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Zeit würde vergehen, bis das gesellschaftlich Allgemeine wahr- choanalyse vorab mit den Objekttrieben sich befaßt; und die
haft der Inbegriff der individuellen Bedürfnisse wäre und bis das Vernachlässigung der Ichpsychologie hat sie zuweilen beeinträm-
Individuum die Züge los würde, die Male seiner äonenalten Re- tigt, wenn sie aktuellen sozialen Phänomenen sich zuwandte.
pression ~ind. Inso~ern die.wissenschaftliche Arbeitsteilung jener 4· Wer die Soziologie mit Freud als augewandte Psychologie
realen Divergenz s1ch anmißt, ist sie legitim. Auch die vollkom- dächte, verfiele, trotz aller aufklärerischen Intention, der Ideolo-
menste interdepartementale Zusammenarbeit würde die Diver- gie. Denn die Gesellschaft ist keine von Menschen unmittelbar,
genz in der Sache nicht beseitigen. Ihr modischer Begriff setzt sondern die Beziehungen zwischen diesen haben sich verselbstän-
~?rt, nach gängigem Wissenschaftsideal, einstimmige Kontinui- digt, treten allen Einzelnen übermächtig entgegen und dulden die
tat voraus, wo real der Bruch herrscht. Darum erfüllt er leicht psychologischen Regungen kaum eben als Störungen des Getrie-
ideologische Funktionen. bes, die womöglich integriert werden. Wer die Psychologie eines
3· Zur Kritik steht die Arbeitsteilung der Wissenschaften Sozio- Konzernherrn für die Betriebssoziologie fruchtbar machen woll-
logie und Psychologie, insoweit sie ihrerseits den Zustand sank- te, geriete offensichtlich in Unsinn.
tioniert, in dem Individuum und Gesellschaft unversöhnt ausein- 5. Ebensowenig ist die Psychoanalyse zu soziologisieren. Die
anderklaffen, und das Getrennte als ein an sich natürlich Ver- Versuche dazu, welche die revisionistischen Smulen, im Namen
schiedenes vorstellt. Unter den Verdiensten Freuds ist nicht das von Erfahrung und wider die Theorie, veranstalteten, haben die
kleinste, daß er die von Le Bon abgehandelten Phänomene nicht Psychoanalyse kastriert: durch Überwertung der lmpsychologie
auf Massensuggestion, Massenbewußtsein, gar ein kollektives gegenüber dem Sexus, und als Technik erfolgreicher Anpassung,
Unbewußtes zurückführt, sondern die angebliche Massensugge- gesellschaftlich eingegliedert. Das tangiert auch die herangezoge-
stion aus der individuellen Triebdynamik ableitet. Gerade da- nen gesellschaftlichen Kategorien. Das soziale Prinzip des Pre-
durch hat sich gezeigt, wie wenig in der Psychologie Gesellschaft- stiges etwa, den Revisionisten so wimtig, orientiert sich am Kon-
liches und Individuelles chemisch rein zu trennen sind. Freud, kurrenzmechanismus der bürgerlichen Gesellschaft; in ihr aber
der, nicht ohne den Expansionsdrang des Spezialisten, schließlich ist Konkurrenz, gegenüber der Produktionssphäre, ein Epiphä-
die Soziologie als augewandte Psychologie verstanden wissen nomen. Gesellschaftliche und psychologische Erkenntnis sind um
wollte, ist paradoxerweise in den ionersten psychologischen Zel- so eingreifender, und können für einander um so mehr bedeuten,
len auf Gesellschaftliches wie das Inzestverbot die Verinnerli- je weniger die eine unmittelbare Anleihen bei der anderen macht.
chung der Vaterimago und primitiver Hordenformen gestoßen. 6. Der Vorrang der Gesellschaft über die Psychologie hat we-
Wer Psychologie und Soziologie starr auseinanderhält, eliminiert sentlich darin sich durchgesetzt, daß die gesellschaftlich eingebau-
:-resentli~e .Interessen beider Disziplinen: das der Soziologie an te Psychoanalyse die Funktionsfähigkeit der Menschen innerhalb
Ihrem Wie 1mmer auch vermittelten Rückbezug auf lebendige der funktionalen Gesellschaft verstärkt; nach Horkheimers
Menschen, das der Psychologie an dem gesellschaftlichen Moment Wort zur Massage wird. In der Freudschen Forderung, daß, wo
noch ihrer monadologischen Kategorien. Selbst bei Freud er- Es sei, Ich werde, ist das zumindest angelegt. Das andere Poten-
scheint dies gesellschaftliche Moment nur einigermaßen abstrakt, tial der Psychoanalyse ist das zur Entfesselung des Triebes. Dem
als ein der Psychologie .Außerliches, die »Lebensnot«. Stillschwei- dient die strenge Sexualtheorie; an ihr ist festzuhalten. Ihre Ver-
gend hat er erkannt, daß die Trieblehre allein soziales Verhalten femung als Orthodoxie ebenso wie der Eifer, sie ins neunzehnte
nicht begründet, daß die Menschen für sich ein anderes sind denn Jahrhundert zurückzudatieren, bezeugt, wie übrigens derglei-
die Menschen als gesellschaftliche Wesen. In der Unterscheidung chen Topoi insgesamt, den Widerstand gegen Aufklärung. Insbe-
von Ichtrieben und Objekttrieben ist diese Differenz noch inner- sondere Bestrebungen, die Analyse mit der Existentialphiloso-
halb der Psychologie kodifiziert. Folgerecht jedoch hat die Psy- phie zu fusionieren, verkehren sie in ihr Gegenteil. Freud wird
II
nach wie vor in Deutschland verdrängt; einen Ausdruck von Lu- nung des Allgemeinen und Besonderen, sondern das Allgemeine
kacs aufzunehmen: durch Tiefe verflacht. Die Behauptung er sei als Absolutes, in dem das Besondere versdlwindet. Die Einzelnen
überholt, ist in Deutschland bloßer Ausdruck des Obsku;antis- werden planvoll den blinden biologischen Verhaltensweisen an-
mus; erst wäre er einmal einzuholen. oeähnelt
1:> , werden so wie die Figuren der Romane und Stücke von
7· Daß die Trennung der beiden Bereiche nicht absolut sei wird Beckett. Das angeblidl absurde Theater ist realistisdl.
heute mit Grauen bewiesen. Was bereits in den Technik;n des 8. Daß das Individuum, wie der geschidltliche Verlauf und die
brain washing, der Integration Abweichender durch Tortur, sidl psychologisdle Genese es lehren, ein Entsprungenes ist; daß das
ankündigt, scheint in den dlinesischen Phänomenen die Mit- Individuum nicht jene Invarianz für sidl behaupten kann, deren
scherlieh heranzieht, seine volle Konsequenz zu err:ichen. Die Sdlein es in Epodlen einer individualistisdlen Gesellsmaft an-
Ver~udle d_er Wissensdlaft, Psychologie und Soziologie zu syn- nahm, mag das historische Verdikt über das Individuum begrün-
thesieren, smd daran gesdleitert, daß man dabei soziale Momente den. Aber dies Urteil ist kein absolutes. Das Entsprungene kann,
wie die Geltung des Einzelnen in seiner Gruppe unmittelbar als nach Nietzsdles Einsicht, gegenüber seinem Ursprung das Höhe-
psychologische Determinanten interpretierte, während sie, psy- re sein. Kritik am Individuum meint nimt dessen Absmaffung.
chologisdl gesehen, lediglich in die der Realität zugewandten Sonst wird der Weltlauf, im allzu realistismen Idealismus, zum
Außensdlichten der Person hineinreichen, nidlt jedodl in die Weltgerimt, institutionell angestellte Primitivität verwemseit
eigentlich unbewußten Tiefenprozesse, an denen denn audl die mit der Realisierung des zoon politikon. Die Identität von Ge-
psychoanalytischen Revisionisten sich desinteressierten. Die Pra- sellsdlaft und Individuum in der Form, in der sie sich anbahnt,
xis der radikalen Kollektivierung dagegen, weldle die historisdl ist das vollendet Negative: so erfährt sie der Einzelne, durch ein
längst fortschreitende Auflösung des Individuums in Regie Ji.ußerstes an physischem Smmerz und psydlismem Leiden.
nimmt und sdlockhaft besdlleunigt, geht aufs Ganze. Die Greuel Die theoretische Konstruktion der ihrerseits aus dem herrsmen-
der Sozialerziehung, die Mitsdlerlich besdlreibt, lassen darum den gesellsdlaftlidlen Prinzip folgenden Trennung von Soziolo-
alle gewohnte soziale »Beeinflussung« der Psyche hinter sich, gie und Psymologie, die, nachdem sie auseinandertraten, relativ
weil sie sich nicht mit der Injektion von Inhalten und der Minde- unabhängig voneinander sich entwickelten wie Diadodlenstaa-
rung der Resistenzkraft des Idls begnügen, sondern dessen for- ten, ist zu beridltigen, weil sie die kritisdlen Zonen allzusehr ver-
male Konstituentien bis hinab ins unbewußte Leben in die Ge- nadllässigt, wo das Getrennte im Ernst sidl berührt. Das antago-
walt nehmen. Wollte einmal PsychoanalyseNadlerziehung sein, nistisdle Eine bleibt Einheit audl in seinem Antagonismus. So
so wird die auf den Kopf gestellte zur budlstäblidlen Wiederher- wenig Psychologie und Gesellschaft derart unmittelbar aufeinan-
stellung frühkindlidler Situationen, um die Bildung des Ichs der einwirken, wie man nadl einem Modell es sim vorstellt, das
überhaupt zu widerrufen. Solche integrale Seelenbeherrsdlung die Spaltung als ein logisch Außerlimes und zugleim als eine in
setzt ~raß die Tendenz zu gesteuerter Regression durdl, wie sie dinghafte Gegenstände faßt, anstatt strukturell, so wenig ver-
etwa m der kumulativen Wirkung der sogenannten Massenme- läuft, was nadl dem einen Prinzip sidl entzweite, tatsädllim nun
dien im Umriß, und harmlos angesidlts des Neuen sidl andeute- unabhängig voneinander. Nicht nur abstrakte Einheit des Prin-
te. Individuum und Gesellsdlaft werden eines, ind~m die Gesell- zips bindet Gesellsdlaft und Individuum und ihre wissensmaft-
sdlaft in die Mensdlen unterhalb ihrer Individuation einbricht lichen Reflexionsformen, Soziologie und Psymologie, aneinan-
und diese verhindert. Daß aber diese Einheit keine höhere Ge- der, sondern beides kommt nie choris vor. So gehen die widltig-
stalt der Subjekte sei, sondern sie auf ein ardlaisdles Stadium sten, nämlidl bedrohlidlsten und darum verdrängten Momente
zurückwirft, zeigt sidl an der barbarisdlen Repression, die dabei der sozialen Realität in Psymologie, in das subjektive Unbewuß-
ausgeübt wird. Die heraufdämmernde Identität ist nidlt Versöh- te ein. Aber verwandelt in kollektive imagines, so wie Freud in
Soziologische Schriften I