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Volkskunde und Heavy Metal - diese Allianz erscheint zunächst mehr als

befremdlich. Die Ursache hierfür liegt in der klischeehaften Vorstellung, die die
meisten Menschen von beidem haben. "Volkskunde - da erforscht man Trachten,
Blasmusik und alte Bräuche"; "Heavy Metal - das ist doch lauter, primitiver Krach,
satanistische, gewaltverherrlichende Musik" - derartige Stereotypen begegneten mir
als Volkskundlerin(1) auf den Spuren des Heavy Metal immer wieder. Wie wenig
beide Klischees mit der Wirklichkeit zu tun haben, will diese Arbeit zeigen. Um einen
ersten Zugang zu dem für viele Leserinnen und Leser weitgehend unbekannten
kulturellen Phänomen Heavy Metal zu finden, wird im Folgenden der Weg der
Verfasserin zu diesem Thema nachgezeichnet. Der autobiographische Zugang
erscheint insofern legitim, als auch das Forschungsfeld Heavy Metal, um mit Rolf
Wilhelm Brednich zu sprechen, ein "Lernfeld darstellt, welches durch intensive
Interaktion zwischen Forschendem und zu Erforschendem gekennzeichnet ist."(2)
Alan Dundes schreibt: "Who are the folk? Among others, we are!"(3) Meine erste
Begegnung mit Heavy Metal-Fans fand in der frühen Pubertät statt. Mein Schulweg
führte mich allmorgendlich an der Haupt- und Realschule vorbei. Dort saßen und
standen in kleinen Grüppchen stets mehrere Heavy Metal-Fans herum, die sich
lautstark unterhielten, zum Schein miteinander rauften und bedrohlich wirkende
Embleme auf ihren abgeschnittenen Jeansjacken trugen. Bei Schulbällen stürmten
in schöner Regelmäßigkeit ganze Cliquen derart gekleideter junger Männer die
Tanzfläche, sobald Songs wie "Highway to hell" von AC/DC oder "I was made for
loving you" von Kiss erklangen, schüttelten ihre Haare im Rhythmus der Musik und
imitierten die Spielbewegungen der Musiker. Kaum wurde wieder ein Pop-Hit
gespielt, wanderten die Fans zurück in "ihre" Ecke und überließen das Areal den
"normalen" Tänzern. Von Heavy Metal wußte ich zu diesem Zeitpunkt nur soviel, daß
diese Musik bei meinen Schulkameraden und Mitschülerinnen auf dem Gymnasium
als primitiv und "proll" galt. Dieses Urteil übernahm ich ungeprüft, obwohl mir die
oben angeführten Lieder gefielen. Als Siebzehnjährige lernte ich eine Clique von
Motorradfahrern kennen, die mich zu einigen Rockerparties mitnahm.(4) Dort wurde
fast ausschließlich Hardrock und Heavy Metal gespielt, und mir schien, daß diese
Musik ausgezeichnet zum Habitus der Rocker paßte. Im Umgang mit den
organisierten Motorradfahrern, die überwiegend der traditionellen Arbeiterklasse
angehörten, wurde mir bewußt, wie stark ich vom Habitus meines Elternhauses
geprägt war.(5) Der gesamte Sprachduktus (Dialekt contra Hochdeutsch), der Humor
(Sprachwitz, "Mutterwitz" contra "feine Ironie"), der Umgangston ("rauh aber
herzlich" contra "freundlich, aber distanziert") war verschieden. Vieles gefiel mir an
diesen Menschen und ihrer Lebensweise - das gemeinsame, nicht ritualisierte Essen
bei der Mutter am Küchentisch, die unkomplizierte, direkte Art, der Gemeinsinn, die
Unternehmungslust, der Wunsch nach Spaß und Abenteuer. Für meine Eltern waren
diese Leute "unmöglich", d.h. "ungebildet", "unhöflich", "respektlos" und
"gefährlich/kriminell", was mir insofern entgegenkam, als ich mich mitten im rebellischen
Abnabelungsprozeß vom Elternhaus befand. Nach dem Abitur verlor sich der Kontakt zu
den "Unterschichten". Musik wurde neben dem Studium zu meiner großen Leidenschaft.
Sowohl aus beruflichem(6) als auch privatem Interesse verfolgte ich die Entstehung neuer
Musikstile, angefangen bei Punk über Wave, Independent, Underground, Garage, Rap,
Hiphop usw. Bald fiel mir auf, daß Hardrock und Heavy Metal in jeder Szene als
"Scheißmusik" galten und in allen Discotheken, in denen ich als Discjockey arbeitete, tabu
waren. Ab und zu kam ein Gast in Heavy Metal-typischer Kleidung und meinte, ich solle
doch mal "richtige Musik" spielen. Was damit gemeint war, begriff ich erst, als ich 1989 an
meinem Studienort einem Jurastudenten begegnete, der aus meiner Heimatstadt stammte.
Er war Heavy Metal-Fan, trug lange Haare und war seit Jahren ein begeisterter Anhänger
harter Rockmusik. Durch ihn hörte ich das erste Mal bewußt Bands wie Metallica, Slayer,
Motörhead, Judas Priest und Black Sabbath und begann, mich für diese Musik zu
interessieren. Die Szenen aus meiner Jugend kamen mir ins Gedächtnis, und es reifte der
Entschluß, meine Magisterarbeit über einen kulturellen Aspekt des Heavy Metal zu
schreiben.(7) Im Laufe der Annäherung an das Forschungsfeld traten viele Vorurteile
zutage, die mir zuvor nicht bewußt gewesen waren. Das Klischee vom stets betrunkenen,
lärmenden, gewaltbereiten, asozialen Heavy Metal-Fan saß tiefer als gedacht. Immer
wieder reagierte ich mit innerer Distanz auf den Eindruck, den viele Fans vermittelten. Trotz
der Erfahrungen, die ich im Umgang mit Menschen aus der Arbeiterklasse gemacht hatte,
wirkte deren Habitus, wie ich ihn bei Heavy Metal-Konzerten erlebte, bedrohlich und
verunsichernd auf mich. Anders verlief der Kontakt zu älteren Fans aus der Mittelschicht,
die in ihrem eher zurückhaltenden, gemäßigten Habitus berechenbarer und weniger
gefährlich schienen. Eine große Hilfe zum besseren Verständnis dieser Reaktionen waren
die Schriften des Soziologen Pierre Bourdieu, insbesondere seine Arbeiten zur Entstehung
von Geschmacksurteilen und der Wirksamkeit von Distinktionen.(8)

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