, 1. - 2) Luk.9, 62.
:) Hebr.9, 17-24 . Joh. 18 , 37.
6

belehrt, daß ich auf eine kleine Pforte zueilen ſolle, die
vor uns liegt. Dort werden wir weitere Anweiſung
über den Weg bekommen.
Willig. Wohlan , komm lieber Nachbar. Und fo .
gingen denn beide mit einander fort.
Störr . Ich aber will wieder nach Hauſe gehen,
denn ich mag mit ſolchen verrückten Schwärmern nichts
zu thun haben.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß, während
Störrig umgekehrt war , Chriſt und Willig über die
Ebene Šahingingen. Dabei hatten. Tie folgendes Geſpräch
mit einander :
Chriſt. Nun , Nachbar Willig, wie ſteht's mit
dir ? Ich bin froh, daß du dich haſt bewegeit laſſent
mit mir zu gehen. Hätte Störrig nur die Macht und
Schrecken der Dinge , die noch unſichtbar ſind , wie ich
gefühlt, ſo würde er uns nicht ſo leichtfertig den Rüden
gewandt haben.
Willig. Nachbar Chriſt, wir ſind nun hier allein ,
brum ſage mir weiter, was es denn eigentlich für
Dinge ſind, die wir ſuchen und wie wir derſelben theil
þaftig werden ?
Chriſt . Es ſind göttliche Dinge; die kann man
aber beſſer im . Herzen erfahren , als mit der Zunge
ausſprechen ; boch weil du ein ſo großes Verlangen haſt,
ſie kennen zu lernen , ſo will ich dir Etwas von ihnen
aus meinem Buche vorleſen .
Willig. Glaubſt du denn auch , daß die Worte
in deinem Buche gewiß wahr ſeien ?
Chriſt. Ja, wahrlich, denn es iſt gemacht von
Dem , der nidit lügen kann. :)
Willig. Gut; aber was für Dinge ſind es denn,
die du göttlid nennſt ?
Chriſt. Es iſt ein Königreich, das kein Ende
nimmt, in dem wir immerbar wohnen ſollen , und das
1

ewige Leben, welches uns zum Erbe gegeben wird. 2)


) Tit. 1, 2, Offb.3, 14. ? Jef.45, 17. 305. 10, 27-29.
Hebr. 12, 28. Matth. 25, 34. Dan. 7, 14.
7

Willig. Gut, und was ſonſt noch ?


Chriſt. Da empfangen wir Kronen der Ehre
und Kleider , darinnen wir leuchten werden , wie sie
Sonne am Himmel. " )
Willig. D , wie herrlich ! was noch mehr ?
Chriſt. Da wird nicht mehr fein Reid, noch Ges
ſchrei, denn der König dieſes Ortes wird abwiſchen alle
Thränen von unſern Augen. 2)
Willig. Und womit werden wir dort zuſammen
Fein ?
Chriſt. Mit Seraphim und Cherubim , 3) Ges
chöpfe, die du nicht anſchauen kannſt , ohne taß deine
Augen geblendet werden. Auch wirſt du ba zuſammen
kommen mit Tauſend und aber Tauſenden , die vor,
uns zu dieſem Orte eingegangen ſind, da iſt Reiner
unter ihnen , der uns Böſes thut, ſondern Alle gehen
einber in Liebe und Heiligkeit, Jeglicher wandelt vor
Gottes Angeſicht und ſteht vor Ihm in ſeinem ewigen
Wohlgefallen. Mit einem Worte, dort werden wir
ſchauen die Selteſten mit ihren golonen Kronen) ſchauen
die heiligen Jungfrauen mit ihren goldnen Þarfen 5)
und dauen al die Märtyrer, die aus Liebe zu bem
Herrn jenes Ortes von der Welt in Stücke zerhadt,
auf dem Scheiterhaufen verbrannt, von wilden Thieren
zerriſſen oder im Meere erſäuft worden ſind ) da
ſind ſie Alle ſelig und Alle überkleidet mit Unſterblichs
teit, gleich wie mit einem Gewand. )
Willig. Man wird ſchon entzückt, wenn man
dieſe Dinge nur hört. Allein kann man ſie dann audi
bekommen ? Und wie können wir ſie erlangen ?
Chriſt Das hat der Herr, welcher der Beherrs
icher des Landes iſt, in dieſem Buche geſagt. 8) Die
Summa dieſer Sprüche aber iſt: So Jemand von
) 2 Tim.4,8 . 1 Petr.5,4 . Offenb.3,5. Dan. 12,3. Matth. -

13,43. ) Def. 25,8 .35, 10. Offenb. 7,17. 21,4.


8) 3e5.6, 2.-
“ ) Offenb.4,4 . 5 ) Offenb. 14,1–5.
1 ) Hebr. 11,33-40 . ) 2 Kor.5,2-4 . o ) 3er.
-

55, 1.2. Joh. 6, 37. 7,37. Dffenb. 21, 6. 22, 17.


8

þerzen nach jenen Dingen verlangt, dem will Er fie


aus Gnaden geben umſonſt.
Willig. Gut, lieber Reiſegefährte, ich freue mich,
ſolche Dingezu hören, komm, wir wollen unſere Schritte
beſchleunigen .
Chriſt. Ich kann nicht ſo raſch gehen , wie ich
wohl möchte, denn die laſt, die ich auf dem Rücken
habe, hindert mich daran.
Nun ſah ich in meinem Traume, baß, als die Beis
den eben ihr Geſprädy beendet, ſie ſich einem moraſtigen
Bfuhle näherten , der mitten in der Ebene lag, und wie
fie, na Keiner von ihnen darauf aditete, Beide plöglich
in den Sumpf fielen. Dieſer Sumpf hieß Verzagts
heit. Als ſie nun eine Zeit lang barin herumgewühltund
Fich jämmerlich beſubelt hatten , fing Chriſt, wegen der
Laſt auf ſeinem Rüden, an, in den Sdilamm zu verſinfen.
Ad , Nadbar Chriſt, rief Willig, wo ſind wir nun ?
Wahrlich , ich weiß es nicht, antwortete' Chriſt. Da
wurde Willig ſehr aufgebracht und fragte ärgerlich ſei
nen Reiſegeführten: iſtdas die Glückſeligkeit, wovon du
mir ſo viel vorgeredet haſt ? Geht es uns im An
fang ſchon ſo übel, was mögen wir dann erſt noch bis zum
Ende unſerer Reiſe zu erwarten haben ? Komme ich
nur mit dem Leben bavon , fo magſt du meinetwegen
das ſchöne Land allein in Beſit nehmen. Und hiemit
machte er eins oder zweimal einen verzweifelten Anſat,
und arbeitete ſich aus dem Moraſt an der Seite des
Pfuhls heraus, die feinem Hauſe zunächſt lag : dann
lief er raſch davonund Chriſtſah ihn nie wieder.
So lag denn Chriſt allein im Sumpfe der Vers
zagtheit und drehte ſich hin und her, doch judyte er ſich
nach der Seite des Sümpfes hinzuarbeiten, die von ſei
nem Hauſe am weiteſten und ber engen Pforte zunädiſt
lag. Das gelang ihm nun zwar , aber herauskommen
fonnte er nicyt, wegen der taſt, die er auf ſeinem Rücken
hatte. Da ſah ich in meinem Traume, daß ein Mann,
Namens Helfer, zu ihm fam , der fragte ihn, was er
da ntade ?
9 1

?
Herr, ſagte Chriſt, ein Mann , Namens Evangeliſt,
hieß mich dieſen Weg gehen und wies, mich nach der
te
Bforte dort , damit ich entrinnen möchte dem zufünfti
gen Zorn , nun bin ich auf dem Wege zu derſelben
hier hineingefallen.
B

en
Helf. Aber warum gabſt du nicht Acht auf die
Fußſtapfen ? )
eis Chriſt. Die ' Furcht verfolgte mich derinaßen,
en
daß ich den nächſten Weg einſchlug, und fo fiel ich in
Die
den Moraſt.
Helf. Gib mir deine Hand! Chriſt that es und
ite er zog ihn heraus, darnach ſtellte er ihn auf einen feſten
ts
nd
Grund ) und hieß ihn ſeines Weges weiter-gehen .
per
Dá trat ich ſelbſt zu dem , der ihn herausgezogen
21.
hatte und fragte ihn : Herr , ihr wiſſet es , daß der
.

n?
Weg, der von der Stadt Verderben zu jener Pforte
führt, ſich über dieſe Stelle hinzieht; wie fommt es
Da
Teis
denn nun , daß der Sumpf hier nicht wegſam gemacht
016
wird, damit die armen Neijenden mit mehr Sicherheit
dahin gelangen fönnten ? Da antwortete er mir : Dies
111
im
ſex fumpfige Pfuhl kann nicht wegſam gemacht werden ,
benn es iſt der Sammelplatz, in welchen der Abſchaum
ich und Unflath, der ſich durch die Erkenntniß der Sünde
gen herausſtellt, beſtändig abfließt, darum heißter auch Bful
nit der Verzagtheit. Denn wenn dem Sünder die Au
th gen aufgeben über ſeinem verlorenen Zuſtande, ſo ſtei
Des
inn
gen in ſeiner Seele viel Furcht und Zweifel und aller
lei beängſtigende Sorgen auf. Die fließen nun alle
er's
an dieſer Stelle zuſammen , und das iſt die Urſache,
weßhalb dieſer Boden ſo diedyt iſt.
ich Es iſt nicht des Königs Wille, daß dieſer Ort ſo
Fei ſchlecht bleiben ſoll. :)
bit
nen
Auchſind ſi ine Arbeiter, unter der Anleitung fönig
Lider Aufſeher , chon ſeit länger als achtzehn hundert
Een
En ,
Jahre mit dieſem Stücke lande beſchäftigt geweſen, um
er
) Die göttlichen Berheißungen. S. P. 97, 11. 119, 105.
3ef.1, 8. 43,25. 44,22. — 2 ) P5.40, 3. – 3 ) Jef.
2
35,3. 4 .
415.
10

es wegſam zu machen. Ja , ſoviel ich weiß , ſagte er,


ſind hier icon wenigſtens zwanzig Tauſend, ja Millios
nen Karren voll der beſten und heilſamſten Unterwei
ſungen zu allen Zeiten und aus allen Gegenden des
Königsreichs zuſammengefahren und eingefüút worden,
um wo möglich die Stelle zu verbeſſern. Allein es iſt
immer noch der Pfuhl der Verzagtheit, und er wird
es bleiben , wenn ſie auch alles gethan haben was fie
fonnten.
Es ſind zwar gute und feſte Fußſtapfen, nach An
leitung des Geſetzgebers mitten durch den Sumpf ge
legt, allein um die Zeit , wenn dieſer Ort ſeinen uns
flath und böſe Dünſte am meiſten aufſteigen läßt (wie
denn ſolches bei Veränderung der Witterung zu geſche
hen pflegt), ſo kann man dieſe Fußſtapfen faum jchen ;
geſchieht es aber audy, ſo werden die Menſchen oft vom
Schwindel ergriffen und thun Fehltritte; die Folge da
von iſt dann, daß ſie ſich idrändlich beſubeln , ungeachtet
der Fußſtapfen , die da ſind. Der Boden aber, wenn
man einmaldurch die enge Pforte eingegangen, iſt gut. ' )
Hierauf ſah id im Traume , wie Willig mittler's
weile wieder zu Hauſe angelangt war. Nun 'fanien ſeine
Nadbarn , ihn zu beſuden. Shr Urtheil über ihn fiel
aber ſehr verſchieden aus : einige nannten ihn , weil er
zurückgefommen, einen weiſen Viann, Andere einen Tho
ren , weil er ſich mit Chriſt in Gefahr begeben , und
wieder Andere trieben ihren Spott mit ihm , weil er
ſich ſo feige bewiefen - ſie jagten nämlid): hätten wir
einmal das Wagſtück angefangen , dann würden wir's
um weniger Sdywierigkeiten willen wahrlidy nicht ſo
jämmerlid) aufgegeben haben.
So faß dann Willig ganz armſelig unter ſeinen
Nadhbaren da. Zuletzt jedoch faßte er wieder mehr
Muth, da ließen ſie denn von ihm ab, und fielen über
den armen Chriſt hinter ſeinemRücken mit ihrem Spotte
her. Soviel was Willig betrifft.
. ) 1 Sam . 12, 22.
11

Ziveites Kapitel.
Pilgers Irrfahrt, Reue und Umkehr.
Als Chriſt nun für ſich allein weiter ging , bes
mierkte er in der Ferne Jentanden, der mittenüber das
Feld auf ihn zufam . Sie trafen aber gerade zuſam
men , als Jeder von Beiben den Weg des Andern übers
îchreiten wollte. Der Name des Herrn, welcher ihm
begegnete, war Herr Weltflug; er wohnte' in der
Stadt Fleiſchesi lugheit; dies iſt eine ſehr große,
volfreide Stadt , ganz nahe bei dem Orte, wo Chriſt
herfam. Dieſer Mann, mit dem Chriſt zuſammentraf,
hatte einige Founde von ihm erhalten.' Chriſt's Aus
wanderung aus der Stadt Berderben hatte nämlich viel
Gerede verurſacht und war nicht nur an ſeinem frühern
Wohnorte zum Stadtgeſpräch geworden , ſondern fing
an, es aud ringsumher in andern Orten zit werden.
Deßwegen errieth Herr Weltflug ſchon aus dem ſchwer
müthigen Gange, dem Seufzen und Stöhnen , wen er
vor ſich habe , und ſo ließ er ſich denn ohne Weiteres
mit Chriſt in ein Geſpräch ein .
Weltflug. Wie, wohin ſo fdywer beladen, guter
Freund ?
Chriſt. Ja wohl ſchwer beladen , ich glaube ſo
ſchwer wie jemals ein armes Geſchöpf belaben geweſen
iſt. Und weil ihr mich fragt wohin ? ſo will ich euch
ſagen , Herr , daß ich auf das enge Pförtlein dort zut
gehe , das vor mir liegt, denn dort ſoll mir, wie ich
unterrichtet worden bin, ein Weg gezeigt werden , daß
ich meiner ſchweren Bürde ledig werde.
Weltfl. Haſt du Frau und Kinder ?
Chr. Ja, aber ich bin ſo beladen mit dieſer Bürde,
daß ich keine Freude an ihnen wie früher haben kann.
Ich habe wohl Frau und Kinder, Body es iſt mir als
hätte ich keine. )
) 1. Cor. 7, 29.
2*
12

Weltkl. Wilft du mich anhören , wenn ich dir


einen guten Rath gebe ?
Chr. Gerne, wenn er gut iſt, denn guter Rath
iſt'8 gerade, was ich nöthig babe.
Weltkl. So will id dir denn rathen , daß du
dich ſelbſt von deiner Bürde in aller Eile losmaciſt,
denn ſonſt wirſt du niemals zur Ruhe deines Herzens
kommen , auch dich eher nicht der Güter erfreuen , mit
welchen Gott dich geſegnet hat.
Chr. Das iſt es eben, was ich ſuche, dieſer idwe
ren Bürde los zu werden, aber durch mich ſelbſt vers
mag id) das nicht. Auch iſt kein Menſch in unſerm
ganzen Lande, der ſie mir von meinen Schultern nehmen
tann, darum habe ich dieſen Weg eingeſchlagen , wie
ich euch ſagte, damit ich meiner Bürde entleðigt wer
ben möge. 1

Weltkl. Wer hieß dich dieſen Weg gehen, um


ihrer los zu werden ?
Chr. Ein Mann, den ich für groß und ehrwürdig
hielt;.ſein Nameiſt, wie ich mich erinnere, Evangeliſt.
Weltkl. Aber ſein Rath war ſchlecht! Es
gibt in der ganzen Welt keinen gefährlichern und müh
amern Weg als dieſen ; das wirſt du finden , wenn du
feinem Rathe weiter folgſt. Du haſt, wie id) merke,
ſchon etwas davon erfahren , denn ich ſehe noch den
Shmuß von dem Pfuhle der Verzagtheit an dir.
Dieſer Pfuhl iſt aber nur der Anfang von den Trüb
falen , welche derer warten, die dieſen Weg gehen. Höre
mir, ich bin älter, als du : auf dem Wege, welchen bu
eingeſchlagen haſt, treffen dich Mühſeligkeit, Schmerz,
Hunger , Gefahr , Blöße, Schwert, Löwen, Draden,
Finſterniß, mit einem Worte, der Tod ſelbſt und was
es noch Ales mehr geben mag. Dies iſt gewißlid) wahr,
und durch viele Zeugniſſe beſtätigt. Warum ſollte nun
ein Menſch, nur um einem Fremden Gehör zu denken,
ſich ſelbſt ſo ſorglos Preis geben ?
) und dabei ſtieß Weliklug einen Fluch aus.
13

Chr. Aber dieſe Bürbe, mein Herr, die ich auf


dem Rücken habe, iſt ſdrecklicher für midy, als alle die
Dinge, welche Sie mir eben genannt haben. Wahrlich ,
es dünft mich , daß ich Nichts barnach frage, was mir
auf meinem Wege immerhin begegnen möge, wenn ich
nur von meiner Laſt befreit werde.
Weltfl. Wie biſt du zuerſt an dieſe Laſt ge
tommen ?
Chr. Dadurch, daß ich das Buch las, welches ich
hier in der Hand habe.
Weltel. Das dachte ich wohl; da iſt es dir ges
gangen , wie ſo mancher andern ſchwachen Leuten , die
ſich mit Dingen abgeben, welche ihnen zu hoch ſind und
dann auf einmal verwirrt werden . Durch ſolche Ver
wirrung verliert man aber nicht bloß alles Vertrauen
zu ſich ſelbſt (was, wie ich ſehe, auch bei dir der Fall
iſt ), ſondern man greift auch zuverzweifelten Wagſtücken ,
um , man weiß ſelber nicht was, zu erlangen.
Chr. So ſieht's aber bei mir nicht aus, ich weiß
recht gut, was ich zu erlangen wünſche: Erleichterung
von meiner dweren Caſt.
Weltkl. Aber warum willſt du Erleichterung
auf dieſem Wege ſuchen , auf dem, wie du ſiehſt, dochy
ſo viele Gefahren ſind ? zumal da ich dir , (wenn du
nur Geduld hätteſt mich anzuhören ) zeigen fönnte, wie
du das, wornach bu verlangſt, bekommen kannſt ohne
die Gefahren , worin du dich auf dieſem Wege muths
willig ſtürzeſt. Ja wirklich, das Mittel iſt bei der Hand.
Ueberdem will ich dir noch ſagen, daß wenn du es ge
brauchſt , du ſtatt all jener Gefahren große Sicherheit,
Freundſchaft und Zufriedenheit finden wirſt.
Chr. ' Ach, lieber Herr, ich bitte, machet mich doch
mit dieſem Geheimniß befannt.
Weltkl. Nun ja: bort liegt ein Flecken, der heißt
Gefeßlidfeit, darin wohnt ein Mann, Namens Ges
feßlich, ein Mann von Einſicht und von ſehr gutem
Ruf, der befißt die Kunſt, den Menſchen ſolche Bürden ,
wie du eine trägſt, von den Schultern zu nehmen. Es.
14

iſt mir wirklid . bekannt , daß er auf dieſe Weiſe viel


Sutes ausgerichtet hat. Sa, überdem verſteht er's auch
Reute zu heilen , die durch ihre Laſt etwas idwach im
Kopfe geworden ſind. Gehe nur, wie geſagt , zu ihm
hin , dann wird dir ſogleich geholfen werden . Sein
Haus iſt noch nicht ganz eine halbe Stunde von hier.
Sollteſt du ihn ſelbſt aber nicht zu Hauſe treffen , ſo
findeſt du doch ſeinen Sohn da, der iſt ein artiger jun
ger Mann und heißt Weitfein , er verſteht, wie ich
agen darf, die Sache eben ſo gut wie der alte Herr
ſelbſt. Dort fannſt du, fag ich dir, Erleichterung dei
ner Laſt finden. Und , wenn du nicht vorhaſt, zu deis
nem frühern Wohnorte zurückzukehren (was ich für dich
ſelbſt nicht wünſchen möchte), ſo kannſt du ja Frau und
Kinder in dieſen Flecken nachkommen laſſen . Es ſtehen
gerade jetzt mehrere Häuſer bort leer , von denen du
ohne Zweifel eines für ein Billiges befommen kannſt;
auch ſind die Lebensmittel dort wohlfeil und gut, und,
was dir das Leben noch angenehmer machen wird, iſt,
daß du bei ehrbaren Nachbarn ſicher in Vertrauen und
Anſehen ſtehen wirſt.
Chriſt hatte den Lodungen willig zugehört und
hatte ſie durch das Ohr in fein Herz hineingelaſſen :
Drum ſtand er nachdenklich da. Aber nicht lange währte
es , da ſprach er in ſich : wenn es wahr iſt, was dies
fer Herr da geſagt hat, ſo kann ich nichts Beſſeres thun,
als ſeinen Rath befolgen, und ſo ließ er ſich denn weis
ter mit ihm ein.
Chr. Herr , welches iſt dann der Weg zu dem
Hauſe dieſes vortrefflichen Mannes ?
Weltkl. Siehſt du den hohen Berg ' ) dort ?
Chr, Sa wohl, ganz gut.
Weltfl. Auf dieſen Berg mußt du zugehen, und
das erſte Haus , woran du fommſt, iſt das Haus des
Mannes.
So wandte fich Chriſt nun von ſeinem Wege ab,
) Berg Sinai.
15

um im Hauſe des Herrn Gejeßlichkeit Hülfe zu ſuchen.


Aber jiehe , als er ganz nahe an den Berg gekommen
war , kam ihm derſelbe ſo hoch vor und bemerkte er
auch, daß die Seite, welche dem Wege zunächſt lag, fo .
hinüber hing, daß er ſich gar nicht weiter wagte, indem
er fürchtete, der Berg möchte ihm auf den Kopf fallen.
Deßwegen ſtand Chriſt ſtill und wußte nicht, was er
thun ſollte. Auch meinte er , ſeine Bürde ſei ſchwerer
als vorhin, da er noch auf ſeinem Wege war. Dazu
kamen flammende Blitze aus dem Berge heraus, ' ) daß
Chriſt bange war , er möchte davon verzehrt werden.
Er dwitzte und zitterte vor Angſt, ?) aber fing nun
auch an es zu bereuen ,daß er Herrn Weltflugs Rathe
gefolgt war. Zugleich ſah er Evangeliſt auf ihn zufom
men und wurde roth vor Scham "bei ſeinem Anblick.
Evangeliſt aber fam näher und näher , und da er bei
ihm war, heftete er einen ſtrengen und furchtbaren Blick
auf ihn. Dann ſtellte er folgende Verantwortung mit
ihm an :
Ev. Was machſt du hier, Chriſt ? Chriſt wußte
nicht, was er darauf antworten foute, barum ſtand er
im erſten Augenblicke ſprachloß vor ihm da. Evangeliſt
ließ es aber nicht dabei, ſondern fragte weiter: Biſt
du nicht der Mann, den ich vor der Stadt Verderben
ſo jammernd ſtehen fand ?
Chr. Ja, lieber Herr, ich bin es .
Ev. Habe ich dir nicht den Weg zu der engen
Pforte gewieſen ?
Chr. Ja wohl, lieber þerr.
EV. Wie kommt es denn, daß du dich ſo dnell
davon abgewandt ? denn jegt biſt du auf einem ganz
andern Wege.
Chr. So bald ich über den Pfuhl der Verzagts
heit gekommen war, begegnete mirein Herr, der über
Tedete mich, ich möchte in den Flecken gehen, der bort
vor mir liegt, da würde ich einen Mann finden , der
mir meine Laſt abnehmen könnte.
1 2 Mob. 19, 16. 18. 2 ) Hebr. 12, 21 .
16

Ev. Was war es für ein Mann ?


Chr. Er hatte ein vornehmes Ausſehen , redete
mir Biel zu und brachte es am Ende ſo weit, daß ich
ſeinen Aufforderungen folgte ; jo kam id) denn hierher.
Als ich, aber dieſen Berg ſah und wie er über den Weg
hinüberhängt, da blieb ich plötzlich ſtehen, damit er mir
nicht auf den Kopf fallen möchte.
Ev. Was ſagte der Herr zu bir ?
Chr. Er fragte mich, ob ich Frau und Kinder
hätte, und id) ſagte : ja ; aber ich fügte hinzu , daß ich
ſo beladen wäre mit der Bürde, die id ) auf dem Rücken
habe, daß ich feine Freude mehr wie früher an ihnen
haben fönnte.
Ev. Und was ſagte er darauf?
Chr. Er hieß mich in aller Eile meine Bürde
ablegen; und ich ſagte ihm , das wäre es gerade was
ich ſuchte: eben darum wäre ich auch auf dem Wege
nach jener Pforte, um dort weiter unterwieſen zu wers
den , wie ich zu dem Orte meiner Erlöſung fommen
könnte. Da ſagte er , er wolle mir einen beſſern Weg
zeigen, der kurz und nicht ſo beldwerlich, wäre, als der ,
auf den ihr, Herr, mich gebracht hattet. Der Weg,
den ich dir anweiſe, ſprachder Mann, wird dich zum
Hauſe eines Herrn bringen, welcher die Kunſt verſteht,
ſolche Laſten abzunehmen. 3d glaubte ihm nun und
wandte mich nun von jenem Wege ab auf dieſen , ob
ich vielleicht von meiner laſt bald befreit werden möchte.
Als ich aber hierher kam und die Dinge ſah , wie ſie
wirklich ſind, da ſtand ich ſtill aus Furcht vor der Ges
fahr. Nun aber weiß ich nicht, was id thun foll.
Ev. Bleib einen Augenblick ſtehen , damit ich dir
Gottes Wort vorhalte. Da ſtand Chriſt mit Zittern
und Evangeliſt ſpracy: Sehet zu , daß ihr euch
deß nichtweigert, der da redet. Denn jo jene
nicht entflohen ſind , die ſich weigerten , da er
auf Erden redete, viel weniger wir , ſo wir
uns deß weigern, der vom Himmel redet." )
4) Hebr. 12, 25.
17

Ferner ſagte er : Der Gerechte wird des Glaus


bene leben. Wer aber weichen wird, an dem
wird meine Seele feinen Gefallen haben ." 1)
Von dieſen Worten machte er nun ſogleich eine Anwen
dung, indem er ſich an Chriſt wandte und ſpracy: Siehe,
du biſt der Mann, welcher in's Elend hineinrennt, du
haſt angefangen den Rath des Allerhöchſten zu verwer
fen und deinen Fuß abzuwenden vom Pfade des Frie
bens und dies zwar auf Gefahr, ewig zu verderben.
Da fiel Chriſt wie todt zu ſeinen Füßen nieder,
indem er ausrief: Wehe mir, ich vergehe! 2) Als aber
Evangeliſt dies jah , ergriff er ihn bei ſeiner rechten
Hand und ſprach : ,, Alle Sünde und läſterung)3
wird den Menſchen vergeben. Sei nicht uns
gläubig, ſondern gläubig." Dadurch wurde Chriſt
wieder ein wenig beruhigt; zitternd richtete er ſich auf
und ſtand vor Švangeliſt wie vorhin.
Hierauf fuhr Evangeliſt weiter fort: Gib nun
beſſer Acht auf das, was ich dir ſagen wil . Ich will
bir nun zeigen , wer der war, der did, verführte und
auch wer der war , zu dem er dich fandte. Der
Mann , welcher dir begegnete, heißt Weltklug ,
und ſo heißt er mit Recht, theils weil er nur
an der Lehre dieſer Welt 4) Geſchmack findet, weßhalb
er auch immer in dem Orte Gefeßlichkeit zur Kirche
geht; und theils, weil er jene Lehre jeder andern vor
zieht , da ſie ihm nicht das Kreuz auflegt;' ) weil er
aber jo fleiſdlich geſinnet iſt, ſucht er meine Wege, ob
gleich ſie recht ſind, zu verkehren. Ich will dich nun
auf drei Stücke in dem Rathe dieſes Mannes aufmerf
ſam machen, welche du ganz und gar verabſcheuen mußt :
Das erſte 'iſt, daß er dich vom Wege , den ich
dir angewieſen, abwendig machte ; das andere , daß er
dir das Kreuz verhaßt zu machen ſuchte, und das dritte,
daß er deine Füße auf den Weg leitete, welcher
Umke führt, das den Tod predigt. )
? Hebr.10,38.– ?) Jef.6,5. — Matth.
12.
12,31. 305: 20,27.
“ ) 130h. 4,5. – 6 ) Gal. 6 , 5 ) 2 Kor.3, 7.9.
18

Erſtlich mußt du es verabſcheuen, daß er dich


von dem Wege abbrachte, auf den ich dich geführt hatte;
aber auch daß du ſelber willig dazu warſt, denn 'fo
Etwas heißt nichts anders , als den Rath Gottes vers
werfen, um dem Rathe eines Weltklugen zu folgen.
Der Herr ſpridit: Ringet darnach , daß ihr
durch die enge Pforte eingehet “, ' ) und das iſt
die Pforte, zu der ich dich gewieſen - , denn die Pforte
iſt eng, die zum Leben führet, und ihrer find
11
Wenige, die fie finden." 2) Von dieſem engen
Pförtchen und von dem Wege, ber dahin führt, hat
$ dieſer gottloſe Mann dich abgeleitet und dich beinahe
in's Verderben gebracht.' Verabſcheue daher, daß er
dich vom Wege abgeleitet und habe einen Efel an dir
ſelbſt, daß du ihm Gehör geſchenkt haſt.
Zweitens mußt du es verabſcheuen , daß er ſich
bemüht hat, dir das Kreuz verhaßt zu machen ; denn dir
gebührt's, daſſelbe den SchäßenEgyptens vorzuziehen. :)
Zudem hat der König der Herrlichkeit dir geſagt: „ Wer
fein leben will erhalten, der wird es verlies
ren " , und : So Jemand zu mir kommt und
haſjet nicht ſeinen Vater, Mutter , Weib, Kins
ber, Brüder, Schweſtern, auch dazu ſein eiges
nes leben, der kann nicht mein ſünger ſein ,
und wer nicht ſein freuz auf ſich nimmt, der
iſt meiner nicht werth." 4) Darum ſage ich dir, ſo
Jemand didy zu bereden ſucht, es gereiche dir ſolches
zum Tode - da du doch, wie der Mund der Wahr
-

beit ſpricht, ohne daſſelbe das ewige Leben nicht haben


kannſt — ſo mußt du eine folche Lehre verabſcheuen.
Drittens mußt du es baſſen, daß er deine Füße
auf den Weg, leitete, welcher dich in die Senechtſchaft
des Todes bringt. Und hierbei mußt du bedenken , zu
wem er dich fandte, und wie unfähig derſelbe iſt, dich
von deiner Laſt zu befreien.
- 2 ) Matth.7, 13. 14.
.) lut. 13, 24 . ' ) Hebr. 11 , 25. 26.
-
) Mark. 8 , 35. Joh. 12, 25. Matth. 10, 37-39.
Luk. 14, 26. S. auch Gal. 6, 12. Philipp. 3, 18.
19

Der, zu dem er dich fandte, damit du Erleichterung


finden möchteſt, und der da Gefeßlich heißt, iſt der
Sohn der Magd, die nun dienſtbar iſt mit ihren Rin
dern 4) und iſt in geheimnißvoller Weiſe der Berg Si
nai, von dem du befürchteteſt, daß er dir auf denKopf
fallen werde. Iſt dieſelbe aber mit ihren Kindern
dienſtbar, wie fannſt du dann erwarten , daß ſie dich
frei machen werde ? Dieſer Geſeglich iſt daher nicht im
Stande, dich von deiner Laſt zu erlöſen. Es iſt noch
nie Giner von ſeiner Laſt durch ihn befreit worden und
es wird auch nimmer geſchehen. Du kannſt nidit durch
des Geſeßes Werke gerecht, 2) folglich auch nicht durch
ſie frei werdenvon deiner Laſt, und folglich iſt Herr
Weltflug ein Fremdling in der Wahrheit und Serr
Gefeßlich ein Betrüger ſ; ein Sohn Weltfein iſt aber,
trotz ſeines freundlichen Weſens ein Feudiler, ber dir
nicht helfen kann. Glaube mir, all dem Geſchwäß, was
jene thörichten Leute gemacht haben, liegt nichts anders
zum Grunde, als die Abſicht, dich von dem Wege, auf
den ich dich geleitet, abzubringen und dich dadurch um
beine Seligkeit zu betrügen.
Hiernach rief Evangeliſt den Himmel laut zum Zeus
gen und zur Bekräftigung deifen an , was er geſagt
hatte ; da fam alsbald eine Stimme und Feuer aus
dem Berge heraus , woran ber arme Chriſt ſtand , daß
fidh ihm die Haare auf dem Haupte in die Höhe rich
teten . Die Stimme aber redete alſo: ,, Die mit des
Gelege8 Werfen umgehen , die ſind unter dem
Fluch . Denn es ſtehet geſchrieben: Verflucht
ſei Jedermann , der nicht bleibet in allem dem ,
das geſchrieben ſteht im Buche des Geſetzes,
daß er's thue." 3)
Nun erwartete Chriſt nichts anders als den Tod
und fing an jämmerlich zu dreien , dabei verfluchte er
die Zeit, in welcher er ſich mit Herrn Weltflug einges
laſſen und ſchalt ſich wohl tauſendmal einen Narren,
) Gal. 4, 21 — 27. – ) Röm. 3, 20. 28. Gal. 2, 16.
- - -

3 ) Gal. 3, 10.
20

daß er auf den Rath deſſelben geachtet hätte. Auch fühlte


er ſich tief beſchämt, wenn er bedachte, daß alle Gründe,
die Herr Weltflug ihm vorgehalten , doch einzig und
allein vom Fleiſche hergenommen ſeien und daß dieſe
einen ſo großen Einfluß auf ihn ausgeübt hätten , daß
er vom rechten Wege abgewiden wäre. Nadybem die
vorhergegangen , wandte er ſich wieder an Evangeliſt
und richtete folgende bewegte Worte an ihn:
Chr. Herr, was meint ihr, iſt noch Hoffnung
da für mich ? Darf ich wohl wieder umfehren und auf
die enge Pforte zugehen ? Werde ich wohl um meines
Fehltritts willen nun aufgegeben und dort mit Schan
ben zurückgewieſen werden ? Es iſt mir leid , daß ich
auf den Rath jenes Mannes gehört habe ; aber kann
mir meine Sünde auch vergeben werden ?
Evangel. Da ſagte Evangeliſt,deine Miſſethat
iſt groß, denn du haſt zwiefältig geſündigt: du haſt den
guten Weg verlaſſen und den verbotenen betreten ; aber
dennoch, wird der Mann an der engen Pforte dich auf
nehmen , denn er iſt den Bilgern ſehr zugethan. Hüte
dich aber, daß du abermals zur Seite abweicheſt, damit
du nicht , um fommeſt auf dem Wege , denn ſein
Zorn wird bald anbrennen . " )
Darauf ſchickte Chriſt ſich an wieder umzukehren.
Nachdem Evangeliſt ihn aber gefüßt und mit einem
freundlichen Blick angelächelt hatte, wünſchte er ihm gute
Reiſe. Und ſo pilgerte Chriſt eilends voran, ſprach
unterwegs mit Niemandem und gab dem , der ihn fragte,
auch keine Antwort. Er ging gerade wie Einer, der
ſich auf verbotenem Grund und Boden befindet und
konnte ſich nirgend ſicher achten, bis er wieder auf dem
Wege anlangte, den er auf Herrn Weltflugs Rath ver
laſſen hatte.

' Pfalm 2, 12.


21

Drittes Kapitel.
Pilgers Ankunft an der Pforte und Eingang.
*Nachdem Chriſt ſo einige Zeit ſeinen Weg fort
gelegt hatte, kam er an der Bforte art. Ueber derſel
ben ſtand geſchrieben : „Slopfet an , ſo wird euch
aufgethan." ) Er that, wie es gejdyrieben, er klopfte
ein-, zweis und mehreremal, während deß ſprach er in
feinem Herzen :
Mag ich hier wohl herein ? Thut der da drin
Mir Armen auf, der ich geweſen bin
Ein deußlider Rebell ? Thut Er's , dann fing' ich
ewig ſeinen Ruhm.
Und opfre Dant Shu bis in's höchſte Heiligthum . 2)
Endlich erſchien ein Mann mit ernſtem und doch
mildem Angeſichte an der Pforte. Er hieß: Gutwill,
und fragte, wer da wäre, woher der Bilger fäme und
was er begehrte ?
Chr. Hier iſt ein arnter beladener Sünder. Ich
komme aus - der Stadt Verderben und will nadı dem
Berge Zion , daß ich dem zukünftigen Zorn entrinnen
möge. Da man mir nun fund gethan , daß der Weg
dorthin doch dieſe Pforte geht,ſo möchte ich gerne wiſſen,
ob ihr, lieber Herr, ſo gut ſein wolt, mich einzulaſſen.
Gutw . Herzlich gern , ſagte er , und machte das
mit zugleich die Pforte auf. ) ' Åls Chriſt nun im Bes
griff war durch die Pforte zu gehen , zog ihn der An
bere raſch herein . Was ſoll das bedeuten ? fragte Chriſt.
Da antwortete Gutwill : Ganz nahe bei dieſer Pforte
| liegt ein feſtes Schloß, den Befehl darüber führt Beelze
bub, von dort aus dießt er und die, welche beiihm
ſind, ſeine Pfeile “) auf diejenigen ab, die an dieſe Pforte
) Matth. 7, 7. *) Die reumüthige Seele wendet fich ver
langend, hoffend und gelobend an Chriſtum, der die Thür
des Lebens iſt. Joh. 10 , 7.9. - 3) S. 3ef.66,2. Pf. 10,17.
-

34, 7. 66, 18 - 20. ^) S. Epheſ.6 ,16. Pfeile des


Satans unreine, böſe, gottesläſterliche Gedanken, die er
in dem Herzen der Menſchen erregt , um ſie in allerlei
Sünde, namentlich auch in Zweifel, Zagen und Verzweifs
lung zu ftürzen.
22

kommen , ob er ſie nicht tödten möchte, bevor ſie noch


eingeganger.. Da ſagte Chriſt : ich freue mich und zit
tere. Als er nun eingetreten war, fragte Gutwill: wer
hat did hierher gewieſen ?
Chr. Evangeliſt hieß mid hierhin gehen und
anklopfen, wie ich denn auch gethan habe. Auch ſagte
er, daß ihr, Herr, mir angeben würdet, was ich weiter
thun müßte.
Gutw . . Eine offene Thür iſt vor dir, und Nie
mand kann ſie zuſchließen. ')
Chr. Ach , ſo fange ich nun an den Gewinn
meiner Wagniſſe zu ernten !
Gutw . Aber wie iſt es, daß du allein kommſt ?
Chr. Weil keiner von meinen Nachbarn ſeine
Gefahr ſo klar erkannte, wie ich die meinige.
Gutw . Wußten einige von ihnen , daß du hier
her gingſt ?
Chr. Ja , meine Frau und meine Kinder fahen
es zuerſt und riefen mir nady, ich ſollte wieder um
kehren ; evenſo madyten es einige meiner Nachbarn ,
allein ich hielt mir die Ohren zu und ging meines
Weges.
Gutw . Aber lief dir denn Reiner von ihnen nach,
der dich zu bereden ſuchte, daß du umkehren möchteſt ?
Chr. Allerdings, zwei, Störrig undWillig :
aber als ſie ſahen , daß ſie nid )ts bei mir ausridten
konnten , kehrte Störrig ſpotttreibend wieder um , aber
Willig ging noch eine kleine Strecke mit mir.
Gutw. Allein , weßhalb iſt er denn nicht ganz
mitgefommen ?
Chr. Wir gingen miteinander bis wir an den
Pfuhl der Verzagtheit kamen , da fielen wir plötzlich
hinein. Das machte meinen Nadybar Willig verzagt,
ſo daß er ſich nicht weiter wagen wollte. Deßwegen
arbeitete er ſich auf der Seite , die nach ſeinem Hauſe
hinliegt, aus dem pfuhl heraus und ſagte, ich möge ſei
) Offenb. 3, 8.
23

melwegen das herrliche Land nur allein in Beſitz neh


men : ſo ging er denn ſeines , ich aber meines Weges,
1

er , Störrig nach und ich zu dieſer Pforte.


Gutw . Ach , der arme Mann ! Achtete er die
himmliſche Herrlichkeit ſo gering, daß er ſie nicht werth
hält, ſich einigen Beſchwerden auszuſeßen , um ſie zu
erlangen ?
Chr. Ja, ich habe von Willig zwar die Wahr
heit geſagt, allein wenn ich ſie auch von mir ſelbſt ſagen
foll, jo bin ich nicht beſſer, wie er. Es iſt wahr, er
kehrte nach ſeinem Hauſe zurück , aber ich wandte mich
auch ab auf den Weg des Todes , und dazu ließ ich
mich durch die fleiſchlichen Vorſtellungen eines gewiſſen
Herrn Weſtflugbewegen.
Gutw. D ! mit dem biſt du zuſammen getrof
fen ? Was ! der wurde dich zweifelsohne zu bereden
juchen, dich bei Herrn Gefeßlich nach Erleichterung ums
zuſehen . Sie ſind alle Beide rechte Betrüger. Aber
folgteſt du denn ſeinem Rathe ?
Chr. Ja , ſo weit ich konnte. Ich ging , um
Herrn Geſeßlich aufzuſuchen ;, als ich aber an den
Berg kam , der bei ſeinem Hauſe liegt, glaubte ich, der
ſelbe würde mir auf denKopf fallen , darum fand ich
mich genöthigt ſtehen zu bleiben .
Gutw . Dieſer Berg hat ſchon ſo Manchem den
Tod gebracht, und wird noch Vielen den Tod bringen. ' )
Es iſt gut, daß du ſo davon gekommen und nicht von
ihm inStücke zerſchmettert worden biſt..
Chr. Ja, ich weiß wahrlich nicht, was dort
aus mirgeworden wäre, wenn ich nicht glücklicherweiſe
Evangeliſtwieder, als ich gerade in der furchtbarſten Verle
genheit ſteckte, getroffen hätte. Aber es war Gottes Gnade,
daß er abermals zu mir fam , ſonſt wäre ich niemals hier:
hin gekommen. So bin ich denn nun hier . angelangt,
idy, ber ich eher werth bin , bei jenem Berge umzufom
men, als mit euch, mein Herr, zu reden. Doch , ach !
' ) S. Gal. 3, 10.; 5, 4.
415. 3
24

welche Gnade für mich, daß ich dennoch hier eingelaſſen


worden bin !
Gutw. Wir weiſen Reinen zurück, der hierher
fommt, was er auch früher begangen haben mag : es
wird keiner hinausgeſtoßen .') Komm darum , lieber Chriſt,
eine kleine Strecke mit mir, ich will dir den Weg zei:
gen, den du gehen mußt. Er liegt nahe vor dir, ſieveſt
du den ſchmalen Weg da ? Er iſt angebahnt von den
Patriarchen und Propheten , von Chriſto und ſeinen
Apoſteln und ſo gerade wie an einer Schnur gezogen .
Das iſt der Weg, den du gehen mußt.
Chr. Sind aber keine Nebenwege und Krüm
mungen dabei, wodurch ein Fremdling vom rechten Wege
abfommen könnte ?
Gutw . Ach ja , es ſtoßen viele Wege daran,
aber ſind frumm und breit, und daran fannſt du den
rechten Weg von dem verkehrten unterſcheiden, daß allein
ber rechte Weg gerade und idymal iſt. 2)
Ich vernahm nun in meinem Traume, daß Chriſt
ihn weiter fragte, ob er ihm nicht von der Laſt auf
ſeinem Rücken abhelfen fönne ? denn bis dahin war er
ihrer noch nicht los, und konnte ihrer ohne Hülfe auch
gar nidyt los werden. Was deine Laſt angeht, ſagte
Gutwill, jo trage ſie mit Geduld, bis bu zu dem Orte
der Erlöſung kommſt, denn dort wird ſie dir von ſelbſt
vom Rücken fallen.
Hierauf gürtete Chriſt ſeine Renden und machte
ſich reiſefertig. Nun ſagte ihm Gutwill noch, wenn du
ein wenig von der Pforte weg biſt, dann fommſt du an
das Haus Ausleger , da mußt du anklopfen , und
er wird dir herrliche Dinge zeigen. Darnach nahm
Chriſt Abidjieb von ſeinem Freunde und dieſer wünſchte
ihm Gottes Geleit auf ſeiner Reiſe.

') 30h. 6, 37 . - ?) Matth. 7, 14.


25

Piertes Kapitel .
Pilger in der Schule Auslegers.
Chriſt ging nun weiter, bis er zum Hauſe Aus
legers kam . Hier klopfte er einmal über das andere
an .. Endlich fam Jemand an die Thüre und fragte,
wer da ſei ?
Chr. d bin ein Reiſender , der dem gütigen
Herrn dieſes Hauſes von einem Bekannten empfohlen
worden iſt; ich wünſchte den Herrn deßwegen zu ſprechen .
Der Angeredete ging darauf und rief den Haus
herrn ; dieſer fam auch alsbald und fragte Chriſt, was
er für ein Anliegen habe.
Chr. Herr, id bin ein Mann, der aus der Stadt
Verderben kommt und will nach dem Berge Zion.
Es iſt mir aber von dem Manne, welcher an der Pforte,
am Anfang dieſes Weges,1 ſteht, geſagt worden , ihr
würdet mir , wenn ich hier vorſpräche, herrliche Dinge
zeigen , die mir für meine Reiſe ſehr heilſam wären.
A usleg. Nun gut, komm herein . Ich will dir
zeigen, was nüglich fürdich ſein wird. Hierauf befahl
er feinein Diener ein ' Licht anzuzünden und erſudite
Chriſt ihm zu folgen. Zuerſt führte er ihn in ein
Wohnzimmer und hieß ſeinen Diener eine Thür auf
machen. Als dies geſchehen war , ſah Chriſt das Bild
eines ehrwürdigen Mannes an der Wand hängen. Der
felbe hatte folgendes Ausſehen : Seine Augen waren
gen Himmel gerichtet, in ſeiner Hand hatte er dasBuch
aller Bücher , das Geſetz der Wahrheit war auf ſeinen
Lippen und der Welt hatte er den Rücken zugewandt;
er ſtand da wie Einer , der eifrig mahnt und bittet 1)
und über ſeinem Haupte hing eine goldene Krone.
Alsbald fragte Chriſt: Wen jou dieſes Bild vors
ſtellen ?
Á u8l. Einen von den Tauſenden, 2) ber mit den
-

*) 2 Kor.5 ,20. 3ef.52,6. -


— ) Hiob, 33, 23. Hebr. 12, 22. f..
3*
26

Worten des Apoſtels ſagen fann : Ob ihr gleich


zehntauſend Zuchtmeiſter hättet in Chris
fto, io habt ihr doch nicht viele Väter ,
denn ich habe euch gezeuget in Chriſto
Ieſu , durch das Evangelium . ') Meine
lieben Rinder , welche ich abermal mit
Lengſten gebäre , bis daß Chriſtus in
euch Geſtalt gewinne. ) Daß er aber die Au
gen gen Himmel gerichtet , das beſte aller Bücher in
der Hand und das Geſetz der Wahrheit auf ſeinen
Lippen hat, ſoll dir anzeigen , daß es ſein Beruf iſt,
dunkle Dinge zu erkennen und ſie den Sündern flar
zu machen ; eben deßwegen ſteht er auch da, als ränge
er mit den Menſchen, ſie ermahnend und bittend. Wenn
du aber endlich bemeréſt , wie er der Welt den Rücken
gewandt und eine goldene Krone über ſeinem Haupte
Hängt, ſo ſollſt du daraus ſehen , wie er um ſeiner Liebe
zum Herrn die Güter dieſer Welt gering ſchätzt und
berachtet , aber auch ſchon in dieſer Welt des Lohnes
der berrlichkeit, die bald an ihm offenbar werden ſoll,
gewiß iſt. ?) – IdIch habe dir ' aber dieſes Bild darum
zuerſt gezeigt, weil der Mann, welchen es vorſtellt, der
einzige iſt , welchem der Herr des Ortes, wohin bu
gehſt, die Macht gegeben hat, dein Führer an all den
ichwierigen Stellen zu ſein, an welche du auf deinem
Wege kommen kannſt. Deßwegen halte Alles wohl in
Acht, was ich dir gezeigt habe und bewahre in treuem
Andenken, was du geſehen haſt, damit du dich auf dei
ner Reiſe nicht mit Leuten einlaßeſt, die zwar auch vors
geben , daß ſie dich den rechten Weg führen könnten,
derenWeg aber in den Tod hinabführt.
Hierauf nahm ihn Ausleger an der Hand und
führte ihn in einen großen Saal, welcher mehr im In
nern des Hauſes lag und voller Staub war, weil man
ihn niemals ausgekehrt hatte. Nachdem Chriſt ſich hier
') 1 Kor. 4 ,15. 2) Gal.4,19. ) S. Offenb. 22, 12. Nöm.5, 2 .
8, 17. f. Kor. 1, 27.
27

einige Augenblicke umgeſehen , ließ Ausleger einen Die


ner kommen und befahl ihm den Saal auszukehren.
Kaum hatte dieſer damit begonnen , als der Staub ſo
ſchrecklich aufflog, daß Chriſt bald erſtictwäre. Hierauf
jagte Ausleger zu einer Jungfrau , welche dabei ſtand:
Hole etwas Waſſer und beſprenge damit das Zimmer."
Als ſie das gethan hatte , ließ ſich aber das Zimmer
ſo gut ausfehren und reinigen, daß es eine Luſt anzu
ſehen war.')
Da fragte Chriſt: Was hat das für eine Bes
deutung ?
Ausleger ſagte : Dieſer Saal ſtellt das Herz
eines Menſchen vor , welches niemals durch die füße
Gnade des Evangeliums geheiligt worden. Der Staub 1

iſt die Erbſünde und das inwendige Verberben , wel


Mhes den ganzen Menſchen verunreinigt. Der Mann,
welder zuerſt anfing zu kehren , iſt das Gefeß , die
Jungfrau aber, welche das Waſſerbrađite und ſprengte,
iſt das Evangelium. Wenn Du nun ſahſt, daß,
als der Erſte zu kehren anfing , es ſo ſtaubte , daß er
das Zimmer unmöglich reinigen konnte, du aber beinahe
erſtickt wäreſt: ſo ſollſt du baraus lernen, daß das Ge
ſetz, ſtatt das Herz durch ſeine Werke von der Sünde
zu reinigen, dieſelbe vielmehr lebendig macht, ihr Kraft
gibt und bewirkt,daß ſie mächtiger werde in dem Herzen,
barum , weil es ſie offenbart und verbietet, dagegen aber
keine Kraft gibt, ſie zu überwinden . ) Indem du aber
die Jungfrau fahſt, welche das Zimmer mit Waſſer
beſprengte, wodurch es fein geſäubert ward , ſouſt bu
daran erkennen, daß, wenn das Evangelium mit ſeinen
ſüßen und föſtlichenWirkungen in das Herz fommt, die
Sünde überwunden und unterdrückt, die Seele aber
durch den Glauben gereinigt und ſomit zubereitet wird,
daß der König der Herrlichkeit Wohnung darin machen
tann . )
) lies zum Verſtändniß Röm.8,3. 2 ) Röm. 7, 9. 1 Kor.
15,56 . Röm.5,20. Vgl.7,7.13. 3 ,20.5,13. - ) Joh.15,3.
Eph.5,26. Apidh. 15,9. Joh. 14,32. Vgl. 1 Kor.6 ,19. 3,16.
28

Weiter ſah ich in meinem Traume, daß Ausleger


ihn bei der Hand nahm und in ein kleines Zimmer
führte, wo zwei kleine Mädchen waren, von denen jedes
auf einem Stuhle ſaß. Die älteſte hieß Weltlüft el
und die andere Warteſtill. Weltlüſtel ſah ſehr
mißvergnügt aus , Warteſtill dagegen war ganz zufrie
den. Da fragte Chriſt: Warum iſt Weltlüſtel ſo
mißvergnügt? Und Ausleger antwortete: Ihr Er
zieher will, daß ſie auf gewiſſe ſehr foſtbare Dinge bis
zum Anfange des nächſten Jahres warten ſoll, aber ſie
wil Alles ogleich haben; Warteſtill dagegen iſt mit der
Verzögernng ganz zufrieden.
Mittlerweile ſah ich , wie Jemand zu Weltlüſtel
kam und ihr einen ganzen Sack voll Koſtbarkeiten bradyte
und ihn ausſchüttete vor ihren Füßen . Begierig hob ſie
diefelben auf, freute ſich darüber und ladyte Warteſtill
dabei ſpöttiſch aus. Ich ſah aber eine Weile zu und
ſiehe, nicht lange währte es , da hatten ſie Alles durch
gebracht und Nichts als Lumpen war übrig.
Chr. Da ſprach Chriſt zum Ausleger : lege
mir die Sache doch genauer aus.
Ausl. Dieſe beiden Kinder muß man bildlich
auffaſſen .
Weltlüſtel iſt ein Bild von den Kindern dies
ſer Welt, und unter Warteſtill werden die Kinder
der zufünftigen vorgeſtellt. Denn wie du hier ſiehſt,
daß Weltlüftel Alles in dieſem Jahre, d. h. in dieſer
Welt haben will, ſo wollen die Kinder dieſer Welt auch
all ihr Gutes haben in dieſem Leben. Sie fönnen nicht
warten bis zum nächſten Jahre, ihr gutes Theil zu
empfangen in der zukünftigen Welt. Das Sprichwort:
Gin Vogel in der Hand iſt beſſer als zehn
auf dem Dach " gilt ihnen mehr, als alle Zeugniſſe
Gottes über die Güter der zukünftigen Welt. Allein
wie du bemerkteſt, daß Weltlüſtel alsbald alles vergeus
det hatte , und ſie da Nichts mehr als lumpen übrig
.

hielt, ſo wird es mit all folden Leuten am Ende dies


jer Welt gehen.
29

Chr. Nun fehe ich ein , daß Warteſtill allein


weislich und klüglich verfährt, einmal, weil ihr Herz
nach den beſten Gütern trachtet, und zum andern, weil
ſie im Beſibe der Herrlichkeit iſt, wenn die Andere in
Elend und Sdmach baſigt.
Au81. Ja, fo berhält es ſich wirklich, und wir
fönnen noch hinzufügen, daß Warteſtilt eine Herrlichfeit
empfängt, die niemals vergeht, da hingegen die Schäße
dieſer Welt ſchnell vergehn . Deßwegen hatte Weltlüftel
aber auch keine Urſache , Warteſtill auszulachen , weil
dieſe ihr Gutes zulegt empfing; Warteſtill fönnte aber
wohl lachen über Weltlüſtel, denn das Erſte muß ein
Ende nehmen , wenn das Leşte anfängt, das Leßte aber
hört nimmer auf, denn es kann ihm kein anderes fol
gen . Wer alſo ſein Theil zuerſt hat, muß nothwendi
gerweiſe eine Zeit haben , in der es verbraucht wird,
allein der , welcher ſein Theil zulegt hat, muß es bes
ſißen ohne Aufhören . Darum wird der reichen Manne
geſagt : Du haſt bein Gutes empfangen in deis
nem Leben , und Lazarus dagegen hat Böſes
empfangen , uun aber wird er getröſtet, und
du wirſt gepeinigt. ?)
Chr. Nun ſehe ich ein , daß es nicht das Beſte
iſt, nach den gegenwärtigen Gütern zu tradíten, ſondern
zu warten auf die,welche zufünftig ſind.
Au8 1. Da haſt du Recht, denn was ſichtbar
iſt, das iſt zeitlich, was aber unſichtbar iſt,
das iſt ewig. 2) Dies verhält ſich nun allerdings jo,
allein du mußt noch dabei bedenken , daß die zeitlichen
Dinge und die fleiſchlichen Lüfte nahe Nachbarn , die
zufünftigen Dinge aber auch dem Fleiſchlichen Sinne
fremd ſind : Daher ſchließen auch die beiden erſten 19
ſchnell Freundſchaft mit einander, während die letterii
ſtets von ihnen fern bleiben. 3)
Nun ſah ich in meinem Traume, daß Ausleger
abermals Chriſt an der Hand faßte und ihn an einen
) Luk. 16, 25. — *) 2 Kor.4 ,18. – Röm.7,15.ff.Gal.5,16.f.
30

Drt führte, wo ein Feuer an einer Mauer brannte, es


ſtand aber Jemand dabei, der beſtändig Waſſer in das
Feuer goß, um es auszulöſchen, allein das Feuer brannte
immer höher und heißer.
Da fragte Chriſt: was ſoll das bedeuten ?
Ausleger erwiederte: dieſes Feuer iſt das Werk
der Gnade im Herzen. Der aber, welcher das Waſſer
darauf gießt, um es auszulöſchen , iſt der Teufel. Wie
es nun ferner fommt, daß deßungeachtet das Feuer, wie
du ſiehſt, immer höher und ſtärker brennt, ſo ſollſt du
auch davon die úrſache erfahren. Hiermit führte er
Chriſt an die andere Seite der Mauer; da ſah er einen
Mann mit einem Gefäß voll Del in der Hand, aus
welchem derſelbe unaufhörlich , aber heimlich , in's
Feuer goß.
Was bedeutet dies ? fragte Chriſt.
Und Ausleger gab ihm zur Antwort: Das iſt
Chriſtus, der ohne Aufhören mit dem Del ſeiner
.

Gnade das Werk unterhält , was er einmal im Herzen


angefangen hat, und durch dieſes Mittel erweiſt es ſich,
daß die Seelen ſeines Volkes trog Allem , was der
Teufel wider ſie unternimmt, dennoch in der Gnade
ſtehen. 1) Daß du aber den Mann hinter der Mauer
ſtehen ſahſt,2)ſoll dir lehren , daß es einer angefochte
nen Seele dwer werde zu glauben , wie das Werk ber
Gnade in ihr aufrecht erhalten wird.
Dann ſah ich , wie Ausleger ihn wieder bei der
Hand nahm und ihn an einen anmuthigen Drt leitete,
wo ein ſtattlicher Ballaſt, lieblich anzuſchauen , erbaut
war. Beim Anblick deſſelben ward Chriſt hoch erfreut.
Auch ſah Chriſt auf den Zinnen dieſes Ballaſtes Reute
wandeln, die ganz in Gold gekleidet waren.
Da fragte Chriſt: dürfen wir da wohl hinein
gehen ? Darauf nahm Ausleger ihn bei der Hand und
führte ihn nach dem Thore des Ballaſtes hin. Und
ſiehe, vor dem Thore ſtand eine Menge Menſchen, als
') 2 Kor. 12,9. — 2) Hohesi. 2,9.
31

begehrten ſie hineinzugehen , allein ſie durften nicht. Ein


wenig vom Thore ab faß ein Mann an einem Tiſche,
der hatte ein Buch und Feder und Dinte vor fidy, um
die Namen derer aufzuſchreiben , die hineingehen wolle
ten. Auch ſah er viele Männer in Waffenrüſtung am
Thorwege ſtehen, um denſelben zu bewachen und Fedem ,
ber hinein wollte, ſogleich Leid und Schaden zuzufügen.
Darüber gerieth Chriſt in Erſtaunen . Während nun
Jeder aus Furcht vor den Gewappneten zurücbebte,
ſah Chriſt endlich einen Mann von recht tapferm Aus
ſehen ; derſelbe näherte ſich dem , welcher das Aufzeich
nen beſorgte und redete ihn mit den Worten an : Herr,
idhreibt meinen Namen ein . Als dies geſchehen war,
jah Chriſt, daß der Mann ſein Schwert zog , einen
Helm auf das Haupt ſeşte und nach dem Thore hin
auf die Männer zuſtürzte , die ſich ihm mit Todeswuth
entgegenſtellten. Allein dem Manné entfiel der Mutó
durchaus nicht, ſondern er haute und ſtieß um ſich
mit 'wildem Úngeſtüm . Nachdem er ſo manche Wuns
den erhalten und denen ausgetheilt hatte, die ihm den
Eingang zu verwehren ſuchten, ') ſchlug er ſich durch
Alle hindurch und drang in den Pallaſt vor. Hierauf
hörte man ſowohl die, welche drinnen waren , als auch
jene, die auf der Zinne des Ballaſtes wandelten, mit
lieblicher Stimme ſagen :
,,Romm , komm Herein !
Dein Gnadenlohn wird ew'ge Glorie ſein.“
Nun ging er hinein und ward in ein Gewand ges
fleidet, wie ſie Able trugen. Da lächelte Chriſt und
ſagte : ich glaube wirklich , ich weiß, was das ſagen will.
Und hierauf ſprach er : Herr , laffet mich nun weiter
gehen . D , nein, ſagte Ausleger, warte noch ein wenig,
ich will dir noch etwas zeigen , dann fannſt du weiter
gehen . Und nun nahm er ihn noch ein Mal bei der
Hand und führte ihn in eine Sunfle' Rammer , in der
ein Mann in einem eiſernen Käfig ſaß.
1) Apgich. 14, 22. Bgl. Matth. 10,38. Eph.6, 12. Ebr. 12,4.
32

Der Mann war, wie es ſchien, ſehr niedergeſchla


gen : ſeine Augen hatte er auf die Erde geheftet, die
Hände gefalten und er ſeufzte , als wenn ihm das
Herz hätte brechen wollen. Ais Chriſt nun fragte, was
bas zu bedeuten habe, hieß Ausleger ihn ſelbſt mit dem
Manne reden.
Da ſagte Chriſt zu bem Manne : Wer biſt du ?
Der Mann antwortete : ich bin , was ich ehebem nicht war.
Chr. Was warſt du denn ehedem ?
Mann. Ich war ehedem in meinen und and in
anderer Leute Augen ein trefflicher und vielverſprechens
der Bekenner : 1 ) id ) war einſt , wie ich meinte, auser
wählt für die himmliſche Stadt und war ſehr erfreut
über dem Gedanken, dorthin zu kommen.
Chr. Allein was biſt du denn nun ?
Mann. Ein Mann der Verzweiflung und von
ihr eingeſchloſſen , wie in dieſen eiſernen Käfig. Ich
kann nicht mehr heraus ! Ad , ich kann's nicht mehr !
Chr. Aber wie geriethſt du dann in dieſen Zu
ftand ?
Mann. Ich unterließ es zu wachen und nüchtern
zu ſein . Ich ließ meinen Rüſten den Zügel ſchießen.
Ich verfündigte mich gegen das Licht des Wortes und
gegen die Güte Gottes . Ich habe den Geiſt Gottes
betrübt und er iſt von mir gewichen! Ich habe den
Teufel verſucht, und er iſt zu mir gekommen. Ich habe
Gott zum Zorne gereizt, und Er hat mich verlaſſen.
Ich habe mein Herz ſo verhärtet, daß es nicht zur Buße
tommen kann.
Wie ? wandte rich Chriſt an Ausleger , iſt benn
für ſolch einen Mann feine Hoffnung mehr ? Frage
ihn ſelber, ſprach Ausleger.
Chr . Iſt denn keine Hoffnung, da für dich, mußt
du vielmehr eingeſchloſſen bleiben im Käfig der Vers
zweiflung ?
Mann. Ja, denn für mich iſt keine Hoffnung mehr.
) Lut. 8 , 13.
33

Chr. Aber der Sohn des Hochgebeneibeten iſt ja


voli Erbarmung.
Mann Allein ich habe ihn von Neuem gefreus
zigt ; ' ) ich habe ihn verachtet; 2) ich habe ſeine Gercch
tigkeit verworfen ;3) ich habe ſein Blut für unrein ge
achtet und den Geiſt der Gnade geläſtert.4 ) Daher
idloß ich mich ſelbſt aus von allen Verheißungen ,und
ſo bleibet mir nichts übrig, als Drohungen, fürchterliche,
dreckliche Drohungen eines unvermeidlichen Gerichts
und die Gluth eines Zorns , der mich wie einen Wis
derſacher verzehren wird. )
Ś br. Áber um welche Dinge brachteſt du dich in
dieſe Lage ?
Mann. Um der Lüſte, Freuden und Vortheile
dieſer Welt willen , in deren Genuſſe ich mir großes
Ergößen verſprach; allein jedes von dieſen Dingen beißt
und nagt mich jetzt wie ein feuriger Wurm .
Chr. Wie , kannſt du denn jeßt nicht noch Buße
thun und dich befehren ?
Mann . Gott hat mir die Buße verweigert.
Sein Wort gibt mir nicht den Muth zum Glauben;
ja , er ſelbſt hat mich in dieſen eiſernen Käfigeinges
ſchloſſen , und die ganze Welt beſigt nicht die Macht,
mich hinauszulaſſen.Ó Ew ig feit! Ewigkeit! wie
ſoll ich fämpfen mit dem Jammer und der Qual, die
ich ausſtehen muß in Ewigkeit!
Da ſagte Ausleger zu Chriſt: Laß das Elend die
fes Mannes bei dir im Ändenken bleiben und dir alles
zeit eine Warnung ſein.
Ja wohl, ſagte Chriſt, das iſt fürchterlich! Gott
wolle mir helfen wachen und nüchtern ſein und beten,
daß ich mich hüte vor der Urſache, die dieſen Mann
in's Elend gebracht hat. Herr , iſt es nicht Zeit, daß
ich jeßt meines Weges gehe ?

) Hebr.6,6 . Vgl. Gal.3, 1. 2 ) Luk. 19, 14. Joh. 12, 48. -

3) Röm . 10,3. 4 ) Hebr. 10,29. vgl. Mart. 3, 28. 29.


Sebr. 10,27. Zeph. 1, 18 .
34

Ausl. Verweile, bis ich dir noch Eins gezeigt,


bann fannſt du weiter gehen. Und ſo nahm er denn
Chriſt noch einmal an der Hand und führte ihn in
eine Kammer, wo Einer aus dem Bette aufſtand, der,
während er ſeine Kleider anzog, zitterteund bebte. Da
fragte Chriſt, warum zittert dieſer Mann ſo ? Da
hieß Ausleger den Mann die Urſache davon Chriſt
ſagen . Hierauf hub der Mann an mit den Worten :
Ais ich dieſe Nacht im Schlafe war , träumte ich und
ſiehe, der Himmel wurde ganz ſchn arz, auch donnerte
und bligte es ſo ſdrecklich, daß mich eine Todesangſt
überfiel. Da blickte id) auf in meinem Traume und
ſah , wie die Wolfen , von beftigem Winde getrieben,
ungewöhnlich ſchnell vorüberflogen. Dennoch hörte ich
den ſtarfen Schall einer Bofaune und ſah auch einen
Mann auf einer Wolke ſigen, und umgeben von himm
liſchen Beerſdaaren; ſie ſtanden Alle in Feuerflammen
und die Elemente ſchmolzen vor Hitze. ') Dann hörte
ich eine ſtarke Stimme rufen : ,, Shr odten ſtehet
auf und kommt vor das Gericht!" 2) Und als
bald zerriſſen die Felſen , die Gräber thaten ſich auf
und die Todten gingen heraus, die darinnen waren.
Etliche von ihnen waren hocherfreut, etliche aber ſuch
ten ſich zu verſtecken unter den Bergen. Darauf jah
ich den Mann d , er auf der Wolfe ſaß, das Buch auf
thun und der Welt gebieten, daß fie vor ihm erſcheine.
Da aber ein gewaltiges Feuer von ihm ausging, war
ein gehöriger Zwiſchenraum zwiſchen ihm und denen,
die vor ihm erſchienen, wie zwiſchen einem Richter und
ben Verklagten, bie vor den Schranken ſtehen . ) Dann
hörte ich den Mann, der auf der Wolfe jaß, denen, die
um ihn waren , zurufen : Sammelt das Un
fraut, die Spreu und die Stoppeln und wer:
fet ſie in den brennenden Pfuhi." 4) Nun that
' ) 2 Petri 3, 10. - ?) Offenb. 20, 12 . 3) 2 Kor. 5, 10.
1 Theff.4 ,16.f. jud. 14.f .; Joh.5, 28.f.; 2 Theff.1,7-10 ;
Offenb. 20, 11-14 .; Jef. 26 ,21.; Mich , 7,16.f.; Pſ.1,5 .;
Mal.3,2.f.; Dan.7,9.f. — 4 ) Mátit.3, 12. 13,30. Mal.4,1.
35

ſich der bodenloſe Abgrund gerade vor meinen Füßen


auf und aus ſeinem Rachen fuhren dicker Rauch iind
feurige Kohlen mit gräßlichem Getöſe heraus. Dann
hieß es zu denſelbigen : Sammelt den Weizen
in die Scheunen.“ 1) Und alsbald ſah ich Viele auf
gehoben und hingerückt in die Wolken , ich aber wurde
bahinten , gelaſſen ;?) da ſuchte ich mich auch zu verber
gen , aber ich konnte es nicht, denn der Mann, der auf
der Wolfe faß, hatte ſein Auge feſt auf mich gerichtet,
auch fielen mir alle meine Sünden ein und mein Ses
wiſſen verklagte mich von allen Seiten. 3) Darüber
wachte ich auf aus meinem Solafe.
Chr. Aber was erſchreckte sich denn ſo bei dies
ſem Geficyte ?
Mann. Nun , ich dachte, der Tag des Gerichts
wäre herangekommen , und ach , ich war nicht auf den
ſelben vorbereitet. Doch das erſchreckte mich am meis
(ten, daß die Engel Etliche emportrugen, mich aber das
hinten ließen , und ebenſo , daß der Rachen der Hölle
fich gerade vor meinen Füßen aufthat. Dabei quälte
mich mein Gewiſſen , und das Auge des Richters war,
wie ich meinte ., beſtändig mit Unwillen und Zorn auf
mich geheftet.
Darauf ſagte Ausleger zu Chriſt: Haſt du alle
dieſe Dinge wohl erwogen ?
Chr. Ja , . und ſie haben micy in Hoffnung und
Furcht verſetzt.
Ausl. Wohlan, ſo behalte ſie alle in deinem
Herzen , daß ſie dir wie ein Stachel ſeien , der dich
1

vorwärts treibt auf dem Wege, den du gehen follſt.


Chriſt gürtete nun feine Renden und machte ſich
fertig zu ſeiner Reiſe. Der Ausleger aber ſprach : Der
Troſter ſei allewege bei dir, du frommer Chriſt, und
geleite dich auf dem Wege, der zu der Stadt hinführt!
So ging benn Chriſt ſeines Weges fort, indem er
bei ſich ſelbſt ſagte :
. ) Luk. 3, 17. -
. ?) 1 Theff.4, 16.f. -
3) Röm . 2,14. f.
36

Hier ſah ich Dinge, ſelten und von Werth , .

Die furchtbar, ſchön, mich feſt und feſter machten,


3m Glauben, in der Liebe unverſehrt,
Die , was ich nie erfuhr, mir zur Erfahrung brachten .
Ich wil ſie nie vergeſſen : Herr, es iſt dein Geſchenk
Hilf, daß in ew'gem Dankid) dafür dein gedent !

Fünftes Kapitel .
Pilgers Erfahrungen am Kreuze.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß der ſchmale
und ſteile Weg, auf dem Chriſt wandeln mußte auf
beiden Seiten mit einer Mauer umgeben war, und der
Name dieſer Mauer iſt: Heil. ' ) Auf dieſem Pfade
eilte Chriſt mit ſeiner Bürde beladen weiter, es wurde
ihm aber ſehr ſauer , weil die Bürde jo dywer war.
Er fam nun zu einer Anhöhe, darauf ſtand ein
Kreuz und ein wenig unterhalb deſſelben war ein
Grab. Da warb ich in meinem Traume gewahr, daß
gerade als Chriſt an dem Kreuze anfam , ſich ihm die
Paſt von den Scultern (öfete , von ſeinem Rücken fiel,
hinunter rollte und in das offene. Grab hinabfiel und
von nun an war ſie verſchwunden .?).
Da ward's Chriſt froh und leicht um's Herz und
mit freudiger Seele ſprad er : ,, Er hat mir Rube
gegebendurch ſeine Schmerzen und Leben durch ſeinen
Tod ." 5) Hierauf ſtand er eine Weile ſtill, um anzus
ſchauen und ſich zu verwundern , denn er war voller
Erſtaunen darüber , daß der Anblick des Kreuzes ihn
von ſeiner Laſt befreit hatte. Er blickte hin und wies
der bin , bis aus den Thränenquellen ſeines Haupts
das Waſſer über ſeine Wangen herabſtrömte. *). Als
er nun ſo daſtand und ſchaute und weinte , traten zu
3ef.26 , 1.; 35,8.; 4,6 . – ?) 4 Mof.21,8.f. 3oh.3,, 14. f.
- 0 ) 3e9.53,4.f. 12. Röm.5, 10. — 4) Zach.12, 10.
TI
ON
SS
ON
37

ihm drei leuchtende Geſtalten und grüßten ihn mit den


Worten: , Friede ſei mit dir !" Darauf hub die
erſte an : " Deine Sünden ſind dir vergeben , ')
die andere zog ihm ſeine ſchmutzigen Lumpen aus und
Legte ihm ein Feierkleid an, 2) und die dritte fegte ihm
ein Zeichen auf die Stirne,3) dazu gab ſie ihm ein
Zeugniß mit einem Siegel darauf, 4) welches er bei der
Fortſegung ſeines Laufes anſehen und an der himm
liſchen Pforte abgeben ſollte. Darnach verließen ſie
ihn Chriſt aber ſprang vor Freuden und zog ſeines
Weges, indem er ſang:
,,So lang ,ſo lang' ward ich beſchwert mit meis
nen Sünden
Und konnte nirgend Troſt und nirgend Rettung finden ,
Bis daß ich kam zu dieſem Ort, Wonne !
Hier ging mir auf des Friedens goldne Sonne,
Ša, hier mußt fallen mir die faſt vom Rüden,
Id los hier werden von des Satans Striden.
Geprieſen , Kreuz, geprieſen feift du, Grab !
Allein unendlich mehr geprieſen ſei der Mann,
Der durch den Tod am Kreuz das Leben mir
gewann ! "
Ich ſah nun in meinem Traume, wie Chriſt weiter
wandelte, bis er in ein Thal kam . Da ſah er ein we
nig vom Wege ab drei Männer liegen , welche feſt
ichliefen und Feſſeln an ihren Füßen hatten. Der Eine
von ihnen hieß Tropf, der Ändere Träge und der
Dritte Dünfel. A18 Chriſt ſie ſo baliegen fah , ging
er zu ihnen , um zu verſuchen, ob er ſie nicht aufwecken
fönnte. So ſchrie er ſie denn an : Jhr ſeid gleich
denen , die ſchlafen oben auf dem Maſt
baume , 5) denn unter euch iſt das todte Meer , eine
Tiefe, die keinen Grund hat. ' Drum wachet auf und
kommet hierher ! Thut das , dann will ich euch aus
euren Eiſen helfen. Auch ſprach er zu ihnen : Wenn
der, welcher umher geht wie ein brüüender Löwe , über
euch kommt , ſo wird er ench ſicherlich zerreißen und
* ) Mark.2,5 . 2 ) Zach.3,4.- 3 ) Eph. 1, 13. vgl. Pf.86 , 17.
Offenb. 22, 4. 4) Offenb. 2, 17.; 2 Tim . 2, 19.
5) Sprüch .23,34. 4
115,
33

verſchlingen . ') Da jahen ſie ihn mit großen Augen


an, und ſagten ein jeglicher in ſeiner Art, Tropf : ich
ſehe keine Gefahr; Träge: Nur noch ein wenig mehr
Schlaf; Dünfél : Jeder muß für ſich ſelber ſorgen.
Und hierauf legten ſie ſich wieder hin und ſchliefen ;
Chriſt aber ging ſeines Weges weiter.
Indeſſen ſchmerzte es ihn , wenn er dachte, daß
Menſchen , die in ſolcher Gefahr ſteckten, ſo wenig auf
den guten Willen deſſen achteten, der ihnen feine Hülfe
aus freien Stücken angeboten , und indem er ſie auf
wedte, ihnen nicht nur einen guten Rath gegeben, ſon
dern ſie auch aus ihren Feſſeln hatte Cosmadien wođen.
Während er ſich darüber noch betrübte , ward er zwei
.

Männer gewahr, die links vom ſchmalen Wege über


die Mauer ſetten. Der Name des Einen war Form
bohl und der des Andern Heuchler. Sie nun mac
ten ſich an Chriſt heran und dieſer fing mit ihnen ein
Geſpräch an .
Chr. Woher kommt ihr, meine Herren, und wo
hin geht die Reiſe ?
Formh . und Heuchl. Wir ſind geboren in dem
Lande Eitelruhm und wollen um Ruhmes willen nach
bem Berge Zion .
Chr. Warum gingt ihr nicht durch die enge
Pforte, die am Anfang des Wéges iſt? Wiſſet ihr nicht,
daß geſchrieben ſteht :" ,, Wer nicht zur Thür hins
eingeht, ſondern ſteigt anderswo hinein , der
iſt ein Dieb und ein Mörder -— ? )
Formh . und Heuchl. Alle unſere Landsleute
halten es für einen weiten Umweg , wenn man durch
die Pforte geht, um hierhin zu kommen ; bei uns iſt's
gebräuchlich , ein Stück vom Wege abzuſchneiden und
barum über die Mauer zu ſteigen , wie wir denn auch
gethan haben .
Chr. Wird es aber nicht als eine Uebertretung gegen
ben Herrn angeſehen werden, zu deſſen Stadt wir reis

) 1 Petri 5, 8. – ?) 30h. 10, 1.


39

fen wollen , wenn man ſo gegen ſeinen Willen handelt,


ben er uns offenbart hat ?
Formh. und Heuchi. Deßhalb brauchſt du dir
den Kopf nicht zu zerbrechen, denn wir ſtüßen uns auf
den alten Brauc und fönnen , wenn es verlangt wers
den ſollte, Zeugniſſe beibringen , daß es ſo ſchon vor
mehr als tauſend Jahren geſchehen iſt.
Chr. Áber glaubt ihr denn, daß euer Verfahren
die Probe vor dem Geſeß aushalten wird.
Formh. und Heuchl. Ein Gebrauch , der ſchon
über tauſend Jahre beſtanben hat, wird jeßt von einem
unparteiiſchen Richter ohne Zweifel als geſetzlich aner
fannt werden. überhaupt
Und, führen ſie fort, was liegt
daran , wie wir auf den Weg , gefommen ſind, wenn
wir nur darauf ſind. Sind wir darauf, nun ſo find
wir darauf. Du, der du , wie wir merken , durch die
Pforte kommſt, biſt eben auch nur auf dem Wege, und
ſo ſind wir, die wir über die Mauer ſepten , gleichfalls
auf dem Wege. In wiefern biſt du nun beſſer daran,,
als wir ?
Chr. Id Wandle nach der Richtid nur meines
Meiſters, ihr aber nach eurem eignen Gutdünfen ,! in
väterlicher Weiſe. ') Ihr werdet jeßt ſchon von dem
Herrn zu den Dieben des Weges gezählt, darum bes
zweifle idy, daß ihr am Ende des Weges als redliche
Männer werdet erfunden werden. Ihr ſeid von ſelbſt,
ohne ſeine Leitung, auf dieſen Weg gekommen und
eben ſo werdet ihr durch euch ſelbſt, ohne feine Gnade,
wieder hinweggehen müſſen.
Hierauf wußten ſie weiter Nichts zu ſagen , als
nur, er möge ſich um ſich ſelbſt befümmern.
Id ſah nun, wie ſie alle drei ihres Weges wan
delten , ohne viel mit einander zu reden, ausgenommen,
daß die beiden Männer zu Chriſt ſagten , was Geſet
und Ordnungen beträfe, ſo zweifelten ſie gar nicht dar
an , daß ſie dieſelben ebenſo gewiſſenhaft hielten, als
*) 1 Petri 1 , 18.
4*
40

er. Darum fehen wir nicht ein, fuhren ſie fort, worin
du dich von uns unterſcheideſt, es ſei denn der Nock,
den du trägſt, welchen du aber von irgend einem dei
ner Nachbarn, wie wir denken , bekommen haſt, um
deine Blöße zu bedecken.
Chr. Durch Geſetz und äußere Ordnungen wers
det ihr, da ihr nicht durch die enge Pforte hineinkommt,
nicht ſelig werden . ") Was aber den Rock anlangt,
den ich trage, ſo iſt er mir von dem Herrn des Ortes,
wohin ich wandere, geſchenkt worden und zwar, wie ihr
richtig ſaget, um meine Blöße zu bedecken. Ich trage
ihn als ein Zeichen ſeiner Gnade gegen mich, denn vors
her hatte ich Nichts als kumpen . ) Ueberdem iſt er
mir ein Troſt auf meiner Pilgerreiſe, denn ich bin der
gewiſſen Zuverſicht, daß, wenn ich an die Thoren der
Stadt komme , der Herr mich anerkennen werde, weil
ich mit ſeinem Rock bekleidet ' bin einem Rock, den
er mir aus freier Erbarmung an dem Tage ſchenkte,
an welchem er mir meine lumpen auszog. Auch habe
ich außerdem noch ein Zeichen an meiner Stirne, wel
ches ihr vielleicht nicht bemerkt habt, weldjes mir einer
von den Vertrauteſten meines Herrn an eben dem Tage,
an dem mir die Bürde von den Schultern fiel, aufge
drückt hat. Ich will euch noch mehr ſagen, daß ich da
auch ein beſiegeltes Zeugniß empfing, das mich, ſo oft
ich es leſe, tröſten wird auf dem Wege, den ich wandle.
Auch ward ich geheißen , daſſelbe an der himmliſdien
Pforte abzugeben , zum Zeichen, daß ich gewißlich ein
gelaſſen werde. Ad dieſe Dinge fehlen euch, wie ich
glaube, und zwar fehlen ſie euch , weil ihr nicht durch
die Pforte eingegangen ſeid.
Hierauf jagten ſie Nichts, ſondern ſahen ſich nur
einander an und laditen. Nun ſah ich , daß ſie Ale
weiter gingen , Chriſt war ihnen aber immer etwas
voraus. Von da anſprach er nur mit ſich ſelbſt, balo
mit Seufzen und bald mit getroſtem Muthe. Auch las
) Gal. 2, 16. – ?) 3e.61, 10. vgl. Matth.22, 11.ff.
41

er oft in dem Zeugniſſe, das ihm eine von jenen Lichts


geſtalten gegeben hatte, und Sólches erquickte ihn.

Sechstes Kapitel.
Pilgers Erlebniſſe an und auf dem Hügel Beſchwerde.
Indem ich die drei Wanderer mit meinen Augen
verfolgte, bemerkte ich , daß ſie zit dem Hügel Bes
ich werde gelangten, an deſſen Fuße eine Quelle war .
Außer dem Wege, der in gerader Linie von der Pforte
kam , waren an dieſem Orte noch zwei andere Wege :
1

der eine zog ſich an der linken, und der andere an der
rechten Seite des Hügels hin ; ber ſchmale Weg aber
führte gerade den Hügel hinauf; es war jedoch be
ſchwerlichihn zu gehen. Cheſich Chriſt dazuanſchickte, trat
er zu der Duelle ) und trank daraus, umſich zu erquicken;
dann aber fing er an den Hügel zu erſteigen und fang:
„3ft gleich der Hüget fteil , den ich ießt möchter
fteigen,
Sou mir die Mühe doch den Muth nicht niederbeugen,
Denn dieſer Weg, ich weiß es, führt zum Leben :
Drum muthig, Herz! kein Bangen unð kein Beben !
Schwer beſſer, und den rechten Weg erklommen,
Als leicht, und in der Hölle auszukommen .“
Die beiden Andernfamen auch zu dem Fuße des
Hügels. Da ſie aber ſahen, daß derſelbe ſteil und hoch
wäre, und daß es noch zwei andere Wege gäbe , auf
denen man auch gehen könne, jo faßten ſie den Ents
ſchluß, die beiden untern Wege einzuſchlagen , um ſo mehr,
weil ſie vermutheten , daß beide wieder mit dem Wege,
auf welchem Chriſt wandelte, zuſammenkommen würden .
Der eine von jenen beiden Wegen hieß Gefahr , der
andere Verderben . Nun trennten ſich die zwei Wan
berer , indem der Eine ben Weg Gefahr wählte , der
ihn in einen großen Wald führte, der Andere aber ſich
geradezu auf den Weg Verderben begab , der ihn in
) Jef. 49, 10.
42

eine Gegend voll dunkler Berge brachte , wo er ſtraus


chelte und fiel, daß er nie wieder aufſtand. ')
Darauf blickte ich Chriſt nac , um zu ſehen , wie
er den Hügel hinauf ging. Ich bemerkte, wie er vom
Laufen zum Gehen kam und vom Gehen zum Klettern
auf Händen und Knieen 1, weil der Weg immer ſteiler
und ſteiler wurde. Als er den Hügel bis zur Hälfte
erſtiegen hatte, kam er an eine ſchöne Laube, weldie der
Herr des Hügels zur Erquicfung der müden Wanderer
hingepflanzt hatte. Als Chriſt dahin gekommen war,
trat er hinein und legte ſich nieder, um auszuruhen .
Nun 30g er ſeine Schrift heraus und las zu ſeiner
Stärkung darin. Auch beſah er auf's Neue den Rock
oder das Gewand , welches ihm gegeben worden war,
als er beim Kreuze ſtand. Nadidem er ſich ſo eine
Weile ergött hatte, fiel er in einen feſten Schlaf , der
ihn hier zurück hielt, bis daß es faſt Nacht war. Wäh
rend er aber geſdılafen , war ihm die Pergamentrolle,
worauf das Zeugniß ſtand, aus der Hand gefallen.
Als er noch ſchlief, trat einer zu ihn, weckte ihn und
ſprach: ,, Gehe hin zur Ameiſe, du Fauler ,
fiehe ihre Weiſe an, und lerne. ) Dadurch
ichrecte Chriſt plöglich auf, eilig ſetzte er ſeinen Weg
fort und ging ohne Aufhalten weiter bis er auf den
Gipfel des Hügels fam .
Als er nun hier ſtand , famen zwei Männer in
haſtiger Eile auf ihn zu . Einer von ihnen hieß Furcht
ſam , der Andere Miißtrauen. Chriſt ſprach zu ihnen :
Was macht ihr, meine Herren ? ihr laufet ja dert ver
kehrten Weg !
Furchtſ. Wir waren auf dem Wege nach der
Stadt Zion und hatten bereits dieſen beſchwerlichen Drt
überſtiegen , aber je weiter wir fommen , deſto größer
iſt die Gefahr, die uns begegnet , und deßwegen wand
ten wir um und wollen wieder zurück.
Mißtr. Ja, gerade vor uns im Wege liegen zwei
') Sprüch. 4, 10. — 2) Sprüch. 6, 6.
43

Pöwen , wir wiſſen nicht, ob ſie ſchlafen oder wachen,


allein wir konnten nicht anders denfen , als daß ſie uns
in Stücke zerreißen würden , wenn wir in ihre Nähe
fümen .
Chr. Ihr macht mic bange; aber wo foll ich
hinfliehen, um ſicher zu ſein ? Gehe ich zurüc in meine
Heimath, ſo werde ich dort gewiß umfommen , denn ſie
foll mit Feuer und Schwefel verbrannt werden; kann
ich aber die himmliſche Stadt erreichen , ſo bin ich übers
zeugt, daß ich mich dort in Sicherheit befinde. So muß
ich's denn wagen. Umkehren iſt doch anders nicht als
der Tod ; weiter gehen auf meinem Wege ſegt zwar in
Furcht des Todes , führt aber in das ewige Leben .
Alſo ſchüttelte Chriſt die Furcht ab und ſprach : Wohlan ,
ich will dennoch vorwärts gehen ! Mißtrauen und
Furchtſam aber liefen den Hügel hinunter, während
Chriſt ſeines Weges weiter zog. Als er nun wieder
daran dachte, was die beiden Männer ihm geſagt hat
ten, griff er nach ſeinem Zeugniſſe, um darin zu leſen
und ſich zu ſtärken . Er fühlte darnach), aber ſiche, er
fand es nicht. Dadurch gerieth Chriſt in große Ver
legenheit und wußte zuerſt gar nicht was er anfangen
follte, denn es fehlte ihn gerade das , wodurch er ſich
zu tröſten pflegte und was ihm den Eingang in die
Himmliſche Stadt verſchaffen ſollte. Als er nun ſo ganz
beſtürzt und rathlos daſtand , fiel ihm endlich ein , daß
er in der Laube , neben dem Hügel in den Sdılaf ge
gefallen wäre. ') Da warf er ſich auf die Kniee und
bat Gott, daß er ihm dieſe Thorheit vergeben möge.
Sodann fehrte er wieder zurück, um ſein Zeugniß zu
ſuchen.
Allein wer vermag die Betrübniß völlig zu beſchreis
ben , die Chriſt auf dem ganzen Rückwege in ſeinem
Herzen empfand ? bald ſeufzte, bald weinte er, aber
öfter noch idalt er ſich ſelbſt, daß er ſo thöricht gewes
ſen wäre, einzuſchlafen an jenem Drte , der nur dazu
.

) Difenb. 3, 3.
44

beſtimmt war, daß er ſich ein wenig von ſeiner Müdig


keit ausruhen ſollte. In ſolcher Weiſe ging er wieder
um und ſah den ganzen Weg über bald nach der einen
und bald nach der andern Seite hin , ob er wohl ſo
glücklich ſein möchte, ſeine Bergamentrolle, die ihm auf
ſeiner Reiſe ſo oft zum Troſte geweſen war, wies
derzufinden. Er ging , bis er die Laube erblickte, wo
er geſeſſen und geſchlafen hatte. Aber ihr Anblick
madjte ſeine Befümmerniß um ſo größer, indem er auf's
Neue an die Miſſethat erinnert warb, die er dadurch bes
gangen, daß er geſchlafen hatte.2) So ging er weiter und
beweinte ſeinen Sündenſchlaf , indem er ſprach: ac ), ich
elender Menſch, der ich ſchlafen konnte, da es Tag war ! der
ich ſchlafen konnte, da ich in einer ſo gefährlichen Lage
war! und der ich meinem Fleiſche gütlich that durch
eine Ruhe , welche der Herr des Hügels nur zur Er
quicfung für die Seele der Pilger beſtimmt hat! Wie
manchen Schritt habe ich vergeblich gethan ! Aehnlicher
weiſe erging es den Kindern Israels , da ſie um ihrer
Sünde willen wieder auf den Weg nach dem rothen
Meere zurückgeſchickt wurden. Mit Schmerzen muß ich
nun dieſen Weg wandeln , den ich mit Freuden hätte
zurücklegen können , wenn ich mich nicht dem Sünden
dhlafe hingegeben hätte. Wie weit wäre ich jetzt wohl
ichon auf meinem Wege ! Nun muß ich den Weg brei
mal machen, den ich nur einmal hätte zurückzulegen
brauchen . Ja, nun überfällt mich auch die Nacht, denn
der Tag iſt faſt dahin. O, daß ich doch nicht geſchla
fen hätte !
Während deß war er wieder bei der Laube ange
langt. Hier fette er ſich ein Weilchen nieder und
weinte. Endlich ſah er voll Sorge unter die Bank,
worauf er ſaß, und ba fügte es Gott, daß Chriſt ſeine
Rolle gewahr wurde : mit Zittern und Eile hob er ſie
auf und ſteckte ſie zu ſich. Niemand vermag jedoch die
Freude zu ſchildern, welche dieſer Mann hatte, daß er ſeine
) Offenb. 2 , 4. f. 2 Theſſ. 5, 6-8.
45

Rolle wiedergefunden. War ſie ja doch die Bürgſchaft


feines Lebens und ſeiner Aufnahme in den erſehnten
Hafen. Darum legte er ſie auf ſein Herz, dankte Gott,
der ſein Auge dahin gerichtet, wo ſie lag, und mit
Thränen der Freude begab er ſich wieder auf ſeine
Pilgerfahrt.
Wie hurtig lief er nun den Hügel hinan ! Ehe er
indeſſen den Gipfel erreicht, ging die Sonne vor Chriſt
unter. Dadurch kam er aber wiederum auf den Ge
danken , wie thöricht er daran gethan , daß er einge
dlafen wäre, und ſo flagte er ſich abermals ſelbſt an :
0 , du ſündlicher Schlaf! wie bin ich um deinetwillen
genöthigt, meine Wallfahrt in der Nacht fortzuſetzen !
ich muß ohne Sonne einhergehen . Finſterniß bedeckt
meinen Fußpfad und hören muß ich den Angſtruf un
heilverfündender Geſchöpfe und das Alles wegen meia
nes ſündlichen Schlafens ! Hierauf fiel ihn auch ein,
was Mißtrauen und Furdytſam ihm erzählt hats
ten , wie ſie erſdyreckt worden durch den Anblick 'ber
Löwen. Und ſo ſprach er zu ſich ſelbſt: Dieſe Thiere
gehen des Nachts auf ihren Raub aus , wenn ſie mir
nun aber auch in der Dunkelheit begegneten, wie könnte
ich ihnen ausweichen ? was ſollte ich anfangen, daß ich
von ihnen nicht in Stücke zerriſſen würde ? unter fol's
chen Gedanken ging er ſeines Weges fort. Dod) wäh
rend er ſo ſeine unglüdſeligen Fehltritte beklagte, rich
tete er ſeine Augen empor und ſiehe, vor ihm ſtand
gerade ein gar ſtattlicher Ballaſt, deſſen Name Practs
boll war.

Siebentes Kapitel.
Pilgers Erlebniſſe im pallaſt Prachtooll.
Nun ſah ich in meinein Traume, daß Chriſt eilte,
um wo möglich, in dein Ballaſt Brachtvoll eine Hers
berge zu finden . Ehe er zu dem Ballaſte fam , mußte
46

er durch einen ſehr ſchnialen Hohlweg hindurch, der


noch ungefähr ein Halbſtündden lang bis zur Woh
nung des Pförtners war. Als er nun aufdieſem Wege
weiter ging und ganz diďt vor ſich hinblickte, ſah er
zwei Löwen daliegen.
Da, dachte er, ſehe ich die Gefahren, wodurch Miß
trauen und Furchtſam ſic haben zurücktreiben laſſen.
Die Löwen lagen nun wohl an Retten, aber er ſah
die Ketten nicht. Er erſchraf und befann ſich, ob er
nicht wieder umfehren ſollte , denn er meinte Nichts
als den Tod vor ſich zu ſehen . Aber der Pförtner,
der Wachſam bieß, bemerkte in ſeinem Häuschen, daß
Chriſt ſtehen blieb , als wenn er hätteumwenden wol
len : daber rief er ihm zu : Iſt deine Kraft ſo klein ? !)
Fürchte dich nicht vor den Löwen, denn ſie ſindan Sets
ten feſtgemacht und liegen hier , um den Glauben der
Pilger zu prüfen: halte dich mitten auf dem Wege, ſo
wird bir fein Reid widerfahren.
Darauf ſah ich, wie er zitternd vor den Löwen
vorwärts ging, weil er indeſſen die Weiſung des Pfört
ners genau befolgte, hörte er die Löwen zwar brüllen,
aber fte fügten ihm fein leid zu. Da ſchlug er vor
Freuden in die Hände und ging, bis er an die Thür
des Pförtners kain. Nun fragte Chriſt den Pförtner:
Herr, was iſt dies für ein Haus ? fann ich dieſe Nacht
wohl hier herbergen ? Der Pförtner antwortete: Dies
Haus wurde vom Herrn des Hügels erbaut, damit 1

Pilger ſicher hier ausruhen könnten . Nun fragte ihn


der Pförtner, woher biſt du und wohin willſt du ?
Chr. Ich komme aus der Stadt Verderben
und wiú nach den Berge Zion ; da aber die Sonne
bereis untergegangen iſt, wünſche ich wohl hier zu über
ngchten.
Pförtn . Wie heißt du ?
Chr. Jetzt heiße ich Chriſt, aber vorhin hieß ich
Gnadenlos. Ich ſtamme von dem Geſchlechte Jas
-) Mark. 4, 40.
OR

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ot y

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‫‪.‬‬ ‫‪---‬‬
‫܀‬
: 47
pheth , den Gott in den Hütten Sem's wohnen laſſen
wiu . ) .
Pförtn. Allein wie iſt es, daß du jo ſpät kommſt ?
Die Sonne iſt ja ſchon unter.
Chr. Ich wäre eher hier geweſen, aber ich elen
der Menſch dylief ein in der Laube, die an der Seite
des Hügels ſteht! Aber immer noch wäre ich früher
hier angelangt, hätte ich im Schlafe nicht mein Zeug
niß verloren , und ſo kam ich ohne daſſelbe auf der Höhe
des Hügels an. Ás ich nun darnach fühlte, fand ich
es nicht, und war daher genöthigt, mit betrübtem
Herzen zu dem Orte zurückzugeben , wo ich in den Schlaf
gefallen war. Ta fand ich endlich wieder, was ich
verloren hatte , und ſo bin ich denn jeßt hier anges
kommen.
Pförtn. Gut, ich will eine von den Jungfrauen
dieſes Hauſes rufen , die dich, wenn ſie mit deiner Aus
ſage zufrieben iſt, nach der Sitte des Hauſes bei den
übrigen Bewohnern deſſelben einführen wird. Darauf
zog der Pförtner Wachſam eine Klingel, und alsbald
kam eine ehrbare und ſchöne Jungfrau , Namens Vor
ficht heraus und fragte, warum ſie gerufen worden wäre?
Der Pförtner erwiederte : dieſer Mann kommt aus
der Stadt Verderben und iſt auf der Reiſe nach dem
Berge Zion. Weil er müde iſt und die Nacht ihn
überfallen hat , fragt er an , ob er hier übernachten
Ibnne. Ich ſagte ihm nun, ich wollte sich rufen , dann
würdeſt dit, wenn du dich mit ihm unterredet hätteſt,
beſtimmen , was du nady den Geſetzen unſeres Hauſes
für gut fändeſt.
Hierauf fragte ſie ihn, woher er ſei und wohin er
gehe ? und er ſagte es ihr. Sie fragte ihn weiter, wie
er auf dieſen Weg gekommen ſei ? und auch das ſagte
er ihr. Darnach fragte ſie ihn , was er geſehen und
was ihm auf dem Wege begegnet wäre ? Dies beant
wortete er ihr gleichfalls. Endlich erkundigte ſie ſich
) 1 Mob. 9, 27.
48

nach ſeinem Namen. Ich heiße Chriſt, ſagte er , und


habe um ſo größeres Verlangen die Nacht über hier
zu bleiben , weil ich vernommen , daß dieſes Haus von
dem Herrn des Hügels erbaut worden , damit Pilgrimme
eine ſichere Stätte der Erholung hier finden möchten .
Da lächelte ſie, aber die Thränen ſtanden ihr dabei in
den Augen. Nach einer kleinen Bauſe , ſprach ſie , ich
will zwei oder drei von meinen Hausgenoſſen herausru
fen. Darauf eilte ſie zur Thüre, und alsbald erſchies
nen Klugheit , Gottesfurcht und liebe. Dies
ſelben führten ihn , nach einem kurzen Geſpräche mit
ihm , bei ihren Hausgenoſſen ein. Manche von ihnen
bewillkommneten ihn chon an der Schweile des Haus
fes und ſagten : Komm herein, bu Geſegneter des Herrn !
Dieſes Haus wurdevon dem Herrn des Hauſes zur
Beherbergung für Pilger, wie du einer biſt, erbaut.
Darauf verbeugte ſich Chriſt und folgte ihnen in's Haus.
Als er eingetreten war und ſich geſegt hatte , gaben ſie
ihm etwas zu trinken. Sodann verabredeten ſie, daß
bis das Abendeſſen bereitet ſein würde , Einige von ihs
nen ſich mit Chriſt noch beſonders unterhalten möchs
ten, um ſo die Zeit auf's Beſte zu verwenden : Dazu
wurden denn Gottesfurcht, Klugheit und liebe
auserſehen, und ſo entſpann ſich folgendes Geſpräch :
Gottesf. Nun , lieber Chrift, da wir dich für
dieſe Nacht mit Herzlichkeit in unſer Haus aufgenom
men, ſo laß uns, um die Zeit möglichſt heilſam zu vers
wenden, von all den Dingen mit dir reden , welche bir
auf deiner Pilgerfahrt begegnet ſind.
Chr. Herzlich gern; es freut mich, daß ihr dazu
ſo gut aufgelegt ſeid.
Gottes f. Was bewog dich denn zuerſt, das
Leben eines Pilgers zu erwählen ?
Chr. Ich ward durch einen furchtbaren Warnunges
ruf, der in mein Ohr (dallte , aus dem Lande meiner
Heimath vertrieben : ich hörte nämlich von dem unvers
meidlichen Verderben , das meiner wartete, wenn ich an
dem Orte bliebe, wo ich war.
49

Gottesf. Aber wie ging es zu , daß du gerade auf


dieſen Weg famſt, als du aus deiner Heimath weggingſt?
Chr. Ich muß glauben , daß es Gott ſo gefügt
hat ; denn als ich in der Angſt vor dem Verderben
nicht wußte, wo ich hingehen ſollte, fam gerade ein
Mann , Namens Evangeliſt zu mir, der jah, wie ich
zitterte und weinte; derſelbe zeigte mir die enge Pforte,
die ich ſonſt nimmer würde gefunden haben , und brachte
mich auf den Weg , der mich gerade zu dieſem Hauſe
hinführte.
Gottesf. Samſt du aber nicht zum Hauſe Auss
legers ?
Chr. Ja wohl , und da habe ich Dinge geſehen,
woran ich al mein Lebenlang gedenken werde, wornäms
lich waren ihrer drei, nämlich wie Chriſtus dem Satan
zum Troße ſein Gnatenwerk im Herzen unterhält; barn,
wie ein Menſch ſich durch ſeine Sünde aller Hoffnung
der göttlichen Gnade verluſtig gemacht, und ferner wie
I

Finem , während er ſchlief, träumte, der Tag des Ges


richts wäre angebrochen .
Gottesf. Hörteſt du ihn ſeinen Traum erzählen?
Chr. Ja, es war ein erſchrecklicher Traum ; idh
meinte, das Herz wäre mir bei der Erzählung zerſprun
gen , allein dennoch freue ich mich nun , daß ich den
Traun gehört habe.
Gottesf. War das Alles, was du in Ausleger's
Hauſe geſehen haſt ?
Chr. Nein ; er nahm mich bei der Hand und
zeigte mir einen ſtattlichen Ballaſt und wie die Leute
barin goldene Kleider anhatten ; auch ſah ich dort einen
kühnen Mann , der ſich durch eine Schaar Gewappneter
hindurchſchlug, die am Thore ſtanden und ihn davon
zurückhalten wollten ; ich bemerkte aber ferner, wie er ges
heißen warb, hereinzukommen und die ewige Herrlichkeit
zu gewinnen. Als ich dieſe Dinge ſah , ward mein
Herz ganz entzückt. Ich hätte ein ganzes Jahr lang
in dem Hauſe dieſes guten Mannes bleiben mögen,
allein ich wußte wohl, daſ ich weiter gehen mußte.
50

Gottesf. Und was ſahſt du auf deinem Wege


ſonſt noch ?
Chr. Was ſonſt noch ? Ich ging noch ein wenig
weiter und ſah, wie id meinte ,Jemanden, der blutend
an einem Holze hing, und als ich ihn ſo recht anſal,
fiel mir die Bürde ab , die ich auf dem Rücken hatte.
I ſeufzte nämlich unter einer ſehr ſchweren Laſt, aber
bort fiel ſie von mir ab. Es war ein wunderjames
Ding für"mid ), denn ſo etwas hatte ich vorher niemals
geſehen . Als ich nun daſtand und auf ihn hinſchaute,
denn ich konnte nicht aufhören zu ſehen , famen brei
Lichtgeſtalten zu mir. Eine von ihnen gab mir die
Verſicherung: dir ſind deine Sünden vergeben ; die An
dere zog mir meine fchmußigen Lumpen aus und gab
mir das geſtickte Kleid, welches du hier an mir ſiebeſt;
die dritte aber ſegte das Zeichen auf die Stirne, wel
ches du wohl bemerkſt, und gab mir die beſiegelte
Pergamentrolle (die er mit dieſen Worten Herauszog.)
Gottesf. Aber, nicht wahr ? du ſahſt noch mehr
als dies ?
Chr. Was ich erzählt habe, war das Beſte, doch
habe ich aứerdings auch noch Anderes geſehen . Ich fah
nämlich auch drei Männer , Tropf, Träge und Dün .
kel , ſie ſchliefen alle drei nicht weit vom Wege ab,
den ich kam , und lagen da mit Feſſeln an ihren Füßen .
Aber meinſt du wohl, daß ich ſie hätte wach machen
können ? Ferner ſah ich Formhohl und Heuchler
über die Mauer ſetzen, um , wie ſie vorgaben, nach Zion
zu gehen. Allein ſie waren bald verloren, wie ich's
ihnen vorherſagte, jedoch hatten ſie es nicht glauben
wollen. Mir iſt's indeſſen beſonders ſchwer geworden,
dieſen Hügel hinaufzukommen , und ebenſo ſchwer der
Löwen Rachen zu entgehen, und wenn der gute Mann,
der Pförtner, nicht am Thore geweſen wäre, fo weiß
ich wahrlich nicht , ob ich nicht wieder umgekehrt wäre.
geßt aber banke ich Gott , daß ich hier bin , und eucy
daß ihr mich aufgenommen habt.
51

Darauf hielt silugheit es für gut , einige Fra


gen an ihn zu richten, und wünſchte , daß er dieſelben
beantworten mödyte.
Klugh. Denkſt du nicht zuweilen noch an das
Land, aus dem du gefommen biſt ?
Chr. Das thu’ id wohl, aber mit Bejdjämung
und Abſcheu. Hätte ich nach dem Sande , woraus ich
fam , ein Verlangen gehabt, ſo hätte ich wohl Gelegen
heit gefunden , wieder dorthin zu kommen , allein ich
ſehne mich jetzt nach einem beſſern, nämlich dem himm
lifden Vaterlande. :)
Klugh. Trägſt du aber nicht immer noch einige
von den Dingen bei dir, welche dir früher anflebten ?
Chr. Ja, allein ganz wider meinen Willen , vor
nämlidy meine Fleiſchliden Gedanken und Begierden ,
woran id mit au meinen Landsleuten ein Wohlgefallen
hatte . Gegenwärtig ſind, nir aber all dieſe Dinge nur
eine Qual ,und fönnte ich, wie ich wollte, ſo würde ich
nie mehr an ſie denken ;allein wenn ich das Gute thun
will, ſo finde ich, daß ich das Böſe thue. )
Slugh. Meinſt du nicht zuweilen, daß die Dinge
überwunden ſeien, welde dir ein andermal wieder viel
Noth und Kummer machen ?
Chr. Allerdings , aber dies iſt doch ſelten der
Fall; das ſind übrigens goldene Stunden , worin mir
' . Solches widerfährt.
Klugh ." Stannſt du dich wohl darauf beſinnen,
wodurch es fommt, daß du zuweilen glaubſt, daß du
die Anfecytungen überwunden habeſt ?
Chr. Ja, ſo kommt es, wenn ich an das zurückdenke,
was ich am Kreuze geſehen habe, wenn ich mein Feiers
kleid betrachte, auch wenn ich auf das Zeugniß hinblicke,
welches ich in meinem Buſen trage und wenn inein
Herz entbrennt über dem Gedanken an den Ort, ' wohin
ich gehe.
Klugh. Aber warum haſt du denn ein ſo großes
Verlangen nach dem Berge Zion zu reiſen ?
Hebr. 11, 14--15 . 13, 14 *) Seat. 7, 15–21 .
415 . 5
52

Chr. Wie kannſt du wohl ſo fragen ? Ich hoffe


ja den lebendig dort zu ſehen , der fodt am Kreuze
Hing, auch hoffe ich da frei zu werden von Allem , was
mich bis auf dieſen Tag noch plagt und anficht. Dort,
heißt es , wird kein Tod mehr fein, ' ) und werde ich
zuſammenwohnen mit denen , die mir die Liebſten ſind.
Doch, um dir die Wahrheit ganz heraus zu ſagen , ich
habe Ihn lieb, weil er mir Ruhe gegeben von meis
ner Raft, und weil ich meiner innern Krankheit müde
bin . Mich verlangt bort zu ſein , wo ich nicht mehr
ſterben werde, unter der Schaar derer, die ohne Unter
Laß rufen : „ Heilig! heilig ! heilig ! iſt der Herr
Zebaoth ".?)
Darauf jagte liebe zu Chrift : biſt du verheis
rathet ?
Chr. Ja, ich habe Frau und vier Kinder , die
noch in jungen Jahren ſind.
Liebe. Warum haſt du ſie denn nicht mitge
nommen ?
Chr. Hierbei fing Chriſt an zu weinen und ſagte :
Ach, wie hätte ich das ſo gerne gethan, aber ſie waren
durchaus dagegen, daß ich meine Bilgerfahrt antrat.
liebe. Da hätteſt du ihnen aber zureden und
ihnen die Gefahr zeigen ſollen , der ſie ſich ausſegten ,
wenn ſie zurückblieben.
Chr. Das that ich auc , und ſagte ihnen dabei,
wie Gott mir den Untergang unſerer Stadt offenbart
habe, allein es fam ihnen das lächerlich vor , und ſie
glaubten mir nicht. :)
liebe. Beteteſt du aber auch zu Gott, daß er
deine Worte an ihnen ſegnen möge ?
Chr. Ja , und ic that es mit großer Inbrunſt,
denn du magſt glauben , daß mein Weib und meine
Kinder mir ſehr theuer waren.
liebe. Sprachſt du ihnen aber von deiner eige >

nen Beſorgniß und Furcht vor dem Untergange ? denn


) 3ef. 23, 8. Offenb. 21, 4. -
2) Jef.6, 3. Offenb. 4 , 8. -

3 ) 1 Mof. 19, 14.


53

ich denke mir, daß dir derſelbe deutlich genug vor Augen
ſtand.
Chr. Ja , ich that es einmal über das andere.
Sie konnten mir die Ängſt wohl vom Geſichte ableſen ,
ſie ſahen auch meine Thränen und mein Beben vor der
Angſt des Gerichts, das über unſerm Haupte ſchwebte,
aber Nichts war im Stande , ſie zu bewegen , daß fie
mit mir gingen .
liebe. Aber was hatten ſie denn eigentlich dages
gen einzuwenden ?
Chr. Ach , mein Weib fürdytete ſich dieſe Welt
daran geben zu müſſen , und meine Kinder hatten ſich
den thörichten Ergöglichkeiten der Jugend hingegeben.
Beim Einen war es dies, beim Andern jenes, wodurdy
ſie ſich zurückhalten und mich allein ziehen ließen .
liebe. Aber haſt du vielleicht durch dein eigenes
eitles Leben den Eindruck deiner Worte verwiſcht, die
bu an ſie richteteſt, daß ſie dir folgen möchten ?
Chr. Ich kann allerdings mein Leben nicht
Loben , denn ich bin mir mancher Fehltritte bewußt.
Auch weiß ich wohl, daß ein Menſch durch ſein
Betragen bald umſtoßen kann, was er durch triftige
Gründe und ernſte Vorſtellungen bei Andern zu
ihrem Heile zu wirken ſich bemüht hat ; aber das kann
id wenigſtens auch ſagen, daß ich mich ſorgfältig hütete,
ſie durch irgend eine unziemliche Handlung gegen die
Pilgerfahrt einzunehmen . Ja, gerade darum ſagten ſie,
ich nähme Alles zu genau und verſagte mir ihrentwillen
Dinge, in denen ſie nichts Uebeles erkannten. Ja, ich
glaube jagen zu dürfen , daß , wenn ſie Etwas an mir
hinderte, es meine große Gewiſſenhaftigkeit war, weder
gegen Gott zu fündigen , noch meinem Nächſten irgend
ein Unrecht zu thun .
1
liebe. Allerdings iſt es ſo fchon geweſen von
altersher , denn Kain erwürgete ſeinen Bruder, weil
ſeine Werfe böſe waren und ſeines Bruders gerecht, ')
) 1 Joh. 3, 12. 5*
54

und wenn dein Weib und deine Kinder ſich deßhalb an


dir geärgert haben, ſo zeigen ſie dadurch ihre Feind
ſchaft wider das Gute , du aber haſt beine Seele von
ihrem Blute gerettet. ")
So ſaßen ſie im Geſpräch zuſammen bis das
Abendeſſen bereitet war , und ſpeiſeten dann mit einan
ber. Die Tafel war mit föſtlichen Gerichten und init
Wein , ohne Hefen , beſetzt. 2) Alle Neben , die ſie bei
Tiſche führten, handelten von dein Herrn des Hügels,
nämlich was er gethan, warum Er Soldhes gethan und
warum er das Haus erbaut. Aus dem , was ſie ſag
ten, erkannte id, daß er ein großer Kriegsheld gewe
ſen, welcher mit dem geſtritten und den überwunden ,
der des Todes Gewalt hatte, ?) jedoch nidyt ohne eigene
große Gefahr, daher ich ihn um ſo mehr lieb habe.
Denn, wie ſie ſagten, und ich glaube es", ſprach
Chriſt, ſo vollbrachte Er’s, indem er dabei ſein foſtva
res Blut vergoß. Was aber Alles , was Fr that, mit
Gnabe und Herrlichkeit frönte, war, daß Er's aus rei
ner Erbarmung zu den Menſchen that. Ueberbem was
ren Einige unter den Hausgenoſſen , die Ihn geſehen
und mit Ihm geredet hatten , ſeit Er am Kreuze geſtor
ben war ; und dieſe hatten es aus ſeinem eigenen Muide
vernommen, daß er den armen Pilgern mit folder Liebe
zugetijan wäre, wie ſie vom Aufgange bis zum Nieder
gange nicht gefunden werde. ) Dazu gaben ſie auch einen
Beweis für das, was ſie behaupteten, nämlich, daß er
ſich zum Heil der Armen ſelbſt entäußert habe ſeiner
Herrlichkeit, 5) und daß ſie ihn hätten ſagen hören , Er
molle nicht allein wohnen auf dem Berge zion. Fers
ner erzählten ſie , wie er viele Pilgrimme zu Fürſten
gemacht, obwohl ſie als Bettler geboren und aus dem
Staube entſprungen waren . )
So unterhielten ſie ſich mit einander bis ſpät in die
Nacht hineint, und nachdem ſie ſich der Obhut 'ihres
*) Ezech.3, 19. Apgeſd . 20, 26. 2 ) Jef. 25,6.
---

3) Hebr.
2,14.f . *) Apgefch . 1 , 3. 1.Kor.15,6 . · 5 ) Philipp.
2,6.ff. 6 ) 1 Sam . 2,8. Pf. 113, 7.
55

Herrn befohlen hatten, begaben ſie ſich zur Ruhe. Dem


Pilger wieſen ſie eine Sammer im obern Stock an,
die gegen Sonnenaufgang lag. Der Name der Kam
mer hieß Frieden. Hier fdlief er bis der Tag ans
brach, und als er erwachte, ſang er :
Wie wohl iſt mir in seju lieb und Sorgen !
In feiner Treu gebettet und geborgen,
Läßt Er mich durch Vergebung meiner Sünden,
Auf Erden ſchon des Himmels Pforte finden .
Morgens nun , als ſie Alle aufgeſtanden waren ,
ſagten ſie ihm , er möge nicht eher abreiſen, bis ſie ihm
die Merkwürdigkeiten ihres Hauſes gezeigt hätten. Und
fo führten ſie ihn zuerſt in das Leſezimmer, wo ſie ihm
Utrkunden vom größten Alterthume zeigten ; auf denſel
ben ſtand, ſo viel ich mich meines Traumes erinnere,
der Stammbaum von Herrn des Hügels, woraus ich
ſah , daß er geboren von Ewigkeit her der Sohn jet
des Alten der Tage. ) Hier waren auch aufgezeichnet
die Namen und Thaten vieler Hunderte, die er in jei
nen Dienſt genommen hatte , und wie er ſie in Woh
nungen verſett , die weder durch die Länge der Zeit,
noch durch die Vergänglichkeit der Natur zerſtört wer
den fönnen. )
Dann laſen ſie ihm die denkwürdigen Thaten vor ,
die einige von ſeinen Dienern vollbracit Hatten : wie
ſie Königreiche beſiegt, Geredytigkeit geübt , Verheißuns
gen bekommen , den Rachen der Löwen verſtopft, die
Gewalt des Feuers gelöſcht, der Schärfe des Schwerts
entronnen , ſtarf gemacht worden in ihrer Schwachs
heit , tapfer im Streit und ganze Heere der Fremden
geſchlagen haben. 3)
Darauf Lafen ſie aus einem andern Theile der Ur
kunde des Hauſes vor, worin gezeigt ward , wie willig
der Herr jei, einen Jeden , ja Jeden in Gnaden
anzunehmen , wenn derſelbe ſich auch früherhin gegen
ſeine Perſon und ſeine Befehle ſchmählich verfündigt
) Midh.3, 1. 309. 1 , 1. Dan. 7 , 9. 13. 22. – ?) Joh. 14, 2.
Offenb . 22, 5. – 3 ) Hebr. 11 , 3.4 .
1
56

habe. Hier bekam Chriſt auch Auskunft über manche


andere merkwürdige Dinge aus alter und neuer Zeit;
imgleichen wurde er mit Drohungen und Verheißungen
befannt gemacht, die ihre gewiſſe Erfüllung haben, die
einen zum Schrecken und Entſegen der Feinde, die an
dern zum Troſt und zur Erquicfung der Pilger.
Um folgenden Tage führten ſie ihn in die Rüſt
tammer , wo ſie ihn allerlei Rüſtzeug fehen ließen , wel
ches der Herr für die Pilger zurecht gemachthat. Da
waren Schwerter, Schilde , Helme, Panzer, Gebetswaf
fen und Schuhe, die nicht veralten. Und von all dies
ſen Dingen war eine fo große Menge vorhanden , daß
man ein Heer zum Dienſte des Herrn damit Hätte
ausråſten können, ſo zahlreich wie die Sterne am Him
mel ſind. )
Ferner zeigten ſie ihm einige Werkzeuge, mit wel
chen einige ſeiner Knechte Wunder verrichtet hatten, 3.
B. den Stab Mofis , den Hammer und Nagel, wow
mit Iael den Siſſera ſchlug, die Krüge , Boſaunen
.

und Fadeln, mit denen Gideon die Heere Midian's


in die Flucht jagte. 2) Hierauf zeigten ſieihmden Dch
jenſtecken, womit Samgar ſechshundert Philifter ſchlug,
den Sinnbacken , mit welchem Simſon ſo mächtige
Thaten verrichtete, die Schleuder und den Štein , wo
mit David ben Rieſen Goliath niederſtreckte, und
das Schwert , womit der Herr den Mann der Sünde
umbringen wird an dem Tage, wo er ſich zur Beute
aufmacht. ;) Und außerdem zeigten fie ihm noch viele
andere Dinge, woran Chriſt einen großen Gefallen hatte.
Hierauf begaben ſie ſich abermals zur Ruhe.
Dann ſah ich in meinem Traume, wie er ſich
Morgens aufmachte, um weiter zu geben ; allein ſie
baten ihn , daß er noch bis zum folgenden Tage bleiben
möge. Sie ſagten ihn , wir wollen dir, wenn das Wetter
hell iſt, die lieblichen Berge zeigen, und bemerkten bas
) Eph. 6, 10-18. 1 Thef.5,8 . 2) 2M05.7,9.20. 8,16. 17.
14,16. 4M05.20,9.11 ; Richt.4,21; 7, 16.ff. - ') Might.
3,31 . 1Sam . 17,49.50.
57

bei, daß Solches viel zu ſeiner Stärkung auf der Pil


grimſchaft beitragen würde, weil dieſe Berge dem ers
ſehnten Hafen näher lägen , als der Ort, an dem er
ſich gegenwärtig befinde . Chriſt willigte denn ein und
blieb. Als der Morgen angebrochen war, führten ſie
ihn auf die Zinne des Hauſes und hießen ihn nach
Mittag hinblicken. So that er , und ſiehe, in weiter
Ferne erblickte er eine gar liebliche Gebirgegegend , ge.
ichmückt mit Wäldern , Weinbergen, allerlei Arten von
Fruchtbäumen und Blumen , Quellen und Brunnen, ſehr
reizend anzuſehen . ) Da fragte Chriſt nach dem Nas
men des Landes, und ſie jagten : es heißt Imma -
nuelssland, und iſt ebenſo wie dieſer Hügel ein
Gemeingut aller Pilger und für ſie beſtimmt. Wenn
du dahin kommſt, fannſt du von dort aus das Thor
der Himmliſchen Stadt erblicken, wie die Hirten, welche
daſelbſt leben, bir ichon zeigen werden .
Endlich war er darauf bedacht, weiter zu reiſen ,
womit ſie denn auch zufrieden waren. Doch , Sprachen
ſie, laſſet uns vorher noch einmal in die Rüſitammer
gehen . So geſchah es nun und hier rüſteten ſie ihn
von Ropf bis zu Fuß mit probehaltigen Waffen , im
Falle, daß er unterwegs angefallen werden ſollte.

Achtes Kapitel.
Pilger im Thale Demuth.
Als er nun ſo gerüſtet war, ging er mit ſeinen
Freunden hinaus nach der Pforte. Hier fragte er den
Pförtner, ob er feinen Pilger habe vorübergehen ſehen.
Der Pförtner ſagte : Ja.
Chr. Rannteſt du ihn ?
Pförtn. 30 fragte ihn nach ſeinem Namen , 1

und er ſagte mir, er heiße Getreu.


) Jef. 33, 16. f.
58

Chr. D, den kenne ich ; er iſt mein Landsmann


und nächſter Nachbar, er kommt aus meiner Heimath.
Was meinſt du , wie weit mag er wohl voraus ſein ?
Pförtn. Jetzt wirð er wohl den Berg hinun
ter ſein .
Chr. Gut , lieber Pförtner; der Herr fei mit
bir und ſegne did vielfältig für alle Liebe, die du mir
erwieſen haſt !
Chriſt ging nun vorwärts. Beſcheidenheit ,
Gottesfurcht, Liebe und Klugheit wollten ihn
aber bis zum Fuße des Hügels begleiten . So machten
ſie ſich denn alle mit einander auf und fekten ihre frü
hern Geſpräche fort, bis ſie dahin kamen , wo der Hü
gel jählings hinunter geht. Da ſagte Chriſt: So ſchwer,
wie es war, hinaufzukommen, ſogefährlich iſt es , wie
mich bedünft, hinunterzugehen . Ja , ſagte Klugheit,
ſo verhält ſich's auch wirklich, denn es iſt ein ſcwieri
ges Ding, für einen Menſchen in das Thal der De
muth hinabzuſteigen – wie du jegt thun mußt – und
nicht auszugleiten. Deſhalb ſind wir mit bir gegan
gen, dich den Hügel hinab zu geleiten. So fing er
nun an mit großer Vorſicht hinabzuſteigen , allein bens
noch glitt er das eine und andere Mal aus.
Darauf fab ich in meinem Traume, wie die lieben
• Begleiterinnen , als Chriſt am Fuße des Hügels ange
langt war, ihm ein Brot, eine Flaſche Wein und einige
getrocknete Trauben gaben. Dann ging er ſeines Wes
ges weiter .
Aber nun ward im Thal Demuth dein armen
Chriſt hart zugeſeķt; denn kaum hatte er eine kleine
Strecke ſeines Weges zurüdgelegt, als er idon einen
ſchlimmen Feind, Apollyon , ben Engel des Abgrunds
herankommen jah. ) Da wurde es Chriſt bange und
er bedachte ſich , ob er umkehren oder Stand Halten
ſollte. Es fiel ihm aber ein , daß ſein Rücken unges
deđt ſei, und er jo dem Feinde, wenner ihm den Rücken
:) . 2. Kor. 12, 7. ff. Offenb. 9, 11.
1
3
59

zutehrte, einen großen Vortheil gewährte, weil derſelbe


ihn dann leicht mit ſeinen Pfeilen durchbohren könnte;
aus dieſer Urſache entſchloß er fich , es zu wagen und
Stand zu halten, denn, dachte er, hätte ich auch weiter
Nichts im Auge, als mein Leben zu retten, ſo wäre es
doch am Beſten, ſtehen zu bleiben .
So ging er dann voran , und Apollyon fam ihm
immer näher. Das Ungeheuer war ſcheußlich anzuc
ſebent: es war mit Schuppen bedeckt wie ein Fiſch , und
ſie ſind ſein Stolz ; er hatte Flügel wie ein Drache
und Füße gleich eines Bären , aus ſeinem Bauche kam
Feuer und Rauch und fein Maul war gleich eines Lös
wen Rachen. ') Áls er nahe zu Chriſt Herangekommen,
warf er einen verächtlichen Blick auf ihn , und ſtellte
ſodann folgendes Verhör mit ihm an.
Apoll. Woher kommſt du und wohin willſt du?
Chr. Ich komme aus der Stadt Berderben,
dem Drte alles Uebels, und ich bin nun auf dem Wege
nach der Stadt Zion .
Apoll. Daraus entnehme ich, daß du einer meis
ner Unterthanen biſt; denn jenes ganze Land iſt mein,
und ich bin der Fürſt und Gott deſſelben . Wie kommt
es, daß du von deinem Könige weggelaufen biſt? Hätte
ich nicht die Hoffnung, daß du mir in der Folge mehr
Dienſte thun würdeſt , ſo ſchmetterte ich dich auf der
Stelle mit einem einzigen Schlage zu Boden.
Chr. Freilich ward ich in deinem Reiche geboren,
aber dein Dienſt war ein harter Dienſt und dein Sold
fo , daß man unmöglich davon leben kann , denn der
Sünden Solb iſt der Cod.2) Deßwegen machte ich's,
als ich älter wurde, wie andere bedachtſame Leute: 'ich
fab mich um , ob ich mich nicht verbeſſern könnte.
Apoll. Kein Fürſt gibt ſeine Unterthanen ſo leichtlich
auf, und and du ſollſt nicht ſo ohne Weiteres davon koms
men. Da du dich aber über deinen Dienſt und deinen
Solb beflagſt, ſó ſei nur zufrieden und Lehre wieder
) 1. Hiob 41, 6. ff. - * ) Röm. 6, 23 .
60

um ; was unſer Land aufbringen kann, das verheiße ich


dir zu geben.
Chr. Aber ich habe mich ſchon einem Andern
hingegeben und zwar dem Könige aller Könige; wie
könnte ich nun als ein ehrlicher Mann mit dir wieder
zurückgehen ?
Apoll. Du haſt gethan , wie's im Sprichwort
heißt: ,, Du biſt aus dem Regen unter die Traufe ge
laufen ;" allein es pflegt in der Regel ſo zu gehen ,
daß die, welche ſich ſeine Diener heißen, ihm bald nachys
Her davonlaufen und wieder zu mir zurückéhren. Madje
du es auch nur ſo , dann ſou Alles wieder gut ſein. :)
Chr. Ich habe ihm Treue gelobt und ihm habe
ich den Eid des Gehorſams geſchworen . Wie ſollte ich
denn von meinem Herrn weiden ? Verdiente ich dann
nicht als ein Verräther gehängt zu werden ?
Apoll. Du haſt es mir gerade ſo gemacht, und
doch will ich das Alles überſehen , wenn du nun noch
umkehren und dich wieder zu mir wenden willſt.
Chr. Was ich dir verſprochen , das habe ich in
meiner Unmündigkeit gethan . " Ueberdem weiß ich aber
aud), daß der Herr, unter deſſen Banier ich jekt ſtehe,
die Madit hat mich loszuſprechen und mir Ålles zu
vergeben , was ich that, als ich mich dir ergeben hatte.
Und noch mehr, o du Verderber Apollyon, ich ſage es
frei heraus, ich ziehe ſeinen Dienſt, ſeinen Solb, Teine
Diener, ſeine Regierung, ſein Volk und ſein land dem
Deinigen vor. Darum höre auf, mid länger zu beres
den. Es bleibt dabei, ich bin ſein Knecht und Shin will
ich fortan folgen.
Apoll. Ueberlege es noch einmal, wenn du bei
faltem Vlute biſt, was dir nod) Alles begegnen wird
auf dem Wege , ben du wandelſt. Es iſt dir bekannt,
daß ſeine Diener meiſt ein übles Ende nehmen , weil
ſie ſich gegen mich verfündigt und meine Wege vers
laſſen haben. 2) Wie Viele von ihnen ſind nicht einem
') 1 Tim. 5, 15. – ? ) Offenb. 2, 10.
61

chmählichen Tode verfallen ! Außerdem hältſt du ſei


nen Dienſt für beſſer, als den meinigen - indeſſen hat
-

er ſich bis jeßt noch nie von ſeiner Stelle bewegt, um


irgend Jemanden , der ihm dient, aus den Händen ſei
ner Feinde zu erlöſen ; dagegen habe ich, wie alle Welt
wohl weiß , die , welche mir treu dienten, aus ſeiner und
der Seinigen Band entweder durch Gewalt oder Liſt
befreit, und ſo will ich and dich frei machent.
[ hr. Wenn Er zuweiſen ſeine Diener zu befreien
verzieht, ſo geſchieht's , um ihre Liebe zu prüfen , ob ſie
ihm anhangen bis an’s Ende ; was aber das Ende bes
trifft, welches du ein übles nennſt, ſo iſt das in ihren
Augen gerade ein äußerſt herrliches. Nach einer zeit
lichen Erlöſung verlangen ſie nicht ſo ſehr , denn ſie
warten auf die Herrlid)feit, die an ihnen offenbar wird,
wenn ihr König kommer wird in ſeiner Herrlid)feit
und alle heiligen Engel mit Ihm .' )
Apoll. Du biſt ihm ja ſchon untreu in ſeinem
Dienſt geweſen, wie kannſt du denn denken, daß du ei
nen Lohn von ihm empfangen werdeſt ?
Chr. Worin habe ich mich denn einer Untreue
gegen Ihn (duldig gemacıt, Apollyon ?
Apoll. Bereits im Anfang deiner Reiſe wurdeſt du
muthlos, als du in dem Bfuhl Miſstrauen beinahe ers
ſtickt wäreſt. Dann ſuchteſt du auf verkehrten Wegen
von deiner Laſt befreit zu werden , obwohl du hätteſt
warten ſollen , bis dein König ſie dir abnähme. Du
haſt dich ferner in einen ſündlichen Schlaf hingegeben
und das Köſtlidſte verloren , was du beſaßeſt. Auch
hätteſt du dich beinahe bewegen laſſen umzukehren, als
du die Löwen erblickteſt. Und wis ſpridiſt' du noch
von deiner Reiſe und von dem , was du geſehen und ge
hört haſt ? In deinem Herzen trachteſt du ja, bei Al
lem was du ſagſt oder thuſt, nad eitler Chre.
Chr. Alles dies iſt wahr und noch mehr dazu,
was du nicht genannt haft; allein der König, dem ich
) Matth. 25, 31. Kol. 3, 4.
62

diene und den ich ehre, iſt barmherzig und zu vergeben


bereit. Uebrigens hatte ich dieſe Gebrechen ſchon in deis
nem Lande, denn dort habe ich ſie eingeſogen. Ich habe
oftunter ihnen geſeufzt und mich darüber betrübt, aber
auch Vergebung empfangen von meinem Herrn.
Apoll. Nun brach Apollyon in grimmige Wuth
aus und rief: ich bin ein Feind dieſes Fürſten , ich haffe
ſeine Perſon, ſeineGeſetze und ſein Volk. Ich bin aus
gegangen , um Dir Widerſtand zu leiſten .
Chr.. Apollyon ,, ſiehe wohl zu , was du thuſt,
denn ich bin auf der Straße meines Königs, auf dem
Wege der Heiligung: darum nimm dich in Acht!
Apoll. Da ſtellte ſich Apollyon ſo über den Weg
hin , daß er die ganze Breite deſſelben einnahm und
ſagte: ,, Davor habe ich nicht die geringſte Furcht. Bes
reite dich nur zum Tode, denn ichſchwöre es bei dem Ab
grund der Hölle, du ſollſt nicht hier fortkommen ! Hier
Joll dir die Seele ausgehen !" Und hierauf ſchoß er
ihm einen feurigen Pfeil nach der Bruſt; allein Chriſt
hatte einen Schild in der Hand, womit er den Pfeil
auffing und wendete ſo die Gefahrab.
Nun zog Chriſt ſein Schwert, denn er ſah, es war
Zeit, ſich tapfer zu beweiſen . Apoúlyon aber machte ſich
ebenſo raſch an ihn und icoß eine ganze Maſſe von
Pfeilen , dicht wie ein Hagelſchalter, auf ihn los; das
durch wurde Chriſt, trotz aller Gegenwehr, die er auf
bot, an Haupt, Hand und Fuß verwundet. Dies machte
nun, daß Chriſt ein wenig zurückwich. Apollyon aber
verfolgte deßhalb ſeinen Angriff mit Schnelligkeit
und Macht. Indeſjen faßte auch Chriſt wieder Muth
und widerſtand ihm ſo männlich wie möglich. Dieſer
heftige Sampf dauerte länger als einen halben Tag,
ja ſo lange, bis Chriſt faſt ganz erſchöpft war.
Denn man kann wohl denten , daß er wegen ſei
ner Wunden immer ſchwächer werden mußte.
Apollyon nun bemerkend, daß er im Bortheil wäre,
drang immer ſtärker auf Chriſt ein, fing an mit ihm .
zu ringen und brachte ihn zu einem furchtbaren Fall,
63

zugleid flog Chriſt das Schwert aus der Hand. Da


jagte Apellyon: ,,nun biſt du mir fišer !" und ſomit
brugte er ihn dier zu Tode, ſo daß Chriſt an ſeinem
Leben verzweifelte. Auein, als Apellvon ſeinen legten
Streid ausbolte, um Chriſt den Todesſtoß zu geben ,
ergriff der fremme Pilger, nað Gottes Millen , hurtig
fein Schwert, faßte es auch und rief aus : freue
dich nicht, mein Feind , daß ich darniederliege;
ich werde wieder auffommen !" ) und hierinit
berjegte er ſeinem Widerſacher einen tödtlichen Streich,
daß er zurücmid , wie Giner, der eine Todesiunde bem
kommen hat. Ais Chriſt dies jah, drang er abermals
auf ihn ein und ſpracy : Wahrlid , in dem Allen
überwinden wir weit um deßwillen , der uns
geliebet hat ! 2) Da breitete Apolvon ſeine Draden
Flügel aus und floh von dannen , daß Chriſt ihn nicht
wiederſah . 3)
Nur wer dieſen Kampf wie ich mit angeſehen und
mgehört, fann ſich das gellende und abſcheuliche Ges
bröll vorſtellen, welches Apollyon , während der ganzen
Zeit des Streites , gleich einem Drachen ausſtieß –
und ebenſo das Stöhnen und Aedzen, daß aus Chriſt's
Bruſt ſich herauspreßte. Die ganze Zeit über that
Chriſt keinen freundlichen Blick. Erſt als er bemerkte,
daß er Apollyon mit ſeinem zweiſchneidigen Schwerte
verwundet hatte, lächelte er und blickte ſein Auge auf
wärts. Es war aber auch der furchtbarſte Kampf, den
id jemals geſehen habe.
Als derſelbe nun vorüber war, ſprach Chriſt: „Hier
will ich Dem banken , der mich aus dem Rachen des
Lören erlöſet, Ihm , der mir wider Apollyon geholfen
hat. " Und nun jang er :
Groß Beelzebub, der dieſes Feindes Saupt,
Beſtimmte mich zur Beute : Drum fandt er aus
Dies ungebeu'r , daß wider mich es ſchnaubt'
Im Höllenpanzer ſo mit Wuth und Graus :
Atein Immanuel ftand mir zur Seite,
Jal 4, 7 .
') Mich. 7 , 8. - * ) Röm . 8 , 37. - ' ) 3at.
.
64

Und alſo liegt mein Schwert, fucht raſch der Feind


das Weite.
Drum rei mein fob und Dank dir, Herr, geweiht
Und Deinem Namen Ruhm in Ewigkeit !
Da kam eine Hand hervor, die reichte ihm Blätter
vom Baume des Lebens und Chriſt legte dieſelben auf
die Wunden , die er im Stampfe erhalten hatte, und als
ſobald wurden die Wunden heil. Nun ließ er ſich an
tener Stelle nieder und aß von dem Brote und frank
von dem Weine, die er früher befommen hatte. Nach
dem er ſich ſo geſtärkt hatte, fette er ſeine Pilgerreife
weiter fort; das gezückte Schwert aber hielt er ſtets in
der Hand , denn er ſagte: , ich weiß nicht, auf welchen
andern Feind ich noch treffen werde." Allein ohne ir
gend eine weitere Anfechtung wanderte er glücklich durch
dieſes Thal.

Neuntes Kapitel.
Pilger im Thal der Todesſchatten.
Am Ende dieſes Thales öffnete ſich aber ein ans
deres, es heißt: Thal der Todesſchatten . ' ) Chriſt
mußte nothwendigerweiſe daſſelbe entlang -gehen , denn
der Weg zur hinımliſden Stadt ging mitten durch dies
fes Thal hindurd ). Dieſes Thal nin iſt eine wahre
Einöde. Der Prophet Jeremia beſchreibt's in fol
gender Weiſe : Es iſt eine Wüſte in wilden und in.
gebahnten Lande , im dürren und finſtern Lande , im
Lande , da Niemand (ausgenommen der Chriſt) wan
delt, da kein Menſch wohnt. 2 ) Hier war Chriſt noch
übler dran, als in ſeinem Kampfe mit Apollyon , wie
fich aus Folgendem ergeben wird.
In meinem Traume ſah ich , daß , als Chriſt an
ben Eingang des Thaís der Todesſchatten gefommen
war, ihm zwei Männer begegneten, es waren dies Nach
4 ) Pſ. 23, 4. – ?) 3er. 2, 6.
65

tommen berer , von welden geſchrieben ſteht, daß ſie


bem gelobten Lande ein böſes Beſchrei madhien . ) Dieſe
Männer waren in aller Gile auf der Rüdreiſe. Chriſt
redete ſie aber folgendermaßen an : „Wohin wollt ihr
11
gehen ? "
Männer. Zurück ! zurück ! Und wenn dir les
ben und Wohlfahrt lieb ſind, ſo thue desgleichen.
Chr. Weßhalb ? was gibt's denn ?
Männ. Was es gibt ? Wir waren auf dem näms
lichen Wege , ben bu gehſt, und gingen ſo weit , als
wir's wagen durften; wahrlich, bald wäre es aber um
das Wiederfommen geſchehen geweſen, denn wären wir
nur ein wenig weiter vorgedrungen , ſo wären wir jest
nicht hier, dir dieſe Nachricht zu bringen.
S hr. Nun , was iſt euch denn begegnet ?
Männ. Was ? beinahe hätten wir das Thal der
Todesſchatten betreten , aber zum Glück ſahen wir vor
uns hin und wurden die Gefahr gewahr, ehe wir barin
waren .
Chr. Allein, was habt ihr denn geſehen ?
Männ. Geſehen ? ' Das pechfinſtere Thal ſelbſt:
auch ſahen wir dort Geſpenſter, Feldteufel und Dras
den des Abgrunds, ferner vernahmen wir in dem Thale
ein beſtändiges Angſtgeſchrei und Heulen , gleich als von
Menſchen , die in unſäglichem Elende ſind, die dort ges
bunden liegen in Ketten und Trübſal. Ueber dem Thale
aber hangen die Angſtwolfen des Verderbens, auch
breitet der Tod ſeine Flügel fortwährend über demſel
ben aus. Mit einem Worte, es iſt ein wahrer
Schrecensort, in dem Alles wüſt durch einander liegt.?)
Chr. Aus Allem , was ihr da ſagt, kann ich
Nidits abnehmen, als daß das der Weg iſt, der zu dem
Hafen meiner Sehnſucht führt. 3)
Männ. Dein Weg mag és ſein , der unſrige iſt
es aber nicht.
So zogen ſie ab und Chriſt wanderte ſeines Wes
') 4 Mof. 13, 33. — 2) Hiob 3, 5. 10, 22. -
3) Jer. 2, 6. f.
415. 6
66

ges , allein immer mit gezogenem Schwerte, denn er


fürchtete, daß er möchte angefallen werden.
Nun fab ich in meinem Traume, daß zur rechtert
Hand, ſoweit ſich das Thal hinzog, eine ſehr tiefe Grube.
Dies iſt die Grube , in welche zu allen Zeiten
ein Blinder den andern hineinführt, undworin ſie Beide
jämmerlich umgekommen ſind. Hinwiederum war zur
(inken Hand ein ſehr gefährlicher Sumpf, in welchem
ſogar ein guter Menſch , der hineinfällt, keinen Grund
findet. In dieſem Sumpf fiel einſt Rönig David ,
imd ohne Zweifel würde er darin erſtickt ſein , wenn
nicht Der, welcher mächtig iſt, ihn herausgezogen
hätte. )
Auch war der Pfad hier außerordentlich ſchmal,
und deßwegen der gute Chriſt um ſo übler dran ; denn
wenn er im Finſtern den Abgrund auf der einen Seite
zu vermeiden ſuchte , ſo konnte er ſehr leicht in den
Moraſt auf der andern fallen ; ſuchte er dagegen dem
Moraft auszuweichen , ſo mußte er die größte Behuts
ſamkeit anwenden , um nicht in den Abgrund zu ſtürzen.
So ging er nun voran, und ich hörte ihn bitterlich
ſeufzen, denn außer der vorhin erwähnten Gefahr war
auch der Fußſteig hier ſo dunkel, daß, wenn er ſeinen
Fuß aufhob, um weiter zu gehen , er oft nicht wußte,
wohin oder worauf er ihn niederſette. Ungefähr fin
der Mitte dieſes Thals bemerkte ich den Schlund der
Hölle , dicht am Wege.. ,,Was ſoll ich nun thun ? "
dachte Chriſt. Fort und fort brachen Flammen und
Rauch in ſolchen Maſſen daraus hervor, mit ſprühen
den Funken und ſchauderhaftem Getöſe ( Dinge, die ſich
nicht, wie Apollyon , um Chriſt's Schwert fümmerten)
daß er ſich genöthigt fah ,ſein Schwert in die Scheide
zu ſtecken und eine andere Waffe zu ergreifen , nämlich
die Waffe des unabläſſigen Gebets.2) Da hörte
id ihn denn fleben : D , Herr , errette meine
Seele ! ") Er ging nun eine gute Strecke voran , wäh.
P5.69, 3. 15. f. 40, 3. 2) Eph. 6, 18. 1. Theſſ. 5 , 17.
. ) pr. 116, 4 .
67

rend jedoch die Flammen ihn 3.1 ergreifen ſuchten. Das


bei hörte er klägliche Stimmen und verſpürte ab und
zu Stöße, daß er zuweilen meinte , er ſollte in Stüde
zerriſſen , oder wie Roth auf der Straße zertreten wer
Dieſer ſchauerliche Anblick und diefes furchtbare
Getöſe mußte er auf mehreren Meilen ertragen . Als
er aber an einen Drt kam , wo es ihm gerade war,
als wenn ihn ein Haufe Feinde verfolgt hätte, blieb er
ſtehen und überlegte , was wohl am beſten zu thun ſei.
Zuweilen wandelte ihn halber der Gedanke an, umzus
fehren ; dann dachte er auch wieder, daß er wohl icon
über die Mitte des Thales' hinweg ſei; auch fiel ihm
ein , wie manche Gefahr er bereits überwunden habe,
und wie er Größeres zubefürchten, wenn er zurücks, als
wenn er vorwärts ginge. So beſchloß er denn das
Leştere zu thun ; indeſſen ſchienen die Feinde immer
näher zu rüden . Aber in dem Augenblick, als ſie ihn
beinahe erreicht hatten, ſchrie er mit gewaltiger Stimme:
Ich gehe einher in der Rraft des Serrn
Herrn !') Da weichen ſie zurück und kamen nichtwieder.
Eins aber möchte ich hier nicht unerwähnt laſſen .
Ich bemerkte nämlich, daß der arme Chriſt ſo in Ver
wirrung gerathen war, daß er ſeine eigene Stimme
nicht zu unterſcheiden vermochte, und das wurde ich
folgendermaßen gewahr: als er gerade dem Schlund
des brennenden Pfuhls gegenüber war, machte ſich Ei
ner von den böfen Geiſtern hinter ihm drein und fchlich
leiſe an ihn heran , berſelbe Flüſterte ihm viele ſchwere
Läſterungen zu und Chriſt meinte wirklich , ſie wären
ihm ſelbſt aus dem Herzen gekommen. Dies verſeşte
Chriſt in größere Betrübniß als irgend Etwas vorher.
Wie," dachte er, ſollteſt du nun Den läſtern, den du
früherhin fo geliebt haft ?" das fühlte er aber wohl,
er würde es nicht gethan haben, wenn er's hätte ändern
fönnen. Ateir entweder hatte er nidit Ueberlegung
genug , um ſeine Dhren zuzuſtopfen , oder zu erkennen,
woher dieſe Läſterungen kamen.
) Pf.71, 16 .
6*
68

Als Chriſt lange in dieſem troſtloſen Zuſtande


fortgewandert war, glaubte er die Stimme eines Man
nes zu hören, der vor ihm herging und ſpracy: Und
ob ich ſchon wanderte im finſtern Thale,
fürd te id fein Unglüc , denn du biſt bei
mir . )
Dadurch wurde er froh und zwar um folgender
Urſachen willen :
1) weil er daraus ichloß, daß noch andere Gottes
fürchtige eben ſowohl wie er in dieſem Thale ſeien ;
2) weil er erkannte, daß Gott auch in dieſem
finſtern und troſtloſen Zuſtande bei ihnen ſei ? „ Warum ',
dachte er, folíte Er dann nidyt auch bei dir " ſein ? ob
gleich ich's , unter den Hinderniſſen, welche ſich mir hier
entgegenſtellen, nicht ſo einſehen kann ; ")
3 ) weil er nun hoffen durfte , daß er , ſobald er
ſie einholte, gute Geſellſchaft auf dieſem Wege antreffen
werde.
So ging er denn weiter und rief dem zit, welcher
vor ihm babinpilgerte. Dieſer wußte jedoch nicht, was
er antworten ſollte, denn er meinte ebenfaús , er wäre
allein geweſen. Allmälig brach indeſſen der Tag an,
da ſprach Chriſt: Er macht aus der Finſterniß
den Morgen . )
Als es nun Tag geworden, ſah er hinter ſich,
aber nicht , weil er ein Verlangen gehabt , umzukehren,
ſondern um die Gefahren , durch welche er im Finſtern
hindurchgekommen , nun im Tageslichte anzuſchauen .
Und ſo jah er denn nun auch deutlicher die Grube zur
rechten und den Moraſt zur linken Hand, ebenſo auch
wie ſchmal der Weg war, der zwiſden beiden hindurc
führte. Ferner bemerkte er die Geſpenſter, die Feld
teufel und die Drachen des Abgrunds, aber alle in weis
ter Ferne , denn beim Anbruch des Tages famen ſie
nicht in ſeine Nähe, allein ſie wurden ihm doch offen
bar, wie geſchrieben ſteht: ' Er öffnet die finſtern
) Pf. 23 ,4. — 2) Hiob 9,11 . P1.9, 11. Luk.24,16.— 3 ) Am.5,8.
1

69

Gründe und bringet heraus das Dunkle an


das Licht. :)
Chriſt war ſehr gerührt wegen ſeiner Rettung
aus all den Gefahren auf ſeinem einſamen Wege ; zwar
hatte er wegen dieſer Gefahren vorhin viele Furcht
ausgeſtanden , aber jeßt waren ſie ihm doch erſt recht
llar geworden, da er ſie im hellen Tageslichte erfannte.
Um dieſe Zeit ging die Sonne auf, und das war für
Chriſt eine neue Gnade. Denn das müſjet ihr wiſſen :
war der erſte Theil der Todesſchatten gefährlich , ſo
war der andere, welchen Chriſt noch zu wandern hatte,
wo möglich noch viel gefährlicher. Von der Stelle
nämlich an, wo er gegenwärtig ſtand bis zum Ende des
Thales war der ganze Weg jo voll von Fallſtricken ,
Fußangeln , Schlingen und Neßen auf der einen , und
auf der andern ſo voll von Gruben , Löchern und Un
tiefen, daß, wenn es hier ſo dunkel geweſen wäre, wie
auf dem erſten Theile des Weges – er, hätte er gleich
tauſend Leben gehabt, ſie unzweifelhaft alleſammt ver
loren haben würde. Adein gerade jetzt ging , wie ich
vorhin ſagte, die Sonne auf, und Chriſt ſprach: Seine
leuchte ſcheint über meinem Haupte und bei
ſeinem lichte gehe ich in der Finſterniß.2).
Bei dieſem Lichte gelangte Chriſt bis zum Ende
des Thales. Hier " ſah ich nun in meinem Traume
viel Blut, Gebeine, Moder und verſtämmelte Leich
name von Pilgern , die früher dieſes Weges gekom
men . Während ich darüber nachſann, was die Úrſache
davon ſein möchte , gewahrte ich vor mir in geringer
Entfernung eine Höhle, worin vor Alters zwei Rieſen :
Papſt und Heiðe, hauſeten, durch deren Gewalt und
Tyrannei aber die Pilger, deren Ueberreſte hier umhers
geſtreut lagen, das Leben verloren hatten. Chriſt fam
jedoch ohne große Gefahr an dieſem Orte vorbei, wors
über ich mich einigermaßen verwunderte. Indeſſen habe
ich ſpäterhin erfahren , daß Heide ſchon manchen Tag
:) Hiob 12, 22. - ? ) Hiob 29, 3 .
70

tobt iſt , und daß der Andere, obwohl noch am Leben,


wegen ſeines Alters und um der vielen Heftigen An
fälle willen, die er in jüngern Jahren erlitten, jo idwach
und ſteif geworden , daß er jeßt faſt anders nichts thun
kann, als am Eingang ſeiner Höhle figen, die vorüber
gehenden Pilger angrinſen und ſich in die Nägel beißen,
weil er nicht zu ihnen herankann.
Chriſt ging ſo ohne Weiteres feines Weges voran ;
allein er wußte nicht, was er von dem alten Manné
halten ſollte, den er vor der Höhle erblickte, zumal
I

berſelbe (obwohl er nicht zu ihm kommen konnte ihn


in folgender Art anredete : Ihr werdet nicht' eher
klug werden, biß noch mehrere von euc verbrannt ſind !"
Chriſt ſagte aber Nichts darauf, ging, ohne Schaden zu
nehmen, ruhig ſeinen Weg fort und ſang :
Welt voll Wunder ! denn ſo muß ich'8 nennen
Daß ich in folchen Nöthen ward bewahrt.
Mit Preis und Dank muß ich es laut bekennen :
Die Hand des Herrn ſchüßt meine Pilgerfahrt!
Es hatten Teufel, Höl und Sünde mich umgeben,
Als ich im Thal der Todesſchatten war,
Es .drohten Fauftrid ', Schling und Neße meinem Leben,
Und mich umringte flete Todsgefahr;
Doch ßat mein Jeſus mächtig mich befreit,
3 Teb Shm ſei die Ehr in alle Ewigkeit !

Zehntes Kapitel.
Pilgers Gefährte.
Als Chriſt nun auf ſeinem Wege weiterging , fam
er an eine kleine Anhöhe, welche zu dem Ende aufges
worfen worden war, damit die Bilger von dort aus
den Weg vor ihnen möchten überſehen fönnen. Hier
ſtieg Chriſt nun hinauf, und als er vor ſich hinblicte,
ſah er Getreu vor ſich einherwandeln. Sogleich rief
Chriſt ihm mit lauter Stimme nach : „Halt ! Halt !
warte, ich will mitgehen ! " Da blickte Getreu um , und
Chriſt rief abermals : Warte! warte doch ! bis ich zu

1
71

bir komme !" Alein Getreu antwortete : „ Nein , es


geht um mein Leben , denn der Bluträcher ?) " iſt hinter
mir ! "
Dies that Chriſt wehe, doch nahm er alle ſeine
Kräfte zuſammen und holte Getreu ſchnell ein , ja kam
ihm fogar zuvor , ſo daß der Regte der Erſte ward .
Darüber fam ein eitles Lächeln auf Chriſt's Angeſicht,
baß er ſeinem Bruder den Vorrang abgewonnen hatte.
Hierbei vergaß er aber vor ſich hin zu ſehen und auf ein
mal ſtrauchelte und fiel er , und fonnte nicht eher wie
der auf die Beine kommen, bis Getreu ihn eingeholt
hatte und ihm aufhalf.
Darauf ſab ich in meinem Traume, daß beide von da
an freundlich zuſammen gingen. Indem ſie nun liebliche
Reben mit einander führten über Alles, was ihnen auf
ihrer Pilgerſchaft begegnet war, ‘ nahm zuerſt Chriſt
das Wort.
Chr. Mein geſchäßter und vielgeliebter Bruder
Getreu, id bin froh, daß ich dich eingeholt habe, und
daß Gott unſere Herzen ſo geſtimmt hat, daß wir auf
dieſem angenehmen Wege miteinander wandeln fönnen.
Getr. Ich hatte gehofft, lieber Freund, gleich
von unſerer Stadt aus ſchon in deiner Geſellſchaft wan
bern zu können , allein du famſt mir zuvor , und ſo
wurde ich genöthigt , den Weg bis hierhin allein zu
machen.
Chr. Wie lange bliebſt du noch in der Stadt
Verderben, ehe du deine Pilgerfahrt hinter mir drein
antrateſt ?
Getr. So lange bis ichnicht mehr bleiben konnte ;
denn bald nach deiner Abreiſe ging bort ein ſtarkes
Gerede , daß unſere Stadt binnen Kurzem mit Feuer
vom Himmel bis auf den Grund werde niedergebrannt
werden .
Chr. Wie ! ſprachen ſo deine Nachbarn ?
) 4 M05.35, 10. ff.
72

Getr. Ja , ſo war es eine Zeitlang in Jeders


manns Munde.
Chr. Wie , und machte ſich Reiner auf als nur
du, um der Gefahr zu entrinnen ?
Getr. Dbgleich, wie ich eben ſagte, ein großes
Gerede von der Sache war, ſo glaubten ſie doch , meis
nes Bedünfens, nicht recht daran ; denn in der Hiße
des Geſpräche hörte ich Einige von ihnen mit Verach
tung über dich und deine verrückte Reiſe (denn ſo nann
ten ſie deine Pilgerfahrt) reden . Aber ich glaubte es
und glaube es auch noch, daß unſere Stadt durch Feuer
und Schwefel vom Himmel herab untergehen wird, und
deßwegen habe ich die Flucht ergriffen.
Chr. Haſt du nicht von unſerm Nachbar Füg
ſam ſprechen hören ?
Getr. Ja , Chriſt, ich hörte , daß er dir bis
zum Sumpfe Verzagtheit nachgefolgt,dort ſei er, wie
Einige ſagen , hineingefallen ; er ſelbſt wollte indeſſen
Nichts davon wiſſen ; ich bin jedoch überzeugt , daß er
mit dem Schlamm deſſelben ganz beſudelt war.
Chr. Und was ſagten die Nachbarn zu ihm ?
Getr. Seit der Zeit er zurück gekommen , iſt er
bei allen Leuten ſehr in Verachtung gerathen. Einige
machen ſich luſtig über ihn und verſpotten ihn und es
iſt faum noch jemand, der ihm Arbeit gibt. Er iſt
nun zehnmal ſchlimmer daran , als wenn er die Stadt
niemals verlaſſen hätte.
Chr. Allein , warum ſind ſie denn ſo ſehr gegen
ihn eingenommen, da ſie doch auch den Weg verachten ,
welchen er verlaſſen hat ?
Getr. D fie jagen : ,,An den Galgen mit ihm !
er iſt ein Wetterhahn , er iſt ſeinem Glauben untreu
geworden !" Ich glaube , Gott hat ſogar Seine
Feinde gegen ihn erweckt, ihn zu verſpotten und ihn
zum Sprichwort zu machen, weil er den Weg verlaſſen
hat. ^ )
» 3er. 29, 18. 19.
73

Chr. Haſt du nicht mit ihm geſprochen , ehe du


abgingſt ?
? Einmal begegnete ich ihm auf der Straße,
Getr.
aber er bog ſtill zur Seite aus, als Einer , der ſich
deſſen ſchämt, was er gethan hat , und daher konnte
ich nicht mit ihm ſprechen .
Chr. Im Anfange meiner Wanderſchaft hatte
ich Hoffnung für den Mann, aber nun wird er , ' wie
ich fürchte, beim Untergange der Stadt mit umfommen,
denn ihm iſt das wahre Sprichwort widerfahren : Der
Hund friffet wieder , was er geſpieen hat ,
und die Sau wälzet ſich nach der Swemme
wieder im Roth . )
Getr. Eben sajſelbe befürchte ich auch für ihn,
aber wer fann's ändern , da er's ſo will ?
Chr. Nun, Nachbar Getreu , laß uns von ihm
aufhören und über Dinge ſprechen, die uns ſelbſt näher
angehen. Erzähle mir einmal, was dir auf dem Wege,
den du gekommen, begegnet iſt; denn ich bin überzeugt,
es ſind dir wunderbare Dinge vorgefommen , es wäre
ein Wunder, wenn es anders wäre.
Getr. Ich entging glüdlich dem Sumpfe, in wels
chen du , wie ich merke , gefallen biſt, und fam ohne
Gefahr die Pforte hinan. Allein es begegnete mir eine
Perſon , Namens Wolluſt, die mir beinahe leid zus
gefügt hätte.
Chr. Es war ein Glück für dich, daß du ihrem
Neşe entſchlüpfteſt. Joſeph wurde hart von ihr zu
geſeßt, doch er entfam ihr , gleichwie du , aber beinahe
hätte es ihm das Leben gekoſtet. ?). Doch was hat ſie
bir gethan ?
Getr. Du kannſt bir nicht denken (du müßteſt
esdenn ſelbſt erfahren haben ) was für eine glatte und
füße Zunge ſie hatte; ſie drang itt mich , mit ihr vom
Wege abzugehen, und berſprach, mir in allen Stücken
Freude zu machen .
) 2 Petri 2, 22. – ? ) 1 Mof. 39, 7. ff.
74

Chr. Aber die Freudigkeit des Gewiſſens vers


ſprach ſie dir ſicher nicht.
Getr. Nein, du kannſt wohl denken , nur allerlei
ſinnliche und fleiſchliche Freuden.
é hr. Gott ſei Dank! daß du ihr entgangen biſt!
Wem der Herr ungnädig iſt, der fällt in
ihre tiefe Grube. ')
Getr. Ach , ich weiß nicht, ob ich ihr gänzlich
entgangen bin , oder nicht !
Chr. Wie jo ? ich denke doch nicht , daß du in
ihr Begehren gewilligt häſt.
Getr. Nein , nidyt alſo , daß ich mich befleckt
hätte, denn ich erinnerte mich einer alten Schrift, in der
es heißt: Ihre Füße laufen zum Tode hins
unter, ihre Gänge erlangen die Hölle.2) Dar
um chloß ich meine Augen zu , daß ich von ihren
Blicken nicht bezaubert werden möchte. 3) Hierauf vers
ſpottete ſie mich und id) zog meines Weges.
Chr. Haſt du ſonſt feinen Angriff auf deiner
Reiſe erfahren ?
Getr. Als ich an den Fuß des Hügels Beſchwerde
kam , begegnete mir ein hochbetagterMann, welcher mich
fragte, wer ich wäre und wohin ich wollte ? Ich ſagte
ihm , ich wäre ein Pilger, der zu der himmliſchen Stadt
wolle. Darauf ſagte der Greis , du ſcheinſt mir ein
ehrlicher Mannzu ſein ; haſtduLuſt bei mirzu woh
nen um den lohn , welchen ich dir geben will ? Da
fragte ich ihn, wie er heiße und wo er wohne ? Er er
wiederte : ich heiße der alte Adam und wohne in der
Stadt Betrug.4) Nun fragte ich ihn , was er für
ein Geſchäft habe und welchen Rohn 'er mirgeben wolle ?
Mein Geſchäft“, ſprach er, „ſind allerlei Ergötu
11

l'ichkeiten ", und mein Lohn ,daß du zulegt mein Erbe


ſein ſollſt.“ Weiter fragte ich ihn, was für eine Haus
haltung und welche andern Diener er habe ? Da ſagte
er mir, ſein Haus ſei mit allen Leckerbiſſen der Welt
) Sprüch. 22, 14. - ?) Sprüch.5, 5. – ) Hiob 31, 1.
4) Eph. 4, 22.
75

verſehen und ſeine Dienerſchaft beſtehe aus ſeinen eiges


nen Kindern. ,, Wie viele Kinder haſt du denn ?? " fragte
ich ihn. „Ich habe nur drei Töchter" erwiederte er,
„ fie heißen: Fleiſchesluſt, Augenluſt und hofs
färtiges Leben ) , und wenn du willſt, kannſt du
eine von ihnen heirathen ." Darnach fragte id ): wie lange
ſoll ich bei dir wohnen ? er antwortete: To lange ich
felbſt lebe.
Chr. Nun, und zu welchem Entſcluſie kamſt du
dann endlich mit dem alten Manne ?
Getr. Anfangs war , ich einigermaßen geneigt,
mit ihm zu gehen, denn ich meinte, es wäre doch ſehr
ſchön , was er ſagte, als ich aber, im Geſpräch mit ihm ,
gerade auf ſeine Stirn blidte, ſah ich,daß darauf ge
drieben ſtand: Ziehet den alten Menſchen mit
feinen Werken aus.2)
Chr. Und wie wurde es dir nun ?
Getr. Da fiel es mir heiß ein, daß, was er
auch immer ſagen und wie er mir auch ſchmeicheln
möchte , er mich als einen Sklaven verkaufen würde,
wenn er mich nur erſt in ſeinem Hauſe hätte. Darum
ſagte ich ihm, er möge ſeine Worte nur ſparen , denn
niemals würde ich die Schwelle ſeines Hauſes betreten.
Da verhöhnte er mich und ſagte, er wolle mir Jeman
den nachſchicken , der ſolle mir den Weg ſauer machen .
Somit wandte ich mich von ihin weg ; allein in dem
Augenblick, als ich fortgehen wollte, fühlte ich, daß er
mein Fleiſch pacte und mich mit einer ſo mörderiſchen
Gewalt zurückriß, daß ich meinte, er hätte mir ein Stück
vom Leibe geriſſen und ich ausrief: 0 , ich elender
Menſch !" So ging ich weiter ben Hügel hinan.
Als ich nun ungefähr halb den Weg hinaufgekoms
men und mich umſah , bemerkte ich jemanden hinter
inir, der mir wie der Wind nacheilte. Er holte mich
gerade an der Stelle ein , wo die' laube ſteht.
Chr. Gerade bort ließ ich mich nieder, um aus
-) 1 306.2 , 16. — 2) Kol. 3 , 9. 3) Sept. 7, 24.
76

zuruhen. Da mich aber der Schlaf überfiel, verlor ich


bieſe Pergamentrolle aus meinem Buſen .
Getr. Aber , lieber Bruder, laß inich nur auss
reden. Sobald der Mann mich eingeholt hatte, gab
er mir einen Schlag, baß er mich für todt liegen ließ.
Als ich aber wieder ein wenig zu mir ſelbſt getonmen
war, fragte ich ihn, warum er mich fo behandle ? ,,Wes
gen deiner verborgenen Neigung zum alten Adam ",
ſagte er. Und ſomit verſeşte er mir noch einen tödts
lichen Schlag auf dieBruſt, daß ich růdlings nieders
fiel, und ſo lag ich abermals wie tobt zu ſeinen Füßen.
Als ich nun wieder zu mir ſelbſt kam , flehte ich ihn
um Gnade an. Allein er ſprach : ich weiß von feiner
Gnade " -- und alſobald ſchlug er mich zum dritten
mal nieder. Er würde aber zweifelsohne meinem Les
ben ein Ende gemacht haben, wenn nicht einer gekom
men wäre, der ihn hieß von mir abzulaſſen .
Chr. Wer war denn das ?
Getr. Anfangs fannte ich ihn nicht, aber als er
näher fam , bemerkte ich die Wundenmale in ſeinen
Händen und in ſeiner Seite, und daraus ſchloß ich,
daß es unſer Herr ſei. So ging ich denn den Hügel
hinan.
Chr. Der Mann , welcher dich einholte , war
Moſes. Er ſchonet feines Menſchen , noch weiß er
etwas von Gnade gegen die , welche ſein Geſet übers
treten .
Getr. 3ch weiß es wohl ; es war nicht das erſte
Mal, daß ich mit ihm zuſammentraf. Gerade er kam
zu mir, als ich nody ſicher wohnte in der Heimath, und
fagte, er würde mir das Haus über dem Kopfe ab
brennen , wenn ich da bliebe .
Chr. Aber ſahſt du denn nicht das Haus, wels
ches auf dem Gipfel des Hügels ſteht, an der Seite,
wo Moſes dir begegnete ?
Getr. Ja, und auch die Löwen, ehe ich an das
Haus fam. Allein ich glaube, ſie ſchliefen , denn es
war gerade um die Mittagszeit und weil ich noch ſo
77

viel vom Tage vor mir hatte, ging ich am Pförtner


vorbei und fam den Hügel herab.
Chr. Ja , er agte mir , daß er dich habe vor
übergehen ſehen. Aber ich wünſchte, du wäreſt in dem
Hauſe eingekehrt. Dort hätte man dir Dinge gezeigt,
ſo ſeltener Art, daß du ſie dein ganzes Lebenlang wohl
nicht vergeſſen hätteſt. Aber ſage mir doch, biſt du in
dem Thale Demuth Niemandem begegnet.
Getr. Ja, ich kam mit einein gewiſſen Miß
vergnügt zuſammen , der mich gern berebet hätte,
wieder mit ihm umzukehren. Als Grund gab er an,
daß im ganzen Thal keine Ehre zu finden wäre. Er
ſagte mir überdies, wenn ich dieſen Weg ginge , ſo
würde id) all meinen Berwandten als Stolz , An
maßung, Eigendünkel, Mendenruhm ſehr miß
fällig werden, und Andere, die er wohl kenne, würde ich
ſehr beleidigen , wenn ich mich ſo zum Narren mache,
baß ich durch dieſes That wandere.
Chr. Nun, was ſagteſt du ihm darauf?
Getr. Id ſagte, daß ſich zwar Alle, die
genannt, zu meinen Verwandten rechneten , und das auch
mit Recht (denn ſie waren es wirklich nach dem Fleiſo ),
daß ſie mir jedoch , ſeit ich ein Pilger geworden, ihre
Freundſchaft aufgefündigt, und ich ſie ebenfalls von mir
gewieſen hätte , und jegt ſtänden ſie zu mir , als wenn
wir nie von demſelben Herkommen geweſen wären.
Uebrigens bemerkte ich ihm noch , daß er eine ganz
falſche Bedreibung von dem Thale gemacht hätte, denn
Demuth komme vor der Ehre und Hochmuth
vor dem Fall 1) , Darum " , ſagte id ihm , „will ich
lieber durch dieſes Ihal zu der Ehre gelangen', welche
die weiſeſten Menſchen für ſolche halten , als die Ehre
erwählen, welche er für die theiterſte halte.
Chr. Iſt dir ſonſt Nichts in dein Thale bes
gegnet?
Getr. Ja , es begegnete mir Einer , Namens
) Sprüch. 16, 18.
78

S dyam ; allein von allen Leuten , die mir auf meiner


.

Bilgerreije begegneten, trägt er, wie ich glaube, ſeinen


Namen mit Unredit. Die andern ließen ſich doch durch
Vorſtellungen und dergleichen noch abweiſen , aber mit
dieſem unverſchäinten Scham war gar nicht fertig zu
werden .
Chr. Wie fo ? was fagte er denn zu dir ?
Getr. Was er fagte ? Er verwarf die Reli
gion überhaupt. Er ſagte, es wäre eine jämmerliche,
gemeine und niederträchtige Sache für einen Mann,
ſich mit der Religion zu befaſſen . Er behauptete , ein
zartes Gewiſſen wäre ein unmännliches Ding und ein
Mann mache ſich vor der Welt lächerlich, der über
ſeine Gedanken und Handlungen wache und auf die
großartige Freiheit verzichte, von welcher die ſtarken
Geiſter dieſer Zeit Gebrauch machen . Áuch brachte er
vor , daß es immer nur wenig Mächtige , Reiche oder
Weiſe gegeben, die meiner Meinang geweſen , und daß
unter dieſen Wenigen kein Einziger geweſen , der ſidy
nicht zuvor hätte überreden laſſen, ein Narr zu werden,
und aus felbſtgewählter Thorheitum Nichts oder, wer
weiß , was für eine ungewiſſe Sache zu gewinnen . ')
Ueberdem hielt er mir entgegen, daß die Pilger zu jeder
Zeit hauptſächlich nur gemeine und niedrige Leute ge
weſen, die gar keine Kenntniß von der Beſchaffenheit
und dem natürlichen Verlauf der Dinge gehabt hätten.
Und in dieſer Art ließ er ſich noch über Vieles gegen
mich aus , was ich nicht Alles wiederholen mag , wie
z. B. es ſei ſchimpflich unter einer Predigt weinend
und heulend dazuſiten, chintpflich : feufzend und ſchluch
zend nach Hauſe zu kommen , und id;impflich, ſeinen
Nächſten wegen kleiner Fehler um Verzeihung zu bitten,
oder ihm das wieder zu erſtatten , was man ihm ent
wendet habe. Auch behauptete er: „,, Das Evangelium
entfremdet die Menſchen allem Großen nur wegen ei
niger wenigen laſter" (die er aber mit feinern Nanten
-) 1 Kor. 1 , 26. 3, 18. Phil. 3, 7–9. Joh . 7, 48.
79

benannte) und bringt ſie dazu, fich mit gemeinen Leus


11

ten abzugeben und dieſelben zu achten, und zwar um


der geiſtlichen Brüderſchaft willen - , und ", fragte er ,
neiſt das denn feine Schande ? "
Chr. Und was erwiederteſt du ihm darauf?
Getr. Was ich erwiederte ? Ich wußte anfangs
Nichts darauf zu ſagen . Ja , er ſette mir dermaßen
zu , daß ich idamroth wurde – dieß war gerade die
faliche Scham - und beinahe hätte ſie mich ganz fort
geriſſen. Endlich aber bedachte ich, daß Alles ,was der Welt
hoch und geadytet, vor Gott ein Gräuel iſt, 1) und fer
ner erwog ich, daß dieſer Scham mir wohl ſage , was
die Menichen ſind , aber nicht, was Gott oder Gottes
Wort ſei. Auch fiel mir ein , daß am Tage des Ge
richt8 Niemand ſein Urtheil zum Tode oder zum Leben ,
nach der Weisheit und dem Geſetz der ſtarfen Geiſter
dieſer Welt, ſondern nach der Weisheit und dem Ses
fet des Allerhöchſteu empfangen wird. Folglich dachte
ich, iſt und bleibt das Beſte das,was Gott ſagt, und
wenn auch alle Menſchen in der Welt dagegen wären .
Indem ich nun wohl erkannte, daß Gott die Gottſelig
keit und ein zartes Gewiſſen werth hält, daß die, welche
des Himmelreichs willen Narren werden, die Weiſeſten
ſind , und daß der Arme, welcher Chriſtum lieb ' hat,
reicher iſt, als der größte Mann in dieſer Welt, der
Ihn haſſet, ſo ſagte ich : Sdam , hebe dich hinweg
von mir, denn du biſt ein Feind meiner Seligkeit!
Sollte ich mit dir halten gegen meinen Herrn ? Wie
könnte ich ihm dann in's Antlit ſehen bei ſeiner Wies
berkunft. ) Wollte ich mich jegt ſeiner Wege und ſeis
ner Knechte ſchämen, wie fónnte ich dann ſeines Segens
gewärtig ſein ?" - Allein dieſer S dyam war wirklich
ein unverichämter Bube ; ich konnte ihn faſt nicht von
mir wegbekommen ; ja , er blieb mir auf dem Halſe
hangen und flüſterte mir bald dies, bald jenes von den
Únvollfommenheiten und Schwächen der Anhänger des
) { ut. 16 , 15. 2) Mart. 8, 38 . 7
415,
30

Evangeliums zu. Endlich erklärte ich ihm jedoch , daß


feine Bemühungen , mich davon abzubringen , ganz vers
geblich ſeien , denn in diejenigen Dinge, welche er vers
achte, ſeße ich die größte Herrlichkeit. Und ſo gelang
es mir denn zulett, dieſen unerträglichen Menſchen los
zu werden. Darauf fing ich an zu ſingen :
Viel Prüfung 'muß beftehen
Wer Gottes Weg' will gehen ,
Er muß das Fleiſch bekämpfen
Und ſeine Lüſte dämpfen.
Stets kommt der Satan wieder :
Drum , Pilger, wach' und kämpfe,
Damit du ihn bezwingeſt
Und durch die Pforte bringeſt!
Chr. 3ch freue mich, lieber Bruber, daß du dies
fem Buben ſo männlicy Widerſtand geleiſtet haſt. Nach
Allem , was du ſagſt, glaube ich auch, daß er ſeinen
Namen mit Unrecht trägt. Er heißt Scam und iſt
doch ſo unverſchämt, uns auf allen Wegen nachzulaufen
und verſucht es, uns vor aller Welt zu beſchämen d . h.
beſchämt zu machen wegen deſſen , was doch gut iſt.
Wäre er aber ſelbſt kein Unverſchämter , ſo würde er
nimmer verſuchen , uns jo Etwas anzuthun. Aber laß
uns ihm nur widerſtehen , denn mit allen ſeinen Großs
ſpredereien richtet er doch nur bei Thoren und ſonſt
Niemandem Etwas aus. Salomo ſagt: Die Weis
ſen werden Ehre erben , aber wenn die Nar :
ren hoch kommen , werden ſie doch zu Schans
den. ' )
Getr. Ich denke, wir müſſen Den gegen Scham
zu Hülfe rufen , weicher will, daß wir auf Erden für
die Wahrheit tapfer fämpfen.
Chr. Du haſt ganz Recht; aber iſt dir ſonſt
Nichts im Thale begegnet ?
Getr. Nein, denn ich hatte den übrigen Theil desWes
ges Sonnenſchein, und ebenſo im Thale der Todesſchatten .
Chr. Das war ein Stück für dich , denn ich

') Sprüch. 3, 35.


81

verſichere dich , mir iſt es dort ganz anders ergangen.


Ich hatte daſelbſt, ſobald als ich hineinfam , einen lan
gen furchtbaren Rampf mit dem verruchten Feind Apol
lyon zu beſtehen : ich dachte wirklicy, er würde mich ums
gebracht haben , beſonders als er mich zu Boden warf
und auf mich fiel, als wenn er mich in Stücke hätte
zerreißen wollen . Denn als er mich niederwarf, flog
mir auch das Sdwert aus der Hand ; ja, er ſagte
idjon, jetzt ſei er meiner gewiß. Allein ich ſchrie zu
Gott, und er erhörete mich und riß mich aus allen
meinen Nöthen. Darauf fam ich in das Thal der
Todesſchatten und mußte faſt den halben Weg im Fin
ſtern zurücklegen. Da dadyte ich einmal über das an
dere, ich würde umfommen ; aber endlich brach der Tag
an, die Sonne ging auf, und ſo konnte ich den übrigen
Theil des Weges weit leichter und ruhiger abmachen.

Gilftes Kapitel.
Ein Dritter geſellt ſich hinzu .
Id fab nun in meinem Traume wieder etwas
Anderes. Als Chriſt und Getreu mit einander weiter
wanderten, bemerkte der letztere, indem er ſeitwärts
blickte, einen Mann , Namens Geſchwäßig , welcher
in einer Entfernung neben ihnen herwandelte , denn hier
war der Weg ſo breit , daß ſie alle brei neben einans
der gehen konnten. Er war ein großer Mann , aber
ſchöner in der Ferne, als in der Nähe anzuſehen . Ge
treu redete denſelben in folgender Weiſe an :
Wohin Freund! Willſt du auch vielleicht nach dem
himmliſchen Lande ?
Sefdwäßig. Ja, gerade dorthin will ich.
Getr. Schön, dann hoffe ich , werden wir gute.
Geſellſchaft machen.
Gej chw . Sehr gerne will ich mit euch gehen.
Getr. So fomın denn herbei, daß wir zuſam
7*
82

mengehen und die Zeit mit nüßlichen Geſprächen hins


bringen.
Geſch. Von nüßlichen Dingen mit euch oder ei
nem Andern zu reden , iſt mir ſehr angenehm. Id Ich
freue mich, daß ich mit Leuten zuſammengekommen bin,
die Luft zu einer ſo guten Sache haben . Denn , um
die Wahrheit zu ſagen , es gibt nicht Viele , welche ge
neigt ſind, ihre Zeit auf Reiſen in dieſer Art zu vers
wenden ; die Meiſten ſprechen lieber von nuklofen
Sachen , und das iſt mir immer ſehr zuwider geweſen.
Getr. Wahrlich , das iſt auch ſehr zu beflagen,
dern wozu fann der Menſch ſeine Zunge so würdig
gebrauchen, als wenn er von Gott und göttlichen Dins
gen redet ?
Geſchw . Was du da ſagſt, gefällt mir ausnehs
mend woht, denn es iſt völlig wahr und treffend. Ich
will nur noch dazu fragen : Was iſt ſo angenehm und
nüglich als von göttlichen Dingen zu reden ? Was fann
fo angenehm ſein ? nämlich für einen Menſchen, der an
wunderbaren Dingen ſeine Freude hat. Wenn z. B.
ein Mann ſeine Freude hat, zu redenvon der Geſchichte,
oder von den geheimen Kräften der Natur, oder von
Wundern und Zeichen – wo findet er's dann ſo ſchön
und lieblich beſchrieben, als gerade in derheiligen Schrift?
Getr.. Das iſt allerdings wahr, aber unſere
Hauptabſicht muß dabei ſein, daß wir durch ſolche Dinge
erbaut und gebeſſert werden.
Gefdw. Das war es ja gerade, was ich ſagte;
denn von ſolchen Dingen zu reden , iſt höchſt nüßlich,
weil man dadurch von mancherlei, wie von der Eitet
keit der irdiſchen und von dem unvergänglichen Werth
der himmliſchen Dinge Kenntniß bekommt. Dies will
ich nur ganz im Allgemeinen bemerken, aber inſonder
heit lernt man dadurch die Nothwendigkeit der Wieder
geburt, die Unzulänglichkeit unſrer Werke, die Noth
wendigkeit der Gereditigkeit Chriſti u. 1. w. erkennen.
Außerdem lernt man noch durch ſolche Reden , was es
mit der Buße, dem Glauben, dem Gebet, der Trübſal
83

und dgl. auf ſich habe. Auch kann man ſo die Herrs
lichen Verheißungen und Tröſtungen des Evangeliums
zu ſeiner eigenen Beruhigung und Erquidung tennen
lernen . Ferner lernt man dadurch falſche Meinungen
widerlegen, die Wahrheit vertheidigen und Unwiſſende
unterweiſen .
Getr. Das Alles iſt richtig, und ich freue mich,
das aus deinem Munde zu hören.
Geſchw . Ach, weil es Vielen daran ganz fehlt,
ſo gibt es nur Wenige, welche wiſſen, wie unentbehrlich
der Glaube und wie nothwendig das Werk der Gnade
in der Seele ſei , daß ſie das ewige Leben erlange ;
ebenſo wenig berſtehen bie Meiſten Etwas von den
Werfen des Geſegles , durch welche doch durchaus Nies
manddas Himmelreid, ererben kann.
Getr. Aber, erlaube, die Erkenntniß von dieſen
Dingen iſt nur ein Geldent der göttlichen Gnade.
Niemand kann dazu kommen durch ſeinen eigenen Fleiß
oder auch durch Reben über ſolche Dinge.
Geſchw . Das weiß ich Alles recht wohl , ein
Menſch fann ſich nichts nehmen, es werde
ihm denn gegeben vom Himmel. ) Es iſt
Alles aus Gnaden , nichts um der Werke willen . Das
könnte ich burch hunderte Bibelſprüche beweiſen .
Geir. Gut ; aber über welchen Bunft wollen
wir denn nun gerade unſer Geſpräch führen ?
Gedw . Ueber welchen es dir beliebt. Ich bin
bereit, mit dir zu reden , über himmliſche Dinge ober
irdiſche, über Gefeß oder Evangelium , über geiſtliche oder
weltliche, über fremde oder einheimiſde, über weſentliche
oder unweſentliche, vorausgeſeßt, daß das Geſpräch ung
Nußen bringt.
Da fing Getreu an , ſich zu verwundern und in
dem er ſich ſeinem Gefährten Chriſt näherte (denn dies
ſer war eine Weile für ſich allein dahergegangen ), ſagte
er ganz leiſe zu ihm : ,, Was für einen trefflichen See
'. Joh. 3, 27.
84

fellſchafter haben wir da bekommen ! Dieſer Mann


wird ſich gewiß als ein herrlicher Pilger bewähren .“
Chriſt lächelte darüber beſcheidentlich und ſagte: ,,Die
fer Mann, von dem du ſo eingenommen biſt, täuſcht
Hunderte, die ihn nicht kennen .
Getr. Rennſt benn du ihn ?
Chr. Ja , ich kenne ihn beſſer, als er ſich ſelbſt
kennt.
Getr. Bitte, lo fage mir body, was es für ein
Mend iſt.
Chr. Er heißt Gedwätig und wohnt in uns
ſerer Stadt. Ich wundere mich, daß du ihn nicht
kennſt; doch freilich unſere Stadt iſt groß.
Getr. Weiſen Sohn iſt er, und wo ungefähr
wohnt er ?
Chr. Er iſt der Sohn eines gewiſſert" Schöns
ſpreders. Er wohnte in der Plauderſtraße und
iſt bei Allen , die ihn kennen, unter dem Namen Ges
ſchwäßig aus der Blauberſtraße bekannt. Db.
gleich er eine gewandte Zunge hat, ſo iſt er doch ein
ganz erbärmlicher Burſche.
Getr. Indeſſen ſcheint er doch ein prächtiger
.

Menſch zu ſein.
Chr. . Das meinen Alle, die ihn nicht durch und
durch kennen ; draußen ſcheint er wohl gut, aber das
heim iſt er ein abſcheulicher Menſch . Wenn du von
.

ihm ſagſt, er ſei ein präditiger Mann, ſo erinnert mich


das an die Gemälde , weldie ſich ſchön in der Ferne
ausnehmen , in der Nähe aber gar nicht gut ausſehen.
Getr. Doch ich möchte faſt glauben, du ſcherzeſt,
weil du dabei lädhelteſt.
Chr. Das ſei ferne , daß ich, wenn ich audy
lächelte , mit ſolchen Dingen Scherz treiben , oder Jes
manden fälſchlid) anklagen ſollte. Ich will dir Weite
res über ihn mittheilen. Dieſer Menſch paßt für jede
Geſellſchaft und zu jedem Geſpräch. Ebenſo wie er
jeßt zu dir zu ſprechen verſtand, kann er's auch auf der
Bierbanf. und je mehr es ihm in den Kopf ſteigt, deſto
85

mehr weiß er zu ſchwägen. Das Chriſtenthum iſt nicht


in ſeinem Herzen , daher auch weder in feinem Hauſe,
noch in ſeinem Wandel. Alles, was er davon hat, ſind
nur leere Worte und beſteht nur in dem Aufſehen,
welches er damit madt.
' Getr. Wenn du ſo ſprichſt, dann habe ich mich
in dieſem Manne ſehr geirrt.
Chr. Ja, ſehr geirrt, deß kannſt du gewiß ſein.
Gedenke an die Ausſprüche : Sie ſagen es wohl ,
und thun es nicht, aber das Reich Gottes ftes
het nicht in Worten , ſondern in Kraft. ') Er
ſpricht zwar von Gebet, von Buße , von Glauben oder
von Wiedergeburt, aber er weiß auch nur davon zu
ſprechen. Ich bin in ſeiner Familie geweſen und
habe ihn ſowohl daheim als draußen beobachtet, daher
bin ich überzeugt , daß ich Wahrheit von ihm rebe.
Sein Haus iſt gerade ſo ohne Gottesfurcht , wie das
Weiße im Ei ohne Gejdmack. Da iſt kein Gebet, fein
Zeichen von Buße , ja ein unvernünftiges Thier dient
in ſeiner Art Gott beſſer, als er. Er iſt ein Schands
fleck und eine Schmach für das Chriſtenthum und ein
Anſtoß für alle, die ihn kennen. Durch ihn fommt's,
daß in dem ganzen Stadttheile , wo er wohnt , kaum
nod; ein gutes Wort gehört wird.?) Drum haben die
Reute, die ihn kennen, auf ihn das Sprichwort gemacht:
Ein Teufel im Hauſe , und ein Heiliger
draußen. Seine arme Familie erfährt dies auch
wirklidy: er iſt ein ſchrecklicher Geizhals und dazu ein
Polterer, der mit ſolchen Scheltworten über ſein Ges
ſinde her fährt und ſo unvernünftig iſt, daß ſie nicht
wiſſen , was ſie thun oderwagen ſollen . Jedermann,
der Etwas mit ihm zu thun bat, ſagt: man kann beſſer
mit einem Türfen fertig werden,/ wie mit ihm , dein
der würde doch ehrlicher verfahren . Dieſer Geld wäßig
foul womöglich noch ſchlimmer ſein im Betrügen,
Ueberliſten und Uebervortheilen. Daneben erzieht er
. Matth.23,3. 1 Kor.4 , 20. 2 ) Röm.2, 24 .
86

ſeine Söhne ſo, daß ſie gerade in ſeine Fußſtapfen tres


ten , und nimmt er bei einein von ihnen eine alberne
Schüchternheit wahr, denn ſo nennt er das erſte Ers
wadien des Gewiſſens, ſo ſchimpft er ihn einen Nar
ren und Dumnmkopf und will ihm unter keiner Bedingung
eine Beſchäftigung geben oder ihn Andern empfehlen.
Ich glaube für mein Theil, daß er durch ſeinen ſchlech
ten & ebeswandel Manchen zum Straucheln und zum
Fall gebracht hat, und ſo wird er, wenn Gott es nicht
verhütet, noch Mandien in's Verderben bringen .
Getr. Wahrlich, lieber Bruder , ich muß dir
Glauben ſchenken , nicht bloß weil du mir ſagſt , daß
bu den Mann fennſt, ſondern weil du ja aud als ein
Chriſt über ihn geurtheilt haben wirſt. " Ich kann mir
nämlich nicht vorſtellen, daß du aus übler Ábſicht dieſe
Neußerungen gethan , ſondern einzig nur darnm , weil
es ſich wirklich alſo verhält.
Chr. Hätte ich ihn ſo wenig gefannt, wie bu,
würde ich vielleicht bie nämliche Anſicht gehegt hac
ben , die du Anfangs von ihm hatteſt. Ja , hätte ich
dieſes Urtheil bloß von Feinden bes Evangeliums über
ihn gehört, ſo hätte ich daſſelbe für eine Verläumbung
gehalten - denn ſolche müſſen ja die Frommen ofts
mals von den Gottloſen über ſich ergehen laſſen
aber nein , aller dieſer Dinge und noch vieler anderer,
um die ich genau weiß, kann ich ihn überführen. Uebers
dieß ſchämen ſich ſeiner alle frommen Menſchen , und
fönnen ihn weder Bruder, noch Freund heißen ; die ihn
kennen , erröthen ſchon , wem ſie nur ſeinen Namen
nennen hören.
Getr. Nun merke ich wohl , daß Reben und
Thun zwei verſchiedene Dinge ſind, und in Zukunft
werde ich dieſen Unterſchied beſſer beobachten.
Chr. Ja, gewiß ſind es zwei verſchiedene Dinge,
und ſo verſchieden von einander wie Seel und Leib.
Denn wie der Leib ohne die Seele nur ein todter Leich
nam iſt, ſo iſt das Neben ohne das Thun ebenfalls
eiu tobtes Weſen. Die Seele des Chriſtenthums zeigt
87

fich in ber Ausübung deſſelben. Ein reiner und


un befledter Gottesdienſt vor Gott dem Ba
ter iſt der : die Wittwen und Waiſen beſuden
in ihrer Trübfal und ſich von der Welt uns
beflect behalten. ' ) Hieran denkt Geſchwäßig
aber nicht; er meint , daß Fören und Reden ſchon ben
wahren Chriſten ausmachen, und damit betrügt er ſich
ſelbſt. 2) Das Hören iſt weiter Nichts als die Auss
ſaat , und das Reden iſt gar kein Beweis dafür, daß
Frucht im Herzen und Leben ſei. Mögen wir uns
boch ja verſichert halten , daß die Menſchen am Tage
des Gerichts nach ihren Früchten werden gerichtet wer
den . ) Da wird es nicht bloß heißen : „Was habt ihr
geglaubt? " und nicht allein : ,,was habt ihr geredet?"
ſondern auch : ,,was habt ihr gethan ? " und darnach
werden ſie ein Ürtheil empfangen. Das Ende der Welt
wird verglichen mit der Ernte, 4) und du weißt , daß man
in der Ernte nur auf die Frucht ſieht. Das iſt aber
nicht ſo zu verſtehen, als wenn Gott irgend Etwas ge
fallen könnte, das nicht aus dem Glauben fommt, fons
dern ich ſagedies nur deßwegen, um zu beweiſen , wie
es mit dem Bekennen Gefd wäßig's an jenem Tage
Nichts ſein wird.
Getr. Dies erinnert mich an das, was Moſes
von den reinen und unreinen Thieren ſagt : Alles ,
was die Klauen ſpaltet und wiederfäuet uns
ter den Thieren, das ſollt ihr eſſen. Was
aber wiederkäuet und hat Rlauen und ſpals
tet ſie doch nicht -- das iſt auch unrein und
ihr ſollt es nicht eiien ) Der Haſe fäuet wieder,
aber dennoch iſt er unrein , weil er die Klauen nicht
ſpaltet. Und dieſer gleicht wirklich dem Gefd wäßig :
er fäuet wieder , indem er die Renntniß, welche er ges
ſucht und in ſich aufgenommen , durd Worte wieder
von fich gibt, allein er ſpaltet die Klauen nicht, da er
-) 3ak. 1,27. Siehe auch B. 224-26. 2) Hiob 15, 31.
3 ) Matth . 13, 23. 4 ) Matth. 13,30.39. 5) 3 Mof.11,
3. 5 Mof. 14.
88

ſich nicht von dem Wege der Sünder cheidet, ſondern


machts wie der Haſe - den Fuß eines Hundes oder
eines Bären behält er, und deßwegen iſt er unrein.
Chr. Ich glaube, daß bu da den rechten evans
geliſchen Sinn dieſer Stelle angegeben haſt. Ich will
indeſſen noch Etwas hinzufügen . Der Apoſtel Paulus
nennt einige Leute, und namentlich ſolche große Sdwäßer
tönendes Erz und klingende Schellen" ),
bas ſind, wie er an einer andern Stelle jagt, Dinge,
die einen Laut von ſich geben, aber kein Leben haben ),
d. h. Menſchen ohne den wahren Glauben und ohne
die Gnade des Evangeliums, mithin folche, die nie in
das Himmelreich unter die Kinder des Lebens kommen ,
obgleich ihr Klang, nämlich die Reden, die ſie von ſich
geben , wie Engelzungen oder Engelſtimmen tönen .
Getr. Åh, die Freude , welche ich anfangs an
ſeiner Geſellſchaft fand, war nicht ſo groß, als das
Mißbehagen , welches ich jegt daran verſpüre. Wie
ſollen wir's doch anfangen , ſeiner los zu werden ?
Chr. Ich wil's dir ſagen , und wenn du das
thuſt, wirſt du ſehen , daß er deiner Geſellſchaft bald
müde ſein wird, es ſei, daß der Herr ſein Herz rühre
und es umwandle.
Getr. Was ſoll ich denn thun ?
Chr . Laß dich wiederum in ein ernſtes Geſpräch
über die Straft der Gottſeligkeit mit ihm ein, undwenn
er dann mit dir darin einverſtanden iſt, ſo frage ihn
geradezu , ob ſich die Gottſeligkeit auch in ſeinem Her
zen, in ſeinem Hauſe und Wandel finde.
Getr. So ſchritt den Getreu wieder voran und
fragte Geſchwät ig : Nun, was gibt's ? wie geht's ?
Gedw . Schönen Dant! gut. Ich meinte, wir
hätten bereits eine Weile mit einander ſprechen können.
Getr. Wohlan, wenn du Luft haſt, wollen wir's
nun thun. Und da du es mir frei geſtellt haſt , den
Gegenſtand unſerer Unterredung anzugeben, ſo laß mich
) 1 Kor. 13, 1--3. – ?) 1 Kor. 14, 7.
89

fragen : Wie offenbart fich das Werk der ſeligmachen


ben Gnade Gottes in dem Herzen des Menſchen ?
Geſchw. Ich bemerke, daß unſer Geſpräch von
der Kraft der Dinge handeln ſoll. Nun , die Froge
iſt ſehr gut, und ich bin bereit ſie zu beantworten.
Meine Antwort fou kurz die fein : Wenn die Gnade
Gottes in dem Herzen des Menſchen iſt, ſo bewirkt ſie
erſtlich ein großes Geſchreiwider die Sünde; zwei
tens
Getr. Halt ein ! laß uns Eins nach dem An
dern in Betracht nehmen . Ich ineine, du hätteſt viel
mehr ſagen ſollen : Sie offenbart ſich dadurch , daß
die Seele einen großen Abſcheu vor der Sünde zu ems
pfinden anfängt.
Gedw . Was iſt denn für ein Unterſchied zwis
ichen einem großen Gefchrei wider die Sünde und dem
Abſdheu wider dieſelbe ?
Getr. O , ein ſehr großer. Ein Mann kann
wider die Sünde fchreien aus bloßer Weltflugheit,aber
verabſcheuen kann er ſie nur in der Kraft göttlicher
Femdid ;aft wider dieſelbe. Ich habe Manchen wider
die Sünde ſchreien hören von ber Rangel herab , der
dieſelbe nichts deſto weniger in ſeinem Herzen , in ſei
nem Hauſe und ſeinem Wandel walten ließ. Poti
phar's Weib erhob auch ein lautes Geſchrei, als wenn
fie gar heilig geweſen , und dennoch gelüſtete ſie in
ihrem Herzen, mit Joſeph Unzucht zu treiben .1) An
dere machen es wie eine Mutter, die das Kind auf
ihrem Schooße in dem einen Augenblick für eine häß
liche Unart ausſdhilt, und es im andern an ſich drückt
und füßt.
Geſchw . Du willſt mich fangen, ich merke es wohl.
Getr. Das will ich nicht ; ich will nur die Sache
in's rechte Lidyt ſtellen. Doch welches iſt das zweite
Stück, woran du zeigen wollteſt, daß ſich das Werk
der Gnade an dem Herzen des Menſchen offenbare ?
) 1 M07.39, 12–18.
90

Geſchw. Große Erkenntniß der Geheimniſſe des


Evangeliums.
Getr. Die hätteſt du eigentlich als das erſte
Zeichen nennen ſollen, doch gleichviel, ob zuerſt oder
zulegt, es iſt dennoch falſch. Denn Erkenntniß , ſogar
große Erkenntniſſe des Evangeliums mag Einer haben,
und dennoch fragt ſidy's, ob das Werf der Gnade ſich
in ſeinem Herzen finde. Ja, es kann ein Menſch alle
Erkenntniß beſigen, und doch Nichts ſein , ' ) und folge
lich auch kein Kind Gottes . Wenn Chriſtus ſeine Jün =
ger fragte : ,,Wiſſet ihr alle dieſe Dinge ? "
und ihn ſeine Finger barauf antworteten : Ja, 1.
Herr! " ſo fügte er hinzu : ,, Selig ſeid ihr, jo
ihr es ihut." 2) Nicht das Wiſjen , ſondern das
Thun macht er zur Bedingung ſeines Segens. ES Es
gibt eine Erkenntniß ohne That;' ſo iſt's mit dem
Knechte, der ſeines Herrn Willen weiß , aber
nicht darnach thut . 3) Ein Menſch kann Erkennts
niß wie ein Engel haben , und doch kein Chriſt ſein ;
daher iſt das Kennzeichen , das du angibſt, falſch.
Wahrlich, das Wiſſen gefällt nur den Schwäßern und
Ruhmredigen, aber das Thun gefällt Gott. Ich will
nicht ſagen, daß das Herz ohne Erkenntniß gut ſein
könnte, denn ohne diefelbe iſt es finſter. Aber Ers
kenntniß und Erkenntniß ſind zweierlei Dinge. Es gibt
nämlich eine Erfenntniß, die bei einer bloßen Bes
trachtung der Dinge ſtehen bleibt , und wieder eine arts
dere, welche, mit Glauben und Liebe verbunden , den
Menſchen treibt, daß er von Herzen den Willen Got
tes thut. Mit der erſten Art der Erfenntniß begnügt
ſich der Schwäßer, aber der wahre Chriſt fann fich
ohne die legtere nicht zufrieden geben. Unterweiſe
mich, daß ich bewahre dein Gejet , und halte
es von ganzem Herzen.4).
Geſchw. Du ſuchſt abermals mich zu fangen ;
das dient aber nicht zur Erbauung..
-) 1 Kor. 13, 2.-
2) Joh. 13, 12, 17. CA
3 ) Luk. 12 , 47.
.

*) Pſ.119,34 , 50, 16.17 .


91

Getr. Nun gib, wenn's beliebt, ein anderes Renn


zeichen an , wodurch ſich das Werk der Gnade offenbart.
Geſchw . Ich will es lieber nicht fhun, denn
ich merke wohl, daß wir doch nicht übereinſtimmen.
Getr. Gut , wenn du es nicht thun willſt, ſo
erlaube mir, daß ich es thue.
Geſchw . Das kannſt du machen wie du willſt.
Getr . Das Werk der Gnade in einem Men
Ichen offenbart ſich entweder ihm ſelbſt oder denen, die
um ihn herum ſind. Shm ſelbſt, indem er überzeugt
iſt, von ſeiner Sünde und beſonders von der Berdor
benheit ſeiner Natur und von der Sünde des Unglau
bens, um derentwillen er ſeiner Verdammniß gewiß
iſt, ſofern er nicht Gnade findet bei Gott durch den
Glauben an Jeſum Chriſtum . Dieſe Ueberzeugung und
dieſes Gefühl erwecken Traurigkeit und Scham über
die Sünde in ihm . ) Daneben findet er jedoch den
Heiland der Welt in ſich geoffenbart, ſo wie die un
abweisliche Nothwendigkeit ſich mit ihin feſt zu verbin
den für das ganze Leben . 2) Dadurch aber entſteht
ein Hungern und Dürſten nach Ihm , weldjes die Bere
heißung hat: Selig find , die da hungert und
Dürſtet na die der Gerechtigkeit , denn ſie fols
len ſatt werden. 3) Je nachdem nun ſein Glaube
an ſeinen Heiland ſtark oder ſchwach iſt, verhält es
ſich audy mit ſeiner Freude und ſeinem Frieden , mit
feiner Liebe zur Heiligung , ſo mit ſeinem Eifer Ihn
näher kennen zu lernen und Ihm zu dienen in dieſer
Welt. Allein , obgleich fich's ihm , wie ich ſagte, auf dieſe
Weiſe offenbart, ſo iſt er doch nur ſelten im Stande,
daraus zu ſchließen , daß er in der Snade ſteht, weil
der ſündhafte Zuſtand, worin et fich befindet, ihn leicht
zu einem falſchen Urtheile verleitet. Daher iſt es für
den , in welchem die Gnade wirkſam iſt, durchaus ers
forderlich, daß er zu einem geſunden Urtheile' fomme,
) P1.38, 18. 3er. 31,19. Joh.16,8.Röm . 7, 24. Mark. 16, 16.
Gal. 2 , 16. Offenb. 1, 6 . 2 ) Gal. 1 , 15. 16. 130b. 1, 3 .
$ of.2, 19, 20. — 3 ) Matth.5 , 6 .
92

denn erſt dadurch kann er mit Gewißheit ſchließen, daß


es ein Wert der Gnade ſei. ')
Für Andere gibt es ſich aber zu erkennen :
i) Durch ein auf Erfahrung gegründetes Bes
kenntniß des Glaubens an Chriſtum .
2 ) Durd, einen Wandel, welcher mit bieſem Bes
kenntniß in Einklang ſteht, ich meine nämlich durch ei
nen heiligen Wandel, der ſich als die Frucht ſeines ge
heiligten Herzens nicht nur in ſeinem Familienleben ,
ſondern auch überhaupt im Verkehr mit andern Mens
ichen erweiſet. Dieſe Heiligkeit unterweiſet ihn, inner
lich ſeine Sünden zu verabſcheuten und ſich darum im
Stillen vor Gott zu demüthigen , ſie in ſeiner Familie
zu unterdrücken und ein unſträflich Weſen zu fördern
in dieſer Welt - und das nicht nad Art der Heuch
ler und Schwäßer durd leere Worte, ſondern durch
thatſädliche Unterwerfung unter das Wort Gottes , in
Glauben und Liebe.2) Und nun, haſt du gegen dieſe
kurze Beidyreibung vom Wert der Gnade und die Art
und Weiſe, wie es fid cffenbart, Etwas einzuwenden ,
dann thue es ; wo nicht, ſo erlaube mir, dir eine zweite
Frage vorzulegen.
Gedw . Es iſt ja nidyt meine Sache hier Ein
wendungen zu machen , ſondern nur zuzuhören , darum
laß denn deine zweite Frage kommen.
Getr. Es iſt die: Haſt du den erſten Theil
meiner Beſchreibung an dir ſelbſt erfahren ? Und gibt
dir dein Leben und Wandel Zeugniß davon ? Oder
ſteht dein Chriſtenthum in Worten und auf der Zunge,
aber nicht in der That und in der Wahrheit ? Wiūſt
du mir hierauf Antwort geben , dann bitte ich dich,
ſage doch nur das , worauf Gott im Himmel' Amen
ſpricht, und nur, was du vor deinem Gewiſſen verant
worten fannſt, denn darum iſt Einer nicht tüd .
tig , daß er ſich ſelbſt lobet, ſondern daß ihn
^) Joh.16,9. Gal. 2,15.f. Ap. 4,12. Offenb. 21,6. 2 ) Hiob
42,5.6. P1.50, 23. Heſet. 20,43. Matth.5,8. Joh. 14 , 15 .
Röm . 10, 10. Heſek. 36 ,25. Phil.3, 17—20.
93

der Herr lobet. ') Uebrigens iſt es eine große


Gottloſigkeit zu ſagen: ich bin ſo undſo, während mein
Wandel und alle meine Nadbaren mich Lügen ſtrafen .
Bei dieſen Worten wurde Geſchwäßig erſt ſchams
roth , nahm ſich jedoch gleich wieder zuſammen und
fragte: Nun kommſt du auf die Erfahrung, auf das
Gewiſſen und auf Gott und Berufſt dich dabei auf Gott.
Ich muß dir geſtehen , daß id ſolche Art von Unters
haltung nicht erwartet hätte; doch fühle ich auch keine
Luſt auf derlei Fragen zu antworten, weil ich mich das
zu gar nicht verpflichtet fühle, es ſei denn, du wollteſt
dich zu meinem Magiſter machen , aber thäteſt du das
auch , ſo würde ich dich doch nicht als meinen Richter
anerkennen. Allein, bitte , ſage mir body, warum du
eigentlich ſolche Fragen an mich richteſt ?
Geti. Deßwegen , weil du immer drauf los
ſprachſt, aber ich nicht wußte , ob du nur bloß Worte
machteſt. Uebrigens will ich dir auch gerade herausſa
gen , ich habe vernommen, daß du ein Mann feiſt, deſſen
ganzes Chriſtenthum nur in Worten ſtehe , und daß
dein ganzer Wandel das Bekenntniß deines Mundes
Lügen ſtrafe. Man ſagt, du feieſt ein Scandfleck un
ter den Chriſten und thueſt dem Chriſtenthum großen
Schaden durch dein ungöttliches Leben.' Manchem folift
du ſchon Anſtoß gegeben haben durch dein gottloſes
Weſen und mehrere noch ſeien in Gefahr, dadurch in's
Verderben zu gerathen . Dein Chriſtenthum ſoll ſich
ganz wohl vertragen mit Saufen, Geiz , Wolluſt, mit
Schwören und Lügen, ſo wie mit ſchlechten Geſellſchaf
ten. Auf dich paßt jenes Sprichwort von einer Hure:
,,ſie iſt eine Schande für alle Frauen ." Du biſt
eine Schande für alle wahren Befenner des Evan
geliums.
Geſchw. Da du jo bereit biſt , üblen Gerüchten
Glauben zu ſchenken und du ſo ſchnell den Stab über
mich brichſt, kann ich nur denken , daß ich einen gries
) 2 Cor. 10, 18.
94

grämigen oder melancholiſchen Menſchen vor mir habe,


mit dem man eine Unterhaltung gar nicht anſtellen
kann, und darum Lebe wohl !
Darauf fam Chriſt hinzu und ſagte : Hab' ich
dir nicht geſagt, Bruder , wie es gehen würde ? Deine
Worte und ſeine Lüſte fonnten ſich nicht mit einander
vertragen. Er wollte lieber deine Geſellſchaft daran
geben , als ſein ſündliches Leben ändern. Doch , nun
iſt er abgegangen, wie ich's voraus jagte. So laß ihn
denn gehen . Er ſchadet ſich dadurch nur ſelbſt. Uns
hat er die Unannehmlichkeit erſpart, uns von ſeiner
Seite abzumachen ; denn wäre er geblieben wie er iſt,
und ich fürchte, er wird ſich niemals ändern , ſo wäre
er doch nur ein Schandfleck unſerer Geſellſchaft gewes
fen.
ſen Nun aber ſagt der Apoſtel: Thue dich von
folchen . )
Getr. Aber wie froh bin ich doch, daß wir dieſe
kleine Unterredung mit ihm gehabt haben. Er mag
Doch wohl noch einmal darüber nachdenken. Ich habe
übrigens ohne Rückhalt und offen mit ihm geredet, und
deßhalb bin ich rein von ſeinem Blute , wenn er um
kommen ſollte.)
Chr. Du haſt wohl gethan, daß du ſo unverhoh
len mit ihm geredet; das geſchieht heut zu Tage ſelten ,
und deßwegen iſt die Gottſeligkeit übel berüchtigt.
Solche thörichte Schwäßer, wie jener !, deren ganzes
Chriſtenthumn nur aus hohlen Worten beſteht, und die
dabei einen liederlichen und eitlen Wandel führen, wers
den , leider ſo mandymal, zu den Verſammlungen der
Gläubigen zugelaſſen , wodurch dann die Welt irre ges
macyt , das Chriſtenthum geſchändet uud die Aufrichti
gen betrübt werden. Ich wollte nur, daß Federes
mit dergleidyen Leuten ſo machte , wie du , dann wür
den ſie entweder in wahre Chriſten umgewandelt, oder
der Umgang mit den Kindern Gottes ihnen unerträg
lich werden. Fröhlich ſtimmte hierauf Chriſt an :
) 1 Tim.6,5. 2 Tim . 3,5. 2 Kor.6,17. 2) Apgich. 20,26,27
95

Wie Bob Geld wapig erft ſein ftolz Gefieder,


Wie floß ſein Wort ! , 30 fämpfe Ades nieder ! "
Dacht' er. Doch alſobald ihm ſprach Getreu
Vom Werk der Gnaden, wie's im Herzen fei
Da ſchwand der Sdwäßer hin wie bloßer Mondenſchein,
Denn wo die Gnade wirkt, da muß des Glaubens Frucht
auch ſein .

Zwölftes Kapitel.
Pilger finden einen treuen Freund wieder.
Die beiden Pilger gingen nun unter lieblichen Ges
ſprächen über das, was ſie unterweges geſehen , ihre
Straße weiter. Auf dieſe Weiſe wurde ihnen der Weg
leicht, der ihnen ſonſt, da er durch eine Wildniß ging,
beſchwerlich geworden wäre.
Als ſie nun beinahe durch dieſelbe hindurch waren ,
wandte Getreu ſeinen Blick um und ſah Jemanden
hinter ihnen berfommen , den er wohl fannte. D, ſagte
Getreu zu ſeinem Bruder, wer kommt dort ? Da
blickte Chriſt hin und ſprach : Das iſt mein guter
Freund Evangeliſt. Ja, auch mein guter Freund,
ſagte Getreu , denn er war es , der mich auf den 3
Weg zur Pforte führte. Während deß war Evange
liſt zu ihnen gekommen und grüßte ſie.
Evang. Friede ſei mit euch, Herzlicigeliebte,
und Friede ſei mit euren Helfern ! )
Chr. Wiltfommen ! Willkommen , lieber Evanges
liſt! Der Anblick deines Geſichts erinnert mich an
deine frühere Gewogenheit und deine unermüdlichen
Anſtrengungen um meines ewigen Heiles willen.
Getr. Und tauſendmal willfommen , o ſüßer
Evangeliſt! Wie erwünſcht iſt deine Geſellſchaft uns
armen Pilgern !
Evang. Wie iſt's euch dann ergangen , liebe
Freunde, feit unſerm letzten Abidjiede ? Was iſt euch
Alles begegnet und wie habt ihr euch dabei verhalten ?
!
- ) 1 Chron . 13, 18 8
415.
96

Chriſt und Getreu erzählten ihm nun Alles,


was ihnen auf dem Wege begegnet war, und wie und
unter welchen Beſchwerden fie bis hierhin gefommen.
Recht fehr freue ich mid ), ſagte darauf Evangeliſt, nicht
daß ihr in ſo vielen Anfechtungen geweſen , ſondern
daß ihr ſie überwunden habt, und daß ihr ungeachtet
ſo mancher Sdwachheit, doch bis jest beſtändig auf
dieſem Wege geblieben ſeid. Ja , recht froh bin ich
darüber um meinet - und auch euretwillen. Ich habe
gejäet und ihr habt geerntet , und es kommt der Tag,
Ďaß ſich mit einander freuen , der da jäet
und der da ſchneidet ) wenn ihr anders
beharret bis an das Ende 2) , denn zu ſei
ner Zeit werdet ihr ernten , jo ihr nicht
müde werdet. ?) Es wird auch vorgehalten die
Krone , welche unvergänglich iſt, laufet nun
alſo , daß ihr ſie ergreifet.4) Etliche ergeben ſich
auf den Weg , um dieſe Krone zu erlangen , und nach
dem ſie ſchon weit gekommen , madit ſich ein Anderer
hinter ihnen drein und nimmt ihnen dieſelbe hinweg,
barum haltet , was ihr habt , daß Niemand
eure frone nehme. 5) Noch können die Pfeile des
Satans euch erreichen , ihr habt noch nicht bis
aufs Blut widerſtanden über dem Kämpfen
wiber die Sünde. Habet das Reich immerbar
vor Augen und ſtehet feſt im Glauben , indem ihr nicht
fehet auf das Sichtbare, ſondern auf das Unſichtbare.
Laſſet Nichts, was von dieſer Welt iſt, bei euch Eingang
finden. Vor allen Dingen aber habet wohl' Acht auf
euer eigenes Herz und auf ſeine Lüſte und Begierden,
denn das Herz iſt ein tropiges und verzagtes
Ding. ) Madyet euer Ångeſicht als einen
Kieſelſtein , 8) alle Gewalt im Himmel und auf Ers
ben habt ihr auf eure Seite.

) Joh . 4, 36. ?) Matth. 10, 22. 3 ) Gal. 6, 9 .


4) 1 Kor.9,24-27. 5) . Offenb.3, 11 . -

6 ) Hebr. 12,4 .
Serem. 17,9. 8 ) Jef.50,7.
97

Ghrift dankte ihn hierauf für feine Ermahnung


und fügte dann hinzu , wie ſehr ſie es wünſchten , daß
er ihnen noch auf dem übrigen Wege zuſprechen und
behülflich ſein möge , und das um io mehr , weil ſie
wohl wüßten, daß er ein Prophet wäre. Er könne
ihnen deßwegen audy ſagen, was ihnen begegnen werde,
und wie ſie Widerſtand thun und obſiegen könnten.
Getreu ſtiinmte in dieſe Bitte ein, und mun erivic
derte Evangeliſt darauf.
Evang. Meine lieben Söhne, ihr wißt aus dem
Worte der Wahrheit des Frangeliums, daß ihr durdy
viel Trübſal in das Reich Gottes eingehen
müſjet, ) und daß aller Orten Bande und
Trübjal eurer warten : 2) Daher fönnt ihr nidit
erwarten, daß ihr auf eurer Pilgrimſchaft lange daher
geht, ohne Solches auf die eine oder die andere Weiſe
zu erfahren . Einiges habt ihr bereits von der Wahr
heit dieſer Ausſprüde an euch ſelbſt erlebt und bald
werdet ihrs noch mehr. Ihr ſehet nämlich , daß ihr
bald durch dieſe Wüſte hindurch ſeid , dann wer
det ihr in eine Stadt kommen, die ihr in Kurzem ' vor
Euch werdet liegen ſehen . In dieſer Stadt werdet ihr
einen harten Angriff von Feinden erfahren, und ſie wers
den das Neußerſte aufbieten, um euch zu tödten. Nun
ſeid deſſen verſichert, daß Einer von Eudy, vielleicht ihr
Beide, das Zeugniß, woran ihr haltet, mit dem Blute
verſiegeln muß , aber feid getreu bis in den Tod ,
ſo wird der König euch die Krone des Lebens
geben . ) Derjenige von euch, welcher dort ſterben
muß , wird obgleich ſein Tod kein natürlicher und
feine Qualen vielleidt groß ſein werden - doch beſſer
baran ſein, als der Andere: nicht nur um deßwillen,
daß er eher in der himmlijden Stadt anlangt als fein
Gefährte,ſondern weil er auch vielen Mühſeligkeiten entgeht,
die den andern auf ſeiner weitern Walifahrt treffen wer
den . Wenn ihr aber zu der Stadt gekommen ſeid und ihr
') Apold . 14, 22. -' 2) Apgich. 20,23. *) Offenb. 2, 10.
g*
98
1

erfüllt ſehen werdet, was ich euch zuvor geſagt , dann


gedenket eures Freundes , und ſeid männlich und
ſtart und befehlet eure Seelen Gott , als dem
treuen Schöpfer in gufen Werfen. )

Dreizehntes Kapitel.
Die Pilger in der Stadt Eitelkeit.
Darauf bemerkte ich in meinem Traume, daß ſo
bald ſie die Wildniß hinter ſich hatten, eine Stadt vor
ihren Augen lag , mit Namen Eitelkeit. In derſel
ben wird ein Jahrmarkt gehalten, welcher der Eitel
teitsmarkt heißt. Er dauert das ganze Jahr lang.
Er wird aber darum Eitelkeitsmarft genannt, weil
die Stadt, wo er gehalten wird, ideniger wiegt, denn
Nichts, ?) , und weil Alles , was dort zum Verkaufe
ausgeboten wird, oder dorthin kommt, eitel iſt, wie der
Prediger ſpricht: Es iſt Alles ganz eitel. ) Dies
fer Markt iſt nicht erſt in neuerer Zeit eingerichtet
worden, ſondern beſteht ſchon von Alters her. Ich will
Etwas von der Entſtehung deſſelben hier erzählen.
Schon vor ungefähr fünftauſend Jahren gab es
Pilgrime, die zu der himmliſchen Stadt wanderten,
gleich dieſen beiden redlichen Männern . Da nun Beela
zebub , Apollyon und Legion mit ihren Genoſſen
an dem Pfade, den die Pilger gingen , es merkten , daß
ihr Weg nach Zion durch die Stadt Eitelkeit führe,
ſo famen ſie auf den Gedanken, hier einen Jahrmarkt
zu veranſtalten , wo alle Arten von Tand das ganze
Jahr hindurch feil geboten werden ſollten. So kann
man denn dort faufen : Häuſer, Ländereien, Gewerbe,
Anſtellungen , Würden , Beförderungen ,Titel, Landſchaften,
Königreiche, Luſtbarkeiten , Bergnügungen und Ergöglich
keiten aller Art, wie z. B. Luſtdirnen , Weiber, Gatten,
`) 1 Kor. 16, 13. 1 Petr. 4, 19. 2) PF. 62, 10. 3) Pred.
1,2. 2, 11-17 . Jef.40,17 .
99

Rinder, Herrſchaften, Dienſtboten, Leben , Blut, Leiber ,


Seelen, Silber, Gold, Perlen, Edelſteine und wer weiß
was Alles noch ! Ueberbies ſind auf dieſem Marfte
zu jeder Zeit zu ſehen : Gaufler, Betrüger, Boſſen
und Glücksſpiele, Narren, Affen, Schelme und Schur
ken und das von aller Art.
Auch kann man hier, und zwar umſonſt noch ſehen :
Diebereien , Mordthaten , Ehebruc), Meineide, ſämmt
lich von rother Farbe.
Und wie es auf andern Märkten , von geringerer
Bedeutung , verſchiedene Straßen und Saſſen von bes
ſondern Namen gibt, wo dieſe oder jene Waaren zum
Berkauf ausgeboten werden - ſo jo findet man auch hier
beſondere Pläge, Straßen und Galſen (nämlich Länder
und Reiche ), wo die Waaren dieſes Marktes auf's
Schnellſte zu finden ſind. Hier gibt's eine engliſche,
eine franzöjiſche, eineitaliäniſche, eine ſpaniſche und eine
deutſche Gaſſe, in deren jeder man die beſondern Sors
ten der verſchiedenen Eitelkeiten kaufen kann. Wie aber
auf andern Märkten gewöhnlich ein Artikel Hauptſächlich
Abgang findet, ſo warb hier eine Zeitlang die Waare
aus Rom am meiſten geſucht, während gegenwärtig die
franzöſiſchen Artikel vorzüglich in Aufnahme gekoms
men ſind.
Nun, wie ich vorhin bemerkte, führt der Weg zur
himmliſchen Stadt mitten durch den Ort, wo dieſer
Luſtige Jahrmarkt gehalten wird. Wer aber zur himm
liſchen Stadt und hier doch nicht hindurchziehen wollte,
der müßte die Welt räumen. ) Als der König
aller Königehienieden war , ging er ſelbſt durch
dieſe Stadt zu ſeinem eigenen Lande hin , und zwar
gerade auch an einem Markttage. Und Beelzebub,
der Herr des Marktes, lub ihn, ſo viel ich mich erins
gere, ein , von ſeinen Gitelkeiten zu kaufen ; 'ja er würde
ihn zum Herrn des Marktes gemacht haben , wenn er
ihm nur ſeine Fuldigung dargebracht hätte, als er burd
) 1 Kor.5, 10.
100

den Ort fam . Und weil Beelzebub eine Perſon von


hohem Anſehen in ihm erkannte, führte er ihn von eis
ner Straße in die andere und zeigte ihn in wenigen
Augenblicken alle Reiche der Welt , daß er , wo mögs
lich, den Hochgelobten verlocke, auf ſeine Eitelkeiten zu
bieten und ſie zu erhandeln. Aber er hatte keinen Ges
fallen an der Waare, und verließ daher dieſen Drt,
ohne auch nur einen Heller für dieſe Eitelkeiten aus
zulegen ..') Dieſer Markt beſteht alſo feit uralter Zeit
und iſt ungeheuer groß.
So , mußten denn, wie geſagt , auch unſere Pilger
nothwendigerweiſe über dieſen Marft 'kommen. Und
ſo geſchah es denn aud . Saum hatten ſie aber einen
Fuß auf den Markt geſett , als alle Leute in Bewe
gung geriethen , ja es war, als wenn die ganze Stadt
ihretwegen in Aufruhr gefommen wäre, und zwar aus
mehreren Urſachen; denn
1 ) die Pilger trugen ein Gewand, wie ſonſt Reis
ner von allen Marktleuten eins anhatte; ſie wurden
daher mit großen Augen von ihnen angeſehen.2) Einige
jagten : es ſind Narren , Andere: es ſind Tollhäusler
und nod) Andere : es ſind Ausländer ") únd
2) wie ihnen ihr ganzer Aufzug wunderlich vors
kam , ſo war es daſſelbemit ihrer Sprade; nur We
nige verſtanden, was ſie ſagten. Sie redeten natürlich
die Sprache Kanaans, aber die, welche den Markt hiel
ten, waren Kinder dieſer Welt. Und ſo kam es denn,
daß ſie von einem Ende des Marktes bis zum andern
fid ganz fremd und unverſtändlich waren .
3) Was aber die Handelsleutenicht wenig befrem
dete, war, daß dieſe Pilgrime ſich aus all ihren Waas
ren gar Nichts machten . Es lag ihnen ſo wenig daran,
daß ſie dieſelben nicht einmal in Augenſchein nahmen,
und wenn man ihnen zurief, Etwas zu kaufen, ſo hiels
ten ſie ſich die Ohren zu und beteten : laß mich nicht

) Matth. 4, 1--11 . Luk. 4, 5--8. 2) Hebr. 10, 33 .


*) 1 Kor.4,9. 10. Hiob 12, 1. 1 Joh.3, i. - ) 1 Kor. 14,11.
‫‪.‬م‬

‫الرمال‬

‫بود به با‬
‫‪ ,‬ܐ‪; .‬‬
101

dem Eiteln nach weichen , ') und blickten in die


Höhe , um anzuzeigen, daß ihr Handel und Wandel
im Himmel ſei.?)
Da ſagte Einer , der das Benehmen der Pilger
anſah, zu ihnen : Was wollt ihr faufen, ihr Reute ?"
Sie aber blickten ihn ernſtlich an und ſprachen: Wir
kaufen Wahrheit. ) Durch dieſe Antwort fand man
fich beranlaßt, die Pilger noch mehr zu mißachten. Ei
nige ſpotteten dieſelben aus , Andere beſchimpften ſie,
wieder andere machten ihnen grobe Vorwürfe und Et
liche ſuchten Leute aufzureizen , um die Pilger durch
Schläge zu mißhandeln . Endlich kam es zu einem Aufs
ſtande und großen Tumult auf dem Markte, ſo daß
Alles drunter und drüber ging. Alsbald warb dem
Herrn des Marktes davon Kunde gebracht ; dieſer eilte
herbei undbeauftragte einige ſeiner vertrauteſten Freunde
damit, die Männer, welche den Markt ſo zu ſagen um
geworfen hatten, zur Unterſuchung zu ziehen.Aufdieſe
Weiſe kamen die Pilger dann in's Verhör. Die Rich
ter fragten fie: woher ſie fämen ? wohin ſie wollten
und was ſie in dem ſeltſamen Anzuge hier vorhätten ?
Die beiden Männer jagten : Wir ſind Gäſte und Fremds
linge auf Erben und wollen in unſere Heimath, welche
iſt das himmliſche Jeruſalem . 4) Wir haben weder eis
nem Bewohner dieſes Ortes , noch auch den Sandels
leuten auf dem Markte irgend etwas gethan, das ſie
veranlaſſen fönnte, uns ſo zu mißhandeln und uns aufe
zuhalten auf unſerer Reiſe, es müßte denn ſein, daß
.

ſie ſich darum beleidigt gefühlt hätten , daß wir, wenn


man uns fragte, was wir kaufen wollten , zur Antwort
gaben : wir wollen die Wahrheit kaufen . Diejenigen
aber, welche zu ihrem Verhörbeſtellt waren,glaubten
nicht anders, als daß ſie Tollhäusler und Berrückte
ſeien , oder daß ſie nur hierher gekommen , um Alles
auf dem Markte in Verwirrung zu bringen. Darum

-) 1 Sam. 12, 21. 2) Philipp. 3, 20. 21. 5 ) Sprüch.


23,23. - Debr. 11 , 13-16 .
102

nahmen ſie dieſelben und ſchlugen ſie und bewarfen ſie


mit Koth. Darauf ſperrte man ſie in einen Käfig,
daß ſie allen Leuten, die auf dem Markte waren , zum
Schanſpiel ſein ſollten. Hier lagen ſie nun eine Zeits
lang und dienten Jedermann, um an ihnen ſeinen Spott,
feine Bosheit oder ſeine Rache auszulaſſen. Der Großs
herr des Marktes lacyte aber obendrein über alles,
was man ihnen anthat. Allein da die Pilger ſich ge
tuldig erwieſen und nicht Sdeltwort mit Scelta
wort vergalten , ſondern dagegen jegneten , ' ) I

und da ſie böſe Worte mit guten , und erlittenes lins


redyt mit Freundlichkeit erwiederten : ſo fingen doch Eins
zelne auf dem Markte, die etwas genauer zuſahen und
mehr vorurtheilsfrei waren , an , den Pöbel wegen
der fortwährenden Mißhandlungen , die ſie den Mäns
nern anthaten , auszuſchelten und dem lofen Treibent
Einhalt zu thun. Aber nun wandte ſich der Zorn des
Pöbels auch gegen dieſe Beſſerdenfenden. Dian rief :
„ihr ſeid ebenſo nichtsnützig,wie die Beiben im Käfig,
ihr ſcheint mit ihnen zu balten und man ſollte es euch
daher gerade machen wie ihnen !"
Hierauf fagten die andern : „ ſo viel wir ſehen
können, ſind dieſe Leute ruhig und nüchtern und wol
len Niemandem etwas Leides thun. Auf unſerm Markte
aber gibt es Viele, die es eher verdient hätten, in den
Käfig geſteckt, ja an den Pranger geſtellt zu werden ,
als dieſe Männer, die ihr ſo miſhandelt." Nachdem
man ſich ſo auf beiden Seiten mit Worten geſtritten
(während die Pilger ſich flüglid und bedächtiglich hiel
ten ), wurden die Streitenden handgemein , ſo daß es
endlich zu blutigen Händeln fam. Nun wurden die beiden
armen Männer wieder , vor ihre Richter gebracht und von
denſelben für duldig erklärt, den Aufruhr auf dem
Markte angeſtiftet zu haben. Nachdem man ſie dar
nach geſchlagen und in Ketten gelegt , führte man ſie
den Markt auf und ab , damit andere durch das Beis
1 Petr.3,9.
103

14
ſpiel abgeſchredt würden und Reiner Etwas zu ihren
Gunſten jagen oder ſich ihnen anſchließen möchte.
Chriſt und Getreu benahmen ſich aber nur immer
vorſichtiger und nalmen die Sdmad und Schande, die
man ihnen anthat, init ſo viel Sanftmuth und Geduld
hin, daß ſie dadurch Mehrere von den Marktſeuten, wenn
auch nur Wenige im Verhältniſſe zu den Uebrigen, für
fich gewannen. Dadurch ward jedoch die Gegenpartei in
nochgrößereWuth verſetzt undzwar bis zu dem Grade,
daß ſie den Beſchluß faßten, die beiden Männer umzus
bringen . Daher drohten ſie ihnen : „ da weder 'Käfig
noch Ketten euch auf andere Gedanken gebracht, ſo ſollt
ihr des Todes ſterben , wegen des Schadens , den ihr
angerichtet, und weil ihr die Marftleute verſpottet habt !"
Hiernach wurden ſie bis auf weitere Ordre in den
Käfig zurückbefohlen. So ſperrte man ſie denn in dent
felben wieder ein imd legte ihre Füße in den Stoc. ')
Als ſie nun vereinjamt da iaßen , erinnerten ſie
ſich daran , wie ihnen ihr treuer Freund Evangeliſt
geſagt, was ihnen begegnen werde, und wurden dadurch
noch mehr geſtärkt, daß ſie ausharreten auf ihrem Wege
und in ihrer Trübſal. " Uud tröſteten ſie einander das
mit, daß derjenige der glücklichſte ſein würde, welchen
das Todesloos“ träfe. Und ſo wünſchte Jeder von ihnen
im Stillen , daß ihm dieſer Vorzug zu Theil werden
möge. Indem ſie ſich aber dem anheimſtellten, der alle
Dinge weislich lenkt und ordnet , hielten ſie ganz zur
frieden aus in der Lage , worin Pie waren , bis etwas
Anderes über ſie verhängt werde.
Als nun eine gelegene Zeit zu ihrem Verhör ge
kommen war , wurden ſie vor's Gericht geführt , um
ihr Urtheil zu empfangen. Hier ſtanden ſie vor ihren
Feinden und Anklägern. Der Name des Riđiters war
Herr von Haſſegut. Die Anklage war in der Haupt
ſache die nämlichewie früher, und nur etwas anders
ausgedrückt. Sie lautete alſo :
*) Apgeld . 16 , 24 .
104

Ihr ſeid Feinde und Zerſtörer unſeres Handels;


ihr habt Aufruhr und Zwieſpalt in der Stadt angerichs
tét und überdem habt ihr Anhänger eurer höchſt ges?
fährlichen Grundfäße, zur Verachtung der Geſege unſes
/

res Fürſten , für euch gewonnen . ')


Darauf verantwortete fich Getreu , indem er
ſprach: „ Ich habe mich nur geſeßt gegen das , was
fich gegen Den ſegt, welcher der Allerhöchſte iſt. Was
aber den Aufſtand angeht, ſo habe ich denſelben nicht
veranlaßt, denn ich ſelbſt bin ein Mann des Friedens.
Anhänger haben wir darum gewonnen , weil es Leute
unter euchgibt, die eingeſehen haben, daß wirMänner
von Wahrheit und Unſträflichkeit ſind, und ſo haben
denn unſere Anhänger weiter nichts gethan, als daß fie
ſich vom Schlechten zum Guten gewandt. Was ſchließ
lich den König betrifft, von dem ihr redet, ſo kann ich
ihm und all ſeinen Engeln nur Verachtung und Trog
bieten , denn es iſt Beelzebub , der Widerſacher un
ſeres Herrn .“
Darauf wurde ein Ausruf verordnet, daß Jeder,
welcher Etwas zu Gunſten ihres Herrn und Königs
wider den Gefangenen vor den Schranken vorzubrins
gen habe, ſofort erſcheinen und Zeugniß ablegen ſolle.
Hierauf fanden ſich drei Zeugen ein , mit Namen Neid ,
Åberglaube und Krie cher. És ward ihnen die
Frage vorgelegt: ob ſie den Gefangenen vor den Schran
ten fännten ? und was ſie für den König, ihren Herrn,
gegen ihn zu ſagen hätten ?
Da trat zuerſt Neid vor und ſprach : Mein Herr
Richter , ich habe dieſen Mann ſchon lange gekannt und
will auf meinen Eid vor dieſem hochachtbaren Gericht
ausſagen , daß er -
Richter. Halt! laſſet ihn erſt den Eid ablegen.
So nahmen ſie ihm denn den Eid ab. Darauf jagte
Neid : Herr Richter , dieſer Mann iſt ungeachtet ſeis
nes ſchönen Namens einer der ſchlechteſten Menſchen in
Apg. 19, 24.ff. Rap.24 .
105

unſerm Lande. Er fragt weder nach Fürſt, noch Volt,


weder nach Geſeß , noch Sitte; er bietet aber alles auf,
was er fann , um Jedermann für ſeine geſekwidrige
Meinungen zu gewinnen und nennt dieſelben dieGrunds
fäßedes Glaubens undder Heiligkeit. Namentlich habe
idh ihn einmal ſelbſt behaupten hören, daß das Chriſtens
thum und die Sitten unſerer Stadt Eitelkeit in ge
radem Widerſpruch gegen einander ſtänden, und daß ſie
ſich nun und nimmermehr vereinigen ließen. Indem er
aber ſo ſpricht, Herr Richter, verdammt er nicht allein
all unſere löblichen Handlungen, ſondern auch uns ſelbſt,
die wir ſie ausüben .
Da fragte ihn der Midyter: „Haſt du ſonſt noch
etwas zu ſagen ? "
Neid. Herr, ich könnte noch viel mehr ſagen,
ich fürchte jedoch dem Gericht dadurch läſtig zu werben.
Sollte es aber nöthig ſein, ſo werde ich, wenn die an
Bern Herren ihr Zeugniß abgegeben , und noch Etwas
zu ſeiner Verurtheilung hinzufommen müßte, mein Zeugs
niß gegen ihn noch vervollſtändigen. So ward er nun
geheißen , abzutreten.
Darauf wurde A berglaube hereingerufen. Es
ward ihm befohlen , den Gefangenen vor den Schrans
fen anzuſehen. Auch er ward gefragt, was er wider
benſelben für ihren Herrn , den König , vorzubringen
habe. Nadidem er vereidet worden, begann er folgens
bermaßen :
Herr Richter, ich ſtehe in keiner genauen Bes
kanntſchaft mit dieſem Manne und begehre audh nicht
etwas Näheres von ihm zu erfahren. Das weiß ich
jedoch aus einer Unterredung, die ich in dieſen Tagen
in unſerer Stadt mit ihm hatte, daß er ein höchſt ge
fährlider Menſch iſt; denn er ſagte mir gerade heraus,
daß unſere Religion nicht tauge und von der Art wäre,
daß ein Menſch dadurch Gott durchaus nicht gefallen
könne. Was aus ſoldien Reden folgt , wiſſen Eure
Gnaden ſehr wohl, nämlich , daß unſer ganzer Gottes
dienſt vergeblich, daß wir noch in unſern Sünden ſind
106

und daß wir endlid verbanmt werden . Das iſt es ,


0
was ich zu zeugen habe.“
Hiernach wurde riecher zum Eide gelaſſen und
dann geheißen , zu ſagen , was er zu Gunſten ihres
Herrn , des Königs , gegen den Gefangenen vor den
Sdranken zu erklären habe.
Kriecher. ,, Edler Richter und berehrter Herr !
Dieſen Kerl habe ich ſchon ſeit langeher gefannt und
habe ihn Dinge ſagen hören , die man nicht ausſprechen
ſollte. Er hatſidynämlich Schmähungen über unſern edlen
Fürſten Beelzebub erlaubt und ſich auf verächtliche
Weiſe ausgelaſſen über ſeine ehrenwerthe Freunde, als da
ſind: Herr Altermenid , Herr Fleiſchesluſt, Herr
Ueppig , Herr Nuhmſudt, der liebe alte Herr ún
zucht , der ehrenwerthe Herr Habgier und wie die
übrigen Vornehmen unſerer Stadt heißen mögen. Das
bei bemerkte er, daß wenn es möglich wäre, allen Leu
ten ſeine Anſichten beizubringen, kein Einziger von die
ſen Edelieuten länger in dieſer Stadt verbleiben ſollte.
Uebrigens madyte er ſich Nichts daraus, auch Euch, die
ihr gegenwärtig zum Richter über ihn verordnet " ſeid ,
zu beſchimpfen , indem er euch einen gottloſen Schurken
hieß und noch mit andern Schimpfnamen belegte, und
ebenſo machte er’s den übrigen angeſehenſten und vor
nehmſten Perſonen unſerer Stadt. "
Als Kriecher ſeine Ausſage vollendet, wandte
ſich der Richteran den Gefangenen vor den Schranken
und ſpracy: Du Abtrünniger , du Ketzer und Vers
räther, haſt du gehört , was dieſe redlichen Herren wi
der dich gezeugt haben ? "
Getreu. İſts erlaubt, einige Worte zu meiner
Vertheidigung zu ſagen ?
Nidhter. Sert ! du biſt nicht werth, daß du län
ger lebeſt, ſondern auf der Stelle hingerichtet werdeſt.
Damit aber Jedermann unſere Leutſeligkeit gegen dich
erkennen möge, laß hören , was du zu ſagen haſt.
Getr. So erwidere ich denn erſtlich auf das,
was Herr Neid erflärt hat : Niemals habe ich etwas
107

Anberes geſagt als Folgendes : wenn eine Vorſchrift,


oder ein Geſetz, oder eine Sitte, oder ein Volk gegen
Gottes Wort ſtreite , ſo wäre es dem Chriſtenthum
gradezu entgegen. Habe ich darin geirrt, fo überweiſe
man mich meines Srrthums und ich bin bereit, meinen
Irrthum ſofort vor euch zu widerrufen .
Was aber zweitens das Zeugniß des Herrn
Aberglaube wider mich anlangt, ſo habe ich nur bes
Hauptet, daß zum rechten Gottesdienſte ein göttlicher
Glaube erforderlich ſei, nun fann es aber einen ſolden
Glauben nicht geben ohne eine göttliche Offenbarung des
Willens-Gottes . Was aber in den Gottesdienſt hinein
gedrängt worden und nicht mit der göttlichen Offenbas
rung übereinſtimmt, kann nur aus menſchlichem , ſelbſt
erwähltem Glauben kommen , und ein folcher Glaube
kann unmöglich nüße ſein zum ewigen Leben .
· In Bezug auf die Ausſage des Herrn Foriecher
endlid ſage ich , ohne jedoch zu wiederholen , was er
von Schmähungen und dergleichen bemerkt : Der Fürſt
dieſer Stadt mit bem ganzen Geſchmeiß , nämlich der
ganzen Umgebung , die dieſer Herr namhaft gemacht,
paſſen beſſer für die Hölle, als für dieſe Stadt und
dieſes Land. Und ſo ſei mir denn Gott , der Herr,
gnädig !
Darauf fagte der Richter zu den Geſchworenen,
welche die ganze Zeit über dageſtanden hatten, um Alles zu
hören und zu überlegen : Meine Herren Geldworenen ,
Sie ſehen da den Menſchen, unt deß willen ein fo
großer Aufruhr in dieſer Stadt entſtanden iſt: audy ha
ben Sie vernommen, was dieſe ehrbaren Herren gegen
ihn gezeugt haben , und ebenſo haben Sie ſeine Ent
gegnung und ſein Geſtändniß gehört. Es liegt nun in
Ihren Händen, ihn zum Tode zu verurtheilen , oder
frei zu ſprechen. Indeſſen will ich Sie noch insbeſons
bere auf die Beſtimmungen des Gefeßes hinweiſen :
In den Zeiten Pharao's des Großen, des Die
ners unſeres Fürſten , ward ein Geſetz erlaſſen, welches
alſo lautet: Damit die Zahl derjenigen Menſden , weldje
108

fich zu einer Religion bekennen, die der Religion des


Königs entgegenſteht, ſich nicht zu ſehr vermehre , und
dieſelben dem Könige nicht zu mächtig werden , ſollen
ihre Knäblein in's Waſſer geworfen werden . ') Ebenſo
warb ein Geſet erlaſſen in den Tagen Nebukadnes
zar's , des Großen, eines andern Dieners unſeres Fürs
ſten, daß Jeglicher, der nicht vor ihm niederfallen und
fein goldenes Bild anbeten werde , in den glühenden
Ofen geworfen werden ſolle.2). Desgleichen erſchien
ein Geſetz in den Tagen des Königes Darius, daß
derjenige, welcher für eine beſtimmte Zeit Etwas .bitten
werde von irgend einem Gott, ohne von ihm allein,
{ olle zu den Löwen in den Graben geworfen werden . )
Nun aber, fuhr der Richter fort, hat dieſer Rebell wis
der den Sinn dieſer Gefeße gehandelt, nicht nur in
Gedanken , welches ſchon nicht zu dulden iſt, ſondern
auch mit Wort und That, was durchaus nicht geſtattet
werden darf.
Was das Geſetz Pharao's anlangt, ſo ward
daſſelbe bloß aufVermuthung hin gegeben, um dadurch
einem Unheil vorzubeugen , während die That eines
Verbrechens noch nicht vorlag. Was aber das zweite
und dritte Geſet betrifft, ſo ſehen Sie, daß dieſer Mann
gegen unſere Religion ſtreitet, und endlich hat er wegen
des Hochverraths , den er eingeſtanden , den Tod vers
dient.
Darauf zogen ſich die Geſchworenen zurück : Es
waren dieHerren : Blindmann , Nichtgut, B08
heit , Worluft , 3 udt108, Starrkopf, Hochmuth ,
/

Feindichaft, fügner, Grauſam , Richthajſer


und unverföhnlich. Jeder von ihnen gab ſein Guts
achten gegen den Verklagten beſonders, ab und darauf
beſchloſſen ſie einſtimmig , vor dem Richter das „ Shul
dig" über ihn auszuſprechen . Zuerſt trat der Vor
ſigende, Herr Blindmann , vor und ſprach : „ ich ſehe
deutlich ein, daß dieſer Mann ein Keter iſt.“ Darnach
) 2M0ſ.1,22 . - 2) Dan.3, 6. 3) Dan.6,7.
109

Herr Nichtgut: ,, Aus der Welt mit ſolch einem


Kerl !" Herr Bosheit: „Recht fo ! denn ſchon der
Anblick des Menſchen iſt mir unerträglich ! " Herr
Wolluſt: „ Ich habe ihn niemals leiden mögen ! "
Herr 3 udytios. Es geht mir ebenſo , denn er hat
1

immer über meine Wege das Verbammungsurtheil aus


geſprochen !" Herr Starrkopf : ,,An den Salgen
mit ihm ! an den Galgen !" Herr Hochmuth: Es 11

iſt ein elender Schuft." Herr Feindſchaft: Mein


Innerſtes empört ſich gegen ihn ! " Herr Lügner :
11 Es iſt ein Schurke!" Herr Graujam : „Für ,, ben
Galgen iſt er zu ſchlecht !" " Herr lichthaffer: ,,Laſſet
uns nur machen, daß er aus dem Wege geſchafft wird ! "
Herr Unverſöhnlich : Wenn mir einer die ganze
11

Welt gäbe, ſo fönnte ich mich nicht mit ihm ausföhnen:


barum laſſet ihn uns nur ohne weitere Umſtände zum
Tode verurtheilen."
Wie geſagt, jo gethan. Getreu ward ſofort ver
urtheilt, von dem Plate, wo er war, wieder dahin ge
ſchleppt zu werden , von wo er gefommen , um dort
unter den furchtbarſten Dualen ben Tod zu erleiden .
Deßhalb brachten ſie ihn hinaus , um nach ihrem
Gefeße mit ihm zu verfahren. So wurde er denn zu
erſt von ihnen gegeißelt , dann mit Fäuſten geſchlagen
und hierauf ſein Fleiſch mit Meſſern durchſtochen ;
barnach ſteinigten ſie ihn, durchbohrten ihn mit ihren
Schwertern und verbrannten ſeinen Leichnam endlich
auf dem Scheiterhaufen. So kam Getreu zu ſeinem
Ende.
Hinter dem Volkshaufen ſah ich aber einen Wa
gen mit 2 Pferden beſpannt ſtehen. Derſelbe wartete
auf Getreu und nahm ihn, ſobald die Feinde ſeine
Hinrichtung vollzogen, auf. Flugs ging'8 nun mit ihm ,
unter Poſaunenſchall durch die Wolfen und auf dem
nächſten Wege zur Pfortedes Himmels hin.
Was nun aber Chriſt anlangt, ſo wurde ihm noch
eine Friſt gegeben und er wieder in's Gefängniß zurücks
geführt. Darin blieb er denn noch eine Zeitlang. Der
415. 9
110

aber, welcher alle Dinge in ſeiner Gewalt und auch die


Wuth derFeinde in ſeiner Hand hat ,lenkte es ſo, daß
Chriſt ihnen entwich und ſeines Weges weiterziehen
konnte. Als er nan jo daberging, ſang er :
Wohlan, Getreu , du haſt getreu bekannt
Den Herrn, der dich erfüüt mit Himmelsfeligkeit!
Wenn einſt die Ungetreun in ihrer Lüfte Tand
Vor Qual und Jammer ſchrein im Höllenmeer der
Ewigkeit :
Dann jubelft, jubelft du, Getreu, im ewgen Leben,
Wiewohl dir Menſchen hier den Todesſtoß gegeben.

Vierzehntes Kapitel.
Gerr Nebenwege und Genoſſen.
In meinem Traume ſah ich nun , baß Chriſt auf
ſeinem weitern Wege abermals einen Reiſegefährten
erhielt, Namens Hoffnungsvoll; denn Solches war
er geworden , da er auf die Worte und auf das Bes
nehmen Chriſt's und Getreu's in ihrer Trühſal
geachtet hatte ; derſelbe geſellte ſich zu ihm und indem
er einen Bruderbund mit ihm ſchloß , erklärte er ihm,
daß er ſein Gefährte ſein wolle. Während ſo Einer
zum Zeugniß der Wahrheit ſtarb , erſtand ein Ande
rer aus ſeiner Aſche, um Chriſt's Gefährte auf der Pil
gerfahrt zu werden . Eben derſelbe Hoffnungsvoll
erzählte Chriſt auch, daß noch manche Andere auf dem
Jahrmarkte ſeien , die zu ihrer Zeit ebenfalls folgen
würden.
Nachdem nun die Beiden die Stadt eilig verlaſſen
hatten, holten ſie alsbald einen gewiſſen Heren Neben
wege ein . Sie fragten ihn: Was er für ein Lands
mann ſei ? und wie weit er dieſen Weg gehen wolle ?
Ich fomme aus der Stadt Schön wort" , ſagte er
und will nach der himmliſchen Stadt ; " aber feinen Na
inen nannte er ihnen nicht.
111

Von Schönwort ?" ſagte Chriſt; ,,wohnen


auch fromme Leute bort ?" 1)
Nebenw. Das hoffe ich doch.
Chr. Darf ich mir euren Namen ausbitten , mein
Herr ?
Nebenw. Ich bin euch fremd und ihr ſeid es
mir. Gehet ihr aber auch dieſes Weges , ſo wird mir
eure Geſellſchaft angenehm fein ; wo nicht, muß ich auch
zufrieden ſein .
Chr. Von der Stadt Schönwort meine ich
mehr gehört zu haben; es ſoll, wenn ich mich recht ers
innere , ein wohlhabender Ort ſein.
Nebenw. Allerdings, das kann ich euch verſichern.
Id habe viele reiche Verwandte bort.
Chr. Mag ich wohl fragen, wer eure Verwandte
bort find ?
Nebenw . Faſt die ganze Stadt iſt mir anvers
wandt, namentlich aber : Herr von Verdreher, Herr
von Zeitdieiter und Herr von Schönwort, von
deſſen Ahnherrn die Stadt ihren Namen hat; auch bin
ich verwandt mit Herrn Glattmann , Herrn Schul
terträger , Herrn Allerweltsmann und mit uns
ferm Baſtor, bem Herrn Zweiz üngig, der meiner
Mutter leiblicher Bruder iſt. Und , um's euch gerade
.

herauszuſagen : ich bin ein Mann von guter Herkunft,


obgleich mein Urgroßvater nur ein Bootsmann war,
der nach dem einen Ufer hinſah, wenn er auf das an
dere zuſteuerte. Ich ſelbſt aber kam burch die nämliche
Beſchäftigung zu dem größten Theile meines Vermös
gens.
Chr. Seid ihr verheirathet ?
Nebenw. Ja, und meine Frau iſt ein ſehr
fex
tugendhaftes Weib, von einer tugendjamen Mutter, und
dieje war die Tochter der Frau von Verſtellung.
Sie ſtammt alſo aus ſehr ehrbarer Familie und hat
einen ſolchen Orad von Bildung erlangt, daß ſie ſich
) Sprüd.25,25.
112

mit allen Leuten , ſo gut mit Fürften wie mit Bauern ,


zu benehmen weiß. Wir weichen in der Religion zwar
etwas von denjenigen ab, die es darin ein wenig ge
nauer nehmen ; es betrifft dies jedoch nur zwei Punkte,
die nicht gerade wichtig ſind. Einmal gehen wir nie
gegen Wind und Wetter an, und zum Andern ſind wir
immer die Eifrigſten , wenn die Religion in filbernen
Pantoffeln einhergeht: wir laſſen uns mit ihr gerne
auf der Straße ſehen , wenn die Sonne hell ſcheint,
und die Leute ihr zujauchzen . )
Da wandte ſich Chriſt zu ſeinem Reiſegefährten
Hoffnungsvoll auf die Seite und ſprach zu ihm :
Es fällt mir ein , daß dieſer Mann ein gewiſſer Nes
benwege aus Schönwort iſt, und wenn er das iſt,
ſo haben wir einen ſo argen Schelm in unſerer Ges
ſellſchaft, als es nur einenin der ganzen Gegend gibt.
Darauf ſagte Hoffnungsvoll: So frage ihn body;
ich ſollte meinen, er würde ſich ſeines Namens nicht
dämen. Da wandte ſich Chriſt wieder zu ihm hin
und ſagte: Ihr ſprechet, Herr , als wenn ihr mehr
verſtändet, als jeder Ändere; wenn ich nicht irre, jo
errathe ich halb und halb, wer ihr ſeid. Seid ihr nicht
Herr Nebenwege aus Schönwort?
Nebenwege. So heiße ich nicht; aber diejenis
gen, die midy nicht leidenmögen , haben mir dieſen Beina
men gegeben, und ich finde mich darein , ihn als eine
Schmach zu tragen , wie andere fromme Menſchen ja
folcherlei ſchon vor mir erduldet haben.
Chr. Aber
bazu gegeben, habteuch
daß man dieſen ſelbſt
ihr nicht Veranlaſſung
Namendiebeigelegt hat ?
Nebenw . Nein, ganz und garnicht ! Das Schlimm
ſte, was ich that,' um ihnen zu dieſem Namen Veran
laſſung zu geben, beſtand darin, daß ich immer ſo glück
lich war, meine Anſichten nach den jedesmaligen Zeit
umſtänden einzurichten, und daraus Vortheil zu ziehen.
Aber was mir ſo zugefallen iſt, das rechne ich mir
') Apgic . 14 , 13.
113

als einen Segen an. Mögen immerhin gottloſe Mens


ſchen ihre Beſchimpfungen auf mich laden : das ſoll
mich nicht irre machen.
Chr. Ich dachte mir’s wohl, daß ihr der Mann
ſeid , von dem id gehört habe. Um euch aber meine
Meinung gerade herauszuſagen , fo fürchte ich, daß der
Name, welchen man euch beigelegt hat , beſſer zu euch
paßt, als ihr zugeſtehen möchtet.
Nebenweg. Nun , wenn ihr das meint, dann
kann ich euch nicht helfen . Ihr werdet aber finden,
daß ich ein ganz guter Reiſegeſellſchafter bin , wenn ihr
mich als ſolchen annehmen wollt.
Chr. Wenn ihr mit uns gehen wollt, ſo müſſet
ihr gegen Wind und Wetter an. Das iſt aber , wie
ich gemerkt, wider eure Anſicht. Auch müſſet ihr das
Chriſtenthum ebenſo treu bekennen , wenn es in ' Lum- ·
pen, als wenn es in Silberpantoffeln einhergeht, und
müſſet ebenſo zu ihm ſtehen , wenn es in Retten gebun
den liegt, als wenn es unter dem Zujauchzen der Menge
durch die Straßen zieht.
Nebenw. Ihr müſſet mir aber keine Bürde
aufbinden , noch euch zum Herrn meines Glaubens mas
chen wollen. Laſſet mir meine Freiheit und erlaubt
mir nur, daß ich mit euch gehe.
Chr. Nicht einen Schritt weiter, wenn ihr nicht
nach meinem Vorſchlage thun wout, wie wir.
Nebenw. Nun, wenn es ſo iſt, dann erkläre ich
euch , daß ich niemals von meinen alten Grundfäßen
abweichen werde , denn ſie ſind harmlos und vortheils
haft. Wenn ich nicht mit euch zuſammengehen darf,
dann muß ich's machen wie vorher, ehe ihr mich ein
holtet – ich muß dann ſo lange allein gehen, bis mich
Jemand einholt, der an meiner Geſellſchaft Gefallen findet.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß Chriſt und
Hoffnungsvoll ihn verließen und in einiger Entfers
nung vor ihm bergingen. Giner von ihnen blidte aber
hinter ſich und ſah drei Männer, welche Herrn Neben .
wege folgten. ' Er machte eine tiefe Berbeugung vor
114

ihnen , die ſie ebenſo höflich erwiderten . Die Männer


waren folgende: Herr Haltewelt, Herr Geldlieb
und Herr Sparauf. Sie waren ſämmtlich alle Bes
fannte des Herrn Nebenwege , denn in ihrer Jugend
waren ſie Squlfamera en geweſen. Ihr Lehrer wat
ein gewiſſer Herr Greifmann im Flecken Gewinn
ſucht, in der Grafſchaft Habgier , im Norden gele
gen. Dieſer Lehrer unterwies ſeine Schüler in der
Kunſt des Erwerbs, und zeigte ihnen , wie dieſelbe
durch Gewalt, Betrug, Schmeichelei, Lüge oder durch
Scheinheiligkeit auszuüben ſei. Und dieſe vier Herrenbat
ten es in der Kunſtihres Meiſters ſo weit gebracht, daß Je
der von Ihnen ſelbſt eine ſolche Schule hätte halten fönnen.
Nach ihrer wechſelſeitigen Begrüßung fragte Herr
Geldlieb den Herrn Nebenwege: „Wer ſind die
Beiben da, welche vor uns hergehen ?" denn Chriſt und
Hoffnungsvoll fonnten noch von ihnen geſehen werden .
Nebenw . Es ſind entfernte Landsleute von uns,
die eine Pilgerfahrt nach ihrer Weiſe machen .
Geldl. Ei, warum warteten ſie denn nicht, daß
wir gute Geſellſchaft mit ihnen hätten machen fönnen ?
denn ich hoffe, fie wollen eine Pilgerreife machen, wie
auch wir alleſammt.
Nebenw. Das iſt wohl wahr; allein die Män
ner vor uns ſind ſo ſtrenge , und halten ſo feſt an ih
ren oberflächlichen Anſichten, während ſie die Meinun
gen Anderer nur ſo gering ſchätzen, daß ſie einen Men
iden , der noch ſo gut iſt, wenn er nicht geradein allen
Stücken mit ihnen übereinſtimmt, aus ihrer Geſellſchaft
ausſtoßen.
Sparauf. Das iſt ſchlimm ; allein wir leſen
von gewiſſen Leuten , die allzu gerecht ſind , und beren
Strenge ſie verleitet, alle nach dem nämlichen Maßſtabe
zu beurtheilen und Zeden , der nicht wie ſie denkt, zu
verdammen. Doch jage mir, welches ſind die Dinge,
in denen ihr verſchiedener Meinung waret ?
Nebenw. In ihrer hartnädigen Weiſe behaupte
ten fie , es fei ihre Pflicht, jedem Wetter auf ihrer
115

Reiſe Troß zu bieten ; hingegen bin ich dafür, daß man


Wind und Wetter abwarte. Sie ſeken Alles, was ſie
haben, auf einmal für Gott auf's Spiel ; id) bin jedoch
dafür, möglichſt alle Vortheile wahrzunehmen , ummein
Leben und mein Vermögen zu ſichern. Sie ſind dafür,
ihre Meinung feſtzuhalten , wenn auch die ganze Welt
dagegen ſein mag ; ich aber bin für die Religion nur
inſoweit, als es ſich mit den Umſtänden und meiner ei
genen Sicherheit verträgt. Sie ſind für das Chriſten
thum , ſelbſt wenn es in Lumpen und Schmach einher
gehen muß , ich bin jedoch nur für daſſelbe, wenn es
in ſilbernen Pantoffeln , im hellen Sonnenſchein einher
geht und die Leute ihm Beifall ſchenken.
Haltew . Ganz Recht! Bleibt nur bei eurer
Anſicht, mein guter Herr Nebenwege; denn ich fann
meinerſeits den nur für einen Narren halten , der fo
unweiſe iſt, das, was er hat, zu verlieren , wenn es
.

ihm frei ſteht, daſſelbe zu behalten . Laſſet uns doch


klug ſein , wie die Schlangen! Es iſt ja dann am Beſten
Heit machen, wenn die Sonne ſcheint. Ihr ſehet, wie
die Biene den ganzen Winter über ſtill liegt und ſich
erſt dann regt, wenn ſie einen Vortheil mit Vergnügen
erjagen fann. Gott ſendet bald Regen und bald Son
nenſchein : find jene ſolche Narren , daß fie durch den
Regen hindurchgehen , nun ſo wollen wir warten , bis
das Wetter heiter wird . Was mich betrifft, ſo erachte
ich diejenige Religion für die beſte, welche uns die gü
tigen Segnungen Gottes ficher ſtelt; denn , wer fann
ſich's vernünftigerweiſe anders denken , als daß Gott,
ber uns einmal die Güter bieſes Lebens geſchenkt hat
- auch haben will, daß wir ſie um ſeinetwillen bewah
ren ſollen ? Abraham und Salomo murden auch
reich bei ihrem Gottesdienſte, und Hiob ſagt:) Sils
ber wird dem Gerechten zugehäuft werden.
Dann muß aber Einer nicht ſein, wie die Männer vor
uns nach eurer Beſchreibung find.
) Kap. 22, 25.
116

Sparauf. Ich glaube, daß wir in dieſer Sache


alle mit einander einverſtanden ſind, deßhalb brauchen
wir uns dabei nicht länger aufzuhalten.
Geldl. Nein , es bedarf wirklich keiner Worte
weiter über dieſe Sache; denn der, welcher weder der
Bibel noch der Vernunft Glauben denkt (und ihr lies
het wohl, wir haben beide auf unſerer Seite), der kennt
weder etwas von ſeiner eigenen Freiheit , noch iſt er
auf ſeine eigene Wohlfahrt bedacht.
Nebenw. Wir ſind alle, wie ihr ſehet, meine
Brüder, auf der Pilgrimſdaft. So erlaubet'mir denn,
damit wir uns um jo eher von Dingen , welche böſe
ſind, fern halten, euch folgende Frage vorzulegen :
Den Fall gefeßt, daß ein Mann , ſei es nun ein
Geiſtlicher oder ein Geſchäftsmann, ſich in der Lage
befände, die Güter dieſes Lebens zu erlangen , doch ſo,
daß es nur geſchehen könnte , wenn er ſich wenigſtens
zum Schein mit einigen Stücken der Religion eifrig
Befaßte, um die er ſich vorher nichtbekümmert- ſtände
es ihm zu, ſich dieſer Mittel für ſeinen Zweck zu be
dienen, und fönnte er babet doch ein ganz ehrlicher
Mann bleiben ?
Geldl. Ich fann es mir wohl denken , wer euch
zu dieſer Frage gebracht hat. Erlaubt mir, meine
Herren, daß ichverſuche, darauf eine gründliche Antwort
zu geben . Erſtlich nun, was die Frage hinſichtlich ei
nes Geiſtlichen betrifft, ſo denke ich mir einen würdigen
Mann, der nur ein ſehr geringes Einkommen und eine
bei weitem einträglichere Stellein Ausſicht hat, es böte
ſich demnad, eine Gelegenheit, fein Einkommen zu vers
größern . Ér fönnte aber nur dazu gelangen, wenn er
fich in ſeinem Amte thätiger bewieſe , wenn er öfter
und eifriger predigte und einige von ſeinen frühern
Grundfäßen änderte, wie es der Sinn der Gemeinde
verlangte: dann fähe ich für mein Theil keinen Grund ,
warum ein Mann, vorausgeſetzt, daß er einen Ruf
bat, dies und noch viel mehr nicht thun ſollte, und
117

warum er dabei nicht dennoch ein ehrlicher Mann blei


ben könnte. Denn
1) ſein Verlangen nach einem größern Einkommen
iſt, unwiderſprechlich, ein geſegmäßiges, da es ihm von
der Vorſehung angeboten wird. Er darf es alſo audy
annehmen , ohne ſein Gewiſſen dadurch zu beſchweren.
2 ) Ueberdies macht folch Verlangen ihn thätiger
in ſeinem Amte und eifriger im Predigen u. F. W. Mits
hin macht es ihn zu einem beſſern Menſchen , ja es
macht, daß er ſie beſſer ausbildet, welches gerade dem
Willen Gottes gemäß iſt.
3) Was nun aber den Punkt angeht , daß er fich
nach dem Sinne der Gemeinde richtet, indem er ihr
zu Gefallen einige von ſeinen frühern Grundfäßen aufs
gibt, ſo beweiſet er dadurch zunächſt , daß er ſich ſelbſt
verläugnet, ferner auch, daß er ein ſanftmüthigesund
einnehmendes Weſen hat, und endlich, daß er zur Füh
rung eines geiſtlichen Amtes um ſo tüchtiger iſt.
4) Daraus nun ziehe ich den Schluß, daß ein
Geiſtlicher, der ein geringes Einkommen mit einem größes
ren vertauſcht, nicht deßhalb als ein Geizhals angeſehen
werden ſollte, ſondern, weil er dadurch, in ſeinem Fleiße
und ſeiner Ausbildung fortgeſchritten , vielmehr als ein
Hann betrachtet werden muß, der ſeinem Berufe ent
ſpricht, und die ihm dargebotene Gelegenheit, Gutes zu
thun, ergreift.
Und nun komme ich auf den zweiten Theil der Frage,
ſofern dieſelbe nämlich einen Geſchäftsmann betrifft.
Geſeßt , ſolcher hätte nur ein ärmliches Einkommen,
fönnte aber , dadurch daß er fromm würde, ſein Ge
idhäft heben, vielleicht ein reiches Weib bekommen, oder
jo ſehe ich
mehr und beſſere Kundſchaft erlangen - ſo -

keinen Grund, warum er von jenem Mittel 'feinen Sex


brauch machen ſollte. Denn
1) Fromm zu werden, iſt eine Tugend, woraus
ſie audy immer entſtehen möge.
2) Auch iſt'8 feine Sünde, wenn man ein reiches
Weib oder mehr Kunden zu bekommen ſucht.
118

3 ) Durch ſeine Frömmigkeit erlangt er das Gute


von Menſchen, die gut ſind , wie er es ſelbſt iſt. So
hat er denn ein gutes Weib, gute Kunden und guten
Gewinn, und zwar dies Ales durch ſeine Frömmigkeit.
Es iſt daher eine gute und nügliche Abſicht fromm zu
werden, umalle dieſe Vortheile zu erlangen.
Dieſe Antwort des Herrn Geldlieb auf Herrn
Nebenwege's Frage fand den größten Beifall ſeiner
Reiſefährten, und ſo ſtimmten ſie dann fämmtlich in die
Behauptung ein : So zu handeln wäre heiljam und vor
theilhaft. Weil ſie nun meinten, daß kein Menſch etwas da
gegen einwenden könne, ſo famen ſie mit einander überein,
weil Chriſt und Hoffnungsvoll ihnen noch nicht
weit voraus waren , ſie mit dieſer Frage gemeinſchaft
ſich anzugehen, ſobald ſie dieſelben nur eingeholt hätten.
Dies war aber um ſo mehr ihre Abſicht, weil ſie dem
Herrn Nebenwege ſo ſehr widerſprochen hatten. So
riefen ſie denn den Beiden zu , und dieſe blieben denn
auch ſtehen, bis Herr Nebenwege und ſeine drei Ges
roſſen zu ihnen gekommen waren. Dieſe hatten aber
unter einander ausgemacht , daß nicht Herr Nebens
wege, ſondern der alte Herr Haltewelt ihnen die
Frage vorlegen ſollte, indem ſie dachten, dieſem würden
ſie Rede ſtehen , ohne die Heftigkeit, die früher zwiſchen
Herrn Nebenwege und ihnen entbrannt war .
Als ſie nun beieinander waren und ſie ſich eben
begrüßt hatten , legte Herr Haltewelt alsbald Chrift
und ſeinem Gefährten die Frage vor , und erſuchte fie,
.

dieſelbe, wenn ſie fönnten, zu beantworten.


Hierauf nahm Chriſt das Wort und ſprach : Wer
nur ein Kind im Chriſtenthum iſt, wird im Stande
ſein, Tauſende ſolcher Fragen zu beantworten. Iſt es Uns
recht, Chriſto um desBrotes willen zu folgen - und
anders iſt's nicht, ') um wie viel ſchändlicher muß es
ſein,wenn man ihn und ſeine Lehre als Mittel gebraucht,
die Welt und ihre Freuden zu erwerben ! Und ſo fin
- ) Joh. 6, 26.
119

den wir denn auch Niemanden , der Solches thut, als


die Heiden, Heuchler, Teufel und Zauberer.
1 ) Die Heiden denn als Hemor und Si
chem Luſt hatten zu Jakob8 Tochter und Vieh, und
einſahen , daß ſie nicht anders dazu gelangen fönnten,
1

als wenn ſie ſich beſchneiden ließen , . ſagten ſie zu


ihren Genoſſen : ,,Wo wir Alles, was männlich unter
uns iſt, beſchneiden, gleichwie ſie beſchnitten ſind, wird
ihr Vieh und Güterund alles, was ſie haben, unſer
ſein .“ Töchter und Vieh waren das , was ſie zu be
kommen ſuchten , die Religion aber das Mittel, deſſen
ſie ſich bedienten, um dazu zu gelangen. ').
2 ) Die heuchleriſchen Pharifäer waren
ebenfalls Leute ſolcher Art. Lange Gebete waren ihr
Borivand, allein der Wittwen Fäuſer zu freſſen ihre
Abſicht, daher ſollten ſie aber ſchwerere Verdammniß
empfangen . 2)
3 ) Judas, der ein Teufel war, hatte auch dieſe
Religion . Er war fromm um des Beutels willen, den
er trug und nahm , was hineingethan wurde, aber
er warð verworfen und ging verloren als ein Kind des
Verderbens. 3)
4) Simon , der Zauberer, war ebenſo von dieſer
Religion, denn er begehrte die Gabe des heiligen Geiſtes,
um dadurch Geld zu gewinnen, deßwegen ward er von
Betro verflucht .)
5 ) Ueberdem kann ich des Gedankens nicht los
werden , daß ein Mendy, ber um der Welt willen fromm
wird, auch um der Welt willen die Frömmigkeit wie
der fahren läſſet ; denn ſo gewiß als Judas nur nach
der Welt trachtete, da er fromm war, ebenſo gewiß
verkaufte er ſeine Frömmigkeitund ſeinen Herrn hins
wieder um der Welt wilen. Wer demnach dieaufges
worfene Frage bejaht -- und das habt ihr,, wie ich
-

merke, gethan und das für recht annimmt, der iſt


) 1 Mob. 34, 20–24. 2 ) Luk. 20, 47. Matth. 23, 14 .
:) Joh. 6, 70.71 ; 12. a * ) Aparch. 8 , 19–22.
120

ein Heide, ein Heuchler und ein Teufel , und ihr wer
det euren Lohn empfangen nach euren Werfen.
Nach dieſen Worten ſaben die Frager einander
ganz beſtürzt an , und wußten Nichts darauf zu ant
worten . Hoffnungsvoll gab der gründlichen Ant
wort Chriſt's ſeinen ganzen Beifall, und nun entſtand
eine große Stille unter ihnen . Herrn Nebenwege
und ſeinen Gefährten war's in die Beine gefdlagen, ſo
daß ſie zurückblieben und ſie waren's denn auch wohl
zufrieden, daß Chriſt und Hoffnungsvoll ihnen
vorausgingen . Da hub Chriſt zu ſeinem Gefähr
ten an : Wenn dieſe Leute nidyt einmal vor dem
Urtheile der Menſchen beſtehen fönnen, was foll's dann
erſt vor dem Gerichte Gottes mit ihnen werden ? Und
wenn ſie vor irdiſchen Gefäßen verſtummen, wie wird's
ihnen ergehen, wenn der mit ihnen rechnet, der ein ver
zehrendes Feuer iſt ? " )
Hierauf gingen Chriſt und Hoffnungsvoll
weiter, bis ſie in eine liebliche Ebene, Ruhe genannt,
famen ; hier wandelten ſie mit großer Annehmlichkeit.
Alein die Ebene war nicht groß , und daher hatten ſie
den Weg durch dieſelbe bald zurückgelegt. An der an
dern Seite dieſer Ebene war aber ein kleiner Hügel,
Namens Gewinn, und in dem Hügel befand ſich eine
Silbergrube. Schon viele Pilger waren früher an
geloct worden , vom Wege abzugehen , um ſie zu beſe
hen, denn es war eine Seltenheit. Weil ſie ſich aber
zu nahe an den Rand des Schachtes begaben, war der
betrügeriſche Boden unter ihnen zuſammengebrochen,
und Mancher von ihnen um's Leben gefommen ; An
dere waren beſchädigt und ihr Lebenlang Krüppel ges
worden .
Nun ſah ich in meinem Traume, wie ein wenig
vom Wege ab , der Silbergrube gegenüber, Demas,
wie ein vornehmer Herr daſtand. Das that er aber,
um die . Vorübergehenden einzuladen , daß ſie kommen
' ) Hebr. 12 , 29.
121

und ſehen möchten. So rief er benn auch Chriſt


und ſeinem Gefährten zu : Kommt herüber , ich wilt
euch etwas Merkwürdiges zeigen ! "
Chr. Was kann denn einen ſolchen Werth has
ben , daß es uns vom Wege abbringen ſollte!
Dem. Hier iſt eine Silbergrube und darin ſind
Leute , die nach Schäßen graben. Wenn ihr kommen
wollt , könnt ihr mit leichter Mühe reich werden.
Hoffn. Sich an ſeinen Gefährten wendend :
So laß uns hingehen und ſehen!
Chr. Ich nicht, jagte Chriſt. Ich habe ſchon
früher von dieſem Plaße gehört, und wie Biele hier
um ihr Leben gekommen ſind; übrigens ſind auch dieſe
Schäße nur ein Fallſtrick für diejenigen, die ſie ſuchen
und ihnen hinderlich auf ihrer Pilgerfahrt. Hierauf
rief í hrift dem Demas zu : 3ſt der Blaß nicht
gefährlich ? Iſt er nicht vielen ſchon ein Hinderniß
auf ihrer Pilgerreiſe geworden ? " 2)
Dem. D , nein ; gefährlich kann er nur für
ſorglofe Menſchen ſein . Aber indem er das ſagte, ers
röthete er .
Chriſt ſprach hierauf zu Hoffnungsvoll: Laß
uns keinen Schritt näher gehen , ſondern ſtille unſern
Weg weiter verfolgen .
Hoffn. Ich bürge dafür, wenn Nebenwege
hierhin fommt und dieſelbe Einladung erhält, wie wir,
ſo wird er ſich dahin wenden, um zu ſehen.
Chr. Das bezweifle ich nicht, denn gerade ſeine
Grundſäße bringen ihn bahin, aber ich ſete auch Hun
dert gegen Eins, daß er dort zu Grunde geht.
Demas rief ihnen abermals zu : Wie iſt's
denn ? wollt ihr nicht fommen und ſehen ?
Chriſt aber antwortete nun rund heraus: Du biſt
ein Feind der rechten Wege des Herrn , du ſelber biſt
davon abgewichen und haſt bereits von einem Diener
des Herrn der Herrlichkeit dein Urtheil empfangen ; 3)
1

) 1 Tim .6.9. 2 ) Hof.9,6. Matth. 13, 22. — 5 ) 2 Tim.4 ,10.


122

was ſucheſt du uns denn in dieſelbe Verdammniß


zu bringen ? Würden wir von unſerm Wege abgehen,
jo käme es ſicher vor unſern Herrn, den König, und er
würde uns zu Schanden machen, während wir voi ihm
ſtehen ſollten mit Freudigkeit.
Demas ſchrie hinwiederum und verſicherte, daß er
ebenfalls einer von ihren Brüdern ſei und daß , wenn
ſie nur ein wenig warteten , er auch mit ihnen gehen
wolle.
Darauf fragte Chriſt ihn : wie heißeſt du ? Habe
ich bich beim rechten Namen genannt ?
Demas. Ja , ich heiße Demas und bin ein
Sohn Abrahams.
Chr. Ich kenne dich. Gehaſi “) war dein Ur
großvater und Judas dein Bater : du biſt in ihre
Fußſtapfen getreten. Du treibſt nichts als Teufels
ſtreiche. Dein Vater iſt als Verräther erhängt wors
den und du verdienſt kein beſſeres Loos. 2) Halte dich
verſichert, wenn wir zum Könige kommen, werden wir
erzählen , wie du's hier gemacht haſt. Und hiermit 30
gen ſie ihres Weges weiter.
Unterdeſſen kamen Nebenwege und ſeine Beglei
ter ihnen wieder zu Geſicht und auf den erſten Wink
gingen ſie zu Demas hinüber. Db bieſelben nun in
die Grube fielen, indem ſie über deren Rand hinabía
hen, oder ob jie hinabſtiegen , um nach Schüßen zu gra
ben , oder ob ſie durch die Dämpfe , welche gewöhnlich
baraus aufſteigen , erſtickt wurden darüber kann ich
nichts Gewiſſes angeben. Das aber weiß ich , daß ſie
nie wieder auf dem Wege geſehen wurden. Hierauf
stimmte Chriſt die Worte an :
Nebenwege ftimmt mit Demas Sinn :
Ruft der Eine, eilt auch ſchon der Andre,
Daß er mit ihm thelle den Gewinn,
Aber nur mit ihm zur Hölle wandre !
Nun ſah ich, daß die Pilger gerade auf der ans
2 2 Rön. 5, 20. ? ) Matth. 26, 14. 15 ; 27,3~0.
123

dern Seite dieſer Ebene an eine Stelle kamen, auf der


ein altes Denkmal dicht an der Landſtraße ſtand. Beim
Anblic deſſelben waren beide wegen der ſonderbaren
Geſtalt nicht wenig verwundert: es fam ihnen nämlich
vor, als wäre es ein Weib geweſen, die in eine Säule
umgewandelt worden. Sie blieben daher eine Weile
ſtehen und ſahen es wieder und wieder, und doch wußs
ten ſie eine Zeitlang nicht, was ſie daraus machen ſolls
ten ..' Endlich wurde Hoffnungsvoll gewahr , daß
ganz oben am Ropfe eineganz eigenthümlichgeformte In
ichrift ſtand. Da er aber kein Gelehrter war, rief er
Chriſt herbei ( denn dieſer war ein Gelehrter ), boch
einmal zuzuſehen , ob er den Sinn wohl herausbringen
fönne. Chriſt fam und nachdem er ein wenig an der
Inſchrift buchſtabirt hatte, brachte er die Worte her
aus : Gedenket an lots Weib . " " ). Er las es
ſeinem Gefährtenvor, und ſo ſchloſſen denn beide daraus,
baß es die Salzſäule ſei, in welche Rots Weib berwan
delt worden , weil ſie mit lüſternem Herzen hinter ſich
fah, nachdem ſie aus Sodom gegangen war. 2) Dieſer
überraſchende und ſtaunenerregende Anblick gab ihnen
nun zu folgendem Geſpräche Beranlaſſung.
Chr. Ach , mein Bruder, dieſer Ånblick kommt
gerade zur rechten Zeit. Saben wir das Denkmal ja als
Bald nach der Einladung, welche Demas an uns er.
gehen ließ , um den Hügel Gewinn in Augenſchein
zu nehmen. Und wären wir zu ihm hinübergegangen ,
wie er es wünſchte und du dazu geneigt warſt, lieber
Bruder, ſo hätten wir, glaube ich, uns wie dieſes Weib,
denen zum Schauſpiel gemacht, Sie nach uns kommen
werden .
Hoffn. Es thut mir leid, daß ich ſo thöricht
geweſen bin, und es iſt ein Wunder, daß ich nicht legt
icon wie Lots Weib geworden bin ; denn was für ein
Unterſchied iſt zwiſchen ihrer und meiner Sünde? Sie
jah hinter ſich, und ich hatte das Verlangen hinzugehen
9 Luk. 17, 32 . 2) 1 Mof. 19 , 16.
124

und zuzuſehen. D, wie muß ich preiſen die Gnade des


Herrn und mich ſchämen , daß je folche Luſt in mein
Herz gekommen iſt!
Chr. Laß es uns doch zu Herzen nehmen, was wir
hierſehen, damit wir zu ſeiner Zeit daraus Nußen ziehen .
Dieſes Weib entging dem einen Gericht, denn ſie fam
bei dem Untergange Sodoms nicht um ; bei dem andern
ging ſie jedoch zu Grunde , wie wir ſehen : denn ſie
wurde in eine Salzſäule verwandelt.
Hoffn. Wahrlich, ſie kann uns beiden zur Wars
uung und zum Erempel dienen : zur Warnung, daß
wir ihre Sünde meiden ; zum Erempel, was für ein
Gericht diejenigen überfält, die rich burch ſolche Wars
nung nichtabhalten laſſen. So ſind Korah, Dathan
und Abiram nebſt den zweihundert und fünfzig Män
nern , die mit ihnen in ihrer Sünde umtamen, als ein
Zeichen und Warnungserempel für Andere aufgeſtellt.')
Ulein vor Auem wundere ich mich über Eins , wie
nämlich Demas und ſeine Geſellen fo dreiſt nach den
Schäßen ſuchen fönnen , während dieſes Weib, bloß weil
ſte barnach umſah, denn wir leſen nicht, daß ſie auch
nur einen Fuß vom Wege abgeſeßt habe, in eine Salz
fäule umgewandelt ward ; zumal da das Gericht, wels
ches biefelbe übereilte, ihnen zu einem Exempel ganz
nahe vor Augen geſtellt iſt, denn ſehen müſſen ſie es,
wenn ſie nurdie Augen aufthun.
Chr. Auerdings muß man ſich darüber wundern ,
aber es beweiſet dies auch nur , wie ihre Herzen durch
und durch böſe geworden ſind. Ich weiß ſie mit Nies
mandem o paſſend zu vergleichen als mit Dieben, welche
in Gegenwart des Richters andern Leuten die Taſchen
beſtehlen , oder unter dem Galgen noch Beutelſchneide
rei treiben. Von den Leuten zu Sobom ſteht geſchrie
ben , daß ſie böſe waren und ſehr fündigten wider den
Herrn , d. h. vor ſeinen Augen , und ungeachtet der
Güte , die er ihnen erwieſen hatte, denn ehe er das
) 4 Mof. 16, 27—35 ; 26, 9. 10. 2) 1 Moſ. 13, 10. 13.
125

Land verderbete, war es wie der Garten Eden . ) Dies


erweckte aber um ſo mehr den Eifer des Herrn und
machte , daß er vom Himmel Feuer und Schwefel regs
nen ließ. Daraus läßt ſich aber mit Sicherheit ent
nehmen, daß ſoldie Menſchen , ja folche, wie dieſe, die
trotz dergleichen Warnungserempeln , die ſie vor Augen
haben , dennoch in der Sünde verharren , das ſchwerſte
Bericht über ſich empfangen werden .
Hoffn. Ohne Zweifel Haſt du da wahr geſpro
chen ; aber welche Gnade iſt's, daß weder du, noch ich,
und ich ganz beſonders, zu einem ſolchen Erempel der
ſtrafenden Gerechtigkeit Gottes gemacht worden ſind!
Dies ſoll uns antreiben Gott zli darfen , in kindlicher
Furcht vor ihm zu wandeln und uns beſtändig an lots
Weib zu erinnern.

Fünfzehntes Kapitel.
Der Pilger Verirrung , Einkerkerung und Errettung
aus der 3 weifelsburg.
Ich ſah hierauf, daß die beiden Pilger auf ihrem
Wege an einen lieblichen Strom gelangten , welchen der
König David „das Brünnlein Gottes"nennt, Johan
nes aber den Strom des lebendigen Waſſers ." ; ) Shr
Weg nun ging gerade an dem Ufer dieſes Stromes
her . So wandelten Chriſt und ſein Gefährte denn
hier mit großer Luſt, auch tranfen ſie vom Waſſer des
Stromes, welches föſtlich war und ihre matten Herzen
erquicte. An beiden Ufern des Stroms ſtanden grü
nende Bäume, voll von Früchten allerlei Art. Auch
aßen ſie von den Blättern der Bäume, um allerlei Ue
beln vorzubeugen , die ſich bei denen einfinden , die ihr
Blut durch's Reiſen erhißen. Auf beiden Seiten des
Stromes lagen Wieſen , die das ganze Jahr hindurch
grün und voll von wunderſchönen Lilien waren. Auf
) Pſalm 65, 10. Offenb. 22, 1. Vgl. Heſek. 47, 1-9 .
10
415 .
126

dieſer Wieſe legten ſie ſich nieder und ſchliefen , denn


hier konnten ſie ſicher ruhen . ').. Als ſie aufwachten ,
aßen ſie abermals von den Früchten der Bäume und
tranfen auch wieder vom Strome des Lebens, dann
legten ſie ſich auf's Neue nieder und ſchliefen. So
machten ſie es viele Tage und Nächte. Als ſie erwach
ten, hörte ich ſie ſingen :
Seh't, wie kryſtallne Ströme gleiten,
Den Pilgern Wonne zu bereiten
Wie Wieſen grün, in ſüßem Blüthenduft,
Sie koren fein mit ihrer Balſamluft,
Und dieſer Bäume Frucht und Blätter obendrein :
Für dieſes Eden reßi ich Alles ein !
Als ſie ſich hierauf anſchickten ihren Weg fortzuſeßen
(denn ſie hatten noch nicht das Ziel ihrer Reiſe erreicht ),
aßen und tranfen ſie noch einmal und bradjen dann auf.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß unſere Pil
ger noch nicht weit vorangegangen waren , als ſich zu
1

ihrem nicht geringen Sdmerz, Strom und Weg von


einander trennten ; benn vom Wege durften ſie doch
nicht abgehen. Nun aber war der Weg vom Strome
ab rauh, hingegen waren ihre Füße von dem vielen
Gehen weich geworden. Deßwegen fank den Pilgern
der Muth, 2) und wie ſtille ſie auch fortwandelten , ſo
ſehnten ſie ſich doch nach einem beſſern Wege. Alsbald
zeigte ſich nun ein wenig vor ihnen , an der linken
Seite des Weges, eine Wieſe nebſt einem Stege, worauf
man in dieſelbe hinübergehen konnte. Dieſe Wieſe hieß
Abwegswieſe. Da ſagte Chriſt zu ſeinem Gefähr
ten : Wenn unſer Weg an dieſer Wieſe hergeht, ſo
laßuns in ſie hinübergehen. Hiemit ging er, den Steg
zu beſehen und bemerkte einen Pfad, welcher ſich auf
der andern Seite des Zaunes neben dem Wege hin
zog. Es iſt gerade , wie ich's wünſche, ſagte Chriſt,
hier kann man ganz bequem gehen. Komm , lieber
Hoffnungsvoll, laß uns hinübirſeßen.
1 ) Pſalm 23, 2. Jef. 14, 30. 2) 4 Mok. 21 , 4.

1
127

Hoffn. Aber wie , wenn dieſer Pfad uns vom


Wege abführte ?
Chr. Das iſt nicht wahrſcheinlich. Siehe nur
zu , läuft er nicht gerade neben unſerm Wege hin ? (Ach,
und ichwache Seelen fönnen durch ſtärfere ſogar irre geleis
tet werden ! ) Hoffnungsvoll ließ ſich von ſeinem
Gefährten überreden und folgte demſelben über den
Steg nach. Als ſie hinüber waren , fanden ſie den
Bfað für ihre Füße ſehr bequem . Indem ſie nun vor
ſich hinſahen, erblickten ſie einen Mann , der auch dies
jen Weg wandelte. Sein Name war Eitelvertrauen.
Sie riefen ihm nach und fragten : „wohin führt dieſer
Weg ?" ,, Zur Himmelspforte",war die Antwort. „Siehſt
du ", ſagte Chriſt, „ fagte ich dir's nicht ? daran kannſt
du ſehen , daß wir auf dem rechten Wege find ." So
nun gingen ſie ihm weiter nach. Aber, ſiehe, die Nacht
brach herein und es ward ſehr dunkel, ſo daß ſie, die
hinter waren , ihren Vorgänger bald aus den Augen
verloren.
Eitelvertrauen , welder voranging und den
Weg vor ſich nicht fah , fiel in eine tiefe Grube und
wart durch dieſen Fall in Stücke zerſchmettert. Der
Herr des Landes hatte die Grubeabſichtlich machen
laſſen, um eitle ruhmräthige Narren zu fangen. ' )
Chriſt und ſein Gefährte Hörten den Fall. Da
rum riefen fie : ,,was gibt's da ? " allein es fam feine
Antwort; nur Stöhnen vernahmen ſie. Da fragte Hoff
nungsvoll: „ Wo ſind wir nun ?" Sein Gefährte aber
ſagte kein Wort darauf, denn er befürchtete, ihn vom
rechten Wege abgeführt zu haben. Sridejten brach, ein
furchtbares Gewitter los der Regen ergoß ſich in Strö
men , die Blige leudteten, die Donner fraditen und die
Gewäſſer dwollen an.
Da ſeufzte Hoffnungsvoll vor ſich hin : Ach,
wäre ich doch auf meinem Wege geblieben !
) 3ef. 9, 16. 10 *
128

Shr. Wer hätte es aber benfen ſollen, daß dies


fer Pfad uns von dem Wege ableiten werde ?
Hoffn. Ich war gleich anfangs bange bavor,
und deßwegen gab ich dir auch die leiſe Warnung. Ich
hätte indeſjen deutlicher mit dir reden ſollen , aber ich
that es nicht , weil du älter biſt, als ich.
Chr. Lieber Bruder, ſei nicht ingehalten . Es
thut mir leid, daß ich dich vom rechten Wege abgeführt
und dich in ſo große Gefahr gebracht habe . Bergib es
mir doch, lieber Bruder ; ich habe es nicht aus übler
Abſicht gethan.
Hoffn. Sei nur getroſt, lieber Bruder , denn
ich vergebe dir und glaube auch, daß es noch zu unſerm
Beſten dienen wird.
Chr. Ich freue mich, einen ſo barmherzigen Brus
der getroffen zu haben . Wir dürfen aber hier nicht
ſtehen bleiben. Laß uns verſuchen, zurückzugehen.
Hoffn . Laß mich aber vorgehen , lieber Bruder.
Chr. Nein , erlaube mir'e, damit, wenn irgend
eine Gefahr droht, ich zuerſt hineinfomine, benn durch
meine Schuld ſind wir ja auch vom Wege abgewichen.
Hoffn. Nein, bu ſollſt nicht vorausgeben, denn ,
ba dein Gemüth in Unruhe iſt, könnteſt du leicht wie
ber vom Wege abfommen . Da hörten ſie auf einmal
zu ihrer Ermuthigung eine Stimme, die ihnen zurief :
Richte bein Herz auf die gebahnte Straße,
darauf du gewandelt haſt, kehre wieder. ' )
Inzwiſchen waren aber die Gewäſſer ſo hoch geſtiegen ,
daß der Rückweg dadurch ſehr gefährlich geworden war.
Da dachte ich , es iſt leichter vom Wege abzukommen ,
wenn man darauf iſt, als wieder auf denſelben zu kom
men , wenn man einmal davon ab iſt. Dennoch wag
ten ſie e8 , wieder umzukehren ; aber es war ſo finſter
und die Fluth ſo hoch, daß ſie auf dem Rückwege neun
bis zehnmal nahedaran waren , zit ertrinken . Allein
ungeachtet aller Geſchicklichkeit, die ſie anwandten, gelang
) Jerem. 31, 21 .
!
129

es ihnen bod, nicht, in dieſer Nacht wieder an den Steg


zu kommen. Als ſie deßwegen zuletzt ein wenig Schutz
fanden , ließen ſie ſid, nieder, bis der Tag anbrechen
würde. Da ſie aber müde waren , fielen ſie in den
Schlaf. Nun war nicht weit von der Stelle, wo ſie
lagen , eine Burg , genannt Zweifels burg; ihr Be
ſiger war der Rieſe Verzweiflung, und auf ſeinem
Grund und Boden lagen ſie jetzt und ſchliefen. Als
dieſer daher des Morgens frühe aufſtand und durch
ſeine Felder ging, erwiſchte er Chriſt und Hoff
nungsvoll auf ſeinem Eigenthume ſqylafend. Mit Ins
grimm und barſcher Stimme hieß er ſie aufſtehen und
fragte ſie , woher ſeid ihr, und was inacht ihr auf
meinem Gebiete ? " Wir ſind Pilgrime “, ſagten ſie,
„und haben uns verirret.“ Darauf erwiederte der Rieſe:
ihr habt euch dieſe Nacht wider mid, vergangen, indem
ihr meine Gründe betreten und darauf gelegen habt:
deßhalb inüſſet ihr nun mit mir gehen." Hiezu aber
ſaben ſie ſich genöthigt, weil er ſtärker war als ſie;
aud fonnten ſie wenig dagegen einwenden , weil ſie ſich
ihrer Sduld wohl bewußt waren. Und ſo trieb ſie
denn der Nieſe vor ſich hin in ſeine Burg hinein , wo
er ſie in einen düſtern , ſchmutigen und ſtinkenden Kerfer
warf. Hier lagen ſie von Mittwoch Morgen bis Sams
tag Abend ohne einen Biſſen Brot oder einen Trunk
Waſſer, ohne Licht und ohnedaß ſid Jemand um ſie befüm
mierte. Sie befanden ſich demnach in einer üblen Lage,
fern von Freunden und Bekannten . ') Chriſt aber
hatte doppelte Vekümmerniß in ſeinem Herzen, weil ſie
durch ſeine unüberlegte Eilfertigkeit in dieſe Klemme
hineingerathen waren.
Nun hatte der Rieſe Verzweiflung ein Weib,
mit Namen Mißtrauen. Ihr erzählte er , als ſie zu
Bette gingen , wie er zwei Pilger eingefangen und ſie
in den Nerfer geworfen , weil ſie ſeine Gründe betreten
hätten . Darnach fragte er ſein Weib was er nun wohl
) Pſalm 88, 16.
130

am Beſten mit den Leuten anfange ? Sie erfundigte


fich alsdann, wer jie wären, woher ſie fämen und was
hin ſie wollten ? Als er ihr dies Alles beantwortet,
gab ſie ihm den Rath, er möge ſie am folgenden Mors
gen, wenn er aufgeſtanden, ohne Gnade und Barmher
zigkeit durchprügeln . So geſchah es denn auch : er nahm
einen dweren Knittel von wildem Apfelholz, ging das
mit zu ihnen in den Rerker hinab und ſchalt ſie aus,
als wenn ſie Hunde geweſen wären , obgleich ſie ihm
nicht ein einziges Wort zuwider ſagten. Darnach fiel
er über ſie her und ſchlug ſie ſo fürchterlich, daß ſie
weder im Stande waren , ſich zu helfen , noch zu wens
den . Nachdem dies geſchehen war, zog er ſich zurück
und ließ ſie allein, um ihr Elend zu beflagen und über
ihr Unglück zu trauern, und ſo brachten ſie denn ben
ganzen Tag mit Seufzen und bittern Klagen hin. In
der folgenden Nacht ſprach das Weib wieder mit ihren
Manne von ihnen , und da ſie vernahm , daß ſie noch
am Leben ſeien, ſagte ſie ihm , er möge ihnen den Nath
geben, ſich ſelbſt den Tod anzuthun . Als es nun Tag
ward , ging er in ebenſo tropiger Weiſe wie früher zu
ihnen, und da er wahrnahm , daß ſie große Schmerzen
durd die Wunden hatten , die er ihnen Tags vorher
beigebracht, ſagte er ihnen : „ da ihr wohl niemals von
hier wieder wegkommen werdet, ſo wird es am Beſten
für euch ſein , daß ihr ſelbſt eurem Leben entweder durch
das.Meſſer, den Strick oder durch Gift alsbald ein Ende
madiet, denn wie fönnet ihr noch länger zu leben wüns
ichen, da ihr wohl einſehet, daß dies mit ſo vieler Bits
terfeit für euch, verknüpft iſt ?“ Sie aber hielten an,
daß er ſie gehen laſſen möge. Hierauf ſah er ſie mit
Ingrimm an, und hätte , indem er auf ſie losſtürzte,
zweifelsohne ihrem Leben ein Ende gemacyt, wenn er
nicht Krampfanfälle, wie er ſie zuweilen im Sonnens
fchein bekommt, erlitten hätte ; dadurch war er aber eine
Zeitlang ſeiner Hände nicht mächtig. Deßhalb zog er
jich denn zurück und überließ ſie, wie früher , ihrem
Nachdenken. Die Gefangenen nahmen nun niit einan
131

der Rath , ob es wohl beſſer ſei , auf den Vorſchlag,


der ihnen gemacht worden , einzugehen , oder nicht, und
ſo entſpann ſich denn unter ihnen folgendeUnterredung:
Chr. Bruder, was ſollen wir thun ? das Leben,
was wir jetzt führen, iſt ein elendes Leben. Was mich
angeht, ſo weiß ich nicht, ob es beſſer iſt, ſo zu leben,
oder auf der Stelle zu ſterben. Meine Seele wünſchet
erhangen zu ſein und meine Gebeine den Tod. ' ) Sols
len wir dem Rathe des Rieſen folgen ?
Hoffn. Währlich, unſere gegenwärtige Lage iſt
idhredlich und ich möchte viel lieber ſterben , als hier
immer bleiben ; aber laß uns wohl bedenken , daß der
Herr des Landes, zu dem wir gehen , geſagt hat: du
follſt nicht tödten ; wir dürfen einem Andern nicht
das Leben nehmen , noch weniger aber dem Rathe des
Rieſen folgen und uns ſelbſt umbringen . Derjenige,
welcher einen andern tödtet, begeht nur einen Mord
am Reibe ſeines Nädiſten , wer ſich aber ſelbſt das Les
ben nimmt, mordet nicht nur ſeinen Leib , ſondern auch
zugleich ſeine Seele. Und überdem, lieber Bruder, ſprichſt
du von der Ruhe im Grabe, aber haſt du vergeſſen die
Hölle, in welche die Mörder gewiß kommen werden ? denn
ein Todtidläger hat nicht das ewige leben bei
ihm bleibend.ž) und dann laß uns auch wohl erwä
gen, daß nicht alle Gewalt in der Hand des Rieſen Vers
zweiflung ſteht; Andere ſind, ſoviel ich denken kann,
gleich wie wir von ihin aufgegriffen worden und doch
ſeinen Händen entkommen. Wer kann es anders wiſſen,
als Gott, der die Welt erſchaffen hat , ob er nicht ben
Rieſen Verzweiflung ſterben läßt , oder ob dieſer
nicht ein oder das andere Mal vergißt, uns einzuſchließen,
oder ob er nicht binnen Kurzem wieder einmal in un
ſerer Gegenwart einen Krampfanfalt befommt, der ihn
des Gebrauchs ſeiner Glieder beraubt?. Und trifft der
Fal wieder ein, ſo bin ich für mein Theil entſchloſſen ,
mir ein männliches Herz zu faſſen , und das Neußerſte
) Hiob 7, 15. - ?) 1 Joh. 3, 15 .
132

zu verſuchen , um aus ſeinen Händen herauszukommen.


Es war thöricht genug , daß idy's nicht ſchon früher
verſucht habe. Wie es aber auch gehen möge , lieber
Bruder, laß uns Geduld haben und nod; eine Weile
ausharren. Vielleicht ſchlägt die Stunde unſerer glücks
lichen Errettung bald. Laß uns aber nicht ſelbſt Hand
an unſer Leben legen ! Durch dieſen Zuſprud , beruhigte
Hoffnungs voit einſtweilen das Gemüth ſeines
Bruders, und ſo verharrten ſie denn den Tag über mit
einander im Finſtern in ihrer traurigen und kummer
vollen Rage.
Gegen Abend begab ſich der Rieſe abermals in
den Kerfer hinunter , um zu ſehen , ob die Gefangenen
ſeinen Nathe Folge geleiſtet. Er fand ſie indeſſen noch
am Leben , und wahrlich „ am Leben" das war's auch
all. Denn aus Mangel an Waſſer und Brot und in
Folge der erlittenen Wunden , fonnten ſie nur faum
noch athmen. Jedoch fand er ſie, wie geſagt, noch am
Leben. Dadurch aber gerieth er in eine fürchterliche
Wuth und nun ſagte er ihnen : „ da ich ſehe, baß ihr
meinem Rathe zuwider gehandelt habt, will ich's mit
euch ſo machen , daß ihr wünſchen ſollt , ihr wäret nie
geboren .“
Darüber befiel ſie ein heftiges Zittern, und Chriſt
ſank, wie ich glaube, ſogar in Ohnmacht. Als er aber
wieder ein wenig zu ſich ſelbſt fam, fingen ſie von Neuem
ein Geſpräch über den Rath des Niejen an, ob ſie ihni
wohl noch folgen ſollten, oder nicht. Und Chriſt ſchien
wieder dafür zu ſein ; Hoffnungsvoll madjte ihm
jedoch abermals folgende Vorſtellung dagegen :
Denkſt du nicht daran , lieber Bruder, wie tapfer
.

du dich bisher bewieſen baſt ? Weber Apollyon ., nody


Alles, was du im Thale der Todesſchatten gehört, ge
ſehen oder empfunden, fonnte dich überwältigen. Welche
Mühſeligkeit, welche Angſt und weldie Beſtürzung haſt
du bereits durchlebt! Und nun erfüllt did Nichts als
Furcht? Du ſiehſt, daß ich mit dir im Rerfer bin, ob
wohl von Natur viel ſchwächer , als du biſt. Auch hat
1
133

mich der Rieſe ebenſo ſehr verwundet, wie dich, gleicher


weiſe bin ich wie dit, des Waſſers und Brotes beraubt
und ſite traurig da, wie du ohne Ruſt. Laß uns aber
ein wenig mehr Geduld üben . Denfe daran , wie du
dich als Mann erwieſeſt auf dem Markte Eitelkeit
und wie du dich weder vor Kette, noch Käfig, noch blu
tigem Tode fürchteteſt; laß uns daher, um wenigſtens
der Sdhande zu entgehen , die keinem Chriſten zuſteht,
ausharren in Geduld , jo viel wir nur fönnen.
Und abermals ward es Nacht. Als der Rieſe und
ſein Weib ſich zu Bette begeben hatten , da fragte ſie
ihn nach den Gefangenen, und ob ſie ſeinemRathe ge
folgt wären. Worauf er bemerkte : ,e8 ſind ſtarrköpfige
Scurfen , die lieber alle möglichen Qualen ausſtehen
wollen, als ſich ſelbſt das Leben nehmen." Da ſagte
das Weib : So führe ſie morgen auf den Burghof
11

und zeige ihnen die Gebeine und Schädel derer, die du


bereits aus der Welt geſchickt haſt , und mache ihnen
begreiflich, daß du ſie noch ehe die Woche zu Ende
gehe, gerade ſo in Stücke zerreißen werdeſt, wie du es
früher ihres Gleichen gethan.“
Als es nun Morgen geworden , ging der Rieſe
abermals zu den Gefangenen und führte ſie in den Burg
hof ; da zeigte er ihnen denſelben , gerade, wie ſein Weib
ihn geheißen hatte. „ Dieje waren ", ſagte er , ,,einſt
Pilgrime, wieihr ſeid, und vergingen ſich ebenfalls auf
meinem Grund und Boden. Da ich's aber für gut
fand, zerriß ich ſie in Stücke, und ebenſo will ich's mit
euch innerhalb zehn Tagen auch inaden. Fort nun !
in euren Berker zurück !" Und hiemit ſchlug er ſie auf
dem ganzen Wege dorthin , durch. So lagen ſie nun
den ganzen Samstag über in einem jämmerlichen Zu
ſtande da, wie zuvor.
Nachdem es abermals Nacht geworden, fingen Frau
Mißtrauen und ihr Gemahl wieder an , von ihren
Gefangenen zu ſprechen. Der alte Rieſe brückte ſeine
Berwunderung darüber aus , daß er ſie weder durch
Schläge , noch durch Zureben aus der Welt ſchaffen
134

Yönne. Hierauf ſagte ſein Weib : , 3ch fürchte, fie les


ben der Hoffnung, daß Jemand kommen werde, der ſie
befreit, oder" daß fie Nachſchlüſſel bei fich haben, mittelſt
welcher ſie zu entfommen hoffen." Meinſt du , liebe
!

Frau ? " ſagte der Rieſe. Dann will ich ſie deßhalb
IL

morgen frühe gleich durchſuchen ."


Indeſjen fingen die Gefangenen , Samstage, unges
fähr um Mitternadit an , zu beten und beharreten in
ihrem Gebete, beinahe bis der Tag anbrach. :) Da, ein
wenig früher als es Tag ward, brach der liebe Chriſt
ſtaunend in die Worte aus : Weld, ein Thor bin ich
doc)! da liege ict in einem ſtinkenden Nerfer, da ich
boc, ebenſo gut außerhalb in Freiheit umhergeben fönnte.
Ich habe ja in meinem Buſen einen Schlüſſel , Ver
heißung genannt , mit dem kann ich meiner feſten
Ueberzeugung nad), jedes Schloß in der Zweifels
burg aufſchließen." Hierauf ſagte Hoffnungsvoll :
,,Das iſt ja eine vortreffliche Neuigkeit: ſo nimm ihn
Doch aus deinem Bufen , lieber Bruder, und verſudy' es . "
So geſchah es nun. Den erſten Verſuch machte
er an der Thüre des Kerkers. Sobald er den Sdhlüſſel
umbrehete, ſprang das Schloß auf und mit leichter
Mühe ward die Thür geöffnet, ſo daß Chriſt und
Hoffnungsvoll mit einander herausfamen . Darnach
gingen ſie zu der äußern Thüre, welche auf den Burg
hof führt, und auch dieſe öffnete der Schlüſſel. So
dann kamen ſie zu dem eiſernen Thore , welches eben
falte aufgeſchloſſen werden mußte. Dies hielt nun
allerdings ſchwer, aber doch gelang es mit dem Sdlüſſel.
Hiernad ſtießen ſie das Thor auf, um in aller Schnel
ligkeit zu entrinnen. Als aber das Thor aufging,
frachte es ſo laut, daß der Rieſe Verzweiflung wach
wurde. Dieſer nun erhob ſich eilende, unt ſeinen Gefans
genen nachzuſetzen. Allein feine Glieder verſagten ihm ;
denn er ward wieder von ſeinen Krämpfen befallen , jo
daß er burchaus nicht von der Stelle fonnte. 2) Die
) Bgl. Apgfc . 16, 25.
23 – ?) Bgl. Apgidh. 16, 27.ff.
135

Pilger aber eilten davon und famen wieder auf die


Beerſtraße des Königs , wo ſie ſicher wandeln konnten,
weil ſie außerhalb der Beſitzung des Rieſen waren .
Nachdem ſie nun wieder über den Steg hinüber
waren , überlegten ſie unter ſich, was ſie thun ſollten,
damit diejenigen, welche etwa nach ihnen an dieſen Steg
tümen , nicht auch in die Hände des Rieſen Verz
zweiflung fallen möchten . Nun kamen ſie dahin über
ein , dort eine Säule aufzurichten und die Inſchrift da
rauf zu ſeben : „ Ueber dieſen Steg führt der Weg zur
Zweifeisburg, welche der Nieſe Verzweiflung
inne hat, derſelbe iſt ein Berächter des Königs der himm
liſchen Stadt,, und ſucht ſeine heiligen Pilger in's Ver
derben zu ſtürzen." Viele, die nach ihnen kamen , laſen
die Inſchrift und entgingen daher der Gefahr. ÁS
Chriſt und Hoffnungsvoll dies verrichtet, ſtimmten
ſie die Worte an :
Vom rechten Wege gingen wir und bald ward es
uns kund,
Was draus entftehet, wenn man keck tritt auf verbot'nen
Grund .
Wer nach uns kommt, rei wohl bedacht,
Daß ihn nicht zum Gefang’nen macht
Des Zweifelsburg - Befißers liſt,
DeB Name ſelbſt Verzweiflung iſt!

Sechszehntes Kapitel.
Pilger bei den Hirten auf den lieblichen Bergen.
Hierauf gingen unſere Pilger bis ſie kainen zu den
lieblichen Bergen , welche dem Herrn des Hügels
gehörten , wovon wir ſchon früher geredet haben. Sie
ſtiegen die Berge hinauf, um die Gärten und Baum
höfe, die Weinberge und Waſſerquellen zu beſehen,
welche dort ſind. Da tranken ſie und wuſchen fich,
auch aßen ſie in den Weingärten , ſo vielfie wollten .
Auf den Höhen dieſer Berge waren Hirten , die ihre
136

Heerden weideten. Zu dieſen gingen deßwegen die


Bilger und fragten , auf ihre Stäbe gelehnt, (wie es
müde Pilger zu thun pflegen, wenn ſie ſtehen bleiben,
um mit jemandem am Wege zu ſprechen ): ,,Wem ges
hören dieſe lieblichen Berge und die Schafe, die darauf
weiden ? "
Hirten. Die Berge find Immanuels Land
und liegen im Angefidit ſeiner Stadt ; aud die Schafe
ſind ſein und Er hat ſein Leben für ſie gelaſſen . ')
Chr. Iſt dies der Weg zur himmliſchen Stadt ?
Hirt. Ja, ihr ſeid auf dem rechten Wege.
hr. Wie weit iſt's nody bis dahin ?
Hirt. Gar weit ; nur nicht für Diejenigen, welche
hineinkommen werden.
Chr. Iſt der Weg ein ſicherer oder gefährlicher ?
Hirt. Er iſt ſicher für die Gerechten , aber die
Uebertreter fallen darinnen.2)
Chr. Gibt es Erquicfungen da für Bilger , die
auf dem Wege müde und matt geworden ſind ?
Hirt. Der Herr dieſer Berge hat uns den Auf
trag ertheilt, der Pflege der Fremden nicht zu vergeſſen ;
deßwegen
bietet
ſteht euch Álles zu Dienſten , was dieſer Ort
.)
Auch ſah ich in meinem Traume, daß die Hirten,
als ſie merkten, daß ſie Pilgrime vor ſich hatten , ihnen
verſdjiedene Fragen vorlegten , die ſie wie anderwärts
beantiporteten, wie z. B. Woher kommt ihr ? Wie feid
ihr auf dieſen Weg gekommen ? Durch welche Mittel
feid ihr darauf geblieben ? denn nur Wenige von denen,
die ſich anſchickten hierherzukommen , zeigen ſich auf dies
ſen Bergen. Als aber die Hirten ihre Antworten vers
nahmen , waren ſie darüber erfreut, blickten ſie gar
freundlich an und ſprachen : ,,Willfommen auf den lieb
lichen Bergen !
Die Namen dieſer Hirten waren : Erfenntnis
reids, Erfahren , Wachſam und Aufrichtig. Sie
) Joh . 10, 12. — 2) Hoſ. 14 , 10. — 3) Hebr. 13, 2.
-
H
137

nahmen die Pilger bei der Hand , führten ſie in ihre


Zelte und ließen ſie an Allem Theil nehmen, was be
reitet war. Dabei ſagten ſie : „ Wir wünſchten , das
ihr eine Zeitlang bei uns bleiben möchtet, damit wiz
näher mit einander bekannt würden , beſonders aber, dat
ihr euch labtet an den Gütern dieſer lieblichen Berge
Gern willigten unſere Pilger barin ein. Somit aber
begaben ſie ſich zur Ruhe, weiles ſchon ſehr ſpät war.
Dann ſah ich in meinem Traume, wie die Hirten
früh Morgens Éhriſt und Hoffnungsvoll" auf
weckten , daß ſie mit ihnen auf die Berge gehen möch
ten. So geſchah es denn , und nach allen Seiten hin
hatten die Bilger eine liebliche Ausſicht. Darauf frag
ten die Hirten einander : Sollen wir dieſen Pilgern
einige beſonders merkwürdige Punkte zeigen ? " Als ſie
dies nun einmüthig beſchloſſen hatten, führten ſie dieſel
ben zuerſt auf den Gipfel eines Berges, Irrthum ge
nannt, der an einer Seite ſehr ſteil war; hier hießen ſie
die Pilger bis zum Fuße des Berges hinabſchauen. Hier
ſahen nun Chriſt und Hoffnung 8voll Menſchen
liegen, die durch einen Sturz von der Höhe in die Tiefe >

ganz zerſtückelt worden waren . „Was bedeutet das ?


fragte Chriſt. Da ſagten die "Hirten : „ Habt iht
nicht gehört von denen, welche in Irrthum verführt
worden ſind durch Hymenäus und Philetus , im
Glauben an die Auferſtehung der Todten ? " 1 ) Sie
antworteten : „ Ia."' Da ſagten die Hirten 'weiter:
Yeun, das ſind die, welche ihr da unten am Fuße des
11

Berges zerſchmettert liegen fehet; ſie ſind, wie ihr bes


merket, unbegraben geblieben bis auf dieſen Tag , zum
Exempel für Andere, daß ſie ſich nicht auch zu hoch
verſteigen oder dem Rande des Berges zu nahe fommen.
Darauf ſah ich, daß ſie die Hirten auf die Spike
eines andern Berges führten, deß Name Warnung
iſt. Hier hießen ſie dieſelben weit hinausſchauen. De
erblicten ſie mehrere Menſchen , die zwiſchen den Grä
. 1 Tim. 1, 19. 20. 2 Tim. 2, 17. 18.
415. 11
138

bern auf und niedergingen ; zugleich bemerkten ſie, daß


dieſe Menſchen blind ſeien, denn ſie ſtrauchelten oft über
den Gräbern und fonnten nicht dazwiſchen durchkommen.
„ Was bedeutet denn dies ? " fragte Chriſt.' Darauf
antworteten die Hirten: „ Sehet ihr nicht unten an
dieſen Bergen einen Steg, welcher links von dieſem
Wege auf eine Wieſe führt?" Sie antworteten : ,, Ja."
Nun," ſagten die Hirten , von dieſem Stege geht ein
Pfad , der gradezu auf die Zweife Isburg führt,
welche der Nieſe Verzweiflung , inne hat und dieſe
Menſchen (hier zeigten ſie auf die hin, die zwiſchen den
Gräbern wandelten ) famen auch einſt auf ihrer Pilgrims
ichaft, wie ihr, grade bis an jenen Steg . Weil aber
der rechte Weg an jener Stelle rauh war, ſo zogen ſie
es vor , davon ab und auf die Wieſe zu gehen. Hier
aber wurden ſie vom Nieſen Verzweiflung ergriffen
und in die 3 w eifelsburg geworfen. Nachdem ſie
daſelbſt eine Zeitlang im Rerfer geſeſſen, ſtach ber Rieſe
ihnen zulegt die Augen aus und führte ſie dann zwi
fchen dieſe Gräber, wo er ſie umherirren läßt bis auf
bieſen Tag, damit das Wort des Weijent erfüület würde :
Ein Menſch , der vom Weae der Klugheit ir
ret , der wird bleiben in der Todten Ges
meinde. '). Da blickten Chriſt und Hoffnungs 2

voll ſich unter einem Strom von Thränen an ; boch


ſagten ſie den Hirten kein Wort.
Hierauf ſah ich in meinem Traume, daß die Hirten
ſie mit ſich an einen andern Ort in eine Tiefe mit hinab
nahmen, wo eine Thür an der Seite des Hügels war.
Sie öffneten die Thür und ließen die Pilger hineinſehen .
Dieſe bemerkten nun , daß es drinnen ſehr dunkel und
voller Rauch war. Auch glaubten ſie ein praſſelndes
Geräuſch, wie von einem Feuer, zu bernehmen und ein
Geſchrei von Gequälten , dabei fam ihnen ein Geruch
wie Schwefel entgegen . „Was bedeutet das ?" fragte
Chriſt. Da erwiederten die Hirten : „ Dies iſt ein
) Sprüch. 21 , 16.
139

Nebenweg zur Hölle, der Weg, auf welchem die Heuche


ler gehen : ſolche nämlich , die wie Eſau, ihre Erſte
geburt, oder wie Judas ihren Meiſter verkaufen, die
das Evangelium läſtern , wie Alerander und die da
Lügen und ſich verſtellen, wie Ananias und ſein Weib
Sapphira.
Da ſagte Hoffnungsvoll zu den Hirten :
Ich bemerke, daß Jeder dieſer Leute das Ausſehen
eines Pilgers hatte, wie wir's jetzt haben. Iſt's nicht ſo ?"
Hirt. Ja, und ſo war's ſogar eine geraume Zeit
hindurch.
Hoffn . Wie weit mochten ſie wohl auf ihrer
Pilgrimſchaft gekommen ſein, ehe ſie ſo jämmerlich vers
worfen worden ſind ?
Hirt. Einige weiter , Andere nicht ſo weit ,1 bis
zu dieſen Bergen . „ D ," ſagten da die Pilger zu eins
ander , „wie nöthig" iſt's dann , daß wir zu dem Au.
mächtigen flehen , daß er mächtig ſein möge in unſerer
Schwachheit !"
Hirt. Allerdings , wenn er euch aber Kraft ges
geben, werdet ihr ſie auch wohl gebrauchen . ')
Um dieſe Zeit bekamen die Pilger ein Verlangen,
weiter zu reiſen , und die Hirten waren damit eins
verſtanden. So wanderten ſie denn mit einander bis
zum Ende des Gebirges. Hierauf ſagten die Hirten zu
einander: Laſſet uns den Bilgern die Thore der himm
liſchen Stadt zeigen , wenn ſie im Stande ſind durch
,

unſer Fernglas zu ſehen ." Die Pilger aber nahmen


das Anerbieten gerne an . Und nun führten die Hirten
ſie auf den Gipfel eines hohen Berges, Hell genannt,
wo ſie ihnen das Fernglas in die Hand gaben , um
durch daſſelbe zu ſehen . )
Die Bilger verſuchten's nun zwar , allein die Ers
innerung an das, was ihnen die Hiiten zulegt gezeigt
hatten , machte, daß ihre Hände zitterten und dadurch
wurden ſie denn verhindert, einen ſichern Blict durch
Luk. 19, 16. ff . - ?) 5 Mof.34 , 1.
11
140

bas Glas zu thun. Doch meinten ſie etwas einem Thore


Aehnliches und audy Einiges von der Herrlichkeit jenes
Ortes zu erblicken . Bevor ſie aber weiter gingen, fangen ſie:
Tiefverborg'ne Dinge werden offenbaret
Von den Hirten, Dinge, wie fie ſonſt kein Menſch bes
wahret.
Zu den Hirten kommt, wollt ihr in Tiefen ſehen ,
Was geheim iſt lernt man hier verſtehen !
Als ſie nun im Begriff waren, abzugehen, gab ih
nen einer von den Hirten eine Beſchreibung des We
ges mit. Ein Anderer ermahnte ſie, ſich vor dem
Scmeidhler in Adyt zu nehmen. Der Dritte warnte
ſie davor, auf dem Zaubergrunde einzuſchlafen. Der
Vierte wünſchte ihnen Gott zum Geleite. Da erwachte
ich aus meinem Traume.

Siebenzehntes Kapitel.
Kleinglaubens Art und Treiben .
Abermals ſchlief ich ein und träumte : ich ſah die
zwei nämlichen Pilger die Berge hinab auf dem ange
wieſenen Wege zur Stadt hingehen. Unten an dieſen
Bergen liegt an der linken Seite das Land Ginbil
bung ; von da aus geht ein etwas ſchmaler krummer
Wegauf die Straße, die unſere Pilger wandelten. Hier
nun begegneten ſie einem lebhaften Jüngling, der aus
jenem Cande fam ; Unwiſſend war ſein Name.
Chriſt fragte ihn : „Woher kommſt du ? und wos
hin willſt du ? "
Unwiſſend. Mein Herr , ich bin gebürtig in
dem Lande, das hier ein wenig links abwärts liegt und
will nach ber himmliſchen Stadt.
Chr. Aber wie meinſt du denn wohl durch die
Pforte hindurch zu kommen; du fönnteſt doch einige
Schwierigkeiten dort finden.
Unw. Ich denke ſo gut durchzukommen , wie an
dere rechtichaffene Leute auch.
141

Chr. Aber was haſt du denn an der Pforte vor


zuzeigen, daß man dir dieſelbe aufmacht ?
Unw . Ich kenne den Willen meines Herrn und
habe ein rechtſchaffenes Leben geführt; ich gebe Jedem
das Seinige, ich bete und faſte, ichbezahle gehörigmeine
Abgaben und gebe Almoſen , und ich habe mein Vaters
lanð verlaſſen, um in die himmliſche Stadt zu gelangen.
Chr. Allein du biſt midt durch die enge Pforte
gekommen , die am Anfange dieſes Weges iſt. Du famſt
vielmehr hieher auf dem ſchmalen frummen Wege, und
darum fürchte ich , was du auch von dir halten magſt,
daß man sich am Tage der Rechenſchaft für einen Dieb
und Mörder 'erflären wird, ſtatt did in die himmliſche
Stadt einzulaſſen.
Unw. Meine Herren, ihr ſeid mir gänzlich fremd,
ich kenne euch nicht. Folget ihr der Religion eures
Sandes und ich will der meinigen nachleben. Ich hoffe,
es wird Aves gut gehen. Was aber die Pforte an
langt, von welcher ihr redet, ſo weiß ja alle Welt, daß
ſie von unſerm Lande weit entfernt iſt. Ich glaube
nicht, daß irgend Einer in unſerer ganzen Gegend auch
nur den Weg dalhin weiß; aud) liegt gar Nichts daran,
ob man ihn weiß oder nicht, denn wir haben , wie ihr
ſehet, einen ſchönen , angenehmen und graſigen Weg, der
auf der fürzeſten Strecke zu dieſer Straße hinführt.
Als Chriſt merkte, daß der junge Mann ſich auf
feine Weisheit Etwas einbildete, flüſterte er Hoff
nungsvoll zu : An einem Narren iſt mehr
Hoffnung, denn an ihm ') . - und ferner: ob der
Narr auch ſelbſt närriſch iſt in ſeinem Thun ,
fo hält er doch Jedermann für einen Nars
ren . ) Was ſollen wir thun ? Sollen wir noch fers
ner mit ihm reben oder jetzt von ihm abgehen , damit
er über das , was er gehört hat, weiter nachdenken
kann, und wir etwa dann ſpäterhin ſehen , ob wir etwas
) Sprüch. 26 , 12. - ) Preb. 10, 3.
-
142

Gutes bei ihm auszurichten im Stande ſind ? Da ſagte


Hoffnungsvoll:
Unwiſſend mag nun eine Weile ſinnen
Ob dem , was er gehört, um zu gewinnen
Aus gutem Rath, was Noth ihm thut,
Damit er nicht verſcherz' der Seelen höchſtes Gut.
Wer nicht in Gottes Wort ſucht recht hineinzubringen ,
Der täuſcht ſich ſelbſt und wird niemals das Heil erringen.
Hierzu bemerkte Hoffnungsvoll noch ferner : 3
glaubē, es iſt nicht gut, ihm Ades aufeinmal zuſagen;
Laßt uns jegt vor ihm hergehen und ihm von Zeit zu
Zeit ſo viel ſagen, wie er ertragen kann.
So gingen denn Beide voran , und Unwiſſend
folgte ihnen nad). Als ſie ihm um eine kleine Strece
vorausgekommen waren , traten ſie in eine finſtere Gaſle,
in der ſie einem Manne begegneten , den ſieben Teufel
mit ſieben ſtarken Stricken gebunden hatten und den
dieſelben zu der Thüre zurück ſchleppten , welche die
Pilger an derSeite jenes Hügels geſehen hatten . ')
Da fing Chriſt an zu zittern , und ebenſo ſein Ges
fährte Hoffnungsvoll . Doch ſah Chriſt, als die
Teufel ben Mann wegführten , ob er denſelben fenne.
Nun meinte er, es wäre ein gewiſſer Abtrünnig aus
der Stadt Abfall. Jedoch konnte er ſein Geſicht nicht
recht ſehen, denn er ließ den Kopf hangen , wie ein ers
tappter Dieb. Als der Mann aber vorübergegangen
war, ſah Hoffnungsvoll ihm nach und entdeckte auf
dem Rücken deſſelben einen Zettel, worauf geſchrieben ſtand:
„ ein loſer Bekenner und ein verdammter Abtrünniger."
Chriſt jagte darauf zu ſeinem Gefährten : ,Nun
erinnere ich midy eines Vorfalls , der hier einem guten
Manne begegnet ſein ſoll. Der Name des Mannes war
Kleinglaube; übrigens war er redlich und wohnte
in der Stadt Áufrichtig. Der Vorfall war folgens
der: Beim Eingang iv dieſe Gaſſe kommt von der
Breitwegpforte ein Weg herab, der wegen der vies
) Matth. 12, 45. Sprüch.5, 22.
143

len Mordthaten , die ſchon darauf verübt worden ſind,


Todtmannsweg genannt wird. Als dieſer Relein
glaube ſich , wie wir jeßt, auf die Pilgrimſchaft begab,
geſchah es , daß er ſich dort niederließ und einſchlief.
Da ereignete es ſich , daß gerade um dieſe Zeit drei
handfeſte Schurken von der Breitwegpforte herab
famen ; ſie hießen : Zaghaft , Rleinmuth und Schuld
(drei Brüder). Als ſie Kleinglaube erblicten, liefen
fie in größter Saft auf ihn zu. Eben war der gute
Mann aus ſeinem Schlafe erwacht und im Begriff,
ſeine Reiſe fortzuſeßen , als ſie alle drei ihn überfielen
und ihn mit drohenden Worten ſtille ſtehen hießen.
Hierüber wurde Kleinglaube blaß vor Schrecken und
war weder im Stande ſich zu vertheidigen, noch auch
zu fliehen. „ Heraus mit deinem Beutel !" rief Zagó
haft ihm zu . Da er aber nicht eilig damit war (denn
er wotíte ſein Geld nicht gern verlieren) rannte Plein
muth auf ihn los, fuhr ihm mit der Hand in die Taſche
und zog einen Beutel mit Silber heraus. Diebe !
Diebe! ' rief Kleinglaube nun. Sofort ſchlug ihn
aber Squlb mit einem ſchweren Knüttel , daß er zu
Boden ſank und dalag , wie Einer, der ſich todt bluten
will. Während dieſer ganzen Zeit ſtanden die Diebe
bei ihm. Da ſie aber endlich hörten, daß Jemand des
Weges daherkam und befürchteten , es möchte ein gewiſſer
Grabengroß aus der Stadt Gutzuverſicht ſein,
ſo machten ſie ſich davon und überließen den guten
Mann ſich ſelbſt. Nach kurzer Zeit fam aber Klein
glaube wieder zu ſich, ſtand auf und bemühte ſich
weiter zu friechen. Dies war die Geſchichte."
Hoffn. Aber nahmen ſie ihm benn Atles ab,
was er hatte ?
Chr. Nein ; den Ort, wo er ſeine Juwelen hatte,
durchſuchten ſie nicht, und dieſe behielt er noch. Alein,
wie mir geſagt wurde, war der gute Mann doch ſehr
bekümmert um ſeines Verluſtes , denn die Diebe nahmen
ihm den größten Theil ſeines Zehrgeldes. Das aber,
was ſie nicht bekamen, waren, wie geſagt, ſeine Juwelen.
144

Es war ihm zwar noch ein wenig Geld übrig geblieben,


indeſſen reichte dies nicht bis zum Ende ſeiner Reiſe
aus. " Ja , er war, wenn ich recht unterrichtet bin , ſos
gar genöthigt , unterwege zu betteln , um ſein Leben zu
friſten ; denn ſeine Juwelen verkaufen , mochte er nicht.
Aber wie er auch bettelte und was er auch trieb, er
mußte den größten Theil ſeiner Reiſe mit hungrigem
Magen zurücklegen .')
Hoffn. Aber war es nicht ein Wunder , daß fie
fein Zeugniß nicht von ihm bekamen , durch welches er
ben Zutritt zur Pforte des Himmels erlangt ?
Chr. Wohl iſt's ein Wunder ; allein dies geſchah
nicht durch ſeine eigene Vorſicht; denn er ward ſo ers
ſchrocken, da ſie ihn überfielen, daß er weder Ueberzeus
gung noch Kraft beſaß, um irgend etwas zu verbergen.
Und ſo war es denn mehr durch die Güte der Vors
ſehung, als durch ſeine Bemühung, daß ſie nidyt an
jenes föſtliche Ding famen. 2)
Hoffn. Allein es mußte body ein Troſt für
ihn ſein , daß ſie ihm dieſen Sdaß nidit abgenommen
hatten.
Chr. Es würde ihm gewiß ein Troſt geweſen
ſein, wenn er ihn ſo gebraucht hätte, wie es ſeine Pflicht
geweſen wäre ; aber die, welche mir die Geſchidyte ers
zählten, ſagten, er habe den ganzen Weg über wenig Ge
Þrauch davon gemacht, und zwar deßwegen, weil er ſo
verlegen geworden , als ſie ihn des Geldes beraubt.
Wirtlich dachte er einen großen Theil ſeiner Reiſe hins
durch nicht an den Schat, und wenn derſelbe ihm wohl
einmal einfiel und er ſich damit zu tröſten im Begriff
war, jo famen ihm die Gedanken an ſeinen Verluſt
immer wieder in den Sinn und dadurch wurde ihm
benn aller Troſt benommen .
Hoffn. Ach, der arme Mann ! Dies mußte ihm
großen Kummer verurſachen.
Chr. Kummer ? ja wohl, Kummer! Würde uns
-

) 1 Petr. 4, 18. — 2) 2 Tim. 1, 12. 14. 1 Petr. 1, 5.


145

nicht ebenſo zu Muthe ſein, wenn es uns wie ihm er:


gangen, wenn wir ausgeplündert und überdieß verwuns
det wären , und dies noch obendrein an einem fremden
Orte ? Armes Herz! es iſt ein Wunder , daß du nicht
vor Kummer gebrochen biſt. Man hat mir geſagt, daß
er den ganzen übrigen Theil ſeines Weges mit bittrem
Wehflagen zurückgelegt habe. Jedem, der ihm begegs
nete , erzählte er , wo und wie er geplündert worden,
was er gethan und was er eingebüßt , wie er verwun
det worden und kaum mit dem Leben davon gekom:
men ſei.
Hoffn. Es iſt übrigens zu verwundern , daß ihn
die Noth nicht getrieben hat, einige von ſeinen Juwelen
zu verfaufen oder zu verpfänden , um ſich auf dieſe
Weiſe Etwas zu ſeiner Erquickung auf der Reiſe anzu
ſchaffen .
Chr. Wie unſinnig ſprichſt du doch ! Wofür hätte
er ſie denn verpfänden , oder wem hätte er ſie verkaus
fen ſollen ? In dem ganzen Lande , wo man ihn be
raubte , wurden ſeine Juwelen für Nichts geachtet und
ebenſo fonnte er die Erquicung, deren er bedurfte, dort
nicht finden. Wenn ihm überdies am Thore der himms
liſchen Stadt ſeine Juwelen gefehlt hätten, fo würde
er (und das wußte er recht wohl) von ſeinem Erbtheil
barin ausgeſchloſſen worden ſein, und das wäre ſchlim
mer für ihn geweſen , als wenn ihn zehntauſend Diebe
ſpißbübiſch überfallen hätten .
Hoffn. Warum biſt du doch ſo ſcharf, lieber
Bruder ? Eſau verkaufte feine Erſtgeburt für ein
Linſengericht, ' ) und dieſe Erſtgeburt war ſein größtes
Kleinod. Und wenn er'8 nun ſo madyte , warum denn
nicht seleinglaube auch ?
Chr. Freilich verkaufte Efau ſeine Erſtgeburt,
und fo thun es noch viele und bringen ſich dadurch,
gleich dieſem Nichtswürdigen , um den größten Segen,
allein du mußt einen Unterſchied zwiſchen Eſau und

) 1 Mof. 25, 29—34 . Hebr. 12, 16.


146

Kleinglaube und der Lage machen , worin der Eine


und der Andere waren . Efau's Erſtgeburt ſollte zum
Vorbilde dienen , Kleinglaube8 Juwelen aber nicht.
Eſau's Bauch war ſein Gott ; Gau's Gebrechen
lag in ſeiner Fleiſchesluſt; nicht ſo war es bei Klein
glaube der Fall . Auch hatte Eſau nichts Anderes,
als die Befriedigung ſeiner Luſt im Auge ; ich muß
doch ſterben , ſagte er, was foll mir denn die
Erſtgeburt?!). Kleinglaube ward jedoch, wiewohl
ihm nur ein kleiner Glaube überkommen , vor folcher
Verirrung bewahrt, und daher achtete er ſeine Ju
welen zu hoch, als daß er ſie verkauft hätte, wie Eſau
feine Erſtgeburt. Nirgends liefeſt du, daß Efau Slauis
ben hatte, auch den fleinſten nicht. Kein Wunder deß
wegen, wenn Einer, in welchem nur das Fleiſd Madyt
hat, (wie es bei Allen iſt, in denen fein Glaube Wider
ſtand thut), dem Teufel ſeine Erſtgeburt, ſeine Seele
und fein Äues verkauft, denn ſolche Menſchen ſind wie
ein Wild in der Brunſt, das Niemand auf
halten kann. ?) Wenn ſie ihren Sinn erſt einmar
auf die Befriedigung ihrer Lüſte gelegt haben, ſuchen ſie
dieſelbe zu erlangen , es möge koſten was es wolle.
Kleinglaubes Sinn war aber von anderer Art : er
war auf göttliche Dinge gerichtet; er verlangte nach
geiſtlicher Sättigung, von obenher.” Wie hätte er denn
bei ſolchem Sinne feine Juwelen verkaufen ſollen , um
fein Gemüth mit nichtigen Dingen zu füllen, ſelbſt wenn
auch Jemand dageweſen wäre, der ſie gefauft hätte.
Wird ein Menſch wohl einen Heller ausgeben, um fei
nen Bauch mit Heu zu füllen ? oder kann man die Tur
teltaube bewegen , von einem Aaſe zu freſſen, gleich
einem Raben ? Mag gleich der Ungläubige Alles , was
er hat und ſich felbſt dazu für die Befriedigung ſeiner
fleiſchlichen Lüfte' verpfänden , verſchreiben oder verkau
fen; ſo können doch die, welche Glauben , ſeligmachenden
Glauben haben , und mag derfelbe auch nur klein ſein,
‘ ) 1 Mof. 25, 32. – ?) Jerem . 2 , 24 .
147

Solches doch nicht thun. Deßwegen liegt hier , mein


Bruder, dein Irrthum .
Hoffn . Ich ſehe es ein ; allein dein ſcharfer Tas
del hätte mich beinahe ärgerlich gemacht.
Chr . Warum denn ? Ich verglich dich nur mit
gewiſſen muntern Vögeln, die noch mit der Schale auf
bem Kopfe auf betretenen Pfaden hin und herlaufen ;
aber laß dasgut ſein, erwäge bloß die beſprochene Sache,
ſo wird Alles gut zwiſchen uns ſtehen.
Hoffn. Allein ich bin überzeugt, lieber Chriſt,
daß dieſe drei Kerle nur eine Geſellſchaft von Feiglingen
ſind. Was meinſt du, würden ſie ſonſt wohl davonges
laufen ſein , als ſie jemanden auf dem Wege kommen
hörten ?' Warum faßte Kleinglaube denn nicht mehr
Muth ? Er hätte doch, meine ich einen Kampf mit
ihnen verſuchen, und ſich erſt ergeben ſollen, wenn feine
Hülfe für ihn vorhanden geweſen wäre.
Chr. Daß ſie wirklich Feiglinge ſind, haben
Manche ſchon geſagt, allein Wenige haben es ebenſo zur
Zeit der Anfechtung gefunden. Duth im Herzen hatte
Kleinglaube feinen ; aber ich merke ebenfalls an dir,
lieber Bruder, hätteſt du dich an ſeiner Stelle befunden,
fo würdeſt du den Kampf eben nur verſucht und dich
dann ergeben haben . Allerdings kannſt du jeßt, da die
Feinde in gehöriger Entfernung ſind, 'wohl groß thun,
aber fämen ſie dir ſo nahe wie Jenem , fo würden ſie
dich auch ſchon auf andere Gedanken bringen.
Erwäge ferner, daß wiewohl ſie nur herumſtreis
chende Diebe ſind, ſie doch unter dem Könige des bo
denloſen Abgrunds dienen, der, wenn es nöthig iſt, ih
nen ſelber zu Hülfe fommt und deſſen Stimme iſt wie
die eines brüllenden Löwen.') Ich ſelbſt bin, wie dies
fer Kleinglaube, angefallen worden und fand es in
der That erſchrecklich. Dieſe drei Spigbuben überfielen
mich, und da ich ihnen anfänglich wie ein Chriſt wider
ftand, ſo gaben ſie nur einen Ruf von ſich und ſogleich
9 1 Petr. 5, 8.
148

tant ihr Meiſter herbei. Und in der That, ich hätte


teinen Heller, wie man zu ſagen pflegt, für mein Leben
gegeben, wenn ich nicht, wie Gott es gerade wollte, mit
einer erprobten Waffenrüſtung angethan geweſen wäre.
Obwohl ich nun ſo geharniſcht war, fand ich es dennoch
ſchwer , den Kampf zu beſtehen wie ein Mann. Nies
mand weiß es , was uns in ſolchem Rampfe begegnet,
als nur der , welcher ſelbſt barin geweſen iſt.
Hoffn. Gut, aber ſiehe, ſie liefen ja , als ſie
eben nur vermutheten , daß Gnadengroß auf dem
Wege ſei.
Chr. Allerdings iſt's wahr ; fie ſowohl wie ihr
Meiſter haben oft die Flucht genommen , wenn Gna
dengroß ſich nur ſehen ließ; daß iſt aber auch fein
Wunder, denn er iſt einer von den Helden des Königs.
Aber ich denke, du wirſt auch einen Unterſchied machen
zwiſchen Kleinglaube und dem Königshelden. Nicht
alle Unterthanen des Königs ſind Helden , und fönnen
daher auch nicht, wenn's gilt , folche Heldenthaten vers
richten, wie Jener. Kann man ſich vorſtellen , daß ein
kleines Rind mit Goliath fo verfahren werde, wie Ta
vid ? oder daß ein Zaunkönig ſo ſtark ſei, wie ein Odiſe ?
Einige ſind ſtarf, Andere ſchwach ; Etliche haben großen,
Etliche kleinen Glauben . Dieſer Mann war einer von
den Schwachen und deßwegen wurde er bald überwunden .
Hoffn. Ich wünſcite um der Diebe willen , daß
Gnadengroß ſtatt Kleinglaube auf dem Plage
erſchienen wäre.
Chr. Wäre dies der Fall geweſen , ſo hätte er
die Hände wohl vollhaben mögen . Denn ichmuß dir
bemerken : obgleich Gnadengroß ſeine Waffen vors
trefflich zu führen verſteht, und er mit ſeinen Gegnern,
ſo lange er ſie mit dem Schwerte von ſich entfernt hals
ten kann, recht gut mit ihnen fertig wird : ſo wird es
ihm doch ſchwer , wenn ſie , nämlich zaghaft und
Mißtrauen oder ein Anderer auf ihn einbringen, ſich
vor dem Niederfallen zu bewahren. Liegt aber einmal
Einer da, ſo weißt du wohl, was er dann noch ausrich
149

ten kann. Wer Gnadengroß recht in's Angeſicht ſteht,


wird Narben und Hiebe darin bemerken, dadurch beweis
fet ſich flar das , was ich ſo eben ſagte. Ja , einmal
þörte ich, daß er geſagt haben ſoll, und zwar grade als
er in einem Rampfe war : „ Wir erwegten uns auch
des Lebens !" 1 ) Wie brachten dieſe frechen Buben
einen David zum Trauern, Klagen und Heulen ! Wie
einen Hemanz) und Hiskias ! wiewohl ſie Helden
waren zu ihrer Zeit. Sie mußten alle Kräfte aufbie
ten , wenn ſie von denſelben angefallen wurden , und
nichts deſto weniger wurden ſie furchtbar mitgenom
men . Petrus wollte einſt verſuchen, was er zu thun
vermöchte, allein obgleich einige ihn den Fürſten der
Apoſtel nennen , ſo trieben ſie's body alſo mit ihm , daß
er ſich zulegt vor einer armſeligen Magd fürchtete.
Ueberdies iſt ihr König auf den erſten Laut da,
denn er horcht beſtändig auf. Geht es ihnen aber ein
mal ſchlinum , jo fommt er ihnen, wenn irgend möglich,
ſogleit zu Hülfe. Von ihm ſteht geſchrieben : Wenn
er ſich er hebet, ſo entſegen ſich die Starken ,
und wenn er daher bricht , ſo iſt keine Gnade
da. Wenn man zu ihm will mit dem Schwert,
ſo reget er ſich nicht , oder mit dem Spieße,
Seidhoß und Panzer. Er adtet Eijen wie
Geſchoß
Strob, und Erz wie faules Holz. Rein Pfeil
wird ihn verjagen; die Schleuderſteine ſind
ihm wie Stoppeln; den Hammer achtet er
wie Stoppeln ; er ſpottet der bebenden
lanze. 3) . Was Toll ein Mann in folch einem Falle
thun ? Freilich, wenn Einer bei jeder Gelegenheit Hiob's
Roß und Geſchick und Muth hätte, es zu reiten , ſo
möchte er wohl große Dinge ausrichten . Denn ,, es
ftampfet auf den Boden und iſt freubig mit
Kraft, und ziehet aus den Geharniſchten ent
gegen ; es ípottet der Furcht und erſchridt
nicht und flieht vor dem Schwerte nicht. Wenn
) Vgl. 2 Kor. 1 , 8. 9. 2 ) P5.88. 5 ) Hiob 41, 16-20 .
150

gleich wider es klinget der Röcher und glän


zet beides , Spieß und Lanze; es zittert und
to bet und darret in die Erde, und achtet
nicht der Drommeten Hall. Wenn die Drom
mete klinget , ſpricht es : ,, Hui!" und riedit
den Streit von ferne , Das Søreien und
Faudzen der Fürſten." :)
Allein ſolche Fußgänger, wie ich und du ſind, mös
gen nie wünſchen miteinem Feinde zuſammenzutreffen,
noch uns aucı rühmen , daß wir's beſſer machen wür
den, als Andere, von denen wir hören , daß ſie un
terlegen ſind , und ebenſo wenig ſollten wir uns auf
unſere eigene Mannhaftigkeit etwas zu Gute thun,
denn Solche kommen gewöhnlich am Schlimmſten weg,
wenn ſie in Anfechtung gerathen. Hier bient Petrus,
von dem ich vorhin redete, allen Andern zum Erempel.
Er wollte groß thun , ja er wollte es in ſeinem eitlen
Sinne beſſer inachen und beſſer zu ſeinem Meiſter ſtes
her als alle andere Menſchen ; aber wer iſt von jenen
Scurfen ſo niedergeworfen und beſiegt worden , wie
er ? Deſwegen haben wir zwei Stücke zu beobachten,
wenn wir vernehmen , daß folche Räubereien auf der
Straße des Königs verübt werden.
Erſtens müſſen wir geharniſcht hinausgehen und
ja den Schild mit uns nehmen ; denn, weil ihm dieſer
fehlte, fonnte er , der jo friſch den Speer gegen deviathan
einlegte , denſelben nicht bezwingen . Denn haben wir
ten Schild nicht, jo fürchtet Sener uns gar nicht. Ein
tüchtiger Kämpfer ermahnt uns: Vor allen Din
gen ergreifet ben Schild des Glaubens , mit
welchem ihr auslöſchen könnt alle feurige
Pfeile des Böſewichts. 2)
Zweitens iſt es auch gut, daß wir den König um
cheres Geleit angehen , ja, daß er ſelbſt uns begleiten
wolle. Daher konnte Davis jaudyzen , als er im
finſtern Thal des Todes wandelte , 3) und Moſes
' ') Hiob 39, 21–25 . – ?) Ephef. 6, 16. 3) Pf. 23, 4 .
151

wolte lieber auf der Stelle ſterben , als einen einziger


Schritt ohne ſeinen Gott weiter gehen .') D , lieber
Bruder, wenn der Herr nur mit uns gehet, wie ſollten
wir uns dann fürchten vor viel hundert Tauſenden, die
ſich umher wider uns legen ! aber ohne Ihn werden
die Stolzen unter die Erſchlagenen fallen. )
Was mich anlangt, ſo war ich früher auch im
Treffen ; obgleich ich aber durch die Güte des Herrn
noch am Leben bin , wie du ſiebeſt, ſo fann ich mich
doch meiner Mannhaftigkeit nicht rühmen . Ich werde
mich freuen , wenn ich ſolchen Angriffen nicht weiter
ausgeſetzt bin, wiewohl ich befürchte, daß wir noch nicht
durch alle Gefahr hindurch find. Indeſſen, da ' mich
weder der Löne' noch der Bär verſchlungen hat, ſo
hoffe ich, daß Gott uns auch aus der Handdes nächſten
unbeſchnittenen Philiſters befreien werde. 3)
Micinglaube, ach du Armer! fielft in der Diebe Hände
Und wardftberaubtvon ihnen . Denk,. Gläub'ger ſtets daran
Und ring’ nach größrem Glauben, daß fich dein Kampf
zum Siege wende :
Dann ſchlägſt zehntauſend ou, und ſonſt nicht Einen Mann.
So gingen ſie einher, und Unwiſſend folgte
hinter ihnen brein, bis ſie an die Stelle famen, wo ſie
einen Weg fahen, der in den ihrigen einlief und der ihs
nen ebenſo gerade zu ſein ſchien , wie der Weg, den ſie
gehen ſollten. Hier wußten ſie nun nicht, welchen von
beiden ſie nehmen ſollten, denn beide dienen ſich gerade
vor ihnen hin auszudehnen. Darum ſtanden fte ſtille,
um zu überlegen . Während dies geſchah, fam ein Mann
an jie heran mit ſchwarzer Haut, aber in einem ſehr heb
len Kleide.4) Er fragte ſie: warum ſie da ſtänden ?
„Wir wollen nach der himmliſchen Stadt" - ſagten
ſie „wiſſen aber nicht , welchen von dieſen beiden
Wegen wir einſchlagen ſollen." Da ſprach der Mann :
,, Folget mir, denn ich will auch dorthin ." Und ſo folg
.) 2 M07.33, 15. 2) P5.3, 6.; 27, 1-3. Jef. 10, 4.
3) i Sam. 17, 37. - ) 2 Kor. 11 , 14.
152

ten ſte ihm denn auf den Wege, der hier in die Straße
einlief und ſie jemehr und mehr von der Stadt , nach
welcher ſie zu gehen wünſchten , abführte, ſo daß ſie die
ſelbe in kurzer Zeit aus dem Geſichte verloren. Aber
nach und nach führte der Mann ſie, ehe ſie fidy's vers
ſahen , in ein Netz hinein , in welches ſie beide ſo ver
ſtrict wurden, daß ſie nicht wußten , was ſie anfangen
follten . Zugleich ließ der ſchwarze Mann ſein weißes
Kleid fallen . Da erfannten ſie denn, wo ſie ſich befan
den. Darum lagen ſie eine Weile da und weinten laut,
denn ſie konnten ſich ſelbſt nicht losmaden. Nun fehe
ich," ſagte Chriſt zu ſeinem Gefährten, „ daß ich mich
11

ſelbſt im Irrthum befinde. Ward uns nicht von den


Hirten geheißen, daß wir uns vor dem Schineichler hü
fen ſollten ? ' Heute erfuhren wir, wie wahr der Weiſe
ſpricht: Wer mit ſeinem Nächſten heuchelt , der
bereitet ein Net zu ſeinen Fußſtapfen.')
Hoffn. Sie gaben uns auch eine Beſchreibung
des Weges mit, damit wir uns um ſo ſicherer darauf
zurecht finden möchten ; allein wir haben vergeſſen hin
einzuſehen und uns vor dem Wege des Verderbens nicht
gehütet. Da war David weiſer, als wir, indem er
ſpricht: Ich bewahre mich in dem Wort deiner
lippen bor Menſchen wert auf dem Wege des
Mörders . )
So lagen ſie nun in dem Rege und ſeufzten über
ſich ſelbſt. Endlich bemerkten ſie einen Glänzenden, der
eine Geißel von kleinen Schnüren in ſeiner Hand hielt
und auf ſie zufam. Als er die Stelle erreicht hatte,
an der ſie waren , fragte er ſie : woher ſie tämen und
was ſie da machten . Sie ſagten ihm , Fie wären arme
Pilgrime, die nach Zion wouten , ein ſchwarzer Mann
in einem weißen Kleide habe ſie von ihrem Wege ab
geführt; er habe ſie ihm folgen heißen und geſagt, er
gehe ebenfalls dorthin. Hierauf bemerkte der mit der
) Sprüc. 29,5. -- 2) Pf. 17 , 4.
153

Geißel : ,,es iſt Schmeichler, ein falſcher Apoſtel, der


fich verwandelt hat in einen Engel des Lichts." 1) Hier
auf zerriß er das Neß und ließ die beiden Männer hins
aus und ſagte zu ihnen : ,, Folget mir , damit ich euch
wieder auf euren Weg bringe." Und ſomit führte er
ſie wieder auf den Weg , welchen ſie verlaſſen hatten ,
indem ſie dem Schmeichler gefolgt waren. Der Glän :
zende fragte ſie barnach: ,,wo habt ihr die verwichene
Nacht zugebracht? " Sie ſagten : „,,Bei den Hirten auf
ben lieblichen Bergen ." Da fragte er weiter: „ Habt
ihr nicht eine Beſchreibung des Weges bei euch ? " Ia “,
antworteten fie.
ſie ,,Aber," fuhr er fort, „,,habt ihr, denn
dieſe Beſchreibung nicht herausgezogen und ſie geleſen,
wenn ihr einmal ſtehenbliebt ? ,, Nein ", antwortetenſie.
„ Und warum denn nicht ? " fragte er. Wir bergaßen
es ," erwiederten ſie. Da fragte er weiter: „ Haben
die Hirten euch nicht geheißen , vor dem Schmeidler
11
auf der Hut zu ſein ? " Und ſie ſprachen : „ Allerdings,
indeſſen konnten wir nicht denken , daß dieſer Mann,
mit ſeinen lieblichen Worten, es ſelbſt ſei." 2)
Hierauf ſah ich in meinem Traume, daß er ihnen
befaht, ſich niederzulegen . Nachdem ſie dies gethan,
züchtigte er ſie ſcharf, um ihnen den gutenWeg zu ſeh
ren , den ſie wandeln ſollten ; 3) hiebei ſagte er :
Welche ich lieb habe, die züchtige ich. So ſei
nun fleißig und thue Buße. ) Sodann hieß er
fte ihres Weges weiter gehen und genau achten auf die
übrigen Vorſchriften, die ihnen die Hirten gegeben hats
ten . Die beiden Pilger bedankten ſich nun fü alle
Güte , die er ihnen erwieſen und gingen langſari weis
ter auf dem rechten Wege, indem ſie den Geſang ano
ſtimmten :
Komm Wandrer, der du willft zur Himmelstadt,
Merk', wie's den Pilgern ging, die fich verirrten;

) Dan . 11, 32. 2 Kor.11, 13. f. 2 Petr. 2, 1. f. 1 ) Röm.


16, 17. f. 3) 5. Mof. 25 , 2. 2 Chron.6, 27. ) Of
fenb.3, 19. 1 Kor. 11, 32. Tit. 2, 12.
415. 12
154

Sie famen in ein Neß auf dem verbotnen Pfad,


Und dies, weil fie nicht folgten weiſem Raih.
Wohl wurden von dem Neß ſie wieder frei,
Doch ohne Zücht'gung nicht fieh', daß es dir zur Wars
nung fei!

Achtzehntes Kapitel.
Was ſoll ich thun, daß ich ſelig werde?
Nach einiger Zeit bemerkten die Pilger einen Mann
von ferne, der langſam und ganz allein ihnen auf
der Heerſtraße entgegen fam . Da ſagte Chriſt zu
feinem Gefährten : ,, Dort kommt ein Mann, der Zion
ben Rücken gekehrt hat, auf uns zu .“
Hoffn. Ich ſehe ihn. Laß uns nun auf unſerer
Hut ſein, vielleicht iſt er auch ein Schmeichler. -
So fam er ihnen denn näher und näher und gelangte
endlich zu ihnen. Sein Name "war Atheiſt Gottes
räugner ). Er fragte nun , wohin ſie wollten .
Chr. Wir wollen zum Berge Zion.
Darüber brach Atheiſt in ein lautes Gelächter aus.
Chr. Warum lachet' ihr?
Atheiſt. 3d lache, da ich ſehe, was für bumme
Leute ihr ſeid: ihr unterziehet: euch einer ſo beſchwer
lichen Keiſe und habt am Ende für all' eure Mühen
gar Nichts.
Chr. Wie ſo ? Meint ihr vielleicht, wir würden
nicht angenommen?
Ath. Angenommen ? Es gibt überhaupt in dies
ſer ganzen Welt feinen Ort, wie ihr euch träumen laſſet.
Chr. Aber doch in der zukünftigen Welt.
Ath. Als ich noch zu Hauſe in meinen Vaterlande
war, hörte ich das Nämliche, was ihr jegt behauptet,
und darauf hin machte ich mich auf, um mich umzuſes
hen ; da habe ich nun zwanzig Jahre lang jene Stadt
155

geſucht, aber nicht mehr davon gefunden, wie am erſten


Tage , als ich mich auf Reiſe begab. ")
Chr. Wir aber haben es nicht nur gehört , fons
dern glauben es auch, daß man ſolch einen Ort finden kann.
Ath. Hätte ich's in der Heimath nicht auch ges
glaubt, ſo würde ich nicht ſo weit gegangen ſein , um
thn zu ſuchen. Da ich ihn jedoch nicht gefunden ( und
ficher würde es geſchehen ſein, wäre er überhaupt zu
finden, denn ich bin weiter gegangen, als ihr, ihn auf
zuſuchen) ſo habe ich den Rückweg angetreten, und will
nun mich an Dingen ergößen, die ich früher für Hoffs
nungen wegwarf,welche, wie ich jejt ſehe, nichts als
leere Täuſchungen ſind.
Chriſt ſagte hierauf zu ſeinem Gefährten Hoff
nungsvoll: Iſt es denn wahr , was dieſer Mann
ba behauptet ?
Hoffn. Nimm dich in Acht! er iſt auch einer
von den Schmeichlern. Vergiß doch nicht, was es uns
ſchon einmal gekoſtet hat, daß wir einem Menſchen, wie
bieſer, Glauben ſchenkten. " Wie ! einen Berg zion
follte es nicht geben ? Haben wir nicht das Thor jener
Stadt von den lieblichen Bergen aus bereits geſchaut ?
Und ſollen wir jeßt nicht im Glauben wandeln ? 2) laß
uns vorwärts gehen , damit der Mann mit der Geißel
nicht noch einmal über uns fomme. Du hätteſt mir
die Lehregeben ſollen , die ich dir jetzt laut zurufen
will: laß ab, mein Sohn , zu hören die Zucht,
die da abführet von vernünftiger lehre. Ja,
ich ſage : laßab ihn zu hören und laß uns glau :
ben , auf daß wir unſere Seelen erretten. ?).
Chr. Lieber Bruder, ich riđitete meine Frage nidyt
de wegen an dich, weil ich an der Wahrheit unſeres
Glaubens zweifelte, ſondern um dich zu prüfen und die
Frucht deines Glaubens an den Tag zu bringen. Ich
erfenne wohl, daß der Gott dieſer Welt den Dann hier

) Pred. 10, 15. Jerem . 17, 15. – ?) 2 Kor.5,7. — 3) Sprüdy.


19, 27. Hebr. 10,39. 1.2
156

verblendet hat. Laß uns miteinander weiter vorangehen,


indem wir wiſſen, daß wir den Glauben an die Wahrs
heit haben, und daß keine Lüge ausder Wahrheit kommt. ?)
Hoffn. Nun freue ich mich in der Hoffnung auf
die Herrlichkeit, die Gott geben wird.
Und ſo wandten ſie ſich von dem Manne hinweg ,
er aber lachte ſie aus und zog ſeines Weges.
Nun ſah ich ferner in meinem Traume, daß fie
gingen , bis ſie in eine gewiſſe Gegendkamen, wo eine
Luft iſt, welche die natürliche Eigenſchaft an ſich gat,
daß ſie die Fremden, welche dorthin kommen , ſchläfrig
macht. Hoffnungsvoll fing an ganz träge und
ſchlaftrunken zu werden. Er ſprach daher zu Chriſt:
Íd werde ſo ſchläfrig, daß ich nur noch kaum die Au
gen offen halten kann. laß uns hier ein wenig nieder
legen und ein Schläfchen halten.
Chr. Nein , unter feiner Bedingung , damit wir
nicht ſchlafen und nie wieder aufwachen .
Hoffn . Ei, lieber Bruder , warum ſollten wir
denn nicht ſchlafen ? Der Schlaf iſt ja für den Arbeis
ter ſüß. Ein Schläfchen würde uns erquicen .
Chr. Haſt du vergeſſen , daß einer der Hirten
uns warnte vor dem bezauberten Boden ? Er meinte,
wir ſollten uns Hüten vor dem Sdilafe. Darum laß
uns nicht ſclafen, wie die Andern , ſondern laß uns
wafen und nüchtern ſein !?)
Hoffn. Ich ſehe meinen Fehier ein, und wäre ich
hier allein geweſen , ſo hätte ich mich durch den Schlaf
der Todesgefahr ausgelegt. Ich ſehe, wie wahr es iſt,
was der Weiſe ſpricht: ,, Es iſt beſſer zwei, denn
Einer. 3) Bisher iſt deine Geſellſchaft mir zum Ses
gen geweſen, du aber wirſt guten Lohn für deine Mühe
davontragen .
Chr . Wohlan denn , ſagte Chriſt, laß uns ein
gutes Geſpräch mit einander halten, damit wir an die
fem Orte nicht in den Schlaf fallen.
') 1 Joh . 2, 21. 2) 1 Theſſ. 5,6. 3 ) Pred. 4 , 9. ff.
157

Hoffn . Bon Herzen gern .


Chr. Wo follen wir denn anfangen ?
Hoffn. Da, wo Gott anſing mit uns. Aber ſei
bu fo gut und mache den Anfang.
Chr. Ich wil dir zuerſt ein Lied ſingen :
In meinem Traume hörte ich das liebliche Lied
und meine Seele ward jo baran erquidt, daß ich in
die Worte ausbrach :
Will , gläub'ge Seele, dich, hier wo du wachen fouft,
Des Schlafes Macht beſchleichen ,
Tritt zu den beiden Pilgern Her
Und fieh's und Hör’, wie fie fich Hülfe reichen
Im wechſelnden Geſpräch,
Wie ernft den Schlaf einander fie vertreiben,
Daß ihre müden Augen offen bleiben.
Nicht bleib allein, an Gläub’ge ſchließ dich an ;
Es können Zwei, was Einer gar nicht kann :
Mit Kindern Gottes thue dich zuſammen,
Dann bleibſt du wach und bieteſt Troß der Hölle Flammen.
Chr. Hierauf ſagte Chriſt: ich will eine Frage
an dich richten: Wie kamſt bu zuerſt auf den Gedans
fen ſo zu handeln , wie du jest thuſt ?
Hoffn. Meinſt du , wie ich zuerſt darauf gekoms
men , auf das Heil meiner Seele bedacht zu ſein ?
Chr. Ja, ſo meine ich's.
Hoffn. Ich ergögte mich eine lange Zeit hin
durchan den Dingen , die auf unſerm Jahrmarkte auss
geſtellt und da zum Verkauf ausgeboten werben, - Dinge
die mich, wie ich glaube, hätte ich mich weiter an ſie ge
hängt, in's Elend und Verberben geſtürzt haben würden.
Ehr. Was für Dinge waren denn das ?
Hoffn. Al die Schäße und Reichthümer dieſer
Welt. Auch fand ich großes Vergnügen an Schwelgen,
Freſſen, Saufen, Fluchen , Lügen , unreiner Luſt, Šabs
bathſchändung und an 'Adem , was zum Verderben der
Seele dient. Allein endlich fand ich, da ich von gött
lichen Dingen hörte und darüber nachdachte ich hörte
ſie ja von dir und deinem theuren Getreu , der um
ſeines Glaubens und Wandels willen auf dem Eitel :
113

teitsmarkt ſterben mußte) daß das Ende aller welt


lichen Dinge der Tod iſt und daß um ihrer willen .

der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens


tommt. )
Chr. Hat dieſe Ueberzeugung denn ſogleich Macht
über dich bekommen ?
Hoffn. Nein ; Anfangs wollte id) mich nicht an
anſchicken das Verderben der Sünde und die Verdamms
niß , die ſie im Gefolge hat , zu erfeniten , ſondern ich
bemühte mich vielmehr, als meine Seele zuerſt von dem
Worte erſchüttert warb , meine Augen vor dem Lichte
. deſſelben zu verſchließen.
Chr. Was war aber die Urſache , daß du dich
bei den erſten Wirkungen des heiligen Geiſtes in dir
ſo verhielteſt ?
Hoffn. Die Urſachen waren folgende: 1) wußte
ich nicht, daß dies das Wort Gottes in mir war. ES
war mir nie in den Sinn gekommen, daß Gott die Be
kehrung eines Sünders damit anfange , daß er denfel
ben zur Erkenntniß der Sünden bringe ; 2) war Þie
Sünde meinem Fleiſche noch ſehr angenehm und war
ich nidit geneigt, ſie daran zu geben ; 3) konnte ich mich
nicht von meinem alten Gefährten losmachen, denn ihre
Geſellſchaft und ihr Treiben waren zu reizend für mich;
und 4 ) waren die Stunden, in denen mich die Erkennt
niß meiner Sünden ergriff, ſo beunruhigend und Herz
ergreifend für mich, daß ich weder ſie, noch auch den
Gedanken daran ertragen konnte.
Chr. So wurdeſt du wohl, wie es ſcheint, zu :
weilen beiner Unrube los ?
Hoffn. Ja, wirklich, aber ſie kam immer wie
der , und dann ging es mir ebenſo ichlimm , ja noch
ſchlimmer als vorher .
Chr. Aber was war es denn , was dir deine
Sünden immerwieder auf's Neue zu Gemüthe führte ?
Hoffnt. Mancherlei, z. B. wenn ich draußen eis
Röm. 6, 21–23. Ephef. 5; 6 .
159

nem frommen Menſchen begegnete; wenn ich Jemand in


Der Bibel leſen hörte ; wenn ich Kopfſchmerz befam ;
oder wenn ich hörte, daß einer meiner Nachbarn frant
ſei; wenn ich die Todtenglocke läuten hörte ; wenn ich
baran dachte, daß ich ſelbſt ſterben müſſe; oder vernahm ,
daß jemand plöglich vom Tode überfallen worden ſei;
beſonders aber, wenn ich bedachte, daß ich ſehr bald vor
dem Gericht erſcheinen müſſe.
Chr. Und konnteſt du jemals die Schuld deiner
Sünden leicht von dir abweiſen , wenn ſie ſich auf die
eine oder andere Art, wie du eben angegeben , über
dich hinwälzte ?
Hoffn. Nein , das konnte ich nicht, vielmehr
drückte ſie mich nur härter, und wenn ich baran dachte,
wieder zur Sünde zurückzukehren , die mir doch im In
nerſten zuwider war, ſo ſtand ich doppelte Dual aus.
Chr. Was fingſt du aber dann an?
Hoffn. Ich dachte, id müßte mich bemühen, mein
Leben zu beſſern , denn ſonſt würde ich ganz gewiß ver
dammt werden.
Chr. Und bemühteſt du dich denn wirklich , dein
Leben zu beſſern ?
Hoffn. Ja , und ich floh nicht bloß meine Süns
den , ſondern auch die ſündhafte Geſellſchaft und ſchidite
mich zur Erfüllung religiöſer Pflichten an : Ich betete
und las religiöſe Bücher, ich weinte über meine Sin
ben, ich redete die Wahrheit zu meinem Nächſten und
bgl. Dieſe Dinge that ich und viele andere , die hier
zu erzählen zu weitläufig ſind.
Chr. Und fühlteſt du bich dabei wohl ?
Hoffn. 3a, eine kleine Weile, aber zuleßt über
Ftel mich meine Unruhe wieder , ungeachtet aller meiner
Beſſerungsverſuche.
Chr. Wie kam das ., da du dich doch gebeſfert
hatteſt ?
Hoffn. Mancherlei erregte dieſe Unruhe in mir,
beſonders Sprüche wie : Alle unſere Gerechtigs
160

teit iſt wie ein unftäthiges Kleid ; 1) durch des


Gefeßes Werke wird kein Fleiſch gerecht.?)
Wenn ihr Alles gethan habt, was euch befoh.
Ten iſt, jo ſprechet: wir ſind unnüße Rinetes
– und mehrere ähnlichen Inhalte. Daraus machte
ich nun den Schluß: Wenn all meine - Gerechtigkeit
mur ein unfläthiges Kleid iſt, wenn kein Menſch durch
des Geſeßes Werke gerecht werden kann, und wir, wenn
wir Alles gethan, doch nur unnüge Knechte ſind: ſo ift
es nur Thorheit zu glauben , daß man durch des Ges
ſeßes Werke ſelig werden könne. Ich dachte ferner:
Wenn Jemand bei einem Kaufmann hundert Thaler
Schulden gemacht hat, und alles, was er ſpäter kauft,
.

auch bezahlt, ſo kann der Kaufmann, ſo lange die alte


Schuld in ſeinem Buche nicht getilgt iſt, ihn dafür ges
richtlich belangen und ihn , bis er ſie bezahlt hat, in's
Gefängniß ſegen laſſen .
Chr. Richtig , aber welche Anwendung machteſt
bu davon auf dich ſelbſt ?
Hoffn. Ich dachte ſo bei mir : Durch meine
Sünden habe ich eine große Schuld in Gottes Buch
zuwege gebracht und diekann ich durch meine jellige
Beſſerung nicht tilgen. Daher mußte ich bei all mei
ger " Beſſerung mich doch fragen : wie ſoll ich frei wers
den von jener Verdammniß , in welche ich mich durch
meine frühern Uebertretungen gebracht habe ?
Chr. Die Anwendung iſt vortrefflich, aber ſei ſo
.

gut und fahre fort.


Hoffn. Noch etwas Anderes, was mich bei meis
ner Beſſerung immer beunruhigte, war, daß ich im
genauen Hinblick auf meine beſten Werte, doch Sünde
und immer neue Sünde wahrnahm , die ſich in meine
beſten Handlungen einmiſchte 3d muß daher ſchließen,
daß, wie hoch ich auch in thörid ter Einbildung früher
von mir und der Erfüllung meiner Pflichten dachte, ich
2 gef. 64,6. a) Gal. 2, 16. Bgl. Röm. 3, 28 ; 4,5 ; 11,6.
Gal. 3, 18. -
5 ) Luk. 17, 10.
161

doch durch meine Sünden an einem einzigen Tage die


Hölle verdient habe , wäre auch mein früheres Leben
ganz ſchuldlos geweſen.
Chr. Nun und was thaſt du alsdann ?
Hoffn. Ich wußte nicht, was ich thun ſollte, bis
ich vor Getreu mein Herz ausgeſchüttethatte; wir Beibe
waren nämlich gut bekannt mit einander. Er aber ſagte
mir, daß wenn ich nicht die Gerechtigkeit eines Mannes
erlangen könne, der niemals geſündigt, ſo könne mich
weber meine eigene, noch die Gerechtigkeit der ganzen
Welt erretten .
Chr. Und ſchenkteſt du feinen Worten Glauben ?
Hoffn. Hätte er mir das in der Zeit geſagt,da
ich noch Freude und ein Genüge an meiner Selbſtbeſſe
rung fand, ſo hätte ich ihn einen Narren genannt; nach
dem ich aber meine eigeneDhnmacht und die Sünde,
bie meinen beſten Werten anflebt, erkennen gelernt habe,
fühle ich mich gedrungen, ihm beizupflichten.
Chr. Über glaubteſt du wohl, als er dir zum
erſtenmal davon redete, baß ein Mann wirklich gefuns
den werde, von dem man mit Wahrheitbehaupten könne,
daß er nie eineSünde begangen habe ?
Hoffn. 3ch muß geſtehen , daß mir die Worte
anfangs ſonderbar flangen , als ich aber etwas mehr
mit ihm redete und umging, war ich voulommen übers
zeugt von ihrer Wahrheit.
Chr. Und haſt du ihn gefragt, was für ein Mann
das ſei und wie du durch ihn könnteſt gerecht werden ?
Hoffn. Ja, und er ſagte mir, es ſei der Herr
Jeſus, ' ber ba_fißet zu der Rechten der Majeſtät in
ber' HBhe.') , Durch Ihn "
11 ſagte er ferner
mußt bu gerechtfertigt werden, alſo daß bu bein Vers
trauen ſekeſt auf das, was er in den Tagen ſeines
Fleiſches gethan und am Stamme des Kreuzes gelit
ten hat. " ) Ich fragte ihn weiter, wie die Gerecho
) Hebr. 10,12.21. 309.16, 10. . ? ) Röm.4,5 . Rol. 1, 14. 20.
!
1 Petr.1, 19. 130h. 1,7.
162

tigkeit dieſes Mannes folche Kraft haben könne, daß Er


einen Andern dadurch gerecht mache vor Gott. Darauf
antwortete er mir : Er war der allmächtige Gott und
was er that, that Er nicht für ſich ſelbſt, ſondern für
mic , ebenſo litt er auch den Tob, nicht um ſeinet-, fons
dern um meinetwillen. Sein Gehorſam und ſeine
Verdienſte werden aber mir zugerechnet, wenn ich an
ihn glaube.
Chr. Und was thaſt bu nun weiter ?
Hoffn. Ich machte zuerſt allerlei Einwenduns
gen gegen meinen Glauben , denn ich meinte, der Herr
Jeſus wärenicht geneigt, mich ſelig zu machen.
Chr. Was ſagte dir denn Getreu darauf ?
Hoffn. Er ſagte mir, ich ſolle zu Ihm gehen
und ſehen. Ich bemerkte aber, daß dies doch verwegen
ſein würde. „ Nein,"" verſeşte er, denn du biſt ja dazu
eingeladen.“ 1) Sódann gab er mir ein Buch, vom
Herrn ſelbſt eingegeben , um mich deſto mehr zu ermus
thigen, daß ich zu Ihm gehen möge. Von dieſem Buche
ſagte er, baß jeder Buchſtabe und Titelchen darin feſter
ſtehe als Himmel und Erde. 2) Hierauf fragte ich, was
ich thun müſſe, wenn ich zu Ihm ginge. Er ſagte,
ich müſſe auf meinen Knieen von ganzem Herzen und
von ganzer Seele den Vater bitten , daß Er mir den
Sohn offenbarenwolle. 3) Hiernach fragte ich ihn, wie
ich benn meine Bitten einrichten müſſe. Da ſagte er :
Gehe hin , und du wirſt ſehen, daß Er das ganze Jahr
hindurch auf einem Gnadenſtuhl ſigt, Erbarmen und
Vergebung zu ſchenken Aden, die zu ihm kommen.4) Nun
wendete ich ein , ich wiſſe nicht , was ich ſagen ſolle,
wenn ich zu Ihm käme. Er aber hieß mich alſo ſpre
chen : Gott ſei mir Sünder gnädig, verleihe mir, daß
1

ich Jeſum Chriſtum erkennen und an Ihn glauben möge. I

9 Matth. 11, 28 ; vgl. Joh. 6, 37. 2) Matth. 24 , 35 ; vgl.


Matth. 5, 18. und Luk. 16, 17. 5 ) P1. 95, 6. Dan . 6 , 10.
Serem . 29, 12.ff. . ) 2 Mof. 25, 22. 3 Moſ. 16, 2. 4 Mof.
7,89. Hebr. 4 , 6.
163

denn ich ſehe ein , daß ich ohne ſeine Gerechtigkeit und
ohne den Glauben an dieſelbe verloren gehen muß.
D Herr , ich habe vernommen, daß du ein gnädiger Gott
biſt und daß du deinen Sohn Seſum Chriſtum zum
Heiland der Welt verordnet haſt, auch daß du bereit
Hiſt, ihn armen Sündern, wie ich bin , zu idenken. Und
wahrlich, ich bin ein armer Sünder. So laß denn,
o Ferr, mich nicht unerhört von dir gehen, ſondern ver
herrliche beine Gnade an mir durch die Errettung met
ner Seele , um der Verdienſte deines Sohnes , Jeſu
Chriſti, willen. Amen."
Chr . Und haſt du gethan, wie dir geheißen ward ?
Hoffn . Ja,einmal über das andere und fort und fort.
Chr. Und hat der Vater dir den Sohn offenbaret ?
Hoffn . Weder das erſte noch das zweitemal, we
ber das dritte, vierte , fünfte, ja felbſt nicht das fecha
temal.
Chr. Was fingſt du da an ?
Hoffn. Was ich anfing ? Ich wußte nicht, was
ich thun ſollte.
Chr. Ram es dir nicht in den Sinn, das Gebet
baran zu geben ?
Hoffn. Ja, unzähligemal.
Chr. Aber warum thaſt du dies denn doch nicht ?
Hoffn. Ich glaubte daran, wie mir geſagt wor
den war, daß mich nämlich die ganze Welt ohne die
Gerechtigkeit Chriſti nicht ſelig machen könne: darum
dachte ich , hörſt du auf zu beten , ſo kommſt du um ,
und mehr als umkommen kannſt du am Thron der
Gnade doch nicht. Dabei fielen mir die Worte ein :
Ob auch die Erfüllung der Verheibung bers
zieht , ſo harre ihrer; ſie wird gewißlich kom -
men und nicht verziehen. ) Und ſo blieb' ich am
Gebet, bis der Vater mir den Sohn offenbarte.
Chr. Und wie ward Er dir benn offenbaret ?
Hoffn. Ich ſah ihn nicht mit meinen leiblichen
) Kab . 2,3 .
164

Augen , aber mit den Augen meines Verſtändniſſes ),


und das geſchah in folgender Art: Eines Tages war
ich ſehr traurig, und ich meine, trauriger als ſonſt in
meinem ganzen Reben. Dieſe Traurigkeit aber fam
von der erneuerten Erkenntniß der Größe und Abſcheus
lichkeit meiner Sünden. Und da ich nun Nichts als
Hölle und ewige Verdammniß meiner Seele vor mir
ſah, meinte ichden Herrn Jeſum zu ſchauen, wie Er
vom Himmel auf mich niederblicte unb mir zurief:
Glaube an den Herrn Jeſum Chriſtum , jo
wirſt du ſelig werden. )
3d aber erwieberte : Herr, ich bin ein großer,
ein ſehr großer Sünder ! " "Und er antwortete: laß
bir an meiner Gnade genügen . ) Darauf ſagte 10
ich: „Aber, Herr, was heißt benn glauben ?
Und aus den Worten : Wer zu mir tommt , den
wird nicht hungern , und wer an mich glaubet ,
ben wiró nimmermehr bürſten 4) – wurde es
mir klar , daß an Jeſum glauben und zu ihm
tommen ein und das Selbe ſei, und daß derjenige,
welcher kommt, d . h. ſich in Chriſti Herz hineinflüchtet,
und ein wahres Verlangen hat durch Chriſtum felig zu
werden , wirklich an Ihn glaubet. Da ſtanden mir die
Thränen in den Augen , und nun fragte ich ferner :
Åber Herr , kann dann auch ein ſo großer Sünder wie
ich bin vondir angenommen und ſeliggemacht werden ?"
Da hörte ich ihn ſagen : Wer zu mir kommt, den
will' ich nicht hinausſtoßen. 5) Da fragte ich :
Aber, Herr, 'was muß - ich von dir halten , wenn ich
zu dir tomme, auf daß mein Glaube rechter Art fei ?
Hierauf ſagte Er: Chriſtus Jeſus iſt in die
Welt gekommen , dieSünderſelig zu machen . )
Er iſt des Gelege8 Ende, wer an ihn glaubt,
ber iſt gerecht. ) Er iſt um unſerer Sündé
) Eph. 1, 18. ff. -
-) Apgeſch . 16, 31 . -
5 ) 2 Kor. 12,9.
“ ) Job. 6, 35. - 5 Job . 6 , 37. -
6 ) 1 Tim . 1, 15.
3 mm. 10,4.
165

willen dahingegeben und um unſerer Gered.


tigkeit willen auferwedt. ') Er hat uns ges
liebt und gewaſchen von den Sünden mit ſei.
nem Blut. ) Er iſt der Mittler zwiſchen Gott
und den Menſchen . ) Er lebet immerbar und
bittet für uns.4) Aus allem dieſem ſchloß ich, daß
ich meine Gerechtigteit in ſeiner Berſon und die Ges
nugthuung für meine Sünben in ſeinem Blute ſuchen
müſſe; denn Alles, was er aus Gehorſam gegen das
Geſet feines Vaters gethan, und daß er dieStrafe
auf fich genommen , ſei nicht geſchehen für Ihn, ſondern
für bie, welche Solches zu ihrer Seligkeit annehmen und
Ihm dafür dankbar ſind. Und nun warb mein Herz
voller Freude, meine Augen gingen über von Thränen
und meine Seele brach aus in Liebe über dem Namen,
dem Volke und den Wegen Jeſu Chriſti.
Chr. Dies war wirklich eine Offenbarung Chriſti
an beine Seele. Aber ſage mir doch insbeſondere, was
für eine Wirkung Solches auf deinen Geiſt hatte ?
Hoffn. Ich lernte dadurch erkennen , daß die
ganze Welt, trotz aller Gerechtigkeit, die ſie zu haben
vermeint, ſich im Stande der Verdammniß befindet, 5)
und daß Gottder Vater, wiewohl er ſelber gerecht iſt,
dennoch den Sünder , der zu ihm fommt, rechtfertigen
kann. Ich wurde dadurch tief beſchämt über die Übs
ſcheulichkeit meines frühern Lebens, ſo wie über meine
eigene große Unwiſſenheit, denn vorher war niemals ein
Gedanke in mein Herz gefommen , ber mir die Schön
heit Jeſu Chriſt ſo gezeigt, wie jegt. Auch ward das
durch die Liebe zu einem Heiligen Leben und die Sehns
ſucht, Etwas zur Ehre und Berherrlichung des Herrn
Jeju zu thun , in mir erweckt. Ja , ich dachte, hätte
idh tauſend Eimer Blut in meinem Leibe, ſo wollte ich
fie bis auf den leßten Tropfen gerne vergießen um meis
nes Heilandes willen.
19. Röm. 4 , 25. – ?) Offenb.1,5. - 5) 1 Tim . 2,5. — ) Sebre
7, 25. " ) 1 Joh.5, 19.
166

Neunzehntes Kapitel.
Unwiſſenheit und Abfall.
Nun bemerkte ich ferner in meinem Traume, daß
Hoffnungsvoll hinter ſich blickte und Unwiſſend
kommen ſah , welchen ſie zurückgelaſſen hatten. „ Sier
doch," prach er zu Chriſt , wie " fern fommt" jener
Jüngling hinter uns her geſchlendert.
Chr.' Ja, ja! ich ſehe ihn. Es liegt ihm Nichts
an unſerer Geſellſchaft.
Hoffn. Und doch glaube ich, daß es ihm nicht
zum Schaden geweſen wäre, wenn er bisher mit uns
Schrittgehalten hätte.
Chr. Da haſt du allerdings Recht, allein ich
bürge dafür, daß er anderer Meinung iſt.
Hoffn. Das glaube ich auch, laß uns aber den . 1
noch auf ihn warten .
Und ſo geſchah es. Darauf wandte ſich Chriſt
zu ihm mit den Worten : Romm vorwärts, lieber
Mann, warum bleibſt du fo zurück ?
Unwiſſend. Ich finde viel mehr Vergnügen
baran , allein zu gehen , als in Geſellſchaft, es müßte
denn ſein, daß ſie mir beſonders gut gefiele.
Sagte id dir nicht" - (pracy Chriſt zu Hoff
II

nungsvoll, daß ihm an unſerer Geſellſchaft Nichts


liege? Doch, wir wollen uns nichts deſto weniger in
dieſer einſamen Gegend mit ihm zu unterhalten ſuchen ."
Hierauf wandte er ſich unwiſſend zu und ſprach :
„Komm ! Wie geht's ? Wie ſteht es zwiſchen Gott
und deiner Seele ?
Unw. Ich hoffe, gut; denn mein Herz iſt immer voll
guter Gedanken, die mid tröften auf meiner Wanderſchaft.
Chr. Was für gute Gedanken ſind das ? Sage
es uns doch.
Unw. Ei nun, ich benfe an Gott und den Himmel.
Chr. Das thun die Teufel und die verdammten
Seelen auch
Unm. Aber ich denke nicht bloß an Gott und
167

den Himmel, ſondern ich habe auch ein Verlangen bars


nach.
Chr. So thun Viele , bie wahrſcheinlich nie in
den Himmel kommen. Der Faule begehret und
friegt es doch nicht. ')
Unw. Allein ich denke ſo daran, daß ich um ih
rentwillen auch Alles verlaſſe ..
Chr. Das muß ich in Zweifel ziehen ; denn Alles
verlaſſen iſt ſehr ſchwer, und zwar ſchwerer, als Manche
ſich vorſtellen. Aber weßhalb oder wodurch biſt du
überzeugt, daß du Alles verlaſſen haſt um Gottes und
des Himmels willen ?
unw. Mein Herz fagt es mir.
Chr. Der Weiſe jagt aber: Wer ſich auf
fein Herz verläßt, iſt ein Narr. 2)
Unw . Das ſagt er von einem böſen Şerzen, aber
mein Herz iſt gut.
Chr. Wie beweiſeſt du aber das ?
Unw. Es tröſtet mich mit der Hoffnung auf den
Himmel.
Chr. Damit kann es sich aber auch betrügen ;
denn das Herz des Menſchen kann ihn mit Hoffnungen
tröſten, zu denen er gar keinen Grund hat. 3)
Unw . Aber mein Herz und mein Leben ſtimmen
miteinander überein , und darum hat meine Hoffnung
auch einen guten Grund.
Chr. Wer hat dir denn geſagt, daß dein Herz
und Leben mit einander übereinſtimmen ?
Unw. Mein Herz ſelbſt ſagt es mir.
Chr. Wie, dein Herz jagt dir das ? Darüber fann
uut Gottes Wort entſcheiden, jedes andere Zeugniß hat
hicrin keinen Werth.
Unw . Wie, iſt das aber nicht ein gutes Herz,
welches gute Gedanken hegt? und iſt das nicht ein gus
tes Leben, das mit Gottes Geboten übereinſtimmt ?
') Sprüc. 13, 4. 2) Sprüch. 28, 26 . -

') Bgl. Zerem .


37, 9. Dhadi. 3.
168

Chr. Allerdings iſt das ein gutes Herz, welches


gute Gedanken hegt, und das ein gutes Leben , welches
mit Gottes Geboten übereinſtimmt; allein etwas Án
deres iſt's , dergleichen zu haben , und ein Anderes,
ſich nur einzubilden, daß man dergleichen habe.
Unw.. Nun , ſo ſage mir doch , was verſtehſt du
denn unter guten Gedanken, und was unter einem Les
ben , das mit Gottes Geboten übereinſtimmt ?
Chr. Es gibt gute Gedanken in mancherlei Hins
ficht; dieſelben tönnen ſich beziehen auf uns ſelbſt, oder
auf Gott, oder auf Chriſtum und hinwiederum auf ans
bere Dinge.
Unw . Welche Gedanken ſind denn gut zu nennen
in Hinſicht auf uns ſelbſt?
Chr. Solche, die mit dem Worte Gottes übers
einſtimmen .
Unw. In welchem Falle ſtimmen benn unſere
Gedanken über uns ſelbſt mit dem Worte Gottes überein ?
Chr. Wenn wir daſſelbige Urtheil über uns ſelbſt
fällen ,welches das Wort Gottes überuns fällt. Doch
ich will mich näher erklären : Das Wort Gottes ſagt
von Menſchen, die ſich im natürlichen Zuſtande befinden :
Da iſt einer der gerecht ſei, auch nicht Einer ;
ſie ſind Alle abgewichen und alleſammt untüchs
tig geworden; da iſt nicht, der Gutes thue , auch
nicht Einer. ) Da heißt es ferner : Das Dichten
und Trachten des menſchlichen Herzens iſt böje
von Jugend auf. 2) Wenn wir ſo von uns denken
und dies in uns ſelbſt empfinden, dann ſind unſere Ges
danken gut, weil ſie dem Worte Gottes gemäß ſind.
Unw. Ich werde nimmer glauben , daß mein Herz
ſo ſchlecht iſt.
Chr. Folglich haſt du auchin deinem ganzen Leben
noch reinen einzigen guten Gedanken in Hinſicht auf dich
ſelbſt gehabt. – Aber höre mich weiter .. So wie das
.

:) Röm . 3, 10. 12. S. B. 23. — ) 1 Mob. 6, 5. 8. 21. Bgl.


-

Rom . 1, 21.
169

Wort Gottes unſer Herz ridtet, ſo richtet es auch un


ſern Wandel. Wenn nun unſer Herz und unſer Wan .
bel mit dem Urtheile übereinſtimmen, welches das Wort
Gottes über beide fällt, dann ſind beide gut , weil ſie
damit im Einflange ſtehen.
Unw . Erkläre mir deine Meinung deutlicher.
Chr. Das will id thun. Das Wort Gottes
ſagt, daß des Menſchen Wege krumme Wege ſind,
nicht gute, ſondern berkehrte Wege; es fagt: fie find
von Natur vom guten Wege abgewichen und has
ben ihn nicht erkannt. ' ) Wenn nun ein Menſch
der Art von ſeinen Wegen denkt , ich meine, wenn er
im Gefühle wahrer Demüthigung ſo von ihnen denft,
dann hat er gute Gedanken von ſeinen eigenen Wegen,
und zwar weil ſie mit dem Urtheile des Wortes Gots
tes übereinſtimmen.
Unw . Was verſtehſt du unter guten Gedanken
über Gott ?
Chr. Darunter verſtehe ich, wie ich in Beziehung
auf uns ſelber bereits vorhin geſagt, ſolche Gedanken,
die mit dem Worte Gottes übereinſtimmen; und ſolche
Gedanken haben wir dann, wenn wir von ſeinem We
ſen und ſeinen Eigenſchaften gerade das halten, was
uns ſein Wort darüber lehrt. Darüber kann ich dir
aber jegt keine weitläufige Erklärung geben. Wir haben
richtige Gedanken von Gott , wenn wir uns überzeugt
halten , daß Er uns beſſer kennt , als wir ſelbſt uns
kennen , und daß Er Sünde in uns ſieht, wenn und wo
wir ſelbſt keine in uns ſehen ; wenn wir überzeugt ſind,
daß er unſere innerſten Gedanken fennt und daß unſer
Herz mit ſeinen verborgenſten Tiefen immer aufgedeckt
iſt vor ſeinen Augen ; endlich, wenn wir überzeugt
ſind, daß all unſere Gerechtigkeit vor Ihm ein unflå
thiges Kleid iſt, und daß Er's daher nicht dulden kann,
das wir mit irgend einigem Vertrauen , und wäre es
auf unſere beſten Werke, vor Ihm ſtehen.
) Pſalm . 125, 5. Sprüch. 2, 14. 15. Röm. 3, 12.
415, 13
170

Unw. Meineſt bu, ich wäre ein ſo großer Thor,


daß ich dächte, Gott fönne nicht weiter Fehen , als ich ?
oder daß ich meinte, durch meine beſten Werke zu Gott
fommen zu fönnen ?
Chr. Nun, was hältſt du denn von dieſer Sache ?
unw.. Ich will es dir furzweg ſagen ; ichhalte
dafür, daß ich an Chriſtum glauben muß, um gerecht
zu werden .
Chr. Wie ! du meineſt, daß du an Chriſtum
glauben müſfeſt, ohne zu erkennen , daß du ohne Ihn
nicht zurecht kommen fannſt ? Du erkennſt weber beine
Erbjünde noch deine wirtliche Sünde, ſondern haftvon
dir ſelbſt und von dem, was du thuſt, eine ſolche Mei
nung , daß daraus flar hervorgeht, du feiſt einer von
denen, der noch niemals erkannt hat, daß du nur durch
die Gerechtigkeit Chriſti vor Gott' beſtehen fannſt. Wie
darfſt du denn ſagen : ich glaube an Chriſtum -- ??
Unw . Ungeachtet alles deſſen, was du ſagſt, iſt
mein Glaube doch ganz gut.
Chr. Welches iſt dann das Bekenntniß deines
Glaubens ?
Unw . Ich glaube , daß Chriftus für die Sünder
.

geſtorben iſt, und daß ich vom Fluche erlöſt und vor
Gott gerecht werde, dadurch daß Er den Gehorſam in
Gnaden annimmt, welchen ich gegen fein Geſek erwies
fen. Dder alſo : Chriſtus macht durch die Kraft ſeiner
Verdienſte bem Vater angenehm Alles, was ich thue,
um das Geſetz Gottes zu erfüllen , und ſo werde ich
dann gerechtfertigt.
Šhr. Laß mich dir auf dieſes Bekenntniß deines
Glaubens eine nähere Erwieberung geben :
1) Den Glauben, welchen du beſigeſt, haſt du dir
ſelbſt eingebildet, denn ſo wird der Glaube nirgend in
bem Worte Gottes bedrieben.
2) Du haſt einen falſchen Glauben , weil er bie
Rechtfertigung, ſo aus der Gerechtigkeit Chriſti kommt,
aufhebt und ſie deiner eigenen beimißt.
3) Zufolge dieſes Glaubens rechtfertigt Chriſtus
171

nicht deine Berfon, ſondern deine Werke , deine Berſon


aber nur um deiner Werte willen , und das iſt falſch.
4) Darum iſt dein Glaube ein trügeriſcher und
wird sich am Tage der Offenbarung des Gerichtes
Gottes unter dem Zorne laſſen ; denn der wahrhaft
rechtfertigende Glaube macht , daß die Seele , die es
fühlt, daß ſie durch das Geſet verloren geht – ihre
Zuflucht zu ber Gerechtigkeit Chriſti nimmt. Dieſe Ses
rechtigkeit iſt aber nicht eine That der Gnade , welche
dazu bient, ſeine Werke vor Gott gerecht und ihn an
genehm zu machen , ſondern es iſt der Gehorſam , wel.
chen Chriſti Berſon durch ſein Thun und Leiden dem
Gefeß geleiſtet, und wodurch Er für uns gethan und
gelitten hat, was das Geſetz von uns forderte. Dieſe
Gerechtigkeit iſt es, welche der wahre Glaube ergreift,
und mit dieſem Kleide bedeckt , wird die Seele onder
Fleden dargeſtellt vor Gott, von Ihm angenommen und
von aller Verdammniß losgeſprochen.
Unw . Wie ? du willſt, daß wir uns allein auf
das verlaſſen ſollen , was Chriſtus in ſeiner eigenen
Perſon ohne uns gethan hat ? Dieſer Betrug würde
ja unſern Lüften Zaum und Zügel ſchießen laſſen , ſo
baß wir leben möchten , wie es uns Beliebte. Denn
was liegt daran, wie wir leben , wenn wir durch die
Gerechtigkeit,I welche Chriſtus ſelbſt vollbracht hat , ge
recht werden, ſofern wir nur daran glauben ?
Chr. Du heißeſt Unwiſſend und biſt auch in
der Chat, was dein Name beſagt. Gerade beine Ants
wort beweiſet, daß das richtig ſei, was ich ſage . Un
wilſend biſt du in dem , was rechtfertigende Gerech
tigkeit iſt, und unwiſſend darin , wie bu durch den
Glauben an dieſelbe deine Seele retten mögeſt vor bem
ſchweren Zorne Gottes. Ja, unwiſſend biſt du auch
in Hinſicht der wahren Wirkungen des feligmachenden
Glaubens an dieſe Gerechtigkeit Chriſti, welcher das
Herz beugt und es für Gott in Chriſto gewinnt, alſo,
baß es liebe hegt zu ſeinem Namen , ſeinem Worte, ſeis
nen Wegen und ſeinem Volke , nicht aber, daß es in
13 *
172

der Sünde verharret, wie du nach deiner Unwiſſenheit


e $ meinſt.
Hoffn. Frage ihn doch einmal, ob ſich ihin Chriſtus
jemals geoffenbaret hat in ſeinem Herzen .
Unw. Was ? biſt du ein Mann, der an wuns
berbare Offenbarungen glaubt ? Ich glaube, daß Ales,
was ihr Beide und eures Gleichen über dieſe Sache
ſprecht, nichts als das Erzeugniß eines franken Gehirns iſt.
Hoffn. Was ſagſt du da ? Der natürliche Menſch
ſteht Chriſto ſo fern, daß Reiner ihn zu ſeiner Selig
teit erfennen kann, es ſei denn, daß ihm der Sohn vom
Bater offenbaret werde.
Unw. Das iſt euer Glaube, aber der meinige
iſt es nicht; und dennoch zweifle ich nid )t, daß der meis
nige ebenſo gut iſt, wie der eurige , obgleich ich nicht ſo
viele Grillen im Kopfe habe als ihr.
Chr. Erlaube mir, daß ich ein Wort darein rede.
Es geziemt dir nicht, über dieſe Sache ſoverächtlich zures
ben. Ich behaupte es fühn und ſtandhaft, wie es ſo eben
mein lieber Gefährte gethan, daß Niemand Jeſum Chri
ſtum erkennen tann, denn es der Vater nicht offenbaret.
Auch der Glaube, durch welchen die Seele Jeſum Chri
ftum ergreift, muß, wenn er rechter Art ſein ſoll '
durch die überſchwängliche Größe ſeiner mächtigen Kraft
herrorgebracht werden . Aber was die Kraft und Wir
kung dieſes Glaubens angeht, biſt du, wie ich ſehe, lies
ber Unwiſſend, ganz unwiſſend. So wache denn
auf, erfenne dein Elend und nimm deine Zuflucht zum
Herrn Jeſu ; ſo wirſt du durch ſeine Gerechtigkeit,
welches iſtdie Gerechtigkeit, die vorGott gilt, denn er
ſelbſt iſt Gott, von der Verdammniß erlöſet werden. ')
Unw . Ihr gehet ſo ſchueil, daß ich nicht mit
euch Schritt halten fann : daher gehet ihr nur vor ; ich
muß ein wenig zurücbleiben.
Daraufſprachen Chriſt und Hoffnungsvolinoch :
2 Matth. 11,28. Röm. 10,3,4. Ephef.1, 17-19. Röm. 13, 11.
Eph.5, 14. Sebr. 4, 16.
173
So willſt, Unwiffend, du uns denn nicht bören,
Dich als ein Thor des guten Raths erwehren ?
Verſchmähſt du ferner ihn, wirft bald du ſeh'n,
Wie's einem trokigen Sünder inuß ergeh'n :
Die Strafe bleibt nicht aus. Bedenk's bei Zeiten,
Brich seinen Stofz; zu Chrifto faffe Muth,
In Jhm die Seligkeit dir zu bereiten ,
Ergreif' ihn ſchnell es gilt dein Höchftes Gut !
Unwiſſend ! Hör', id bürge dir : wer Chriſti Blut ver.
fdmäht,
In Zeit und Ewigkeit verloren geht.
Nun wandte rich Chriſt alſo an ſeinen Gefährten :
So komm denn , mein lieber Hoffnungsvoll, ich
fehe, daß wir Beibe wieder allein wandern müſſen.
Ich ſah hierauf in meinem Traume , daß fie raſch
voranſchritten , Unwiſſend aber hinkend vintertrein
fam . Chriſt ſagte indeſſen zu feinem Gefährten : „ I
bedaure den Mann von ganzem Herzen, denn zulegt
wird es gewiß ſehr übel gehen .“
Hoffn . Ach , dieſer Art Leute gibt es gar viele
in unſrer Stadt; ganze Familien , ja , ganze Straßen
und ſogar Pilgrime. Gibt es deren aber ſchon ſo viele
in unſerer Heimath , wie viele muß es beren erſt in
Unwiſſend's Geburtsort geben !
Chr. Ja wohl. Die heil. Schrift ſagt: Er
hat ihre Augen verblendet und ihr Herz ber
ftoďt, daß fie mit den Augen nicht ſehen, noc
mit dem Herzen vernehmen und ſich bekehren
und ich ihnen hülfe. ') . Aber da wir hier allein ſind
- was denfſt du bon ' Folchen Leuten ? ' Glaubſt bu,
daß ſie nie eine Ueberzeugung von ihren Sünden haben
und daher auch nicht über die Gefahr ihres Zuſtandes
in Furcht gerathen ?
Hoffn. Ich möchte hierauf nicht antworten ; thue
du es lieber, da du älter biſt als ich.
Chr. Nun gut; ich glaube doch, daß ſie zuweilen
ihre Sünden und die Folgen derſelben erfennen . Aber
9 30h. 12, 40. Jeſ. 6, 10 .
174

weil ſie ven Natur unwiſſend find , jo ſehen fte es


nicht ein , daß dieſe Ueberzeugung zu ihrem Beſten dies
nen fout; deßwegen ſuchen ſie dieſelben denn verwegener.
weiſe zu unterdrücken und verharren, indem ſie ſich ſelbſt
ichmeicheln , auf dem Wege , den ſie nach eigenem
Gutdünten erwählet haben.
Hoffn. Ich glaube auch, daß jene Furcht den
Menſchen zum Beſten dienen und ſie "antreiben kann,
fich zur Bilgrimſchaft nach Zion vorzubereiten.
Chr. Ganz gewiß bewirkt die Furcht Solches,
wenn fie rechter Art iſt, denn es ſteht geſchrieben : Die
Furcht des Herrn iſt der Weisheit Anfang? )
Hoffn. Aber nun ſage mir, wie müßte die rechte
Furcht denn beſchaffen ſein?
Chr. Die wahre oder rechte Furcht erweiſet ſich
in folgender Art:
1 ) Sie entſpringt aus der Heilſamlichen Erkennt
niß der Sünde;
2) ſie treibt das Herz an , Chriſtum als den eini
gen eiland zu ergreifen ;
3) ſie erzeuget und unterhält indem Herzen eine
heilige Ehrfurcht vor Gott, ſeinem Worte und ſeinen
Wegen; ſie macht das Gewiſſen zart und behutſam, daß
man weder abweicht zur Rechten noch zur Linken , auch
ſich nicht zu irgend Etwas hinwendet, wodurch Gott vers
unehrt , der innere Frieden geſtört, der heil. Geiſt bes
trübt oder dem Feinde Veranlaſſung zur Läſterung ges
geben werden könnte.
Hoffn. Das iſt ganz richtig, wie ich glaube.
Was meinſt bu, ſind wir nun bald über den Taumel.
grund hinüber ?
Chr. Wie meinſt du das ? Biſt du dieſes Ges
ſpräche müde ?
Hoffn. Nein, das nicht; allein ich möchte wiſſen,
wo wir uns jeßt befinden.
) Blob 28 , 28. Pf. 111, 10. Sprüch. 1, 7 ; 9 , 10.
175

Chr. Wir haben jeßt nicht weit mehr. Aber


laßuns wieder auf den Gegenſtand unſeres Geſprächs
zurücfommen. Die Unwiſſenden ſehen es nicht ein,
daß die Ueberzeugungen , wodurch ſie in Furcht geſeßt
werden, zu ihrem Beſten dienen ſollen, unddaher ſuchen
ſie dieſelben zu unterdrücken.
Hoffn . Warum thun ſie das denn wohl ?
Obr. 1 ) Weil ſie meinen, folche Furcht ſei vom
Teufel hervorgebracht, da ſie doch von Gott bewirkt
iſt, und in dieſer Meinung widerſtehen ſie derſelben ;
als einer Sache, die ſie geradezu in's Verderben bringe.
2 ) Weil ſie ferner meinen, daß dieſe Furcht dahin gebe,
fie um ihren Glauben zu bringen ; aber leider haben
dieſe armen Leute gar feinen Glauben, und deßhalb vers
härten ſie ihr Herz gegen jene Furcht. 3) Weil ſie
wähnen , es gezieme ihnen nicht, ſich von ihr hinreißen
zu laſſen, und daher nehmen ſie, troß derſelben, in ihrer
Vermeſſenheit zu . 4 ) Weil ſie ſehen , daß jene Furcht
ihre alte elende Selbſtgerechtigkeit zu nichte macht, und
darum ſträuben ſie fich gegen erſtere mit aller Macht.
Hoffn. Davon weiß ich Eiwas aus eigener Ers
fahrung; denn ehe ich zur Erfenntniß meiner ſelbſt fam ,
ſtand es ebenſo mit mir.
Chr. Nun, hiermit wollen wir denn unſern Nach
bar Unwiſſend ſich ſelbft überlaſſen und uns zu eis
ner andern heilſamlichen Frage wenden .
Hoffn. Herzlich gern, aber du mußt den Anfang
machen .
Chr. Wohlan benn. Haſt du nicht vor etwa
zehn Jahren einen gewiſſen ûnbeſtändig in deiner
Gegend gefannt, der damals ſehr eifrig war in ſeinem
Gottesdienſt ?
Hoffn. Ja freilich; wie ſollte ich den nicht ges
gekannt haben ? Er wohnte in Gnabenlos , einer
Stadt, die ungefähr zwei Meilen von Ehrbarkeit
liegt, gleich neben dem Hauſe eines gewiſſen Sebrum .
Chr. Richtig, die beiden wohnten unter einem
Dache. Nun ja. Dieſer Mann gerieth einmal in
176

große Unruhe über fich. Ich glaube, daß er damals


einige Erkenntniß von ſeinen Sünden und ihren traurts
gen Folgen hatte.
Hoffn. Ich glaube es ebenfalle , denn da mein
Haus nicht weit von dem ſeinigen entfernt lag, fam er
oft zu mir, und zwar mit vielen Thränen. Und wirts
lich , der Mann dauerte mich, aber ich hatte doch einige
.

Hoffnung für ihn. An ihm fann man jedoch ſehen, daß


nicht alle, die „Herr! Herr ! " ſagen, in's Himmelreich
tommen :)
Chr . Eines Tages ſagte er mir, daß er entſchloſſen
ſei, fich wie wir auf die Bilgrimſchaft zu begeben ; aber
auf einmal machte er die Bekanntſchaft eines gewiſſen
Hilfpirjelber und wendete ſich dadurch von mir ab.
Hoffn. Nun wir einmal auf ihn zu ſprechen ge
kommen ſind, ſo laß uns doch unterſuchen , worin die
Urſache liegt, daß er und andere ſeines Gleichen ſo
ſchnell abfällig geworden ſind.
Chr. Dieſe Unterſuchung mag wohl ſehr zweck
mäßig ſein, indeſſen nimm du zuerſt das Wort.
Hoff. Nun gut; meiner Anſicht nach liegt die
Urſache davon in vier Stücken :
1) Obgleich das Gewiſſen folcher Menſchen auf
gewedt iſt, hat ſich ihr Herz doch nicht verändert; fo
bald daher das Gewicht der Schuld abnimmt, ſchwindet
ſogleich auch das,1 was ſie dazu bewog , ein frommes Leben
anzufangen, und fo fehren ſie dann natürlich wieder zu
ihrem alten Wandel zurück. 2) Wie ſie nun bloß aus
Furcht vor den Dualen der Hölle mit heißem Eifer
nach dem Himmel verlangten, 10 erfaltet dieſer Eifer in
bemſelben Grade, worin ihre Furcht verſchwindet. Auf
dieſe Weiſe fommt es dann aber auch, daß ſie das alte
Reben wieder anfangen .
2) Es überwältigt ſie eine ( flaviſde Furcht, hier
meine ich nämlich die Furcht vor den Menſchen , denn
vor Menſchen ſich icheuen , bringt zum Fall. ;)
' ) Matth. 7, 21 . - 2) 2 Petr. 2 , 22. - ' ) Sprüch. 29, 25 .
-
177

Wiewohl ſte alſo für den Himmel entbrannt zu ſein


ſcheinen , ſo lange die Flammen der Hölle ihnen ſo zu
jagen um den Kopf ſchlagen , fo fallen fte, wenn der
Schreden ein wenig vorüber iſt, alsbald wieder in ihre
früheren Gedanken zurück, und meinen , es wäre body
gut, den Klugen zu ſpielen, um nicht Gefahr zu laufen,
Åles , ( ſie wiſſen aber ſelbſt nicht was ) zu verlies
ren , oder ſich wenigſtens nicht ſelbſt in unvermeids
liches und unnöthiges Ungemach hineinzubringen. Und
ſo ſtürzen ſie ſich denn aufs Neue der Welt in die Arme.
3) Die Schmach, mit welcher das Befenntniß des
Evangeliums begleitet iſt, liegt ihnen wie ein Stein
im Wege. Sie ſind ſtolz und hochmüthig, bas Evans
gelium von Chriſto iſt aber in ihren Augen niedrig
und verächtlich. Sobald ſie deßwegen die Furcht vor
ber Hölle und dem zufünftigen Borne verloren haben,
tehren ſie wieder auf ihre vorigen Wege zurück.
4) Ueber ihre Schuld und großeStrafwürdigkeit
nachzudenken, iſt ihnen eine Qual. Sie mögen ihr
Elend nicht anſehen , bevor ſie drin ſind. Und doch
würde der frühere Hinblick auf daſſelbe ſie vielleicht
treiben , dort ihre Zuflucht zu ſuchen, wo ſie der Ges
rechte gefunden , und auch ſie gerettet werden könnten ;
aber weil ſie, wie ich vorhin bemerkte, jeden Gedanken
an Schuld und Strafe ſcheuen , fo verhärten ſie, wenn
fie fich einmal von dem erſten Schrecken vor dem Zorne
Gottes losgemacht haben , ihre Herzen mit Freuden , ins
bem fie folche Wege erwählen , auf denen ſie in ihren
Sünden immermehr befeſtigt werden .
Chr. Du biſt der Sache fehr nahe gefommen,
denn der Grund von dieſem Aben liegt darin, daß ihr
Herz und Wille nicht umgewandelt worden . Und
ſo fann man ſie vergleichenmit einem Miſſethäter, der,
ſo lange er vor dem Richter ſteht, zittert, bebt und
wahrhaft reuig zu ſein ſcheint, ſich aber lediglich vor
dem Galgen fürchtet, und nicht, weil er einen wahren
Abideu vor ſeinem Verbrechen hätte. Erhält derſelbe
ſeine vorige Freiheit wieder, ſo wird er abermals ein
178

Dieb und Schurke wie früher. Das würde jedoch nicht


der Fall ſein, wenn wirklich eine Umwandlung ſeis
nes Herzens ſtatt gehabt hätte.
Hoffn. So habe ich dir nun die Gründe ihres
Rüdfalls angegeben . Zeige du mir jeßt die Art und
Weiſe, wie Solches geſchieht.
Chr. Recht gern .
1) Zunächſt ziehen ſie ihre Gebanten ab von Gott,
Cob unddem zukünftigen Gericht.
2) . Dann ſtellen ſie nach und nach ihre ſtillen les
bungen in der Gotiſeligkeit ein , wie z. B. das Beten
im Rämmerlein, die Befämpfungihrer Lüſte, das Wachen,
bie Befümmerniß über ihre Sünden und bgl.
3) Ferner ſcheuen ſie ſich vor dem Umgange mit
Lebendigen und warmen Chriſten.
4 ) Darnach werden ſie lau gegen die öffentlichen
Uebungen des Gettesdienſtes, wie im Beſuch der Kirche
und dem Anhören und Leſen des göttlichen Wortes.
5 ) Sobann fangenſie an, Flecken (wie man zu ſagen
pflegt) aufden Rocgläubiger Leute zu bringen, undzwar in
der ſataniſchen Abſicht, um dadurchden Schein für ſich zu
gewinnen , daß ſie mit Recht aus der Kirche wegbleiben.
6) Hierauf tretenſie in Verbindung mit fleiſch
lidhgeſinnten, loſen und lieberlichen Menſchen.
7 ). Ferner geben ſie ſich heimlicherweiſe weltlichen
und Liederlichen Geſprächen hin, und haben ihre Freude
daran , wenn ſie bei Einem , der für fromm gehalten
wird, dergleichen antreffen können, damit ſie es auf den
Vorgang eines Solchen hindeſto breiſter wagen dürfen.
8 ) Nachher fangen ſie an , mit kleinen Sünden
ein offenes Spiel zu treiben.
9 ) Und wenn ſie ſich auf dieſe Weiſe nach und
nach in der Sünde verhärtet haben , zeigen ſie ſich zu {
left in ihrer wahren Beſchaffenheit. Šo ichwimmen
ſie denn wieder auf dem reißenden Strome des Ver
berbens, und müſſen,wenn nicht ein Wunder der Gnade es
verhindert, in ihrem Selbſtbetruge ewiglich verloren gehen.
179

Zwanzigſtes Kapitel.
Der Pilger Ankunft im Himmliſchen Jeruſalem .
Nun ſah ich in meinem Traume, wie die Pilger
über den Zaubergrund hinübergekommen und in das
Land, welches die Vermählte " ) heißet, eingingen.
Hier war die" Ruft gar mild und lieblich , und da
ihr Weg gerade hindurch ging, ſo erquicten ſie ſich
hier eine Zeitlang. Da trat ihnen die Erfüllung des
Wortes entgegen : Die Blumen find hervorges
tommen im Rande , der Lenz iſt herbeigetom
men, und die Turteltaube läßt ſich hören in
unſerm lande.2) In dieſem Lande ſcheint die Sonne
Tag und Nacht, weil es jenſeits des Thals der Tos
desſchatten liegt, und baher auch außerhalb des Bes
reich des Riefen der Verzweiflung; ja von
dieſem Bunkte aus fonnten ſie nicht einmal die Zweis
felsburg ſehen. Hier hatten ſie bereits die Stadt
im Geſichte, zu der ſie wanderten, und begegneten ſchon
einigen Bewohnern derſelben, denn es luſtwandelten hier
gewöhnlich die Glänzenden, weil das Land an dem
Šaume des Himmels liegt.
In dieſem Lande ward die Verlobung zwiſchen
der Braut und dem Bräutigam erneuert; ja, wie ein
Bräutigam ſich freuet über ſeine Braut , jó freuet ſich
Gott über fie. 3) . Hier hatten ſie weder Mangel an
Rorn noch an Wein , benn an dieſem Orte fanden ſie
Ueberfluß an Allem , was ſie auf ihrer ganzen Pilgers
reiſe geſucht hatten. Hier vernahmen ſie aus der Stadt
her Stimmen ,. laute Stimmen , welche riefen : Sage
der Tochter Zion : Siehe, dein þeil tommt!
.

fiehe, ſein lohn iſt bei Ihm . Hier wurden ſie


von allen Einwohnern des Landes genannt das heis
lige Volt, die Erlöſten des Herr n.4 )
Da fie nun in dieſem Lande wandelten , harten ſie
) Jef. 62, 4--12. – ? ) Hobesi. 2, 12. s ) Jef. 62, 5.
) Jef. 62, 11. 12.
180

mehr Freude, als in den Gegenden, burc welche ſte


bisher gefommnen waren. Se näher ſie aber der Stadt
tamen , einen deſto vollkommnern Ånblick gewährte ihnen
dieſelbe. Sie war erbaut von Perlen und Edelſteinen,
auch waren ihre Straßen von lauterm Golde : To daß
Chriſt durch die natürliche Herrlichkeit und den Glanz,
welche die darauf zurücfallenden Sonnenſtrahlen zurück
warfen, vor Sehnſucht krant wurde, und Hoffnungs
voll ging es ein paar Mal ebenſo. Daher lagen ſie eine
Weile darnieder und riefen vor Heimweh : Findet
ihr meinen Freund, jo faget ihm, daß ich vor
Biebe krant liege. )
Nachdem ſie ſich aber ein wenig geſtärkt und mehr
im Stande waren , ihren Schmerz zu ertragen , zogen
ſie ihres Weges fort und kamen der Stadt immer näs
ber und näher. Sie famen an Obſthöfen , Weinbergen
und Gärten vorbei, deren Thüren nach der Straße hin
offen ſtanden. Als unſre Pilger hierhin gelangten, fahen
ſie den Gärtner am Wege ſtehen und fragten ihn: ,,Wem
gehören dieſe herrlichen Weinberge und Gärten ? Er
prach : ,,Šie gehören dem Könige , und ſind hier zu
.

ſeinem eigenen Ergößen, aberauch zur Erquicung der


Bilgrimeangelegt und nun führteſie der Gärtner in
die Weinberge hinein, und hieß ſie, ſich hier erquicken .?)
Ebenſo zeigte er ihnen des Rönigs Luſtgänge und Lau
ben, die ſeine Lieblingspläßchen waren. *) Hier verweils
ten fie, und fielen in den Schlaf.
Nun bemerkte ich in meinem Traume, baß fie jest
in ihrem Schlafe mehr redeten , als ſie auf der ganzen
Reiſe gethan hatten . Als ich aber darüber nachdachte,
fragte mich der Gärtner : „ Warum denfſt du darüber
nach ? Es liegt in der Natur der Trauben dieſer Wein
gärten, daß ſie ſo ſüß hinuntergehen und die Lippen der
Schlafenden zum Reden bringen. “)
Åls ſie weiterhin erwachten , nahm ich wahr, wie
* ) Hohesi. 5 , 8. 2 ) 5 Mof. 23, 24. – 6) S. Pf.84, 2—13.
-- *) S. Hobesi. 7, 9.
181

fte fich anſchidten , miteinander hinauf in die Stadt zu


gehen. Aber der Wiederſchein der Sonne, der von der
Stadt zurückſtrahlte, war ſo außerordentlich ſtark (denn
fie war von lauterm Golde, Offenb. 21 , 21 ), daß ſie
dieſelbe nicht mit bloßen Augen anſchauen konnten, ſons
dern nur durch ein buntles Glas, welches zu dieſem
Zwecke angefertigt worden war. ') Als ſie nun weiters
gingen, ſah ich, daß ihnen zwei Männer begegneten , an-.
gethan mit Kleidern, die glänzten wie Gold und deren
Ångeſichter leuchteten wie das Licht.
Dieſe Männer richteten die Frage an unſere Pil
ger, woher ſie fämen , und ſie ſagten es ihnen . Ferner
fragten ſie dieſelben , wo ſie zur Herberge geweſen ?
welche Beſchwerden und Gefahren ſie ausgeſtanden ? und
welche Tröſtungen und Freuden ſie unterwegs erfahren ?
Auf dies Alles gaben ſie ihnen Antwort. Darauf ſags
ten ihnen die beiden Männer: Ihr habt jeßt nur noch
zwei Beſchwerben zu beſtehen ,, dann ſeid ihr in der Stadt..
Da baten Chriſt und ſein Gefährte die Männer,
fie möchten doch mit ihnen gehen. Die Männer waren
nun dazu wohl bereit , jagten aber : Durch euren eis
.

genen Glauben müſſet ihr den Sieg davon tragen. Und


jo bemerkte ich in meinem Traume, daß ſie miteinander
fortgingen, bisſie des Thores der Stadtanſichtig wurden .
,

Darnach ſah ich, daß zwiſchen ihnen und dem Thore


ein Strom war, es führte jedoch keine Brücke hinüber,
obgleich der Strom jehr tief war. Beim Anblick dies
jes Stromes waren die Pilger ganz ſtußig und bange ;
allein die Männer , welche mit ihnen gingen , ſagten :
„ ihr müſſet hindurch , oder ihr könnt nicht zur Pforte
gelangen.
Die Pilger forſchten nun darnach, ob es wohl keinen
andern Weg zur Pforte gäbe. DieMänner jagten ihnen
barauf: Allerdings, allein ſeit Erſchaffung der Welt iſt
es nur zweien , nämlich Enoch und Elias, vergönnt
9 Vgl. 2 Kor. 3, 10. 18.
182

geweſen, auf fenem andern Wege in die Stadt zu toms


men , und bis zum legten Poſaunenſchall wird es einem
Andern auch nicht vergönnt werden . ') Da fingen die
Pilger, und beſonders Chriſt an , muthlos zu werden
in ihrem Herzen , und ſie wendeten ihre Blicke bald
hierhin, bald dorthin, allein ſie konnten feinen Weg
ausfindig machen , auf welchem ſie dem Strome hätten
ausweichen mögen. Auf die Frage : „iſt denn dasWaſſer
an allen Stellen gleich tief ? " antworteten die Männer :
,Nein , aber wir können euch dabei nicht helfen , denn
!!
je nachdem es mit eurem Glauben an den König der
Himmliſchen Stadt ausſieht, werdet ihr das Waſſer mehr
oder weniger tief und leicht finden ."
Hierauf gingen ſie auf das Waſſer zu, und als ſie
hineintraten , fing Chriſt an zu ſingen und rief ſeinem
Freunde Hoffnungsvoll zu: Ich verſinke in tiefen
Waſſern , die Wogen gehen über mein Haupt,
allë Wellen gehen über mich !?) Nur getroſt,
lieber Bruder," ſagte da der Andere ; , ich fühle ſchon
Grund und der iſt auch feſt.“ Darauf erwiederte Chriſt:
Ach , lieber Freund , die Angſt des Todes bat
mich umgeben und ich werde das Land, darinnen
Milch und Honig fließt, nicht ſehen !" Während er
dies ausſprach, überfiel ihn eine große Finſterniß und
Angſt, ſo daß er garnicht mehrvor ſich hin ſehen konnte.
Auch verlor er in einem ſo hohen Grade ſeine Beſin
nung, daß er weder ordentlich ſprechen , noch auch ſich
an irgend eine jener füßen " Erquicungen erinnern
konnte, die er auf ſeiner Pilgrimſchaft erfahren hatte.
Denn Alles, was er redete, lief darauf hinaus, den
Scređen ſeiner Seele zu offenbaren und die Furcht feis
nes Herzens, er möchte in dem Strome umkommen
unb niemals durch die Pforte hindurch gelaſſen werben .
Hier beunruhigten ihn auch, wie die Umſtehenden mers
Een konnten , die Gedanken an die Sünden, die er nicht
uur vor, ſondern auch während ſeiner Pilgrimſchaft be
) Vgl. 1 Kor. 15, 51. 52. 2 ) Jon.2, 4.ff.
183

gangen hatte. Biebei nahm man wahr, daß er von ben


Erſcheinungen Höfer Geiſter geplagt warb. Solches beute
teten wenigſtens dann und wann ſeine Worte an. Hoff
nungsvoll hatte daher große Mühe, feines Bruders
Haupt über'm Waſſer zu halten ; ja, zuweilen ſchien's,
als wenn Chriſt ganz hätte untergehen wollen , und
erſt nach einer Weile kam er halbtodt wieder empor .
Hoffnung 8voll gab ſich aber allemögliche Mühe, ihn zu
tröſten . ,lieber Bruder," ſprach er, ich ſehe die Pforte
II

und Männer, die daran ſtehen, um uns zu empfangen."


Atein Chriſt erwieberte, ...ja, du biſt es, du, auf den
ſte warten , du biſt immer hoffnungsvoll geweſen,
ſo lange ich dich fenne. " welch , lieber ,"Bruder, Proff
nungsvoll zu Chriſt.
dieſer hinwiederum ,wenn es recht um mich ſtände, ſo
würde der Herr ſich jest gewiß zu meiner Hülfe auf
madjen , aber um mhteiner Sünden willſeenn hat er mi ch
in das Netz gebrac und mich verlaſ . Darauf 11

agte soffnungsvoll: ,,bu haſt ganz die Worte vers


geſen : Die Gottloſen find in einer Gefahr
des Todes , ſondern ſtehen feſt wie ein Ballaſt;
1

ſie ſind nicht im Unglück wie andere Leute


und werden nicht wie andere Menſchen ges
plagt.') Die Angſt und Bangigkeit, durch welche du
in dieſen Waſſern hindurch mußt,ſind nicht einZeichen,
baß Gott bich verlaſſen hat ; ſie ſollen vielmehr dazu
dienen , dich zu prüfen, ob du der Süte gedenken: wer
beſt, womit Er bich bisher geleitet, und ob du in beis
ner Noth auch dein Vertrauen auf Ihn allein feeſt."
Nun ſah ich in meinem Traume,daß Chriſt eine
Weile in Gedanken hierüber verſunken war. Hoff
nungsvoll aber redete ihm zu: „ Sei getroſt!
Jeſus Chriſtus macht dich geſünd. " Da rief
Chriſt auf einmal mit lauter Stimme: „ D , ich ſehe
Ihn wieder und er ſpricht zu mir : So du buro
das Waſſer geheft, will ich bei dir ſein, daß
Pfalm 73, 4.5.
184

bid die Ströme nicht ſollen erſäufen . ) Und


nun faßten beide Muth , der Feind aber verſtummte,
und Chriſt fand nun auch ſogleich Grund, auf dem er
ſtehen konnte .
auc ergab es ſich weiter, daß der
übrige Theil des Stromes ſeicht war. So famen fie
benn glücklidi hinüber.
Auf der andern Seite des Ufers ſahen ſie die
beiden Männer in den glänzenden Kleidern wieder , die
auf ſie warteten. Als ſie aus dem Strome traten, grüße
ter: bie Männer ſie mit den Worten : „11 Wir ſind
dienſtbare Geifter, ausgeſandt zum Dienſt
um derer willen, die ererben follen die Selig
leit. 2). Dann gingen ſie mit ihnen auf die Pforte zu.
Hier muß ich bemerfen , daß die Stadt auf einem
mächtigen und hohen Berge lag, aber dennoch gingen
die Pilger mit Leichtigkeit hinauf, weil die beidenMän
ner ſie am Arme führten. Auch hatten ſie ihre ſterb
lichen Kleider im Strome zurückgelaſſen , denn wies
wohl ſie mit denſelben in den Strom hineingegangen
waren, fo tamen ſie doch ohne ſie heraus. Daher gin
gen ſie mit großer Leichtigkeit und Eile hinauf, obwohl
der Grund, auf welchen die Stadt gebaut, höher war,
als die Wolfen. Unter lieblichen Geſprächen gingen
ſie durch die Luſtgegenden hindurch, indem ſieſich freueten,
baß ſie ſo wohlbehalten durch den Strom gekommen , und
daß ſo herrliche Vegleiter zu ihrem Dienſte bereit waren.
Das Geſpräch , was ſie mit den Glänzenden
hielten , war über die Herrlichkeit des Ortes : dieſe fag
ten ihnen , daß die Schönheit und Herrlichkeit deſſelben
gar nicht zu beſchreiben wäre. Da iſt der Verg Zion ,"
ſagten ſie, das himmliſche Jeruſalem , die
Menge bieler Tauſend Engel und die Geis
fter der vollkommenen Gerechten. 3) ,,Ihr gehet
nun" – fuhren ſie fort – „ zu dem Paradieſe Gottes,
-

wo ihr den Baum des Lebens ſehen und eſſen werdet


von ſeinen unverwelklichen Früchten. Und wenn ihr
.

) Jeſ. 43, 2. – ? ) Hebr. 1, 14. - ) Hebr. 12, 22-24.


-
185

dorthin fommt , ſo werdet ihr angethan werden mit


weißen Kleidern und ihr werdet um den König ſein
und mit Ihm reden ewiglich. ') Dort werdet ihr
nicht mehr finden, was ihr fandet , als ihr auf
der niedern Erde waret, weber Rummer noch Krank
heit, weder Schmerz noch Tod, denn das Alte iſt vers
gangen. 2) 3hr gehet jetzt zu Abraham , 3ſaat und
Jakob und zu den Propheten, zu Männern , die Gott
vor dem zukünftigen Uebel weggenommen hat , und die
nun ausruhen auf ihren Lagern in Seiner Gerech
tigkeit."
Die Pilger fragten hierauf: Was werden wir
thun follen an dieſem heiligen Orte ?" Da ward ih,
nen die Antwort: „ Ihr werdet bort für alleure
Trübfal getröſtet werden und Freude empfangen für
all eure Traurigkeit; ihr werdet ernten, was ihr geſäet
habt, nämlich die Frucht all eurer Gebete, Thränen
und Leiden , bie ihr um des Königs willen auf eurer
Pilgrimſchaft erbulbet habt.a) An jenem Ortewerdet ihr
goldene Kronen tragen und euch freuen in dem An
chauen des Allerheiligſten, denn ihr werdet 35
ſehen ., wie Er iſt. 4) Tem , welchen ihr in der Welt
ſo gerne dienen wolltet, wenn gleich mit viel Beſchwerde,
ob der Schwachheit eures Fleiſches – werdet ihr dort
-

bienen ohne Unterlaß mit Preis, Frohlocken und Dants


{agung. Dort wird euer Auge und Ohr ſich ergößen
an Dem , welcher allein mächtig iſt. Dort werdet ihr
euch wieder freuen mit euren Lieben , die euch dahin ror
angegangen ſind und dort mit Freude empfangen Alle,
die nach euch zu dem heiligen Orte kommen werden.
Dort werdet ihr auch angethan werden mit Glorie und
Majeſtät, und dahinfahren mit dem Könige der Herr
lidhkeit, wann Er kommen wird auf den Fittigen des
Windes; und wann er figen wird auf ſeinem Richters
ſtuhle, werdet ihr bei Ihm figen. Ja , wenn er richten
') Offenb. 2, 7 ; 3, 4. 5 ; 22; 4-5. -
2) Jef. 65, 16. 17.
Offenb. 21, 3, 4. 3 ) Gal.6, 7.8. ) 1 Joh.3, 2.
$ 15 14
186

wird alle Uebelthäter – mögen es Menſchen oder En


gel ſein – werdet auch ihr eine Stimnie haben im
Gerichte , weil ſie ſowohl ſeine als eure Feinde waren.
Aber audy, wann er wieder in die Stadt zurückkehren
wird, werdet ihr mit ihm gehen unter dem Schall der
Poſaunen und bei ihm ſein allezeit. ' ) Als ſie nun fo
der Pforte näher famen , ſiehe, da zog ihnen eine Menge
himmliſcher Bewohner entgegen , zu denen die Gläns
jenden ſprachen: „ Dies ſind die Männer, die unſern
Herrn lieb hatten , als ſie in der Welt waren, und die
Ülles verlaſſen haben um ſeines Heiligen Namens willen.
Er hat uns aber ausgefandt , um ſie abzuholen , und
nun haben wir ſie an das erſehnte Ziel ihrer Reiſe
gebrad)t, daß ſie eingehen mögen , um ihren Erlöſer
init Freuden " zu ſchauen von Ungeſicht zu Angeſicht.
Da jauchzte die himmliſche Menge : ,,Selig ſind, die
zum Abendmahle des Lammes "berufen ſind!?)
Nun kamen ihnen auch entgegen mehrere von den Bos
ſaunenbläſern des Königs in weißen und glänzenden
Kleidern, welche die Himmel erfüllten mit ihren hellen
und ſüßen Klängen , daß es davon wiederhalte. Dies
ſelben bewillfommten Chriſt und ſeinen Gefährten uns
zähligemal mit Jauchzen und dem Scall ihrer Poſaunen.
Als dies geſchehen , umringten ſie die Begrüßten
von allen Seiten : die Einen gingen vor , die Andern 1

nach, Etliche zu ihrer Nediten und Etliche zıır Linken, 1


gleich als wenn ſie dieſelben bei ihrem Zuge burd, die
obern Gegenden hätten bewachen wollen . Sie gingent
baher unter unaufhörlichem Jaudzen und füßen Kläns
gen im höhern Chor : jo daß es ſich anließ, als wäre
der Himmel ſelbſt herabgekommen , um ihnen entgegen
zu gehen . So wandelten ſie nun mit einander ; die
Poſaunenbläſer gaben aber unter lieblichen Klängen und
durch Blick und Geberden , womit ſie ihr ſüßes Spiel
begleiteten , Chriſt und ſeinem Bruder in Einem fort

') Jud.15. Dan . 7,9. 10. 1 Kor. 6,2.3. 1 Theſſ.4 ,13–17.


2 ) Offenb. 19, 9.
187

fund, wie willkommen ſie ihnen und mit wie großer


Freude ſie ihnen entgegengekommen ſeien. Da ward
es Chriſt und ſeinem Geführten , als wären ſie ſchon
im Himmel, ehe ſie noch dort angelangt, alſo wur
den ſie hingeriſſen vom Anblick der Engel durch den
Klang ihrer melodiſchen Töne. Hier auch fiel ihnen
die Stadt ſelbſt in die Augen, und beiden Pilgern dünfte
es, als hörten ſie drinnen das Geläute aller Glocken zum
Willkomm. Aber weit über alldies entzückte ſie der beſeli
gende Gedanke, daß ſie dort ſelber nunwohnen, in folcher
Geſellſchaft ewig wohnen ſollten, - 0, welche Zunge
oder weldje Feder vermödyte es , dieſe herrliche Freude
ihres Herzens zu ſchildern ! So famen ſie an der Pforte
an. Darüber ſtand mit goldenen Buchſtaben geſchrieben :
Selig ſind, die feine Gebote halten , auf daß
ibre Madyt jei an dem Holze des Lebens und
ſie zu den Thoren eingehen in die Stadt. )
die beis
Darauf ſah ich in meinen Traume, daß
den Glänzenden ſie an dem Thore rufen hießen. 418
ſie dies thaten, ſchauten einige Männer über das Thor
hinüber , nämlich Henoch , Moſes und Elias. Sh
nen ward nun geſagt : „dieſe Pilger ſind gekommen aus
der Stadt.Verderben und haben dieſelbe aus Liebe
zu dem Könige dieſes Ortes verlaſſen. Darauf sab
jeder von den Pilgern das Zeugniß ab, welches ſie beim
Beginn ihrer Wanderſchaft befommen hatten . Es wurs
den dem Könige die beiden Zeugniſſe Hereingebracht und
als er ſie geleſen, ſprach er : „ Wo ſind die Männer ? "
,,Sie ſtehen vor der Pforte," hieß es. Da befahl der
König : „,, Machet die Pforte auf, daß herein
gehe das ger e dyte Volt, bas den Glauben
bewahret. )
Nun ſah ich in meinem Traume, daß die beiden
Männer zur Pforte eingingen. Und, ſiehe, als ſie hin :
eingingen , wurden ſie verflärt und mit einem kleide
angethan , weldies leuchtete wie Gold. Nun kamen it),
“) Offenb. 22, 14. – ?) Sef. 26, 2.
14 *
188

nen Viele entgegen mit Farfen und Kronen , und


gaben ihnen auch Harfen zum Loben und Kronen zu
Ehrenzeichen.
Sodann hörte ich in meinem Traume die Freudens
klänge aller Glocken der Stadt und den Pilgern zu
jauchzen: Gehet ein zu eures Herrn Freude! ')
Die Männer ſelbſt aber ſangen mit lauter Stimme:
Lob und Ehre und Preis und Gewalt ſei bem ,
der auf dem Stuhle fitt und dem Ramme von
Ewigkeit zu Ewigkeit !2)
Als nun das Thor aufgethan war, um die Män
ner einzulaſſen , blickte ich ihnen nach , und , ſiehe, die
Stadt leuchtete wie die Sonne, die Straßen waren von
lauterm Golde und in denſelben wandelten Viele mit
Kronen auf ihren Häupten, mit Palmen in ihren Hän
den und mit goldenen Harfen, Gott zu preiſen.
Da ſah ich auch Soldie, die Flügel hatten , und
die ohne Aufhören einander zuriefen: Heilig , heilig ,
heilig iſt der Herr ! ) Darauf ward die Pforte zu
geſchloſſen ; und als ich Solches geſehen hatte, wünſchte
id , daß ich ſelbſt unter ihnen ſein möchte.
Als ich ſo über Alles, was ich angeſchaut, in Gedanken
verſunken war, wandte ich mich um und bemerkte, wie Un
wijiend auf das Ufer des Stromes zufam. Er ſeşte
ſchnell über und hatte nicht halb ſoviel Mühe damit,
wie die beiden andern Pilger, denn es begab ſich , daß
gerade ein Fährmann , Namens Eitelhoffnung da
war, der ihm mit ſeinem Boote hinüberhalf. Darauf jah
idy, daß Unwiſiend, wie die Andern, den Berg hina
aufging, um an die Pforte zu gelangen. Er fam aber
ganz allein und Niemandging ihm entgegen , um ihm
auch nur den geringſten Beiſtand zu leiſten . Als er an
die Pforte fam, ricitete er ſeinen Blick auf die In
ſdrift , welche darüber ſteht, und fing an zu klopfen ;
ermeinte nämlich, man würdeihn ſogleich hineinlaſſen.
Allein der Mann, welcher oben über die Pforte hinüberfah,
Matth. 25 , 23. – 2 ) Offenb. 5, 13. 14. – 3) Jef. 6, 3.
189

fragte ihn : „ Woher kommſt du und was iſt dein Be


gehren ? " "Er antwortete : Ich habe vor dem Könige
gegeſſen und getrunken und er hat auf unſern Straßen
gelehrt." Da fragten ſie nach ſeinem Zeugniß, daß fie
hineingehen und dem Könige 'es zeigen könnten. Nun
fühlte er in ſeinen Buſen und ſuchte , aber er fand
Nichts. Haſt du denn fein Zeugniß ?" fragten die
Männer. Er aber verſtummte. Da ſagten ſie es bem
Könige; er aber wollte nicht hinabkommen, ihn zu ſehen,
fondern ſprach zu den beiden Glänzenden , von wels
dhen Chriſt und Hoffnungsvoll in die Stadt geleitet
worden : ,,Gehet hinaus, ergreifet Unwiſien und
bindet ihm Hände und Füße, und werfet ihn in die
äußerſte Finſterniß ! :) So hoben ſie ihn denn auf und
trugen ihn durch die Luft nach dem Thore hin, welches
ich an der Seite des Hügels ſah , und warfen ihn da
hinein. Da ſah ich denn , daß es ebenſo wohl von den
Pforten des Himmels einen Weg zur Hölle gibt , wie
von der Stadt des Verderbens.
So erwachte ich , und ſiehe, es war ein Traum .
) Matth. 22, 13.
A 11 je i gl..
Das von der Traktatgefeli ſchaft herausgegebene
,, Gebetbuch für Chriſten , welches ießt in achter
Auflage, 240 Seiten ſtarf, erſchienen iſt und Gebete
für alle Wochen- und Feſttage, Beidyt- und Coms
munion - Gebete, fowie Gebete für franfe, Leidende
und Sterbende enthält , ift , um eß den Geringen
und Armen im Volfe noch zugänglicher zu machen,
geb. à 5, in Calico à 6 %, Sgr. zu haben. — Beftellungen
darauf, ſowie auf andere Nummern der Traftate, wolle
man unter der portofreien Rubrik : Angelegens
Weite : des Vereins für dyriſtliche Erbauungs
driften. Wupperthaler Traftat: Geſells
fdaft. An den Vorſtand des Vereins für drifts
liche Erbauungsſchriften in Barmeni" richten.

Briefe unter Kreuzband oder offen , Geldbriefe


mit 5 Siegeln verſehen , geben unter obiger Adreſſe
portofrei, wenn der Abſender ſeinen Namen beifiigt.

zu haben in der Erpedition , Wertyer Vollwert 63.


Vilgerreiſe
fu r

feligen Ewigkeit.
Von Johann Bunyan.

Zweiter Theil : Die Pilgerin.

Aus dem Engliſchen .

(Nach dem Original der Londoner TraktateGeſellſchaft.)

Dritte Auflage.

Hercusgegeben von der Wupperthaler Traktat- Geſellſchaft.

Barmen , 1864.
Gedrudt bei F. F. Steinhaus.

Stuttgart , bei der Evang. Bücherſtiftung.


1

1
Fuhalts- @ ferzeidini

Seite,
Erftes Rapitel. Wie die Pilgerin fid zur Reiſe
andidt 1

3 weites Rapitel. Der Gang zur Pforte und


was die Pilgerin dabei erfahren 16

Drittes Rapitel. Die Pilgerinnen in Anfech


tung und im Hauſe des Auslegers 26

Viertes se apitel. Aufbruch zur Weiterreiſe ;


neue Belehrungen und Erfahrungen unter dem
Geleit eines treuen Führers . 46

Fünftes Kapitel. Der Bilgrime Angft und Er


quidung . . 58

Sed & tes Rapitel. Pilger im Thal der De


muth und Todesſchatten 82
Seite.

Siebentes Kapitel. Pilger reßen die Reiſe


unter des Führers Geleite fort . 96

Actes i apitel. Pilger in der Şerberge . 113

Neuntes se apitel. Kampf und Sieg über den


Nieſen Verzweiflung. Zerſtörung der Zweifels
burg. Ankunft in den lieblichen Bergen 140

zehntes Rapitel. Ende der Pilgerreiſe und


Ankunft in der himmliſchen Stadt . 153
Erſtes Kapitel.
Wie die Pilgerin ſich zur Reiſe anſchickt.
Vor einiger Zeit erzählte ich euch einen Traum ,
welchen ich hatte von Chriſt , bem Pilger und von
ſeiner gefahrvollen Reiſe in das himmliſche Land.
Dieſe Erzählung war angenehm für mich und heilſam
für euch . Zugleich erzählte ich euch , was ich von
ſeiner Frau und ſeinen Kindern geſehn , und wie fie
ihn auf ſeiner Pilgerfahrt nicht begleiten gewollt, ſo
daß er genöthigt geweſen , ſeine Reiſe atein anzus
treten, denn erdurfte fich nicht der Gefahr des Vers
derbens ausſeßen , welches nach ſeiner Befürchtung
hereinbrechen würde, wenn er in der Stadt Vers
Derben bei ihnen bliebe: weßhalb er ſie dann auch,
wie ich euch erzählte, verließ und allein abreiſte.
Nun ift es durch meine vielſeitigen Geſchäfte fo
gekommen , daß ich oftmals verhindert und abges
halten worden bin von meinen gewöhnlichen Reiſen
in diejenigen Gegenden, in die er ſich begeben, und
ſo mangelte es mir bis vor Kurzem án Gelegenheit,
weitere Erkundigungen über diejenigen einzuziehen,
die er zurücgelaſſen : ich war daher auch nicht im
Stande, euch Etwas über ſie mitzutheilen. Da ich
indeſſen neulich in tener Gegend zu thun hatte, ging
ich abermals dorthinab. Indem ich nun in einem
Walbe, ungefähr eine Meile von dem Drte entfernt,
meineNachtherberge genommen , träumte mir wiederum ,
da ich eingeſchlafen , in folgender Art :
2

Als ich am träumen war , ftehe, da fam ein


alter Mann zu mir , und weil derſelbe ein Stüd
des nämlichen Weges gehen wollte, den ich zu mas
chen hatte, ſo kam es mir vor, als ſtände ich auf
und ginge mit ihm . Als wir nun ſo zuſammen
bahinwanderten , geriethen wir, wie es bei Reiſenden
zu geſchehen pflegt, in ein Geſpräch und kamen zus
fålig auf Chriſt und ſeine Reiſen. Zuerſt richtete
ich nämlich folgende Worte an den alten Mann :
Herr, ſagte ich, was iſtdas für eine Stadt hier unten ,
die links von unſerm Wege liegt ?
Darauf ſagte Scharfſichtig (denn ſo hieß er):
Das iſt die Stadt Verderben , ein volfreicher Drt,
die Menſchen aber , die darin wohnen, ſind von uns
nüßer und ſehr ſchlechter Art.
Ich dachte wohl, ſagte ich , daß es jene Stadt
wäre. Ich bin ſelbſt einmal durchgefommen , und
darum weiß ich , daß das , was Ihr ſo eben davon
geſagt habt, wahr ift.
Scharfſichtig. Nur zu wahr! Ich wollte,
daß ich mit Wahrheit beffer reden könnte von den
Leuten, die darin wohnen.
Wohlan, ſagte ich, ich febe, Ihr ſeid ein guts
geſinnter Mann, und werdet deßwegen Freude daran
finden, zu hören und zu reden von dem, was gut ift.
Sagt mir doch, habt Ihr nie Etwas davon vernoms
men , wie es einem Manne, Namens Chriſt, aus
dieſerStadt ergangen ,dervor einiger Zeit eine Pilgers
seife in die höheren Gegenden antrat ?
Scharff. Von ihm vernommen ! Ja freilich,
und dazú habe ich gehört von den Beſchwerden, Müh.
feligkeiten , Rämpfen , Gefangenſchaften , Angſtrufen,
Seufzern, Schređniſſen und Befürchtungen , die ihm
auf dieſer Reiſe zugeſtoßen ſind . Nebenbei muß ich
Euch ſagen , daß unſere ganze Gegend voll von ihm
ift. Es giebt nur wenige Häuſer , die von ihm und
ſeinen Erlebniſſen gehört, und nicht den Bericht von
feiner Pilgerfahrt zu bekommen geſucht haben. Ja,
3

ich glaube behaupten zu dürfen , daß ihm Viele zu


ſeiner gefährlichen Reiſe Glüdwünſchen , denn obwohl
er, ſo lange er hier war, in Jedermanns Munde als
ein 'Thor galt, ſo wird er doch ießt, da er weg ift,
von Allen hoch gelobt. Man ſagt nämlich, daß er
da, wo er ſich gegenwärtig befindet, ein herrliches
Leben führe, ja Manchen von denen , die ſich nie ents
ſchließen würden, in ſeine Gefahren hineinzulaufen,
waffert dennoch ber Mund nach ſeinem Glüce.
Haben ſte' in etwas Recht, fagte ich, ſo haben
ſte’8 darin , zu glauben , daß er's da gut hat, wo er
lft, denn er wohnt jest an und in der Quelle des
Lebens, und hat, was er hat, ohne Mühe und Sorge,
denn dort iſt nichts mit Summer vermiſcht. Aber
erzählt mir doch, was die Leute von ihm ſagen.
Scharff. Was ſte von ihm ſagen ? Wunderliche
Dinge fagen fte von ihm . Einige ſagen , daß er
ießt wandele in weißen Kleidern, daß er eine goldene
Kette trage um feinen Hals und eine goldene Krone )
mit Perlen auf ſeinem Haupte. Andere ſagen, daß
die lichten Weſen, welche ſich ihm zuweilen auf ſeiner
Pilgerreiſe gezeigt, ſeine Gefährten geworden , und
daß er an dem Drte, wo er fich befindet, ſo vertraut
mit ihnen umgehe, wie hier ein Nachbar mit dem
andern. Ueberdem wirdmitZuverläſſigkeit behauptet,
daß der König jenes Ortes ihm bereits eine ſehr
reich ausgeſtattete und liebliche Wohnung am Hofe
verliehen und daß er alle Sage mit ihm effe und
trinke, wandele und rede, und er fich der Gewogens
heit und Gunft deffen zu erfreuen habe, welcher der
Richter dort über Aủe ift. 2) Endlich erwarten Einige,
daß der Fürſt jenes Landes binnen kurzem in dieſe
Gegend kommen werde, Rechenſchaft zu fordern, wenn
fte Sieſelbe geben können, weßhalb ſeine Nachbaren

1) Dffenb. 305.3, 4. 5., 4, 4., 7, 9. Pf. 21, 4. * ) Bac.


3 , 7. Luc. 13, 29. 14, 15., 22, 30 .
4

ihn ſo gering geachtet und fo fehr verſpottet haben,


als ſie erfahren, daß er ein Pilger werden wollte. )
Denn ſie ſagen , daß er jeßt ſo in der Gunft feines
Fürſten ſtehe und dieſer ſich durch die Verunglimpfun
gen, welche Chrift zu erbulden hatte , als er ein
Pilger warb, félbft fo berührt fühle, daß er es Ades
anſehen werde, als wäre es ihm ſelbſt geſchehen. 2)
Und das iſt kein Wunder, denn nur aus Liebe zu
ſeinem Fürſten hat er gewagt, was er gewagt hat.
Ich muß ſagen , erwiederte ich, darüber freue
ich mich. Ich freue mich um des armen Mannes
willen , weil er nun ruht von ſeiner Arbeit und mit
Freudert erntet, was er mit Thränen gefået hat 3 ),
da ihn die Pfeile feiner Feinde nicht treffen können
und er vor benen hinweggerüdt iſt, die ihn haffen .
Auch freue ich mich darüber, daß das Gerücht von
dieſen Dingen in der Gegend ringsum erſchalt: wer
kann es fagen, was es für einen guten Eindruc auf
Manche machen wird, die noch zurückgeblieben ſind ?
Aber, lieberHerr, daß ich's nicht vergeffe, feid
fo gut und ſagt mir, ob ihr etwas von ſeiner Frau
und ſeinen Kindern gehört habt ? Arme Seelenl ich
bin begierig zu vernehmen , was fte anfangen .
Scharff. Chriſtin und ihre Söhne ? Ihnen
wird es gewiß ebenſo gut gehen , wie Chrift ſelbſt;
denn wiewohl ſie ſich anfänglich Alle wie Thoren
ſtellten und ſich weder durch Chrift's Thränen noch
Drohungen irgendwie bewegen ließen , ſo hat doch
weiteres Nachdenken wunderbar aufſte eingewirkt. Sie
haben aufgepackt und ſind hinter ihm drein gezogen .
Immer beſſer! ſagte ich; aber wie, Weib, Řinder
und Aue miteinander ?
Scharff. Allerdings. Ich kann es Euch ges

1) Jud. 14. u . 15. 2) Luc. 10, 16. Matth. 10, 40. 30h.
13, 20. 5) Offenb . Job. 14, 13. Pſalm 126, 5.
5

nau angeben , denn ich war gerade am Drte und bin


ganz vertraut mit der ganzen Sache.
So darf man alſo wohl davon reben als von
einer wirkliden Shatjade ? bemerkte ich.
Scharff. Das könnt Ihr fühn ' thun. Ste
find Aué auf die Pilgerſchaft gegangen, diegute Frau
mit ihren vier Kindern. Da wir,wie ich ſehe, eine
weite Stređe zuſammengehen, ſo will ich Euch die
ganze Sache erzählen.
Dieſe Chriſtin (benn fo heißt fte von dem Tage
an, da ſie ſich mit ihren Kindern auf die Pilgerſchaft
begeben ) ward unruhig in ihren Gedanken, nachdem
ihr Mann über den Fluß gezogen war, und fie nun
Nichts mehr von ihm Hören konnte. Zunächſt, weil
fie ihren Gatten verloren hatte und das Band, wele
des fie mit ihm verknüpfte, nun zerriffen war. Denn
es fann , wie Jhr wohl wiffet, nicht anders ſein , als
daß die Natur wenigſtens manchen beugenden Ges
danken in der Erinnerung an den Verluft geliebter
Verwandte in uns unterhalt, und ſo koſtete ihr der
Gedanke an ihren Gatten manche Thräne. Aber
dies war nicht Ades ; denn Chriftin fing auch an
zu erwägen, ob ihr ungeziemendes Benehmen gegen
ihren Gatten wohl nicht eine Urſache davon ſein
möchte, daß fie ihn nicht mehr fähe und er auf ſolche
Weiſe von ihr wäre hinweggeriſſen worden. Und
hierbei drängte ſich ihr, wie in einem Schwarm , all
ihr unfreundliches, unnatürliches und ungöttliches
Benehmen gegen ihren theuren Freund auf, welches
ihr Gewiffen mit einer ſchweren Schuldenlaft drüdte.
Mehr noch wurde fte dadurch zerknirſcht, daß fteder
unaufhörlichen Seufzer, bittern Thrånen und Wehs
klagen ihres Gatten gedachte, und wie ſie ihrHerz
gegen au feine Ermahnungen und liebevollen Zures
dungen , ſte und ihre Söhne möchten mit ihm gehen,
- verhärtet habe. Ja, von Auem, was Chrift, feit
die Bürde auf ihm gelegen , je zu ihr geredet oder
gethan, war Nichts , was nicht wie einleuchtender
6

Blißftrahl wieder durch ihre Seele fuhr und die harte


Rinde ihres Herzens zerriß. Vornämlich aber ballte
ſein fehnſüchtiger Schmerzensruf: Was ſoll ich
ihun, daß ich ſelig werde ? höchft erſchütternd
durch ihre Seele. :)
Darauf ſprach fie zu ihren Kindern : Meine
Söhne, wir ſind alle verloren ! Ich habe geſündigt
wider euren Vater, daß er weggegangen iſt ; er wollte
uns mithaben, aber ich wollte nicht und habe auch
euch am Leben gehindert. 2) Und ſomit brachen die
Rnaben alle in Thränen aus und riefen : 0 , daß wir
Dem Vater nachziehen könnten ! Darauf ſagte Chris
ftin : ach, weld ein Glüd wäre es für uns gewes
jen , wenn wir mit ihm gegangen wären ! wie wohl
würde es dann jeßt um uns ſtehen, wie viel beſſer,
als es nun zu vermuthen ift! denn, wiewohl ich
früher in meiner Thorheit wähnte, daßdie Béküms
merniſſe eures Vaters aus einer Frankhaften Eins
bildung entſtanden wären , oder daß er von melanchos
liſcher Laune geplagt würde, ſo will es mir doch ießt
nicht aus dem Sinne, daß ſie aus einer ganz andern
Urſache herrührten , nämlich daher , daß ihm das
Licht bes Lebens aufgegangen war, 3) und weil er
darin wandelte, wie ich nun wohl erkenne, ſo iſt er
den Stricken des Todes entwichen . 4) Da weinten
fte abermals Alle ineinander und riefen : ach wehe
des Tages !
In der folgenden Nacht hatte Chriſtin einen
Traum , und ſtehe, es war ihr, als fåhe ſie eine große
Pergamentroue, vor fich aufgethan, auf welcher ade
Wege, die ſie gewandelt hatte , geſchrieben ſtanden,
und es dünfte ihr, daß ihre Miſſethaten ganz ſchwarz
auf ſte hinblidten . Da rief fte in ihrem Schlafe

- ) Apofteig. 10, 30. 2. Cor. 7, 10. 11. 2 ) 1. Tim . 5, 22 .


1. Petr. 2, 11. 12. 8 ) Jac. 1, 23-25. Joh. 8, 12.
4) Šprüch. 14, 27.
ng

laut aus: ,,Herrſei,mir Sünderin gnädig !" )


und es hörten ſie die Rinder.
Darauf meinte ſie, zwei ſehr übelgeſinnte Weſen
an ihrem Bette ſehen zu ſtehen , die da ſagten : Was
follen wir anfangen mit dieſem Weibe denn im
Wachen und Schlafen ſchreit fie um Onabe. Laſſen
wir ſie ſo fortfahren, wie ſte angefangen hat, ſo
werden wir ſie verlieren, gerade wiewir ihren Mann
ſchon verloren haben . Daher müſſen wir ſie auf die
eine oder die andere Art von den Gedanken an das,
was zukünftig iſt, abzubringen ſuchen , ſonſt kann
die ganze Welt es nicht hindern, daß fie fich auch
auf die Pilgrimſchaft begibt.
Da erwachte ſie in einem ſtarten Schweiße, auch
war ein Zittern über ſie gekommen; indefſen fiel fie
nach einer Weile wieder in den Schlaf. Nun glaubte
ſie ihren Mann, Chrift zu ſehen , an einem Drte
ber Šeligkeit unter vielen Unſterblichen, wie er das
ſtände mit einer Harfe in der Hand, vor Einem
ſpielte, der auf einem Chrone faß, mit einem Regens
bogen um ſein Haupt. Auch fah fte, als neige et
ſein Haupt und ſein Angeſicht bis auf das Tafels
werf, welches unter den Füßen ſeines Fürſten war,
ausrufend vor ihm : 3 Danke dir von gangem
Herzen, mein Herr und mein lönig, daß .

du mich an dieſen Ort gebracht haft! Dar


über jauchzte die Menge derer, die umher'ftanden und
ſpielten auf ihren Harfen , aber feine menſchliche
Zunge konnte ſagen , was ſie ausriefen , als' nur
Chrift und ſeine Gefährten.
Als ſite andern Morgens aufgeſtanden, zu Gott
gebetet und eine Weile mit ihren Kindern geredet
hatte, da flopfte Jemand hart an die Thüre; fte
aber rief ihm entgegen : Sommſt du in Gottes
Namen , fo tritt herein . Darauf ſagte Jener :

1) Luc. 18 , 13.
8

Amen ! öffnete die Thüre und grüßte fte mit einem :


Friede ſei über dieſes Haus! Darauf ſprach
er: Chriftin , weißt du auch, warum ich gekommen
bin ? Da erröthete fte und zitterte. Auch brannte
ihr Herz vorVerlangen zu erfahren , woher er käme
und was er ihr für eine Botſchaft brächte. Er ſagte
ihr : Mein Name iſt Verborgen , ich wohne bei
denen , die in der Höhe find, und wo ich wohne, da
ſagt man , daß du ein Verlangen habeft, dorthin zu
gehen ; audy heißt es dort, daß du erfännteſt das
Ünrecht, welches du früher deinem Manne gethan,
da du dein Herz gegen ſeinen Weg verhärtet und
Dieſe Kinder in ihrer Unwiffenheit erhalten. Chris
ftin, ſo hat mich nun der Barmherzige gefandt,
Dir zu ſagen, daß er ein Gott ſei, bereit zu ver
geben, und der ſeineFreude daran hat, daß er ſeine
Gnade größer ſein läßt als die Sünden. Auch läßt
er dich einladen, zu kommen vor ſein Angeſicht und
an ſeine Tafel, daß er dich ſpeiſe mit den Gütern
feines Hauſes und mit dem Erbe deines Vaters
Jakob. 15 Dort ift Chrift, der dein Gatte war,
deſſen Gefährten mehr denn Legionen ſind, welche
immerbar ſchauen das Angeſicht, deſſen Schauen das
Leben gibt; fte aber werden Alle fich freuen, wenn
fte hören das Rauſchen deiner Füße, indem du über
deines Vaters Schwelle fchreiteft.
Chriſtin ward darüber tief beſchämt in der
Seele und neigte ihr Angeſicht zur Erde. Der Bes
fucher fuhr fort und ſprach: Chriftin , hier iſt auch
ein Brief für dich, den ich vom Könige beines Gatten
mitgebracht habe. Sie nahm ihn an und öffnete
ihn, er duftete aber wie die köftlichſte Salbe, 2 ) auch
war er geſchrieben mit goldenen Buchſtaben . Der
Inhalt des Briefes war : der König begehre, daß fte

1) Jeſ. 58, 14. Hof. 2, 19. 20. Matth. 11, 28-30 .


3 Hobesi. 1 , 3.
‫م‬
‫بورادر‬
‫ا‬ ‫‪/‬‬
‫را‬ ‫ا‬
‫تووانراکانی‬
‫ارا‬
9

thun folle, wie Chrift,I ihr Gatte, gethan habe;


denn das Fei der Wegzu ſeiner Stadt zu gelangen
und vor ſeinem Angeficht zu wohnen mit Freuden
ewiglich. Dadurch ward die gute Frau ganz hinges
riffen und ſo rief Fte dem Beſucher zu : Herr, wiùft
du mich und meine Kinder mitnehmen, daß wir auch
hingehen mögen und den Stönig anbeten ? 1)
Da antwortete ihr der Beſucher: D , Chris
ftin , vor dem Süßen fommt das Bittere.
Du mußt durch Trübſale hindurch in die himmliſche
Stadt eingehen, gleich wie der, welcher bir dorthin
vorangegangen . So rathe ich dir denn zu thun, wie
Chrift , dein Gatte : gehe zu der engen Pforte, die
drüben an der Ebene iſt, denn fte fteht an dem
Eingange des Weges , ben bu gehen mußt. Ich
wünſcheDir ein recht glüdliches Fortkommen i Ferner
rathe ich dir, daß du diefen Brief in deinen Buſen
ſtedeſt und daß du ihn mit deinen Kindern ſo lange
liefeft, bis ihr ihn auswendig fönnt; denn es iſt
eins von den Liedern , welches du ſingen mußt, dies
weil du noch in dem Hauſe deiner Wallfahrt biſt; 2 )
auch mußt bu es an der zweiten Pforte vorzeigen .
Nun fah ich in meinem Traum , daß jener alte
Mann , während er mir dieſe Geſchichte "erzählte,
davon felbft febr ergriffen zu ſein chien. Er fuhr
fort und ſprach : So rief Chriſtin nun ihr Söhne
zuſammen und rebete fic folgendermaßen an : Meine
Söhne, ich bin , wie ihr wohl bemerkt habt , ſeit
einiger Zeit ſehr bekümmert geweſen in meinem Hers
zen über den Tod eures Vaters, nicht, als ob ich irs
gend an ſeinem Glüce zweifelte, denn ich bin nun
gewiß , daß es ihm wohl geht. Auch bin ich ſehr
betrübt geweſen im Hinblick auf meinen und euren
Herzenszuſtand, welcher, wie ich feftiglich glaube,
von Natur elend iſt. Mein Betragen gegen euren

1) Pſalm 42, 2. 3. 2) Pſalm 119, 54 .


10

Bater in ſeiner Seelenangft ift ebenfalls eine große


Laft für mein Gewiſſen ; denn ich habe nicht allein
mein eigenes Herz, ſondern auch das eurige gegen
ihn verhärtet und mich geweigert, die Pilgerfahrt
mit ihm anzutreten . Die Erinnerung an au dieſe
Dinge würden mich geradezu tödten, wenn ich nicht
in der verwichenen Nacht einen Traum gehabt, und
wenn mir dieſer Fremdling heute Morgen nichtMuth
gemacht hätte. Kommt, Kinder, laffet uns aufpaden
und zu der Pforte gehen, die zu dem himmliſchen
Lande hinführt, auf daß wir euren Vater ſehen und
bei ihm und ſeinen Genoſſen nach den Geſeßen jenes
Landes im Frieden leben.
Da brachen ihre Kinder in Thränen aus vor
Freuden darüber, daß das Herz ihrer Mutter fo
umgewandelt war. Und nun ſagte ihnen der Bes
ſucher Lebewohl ; fte aber fingen an , fich zur Ab
reiſe zu rüſten .
Während fte hiermit eben beſchäftigt waren ,
kamen zwei Nachbarinnen der Chriftin nach ihrem
Hauſe und klopften an . Wie früher, ſo rief fie
auch nun : Rommet ihr in Gottes Namen , ſo tretet
herein ! Ueber dieſen Zuruf waren die Weiber ers
ftaunt, denn an eine ſolche Sprache waren ſie nicht
gewohnt, niemals hatten ſie ſo etwas von den Lippen
der Chriſtin gehört. Doch traten fte herein, aber
ſtehe, ſte fanden die gute Frau damit beſchäftigt,
von Hauſe wegzugehen.
Da fragten ſie : Nachbarin, ſagt uns doch, was
habt ihr damit vor ?
Chriſtin antwortete, indem fte fich zu der ål
teften , Namens Furchtſam , wandte : ich rüſte mich
zu einer Reiſe. ( Dieſe Furchtſam war die Tochter
beffen, der Chrift auf dem Hügel Beſchwerde
begegnete und der ihn bewegen wollte, umzukehren,
aus Furcht vor den Löwen).
Furchtſam . Zu was für einer Reiſe denn ?
11
Chriſtin. Um meinem guten Manne nachzus
gehen ; und dabei fing fie an zu weinen .
.

Furdyti. Das hoffe ich doch nicht, liebe Nach


barin ; thut es doch nicht, um eurer armen Kinder
willen . Wie wolltet ihr denn fo Etwas anfangen ,
das einer Frau ja gar nicht zuſteht !
Chriftin. Ich werde es doch thun, und meine
Kinder ſollen mit mir gehen, fein einziges von ihnen
will zurückbleiben.
Furchtſ. Ich muß mich in der Seele darüber
wundern , was oder wer eud auf dieſen Gedanken
gebracht hat.
Chriſtin. 9, Nachbarin ! wüßtet ihr nur , was
ich weiß , jo zweifle ich nicht, ihr würdet auch mit
mir gehen .
Furchtſ. Ei, ich bitte euch , was für neue
Weisheit habt ihr denn bekommen , die euern Sinn
von euern Freunden ſo abzieht und euch antreibt , zu
gehen, wer weiß wobin ?
Hierauf verſeßté Chriftin : Ich bin ſeit der
Abreiſe meines Mannes Tchmerzlich betrübt geweſen
und beſonders ſeit er über den Fluß gegangen . Was
mich aber am Meiften beunruhigt, das iſt mein hartes
Benehmen gegen ihn, als er in ſeiner Seelennoth
war. Dazu iſt es mir jeßt, wie es ihm war : Nichts
kannmir helfen als nur, daß ichmich auf die Pilgrim
ſchaft begebe. Die vorige Nacht hat mir getraumt,
ich fähe ihn. , daß meine Seele doch bei ihm
wäre ! Er wohnet por des Rönigs Angeſicht und
iffet mit ihm an ſeinem Tiſche ; er iſt der Mitges
noſſe Unſterblicher geworden , es iſt ihm ein Haus
gegeben, dariynen er wohnet, welches fo herrlich iſt,
daß der ſchönſte Palaft auf Erden nur ein Miſt
haufen dagegen zu ſein ſcheint. Der Fürft jenes
Landes hat auch ju mir gefandt mitder Verheißung,
daß er mich aufnehmen wolle, wenn ich zu ihm koms
men würde ; ſo eben war ſein Abgeſandter hier und
überbrachte mir einen Brief, worin er mich zu fich
2
12

einladet. Darnach zog ſie ihren Brief Hervor unb


.as ihn, und als ſie Solches gethan, fragte ſie ihre
Nachbarinnen : Was ſagt ihr denn nun dazu ?
Furchtf. D, des Wahnſinns, der dich und
beinen Mann beſeſſen hat, eudi jelbſt in folche Bes
ſchwerniſſe hineinzuſtürzen ! Du haſt doch gewiß ge
hört, was Deinem Manne ſdon beim erſten Schritt
auf ſeinem Wege zugeſtoßen " iſt — unſer Nachbar
Störrig, der eine Štrede weit mit ihm gegangen,
tann es noch bezeugen ja, und Willig noch
bazu, bis ſie als fluge Männer fich ſcheuten , mit
ihm weiter zu gehen . Desgleichen haben wir ein
Langes und Breites davon gehört, wie er mit den
Löwen , dem Apollyon , dem Schatten des
Todes *) und manchen andern Schredniſſen zu thun
gehabt. Auch wirſt du die Gefahrwohl noch nicht vers
geſſen haben, worin er auf dem Gitelfeitsmarkte
gerathen iſt. **) Denn, wenn es ihm , als einem
Manne ſchon ſo hart zuſeßte, wie würde es dir,
einem armen Weibe erft ergehen ? Bedenke auch ,
daß dieſe lieben vier Kleinen, deine Kinder, dein
Fleiſch und Blut ſind. Wäreft du daher auch wils
lens, dich ſo voreilig davon zu machen , ſo bleibe
doch um der Frucht deines Leibes willen daheim.
Chriſtin aber ſagte zu ihr: bringt mich nicht
in Verſuchung, Nachbarin ; jeßt iſt mir der Preis
eines großen Gewinns in die Hand gelegt, ich würde
deßwegen höchſt thöricht handeln, wenn ich nicht den
Muth faſſen woúte, dieſe Gelegenheit wahrzuneh
men. Was aber au jene Unfäưe betrifft, die mir ,
wie Ihr ſagt, auf dem Wege begegnen würden, ſo
find fté ſo wenig darnach angethan, mich zu ents
muthigen, daß ich vielmehr daraus ſehe, ich bin auf
bem rechten Wege. Vor dem Süßen muß das
Bittere kommen und das Süße noch füßer machen .

*) Theil 1. S. 46, 58, 64. **) Theil I. S. 98. ff.


13

Darum , weil ihr nicht in Gottes Namen in mein


Haus gekommen ſeid, wie ich ſagte, ſo bitte ich euch,
daß ihr von hinnen gehet und mich weiter nicht ſtöret.
Da fing Furchtſam an, ſie auszuſchimpfen
und ſagte zu ihrer Gefährtin : kommt, Nachbarin
Barmherzig , wir wollen ſie ſich ſelber überlaſſen ,
da ſte unſern guten Rath und unſern Umgang vers
fdmaht. Allein Barmherzig ward unſchlüſſtg
und konnte ſich nicht ſo ſchnet mit ihrer Nachbarin
einverſtanden erklären , und zwar aus einem zwie
fachen Grunde. Erftlich, jammerte ſie über Chris
tin in ihrem Herzen ; daher ſprach ſie bei ſich felbft:
wenn meine Nachbarin durchaus fort will, ſo will
ich ein Stück Weges mit ihr gehen . Zweitens war
fte bekümmert um ihre eigene Seele, denn was Chris
itin geſagt hatte, war nicht ohne Eindruck auf ihr
Herz geblieben. Deßwegen ſprach ſie abermals zu
fidh felbſt: ich will doch noch weiter mit dieſer Chri
it in reden, und finde ich dann in dem , was ſie ſagt,
Wahrheit und Leben, ſo wil ich von Herzen gern
mit ihr gehen. Und ſo fing Barmherzig an, ihrer
Nachbarin ' Furchtſam Folgendes zu erwiedern:
Barmherzig. Nachbarin , ich bin mit euch ges
kommen , um Chriftin dieſen Morgen zu beſuchen,
und da ſie, wie ihr fehet, willens iſt, ihrem Vaters
lande für immer Lebewohl zu ſagen , ſo habe ich vor,
fte an dieſem heitern Morgen ein wenig zu begleiten
und ihr auf dem Wege etwas zu helfen. Von dem
andern Grunde, den ſie hatte, ſagte ſie ihr aber
nichts, ſondern hielt ihn für ſich .
Furchtſ. Nun gut, ich merke wohl, ihr habt
auch Luft,' auf Thorheit auszugehen , allein, fehet
euch bei Zeiten vor und ſeid weiſe ;' ſind wir aus
der Gefahr, ſo ſind wir draus, ſind wir aber drin,
to find wir auch darin .
So kehrte nun Frau Furchtſam wieder nach
Hauſe zurüd, Chriſtin aber beſchäftigte ſich mit
den Vorbereitungen auf ihre Reiſe. Als Furchtſam
14

wieder zu Hauſe war, ließ ſie einige von ihren Nach


barinnen rufen, nämlid) Frau I rübauge, Frau
Unbedacht, Frau leichtſinn und Frau úna
wiffend . Als dieſe nun zu ihr gekommen waren,
fiel das Geſpräch abermals auf Chriſtin's Ges
ichichte und auf die Reiſe, welche ſie vorhatte. Und
Furchtſam fing nun alſo zu erzählen an :
Liebe Nachbarinnen , weil ich dieſen Morgen
nicht viel zu thun hatte, ging ich aus, um Chris
ſtin einmal zu beſuchen . Als ich an ihre Thüre
kam und klopfte, wie es Brauch iſt, erhielt ich von
ihr zur Antwort: Wenn ihr in Gottes Namen kommt,
jó tretet herein. So ging ich denn hinein, und
meinte, es habe Alles wohl geſtanden , indeſſen fah
ich , wie ſie ſich darauf vorbereitete, mit ihren Siindern
aus der Stadt zu reiſen. Darum fragte ich ſie, was
ſte vorhätte ? Hierauf erwiederte fie mir kurzweg,
daß fie willens wäre, die Pilgerſchaft anzutreten ,
wie es ihr Mann ebenfalls gethan hätte. Auch ers
zählte ſie mir von einem Traume, den ſie gehabt,
und wie der König des Landes, worin ihr Mann
wäre, fie in einem Briefe eingeladen hätte, dorthin
zu kommen .
Da fragte Frau Unwiſſend : und was meint
ihr, wird ſie hingehen ?
Furditſ. Ålerdings, hingehen wird ſie, was
auch immer daraus entſtehen möge. Das ſchließe ich
daraus, weil der Hauptgrund, weßhalb ich ſie zu
bewegen ſuchte, daß ſie daheim bleiben möge – die
Beid werden nämlich, die ihr unterwegs zuſtoßen
würden – für ſie gerade ein Hauptgrund war, fte
zur Reiſe zu treiben. Denn ſie entgegnete mir:
Das Süße geht voran dem Sittern , und
weil es as thut, macht es das Süße um
fo füşer.
Fr. Jrüb auge. D, die blinde und thörichte Frau !
wil ſie ſich denn nichtwarnen laſſen durch die Trübs
ſale ihres Mannes !' Ich ſehe für mein Theil flar
15

ein, wenn er wieder hier wäre, fo würde er mit ſeis


ner Heilen Haut zufrieden ſein und ſich nicht mehr
folchen Gefahren für Nichts und wieder Nichis
ausſeßen.
Fr. Unbedacht verſeßte auch Eins und ſagte :
Weg mit ſolchen Narren aus der Stadt ! meiners
ſeits bin ich froh , daß wir ſie hier los werden .
Bliebe fie, wo ſie iſt, und beharrte in ihrem Sinn,
wer fönnte dann in Frieden mit ihr zuſammenleben
denn ſie würde entweder trübſinnig oder unnach
barlich ſein, oder auch über ſolche Dinge reden, bei
denen es fein verſtändiger Menſch aushalten kann.
Ich werde mich deswegen für mein Theil nie darüber
gråmen , wenn ſie von hier abreiſt. Laffet fie nur
gehen, auf daß Beſſere an ihre Stelle kommen. Es
hat noch niemals gut in der Welt geſtanden , feit
es ſolche launenhafte Narren darin gegeben hat.
Fr Leichtſinnig fügte hierauf noch hinzu:
Kommt und laßt uns von dergleichen Geſchwäß aufs
hören. Geſtern war ich bei der Frau W olluft, *)
da waren wir ſo munter wie die jungen Mädchen.
Denn wer, meint ihr, wäre außer mir und Frau
Fleiſchesliebe noch dageweſen ? Herr Geil, Fr.
Schmuß und noch einige Andere mehr. Da hat
ten wir den Spiel und Tanz und was ſonſt noch
dazu gehört, um das Vergnügen voll zu machen. ')
3d kann dabei übrigens verſichern, daß die Frau
des Hauſes eine feingebildete Dame und daß Herr
Geil ein ebenſo angenehmer Geſellſchafter ift.

* ) Theil 1. S. 73. 1) 1 Kor. 6. 9. 10. 15. 32.


16

Zweites Capitel.
Der gang zur Pforte und was die Pilgerin
dabei erfahren .
Indeffen hatte Chriftin ſich auf die Reiſe ges
macht, und Barmherzig begleitete ſie.' 418 fte nun
ſo in Geſellſchaft der Kinder dahergingen, fing Chris
ftin nachfolgende Unterredung an:
Barmherzig , ſagte ſte, ich ſehe es als eine
unverhoffte Gunſt an , daß du mit mir hinausgehſt
und midi ein Stück Weges begleiteft.
Da'antwortete die junge Barmherzig - fie
war nämlich noch in frühen Jahren wüßte ich,
daß es gut wäre, mit dir zu gehen, ſo wollte ich
nie wieder in die Stadt zurückkehren .
Chriſtin. Wohlan, Barmherzig, wirf dein
und mein Loos zuſammen ; ich weiß recht gut, wel
ches das Ende unſerer Pilgerreife ſein wird ; mein
Mann befindet ſich an einem Drte, den er für alles
Gold der Erde nicht verlaffen möchte. Und auch du '
wirft nicht von dort weggewieſen werden , obwohl du
nur auf meine Einladung hingeheft . Der König,
welcher mich und meine Kinder hat rufen laſſen,
hat ſein Wohlgefallen daran, daß er Barmherjiga
feit übe. Außerdem wil ich, wenn du es wünſcheft,
dich miethen, und du ſollſt dann als meine Magd
mit mir gehen . Doch wollen wir Alles mit einander
gemein haben ; ' ) gebe nur mit mir.
Barmherzig. Wie fou ich aber gewiß werden ,
daß ich auch angenommen werde ? Hätte ich dieſe
Hoffung nur von Einem, der es wiſſen kann, ſo
würde ich gar keinen Anſtand nehmen , ſondern mits
gehen, ba mir dann der helfen würde, der helfen kann,
und wenn der Weg auch noch ſo beſchwerlich wäre.
Chriſtin. Mohlan, liebe ' Barmherzig, ich

*) Apoftelg. 2 , 44. 45.


17

will dir ſagen , was du thun fouft. Gebe mit mir


zu der engen Pforte, und dort wil ich denn
weitere Erkundigungen für dich einziehen , und wenn
du denn da keine neue Ermunterung bekommſt, wil2

id mich damit zufrieden geben, daß du wieder hins


gehſt, woher du gekommen biſt. Auch will ich Dir
die Freundlichkeit vergelten, die du mir und meinen
Kindern dadurch erweiſeft, daß du uns auf uuſrem
Wege begleiteft.
Barmh. ' Nun, ſo wil ich denn hingehen und
fürlieb nehmen mit dem , was da fommt. Möge der
Herr geben , daß mein Loos ſo falle , daß der König
des Himmels auch mir fein Herz in Gnaden zuneige.
Da freute ſich Chriftin in ihrem Herzen, nicht
nur darum , daß fie eine Gefährtin hatte, ſondern
auch, weil ſie es dahin gebracht, daß das arme Mädchen
begierig worden war nach ihrem eigenen Seelenheil.
So gingen ſie dann mit einander weiter, und
Barmherzig fing an zu weinen.
Da ſagte Chriſtin : warum weineft duſo,
meine Schweſter ?
Barmh. Wie ſollte ich nicht jammern, wenn
ich's recht bedenke, in welchem Zuſtande und in wels
dher Lage ſich meine armen Verwandten befinden ,
die noch
in unſerer ſündenvollen Stadt zurüdgeblieben
find ? Was mich aber noch mehr bekümmert macht,
ift, daß fie Niemanden haben , der fie unterweiſet
und ihnen fagt, was über fte fommen werde.
Chriſtin . Den Pilgrinnen ſteht es zu, daß
fte Mitleid haben , und ſo fühleftdufür deineFreunde,
was mein lieber Chrift für mich fühlte, als er mich
verließ. Er war bekümmert darüber, daß ich weder
auf ihn hören, noch achten wollte. Aber fein Herr,
der auch der unſrige iſt, hat ſeine Thränen ges
fammelt und ſie gefaßt in ſeinen Sad ) , und nun

1) 91. 56 , 9.
18

ernten wir beide, du und ich, ſo wie auch meine


ſüßen Kinder davon die Frucht und den Segen.
Ich hoffe , Barmherzigi, daß auch dieſe deine
Thränen nicht werden verloren ſein , denn die ewige
Wahrheit ſpricht: die mit Ihránen ſåen , wers
ben mit Freuden ernten ; ſie gehen hin und
weinen und tragen edlen Samen und kom
men und bringen mit Freuben ihre Garben. 1)
Darauf fagte Barmherzig :
O , möchte Gott mein Führer ſein
Mit ſeiner Gnadenband
Durch ſeine Pfort' in ſeine Hürd'
Sin in ſein beil'ges land.
Daß er mich nimmar irren laß',
nie mich ſeitwärts kehr:
Bon feiner Gnad' und Bett'gem Weg,
Und wär' er noch ſo ſchwer.
Die Meinen ſammeľ Er auch zu mir
Die ich ließ Hinterwärts ;
Herr, Tehr ' fie flehen, daß fie dein
Ganz fei'n mit Sinn und Herz !
Nun fuhr mein alter Freund fort und ſpracy :
A18 aber nun Chriftin zu dem Sumpfe Verzagt
heit * ) fam, ftand fte ſtille und ſprach : das iſt die
Stelle, wo mein lieber Mann in den Sumpf fiel
und beinahe erſtickt wäre. Auch bemerkte fie, daß
ungeachtet des Befehls , den der König gegeben, dieſe
Stelle für die Pilger in guten Stand zu ſeßen , dies
ſelbe noch eher ſchlimmer als früher geworden war.
Da fragte ich : ob das denn wirklich wahr wäre .
Ja, ſagte der alte Herr , nur zur wahr; denn Viele
geben vor, ſte ſeien Arbeiter des Königs und ſagen,
fie wären dazu da, daß ſie die Stönigsſtraße auss
beſſerten , aber anſtatt der Steine bringen ſte Roth
und Dünger herbei ; und ftatt den Weg zu vers

1) Pf. 126, 5. 6. *) Theil I. S. 8.


19

beffern , verſchlechtern ſte ihn nur. So blieb nun


Chriftin mit ihren Kindern hier ſtehen . Allein
Barmherzig fagte: Kommt, wir wollen's wagen ,
nur laßt uns vorſichtig ſein . Und ſo gaben ſte denn
auf jeden Tritt, den fie thaten , genau Acht, und
famen , obgleich wankend, doch mit genauer Noth
hinüber. Nichts deſto weniger wäre Chriftin beis
nahe darin ſtecken geblieben, denn nicht nur eins,
ſondern mehreremale war ſie nahe daran. Raum
aber waren ſie hinüber gekommen , als ſie meinten ,
es wären die Worte zu ihnen gedrungen : O , felig
I

biſt du, die dugeglaubet baft , denn es wird


vollendet werden, was dir geſagt ift von
dem Herrn. )
Darauf gingen fte wieder weiter und Barm
herzig ſagte zu Chriftin : Hätte ich einen ſo guten
Grund wie du, daß ich eine freundliche Aufnahme
an der engen Pforte erwarten könnte, ſo würde
mich , wie ich glaube, kein Sumpf der Verzagtheit
muthlos machen .
Nun, ſagte Chriftin , du kennſt deine Schäden
und ich kenne die meinigen , und, liebe Freundin ,
wir werden Alle noch widerwärtiges genug finden,
ehe wir an das Ziel unſerer Reiſe kommen. Denn
kann man's wohl anders denken, als daß Menſchen ,
die ſolche Herrlichkeit, wie wir zu erlangen trachten,
und die um ihre Glückſeligkeit ſo beneidet werden ,
nicht Schređniſſe und Anfechtungen , Leiden und Trübs
ſalé zu beſtehen haben , womit wir von denen be
ſtürmt werden, die uns hafſen?
Und nun verließ mich Herr Scharfſichtig,
daß ich meinen Traum felbft austråumen möchte. Es
Dünfte mir jeßt, ich fähe Chriſtin und Barm
herzig ſammt den Knaben alle auf die Pforte zugehen.
Als fie an derſelben angefommen waren, handelten

* ) Luc. 1, 45 .
20

fte darüber, wie fte fich zu ſtellen hätten, um Eins


gang zu begehren , und was ſie dem, der ſie ihnen
aufmachte, ſagen ſollten . Es ward nun beſchloſſen,
daß Chriſtini, als die Aelteſte von ihnen, anklopfen
und mit dem , welcher fie öffnete, für die Anderen
ſprechen ſollte. Só fing Chriſtin denn an zu
klopfen, und wie ihr armer Mann gethan , klopfte
ſte auch einmal über das andere. Adein ſtatt einer
Antwort, meinten ſie einen Hund zu hören, der ſte
anbellte, – ein Hund war es und obendrein noch
ein großer, und dieſer jagte den Weibern und Stins
dern Schreden ein. Sie wagten nun eine Weile
nicht, weiter anzuflopfen, denn ſie fürchteten , es
möchte der Bullenbeißer auf ſie losſtürzen. Es wogten
daher die Gedanken in ihrem Herzen gewaltig aufund
nieder, und ſie waren ungewiß, was ſie thun ſollten :
anzuflopfen wagten ſie nicht, denn ſie fürchteten fich
vor dem Hunde, wieder umzukehren, wagten fte aber
auch nicht; denn ſie fürchteten , der Thürhüter möchte
es gewahr werden und ſich beleidigt fühlen . End
fich entſchloſſen ſie ſich, noch einmal anzuflopfen,
und ſo thaten fie's denn noch heftiger als das erſtemal.
Hierauf rief der Thürhüter: Wer iſt da ? Da hörte
der Hund auf zu belen, und der Hüter that ihnen auf.
Chriſtin machte eine tiefe Verbeugung und
ſagte: Möge unſer Herr nicht zürnen über ſeine
Mägde , daß wir uns unterſtanden, an ſeine fürft
liche Pforte zu klopfen . Da ſagte der Hüter : von
wannen kommt ihr ? und welches ift euer Begehren ?
Chriſtin antwortete : wir kommen von wannen
Chriſt auch früher fam und in derſelben Abſicht,
nämlich um, wenn es euch in Gnaden ſo gefallen
möchte, zugelaſſen zu werden zu dem Wege, der in
die himmliſche Stadt führt. Hierbei bemerke ich,
mein Herr , daß ich Chriſtin , die ehemalige Frau
Chriſt's bin , der nun droben angelangt iſt.
Hierüber verwunderte ſich der Hüter und ſprach :
Wie, iſt die nun eine Pilgerin worden, die noch
イント で

un
21

vor kurzem vor dieſem Leben einen Abſcheu hatte ?


Darauf neigte ſie ihr Haupt und ſprach : Ja, und
ſo iſt’8 - mit meinen lieben Kindern hier auch.
Darauf nahm er fie an der Hand und führte
fie hinein und ſprach : Laſſet die Kindlein zu
mir' kommen ! ) und darnach ſchloß er die Pforte
zu. Dies gethan, riefer einem Poſaunenbläſer über
der Pforte, daß er Chriftin mit Jubel und Pos
ſaunenhau frohlodend empfangen möge. Es ges
borchte derſelbe und blies und erfüllte die Luft mit
ſeinen klangvollen und ſüßen Tönen.
Während au dieſer Zeit ſtand die arme Barm
herzig nun draußen ; fte zitterte und ſchrie, denn
fie fürchtete fich, daß fie abgewieſen würde. Als
aber Chriſtin und ihre Kinder hereingelaſſen worden,
legte ſie für Barmherzig Fürbitte ein. Mein Herr,
ſagte ſie, ich habe eine Gefährtin beimir, die draußen
fteht; ſie iſt in der nämlichen Abſicht hieher gekoms
men , wie ich. Sie iſt aber fehr gedrückt in ihrem
Gemüthe, denn ſte denkt, daß fie gekommen ſei, ohne
daß fie aufgefordert worden , da ich hingegen eine
Einladung von dem Könige meines Mannes ers
halten habe.
Dá fing Barmherzig an , ſehr ungeduldig
zu werden, jede Minute dünfte ihr eine Stunde zu
fein . Deßwegen fühlte fie fich gedrungen , ſelber an
bie Pforte zu klopfen , wodurch Chriftin jedoch vers
hindert ward, ihre Fürbitte noch weiter für ſie laut
werden zu laffen . Und ſie klopfte ſo ſtark, daß Chris
ftin zuſammenfuhr. Da fragte der Thürhüter: Wer
iſt då ?' und 'Chriftin antwortete : es iſt meine
Freundin.
Nun machte er die Pforte auf und ſah hinaus ;
Barmherzig aber war in Ohnmacht gefallen, denn
die Furcht, daß man ihr niemals öffnen werde, hatte

1) Matth. 19, 14.


22

ſte ganz hingenommen. Er aber nahm fte bei der


Hand und ſagte: Mågblein , ich fage dir,
ftehe auf!
2 , Herr, ſprach fte, ich bin ganz ohnmächtig,
és ift faum noch Leben in mir. Er aber redete fte
an mit den Worten des Propheten : „ Da meine
Seele bei mirverzagte, gedachte ich an den
Herrn , und mein Gebet tam zu dir in deis
nen heiligen Tempel. ) Fürchte dich nicht, ſons
dern ſtehe auf und ſage mir, weßhalb du.gekom
men bift.1
Barmh. Das, weßwegen ich fomme, ift Ets
was , wozu ich niemals, wie Chriſtin , meine
Freundin , eingeladen worden bin. Sie wurde nåme
lich eingeladen von dem Könige ſelbſt, ich nur von
ihr. Darum fürchte ich, denn ich vermuthe
Hüter. Begehrte fte von Dir, daß du mit
ihr hierher kommen möchteſt ?
Barmh. Ja, und ich bin, wie mein Herr
ftehet, gefommen, und iſt nun noch irgend Gnade
und Vergebung der Sünden übrig, ſo bitte ich dich,
laß deine arme Magd daran Theil nehmen.
Da nahm er fie abermals an der Hand, führte
.

fte freundlich hinein und ſprach : Ich bitte füralle,


die an mich glauben , auf welchen Wegen
ſie auch zu uns kommen. 2) Hierauf ſagte er
zu denen, die um ihn her ftanden : Holet Etwas
herbei, um Barmherzig daran riechen zu laſſen,
auf daß ihre Dhnmachtdadurch vergehe. Da holten
fte ihr einen Büſchel Myrrhen, und bald hernach
kam fte wieder zu fich .
Und nun wurden Chriſtin und ihre Kinder, ſo
wie auch Barmherzig von dem Herrn aufgenoms
men am Eingange des Weges, und er redete freundlich
mit ihnen. Da ſprachen fte ferner zu ihm : wit

1) Jon. 2, 8. 2 ) Bgl. Joh. 17, 20.


23

tragen Leid um unſere Sünden und bitten dici, o


Herr, um Vergebung; ſage uns doch auch, was wir
weiter thun foden .
Da antwortete er : ich ertheile euch Vergebung
durd Wort und That ; burch's Wort in der Vers
heißung meiner Gnade, durch die That, in der Art,
wie ich folche erworben habe. Nehmt die erſtere
hin durch einen Kuß von meinen Lippen, und die ans
Dere, wie es euch weiterhin wird offenbaret werden. ')
Nun ſah ich in meinem Traume, daß er ihnen
viele freundliche Worte zuſprach, wodurch ſte höchlich
erfreut wurden . Auch ließ er ſie oben auf das Thor
hinaufſteigen, um ihnen zu zeigen, durch weffen Vers
dienſt fie feien ſelig geworden ; dabei verſprach er
ihnen, daß fie dieſen Ånblid auf ihrer weitern Reiſe
zu ihrem Trofte mehr haben ſollten.
Darnach ließ er ſie eine Weile allein unten in
einem Sommergemach , wo fte fich mit einander
unterhielten.
Wie froh bin idy, begann Chriſtin , daß wir
1

bis hierher getommen ſind!


Barmh. Das fannſt du wohl fein, aber ich
habe vor Aứen Urſache, vor Freuden zu ſpringen .
Chriftin . Ich meinte einmal, als ich vor der
Pforte ſtand und auf das Klopfen keine Antwort
betam , es wäre alleunſere Mühe vergeblich geweſen ,
jumal als der beißige Hund uns ſo heftig anbeute.
Barmh. Allein die ſchlimmſte Furcht ergriff
mich, als ich fah, daß du in Gnaden von ihm ans
genommen warſt, ich aber draußen ſtehen mußte. Da
dachte ich, nun wird erfüllet, was geſchrieben ſteht:
3 wei werden mahren auf der Mühle ; eine
wird angenommen, die andere wiró vers
laffen werden. 2) Ich hatte viele Mühe, mich
des Ausrufs zu enthalten: Verloren ! Noch weiter

*) Hohesi. 1, 2. Joh. 20 , 20. 2 ) Matth. 24, 41.


24

zu klopfen, fürchtete ich mich aber; als ich jedoch


auf die Inſchrift über der Pforte Hinblicte, faßte ich
Muth . Auch dachte ich , entweder müßte ich noch
einmal klopfen oder ſterben, und ſo klopfte ich denn,
allein, ich vermag nicht zu ſagen , wie ? denn meine
Seele rang nun zwiſchen Leben und Tob.
Chriſtin. Du kannſt es nicht ſagen , wie du
geklopft ? Nun, ſo wiſſe, daß dein Klopfen ſo dring
lich war, daß ich mich darüber entſefte. Ich meinte,
ich hätte folches klopfen in meinem ganzen Leben
nicht gehört. Ich dachte , du hätteſt" mit Gewalt
einbrechen und das Reich mit Sturm einnehmen
wollen . :)
Barmh . Ach , wie fonnte Einer in meiner
Lage wohl anders thun ! Du faheſt, daß die Pforte
vor mir zugeſchloſſen warb und ein ſehr grimmiger
Hund in der Nähe war. Wer, ſage ich, ſo bang
herzig wie ich, würde da nicht mit all ſeiner Macht
angeklopft haben ? Aber, bitte, ſprich, was ſagte
mein Herr zu ſolcher Grobheit War er nicht uns
gehalten über mich ?
Als er dein ungeſtümes Lärmen hörte, zog ſich
ein wundervoll holdſeliges Lächeln über fein Antlit
hin ; ich glaube , daß es ihm wohlgefiel, was du
thateſt, denn Mißfalen konnte man an ihm gar
nicht gewahr werden. Allein, ich wundere 'mich in
der Seele, daß er einen ſolchen Hund hält ; hätte
ich das zum Voraus gewußt, fo würde ich nicht
das Herz gehabt haben, mich ſo zu wagen . Aber
nun ſind wir hinein, hinein ! und darüber freue ich
mich von ganzem Herzen.
Barmh. Ich wiù ihn fragen, wenn's dir recht
ift, ſobald er wieder herunterkommt, warum er einen
fo Haßlichen Hund auf ſeinem Hofe hält. Ich hoffe,
er wird's wohl nicht übel nehmen.

1) Matth. 11, 12.


25

Thue das, fagten die Kinder, und rede ihm zu,


daß er ihn aufhängen möge, denn wir ſind bange,
daß er uns beißt, wenn wir abgehen von hier .
Endlich fam er wieder zu ihnen herunter: da
fiel Barmherzig vor ihm nieder auf ihr Ange
ficht und betéte ihn an und ſprach : Laß dir wohl
gefallen , mein Herr, bas Opfer meines
Cobes , welches ich dir jeßt darbringe , und
die Farren meiner Lippen !
Da ſprad, er zu ihr: Friede jei mit dir!
ftebe auf. Sie aber blieb liegen auf ihrem Ans
geficht und ſprach : Herr, wenn ich gleich mit
dir rechten wollte, jo behållſt du doch
Recht; dennoch muß ich vom Recht mit dir
reden. ') Warum hältſt du einen ſo grauſamen
Hund auf deinem Hofe, bei deſſen Anblic Weiber
und Kinder ,wie wir, aus Furcht von deiner Pforte
entfliehen möchten.
Hierauf gab er zur Antwort : Jener Sjund hat
einen andern Beſißer,auch wird er auf Andermanns
Grund und Boden feſtgehalten, meine Pilger hören
nur ſein Bellen. Er gehört auf das Schloß, wels
ches ihr dort in der Ferne fehet, aber er fann bis
auf die Mauern dieſes Plaßes fommen. Manchen
rechtſchaffenen Pilge hat er ſchon vom Schlechtern
zum Beſſern hingeſchreckt durch ſein furchtbares Bellen,
und der, welchem er angehört, hält ihn wahrlich
nicht aus Liebe zu mir und den Meinigen, ſondern
in ber Abſicht, um die Pilger abzuhalten, daß fte
zu mir kommen, und um ſie abzuſchrecen , an dieſer1

Pforte anzuflopfen und Einlaß zu begehren . Zu


weilen hat er ſich auch losgebrochen und Etliche
übel geplagt, die ich lieb hatte; aber das Aués
nehme ich noch mit Geduld hin. Doch leiſte ich
meinen Pilgern bei Zeiten Hülfe, ſo daß fte ſeiner

1) Jereni. 12, 1. 3
26

Gewalt nicht Preis gegeben werden, und er nicht


mit ihnen machen kann , was er ſeiner hündiſchen
Natur nach gerne möchte. Aber, meine theuer ér
faufte, ich glaube, du hätteſt dich nicht vor einem
Hunde gefürchtet, wenn du auch nicht ſo viel davon
vorher gewußt. Die Bettler, welche von Thür zu
Thür gehen , laffen fich lieber anſchreien, anbellen,
ja beißen von einem Hunde, als daß fie das vers
hoffte Almoſen daran geben . Und ſollte nun ein
þund, ein Hund auf eines andern Mannes Hofe
und ein Hund, deffen Gebell ich meinen Pilgern zum
Beſten dienen laffe, Jemanden abhalten, zu mir zu
kommen ? errette fie aus dem Rachen
Der Löwen und meine Lieblinge aus der
Gewalt der Hunde. :)
Barmh. Ich bekenne meine Unwiſſenheit; ich
habe geredet von dem , was ich nicht verſtand ; ich
érkenne, daß du Alles wohl machſt.
Chriſtin fing dann an, von ihrer Reiſe zu
ſprechen und fich nach dem Wege zu erkundigen.
Nun ſpeifte er ſie und wuſch ihnen die Füße und
ließ ſte treten in ſeine Fußſtapfen, gerade ſo, wie
er es früher mit ihrem Manne gethan hatte.

Drittes Capitel.
Die Pilgerinnen in Anfechtung, und im
Hauſe des Auslegers.
Nun ſah ich in meinem Traum , wie fte bei ſehr
günftigem Wetter ihres Weges weiter zogen ; Chris
fin aber fing an zu ſingen :

') Bgl. Pf. 22, 22.


27

Heilvoller Tag, da ich begann,


Die Pilgerbahn zu zieh'n,
Und Heil daneben auch dem Mann,
Der Trieb dazu verlieh'n !
Wahr iſt's, lang ward's, eh ' ich begann,
Das Heil ſucht ich nicht früh',
Doc lauf ich nun, To ſchnell ich kann
Und beſſer ſpät, als nie.
Die Thräne wandelt fich in Freud',
Das Zagen in Vertrau'n ;
Der Anfang zeigt mit Sicherheit
Was wir am Ziele ſchau'n .
Nun war an der andern Seite der Mauer,
welche den Weg einfaßte, den Chriſtin und ihre
Begleiter zu gehen hatten, ein Garten , welcher dem
Herrn des vorhin erwähnten bellenden Hundes ge
hörte. Einige von den Fruchtbäumen , die in dem
Garten wudſen, breiteten ihre Zweige über die
Mauer hinüber, und wenn die Früchte reif waren,
hoben die, welche vorbei kamen, dieſelben auf und
aßen ſie zu ihrem Schaden . Und, wie Sinaben zu
thun pflegen , waren auch Chriſtin's Sinaben gleich
Darüber her : die Bäume und die Früchte, die daran
hingen, machten ihnen Vergnügen, ſte pflückten ſie
und fingen an , fie zu effen. Ihre Mutter aber
ſchalt fte deßwegen , indeſſen fuhren ſie dennoch damit
fort. ') Aber ihr thut Sünde, Kinder, ſprach fie, denn
die Früchte gehören ja nicht uns. Sie wußte jes
doch nicht, daß fie dem Feinde gehörten, ſicherlich
würde ſie ſonſt vor Furcht ſchier geſtorben ſein.
Allein, es ging dies vorüber, und ſte gingen ihres
Weges weiter.
Als ſie nun etwa zwei Bogenſchüſſe von der
Stelle entfernt waren , wo ſie auf den Weg gelangt,
mertten fte, daß zwei Uebelgeſinnte ich auf fie

1) S. 2. Tim. 2, 22.
3*
28

zufamen. Somitverhüllten ſich Chriftin und Barms


Herzig mit ihren Schleiern und feßten ihre Reiſe
fort ) ; die Kinder gingen vorauf, und fo trafen
fte denn zuleßt zuſammen. Die Beiden aber kamen
gerade auf die Frauen zu, als wenn ſie dieſelben
hätten umarmen wollen . Allein Chriftin ſagte :
bleibt zurück, oder gehet ruhig eures Weges, wie es fich
geziemt. Inzwiſchen hörten ſie nicht, als wären ſie taub
geweſen , auf Chriſtin's Worte und fingen an , Hand
an fte zu legen . Da erzürnte Chriſtin gewaltig
und ſtieß -mit Füßen nach ihnen . Auch Barms
herzig that, was ſie fonnte, um ſie wegzutreiben.
Ábermals ſagte Chriſtin : bleibt zurüd und gehet,
denn wir haben kein Geld, das man uns abnehmen
könnte ; denn wir ſind Pilgrinnen, wie ihr fehet,
und noch dazu ſolche, die von der Barmherzigkeit
ihrer Freunde leben müſſen .'
Darauf ſagte Einer von den beiden Uebels
geſinnten: wir greifen euch nicht an um Geldes
widen, ſondern ſind nur gekommen , um euch zu fa
gen, daß wir euch für immer glücklich machen wollen,
wenn ihr uns nur eine kleine Bitte erfüllen wollt.
Chriſtin , die wohl denken konnte , was fte
meinten, gab ihnen zur Antwort: Wir wollen eure
Bitte weder hören , noch beachten , noch erfüllen .
Wir haben Eile und können uns nicht aufhalten ,
unſere Reiſe iſt eine Reiſe auf Leben und Tod.
Und nun machte ſie nebſt ihrer Begleiterin einen
neuen Verſuch , an den Beiben vorbeizukommen, dieſe
aber ftellten ſich hindernd in den Weg und ſprachen :
Wir vaben nicht vor, euch an eurem Leben zu ſchás
den ; wir wünſchen etwas ganz Anderes. :
Chriſtin. Ei ja, ihr wollt uns verderben an
Leib und Seele, denn ich weiß, barum ſeid ihr her
gekommen ; allein, lieber wollen wir auf der Stelle

) 1. Joh. 5, 18.
29

ſterben , als uns in Fallſtride bringen laſſen , wodurch


unſer ewiges Heil auf's Spiel gefeßt wird . Und
hiermit ſchrieen ſte Beide laut und riefen : Mörder !
Mörder ! '(und ſo ftellten ſie ſich unter den Schuß
des Gefeßes, welches zum Schuße des Weibes für:
ſorglich gegeben ward .) . Deßungeachtet ſepten jene
Männer ihren Angriff auf fie fort, um ihr Vor
haben auszuführen . Darum fingen die beiden Frauen
an abermals zu ſchreien.
Da ſie nun, wie ich vorhin ſagte, nicht weit
von der Pforte waren, burd, welche ſie eingetreten
waren, fo wurde dort ihre Stimme gehört. Deße
halb kamen Einige aus dem Hauſe heraus, und da
fie Chriftin an der Stimme erkannten, ſo eilten ſie
ihr zur Hülfe herbel.
Als fte ihrer aber anſichtig wurden , befanden
ſich die Frauen in ſehr großem Gedränge, und neben
ihnen ftanden die Kinder und ſchrieen Da riefder,
welcher ihnen zu Hülfe kam , den Ruchlofen zu : Was
macht ihr? Wollt ihr meines Herrn Volk zur Sünde
verleiten ? Und hiermit verſuchte er ſie zu greifen,
aber ſie entſprangen über die Mauer in den Garten
des Mannes, dem der große Hund gehörte, und
hier nun ward dieſer iór Beſchüßer. Der Helfer
kam hierauf zu den Frauen und fragte, wie fte fich
befänden ? Sie antworteten : wir danken beinem
Fürſten ! es geht uns ziemlich wohl ; wir ſind nur
ein wenig erſchroden. Wir banken auch dir, daß
du uns zu Hülfe gekommen biſt, ſonſt würden wir
überwältigt worden ſein.
Nachdemnoch einige Worte gewechſelt worden ,
ſagte der Helfer : Es wundert mid ſehr , daß, da
ihr droben an der Pforte aufgenommen worden,
ihr, wohlwiſſend, daß ihr ſchwache Weiber ſeid , den
Herrn nicht um einen Begleiter gebeten habt ; bann

1) 5. Moſ. 22., 25–27.


30

wäret ihr dieſen Beſchwerden und Gefahren übers


hoben worden; ficherlich würde er euch einen ſolchen
gewährt haben. :)
pt . Chriſtin. Ach, wir waren von den Segnun
gen, deren wir uns dort erfreuten, ſo hingenommen,
daß wir an feine Gefahren der Zukunft dachten.
Aber, wer hätte auch denken ſollen , daß ſolche Böſe
wichter in der Nähe des Königspalaſtes gelauert
hätten ? Allerdings wäre es gut geweſen, wenn wir
unſern Herrn um einen Begleiter gebeten hätten ;
allein, da es unſer Herr wußte, daß es zu unſerm
Beſten wäre, ſo wundere ich mich, daß er uns nicht
einen mitgegeben .
Helfer. Es iſt nichtimmer gut, Dinge zu
verleiðen, die nicht erbeten worden ſind, damit ſie
nicht 'eben deßwegen gering geachtet werden ; wo
aber erſt der Mangel einer Sache verſpürt wird,
bekommt ſie in den Augen deſſen, der ihn verſpürt,
denjenigen Werth, welcher ihr gebührt, und wird
demgemäß auch hernach angewandt. Hätte mein
Herr euch einen Begleiter gewährt, ſo würdet ihr
euer Verſehen, ihn nicht um ſolchen zu bitten, nicht
ſo bereut haben, wie ihr jeßt dazu Veranlaſſung
findet. So muß Alles zum Beſten wirken und dazu
bienen, euch fünftighin vorſichtiger zu machen .
Chriſtin . Soden wir wieder zu unſerm Herrn
umfehren, daß wir ihm unſere Thorheit bekennen
und ihn um einen Begleiter bitten ?
Helfer. Das Befenntniß eurer Thorheit will
ich vor ihn bringen . Es iſt nicht nöthig, daß ihr
umkehrt, denn nirgend, wohin ihr kommt, werdet
ihr an Etwas Mangel haben . In jeder Herberge
meines Herrn, die er zur Aufnahme feiner Pilger
zugerichtet hat, iſt Alles hinreichend vorhanden, was
ſie gegen jegliche Anfechtung, wie ſie auch ſein möge,

1) Pf. 30, 7. 8.
31

ausrüſten kann. Aber er will, wie geſagt, von ihnen


Darum gebeten ſein, daß er's ihnen verleihen möge. 1)
Das müßte ja auch ein armſeliges Ding ſein , wels
des nicht werth wäre, darum zu bitten. Als er
dies geredet hatte, ging er wieder an ſeinen Drt
zurüc, die Pilger aber zogen ihres Weges weiter.
Da hub Barmherzig an : Was für eine
plöbliche Aenderung iſt hier doch eingetreten ! Ich
hatte darauf gerechnet, daß wir alle Gefahr hinter
uns und feine Befümmerniß mehr zu beftehen hätten .
Chriftin. Deine verzeihliche Unwiſſenheit, meine
Schweſter, mag dir ſehr zur Entſchuldigung dienen ;
allein , was mich anlangt, ſo iſt meine Schuld um
ſo größer, als ich dieſe Gefahr erkannte, ehe ich von
Hauſe ging, und ich mich nicht bei Zeiten deßhalb
vorjah. Ich verdiene großen Tabel.
Barmh.. Aber, wie wußteſt du denn darum,
ehe du von Hauſe' weggingſt ?' Löfe mir dieſes
Räthſel doch !
Chriftin . Wie ich das wußte ? Das will ich
dir ſagen . In einer Nacht, ehe ich noch einen Fuß
vor, die Thüre gefeßt, und im Bette lag, hatte ich
folgenden Traum : Mich dünfte, ich fähe zwei Männer,
bie" jenen Beiden auf ein Haar ähnlich waren ; fte
ftanden am Fußende meines Bettes und ſchmiedeten
einen Plan, wie ſie mich hindern möchten an meiner
Seligkeit. Ich wil dir ihre eigenen Worte an
führen. Sie ſagten (in jener Zeit, als ich in meiner
Seelenangft war) : ,,Was ſollen wir anfangen mit
dieſem Weibe ? denn im Wachen und Schlafen ſchreit
fie nach Vergebung. Laſſen wir ſie ſo fortfahren,
wie ſie angefangen hat , ſo werden wir 'ſite' verlieren,
wie wir ihren Mann bereits verloren haben “. Nun
fannſt du 'wohl einſehen, wie mich dies Håtte vor.

1) Seſet. 36, 37.


32

ftchtig machen und wie ich mich mit Schuß hätte


verſehen ſollen, als derſelbé noch zu haben war.
Barmh.' Wohlan , ſo iſt uns durch dieſe Nach
läſſigkeit eine Gelegenheit geboten worden, unſere
eigenen Schwächen fennen zu lernen, und ebenſo
hat der Herr dieſe Gelegenheit wahrgenommen, um
uns dadurch den Reichthum feiner Onade fund zu
thun ; denn er iſt uns ja, wie wir erkennen müffen,
nachgegangen mit unverhoffter Güte und hat uns
nad ſeinem freien Wohlgefallen errettet aus der
Hand derer, die ſtärker waren, als wir.
Als ſie nun unter folchen Geſprächen noch eine
Weile ihren Weg fortgegangen waren , näherten fie
fich einem Hauſe, welches am Wege ftand, und zur
Aufnahme von Pilgern erbaut worden mar, und
wie es im erſten Theile der Pilgerreiſe weitläufiger
beſchrieben iſt * ) – es war das Haus des Aus
legers. Als ſie nun an die Thüre famen, hörten
ſte ein lautes Geſpräch im Hauſe. Sie horchten
darauf und hörten , wie ſie meinten, der Chriſtin
Namen nennen. Denn ihr müſſet wiſſen , daß das
Geſpräch von ihrer und ihrer "Rinder Pilgerfahrt
ihr ſchon vorausgegangen war. Es war dies aber
den Leuten im Hauſe um. ſo erfreulicher, weil ſie
gehört hatten, daß es Chrift! 8 Frau ſei, dieſelbe,
welche noch kurze Zeit vorher von der Pilgerreiſe
nichts hatte hören wollen . So ſtanden ſie denn ſtille
und hörten, wie ſie gelobt ward von den guten Leus
ten, die nicht daran denken fonnten, daß fie vor der
Thüre ſtände. Endlich klopfte Chriſtin an , wie
fie es auch an der Pforte gethan hatte. Darauf
tam eine Jungfrau an die Thür und öffnete, und
da fie hinausgudte, ſah ſie zwei Frauen da ſtehen .
Jungfr. Mit wem wünſcht ihr zu ſprechen
in dieſem Hauſe ?

* ) Theil I. S. 25. ff.


33

Chriftin. Wir haben gehört, daß dies ein


Drt fei, der für Pilger beſtimmt iſt, wir aber hier
find folche: darum bitten wir, daß man uns Theil
nehmen laffe an dem, weßhalb wir jeßt gekommen
fint, denn es hat ſich, wie du ſteheft, der Tag ge
neiget, und wir möchten heute Abend nicht gerne
weiter gehen.
Jungfr. Seid fo gut und ſagt mir euren Nas
men , daß ich ihn meinem Herrn drinnen melben kann.
Chriftin. Mein Name iſt Chriſtin. Ich
war die Frau jenes Pilgers , der vor einigen Jahs
ren dieſen Weg gegangen, und dies hier ſind ſeine
vier Kinder. Dieſe Jungfrau aber iſt meine Ges
fährtin , und hat auch die Pilgrimſchaft mit ans
getreten.
Da lief unſchuld - denn dies war der Name
Der Jungfrau hinein und ſagte zu denen , die
drinnen waren, könnt ihr wohl denken , wer an der
Thüre fteht ? És ift Chriftin , nebſt ihren Sindern
und ihrer Gefährtin : fte Ate warten darauf, daß
ſie eingelaſſen werden. Da ſprangen ſie vor Freude
und gingen hin und ſagten es ihrem Herrn. Der
ſelbe kam nun an die Thüre , ſah ſie an und ſprach :
Biſt du Chriſtin , welche Chrift, der liebe Mann,
zurüdlaſſen mußte, als ' er fich felber cuf die Pils
grimſchaft begab ?
Chriſtin. Ja, ich bin das Weib, die ſo bar.
ten Herzens war , daß ich meines Gatten Betüme
merniffe gering achtete und ihn ſeine Pilgerreiſe
allein " antreten ließ , und dies ſind ſeine vier Stins
der. Aber nun bin auch ich gekommen , denn ich
þin gewiß , daß nur dieſe Straße alein die richs
tige ift.
Ausleg. So ift dann erfüllet, was geſchries
I

ben ſteht von dem Manne, welcher zu ſeinem Sohne


ſprach : Mein Sohn , gehe hin und arbeite
Heute in meinem Weinberge. Er antworz
34

tete aber und ſprach : ich will es nicht thun .


Darnach reuete es ihn I, und ging hin. 1)
Chriſtin. So ſei es, Amen ! Gott mache das
Wort wahr an mir und verleihe, daß ich endlich
vor Ihm unbefleckt und unſträflich im Frieden er:
funden werde. 2)
Ausleg . Allein , warum fteheſt du denn an
der Thür ? Romm herein, du Dochter Abrahams.
Wir redeten erſt eben noch von dir, denn wir haben
früher ſchon Nachrichten über dich erhalten, daß du
bich auf die Pilgrimſchaft begeben . Rommt, ihr
Kinder, kommtherein; komm, Jungfrau, komm here
ein ! Und ſomit hatte er ſie Alle in ſeinem Hauſe
zuſammen .
As ſte nun drinnen waren, bat er ſie, fich nies
derzuſeßen und auszuruhen . Hierauf famen die,
welche den Pilgern im Hauſe aufwarteten, in das
Zimmer herein , um ſie zu ſehen : da lächelte der
Eine und der Andere, ja , fie lächelten Alle mitein
ander vor Freuden , daß Chriſtin eine Pilgerin ges
worden war. Auch blidten ſie auf die Anaben hin
und ſtreichelten ihnen mit der Hand über das Ges
ficht, zum Zeichen , daß fie fie freundlich aufgenom
men . 3) Auch fuhren fie lieblich mit Barmherzig
und hießen ſie" Ade willkommen in ihres Herrn
Hauſe.
Da das Abendeſſen noch nicht bereitet war,
nahm ſie über ein Weilchen der Ausleger in ſeine
bedeutungsvollen Gemächer und zeigte ihnen,
was Chriſtin's Mann einige Zeit vorher geſehen
hatte. Hier fahen ſie nun den Mann in dem sä
fig, den Mann mit ſeinem Traume, den Mann,
welcher ſich durch ſeine Feinde hindurchſchlug und
das Bild Deſſen , der größer iſt, denn ſie Adle *) -

*) Matth. 21, 28. 29 . 2) 2 Petr. 3, 14. 3) 2 906.4.


3 Joh. 4, 5 . * ) Theil I. S. 31. 34. 31. 30.
35

ſammt den übrigen Dingen, die für Chriſt ſo heils


famlich waren.
Nachdem dieſe Beſichtigung geſchehen und Chris
ftin und ihre Begleiterin die angeſchauten Dinge
ſo ziemlich in fich verarbeitet hatten , nahm der
Ausleger fie abermals bei Seite und führte ſie zu
erft in ein Zimmer, wo ein Mann war , der gar
nicht anders als niederwärts ſehen konnte und eine
Dredſchaufel in ſeiner Hand hatte. Da ſtand auch
Einer über ſeinem Haupte mit einer himmliſchen
Strone in der Hand , und bot ihm dieſe Krone für
ſeine Dredſchaufel. Allein der Mann jah weder
auf, noch achtete er darauf, ſondern ſchaufelte nur
die Strobhalme , die kleinen Stüdchen Holz und
den Staub, der auf dem Boden lag, auf ſich zu.
Darauf ſagte Chriftin : ich glaube wohl, daß
ich einigermaßen weiß ,was dies zu bedeuten hat:
es iſt das Bild eines Menſchen dieſer Welt. Sft
es nicht ſo, lieber Herr ?
Ausleg. Du haſt's getroffen , ſagte er, und
feine Dreckſchaufel deutet feinen fleiſchlichen Sinn
an, daß er aber, wie du ſteheft, mehr Sorge dafür
hat , Strohhalme , Holzſtüdchen und Staub aufzus
fammeln , als den Willen Deffen zu thun , der ihm
von oben herab , mit der himmliſchen Strone in der
Hand, zuruft : das foll anzeigen , daß Manchen der
Himmel nur eine Fabel iſt , und daß ſie nur die
Dinge, die hier unten find, für etwas Wirkliches
und Weſentliches achten . Was aber nun das be
trifft, daß du ſteheft, wie der Mann nur nieders
wärts bliden kann , ſo fouſt du daraus erkennen,
daß die irdiſchen Dinge, wenn ſie eine Macht über
den Sinn eines Menſchen geworden , ſein Herz
gänzlich von Gott und himmliſchen Dingen abziehen.
Da ſprach Chriſtin : o befreie mich von bies
ſer Dredſchaufel ! 1)
1) Sprüch. 30, 8 .
36

Ausleg. Dieſes Gebet, fagte der Ausleger ,


hat ſo lange bei Seite gelegen , bis es faft roftig
geworden iſt: Reichthum gib mir nicht! " ift
das Gebet von kaum Cinem unter Tauſenden .
Stroh, Holz und Dred ſind die großen Dinge, wós
nad die Meiſten tradten.
Darüber weineten Chriſtin und Barmhers
Big , und ſprachen : ac , es iſt dieſes leider nur
auzu wahr !
Nachdem der Ausleger ihnen Solches gezeigt,
führte er fie in das beſte Zimmer des Hauſes
es war, in der That , ein ſehr prachtiges Zimmer.
Hier nun hieß er ſie, fich umſehen , ob ſie irgend
&twas finden möchten , was ihnen dienlich wäre.
Da ſchauten fte ſich um und um , denn es war Nichts
zu ſehen , als eine große Spinne an der Wand,
und die überfahen ſte.
Barmherz. Da ſagte Barmherzig , Herr;
ich fehe Nichts; Chriftin allein ſchwieg ſtille.
Áber, ſagte der Ausleger, ſteh ' noch einmal
hin . Sie that es und ſprach : Hier iſt Nichts , als
1

eine häßliche Spinne, die' fidh an die Wand ges


hängt hat. Hierauf ſprach er : ift in dieſem gans
zen großen Zimmer denn nur Eine Spinne ? Da
traten Ihránen in Chriftin's Augen , denn fie
war ein Weib.von raſcher Auffaſſungsgabe, und fie
ſpracy : nein , Herr , es iſt mehr als Eine Spinne
hier , ja und Spinnen find hier , deren Gift weit
verderblicher iſt, als das, was ſich in der einen hier
an der Wand befindet. Da blidte der Ausleger
fte wohlgefällig an und ſprach : du haft wahr geres
det. Dies machte Barmherzig erröthen und die
Anaben bedeckten ihre Geſichter mit den Händen,
denn nun fingen fte Alle an , das Räthſel zu vers
ftehen .
Da ſprach der Ausleger abermals : Die
Spinne wirft mit ihren Händen und iſt in
der Könige Schlöſſer. Und wozu anders wird
37

dies erinnert, als um Euch zu zeigen, daß, wie voll


ihr auch ſein möget vom Gift der Sünde , ihr doch
durch die Hand des Glaubens ergreifen und bewohs
nen fönnt das beſte Gemach, daszu dem Hauſe des
Königs dort oben gehört ?
Chriſtin ſagte : fo Etwas habe ich mir ge
dacht, aber ich konnte es doch nicht ganz faffen. Ich
dachte , daß wir Spinnen ähnlich wären und das
1

wir ausſahen, wie häßliche Geſchöpfe, wie ſchön die


Zimmer auch ſeien , in denen wir uns befänden,
daß wir aber an der Spinne, dieſem giftigen und
widrigen Geſchöpfe, fernen ſollten , wie der Glaube
zu üben rei -
das iſt mir nicht eingefallen. Gott
at Nichts vergebens gemacht! .
Da ſchienen fte Alle froh zu ſein , aber die
Thränen ſtanden ihnen in den Augen . Sie ſahen
bann einander an und verneigten ſich vor dem
Ausleger .
Hierauf führte er ſte in ein anderes Zimmer,
wo eine Henné war mit ihren Rüchlein , und
er hieß fie, dieſelben eine Weile beobachten. Eins
von den Rüchlein ging an den Trog , um zu trin
ken, und wenn es tranf, hob es jedesmal den Kopf
in bie Höhe und die Augen gen Himmel. Sehet,
fagte er, was dieſes kleine Küchlein thut , und lers
net von ihm erkennen , von wannen jede Gnaden
gabe auf Euch herabkommt, und dorthin mit Dank
emporbliden , wenn Shr ſite empfangen habt. Doch,
ſprach er , fehet noch einmal hin und gebet Acht:
ba bemerkten fie, daß die Henne ihre Rüchlein auf
vierfache Weiſe rief : erftlich hatte ſte einen ges
meinen Ruf, und den hatte ſie ale Sage hins
durch ; zweitens einen beſondern Ruf, und den
nur für gewiſſe Zeiten ; drittens gaß fie ein
Zeichen zum Brüten und vierten 8 machte fte
einen Lärmdrei. )
1) Vgl. Matth. 23, 37.
38

Nun, ſagte er, vergleichet dieſe Henne mit Eus


rem Könige und dieſe Rüchlein mit Denen, die ihm
polgen ; denn åhnlicherweiſe, wie jene, hat auch er
feine verſchiedenen Arten , in welchen er ſich gegen
fein Volt benimmt. Durch feinen allgemeinen Kuf
gibt er Nichts , durch ſeinen beſondern Ruf gibt er
allezeit Etwas ; auch hat er eine Brütſtimme für
die , welche unter feinen Flügeln ſind, und ebenſo
hat er einen Lärmſchrei, den er erhebt , wenn er
ben Feind kommen fieht. Ich habe Euch , meine
Lieben , gerade in dieſes Zimmer geführt, weil ihr
.

Frauen
fönnen .
Teid , die ſolche Dinge leicht verſtehen
Chriſtin ſagte darauf: Herr, ich bitte, laß
1

uns noch mehr ſolcher Dinge jeben . Und ſo führte


er fte denn in das Schlachthaus, wo der Fleiſcher
eben ein Schaf tödtete. Und ſiehe, das Schaf war
ſtille und litt feinen Tod geduldig. Da ſagte der
Ausleger : von dieſem Schafe müſſet ihr lernen ,
zu dulden und Unrecht hinzunehmen , ohne Murren
und Klagen. Sebet , ' wie ſtille
ftillé läßt es ſich tödten
und ohne Widerſeßlichkeit hinſchlachten. Euer Ros
nig nennt Euch ſeine Schafe.
Darnach führte er fie in ſeinen Garten , wo
eine große Auswahl von Blumen war. Er aber
ſprach : Sehet ihr die alle ? Ja, ſagte Chriftin.
Hierauf fagte er hinwiederum : Sebet, dieſe Blumen
ſind verſchieden an Geſtalt, Art, Farbe, Geruch und
Wirfung ; einige find beſſer, als die anderen . Wo
der Gärtner ſie hingepflanzt hat, da ſtehen ſie und
zanken ſich nidyt unter einander.
Wiederum brachte er ſie auf ſein Feld, welches
er mit Waizen und ' Roggen befået hatte. Sie aber
ſahen , das alle Aehren abgeſchnitten und nur die
Halme ftehen geblieben waren . Da ſprach er : Die:
ſés Feld war gedüngt, gepflügt und befået worden,
was follen wir aber mit diefem leeren Stroh mas
chen ? Da erwiederte Chriftin : Verbrennet Cinis
39

ges und machet von dem Uebrigen Dünger . Da


ſprach der Ausleger: Frucht, ahet ihr, iſt das
was ihr erwartet habt, weil ſie aber fehlet, fo vers
urtheilt ihr das , was hier ftehet, zum Feuer und
daß es unter die Füße getreten werde - Tehet zu,
daß ihr euch dadurch nicht ſelber verdammet,
Árs fté nun wieder von draußen hereinkamen,
wurden fte ein Rothfehlchen gewahr, welches eine
große Spinne im Schnabel hatte. Und Barm
Herzigwunderte ſich darüber, aber Chriſtin
ſagte: Wie unanſtändig iſt das für ein fo niedliches
Vögelchen, wie das Rothfehlchen , welches auch vor
andern Vögeln her gerne mit Menſchen umgeht !
Ich meinte , es håtte dasſelbe von Brotfrümchen
oder dergleichen harmloſen Dingen gelebt. Nun
liebe ich es nicht mehr ſo ſehr, wie früher.
Darauf verſeßte der Ausleger: Dieſes Roth
kehlchen iſt ein treffendes Sinnbild etlicher Befen
ner des Evangeliums ; wie dieſes Rothfehlchen ſind
auch ſie hübſch von Anfehen , Farbe und Benehmen .
Auch ſcheinen ſte eine ſehr große Liebe zu ſolchen
Befennern zu haben , die aufrichtig find , und ſich
zu ihnen vor allen andern her gerne zu halten und
ihre Geſellſchaft beſonders zu lieben , gleich als ob
fie von frommer Leute Broſamen leben könnten.
Auch geben fte vor , daß ſie deßhalb die Häuſer der
Gottſeligen und die gottesdienſtlichen Verſammluns
gen beſuchen ; aber wenn ſie für ſich allein ſind,
fangen und verſchlucken fie Spinnen, wie es dieſes
Rothfehlchen thut: fte ändern ihre Lebensweiſe , 'fte
ſaufen Unrecht ' ) und ſchlucken Sünde hinunter, wie
Waſſer.
Als ſte nun wieder im Hauſe angekommen
waren , und das Abendeſſen noch nicht zurecht ges
macht war , wünſchte Chriſtin abermals , daß der

1) Hiob 15, 16.


40

Ausleger ihnen entweder noch einiges zeigen,


ober erzählen möge, was ihnen heilſamlich wäre.
Darauf fing der Ausleger alſo an : Je fetter
die Sau, deſto mehr verlangt ſie nach dem Roth -
je fetter der Ochſe , deſto williger geht er zum
Schlachthauſe, und je behaglicher ſich der lüſterne
Menſch fühlt, deſto mehr iſt er zum Böſen geneigt.
Es iſt ein Verlangen im Weibe, nett und ſchön
zu erſcheinen, aber es iſt ein föſtlich Ding mit Dem
geſchmüdt zu ſein , was großen Werth hat in Got
tes Augen . Es iſt leichter eine oder zwei Nächte
hindurch zu wachen ,1 als ein ganzes Jahr lang auf
zu fißen , und ebenſo iſt es leichter , einen Anfang
des Glaubens zu machen , als, wie es fich gebühret,
auszuharren bis an's Ende.
Jeder Schiffer wird , wenn ein Sturm da ift,
das willig über Bord werfen , was in ſeinem Schiffe
den geringſten Werth hat; allein wer wird wohl
das Beſte zuerſt wegwerfen ? Niemand, als nur der,
welcher Gott nicht fürchtet. :)
Durch ein Leck finkt ein Schiff unter , und
durch eine Sünde kann ein Menſch verderben .
Wer ſeinen Freund vergißt , iſt undankbar ges
gen ihn; wer aber ſeinen Heiland vergißt, iſt un
barmherzig, gegen ſich ſelbſt.
Wer in Sünden lebt und auf Seligkeit nach
dieſem Leben hofft, iſt dem gleich , welcher Unkraut
fäet, und Waizen oder Gerſte einzuſcheuern gedenkt.
Wenn Einer glüdlich leben will, der hole fich
ſeinen leßten Tag herbei und mache ihn zu ſeinem
Begleiter in allewege.
Zuflüſtern und die Gedanken ändern, zeigt, daß
Sünde in der Welt iſt.
Wenn die Welt, welche Gott gering achtet, von
den Menſchen ſo werth geachtet wird , was muß
der Himmel erſt ſein, den Gott lobet!
1) Matth. 10, 37 .; 13, 46.
.41

Wenn dieſes Leben , das mit ſo vielen Trübía


len umgeben iſt, ſo ungern von uns verlaffen wird,
was muß das Leben da droben fein !
Jedermann erhebt ein großes Geſchrei, wenn
ihm Menſchen etwas Gutes erweiſen ; aber wer ift
ſó von der Güte Gottes gerührt, wie es ſein ſollte ?
Wir feßen uns ſelten zu Tiſche, ohne zu effen
und noch Etwas übrig zu laffen : ' fo ift in Chrifto
mehr Verdienſt und Gerechtigkeit , als die ganze
Welt mit einander bedarf.
Als der Ausleger nun geendet hatte, nahm er
fte wieder mit ftd hinaus in ſeinen Garten und
führte ſie zu einem Baume, der inwendig gang faul
und verborben war, dennoch aber wuchs und Bläts
ter hatte. Da fragte Barmherzig : was bedeutet
das Dieſer Baum ( antwortete der Ausleger ),
deſſen Außenſeite ſchön und deſſen Inneres faul iſt,
ſtellt ein Bild Mancher dar, die in dem Garten 6

Gottes find : mit ihrem Munde preiſen_ſte Gott


höchlich , aber in der Wirklichkeit wollen fte Nichts
thun für Ihn ; ihre Blätter grünen , aber ihr Herz
ift zu Nichts nüße, als zu Zunder für des Teufelo
Feuerdoſe.
Das Abendeſſen war nun fertig, der Diſch ges
bedt und Alles aufgetragen. Sie ſeßten ſich daher
zum Effen , nachdem Einer das Tiſchgebet geſpro
chen . Der Ausleger pflegte feine Gäfte durch
Muſik bei der Mahlzeit zu unterhalten : ſo ſpielten
auch jeßt feine Spielleute. Auch war Einer" babet,
der ſang, und eine ſehr ſchöne Stimme hatte. Sein
Lied lautete ſo:
Es ift allein der Herr mein Hort
Und Er ift's, der mich nähr't,
Wie hätt' ic Mangel drum binfort,
Wo Noth, die mid befchwert' ?
A18 Geſang und Spiel zu Ende waren, fragte
Der Ausleger die Chriftin , was fte zuerft bes
wogen habe, fich auf die Pilgerreiſe zu begeben.
42

Chriftin antwortete : Zuerſt ging mir der Verluft


meines Mannes zu Herzen , wodurch ich tief bes
fümmert ward. Aber das kam Alles nur von einer
natürlichen Neigung her. Darnach dachte ich an
die Befümmerniſſe meines Mannes wegen ſeiner
Pilgerreiſe, und wie grob und ſchnöde ich mich das
bei gegen ihn benommen hatte. So wälzte ſich die
Schuld auf meine Seele" und wollte mich in den
Abgrund der Verzweiflung niederziehen. Da hatte
ich aber gerade einen Traum von dem Wohlergehen
meines Mannes und überdem erhielt ich einen Brief
von dem Könige jenes Landes , in welchem mein
Mann wohnt, daß ich zu ihm fommen möge. Der
Traum und der Brief wirkten ſo auf mein Gemüth,
daß ſie mich nöthigten , dieſe Reiſe anzutreten.
Ausleg. Aber fließeſt Du auf keinen Wider
ftand, ehe Du Deinen Fuß vor die Thüre feßteft ?
Chriftin. Ja , durch eine meiner Nachbarins
nen, eine gewiſſe Frau Furchtſam . Es war eine
Verwandte Deſſen , der meinen Mann bewegen wollte
aus Furcht vor den Löwen umzukehren . Sie bieß
mich eine Närrin , wegen meines verzweifelten Uns
ternehmens, wie ſie es nannte , und gab fich ale
mögliche Mühe, um mich davon abzuſchređen , in
dem fte mir die Mühldig feiten und Leiden vorſtellte,
die meinem Manne auf ſeinem Wege zugeſtoßen ;
allein über dies Alles feste ich mich ziemlich leicht
hinweg. Nur ein Traum ,den ich hatte von zwei
übel ausſehenden Leuten, die , wie ich meinte , den
Plan fchmiedeten, mich auf meiner Reiſe unglüdlich
zu machen , hat mich ſehr bekümmert. ' Ja , es geht
mir dies immer noch in meinem Sinne herum und
macht mich ängſtlich vor Sedem , welchem ich bes
gegne, da ich befürchte, man möchte mir ein Unheil
zufügen , und mich vom rechten Wege abbringen .
ja, meinem Herrn muß ich erzählen wiewohl
ich nicht wünſchte, daß Jedermann es erführe
wie wir Beide zwiſchen hier und der Pforte, durch
43

welche wir auf den Weg kamen , ſo heftig angefal,


len worden ſind, daß wir zuleßt : 11 Mörder! "
Morder !" ſchreien mußten. Únd eben die Zwei,
welche den Anfall auf uns machten , waren ganz
åbnlich den Beiden, die ich in meinem Traume jah.
Darauf ſagte der Ausleger : Dein Anfang
iſt gut , dein Ausgang wird noch viel beſſer ſein .
Nun wandte er fich zu Barmherzig und ſprach
zu ihr : Und was hat dich denn bewogen , liebes
Kind, hieher zu kommen ?
Barmherzig errötőete und zitterte, und konnte
eine Weile Nichts ſagen .
Der Ausleger aber ſagte: Fürchte dich nicht,
glaube nur und ſprich, wie es dir um’s Herz iſt.
Da fing fie an und ſagte : Wahrlich , guter
Herr, da es mir an Erfahrung, fehlt, möchte ich
lieber ſchweigen , und gerade dieſer Umſtand macht
auch, daß ich fürchte, endlich noch ganz dahinten zu
bleiben. Ich kann nicht von Geſichten und Träus
men erzählen, wie Chriftin , meine Freundin, auch
kann ich Nichts von einer Reue ſagen , welche ich
über die Verwerfung des Raths lieber Verwandten
gefühlt hätte.
Ausleg. Was war es denn, liebes Kind, was
bich vermocht hat, alſo zu thun, wie du gethan haft?
Barmh. Ei nun , a18
als meine Freundin ' hier
mit dem Einpaden beſchäftigt war , um aus unſrer
Stadt wegzuziehen, famen id und eine Andere ge
rabe zu ihr. Nachdem wir angeklopft und hinein
getreten waren , ſahen wir , was ſie that und frag
ten , was ſie vorhátte ? Sie ſagte : ſie ſei erſucht
worden, zu ihrem Manne zu kommen . ' Darnach ers
zählte fie uns, wie ſie ihn in einem Traum geſehen,
und wie er an einem wunderbaren Drte wohnend
unter Unſterblichen , eine Strone getragen , auf einer
Harfe geſpielt, an der Tafel ſeines Fürſten gegeſſen
und getrunken , und ihm Loblieder geſungen habe,
weil er ihn dorthin gebracht u. f. w . Während
4*
ſie
44

uns dies nun erzählte, fühlte ich, wie das Herz in


mir entbrannte. Und ich ſprach bei mir ſelbſt wenn
dies wahr iſt, ſo wil 'ich Vater und Mutter und
mein Geburtsland verlaſſen , und mit Chriftin ge
1

ben, wenn es mir geſtattet wird. So fragte ich fie


dann weiter, ob es wirklich Ales fo wahr wäre,
wie ſie erzählt habe und ob fie mich wollte mit ihr
gehen laſſen ; denn ich ſah jeßt klar ein , daß man
Gefahr laufen müſſe zu verderben , wenn man läns
ger' in unſerer Stadt bleiben würde. Aber dennoch
ging ich mit ſchwerem Herzen weg, weil ich ſo viele
von meinen Verwandten zurüdlaſſen mußte. So
bin ich denn mit allem Anliegen meines Herzens
hierher gekommen und wünſche, wenn ich darf, mit
Chriftin zu ihrem Gatten und ſeinem Könige zu
gehen.
Ausleg. Dein Vornehmen iſt gut, denn du
haft der Wahrheit Glauben geſchenkt. Du biſt eine
Nuth , die 'aus Liebe zu Naemi und zu dem
1

Herrn , ihrem Oott , Vater und Mutter verließ


und ihr Vaterland , damit ſie auszöge und käme
zu einem Volfe , das ſie zuvor nicht kannte. Der
Herr vergelte dir deine That, und müſſe
Dein Lohn vollkommen fein bei dein Herrn ,
dem Gott Síraels , zu welchem du gekom .
men biſt, daß du unter ſeinen Flügeln 3 u
verſicht håtteft. ')
Das Abendeſſen war nun beendet , und man
ſchidte ſich an, zu Bette zu gehen . Jede der Frauen
warb einzeln gebettet und auch die Anaben ſchliefen
allein . Als Barmherzig nun im Bette lag, konnte
fie nicht ſchlafen vor Freude, weil jeßt ihre Zweis
fel, als ob es ihr endlich doch noch fehlen könnte,
mehr gehoben waren, als je zuvor. So lag fie denn
da, Gott lobend und preiſend, der ihr folche Barms
herzigkeit erwieſen hatte.
1) Kuth 2, 11. 12.
45

Morgens erwachtenfte bei Sonnenaufgang und


rüfteten ſich zur Abreiſe. Allein der Ausleger
wünſchte , daß ſie noch eine Weile verziehen möchs
- ten, Denn, ſprach er : ihr müſſet ordentlich von hins
nen ziehen. " Und hierauf fagte er zu dem Mädchen,
das. ihnen zuerſt aufgemacht hatte : Nimm ſie mit dir
und führe fie in unſer Gartenbad, waſche fie dort
und reinige' fie von dem Schmuß der Reiſe.1) Da
nahm ſie das Mägblein , Namens Unſchuld und
führte 'fte in den Garten zum Bade. Sie ſagte
ihnen , daß fie fich hier reinigen müßten, denn Sols
ches begehre ihr Herr von den Frautit, die auf ih
rer Pilgerreiſe in ſeinem Hauſe anſprächen. So
gingen ſie denn hinein und wuſchen ſich , ſie und
die Knaben alleſammt. Und fie famen aus dem
Bade nicht nur lieblich undrein, ſondern auch recht
erquidt und geſtärkt in ihren Gliedern. Als fie {
daher wieder in das Haus kamen, fahen fte ein gut
Theil beſſer aus , wie vorhin , da fte in das Bad
gingen .
Nachdem fte aus dem Garten vom Bade zus
rüdgekommen waren , nahm ſie der Anleger ,
blicte ſie an und ſprach : Schön , wie der Mond ! 23
Dann ließ er das Siegel kommen, womit die vers
fiegelt werden , die in ſeinem Bade gewaſchen wors
den ſind. Das Siegel' fam , und er drüdte es ab
auf fie, daß fie daran erkannt werden könnten , wo
hin fie' fämen. Das Siegel aber war der Inbegriff
und bie Summa des Paſablammes, welches die 1

Kinder Sſrael aßen , ale fte aus Egyptenlande 30s


gen ; und das Zeichen ward geſeßt zwiſchen ihre
Augen . 3) Durch dieſes Siegel wurde bedeutend
gehoben ihre Schönheit, denn es war eine Zierde
für ihre Angeſichter. Auch erhöhte dasſelbe ihre Würde
und machte ihr Ausſehen mehr den Engeln gleich.

') 2 Kor. 7, 1. – ? ) Hobesi. 6, 9. — 8) 2 Mob. 3, 8-10.


46

Hierauf ſagte der Ausleger zu dem Mägds


lein , welches den Frauen dienete: Geh' in die seleis
derkammer und bringe Kleider her für dieſe Leute.
Sie ging und holte weiße Kleider heraus und legte
ſie nieder vor ihm . Darnach hieß er die Pilger
dieſelben anziehen ; die Kleider waren von feiner,
weißer und heller Leinwand. As die Frauen nun
alſo geſchmückt daſtanden , erregte Eine in der Arts
dern eine Schauer des Entzückens, denn an fich
felber fonnten ſie die Herrlichkeit nicht ſehen , die
Jede an der Andern erblicte . Darum fing Tega
liche an , die Andere höher zu achten , als ſich ſelbſt.
Du biſt ſöner , als ich, ſagte die Gine ; nein , du
bift anmuthiger , als ich , ſprach die Andert. Auch
ſtanden die Kinder ba mit' Erſtaunen , als ſie fas
hen , in was für eine Geſtalt fie waren umgewans
belt worden .
Nun rief der Ausleger Einen von ſeinen
Dienern , mit Namen Muthberg und hieß ihn
nehmen Schwert, Helm und Schilð. Dann ſprach
er : Nimm dieſe meine Töchter , und bringe fte zu
dem Hauſe , welches genannt wird Schön , dort
werden fie ihre nächſte Raft halten . Der Diener
aber nahm ſeine Waffen und ging vor ihnen her.
Und der Ausleger ſprach : Gott geleite Euch !
Auch die Uebrigen, welche zu dem Hauſe gehörten,
entließen fie mit manchem guten Wünſche.

Viertes Capitel.
Aufbruch zur Weiterreiſe; neue Belehrungen und Er
fahrungen unter dem geſeit eines treuen Führers.
So gogen denn die Pilger ihre Straßen und
ſtimmten an
ΚΑΛΩΣ
ΑΛΛΑ

,
Οληνας

4
.
47

Da war der zweite Ruheplaß,


Wo wir gehört, geſeh'n
Bon jenem berrlich großen Sca,
Den Andre nicht verſteh'n.
Es gaben Smaufel, Spinn' und Henn ',
Die Rüd lein mir dabei
Manch' gute Lehr 0, daß fie denn
Mir auch zum Heile fei!
Der Schlächter, Garten und das Feld ,
Rothfehlchen und fein Fang ,
Und was der faule Baum enthält 1

Gemahn' mich lebenslang !


Zum Wachen treib's mich und Gebet,
Zum Ringen, treu zu ſein,
Mein Kreuz zu tragen früh und ſpät,
Und Gott mich ganz zu weih'n .
In meinem Traume ſah ich , wie Muthberg
thnen vorging und fie ſo zu der Stelle famen , wo
Chriſt's laſt ihm vom Rücken fiel und in ein
Grab rolte. *) Hier nun machten ſie einen Halt
und prieſen Gott. Da fällt mir ein , ſagte Chri
ftin , was zu uns an der Pforte geſagt warb,
nämlich daßwir ſollten Vergebung erhalten durch
Wort ' und Ihat. Das Wort das iſt die Ver's
heißung, davon weiß ich bereits Etwas ; aber
was es heißt: Vergebung erlangen durch die That
oder in der Art, wie ſie erworben worden , das wiſs
fet ihr wohl , lieber Herr Muth herz ; faget uns
daher Etwas davon, wenn's euch gefällig iſt ..
Muthherz . Vergebung durch die That ift
folche, die durch Einen erworben worden für einen
Andern, der ihrer bedarf; nicht durch Den, welchem
die Vergebung zu Theil wird , ſondern in der Art,
ſagt ein Anderer zu euch, in welcher Ich fite erwors

* ) CHI. I. S. 36 .
48

ben habe. Und ſo ward denn , um ausführlicher


davon zu reden , die Vergebung, welche dir, Barms
herzig und dieſen Knaben widerfahren, durch einen
Andern erworben , nämlich durch Den , der euch
.

durch die Pforte einließ. Er hat ſie aber in zwei


facher Weiſe erworben : Er hat alle Gerechtigkeit
erfüllet, um euch damit zu bedecen , und Er hat
ſein Blut vergoſſen, um euch damit rein zu waſchen.
Chriftin . Aber, wenn er ſeine Gerechtigkeit
mit uns theilet, fehlt es Ihm dann nicht ſelbſt baran ?
Muth herz. ' Er hat mehr Gerechtigkeit, als
du bedarfſt, oder als Er ſelbſt bedarf (benn für ſich
hat Er feine nöthig. )
Chriſtin. D , jei ſo gut und mache mir dies klar.
Muth herz. Das will ich von Herzen gern
thut. Adein zunächſt muß ich vorausſchiden , daß
Der, von welchem ichießt rede, ein Solcher ift, der
ſeines Gleichen nicht hat. Er hat zwei Naturen in
Giner Perſon, die leicht unterſchieden , aber unmög .
lich geſchieden werden können. Seber dieſer beiden
Naturen gehört eine Gerechtigkeit und jede Gerecha
tigkeit Einer Natur weſentlich an : ſo daß die
Natur ebenſowenig vertilgt , als ihre Gerechtigkeit
ihr fann genommen werden. Dieſer zwiefachen Ges
rechtigkeit ſind wir aber nicht alſo theilhaftig ges
worden , daß wenn fie zuſammen oder irgend eine
davon über uns gebracht würde, wir - dadurch Ges
rechtigkeit und Leben hätten. Vielmehr gibt es noch
eine andere Gerechtigkeit, welche unſer Mittler ins
fofern beſikt, als die zwei Naturen mit einander
vereinigt ſind. Und dies iſt nicht die Gerechtigkeit
der Gottheit , wie ſie von der Menſchheit vers
ſchieden iſt, noch die Gerechtigkeit der Menſchheit,
wie ſie verſchieben iſt von der Gottheit , ſondern
es iſt eine Gerechtigkeit, welche in der Vereinigung
ber beiden Naturen beſteht, und welche man eigents
lich die Gerechtigkeit nennen kann, welche Thm wer
fentlich angehört, weil er von Gott zur Führung
49

des Mittleramtes verordnet iſt, welches ihm ver


trauet ward. So er nun theilen würde mit ſeiner
erſten Gerechtigkeit, theilete Er mit ſeiner Gotts
1

heit ; fo Er aber theilen würde mit der andern ,


theilete er mit ſeiner reinen Menſchheit , und ſo
ér theilen würde mit der Dritten , fo theilete Ér
mit der Vollkommenheit, welche zum Amté des
Mittlers fähig machte. Darum hat er eine andere
Gerechtigkeit erworben , welche beſtehet in der Voll .
bringung des Gehorſams, wie der Wille
Gottes ſolchen geoffenbaret hat, und das iſt
die Gerechtigkeit, welche er den bubfertigen Sün :
dern ſchenket, und wodurch ihre Sünden bededet
werden . Und hierauf gehet bas Wort : Oleich wie
durch Eines Menden Ungehorſam viele
Sünder geworden ſind , alſo auch durch Eines
Gehorſam werden viele Gerechte . ')
Chriftin . Sind uns denn aber die andern
Gerechtigkeiten zu Nichts nüße ?
Muthherž. Allerdings; denn obgleich ſte ſeis
nen Naturen und feinem Amte weſentlich angeho
ren , und ſie einander nicht mitgetheilt werden kön
nen: ſo kommt es hinwiederum durch ihre Vortreffs
lichkeit, daß die Gerechtigkeit, welde uns gerecht
madt, eben hiezu tüchtig iſt. Die Gerechtigkeit jet
ner Gottheit gibt ſeinem Gehorſam Kraft d
; ie Ges
rechtigkeit ſeiner Menſchheit gibt ſeinem Gehorſam
Fähigkeit, gerecht zu machen, und die Gerechtigkeit,
welche in der Vereinigung der beiden Naturen zur
Führung feines Mittleramtes beſteht , gibt ſeiner
Gerechtigkeit das Anſehen , um zu volbringen das
Werf, zu welchem Er verordnet war.
Und ſo finden wir denn hier eine Gerechtigkeit,
deren Chriſtus als Gott nicht benöthigt iſt, denn
Er iſt Gott 1, ohne ſte ; ferner eine Gerechtigkeit,

19 Röm. 5, 19.
50 .

deren Chriftus als Menſch ſelber nicht bedarf, denn


er iſt ein vollfommener Menſch ohné fie ; und ends
lich eine Gerechtigkeit, die Chriſtus als Gottmenſch
nicht braucht, und eben deßhalb'an Andere hingibt.
Darum wird ſolche auch genannt die Gabe der
Gerechtigkeit. Dieſe Gerechtigkeit war es, die
ſeit Jeſus Chriſtus, der Herr , ſich unter das Ge
1 1

fet , gethan , mußte bargegeben werden ; denn das


Gefeß legt dem , welcher unter ihm ſtehet, nicht bloß
die Verbindlichkeit auf, daß er recht thun , ſondern
auch daß er liebe übe.2) In Folge deffen mußte
der auch , welcher zwei Kleider hatte, dem eins ges
ben, der keins hatte. 3) Nun hat unſer lieber Herr
wirklich zwei Kleider: eins für fich ſelbſt und eins
zum Austheilen ; daher verleiht Gr aus freier Gnade
denen eins, welche feins haben. Und nun Chris
ftin , Barmherzig und ' Alle, die ihr hier ſeid
jo erlangt ihr Vergebung durch die That oder
durch das Werk eines Andern . Euer Herr Chris
ft u s iſt es , der ſie wirket, und der das, was Er
erworben, jedem armen Bettler, der zu Ihm kommt,
austheilet.
Es mußte jedoch hinwiederum , um die Verges
bung zu bewirten durch die That , Gott Etwas
als Löſegeld dargebracht und uns zugleich Etwas
zubereitet werden , womit wir völlig bedecet würden .
Die Sünde hat uns dem gerechten Fluche des götts
lichen Geſeges überliefert. Nun müſſen wir von
dieſem Fluche durch den Weg der Erlöſung frei
werden , indem ein Löſegeld bezahlt wird für den
Schaden, den wir durch unſere Sünden angerichtet,
und das iſt geſchehen durch das Blut unſeres Herrn ,
der an eurer Statt eingetreten iſt undden Tod er's
duldet hat um eurer Uebertretungen willen. So hat
Er euch erkauft mit ſeinem Blut und eure beflecten

1) Röm. 5 , 17. – ?) Mich . 6 , 8 . 3) Vgi. Cuf. 3 , 11.


51

Seelen bedecet mit ſeiner Geredytigkeit; ' ) um bef


ſentwillen geht Gott gnädig an euch vorüber 2) und
ivill euch nicht verderben, wenn er kommt die Welt
zu richten.
Chriftin . Das iſt vortrefflich! Nun ſehe ich,
daß daran Etwas zu lernen war, wie wir Vergés
bung haben durch Wort und Shat. Sheure Barm 2

Herzig , laß uns trachten darnach, daß wir dies in


unſern Herzen behalten , und auch ihr , lieben Rin
der, vergeſſet es nie ! Aber , lieber Herr, war es
nicht gerade das , was es machte , das meinem lies
ben Chriſt die Laſt von den Schultern fiel und
wodurch er dreimal vor Freuden in die Höhe ſprang ?
Muthberz. Ja, es war der Glaube, welcher
die Bande entzweiſchnitt, die auf keine andere Art
zerſchnitten werden konnten , und er empfing dadurch
einen Beweis von der Kraft dieſer Vergebung, daß
er ſeine Laft tragen mußte zum Kreuze .
Chriſtin . Das dachte ich mir wohl, denn
obgleich in meinem Herzen zuvor Licht und Freude
war, ſo ift Solches doch ießt zehnmal mehr der Fau.
Und ich bin gewiß 1, nachdem was ich erfahren -
und doch habe ich erſt nur wenig erfahren daß
wenn ein Mann , auf dem die größte Laft in der
Welt läge, hier wäre, und fähe und glaubte , wie
ich jeßt , es fein Herz froh und glüdlich machen
würde.
Chriftin . Es wird uns nicht allein Troft
und Erleichterung von unſerer Laſt dadurch , daß
wir dies anſehen und betrachten , gegeben , ſondern
auch eine herzliche Liebe in uns erzeuget. Denn
wer, der nur einmal bedenkt, daß die Vergebung
nicht bloß durch die Verheißung, fondern auch durch
folche That ihm bewirkt wird — follte nicht Liebe
baben zu Dem , welcher folche für ihn volbracht hat ?

) Nöm . 3, 24. 25. Gal. 3, 13. . 2 ) Vgl. 2 Mof. 12.


52

Chriftin. Wahrlich, es iſt als blute mir das


Herz , wenn ich daran denke , daß Er für mich ges
blutet hat. Di du Onadenreidyer! o , du. Gebenes
deiter ! Dir gebührt es , mich zu eigen zu haben ,
1

denn Du haſt mich erkauft. Dir gebührt es, mich


ganz zu befißen , denn Du haft für mich gehntaus
ſendmal mehr bezahlt , als ich werth bin ' Rein
Wunder , daß darüber Thränen ſtanden in meines
Mannes Augen und es dadurch kam , daß er ſeinen
ſchweren Weg ſo raſch verfolgte. Ich bin gewiß, er
wünſchte mich bei ſich zu haben ; aber ich , elende
Nichtswürdige, ließ ihn allein ziehen ! 9 , Barms
herzig, daß dein Vater und deine Mutter doch
auch hier wären ! ja, und ebenſo Frau Furdtſam !
Ja, ich wünſchte von ganzem Herzen Frau Wols
luft jeßt gleichfalls dabei! Gewiß, gewiß, auch ihre
Herzen würden ergriffen werden . Es würden we:
der die Furcht der Einen , noch die Lüfte der An
dern fie bewegen , nach Hauſe zurück zu gehen und
keine guten Pilger werden zu wollen.
Muthherz. Du redeft jeßt im Feuer deiner
Empfindungen . Was meinſt du , ſollte es wohl im
mer fo bleiben ? . Zudem wird dies nicht Aden zu
Theil, auch nicht Aden , die deinen Jeſus bluten
fahen . Es ftanden ja Manche dabei und fahen das
Blut aus ſeinem Herzen auf die Erde fließen, und
waren dennoch ſo ferne davon , daß fie, ſtatt ihre
Wehklagen zu erheben , Jhn verlachten, und ſtatt
ſeine Sünger zu werden , ihre Herzen wider ihn
verhärteten . Ades, was ihr in eud erfahren, meine
Töchter, rührt her von einem beſondern Eindruck,
den 'die göttliche Gnade durch die Erwägung deſſen
auf euch gemacht, worüber ich zu euch geredet habe.
Erinnert euch Saran, wie zu euch geſagt worden,
daß die Henne bei ihrem gemeinen Ruf ihren
Küchlein kein Futter gebe. Was ihr habt, das habt
ihr baher durch eine Erweiſung beſonderer Gnade.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß ſie weis

1
53

ker gingen bis zu der Stelle, wo Tropf, Tråge


und Dünfel lagen und ſchliefen , *) als Chrift
auf ſeiner Pilgerreiſe war. Und ſiehe, nun waren ſte
m Eiſen aufgehängt, ein wenig ſeitwärts vom Wege.
Da fragte Barmherzig ihren Führer : wer
And dieſe drei ? und warum ſind ſie gehängtworden ?
Muth herz. Es waren dies ſchlechte Menſchen ;
ſie ſelber wollten keine Pilger werden und Andere
hinderten ſie daran, ſo ſehr ſte’s vermochten. Selbſt
waren fte träge und thöricht, und wen fie nur dazu
bringen konnten , den machten ſie ebenſo, und zu
dem Allem ſuchten fie Jedem die Anmaßung beizus
bringen , daß es ihm am Ende wohl ergehen werde.
Sie waren im Schlafe, als Chriſt vorbei ging,
und nun ihr vorübergehet, hängen ſie da .
Barmh. Aber konnten ſie denn jemanden
finden, der ihrem Wahn beipflichtete.
Muthherë. Ja, fte haben Mehrere vom rech
jen Wege abgebracht. Da war ein gewiſſer Fauls
uß, den ſie zu ſich hinüberzogen . Auch brachten
fte einen Süržathem , einen ûnbeherzt , ſo wie
einen lüftler und Schlaffopf nebſt einem jungen
Weibe, Namens Stumpfſinnig , vom Wege ab,
Daß fie waren wie fie. Außerdem brachten ſie ein
ables Gerücht auf von euerm Herrn, indem ſie den
Leuten einredeten, daß er ein harter Zuchtmeiſtet ſei.
Gleiderweiſe ſprengten ſie ein böſes Gerücht über
das gelobte Land aus, da ſie behaupteten , es wäre
nicht halb ſo gut, wie man vorgäbe , und eben fo
fingen ſie an, ſeine Diener zu ſchmähen und hießen
die beſten von ihnen nafeweife Menſchen und uns
ruhige Köpfe, die ſich in fremde Dinge einmiſchten.
Ferner nannten ſie das Brot Gottes leere Hülſen,
den Troſt ſeiner Kinder leere Einbildungen und die
Reiſe und Mühſeligkeiten der Pilger unnüßes Zeug.

* ) Thl. I. S. 50.
54

Chriſtin. Nun, wenn es folche Leute waren,


werde ich ſie niemals bebauern . Sie haben dann
nur empfangen , was ſie werthfind. Auch halte
ich'8 für gut, daß fie ſo nahe an der Landſtraße
hangen, daß ſte nämlich von ' Andern geſehen und
dieſe dadurch möchten gewarnt werden. Allein würde
es nicht gut geweſen ſein , wenn ihre Verbrechen
auf eine eherne Tafel eingegraben und hier , wo ſte
ihre Miſſethaten begingen , andern ſchlechten Mens
fchen zur Warnung wären hingeftelt worden.
Muthherz. Das iſt bereits geſchehen , wie du
fehen fannſt, wenn du nur ein wenig näher zu der
Mauer hingehen wilft.
Barmh. Nein ! Nein ! laß fte hången und ihre
Namen vergehen und ihre Verbrechen ewig gegen
fte zeugen . Ich achte es für eine große Gnade, daß
fte aufgehängt worden , ehe wir hierher gekommen
find. Wer weiß es, was ſie fo armen Frauen, wie
vir find, ſonſt angethan hätten ? Darauf wandelte
fte ihre Worte in ein Lied und fang:
Nun denn, ihr Drei, hangt hier als Schredenszeichen
Für alle, die im Wahrheitshaß Euch gleichen.
E8 möge fürchten fich, wie Ihr zu enden ,
Der Pilger wagt vom Wege abzuwenden !
Und du, o Seele, hüte sich vor Aden,
Die von der Wahrheit Heiligthum gefallen!
Hierauf gingen fte weiter , bis ſie an den Fuß
des Hügels Beſchwerde famen , wo der treue
Muth herz abermals die Gelegenheit ergriff, ihnen
zu erzählen, was ſich hier zugetragen, als Chrift
die Straße gekommen war. Zuerſt führte er fte zu
der Quelle. Sehet , ſprach er, das iſt die Quelle,
aus der Chriſt tranf, ehe er dieſen Hügel hinaufs
ging. *) Damals war ſie klar und gut , aber jeßt
ift fte unrein gemacht durch die Füße derer,die nicht
wollen , daß die Pilger hier ihren Durft löſchen . ).
*) Thl. I. S. 41. – 1) Heſek. 34, 18. 19.
55

Hierauf ſagte Barmherzig: warum find file benn


ſo neidiſch Nun, ſagte der Führer , es wird ſchon
gehen, wenn man es vorher in ein ſauberes, gutes
Gefäß thut ; der Schmuß wird dann auf den Boden
ſinken , und das Waſſer von ſelbſt um ſo klarer
hervorkommen. So geſchah es denn von Chriſtin
und ihren Begleitern : fie ſchöpften das Waſſer in
einen irdenen Topf und ließen es ſtille ſtehen , bis
der Schmuß fich auf den Boden geſenkt hatte, dar
auf tranken ſie es.
Hiernach zeigte er ihnen die beiden Nebenwege,
die am Fuße des Hügels waren , wo Formhobi
und Heuchler fich verloren ; dies ſind gefährliche
Wege, ſprach er , zwei Menſchen gingen hier zu
Grunde , als Chriſt vorbeizog; unð obgleich dieſe
Wege, wie ihr fehet, jeßt mit Ketten , Pfählen und
cinem Graben abgeſperrt ſind, fo giebt es doch noch
Leute , die ſich lieber ſelbſt hier auf's Spiel ſeßen,
1

als den beſchwerlichen Weg über den Hügel ein


ſchlagen.
Chrift. Der Weg der Verachter bringt
Wehe, ) und es nimmt mich Wunder, wie ſie ſich
auf dieſe Wege begeben, ohne den Hals zu brechen .
Muth h . Und dennoch wagen fie es . Ja,
wenn ſie gerade einmal von des König& Dienern
Einer ſteht, und ihnen zuruft, daß ſie auf dem uns
rechten Wege feien, und fie bittet, ſich vor der Ges
fahr zu hüten : ſo erwidern ſie ſpöttiſcherweiſe : Nach
dem Worte, das du im Namen des Herrn
uns ſag eft, wollen wir nicht gehorchen,
fondern wir wollen thun nach allem dem
Wort , das aus unſerm Munde gebet. 2 ) Und
wenn ihr nun noch ein wenig genauer zuſehen wollt,
werdet ihr finden , daß dieſe Wege nicht nur mit
Pfoſten , Graben und Stetten zur Vorſicht abgeſperrt,

1) Sprüchw . 13, 15. – ?) Jerem. 44, 16. 17.


5
56

ſondern daß ſie noch dazu völlig eingehegt find


und nichts beſto weniger erwählen ſie diefelben.
Chrift. 68 find träge Menſchen ; ſie wollen
fich nicht gern Mühe geben ; bergauf zu gehen , ift
ihnen unangenehm . So wird an ihnen erfüūt, was
geſchrieben ſteht: Der Weg des Faulen iſt dors
nig.1) Ja , fie gehen lieber in eine Schlinge , als
daß ſie dieſen Hügel hinaufſteigen und den übrigen
Weg zur himmliſchen Stadt wandeln.
Sie gingen nun vorwärts und begannen den
Hügel zu erſteigen , aber ehc fte noch oben waren,
fing Chriſtin an zu feuchen und ſprach : ich fann
ſagen , das iſt ein Hügel', wo Einem 'der Athem
ausgeht; kein Wunder, wenn die , welche ihre Bes
quemlichkeit mehr lieben , als das Heil ihrer See
len , fich einen bequemern Weg ausſuchen . Darauf
ſprach Barmherzig : Ich muß mich hinſeßen
auch fing das kleinſte von den Kindern an zu
ſchreien. Kommt, kommt! fagte Muthherz, feßet
euch hier nicht hin ; denn etwas weiter oben finden
wir die Laube des Fürſten. Hierauf faßte er den
kleinen Knaben bei der Hand und führte ihn mit
ftch hinan.
Als ſte zu der Laube gelangt waren , da war
eß ihnen Aden ſehr angenehm , daß fie fich hinſeßen
konnten, denn die Hiße hatte ſie ganz erſchöpft.
Nun ſprach Barmherzig : Wie .ift den Müb
ſeligen die Ruhe ro erquidens , ) und wie
gütig iſt der Fürſt gegen die Pilger, daß er ihnen
folche Ruhepläße bereitet hat! D , von dieſer Laube
habe ich viel gehört, aber ich habe ſie früher nie
geſehen . Laſſet uns aber hier uns hüten vor dem
& infchlafen, benn das iſt, wie ich vernommen , dem
armen Chriſt theuer zu ſtehen gekommen . *)
Darauf ſagte Muthherz zu den Kleinen : Wie

') Sprüdw , 15 , 19. – 8 ) Matth. 11, 28. - * ) SHI. II. S. 426


57

geht es euch , liebe Knaben ? Was meint ihr nun


davon , daß ihr euch auf die Pilgerreiſe begeben
!
habt ?' Herr, antwortete der Jüngſte, ich war beis
nahe hinter Athem , aber ich danke euch, daß ihr
mir in meiner Noth die Hand gegeben habt. Und
nun erinnere ich mich , was mir meine Mutter ges
ſagt hat, nämlich, daß der Weg zum Himmel ſo ſteil
wie eine Leiter ſei und der Weg zur Hölle berge
unter gehe. Ich will aber lieber die Leiter hinauf
zum Leben , als bergab zum Tode gehen.
Da ſagte Barmherzig: aber das Sprüchwort
ſagt: Es ift leicht bergunter gehen. Indeſſen fagte
gafob – To hieß nämlich der Knabe — "der Tag
wird kommen , wie ich glaube , wo bergunter das
Schwerſte unter Adem ſein wird. ) Du biſt ein
guter Snabe , ſagte der Führer , du haft ihr eine
richtige Antwort gegeben . Da lächelte Barmhers
zig , der ſinabe aber erröthete.
Rommt, ſprach Chriſtin, wollt ihr einen Bif
ſen nehmen, um euch ein wenig zu erfriſchen, wähs
rend ihr hier ausruhet ? Ich habe hier ein Stück
Granatapfel, welches mir der Ausleger in die Hand
gab, wie ich aus der Pforte trat ; er gab mir auch
ein Stück von einer Honigſcheibeund einen kleinen
Labetrunk in dieſer Flaſche.
Ich dachte wohl, daß er dir Etwas gäbe, ſagte
Barmherzig , weil er dich bei Seite rief.
Ja, das that er, ſagte die Andere. Allein, wie
ich dir gleich anfangs geſagt habe , ſo ſoll es auch
ſein: du ſollſt alles Gute , was ich habe, mit mir
theilen , weil du ſo bereitwillig meine Gefährtin
worden biſt. Und ſo gab fte ihnen denn und ſte
aßen , ſowohl Barmherzig wie auch die Knaben.
Nun, ſprach Chriſtin zu Muthherz, wollt ihr
nicht gemeinſchaftliche Sache mit uns machen ? Ér
*
5

1 ) Offb. 3ob. 6 , 15. ff.


58

aber antwortete: ihr geht auf Reiſe, und ich werde


fogleich zurüdfehren. Möge es euch wohl bekoms
men ! Ich genieße täglich davon .

Fünftes Capitel.
Der Pilgrime Angſt und Erquickung.
A18 fie nun gegeſſen und getrunken und noch
ein wenig geplaudert hatten , ſagte ihr Führer zu
ihnen : Der Tag geht dahin ; wenn ihr's gut vor
habt, dann wollen wir uns zur Weiterreiſe anſchiden.
Und ſo ſtanden ſie denn auf, und die kleinen
Knaben gingen vor ihnen her. Chriſtin vergaß
jedoch ihre flaſche mitzunehmen ; darum ſchidtefte
ihren kleinen Knaben zurüc , daß er ſie wieder ho.
len möchte.
Nun ſagte Barmherzig : ich glaube , dies iſt
ein Ort , wo man leicht Etwas verliert : Chriſt
verlor hier fein Zeugniß * ) und Chriſtin hat hier
ihre Flaſche dahinten gelaſſen. Was mag doch die
Urſache davon ſein, mein Herr ?
Der Führer gab zur Antwort : Die Urſache das
von iſt entweder Schlaf oder Vergeßlichkeit. Einige
ſchlafen , ſtatt daß ſie wachen ſollten , und Andere
vergeſſen das, weſſen ſie ſich erinnern ſollten . Das
iſt die wahre Urſache, um derentwillen manche Pils
ger an den Ruhepläßen Dies oder Jenes verlieren .
Pilger fouten wachſam ſein und ſich unter ihren
größten Erquidungen daran erinnern , was ſie bes
reits empfangen habent. Weil ſie das aber nicht
thun , verwandeln ſich ihre Freuben oft in Thränen
und ihr Sonnenſchein in Wolfen .. Denket nur an
die Geſchichte, die Chriſt hier erlebt hat.

* ) 46. I. 6. 43.
59

Als ſie an die Stelle gekommen , wo Miß


trauen und Furchtſam Chriſt begegnet waren
und ihn hatten überreden wollen , aus Furcht vor
den lówen wieder umzukehren, bemerkten fie Etwas
wie ein Gerüſt und vorne daran , nach der Straße
zu, eine breite Platte, worauf Verſeſtanden, welche
angaben , weſhalb dieſes Gerüſt hier aufgerichtet
worden. Die Verſe lauteten alſo :
Iht, die ihr dies Gerüfte ſeh't,
Nebmt Herz und Zung' in Acht,
Daß nicht wie Andern Euch's ergeht
Zu Scanden hier gemacht!
Unter den Verſen ſtanden die Worte : ,, Dieſes
Gerüft ward errichtet, um Diejenigen darauf zu
ſtrafen , welche aus Furchtſamkeit oder Mißtrauen
fich abhalten ließen , ihre Pilgerfahrt fortzuſeßen ."
Auch wurde hier Mißtrauen und Furchtſam
mit einem glühenden Eiſen die Zunge verbrannt,
weil ſie ſich Mühe gegeben, Chriſt an ſeiner Reiſe
zu verhindern .
Da ſagte Barmherzig: hiezu paßt die Stelle
des Pſalmiſten : Wa's fann dir die falſche
Zunge thun , und was kann ſie ausrichten ?
Sie iſt wie Tcharfe Pfeile eines Starfen ,
wie Feuer in Wachholdern. )
So gingen ſie nun weiter, bis ihnen die los
wen zu Geſichte famen. Muthherz war aber ein
ftarfer Mann , der ſich vor feinem Löwen fürchtete.
418 fie indeſſen an den Ort famen , wo die Löwen
waren , freuten ſich die Snaben , die erſt voranges
gangen , daß ſie ſich ihm von hinten anſchmiegen
konnten , denn fie fürdyteten ſich vor den Löwen.
Hierüber lächelte ihr Führer und ſagte : Wie
fommt es, ihr. Knaben , wenn keine Gefahr da iſt,
dann geht ihr gerne vorauf , aber fobalt fich die
Löwen zeigen , wollt ihr hinterdrein gehen ?
“ ) Pf. 120, 3. 4.
60

Jeßt zog Muth herz ſein Schwert, in der Ab


ſicht, den Pilgern , troß dem Löwen , ben Weg zu
bahnen. Da trat Einer hervor , der es dem Ans
ſchein nach unternommen hatte , die Löwen zu uns
terſtüßen. Er ſprach zu dem Führer der Pilger:
Aus was für einer Urſache fommt ihr hierher ?
Der Name dieſes Mannes war Grimm oder
Blutdurſt, weil er die Pilger erſchlug; er war
aber aus dem Geſchlechte der Rieſen .
Mutherz antwortete :: Dieſe Weiber und
Kinder ſind auf der Pilgrimſchaft , und dies iſt der
Weg, welchen fte gehen müſſen, und gehen wers
den ſie ihn auch, dir und den Löwen zum Trope.
Grimm . Dies iſt ihr Weg nicht, und ſie ſols
len ihn auch nicht gehen . Ich bin gekommen , um
mich ihnen zu widerſeßen , und zu dem Ende will
id auch den Löwen helfen . ')
Nun war wirklich, wegen der Wuth der Löwen
und der grimmigen Haltung ihres Helfers, dieſer
Weg ſeit Kurzem ſehr ſelten betreten worden ,1 und
faſtmit Gras überwachſen . 2)
Hieraufſprach Chriſtin : Dbgleich die Wege
vergangen ſind, und die da auf Pfaden
1

gehen ſollten , durch frumme Wege wans


õelten , ſo ſoll's doch ießt nicht alſoſein ,
da ich auffam eine Mutter in Iſrael ! 8)
Da ichwor Blutburſt bei den Löwen , es
follte doch ſo ſein - und hieß ſie darum auf Seite
-

gehen, denn ſie ſollten hier nicht durchkommen.


Allein ihr Führer Muth herz machte den erſten
Angriff auf Grimm , und hieb fo heftig mit ſeis
nem Schwerte auf ihn ein , daß er ihn zum Nůd
zuge nöthigte. 4)
Da ſagte Grimm , der die Löwen zu vertheis

1) 2 Theff. 2 , 3. Offb. 13, 11. ff. Apoftlgeſch. 13, 10.


3
Zach . 10 , 11. 12. — ) Richt. 5. 6. 7.
-
1
61

digen ſuchte : wollt ihr mich auf meinem eigenen


Grund und Boden erſchlagen ?
Muthh . Hier find wir auf der Heerſtraße
des Königs, und auf dieſer haſt du deine Löwen
aufgeſtellt ; es follen jedoch dieſe Weiber und Rins
der , wie ſchwach fte auch find, über dieſen Weg
ziehen, troß deinen Löwen ; und hiemit verſeßte er
ihm einen ſo gewaltigen Hieb, daß er auf die Senice
fanf. Mit dieſem Hieb zerbrach er ihm zugleich
ſeinen Helm , und mit dem darauf folgenden dlug
er ihm einen Arm ab. Da fing der Riefe an ſo
fürchterlich zu brüllen, daß die Weiber erſchraden,
aber dennoch freuten ſie ſich , daß ſie ihn auf dem
Boden ausgeſtredt liegen ſahen . Nun lagen die
Löwen aber an Stetten , und konnten deßwegen von
felbſt auch Nichts thun. 2) ' Als daher der alte
Grimm , der den Löwen helfen wollte, tobt war,
ſprach Muthherz zu den Pilgern : Nun kommt
und folget mir , es fou euch von den Löwen tein
Schaden zugefügt werden . Únd ſo gingen ſte dann
weiter, aber die Frauen zitterten, als ſie an ihnen
vorbeigingen, und auch die Knaben jahen aus , als
wenn ſie hätten ſterben follen ; doch kamen fie alle
vorüber , ohne irgend Schaden zu nehmen .
Als ſte nun hierauf der Wohnung des Pfört
ners anſichtig wurden, kamen ſie auch bald bei dems
felben an . Sie beeilten fich aber um fo mehr, dort
anzulangen, weil es gefährlich ift, hier in der Nacht
zu reiſen. Da ſie an der Pforte angekommen was
ren, klopfte der Führer an , uno der Pförtner
1

rief: Wer iſt da ? Sobald aber der Führer ants


wortete: ich bin es ! erkannte er ſeine Stimme und
fam herunter – denn der Führer war früher ſchon
öfter als Begleiter der Pilger dort geweſen . Als
der Pförtner nun aufmachte und er den Führer

-
1) 2 Theff. 2, 8. — 2) Jud. 6.
62

fah (die Frauen ſah er nicht, denn ſte ſtanden hins


ter ihm ), ſprach er : Nun , Muthherg, was wilft
du ſo ſpät in der Nacht hier ? Ich habe einige Pils
grime hierhin gebracht, fagte er , die nach meines
Herrn Befehl hier übernachten ſollen; ich wäre früs
her hier geweſen, wenn ſich der Kieſe mir nicht
widerſeßt hätte, der die Löwen zu unterſtüßen pflegt;
aber nach einem langen und mühſeligen Kampfe
habe ich ihn erſchlagen und die Pilger wohlbehal
ten hierher gebracht .)
Pförtner. Wiuft du nicht hereinkommen und
bis zum Morgen bleiben ?
Muth herz. Nein , ich will noch dieſe Nacht
zu meinem Herrn zurüctehren.
Chriftin. D, mein Herr, ich weiß mich nicht
darein zu fügen, daß ihr uns auf unſrer Pilgrim
fchaft verlaſſen wollt ; ihr ſeid ſo treu und liebreich
gegen uns geweſen ; ihr habt fo tapfer für uns ges
fochten und ihr habt uns fo treuen Rath ertheilt,
daß ich eure Güte gegen uns nie vergeſſen werde.
Da ſagte Barmherzig: 0, daß wir dein Ges
leit haben möchten bis zum Ende unſrer Reiſe !
Wie können ſo arme Weiber, wie wir ſind, es aus
halten auf einem Wege, der ſo voller Mühſeligkeis
1

ten , wie dieſer iſt, wenn wir keinen Freund und


Befchüßer haben ?
Da ſprach Jakob , der jüngſte von den Rina
ben : Bitte, lieber Herr, laßt euch bewegen , mit uns
zu gehen und uns zu helfen, weil wir ſo ſchwach
find und der Weg ſo gefährlich iſt.
Muth herz. Ich ſtehe in meines Herrn Diens
ften . Wenn er e8 geſtattet , daß ich euch auf der
ganzen Reiſebegleite, ſo will ich gerne eurer wars
ten . Allein hierin habt ihr's zuerſt verfehlt; denn
als er mich hieß, euch bis hierhin zu begleiten , da

) Dan. 10, 13 .
63

håttet ihr ſogleich bitten ſollen , daß ich auf der


ganzen Reiſe bei euch bleiben möchte, und ſo würde
er'8 euch gewährt haben. Nun aber muß ich wegs
gehen. Und daher , liebe Chriftin , liebe Barm
Berzig und meine theuren Kinder, lebet wohl!
Der Pförtner º achſam fragte darauf Chris
ftin nach ihrem Heimathlande und nach ihrer Vers
wandtſchaft. Sie aber ſprach: Ich kommé aus der
Stadt Verderben . Ich bin eine Wittwe , denn
mein Mann iſt todt ; ſein Name war Chrift, der
Pilger . Wie, ſagte der Pförtner , war er dein
Mann ? Ja, ſagte ſte, und dies hier ſind ſeine Kins
der , hier dieſe aber , indem ſie auf Barmherzig
hinzeigte , iſt eine von meinen Bekanntinnen aus
derfelben Stadt. Da zog der Pförtner an der
Glođe, wie er in folden Fällen zu thun pflegt, und
nun fam eine Jungfrau an die Thüre,1 mit Namen
Demuth. Ihr ſagte der Pförtner: geh hinein,
und melde, daß Chriſtin , Chriſt's Frau und ihre
Kinder auf der Pilgerfahrt hierher gekommen ſind.
Und wie ſte geheißen' ward, that die Jungfrau.
Aber was für eine Freude warb es da drinnen , ſos
bald die Jungfrau das Wort nur aus dem Munde
hatte kommen laſſen .
So eilten ſie denn auf den Pförtner zu ,
benn Chriftin ſtand noch an der Thüre. Darauf
ſprachen einige der Angeſehenften zu ihr : Komm
Herein , Chriſtin , komm herein , du Weib des gus
ten Mannes ! komm herein, bu Gebenedeite, komm
herein mit Allen, welche du bei dir haft!
Und ſo trat fte denn hinein und ihre Kinder
und Gefährtin folgten ihr. Nun wurden ſie in ein
ſehr großes Zimmer geführt, wo man fte bat fich
niederzulaffen. Darauf rief man die Vornehmſten
des Hauſes, daß fte die Gäſte fehen und willkoms
men heißen möchten. Als ſie nun fanien und ers
fuhren , wer dieGäſte feien , begrüßten fte dieſelben
mit einem Ruffe und ſagten : Willkommen, ihr Ges
64

fäße der göttlichen Gnade! feid uns willkommen ,


ihr Freunde !
Da es aber ſchon eiwas ſpåt und die Pilger
müde waren von ihrer Reiſe , fie ſich auch überdem
noch vom Anblide des Rampfes und den furchtbas
ren Löwen ſehr angegriffen fühlten : fo wünſchten
fie fo bald wie möglich ſich zur Ruhe zu begeben .
Aber , ſagten Einige von den Hausgenoſſen ,
1

erquidet euch doch vorher mit einem Biſſen Speiſe,


denn ſie hatten ein Lamm für fte zubereitet , mit
dem gewöhnlichen Zubehör: ') Der Pförtner hatte
nämlich ſchon vorher gehört, daß fie' fommen wür
den und es denen da drinnen mitgetheilt. Nach
dem ſie nun ihr Abendbrot verzehrt und ihr Gebet
mit einem Loblied geendet hatten , verlangten ſte
abermals zur Ruhe. Aber , wenn wir ſo frei ſein
dürfen zu wählen , ſagte Chriftin , ſo laßt uns
doch in dem nämlichen Zimmer ſchlafen , worin mein
Mann ſchlief, als er hier war. Und ſo führte man
fte denn dorthinauf, und Alle ſchliefen in dem Einen
Zimmer. Als ſie zur Ruhe waren, fingen Chris
ftin und Barmherzig ein Geſpräch an über die
Erfahrungen, dieſie heute gemacht hatten.
Chriftin. Wenig dachte ich daran , als fich
einſt mein Mann auf die Pilgerſchaft begab, daß
1

ich ihm nachfolgen würde.


Barmh. Und wohl noch weniger , daß du in
demſelben Bette liegen und in dem nämlichen Zim
mer ausruhen würdeſt, wie es ießt der Fall iſt.
Chriftin. Aber am allerwenigſten dachte ich
daran , daß ich jemals ſein Angeſicht mit Freuden
ſehen und mit ihm zugleich anbeten würde den
Herrn, feinen König ; allein nun glaube ich, daß es
geſchehen werde.
Barmh. Horch ! Vernimmſt du denn kein Ges
räuſch ?
. ) 2 Mof. 12, 5. ff. Joh. 1, 29 .
65

Chriftin.. Allerdings, es ſind, glaube ich, die


Töne einer Muſik, aus Freude darüber , daß wir
1

hier find.
Barmh. D , wundervoll! Muſik im Hauſe,
Muſik im Herzenund auch Muſik im Himmel vor
Freude, daß wir hier find. Hierauf redeten ſie noch
ein Weilchen mit einander und ſchliefen dann ein.
Ale fie am andern Morgen erwachten , ſprach
Chriſtin zu Barmherzig: warum lachteſt du
dieſe Nacht ſo im Schlafe ? Ich glaube, du träumteft.
Barmh . Ja, und ich hatte einen ſüßen Traum .
Biſt du denn gewiß, daß ich lachte ?
Chriftin. Allerdings , und du lachteft ganz
herzlich ; toch , ſei fo gut, und erzähle mir deinen
1
Draum .
Barmh.. Mir_träumte, ich fäße ganz allein
an einem einſamen Drte und beweinte meines Her.
zens Härtigkeit. Nun hatte ich nicht lange da ges
feffen , da kamen , wie mich dünfte, Viele um
mich herum , um mich zu ſehen und zu hören , was
ich ſagte. Sie horchten ; ich aber fuhr fort zu be
weinen meines Herzens Härtigkeit. Darüber fingen
Einige von ihnen an zu lachen , Andere nannten
mich eineThörin und noch Andere fingen an , mich
hin und her zu ſtoßen. Ueber dem bünfte mich, ich
blidte in die Höhe und fähe Einen mit Flügeln das
hereilen. Er tam gerade auf mich zu und ſprach :
Barmherzig, was fehlet dir ? Als er nun meine
Klage vernommen , ſprach er : Friede ſei mit dir !
auch trodnete er mir mit ſeinem Iuche die Augen
und kleidete mich in Silber und Gold. Er legte
eine Rette um meinen Hals, that Ringe in meine
Dhren und feßte eine ſchöne Rrone auf mein Haupt. ?)
Darnach nahm er mich bei der Hand und ſagte :
Barmherzig , folge mir ! Da ging er hinauf und

1 ) Sef. 16 , 10. ff.


66

ich folgte ihm, bis wir an ein goldenes Thor kamen .


Hier klopfte er , und als die drinnen aufgemacht,
ging der Mann hinein und ich faß folgte ihm hinauf
zu einem Throne, 'worauf Einer' ; derſelbe ſprach
zu mir : Willkommen , meine Tochter !' Der Drt
glänzte und glißerte gleichwie die Sterne oder mehr
noch wie die Sonne, und ich glaubte, deinen Mann
auch dort zu ſehen ; da erwachte ich aus meinem
Traume. Aber habe ich denn gelacht ?
Chriftin . Ei ja, gelacht und das fonnteft
du auch wohl, da du dich ſo gut aufgehoben ſaheft.
Erlaube mir zu bemerken : ich glaube, es war ein
göttlicher Traum, und ſo wie du den erſten Theil
wahr gefunden, ſo wirft bu zuleßt auch den zweiten
wahr finden . Im Traum des Geſichts in der
Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt,
wenn ſie ſchlafen auf dem Bette , da öffnet
Er das Ohr der Leute. ') Es iſt nöthig , daß
wir wachen , wenn Gott mit uns reben wiứ ; Er
.

fann uns auch beſuchen , wenn wir ſchlafen , und


machen, daß wir ſeine Stimme hören . Zuweilen
1

wacht unſer Herz, auch wenn wir ſchlafen , und


Gott kann zu demſelben reden , ſei es nun durch
Worte oder Sprüche , durch Zeichen oder Bilder,
eben ſo gut , als wenn wir in wachem Zuſtande
wären.
Barmh. Wohlan , ich freue mich meines Erau
mes , denn ich hoffe, ihn binnen Kurzem erfüllt zu
.

fehen, daß ich abermals und noch beſſer lachen kann.


Chriſtin. Ich meine, es wäre nun wohl Zeit
aufzuſtehen , um zu vernehmen , was wir weiter zu
thun haben .
Barmh. Bitte , wenn ſie uns einladen , eine
Zeitlang hier zu verweilen , dann laß uns ihr Ans
erbieten doch mit Freuden annehmen . Ich möchte
um fo lieber hier eine Weile bleiben , um mit dies

1) Hiob 33, 15. 16.


67

ſen Jungfrauen beſſer bekannt zu werden. Mich


dünft, Klugheit, Gottesfurdt und liebe bas
ben jede ein lieblides und ehrſames Ausſehen.
Chriſt. Wir wollen fehen , was ſie thun werben
Als ſie nun aufgeſtanden und fertig waren ,
gingen ſie hinunter. Hier erkundigte man ſich, wie
fte geſchlafen und ob fte auch Alles recht behaglich
gefunden hatten.
Vortrefflich, jagte Barmherzig; es war eins
der beſten Nachtlager, die ich in meinem Leben ges
habt habe .
Darauf erwiederte flugheit und Gottes ,
furcht: wenn ihr euch wollt þewegen laſſen , eine
Zeitlang bei uns zu bleiben , wollen wir euch bies
ten , was das Haus vermag.
Ja, und das von ganzem Herzen, fügte liebe
hinzu. Sie nahmen das Anerbieten an und ver
weilten bort einen Monat oder noch darüber , und
war Eins dem Andern zur großen Erbauung.
Weil Klugheit nun auch zu erfahren wünſchte,
wie Chriſtin ihre Kinder erzogen hätte , bat fte
um Erlaubniß, ihnen einige Fragen aufzuſtellen.
Chriſtin gab dies gerne zu. Darauf fing Rlug
heit dann beim Jüngſten an, Jakob war ſein Name.
Romm , Jakob, ſagte Klugheit , kannſt du
mir ſagen , wer dich erſchaffen hat ?
Jakob. Gott : der Vater, der Sohn und der
heilige Geift.
Slugh. Richtig, mein Knabe. Rannſt du mir
dann auch ſagen, wer did ſelig macht?
gafób. Gott: der Vater, der Sohn und der
heilige Geift.
Klugh. Auch richtig. Aber wie macht Gott,
der Vater sich ſelig ?
Jafob. Durch ſeine Gnade in Chrifto.
Klugh . Wie macht Gott , der Sohn dich ſelig ?
Jakob. Durch ſeine Gerechtigkeit, ſein Leben,
Leiden, Sterben und Auferſtehen.
68

Klugh. Wie macht sich denn Gott , der heis


lige Geift felig ?
Jakob. Durch ſeine Erleuchtung, Erneuerung
und Bewahrung .
Darauf ſagte flugheit zu Chriftin : Du
verdienſt alles Lob , daß du deine Kinder ſo aufers
zieheft. Ich glaube, daß ich dieſe Fragen an die
Anbern nicht zu richten brauche, da der Jüngſte von
ihnen ſie ſchon ſo gut zu beantworten weiß. Ich
will mich deßhalb an den Nächſtjüngſten weiter ·
wenden .
Romm, Joſeph (ſo hieß er), ſoll ich dich nun
auch fragen ?
Jofeph. Ja, es iſt mir ſehr lieb.
Klugh. Was iſt der Menſch ?
301. Eine vernünftige Kreatur, bie Gott ges
ſchaffen hat zu ſeinem Bilde.
Rlugh. Was verſtehet man unter dem Wort
felig gemacht? "
,
301. Der Menſch, welcher ſich durch die Sünde
.

in Gefangenſchaft und Elend gebracht, iſt daraus


erlöſet worden .
Rlugh. Was will es ſagen , daß er felig ges
macht worden durch den dreieinigen Gott ?
goſ. Daß die Sünde ein ſo mächtiger Tyrann
iſt, daß Niemand uns aus ihren flauen erretten
.

fann, denn Gott allein , und daß Gott fo vol Güte


und Liebe gegen den fündigen Menſchen iſt, daß Er
ihn auch wirklich aus dieſem elenden Zuſtande errettet.
Alugh . Was hat Gott für eine Abſicht das
bei , daß er den verlorenen Menſchen felig macht ?
301. Daß Er dadurch verherrliche Seinen Nas
men , Seine Onade und Seiné Gerechtigkeit , und
daß Er Seiner Kreaturſchenke die ewige Seligkeit.
Klugh. Welche ſind es aber , die da felig
werden ?
3of. Die, welche feine Erlöſung in wahrem
Glauben annehmen .
69

Klugh. Lieber Jofeph , deine Mutter hat dir


eine gute Únterweiſung gegeben , und du haſt auch
1

wohl aufgemerft auf Das , was ſie dir geſagt hat.


Darnach ſprach Klugheit zu Samuel, wels
cher der zweitälteſte war, ſoll ich dich auch fragen ?
Sam. Ja, freilich ,wenn du fo gut ſein wiuft.
Klugh . Was iſt der Himmel ?
Sam . Der Ort und Zuſtand der höchſten Ses
ligkeit, weil Gott darin wohnet.
Klugh . Was iſt die Hölle ?
Sam . Der Drt und Zuſtand der größten
Qual, weil es die Wohnung der Sünde, des Teus
fels und des Todes ift.
Klugh . Warum möchteſt du in den Himmel
kommen ?
Sam. Auf daß ich Gott ſchauen und Ihm
dienen möge ohne Unterlaß ; daß ich Chriſtum ſchauen
und Ihn lieben möge ewiglich, und daß ich in mir
haben möge die Füde des Heiligen Geiſtes, wie ich
fie hier gar nicht genießen kann.
Klugh. Auch ein prächtiger Knabe, der ebens
falls gut gelernt hat.
Nun wandte ſie ſich zu dem ålteſten , Mat
thåus : Soll ich dich jeßt auch fragen, Matthäus ?
Matth. Ja, es wird mir eine rechte Freude fein .
Klugh. Sag' mir einmal : Hat es jemals
irgend & twas gegeben, was eher da geweſen als
Gott oder was vor ihm geweſen ?
Matth. Nein , denn Gott iſt ewig ; vor Ihm
war Nichte , und außer ihm war Nichts , bis Er
ſpracy: és werde ! Denn in ſechs Tagen hat
Der Herr Himmel und Erde erſchaffen und
das Meer und Alles , was darinnen ift.
Klugh. Was hältſt du von der Bibel ?
Matth. Daß fie Gottes heiliges Wort ift.
Klugh . Sit barinnen Nichts geſchrieben, was
du nicht verſteheſt ?
Matth. Ja, ſehr viel.
8
70

Selugh. Was thuft du , wenn du Stellen darin


findeſt, die du nicht verſteheſt ?
Matth . Dann denke ich, Gott ijt weiſer, als
ich bin. Auch bitte ich ihn , er möge mich Ades
1

darin verſtehen laſſen , wovon Er weiß , daß es zu


meinem Heile dient.
Selugh. Was glaubeft du von der Auferſte
hung derTodten ?
Matth. Ich glaube , fie werden auferſtehen ,
wie ſie begraben worden ſind: in derſelben Natur,
jedoch unverweslich. Und ich glaube dies aus einem
doppelten Grunde: einmal , weil Gott es verheißen
hat, zum andern, weil Er's auch thun faun .
Darauf fagte flugheit zu den Senaben : Hö
ret auch ferner auf eure Mutter, denn ſie kann euch
in der chriſtlichen Erkenntniß noch weiter bringen.
Auch muffet ihr fleißig aufmerken , wenn ihr von
Andern etwas Gutes Fören könnt, denn zu eurem
Heile reden ſie von guten Dingen. Ebenſo achtet
mit Sorgfalt auf das, was Himmel und Erde euch
lehren ; vornämlich aber erwäget mit Fleiß, was in
dem Buche ſteht, welches die Urſache ward, daß
euer Vater ſich auf die Pilgerſchaft begab. Ich, an
meinem Theile, will euch , liebe Kinder,ſo lange ihr
hier feid , unterweiſen , ſo viel ich kann, und ich
werde mich freuen , wenn ihr Fragen an mich richs
tet, welche zu gottſeliger Erbauung dienen.
Als nun die Pilger etwa eine Woche lang an
dieſem Drte geweſen waren , wurde Barmherzig
von Einem beſucht, der Neigung, zu ihr zu haben
vorgab. Es hieß derſelbe Thätig und war von
einiger Bildung, aud wollte er für einen Mann
gelten, der fromm wäre , allein er hing der Welt
und iören Gütern ſehr an . So beſuchte er denn
Barmherzig eins, zwei- und mehrmal und ers
klarte ihr ſeine Liebe.
Nun war Barmherzig wirklich ſchön von
Angeſicht und deßwegen um ſo anziehender für ihn.
71

Dabei lag es in ihrem Sinne , ſtets geſchäftig zu


ſein , und wenn fte Nichts zu thun hatte für fich
ſelber, verfertigte ſie Strümpfe und Kleider für Ån
bere und ſchenkte ſie denen , welche Mangel daran
hatten. Dá aber Herr Thätig nicht wußte, wo
óber wie ſie ihre Aibeiten verwandte, ſchien er ſehr
davon eingenommen, daß er ſie niemals müßig fanb.
Deß bin ich gewiß, ſagte er zu ſich ſelbſt, ſie wird
eine gute Hausfrau für mich fein.
Barmherzig offenbarte die Sache den Jung
frauen des Hauſes und erkundigte ſich bei ihnen
nach dem Hrn . Thätig , denn dieſe fannten ihn
beſſer , als ſie ſelber. Die Jungfrauen ſagten ihr
nun , daß er ein fleißiger junger Mann wäre und
gerne fromm ſcheinen wolle , fie aber befürchten müß
ten, daß ihm die Kraft eines gottſeligen Lebens fremd
ſei ' Nein , wenn es ſo iſt, fagte Barmherzig ,
fel.
dann wil ich ihn nicht mehr anſehen , denn ich
habe mir feſt vorgenommen, dem Heil meiner Seele
kein Hinderniß in den Weg zu legen .
flugheit bemerkte darauf: Du brauchſt dir
keine große Mühe zu geben , um ihn muthlos zu
machen ; denn, wenn du nur ſo wie bisher fortfährt,
für die Armen zu arbeiten , wird ſein Eifer ſchon
1
bald erkalten.
Als er das nächſte Mal fam , traf er ſie bei
ihrer gewöhnlichen Arbeit für die Armen . Wie,
ſagte er, immer am Arbeiten ? Ja , antwortete fie,
1

entweder für mich oder für Anbere. Wie viel fannſt


du denn täglich wohl verdienen ? fragte er . Id
thue das nur, fagte ſie, um reich zu werden an
guten Werken, Sch åße zu ſammeln , mir
felbft einen Grund zu legen auf's 3 u fünfs
tige
Leben
, daß ich ergreifen möge das ewige
.)

1) 1 Tim. 6, 18. 19.


©*
72

Warum ?! fragte er. Was machſt du mit deis


nen Arbeiten ? Die Nadenden kleiden , erwiederte
fie. Als er das hörte , wurde ſein Benehmen gang
anders. Er kam nicht wieder zu ihr; und als man
ſich daher nach der Urſache bei ihm erkundigte, ſagte
er, Barmherzig wäre zwar ein hübſches Mädchen,
werde aber von verkehrten Anſichten geplagt.
Nachdem er ſie aufgegeben hatte, ſprach Klug
heit : Habe idy's dir nicht zum Voraus geſagt,
Hr. Thätig würde bald von dir ablaſſen ? Ja, er
wird dich noch in einen üblen Ruf bringen , denn
ungeachtet ſeines Anſprudys ein frommer Mann zu
ſein und bei ſeiner anſcheinenden Liebe zu Barm :
herzig , ſind dieſe und er doch ſo verſchiedenen
.

Sinnes , daß beide , wie ich glaube , nie mit einans


.

der übereinfommen würden .


Barmh. Ich hätte ſchon früher mehrmals ,
einen Mann bekommen können , obgleich ich Nie
mandem je Etwas davon geſagt habe; allein Rei
nem wollten meine Grundlage zuſagen , und dennoch
fanden ſie Alle an meiner Perſon nichts auszuſeßen ;
und ſo paßten wir denn nicht zuſammen .
Klugh. In unſern Tagen hält man von
Barmherzigkeit nichts, als nur dem bloßen Nas
men nach ; fie aber wirklich zu üben , wie du es
grundſäßlich thuſt, damit befaſſen ſich nur Wenige.
Barmh. Wohlan, ſagte Barmherzig, wenn
mich Niemand haben will , ſo wil id als Jung
frau ſterben oder : meine Eigenſchaften als mein
ehelich Gemahl achten . Denn meine Natur ändern ,
wie eß von dem Einen und Andern verlangt wird
- das fann ich nicht, und einen zu haben , der
mir dabei ein Sireuz auflegte, bin ich feft entſchloſ
fen nicht zu dulden , ſo lange ich lebe.' 3d batte
eine Schweſter , Namens Wohlthätig , die an
Einen dieſer habſüchtigen Menſchen verheirathet war ;
allein ſte konnten ſich niemals vertragen. Da ſich
hun meine Schweſter nicht von ihrer Handlungs
73

weiſe wollte abbringen laſſen, nämlich ſich wohltha.


tig gegen die Armen zu zeigen, ſo bradite ihr Mann
ſte zuerſt in üblen Ruf und ſtieß ſie dann zum
Haufe hinaus .
Klugh. Und gab er ſich nicht dennoch für
einen Bekenner des Evangeliums aus ?
Barmh. Ja, er war Einer nach ſeinem Sinne,
wie die Welt jest voll von dergleichen Bekennern
iſt; aber ich paſſe zu Reinen von ihnen Alen.
Inzwiſchen wurde Matthåus , Chriſtin's
åltefter Sohn frank und mußte viel leiden: er hatte
nämlich heftige Schmerzen in feinen Eingeweiden.
&& wohnte aber nicht weit von dort ein alter und
bewährter Arzt , Namens Gedict. Weil Chri
ſtin es nun wünſchte, ließen ſte ihn holen. Als er
in's Zimmer getreten und den Sinaben ein wenig
beobachtet hatte , erkannte er , daß derſelbe an Leibs
1

ſchmerzen leide. Darauf fragte er die Mutter : Was


hat Matthä us vor Kurzem genoſſen
Genoffen ? nichts als was geſund iſt.
Der Arzt aber ſpracy: Der Knabe hat Etwas
genommen , was unverdaut in ſeinem Magen liegt,
und was ohne den Gebrauch von Arzneimitteln
nicht wegzubringen iſt. Ich ſage euch: er muß ab
führen oder ſterben.
Da ſprach Samuel: Was war das boch,
+
Mutter , was mein Bruder abpflüdte und aß , fos
gleich als wir von der Pforte famen , die am Ein
gange dieſes Weges liegt ? Du erinnerft dich , da
war links ein Dbſtgarten , jenſeit der Mauer , und
von den Bäumen hingen einige über die Mauer
hinüber, von dieſen hat mein Bruder gepflügt und
gegeſſen .
"Chriftin. Du haft Recht, mein Sind, er nahm
davon und aß : ein böſer Rnabe war er da , ich
fchalt ihn zwar aus , aber dennoch wollte er nicht
davon laſſen.
Geſchiđt. Ja, ich merkte wohl, daß er etwas
74

Ungeſundes gegefjen , und dabei muß man wiſſen ,


1

bas jene Frucht, die er genoſſen ,gerade die ſchäds


lichſte von allen iſt, die es gibt. Es iſt eine Frucht
aus Beelzebubs Garten. 3ch wundere mich, daß
Keiner ihn davon abgehalten hat. Viele ſind daran
geſtorben . ")
Als Chriftin das hörte , fing fie an zu weis
nen und ſagte : 0 , du böjer Knabe, und o , ich fahr
läſſige Mutter ! Was fou'ich für meinen Sohn thun ?
Gedidt . Rommt, laffet es euch nicht zu ſehr
drücken ; der Knabe fann doch wohl wieder beſſer
werden , allein er muß brechen und abführen.
Chriftin. Bitte , lieber Herr, verſucht eure
höchſte Kunſt an ihm ; es mag foften, was es will.
Geſchidt. Nun , ich hoffe, ihr werdet mich
billig finden.
Hierauf gab er dem Knaben ein Mittel , aber
es war zu ſuwach. Es foll beſtanden haben aus
Kälber- und Bodsblut mit Waſſer und aus der
Alche von der rothen Stuh.2) Da Gefchidt fah,
daß das Mittel nicht wirkte , ſo reichte er ihm ein
frå fiigereß. Dieſes war bereitet aus dem Fleiſche
und Blute Chriſti. 3 ) Eine oder zwei Verheißungen
wurden zu dieſer Arzneihinzugethan und ebenſo
eine verhältnißmäßige Portion Salz.4) Dreimal
täglichmußte fie genommen, dabei gefaftet und reichs
liche Bußthränen vergoſſen werden.6)5 (Aerzte gésge
ben ihren Stranken oft ſeltſame Arzneien , wie ihr
wiffet). Als dieſe Miſchung bereitet und dem Senas
ben dargereicht ward , wollte er ſie nicht nehmen ,
obwohl die Schmerzen ihn quälten , als wenn ſie ihn
hätten in Stüde reißen' wollen .
Romm, komm , ſagte der Arzt , du mußt ießt
einnehmen .

1) 2 Tim. 2, 22. — 2) Ebr. 9 , 13. 19.; 10 , 1 - 4 .


3) Joh. 6 , 54 - 57. Ebr. 9 , 14. 4) Mart. 9 , 49 .
Jerem. 30, 17. - 5) Matth. 7, 21.; 26, 75. 3ac. 12, 10.
75

Es widerſteht mir, ſagte der Knabe.


Ich will es aber durchaus, daß du die Arznei
einnimmſt, ſprach die Mutter.
Ich werde fte wieder abbrechen müſſen , ſagte
der Rnabe .
Bitte, lieber Herr, ſprach Chriſtin zum Arzte,
wie ſchmeckt die Arznei benn ?
Sie hat keinen übeln Geſchmad, ſagte der Arzt,
und nunrührte ſie ſelbſt mit der Zunge daran.
D , Matthäus, rief fte aus , dieſe Miſchung
iſt ſüßer, denn Honig. Wenn du mich, deine Muts
ter , wenn du deine Brüder, wenn du Barmher
1

zig und wenn du dein Leben lieb haft , ſo nimm fte!


Und ſo nahm er fie denn endlich nach ſo viel
verwandter Mühe und nach einem kurzen Gebet,
daß der Herr es fegnen möge, und das Mittel that
vortreffliche Wirkung: es machte, daß er in einen
ſanften , erquidenden Schlaf ftet, brachte ihn in ges
Hörigen Schweiß und befreite ihn von allen Leib
ſchmerzen. Nach kurzer Zeit konnte er wieder auf
ftehen und an einem Stod aus einem Zimmer in's
andere gehen ; dabei unterhielt er fich mit flug
beit , Gottesfurcht und liebe über ſeine Srants
heit, und wie er gefund worden war.
Nach der Genefung des Knaben , fragte Chri
ftin den Arzt: Herr, was habe ich euch für die
Mühe und Sorge zu vergüten , die ihr an mich und
mein Kind gewandt habt ? Er aber ſprach : Den
Lohn dafür müfſet ihr dem Meiſter aller Aerzte ge
ben , nach den Beſtimmungen, welche Er dafür feſte
gefekt hat. )
Chriſtin. Aber, mein Herr , wozu iſt dieſes
Mittel ſonſt noch gut ?
Geſchidt.' && iſt eine Arznet, die man in
jeder Krankheit gebrauchen kann und 'namentlich ift

* ) Ebr. 13, 11-15.


76

fie vortrefflich gegen alle Uebel , die den Pilgern


auf ihrer Reiſe zuſtoßen , und wenn ſie gut zuberets
tet iſt, ſo hält fte fich auch durch die Länge der Zeit
hindurch .
Chriſtin. Bitte, lieber Herr, macht mir zwölf
Portionen davon , denn wenn ich dieſe Arznei be:
kommen kann , ſo will ich niemals wieder andere
nehmen.
Geſchiđt. Mit dieſer Arznei kann man ebenſo
wohl Krankheiten vorbeugen, als fie heilen. Ja, ich
mag behaupten, und ſtehe dafür ein , daß wenn jes
mand dieſe Arznei nur gehörig gebrauchen will, er
dadurch leben wird ewiglich . '). Aber ſie darf
nur ſo genommen werden, liebe Chriſtin , wie ich's
vorgeſchrieben habe, denn ſonſt hilft ſie nicht.
Hierauf gab er Chriſtin von dieſer Arznei,
für ſie ſelbſt , für ihre Kinder und für Barmhers
fig . ' Den Matthaus aber ermahnte er noch inds
beſondere, fich fernerhin vor den verbotenen Früch
ten zu hüten. Und nun füßte er fte und ging feta
nes Weges .
Ich erzählte bereits vorhin , daß Klugheit den
Knaben geſagt, fie möchten ihr , ſo oft fie Luft häts
į ten , heilſamliche Fragen vorlegen , und ſie würde
bereit ſein , dieſelben zu beantworten .
Und ſo fragte Matthä us , der eben frank ges
weſen , fie denn : warum die meiſten Arzneien
doch ſo bitter für den Gaumen wären ?
Klugheit. Um zu zeigen , wie unwillkommen
das Wort Gottes und ſeine Wirkungen für ein
fleiſchlichgeſinntes Herz find.
Matth. Warum bringt Arznei,wenn ſie Wirs
kung thut, Abführen und Erbrechen hervor
Klugh . Úm anzuzeigen, daß das Wort, wenn
es fräftig wirkt, Herz und Sinn reinigt. Denn

-) Joh. 6, 58 .
77

ſtehe, was das Eine dem Leibe thut , das thut das
Andere der Seele.
Matth. Was ſollen wir daraus lernen , daß
wir die Flamme des Feuers aufwärts ſteigen fes
hen, während die Strahlen der Sonne und ihre
fanften Wirkungen abwärts gehen ?
Slugh . Durch das Aufſteigen der Feuerflamme
ſollen wir lernen mit heißem Verlangen und Sehnen
nad dem Himmel tradhten ; baran aber, daß die
Sonne ihre warmen Strahlen und milden Wirkuns
gen herniederlaſſet, ſollen wir lernen , daß der Heis
land der Welt, obgleich er ſo hoch iſt, ſich dennoch
mit ſeiner Gnade und Liebe zu uns herablaßt.
Matth. Woher haben die Wolfen ihr Waſſer ?
Klugh. Aus dem Meere.
Matth. Was können wir daraus lernen ?
Klugh. Daß die Diener am Wort ihre Lehre
von Gott (nämlidy aus dem ewigen Meere der
Wahrheit und Liebe) holen ſollen .
Matth. Warum entleeren ſich die Wolken auf
bie . (Erde ?
Plugh Um ſo darauf hinzuweiſen , daß die
Diener am Worte den Menſchen auf Erben mits
theilen ſollen , was ſie von Gott wiſſen .
Matth. Warum wird der Regenbogen von
der Sonne Hervorgebracht ?
Slugh . Um damit anzubeuten, daß der götts
liche Gnadenbund uns in Chrifto verftegelt iſt.
Matth. Warum kommen die Queden aus dem
Meere durch die Erde zu uns ?
Slugh. Um damit anzuzeigen , daß die götts
liche Gnade durch den Leib Shriſti ( ſeine Menſchs
werdung, ſeinen Wandel , ſein Leiden und Sterben
und durch ſeine Verklärung und Herrlichkeit) zu
uns kommt .
Matth. Warum entſpringen einige Quellen
auf dem Gipfel hoher Berge ?
Klugh. Um anzuzeigen , daß der Geift der
78

Gnaden ebenſowohl in Einigen, die hoch und mach


tig , wie in Vielen , die arm und niedrig find, heis
porquellen wil .
Matth. Warum heftet fich die Flamme an
das Docht des Lichtes ?
Alugh. Um anzuzeigen , daß wenn die Gnade
nicht das Herz anzündet , kein wahres Licht des
Lebens in uns iſt.
Matth. Warum werden Docht , Talg und
Alles darauf verwandt, um das Licht auf dem Leuchs
ter zu erhalten ?
Klugh. Um damit anzuzeigen, daß Leib und
Seele und Alles , was wir ſind und haben , der
Gnade Gottes, die in uns iſt, zum Dienfte ſein und
wir uns ihr ganz widmen ſollen , auf daß fie bei
uns fräftig erhalten werbe.
Matth. Warum reißt fich der Pelitan die
eigene Bruſt mit ſeinem Schnabel auf ?
Klugh. Seine Jungen zu nähren mit ſeinem
Blute; woraus wir lernen ſollen , daß Chriſtus, der
Hochgelobte, die Seinen , 8. i. feine Gemeine alfo
liebet, daß Er ſie mit ſeinem Blute vom Tode ets
löſet hat.
Matth. Was ſollen wir daraus lernen, wenn
wir einen Hahn krähen hören ?
Alugh. Wir ſollen uns dadurch an Petri
Sünde und Reue erinnern lernen. Auch zeigt das
Krähen des Hahn's an , daß der Tag am Rommen
ift. ' Raß dich denn dieſes Krähen mahnen an ben
legten , ſchrecklichen Tag , an den Tag des jüngften
Gerichte
Um dieſe Zeit war ein Monat ihres hieſigen
Aufenthaltes' verfloſſen : darum gaben fie Denen im
Hauſe zu verſtehen , daß es nun in der Ordnung
ſei, aufzubrechen und weiter zu reiſen. Joſepi
fprach zu ſeiner Mutter : Vergiß doch nicht in das
Haus des Auslegers zu ſchicken und ihn bitten
zu laffen, daß er Wuthherz zu uns ſende, damit
79

dieſer uns auf dem noch übrigen Theile unſerer


Reiſe begleite.
Du biſt ein guter Sinabe, ſprach fie, ich hätte
dies beinahe vergeſſen .
So feste fie nun eine Bittſchrift auf , und bat
Wachſam , den Pförtner, daß er dieſelbe durch
einen fichern Boten an ihren lieben Freund , den
Ausleger, bejorgen mögé. Als dieſer fie geleſen,
ſagte er dem Boten : gehe hin und ſage, daß ich
ihn ſenden wolle.
Da nun die Familie , in der Chriſtin war,
ſah , daß die Pilger vorhatten , weiter zu reiſen,
wurde das ganze Haus zuſammengerufen , um ih
rem Könige dafür Dant zu ſagen , daß er ihnen ſo
werthe Gåſte zugeſchidt. Da dies geſchehen , ſpras
chen ' fie zu Chriſtin : follen wir dir nicht auch
Étwas zeigen, wie wir's den Pilgern zu thun pfles
gen , und worüber du nachdenken kannſt , wenn du
unterwegs bift ? Und ſo nahmen ſie denn Chriſtin ,
ihre Kinder und Barmherzig in ein Gemach hins
ein und zeigten ihnen einen von den Aepfeln , von
denen Eva gegeſſen , und wovon fte auch ihrem
Manne gegeben , von dem aud; er aß , weßhalb fte
beide aus dem Parabieſe vertrieben wurden . Da
ward Chriſtin gefragt: ob ſie wohl wüßte , was
das wäre ? Hierauf erwiederte fie : es iſt entweder
Speiſe oder Gift, ich weiß nicht, was von beiden.
Da eröffneten ſie ihr, was es ſei, und nun hob fte
ihre Hände in die Höhe und verwunderte fich. )
Darnach führten fie dieſelbe an einen andern
Drt und zeigten ihr die Jakobsleiter, 2) und gerade
um dieſe Zeit ftiegen Engel daran auf und nieder.
Und Chriftin ſchaute und ſchaute mit ihren Reis
fegefährten , ob fte die Engel nicht könnten ſehen
aufſteigen. Hierauf gingen ſie wieder an einen ans

1) 1 Mof. 3, 6. Röm . 7, 24. – 8 ) 1 Mof. 28 , 12.


-
80

dern Ort , um etwas Anderes zu ſehen . Jakob


aber ſprach zu ſeiner Mutter : Bitte, ' daß fie hier
doch ein wenig länger verweilen , denn dies ift gar
merkwürdig anzuſehen . Dann kehrten fte wieder
um und weideten ihre Augen an dieſem ſo lieblichen
Anblid . )
Demnächſt führten ſie ihre Gäfte an einen
Drt , wo ein goldener Anfer hing . Hier nun hies
ßen fie Chriftin denſelben herunternehmen. Du
folft ihn bei dir behalten , ſagten ſie , denn es ift
burchaus nöthig , daß du ihn halteft als einen feſten
An fer deiner Seele , der auch hinein geht
in das Jnwendige des Vorhang 8 ,?) und
damit ihr auch feſt bleibet, wenn ein Ungewitter
3 Und ſie waren froh über dies
über euch kommt. 5)
ſer Gabe.
Sodann führte man ſie auf den Berg , auf
welchem Vater Abraham ſeinen Sohn Iſaat
barbrachte , und man zeigte ihnen den Áltar, das
Holz, das Feuerund das Waſſer, denn ſie ſind noch
zu ſehen bis auf dieſen Tag." Únd als ſie es geſes
hen, hoben fie ihre Hände in die Höhe, prieſen fich
félig und ſprachen : D , welch ein Mann in der
Liebe zu feinem Herrn und in der Verläugnung
ſeiner ſelbſt war åbraham !
Nachdem ſie ihnen au' dieſe Dinge gezeigt,
führte Klugheit ſie in ein Speiſezimmer, wo ein
treffliches Saiteninſtrument ftand. Da ſpielte fte
und fang dazu ein Lied , von dem , was fte ſo eben
geſehen hatte :
So habt ihr Eva's Apfel nun geſehen,
Daß ihr vor ihm eud wahret immerfort ;
Auch habt ihr Jakobs Leiter ſehen ftehen ,
Auf der die Engel auf- und niedergeben.

Sob. 1, 14. — 2 ) Ebr. 6, 19. - 8 ) Sef. 25, 4 .


-
81

Dazu habt einen Anter thr empfangen ,


Daß ihr im Sturm fönnt ftehen feftiglich ;
Nun hegt, wie Abraham , auch das Verlangen,
Mit Opferwilligkeit am Herrn zu hangen !
In dieſem Augenblid klopfte es an . Der Pfört.
ner machte auf, und ſtehe, Muthherz war da.
Welch ' eine Freude war es aber , als er eintrat !
Da nun kam es ihnen wieder ganz klar vor die
Seele, wie er vor nicht langer Zeit den alten blut:
durſtigen Rieſen, Grimm , erſchlagen und ſte von
den Löwen errettet hatte.
Darauf ſprac Muthherz zu Chriftin und
Barmherzig: mein Herr hat jeder von euch
eine Flaſche Wein , etwås Geröſtetes und auch ein
paar Granatäpfel geſchidt, dazu den Knaben einige
Feigen und Roſinen , damit ihr euch unterwegs daran
erquiden möchtet.
Nun ſchickten fle fich zur Reiſe an, und slug
heit und Gottesfurcht gingen mit ihnen auf den
Weg. Als ſie an die Pforte kamen , fragte Chris
ftin den Pförtner , ob fürzlich Einer vorbei gekoms
men ſei.
Nein , ſagte er ; aber vor etwas längerer Zeit
hat mir jemand erzählt, daß ein großer Raub vers
übt worden auf der Heerſtraße des Könige , die ihr
ießt bereiſen werdet. Es ſind jedoch , wie er mir
ſagte, die Räuber bereits ergriffen , und binnen
Rurzem wird ein Hochgericht über ſie gehalten werden .
Da erſchrafen Chriſtin und Barmherzig ,
aber Matthäus ſprach: Mutter, fürchte dich nicht,
ſo lange Muthherz mit uns gebt und unſer Fühs
rer ift .
Darauf ſagte Chriftin zum Pförtner : Herr,
ich bin euch ſehr verbunden für alle Güte , die ihr
mir erwieſen habt, ſeit ich hierher gekommen bin,
und ebenſo für die Liebe und Güte gegen meine
Kinder. Ich weiß nicht, wie ich euch meine Dants
barkeit beweiſen ' foll: deßhalb nehmet doch dieſe
82

Kleinigkeit als ein Zeichen meiner Achtung gegen


euch an. Nun drūdte fie ihm ein Goldſtüdt in die
Hand , und er verneigte fich vor ihr und ſprach :
af Deine freiber immer weiß ſein und
Laß deinem Haupte Salbe nicht mangeln .
Barmherzig müffe leben und nicht ſterben ,
und ihrer Werfe nicht wenige fein ! Zu den
Knaben aber ſprach er :: Fliehet die lüfte der
Jugend , jaget nach der Gottſeligkeit,') und
geſellet euch zu denen , die ehrbarlich und weiſe
wandeln : ſo werdet ihr Freude bringen in das Herz
eurer Mutter und Lob davon tragen bei Aden , die
chriſtlich geſinnet find. Hierauf dankten fte dem
Pförtner und reiſten ab.

Sechstes Capitel.
Pilger im Thal der Demuth und der Todesſchatten.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß fie weiter
zogen , bis ſie auf dem Gipfel des Hügels anlangs
ten , wo Gottes furcht, fich befinnend, ausrief:
Ach, ich habe vergeffen , was ich Chriſtin und
ihren Gefährten mitgeben wollte.. Ich wia zurücts
gehen und es holen. Als ſie weg war , glaubte
Chriftin in einem Wäldchen , ein wenig rechts,
eine ſeltſame liebliche Melodie mit den Worten zu
hören :
Du kehrteſt, Herr, mein Lebelang
Bou Gnaden bei mir ein ,
Drum möcht' ich ſtets mit Preis und Dant
In deinem Hauſe ſein .
Und als ſie darauf horchte, glaubte fie eine andere
Stimme zu hören , welche der erſten antwortete :

1) Pred. 9, 8. 5 Moſ. 33, 6. 2 Tim. 2, 22.


83
Ja , gut ift unſer Herr und Gott,
Und ſeine Treue feft:
Da fie uns hilft in aller Noth
Und nimmer uns verläßt.
Sodann richtete Chriftin an Slugheit die
Frage, wer doch dieſen Tieblichen Geſang wohl ans
ſtimme? Das thun, antwortete diefelbe , die Vögel
bieſes Landes. ') Sie fingen dieſe Weiſen ſelten ans
ders, als im Frühling , wenn die Blumen kommen,
und die Sonne warm ſcheint: dann aber fönnt ihr
fie den ganzen Tag ſo fingen Hören . Ich gehe dann
oftmals aus , um fte zu hören , auch halten wir oft
einige, die zahm find, in unſerm Hauſé. Es iſt uns
eine gar liebliche Geſellſchaft, wenn unſer Herz
traurig werden will. Ebenſo machen ſie die Wals
ber, Haine und einfamen Pläße durch ihren Geſang
zu einem angenehmen Aufenthalt.
Inzwiſchen war Gottesfurcht wieder zurücke
gekommen. Nun ſagte ſie zu Chriſtin: Sieh hier,
ich habe dir eine Åbbildung gebracht von all den
Dingen, die du in unſerm Hauſe geſehen haft. Du
kannſt fte anſehen , wenn dir das čine oder andere
davon entfallen iſt. Rufe dir dann jene Dinge zu
deiner Erbauung und zu deinem Irofte wieder in
die Erinnerung zurüd !
Nun fingen ſie an , den Hügel hinabzuſteigen
in das Thal der Demuth. Es war ein jäher Hüs
gel und der Weg ſchlüpfrig ; allein ſie waren ſehr
vorſichtig, und ſo famen fte denn ziemlich gut hinab.
AB fie unten im Thale waren , ſprach Gottes
furcht zu Chriftin : Hier iſt die Stelle , wo dein
I

Mann mit dem verruchten Feinde Apoilyon zus


ſammentraf, und wo ſie den furchtbaren Kampf mit
einander hatten . Sicherlich wirſt du davon doch
gehört haben. Aber ſei nur gutes Muthes ! Só

1) ¥ gl. Hobesi. 2. 11. 12.


84
lange du Muthberz hier zum Führer und Beglets
ter haft, wirſt du , hoffen wir, beffer fahren .
Als nun die Pilger von den beiden Jungfrauen
dem Geleite ihres Führers weiterhin übergeben wor
den , wandten jene wieder um. Der Führer aber
ſchritt voran , und die Pilger folgten hinter ihm brein.
Darauf ſagte Muthberz : Wir brauchen uns
nicht ſo zu fürchten vor dieſem Thale , denn hier
ift Nichts , was uns ſchaden fönnte , es ſei denn,
daß wir ſelbſt es thäten . Es iſt wahr, daß Chrift
mit Apollyon hier aneinander gerieth , mit dem
er einen harten Kampf zu beftehen hatte , aber dies
fes Gefecht war die Folge der Fehltritte, welche er
that, als er den Hügel hinabging ; denn , wer dort
Fehltritte thut , muß hier der Kämpfe gewärtig ſein :
und daher kommt es , daß dieſes Thal einen fo
üblen Namen hat. Denn , wenn das gemeine Volk
hört , daß jemanden an einem Drte , wie dieſer, ein
Únfall begegnet iſt , ſo entſteht alsbald der Wahn,
daß der Ort von einem grimmigen Feinde oder von
einem böſen Geiſte bewohnt werde, da es doch , leis
der! die Frucht ihrereigenen Werke iſt, wenn ihnen
folche Dinge bort zuſtoßen. Dieſes I hal der De
muth iſt an und für ſich ſelbſt ein ebenſo fruchts
barer Drt , wie jeder andere, über welchen die Vö
gel hinfliegen , und ich bin überzeugt, wenn wir's
nur gerade treffen , fo finden wir hier herum etwas,
welches uns Auskunft darüber gibt , weßhalb C hrift
an dieſer Stelle ſo in die Kleinme gerathen iſt.
Da rief Jakob auf einmal ſeiner Mutter zu :
Siehe , bort ſteht eine Säule , und es ſteht gerade
ſo aus, als wenn Etwas darauf geſchrieben wäre.
Laß uns hingehen und ſehen , was es iſt. Und nun
gingen ſie hin und fanden, daß darauf geſchrieben
ſtand : ,,laffet euch Chriſt's Fehltritte, die
er that, ehe er hierher fam , und die Kämpfe ,
die er an dieſem Orte zu beftehen hatte ,
Allen , die ihr nad ihm hierher fommt ,
85

zur Warnung dienen . Siehe, ſprach nun ihr


Führer, ſagte ich's euch nicht, daß hier irgend herunt
fich ſolch eine Andeutung finden werde? Darauf
wandte er ſich zu Chriſtin und ſprach : Dies ges
reicht Chriſt nicht zu größerer Ünehre, als mans
chen Andern , denen das Nämliche hier begegnet iſt,
denn es iſt leichter dieſen Hügel hinan, als hinab
zu ſteigen , und dies kann nur von wenigen Hügeln
in allen Theilen dieſer Welt geſagt werden. Doch
wir wollen den lieben Mann nun fahren laſſen ; er
ift zur Ruhe eingegangen , auch hat er einen gläns
zenden Sieg über ſeinen Feind davon getragen.
Möge Der, welcher in der Höhe wohnet, es verlei
hen , daß wir nicht ſchlimmer fahren , als er , wenn
die Stunde der Prüfung über uns kommt !
Aber um wieder auf das Thal der Demuth
zu kommen, es iſt das beſte und fruchtbarſte Grunds
ftüd in der ganzen Gegend : es iſt ein fetter Boden
und beſteht, wie ihr ſehet , hauptſächlich in Wieſen.
Wenn Jemand zur Sommerzeit hierher kommt, wie
wir jeßt, und früher nie Etwas von dieſem Plaße
gehört hat, dann muß er, wenn er überhaupt ders
.

gleichen gerne ſteht, ein wahres Wohlgefallen daran


haben. Sehet doch nur, wie grün dieſes ganze Thal
und wie ſchön es mit Lilien geſchmückt iſt ! ) Ich
habe auch manchen Arbeiter gekannt, der treffliche
Beſißungen in dieſem Demuthøthal erworben
hatte, denn Gott widerſtehet den Hoffartigen ,
aber den Demüthigen gibt er Gnade.2) In
der That, es iſt ein fruchtbarer Boden und bringt
ein die Fülle. So haben denn auch Einige ge
wünſcht, daß dieſes der nächſte Weg fein möge 311
ihres Vaters Hauſe, damit ſie die Beſdwerde, Hi
gel oder Berge zu überſteigen, nicht weiter haben
möchten, allein Weg iſt Weg, jedoch auch ein Ende
daran .

1) Vgl. Hobesi. 2. 1. - 2) Fat. 4, 6. 1 Petr. 5, 5.


7
86

Als ſie nun weiter gingen und ſo mit einander


rebeten , wurden ſie einen Knaben gewahr , der feis
nes Vaters Scafe weibete. Der Anabe war in
ärmlichen Kleidern , aber er hatte ein friſches und
liebliches Angeſicht, und wie er ſo allein da faß,
fang er fich ein biebchen . Da horchtenfte und
vernahmen die Worte :
Dem , welder unten, droht kein Fall,
Und Stolz den Niedern nicht;
Die Demuth bat auüberau
Den Herrn zum Schuß und Light.
Ich bin bergnügt mit meinem Theil,
Sei's wenig oder viel.
Erhalt mir’s, Herr, zu meinem Heil,
Dann komm id aus am Ziel.
Nur eine laft ift Ueberfluß,
Die ſchwer den Pilger drüdt;
Hier wenig, und dort Dodgenuß
Das ift's, was recht beglüdt.
Hör't ihr , ſagte Muthherz . Ich behaupte,
daß dieſer Knabe ein vergnügteres Leben führt und
mehr von dem Kräutlein ,, Wohlgemuth " in ſeis
ner Bruft hat , als Mancher, der in Seide und
Sammet gekleidet iſt. Doch wir wollen in unſerer
Unterhaltung fortfahren.
In dieſem Thale hatte unſer Herr früher ein
Landhaus und hielt ſich hier ſehr gerne auf. Es
war fo angenehm für ihn , in dieſen Wieſen umher.
zuwandeln , denn er fand die Luft hier ſo wohlthuend.
Ueberdem iſt der Menſch auch hier frei vom Ge
tümmel und Gewirre dieſes Lebens , von denen alle
Klaffen und Stände mehr oder weniger ergriffen
ſind. Nur dieſes Thal der Demuth iſt ein ſtiller
und einſamer Ort , wo man in ſeinen ernſten Bes
trachtungen nicht geſtört wird , wie anderwärts ſo
leicht geſchieht. Hier iſt ein Thal, in welchem nur
Die wandeln , welche das Pilgerleben lieben. Und
Wik
i
1
87

wiewohl Chrift das Unglück hatte, hier mit Apol,


lyon zuſammenzutreffen und in einen harten Kampf
mit ihm zu gerathen, ſo muß ich euch doch auch fas
gen, daß hier in frühern Zeiten Menſchen mit Ens
geln zuſammengekommen , ) Perlen gefunden ) und
Worte des ewigen Lebens gefunden worden ſind . :)
Sagte ich To eben , daß der Herr in frühern
Tagen ſein landhaus gehabt, und daß er gerne hier
gewandelt, ſo wil id; denn noch hinzufügen , daß
er dem Volke, welches in dieſen Gründen zu wallen
liebt , eine jährliche Einnahme hinterlaſſen hat, die
ihnen zu beſtimmten Zeiten für ihren Unterhalt auf
der Reiſe pünktlich aưsbezahlt wird ; dadurch werden
fie aber ermuntert, ihre Pilgrimſchaft fortzuſeßen.
Als ſte nun ſo weiter gingen, ſprad Samuel
zu Muthherz: Lieber Herr , ich höre wohl, daß
mein Vater und Apollyon in dieſem Thale einen
Kampf mit einander gehabt haben , allein, welches
iſt die Stelle, an der ſie mit einander fochten, denn
dieſes Thaliſt groß, wie ich fehe.
Muthh.' Dein Vater fämpfte mit Apollyon
an einer Stelle, die da drüben vor uns liegt, in
einem engen ' Durchgange, jenſeits des Raſenplaßes
Vergeßlichkeit. Und wirklich, dieſer Plaß iſt der
allergefährlichſte in der ganzen Gegend. Denn, wenn
die Pilger zu irgend einer Zeit einen Anfaú erlits
ten, ſo geſchah eš pann, wenn ſie der empfangenen
Gnade und ihrer eigenen Unwürdigkeit uneingedenk
waren. Hier iſt die Stelle, an der auch Andere ſehr
in's Gedränge' gekommen ſind. Doch mehr über die
Stelle , wenn wir erſt an derſelben angelangt ſind;
denn ich zweifle nicht, daß bis auf den heutigen
Sag entweder noch eine Spur von dem Rampfe oder
Irgend ein Denkmal zur Erinnerung daran vors
handen iſt.
1) Hof. 12, 5. Bgl. lut. 1, 38. 48. C
> ) Matth. 13, 46.
- 8 ) Pf. 119, 25. 71. Sprüch. 8, 35.
88

Darauf, ſagte Barmherzig: Ich fühle mich


in dieſem Thale ſo wohl, wie nur irgend ſonſt auf
dieſer Reiſe. Es iſt mir, als wenn dieſer Ort ſo
ganz zu meinem Gemüthe paſſe. Ich bin gerne an
den Pläßen , wo kein Wagengeraſſel und kein Räs
dergeknarre ift. Mir dåucht, hier kann Einer, ohne
geſtört zu werden , recht darüber nachdenken , was er
iſt, von wannen er gekommen , was er gethan und
wozu ihn der König berufen hat. Hier kann man
in fich fehren, zerbrochenen Herzens und zerſchlages
nen Geiftes werden, bis die Augen überfließen, wie
die Teiche zu Hesbon . ) Die , welche richtig wans
deln durch dieſes Thränenthal, machen ſich Brunnen
darin , 2 ) und der Regen , welchen Gott vom Hims
mel auf Die herabſendet , welche hier wandeln , ers
füllet auch die Teiche. Dieſes iſt auch das Thal,
aus welchem der König den Seinigen ihre Wein
berge geben will; 3) dafelbft follen ſie ſingen , wie
Chriſt, troßdem , daß er mit Apollyon zuſammen
traf. *)
Muthh. Es iſt wahr, ſagte ihr Führer, manche
mal bin ich durch dieſes Thal hindurchgekommen,
und nirgend war mir wohler, als hier. Auch habe
ich manche Pilger begleitet, diedas nämliche bekannt
haben . Ich ſehe an den Elenden , ſpricht der
König, und der zerbrochenes Geiftes ift, und
der ſich fürchtet vor meinem Wort.4)
Nun kamen ſie an die Stelle , wo der vorhin
erwähnte Rampf ſtatt gefunden . Dies iſt der Ort,
ſagte der Führer zu Chriftin , ihren Kindern und
Barmherzig , auf dieſer Steữe ſtand Chrift, da
drang Apollyon auf ihn ein . Und , fehet , ſagte
ich's nicht, hier iſt noch etwas von deines Mans
nes Blut an dieſen Steinen zu ſehen bis auf dies

') Hobesi. 7, 4. – ?) Pi. 84, 5–7. 8 ) $ of. 2, 15.


-

*) THI. I. S. 63. – 1) Jel. 66 , 2.


-
89

ſen Tag. Sehet, wie auch hier und da noch Stüde


von Apollyons zerbrochenen Pfeilen umherliegen
Sehet ferner, wie fie während des Sampfes den
Bosen mit ihren Füßen zertreten , um ſich gegen
einander zu behaupten , und wie die Steine jogar
von den Hieben , welche nebenher fielen , in Stude
zerſchlagen worden ſind. Wahrlich, Ohrift hat ſich
hier alå Mann bewieſen und ſich als ein wahrer
Herkules gezeigt. Als Apollyon geſchlagen war,
zog er ſich in das nächſte Thal zurück, welches das
Dal bér Jodesſchatten genannt wird, und
worin wir nun bald kommen werden. Sehet, dori
ſtehet auch ein Denkmal , worauf dieſer Kampf und
Chriſt's Sieg eingegraben iſt , zu ſeinem Ruhme
unter allen Geſchlechtern der Zukunft. - Weil nun
das Denkmal gerade vor ihnen am Wege ſtand,
tratenfte hinzu und lafen die Inſchrift, welche
wörtlich ſo lautete:
Es ward geftritten hier ein Streit,
Höchft ſeltſam , und doch wahr:
Chrte und Apollyond Tapfertelt
Sid braften in Gefahr.
Der Mann zeigt tapfer fich als Mann :
Der Feind mußt' vor ihm flieh'n .
Das zeigt dies Denkmal denen an,
Die hier vorüberzieh'n .
Als ſie an dieſer Stelle vorüber waren, kamen
fte an die Grenze bes Jhal der Jodes chats
ten. Dieſes Shal war långer, als das erſtere und
dazu ein Plas , der höchft ſeltſam von böſen Wejen
1

heimgeſucht war, wie viele bezeugen können . Aber


Dieſe Frauen und Kinder famen um ſo beſſer hins
durch, weil es noch Tag war, und weil Muth herg
ihr Führer war.
Beim Eintritt in dieſes Jhal meinten fte das
Stöhnen eines Sterbenden zu hören , es war ein
recht ſchauberhaftes Stöhnen. Auch glaubten fte
Jammerworte zu vernehmen , wie von Einem , der
90

in äußerſter Qual ift. Dies brachte die Anaben


an's Zittern und die Frauen wurden bleich und
blaß, allein ihr Führer hieß ſie gutes Muths ſein .
Und ſo gingen fte denn ein wenig weiter und
meinten , der Boden unter ihnen wanke , als wenn
irgend eine hohle Stelle dort geweſen wäre; aud
hörten ſie eine Art Ziſchen , wie von Schlangen,
allein fie ſahen bis jeßt noch nichts . Da ſagten
die Sinaben : ſind wir denn noch nicht am Ende
dieſes ſchredliden Ortes ? Der Führer aber hieß
fie guten Muth faſſen und auf ihre Füße achten ,
damit ſie nicht etwa in eine Schlinge gerathen
möchten .
Nun fing Jakob an unwohl zu werden , und
ich glaube, es rührte von Angſt her. Da gab ihm
ſeine Mutter Etwas von dem ſtärkenden Trank,
welchen ſie in dem Hauſe des Auslegers bekoms
men , und von der Arznei, die Herr Geſchidt
zurecht gemacht; hiernach erholte ſich der Knabe
wieder.
Sie gingen nun weiter , bis fte in die Mitte
des Thaleš famen. Da ſagte Chriſtin : mich dünft,
ich ſehe dort Etwas auf dem Wege vor uns , eine
Geſtalt, wie ich noch niemals eine geſehen habe.
Da ſprach Joſeph : Mutter, was iſt es ?
Ein abſcheuliches Weſen , mein sind , ein abs
ſcheuliches Weſen, ſagte ſie.
Aber, Mutter, wem ſieht es ähnlich ?
Ich kann nicht ſagen, wem es gleicht. Jeßt ift
es nicht mehr weit von uns. Und nun iſt es ganz
nahe, ſprach ſie.
Wohlan ! ſagte Muthherz , wer ſich am meis
.

ften fürchtet, halte ſich ganz dicht an mich . Nun


kam der Feind näher und der Führer trat ihm
entgegen ; aber – als er gerade an ihn heranges
kommen war, ſchwand er ihnen Allen aus den Aus
gen. Da dachten ſte daran , was ihnen einige Zeit
gan
5
91

vorher geſagt worden war : Widerſtehet Dem


Seufel, fo fliehet er von euch ! ')
Nachdem ſte fich ein wenig erholt hatten , gins
gen fte weiter. Allein ſie waren noch nicht weit,
da ſah Barmherzig hinter ſich und bemerkte, wie
fie meinte , Etwas , das einem Löwen ganz ähnlich
war . Es kam daſſelbe aber mit großen Schritten
hinter ihnen her unb brüllte mit hohler Stimme.
Bei jedem Brüllen halte das Thal wieder und
Ader Herzen ward es angſt, nur nidyt dem Herzen
deſſen , welcher der Pilger Führer war. So fam
nun der Löwe heran , Muthberg aber ließ die
Pilger alle vor fich hintreten. Als ſich nun Muth .
herz zum Kampfe anſchidte, und der Löwe bés
merkte, wie man ihm Widerſtand thun wollte, da
3og er fich zurüd und kam nicht wieder. 2)
Aberinals zogen fte weiter, ihr Führer voran ,
bis fte an einen Ort kamen , wo eine Grube aufges
1

worfen war über die ganze Breite des Weges hin.


Ehe fte aber bereit waren hinüberzuſeßen , fiel ein
fo ftarfer Nebel und eine Finſterniß über ſte, daß
fte nicht mehr ſehen konnten. Da ſchrieen die Pils
ger : Ach , was follen wir nun anfangen ?
Fürchtet euch nicht gab ihnen ihr Führer zur
Antwort, ftehet ftille und ſehet zu, was es auch hier
mit für ein Ende nehme.
Und ſo ftanden ſie denn da , weil ihr Weg zu
Schanden gemacht worden. Hierauf meinten fte das
Geräuſd und Lärmen der Feinde noch deutlicher zu
hören ; auch konnten ſie das Feuer und den Rauch
aus ber Grube noch beſſer unterſcheiden .
ſprach Chriſtin zu Barmherzig : Nun ſehe ich,
was mein armer Mann hat burchgemacht. Ich habe
viel von dieſemOrte gehört, aber ich bin früher' nie
hier geweſen. Mein armer Mann ging hier in der

1 ) 3at. 4, 7.. - *) 1 Petr. 5, 8. 9.


92

Nacht ganz allein ; faft über den ganzen Weg hin


hatte er Nacht, auch waren dieſe Feinde um ihn
Her geſchäftig, als wenn ſie ihn hätten in Stücke
zerreißen wollen. Viele haben darüber geredet, aber
Reiner fann ſagen , was es mit dem Thal der
Jodesſchatten auf fich hat , bis er ſelbſt hineins
gekommen iſt. Das Herz fennt ſeinen eigenen
& ummer, und in ſeine Freude mengt.fidh
tein Fremder. ') && iſt ein ſchredlides Ding,
hier zu ſein .
Muthh. Hier iſt's , als wenn man mit gro,
ßen Waſſern zu thun hätte, oder als wenn man in
die Tiefe" hinunter müßte - es iſt, als wenn man
in der Liefe des Meeres fäße oder in den Abgrund
der Berge verfänke. Jeßt iſt es uns, als wenn die
Riegel der Erde ſich für immer verſchloffen hätten.
Aber , die im Finſtern wandeln , und fcheis
net ihnen nicht, die follen hoffen auf den
Namen des Herrn und ſich verlaſſen auf
ihren Gott. 2) Was mich anlangt, ſo habe ich
euch bereits geſagt, daß ich oft durch dieſes Thai
gegangen bin , und es mir viel härter dabei ergans
gen, als diesmal, und doch fehet ihr, ich lebe noch.
Ich kann mich deß nicht rühmen, daß ich mein eiges
ner Erlöſer geweſen bin, aber deß getröſte ich mich,
daß wir werden herrlich errettet werden.
Rommt , laſſet uns beten zu Dem , der unſere
Finſterniß helle madjen kann , und der nicht allein
dieſe, ſondern alle Teufel der Hölle barnieder zu
ſchlagen vermag.
So ſchrieen fie denn und beteten , und Gott
fandte ihnen Lichtund Rettung, denn nun lag ihnen
nichts mehr im Wege, auch da nicht, wo fie vorher
der Grube halben hatten ſtehen bleiben müſſen.
Doch waren ſie bei allen dem noch nicht durch

2 Sprüdw . 14 , 10. (Rad D. engl. Ueberf .) - 3ef. 50, 10.


93

das Thal hindurch. So gingen fte denn weiter,


und fiehe, da waren furchtbarer Geſtant und ekels
hafte Gerüche, wodurch die Pilger ſchredlich belås
ſtigt wurden.
Da ſagte Barmherzig : Hier iſt nicht ſo gut
fein , wie an der Pforte , oder beim Ausleger ,
oder in dem Hauſe , wo wir uns zuleßt aufhielten.
Aber, o ! ſagte Einer von den Knaben , es iſt
doch nicht ſo ſchlimm, hier durch zu gehen, als ims
mer hier zu bleiben, und ich kann mir wohl einen
Grund denken , weshalb wir dieſen Weg nach der
uns bereiteten Wohnung ziehen müſſen ; nämlich das
mit die Heimath und dadurch deſto - lieblicher ges
macht werde.
Recht ſo, Samuel, ſprach der Führer ; da
haft du geredet wie ein Mann.
Ja , wenn ich je hier herauskomme , ſagte der
Knabe, dann werde ich , wie ich glaube, das Licht
1

und einen guten Weg höher ſchäßen , als je in meis


nem ganzen Leben fonft.
Darauf ſagte der Führer : wir werden bald
aus dem Thale herauskommen.
Immer weiter vorwärts gingen ſte ,1 und 30s
feph fragte : können wir noch nicht das Ende des
Shales fehen ?
Da ſagte der Führer: Sieh lieber auf deine
Füße , denn wir werden ſogleich zwiſchen die Falls
tride kommen .
Sie thaten nun, wie er ihnen geſagt hatte, aber
die Fallſtricke machten ihnen dennoch viel zu ſchaf
fen. Als ſie bei denſelben angelangt waren , fahen
fie einen Mann, linker Hand, in der Grube liegen ,
deſſen Fleiſch ganz zerriſſen und zerſpliffen war.
Hiebei bemerkte der führer : Das iſt ein gewiſſer
Unachtſam , der auch dieſes Weges gekommen und
eine lange Zeit hier gelegen hat. Es war ein Ans
derer, Namens Bedachtſam bei ihm , als er ges
fangen genommen und erſchlagen ward; dieſer aber
94

entfam ihren Händen . Ihr könnt nicht denken, wie


Viele hier herum getödtet worden, und doch ſind die
Menſchen noch ſo thöricht , es zu wagen , daß fie
fich leichtſinnigerweiſe auf die Pilgrimſchaft begeben
und ohne Führer hierher kommen . Armer Chrift !
es iſt ein Wunder, daß er hier durchgekommen iſt,
aber fein Gott hatte ihn lieb : auch hatte er guten
Muth , ſonſt würde ér's nimmer ' fertig gebracht
haben .
Nun kamen fie dem Ende dieſes Weges näher,
und gerade wo Chrift die Höhle gefehen , als er
vorbei ging, fam ein Rieſe , Namens' Hammer
hervor. Dieſer pflegte die jungen Pilger durch beo
trügeriſche Reden zu verführen. Er rief Muths
herz bei ſeinem Namen : wie oft iſt es dir ſchon
verboten worden, ſolche Dinge zu treiben ? Was
denn für Dinge ? ſagte Muthberz. Du weißt es
recht gut , antwortete der Rieſe, aber nun wil ich
deinem Handel ein Ende machen .
Aber, ſo laß mich denn doch erſt hören , ſprach
Muthherz, weßhalb wir eigentlich mit einander
zu kämpfen haben . Die Frauen und Rinder ſtanden
aber mit Zittern da, und wußten nicht, was ſie an
fangen foûten.
Da ſprach der Riefe: Du beraubeft das Land
und zwar beraubſt du es auf die ſchlimmſte Weiſe.
Das iſt eine ganz allgemeine Beſchuldigung,
ſagte Muth her 3 ; komm Doch auf das Einzelne,
du Menſch !
Nun benn , rief der Rieſe aus , du treibſt das
Gewerbe eines Seelenverkäufers ; du bringft
Weiber und Kinder zuſammen und führſt fie in ein
fremdes Land, um dadurch das Reich meines Herrn
zu ſchwächen .
Darauf erwiederte Muthherz aber ich bin
ein Knecht Gottes , der im Himmel iſt, und mein
Geſchäft iſt , die Sünder zur Buße zu leiten. Mir
ift befohlen , daß ich mich bemühen ſoll, Männer,
95

Weiber und Kinder von der Finſterniß zum Lichte


und von der Gewalt des Teufels zu Gott zu bes
Fehren , und wenn nun dies die Urſache deiner
Feinſchaft wider mich ift, dann laß uns tämpfen
mit einander, ſo ſchnell, wie du nur immer widft.
Hierauf fam der Rieſe heran und Muthherg
ging ihm entgegen und zog ſein Schwert, der Rieſe
aber hatte eine Seule. Und fo fielen fté denn, ohne
weitere Umſtände einander an ; der ' Riefe aber
ſchlug beim erſten Streiche Muthherz nieder, daß
er auf's Kinie fant.Inbeffen
Da ſchrieen die Muthberi
Frauen und
Kinder laut auf. hob fidh
wieder in die Höhe, ſchlug mit vollem Muthe auf
den Riefen los und verwundete ihn am Arme.
So kämpfte er eine ganze Stunde wider ihn und
zwar mit einer ſolchen Heftigkeit, daß dem Kiefen
der Athem aus den Naſenlöchern kam , wie der
Dampf aus einem ftebenden Steffel.
Darnach feßten fte fich einen Augenblid nieder,
um ein wenig auszurühen . Muthherz aber ichidte
fich an zum Gebete. Auch die Frauen und Kinder
thaten , ſo lange der Rampf dauerte, nichts als
feufzen und ſchreien.
Als fte ausgeruht, griffen ſie abermals einander
an , und nun ſtredte Muth herz den Rieſen mit
einem Schlage zu Boden . Halti rief dieſer , laß
mich doch wieder aufkommen . Muthherz ließ es
ihmauch zu, und ſomit begann wiederum derKampf :
da fehlte nicht viel daran , daß der Rieſe mit ſeiner
Seule Muthberg den Schadel eingeſchlagen hätte.
A18 Muthherz dies merfte, rennte er mit der gans
zen Hiße ſeines Muthes auf ihn ein und durchs
bohrte ihn unter der fünften Rippe. Nun fing der
Niefe an zu wanten und vermochte feine Seule
nicht mehr aufrecht zu halten . Muthherz aber
benußte ſeinen Vortheil und bieb dem Rieſen das
Haupt von den Schultern herunter. Da freuten
îtch die Frauen und Kinder und aud Muthherz
96

preiſete Gott für den Sieg , den Er ihm gegeben


hatte.
Als dies geſchehen war, errichteten fie mit eins
ander eine Säule und befeſtigten baran das Haupt
des Rieſen ; untenauf ſchrieben ſie aber, daß die Vors
übergehenden eß leſen möchten :
Der dieſes Haupt trug, war ein Mann,
Der Pilgern Schaden that,
Der ihren Weg verſperrt und dann
Sie all' betrogen bat:
Bis daß ich , Muthberz, friſch erſtand
Den Pilgern zum Geleit,
Und ich den Gegner überwand
Im blutgetränkten Streit.

Siebentes Capitel.
Pilger ſeßen die Reiſe unter des Führers geleite fort.
Nun ſah ich , daß ſie auf die Anhöhe gingen,
.

die ein wenig vom Wege entfernt aufgeworfen war,


um den Pilgern eine Ausſicht zu verſchaffen : es
war die nämliche Stelle, von der aus Chriſt zus
erft ſeinen Bruder Getreu erblicte. *) Hier ſepten
fte fid nieder und ruhten aus , aßen und tranfen
und waren guter Dinge, daß ſie von dem ſo ges
1

fährlichen Feinde waren erlöſt worden. A18 ſite to


da ſaßen, fragte Chriſtin den Führer, ob er feinen
Schaden im Stampfe davon getragen ?
Nein , ſagte Muthherz, feinen als nur ein
wenig an meinem Fleiſché, aber das kann mir ſo
wenig ſchaden , daß es mir vielmehr zum Zeichen
meiner Liebe zu meinem Herrn und zu eud; gereicht,
und durch ſeine Gnade wird es dazu dienen , daß
mein Lohn am Ende um ſo größer wird .
*) THT. I. S. 70.
97

Chriſtin. Aber , lieber Herr , fürchteteſt bu


dich denn gar nicht, als du Den mit der Keule
fommen faheſt ?
Muthb. Es iſt ja meine Pflicht, daß ich an
meiner eigenen Kraft verzage , damit ich mein gans
des Vertrauen auf Den feße, der mächtiger ift,
denn Ale.
Chriſtin. Allein, was dachteſt du, als er dich
mit dem erſten Schlage zu Boden warf?
Muthh. Was ich dachte ? Daß es meinem
Herrn ebenſo widerfahren , und daß Er zuleßt
dennoch überwunden habe. ')
Matth . Du magſt gedacht haben, was du wilft,
ich denke , daß Gott ſich uns wunderbar gnädig ers
wieſen, nicht nur, daß Er uns aus jenem Thal her:
ausgebracht , ſondern auch, daß Er uns aus der
Hand des Feindes errettet hat. Ich kann daher auch
an meinem Theil nicht einſehen , warum wir jemals
unſer Vertrauen auf den Herrn wegwerfen ſollten,
nachdem Er uns jeßt und an einem ſolchen Drte
folches Zeugniß ſeiner Liebe gegeben hat.
Sie ſtanden nun auf und gingen weiter. Ein
wenig vor ihnen ſtand aber eine Eiche; als ſie zu
derſelben kamen , fanden ſie darunter einen 'alten
Pilger, der faſt eingeſchlafen war. Daß es ein Pil
ger war, konnten ſie an ſeinen Kleidern , an ſeinem
Štabe und an ſeinem Gürtel ſehen . Muth herz
weckte ihn ar:f , und als der Alte ſeine Augen öffs
nete, rief er : Was gibt's ? Wer ſeid ihr ? Was
wollt ihr' hier ?
Muthh . Romm, mein Freundl nicht ſo hißig,
hier iſt Niemand, als gute Freunde. Allein der alte
Mann richtete fich empor und war auf ſeiner Hut,
bis er wußte, wer ſie wären .
Da ſagte der Führer : Mein Name iſt Muths

?) 2 Kor. 4, 10. 11. Rom. 8, 37.


8
98

herz , id bin der Führer dieſer Pilger , die nach


der himmliſchen Stadt ziehen.
Hierauf ſagte Redlich (dies war der Name
des alten ): 30 bitte um Verzeihung, ich fürdytete,
daß ihr zu der Bande gehört hättet, welche vor einis
ger Zeit Kleinglauben au ſein Geld geraubt ;
aber nun , da ich mich beſſer umſebe, bemerke ich
wohl, daß ihr redliche Leute ſeid.
Mutth. Nun , was hätteſt du thun wollen
oder fönnen , um dir zu helfen , wenn wir wirklich
von jener Bande geweſen wären ?
Redl. Was ? Nun ich hätte mich gewehrt, ſo
lange ein Athem in mir geweſen wäre , und dann,
des bin ich gewiß , ihr hättet mir nie etwas anhas
ben können, denn ein Chriſt fann niemals überwuns
den werden, wenn er ſich nicht ſelber Preis gibt.
Muthh. Recht geſagt, Väterden ! Daran ers
kenne ich , daß du ein Mann von der rechten Art
biſt, denn du haſt die Wahrheit geredet.
Redl. Und ich erkenne ebenfalls darans , daß
du weißt, was es mit der rechten Pilgrimſ aft auf
fich hat; denn alle Andern meinen , daß wir am
eheſten von Allen überwunden werden könnten .
Muthh. Nun , da wir uns hier ſo glüdlich
zuſammengefunden , ſo laß mich doch deinen Namen
wiſſen und den Drt, von dannen du gefommen bift.
Redi . Meinen Namen fann ich dir nicht ſas 1

gen , die Stadt aber , aus der ich fomme, heißt


Štumpfheim , und liegt ungefähr vier Meilen
jenſeits der Stadt Verderben.
Muth H. Ach ! daher biſt du ? Dann glaube
ich, kann ich deinen Namen halb errathen. Du biſt
die alte Reblid ) feit , nicht wahr ?
Da erröthete der Alte und ſprach : nicht Reds
lichkeit überhaupt, ſondern Redlid beiße ich , und
wohl möchte ich, daß mein Weſen mit meinem Nas
men in Einklang wäre. Aber , mein Freund, wie.
99

konnteſt du errathen, daß ich dieſer Mann ſei, blos,


weil ich aus dieſem Drte komme ?
Muthh. Id hatte ſchon früher bei meinem
Herrn von dir gehört, denn er' weiß alle Dinge,
die auf Erden vorfađen. Aber ich habe mich oft
gewundert , daß jemand aus deinem Orte fommen
1

ſollte, denn da iſt’s noch ſchlimmer, wie in der Stadt


Verderben ſelbſt.
Redl. Ja , wir liegen weiter von der Sonne
entfernt, und find daher noch fälter und unempfinds
licher , aber wäre Einer auch mitten in einem Eis
berge , fo wird , wenn die Sonne der Gerechtigkeit
über ihm aufgeht, doch fein erſtarrtes Herz aufs
thauen, und ſo iſt es mit mir der Fall gewefen.
Muth. Ich glaube es , Vater Redlich , ja, .

ich glaube es, denn ich weiß , daß es fich alſo


verhalt. )
Hiernach grüßte der alte Redlich die Pilger
alle mit dem heiligen Kuß der Liebe und fragte
fte um ihre Namen , und wie es ihnen bisheran auf
ihrer Pilgrimſchaft ergangen ſei.
Chriſtin . Ich glaube, meinen Namen wirft
du bereits gehört haben , denn der liebe Chriſt war
mein Mann und dieſe Vier hier ſind ſeine Kinder .
Doch nun vermag ich nicht zu beſchreiben , wie
entzüdt der alte Mann ward, als er hörte, wer fte
ſeien ; er hüpfte , er lächelte und ſprach tauſend Se
genswünſche über fte aus, und fügte hinzu : Ja, ich
habe Vieles von eurem Manne und Vater gehört
und Vieles von ſeiner Reiſe und feinen Rämpfen ,
die er bei ſeinen Lebzeiten erduldet. Möge es zu
eurem Trofte geſagt ſein : Der Name deines Mans
nes erſchalit in allen Theilen der Welt ; ſein Glaube,
fein Muth , ſeine Geduld und ſeine Treue gegen
Jedermann haben ſeinen Namen herrlich gemacht.
Hierauf wandte er ſich zu den Knaben, und ließ fich
1) Luk. 1, 37. -
2) Röm. 16, 16. 1 Kor. 16, 20. u. a. w.
8*
100

von ihnen ihre Namen ſagen. Und nun ſprach er


zu ihnen : Matthåus, werde du gleich dem Zöu
ner deines Namens , nicht in der Sünde , fondern
im Glauben. ?) Samuel , iverde du ähnlich dem
Propheten , jenem Manne des Glaubens und des
Gebetes. 2) Joſeph , werde,wie dein Vorbild in
Potiphars Hauſe , keuſch und fliehend die Reize der
Sünde. 3) Und bu , Jakob, ſei wie Jakobus ,
der Gerechte, der Bruder unſeres Herrn.4)
Darauf erzählten ſie ihm auch von Barmher:
sig , wie ſie ihre Heimath und Freundſchaft verlaf
.

fen , um mit Chriſtin und ihren Söhnen zu ziehen .


Da ſagte der redliche Greis zu ihr : Barmherzig ,
alſo iſt dein Name — durch des Herrn Barmher
zigkeit ſollſt du getragen und hindurchgeführt wers
den durch alle Mühſeligkeiten deiner Pilgerfahrt,
bis du dahin kommſt, wo du ſchauen wirft den
Brunn der Gnaden von Angeſicht zu Angeſicht.
Ueber alles dieſes war Muthberg hochlich ers
freut und lächelte in Ginem fort ſeine Gefährten an.
Als ſie mit einander daher zogen , fragte der
Führer den Greis, ob er nidyt einen gewiſſen Vers
jagt kenne, der ſich auch aus ſeiner Gegend auf
Ďie Pilgrimſdaft begeben habe.
Redl. Allerdings, ſehr wohl. Es war ein
Mann, der zwar den rechten Grund der Sadje in
ſich trug , allein er war einer der ängſtlichſten Pils
ger, die ich je in meinem Leben angetroffen habe. 5)
Muthh . Ich merke wohl, du kennſt ihn, denn
du haft ihn ganz richtig geſchildert.
Nedl. Ob ich ihn kenne! Ich habe ihn lange
begleitet, ich ging ein gutes Ende mit ihm . Als er
zuerſt darüber nachdadyte , was wohl nachher über
1

uns fommen werde, war ich bei ihm.

1) Matth . 9 , 9.; 10 , 3. *) Pf. 99 , 6. 8 ) 1 Moi


- -

39, 19. ff. - ' 4) Apoſtig. 12, 2. - ) Pf. 13, 3.


101

Muthh. Ich war fein Führer von meines


Herrn Hauſe bis zu den Thoren' der himmliſchen
Stadt .
Redl. Nun , dann weißt du , was er für ein
bedenklicher und ängſtlicher Menſch war.
Muthy. Ja wohl ; aber ich konnte mit ihm
fertig, werden , denn Leute meines Berufs werden
oft mit der Führung von Menſchen betraut, wie er
Giner war .
Redl. Wohlan benn , ſo laß uns doch etwas
Hören davon ,1 wie er ſich bei deiner Führung bes
nommen hat.
Muthh. Er war immer beſorgt , daß er das
Ziel nicht erreichen möchte, an dem er auszukommen
wünſchte. Alles , was er von irgend Jemand über
das , was ihm noch hinderlich ſein könnte, fagen
hörte, brachte ihn in Angſt, und wenn es auch noch
fo unbedeutend war. Id habe ihn länger als einen
Monat am Sumpfe Verzagtheit jammern hören,
und er getraute fich nicht hinüberzugehen , obwohl
Manche von denen , die es 'thaten, ihm ihre Hand
anboten. Umkehren wollte er jedoch auch nicht, denn
ich müßte ſterben , ſagte er , wenn ich nicht in die
himmliſche Stadt täme. Und doch war er muthlos
bei jeglicher Schwierigkeit und ſtrauchelte über ' jes
den Strohhalm , der ihm in den Weg gelegt ward .
Indeſſen , nachdem er ſo lange Zeit hindurch an dem
Sumpfe Verzagtheit gelegen , wagte er'8 , ich
weiß nicht wie, an einem ſonnigen Morgen, hinübers
zuſeßen. Als er aber hinüber war , woûte er es
felber kaum glauben. Ich glaube , er hatte einen
ähnlichen Sumpf der Verzagtheit im eigenen
Herzen , einen Sumpf, den er allenthalben mit fich
herumtrug, denn ſonſt hätte er nicht ſo ſein können,
wie er war. So fain ' er dann zur Pforte hinan,
du weißt, welche ich meine — fie liegt am Eingang
dieſes Weges , und auch dort ſtand er eine gute
Weile , ehe er anzuklopfen wagte. Als die Pforte
102

fich öffnete, wollte er zurüdtreten und machte Ans


bern Plaß, denn er ſagte, er ſei nicht würdig eins
zutreten. Obgleich er früher, als manche Andere an
der Pforte angelangt war , gingen dennoch Viele
vor ihm hinein. Da ſtand denn der arme Mann
zitternd und bebend; ich bin überzeugt, wer es ges
fehen , würde ihn von Herzen bedauert haben. Um
wenden wollte er jedoch auch diesmal nicht. End
lich nahm er den Klöpfel in die Hand , der an der
Pforte hing, und that einen oder zwei leiſe Schläge
damit. Darauf ſchloß ihm Einer auf, ging auf ihn
zu und ſprach : Du Zitternder, was begehreſt du ?
Und ſomit fiel er auch ſchon zur Erde nieder. Da
wunderte ſich der , welcher mit ihm redete, ihn ſo
ſchwach zu finden, und ſprach zu ihm : Friede ſei
mit dir! auf ! denn ich habe die Thüre vor bir
aufgethan ; fomm herein , denn du biſt geſegnet.
Darauf ſtand er auf und trat hinein mit Zittern ;
und als er drinnen war , ſchämte er ſich ſein Ses
ficht ſehen zu laſſen. Als er nun dort eine Zeitlang,
nach der euch bekannten Weiſe , bewirthet worden
war , hieß man ihn weiter ziehen , und ſagte ihm
1

auch den Weg, den er nehmen ſollte. Und ſo ging


er denn, bis er an unſerem Hauſe anlangte, atein,
wie dort an der Pforte , benahm er ſich auch an
meines Herrn , des Auslegers , Thüré. Er lag
dort eine ganze Weile in der Kälte, ehe er ſich ge
traute, anzuſprechen ; umkehren wollte er jedoch auch
hier nicht. Ja , er hatte ein dringendes Empfeha
lungsſchreiben an meinen Herrn in der Taſde, daß
derſelbe ihn aufnehmen und ihm die Erquicungen
ſeines Hauſes doch möge angedeihen laſſen , naments
lich hatte er meinen Herrn darin auch gebeten, daß
-

er ihm – da er ſelber ſo ängſtlich ware — einen


kräftigen und beherzten Führer mitgebe ; aber All
deß ungeachtet, war er zu bange, an der Thürans
zurufen . So trieb ſich nun der arme Mann dort
auf und ab, bis er beinahe umgekommen wäre. Ja,
103

er war ſo niedergeſchlagen, daß, wiewohl er mehrere


Andere anklopfen und hineingehen ſah, er ſelbſt es
Dennoch nicht zu thun ivagte. Endlich ſah ich ein
mal zum Fenſter hinaus und ward einen Menſchen
gewahr, der vor der Thüre auf- und abging. Ich
trat darauf hinaus und fragte, wer er wäre. Aber,
armer Mann ! Die Thränen ſtanden ihm in den
Augen – und ſo bemerkte ich denn, was ihm fehlte.
Deswegen ging id in's Haus, erzählte dort , was
ich gejehen , und zeigte die Sache unſerm Herrn an.
Dieſer nun ſchicte mich wieder hinaus, ihn zu bes
wegen , daß er hereinkommen möge; adein ich muß
geſtehen , daß es mir ſchwer wurde, ihn dazu zu
bringen. Indeſſen endlich gelang es mir doch , und
da muß ich ſagen , mein Herr benahm ſich mit er:
ftaunlicher Liebe gegen ihn. Es waren nur einige
wenige gute Gerichte noch auf dem Tiſche, aber von
einem jeben legte er ihm auf ſeinen Teller. Hier
nach überreichte er dieſer
meinem Herrn das Empfehlungøs
ſchreiben , und als geleſen
e8 , ſagte er , ſein
Wunſch ſollte erfüllt werden . Als er nun eine gute
Weile dort geweſen,schien er ſich ein Herz zu faf
ſen und etwas mehr Troft gefunden zu haben. Denn
mein Herr, müßt ihr wiſſen , hat beſonders ein gro
ßes Erbarmen gegen bange Seelen ; ') daher that
er Aues , um ihm Muth einzuflößen. Nadidem er
nun alle Merkwürdigkeiten des Ortes angeſehen und
bereit war, ſeine Reiſe nach der himmliſchen Stadt
fortzuſeßen , gab ihm mein Herr , wie er es früher
Chriſt und auch euch gethan , eineFlaſche mit ftárs
kendem Getränk und einige Erfriſchungen auf den
Weg mit. Nun zogen wir weiter, und ich ging vor
ihm her; allein der Mann hatte nur wenig Worte
und feufzte meiſt laut auf.
Als wir an die Stelle famen, wo die drei Bo
fewichter aufgehängt waren , ſagte er , er befürchte,
I

1 ) Pf. 34, 19. 3ef. 66, 2.


104
daß er auch ein ſolches Ende nehmen werde. Nur
dann ſchien er froh zu ſein , als er das Rreuz und
das Grab erblickte. Hier, muß ich geſtehen, wünſchte
er ein wenig zu verweilen, um ſie anzuſchauen, und
nachher ſchien er etwas beiterer zu ſein . Als wir
zu dem Hügel Beſchwerbe famen , madyte es ihm
kein Bedenken , auch zeigte er keine Furcht vor den
Löwen ; denn ihr müßt wiffen , daß ſeine Unruhe
nicht von Dingen, wie dieſe, herrührte, ſondern ſeine
Furcht kam einzig und allein daher, weil er unges
*

wiß war , ob er wohl endlich in Gnaden möge ans


genommen werden .
Ich brachte ihn in das Haus Prachtvoll,
ehe er noch, wie ich glaube , ſich entſchloſſen hatte,
hineinzugehen. Drinnen machte ich ihn" mit den
Jungfrauen des Ortes bekannt , aber er war zu
ſchüchtern , um ſich viel in Geſellſchaft zu begeben.
Er fehnte fich fehr darnach allein zu ſein, und dens
noch hatte er Luft an erbaulichen Geſprächen , und
oft ſtellte er ſich hinter einen Vorhang , um zuzu
1

hören . Ebenſo war er ein Freund von alterthüm


lichen Sachen und dachte gern darüber nach in ſei
nem Herzen. Späterhin ſagte er mir, daß ihm der
Aufenthalt in den beiden Häuſern , aus denen er
1

zuleßt gekommen – nämlich an der Pforte und


Beim Ausleger -
lieb geworden , allein er habe
es nicht wagen dürfen, um längeren Aufenthalt das
ſelbſt zu bitten .
Als wir nun den Hügel hinab in das Thal
Demuth gingen, ſchritt er fo vortrefflich drauf los,
wie ich je Einen geſehen habe ; denn er fragte nichts
barnach, daß er To niedrig wäre, wenn er nur ends
lich jelig würde. Ja , ich glaube, zwiſchen ihm und
bem Shale war eine Art von innerer Zuſammenges
hörigkeit ,, denn auf feiner ganzen Pilgerfahrt habe
ich ihn nicht fröhlicher geſehen , als gerade in dies
fem Shale. Da ' legte er ſich hin , umſchlang den
ſem
105

Boden und füßte die Blumen , die dort wachſen . )


I

Jeden Morgen ftand er ſchon bei Tagesanbruch auf


und zog durch das Thal hin und her.
Als er aber an den Eingang des Jhals der
Lodesſchatten gelangt war, da glaubte ich , mein
Mann wäre verloren ; nicht als wenn er irgend
Neigung gezeigt hätte, umzukehren , denn davor hatte
er allewege einen Abſcheu ; aber es war brauf
und dran , ſo wäre er vor Furcht geſtorben. „ D ,
die böſen Geiſter wollen mich haben ! Die böſen
Geiſter wollen mich haben !“ ſchrie er, und ich konnte
ihmdas nicht aus dem Sinnebringen. Hier machte
er einen ſolchen Lärm und ſtieß ſolch ein Geſchrei
aus, daß, hätten ſie ihn nur gehört, dies hinreichend
geweſen wäre, ihnen Muth zu machen und über' ihn
herzufallen. Allein ich bemerkte es ganz genau, daß
dieſes Thal, als wir hindurchgingen, ſo ruhig und
ſtille war, als ich es je früher und ſpäter gefunden
1

babe. 3ch vermuthe , unſer Herr hatte die Feinde


1

unter einen beſondern Bann gethan und ihnen Bes


fehl gegeben , ſich nicht zu rühren , bis Berzagt
hindurch wäre.
Es würde aber zu langweilig ſein , euch Alles
zu erzählen ; deßwegen nur noch ein paar Vorfälle.
Da er auf den Eitelkeitsmarkt gekommen war,
kam es mir vor, als wenn er dort mit allen Leuten
Håtte ſtreiten wollen . Ich war bange, daß man uns
Beiden den Kopf einſchlagen würde, mit folchem
Eifer trat er gegen ihre Thorheiten auf. Auch war
er auf dem Zaubergrunde' ſehr wachſam . Áls er
aber an den Strom fam , über den feine Brüde
geht, da befand er ſich abermals in ſchwerer Angft.
Nun, nun , ſagte er, muß ich verſinfen auf ewig und
werde nie das Antliß Deſſen ſchauen , um den ich
1

einen ſo weiten Weg zurück gelegt habe.


Hier ſah id; Etwas, was ſehr merkwürdig war :
1 ) Klagl. Jerem. 3, 27-29.
106

das Waffer des Stromes war gerade zu der Zeit


niedriger, als ich es je in meinem Leben geſehen ;
und ſo kam er zuleßt hinüber, daß ihm das Waſſer
nicht weit über die Schuhe ging. Als er zur Pforte
hinaufſtieg, nahm ich Abſchied von ihm und wünſchte
ihm, daß er droben eine gute Aufnahme finden möge.
Und er ſprach : ja , ich werd' es, ich werd' e8 ! Šo
ſchieden wir, und ich ſah ihn nicht wieder.
Redl . Es ging ihm alſo wohl, wie's ſcheint.
Muthy . Ganz gewiß , ich zweifelte auch nie
baran. Er war ein Mann, der zwar ein auserle
ſenes Gemüth hatte , nur war er immer ſehr ges
brüdt, und dadurch machte er ſich und Anderen das
Leben ſo ſchwer. Er hatte vor vielen Anderen her
eine zarte Scheu vor der Sünde , und fürchtete fich
ſo ſehr davor, Anderen Unrecht zu thun, daß er ſich
oft das verſagte, was erlaubt iſt, eben weil er Nies
manden ein Äergerniß oder Anſtoß geben wollte. )
Redl. Aber, was mochte wohl der Grund das
von ſein , daß ein ſo frommer Mann ſein ganzes
Lebenlang in ſolcher Dunkelheit wandeln mußte ?
Muthh. Es kann mehr wie ein Grund ſein ;
ich will nur den einen nennen , weil es der alweiſe
Gott fo haben will, daß die Einen pfeiffen und die
!

Andern. weinen. 2) ' Und ſo war denn Verzagt


Einer , welcher den Baß ' ſpielte. Er und ſeines
Gleichen blaſen die Poſaune, deren Töne trauriger
ſind, als anderer muſikaliſcher Inſtrumente; dennoch
behaupten Einige, der Baß ſei der Grundton aller
Muſik . Und was mich anlangt, ſo halte ich von
einer Bekehrung nichts, welchenicht mit einer Traus
rigkeit des Herzens anfängt. 3) Die erſte Saite,
welche der Tonkünſtler berührt, iſt gewöhnlich eine
Baſſeite und damit fest er alle anderen Töne in
Bewegung . So ſchlägt auch der Herr zuerſt dieſe

- ) Möm. 14 , 21. 1 Kor. 8 , 13. 2 ) Matth. 11, 17,


8 ) 2 Kor. 7, 10. Matth . 5, 4.
107

Saite an , wenn er die Seele in die rechte Stim


mung für ſich bringen will. Allein darin lag bei
unſerem Verzagt der Fehler , daß er ſein ganzes
Leben hindurd keinen andern Ton , als dieſen her
vorbringen konnte.
( Ich wage es, in dieſen Bildern zu reden , um
beſonders jüngern Leſern Etwas zu denken_zu ges
ben , und weil ferner auch in dem Buche der Offens
barung Johannis die Seligen mit Tonkünſtlern
verglichen werden , die auf Poſaunen und Harfen
ſpielen und vor dem Throne des Lammes ihre Lies
Der fingen .) )
. Er war ein ſehr eifriger Mann , wie
Redl.
man aus deiner Erzählung wohl abnehmen kann.
Beſchwerden, Löwen uber den Eitelkeitsmarkt fürch
tete er durchaus nicht. Nur Sünde, Tod und Höűe
fchrecten ihn, weil er einige Zweifel darüber hegte,
ob er in der himmliſchen Stadt werde Aufnahme
finden .
Muthh . Ganz Recht; dies allein war es, was
ihn beunruhigte, jedoch kam es , wie du richtig be
1

merkt haft , aus Gemüths- und nicht aus Geiſtes


ſchwäche Her ; dies kann man recht aus der Art
und Weiſe ſehen, in der er fein Pilgerleben geführt
hat. Ich glaube, er wäre, wie man zu ſagen pflegt,
Durch ein Feuer gelaufen , wenn es ihm im Wege
geſtanden ; aber das , was ihn drückte, hat noch
Reiner mit Leichtigkeit von ſich abgeſchüttelt.
Chriſtin. Die Erzählung über Verzagt hat
mir wohl gethan . Bisher glaubte ich, es wäre Nies
mandem ſo geweſen wie mir, allein nun ſehe ich,
daß zwiſchen dieſem guten Manne und mir doch
eine Aehnlichkeit vorhanden war . Nur in zwei
Dingen ſind wir verſchieden. Seine Beangſtigungen
waren ſo groß , daß ſie zum Ausbruch kamen; aber

1) Offenb. 30h. 5, 8.; 14, 2. 3.


108

die meinigen hielt ich bei mir verſchloſſen, und übers


dem lagen die feinigen ſo hart auf ihm , daß er an
den Häuſern , die zu unſerer gaftlichen Aufnahme
eingerichtet ſind, nicht anzuflopfen wagte , dagegen
trieben meine Beangſtigungen mich nur an , um ſo
lauter anzuflopfen.
Barmh. Wenn ich meinen Herzenszuſtand bes
kennen darf, ſo muß ich ſagen , daß Etwas von dem ,
was fich bei ihm fand, auch in mir wohnte. Denn
immerhin habe ich mehr Angſt vor dem Feuerſee
und davor gehabt, daß ich des Paradieſes, als daß
ich irgend anderer Dinge verluſtig gehen möge . D !
wenn ich nur ſo glüdlich bin , dort eine Stätte zu
finden, dachte ich. Wenn ich die nur gewinne, habe
ich genug , und wenn ich auch die ganze Welt bars
1

über verliere.
Mutth . Die Furcht war eins von den Dins
gen , die mich auf den Gedanken brachten , daß ich
weit entfernt fei von dem , was zu unſerer Seliga
feit gehört. Aber, wenn es alſo bei einem fo from
men Manne, wie Verzagt, ſtand, warum ſollte
es dann nicht auch mit mir gut gehen ?
Jakob. Dhne Furcht keine Gnade; wenn gleich
die Gnade nicht allezeit oa ift, wo ſich die Furcht
por der Hölle findet , ſo iſt doch ſicherlich da feine
Onabe, wo teine Furcht Gottes ift.
Muthh. Richtig gerebet, Jakob , bu haft den
Nagel auf den Kopf getroffen ; denn die Furcht Gots
tes iſt der Weisheit Anfang , und gewiß iſt's , daß
die , denen der Anfang fehlt, auch weder Mittel,
noch Ende finden . Doch hier wollen wir unſere
Unterredung über Verzagt beſchließen und ihm
nur noch dieſes Lebewohl nachfenben :
Leb' wohl! Verzagt, du wareft vou
Von Gottesfurcht und Sceu
Por Adem , was man meiden fou,
Und was verleßt die Treu.
109

Bang warſt du vor dem Feuerſee ;


O , möchten's Aue fein !
Denn, wer nicht fühlt dein ängfilid Weh,
Geht nicht zum Himmel ein.
Nun bemerkte ich , daß fie in ihren Geſprächen
fortfuhren. Redlich fing ießt von einem Andern
an, mit Namen Eigenwillig. Er gab ſich ſelber
für einen Pilger aus, ſagte Redlich; aber ich
glaube überzeugt ſein zu können , daß er niemals
durch die Pforte gekommen iſt, die am Eingange
dieſes Weges ift.
Mutbh . Haſt du wohl mit ihm darüber geredet ?
Redl. Ja, mehrmals ; aber er blieb ftets, wie
ſein Name , Eigenwillig. Er achtete weder auf
Menſchen , noch Gründe, noch Beiſpiele; er folgte
lediglich ſeinem eigenen Sinn und nichts anderes
konnte ihn zum Handeln bewegen. ?)
Muth . Was für Grundfäße hatte er denn ?
Ich vermuthe, daß du es mir ſagen kannſt.
Redl. Er behauptete, man könne ſowohl den
Schwächen und Gebrechen der Pilger, als auch ihren
Tugenden folgen, und wenn man Beides thåte, ſo
würde man gewiß ſelig werden.
Muthh. Wie ? wenn er noch geſagt hätte:
es fönne auch dem Beſten widerfahren , daß er ſich
der Sünden der Pilger ebenſo theilhaftig mache, als
ihrer Jugenden , ohne daß man großen Tadel über
ihn erheben könnte ; denn in Wahrheit ſind wir vor
feiner Sünde völlig
und ftreiten .
ficher, wenn wir nicht wachen
Allein , ich merke es wohl, hierum
handelte es ſich nicht bei ihm, ſondern wenn ich dich
recht verſtehe, ſo war feine Meinung, daß es er's
laubt fel, és fo zu machen. 2)
Redl. Ja, ja ! ſo nahm ich's , und hiernach
bachte und lebte er auch

1) Sprüch. 14, 12. – %) 1 Joh. 1, 8. 9.


110

Muthb. Aber , welche Gründe hatte er denn


für dieſe Behauptung ?
Redl. "Ei, er ſagte, er hätte die Schrift zur
Gewähr.
Muthh. So bitte ich denn , lieber Redlid ,
fage uns doch etwas Näheres davon.
Redl. Gerne. Mit anderen Weibern zu thun
haben , ſagte er , wäre Etwas , was David , ein
Kind Gottes , gethan , und deßhalb ſtehe es ihm
ebenfalls zu. Mehrere Weiber zu haben , ſei von
Salomo geſchehen , und darum dürfe er's auch.
Sarah und die gottesfürchtigen . Wehemütter in
Aegypten hätten gelogen , wie auch Rahab , und
Daher wäre es ihm auch erlaubt. Die Jünger des
Herrn , ſprach er, gingen hin auf ſein Geheiß und
nahmen dem Eigenthümer ſeinen Eſel weg, folglich
kann ich's ebenſo machen . Ferner fagte er : Jakob
brachte die Erſtgeburt an ſich durch Liſt und Ver
ſtellung, und ſomit dürfe er’s auch To thun.
Muth . Wichtige Gründe, in der' That! Bift
bu denn gewiß, daß es ihm damit wirklich Ernſt war ?
Redi. Ich habe ihn oft dieſe Meinung vers
theidigen und Bibelſtellen und andere Beweiſe dafür
beibringen hören .
M uthh. Wahrlich, eine Meinung, die gar keine
Berechtigung in der Welt hat !
Red I. Du mußt mich recht verſtehen : nicht
behauptete er , daß ein Jeder dies thun dürfe, fons
dern daß der, welcher die Tugenden derer befäße,
bie ſolche Dinge gethan, auch dasſelbe begehen dürfe,
was Jene begangen .
Muthh. Åber , was kann falſcher ſein , als
folch ein Schluß ? Denn das heißt mit anderen
Worten : Weil fromme Menſchen aus Schwachheit
geſündigt, deßweger: haben wir die Befugniß, es
mit Vorfaß und Ueberlegung zu thun ; oder: weil
ein Kind von einem ſtarken Šinde ümgeworfen warb
oder über einen Stein ftolperte, und dadurch hinftel
111

und ſich im Rothe beſchmußte , darum dürfen wir


uns gefliffentlich hineinlegen und wie ein Schwein
darin herumwälzen. Wer ſollte meinen , daß ein
Menſch durch die Gewalt der Lüfte ſo ſehr verblens
det werden könnte! Doch es muß erfüllet werden,
was geſchrieben ſtehet: fie ſtoßen fidh an dem
Wort, und glauben nicht daran , darauf fie
gereßt ſind. ) Wenn Jener wähnt, daß Einer
die Tugenden der heiligen Männer befißen fönne,
der ihre Fehler und Gebrechen an ſich hat, ſo ift
das hinwiederum eine Täuſchung , die ebenſo ſtart
iſt, wie die andere. Die Sündopfer des Vols
fes Gotte8 zu freffen , 2) wie ein Hund den
ſcoth aufledt, iſt kein Zeichen , daß man mit den
Jugenden dieſes Volkes begabt ift. Und ich kann
nicht glauben , daß Einer, der ſolche Meinung hegt,
zur felben Zeit Glaube und Liebe in ſich trage. - -

über zweifelsohne, du wirſt ſtarke Einwendungen


wider ihn erhoben haben ; ſo fage mir doch , was
konnte er denn wohl für ſich anführen ?
Redl.' Ei nun , er ſagte, wenn man ſo nach
eigener Meinung handle, lo ſcheine ihm das bei
Weitem ehrlicher, als , wenn man das Gegentheil
glaube, und doch dasſelbe thue.
Muthh. Eine wahrhaft gottloſe Antwort
denn den Lüſten den Zügel ſchießen laſſen , obgleich
es unſerer Ueberzeugung zuwider iſt, kann doch nur
ſchlecht genannt werden ; aber fündigen und ein
Recht dazu beanſpruchen , iſt noch ſchlechter . Der
Eine bringt die , welche es fehen , zum Fall , der
Andere führt ſie abſichtlich in die Fade.
Redl. Es gibt Viele, welche die nämliche Ans
ſicht haben , wie dieſer Mann , es aber nicht auss
fprechen , und daher kommt's , daß das Pilgerleben
heutiges Tages ſó wenig in Achtung ſteht.

1 ) 1 Petr. 2, 8. - Hof. 4 , 8 .
112

Muth ). Du ſagſt die Wahrheit , und es ift


fehr zu beflagen , daß es ſo ſteht; wer aber den
König des Paradieſes fürchtet, wird dem Alem
entrinnen .
Chriſtin. Es gibt ſonderbare Anſichten unter
Den Menſchen . Ich kenne Jemanden , welcher bes
hauptet, es wäre Zeit genug, Buße zu thun, wenn
es zum Tode ginge.
Muthh. Solche Menſchen ſind gerade nicht
die wenigſten . Schwerlich würden fie's im gemeinen
Leben gutheißen , wenn ein Menſch, der zwanzig
Meilen in einer Woche zu laufen hätte, ſeine Reiſe
bis auf die allerleßte Stunde der Woche verſchobe.
Redl. Du haſt ganz Recht, und dennoch mas
dhen es die Meiſten von denen , die Pilgrimé fein
wollen , gerade nicht anders. Ich bin , wie du ſiehſt,
ein alter Mann , und habe manchen Dag diefe Straße
bereiſt; daher habe ich mancherlei Dinge hier er
fahren .
Ich habe Menſchen geſehen , die beim Antritt
ihrer Reiſe thaten , als wenn die ganze Welt ihnen
weichen müßte, aber dennoch in wenigen Tagen
ftarben , wie gene in der Wüſte , und haben das
gelobte land nie geſehen. Andere habe ich geſehen,
die, als ſie ſich auf die Pilgrimſchaft begaben , nichts
zu verſprechen ſchienen , und von denen man hätte
glauben mögen , daß ſie keinen Tag leben würden,
die ſich aber als treue Pilger bewährten. Wieder
Andere habe ich geſehen, die haſtig vorwärts liefen,
aber nach kurzer Zeit eben ſo dnell wieder ums
Fehrten. Noch Andere habe ich geſehen, die anfangs
von dem Pilgerleben viel Rühmens gemacht, die
aber balb nacher eben ſo heftig dawider redeten.
Mehrere habe ich mit Beſtimmtheit ſagen hören,
wenn ſie ſich auf die Reiſe zum Paradieſe begaben :
,,Sicherlid ) , es gibt einen ſolchen Dri!" die jes
doch, wenn ſie beinahe dort angelangt waren , wies
der zurücfamen und behaupteten : Nein,
,, es gibt
113

kein Paradies !" Ich habe gehört, wie Manche fich


rühmten, was fte Alles thun würden , wenn fie auf
Widerſtand ſtoßen ſollten , die aber beim erſten fals
ſchen Lärm Glauben , Pilgerfahrt und Alles daran
gaben.
A8 ſte jo in ihren Geſprächen dahergingen,
fam ihnen Einer entgegen gelaufen und rief: Ihr
Männer und ihr vom ſchwächern Gefdlecht , wenn
ihr euer Leben lieb habt, fo nehmt euch in Acht,
denn die Räuber ſind vor euch !
M uthherz ſagte : Das ſind wahrſcheinlich die
Drei , welche früher Kleinglauben hier überfies
len. Wohlan , wir ſind bereit, fie zu empfangen !
Darauf zogen die Pilger weiter und fahen fich bei
jeder Wendung um , ob ſie nicht mit den Böſewich
tern zuſammenträfen. Allein mochte es nun ſein ,
daß ſie von Muthherz gehört , oder daß ſie eine
andere Beute aufgethan hatten , fie tamen nicht auf
unſere Pilger zu.

Achtes Capitel.
Pilger in der Gerberge.
Chriftin verlangte nun nach einer Herberge
für ſich und ihre Kinder, denn ſie waren müde.
Redlich ſagte : Da iſt eine nahe vor uns, in der
ein ſehr achtbarer Jünger, Namens Gajus ') wohnt.
Und ſo ward denn von Alen beſchloſſen , dort ein
zukehren, und zwar um ſo mehr, weil der alte Reds
lidh ihm ein ſo gutes Zeugniß gab. Als fie an
die Thüre kamen, traten fte ein, klopften jedoch nicht
an , wie man dies bei einem Wirthshauſe nicht zu
thun pflegt. Sie fragten dann nach dem Wirth

1 ) Róm . 16 , 23. 9
114 .

des Hauſes, und er kam zu ihnen. Da erkundigten


fie fich bei ihm , ob fte dort über Nacht bleiben
tönnten ?
Gajus antwortete darauf: Ja, wenn ihr reds
liche Leute feid, denn mein Haus ift nur für Pilger.
Dá freuten ſich Chriſtin , Barmherzig und die
Anaben um ſo mehr, als ſie hörten , daß der Wirth
ein Freund der Pilger fei. Derſelbe wies ihnen
nun ihre Zimmer an , eins für Chriſtin , ihre Kins
der und Barmherzig, und ein anderes für Muths
herz und Redlich.
Muthberg fagte: Lieber Gajus , was haft
bu zum Abendeſſen ? Denn dieſe Pilger haben heute
einen weiten Weg gemacht und ſind mübe.
Gajus . Es iſt ſchon ſpät, und wir können
nicht gut mehr um Speiſe ausſchicken , aber wir
wollen gerne geben , was wir haben I, wenn ihr das
1

mit zufrieden ſein wollt.


Muthh. Wir wollen gerne mit Dem fürlieb
nehmen , was du im Hauſe haft; denn, ſoweit ich
dich kennen gelernt, fehlt es hier nie am Nöthigen.
Darauf ging Gajus hinunter und ſprach mit
dem Rock, Namens Gutſch meder ; ihm ſagte er :
Mache ein Abendeſſen für acht Perſonen zurecht.
Nachdem dies befteüt, kam er wieder herauf und
ſagte : Sommt, liebe Freunde , ihr ſeid mir willkoms
men; ich freue mich, daß ich euch in meinem Hauſe
beberbergen kann. " Wabrend aber das Eſſen bereis
tet wird, wollen wir uns, wenn's euch gefällig iſt,
auf eine heilſamliche Weiſe unterhalten. Gerne!
ſprachen fte Aue.
Gajus fragte nun : Weffen Gattin iſt dieſe
Frau ? und weſſen Tochter iſt dieſe Jungfraa ?
Muthh. " Die Frau iſt Chriſt's , eines frů .
heren Pilgers . Gattin, und dies ſind ſeine vier
Rinder . Dieſe Jungfrau iſt aber eine ihrer Bes
kannten , die ſie beredet hat , ſich mit ihr auf die
Pilgrimſchaft zu begeben. Die Knaben arten alle
115

ihrem Vater und find begierig in ſeine Fußſtapfen


zu treten ; ja , wenn ſie nur eine Stelle ſehen, an
welcher der alte Pilger ausgeruht hat, oder eine
Spur , die ſein Fuß zurücgelaffen , so erregt es
Freude in ihren Herzen, und ſte ſind begierig, auch
ſelber ba auszuruhen , oder auf die nämliche Stelle
ihren Fuß zu feßen.
Gajus. ft dies Chrift's Weib und find dies
Chriſt's Kinder ? Ich kannte bereits beines Mans
nes Vater , ja , deſſen Vaters Vater. Viele von
dieſem Geſchlechte find gottesfürchtige Menſchen ges
wefen; ihre Vorfahren wohnten zuerſt in An
tiochien .) Dein Mann wird euch , wie ich den
ten kann, davon erzählt haben ; ja , es waren ſehr
würdige Leute. Sie haben ſich vor Andern her,
von welchen ich gehört, burdh hohe Tugend und
Herzhaftigkeit ausgezeichnet, wo es ſich handelte
um den Herrn der Pilger, feine Wege und Diejes
nigen, welche Ihn lieb haben . Ich habe gehört von
vielen Verwandten deines Mannes , die um der
Wahrheit willen alle Prüfungen erduldet haben .
Stephanus , einer der erſten aus der Familie,
aus welcher dein Mann ſtammt, ward geſteinigt. ?)
Jakobus , ein anderer dieſes Geſchlechts, wurde
.

getödtet mit dem Sdwert. ) Pauli und Betri


nicht zu gebenken , To war unter euren Vorfahren
ein Ignatius , der den Löwen vorgeworfen , ein I

Romanus , dem das Fleiſch mit Stüden von den


Knochen abgeſchnitten ward , und ein Polykarp ,
der des Feuertodes ſtarb. Ferner war Einer dars
unter I, der in einem Korbe an die Sonne gehängt
wurde, um von den Wespen zerfreſſen zu werden ,
und wieder Giner , ben inan in einen Sad ftecte
und in's Meer warf, um ihn zu erfäufen . 66
wäre aber völlig unmöglich, alle Glieder jener Fas
milie zu zählen, die Schmad und Tob erlitten aus

9)1 ) Apoftlg..11, 26.-— 2)) Apoftig..7, 58. 59.-)


— 9 Apoftig.
0* .12, 2..
116

Liebe zum Pilgerleben . Und ſo kann ich mich nur


freuen darüber, daß dein Mann vier ſolcher Rinas
.

ben, wie dieſe , hinterlaſſen hat . 3d, hoffe, ſie wers


den den Namen ihres Vaters aufrecht erhalten , in 1

ihres Vaters Fußſtapfen treten und ein Ende has


ben, wie das ſeinige.
Muth h . Es ſind wirklich prächtige Knaben ,
es ſcheint, daß ſie von ganzem Herzen ihres Vaters
Wege wandeln wollen .
Gajus. So meine idy's auch , und deßhalb
wird Chriſt's Familie ſich auch weiter über der
Grde verbreiten und zahlreich werden . Möchte Ehris
ftin denn ſich für ihre Söhne nach paſſenden Jung
frauen umſehen, die ſich als Gattinnen vor den
Augen des Herrn mit ihnen verbinden , damit der
Name ihres Vaters und das Geſchlecht ſeiner Vors
fahren in dieſer Welt nie untergehe.
Redl. Es wäre ſehr zu bebauern , wenn fein
Geſchlecht untergehen ſollte.
Gajus. Untergehen kann es nicht, wohl aber
vermindert werden. Darum folge Cbriftin meinem
Rathe , denn das iſt der Weg eß aufrecht zu erhals
ten. ' Chriſtin , ſprach er nun ferner , es freut
mich , dich und deine Freundin Barmherzig , ein
ſo liebes Schweſternpaar, hier bei einander zu ſehen .
Darf ich rathen , ſo nimm Barmherzig in deine
nähere Verwandtſchaft auf. 3ft ſie damit einvers
ſtanden , ſo gib ſie deinem älteſten Sohne Mats
thaus.
thå Auf dieſe Weiſe fannſt du dir erhalten
eine Nachkommenſchaft auf Erden. So ward nun
dieſe Heirath beſchloſſen und ſpäterhin vollzogen ;
doch mehr hiervon nachher.
Gajus fuhr fort und ſagte : Ich will nun
ein Wort zum Beſten der Frauen reden , um ihre
Schmadh von ihnen zu nehmen. Zwar ſind Lod
und Fluch durchein Weib in die Welt gekommen, ')
1) 1 Mol. 3.
117

aber ebenſo auch Leben und Heii, denn Gottfandre


feinen Sohn , geboren von einem Wcibe. :)
Ja , um zu beweiſen, wie ſehr die Töchter Eva's
die That ihrer Mutter verabſcheuten, ſo ſehnte dies
ſes Geſchlecht fich im alten Bunde deßwegen nach
Kindern, ob etwa der Einen oder Änderen von
ihnen die Gnade wiederfahren möchte , die Mutter
des Heilandes der Welt zu werden. Ich will fers
ner darauf hinweiſen , daß, als die Zeit gekommen
war , daß der Heiland der Welt erſcheinen ſollte,
fich Weiber über Ihn freuten , bevor Solches von
einem Manne oder Engel geſchah.2) Ich habe nicht
geleſen , daß irgend ein Mann Ihm je für einen
Groſchen gegeben , aber Weiber folgten Ihm und
thaten zhm Handreichung von ihrer Habe . :) Ebenſo
war es ein Weib , die ſeine Füße neßte mit ihren
Thränen ;4 ) ein Weib , die ſeinen Leib falbete zu
ſeinem Begräbniß; 5) Weiber waren es , die da
weineten , als er ſein Kreuz nach Golgatha trug, )
und Weiber, die Ihm nachgingen vom Kreuze und
ſich gegenüber ſepten ſeinem Grabe, da Er begras
ben war. 7) Auch waren es Weiber, die am Mors
gen feiner Auferſtehung zuerſt bei Ihm waren und
endlich Weiber, die zuerſt ſeinen Jüngern die Bota
.

dhafi brachten , daß er auferſtanden ſei von den


Todten.8) So haben denn die Weiber große Gnade
empfangen und beweiſen hiedurch, daß fie auch
Miterbei der Gnade des Lebens find. '
Nun ließ der Such ſagen , daß das Abendeſſen
ungefähr bereit ſei. Sodann mußte Einer den Tiſch
deden , Teller aufſeßen , Meſſer und Gabeln legen
und Salz und Brodt hinſtellen.
Da ſagte Matthäus: der gedecte Tiſch und

1) Gal. 4 , 4. *) lut. 1 , 42 ff. – 8) Luk. 8 , 3.


“ ) lut. 7, 37. ff. 5) 306. 12 , 7. - 0) Lut. 23, 27.
- Matth. 27 , 61. - $0 fut. 24 , 1. 22. 23.
) 1 Petr. 3, 7.
118

dieſe Vorboten des Effens machen meinen Hunger


noch größer, als er zuvor war.
Gajus. So laß alle Anweiſungen , die dir
in dieſem Leben zur Vorbereitung dienen , ein gro
ßeres Verlangen in dir erzeugen, bei dem Abends
mahle des großen Königs zu fißen in ſeinem Reiche.
Denn alles Predigen, gute Bücher und Drdnungen
Gottes hienieden find nichts als die Vorrichtungen
des Tiſches und das Aufſeßen des Salzes und Bros
tes, verglichen mit den Zurüſtungen zu dem herrli
chen Mahle, welches unſer Herr uns zurichten will,
wenn wir kommen zu ſeinem Hauſe.
So ward nun das Eſſen heraufgebracht. Zus
erft warð eine Hebeſchulter und Webebruft ')
aufgetragen , um damit anzudeuten , daß fie das
Mahl mit Gebet und Dant gegen Gott beginnen
fouten. Denn mit der Sebeſchulter hob David
ſein Herzzu Gott empor, und an die Webeb ruft,
worin ſein Herz lag, pflegte er ſeine Harfe zu
lehnen , wenn er ſpielte.2) Dieſe beiden Schuſſein
waren ganz friſch" und wohlſchmeđend, und Äde
aßen tüchtig davon.
Darauf wurde zunächſt eine Flaſche Wein auf
getragen , derſelbe war ſo roth, wie Blut. 3) Trins
fet nun frei zu , ſprach Gajus , das iſt der åchte
Saft der Reben , welcher Götter und Menſchen
fröhlich macht. 4) So tranken ſie denn und wurden
munter.
Hiernach kam eine Schüſſel mit reichlich eins
gebrocter Milch. Laſſet dieſe den Anaben , ſagte
Gajus, daß fie durch dieſelbige zunehmen. :)
Und nun trug man Butter und Honig auf.
Da ſagte Gajus: Effet davon nach Herzensluſt,
denn es iſt gut , eure Erkenntniß hele zu machen
.

1) 3 Mob. 7, 32.; 10, 14. 15. -


2) Pr. 25, 1. Ebr. 13, 15 .
8 ) 5 Moſ. 32, 14. Joh. 15, 5 . ) Ridt. 9, 13. pp.
104, 15. -6) 1 Petr. 2 , 2.
119
und eure. Einſicht zu befeftigen . Eben dies war
auch die Speiſe unſeres Herrn in ſeiner Kindheit,
denn es heißt: Butter und Honig wird Er
eſſen , Daß Er wifie Böſe's zu verwerfen
und Gutes zu erwählen . ')
Dann brachte man eine Schüſſel mit A epfeln ,
eine ſehr wohlſchmedende Frucht. Hiebei ſagte Mats
thåus: dürfen wir denn Aepfel eſſen , da das ges
.
rade die Frucht ift , durch welche die Schlange uns
ſere erſte Mutter betrogen hat ?
Da ſprach Gajus :
Es waren Aepfel wohl, durch die wir hintergangen ,
Doch nicht durch fie, nein , durch die Sünde wurden
wir gefangen ;
Berbotner Apfelbiß verdirbt das Blut,
Gebotner Apfel macht Verborbnes wieder gut :
Drum bift vor liebe du, o Gottes Taubel frant,
So lab' an Aepfeln did und ſeiner Reben Trant.
Hierauf ſagte Matthäus : ich trug dieſes
Bedenken , weil ich vor Sturzem durch's Obfteffen
trant geworden war .
Gajus. Verbotene Frucht macht frank , nicht
aber die, welche unſer Herr uns zu eſſen erlaubt hat.
Während ſte ſo redeten , wurdeihnen eine Schüſs
fel mit Nüſſen vorgefeßt. Da ſagten Einige, die
bei Tiſche faßen : Nufſe verderben gute Zähne , be .
ſonders die jungen Zahne der Kinder. Als as
i us dies hörte, Tprach er :
Betrüger nicht möcht' ich die Rüffe Heißen
Doch chwerer Bibelftellen Bild if hier nicht fern .
Entroließt euch nur, fie muthig aufzubeißen ,
Dann findet ihr gewiß den ſüßen Kern.
Und eben drum find fie euch vorgefeßt,
Daß för fie Inadt und euch daran ergößt.
Sie wurden nun ſehr heiter und ſaßen lange
bei Tiſche und ſprachen über mancherlei Dinge. Da

1) 3ef. 7, 15 .
120

ſagte denn auch der alte Redlid : Mein lieber


Wirth, während wir dieſe Nüſſe knaden, möchte ich
dies Räthſel zum Beſten geben :
Es war einmal ein Mann, den man für einen Narren hielt,
Und der, je mehr 'er wegwarf, um ſo mehr behielt.
Sie gaben Alle genau Acht und waren begies
rig, was der liebe Gajus darauf antworten würde.
Nachdem er ein Weilchen ftill geſehen, erwiederte er :
Der ift es, der ſein Gut den Armen ſpendet,
Denn zehnfach wird's ihm wieder zugewendet.
Ich muß ſagen , lieber Herr , ſprach Joſeph ,
ich hätte nicht gedacht, daß ihr's errathen hättet.
D , ſprach Gajus, ich bin eine gute Weile
über dieſen Weg geführt worden, und nichts belehrt
fo, wie die Erfahrung. Ich habe von meinem Herrn
gelernt, wohlthätig zu ſein und erfahren , daß es
Gewinn bringt. Einer theilet aus , und hat
immer mehr ; ein Anderer farget, da er
nicht foll, und wird doch ärmer. Mander
ift arm bei großem Gut, und Mander ift
reich bei ſeiner Armuth. :)
Da lispelte Samuel ſeiner Mutter zu : Muts
ter , hier iſt das Haus eines ſehr guten Mannes.
Laß uns hier noch eine gute Weile verbleiben ;
mein Bruder Matthäus kann ſich hier ja mit
Barmherzig verheirathen, ehe wir weiter gehen .
Gajus , der Wirth , hörte es und ſprach: dies
foll mir von Herzen lieb ſein , mein Kind.
Und ſo blieben ſie denn über einen Monat lang
hier, und Barmherzig ward dem Matthäus
zum Weibe gegeben . Während ihres hieſigen Aufs
enthaltes machte Barmherzig , wie ' gewöhnlich,
Röcke und ſonſtige Kleider für die Armen ; dadurch
aber brachte ſie die Pilger in einen ſehr guten Ruf.

') Sprüch . 11, 24 .; 13, 7.


Sinu
TIUA
M
121

Doch kehren wir zu unſerer Erzählung zurüd.


Nach dem Effen verlangten die Knaben zu Bette ;
denn ſie waren müde von der Reiſe. Darum ließ
Gajus ihnen ihr Zimmer anweiſen. Barmhers
zig aber ſagte : ich will fte zu Bette bringen. Dies
geſchah, und ſie ſchliefen gut ; die Uebrigen aber
blieben die ganze Nacht hindurch auf; denn Gajus
und ſie alle freuten ſich ſo ihres Zuſammenſeins,
daß fie ſich nicht von einander trennen mochten.
Nachdem ſie viel von ihrem Herrn , ſich ſelber und
ihrer Reiſe geſprochen hatten ,fing der alte Red
lidh an einzunicen. Da ſprach Muth herz : Wie,
lieber Redlid , du fångſt an ſchläfrig zu werden ?
Wiſch' dir den Schlaf aus den Augen- hier hab'
id ein Räthſel für dich. Laß hören , ſagte Reds
lidh. Und Muth herz ſprach :
Wer tödten will, der muß erft ſelber fterben ;
Wer draußen leben wit , zuvor daheim verderben .
Eil ſagte Redlid , das iſt ſchwer; ſchwer aufs
zulöſen und noch ſchwerer auszuüben. Aber, fomm ,
lieber Wirth, nimm , wenn's dir gefällig iſt, meine
Stelle ein, und löſe bu es auf, dann wiù ich hören ,
was du ſagſt.
Nein , ſprach Gajus : dir iſt die Aufgabe ges
ſtellt und von dir muß die Antwort erwartetwerden .
Darauf ſagte der alte Reblich :
Der kann den Todesſtoß der Sünde geben,
In dem die Gnade Chrifti mächtig ift;
Und ſo vermag ein Menſch erſt dann zu leben,
Wenn in ihm ſelbft der alte Menſd ertődtet ift.
Getroffen ! fagte Gajus. Wahre Lehre und
Erfahrung" beſtätigen dies . Denn eße die Gnade
fich offenbaret und das Herz mit ihrer Herrlichkeit
einnimmt, vermag es fich durchausnicht derSünde
zu widerfeßen. Denn, weil die Sünde des Teufels
Strict iſt, worin die Seele gebunden liegt, wie ſollte
fie Widerſtand thun fönnen , ehe fte aus dieſer Dhns
122

macht befreit worden ? Ferner wird aber auch seis


ner, welcher die Vernunft oder Gnade kennt, wåh,
nen , daß Der ein lebendiges Denkmal der göttlichen
Gnade ſein könne , der noch ein Sklave feiner füns
digen Natur ift.
Hiebei fällt mir eine Geſchichte ein, die ich euch
erzählen wid, da fie des Anhörens werth iſt. Es
waren einmal zwei Menſchen , die ſich auf die Pils
grimſchaft begaben: der Eine war, da er ſie begann,
noch jung , der Andere bereits alt. Der Jüngere
hatte mit mächtigen Leidenſchaften zu kämpfen , der
Aeltere war durch die vorgerücten Jahre abges
ſchwächt und entfräftet; daher hatte er weniger zu
kämpfen . Der Jüngere wandelte aber ebenſo feſt
wie der Aeltere und ging einher mit derſelben Leich
tigkeit. In welchem von Beiden leuchtete nun die
Gnade am hellſten hervor , da doch Beide gleich zu
fein fchienen ?
Redl. In dem jungen Manne, zweifelsohne.
Denn der, welcher dem ſtärkſten Widerſtande ges
wadſen iſt , beweifet eben dadurch , daß er der
Stärfſte iſt, zumal, wenn er auch mit demjenigen
1

gleichen Schritt hält , der nicht halb ſo viel zu be:


wältigen hat, wie es offenbar bei dem höheren Al
ter der Fall iſt. Dennoch habe ich ſelbſt wohl die
Beobachtung gemacht, daß alte Leute ſich in dieſem
Irrthum ſelig geprieſen haben. Sie hielten näms
lich die Abnahme ihrer Kräfte für einen Sieg der
Gnade über ihre Verderbniß, und wurden dadurch
verleitet ſich felbſt zu betrügen. In Wirklichkeit
find alte Leute, die in der Gnade ftehen , am beſten
befähigt, den Jüngern Rath zu ertheilen , weil ſte
am meiſten die Nichtigkeit der Welt erfahren haben.
Auein , wenn ein junger und ein alter Mann zu
gleicher Zeit die Pilgerreiſe antreten , ſo hat der
Süngere den Vortheil, daß das Werk der Gnade in
ihm ſich am herrlichſten offenbaret, obgleich das na.
123

türliche Verder ben fich begreiflichermaßen in einem


Alten ſchwächer erweiſet.
In ſolcher Unterhaltung faßen ſie zuſammen,
bis der Tag, anbrach . Da nun andern Morgens
die Leute im Hauſe aufgeſtanden waren , hieß Chri
ftin ihren Sohn Jakob ein Kapitel aus der Bi.
bel vorleſen , und ſo las er dann das 53. Kapitel
des Propheten gefaia. A18 e8 zu Ende ivar,
fragte Redlich : warum es hier heiße : der Heis
land werde fommen aus dürrem Erdreich
und daß Er feine Geſtalt, noch Schöne hätte ?
M uthh. Auf das Erſte antworte ich : Weil
das Volf Iſrael, aus welchem Chriftus herkain ,
Kraft und Geiſt der Gottſeligkeit faſt ganz verlo
ren hatte. Auf das Zweite erwiedere ich : die Worte
find geſprochen im Sinne der Ungläubigen , denn
weil fie fein Auge haben, welches in das Herz uns
feres Fürſten zu blicken vermag , fo beurtheilen fie
Ihn nur nach der Niedrigkeit ſeiner Knechtsgeſtalt;
gerade wie diejenigen , welche nicht wiſſen , daß
Edelſteine mit einer håßlichen Kruſte überzogen find;
wenn ſie daher einmal einen ſolchen gefunden has
ben, werfen ſie ihn wieder weg, wie einen gemeinen
Stein , weil' ſte' nicht wiſſen , wie ſchäßbar ihr
Fund iſt.
Wohlan , ſagte Gajus , da ihr nun einmal
hier feid , und ich weiß , wie gut Muth herz ſeine
Waffen zu führen verſteht, ſo wollen wir , wenn's
1

euch gefällig iſt, nachdem wir uns ein wenig ges


ftarkt haben, hinaus auf's Feld gehen, und zuſehen ,
ob wir nicht etwas Gutes thun tönnen. Es hält
ich nåmlich ungefähr eine Meile von hier ein Rieſe,
Namens Jugendmorder , auf , welcher in dieſer
Gegend großen Schaden auf der Stönigsſtraße an
richtet; ich weiß , wo ſein ' Hinterhalt ift . Er ift
der Anführer einer großen Räuberbande ; es wäre
ſchön, wenn wir die Straße davon ſäubern könnten .
Alle waren mit dem Vorſchlag einverſtander
124

und begaben fich auf den Weg , Muthherz mit


jeinem Schwert, Helm und Schild und die Webris
gen mit Speeren und Ståben .
A8 fte zu dem Drte famen , woder Rieſe war,
trafen fte ihn mit einem gewiffen Schwach muth
zuſammen , den er unter ſeinen Händen hatte. Des
Riefen Diener hatten denſelben unterwegs aufge.
fangen und zu ihm geſchleppt. Der Rieſe war ges
rade im Begriff, ihn auszuplündern und beabſics
tigte ihn darnach aufzufreſſen , denn er war von
Natur ein Menſchenfrefier.
Sobald er nun Muthbergens und ſeiner
Freunde mit ihren Waffen am Eingang ſeiner Höhle
anfichtig ward , fragte er, welches ihr Begehren wäre.
M uthh. Did wollen wir haben ; denn wir
find gekommen , um den Tod fo 'vieler Pilger zu
råchen , die du von der Königsſtraße weggeſchleppt
und erſchlagen haft ; deßhalb fomm heraus aus dei.
ner Höhle !
Hierauf bewaffnete er fich und trat hervor,
und nun hob der Rampf an ; fie fochten aber über
eine Stunde mit einander , und ftanden dann eine
Weile ftil , um Athem zu fchöpfen.
Nun fragte Tugendmorder : warum ſeid ihr
auf meinem Grund und Boden ?
Muthh. Um , wie ich dir ſchon vorhin ges
1

ſagt, das Blut der Pilger ju rächen. So began.


nen ſie denn den Stampf von Neuem , und der Rieſe
brachte Muthherz zum Weichen, allein dieſer
machte ſich wieder auf und ſchwang im Feuer ſeis
nes Muthes das Schwert mit ſolcher Straft um des
Rieſen Haupt und Seiten , daß er ihn nöthigte,
bie Waffe aus der Hand fallen zu laſſen . Darauf
ichlug er ihn zu Boden , hieb ihm das Haupt ab
und nahm es mit in die Herberge. Aud brachte
en den Pilger Schwachmuth dort mit hin . Als
te nach Hauſe famen , zeigten fte der Familie das
Haupt des Rieſen und fteěten és auf einen Pfahl,
125

wie fte es ſchon mit andern gethan, zum Scre.


für diejenigen, welche ſich in Zukunft gelüften la
fen möchten es zu machen , wie der Rieſe es géo
macht hatte.
Darnadh ließen fte fich von Sdwachmuth er
zählen , wie er dem Rieſen in die Hände gefallen
wåre.
Schwach muth , der arme Mann , ſagte : ich
bin, wie ihr fehet, ein frånflicher Mann, und weit
der Tod jeden Tag bei mir anzuklopfen pflegte, ſo
dachte ich, zu Hauſe würde ich niemals beffer wets
i den. Da ſchidte ich mich denn zur Pilgerreiſe an,
und bin aus der Stadt ungewiß hierher gereift ;
dort ward ich, ſo wie mein Vater geboren. Ich bin
ein Menſch , der weder Kraft des Leibes , noch der
Seele beſißt, dennoch wollte ich gerne , wiewohl ich
nur friechen kann, mein Leben auf der Pilgerreiſe
.

zubringen. Als ich an die Pforte fam , die am


Eingange des Weges ift, nahm mich der Herr dies
ſes Ortes wiliglich auf, und machte mir weder
wegen meines ſchwachlichen Ausſehens, noch wegen
meines ſchwachen Gemüthes irgend eine Schwierigs
keit, ſondern gab mir vielmehr, was ich zur Reife
bedurfte, und hieß mich hoffen auf das Ende. Ale
ich zu dem Hauſe des Auslegers fam, wurde mit
baſelbft viel Freundlichkeit erwieſen , und da ber
Hügel Beſchwerde zu mühſam für mich erachtet
ward, ließ er mich von einem ſeiner Diener hinauf
tragen . Ich habe wirklich manche Erleichterung
burch Pilger erfahren , obwohl einer ſo langſam
gehen wollte, wie ich zu thun genöthigt war. Dodi,
wenn ſte tamen , ſprachen fte mir Muth zu unb
ſagten , e$ fei der Willé ihres Herrn , die Klein .
müthigen 'zu tröften, und ſo gogen fte ihren
Weg weiter im Frieden . Als ich in die Anfalls .
gaffe kam, traf dieſer Rieſe auf mich und forderte
) 1 Theff. 5 , 14 .
126

mich zum Kampfe heraus. Aber ach ! ſchwach, wie


ich war , hätte ich vielmehr eine Herzensſtarfung
bedurft;' ſo kam er denn auf mich zu und ſchleppte
mich hinweg. Ich hoffte, er würde mich nicht ums
bringen . Auch da er mich in ſeiner Höhle ' hatte,
meinte idy, weil ich nicht freiwillig mit ihm gegans
gen war , ich würde lebend wieder hinauskommen.
Ich hatte nämlich gehört, daß nach den Gefeßen der
göttlichen Fürfehung, fein Pilger, der mit Gewalt
wäre gefangen genommen worden, wenn er ſich nur
von ganzem Herzen an ſeinen Herrn halte - durch
die Hand des Feindes ſterben folle. Geplündert zu
werden, verfah ich mich , und geplündert bin ich ja
audi ; allein ihr fehet, daß ich mit dem Leben das
von gekommen bin ; dafür banke ich meinem Könige
als dem Urheber davon, und euch , die ihr dazu die
Werkzeuge geweſen ſeid. Andere Angriffe ſehe ich
noch kommen, jedoch das habe ich bei mir beſchloſ
ſen , zu laufen, wenn ich kann, zu gehen , wenn ich
nicht laufen kann , und zu friechen , wenn ich nicht
gehen kann. In der Hauptſadye bin ich - Dant
Jei Dem dafür, der mich geliebet hat! klar und ges
wiß : mein Weg liegt vor mir , mein Sinn iſt bes
reits jenſeits des Stromes , der keine Brüde hat,
obwohl ich , wie ihr febet , ein Menſch von kleinem
Muthe bin.
Redl. Haft du nicht vor längerer Zeit die
Bekanntſchaft eines Pilgers, Namens Verzagt, 1

gemacht ?
Schwach muth. Belanntſchaft ! o ja. Er fam
aus der Stadt Stumpfſinnigkeit, die vier Meis
len nördlich von der Stadt Verderben und ebenſo
weit von meinem Geburtsorte entfernt liegt. Aller :
dings waren wir recht bekannt mit einander , denn
er war mein Dheim , Vaters Bruber . Er und ich
waren ſo ziemlich von derſelben Gemüthsart; er
war etwas kleiner, als ich, übrigens aber von ſehr
ähnlicher Körpergeſtalt.
127

Ich
Redl. Jo fehe, du haft ihn gekannt, und ich /

bin wohl geneigt zu glauben, daß ihr mit einander


verwandt waret, denn du haſt ein eben ſo bleiches
Ausſehen , wie er , gerade folchen Blid und eine
ganz ähnliche Sprache.
Schwa chm . Das haben die Meiſten geſagt,
die uns beide kennen , und überdem habe ich , was
ich in ſeinem Herzen geleſen , meiſt in mir ſelbſt
auch gefunden.
Gajus. Romm , lieber Mann, ſagte Gajus , 1

fei gutes Muths ! du folft mir und meinem Hauſe


widtommen ſein , forbere nur ungeſcheut, wozu du
Luft haft, und Alles , was du von meinen Dienern
wünſcheſt, werden ſie mit aller Bereitwilligkeit thun .
Darauf ſagte Sowac muth : das iſt ja eine
unerwartete Gunft, und wie Sonnenſchein nach ganz
düſtern Wolfen. Ob der Rieſe mir dieſe Gunſt
wohl zugedacht haben mochte , als er mich pacte
und fefthielt ? War es feine Abſicht, mich zu einem
ſo lieben Wirthe, wie Gajus zu ſchiden , als er
mich ausgeplündert ? Und dennoch hat ſich's fo zus
getragen.
Gerade in dem Augenblic, als Schwach muth
und ajus. fo mit einander redeten , fam Einer
gelaufen und brachte die Nachricht, daß ein gewif
fer unlauter, ein - Pilgrim , ungefähr anderthalb
Meile von dort vom Bliß erſchlagen worden ſei.
Ach ! ſagte Schwach muth , ift er erſchlagen ?
Einige Jage, ehe ich hierher fam , holte er mich ein
und wollte mein Begleiter fein . Er war auch bei
mir , als der Rieſe Tugendmörder mich faßte,
aber er war leicht auf den Füßen und entwiſchte.
Allein es ſcheint, er entwiſchte nur, um zu ſterben,
und ich ward gefangen genommen , um zu leben.
Was, wie wir meinen, uns den Untergang bereitet,
Das gerade hat uns oft aus bitt'rer Noth geleitet.
Die Fürficht, die dem Sichern Tod gebracht,
Hat des Gebeugten leben angefacht. 10
128

3. ward gefangen , er entwiſcht und floh,


Ihm fandte Gott den Tod, macht' mich des Lebens froh.
Um dieſe Zeit heiratheten Matthäus und
Barmherzig ; auch gab . Gajus ſeine Tochter
Phobe dem Jakob , bem Bruder des Matthaus,
zum Weibe. Nachdem dies geſchehen , blieben ſie
noch ungefähr zehn Tage in Gajus Hauſe ; ihre
Zeit und Stunden verwendend , wie es der Pilger
Sitte iſt.
Vor ihrer Abreiſe veranſtaltete ihnen Gajus
ein Feſt; da aßen und tranken ſie, und waren froh.
Nun aber war die Stunde des Abſchieds gekoms
men , und deshalb forderte Muthberz denn die
Rechnung. Gajus aber ſagte , in ſeinem Hauſe
ſei es nicht Sitte, daß Pilgrime für ihre Bewirs
thung Etwas bezahlten . Er unterhalte ſie ein Jahr
lang, die Bezahlung dafür erwarte er aber von dem
barmherzigen Samariter, welcher ihm vers
ſprochen , Alles, was er für ſie dargethan, zu bezah
len, wenn er wiederfäme. )
Darauf ſprach Mutóherz zu ihm : Mein
lieber , du thuft treulich , was du thuft an
den Brüdern und Gäſten , die von deiner
liebe gezeug et haben vor der Gemeinde ,
und du haſt wohl gethan , daß du ſie abges
fertigt haſt würdiglich vor Gott.2) Hiernach
nahm Gajus Abſchied von ihnen Alen , naments
lich von ſeinen Kindern , und beſonders noch von
Schwachmuth. Auch gab er dieſem Etwas zu
trinken mit auf den Weg.
Als ſie nun aus der Thüre heraus waren, ſtellte
fich Sdwad muth , als wollte er hinter ihnen
zurückbleiben. Indem Muthherz dies merfte, ſprach
er : Komm, Schwac muty , geh doch mit uns, ich
will dein Führer ſein , und es ſoll dir ebenſo gut
gehen, wie den Andern .
1 ) Luk. 10 , 34. 35. 3 ) 3 Job. 5 , 6.
129

Schwachm . Ach ! ich muß einen Begleiter


haben , der zu mir paßt. Ihr ſeid Ade rüftig und
ftark, aber ich bin ſchwach , wie ihr fehet. Deßwes
gen will ich lieber hinter euch drein kommen , das
mit ich nicht euch und mir ſelber zur Laſt werde,
meiner vielen Gebrechlichkeiten halber. Ich bin ja,
wie ich bereits geſagt , ein Mann von ſchwachem
Geiſt und nehme leicht Anſtoß an Dingen, die An
bere ertragen können. Ich mag nicht lachen , mich
nicht freuen über Puß und Schmuck und durchaus
teine unnüßen Fragen hören. Ja, ich bin ſo ſchwach ,
daß ich mich ſogar an ſolchen Dingen ärgere, die
Andern zu thun zuſtehen. Ich erkenne die Wahr
heit noch nidit vollſtändig und bin ein ſehr unwiſs
fender Chriſt. Wenn ich zuweilen Höre, daß Ans
bere fich in dem Herrn freuen, macht es mich traus
rig , weil ich es nicht auch ſo kann. Es geht mit
mir, wie mit einem Schwachen unter den Starken,
oder wie mit einem Stranfen unter den Geſunden ,
oder wie mit einem verachteten Lichtlein . Der Ges
rechte und Fromme muß verlachet ſein und
iſt ein verachtetes lidtlein vor den Ge
danken der Stolzen. ')
Muthh . Aber, lieber Bruder, ich habe den
Auftrag , die kleinmüthigen zu tröſten und
die sch w a chen zu tragen . 2) Du mußt durch
aus mit uns gehen ; wir wollen auf dich warten ;
wir wollen dir beiſtehen und uns ſelbſt verläugnen ,
beides in Meinungen ſowohl, wie' in Werken, um
I

beinetwillen ; wir wollen uns in deiner Gegenwart


zweifelhafter Fragen enthalten und wir wollen dir
lieber Allerlei werden , Schwache dem Schwachen ,
als daß wir dich zurüclaſſen. 3)
Aules dieſes wurde verhandelt, als ſte noch vor
Gajus Thüre ſtanden , und ſiehe, als ſie ſo im
1) Hiob 12, 4. 5. - 2) 1 Theſſ. 5 , 14. – 8) 1 Kor. 8, 9–13 .
Röm. 14, 1. ff.; 1 Kor. 9, 22. 10 *
130

Eifer des Geſprächs waren, fam Hintfuß vorbei,


mit ſeinen Krüden in der Hand, und war ebenfalls
auf der Pilgrimíchaft.
Somad muth ſprach zu ihm : Run , wie
tommſt Du hierber ? 30 babe mich eben darüber
beflagt, daß es mir an einem paſſenden Begleiter
fehle , nun aber fommſt du — du biſt ganz nach
meinen Wünſchen . Wilkommen, willkommen ! lieber
Hintfuß; ich hoffe, wir werden uns einander helfen !
Hintfuß. Ich werde mich deiner Geſellſchaft
freuen , lieber Schwad muth. She wir uns trens
nen , will ich dir noch lieber eine von meinen Stris
den geben , da wir ſo glüdlich geweſen , uns zu
treffen .
Sowady m . Nun , ich danke dir für deinen
guten Willen, aber ich möchte doch nicht eher hins
ken, bis daß ich lahm bin . Inbeſſen könnte die
Krüde mir doch gelegentlich gegen die Hunde diens
lich fein .
Hintf. Wenn ich ſelbſt oder mit meinen
früden dir einen Gefallen thun fann , ſo haft bu
nur zu befehlen , lieber Schwach muth.
und nun gingen wir denn weiter: Muthherz
und Redlich voran ; darnad Chriftin und ihre
Kinder , und schwachmuth und Hinffuß mit
feinen früden hinterdrein.
Redlich aber hub an : Bitte , lieber Muth .
herz, erzähle uns , während wir ießt am Gehen
find , etwas Heilſamliches von denen , die vor uns
die Pilgerfahrt angetreten haben .
Muthh. Herzlich gerne. Ich vermuthe , daß
du gehört haſt, wie Chriſt früher im Thale Des
muth mit Apollyon zuſammengetroffen iſt, und
ebenſo, welch' große Beſchwerde es ihn gekoſtet,
durch bas Thaider Todesſchatten hindurchzus
kommen . Auch mußt du vernommen haben , wie 1

Getreu zugereßt ward von Madam Wolluſt , von


dem alten Adam , von Mißvergnügt und Vers
131

fchämt — Den vier gefährlichften Böſewichtern, des


nen ein Menſch unterweges nur begegnen kann.
Redl. Ja, ich glaube, daß ich von dem Adem
gehört habe . Aber wahrlich, es ward dem fieben
.

Getreu von Verſchämt am Härteſten zugeſept ;


er war ein höchſt zudringlicher und läſtiger Geſede.
Muthh. Allerdings. Es iſt, wie der Pilger
ganz richtig bemerkte : kein Menſch unter allen trug
ſeinen Namen ſo mit Unrecht.
Redl. Aber , bitte Lieber, wo war es doch,
daß Chrift und Getreu mit Geſchwäßig, zu:
ſammentrafen ? Der war ebenfalls ein berüchtigter
Menſch .
Muthh. Das war Einer von den Shoren,
die auf ſich ſelber ihr Vertrauen feben , aber, leider !
gibt es Viele, die auf ſeinem Wege wandeln.
Redl. Es fehlte nicht viel daran, fo hätte er
Getreu betrogen .
Muthh. Freilich , aber Chrift brachte ihn
ſchnell auf einen Weg , worauf er die Lüde beffels
ben flar durchſchauen konnte.
So gingen ſie bis zu der Stelle , wo Evan .
gelift mit Thrift und Getreu zuſammentraf und
ihnen prophezeite, was ihnen auf dem Eitelfeitos
markte begegnen werdé.* ) Hier ungefähr war es
- ſprach der Führer - wo Evangelift jenen beis
C

ben dieTrübfale' vorher verfündigte, bie fie dort


treffen ſollten.
Redl. Ach ! ja , es war eine harte Lektion,
welche er ihnen ba zu leſen gab.
Muth'h. Das war es freilich , aber er gab
ihnen doch auch zugleich guten Muth. Aber , was
reden wir von ihnen ? Sie waren ein paar Mens
ſchen, wie die Löwen und hatten ihre Angeſichter
hart gemacht, wie Rieſelfteine. Erinnerſt du dida

* ) Chl. I. S. 97.
132

nicht, wie unerſchroden fie waren I, als ſie vor dem


Richter ſtanden ?
Redl. Aferdings, wie muthig erduldete Ges
treu ?
Muthy . Ja, und fein Muth erzeugte foldsen
hinwiederum in Ändern , denn Hoffnungsvoll
und Mehrere noct wurden, wie erzählt wird, durch
ſeinen Tod befehrt.
Redl. Du ſcheinſt genau mit dieſen Dingen
bekannt zu ſein ; darum fahre doch fort zu erzählen .
Muthh. Von Aden, welche Chriſt auf dem
Eitelkeitsmarkte begegneten , war Nebenwege
doch bei Weitem der Schlimmſte.
Redl. Nebenwege ? wer war denn das ?
Muthh. Ein Erzböſewicht, ein rechter Heuch
ler, Einer , der den Frommen ſpielte oder ſich ſo ſtellte,
je nachdem er gerade unter Menſchen war , dabei
aber ſo ſchlau , daß er ſicher ſein konnte , deſhalb
nie einen Verluft oder irgend ein Leid an ſeinem
außern Menſchen erfahren zu müſſen . Er hatte
für jede Gelegenheit feine beſondere " Religion , und
ſein Weib war darin ebenſo geſchidt, wie er. Er
wandte fich von einer Meinung zur andern , ja , er
verſtand es ſogar, ſein Benehmen jedesmal zu ver
theidigen. Allein , ſoviel ich in Erfahrung gebracht,
fam es zu einem übeln Ende mit dieſem Neben :
wege ; auch habe ich nie gehört , daß Eins von
ſeinen Kindern je geachtet worden wäre von Denen ,
welche Gott wahrhaft fürchten .
Um dieſe Zeit war es , als fie im Angeſicht der
Stadt Eitelfeit anfamen , wo der Eitelfeit 8 .
markt gehalten wird. Da ſie ſahen , daß fie der
Stadt ſo nahe waren , überlegten ſie mit einander,
wie fte durch dieſelbe hindurchkommen ſollten ; da
ſagte denn der Eine dies und der Andere jenes.
Zuleft ſprach Muthherz : ich habe, wie ihr wohl
benfen könnt, don manchen Pilger durch dieſe
Stadt geleitet. Nun bin ich bekannt mit einem ges
133

wiffen Mnaſon , einem Cyprier ſeiner Herkunft


nach , er iſt ein alter Jünger, in deffen Hauſe wir
herbergen können. 1) Da wollen wir einkehren,
wenn's euch beliebt.
Zufrieden ! ſagte der alte Reblich; zufrieden !
fagte Chriftin ; zufrieden ! ſagte Schwa chmuth ,
und ſagten fie ade. Indeſſen war die Ábendzeit
berangerüdt, ale fie außen vor der Stadt angelangt
waren; Muth herz fannte jedoch den Weg zu dem
Hauſe des alten Mannes. Šo famen ſie denn dort
an und Muthherz rief an der Thüre. Da ers
fannte der alte Mann drinnen alſobald die Stimme,
machte ihnen auf und fte Alle famen hinein .
Nun fragte Mnafon , ihr Wirth : Wie weit
ſeid ihr heute hergelommen ?
Sie antworteten : Von deines Freundes Gas
i us Hauſe her.
Darauf 'ſagte er : Dann habt ihr wirklich eine
gute Strede zurüdgelegt und könnt wohl müde ſein.
Und ſo fepten ſie ſich denn.
Shr Führer ſagte dann : Richtet euch nun nur
ganz nach eurer Bequemlichkeit ein ; ich bin übers
zeugt, daß ihr meinem Freunde wiúkommen ſeid.
M nafon. Ich heiße euch willfommen. Saget
nur, was ihr bedürfet, und wir werden thun, was
möglich iſt, daß ihr’s bekommt.
Redl. Wir bedurften vorhin ſehr einer Her
berge und guter Geſellſchaft, nun aber haben wir,
bent' ich, Beides.
Mnaf . Was die Herberge anlangt, ſo ſehet
ihr die, was aber die gute Geſellſchaft betrifft, ſo
wird ſich's zeigen, wie es damit ift.
Muthh. Gut, willſt du den Pilgern ihre
Zimmer zeigen ?
Mna . Gerne. Und ſo geſchah es denn ; auch
zeigte er ihnen ein ſehr ſchönes Speiſezimmer , wo
) Apoftelz . 21, 16 ..
134
fie fich aufhalten und miteinander zu Nacht effen
könnten, bis ſie ſich zur Ruhe begeben würden.
Als ſie nun ihre Plaße eingenommen unb fich
ein wenig geſtärkt hatten , fragte Redlich ſeinen
Wirth , ob es viele ' driftlich gefinnte Leute in der
Stadt gebe ?
M naf. Nein , wir haben deren nicht viele,
benn vergleicht man ſie mit den Andern , fo tommt
in der That nur eine kleine Zahl heraus.
Redl. Wie ſollen wird aber anfangen , um
Einige von den Guten zu Geſicht zu bekommen ?
Denn der Anblid guter Menſchen iſt für Pilger,
wie das Aufgeben von Mond und Sternen für
Seefahrer in dunkler Nacht.
Da ſtampfte Mnafon mit dem Fuße auf und
herein trat ſeine Lochter Gnade. Er aber ſprach
zu ihr : Onade , geh' und ſage meinen Freunden 1

Buß fertig, Heiligmann , Heiligen freund,


Lügenfeind und Reumuth , das ich einige Freunde
bei mir habe, welche ſie dieſen Abend hier zu ſehen
wünſchten . - Darauf ging Gnade denn hin , lub
.

fte ein , und ſte tamen . Nachdem ſie einander bes


grüßt, Teßten ſie ſich alleſammt um den Tiſch herum .
Sodann ſagte Mnaſon, ihr Wirth : liebe
Nachbarn , ich habe, wie ihr ſehet, eine Geſellſchaft
von Pilgern in meinem Hauſe aufgenommen ; fte
kommen weit her und wollen nach dem Berge Zion .
Aber, was meint ihr wohl – fragte er , indem er
mit dem Finger auf Chriſtin hingeigte wer
bieſe hier ſei ? - unb er fuhr fort:
-
Es ift Chris
ftin , die Frau Chriſt's , jenes berühmten Pilgerø,
welcher nebſt Getreu , ſeinem Bruder , in unſerer
Stabt ſo ſchmählid behandelt worden iſt.
Hierüber waren ſie ſehr erftaunt und ſagten :
Wir konnten nicht daran denken , Chriftin hier ju
finden , als wir von Gnabe gerufen wurden ; daher
iſt uns dies eine ſehr angenehme Ueberraſchung.
Šie erkundigten fich nun nach ihrem Wohlergeben
135

!
und ob die jungen Leute da Chrift' & Söhne ſeien ?
Und als fie dies nun bejahte, ſagten fie: Der Rós
nig , den ihr liebt und dem ihr dienet, mache euch
gleich eurem Vater und bringe euch im Frieden
borthin , wo er ift !
Nachdem fte nun wieder Ale Plaf genommen ,
richtete Redlich an Buß fertig die Frage: in
was für einem Zuſtande fich ihre Stadt gegenwärs
tig befinde ?
Buffertig . 3hr fönnt fchon denken , daß zur
Meßgeit alles in großer Unruhe und Eile ift. Da
iſt es ſchwer, Herz und Sinn in rechter Verfaſſung
zu halten, wo man fo in Anſpruch genommen wird.
Wer an einem Drte , wie dieſer lebt, und wer mit
ſolchen Leuten zu thun hat, wie wir es haben, mag
fich wohl ein Denfzeichen machen, worauf er jes
ben Augenblic im Sage achtet, um auf ſeiner Hut
zu ſein .
Redl. Aber, wie ift'8 denn nun damit , hals
ten fich eure Mitbürger ruhig ?
Bußfert. Sie ſind doch jeßt viel gemäßigter,
als vordem . Ihr wiſſet wohl, wie Cbrift und
Getreu in unſerer Stadt behandelt worden find,
boch feit Kurzem ſind ſie , wie geſagt, weit gemas
Bigter. Ich glaube , das Blut Getreu'd liegt
noch jeßt wie eine Laſt auf ihnen ; denn ſeit fie ihn
verbrannt haben , ſchämen fie fich doch , To Etwas
noch einmal zu verſuchen. In jenen Tagen waren
wir zu bange über dic Straßen zu gehen , aber ges
genwärtig können wir uns getroft ſehen laſſen .Das
mals war der Name eines Bekenners Jefu Chrifti
verhaßt, jeßt wird, namentlich in einzelnen Theilen
der Stadt ihr wiffet nämlich, fte iſt groß – die
Gottfeligkeit für etwas Ehrenvolles erachtet. –
Aber nun ſaget mir doch einmal, wie geht es euch
auf eurer Piigerfahrt? Wie iſt man im Lande ges
Redl. Uns geht es , wie es Wanderern zu
1
136

gehen pflegt. Zuweilen iſt unſer Weg rein , zus


weilen ſchmußig ; zuweilen geht's bergauf, und zu
weilen bergunter , felten aber ſind wir gewiß , wie
es fommt. Nicht immer haben wir den Wind auf
den Rüden , und nicht Jeder , dem wir unterwegs
begegnen , iſt unſer Freund. Wir haben bereits
einige merkliche Stöße bekommen, und was noch
dahinter iſt , das wiſſen wir nicht; allein meiſtens
finden wir den alten Spruch beſtätigt: Der Ges
rechte mus Viel leiden . )
Buff. Du ſprichft von Stößen ; was für
Stöße habt ihr denn erlitten ?
Redl. Nun , frag' einmal unſern Führer Muth
herg , denn er fann am Beſten Auskunft darüber
geben .
Muthh . Wir find ſchon dreis oder viermal
angefallen worden ; zuerſt Chriſtin und ihre Kin
der von zwei Böſewichtern, die ihnen , wie ſie fürch
ten mußten , das Leben nehmen wollten. Darnach
wurden wir überfallen von drei Ricſen : Bluts
menſch , Hammer und Jugendmorder. Doch
den leßtern griffen wir mehr an, als er uns. Das
mit verhielt es ſich alſo : Nachdem wir eine Zeits
lang im Hauſe des Gajus geweſen , der mein und
der ganzen Gemeinde Wirth iſt, wurden wir ges
mahnt unſere Waffen zu nehmen , um auszugehen
.

und zuzuſehen , ob wir nicht den einen oder andern


Feind der Pilger antreffen könnten , denn wir hats
ten gehört , daß ein berüchtigter ſich dort in der
Gegend aufhalte. Gajus wußte nur ſeinen Hins
terhalt beſſer, als ich, weil er fich gerade dortherum
1

aufhielt. " Só lauſchten und lauſchten wir , bis wir


den Eingang zu ſeiner Höhle entbedten ; und nun
wurden wir froh und faßten Muth. Alsdann nås
herten wir uns ſeiner Höhle , und ftehe, als wir
Dorthin famen , hatte er dieſen armen Mann
) Pſ. 34, 20.
137

Schwad muth , gewaltſamer Weiſe in ſein Nes


hineingearbeitet unð war im Begriff, demſelben den
Sodesſtoß zu geben. 418 er ung aber fab , dachte
er wohl eine andere Beute machen zu können , ließ
den armen Mann in ſeiner Behauſung und fam
heraus. Nun fielen wir jedoch mit aller Macht
über ihn her und ſchlugen wader auf ihn drein ;
endlich ward er von uns zu Boden geworfen und
ihm der Kopf abgehauen ; dieſen ftellten wir ſodann
am Wege auf, zum Schređen für Alle , die in der
Folge fid) zu einem ähnlichen Frevel möchten hins
gezogen fühlen. So ift's in Wahrheit, wie ich ſage,
und hier iſt der Mann ſelber, der's beſtätigen fann ;
er war wie ein Lamm , welches aus dem Rachen
des Löwen geriffen wird.
Darauf ſprach Schwachmuth : Ja , ſo habe
ich'8 erfahren zu meinem Schreden und zu meinem
Troſte ; zu meinem Schreden , als der Böſewicht
jeden Augenblic drohte , mich zu zerfleiſchen , und
zu meinem Trofte , als ich Muthberg und ſeine
Freunde erblidte, die mit ihren Waffen herzukamen,
um mich zu erlöſen .
Hiernach ſagte Heiliger: Zwei Dinge find's
vornåmlich , deren diejenigen bedürfen , welche fich
auf die Pilgerreiſe begeben , nämlich Muth und
einen unbefledten Wandel. Febit ihnen der Muth,
ſo können ſie ihren Weg nicht einhalten , und ift
ihr Wandel befledt, ſo machen ſie den Namen eines
Pilgers ſtinkend.
Heiligen freund. Ich hoffe, daß es folcher
Mahnung bei euch nicht bedarf. Äber das iſt wahr,
Manche begeben fich auf die Pilgrimſchaft, dieſich
mehr zu der Erde als zu der himmliſchen Heimath
hingezogen fühlen .
Lügenfeind. Es iſt wahr; ſie haben weder
Pilgertracht, noch Pilgermuth ; fte gehen nicht auf
recht, ſondern mit verſchränkten Beinen ; mit einem
Fuße einwärts, mit dem andern auswärts, und mit
138

gerlumpten Kleidern , hier ein Feben und da ein


Riß, Alles zur Unehre ihres Herrn.
Reumuth. Um dieſe Dinge fouten fie vor
Adem bekümmert ſein ; denn ein Pilger fann wes
der für ſich . noch für ſeine Reiſe der Gnade -
-

die er doch begehret - eher gewiß ſein , bis er von


folchen Fleden und Fehlern rein ift.
Unter ſolchen Geſprächen brachten fie die Zeit
hin , bis das Abendeſſen aufgetragen warb. Nach
bem ſie daſſelbe verzehrt und daran ihre müden Leis
ber erquidt hatten, begaben fie fich zur Ruhe.
Sie weilten aber geraume Zeit in dieſem
Markte , in Mnaſon's Hauſe, der im Lauf der
Zeit ſeine Tochter Gnade, Chriſtin's Sohne,
.

Samuel , und ſeine Tochter Martha bem os


.

feph zum Weibe gab.


Es war, wieich ſo eben ſagte, eine lange Zeit,
während ſie ſich hier aufhielten , denn es ging ders
malen hier anders , als in frühern Zeiten . Daher
wurden unſere Pilger mit vielen gottfeligen Leuten
des Drtes bekannt und erwieſen ihnen ſo viele
Dienſte als ſie nur konnten. Barmherzig arbeis
tete nach ihrer Gewohnheit viel für die Armen :
dafür wurde ſie von denſelben herzlich geſegnet und
gereichte ihrem Bekenntniß zur Zierde. Und ſo muß
es ferner zur Steuer der Wahrheit geſagt werden:
Gnade, Phöbe und Martha hatten alleſammt
einen biedern Sinn und thaten ebenfalls ein jeder
an feinem Theile viel Gutes. Auch hermehrten
fich fämmtliche junge Familien ſehr, ſo daß Chriſt's
Name, wie vorher geſagt, in der Welt fortlebte.
Während die Pilger mit ihren Verwandten
und Freunden hier weiſten , fam ein großes Unges
heuer aus den Wäldern und brachte viele Leute
aus der Stadt um. Ueberdem ſuchte es die Kins
der wegzuſchleppen und lehrte ihnen an ſeinen Brús
ften faugen . Inbeffen durfte tein Menſch in der
Stadt es wagen , demſelben entgegenzutreten , alle
139

flohen vielmehr, wenn fte das Getöſe hörten , wels


ches feine Ankunft vermeldete.
Das Ungeheuer war keinem Thier auf Erden
zu vergleichen . Sein leib war wie eines Drachen ,
und es hatte fieben Häupter und zehn Hörner; es
fteute gräuliche Verheerungen unter den findern
an und ward dennoch beherrſcht von einem Weibe. ') .
Es machte daſſelbe Verträge mit den Menſchen , und
die, welche ihr Leben lieber hatten , als ihre Sees
len , gingen dieſe Verträge ein , wurden aber das
durch dem Ungeheuer unterthan.
So geſtalter Sache machte Muthherz nun
mit denen , welche die Pilger in Mnaſon's Hauſe
beſuchten, einen Bund , hinzugeben und mit dieſem
Thiere zu kämpfen , ob'fte die Leute dieſer Stadt
vielleicht aus den Riauen und dem Rachen des
mächtig verſchlingenden Drachen erretten möchten.
Muthhers, Bußfertig, Heiligmann , lüs
.

genfeind und Reumuth zogen aus mit ihren


Waffen , ihm entgegen. Zuerſt nun war das Un
1

geheuer ſehr übermüthig und ſah mit großer Mißs


achtung auf ſeine Feinde herab ; allein ,da ſie ſammt
und ſonders fehr waffentüchtige Männer waren,
bearbeiteten ſie dasſelbe dermaßen , daß es ſich zum
Rüdzuge genöthigt ſah. Hierauf tehrten ſie wieder ·
zu Mnaſon's Hauſe zurück.
Das Ungeheuer - müſſet ihr wiſſen hatte
feine beſtimmten Zeiten , in welchen es heraustam ,
und ſeine Angriffe auf die Kinder der Stadt machte.
In dieſen Zeiten nun paßten unſere wadern Streis
ter ihm auf und griffen es fortwährend an und
zwar derart, daß es im Laufe der Zeit nicht nur
verwundet, ſondern auc lahm wurde. Auch richtete
es nun nicht mehr ſolche Verheerung unter den
Rindern der Stadt an , wie früher , und überdem

1) Offenb. 17, 3.
140

glauben Viele, daß das Thier ficherlich an ſeinen


Wunden fterben werde.
Dadurch nun erlangten Muthherz und ſeine
Gefährten großen Ruhm in der Stadt, ſo daß
Manche dort , die zwar in ihrer Anſchauungsweiſe
nicht mit ihnen übereinſtimmten , dennoch große Ach .
tung und Ehrerbietung vor ihnen hatten . Und ſo
kam es denn, daß den Pilgern hier wenig Leides
zugefügt ward. Freilich gab es ebendaſelbſt aud
Leute ſchlechterer Art , welche nicht beffer ſehen
konnten , als ein Maulwurf, und ebenſo wenig Vers
ſtand hatten , wie ein Thier ; die hatten denn audy
keine Ehrfurcht vor dieſen Männern und achteten
gar nicht auf ihre Tapferkeit und ihre Thaten.

Neuntes Capitel.
Kampf und Sieg über den Rieſen Verzweiflung. 3er
ſtörung der Zweifelsburg. Ankunft in den lieblichen
Bergen.
Es brach nun die Zeit an , daß unſere Pilger
ihren Weg fortjeßen mußten ; ſie rüſteten fid, daher
zur Abreiſe, ließen ihre Freunde kommen , beſpras
1

den ſich mit ihnen und ſepten auch eine Zeit feft,
wo ſie ſich einander dem Schuße ihres Herrn zur
Weiterreiſe anvertrauen wollten . Hinwiederum kas
men Solche , die ihnen ron dem brachten , das ſie
beſaßen , und welches heilſamlich war für die
Schwachen und für die Starken , für Weiber und
Männer, und ſie luden auf, was ihnen noth war. )
Darauf gingen ſie denn ihres Weges weiter,
und ihre Freunde begleiteten fie , ſoweit es anges
meſſen war ; dann befahlen ſie einander noch eins
mal dem Sdhuße ihres Königs an und nahmen
Abſchied von einander.
?? ) Apoftelg. 28, 10.
141
So zog denn die Pilgergeſellſchaftweiter,Muth
herz an der Spiße derſelben . Da fie aber um der
ſchwachen Frauen und Kinder willen nicht raſch ges
hen durften, konnten Hinkfuß und Schwach.
muth ebenfalls mitkommen .
Nach ihrem Ausgange aus der Stadt und dem
Abſchiede von ihren Freunden , langten ſte alsbald
an der Stelle an , wo Getr e'u den Tod erduldet
hatte . Hier machten fie Halt und dankten Dem,
der ihn mächtig gemacht, lein Kreuz to ſtandhaft
zu tragen , und um fo mehr , weil ſie ſelber den
Segen verſpürt,den eine fo männliche Standhafs
tigkeit in den Leiden mit fich führt.
Sie gingen hierauf eine gute Strede weiter
und ſprachen von Chriſt und Getreu , und wie
Hoffnungsvoll fich nach Getreu's Tode an
Chriſt angeſchloſſen habe. Darüber waren ſie bei
dem Hügel Gewinn* ) angelangt , wo die Silber
grube war, wodurch Demas fid; von ſeinem Pil:
gerwege abbringen ließ, und in welche, wie Etliche
vermuthen , Neben wege hineinfiel und umfam.
.
Darüber ſtellten ſie deßwegen ihreBet rachtung an .
Als ſie aber zu dem alten Denkmal gefommen was
ren , welches jenem Hügel gegenüber ſtand, nämlic
h
zur Salzſäule , die auch im Angeſichte Sodoms
ver
und des tobten Meeres ftand, wunderten ſie ſich ,
wie ehe dem auc Chriſt gethan , daß Männer, die
Erkenn h
folche tniß und Reife des Ver ſtandes , wie
fie beſaßen, ſo verblendet geweſen waren , hier um
zuwenden. Doch bedachten ſie auch andererſeits,
wie der natürliche Sinn nicht geneigt iſt, ſich durch
den Schaden Anderer belehren zu laſſen , zumal,
wenn das, worauf fie hinſehen , eine anziehende
Straft auf das thörite Auge ausübt.
Nun ſah ich in meinem Traume, daß fie zu
dem Strome famen , der dieſeits der lieblichen
* ) Thl. I. S. 120 ff.
142

Berge * ) fließt dem Strome , an deſſen beiden


Seiten föftliche Bäume wachſen, deflen Blätter , in
nerlich eingenommen , gut gegen tümmernifie find ;
allwo die Wiefen das ganze Jahr hindurch grünen ,
und man ſicher ruhen fann . ') an dem Ufer dieſes
Flufſes , auf den Wieſen , waren auch Hütten und
Hürden für Schafe, und ein Haus jur Nährung
und Pflege der Lammer, nämlidh der Kindlein rol
cher Frauen , die ſich auf die Pilgerfahrt begeben.
Da war auch Einer , der ihrer wartete und Mits
leiden haben fonnte mit ihrer Scwadys
heit , 2) der die låmmer in ſeineArmé ſam .
melt und in ſeinem Buſen trägt und die
Safmütter führet. ) Chriftin nun mahnte
ihre vier Schwiegertöchter, ihre Kleinen der Sorge
dieſes Mannes anzuvertrauen , damit dieſelben an
biefen Waſſern auferzogen, ernährt, gehegt und ges
pflegt würden und Reins von ihnen in Zukunft
verloren gehen möchte. Wenn Eins von ihnen in
die Irre geräth oder fich verliert , bringt'er es
wieder zurüd; Er verbindet das Berwuns
bete und wartet des Schwachen . ) Hier ges
bricht es ihnen niemals an Speiſe, Irank oder
Kleidung ; hier ſind ſie ſicher vor Dieben und Räus
bern , denn dieſer Mann låfjet eher fein Leben , als
daß er eins von denen , die Ihm anvertraut ſind,
fodte umfommen laſſen . Hier können fie guter Ers
ziehung und Mahnung gewiß ſein, und werden uns
terwieſen zu wandeln auf gutem Wege , und das
iſt, wie ihr wiffet, eine Gnade, welche nicht gering
anzuſchlagen iſt. Hier gibt es,
, wie ihr ſebet, föfts
liche Waſſer, anmuthige Wieſen , duftende Blumen,
allerlei Bäume und namentlich ſolche, die geſunde
Früdyte tragen — Früchte, nicht wie die, von der
nen Matthå u $ aß , die aus Beelzebub Qar.
* ) Thl. I. S. 181. -
') Pf. 23 , 2. -
3) Ebr. 4 , 15.;
5 , 2. – 8) Jef. 40, 11. ) Jer. 23, 4. Def. 34, 11-16 .
143

ten über die Mauer gefallen waren , ſondern Früchte,


welche Geſundheit bringen, wo ſie nicht iſt, und ſie
erhalten und fördern, wo ſie ift. Deßwegen waren
fie's denn wohl zufrieden , ihre Kleinen Ihm zu
übergeben , und was ſie dazu noch mehr ermunterte,
war der Úmſtand, daß alles Dies auf Roften des
Königs geſchah, und daß ſolch eine Verpflegungs
I

anſtalt für Kinder und Waiſen hier war.


Nun gingen ſie weiter, und da ſie an die Abs
wegswiefe ) zu der Steige gekommen waren,
über welche Chrift mit ſeinem Gefährten Hoff
nungsvoll ging, als ſie von dem Rieſen Ver
gweiflung ergriffen und in die Zweifelsburg
gefteckt wurden - da festen ſie ſich nieder und
überlegten , was zu thun am Beſten Tei : nämlich,
ob, da ihrer jeßt To Viele bei einandet wären unð
einen Mann , wie Muth herz zum Führer hätten,
es nicht gerathen fei, bevor ſie weiter zögen , einen
Angriff auf den Rieſen zu machen, ſeine Burg zu
zerſtören und die Pilger, die ſich etwa darin befan
den , in Freiheit zu feßen. Hier nun rieth der
Eine dies und der Andere jenes. Einer warf die
.

Frage auf: ob es geſtattet ſei, ſich auf einen un


heiligen Boden zu begeben Ein Anderer fagte,
bas dürfe man, vorausgeſeßt, daß es zu einem guc
ten Zweck geſchehe. Muthberg aber bemerkte bars
auf: Obgleich die zuleßt vorgebrachte Behauptung
nicht als allgemein und unbedingt gültigzugegeben
werden kann , ſo habe ich doch auch ein Gebot, daß
ich der Sünde Widerſtand thun, das Böſe überwins
den und den guten Kampf des Glaubens kämpfen
ſoll. Und nun faget mir' denn , womit ſollte ich
dieſen Kampf kämpfen , wenn nicht mit dem Ries
fen Verzweiflung ? Darum wil's ich wagen,
ſeinem Leben ein Ende zu machen und die Zweis

*) 86. I. 6. 125 f.
11
144

felsburg zu zerſtören . Und nun ſprach er : Wer


will mit mir gehen ?
Ich 1 ſagte der alte Redlich , und wir auch ,
ſprachen Matthäus, Samuel , Jofeph und
jakob , Chriſtin's vier Söhne , denn es waren
vier ſtarké Jünglinge. ') So ließen fie denn
die Frauen auf der Straße zurüd und bei ihnen
Schwa chmuth und Hintfuß mit ſeinen Strüden ,
damit dieſe Beiden die Frauen beſchüßen möchten ,
bis fte wieder zurüdkamen ; denn obwohl der Rieſe
Dort fo nahe wohnte , fo fonnte doch jedes kleine
Rind, wenn fie nur die Straße einhielten , ſie richs
tig führen .)
So zogen denn Muthherz, der alte Redlich
und die vier jungen Männer die zweifelsburg
hinauf, um den Rieſen Verzweiflung aufzus
ſuchen . 418 fie an das Burgthor famen , klopften
fie ungewöhnlich hart an. Der alte Rieſe fam hier:
auf an's Thor und hinter ihm ſein Weib Miß
trauen. Wer und was iſt ber , welcher fo fühn
ift, den Rieſen Verzweiflung auf ſolche Weiſe
zu beläftigen
Das bin ich , Muthherz, erwiederte dieſer,
einer von den Dienern des Königs der himmliſchen
Stadt und ein Führer der Pilger zu Derſelben hin
– und mein Begehren iſt, baš du mir dein Thor
zum Eingange öffneſt; zugleich bereite dich nur vor
zum Rampfe , denn gekommen bin ich, dir den Kopf
herunter zu ſchlagen und die Zweifeldburg zu
jerſtören.
Indeſſen dachte der Riefe Verzweiflung,
eben weil " er ein " Rieſe fei , es könne ihn Niemand
überwinden. Dazu dachte er: wie ! mich , der ich
vor Zeiten Engel beſiegt habe — follte dieſer Muths
herz bange machen ? So legte er denn ſeinen
þarniſd, an und zog hinaus. Eine Stahlhaube
1 ) 1 Joh. 2, 13. 14. -
>) Jef. 11, 6.
145

ſepte er auf ſein Haupt, gürtete einen feurigen


Panzer um ſeine Bruft und trat hervor in Schus
hen von Eiſen, eine große Reule in ſeiner Hand.
Sofort griffen ihn die rechs Männer' an und bes
drängten ihn von vorne und von hinten. Als nun
auch Mißtrauen , die Rieſin , hervorkam , um ihm
Beiſtand zu leiſten , ftredte der alte Redlich ſte
1

mit einem Schlage zu Boden . Nun kämpften fte


auf Tod und Leben , und der Rieſe Verzweif :
lung ward zur Erde geworfen , aber ohne ſogleich
zu ſterben. Er fämpfte gewaltig und hatte , wie
man zu ſagen pflegt, ein Leben , wie eine Raße ;
Muthherz aber ward ſein Tod, denn er ließ nicht
ab von ihm , bis er ihm den Kopf von den Schul
tern getrennt hatte.
Darnach gaben fte ſich daran, die Zweife18 .
burg zu zerſtören , und das war , wie ihr wohl
benken könnt, nicht mehr ſo ſchwer, nachdem der
Rieſe Verzweiflung gefallen war. Sieben Tage
lang waren ſte mit dieſer Zerſtörung beſchäftigtund
fanden in derBurg einen Pilger , Namens Ver
jagt, der faſt zu Tode gehungert war, nebſt fete
ner Tochter Bånglichkeit ; dieſen beiden ward
auf dieſe Weiſe das Leben gerettet. Adein ver
wundert haben würdet ihr euch, wenn ihr die Leich
name geſehen hättet, die hin und wieder im Burgs
hofe lagen und die Todtengebeine , von denen der
Kerter dort angefüllt war.
Nachdem Muthherz und ſeine Gefährten dieſe
Heldenthat volbracht hatten ,nahmen fte Verzagt
und deren Tochter unter ihren Schuß ; denn es
waren doch redliche Leute , obgleich ſie als Gefans
gene des Rieſen in der 3 w eifeloburg gefeſſen
hatten. Auch nahmen fie ferner des Rieſen Haupt
mit ( denn ſeinen Leib hatten ſie unter einem Haus
fen Steine begraben ), und gingen wieder dieStraße
hinab, um ihren Gefährten zu zeigen, was ſie auss
gerichtet hatten. Als ' Schwa chmuth und
11 *
Hints
146

fuß nun ſahen , daß es wirklich das Haupt des


Rieſef Verzweiflung, war , wurden fie ganz
heiter und frož. Chriſtin aber konnte, wenn es
darauf anfam , auf der Bratſche und ihre Schries
gertochter Barmherzig auf der Laute" ſpielen .
Da fie nun ſo heiter geſtimmt waren , ſpielten ſie
ihnen ein Stück, und Hinkfuß tanzte dazu. Er
nahm Bänglichkeit, die Tochter Verjag t’s ,
bei der Hand , und ſo tanzten ſie denn auf der
Straße. " Er mußte zwar eine früde in der Hand
halten, aber, ich kann eud verſichern, es ging dens
noch ganz gut, und auch das Mädchen ſchicte ſich
trefflich an , indem ſie ſich genau nach dem Taft
bewegte . Was jedod den armen Verzagt ans
langte, ſo war ihm an der Muſik nicht viel gelegen.
Er hielt mehr auf's Eſſen, wie auf's Tanzen , denn
er war beinahe ausgehungert. Chriſtin gab ihm
deßhalb aus ihrer Flaſche von dem ſtärkenden Ges
tránk zur augenblidlichen Erquidung und machte
ihm dann Etwas zu eſſen, und ſo kam der Alte
bald wieder völlig zu ſich und fing recht aufzus
leben an .
Als nun dies Alles vorbei war , ſah ich in
meinem Traume, wie Muthherë das Haupt des
1

Rieſen Verzweiflung nahin und dasſelbe auf


einem Pfahl an der Heerſtraße aufſtellte, gerade
dem gegenüber, welchen Chriſt den nachfolgenden
Pilgern zur Warnung erriditet hatte, damit ſie den
Grund und Boden des Riefen nicht betreten möch
ten. Dann feßte er darunter auf einen Marmor
ftein die folgenden Verſe :
Dies iſt das Haupt von Dem, des Namens bloßer Klang
Der Pilger Herz mit Angſt und Furcht durchdrang.
Zerftört iſt ſeine Burg, ſein Weib Mißtrauen fand
Den Tod getroffen von Muthberzens tapfrer Hand ;
Aud für Verzagt und ſeine Tochter Bänglichkeit
Erftritt er Freiheit im gewalt'gen Streit.
Wer daran zweifelt, ſchau' dies Holz nur an ,
Und ſchwinden muß des Zweifels ganzer Wahn :
‫امههعههلا‬
‫‪(.‬‬
147

Dies Haupt, um welches felbft der Strüppel hüpft,


Bezeuget, daß er aller Furcht entſdlüpft.
.

Nachdem dieſe Männer ſich gegen die Zweis


felsburg. To tapfer erwieſen und den Rieſen
Verzweiflung erſchlagen hatten , zogen die Pils
ger weiter und tamen zu den lieblichen Bergen ,
wo Chrift und Hoffnungsvoll ſich an den
manderlei Annehmlichkeiten des Ortes erquidt hats
ten . Sie machten ebenfalls Bekanntſchaft mit ben
dortigen Hirten, von denen ſte, wie früher Chrift,
in ihren Bergen willkommen geheißen wurden. Da.
fte ſahen, daß Muth herz diesmal in ſo zahlreicher
Begleitung kam , ſprachen ſie zu ihm ( bennfie fanns
ten ihn ſehr wohl):: Eiti , Lieber ,' da haft bu eine
große Geſellſchaft mitgebracht; fage uns doch , wo
du all dieſe gefunden haft ?
Hierauf erwiederte Muthherz :
Zuerft ift Chriftin hier mit ihren Kindern,
Bier Söhne find's, zugleich mitihren Frauen,
Die feften Blids mit ficherem KompasTchauen
Dem Lande zu, wo heilsbegierigen Sündern
Sich wunderbar erſchleußt der Gnadenport,
Sie hinzuführen an ben Friedensort.
Mit ihnen dort die Krone zu empfangen ,
Schloß Redlid fich als Pilger ihnen an,
Und Sintefuß zugleich, ein biedrer Chriftenmann ;
Sowachmuth , der Gute, auch ift mit gegangen
Nebſt ſeiner Tochter Bängliteit,
Denn Beide mochten nicht dahinten bleiben,
So gut fie konnten, gern die Pilgerfahrt betreiben.
Wohlan ! ſeid ihr denn nun bereit,
Ung Herberg ' freundlid zu gewähren, oder müſſen
Wir weiter ziehen ? bitte , laßt's uns wiſſen.
Das iſt eine liebliche Geſellſchaft, fagten dars
auf die Hirten . Ihr ſeid uns wiūkommen , denn
wir ſind verſehen ſowohl mit dem , was ſich für die
Schwachen, als auch was fich für die Starten eigs
ret. Unſer Fürft hat ein Auge auch für das, was
143 i

dem Geringften von dieſen gethan wird. ) Dess


wegen fann uns aud Somadbeit nicht hindern
an der Aufnahme.
So führten ſie die Pilger zur Thüre des Pat
laſtes und ípraden : Lommet berein , Sowad
muth , Hintfuß und Verzagt mit deiner Tocs
ter Bånglichkeit. Dieje , jagten die Hirten zu
Muthherz , rufen wir mit Namen , weil ſie febr
geneigt ſind, ſich hinter Andere zurüdzuziehen ; was
aber eud und die Uebrigen anlangt , ſo ftellen wir
Alles eurer gewohnten Freiheit anhcim .
Darauf jagté Muthherz: Heute ſehe ich, wie
euch die Gnade aus den Augen leuchtet, und das
ihr wahrhaftige Jünger unſeres Herrn feið, indem
ihr die Schwachen nicht von euch ſtoßet, 2 ſondern
iýnen vielmehr den Weg zum Pallafte mit Blumen
beſtreuet, wie es ſich gebühret.
1
Die Schwachen und Elenden gingen denn ſo
hinein , und Muthherz folgte mit den Andern .
Als ſie ſich denn Alle niedergelaſſen , ſagten die
Hirten zu ben Schwächern : Was begehret ihr nun ?
Denn hier wird alles daran gewandt , um die
Sdwachen zu ftärken und die Ungehorſamen zu
warnen .
Hierauf bereiteten fie ihnen ein Mahl von
leidt verbaulichen, wohlſchmedenden und nahrhaften
Speiſen. Nachdem ſie dasſelbe eingenommen , bea
gaben ſie ſich zur Ruhe, ein jeglicher an ſeinen Drt.
Nachdem der Morgen angebrochen und fie fich
angefleidet und gefrühſtüct hatten, führten die Hir:
ten ſie , weil der Tag hell und die Berge hoch was
ren , auf's Feld und zeigten ihnen , nach ihrer Ges
wohnheit, vor der Weiterreiſe manche Merkwürdig
feit , und zwar außerdem was Chrift früher geſes
1

ben hatte noch folgendes Andere und Neue.


Zuerſt den Berg des Wunders , wo fte in
' ) Matth. 25, 40. — 2) Hef. 34, 21.
149

einiger Entfernung einen Mann fahen, der Berge


verjepte durch ſein Wort. Da fragten fte die
Hirten, was das zu bedeuten habe? Sie ſagten
ihnen, dies ſei der Sohn eines gewiſſen Gnadens
groß, wovon ihr in dem erſten Theile der Pilgers
reiſe bereits geleſen habt. *) . Er iſt dahin geftellt,
die Pilger zu unterweiſen , wie ſie alle Schwierig
keiten , die ihnen begegnen mödyten, durch den Glaus
ben aus dem Wege räumen folen . ) Id fenne
ihn , ſprach Muthherz, er iſt ein Mann , der
manche Andere weit übertrifft.
Hierauf führten ſie dieſelben an einen andern
Drt , den Berg der Unſchuld. Da erblidten fte
einen Mann, der ganz in Weiß gekleidetwar, wels
dhen zwei Andere , Vorurtheil und Uebelges
ſinnt beſtändig mit Roth warfen. Aber ſiehe, wie
fehr ſie ihn auch bewarfen, der Roth fiel bald wies
der ab , und fein Gewand fah ſo hell aus , als ob
es nicht befleđt worden wäre. Da fragten die Pils
ger : Was ſoll das bedeuten ? Und die Hirten gas
Þen zur Antwort: Dieſer Mann heißt Gottſelig
und das Gewand , welches er anhat , ſou die uns
ſchuld ſeines Lebens anzeigen . Die aber, welche
ihn mit Stoth bewerfen , ſind folche, die feine guten
Werfe haſſen ; allein , wie ihr ſehet, daß der Roth
nicht haftet auf ſeinen Kleidern , fo foll es dem er's
gehen , der unſchuldig lebet in dieſer Welt. Wie
viele ihrer auch ſein mögen , die folche Menſchen
beflecken wollen, fo geben fte fid doch nur vergeb
liche Mühe ; denn Gott wird nach kurzer Zeit mas
chen, daß ihre Unſchuld hervorbreche wie das Licht
und ihre Gerechtigkeit wie der heue Mittag. 2)
Darnach brachten ſie dieſelben zum Berg der
liebe. Dort zeigten ſie einen Mann , der eine 1

dide Rolle Tuch vor fich liegen hatte, woraus er


allerlei Kleidungsſtüde zuſchnitt für die Armen, die
* ) THI. I. S. 143. 1) Mark. 11, 23. 24. — 2 ) Pf. 37, 6 .
150

um ihn herum ftanden. Allein ſeine Tuchrolle ward


dennoch nicht kleiner. Da fragten fie : Was ift
das ? Das ſoll euch anzeigen, antworteten die Hirs
ten, daß der , welcher ein Herzdafür hat , von ſeis
ner Arbeit den Armen mitzutheilen , niemals an
Etwas Mangel haben wird . ) Wer Andere erquidt,
foll wieder erquidt werden . Durch den Kuchen ,
welchen die Wittwe dem Propheten gab , ward bas
Meht in ihrem Topfe nicht gemindert. 2)
Nun wurden fte zu einem Orte geführt , wo
fte einen Mann, Namens Narr und einen andern,
Namens Mangelw iş ſahen, die ſich damit befaßs
ten, einen Mohren weiß zu waſchen ; indeſſen , ie
mehr fie wuſden , deſto ſchwärzer wurde er . Als
fie nun die Hirten fragten : Was dieſes auf fich
habe ? ſagten dieſelben : ſo geht es mit den ſchlechs
ten Menſchen ; alle Mittel, die angewandt werden,
ihnen einen guten Schein beizubringen , machen fie
zuleßt nur noch abſcheulicher. So ging es auch
mit den Phariſäern , und ſo wird es gehen mit al
len Keudjlern;
Da ſprach Barmherzig zu ihrer Schwieger
mutter Chriſtin : Ich möchte wohl, wenn es ſein
könnte, die Höhle in dem Berge beſehen, oder , wie
es gewöhnlich genannt wird , ber Nebenweg.gur
Hdile. Da theilte Chriftin den Hirten dieſen
Wunſch ihrer Schwiegertochter mit. Und ſo gingen
fte zur Thüre, die an der Seite des Hügels war ;
man öffnete fte und hieß Barmherzig eine Weile
s
horchen . Sie horchte und hörte Einen rufen : Ver :
flucht ſei mein Vater, daß er meine Füße
abgehalten hat vom Wege der Friedens
und des Lebens ! Ein Anderer rief : D , daß
ich wäre in Stüde zerriſſen worden, ehe
ich , um mein Leben zu crhalten , meine
Seele verloren ! Noch Einer rief : Wenn ich
') Sprüch. Sal. 11 , 24. – ) 1 Kön. 17, 8–16.
151

wieder in's Leben zurüđtreten tönnte , wie


wollte ich mich dann ſelber verläugnen ,
Damit ich nidt 'fame an dieſen Drt ! Dann
war es, als wenn die Erde ſelbſt unter den Füßen
des jungen Weibes gedröhnt und gebebt hätte. Sie
fah leichenblaß aus und ging zitternd von bannen ,
indem ſie ſprach: Heil einem Jeglichen , der gerettet
wird von dieſem Drte der Qual!
Als nun die Hirten ihnen alle dieſe Dinge ges
zeigt hatten , führten fie biefelben wieder in den
Pallaſt zurück und warteten ihnen auf mit Allem ,
was das Haus vermochte. Barmherjig , als ein
junges Weib , ward hier nach Etwas lüftern, wel
ches fte fich ſchämte, zu fordern. Ihre Schwiegers
mutter , welche bemerkte, daß es ihr nicht wohl war,
fragte fte, was ihr fehle ? Da ſagte Barmherzig ?
dort im Speiſezimmer hängt ein Spiegel, wovon
ich meinen Sinn nicht abziehen kann, und ich fürchte,
daß es mir übel gehen wird, wenn ich den Spiegel
nicht bekomme .
Då verſeßte Chriftin : ich will dein Begehren
den Hirten kund thun ; ſie werden es dir wohl nicht
abſchlagen .
Adein Barmherzig ſprach : Ich ſchäme michy,
dieſe Männer mein Verlangen wiſſen zu laſſen .
Ei, meine Tochter, erwiederte jene , es ift keine
Schande , ſondern eine Tugend , nach ſo etwas zu
verlangen .
Nun dann , ſagte Barmherzig , ſo fragedenn
gefädigſt die Hirten , ob fie den Spiegel verkaufen
wolen ?
Derſelbe war außerleſen unter Tauſenden . Auf
der einen Seite ſtellte er einem Manne ſeine eiges
nen Gefichtszüge genau dar, ) und auf der andern
das Angeſicht und Ebenbild des Königs der Pilger
felbft. 2) Ja , es haben Einige mir geſagt, daß fie
1) Jak. 1, 23 . - 2) 2 Kor. 3, 18.; 1 Kor. 13, 12.
152

in dieſem Spiegel fogar die Dornenfrone auf fets


nem Haupte , ſo wie die Wundenmale in ſeinen
Händen , feinen Füßen und ſeiner Seite darin ges
ſehen haben. Ja, dieſer Spiegel befißt eine ſolche
Vortrefflichkeit , daß er Jedem den Herrn zeiget,
wie er ihn zu ſehen begehret , im Leben oder im
Tode , auf der Erde oder im Himmel, im Stande
der Érniedrigung oder der Erhöhung, in feinen
Leiden oder in ſeiner Herrlichkeit.
Chriſtin nahm deßwegen die Hirten bei Seite
(ihre Namen waren : Erkenntniß , Erfahrung ,
Wachſam und Aufrichtig ) und ſprach zu ihnen :
Eine meiner Schwiegertochter hat ein dringendes
Verlangen nach Etwas , das fie in dieſem Hauſe
geſehen hat, und diefelbe hat mir geſagt, es würde
ihr übel ergehen, wenn man es ihr verſagte.
Erfahrung. Rufe fie, rufe ſte; fte fou fider
lich bekommen, wozu wir ihr verhelfen können.
So wurde Barmherzig nun gerufen und ges
fragt : Was iſt es denn, das du zu haben wünſcheft ?
Sie erröthete aber und ſprach: den großen
Spiegel im Speiſezimmer.
Da lief Aufrichtig hin und holte ihn , und
mit freudiger Zuſtimmung ward er ihr gegeben.
Nun verneigte ſie ftch , ftattete ihren Dank ab und
ſprach: Hieran erkenne ich, daß ich Gnade gefunden
habe vor euren Augen.
Auch gaben fte den andern jungen Frauen,
was ſie begehreten und ihren Männern wurde gro
ßes Lob ertheilt, daß fté im Vereine mit Muth
herz den Rieſen Verzweiflung geſchlagen und
die Zweifelsburg zerſtört hätten .
Der Chriſtin aber hingen die Hirten ein
Halsband um und ebenſo auc ihren vier Schwies
gertöchtern ; desgleichen ſchmückten ſie dieſelben mit
Ohrringen und mit Juwelen um ihre Stirnen.
Als die Pilger geſonnen waren , von dort ab
zureifen , ließen die Hirten dieſelben ziehen im Fries
153

ben , ertheilten ihnen aber nicht die Warnungen ,


welche fie Chrift und ſeinem Gefährten früher
gegeben hatten . Sie thaten es aber um deßwilen
nicht, weil ſie Muthherz zum Führer hatten, der
genau mit den Dingen bekannt war und ihnen die
Warnungen gerade wenn es Zeit war , ertheilen
konnte, nämlich dann , wenn gerade die Gefahr fich
1

nahete. Was für Warnungen auch Chrift und


fein Gefährte von den Hirten erhalten , ſo waren
fie denſelben doch , gerade als die Beit gekommen,
wo ſie Gebrauch davon hätten machen ſollen - ents
gangen. In dieſer Hinſicht hatte alſo dieſe Geſells
ſchaft vor der andern einen Vorzug.
- Sie reiſeten nun von da weiter und fangen :
Wie war die Tafel dort ſo reich befeßt
Mit dem, was Pilger labet und ergößt
Wie wilig nimmt man geglichen dort auf,
Der nach dem Himmelrichtet ſeinen Lauf!
Was haben Köſtliches fie uns beſchert!
Sie gaben, was als Pilger wir begehrt,
Und Þaben herrlich uns noch ausgeſchmüdt,
Daß Pilger jeglicher in uns erblidt.

Zehntes Capitel.
Ende der Pilgerreiſe und Ankunft in der
Himmliſchen Stadt.
Als ſie von den Hirten weggegangen waren ,
kamen fie bald zu dem Orte, wo chrift mit Ums
wender, der in der Stadt Abfall wohnte, zus 1

ſammentraf. *) Dies brachte ihnen Muth herz jest


in Erinnerung , indem er ſprach : Hier iſt die Stelle,
an der Chrift einen gewiſſen umwender begegs
nete , der das Maalzeichen " feines Abfalls auf dem
Rüden trug. Von dieſem Manne muß ich bemers
* ) Vgl. Thl. I. S. 141 .
154

fen , daß er auf keinen guten Rath achten wollte ,


ſondern, einmal am Fallen, konnte kein Zureden ihn
zurüdhalten . Als er an den Ort fam , wo das
Kreuz und das Grab waren , begegnete er Einem ,
der ihm zurief: Siehe hierher ! adein er knirſchte
mit den Zähnen und ſtampfte mit den Füßen und
ſagte, er wäre entſchloſſen ,' in ſeine Stadt zurüdzus
kehren. Ehe er zu ber " Pforte kam , begegnete ihm
Evangeliſt, der ſich erbot, ihm Handreichung zu
1

thun , daß er wieder auf den rechten Weg fåme.


Aber dieſer Umwender widerſtand ihm und nach
demer ihm viele Schmach zugefügt, ſprang er über
die Mauer und entwiſchte ſeinenHänden.
Darauf gingen die Pilger weiter , und gerade
an der Stelle, wo Rleinglaube einſt ausgeplüns
dert worden , ſtand ein Mann mit gezogenem Schwerte
und fein Angeficht war vollerBlut. Der redete
Muthberg an : Wer biſt du ? Der Mann antwors
tete : ich bin Einer von denen, deren Namen heißt :
Streiter für die Wahrheit; ich bin ein Pils
ger und bin auf der Reiſe zur himmliſchen
Stadt. Als ich aber auf meinem Wege war, ums
zingelten mich drei Männer und legten mir folgende
Fragen zum Entſchluſſe vor :
1) ob id Giner von den Shrigen werden,
2 ) oder Sahin zurüdgehen wodte , woher ich
gekommen ,
3) oder auf der Stelle ſterben wolle ? 1)
Auf die erſte Frage gab ich die Antwort : Ich
bin mein Lebenlang ein ehrlicher Mann geweſen,
und es kann nicht von mir erwartet werden , daß
ich mich mit Dieben in gemeinſchaftliche Sache eins
laffe. Auf die zweite Frage erwiederte ich : Den
Drt, woher ich komme , würde ich gewiß nicht vers
laſſen haben , wenn ich dort teine Unannehmlichkeis
ten erfahren hätte; da er aber für mich burchaus
1) Sprüch. Sal. 1, 11-14.
155

ungmedmäßig und ſchädlich war, habe ich ihn aufs


gegeben und dieſen Weg eingeſchlagen. Da fragten
ſte mich , was ich denn zu dem dritten Vorſchlag
fage ? Únd ich antwortete: Mein Leben iſt viel zu
iheuer erkauft, als daß ich es ſo leicht dahin geben
follte. Uebrigens ſeid ihr gar nicht befugt, mir
eine ſolche Wahl zu ſtellen, und es geht daher auf
eure Gefahr, wenn ihr es mit mir aufnehmet. Dar
auf zogen dieſe drei, nåmlich: Brauſekopf, Un
beſonnen und Naſewe is auf, mich, ich aber
auch auf ſte los. So kämpfte Einer gegen drei,
und zwar über drei Stunden lang. Sie haben , wie
ihr fehet , einige Zeichen ihrer Tapferkeit an mir
zurücgelaſſen , dagegen auch einige von mir davon
getragen . Sie find eben erft weggegangen . Sie
mögen wohl , wie man zu ſagen pflegt, Wind von
eurer Annäherung bekommen und ſich deßhalb auf
die Flucht gelegt haben .
Muthh. Wahrlich , eine große Ungleichheit:
Drei gegen Einen !
Streiter. Das iſt allerdings wahr, aber was
iſt minder oder mehr für Den , welcher die Wahrs
heit auf ſeiner Seite hat ? Wenn ſich ſchon ein
Heer wider mich lagert , fo fürchtet ſich
1

dennoch mein Herz nicht. Wenn ſich Krieg


wider mich erhebt, ſo verlaſſe ich mich auf
Ihn . ') Auch habe ich geleſen, ſprach er, daß einige
Wenige ein ganzes Heer geſchlagen , und wie viele
hat Simfon mit einem Eſelokinnbaden niederge
macht !)
Muthh. Aber warum haſt du nicht gerufen,
daß dir jemand zu Hülfe kommen möge?
Streit. Das habe ich gethan : ich ſchrie zu
meinem Könige , denn ich wußte, daß Er mich bös
ren und mir unſichtbare Hülfe gewähren konnte,
und daran ließ ich mir genügen.
1) Pi. 27, 3. 2 ) Richt. 15, 15. 16.
156

Muthh. Du haſt dich würdiglich gehalten .


Zeige mir dein Schwert.
Und er zeigte 'es ihm.
Nachdem Duthberg es in die Hand genom
men und eine Weile betrachtet hatte , rief er aus
Adh, ein redytes Jeruſalem1 8 Schwert!
s )
Streit. Ja , das iſt's. Hat jemand ſolche
I

Klinge und verſteht ſie mit geſchidter Hand zu füús


ren , fo mag er's mit einem Engel aufnehmen .
Seine Schärfe wird niemals ſtumpf und es dei:
det Seele und Geiſt, auch Mark und Bein
M uthh. Ich muß mich aber wundern , daß
du nicht müde wurdeſt, da du ſo lange gekämpft haſt
Streit. 3d kämpfte ſo lange , bis mein
Schwert an meiner Hand feſtklebte, und Hand-und
Schwert fo feſt zuſammen ſaßen, als wäre dasſelbe
aus meinem Arm herausgewachſen , und als das
Blut mir über die Finger lief, da focht ich gerade
am allermuthigſten.
Muthh. Du haſt wohlgethan. Du haft bis
auf's Blut widerſtanden über dem fåms
pfenwider die Sünde. 2)
Du ſollſt nun bei uns bleiben und bei uns
ein- und ausgehen, denn wir ſind deine Gefährten.
Und ſo nahmen fie ihn auf, wuſchen feine Wunden
und gaben ihm , was ſie hatten ,um ihn zu erquis
den. Darauf leßten ſie ihre Reiſe weiter fort.
Weil aber Muthherz große Freude an ihm
hatte (denn er hatte eine Vorliebe für Solde, die,
wie er, tüchtige Streiter waren ), und weil auch
Schwache und Gebrechliche in der Geſellſchaft was
ren, ſo ließ er ſich in mancherlei Fragen mit ihnen
ein. Zuerft fragte er ihn, was für ein Landsmann
er fei ?
Streit. Ich bin aus dem Finſterlande

*) 2 Kor. 10, 4. Eph. 6, 17. Ebr. 4, 12. 2) Ebr. 12, 4 .


157

Dort warb ich geboren , und meine Eltern wohnen


noch ießt da.
Mutbh. Aus dem Finſterlande ? Liegt das
nicht an derſelben Rüfte mit der Stadt Verderben.
Streit. Ja , da liegt es. Was mich verans
laßte, auf die Pilgrimſhaft zu gehen , war Folgens
bes : Es fam ein gewiſſer wahrlieb in unſere
Gegend und erzählte, was Chriſt gethan hatte,
.
Der aus der Stadt Verderben ausging, wie der
felbe nämlich Weib und Kinder verlaſſen und ſich
auf die Pilgerfahrt begeben;, ferner, "wie er eine
Schlange, die ſich ihm auf ſeinem Wege widerfeßt,
getödtet habe, und wie er endlich an dem Ziele,
welches er ſich geſtellt, angelangt ſei. Auch erzčhlte
Wahrlieb , wie' Chriſt in allen Herbergen fets
1

nes Herrn willkommen geheißen worden , inſonders


heit an den Thoren der himmliſchen Stadt ,
Denn dort habe ihn eine Schaar von Berflärten
empfangen, unter dem Schalt der Poſaunen ; ferner
habe man mit allen Gloden in der Stadt , vor
Freuden über ſeine Aufnahme, geläutet, ihm goldene
Kleider angethan 1) und ihm noch mancheandere
Ehre erwieſen . Kurz , dieſer Mann erzählte von
Chrift und deſſen Reiſe dergeftalt, daß mein Herz
vor Verlangen brannte, ihm nachzueilen ,1 und wes
der Vater noch Mutter fonnten mich davon zurücs
halten . So verließ ich fie denn und bin nun bis
tieher auf meiner Pilgerreiſe gefommen .
Muthh . Nichtwahr, du famſt zur Pforte herein?
Streit. Ja , ja ! denn der nämliche Mann
ſagte uns, daß es mit Adem Nichts ſei , wenn wir
nicht durch die Pforte eingingen auf dieſen Weg . ?)
Muthh. Sieheſt du , jagte der Führer zu
Chriſtin , bie Pilgerreiſe deines Mannes und was
er dadurch erlangt , iſt weit und breit bekannt ges
worden .

1) Pr. 45, 14. ff. – ?) 30h. 10, 1.


12
158

Streit. Wie ? ift dies Chrift'8 Frau ?


Muthh. Allerdings, das iſt ſie, und hier find
auch ſeine vier Söhne.
Streit. Wie ? und ſie ſind auch auf der
Pilgerfahrt ?
Muthh. Ja, wirklich, fie folgen ihm nach.
Streit. Das freut mich von ganzem Herzen.
Wie froh wird der liebe Mann ſein, wenn er die
ſehen wird , welche nicht mit ihm ziehen wollten,
die ihm doch nun folgen , einzugehen in die Thore
der himmliſchen Stadt!
M uthh. Dhne Zweifel wird es ein großer
Troft für ihn ſein ; denn nächſt der Freude, fich fels
ber dort zu ſehen, wird es ihm die größte ſein , ſich
dort mit ſeinem Weibe und ſeinen Kindern zuſam
menzufinden .
Streit . Nun , weil wir einmal darauf gekoms
men ſind , ſo laßt mich eure Meinung darüber hös
ren : was haltet ihr davon , werden wir uns dort
- was Einige bezweifeln – einander wieder erkennen ?
Muth H. Hältſt du dafür , daß ſie ſich ſelber
dort erkennen und freuen , ſich ſelber in jener' Ses
ligkeit zu ſehen - warum ſollten ſie dann nicht
-

Andere auch erkennen und fich freuen berer Selig.


feit ? Da ferner unſere Angehörigen unſer zweites
Selbft ſind , warum follten wir – wenn gleich dies
fes Verhältniß dort aufgehoben – nicht vernünftis
gerweiſe ſchließen , daß unſere Freude größer ſein
werde , wenn wir ſte bort fehen , als wenn wir fie
nicht ſehen ?
Streit. Nun gut, ich verſtehe ſchon, welches
Deine Meinung von der Sache iſt. Haſt du mich
ſonſtnoch Etwas zu fragen von dem Antritt meis
ner Pilgerreiſe ?
Muthh. Ja ; waren deine Eltern mit deinem
Entſchluſſe" einverſtanden ?
Streit. D , nein ; fie boten alle erbentliden
159

Mittel auf, um mich zu bereden , daß ich zu Hauſe


bleiben möge.
Muthh. Aber , was hatten fte denn dagegen
einzuwenden ?
Streit. Sie ſagten , es ſei das Pilgerleben
ein faules Leben , und wenn ich ſelber nicht zur
Faulheit und Trägheit geneigt wäre, würde ich mich
nimmer auf die Pilgrimſchaft begeben.
Muthh. Und was ſagten ſie ſonſt noch ?
Streit. Ja nun , ſie ſagten mir auch , es
wäre ein gefährlicher Weg, ja, der gefährlichſte von
der Welt, den die Pilgrime gingen .
Muihh. Gaben fie dir denn an , worin die
Gefahren dieſes Weges beſtehen ?
Streit. Ja, und zwar in den einzelnen Bezies
hungen .
Muthh. Nenne mir denn einige derſelben .
Streit. Sie redeten nur von dem Pfuhr
der Verzagtheit, in welchen Chriſt beinahe
verſunken ware ; von den Bogenſchüben in der Beel .
zebubs - Burg, deren Pfeile auf diejenigen gerichs
tet wären , die an der Pforte anklopften . Auch
ſprachen ſie von dem Walde und den finſtern Bers
gen ; von dem Hügel Beſchwerde; von den Lö .
wen und auch von den drei Rieſen : Blutmenſch ,
Hammer und Tugendmörder. Ueberdem fag
ten fie, es Hauſe im Thale Demuth ein verruchter
Feind, der Chriſt beinahe um's Leben gebracht
habe. Dann bemerkten fie: Du mußt durch das
Shal der Jodesſchatten , wo die böſen Geiſter
ihr Weſen treiben, wo das Licht Finſterniß und wo
der Weg voll iſt von Schlingen , Gruben , Fallftri
1

đen und Neßen. Ebenſo ſagten fie mir von dem


Rieſen Verzweiflung, von der Zweifelsburg
und bem Untergange, welchen die Pilger dort zu
gewärtigen hätten ; von dem gefährlichen Zaubers
grund , über den ich gehen müßte und endlich von
bem Strome , über welchen keine Brüde wäre und
12 *
160

wie derſelbe gerade zwiſchen mir und der himm.


liſchen Stadt liegen werde.
Muthh. War dies denn Alles ?
Streit . D, nein. Sie ſagten mir auch , daß
der Weg, den ich gehen wolle, voll von Verführern
und folchen Perſonen ſei, die darauf lauerten, gute
Menſchen von ihrem Pfade abzubringen.
Muthh. Allein, wie bewieſen ſie das denn ?
Streit. Sie ſagten mir, daß Weltflug dort
am Wege lagere und darauf lauere , zu verführen ;
1

baß Formhohl und Heuchler ebenfalls beſtåns


dig auf der Straße feien ; daß Nebenwege , Ges
fcwåßig oder Demas fich herbei machen würs
ben, um mich zu fangen ; daß Schmeichler mich
in ſein Neß zu ziehen ſuche, oder daß ich mir eins
bilden würde, mit dem dummköpfigen Unwiſſend
.

auf die Pforte zuzugehen , während ich nur immer


weiter davon abkommen und zu der Höhle an der
Seite des Berges auslangen und auf dieſem Nes
benwege in die Hölle gerathen werde.
Muth . Ich muß geſtehen , dies war hinrei
dhend, um dir allen Muth zu rauben ; aber ließen
ſie es denn nun hiebei bewenden ?
Streit. Nein ; vielmehr erzählten ſie mir noch
von Manchen , die dieſen Weg vor Alters verſucht
hätten, und ſchon weit darauf gekommen wären, um
zu ſehen , ob ſie Etwas von der Herrlichkeit finden
könnten, von der Manche von Zeit zu Zeit fo Vie
les geredet hätten ; wie ſie aber wieder zurüdge
kommen und ſich ſelbſt Thoren genannt, daß fie nur
einen Fuß vor die Thüre geſeßt , um ſich auf die
Pilgerreiſe zu begeben; folcherlei Aeußerungen hät:
ten aber den Leuten im ganzen Finſterlande' zu
großer Befriedigung gereicht. Nun machten ſie vers
chiedene namhaft 3. B. Störrig und Willig ,
Umwender und den alten Atheiſten (Gottes :
läugner) nebſt m . a. Einige von dieſen wären, wie
ſte fagten , weit her gekommen , um zu feben , was
1
161

fie ausfindig machen könnten , aber kein Einziger


båtte durch ſeine Reiſe Etwas herausgebracht, was
nur im Geringften der Rede werth ſei.
Muthh. Sagten fie noch mehr , um dir den
Muth zu benehmen ?
Streit. Ja. Sie ſagten mir auch von einem
gewiſſen Verzagt , einem Pilger , der ſeinen Weg
fo einſam und ode gefunden , daß er feine frohe
Stunde darauf gehabt , und daß Hoffnungslos
beinahe'vor Hunger umgekommen wäre. Ja , auch 1
---
und das hätte ich bald vergefſen - daß Chrift
felbft , um den man ſo viel Lärm gemacht, nach al
feinen Wagniſſen um die himmliſche Krone, ficher
lich in dem ich warzen Stromé ertrunken und
mit keinem Fuße weiter gekommen wäre, was man
freilich zu verheimlichen geſucht habe.
Muthh. Wurdeſt du denn durch keins dieſer
Dinge entmuthigt ?
Streit. Kein ; e$ fam mir vor , als wäre
das Ades Nichts geweſen !
Muthh. Wie tam benn das ?
Streit. Wie ? Ich ſchenkte dem, was wahr .
lieb geſagt hatte, dennoch vollen Glauben, und das
durch Teßte ich mich über all die Schwierigkeiten,
die man mir vorhielt, hinweg .
Muthh. So war dein Glaube der Sieg ,
mit welchen du überwunden ha ft. ?)
Streit. Ja, fu war es . Ich glaubte, darum
zog ich aus, kam auf dieſen Weg, ftritt wider Alle,
die ſich mir entgegenſtellten und bin bis hieher ges
langt durch meinen Glauben .
Wer wahre Tapferkeit wil ſeh'n ,
Der komme nur hierher :
Dem Winde fieht er widerſteh'n ,
Dem Sturme auf dem Meer.
Hier zeiget fich ein edler Muth,

') 1 Job. 5, 4.
162

Hier regt fich echtes Heldenblut,


Nichts dämpft des Eifers behre Glut :
Ein Pilgerim zu ſein !
Wer Spredbild über Schredbild klar
Jhm vor die Seele ſchafft,
Stürzt ſelbſt in Schmach fich und Gefahr,
Doch ſtäylt des Gläubigen Kraft :
Den fchredet keines leuen Grimm
Und feines Rieſen Ungeſtün ',
Ein Pilgerim zu feini
Nicht böſer Geiſt, nicht Teufelsbrut
Kann fürchterlich ihm ſein ,
Des Sieges Bürge iſt ſein Muth ,
Das Erbe nennt er ſein .
Druin fliehen vor ihm Tand und Pract,
Nichts ſchredt ihn, was ein Menſch auch ſagt,
Er ringet eifrig Tag und Nacht,
Ein Pilgerim zu ſein !
Um dieſe Zeit erreichten ſie den Zaubergrund ,
wo die Luft die natürliche Folge hat, daß fie ſchwin
delig macht. Dieſe Stelle war ganz von Geſträuch
und Dornen überwachſen , ausgenommen hier und
da , wo eine bezauberte Laube ſtand. Wenn ein
Menſch in einer ſolchen fißt, oder ſchläft, ſo iſt es
fraglich wie Etliche fagen ob er jemals in
dieſer Welt wieder aufſteht, oder erwacht. Durch
dieſes Geſtrüpp nun gingen ſie mit einander : Muth
herz voran , denn er war der cer, und Streia
ter für die Wahrheit hinterdrein , als Nachhut,
damit nicht etwa ein Feind , oder ein Dradie, ein
Riefe oder Dieb ihnen in den Rüden falle und ihs
nen Uebels zufüge. Indem fte weiter zogen , hielt
jeder Mann ſein gezücktes Schwert in der Hand,
Denn fte wußten wohl, daß fie fich an einem ges
fährlichen Orte befanden. Dabei munterte Einer
den Andern ſo gut auf, wie es ging. Muthberg
befahl, daß So w a chmuth hinter ihm gehe und
Verzagt mußte unter Streiter 8 Augen bleiben .
163

Noch waren fie nicht weit vorangegangen , als


ftarfer Nebel und Finſterniß fte Aue überfiel, ſo
daß eine geraume Zeit hindurch einer den andern
nicht ſehen konnte. Deshalb fanden ſie ſich eine
Beit lang genöthigt , ſich durd ' Worte unter einana
der kenntlich zu machen , denn ſie wandelten nicht
im Schauen .) Hier, kann man denken, war ein
trauriges Wandern , auch für die Beſten von ihnen
Aden , aber wie viel trauriger noch für die Frauen
und Kinder, welche an Füßen und Herzen ſo zart
waren ! Doch geſchah es ſowohl durch die ermuthis
genden Worte ihres Anführers, als ihres Zugbes
chließers,1 daß es ziemlich wohl gelang, weiter zu
tommen .
Durch Schmuß und Schlamm war der Weg
noch obendrein ſehr mühſam . Auch war in der
ganzen Gegend kein Wirths - oder Speiſehaus an
zutreffen , worin fich die Schwächern hätten erquis
den können. Deßwegen gab es hier nichts , als '
Steuchen , Stöhnen und Seufzen , und während der
Eine über einen Buſch ſtolperte, blieb der Andere
im Rothe ſteden , und mehrere von den Kindern
verloren ihre Schuhe im Moraſte ; hier ſchrie Eis
ner : ich falle; Dort : he ! wo biſt Du ? und wieder
Einer : Die Büſche halten mich fo feft, daß ich nicht
herauskommen kann !
Hiernach famen fte an eine Laube, in der es
warm war und die den Pilgern große Erquidung
zu bieten ſchien; ſie war oben niedlich zuſammenges
flochten , ſchön von Grün und drinnen ſtanden
Bänke und Stühle, auch war ein weiches Ruhebette
barin , worauf die Müden ſich hinlegen konnten.
Dies Alles zuſammengenommen , mußte , wie ihr
euch leicht vorſtellen könnt, ſehr verführeriſch ſein ;
denn die Pilger fingen ſchon an, von dem befchwer
lichen Wege ganz hinfällig zu werden . Inbeffen
') Pf. 69,1 9.; 2 Kor. 5, 7.
164

war nicht ein Einziger unter ihnen, der die geringſte


Bewegung gemacht hätte, dort zu verweilen . Viels
mehr achteten fie, ſo weit ich's bemerken konnte,
dergeſtalt auf den Rath ihres Führers , und machte
dieſerfte auf die Gefahren und deren Natur ſo
getreulich aufmerkſam , daß, wenn dieſelben ihnen am
nachften zu ſein pflegten , ſie auch ihren Muth am
meiften zuſammennahmen und ſich einander ermuns
terten , ihr Fleiſch zu verläugnen. ) . Jene Laube
hieß Faullenzerøruh ' und ſollte die Pilger -wo
möglich verloden , dort auszuruhen , wenn ſie müde
1

waren.
Ich ſah nun in meinem Sraume, wie fie durch
dieſe einſame Gegend weiter zogen , bis fte an eine
Stelle famen, wo man ſich leicht vom Wege verir .
1

ren fann. Wäre es nun hel geweſen , ſo hatte ihs


nen ihr Führer leicht den rechten Weg zeigen föns
nen, aber im Dunkeln war er ſelber ungewiß. Ins
zwiſchen hatte er in ſeiner Taſche eine Landkarte
von allen Wegen , die nach und aus der himmlis
fchen Stadt führen. Deßwegen ſchlug er Licht,
(denn nie ging er ohne ſein Feuerzeug) und warf
einen Blid auf ſeine Rarte, die ihm gebot , darauf
zu achten , daß er ſich hier rechts wendete. Und
hatte er hier nicht die Vorficht gebraucht, auf ſeine
Karte zu ſehen , ſo würden fte wahrſcheinlich Alle
im Schlamm erftidt fein ; denn nur ein wenig vor
ihnen, und zwar gerade am reinften Ende des Wes
ges , war eine Grube von unſäglicher Liefe, ganz
voller Schlamm , lediglich angelegt, um den Pilgern
den Untergang zu bereiten.
Da dachte ich bei mir ſelbft: wer, der ſich auf
die Pilgerreiſe begibt, ſollte nicht eine ſolche Lands
karte bei ſich haben , damit er darauf nachſehen kann,
wenn er ungewiß iſt, welchen Weg er einſchlas
gen foll!

1) 2 Petr. 1 , 10 .; Ebr. 12, 1.


165

Nun gingen fte auf dem Zaubergrunde weis


ter, bis ſie zu dem Punkte gelangten, wo eine zweite
Laube an der Seite der Landſtraße ſtand. Darin
lagen zwei Männer, Unbeſonnen und Tollfühn.
So weit waren dieſe Beiden auf ihrer Pilgerreiſe
gekommen, aber hier hatten fie, von derſelben ermüs
det, fidh niedergeſeßt und waren in tiefen Schlaf
gefallen . Als die Pilger fie ſahen, ſtanden ſie ftille
und ſchüttelten die Köpfe , denn fie mußten recht
gut , daß die Schläfer in einem bedauerlichen Zus
ftande waren. Da berathſchlagten ſie, was zu thun
ſei, ob man weiter
? gehen und ſie in ihrem Schlafe
laffen, oder ob? man zu ihnen gehen und fie zu wes
den verſuchen ſolle ? Doch es ward das Leştere bes
ſchloſſen , man wollte aber dabei die Vorſicht ans
wenden , fich weder ſelbft niederzuſeßen , noch auch
von den bargebotenen Annehmlichkeiten der Laube
Gebrauch zu machen.
So traten ſie denn hinein und redeten die
Männer mit Namen an , denn der Führer chien fte
zu kennen ; aber da fam weder Stimme noch Ants
wort. Da ſchüttelte fte der Führer und that Ales,
was er konnte , um ſie aus ihrer Ruhe herauszus
bringen . Nun, ſagte der Eine: id wil dir bezah
len, wenn ich mein Geld bekomme. Hiebei ſchüttelte
der Führer den Kopf. Ich will ſtreiten , ſo lange
ich mein Schwert in der Hand halten kann,
ſagte der Andere. Darüber lachte eins von den
Kindern. Chriſtin aber fragte : Was bedeutet das ?
Sie reden im Schlafe, jagte der Führer. Man
mag fte ſchlagen , ſtoßen oder fonft Etwas mit ihnen
anfangen, fo werden fte ſtets in folcher Art antwors
ten , oder, wie Einer von dergleichen Leuten , der
als ihn die Meereswogen ſchlugenunder oben auf dem
Maſtbaum ſchlief - vor Alters fagte : Wann will
ich aufwachen, daß ich es mehr treibe ? :)
') Sprüch . Sal. 23, 34. 35.
166

Ihr wiſſet, wenn Menſchen im Schlafe ſprechen ,


To ſagen ſie alles Mögliche und ihre Worte werden
weder vom Glauben , noch von der Vernunft ges
leitet. Es iſt eben ſo wenig Zuſammenhang in ihren
Worten , als in ihrem Ausgehen auf die Pilgrims
ſchaft und ihrer Niederlaſſung an dieſem Drte. Das
iſt das Unheil, wenn gedankenloſe Menſchen auf die
Pilgerreiſe gehen. Es iſt zwanzig zu feßen gegen
Eins, daß es ihnen alſo ergeht. Denn dieſer Zaus
bergrund iſt eine der leßten Hülfsmittel, welche
der Feind wider die Pilger beſißt, deßhalb iſt er
auch , wie ihr ſehet, beinahe an das Ende des Wes
ges gelegt und ſteht mithin um ſo mehr im Vortheil
gegen uns. Denn , wann werden jene Thoren ſo
ſehr darnach verlangen, fich zu feßen, als wenn fie
müde ſind ? Und wann werden ſte wohl ſo mübe
fein , wie am nahen Ende ihrer Reiſe ? Daber tommt
es , wie geſagt, daß der Zaubergrund ſo naše
liegt dem Lande der Vermählung und dem Ende
ihrer Wallfahrt. Darum mögen die Pilger wohl
auf ſich ſelbſt achten, daß es ihnen nicht ergeht, wie
dieſen , die, wie ihr ſehet , in den Schlaf gefallen
und von Niemandem wach zu bringen ſind.
Darauf begehrten die Pilger mit Zittern weis
ter zu gehen , nur baten fte ihren Führer Licht zu
ſchlagen, daß ſie den noch übrigen Theil des Weges
( ges
mittelſt einer Laterne zurüdlegen könnten . Er
währte ihre Bitte , und mit Hülfe einer Laterne )
gingen ſtefortan, obwohl die Finſterniß ſehr groß war.
Die Stinder aber fingen an ſchredlich müde zu
werden und riefen zu Dem , der die Pilgrime lieb
bat, daß er ihren Weg angenehm machen wolle.
Daher erhob ſich nicht lange hernach ein Wind,
welcher den Nebel vertrieb und die Luft heller
machte. Aber bei allem Dem waren ſie noch lange
nicht über den Zaubergrund hinweg , nur fonns
1 ) 2 Petr. 1, 19 .
167

ten ſie einander wieder ſehen und auch den Weg,


welchen ſie gehen ſollten .
Da fie nun beinahe an dem Ende dieſes Gruns
Des waren , vernahmen ſie eine feierliche Stimme
kurz vor fich her, ſie war als von Einem , der etwas
Großes beſchloſſen hat. Sie gingen nun weiter,
blidten vorwärts und fahen , wie ſie meinten, einen
Mann auf den Knieen liegen , der Hände und Aus
gen emporhob und -- fo ſchien es ihnen - ernſtlich
redete mit Einem , der in der Höhe war. Sie gin.
gen näher , fonnten aber nicht verſtehen , was er
fagte; ſo zogen ſie denn ganz leiſe weiter , bis er
1

geendet hatte. Hiernach, ſtand er auf und fing an,


der himmliſchen Stadt zuzueilen .
Nun aber ' rief Muthberg ihm nach : Halt,
Freund ! laß uns deine Geſellſchaft genießen , denn
ich vermuthe , daß du nach der himmliſchen
Stadt wilft. Da blieb der Mann ſtehen , und fie
kamen zu ihm..
Sobald ihn nun Redlich erblicte , ſagte er :
ich kenne den Mann. Da ſprach Streiter für
die Wahrheit : bitte, ſage mir, wer's ift ?
Es iſt Giner, antwortete Muth herz , welcher
ungefähr aus derſelben Gegend kommt , wo ich
1

wohnte; ſein Name iſt Standhaft , er iſt in der


That ein recht frommer Pilger.
So famen ſie nun zuſammen und ſogleich ſagte
Standhaft zu dem alten Redlich : Wie , Pater
Redlich , biſt du auch hier ?
Ja, ſprach er, ich bin's, ſo gewiß du hier bift.
Ich bin recht fehr froh , ſagte Standhaft ,
daß ich dich auf dieſer Straße antreffe.
und ebenſo freut es mich, verſeßte Redlich ,
daß ich dich auf den finieen habe liegen ſehen .
Da erröthete Standhaft und ſprach : Wie,
du haſt mich geſehen ?
Redl. Ja , ' und meine Seele freute fich über
ſolchem Anblic .
168

Stanbh. Nun, was bacteft du denn ?


1
Redl. Was ich bachte ? was follte ich denken ? }

Daß wir einen redlichen Mann auf dem Wege ges


funden håtten , und wir wohl bald Geſellſchaft mit
ihm machen würden .
Standh. Wie glüdlich würde ich ſein, wenn
bu dich nicht geirrt håtteft! Bin ich aber nicht, wie
ich ſein ſollte, dann muß ich's allein tragen.
Redl. Das iſt allerdings wahr , aber eben
deine Befürchtung beſtåtigt mir nur noch mehr, daß
es zwiſchen dem Sönige der Pilger und deiner Seele
richtig fteht, denn Er ſagt: Wohl dem , der ſich
all ewege fürchtet! 1 )
Streit. Aber , Bruder, fage uns doch , was
bewog bich, daß du gerade 'ießt auf den Knieen
lagft ? Drangen dich beſondere Gnadenerweiſungen
dazu, oder, wie kam es ?
Standh. Ei, wir ſind ja, wie ihr fehet, auf
Dem Zaubergrunde , und als ich hier einherging,
fann ich bei mir ſelbſt darüber nach , wie gefährlich
die Straße an dieſerStelle ſei, und wie Biele, die
gerade bis zu dieſerStelle auf ihrer Pilgerreife ges
kommen , hier umgekommen ſeien . Auch dachte ich
über die Art des Todes nach, in welcher die Mens
ſchen hier ihren Untergang finden ; fte ſterben hier
nicht an einer ſchmerzhaften Krankheit ; der Tod ift
nicht ſchwer fürfte. Denn wer im Schlafe von
hinnen geht, beginnt ſeine Reiſe mit Annehmlichkeit
und Vergnügen . Ja, Solche geben ſich ſogar gerne
dieſer Rrankheit hin .
Da unterbrach ihn Reblich und ſprac : Haft
du die beiden Männer in der Laube ichlafen fehen ?
Standh . Ach, ja ! Ich habe unbeſonnen
und Tollfühn geſehen, und ſo viel ich weiß , wers
ben fie dort liegen bleiben , bis ſie verweſen . ) Doch
laß mich fortfahren in meiner Erzählung. Als ich
4
*) Sprüch. Sal. 28 , 14. · ) Sprüc . 10, 7.
169

ſo nachſann, wie ich vorhin bemerkte, da geſellte fich


Eine zu mir in reizendem Anzuge , aber alt , ftellte
fich vor mich hin und bot mir drei Dinge an, näms
lid ihren Leib, ihr Geld und ihr Bette. Nun war
ich, um es recht zu ſagen , beides : müde und ſchlaf
rig ; auch bin ich ſo arm , wie eine Kirchenmaus,
und vielleicht wußte die Here das. Nun lehnte ich
ihr Anerbieten zwei- oder dreimal ab, allein fie ließ
fich dadurch nicht zurückſchreden und lächelte dabei.
Da fing ich an , verdrießlich zu werden , aber fie
ftörte fich daran gar nicht. Hiernach machte ſie mir
neue Anträge und ſagte , wenn ich mich von ihr
wollte leiten laſſen , ſo würde ſte mich groß und
glüdlich machen . Denn, ſprach ſie, ich bin die Bes
Herrſcherin der Welt , und ich mache die Menſchen
glüdlich. Sa fragte ich denn nach ihrem Namen,
und fie ſagte : ich heiße Frau Sand. Dies ents
fremdete mich ihr noch mehr, allein fie folgte mir
weiter, mit ihren Lodungen . Da warf ich mich,
wie ihr geſehen habt , auf meine Kniee , hob meine
Hände empor und ſchrie betend zu Dem , der ges
ſagt hat , daß er helfen wolle. Gerade nun , als
ihr famt, ging die Dame ihres Weges davon. Ich
aber fuhr fort in meinem Gebete und danfte dem
Herrn , daß er mich aus meiner Bedrängniß ſo
mächtig erlöſet hätte. Denn ich glaube ſicherlich,
daß ſie nichts Gutes mit mir vorhatte, ſondern daß
fte mich zurüchalten wollte von meiner Reiſe.
Redi. Zweifelsohne hatte fie ſchlechte Abſichs
ten . Aber, halt', da du von ihr ſprichſt, meine ich,
fte entweder geſehen , oder von ihr geleſen zu haben.
1
Standh. Vielleicht haſt du Beides.
Redl. Frau Sand ? ift's nicht eine großer
ftattliche Dame, von etwas ſchwärzlichem Ausſehen ?
Standh. Richtig ! Du haft'8 getroffen ; ſo
ift fte gerade.
Redl. Hat ſie nicht eine glatte, ſchmeichleria
170

ſche Sprache und lächelte fie dich nicht am Ende


jedes Sapes an ?
Standh . Abermals ganz richtig! Dies war
ſo ganz ihr Weſen .
Redl. Trägt ſie nicht an ihrer Seite eine
große Börſe und hat ſie nicht oft die Hand darin,
um mit dem Gelde zu ſpielen , als wenn ſie daran
ihres Herzens Luft hätte ?
Standh. Ja, gerade fo; wenn ſie die ganze
Zeit über hier geſtanden, ſo hátteſt du ſte mir nicht
vollſtändiger vorſtellen und ihre Züge nicht beſſer
bejdreiben können.
Redl. Dann war der , welcher ihr Bild ents
worfen, ein guter Zeichner, und der, welcher fte bes
ſchrieben , ein treuer Erzähler.
Muthh. Dieſes Weib iſt eine Here, und in
Kraft ihrer Zaubereien dieſer Grund bezaubert.
Der, welcher fein Haupt in ihren Schooß legt, kann
es ebenſo gut auf den Blod legen , über welchem
das Beil hängt, und wer ſeine Augen auf ihre
Schönheit heftet, der wird gezählt zu den Feinden
Gottes. ' ) Sie iſt es, welche alle Diejenigen in hos
hem Anſehen hält, welche Feinde der Pilger ſind.
Ja , fte hat ſchon manchen Pilger mit ihrem Gelde
abgekauft, um ihn von ſeiner Wanderung abzubrins
gen. 2) Sie iſt eine gewaltige Klatſcherin ; ſie und
ihre Töchter ſind immer dem einen oder andern
Pilger auf den Ferſen , bald um die Herrlichkeiten
dieſes Erdenlebens anzupreiſen und theils um fte
anzubieten. Sie iſt ein freches, ſchamloſes Weib
und ſucht mit jedem Manne anzubinden. Steto
verlacht 'fte die armen Pilger mit Hohn und erhes
bet dagegen die Reichen hoch.3) Findet ſich irgend
wo Einer, der auf eine liftige Weiſe Geld zu ges
winnen weiß , ſo lobt fte ihn von Haus zu Haus.
.

Schmauſen und Gaſtereien' liebt ſie ſehr und iſt


1) Fat. 4, 4. -

2) 1 Joh. 2, 15. 8 ) Fat. 5, 1–6.


171

balb hier, bald dort an einer vollen Tafel. An ets


lichen Drten hat ſie ſich für eine Göttin ausgeges
ben , weßhalb ſite auch von Einigen angebetet wird.
Sie hat gewiſſe Zeiten und offene Pläße zum Bes
trügen und behauptet , daß Niemand ein gut aufs
zuweiſen habe , welches dem ihrigen gleich komme.
Sie verheißt , daß fie' wohnen werde bei Reindesfins
bern , wenn dieſelben fte' nur lieben und verehren
wollen. Sie wil Gold , wie Staub aus ihrer Börſe
werfen an gewiſſen Pläßen und für gewiſſe Perſos
nen. Sie iſt gerne geſucht, gerne gelobt und liegt
gerne an Jemandes Buſen. Sie wird nicht müde,
ihre Vortheile anzupreifen und hat Diejenigen am
liebſten , die am beſten von ihr denken. Sie ver
heißt Krone und Königreiché benen , die ihrem
Rathe folgen , doch hat fie Viele an den Galgen
und noch mehrere in die Hölle gebracht.
D ! 'jagte sierauf Standhaft, welche Gnade
ift mir widerfahren , daß ich ihr Widerſtand gethan
habe ; wohin möchte ſie mich wohl gezogen haben !
Muthh. Wohin ? Ach ! das weiß Gott allein.
Aber , foviel iſt gewiß , ſie würde dich gezogen has
ben in 'viel thöridite und ſchädliche Lüſte ,
welche verſenken die Menſchen in das Vers
Derben und Verdammniß. 1) 'Sie war es, welche
Abſalom wider ſeinen Vater aufwiegelte , und
Jerobeam wider ſeinen Herrn. Sie, die Judas
überredete, daß er ſeinen Herrn verrieth für Geld,
und die Demas vermochte , das Leben eines gotts
feligen Pilgers daran zu geben . Keiner vermag es,
au das Unheil zu zählen , das ſie angerichtet. Sie
ſtiftet Zwietracht zwiſchen Herrſchern und Unters
thanen , zwiſchen Eltern und Kindern, zwiſchen Nachs
bar und Nachbar , zwiſchen Mann und Weib , zwi:
fchen den Menſchen und ſich ſelbſt, und zwiſchen
dem Fleiſche und dem Geiſte. Darum, lieber Stand
-) 1 Tim, 6, 9.
172

haft , fei , was bein Name beſagt, und wenn du


Alles gethan haft, ftehe !
Ueber dieſem Geſpräche hatten fich Freude und
Zittern in den Seelen der Pilger gemiſcht, aber
juleßt brachen fte aus und fangen :
Wie ift ein Pilger in Gefahr,
Wie groß ſein Feindeskreis!
Zur Sünde führen immerdar
Mehr Wege, als man weiß.
Gar Mancher in der Grube ftedt,
Verdirbt ſogar im Roth,
Und Mancher , den das Feuer fchredt,
Rennt in den Feuertod.

Hierauf ſah ich den Pilgern nach bis ſie in das


land Der Vermå hlung gekommen waren , wo
bie Sonne ſcheinet Dag und Nacht. Hier begaben
ſte fich, weil ſie müde geworden , eine Weile zur
Ruhe. Und weil dieſes Land ein Gemeingut ber
Pilger iſt und ſeine Obſtgårten und Weinberge
dem Könige des himmliſchen Landes gehören , to
konnten fte nach Belieben von Adem, was hier war,
Gebrauch machen . Aber ſchon nach einer kleinen
Weile hatten ſie ſich erquict; auch läuteten die
Glocken und flangen die Poſaunen fortwährend ſo
lieblich, daß ſie nicht ſchlafen konnten, und dennoch
1

fühlten ſie ſich ſo erquiát, als ob fte, wie je , jo


gut geſchlafen hätten . Hier hörte man auf den
Straßen immer nur den Ruf : Mehr Pilger
find zur Stadt gekommen ! Ein Anderer ants
wortete : Und fo Viele find über das Waſſer
gegangen und heute eingezogen zu den
goldenen Thoren ! Wieder Andere riefen : Jeft
eben iſt eine legion von Verklärten zur
Stadt gekommen ! von denen erfahren wir , daß
noch mehr Pilger auf dem Wege find. Denn dieſe
find gekommen auf fie zu warten und fte nach ihrer
Srübjal zu tröſten.
173

;n Nun ſtanden die Pilger auf und wandelten


hin und her . Allein , wie wurden ihre Dhren jest
erfüllt mit himmliſchen Stimmen und ihre Augen
ergößt an himmliſchen Geſichtern ! In dieſem Lande
hörten ſie nichts, ſahen ſie nichts, fühlten ſie nichts,
rochen ſie nichts und ſchmedten ſie nidyt8 , was ily
ren Sinnen oder ihrem Gemüthe zuwider geweſen
wäre . Nur als fie fofteten vom Waſſer des Stros
mes, kam es ihnen vor, als wäre es etwas bitter
für den Gaumen , indeſſen fanden ſie es ſüß, wenn
es hinunter war.
An dieſem Drte warð ein Verzeichniß ges
halten von den Namen Derer, die vor Alters Pil
ger geweſen, ſo wie auch eine Geſchichte aller ihrer
础。 merkwürdigen Thaten. Auch wurde darüber hier
mo
verhandelt , wie Einige bei der Fluth , Andere bei
ent der Ebbe bes Stromes hinüber gegangen wären.
JULI Für Manche iſt er faſt troden geweſen , während
ber für Andere feine Ufer überflutheten .
TAL
An dieſem Orte gingen die Kinder der Stadt
10 in die Gärten des Königs und pflügten Blumens
ſträuße, die ſie den Pilgern zum Zeichen ihrer ins
Tem nigen Liebe überreichten. Hier wuchſen auch Sams
pher , Lavendel , Safran , Kalmus , Zimmet , alle
Arten von Weihrauchbäumen , Myrrhen und Aloe,
und alle feinen Sorten von Gewürzen. Mit dieſen
wurden die Zimmer der Pilger durchräuchert, wah
11 rend ſie hier wohnten , und ihre Leiber geſalbet, um
EL ſte vorzubereiten auf den Uebergang über den Strom,
wenn die beſtimmte Stunde gekommen wäre.
er Als ſie nun hier lagen und warteten auf die
11 gute Stunde, da fam ein Gerücht , daß eine Bots
Ichaft angelangt ſei aus der himmliſchen Stadt und
zwar von großer Wichtigkeit für Eine, die Chri,
itin heiße, Chriſt's , des Pilgers Weib . So ward
denn nach ihr geforſcht, und als man das Haus,
in welchem fte war , ausfindig gemacht, wurde ihr
ein Brief überbracht, worin geſchrieben ftand
13
: Heil
174

dir , gottesfürchtiges Weib ! Ich bringe dir die


Nachricht, daß der Herr dich ruft und erwartet,
daß du ſteheft vor ſeinem Angeſicht in Kleidern der
Unſterblichkeit, innerhalb zehn Tagen.
Als der Bote ihr dieſen Brief vorgeleſen hatte,
gab er ihr noch ein Zeichen, daß er der rechte Bote
und gekommen ſei, fte zu bewegen , daß fie ſich ets
lends aufmache. Das Zeichen aber war ein Pfeil,
beffen Spiße mit Liebe geſchärft, fanft in ihr Herz
hineinging und nach und nach ſo mächtig bei ihr
wirkte, daß ſie zur beſtimmten Zeit zu gehen ſich
1

gedrungen fühlte.
Da nun Chriftin ſah, daß ihre Zeit gekom
men war, und daß ſie die Erfte von der Geſell
ſchaft ſein ſollte, die über den Strom ginge, rief ſte
Muth herz , ihren Führer, und erzählte ihm , wie
die Sache ſtände. Darauf erwiederte er , daß er
fich über dieſe Nachricht herzlich freue und er froh
ſein würde, wenn diefelbe ihm zugekommen wäre.
Hiernach bat ſie ihn um Rath , wie Alles für ihre
Reiſe vorbereitet werden folle. Er ſprach nun zu
ihr : Es muß ſo und ſo geſchehen, und wir, die wir
noch überbleiben , wollen dich zum Stromé hin bes
gleiten.
Hiernach rief ſte ihren Kindern und ſegnete fie.
Auch ſagte ſte ihnen , wie ſie zu ihrem Troſte das
Zeichen auf ihren Stirnen geſehen , und wie fie fich
freue, fie dort bei ſich zu ſehen, und daß ſie ihre
Kleider' ſo weiß erhalten. Schließlich vermachte ſie
den Armen das Wenige, was ſie hatte , und befahl
ihren Söhnen und Töchtern an , ſich bereit zu hal
ten, wenn der Bote auch für ſie fäme.
Nachdem ſie dieſe Worte zu ihrem Führer und
ihren Kindern geredet hatte, ließ ſie Streiter für
Die Wahrheit zu fich fommen und ſagte ihm :
Du haſt dich allerorts treu und ſtandhaft erwieſen ;
fei getreu bis in den Tob , ſo wird die
175

mein König die frone des Lebens geben. ')


Ich inöchte sich bitten , ein wachſames Auge auf
meine Kinder zu haben, und wenn ſie irgend eins
mal ſchwach werden ſollten , ſo ſprich ihnen Muth
zu. Was meine Töchter, die Frauen meiner Söhne,
Þetrifft, ſo ſind fie treu geweſen , und an ihrem
Ende " werden ſte' finden die Erfüllung der Verheis
fung, die ihnen gegeben iſt.
Standhaft machte ſie einen Ring zum Geſchenk.
Zum alten Reblich ſprach fie: Siehe, ein
rechter Iſraeliter, in welchem kein Falſch
iſt !) Und er antwortete ihr : Ich wünſche dir eis
nen heitern Tag , wenn du nach dein Berge Zion
auszieheft , und freuen werde ich mich, wenn du
.

trođenen Fußes über den Strom gehſt.


Sie aber antwortete : Db trocken , oder naß, ich
habe Luft hinüberzuziehen ; denn mag das Wetter
auch ſein , wie es wil , wenn ich dorthin fomme,
1

ſo werde ich Zeit genug haben , mich auszuruhen


und zu trodnen.
Nun kam der liebe Mann Hintfuß herein,
um fie hier noch einmal zu ſehen . Sie aber ſprach
zu ihm :' Bis hieher iſt deine Reiſe beſchwerlich ges
weſen , aber dadurch wird auch deine Ruhe um ſo
füßer fein .
Wache und ſei bereit , denn der Bote fommt
zu einer Stunde, wo du es nicht meineſt.
Nach ihm fam Verzagt und ſeine Tochter
Bånglich feit. Zu denen ſprach ſie
fie:: Stets müſs
ſet ihr eingedenk ſein eurer Errettung aus der
Hand des Rieſen Verzweiflung und aus der
zweifels burg. Die Folge von dieſer Gnade,
die euch widerfahren , iſt, daß ihr ſicher bis hieher
gekommen ſeid. So wachet denn und laſſet fahren
die Furcht; ſeid nüchtern und hoffet auf das Endel
Darauf ſprach ſte zu Schwach muth : Du
1) Offenb. 305. 29-10. 2) Joh. 1, 47.
13 *
176

wardſt errettet aus dem Rachen des Rieſen Tu .


gendmörder, daß du wandeln möchteſt im Lichte
des Lebens und den König fehen mit Freuden. Nur
rathe idy dir, Buße zu thun ob deiner Furchtſams
feit und Zweifel an ſeiner Güte, bevor Er zu dir
ſendet, auf das du nicht, wenn Er fommt, vor Shm
ſtehen müſſeft mit Beſchämung um dieſes Fehlers
willen .
Der Tag fam heran, an welchem Chriſtin von
hinnen ziehen ſollte , und ſo war die Straße denn
vol von Leuten , welche ſie ihre Reiſe wollten ans
treten ſehen . Aber ſieße , das ganze Ufer jenſeits
des Fluffes war voll von Roſſen und Wagen, welche
von oben herniedergekommen waren , um ſie zu den
Thoren der himmliſchen Stadt zu geleiten.
So ſchritt ſie denn voran und trat in den
Strom und winfte denen ein Lebewohl zu , die ſie
begleitet hatten. Die leßten Worte , die man von
ihr hörte, waren : Ich koinme, Herr , um bei
dir zu ſein und dich zu preiſen !
Hierauf kehrten ihre Kinder und Freunde wies
der um, denn die , welche Chriſtin erwarteten ,
hatten ſite vor den Augen der Nachblickenden hins
weggenommen. Fortziehend mit Jauchzen , trat ſie
ein in das Thor , unter all den Freudenbezeuguns
gen , unter denen Chriſt, ihr Gatte, früher einges
zogen war. Ihre Kinder weinten bei ihrem Åbs
ſchiede. Aber Muth herz und Streiter ſpielten
auf der ſüßtönenden Zymbel und Harfe. Und nun
begab ſich ein jeglicher wieder an ſeinen Ort.
Im Verlaufe der Zeit fam abermals ein Bote
in der Stadt an, und hatte eine Beſtellung an
1

Hinkfuß. Er machte ijri ausfindig und ſagte ihm


dann : Ich bin zu dir gefommen im Namen Deſſen ,
den du geliebet und dem du nachgefolgt biſt, wenn
auch auf Strüden . Ich habe den Auftrag, dir zu
ſagen , daß er dich erwartet an ſeinem Tiſche, um
das Ábendmahl mit 3hm zu halten in ſeinen Reiche,
177

am Tage nach Oſtern. Darum rüfte dich zu dels


ner Reiſe! Darnach gab er ihm ein Wahrzeichen,
um zu erkennen , daß er der redte Bote ſei , indem
er ſprach: Ich habe die goldene Quelle zers
brochen unddenſilbernen Stridgerriffen. ')
Hiernach rief Hinkfuß ſeine Mitpilger zu fich
und ſagte ihnen : Ich bin abgerufen worden , und
Gott wird euch ſicherlich auch heimſuchen. Und nun
begehrte er, daß Streiter ſeinen leßten Willen
aufſeßen möge. Weil er indefſen nichts zu vermas
chen hatte denen , die ihn überleben möchten , als
ſeine Krüden und guten Wünſche, ſo beſtimmte er :
Dieſe Strüden vermache ich meinem Sohne , der in
meine Fußſtapfen treten ſoll , mit hundert warmen
Wünſchen , daß er ſich als ein beſſerer Pilger bes
währen möge, wie ich. Dann bebanfte er ſich bei
Muthherz für ſein Geleit und die Güte, welche
er ihm erwieſen, und dhidte fich fo zur Abreiſe an.
Als ' er an den Rand des Stromes fam , ſagte er :
Nun werde ich dieſer Früden nicht weiter bedürfen ,
denn da drüben find Wagen und Roffe, die auf
mich warten. Die leßten Worte, die man von ihm
pernahm, waren : Willkommen ,1 o leben ! und
damit ſchied er von hinnen .
Darnach erhielt S dywach muth die Nachricht,
daß das Poſthorn vor ſeiner " Thüre erklungen ſei.
Der Bote trat ein und ſprach zu ihm : Ich bin ges
kommen , um dir zu ſagen , daß der Meiſter deiner
begehret , und daß du binnen Kurzem ſein Antlit
ſchauen ſollft im Lichte. Nimm zur Beglaubigung
meiner Sendung dieſes Zeichen : Die durch die
Fenfter ſehen , werden dunfel. ) Darauf
ſchidte Schwach muth zu ſeinen Freunden , und
theilte ihnen die Botſchaft mit , die an ihn gelangt
war, und was für ein Zeichen ihrer Zuverläſſigkeit
ihm zu Theil geworden. Sodánn fuhr er fort :
1) Vgl. Pred. 12, 6. – ?) Pred. 12, 3.
178

Weil ich nichts habe , was ich Einem vermachen


könnte, warum ſollte ich da ein Teftament machen ?
Was meinen ſchwachen Muth anlangt, ſo wil ich
der zurüdlaſſen , denn dort, wohin ich gehe, iſt kein
Raum für ihn ; auch iſt er nicht werth , daß er dem
Aermſten der Pilger verliehen werde. Deßhalb
wünſche ich , daß du , lieber Streiter, ihn nach
meinem Abſcheiden in einem Winkel verſcharreſt.
Da er nun ausgeredet und der Tag ſeiner Abreiſe
gekommen war , ging er in den Strom , wie die
úebrigen es auch gethan hatten. Seine leßten
Worte waren: Harre aus im Glauben und
in der Geduld ! Und ſo ging er auf die andere
Seite hinüber.
Viele Tage nachher warb auch zu Verzagt
geſchict. Thm brachte der Bote dieſe Nachricht: Di
bu zitternder Mann ! hieburch ouſt du ermahnet
werden , daß du dich fertig macheſt, am nächſten
Tage des Herrn bei dem Könige zu ſein, zu jauch
zen vor Freude, daß er dich aus alen Deinen
Zweifeln erlöſet hat. Daß aber meine Botſchaft
wahr ſei, ſoulft du dies zum Zeichen nehmen : Der
Mandelbaum blühet und die Heuſdrede
wird beladen , und alle luft vergehet . ' )
Als Verzagt's Tochter, Bänglichkeit, nun
pernahm , was ſich begeben hatte , ſprach fie: Ich
wil mit meinem Vater gehen ! Darauf fagte Vers
sagt zu ſeinen Freunden : 68 iſt euch befannt, wie
es mit mir und mit meiner Tochter geweſen , und
wie ſchwer wir unſerer Geſellſchaft geworden ſind.
Mein und meiner Tochter leßter Wide iſt es , daß
unſere Verzagtheit und knechtiſche Furcht nie wies
der jemanden beſeelen möge, von dem Tage unſes
res Abſcheidens an ; denn ich weiß, daß fie fich nach
meinem Tode auch bei Andern einfinden werden.
Um euch darüber in's Klare zu feßen , es ſind Ges
1) Pred. 12, 5 .
179

(penfter, die wir aufnahmen, als wir unſere Pilgers


fahrt antraten , und die wir hernach nicht von uns
abſchütteln konnten; ſie aber werden auch ferner
umherwandeln und Aufnahme fuchen bei den Pils
gern . Aber , wir flehen euch : ſchließet die Thüren
vor ihnen zu !
Ás nun ihre Stunde gekommen war , gingen
fte zum Ufer des Stromes. Die leßten Worte
Verzagt's waren : Nacht fahre dahin ! Will :
Fominen , o Jag ! Seine Tochter aber ging fins
1

gend durch den Strom , es konnte jedoch Niemand


verſtehen , was ſie fang.
Gine Weile hernach begab ſich's , daß ein Bote
in die Stadt fam, der ſich nach Redlich erkundigte.
Er fam dann in ſein Haus und behändigte ihm
folgende Zeilen : Dir wird geboten , daß du dich
nach acht Tagen vor deinem Herrn ftelleſt in ſeis
nes Vaters Hauſe. Zum Zeichen aber , daß meine
Botſchaft echt iſt, nimm die Worte: Es büdent
fid alle Töchter des Gefanges. ')
Da rief Redlid ſeine Freunde zu fich und
ſprach zu ihnen : Ich ſterbe, werde aber kein Teftas
ment machen. Meine Redlichkeit ſoll mich begleiten ;
erzählet Denen davon , die nach mir kommen . Als.
der Tag ſeines Scheidens gekommen war, ermun
terte er ſich ſelbſt, über den Strom zu gehen. Ges
rade jeßt überfluthete derſelbe ſeine Ufer an ver
ſchiedenen Stellen ; allein Redlich hatte noch bei
feinen Lebzeiten Ginen , Namens Gutgewiſſen ,
geſagt, dort mit ihm zuſammen zu treffen , und ſo
geſchah es denn auch . Gutgewiſſen reichte ihm
feine Hand und half ihm hinüber. Redlich's
leßte Worte waren : Die Gnadeführt vas Res
giment ! So verließ er dieſe Welt.
Hierauf kam das Gerücht, daß Streiter für
die Wahrheit ebenfalls eine Aufforderung, wie
1 ) Pred. 12, 4.
180

die Anderen erhalten habe, mit dem Wahrzeichen :


Der Eimer zerledhjet am Born. ) Ais erg
vernommen , ließ er ſeine Freunde fommen und
theilte es iynen mit. Dann ſprach er : Ich gehe zu
meinem Vater, und obgleich ich unter großer Bes
ſchwerde hierher gelangt bin , To reuet mich doch
ießt al die Mühe nicht, die ich angewandt , um
bahin zu kommen , wo ich jeßt bin. Mein Schwert
1

gebe ich Dem, der mir in meinem Pilgerlaufe nachs


folgen wird, und meinen Muth und meine Ges
fchidlichkeit dem , welcher fte zu erlangen verſteht.
1

Meine Zeichen und Wundenmale nehme ich mit


mir , zum- Zeugniß , daß ich den Kampf deſſen ges
fämpft habe, der mir jeßt mein Vergelter ſein wird.
Als der Tag erſchienen war , ſo begleiteten ihn
Viele zum Ufer des Stromes. A18 er hineintrat,
ſprach er : Tod , wo iſt dein Stachel? und als
er tiefer hineinſank: Hölle , wo ift dein Sieg ??)
Und ſo ging er hinüber, und alle Poſaunen tönten
ihm entgegen auf der andern Seite.
Darnach kam eine Aufforderung an Stand .
haft . Es war derſelbe, welchen die Pilger auf
bem Zaubergrunde knieend gefunden hatten . Der
Bote brachte dieAufforderung offen zu ſeinenHåns
den. Ihr Inhalt war: er ſolle" fich bereit halten
zum Abſchied aus dieſem Leben , denn ſein Meiſter
wolle nicht, daß er weiterhin ſo fern von Ihm bleibe.
Indeſſen hatte Standhaft doch einiges Bedenken
babei. D, fagte der Bote, du braud ft an der Wahrs
heit meiner Mittheilung nicht zu zweifeln, denn,
ftehe, hier ift das Zeichen davon : Das Rad ift
jer broden am Born . 3) Da ließ Standhaft
ihren Führer , Muth herś , kommen und ſprach zu
ihm : Dbgleich es mir nicht beſchieden geweſen,
während meiner Pilgrimſchaft lange in deiner Ges
feufchaft zu fein , ſo biſt du mir doch, während der
I

*) Pred . 12 , 6. — 2) 1 for. 15 , 55. - 8) Pred . 12 , 6.


-
181

Zeit unſerer Bekanntſchaft ſehr zum Şeile geweſen .


Áls ich von Hauſe ging, ließ ich ein Weib und
fünf kleine Kinder zurüc. Geſtatte mir die anges
legentliche Bitte, daß du bei deiner Rückunft ( denn
ich weiß , daß du zu deines Meiſters Hauſe zurüds
kehrſt, um noch mehr fromme Pilger zu begleiten )
zu meiner Familie 'ſchidft und ihr wiſſen laſſeft
Alles , was mir begegnet iſt und noch begegnen
I

wird . Sage ihnen von meinem gegenwärtigen


glüdſeligem Zuſtande und von meiner glüdlichen
Ankunft in derhimmliſchenStadt. Benachrichtige
ſie auch von Chriſt und Chriſtin , und wie fte
und ihre Kinder ihrem Manne nachgefolgt feien.
Erzähle ihnen auch von dem ſeligen Ende , was fte
gehabt, und wohin fte gekommen ift. Id habe meis
ner Familie Wenig oder Nichts zu fenben , als
meine Gebete und Thränen für fte . Es wird ge
nug ſein, ſie damit befannt zu machen ; es könnte
ſein , daß dadurch Etwas vermacht würde über fie.
Als Standhaft dieſe Anordnungen getroffen und
die Zeit ſeines Hinganges herbeigeeilt war , ging
er zum Strome binab. Um dieſe Zeit war derſelbe
ſehr ruhig , weßhalb Standhaft , da er ungefähr
über die Hälfte hinüber war I, zu ſeinen Gefährten,
die ihn bis hierhin begleitet hatten , ſagte :
Dieſer Fluß iſt Manchem ein Schreden gewes
ſen , ja auch mich haben die Gedanken daran oft
erſchredt; aber nun dünft mich , daß ich ſicher ſtehe.
Meine Füße ruhen auf dem Grunde, auf weldjem
die Füße der Prieſter ruhten , welche die Lade bes
Bundes über den Jordan trugen.1 ) Die Waffer
find wohl dem Gaumen bitter unb erkalten den
Magen, allein der Gedanke daran, wohin ich gehe,
und an das himmliſche Geleite, welches jenſeits auf
mich wartet, glüht wie ein Feuer in meinem Herzen .
Nun fehe ich mich am Ziel meiner Wallfahrt
) 30. 3 , 17.
182

und die Tage meiner ſauren Arbeit find zu Ende.


Ich gehe hin, das Haupt zu ſchauen , welches einft
eine Dornenkrone getragen , und das Antliß , das
1

um meinet willen verſpeiet warb. Bisher habe ich


vom Hörenſagen und Glauben gelebt, aber nun
gehe ich dorthin , wo ich leben werde im Schauen ,
und ich bei Dem ſein werde, deſſen Nähe meine
Seligkeit ift.
Ich habe gern von meinem Herrn reden hören,
und wo ich nur ſeine Fußſtapfen auf Erden ers
blidte , da habe ich darnach verlangt, meinen Fuß
I

hineinzuſeßen. Sein Name war mir eine ausges


ſchüttete Salbe , ja ſüßer, denn alle Wohlgerüche.
Seine Stimme war mir am lieblicften , und nach
ſeinem Angeſicht habe ich mich mehr geſehnt, als
1

nach dem Licht der Sonne. Seine Worte waren


meine Speiſe und meine Stärkung gegen alle Dhn
macht. Er hat mich erhalten , und meine Uebers
tretungen fern von mir ſein laffen . Ja , meine
Schritte find feſt geworden auf ſeinem Wege.
Als er fo redete, verwandelte ſich ſein Anges
ficht, feine Starte'n frümmeten ſich unter
ihm , ') und nachdem er geſagt : Nimm mich auf,
Denn ich komme zu Dir ! - ward er nicht mehr
von ihnen geſehen.
Áber glorreich war es zu ſehen , wie die höc '
bern Regionen mit Roffen und Wagen , mit Pos
faunen- und Flötenbläſern und mit Sängern und
Saitenſpielern angefüllt waren , die Pilger zu bes
wilfommnen , während fte hinaufzogen und Einer
dem Andern in das herrliche Thor der Stadt folgte.
Was die vier Söhne Chriſtin's und deren
Frauen und Kinder betrifft, ſo habe ich nicht ſo
1

lange verweilt, bis ſie hinübergezogen waren. Auch


hörte ich , ſeit ich von dort wegging , von Jemans

') Pred. 12, 3.


i 183

dem , daß ſie noch am Leben feien , und an dem


Drte, wo ſie jener Zeit waren , noch eine Zeitlang
zum Wachsthúm der Gemeinde verbleiben würden .
Sollte es mein loo8 fein , fenen Weg noch
einmal zu ziehen , ſo kann ich vielleicht denen, die
darnach verlangen , Nachricht geben von dem , was
ich hier verſchweige. Inbeffen wünſche ich meinen
Lefern lebewohi.

Oe
Beſtellungen werden unter Kreuzband und der
portofreien Adreſſe:
Angelegenheiten der Wupperthaler.Traktat-Geſellſchaft.
(Name des Abſenders .)
An

den Vorſtand der Wupperthaler Traktat-Geſellſchaft


in

Barmen

erbeten. Geldbriefe müſſen mit fünf Siegeln vers


ſchloſſen ſein.

More

Zu haben in der Erpedition, Werther - Straße 83.


Die folgenden , von der Wupperthaler Traktat-Geſed .
ſchaft herausgegebenen kleineren Schriften , für den Buchs
handel in Commiſſion bei W. Bertelsmann , find beſons
ders empfehlenswerth , und eignen ſich für Volksbibliotheken .
Das Leben Calvin's von Thelemann mit dem Bilde
Calvin's. 100 S. Lagerpreis 1 Sgr. 9 Pfg ., im
Buchhandel 3 Sgr.
Das Lutherbüchlein von Wangemann , mit vielen 3uuftra .
tionen , Lagerpreis 2 Sgr. , Buchhändl. Preis 4 Sgr.
Das Leben Zwingli's. 19/4 Sgr., im Buchh. 39/2 Sgr.
Das Leben Melanchthon's von ledderboſe. 14/% Sgr .,
im Buchh. 3 Sgr.
Das Leben des Mykonius von demſelben. 6 Pfg ., im
Buchh. 1 Sgr.
Das Leben des Dr. P. Anton von demſelben. 10 Pfg .,
im Buchh. 2 Sgr.
Caspar Neumann's Leben und Lieder von demſelben .
1 Sgr. 8 Pfg., im Buchh. 34/2 Sgr.
Der Admiral Michiel de Ruiter von demſelben. 1. Sgr.,
im Buchh. 2 Sgr. Jlluftrirt.
Der Admiral Coligny von Paſtor Berg. 10 Pfg ., im
Buchh. 2 Sgr.
Michael Feneberg, ein evangeliſches Prieſterleben in der
römiſch - katholiſchen Kirche, von Sdiler. Preis 9
Pfg. , im Budhandel 1/2 Sgr.
Luiſe Henriette von Brandenburg von Sdiler. 9 Pfg .,
im Buchh. 14/2 Sgr.
Luiſe Scheppler. 6 Pfg ., im Buchh. 1 Sgr.
Sarah Martin . 6 Pfg., im Buchh. 1 Sgr.
Dlympia Morata . 6 Pfg., im Buchh. 1 Sgr.
Hiſtoriſche Erzählungen für junge Proteſtanten, illuftrirt.
5 Hefte. 31/4 Sgr., im Buchh. 6 Sgr.
Lebensbilder aus der chriſtlichen Gemeinde. 4 Hefte. 2 Sgr.
10 Pfg., im Buch. 5 Sgr.
Der Franzoſenpeter von Paftor Fürer. 1 Sgr. 8 Pfg.,
im Buchh. 3 Sgr.
Wedſtimmen in wahren Erzählungen von Sdumader.
3 Hefte. 1 Sgr. 10 Pfg., im Buchh. 4 Sgr.
Hedlen Vicars von W. Oftertag. 7 Bfg., im Buch.
11/4 Sgr.
Peter Lohbeck. 6 Pfg., im Buch. 1 Sgr.
Der Krüppel von Rottenſtein von Schubert. 7 Bfg.,
im Buch. 11/4 Sgr.
Enthaltſamkeitsbuch von Paft. Thümmel. 21/2 Sgr., im
Buchh. 5 Sgr.
Confirmandenbuch von demſelben, mit mehr als 30 Erzäh.
lungen. .3 Sgr., im Buchhandel 6 Sgr.

Er iſt treu – der verheißen hat, Betrachtungen für jeden


Tag im Monat. 14/4 Sgr., im Buch. 24/2 Sgr.
Der Bogen in den Wolken, ebenſo. 24/2 Sgr. , im Buchh.
5 Sgr.
Worte Jeſu an die Müden . 21/2 Sgr., im Buch.5 Sgr.
Komm zu Jeſu ! von Newman Hall . 1 Sgr., im Buch .
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Folge Jeſu ! von demſelben . 1 Sgr. , im Buchh. 2 Sgr.
1

„Ich bin es !“ von demſelben. 10 Pfg., im Buchh. 2 Sgr.


Bunyan, Pilgerreiſe zu der ſeligen Ewigkeit. 2 Bde. in
Pappbo. 124/2 Sgr. , im Buchh. 24 Sgr.
Der Sieg der Gnade von Malan. 11/, Sgr., im Buch.
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Die Familie eine Gemeinde Gottes von Wächtler.
1 Sgr. , im Buch. 2 Sgr.
Beteſt Du ? von Nyle. 9 Pfg., im Buchh. 14/2 Sgr.
Erinnerung an den Tag der Confirmation von Jaspis.
9 Pfg.,
+ im Buchh. 11/2 Sgr.

NB. Bei Parthiebezügen ſtellen fich die Preiſe für den


Buchhandel (durdu. Bertelsmann) billiger.
1
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UNIVERSITY OF MICHIGAN

3 9015 06114 8535

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