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Geschichte(n) der Ringstraße

(Autor und ©: DDr. Anna Ehrlich, August 2007. Zur Verwendung für die
Publikation zum Fremdenführertag 2008.)

Einst trennten Stadtmauer und Stadtgraben die Vorstädte von der Innenstadt, die sich während
der großen Kriege der Vergangenheit damit gegen Invasoren verteidigte, erfolgreich gegen
die Osmanen, weit weniger erfolgreich gegen Ungarn und Franzosen. Als die Wiener sich im
Revolutionsjahr 1848 gegen die eigene Regierung hinter den nicht mehr zeitgemäßen Wällen
verschanzte, war das Ende der Befestigungswerke nahe. 1857 fiel der damals unpopuläre
Entschluß Kaiser Franz Josephs zur Auflassung der städtischen Befestigungen. Der Dichter
Franz Grillparzer kommentierte spöttisch:

„Wiens Wälle fallen in den Sand; Wer wird in engen Mauern leben!
Auch ist ja schon das ganze Land Von einer chinesischen umgeben.“

Der gesamte alte militärische Rayon der Befestigungen, ein breiter Gürtel rings um die
Innenstadt, wurde zum Bauland, der Großteil wurde an den Blut- und Geldadel verkauft, der o
in günstigster Lage seine "Palazzi prozzi" erbauen konnte. Das eingenommene Geld diente
zur Errichtung von Prunkbauten entlang der Ringstraße, die zum Herzstück von Wien werden
sollte, zur architektonischen Darstellung der Macht der Donaumonarchie (und durchaus auch
zur Drohung gegen revolutionären Geist mit Kasernen an jedem ihrer Enden). Sie versöhnte
die Herzen der Stadtbewohner erst lange nach ihrer Entstehung durch ihre Schönheit und gilt
heute als einer der schönsten Straßenzüge der Welt. Die Architekten griffen die Baustile der
Vergangenheit auf, die Gebäude sollten schon von außen ihre Bestimmung zeigen: Gotik für
Votivkirche und Rathaus, fürstliche Renaissance für Wissenschaft und Kunst nebst
Geldwesen, Antikes für die Politik. Dieser „Historismus“ genannte Stil wurde vom Kaiser
besonders gefördert, selbst als er schon überholt war (Kriegsministerium 1913) und Otto
Wagner bereits neue Maßstäbe gesetzt hatte (Postparkasse 1912).
Das älteste Gebäude des neuen Prachtboulevards war die heftig umstrittene Staatsoper, die
„versunkene Kiste“, denn das Niveau der Straße war während des Baus um einen Meter
gehoben worden. Die Wiener witzelten über die Arbeit der innigst miteinander befreundeten
Architekten:
„Der Siccardsburg und Van der Nüll, Die haben beide keinen Styl!
Griechisch, Gotisch, Renaissance, Das ist denen alles ans!”
Als dann auch noch der Kaiser Kritik übte, verlor Van der Nüll endgültig jeden Mut und
erhängte sich und Siccardsburg grämte sich daraufhin zu Tode. Franz Joseph aber enthielt
sich in Zukunft jeder künstlerischen Kritik und pflegte nur mehr zu sagen: „Es war sehr
schön, es hat mich sehr gefreut!“

Der zweite große Theaterbau an der Ringstraße ist das Burgtheater, der Spatenstich erfolgte
1874. Neben dem deutschen Stararchitekten Gottfried Semper zeichnete für die Planung der
junge, ehrgeizige und intrigante Wiener Karl Hasenauer verantwortlich. Sein Einfall, den
Zuschauerraum in Form einer Lyra zu gestalten, hatte katastrophale Auswirkungen auf die
Akustik. "Im Rathaus sieht man nichts, im Parlament hört man nichts, im Burgtheater sieht
und hört man nichts", höhnte der Volksmund. Eröffnet wurde das neue Haus am 14. Oktober
1888 mit Grillparzers "Esther".

Die Erzherzöge und die Herren aus dem hohen Adel liebten Oper und Burgtheater, oder eher
deren Künstlerinnen, so manche Liaison, ja sogar nicht standesgemäße Ehe, begann hier und
lieferte Stoff für Klatsch und Tratsch. Auch der Kaiser selbst war ja mit einer Dame vom
Theater, der „Gnädigen Frau“ Katharina Schratt, befreundet, möglicherweise sogar in einer
Gewissensehe verbunden.

Ein drittes Theater, das von Förster erbaute Ringtheater, existiert heute nicht mehr, es brannte
1881 ab (Schottenring 7). Bei der Katastrophe kamen fast vierhundert Menschen vor allem
auf den oberen Rängen um, darunter ein Bruder des späteren Kronprinzenliebchens Mary
Vetsera. Bürgermeister Newald und Direktor Jauner fanden sich wegen grober
Sicherheitsmängel auf der Anklagebank wieder.

Semper und Hasenauer zeichneten auch für die Neue Hofburg verantwortlich, ursprünglich
war ihr gegenüber ein weiterer, spiegelbildlicher Flügel geplant. Diese neuen Bauten sollten
zusammen mit den von ihnen erbauten Museen ein Kaiserforum bilden, wozu es aus
Geldmangel und – nach der Ermordung Kaiserin Elisabeths – aus Desinteresse des Kaisers
nicht mehr kam. So genießen wir heute die Weite des Platzes, die eine einmalige Wirkung
hat.

Das Rathaus wurde als einziger der Ringstraßenbauten von der Stadtgemeinde errichtet.
Ursprünglich war es auf dem Parkring geplant, doch konnte Bürgermeister Cajetan Felder
sehr diplomatisch zuerst den Kaiser und dann sowohl den Gemeinderat als auch den
Architekten Friedrich Schmidt vom besseren Standort am Exerzier- und Paradeplatz
überzeugen. Dieser war ein Schandfleck Wiens, "bei trockener Witterung eine Sandwüste, bei
nassem Wetter ein Sumpf oder ein gefrorener Teich", und zwang die Bevölkerung zu großen
Umwegen. Bei der Kaiserparade war das kaiserliche Pferd tief im Wasser gestanden, was
seinen Reiter zum Umdenken veranlaßt hatte.

Auch die Votivkirche steht in Verbindung mit einem Ereignis im Leben des Kaisers, sie
wurde zum Dank für dessen Errettung vor einem gefährlichen Attentat im Jahr 1853 auf
Betreiben von dessen Bruder Maximilian, dem späteren Kaiser von Mexiko, gestiftet.
Daneben entstand die Universität neu, überwach- und einsehbar, damit das unruhige Element
der Studentenschaft die Ruhe des Staates nie wieder wie im Revolutionsjahr stören sollte.

Auch für den Reichsrat entstand ein neues Gebäude von Theophil Hansen, es löste 1884 das
"Schmerlingtheater" ab, einen provisorischen Bau in der Währinger Straße 2–6, der 1861
errichtet und nach seinem Vorsitzenden Anton von Schmerling genannt worden war. Im
neuen Reichsratsgebäude (dem heutigen Parlament) versammelten sich nur mehr die
Abgeordneten der siebzehn "im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder", allgemein
"Cisleithanien" genannt. Dieser sonderbare Name blieb bis zum Ende der Monarchie erhalten.
Eine gemeinsame Sprache fehlte, übersetzt wurde nicht. So kam es zu langen Monologen von
Abgeordneten, die vom Großteil der Zuhörer nicht verstanden wurden. 1918 wurde auf der
Rampe des Parlaments die Republik ausgerufen, die allerdings schon sechzehn Jahre danach
in eben diesem Gebäude ihre erste Krise erleben sollte.

Die Ringstraße war ein Treffpunkt der vornehmen Wiener Gesellschaft, solange es noch
Frieden unter dem Kaiser gab. Allabendlich entfaltete sich der "Ringstraßenkorso". Vor allem
die nach einem Ledertaschen-Händler benannte "Sirk-Ecke" am Hotel Bristol diente den
Damen und Herren, den Künstlern, Bankiers und Industriellen, und deren Töchter und Söhnen
als Flanier-, Gesprächs- und Flirtmeile. So mancher kecke Blick verursachte zartes Erröten
oder den Wunsch nach einem heimlichen Wort. Man traf gewiß gemeinsame Bekannte, und
bald war man gut Freund. Doch kaum hatte man sich an das fröhliche Treiben so richtig
gewöhnt, war niemand mehr da, der es genießen konnte – die jungen Männer zogen in den
Krieg, die Monarchie ging unter und mit ihr der Glanz der "guten alten Zeit".

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