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Edmund Weitz

Pi und die
Primzahlen
Eine Entdeckungsreise
in die
Mathematik
Pi und die Primzahlen
Edmund Weitz

Pi und die
Primzahlen
Eine Entdeckungsreise in
die Mathematik
Edmund Weitz
Fakultät Design, Medien und Information
HAW Hamburg
Hamburg, Deutschland

ISBN 978-3-662-62879-9 ISBN 978-3-662-62880-5 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5

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Einbandabbildung: Heike Stephan, Hamburg


Textgestaltung: Edmund Weitz

Planung/Lektorat: Iris Ruhmann


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Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
The beauty of mathematics only shows itself
to more patient followers.

Maryam Mirzakhani (1977–2017)


AB IN DEN DSCHUNGEL

Dieses Buch hat keinen praktischen Wert. Wäre es ein Roman, dann
würden Sie das wohl auch nicht von ihm erwarten, genauso wenig
wie von einem Spiel, einem Musikstück oder einem Gemälde. Aber
ist ein Buch über Mathematik nicht etwas ganz anderes? Wird uns
nicht in Schule und Studium gepredigt, wie wichtig Mathematik sei?
Dass unsere moderne Welt ohne sie nicht funktionieren würde?
Da ist sicher was dran. Ingenieure, Naturwissenschaftlerinnen,
Ökonomen und Programmiererinnen setzen jeden Tag mathema-
tische Methoden ein. Smartphones, Herzschrittmacher, Satelliten-
navigation, DVD-Player, Computertomographie – all das ist ohne
Mathematik undenkbar.
Das wissen Sie natürlich. Möglicherweise wird es Sie jedoch über-
raschen, dass Mathematiker sich gar nicht um solche Anwendungen
scheren. Sie betreiben Mathematik aus purem Selbstzweck: weil das
interessant ist, weil die Ergebnisse oft unglaublich schön sind, weil
es Spaß macht.
Wie bitte? Mathe soll Spaß machen? Aber ja! Wie ein Roman, der
so spannend ist, dass Sie ihn nicht weglegen können, kann auch eine
mathematische Frage so fesselnd sein, dass Sie sie nicht aus dem Kopf
bekommen, bevor sie gelöst ist. Wie bei einem aufregenden Spiel
kann es Ihnen dabei passieren, dass Sie gar nicht merken, wie die Zeit
vergeht. Und wie ein Musikstück oder ein Gemälde kann die Lösung
ein ästhetischer Genuss sein. Wer braucht da noch praktischen Wert?
Falls Sie sich das alles jetzt noch nicht vorstellen können, dann
hoffe ich, dass das Buch Sie eines Besseren belehren kann. Aus diesem

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_1
Grund habe ich es nämlich geschrieben: um zu zeigen, dass Mathe-
matik nicht etwa erfunden wurde, um Schüler und Studenten zu
quälen, sondern dass es sich um eine kulturelle Tätigkeit handelt, die
genauso beglückend sein kann wie Literatur, Musik oder bildende
Kunst.
Damit das klappt, müssen Sie sich auf eine Expedition durch
einen unbekannten Dschungel in Begleitung eines geschwätzigen
Reiseführers einlassen. Mit dem Dschungel ist natürlich die Mathe-
matik gemeint, und der Reiseführer werde ich sein. Wir werden
ein Ziel haben, über das gleich noch zu sprechen sein wird. Aber
zwischendurch werde ich immer wieder auf exotische Gewächse am
Wegesrand hinweisen, Geschichten über vergangene Expeditionen
erzählen und gelegentlich sogar etwas philosophieren oder versuchen,
Vorurteile über die Mathematik zu entkräften. Auch werden wir
nicht geradeaus marschieren, sondern viele landschaftlich reizvolle
Umwege einschlagen, so dass Sie manchmal vielleicht ganz vergessen
werden, was wir eigentlich vorhatten.
Am Ende kommen wir jedoch wohlbehalten an, keine Angst.
Und hoffentlich haben Sie dann das Gefühl, dass die Reise sich gelohnt
hat. Vielleicht haben Sie sogar Lust auf mehr. Wir werden nämlich
nur einen winzigen Teil des Dschungels kennenlernen.

Sie möchten sicher wissen, welchen Teil des Dschungels wir bereisen
werden. Das wird alles noch detailliert erklärt werden, aber ich will
Ihnen einen kleinen Vorgeschmack geben, damit Sie nicht die Katze
im Sack kaufen. Es wird um die Kreiszahl π (ausgesprochen „pi“)
gehen, von der Sie garantiert schon mal gehört haben. Wir werden
eine Formel entwickeln, mit deren Hilfe man π berechnen kann.
Was den nicht vorhandenen praktischen Wert angeht: Es gibt
viele verschiedene Formeln, um π zu berechnen. Die, die das The-
ma des Buches sein wird, ist schon ziemlich alt und definitiv nicht
„die beste“ – was immer das bedeuten mag. Außerdem wurden mit
Hilfe von Computern bereits Billionen (!) von Nachkommastellen
von π berechnet, obwohl für Anwendungen in der Physik oder den

2 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Ingenieurswissenschaften zwanzig Stellen mehr als ausreichend sind.
Zu allem Überfluss werden wir unsere Formel sehr umständlich
herleiten; man könnte das viel effizienter erledigen.
Klang das abschreckend genug? Warum sollte man sich das antun?
Konfuzius würde antworten: „Weil der Weg das Ziel ist!“ (Stellen
Sie sich ein Motivationsposter mit einem Dschungelfoto vor.) Wir
werden π mithilfe von Methoden der sogenannten Zahlentheorie be-
rechnen. Da geht es um Primzahlen und es ist weder auf den ersten
noch auf den zweiten Blick ersichtlich, was das mit der Geometrie,
der „Heimat“ von π , zu tun haben könnte. Und außer um Geometrie
wird es auch noch um Algebra und Analysis gehen, die beiden ande-
ren großen Teilgebiete der Mathematik. Unser verschlungener Weg
wird uns zeigen, dass in der Mathematik irgendwie alles mit allem zu-
sammenhängt. Das ist eine Einsicht, die sich immer wieder einstellt,
wenn man sich länger mit mathematischen Fragen beschäftigt.
Außerdem werden wir gerade am Anfang viel Zeit darauf verwen-
den, das Terrain zu sondieren. Dabei werde ich wahrscheinlich Dinge
wiederholen, die Ihnen lange bekannt sind und trivial erscheinen
mögen. Ich hoffe jedoch, dass ich Ihnen einen neuen Blickwinkel
verschaffen kann. Der amerikanische Informatiker Leonard Adleman
hat mal gesagt, dass Mathematik viel enger mit der Philosophie als
mit der Buchhaltung verwandt sei. Einige der tiefen philosophischen
Fragen, die hinter scheinbar banalen mathematischen Strukturen
stehen, möchte ich zumindest gestellt haben. Beantworten kann ich
sie allerdings nicht.
Schließlich werde ich bei manchen meiner Abschweifungen auch
über die historische Entwicklung von bestimmten Konzepten reden.
Aber nicht etwa, weil dies ein Geschichtsbuch werden soll. Mir geht
es vielmehr darum, zu zeigen, dass die Mathematik kein Monolith
ist, der schon immer unverrückbar in der Landschaft herumstand,
sondern dass sie von Menschen gemacht wurde, die zweifelten, dis-
kutierten und auch Fehler machten.
Ich kann nur wiederholen, dass nichts davon Ihnen kurzfristig
zum Vorteil gereichen wird. Sie werden es höchstwahrscheinlich nie

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brauchen. Wenn Sie jedoch bereit sind, etwas Zeit und Energie zu
investieren, wird es Ihren Horizont erweitern.

Ganz am Anfang habe ich einen Vergleich dieses Buches mit einem
Roman gewagt. Literaturwissenschaftlerinnen werden darüber viel-
leicht nur müde lächeln, aber so gewagt finde ich das gar nicht. Wir
Menschen sind soziale Wesen. Darum kann es uns auch passieren,
dass wir süchtig nach der allerdümmsten Seifenoper werden. Wir
wollen einfach wissen, ob X wirklich ein heimliches Verhältnis mit Y
hat und welche schockierenden Details aus der Vergangenheit von Z
noch ans Tageslicht kommen werden. So sind wir nun mal.
Wer sich auf die Mathematik einlässt, entwickelt eine ähnliche
Beziehung zu den mathematischen Charakteren. Er will wissen, wel-
cher Zusammenhang zwischen X und Y besteht und was man noch
alles über Z herausfinden kann.
Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Bel-
letristik und Mathebüchern: Einen Roman können Sie schmökern,
während Sie gemütlich im Ohrensessel sitzen. Echtes Lesevergnügen
bei einem Mathebuch gibt es hingegen nur, wenn Sie Arbeit investie-
ren. Oft geht es nur langsam und mühsam voran und manche Sätze
muss man mehrfach lesen, bis man sie richtig verstanden hat. Um
bei der Analogie mit der Expedition zu bleiben: Sie brauchen gute
Kondition und ordentliches Schuhwerk. (Aber wer sagt denn, dass
Belletristik immer einfach ist? Ein Kritiker hat mal geschätzt, dass
nur 13 Menschen Finnegans Wake von James Joyce verstehen werden.
Ich hoffe, das vorliegende Buch wird etwas zugänglicher sein.)
Außer guten Schuhen sollten Sie Papier und Bleistift in Ihren
Rucksack packen. Ich werde nämlich zwischendurch immer mal
wieder Fragen stellen. An solchen Stellen sollten Sie mit dem Lesen
aufhören und über die Frage nachdenken. Kritzeln Sie auf Ihrem
Zettel herum, probieren Sie verschiedene Lösungsansätze durch, und
wenn Sie nicht weiterkommen, machen Sie erst mal etwas ganz ande-
res, zum Beispiel einen Spaziergang. Schlafen Sie ruhig eine Nacht

4 PI UND DIE PRIMZAHLEN


drüber. Aber erliegen Sie nicht der Versuchung, zu früh aufzugeben
und einfach weiterzulesen.
Woher wissen Sie, wann Sie fertig sind und ob Ihre Antwort
richtig ist? Das werden Sie gerade am Anfang gar nicht wissen! Nach
und nach, mit mehr Erfahrung, können Sie immer besser selbst beur-
teilen, ob Sie wirklich alles bedacht und keine Fehler gemacht haben.
Aber Fehler sind ohnehin nicht schlimm. Ihr Reiseführer wird Sie
wieder auf den richtigen Weg zurückführen, wenn Sie sich verlaufen
haben. (Und es ist auch überhaupt kein Problem, wenn Sie manche
Fragen nicht beantworten können. Wichtig ist die Beschäftigung
damit.)
Wenn Sie jedoch die Fragen überspringen, dann werden Sie von
diesem Buch nicht viel haben. Das wäre so, als ließen Sie sich in einer
geschlossenen Sänfte durch den Dschungel und wieder zurück tragen:
nicht besonders anstrengend, aber man sieht auch nichts. Es wäre
bequemer gewesen, gleich zu Hause zu bleiben. . .

Bevor wir uns auf den Weg machen, sollten wir jedoch darüber
reden, was vor uns liegt. Im echten Dschungel, im Amazonasgebiet
Brasiliens, lebt fast völlig isoliert vom Rest der Welt das indigene Volk
der Pirahã. Seine Sprache kommt ohne Zahlwörter und ohne Unter-
scheidung von Singular und Plural aus. Es gibt lediglich zwei Begriffe,
die man mit eins und viele übersetzen könnte. Auf anderen Konti-
nenten hatten Anthropologen ebenfalls Kontakt zu traditionellen
Kulturen, die keine Wörter für Zahlen haben, die größer als drei oder
vier sind. Und auch die europäischen Sprachen enthalten noch Spu-
ren einer Zeit, in der unsere Vorfahren nur „eins-zwei-viele“ zählen
konnten. Beispiele sind das altenglische thrice oder im Französischen
trois und très, die höchstwahrscheinlich dieselbe Etymologie haben.
Im Westen Kanadas lebt die Stammesgruppe der Ts’msyan. Ihre
Sprache hat ein Wort für „drei Menschen“, ein anderes für „drei
Tiere“ und ein weiteres für „drei lange Objekte“, während man für
„drei Kanus“ wiederum ein anderes Wort benutzt. Es gibt zudem aber
auch noch ein Wort für „drei Menschen in einem Kanu“ und damit

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sind noch nicht mal alle „Dreiwörter“ aufgezählt. Die gleiche Vielfalt
herrscht auch bei zwei oder sieben Menschen, Tieren und Kanus.
Warum erzähle ich das? Offenbar muss eine Kultur erst eine ge-
wisse Komplexität erreichen, bevor die Notwendigkeit besteht, über
Zahlen zu sprechen. Vorher gibt es gar keine Zahlen – sie sind Men-
schenwerk! Und selbst dann, wenn man beginnt, den Unterschied
zwischen fünf Äpfeln und sechs Äpfeln zu erkennen und zu benen-
nen, hat man noch nicht unbedingt erkannt, was fünf Äpfel und
fünf Antilopen gemeinsam haben. Das erfordert einen signifikanten
Abstraktionsschritt, der die „Fünfheit“ von den Äpfeln trennt.
Während die Naturwissenschaften sich mit Dingen beschäftigten,
die es wirklich gibt, geht es in der Mathematik um die Kopfgeburten
von uns Menschen. Den Apfel, den die Biologin untersucht, kann
man anfassen (und sogar essen), die Fünf existiert nur in unseren
Gehirnen. Man kann sie nicht berühren. Die arabische Ziffer 5 ist
lediglich ein Symbol für die Zahl fünf, ebenso wie das römische
Zeichen V, das englische Wort five oder die Strichliste . Aber keines
dieser Symbole ist die Zahl fünf, genauso wenig wie ein Foto eines
Apfels ein Apfel ist.
Und in der Mathematik geht es ja entgegen der landläufigen
Meinung nicht nur um Zahlen. Was immer Sie aus Ihrer Schulzeit
vergessen haben sollten, Sie werden sich zumindest noch vage erin-
nern, dass in der Geometrie unter anderem Kreise eine Rolle spielten.
Auch unsere „vormathematischen“ Ahnen kannten schon Kreise –
lange bevor das Rad erfunden wurde. Bei Vollmond sieht man bei-
spielsweise einen Kreis am Himmel und man sieht auch Kreise, wenn
man einen Stein in einen Teich wirft.
Aber sind das die Kreise, über die in der Geometrie gesprochen
wird? Keineswegs! Die Kreise der Geometrie sind idealisierte Gebilde,
bei denen jeder Punkt vom Mittelpunkt exakt den gleichen Abstand
hat und deren Rand ein ätherisches Gebilde ohne Breite ist. Selbst
die präziseste Maschine der Welt könnte so etwas nicht herstellen.
Wie die Zahlen sind auch geometrische Figuren Abstraktionen,
die nicht in der realen Welt, sondern nur in unseren Köpfen existieren.

6 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Überhaupt geht es in der Mathematik nur und ausschließlich um
„Hirngespinste“. Sie ist eine Geisteswissenschaft im wahrsten Sinne
des Wortes – wenn dieser Begriff auch im deutschen Sprachgebrauch
anders besetzt ist.
Wenn wir also in den Dschungel der Mathematik aufbrechen,
dann treten wir eigentlich eine Reise in unseren Köpfen an. Ihre Reise
findet in Ihrem Kopf statt, meine Reise in meinem Kopf. Trotzdem
werden wir gemeinsam reisen und dieselben Dinge sehen. Hoffentlich
finden Sie das genauso faszinierend wie ich.

Als kleinen Reiseproviant bereite ich zum Abschluss dieses einlei-


tenden Kapitels gleich die erste Frage an Sie vor. Stellen Sie sich dazu
bitte ein in vier mal vier Quadrate unterteiltes Feld vor.

Sie haben einen Stapel Dominosteine zur Verfügung, von denen


jeder so groß wie zwei Quadrate ist. Sie sollen das gesamte Feld mit
Dominosteinen belegen und dabei diese Regeln beachten:

– Jeder Stein bedeckt zwei benachbarte Quadrate.

– Kein Quadrat darf frei bleiben.

– Die Steine dürfen nicht übereinanderliegen.

– Die Steine dürfen nicht über den Rand hinausragen.

Das ist nicht schwer. Man kann es zum Beispiel so machen:

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Klappt das auch mit fünf mal fünf Quadraten?

Das war die erste an Sie gerichtete Frage in diesem Buch. Sie ist
nicht schwer. Zunächst mal geht es nur darum, dass Sie sehen, wie
Fragen sich typographisch vom Rest des Textes abheben. Und Sie
sollen sich daran gewöhnen, über die Fragen nachzudenken, bevor
Sie weiterlesen. Also?
Natürlich kann man die Aufgabe mit fünf mal fünf Quadraten
nicht lösen. Das ergibt nämlich eine ungerade Anzahl von Quadraten,
während man mit den Dominosteinen immer nur eine gerade Anzahl
abdecken kann.
Jetzt wird es schwieriger. Wir betrachten ein Feld mit acht mal
acht Quadraten und nehmen an zwei gegenüberliegenden Ecken je
ein Quadrat weg. Das sieht dann so aus:

Kann man dieses Feld nach den Regeln


mit Dominosteinen bedecken?

Da Sie weiterlesen, haben Sie die Frage offenbar bereits beant-


wortet. Ich nehme an, Ihre Antwort ist nein. So einfach wie bei den
25 Quadraten kann man das aber nicht begründen, weil es diesmal
um eine gerade Anzahl (nämlich 62) geht. Doch woran liegt es denn
dann? Und sind Sie sich wirklich sicher? Würden Sie einen hohen
Geldbetrag darauf verwetten wollen? Haben Sie es nur ein paarmal
versucht und dann aufgegeben oder könnten Sie einen Zweifler über-
zeugen, dass es tatsächlich unmöglich ist? Das ist die eigentliche Frage,
mit der ich das Kapitel beende:

Können Sie „wasserdicht“ begründen,


warum es nicht klappt?

8 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Obwohl diese Frage nicht direkt mit der Formel für π zusam-
menhängt, um die es gehen soll, werden wir wieder auf sie zurück-
kommen, weil Sie uns etwas über die Denk- und Arbeitsweise von
Mathematikern zeigen kann.

Noch ein Hinweis: Ich wollte das Buch nicht mit Fußnoten zukleistern.
Aber ab und an werden Sie im Text kleine Sternchen entdecken. Die ver-
weisen auf den Abschnitt mit der Überschrift Anmerkungen am Ende des
Buches. In einigen Fällen finden Sie in dem kleinen Anhang auch Antworten
auf die Fragen, die zwischendurch gestellt werden. Ehrensache, dass Sie es
erst selbst versuchen, bevor Sie nachschauen!

AB IN DEN DSCHUNGEL 9
NICHT VON PYTHAGORAS

Stephen Hawking erhielt von seinem Verleger den Rat, auf Formeln
in seinem ersten Buch zu verzichten, weil jede Formel die Anzahl
der potentiellen Käufer halbieren würde. Hawking hielt sich daran.
Aber ich bezweifle, dass dies der wesentliche Grund dafür war, dass
A Brief History of Time ein Weltbestseller wurde.
Damit Sie gegebenenfalls – falls Sie in der Buchhandlung die
ersten Seiten durchblättern – dieses Buch schnell wieder ins Regal
stellen können, kommt hier als Warnung gleich eine Formel:
     
n+1 n n
= +
k+1 k k+1

In einem Buch über Mathematik kann man nämlich nur dann


gänzlich ohne Formeln auskommen, wenn man sich entweder darauf
beschränkt, lediglich Bagatellen und Anekdoten zum Besten zu geben,
oder wenn man so schreibt wie Blaise Pascal im 17. Jahrhundert:

Wenn es vier beliebige Zahlen gibt, von denen die erste be-
liebig ist, die zweite um die Einheit größer als die erste, die
dritte beliebig, nur nicht kleiner als die zweite, die vierte um
die Einheit kleiner als die dritte; dann ist die Zahl der Kombi-
nationen der ersten in die dritte, vermehrt um die Zahl der
Kombinationen der zweiten in die dritte, gleich der Zahl der
Kombinationen der zweiten in die vierte.

Dieses Zitat sagt dasselbe aus wie die obige Formel. Aber nie-
mand wird wohl ernsthaft behaupten wollen, dass es verständlicher
sei. Die Formel ist im Gegensatz dazu kurz und präzise. Formeln

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_2
sind Bestandteile einer Fachsprache, mit deren Hilfe man sich un-
missverständlich und ohne große Umschweife verständigen kann.
Allerdings muss man zugegebenermaßen die Sprache der Mathematik
erst lernen und sich an sie gewöhnt haben, bevor man solche Formeln
verstehen kann. Aber auch eine Musikerin muss die Notensprache
lernen und Routine entwickeln, bevor sie ein Stück von Bach vom
Blatt spielen kann.
Sie werden nun vielleicht einwenden, dass Sie weder Bach vom
Blatt spielen noch eine professionelle Mathematikerin werden wol-
len. Das sehe ich auch ein. Ich werde keine Formeln um ihrer selbst
willen präsentieren. Aber auch in einem Buch, das sich an Nicht-
mathematiker richtet, sind Formeln ab und zu der einfachste Weg,
bestimmte Sachverhalte zu kommunizieren. Wann immer es mög-
lich ist, werde ich mit Skizzen und normaler Alltagssprache arbeiten.
Doch Sie werden ab und zu auch Formeln sehen. Lassen Sie sich da-
von nicht abschrecken. Mein Ziel ist, dass jeder, der will und sich ein
bisschen Mühe gibt, dieses Buch verstehen kann. Ich werde Ihnen das
möglichst leicht machen. Trotzdem bleibt es bei dem, was angeblich
schon vor über 2000 Jahren Euklid zu Pharao Ptolemaios sagte: Es
gibt keinen Königsweg zur Mathematik.

Übrigens sind Formeln nicht nur die Fachsprache der Mathematik,


sondern auch eine unverzichtbare Denkhilfe. Jede Mathematikerin
wird Ihnen bestätigen, dass man den Gedanken wunderbar auf die
Sprünge helfen kann, indem man das, was man schon weiß, in For-
meln aufschreibt. Dadurch wird oft ein „algebraischer Autopilot“ in
Gang gesetzt, der Transformationen und Vereinfachungen vorschlägt,
die ohne diese konzise Darstellung vielleicht niemals ans Tageslicht
gekommen wären.
Viele Wissenschaftshistoriker vertreten die Ansicht, dass die ex-
plosionsartige Entwicklung der Mathematik seit Beginn der Neuzeit
nur deshalb möglich war, weil ein neues Werkzeug zur Verfügung
stand, dessen Gebrauch sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts in
Europa ausbreitete: die mathematische Formelsprache. In diesem

12 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Zusammenhang wird der Franzose François Viète oft als „Vater der
Algebra“ bezeichnet, weil er systematisch Symbole für Rechenopera-
tionen benutzte und das Rechnen mit Buchstaben einführte. Letz-
teres hatte zwar schon Diophantos von Alexandria, dessen Werke
Viète kannte, in der Antike zaghaft begonnen, aber vor Viète hatte
niemand das aufgegriffen. Wie im Pascal-Zitat am Anfang des Kapitels
wurde alles mühsam in ganzen Sätzen aufgeschrieben.
Wohl ebenso wichtig für die Entwicklung einer universellen
Formelsprache war René Descartes. Den lernen wir bald kennen.

Aber da wir schon über Formeln reden, fange ich mit der wahr-
scheinlich bekanntesten mathematischen Formel überhaupt an:

a2 + b 2 = c 2

Viele Menschen, die mehr oder weniger die gesamte Mathematik


ihrer Schulzeit vergessen haben, können sich zumindest noch an
den Satz des Pythagoras erinnern, und für sie ist diese Formel, die sie
irgendwann mal auswendig gelernt haben, dieser Satz.
Dabei ist das gerade ein äußerst schlechtes Beispiel für die Ver-
wendung einer Formel. (Wir haben ja auch gerade gelernt, dass vor
Viète und Descartes niemand das so aufgeschrieben hätte. Schon
gar nicht Pythagoras, den über zweitausend Jahre von den beiden
trennen.) Der Satz des Pythagoras ist eine geometrische Aussage über
rechtwinklige Dreiecke.

Die Formel a 2 +b 2 = c 2 ergibt in diesem Fall nur dann Sinn, wenn


man sich darauf einigt, die lange Seite des Dreiecks (die sogenannte
Hypotenuse) immer c zu nennen und die beiden kurzen Seiten (die
Katheten) immer a und b . Das mag vielleicht in der Schule so sein,
aber im „wirklichen Leben“ stimmt das mit Sicherheit nicht. Merken
sollte man sich den Satz besser so:

N I CHT VO N PY TH AG O R A S 13
Er besagt, dass die Summe der Flächen der beiden kleinen Qua-
drate der Fläche des großen Quadrates entspricht. In der Skizze kann
man das sogar anhand der Kästchen überprüfen. Zählen Sie nach!
Pythagoras war mit Sicherheit nicht der Erste, der diesen Zu-
sammenhang erkannt hat. Man weiß, dass er lange vor seiner Zeit
bereits den Ägyptern und Babyloniern geläufig war. Sie haben ihn
allerdings „nur“ wie einen Erfahrungswert angewendet. Aus heutiger
Sicht könnte man sagen, dass sie wie Ingenieure gehandelt haben und
nicht wie Mathematiker. Die ersten wirklichen Mathematiker in die-
sem Sinne waren die Griechen vor etwa 2500 Jahren. Sie erkannten,
dass Aussagen wie der Satz des Pythagoras universelle Wahrheiten
über die im ersten Kapitel thematisierten abstrakten „Kopfgeburten“
waren. Und sie wollten diese Aussagen beweisen.
Ob Pythagoras nun der erste Mensch war, der den nach ihm
benannten Satz bewiesen hat, und ob er ihn überhaupt bewiesen
hat, wissen wir nicht und wir werden es wohl auch nie erfahren.
Viele Forscher bezweifeln es jedenfalls und glauben, dass er eher ein
einflussreicher Religionsführer als ein Wissenschaftler war. Aber auf
jeden Fall gibt es inzwischen Hunderte von Beweisen für diesen wohl
berühmtesten aller mathematischen Sätze. Ich persönlich finde die
besonders schön, die ohne Worte auskommen. Hier ein Beispiel:

14 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Kommt der Beweis wirklich ohne Worte aus?
Überzeugt er Sie?

Im nächsten Kapitel werde ich noch etwas ausführlicher auf das


Beweisen eingehen. Als Vorbereitung darauf habe ich wieder eine
Frage an Sie. Dabei geht es um einen Kreis, auf dessen Rand wir ein
paar Punkte setzen. Jeder dieser Punkte wird nun mit jedem anderen
durch eine im Kreis verlaufende Linie verbunden, wobei die Linien
sich manchmal schneiden werden.

Dabei halten wir die beiden folgenden Regeln ein:

– Es gibt keine „überflüssigen“ Schnittpunkte.

– Durch jeden Schnittpunkt verlaufen maximal zwei Linien.

Diese drei Linienverläufe wären also nicht erlaubt:

Die Linien teilen das Innere des Kreises in Gebiete auf und die
Anzahl der Gebiete hängt von der Anzahl der Punkte ab. Sie sollten
das selbst vielleicht vorsichtshalber nachzählen, ich habe aber die
Zahlen aus der ersten Skizze schon mal in eine Tabelle eingetragen.

Punkte 1 2 3 4 5

Gebiete 1 2 4 8 16

Wie geht es weiter?


Wie viele Gebiete bekommt man bei sechs Punkten?

N I CHT VO N PY TH AG O R A S 15
WAS BEWEISEN BEWEISE?

Haben Sie die Frage am Ende des letzten Kapitels mit 32 beantwortet?
Das ist falsch. Die richtige Antwort ist 31. Man kann auch einfach
nachzählen, aber ich habe versucht, durch die folgende Skizze klarzu-
machen, warum 31 herauskommt:

Wenn einem durch dieses Wimmelbild nicht ganz blümerant vor


Augen wird, dann sieht man, dass es fünf „Sorten“ von Gebieten
gibt, von denen jede sechsmal vorkommt. Das ist schön symmetrisch
und ergibt 30 Gebiete. Unsere Regeln verbieten, dass sich drei Linien
in der Mitte treffen; darum kommt noch das kleine leere Gebiet im
Zentrum hinzu.
Ich hoffe allerdings geradezu, dass Ihre Antwort 32 und nicht 31
war. Nicht etwa aus Schadenfreude, sondern weil dieses Beispiel sehr
schön einige grundlegende Aspekte des mathematischen Arbeitens
beleuchtet. Dass als nächste Zahl 32 kommen müsste, war nahelie-

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gend, weil sich in der Tabelle die Anzahl der Gebiete in jedem Schritt
verdoppelt hat: 1, 2, 4, 8, 16. Man konnte ein Muster erkennen. Das
ist ein Begriff, der häufig benutzt wird, wenn jemand versucht, zu
erklären, was Mathematik eigentlich ist. Ich finde beispielsweise den
Definitionsversuch im deutschen Wikipedia-Artikel zur Mathematik
nicht schlecht. Dort steht, Mathematik sei eine Wissenschaft,

die selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik


auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.

Die „selbstgeschaffenen abstrakten Strukturen“ sind die schon er-


wähnten Kopfgeburten. Über die Muster reden wir gerade.
Der Haken bei der Sache mit den Gebieten war, dass das scheinba-
re Muster sich als falsche Spur erwiesen hat. Hier ließ sich das relativ
leicht erkennen: man musste einfach noch einen weiteren Punkt
hinzunehmen. Im mathematischen Alltag hat man es aber manchmal
mit deutlich extremeren Fällen zu tun. In der Zahlentheorie gibt
es Beispiele für „offensichtliche“ Muster (auf die ich aufgrund ihrer
Komplexität an dieser Stelle nicht näher eingehe), von denen man
inzwischen weiß, dass sie genauso falsch sind wie der Fehlschluß mit
der 32, bei denen aber selbst der schnellste Computer der Welt nach
Jahrhunderten kein Gegenbeispiel finden würde.
Das ist gleichzeitig das Faszinosum und die Crux der Mathematik.
Die „selbstgeschaffenen abstrakten Strukturen“ sind Menschenwerk.
Aber nachdem wir sie erdacht haben, entwickeln sie ein Eigenleben
und gehorchen Regeln, die uns eventuell (noch) nicht bekannt sind.
Wir haben zwar die Freiheit, diese Strukturen zu imaginieren und
uns Fragen über sie zu stellen, aber die Antworten können wir uns
nicht aussuchen. Wieso das so ist, haben sich schon viele Mathema-
tikerinnen und Philosophen gefragt, aber niemand hat bisher eine
zufriedenstellende Erklärung finden können. Als Mathematiker hat
man gelegentlich das Gefühl, Zahlen, geometrische Figuren und an-
dere mathematische Objekte würden unabhängig von den Menschen
existieren und von der Mathematik so untersucht werden wie die
reale Welt von den Naturwissenschaften.

18 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Diese Sichtweise wird gemeinhin als Platonismus bezeichnet.
Denkt man solche Gedanken jedoch zu Ende, so kommt man sehr
schnell in Erklärungsnöte, wenn man nicht ins Esoterische abdriften
will: Wenn es neben der realen physikalischen Welt und der mentalen
Welt unserer Gedanken noch eine dritte „ideale“ Welt der mathema-
tischen Objekte gibt, wo befindet die sich dann und wie und wieso
können wir mit ihr in Kontakt treten?

Solche Fragen werde ich sicher nicht in diesem Buch beantworten


können. Aber gegebenenfalls wird beim Nachdenken darüber klarer,
was bei der Geburt der Mathematik als Wissenschaft im antiken
Griechenland passiert ist und welche Rolle Beweise dabei spielten.
Vielleicht haben Sie sich ja im letzten Kapitel gefragt, wieso man den
Satz des Pythagoras beweisen musste, wenn doch schon die Ägypter
und Babylonier Jahrhunderte vorher wussten, dass er wahr ist.
Wir wissen nicht, was die Griechen damals gedacht haben, aber
ich stelle mir das in etwa folgendermaßen vor: Ja, die Erfahrung lehrt
uns, dass die Summe der beiden Quadratflächen über den Katheten
immer der Fläche des Quadrates über der Hypotenuse entspricht,
wenn wir es mit einem rechtwinkligen Dreieck zu tun haben. Aber
das stimmt immer nur ungefähr, weil es in der Realität unmöglich ist,
Längen oder Flächen exakt zu messen. Ganz abgesehen davon, dass
es in der wirklichen Welt auch keine Dreiecke mit perfekt geraden
Seiten und einem makellosen rechten Winkel gibt. Wenn dieser Satz
also stimmt, dann nur, wenn er als Aussage über idealisierte Objekte
interpretiert wird.
Aber in der „idealen“ Welt kann ich mir unendlich viele verschie-
dene rechtwinklige Dreiecke vorstellen. Und kein einziges von denen
kann ich ausmessen. Wie soll ich da irgendeine Aussage über recht-
winklige Dreiecke auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können?
Die Antwort ist der Nachwelt insbesondere in der Form eines
Buches überliefert worden, das mehr als zwei Jahrtausende lang als
Blaupause dafür galt, wie Mathematik zu sein hat. Ich meine die
Elemente von Euklid von Alexandria, die zumindest bis zum Ende

WA S B E W E I S E N B E W E I S E ? 19
des 19. Jahrhunderts das nach der Bibel meistverbreitete Werk der
Weltliteratur waren. Euklid verwendete – das klang vorhin in der
Wikipedia-Definition schon an – die Mittel der Logik, um zu begrün-
den, warum Aussagen wie beispielsweise der Satz des Pythagoras
wahr sind.
Er führte nicht etwa (unendlich viele) „Experimente“ durch, in
denen Flächen von Quadraten verglichen wurden. Er überzeugte
stattdessen seine Leser mit Argumenten und verließ sich dabei darauf,
dass gewisse Regeln des logischen Schließens bei jedem Leser voraus-
gesetzt werden können – zum Beispiel der folgende Klassiker: Wenn
alle Menschen sterblich sind und Sokrates ein Mensch ist, dann ist
Sokrates sterblich.

Mit Logik alleine ist es aber nicht getan. Irgendwann muss ja auch
die Geometrie ins Spiel kommen. Vielleicht ist Ihnen schon beim
„Beweis ohne Worte“ für den Satz des Pythagoras aufgefallen, dass der
nur dann überzeugend ist, wenn man bestimmte Dinge voraussetzt.
Beispielsweise werden dort je zwei kongruente (also: deckungsglei-
che) rechtwinklige Dreiecke aneinandergesetzt, um Rechtecke zu
erhalten. Aber wieso ergeben sich da vier rechte Winkel? Weil in
jedem Dreieck die Summe aller Innenwinkel 180 Grad beträgt. Doch
woher wissen wir das? Das muss eigentlich auch erst bewiesen wer-
den. Und wenn wir das beweisen, brauchen wir wahrscheinlich auch
wieder irgendeine Voraussetzung, die wir nicht einfach so schlucken
wollen, sondern ebenfalls erst beweisen müssen. Das ist wie mit ei-
nem kleinen Kind, das mit einer „Warum“-Frage anfängt und dem
zu jeder Antwort eine weitere „Warum“-Frage einfällt. Man hat das
Gefühl, das könne ewig so weitergehen.
Das hatte sich Euklid wohl auch gedacht. Irgendwann muss mal
Schluss sein! Darum fängt sein Buch mit einigen wenigen Axiomen
und Postulaten an. Damit meinte Euklid Aussagen, die für jeden Leser
so evident sind, dass sie keines Beweises bedürfen. Beispielsweise,
dass man zwei verschiedene Punkte immer durch eine gerade Linie
verbinden kann. Alles, was sonst noch in den Elementen steht, wird

20 PI UND DIE PRIMZAHLEN


bewiesen, indem es mit logischen Argumenten aus den Axiomen
oder aus bereits bewiesenen Aussagen hergeleitet wird.
Über die Jahrtausende galt diese axiomatische Methode als erstre-
benswertes Ideal einer exakten Wissenschaft. Und auch heute noch
wird sie in den ersten Semestern eines Mathestudiums eingesetzt. Die
Studentinnen lernen, wie man – zumindest im Prinzip – die gesamte
Mathematik auf der Basis einiger weniger Axiome aufbauen kann.
Erwähnen sollte ich aber auch, dass ab dem Ende des 19. Jahrhun-
derts sowohl Euklids Axiome als auch die axiomatische Methode an
sich (also im gewissen Sinne die Mathematik selbst) von der Mathe-
matik kritisch unter die Lupe genommen wurden. Das gipfelte in
der sogenannten Grundlagenkrise und den berühmten Unvollstän-
digkeitssätzen von Kurt Gödel. Das ist alles höchst spannend, wäre
aber Stoff für ein ganz anderes Buch.

Am mathematischen Alltag haben diese Ereignisse auch nicht wirk-


lich etwas geändert. Nach wie vor besteht die Haupttätigkeit der
Mathematiker darin, Aussagen zu beweisen. Und immer noch sind
Beweise eigentlich Geschichten, mit denen man seine Zuhörer über-
zeugen will. Wie detailliert und formal diese Geschichten sind und
was man voraussetzt, hängt natürlich vom intendierten Publikum
ab, aber das Prinzip ist immer gleich.
So werden wir es auch in diesem Buch halten. Mein Ehrgeiz ist,
alle wesentlichen Aussagen zu beweisen. Sie sollen mir nicht einfach
glauben, sondern in die Lage versetzt werden, alle meine Behauptun-
gen zu überprüfen. (Unter anderem auch dafür sollten Sie im ersten
Kapitel Papier und Bleistift in Ihren Rucksack packen!) Wir werden
nicht bei Adam und Eva anfangen und darum werde ich ein paar Klei-
nigkeiten dann doch augenzwinkernd voraussetzen. Auch werde ich
bei geometrischen Sachverhalten gelegentlich an Ihre Anschauung
appellieren. Alle wirklich wichtigen Aussagen werden aber bewiesen
werden – wenn auch nicht so formal wie im Mathestudium.
Sollte Ihnen trotzdem das Buch an manchen Stellen nicht präzise
genug sein, so kann ich nur entgegnen, dass es als popurlärwissen-

WA S B E W E I S E N B E W E I S E ? 21
schaftlicher Appetithappen und nicht als Fachbuch gedacht ist. Eine
solche kritische Haltung Ihrerseits deutet aber vielleicht darauf hin,
dass Sie ein Studium der Mathematik in Erwägung ziehen sollten. . .

Noch etwas muss ich vorausschicken, bevor es mit dem Beweisen


losgeht. Schreibt eine Expertin einen Beweis für Kollegen auf, dann
wissen die, was sie erwartet. Das Nachvollziehen jedes einzelnen
Gedankengangs kann harte Arbeit sein, gehört aber zum Job dazu.
Von einem Fachartikel erwartet man neue und interessante Resultate,
aber typischerweise keine didaktischen Hilfestellungen.
Als Autor eines Mathebuches, das möglichst viele Leser mitneh-
men will, ist man jedoch in der Zwickmühle. Wie man’s macht,
macht man’s verkehrt. Ist man zu ausführlich, vergrault man die
fortgeschrittenen Leserinnen. Ist man zu knapp, hängt man manche
schon am Anfang ab. Noch schlimmer: Kein Argument kann man
so formulieren, dass es für jeden gleich gut verständlich ist. Manch-
mal kann ein einziges Wort den Unterschied zwischen schlagartiger
Einsicht und böhmischem Dorf ausmachen. Aber dieses Wort ist
nicht für jeden Leser das gleiche.
In Mathebüchern (auch in diesem) wimmelt es von Ausdrücken
wie „offensichtlich“, „offenbar“ und „klar“ und es kann sehr frus-
trierend sein, wenn man partout nicht auf etwas kommt, was für
den Autor scheinbar so simpel war, dass es nicht der Erwähnung
bedurfte. Ich bin mir leider fast sicher, dass es Ihnen auf den nächsten
Seiten auch ab und zu so gehen wird. Ich könnte Sie damit zu trösten
versuchen, dass auch ich dieses Erlebnis immer mal wieder habe, ob-
wohl ich mich seit Jahrzehnten beruflich als Mathematiker betätige.
Wichtiger als der Trost ist aber die richtige Strategie, mit so etwas
umzugehen: Werfen Sie nicht die Flinte ins Korn (oder das Buch
aus dem Fenster), sondern lesen Sie erst mal weiter. Ein völlig un-
verständlicher Satz kann ganz anders aussehen, wenn man ihn nach
der Lektüre der folgenden Seiten oder am nächsten Tag erneut liest.
Außerdem muss man mitunter einen Absatz auch mehrfach oder
ganz langsam lesen oder ein paar Seiten zurückblättern und etwas

22 PI UND DIE PRIMZAHLEN


nachschlagen. (Das Buch hat einen umfangreichen Index!) Ich hatte
ja schon im ersten Kapitel gewarnt, dass Sie beim Lesen wohl etwas
Arbeit investieren müssen. . .
Schließlich gibt es ab und an noch einen ganz anderen Grund
dafür, dass man etwas beim Lesen nicht versteht: Das, was da steht, ist
schlicht und einfach falsch! Es kann sich um einen simplen Tippfehler
handeln, der aber fatale Auswirkungen hat und den ganzen Sinn ei-
ner Aussage umkehrt. Dem Autor kann aber auch etwas unterlaufen
sein, das man im Englischen mit dem hübschen Ausdruck brain fart
umschreibt. So etwas ist gerade für Anfänger besonders problema-
tisch, weil die den Fehler bei sich selbst suchen werden. Ich kann
aus leidiger Erfahrung in der Vergangenheit berichten, dass Bücher
immer Fehler enthalten – egal, wie sorgfältig man beim Schreiben
war. Sollten Sie in diesem Buch einen Fehler finden (oder nach län-
gerem Grübeln glauben, einen gefunden zu haben), dann schicken
Sie mir gerne eine E-Mail. Ich freue mich auch über den kleinsten
Tippfehler, der in zukünftigen Auflagen ausgemerzt werden kann.
Sollte es trotz allem ein oder zwei Gedanken in diesem Buch
geben, die Ihnen verschlossen bleiben, dann trübt das hoffentlich
nicht den Spaß am Rest. In Erinnerung bleiben auch den Profis
bei mathematischen Beweisen nur die großen Ideen und nicht die
kleinen, nickligen Details.

Zum Schluss eine harte Nuss, falls Sie Spaß an so etwas haben.
(Ansonsten überspringen Sie diese Frage bitte einfach. Für den Rest
des Buches werden wir sie nicht brauchen.)
Das naheliegende, aber falsche Muster vom Anfang des Kapitels
war, dass man bei n Punkten 2n−1 Gebiete erhält. Das hat sich bereits
für n = 6 als nicht richtig herausgestellt. Es gibt allerdings eine
Formel, die für jede Anzahl von Punkten funktioniert.

Wie sieht diese Formel aus?

WA S B E W E I S E N B E W E I S E ? 23
DIE KREATIVEN

Ich hoffe, Sie haben sich an dem Problem mit den Dominosteinen
am Ende des ersten Kapitels versucht. Haben Sie einen Beweis da-
für gefunden, warum man das Feld nicht nach den Regeln bedecken
kann? Ich habe diese Frage schon vielen Nichtmathematikern gestellt.
Die meisten sind nach einer gewissen Zeit des Rumprobierens und
Nachdenkens überzeugt, dass es nicht geht. Die wenigsten können je-
doch eine Begründung dafür finden, die einer genauen Begutachtung
wirklich standhält. Häufig enthält so eine Begründung den Keim
einer Idee, aber selten gelingt es den Befragten, sie so zu Ende zu
denken und auszuformulieren, dass sie damit auch andere Menschen
– insbesondere Mathematiker – überzeugen können.
Ausgebildete Mathematikerinnen sind ziemlich gut darin, Lücken
in vorgeblichen Beweisen zu finden. Sie trainieren während ihres ge-
samten Studiums, skeptisch gegenüber den eigenen Gedankengängen
und den Argumenten anderer zu sein. Wurden auch alle möglichen
Fälle durchdacht? Geht in die Begründung nicht implizit eine Vo-
raussetzung ein, die man gar nicht machen darf? Und so weiter.
Leider bietet dieses Buch mir nicht die Möglichkeit, mich mit
Ihrer Lösung zu beschäftigen. Aber vielleicht gehen Sie mit sich selbst
noch mal kritisch ins Gericht. Haben Sie nur so ein Gefühl, dass es
nicht funktionieren wird, oder sind Sie sich absolut sicher? Könnten
Sie jederzeit einen zweifelnden Freund oder eine Verwandte dazu
bringen, auch so sicher zu sein?
Hier ein Beweis, der Sie definitiv überzeugen wird: Färben Sie die
Quadrate abwechselnd schwarz und weiß wie bei einem Schachbrett.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_4
Man sieht sofort, dass es mehr schwarze als weiße Felder gibt, weil
an den Ecken zwei weiße Felder entfernt wurden. Wenn man jedoch
nach den Regeln Dominosteine platziert, dann muss zwangsläufig
jeder Stein immer ein schwarzes und ein weißes Quadrat abdecken.
Wie man es auch macht, es müssen unbedeckte schwarze Quadrate
übrig bleiben. Also ist es unmöglich, alle Quadrate abzudecken!

Warum reite ich so auf dieser Frage herum? Weil sie mehrere Dinge,
die mir wichtig sind, exemplarisch zeigt. Zunächst mal sieht man,
dass man zur Lösung dieses Problems eine originelle Idee haben
muss. Es gibt kein fertiges Verfahren, das man einfach nur lernen
und anwenden muss.
Leider wird durch den Unterricht an Schulen (und auch an Hoch-
schulen) häufig der Eindruck erweckt, man müsse nur bestimmte
„Rezepte“ büffeln und diese fehlerfrei nachäffen, um auf die eine
richtige Lösung zu kommen (für die es dann Punkte gibt). Wenn
das Mathematik wäre, dann gäbe es den Beruf des Mathematikers
schon lange nicht mehr, weil Computer viel besser als wir Menschen
Rezepte abarbeiten können. Insbesondere vergessen Sie auch nichts
und machen keine Fehler. Die Jobs der Mathematikerinnen sind
(noch) sicher, weil richtige Mathematik ein hohes Maß an Kreativität
erfordert, die Computer nicht aufbringen können.
Auch deshalb ärgere ich mich immer mal wieder darüber, dass
gewisse Berufsgruppen die Kreativität ausschließlich für sich bean-
spruchen. Im deutschen Sprachraum versteht jeder, was mit Wör-
tern wie „Kreativbranche“ oder „kreative Berufe“ gemeint ist. Wenn
jemand einen Job in einer Werbeagentur hat und an dem immer
gleichen Supermarktprospekt arbeitet, der jede Woche unverlangt in

26 PI UND DIE PRIMZAHLEN


den Briefkästen landet, dann ist er automatisch „ein Kreativer“ und
hat eventuell sogar eine Visitenkarte, auf der Creative Director steht.
Aber ist das wirklich so wahnsinnig kreativ und verdienen andere
Branchen dieses Etikett deswegen nicht?
Ich glaube, dass dieser Alleinvertretungsanspruch nur dadurch
zustande kommen kann, dass den meisten Menschen nicht klar ist,
wie viel Kreativität auch in anderen Berufen vonnöten ist. Ohne sei-
ne Kreativität und Originalität hätte beispielsweise Einstein nie die
allgemeine Relativitätstheorie entwickeln können. Oder Darwin die
Evolutionstheorie. Man muss als Beleg aber gar nicht die großen wis-
senschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte anführen.
Wenn man nur mit offenen Augen durch die Welt geht, erkennt man
auch die Kreativität der Ingenieure in vielen technischen Vorrichtun-
gen, ohne die unsere moderne Welt nicht mehr vorstellbar wäre.
Und so ist es ebenfalls mit der Mathematik. Als Schüler bewegt
man sich durch diesen Dschungel leider meistens nur an der Hand
eines Reiseführers auf schon lange ausgetretenen Pfaden. Aber das
Erkunden neuer Gebiete, in die sich bisher niemand vorgewagt hat,
erfordert nicht nur Mut und Ausdauer, sondern eben auch Kreativität,
wenn man nicht nur im Kreis herumlaufen will.

Die Dominosteine eignen sich auch noch zur Illustration eines


weiteren Punktes. Egal, ob man selbst auf die Lösung kommt oder
ob sie einem nach längerem Grübeln verraten wird, es stellt sich
ein Aha-Erlebnis ein. Das wird im Englischen auch eureka moment
benannt, womit passenderweise Bezug genommen wird auf eine
Legende um den antiken Mathematiker (!) Archimedes von Syrakus.
Und der französische Mathematiker und Philosoph Henri Poincaré
sprach in diesem Zusammenhang von der „Freude des Verstehens“
als Motivationsquelle der Wissenschaftler.
Wie auch immer man es nennen will, dieser Moment des Erken-
nens ist mit einem sehr positiven Gefühl verbunden. Lassen Sie mich
dazu etwas aus meiner eigenen Vergangenheit erzählen. In den ersten
Semestern des Mathestudiums mussten meine Kommilitonen und

D I E K R E AT I V E N 27
ich jede Woche umfangreiche Hausaufgaben bearbeiten. Wir haben
natürlich öfter ob des Arbeitsaufwandes gestöhnt. Aber gleichzeitig
waren diese Aufgaben auch immer eine Herausforderung und führ-
ten zu echten Glücksgefühlen, wenn man sie – teilweise erst nach
tagelangem Nachdenken – gelöst hatte. Ich bezeichne den Zustand
in Anlehnung an Poincaré sogar manchmal als Eros des Verstehens
und behaupte, dass er süchtig machen kann.
Drei Jahrzehnte nach meinem eigenen Studium hat sich das Haus-
aufgabenpensum im Studienfach Mathematik nicht geändert. Anders
als damals könnte man heutzutage jedoch für die meisten dieser Auf-
gaben Lösungen im Internet finden. Ich kenne allerdings mehrere
junge Frauen und Männer, die momentan Mathematik studieren,
und kann berichten, dass die überhaupt nicht an solchen „Abkür-
zungen“ interessiert sind. Offenbar sind sie von der gleichen Sucht
erfasst wie ich früher und wollen die Freude des Verstehens nicht für
billig erworbene Punkte opfern.

Wenn in den Medien mal von Mathematik die Rede ist, wird gerne
über berühmte Probleme berichtet, an denen unzählige Koryphäen
sich schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten die Zähne ausgebis-
sen haben. Vielleicht haben Sie auch schon mal von der Riemannschen
Vermutung, dem P-NP-Problem oder den Navier-Stokes-Gleichungen
gehört. Löst man so ein Problem, dann ist einem weltweiter Ruhm
gewiss. Und manchmal gibt es noch hohe Preisgelder obendrauf.
Solche Gipfel erklimmen natürlich immer nur ganz wenige Aus-
erwählte. Aber um Poincarés Freude des Verstehens genießen zu
können, muss man nicht der erste Mensch sein, der eine Frage beant-
wortet, und es ist auch gar nicht wichtig, wie schwierig das Problem
war, das man gelöst hat, weil das ohnehin subjektiv ist. Das Glücks-
gefühl, das die kreative Auseinandersetzung mit der Mathematik
bescheren kann, steht jedem offen.

Haben Sie sich gewundert, als ich erzählte, dass es Hunderte von
Beweisen für den Satz des Pythagoras gibt? Für viele mathematische

28 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Sätze gibt es mehr als einen Beweis. Hunderte gibt es nicht so oft,
es kommt jedoch ziemlich häufig vor, dass es mehr als zwei sind.
Und wenn Sie einen neuen Beweis für einen längst bewiesenen Satz
entwickelt haben, dann wird sich auch eine Fachzeitschrift finden,
die ihn veröffentlicht. Aber wenn der erste Beweis Sicherheit darüber
verschafft, dass eine Aussage wahr ist, wofür braucht man dann noch
einen zweiten oder einen dritten Beweis? Kann ein Satz wahrer als
wahr sein? Nein, darum geht es nicht.
Erstens haben Beweise eine erklärende Funktion. Wenn es nur
darum ginge, dass Beweise die Korrektheit von Theoreme belegen,
dann könnte man einfach die entsprechenden Aussagen memorieren
und sich darauf verlassen, dass in den Lehrbüchern schon nichts
Falsches stehen wird. Aber ein Großteil des Mathematikstudiums
besteht aus dem Lesen von Beweisen. Die sagen einem nämlich nicht
nur, dass etwas wahr ist, sondern auch, warum es wahr ist. Und da-
her liefern verschiedene Beweise unterschiedliche Gründe für die
Richtigkeit eines Satzes. Ein neuer Beweis stellt eventuell ganz an-
dere Zusammenhänge her als der erste und führt auf diesem Wege
vielleicht zu neuen Erkenntnissen.
Zweitens ist es ein gut gehütetes Geheimnis der Mathematik, dass
Ästhetik eine wichtige Rolle spielt. Gerade bei „großen“ Problemen,
die lange ungelöst waren, ist der erste Beweis oft zwar richtig, aber
gerne auch mal umständlich und verwirrend. Die Mathematikerin,
die diesen Beweis vorlegte, wollte womöglich nicht kurz vor der
Ziellinie von jemand anders überholt werden oder war vielleicht auch
vom langen Ringen um die Lösung zu erschöpft, um sich Gedanken
über die Lesbarkeit oder gar die Schönheit ihres Beweises zu machen.
Bei bedeutenden Resultaten werden sich aber immer andere finden,
die entweder den vorgelegten Beweis so lange schleifen und polieren,
bis er in voller Pracht erglänzt, oder die, nachdem der Satz nun
einmal bewiesen ist, einen ganz anderen, eventuell viel eleganteren,
kürzeren oder überzeugenderen Zugang finden.
Wir werden auf dem Weg zu unserer Formel für π noch einem
besonders gelungenen Beispiel für so eine ästhetische Evolution be-

D I E K R E AT I V E N 29
gegnen. Ein zentraler Beweis stammt aus dem Jahr 2007, während die
Aussage, um die es geht, bereits im 17. Jahrhundert erstmals bewiesen
wurde. (Vor 15 Jahren hätte ich das Buch in dieser Form also gar
nicht schreiben können.)
Für fast alle interessanten mathematischen Fragen gilt jedenfalls:
Viele Wege führen nach Rom. Mathematik ist nicht das, was Ihnen
in der Schule beigebracht wird.

Fällt Ihnen ein mathematisches Problem ein,


für das Sie mehr als einen Lösungsansatz kennen?

30 PI UND DIE PRIMZAHLEN


MENSCHENWERK

Die meisten Menschen denken wahrscheinlich, dass es in der Mathe-


matik in erster Linie um Zahlen geht und Mathematikerinnen den
ganzen Tag rechnen. Dem ist aber nicht so. Etwas flapsig formuliert
sind für das Rechnen heutzutage die Computer (die „Rechner“) zu-
ständig und für die Zahlen, die dabei herauskommen, interessieren
sich hauptsächlich die Ingenieure.
Aber Zahlen sind natürlich auch in der Mathematik eine der
wichtigsten Zutaten und im gewissen Sinne wird sich das ganze Buch,
das Sie gerade lesen, um Zahlen drehen. Wir hatten im ersten Kapitel
schon kurz darüber gesprochen, inwieweit Zahlen durch Abstraktion
entstehen und dass sie nicht so real wie beispielsweise ein Apfel sind.
In diesem Kapitel und dem folgenden werde ich etwas näher auf die
verschiedenen „Sorten“ von Zahlen eingehen, weil das für unsere
Reise noch wichtig sein wird.
Wie angekündigt werde ich meine Ausführungen ab und zu auch
mit historischen Anmerkungen würzen. Sie sollten das aber keines-
falls als akkurate Darstellung der Geschichte der Mathematik missver-
stehen. Die korrekte Wiedergabe „alter“ Mathematik ist schwierig,
weil sich sowohl Notation als auch Interpretation über die Jahrhun-
derte substantiell geändert haben.
Wer heute Mathematik lernt, lernt beispielsweise immer noch
Konzepte, die auf Archimedes, Leibniz oder Gauß zurückgehen.
Mathematik ist im Gegensatz zu den Naturwissenschaften kumulativ.
Was einmal richtig war, wird nicht durch neue Erkenntnisse obsolet.
Der Satz des Pythagoras wird nicht irgendwann widerlegt oder durch

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Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_5
ein „besseres“ Resultat ersetzt werden. Allerdings präsentieren die
modernen Lehrbücher uns die alten Ergebnisse in einer mit der Zeit
immer weiter optimierten Form, in der die Urheber ihre eigenen
Ideen nicht mehr wiedererkennen würden.

Jedes Kind, erwirbt heutzutage in der Schule eine Vorstellung da-


von, was mit einer Zahl wie 1,2 gemeint ist. Diese praktische und
ökonomische Schreibweise für Zahlen ist aber erst wenige Hundert
Jahre alt, also viel jünger als die Mathematik selbst. Archimedes hätte
damit nichts anfangen können, ebenso wenig wie mit der alternativen
Schreibweise als Bruch: 6/5.
Es geht bei diesen historischen Unterschieden aber nicht nur
um Schreibweisen und Symbole. Viel gravierender ist, dass die an-
tiken Mathematiker die Notwendigkeit einer solchen Notation gar
nicht verstanden hätten, da Sie das, was wir heute als Bruch bezeich-
nen, nicht als Zahl angesehen haben. Für sie war es bestenfalls ein
Verhältnis (ratio) von Streckenlängen.

Kurzum, wenn ich im Folgenden davon erzähle, wie sich mathe-


matische Konzepte entwickelt haben, dann verwende ich die uns
vertrauten Notationen und Begriffe, auch wenn ich damit nicht an-
gemessen wiedergeben kann, was in den Köpfen der Urheber dieser
Konzepte vorging.

Nun aber zu den Zahlen. Wenn erst einmal der große Schritt voll-
zogen wurde, zu zählen und durch Abstraktion Zahlen zu schaffen,
dann kommt in allen Kulturen – natürlich mit regional unterschied-
lichen Bezeichnungen – immer dasselbe heraus: eins, zwei, drei, vier,
und so weiter.
Man spricht passenderweise von den natürlichen Zahlen. Dem
Mathematiker Leopold Kronecker wird das Zitat zugeschrieben,
diese Zahlen habe „der liebe Gott gemacht“, während alles andere
Menschenwerk sei. (Die im ersten Kapitel erwähnten Erkenntnisse

32 PI UND DIE PRIMZAHLEN


der Anthropologen deuten allerdings eher darauf hin, dass auch die
natürlichen Zahlen Menschenwerk sind.)
Wie auch immer, die natürlichen Zahlen haben eine bestimmte
Ordnungsstruktur – sie sitzen quasi wie Hühner auf einer Stange.
Und sie haben eine ganz wesentliche Eigenschaft, die schon kleine
Kinder verstehen, wenn sie „Wer kennt die größte Zahl?“ spielen: Es
gibt keine größte natürliche Zahl; es geht immer weiter, weil jede
natürliche Zahl einen Nachfolger hat.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Wenn man das Konzept der natürlichen Zahlen verinnerlicht


hat, dann folgt als Nächstes das Rechnen mit ihnen. Addition und
Multiplikation haben sehr naheliegende Interpretationen im realen
Leben. Sie beantworten Fragen wie „Wie viele Schafe habe ich, wenn
zu drei Schafen noch vier hinzukommen?“ oder „Wie viele Äpfel
brauche ich, wenn jedes meiner drei Kinder vier bekommen soll?“

(Auch Subtraktion und Division kann man sich gut vorstellen. Sie
spielen aber gegenüber den anderen beiden Operationen in der moder-
nen Mathematik eine untergeordnete Rolle, über die wir im Zusam-
menhang mit der Algebra noch sprechen werden. Aus didaktischer
Sicht ist es daher unglücklich, dass man im Deutschen von den vier
Grundrechenarten spricht, weil die vier nicht gleichberechtigt sind.)

Historisch kommen nach den natürlichen Zahlen die rationalen


Zahlen, die so heißen, weil sie – wie oben bereits erwähnt – Ver-
hältnisse (beispielsweise von Strecken oder Flächen) repräsentieren.
Zwar gab es rationale „Zahlen“ bereits im alten Ägypten, aber in der
danach in Griechenland einsetzenden Entwicklung der Mathema-
tik als Wissenschaft haben sie nicht die Rolle gespielt, die sie heute
haben. Insbesondere wurden natürliche und rationale Zahlen nicht
„vermischt“.

MENSCHENWERK 33
Ich verwende jedenfalls die moderne Sichtweise und gehe davon
aus, dass Ihnen die rationalen Zahlen im Prinzip vertraut sind. Ich
wiederhole jedoch ein paar Dinge, um gegebenenfalls Ihr Gedächtnis
aufzufrischen:

– Rationale Zahlen werden üblicherweise durch Brüche darge-


stellt, also als Paare aus natürlichen Zahlen (Zähler und Nen-
ner), die durch einen Bruchstrich getrennt werden. Das kann
typographisch unterschiedliche Formen annehmen:

2/3 2
2/3 3

– Der Bruchstrich symbolisiert gleichzeitig die Division. 2/3


ist beispielsweise das, was man erhält, wenn man zwei durch
drei teilt. Es macht rein technisch auch keinen Unterschied,
ob man 2 : 3 oder 2/3 schreibt.

– Jede rationale Zahl kann auf unendlich viele verschiedene Ar-


ten als Bruch dargestellt werden. Statt 2/3 kann man zum
Beispiel auch 4/6 oder 20/30 schreiben. Den Übergang zwi-
schen den verschiedenen Darstellungsweisen bezeichnet man
als Erweitern bzw. Kürzen: Zähler und Nenner werden da-
für mit derselben Zahl multipliziert bzw. durch dieselbe Zahl
geteilt.

– Für jeden Bruch gibt es allerdings eine eindeutige gekürzte


Darstellung, in der Zähler und Nenner teilerfremd sind, also
keinen gemeinsamen Teiler haben. Im Beispiel wäre das 2/3.

– Für die Mathematik des 21. Jahrhunderts sind natürliche Zah-


len einfach spezielle rationale Zahlen. Die natürliche Zahl 5
und der Bruch 5/1 werden als identisch angesehen.

Eine einheitliche Sicht der Zahlen, wie ich sie in diesem Kapitel
zusammenfasse, hat sich erst im 19. Jahrhundert entwickelt. Sie ist

34 PI UND DIE PRIMZAHLEN


also der Endpunkt einer langen Entwicklung. Heute lernt das aber
jedes Kind in der Schule.

Wissen Sie noch, wie man mit Brüchen rechnet?


Das werden wir noch brauchen!

Nicht nur beim Rechnen, sondern auch bezüglich ihrer Anord-


nung sind natürliche Zahlen und Brüche „verträglich“. Teilt man
beispielsweise sechs Pizzen gerecht unter fünf Mathematikerinnen
auf, so erhält jede etwas mehr als eine ganze Pizza, aber deutlich
weniger als zwei Pizzen. Es ergibt also Sinn, zu sagen, dass die Zahl
6/5 größer als eins, aber kleiner als zwei ist.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Es lässt sich nun leicht zu je zwei vorgegebenen rationalen Zahlen


eine dritte finden, die zwischen diesen beiden liegt, die also größer
als die kleinere, aber kleiner als die größere ist.

Können Sie eine Formel dafür angeben?

Das hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens bedeutet es, dass


aus den übersichtlich separierten Punkten der obigen Darstellung
ein dichtgedrängter Zahlenstrahl wird (auf dem sich nun auch links
von der Eins Zahlen befinden).

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Und zweitens zeigt es, dass dieser Zahlenstrahl eine Abstraktion


ist, die nicht mit der physikalischen Realität übereinstimmt. Wie
dicht wir auch an ihn „ranzoomen“, er sieht immer gleich aus. Wir
werden immer unendlich viele rationale Zahlen finden, zwischen
denen jeweils wieder unendlich viele andere liegen. Es gibt keine
„Vergrößerungsstufe“, unterhalb derer es nicht mehr weitergeht, weil
wir auf Moleküle, Atome oder Quarks treffen.

MENSCHENWERK 35
Umso erstaunlicher ist es, dass das noch nicht alles ist! Schon den
Griechen der Antike war bekannt, dass es „Zahlen“ geben muss, die
nicht rational sind, die aber von der geometrischen Anschauung her
auch auf dem Zahlenstrahl zu finden sein müssen. Der Beweis dieser
überraschenden Tatsache ist ein Klassiker, den Sie vielleicht schon
mal gesehen haben. Weil er aber so schön ist, zeige ich ihn trotzdem.
Wir werden dabei wie die griechischen Mathematiker geome-
trisch anfangen, die Argumentation aber in der heutigen Sprache
formulieren. Stellen Sie sich ein Quadrat vor, dessen Seiten die Länge
eins haben. Zwei Seiten dieses Quadrates, die eine Ecke gemein-
sam haben, bilden zusammen mit der entsprechenden Diagonale ein
rechtwinkliges Dreieck.

Nach dem Satz des Pythagoras hat das Quadrat über der Diago-
nalen dieselbe Fläche wie die Summe der Quadrate über den Seiten
des ursprünglichen Quadrates. Wir wenden nun zweimal an, dass
ein Quadrat mit der Seitenlänge a die Fläche a · a hat. Die Quadrate
über den Seiten haben jeweils die Fläche 1 · 1 = 1, zusammen also die
Fläche 1 + 1 = 2. Wenn wir die Länge der Diagonale d nennen, so
muss folglich d · d = 2 gelten. Mit anderen Worten: Die Länge der
Diagonale muss eine „Zahl“ sein, deren Produkt mit sich selbst das
Resultat zwei liefert.

In der heutigen Sprechweise sagen wir, dass d die Zahl 2 ist, also
die Quadratwurzel von zwei. Damit setzen wir aber implizit schon

viel voraus – zuallererst, dass es so ein Objekt wie 2 überhaupt
gibt und man mit ihm rechnen kann! Nicht ohne Grund habe ich
im letzten Absatz Anführungszeichen verwendet; weil sich nämlich
unsere mathematischen Vorfahren gehütet hätten, die Länge der
Diagonale als eine Zahl zu betrachten. Euklid hätte nicht mal von
der Länge der Diagonale, sondern nur vom Verhältnis dieser Länge
zur Länge der Quadratseiten gesprochen.

36 PI UND DIE PRIMZAHLEN


An der Grundidee ändert diese ganz andere Perspektive glückli-
cherweise nichts. Wir werden nun begründen, warum d keine ratio-
nale Zahl sein kann. Das machen wir mit einer Technik, die Reductio
ad absurdum oder Beweis durch Widerspruch genannt wird. Im mathe-
matischen Kontext finden das manche Menschen verwirrend, aber
eigentlich benutzen wir alle regelmäßig diese Methode. Wenn Sie
beispielsweise sagen „Wenn Willi rechtzeitig zum Essen da sein will,
muss er fliegen können wie Superman“, dann ist das eine Reductio ad
absurdum. Sie wollen damit eigentlich nur zum Ausdruck bringen,
dass Willi zu spät zum Essen kommen wird. Formal gesehen wollen
Sie das „beweisen“. Und das machen Sie, indem Sie zeigen, dass aus
der gegenteiligen Annahme (er kommt rechtzeitig) etwas Unmög-
liches (er kann fliegen wie Superman) folgen würde. Weil Letzteres
nicht sein kann, muss auch die Annahme falsch sein. Also stimmt
Ihre Behauptung.
In unserem Fall nehmen wir an, d sei eine rationale Zahl. Dann
kann man d als gekürzten Bruch m/n schreiben. Wir erinnern uns
an die Rechenregeln für Brüche und daran, dass das Quadrat von d
zwei sein soll:
 2
m m2
2 = d2 = = 2
n n

Wenn wir beide Seiten dieser Gleichung mit n 2 multiplizieren,


erhalten wir 2n 2 = m 2 . Wegen des Faktors zwei ist 2n 2 eine gerade
Zahl. Da m 2 dieselbe Zahl ist, ist m 2 ebenfalls gerade. Dann muss m
auch gerade sein, denn ein Produkt einer ungeraden Zahl mit sich
selbst wäre wieder ungerade. Jede gerade Zahl kann man aber als
„zwei mal irgendwas“ schreiben. Wir haben also m = 2k , wobei k die
Zahl ist, die man erhält, wenn man m durch zwei teilt. Setzt man in
die vorherige Gleichung ein, so ergibt sich 2n 2 = m 2 = (2k) 2 = 4k 2 .
Und teilt man auf beiden Seiten durch zwei, so wird daraus n 2 = 2k 2 .
Mit exakt der gleichen Argumentation kann man nun begründen,
dass n gerade sein muss. Wenn aber m und n beide gerade sind,
dann ist m/n kein gekürzter Bruch! Und damit haben wir einen

MENSCHENWERK 37
Widerspruch gefolgert. Das impliziert, dass unsere Annahme, d sei
rational, falsch gewesen sein muss.

Begründen Sie, warum 3 auch nicht rational sein kann.

Hat man sich erst einmal mit dem Gedanken angefreundet, dass
Punkten auf dem Zahlenstrahl Zahlen entsprechen, dann drängt sich
die folgende Konstruktion auf:

1 2 3

Wir haben das Quadrat von vorhin auf den Anfang des Zah-
lenstrahls gesetzt und die Länge der Diagonale mit einem Zirkel
abgetragen. Dadurch erhalten wir einen Punkt auf dem Zahlenstrahl,
der nach unserer Überlegung keine rationale Zahl ist. Gemäß der
modernen mathematischen Sichtweise ist das aber auch eine Zahl, für

die wir das Symbol 2 verwenden. Solche Zahlen, die nicht rational
sind, nennt man irrational. Und wenn Sie die letzte Frage beantwor-
tet haben, dann haben Sie sicher realisiert, dass es unendlich viele
√ √ √
irrationale Zahlen geben muss. Die Wurzeln 3, 5 oder 10 sind
beispielsweise auch irrational und das gilt ebenso für die Wurzeln
von Brüchen wie 2/3.
Schon der Zahlenstrahl, den man beliebig oft vergrößern konnte,
ohne dass sich etwas ändert, hat unsere Vorstellungskraft auf eine
harte Probe gestellt. Die rationalen Zahlen müssen unfassbar dicht
liegen. Die irrationalen Zahlen bringen dieses Bild aber gehörig ins
Wanken, denn sie demonstrieren, dass es zwischen den rationalen
Zahlen nicht nur unendlich viele weitere rationale Zahlen gibt, son-
dern auch unendlich viele „Lücken“ – die von den irrationalen Zahlen
geschlossen werden.
Tatsächlich ist die Situation sogar noch seltsamer. Der deutsche
Mathematiker Georg Cantor hat Ende des 19. Jahrhunderts mit

38 PI UND DIE PRIMZAHLEN


revolutionären neuen Methoden gezeigt, dass in einem präzisen ma-
thematischen Sinne fast alle Punkte auf dem Zahlenstrahl irrationalen
Zahlen entsprechen. Mit anderen Worten: Es gibt zwar unendlich
viele rationale Zahlen, aber im Vergleich zu den irrationalen sind es
so wenige, dass sie keine Rolle spielen!
Dies ist eines der vielen spannenden Themen, die ich in diesem
Buch leider nicht vertiefen kann. Es zeigt aber erneut das bereits
angesprochene Eigenleben der menschengemachten mathematischen
Strukturen. Sie neigen zu Verhaltensweisen, die sich ihre Schöpfer
nicht mehr vorstellen können. Dazu passt das folgende schöne Zitat
des genialen ungarischen Mathematikers John von Neumann, der
als einer der Väter der Informatik gilt: „In mathematics you don’t
understand things, you just get used to them.“

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass nicht alle Mathema-


tiker die hier beschriebene Sichtweise teilen. Bei Asterix gibt es das
kleine gallische Dorf, das den Römern Widerstand leistet; in der
Mathematik gibt es eine kleine, aber durchaus lautstarke Gruppe,
die sich der Moderne widersetzt. Einer ihrer ersten Proponenten
war der bereits erwähnte Kronecker, der seinen Zeitgenossen Can-
tor erbittert bekämpfte und die Existenz irrationaler Zahlen nicht
anerkennen wollte.
In dieser Diskussion steckt natürlich eine gewisse Portion Ironie.
Was heißt es denn, dass ein mathematisches Objekt existiert? Hatten
wir nicht schon im ersten Kapitel darüber gesprochen, dass nicht
einmal die laut Kronecker vom lieben Gott gemachten natürlichen
Zahlen real sind, sondern nur Abstraktionen? Inwieweit können diese
Kopfgeburten „wirklicher“ sein als ihre irrationalen Geschwister?
Das ist eine interessante, aber auch sehr philosophische Diskus-
sion. Sie hat vor einem Jahrhundert hohe Wellen geschlagen, spielt
aber inzwischen keine große Rolle mehr. Die große Mehrheit der Ma-
thematiker nimmt die irrationalen Zahlen aus ganz pragmatischen
Gründen als gegeben hin: Ohne sie wären viele Dinge in der heutigen

MENSCHENWERK 39
Mathematik – und auch in den Anwendungen wie beispielsweise der
Physik – nämlich nicht möglich.
Das muss Sie aber nicht daran hindern, über solche Dinge nach-
zudenken. Zum Abschluss des Kapitels präsentiere ich Ihnen daher
als Denkanstoß noch eine Kritik an der modernen Sicht der Zahlen,
die in ähnlicher Form schon von antiken griechischen Philosophen
geäußert wurde:
Ein idealisierter mathematischer Punkt ergibt nur dann Sinn,
wenn er keine Ausdehnung, also weder Länge noch Breite hat. (Bei
Euklid heißt es: „Ein Punkt ist, was keine Teile hat.“) Wie kann dann
aber durch Aneinanderreihung von Punkten („Zahlen“) ein Gebilde
wie der Zahlenstrahl entstehen, das man doch in Stücke zerlegen
kann, die eine Länge haben? Wie entsteht hier etwas aus nichts?

40 PI UND DIE PRIMZAHLEN


NICHTS

Man kann sich darüber streiten, was die wichtigste, einschneidendste


Erfindung der Menschheitsgeschichte war. Die Schrift? Das Rad?
Der Ackerbau? Ihnen fallen sicher noch viele andere Kandidaten
ein. Ein Kandidat, der es meistens nicht in die Top Ten schafft, der
aber in seiner Wichtigkeit für die Entwicklung von Wissenschaft und
Technik kaum zu überschätzen ist, ist das Nichts. Oder besser: die
Null. Aber wieso sollte die Null so bedeutend sein?
Die Griechen der Antike waren große Mathematiker, aber sie
hatten ein mittelmäßiges Zahlensystem. Die Zahl, die wir heute
als 342 schreiben, schrieb man damals als τμβ . Jedem Buchstaben
des griechischen Alphabets war eine Zahl zugeordnet: den ersten
neun Buchstaben die Zahlen 1 bis 9, den nächsten neun die Zahlen
10, 20, 30 bis 90 und den folgenden neun dann 100, 200 bis 900. (Da
es dafür nicht genügend griechische Buchstaben gab, „borgte“ man
sich noch ein paar phönizische aus.) Im obigen Beispiel steht β , der
zweite Buchstabe des Alphabets, für 2, μ für 40 und τ für 300. Es
handelte sich also um ein additives System: jedes Zeichen stand für
eine bestimmte Zahl und diese Zahlen wurden addiert. Auch die
Zahlensysteme älterer Hochkulturen basierten auf diesem Prinzip.
Das römische Zahlensystem wird gerne noch im Abspann von
Filmen verwendet. Die meisten Leser dieses Buches werden sich vage
erinnern, dass das in der Schule mal vorkam. In diesem System wird
nicht nur addiert, sondern – je nach Stellung der Symbole – auch
subtrahiert. Für 342 schreibt man CCCXLII. Dabei steht C für 100,
L für 50, X für 10 und I für 1. Eigentlich werden diese Werte alle

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_6
addiert. Weil aber das X vor dem höherwertigen L steht, wird es
subtrahiert.
Dass es für uns mühsam ist, solche Zahlen zu lesen, ist kein
Wunder, weil wir keine Übung darin haben. Das ist aber nicht das
Problematische an diesen Systemen. Ihr Pferdefuß ist vielmehr, dass
man mit ihnen nicht effizient rechnen kann. Das Dezimalsystem,
das heute weltweit benutzt wird, ist dafür ungleich besser geeignet.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass kaum ein Leser dieses Buches das
zu würdigen weiß. Erstens wird fast alle Rechenarbeit inzwischen
von Computern übernommen. Und zweitens haben Sie wohl kaum
jemals versucht, Zahlen im römischen oder griechischen System
schriftlich zu addieren oder gar zu multiplizieren. Man muss es
gemacht haben, um zu merken, wie umständlich es im Vergleich zur
Arbeit mit dem Dezimalsystem ist.
Bis zum Ausgang des Mittelalters war das einigen wenigen Rechen-
meistern vorbehalten – gut bezahlten Experten, auf deren Dienste
man bei Bedarf zurückgriff. Das Dezimalsystem, das aus Indien über
den arabischen Raum nach Europa „importiert“ wurde und sich hier
nur sehr zögerlich etablieren konnte, hat das radikal geändert. Es hat
das Rechnen aus dem Stand einer Geheimwissenschaft befreit und
demokratisiert. Zudem, und für unsere Geschichte ganz wesentlich,
hat es die Mathematik auf ein ganz anderes Level gehoben.

Es ist im Nachhinein schwer zu verstehen, warum kein Mathemati-


ker der griechischen Antike die Idee für ein sogenanntes Stellenwert-
system hatte. Man kann sagen, dass die Lösung die ganze Zeit für alle
sichtbar war, denn schon seit den Zeiten der Sumerer verwendete
man als Rechenhilfsmittel Abaki. Ein Abakus ist eine mechanische
Vorrichtung, bei der Steine, Holz- oder Glasperlen durch ihre La-
ge Zahlen darstellen. Eine weitverbreitete Variante, der chinesische
Suanpan, sieht beispielsweise so aus:

42 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Hier wurden auf dem Stab ganz rechts zwei Steine nach oben ge-
schoben, links daneben vier und daneben drei. Von links nach rechts
gelesen ergibt das drei-vier-zwei. Und genau so ist es auch gemeint.
Das ist die Darstellung der Zahl, für die wir heute 342 schreiben.
Das ist ein Stellenwertsystem! Es unterscheidet sich signifikant
von den Systemen, über die wir am Anfang des Kapitels gesprochen
haben, weil man hier zum Beispiel für drei, dreißig und dreihundert
keine unterschiedlichen Symbole braucht. In allen Fällen handelt
es sich um drei nach oben geschobene Steine; es kommt lediglich
auf die Position der Steine an. Eigentlich braucht man nun nur noch
neun Zeichen – sowas wie 3 für drei Steine oder 7 für sieben Steine –
und kann die Zahlen direkt vom Abakus „abschreiben“.
Das psychologische Hemmnis, das erst in Indien fast tausend
Jahre nach Archimedes überwunden wurde, war das zehnte Zeichen.
Wie schreibt man eine Zahl wie diese auf?

Hier wurde auf dem zweiten Stab von rechts gar kein Stein ver-
schoben. Man kann die Position aber nicht einfach ignorieren und
32 schreiben, weil damit ja eine andere Zahl gemeint ist. Die neue
Idee bestand darin, auch für nichts ein Symbol einzuführen, nämlich
unsere heutige Null. Dann ergibt sich 302.
Für uns heute scheint das selbstverständlich, aber damals war es
revolutionär und traf auf viel Skepsis. Welchen Sinn sollte es haben,
ein Zeichen für nichts zu haben? Und wieso sollte das Hinzufügen
dieses Zeichens zu einer Zahl deren Wert vervielfachen? Es ist auch
nicht mehr rekonstruierbar, ob die „Erfinder“ der Null sie am Anfang
nur als eine Art Platzhalter angesehen haben. Aber nach und nach
hat sie sich im allgemeinen Bewusstsein zu einer Zahl entwickelt hat.

Ähnliche Widerstände wie die Null mussten auch die negativen


Zahlen überwinden. Während wir „modernen Menschen“ im Zu-

NICHTS 43
sammenhang mit Temperaturen oder Kontoständen ohne Berüh-
rungsängste mit Werten unter null hantieren, wurde ihnen in der
Mathematik bis zur Renaissance jegliche Lebensberechtigung ab-
gesprochen. Auch danach ging man zunächst sehr vorsichtig mit
solchen Ungetümen um, die „weniger als nichts“ sind.
Wie anders die Mathematik war, bevor die Null und die negativen
Zahlen allgemein anerkannt waren, will ich kurz an einem Beispiel
demonstrieren. Wenn heute an Schulen gelehrt wird, wie man qua-
dratische Gleichungen löst, dann wird als Muster die Gleichung
a x 2 + b x + c = 0 betrachtet. Jede quadratische Gleichung lässt sich
auf diese Form bringen, so dass man lediglich eine Lösungsformel für
diese eine Gleichung braucht. Das stimmt aber nur deshalb, weil man
ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass a , b und c irgendwelche
Zahlen sein können, insbesondere natürlich auch negative Zahlen
oder null. Das war aber nicht immer so einfach.
Der einflussreiche persische Mathematiker al-Chwarizmi, der
im neunten Jahrhundert in Bagdad lebte und arbeitete, hat das in-
dische Dezimalsystem im arabischen Raum bekannt gemacht und
indirekt zwei wichtige mathematische Begriffe geprägt: Das Wort
Algorithmus ist eine Verballhornung seines Namens und das Wort
Algebra entstammt dem arabischen Titel eines seiner Bücher. Und in
ebendiesem Buch präsentierte er die erste systematische Abhandlung
quadratischer Gleichungen. Allerdings behandelt al-Chwarizmi nicht
etwa nur einen Gleichungstyp, sondern sechs:

ax 2 + b x = c ax2 = b x
ax 2 + c = b x ax2 = c
ax 2 = b x + c bx = c

Alle diese Gleichungen lassen sich auf das allgemeine Muster von
oben zurückführen, wenn man beliebige Zahlen als Parameter zulässt.
Aber im neunten Jahrhundert konnten a , b und c nur positive Zahlen
sein, weil es keine anderen gab. Darum musste al-Chwarizmi sechs
Gleichungstypen behandeln und für jeden ein anderes Lösungsverfah-

44 PI UND DIE PRIMZAHLEN


ren angeben. Ein schönes Beispiel dafür, wie in der Mathematik die
Dinge häufig dadurch einfacher werden, dass man sie verallgemeinert
(und dadurch scheinbar zunächst schwieriger macht).

Das Bild aus dem letzten Kapitel wird vervollständigt, wenn wir an
den Anfang des Zahlenstrahls die Null setzen und ihn dann an dieser
spiegeln, um zur Zahlengerade überzugehen, die sich sowohl nach
rechts als auch nach links ins Unendliche erstreckt. Zu jeder Zahl
außer der Null gibt es ein Gegenstück auf der anderen Seite.

−4 −3 −2 −1 0 1 2 3 4

Erst jetzt ist es eigentlich korrekt, von den rationalen Zahlen


zu sprechen. Im vorigen Kapitel kamen nur die positiven rationalen
Zahlen vor. Und nimmt man noch die irrationalen Zahlen (inklu-
sive ihrer negativen Spiegelbilder) hinzu, so spricht man von den
reellen Zahlen. Betrachtet man nur die natürlichen Zahlen, deren
Gegenstücke sowie die Null, so nennt man die zusammen die ganzen
Zahlen.

Können Sie die Regel


„minus mal minus ist plus“ begründen?

Eine amüsante, aber nicht wirklich wichtige Frage ist, ob man die
Null als natürliche Zahl bezeichnen sollte. Historisch gesehen wäre
das sicher falsch, denn die Geschichte hat ja sehr deutlich demons-
triert, dass die Null offenbar nicht „natürlich“ ist. In bestimmten
Zusammenhängen, etwa in der Informatik oder der mathematischen
Grundlagenforschung, ist es jedoch praktisch, beim Zählen mit der
Null anzufangen.
Das führt dazu, dass die Null mal eine natürliche Zahl ist und
mal nicht. Es hängt davon ab, wessen Buch man liest oder in wessen
Vorlesung man sitzt. Anfänger finden das oft irritierend, weil man
doch glaubt, dass in der Mathematik alles klar und eindeutig sei. Wir
haben aber schon mehrfach darüber gesprochen, dass Mathematik ja

NICHTS 45
von Menschen gemacht wird. Und ob die Null eine natürliche Zahl
ist oder nicht, ist nicht etwas, das wahr oder falsch sein kann; es ist
Definitionssache.
Für dieses Buch wird hiermit par ordre du mufti festgesetzt, dass
die Null keine natürliche Zahl ist!

Bevor wir uns im nächsten Kapitel dem Star des Buches zuwenden,
muss noch eine letzte Sache über Zahlen erwähnt werden, die Ih-
nen im Prinzip auch bekannt ist, die nach der Diskussion auf den
letzten Seiten aber auch im neuen Licht erscheint. Es geht um die
Nachkommastellen.
Nachkommastellen sind eine natürliche Erweiterung der Stellen-
wertschreibweise auf die rationalen Zahlen. Nachdem die gebildeten
Kreise Europas schließlich die Vorzüge des Dezimalsystems für die
Darstellung natürlicher Zahlen erkannt hatten, dauerte es nicht lan-
ge, bis im 17. Jahrhundert dieses System auch auf die anderen Zahlen
übertragen wurde. Während die Ziffern bei einer natürlichen Zahl
wie 342 für Einer, Zehner und Hunderter, stehen, sind die Nach-
kommastellen für Zehntel, Hundertstel und Tausendstel zuständig.
Es geht in beiden Fällen um Zehnerpotenzen; links vom Komma
um die mit nichtnegativen Exponenten, rechts davon um die mit
negativen.

3,42 = 3 + 0,4 + 0,02 = 3 + 4/10 + 2/100


= 3 · 100 + 4 · 10−1 + 2 · 10−2

Sie wissen natürlich auch, dass man manche Zahlen nicht mit
endlich vielen Nachkommastellen darstellen kann:

1/3 = 0,33333333333 . . .

Ob ein Bruch dieses Schicksal erleidet, hängt davon ab, ob sich


sein Nenner mit der Zehn „verträgt“, die die Basis des Dezimalsys-
tems ist. (Dass es gerade die Zehn ist, hat keine mathematischen
Gründe, sondern liegt an der Anzahl unserer Finger.) Aber auch

46 PI UND DIE PRIMZAHLEN


die Brüche, bei denen man mit endlich vielen Nachkommastellen
nicht auskommt, haben eine im gewissen Sinne beruhigende Ei-
genschaft: Ihre Nachkommastellen wiederholen sich ab einem be-
stimmten Punkt periodisch. Man weiß also irgendwann genau, wie es
weitergeht.
Sie können sich ganz einfach selbst davon überzeugen, dass dem
so sein muss, wenn Sie die Nachkommastellen eines Bruchs durch
schriftliche Division berechnen. Sie werden erleben, dass es zwangs-
läufig zu Wiederholungen kommen muss.

Rechnen Sie die Nachkommastellen von 3/17 aus.

Sehen Sie, warum es zu Wiederholungen kommt?

Das eben Gesagte gilt aber auch umgekehrt: Wenn eine Zahl
unendlich viele, sich periodisch wiederholende Nachkommastellen
hat, dann ist sie rational. Es gibt einen einfachen „Trick“, mit dessen
Hilfe man diese Zahl als Bruch darstellen kann. Ich will darauf aber
jetzt gar nicht eingehen, weil wir das nicht brauchen werden.
Wichtig ist mir nur: Irrationale Zahlen haben grundsätzlich im-
mer unendlich viele Nachkommastellen und diese folgen im All-
gemeinen keinem einfach zu erkennenden Muster. Auf jeden Fall
ist die Folge der Nachkommastellen einer irrationalen Zahl nicht
periodisch. Typischerweise ist sie eher „chaotisch“. Das gilt auch für
die Zahl, um die es im nächsten Kapitel geht.

NICHTS 47
DIE DIVA

Obwohl die Hauptdarstellerin unserer Geschichte schon seit Jahrtau-


senden ein Star in der Welt der Mathematik ist, hat sie ihren heutigen
Namen erst im 18. Jahrhundert erhalten. Ihr Taufpate, wenn auch
nicht ihr Namensgeber, war der legendäre Schweizer Mathematiker
Leonhard Euler. Der Name π („pi“) ist der griechische Buchstabe,
der am ehesten dem lateinischen p entspricht. Er wurde gewählt, weil
er der Anfangsbuchstabe von Wörtern wie Peripherie und Perimeter
ist. Denn π hat etwas mit Kreisen zu tun.
Wir sprachen schon darüber, dass in der klassischen Geometrie
Verhältnisse eine wichtige Rolle spielten. Am einfachsten ist es, die
Längen von Strecken zu vergleichen.

Und es ist anschaulich klar, dass sich solche Verhältnisse nicht ändern,
wenn man die Objekte gemeinsam vergrößert oder verkleinert oder
eines von beiden verschiebt oder dreht.

In den beiden Skizzen haben wir es mit einem „schönen“, einfa-


chen Verhältnis von sechs zu fünf zu tun. Es ist also nach heutigem
Sprachgebrauch rational. Eine kurze Zeit lang hegten die Pythagoräer,
die Anhänger von Pythagoras, die Hoffnung, dass alle Verhältnisse so
seien. Das hätte zu ihrer philosophisch-religiösen Grundthese „Alles

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_7
ist Zahl“ gepasst, denn damit waren (natürlich) nur natürliche Zahlen
gemeint. Aber die Pythagoräer selbst gelten auch als die Entdecker
der irrationalen Zahlen. Sie haben also schon recht früh erkannt,
dass die (mathematische) Welt doch nicht so simpel ist, wie sie es
sich erhofft hatten.
Auch dazu gibt es ein passendes Zitat von John von Neumann:

If people do not believe that mathematics is simple, it is only


because they do not realize how complicated life is.

Wir haben gesehen, dass wir schon auf irrationale Zahlen stoßen,
wenn wir Strecken in Quadraten vergleichen. Aber in der Geometrie
gibt es natürlich nicht nur so einfache Figuren wie Quadrate. Idealiter
möchte man die Längen beliebiger Kurven vergleichen können.

Zumindest anschaulich ist klar, was man meint: Die Länge einer
Kurve ist so etwas wie die Wegstrecke, die eine Ameise zurücklegen
muss, wenn sie auf der Kurve entlangläuft. Die Mathematik dahin-
ter hat sich jedoch als Aufgabe für spätere Jahrtausende erwiesen.
Erst mithilfe der Methoden der Neuzeit konnte man sinnvoll ganz
allgemein definieren, was eigentlich eine Kurve ist, was genau mit
der Länge einer Kurve gemeint sein soll und ob und wie man diese
gegebenenfalls berechnen kann.
Bei einer der einfachsten und regelmäßigsten Kurven hat man
aber schon im antiken Griechenland Fortschritte gemacht, nämlich
beim Kreis. Mit der Zahl π ist das Verhältnis des Umfangs zum
Durchmesser gemeint.

50 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Nach unseren vorherigen Überlegungen ist es klar, dass dieses Ver-
hältnis in jedem Kreis gleich sein muss, denn jeder Kreis entsteht aus
einem anderen durch Verschieben und Vergrößern oder Verkleinern.
Man könnte also sagen, dass π so etwas wie eine „mathematische
Naturkonstante“ ist.

Schon die alten Hochkulturen hatten Schätzwerte für π zur Verfü-


gung. So sollen die Babylonier vor nunmehr viertausend Jahren von
einem Verhältnis von 25 zu 8 ausgegangen sein. Man weiß heute nicht
mehr, wie dieser Wert zustande kam, aber sehr wahrscheinlich hat
man ganz unmathematisch Messungen an annähernd kreisrunden
Objekten vorgenommen. Legt man um so ein Objekt eine Schnur
und unterteilt diese dann in 25 Teile, so reichen 8 davon für den
Durchmesser. Ungefähr jedenfalls. Wäre der babylonische Wert exakt
richtig gewesen, so hätten sich die Pythagoräer sicher sehr gefreut.
Aber er war es nicht.

Einer der ersten Menschen, die sich systematisch der Sache an-
nahmen, war der bereits mehrfach erwähnte Archimedes, der als
größter Mathematiker der Antike gilt. Mit seiner Methode gab er
die Blaupause für die Berechnung von π für viele Jahrhunderte vor.
Die Grundidee seines Vorgehens werde ich hier illustrieren – wie
üblich in der Sprache der modernen Mathematik. (Archimedes und
seine Zeitgenossen hätten sicher nicht von der „Berechnung“ von π
gesprochen, weil es aus ihrer Sicht nichts zu berechnen gab. π wurde
nicht als Zahl angesehen.)
Wir werden im Folgenden immer von einem Einheitskreis ausge-
hen – einem Kreis mit dem Radius eins –, weil die Größe des Kreises
irrelevant ist und es sich mit einem Einheitskreis einfach rechnen
lässt. Der Umfang dieses Kreises muss 2π sein. Archimedes konstru-
ierte nun Paare von regelmäßigen Vielecken (Polygonen). Eines, das

D I E D I VA 51
gerade so in den Kreis passt und diesen mit seinen Ecken berührt.
Und eines, das gerade so um den Kreis herum passt, so dass der
Kreis die Seitenmittelpunkte des Vielecks tangiert. Sind die Vielecke
Quadrate, dann sieht es so aus:

Der Rest ist jetzt offensichtlich. Man berechnet die Umfänge


der beiden Vielecke. Der eine Umfang muss kleiner und der andere
größer als der Kreisumfang sein. Also hat man zwei Werte errechnet,
zwischen denen 2π liegen muss.

Machen Sie das ruhig mal!


Man braucht nur den Satz des Pythagoras.

Archimedes fing mit regelmäßigen Sechsecken an.

Dann verdoppelte er schrittweise die Zahl der Ecken: 12, 24, 48,
bis er schließlich bei 96 angelangte. Die Idee dahinter ist natürlich,
dass der Unterschied zwischen den Umfängen des äußeren und des
inneren Polygons mit steigender Eckenzahl immer geringer wird.
Anders ausgedrückt: Die Vielecke werden dem Kreis immer ähn-
licher. Das sieht man schon, wenn man die Skizzen für vier und
sechs Ecken vergleicht. Dadurch wird auch die Näherung für den
dazwischenliegenden Wert von π immer besser.
Mit 96 Ecken kam Archimedes auf die folgende Abschätzung:

223 10 1 22
3,141 ≈ 71 = 3 71 < π < 3 7 = 7 ≈ 3,143

52 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Wir würden heute sagen, dass sein Wert auf zwei Stellen nach dem
Komma genau war. Sie finden das vielleicht ein bisschen enttäuschend,
aber damals war das ein neuer Weltrekord! Und es sollte ungefähr
ein halbes Jahrtausend dauern, bis jemand eine bessere Näherung
anbieten konnte.
Archimedes überzeugte seine Leser jedoch nicht einfach mit Skiz-
zen, wie ich es hier versuche, sondern er bewies tatsächlich, dass
π zwischen diesen Werten liegen muss. Außerdem kommen in sei-
ner Berechnung Wurzeln vor, für die er Näherungen durch Brüche
benutzte, die er natürlich auch erst einmal ermittelt haben musste.
Nach und nach verwendeten andere Mathematiker die Metho-
de von Archimedes, um mit noch mehr Ecken und viel Fleiß die
Genauigkeit der Approximation zu verbessern. Das geschah zuerst
in China und Indien und kulminierte Anfang des 17. Jahrhunderts
in der Zahl, die auf dem Grabstein von Ludolph van Ceulen aus
Hildesheim stand:

3,14159265358979323846264338327950288 . . .

Van Ceulen rechnete auf der Basis eines Polygons mit etwa vier
Trillionen Seiten (!) und verbrachte den größten Teil seines Lebens
mit diesen Kalkulationen. Als „Belohnung“ für seine Mühen wurde
π eine Zeit lang auch die Ludolphsche Zahl genannt.
Die Zahl auf van Ceulens Grabstein ist bereits viel genauer als
der Näherungswert für π , den typische Programmiersprachen uns
vier Jahrhunderte später liefern. Und wie ich auf den ersten Seiten
des Buches schon sagte, reicht diese Genauigkeit für alle praktischen
Zwecke aus. Nichtsdestotrotz wurden in den letzten Jahrzehnten
mithilfe von Computern immer neue Rekorde aufgestellt. Man kennt
inzwischen – Stand Januar 2020 – die ersten 50 Billionen Nachkom-
mastellen von π . Würde man die in Büchern wie diesem ausdrucken
und diese übereinanderstapeln, so wäre der daraus resultierende Turm
über zweihundert Kilometer hoch! (Verkehrsflugzeuge erreichen nor-
malerweise nur fünf Prozent dieser Höhe.)

D I E D I VA 53
Sie haben sich vielleicht schon gedacht, dass π eine irrationale Zahl
ist. Natürlich sind theoretisch auch rationale Zahlen vorstellbar,
bei denen erst nach 50 Billionen Nachkommastellen eine periodi-
sche Wiederholung zu erkennen ist, aber bei einer „Naturkonstante“
erwarten Mathematiker so ein ungebührliches und unästhetisches
Verhalten nicht.
Es ist nicht klar, ab wann vermutet wurde, dass das Verhältnis
des Kreisumfangs zum Durchmesser nicht rational ist. Sicher ist al-
lerdings, dass der Beweis dieser Tatsache vergleichsweise schwierig

ist. Während bereits zur Zeit von Pythagoras klar war, dass 2 ir-
rational ist, und der Beweis eine einfache Fingerübung ist, konnte
die Irrationalität von π erst im 18. Jahrhundert von dem Schweizer
Johann Heinrich Lambert nachgewiesen werden. Lambert benutzte
für seinen Beweis Kettenbrüche – eine zur damaligen Zeit recht neue
Technik. Alle Beweise für die Irrationalität von π verwenden Metho-
den, die in der antiken Mathematik noch nicht entwickelt worden
waren (und die über das Niveau dieses Buches hinausgehen).
Auf jeden Fall wirken die bisher berechneten Nachkommastellen
von π so, als handelte es sich um eine zufällige Folge von Ziffern. Die
Folge ist natürlich nicht zufällig, aber man kann quantitativ beschrei-
ben, was man mit „zufälligem“ Verhalten in diesem Fall meint: Jede
Ziffer kommt langfristig gleich häufig vor. Jedes mögliche Paar von
Ziffern kommt langfristig gleich häufig vor. Jede mögliche Abfolge
von drei Ziffern kommt langfristig gleich häufig vor. Und so weiter.
Gilt das nicht nur in der Dezimaldarstellung, die wir willkürlich auf-
grund der Anzahl unserer Finger gewählt haben, sondern bezüglich
jeder möglichen Basis, so nennt man eine Zahl mit dieser Eigenschaft
(absolut) normal.
Und das ist eine bemerkenswerte Eigenschaft! Wenn jede endli-
che Sequenz von Ziffern gleich häufig vorkommt, dann kommt Ihr
Geburtstag in einer normalen Zahl unendlich oft vor. Und meiner
auch. Und in der Binärdarstellung einer normalen Zahl kommt das
Manuskript dieses Buches als ASCII-Datei vor – natürlich ebenfalls
unendlich oft.

54 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Es mag zunächst etwas seltsam erscheinen, dass man solch ver-
rückte Zahlen normal nennt. Der Name ist allerdings berechtigt. Der
französische Mathematiker Émile Borel bewies nämlich Anfang des
zwanzigsten Jahrhunderts die folgende Aussage: Wenn man zufällig
eine reelle Zahl auswählt, dann wählt man mit einer Wahrscheinlich-
keit von 100 % eine normale Zahl aus. So gesehen sind die normalen
Zahlen also der Normalfall.
Doch was hat das mit π zu tun? Obwohl die meisten Zahlen
normal sind, kennen die Mathematiker kaum welche. Alle Zahlen,
bei denen man sich inzwischen sicher ist, dass sie normal sind, wurden
quasi im Labor gezüchtet. In der freien Wildbahn gibt es diverse
Zahlen, von denen man vermutet, dass sie normal seien, aber für
keine von denen konnte man das bisher beweisen. Die berühmteste
dieser Zahlen ist π .

Es ist eine altbekannte Erfahrungstatsache, dass Flächeninhalte pro-


portional zum Quadrat des Längenmaßstabs sind. Damit ist gemeint:
Verdoppelt man beispielsweise die Seitenlängen eines Rechtecks, so
vervierfacht sich die Fläche. Verdreifacht man die Seitenlängen, so
verneunfacht sich die Fläche. Und so weiter.

Das gilt natürlich auch für Kreise: Die Kreisfläche muss pro-
portional zum Quadrat des Kreisradius sein. Folglich gibt es einen
Proportionalitätsfaktor. Und der ist (Trommelwirbel. . . ) die Zahl π !

OK, Sie sind jetzt nicht so überrascht. Wahrscheinlich konnten


Sie sich sogar noch an die Formel A = π r 2 für die Kreisfläche erin-
nern. Aber eigentlich ist es überraschend. Warum sollte das Verhältnis

D I E D I VA 55
vom Umfang zum Durchmesser exakt dasselbe sein wie das Verhält-
nis der Fläche zum Quadrat des Radius? Schauen wir uns zwei Arten
an, das zu begründen.
Die erste Begründung wird Leonardo da Vinci zugeschrieben. Er
unterteilt die Kreisfläche in gleich große „Tortenstücke“ und setzt
diese so wie in der folgenden Skizze zusammen.

Dann wird die Anzahl der Tortenstücke erhöht.

Die annähernd vertikalen Kanten der so entstehenden Figur sind


die geraden Seiten der Tortenstücke, also die Radien des Kreises.
Die horizontalen Kanten bestehen aus kleinen Kreisbögen, die zu-
sammen jeweils die Hälfte des Kreisumfangs ausmachen. Werden
die Tortenstücke immer kleiner, so werden die horizontalen Kan-
ten immer gerader und die ganze Figur wird irgendwann zu einem
Rechteck. Nennt man den Radius des Kreises r , so sind die Längen
der Rechtecksseiten r und π r – so haben wir π ja definiert. Die
Fläche des Rechtecks, die nach Konstruktion der Fläche des Kreises
entspricht, ist also π r 2 .

Was halten Sie von diesem Beweis?

Nach meiner Meinung ist da Vincis Begründung elegant und


suggestiv zugleich. Sie ist aber auch problematisch, weil sie eigentlich
nur dann „funktioniert“, wenn man den Prozess des Verkleinerns
der Tortenstücke quasi „ins Unendliche verlängert“. Denn nur so
wird man jemals ein Rechteck erhalten. Man muss glauben, dass das

56 PI UND DIE PRIMZAHLEN


möglich ist, um diese Argumentation wirklich als Beweis akzeptieren
zu können. Wir werden dieses wichtige Thema im nächsten Kapitel
noch einmal aufgreifen.

Vorher aber noch eine Skizze von Archimedes’ Originalbeweis.


Von der Idee her unterscheidet er sich gar nicht so sehr von da Vincis
Ansatz. Archimedes geht aber wesentlich strikter vor und appelliert
nicht an die Unendlichkeit. Meine Version seines Beweises wird sich
nicht konsequent an der axiomatischen Methode Euklids orientieren,
aber sie ist hoffentlich so detailliert, dass man alle Zwischenschritte
ohne substantielle Zweifel nachvollziehen kann.
Vorab lassen Sie mich aber bitte ein weiteres Mal den Unterschied
zwischen der klassischen und der heutigen Sichtweise betonen. Dass
π für die griechischen Mathematiker keine Zahl war, hatte ich ja
bereits gesagt. Aber auch meine Formulierung von oben, in der ich
Längen- und Flächenverhältnisse gleichsetzte, hätte man damals nicht
akzeptiert. Es durfte immer nur „Gleiches mit Gleichem“ verglichen
werden. Archimedes vergleicht Flächen mit Flächen, und zwar so:

D
K

Das Dreieck ist rechtwinklig und die eine Kathete ist so lang wie
der Radius des Kreises, während die andere so lang wie der Umfang
des Kreises ist. Archimedes will beweisen, dass die beiden Figuren
denselben Flächeninhalt haben. (Das Dreieck hat dieselbe Fläche
wie das „Rechteck“ von da Vinci, das gestrichelt hinzugefügt wurde.)
Dafür wendet er zweimal eine Reductio ad absurdum an, indem er
zeigt, dass sowohl die Annahme, die Dreiecksfläche sei kleiner als die
Kreisfläche, als auch die, sie sei größer, jeweils auf einen Widerspruch
führen.
Fangen wir mit der Annahme an, die Kreisfläche K sei größer
als die Dreiecksfläche D . Als Vorüberlegung betrachten wir einen

D I E D I VA 57
Kreisbogen (kleiner als 180 Grad) vom Punkt A zum Punkt B . Den
Mittelpunkt dieses Kreisbogens nennen wir M .

A
B

Sicher ist der Kreisbogen von A nach M länger als die Strecke
AM , weil eine gerade Strecke immer die kürzeste Verbindung zweier
Punkte ist. Außerdem ist klar, dass das Dreieck AM B größer als
der schraffierte Rest des Kreissegmentes sein muss. Das wird durch
das gestrichelte Rechteck deutlich, dessen Fläche offensichtlich genau
doppelt so groß wie die von AM B ist. Daraus folgt, dass die in der
folgenden Skizze ebenfalls schraffiert dargestellte „Restfläche“ nach
dem Einpassen eines regelmäßigen Vielecks in einen Kreis durch
Verdoppelung der Eckenzahl immer mindestens halbiert wird.

Außerdem ist die Fläche so eines einbeschriebenen Polygons im-


mer kleiner als D : Sie besteht aus lauter gleich großen rechtwinkli-
gen Dreiecken und die eine Kathete ist kürzer als der Kreisradius,
während die anderen Katheten nach unserer Vorüberlegung zusam-
mengesetzt kürzer als der Kreisumfang sind.

Da nach unserer Annahme K größer als D ist, gibt es einen


„Flächenüberschuss“ K − D . Wir legen ein Quadrat passend in den

58 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Kreis und machen aus dem Quadrat wie oben skizziert ein Achteck,
dann ein Sechzehneck und so weiter. Das machen wir so lange, bis
die Restfläche kleiner als K − D ist. Das bedeutet aber, dass das
entsprechende Polygon eine Fläche hat, die größer als D ist, und
wir hatten uns gerade überlegt, dass das nicht sein kann. Das ist ein
Widerspruch, also muss die Annahme, K sei größer als D , falsch
gewesen sein.
Der zweite Teil des Beweises verläuft im Prinzip genau wie der
erste. Hier wird lediglich mit umbeschriebenen – also den Kreis von au-
ßen touchierenden – Polygonen gearbeitet und aus dem Überschuss
wird ein Flächendefizit. Ich werde das nicht mehr alles im Detail vor-
führen, spendiere Ihnen aber eine Skizze analog zur Vorüberlegung
mit dem Kreisbogen.

Warum ist das „abgetrennte“ Dreieck


größer als die schraffierte Fläche?

Haben Sie Lust, den Beweis zu vervollständigen?

Immer wenn wir davon sprechen, etwas zu berechnen, dann hätten


Euklid und seine Zeitgenossen stattdessen daran gedacht, die entspre-
chenden Größen zu konstruieren. Und ganz puristisch durften für
solche Konstruktionen nur ein Zirkel und ein Lineal ohne Maßein-
heiten eingesetzt werden. Das Berechnen von π entspräche in diesem
Sinne der Konstruktion eines Quadrates, das dieselbe Fläche wie ein
vorgegebener Kreis hat.
Dieses klassische Problem wird Quadratur des Kreises genannt
und an ihm haben sich mehr als zweitausend Jahre lang sowohl große
Mathematiker als auch unzählige Amateure vergeblich abgearbeitet.

D I E D I VA 59
Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte Ferdinand von Lindemann
beweisen, dass so eine Konstruktion zumindest nach den strengen
griechischen Regeln prinzipiell unmöglich ist. Darum wird der
Begriff heute auch im übertragenen Sinne für eine unlösbare Aufgabe
verwendet.

60 PI UND DIE PRIMZAHLEN


GIBT ES PI ÜBERHAUPT?

Was meinte Leopold Kronecker damit, dass irrationale Zahlen wie π


gar nicht existieren? Um das vernünftig erklären zu können, muss
ich ein bisschen ausholen, denn Kroneckers ablehnende Haltung
bezog sich auf den Endpunkt einer mathematischen Entwicklung,
die bereits im 17. Jahrhundert begonnen hatte.
Damals hatten der Engländer Isaac Newton und der Deutsche
Gottfried Wilhelm Leibniz die Infinitesimalrechnung erfunden, die
die Grundlage dessen wurde, was man heute Analysis nennt. Falls
Ihnen beide Begriffe nichts sagen, dann ist Ihnen vielleicht die Be-
zeichnung Differential- und Integralrechnung aus der Schule geläufiger.
Wie auch immer man das Kind nennt, diese Theorie wird heutzutage
als die wichtigste mathematische Innovation der letzten tausend Jahre
angesehen. Nicht nur die moderne Mathematik, auch die Physik in ih-
rer heutigen Form sähe ohne sie komplett anders aus. Und unzählige
technische Entwicklungen, die für uns inzwischen selbstverständlich
sind, hätte es wahrscheinlich ohne sie gar nicht gegeben.
Sowohl Newton als auch Leibniz werden zu den ganz Großen
der Wissenschaftsgeschichte gezählt. Und die Historiker sind sich in-
zwischen sicher, dass die beiden ihre bahnbrechenden Ideen ungefähr
gleichzeitig, aber unabhängig voneinander hatten. (So etwas passiert
öfter mal. Manchmal liegen große Ideen quasi „in der Luft“.) Dum-
merweise kamen dann mehrere unglückliche Umstände zusammen:
Newton hatte seine Methoden ein paar Jahre vor Leibniz entwickelt,
sie aber für sich behalten. Leibniz hingegen hat seine Ergebnisse
veröffentlicht und damit Newton quasi die Show gestohlen. Außer-

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_8
dem war Newton offenbar ein ziemlicher Stinkstiefel. Er hat Leibniz
vorgeworfen, seine Ideen geklaut zu haben, und dann viel Zeit und
Energie darauf verwendet, Leibniz zu diskreditieren. Sowohl Mitglie-
der der von Newton gesteuerten Royal Society als auch Unterstützer
von Leibniz setzten in dem daraus resultierenden Konflikt nicht sehr
feine Methoden ein. Dieser Streit hat zur damaligen Zeit viele kluge
Köpfe jahrelang beschäftigt und zu einem langfristigen Zerwürfnis
zwischen den englischen Mathematikern und ihren Kollegen vom
europäischen Kontinent geführt.
Sollten Sie gedacht haben, Mathematiker seien besonders ratio-
nale Menschen, die sich nur für Sätze und Beweise interessieren, so
sehen Sie das nach dieser Geschichte vielleicht anders. . .

Wir wollen das unwürdige Gezänk aber nun hinter uns lassen und
uns wieder der Mathematik zuwenden. Mit dem Adjektiv infinitesi-
mal sind „Zahlen“ gemeint, die „kleiner als jede positive Zahl, aber
größer als null“ sind. Das ergibt einerseits keinen Sinn, weil es solche
Zahlen nicht geben kann, war aber andererseits die Grundlage, auf
der Leibniz und Newton so wichtige neue Begriffe wie Ableitung
und Integral entwickelten.
Die neuen Methoden waren so fruchtbar, dass ganz Europa sie
damals begeistert aufgriff und verwendete. Und das führte wiederum
dazu, dass Mathematik und Physik auf einmal mit Siebenmeilenstie-
feln voranschritten. Das war die eine Seite der Medaille. Die andere
war allerdings die eben angesprochene Unsicherheit der Grundlagen.
Bevor die Infinitesimalrechnung aus der Taufe gehoben wurde, berief
sich die Mathematik immer noch auf das Erbe Euklids und galt als
Musterbeispiel für eine exakte Wissenschaft. Niemand bezweifelte
die Korrektheit ihrer Ergebnisse und alle bewunderten die Klarheit
und Präzision ihrer Aussagen. Die neuen Verfahren riefen jedoch
zahlreiche Skeptiker auf den Plan und ihre Verfechter sahen sich
vielfältiger Kritik ausgesetzt.
Es dauerte etwa zweihundert Jahre, bis die Mathematik gefühlt
wieder auf sicheren Füßen stand. In diesen Jahrhunderten wurden

62 PI UND DIE PRIMZAHLEN


viele Fragen geklärt, aber auch viele Fragen erstmals überhaupt ge-
stellt. Für uns besonders wichtig ist die, was eigentlich Zahlen sind.
Die Mathematiker hatten lange geglaubt, mit den (positiven) ratio-
nalen Zahlen auskommen zu können. Dass nach und nach auch die
Null und negative Zahlen hinzukamen, haben wir schon besprochen.
Aber für die Analysis reichte das nicht, weil es dort in erster Linie
um Grenzwertprozesse geht. Wir schauen uns dazu ein Beispiel an.

Wir wissen bereits, dass die „Zahl“ 2 irrational ist. Wir können
sie nicht durch einen Bruch repräsentieren und im gewissen Sinne
ist sie dadurch für uns als Wert nicht direkt zugänglich. In der Praxis
braucht man aber oft Näherungswerte für solche „unzugänglichen“
Zahlen. Und bereits lange vor den Griechen kannten die Babylonier
ein Verfahren, sich für Quadratwurzeln solche Näherungswerte zu
beschaffen.
Natürlich war das damals ein geometrisches Verfahren. Die Qua-
dratwurzel von zwei ist die Seitenlänge eines Quadrates, dessen Flä-
che zwei ist. Das kann man nicht exakt konstruieren, aber man kann
relativ leicht Rechtecke mit dieser Fläche konstruieren, beispielsweise
eines, dessen Seitenlängen eins und zwei sind. Damit dieses Rechteck
einem Quadrat ähnlicher wird, muss offenbar die eine Seite länger
und die andere kürzer werden. Es liegt nahe, als „Kompromiss“ den
Mittelwert der beiden Seitenlängen zu verwenden:
1+2 3
a1 = =
2 2
a 1 ist nicht die gesuchte Wurzel, weil a 1 ein Bruch ist. Darum
kann ein Quadrat mit der Seitenlänge a 1 nicht die Lösung sein. Wenn
wir ein Rechteck mit der Fläche zwei haben wollen, dessen eine
Seite a 1 ist, dann müssen wir zum Ermitteln der anderen Seite b1 die
Gleichung a 1 · b1 = 2 lösen. Das ist zum Glück einfach:
2 4
b1 = =
a1 3
Die entscheidende Beobachtung an dieser Stelle ist, dass wir in
derselben Situation wie am Anfang sind. Wir haben ein Rechteck

G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ? 63
der Fläche zwei, die eine Seite ist zu lang, die andere zu kurz. Darum
können wir den gleichen „Trick“ erneut anwenden: Mittelwert der
beiden Seiten a 1 und b1 bilden, um eine neue Seite a 2 zu erhalten,
dann b2 „passend“ zu a 2 berechnen.
a 1 + b1 17 2 24
a2 = = b2 = =
2 12 a2 17
Machen wir das mit a 2 und b2 noch mal, dann haben wir insge-
samt vier Rechtecke, von denen die letzten beiden sich mit bloßem
Auge kaum noch unterscheiden lassen:

Und in der Tat stimmen die beiden Seitenlängen a 3 und b3 des


vierten Rechtecks schon auf fünf Stellen nach dem Komma mit dem
richtigen Wert überein. Faszinierenderweise haben die Babylonier
also schon vor über dreitausend Jahren ein sogenanntes rekursives
Verfahren entwickelt. Noch im 21. Jahrhundert haben manche Stu-
denten große Schwierigkeiten mit der Rekursion.

Berechnen Sie mit diesem Verfahren Näherungen für 3.

In der modernen Fachsprache formuliert ist a 1, a 2, a 3, . . . eine Folge,



die gegen 2 konvergiert. Die meisten Menschen, die im Rahmen
eines Studiums mit Mathematik zu tun hatten, kennen diese Begriffe
und auch die Vorstellung dahinter. Man muss dafür nicht einmal
studiert haben, weil diese Sichtweise bereits in der Schule vorbereitet
wird. Sie erscheint uns heutzutage selbstverständlich.
Sie bricht aber mit einer Tradition, die Tausende von Jahren
alt war. Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein unterschied
man in der Mathematik zwischen Zahlen und Größen. Mit (natürli-
chen) Zahlen wurde gezählt; Größen beschrieben quasi-physikalische
Eigenschaften wie Länge, Flächeninhalt oder Zeitdauer. Zahlen re-
präsentierten diskrete Phänomene; Größen kontinuierliche. Die

64 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Eigenschaften der Zahlen wurden in der Zahlentheorie untersucht
und die Arithmetik lehrte das Rechnen mit Zahlen. Für die Größen
hingegen war die Geometrie (und später die Analysis) zuständig.
Rationale „Zahlen“ dienten der Approximation von Größenverhält-
nissen. Sie waren bequeme Hilfsmittel und hatten einen direkten
Bezug zu den „echten“ Zahlen, denn Zähler und Nenner von Brüchen
sind ja solche Zahlen.
Für die logische Fundierung der Analysis, also für die Befreiung
der Infinitesimalrechnung vom Geruch der Vagheit, war das jedoch
nicht genug. In der Analysis wimmelt es geradezu von Grenzwert-
prozessen wie dem von vorhin, in dem rationale Zahlen dem Objekt,

das wir inzwischen 2 nennen, immer näher kamen. Darum musste
klargestellt werden, was das denn für ein Objekt sein sollte.

Die Lösung, die sich schließlich durchsetzte, hob die gerade beschrie-
bene Trennung auf. Man verschmolz quasi die diskreten Punkte zur
kontinuierlichen Zahlengerade.
Der Begriff der Größe wurde aufgegeben und Zahlen (natürliche,
ganze und rationale) sowie Größen wurden unter dem Begriff der
reellen Zahl subsumiert, den ich vor einigen Seiten bereits vorweg-
genommen habe. Rationale Zahlen sind reelle Zahlen; aber auch
die Grenzwerte bestimmter Folgen von rationalen Zahlen sind re-
elle Zahlen. Man stellt sich also vor, dass eine unendliche Folge wie
a 1, a 2, a 3, . . . am Ende ein Ziel erreicht, und definiert das Ziel gleich-
zeitig über diese Folge.
Um das formalisieren zu können, war jedoch ein weiterer Bruch
mit philosophischen Traditionen vonnöten. Die im letzten Absatz
umschriebene Definition, die so klingt, als beiße sich die sprichwört-
liche Katze in den Schwanz, ist logisch sauber mithilfe von Mengen
möglich. Die sind das geistige Kind des bereits erwähnten Georg
Cantor. Aber das ganze Projekt gelingt nur, wenn man von der po-
tentiellen zur aktualen Unendlichkeit übergeht.
Mit potentieller Unendlichkeit ist die Möglichkeit gemeint, dass es
„immer weitergeht“. Prototypisch dafür sind die natürlichen Zahlen:

G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ? 65
Zu jeder natürlichen Zahl kann man eine angeben, die noch größer
ist, indem man einfach eins addiert. Diese Möglichkeit ist sogar die
definierende Eigenschaft der natürlichen Zahlen. Das hat bereits die
antike Mathematik so gesehen und abgesehen von einigen wenigen
sogenannten Ultrafinitisten hat damit auch niemand ein Problem.
Mit aktualer Unendlichkeit ist hingegen gemeint, dass Cantor
quasi alle natürlichen Zahlen in einen Sack gestopft und den Sack die
Menge der natürlichen Zahlen genannt hat. Der Prozess des „immer
weiter“ wird also gedanklich zu einem Ende geführt, damit alle na-
türlichen Zahlen als Gesamtheit betrachtet werden können. Wenn
man diese Abstraktion akzeptiert, dann kann man solche Mengen
als Objekte behandeln, mit denen man Mathematik betreiben kann.
Darauf aufbauend kann man die reellen Zahlen definieren und in
deren Gefolge die gesamte Analysis logisch absichern.
Wenn man sie akzeptiert! Während manche Zeitgenossen Can-
tors Ideen genial fanden, interpretierten andere wie Kronecker sie
als Sündenfall. Für sie war so etwas wie aktuale Unendlichkeit un-
vorstellbar und daher entbehrte für sie auch die Idee irrationaler
„Zahlen“ jeglicher logischer Grundlage.
Die Mathematiker, die im 21. Jahrhundert leben und arbeiten,
sind mehrere Generationen von der Zeit Kroneckers entfernt. Sie
haben an den Universitäten die Sichtweise Cantors gelernt, die sich
im Endeffekt durchgesetzt hat. Von den damaligen Kämpfen erfährt
nur, wer sich mit der Geschichte und der Philosophie seiner Wis-
senschaft auseinandersetzt. Und einem Außenstehenden kommen
solche Diskussion vielleicht sogar so vor, als würde jemand, der an
kleine grüne Männchen vom Mars glaubt, vehement bestreiten, dass
diese Männchen rote Mützen tragen könnten.
Zum Glück können Sie den Rest des Buches lesen, ohne sich auf
die Seite von Cantor oder von Kronecker schlagen zu müssen. Ich
habe am Anfang des Buches angekündigt, dass wir eine Formel zur
Berechnung von π entwickeln wollen. Inzwischen dürfte klar sein,
dass mit Berechnung nur gemeint sein kann, dass wir π approximieren.
Sie können die Formel, die am Ende dieses Buches stehen wird, im

66 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Geiste Kroneckers als eine Anleitung betrachten, wie man beliebig
gute rationale Näherungen des geometrischen Größenverhältnisses π
berechnen kann. Sie können sie aber auch im Geiste Cantors als
einen unendlichen Prozess betrachten, dessen Ergebnis die Zahl π ist.
An der Herleitung, um die es hier eigentlich geht, wird das nichts
ändern.

Wenn Analysis dasselbe wie Differential- und Integralrechnung wäre,


dann bräuchten wir sie für dieses Buch gar nicht. Wir werden weder
ableiten noch integrieren. (Vor meinem inneren Auge sehe ich nun
einige Leser jubeln, während andere enttäuscht sind.) Analysis ist aber
mehr. Etwas überspitzt gesagt geht es in der Algebra um Gleichungen
und in der Analysis um Ungleichungen. Ständig werden irgendwelche
Größen abgeschätzt, um sicherzustellen, dass Fehler nicht zu groß
werden oder dass andere Dinge nicht passieren. Das werden wir auch
häufiger machen müssen.
Außerdem werden wir es ab und zu auch mit Grenzwertprozes-
sen zu tun haben. Die sind aber in diesem Buch alle von derselben
Sorte und sehr leicht zu verstehen: Wenn Sie ein Streckenstück in
mehrere gleich große Teile zerlegen, dann sind die Teile natürlich
kleiner als das ganze Stück. Und die Teile werden offenbar umso
kleiner, je mehr Stücke es sind.

Sie können die Teile beliebig klein machen, wenn Sie nur die
Anzahl der Teile groß genug wählen. Mit der Formulierung beliebig
klein meint man in der Mathematik das Folgende: Wenn jemand
Ihnen sagt, dass Ihre Teilstücke höchstens einen Zentimeter lang
sein dürfen, dann können Sie mit Zollstock und Taschenrechner
problemlos ermitteln, in wie viele Teile man die Strecke zerlegen
muss, damit diese nicht länger als ein Zentimeter sind. Und das
ändert sich zumindest prinzipiell auch nicht, wenn dieser Jemand als
Obergrenze drei Millimeter oder zwölf Nanometer vorgibt. Zudem

G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ? 67
ist es natürlich auch irrelevant, wie lang die Ausgangsstrecke ist. Das
Zerlegen in Teile, die eine vorgegebene Grenze nicht überschreiten,
bekommen Sie immer hin.
Diese auch für Nichtmathematiker offensichtliche Aussage ist
so grundlegend, dass sie einen Namen bekommen hat: man nennt
sie das archimedische Axiom. In der ursprünglichen Form beschrieb
das Axiom einen Zusammenhang zwischen Größen und Zahlen.
Wie so oft in der Mathematik ist der Name eigentlich falsch, weil
Archimedes das Axiom nur verwendet hat und es bereits lange vor
seiner Zeit Eudoxos von Knidos bekannt war.
In der modernen Form, die so auch an den Hochschulen gelehrt
wird, sieht das folgendermaßen aus: Zu einer festen reellen Zahl a
und einer vorgegebenen positiven Grenze ε kann man immer eine
natürliche Zahl n 0 finden, so dass für alle n ≥ n 0 gilt, dass |a/n|
kleiner als ε ist.
Wenn man damit noch nie zu tun hatte, ist dieser Formalismus
(den die Mathematiker scherzhaft „Epsilontik“ nennen, weil in sol-
chen Aussagen fast immer eine Grenze mit dem Namen ε vorkommt)
zunächst schwer zu entziffern. Es ist aber alles nicht so schlimm.
Übersetzt ist a die Länge unseres Streckenstücks, ε die von Herrn
Jemand vorgegebene Maximallänge der Teilstücke und n 0 die Minde-
stanzahl von Teilen, die man braucht, um die Anforderungen zu erfül-
len. Der Nebensatz mit n ≥ n 0 bedeutet, dass es natürlich „erst recht“
klappt, wenn man noch mehr Stücke nimmt. Und die Betragsstriche
sorgen dafür, dass die Aussage auch noch stimmt, wenn a negativ ist.
Man sagt dann auch, dass a/n gegen null geht (oder konvergiert),
wenn n gegen unendlich geht. Dieser Formulierung sind wir im Zusam-
menhang mit dem babylonischen Wurzelverfahren bereits begegnet
und ich werde sie auch in den folgenden Kapiteln ab und an verwen-
den. Wenn Ihnen das zu sehr nach aktualer Unendlichkeit klingt,
können Sie es im Kopf aber auch umformulieren: Man kann n bei Be-
darf so groß wählen, dass der Betrag von a/n keine Rolle mehr spielt.
Unabhängig davon, wie wir es ausdrücken, sind wir nun jedoch
so weit, dass ich Ihnen die Details des Plans verraten kann. . .

68 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Vorher muss ich aber noch die Pointe zu diesem Kapitel loswerden.
Ich sagte vorhin, dass es die infinitesimalen Größen von Leibniz
und Newton nicht geben kann, die kleiner als jede positive (reelle)
Zahl, aber größer als null sein sollten. Das ist der Standpunkt der
Standardanalysis, die im 21. Jahrhundert an allen Universitäten ge-
lehrt wird. Seit den 1960er Jahren gibt es allerdings auch die mit ihr
konkurrierende Nichtstandardanalysis. Sie gehört nicht zum üblichen
Curriculum (dafür ist die Zunft vielleicht zu konservativ), wird aber
durchaus in weiterführenden Seminaren besprochen.
Und niemand bestreitet, dass sie genauso valide ist wie die Stan-
dardanalysis. Die Nichtstandardanalysis hat die Sichtweise der „Väter
der Analysis“ rehabilitiert, denn dort gibt es – logisch sauber fun-
diert – infinitesimale Zahlen. (Dafür wird es auf der Zahlengeraden
noch viel enger, als es ohnehin schon war.)
Auch diese Innovation lag in der Luft. Vergleichbare Ideen wur-
den ungefähr zur selben Zeit von drei Mathematikern publiziert:
Curt Schmieden, Detlef Laugwitz und Abraham Robinson. In diesem
Fall ist jedoch kein erbitterter Prioritätsstreit aktenkundig.

G I B T E S P I Ü B E R H AU P T ? 69
DER PLAN

Zweitausend Jahre lang waren Geometrie und Zahlentheorie getrenn-


te Welten. In der Moderne kamen aber immer mehr Überschneidun-
gen zum Vorschein. Ideen und Methoden aus der einen Disziplin
konnten in der anderen gewinnbringend eingesetzt werden. Unser
Plan ist auch so eine Grenzüberschreitung. Die Kreiszahl π , eine
altehrwürdige und etwas mysteriöse Größe aus der Geometrie, wird
mithilfe der Primzahlen, die die Protagonisten der Zahlentheorie
sind, angenähert werden. Und zur Rechtfertigung unseres Handelns
werden wir vergleichsweise moderne Techniken aus Analysis und
Algebra einsetzen.
Der Plan lässt sich ganz einfach visualisieren:

Wir werden Punkte auf einem regelmäßigen Gitter anordnen und


zählen, wie viele dieser Punkte innerhalb eines Kreises liegen. Um
nach und nach bessere Approximationen zu erhalten, werden wir den
Kreis vergrößern und dadurch die (relative) Punktdichte erhöhen.
(In diesem Sinne ist die obige Skizze irreführend, weil dort beide
Kreise gleich groß sind!)
Aber wieso sollte das Zählen von Punkten beim Annähern von π
helfen? Weil jeder Punkt Mittelpunkt eines Quadrates sein soll, wie

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_9
die folgende Skizze zeigt. Wenn wir so skalieren, dass die Quadrate
die Fläche eins haben, dann entspricht das Zählen der Punkte dem
Messen der Gesamtfläche der Quadrate, die augenscheinlich eine gute
Näherung für die Kreisfläche ist.

Da wir dank Archimedes den Zusammenhang zwischen Kreisflä-


che und π schon kennen, müssen wir dann nur noch die Anzahl der
Punkte durch das Quadrat des Kreisradius dividieren.

Allerdings muss ich an dieser Stelle erst mal etwas auf die Brem-
se treten. Ich habe eben behauptet, dass wir durch die Erhöhung
der Punktdichte nach und nach bessere Näherungen erhalten. Aber
stimmt das wirklich?
Es ist offensichtlich, dass man aus Quadraten niemals exakt einen
Kreis zusammenbasteln kann. Analysiert man genauer, so sieht man,
dass es zwei Sorten von Abweichungen gibt: Einerseits gibt es Punkte
innerhalb des Kreises, deren zugehörige Quadrate aber nicht ganz
im Kreis liegen. In diesen Fällen wird immer etwas Quadratfläche zu
viel addiert. Andererseits gibt es Punkte außerhalb des Kreises, deren
Quadrate teilweise innerhalb des Kreises liegen. Hier wird jeweils
etwas Quadratfläche unterschlagen.

Man könnte nun einfach hoffen, dass sich diese Fehler gegenseitig
aufheben. Das wäre aber ziemlich blauäugig und auf jeden Fall ein
sehr unmathematischer Ansatz. Wir machen es ganz anders und

72 PI UND DIE PRIMZAHLEN


gehen sogar vom worst case aus: dass die Fehler maximal groß sind
und sich addieren. Das lässt sich besonders einfach rechnen und zum
Glück wird selbst dann der Fehler vernachlässigbar sein, wenn der
Kreis nur groß genug ist. Anschaulich liegt das daran, dass erstens bei
wachsendem Kreis die einzelnen Quadrate relativ zum Kreis natürlich
immer kleiner werden und dass zweitens nur ein kleiner Teil der
Quadrate im „kritischen Bereich“ liegt. Letzteres wiederum hängt
damit zusammen, dass beim Vergrößern die Kreisfläche quadratisch
wächst, der Kreisumfang aber nur linear.
Für die folgenden Überlegungen, in denen dieser Gedankengang
im Detail ausgearbeitet wird, zeige ich Ihnen vorab schon mal ein
paar Skizzen. Sie haben aber hoffentlich auch nach wie vor Papier
und Bleistift griffbereit und kritzeln selbst ab und zu. Nach meiner
Erfahrung hilft das beim Nachdenken ungemein!

Überlegen Sie sich selbst eine Begründung,


bevor Sie weiterlesen.

Zur Erinnerung: Während die Größe des Kreises variiert, sollen


die Quadrate gleich groß bleiben. Da ihre Fläche eins sein soll, muss
auch ihre Seitenlänge eins sein. Nach Pythagoras ist die Länge ihrer

Diagonale somit 2. Das bedeutet, dass kein Punkt eines Quadrates

weiter als 2/2 von dessen Mittelpunkt entfernt sein kann.
Das impliziert aber wiederum, dass sämtliche „Fehlerflächen“,
egal ob wir zu viel oder zu wenig rechnen, innerhalb eines „Sicher-
heitsrings“ um den Kreisrand liegen, der von diesem in beide Richtun-

gen jeweils 2/2 entfernt ist. Die Summe sämtlicher Fehlerflächen
ist also auf jeden Fall nicht größer als die Fläche dieses Rings.

Können Sie diese Fläche berechnen?

DER PL AN 73
Wenn wir den Radius unseres Kreises mit r bezeichnen, dann
√ √
wird der Ring durch Kreise mit den Radien r + 2/2 und r − 2/2
nach außen und innen begrenzt. Die Fläche des Rings ist daher
einfach die Differenz der entsprechenden Kreisflächen:
 √ 2  √ 2 √
π r + 2/2 − π r − 2/2 = 2 2π r

Vor langer Zeit habe ich im Radio mal ein Gespräch mit Albert
Mangelsdorff gehört. Er war damals über 50 Jahre alt und gerade von
den Kritikern der führenden amerikanischen Fachzeitschrift zum
weltbesten Jazz-Posaunisten gewählt worden. In dem Interview sagte
er unter anderem, dass er nach wie vor jeden Tag mehrere Stunden
üben würde.
Warum erzähle ich das? Weil auch die größten Künstler ihr Hand-
werk beherrschen müssen. Darum habe ich eben auch nicht Schritt
für Schritt vorgerechnet, wie man auf das Ergebnis kommt. Ma-
thematik erfordert Kreativität, Inspiration und Verständnis. Aber
manchmal muss man natürlich auch einfach rechnen, das kann Ihnen
niemand abnehmen. Picasso wusste sicher auch, wie man Farben
mischt.

OK, wir wissen nun, dass die Fläche des „Sicherheitsrings“ propor-
tional zum Radius anwächst. Ist das eine gute oder eine schlechte
Nachricht? Ich habe eigentlich schon vorweggenommen, dass es eine
gute ist. Denn wir werden ja am Ende die Anzahl der Punkte (die
Summe der Quadratflächen) durch das Quadrat des Kreisradius, al-
so r 2 , teilen. Der Fehler, den unser Schätzwert für π haben wird, ist
√ √
somit nicht 2 2π r , sondern 2 2π/r . Und in der im letzten Kapi-
tel vorgestellten Sprache der Analysis ausgedrückt geht dieser Wert
gegen null, wenn r gegen unendlich geht.
Dem Gelingen unseres Plans steht also prinzipiell nichts entgegen.
Wir müssen „nur“ noch einen möglichst simplen Weg finden, die
Anzahl der Punkte in einem Kreis zu zählen. Das ist nicht gerade
einfach, aber interessant. Diese Aufgabe wird uns in den nächsten

74 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Kapiteln beschäftigen und dann wird auch klar werden, welche Rolle
die Primzahlen dabei spielen.
Vorher sollte ich aber vielleicht mal erwähnen, von wem dieser
Plan eigentlich stammt. Er beruht auf Ideen von Carl Friedrich Gauß,
der im 19. Jahrhundert lebte und als einer der größten Mathemati-
ker aller Zeiten gilt. Viele Experten meinen sogar, er sei der größte
Mathematiker aller Zeiten. (Eigentlich sollte Gauß gerade in seinem
Geburtsland Deutschland einen ähnlichen Popstar-Status wie Albert
Einstein haben – dessen allgemeine Relativitätstheorie es ohne die
geometrischen Vorarbeiten von Gauß übrigens gar nicht gäbe. Nur
sehr wenige Menschen haben aber schon mal etwas von Gauß gehört.
Liegt es daran, dass er vor dem Zeitalter der Massenmedien lebte? Ist
Physik in der öffentlichen Wahrnehmung „cooler“ als Mathematik?
Ich verstehe das jedenfalls nicht.)
Gauß ging es bei seiner Beschäftigung mit Punkten und Kreisen
allerdings nicht um die Approximation von π , sondern um etwas
anderes. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, dann informieren
Sie sich über das sogenannte Gaußsche Kreisproblem.

Erlauben Sie mir noch eine weitere Abschweifung, bevor wir Punkte
zählen. Hat Sie unsere Fehlerabschätzung eben überzeugt oder waren
Sie eventuell nicht ganz zufrieden? Wir haben ganz großzügig als
größten anzunehmenden Fehler die Fläche des Rings angesetzt und
uns überzeugt, dass selbst diese im Vergleich zur Kreisfläche klein
genug wird, wenn der Kreis nur groß genug ist. Aber kennen wir
den wirklichen Fehler? Nein.
Wir sind damit in der Situation einer Ingenieurin, die weiß, dass
ein Röntgengerät sicher ist, wenn man es mit genügend Blei ab-
schirmt, die aber nicht weiß, wie viel Blei im konkreten Fall benötigt
wird. Zu wenig Blei wäre gefährlich, zu viel Blei macht die Maschine
teuer und schwer.
Die Relevanz solcher Fragen macht (unter anderem) den Unter-
schied zwischen der reinen und der angewandten Mathematik aus. In
der reinen Mathematik geht es um die großen theoretischen Fragen.

DER PL AN 75
Man will beispielsweise wissen, ob etwas überhaupt möglich ist. In
der angewandten Mathematik geht es um die Praxis. Wenn man erst
einmal weiß, dass etwas möglich ist, dann möchte man Wege finden,
den Job möglichst ökonomisch zu erledigen. Dazu gehören auch Fra-
gen nach genauen Fehlerschranken und nach effizienten Methoden
zur Berechnung von Schätzwerten, die in den Bereich der Numerik
gehören.
In diesem Buch geht es ausschließlich um reine Mathematik. Wir
werden noch öfter lediglich sicherstellen, dass wir theoretisch zum
Ziel kommen werden, ohne quantifizieren zu können, wie lang der
Weg bis zum Ziel sein wird. Sagte ich schon, dass das Buch keinen
praktischen Wert hat?

76 PI UND DIE PRIMZAHLEN


MILLIMETERPAPIER

Wahrscheinlich hatte er die Idee im Bett. Von René Descartes heißt


es nämlich, er habe bevorzugt im Bett gearbeitet und es selten vor
dem Nachmittag verlassen.
Zu Beginn der Neuzeit gab es eigentlich niemanden, der „nur“
Mathematiker war, auch weil es zwischen den verschiedenen Diszipli-
nen nicht so klare Trennlinien wie heute gab. Leibniz beispielsweise
war auch ein bedeutender Philosoph und arbeitete „nebenbei“ noch
als Jurist, Historiker und politischer Berater. Newton war in erster
Linie ein großer Physiker, aber er war auch Astronom und Theo-
loge und suchte als Alchemist den Stein der Weisen, mit dem man
unedle Metalle in Gold verwandeln können sollte. Und Descartes,
um dessen wichtigsten Beitrag zur Mathematik es hier gehen soll, ist
wohl besonders als Philosoph in Erinnerung geblieben (dessen Schrif-
ten übrigens auf dem berüchtigten Index der römischen Inquisition
landeten).
Es gibt eine weitere Parallele zu Newton und Leibniz: Auch
Descartes’ Idee hatte zur gleichen Zeit jemand anders, nämlich sein
Landsmann Pierre de Fermat, der im Verlauf des Buches noch eine
wichtige Rolle spielen wird. Allerdings ist zwischen Descartes und
Fermat kein ausufernder Prioritätsstreit überliefert – obwohl die
beiden sich nicht immer grün waren und es diverse Zankereien per
Briefpost gab. Benannt ist das geistige Kind der beiden auf jeden Fall
nach Descartes bzw. nach seinem latinisierten Namen Cartesius.
Aber was war denn nun die neue Sichtweise, die einen nicht unwe-
sentlichen Teil von Descartes’ Nachruhm ausmacht? Die Geometrie

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nach dem Vorbild von Euklid, die über einen langen Zeitraum die ge-
samte Mathematik dominierte, bezeichnet man heute als synthetische
Geometrie. Die geometrischen Objekte (wie etwa Punkte, Geraden
oder Dreiecke) werden über Axiome impliziert definiert und mit-
hilfe von Konstruktionsmethoden werden die Beziehungen dieser
Objekte zueinander untersucht. Weil es für uns heute schwer vorstell-
bar ist, muss man allerdings explizit aussprechen, was in Rahmen
dieser Geometrie nicht gemacht wurde: Es wurde niemals gemessen.
Es ging nie darum, wie lang eine bestimmte Strecke war oder welchen
Flächeninhalt ein bestimmtes Polygon hatte, sondern höchstens um
das Verhältnis solcher Größen zueinander. Die Geometer hatten sich
darauf geeinigt, nur Lineale ohne Maßeinheiten zu verwenden.
In der „neuen Geometrie“, die man analytische Geometrie nennt,
ist das anders. Wollte man es mit modernen Begriffen ausdrücken,
so könnte man sagen, dass Descartes und Fermat zur Orientierung
Millimeterpapier auf die Ebene von Euklid legten, die vorher eine
unendliche nichtssagende Wüste war.

Legt man willkürlich noch einen festen Bezugspunkt fest, so


erhält man ein sogenanntes kartesisches Koordinatensystem.

Man kann nun Punkten „Adressen“ (ihre Koordinaten) zuordnen,


anhand derer man sie eindeutig identifizieren kann. Die obere Ecke
des Dreiecks in der Skizze hat beispielsweise die Koordinaten (1, 2) .
Das bedeutet: vom Ursprung (dem Schnittpunkt der Achsen) aus

78 PI UND DIE PRIMZAHLEN


einen Schritt nach rechts, dann zwei Schritte nach oben. Der Punkt
links unten hat die Koordinaten (−1,8, −2,3) . Die Zahlen sind negativ,
weil man in die entgegengesetzte Richtung schauen muss.
Jeder hat das in der Schule schon mal gesehen und es ist auch
aus den Anwendungen nicht mehr wegzudenken. Unter anderem
die gesamte Computergrafik beruht auf dieser Grundidee. Für die
Mathematik ist die entscheidende Umwälzung, dass die Koordinaten
geometrische Objekte in Zahlen „übersetzen“. Man konnte plötzlich
mit Punkten, Geraden und Kreisen rechnen und damit Verfahren der
Algebra auf die Geometrie anwenden. Umgekehrt kann man aber
auch gelegentlich intuitive, auf geometrischer Anschauung beruhen-
de Methoden verwenden, um abstrakte algebraische Probleme zu
lösen.

Der guten Ordnung halber muss man sagen, dass man in den
Schriften von Descartes nirgends ein kartesisches Koordinatensystem
finden wird. Und an eines, das sich beliebig weit nach links und unten
erstreckt, hätte man damals ohnehin wohl nicht gedacht. Das hätte
nämlich die Akzeptanz negativer Zahlen vorausgesetzt und im 17.
Jahrhundert, zur Zeit von Descartes, waren die den Mathematikern
noch nicht ganz geheuer.
Descartes hat also das nach ihm benannte System nicht direkt
vorgeschlagen, aber er hat den Boden dafür bereitet. Und er hat noch
weitere Spuren hinterlassen. Die Konvention, Buchstaben vom Ende
des Alphabets wie x , y und z für unbekannte Variablen zu verwenden
und Buchstaben vom Anfang wie a , b und c für bekannte, hat er
ebenfalls eingeführt.
Noch wichtiger für die Entwicklung der Mathematik war aber
sein Standpunkt, dass eine Größe wie a 2 nicht nur eine Fläche, son-
dern auch eine Länge repräsentieren kann. Heutzutage scheint uns
das die natürlichste Sache der Welt zu sein, aber damals war das
gewissermaßen ein Sakrileg. Euklid hätte sich im Grabe umgedreht!
Wir haben bereits gesehen, wie kontrovers der Schritt von den
Größen der Geometrie zu den Zahlen war. Descartes trug mit dazu

M I L L I M E T E R PA P I E R 79
bei, den Stein ins Rollen zu bringen, indem er eine „liberale“ Sicht
auf die Größen der Geometrie ermöglichte.
Übrigens wurde 150 Jahre nach seinem Tod die Kleinstadt, in der
er geboren wurde, nach ihm benannt. Wer kann das schon von sich
behaupten?

Wir haben aber unser Vorhaben, Punkte zu zählen, nicht verges-


sen. Der Plan war, die Punkte auf einem regelmäßigen Gitter so
anzuordnen, dass sie die Mittelpunkte von Quadraten der Fläche
eins bilden, die einander berühren. Das sind genau die Punkte, die
in einem kartesischen Koordinatensystem ganzzahlige Koordinaten
haben: (1, 2) , (−3, 5) , (42, 23) und so weiter.

Den Kreis platzieren wir natürlich so, dass sein Mittelpunkt der
Ursprung des Koordinatensystems ist. Durch die neue Brille von
Descartes und Fermat betrachtet ist der Kreis dann die Gesamtheit
aller Punkte, deren Abstand vom Ursprung dem Radius des Kreises
entspricht.

Anders ausgedrückt: Wenn wir die zu zählenden Punkte identifi-


zieren wollen – die, die sich im Inneren des Kreises befinden –, dann
müssen wir ihre Abstände vom Ursprung berechnen und diese mit
dem Kreisradius vergleichen.

Wie berechnet man so einen Abstand?

80 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Ein angenehmer Nebeneffekt des kartesischen Koordinatensys-
tems (der sogar eine tiefergehende Bedeutung hat, auf die ich an
dieser Stelle aber nicht näher eingehen kann) ist, dass der Satz des
Pythagoras quasi „eingebaut“ ist. Weil die Achsen im rechten Win-
kel aufeinander stehen, kann man den Abstand eines Punktes vom
Ursprung direkt seinen Koordinaten entnehmen. Es bildet sich näm-
lich auf natürliche Weise immer ein rechtwinkliges Dreieck, dessen
Hypotenuse die Verbindungslinie von Punkt und Ursprung ist.

Der Punkt (4, 2) in der Skizze hat beispielsweise nach Pythagoras


den Abstand
 √
42 + 22 = 20

vom Schnittpunkt der Achsen. Man kann es auch so ausdrücken: Er


liegt auf dem Kreis, dessen Mittelpunkt der Ursprung und dessen

Radius 20 ist.

Das führt zu einer wichtigen Erkenntnis, die der Grund dafür sein
wird, dass wir uns in den folgenden Kapiteln nicht mit Geometrie,
sondern mit Zahlentheorie beschäftigten werden:
Wir haben gerade gesehen, dass ein Punkt mit den Koordinaten

(x, y) den Abstand x 2 + y 2 vom Ursprung hat. Wir betrachten nur
Punkte, bei denen x und y ganze Zahlen sind. Dann ist x 2 + y 2 aber
auch eine ganze Zahl. „Unsere“ Punkte können demnach nur auf
√ √ √
konzentrischen Kreisen mit den Radien 1, 2, 3 und so weiter
liegen.
Wenn wir also beispielsweise wissen wollen, wie viele Punkte in
der Kreisscheibe mit dem Radius 3,2 liegen, dann müssen wir zählen,
√ √
wie viele Punkte auf den zehn Kreisen mit den Radien 1 bis 10

liegen, weil 10 ungefähr 3,16 ist. Und für die Kreisscheibe mit dem

M I L L I M E T E R PA P I E R 81

Radius 3,3 wäre die Antwort dieselbe, weil die „nächste“ Wurzel 11
größer als 3,3 ist.

Wir werden daher den Plan aus dem letzten Kapitel etwas modi-
fizieren und dadurch einfacher gestalten. Wir setzen für den Rest des
Buches die folgende Bezeichnung fest:

Pn : Anzahl der Punkte auf dem Kreis mit dem Radius n

Der Skizze können wir die ersten zehn Werte entnehmen:

n 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Pn 4 4 0 4 8 0 0 4 4 8

Der Näherungswert für π , den wir berechnen wollten, war die


Anzahl der Punkte (die Summe der Quadratflächen) geteilt durch
das Quadrat des Kreisradius. Dieser Wert sieht mit der neuen Be-
zeichnung nun folgendermaßen aus:

P1 + P2 + P3 + · · · + Pn
n
Dabei steht n für eine natürliche Zahl und wir hatten uns bereits
überlegt, dass unsere Näherung umso besser wird, je größer n ist.
Dies ist ein ganz wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ziel. Darum
schlage ich vor, vor dem Weiterlesen eine Pause einzulegen und über
die folgende Frage nachzudenken:

82 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Ist Ihnen klar, warum wir so vorgehen dürfen?

Und wenn wir schon bei Fragen sind, dann habe ich gleich noch
eine für Sie. Dafür sollten Sie sich die letzte Skizze noch einmal genau
anschauen.

Haben wir nicht etwas vergessen?

Wir haben in der Tat etwas vergessen! Die Summe, die im Zähler
des obigen Bruchs steht, berücksichtigt nicht den Punkt im Ursprung,
der einfach „übersehen“ wird. Aber das ist zum Glück nicht schlimm.
Wenn der Kreis immer größer wird, dann wird dieses eine Quadrat
im Vergleich dazu so klein, dass es für den Schätzwert irgendwann
irrelevant ist. (Aber vielleicht sollten Sie mir das nicht einfach glau-
ben. Man kann sich relativ leicht davon überzeugen, dass es wirklich
stimmt. Das läuft wieder auf einen Grenzwertprozess hinaus.)

M I L L I M E T E R PA P I E R 83
DIE ATOME DER MATHEMATIK

Über meinen einleitenden Satz, dass dieses Buch keinen praktischen


Wert hat, hätte sich der englische Mathematiker Godfrey Harold
Hardy wahrscheinlich gefreut. Er schrieb 1940 ein in Mathemati-
kerkreisen recht bekanntes Essay mit dem Titel A Mathematician’s
Apology, in dem er argumentierte, dass die Mathematik anhand von
ästhetischen Kriterien beurteilt werden solle und nicht etwa auf
der Basis ihrer Anwendbarkeit. Besonders stolz war er darauf, wie
offensichtlich nutzlos sein Spezialgebiet, die Zahlentheorie, war.
Wir entsinnen uns, dass in der klassischen Mathematik die Geo-
metrie für die Größen zuständig war und man nur die natürlichen
Zahlen als Zahlen ansah. Die Zahlentheorie beschäftigt sich, daher
der Name, mit ebendiesen Zahlen und sie wurde tatsächlich über
die Jahrhunderte als l’art pour l’art betrieben – aus purem Interesse,
ohne dass irgendeine Anwendung erkennbar war.
Hardy prognostizierte, dass sich das auch in Zukunft kaum än-
dern und seine Forschung sich nicht für kriegerische Zwecke eig-
nen würde. Da irrte er sich allerdings gewaltig. Die Zahlentheorie
spielt inzwischen eine zentrale Rolle in der Kryptographie und der
amerikanische Nachrichtendienst NSA dürfte der weltweit größte
Arbeitgeber für Zahlentheoretiker sein.
Das ist aber natürlich nicht der Grund, warum die Zahlentheorie
in diesem Buch erwähnt wird. Wir werden ihre Methoden auf der
Suche nach unserer Formel für π benötigen. Da jedoch schon in den
nächsten Kapiteln Begriffe aus der Zahlentheorie verwendet werden,
hat sie bereits jetzt ihren ersten Auftritt in Form einer größtenteils

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_11
informellen Übersicht. Die fehlenden Beweise liefere ich in einem
anderen Kontext nach.

Das zentrale Thema der Zahlentheorie ist die Teilbarkeit und ih-
re Stars sind die Primzahlen. Wenn vier Mathematikerinnen neun
Pizzen gerecht unter sich aufteilen, dann bekommt jede zwei ganze
und noch ein Viertel. Das klappt bei Pizzen ganz gut, aber es funk-
tioniert nicht mit neun Perlen, weil man Perlen wohl kaum vierteln
will. Mathematisch formuliert bedeutet das, dass man neun nicht
durch vier teilen kann, wenn man nur die natürlichen Zahlen zur
Verfügung hat.
Eine Perle bleibt übrig. Sie ist der Rest beim Teilen mit Rest, das
den Kindern bereits in der Grundschule beigebracht wird. Wenn es
beim Teilen keinen Rest gibt, dann sagt man, dass der Dividend durch
den Divisor teilbar ist. Zwölf ist zum Beispiel durch drei teilbar, aber
nicht durch fünf. Manchmal sagt man auch, dass drei ein Teiler von
zwölf ist oder zwölf ein Vielfaches von drei. Das sind einfach nur
unterschiedliche Formulierungen für denselben Sachverhalt.
(Offenbar ist es sinnlos, im Zusammenhang mit rationalen Zah-
len von Teilbarkeit zu sprechen. Wenn ich auf den folgenden Seiten
einfach nur von Zahlen spreche, dann sind damit immer natürliche
Zahlen gemeint, wenn ich nicht explizit ein Adjektiv wie rational
oder reell verwende.)
Jede Zahl ist durch eins und durch sich selbst teilbar. Anders
ausgedrückt: Wenn ich sechs Pizzen unter sechs Personen aufteilen
will, dann bekommt jeder eine und es bleibt nichts übrig. Es bleibt
aber auch nichts übrig, wenn nur eine Person Pizza essen will (und
sie sehr hungrig ist).
Es gibt Zahlen, die sind nur durch eins und sich selbst teilbar.
Fünf ist so eine Zahl: Man kann fünf Perlen weder unter zwei noch
unter drei noch unter vier Personen so aufteilen, dass alle gleich viele
(ganze) Perlen bekommen. Solche Zahlen nennt man Primzahlen.
Hier die ersten zehn Primzahlen:

2 3 5 7 11 13 17 19 23 29

86 PI UND DIE PRIMZAHLEN


„Moment!“, höre ich da einige Leser einwenden. „Die Eins ist
doch auch nur durch eins und sich selbst teilbar. Warum fehlt die
denn in der Liste?“ Die Antwort ist banal: Man setzt fest, dass eins
keine Primzahl ist, weil das praktischer ist. Im Prinzip ist das wie mit
der Frage, ob null eine natürliche Zahl ist oder nicht; man könnte
es so oder so machen. Der Unterschied ist nur, dass sich bei den
Primzahlen inzwischen alle Mathematiker einig sind: die Eins ist per
definitionem keine Primzahl!
(Für die Griechen der Antike war die Eins nicht mal eine Zahl.
In der Mathematik ist eben nicht alles in Stein gemeißelt.)

Durch die Definition der Primzahlen werden die natürlichen Zah-


len in drei Klassen eingeteilt. Die eine Klasse besteht aus den Prim-
zahlen, die zweite Klasse besteht aus den zusammengesetzten Zahlen;
damit meint man die Zahlen, die noch durch mindestens eine andere
Zahl als eins und sich selbst teilbar sind. Die beiden kleinsten zusam-
mengesetzten Zahlen sind vier (durch zwei teilbar) und sechs (durch
zwei und drei teilbar).

Wieso drei Klassen? Das waren doch nur zwei.

Es fehlt noch die Eins. Sie soll keine Primzahl sein, aber zusam-
mengesetzt ist sie auch nicht; also bekommt sie eine Extrawurst
gebraten und hat eine Klasse ganz für sich alleine.
Wenn ein Teiler eine Primzahl ist, dann nennt man ihn einen
Primteiler. Zwei ist beispielsweise ein Primteiler von zwölf, vier
nicht; vier ist nur ein Teiler. Offensichtlich hat jede Zahl bis auf die
Eins Primteiler: Handelt es sich um eine Primzahl, so ist sie selbst
ein Primteiler von sich. Handelt es sich um eine zusammengesetzte
Zahl, so muss sie einen Teiler haben, der kleiner als sie selbst, aber
größer als eins ist. Ist dieser Teiler eine Primzahl, so haben wir einen
Primteiler gefunden. Ist der Teiler eine zusammengesetzte Zahl, so
muss er wiederum einen kleineren Teiler haben, der nicht eins ist.
Der ist aber auch ein Teiler der ursprünglichen Zahl. Ist er eine
Primzahl, so sind wir fertig. Ist er keine, dann. . . Naja, und so weiter.

D I E ATO M E D E R M AT H E M AT I K 87
Das muss irgendwann aufhören, weil jeder von diesen Teilern kleiner
als der vorherige ist.
Beispiel gefällig? 4200 ist keine Primzahl. Ein Teiler von 4200 ist
210. 210 ist auch keine Primzahl. Ein Teiler von 210 ist 10. Auch das
ist keine Primzahl, aber 10 hat den Primteiler 5. Und 5 teilt auch 10,
210 und 4200. Also haben wir einen Primteiler von 4200 gefunden.

Einen Teiler, der weder eins noch die zu teilende Zahl selbst ist,
nennt man einen echten Teiler. Im obigen Beispiel war 210 ein echter
Teiler von 4200. Und offenbar hat man, wenn man einen echten
Teiler hat, immer gleich zwei. Der zweite ergibt sich durch Division,
in diesem Fall, indem man 4200 durch 210 teilt. Man kommt auf
den Teiler 20. Und wie wir 210 weiter zerlegt haben, kann man auch
weitere Teiler von 20 finden. Das kann zum Beispiel so aussehen:
4200
20 210
10 2 21 10
2 5 3 7 2 5

Man kann offenbar so lange weiter zerlegen, bis man bei Primzah-
len angelangt ist. Und die Zahl, mit der man angefangen hat, muss
dann das Produkt dieser Primzahlen sein:

4200 = 20 · 210 = 10 · 2 · 21 · 10 = 2 · 5 · 2 · 3 · 7 · 2 · 5

Wir hätten es aber auch so machen können:


4200
42 100
6 7 10 10
2 3 2 5 2 5

In diesem Fall ergibt sich:

4200 = 2 · 3 · 7 · 2 · 5 · 2 · 5

Fällt Ihnen etwas auf? Da kommt dasselbe Produkt wie vorher


heraus; nur die Reihenfolge der Faktoren wurde vertauscht, aber das

88 PI UND DIE PRIMZAHLEN


spielt beim Multiplizieren ja keine Rolle. Das ist der Grund dafür,
dass die Primzahlen so wichtig sind. Jede Zahl (außer eins) lässt sich in
ein Produkt von Primzahlen zerlegen und diese Zerlegung ist (bis auf
die Reihenfolge) eindeutig: es gibt nur eine mögliche Zerlegung. Man
nennt diese Aussage den Fundamentalsatz der Arithmetik. Ich hoffe,
man ahnt anhand dieser Grafiken, warum das stimmen muss. Viel-
leicht probieren Sie selbst es ja noch mit ein paar anderen Zahlen aus.
Falls Sie sich übrigens fragen, wie das mit dem Zerlegen von Prim-
zahlen gemeint ist: Die kann man auch als Produkt von Primzahlen
darstellen – es gibt dann nur einen Faktor und der ist die Primzahl
selbst. Für Mathematiker ist klar, dass das so gemeint ist. Die finden
ein Produkt mit nur einem Faktor ganz normal. Aber nach meiner
Erfahrung sind Anfänger an dieser Stelle manchmal etwas verwirrt.
Die Mathematiker gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen,
dass sich auch die Eins als Produkt von Primzahlen darstellen lässt,
und zwar als Produkt mit null (!) Faktoren. Das brauchen wir aber
für unsere Zwecke nicht und ich befürchte auch, dass es bei einigen
Lesern unnötige Konfusion stiften würde.
Der Fundamentalsatz besagt, dass die Primzahlen sowas wie Ato-
me sind. Materie lässt sich in Moleküle und die wiederum in Atome
zerlegen und diese Zerlegung ist immer gleich. Ein Kochsalzmolekül
besteht immer aus einem Natrium- und einem Chlor-Atom; da wird
nicht auf einmal ein zweites Natrium-Atom auftauchen oder statt des
Chlor-Atoms ein Gold-Atom. So ist das auch mit den Primzahlen.

Vor einigen Seiten habe ich Ihnen den wunderschönen Beweis


dafür gezeigt, dass die Quadratwurzel von zwei nicht rational sein
kann. Dieser Beweis steht in den legendären Elementen von Euklid.
Dort findet man noch einen weiteren klassischen und sehr eleganten
Beweis, den vorzuführen ich mir auch nicht verkneifen kann; auch
auf die Gefahr hin, dass einige Leserinnen ihn schon kennen.
Es geht um eine Aussage, die man heutzutage den Satz von Euklid
nennt: Es gibt unendlich viele Primzahlen. So hätte das Euklid aber
nicht formuliert, denn das wäre ja aktuale Unendlichkeit gewesen.

D I E ATO M E D E R M AT H E M AT I K 89
In Euklids Worten besagt der Satz: „Es gibt mehr Primzahlen als
jede vorgelegte Anzahl von Primzahlen.“ Noch anders ausgedrückt:
Wenn Sie mir eine (endliche) Liste von Primzahlen zeigen, dann
kann ich immer eine Primzahl finden, die nicht in Ihrer Liste steht.
Wie beweist man das? Wenn Sie zwei Zahlen multiplizieren, dann
sind diese beiden Zahlen natürlich Teiler des Produktes. Das gilt auch
für mehr als zwei Zahlen. Multiplizieren Sie zum Beispiel 2, 3 und 7,
so ergibt sich 42 und sowohl 2 als auch 3 als auch 7 sind Teiler von 42.
Wenn andererseits a ein echter Teiler von b ist, dann kann a nicht
Teiler von b + 1 sein. Denn beim Dividieren von b durch a gibt
es ja keinen Rest, also muss es beim Dividieren von b + 1 durch a
zwangsläufig den Rest eins geben. (Im obigen Beispiel ist 43 weder
durch 2 noch durch 3 noch durch 7 teilbar.)
Und das ist auch schon alles, was man für den Beweis braucht.
Euklid kommt mit einer Liste von Primzahlen an. Wir nennen diese
Primzahlen p1 bis p n . Sie rechnen nun die folgende Zahl aus:

q = p1 · p2 · p3 · · · · · p n + 1

Wie geht es weiter?

War Ihre Antwort, dass q eine Primzahl ist, die nicht in der Liste
auftaucht? Sie waren auf der richtigen Spur, aber die Antwort ist nicht
ganz korrekt. Diese Falle, in die viele tappen, zeigt, dass es in der
Mathematik doch immer mal wieder auf Kleinigkeiten ankommt, die
man beim Argumentieren nicht übersehen darf. Hier sehen Sie, was
herauskommt, wenn p1, . . . , p n die Liste der ersten n Primzahlen ist:

p 1, . . . , p n p1 · · · pn + 1

2 3
2, 3 7
2, 3, 5 31
2, 3, 5, 7 211
2, 3, 5, 7, 11 2311
2, 3, 5, 7, 11, 13 30031

90 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Die letzte Zahl, 30031, ist keine Primzahl, denn man kann sie
durch 59 teilen. Die richtige Argumentation verläuft so: Entweder
q ist eine Primzahl, die nicht in der Liste auftaucht, oder q ist eine
zusammengesetzte Zahl. Die muss dann aber einen Primteiler haben
und der kann nicht in der Liste stehen, denn so wurde q ja gerade
konstruiert. (Der „neue“ Primteiler im Beispiel war die Zahl 59, die
nicht in der Liste 2, 3, 5, 7, 11, 13 stand.)
Der Satz von Euklid zeigt dann auch, dass der Vergleich mit den
Atomen hinkt. Es gibt ja nicht unendlich viele verschiedene Atome.

Auf jeden Fall sind die Primzahlen seit Jahrtausenden ein Faszi-
nosum. Der in Bonn tätige amerikanische Zahlentheoretiker Don
Zagier hat es mal so formuliert:

There is no apparent reason why one number is prime and


another not. To the contrary, upon looking at these numbers
one has the feeling of being in the presence of one of the
inexplicable secrets of creation.

Man hat das Gefühl, die Primzahlen würden zufällig wie Unkraut
zwischen den zusammengesetzten Zahlen hervorsprießen. Nieman-
dem ist es bisher gelungen, so etwas wie ein Bildungsgesetz oder eine
Formel zur Erzeugung von Primzahlen anzugeben.
Und nicht nur die professionellen Mathematiker finden die Prim-
zahlen fesselnd. Gerade die Zahlentheorie weckt immer wieder das
Interesse von Amateuren, was sicher auch daran liegt, dass viele Pro-
bleme, die mit den Primzahlen zusammenhängen, einerseits offenbar
sehr schwer sind, weil sie teilweise seit Jahrhunderten einer Lösung
harren, andererseits aber so leicht zu erklären, dass jede Schülerin
sie versteht. Es ist scheinbar schwer zu akzeptieren, dass eine Frage,
die man in zwei, drei einfachen Sätzen formulieren kann, sich seit
Dezennien auch den klügsten Köpfen widersetzt.
Auf die Gefahr hin, Eulen nach Athen zu tragen, will ich zum
Abschluss des Kapitels zwei dieser Fragen nennen, die zu den be-
kanntesten zählen und die beide noch unbewiesen waren, als ich

D I E ATO M E D E R M AT H E M AT I K 91
diese Zeilen schrieb. In beiden Fällen gibt es durch den Einsatz von
Computern überwältigende numerische Indizien, dass sie wahr sein
dürften, aber es gibt eben bisher keinen Beweis.

– Die Goldbachsche Vermutung aus dem Jahr 1742 besagt, dass


sich jede gerade Zahl außer zwei als Summe zweier Primzahlen
darstellen lässt.
Damit ist etwas wie 4 = 2 + 2, oder 12 = 5 + 7 gemeint. Es ist
auch nicht „verboten“, dass es mehr als eine Möglichkeit gibt:

42 = 5 + 37 = 11 + 31 = 13 + 29 = 19 + 23

Mit Computern wurde überprüft, dass die Behauptung zu-


mindest für alle Zahlen bis 4 000 000 000 000 000 000 stimmt.
Doch für Mathematiker ist das kein Beweis.

– Die Primzahlzwillings-Vermutung, die mindestens 170 Jahre


alt ist, besagt, dass es unendlich viele Paare von Primzahlen
gibt, zwischen denen nur eine weitere Zahl liegt.
Beispiele für solche Zwillinge sind 3 und 5 oder 41 und 43 oder
3 333 311 und 3 333 313. Näher können sich zwei Primzahlen
(außer 2 und 3) nicht kommen, weil zwischen ihnen immer
eine gerade Zahl liegen muss.
Der größte Primzahlzwilling, den Computer bisher gefun-
den haben, besteht aus zwei Zahlen, die beide jeweils 388 342
Ziffern haben. Aber Sie wissen ja: das beweist gar nichts.

Wenn Sie kein Profi sind und nicht von sich selbst denken, Sie
seien ein Genie, dann empfehle ich Ihnen, nicht gerade mit einem
dieser Probleme anzufangen. . .

92 PI UND DIE PRIMZAHLEN


DER GOTT AUS DER MASCHINE

Dass Carl Friedrich Gauß, dessen Kreisproblem den roten Faden für
dieses Buch liefert, ein Genie war, haben seine Lehrer recht früh be-
merkt. Zum Glück, denn Gauß war das Kind armer und ungebildeter
Eltern und ohne entsprechende Förderung und ohne die finanzielle
Unterstützung des Herzogs seiner Geburtsstadt Braunschweig hätte
die Nachwelt wohl nie etwas von ihm erfahren.
Gerne und oft wird erzählt, wie Gauß als neunjähriger Schüler
spontan eine Formel für die Summe der ersten hundert natürlichen
Zahlen entwickelte, damit er diese nicht mühsam addieren musste.
Ist ja auch eine schöne Geschichte. Ich erzähle Ihnen aber eine andere.
Gauß starb 1855 – fast hundert Jahre, bevor die ersten brauch-
baren Computer entwickelt wurden. Wenn Mathematiker damals
etwas ausrechnen wollten, dann mussten sie das selbst erledigen, mit
Bleistift und Papier. Die einzigen Hilfsmittel, die zur Verfügung
standen, waren käuflich zu erwerbende Tafeln, in denen man bei-
spielsweise Logarithmen nachschlagen konnte, die jemand anders
schon einmal mit hohem Aufwand berechnet hatte. Gauß besaß
so eine Tafel. (Übrigens eine, die von dem Herrn Lambert erstellt
worden war, der auch die Irrationalität von π bewiesen hatte. Die
Welt der Mathematik war damals noch ein Dorf.)
In Lamberts Tafel befand sich auch eine Liste der ersten 100 000
natürlichen Zahlen, in der unter anderem vermerkt war, welche
davon Primzahlen sind. Gauß brütete im Alter von 14 Jahren (!)
über dieser Liste so lange, bis er aufgrund seiner Beobachtungen
eine Vermutung über die quantitative Verteilung der Primzahlen

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_12
entwickelt hatte, die sich als richtig herausstellte – aber erst ein
Jahrhundert später mit sehr fortgeschrittenen Methoden bewiesen
werden konnte.
Die Verteilung der Primzahlen wird für uns keine Rolle spielen.
Wichtig ist mir an dieser Geschichte, dass es hier wieder um Muster
geht, die erkannt werden wollen. Wir haben darüber am Anfang des
Buches bereits gesprochen. Natürlich gibt es nur wenige Menschen,
die mit 14 Jahren solche Muster erkennen können. Aber selbst ein
Jahrtausendgenie wie Gauß konnte das nicht im Vorbeigehen erle-
digen. Er musste sicher viel Zeit und Geduld aufbringen, bis er im
Wust der Lambertschen Tabellen etwas erkennen konnte.

Wenn ein mathematisches Resultat nacherzählt wird (und das macht


dieses Buch ja), dann fallen immer mal wieder Zwischenschritte, die
wahlweise clever oder genial sind, scheinbar vom Himmel. Im Thea-
ter nennt man das Deus ex Machina. Als Leser denkt man dann oft:
„Ja, wenn man es so macht, dann klappt es. Aber wie soll man darauf
kommen?“ Wie ich schon sagte, gibt es kein Rezept dafür. Irgend-
wann ist offenbar jemand darauf gekommen und im Allgemeinen
weiß man nicht, wie scharfsinnig oder geistreich man dafür sein
musste oder wie lange über dem Problem gebrütet wurde.
Es wird in den folgenden Kapiteln noch viele solcher Wendungen
geben. Es werden ja quasi Jahrhunderte mathematischer Forschung
zu ein paar Dutzend Buchseiten destilliert. Da ich aber hoffe, bei
einigen Lesern die Lust am Erschaffen (und nicht nur am Reprodu-
zieren) von Mathematik zu wecken, werde ich in diesem Kapitel
zumindest an einem Beispiel versuchen, ein Muster nicht einfach nur
zu präsentieren, sondern einen möglichen Weg aufzeigen, wie man
es vielleicht selbst hätte finden können.
Es soll darum gehen, sich dem Wert Pn anzunähern, den wir
im vorletzten Kapitel definiert haben – der Anzahl der Punkte mit

ganzzahligen Koordinaten auf einem Kreis mit dem Radius n . Wir
wollen ein Verfahren finden, das uns Pn zu einer vorgegebenen Zahl n
liefert. Dafür werden wir noch einige Kapitel brauchen, aber hier

94 PI UND DIE PRIMZAHLEN


machen wir schon mal den Anfang. Schauen Sie sich als Erstes die
Grafik auf Seite 82 noch einmal an.

Können Sie dort Symmetrien erkennen?

Wenn Sie eine Mathematikerin fragen, was Symmetrien sind,


wird sie wahrscheinlich antworten, dass man mit diesem Begriff
Objekte bezeichnet, die sich „unter bestimmten Transformationen
nicht ändern“. Und sie wird vielleicht hinzufügen, dass Symmetrien
in verschiedenen Bereichen der Mathematik (und übrigens auch der
Physik) eine wichtige Rolle spielen.
Das ist richtig, aber auch sehr abstrakt. Für die obige Frage reicht
der Symmetriebegriff aus, den alle irgendwann mal in der Schule
mitbekommen haben und der so auch im alltäglichen Sprachgebrauch
verwendet wird. Die Punkte, die wir zählen wollen, sind doppelt
achsensymmetisch: Wenn man die Grafik an der horizontalen oder an
der vertikalen Achse des Koordinatensystems spiegelt, dann ändert
sich nichts.
Das bedeutet, dass wir ebenso gut auch nur ein Viertel der Punkte
betrachten könnten, zum Beispiel das obere rechte. (Den Punkt im
Zentrum ignorieren wir ja ohnehin.) Und das machen wir ab jetzt
auch. Wir setzen fest, dass Q n ein Viertel von Pn sein soll. Kennen wir
Q n , dann kennen wir auch Pn , und umgekehrt. Das macht die Suche
nach einem Bildungsgesetz für Pn nicht prinzipiell einfacher, aber es
wird uns an manchen Stellen überflüssige Rechenarbeit ersparen.

War das alles korrekt oder habe ich geflunkert?

In der Mathematik muss man immer höllisch aufpassen, dass


man nichts übersehen hat. Darum formulieren Mathematiker so
vorsichtig und darum muss man Mathematik auch langsam und oft
mehrfach lesen. Dass man die Anzahl der Punkte aus Symmetriegrün-
den durch vier teilen darf, ist zwar richtig, aber meine Begründung
war falsch. Wenn ein Punktmuster doppelt achsensymmetisch ist,

D E R G OT T AU S D E R M A S C H I N E 95
heißt das noch lange nicht, dass die Anzahl der Punkte durch vier
teilbar sein muss.

Wie könnte eine richtige Begründung aussehen?

Um wie der junge Gauß ein Muster erkennen zu können, wäre so


etwas wie die Tafel von Lambert hilfreich. Die zehn Werte aus dem
vorletzten Kapitel reichen sicher nicht. Im Gegensatz zu Gauß haben
wir heute allerdings Computer zur Verfügung. Falls Sie programmie-
ren können, dann sollten Sie jetzt vielleicht ein kleines Programm
schreiben, das Ihnen die ersten hundert oder tausend Werte für Pn
bzw. Q n berechnet.
Für den Fall, dass Sie nicht programmieren können, finden Sie
auf der nächsten Seite 300 Werte. Und damit Sie nicht denken, es
kämen immer nur Zahlen heraus, die kleiner als fünf sind, folgen
hier exemplarisch noch ein paar größere.

n 625 850 1105 4225 5525

Qn 5 6 8 9 12

Es ist sicher nicht einfach, da etwas zu finden.


Aber einen Versuch ist es wert!

Nichts gefunden? Macht nichts! Und wenn Sie nicht das gefunden
haben, was ich Ihnen jetzt einzureden versuche, macht das auch
nichts. Man kann einerseits an diesen Tabellen verschiedene Dinge
erkennen, andererseits sind es viel zu wenige Werte, um wirklich
mit Sicherheit etwas sagen zu können. Es ging zunächst nur um den
Spaß beim Suchen.

96 PI UND DIE PRIMZAHLEN


n Qn n Qn n Qn n Qn n Qn n Qn
1 1 51 0 101 2 151 0 201 0 251 0
2 1 52 2 102 0 152 0 202 2 252 0
3 0 53 2 103 0 153 2 203 0 253 0
4 1 54 0 104 2 154 0 204 0 254 0
5 2 55 0 105 0 155 0 205 4 255 0
6 0 56 0 106 2 156 0 206 0 256 1
7 0 57 0 107 0 157 2 207 0 257 2
8 1 58 2 108 0 158 0 208 2 258 0
9 1 59 0 109 2 159 0 209 0 259 0
10 2 60 0 110 0 160 2 210 0 260 4
11 0 61 2 111 0 161 0 211 0 261 2
12 0 62 0 112 0 162 1 212 2 262 0
13 2 63 0 113 2 163 0 213 0 263 0
14 0 64 1 114 0 164 2 214 0 264 0
15 0 65 4 115 0 165 0 215 0 265 4
16 1 66 0 116 2 166 0 216 0 266 0
17 2 67 0 117 2 167 0 217 0 267 0
18 1 68 2 118 0 168 0 218 2 268 0
19 0 69 0 119 0 169 3 219 0 269 2
20 2 70 0 120 0 170 4 220 0 270 0
21 0 71 0 121 1 171 0 221 4 271 0
22 0 72 1 122 2 172 0 222 0 272 2
23 0 73 2 123 0 173 2 223 0 273 0
24 0 74 2 124 0 174 0 224 0 274 2
25 3 75 0 125 4 175 0 225 3 275 0
26 2 76 0 126 0 176 0 226 2 276 0
27 0 77 0 127 0 177 0 227 0 277 2
28 0 78 0 128 1 178 2 228 0 278 0
29 2 79 0 129 0 179 0 229 2 279 0
30 0 80 2 130 4 180 2 230 0 280 0
31 0 81 1 131 0 181 2 231 0 281 2
32 1 82 2 132 0 182 0 232 2 282 0
33 0 83 0 133 0 183 0 233 2 283 0
34 2 84 0 134 0 184 0 234 2 284 0
35 0 85 4 135 0 185 4 235 0 285 0
36 1 86 0 136 2 186 0 236 0 286 0
37 2 87 0 137 2 187 0 237 0 287 0
38 0 88 0 138 0 188 0 238 0 288 1
39 0 89 2 139 0 189 0 239 0 289 3
40 2 90 2 140 0 190 0 240 0 290 4
41 2 91 0 141 0 191 0 241 2 291 0
42 0 92 0 142 0 192 0 242 1 292 2
43 0 93 0 143 0 193 2 243 0 293 2
44 0 94 0 144 1 194 2 244 2 294 0
45 2 95 0 145 4 195 0 245 2 295 0
46 0 96 0 146 2 196 1 246 0 296 2
47 0 97 2 147 0 197 2 247 0 297 0
48 0 98 1 148 2 198 0 248 0 298 2
49 1 99 0 149 2 199 0 249 0 299 0
50 3 100 3 150 0 200 3 250 4 300 0

D E R G OT T AU S D E R M A S C H I N E 97
Wenn Sie Lust haben, dann gebe ich Ihnen jetzt noch zwei Tipps,
um Sie auf eine bestimmte Fährte zu lenken. Vielleicht denken Sie
über diese Tipps auch jeweils noch ein bisschen nach.
Erster Tipp: Es wird sich herausstellen, dass Werte, die weiter
hinten in der Tabelle stehen, sich häufig aus Werten herleiten lassen,
die weiter vorne stehen. Beispielsweise kennt man Q 65 , wenn man Q 5
und Q 13 kennt. Und man kennt Q 50 , wenn man Q 2 und Q 25 kennt.
Ebenso kann man Q 1105 ermitteln, wenn man die beiden Zahlen Q 17
und Q 65 schon hat.

Hilft Ihnen das weiter?

Wenn man sich nur die Werte aus meinem Tipp anschaut, dann
könnte man folgende Hypothese aufstellen:

Q m ·n = Q m · Q n

Und das gilt unter anderem auch für m = 5 und n = 17 oder für
m = 7 und n = 5. (Finden Sie noch andere Beispiele?)
Zweiter Tipp: Die Hypothese stimmt nicht immer. Beispielsweise
stimmt sie meistens nicht, wenn m = n gilt. Sie stimmt aber auch
für m = 65 und n = 85 nicht. ( 65 · 85 ist 5525. Die Zahl Q 5525 finden
Sie in der kleinen Tabelle weiter oben.)

Was unterscheidet das Zahlenpaar (65, 85) von


Paaren wie (5, 13) oder (2, 25)?

Ich sage Ihnen, worauf ich hinauswollte: Die obige Hypothese


stimmt dann, wenn m und n teilerfremd sind. Darum muss sie für
Fälle wie m = n nicht zutreffen und auch für m = 65 und n = 85
nicht, weil diese beiden Zahlen den gemeinsamen Teiler fünf haben.
Sie können nun alle Werte aus der Tabelle durchgehen und nach-
rechnen, dass diese Behauptung immer zutrifft. Aber wir wissen ja
schon, dass das nichts beweist. Und eine größere Tabelle hilft auch
nicht. Wir müssen also mehr Arbeit investieren. Weiter geht’s!

98 PI UND DIE PRIMZAHLEN


RESTE

Wenn es vor Beginn der Saison ins Trainingslager geht, dann wissen
die Spieler noch nicht, welche Taktik der neue Trainer spielen will. Sie
absolvieren Übungen, deren Sinn ihnen erst später klar werden wird.
So ähnlich wird es Ihnen nun auch ergehen. Bevor wir syste-
matisch ein Verfahren zum Zählen der Punkte entwickeln können,
müssen wir erst einiges an Vorarbeit leisten. Und dabei wird anfangs
nicht unbedingt deutlich werden, warum wir das machen. Ich kann
Ihnen im Moment nur versprechen, dass wir alles, was wir uns hier
und in den folgenden Kapiteln anschauen, auf dem Weg zur π -Formel
noch brauchen werden.
Als Aufwärmübung für unser Training fangen wir mit einer Frage
an. Ich erwarte nicht unbedingt, dass Sie auf die Antwort kommen,
aber Sie sollten auf jeden Fall mal darüber nachdenken.

Ist 51 000 000 000 + 3 durch vier teilbar?

Falls Ihr erster Reflex war, den Computer zur Hilfe zu nehmen:
Für typische Programmiersprachen ist die Zahl, um die es hier geht,
viel zu groß; da muss man schon spezielle Verfahren einsetzen. Die
allermeisten Mathematiker können die Frage aber ganz schnell und
im Kopf beantworten. Sie verwenden dafür eine Technik, die man
modulare Arithmetik nennt und die von Carl Friedrich Gauß um
1800 als effizientes Werkzeug für die Zahlentheorie entwickelt wurde.
Es geht dabei um Reste bei der Division und wie sie sich durch
Rechnen fortpflanzen. Da es in der Zahlentheorie in erster Linie um

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Teilbarkeit geht und da man die Teilbarkeit daran erkennen kann,
ob es bei der Division keinen Rest gibt, ist nachvollziehbar, warum
so etwas nützlich sein kann. Gauß’ Methode beruht auf der Einsicht,
dass beispielsweise die Summe von zwei durch sieben teilbaren Zahlen
wieder durch sieben teilbar ist. Er hat sich überlegt, wie man das
verallgemeinern kann.

Bevor wir uns das anschauen, muss ich aber noch etwas zum gene-
rellen Vorgehen sagen. Ich werde auf den folgenden Seiten häufig eine
Technik anwenden, die man halb scherzhaft Beweis durch Beispiel
nennt. Sie ist in Fachartikeln und in der Ausbildung zukünftiger
Mathematiker verpönt, kann aber didaktisch durchaus sinnvoll sein.
Dass man nur durch das Betrachten von Beispielen keine allge-
meingültigen Aussagen beweisen kann, haben wir schon auf den
ersten Seiten gesehen, als es um die Aufteilung eines Kreises in Gebie-
te ging. Hätte man sich auf das Überprüfen einiger weniger Beispiele
beschränkt, so hätte man eine falsche Aussage „bewiesen“.
Damit so etwas nicht passiert, sind angehende Mathematikerin-
nen angehalten, möglichst allgemein zu argumentieren. Will man
beispielsweise die binomischen Formeln beweisen, so setzt man nicht
nur ein paar konkrete Zahlen ein, um sich zu überzeugen, dass das
schon stimmen wird. Man arbeitet stattdessen mit Buchstaben, die
Platzhalter für irgendwelche Zahlen sind, und achtet darauf, dass man
nur Umformungen anwendet, die mit jeder Zahl funktionieren.
Andererseits denken die meisten Menschen in konkreten Bei-
spielen. Auch Mathematikerinnen, die von Berufs wegen abstraktes
Denken gewohnt sind, fangen typischerweise mit Beispielen an und
arbeiten sich dann erst zu allgemeinen Aussagen vor. Der berühm-
te englische Mathematiker John Horton Conway, der 2020 an den
Folgen von COVID-19 verstarb, hat es mal überspitzt so formuliert:
To many, mathematics is a collection of theorems. For me,
mathematics is a collection of examples.

Und in der mathematischen Paradedisziplin Geometrie ist es seit


der Antike üblich, Beweise durch Grafiken zu unterstützen. Die

100 PI UND DIE PRIMZAHLEN


sind aber auch nichts anderes als Beispiele. Unglücklich gewählte
Illustrationen können allgemeine Zusammenhänge suggerieren, die
gar nicht vorhanden sind. Ist das eine Dreieck wirklich immer größer
als das andere oder ist das nur in der Skizze so, weil der Winkel
besonders spitz ist? Schneiden sich die beiden Kreise in jedem Fall
oder nur in dieser Grafik, weil sie dort fast gleich groß sind?
Tatsächlich fand man Ende des 19. Jahrhunderts sogar in Euklids
Elementen subtile Versäumnisse, die man darauf zurückführte, dass
Euklid anschaulich und nicht nur rein logisch argumentiert hatte.
Das führte unter anderem dazu, dass das französische Autorenkol-
lektiv Bourbaki Beispiele und Grafiken aus seinen einflussreichen
Büchern komplett verbannte und damit in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts einen staubtrockenen Lehrstil etablierte, unter dem
Generationen von Studenten, zu denen ich mich auch zähle, zu lei-
den hatten. Zum Glück sieht es aktuell so aus, als schlüge das Pendel
wieder in die andere Richtung aus.
Die Beweise durch Beispiel, um die es mir geht, sind jedenfalls
didaktische Hilfsmittel, die sich in der Praxis bewährt haben – ins-
besondere bei interessierten, aber in formaler Mathematik nicht so
versierten Lesern. Sie sind jedoch keinesfalls so gemeint, dass man
ein, zwei Beispiele überprüft und dann die Daumen drückt, dass es
in allen anderen Fällen auch so sein wird. Vielmehr muss erst der
allgemeine Beweis erbracht worden sein und der wird dann auf ein
instruktives Beispiel übertragen. Wenn ich also etwa in einem der fol-
genden Kapitel den Beweis einer Aussage über ungerade Primzahlen
anhand der Zahl 41 vorführe, dann ist es so gemeint, dass man stattdes-
sen auch 43 oder 42433 oder den Buchstaben p hätte nehmen können.
Die Zahl 41 wurde vielleicht gewählt, weil sie gerade die richtige Grö-
ße für eine Illustration der Beweisidee hat. Aber im Beweis dürfen
keine speziellen Eigenschaften dieser Zahl verwendet werden. (Es
darf also verwendet werden, dass 41 eine ungerade Primzahl ist, aber
nicht, dass 41 kleiner als 100 ist oder Teil eines Primzahlzwillings.)
Darauf zu achten ist natürlich Aufgabe des Autors – also in diesem
Fall meine. Ich lade Sie aber vorweg schon mal ein, die auf den

RESTE 101
folgenden Seiten vorgeführten Beweise mit anderen Beispielen selbst
zu überprüfen. Das ist ohnehin eine gute Übung fürs Verständnis.

Aber zurück zur modularen Arithmetik. Wir werden uns in diesem


Kapitel ausschließlich mit der Division durch vier beschäftigen, weil
wir die als Erstes brauchen werden. (Beweis durch Beispiel. . . ) Alles,
was wir hier lernen, funktioniert jedoch auch mit jeder anderen
Zahl! Wir kommen darauf wieder zurück, aber Sie sollten sich auf
den folgenden Seiten zur Übung immer schon mal überlegen, wie
das ganze beispielsweise mit fünf statt vier aussähe.
Wenn ich von zwei Zahlen jeweils den Rest beim Teilen durch
vier kenne, kann ich dann den Rest ihrer Summe vorhersagen, ohne
die Zahlen zu kennen? Ja, das geht, und es ist sogar ganz einfach!
Addieren wir exemplarisch die Zahlen 10 und 13. Wenn man die
beiden durch 4 teilt, kommen als Reste 2 und 1 heraus. Addiert man
sie, erhält man 23. Und der Rest, wenn man 23 durch 4 teilt, ist 3.
Das ist die Summe der Reste 2 und 1. Ist das Zufall? Nein. Schauen
wir es uns grafisch an:

Man sieht, dass die weißen Viererblöcke für den Rest der Summe
keine Rolle spielen. Was zählt, sind nur die schwarzen Reste, die
addiert werden.
Allerdings ist es noch ein kleines bisschen komplizierter. Um das
zu verstehen, ersetzen wir 13 durch 15:

Auch hier sind nur die Reste 2 und 3 relevant. Deren Summe ist
allerdings größer als 4. Der Rest der Summe ist also nicht einfach
die Summe der Reste. Man muss es etwas genauer formulieren: Es
ist der Rest, der sich ergibt, wenn man die Summe der Reste durch vier
teilt. (Es lässt sich leider nicht vermeiden, dass die mathematische
Sprache zuweilen ein wenig gestelzt klingt, wenn man sich präzise
ausdrücken will.)

102 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Falls Ihnen das zu aufwendig vorkommt, dann machen Sie sich
klar, dass es beim Dividieren durch vier nur vier mögliche Reste gibt:
0, 1, 2 und 3. Wenn wir uns nur die Summen der Reste anschauen
müssen, dann gibt es also lediglich die folgenden Möglichkeiten:

+ 0 1 2 3
0 0 1 2 3
1 1 2 3 0
2 2 3 0 1
3 3 0 1 2

Mehr muss man über das Addieren von Resten nicht wissen. Und
da die Tabelle offenbar auch noch achsensymmetrisch zur Diagonalen
von links oben nach rechts unten ist, braucht man sogar nur einen
Teil der Informationen.

Überprüfen Sie durch Nachrechnen die obige Tabelle.

Wir haben an dieser Stelle auch die Gelegenheit, noch einmal


über Beweise durch Beispiel nachzudenken, weil dies einer war. Wir
haben uns nur die Beispiele 10, 13 und 15 angeschaut. Dass das Ge-
sagte auch für andere Zahlen gilt, kann man aber leicht erkennen.
Ersetzt man beispielsweise 10 durch 14 oder 18, so ändert sich zwar
die Zahl der (irrelevanten) Viererblöcke, aber die Situation bei den
schwarzen Resten bleibt gleich. Das meine ich, wenn ich sage, dass
keine speziellen Eigenschaften des Beispiels verwendet werden.

Nun zur Multiplikation. Exemplarisch multiplizieren wir die Zah-


len 10 und 13. Schauen Sie sich die Grafik in Ruhe an, bis Sie sehen,
wie der Rest des Produktes entsteht.

RESTE 103
Sowohl die weißen als auch die grauen Quadrate haben keine Re-
levanz, weil man sie auf naheliegende Weise in Viererblöcke aufteilen
kann. Der Rest des Produktes hängt also nur vom Produkt der Reste
ab. Es ist wie eben, wir müssen nur das Wort Summe durch das Wort
Produkt ersetzen. Darum brauchen wir auch für das Multiplizieren
nur eine simple Tabelle, die sogar noch einfacher ist:

· 0 1 2 3
0 0 0 0 0
1 0 1 2 3
2 0 2 0 2
3 0 3 2 1

Und das ist vorerst alles, was wir an modularer Arithmetik brauchen.
Wenn Sie in Zukunft den Rest bei Division durch vier einer Zahl
wie 123457 · 6891015 + 121314 benötigen, dann ersetzen Sie einfach
alle Zahlen durch ihre Viererreste, d.h. Sie berechnen stattdessen
1 · 3 + 2. Die Zwischenergebnisse entnehmen Sie entweder den obigen
Tabellen oder, noch einfacher, Sie rechnen alles „normal“ aus (5) und
ersetzen es dann durch den Rest bei Division durch 4, also durch 1.
Sie müssen lediglich einen typischen Fehler vermeiden. Eine
Potenz wie 145 steht bekanntlich für 14 · 14 · 14 · 14 · 14. Hier dürfen
Sie 14 wie eben durch 2 ersetzen, also 145 durch 25 . Das ergibt 32 und
somit 0. ( 145 ist also durch 4 teilbar.) Sie dürfen aber nicht die Fünf im
Exponenten durch eine Eins setzen. Dann kämen Sie auf das falsche
Ergebnis zwei. (Und warum sollten Sie das auch dürfen? Unsere
Herleitung gibt das nicht her, weil wir zwar über Addition und
Multiplikation, aber nicht über Exponentiation gesprochen haben.)
Zum Schluss kann ich Ihnen die Frage von vorhin noch einmal
vorsetzen. Die kommt Ihnen nun hoffentlich ganz einfach vor.

Ist 51 000 000 000 + 3 durch vier teilbar?

104 PI UND DIE PRIMZAHLEN


DER AMATEUR UND DIE WINDMÜHLEN

Pierre de Fermat war ein Amateur. Und zwar in dem Sinne des Wor-
tes, mit dem jemand gemeint ist, der eine Tätigkeit aus Liebhaberei
ausübt, ohne einen Beruf daraus zu machen. Er war Jurist und Politi-
ker und beschäftigte sich nur in seiner Freizeit mit der Mathematik.
Trotzdem gilt er als wichtigster Mathematiker der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts und wird häufig als größter Amateur-Mathematiker
aller Zeiten bezeichnet.
Wir sind Fermat schon im Zusammenhang mit der analytischen
Geometrie begegnet. Er hat auch Methoden der Infinitesimalrech-
nung antizipiert und ist einer der Begründer der Wahrscheinlich-
keitsrechnung. Sein Lieblingsthema aber war die Zahlentheorie, die
er aus einem tausendjährigen Dornröschenschlaf erweckte, der mit
dem Ende der Antike begonnen hatte. Um Zahlentheorie wird es
auch in diesem Kapitel gehen.
Fermats Beschäftigung mit der Zahlentheorie zeigt nebenbei
besonders eindrücklich Poincarés Freude des Verstehens. Gerade
die Frage, die wir auf den nächsten Seiten behandeln werden, hatte
überhaupt keinen Anwendungsbezug. Fermat hat sich offenbar einzig
und allein mit ihr beschäftigt, weil er die Antwort wissen wollte und
weil der Weg dahin ihm Freude bereitete.
Für uns gibt es aber eine „Anwendung“. Wir arbeiten ja an einem
Verfahren, die Anzahl Pn der Punkte mit ganzzahligen Koordinaten

auf einem Kreis mit Radius n zu bestimmen. Wenn unsere Hypo-
these stimmt (das wissen wir noch nicht), dass man diese Zahlen für
große Indizes n auf Werte für kleinere zurückführen kann, wenn

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man n in teilerfremde Faktoren zerlegen kann, dann liegt es nahe,
sich zunächst auf den Fall zu beschränken, dass n eine Primzahl ist.
Und das machen wir jetzt.
Wenn p eine Primzahl ist und der Punkt (x, y) auf einem Kreis

mit dem Radius p liegt, gilt nach Pythagoras x 2 + y 2 = p . Und wenn
wir davon ausgehen, dass x und y ganze Zahlen sind, dann ist die
uns interessierende Frage: Welche Primzahlen lassen sich als Summe
zweier Quadrate von natürlichen Zahlen darstellen? Diese Frage hat
sich Fermat um 1640 auch gestellt. Und er hat sie beantwortet.

Fangen wir mit dem einfachsten Fall an. Die kleinste Primzahl lässt
sich definitiv als Summe von Quadraten darstellen und das offenbar
auch nur auf eine einzige Art und Weise: 2 = 12 + 12 .
Ich habe diesen Fall absichtlich vorab behandelt, weil die Zwei
ein bisschen aus der Reihe tanzt. Sie ist die einzige gerade Primzahl
und nur sie lässt sich daher als Summe zweier gleicher Quadrate dar-
stellen. Nachdem das erledigt ist, können wir uns nun auf ungerade
Primzahlen konzentrieren. Schon gleich bei der ersten, der Drei,
klappt es nicht. Bei der nächsten funktioniert es: 5 = 12 + 22 . Bei der
Sieben wieder nicht.

Wie stellt man überhaupt fest, ob es klappt?

Hier sind die ersten neun Primzahlen, die man nicht als Summe
zweier Quadrate darstellen kann:

3 7 11 19 23 31 43 47 59

Und hier ein paar positive Fälle:

5=1+4 13 = 4 + 9 17 = 1 + 16 29 = 4 + 25
37 = 1 + 36 41 = 16 + 25 53 = 4 + 49 61 = 25 + 36

Ich war nicht dabei, aber ich bin mir sicher, dass Fermat auch
so angefangen haben muss. Einfach erst mal rumprobieren, viele
Fälle durchrechnen. Natürlich alles ohne Computer; das war ja noch

106 PI UND DIE PRIMZAHLEN


vor den Zeiten von Gauß und es gab noch nicht mal irgendwelche
Tafelwerke (die ihm aber auch nicht viel geholfen hätten).
Jetzt gilt es mal wieder, ein Muster zu erkennen. Ganz offensicht-
lich ist es nicht, zum Beispiel wechseln sich Erfolg und Misserfolg
nicht einfach ab. Aber wir wissen ja schon, dass man Geduld braucht.
Vielleicht hilft es, sich nur die Erfolge anzuschauen. Ich kann
zum Glück einen elektronischen Rechenknecht anwerfen und mir
die ersten hundert auf dem Silbertablett servieren lassen:

5 13 17 29 37 41 53 61 73 89 97 101 109 113 137 149


157 173 181 193 197 229 233 241 257 269 277 281 293
313 317 337 349 353 373 389 397 401 409 421 433 449
457 461 509 521 541 557 569 577 593 601 613 617 641
653 661 673 677 701 709 733 757 761 769 773 797 809
821 829 853 857 877 881 929 937 941 953 977 997 1009
1013 1021 1033 1049 1061 1069 1093 1097 1109 1117 1129
1153 1181 1193 1201 1213 1217 1229 1237 1249

Sehen Sie ein Muster?

Ich hätte da jedenfalls nichts erkannt. Manchmal – nicht nur in


der Mathematik – hilft es aber, wenn man Dinge unter einem anderen
Blickwinkel betrachtet. Man wechselt die Perspektive, sortiert um,
fasst zusammen; der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Kreati-
vität ist gefragt.
Der „Trick“ in diesem Fall ist, alle ungeraden Zahlen (nicht nur
die Primzahlen) in tabellarischer Form aufzuschreiben. Dann werden
die Zahlen weggestrichen, die keine Primzahlen sind, und anschlie-
ßend die Primzahlen, die sich nicht als Summe zweier Quadrate
darstellen lassen. Das Ergebnis sehen Sie auf der nächsten Seite.

Was fällt Ihnen jetzt auf?

Offenbar kommt es auf die Spalten (und nicht auf die Zeilen)
an. Zunächst mal eine unwichtige Sache: Dass es in zwei Spalten
(fast) keine Primzahlen gibt, ist ein Artefakt, das mit der Anzahl der

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N 107
3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29
31 33 35 37 39 41 43 45 47 49 51 53 55 57
59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85
87 89 91 93 95 97 99 101 103 105 107 109 111 113
115 117 119 121 123 125 127 129 131 133 135 137 139 141
143 145 147 149 151 153 155 157 159 161 163 165 167 169
171 173 175 177 179 181 183 185 187 189 191 193 195 197
199 201 203 205 207 209 211 213 215 217 219 221 223 225
227 229 231 233 235 237 239 241 243 245 247 249 251 253
255 257 259 261 263 265 267 269 271 273 275 277 279 281
283 285 287 289 291 293 295 297 299 301 303 305 307 309
311 313 315 317 319 321 323 325 327 329 331 333 335 337
339 341 343 345 347 349 351 353 355 357 359 361 363 365
367 369 371 373 375 377 379 381 383 385 387 389 391 393
395 397 399 401 403 405 407 409 411 413 415 417 419 421
423 425 427 429 431 433 435 437 439 441 443 445 447 449
451 453 455 457 459 461 463 465 467 469 471 473 475 477
479 481 483 485 487 489 491 493 495 497 499 501 503 505
507 509 511 513 515 517 519 521 523 525 527 529 531 533
535 537 539 541 543 545 547 549 551 553 555 557 559 561
563 565 567 569 571 573 575 577 579 581 583 585 587 589
591 593 595 597 599 601 603 605 607 609 611 613 615 617
619 621 623 625 627 629 631 633 635 637 639 641 643 645
647 649 651 653 655 657 659 661 663 665 667 669 671 673
675 677 679 681 683 685 687 689 691 693 695 697 699 701
703 705 707 709 711 713 715 717 719 721 723 725 727 729

Spalten zusammenhängt. Wir haben 14 Spalten, also ist der Abstand


zweier benachbarter Zeilen 28. Da diese Zahl durch 7 teilbar ist,
stehen in der dritten und zehnten Spalte nur Vielfache von 7. Bei
einer anderen Spaltenzahl hätten wir andere „langweilige“ Spalten.
Interessanter ist, dass in sämtlichen Spalten entweder alle Prim-
zahlen sich als Summe zweier Quadrate darstellen lassen oder keine
einzige. Da die geraden Zahlen fehlen, springt man von einer Spalte
zur nächsten um zwei Zahlen weiter. Man springt also von einer
„Erfolgsspalte“ zur nächsten um vier Zahlen weiter. Und wenn man
um vier vorrückt, ändert sich der Rest bei Division durch vier nicht.
Anders ausgedrückt: Hat eine Primzahl den Rest eins bei Division
durch vier, dann kann man sie als Summe zweier Quadrate darstellen,
ist der Rest hingegen drei, dann geht das nicht. Und das ist der Zwei-
Quadrate-Satz von Fermat: Eine ungerade Primzahl ist dann und nur
dann Summe zweier Quadrate, wenn sie von der Form 4n + 1 ist.

Wir müssen das natürlich noch beweisen, weil es bisher nur eine
Vermutung auf der Basis einer kleinen Tabelle ist. Und das bietet

108 PI UND DIE PRIMZAHLEN


mir die Gelegenheit für eine weitere Abschweifung. Ich kann noch
mal darauf zurückkommen, dass es für mathematische Theoreme
oft mehr als einen Beweis gibt. Dies hier ist ein typisches Beispiel.
Fermat selbst hat kaum etwas bewiesen und nie etwas publiziert.
Auch in dieser Hinsicht war er kein typischer Mathematiker. Was wir
von ihm wissen, stammt aus seinem Nachlass, den sein Sohn herausge-
geben hat, und aus seinen Briefwechseln mit anderen Mathematikern
(die häufig den Umweg über den Mönch Marin Mersenne nahmen,
der sowas wie das erste soziale Netzwerk für Wissenschaftler war).
Bewiesen wurde der Zwei-Quadrate-Satz zum ersten Mal von
Euler, und zwar über hundert Jahre, nachdem Fermat ihn formuliert
hatte. Danach gab es noch diverse weitere Beweise, unter anderem
auch von Gauß, bis schließlich 1971 der Brite Roger Heath-Brown
im Alter von 18 Jahren einen besonders eleganten fand. Der wur-
de wiederum von dem schon erwähnten Don Zagier 1990 so weit
vereinfacht, dass er kürzer als dieser Absatz ist. Allerdings kann
man Zagiers Variante als Nichtmathematiker nicht mehr so ohne
Weiteres verstehen.
Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Der legendäre
ungarische Mathematiker Paul Erdős hat mal im Scherz gesagt, Gott
hätte ein Buch, in dem für jeden mathematischen Satz die besten
Beweise stünden – die, die elegant und perfekt seien. Zwei seiner Kol-
legen haben sich dadurch inspirieren lassen und Ende der 90er-Jahre
angefangen, besonders schöne Beweise zu sammeln. Das Ergebnis,
Proofs from THE BOOK, liegt inzwischen in der sechsten Auflage vor
und wurde in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Das BUCH enthält
eine grafische Version des Beweises von Heath-Brown und Zagier,
die sich der russische Lehrer Alexander Spivak 2007 ausgedacht hat.
Diese Version führe ich Ihnen jetzt vor. Leider kann ich Ihnen
nicht zum Vergleich den ersten Beweis von Euler zeigen, der lang
und kompliziert war. Aber ich glaube, der Beweis von Spivak macht
auch so deutlich, wie viel Wert die Mathematiker auf die Ästhetik
legen und warum sie keine Ruhe lassen, bis sie „den Beweis für das
BUCH“ gefunden haben.

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N 109
Ein Teil des Beweises ist allerdings so einfach, dass man dafür kei-
ne tollen Ideen braucht. Mathematiker würden ihn trivial nennen.
(Etwas gehässig formuliert bezeichnen Mathematiker etwas dann als
trivial, wenn sie es verstanden haben.)
Ich rekapituliere noch mal: Es geht um ungerade Primzahlen –
also alle außer der Zwei. Wenn man eine ungerade Zahl durch vier
teilt, kann sich als Rest nur eins oder drei ergeben. Wir werden
zuerst zeigen, dass für die Zahlen, bei denen der Rest drei ist, keine
Darstellung als Summe zweier Quadrate möglich ist.
Sie ahnen vielleicht schon, dass das ein Job für die modulare
Arithmetik ist. Schauen wir uns die Tabelle auf Seite 104 an. Wenn
man das Quadrat einer Zahl bildet, dann kann als Rest dieses Qua-
drates bei Division durch vier offensichtlich nur einer der Werte in
der Diagonalen herauskommen, also nur null oder eins.
Und jetzt die Tabelle auf Seite 103. Wenn man die Reste von zwei
Quadraten addiert, addiert man null und null oder null und eins oder
eins und eins. Herauskommen kann also nur null, eins oder zwei,
aber nicht drei. Das war’s schon! Wenn man zwei Quadrate addiert,
kann der Rest ihrer Summe bei Division durch vier nicht drei sein.
Dafür muss man sich nicht mal auf Primzahlen beschränken, es geht
grundsätzlich nicht.

Der schwierige Teil des Beweises ist die Aussage über die andere
„Hälfte“ der ungeraden Primzahlen: Wenn eine Primzahl bei Division
durch vier den Rest eins hat, dann kann man immer eine Darstellung
dieser Primzahl als Summe von zwei Quadraten finden. Wie finden
wir diese Quadrate? Hier kommen nun die Ideen von Heath-Brown
und Zagier zum Tragen. Geben wir der Primzahl, für die wir die
Quadrate suchen, den Namen p . Wir suchen Zahlen a und b mit
p = a 2 + b 2 . a 2 und b 2 können weder beide gerade noch beide
ungerade sein, denn in beiden Fällen wäre ihre Summe gerade. Also
können wir o.B.d.A. annehmen, dass a 2 ungerade und b 2 gerade ist.
Wie bitte? Sie fragen sich, was „o.B.d.A.“ bedeutet? Es ist die
Abkürzung für „ohne Beschränkung der Allgemeinheit“. Das ist

110 PI UND DIE PRIMZAHLEN


typischer Mathematikerschnack und damit ist gemeint, dass man
– meistens aus Bequemlichkeit – im Rahmen eines Beweises etwas
annimmt, was zwar gar nicht unbedingt wahr sein muss, was aber die
Allgemeingültigkeit des Beweises nicht einschränkt. Man geht davon
aus, dass die Leserin versteht, wie man den Beweis gegebenenfalls
auch ohne diese Annahme durchführen kann.
Solche kleinen Randbemerkungen können in Fachartikeln gele-
gentlich ganz schön fies sein, wenn man partout nicht darauf kommt,
was die Autorin gemeint haben mag. Hier ist es aber einfach: Entwe-
der ist a 2 ungerade und b 2 gerade oder a 2 ist gerade und b 2 ungerade.
Wir gehen einfach vom ersten der beiden Fälle aus. Sollte es anders-
herum sein, dann können wir das dadurch „reparieren“, dass wir die
Namen von a und b vertauschen. Das ist unproblematisch, weil wir
bisher über die beiden Zahlen noch gar nichts wissen, sie also völlig
gleichberechtigt sind.

OK, b 2 ist gerade. Wie im Beweis der Irrationalität von 2 muss
dann auch b gerade sein, d.h. von der Form b = 2m . Aus a 2 + b 2 wird
somit a 2 + 4m 2 . Sowas suchen wir. Und was haben wir? Wir wissen,
dass p von der Form 4n + 1 ist. Das kann man etwas umständlicher
auch so schreiben: p = 12 + 4 · 1 · n .
Damit wissen wir, dass es mindestens eine Art gibt, p in der Form
2
a + 4c d hinzuschreiben – nämlich mit a = c = 1 und d = n . Wir
schauen uns nun alle Möglichkeiten an, p so darzustellen, und hoffen,
dass für eine von denen c = d gilt. Dann wären wir nämlich fertig.
Jetzt kommt wieder ein Beweis durch Beispiel. Wir gehen alles
konkret anhand der Zahl p = 41 durch. Und zuerst schreiben wir
mal alle Möglichkeiten hin:

41 = 12 + 4 · 1 · 10 = 12 + 4 · 10 · 1 = 12 + 4 · 2 · 5
= 12 + 4 · 5 · 2 = 32 + 4 · 1 · 8 = 32 + 4 · 8 · 1
= 32 + 4 · 2 · 4 = 32 + 4 · 4 · 2 = 52 + 4 · 1 · 4
= 52 + 4 · 4 · 1 = 52 + 4 · 2 · 2

Die letzte Variante ist die, die wir wollen: 41 = 25 + 16. Wie viele
andere Varianten es gibt, ist ansonsten aber gar nicht wichtig. Wir

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N 111
brauchen nur ein überzeugendes Argument dafür, warum es diese
eine immer geben muss.
Der Weg bis hier zeigt übrigens eine Strategie, die gerne beim
Suchen nach einer Lösung angewendet wird: Wenn man nicht wei-
terkommt, modifiziert oder verallgemeinert man das Problem ein
bisschen und schaut, wohin das führt. Hier ging es eigentlich um
a 2 + 4m 2 und wir haben das „aufgelockert“ und a 2 + 4c d daraus
gemacht.

Nun kommt Spivaks Idee. Wir werden die elf Varianten von oben
nach bestimmten Regeln visualisieren und sie durch „Windmühlen“
darstellen. Ich demonstriere das am Beispiel 32 + 4 · 2 · 4.

Für 32 kommt ein Quadrat aus drei mal drei (dunklen) Kästchen
in die Mitte. Für 2 · 4 gibt es entsprechend ein Rechteck aus zwei
mal vier (hellen) Kästchen, das wir bündig an die obere Kante des
Quadrates setzen. Dabei gibt der erste Faktor die Höhe des Rechtecks
vor, der zweite die Breite.
Wegen der Vier in a 2 + 4c d brauchen wir vier solche Rechtecke.
Wir verteilen die restlichen drei zyklisch um das innere Quadrat. Da-
mit ist gemeint, dass wir wieder dieselbe Figur bekommen, wenn wir
alles um 90 Grad um den Mittelpunkt des dunklen Quadrates drehen.
Insgesamt haben wir nun natürlich 41 Kästchen. Aber Achtung! Wir
hätten es auch so machen können:

Wir sehen das Spiegelbild der ersten Windmühle. Unsere Regeln


legen also nicht eindeutig fest, wie die Windmühlen aussehen. Es
gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zweifelsfrei für eine Variante

112 PI UND DIE PRIMZAHLEN


zu entscheiden. Wir machen es folgendermaßen: Oben rechts haben
die Figuren jeweils eine L-förmige Lücke und wir entscheiden uns
für das „liegende“ L, wenn wir die Wahl haben.

Hier alle 11 Windmühlen mit 41 Kästchen.

Oben rechts steht etwas isoliert die Windmühle, die das Ziel
unserer Arbeit ist, weil sie aus Quadraten zusammengesetzt ist – aus
einem dunklen in der Mitte und vier weiteren, die man zu einem
Quadrat zusammensetzen kann.
Die anderen Windmühlen stehen immer paarweise nebeneinan-
der, so dass bei jedem Paar das Quadrat in der Mitte identisch ist
und die angesetzten Rechtecke sich nur durch das Vertauschen von
horizontaler und vertikaler Richtung unterscheiden. Beispielsweise
sitzen ganz links oben nebeneinander die Windmühlen für 12 +4·1·10
und 12 +4 · 10 · 1 und ganz rechts unten die für 52 +4 · 1 · 4 und 52 +4 · 4 · 1.
Machen Sie sich bitte, bevor Sie weiterlesen, klar, dass Sie die Bil-
dungsregel verstanden haben, und überprüfen Sie die Grafik. Für das
weitere Vorgehen sind die folgenden Beobachtungen essentiell:

– Für jede Darstellung von p der Form a 2 +4c d erhalten wir eine
andere Windmühle, weil man aus den Windmühlen eindeutig

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N 113
die Darstellung rekonstruieren kann. Es gibt also genau so
viele Windmühlen, wie es Darstellungen gibt.

– Sind c und d verschieden, so erhält man durch Vertauschen


eine weitere Darstellung. Das sind die Paare von eben.

Haben Sie eine Idee, wie uns das helfen könnte?

Wenn wir beweisen können, dass es immer eine ungerade Anzahl


von Windmühlen geben muss, dann sind wir fertig! Das folgt aus
den obigen Überlegungen: Gibt es keine Darstellung als Summe
zweier Quadrate, so sind nämlich c und d immer verschieden und
alle Windmühlen treten paarweise auf. Wir wechseln nun wieder,
wie schon einmal in diesem Kapitel, den Blickwinkel:

Wir haben die Farbinformation weggelassen und nur die Umrisse


der Windmühlen gezeichnet. Dadurch sind es weniger Windmühlen
geworden, weil teilweise unterschiedliche Windmühlen denselben
Umriss hatten.
Jetzt drehen wir den Spieß um und fragen uns, nach welchen
Regeln man solche Umrisse erstellen könnte. Man kann es sich so
vorstellen, dass aus einem Quadrat an den vier Ecken vier zyklisch
verdrehte gleich große Rechtecke (in richtiger „L-Lage“) herausge-
schnitten werden.

114 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Die (weiße) Restfigur wird dann „nachträglich“ mit Kästchen
befüllt. Allerdings sind bestimmte „Schnittmuster“ nicht erlaubt.
Man darf unter anderem die Rechtecke nicht so platzieren, dass eine
ihrer Ecken genau auf der Seitenmitte des Quadrates sitzt.

Warum nicht?

Wie man an der Skizze unschwer erkennen kann, wäre bei so


einer Aufteilung die Anzahl der Kästchen durch vier teilbar. Das
ist aber nicht möglich, da sich eine ungerade Anzahl von Kästchen
ergeben soll.

Ist es möglich, dass die abgeschnittenen


Rechtecke Quadrate sind?

Wichtiger Tipp für angehende Studentinnen der Mathematik:


Wenn Sie etwas beweisen sollen (typische Hausaufgabe) und in Ih-
rem Beweis nicht alle Voraussetzungen verwendet wurden, dann ist
mit ziemlicher Sicherheit der Beweis nicht korrekt. Die Vorausset-
zung, die wir bisher gar nicht verwendet haben, ist die, dass es um
Primzahlen geht!
Die letzte Skizze zeigt, dass man aus der ausgeschnittenen Figur
ein Rechteck basteln kann, wenn die abgetrennten Rechtecke Qua-
drate sind. Dann wäre die Anzahl der Kästchen aber keine Primzahl,
denn sie ergäbe sich ja aus dem Produkt von Höhe und Breite des
Rechtecks. Also darf man keine Quadrate abschneiden. (Das gilt
auch für den Spezialfall, dass man gar nichts, also ein „Quadrat“ der
Seitenlänge null, wegschneidet.)

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N 115
Überzeugt? Hier muss ich zum zweiten Mal in diesem Kapitel
„Achtung!“ rufen. Es gibt eine „legale“ Möglichkeit, Quadrate abzu-
schneiden. Und zwar die, bei der das innere (gestrichelte) Quadrat
aus genau einem Kästchen besteht. Dann hat nämlich das zusammen-
gebastelte Rechteck die Höhe eins und das Produkt seiner Seiten ist
nicht notwendig eine zusammengesetzte Zahl.
Grundsätzlich ergeben sich aber bei unterschiedlichen Recht-
ecken immer auch unterschiedliche Umrisse: Haben die Rechtecke
dieselbe Fläche, müssen sie unterschiedliche Formen haben. Haben
sie unterschiedliche Flächen, so müssen die Ausgangsquadrate bereits
unterschiedliche Größen gehabt haben, damit am Ende die Anzahl
der Kästchen übereinstimmt.

Kann man aus diesen ausgeschnittenen Umrissen die ursprünglichen


Windmühlen wieder rekonstruieren? Aber sicher:

Dazu werden jeweils die gleich langen innen liegende Seiten der
Rechtecke nach innen verlängert. Dadurch wird ein mittiges Quadrat
festgelegt und damit eine Windmühle. Wie man an der Skizze sieht,
liefert jeder Umriss zwei verschiedene Windmühlen. (Sie sollten aber
die letzten drei Sätze nicht einfach so überfliegen, sondern selbst mal
auf diesem Wege ein paar Windmühlen erzeugen.)
Es gibt jedoch auch hier wieder eine Ausnahme: Aus dem beson-
ders „schlanken“ Umriss, bei dem die entfernten Rechtecke Quadrate
sind, kann man mit dieser Methode wegen der Symmetrie nur eine
Windmühle generieren.
Sie haben es sicher bemerkt, wir sind am Ende des Beweises
angelangt! Wir haben uns einerseits überlegt, dass jede Darstellung der
Form a 2 + 4c d zu zwei Windmühlen führt, wenn 4c d kein Quadrat
ist. Über den Umweg des Konstruierens aus Umrissen haben wir
andererseits gezeigt, dass es eine ungerade Anzahl von Windmühlen

116 PI UND DIE PRIMZAHLEN


geben muss. Daraus folgt zwangsläufig, dass in mindestens einem
Fall c = d gilt.
Das war das längste Kapitel bisher und ganz schön anstrengend.
Ich bin froh, dass Sie noch da sind. Und ich hoffe, die Arbeit hat
sich für Sie gelohnt. War das nicht tatsächlich ein äußerst schöner
Beweis?

D E R A M AT E U R U N D D I E W I N D M Ü H L E N 117
DIE BADEANSTALT

Wenn Emmy Noether Vorlesungen hielt, dann wurden die nicht


unter ihrem Namen angekündigt, sondern unter dem von David
Hilbert. Denn Emmy Noether war eine Frau und 1916 war eine Frau
als Professorin undenkbar. (Immerhin hatte sie überhaupt in ihrer
Heimatstadt Erlangen studieren dürfen, was Frauen auch erst ab
1903 erlaubt wurde.) Obwohl sie mit Hilbert und Felix Klein zwei
weltbekannte Mathematiker als Fürsprecher hatte, konnten diese
bei der preußischen Regierung für sie keine Ausnahme erwirken.
Legendär ist in diesem Zusammenhang der Wutausbruch Hilberts
vor der philosophischen Fakultät der Universität Göttingen, die sich
ebenfalls gegen eine weibliche Kollegin sperrte: „Meine Herren, ist
das hier eine Fakultät oder eine Badeanstalt!?“
Emmy Noether konnte erst nach dem Ende des ersten Weltkriegs
Professorin werden. Sie war damit zwar die erste in Deutschland,
aber sie wurde nicht verbeamtet, bekam erst vier Jahre nach ihrer
Habilitation einen bezahlten Lehrauftrag und nie eine ordentliche
Professur. Leider gibt es auch kein Happy End. Wie unzählige andere
Mathematiker musste Noether wegen der Nazis Deutschland verlas-
sen. Sie erhielt eine Gastprofessur in den USA, verstarb dort aber
schon mit 53 Jahren an den Komplikationen einer Operation. (Ihr
jüngerer Bruder Fritz, auch Mathematiker, floh übrigens vor den Na-
zis in die Sowjetunion und wurde dort 1938 im Zuge des sogenannten
Großen Terrors verhaftet und drei Jahre später hingerichtet.)
Emmy Noethers Forschung war viel fortgeschrittener als das,
was wir in diesem Buch machen. Noether hat jedoch auch in der

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_15
Lehre bleibende Spuren hinterlassen. Sie gilt als treibende Kraft
hinter der zunehmenden Abstraktion der Algebra (und im Endeffekt
der gesamten Mathematik) seit Beginn des 20. Jahrhunderts und hat
damit indirekt die Präsentation der Ideen auf diesen Seiten beeinflusst.
Das, was wir machen, hätte wahrscheinlich schon Leonhard Euler
im 18. Jahrhundert verstanden. Aber die Art und Weise, wie wir es
machen, zum Beispiel in diesem Kapitel, wäre ihm sicher manchmal
fremd gewesen. (Sie können es auch so sehen: Dieses Kapitel wird
recht abstrakt werden und ich schiebe die Schuld daran Frau Noether
in die Schuhe. . . )

Früher war mit Algebra lediglich das Lösen von Gleichungen ge-
meint und im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort auch oft
noch so verwendet. Für die Mathematiker ist Algebra aber inzwischen
die Bezeichnung für ein wichtiges Teilgebiet ihrer Wissenschaft, das
so ausgedehnt und verzweigt ist, dass man es kaum in ein paar Sätzen
zusammenfassen kann.
Auf jeden Fall hat die moderne Algebra wesentlich dazu bei-
getragen, dass man die Mathematik heutzutage nicht mehr als die
Wissenschaft von den Zahlen und Größen ansieht, sondern als die
Disziplin, die Strukturen untersucht. Das führt unter anderem zu ei-
ner Abstraktion des Zahlbegriffs. Man legt gewissermaßen bestimmte
Zahlenmengen und Rechenoperationen unter die Lupe und versucht,
ihre Essenz möglichst einfach – durch einige wenige Axiome – zu
beschreiben. Alles, was sich aus diesen Axiomen rein logisch ergibt,
trifft dann auch auf alle anderen Strukturen zu, die die Axiome
erfüllen.
Genau das werden wir in diesem Kapitel und den folgenden
machen. Wir werden zunächst die ganzen Zahlen untersuchen und
ihre grundlegenden Eigenschaften notieren. Dann werden wir eine
neue Art von Zahlen definieren und sehen, dass sie sich in vielerlei
Hinsicht kaum von den ganzen Zahlen unterscheiden und wir daher
vieles, was wir über die ganzen Zahlen wissen, auf die neuen Zahlen
übertragen können.

120 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Zur Erinnerung: Die ganzen Zahlen ergeben sich durch Hinzunah-
me der Null und der „negativen Spiegelbilder“ zu den natürlichen
Zahlen. Uns werden in erster Linie die Addition und die Multi-
plikation ganzer Zahlen interessieren. Ich schreibe jetzt ein paar
Eigenschaften dieser beiden Rechenoperationen auf. Das wissen Sie
zwar alles, aber wir müssen dem Kind für die kommenden Ziele
einen Namen geben.

(i) Wenn man zwei ganze Zahlen addiert oder multipliziert, ist
das Ergebnis wieder eine ganze Zahl.

(ii) Bei beiden Operationen kommt es nicht auf die Reihenfolge


an. In Zeichen ausgedrückt:

a+b =b +a und a·b =b ·a

(iii) Addiert oder multipliziert man mehr als zwei Zahlen, so


kommt es nicht darauf an, wie man diese gruppiert, also was
man zuerst ausrechnet. Auch das wird klarer, wenn man es
symbolisch hinschreibt:

a + (b + c) = (a + b) + c
a · (b · c) = (a · b) · c

(iv) Die Null spielt eine besondere Rolle bei der Addition. Addiert
man sie zu einer anderen Zahl hinzu, dann ist es so, als hätte
man gar nichts addiert. Bei der Multiplikation hat die Eins
diese Sonderrolle.

a+0= a und a·1= a

(v) Zu jeder ganzen Zahl gibt es ein „Gegenstück“ derart, dass die
Summe der beiden null ist. Das Gegenstück zu 3 ist beispiels-
weise −3, das zu −7 ist 7 und das Gegenstück der Null ist die
Null selbst. Allgemein schreibt man −a für das Gegenstück
der Zahl a .

D I E B A D E A N S TA LT 121
(vi) Addition und Multiplikation „vertragen“ sich. In der Schule
lernt man diese Eigenschaft als Ausklammern bzw. Ausmulti-
plizieren kennen.

a · (b + c) = a · b + a · c

(vii) Wenn bei einem Produkt null herauskommt, dann muss einer
der beiden Faktoren null gewesen sein; anders geht es nicht.
Allerdings sagt niemand „Gegenstück“. Man nennt −a ganz vor-
nehm das zu a inverse Element bezüglich der Addition. Überhaupt
gibt es für jeden der obigen Punkte Fachbegriffe. Zur Algebra ge-
hört leider auch, dass man am Anfang mit vielen neuen Wörtern
bombardiert wird. Ich zähle die im nächsten Absatz auch mal auf.
Um vom Rest des Buches etwas zu haben, müssen Sie die jetzt um
Himmels Willen nicht auswendig lernen. Aber vielleicht werden Sie
mal zurückblättern oder im Index nachschauen müssen.
(ii) und (iii) sind die Kommutativität und die Assoziativität der
Addition bzw. der Multiplikation. Unter (iv) wird beschrieben, dass
null und eins deren neutrale Elemente sind. Die Eigenschaft (vi) wird
als Distributivität bezeichnet. (vii) ist die sogenannte Nullteilerfreiheit.
Wenn die Punkte (i) bis (vi) alle zutreffen, spricht man von ei-
nem Ring. Kommt noch Punkt (vii) hinzu, dann hat man einen
Integritätsring. Die ganzen Zahlen mit den „üblichen“ Rechenopera-
tionen bilden also einen Integritätsring.
An dieser Stelle kann ich noch mal aufgreifen, was ich am An-
fang des Buches angedeutet habe: In der Mathematik gibt es nur
zwei und nicht vier „Grundrechenarten“, nämlich Addition und
Multiplikation. Die Subtraktion ist in der Sichtweise der Algebra das
Addieren des inversen Elementes. Anders gesagt: a − b ist lediglich
eine Abkürzung für a + (−b) , wobei mit −b das inverse Element zu b
von Punkt (v) oben gemeint ist. (Für die Division gilt eine analoge
Aussage, jedoch nur bei den rationalen Zahlen.)

Und wofür der ganze formale Aufwand? Weil wir jetzt einen an-
deren Integritätsring kennenlernen werden, der auf unserem Weg

122 PI UND DIE PRIMZAHLEN


zur π -Formel noch sehr wichtig sein wird. Wie angekündigt lernen
wir einen neuen Typ Zahlen kennen: die sogenannten gaußschen Zah-
len. (Die sind natürlich nach Herrn Gauß benannnt, den wir schon
kennengelernt haben.)
Die gaußschen Zahlen sind genau die Punkte in der Ebene, die
wir zählen wollen, also die mit ganzzahligen Koordinaten. Was sie zu
Zahlen machen wird, sind die Rechenoperationen, die wir gleich de-
finieren werden. Eine Mathematikerin würde sagen, dass die Menge
der Punkte dadurch eine algebraische Struktur bekommt. Wo wir vor-
her vor einem ungeordneten Haufen von Objekten standen, werden
wir nun neue Zusammenhänge erkennen können.
Formal sind gaußsche Zahlen Paare von ganzen Zahlen – sowas
wie (2, 5) . Die beiden Zahlen nennt man dabei die Komponenten des
Paares. Wir stellen uns diese Paare natürlich als kartesische Koordi-
naten von Punkten in der Ebene vor.
Sollten Sie sich mit komplexen Zahlen auskennen, dann können
Sie die nächsten Seiten einfach überfliegen. Gaußsche Zahlen sind
nämlich nichts weiter als komplexe Zahlen, bei denen Real- und
Imaginärteil ganzzahlig sind. Falls Sie noch nie etwas von komplexen
Zahlen gehört haben, macht das aber gar nichts. Lesen Sie einfach
weiter.
Addiert werden gaußsche Zahlen komponentenweise:

(4, 1) + (2, 3) = (4 + 2, 1 + 3) = (6, 4)

Das entspricht grafisch der Vektoraddition, an die Sie sich viel-


leicht noch aus der Schule erinnern.

Wie sieht Subtraktion grafisch aus?

D I E B A D E A N S TA LT 123
Multipliziert werden gaußsche Zahlen allerdings nicht kompo-
nentenweise, sondern nach einer auf den ersten Blick sehr seltsamen
Regel, die ich hier ganz allgemein aufschreibe und darunter anhand
eines Beispiels vorführe:

(a, b) · (c, d) = (ac − b d, ad + b c)


(4, 1) · (2, 3) = (4 · 2 − 1 · 3, 4 · 3 + 1 · 2) = (5, 14)

Auch für die Multiplikation gibt es eine geometrische Entspre-


chung. Die zeige ich hier aber nicht, weil wir das nicht brauchen
werden und weil eine fundierte Begründung dafür zu lange dauert.
Ich könnte auch viele Seiten damit füllen, Ihnen vorzurechnen,
dass die gaußschen Zahlen die Eigenschaften (i) bis (vii) von oben
alle erfüllen. Aber entweder haben Sie schon Erfahrung im Umgang
mit komplexen Zahlen und das wird Sie alles langweilen oder aber
Sie haben noch nie etwas von gaußschen oder komplexen Zahlen
gehört. Dann sollten Sie spätestens jetzt Zettel und Bleistift aus Ihrem
Rucksack holen und diese Eigenschaften alle selbst überprüfen. Ohne
etwas Übung im Umgang mit diesen neuen Zahlen sind Sie nämlich
bald total verwirrt und müssen mir einfach alles glauben. Das ist ja
nicht der Sinn des Buches.
Ich werde nur exemplarisch zwei Beispiele vorführen, damit Sie
sehen, dass das alles nicht so schwierig ist. Einmal die Kommutativität
der Addition:

(a, b) + (c, d) = (a + c, b + d) = (c + a, d + b) = (c, d) + (a, b)

Eigentlich ganz banal, oder? Bei der Multiplikation ist der Aufwand
etwas größer, aber man muss es auch einfach nur hinschreiben – und
erwirbt dabei Routine. Außerdem zeige ich Ihnen noch, wie die
neutralen Elemente aussehen: es sind die gaußschen Zahlen (0, 0)
und (1, 0) . Rechnen Sie es nach!

Machen Sie’s wirklich!!

124 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Wir führen nun eine suggestive Schreibweise für die gaußschen
Zahlen ein, die erstens kompakter als die Paardarstellung ist und die
zweitens dafür sorgt, dass wir die seltsame Definition der Multipli-
kation nicht memorieren müssen. Dafür schauen wir uns zunächst
an, wie das Rechnen mit gaußschen Zahlen aussieht, deren zweite
Komponente null ist:

(a, 0) + (b, 0) = (a + b, 0)
(a, 0) · (b, 0) = (ab, 0)

Das ist nichts weiter als die normale Addition und Multiplikation
ganzer Zahlen. Daher werden wir in Zukunft für gaußsche Zahlen
der Form (a, 0) einfach a schreiben und sie wie ganze Zahlen behan-
deln. Geometrisch sind das die Punkte auf der horizontalen Achse.
Außerdem führen wir für die gaußsche Zahl (0, 1) das Symbol i ein.
Man nennt diese Zahl auch die imaginäre Einheit. Der historische
Grund für diesen Namen sieht so aus:

i · i = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1

Diese seltsame „Zahl“ i hat nach unserer Konvention also das


Quadrat −1. Weil „normale“ Zahlen aber niemals negative Quadrate
haben, hat man solche Objekte früher imaginär genannt. Und den
Namen haben sie behalten.
Rechnen Sie bitte nach, dass für ganze Zahlen a und b nach den
Rechenvorschriften für gaußsche Zahlen das hier gilt:

a + b i = (a, 0) + (b, 0) · (0, 1) = (a, b)

Da Sie die Distributivität bereits nachgeprüft haben (haben Sie


doch, oder?), können Sie nun so multiplizieren:

(a + b i) · (c + d i) = ac + b c i + ad i + b d ii
= ac + b c i + ad i − b d
= (ac − b d) + (ad + b c) i

D I E B A D E A N S TA LT 125
Mit anderen Worten: Bei der Multiplikation gaußscher Zahlen
können Sie nach Herzenslust ausklammern und ausmultiplizieren,
wie Sie es gewohnt sind, und dabei i wie irgendeinen Buchstaben
behandeln. Die einzige Neuigkeit ist, dass Sie i · i durch −1 ersetzen
dürfen (und sollten).

Weiter geht’s auf dem anfangs steinigen Weg der Algebra. Zu jeder
ganzen Zahl a gibt es ein inverses Element bezüglich der Addition, für
das wir −a geschrieben haben. Addiert man eine Zahl und ihr inverses
Element, so kommt null, also das neutrale Element der Addition her-
aus. Auch bei den gaußschen Zahlen ist das so. Invers zur gaußschen
Zahl 3 − 2i ist beispielsweise die gaußsche Zahl −3 + 2i, wobei 3 − 2i
nach unserer Konvention eine andere Schreibweise für (3, −2) ist.
Wie ist das mit der Multiplikation? Hier müsste sinnvollerweise
beim Malnehmen mit dem entsprechenden inversen Element das
neutrale Element der Multiplikation herauskommen. Bei rationalen
Zahlen ist das auch kein Problem. Das inverse Element zu 2/7 ist zum
Beispiel 7/2, denn das Produkt der beiden Zahlen ist eins. Außer der
Null hat jede rationale Zahl einen Kehrwert. (Die multiplikativen
Inversen nennt man Kehrwerte.)
Bei den ganzen Zahlen ist das aber so eine Sache. Man spricht
nur dann davon, dass ein Kehrwert existiert, wenn dieser Kehrwert
zu der Klasse von Zahlen gehört, die man gerade untersucht. Die
Frage ist also:

Welche ganzen Zahlen haben Kehrwerte,


die ebenfalls ganze Zahlen sind?

Sie sind sicher darauf gekommen, dass es nur zwei solche Zahlen
gibt: 1 und −1. Beide haben als Kehrwert sich selbst. Elemente eines
Integritätsrings, die Kehrwerte haben, nennt man (schon wieder ein
neues Wort!) Einheiten. 1 und −1 sind also die einzigen Einheiten
unter den ganzen Zahlen.
Aber können Sie auch sauber begründen, warum es keine an-
deren Einheiten gibt? Bei den ganzen Zahlen mag das noch relativ

126 PI UND DIE PRIMZAHLEN


offensichtlich sein. Wir wollen jedoch auch noch herausfinden, wie
die Einheiten bei den gaußschen Zahlen aussehen.

Daher betrachten wir eine weitere Operation auf den ganzen


Zahlen, für die wir ein Pendant auf den gaußschen Zahlen suchen
werden. Es geht um den Absolutbetrag (oder kurz: Betrag), also um
die Funktion, die einer Zahl a den Wert |a| zuordnet.
Man kann den Betrag auf zwei Arten interpretieren: Erstens ist
es einfach die Funktion, die „das Vorzeichen wegnimmt“. Aus −5
wird 5, während 8 einfach 8 bleibt. Hilfreicher ist aber die zweite
Interpretation: Der Betrag einer Zahl ist ihr Abstand von der Null
auf der Zahlengeraden.
Auch hier stellen wir wieder eine Liste von Eigenschaften zusam-
men, die wir noch brauchen werden:

(i) Der Betrag einer ganzen Zahl ist immer eine natürliche Zahl
oder null. Und die einzige Zahl, deren Betrag null ist, ist die
Null selbst.

(ii) Der Betrag ist eine multiplikative Funktion. Damit meint man,
dass immer |ab | = |a| · |b | gilt.

(iii) Sind a und b ganze Zahlen, die beide nicht null sind, so gilt
stets |ab | ≥ |a| .

(iv) Einheiten haben den Betrag eins.

Bei diesen Eigenschaften verlasse ich mich darauf, dass Ihnen das
eigentlich klar ist bzw. dass Sie sich das mit ein, zwei Beispielen vor
Augen führen können. Ich weise lediglich darauf hin, dass Eigen-
schaft (iii) zwar für ganze Zahlen gilt, aber nicht etwa für beliebige
reelle Zahlen.
Mit dem Betrag kann man nachträglich begründen, warum es
nur die beiden Einheiten geben kann, die wir vorhin identifiziert
haben. Dass die Null keine Einheit ist, ist klar. Für jede ganze Zahl a
außer 0, 1 und −1 gilt jedoch: Multipliziert man sie mit null, kommt

D I E B A D E A N S TA LT 127
null heraus. Multipliziert man sie mit irgendeiner anderen ganzen
Zahl, so ist nach (iii) der Betrag des Produktes mindestens so groß
wie |a| und damit größer als eins. Also kann sich als Produkt nicht
eins ergeben.

Wie kann man das Konzept des Betrags auf gaußsche Zahlen übertra-
gen? Nicht ohne Grund habe ich Ihnen vorhin zwei Interpretationen
des Betrags genannt. Nur eine von beiden wird uns weiterbringen.
Daran kann man ganz gut die Vorgehensweise beim Abstrahieren
erkennen. Kann man die Eigenschaft, die man abstrahieren will,
so formulieren, dass man damit ihre Essenz erfasst hat? Ist diese
Formulierung auf andere Strukturen anwendbar?
Eine mögliche Interpretation des Betrags war das „Wegnehmen“
des Vorzeichens. Das ist aber nicht auf die gaußschen Zahlen übertrag-
bar, weil die kein Vorzeichen haben. Was sollte denn das Vorzeichen
von 2 − 3i sein? Hat 2 − 3i ein anderes Vorzeichen als −2 + 3i? Welche
der beiden Zahlen ist „positiv“? Sie sehen: das klappt nicht.
Das passende Analogon zum Betrag für gaußsche Zahlen ist de-
ren Abstand zur Null, also zum Ursprung des Koordinatensystems.
Den kann man mit dem Satz des Pythagoras ausrechnen. Und für
komplexe Zahlen macht man das auch so – der Betrag von a + b i

wird als a 2 + b 2 definiert: als Abstand der Punkte (a, b) und (0, 0) .
Bei gaußschen Zahlen geht man aber etwas anders vor und defi-
niert ihre sogenannte Norm folgendermaßen: Die Norm der Zahl
z = a + b i ist N (z) = a 2 + b 2 . Man erspart sich also das Ziehen der
Wurzel. Das hat den angenehmen Effekt, und deshalb macht man es
auch, dass die Norm einer gaußschen Zahl immer eine ganze Zahl
und keine häßliche irrationale Zahl ist. Manchmal wird es aber prak-
tischer sein, auch bei gaußschen Zahlen von ihrem Betrag zu sprechen.
Wir schreiben dafür auch |z | und halten fest, dass |z | der Abstand

vom Ursprung ist und dass der Zusammenhang |z | = N (z) besteht.
Es lässt sich nun leicht überprüfen, dass die Eigenschaften (i)
bis (iii) auch für die Norm der gaußschen Zahlen gelten. Und Sie
wissen ja, was ich jetzt sage: Glauben Sie das nicht einfach, sondern

128 PI UND DIE PRIMZAHLEN


kontrollieren Sie es! Das ist nicht schwer, aber es erfordert Arbeit.
Nehmen Sie sich wirklich mal zwei gaußsche Zahlen z 1 = a 1 + b1 i
und z 2 = a 2 + b2 i vor und berechnen Sie N (z 1 ) N (z 2 ) sowie N (z 1 z 2 ) .
Kommt tatsächlich in beiden Fällen das Gleiche heraus?

Wie sehen die Einheiten der gaußschen Zahlen aus?

Bei den gaußschen Zahlen gibt es vier Einheiten: die Zahlen


1, −1, i und −i. Das sind geometrisch genau die vier Punkte mit
ganzzahligen Koordinaten, deren Abstand vom Nullpunkt eins ist.
Die Kehrwerte von 1 und −1 kennen wir schon, die Kehrwerte von i
und −i sind −i und i. Dass es keine weiteren Einheiten geben kann,
folgt wie bei den ganzen Zahlen aus Eigenschaft (iii) der Norm. Und
da wir das nun wissen, ist klar, dass die Norm auch Eigenschaft (iv)
des Betrags hat.

Jetzt dürfen Sie erst mal tief durchatmen! Das wahrscheinlich


trockenste Kapitel des Buches haben Sie hinter sich gebracht. Es
steht uns noch viel Arbeit bevor und leichter wird es auch nicht.
Aber zumindest wird es auf den kommenden Seiten wieder mehr
Gelegenheiten für Visualisierungen und konkrete Beispiele geben.
Und wir werden unserem Ziel immer näher kommen.
Auch viele Mathematiker selbst empfinden die Algebra übrigens
manchmal als dröge, müssen aber auch zugeben, dass sie oft ein
unverzichtbares und auch effizientes Werkzeug ist. Zum Abschluss
des Kapitels ein schönes Zitat dazu von Michael Atiyah:

Algebra is the offer made by the devil to the mathematician.


The devil says: I will give you this powerful machine, it will
answer any question you like. All you need to do is give me
your soul: give up geometry and you will have this marvelous
machine.

D I E B A D E A N S TA LT 129
DER ERSTE ALGORITHMUS

Descartes’ Name wurde der Name seines Geburtsortes und der Name
von al-Chwarizmi wurde zu dem Wort Algorithmus, das heute wegen
der allgegenwärtigen Computer in aller Munde ist, obwohl den we-
nigsten so richtig klar ist, was es bedeutet – wenn man einschlägigen
Umfragen trauen kann.
Wenn man im 21. Jahrhundert wissen will, was ein Algorithmus
ist, schaut man bei Wikipedia nach. Der englische Wikipedia-Eintrag
zum Begriff Algorithmus enthält mehr als 13 000 Wörter, hat fast
100 Fußnoten, zitiert etwa vier Dutzend verschiedene Quellen und
verweist auf diverse andere Wikipedia-Artikel, die sich ebenfalls
mit Algorithmen beschäftigen. Offenbar handelt es sich um einen
wichtigen Begriff.
Schaut man indessen in der Encyclopædia Britannica von 1910
nach, so stellt man fest, dass es dort für Algorithmus gar keinen
eigenen Eintrag gibt. Lediglich im Artikel über Algebra wird das
Wort kurz erwähnt. Man lernt quasi nebenbei, dass damit eine Re-
chenmethode (method of computing) gemeint ist und dass der Name
al-Chwarizmis verballhornt wurde. Nicht mal über die Schreibweise
bestand damals Einigkeit: „algorism“ und „algorithm“ werden als
gleichberechtigte Möglichkeiten aufgeführt.
Zu Hause habe ich noch ein achtbändiges Lexikon von 1978 im
Bücherregal stehen. Dort ist es auch nicht viel besser als 1910. Es gibt
zwar einen eigenen Eintrag für Algorithmus; dieser hat aber lediglich
zehn Zeilen, von denen allein fünf auf die Etymologie des Wortes
verwendet werden. Zum Vergleich: Auf derselben Seite findet sich ein

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_16
Beitrag etwa gleicher Länge über den französischen Lyriker François-
Paul Alibert. Alibert wird zum aktuellen Zeitpunkt (Ende 2020)
weder in der deutschen noch der englischen Version von Wikipedia
überhaupt nur erwähnt.
Warum kommt über tausend Jahre nach al-Chwarizmis Tod kein
Buch über Informatik mehr ohne das seltsame Wort aus, das aus
seinem Nachnamen abgeleitet wurde, obwohl es zwischendurch fast
vergessen schien?

Wir wissen schon, dass ein wichtiger Verdienst al-Chwarizmis die


Popularisierung des indischen Dezimalsystems im arabischen Raum
war und dass dieses dann nach und nach auch in Europa Einzug hielt.
Seine Werke wurden ins Lateinische übersetzt und auch sein Name
wurde, wie es damals üblich war, latinisiert: Algorismi.
Neuerungen setzen sich aber selten ohne Widerstand durch und
so war es auch mit dem Stellenwertsystem. Die „alte Garde“ waren
in diesem Fall die noch mit dem Abakus und dem römischen Zah-
lensystem arbeitenden Rechenmeister, die ihre Pfründe schwinden
sahen. Sie wurden Abakisten genannt, während ihre Gegner, die nach
der neuen Methode rechneten, die Algoristen waren.
Wer gewonnen hat, ist bekannt. Und seitdem verbindet man
mit dem Namen Algorismi eine Rechenmethode. Im Prinzip ist das
auch heute noch die Bedeutung des Wortes, allerdings geht es schon
lange nicht mehr nur um das Rechnen mit dem neuen Zahlensystem
aus Indien. Heute meint man damit ganz allgemein die Beschrei-
bung eines Handlungsablaufs zum Erreichen eines bestimmten Ziels.
Auch Kochrezepte, Orchesterpartituren oder Montageanleitungen
für Möbel sind eigentlich Algorithmen.
Im engeren Sinne sind aber fast immer sehr detaillierte Hand-
lungsvorschriften gemeint, die aus präzise beschriebenen, unmissver-
ständlich formulierten und vergleichsweise simplen Einzelschritten
bestehen. Während etwa ein typisches Kochrezept einerseits einen
gewissen Spielraum lässt („leicht salzen“) und andererseits gegebe-
nenfalls Vorwissen verlangt („die Zwiebeln schälen, schneiden und

132 PI UND DIE PRIMZAHLEN


anschwitzen“), soll ein Algorithmus so klar, explizit und fein gra-
nuliert formuliert sein, dass selbst der größte Idiot ihn ohne Fehler
ausführen kann und das Ergebnis nicht davon abhängt, wie er oder sie
das macht. Diese enge Auslegung des Begriffs Algorithmus ist deshalb
die heutzutage vorherrschende, weil die „Idioten“, die Algorithmen
ausführen sollen, fast immer Computer sind.
Aber Algorithmen gab es schon, bevor es Computer gab. Es gab
sogar schon Algorithmen, lange bevor al-Chwarizmi das Licht der
Welt erblickte.

Als ältester noch regelmäßig verwendeter Algorithmus gilt der eu-


klidische Algorithmus, um den es in diesem Kapitel geht. Den Namen
trägt er, weil er in Euklids legendären Elementen beschrieben wird.
Aber dieses Meisterwerk basierte wie auch jedes Mathebuch nach
ihm auf dem Wissen seiner Vorgänger und „sein“ Algorithmus war
definitiv viel älter als Euklid selbst.
Betrachtet man den Algorithmus mit den Augen eines Geometers,
so geht es darum, das sogenannte gemeinsame Maß zweier Strecken
zu finden. Inzwischen wird das Verfahren allerdings fast ausschließ-
lich benutzt, um den größten gemeinsamen Teiler zweier Zahlen
zu ermitteln. Es hat sich mit den Jahren herausgestellt, dass diese
Anwendung eine zentrale Bedeutung in Zahlentheorie und Algebra
hat.
Auch wir werden die algebraische Variante des Algorithmus be-
nutzen. Aber bevor ich das näher erklären kann, muss ich mal wieder
etwas weiter ausholen. Sie kennen das ja schon. . .
Es soll nämlich die Zahlentheorie, in der es ja eigentlich um die
natürlichen Zahlen geht, noch einmal neu aufgezäumt werden. Wir
nehmen ein paar grundlegende Begriffe dieser Theorie genauer unter
die Lupe und erweitern sie auf die ganzen Zahlen. Und das machen
wir, damit wir alles schließlich auf die gaußschen Zahlen übertragen
können. Das wird die Frucht der etwas zähen Vorarbeit sein, die wir
im letzten Kapitel geleistet haben.

D E R E R S T E A LG O R I TH M US 133
Fangen wir mit der Teilbarkeit an. Ich habe die anlässlich ihres ersten
Auftritts eher scherzhaft mit Pizzen und Perlen umschrieben und
bin davon ausgegangen, dass Ihnen das Konzept ohnehin geläufig ist.
Wie aber definiert die Mathematik das präzise? Typischerweise so:
Man sagt von natürlichen Zahlen a und b , dass a ein Teiler von b
ist, wenn es eine natürliche Zahl k mit b = k a gibt. Beispielsweise
ist a = 3 Teiler von b = 15, weil man in diesem Fall b = k a mit k = 5
hinbekommt. k = 1 sorgt dafür, dass jede Zahl sich selbst teilt. Und
so weiter. Da kommt genau das heraus, was wir uns unter Teilbarkeit
vorstellen.
Durch das Festzurren des Begriffs können wir auch eine wichtige
Eigenschaft der Teilbarkeit beweisen, ihre sogenannte Transitivität.
Damit ist gemeint: Wenn a ein Teiler von b ist und b ein Teiler
von c , dann ist a auch ein Teiler von c . Wieso gilt das? Schreiben
Sie’s einfach hin! a ist Teiler von b bedeutet: b = k a . b ist Teiler von
c steht für: c = mb . (Wir brauchen einen neuen Buchstaben, weil
das ja typischerweise nicht dieselbe Zahl wie k sein wird.) Die erste
in die zweite Gleichung einsetzen: c = (mk) a . Und da steht’s schon:
a ist Teiler von c .

Die mathematische Definition hat auch den Vorteil, dass man


sie wortwörtlich für ganze Zahlen übernehmen kann, indem man
nämlich einfach überall natürlich durch ganz ersetzt: Man sagt von
ganzen Zahlen a und b , dass a ein Teiler von b ist, wenn es eine ganze
Zahl k mit b = k a gibt. Damit ist 3 nach wie vor ein Teiler von 15
(immer noch k = 5 ), aber auch −3 ist nun (mit k = −5 ) ein Teiler
von 15. Ebenso ist jetzt 3 ein Teiler von −15.

Wie viele verschiedene Teiler hat −7?

Ist null ein Teiler von sieben?


Ist sieben ein Teiler von null?

134 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Nun zeigt sich die große Stärke der Abstraktion in der Algebra.
Wenn Sie ganze Zahlen durch gaußsche Zahlen ersetzen, dann haben
Sie ohne die geringste Anstrengung Teilbarkeit auch für gaußsche
Zahlen definiert. Das ist deshalb so einfach, weil die wenigen in der
Definition verwendeten Konzepte (eigentlich nur die Multiplikation)
Pendants in den gaußschen Zahlen haben. Die folgenden Rechnungen
(die Sie natürlich wie üblich überprüfen) zeigen beispielsweise, dass
2 + i und 2 − i Teiler von 5 sind und dass 5 + 3i ein Teiler von 27 − 11i
ist:

(2 + i) · (2 − i) = 5
(5 + 3i) · (3 − 4i) = 27 − 11i

Ich halte an dieser Stelle zwei Eigenschaften der Teilbarkeit fest,


die wir gleich noch benötigen werden und die aus dem folgen, was
wir im letzten Kapitel erarbeitet haben.

– Sowohl in den ganzen als auch in den gaußschen Zahlen teilen


Einheiten jede Zahl.

– Für ganze Zahlen gilt: Wenn a ein Teiler von b und b nicht
null ist, dann kann der Betrag von a nicht größer als der von b
sein. Für gaußsche Zahlen gilt dieselbe Aussage auch, wenn
man den Betrag durch die Norm ersetzt.

Können Sie das beweisen?

Eng verwoben mit der Teilbarkeit ist das Teilen mit Rest, das wir
auch schon thematisiert haben. Wenn man auch das auf ganze und
gaußsche Zahlen übertragen will, muss man es so formulieren, dass
eigentlich gar nicht über Teilen gesprochen wird, weil wir in diesen
Zahlenräumen nicht dividieren können. Das ist aber nicht schwer.
Wir schauen uns ein Beispiel an. Wenn wir 23 Perlen unter vier
Personen aufteilen wollen, dann erhält jede fünf Perlen und es bleiben

D E R E R S T E A LG O R I TH M US 135
drei übrig. Man kann sich das so vorstellen, dass man immer vier
Perlen auf einmal vom ursprünglichen Haufen wegnimmt und diese
unter den vier Personen verteilt. Das macht man so lange, bis nicht
mehr genügend Perlen übrig bleiben, um jedem eine zu geben.

Damit hat man das Folgende erreicht:

– Der Rest, die Anzahl der verbleibenden Perlen, ist kleiner als
die Anzahl der Personen, unter denen die Perlen aufgeteilt
werden sollten, denn sonst hätte man ja noch mehr Perlen
verteilen können.

– Die unter den Personen verteilten Perlen ergeben zusammen


mit dem Rest den ursprüngliche Bestand an Perlen. (Anderen-
falls hat jemand getrickst und Perlen verschwinden lassen!)

In Zahlen heißt das: 23 = 5 · 4 + 3 und 3 < 4. Und wenn wir ganz


allgemein das Teilen von a durch b ausdrücken wollen, dann können
wir sagen, dass wir Zahlen k und r suchen, für die a = k · b + r sowie
r < b gilt. Mit r ist offenbar der Rest gemeint.
Man kann das fast direkt auf ganze Zahlen übertragen. Der kleine
Haken ist die Formulierung r < b , denn zu einer vorgegebenen
Zahl b gibt es unendlich viele ganze Zahlen, die kleiner als b sind.
Das ist nicht das, was wir wollen. Der Rest soll ja auf eine sinnvolle
Art und Weise minimal sein.
Die Rettung ist, Sie ahnten es wahrscheinlich schon, der Betrag:
Zu vorgegebenen ganzen Zahlen a und b findet man, wenn b nicht
gerade null ist, immer ganze Zahlen k und r , die die Bedingungen
a = k · b + r sowie |r | < |b | erfüllen. r kann man dann als Rest bei
der Division von a durch b bezeichnen.
Natürlich habe ich das bisher nur einfach so behauptet. Aber
ohne ganz tief in die Details hinabzusteigen, kann man sich grafisch
leicht klarmachen, dass es immer klappen muss. Man kann a = kb + r
umformen zu r = a −kb . Und nun stellen wir uns einfach alle Zahlen

136 PI UND DIE PRIMZAHLEN


der Form a − kb auf der Zahlengeraden vor, das heißt, wir lassen k
alle ganzen Zahlen durchlaufen. Für das Beispiel a = 23 und b = 4
sieht ein Teil davon so aus:

−10 0 10 20 30 40

Da der Abstand zweier benachbarter Punkte offensichtlich im-


mer b ist, muss entweder einer von ihnen genau auf der Null landen
(dann ist b Teiler von a ) oder wir finden Punkte, die weniger als b
von null entfernt sind. Das sind unsere Reste. (Plural, denn es gibt
zwei Kandidaten.)

Wie macht man das für gaußsche Zahlen?

Wenn man bei ganzen Zahlen mit dem Betrag arbeitet, dann bei
gaußschen Zahlen sicherlich mit der Norm. Wir hoffen also, dass der
folgende Satz stimmt, der nichts weiter als die „Übersetzung“ der
obigen Aussage für ganze Zahlen ist: Zu vorgegebenen gaußschen
Zahlen a und b findet man, wenn b nicht gerade null ist, immer
gaußsche Zahlen k und r , die die Bedingungen a = k · b + r sowie
N (r ) < N (b) erfüllen.
Auch hier kann man sich von der Korrektheit der Behauptung
durch ein grafisches Argument überzeugen. Dafür halten wir zu-
nächst fest, dass N (r ) < N (b) genau dann gilt, wenn |r | < |b | gilt.
Nun betrachten wir analog zu oben alle Werte der Form a − kb ,
wobei diesmal k alle gaußschen Zahlen durchläuft. Da ich Ihnen
jedoch die geometrische Interpretation der Multiplikation gaußscher
Zahlen bisher vorenthalten habe, ist zunächst nicht klar, wie sich
diese Zahlen in der Ebene verteilen.
Wir kriegen das aber hin. Erstens ist |z − w | der Abstand der
gaußschen Zahlen z und w . Wenn Sie jemals mit Vektoren gearbeitet
haben, dann ist Ihnen das ohnehin klar, weil gaußsche Zahlen ja wie
Vektoren addiert und subtrahiert werden. Wenn nicht, dann müssen
Sie mir das jetzt glauben und probieren es vielleicht mal anhand
einiger Beispiele aus.

D E R E R S T E A LG O R I TH M US 137
Da die gaußschen Zahlen gitterförmig in der Ebene liegen, gibt es
zweitens zu jeder gaußschen Zahl vier drumherum, deren Abstand
zu dieser Zahl genau eins ist.

Sind nun k 1 und k 2 gaußsche Zahlen, deren Abstand eins ist, so


gilt wegen der Multiplikativität der Norm:
 
|k 1 b − k 2 b | =N (k 1 b − k 2 b) = N ((k 1 − k 2 )b))
  
= N (k 1 − k 2 ) N (b) = N (k 1 − k 2 ) N (b)
= |k 1 − k 2 | · |b | = |b |

Es gibt also drittens zu jedem Punkt der Form a − kb vier weitere


dieser Art, deren Abstand zu dem vorgegebenen Punkt genau |b | ist
(denn der konstante Term a bewirkt nur eine Verschiebung). Das
ist die entscheidende Eigenschaft, die wir gleich brauchen werden.
Ich werde Ihnen zwar für ein konkretes Beispiel die Punkte zeigen,
aber wo genau die liegen, ist eigentlich irrelevant – sie liegen auf
jedem Fall auf einem regelmäßigen Gitter der ermittelten Größe.
Für das Beispiel wollen wir einen Rest bei der Division von
a = 5 − 7i durch b = 2 + 4i ermitteln. Hier sehen Sie ein paar der
besagten Punkte.

Die Argumentation läuft wie bei den ganzen Zahlen: Offenbar


müssen sich Punkte innerhalb des Kreises mit Radius |b | um den
Ursprung befinden. Die kommen alle als Rest infrage. Nehmen wir

138 PI UND DIE PRIMZAHLEN


etwa den Punkt −1 + i, der dem Zentrum am nächsten ist, dann
erhalten wir 5 − 7i = (−1 − 2i) · (2 + 4i) + (−1 + i) . So funktioniert
Teilen mit Rest mit gaußschen Zahlen. Aber keine Angst, wir werden
in diesem Buch niemals wirklich Reste ausrechnen. Wir wissen nun,
dass es geht, und das reicht.
Für den Fall, dass Sie mathematische Fachbegriffe sammeln: Wir
haben eben gerade begründet, dass sowohl die ganzen als auch die
gaußschen Zahlen sogenannte euklidische Ringe sind. So nennt man
Integritätsringe, in denen man den euklidischen Algorithmus durch-
führen kann, der dem Kapitel seinen Namen gegeben hat. Für diesen
Algorithmus muss man mit Rest teilen können. Da wir das nun
können, können wir endlich zum Algorithmus kommen.

Für das Verständnis ist es ganz gut, sich zuerst mit der klassischen
geometrischen Fragestellung zu befassen. Das erwähnte gemeinsame
Maß zweier Strecken, das gesucht wird, kann man sich so vorstellen:
Sie haben zwei Holzstäbe und möchten die beiden in lauter exakt
gleich große Stücke zerlegen.

Geht das immer und wie bekommt man es gegebenenfalls hin?


Der Algorithmus geht so vor, dass er vom längeren Stab genau das
Stück absägt, dass über den kürzeren hinausragt. Dann werden dieses
Stück und der kurze Stab nebeneinandergelegt.

Findet man ein gemeinsames Maß für diese beiden Stäbe, dann
hat man auch eines für die beiden ursprünglichen Stäbe gefunden,
denn der lange Stab lässt sich ja aus diesen beiden zusammensetzen!
Damit ist man in einer ähnlichen Situation wie beim babylonischen
Wurzelziehen: Man kann dieselbe Idee erneut anwenden und noch
mal und noch mal. . .

D E R E R S T E A LG O R I TH M US 139
Es wird so lange das längere Stück durch die Differenz ersetzt,
bis die beiden zu vergleichenden Stäbe gleich lang sind. Das sind die
Stücke, in die man die ursprünglichen Stäbe zerlegen kann.

Klappt das immer?

Geometrisch wird dieses Vorgehen nicht immer zum Erfolg füh-


ren: Nach dem erfolgreichen Zerlegen kann man ja zählen, in wie vie-
le Stücke die beiden Stäbe zerlegt wurden, und die beiden Zahlen ver-
gleichen. Das bedeutet, dass die Längen in einem rationalen Verhält-
nis zueinander stehen. In der Skizze war das zum Beispiel fünf zu vier.
Aber wenn der lange Stab die Diagonale und der kurze die Seite eines
Quadrates ist, dann ist deren Längenverhältnis irrational und der
Algorithmus wird niemals zu einem Ende finden. In der klassischen
Geometrie hätte man die beiden Strecken inkommensurabel genannt.

Für unsere Zwecke ist das jedoch kein Problem. Wir übertragen die
geometrische Aufgabe in den Bereich der Zahlentheorie. Die Stäbe
sollen beide eine ganzzahlige Länge haben. Dann findet man mit
Sicherheit ein gemeinsames Maß, nämlich das Maß eins. Der clevere
Algorithmus wird allerdings dafür sorgen, dass wir nicht so viel sägen
müssen. Er wird uns ein möglichst großes gemeinsames Maß liefern.

In der Skizze repräsentiert der lange Stab die Zahl 30 und der
kurze die Zahl 24. (Es sind dieselben Stäbe wie vorher; sie wurden

140 PI UND DIE PRIMZAHLEN


nur mit Markierungen versehen.) Der Algorithmus liefert ein Stück
der Länge 6. In der Schule haben wir das als größten gemeinsamen
Teiler der beiden Ausgangszahlen kennengelernt.
Was war noch mal damit gemeint? Da sich jede Zahl durch eins
teilen lässt, haben zwei Zahlen immer mindestens einen gemeinsamen
Teiler. Und wenn man mit natürlichen Zahlen arbeitet, kann ein
Teiler auch niemals größer sein als die Zahl, die er teilt. Darum findet
man zu zwei natürlichen Zahlen garantiert auch immer den größten
gemeinsamen Teiler: die größte Zahl, die beide Zahlen teilt. Sie hat
nebenbei die Eigenschaft, dass jeder weitere gemeinsame Teiler der
beiden Zahlen auch sie teilen muss. (Beispielsweise ist 3 auch ein ge-
meinsamer Teiler von 24 und 36, aber nicht der größte. 3 teilt auch 6.)
Exemplarisch hier noch ein Durchlauf des Algorithmus für Zah-
len anstelle von Holzstäben. Es soll der größte gemeinsame Teiler
von 28 und 10 berechnet werden und das Ergebnis ist 2.

28 10  18 10  10 8  8 2
 6 2  4 2  2 2

Wieso liefert der Algorithmus den größten


gemeinsamen Teiler und nicht nur irgendeinen?

Man sieht an dem Beispiel, dass es noch Verbesserungspotential


gibt. In den ersten beiden Schritten wird etwa 28 − 10 und dann
18 − 10 berechnet. Man hätte stattdessen auch gleich berechnen kön-
nen, wie oft 10 in 28 passt und was übrig bleibt. Man hätte also das
Subtrahieren durch Teilen mit Rest ersetzen können. So werden wir
es ab jetzt auch machen. Dazu noch ein Beispiel mit etwas größeren
Zahlen, nämlich mit 845 und 221.

845 = 3 · 221 + 182


221 = 1 · 182 + 39
182 = 4 · 39 + 26
39 = 1 · 26 + 13
26 = 2 · 13

D E R E R S T E A LG O R I TH M US 141
Jede Zeile steht für einmal Teilen mit Rest. Die erste Zeile zeigt
uns zum Beispiel, dass wir zwei Schritte gegenüber dem Subtrahieren
gespart haben, weil man von 845 dreimal 221 abziehen kann, bis die
Differenz kleiner als 221 ist. Wir fahren fort, bis es keinen Rest mehr
gibt. Das ist hier in der fünften Zeile der Fall, also ist 13 der größte
gemeinsame Teiler der beiden Ausgangszahlen.
Für die Zahlentheorie aber fast noch wichtiger als der euklidische
Algorithmus selbst ist die Tatsache, dass man ihn auch „rückwärts“
ablaufen lassen kann. Das ist so gemeint, dass man zunächst die
obigen Gleichungen so umstellt, dass die Reste jeweils isoliert auf
einer Seite stehen.

182 = 845 − 3 · 221


39 = 221 − 1 · 182
26 = 182 − 4 · 39
13 = 39 − 1 · 26

Dann ersetzt man Schritt für Schritt, von unten nach oben, die
jeweiligen Terme durch den Ausdruck in der Gleichung darüber.

13 = 39 − 1 · 26
= 39 − 1 · (182 − 4 · 39)
= (221 − 1 · 182) − 1 · (182 − 4 · (221 − 1 · 182))
= 5 · 221 − 6 · 182

Hier wurde also erst 26 durch 128 − 4 · 39 ersetzt, dann 39 an zwei


Stellen durch 221 − 1 · 182. In diesem Beispiel waren wir nach zwei
Schritten bereits fertig, aber es kann natürlich auch noch länger so
weitergehen. (Sie haben vorsichtshalber mitgerechnet, oder?) Der
Sinn der Übung ist, dass wir am Ende zusammenfassen können und
bis auf die beiden Ausgangszahlen mit Vorfaktoren alles verschwun-
den ist. Man nennt das den erweiterten euklidischen Algorithmus. Wir
werden bald sehen, wofür wir das gebrauchen können.

142 PI UND DIE PRIMZAHLEN


An viele Details meines eigenen Matheunterrichts in der fünften
und sechsten Klasse kann ich mich nicht mehr erinnern, unter ande-
rem leider auch nicht mehr an den Namen der Lehrerin. Ein Satz,
den sie oft wiederholt hat, hat sich allerdings in meinem Gehirn
festgesetzt (und vielleicht auch meine Berufswahl beeinflusst): „Ma-
thematiker sind faul.“ Das war nicht etwa als Beleidigung gemeint,
sondern als Beschreibung der Arbeitsweise von Mathematikern. Der
englische Mathematiker und Physiknobelpreisträger Roger Penrose
hat das etwas eleganter ausgedrückt:

Mathematicians tend to be intrinsically lazy people, and they


are often trying to find ways of avoiding computation (despite
the fact that this may well lead them into considerable more
difficult mental work than computation itself!).

Wir können nun auch faul sein: Wir ernten die Früchte unserer
Arbeit, legen die Füße hoch und lassen die Algebra für uns schuften.
Wir wollen natürlich den Begriff des größten gemeinsamen Teilers
und den (erweiterten) euklidischen Algorithmus auf ganze und gauß-
sche Zahlen übertragen. Aber da ist fast nichts mehr zu tun!
Wir müssen lediglich überlegen, wie wir mit dem Adjektiv groß
beim größten gemeinsamen Teiler umgehen. Doch das liegt jetzt
eigentlich auf der Hand: Wir sprechen von einem größten gemeinsa-
men Teiler, wenn es keinen anderen gemeinsamen Teiler gibt, der
einen größeren Betrag bzw. eine größere Norm hat. (Man beachte,
dass wir nicht mehr von dem, sondern von einem größten gemeinsa-
men Teiler sprechen, weil es nun mehrere geben kann. Beispielsweise
sind 5 und −5 größte gemeinsame Teiler von 35 und 45.)
Und da wir dank unserer Vorarbeit wissen, dass sowohl bei den
ganzen als auch bei den gaußschen Zahlen Teilen mit Rest möglich
ist, muss der euklidische Algorithmus dort genauso funktionieren,
wie wir es eben am Beispiel der natürlichen Zahlen gesehen haben.
Wir müssen das nicht mehr machen!
Ich halte lediglich noch die wesentlichen Ergebnisse dieses Kapi-
tels für die Nachwelt fest. Das Wort Zahlen darf in den folgenden

D E R E R S T E A LG O R I TH M US 143
Sätzen jeweils durchgehend durch ganze Zahlen oder durch gaußsche
Zahlen ersetzt werden.

– Mithilfe des euklidischen Algorithmus kann man einen größ-


ten gemeinsamen Teiler zweier Zahlen berechnen, die von null
verschieden sind.

– Größte gemeinsame Teiler sind nicht eindeutig bestimmt, un-


terscheiden sich aber nur durch Einheiten: Sind sowohl d 1 als
auch d 2 größte gemeinsame Teiler der Zahlen a und b , so gibt
es eine Einheit e mit d 2 = e d 1 .

– Mithilfe des erweiterten euklidischen Algorithmus kann man


einen größten gemeinsamen Teiler d von a und b als soge-
nannte Linearkombination dieser Zahlen darstellen. Damit ist
gemeint, dass der Algorithmus Zahlen m und n findet, für die
d = m a + nb gilt.

Sie müssen nicht mehr rechnen, aber vielleicht wollen Sie ja noch.
Für den Fall, dass Sie sich selbst überzeugen wollen, dass alles wie
am Schnürchen klappt, spendiere ich Ihnen ein paar Werte, die Sie
mit Ihren eigenen Ergebnissen vergleichen können:
Für die gaußschen Zahlen a = 13 + 24i und b = −26 − 3i ist
d = −2 − i ein größter gemeinsamer Teiler. Man kann d so darstellen:

d = (3 − 6i) · a + (7 − i) · b

(Achtung! Auch diese Darstellung ist nicht eindeutig. Für das


weitere Vorgehen ist aber nur wichtig, dass es überhaupt so eine
Darstellung gibt.)

144 PI UND DIE PRIMZAHLEN


KOMPLEXES INTERMEZZO

Was ist der Unterschied zwischen einem introvertierten und einem ex-
trovertierten Mathematiker? Der introvertierte Mathematiker schaut
bei einer Unterhaltung auf seine Schuhe; der extrovertierte schaut
auf die Schuhe seines Gesprächspartners.
Dieser Witz dürfte ungefähr die Vorstellung wiedergeben, die
viele von Mathematikern haben (ohne selbst welche zu kennen):
vergeistigte Nerds mit sozialen Defiziten. In der Tat benötigen Ma-
thematiker für ihre Arbeit häufig Phasen höchster Konzentration
und können dann auch mal weltabgewandt wirken. Aber abgese-
hen davon sind sie natürlich ganz normale Menschen und unter den
berühmten Mathematikern der letzten Jahrhunderte gab es sogar
äußerst bunte Charaktere.
Évariste Galois war beispielsweise ein republikanischer Hitzkopf,
der mit 19 Jahren im Gefängnis landete und ein Jahr später an den
Folgen eines Duells starb. Pierre-Simon Laplace war ein Karrierist,
der es bis zum Innenminister Napoleons brachte, jedoch bereits nach
sechs Wochen wieder entlassen wurde, weil er seinem Amt offen-
bar nicht gewachsen war. Laurent Schwartz wurde aufgrund seines
politischen Engagements gegen den Algerienkrieg seiner Professur
enthoben. Boris Delone war ein passionierter Alpinist, nach dem
sogar ein Berg in Sibirien benannt ist. Ronald Graham war ein welt-
bekannter Jongleur und trat als Zauberer auf. Paul Erdős hatte den
größten Teil seines Lebens keinen festen Wohnsitz und lebte entwe-
der in Hotels oder quartierte sich bei befreundeten Mathematikern
ein. John von Neumann war ein Freund von Partys und schnellen

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_17
Autos, von denen er mehrere zu Schrott fuhr. Die Liste lässt sich
mühelos fortsetzen.
Die schillerndste Figur war aber wohl der Mathematiker, Arzt
und Philosoph Gerolamo Cardano, der im Italien des 16. Jahrhun-
derts zu einer Zeit lebte, als Mathematiker sich vor Publikum auf
Marktplätzen Wettkämpfe lieferten, in denen sie ihre Gegner mit
möglichst schweren Aufgaben piesackten. Cardano, nach dem auch
die Kardanwelle benannt ist, war damals in ganz Europa bekannt. In
seinem bewegten Leben spielten unter anderem gebrochene Schwüre,
die Inquisition, Glücksspiel, Prostitution und Giftmorde eine Rolle.
Für den Fortgang unserer Geschichte ist entscheidend, dass mit
Cardanos Namen die erstmalige Lösung sogenannter kubischer Glei-
chungen verbunden ist. Dabei traten als Zwischenergebnisse überra-
schenderweise manchmal Wurzeln negativer Zahlen auf, die aber im
Laufe der Rechnung wieder verschwanden. Diese seltsamen Artefakte
wurden natürlich nicht als Zahlen betrachtet und konsequenterweise
imaginär genannt. (So ist die Zahl i zu ihrem Namen gekommen.)
Es dauerte fast dreihundert Jahre, bis aus den rätselhaften Zwi-
schenergebnissen nach und nach allseits akzeptierte mathematische
Objekte wurden, denen Gauß dann den Namen komplexe Zahlen gab.
Inzwischen weiß man, dass sich erst mithilfe dieser ehemals ungelieb-
ten Stiefkinder bestimmte grundlegende Fragen zufriedenstellend
beantworten lassen. Ein einfaches Beispiel dafür werden wir am Ende
des Kapitels sehen.

Außerdem gäbe es ohne komplexe Zahlen auch keine gaußschen


Zahlen (die ja einfach spezielle komplexe Zahlen sind). Dieses Ka-
pitel soll uns in Erinnerung rufen, dass die gaußschen Zahlen eine
geometrische Entsprechung als Punkte in der Ebene haben und wir
uns mit ihnen beschäftigen, weil wir sie zählen wollen. Nach der
anstrengenden Tour durch die Niederungen der abstrakten Algebra
machen wir quasi eine kurze Verschnaufpause.
Vielleicht werfen Sie noch mal einen Blick auf die Skizze auf
Seite 82. Die Kreise dort entsprechen den Normen, die gaußsche

146 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Zahlen haben können. Gaußsche Zahlen mit der Norm n liegen auf

dem Kreis mit dem Radius n . Insbesondere liegen die vier Einheiten
auf dem Kreis ganz innen, der den Radius eins hat:

−1 1

−i

Obwohl ich Ihnen keine vollständige geometrische Erklärung


der Multiplikation gaußscher Zahlen präsentieren werde, werde ich
auf den folgenden Seiten doch zumindest ein paar wichtige Details
herausarbeiten, die wir noch brauchen werden.
Zunächst wäre da die Multiplikativität der Norm. Zur Erinne-
rung: Damit ist gemeint, dass immer N (z 1 z 2 ) = N (z 1 ) N (z 2 ) gilt.
Wenn wir wissen, wo die Zahlen z 1 und z 2 in der Ebene liegen, dann
wissen wir damit also zumindest, wie weit ihr Produkt z 1 z 2 vom
Ursprung entfernt ist, das heißt, auf welchem Kreis es liegt.

In der Skizze hat beispielsweise z 1 = 2 − i die Norm 5 und die


Zahl z 2 = 2 + 3i hat die Norm 13. Das Produkt z 1 z 2 = 7 + 4i muss
also die Norm 5 · 13 = 65 haben.
Daraus folgt natürlich insbesondere, dass gaußsche Zahlen auf „ih-
rem“ Kreis bleiben, wenn sie mit einer Einheit multipliziert werden.

Schauen wir uns etwas genauer an, was bei der Multiplikation mit
einer Einheit passiert. Wird x + y i mit der Einheit i multipliziert,
dann ist das Ergebnis −y + x i. Die Komponenten werden vertauscht
und eine wechselt dabei auch noch das Vorzeichen. Ein Punkt, der
zum Beispiel vorher ziemlich weit rechts von der vertikalen Achse
lag, liegt danach ziemlich weit oberhalb der horizontalen. Lag er

K O M P L E X E S I N T E R M E Z ZO 147
außerdem knapp oberhalb der horizontalen Achse, so liegt er nach
dem Multiplizieren knapp links von der vertikalen Achse.

Probieren Sie es ruhig mal selbst mit ein paar konkreten Beispie-
len aus, aber ich denke, es ist ziemlich klar, was da passiert: Durch die
Multiplikation mit i wird der Punkt um 90 Grad um den Ursprung
gedreht.
(Gedreht wird in der Mathematik immer gegen den Uhrzeiger-
sinn. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Achsen
gemäß der üblichen Konvention nach rechts und oben zeigen. Falls
jemand sich beschwert, dass der mathematische Drehsinn sich nicht
am allseits bekannten Drehsinn der Uhren orientiert, entgegne ich
gerne, dass es Ziffernblätter erst seit wenigen Hundert Jahren gibt.
Die Mathematik ist ein paar Jahrtausende älter. . . )

Was passiert beim Multiplizieren mit −1 und −i?

Wenn man mit i und dann noch mal mit i multipliziert, dreht
man insgesamt um 180 Grad. Und weil i · i = −1 gilt, entspricht
eine Multiplikation mit −1 also einer Drehung um diesen Winkel.
Entsprechend bewirkt das Malnehmen mit −i eine Drehung um 270
Grad (bzw. um 90 Grad im Uhrzeigersinn). Passenderweise kommt
schließlich für die Multiplikation mit 1 eine Drehung um 360 Grad
heraus, was darauf hinausläuft, dass gar nicht gedreht wird. Insgesamt
ergibt sich das folgende Bild und man sagt dann, dass die vier Zahlen
assoziiert sind:

148 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Die präzise mathematische Definition ist, dass man zwei Zahlen
assoziiert nennt, wenn man die eine aus der anderen durch Multiplika-
tion mit einer Einheit erhält. 2−7i und −7−2i sind also beispielsweise
assoziiert. Es bilden sich „Kleinfamilien“ von je vier gaußschen Zah-
len, die paarweise assoziiert sind und geometrisch gesehen auf den
Ecken eines Quadrates sitzen, dessen Mittelpunkt der Ursprung ist.
(Das wäre nebenbei bemerkt eine mögliche Begründung dafür gewe-
sen, dass die Anzahl der Punkte mit ganzzahligen Koordinaten auf
einem Kreis immer durch vier teilbar sein muss.)
Aber nicht alle gaußschen Zahlen auf demselben Kreis sind as-
soziiert! 2 − 7i und 2 + 7i sind zum Beispiel nicht assoziiert; prüfen
Sie’s nach.
Wie Sie sich schon gedacht haben, kann man auch dieses Konzept
wortwörtlich auf die ganzen Zahlen übertragen. Dort sind immer
Paare von Zahlen assoziiert, z.B. 42 und −42.

Das Multiplizieren mit natürlichen Zahlen ist besonders einfach.


Aus x + y i wird durch Multiplikation mit der natürlichen Zahl n
(also mit der gaußschen Zahl n + 0i) die gaußsche Zahl nx + ny i. Das
ist einfach eine Streckung um den Faktor n vom Ursprung weg. Hier
zum Beispiel für n = 3:

Auch die Multiplikation mit anderen gaußschen Zahlen, die auf


den Achsen liegen, lässt sich dadurch leicht visualisieren. Multipliziert
man etwa mit 4i, so kann man das wegen der Assoziativität der
Multiplikation aufteilen in eine Multiplikation mit i (Drehung um 90
Grad) gefolgt von einer mit 4 (Streckung um den Faktor 4). Insgesamt
ist das eine Drehstreckung.

Für Zahlen wie −7 oder −6i können Sie


sich das sicher selbst überlegen.

K O M P L E X E S I N T E R M E Z ZO 149
Die letzten „speziellen“ Multiplikationen, die wir noch brauchen,
sind die mit gaußschen Zahlen der Art ±a ± a i, also mit solchen, bei
denen beide Komponenten sich höchstens im Vorzeichen unterschei-
den. Beispiele dafür sind 1 − i, 3 + 3i oder −7 + 7i. Zeichnen Sie ein
paar solcher Zahlen in ein Koordinatensystem ein. Sie werden sehen,
dass die alle auf den Diagonalen zwischen den Achsen liegen.
Multipliziert man x + y i mit 1 + i, so erhält man das Produkt
(x − y) + (x + y) i. Die neue erste Komponente ist die Differenz
der vorherigen Komponenten, die neue zweite Komponente deren
Summe. Hier exemplarisch für 4 + i und 3 + 2i:

Ich lasse Sie mit dieser Skizze alleine und appelliere an Ihre geome-
trische Vorstellungskraft. Ich hoffe, Sie sehen anhand der suggestiven
Hilfsfiguren, dass die Multiplikation mit 1 + i einer Drehung um 45

Grad (und einer Streckung um den Faktor 2 ) entspricht.
Man kann auch heuristisch (und mathematisch nicht ganz präzise)
so argumentieren: Wenn man zweimal nacheinander mit 1 + i multi-
pliziert, dann entspricht das einer Multiplikation mit (1+ i) 2 = 2i und
damit nach dem vorherigen Abschnitt einer Drehstreckung mit dem
Winkel 90 Grad und dem Faktor 2. Es liegt nahe, dass zu einer Mul-
tiplikation mit 1 + i dann der halbe Winkel und die Quadratwurzel
des Streckfaktors gehören.
Auf jeden Fall können Sie sich nun zusammenreimen, dass bei-
spielsweise zu einer Multiplikation mit −1+ i = i (1+ i) ein Drehwinkel
von 135 Grad gehört oder wie man sich eine Multiplikation mit 3 − 3i
geometrisch vorstellen muss.

Können Sie doch, oder?

150 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Vor inzwischen mehr als hundert Seiten hatte ich Sie gefragt, warum
minus mal minus plus ergibt. Das ist eine klassische Frage, die sich
wahrscheinlich jede Schülerin schon mal gestellt hat. Dass bei plus
mal minus ein negatives Ergebnis herauskommen muss, ist eigentlich
jedem klar, der sich mit negativen Zahlen angefreundet hat: Wenn
ich zum Beispiel meine Schulden verdreifache, habe ich immer noch
Schulden. Und weil man sich an die Kommutativität der Multipli-
kation gewöhnt hat, kann man dann auch noch schlucken, dass bei
minus mal plus ebenfalls minus herauskommen muss. Aber minus
mal minus?
Die korrekte mathematische Antwort lautet: Weil nur so alle
Rechenregeln beibehalten werden können, an die wir uns gewöhnt
haben. Käme bei der Multiplikation zweier negativer Zahlen keine
positive Zahl heraus, dann könnte man sowas wie Ausklammern
und Ausmultiplizieren beispielsweise vergessen.
Das ist korrekt, aber ich finde es immer etwas unbefriedigend.
Viel schöner finde ich die Begründung, die wir gerade gesehen haben:
In der Schule lernen wir nur einen kleinen Ausschnitt der Zahlenwelt
kennen. Kennt man erst einmal die komplexen Zahlen, dann sieht
man, dass die Multiplikation mit einer negativen Zahl eine Drehung
um 180 Grad ist. Und wenn man das zweimal nacheinander macht,
dann dreht man um 360 Grad und ist wieder am Anfangspunkt.
Darum ist minus mal minus plus.

K O M P L E X E S I N T E R M E Z ZO 151
AUSSERIRDISCHE MATHEMATIK

1974 wurde am Arecibo-Observatorium in Puerto Rico ein neuer


Sender in Betrieb genommen. Als begleitende „Werbemaßnahme“ für
die Öffentlichkeit wurde ein Radiowellen-Signal ins Weltall geschickt,
das als Botschaft der Erde an mögliche Außerirdische gedacht war.
Verschickt werden sollte eine Grafik. Aber wie „verpackt“ man
mit einem Signal, das man bestenfalls als Folge von Bits, also von
Nullen und Einsen, von an und aus, interpretieren kann, ein zweidi-
mensionales Bild? Die Initiatoren zerlegten das Bild in 1679 schwarze
und weiße Pixel, die als Sequenz hintereinander versendet wurden.
Und warum gerade 1679? Weil diese Zahl das Produkt der Prim-
zahlen 23 und 73 ist. Nach dem Fundamentalsatz der Arithmetik
gibt es nur diese eine Möglichkeit, 1679 als Produkt darzustellen.
Also – so jedenfalls die Autoren der Botschaft – gibt es auch nur eine
sinnvolle Möglichkeit, aus dem linearen Signal ein rechteckiges Bild
zu rekonstruieren.
Es gibt viele Argumente, die man dagegen ins Feld führen kann,
dass außerirdische Intelligenzen, wenn es sie denn gibt, diese Nach-
richt werden entschlüsseln können. (Über den Inhalt der Grafik habe
ich beispielsweise noch gar nichts gesagt.) Mir geht es aber, weil dies
ja ein Buch über Mathematik ist, hauptsächlich um einen Punkt:
Gibt es in der „außerirdischen Mathematik“ überhaupt Primzahlen?
Die Mathematik ist auf unserem Planeten so eng mit Wissenschaft
und Technik verwoben, dass wir uns schlichtweg nicht vorstellen
können, dass eine uns unbekannte Zivilisation ohne eine vergleich-
bare Kulturtechnik eine technische Raffinesse entwickelt, die ihr

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den Empfang von Radiowellen ermöglicht. Sind die physikalischen
Gesetze nicht überall im Weltall gleich und sind diese Gesetze nicht
eigentlich mathematische Gesetze? Hat nicht schon Galileo Galilei
gesagt, dass die Natur die Sprache der Mathematik spricht?
Außerdem ist die Mathematik einerseits ein Produkt des mensch-
lichen Geistes, andererseits sind ihre Ergebnisse jedoch scheinbar so
zwingend und allgemeingültig, dass sie jedem, der sich länger mit
ihr beschäftigt, irgendwann vorkommt wie etwas, das außerhalb von
ihm und seinen Mitmenschen existiert und seine eigenen Regeln hat.
(Das ist die schon angesprochene „platonistische“ Sichtweise, von der
sich nach meiner Überzeugung kein Mathematiker gänzlich befreien
kann.) Wenn Außerirdische auch Mathematik betreiben, dann müs-
sen die doch zwangsläufig auch zählen, addieren und multiplizieren
und schließlich auf Primzahlen kommen, oder?
Selbstverständlich kann ich diese Fragen nicht beantworten. Ich
will Ihnen nicht mal aufdrängen, was ich darüber denke. Aber viel-
leicht haben Sie ja auch Lust, in einer freien Minute mal darüber zu
philosophieren.

Doch zurück zur irdischen Mathematik. Um den Fundamentalsatz


der Arithmetik wird es auch in diesem Kapitel gehen. Sie ahnen es
schon: Wir wollen ihn auf gaußsche Zahlen verallgemeinern. Dafür
müssen wir natürlich erst einmal den Begriff der Primzahl verallge-
meinern.
Das ist aber nicht schwer. Wir machen es nach dem Ausschluß-
verfahren und führen alles auf, was nicht infrage kommt. Bei den
Primzahlen haben wir die Eins ausgeschlossen. Konsequenterweise
müssen wir jetzt alle Einheiten ausschließen. Außerdem soll natürlich
auch die Null keine Primzahl sein. Darüber mussten wir uns bei den
natürlichen Zahlen keine Gedanken machen. Und die zusammen-
gesetzten Zahlen waren auch keine Primzahlen. Das waren bisher
Zahlen, die sich als Produkte von zwei Zahlen darstellen lassen, die
beide nicht eins sind.

154 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Jetzt haben wir alles zusammen: Wir nennen eine Zahl ein Prim-
element, wenn sie erstens nicht null ist, zweitens keine Einheit und
sich drittens nicht als Produkt zweier Zahlen darstellen lässt, die bei-
de keine Einheiten sind. (Profi-Algebraiker werden jetzt aufstöhnen,
weil das nicht die kanonische Definition ist. Aber sei’s drum.)
Wie üblich funktioniert die Definition sowohl für gaußsche als
auch für ganze Zahlen. Für ganze Zahlen ist sie nicht wirklich auf-
regend. Wenn Sie kurz nachdenken, wird Ihnen klar, dass die Prim-
elemente der ganzen Zahlen einfach die „klassischen“ Primzahlen
zusammen mit ihren negativen Gegenstücken sind.
Interessanter wird es bei den gaußschen Zahlen. Die gute alte
Fünf ist zum Beispiel auf einmal keine Primzahl (pardon: kein Prim-
element) mehr, denn sie ist das Produkt der Zahlen 2 + i und 2 − i.
Aber 2 + i ist ein Primelement. Warum? 2 + i hat die Norm 5. Könnte
man diese Zahl als Produkt zweier Nicht-Einheiten darstellen, so
müsste das Produkt der Normen dieser beiden Faktoren 5 sein. Aber
wie soll das gehen? Die Normen sind natürliche Zahlen und 5 ist
eine Primzahl. . .
Weitere Beispiele für Primelemente unter den gaußschen Zahlen
sind 3i und 3 − 2i.

Geben Sie zur Übung auch ein paar Primelemente an.

Den Begriff des Primteilers übertragen wir auch ganz schmerzlos.


a heißt Primteiler der (ganzen oder gaußschen) Zahl b , wenn a Teiler
von b und zusätzlich ein Primelement ist. Das obige Beispiel zeigt,
dass 2 + i ein Primteiler von 5 ist.
Und natürlich hat auch in unseren beiden euklidischen Ringen
jede Zahl (die nicht gerade eine Einheit oder null ist) einen Primteiler.
Das werden wir diesmal sogar etwas mathematischer begründen als
beim ersten Mal. Nennen wir die (gaußsche) Zahl a . Sie hat als Teiler
auf jeden Fall sich selbst und damit mindestens einen Teiler, dessen
Norm größer als eins ist. Nun sammeln wir alle Teiler von a , deren
Norm größer als eins ist. Diese Normen sind natürliche Zahlen und

AU SS E R I R D I S C H E M AT H E M AT I K 155
eine von denen muss die kleinste sein. Zu dieser kleinsten Norm
gehört ein Teiler b von a und der ist ein Primelement. Warum? Hätte
b selbst einen Teiler, der keine Einheit ist, so wäre das wegen der
Transitivität der Teilbarkeit auch einer von a . Dann könnte b aber
kein Teiler von a mit minimaler Norm sein.
Für ganze Zahlen ersetze man die Norm durch den Betrag. Sie
sehen, wie hier wieder die Maschinerie der Algebra für uns arbeitet.
Wenn man nun die Lupe zur Hand nimmt und ganz genau schaut,
was man da gemacht hat, dann sieht man, dass das nur klappt, weil
wir davon ausgehen, dass man in jeder Ansammlung von natürlichen
Zahlen eine kleinste findet. Das ist nicht weiter schlimm, Sie glauben
das sicher. Aber für die Grundlagenforschung sind solche Fragen
relevant. Wenn man konsequent die komplette Mathematik auf ganz
wenige Axiome zurückführen will, dann ist das hier eins von denen.
Man sagt auch, dass die natürlichen Zahlen wohlgeordnet sind. Das
aber nur am Rande.

Dass sich jede Zahl außer der Null und den Einheiten als Produkt
von Primelementen darstellen lässt, ist nun (mal wieder) trivial.
Wenn die Zahl ein Primelement ist, dann müssen Sie gar nichts
machen. (Ein Produkt mit nur einem Faktor, Sie entsinnen sich.)
Ansonsten finden Sie immer einen Primteiler, wie wir uns gerade
überlegt haben. Teilen Sie Ihre Ausgangszahl durch diesen Primteiler
und schauen Sie sich den Quotienten an. Ist das ebenfalls ein Prim-
element, dann sind Sie fertig. Anderenfalls finden Sie wieder einen
Primteiler, dividieren wieder, schauen sich wieder den Quotienten
an und so weiter. Das muss irgendwann aufhören, weil ja in jedem
Schritt die Norm bzw. der Betrag des verbleibenden Quotienten
kleiner wird. Für die gaußsche Zahl 65i sieht das zum Beispiel so aus:
65i
1 − 2i −26 + 13i
2−i −13

3 + 2i −3 + 2i

156 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Aber das ist noch nicht der ganze Fundamentalsatz. Wir sind hier
in einer für die Mathematik recht typischen Situation. Wir haben
es geschafft, Objekte in einer bestimmten Form darzustellen. Oft
ist man an Darstellungen mithilfe von Objekten interessiert, die im
gewissen Sinne einfacher oder grundlegender sind. In unserem Fall
sind die darzustellenden Objekte beliebige Zahlen und die einfachen
„Bausteine“ sind die Primlemente. (Ein anderes Beispiel, dass manche
Leserinnen vielleicht schon mal gesehen haben, wäre die Darstellung
von Vektoren durch Basisvektoren.)
Nachdem man im ersten Schritt die Existenz so einer Darstellung
bewiesen hat (das haben wir), ist die sich anschließende Frage meis-
tens, ob diese Darstellung eindeutig ist. Gibt es zu einer vorgegebenen
Zahl nur die eine Darstellung oder sind noch andere möglich?

Und? Sind noch andere Darstellungen möglich?

Hundertprozentig eindeutig ist die Darstellung auf jeden Fall


nicht, wie man hier sieht:

65i
1 + 2i 26 + 13i
1 − 2i 13i
−3 + 2i 2 − 3i

Beim „klassischen“ Fundamentalsatz war die Darstellung eindeu-


tig bis auf die Reihenfolge. Mehr war auch nicht zu erwarten, weil
man ja beim Multiplizieren die Reihenfolge frei wählen darf. Hier
ist es aber noch ein bisschen anders, weil in der zweiten Zerlegung
von 65i tatsächlich andere Zahlen auftauchen als in der ersten.
Dass man bei der Eindeutigkeit einer Darstellung Einschränkun-
gen im Sinne von „bis auf“ in Kauf nehmen muss, ist durchaus üblich.
Welche Einschränkung wird es wohl hier sein?

Sehen Sie’s?

AU SS E R I R D I S C H E M AT H E M AT I K 157
Die vollständige Formulierung des Fundamentalsatzes der Arith-
metik für gaußsche oder ganze Zahlen lautet: Jede Zahl außer der
Null und Einheiten lässt sich bis auf die Reihenfolge und Multiplikation
mit Einheiten eindeutig als Produkt von Primelementen darstellen.
Anders ausgedrückt: Die Anzahl der Faktoren ist immer gleich und
wenn man zwei verschiedene Darstellungen entsprechend umsortiert,
stehen sich immer assoziierte Faktoren gegenüber.
Zwar taucht im Beispiel einmal der Faktor 2 − i und einmal
1 + 2i auf, aber man erhält die zweite Zahl, wenn man die erste mit i
multipliziert. Und entsprechend hängen 3 + 2i und 2 − 3i zusammen.

Das müssen wir nun noch beweisen und das war einer der Gründe,
sich den erweiterten euklidischen Algorithmus anzuschauen.
Die grundlegende Aussage, die wir brauchen, und die natürlich
wieder sowohl für ganze als auch für gaußsche Zahlen gilt, ist diese:
Sind a und b teilerfremd und teilt a das Produkt von b mit einer
weiteren Zahl c , dann teilt a die Zahl c . (Sinnvollerweise nennen
wir zwei Zahlen teilerfremd, wenn ihre einzigen gemeinsamen Teiler
Einheiten sind.)
Begründung: a teilt b c , also gibt es nach Definition der Teilbar-
keit eine Zahl k mit b c = k a . Wir wenden jetzt den euklidischen
Algorithmus auf a und b an. Dabei muss eine Einheit e herauskom-
men. Nun lassen wir den Algorithmus „rückwärts“ ablaufen, wenden
also den erweiterten euklidischen Algorithmus an. Der liefert uns
zwei Zahlen m und n , so dass e = m a + nb gilt. Multiplizieren wir
diese Gleichung mit c , so ergibt sich:

ec = m ac + nb c = m ac + nk a = (mc + nk) a

Und jetzt fällt uns wieder ein, was eigentlich Einheit bedeutet: e
hat einen Kehrwert – eine Zahl e −1 , deren Produkt mit e eins ergibt.
Also multiplizieren wir unsere Gleichung mit e −1 :

c = e −1 (mc + nk) a

Und da steht wie gewünscht, dass c ein Vielfaches von a ist.

158 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Die Eindeutigkeitsaussage des Fundamentalsatzes ist eine direkte
Konsequenz der eben bewiesenen Aussage. Dafür gehen wir von
zwei verschiedenen Zerlegungen einer Zahl in Primelemente aus
(und wollen begründen, dass sie so verschieden nicht sein können):

b1 b2 b3 · · · b n = c 1 c 2 c 3 · · · c m

b1 teilt das Produkt auf der rechten Seite. Ich behaupte, dass b1
bis auf Multiplikation mit einer Einheit einer der Faktoren c 1 bis c m
ist. Ist b1 assoziiert mit c 1 , dann sind wir fertig. Anderenfalls sind b1
und c 1 als Primelemente teilerfremd. Nach der gerade bewiesenen
Aussage muss b1 dann das „Restprodukt“ c 2 · · · · · c m teilen und wir
können dort nach einem Pendant zu b1 suchen. Sind b1 und c 2 nicht
assoziiert, dann muss mit dem gleichen Argument b1 ein Teiler von
c 3 · · · · · c m sein. Das kann aber nicht immer so weiter gehen. Es
hört spätestens dann auf, wenn b1 ein Teiler von c m sein muss. Dann
müssen die beiden nämlich assoziiert sein.
Dieses Argument funktioniert nicht nur für b1 . Nachdem wir
die zu b1 assoziierte Zahl gefunden haben, teilen wir auf beiden
Seiten durch b1 und machen dann dasselbe mit b2 und so weiter.
Jede der Zahlen b1 bis b n hat also auf der rechten Seite einen asso-
ziierten Partner (und jede hat einen anderen Partner). Außerdem
kann man den Beweis ebenso von rechts nach links ablaufen lassen.
(Mathematikerinnen verwenden an dieser Stelle die Formulierung
„aus Symmetriegründen“.) Insbesondere folgt daraus natürlich, dass
m = n gelten muss.

Überlegen Sie sich, dass wir „nebenbei“ auch den


Fundamentalsatz für natürliche Zahlen bewiesen haben.

Gilt der Satz von Euklid auch für die gaußschen Zahlen?

Die Aussage über die Eindeutigkeit der Zerlegung von gaußschen


Zahlen lässt sich wiederum geometrisch interpretieren. Durch Mul-
tiplikation mit Einheiten ändert sich die Norm nicht und damit

AU SS E R I R D I S C H E M AT H E M AT I K 159
bleiben die Faktoren auf ihren Kreisen. Wenn man also eine gauß-
sche Zahl auf verschiedene Arten als Produkt von Primelementen
darstellen kann, dann gehen die Faktoren unterschiedlicher Darstel-
lungen durch Drehungen um Vielfache von 90 Grad auseinander
hervor.
Und es sind nicht einmal beliebige Drehungen dieser Art erlaubt,
da sich immer alle Drehungen zusammen neutralisieren (also zu 360
Grad addieren) müssen.
Hier als Beispiel drei verschiedene Darstellungen von 3 + 9i:

Im Übergang von der ersten zur zweiten Darstellung wird bei-


spielsweise die Zahl 1 + i durch Multiplikation mit i auf die Zahl
−1 + i gedreht. Um das auszugleichen, müssen die anderen Faktoren
insgesamt mit dem Kehrwert von i, also mit −i, multipliziert werden.
Deshalb wird −1 + 2i auf 2 + i gedreht, während der Faktor −3i sich
nicht ändert. Beim Übergang zur dritten Darstellung wechseln alle
drei Zahlen auf neue Positionen.

Machen Sie sich klar, dass die drei dabei


durchgeführten Multiplikationen zusammen eins ergeben.

160 PI UND DIE PRIMZAHLEN


EINFACHES SUDOKU

Viele „ernsthafte“ mathematische Anwendungen haben als unschul-


dige Spielereien das Licht der Welt erblickt. Das wundert Sie jetzt
nicht mehr, weil ich schon in der Einleitung verraten habe, dass
Mathematiker nicht den ganzen Tag darüber nachdenken, was sie als
Nächstes für die Kollegen Ingenieure und Physiker tun können.
Ein Beispiel für so eine Spielerei sind lateinische Quadrate.

A C B E D

B D C A E

C E D B A

D A E C B

E B A D C

Jeder Buchstabe muss in jeder Spalte und jeder Zeile genau einmal
vorkommen. Falls Sie schon mal Sudoku gespielt haben (und wer hat
das nicht?), dann wird Ihnen das bekannt vorkommen. Lateinische
Quadrate sind quasi eine einfache Variante von Sudoku, weil beim
Sudoku noch weitere Bedingungen zu erfüllen sind.
Aber auch lateinische Quadrate sind schon kompliziert genug.
Wenn Sie ein Programm entwickeln, das für jedes teilweise gefüll-
te Quadrat entscheidet, ob man es zu einem lateinischen Quadrat
vervollständigen kann, und das diese Aufgabe immer in akzeptabler
Zeit erledigt, dann haben Sie eines der größten offenen Probleme der
Mathematik gelöst. Es ist sogar eines der sieben Millennium-Probleme,
für deren Lösung jeweils ein Preisgeld in Höhe von einer Million
Dollar ausgesetzt ist. (Was genau mit akzeptabel gemeint ist, ent-

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nehmen Sie bitte den Teilnahmebedingungen. Der Rechtsweg ist
ausgeschlossen.)

Der erste Europäer, der sich mit lateinischen Quadraten beschäf-


tigte, war Leonhard Euler. Seinen Namen habe ich in diesem Buch
schon mehrfach erwähnt, aber ansonsten habe ich noch nichts zu
ihm gesagt. Das muss ich dringend nachholen.
Euler war mit Sicherheit der produktivste Mathematiker aller
Zeiten. Er veröffentlichte rund zwei Dutzend Bücher und 500 wis-
senschaftliche Aufsätze. Seine bisher herausgegebenen gesammelten
Schriften umfassen bereits mehr als 30 Bände und da fehlen unter
anderem noch seine (wissenschaftlich gehaltvollen) Briefe, von denen
etwa 3100 erhalten geblieben sind.
Friedrich II., an dessen Preußischer Akademie der Wissenschaften
Euler lange tätig war, bezeichnete ihn als „meinen Zyklopen“, weil
er auf einem Auge fast nichts sehen konnte. Mit 65 Jahren erblindete
Euler völlig. Das änderte aber nichts an seiner Produktivität: er
diktierte seine Publikationen fortan einfach einem Sekretär; nach wie
vor waren es mehrere pro Monat. Zeitgenössischen Quellen zufolge
ließ er sich bei der Arbeit auch nicht dadurch beirren, dass seine
Enkelkinder auf ihm herumkrabbelten. Ich glaube, viele Menschen
hätten gerne eine vergleichbar robuste Konzentrationsfähigkeit.
Bei aller Bewunderung muss aber auch zarte Kritik erlaubt sein.
Viele von Eulers berühmten Vorgängern und Nachfolgern, die nicht
so produktiv waren, waren auch Philosophen und haben der Ma-
thematik durch revolutionäre Ideen ganz neue Sichtweisen eröffnet
oder sich zumindest an grundlegenden Fragestellungen abgearbei-
tet. Euler war in erster Linie ein begnadeter und extrem fleißiger
Rechner. Er hat sich teilweise haarsträubende Inkonsistenzen und
Fehler erlaubt, wurde aber fast immer durch seine Intuition dann
doch zu den richtigen Resultaten geführt. Ein Mathematikhistoriker
hat Euler mal als „Superpragmatiker ohne philosophisches Talent“
bezeichnet. Das trifft wohl den Nagel auf den Kopf.

162 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Warum sich Euler für lateinische Quadrate interessierte, kann ich
Ihnen nicht sagen. Wahrscheinlich war es wirklich nur Spielerei und
er sah in ihnen (zu Recht) eine Quelle spannender Fragestellungen.
Uns jedenfalls interessieren sie im Zusammenhang mit der modula-
ren Arithmetik. Der wenden wir uns jetzt wieder zu, weil wir den
Zwei-Quadrate-Satz von Fermat noch etwas „aufbohren“ müssen.
Für unser Ziel, das Punktezählen, müssen wir Fermats Frage näm-
lich nicht nur für Primzahlen, sondern für alle natürlichen Zahlen
beantworten.
Ich hatte ja schon im ersten Kapitel über modulare Arithmetik
angedeutet, dass man auch andere Reste als vier nehmen kann. Hier
die Additionstabelle für fünf:

+ 0 1 2 3 4
0 0 1 2 3 4
1 1 2 3 4 0
2 2 3 4 0 1
3 3 4 0 1 2
4 4 0 1 2 3

Der Noetherschen Abstraktionsmaxime folgend führen wir nun


neue „Zahlen“ ein. Und zwar fünf Stück, für die wir die Symbole
, , , und wählen und für die wir auch gleich festlegen,
wie sie addiert werden sollen (indem wir obige Tabelle übersetzen):

Da können wir nun beispielsweise ablesen, dass herauskommt,


wenn man und addiert. Während es unendlich viele ganze Zah-
len und unendlich viele gaußsche Zahlen gibt, hat diese neue „Zahlen-

E I N FA C H E S S U D O K U 163
welt“ nur fünf Einwohner. Dafür ist aber präzise festgelegt und der
Tabelle zu entnehmen, wie mit den neuen Zahlen gerechnet wird.
Natürlich sind die Würfelsymbole nicht ganz ernst gemeint. Es
ging mir nur darum, deutlich zu machen, dass dies wirklich neue
Objekte mit anderen Rechenregeln als den üblichen sind. Aber Ma-
thematiker abstrahieren ja nicht nur gerne, sie sind bekanntlich auch
faul. Darum werden wir in Zukunft statt einfach wieder 4 und
statt natürlich 3 schreiben. Aber das heißt dann auch, dass 4 + 3
manchmal 7 ist und manchmal 2. Es hängt davon ab, mit welchen
Zahlen man rechnet! Poincaré hat mal gesagt, dass Mathematik die
Kunst sei, unterschiedlichen Dingen denselben Namen zu geben. Das
machen wir hier. Das Symbol 4 steht zum Beispiel mal für die „gute
alte“ Vier, die wir schon aus der Grundschule kennen, und mal für
das neue Objekt .
Um deutlich zu machen, dass wir mit diesen neuen Zahlen arbei-
ten, werden wir in Zukunft sagen, dass wir „modulo 5“ oder „in Z5 “
rechnen. Z5 ist also die Zahlenwelt, die nur aus den fünf Zahlen 0
bis 4 besteht und in der nach den Regeln der modularen Arithmetik
gerechnet wird. Natürlich wird es auch sowas wie Z7 geben oder Z2 –
letzteres eine Welt, die nur aus den beiden Zahlen 0 und 1 besteht.
Das international übliche Z steht übrigens für das deutsche Wort
Zahlen. Bis durch die Naziherrschaft fast alle bedeutenden Natur-
wissenschaftler und Mathematiker Deutschland entweder verlassen
hatten oder umgebracht worden waren, war Deutsch eine wichtige
Wissenschaftssprache. Davon findet man in der Fachsprache der Ma-
thematik ab und zu noch Spuren, wenn beispielsweise in englischen
Artikeln die Rede von eigenvectors ist oder man hübsche Sätze wie
„we make the following ansatz“ liest.

Zur Auffrischung:
Welchen Rest erhält man, wenn man −17 durch 5 teilt?

Seitdem wir das erste Mal über modulare Arithmetik gesprochen


haben, haben wir gelernt, dass man auch bei negativen Zahlen von

164 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Teilbarkeit und Resten sprechen kann. Teilt man beispielsweise die
negative Zahl −13 durch 5, so erhält man als Rest 2, denn man kann
(−3) · 5 + 2 für −13 schreiben. (Auch −3 wäre nach unseren Regeln
OK gewesen, aber für die modulare Arithmetik wollen wir keine
negativen Reste. 3 wäre aber falsch gewesen! Falls das Ihre Antwort
war, dann blättern Sie noch mal zurück: Seite 135 ff.)
Die schöne Regel, dass man beim Addieren und Multiplizieren
einfach mit den Resten rechnen kann, gilt auch für negative Zahlen.
Ich demonstriere das nur an einem Beispiel:

−5 · 5 + 4 = −21 = −34 + 13 = (−7 · 5 + 1) + (2 · 5 + 3)


= (−7 + 2) · 5 + (1 + 3)

Die Reste (bei Division durch 5) von −34 und 13 addieren sich wie
gehabt zum Rest ihrer Summe −21. Und für das Produkt funktioniert
es ebenfalls:

−89 · 5 + 3 = −442 = −34 · 13


= (−7 · 5 + 1) · (2 · 5 + 3)
= (−7 · 5 · 2 + 1 · 2 − 7 · 3) · 5 + (1 · 3)

(Das mit der Summe kann man auch so interpretieren, dass man
Reste nicht nur addieren und multiplizieren, sondern auch subtra-
hieren kann.)

Nun aber zum Thema vom Anfang des Kapitels. Werfen Sie bitte
noch mal einen Blick auf die Additionstabelle auf Seite 163. Da haben
wir ein lateinisches Quadrat! Jede Summe kommt in jeder Zeile und
Spalte genau einmal vor. Und an der schönen Regelmäßigkeit, die
man sofort erkennt, sieht man, dass sich nicht nur für fünf, sondern
für jeden Rest ein lateinisches Quadrat ergeben wird.
Für das Rechnen in Z5 bedeutet das, dass jede Zahl ein inverses
Element bezüglich der Addition hat. Das kann man direkt aus der
Tabelle ablesen: Das inverse Element zu 2 ist die Zahl, die ich zu 2
addieren muss, damit das neutrale Element, also 0, herauskommt.

E I N FA C H E S S U D O K U 165
Dafür durchsuchen wir die Zeile, an deren Anfang die Zwei steht,
nach der Null. Die finden wir auf jeden Fall, weil es sich ja um ein
lateinisches Quadrat handelt. Von dort gehen wir nach oben bis
zum Anfang der Spalte und lesen ab: 3. Das ist das gesuchte inverse
Element und gemäß der üblichen Konvention können wir dafür auch
−2 schreiben, wenn wir in Z5 rechnen.
Und wie ist es mit dem Multiplizieren?

· 0 1 2 3 4
0 0 0 0 0 0
1 0 1 2 3 4
2 0 2 4 1 3
3 0 3 1 4 2
4 0 4 3 2 1

Nachdem wir die Multiplikation nun auch noch haben, können


wir die Eigenschaften (i) bis (vi) von Seite 121 durchgehen und uns
überzeugen, dass die auch in unserer neuen Zahlenwelt Z5 alle gelten.
(Vielleicht machen Sie das auch zur Erinnerung und zur Übung mal.)
Wir haben also ein weiteres Beispiel für einen Ring vor uns, wenn
auch für einen sehr kleinen. Und für andere Zahlen als fünf erhalten
wir auch einen Ring. Solche Strukturen nennt man Restklassenringe.
Der eigentliche Clou des Kapitels ist jedoch die Multiplikation.
Die Tabelle für das Multiplizieren, die wir gerade gesehen haben,
ist nämlich auch ein lateinisches Quadrat – jedenfalls dann, wenn
man den Bereich, in dem nur Nullen stehen, weglässt. Das bedeutet,
dass in Z5 auch jede Zahl (außer null) einen Kehrwert hat. Wie eben
können wir das der Tabelle entnehmen. Der Kehrwert von drei ist
beispielsweise zwei, weil die Zwei am Anfang der Spalte steht, in der
die Eins in der Zeile zur Drei auftaucht.
Wir können jetzt auch Schreibweisen wie 3−1 = 1/3 = 2 verwen-
den und Division als Abkürzung für das Multiplizieren mit dem
Kehrwert einführen. In Z5 gilt zum Beispiel:

4 : 3 = 4/3 = 4 · 3−1 = 4 · 2 = 3

166 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Wenn das in einem Ring möglich ist, dann spricht man von
einem Körper. (Dass wir die Null vorher entfernen mussten, ist nicht
schlimm. Es ist sogar grundsätzlich notwendig. Dazu gleich noch
mehr.) Z5 ist also ein Körper, während es sich bei den ganzen und
den gaußschen Zahlen jeweils nicht um Körper handelt, weil dort
die meisten Zahlen keine Kehrwerte haben.

Ein Blick zurück auf Seite 104 zeigt allerdings, dass man mit dem
Rest vier keinen Körper erhält. Die Addition ist ziemlich banal, aber
bei der Multiplikation wird es jetzt wieder mathematisch interessant:
Warum klappt es für fünf, aber nicht für vier? Für welche Zahlen
klappt es?
Wenn Sie sich von mir nicht nur alles vorbeten lassen wollen,
dann zücken Sie jetzt Zettel und Bleistift und stellen die Multiplikati-
onstabellen für Z2 , Z3 und so weiter auf, bis Sie ein Muster erkennen.
So viel Arbeit ist das nicht. (Die Programmiererinnen unter den
Lesern können das auch mit Computerhilfe erledigen. )

Ich hoffe, Ihr Forschergeist ist noch nicht erlahmt. . .

Nach etwa einem Dutzend Beispielen hat man eventuell die Ver-
mutung, dass Zp dann ein Körper ist, wenn p eine Primzahl ist.
Und genauso ist es auch.
Beweis durch Beispiel: Wir rechnen in Z29 und suchen den Kehr-
wert zur Zahl 11. In Z29 soll also gelten: 11· x = 1, wobei x der gesuchte
Kehrwert ist. Da wir keine Tabelle zur Verfügung haben und zu faul
sind, eine zu erstellen, entsinnen wir uns, wie die Multiplikation
in der modularen Arithmetik definiert ist. Wir suchen eine ganze
Zahl x̄ , so dass 11 · x̄ den Rest 1 bei Division durch 29 hat. Und das
mit dem Rest bedeutet, dass es eine ganze Zahl k geben muss, so dass
das hier gilt:
11 · x̄ − k · 29 = 1

Wenn Sie ein ähnlich gutes Gedächtnis wie Euler haben, dann
erinnern Sie sich, dass Sie so eine Formel schon mal gesehen ha-

E I N FA C H E S S U D O K U 167
ben: das ist die Linearkombination, die der erweiterte euklidische
Algorithmus liefert. Der größte gemeinsame Teiler von 11 und 29 ist
nämlich 1, die rechte Seite der Gleichung.
Und wenn Sie ähnlich gut und gerne wie Euler rechnen, dann
können Sie den Kehrwert zu 11 in Z29 nun ermitteln. Eventuell
bekommen Sie eine Zahl x̄ heraus, die nicht zu den Zahlen von 0
bis 28 gehört, aber das macht nichts, weil Sie die ja in eine Zahl x
aus diesem Bereich „übersetzen“ können, indem Sie in 29er-Schritten
vorwärts oder rückwärts gehen (wodurch sich der Rest nicht ändert).
Beispielsweise kann man aus x̄ = 37 den Wert x = 8 machen.
Ich rechne das aber nicht aus, denn ich bin faul und ums Ausrech-
nen geht es ja auch gar nicht! Es geht nur darum, sich zu überzeugen,
dass man es machen könnte – dass es immer klappen würde.
Und warum wird es immer klappen? Weil 29 eine Primzahl ist,
wird der größte gemeinsame Teiler von 29 und der Zahl, für die wir
einen Kehrwert suchen, immer eins sein. Darum können wir immer
den erweiterten euklidischen Algorithmus so wie eben anwenden.
Ergo: Ist p eine Primzahl, so hat jede Zahl außer null in Zp einen
Kehrwert. Quod erat demonstrandum, wie die Mathematiker gerne
sagen.

Bisher haben wir zwar bewiesen, warum in jeder Zeile eine Eins
vorkommen muss, aber noch nicht, warum sich bei der Multiplikati-
on immer lateinische Quadrate ergeben, wenn p eine Primzahl ist.
Das holen wir jetzt nach und klären dabei gleich noch eine zweite
alte Schülerfrage (nachdem das Thema „minus mal minus ist plus“
bereits behandelt wurde).
Spoiler: Erreichen werden wir dieses Ziel mit einer geballten
Ladung brutaler Algebra. Keine Grafiken, keine konkreten Beispiele,
nur Formeln. Wenn Sie dafür zu zartbesaitet sind, halten Sie sich
bitte bis zum Beginn des nächsten Kapitels die Augen zu.
Alles, was jetzt kommt, gilt in jedem Körper, also in jedem Ring,
in dem alle Zahlen außer null einen Kehrwert haben. (Mit „Zahlen“
sind immer die Elemente des jeweiligen Rings gemeint.)

168 PI UND DIE PRIMZAHLEN


– Wenn a + a = a gilt, dann kann man, weil es inverse Elemente
bezüglich der Addition gibt, auf beiden Seiten −a addieren
und erhält a = 0. Mit anderen Worten: die einzige Zahl, für
die a + a = a gilt, ist die Null.

– Es gilt a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0 für jede Zahl a wegen der


Distributivität. Nach dem, was wir uns gerade überlegt haben,
muss a · 0 null sein. Also: Wenn man mit null multipliziert,
kommt immer null heraus.

– Darum kann die Null keinen Kehrwert haben, denn dessen


Produkt mit null müsste ja eins und nicht null sein. Ergo: Man
kann nicht durch null teilen! (Für die ganz Aufmerksamen:
Wir gehen davon aus, dass null und eins verschieden sind. Sonst
wäre dieser Körper sehr langweilig. )

– Wenn a und b irgendwelche Zahlen mit a · b = 0 sind und


eine von beiden nicht null ist, dann ist die andere null. Ist bei-
spielsweise a nicht null, dann gibt es einen Kehrwert a −1 , mit
dem wir die Gleichung multiplizieren können, und es ergibt
sich b = a −1 · 0 = 0. In Mathematikerschnack ausgedrückt:
Körper sind immer nullteilerfrei.

– Sind b1 und b2 zwei verschiedene Zahlen, so sind auch die


Produkte ab1 und ab2 verschieden, wenn a nicht gerade null ist.
Anderenfalls wäre 0 = ab1 − ab2 = a (b1 − b2 ) ein Widerspruch
zur Nullteilerfreiheit.

– Also müssen in der Zeile der Multiplikationstabelle, in der alle


Produkte mit a stehen, alle Werte unterschiedlich sein. Wegen
der Kommutativität der Multiplikation gilt das auch für die
entsprechende Spalte. Und da haben wir die Begründung für
das lateinische Quadrat!

Zwischendrin tauchte fast nebenbei der Grund dafür auf, warum


man nicht durch null teilen kann. Es liegt nicht an der Willkür Ihres

E I N FA C H E S S U D O K U 169
Mathelehrers, sondern es ist so banal wie bei „minus mal minus“:
Wenn man vernünftige Rechengesetze haben will, wenn das Wort
„null“ die übliche Bedeutung (neutrales Element der Addition) haben
soll, dann geht es einfach nicht. Punkt.

170 PI UND DIE PRIMZAHLEN


DER LETZTE BRIEF

Was machte Évariste Galois in der Nacht vor dem Duell am 30. Mai
1832, an dessen Folgen er noch vor seinem 21. Geburtstag sterben
sollte? Er schrieb eine Zusammenfassung seiner mathematischen
Ideen auf, schickte diese einem Freund und bat ihn, den Brief einigen
damals bekannten Mathematikern wie Gauß und Jacobi vorzulegen.
Allerdings waren Galois’ Ausführungen ziemlich konfus und schwer
zu verstehen. (Würden Sie wenige Stunden vor einem potentiell
tödlichen Duell einen kühlen Kopf bewahren?)
Gauß, Jacobi und andere reagierten jedenfalls nicht. Erst mehr
als zehn Jahre nach dem Tod von Galois wurden seine Aufzeichnun-
gen von dem französischen Mathematiker Liouville veröffentlicht,
der offenbar ihre Bedeutung erkannt hatte. So konnten die darin
enthaltenen neuen Konzepte schließlich auch von anderen studiert
werden. Und noch einmal hundert Jahre später beurteilte der deut-
sche Mathematiker und Philosoph Hermann Weyl den letzten Brief
von Galois in einer Vorlesung in Princeton folgendermaßen:

This letter, if judged by the novelty and profundity of ideas it


contains, is perhaps the most substantial piece of writing in
the whole literature of mankind.

Heutzutage wird an den Universitäten im Fach Mathematik die


sogenannte Galoistheorie, die auf den von Weyl gepriesenen Ideen ba-
siert, als Teil der Algebra gelehrt. Mit dieser Theorie kann man unter
anderem von einigen klassischen Problemen der antiken Geome-
trie zeigen, dass sie nicht lösbar sind. Dazu gehört die schon einmal

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_20
kurz erwähnte Quadratur des Kreises. Eigentlich ging es Galois aber
ursprünglich um eine Theorie der Lösbarkeit von Gleichungen.

Bevor Mathematik zur Wissenschaft der abstrakten Strukturen


mutierte, die sie heute ist, verstand man unter Algebra in erster Linie
(eigentlich: nur) das Lösen von Gleichungen. Und dabei ging es
nicht etwa um irgendwelche Gleichungen, sondern ausschließlich
um solche, die man mit Addition, Multiplikation und natürlichen
Zahlen formulieren konnte. Wir schreiben das heute beispielsweise
folgendermaßen auf:
x 2 + 5x + 3 = 0

In dieser für unsere Augen unschuldig aussehenden Gleichung,


mit der Schüler bereits in der Mittelstufe konfrontiert werden, ste-
cken aber – wie die vorherigen Kapitel teilweise schon angedeutet
haben – Begriffsbildungen und Symbole, die sich die Mathematik
erst mühsam in einem Jahrhunderte währenden Prozess aneignen
musste. Wie problematisch die Null auf der rechten Seite lange war,
haben wir schon besprochen, und auch die Verwendung von Buch-
staben wie x . (Der in diesem Zusammenhang genannte Descartes
hat auch die Abkürzung x 2 für x · x eingeführt.) Das Zeichen + für
die Addition ist wahrscheinlich als Kurzschreibweise des lateinischen
et entstanden und wird erst seit dem 14. Jahrhundert benutzt. Das
Gleichheitszeichen = hat sich der Waliser Robert Recorde im 16. Jahr-
hundert ausgedacht („weil keine zwei Dinge gleicher sein können
als zwei parallele Linien“). Ungefähr zur selben Zeit verwendete der
deutsche Mönch Michael Stifel erstmals eine Schreibweise wie 5x für
„fünf mal x “.
Und natürlich wurde keine dieser Innovationen sofort von jedem
umgesetzt, nachdem sie einmal vorgeschlagen worden war. Noch
viele Jahrzehnte danach wurden Gleichungen oft ohne jegliche ma-
thematische Symbole in langen Sätzen beschrieben. (Erinnern Sie
sich an das Pascal-Zitat vom Anfang des Buches.) Selbst zu Beginn
des 19. Jahrhunderts schrieb Gauß manchmal noch x x statt x 2 .

172 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Aber immerhin schrieb er nicht x × x . Dieses Malkreuz führte
der Engländer William Oughtred im 17. Jahrhundert ein, der auch
als einer der Erfinder des Rechenschiebers gilt. Leibniz fand aber,
man könne es mit dem Buchstaben x verwechseln (wie man sieht)
und schlug stattdessen den Malpunkt · vor. So ziemlich jeder, der
in den vergangenen Jahrhunderten in der Mathematik neue Ideen
hatte, musste dafür erst mal eine Schreibweise entwickeln und seine
Zeitgenossen dazu bringen, diese auch zu verwenden.

Wir sind inzwischen in der glücklichen Lage, dass wir mit einer
vergleichsweise einfachen und weltweit standardisierten Fachsprache
arbeiten können. Gleichungen wie die, die wir eben gerade gesehen
haben, bezeichnet man heutzutage als Polynomgleichungen und den
Ausdruck links vom Gleichheitszeichen als Polynom. (Übrigens ein
Wort mit sowohl griechischem als auch lateinischem Migrationshin-
tergrund.)
Erstaunlicherweise werden an deutschen Schulen teilweise andere
als die in der Praxis üblichen Bezeichnungen benutzt. Der Fachbe-
griff integrieren wird zum Beispiel gerne mal durch das Kinderwort
„aufleiten“ ersetzt und Polynome werden als „ganzrationale Funk-
tionen“ bezeichnet. Man traut den Schülern offenbar das Arbeiten
mit Polynomen zu, möchte sie aber vor dem bösen Wort bewahren.
Doch das nur am Rande. . .
Polynome sind jedenfalls solche Objekte:

x 4 − 2x 2 + 5x + 42

Man hat Potenzen einer Variable, meistens x , die mit konstanten


Vorfaktoren multipliziert werden, die man die Koeffizienten des Poly-
noms nennt. Und diese Terme werden alle addiert. Ganz ausführlich
sieht das obige Beispiel so aus:

1x 4 + 0x 3 + (−2) x 2 + 5x 1 + 42x 0

Die Koeffizienten sind 1, 0, −2, 5 und 42.

DER LETZTE BRIEF 173


Potenzen, deren Koeffizient null ist, lässt man normalerweise
weg, für x 1 schreibt man einfach x und x 0 oder 1 schreibt man auch
nicht hin. (Mathematiker sind ja faul.) Und −2x 2 bedeutet nicht, dass
auf einmal subtrahiert statt addiert wird, sondern dass der Koeffizient
eine negative Zahl ist. (Früher undenkbar, wir machen das heute
einfach.)
Die höchste Potenz, die in so einem Polynom vorkommt, nennt
man den Grad des Polynoms. Unser Beispiel hat also den Grad vier,
weil x 4 die höchste Potenz ist. (Wäre dies ein Lehrbuch, dann müsste
ich schreiben: „die höchste Potenz, deren zugehöriger Koeffizient
nicht null ist“.)
Polynome haben quasi zwei Gesichter. Man kann sie als Funk-
tionen betrachten und dann zum Beispiel differenzieren, integrieren
und ihre Funktionsgraphen zeichnen. Damit beschäftigt man die
Kinder in der Schule gerne.

Man kann sie aber auch – das ist die Sichtweise der Algebra –
als Ausdrücke betrachten. Mit dem Lösen einer Gleichung wie zum
Beispiel x 2 + 3x − 10 = 0 ist gemeint, dass man Zahlen finden will, die
man für x einsetzen kann, damit auf beiden Seiten des Gleichheitszei-
chens dasselbe steht. In heutiger Sprache sucht man die Nullstellen des
Polynoms x 2 + 3x − 10. Und wir sagen heute, dass es zwei Nullstellen
gibt, nämlich 2 und −5. (Rechnen Sie nach!)
Wie aber im Laufe des Buches sicher deutlich geworden ist, war
Mathematik nicht immer so wie heute. Al-Chwarizmi hätte diese
Gleichung nur in der Form x 2 + 3x = 10 akzeptiert und sie natürlich
auch nicht so notiert, wie wir das heute machen, sondern sie mit
Worten umschrieben. Außerdem hatte die Gleichung in der dama-
ligen Sichtweise nur eine Lösung. Zu al-Chwarizmis Zeiten war −5

174 PI UND DIE PRIMZAHLEN


weder Zahl noch Größe und auch ein paar Jahrhunderte danach wäre
so etwas höchstens als „falsche Zahl“ bezeichnet worden.

Wie man solche quadratischen Gleichungen löst – also welche, bei


denen die höchste Potenz zwei ist –, wusste man prinzipiell allerdings
schon in Babylonien. (Die Babylonier waren angewandte Mathema-
tiker und begnügten sich mit Näherungslösungen.)
Die nächste Stufe wären dann die kubischen Gleichungen gewe-
sen – die dritten Grades. Für die wurde ein allgemeiner Lösungsweg
aber erst Tausende von Jahren später gefunden, im Italien des 16.
Jahrhunderts; und zwar von Gerolamo Cardano, dem bunten Hund,
von dem ich schon erzählt habe. (Und teilweise auch von zwei sei-
ner Zeitgenossen. Die Details darüber, wer was zuerst wusste und
wem verriet oder auch nicht, bilden einen zu Cardanos Lebenslauf
passenden hübschen Intrigantenstadl.)
Warum es von den quadratischen bis zu den kubischen Glei-
chungen so lange dauerte und warum die die Mathematik lange
dominierenden Griechen in dieser Geschichte keine tragende Rolle
spielen, hat mehrere Gründe. Unter anderem haben die Griechen
sich eigentlich nur für Geometrie interessiert, wodurch sich die Frage
in ihrer heutigen Formulierung für sie gar nicht stellte. (Eine Aus-
nahme war Diophantos, der aber erst ganz am Ende der großen Zeit
der griechischen Mathematik auf den Plan trat. Mehrere hundert
Jahre nach Euklid und Archimedes; genau weiß man das nicht.) Hin-
zu kommt, dass die rein geometrische Sichtweise nicht nur gewisse
Fragen ausklammerte, sondern auch zu einer selbstauferlegten Einen-
gung des methodischen Blickfeldes führte, das sich erst nach und nach
erweiterte.
Jedenfalls dauerte es von den kubischen zu den quartischen Glei-
chungen – den Gleichungen vierten Grades – nur wenige Jahre. Sie
wurden von Lodovico Ferrari, einem Schüler Cardanos, gelöst. Zu
diesem Zeitpunkt vermuteten wohl alle Beteiligten, dass es nur eine
Frage der Zeit sei, bis man auch Formeln für Gleichungen höheren
Grades finden würde. Die ließen aber, trotz großer Fortschritte in

DER LETZTE BRIEF 175


anderen Bereichen der Mathematik, auf sich warten. Sie ließen so
lange auf sich warten, dass einige Mathematiker schließlich vermute-
ten, man könne für solche Gleichungen gar keine allgemeingültigen
Lösungsformeln angeben.
Und das ist in der Tat der Fall! Bewiesen haben das schließlich
Anfang des 19. Jahrhunderts, etwa 300 Jahre nach Cardano, der Ita-
liener Paolo Ruffini (unvollständig) und der Norweger Niels Henrik
Abel. Abel wurde übrigens auch nicht alt; er starb drei Jahre vor
Galois’ Duell mit 26 Jahren fast mittellos an Lungentuberkulose.
Galois hat mit seinem letzten Brief quasi das, was Abel bereits
bewiesen hatte, noch mal bewiesen. Er entwickelte um die Fragestel-
lung herum aber eine ganze Theorie, die deutlich machte, warum es
nicht geht, und die für die Algebra ganz neue Horizonte eröffnete.
Ich sollte vielleicht noch erläutern, was genau damit gemeint ist,
dass man beispielsweise die folgende quintische Gleichung nicht lösen
kann: x 5 − x + 1 = 0. Denn wenn man sich ihren Funktionsgraphen
anschaut, dann sieht man doch, dass es eine Lösung gibt!

Etwas salopp gesagt kann ein Ingenieur Ihnen die Lösung sagen,
eine Mathematikerin aber nicht. Der Ingenieur liefert (wahrschein-
lich mit Computerhilfe) eine Näherungslösung, die so genau ist, wie
Sie sie haben wollen. Die Mathematikerin wird hingegen sagen, dass
man die Lösung nicht als einen exakten Ausdruck hinschreiben kann,
in dem nur die Koeffizienten, die Grundrechenarten und Wurzeln
vorkommen (während das bei quadratischen, kubischen und quarti-
schen Gleichungen möglich ist). Das haben Ruffini, Abel und Galois
herausgefunden.

176 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Zum Glück brauchen wir die Galoistheorie zum Entwickeln un-
serer π -Formel nicht. Sonst wäre das Buch mindestens doppelt so
dick. Wir müssen uns nur einen einzigen Sachverhalt über Polynome
klarmachen: Ein Polynom n -ten Grades kann höchstens n verschie-
dene Nullstellen haben. Es kann also beispielsweise maximal drei
verschiedene Zahlen geben, die die folgende Gleichung erfüllen:

x 3 + 2x 2 − 11x − 12 = 0

Ich sage Ihnen eine Lösung: x = 3 funktioniert.


Nachdem Sie das überprüft haben, ersetzen wir in der obigen
Gleichung überall x durch (x − 3) + 3. Das ändert natürlich nichts,
weil es ja nur eine umständliche Art und Weise ist, x hinzuschreiben.
 3  2  
(x − 3) + 3 + 2 (x − 3) + 3 − 11 (x − 3) + 3 − 12 = 0

Und das multiplizieren wir jetzt aus, achten dabei aber darauf,
dass wir alle Terme der Form (x −3) „ganz“ lassen. Allerdings rechnen
nicht wir das aus, sondern Sie. Sonst stehen auf dieser Seite noch mehr
Formeln und wenn ich Pech habe, schlägt ein potentieller Käufer in
der Buchhandlung das Buch gerade hier auf und erschreckt sich. Ich
sage Ihnen nur, was herauskommt:

(x − 3) 3 + 11(x − 3) 2 + 28(x − 3) = 0 ( )

Und da kann man nun ausklammern:

 
(x − 3) · (x − 3) 2 + 11(x − 3) + 28 = 0
(x − 3) · (x 2 + 5x + 4) = 0

Den ausgeklammerten Term „ x minus Nullstelle“ nennt man


einen Linearfaktor des Polynoms.
Denken Sie dran: Trotz dieser Taschenspielertricks ist das immer
noch dieselbe Formel wie am Anfang, weil wir ja nichts geändert
haben. Wir haben sie nur umgeschrieben. Allerdings haben wir die
linke Seite nun in ein Produkt von zwei Faktoren umgewandelt. Man

DER LETZTE BRIEF 177


sieht sofort: Setzt man für x drei ein, dann muss null herauskommen,
weil der Faktor x − 3 dann null wird. Man sieht aber auch: Wenn es
noch eine andere Nullstelle gibt, dann muss die dafür sorgen, dass
der andere Faktor null wird. Denn einer der beiden Faktoren muss
ja null werden und x − 3 kann nur null werden, wenn x drei ist.
Der andere Faktor ist jedoch auch wieder ein Polynom (zweiten
statt dritten Grades, weil ein x „weg“ ist). Wenn das eine Nullstelle
hat, können wir wieder einen Linearfaktor ausklammern et cetera.
Das geht aber offenbar nicht unendlich oft, weil der Grad des „Rest-
polynoms“ in jedem Schritt um eins kleiner wird. In unserem Fall
endet das Spiel so:

(x − 3) (x + 4) (x + 1) = 0

Man erkennt: Die Nullstellen sind 3, −4 und −1 und andere kann


es nicht geben.

Ich hoffe, Sie sind inzwischen kritisch genug, um mir das so nicht
abzunehmen. Die ganze Sache hat nur funktioniert, weil wir den
Linearfaktor ausklammern konnten. Aber wieso sollte das immer
klappen?
Ich will versuchen, Sie zu überzeugen. Die Formel, die ich mit
einem Stern markiert habe, hätten wir gar nicht ausrechnen müssen.
Es wäre sogar besser gewesen, sie nicht auszurechnen. (Sie wissen ja:
faule Mathematiker.) Wir hätten viel weniger Arbeit gehabt und es
hätte so ausgesehen:

(x − 3) 3 + a (x − 3) 2 + b (x − 3) + c = 0

Setzt man nun wieder für x die Drei ein, dann löst sich offensicht-
lich fast alles in Wohlgefallen auf und links vom Gleichheitszeichen
steht nur noch c . Aber wir wissen ja, dass sich null ergeben muss,
wenn wir drei einsetzen. Darum muss c null sein:

(x − 3) 3 + a (x − 3) 2 + b (x − 3) = 0
 
(x − 3) · (x − 3) 2 + a (x − 3) + b = 0

178 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Und daran sehen wir, dass wir x − 3 ausklammern können, oh-
ne a und b zu kennen. Das wird immer klappen. Dass der rechte
Faktor ein Polynom zweiten Grades ist, sieht man, ohne dass man
ausmultiplizieren muss. Faulheit siegt!

Mehr müssen wir wie gesagt über Polynome nicht wissen. Aber ich
erinnere noch mal daran, dass wir immer noch durch die Brille der
Algebra schauen. Bei allem, was wir hier gemacht haben, haben wir
nur mit den Grundrechenarten gerechnet. Darum gilt das, was wir
uns überlegt haben, in jedem Körper; die Argumentation ist immer
dieselbe. Insbesondere haben also auch in Zp Polynomgleichungen
nur eine bestimmte Anzahl von Lösungen, wenn p eine Primzahl
ist. Das werden wir im nächsten Kapitel gleich anwenden.

Gilt es nur in jedem Körper oder auch in jedem Ring?

DER LETZTE BRIEF 179


DER SCHMALE RAND

Erinnern Sie sich noch an den „Amateur“ Fermat? In diesem Kapitel


wird der sogenannte kleine Satz von Fermat eine wichtige Rolle spie-
len. Und wo es einen kleinen Satz gibt, gibt es natürlich auch einen
großen. Der hat für dieses Buch zwar mathematisch keine Bedeutung,
aber seine Geschichte ist zu schön, um sie nicht zu erzählen.
Fermat studierte das Werk Arithmetica des griechischen Mathema-
tikers Diophantos, in dem es um Zahlentheorie geht. Seine Notizen
dazu schrieb er teilweise direkt in sein Exemplar des Buches. Eine
der Notizen war die folgende:
Es ist jedoch nicht möglich, einen Kubus in 2 Kuben, oder ein
Biquadrat in 2 Biquadrate und allgemein eine Potenz, höher
als die zweite, in 2 Potenzen mit ebendemselben Exponenten
zu zerlegen: Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren
Beweis entdeckt, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn
zu fassen.

Die mathematische Behauptung lautet in heutiger Notation, dass


man keine natürlichen Zahlen a , b und c finden kann, für die die
Gleichung a n + b n = c n gilt, wenn n größer als zwei ist. (Für den Fall
n = 2 handelt es sich um den Satz des Pythagoras und man findet
sogar unendlich viele mögliche Werte, zum Beispiel a = 3, b = 4,
c = 5. Das sind die sogenannten pythagoräischen Tripel.)
Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Wichtig für den Fortgang der
Story ist lediglich die Bemerkung am Ende und die Tatsache, dass
Fermat – wie üblich – keinen Beweis für diese Behauptung veröffent-
lichte. (Man geht inzwischen davon aus, dass er auch keinen haben

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_21
konnte.) Allerdings veröffentlichte sein Sohn nach seinem Tod eine
Ausgabe der Arithmetica zusammen mit den Notizen seines Vaters.
Und speziell diese eine Notiz hat Generationen von Mathematikern
dazu inspiriert, (vergeblich) nach einem Beweis zu suchen. Wie es
häufiger in der Mathematik vorkommt, war die ganze Arbeit aber
nicht vergebens. Erstens gab es diverse Teilerfolge und zweitens wur-
den im Zuge der Versuche, die nicht zum Erfolg führten, oftmals
neue Methoden entwickelt, die die Zahlentheorie voranbrachten.
Verschiedene Institutionen lobten im 19. Jahrhundert Preise für
die Lösung der Fermatschen Vermutung aus. 1905 vermachte dann
noch ein Arzt der Göttinger Akademie der Wissenschaften den
für damalige Verhältnisse enormen Betrag von 100 000 Goldmark
als Preisgeld für diesen Zweck. Das rief Tausende von Amateuren
(welche Ironie!) auf den Plan, die die Akademie mit Zuschriften
bombardierten. Fermats „wunderbarer Beweis“ entwickelte sich
in der öffentlichen Wahrnehmung nach und nach zur bekanntesten
ungelösten mathematischen Frage und wurde schließlich sogar im
Unterhaltungsfernsehen (in den Serien Star Trek und The Simpsons)
thematisiert.
Inzwischen ist das Problem gelöst. Der Brite Andrew Wiles legte
1993 einen Beweis des großen Satzes von Fermat – den man nun
eigentlich den Satz von Wiles nennen sollte – vor, der fast 100 Seiten
lang ist, obwohl er in konziser Fachsprache geschrieben und nur für
Experten verständlich ist. (Rein technisch bewies er eigentlich „nur“
einen Teil der sogenannten Taniyama-Shimura-Vermutung, woraus
dann aufgrund von Vorarbeiten anderer der Fermatsche Satz folgt.)
Zwischen der wohl folgenreichsten Randnotiz der Mathematik-
geschichte und der Lösung vergingen über 350 Jahre.

Als Außenstehender stellt man sich vor, dass Mathematikerinnen


den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und grübeln. Das ist sicher
zum Teil richtig. Fast genau so wichtig ist aber der Austausch mit
Kollegen. Nicht nur, dass die vielleicht Ideen haben, auf die man
selbst nicht gekommen wäre, oder eventuell von hilfreichen neuen

182 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Entwicklungen berichten können, von denen man noch nicht gehört
hat. Häufig zwingt einen alleine schon der Versuch, einem Gegenüber
etwas zu erklären, seine eigenen vagen Vorstellungen zu ordnen –
was wiederum zu überraschenden neuen Eingebungen führen kann.
(Dazu gibt es einen schönen Aufsatz von Heinrich von Kleist mit dem
Titel Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.)
Den Neuankömmlingen am Department für Mathematik der
Universität Princeton wurde von dessen Leiter Solomon Lefschetz
immer eingeschärft, Termine und Prüfungen seien nicht so wichtig,
aber sie dürften keinesfalls die teatime verpassen, anlässlich derer sich
das gesamte Department jeden Nachmittag versammelte. Da wurde
einfach nur zwanglos geplaudert, aber natürlich meistens über Mathe-
matik. Und die Leitung der Universität – immerhin eine der weltweit
führenden in der Mathematik – hatte offenbar die förderliche Wir-
kung dieses Austausches erkannt. (Das war im letzten Jahrhundert
und sollte nicht verwechselt werden mit Gremiensitzungen an heuti-
gen Hochschulen. Da geht es nach der alten Devise von Karl Valentin:
„Es wurde zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.“)
Wiles ging den großen Satz von Fermat ganz anders an. Obwohl
auch er die kollaborative und kommunikative Art des Arbeitens bis
dahin praktizierte hatte (er war bereits arrivierter Mathematiker),
zog er sich jahrelang zurück und erzählte niemandem, worüber er
nachdachte. (Vielleicht hatte er Angst, sich mit einem Angriff auf
diesen unbezwingbar erscheinenden Gipfel lächerlich zu machen.)
Es gibt eine schöne Dokumentation, in der Wiles von dem Mo-
ment spricht, an dem ihm die entscheidende Idee (revelation, also
sowas wie „Offenbarung“) kam, um den Beweis zu vollenden. Die Er-
innerung daran ist so wirkmächtig, dass er beim Erzählen in Tränen
ausbricht. Rührender kann man Poincarés Freude des Verstehens
wohl nicht illustrieren.

Aber nun zum kleinen Satz von Fermat. Dessen Aussage ist einerseits
überraschend, andererseits fragt man sich zunächst, wobei einem das
helfen soll. Aber Sie werden es noch sehen. . .

DER SCHMALE R AND 183


Der Satz besagt: Ist p eine Primzahl und a eine Zahl aus Zp , die
nicht gerade null ist, dann gilt immer a p−1 = 1. Beispielsweise gilt
36 = 1 in Z7 , weil in den ganzen Zahlen 36 = 729 = 104 · 7 + 1 gilt.
Auch beim Berechnen von 26 oder 46 wird eins herauskommen und
ebenso gilt 910 = 1, wenn man in Z11 rechnet.

Glauben Sie mir das nicht einfach!

Warum ist das so? Das lässt sich tatsächlich ganz einfach begrün-
den. Nehmen wir das Beispiel 36 von eben. Wir wissen, dass die
Multiplikationstabelle von Z7 ein lateinisches Quadrat ist. Das be-
deutet, dass in der „3er-Zeile“ alle Zahlen (außer null) stehen:

3·1 3·2 3·3 3·4 3·5 3·6

1 2 3 4 5 6

Die Zahlen stehen dort natürlich nicht fein säuberlich sortiert,


aber da beim Multiplizieren die Reihenfolge keine Rolle spielt, erhal-
ten wir daraus die folgenden Gleichung:

(3 · 1) · (3 · 2) · (3 · 3) · (3 · 4) · (3 · 5) · (3 · 6) = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6

Und da Z7 ein Körper ist, können wir dividieren. Wir teilen beide
Seiten der Gleichung durch zwei, dann durch drei und so weiter, bis
wir am Ende durch sechs geteilt haben. Übrig bleibt auf der linken
Seite 3 · 3 · 3 · 3 · 3 · 3 und rechts nur noch 1. Das war’s schon. Wahrlich
ein kleiner Satz im Vergleich zu einem, für den ein ausführlicher und
verständlicher Beweis viel dicker als dieses ganze Buch wäre.
Aber es ist kein unwichtiger Satz! Obwohl es hier nicht um An-
wendungen gehen soll, kann man vielleicht en passant erwähnen,
dass der kleine Satz von Fermat als Grundidee hinter dem heutzutage
am häufigsten in Computern eingesetzten Primzahltest steht. Die

184 PI UND DIE PRIMZAHLEN


für diverse Nachrichtendienste tätigen Mathematikerinnen kennen
ihn sicherlich in- und auswendig.

Wir wollen jedoch keine geheimen Botschaften entschlüsseln. Statt-


dessen kümmern wir uns jetzt um quadratische Reste. Dafür zeige
ich Ihnen erneut die Multiplikationstabelle von Z5 , habe mir aber
erlaubt, die langweiligen Nullen wegzulassen. Außerdem sind die
Werte in der Diagonalen hervorgehoben.
· 1 2 3 4
1 1 2 3 4
2 2 4 1 3
3 3 1 4 2
4 4 3 2 1

Das sind die quadratischen Reste: die Zahlen, die sich in einem
Restklassenring als Quadrate ( 12 , 22 etc.) schreiben lassen.
Wir sehen, dass in Z5 nicht alle Zahlen quadratische Reste sind. 1
und 4 sind es, 2 und 3 nicht. Und wir haben sogar – ohne die Bezeich-
nung zu verwenden – schon mit quadratischen Resten gearbeitet.
Als wir gezeigt haben, dass sich Primzahlen der Form 4n + 3 nicht
als Summe zweier Quadrate schreiben lassen, haben wir ausgenutzt,
dass es modulo 4 nur die quadratischen Reste 0 und 1 gibt.
Wir sollten uns nebenbei angewöhnen, für das inverse Element
zur Eins bezüglich der Addition immer −1 zu schreiben. In Z5 ist das
die Vier und ganz allgemein in Zp ist es offenbar die Zahl p − 1. Diese
Notation wird ein paar Dinge deutlicher machen. Insbesondere gilt
immer (−1) 2 = 1, wie wir es auch von den ganzen Zahlen kennen.
Und verallgemeinert folgt daraus, dass (−1) n den Wert 1 für gerade n
hat und −1 für ungerade n .

Wieso gilt das in jedem Ring?

Diese kleine Beobachtung hat übrigens eine interessante Konse-


quenz: Da sowohl 12 = 1 als auch (−1) 2 = 1 gilt, wird die Eins als
quadratischer Rest in der Diagonalen immer mindestens zweimal

DER SCHMALE R AND 185


auftauchen. Darum können dort nie alle Zahlen stehen. Es muss
immer Zahlen geben, die nicht quadratische Reste sind.
In Z5 sind also die quadratischen Reste 1 und −1. Schauen wir uns
zwei weitere Beispiele an. Zuerst Z13 :

a 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

a2 1 4 9 3 −1 10 10 −1 3 9 4 1

Dann noch Z19 :

a 1 2 3 4 5 6 7 8 9

a2 1 4 9 16 6 17 11 7 5

a 10 11 12 13 14 15 16 17 18

a2 5 7 11 17 6 16 9 4 1

Warum sind die Listen Palindrome?

Die für den nächsten Schritt entscheidende Beobachtung ist ganz


unscheinbar: Im ersten Fall kommt −1 in der Liste vor, im zweiten
nicht. Ich werde jetzt begründen, warum die Zahl −1 in Z19 kein
quadratischer Rest sein kann. Dann werden wir uns überlegen, wie
man das von 19 auf andere Zahlen verallgemeinern kann.
Nach dem kleinen Satz von Fermat gilt a 18 = 1 für alle Zahlen
von a = 1 bis a = 18. Das bedeutet, dass x 18 − 1 ein Polynom mit
der maximalen Zahl von 18 verschiedenen Nullstellen ist. Dieses
Polynom kann man folgendermaßen zerlegen:

x 18 − 1 = (x 9 ) 2 − 12 = (x 9 − 1) (x 9 + 1)

Das kann man einfach nachrechnen. Und es ist nebenbei etwas,


das Sie aus der Schule kennen und das man in Deutschland die dritte
binomische Formel nennt. (Im anglophonen Raum heißt es treffender
difference of squares.)
Jeder der beiden Faktoren ist ein Polynom neunten Grades, kann
also maximal neun verschiedene Nullstellen haben. Da es insgesamt

186 PI UND DIE PRIMZAHLEN


18 verschiedene Nullstellen gibt, müssen die sich also auf die beiden
Polynome verteilen: Wenn eine Zahl eine Nullstelle von x 9 − 1 ist,
kann sie keine von x 9 + 1 sein, und umgekehrt.
−1 ist Nullstelle von x 9 + 1, weil 9 eine ungerade Zahl ist. Also
kann −1 nicht Nullstelle von x 9 − 1 sein. Das ist der Grund dafür,
dass −1 kein quadratischer Rest ist. Denn einen quadratischen Rest a
kann man als a = b 2 schreiben. Und für diese Reste gilt nach dem
„kleinen Fermat“:

a 9 − 1 = (b 2 ) 9 − 1 = b 18 − 1 = 0

Das war schon die ganze Begründung. Wir müssen uns nun nur
noch überlegen, welche Eigenschaften der Zahl 19 für diesen kleinen
Beweis relevant waren.

Vielleicht überlegen Sie erst mal selbst?

Wir brauchten zwei Dinge:

– 19 ist ungerade, also ist 18 gerade und deshalb klappt die Zerle-
gung mit der dritten binomischen Formel.

– 9, die Hälfte von 18, ist ungerade und deshalb ist −1 eine Null-
stelle von x 9 + 1.

Der Beweis muss also für jede Primzahl funktionieren, die sich
ergibt, wenn man eine ungerade Zahl verdoppelt und dann eins
addiert. Das sind genau die „bösen“ Zahlen von der Form 4n + 3,
die im Zwei-Quadrate-Satz vorkommen! Und um den geht es gleich
auch wieder.

DER SCHMALE R AND 187


EINFACH DIE REGELN ÄNDERN

Wir sind mit dem Zwei-Quadrate-Satz noch nicht fertig. Der schöne
Beweis mit den Windmühlen hat uns zwar gezeigt, dass und warum
sich Primzahlen der Form 4k + 1 immer als Summen von zwei Qua-
draten darstellen lassen, aber es bleiben noch Fragen offen.
Zum einen haben wir – wir hatten dieses Thema schon mal –
bisher nur die Existenz dieser Darstellung bewiesen, aber noch nichts
über ihre Eindeutigkeit gesagt. Und zweitens haben wir bislang nur
über Primzahlen geredet. Es ist durchaus legitim, sich auch zu fra-
gen, unter welchen Bedingungen zusammengesetzte Zahlen Summen
zweier Quadrate sein können.
Die erste Frage lässt sich mit dem Wissen, das wir seit der Sache
mit den Windmühlen angesammelt haben, ganz leicht beantworten:
Man kann eine Primzahl der Form p = 4k + 1 immer nur auf genau
eine Art als Summe zweier Quadrate natürlicher Zahlen darstellen.
Begründen kann man das mit den gaußschen Zahlen. Wir gehen
dafür zunächst von der einen Darstellung aus, die es auf jeden Fall
geben muss: p = a 2 + b 2 . Nun kann man einen kleinen „Trick“ an-
wenden, auf den man erst mal kommen muss. Er ist aber naheliegend,
wenn man etwas Routine im Umgang mit gaußschen Zahlen hat und
sich an die dritte binomische Formel erinnert (die passenderweise
gerade erst vorkam). Man kann die Darstellung von p so zerlegen:

p = (a + b i) (a − b i)

Da p (als gaußsche Zahl) die Norm p 2 hat, haben die beiden


Faktoren jeweils die Norm p und sind daher Primelemente. (Wegen

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_22
der Multiplikativität der Norm müssen die Normen von Teilern
dieser Faktoren Teiler von p sein.) Und da nach dem Fundamentalsatz
so ein Produkt bis auf Reihenfolge und Multiplikation mit Einheiten
eindeutig ist, kann es keine zweite Darstellung p = c 2 + d 2 geben.
Die würde nämlich zu den Faktoren c + d i und c − d i führen, von
denen jeder mit einem der Faktoren a + b i und a − b i assoziiert sein
müsste.
Aber wenn zwei gaußsche Zahlen assoziiert sind, dann haben
sie bis auf Vertauschung und Vorzeichenwechsel dieselben Kompo-
nenten. Da das Vorzeichen keine Rolle spielt (uns interessieren im
Moment ja nur natürliche Zahlen), kann es höchstens eine Vertau-
schung gegeben haben: a = d und b = c . Die Darstellung von p als
Summe zweier Quadrate ist also eindeutig – natürlich nur bis auf die
Reihenfolge der Summanden.

Nun zur etwas schwierigeren Frage, wann eine zusammengesetzte


Zahl Summe zweier Quadrate ist. Wir ändern dafür eine Kleinigkeit
und lassen als Quadrat auch 02 zu, also die Null. Wenn ich im Rest
des Kapitels von Quadraten spreche, dann meine ich also Quadrate
von natürlichen Zahlen oder null. (Und für die umständliche Formu-
lierung als Summe zweier Quadrate darstellbar schreibe ich in Zukunft
einfach darstellbar.)
„Moment mal!“, sagen Sie jetzt vielleicht. „Sie können doch nicht
einfach mitten im Spiel die Regeln ändern!“
Doch, kann ich. Das ist nämlich kein mieser Trick, sondern ledig-
lich eine Anpassung, die uns das Leben leichter machen wird. Es geht
eigentlich nur darum, dass wir uns das umständliche Formulieren
von Ausnahmen ersparen werden. Und insbesondere ändert die neue
Regel nichts an unseren bisherigen Ergebnissen. Denn da ging es ja
um Primzahlen und eine Primzahl kann man ohnehin nicht in der
Form a 2 + 02 darstellen, dann wäre es ja keine Primzahl.
Fangen wir mit ein paar Beispielen für darstellbare zusammen-
gesetzte Zahlen an. Auf jeden Fall sind nach der Regeländerung alle
Quadrate darstellbar: 4 = 22 = 22 + 02 , 9, 16, 25 und so weiter. (Und

190 PI UND DIE PRIMZAHLEN


nebenbei bemerkt auch die Eins, die aber per definitionem keine
zusammengesetzte Zahl ist.) Mit der Acht klappt es auch:

+ =

Und mit der Zehn:

+ =

Oder, etwas größeres Beispiel, mit 40:

+ =

Aber es klappt unter anderem nicht mit 6, 12, 14 oder 15. Die sind
alle nicht darstellbar; da hilft auch die neue Regel nichts. Wie soll
man da ein Muster erkennen?
Ich will Sie auf keinen Fall davon abhalten, selbst erst mal rum-
zuprobieren und Hypothesen aufzustellen. Darum warte ich jetzt
einfach ab und rede erst weiter, wenn Sie fertig sind.

Dumdidumdidumdidum. . .

Ich weiß natürlich nicht, was Sie herausbekommen haben. Ich ar-
beite mich jetzt in drei Schritten an die Antwort heran, von denen
ich hoffe, dass sie jeweils gut nachvollziehbar sind.
Zuerst erinnere ich aber noch mal an den „Trick“ vom Anfang
des Kapitels. Eine Zahl n ist genau dann darstellbar, wenn man sie
als Produkt zweier konjugierter gaußscher Zahlen darstellen kann.
Man nennt zwei gaußsche Zahlen konjugiert, wenn sie sich nur im
Vorzeichen der zweiten Komponente unterscheiden: a + b i und a − b i
sind konjugiert. Mit anderen Worten: Zur Darstellung a 2 + b 2 gehört
das Produkt (a + b i) (a − b i) und umgekehrt.

E I N FA C H D I E R E G E L N Ä N D E R N 191
Erster Schritt: Sind m und n darstellbar, dann ist auch ihr Produkt
darstellbar. Mit m = a 2 + b 2 und n = c 2 + d 2 kann man das mit
gaußschen Zahlen ganz fix einfach nachrechnen:

mn = (a + b i) (a − b i) · (c + d i) (c − d i)
= (a + b i) (c + d i) · (a − b i) (c − d i)
   
= (ac − b d) + (b c + ad) i · (ac − b d) − (b c + ad) i

In der letzten Zeile stehen zwei zueinander konjugierte Faktoren.


Zweiter Schritt: Das Produkt einer darstellbaren Zahl mit einem
Quadrat ist wieder darstellbar.

Können Sie das beweisen?

Man muss es eigentlich nur hinschreiben:

(a 2 + b 2 ) · m 2 = a 2 m 2 + b 2 m 2 = (am) 2 + (b m) 2

Damit haben wir schon relativ viel erreicht. Wir wissen, dass
sich jede Zahl eindeutig als Produkt von Primzahlen darstellen lässt.
Kommen in dieser Primzahlzerlegung nur Zweien und Primzahlen
der Form 4k + 1 vor, so ist die Zahl nach den Überlegungen aus dem
ersten Schritt darstellbar. Hier ein paar Beispiele:

10 = 2 · 5 40 = 23 · 5
65 = 5 · 13 130 = 2 · 5 · 13
2
325 = 5 · 13 1105 = 5 · 13 · 17

Was ist mit den restlichen Primzahlen? Der zweite Schritt zeigt,
dass die auch als Faktoren auftreten dürfen, wenn sie das als Paare
machen, also in gerader Potenz. Auch dafür Beispiele:

9 = 32 81 = 34 = (32 ) 2
729 = 36 = (32 ) 3 98 = 2 · 72
245 = 5 · 72 3969 = 34 · 72

192 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Der dritte und letzte Schritt beantwortet die Frage, was passiert,
wenn eine von den „bösen“ Zahlen (also 4k + 3 ) als Primfaktor in
ungerader Potenz auftritt. Die Antwort ist: Dann klappt es nicht,
die Zahl ist also nicht darstellbar!
Zur Begründung nehmen wir uns so eine Primzahl q . Ich werde
zeigen: Ist eine darstellbare Zahl m = a 2 + b 2 durch q teilbar, dann
ist a durch q teilbar. Wenn ich das zeigen kann, dann kann ich
offenbar auch zeigen, dass b durch q teilbar ist, weil a und b ja
völlig gleichberechtigt sind. Nun lassen wir noch einmal die gleiche
Rechnung wie im zweiten Schritt ablaufen, aber diesmal lesen wir
sie von rechts nach links:

(c 2 + d 2 ) · q 2 = c 2 q 2 + d 2 q 2 = (c q) 2 + (dq) 2 = a 2 + b 2

Man sieht: Ist m durch q teilbar, dann ist m das Produkt von q 2
mit einer darstellbaren Zahl. Man kann q 2 also quasi „entfernen“
und das gegebenenfalls mehrfach. Es kann keine ungerade Potenz
übrig bleiben.
Natürlich muss ich meine Ankündigung auch wahr machen.
Warum ist also a durch q teilbar? Wir machen einen Widerspruchs-
beweis und nehmen an, a sei nicht durch q teilbar. Und nun rechnen
wir in Zq weiter! Dafür müssten wir formal alle Zahlen durch ihre
Reste ersetzen, aber ich lasse das jetzt einfach (die Faulheit wieder)
und verlasse mich darauf, dass Sie das auch so nachvollziehen können:
Weil m durch q teilbar ist, gilt a 2 + b 2 = 0. Weil a nicht durch q
teilbar ist, gilt a ≠ 0. Weil q eine Primzahl ist, gibt es einen Kehrwert
w zu a , also w a = 1. Nun rechnen wir (immer noch in Zq ):

1 + (w b) 2 = (w a) 2 + (w b) 2 = w 2 (a 2 + b 2 ) = w 2 · 0 = 0

Mit anderen Worten: (w b) 2 = −1 ist ein quadratischer Rest. Aber im


letzten Kapitel hatten wir gesehen, dass das nicht möglich ist. Das ist
unser Widerspruch.
Damit ist die Frage, welche Zahlen Summen von zwei Quadra-
ten sein können, wirklich vollständig geklärt: genau die, in deren

E I N FA C H D I E R E G E L N Ä N D E R N 193
Primfaktorzerlegung die Faktoren der Form 4k + 3 alle in geraden
Potenzen auftreten.

Und falls Sie nun anmerken, dass wir wieder so weit sind wie am
Anfang des Kapitels und nur eine Aussage über die Existenz aber
keine über die Eindeutigkeit haben, dann haben Sie völlig recht. Das
habe ich nicht vergessen, sondern es wird das Thema der folgenden
Kapitel sein, weil die Frage danach, wie viele verschiedene Darstellun-
gen es gibt, dieselbe wie unsere ursprüngliche Frage nach der Anzahl
der Punkte ist.

194 PI UND DIE PRIMZAHLEN


FÜNFZEHNTAUSEND SEITEN

Eine Frage für das Guinness-Buch der Rekorde: Wie lang ist der
längste mathematische Beweis? Antwort: Man kann es nicht genau
sagen, aber in gedruckter Form sind es Tausende von Seiten; es dürfte
sich sogar eher um eine fünfstellige Anzahl von Seiten handeln.
Was ist denn das für ein wahnsinniger Beweis?
Eine weitere typische Beschäftigung von Mathematikerinnen ne-
ben der Suche nach einfachen und möglichst eindeutigen Darstellun-
gen von bestimmten Objekten ist die Katalogisierung von Objekten
eines bestimmten Typs. Damit ist aber natürlich kein Versandhaus-
katalog gemeint. Von interessanten mathematischen Objekten gibt
es eigentlich immer unendlich viele; man kann sie nicht einfach alle
aufschreiben. Gesucht ist vielmehr eine sogenannte Klassifikation –
man möchte die Objekte in überschaubare und sinnvolle Kategorien
einteilen. Und zwar so, dass man erstens alle erwischt, dass zwei-
tens jedes Objekt nur zu einer Kategorie gehört und dass es drittens
möglichst wenige und aussagekräftige Kategorien gibt.
Klingt erst mal ziemlich abstrakt, oder? Eine bekannte und recht
einfache Klassifikation, von der Sie vielleicht schon mal gehört haben,
wenn Sie Kontakt mit Hochschulmathematik hatten, ist die der
endlich-dimensionalen Vektorräume: Bis auf Isomorphie gibt es nur
die reellen Vektorräume R1 , R2 , R3 und so weiter. Da stehen Sie
alle, schön katalogisiert. (Mit „bis auf Isomorphie“ ist gemeint, dass
unendlich viele Vektorräume in diesem Katalog fehlen, dass jedoch
jeder von den fehlenden Einträgen strukturgleich mit einem der
aufgezählten ist.)

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Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_23
So eine schöne Liste wollten die Algebraiker idealiter auch für
Gruppen haben, genauer: für endliche einfache Gruppen. Trotz des Na-
mens war das aber alles anderes als einfach. (Ich will jetzt nicht darauf
eingehen, was Gruppen sind; das würde zu weit führen. Es sei nur ge-
sagt, dass unser Duellant Galois einer der wichtigsten Geburtshelfer
der Gruppentheorie war. )
Das Projekt der Klassifikation dieser Gruppen wurde unter an-
derem dadurch erschwert, dass immer mal wieder sogenannte spo-
radische Gruppen entdeckt wurden, mit denen vorher niemand ge-
rechnet hatte und die in keine der bisherigen Kategorien passten.
Das zog sich von 1861 bis 1976 hin und man musste dann ja auch
noch beweisen, dass nicht auf einmal noch weitere auftauchen kön-
nen. Der Knüller war dabei sicherlich die 1973 entdeckte Monster-
gruppe, die deshalb so heißt, weil sie etwa tausendmal so viele Ele-
mente wie die Erde Atome hat. Ausgeschrieben sieht das so aus:
808017424794512875886459904961710757005754368000000000. (Die
Monstergruppe ist aber immer noch endlich und um solche Gruppen
ging es in der Klassifikation ja.)
Inzwischen ist die Fachwelt überzeugt, dass die Klassifikation
abgeschlossen und vollständig bewiesen ist. Der Beweis verteilt sich
allerdings im Original auf über 500 Fachartikel von mehr als 100 be-
teiligten Mathematikern, die daran vom Ende der 1920er bis Anfang
der 1980er Jahre gearbeitet haben. Zusammen ergibt das etwa 15 000
gedruckte Seiten. Einige der Artikel wurden nicht mal publiziert,
sondern kursierten nur als Vorabdrucke im Kreise der Eingeweihten.
Abgesehen von ein paar Experten, die entweder schon verstor-
ben oder nicht mehr die Jüngsten sind, dürfte kaum jemand einen
kompletten Überblick über dieses Konvolut haben. Daher gibt es
auch Bestrebungen, den gesamten Beweis in überarbeiteter Form als
Buch in mehreren Bänden herauszugeben. Man hat die Hoffnung,
dass er dadurch auch kürzer wird. Geschätzt wird, der abgespeckte
Beweis könne „nur“ noch 5000 Seiten lang sein.
Das ist aber offenbar eine sehr umfangreiche Aufgabe. Und auch
eine sehr undankbare: Es ist zwar wichtig, den Beweis für die Nach-

196 PI UND DIE PRIMZAHLEN


welt in einer halbwegs genießbaren Form zu konservieren, aber sicher
wird kaum jemand ihn jemals komplett lesen. Außerdem sind Wissen-
schaftler in der Regel daran interessiert, neue Dinge herauszufinden,
und wollen ihre Zeit nicht damit verplempern, bekannte Resultate
noch mal aufzuschreiben. Man darf gespannt sein, ob dieses über
mehrere Jahre angelegte Projekt erfolgreich beendet werden wird.

Zum Glück ist das nicht unser Problem. Wir wollen nun aber auch
ein bisschen klassifizieren, und zwar die Primelemente unter den
gaußschen Zahlen. Statt 15 000 Seiten benötigen wir jedoch weniger
als ein halbes Dutzend.
Es soll also ein „Katalog“ aller Primelemente erstellt werden. Da
es unendlich viele sind, können wir sie nicht alle aufschreiben. Wir
können sie höchstens in sinnvolle Kategorien einteilen, damit wir
ein Kriterium dafür haben, ob wir es mit einem Primelement zu tun
haben oder nicht.
Die folgende Aufzählung liefert drei Kategorien, die sich aus der
Norm ergeben. Dass tatsächlich nur Primelemente kategorisiert wer-
den, folgt in allen drei Fällen aus der Multiplikativität der Norm: Ist
die gaußsche Zahl z kein Primelement, so gibt es Nicht-Einheiten w 1
und w 2 mit z = w 1 w 2 und das impliziert N (z) = N (w 1 ) N (w 2 ) . Die
natürliche Zahl N (z) muss dann also ein Produkt zweier natürlicher
Zahlen sein, die beide nicht eins sind.

– Die vier Zahlen mit der Norm 2 sind offenbar Primelemente,


also 1 + i und die drei mit dieser Zahl assoziierten Zahlen.

– Ist p eine Primzahl der Form 4k + 1, so gibt es nach dem


Zwei-Quadrate-Satz gaußsche Zahlen a + b i und b + a i mit der
Norm p . Das müssen Primelemente sein und das gilt auch für
die mit ihnen assoziierten Zahlen. Weitere Zahlen der Norm p
gibt es nicht, wie wir uns gleich am Anfang des vorherigen
Kapitels überlegt haben. Insgesamt kommt man so auf acht
Primelemente der Norm p .

F Ü N F Z E H N TAU S E N D S E I T E N 197
Warum acht und nicht nur vier?
Warum sind a und b garantiert verschieden?

– Ist q eine Primzahl der Form 4k + 3, so ist q (als gaußsche


Zahl mit der Norm q 2 ) ein Primelement. Wäre sie nämlich
kein Primelement, so müsste es einen Primteiler der Norm q
geben, den es aber nach dem Zwei-Quadrate-Satz nicht gibt.
Die assoziierten Zahlen −q , q i und −q i sind natürlich ebenfalls
Primelemente.

Andere als diese vier Zahlen mit der Norm q 2 kann es nicht
geben: Aus q 2 = c 2 + d 2 mit nichtnegativen Zahlen c und d
folgt, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, dass q sowohl
c als auch d teilt. Das ist aber nur möglich, wenn entweder c
oder d null ist.

Und das waren schon die angekündigten drei Kategorien.

Ist die Katalogisierung damit abgeschlossen?

Wir sind noch nicht fertig. Die noch offene Frage ist, ob wir mit
diesen drei Kategorien auch alle Primelemente erwischt haben. Das
haben wir zwar, aber wir müssen es auch beweisen. Und da steht uns
leider noch ein bisschen Rechenarbeit bevor.
Nehmen wir uns also eine darstellbare Zahl z = a+b i der Norm n
vor. Wenn es eine Zahl ist, die noch nicht in unserem „Katalog“
vorkommt, dann kann n keine Primzahl sein. Also gibt es einen
echten Primteiler p von n .
Ist p eine nicht darstellbare Primzahl, so wissen wir aus dem letz-
ten Kapitel, dass n dann das Produkt von p 2 mit einer darstellbaren
Zahl sein muss: n = p 2 (c 2 + d 2 ) . Mit gaußschen Zahlen sieht das
folgendermaßen aus:

(a + b i) (a − b i) = n = p 2 (c + d i) (c − d i)

198 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Daraus folgt, dass weder a +b i noch a −b i Primelemente sein können,
weil das Produkt auf der linken Seite keine eindeutige Zerlegung
von n liefert (wenn nicht n = p 2 gilt). Wir können festhalten: Nur
die bereits aufgezählten Primelemente können als Teiler der Norm
eine nicht darstellbare Primzahl haben.
Es verbleibt der Fall, dass p darstellbar ist, also p = c 2 + d 2 .
Wenn wir zeigen können, dass dann n das Produkt von p mit einer
darstellbaren Zahl ist, dann können wir mit demselben Argument
wie eben folgern, dass z kein Primelement ist.
Jetzt die avisierte Rechnerei:

(a 2 + b 2 )c 2 − a 2 (c 2 + d 2 ) = b 2 c 2 − a 2 d 2
= (b c − ad) (b c + ad)

Da n = a 2 + b 2 durch p = c 2 + d 2 teilbar ist, sind die beiden Sum-


manden links beide durch p teilbar. Also ist auch das Produkt rechts
durch p teilbar. Da p eine Primzahl ist, muss p einen der Faktoren
teilen.
Nun teilen wir die Arbeit auf. Ich behandle den Fall, dass p den
Faktor b c − ad teilt, und überlasse Ihnen den anderen Fall, den man
ähnlich abfackeln kann.
Zuerst schreibe ich eine Gleichung auf:

(a 2 + b 2 ) (c 2 + d 2 ) = (ac + b d) 2 + (ad − b c) 2

Von der Korrektheit dieser Formel kann man sich durch einfa-
ches Nachrechnen (Ausmultiplizieren) überzeugen. Sie hat den etwas
pompösen Namen Brahmagupta-Fibonacci-Identität und ist damit be-
nannt nach einem im 7. Jahrhundert tätigen indischen Mathematiker
und einem Italiener, der im 13. Jahrhundert aktiv (und von Beruf
Rechenmeister) war. Und sie ist ein weiteres Beispiel dafür, dass man
in der Mathematik gerne Dinge nach alten Heroen benennt, um
ihnen ein Denkmal zu setzen, dass es aber nicht unbedingt immer
die Richtigen trifft. Diese Formel war beispielsweise Diophantos
schon ungefähr ein halbes Jahrtausend vor Brahmagupta bekannt

F Ü N F Z E H N TAU S E N D S E I T E N 199
und hätte eigentlich nach ihm benannt sein sollen. Aber ich schweife
wieder ab. . .
Da p sowohl die linke Seite dieser Identität als auch (ad − b c) 2
teilt, muss p auch (ac + b d) 2 teilen. Und weil p eine Primzahl ist, ist
das Quadrat (ac + b d) 2 sogar durch p 2 teilbar.
Die linke Seite der Identität ist np und folglich ebenfalls durch p 2
teilbar (denn nach Voraussetzung ist n durch p teilbar). Also kann
man die ganze Gleichung durch p 2 teilen und erhält:
 2  2
n a2 + b 2 ac + b d ad − b c
= 2 = +
p c + d2 p p

Entscheidend ist, dass nach unseren Überlegungen die beiden


Brüche ganze Zahlen sind. Rechts steht also eine Summe zweier
Quadrate. Multipliziert man die Gleichung noch mit p , dann ist man
am Ziel.

Jetzt sind Sie dran!


(Tipp: Vertauschen Sie in Diophantos’ Identität die Vorzeichen.)

200 PI UND DIE PRIMZAHLEN


ENDLICH PUNKTE ZÄHLEN!

Es ist vollbracht! Endlich sind die Vorbereitungen abgeschlossen und


wir können anfangen, Punkte zu zählen. Darum werde ich Sie jetzt
auch nicht weiter mit Anekdoten und Histörchen hinhalten; wir
gehen gleich in medias res.
Zur Erinnerung, weil es schon so lange her ist: Es geht um Punkte
mit ganzzahligen Koordinaten und um Kreise, deren Mittelpunkt
jeweils der Ursprung des Koordinatensystems ist. Die Anzahl solcher

Punkte auf dem Kreis mit dem Radius n hatten wir Pn genannt.
Ferner hatten wir die Bezeichnung Q n für ein Viertel von Pn einge-
führt, weil Pn wegen der erkennbaren Symmetrie durch vier teilbar
sein muss.
Unsere (bisher nicht bewiesene) Vermutung war, dass Q mn das
Produkt Q m Q n ist, wenn m und n teilerfremd sind. Und wir wissen
nun genug, um einzusehen, dass das wirklich stimmen muss. Nehmen
wir als Beispiel m = 25 und n = 13. Die folgende Grafik zeigt uns
P25 = 12 und P13 = 8.

Q mn = Q m Q n ist gleichbedeutend mit Pmn = Pm Pn /4 und 25 · 13


ist 325. Wir erwarten also P325 = 24. Und das stimmt auch:

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_24
(Die Grafik hat einen anderen Maßstab als die vorherige und ich
habe hier nur jede zehnte Gitterlinie gezeichnet.)
Wieso ist das so?
Wir hatten uns bereits überlegt, dass alle Produkte von Punkten
auf den beiden Ausgangskreisen Punkte auf dem großen Kreis erge-
ben müssen. (Mit „Produkten von Punkten“ meine ich natürlich die
Produkte der entsprechenden gaußschen Zahlen. Ich identifiziere
Punkte und gaußsche Zahlen im Folgenden einfach.) Aber bekom-
men wir auf diesem Wege auch alle Punkte auf dem großen Kreis
oder können dort auch welche liegen, die nicht solche Produkte sind?
Nein, das geht nicht. Wenn ein Punkt auf dem Kreis mit dem

Radius 325 liegt, dann entspricht ihm eine gaußsche Zahl z mit der
Norm 325. Als Produkt zweier teilerfremder Zahlen ist 325 weder
eine Primzahl noch das Quadrat einer Primzahl. Also wissen wir,
dass z kein Primelement ist.
Nach dem Fundamentalsatz können wir z als Produkt von Prim-
elementen darstellen: z = p1 p2 · · · p n . Die zugehörigen Normen
N (p1 ) bis N (p n ) sind entweder darstellbare Primzahlen oder Qua-
drate von nicht darstellbaren Primzahlen, deren Produkt 325 sein
muss. Nun kommt erneut zum Tragen, dass 325 ein Produkt von
teilerfremden Zahlen ist: Die Normen müssen sich fein säuberlich
zwischen den beiden Faktoren 25 und 13 aufteilen lassen. Es kann
nicht sein, dass eine Primzahl sowohl 25 als auch 13 teilt, denn sie
wäre ein gemeinsamer Teiler.
Darum müssen sich die Primelemente so in zwei Hälften aufteilen
lassen, dass sich z = w 1 w 2 ergibt, wobei N (w 1 ) = 25 und N (w 2 ) = 13
gilt. Und genau das wollten wir ja beweisen.

202 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Wir stellen nun eine Liste aller Zahlen auf dem ersten Kreis einer
Liste aller Zahlen auf dem zweiten Kreis gegenüber:
5 2 + 3i
5i
− 3 + 2i
−5

− 5i − 2 − 3i
3 + 4i
3 − 2i
− 4 + 3i
− 3 − 4i
3 + 2i
4 − 3i
4 + 3i − 2 + 3i

− 3 + 4i
− 3 − 2i
− 4 − 3i
3 − 4i 2 − 3i

Wir können jede Zahl links mit jeder Zahl rechts multiplizieren
und damit P25 · P13 = 12 · 8 Produkte bilden.
Allerdings werden nicht alle diese Produkte verschieden sein.
Ich habe in den Listen die assoziierten Zahlen jeweils durch Grau-
töne zusammengefasst. Innerhalb dieser „Familien“ entsteht jede
Zahl durch Multiplikation der über ihr stehenden mit i. Bei Multi-
plikationen zwischen denselben zwei Familien ergeben sich immer
Gruppen von vier Produkten, die gleich sind. Eine davon habe ich
durch Verbindungslinien angedeutet. Zum Beispiel gilt:

z = (3 + 4i) · (3 − 2i) = i · (3 + 4i) · i−1 · (3 − 2i)


= (−4 + 3i) · (−2 − 3i)

Wir müssen also die Anzahl der theoretisch möglichen Produkte


auf jeden Fall durch vier dividieren, um die Anzahl der tatsächlich
verschiedenen Produkte zu erhalten.
Aber kann es nicht noch weitere Paare von Produkten geben, die
„zufällig“ gleich sind? Nein:

ENDLICH PUNK TE ZÄHLEN! 203


– Bildet man andere Produkte als diese vier mit denselben beiden
Familien, dann unterscheiden die sich von dem Produkt z oben
durch einen der Faktoren i, −1 oder −i. (Aus 4 · 4 möglichen
Produkten werden also 4.)

– Und multipliziert man beispielsweise 3 + 4i mit einer Zahl, die


nicht mit 3−2i assoziiert ist, dann kann nicht z herauskommen,
weil man sonst zwei verschiedene Darstellungen von z hätte,
die dem Fundamentalsatz der Arithmetik widersprächen.

Unsere vor gut 100 Seiten aufgestellte Hypothese ist also korrekt!

Das bedeutet, dass wir für das Zählen der Punkte die folgende Stra-
tegie wählen können: Um Q n zu ermitteln, zerlegen wir n zunächst
in Primfaktoren.
nm
n = p1n1 · p2n2 · · · · · p m

(Das ist natürlich so gemeint, dass die Primzahlen p1 , p2 , p3 und so


weiter alle verschieden sein sollen.) Dann rechnen wir Q p1n1 , Q p2n2
etc. für jeden Faktor einzeln aus und multiplizieren die Ergebnisse
alle miteinander. Erlaubt ist dieses Vorgehen, weil unsere Hypothese
über die teilerfremden Faktoren gerade bestätigt wurde.
Für den Fall, dass das eben zu viele verwirrende Indizes waren,
demonstriere ich das noch mal einem Beispiel.

(i) Wir wollen Q n für n = 127 050 643 720 berechnen.

(ii) Wir zerlegen n in Primfaktoren:

127 050 643 720 = 23 · 5 · 74 · 112 · 13 · 292

(iii) Jemand hat für die auftretenden Potenzen schon die entspre-
chenden Punkte gezählt:

k 23 5 74 112 13 292

Qk 1 2 1 1 2 3

204 PI UND DIE PRIMZAHLEN


(iv) Wir multiplizieren: Q n = 1 · 2 · 1 · 1 · 2 · 3 = 12.

(v) Auf dem riesengroßen Kreis mit dem Radius n ≈ 356442
liegen nur magere 4 · 12 = 48 Punkte. . .

Das ist jedenfalls die Idee. Und hier gleich die Entwarnung: Nicht
im Traum fiele es uns faulen Mathematikern ein, solche Werte tat-
sächlich auszurechen! Uns reicht die Gewissheit, dass es so klappen
würde. Wir wollen eine allgemeine Formel haben und keine konkre-
ten Zahlen.
Der verbleibende Haken an der Sache ist Punkt (iii). Damit alles
wie geplant funktioniert, müssen wir noch Formeln finden, mit
deren Hilfe wir Q p k beziehungsweise Pp k berechnen können, wenn
p eine Primzahl ist.
Es liegt nahe, dass dabei die Klassifikation aus dem letzten Kapitel
hilfreich sein wird. Mit anderen Worten: Es wird sich herausstellen,
dass wir für unterschiedliche „Typen“ von Primzahlen p unterschied-
liche Formeln für Pp k erhalten werden. Zum Glück sind wir bei der
Katalogisierung nur auf drei Kategorien gekommen. Die behandeln
wir alle im nächsten Kapitel.

ENDLICH PUNK TE ZÄHLEN! 205


DOMINOEFFEKTE

Dominosteine kamen schon im ersten Akt unserer Geschichte vor


und nun treten sie erneut auf. Sie haben sicher schon mal einen spek-
takulären Dominoeffekt gesehen, bei dem durch das Antippen eines
Steins eine Kettenreaktion ausgelöst wird, die sehr viele, manchmal
Millionen, weiterer Dominosteine zu Fall bringt. Damit das passiert,
müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens müssen die Steine so
aufgestellt worden sein, dass jeder Stein beim Umkippen einen wei-
teren anstößt. Und zweitens muss der Prozess durch das Umkippen
des ersten Steins initiiert werden.
Das gibt es auch in der Mathematik. Dort heißt es vollständige
Induktion. Den Begriff halten manche Mathematiker allerdings für
irreführend; zumindest ist er erklärungsbedürftig. Die Mathematik
ist seit der Antike eine deduktive Wissenschaft: Ihre Ergebnisse wer-
den durch logische Schlüsse aus Axiomen hergeleitet, die als wahr
angenommen werden. Wenn man beispielsweise die Axiome Euklids
akzeptiert, so folgt aus diesen zwingend der Satz des Pythagoras.
Man braucht keine empirische Bestätigung des Theorems mehr.
Im Gegensatz dazu arbeiten die Naturwissenschaften mit Induk-
tion. Übertrieben flapsig ausgedrückt schauen die Physiker ein paar
Äpfeln dabei zu, wie sie vom Baum fallen, und bauen auf der Ba-
sis dieser Beobachtungen eine Theorie der Gravitation auf. Das ist
ein abstrahierender Schluss von einigen wenigen Phänomenen auf
allgemeingültige Gesetze.
Bei der vollständigen Induktion, um die es hier geht, findet aber
kein induktiver Schluss in diesem Sinne statt. Es handelt sich um

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_25
ein deduktives Verfahren, dessen Gültigkeit aus den Axiomen der
Arithmetik folgt, also aus den allseits akzeptierten Eigenschaften der
natürlichen Zahlen.

Obwohl viele Studenten anfangs Schwierigkeiten mit der techni-


schen Umsetzung haben, ist die Idee der vollständigen Induktion
eigentlich ganz einfach. Es handelt sich um einen Dominoeffekt mit
unendlich vielen Dominosteinen. Um zu beweisen, dass alle natür-
lichen Zahlen eine bestimmte Eigenschaft haben, zeigt man zwei
Dinge, die den beiden Bedingungen von oben entsprechen:

– Hat eine Zahl n die Eigenschaft, dann hat n + 1 sie auch.


(Die Steine stehen dicht genug beisammen.)

– Die Zahl eins hat die Eigenschaft.


(Der erste Stein wird angestoßen.)

Dadurch wird eine unendliche Kaskade ausgelöst, die alle natürlichen


Zahlen „mitreißt“.
Schauen wir uns ein Beispiel an. Im Kapitel über modulare Arith-
metik hatte ich gefragt, ob die Zahl 51 000 000 000 + 3 durch vier teilbar
ist. Ist sie. Tatsächlich ist sogar jede Zahl der Form 5n + 3 durch vier
teilbar, wenn n irgendeine natürliche Zahl ist.
Man kann das ohne modulare Arithmetik mit vollständiger In-
duktion beweisen. Zuerst der sogenannte Induktionsschritt (der dafür
sorgt, dass die Steine eng genug stehen): Wir müssen zeigen, dass
5n+1 + 3 durch vier teilbar ist, wenn 5n + 3 durch vier teilbar ist.
Wegen der angesprochenen technischen Schwierigkeiten wieder-
hole ich es noch mal mit anderen Worten: Wir setzen voraus, dass
5n + 3 durch vier teilbar ist. (Das ist die sogenannte Induktionsvoraus-
setzung oder -annahme.) Wir wollen beweisen, dass 5n+1 + 3 durch
vier teilbar ist. Ich glaube, dass viele damit Probleme haben, weil sie
an dieser Stelle meinen, wir setzten bereits das voraus, was wir erst
noch beweisen wollen. Das stimmt allerdings nicht. Wir setzen nicht
etwa voraus, dass 5n + 3 für jedes n durch vier teilbar ist. Wir setzen

208 PI UND DIE PRIMZAHLEN


das lediglich für ein beliebiges festes n voraus. Und dementsprechend
wollen wir auch nur für dieses eine n beweisen, dass 5n+1 + 3 durch
vier teilbar ist.
Wenn das klar ist, ist der Rest eine einfache Umformung:

5n+1 + 3 = 5 · 5n + 3 = (4 + 1) · 5n + 3 = 4 · 5n + (5n + 3)

Rechts steht eine Summe. Der erste Summand ist wegen des
Faktors vier durch vier teilbar. Der zweite Summand ist nach Induk-
tionsvoraussetzung durch vier teilbar. Also ist die Summe ebenfalls
durch vier teilbar. Fertig!
Jetzt fehlt nur noch der Induktionsanfang: das Anstoßen des
ersten Steins. Wir müssen uns überzeugen, dass 51 + 3 durch vier
teilbar ist. Das ist aber nun wirklich ein Kinderspiel, weil das einfach
die Zahl acht ist, und die ist natürlich durch vier teilbar. Das war
schon der ganze Induktionsbeweis!

Auf den nächsten Seiten werden wir die Technik der vollständi-
gen Induktion mehrfach einsetzen. Wie bisher auch werde ich dabei
nicht streng nach Vorschrift vorgehen, aber Sie werden das Grund-
prinzip erkennen können. Ich werde den Induktionsanfang zeigen
und exemplarisch („Beweis durch Beispiel“) den Induktionsschritt
andeuten. Wenn Sie wollen, können Sie dann selbst daraus einen
formal korrekten Beweis machen.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann hätte ich auf den vorheri-
gen Seiten eventuell schon öfter einen Induktionsbeweis verwenden
sollen, habe mich dann aber mit „und so weiter“ oder einer ähnlichen
Formulierung aus der Affäre gezogen. Vielleicht blättern Sie ja mal
zurück und zählen meine Sünden.

DOMINOEFFEK TE 209
Übrigens sah die Summenformel, die sich der neunjährige Gauß
überlegt hat, folgendermaßen aus:

n · (n + 1)
1+2+3+···+n =
2
Beweisen Sie diese Formel mit vollständiger Induktion.

Wieder zurück zu den Punkten. Das wird gleich zum ersten Pseudo-
Induktionsbeweis führen. Wir waren auf der Suche nach einer Formel
für Pp k für den Fall, dass p eine Primzahl ist. Und wir fangen mit
den 4n + 1-Primzahlen an. Wir wissen bereits, dass Pp in diesem Fall
acht ist. Das ist schon der Induktionsanfang.
Wie es weitergeht, sehen wir am Beispiel p = 5:

Die drei Kreise gehören zu den Normen 5, 25 und 125. Es sieht so


aus, als erhöhte sich die Anzahl der Punkte mit jeder Potenz um vier.
Und das stimmt auch. Die Formel sieht für ungerade darstellbare
Primzahlen also so aus:

Pp k = 4(k + 1)

Wir müssen natürlich noch begründen, warum es in jedem Schritt


vier Zahlen mehr werden. Die acht Zahlen auf dem Kreis mit dem

Radius p , die es am Anfang gibt, zerfallen in zwei Familien von
miteinander assoziierten Zahlen. Wir können sie also so benennen:

z1 iz 1 − z1 − iz 1 z2 iz 2 − z2 − iz 2

Die Zahlen auf dem zweiten Kreis (mit dem Radius p ) ergeben
sich durch alle möglichen Produkte dieser acht Zahlen miteinander.

210 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Das sind theoretisch 64 Produkte, die hier in tabellarischer Form
versammelt sind:

· z1 iz 1 −z 1 −iz 1 z2 iz 2 −z 2 −iz 2
z1 z 12 iz 12 −z 12 −iz 12 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2
iz 1 iz 12 −z 12 −iz 12 z 12 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2
−z 1 −z 12 −iz 12 z 12 iz 12 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2
− iz 1 −iz 12 z 12 iz 12 −z 12 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2
z2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z 22 iz 22 −z 22 −iz 22
iz 2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 22 −z 22 −iz 22 z 22
−z 2 −z 1 z 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 22 −iz 22 z 22 iz 22
−iz 2 −iz 1 z 2 z1 z2 iz 1 z 2 −z 1 z 2 −iz 22 z 22 iz 22 −z 22

Schaut man scharf hin, so sieht man, dass aber nur zwölf ver-
schiedene Zahlen entstehen. Das sind die grau hinterlegten Werte.
Jeweils vier untereinanderstehende (und assoziierte) Zahlen wieder-
holen sich versetzt in den drei Spalten dahinter. Das liegt offenbar
daran, dass die Faktoren in den Spaltenüberschriften immer durch
Multiplikation mit Einheiten aus ihren Vorgängern entstehen.
Und der gesamte linke untere Block (ein Viertel) der Tabelle
taucht exakt so rechts oben noch mal auf. Das ist eine Symmetrie,
die sich aus der Kommutativität der Multiplikation ergibt: z 1 z 2 und
z 2 z 1 sind identisch.
Damit ist erklärt, warum in der Tabelle maximal zwölf unter-
schiedliche Zahlen stehen. Wir haben aber noch keine Begründung
dafür, dass diese zwölf auch wirklich alle verschieden sind. Klar ist,
dass jeweils vier der zwölf Zahlen assoziiert sind. Die können natür-
lich nicht gleich sein. Aber könnte nicht beispielsweise z 12 = z 22 oder
z 12 = iz 1 z 2 gelten?

Was meinen Sie?

Nein, diese Produkte können nicht gleich sein, weil z 1 und z 2


verschieden sind und wir dann auf zwei unterschiedliche Darstellun-
gen derselben Zahl kämen, die dem Fundamentalsatz der Arithmetik
widersprächen.

DOMINOEFFEK TE 211
Soweit mein angedeuteter Induktionsschritt. Ich zeige Ihnen aber
zum Abschluss noch die Tabelle für den nächsten Kreis, damit Sie
das Argument vervollständigen können.

· z1 iz 1 −z 1 −iz 1 z2 iz 2 −z 2 −iz 2
3 3 3 3
z 12 z1 iz 1 −z 1 −iz 1 z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 12 z 2 −iz 12 z 2
3 3 3 3
iz 12 iz 1 −z 1 −iz 1 z1 iz 12 z 2 −z 12 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2
3 3 3 3
−z 12 −z 1 −iz 1 z1 iz 1 −z 12 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 12 z 2
3 3 3 3
−iz 12 −iz 1 z1 iz 1 −z 1 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 12 z 2
z1 z2 z 12 z 2 2
iz 1 z 2 2
−z 1 z 2 −iz 12 z 2 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22
iz 1 z 2 iz 12 z 2 −z 12 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22
−z 1 z 2 −z 12 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22
−iz 1 z 2 −iz 12 z 2 z 12 z 2 iz 12 z 2 −z 12 z 2 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22
3 3 3 3
z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z2 iz 2 −z 2 −iz 2
3 3 3 3
iz 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 2 −z 2 −iz 2 z2
3 3 3 3
−z 22 −z 1 z 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 2 −iz 2 z2 iz 2
3 3 3 3
−iz 22 −iz 1 z 22 z 1 z 22 iz 1 z 22 −z 1 z 22 −iz 2 z2 iz 2 −z 2

Diese Tabellen sehen vielleicht auf den ersten Blick so aus, als
hätte Mathematik doch etwas mit Buchhaltung zu tun. Aber wenn
Sie mitgedacht haben, haben Sie bemerkt, dass es eigentlich mal
wieder um das Erkennen von Mustern ging.

Für die anderen beiden Kategorien werden keine Tabellen benötigt.


Wir werden mit ein paar Skizzen auskommen und müssen uns le-
diglich daran erinnern, wie man die Multiplikation mit bestimmten
gaußschen Zahlen geometrisch interpretieren kann.
Fangen wir mit den nicht darstellbaren Primzahlen an. Ist p
so eine, dann wissen wir bereits, dass auf den Kreisen, die zu den
Normen p , p 3 , p 5 und so weiter gehören, überhaupt keine Punkte
liegen. Wir wissen auch, dass auf dem Kreis zur Norm p 2 vier Punkte
liegen (das ist unser Induktionsanfang) und können die Punkte sogar
explizit benennen: Es sind die gaußschen Zahlen p , p i, −p und −p i.
Wie geht es weiter? Exemplarisch sind hier die Punkte auf den
Kreisen mit den Radien 3, 32 und 33 dargestellt.

212 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Können Sie sich zusammenreimen, was da passiert?

Augenscheinlich sind es unabhängig von der Größe des Kreises


immer vier Punkte, die auch immer auf den vier Achsen liegen. Wo-
ran liegt das? Das lässt sich ganz einfach erklären. Die Punkte auf
dem zweiten Kreis entstehen durch Multiplikation zweier Punkte
des ersten Kreises. Jeder dieser Punkte „zeigt“ aber in eine Richtung,
die ein Vielfaches von 90 Grad ist: 0◦ , 90◦ , 180◦ oder 270◦ . Und eine
Multiplikation mit einem dieser Punkte entspricht einer Drehung
um den entsprechenden Winkel. Es können also nur wieder Punkte
herauskommen, die ebenfalls in eine Richtung zeigen, die ein Vielfa-
ches von 90 Grad ist. Davon gibt es nur vier, also können sich auch
nur maximal vier Produkte ergeben.
Und dass es auch tatsächlich vier verschiedene Produkte gibt, sollte
offensichtlich sein. Dafür muss man nur eine Zahl festhalten und
mit allen vier multiplizieren. Ich schlage vor, wir belassen es auch
hier bei einem unvollständigen „Induktionsschritt“ und Sie machen
daraus wieder einen richtigen Beweis, wenn Sie Lust dazu haben.
Wir halten fest: Ist p eine nicht darstellbare Primzahl, so sieht
die Formel für die Anzahl der Punkte folgendermaßen aus:



⎨4
⎪ wenn k gerade ist
Pp k =

⎪0 wenn k ungerade ist

Was fehlt noch? Der Sonderfall der Primzahl zwei. Fangen wir
gleich mit einer Skizze an:

DOMINOEFFEK TE 213
Das sind die Kreise zu den Normen 2, 4, 8 und 16. Außer der
Grafik liefere ich dazu nur eine Beweisskizze, die Sie sicher selbst
mit Leben füllen können. Ich weise lediglich darauf hin, dass zu den
Punkten immer Winkel gehören, die Vielfache von 45 Grad sind.
Und dass es im inneren Kreis nur ungerade Vielfache sind, im zweiten
nur gerade, im dritten wieder nur ungerade und so weiter.

Mehr Hilfe brauchen Sie nicht, oder?

Der Vollständigkeit halber schreibe ich noch die fehlende Formel


auf, die einfacher nicht sein könnte:

P2k = 4

Mit unserem jetzigen Informationsstand hätten wir die Tabelle


auf Seite 204 auch selbst erstellen können.

214 PI UND DIE PRIMZAHLEN


NOCH EINE HYPOTHESE

Wir wissen nun, wie wir die Anzahl der Punkte auf einem gegebenen
Kreis ausrechnen können. Ich fasse unsere Erkenntnisse für Q n (das
ist für das weitere Vorgehen praktischer als Pn ) noch mal zusammen:

(i) Für Primzahlen p gilt:




⎪ 1 p=2




⎨k + 1
⎪ p = 4n + 1
Q pk =

⎪ 0 p = 4n + 3 und k gerade





⎪1 p = 4n + 3 und k ungerade

(ii) Für teilerfremde Zahlen m und n gilt:

Q mn = Q m Q n

Damit können wir Q n zwar immer berechnen, aber es ist noch nicht
die Darstellung, die uns zu der angestrebten π -Formel verhelfen wird.
Ich könnte Ihnen jetzt einfach sagen, wie es weitergeht. Es bietet
sich für Sie jedoch ein letztes Mal die Gelegenheit, selbst eine Hypo-
these zu formulieren. Und die wollen wir natürlich nicht verstreichen
lassen.
Man kann Q n anhand eines vergleichsweise einfachen Systems
herausbekommen, wenn man sich die Liste aller Teiler von n an-
schaut. Damit meine ich sowas wie das hier:

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_26
n Qn Teiler
1 1 1
5 2 1|5
25 3 1|5|25
125 4 1|5|25|125
65 4 1|5|13|65
845 6 1|5|13|65|169|845
1105 8 1|5|13|17|65|85|221|1105
130 4 1|2|5|10|13|26|65|130
500 4 1|2|4|5|10|20|25|50|100|125|250|500
15 0 1|3|5|15
49 1 1|7|49
45 2 1|3|5|9|15|45
180 2 1|2|3|4|5|6|9|10|12|15|18|20|30|36|45|60|90|180
1125 4 1|3|5|9|15|25|45|75|125|225|375|1125
2025 3 1|3|5|9|15|25|27|45|75|81|135|225|405|675|2025

Dort stehen nicht irgendwelche Zahlen, sondern ich habe diese


in wohlmeinender didaktischer Absicht ausgewählt und angeordnet.
Außerdem sollten Sie genau hinschauen, weil einige Teiler suggestiv
durch Fettdruck hervorgehoben wurden, während andere absichtlich
ausgegraut sind.

Erkennen Sie ein Muster?

Mir schwebte das folgende Muster vor:

Q n ergibt sich als Anzahl der Teiler von n der Form 4k + 1


abzüglich der Anzahl der Teiler von n der Form 4k + 3. (Alle
geraden Teiler werden ignoriert.)

Das war auch Ihre Idee? Cool! (Sie hatten diese Idee nicht? Macht
nichts. Aber vielleicht überprüfen Sie anhand der obigen Liste dann
noch mal, ob die Hypothese zumindest zu den Beispielen passt.)
Wie beweist man nun, dass man mit dieser Regel immer Q n
berechnen kann? Ich biete Ihnen dafür einen Beweis als „Baukasten“
an. Entweder überzeugen die Ideen auf den folgenden Seiten Sie schon

216 PI UND DIE PRIMZAHLEN


von der Korrektheit der Hypothese oder Sie können sich daraus eine
vollständige Begründung zusammenbasteln.
Baustein Nummer eins: Ist n die Potenz einer ungeraden darstell-
baren Primzahl, dann stimmt die Aussage offensichtlich. Das sieht
man zum Beispiel an den Zahlen 1, 5, 25 und 125 in der Tabelle.
Baustein Nummer zwei: Ist n das Produkt zwei teilerfremder Zah-
len, dann sind die Teiler von n die Produkte der Teiler der Faktoren.
Dazu zunächst das kleine Beispiel 100 = 4 · 25.
· 1 5 25
1 1 5 25
2 2 10 50
4 4 20 100

Und dann noch das etwas größere 2700 = 27 · 100.


· 1 2 4 5 10 20 25 50 100
1 1 2 4 5 10 20 25 50 100
3 3 6 12 15 30 60 75 150 300
9 9 18 36 45 90 180 225 450 900
27 27 54 108 135 270 540 675 1350 2700

Dieser Baustein passt perfekt zur Regel (ii) von oben.


Baustein Nummer drei: Multipliziert man mit einer Potenz von
zwei, dann kommen zu den vorhandenen nur noch gerade Teiler
hinzu. Das sieht man auch an dem Beispiel 100 = 4 · 25, das wir
gerade hatten – die „interessanten“ Teiler stehen alle in der ersten
Zeile. Und es passt auch prima, da Q 2k immer eins ist.
Für Baustein Nummer vier krame ich noch mal unsere inzwi-
schen uralte Multiplikationstabelle modulo vier hervor, allerdings in
minimaler Form. Die unwichtigen geraden Reste habe ich gleich weg-
gelassen, damit wir uns darauf konzentrieren können, was passiert,
wenn man ungerade Zahlen multipliziert.
· 1 3
1 1 3
3 3 1

Solange man nur Zahlen der Form 4k + 1 miteinander multipli-


ziert, kommen wieder solche heraus. Ist m jedoch eine Zahl der Form

N O C H E I N E H Y P OT H E S E 217
4k + 3, so haben die Potenzen m , m 2 , m 3 und so weiter abwechselnd
die Reste drei und eins. Bei „gemischter“ Multiplikation „gewinnt“
immer der Rest drei. Dazu ein konkretes Beispiel, bei dem die Zahlen
der Form 4k + 3 wieder fett gedruckt wurden:
· 1 5 25
1 1 5 25
3 3 15 75
9 9 45 225
27 27 135 675

Auch hier passt alles wie die Faust aufs Auge und mehr Bausteine
braucht man nicht. Ich hoffe, das Muster leuchtet auch Ihnen ein.

Was machen wir damit jetzt? Für die ersten 25 Zahlen habe ich auf
der gegenüberliegenden Seite tabellarisch dargestellt, wie Q n jeweils
berechnet wird.
Sie können beispielsweise entlang der Zeile für n = 15 wandern
und lesen dort ab: plus, minus, plus, minus. Also ist Q 15 null. Oder
in der Zeile für Q 13 : plus, plus – also zwei.
Das sieht allerdings mühsam und nicht sehr zielführend aus. Der
Nebel wird sich jedoch gleich lichten. Wir werden ein letztes Mal
den Blickwinkel wechseln. Unser vor langer Zeit gefasster Plan war,
π durch das Aufsummieren der Punktzahlen anzunähern. (Das war
auf Seite 82, falls Sie noch mal nachschauen wollen.) Wenn wir es
mit Q n ausdrücken, dann sieht unsere Approximationsformel für
ein Viertel (!) von π so aus:
Q1 + Q2 + Q3 + · · · + Qn
n
Für n = 25 müssen wir also die Werte in der letzten Spalte der
großen Tabelle addieren. (Da kommt 20 heraus, aber das ist im
Moment nicht wichtig.) Das ist die Anzahl sämtlicher Pluszeichen
abzüglich der Anzahl aller Minuszeichen.
Aber wer sagt uns, dass wir so zählen müssen, wie ich Ihnen das
eben einreden wollte? Wir arbeiten stattdessen spaltenweise! Wenn
man diese Sichtweise eingenommen hat, sieht man sofort zwei Dinge:

218 PI UND DIE PRIMZAHLEN


n 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 Q n
1 1
2 1
3 0
4 1
5 2
6 0
7 0
8 1
9 1
10 2
11 0
12 0
13 2
14 0
15 0
16 1
17 2
18 1
19 0
20 2
21 0
22 0
23 0
24 0
25 3

N O C H E I N E H Y P OT H E S E 219
– In den Spalten stehen entweder nur Plus- oder nur Minuszei-
chen, und zwar abwechselnd.

– In der Spalte zur Zahl m steht in jeder m -ten Zeile ein Zeichen.

Damit lässt sich die Anzahl der Zeichen ganz einfach berechnen:
Wir teilen (in unserem Beispiel) 25 durch m und runden gegebenen-
falls ab. In der Spalte für die Fünf stehen 25/5 = 5 Pluszeichen. Das
ist schon der richtige Wert. Um die Anzahl der Minuszeichen für
die Neuner-Spalte zu bekommen, teilen wir 25 durch 9 – das ergibt
ungefähr 2,8 – und runden auf zwei ab.
Für das Abrunden gibt es in der Mathematik zwei Schreibweisen.
Die ältere geht auf Gauß zurück und wird daher Gaußklammer
genannt. Man schreibt [x] für die Zahl, die man durch Abrunden
von x erhält. Wir haben also [5] = 5 und [25/9] = 2. Eine neuere,
inzwischen aber weiter verbreitete Schreibweise sieht so aus: x .
Die werde ich für die restlichen Seiten des Buches auch verwenden.
Aber das ist nur ein technisches Hilfsmittel, das uns nicht davon
ablenken sollte, dass wir den letzten großen Schritt in unserer Un-
ternehmung gemacht haben. Wir sind mit dem Zählen der Punkte
endlich fertig und haben das hier erreicht:

n n n n n
Q1 + · · · + Qn = − + − +···±
1 3 5 7 n

Hätten Sie das erwartet? Ich finde diese Formel überraschend


und erstaunlich. Lediglich die eckigen Abrundungszeichen stören
etwas. Unser letztes Ziel wird sein, die Formel durch das Entfernen
derselben richtig „rund“ zu machen.

220 PI UND DIE PRIMZAHLEN


VON FRÖSCHEN UND MÄUSEN

Luitzen Egbertus Jan Brouwer wurde von seinen Freunden Bertus


genannt. Aber so viele Freunde hatte er wohl nicht. Von einem Bio-
graphen wurde er mal als „stolzer und isolierter Vulkan“ bezeichnet.
Und obwohl er ein bedeutender Mathematiker war und der nach ihm
benannte Fixpunktsatz eine wichtige Rolle in der Topologie spielt,
ist er hauptsächlich durch einen jahrelangen Konflikt in Erinnerung
geblieben, den der am Rande involvierte Albert Einstein als Krieg
zwischen Fröschen und Mäusen bezeichnet hat. (Natürlich waren
damals alle Beteiligten klassisch gebildet. Der Froschmäusekrieg ist
keine Erfindung Einsteins, sondern eine späthellenistische Parodie
auf die homerischen Epen.)
Soweit es darum geht, dass sich Mathematiker nicht immer mit
Ruhm bekleckern, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, steht
dieser „Krieg“ dem Prioritätsstreit zwischen Leibniz und Newton in
nichts nach.
Bevor die Nazis den Wissenschaftsstandort Deutschland zerstör-
ten, war die Universität Göttingen das Weltzentrum der Mathematik
gewesen. Und an der Spitze stand unangefochten David Hilbert. (Das
war der mit der Badeanstalt.) Hilbert war ein Verfechter der mathe-
matischen Moderne. In der Kontroverse zwischen Cantor und Krone-
cker hatte er sich auf die Seite Cantors geschlagen. Und sein sogenann-
ter Formalismus hat sich als die dominierende Sichtweise in der heu-
tigen Mathematik durchgesetzt. Sie besagt, vereinfacht ausgedrückt,
dass mathematische Objekte dann existieren, wenn man sie sich vor-
stellen kann, ohne dass es dabei zu logischen Widersprüchen kommt.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_27
Hilbert und der etwa zwanzig Jahre jüngere Brouwer hatten sich
zunächst gut verstanden. Das änderte sich jedoch, als Brouwer eine
Gegenposition zum Formalismus entwickelte, den Intuitionismus,
und damit so etwas wie eine Wiedergeburt Kroneckers wurde. Brou-
wer wollte nur mathematische Objekte anerkennen, für die es eine
„Bauanleitung“ gab. Man musste sie nicht nur denken, sondern auch
konstruieren können. Ironischerweise hielt Brouwer deswegen sogar
seine eigenen topologischen Resultate aus seiner Jugendzeit, die ihn
bekannt gemacht hatten, für gegenstandslos.
Brouwer griff Hilberts Formalismus öffentlich und recht pole-
misch an und fand nach und nach ein paar Anhänger. Besonders
getroffen hat Hilbert, dass auch sein Lieblingsschüler Hermann Weyl
sich den Intuitionisten anschloss. (Weyl änderte seine Meinung aller-
dings später wieder.) Und das Fass zum Überlaufen brachte schließ-
lich ein Aufruf des Niederländers Brouwer an die deutschen Mathe-
matiker, den Internationalen Mathematikerkongress 1928 in Bologna
zu boykottieren. Daraufhin sorgte Hilbert dafür, dass Brouwer das
Herausgebergremium der Mathematischen Annalen – damals die welt-
weit angesehenste mathematische Fachzeitschrift – verlassen musste.
Ein beispielloser Eklat!
Auf weitere Details dieses Hickhacks will ich hier nicht eingehen,
schließe die Geschichte aber mit einer zweiten hübschen literarischen
Anspielung Einsteins ab. Einstein wollte mit der Sache eigentlich
nichts zu tun haben, gehörte aber auch zu den Herausgebern der
Annalen und konnte sich daher nicht einfach heraushalten. Er war
wohl eher auf Hilberts Seite, fand jedoch, man solle Brouwer nicht
den Mund verbieten. In einem Brief an Hilbert attestierte er Brouwer
zwar einerseits eine „nahe Verbindung von Genie und Wahnsinn“,
forderte aber auch: „Sire, geben Sie ihm Narrenfreiheit!“

Abgesehen davon, dass ich gerne Anekdoten erzähle, kommt Brou-


wers Intuitionismus gerade an dieser Stelle des Buches vor, weil ich
– um die Spannung zu steigern – kurz vor dem Ziel noch einmal die
philosophischen Zweifel an der Existenz von π aufgreifen will.

222 PI UND DIE PRIMZAHLEN


„Hast Du den Satz Mathe ist doof an die Tafel geschrieben oder
nicht?“ Wenn die Lehrerin Ihnen diese Frage stellt, dann ist die korrek-
te Antwort auf jeden Fall ja, denn entweder haben Sie’s geschrieben
oder Sie haben es nicht gemacht. Das ist jedenfalls der Standpunkt
der klassischen Logik, der als Tertium non datur („ein Drittes gibt es
nicht“) bezeichnet wird: eine Aussage ist wahr oder ihr Gegenteil ist
wahr, eine dritte Alternative kann es nicht geben.
Kürzen wir die Behauptung, der kleine Edmund habe den Satz
an die Tafel geschrieben, mit A ab. In der üblichen mathematischen
Interpretation bedeutet A∨ ¬A („ A oder nicht A“) dann, dass A oder
die Negation (das Gegenteil) von A wahr ist. Darum ist die Aussage
A ∨ ¬A nach dieser klassischen Sichtweise immer wahr.
Für Brouwers Intuitionisten bedeutet A jedoch, dass es einen
Beweis dafür gibt, dass der beschuldigte Schüler sich an der Tafel
zu schaffen gemacht hat. Und ¬A bedeutet, dass man die Schuld
des Schülers zweifelsfrei widerlegen kann. Es geht also nicht um die
Wahrheit, die man eventuell niemals herausfinden kann, sondern so-
zusagen darum, was vor Gericht Bestand hätte. Im Intuitionismus ist
A ∨ ¬A deshalb nicht immer wahr. (Genauer: nicht immer beweisbar.
Es geht ja gar nicht darum, was wahr ist.)

Und jetzt kommt π ins Spiel. Um seinen Standpunkt zu illustrieren,


„konstruierte“ Brouwer eine neue Zahl π̂ basierend auf der Dezimal-
darstellung von π nach den folgenden Regeln:

– Wenn nach n Nachkommastellen von π erstmals eine Fol-


ge von hundert aufeinanderfolgenden Nullen auftritt und n
gerade ist, dann sollen die ersten n Stellen von π und π̂ über-
einstimmen, die n + 1-te Stelle von π̂ soll eins sein und danach
sollen nur noch Nullen folgen. ( π̂ ist dann größer als π .)

– Tritt der obige Fall hingegen für ein ungerades n ein, dann
sollen π und π̂ ebenfalls bis zur n -ten Stelle übereinstimmen,
danach sollen in der Darstellung von π̂ aber nur noch Nullen
folgen. (Dann ist π̂ kleiner als π .)

V O N F R Ö S C H E N U N D M ÄU S E N 223
– Falls es in der Dezimaldarstellung von π niemals eine Sequenz
von hundert Nullen gibt, soll π̂ einfach π sein.

π = 3,141592 . . . . . . 85072713026788405929000000 . . .
π̂ = 3,141592 . . . . . . 85072713026788405929 ?

Welcher Fall kann nicht eintreten, wenn π normal ist?

Die längste Sequenz von Nullen, die bisher mit Computerhilfe


in den Nachkommastellen von π gefunden wurde, dürfte meines
Wissens aus nicht viel mehr als einem Dutzend Nullen bestehen.
Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass wir nie-
mals erfahren werden, an welcher Stelle zum ersten Mal eine Folge
von hundert Nullen auftritt. (Aber wenn Ihnen diese Prognose zu
gewagt erscheint, dann nehmen Sie eine Million Nullen oder die
gesammelten Werke des vorhin persiflierten Schiller.)

In mathematischen Beweisen wird das Tertium non datur häufig


angewandt. Das könnte beispielsweise so aussehen, dass man es mit
einer reellen Zahl r zu tun hat, deren Wert man nicht kennt. Man
macht dann vielleicht eine Fallunterscheidung und sagt, dass entweder
r ≥ 0 oder r < 0 gilt, behandelt beide Fälle separat und führt
den Beweis jeweils zu einem glücklichen Ende. Dabei ist natürlich
ganz wesentlich, dass wir uns darauf verlassen, dass eine der beiden
Aussagen r ≥ 0 oder r < 0 wahr ist; und zwar unabhängig davon,
was wir über r wissen.
Was aber, wenn r die Zahl π̂ − π ist? Mindestens 99 von 100 heute
aktiven Mathematikern würden wohl mit den Schultern zucken und
entgegnen, dass das natürlich auch für diese Zahl gilt, weil jede reelle
Zahl entweder negativ oder eben nicht negativ ist.
Ein Intuitionist wird jedoch entgegnen, dass weder π̂ − π ≥ 0
noch π̂ − π < 0 bisher bewiesen wurden und der ganze Beweis daher
kein Beweis sei. Und selbst dann, wenn wir beispielsweise einen
Beweis für π̂ − π ≥ 0 hätten, würde das auch nichts ändern, weil es

224 PI UND DIE PRIMZAHLEN


unendlich viele andere reelle Zahlen gibt, von denen wir nichts bzw.
nicht genug wissen.
Aus intuitionistischer Sicht existiert π̂ gar nicht, zumindest nicht
als „vollendete“ Zahl. Und während in der modernen Sichtweise die
unendlich vielen Nachkommastellen von π „irgendwo da draußen“
vorhanden sind, wir bisher aber „nur“ 50 Billionen davon kennen, die
mit Computerhilfe ermittelt wurden, gibt es für eine Intuitionistin
nur diese 50 Billionen Nachkommastellen. Es wäre aus ihrer Sicht
sinnlos, über weitere Nachkommastellen zu sprechen, solange sie
nicht berechnet wurden.

Wie sehen Sie das?

V O N F R Ö S C H E N U N D M ÄU S E N 225
BUTTERKEKS

Als Leibniz starb, war er ein einsamer und armer Mann. Zu seiner
Beerdigung erschien niemand vom königlichen Hof, für den er meh-
rere Jahrzehnte gearbeitet hatte. Obwohl ältere Berichte über ein
Begräbnis „wie das eines Straßenräubers“, bei dem außer seinem
Sekretär niemand anwesend gewesen sei, etwas überdramatisiert sind,
so waren doch seine letzten Jahre auf jeden Fall wohl eher traurig
und seiner Bedeutung nicht angemessen.
Leibniz wird oft als letzter Universalgelehrter bezeichnet. Er
hatte ein genialisches Wesen und sprudelte geradezu über von Ideen,
die zu ihm kamen „wie Tiere im Morgengrauen“, wie es Georg von
Wallwitz mal hübsch formuliert hat. Die Mathematiker tun sich
schwer, ihn als einen der ihren zu vereinnahmen. Dafür war er intel-
lektuell zu sprunghaft und zu wenig gewillt oder in der Lage, lange
Zeit intensiv mit einem Thema zu verbringen und seine Ergebnisse
dann fein geordnet zu publizieren.
Trotzdem hat er – nicht nur durch die Differential- und Inte-
gralrechnung, die er stärker als Newton prägte – in der Mathematik
tiefe Spuren hinterlassen und viele Ideen lange vor ihrer Zeit gehabt.
Beispielsweise entwickelte er bereits um 1700 das Binärsystem, auf
dem heute – ein Vierteljahrtausend später – alle Computer basieren.
Auch „unsere“ π -Formel, die in diesem Kapitel nun endlich vor
uns stehen wird, hat er herausgefunden und sie trägt inzwischen sei-
nen Namen. (Mal wieder zu Unrecht. Bereits im 14. Jahrhundert war
die Formel dem indischen Mathematiker und Astronomen Madhava
bekannt. Davon wusste Leibniz aber natürlich nichts.)

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_28
Ob Leibniz allerdings stolz darauf gewesen wäre, der einzige Ma-
thematiker zu sein, nach dem ein Butterkeks benannt ist? Descartes
hat es da vielleicht ein bisschen besser erwischt.

Nach viel Algebra und Zahlentheorie sowie gelegentlichen Ausflü-


gen in die Geometrie kommt zum Schluss noch einmal die Analysis
zu ihrem Recht. Die Formel für die Summe der Q n , die wir heraus-
gearbeitet haben, ist eine exakte Formel für die Anzahl der Punkte.
Sie ist aber nur ein Zwischenschritt zu einer Näherungsformel für π ,
um die es ja die ganze Zeit ging.
Zur Erinnerung: Unsere Idee war, dass die Näherung immer bes-
ser wird, wenn n nur groß genug ist. Das wird uns etwas Spielraum
geben, um die Abrundungszeichen loszuwerden. Hier ist unser Aus-
gangspunkt, der für wachsendes n eine immer bessere Approximation
von π/4 liefern wird:
 2 2 2 2 
1 n2 n n n n
· − + − +···± 2
n2 1 3 5 7 n

Gegenüber der Formel, die das vorletzte Kapitel abschloss, ha-


be ich zwei kleine Änderungen vorgenommen: Erstens habe ich n
durch n 2 ersetzt. Das wird unsere Berechnungen gleich komfortabler
gestalten. (Und es schadet sicher nicht, weil n 2 „erst recht“ groß
wird, wenn n groß wird.) Und zweitens teile ich durch n 2 . Das dür-
fen wir natürlich nicht vergessen, denn zu unserem Plan gehört ja
die Division durch das Quadrat des Kreisradius.

Gilt die obige Formel für alle n ?

In der Form, in der sie hier steht, gilt die Formel nur für un-
gerade n . (Weil die Nenner alle ungerade sind, müsste der letzte
Summand für gerade n anders aussehen.) Das war Ihnen sicher schon
auf Seite 220 aufgefallen, aber Sie waren zu höflich, mich deswegen
zu unterbrechen. Man könnte das umständlich reparieren, aber wir
einigen uns für die folgenden Seiten einfach darauf, dass n immer

228 PI UND DIE PRIMZAHLEN


ungerade sein soll, OK? Wir überspringen die geraden n also, um
uns etwas Schreibarbeit zu ersparen.

Nun aber die finalen Abschätzungen zur Verschönerung unserer


Formel. Im ersten Schritt ersetze ich den letzten Nenner durch n :
 2 2 2 2 2 
1 n n n n n
· − + − +···±
n2 1 3 5 7 n

Ich lasse also ganz frech ein paar der Summanden einfach weg.
(Nicht nur ein paar, sondern die große Mehrheit.) Wieso darf ich
das machen?
Schauen wir uns das am Beispiel n = 5 an, mit dem wir schon
gearbeitet haben. Wir brechen hinter 25/5 ab und lassen diesen
ganzen Teil unter den Tisch fallen:

25 25 25 25
− + − +···+
7 9 11 25

Das können wir exemplarisch auch mal ausrechnen:

− 3 + 2 − 2 + 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + 1 = −2

Die entscheidende Beobachtung ist, dass die Zahlen, die hier


addiert und subtrahiert werden, von links nach rechts auf jeden Fall
nicht größer werden. Es wird also immer etwas addiert, dann weniger
als das wieder subtrahiert, dann weniger als das wieder addiert und
so weiter. Wenn Sie das von rechts nach links lesen, dann sehen Sie,
dass jeder abgeschnittene Rest vom Betrag her maximal so groß sein
kann wie die Zahl direkt vor ihm. Schematisch (mit anderen Werten)
kann man sich das so vorstellen:

BUTTERKEKS 229
Im konkreten Fall heißt das, dass der entfernte Teil der Summe
allerhöchstens 25/5 ausmacht. (Es ist ja sogar deutlich weniger.)
Im allgemeinen Fall ist der Fehler durch das Abschneiden maximal
n 2 /n , also n . Aber wir teilen am Ende noch durch n 2 , d.h. der
Fehler im Näherungswert für π/4 ist auf keinen Fall größer als 1/n .
Da dieser Wert aber gegen null geht, wenn n immer größer wird,
war unser Vorgehen legitim und ändert nichts an der prinzipiellen
Korrektheit der Abschätzung.

Schließlich lassen wir einfach das Abrunden sein:


 2 
1 n n2 n2 n2 n2
· − + − + · · · ±
n2 1 3 5 7 n

Wie groß kann der Unterschied zwischen


x und x höchstens werden?

Für jeden einzelnen Summanden machen wir durch den Verzicht


auf das Abrunden einen Fehler, der nicht größer als eins sein kann.
Wegen des Vorzeichenwechsels werden sich diese Fehler teilweise
aufheben, aber wir gehen bei unserer Abschätzung wie schon einmal
vom worst case aus (der gar nicht eintreten kann), dass sich alle Fehler
addieren. Es gibt (n + 1)/2 Summanden, also ist der Fehler, den wir
machen, nicht größer als (n + 1)/2.
Wie eben wird aber noch durch n 2 geteilt. Das ergibt für den
Fehler (rechnen Sie nach):
n+1 n+n 1
≤ =
2n 2 2n 2 n
Das ist wieder ein Term, der mit wachsendem n gegen null geht.
Auch hier war unsere Umformung also gerechtfertigt.

Wie man die Summe jetzt noch weiter


vereinfachen kann, ist klar, oder?

Zum Schluss kürzen sich die ganzen n 2 -Zähler gegen den Vorfak-
tor weg und es verbleibt die wunderbare Leibniz-Reihe, die das Ziel
des Buches war:

230 PI UND DIE PRIMZAHLEN


π 1 1 1 1 1 1 1
=1− + − + − + − +...
4 3 5 7 9 11 13 15

Führen Sie einen kleinen Freudentanz auf,


wenn Ihnen danach ist.

Am Ende der Formel stehen drei Punkte. Da haben wir wieder


den Disput zwischen Kronecker und Cantor. So wie hier, mit einem
Gleichheitszeichen, wird die Formel im modernen Sinne der aktua-
len Unendlichkeit verstanden. Man hat eine „unendliche Summe“
(Fachbegriff: Reihe), deren Wert tatsächlich π/4 ist.
Wenn Sie eher eine Seelenverwandschaft mit Kronecker spüren,
dann denken Sie sich hinter den drei Punkten noch den Term ±1/n
und ersetzen Sie das Gleichheitszeichen durch ≈ für „ungefähr“. Sie
haben es dann mit einer Näherungsformel zu tun.
Sie können ja mal ausprobieren, wie viele Terme man addieren
und subtrahieren muss, bis man eine Näherung hat, die besser ist als
die von Archimedes.

BUTTERKEKS 231
OFFENES ENDE

In mathematischen Fachartikeln wird gelegentlich gemutmaßt oder


es werden Fragen formuliert. Vielleicht hatte der Autor keine Zeit,
sich einem Thema zu widmen, das abseits seines eigentlichen For-
schungsinteresses lag. Vielleicht hat er aber auch über die Sache sehr
intensiv nachgedacht und kam zu keinem Ergebnis.
Ein sehr bekanntes Beispiel dieses Genres sieht so aus:

Man findet nun in der That etwa so viel reelle Wurzeln inner-
halb dieser Grenzen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß alle
Wurzeln reell sind. Hievon wäre allerdings ein strenger Beweis
zu wünschen; ich habe indeß die Aufsuchung desselben, nach
einigen flüchtigen vergeblichen Versuchen vorläufig bei Seite
gelassen, da er für den nächsten Zweck meiner Untersuchung
entbehrlich schien.

Das schrieb Bernhard Riemann, Doktorand von Gauß und ei-


ner der einflussreichsten Mathematiker aller Zeiten, 1859 in einem
berühmt gewordenen Aufsatz. Und der Beweis, den er da schuldig
geblieben ist, wird heute noch gesucht. Unter dem Namen Riemann-
sche Vermutung hat diese offene Frage inzwischen den großen Satz
von Fermat als berühmtestes ungelöstes Problem der Mathematik ab-
gelöst. Sie ist fast so etwas wie der heilige Gral der Zunft geworden.
Und sie gehört zu den schon erwähnten Millennium-Problemen, auf
die jeweils ein „Kopfgeld“ von einer Million Dollar ausgesetzt ist.
Aber auch ohne die Million müsste eine Mathematikerin, die diese
Nuss knacken kann, sich über ihre Zukunft keine Sorgen machen.

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Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_29
Es gibt jedoch nicht nur die wenigen ganz großen Probleme, über
die man ab und zu etwas in der Zeitung lesen kann. Es gibt unzählige
offene Fragen – uralte und brandneue, einfache und schwere. Manche
Probleme sind wichtig für Anwendungen in Technik und Naturwis-
senschaften, manche sind Unterhaltungsmathematik. (Und was heißt
überhaupt einfach? Es gibt Probleme, deren Lösung weltweit nur
von einem Dutzend Experten verstanden wird. Aber es gibt auch
Fragen, die über Jahrzehnte offen waren und die dann mit ein paar
Zeilen beantwortet wurden, die schon Studenten im ersten Semester
verstehen. War das Problem einfach, weil man die Lösung verstehen
kann, oder war es schwer, weil es so lange niemand lösen konnte?)

Auf jeden Fall will ich Ihnen nicht vorenthalten, dass es auch im
Dunstkreis der Themen dieses Buches noch unerforschtes Terrain
gibt. Ich nenne Ihnen drei vergleichsweise bekannte Repräsentanten.
Das erste Beispiel ist schnell erklärt. Man weiß seit 1761, dass
π irrational ist. Man weiß aber nicht, ob π π irrational ist. (Dass
ebenfalls nicht bekannt ist, ob π normal ist, hatte ich schon erwähnt.)
Auch für das zweite Beispiel braucht man nur zwei Sätze. Auf
den Koordinatenachsen liegen unendlich viele gaußsche Zahlen, die
Primelemente sind: 3, 7, 11, 19 und so weiter – alle Primzahlen der
Form 4k + 3 und die mit ihnen assoziierten Zahlen. Aber gibt es
auch noch andere Geraden in der Ebene, auf denen unendlich viele
Primelemente liegen? Niemand weiß das bisher.

Für das letzte Beispiel schauen Sie sich bitte die Grafik auf der
gegenüberliegenden Seite an. Man sieht einen Weg durch die Ebene,
der im Ursprung beginnt und dann von Primelement zu Primele-
ment springt. Der letzte dargestellte Schritt ist der längste mit einer
Sprungweite von etwas mehr als vier. Kann man so einen Weg kon-
struieren, der sich beliebig weit vom Ursprung entfernt, dabei aber

234 PI UND DIE PRIMZAHLEN


eine vorgegebene Schrittweite niemals überschreitet? Auch das ist
ein ungelöstes Problem.

Als ich Promotionsstudent war, wurde ich ab und zu von Bekannten


gefragt, was es denn in der Mathematik zu forschen gebe. Da wisse
man doch seit Jahrhunderten alles und müsse nur noch rechnen. Sie,
liebe Leserin oder lieber Leser, hingen diesem Irrglauben aber sicher
schon nicht mehr an, bevor Sie dieses Buch gelesen haben.
Man könnte viele Bände mit ungelösten mathematischen Proble-
men füllen. Zwar werden regelmäßig einige von denen gelöst und ab
und zu gibt es auch spektakuläre Entdeckungen, aus denen Schlagzei-
len werden. Aber aus jeder beantworteten Frage werden mindestes
zwei neue. Es ist wie mit den Köpfen der Hydra.
Die Mathematik ist trotz ihres hohen Alters eine äußerst lebendi-
ge (fast hätte ich gesagt: rüstige) Wissenschaft. Sie wird immer wieder
erneuert durch die, die sich mit ihr aus Freude am Verstehen beschäf-
tigen – egal, ob es Profis oder Amateure sind. Vielleicht gehören Sie
ja auch dazu!

OFFENES ENDE 235


Information is not knowledge
Knowledge is not wisdom
Wisdom is not truth
Truth is not beauty

Frank Zappa (1940–1993)


EPILOG

Wenn Sie hier angelangt sind, dann besteht eine gewisse Hoffnung,
dass Sie die Seiten vorher auch alle gelesen haben und dass Ihnen
die Lektüre Freude bereitet hat. Das würde mich jedenfalls sehr
freuen. Meine Idealvorstellung wären Leserinnen, denen dieses Buch
nicht gereicht hat. Viele Themen konnte ich auf den Seiten, die
hinter uns liegen, nur kurz anschneiden. Und einige von denen
klangen hoffentlich interessant genug, um den Wunsch nach mehr
Information zu wecken.
Sollte Ihnen mein Versuch gefallen haben, Mathematik anhand
eines roten Fadens für „interessierte Laien“ zu präsentieren, ohne
diese ständig zu unterfordern, dann habe ich zwei Vorschläge für
weitere Lektüre. Die muss ich schon deshalb erwähnen, weil sie mich
beide beeinflusst haben.
Erstens kann ich Ihnen, wenn Sie englische Texte lesen, Mea-
surement von Paul Lockhart wärmstens ans Herz legen. Für mich
persönlich ist es das vielleicht schönste „populärwissenschaftliche“
Mathebuch überhaupt. In einem Satz zusammengefasst könnte man
sagen, dass es die Entwicklung der Mathematik von der klassischen
Geometrie bis zur Infinitesimalrechnung erzählt und die Leser aktiv
daran teilnehmen lässt. Die, die Measurement kennen, werden sicher
in der Gestaltung Parallelen zum vorliegenden Buch erkennen. So
schön wie Lockharts Buch ist meins nicht geworden, aber ich habe
ihm zumindest nachgeeifert. (Für den Aufwand, der insbesondere
in der gebundenen Ausgabe von Measurement steckt, hätte sich in
Deutschland wohl auch kein Verlag gefunden.)

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E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_30
Der zweite Vorschlag ist Das Geheimnis der transzendenten Zahlen
von Fridtjof Toenniessen. In dem Buch kann man unter anderem
lernen, was es mit der Transzendenz von π auf sich hat, die der Grund
für das Scheitern der Quadratur des Kreises ist. Es ist umfangreicher
und anspruchsvoller als mein Buch und es sieht auch eher wie ein
„richtiges“ Mathebuch aus. Aber die Idee ist dieselbe: Anhand einer
durchgehenden Story zeigen, dass Mathematik nicht so ist wie in der
Schule und dass sie Spaß machen kann.
Experten werden in meinem Buch Lücken und Ungenauigkei-
ten finden. Ich zitiere als Antwort auf entsprechende Vorhaltungen
gerne Donald Knuth, der mal geschrieben hat, dass „vorsätzliches
Lügen“ sich manchmal besser als die Wahrheit eignet, bestimmte
Ideen zu vermitteln. Das gilt insbesondere auch für die ab und zu
eingestreuten historischen Exkurse. Wäre ich auf all das wirklich
angemessen eingegangen, dann wäre ein Buch mit vielen Fußnoten
und einer ellenlangen Literaturliste dabei herausgekommen. Und
diese Details hätten vom Kern meiner Erzählung nur abgelenkt.
Ich habe mich bemüht, nicht immer nur von Mathematikern und
Biologen, sondern auch von Mathematikerinnen und Biologinnen
zu sprechen. Ich habe nicht nachgezählt, aber ich hoffe, dass es dabei
halbwegs fair zuging. Meines Wissens ist die Mathematik das einzige
MINT-Fach mit einem Frauenanteil, der sich um 50 % bewegt. Das
finde ich äußerst positiv. Nicht ändern kann ich allerdings, dass –
abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Emmy Noether – bis zur
zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts fast nur Männer die
Geschichte der Mathematik geprägt haben. Im historischen Teil ist
dieses Buch also eindeutig männerlastig. Aber das spiegelt leider nur
die Realität wieder, in der es bis vor wenigen Jahrzehnten nicht als
„schicklich“ galt, wenn eine Frau sich mit Mathematik beschäftigte.
Ich habe das Buch – abgesehen von den unvermeidbaren Copy-
rightstempeln des Verlags am Anfang jedes Kapitels – mithilfe des
Textsatzprogramms TEX gesetzt. Die Grafiken wurden ebenfalls
in TEX mit PGF/TikZ erzeugt und dabei so programmiert, dass sie
nicht zu perfekt, sondern eher ein bisschen handgemacht aussehen.

240 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Mathematikerinnen kritzeln beim Nachdenken den ganzen Tag he-
rum und ihre Zeichnungen – ob auf dem Papier oder an der Tafel –
sind sicher alles andere als makellos. Wenn die Grafiken Ihre Hemm-
schwelle, das auch zu machen, etwas gesenkt haben, dann haben sie
ihren Zweck erfüllt.
Jörg Balzer, Horst Berger, Maren Hoberg und Jeanette Jung
haben das Manuskript des Buches vorab gelesen, mich auf Fehler
aufmerksam gemacht und mit vielen wertvollen Anregungen zum
Endergebnis beigetragen. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich.
Ebenfalls bedanke ich mich bei Annette Berger und Jürgen Garbers
für typographische Ratschläge. Für alle noch im Buch vorhandenen
Fehler und Unstimmigkeiten beanspruche ich allerdings das alleinige
Urheberrecht. (Und ich freue mich über eine E-Mail, wenn Sie über
so etwas gestolpert sind.)
Meinen herzlichen Dank auch an Iris Ruhmann vom Springer-
Verlag, die sich schon für das Buch interessiert hat, als ich noch
keine Zeile geschrieben hatte. Sie hat das Projekt trotz meines gele-
gentlichen Gequengels immer wohlwollend betreut und alles in die
richtigen Bahnen gelenkt.
Und zu guter Letzt danke ich ganz besonders meiner lieben Frau,
die meine letzten beiden Bücher durch viele Mathematikerporträts
aufgewertet und für dieses Buch die Illustration für das Cover bei-
gesteuert hat. Ohne sie könnte ich wahrscheinlich gar keine Bücher
schreiben.

Hamburg, im Herbst 2020 Edmund Weitz


edmund.weitz@haw-hamburg.de

E PI LO G 241
ANMERKUNGEN

Seite 11. Pascal beschreibt hier das Bildungsgesetz für das nach ihm
 
benannte Pascalsche Dreieck. Bei Ausdrücken der Form nk handelt es
sich um Binomialkoeffizienten, die angeben, wie viele Möglichkeiten
(„Kombinationen“) es gibt, sich k von n verschiedenen Gegenständen
auszusuchen.
Die „vier beliebigen“ Zahlen sind k , k + 1 („um eine Einheit
größer als die erste“), n + 1 und n . Man kommt da allerdings leicht
durcheinander. Und wenn Sie es überprüfen, stellen Sie fest, dass
Pascal selbst es auch nicht ganz richtig aufgeschrieben hat. . .

Seite 12. Angeblich wollte Ptolemaios von Euklid wissen, ob es


nicht für seinen Sohn (immerhin den des Königs!) einen einfacheren
Weg gebe, die Mathematik zu erlernen. Man denkt da unwillkürlich
an teure Privatschulen. . .

Seite 15. Die Idee dieses visuellen Beweises ist, dass die beiden Qua-
drate gleich groß sind und in beiden Fällen vier deckungsgleiche
rechtwinklige Dreiecke entfernt werden. Also muss die Restfläche in
beiden Fällen gleich sein. Links ist die Restfläche das Hypotenusen-
quadrat, rechts sind es die beiden Kathetenquadrate.
Ob Sie mit dieser Erklärung schon zufrieden sind, müssen Sie
selbst entscheiden. Ist denn beispielsweise klar, dass sich durch diese
Art des Zusammenfügens der Dreiecke wirklich Quadrate ergeben?
Woran liegt das?

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5_31
Seite 18. Ein bekanntes zahlentheoretisches Beispiel dafür, dass Da-
ten in der Mathematik kein Beweis sind, ist die sogenannte Skewes-
Zahl: Man kann die Anzahl der Primzahlen (siehe Seite 85ff.) unter-
halb einer vorgegebenen Zahl mithilfe eines bestimmten Integrals
abschätzen. Dieser Schätzwert ist gut, aber immer etwas zu groß.
Wobei mit „immer“ gemeint ist, dass das für alle Fälle gilt, die bisher
mit Computern überprüft wurden. Und das sind Quadrillionen!
Wäre die Mathematik evidenzbasiert wie etwa Teile der Medizin
oder der Erziehungswissenschaften, so wäre dies ein ausreichender
Beleg dafür, dass der Schätzwert tatsächlich immer größer als der
richtige Wert ist. Allerdings hat schon 1914 der englische Mathemati-
ker Littlewood bewiesen, dass irgendwann mal der geschätzte Wert
kleiner als der tatsächliche sein muss. Sein Doktorand Skewes ver-
suchte, herauszufinden, wann das passieren würde, und kam dabei
auf eine Zahl, die so unvorstellbar groß ist, dass sie seitdem seinen
Namen trägt. Sie liegt auf jeden Fall weit oberhalb der Fähigkeiten
heutiger oder auch zukünftiger Computer.
Die Moral dieser Geschichte: Man „sieht“ ein Muster und es gibt
mehr Indizien für dieses Muster, als ein Mensch sich vorstellen kann;
aber das heißt noch lange nicht, dass das Muster wirklich existiert.

Seite 21. Die Sache mit der Grundlagenkrise und den Unvollständig-
keitssätzen ist zu kompliziert, um sie in ein paar Sätzen im Anhang
abzuhandeln. Ich mache das aber nun trotzdem und hoffe, dass Sie
sich dann vielleicht ein gutes Buch zu dem Thema beschaffen.
Durch die Infinitesimalrechnung (Seite 61ff.), die sogenannten
nichteuklidischen Geometrien und Widersprüche in der noch jungen
Mengenlehre hatte sich eine gewisse Unsicherheit in der Mathema-
tikerzunft eingestellt. Es schien kein Verlass mehr zu sein auf die
einstmals unumstößlichen Wahrheiten der eigenen Wissenschaft.
Man versuchte, die Mathematik dadurch zu „retten“, dass man die
gesamte Disziplin (und nicht nur die Geometrie) auf einige wenige
Axiome und Schlussregeln reduzierte und diese rein formal anwandte.
Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Es sollte nur noch als bewiesen

244 PI UND DIE PRIMZAHLEN


gelten, was ein Computer aus den Axiomen folgern kann, ohne sie
zu verstehen oder zu interpretieren.
Allerdings zeigte der junge Österreicher Kurt Gödel 1931, dass
dieses Vorhaben prinzipiell nicht durchführbar ist: Ein solches Axio-
mensystem, wie immer es im Detail auch aussehen mag, kann niemals
aussagekräftig genug sein, um alle (im platonistischen Sinne) wahren
Aussagen beweisen zu können. Das war ein epochales Resultat für
die Philosophie der Mathematik, hat aber wenig daran geändert, wie
Mathematik praktiziert wird.

Seite 23. Die Herleitung zeige ich Ihnen nicht, aber die Antwort,
falls Sie sie mit Ihrem Ergebnis vergleichen wollen. Die Anzahl der
Gebiete bei n Punkten auf dem Kreis kann man so berechnen:
     
n n n
+ +
0 2 4

Seite 28. Bei der Riemannschen Vermutung geht es um die Vertei-


lung der Primzahlen. Sie kommt ganz am Ende des Buches noch mal
vor. Das P-NP-Problem stammt aus der theoretischen Informatik. Es
geht um die Effizienz von Algorithmen. Im Kapitel über lateinische
Quadrate wird es einen kurzen Auftritt haben. Die Navier-Stokes-
Gleichungen modellieren das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten
und Gasen. Bisher fehlen Beweise dafür, dass diese Differentialglei-
chungen immer eindeutig bestimmte Lösungen haben.
Alle drei Beispiele gehören zu den sieben Millennium-Problemen,
die im Jahr 2000 von einem Expertengremium als die wichtigsten
ungelösten Fragen der Mathematik ausgewählt wurden.

Seite 35. Die wohl einfachste Formel, die man hier nehmen kann,
ist die für den Mittelwert zweier Zahlen a und b :
a+b
2

Seite 39. Cantor zeigte, dass die rationalen Zahlen abzählbar sind.
Damit ist gemeint, dass man sie – wie die natürlichen Zahlen in

ANMERKUNGEN 245
der Form 1, 2, 3, . . . – der Reihe nach aufzählen kann, so dass jede
irgendwann drankommt. Und er bewies auch, dass das mit den irra-
tionalen Zahlen nicht möglich ist – weil es schlicht und einfach „zu
viele“ sind. Der Fachausdruck dafür ist, dass die irrationalen Zahlen
überabzählbar sind.
Seite 39. Eine starke Fraktion innerhalb der kleinen Gruppe der
Mathematiker, die den aktuellen Mainstream für falsch halten, bilden
die Intuitionisten, auf die wir noch zu sprechen kommen.
Seite 41. Ich unterschlage in diesem Kapitel das Sexagesimalsystem
der Babylonier (ca. 2000 v. Chr.), das zwar ein Stellenwertsystem
war, aber keine „echte“ Null hatte. Außerdem hätte man auch die
Sandrechnung von Archimedes erwähnen können.
Seite 43. Wie stellt man bei einem Suanpan Ziffern ein, die größer
als fünf sind? Dafür sind die beiden Steine oberhalb der horizontalen
Linie da, die jeder den Wert fünf haben. Schiebt man beispielsweise
einen dieser oberen Steine nach unten und zwei der unteren nach
oben, so steht das für eine Sieben.
Das ist allerdings redundant. Man kann zum Beispiel die Fünf
durch fünf der unteren Steine oder durch einen der oberen darstellen.
Es gibt aber für die Bedienung des Suanpan Regeln, die dafür sorgen,
dass es für jede Zahl nur eine eindeutige Darstellung gibt. Und der
japanische Soroban ist eine Weiterentwicklung des Suanpan ohne
Redundanzen. Er hat unten nur vier Steine und oben nur einen.
Seite 44. Wenn man es ganz genau nimmt, dann muss man hinzufü-
gen, dass a in der Gleichung a x 2 +b x +c = 0 nicht null sein darf; sonst
hat man es nicht mehr mit einer quadratischen Gleichung zu tun.
Die Gleichung b x = c bei al-Chwarizmi ist auch keine quadratische
Gleichung.
Seite 44. Falls Ihnen das Wort Algorithmus nichts sagt: das wird ab
Seite 131 ausführlich erklärt.
Seite 45. Auf die Regel „minus mal minus ist plus“ kommen wir
noch mal zurück.

246 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Seite 47. Es muss zu Wiederholungen kommen, weil es nur eine
begrenzte Anzahl von Resten gibt. Wenn man beispielsweise 3/17
ausrechnet, so ergibt sich in jedem Schritt ein Rest. Aber als Reste
kommen nur die Zahlen von 0 bis inklusive 16 infrage. Spätestens
nach 17 Schritten tritt ein Rest auf, der schon mal da war. Ab da
wiederholt sich alles.

Seite 47. Der angesprochene „Trick“ sieht so aus, dass aus der Periode
der Zähler eines Bruchs wird, dessen Nenner aus so vielen Neunen
besteht, wie die Periode Ziffern hat. Zum Beispiel ist

0,25 = 0,252525252525252525 . . .

der Bruch 25/99. Bei Perioden, die nicht direkt hinter dem Komma
anfangen, wird es etwas schwieriger, aber das bekommen Sie schon
selbst hin.

Seite 50. Die Länge einer Kurve berechnet man heute, indem man
sie mittels der Differentialrechnung in „unendlich kleine“ gerade
Stücke zerlegt und diese dann mithilfe eines Integrals aufaddiert.
Man verwendet also die Analysis, um die es im folgenden Kapitel
geht. Das Teilgebiet der Mathematik, in dem Kurven untersucht
werden, nennt man Differentialgeometrie.

Seite 53. Die heutzutage üblichen Computer rechnen mit 64-Bit-


Fließkommazahlen und liefern diesen Näherungswert für π :

3,141592653589793

Man würde hier von 16 signifikanten Stellen sprechen. (Die Drei vor
dem Komma gehört auch dazu.) Ginge es darum, den Abstand der
Erde zur Sonne auf den Millimeter genau anzugeben, so käme man
mit 15 Stellen aus.

Seite 55. Wenn Sie keine Erfahrung mit universitärer Wahrschein-


lichkeitsrechnung haben, werden Sie sich sicher gefragt haben, wie die
Wahrscheinlichkeit für das Auswählen einer normalen Zahl bei 100 %

ANMERKUNGEN 247
liegen kann, da es doch offensichtlich Zahlen gibt (sogar unendlich
viele), die nicht normal sind.
Ich kann in ein paar Zeilen keinen kompletten Einstieg in diese
Thematik bieten, aber ich versuche zumindest, den angesprochenen
scheinbaren Widerspruch anhand eines Beispiels zu entkräften. Wenn
man zufällig reelle Zahlen zwischen null und eins auswählen will
und alle Zahlen dieselbe Chance haben sollen, ausgewählt zu werden,
welche Wahrscheinlichkeit hat dann beispielsweise die Zahl 2/3, die
Auserwählte zu sein?
Die Antwort muss eine Zahl im Bereich von 0 % bis 100 % sein.
Und sie kann nur 0 % sein. Bei jedem anderen Wert würden sich die
Wahrscheinlichkeiten aller Zahlen zwischen null und eins zu mehr als
100 % addieren, wenn alle dieselbe Wahrscheinlichkeit wie 2/3 haben,
denn es gibt ja unendlich viele solche Zahlen. Im mathematischen
Sinne bedeutet also eine Wahrscheinlichkeit von 0 % nicht, dass etwas
unmöglich ist, sondern dass es fast unmöglich ist. Das ist sogar der
Fachbegriff dafür.
Man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass die Zahlen auf
der Zahlengeraden so unglaublich dicht liegen, dass es quasi unmög-
lich ist, eine bestimmte zu treffen, wenn man zufällig hineinpiekst.
Andererseits muss man natürlich irgendeine treffen. Man kann aber
sinnvolle Wahrscheinlichkeiten nur für größere Mengen von Zahlen
angeben. Im obigen Beispiel läge etwa die Wahrscheinlichkeit dafür, ei-
ne Zahl zwischen 0,3 und 0,5 zu treffen, bei zwanzig Prozent, weil der
Abschnitt von 0,3 bis 0,5 ein Fünftel des Stücks von 0 bis 1 ausmacht.
Die Aussage von Borel, um die es in dieser Anmerkung geht,
besagt, dass zwar unendlich viele Zahlen auf der Zahlengeraden nicht
normal sind, es aber fast unmöglich ist, eine von denen zufällig zu
treffen, weil sich die normalen Zahlen so breit machen. (Das gilt
übrigens ebenso für die rationalen Zahlen. Die trifft man auch nicht
„zufällig“ auf einer dunklen Straße.)
Falls Ihnen das trotz meiner Erklärung immer noch seltsam vor-
kommt: Das ist eigentlich dieselbe Problematik, die schon am Ende
des Kapitels Menschenwerk angesprochen wurde.

248 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Seite 60. Lindemann bewies, dass π transzendent ist. Damit ist eine
Eigenschaft gemeint, die noch „schlimmer“ als Irrationalität ist. Eine

Zahl wie 2 ist zwar irrational, aber sie ist die Lösung einer einfachen
Gleichung, nämlich x 2 = 2. Mit einfach ist hier gemeint, dass in der
Gleichung außer der Unbekannten x nur ganze Zahlen vorkommen
und dass nur multipliziert und addiert wird. Für eine transzendente
Zahl wie π lässt sich keine einfache Gleichung finden, deren Lösung
sie ist.
Alles, was sich mit Zirkel und Lineal konstruieren lässt, kann man
im Rahmen der analytischen Geometrie (Seite 77ff.) durch solche
einfachen Gleichungen beschreiben. Daher kann man so etwas wie
ein Quadrat der Fläche π nicht konstruieren.
Seite 61. Die in diesem Kapitel skizzierte Darstellung der diversen
Konflikte, die mit der Genese der Analysis einhergingen, ist eher
oberflächlich und bestenfalls appetitanregend. Leserinnen, die mehr
wissen wollen, empfehle ich als Einstieg Eine kurze Geschiche der
Analysis von Detlef D. Spalt. Teilweise ist es eine Streitschrift und
ich bin auch nicht immer seiner Meinung, aber Spalt hat auf jeden
Fall einen unkonventionellen und lebendigen Schreibstil (von ihm
stammt das Etikett Superpragmatiker für Euler) und richtet sich
offenkundig nicht nur an einige wenige Fachkollegen.
Seite 61. Der bekannte Physiker Leonard Susskind sagt, dass Physik
immer etwas mit Differentialgleichungen zu tun habe. (Ähnliche
Aussagen gibt es von anderen Physikern.) Ohne Analysis gäbe es
aber keine Differentialgleichungen und damit auch keine Physik, wie
wir sie kennen. Und ohne die moderne Physik wären technische
Geräte, wie ich sie am Anfang des ersten Kapitels beschrieben habe,
undenkbar.
Seite 64. In der Mathematik meint man mit diskret nicht etwa
verschwiegen oder zurückhaltend, sondern so etwas wie: voneinander
getrennt, nicht alle Zwischenwerte annehmend – also das Gegenteil
von kontinuierlich. Im Englischen ist das einfacher, weil man da
zwischen discreet und discrete unterscheiden kann.

ANMERKUNGEN 249
Seite 66. Als Ultrafinitismus bezeichnet man eine extreme Position
innerhalb der Philosophie der Mathematik, die nicht nur aktuale,
sondern auch potentielle Unendlichkeit ablehnt. Als Argument dafür
wird die physikalische Beschränktheit des Menschen angeführt.
Beispielsweise ergibt es aus Sicht einer Ultrafinitistin keinen Sinn,
über den ganzzahligen Anteil der oben erwähnten Skewes-Zahl zu
reden, weil man diese Zahl niemals „ausrechnen“ kann: Für ihre
Dezimaldarstellung bräuchte man weitaus mehr Ziffern, als es Ele-
mentarteilchen im gesamten Universum gibt.

Seite 68. Das archimedische Axiom kann geometrisch so formuliert


werden: Wenn man zwei unterschiedlich lange Strecken hat, dann
kann man die längere der beiden immer übertreffen, wenn man nur
genügend viele Kopien der kürzeren aneinander legt.

Seite 68. Die „Epsilontik“ hat den technischen Vorteil, dass in ihr
keine infinitesimalen Größen mehr vorkommen. Man könnte sagen,
dass sie sich der im Text angesprochenen Unsicherheit entledigt,
indem sie von einer dynamischen zu einer statischen Sichtweise
übergeht – allerdings auf Kosten eines höheren formalen Aufwands.

Seite 69. Eine infinitesimale „Zahl“ müsste ein Wert x sein, der für
jede positive reelle Zahl r zwischen null und r liegt. Es ist offen-
sichtlich, dass x auf jeden Fall keine reelle Zahl sein kann. In der
Nichtstandardanalysis fügt man zu den reellen Zahlen neue Zahlen
hinzu, die diese gewünschte Eigenschaft haben. Das führt zu den
sogenannten hyperrellen Zahlen.
Logisch fundieren kann man die hyperrellen Zahlen mit den
Mitteln der Modelltheorie und der Mengenlehre – und somit mit
mathematischen Methoden, die erst Jahrhunderte nach der Zeit von
Leibniz entwickelt wurden.

Seite 81. Mithilfe des kartesischen Koordinatensystems kann man


wie gesagt geometrische Objekte durch Zahlen und geometrische
Konstruktionen durch Rechnen ersetzen. (Computer, die Grafiken

250 PI UND DIE PRIMZAHLEN


auf den Bildschirm zaubern, „sehen“ diese ja auch nicht.) Auch der
Abstand zweier Punkte wird dann einfach zu einer Formel.
In diesem Sinne bildet die Arithmetik einerseits ein Modell für die
(klassische) Geometrie und man kann aus ihr die Axiome von Euklid
und auch den Satz des Pythagoras herleiten. Andererseits beruht
die übliche Formel für den Abstand auf dem Satz des Pythagoras.
Ersetzt man sie durch eine andere – eventuell sogar durch eine, die von
Punkt zu Punkt variiert –, so geht man über zur Differentialgeometrie,
die zum Beispiel die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie
bildet.
Seite 86. Bei rationalen Zahlen ergibt das Konzept der Teilbarkeit
keinen Sinn, weil – abgesehen von der Null – jede Zahl durch jede
teilbar ist. Wenn man neun durch vier teilt, kommt 9/4 heraus und
es gibt keinen Rest.
Seite 89. Das mit dem leeren Produkt kann man sich vielleicht am
besten mit der Addition klarmachen. Wenn Sie 3 + 4 + 5 + 6 berechnen,
können Sie sich das so vorstellen, dass Sie mit der Drei anfangen, dann
vier addieren, zum Ergebnis fünf addieren und zu diesem Ergebnis
sechs addieren. Sie hätten aber auch schon einen Schritt vorher anfan-
gen können: Ihr erstes „Zwischenergebnis“ ist null, dann addieren
Sie drei, dann vier und so weiter. Das klappt jedoch nur, wenn Sie
mit null anfangen. Sie bekommen also sozusagen null heraus, wenn
Sie „gar nicht addieren“.
Wenn Sie sich das gleiche Spiel mit dem Produkt 3 · 4 · 5 · 6 und
schrittweisem Multiplizieren vorstellen, dann stellen Sie fest, dass es
nur klappt, wenn das initiale Zwischenergebnis eins ist. Eins kommt
heraus, wenn man „gar nicht multipliziert“.
Seite 92. Benannt ist die Goldbachsche Vermutung nach dem deut-
schen Mathematiker Christian Goldbach, der im 18. Jahrhundert
tätig war. Er führte eine rege Korrespondenz unter anderem mit
Leibniz und Euler und äußerte die besagte Vermutung in einem Brief
an Letzteren. Von Goldbach stammen zwar auch ein paar mathema-
tische Resultate, aber unsterblich wurde er durch diesen Brief.

ANMERKUNGEN 251
Seite 93. Es geht also darum, wie man mit möglichst geringem
Aufwand eine Summe wie 1 + 2 + 3 + · · · + 100 berechnet. Der Lehrer
wollte offenbar die Klasse schön lange beschäftigen, um seine Ruhe zu
haben. Aber er hatte nicht mit dem kleinen Carl Friedrich gerechnet.
Die Formel kommt in diesem Buch noch vor, aber vielleicht
überlegen Sie ja auch mal selbst. Sie sind doch sicher schon älter als
neun, oder?

Seite 94. Bei Gauß’ Vermutung handelte es sich um die in der An-
merkung zu Seite 18 angesprochene Abschätzung der Anzahl der
Primzahlen unterhalb einer vorgegebenen Zahl. Man nennt die in-
zwischen bewiesene Aussage den Primzahlsatz.

Seite 96. In Python könnte man es (ineffizient) so machen:

q = lambda n: sum(i*i+j*j == n for i in range(n+1)


for j in range(1,n+1))

Seite 104. Bei der Frage dürfen Sie die Fünf durch eine Eins ersetzen.
Also geht es um 11 000 000 000 und das ist natürlich eins. Addiert man
drei dazu, dann ergibt sich vier. Die Antwort ist ja.

Seite 106. Um beispielsweise herauszufinden, ob sich die Primzahl 59


als Summe zweier Quadrate darstellen lässt, muss man nur die Qua-
drate 1, 4, 9 und so weiter von 59 abziehen und jeweils prüfen, ob die
Differenz ein Quadrat ist. 59 − 1 = 58 ist kein Quadrat, 59 − 4 = 55
ist kein Quadrat und so weiter. Und zwar nur bis zum Quadrat 25.
Das nächste Quadrat, 36, muss man schon nicht mehr überprüfen,
obwohl es kleiner als 59 ist. Wieso?

Seite 109. Mersenne war in seiner Jugend zusammen mit Descartes


Mitglied eines Jesuitenkollegs. Später besuchte er persönlich Galileo
Galilei und korrespondierte unter anderem mit Fermat, Pascal, dem
französischen Mathematiker Roberval und dem niederländischen
Physiker und Mathematiker Huygens. Es hieß, Mersenne über eine

252 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Entdeckung zu informieren sei so, als ob man sie im Druck veröf-
fentlicht hätte, weil er dafür Sorge trug, dass alle ihm bekannten
Wissenschaftler davon erfuhren.
Mersenne war auch der erste Mensch, der die Schallgeschwin-
digkeit maß. Die größten zur Zeit bekannten Primzahlen sind von
der Form 2n − 1 und nach Mersenne benannt, weil er die Idee hatte,
speziell solche Zahlen zu untersuchen.

Seite 109. So sieht Zagiers „one-sentence proof“ aus:

The involution



⎪ (x + 2z, z, y − x − z) if x < y − z



(x, y, z) →
↦ (2y − x, y, x − y + z) if y − z < x < 2y



⎪ (x − 2y, x − y + z, y)
⎪ if x > 2y

on the finite set S = {(x, y, z) ∈ N3 : x 2 + 4y z = p} has exactly
one fixed point, so |S | is odd and the involution defined by
(x, y, z) ↦→ (x, z, y) also has a fixed point. 

Seite 119. Die Mathematik war das von den „Säuberungen“ der
Nazis am stärksten betroffene Fach an deutschen Universitäten.

Seite 122. Das inverse Element bezüglich der Multiplikation nennt


man auch Kehrwert und man schreibt typischerweise a −1 oder 1/a für
den Kehrwert von a . Die Division a : b ist in diesem Sinne lediglich
eine Abkürzung für die Multiplikation a · b −1 .

Seite 123. Für die Subtraktion zieht man einen Pfeil vom Subtrahen-
den zum Minuenden und verschiebt den Anfangspunkt des Pfeils
auf den Ursprung. Die Pfeilspitze zeigt dann auf die Differenz. Die
folgende Skizze zeigt das für (2, 3) − (5, 1) .

ANMERKUNGEN 253
Seite 124. Für die geometrische Interpretation der Multiplikation
kann man die gaußschen bzw. die komplexen Zahlen auch als Vekto-
ren betrachten. Dabei werden die Längen der Faktoren multipliziert,
um die Länge des Produktes zu erhalten. Den Winkel des Produktes
mit der horizontalen Achse erhält man, indem man die entsprechen-
den Winkel der Faktoren addiert. In der folgenden Skizze sehen Sie
das Produkt von (3, 1) und (1, 2) .

Das hängt zusammen mit den Additionstheoremen aus der Tri-


gonometrie. Da die in diesem Buch ansonsten gar nicht vorkommt,
kann ich Ihnen auch keine vernünftige Herleitung bieten.

Seite 127. Dass Eigenschaft (iii) nicht für beliebige reelle Zahlen gilt,
sieht man zum Beispiel, wenn man a = b = 1/2 setzt.

Seite 128. „Das klappt nicht“ ist vielleicht etwas zu lapidar. Man
kann aber tatsächlich beweisen, dass es nicht möglich ist, die gauß-
schen bzw. die komplexen Zahlen auf sinnvolle Art und Weise mit
einem Vorzeichen zu versehen. Das werde ich hier nicht vorführen,
aber wenn Sie das interessiert, dann schlagen Sie mal den Begriff
geordneter Körper nach.

Seite 134. Ich gehe davon aus, dass es eigentlich allen Leserinnen
klar ist, erwähne es aber vorsichtshalber an dieser Stelle, weil es
nach meiner Beobachtung ein Fehler ist, den Studenten öfter mal
machen: Wenn in einer Formel oder einem Beweis mehrfach derselbe
Buchstabe vorkommt, dann steht der natürlich immer für dieselbe
Zahl oder dasselbe mathematische Objekt. Ein Ausdruck wie a x 2 + a
kann für 2x 2 + 2 oder für 5x 2 + 5 stehen, aber nicht für 2x 2 + 5.

254 PI UND DIE PRIMZAHLEN


So weit ist das auch jedem klar. Verwirrung ist manchmal zu be-
obachten, wenn unterschiedliche Buchstaben auftreten. Die können
für unterschiedliche Objekte stehen, müssen es aber nicht. a x 2 + b
kann für 2x 2 + 5 stehen, aber auch für 2x 2 + 2.

Seite 134. Das mit der Null ist eine oft gestellte und oft falsch be-
antwortete Frage. Einerseits teilt null keine Zahl (außer sich selbst).
Denn wenn null zum Beispiel sieben teilen würde, dann müsste man
ja eine Zahl k mit 7 = k · 0 finden können. Aber wenn man mit null
multipliziert, kommt immer null heraus, also kann das nicht sein.
Andererseits teilt jedoch jede Zahl die Null. Beispielsweise ist
sieben ein Teiler von null, weil 0 = 0 · 7 gilt. Das k aus der Definition
der Teilbarkeit kann also immer die Null selbst sein.

Seite 135. Warum teilen Einheiten jede Zahl? Ist e eine Einheit,
dann gibt es nach Definition einen Kehrwert e −1 von e ; es gilt also
e −1 · e = 1. Ist b nun irgendeine Zahl, so gilt sicher b = 1 · b und das
kann man als b = (e −1 · e) · b = (e −1 · b) · e schreiben. Daran sieht
man, dass e ein Teiler von b ist.
Nebenbei sieht man hier auch die Subtilität algebraischer Argu-
mentationen. Bei den Umformungen habe ich stillschweigend die
Assoziativität und die Kommutativität der Multiplikation verwen-
det. In komplizierteren Strukturen muss man sich immer fragen,
ob bestimmte Vorgehensweise überhaupt erlaubt sind oder ob man
nicht aus Versehen „verbotene“ Dinge macht.
Und wieso gilt |a| ≤ |b | , wenn a ein Teiler von b ist? Weil nach
Definition der Teilbarkeit b = k a für eine ganze Zahl k gelten muss.
Und nach Eigenschaft (iii) von Seite 127 folgt dann |b | = |k a| ≥ |a| .

Seite 137. Dass |z − w | der Abstand von z und w sein muss, wird
(hoffentlich) sofort klar, wenn man sich noch mal die Anmerkung
zur Differenz (Seite 123) anschaut.

Seite 138. Die Bemerkung mit der Verschiebung ist folgendermaßen


gemeint: Füllt man die Ebene mit allen Punkten der Form −kb , so
erhält man das gleiche Ergebnis wie bei allen Punkten der Form kb ,

ANMERKUNGEN 255
denn zu jedem k gibt es ja das inverse Element −k (und umgekehrt).
Addiert man nun zu jedem dieser Punkte die Zahl a , so werden alle
Punkte gleichmäßig verschoben. (Erinnern Sie sich daran, wie man
sich die Addition von gaußschen Zahlen grafisch vorstellen kann.)
Die Gitterstuktur ändert sich dadurch nicht, das heißt, die Abstände
zwischen den Punkten bleiben gleich.

Seite 140. Dass geometrische Entdecken inkommensurabler Stre-


cken mithilfe des euklidischen Algorithmus dürfte historisch die
erste Begegnung der Mathematik mit irrationalen „Zahlen“ gewesen
sein. Sie können sich ja selbst mal mit dem folgenden klassischen
Beispiel vergnügen, indem Sie die beschriebenen Schritte im Detail
nachvollziehen.

In dem regelmäßigen Fünfeck links sind eine Seite und eine Dia-
gonale hervorgehoben. Wendet man auf diese beiden Strecken zwei
Schritte des euklidischen Algorithmus an, so erhält man die Strecken,
die im rechten Teil der Grafik markiert sind. Die spielen aber dieselbe
Rolle im inneren Fünfeck wie die beiden ursprünglichen Strecken im
äußeren. Also wird sich dieser Vorgang immer weiter wiederholen,
wenn man den Algorithmus fortsetzt.
Das Verhältnis der beiden Strecken zueinander bezeichnet man
übrigens als den goldenen Schnitt. Wohl anhand dieses Beispiels wur-
de die Inkommensurabilität von dem Pythagoräer Hippasos von
Metapont entdeckt. Der Legende nach verriet er diese Entdeckung
– die dem Glaubenssatz „Alles ist Zahl“ widersprach – an Außenste-
hende, wurde deswegen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und
verunglückte später tödlich im Meer. Manchmal wird sogar erzählt,
er sei ertränkt worden. Aber das ist sehr wahrscheinlich alles nicht
wahr. So gefährlich ist Mathematik nun auch nicht.

256 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Seite 141. Dass der Algorithmus den größten gemeinsamen Teiler
berechnet, kann man sich am Beispiel der Zahlen 24 und 30 folgen-
dermaßen klarmachen: Wenn eine Zahl wie 3 gemeinsamer Teiler
von 24 und 30 ist, dann muss sie auch ihre Differenz teilen. Also ist
3 gemeinsamer Teiler der Zahlen 6 und 24, die den nächsten Schritt
des Algorithmus bilden. Da das so weitergeht, wird 3 am Ende auch
Teiler des Ergebnisses 6 sein. Mit anderen Worten: Jeder gemeinsame
Teiler von 24 und 30 teilt das Resultat des euklidischen Algorithmus
und darum kann es keinen größeren gemeinsamen Teiler geben.

Seite 144. Dass e d 1 ein größter gemeinsamer Teiler von a und b


ist, wenn d 1 einer ist (und e eine Einheit), kann man sich wie in der
Anmerkung zu Seite 135 überlegen.

Seite 146. Über kubische Gleichungen sprechen wir in einem der


folgenden Kapitel noch.

Seite 150. In der linken Skizze wird beispielsweise das rechtwinklige


Dreieck mit den Kathetenlängen 4 und 1 um 90 Grad gedreht und
an die Spitze des ursprünglichen Dreiecks gesetzt. Dadurch addiert
man in vertikaler Richtung die beiden Katheten und in horizontaler
Richtung wird die eine von der anderen subtrahiert. Wiederholt
man diese Drehung noch drei weitere Male, so ist man wieder am
Ausgangspunkt angelangt und im Inneren bildet sich ein Quadrat.
Und der Winkel zwischen der Diagonale eines Quadrates und der

anliegenden Seite beträgt 45 Grad. Der Streckfaktor 2 ergibt sich
einerseits durch die Multiplikativität der Norm und andererseits
auch geometrisch durch den Satz des Pythagoras.

Seite 150. Die heuristische Argumentation wird zu einem vollstän-


digen Beweis, wenn man vorher die Anmerkung zur Multiplikation
(Seite 124) bewiesen hat.

Seite 151. Die Sache mit den Rechenregeln kann man sich folgen-
dermaßen klarmachen: Würde „minus mal minus ist minus“ gelten,
dann könnte man einen Ausdruck wie −5 · (1 − 3) nach dem Distribu-

ANMERKUNGEN 257
tivitätsgesetz auf zwei Arten ausrechnen, die zu zwei verschiedenen
Ergebnissen führen würden.

−5 · (1 − 3) = −5 · (−2) = −10
−5 · (1 − 3) = −5 · 1 + (−5) · (−3) = −5 − 15 = −20

Das darf natürlich nicht sein! Dieses Erhalten von Rechenregeln


nennt man auch Permanenzprinzip.
Seite 154. Das genaue Zitat von Galilei lautet: „Die Natur spricht
die Sprache der Mathematik: die Buchstaben dieser Sprache sind
Dreiecke, Kreise und andere mathematische Figuren.“ Daran erkennt
man gut, dass er zu einer Zeit lebte, als Mathematik noch mehr oder
weniger ein Synonym für Geometrie war.
Seite 155. Falls Sie auch mal Profi-Algebraiker werden wollen: Ich
habe hier eigentlich die Definition für sogenannte irreduzible Elemen-
te hingeschrieben. In den Ringen, mit denen wir uns beschäftigen,
sind das aber genau die Primelemente.
Seite 156. Kommt Ihnen das mit der Wohlordnung völlig trivial vor?
Die ganzen Zahlen sind zum Beispiel nicht wohlgeordnet, denn schon
in der Gesamtheit aller ganzen Zahlen findet man keine kleinste.
Interessanter sind aber die rationalen Zahlen. Betrachtet man etwa
alle rationalen Zahlen, die größer als eins sind, so gibt es unter diesen
keine kleinste Zahl, obwohl keine der Zahlen kleiner als eins ist.
Seite 159. Der Satz von Euklid gilt auch für die gaußschen Zahlen:
es gibt unendlich viele Primelemente. Der Beweis dafür funktioniert
mit kleinen Modifikationen genauso wie der Originalbeweis.
Seite 162. Ganz grob kann man die Bedeutung von akzeptabel folgen-
dermaßen beschreiben: Ihr Programm wird natürlich langsamer wer-
den, wenn die Eingabe (das teilweise gefüllte Quadrat) größer wird.
Man kann den Zeitaufwand des Programms also als eine Funktion
darstellen, die von der Eingabegröße abhängt. Wenn diese Funktion
ein Polynom ist, haben Sie gewonnen. (Das hängt mit dem bereits
erwähnten P-NP-Problem zusammen.)

258 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Seite 167. In Python könnte man das so schreiben:

latin = lambda n: all(len({i*j%n for i in range(n)}) == n


for j in range(1,n))
[n for n in range(2,30) if latin(n)]

Seite 167. Der guten Ordnung halber sei noch gesagt, dass man die
Schreibweise Zp auch nur dann verwendet, wenn p eine Primzahl ist.
Man würde also nicht Z4 schreiben. (In so einem Fall schreibt man
etwas umständlich Z/4Z.)

Seite 168. Na gut, ich habe es doch ausgerechnet. Die Lösung kam
im Text sogar schon vor: 8. Denn 8 · 11 ist 88 und das kann man als
3 · 29 + 1 schreiben.

Seite 168. Quod erat demonstrandum wird häufig q.e.d. abgekürzt


und ist die lateinische Übersetzung von „was zu beweisen war“.
So endeten die Beweise in den Elementen und so wird auch heute
noch häufig das Ende von Beweisen in Lehrbüchern markiert. Als
Alternative verwenden manchen Autorinnen auch ein schwarzes
Quadrat , das scherzhaft Grabstein genannt wird und sogar einen
eigenen Unicode-Codepoint hat.

Seite 169. Ein Körper, in dem null und eins dieselbe „Zahl“ sind,
kann nur aus dieser einen Zahl bestehen. Vielleicht überlegen Sie
sich mal, warum das so sein muss.

Seite 175. Die sogenannte p -q -Formel, die heutzutage zum Lösen


quadratischer Gleichungen verwendet wird und an die Sie sich viel-
leicht aus der Schule erinnern, beruht auf der geometrischen Idee der
quadratischen Ergänzung, die von al-Chwarizmi popularisiert wurde.

Seite 178. Damit ein Produkt null ist, muss einer der Faktoren
null sein: Das ist wieder die Nullteilerfreiheit, die wir bei unseren
Ausflügen in die Algebra kennengelernt haben.

Seite 179. Die Aussage gilt nicht in jedem Ring. In Z/6Z hat das
Polynom x 2 + 3x + 2 zum Beispiel vier verschiedene Nullstellen.

ANMERKUNGEN 259
Seite 182. Der in Göttingen tätige Zahlentheoretiker Edmund Lan-
dau gehörte zu den Mathematikern, die sich mit den eingereichten
Lösungsversuchen für den großen Satz von Fermat abplagen mussten.
Angeblich verwendete er für seine Antwortbriefe einen Vordruck,
der folgendermaßen begann:

Sehr geehrter Herr !


Ihre Einsendung wurde von meinem Assistenten geprüft. Der
erste Fehler befindet sich auf Seite in Zeile .

Wiles erhielt 1997 das Preisgeld, das zu dem Zeitpunkt immerhin


noch einen Wert von etwa 75 000 DM hatte.

Seite 184. Der angesprochene Primzahltest ist der sogenannte Miller-


Rabin-Test.

Seite 185. Auch bei der Einführung der quadratischen Reste gehe
ich nicht ganz kanonisch vor. Sollten Sie mal Fachliteratur zur Zah-
lentheorie lesen, so werden Sie feststellen, dass man a eigentlich nur
dann als quadratischen Rest modulo m bezeichnet, wenn a zusätzlich
teilerfremd zu m ist.

Seite 185. In jedem Ring gilt einerseits 1+ (−1) = 0, weil das ja gerade
die definierende Eigenschaft von −1 ist. Andererseits ergibt sich nach
den Rechengesetzen in Ringen:

0 = (1 + (−1)) 2 = 12 + 1 · (−1) + (−1) · 1 + (−1) 2


= 1 + (−1) + (−1) + (−1) 2 = −1 + (−1) 2

Daher bleibt (−1) 2 gar nichts anderes übrig, als den Wert 1 zu haben.

Seite 196. Auch in den Anmerkungen verkneife ich es mir, mathe-


matisch zu definieren, was Gruppen sind. Ich sage nur ein paar Sätze
zu ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung. Wie gesagt spielte Galois
eine wichtige Rolle. Er führte den Begriff Gruppe bei der Untersu-
chung von Polynomgleichungen ein. Dabei ging es um die möglichen
Permutationen (Umordnungen) der Nullstellen des Polynoms.

260 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Ebenfalls im 19. Jahrhundert begannen Gruppen, in der Geome-
trie eine Rolle zu spielen, und zwar bei der Abstraktion der Idee der
Symmetrie. Und schließlich tauchten Gruppen – wenn auch nicht
unbedingt unter diesem Namen – ungefähr zur selben Zeit auch in
der Zahlentheorie auf.
Die Mathematik des 20. Jahrhunderts hat diese in verschiede-
nen Teilgebieten auftretenden Strukturen zu einem eigenständigen
Forschungsgegenstand gemacht.

Seite 198. Wenn a = b gälte, dann würde sich als Norm der Wert
a 2 + a 2 = 2a 2 ergeben. Das ist offenbar keine Primzahl.

Seite 220. Das neuere Zeichen für das Abrunden stammt von dem ka-
nadischen Mathematiker und Informatiker Kenneth Iverson. In Pro-
grammiersprachen wird für das Abrunden häufig der Name floor
verwendet.

Seite 221. Zum Formalismus siehe auch die Anmerkung zu Seite 21,
in der es um die Grundlagenkrise ging.

Seite 222. Der Boykottaufruf Brouwers hing mit den Nachwehen


des ersten Weltkriegs zusammen. Brouwer schlug sich auf die Seite
einiger national gesinnter deutscher Mathematiker, während Hilbert,
der Doyen der deutschen Mathematik, einen eher internationalisti-
schen Standpunkt vertrat.

Seite 227. Das Binärsystem ist ein Stellenwertsystem, dessen Basis


nicht zehn, sondern zwei ist. Es gibt also nur die beiden Ziffern 0
und 1. Die Zahl 42 sieht im Binärsystem zum Beispiel so aus: 101010.
Für uns Menschen ist das ziemlich unpraktisch, weil man schon
für vergleichsweise kleine Zahlen viele Stellen braucht. Für die Kon-
struktion von Computern ist es aber ideal, weil man nur zwei Ziffern
technisch realisieren muss. Das kann beispielsweise durch „Strom
an“ und „Strom aus“ erreicht werden.

Seite 229. Genauer: Es wird weniger oder höchstens genauso viel


subtrahiert bzw. addiert. Aber so klingt es leider recht holprig. . .

ANMERKUNGEN 261
Seite 230. Im ersten Kapitel des Buches hatte ich behauptet, man
könne die Leibniz-Reihe auch effizienter herleiten. Ich sollte zum
Abschluss vielleicht noch sagen, wie das geht. Eine sehr einfache Mög-
lichkeit wäre, das Argument eins in die Reihenentwicklung der Ar-
kustangensfunktion einzusetzen. Dann steht das Ergebnis sofort da.
Aber natürlich ist das geschummelt, weil man typischerweise mindes-
tens ein Semester Analysis hinter sich haben muss, bevor man erstens
versteht, was man da macht, und zweitens alles bewiesen hat, was man
dafür braucht. So gesehen ist die Herleitung in diesem Buch vielleicht
doch nicht so umständlich, wie ich es anfangs angekündigt hatte.

Seite 233. Bei der Riemannschen Vermutung geht es eigentlich um


die Nullstellen der sogenannten ζ -Funktion, die komplexe Zahlen
auf komplexe Zahlen abbildet. Ein Beweis wäre aber insbesondere
deshalb interessant, weil er etwas über die quantitative Verteilung
der Primzahlen aussagen würde. Auch hier greifen wieder scheinbar
weit voneinander entfernte Gebiete der Mathematik ineinander – in
diesem Fall die Zahlentheorie und die komplexe Analysis, die man
in Deutschland auch Funktionentheorie nennt.

Seite 234. Wenn Sie mit universitärer Mathematik noch nicht viel
zu tun hatten, ist an dieser Stelle durchaus die Frage angebracht,
was π π überhaupt bedeuten soll. Um das wirklich befriedigend zu
beantworten, müsste ich aber noch ein paar Dutzend Seiten spendie-
ren. Vielleicht belassen wir es dabei, dass das Beispiel doch nicht so
„schnell erklärt“ ist, wie ich behauptet habe.

Seite 240. Typographie-Nerds mögen mir verzeichen, dass ich auch


im Formelsatz und in Tabellen Mediävalziffern verwendet habe.
Nach langem Ringen mit mir selbst fand ich es dann doch so am
passendsten, weil ich ein bestimmtes Erscheinungsbild erreichen
wollte. Wenn man das Feedback meiner Probeleser verallgemeinern
kann, dann fällt das Nichtmathematikern gar nicht auf. Lediglich
mathematisch vorbelastete Leser sind gegebenenfalls etwas irritiert.

262 PI UND DIE PRIMZAHLEN


INHALT

Ab in den Dschungel 1
Nicht von Pythagoras 11
Was beweisen Beweise? 17
Die Kreativen 25
Menschenwerk 31
Nichts 41
Die Diva 49
Gibt es Pi überhaupt? 61
Der Plan 71
Millimeterpapier 77
Die Atome der Mathematik 85
Der Gott aus der Maschine 93
Reste 99
Der Amateur und die Windmühlen 105
Die Badeanstalt 119
Der erste Algorithmus 131
Komplexes Intermezzo 145
Außerirdische Mathematik 153
Einfaches Sudoku 161

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5
Der letzte Brief 171
Der schmale Rand 181
Einfach die Regeln ändern 189
Fünfzehntausend Seiten 195
Endlich Punkte zählen! 201
Dominoeffekte 207
Noch eine Hypothese 215
Von Fröschen und Mäusen 221
Butterkeks 227
Offenes Ende 233
Epilog 239
Anmerkungen 243

264 PI UND DIE PRIMZAHLEN


INDEX

|x | , 127 f. Algebra, 44, 67, 79, 120–129, 172


[x] , 220 Algorismi, siehe al-Chwarizmi
x , 220 Algoristen, 132
Algorithmus, 44, 131 ff.
A Brief History of Time, 11 Alibert, François-Paul, 132
A Mathematician’s Apology, 85 Analysis, 61–69, 228–231, 247,
Abakisten, 132 262
Abakus, 42, 132, 246 analytische Geometrie, 78, 105,
Abel, Niels Henrik, 176 249
Ableitung, 62, 67 angewandte Mathematik, 1 f., 40,
Abrunden, 220 75, 79, 85, 105, 161,
abschätzen, 67 175, 184, 234
absolut normal, siehe normal Ansatz, 164
Absolutbetrag, siehe Betrag arabische Welt, 42, 44, 132
Abstraktion, 6, 31 f., 35, 39, 120, Archimedes von Syrakus, 27,
128, 135, 163 f. 31 f., 43, 51 ff., 57 ff.,
abzählbar, 245 68, 72, 175, 246
Achsen, 78 archimedisches Axiom, 68, 250
Addition, 33, 122 Arecibo-Observatorium, 153
Additionstheoreme, 254 Arithmetica, 181 f.
Adleman, Leonard, 3 Arithmetik, 65, 208, 251
Aha-Erlebnis, 27 Arkustangens, 262
aktuale Unendlichkeit, 65, 89, Assoziativität, 122
231, 250 assoziiert, 148
al-Chwarizmi, 44, 131 ff., 174, Asterix, 39
246, 259 Ästhetik, 1, 29, 54, 85, 109

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch


Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
E. Weitz, Pi und die Primzahlen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62880-5
Atiyah, Michael, 129 Cardano, Gerolamo, 146, 175
Atome, 35, 89, 91, 196 Cartesius, siehe Descartes, René
aufleiten, 173 Ceulen, Ludolph van, 53
Ausklammern, 122 China, 42, 53
Ausmultiplizieren, 122 Computer, 2, 18, 26, 31, 42, 53,
Außerirdische, 153 f. 92, 96, 99, 131 ff., 167,
axiomatische Methode, 21, 57, 176, 184, 224, 227,
207, 244 245, 247, 261
Axiome, 20, 120, 207 Computergrafik, 79
Conway, John Horton, 100
babylonisches Wurzelziehen, COVID-19, 100
63 f.
Bach, Johann Sebastian, 12 da Pisa, Leonardo, siehe
Badeanstalt, 119, 221 Fibonacci
Basisvektoren, 157 da Vinci, Leonardo, siehe
Betrag, 127 f. Vinci, Leonardo da
Beweis, 19 ff., 28 f., 223 darstellbar, 190
durch Beispiel, 100 ff., 209 Darwin, Charles, 27
durch Widerspruch, siehe de Fermat, Pierre, siehe Fermat,
Reduction ad Pierre de
absurdum de Roberval, Gilles Personne,
Bibel, 20 siehe Roberval, Gilles
Binärsystem, 54, 227, 261 Personne de
Binomialkoeffizient, 243 deduktive Wissenschaft, 207
Borel, Émile, 55, 248 Definition, 46, 87
Bourbaki, Nicolas, 101 Delone, Boris, 145
Brahmagupta, 199 Descartes, René, 13, 77–80, 131,
Brahmagupta-Fibonacci- 228, 252
Identität, 199 Deus ex Machina, 94
Brouwer, Luitzen Ergbertus Dezimalsystem, 42
Jan, 221 ff., 261 difference of squares, siehe dritte
Brüche, 34 binomische Formel
Buchhaltung, 3, 212 Differential- und
Butterkeks, 228 Integralrechnung,
siehe Analysis
Cantor, Georg, 38 f., 65, 67, Differentialgeometrie, 247, 251
221, 231, 245 Differentialgleichungen, 249

266 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Diophantos von Alexandria, Euler, Leonhard, 49, 109, 120,
13, 175, 181, 199 162 f., 167 f., 249, 251
diskret, 64 f., 249 eureka moment, 27
Distributivität, 122 evidenzbasiert, 244
Division, 33 f. Evolutionstheorie, 27
Dominoeffekt, 207 f. Existenz, 39, 61, 157, 189, 221 f.
Dominosteine, 7 ff., 25 f., 207
Drehstreckung, 149 falsche Zahlen, 175
Drehung, 148 ff. fast unmöglich, 248
dritte binomische Formel, 186, Faulheit, 143, 164, 167 f., 174, 178,
189 193, 205
Dualsystem, siehe Binärsystem Fermat, Pierre de, 77 f.,
Duell, 145, 171, 196 105–109, 181 ff., 233,
durch null teilen, 169 252
Ferrari, Lodovico, 175
echter Teiler, 88 Fibonacci, 199
Eigenvektor, 164 Finnegans Wake, 4
einbeschriebenes Polygon, 58 Fixpunktsatz von Brouwer, 221
Eindeutigkeit, 157, 189 Fließkommazahlen, 247
Einheiten, 126, 147, 255 floor, 261
Einheitskreis, 51 Folge, 64
Einstein, Albert, 27, 75, 221 f. Formalismus, 221, 244, 261
Elemente, 19, 89, 101, 133, 259 Formeln, 11 ff., 79
Encyclopædia Britannica, 131 Freude des Verstehens, 27 f., 105,
Epsilontik, 68, 250 183, 235
Erdős, Paul, 109, 145 Friedrich II., 162
Erweitern, 34 Froschmäusekrieg, 221
erweiterter euklidischer Fundamentalsatz der
Algorithmus, 142 Arithmetik, 89, 153 f.,
Eudoxos von Knidos, 68 156–159
Euklid von Alexandria, 12, Fünfeck, 256
19 f., 36, 40, 57, 62, Funktionentheorie, 262
78 f., 89 f., 101, 133,
175, 207, 243, 251 Galilei, Galileo, 154, 252, 258
euklidischer Algorithmus, Galois, Évariste, 145, 171 f., 176,
133–144, 256 f. 196, 260
euklidischer Ring, 139 Galoistheorie, 171

INDEX 267
ganze Zahlen, 45, 120 Guinness-Buch der Rekorde, 195
ganzrationale Funktionen, 173
Gauß, Carl Friedrich, 31, 75, Hardy, Godfrey Harold, 85
93 f., 96, 99 f., 107, Hawking, Stephen, 11
109, 123, 146, 171 f., Heath-Brown, Roger, 109 f.
220, 233, 252 Hilbert, David, 119, 221 f., 261
Gaußklammer, 220 Hippasos von Metapont, 256
gaußsche Zahlen, 123, 146 Homer, 221
Gaußsches Kreisproblem, 75, 93 Huygens, Christiaan, 252
gekürzt, 34, 37 Hydra, 235
gemeinsamer Teiler, 98, 141 hyperrelle Zahlen, 250
gemeinsames Maß, 133, 139 Hypotenuse, 13
Geometrie, 77 ff., 146–151, 251,
258 i, 125, 146
geordneter Körper, 254 imaginäre Einheit, 125
Gitter, 71, 80, 138 imaginäre Zahlen, 125, 146
Gleichheitszeichen, 172 Index librorum prohibitorum,
Gleichungen, 67, 172 77
Gödel, Kurt, 21, 245 Indien, 42 ff., 53, 132, 199, 227
Goldbach, Christian, 251 Induktionsanfang, 209
Goldbachsche Vermutung, 92, Induktionsannahme, siehe Induk-
251 tionsvoraussetzung
goldener Schnitt, 256 Induktionsschritt, 208
Göttingen, 119, 182, 221 Induktionsvoraussetzung, 208
größter gemeinsamer Teiler, 133, induktive Wissenschaft, 207
141, 143 Infinitesimalrechnung, 61–65, 69,
Grabstein, 259 105, 244, 250
Grad, 174 Ingenieure, 1, 3, 14, 27, 31, 75,
Graham, Ronald, 145 161, 176
Grenzwert, 63–67 inkommensurabel, 140, 256
griechisches Zahlensystem, 41 Inquisition, 77, 146
großer Satz von Fermat, 181 ff., Integral, 62, 67, 244, 247
233 Integritätsring, 122
Größen, 64 f., 79, 85 Intuitionismus, 222–225, 246
Grundlagenkrise, 21, 244, 261 inverses Element, 122, 253
Grundrechenarten, 33, 122 irrational, 38, 47, 54, 234, 249,
Gruppe, 196, 260 256

268 PI UND DIE PRIMZAHLEN


irreduzibel, 258 Kronecker, Leopold, 32, 39, 61,
Isomorphie, 195 66 f., 221 f., 231
Iverson, Kenneth, 261 Kryptographie, 85
kubische Gleichung, 146, 175,
Jacobi, Carl Gustav Jacob, 171 257
Japan, 246 Kurven, 50, 247
Jazz, 74 Kürzen, 34
Joyce, James, 4
Lambert, Johann Heinrich, 54,
kartesisches Koordinatensystem, 93–96
78 Landau, Edmund, 260
Katalog, siehe Klassifikation Laplace, Pierre-Simon, 145
Kathete, 13 lateinische Quadrate, 161–169,
Kehrwert, 126, 158, 253 184
Kettenbrüche, 54 LATEX, siehe TEX
Klassifikation, 195, 197 Laugwitz, Detlef, 69
der endlichen einfachen leeres Produkt, 251
Gruppen, 196 f. Lefschetz, Solomon, 183
Klein, Felix, 119 Leibniz, Gottfried Wilhelm,
kleiner Satz von Fermat, 181, 31, 61 f., 77, 173, 221,
183 f., 186 f. 227 f., 250 f.
Kleist, Heinrich von, 183 Leibniz-Reihe, 227–230, 262
Knuth, Donald, 240 Lindemann, Ferdinand von,
Koeffizient, 173 60, 249
Kombinationen, 243 Linearfaktor, 177
Kommutativität, 122 Liouville, Joseph, 171
komplexe Zahlen, 123, 146, 151, Littlewood, John Edensor,
262 244
Komponenten, 123 Lockhart, Paul, 239
Konfuzius, 3 Logarithmentafel, 93, 107
konjugiert, 191 Logik, 20
kontinuierlich, 64 f., 249 Ludolphsche Zahl, 53
Konvergenz, siehe Grenzwert
Koordinaten, 78 Madhava, 227
Körper, 167 Malkreuz, 173
Kreativität, 26 f. Malpunkt, 173
Kreise, 6, 49 f., 55–59, 71–75 Mangelsdorff, Albert, 74

INDEX 269
Mathematische Annalen, 222 Nichtstandardanalysis, 69, 250
Mäuse, siehe Froschmäusekrieg Noether, Emmy, 119 f., 163, 240
Measurement, 239 Noether, Fritz, 119
Mengenlehre, 65, 244, 250 Norm, 128
Mersenne, Marin, 109, 252 normal, 54, 234, 247
Millennium-Probleme, 161, 233, Noten, 12
245 NSA, 85
Miller-Rabin-Test, 260 Null, 41 ff., 168 f., 246, 255
minus mal minus, 45, 151, 246 Nullstelle, 174, 262
Mirzakhani, Maryam, V nullteilerfrei, 122, 169, 259
Mittelwert, 63, 245 Numerik, 76
Modelltheorie, 250
modulare Arithmetik, 99, 102 ff., o.B.d.A., 110
110, 163–169, 217 offene Fragen, siehe ungelöste
Monstergruppe, 196 Probleme
Multiplikation, 33, 122, 147–151, Oughtred, William, 173
253 f.
Multiplikativität, 127 P-NP-Problem, 28, 161, 245, 258
Muster, 18, 94, 191, 212 p -q -Formel, 259
Palindrom, 186
N, 128 Pascal, Blaise, 11, 172, 243, 252
Nachfolger, 33 Pascalsches Dreieck, 243
Nachkommastellen, 46 f., 64 Penrose, Roger, 143
von π , 2, 53, 223 ff. periodisch, 47
Nachrichtendienst, 85, 185 Permanenzprinzip, 258
Napoleon, 145 Permutation, 260
natürliche Zahlen, 32, 208 PGF/TikZ, 240
Navier-Stokes-Gleichungen, 28, Philosophie, 2 f., 18, 39, 49, 65 f.,
245 154, 162, 222, 245,
Negation, 223 250
negative Zahlen, 43 ff., 79 phönizische Buchstaben, 41
Nenner, 34 Physik, 2, 40, 61 f., 75, 77, 143,
Neumann, John von, 39, 145 154, 161, 207, 249, 252
neutrales Element, 122 π , 49–60, 66, 223 ff., 247, 249
Newton, Isaac, 61 f., 77, 221, π̂ , 223 ff.
227 Picasso, Pablo, 74
nichteuklidsche Geometrie, 244 Pirahã, 5

270 PI UND DIE PRIMZAHLEN


Pisa, Leonardo da, siehe Quadratwurzel, 36, 63
Fibonacci quartische Gleichung, 175
Platonismus, 19, 154, 245 quintische Gleichung, 176
Pluszeichen, 172 Quod erat demonstrandum,
Pn , 82 siehe q.e.d.
Poincaré, Henri, 27, 105, 164,
183 ratio, siehe Verhältnis
Polygon, 51 rationale Zahlen, 33 f., 248
Polynom, 173, 258 Rechenmeister, 42, 132, 199
Polynomgleichung, 173, 260 Recorde, Robert, 172
Postulate, 20 Reductio ad absurdum, 37, 57,
potentielle Unendlichkeit, 65, 193
250 reelle Zahlen, 45, 65
Potenzieren, 104 Reihe, 231
Primelemente, 155, 197–200, 258 reine Mathematik, 75
Primteiler, 87, 155 Rekursion, 64
Primzahlen, 86–92, 153 f., 262 Relativitätstheorie, 27, 75, 251
Primzahlsatz, 252 Restklassenring, 166
Primzahltest, 184, 260 Rezepte, 26, 94, 132
Primzahlzwillings-Vermutung, Riemann, Bernhard, 233
92 Riemannsche Vermutung, 28,
Prioritätsstreit, 62, 69, 77, 221 233, 245, 262
Proofs from THE BOOK, 109 Ring, 122
Ptolemaios I., 12, 243 Roberval, Gilles Personne de,
Punkte zählen, 71–75, 80, 201 252
Pythagoräer, 49 ff., 256 Robinson, Abraham, 69
pythagoräische Tripel, 181 römisches Zahlensystem, 41, 132
Pythagoras von Samos, 13 f., 49 Royal Society, 62
Python, 252, 259 Ruffini, Paolo, 176

q.e.d., 168, 259 Sandrechnung, 246


Q n , 95 Satz des Pythagoras, 13 f., 19 f.,
quadratische Ergänzung, 259 28, 31, 36, 73, 81, 106,
quadratische Gleichung, 44, 175 181, 207, 243, 251, 257
quadratischer Rest, 185, 193, 260 Satz von Euklid, 89, 159, 258
Quadratur des Kreises, 59, 172, Schiller, Friedrich, 222, 224
240 Schmieden, Curt, 69

INDEX 271
Schuhe, 4, 145 Topologie, 221
Schulden, 151 Transitivität, 134
Schwartz, Laurent, 145 Transzendenz, 240, 249
Sexagesimalsystem, 246 Trigonometrie, 254
signifikante Stellen, 247 trivial, 110, 156
Simpsons, siehe The Simpsons Ts’msyan, 5
Skewes, Stanley, 244
Skewes-Zahl, 244, 250
überabzählbar, 246
Sokrates, 20
Soroban, 246 Uhrzeigersinn, 148
Spalt, Detlef D., 162, 249 Ultrafinitismus, 66, 250
Spivak, Alexander, 109, 112 umbeschriebenes Polygon, 59
sporadische Gruppe, 196 ungelöste Probleme, 55, 91 f., 161,
Star Trek, 182 233 ff.
Stellenwertsystem, 42, 246, 261 Ungleichungen, 67
Stifel, Michael, 172 Unicode, 259
Streckung, 149 Unkraut, 91
Strukturen, 18, 39, 120 Unvollständigkeitssätze, 21,
Suanpan, 42, 246 244 f.
Subtraktion, 33, 253 Ursprung, 78
Sudoku, 161
Sumerer, 42
Valentin, Karl, 183
Superman, 37
van Ceulen, Ludolph, siehe
Susskind, Leonard, 249
Ceulen, Ludolph van
Symmetrie, 95 f., 261
Vektoren, 123, 137, 157
synthetische Geometrie, 78
Vektorräume, 195
Taniyama-Shimura-Vermutung, Verhältnis, 32, 36, 49, 67, 78, 140
182 Vermutungen, siehe ungelöste
Teilbarkeit, 86, 99, 134 Probleme
Teilen mit Rest, 86, 135, 141 Viète, François, 13
teilerfremd, 34, 98, 158, 260 Vieleck, siehe Polygon
Tertium non datur, 223 Vielfaches, 86
TEX, 240 Vinci, Leonardo da, 56
The Simpsons, 182 vollständige Induktion, 207–210
TikZ, siehe PGF/TikZ von Kleist, Heinrich, siehe
Toenniessen, Fridtjof, 240 Kleist, Heinrich von

272 PI UND DIE PRIMZAHLEN


von Lindemann, Ferdinand, worst case, 73, 230
siehe Lindemann,
Ferdinand von Z, 164, 259
von Neumann, John, siehe Zagier, Don, 91, 109 f., 253
Neumann, John von Zahlen, 6, 31–39, 63–66, 85
von Schiller, Friedrich, siehe Zahlengerade, 45, 127, 248
Schiller, Friedrich
Zahlenstrahl, 35, 38, 40
von Wallwitz, Georg, siehe
Zahlentheorie, 65, 85–91, 105,
Wallwitz, Georg von
261 f.
Wahrscheinlichkeitsrechnung, Zähler, 34
105, 247 Zappa, Frank, 237
Wallwitz, Georg von, 227 ζ -Funktion, 262
Weyl, Hermann, 171, 222 Zufall, 54, 91
Wikipedia, 18, 131 f. zusammengesetzte Zahlen, 87,
Wiles, Andrew, 182 f., 260 189
Windmühlen, 112–117, 189 Zwei-Quadrate-Satz, 108, 163,
Witz, 145 187, 189, 197
wohlgeordnet, 156, 258 Zyklop, 162

INDEX 273

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