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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Germanistisches Seminar
Proseminar: Novellen des 19.Jh
Dozentin: Prof. Dr. Barbara Beßlich
Wintersemester 2019/20
Matrikelnummer: 4038454

Die Funktion der


Prädestinationslehre in
Conrad Ferdinand Meyers
Das Amulett

vorgelegt von: Jonas Konstantin Zecher


Anschrift: Hauptstraße 184, 69117 Heidelberg
Studienfächer: Germanistik, Philosophie
Fachsemester: 4
Abgabetermin: 31.05.2020
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ........................................................................................................ 1
2 Aktueller Forschungsstand .......................................................................... 2
3 Prädestination und Calvinismus ................................................................. 3
3.1 Die Prädestinationslehre innerhalb der institutio religionis christianae . 3
3.2 Calvins Wirken in der Schweiz ....................................................................... 5
4 Formen der Distanzierung bei Conrad Ferdinand Meyer ........................ 6
4.1 Historisches Erzählen und Rahmung bei Conrad Ferdinand Meyer ........ 6
4.2 Ironiebegriff und dichterische Selbstdarstellung bei C. F. Meyer ............ 8
5 Konkretisierte Analyse anhand von Textstellen ..................................... 10
6 Schlussbetrachtung .................................................................................... 13
Bibliographie ........................................................................................................ 15
Primärliteratur ............................................................................................................. 15
Sekundärliteratur ........................................................................................................ 15
1 Einleitung

„Wissen Sie was“, sagte Goethe, „wir wollen es die Novelle nennen; denn was ist
eine Novelle anders, als eine sich ereignete, unerhörte Begebenheit.“1 So
definierte Johann Wolfgang von Goethe den Begriff Novelle in einem Gespräch
mit Eckermann. Zwar lässt sich diese Definition mit Blick auf die bis zum heutigen
Tag als Novelle betitelten Werke weiter ausbreiten. Allerdings umfasst Goethes
Definition alles was eine Novelle grundsätzlich ausmacht. Mit einem genaueren
Blick auf die Novellistik des 19. Jh. und mehreren zeitgenössischen Novellen
kommt man als Leser kaum umhin sich mit dem Autor Conrad Ferdinand Meyer
auseinander zu setzten. Mit dem Amulett verfasste er eine historische Novelle,
deren unerhörte Begebenheit, auf den ersten Blick die Bartholomäusnacht im
Paris des 16. Jh. darstellt. In dieser blutrünstigen Nacht wurden in der
französischen Hauptstadt 20000 Hugenotten von den Katholiken ermordet.
Ausschlaggebend waren die konfessionellen Streitigkeiten zwischen
Protestanten und Katholiken in Bezug auf ihre Glaubens- und Heilsvorstellung.
Bei genauerer Untersuchung der Handlung wird allerdings klar, dass innerhalb
der Novelle nicht nur von einer konkreten „unerhörte[.]n Begebenheit“, welche im
Mittelpunkt der Handlung steht, gesprochen werden kann.2 Vielmehr kommt es
zu vielen Begebenheiten rund um die Thematik der brutalen konfessionellen
Auseinandersetzungen. In Zusammenhang damit wird die Prädestinationslehre
als theologisches Konzept angesprochen. Die vorliegende Seminararbeit soll die
Funktion dieses theologischen Konzepts für die Novelle Das Amulett näher
beleuchten. Dabei wird nicht nur auf die Funktion der Prädestinationslehre
innerhalb des Inhaltes der Novelle eingegangen, sondern auch auf die Funktion
bezüglich Meyers Produktionsästhetik.
Die Eröffnung der in dieser Arbeit getätigten Untersuchung, bildet die
Konkretisierung der Prädestinationslehre in Verbindung mit dem
Protestantismus. Da es sich bei dem Amulett um eine historische
Novellenerzählung handelt, welche doppelt gerahmt ist, wird der Fokus

1
Goethe im Gespräch mit Eckermann am 29.1.1827. In: Johann Peter Eckermann: Gespräche
mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Artemis Gedenk-Ausgabe. Hrsg. von E. Beuler.
Bd. 24. Zürich 1948. S.225.
2
Vgl. Gerhard P. Knapp: Geschichte ohne Versöhnung. Conrad Ferdinand Meyer: „Das Amulett“
(1873). In: Deutsche Novellen. Von der Klassik bis zur Gegenwart. Hg. v. Winfried Freud.
München 21998, S. 155-164, hier S. 157.

1
anschließend auf historisches Erzählen und die Technik der Rahmung bei C. F.
Meyer gelegt. Anknüpfend an die Ergebnisse dieser Untersuchung wird die
Aufmerksamkeit dem Ironiebegriff und der dichterischen Selbstdarstellung bei C.
F. Meyer gewidmet. Durch diese Untersuchungen erschließt sich möglicherweise
eine Verbindung zwischen der Prädestinationslehre und C. F. Meyers Leben und
ermöglicht somit eine Antwort auf die Frage nach der Funktion dieser, nicht nur
in Bezug auf Novellenhandlung, sondern auch auf Produktionsästhetik.
Anschließend werden konkrete Textstellen mit Blick auf Historismus, Rahmung
und den Ironiebegriff bei C. F. Meyer genauer analysiert.

2 Aktueller Forschungsstand
Die Recherche nach dem gegenwärtigen Forschungsstand des, in dieser Arbeit
behandelten Themas, hat gezeigt, dass es bereits einige Forschungsbeiträge zur
Problematik zwischen Katholizismus und Protestantismus, respektive
Calvinismus innerhalb der Novelle gibt.3 In indirekter Weise beziehen sich diese
Forschungsarbeiten auch auf die Prädestinationslehre, da diese mit der
calvinistisch evangelischen Glaubensdogmatik zusammenhängt. Genauer wird
diese in Verbindung mit C. F. Meyers dichterischen Selbstdarstellung innerhalb
seiner Novellen untersucht.4
Wie die Prädestinationslehre in Verbindung mit C.F. Meyer steht und welche
Rolle sie in seinem Leben gespielt hat, wird zusätzlich in verschiedensten
Biographien über den Schweizer Autor deutlich.5 Betreffend des Ironie Begriffs
bei C. F. Meyer ist zu sagen, dass es bereits seit C. F. Meyers Lebzeiten Forscher
gibt, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben.6 Bei der Recherche
wurde sich stark an Tamara S. Evans orientiert, die an den bestehenden
Forschungsstand anknüpft, allerdings eine präzisere Differenzierung zwischen

3
Vgl. Opitz, Peter: Leben und Werk Johannes Calvins. Göttingen 2009; Heiland, Helmut:
Sicherheit durch „Prädestination“?. In: Erziehen heute 59./2. (2009), S. 9-17; Reiner
Zimmernmann: Calvinismus in seiner Vielfalt. Die Bedeutung des Reformators für die
evangelische Christenheit. Neukirchen-Vluyn 2011.
4
Vgl. Walter Huber: Stufen dichterischer Selbstdarstellung in C. F. Meyers „Amulett“ und „Jürg
Jenatsch“. Bern, Frankfurt am Main, Las Vegas 1979. (Europäische Hochschulschriften: Reihe
1,Bd. 340).
5
Bspw: Andrea Jäger: Conrad Ferdinand Meyer zur Einführung. Hamburg 1998 (Zur Einführung,
Bd. 179) und Fehr, Karl: Conrad Ferdinand Meyer. Auf- u. Niedergang seiner dichterischen
Produktivität im Spannungsfeld von Erbanlagen und Umfeld. Bern, München 1983.
6
Bspw: Valentin Herzog: Ironische Erzählformen bei Conrad Ferdinand Meyer. dargest. am ‘Jürg
Jenatsch’. Bern 1970 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur. Bd. 42).
2
„ironischen Stilmitteln“ und einem „ironischen Stil“ unternimmt.7 Tamara S. Evans
merkt außerdem an, dass die Form der Ironie, die einen ironischen Stil beschreibt
in Zusammenhang mit C. F. Meyer kaum untersucht wurde.8

3 Prädestination und Calvinismus

Bevor die Funktion der Prädestinationslehre innerhalb C. F. Meyers Novelle


Das Amulett näher belichtet werden kann, muss vorab kurz geklärt werden, was
die Prädestinationslehre ist, und in welcher Glaubensrichtung sie ansässig ist.
Dabei werde ich auch in kleinen Teilen auf das Leben und den Werdegang
Johannes Calvins eingehen.

3.1 Die Prädestinationslehre innerhalb der institutio religionis


christianae

Die Prädestinationslehre in Verbindung mit dem Protestantismus, ergründet sich


aus Johannes Calvins Werk institutio religionis christianae. Dieses Werk ist
gleichzeitig das Erst- und Hauptwerk des protestantischen Reformators und
thematisiert die evangelisch christliche Dogmatik.9 Das Wirken und Arbeiten des
Johannes Calvins baut auf die reformatorische Arbeit Martin Luthers und Ulrich
Zwinglis auf.10
Johannes Calvin erblickt im französischen Ort Noyon, im Jahre 1509 das Licht
der Welt. Seine Mutter stirbt als er noch ein Kind ist. Sein Vater, welcher durch
seine Anstellung als Generalnotar und Sekretär eines Bischoffs gute Kontakte
zur katholischen Kirche besitzt, wünscht sich für seinen Sohn zunächst eine
geistliche Ausbildung.11 Durch das Ausbrechen der Pest in seinem Geburtsort,
wird Johannes Calvin von seinem Vater dazu gebracht nach Paris zu reisen, um
dort einer aristokratischen Ausbildung nachzugehen. Der Vater wünscht sich,
dass sein Sohn Jura studiert. In dieser Zeit erlangt er, inspiriert von seinem Vetter
Pierre Robert Olivetan, ein Interesse für das Wirken des Reformators Martin

7
Tamara S.Evans: Formen der Ironie in Conrad Ferdinand Meyers Novellen. Bern, München
1980, S. 7f.
8
Vgl. ebd., S. 9.
9
Vgl. Jean Calvin: Unterricht in der christlichen Religion. Übersetzt von Otto Weber. Neukirchen-
Vluyn 31984.
10
Vgl. Heiland: Sicherheit, S.10.
11
Vgl. Zimmernmann: Calvinismus, S. 9.
3
Luther und damit verbundene erste Zweifel an der katholischen Dogmatik. Im
Studium lernt Calvin Humanisten kennen, die seine Sicht auf die römisch-
katholische Dogmatik verändern. 1533 beginnt Johannes Calvin an Predigten zu
arbeiten. In ihnen verbindet er Humanismus mit Luthers Gedanken und seiner
Theologie und schafft es somit die Scholastiker seiner Zeit in Paris und
Umgebung verbal anzugreifen.12 Durch die Angriffe bringt sich Johannes Calvin
in Gefahr und sieht sich daraufhin gezwungen Paris zu verlassen. Er flieht über
Straßburg nach Basel, wo er es schafft, die erste Ausgabe der institutio religionis
christianae fertigzustellen. Durch die Veröffentlichung des Werks wird Calvin auf
einen Schlag zu einer bedeutenden Persönlichkeit im Rahmen der Reformation.
Die institutio13 soll dabei helfen, die protestantischen Bewegungen in Frankreich
vor der Verfolgung von König Franz I. zu schützen und sie in ihren
Überzeugungen zu unterstützen.14 Das Schriftwerk ist in der deutschen
Übersetzung in vier Büchern mit sechzig Kapiteln übermittelt und hält sich an das
Lutherische Schriftprinzip. Das bedeutet, dass alle Aussagen, die innerhalb der
institutio getätigt werden anhand des Alten und Neuen Testament belegt sind.15
Calvins Auslegung und Erläuterung der Prädestinationslehre findet sich im 21.
Kapitel des dritten Buchs, der deutschen Übersetzung. Was genau Calvin unter
Vorbestimmung versteht, wird in folgendem Zitat deutlich:

„Unter Vorbestimmung verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge


deren er bei sich beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen
Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der
gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige
Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also
nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so –
sagen wir – ist er zum Leben oder zum Tode ’vorbestimmt’“.16

Die Prädestinationslehre besagt also, dass das Schicksal aller Menschen zum
Zeitpunkt ihrer Geburt bereits vorherbestimmt ist. Man wird also entweder der

12
Vgl. ebd., S.9f
13
Im weiteren Verlauf der Arbeit ist stets die institotio religionis christianae gemeint, wenn von
institutio die Rede ist.
14
Vgl. Heiland: Sicherheit, S. 11.
15
Vgl. ebd., S. 12.
16
Vgl. Calvin. Unterricht, S. 618f.
4
Unvergänglichkeit oder der Hölle zugeordnet und kann an dieser Entscheidung
nichts ändern, da sie von Gott, in seiner Weisheit, bereits getroffen wurde. Wie
bereits Wilhelm Boccard im Amulett bemerkt, bedeutet dies auch, dass die 10
Gebote und deren Einhalten nicht von Bedeutung sind, da man als Calvinist keine
Kontrolle über sein eigenes Schicksal hat.17 Dies wird hier angemerkt, um an
dieser Stelle bereits eine gewisse Widersprüchlichkeit in Bezug auf die
Prädestinationslehre aufzuzeigen, dem in der Novelle vom calvinistischen
Protestanten Hans Schadau nichts entgegengebracht werden kann.18

3.2 Calvins Wirken in der Schweiz

Der Hauptcharakter Meyers Novelle, Hans Schadau, verbringt zwar den Großteil
der Erzählung in Paris, ist allerdings gebürtiger Schweizer und bereits in seinem
Geburtsland dem Protestantismus verschrieben.19 Aus diesem Grund gibt es
kein umhin, Calvins wirken im Zusammenhang mit dem Protestantismus in der
Schweiz näher zu betrachten. Wie bereits in Kapitel 3.1 erwähnt wird, setzt die
Arbeit Calvins an die reformatorische Arbeit Ulrich Zwinglis an. Calvin wird auch
als Ulrich Zwinglis „Erbe“ bezeichnet.20 Nachdem Calvin im Jahr der
Veröffentlichung seiner institutio von einer Reise nach Italien zurückkehrt, hegt
er den Plan, noch einmal nach Paris zu reisen, um dort einige familiäre
Angelegenheiten zu klären. Wegen der politischen Situation scheint es Calvin
allerdings sicherer einen Umweg über Genf zu nehmen. Bei seinem Aufenthalt
in Genf sucht ihn der Reformator Guillaume Farel auf. Dieser drängt Calvin dazu
mit ihm zusammen eine feste Kirchenordnung für das reformierte Genf zu
verfassen. Calvin willigt ein.21 Bei der Einführung der neuen Kirchenordnung
bedienen sich die beiden Reformatoren an strengen Artikeln. Die Genfer
Bevölkerung fühlt sich von der Kirchenordnung zu stark eingeschränkt und somit
werden Farel und Calvin aus Genf verbannt.22 Erst Jahre später, im Jahr 1541,
bittet die Mehrheit der Genfer BürgerInnen Calvin darum wieder zurück nach
Genf zu kommen. Dieser willigt, voller Angst vor der Stadt, aus der er einst

17
Vgl. Conrad Ferdinand: Das Amulett. Ditzingen: Reclam 2018, S. 20.
18
Vgl. ebd., S. 20.
19
Vgl. ebd. S. 9.
20
Vgl. Heiland: Sicherheit, S. 11.
21
Vgl. Zimmermann: Calvinismus, S.12f.
22
Vgl. ebd. S. 13.
5
vertrieben wurde, ein und kehrt zurück, um erneut eine Kirchenordnung
einzuführen. Calvin bleibt bis zu seinem Tod in Genf.23

4 Formen der Distanzierung bei Conrad Ferdinand Meyer

In diesem Kapitel soll mit Blick auf verschiedene Aspekte erörtert werden, wie C.
F. Meyer eine Distanz zu seinen Erzählungen aufbaut und außerdem deutlich
machen, warum er dies tut.

4.1 Historisches Erzählen und Rahmung bei Conrad Ferdinand


Meyer

Bevor auf die Bedeutung historischen Erzählens für C. F. Meyer eingegangen


wird, soll kurz der Inhalt der Novelle Das Amulett wiedergeben werden. Das
Amulett behandelt die Geschichte des Berners Hans Schadau. Schadau wächst
in der Nähe des Bielersees bei seinem Oheim auf. Seine Erziehung geschieht
durch den Oheim und einen protestantischen Pfarrer der Schadau in frühen
Jahren mit dem calvinistischen Glauben und der Prädestinationslehre
konfrontiert. Geleitet von seinem Wunsch unter dem Hugenotten Admiral Coligny
in die Schlacht, zur Befreiung der niederländischen Hugenotten zu ziehen, bricht
der 19-jährige Schadau auf, um nach Paris zu reisen. Auf dem Weg dorthin macht
er Bekanntschaft mit dem Katholiken Wilhelm Boccard, welcher ebenfalls aus
Bern stammt, dem Protestanten Parlamentrat Chatillon und seiner
vermeintlichen Nichte, Gasparde. In Paris gelingt es Schadau durch die Hilfe des
Parlamentrats, eine Stellung unter Admiral Coligny zu erlangen. Schadau
verbringt seine Zeit in Paris, in guter Freundschaft mit Boccard, bis zur Nacht
vom 23. auf den 24. August 1572. In dieser Nacht, die als Bartholomäusnacht in
die Geschichte eingehen soll, werden auf Befehl des französischen Königs hin
20000 Hugenotten von den Guisen getötet. Die Erzählung erstreckt sich über 10
Kapitel, von denen das erste Kapitel die Rahmung der Geschichte bildet. Die
intradiegetische Rahmenerzählung handelt von dem 58-jährigen Schadau, der
den Vater seines verstorbenen Freundes Wilhelm Boccard aufsucht und bei

23
Vgl. Opitz: Leben, S. 71f.
6
dieser Gelegenheit an die Vorkommnisse erinnert wird, welche von ihm selbst in
den folgenden neun Kapiteln analeptisch wiedergegeben werden.24
In Verbindung mit seinem künstlerischen Schaffen sagte C. F. Meyer einmal:
„Wahr kann man (oder wenigstens ich) nur unter der dramat Maske al fresko
sein“.25 Meyer ist mit diesem Problem keines Wegs allein. Vielmehr scheint es
sich um ein Problem seiner Zeit zu handeln welches in “Rechtfertigungszwang“,
„Authentizitätsproblematik“, „Sprachbewusstsein“ und „Subjektkonstitution“
mehrerer zeitgenössischer Autoren, verwurzelt ist. Hinzu kommen noch
„individualgeschichtliche Gründe“.26 Wie und warum genau dieses Problem
entsteht wird in dieser Arbeit nur am Beispiel Conrad Ferdinand Meyers
aufgezeigt, da eine breitere Betrachtung den Rahmen dieser Arbeit sprengen
würde.
Schaut man sich das historische Erzählen in Meyers Novellen an, so wird
erkenntlich, dass er den historischen Umständen zu Beginn seiner Erzählungen
erst bedeutende Wichtigkeit zuschreibt, diese dann aber nach den ersten Seiten
mehr und mehr in den Hintergrund rücken lässt. Zeitgleich dazu rückt er konkrete
Konflikte zwischen einigen wenigen Figuren in den Handlungsmittelpunkt, um so
der Seele innewohnende Konflikte zu thematisieren.27 Dies spitzt sich bis zum
Ende der Erzählung weiter zu und endet dann stets tragisch und verwirrend.
Denn trotz der ausführlichen Erzählung bekommt man als Leser ein Ende
angeboten, das nicht eindeutige sinnvoll zu sein scheint.28 Wirft man einen Blick
auf die Handlung der Novelle Das Amulett, so sieht man, dass das oben
beschriebene auch in dieser Novelle Anwendung findet. Meyer lässt Ordnung
und Grenzüberschreitung durch genaues Nachzeichnen eines historischen
Kontextes auf der einen Seite und Erzeugen von komplizierten, seelischen
Figurenkonflikten auf der anderen Seite, miteinander spielen. Zusätzlich dazu
verleiht Meyer seinen Figuren noch eine innere Widersprüchlichkeit, die ihnen
dabei hilft, ihre Lebensumstände in Frage zu stellen.29 Meyer nutzt das
historische Erzählen allerdings nicht nur um Ordnung und komplexe innere

24
Vgl. Meyer: Amulett.
25
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke: Historisch-Kritische Ausgabe, 14. Hg. v. Hans
Zeller, Alfred Zäch. Bern: Benteli 1958ff., S. 28.
26
Iris Denneler: incognito — Überlegungen zum Historismus und Ästhetizismus Conrad
Ferdinand Meyers. In: Conrad Ferdinand Meyer. Die Wirklichkeit der Zeit und die Wahrheit der
Kunst. Hg. v. Monika Ritzer. Tübingen, Basel 2001, S. 147-166, hier S. 151.
27
Vgl. ebd., S. 152f.
28
Vgl. ebd., S. 154.
29
Vgl. ebd., S. 156f.
7
Konflikte gegen- und miteinander spielen zu lassen. Er benötigt es auch als
Deckmantel, mit dessen Hilfe er Distanz zu dem Stoff seiner Erzählung aufbaut.30
Folgendes Zitat verdeutlicht, dass C. F. Meyer zusätzlich zum historischen
Erzählen auch die Rahmung seiner Erzählungen nutzt um bereits genannte
Distanz aufzubauen: „Ich halte mir den Gegenstand gerne vom Leibe […] das
Indirecte der Erzählung (und selbst die Unterbrechungen) mildern die Härte der
Fabel“.31 Historisches Erzählen und Rahmung von Erzählungen werden also von
C. F. Meyer verwendet, um eine benötigte Distanz zur Erzählung zu schaffen.

4.2 Ironiebegriff und dichterische Selbstdarstellung bei C. F. Meyer

Nicht nur Historismus und eine Rahmung seiner Erzählungen sind typisch für C.
F. Meyer. Auch für eine ironische Haltung und Ausdrucksweise ist Meyer
bekannt. Diese kommt auch im Amulett zur Geltung. Aus diesem Grund soll in
diesem Abschnitt der Arbeit herausgearbeitet werden ob eine Verbindung
zwischen dem Ironie Begriff bei C. F. Meyer und seiner bewussten Distanzierung
von den Figuren und Handlungen seiner Erzählungen besteht. Des Weiteren soll
ein Blick auf Meyers dichterische Selbstdarstellung im Amulett geworfen werden.
Wie bereits in der Einführung zu dieser Arbeit erwähnt wurde, gibt es zwei
verschiedene Formen der Ironie. Die eine zeichnet sich durch die Verwendung
„ironischer Stilmittel“ aus, die andere durch einen „ironischen Stil“.32 In Meyers
Prosawerk sind beide Arten dieser Ironie vertreten, vornehmlich jedoch der
„ironische Stil“.33 Alfred Zäch begründet die Ironisierung in Meyers Werk damit,
dass Meyer sie verwendet um Distanz zu dem Stoff, welchen er literarisch
behandelt, aufzubauen. Diese benötige Meyer, da ihm die Härte der Realität die
Möglichkeit einer künstlerischen Auseinandersetzung angeblich nicht
ermöglicht.34 C. F. Meyers eigener Standpunkt zur Funktion des Ironie Begriffs in
seinem Werk ist folgender:

„Ein Berufsschriftsteller bin ich nicht. Dazu fehlt mir der Ehrgeiz (ich
weiche der Reputation eher aus als dass ich sie suche), die Routine und

30
Vgl. ebd., S. 152.
31
Meyer: Werke, S. 251f.
32
Siehe Kapitel 2.
33
Denneler: Überlegungen, S. 9.
34
Alfred Zäch: Conrad Ferdinand Meyer. Dichtkunst als Befreiung aus Lebenshemmnissen.
Frauenfeld 1973 (Wirkung und Gestalt, Bd. 12), S. 59.
8
auch die Modelle - denn ich habe einen einsiedlerischen Hang. Am
liebsten vertiefe ich mich in vergangene Zeiten, deren Irrthümer (und damit
den dem Menschen inhaerierenden allgemeinen Irrthum) ich leise
ironisiere und die mir erlauben, das Ewig-Menschliche künstlerischer zu
behandeln als die brutale Actualität zeitgenössischer Stoffe mir nicht
gestatten würden.“35

Hierdurch wird die Tatsache, dass Meyer die Ironisierung für eine Distanzierung
verwendet, von ihm selbst bestätigt. Es kann also festgehalten werden, dass
Meyer nicht nur durch historische Eingliederung seines Erzählstoffs in die
Vergangenheit und Rahmung seiner Geschichten, Distanz zu erzeugen weiß,
sondern dies auch durch die Verwendung seines ironischen Stils erreicht. In
Ergänzung dazu soll noch die angedeutete Behauptung Fritz Martinis zu
bedenken geben werden, nach der C. F. Meyer die Ironie als Formbedingung
sieht, um aufzuzeigen wie Paradox das Leben ist.36
Um die Grundlage C. F. Meyers dichterischer Selbstdarstellung in Bezug auf Das
Amulett nachvollziehen zu können, ist es unerlässlich einen Blick in seine
Kindheit zu werfen. Hierzu hat Walter Huber die Bedeutsamkeit der
frühkindlichen Erziehung C. F. Meyers herausgearbeitet. Meyers Vater, welcher
jeglicher künstlerischen Betätigung seines Sohnes verneinend entgegenblickte,
verstarb noch während seiner Kindheit. Von da an wird er von seiner Mutter
erzogen, welche ambivalente Wesenszüge aufweist. Auf der einen Seite
versucht sie ihren Sohn strikt christlich zu erziehen und lehnt, auf Grund von
christlicher Demut, künstlerische Phantasien ab. Auf der anderen Seite hegt sie
den Wunsch nach einem jenseitigen Dasein, in dem eine Vereinigung von
künstlerischer Phantasie und Realität möglich ist.37 Als C. F. Meyer nach seiner
Kindheit von Zweifeln geplagt wird, die ihn dazu veranlassen sich immer mehr zu
isolieren, bricht er auf nach Neunburg in die Heilanstalt Préfargier.38 Auch dort

35
Conrad Ferdinand Meyer an Louise von François, undatiert. In: Conrad Ferdinand Meyer und
Louise von François. Ein Briefwechsel. Hg. v. Anton Bettelheim. Berlin 1905, S. 12.
36
Vgl. Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus. 1848 - 1898. Stuttgart 1962
(Epochen der deutschen Literatur, Bd. 2), S. 804f..
37
Vgl. Walter Huber: Stufen dichterischer Selbstdarstellung in C. F. Meyers „Amulett“ und „Jürg
Jenatsch“. Bern, Frankfurt am Main, Las Vegas 1979. (Europäische Hochschulschriften: Reihe
1,Bd. 340), S. 26f..
38
Vgl. ebd., S. 24.
9
bringt man seiner künstlerischen Seite wenig Verständnis entgegen.39 Walter
Huber fasst die Auswirkungen dieser Vorfälle in Erziehung und Werdegang des
Schriftstellers treffend zusammen, indem er sagt, dass sie in C. F. Meyer einen
Zwiespalt zwischen Egozentrik und extremer christlicher Devotion geschaffen
haben.40 Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen sollen die
Ursachen C. F. Meyers dichterischer Selbstdarstellung nicht ausführlicher
behandelt werden. Die oben ausgearbeiteten Erläuterungen weisen eine
besondere Wichtigkeit in Verbindung mit C. F. Meyers Selbstdarstellung im
Amulett auf und sind aus diesem Grund von Relevanz für die vorliegende
Forschungsarbeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, das C. F. Meyers
Erziehung von einem Widerspruch zwischen freiem künstlerischem Ausleben
und christlicher Pietät bis hin zur Verleumdung der eigenen Existenz geprägt war.

5 Konkretisierte Analyse anhand von Textstellen

Im folgenden Kapitel dieser Forschungsarbeit soll ein genauerer Blick auf


ausgewählte Stellen aus dem Amulett geworfen werden. Dabei wird es sich um
Stellen handeln, an denen die Prädestinationslehre direkt oder indirekt
thematisiert wird. Durch eine Analyse dieser Textstellen mit Blick auf die oben
aufgeführten Themenbereiche: Historismus, Rahmung und Ironiebegriff
erschließt sich möglicherweise eine genauere Antwort auf die Frage nach der
Funktion der Prädestinationslehre in Bezug auf das Amulett und C. F. Meyer.
C. F. Meyer orientierte sich beim Verfassen seiner Novelle an Prosper Mérimées
Roman Chronique du règne de Charles IX. Die Konflikte betreffend der
politischen und konfessionellen Situation zur Zeit der Veröffentlichung des
Amuletts, 1873, beschreibt Meyer als analog zu den Konflikten innerhalb seiner
Novelle.41 Dies zeigt, dass Meyer durch die Kritik, welche im Amulett verübt wird,
indirekt seine eigene Zeit kritisiert.
Wie bereits erwähnt, sind die Erlebnisse des jungen Hans Schadaus in einen
Rahmen gesetzt. Die Rahmung zeichnet sich in dem Amulett dadurch aus, dass
nicht nur eine einfache, sondern eine doppelte Rahmung vorliegt. Die

39
Vgl. ebd., S. 27.
40
Vgl. ebd., S. 28.
41
Gerhard P. Knapp: Geschichte ohne Versöhnung. Conrad Ferdinand Meyer: „Das Amulett“
(1873). In: Deutsche Novellen. Von der Klassik bis zur Gegenwart. Hg. v. Winfried Freud.
München 21998, S. 155-164, hier S. 156.
10
extradiegetische Rahmung bemüht sich in wenigen Zeilen darum, historische
Authentizität zu erzeugen. Mit den Worten: „Alte vergilbte Blätter liegen vor mir
mit Aufzeichnungen aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts. Ich
übersetze sie in die Sprache unserer Zeit.“42 wird der Leser in das erste Kapitel
und die intradiegetische Rahmenhandlung entlassen. Die intradiegetiche
Rahmung wird von dem 58-jährigen Hans Schadau unternommen. Er erläutert
dem Leser, dass es sein schlechtes Gewissen ist, welches ihn dazu bringt
Rechenschaft für den Tod seines alten Freunds Wilhelm Boccard abzulegen.
Zwar war er nicht alleine für den Tod zuständig, jedoch hat er ihn mitverschuldet.
Auffällig ist an dieser Stelle, dass er seine Taten zwar zu bereuen scheint, jedoch
der Meinung ist, er müsse in seiner gegenwärtigen Situation genau so handeln
wie damals.43 Hier wird zum ersten Mal deutlich, dass Hans Schadau seinen
Glauben der Prädestinationslehre verschrieben hat. Die Erzählung wird
fortgeführt und der Leser wird dabei über die Erziehung und die Wertvorstellung
des jungen Hans Schadaus unterrichtet.44 Als der 19-jährige Hans Schadau sich
auf macht, um nach Paris zu reisen, ist er gezwungen Rast zu machen und trifft
dabei, in einem Wirtshaus auf Wilhelm Boccard, Gasparde, und Parlamentrat
Chatillon. Zwischen den Charakteren kommt es zu einer Diskussion über die
konfessionellen Unterschiede zwischen Boccard und Schadau, respektiv
calvinistischem Protestantismus und Katholizismus.45 Über Boccard erfährt der
Leser, das dieser an die Marienverehrung glaubt und ein Medaillon mit einem
Bilde der Muttergottes von Einsiedeln besitzt. Außerdem kritisiert Boccard die 10
Gebote in Verbindung mit der Prädestinationslehre.
Schadau, welcher Boccards Argument nichts entgegenzubringen weiß, wird an
dieser Stelle der Erzählung durch sein Unvermögen den eigenen Glauben zu
verteidigen, ironisiert.46 Das Motiv der Ironisierung in Bezug auf Schadaus
religiöse Weltvorstellung zieht sich durch die gesamte Novelle und wird immer
wieder an einzelnen Stellen deutlich. So auch an der Stelle, an der Schadau
einen Fechtkampf gegen den Graf Guiche austrägt und diesen nur überlebt, da
ihm Boccard sein Medaillon zuvor in den Brustwams geschmuggelt hat. Das
Medaillon sorgt dafür, dass Graf Guiches Klinge nicht in Schadaus Brust

42
Meyer: Amulett, S. 5
43
Vgl. ebd., S. 6f.
44
Vgl. ebd., S. 7ff.
45
Vgl. ebd., S. 16ff.
46
Vgl. ebd., S. 20.
11
eindringen kann. Anstatt sich über das neu gewonnene Leben zu freuen, fühlt er
sich durch den falschen Glauben um seine Vorherbestimmung betrogen. Dies
zeigt ein Unvermögen des jungen Schadaus, von seiner Engstirnigkeit
loszulassen und die Sinnlosigkeit der brutalen Auseinandersetzungen zwischen
Hugenotten und Katholiken zu erkennen.
Der junge Hans Schadau verbringt die Bartholomäusnacht eingesperrt in
Boccards Zimmer innerhalb des Louvre. Boccard hatte ihn dort einsperren
lassen, um ihn vor den Katholiken zu schützen.47 Eigesperrt kann er die
Vorkommnisse dieser Nacht nur durch ein vergittertes Fenster betrachten. Der
Gedanke an seine schutzlose Frau Gasparde versetzt ihn in einen Fiebertraum.
In diesem Traum sieht er wie sich aus der Seine eine Flussgöttin erhebt und sich
bei einer Karyatide darüber erkundigt, warum sich die Bewohner von Paris
gegenseitig morden. Die Steinfrau erläutert ihr voller Hohn, dass sich die
Bewohner wegen der religiösen Auseinandersetzungen töten.48 Setzt man
diesen Fiebertraum mit Schadaus überdauernden Überzeugung für die
Richtigkeit der Prädestinationslehre und seiner Glaubensrichtung in Verbindung,
zeigt sich, dass auch hier Schadau von C. F. Meyer erneut ironisiert dargestellt
wird. Unterbewusst scheint ihm die Sinnlosigkeit des Mordens bewusst zu sein,
doch kann er dies dem Leser gegenüber nicht offen kommunizieren.
Bezüglich des Medaillons lassen sich noch zwei relevante Textstellen nennen.
Am frühen Morgen nach der Bartholomäusnacht wird Schadau von Boccard aus
seiner Gefangenschaft entlassen. Schadau fleht Boccard an ihm bei der Rettung
seiner Frau Gasparde zu helfen. Dieser willigt erst ein nachdem Schadau ihn im
Namen der Muttergottes von Einsiedeln anfleht. Schadau hintergeht somit seinen
eigenen Glauben.49 Doch die Ironie endet hier noch nicht. Boccard findet bei der
Rettungsaktion betreffen Gasparde den Tod. Somit muss der Träger des
Medaillons, der im Gegensatz zu Schadau tatsächlich an die magischen Kräfte
des Gegenstandes glaubt, sterben, während Schadau weiterleben kann.
Zusätzlich ist zu sagen, dass die tödliche Kugel, aus Schadaus Pistole gefeuert
wird. Allerdings nicht von ihm selbst.50 Abschließend sei noch darauf hin zu
weisen, dass die Novelle den Titel Das Amulett trägt und innerhalb der Novelle
stets von einem Medaillon die Rede ist. Mit einem Blick auf die Definitionen der

47
Vgl. ebd., S. 56f.
48
Vgl. ebd., S. 59f.
49
Vgl. ebd., S. 60f.
50
Vgl. ebd. S. 64.
12
beiden Gegenständen wird klar, ein Medaillon ist „eine kleine flache Kapsel, die
ein Bild oder ein Andenken enthällt“.45 Im Gegensatz dazu ist ein Amulett ein
„kleiner, oft als Anhänger getragener Gegenstand, dem Unheil abwehrende und
Glück bringende Kräfte zugeschrieben werden“.46 Durch die Verwendung des
Begriffs Medaillon innerhalb der Novelle, hat es den Anschein, als ob der
protestantischen Seite des Konflikts der Vorrang gewährt wird. Der Titel: Das
Amulett bewirkt gegensätzliches.

6 Schlussbetrachtung

Abschließend sollen nun die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden


Forschungsarbeit zusammengefasst werden. Anschließend noch nicht geklärte
oder neu aufgekommene Fragen aufgeführt.
Die Untersuchungen dieser Forschungsarbeit haben gezeigt, dass C. F. Meyer
Historismus, Rahmung seiner Erzählungen und Ironie verwendet, um zu dem
Stoff seiner Erzählungen Distanz aufzubauen. Eine Distanz, die er benötigt um
sich objektiv und ironisierend mit kontroversen Konflikten auseinander zu setzten
und diese seinen Lesern neu geordnet vorzulegen. Diese Erkenntnisse ließen
sich auf seine Novelle Das Amulett anwenden und in ihr wiederfinden. Unter
Betrachtung der Ursachen für Meyers dichterische Selbstdarstellung konnte
gezeigt werden, dass er durch seine Erziehung bereits mit der Thematik der
christlichen Demut in Kontakt getreten ist. Die Tatsache, dass er durch diesen
Kontakt im Kontext einer Unvereinbarkeit von christlicher Zurückhaltung und
künstlerischem Schaffen eine psychische Krise erlitt, lässt darauf schließen, dass
sich Meyer im Amulett an der Gegenüberstellung von Protestantismus
(Prädestination) und Katholizismus bedient hat, um eine nachträgliche
Vereinigung seines eigenen, inneren Zwiespalts zu erreichen.
Durch das Hin und Her zwischen Katholizismus und Protestantismus und das
Auflösen und ironisieren des einen im und durch das andere, wird der
konfessionelle Konflikt von Meyer als irrational dargestellt. An keiner Stelle der
Novelle entscheidet sich der Autor explizit für eine Seite. Sobald es den Anschein
erweckt, als werde dem katholischen Glauben Richtigkeit zugeschrieben, meldet
sich der Protestantismus durch die Prädestinationslehre zu Wort und verneint
dies. Andersrum ist es übereinstimmend. Schlussfolgernd kann gesagt werden,
dass es C. F. Meyers Intention, in Bezug auf seine zeitgenössischen Leser ist,
13
ihnen die Augen für die Sinnlosigkeit einer aktuellen Streitigkeit zu öffnen. In
Bezug auf die Gesamtheit seiner Leserschaft verfolgt er das Ziel die Banalität
konfessioneller Streitigkeiten und die damit verbundene Gewalt aufzuzeigen.
Mit Blick auf die zukünftige Forschung soll abschließend angemerkt werden, dass
die Verbindung zwischen Meyers Kindheit und seinem Werk ein Teilbereich der
Meyerforschung darstellt, der bereits untersucht wurde, jedoch weiterhin neue
Forschungsansätze ermöglicht.

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7 Bibliographie

7.1 Primärliteratur

Calvin, Jean: Unterricht in der christlichen Religion. Übersetzt von Otto Weber.
Neukirchen-Vluyn 31984.

Meyer, Conrad Ferdinand: Das Amulett. Ditzingen: Reclam 2018 (Nachdruck).

7.2 Sekundärliteratur

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