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ALLES WIRD GUT

[ERSTE HILFE]

Zwei Kurzgeschichten und die Guidelines

ARNE LANG

2019

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Inhalt
Vorwort ............................................................................................ 3

Teil 1 – Selbst erlebt! ....................................................................... 6

Kapitel 1.1: Einschulung und Abendmahl ......................................... 6

Kapitel 1.2: Auf der Zug-Wache ..................................................... 10

Kapitel 1.3: HLW – 10 Fakten im Überblick .................................... 13

Teil 2 – Wichtig............................................................................... 13

Kapitel 2.1: Warum ist Erste Hilfe so wichtig?................................ 14

Kapitel 2.2: Maßnahmen und ERC-Leitlinien .................................. 17

Nachwort ....................................................................................... 23

Über den Autor .............................................................................. 24

Wichtiger Hinweis .......................................................................... 25

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Vorwort
Rein statistisch gesehen kommt jeder einmal in seinem Leben in die Situation,
einen anderen Menschen reanimieren zu müssen. Die meisten hoffen, dass
ihnen das nicht passiert. Manchen passiert es auch nicht – anderen dafür
gleich mehrmals. In der Hand hat es aber keiner. Ob man, wenn es dann doch
geschieht, in der Lage ist, jemanden zu reanimieren, ihn also ins Leben und
damit in den Kreis seiner Familie und Freunde zurückzuholen, das hat jeder
selbst in der Hand.

Mein Name ist Arne Lang, und ich bin in einer sehr großen Notfallorganisation
tätig. Sowohl in meinem Job als auch in meiner Freizeit bringe ich gemeinsam
mit meinen Kollegen Menschen bei, wie sie anderen in Notfallsituationen
helfen können. Auch außerhalb meiner beruflichen Tätigkeit war ich schon
unzählige Male Ersthelfer. In vier Situationen waren die Menschen bereits tot
– zwei von ihnen konnte ich wiederbeleben.

Im Folgenden möchte ich Euch sieben Notfallereignisse schildern, die wirklich


passiert sind. Sechs dieser Geschichten habe ich selbst miterlebt, die siebte
wurde mir erzählt und hat mich so stark berührt, dass ich sie hier ebenfalls
weitergeben muss. All diese Tatsachenberichte sollen Euch Mut machen, im
Notfall aktiv zu werden. Aber keine Sorge, Euch erwartet kein schnöder
Ratgeber, sondern ein eher lockeres, humorvolles Taschenbuch. Naturgemäß
sind Geschichten, in denen Notfälle passieren, in der Regel zwar nicht wirklich
witzig, aber sie können Euch die Hemmung nehmen, selbst einzugreifen.

Als Erstes möchte ich Euch daher einen allgemeingültigen praktischen Tipp zur
Ersten Hilfe geben: Denkt an die Statistik. Denn wenn Ihr Protagonist Eurer
eigenen Notfallereignisse werdet, könnt Ihr Leben retten und größere
gesundheitliche Schäden verhindern. Ich kann Euch versichern, dass es
funktioniert. Und ich kann nur betonen, dass Ihr in so einer Situation bloß eines
wirklich falsch machen könnt: nämlich, wenn Ihr nichts unternehmt. Das hört
Ihr gewiss nicht zum ersten Mal, stimmt’s? Lasst mich Euch an dieser Stelle
einmal vor Augen führen, was passiert, wenn Ihr bei einem Kreislaufstillstand
untätig bleibt:

Der RTW wird irgendwann seine Bemühungen abbrechen müssen.

Die Polizei kommt und ermittelt den Hergang.

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Die Person bleibt so lange in der Wohnung liegen, bis der Bestatter kommt.

Ein, zwei Wochen später findet eine Beerdigung statt.

Nun macht mal die Augen zu und stellt Euch vor, die Person, die da so leblos
am Boden liegt, ist Deine Mutter. Gerade noch gesund und putzmunter und
dann Herzschmerzen – umgekippt, tot und beerdigt. Wollen Ihr das?

Ich habe aktiv im Rettungsdienst gearbeitet und weiß, wovon ich spreche. Sehr
häufig kamen wir an den Einsatzort und mussten leider feststellen, dass vor
unserem Eintreffen zu wenig getan worden war. Zwar absolviert jeder vor der
Führerscheinprüfung seinen Erste-Hilfe-Kurs und dann vielleicht noch alle drei
Jahre einen betrieblichen Ersthelfer-Lehrgang – doch wenn der Ernstfall
tatsächlich eintritt, fühlt sich dennoch keiner sicher genug, um zu handeln.
Und das tut besonders weh, wenn es sich bei den Patienten um Menschen
handelt, die eigentlich sehr gute Chancen gehabt hätten, wieder ganz gesund
zu werden, wenn sie nur schnell genug vernünftig versorgt worden wären.

Um diesem Missstand entgegenzuwirken, haben wir die „FIRST AID - Schule für
Notfall und Rettung“ gegründet und uns zum Ziel gesetzt, Euch für den
Ernstfall fit zu machen. Wir, das sind Ausbilder aus dem Rettungsdienst, aber
auch Notärzte und andere Mediziner.

Mit diesem Buch geben wir Euch unsere wichtigsten Tipps mit auf den Weg
und schildern zur besseren Veranschaulichung sieben sehr spannende
Geschichten direkt aus der Praxis.

Und nun: Viel Vergnügen bei der Lektüre!

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Teil 1 – Selbst erlebt!
Kapitel 1.1: Einschulung und Abendmahl
Es ist ein sonniger Junitag im Jahr 2015. Meine älteste Tochter wird heute
eingeschult, und sie freut sich riesig. Zur Einschulung gehört immer auch ein
Gottesdienst und der beginnt um 10 Uhr, aber vorher machen wir noch ein
paar schöne Fotos mit Schultüte und dem neuen Schulranzen. Schon morgens
ist es richtig warm, bestimmt 25 Grad und sehr schwül.

Wir fahren zur Kirche, die an diesem Tag proppenvoll ist. Von vorne bis hinten
sind alle Bänke belegt, wir müssen stehen. Es werden viele Kinder eingeschult
und von allen scheint die gesamte Verwandtschaft da zu sein. Während des
Abendmahls – es werden gerade Hostien ausgegeben und der Segen
gesprochen – wendet sich plötzlich mein Schwager mit Baby auf dem Arm zu
mir um und deutet nach rechts auf eine ältere Dame. „Marcus, guck mal! Ich
glaube, der geht es nicht so gut“, flüstert er. Ich drehe mich um und schaue
hinüber. Mein Blick fällt auf eine Frau, vielleicht Ende 70, grauhaarig, die
aussieht, als wäre sie während des Gottesdienstes eingeschlafen. Das ist
vermutlich auch der Grund, warum vorher niemand gemerkt hat, dass mit ihr
etwas nicht stimmt, denn wer wundert sich schon über eine ältere Dame, die
bei der Predigt einnickt?

An ihrer Haltung erkenne ich allerdings sofort, dass sie nicht einfach nur
eingeschlafen ist, dafür ist die Körperspannung zu gering. Die Frau ist vielmehr
völlig in sich zusammengesackt – es ist ein Wunder, dass sie nicht von der
Kirchenbank gefallen ist. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie wären in dieser
Situation: Sie sitzen in einer vollen Kirche, das Abendmahl ist in vollem Gange,
Ihre Schwiegereltern sind da, Ihr Ehepartner ist da und dann auch noch sehr
viele Kinder, darunter Ihre eigenen – und dann sehen Sie jemanden dort sitzen,
der dringend Hilfe braucht. Da müssen Sie vorsichtig sein, denn es sind viele
Augen auf Sie gerichtet und Sie wollen natürlich nicht pietätlos sein. Trotzdem
müssen Sie unbedingt und zügig ans Handeln kommen. Ich gehe also hin und
spreche die Frau an. Sie zeigt keine Reaktion. Als Nächstes prüfe ich, ob sie
atmet und stelle fest, dass überhaupt keine Vitalfunktionen mehr vorhanden
sind. Mitten in diesem gut besuchten Gottesdienst ist diese Frau einfach
gestorben und es hat niemand bemerkt.

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Während ich sie auf den Boden umlagere, habe ich drei Fragen im Kopf:
Warum jetzt? Warum, wenn meine Kinder dabei sind? Und warum in dieser
vollen Kirche? Doch ich kann mich nicht lange damit aufhalten, ich muss mit
der Wiederbelebung anfangen. Also erkläre ich meinem Schwager, man solle
die Messe abbrechen und die Kirche räumen – ich kann schließlich niemanden
wiederbeleben, während Hostien verteilt werden. Oder andersherum
ausgedrückt: Man kann nicht einfach weiter Hostien verteilen, während
jemand wiederbelebt wird.

Der Pastor reagiert schnell und gut, die Kirche wird geräumt, und die Besucher
verlassen zügig das Gebäude. Der Rettungsdienst wird gerufen. Ich bitte ein
paar Leute, mir Handschuhe und einen Verbandskasten zu bringen. Dann
warte ich ab, bis die letzten Kinder draußen sind und überlege, was ich zuerst
tun muss. Soll ich zuerst die Bluse aufreißen und mit der Herzdruckmassage
anfangen? Oder soll ich zuerst beatmen?

Ich beginne mit der Beatmung, überstrecke den Kopf, nehme der Dame das
Gebiss heraus und puste vorsichtig Luft in ihre Lungen. Man braucht nicht viel
Luft beim Beatmen, ein bisschen mehr als einen halben Liter, also in etwa das,
was man sowieso in der Lunge hat. Die Frau reagiert nicht – sie ist definitiv
bewusstlos. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich die Mund-zu-Mund-
Beatmung mache. Als ich etwa zehn Mal beatmet habe, sind alle Kinder weg.
Nun fange ich rasch mit der Herzdruckmassage an. Ich drücke dreißig Mal.
Noch immer ist die Frau aschfahl und zeigt kein Lebenszeichen und keine
Reaktion auf die Herzdruckmassage. Also beatme ich zwei weitere Male und
drücke dann wieder. Alles klappt so weit gut und ich mache immer weiter.
Nach etwa zwei Minuten bemerke ich plötzlich, dass da Flüssigkeit um den
Mund der Frau ist. Sie fängt an zu schwitzen. Ein gutes Zeichen. Ich halte kurz
inne und sehe, dass das Gesicht der Dame immer rosiger wird. Bei der
Herzdruckmassage reagiert der Körper jetzt, die Hände bewegen sich etwas.
Das Gehirn scheint den Schmerzreiz wieder wahrzunehmen. Die Frau kommt
langsam ins Leben zurück. Die Schnappatmung setzt ein und dann atmet sie
ganz flach weiter. Ich unterstütze die Atmung mit der Mund-zu-Mund-
Beatmung und der Kreislauf der alten Dame stabilisiert sich. Ich bin glücklich!
Ich habe es geschafft, sie ist wieder am Leben!

In dem Moment kommt eine Frau auf mich zu und sagt, sie sei OP-Schwester
im Krankenhaus, ob sie helfen könne. Ich will ihr gerade sagen, dass alles gut
ist, dass die ältere Dame stabil ist, da beginnt sie schon, mit der

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Herzdruckmassage weiterzumachen. Die alte Dame ächzt und stöhnt, sie
wimmert fast ein bisschen. Also erkläre ich der Helferin schnell, dass sie die
Wiederbelebung bleiben lassen soll, denn die Patientin hat ja wieder einen
Kreislauf und sie hat Schmerzen.

Kurz darauf kommt endlich der Notarzt, übernimmt die alte Dame und bringt
sie ins Krankenhaus. Und ich kann Ihnen berichten: Diese Frau ist gesund. Es
geht ihr gut. Sie hat die Wiederbelebung psychologisch zwar nicht so gut
überstanden und hat jetzt Angst, allein zu sein – aber sie lebt und ist in
ärztlicher Behandlung. Und das Beste ist: Man hat nichts nachweisen können.
In diesem Fall ist das keineswegs negativ, sondern ein gutes Zeichen.

Bei der Herzdruckmassage kann es vorkommen, dass der Herzinfarkt kleiner


gedrückt wird – wenn man schnell damit beginnt, kommt das sogar recht
häufig vor. Bei einem Infarkt dilatieren die Herzkranzgefäßarterien, das
bedeutet, sie weiten sich etwas, weil sie nicht mit Sauerstoff versorgt werden.
Wenn der Thrombus dann in einem Bereich von beispielsweise drei
Millimetern Durchmesser stecken geblieben ist und die Gefäßwand von ihm
wegrückt, dann hält er nicht mehr. Solange das Blut nicht nachgeronnen ist,
kann es dann passieren, dass der Thrombus durch die Herzdruckmassage
weiter ins Herz hineinrutscht – und das ist gut, denn so kann er unter
Umständen über ein sogenanntes Y-Stück in irgendeine Herzkranzverästelung
hineingleiten und die Hauptstrombahn wieder freigeben. Diese Verästelung ist
dann zwar verstopft, aber die Hauptstrombahn ist frei und somit kann der
Infarkt kleiner werden. Versorgungsgebiete, die vorher keinen Sauerstoff
hatten und nicht arbeiten konnten, die aber an der Reizweiterleitung beteiligt
waren, sind dann vielleicht wieder im Spiel und das Herz kann wieder
eigenständig schlagen. Tatsächlich kann der Körper einen Herzinfarkt bis zu
einer bestimmten Größe gegebenenfalls sogar selbst auflösen.

Ich vermute, dass genau dies bei der alten Dame passiert ist: Ein kleiner Infarkt,
der in der Reizleitung lag und den ich durch die Herzdruckmassage kleiner
gedrückt habe, sodass der Körper ihn entweder umgangen oder aufgelöst hat.
Der Körper kann sich mitunter sehr gut selbst helfen, dafür braucht er aber
Energie. Und wer liefert diese Energie? Ganz recht: Sie als Ersthelfer.

Und Sie können mir glauben: Es ist ein super Gefühl, jemandem das Leben zu
retten.

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Merke: In den ersten zwei Minuten entscheidest DU über Friedhof oder
Krankenhaus.

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Kapitel 1.2: Auf der Zug-Wache
Während ich die vorstehenden Geschichten alle selbst erlebt habe, wurde mir
die folgende von sehr guten Kollegen erzählt. Ich konnte sie damals selbst
kaum glauben, aber sie hat sich wirklich so zugetragen, wie sie mir geschildert
wurde. Auch dieser Vorfall ereignete sich im Juni 2015.

Einer meiner Kollegen, der Feuerwehrmann und Rettungsassistent Martin,


arbeitet zu jener Zeit in einer großen Stadt in Nordrhein-Westfalen. An diesem
Sommertag nutzt er das schöne Wetter und fährt mit dem Fahrrad zum Dienst
– so kann er vor der Arbeit noch ein wenig Sport machen. Um 7 Uhr morgens
ist Dienstablösung und er hat dann den Tag über Dienst. Martin radelt recht
zügig und schafft es gerade noch so, um zehn vor sieben am Arbeitsplatz zu
sein. Schnell zieht er sich um. Heute wird er den Wachalltag organisieren: Er
teilt ein, wer wo ausfährt und wer welche Arbeiten zu verrichten hat. Das ist
ein toller Job und er freut sich darauf, ein bisschen stressig geht es da aber
schon zu.

Heute fühlt er sich allerdings ein wenig merkwürdig, doch das ignoriert er und
beginnt mit der Arbeit. Er läuft über den Hof und will ins Büro des
Dienstgruppenleiters, um noch ein paar Dinge abzuklären. Auf halbem Weg
merkt er jedoch, dass ihm schwindelig wird. Der Dienstgruppenleiter schaut
gerade in diesem Moment durch sein Fenster nach draußen und beobachtet,
wie Martin anfängt zu taumeln und ein anderer Kollege, Jürgen, zu ihm
hinrennt und ihn gerade noch auffängt. Martins Körper ist ganz schlaff, wie ein
nasser Sack hängt er in den Armen des Kollegen, der ihn vorsichtig am Boden
ablegt.

Was dann passiert, bekommt Martin selbst schon gar nicht mehr mit. Mehrere
Kollegen eilen zu den beiden hinüber und fragen erschrocken, was passiert ist.
Jürgen weiß es auch nicht, er hat Martin nur fallen sehen. Doch es scheint so,
als sei Martin an diesem schönen Sommermorgen auf der Wache urplötzlich
gestorben. Er hat einen Kreislaufstillstand. Seine Kollegen in der Wache rufen
nun selbst einmal den Notarzt. Und dann beginnen sie mit der
Herzdruckmassage. Sie geben alles. An diesem Tag sind viele Rettungswagen
im Einsatz, der nächste verfügbare Wagen kommt von einer anderen Wache
und das dauert seine Zeit. Doch die Jungs geben nicht auf. Sie wechseln sich
ab, denn bei der Herzdruckmassage gilt: „Do it fast and do it strong“, mit
anderen Worten: Drücken Sie schnell und sehr fest. Und wenn dem einen

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Helfer die Kraft ausgeht, ist der nächste an der Reihe. Mit vollem Einsatz
versuchen sie, Martin wieder zurückzuholen, denn es kann einfach nicht sein,
dass er, mit dem sie jahrelang Dienst getan haben, jetzt einfach direkt hier auf
der Wache stirbt. Das können sie nicht zulassen.

Irgendwann ist endlich der Notarzt vor Ort und versucht, Martin zu
reanimieren. Er legt einen Zugang, intubiert und defibrilliert mehrfach.
Außerdem gibt er Medikamente, die Thromben auflösen. Aber Martin baut
einfach keinen Kreislauf mehr auf. Dann plötzlich scheint er zu kommen – und
schon im nächsten Moment ist er wieder weg. So geht das ein paar Mal. Die
Kollegen sind kurz davor, die Hoffnung aufzugeben. Es sind mittlerweile fast
50 Minuten vergangen – 50 Minuten medikamentöse Therapie,
Herzdruckmassage, Beatmung und Defibrillation und trotzdem kein
Lebenszeichen. Die Jungs verzweifeln langsam, aber sie geben nicht auf. Sie
setzen die Herzdruckmassage fort, denn es geht schließlich um Leben und Tod.
Und da, irgendwann in der 52. oder 53. Minute, kommt endlich eine
Herzaktion. Martin kommt zurück, als ob jemand einen Korken aus einer
Flasche gezogen hätte. Das Herz baut wieder einen Blutdruck auf, der Kreislauf
stabilisiert sich. Martin kommt mit Voranmeldung in die Uniklinik, erhält
weitere Medikamente und wird auf der Intensivstation überwacht. Sie
untersuchen ihn gründlich.

Ein paar Tage später wacht Martin auf und schaut an die Decke. Er befindet
sich im Krankenhaus, hat jedoch keine Ahnung, was passiert ist. Das Letzte,
woran er sich erinnern kann, ist, dass er auf der Wache war. Was er nicht weiß:
Seither sind schon ein paar Tage vergangen. Seine Frau ist bei ihm und erzählt
ihm alles. Sie sagt ihm, dass er fast eine Stunde wiederbelebt werden musste.
Das muss Martin erst einmal verkraften.

Ein Dreivierteljahr später bin ich gerade in Leitungsfunktion auf der Wache.
Wir machen ein Frühstück unter Kollegen. Mit uns am Tisch: Martin. Er ist
komplett geheilt! Martin hat keine Folgeschäden behalten. De facto war er 50
Minuten lang nicht mehr am Leben gewesen und hat trotzdem weder geistig
noch körperlich Schaden genommen. Stattdessen kann er alles machen, was
er vorher auch gemacht hat. Er arbeitet weiter im Feuerwehrdienst im
Löschzug, fährt Rettungswagen, macht seine Übungen und ist fit. Seine
Lebensweise hat er seither angepasst, er hat aufgehört zu rauchen und
langsam wieder mit Sport angefangen. Am Wichtigsten ist jedoch, dass er
diese Notfallsituation überstanden hat, ohne dass sein Gehirn, sein Herz oder

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seine Lunge beeinträchtigt wurden. Die gut durchgeführte Herzdruckmassage
hat jeglichen Schaden verhindert – abgesehen von ein paar Hämatomen, aber
die heilen schließlich wieder ab.

Was können Sie aus diesen Schilderungen lernen?

Mit der Herzdruckmassage machen Sie nichts verkehrt, aber vieles besser!
Man hört immer wieder von diesen Mythen, dass man mit der
Herzdruckmassage Schaden anrichten könne, aber das ist Quatsch. Der Patient
ist tot – und damit ist der größte Schaden schon angerichtet. Sie als Ersthelfer
können dagegen durch Ihr beherztes Eingreifen weiteres Leid verhindern und
dem Menschen eine große Chance auf ein zweites Leben geben!

Merke: „Do it fast and do it strong“ – ich persönlich möchte aber noch ergänzen,
das Allerwichtigste ist: DO IT!

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Kapitel 1.3: HLW – Die wichtigsten Punkte
Zur Erinnerung und um wirklich noch einmal mit den letzten Mythen
aufzuräumen, die zum Thema Herz-Lungen-Wiederbelebung kursieren, gebe
ich Ihnen aus meiner Sicht die zehn wichtigsten Punkte mit auf den Weg:

Bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung


• geht es nicht in erster Linie um Sauerstoffversorgung;
• geht es um den Abtransport von Kohlenstoffdioxid;
• werden saure Abbauprodukte aus Zellen transportiert, die diese Zelle
sonst schwer schädigen würden;
• wird das Blut an der Gerinnung gehindert, damit es sich nicht absetzt
und keine Mikrothromben entstehen, die dem Patienten später
schaden können;
• muss man schnell und sehr feste drücken, beim Erwachsenen
beispielsweise etwa fünf bis sechs Zentimeter tief und nicht
oberflächlich – ob der Brustkorb dabei Schaden nimmt, ist hier
weniger wichtig;
• muss man nicht immer auch beatmen – das ist zwar optimal, aber
wenn die Beatmung nicht durchführbar ist oder Sie sich ekeln, führen
Sie zumindest die Herzdruckmassage durch;
• ist es nicht wichtig, ob durch Mund oder Nase beatmet wird,
Hauptsache, die andere Öffnung wird gut abgedichtet, der Kopf ist
überstreckt und der Unterkiefer nach oben gezogen, damit die Zunge
aus dem Weg ist;
• wird mittig im Brustkorb gedrückt: vertikale Achse ist das feste
Brustbein, horizontale Achse sind bei Männern die Brustwarzen, bei
Frauen muss man die Mitte abschätzen (nicht zu lange suchen – die
Knochenplatte vergrößert auch den Druckpunkt);
• wird mit durchgestreckten Ellbogen senkrecht nach unten gedrückt,
der Oberkörper gibt die Kraft;
• ist es nicht wichtig, dass der Rhythmus „30 x drücken – 2 x beatmen“
ganz exakt eingehalten wird.

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Teil 2 – Wichtig
Kapitel 2.1: Warum ist Erste Hilfe so wichtig?
Oder sagen wir besser: Warum sind die richtigen Maßnahmen so wichtig? …
denn vermutlich braucht man nur den wenigsten Menschen zu erklären,
warum es generell von Bedeutung ist, einem anderen Menschen zu helfen,
dem es nicht gut geht. Denken Sie immer daran, dass jeder Mensch auf dieser
Welt auch Eltern, Kinder, einen Partner oder Großeltern hat, die ihn lieben.
Helfen Sie diesem geliebten Menschen, denn seine Angehörigen sind im
Moment nicht da oder handlungsunfähig. Sie hingegen SIND da – und Sie
haben dieses Buch gelesen und ein Erste-Hilfe-Kurs gemacht, also worauf
warten Sie noch?

Während es bei einem kleinen Unwohlsein ausreichen mag, das Händchen zu


halten und zu trösten, muss im Ernstfall schnell gehandelt werden. Wenn das
Herz nicht mehr schlägt, muss die Herz-Lungen-Wiederbelebung durchgeführt
werden – und in diesen Situationen ist dies auch das Einzige, das die
Überlebenschancen des Patienten erhöht!

In solch einem Notfall zählt für den Patienten jede Sekunde. Die erste und
wichtigste Aufgabe des Ersthelfers ist es, den Notarzt zu rufen. Bis der
Rettungswagen eintrifft, vergehen allerdings im Durchschnitt zehn Minuten.
Und pro Minute sinkt die Überlebenschance des Patienten um 10%. Sie
können sich also ausrechnen, wie viel Prozent nach zehn Minuten noch übrig
sind. Sehr richtig: Null! Das bedeutet, wir könnten mit dem tollsten
Rettungswagen, den bestausgebildeten Sanitätern und Top-Notärzten bei
Ihnen aufschlagen – und würden dennoch den Wettlauf gegen die Zeit
verlieren.

Sie aber sind vor Ort. Sie sind direkt dabei, wenn Ihr Vater, Ihre Mutter, Ihr
Kind, Ihr Freund oder auch irgendein Passant auf der Straße Hilfe braucht. Und
das wiederum bedeutet: Die Maßnahmen, die Sie in diesen zehn Minuten
durchführen, entscheiden darüber, wie der Patient später weiterleben wird
und ob er überhaupt weiterleben wird.

Keiner braucht einen Erste-Hilfe-Kurs, um jemandem nach einem Sturz ein


Pflaster auf eine Schramme zu kleben. Ihre Hilfe ist vor allem dann wichtig,

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wenn es wirklich ernst wird. Und genau dann ist entscheidend, dass Sie wissen,
was Sie tun.

Die zwei wichtigsten Lebensretter sind die Seitenlagerung und die Herz-
Lungen-Wiederbelebung. Lassen Sie mich nachfolgend kurz erklären, warum
Sie diese Maßnahmen immer parat haben sollten:

Die Seitenlagerung oder auch „stabile Seitenlage“

Wenn eine Person bewusstlos oder bewusstseinsgetrübt ist, dann wird sie sich
in etwa 50% der Fälle auch erbrechen, oft sogar unbemerkt. Ganz egal, ob der
gegenwärtige Zustand durch einen Schlag gegen den Kopf oder durch
Drogenkonsum entstanden ist, Sie sollten immer damit rechnen, dass sich die
Person erbricht. Tut sie das, während sie auf dem Rücken liegt, kann dies sehr
großen Schaden verursachen und sogar lebensbedrohlich sein, weil das
Erbrochene in die Luftröhre gelangen kann. Und dort verätzt es das
Lungengewebe. So kann sich der Zustand einer an sich gesunden Person
dramatisch verschlechtern, nur weil niemand sie kurz auf die Seite gedreht hat.
Denken Sie daran, wenn Sie Samstagnacht in der Altstadt den nächsten
Betrunkenen in seinem Erbrochenen liegen sehen. Handeln Sie!

Die Herz-Lungen-Wiederbelebung

Ich spreche hier bewusst nicht von der reinen Herzdruckmassage, sondern von
der Herz-Lungen-Wiederbelebung, denn die Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-
Nase-Beatmung gehört zur Wiederbelebung unbedingt dazu. Der Patient, der
eine Herz-Lungen-Wiederbelebung braucht, hat einen Herz- und
Kreislaufstillstand und ist sauerstoffunterversorgt. Um ihn zu retten, muss man
das Blut in der richtigen Frequenz in Bewegung halten und dazwischen den
Sauerstoffgehalt auffrischen. Nur in Ausnahmefällen sollte man die Beatmung
weglassen. Wie Sie eine Herz-Lungen-Wiederbelebung am besten
durchführen, erfahren Sie in den Praxistipps im nächsten Kapitel Maßnahmen
und ERC-Leitlinien.

Mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung lassen sich drei Effekte erzielen:

Wer aufgehört hat zu atmen, ist im Prinzip tot. Die Zellen im Gehirn, die für die
Atmung zuständig sind, sind nicht genügend durchblutet – und das bedeutet,
dass der Blutdruck generell nicht für die Versorgung des Gehirns ausreicht.

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Eine Hirnzelle sollte pro Minute 60 bis 80 Mal durchblutet werden, andernfalls
hört sie sofort auf zu funktionieren, ähnlich wie ein Gerät, bei dem man den
Stecker zieht. Das heißt aber nicht, dass sie sofort abstirbt. Wenn Sie den
Körper gleich wieder durch Blutpumpen unterstützen, machen Sie sich
mehrere Prinzipien zunutze:

Sie können einen Herzinfarkt wegdrücken. Der entsteht nämlich durch ein
Blutgerinnsel = einen Thrombus, in den Herzgefäßen. Liegt dieser Thrombus
kurz vor einer Abzweigung, kann man ihn durch die kräftige Massage
möglicherweise in ein Gefäß hineinrutschen lassen, sodass das Gefäß nicht
mehr ganz verschlossen ist und der Herzmuskel besser versorgt wird.
Gegebenenfalls wird das Reizleitersystem dadurch wieder durchblutet und das
Herz schlägt wieder eigenständig. Unter Umständen kann der Körper den
Thrombus danach sogar selbst auflösen.

Was denken Sie passiert, wenn Blut zehn Minuten lang unbewegt herumsteht?
Der Prozess, der dann losgeht, nennt sich Senkung. Das Blutplasma setzt sich
oben ab, die festen Bestandteile des Blutes sammeln sich unten. Dadurch
können jede Menge Mikrothromben entstehen, die sich dann in den Organen
festsetzen und Kapillare verkleben. Wenn Sie das Blut in Wallung halten,
passiert das nicht. Vielmehr sorgen Sie dafür, dass die Zellen gespült und
weiterhin Giftstoffe heraustransportiert werden, denn sonst übersäuern die
Zellen.

Sie sehen also: Die ersten zehn Minuten machen viel aus. Leider können Sie
nie wissen, wann Sie in die Situation kommen, dass vielleicht bei einem
Schützenfest oder einer Familienfeier doch einmal ein Notfall passiert. Was Sie
in welchem Fall konkret unternehmen sollten, erkläre ich im nächsten Kapitel.

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Kapitel 2.2: Maßnahmen und ERC-Leitlinien
Alle fünf Jahre treffen sich die schlauesten Notfallmediziner weltweit und
verfassen Leitlinien für die Erste Hilfe. Jetzt könnte man sich fragen, warum in
diesem Bereich überhaupt Änderungen notwendig werden, wo wir Menschen
doch immer ungefähr gleichbleiben. Tatsächlich gewinnen diese Mediziner in
Untersuchungen allerdings immer wieder neue Erkenntnisse über den
optimalen Ablauf in einem Notfall. Genauer gesagt, sind es sogar so viele
Erkenntnisse, dass sie zusammengenommen einen dicken Wälzer mit 500
Seiten ergeben, der dann aus dem Englischen in alle anderen Sprachen
übersetzt wird. Darin sind nicht nur Empfehlungen für Ersthelfer, sondern auch
für die Rettungsdienste aufgeführt. Beispielsweise wird festgelegt, wie man
optimal defibrilliert, welche Medikamente am besten eingesetzt werden, wie
man eine Unterkühlung behandelt und wie man mit Ertrinkungsnotfällen,
Verbrennungen und Traumata umgeht. Somit hat man für jede Art von Notfall
ein Ablaufschema, einen sogenannten Algorithmus, zur Hand.

Die gesetzliche Unfallversicherung schreibt die aktuellen Empfehlungen für die


Ersthelfer heraus und gibt diese an die Ausbilder weiter. Das heißt, wenn Sie
bei uns – First Aid – oder auch bei Kollegen einen Kurs machen, dann lernen
Sie Dinge, die weltweit Gültigkeit besitzen. Das ist auch logisch, denn der
menschliche Körper funktioniert an jedem Flecken dieser Erde gleich. Und: Die
Empfehlungen werden alle fünf Jahre aktualisiert, das bedeutet, wenn Sie
Ihren letzten Kurs vor 2015 absolviert haben, dann sind Sie vielleicht nicht
mehr ganz auf dem neuesten Stand. Aber das macht nichts, denn mit diesem
Buch bringe ich Sie, was das theoretische Fachwissen angeht, genau dort hin.

Also lassen Sie uns gleich mit den Praxistipps loslegen.

Wann, wo und wie sich auch immer ein Notfall ereignen sollte, die
Entscheidung über die jeweils durchzuführenden Maßnahmen wird am besten
anhand der vitalen Funktionen getroffen:

Ist die betroffene Person

1) bei Bewusstsein und ansprechbar?

2) bewusstlos oder bewusstseinsgetrübt, atmet aber noch?

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3) bewusstlos und atmet nicht mehr?

4) mit stark blutenden Wunden versehen?

Zu 1) Die betroffene Person ist bei Bewusstsein und ansprechbar

Wenn der Patient in der Akutsituation noch ansprechbar ist, dann sollte man
zunächst einmal feststellen, welche Beschwerden er oder sie hat und
beruhigend auf ihn bzw. sie einreden. Gegebenenfalls kann man auch
Blutdruck, Blutzucker und Puls messen. Wichtig ist aber: Sobald Sie ein
schlechtes Gefühl dabeihaben, die Person allein zu lassen, sollten Sie den
Rettungsdienst rufen – und zwar sofort! Der Teufel ist ein Eichhörnchen, will
sagen: Oft erscheint ein Doppeltsehen oder plötzlicher Sprachverlust recht
harmlos, es kann sich aber auch um einen zeitkritischen Schlaganfall handeln.
Insofern ist die einzig richtige Entscheidung, den Patienten schnell in eine
Schlaganfallklinik bringen zu lassen. Und dafür ist der Rettungsdienst, – sind
wir – da. Egal wann, egal wo! „Time is brain“. Ihre Angst und Ihr Bauchgefühl
sind Warnzeichen. Hat der Patient beispielsweise starke Schmerzen, Atemnot
oder Herzbeschwerden, sollte man auf jeden Fall sofort (in den ersten
Sekunden) die 112 wählen.

Schmerzen, die aus dem Brustkorb kommen und in den Bauch, den Hals, den
kleinen Finger oder den Rücken ausstrahlen und bewegungsunabhängig sind,
kommen vom Herzen! Für Knochen- oder Nervenschmerzen in diesem Bereich
gibt es immer eine Schonhaltung, eine Position, in der es weniger wehtut.
Herzschmerzen bleiben hingegen beständig. Meistens strahlen sie bei
Männern eher in den kleinen Finger, bei Frauen eher in den Hals oder Rücken
aus. Bei Atemnot und Verdacht auf Herzinfarkt lagert man den Oberkörper
hoch, die Person sollte nicht hingelegt werden.

Zu 2) Die betroffene Person ist bewusstlos oder bewusstseinsgetrübt, atmet


aber noch

Wenn Sie merken, dass der Patient kaum oder gar nicht auf Ansprache
reagiert, können Sie ihn sanft rütteln. Ich selbst setze auch einen Schmerzreiz
ein, um zu sehen, ob die Reflexe noch funktionieren. Wenn der Patient auf den
Schmerzreiz reagiert, hat er in der Regel auch noch einen Schluckreflex. Das

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bedeutet, dass das Gehirn noch soweit intakt ist, dass Erbrochenes
runtergeschluckt oder ausgehustet werden kann. Man spricht in diesem Fall
von „Bewusstseinstrübung“. Doch Vorsicht, die Situation ist ja nicht
eingefroren: Sie wird sich verändern und darauf müssen Sie vorbereitet sein.
Unabhängig davon müssen Sie als Nächstes schauen, ob die Person noch
atmet. Dazu sollten Sie den Kopf überstrecken und den Unterkiefer nach oben
„zum Zahnschluss“ ziehen. Man hört, sieht und fühlt, ob Atmung vorhanden
ist. Und wenn sie das ist, dann gehört der Patient in die Seitenlage, damit die
Atemwege freibleiben. Wenn Sie nicht mehr genau wissen, wie die stabile
Seitenlage im Detail funktioniert, dann rollen Sie den Patienten notfalls einfach
vorsichtig auf die Seite, halten ihn dort fest, überstrecken den Kopf und halten
auch den fest. Im Notfall muss die Seitenlage nicht besonders clever sein,
Hauptsache sie wird überhaupt vorgenommen. Auch Leute, die einen Unfall
hatten, beispielsweise Motorradfahrer, können Sie vorsichtig auf die Seite
drehen, denn auch sie könnten sich noch erbrechen – und dann wird es
gefährlich.

Zu 3) Die betroffene Person ist bewusstlos und atmet nicht mehr

Wenn der Patient nicht mehr atmet, dann hilft wirklich nur noch eins: Die Herz-
Lungen-Wiederbelebung. Hierfür legen Sie Ballen und Handwurzel von einer
Hand mittig auf den Brustkorb, beim Mann also direkt in die Mitte zwischen
die Brustwarzen, dann die zweite Hand darauf, um die Druckkraft zu
verstärken. Anschließend drücken Sie den Brustkorb schnell etwa fünf
Zentimeter tief in Richtung Wirbelsäule, und zwar gerade nach unten. Sie
müssen ungefähr 100 Mal pro Minute drücken, also recht schnell. Nach 30 Mal
Drücken beatmen Sie zwei Mal und dann drücken Sie sofort weiter. Am besten
zählen Sie laut mit.

Für die Beatmung muss der Kopf überstreckt sein und auch hier sollten Sie den
Unterkiefer nach oben ziehen, damit die Zunge nicht über den Atemwegen
liegt. Entweder Sie halten die Nase zu und beatmen durch den Mund – dann
sollten Sie einen großen Mund machen, also Ihren eigenen Mund weit öffnen
und den Mund des Patienten umschließen, damit dieser wirklich dicht ist. Oder
Sie bedecken den Mund und pusten in die Nase. Wichtig dabei ist Ihre normale
Atmung in den Patienten einzuatmen und nicht tief Luft zu holen!
Erfahrungsgemäß werden Sie nur Leute beatmen, die Sie kennen, deshalb
wurde 2010 alternativ auch nur die Herzdruckmassage offiziell empfohlen.

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Kommen wir nun wieder auf die herkömmliche Wiederbelebung zurück: Wenn
sich der Brustkorb der Person beim Beatmen leicht anhebt, dann machen Sie
alles richtig. Und dann machen Sie weiter – 30 x Drücken, 2 x Pusten –, bis der
Rettungsdienst da ist oder der Patient wieder anfängt zu atmen. Die erste
Minute ist oft noch etwas chaotisch, aber ab der zweiten werden Sie schon
sicherer und ab der dritten kann es passieren, dass Sie sich wundern, wie viel
Routine Sie schon haben. In vielen Fällen hat man bereits in den ersten beiden
Minuten Erfolg, das Herz springt an und die Hirndurchblutung ist wieder da.
Das ist dann deutlich zu erkennen, denn der Patient wird im Gesicht rosiger
und fängt an zu schwitzen. Sobald der Patient etwas wacher wird und
eigenständig atmet, sollten Sie mit der Herzdruckmassage aufhören, denn die
ist – sofern das Gehirn wieder funktioniert – sehr schmerzhaft. Andererseits
ist das aber in diesem Fall ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass Sie soeben
jemanden reanimiert haben! Sollte der Patient hingegen nicht zu sich
kommen, dann machen Sie weiter. Diese Prozedur ist anstrengend. Wenn Sie
gar nicht mehr können, legen Sie eine ganz kurze Pause ein und machen Sie
dann wieder weiter. Sollten mehrere Leute vor Ort sein, wechseln Sie sich alle
zwei Minuten ab.

Es kann sein, dass die Person deshalb nicht mehr atmet, weil sie einen
Fremdkörper in der Luftröhre hat. Das ist in der Regel allerdings sehr schwer
und nur mit einem Spezialgerät zu erkennen. Früher hat der Ersthelfer
Minuten damit verbracht, die Mundhöhle zu inspizieren – teilweise so lange,
bis der Rettungswagen gekommen ist. Wirklich wichtige Maßnahmen, wie die
Herz-Lungen-Wiederbelebung wurden unterdessen hingegen nicht oder leider
erst viel zu spät ergriffen. Daher würde ich sagen, schauen Sie im ersten
Moment nicht erst in den Hals, sondern überstrecken Sie lieber den Kopf und
prüfen Sie, ob der Patient atmet. Tut er das nicht, beginnen Sie sofort mit der
Wiederbelebung. Spätestens beim Beatmen merken Sie, ob ein Fremdkörper
da ist oder nicht. Dass bei Erwachsenen wirklich ein Fremdkörper die Atmung
blockiert, kommt eher selten vor – die Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu
gewinnen, ist höher als an eine Person zu geraten, die an Essen erstickt ist.

Fremdkörper entfernen

Ein Fremdkörper ist vor allem dann wirklich gefährlich, wenn der Patient
komplett ausgeatmet und sich der Fremdkörper danach festgesetzt hat. Dann
fehlt nämlich die Luft, um den Fremdkörper auszuhusten. Die Person ist
stimmlos und panisch. Liegt der Fremdkörper vor dem Kehlkopf, hilft Omas

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Hausrezept „fünf Schläge zwischen die Schulterblätter“ meist genauso gut wie
„Hinterhertrinken“. Einer unserer Dozenten musste mal eine ganze Flasche
Wasser in sich „hineinkippen“, bis das Apfelstückchen aus dem Hals Richtung
Magen geschwemmt wurde.

Meist hilft sich der Patient jedoch auch selber: Verschließt der Fremdkörper
nicht komplett die Atemwege, atmet man instinktiv noch etwas Luft am
Verschluss vorbei, um dann alles auszuhusten. – fertig, Problem gelöst!

Sind diese Maßnahmen nicht erfolgreich, können Sie den Fremdkörper auch
auf ein paar weitere Arten entfernen:

Möglichkeit 1 wäre der Heimlich-Handgriff, den manche von Ihnen vielleicht


schon in Fernsehserien gesehen haben. Bei diesem Manöver stellt man sich
hinter den Patienten, greift mit den Armen um den Bauch, ballt mit beiden
Händen eine Faust und zieht ruckartig nach oben. Aber VORSICHT: Nachdem
der Fremdkörper entfernt wurde, muss die Person zum Arzt! Nicht selten
werden durch den Heimlich-Handgriff auch innere Verletzungen verursacht.
Und generell gilt, dass sich das Heimlich-Manöver eigentlich nur gut
durchführen lässt, wenn die Person nicht schon leblos ist.

Möglichkeit 2 bei leblosen Personen, die erstickt sind, besteht darin, fünf
kräftige Herzdruckmassagen zu machen. Das empfiehlt sich besonders bei
schweren Personen, also beispielsweise bei großen, kräftigen Männern.
Leichte Frauen oder Kinder kann man z.B. auch gut über den Oberschenkel
legen und den Fremdkörper mit fünf angepassten Schlägen auf den Rücken
entfernen. Bei Babys wird dieses Manöver im Fliegergriff durchgeführt, wobei
der Kopf in Tieflage gehalten wird.

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Zu 4) Die betroffene Person weist stark blutende Wunden auf

Bei bedrohlichen blutenden Wunden muss man die Blutung stoppen – so viel
ist jedem klar, dass wissen im Prinzip schon Kinder. Blut an sich ist zwar nicht
schlecht, da es die Wunde reinigt und die Immunabwehr in der Wunde in Gang
setzt, zu viel Blut ist allerdings gar nicht gut, weil es dann lebensbedrohlich
wird. Bis auf eine geplatzte Krampfader in den Beinen oder geplatzte Adern in
der Speiseröhre (bei einem starken Alkoholkranken) habe ich persönlich noch
nie spritzende Blutungen gesehen, die man nicht in den Griff bekommt.
Instinktiv macht jedes Folgendes: Er drückt etwas auf die Wunde. Und das ist
auch richtig. Natürlich ist es optimal, wenn das, was man aufdrückt auch steril
ist. Aber oftmals würde zu viel Zeit verloren gehen, bis man etwas Steriles zur
Hand hat. Dann gilt: Irgendetwas, das sauber ist, draufdrücken. Drücken muss
man mit viel Kraft, bis es aufhört zu bluten. Bei Verletzungen an Armen und
Beinen kann man gut einen Druckverband machen und dann die Extremität
über Herzhöhe lagern. Notfalls kann man auch mit drei oder vier Fingern
knochenseitig im Innenschenkel oder Oberarm die Ader abdrücken. Bei
schweren Unfällen, wenn beispielsweise ein Fuß fehlt und es sehr stark blutet,
kann man abbinden, zum Beispiel mit einem Gürtel, einer Mullbinde oder einer
Krawatte.

Das waren die wichtigsten Tipps für Notfälle bei Erwachsenen. Leider hat man
nur 80% aller Notfälle im Griff. 20% beherrscht man als Ersthelfer nicht, da
braucht auch der Rettungsdienst viel Können und Glück.

Natürlich hoffe ich, dass Ihnen Situationen dieser Art erspart bleiben, sowohl
als Patient als auch als Angehöriger oder Ersthelfer. Doch noch mehr hoffe ich,
dass Sie sich sicher genug fühlen, um auch wirklich zu handeln, wenn es dann
doch mal so weit kommen sollte.

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Nachwort
Ich denke, Ihr habt jetzt ziemlich oft von mir gehört, wie wichtig es ist, Erste
Hilfe zu leisten. Meiner Ansicht nach kann man das gar nicht häufig genug
betonen. Ihr könnt einen riesigen Unterschied machen – und alles, was Ihr
dazu braucht, bist DU selbst. Die Menschen, die beruflich andere Menschen
retten, sind natürlich top ausgebildet und routiniert. Nur eines sind sie nicht:
In den ersten Minuten, den wichtigsten Minuten, wenn es um Leben und Tod
geht, vor Ort. Ihr als Ersthelfer seid jedoch da.

Und Ihr seid nicht allein! Ruft den Rettungsdienst und Ihr bekommt über die
Leitstelle Hilfe beim Helfen. Fast jede Rettungsleitstelle verfügt mittlerweile
über die Telefonreanimation. Und das heißt: Ihr könnt den freundlichen Herrn
oder die nette Dame von der Leitstelle einfach auf laut stellen, das Handy
neben den Patienten legen und dann werdet Ihr durch die Notfallsituation
geleitet. Genau dafür sind diese Leute ausgebildet, und gemeinsam kriegt Ihr
das hin.

Zögert nicht! Ihr können nichts falsch machen, vorausgesetzt, Ihr fangt an zu
handeln. Erste Hilfe hat ganz viel mit Logik zu tun und Ihr werdet merken, dass
Ihr in einer Notfallsituation ganz viel instinktiv richtig macht.

Ich hoffe, dass dieses Buch Euch im Ernstfall weiterhilft und Euch vor allem
dazu inspiriert, sich darauf vorzubereiten. Es ersetzt natürlich keinen guten
Schulungskurs. Wenn Ihr euch wirklich sicherer fühlen wollt: Kommt zu uns
(www.1aid.de), und wir machen Euch fit. Wir bringen Euch nicht nur die Basics
bei, sondern coachen auch Euer Selbstbewusstsein. Ihr bekommt Tipps aus der
35-jährigen Praxis meines Kollegen Gerd Krüger und meiner eigenen fast 30-
jährigen Berufserfahrung. Ihr könnt nie wissen, wann Ihr diese wichtigen
Kenntnisse brauchen werdet und ebenso wenig, bei welcher Person aus Eurem
nahen Umfeld Ihr sie vielleicht mal anwenden müsst.

Meine Kollegen und ich wollen etwas ganz Entscheidendes verändern: Wir
wollen, dass Ihr an Eure Grenzen geht und zum Retter/zur Retterin Eurer
eigenen Notfallstory werdet – denn das ist ein verdammt gutes Gefühl.

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Über den Autor
„Alles wird gut“, das ist die Erkenntnis, die ich aus 30 Jahren Rettungsdienst
und 12 Jahren als Familienvater ziehen kann. Natürlich sind Unfälle,
Behinderung und Tod immer ein Ausnahmezustand für alle Betroffenen, aber
entscheidend an den Umständen ist das „Wie“. Wie stirbt man; alleine oder im
Kreise der Familie? Wie hilft man einem Unfallopfer? Anrufen oder hingehen,
Hand halten, Straße absichern und den Beinbruch schienen? Entscheidend ist
immer der Fokus, den man auf eine dramatische Situation richtet, dann - und
auch nur dann kommt man zum Erfolg.

In diesem Buch berichtet ich nicht von den zigtausenden Dramen, die zu den
Routinesituationen im heutigen Rettungsdienst gehören, sondern von den
Notfallereignissen, die ich als „Normalbürger“, teilweise sogar als Kind
miterlebt habe und die mich und meine Sichtweise auf die Menschen und das
gesellschaftliche Miteinander geprägt haben.

Ich bin seit 20 Jahren in der Ausbildung und darüber hinaus seit 2015 auch im
Führungsdienst einer modernen Berufsfeuerwehr tätig.

Dieses Buch soll Mut machen, angesichts eines Notfalls aus der Reihe zu treten
und zu handeln, deshalb ist es einfach und ehrlich geschrieben. Nach 30 Jahren
Berufserfahrung komme Ich zu einer entscheidenden Erkenntnis: Alles wird
gut!

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Wichtiger Hinweis
Gesetzliche Bestimmungen und wissenschaftliche Empfehlungen unterliegen
ständigen Veränderungen und Anpassungen. Aus diesem Grund ist der Leser
aufgefordert, die aktuell gültigen Richtlinien anhand einschlägiger Literatur
und der Beipackzettel ggf. einzusetzender Arzneimittel zu verifizieren und sich
entsprechend zu verhalten.

Weiterhin übernimmt der Autor keine Gewähr oder Haftung, die aus der
Benutzung der in diesem Buch enthaltenen Informationen – oder in Teilen
davon – entsteht, insbesondere für nicht ganz auszuschließende (Druck-)
Fehler bei der Angabe von Therapierichtlinien. Alle Verwertungsrechte liegen
beim zuvor genannten Autor.

Zur besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf die gleichzeitige
Verwendung männlicher, diverser und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es
wird das generische Maskulinum verwendet, wobei alle Geschlechter
gleichermaßen angesprochen werden.

Für die Wiederbelebung gilt: Bitte üben Sie nicht am gesunden Menschen! Und
auch für sämtliche Erste-Hilfe-Maßnahmen gilt: Schützen Sie sich z.B. durch
Einmalhandschuhe, Beatmungshilfsmittel und entsprechendem
Infektionsschutzverhalten.

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Schonmal drüber nachgedacht selbst
auszubilden?

Wir suchen Menschen mit dem Dozenten-GEN!

Job Beschreibung
Wir suchen ab sofort zur Verstärkung unseres Schulungsteams mehrere Erste
Hilfe Ausbilder (M/W/D)

• Einsatz am Wochenende von ca. 9-17 Uhr


• Deinen Einsatzort kannst Du selbst festlegen.
• Wenn Du in einem netten Team mit noch netteren Leuten
zusammenarbeiten möchtest, dann freuen wir uns auf eine kurze
Email unter
bewerbung@1aid.de
Du solltest Spaß daran haben, Menschen Dein Wissen zu vermitteln und
Verantwortung zu übernehmen. Zu Deinen Aufgaben als Ausbilder gehören die
Kursleitung, die Sehtestungen und das Anfertigen von biometrischen
Passfotos.

Dein Profil als Ausbilder (m/w/d)


• Ich habe Spaß im Umgang mit Menschen, ich rede gern.
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• Ich möchte im Monat 3 - 8 mal arbeiten

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Dich erwartet eine überdurchschnittliche Vergütung, ein echt nettes Team und
eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Wir benötigen erst einmal nur einen
Lebenslauf und die entsprechende Studien- Bescheinigungen oder
Ausbildungsnachweise.

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Wir freuen uns über Deine Bewerbung unter

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Kurzbeschreibung
Was?
• Nebenjob als Erste Hilfe Ausbilder/in
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Vergütung?
• Werkstudent oder Minijob
• 120 bis 150€
Welche Qualifikation?
• Persönliche Eignung
• Deutsch in Wort und Schrift / Fremdsprachen erwünscht

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