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SOCIAL MEDIA
Sechs Gründe, warum Ihr Kind nicht oder nur eingeschränkt Tiktok
nutzen sollte
Die erfolgreichste App der Welt buhlt vor allem um die junge Zielgruppe – die Plattform bleibt weiterhin in der Kritik
Alexander Amon
19. Dezember 2022, 07:00, 199 Postings

Manche Frauen zeigen auf Tiktok, was die Filter mit ihren Gesichtern anstellen. Ganz so offen über
diese Manipulation reden aber nur wenige.
Foto: Tiktok
Sex, Gewalt und Humor. Das Basisrezept für Tiktok, mit aktuell rund einer Milliarde Nutzerinnen und Nutzern die
erfolgreichste App der Welt, ist simpel. Die vom chinesischen Unternehmen Bytedance betriebene Video-App lebt vor allem
durch den "user generated content" und dem höchst erfolgreichen Algorithmus, der schnell die Vorlieben des Gegenübers
kennenlernt. Hinzu kommt eine schwache Moderation, die fragwürdige Inhalte spät oder gar nicht löscht.
Speziell für Kinder und Jugendliche, noch immer die Hauptzielgruppe der App, sind das schwierige Voraussetzungen, um sich
von Tiktok losreißen zu können. Es ist cool, Fußballstars wie Messi auch in dessen Privatjet folgen zu können, schnell mal
ein sexy Tanzvideo mit Freunden zu teilen oder einfach spannende Inhalte auf sich einprasseln zu lassen.
Aber gerade wegen der leichten Zugänglichkeit sollte man ein paar Punkte bedenken, bevor man sich darüber freut, dass das
eigene Kind endlich Teil einer kreativen Social-Media-Plattform geworden ist.
1. Süchtig machend
Rund 52 Minuten verbringen Nutzerinnen im Schnitt täglich mit der App. Es kann aber auch weit mehr sein, wie etwa der 17-
jährige Tiktok-Star Michael Skopek kürzlich im STANDARD-Interview [http://www.derstandard.at/story/2000141806696/keine-lust-auf-
auswendiglernen-17-jaehriger-oberoesterreicher-erobert-tiktok-mit] bestätigte. Stundenlang hängen Jugendliche oft in dieser Dauerschleife
an Videos, die manchmal nur ein paar Sekunden lang sind. Die zwei Gründe für den nahezu perfekten Videostream für jeden
einzelnen Nutzer sind zum einen der Algorithmus und zum anderen die Unberechenbarkeit.
Der Algorithmus lernt schon nach wenigen Videos – vor allem wenn man den Like-Button aktiv nutzt – bei welchen Inhalten
verweilt und bei welchen weitergescrollt wird. Sexuelle Orientierung, Interessen und politische Ausrichtung werden so
analysiert und passende Inhalte ausgespielt. Ziel ist es, den Nutzer möglichst lange im Videostream zu halten. Die Zahlen
zeigen, dass das funktioniert.
Hinzu kommt die Unberechenbarkeit der Inhalte. Das können für das eigene Hirn positive oder negative Inhalte sein. Positive
sind etwa jene, auf die man sich beim Durchscrollen der Inhalte schon freut. "Unberechenbare Belohnung" wird das auch im
Fachjargon genannt, wenn sich der Körper schon darauf einstellt, bald Dopamin ausstoßen zu dürfen, ganz ähnlich wie beim
Glücksspiel.
Fragwürdige Inhalte sind jeder und jedem zugänglich, der die kostenlose App nutzt.
Foto: Tiktok
Ebenfalls für starke Reaktionen sorgen aufwühlende Inhalte. Auch wenn man noch nie ein Kriegsvideo geschaut hat,
flimmern plötzlich Bilder aus der Ukraine über den Bildschirm, wie etwa ein Panzer mehrere Soldaten von einem Hügel
schießt. Auch sich todbeißende Straßenhunde oder das brutale Zusammenschlagen von Menschen, etwa bei
Demonstrationen, werden ohne Vorwarnung gezeigt. Hinzu kommt eine Vielzahl an sexistischen Beiträgen. Männer wie
Andrew Tate [http://www.derstandard.at/story/2000138156280/frauenhass-und-homophobie-als-geschaeftsmodell-wer-ist-andrew-tate] , der nur ein
Extrembeispiel für sexistische Kommentare auf der Plattform war, aber auch Frauen, die sich gerne in aufreizenden Posen
zeigen oder sexuelle Handlungen antäuschen, um ein paar Likes mehr zu erhalten.
2. Zensur & Falschinformation
Zum Thema Zensur gibt es ebenfalls zahlreiche Beispiele. Eines waren etwa die Proteste in Hong Kong, die von der Plattform
quasi totgeschwiegen wurden. Auch zu den Themen der taiwanischen Unabhängigkeit oder der religiösen Gruppe Falun Gong
werden laufend Beiträge gelöscht. Die US-Tiktokerin Feroza Aziz wurde kurzfristig aus ihrem Account gesperrt, nachdem sie
in einem Beitrag auf die Notlage der Uigurischen Muslime in China hingewiesen hat. Das Löschen solcher Videos durch die
Plattform nennt sie kurz darauf "rassistisch".
gende Videos bei Ti Jetzt anschauen

@ferozaaziz
Why won’t anyone talk about this??? #fyp
#foryoupage #foryou #4u #muslim
original sound - Feroza ❤️

Was politische Inhalte betrifft, fährt die Plattform doppelgleisig, lässt sie doch zeitgleich zahlreiche fragwürdige Inhalte zu,
die etwa mit bestehenden Weltanschauungen kollidieren oder große Verschwörungstheorien aufstellen. Mittlerweile nutzen
auch politische Interessensgruppen Tiktok als Propaganda-Mittel. Der russischen Regierung konnte beispielsweise schon
nachgewiesen werden, dass sie Tiktok-Prominente für gleichgeschaltete Beiträge angeworben hatte. So konnten durch
koordinierte Kampagnen [http://www.derstandard.at/story/2000134052245/tiktok-stars-fuer-russland-propaganda-bezahlt] Millionen von
Jugendlichen mit der gewünschten Botschaft erreicht werden.
3. Aufmerksamkeitsspanne wird verkürzt
Im Jahr 2021 wurde eine Studie veröffentlicht, die sich Tiktok Use Disorder (TTUD) nannte. Darin wurde festgestellt, dass
Vielnutzer der App Probleme hatten sich an Dinge zu erinnern. Ebenfalls konnte die Studie bei der Testgruppe eine höhere
Quote an Erschöpfung und Depression [http://www.derstandard.at/story/2000132870659/tiktok-sucht-verschlimmert-depressionen-und-
angstzustaende-bei-teenagern] erkennen. Obwohl die Studie offen lässt, ob erschöpfte und depressive Menschen generell vorher
schon mehr Tiktok nutzten als andere, zeigt sie doch, dass es einen Zusammenhang zwischen einer angeschlagenen
mentalen Gesundheit und der Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne gibt.
4. Selbstwahrnehmung
Kinder und Jugendliche, die Hauptzielgruppe der App, befinden sich in einer verletzlichen Lebensphase. Sie sind deshalb
anfällig für Vorbilder und Maßstäbe, die im echten Leben eigentlich nicht erreichbar sind. Gerade auf Tiktok wird sehr viel
mit Filtern gearbeitet und so Gesichter einem vermeintlichen Schönheitsideal angepasst oder Hautunreinheiten beseitigt. Da
diese Filter nicht in irgendeiner Form markiert sind, ist das Resultat oftmals ein ungesundes Vergleichsdenken und
möglicherweise ein damit sinkendes Selbstwertgefühl.
Eine US-Tiktokerin zeigte beispielsweise vor ein paar Monaten in einem Video, wie sie im Urlaub ihr Hotelzimmer in
Südkorea betritt. Kurz darauf aktiviert sie Tiktok und merkt, dass sich zahlreiche Schönheitsfilter automatisch aktiviert
hatten – ohne ihr Zutun. Offenbar erkennt die App in welchem Land man ist und passt die Schönheitsfilter dementsprechend
an.
5. Cyberbullying & gefährliche Trends
Genau wie auf allen anderen Social-Media-Plattformen gibt es auch auf Tiktok Hass im Netz. Besonders gefährlich ist das
natürlich, wenn die teils Minderjährigen von solch einer Hasswelle überrascht werden. Immer wieder fällt Tiktok damit auf,
dass extra für Online-Beleidigungen eigene Accounts angelegt werden. Auch größere Content-Creator beschweren sich
regelmäßig darüber, dass auch sie Opfer täglicher Beleidigungen sind.
Zusätzlich fällt die Plattform immer wieder mit gefährlichen Trends [http://www.derstandard.at/story/2000137271199/blackout-challenge-
eltern-in-den-usa-verklagen-tiktok-nach-tod] auf. So bewarben zahlreiche Influencerinnen im Februar etwa Nasensprays
[http://www.derstandard.at/story/2000133072587/gefaehrlicher-tiktok-trend-nasensprays-sollen-von-innen-teint-verleihen] , die "von innen"
Sonnenbräune verleihen sollten. Im Sommer verstopften Jugendliche weltweit Schultoiletten mit Klopapier und zündeten es
teilweise sogar an. Die Liste ließe sich beliebig erweitern, etwa durch in Hustensaft gekochtes Huhn oder Autodiebstähle mit
USB-Kabel. Jugendliche werden hier regelmäßig zu dummen und gefährlichen Aktionen motiviert – die Plattform reagiert
hier oft spät oder gar nicht, um das zu unterbinden.
6. Datenlücken
Tiktoks Umgang mit den Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer [http://www.derstandard.at/story/2000140505970/tiktok-erfolgreiche-video-
app-die-nachhause-telefoniert] hat bereits wiederholt für Aufregung gesorgt. So musste die Firma hinter der Video-App rund 75
Millionen Euro Entschädigung zahlen, weil man gegen geltende Datenschutzbestimmungen verstoßen hat. Es wurden etwa
Gesichtsdaten Minderjähriger gesammelt und Daten ungefragt zum Training von KI-Systemen genutzt. Tiktok will alles über
seine Kunden wissen, verlangt Zugriff auf Kontakte und das generelle Nutzerverhalten inklusive GPS-Daten. Auch wird dem
Unternehmen immer wieder die Nähe zur chinesischen Regierung vorgeworfen, die offenbar bei Bedarf auch Einblicke in
heikle Daten der Plattform hat.

Regelmäßig fragt die App, ob man nicht die eigenen Kontakte freigeben möchte.
Foto: Tiktok
Zusätzlich kommt die Naivität vieler Nutzerinnen und Nutzer hinzu, die ohne die Konsequenzen abschätzen zu können,
Videos oftmals in privaten Räumen filmen oder vor ihrem Haus beziehungsweise dem Auto der Eltern. Das, in Kombination
mit der offenen Kommunikation über den Lebensmittelpunkt, ist ein großes, zusätzliches Sicherheitsrisiko.
Fazit: Genau hinsehen
Es ist schwierig, den eigenen Kindern die populärste Jugendplattform der Welt zu verbieten. Dennoch sollte man gelegentlich
einen Blick in den Feed von Tiktok werfen, um zu sehen, was der Algorithmus gerade an das eigene Kind ausspielt. Ein Blick
in den Menüpunkt "Privatsphäre und Einstellungen" ist zudem zu empfehlen. Dabei sollte man etwa darauf achten, dass
Videos nicht automatisch mit anderen Social-Media-Plattformen verknüpft sind und erstellte Inhalte gleich auch dort
verbreitet werden.
Stellt man das Profil auf "privat", kann zudem der Inhalt nur von ausgewählten Nutzerinnen gesehen werden und Anchatten
durch Fremde wird so zusätzlich unterbunden. Auch die Nutzungsdauer kann beispielsweise auf eine Stunde reduziert
werden. Hilfreich ist auch der neue "Begleiteten Modus". Dank diesem kann man vom eigenen Handy aus diverse
Sicherheitseinstellungen am Smartphone des Kindes vornehmen.
Dazu muss man auf beiden Handys in die Einstellungen und dort "ebenfalls den Punkt "Privatsphäre und Einstellungen"
wählen. Unter dem Menü "Digital Wellbeing" findet man den Modus, den man auf beiden Smartphones aktivieren muss.
Sobald die zwei Geräte miteinander verbunden wurden, hat man ein wenig mehr Kontrolle über den hauseigenen Umgang
mit der umstrittenen App.
(Alexander Amon, 18.12.2022)
Links
The Guardian [https://www.theguardian.com/technology/2019/sep/25/revealed-how-tiktok-censors-videos-that-do-not-please-beijing]
Shortform [https://www.shortform.com/blog/why-tiktok-is-bad/]
Cyberwise [https://www.cyberwise.org/post/8-pros-and-cons-of-tiktok-on-kids-mental-health]
Internet ABC [https://www.internet-abc.de/eltern/kinder-und-tiktok/]

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