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Claus-Ekkehard Barsch

Die politische Religion


des Nationalsozialismus

Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den


Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels,
Alfred Rosenberg und Adolf Hitler

Wilhelm Fink Verlag


PVA
2002.
1689

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Barsch, Claus-Ekkehard: Die politische Religion des Nationalsozialismus:


die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von
Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler /
Claus-E. Barsch. - 2., vollst. Überarb. Aufl. - München: Fink, 2002
ISBN 3-7705-3172-8

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ISBN 3-7705-3172-8
© 2002 Wilhelm Fink Verlag, München
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn

CJSSSZU) ?o1 CM
Inhaltsverzeichnis

Vorwort 9

V o r w o r t zur zweiten Auflage 11

Einleitung: Religionspolitologie - ein Desiderat


der politischen Wissenschaft 17

A. Z u m Verhältnis von Politik und Religion 21

I. Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs


der deutschen M o d e r n e 21
1. Staat als K o n z e p t i o n der Einheit und Souveränität
der Gesamtgesellschaft 11
2. D e r „in Staat und Volk innewohnende Geist G o t t e s "
in der politischen Theologie Hegels 24
3. Die Einheit des Staates und der Kampf zwischen
G o t t und Satan als Kriterium des Politischen
in der Politischen Theologie Carl Schmitts 32
4. Z u s a m m e n f a s s u n g 38

II. Umrisse eines religionspolitologischen Ansatzes 41

B. Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung:


„Reich" und „ F ü h r e r " sowie „Volk" und „Rasse" 53

I. Das nationalsozialistische Verständnis v o m kommenden


„Dritten Reich" 53
1. Historisierung der Trinitat: Z u m Begriff des „Dritten Reiches" 53
2. Die Einführung des Symbols „Drittes Reich" in die NS-Ideologie
durch Dietrich Eckart 60
a. Dietrich Eckart: Gründungsvater der N S D A P ,
Freund und Förderer Adolf Hitlers 60
b. Die allgemeine Gottesvorstellung nach dem Muster
der christlichen Mystik 66
c. Das Wesen der Deutschen und der Juden nach
dem Muster Christ und Antichrist 71
6 Inhaltsverzeichnis

d. Politik als Religionskrieg nach dem Muster


der Offenbarung des Johannes 80
e. Zusammenfassung: Z u m Z u s a m m e n h a n g zwischen
Mystik und Apokalyptik 93
3. D e r politische „Katechismus" des Bildungsbürgers und
späteren Propagandaministers Joseph Goebbels 98
a. Katholische Kindheit und verzweifelte Jugend 98
b. Religion und Katastrophenbewußtsein
vor dem Eintritt in die N S D A P 103
c. Politik und Religion nach dem Eintritt in die N S D A P 115
aa. G o t t , Christus und Erlösung 115
b b . Erlösung und „Drittes Reich" 121
cc. „ D e r J u d e " als „Antichrist" 131
4. Zusammenfassung:
Sieg und Heil durch den Kampf gegen das Böse 138

II. D e r Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 143


1. D e r G r u ß „Heil Hitler" 143
2. H o u s t o n Stewart Chamberlain 147
3. Dietrich Eckart 152
4. Rudolf H e ß 155
5. Julius Streicher 163
6. Baidur von Schirach 167
7. Heinrich Himmler 171
8. H e r m a n n Göring 173
9. J o s e p h Goebbels 176
10. Exkurs: D e r Hitlerkult in der deutschen Lyrik 182
11. D e r Führer im Kreuz kollektiver Identität 187

III. Volk und Rasse 192


1. Das Problem der Konstitution des Volkes 192
2. „ M y t h u s " als „Mystik". Alfred Rosenbergs
„ W e r t u n g der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe" 197
a. Z u m Leben Rosenbergs und seinen Positionen
in Partei und Staat 197
b. Z u m Inhalt und Aufbau des „Mythus des 20. J a h r h u n d e r t s " .
Wie die nordische Seele in Rosenberg zum Bewußtsein
ihrer Pneumapathologie gelangte - eine nicht minder
m ü h s a m geschriebene und ebenso quälend zu lesende
Zusammenfassung 202
aa. Die Rassenseele und ihre Geschichte 207
b b . Mythus, Erkenntnis und Wissenschaft 210
cc. Mythus, „Liebe und E h r e " 212
dd. Mythus und Mystik 215
ee. D e r Zusammenhang zwischen Kunst und Religion 216
Inhaltsverzeichnis 7

ff. Mythus u n d Typus 218


gg. Staat, Geschlechter, Volk, Nationalismus,
Sozialismus, Recht 218
h h . D i e neue Religion, die neue "Deutsche Volkskirche"
und die Erziehung 223
ii. Grundzüge der Außenpolitik 224
jj. „Die Einheit des Wesens": die Rassenseele
und die zukünftige Identität des deutschen Volkes 225
c. Rosenbergs von Rasse und Volkstum abstrahierte
Auffassung von Religion 226
d. Rasse und kollektive Identität. Das deutsche Volk,
sein Selbst, seine Substanz und seine Seele 242
aa. Identität und Substanz 242
b b . D a s wirkende Potential der identisch
bleibenden Kollektivseele 250
cc. Die „Gottgleichheit" der „nordischen Seele"
und die „Satan-Natur" der Juden 267
Hitlers politische Religion 271
a. Nationalsozialismus als „völkische Weltanschauung"
und Rasse als Substanz der erst noch herauszustellenden
Identität des deutschen Volkes 271
b. Die von Rasse und Volk abstrahierte Positivität
von Religion und Hitlers Glaube an G o t t 277
c. Der religiöse Rassismus 291
aa. D e r Glaube Hitlers an seine spezifische Beziehung
zu Gott und an die besondere Verbindung zwischen G o t t
und dem deutschen Volk 291
b b . G o t t , Natur und die rassischen „Urelemente"
der Deutschen 298
cc. Der Arier als „höchstes Ebenbild des H e r r n " 301
dd. „Der J u d e " als „Personifikation des Teufels"
und „Widersacher jedes Menschentums" 312

C. Politik, Resakralisation und Annihilation 321

I. Zusammenfassung: Die nationalsozialistische Ideologie


und die Identität der Deutschen 321
1. Das deutsche Volk und sein zukünftiger Status —
das „Dritte Reich" 321
2. Das deutsche Volk und sein Kommunikator Adolf Hitler —
der „Führer" 326
3. Der völkisch-religiöse Rassismus: die divinisierten Arier
einerseits und die satanisierten Juden andererseits 329
8 Inhaltsverzeichnis

4. Der Zusammenhang der Komplexe Reich,


Führer, Volk, Rasse und Antisemitismus 338
II. Der Modus der Religiosität 341
1. Apokalyptik, Satanologie und Antijudaismus
im Neuen Testament 341
2. Christliche Häresie oder politische Religion? 347
3. Der Genozid an den Juden aus der Perspektive
der Religionspolitologie 368

Literaturverzeichnis 383

Personenregister 405
Vorwort

Mit dieser Arbeit wird ein neuer Weg zur Beurteilung des Nationalsozialismus
eingeschlagen. Neu ist der Versuch, den Nationalsozialismus durch eine um-
fangreiche Darstellung und intensive Auslegung von Texten zu verstehen.
Weil in ihnen schlechte Wahrheit und keine Vernunft zu erkennen ist, han-
delt es sich bei dieser Methode insofern um negative Hermeneutik.
Neu ist darüber hinaus die Anwendung religionspolitologischer Kategorien
zum Zweck der Erfassung und Analyse der NS-Ideologie.
Im ersten Teil der Arbeit wird daher das Verhältnis von Politik und Reli-
gion thematisiert, um die religionspolitologischen Kategorien, die der Inter-
pretation der Texte dienen, zu bestimmen. Im zweiten Teil wird versucht,
religionspolitologische Konfigurationen in nationalsozialistischen Texten
nachzuweisen. Bei der Form der Darstellung war zunächst zwischen den Kri-
terien der Erforschung der Ideologie und deren Anwendung zu trennen. Da-
her wird die Form der Darstellung darin bestehen, die ideologischen Sachver-
halte unter die im ersten Teil der Arbeit angegebenen Begriffe - wie z. B.
Identität, Gott, Substanz, Volk - zu subsumieren. Hier ist die ausführlich do-
kumentierende Integration des zu analysierenden ideologischen Materials un-
abdingbar. Die außerordentlich vielen und teilweise langen Zitate sind auch
deshalb nötig, um dem Leser, der nur äußerst schwierig in den Besitz der
Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf
Hitler gelangen kann, ein eigenes Urteil zu ermöglichen.
Daß die Darstellung redundant und die Lektüre daher mühsam ist, kann
ich dem Leser nicht ersparen. Die Redundanz folgt aus der Sache selbst. Nur
wenn ganz bestimmte Merkmale in ähnlichen oder verschiedenen Konstella-
tionen immer wieder feststellbar sind, kann bewiesen werden, der NS-Ideolo-
gie komme dieses oder jenes Prädikat zu.
Vorweg möchte ich mich bei allen bedanken, die mich während der Arbeit
an dieser Untersuchung ertragen mußten und mir darüber hinaus geholfen
haben. Ratschläge und Korrekturen erhielt ich - wie immer - von Prof. Dr.
Hedda Herwig, Zuspruch von Dagmar Hille und Christa Fix. Besonders in-
tensiv habe ich mit meinen Freunden Jürgen Drewes, Dr. Olaf Haas, Karim
Zendagui über Carl Schmitt und die Postmoderne diskutiert. Marion von
Braasch, Dr. Doris Mendlewitsch und ganz besonders Olaf Haas haben sich
sehr viel Mühe gegeben, das Manuskript stilistisch zu verbessern. Bei der
Schlußanfertigung waren mir Dipl. Soz. Wiss. Susanne Bleier und Dr. Peter
Berghoff vom Institut für Religionspolitologie (Duisburg) eine unentbehrli-
10 Vorwort

che Hilfe. M.A. Andreas Dammertz übernahm freundlicherweise die endgül-


tige Korrektur und Formatierung. Frau Dipl. Soz. Wiss. Petra Bartnik hat es
verstanden, über Jahre die vielen Fassungen des Manuskriptes mit Übersicht
und Geduld zu schreiben.

Claus-E. Barsch

Düsseldorf und Dietramszell 1997


Vorwort zur zweiten Auflage

Boshafte Zungen behaupten, man könne sich die Lektüre eines Buches erspa
ren, wenn man das Vorwort zur zweiten Auflage lese; denn darin sehe sich
der Verfasser gezwungen, auf die Verrisse einzugehen und daher das Wesent
liche wenigstens einigermaßen verständlich zusammenzufassen. Hinzu käme,
daß jeder Wissenschaftler nach einer gewissen Zeit und nochmaliger Lektüre
seine Arbeit besser verstünde als zuvor. Das mag so sein. Ich jedenfalls habe
einige Passagen meines Buches überhaupt nicht mehr verstanden. Das liegt
nicht nur daran, daß durch eine Verkettung unglücklicher Umstände das nicht
korrigierte Skript publiziert wurde. Zum Glück wurde die erste Auflage ver
kauft, so daß ich zahlreiche Korrekturen vornehmen konnte und an dieser
Stelle auf die Kritik eingehen kann.
Die meisten Einwände betreffen das Substantiv Religion bei der Bezeich
nung politische Religion, die ich nur im Sinne eines Topos und nicht einer
Definition verwenden wollte. Daher möchte ich nunmehr von vornherein fol
gendes betonen:
Erstens: Ich bin nicht davon überzeugt, daß die spezifischen Merkmale der
politischen Religion des Nationalsozialismus mit den wesentlichen Glaubens
sätzen der katholischen Kirche und der protestantischen Kirchen überein
stimmen. Viele Mißverständnisse kommen durch die Identifikation des Be
griffs Religion mit den verbindlichen Glaubenssätzen der christlichen Kir
chen oder den jeweils individuellen vom Katechismus der christlichen Kon
fessionen losgelösten Deutungen sowie der Verwechslung von Theologie und
Religion zustande.
Zweitens: Die gläubigen Nationalsozialisten waren keine frommen Christen.
Ich spreche den hier behandelten Nationalsozialisten und allen ihren gläubi
gen Anhängern insbesondere die spezifisch christliche Tugend der Nächsten
liebe sowie die sogenannten natürlichen und für die Christen geltenden Tu
genden der Gerechtigkeit, Weisheit, Klugheit, Besonnenheit und Barmherzig
keit ab.
Drittens: Religion setzt nicht das Vorhandensein einer ihr entsprechenden
Theologie voraus. Das heißt auch, daß die Phänomenologie einer Religion
keines Systems bedarf, das wissenschaftlich verfaßt, gelehrt, verkündet und
als solches von den Gläubigen für gut und wahr gehalten wird.
Viertens: Ich hatte nicht die Kritik jeglicher Religion beabsichtigt. Zur Zeit
bin ich noch nicht einmal willens oder in der Lage, jede Verbindung von Po
litik und Religion zu verwerfen. Vielmehr neige ich zu einer mehr oder weni
ger freien Auslegung eines Diktums Hegels, nämlich: „Das Volk, das einen
12 V o r w o r t zur zweiten Auflage

schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat, schlechte
Regierung, schlechte Gesetze." 1
Fünftens: Die nationalsozialistische Anschauung von Welt wäre ohne die
christliche Religion und ohne die davon abhängigen Kognitions- und Wahr-
nehmungsmuster der deutschen kulturellen Tradition nicht entstanden. Man
kann darüber streiten, ob die politische Religion des Nationalsozialismus eine
Transformation der christlichen Religion selbst oder nur die Transformation
ihrer Entgleisungen ist. Nicht zu bestreiten ist hingegen, daß die nationalso-
zialistische Weltanschauung in der deutschen christlich-kulturellen Tradition
entstanden ist.
Sechstem: Daß die Nationalsozialisten die Kirchen bekämpft haben, spricht
nicht gegen die Ablehnung der Religion an und für sich, sondern nur dafür,
daß sie bestimmte Inhalte der für die Mitglieder der katholischen Kirche so-
wie der protestantischen Kirchen verbindlichen Glaubenssätze verwarfen und
die wirkliche oder vermeintliche Macht der kirchlichen Konkurrenz brechen
wollten.
In einigen Rezensionen ist übersehen worden, daß schon im Titel der Un-
tersuchung der Inhalt sowie der Umfang des Substantivs Religion durch das
beigefügte Eigenschaftswort „politisch" eingeschränkt und begrenzt wurde.
Daher möchte ich an dieser Stelle lediglich vorausschicken, wie in dieser Un-
tersuchung zwischen einer nichtpolitischen und einer politischen Religion un-
terschieden wurde. Ich schlage in Rücksicht auf die christliche Tradition und
Erziehung vor, sich an der Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz
zu orientieren, wobei weitere und engere Bestimmungen als die folgenden
möglich sind.
Eine Religion hat dann keine politische Qualität, wenn das, was die Mitglie-
der eines politischen Verbandes glauben, ausschließlich auf das jenseitige Heil
ausgerichtet ist und sie sich in ihrer Lebensführung tatsächlich daran halten;
also wenn aus dem Glauben keine Schlüsse im Hinblick auf die Ordnung der
Gesellschaft, die Regeln des öffendichen Lebens und die Normen der Herr-
schaft gezogen werden sollen bzw. es für falsch erklärt wird, wenn sie tatsäch-
lich gezogen werden. Mit anderen Worten: „So gebet dem Kaiser, was des
Kaisers, und Gott, was Gottes ist."2
Hat eine Religion politische und die Auffassung von Politik religiöse Im-
plikationen, dann ist die Verwendung des Topos „politische Religion" ge-
rechtfertigt. Einer Religion kommt auf jeden Fall - andere Möglichkeiten dür-
fen selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden — dann das Prädikat poli-
tisch zu, wenn
Erstens: an überirdische Mächte sowie an die Existenz einer jenseitigen
Welt geglaubt wird;

1
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Theorie
werkausgabe, Bd. 16, Frankfurt a. M. 1989, S. 237.
2
Matth. 22,21.
Vorwort zur zweiten Auflage 13

"Zweitens: der Glaube vorrangig oder gleichrangig auf das Heil und die Erlö-
sung in der diesseitigen Welt gerichtet ist;
Drittens: von den sich entscheidenden und handelnden Menschen geglaubt
wird, in der politischen O r d n u n g und durch die Qualität der politischen Ord-
nung könnten Heil und Erlösung erreicht werden;
Viertens: der spezifische Glaube an heilige und überirdische Mächte für das
Bewußtsein von Gesellschaft maßgebend und dafür ausschlaggebend ist, wie
die O r d n u n g der Gesellschaft und ihre Institutionen wahrgenommen, begrif-
fen, bestimmt und gerechtfertigt werden.
Das soll an dieser Stelle genügen. Im übrigen verweise ich auf die Kapitel
A.I., A.II. und C.II.2.
In einigen Rezensionen ist die zu geringe Distanz zu dem darzustellenden
Sachverhalt gerügt worden. Unter Freunden würde ich sagen: Das höre ich
gern, denn darum habe ich mich schweren Herzens bemüht. Hier muß ich
erklären, daß es zu billigen ist, sich auf einen Text soweit wie möglich einzu-
lassen, um ihn zu verstehen. Es gibt gute G r ü n d e anzunehmen, daß eine kon-
trollierte — sowieso nur teilweise mögliche und sinnvolle — Aufhebung der Di-
stanz bei bestimmten Texten eine wichtige Voraussetzung dafür ist, deren
Sinn erkennen zu können. Ich bin der Überzeugung, daß die allseitige Forde-
rung nach Aufklärung o h n e den Versuch, den Sinn der Deutung von Mensch
und Welt wie ihn politische Akteure interpretieren, zu verstehen, nicht mög-
lich ist; es sei denn, ihre Taten könnten durch die Anwendung allgemeiner
Gesetze und abstrakter Regeln der Geschichte und der Psyche erklärt werden.
Da ich diese nicht kenne, habe ich die zu große Distanz mehr gefürchtet als
eine zu große formale oder seelische Nähe. Schließlich bin ich der Meinung,
daß verstehen nicht mit billigen zu verwechseln ist.
Vielleicht hätte ich von vornherein ausdrücklich darauf hinweisen sollen,
daß die Denkweise von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg
und Adolf Hitler auch mit Hilfe bestimmter Kategorien des Erkennens ver-
standen und dem Leser vermittelt werden sollte. Der Versuch nachzuweisen,
daß die Argumentationszusammenhänge von Dietrich Eckart, Joseph G o e b -
bels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler unter die Kategorien Identität, Dif-
ferenz, Exklusion, Inklusion, Substanz, Ursprung und Ziel subsumiert werden
können, der nicht nötig gewesen wäre, wenn die Philosophen die sogenannte
Aufarbeitung der Vergangenheit nicht den Historikern und den Sozialwissen-
schaftlern überlassen hätten, hat mir den Vorwurf eingebracht, die Ideologie
der Nationalsozialisten aufgewertet zu haben. Indes habe ich nie behauptet,
daß die genannten Kategorien bewußt, geschweige denn kritisch-reflexiv, an-
gewendet wurden. Es ist auch kritisiert worden, daß viel zu häufig und zu lang
zitiert wurde. Ich hingegen bleibe bei meiner Überzeugung, daß nur durch die
Dokumentation der Wiederholungen der religiösen Implikationen in verschie-
denen Zusammenhängen der Charakter der NS-Ideologie als politische Reli-
gion nachgewiesen werden kann.
Vielleicht habe ich mich auch aufgrund meiner früheren Tätigkeit als
14 Vorwort zur zweiten Auflage

Rechtsanwalt zu sehr in die Position der Beweispflicht begeben. D o c h bitte


ich zu beachten, daß, wie Michael Burleigh kritisch anmerkt, die am Werk
Eric Voegelins 3 anknüpfenden Untersuchungen in der deutschsprachigen Li-
teratur über den Nationalsozialismus „völlig ignoriert" 4 wurden. Das hat vie-
le hier nicht zu erörternde Gründe. Es kann auch daran liegen, daß der Zu-
sammenhang zwischen Rassismus und Religion nicht unmittelbar einleuch-
tend ist und bisher auch noch nicht präzise genug nachgewiesen wurde. N o c h
immer ist es herrschende Meinung, das wesentliche Merkmal des nationalso-
zialistischen Rassismus sei biologisch-darwinistischer Natur. Ist dies der Fall,
dann scheint ein Widerspruch zwischen Religion und Rassismus zu bestehen,
und es ist in der Tat schwer zu begreifen oder nachzuweisen, weshalb der bio-
logische Rassismus die Qualität einer politischen Religion haben soll. Fragt
man aber danach, wie z. B. Hitler und Rosenberg die Überlegenheit der ari-
schen bzw. der nordischen Rasse begründeten und ob und wie sie Religion als
solche bestimmt und positiv bewertet haben, dann kann nachgewiesen wer-
den, daß der nationalsozialistische Rassismus kein rein biologischer, sondern
ein religiöser ist. Das ist sowohl in analytisch-deskriptiver also auch in nor-
mativ-kritischer Hinsicht von erheblichem Gewicht und betrifft folgende,
miteinander zusammenhängende Momente des Politischen.
Erstens: Die gerade im demokratischen Verfassungsstaat erforderliche Rede
über das Volk und somit auch die Notwendigkeit, eine bestimmte Auffassung
von „ d e m o s " vulgo von Volk, bestimmen, besetzen und begreiflich machen
zu müssen.
Zweitens: Die in der NS-Ideologie enthaltene wechselseitige Abhängigkeit
bei der Bestimmung der Identität des deutschen und des jüdischen Volkes
und damit den spezifischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. 5
Drittens: Den Konflikt zwischen dem Willen des Volkes bzw. seiner Mehr-
heit und der davon unabhängigen Geltungskraft des modernen Rechts- und
Verfassungsstaates.
Viertens: Das Böse, sowie den Glauben, daß es das Böse gibt und den da-
mit einhergehenden Glauben an die Personifikation des Bösen.
Hier sei lediglich vorweggenommen, daß für Hitler der maßgebende
Grund, die Identität des deutschen Volkes bestimmen zu können und herstel-
len zu müssen, sein spezifischer Glaube an G o t t und an die göttliche Sub-
stanz der arischen Rasse war. Kann erst einmal nachgewiesen werden, daß der
nationalsozialistischen Weltanschauung auch deshalb das Charakteristikum
einer politischen Religion zukommt, weil das deutsche Volk via seiner Teilha-

Eric Voegelin, Die politischen Religionen, Wien 1938; 2. Aufl. Stockholm 1939, neue Aufl.
München 1993, hrsg. von Peter Opitz.
4
Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, München
2000, S. 978.
In jedem Mahnmal zum Holocaust, in dem diese zwanghafte Konjugation nicht einbezogen
wird, wird nur die halbe Wahrheit symbolisiert.
V o r w o r t zur zweiten Auflage 15

be an der arischen Substanz divinisiert wurde, dann kann auch der Versuch,
das gesamte jüdische Volk zu ermorden, plausibler erklärt werden als mit der
rein biologisch-darwinistischen Bestimmung des nationalsozialistischen Ras-
sismus. So wie das deutsche Volk divinisiert wurde, wurde das jüdische Volk
satanisiert. Hitler und Rosenberg z. B. waren der Überzeugung, nur die jüdi-
sche Rasse sei die „Gegenrasse" und nur das Kollektiv der Juden sei die In-
karnation des Bösen. Damit wurde, was zu betonen ist, in der nationalsoziali-
stischen Weltanschauung etwas affirmiert und überhaupt thematisiert, was im
aufgeklärten Diskurs der Moderne verschwunden war und bei der Rede über
den Nationalsozialismus kaum gewürdigt wird, nämlich der Glaube, es gäbe
das metaphysisch Böse. Im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus ist
häufig vom Bösen die Rede. Thematisiert wird die angebliche Banalität des
Bösen bei den Nationalsozialisten, die von den Nationalsozialisten geschaffe-
nen Wirklichkeit des Bösen, der Holocaust als das unerklärbare Böse und der
damit einhergehende Verdacht, wer versuche, den Holocaust zu erklären,
paktiere selbst mit dem Bösen. Demgegenüber schlage ich, zwischen dem me-
taphysisch und dem moralisch Bösen unterscheidend, einen Perspektivwech-
sel vor. Den sogenannten Theorien über Auschwitz6 füge ich eine weitere Er-
klärung hinzu: Auch der Glaube, das jüdische Volk und nur das jüdische Volk
sei die Personifikation des Bösen und das deutsche Volk sei die des Göttli-
chen, war kausal für das moralisch Böse - für Auschwitz.
Obwohl ich seit nunmehr zwanzig Jahren, beginnend mit einer Studie über
die Erlösungssehnsucht des jungen Goebbels, über die nationalsozialistische
Ideologie forsche, möchte ich nicht verhehlen, daß ich die Zeit des National-
sozialismus nicht für den Angelpunkt der deutschen Geschichte halte. Schließ-
lich gibt es sowohl vor 1933 als auch nach 1945 in der deutschen Geschichte
eine nicht unerhebliche Reihe von lichten Momenten.
Bedanken möchte ich mich bei Christa Fix, meiner Frau, und bei Renate
Retzlaff, die sich bemüht haben, die vielen Fehler des Manuskripts der ersten
Auflage aufzufinden und zu korrigieren.

Claus-E. Barsch

Düsseldorf und Dietramszell

lanuar 2002

Vgl. die 42 Theorien in: Gunnar Heinsohn, Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlo-
sigkeit der Nachwelt, Reinbek 1995.
Einleitung: Religionspolitologie —
ein Desiderat der Politischen Wissenschaft

W e r Religion verkennt, erkennt Politik nicht. Das gilt unmittelbar für Gesell-
schaften, in denen die Mehrheit der Mitglieder die Fragen nach dem Sinn des
L e b e n s in Übereinstimmung mit den Glaubensinhalten einer Religion beant-
w o r t e n . D a s gilt mittelbar, wenn die Zeit manifester religiöser Traditionen
n o c h nicht lange zurückliegt und Religiosität in der Weise ersetzt wurde, daß
nicht eine völlig neue Deutung der Existenz zur Geltung gelangt, sondern daß
das N e u e durch die Negation des Alten bestimmt wird. Der Atheismus ist
v o m T h e i s m u s abhängig. Wer z. B. o h n e Gottes Hilfe das Himmelreich auf
E r d e n errichten will, stellt sich das zukünftige Leben wie das Himmelreich
vor. Meist bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als an das Himmelreich auf
E r d e n zu glauben, obwohl er meint, den zukünftigen G a n g der Geschichte
wissenschaftlich begründen zu können. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlos-
sen, daß in einer eher fernen als nahen Zukunft Politik von Religion vollkom-
m e n unabhängig sein kann. O b zum Glück oder zum Unglück der Menschen,
kann hier dahingestellt bleiben.
Die Möglichkeit, daß die politische Wirklichkeit von religiösem Bewußt-
sein abhängt, ist dadurch gegeben, daß Politik ein Zusammengesetztes ist,
daß die Struktur der Gesellschaft stets konstituiert werden muß - ob in Form
von Bewahrung oder Veränderung — und daß dabei das Bewußtsein von dem,
was Realität ist oder sein könnte, das politische Sein bestimmt. Daher hat die-
se U n t e r s u c h u n g eine übergeordnete Perspektive: die Konstitution von Ge-
sellschaft durch die in Gesellschaft und Geschichte im Rahmen eines je spe-
zifischen Bewußtseins handelnden Menschen. N u r deshalb, nicht weil für
oder wider Religion zu streiten ansteht, sind die religiösen Dimensionen der
NS-Ideologie v o n Interesse. Weil die Auffassungen und Wahrnehmungen
von Gesellschaft in das Urteilen und Handeln einfließen, wird danach gefragt,
wie die nationalsozialistischen Ideologen der „völkischen Weltanschauung"
Welt und Volk anschauten, was ihnen das „Wesen" von Volk und Welt war.
Im Hinblick auf die Konstitution v o n Volk, wobei Volk wie Nation, Staat,
Kirche und Gemeinschaft unter den Begriff der Gesellschaft fällt, kommt es
darauf an, o b in der nationalsozialistischen Ideologie bei der Bestimmung des
Volkes typisch religiöse Apperzeptionsmuster von Welt feststellbar sind. D e r
nationalsozialistische Begriff des Volkes, durch den erst das Prädikat „völ-
kisch" zu ermitteln ist, interessiert nicht nur deshalb primär, weil nach dem
Selbstverständnis Adolf Hitlers die „ G r u n d g e d a n k e n " des Nationalsozialis-
mus vor allem ein Bekenntnis zur „völkischen Weltanschauung" darstellten.
IS Einleitung: Religionspolitologie - ein Desiderat

Vielmehr sind der Wert und die Bedeutung des Volkes für das politische Le-
ben wesentliche Merkmale der Moderne, soweit sie unter anderem durch den
Kampf um die Bestimmung und Besetzung des Volksbegriffes charakterisiert
ist — o b Gesellschaft nun nach dem Muster der rechtsstaatlich-pluralen De-
mokratie, der identitär-totalitären Volksdemokratie oder eben durch „Drittes
Reich", „Rasse", „Führer" und Antisemitismus konstituiert werden soll. Da
die religiösen Apperzeptionsmuster von Welt im Kontext meiner Untersu-
chung nur in Rücksicht auf die Konstitution einer Gesellschaft von Interesse
sind, sollen lediglich die darauf bezogenen Momente von Religiosität betrach-
tet werden. Weil die dem Bewußtsein von Mensch, Gesellschaft und Ge-
schichte entsprechenden Ideologeme der NS-Ideologie in den Schlagwörtern
„Ein Volk - ein Reich - ein Führer" sowie im antijudaischen Rassismus zu-
sammengefaßt werden können, hat die NS-Ideologie dann religiöse Dimen-
sionen, wenn der religiöse Gehalt der Begriffe

1. Volk, Nation, Rasse — als Bewußtsein von Mensch und Gesellschaft -


2. „Drittes Reich" — als Bewußtsein von Geschichte -
3. „Führer" - als spezifische Symbolisierung im Hinblick auf das Bewußtsein
von Mensch, Gesellschaft und Geschichte - und
4. Antisemitismus - als für die Identität notwendige Negation des anderen -
erwiesen werden kann.

O h n e die weiter unten näher spezifizierte Verbindung von Politik und Reli-
gion vorwegnehmen zu wollen, sei schon vorangeschickt, daß die hier aufge-
führten Begriffe Volk, Reich und Führer dann einen religiösen Gehalt haben,
wenn an eine besondere Relation zwischen Volk, Rasse, dem k o m m e n d e n
„Dritten Reich", dem Führer und G o t t einerseits und dem „Juden" und dem
„Bösen" andererseits geglaubt wird. Dabei ist der Glaube — und nicht z. B. die
Frömmigkeit — das wesentliche Merkmal von Religion, vor allem der Glaube
an eine überirdisch in die menschlichen Verhältnisse eingreifende Macht.
Man könnte die Aufgabe dieser Arbeit auch kürzer beschreiben, nämlich
als die Suche nach der Antwort auf die Streitfrage, ob die NS-Ideologie eine
politische Religion sei. Indes ist eine T o p o - und Typologie dessen, was unter
„politischer Religion" zu verstehen ist, bisher nirgends entwickelt worden.
Selbstverständlich ist das Thema unter anderen von Ernst Bloch, Max Hork-
heimer, T h e o d o r W. A d o r n o , Leszek Kolakowski, Jakob Taubes, E r n s t T o -
pitsch, Hans-Joachim Schoeps und nicht zuletzt E,ric Voegelin sowie jüngst
Peter Koslowski, Micha Brumlik und insbesondere Hans Maier behandelt
worden. Im Spektrum der verschiedenen Wissenschaften wie Philosophie,
Geschichte, Psychologie und Soziologie kennen wir zwar Religionsphiloso-
phie, Religionsgeschichte, Religionspsychologie und - mit beachtlicher Q u a -
lität und Quantität — Religionssoziologie. Eine Teildisziplin der Politischen
Wissenschaft, die sich mit dem Zusammenhang von Politik und Religion be-
faßt und die Bezeichnung Religionspolitologie tragen könnte, gibt es jedoch
nicht. Nach religiös bewirkter Konstitution von Gesellschaft wurde in d e n
Einleitung: Religionspolitologie - ein Desiderat 1')

letzten vierzig Jahren vor allem deshalb kaum geforscht, weil die Bedeutung
der Religion nicht in ein für die Gegenwart gültiges Konzept von Gesamtge-
schichte paßte. In den Varianten der historischen Dialektik wie dem ortho-
doxen Marxismus und der kritischen Theorie der Frankfurter Schule war Re-
ligion historisch überflüssig, Ausdruck der Entfremdung sowie falsches Be-
wußtsein. Im sogenannten „kritischen Rationalismus" gilt immer noch das
G r u n d d o g m a des Positivismus, nämlich die Einteilung der Geschichte in die
sich ablösenden Phasen Theologie, Metaphysik und Wissenschaft (Auguste
Comte). D e m Funktionalismus der Systemtheorie gemäß wurde Religion evo-
lutionär aus d e m System Gesamtgesellschaft ausdifferenziert. Die Bedeutung
von Religion entsprach in diesen Schulen nicht dem Paradigma der Moderne
oder dem, was man für die Realität der Moderne hielt. Warum sollte man
auch, wenn Max Webers Charakterisierung der Moderne als „Entzauberung
der Welt" für bare Münze gehalten wird, als moderner und karrierebewußter
Sozialwissenschaftler religionspolitologische Forschung betreiben? Aber auch
bei den Vertretern der sogenannten normativ-ontologischen Richtung der
Politischen Wissenschaft, in der auf die antike und die christliche Tradition
zurückgegriffen wird, wurde der Begriff der politischen Religion nicht ausrei-
chend präzisiert.
Zuerst hatte der jüdische Religionshistoriker Hans-Joachim Schoeps unter
einem Pseudonym die NS-Ideologie als politische Religion bezeichnet. Be-
kannt wurde die Charakterisierung des Nationalsozialismus als politische Re-
ligion durch Eric Voegelins 1938 in Wien und 1939 in Stockholm erschienene
Schrift „Die politischen Religionen". Während die Emigranten Schoeps und
Voegelin unter Zugrundelegung der jüdischen bzw. christlichen Traditionen
die politische Religion der Nationalsozialisten kritisierten, wurde der Propa-
gandist des Begriffs „Politische Theologie", Carl Schmitt, 1933 Mitglied der
N S D A P und preußischer Staatsrat. Ich plädiere dafür, die NS-Ideologie reli-
gionspolitologisch zu erfassen und zu interpretieren. Die Aufgabe einer Reli-
gionspolitologie besteht nicht in der Kritik der Religion oder in der Forde-
rung nach Religion. In einem Wissenschaftsbereich Religionspolitologie wäre
die Aufgabe zu erfüllen, alle P h ä n o m e n e des Politischen sowie die Gegen-
stände der politischen Wissenschaft (Macht, Herrschaft, Institutionen, Ethik,
Modelle gesellschaftlicher Existenz, Ideologien etc.) unter besonderer Be-
rücksichtigung religiöser Implikationen zu untersuchen. Daher habe ich im
Dienste meines Ansatzes ein aus vier Ebenen bestehendes Schema von Kate-
gorien zur Erfassung und Analyse des zu behandelnden ideologischen Tatbe-
standes entwickelt, das im zweiten Teil des ersten Kapitels dargestellt wird.
Da die Konjugation von Politik und Religion nicht gerade das herrschende
Problembewußtsein bestimmt, soll indes vor der Darstellung meines eigenen
Ansatzes der Z u s a m m e n h a n g von Religion und Politik in Rücksicht auf den
modernen deutschen Staatsbegriff plausibel gemacht werden — zeigt sich
doch an diesem, daß die sogenannte Moderne per se nicht jenseits religiöser
Implikationen beschrieben werden kann.
A. Zum Verhältnis von Politik und Religion

I. Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs


der deutschen Moderne

1. Staat als Konzeption der Einheit und Souveränität


der Gesamtgesellschaft

Carl Schmitt hat 1922 den Begriff der „Politischen Theologie" in Auseinan-
dersetzung mit der Souveränität des modernen Staates in positiver Verwen-
d u n g eingeführt. Eric Voegelin wiederum hat den politisch-religiösen Gehalt
der Souveränität als Merkmal des Staates kritisiert. Dabei knüpft er an die
damals in der deutschen Staatslehre vorherrschende Definition von Souverä-
nität an. In der T a t verstand man unter Souveränität in der herrschenden
deutschen Staatslehre ursprüngliche, nicht abgeleitete Herrschaftsgewalt.
Staat wird insoweit, so Voegelin, nach dieser Lehre „eine Macht über allen
Mächten" 1 u n d ersetzt Gott:

Die vollständig ausgegliederte Schöpfungsordnung wird durch sie gleichsam deka-


pitiert, das göttliche Haupt wird abgeschlagen und an die Stelle des welttranszen-
denten Gottes tritt der Staat als die letzte Bedingung und der Ursprung seines ei-
genen Seins.2

Die für die deutsche M o d e r n e prototypische, im Begriff vom Staat enthaltene


Konjugation v o n Politik und Religion läßt sich am besten durch einen Rekurs
auf die politische Theologie Hegels demonstrieren, der zweifellos einen gro-
ßen Einfluß auf die deutsche Tradition politischen Denkens gehabt hat.
Vorweg ist zu sagen, daß Politik in der deutschen Tradition auch heute
noch als Handeln des Staates wahrgenommen wird. O b man nun im Volk
vom „Vater Staat" spricht oder von den „Aufgaben des Staates", die Wirt-
schaft zu unterstützen oder zu hemmen, Steuern einzunehmen und zu vertei-
len, Wohlstand zu m e h r e n oder zu mindern, Recht zu erzeugen oder Recht
zu schützen, D e m o k r a t i e zu garantieren oder Freiheit zu ermöglichen: Staat
ist offensichtlich ein Wesen, welches tut, macht und handelt. In der Tradition

1
Eric Voegelin, Die politischen Religionen, Wien 1938, 2. Aufl. Stockholm 1939, neue Aufl
München 1993, hrsg. von Peter Opitz, S. 10.
2
Ebd., S. 11.
22 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

der deutschen Staatslehre des 19. und 20. Jahrhunderts fällt der Begriff des
Staates unter den der Gesellschaft. 3 Der primäre Wortsinn oder das genus
proximum in der Lehre von der juristischen Person des Staates gleicht struk-
turell dem Begriff der Gesellschaft, insofern mit „Staat" eine menschliche
Vereinigung, ein menschlicher Verband oder eine menschliche Verbindung
bezeichnet wurde. 4 Diese Tradition reicht noch bis in die Definition des Staa-
tes im Staatslexikon aus dem Jahre 1962: „Staat" ist, wie es dort, der deut-
schen Tradition gemäß, zusammengefaßt wird, „die auf Dauer angelegte
dung von Menschen eines bestimmten Gebietes %u einer Einheit unter einer ursprünglichen,
d. h. von keiner irdischen Macht abgeleiteten, umfassenden Herrschaftsgewalt %ur
wirklichung von Gemeinschafts^wecken'6. In dieser Tradition steht auch Max We-
ber, insofern er unter Politik „die Leitung oder die Beeinflussung der Leitung
eines politischen Verbandes, heute also: eines Staates" 6 versteht. In der Defi-
nition des Staatslexikons aus dem Jahre 1962 wird mit der Formulierung der
„ursprünglichen, d. h. von keiner irdischen Macht abgeleiteten, umfassenden
Herrschaftsgewalt" das Merkmal der Souveränität 7 auf den Begriff gebracht
Bei Max Weber ist „Staat" „diejenige menschliche Gemeinschaft, welche in-
nerhalb eines bestimmten Gebietes" das „ M o n o p o l " „legitimer, physischer
Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht" 8 . In der Staatslehre als Dis-
ziplin der Rechtswissenschaft, in welcher Herrschaftswissen artikuliert und
interpretiert wird, wurde damit Gesellschaft als ganzheitliche Einheit begrif-
fen. Wegen des Merkmals der Souveränität als wesentlichem Merkmal von
Staat oder Staatsgewalt fallen in dieser Konzeption Macht und Gesellschaft in
eine ganzheitliche Einheit zusammen. Wegen der Begriffsvermischung vom
Staat als „Institution" oder vom Staat als „Einheit" menschlicher Verbindun
gen ist mithin zu betonen, daß die verschiedenen legislativen und exekutiven
Institutionen in einer Gesellschaft gemäß diesen Lehren Organe (Werkzeuge)
von Staat sind. Daß mit der Lehre und dem Begriff vom Staat die „Vereini-
gung von Menschen" bezeichnet wurde, entspricht auch der Tradition des
deutschen Idealismus. 9 So heißt es in § 45 von Kants „Metaphysik der Sitten":

Vgl. Hans Reisen, Der soziologische und juristische Staatsbegriff. Kritische Untersuchun
gen zum Verhältnis von Staat und Recht, 2. Aufl., Tübingen 1928, S. 2; Claus-E. Barsch,
Der Staatsbegriff in der neueren deutschen Staatslehre und seine theoretischen Implikatio
nen, Berlin 1974.
4
Vgl. Carl-Friedrich von Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, Leip-
zig 1865; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Bd. 3, Berlin 1929, S. 180; Herbert Krüger,
Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart/Berlin (u. a.) 1966, S. 85.
F. Julius Bachern (Hrsg.), Staatslexikon, hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft zur Pfle-
ge der Wissenschaft im katholischen Deutschland, 6. Aufl., Freiburg 1962, S. 520 [Hervor-
hebung C.-E. B.J.
6
Max Weber, Politik als Beruf, 6. Aufl., Berlin 1977, S. 7.
Vgl. Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag
zu einer reinen Rechtslehre, 2. Aufl., Tübingen 1928.
8
Max Weber, Politik als Beruf, 6. Aufl., Berlin 1977, S. 8.
Vgl. Paul Weinacht, Staat. Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfän
gen bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1968.
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 23

Ein Staat (civitas) ist die Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen.
Auch in der Übersetzung des „Leviathan" von T h o m a s H o b b e s ist der
„Staat" nicht der Inbegriff mächtiger Institutionen, vielmehr ist der „sterbli-
che G o t t " eine spezifische F o r m von Gesellschaft. Die spezifischen Attribu-
te von „civitas" (commonwealth) werden mit dem deutschen Begriff „Staat"
nicht differenziert genug widergespiegelt. Die Folge des Gesellschaftsvertra-
ges im „Leviathan" besteht darin, daß aus der „multitudo" der ihre Freiheit
verlierenden Menschen „una persona" wird, „vocatur civitas et respublica".
In der Übersetzung der betreffenden Stelle von J. P. Meyer 1 0 im berühmten
17. Kapitel wird dies noch einigermaßen deutlich:

Auf diese Weise werden alle einzelnen eine Person und heißen Staat oder Gemein-
wesen."
Mithin kommen der Gesellschaft als Person die Prädikate „sterblicher G o t t "
oder „Leviathan" zu:
So entsteht der große Leviathan oder, wenn man lieber will, der sterbliche Gott,
dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben.12
Es ist die Vereinigung aller einzelnen zu einer Person, die „so große Macht
und Gewalt" hervorbringt. Es ist die „essentia civitatis", die durch Souverä-
nität definiert wird und nicht „das Wesen eines Staates", wie es in der deut-
schen Übersetzung lautet. Genauer gesagt wird von H o b b e s nicht der „Staat"
definiert, der „eine Person" sei, sondern die „civitas", die „una persona est".
Lautet der nächste die Z u o r d n u n g der Souveränität betreffende Satz in der
deutschen Übersetzung: „Von dem Stellvertreter des Staates sagt man, er be-
sitzt die höchste Gewalt", so ist die Konnexität von Gesellschaft und Herr-
schaft des „Leviathans" so zu interpretieren: N u r der Stellvertreter der „civi-
tas", die „una persona est" erhält die „höchste Gewalt", die „supremas pote-
stas" oder, wie die englische Übersetzung an der Stelle lautet, die „sovereign
power".
Zu lange hat man den „Leviathan" von H o b b e s unter dem Gesichtspunkt
der Konzentration der Macht behandelt. H o b b e s , der als Begründer der poli-
tischen Wissenschaft gilt, führt aber eine Konzeption von Gesellschaft ein,
die empirisch überhaupt nicht begründet wurde und zu begründen ist. Es
muß schon zwischen den vertragschließenden einzelnen ein Wunder gesche-
hen, wenn aus allen Vertragsparteien eine Person wird. So auch bei Rousseau.
„Anstelle der Einzelperson jedes Vertragspartner", so behauptet Rousseau im
sechsten Kapitel seines berühmten „Contract Social", schafft der Gesell-
schaftsvertrag eine sittliche Gesamtkörperschaft, deren Mitglieder aus sämtli-

10
„Quo facto, multitudo illa una persona est, et vocatur civitas et respublica." - „This due the
multitude unity in one person is called a commenwealth, in Latin civitas."
11
Thomas Hobbes, Leviathan, Stuttgart 1970, S. 155.
12
Ebd.
24 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

chen Stimmabgebenden bestehen und die durch eben diesen Akt „ihre
heit, ihr gemeinsames Ich, ihr Leben und ihren Willen erhält". Nach Rousseau
entsteht auf diese Weise eine „öffentliche Person". Wie dieses „gemeinsame
I c h " durch einen Vertrag entsteht, erklärt Rousseau nicht. Es bleibt ein My-
sterium. Die Quelle für die Vorstellung von einem „geistigen Gesamtkörper"
finden wir eher bei H o b b e s , und hier ist sie christologischer Natur. E s ist das
D o g m a von der christlichen Gemeinde als Corpus Christi oder der aller Chri-
sten als Corpus Christi mysticum. Im folgenden gilt es indes, die Konjugation
von Politik und Religion in Rücksicht auf das christlich-ekklesiologische Be-
wußtsein von Gesellschaft bei einem Denker nachzuweisen, der der
„philosophicus teutonicus" schlechthin ist. D e n n es ist Hegel, der im Zusatz
zu § 270 seiner Rechtsphilosophie, der den Zweck des Staates zum Gegen-
stand hat, das Verhältnis von Staat und Religion dahingehend auf den Begriff
bringt:

Der Staat ist göttlicher Wille als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Or-
ganisation einer Welt entfaltender Geist. 13

2. Der „in Staat und Volk innewohnende Geist Gottes"


in der politischen Theologie Hegels

O h n e einen Rekurs auf Hegel sollte man weder über Religion und Politik
noch über die Moderne in Deutschland sprechen. 1 4 Hegels gesamte Philoso-
phie ist eine „Enzyklopädie" des Wissens über das Verhältnis von Politik und
Religion, das weder vor noch nach ihm so gewaltig in ein System des Wissens
integriert worden ist. Die Ausgabe seiner Werke beginnt in Band 1 mit Frag-
menten über „Volksreligion und Christentum" und endet im letzten Band der
Gesamtausgabe - den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie" —
mit Aussagen „über die Natur der Freiheit, die Quelle des Übels und des Bö-
sen, der Vorsehung usf." 13 , welche mit einer Anmerkung über die Freiheit der
Athener, einer erneuten Definition des Geistes und dem Satz „ G o t t will, daß
allen Menschen geholfen werde" versehen sind. Das Verhältnis von Philoso-
phie und Religion durchzieht die „Phänomenologie des Geistes" als histo-
risch-dialektischer Christologie und daran anschließend und darauf aufbau-

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270, Bd. 7 (im
folgenden kurz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rechtsphilosophie, C.-E. B.), in: ders.,
Werke in 20 Bänden, Theorie Werkausgabe, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus
Michel, Frankfurt a. M. 1969ff. (Fortan wird nach dieser Ausgabe zitiert.)
Hier kann nur das politisch relevante Resultat - nicht der Anfang und der Prozeß der He-
gelschen Dialektik selbst - behandelt werden, vgl. hingegen Michael Theunissen, Hegels
Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie 111, Bd.
20, S. 519.
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 25

end die Philosophie der Geschichte, der Religion, sogar die „Wissenschaft der
Logik" als Lehre vom Sein, Wesen und Begriff; vor allem aber die „Grundli-
nien der Philosophie des Rechts", welche dem Titel nach „Naturrecht und
Staatswissenschaft im Grundrisse" ist.
In Hegels Begriff des Staates fallen alle Momente seiner Philosophie des
objektiven Geistes mit seiner Theorie der Gesellschaft zusammen. Über den
Staat aber sagt er:
Im allgemeinen ist die Religion und die Grundlage des Staates ein und dasselbe, sie
sind an und für sich identisch.16
Also k o m m t es darauf an zu klären, was Hegel unter Staat versteht und wel-
che Attribute dem „Staat" nach Hegel zukommen. Schließlich geht Hegel so
weit, die gesamte Realpolitik vom rechten Glauben abhängig zu machen:
Das Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten
Staat, schlechte Regierung, schlechte Gesetze. 17
Zuvor soll an das christlich-ekklesiologische Bewußtsein von Gesellschaft, an
die Lehre vom Corpus Christi mysticum erinnert werden. Darüber hinaus
geht es um das „Reich G o t t e s " sowie um die Beantwortung der Frage, wer das
„Volk G o t t e s " ist und wie das Verhältnis M e n s c h - V o l k - G o t t gestaltet ist.
Mit Recht stellt Ernst H. Kantorowicz in seinem berühmten Werk „Die
zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelal-
ters" fest, daß die „spätmittelalterlichen und modernen Staaten direkt vom
kirchlichen Modell beeinflußt waren, vor allem von dem allumfassenden
geistlichen Prototyp körperschaftlicher Begriffe, dem corpus mysticum der
Kirche". 1 8 Zurückzuführen ist dieses „Modell" auf Paulus, wonach die Mit-
glieder der christlichen Gemeinschaft der Leib (soma, corpus) Christi sind. 19
Seit der Hochscholastik wurde in Ergänzung des Dogmas von der Transsub-
stantiation sowie der Liturgie der Eucharistie (corpus verum, Realpräsenz von
Leib und Blut) die Lehre vom Corpus Christi mysticum für die Qualität der Kir-
che als Gemeinschaft aller Christen verbindlich. Auf dem Weg der Übertra-
gung der Qualität Corpus Christi mysticum auf nichtkirchliche Gesellschaften
und Organisationen fand eine weitere, mit der Inkarnation des „ G o t t m e n -
schen Christi" zusammenhängende Säkularisierung respektive Immanentisie-
rung von Transzendenz statt, welche für das Bewußtsein von Gesellschaft
bestimmend wurde - Gesellschaft als „Körperschaft" und „Person", als Sub-
jekt von und in Geschichte.

16
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Bd. 16,
S. 236 (im folgenden: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Religionsphilosophie I).
17
Ebd., S. 237.
18
Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie
des Mittelalters, München 1990, S. 208; vgl. Henri de Lubac, Corpus Mysticum, Kirche und
Eucharistie im Mittelalter. Eine historische Studie, Einsiedeln 1969.
19
Vgl. 1. Kor. 17; 12, 27; Eph. 4; 4, 16.
26 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

Das D o g m a von der ecclesia als Corpus Christi mysticum bedeutet, daß
der „ G o t t m e n s c h " Christus sich mit den Mitgliedern der Kirche verbindet
und dadurch die Menschwerdung Gottes, das ist die Verbindung Gottes mit
den Menschen, in „geheimnisvoller" Weise fortsetzt. An der Gemeinschaft der
Gläubigen wird die Wirkung des sie belebenden Geistes sichtbar. Die Chri-
sten haben - durch Christus vermittelt - an identischer Substanz, an Gott,
teil. Aus strikt metaphysischer Perspektive könnte man kritisch einwenden:
die Gesellschaft - sowie der Einzelne über die Gemeinschaft - wird divini-
siert. Wird ekklesiologisch im Corpus Christi mysticum die einheitsstiftende
Wirkung des Heiligen Geistes sichtbar, so ist unter soziopolitologischer Per-
spektive die Konstitution von Gesellschaft überhaupt von Interesse. Unab-
hängig davon, ob Christus „ G o t t m e n s c h " ist und o b durch die Verbindung
des G o t t m e n s c h e n mit dem Gläubigen tatsächlich die Einheit der Christen
bewirkt wird, reicht es aus, daß die in Gesellschaft und Geschichte handeln-
den Menschen an die hier knapp beschriebene Wirkung glauben und ein dem-
entsprechendes Bewußtsein von Gesellschaft haben. Es ist der Glaube selbst,
der pax und unitas impliziert, also der Glaube an das Corpus Christi mysti-
cum, der die einheitsstiftende Wirkung haben kann und der kollektive Identi-
tät konstituieren kann. Die von Kantorowicz historisch nachgewiesene Über-
tragung des Modells auf nichtkirchliche Gemeinschaften oder Personen kann
denselben Effekt haben; aber auf Differenzierung und Varianten kann ich
mich hier nicht einlassen.
Im Falle Hegels kann man allerdings nicht von einer schlichten Übertra-
gung sprechen. In der Hegeischen Auffassung über den Geist als Substanz
und Subjekt von Geschichte, wonach schließlich „Staat" die „vollständige
Realisierung des Geistes im Dasein ist" 2 0 , sind aber gewisse Strukturähnlich-
keiten mit dem ekklesiologischen Modell vom Corpus Christi mysticum un-
verkennbar. Das folgt aus der zentralen Bedeutung der G e b u r t und der N a t u r
Christi für die Geschichte des sich in Geschichte und durch Geschichte reali-
sierenden Geistes innerhalb des Hegeischen Systems des Wissens. Ich brau-
che das hier nicht zu belegen, aber ich möchte doch Hegels Auffassung v o n
der Natur Christi im Kontext des Kapitels über „Die Idee im Element der
G e m e i n d e " aus den Vorlesungen über die Religionsphilosophie zitieren:
Christus ist in der Kirche der Gottmensch genannt worden, - diese ungeheure Zu-
sammensetzung ist es, die dem Verstände schlechthin widerspricht; aber die Ein-
heit der göttlichen und menschlichen Natur ist dem Menschen darin zum Bewußt-
sein, zur Gewißheit gebracht worden [...] es ist damit gesetzt, daß die göttliche und
menschliche Natur nicht an sich verschieden ist: Gott in menschlicher Gestalt. 21

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Bd. 12,
S. 30.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Bd. 17,
S. 278 (im folgenden: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Religionsphilosophie II).
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 27

Wenn Hegel glaubt, die „Religion und die Grundlage des Staates" seien „ein
und dasselbe", so hat das in der eben zitierten Überzeugung von der zuerst in
Christus realisierten „Einheit von göttlicher und menschlicher N a t u r " den
maßgebenden G r u n d . D a ß „ G o t t menschliche Gestalt" haben kann, ist die
Grundlage des Hegeischen Bewußtseins von Staat und Gesellschaft. Um dies
näher zu spezifizieren, ist es nötig, sich Hegels Begriff vom Staat und die dem
Staat nach Hegel zugeordneten Attribute zu betrachten.
Die Kritik an der Hegeischen Lehre vom Staat verbindet sich meist mit der
Auffassung, Hegel verherrliche den preußischen Staat. Dabei wird oft assozi-
iert, Hegel beziehe sich auf die konkreten Institutionen des Staates. Man iden-
tifiziert die Institutionen mit dem Staat. Dieser Ansatz ist falsch. Die Beja-
hung oder die Verneinung der Hegeischen Lehre vom Staat muß sich auf die
Hegeische Auffassung beziehen, der Staat habe die Qualifikation substantiel-
ler Einheit und sei eine spezifische Form von Gesellschaft. Dies soll durch
die folgenden Ausführungen verdeutlicht werden. Das System der bürgerli-
chen Gesellschaft - charakterisiert durch Entzweiung, Besonderheit, ökono-
mische Bedürfnisse, Verelendung - heißt bei Hegel auch „äußerer Staat, Not-
und Verstandesstaat". Hegel wendet sich dagegen, daß die „Einheit" von
„Staat" nur als „Gemeinsamkeit" vorgestellt werde:

Wenn der Staat vorgestellt wird als eine Einheit verschiedener Personen, als eine
Einheit, die nur Gemeinsamkeit ist, so ist damit nur die Bestimmung der bürgerli-
chen Gesellschaft gemeint.
Die bürgerliche Gesellschaft ist hier die Einheit verschiedener Personen, die
aber nur Einheit im Sinne der Gemeinsamkeit ist. Hingegen identifiziert He-
gel gemäß der nächsten Stufe der Entwicklung des objektiven Geistes am
Beginn des dritten Abschnitts des dritten Hauptteils der Rechtsphilosophie
die Einheit der Gesellschaft mit der Einheit des Staates und qualifiziert sie als
„substantielle Einheit". Entscheidend für das Verständnis dieser Einheit ist die
Philosophie des Geistes, im Falle dieses Teiles der Rechtsphilosophie die
Form des objektiven Geistes. „ D e r Staat ist" gemäß § 258 der Rechtsphilo-
sophie „die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner
Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für
sich Vernünftige". Und nur aus der Hegeischen Philosophie der Vernunft ist
die spezifische Einheit der Individuen zu verstehen. Die „Vernünftigkeit" be-
steht nach § 258 in der „Einheit der Allgemeinheit und der Einzelheit". Dar-
aus resultiert der Unterschied zwischen der Vereinigung in der bürgerlichen
Gesellschaft, dem „Not- und Verstandesstaat" gemäß § 183, und der Vereini-
gung „Staat" im Sinne der „substantiellen Einheit" der Individuen. Dieser
Unterschied wird auch in § 258 nochmals artikuliert. In der „bürgerlichen Ge-
sellschaft" sind die einzelnen vereinigt, weil „das Interesse der Einzelnen als
solcher der letzte Zweck, zu welchen sie vereinigt sind", ist. Für die Vereini-

~ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rechtsphilosophie, § 182, Zusatz


28 Zum Verhältnis von Politik und Religion

gung der Individuen auf der nächsten und höheren Stufe des Geistes wird das
Interesse der einzelnen als Zweck der Gemeinschaft negiert.
Die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck, und die Be-
stimmung der Individuen ist, ein allgemeines Leben zu führen.23
Für diese Vereinigung namens Staat gilt:
Er hat aber ein ganz anderes Verhältnis zum Individuum, indem er objektiver Geist
ist, so hat das Individuum selbst nur Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es
ein Glied desselben ist.24
Aus § 258 geht somit hervor, daß Hegel mit dem Wort Staat eine Vereinigung
von Individuen bezeichnet. Es ist eine Vereinigung von Individuen mit einer
besonderen Qualifikation. Es ist nicht die Vereinigung von Individuen gemäß
der Formation der bürgerlichen Gesellschaft als äußerer N o t - und Verstan-
desstaat mit allen Merkmalen der Entzweiung einer ökonomisch bestimmten
Gesellschaft. Staat ist eine Vereinigung von Individuen, die gemäß der He-
gelschen Philosophie des Geistes folgende Attribute hat: „Wirklichkeit der
sittlichen Idee", „Wirklichkeit des substantiellen Willens", „substantielle Ein-
heit" und „substantielle Freiheit". Um die Vieldeutigkeit des Staatsbegriffes
zu vermeiden, wird man dem Hegeischen Staatsbegriff am besten gerecht,
wenn man statt „Staat" „Staatsgesellschaft" liest. Dementsprechend - also die
Gesellschaft als genus proximum des Hegeischen Staatsbegriffes — ist auch
der im § 258 vorgenommene Zusatz zu interpretieren:

Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist: Sein Grund ist die Gewalt
der sich als Wille verwirklichenden Vernunft. Bei der Idee des Staates muß man
nicht besondere Staaten vor Augen haben, nicht besondere Institutionen, man muß
vielmehr die Idee, diesen wirklichen Gott für sich betrachten. 25

Daraus folgt zunächst, daß Hegels Auffassung von Politik religiöse Implika-
tionen hat. Da, wie oben dargelegt, mit dem Begriff Staat im § 258 die Verei-
nigung von Individuen bezeichnet wird, bei welcher die Vereinigung selbst
der Zweck ist, wird mit der Qualifikation „wirklicher G o t t " eine spezifische
Form von Gemeinschaft divinisiert. Der Grund dafür, daß die Individuen
überhaupt zu einer „substantiellen Einheit" in „substantieller Freiheit" verei-
nigt werden können, ist der „Gang Gottes in der Welt", G o t t w o h n t nach H e -
gel der Gemeinschaft inne, er wird immanentisiert. Wenn die Gesellschaft das
Prädikat „substantiell" erhält - substantielle Einheit, substantieller Wille,
tielle Freiheit — und dadurch erst wahrer Staat im Hegeischen Begriffsver-
ständnis ist, so ist es religionspolitologisch von Interesse, daß „ G o t t " v o n
Hegel auch als Substan^ begriffen wird. 26 G o t t als Substanz und Subjekt heißt

23
Ebd., § 258.
24
Ebd.
25
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rechtsphilosophie, § 258, Zusatz.
26
Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Religionsphilosophie I, S. 94.
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 29

nach Hegel wiederum nichts anderes als die „Bestimmung, daß G o t t Mensch
wird, damit der endliche Geist das Bewußtsein Gottes im Endlichen selbst
habe". 2 D u r c h seine Menschwerdung versöhnt sich also G o t t mit den Men-
schen. Die V e r s ö h n u n g von G o t t und Mensch sowie von Mensch und G o t t
vollzieht sich gemäß den Ausführungen über die christliche Gemeinde in den
Vorlesungen über die Philosophie der Religion auch in der staatlichen G e -
meinschaft:

In der Organisation des Staates ist es, wo das Göttliche in die Wirklichkeit einge-
schlagen, diese von jenem durchdrungen und das Weltliche nun an und für sich
berechtigt ist; denn ihre Grundlage ist der göttliche Wille, das Gesetz des Rechts
und der Freiheit. Die wahre Versöhnung, wodurch das Göttliche sich im Felde der
Wirklichkeit realisiert, besteht in dem sittlichen und rechtlichen Staatsleben: Dies
ist die wahrhafte Subaktion der Weltlichkeit.28

D a ß Hegel sich in den Ausführungen zur christlichen Gemeinde solcherma-


ßen über den Staat äußert, läßt den Schluß zu, daß er seine Konzeption von
Staat am Modell der Gemeinschaft der Christen entwickelt hat.
Auch in Hegels Lehre vom Volksgeist ist die Verknüpfung von Politik und
Religion erkennbar. In Hegels „System des Wissens" kann man die formelle
Seite des denkenden Geistes von der „Endlichkeit, die er als Volksgeist in
seinem Staate und dessen zeitlichen Interessen, dem System der Gesetze und
der Sitten hat" 2 9 , nicht trennen. Nach Hegel „erhebt sich" der „denkende
Geist" in der Weltgeschichte über die Konkretionen der besonderen „Volks-
geister" zum „Wissen des absoluten Geistes". Und genau in diesem Kontext
weist Hegel auf die „ E r h e b u n g des Geistes zu G o t t " in seiner Logik hin:

Der denkende Geist der Weltgeschichte aber, indem er zugleich jene Beschränkt-
heiten der besonderen Volksgeister und seine eigene Weltlichkeit abgestreift, erfaßt
seine konkrete Allgemeinheit und erhebt sich zum Wissen des absoluten Geistes,
als der ewig wirklichen Wahrheit, in welcher die wissende Vernunft frei für sich
und die Notwendigkeit, Natur und Geschichte nur seiner Offenbarung dienend
und Gefäße seiner Ehre sind. Von dem Formellen der Erhebung des Geistes zu
Gott ist in der Einleitung zur Logik gesprochen worden. 30

Der Volksgeist ist mithin für die Entwicklung des Weltgeistes und seine Er-
hebung zum absoluten Geist, also zu Gott, von zentraler Bedeutung; seine
Existenz ist sogar in diesem Prozeß die conditio sine qua non — ohne Volks-
geist kein Weltgeist, o h n e Weltgeist keine Weltgeschichte als E r h e b u n g zum
absoluten Wissen. In der Geschichtskonzeption Hegels ist immer nur ein
Volksgeist Träger der Entwicklung des Weltgeistes. Die Vollendung der Welt-
geschichte ist nach Hegel dem Volksgeist der „germanischen Völker" über-

2
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Religionsphilosophie II, S. 276.
28
Ebd., S. 332.
29
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyclopädie der philosophischen Wissenschaften III, Bd
10, § 552 (im folgenden: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyclopädie III).
* Ebd.
30 Zum Verhältnis von Politik und Religion

tragen. Das „germanische Reich" ist das „vierte welthistorische Reich" (ge-
mäß § 354 der Rechtsphilosophie „ 1 . das orientalische, 2. das griechische, 3.
das römische"), es hat gemäß § 358 der Rechtsphilosophie folgende Qualität:
Aus diesem Verluste seiner selbst und seiner Welt und dem unendlichen Schmerz
desselben, als dessen Volk das israelitische bereitgehalten war, erfaßt der in sich
zurückgedrängte Geist in dem Extreme seiner absoluten Negativität, dem an und
für sich seyenden Wendepunkt, die unendliche Positivität dieses seines Innern, das
Princip der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, die Versöhnung als der
innerhalb des Selbstbewußtseyns und der Subjektivität erschienenen objektiven
Wahrheit und Freiheit, welche dem nordischen Princip der germanischen Völker zu
vollführen übertragen wird.31

Die Einheit v o n göttlicher und menschlicher Natur ist aber in der christlichen
Religion das wesentliche Merkmal von Jesus Christus, dem Sohn G o t t e s . Das
wiederum legt nahe, das ekklesiologische Dogma von der Gemeinschaft der
Christen als Corpus Christi mysticum mit der Verknüpfung von Religion und
Gesellschaft bei Hegel zu vergleichen. Wenn auch zwischen der christlichen
Religion und dem Hegeischen System gewaltige Unterschiede bestehen, so
besteht das G e m e i n s a m e zwischen dem D o g m a vom Corpus Christi mysti-
cum der Kirchengesellschaft und der Hegeischen Lehre von Staat und Volks-
geist im Hinblick auf die Trinität G o t t e s . Gemeinsam ist beiden Lehren die
durch Christus vermittelte, wenn auch jeweils verschiedene I m m a n e n z G o t -
tes, das Wesen Christi als Sohn G o t t e s und die Wirkung des Geistes. In bei-
den A p p e r z e p t i o n s m u s t e r n von Gesellschaft hat dies zur Folge, daß dem
Kollektivum die empirisch nicht nachweisbaren Prädikate Einheit und Person
z u k o m m e n . Nach der Lehre v o m Corpus Christi mysticum nehmen die toten,
lebenden und u n g e b o r e n e n Mitglieder der Kirche an der überirdischen und
überzeitlichen Substanz G o t t e s teil. D e n n Corpus Christi ist ein aus Men-
schen bestehender K ö r p e r mit dem Attribut des G o t t m e n s c h e n t u m s . Für die
Feststellung der Konjugation von Politik und Religion ist das Kriterium des
jenseitigen Heils maßgebend. Ist nicht nur ausschließlich das jenseitige Heil
von Bedeutung, werden alle Seiten des irdischen und gesellschaftlichen Le-
bens v o m D o g m a des Corpus Christi mysticum erfaßt und somit für das ge-
samte Bewußtsein v o n kollektiver Identität maßgebend. Damit liegt eine
Konjugation von Politik und Religion vor. Wird geglaubt, in allen Mitgliedern
eines nicht nur auf jenseitiges Heil ausgerichteten Kollektivs wirke eine durch
Christus und den Heiligen Geist vermittelte göttliche Substanz, dann liegt
darin der G r u n d für die K o h ä r e n z zwischen den Mitgliedern. Ist das darüber
hinaus auch für das Verhältnis zu Mitgliedern anderen Gesellschaften maßge-
bend, dann liegt eine Konjugation von Politik und Religion vor. Die Möglich-
keiten der Erweiterung und Übertragung des ekklesiologischen Bewußtseins
von Gesellschaft sind zahlreich. Die ganze Menschheit, die gesamte Christen-

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rechtsphilosophie, § 358


Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 31

heit oder nur Teile kommen in Frage. Im Grunde geht es um das Verhältnis
von Menschen zueinander und um das Verhältnis zu den Menschen anderer
Gesellschaften in Form der Identität, Differenz, Inklusion oder Exklusion. In
der politischen Religion Hegels ist die Exklusivität jeweils eines Volksgeistes
im Hinblick auf das Wesen Christi und den in der Welt werdenden Gott ex-
plizit in der Lehre vom Welt- und Volksgeist ausgesprochen und entwickelt
worden. Bringt man wie Hegel „das Princip der Einheit der göttlichen und
menschlichen Natur" (Wesen Christi) mit „dem nordischen Princip der ger-
manischen Völker" 32 als Vollendung der Weltgeschichte in Verbindung, dann
liegt ein Muster für ein modernes Bewußtsein von Gesellschaft und Ge-
schichte vor 33 , das durch die Immanenz Gottes zu charakterisieren ist.
Mag Hegels Illusion vom Volksgeist auch ohne realpolitische Folgen gewe-
sen sein, weil dem deutschen Volk und der politischen Rechten Hegels Dia-
lektik zu kompliziert ist, so ist diese Vereinigung von Ethnos und Christus
zwar durch das Primat des Geistes bewirkt, hat aber gleichwohl ein Resultat,
das nach heutigem Sprachgebrauch als völkisch zu beurteilen ist. Entwickelt
der in die Philosophie geflüchtete evangelische Theologe Hegel mit subtiler
Dialektik, daß der „göttliche Geist" dem „Selbstbewußtseyn" 34 in dessen
wirklicher Gegenwart innewohne, so reduziert der katholische Laie Carl
Schmitt den „Begriff des Politischen" auf die rohe Apokalyptik des Kampfes
zwischen Gott und Satan und kämpft selbst darum, diesem Verständnis von
Politik und Religion Anerkennung und Geltung zu verschaffen. 35 Was in He-
gels Dialektik von der Negation und der Negation der Negation nur verschlei-
ert wird und die andere Seite der frohen Botschaft der Geburt des Gottessoh-

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rechtsphilosophie, § 358.


Das vierte welthistorische Reich (nach § 354 der Rechtsphilosophie 1. das orientalische, 2.
das griechische, 3. das römische), nämlich das „germanische Reich", hat gemäß § 358 der
Rechtsphilosophie folgende Qualität: „Aus diesem Verluste seiner selbst und seiner Welt
und dem unendlichen Schmerz desselben, als dessen Volk das israelitische bereitgehalten
war, erfaßt der in sich zurückgedrängte Geist in dem Extreme seiner absoluten Negativität,
dem an und für sich seyenden Wendepunkt, die unendliche Positivität dieses seines Innern,
das Princip der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, die Versöhnung als der in-
nerhalb des Selbstbewußtseyns und der Subjektivität erschienenen objektiven Wahrheit und
Freiheit, welche dem nordischen Princip der germanischen Völker zu vollführen übertragen
wird."
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyclopädie III, § 552: „Die Sittlichkeit ist der göttliche
Geist als innewohnend dem Selbstbewußtseyn in dessen wirklicher Gegenwart als eines
Volkes und der Individuen desselben."
Vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Text von 1932 mit einem Vorwort und drei
Corollarien, unveränderter Nachdruck der 1963 erschienenen Aufl., Berlin 1979, S. 76 (im
folgenden kurz: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen); ders., Politische Theologie II.
Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, 2. Aufl., Berlin 1984, S. 11:
„Die sach-thematische Weiterführung meiner Schrift Politische Theologie von 1922 ver-
läuft in einer Gesamtrichtung, die bei jus reformandi des 16. Jahrhunderts ansetzt, bei He-
gel einen Höhepunkt findet und heute überall erkennbar ist: von der Politischen Theologie
zur Politischen Christologie" (im folgenden kurz: Carl Schmitt, Politische Theologie II).
32 Z u m Verhältnis v o n Politik und Religion

nes und den darin liegenden Beweis für die kommende Erlösung ausmacht,
nämlich die Existenz und Inkarnation des radikal Bösen, wird von Carl
Schmitt offen ausgesprochen. Gewiß sollten wir froh sein, daß der Kampf
gegen die Personifikation oder die Orte des Bösen zur Zeit in der politischen
Rhetorik Westeuropas keine Funktion hat. Vielleicht liegt darin sogar eine
gewisse List der Vernunft, aber von Carl Schmitt können wir uns dahinge-
hend belehren lassen, daß die von der Christologie abhängigen Konstitutio-
nen gesellschaftlicher Identität auch die andere Seite, nämlich die der Nega-
tion des anderen zur Folge haben kann.

3. Die Einheit des Staates und der Kampf


zwischen Gott und Satan als Kriterium des Politischen
in der Politischen Theologie Carl Schmitts

Carl Schmitt vertritt in seiner letzten Schrift vehement die Überzeugung, die
Politische Theologie sei nicht erledigt.36 In seiner Schrift über den „Begriff
des Politischen" führt er aus, der „Zusammenhang theologischer und politi-
scher Denkvoraussetzungen" sei „klar".37 Wenn „alle prägnanten Begriffe der
modernen Staatslehre" nach Carl Schmitt „säkularisierte theologische Begrif-
fe" 38 sind, so ist danach zu fragen, was das Säkularisierte ist. Daher soll zu-
erst geklärt werden, was Carl Schmitt unter Staat und Kirche versteht. Da
nach Schmitt der Begriff des Staates den Begriff des Politischen voraussetzt 39 ,
soll anschließend die Frage beantwortet werden, ob die Bestimmung des Po-
litischen bei Carl Schmitt von seiner Interpretation der Theologie abhängt.
Auch bei Carl Schmitt hat „Staat" den Charakter einer Person, die als Sub-
jekt von Politik und Geschichte entscheidet und handelt. Auch bei Schmitt
fällt der Begriff des Staates unter den der Gesamtgesellschaft. Zwar unter-
scheidet er zwischen verschiedenen Formen der Gesellschaft und stellt die
bloße Gesellschaft dem Staat gegenüber. Bei Schmitt fällt der Begriff des
Staates deshalb unter den Begriff der Gesamtgesellschaft, weil genus proxi-
mum seines Staatsbegriffes das Volk ist. Er meint indes nicht die plurale Ge-
sellschaft oder das Volk in seiner Buntheit und Vielschichtigkeit. Sein Staats-
begriff ist auf den des organisierten Volkes konzentriert:

36
Vgl. ebd.
37
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 64.
38
„Alle Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe", Carl
Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Erstauflage
1920, hier unveränd. Nachdruck der 1934 ersch. 2. Aufl., Berlin 1990, S. 49 (im folgenden
kurz: Carl Schmitt, Politische Theologie).
39
Vgl. Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 20.
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 33

Der Staat ist nach heutigem Sprachgebrauch der politische Status eines in territo-
rialer Geschlossenheit organisierten Volkes.40
Die von Carl Schmitt angegebenen wesentlichen Merkmale des Staates sind
d e m n a c h auch wesentliche Merkmale des Volkes. Auch nach Schmitt ist Ein-
heit das wesentliche Merkmal des Staatsbegriffes. Er ist geradezu auf die Ein-
heit aller Mitglieder einer Gesamtgesellschaft fixiert:
Die politische Einheit ist eben ihrem Wesen nach die maßgebende Einheit, gleich-
gültig aus welchen Kräften sie ihre letzten psychischen Motive zieht. Sie existiert
oder sie existiert nicht. Wenn sie existiert, ist sie die höchste, d. h. im entscheiden-
den Fall bestimmende Einheit. Daß der Staat eine Einheit ist, und zwar die maßge-
bende Einheit, beruht auf seinem politischen Charakter. Eine pluralistische Theo-
rie ist entweder die Staatstheorie eines durch einen Föderalismus sozialer Verbän-
de zur Einheit gelangenden Staates oder aber nur eine Theorie der Auflösung oder
Widerlegung des Staates.41
Daraus folgt, daß Carl Schmitt Gesellschaft nach dem Muster der Identität
apperzipiert. Aus seiner Polemik gegen den Pluralismus folgt, daß er die Ein-
heit des Volkes bedroht sieht und daß das Kollektivum Volk die Qualität der
Einheit haben soll. Hat ein Volk bzw. der Staat nicht den politischen Status
der Einheit, so existiert es bzw. er nicht mehr.
E s ist nun danach zu fragen, ob diese politische Bestimmung der als Staat
formierten Gesellschaft eine theologische Entsprechung hat. Ekklesiologisch
folgt Carl Schmitt dem D o g m a von der Kirche als Corpus Christi mysticum:
Sie repräsentiert die civitas humana, sie stellt in jedem Augenblick den geschichtli-
chen Zusammenhang mit der Menschwerdung und dem Kreuzesopfer Christi dar,
sie repräsentiert Christus selbst, persönlich, dem in geschichtlicher Wirklichkeit
menschgewordenen Gott. 42

Fridhard Scholz 4 3 hat nachgewiesen, daß Carl Schmitt schon 1917 in dem
Aufsatz „Die Sichtbarkeit der Kirche. Eine scholastische E r w ä g u n g ' 4 mit
der Menschwerdung Gottes das Wesen der katholischen, das heißt allumfas-
senden, Kirche bestimmte. 4 5 An der Immanentisierung Gottes in Form histo-

40
Ebd.
41
Ebd., S. 43 f.
42
Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Stuttgart 1984, S. 32.
43
Vgl. Fridhard Scholz, Die Theologie Carl Schmitts, in: Schindler, Alfred (Hrsg.), Monothe-
ismus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der politischen Theologie, Gü-
tersloh 1978.
44
Carl Schmitt, Die Sichtbarkeit der Kirche. Eine scholastische Erwägung, in: Franz Blei/Ja-
kob Hegner (Hrsg.), Summa. Eine Vierteljahresschrift, Heft 2, 1917, S. 81-90.
45
Vgl. auch Arnim Adam, Rekonstruktion des Politischen. Carl Schmitt und die Krise der
Staatlichkeit 1912-1933, Weinheim 1992, S. 9 ff.; Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss
und der „Begriff des Politischen". Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988; Jan
Assmann, Carl Schmitts Lehre des Politischen. Politische Theologie zwischen Ägypten und
Israel, erweit. Fassung eines Vortrags gehalten in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung
am 14. Oktober 1991, Heinrich Meier (Hrsg.), München 1992.
34 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

r i s c h e r I n k a r n a t i o n h a t Carl S c h m i t t s t e t s f e s t g e h a l t e n . I n e i n e m B r i e f a n d e n
f r a n z ö s i s c h e n P h i l o s o p h e n P i e r r e L i n n e a u s d e m J a h r e 1949 h e i ß t e s :

Meine Freiheit gegenüber den Ideen ist o h n e G r e n z e n , weil ich in K o n t a k t mit


meinem nicht zu okkupierenden Z e n t r u m bleibe, welches keine ,Idee', aber ein hi-
storisches Ereignis ist: die Inkarnation des Sohnes G o t t e s . Für mich ist das Chri-
stentum weder an erster Stelle eine Doktrin noch eine Moral, nicht einmal (verzei-
hen Sie) eine Religion; es ist ein historisches Ereignis. 4 *

Carl Schmitts Überzeugung v o m Z u s a m m e n h a n g zwischen den politischen


und theologischen „Denkvoraussetzungen" heißt im Hinblick auf die Funk-
tion der Kirche in dieser Welt, daß diese regiert, herrscht und siegt:
Die Kirche will die königliche Braut Christi sein; sie repräsentiert den regierenden,
herrschenden, siegenden Christus. 47
Worüber aber siegt Christus? Hängt die Bestimmung des Politischen von dem
Glauben an den herrschenden, regierenden und letzten Endes siegenden
Christus ab? Aus den beiden Schriften „Der Begriff des Politischen" und
„Politische Theologie" läßt sich die Antwort einfach ermitteln. D e r politische
Status der civitas humana als Volk respektive Staat ist durch die berühmt-be-
rüchtigte „Unterscheidung von Freund und Feind" 4 8 bestimmt. Schmitts
Vorrang des Politischen bei der Bestimmung des Staatsbegriffs sowie die
„Unterscheidung von Freund und Feind" im „Sinne eines Kriteriums" zur
Bestimmung des Politischen umfaßt mehr als nur die Außerkraftsetzung m o -
ralischer, ästhetischer und ökonomischer Kriterien bei der Feststellung, wer
der Feind sei. 49 Wenn Carl Schmitt fordert, der Feind sei „der andere, der
Fremde" 5 0 , so liegt der Schlüssel für Schmitts Unterscheidung von Freund
und Feind in dem, was ihm zufolge „existentiell" ist, was „seinsmäßig" vor-
gegeben ist, was letzten Endes seinsmächtig ist, wie eben Schmitt Sein und
Seinsgrund auslegt und interpretiert. Wenn nach Schmitt „zum Begriff des
Feindes die Möglichkeit des Kampfes" 5 1 , der „Krieg" als „äußerste Realisie-

Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1951 bis 1957, hrsg. von E. Freiherr
von Medem, Berlin 1991, S. 283 (im Original französisch).
Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Stuttgart 1984, S. 53.
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 26.
„Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad
einer Bindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen; sie kann
theoretisch und praktisch bestehen, ohne daß gleichzeitig alle jenen moralischen, ästheti
sehen, ökonomischen oder anderen Unterscheidungen zur Anwendung kommen müßten.
Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu
sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar
vorteilhaft erscheinen, mit ihm Geschäfte zu machen", ebd., S. 27.
„Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem be
sonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist", ebd.
„Denn zum Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen siegende Eventualität ei-
nes Kampfes", ebd., S. 33.
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 35

rung der Feindschaft" und letzten Endes die Vernichtung gehört , dann be-
zieht sich Schmitt auf den Sinn einer „seinsmäßigen Ursprünglichkeit", die
theologisch zu begreifen ist. 53 E r bezieht sich auf die theologischen Voraus-
setzungen des Politischen, aber wendet sich entschieden gegen jede Art von
Moraltheologie im Hinblick auf die „Erkenntnis existentieller Gegensätzlich-
keiten". 5 4 D e n Sinn einer „seinsmäßigen Ursprünglichkeit" und die „seins-
mäßige Negierung eines anderen Seins" bezieht Schmitt auf den Umstand,
daß einige Menschen erlöst und einige Menschen nicht erlöst werden, einige
Menschen auserwählt und einige Menschen nicht auserwählt sind. Das fest-
zustellen ist wiederum Aufgabe der Theologen:

Ein Theologe hört auf, Theologe zu sein, wenn er die Menschen nicht mehr für
sündhaft oder erlösungsbedürftig hält und Erlöste von Nicht-Erlösten, Auserwähl-
te von Nicht-Auserwählten nicht mehr unterscheidet, während der Moralist eine
Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse voraussetzt. Weil nun dies Fehlen des Politi-
schen letztenendes von der realen Möglichkeit eines Feindes bestimmt wird, kön-
nen politische Vorstellungen und Gedankengänge nicht gut einen anthropologi-
schen .Optimismus' zum Ausgangspunkt nehmen. Sonst würden sie mit der Mög-
lichkeit des Feindes auch jede spezifische politische Konsequenz aufheben.55

Die nicht zu übersehende religiöse Implikation der Feindbestimmung kommt


wiederum in Carl Schmitts Charakterisierung der „ H ö h e p u n k t e der großen
Politik" 5 6 zum Ausdruck. Diese Bestimmung ist ihm so wichtig, daß er sich
sogar auf den chiliastischen Protestantismus Cromwells beruft. Die „ H ö h e -
punkte der großen Politik" bestehen darin, daß sich Cromwell bei der Bestim-
m u n g des Feindes auf die Vorsehung und auf G o t t beruft. 57
Heinrich Meier hat das Verdienst, den Z u s a m m e n h a n g zwischen der von
Schmitt bereits 1922 veröffentlichten Schrift über die „Politische Theologie"

52
„Krieg ist nur die äußerste Realisierung der Feindschaft." „Die Begriffe Freund, Feind und
Kampf erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesonders auf die reale Möglichkeit
der physischen Tötung Bezug haben und behalten. Der Krieg folgt aus der Feindschaft,
denn diese ist seinsmäßige Negierung eines anderen Seins", ebd.
„Ebenso wie das Wort Feind, ist hier das Wort Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ur-
sprünglichkeit zu verstehen", ebd.
4
„Aber die theologische Unterstützung verwirrt öfters die politischen Begriffe, weil sie die
Unterscheidung gewöhnlich ins Moraltheologische verschiebt oder wenigstens damit ver-
mengt und dann meistens ein normativistischer Fiktionalismus oder gar ein pädagogisch-
praktischer Opportunismus die Erkenntnis existentieller Gegensätzlichkeiten trübt", ebd.,
S. 63.
55
Ebd.
56
Ebd., S. 67.
„Betrachten wir also unsere Feinde, the Enemies to the very Being of this nation." Immer
wiederholt er dieses very Being oder National Being und fährt dann fort: „Why, truly, your
great Enemy is the Spaniard [...] ." Dann wiederholt er: „Der Spanier ist Euer Feind, seine
enmity is put into him by God; er ist ,the natural enemy, the providential enemy', wer ihn
für einen accidental enemy hält, kennt die Schrift und die Dinge Gottes nicht", ebd. [C.-E.
B.: Die im englischen Wortlaut zitierten Stellen lassen sich in einer anderen Sprache kaum
wiedergeben.]
36 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

und dem „Begriff des Politischen" von 1932 aufgedeckt zu haben. 5 8 Mir
k o m m t es hier darauf an, daß Schmitt durch die Folie der Ideologie von
D o n o s o Cortes die Gegensätze von „Gut und Böse, G o t t und Teufel" sowie
„Leben und T o d " zur Bestimmung des Freund-Feind-Verhältnisses und da-
mit des Begriffs des Politischen macht:
Es sind die Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, zwischen denen ein
Leben und Tod, ein Entweder-Oder besteht, daß keine Synthese und kein ,Höhe-
res Drittes' kennt.59
Das ganze vierte Kapitel „Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution" ist
vom Lob des Carl Schmitt im Hinblick auf die von Cortes aktualisierte Apo-
kalyptik durchzogen. 6 0 Die in der „Staatsphilosophie der Gegenrevolution"
vehement vorgetragene Affirmation der Politischen Theologie des D o n o s o
Cortes spricht dafür, daß Carl Schmitts E n t s c h e i d u n g für die Diktatur auf ei-
nem christologisch konzipierten Kampf zwischen G o t t und Satan beruht. 6 1
D e m „in geschichtlicher Wirklichkeit menschgewordenen G o t t " 6 2 und dem
„regierenden, herrschenden, siegenden Christus" 6 3 entspricht eine theologi-
sche Bestimmung des Seins. Schmitt gibt dies in seiner 1970 erschienenen
Schrift „Politische Theologie I I " offen zu und will „das Problem der Politi-
schen Theologie unter die Frage nach dem F e i n d " 64 stellen.
Im Jahre 1932 war der politische Status des als Staat organisierten Volkes
abhängig von der Bestimmung des Feindes. Die Negation des „anderen,
Fremden" war Schmitt wesentlich für die Konstitution der Einheit des Staa-
tes. 6 5 Die Konstitution kollektiver Identität korrespondiert in wechselseitiger

Vgl. Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und der „Begriff des Politischen". Zu einem
Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988.
Carl Schmitt, Politische Theologie, S. 70 f.
„Dennoch war es wohl ein Unrecht, zu übersehen, daß es sich für Cortes um eine religiöse
und politische Entscheidung von ungeheurer Aktualität handelte (...] Die blutige Entschei-
dungsschlacht, die heute zwischen dem Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus
entbrannt ist", ebd., S. 75. „Das ist aber wesentlich Diktatur, nicht Legitimität. Donoso war
überzeugt, daß der Augenblick des letzten Kampfes gekommen war, angesichts des radikal
Bösen gibt es nur eine Diktatur, und der legitimistische Gedanke der Erbfolge wird in ei-
nem solchen Augenblick leere Rechthaberei", ebd., S. 83. „Aber der Satanismus dieser Zeit
war doch keine beiläufige Paradoxie, sondern ein starkes, intellektuelles Prinzip", ebd., S.
80.
„Diktatur ist der Gegensatz zu Diskussion. Es gehört zum Dezisionismus der Geistesart
von Cortes, immer den Extremfall anzunehmen, das jüngste Gericht zu erwarten. Darum
verachtet er die Liberalen, während er den atheistisch-anarchistischen Sozialismus als sei-
nen Todfeind respektiert und ihm eine diabolische Größe gibt", ebd.
Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Stuttgartl984, S. 32.
Ebd., S. 53.
Carl Schmitt, Politische Theologie II, S. 123; „Die Kernfrage, die sich vom Politischen her
für mich ergibt, betrifft die Wirklichkeit eines Feindes, dessen reale Möglichkeit ich auch in
einem restlosen enttheologisierten Gegenbild noch erkenne", ebd., S. 124.
„Zum Staat als einer wesentlich politischen Einheit gehört das jus belli, d. h. die reale Mög-
lichkeit, im gegebenen Fall kraft eigener Entscheidung den Feind zu bestimmen und ihm zu
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 37

Abhängigkeit mit der Negation des anderen. Der Staat und damit der politi-
sche Status des Volkes setzt nicht nur das „Politische" voraus, sondern ohne
die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen gibt
es überhaupt kein politisches Leben:
Entfällt die Unterscheidung, so entfällt das politische Leben überhaupt. Es steht
einem politisch existierenden Volk keineswegs frei, durch beschwörende Proklama-
tionen dieser schicksalsvollen Entscheidung zu entgehen. 66
Carl Schmitt versucht vor allem in zwei Hinsichten mit dem am Staat orien-
tierten Verständnis von Politik zu brechen. Erstens geht nach Schmitt dem
Begriff des Staates der Begriff des Politischen voraus. Zweitens gibt Schmitt
die T r e n n u n g von Gesamtgesellschaft in Form des Staates und des Volkes
auf, insofern ihm zufolge der Begriff des Staates den des Volkes enthält. Dies
ist nicht ohne Folgen für die in der Politik der Moderne notwendige Setzung
des Verständnisses von Volk. D e n n wenn dem Begriff des Staates der der
Politik vorausgeht, so gilt das auch für den des Volkes. Wenn weiterhin das
Kriterium des Politischen die Bestimmung des Verhältnisses von Freund und
Feind ist, so ist die Bestimmung des Feindes konstitutiv für den Status des
organisierten Volkes. Das Kriterium der Freund-Feind-Bestimmung enthält
allerdings eine weitere Dimension. D e n n Carl Schmitt glaubt an die Richtig-
keit einer religiös überlagerten Bestimmung des Verhältnisses von Freund
und Feind. Feind ist nicht nur der x-beliebig Fremde oder andere. D e n n wenn
h o h e Politik der Kampf zwischen G o t t und Satan ist, ist der existentielle
Feind der Böse, und Politik besteht im K a m p f gegen das Böse. Die im Kampf
gegen das Böse liegende A n n a h m e von der Macht des Bösen setzt aber selbst-
verständlich den Glauben an die Macht und die Existenz Gottes voraus. Da
die Aussagen Carl Schmitts über Staat auch Aussagen über die Qualität von
Volk implizieren, sind seine Aussagen über die gewünschte Einheit und H o -
mogenität des Staates auch Aussagen über die Qualität von Volk. Schmitts
Überzeugung, daß bei Wegfall der Unterscheidung zwischen Freund und
Feind das politische Leben entfalle und daß es „einem politisch existierenden
Volke keineswegs frei" stehe, der „schicksalsvollen Entscheidung von Freund
und Feind" zu entgehen, heißt vice versa, daß der K a m p f gegen das Böse
auch ein Kampf für G o t t ist. Die im Begriff der Homogenität liegende Bedeu-
tung von Einheit und Gleichursprünglichkeit — gleiche Ursprünglichkeit —
bedeutet, daß der Wert, den Schmitt der Homogenität des Staates respektive
der des Volkes gibt, eine Vorstellung von Identität impliziert, die von G o t t als
Substanz abhängig ist.

bekämpfen", Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 54; „Ein politisch existierendes Volk
kann also nicht darauf verzichten, gegebenenfalls Freund und Feind durch eigene Bestim-
mung auf eigene Gefahr zu unterscheiden", ebd., S. 51.
Ebd., S. 52; vgl. auch: „Überall in der politischen Geschichte, außenpolitisch wie innenpo-
litisch, erscheint die Unfähigkeit oder Unwilligkeit zu dieser Unterscheidung als Symptom
des politischen Endes", ebd., S. 67.
38 Zum Verhältnis von Politik und Religion

4. Zusammenfassung
In diesem Kapitel w u r d e versucht, das P r o b l e m des Verhältnisses v o n Politik
und Religion mit Hilfe der Implikationen des in der deutschen Tradition herr-
schenden Staatsbegriffes zu entfalten. Selbstverständlich hätte man auch an-
dere Möglichkeiten wählen k ö n n e n . Die Implikationen des Staatsbegriffes
waren deshalb zu untersuchen, weil in der dominierenden deutschen Tradi-
tion des 19. und 20. J a h r h u n d e r t s das Verständnis von Politik primär am Staat
— dessen Wesen, Handeln und Zielen — orientiert war und weil gerade die in-
stitutionelle T r e n n u n g v o n Staat und Kirche oder die Unabhängigkeit des
Staates von der Religion als Merkmal der M o d e r n e gilt. Mit Absicht sind die
zum Nationalsozialismus sachlich näherstehenden Ideologeme „ N a t i o n " und
„Volk" daher in den bisherigen Ausführungen nicht behandelt w o r d e n . Im
Gegensatz zu N a t i o n und Volk war mit Staat zu beginnen, weil die Forderung
nach einer möglichst allgemeinen und offenen Struktur für den Richtungs-
faktor der Fragen zu erfüllen war. Mit Hilfe der Methode, die Implikationen
des Staatsverständnisses zu verfolgen, lassen sich drei Varianten der Abhän-
gigkeit von Politik und Religion herausschälen, in denen religiöse D o g m e n ,
m e h r oder weniger reflektiert, zur Qualifikation menschlicher Gemeinschaf-
ten verwendet werden:
Erstens: Die A n w e n d u n g des D o g m a s v o m Corpus Christi mysticum auf
nichtkirchliche Gemeinschaften, Gesellschaften und Institutionen. Dieser
Vorgang setzt - was zu betonen ist - eine schon in der christlichen Tradition
vollzogene binnenreligiöse Säkularisierung voraus. Sie besteht darin, daß die
reine T r a n s z e n d e n z G o t t e s aufgehoben wird. Die irdisch-weltliche Gemein-
schaft wird als die Verkörperung Christi qualifiziert und erhält dadurch selbst
das Prädikat göttlich. Diese Übertragung des D o g m a s vom Corpus Christi
mysticum auf nicht-ekklesiologische Gemeinschaften besteht darin, daß der
Staat oder das Volk das Attribut der Souveränität erhalten. Dabei wird unter
Souveränität ursprüngliche, höchste und nicht abgeleitete Herrschaft verstan-
den — ursprüngliche, höchst e und nicht abgeleitete Macht k o m m t in der
christlichen Tradition aber nur G o t t zu. Mit der Souveränität ist wiederum die
A n n a h m e der Einheit eines menschlichen Verbandes — sei es Staat oder Volk
— untrennbar verbunden.
Zweitens: D a s Bewußtsein von der Identität und Qualität der Gesellschaft,
sowohl der eigenen als auch der anderen, ist v o n der Antizipation der Zu-
kunft und diese wiederum von religiösen Mustern abhängig. Im historisch-
dialektischen System Hegels wird von Hegel das Werden Gottes in der Ge-
schichte als innerweltlicher P r o z e ß der stufenweisen Vervollkommnung ent-
wickelt. Dieser P r o z e ß erfaßt die F o r m e n der Gesellschaft (wie Staat und
Volk) und steuert auf das „vierte Reich" zu. Die zentralen Topoi in religiöser
Hinsicht sind: G o t t als Substanz und Subjekt, die G e b u r t Jesu als Angel- und
W e n d e p u n k t der Weltgeschichte, die Einheit v o n göttlicher und menschlicher
N a t u r sowie die V e r s ö h n u n g . Die Hegeischen Kategorien der Identität, Ver-
Die religiösen Implikationen des Staatsbegriffs 39

mittlung und Negation sind von religiösen Mustern abhängig. Die Hegeische
Darstellung der Weltgeschichte als Weltgericht enthält die dem modernen
Verständnis von Philosophie am besten entsprechende Konnexität von Poli-
tik und Religion. Die Varianten der teilweisen oder vollkommenen Immanen-
tisierung der Transzendenz sind indes sehr zahlreich. Das in der abendländi-
schen Tradition vorherrschende religiöse Grundmuster ist der Glaube an das
kommende „Reich Gottes" gemäß der Apokalyptik der Offenbarung des Jo-
hannes im Neuen Testament. Umfangreich ist die Literatur zu Chiliasmus re-
spektive Millenarismus, Geschichtstheologie und Geschichtsteleologie. Das
Grundmuster ist die Historisierung der Trinität Gottes, so daß Weltgeschich-
te oder Heilsgeschichte in drei Phasen oder Reiche eingeteilt werden kön-
nen. 67
Drittens: Als Gegenbewegung zur Moderne - ob in der Form von Materia-
lismus, Atheismus, Szientismus oder gar liberaler Theologie — wird in mehr
oder weniger religiösen Bewegungen samt einer breiten Literatur geglaubt,
Politik habe eine Funktion von Religion (oder Theologie) oder solle wieder
eine solche haben.68 Carl Schmitts Werk, ist dafür nur ein Beispiel. Im Zen-
trum seines affirmativen Rückgriffs auf einige christliche Dogmen stehen der
Kampf zwischen Gott und Satan und die Inkarnation Christi. Identität, Ein-
heit und Homogenität im Gegensatz zum Pluralismus der liberalen Demokra-
tie stellen die von ihm bevorzugten Muster des Bewußtseins von Gesellschaft
vor 1933 dar.
Es ist nicht zu verkennen, daß die in dem letzten Abschnitt herausgearbei-
teten religiösen Implikationen des Bewußtseins von Gesellschaft auch Gegen-
stände der Theologie sind. Das zentrale Thema des Verhältnisses von Politik
und Religion konnte selbstverständlich nur zu einem geringen Teil berührt
werden. Die dargestellten Varianten der Abhängigkeit des politischen Be-

Vgl. dazu: Paul Althaus, Staatsgedanke und Reich Gottes, Langensalza 1933; Ernst Benz,
Endzeiterwartung zwischen Ost und West. Studien zur christlichen Eschatologie, Freiburg
1973; Rudolf Bultmann, Geschichte und Eschatologie, Tübingen 1958; Norman Cohn, Das
Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein
Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern/München 1961; Wilhelm Kam-
iah, Utopie, Eschatologie, Geschichtsteleologie. Kritische Untersuchungen zum Ursprung
und zum futuristischen Denken der Neuzeit, Mannheim 1969; Otto Langmann, Deutsche
Christenheit in der Zeitenwende, Hamburg 1933; Karl Löwith, Weltgeschichte und Heils-
geschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1961;
Walter Schmitthals, Die Apokalyptik. Einführung und Deutungen, Göttingen 1973; Jacques
Sole, Christliche Mythen, Frankfurt a. M./Berlin 1962; Yaakov L. Talmon, Politischer Mes-
sianismus. Die romantische Phase, Köln/Opladen 1963; Jacob Taubes, Abendländische Es-
chatologie, Bern 1947; Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, 3. Aufl., Salzburg
1977; Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988.
Vgl. dazu: Thomas Nipperdey, Religion im Umbruch: Deutschland 1870 bis 1918, München
1988; Friedrich-Wilhelm Graf, Politisierung des religiösen Bewußtseins, Stuttgart 1987;
Herbert Hönig/Bernhard Knitter (Hrsg.), Religion und Ideologie, Köln 1974; Günter Rohr-
moser, Religion und Politik in der Krisis der Moderne, Graz 1989; Robert Cancik, Reli-
gions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982.
40 Zum Verhältnis von Politik und Religion

wußtseins von religiösen Mustern haben für diese U n t e r s u c h u n g nur eine


heuristische Bedeutung unter kategorial-analytischen Aspekten. Die für da;
Verhältnis von Politik und Religion unabdingbar kritisch-theoretische Syste-
matik m u ß einer Monographie über Religionspolitologie vorbehalten bleiben
Gleichwohl soll das theoretische Vorverständnis in Form eines Schemas vor-
angeschickt und präzisiert werden.
IL Umrisse eines religionspolitologischen Ansatzes

Der Integration sozialwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Mo-


delle der Politischen Wissenschaft entsprechend, sind Themen, Probleme und
Diskurse von Religionspsychologie, Religionsphilosophie und vor allem der
traditionsreichen Religionssoziologie in die Religionspolitologie mit einzube-
ziehen. Die theoretische Perspektive des Politischen kann nur aus der Philo-
sophie gewonnen werden.1 „Politische Theologie" wiederum und die unter
diesem Sammelbegriff behandelten Themen" können nur Gegenstände reli-
gionspolitologischer Forschung sein. Der Topos „politische Theologie" ist
nicht mit dem antiken Begriff der „Civiltheologie" gleichzusetzen3; er ist auch
noch nicht systematisch bestimmt worden. Es ist nicht auszuschließen, daß
der Bedeutungsgehalt des Begriffs politische Theologie von der politischen
Theologie Carl Schmitts abhängig bleibt. In der religionspolitologischen For-
schung hingegen soll danach gefragt werden, ob die politische Verstrickung
Carl Schmitts in die nationalsozialistische Herrschaft mit seiner Politischen
Theologie zusammenhängt. 4 Die weiteren Einwände folgen aus der gegen-

So ist in letzter Zeit über die Bedeutung der Religion oder Theologie für die Politik vor-
nehmlich von Vertretern des Faches Philosophie oder Politische Theorie diskutiert worden;
vgl. Peter Koslowski (Hrsg.), Die religiösen Dimensionen der Gesellschaft, Tübingen 1985.
Vgl. Jacob Taubes (Hrsg.), Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 1: Der Fürst die-
ser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München 1983; Bd. 2: Gnosis und Politik, München
1984; Bd. 3: Theokratie, München 1987; Henning Ottmann, Politische Theologie als Be-
griffsgeschichte. Oder: Wie man die politischen Begriffe der Neuzeit politisch-theologisch
erklären kann, in: Volker Gerhardt (Hrsg.), Der Begriff der Politik. Bedingungen und Grün-
de politischen Handelns, Stuttgart 1990, S. 169-189; Alfred Schindler (Hrsg.), Monotheis-
mus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der Politischen Theologie, Gü-
tersloh 1978; Theodor Strohm, Theologie im Schatten politischer Romantik. Eine wissen-
schafts-soziologische Anfrage an die Theologie Friedrich Gogartens, München 1970.
Vgl. Ottmann, Politische Theologie als Begriffsgeschichte. Oder: Wie man die politischen
Begriffe der Neuzeit politisch-theologisch erklären kann, in: Volker Gerhardt (Hrsg.).
So hat auch das verdienstvolle Unternehmen des leider viel zu früh verstorbenen Jacob
Taubes, mit dem Forschungsprojekt „Religionstheorie und politische Theologie" Carl
Schmitt verstehen zu wollen, zwei Nachteile. Erstens wird in keinem einzigen Beitrag die
Frage untersucht, ob die Generalthemen der drei Bände, nämlich der „Fürst dieser Welt",
die „Gnosis" und die „Theokratie", der politischen Theologie Carl Schmitts entsprechen.
Zweitens wird der Frage nicht nachgegangen, ob die politische Theologie Schmitts eine
Disposition für die Zustimmung zum Nationalsozialismus gewesen sein könnte; vgl. Jacob
Taubes: „300 Jahre nach Hobbes liegt die Last seiner Frage, wie wir mit dem .Fürsten die-
ser Welt' zurechtkommen, schwer auf uns. Was Hobbes anvisierte, ist im 20. Jahrhundert
durch Carl Schmitt, der in diesem Jahr seinen 95. Geburtstag feiert, erläutert worden. Grö-
ße und Elend der Frage sind durch diese Markierungen bestimmt. Wir wollen die Abgrün-
de, die sich hier öffnen, nicht verbergen [...] Auch Wissende waren nicht gefeit gegen die
Versuchung. Das soll uns, die Spätgeborenen, milder stimmen, die wir nicht in Versuchung
42 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

wärtigen Verwendung des Begriffes „Theologie". Bei vielen Verwendungen


des Begriffes „politische Theologie" handelt es sich nicht primär um Theolo-
gie. 5 D e r Schwerpunkt der Aussagen bezieht sich auf Politik auf der Basis v o n
Religion mit bestenfalls theologisch zu deutenden Axiomen und Implikatio-
nen von Religion. So unterscheidet Ernst-Wolfgang Böckenförde drei Bedeu-
tungsgehalte des Begriffes „politische Theologie", nämlich „juristische, insti-
tutionelle, appellative politische Theologie". 6 In allen Werken, die von ihm
herangezogen wurden, kann man von Theologie nur dann sprechen, wenn
man unter Theologie lediglich, wie im antiken Wortgebrauch, die Rede über
G o t t oder G ö t t e r versteht. Unter Theologie versteht man aber seit dem 12.
Jahrhundert in Westeuropa nicht irgendwelche Aussagen oder Verkündigun-
gen Gottes, sondern eine Disziplin der Institution Universität. Theologie ist
eine der systematischen und methodischen Forschung verpflichtete Lehre
von Religion mit verschiedenen historischen (z. B. Kirchen- und Theologie-
geschichte), systematischen (z. B. Dogmatik oder Moraltheologie) und prak-
tischen (z. B. Homiletik) Einzeldisziplinen. Eine der Politik verpflichtete Ein-
zeldisziplin von systematischem Gehalt, wie z. B. die Moraltheologie, gibt es
innerhalb der christlichen Theologie als Wissenschaft nicht. G ä b e es sie, wäre
sie der jeweiligen Tradition der Kirche und der Heiligen Schrift verpflichtet.
Es ist aber innerhalb der Theologie äußerst umstritten, ob und welche politi-
schen Schlüsse aus theologischen Axiomen geschlossen werden können, o b
politische Theologie erledigt ist oder nicht. In Rücksicht auf das Politische
sollte diese Frage offenbleiben. Weder die unbedingte Affirmation noch die
unbedingte Negation der Theologie ist im Interesse der Wissenschaft. Für das
Politische ist der Terminus „Religion" dem Terminus „Theologie" aus einem
entscheidenden G r u n d vorzuziehen. Religion ist allgemeiner. Religion ist der
umfassendere Begriff in geographischer, historischer und vor allem persona-
ler Hinsicht. Die politischen Akteure sind überwiegend Laien und keine an
Universitäten geschulten Theologen. 7

kamen. Wer sich ohne Schuld weiß, der werfe den ersten Stein. Wir aber wollen .verstehen'
lernen", in: Jacob Taubes (Hrsg,), Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 1: Der
Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München 1983, S. 5; vgl. auch Norbert
Bolz: „Der Titel der Reihe ,Religionstheorie und Politische Theologie' greift zurück auf ein
Grundkonzept des Staatsrechtlers Carl Schmitt: Politische Theologie analysiert den politi-
schen Index von Theologie und den theologischen Kern von Politik", in: Jacob Taubes
(Hrsg.), Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 3: Theokratie, München 1987, S. 5.
Vgl zum Begriff der Theologie: Jacob Taubes (Hrsg.), Religionstheorie und Politische
Theologie, Bd. 1: Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München 1983, S. 9 -
117.
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Politische Theorie und politische Theologie. Bemerkungen
zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, in: Jacob Taubes, Religionstheorie und Politische Theo-
logie, Bd. 1: Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München 1983, S. 19.
Jan Assmann hingegen möchte den Begriff Theologie über die christliche Theologie hinaus
anwenden, definiert aber Theologie als „argumentative, lehrhafte Rede vom Göttlichen",
Jan Assmann, Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, München 1992, S. 25.
Umrisse eines religionspolitischen Ansatzes 43

D a hier für den Primat „Religionspolitologie" gegenüber der „Politischen


Theologie" plädiert wird und dafür, daß die „Gottesfrage" in der politischen
Theorie offen sein sollte, ist es endlich an der Zeit, das in dieser Untersu-
c h u n g relevante Verständnis von Religion und Politik anzugeben. Für diese
Untersuchung reicht es aus, unter Religion eine Interpretation von Wirklich-
keit zu verstehen, in deren Z e n t r u m der Glaube steht. Das heißt, daß hier der
Glaube, vor allem der Inhalt des Glaubens, das zu berücksichtigende Merk-
mal von Religion ist. Für den h o m o religiosus bedeutet Glaube die Gewißheit
dessen, woran geglaubt wird, oder das Vertrauen auf das, woran geglaubt
wird. Der Gegenstand der Untersuchung ist also das, worauf sich Glaube be-
zieht. Historisch und phänomenologisch ist die Relation von Mensch zu G o t t
und dem Heiligen ausschlaggebend. Werden G o t t oder das Heilige und die
Differenz von Diesseits und Jenseits sowie irdischen und überirdischen
Mächten nicht geleugnet, so ist in dieser Untersuchung das zentrale Kriteri-
um für das Verständnis von Religion genügend bestimmt. In Rücksicht auf
das hier zu benennende Verständnis von Politik reicht es zunächst aus, daß
das jeweils zu findende Allgemeine und das allen Mitgliedern einer Gesell-
schaft Gemeinsame den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen dar-
stellt.
Glaube wiederum kann für das Handeln bestimmend sein, weil die politi-
sche Wirklichkeit stets geschaffen werden m u ß . Daher stellt sich auch die
Wahrheitsfrage im Hinblick darauf, was in der Wissenschaft der Politik „wirk-
lich" zu nennen ist, anders als in der Theologie oder in den Naturwissen-
schaften. Begründen als Prozeß hat in der Sphäre der Politik für die Feststel-
lung, was wahr und wirklich ist, mehr als eine nur kognitive, an bestimmte
Regeln und G r u n d a n n a h m e n gebundene Bedeutung. Während die Menschen
weder G o t t noch die Naturgesetze schaffen, kann das, was „wahr ist", in der
Sphäre der Politik durch Handeln begründet werden. Mu ß in der Wissen-
schaft oder im Dialog das rechtfertigende Argument erst noch entwickelt
werden und steht nicht a priori fest, so kann in der Politik die Wirklichkeit
durch Handlungen ohne Vernunft begründet werden, kann das, was „wahr
ist", geschaffen werden. D e r Faktor „ M a c h t " durch Religion - die Religion
selbst kann keine Macht haben - in seinem Bezug zur Politik hängt genau mit
diesem Begründungsphänomen zusammen, mit dem Bewußtsein derer, die
politische Begründungen als Tatsachen verhandeln. Die vielzitierten Tatsa-
chen sind in der Sphäre der Politik tatsächlich Sachen der Tat. In der Politik
kann, aber m u ß es nicht erheblich sein, ob das Bewußtsein der Handelnden
„wahr" oder „falsch" ist. Das soll an zwei Beispielen deutlich gemacht wer-
den. Die Bolschewiki handelten 1917 in Rußland in dem Bewußtsein, Marxi-
sten zu sein. Mit einer falschen Interpretation von Marx, der seinerseits die
Welt ökonomisch falsch interpretierte, wurde 1917 die Negation des Privatei-
gentums an Produktionsmitteln und -kräften erfolgreich eingeführt und damit
gesellschaftliche und politische Wirklichkeit verändert. Z u m Beispiel haben
sogenannte wirkliche Marxisten sogenannte Nichtmarxisten oder auch wirkli-
44 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

che Marxisten umgebracht. Daß die Bedingungen für den Übergang vom Ka-
pitalismus zum Sozialismus nach Marx in Rußland nicht vorhanden waren und
daß Marx sich irrte, indem er annahm, daß das Privateigentum an Produk-
tionsmitteln und -kräften die „Fessel" der Entwicklung der Ökonomie sei8,
hat die aktuelle Negation des Privateigentums an Produktionsmitteln über
sieben Jahrzehnte nicht verhindert.
Etwas anders ist der Fall der Hexenverfolgung. Nach den Rechtsregeln der
Inquisition war eine Frau dann und nur dann eine Hexe, wenn sie fliegen
konnte, und zwar nachts, um im Bunde mit anderen Frauen mit dem Teufel
selbst geschlechtlich zu verkehren. Seit Beginn der Neuzeit war die sogenann-
te Hexenverfolgung zweihundert Jahre lang ein Massenphänomen. Gegen alle
empirische Erfahrung, daß Menschen nicht fliegen können, war der Glaube
an die Macht der Hexen und des Teufels für die gesellschaftliche Wirklichkeit
der Frauenverfolgung konstitutiv. Kurzum: Imagination, Glaube, falsches Be-
wußtsein, Lüge, Unvernunft und Wahn können in der Sphäre des Politischen
Wirklichkeit konstituieren.
Für diese Untersuchung ist folgendes Vorverständnis von Politik aus-
schlaggebend:
1. Politik hat keine identische Substanz und ist nicht Substanz.
2. Gesellschaft ist kein Subjekt und kein System und hat keine Substanz.
3. Macht ist weder Substanz noch Subjekt oder System.
„Politik" hat den drei vorgenommenen Entsubstantialisierungen entspre-
chend keinen identischen Gegenstand, sie wird vielmehr aus den unterschied-
lichsten Bereichen zusammengesetzt. In bestimmten Situationen kann das
Anzünden von Kerzen genauso „politisch" sein wie in anderen Situationen
die Debatten über Steuern. Die „Politik" oder das „Politische" resultieren aus
dem Handeln und den Beziehungen der Menschen in der jeweiligen Verwirk-
lichung ihrer Ziele im öffentlichen Leben. Politik hat keine identische Sub-
stanz wie „den Menschen" oder „die Natur" des Menschen: Trotz der Viel-
falt an Institutionen in der Geschichte der Gesellschaften und ihren jeweili-
gen mehr oder weniger differenzierten Aufgaben und Zwecken existiert hin-
ter, über oder neben dem Subjekt Mensch keine handelnde Entität als „We-
sen". So handeln strikt genommen Institutionen nicht als juristische Perso-
nen, sondern das Handeln der Institutionen ist die Folge miteinander agieren-
der Personen und wird vereinheitlichend den Institutionen zugerechnet. Das
gemeinsame Handeln des „Staates" enthält immer das Handeln von bewuß-
ten Individuen, die miteinander oder gegeneinander Handlungsabläufe be-
sprechen, entwerfen und realisieren. Die „Gesellschaft" ist kein Subjekt, weil
sie kein Bewußtsein hat. Im Zusammenwirken gemeinsamen Handelns emp-
findet und denkt nur das Individuum.

Vgl. Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Marx-Engels-Werke, Bd. 13, Berlin
1979, S. 9.
Umrisse eines religionspolitischen Ansatzes 45

D a h e r ist das, was einigen, vielen oder allen Mitgliedern einer Gesellschaft
gemeinsam ist, das Gemeinsame, mithin das gesellschaftlich Allgemeine, das
fundamentale Problem politischer Existenz. Es m u ß eine Lösung dafür ge-
funden werden, wodurch die Menschen verbunden sind, verbunden werden
k ö n n e n , sollen oder müssen. Das allen Gemeinsame ist nicht nur für die Be-
dingungen des Lebens und das Handlungsziel des guten Lebens - was auch
immer als „ G u t " erstrebt wird, vom Verbrechen bis zum Heil - zu ermitteln,
sondern zugleich für die verschiedenen Paradigmata der Gesellschaft: Glück,
Gerechtigkeit, Freiheit, am E n d e sogar Herrschaftslosigkeit.
Die in der bisherigen Geschichte meist durch physischen Zwang, Andro-
hung von Zwang und N o r m e n hergestellte und erhaltene Kohärenz einer G e -
sellschaft hängt aber auch davon ab, wie die Allgemeinheit gesellschaftlicher
Existenz kognitiv w a h r g e n o m m e n wird oder konzipiert ist. Der Primat der
Identität, Einheit und Ganzheit „der" Gesellschaft wird meist durch Konzep-
tionen artikuliert, denen zufolge Gesellschaft als Körper, Organismus, System,
Subjekt oder Person begriffen wird. In dieser Untersuchung wird davon ausge-
gangen, daß allen Formen von Gesellschaft, bezeichne man sie als Familie,
Verein, Verband, Gemeinschaft, Kirche, Volk, Nation, Staat, polis, civitas oder
Bürgerschaft, nicht die Prädikate Körper, Organismus, System, Subjekt oder
Person zukommen: Gesellschaft funktioniert gerade nicht per se, weshalb das
jeweils Allgemeine von den in der Gesellschaft miteinander oder gegeneinan-
der handelnden Menschen gefunden oder erfunden werden mußte. Nicht be-
stritten werden damit die transsubjektiven oder objektiven Bedingungen ge-
sellschaftlichen Handelns und die transsubjektive Qualität von Gesellschaft,
ebensowenig die Bedeutung des physischen Lebens, die ökonomischen Inter-
essen und psychischen Dispositionen für die Konstitution von Gesellschaft.
Hier soll nur betont werden, daß die Beziehungen, die die Individuen mitein-
ander eingehen, auch davon abhängig sind, wie sie gedeutet werden. Die Art
der Beziehung als gedeutete, die Rede über die Form von Gesellschaft, das
Wahrnehmungsmuster von Gesellschaft als Gesellschaft, das Bewußtsein von
Gesellschaft als „Dublette" ihrer Formen im Bewußtsein ist für die Konstitu-
tion von Gesellschaft relevant. Wenn innerhalb einer Gesellschaft die Über-
zeugung dominiert, über Gemeinsamkeiten zwischen einzelnen und Gruppen
hinaus sei Gesellschaft eine Person oder ein Einzelwesen überhaupt, heißt das,
daß Gesellschaft mit der Kategorie der Identität beschrieben und somit ideo-
logisiert wird. Soll Identität realisiert und forciert werden, so ist das für die
vielbemühte „Praxis" und die Interpretation von Herrschaft und Recht, von
Mensch und Gesellschaft von allergrößten Folgen. So wurden im 19. und 20.
Jahrhundert vornehmlich Mensch, Staat, Volk und Nation, welche unter ei-
nen Substanzbegriff der Gesellschaft subsumierbar sind, in Deutschland nicht
nur mit Hilfe der Kategorien Einheit oder Homogenität interpretiert, sondern
Einheit oder Homogenität waren ausgesprochene Ziele politischen Handelns.
Die K o n z e p t i o n der Identität, Einheit und Homogenität von Gesellschaft
korreliert mit der Substantialisierung von Macht, insofern angenommen wird,
46 Z u m Verhältnis von Politik und Religion

der solchermaßen qualifizierten Gesellschaft, sei sie nun der „Staat" oder das
„Volk", komme ursprüngliche, nicht abgeleitete Macht, also Souveränität zu.
U m auf den Unterschied zwischen Religion und Theologie zurückzukom-
men, ist festzuhalten, d a ß wegen der Konstitution von Gesellschaft und des
stets zu findenden, zu bewahrenden und zu erneuernden Allgemeinen - eben
dem, was schlicht allen Mitgliedern einer Gesellschaft gemeinsam ist oder
sein sollte - für die Politische Wissenschaft Religion gegenüber Theologie
von übergeordnetem Interesse ist. Für die Beziehung der Konnexität von Po-
litik und Religion war im Rahmen der Politischen Wissenschaft ein Substan-
tiv zu finden, mit d e m der Vorrang der Wissenschaft von der Politik gegen-
über der Religionswissenschaft ausgedrückt werden kann. Dafür eignet sich
der Begriff Religionspolitologie, weil die Bezeichnung Politologie für Politi-
sche Wissenschaft Anerkennung gefunden hat. 9 Mit der Wahl des Begriffes
Religionspolitologie als Bereich der Politischen Wissenschaft wird nicht be-
hauptet, Religion habe lediglich eine Funktion für die Politik oder solle diese
haben. Religionspolitologie statt politischer Theologie als Programm bedeu-
tet auch nicht, daß im Zuge szientistischer Paradigmenwechsel die Theologie
zum radikal Bösen säkularisiert wird. Theologie im Sinne des seit der G r ü n -
dung von Universitäten geltenden Begriffes kann sogar in Zeiten diffuser Re-
ligiosität, abgesunkener religiöser Begriffe sowie der Emanzipation der Reli-
gion von jeglicher F o r m und der Freisetzung der religiösen Einbildungskraft
des modernen Individuums ein Hilfsmittel zum Verständnis von Religion
sein. In einer Hinsicht entspricht der Gegenstand der Religionspolitologie
dem Begriffsumfang einer spezifischen Theologie, nämlich in bezug auf den
Personenkreis der „theologia civilis" nach Varro. Danach ist „theologia civi-
lis" das, was die Bürger der Polis glauben oder glauben müssen. 1 0
Im Sinne des erst in der Neuzeit als terminus technicus verwendeten Be-
griffs Religion ist der Gegenstand der Religionspolitologie vornehmlich derje-
nige Glaube, der vorwiegend bei den Mitgliedern einer Gesellschaft „in Ge-
brauch" ist, d e n n in der modernen Demokratie werden die aus der Gesell-
schaft hervorgehenden Herrschenden äußerst selten von Theologen oder von
anderen Gelehrten beherrscht. Um allerdings feststellen zu können, o b ein
weltanschaulich-politisches Faktum überhaupt einen religiösen Gehalt hat,
soll hier so knapp wie möglich dargelegt werden, auf welcher Grundlage und
mit welchen Kriterien bestimmte Texte ausgewählt, zitiert und interpretiert
wurden.
9
In Rücksicht auf die Ableitung der Wissenschaft der Politik von „episteme politike" käme
auch der Begriff Religionspolitikologie in Frage. Da aber in der attischen wie in der moder-
nen Demokratie die Ordnung der Gesellschaft von den Bürgern (polites) abhängt, ist die
gängige Bezeichnung Politologie als maßgebendes Substantiv für Religionspolitologie auch
sachlich gerechtfertigt.
10
Für Varro ist es diejenige Lehre und Rede über Gott und Götter (theologia), die auf die
„Stadt" bezogen ist und „im Volk im Gebrauch ist"; nach der Einteilung Varros betrifft die
„theologia mythica" die Dichter, die „theologia naturalis" die Philosophen; vgl. Aurelius
Augustinus, Der Gottesstaat, 3 Bde., Salzburg 1966, Buch 6, Kap. 5.
Umrisse eines religionspolitischen Ansatzes 47

Solange die Menschen ihre Existenz religiös interpretieren, lassen sich Po-
litik und Religion nicht trennen. Für den gläubigen M e n s c h e n ist die Sphäre
der Politik durch die Sphäre der Religion allein wegen des Glaubens an die
Existenz einer höchsten Macht durchdrungen. Der G l a u b e an eine überirdi-
sche Macht läßt die Überzeugung zu, daß die O r d n u n g der Gesellschaft in
V e r b u n d e n h e i t und Abhängigkeit von G o t t interpretiert werden m u ß , soll
oder kann. Das religiöse Leben wird außerdem nicht nur in der personalen
Beziehung zwischen G o t t und Mensch, sondern auch in Gemeinschaft voll-
zogen. Welche materiellen Bedingungen zur gesellschaftlichen Existenz auch
immer gehören: Wer an die Macht Gottes oder des Heiligen glaubt, der wird
die Beziehungen zwischen den Menschen aus der Perspektive seiner religiö-
sen Erlebnisse, Erwartungen und Bestimmungen beurteilen. Geistige Prozes-
se und Strukturen, insbesondere symbolisches Denken, ermöglichen, daß die
verschiedensten voneinander getrennten Bereiche der Existenz aufeinander
bezogen, das heißt miteinander vermittelt oder vereint w e i d e n können. In re-
ligiösen O r d n u n g e n wird notwendig auch ein Bewußtsein von Gesellschaft
artikuliert. Wegen der absoluten Macht Gottes ist das allgemeine Bewußtsein
v o n Gesellschaft vom religiösen Bewußtsein der Gesellschaft abhängig. Da
Gesellschaft wiederum konstituiert werden muß, k ö n n e n Religionen Bedin-
gungen von Macht sein. E s versteht sich, daß diese Ausführungen nicht für
vorwiegend atheistisch ausgerichtete Gesellschaften gelten können.
Meist korrespondieren mit den Aussagen über das Verhältnis von Tran-
szendenz und Immanenz Auffassungen über Macht. Die Erfahrung und Arti-
kulation von „Macht" scheint das A und das O der meisten Religionen zu
sein. Hier wird nicht die Überzeugung vertreten, die G ö t t e r oder G o t t seien
nur zum Zwecke der Macht einiger Menschen über andere Menschen erfun-
den worden. Vergessen werden darf aber im Diskurs über Religion weder das
in den Religionen enthaltene Bewußtsein von Macht als der Macht des Heili-
gen oder „ G o t t e s " — in keiner Religion kennt man total ohnmächtige G ö t t e r
— noch dessen Gegenpol, der auf die Macht Gottes explizit bezogene Glaube
an die Macht des kontrafaktischen „Bösen" im Bild des Satans, des Teufels,
Mephistopheles oder der Finsternis schlechthin.
Z u m Zwecke der Feststellung und Beurteilung der religiösen Deutungs-
muster in den Originalquellen der NS-Ideologie ist die Konjugation von Poli-
tik und Religion sowie Religion und Politik selbst in Relationen aufzulösen.
Politik und Religion können ohne die Kategorien des Seins und des Erken-
nens nicht begriffen werden. Politik betrifft alle existentiellen Konflikte in der
Spannung v o n Leben und Tod, all das, woran die E m o t i o n e n , Intentionen
und Leidenschaften der Menschen haften. Das politische Handeln der Men-
schen wird wiederum von dem jeweils subjektiv a n g e n o m m e n e n Sinn der
Existenz beeinflußt. Über den in den Ideologien und den Religionen enthal-
tenen A n n a h m e n über den Sinn der Existenz steht indes die Philosophie als
Maß des Urteils. Sein, Erkennen, Politik im engeren Sinn und der Sinn der
Existenz stellen die wesentlichen Bereiche wechselseitig sich ergänzender und
4S Zum Verhältnis von Politik und Religion

aufeinander bezogener religionspolitologischer Konstellationen dar. Im Vor-


griff auf eine n o c h systematisch auszuarbeitende Religionspolitologie sollen
an dieser Stelle die wesentlichen Kategorien, die in einer Religionspolitologie
Berücksichtigung finden müssen, mit Hilfe eines Schemas dargestellt werden.
Sie betreffen all das, was der Politik vorausgeht, was Politik übergreift und
was Gegenstand von Politik sein kann.

E b e n e I: Kategorien des Daseins

Diese betreffen

1. Aussagen über die physio-materiellen Grundlagen des Lebens und die da-
mit z u s a m m e n h ä n g e n d e n ö k o n o m i s c h e n Verhältnisse.
2. Aussagen über physio-psychische Z u s a m m e n h ä n g e . Damit sind nicht nur
die psycho-anthropologisch genannten Lehren vom Menschen gemeint,
sondern auch die Überzeugungen der Menschen über das „Wesen" des
Menschen, die von den Wissenschaften unabhängig sind.
3. Aussagen über die spirituell-kognitive Sphäre des Denkens. Dazu zählen
Bewußtsein, Verstand, Vernunft, Geist, Imaginationen, Phantasie und Illu-
sionen.
4. Aussagen über seelisch-existentielle Z u s t ä n d e und Verhaltensweisen, vor-
nehmlich E m p f i n d u n g e n , Gefühle, Stimmungen und Leidenschaften. Das
heißt, daß auch Sexualität, Lust, E r o s , Liebe, Verzweiflung, Wut, Neid,
H a ß , Gier, Trägheit, Stolz, Schrecken, Furcht, Angst, Kampf, Rache, Sieg,
Vertrauen, Hoffnung und Glück zur Sphäre des Politischen gehören kön-
nen. Nicht zu vergessen ist der Wille, insbesondere der Wille zu Lug, Trug,
zur D o m i n a n z und zum Überleben. Zu prüfen wäre auch, o b vor- und un-
bewußte Strukturen und Prozesse relevant sind.

E b e n e II: Kategorien des Erkennens

Weil der Mensch ein denkendes Wesen ist, ist Politik abhängig von der Art
des W a h r n e h m e n s , D e n k e n s , Meinens und Erkennens innerhalb bestimm-
ter sowohl formaler als auch materieller Kategorien wie: Sein, Nichtsein,
Endlichkeit, Unendlichkeit, Ruhe, Bewegung, Affirmation, Negation, Iden-
tität, Differenz, Einheit, Vielheit, H o m o g e n i t ä t , Heterogenität, Substanz,
Kausalität, Möglichkeit, Wirklichkeit, K o h ä r e n z , Struktur, Prozeß, Inklu-
sion, Exklusion, Zeit, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Ursprung, Ziel.
Für die Politische Wissenschaft ist z. B. von Interesse, was als Substanz
gilt, o b die Gesellschaft das Prädikat der Identität oder Homogenität erhält
oder nicht und wie Kausalität bestimmt wird.
Umrisse eines religionspolitischen Ansatzes 49

E b e n e III: Die O r d n u n g von Mensch, Gesellschaft und Geschichte - Politik


im engeren Sinne

1. D a s Bewußtsein von Mensch, Gesellschaft und Geschichte.


Hier folge ich Eric Voegelin, nach d e m das Bewußtsein von Mensch, G e -
sellschaft und Geschichte zum Z e n t r u m der Politischen Wissenschaft ge-
hört. Weiterhin sind alle öffentlichen Angelegenheiten der Gegenstand der
Politik. Dazu zählen auch die Überzeugungen und Meinungen der Men-
schen, was das Verbindende und allen G e m e i n s a m e ihrer gesellschaftli-
chen Existenz ist oder sein sollte, z. B. die Vorstellung, welche Eigenschaft
das Kollektiv hat oder haben sollte. Maßgebend für das politische Leben
sind Wahrheit oder Irrtum über das Verhältnis v o n Mensch und Gesell-
schaft. Hat z. B. das Kollektiv den Vorrang vor den Einzelmenschen oder
umgekehrt? Ist die Auffassung von Gesellschaft abhängig v o m Selbstbe-
wußtsein oder umgekehrt? Dabei soll Gesellschaft hier als Oberbegriff für
alle menschlichen Verbände, für Gemeinschaft, Kirche, Volk, Staat und
Nation gelten.

2. Die politischen Prozesse u n d gesellschaftlichen Institutionen


Dieser Bereich betrifft die pragmatischen Ziele politischer Handlungen im
Hinblick auf Herrschaft und Macht.

3. Paradigmata gesellschaftlich-politischer Existenz


Dieser Bereich betrifft das Handeln der Menschen im Hinblick auf Moral,
lithik, Recht und Gerechtigkeit sowie Freiheit, Gleichheit und Würde.

Ebene IV: Sinn der Existenz

Diese Ebene betrifft sowohl die traditionellen G e g e n s t ä n d e der Philoso-


phie wie das Gute, das Wahre, das Schöne, Glück, N u t z e n , E n t f r e m d u n g ,
das Selbst, das andere, den anderen — unabhängig von Schulen oder Rich-
tungen - als auch die Auslegung des Seins und Werdens in der Theologie
sowie in den Religionen und Ideologien.
Für eine Religionspolitologie sind vor allem G o t t , das Heilige, der Retter,
Krlösung, Inkarnation, Unsterblichkeit, Opfer, das Böse, Satan sowie das
Verhältnis von G o t t und N a t u r von Interesse.

Im Zentrum der folgenden U n t e r s u c h u n g steht das Bewußtsein von Gesell-


schaft. Das ist gerechtfertigt, weil der Konstitution kollektiver Identität in der
NS-Ideologie eine weitaus größere Bedeutung beigemessen wird, als dies in
einem an Institutionen, Staat, Regierungs-, Verwaltungs- und Organisations-
formen sowie am öffentlichen Recht orientierten Verständnis von Politik der
Fall ist. Die zentrale Frage ist, o b das nationalsozialistische Bewußtsein v o n
kollektiver Identität in bezug auf G o t t , das Heilige oder das Böse artikuliert
wird. Ist dies der Fall, dann ist Religion für das nationalsozialistische Ver-
ständnis von Politik maßgebend. Im Hinblick auf kollektive Identität sind für
50 Zum Verhältnis von Politik und Religion

das nationalsozialistische Bewußtsein von Gesellschaft die Ideologeme Volk


und Rasse von zentraler Bedeutung. Es ist mithin bei der Interpretation der
Texte der NS-Ideologie zu überprüfen, o b die Auffassungen von Volk und
Arier religiöse Deutungsmuster enthalten. Wird bei der Qualifikation des ei-
genen Kollektivs, der Festmachung der Identität in Differenz zu anderen Völ-
kern, eine außergewöhnliche und nur das eigene Kollektiv betreffende Rela-
tion zu G o t t angenommen, dann hat die NS-Ideologie den Gehalt einer poli-
tischen Religion. Weiterhin ist zu überprüfen, ob die Negation bestimmter
Kollektive notwendig und von vornherein mit der Konstitution kollektiver
Identität einhergeht.
Der Zusammenhang zwischen Politik und Religion ist außerdem durch die
Anwendung des Prinzips der Vermittlung zu erfassen und zu analysieren. Die
Varianten der Vermittlung von G o t t und Mensch sind zahlreich. Die G e -
schichte und die Gesellschaft selbst kommen dafür in Frage, die Verbindung
zwischen G o t t und Mensch kann durch die Annahme der Inkarnation oder
durch den Glauben an das Charisma einer Person hergestellt werden, u n d
schließlich kann angenommen werden, daß über die partielle Teilhabe an ei-
ner Substanz die Beziehung zwischen Mensch und G o t t vermittelt wird. Die
Kategorie der Substanz ist vor allem für die Erfassung der Beziehung G o t t zu
Rasse und Rasse zu Volk hilfreich. Im Hinblick auf das Bewußtsein von G e -
sellschaft und Geschichte hingegen interessiert im Rahmen dieser Untersu-
chung die hierarchische Reihenfolge Gott, Zukunft und Identität des Kollek-
tivs. Wird in der Antizipation zukünftiger Kausalverläufe angenommen, G o t t
sei auf der Seite des eigenen Kollektivs, und werden gegenwärtige Konflikte
als Indikatoren des zukünftigen Kampfes zwischen G o t t und Satan wahrge-
n o m m e n oder wird geglaubt, in der Zukunft käme eine göttliche Potenz des
eigenen Kollektivs zur vollen Entfaltung, dann wird Macht unter dem Primat
religiöser Deutungsmuster konzipiert.
Die Gliederung der nunmehr folgenden Darstellung der NS-Ideologie ist
an dem Super-Identität verheißenden Schlagwort „Ein Volk — ein Reich — ein
Führer" orientiert. Mit dem „Reich" ist nicht nur zu beginnen, weil mit dem
T o p o s „Drittes Reich" eine Phase in der Geschichte der Deutschen bezeich-
net wird. Mit dem Abschnitt über das „Dritte Reich" kann der Anschluß zwi-
schen weit- und heilsgeschichtlichen Spekulationen deutscher Provenienz ei-
nerseits und der NS-Ideologie andererseits gefunden werden. Es geht um be-
stimmte Auffassungen von Geschichte im Hinblick auf das „ k o m m e n d e
Reich" oder die „Neue Zeit" im Rückgriff auf Varianten der Apokalvptik. Das
Kapitel über das „Dritte Reich" dient auch der Vorbereitung des Kapitels
über die „Führerideologie". Sachlich gehört der Glaube an das Charisma Hit-
lers teilweise zum Komplex „Drittes Reich". Im Hinblick auf ideologische
Kommunikation, die Vermittlung der Ideologie, durch Ideologie konstituier-
te Realität sowie die Imagination kollektiver Identität sind die a n g e n o m m e -
nen außergewöhnlichen Qualitäten Adolf Hitlers selbstverständlich in einem
eigenen Kapitel zu behandeln. Erst dann ist der schwierigste Teil der Erfas-
Umrisse eines religionspolitischen Ansatzes 51

sung des ideologischen Tatbestandes, der Rassismus, zu untersuchen. Die zu


entscheidende Streitfrage besteht darin, ob es ausreicht, das Ideologem „Ari-
er" n u r mit psychologischen oder sozialdarwinistischen Mustern zu begreifen;
ob Biologismus das wesentliche Prädikat des nationalsozialistischen Rassis-
mus ist. Für die Politik und die Politische Wissenschaft aber ist der Streit um
das inhaltliche und formale Verständnis des Begriffes „Volk" von überragen-
dem Interesse. Folgt das Volk dem Volksbegriff gemäß dem „ d e m o s " im Sin-
ne der pluralistischen Demokratie oder dem des Volkstums im Sinne der
„völkischen Weltanschauung"? Die Behandlung des Antisemitismus als we-
sentlichem Merkmal der NS-Ideologie ist in die Darstellung der zuvor ge-
nannten Komplexe der NS-Ideologie integriert.
Die ideologischen Originalquellen sind nicht mit dem Zweck und in der
Form verfaßt worden, daß sie am E n d e des 20. Jahrhunderts mit den Regeln
rationaler Systematik entziffert werden können. Es ist die Intention der Ar-
beit, so nahe wie möglich am Text zu bleiben, einem Material, das ästhetisch
abstoßend ist und ohne hermeneutische Hoffnung auf Vernunft gelesen wer-
den m u ß . Gleichzeitig waren Distanz und Ratio ermöglichende Wahrneh-
mungsmuster zu finden. Die von mir aufgestellten religionspolitologischen
Konstellationen stellen indes kein System dar. Eine gewisse O r d n u n g der
Darstellung resultiert aus der Reihenfolge folgender Komplexe, die für den
Nationalsozialismus relevant sind:

1. die allgemeine Gottesvorstellung sowie die angenommene Beziehung zwi-


schen G o t t und Mensch
2. die Relation G o t t und Gesellschaft
3i der Kampf zwischen „ G u t " und „Böse" bzw. G o t t und Satan als Wahrneh-
mungsmuster politischer Konflikte
4. die Relation Teufel-Gesellschaft in Form der Determination des Kollek-
tivs der Juden
5. Sieg und Heil durch die Vernichtung „des J u d e n "

Diese Reihenfolge korrespondiert mit der Konstitution von Gesellschaft nach


nationalsozialistischem Konzept. Die gewollte und erst noch zu vollziehende
Vorstellung kollektiver Identität geht mit der Abgrenzung zum „Gegensätzli-
chen" in Form der Negation einher. Die existentiellen Momente von Stärke,
Gewalt, Kraft, Kampf, Angst und T o d werden mit der Konstituierung kollek-
tiver Identität sowie der Differenz zu anderen Gesellschaften untrennbar ver-
bunden und machen auch den Gehalt der NS-Ideologie aus.
B. Zur Phänomenologie der national-
sozialistischen Weltanschauung: „Reich"
und „Führer" sowie „Volk" und „Rasse"

I. Das nationalsozialistische Verständnis


vom kommenden „Dritten Reich"

1. Historisierung der Trinität:


Zum Begriff des „Dritten Reiches"

Weil die Ideologen des Nationalsozialismus eine neue Konstitution der Gesell-
schaft erstrebten und einen zeitweiligen Erfolg ihrer Aktionen verzeichnen
konnten, ist die wesentliche Perspektive dieses Kapitels die Wahrnehmung
und Bestimmung der Qualität des Kollektivs aus der Antizipation der Zukunft.
Aus der Imagination zukünftiger Kausalverläufe, Kämpfe und Strukturen wer-
den Schlüsse zur Beurteilung gegenwärtiger Ereignisse gezogen. Das Kom-
mende wird zum Prinzip des Bewußtseins von Gesellschaft und Geschichte.
Weil etwas in Zukunft so und nicht anders sein wird, hat die Gegenwart diesen
und nicht jenen Charakter, kommt dem eigenen Kollektiv dieses und dem
fremden jenes Prädikat zu. Daß das kommende Reich das dritte und nicht das
x-te Reich ist, kann durch die abendländische Obsession erklärt werden, Ge-
schichte im „Dreischritt" zu denken. Das Denken der Historie als Gesamt-
geschichte und die Einteilung der Gesamtgeschichte in drei Epochen, Phasen,
Zeitalter oder Reiche, am populärsten geworden durch die moderne Rede über
Antike, Mittelalter und Neuzeit, ist abhängig vom christlichen Verständnis von
Zeit, vom A und O, vom Anfang, Weg und Ende; vom Schöpfungsakt bis zur
Geburt Christi, von der Geburt Christi bis zur ersten Wiederkehr und von der
ersten bis zur zweiten Wiederkehr Christi. Die Offenbarung des Johannes im
sogenannten Neuen Testament ist die Mutter der Geschichtstheologie und die
Großmutter der modernen Geschichtsteleologie.
Die Gewißheit der christlichen Hoffnung auf zukünftige Erlösung im
Reich Gottes ist, was vor allem Karl Löwith1 in „Weltgeschichte und Heils-

VgL Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen


54 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

geschehen" herausgestellt hat, ein Glaube, der allem später einsetzenden


Denken von Gesamtgeschichte, allen späteren Spekulationen, Prophetien,
Theorien oder gar Philosophien der Geschichte vorausgeht. Im Gegensatz
zur antiken Auffassung von Historie enthält Eschatologie ein Telos von Ge-
samtgeschichte. Die Metamorphosen der Eschatologie und Apokalvptik sind
zahlreich. Schon im umfangreichen und äußerst einflußreichen Werk des Au-
gustinus wird die Spannung zweier Deutungsmöglichkeiten deutlich: Die ei-
nen glauben an das jenseitige Reich Gottes und halten sich zumindest passiv
an die Verheißung des Johannes, die anderen halten sich, vor allem in der so-
genannten Neuzeit, in Form der Emanzipation des Subjekts, ans „Diesseits".
Während Augustinus die Prophezeiung des Tausendjährigen Reiches ab-
schwächt und zugunsten des Jenseits umdeutet, erblühten seit d e m j a h r e 1000
n. Chr. zahlreiche Varianten, die mit den Topoi „Chiliasmus" respektive „Mil-
ienarismus" bezeichnet werden. Selbst Kant hat den „Chiliasmus" nicht
strikt verurteilt. 3 Bevor Dietrich Eckart und Joseph Goebbels unmittelbar zu
behandeln sind, sind noch einige Ausführungen zum T o p o s des „Dritten Rei-
ches" nötig.
Von großem Einfluß auf die trinitarische Auffassung von Gesamtgeschich-
te und deren Dreiteilung war das Werk des Joachim von Fiore (1135-1202, in
der Literatur auch Joachim von Flores genannt). Joachim kombinierte die
Apokalypsis des Johannes mit der von ihm durchgeführten Historisierung des
Dogmas der Trinität. 4 Sein Einfluß ist sogar im Werk von Ernst Bloch 5 und

der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1961; Jaques Sole, Christliche Mythen, Frankfurt


a. M./Berlin 1962; Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, München 1959, S.
162 f; 1. Aufl. Wien 1938.
Vgl. Norman Cohn, Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianis-
mus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern 1961;
Heinz Hertl, Das dritte Reich in der Geistesgeschichte, Hamburg 1934; Günther List, Chi-
liastische Utopie. Die Erneuerung der Idee vom Tausendjährigen Reich im 16. Jahrhundert,
München 1973; Walter Schmitthals, Die Apokalvptik. Einführung und Deutung, Göttingen
1973; Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters
und der politischen Renaissance, München 1929, 4. Aufl., München/Wien 1973.
Vgl. Immanuel Kant, Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 8.
Satz: „Man sieht: Die Philosophie könne auch ihren Chiliasmus haben; aber einen solchen,
zu dessen Herbeiführung ihre Idee, obgleich nur sehr von weitem, selbst beförderlich wer-
den kann, der also nichts weniger als schwärmerisch ist. Es kommt nur darauf an, ob die
Erfahrung etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke", in: ebd., Werke in
zwölf Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1964, S. 4 f.
Vgl. Herbert Grundmann, Studien über Joachim von Fiore, Leipzig 1927; Ernst Benz, Ec-
clesia spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der Franziskanischen Reformation,
Stuttgart 1934; Gert Wendelborn, Gott und Geschichte. Joachim von Fiore und die Hoff-
nung der Christenheit, Leipzig 1974.
„Aller Joachimismus kämpft aktiv gegen die sozialen Prinzipien eines Christentums, das
sich seit Paulus mit der Klassengesellschaft unter tausend Kompromissen verbunden hat.
Das in seiner irdischen Heilspraxis selber ein einziges Sündenregister darstellt, bis herab
oder hinauf zum letzten Glied: dem Verständnis des Vatikans für den Faschismus. Bis zur
Todfeindschaft des zweiten oder Pfaffenreichs in Joachims Sinn gegen das Dritte, das in
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 55

bei dem angeblich vom Geist des Pfmgstfestes ergriffenen Rudolf Bahro 6
festzustellen. Die Historisierung der Trinität bei Joachim von Fiore ist von
schlichter Klarheit: Das erste Reich ist das des Vaters, das zweite das des Soh-
nes und das dritte das des Geistes, welches hier auf Erden errichtet wird; das
Reich bis zum Jüngsten Gericht, in dem das ewige Reich schon fast vollendet
ist. G a n z selten wird erwähnt, auch von denjenigen, die sich auf die revolu-
tionär-chiliastische Tradition berufen, daß Joachim eine antijudaische Schrift
verfaßt hat. 7 Alois D e m p f hat in seiner 1929 veröffentlichten Untersuchung
„Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und
der politischen Renaissance" seine komplizierte und umfangreiche D e u t u n g
Joachims wie folgt sehr schön zusammengefaßt:

Joachims Schema der Weltgeschichte sieht also so aus:


initiata von Adam bis Abraham,
21 Generationen properietas von Abraham bis Ozias,
Erstes Reich
21 Generationen
fructification von Azias bis Zacharias,
21 Generationen
das ist zugleich die Vorbereitungszeit des zweiten Reichs.
proprietas von Christus bis
Benedikt
Zweites Reich
fructificato von Benedikt bis 1200
das ist zugleich die Vorbereitung des dritten Reichs.
Drittes Reich
proprietas von 1200 bis zum
Jüngsten Gericht. 8
Im „Dritten Reich" des Joachim von Fiore herrschen die Zustände, die uns
im 20. Kapitel der Apokalypse prophezeit werden: ein Reich, welches im
Neuen Testament „Tausendjähriges Reich" heißt. Sowohl der Dualismus der
Apokalypse als auch die Übereinstimmung der Abläufe von Altem und Neu-
em Testament kommen in einem weiteren von Alois D e m p f aufgestellten
Schema prägnant zum Ausdruck:

der Sowjetunion anfängt zu beginnen und von der Finsternis nicht begriffen oder auch wohl
begriffen und verleumdet wird", Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. M. 1980,
S. 698.
Nach Bahro ist das „Dritte Reich" Joachims das „Pfingstreich aus dem Prinzip einer mysti-
schen Demokratie", Rudolf Bahro, Logik der Rettung, Stuttgart 1987, S. 451.
Anders hingegen Gert Wcndelborn, Gott und Geschichte. Joachim von Fiore und die Hoff-
nung der Christenheit, Leipzig 1974, S. 137 ff.
Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und
der politischen Renaissance, München 1929, 4. Aufl., München/Wien 1973, S. 274.
1
Ebd., S. 276.
56 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

I. Reich II. Reicr i


Vorchristliche Christliche Könige Antichristliche
Führer und Führer Könige
l.Zeit Jakob Christus Herodes
Moses, Josue, Kaleb Petrus, Paulus, Johannes Nero
2. Zeit Samuel, David Konstantin, Silvester Konstantius, Arius
3. Zeit Elias, Elisäus Justitian, Benedikt Cosroe, Mahomed
4. Zeit Isaias, Ezechias Gregor, Zacharias Das neue Babylon
Pipin, Karl
5. Zeit Ezechiel, Daniel
Transmigratio Babylon Heinrich VI. Saladin
6. Zeit Zorobabel, Josue Bernhard Der 6. U. 7. König
d. Apokal.
7. Zeit Annus Jubiäus DerDVX Der Antichrist

Alle drei Reiche werden unterteilt durch sechs weitere Zeiten und ein siebtes, das
schon Vollendung ist, der erste Status durch die sieben tempora der sieben Kriege
der Israeliten und der zweite Status durch die Deutung der sieben Siegel der Apo-
kalypse. Nun erst erhält die concordia konkrete Fülle und nun erst kann lebendiger
Geist in das tote Schema einströmen. Es entsteht eine biblisch ,exakte' Periodisie-
rung der Kirchengeschichte bis zu Joachims Gegenwart. Am einfachsten ist sie
wieder schematisch zu geben, da die folgende Kirchengeschichte des Mittelalters
entscheidend von ihm abhängig ist, besonders Bonaventura, Olivi, Ubertino von
Casale und vor allem auch Dantes Divina Commedia, so daß immer wieder darauf
zurückgegriffen werden muß. Soviele, oft feinsinnige Vergleiche sich so für die
fünf Kirchenzeiten auch finden lassen, gerade für die sechste und siebte Zeit ergibt
sich für Joachim noch zu wenig. Nur eins ist wichtig, daß hier wohl zum erstenmal
auf biblisch methodischer Grundlage Rom als das neue Babylon genannt wird, was
dann bis zur Reformation immer wieder der Schlachtruf der Reformer gewesen
ist.10

Weil Joachim eine große Bedeutung für die progressive Deutun g der Gesamt-
geschichte zuerkannt wird, ist hier von vornherein festzuhalten, daß sich
Dietrich Eckart nicht auf Lessings Einteilung in den Paragraphen 82 ff. der
„Erziehung des Menschengeschlechtes", nicht auf Novalis, nicht auf Fichte,
nicht auf Schelling und nicht auf Hegel beruft. Überhaupt ist das „Dritte
Reich" bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts kein terminus technicus,
davor wurde der Begriff nur sehr selten gebraucht. Hier sind allerdings die
ideologischen Bezüge verschieden. Martin Wust und Gerhard Mutius verwen-
den den Begriff als Buchtitel in bezug auf eine pazifistisch-aufklärerische Ar-
gumentation. 1 1 Bei dem Kleist-Preisträger Hermann Burte hingegen ist die
völkische, rassistische und religiöse Weltanschauung eindeutig nachzuweisen.

Ebd., S. 276.
Vgl. Martin Wust, Das dritte Reich. Ein Versuch über die Grundlage individueller Kultur,
Wien 1905; Gerhard Mutius, Die Drei Reiche. Ein Versuch philosophischer Bestimmung,
Berlin 1916.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 57

In dem Roman „Wiltfeber, der ewige Deutsche" 1 2 taucht der Begriff „Drittes
Reich" eher beiläufig, aber immerhin im Kontext von „Krist", „Widerkrist",
„ H a k e n k r e u z " und der Reinheit der Blonden auf. Auch in der 1900 erschie-
nenen Erstausgabe des Romans „Das dritte Reich" 13 von Johannes Schlaf
lassen sich einige Ähnlichkeiten mit der nationalsozialistischen Ideologie fest-
stellen. Der Hauptheld Dr. Emmanuell Liesegang studiert gnostische Schrif-
ten, die Apokalypse des Johannes und träumt vom „Übermenschen".
Während sich die Hauptfigur des besagten Romans das Leben nimmt, er-
lebte Johannes Schlaf 1941 das „Hochgefühl", nach 1933 den „Wiederauf-
stieg" des „Vaterlands" erlebt zu haben. Johannes Schlaf beschließt seine Le-
benserinnerungen mit dem Satz:
Mit diesem Hochgefühl darf man wohl getrost seinen ,Exitus' erwarten.14
Der Begriff „Drittes Reich" wurde in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre
durch den Erfolg der Nationalsozialisten und durch das 1923 von Arthur
Moeller van den Brück erschienene Werk „Das Dritte Reich" populär. Das
erste Reich war nach der Einteilung Moeller van den Brucks das Heilige Rö-
mische Reich Deutscher Nation, das zweite Reich das Reich Bismarcks und
das dritte ein zukünftiges Reich der Synthese von Nationalismus und Sozia-
lismus. 15 Arthur Moeller van den Brück, der nicht Mitglied der N S D A P wur-
de, hatte die spekulativen Grundlagen seiner Einteilung schon in dem acht-
bändigen Werk „Die Deutschen. Unsere Menschheitsgeschichte" 1 6 entwik-
kelt. Der Begriff „Drittes Reich" ist weder von den Nationalsozialisten selbst
klar umschrieben worden noch in der Literatur zur NS-Ideologie durch eine
systematische Monographie behandelt worden. Auf keinen Fall liegt ihm eine
Staats- und verfassungsrechtliche Konzeption zugrunde. Ein Regierungssy-
stem gemäß der Ideologie des „Dritten Reiches" ist weder vor noch nach

12
Hermann Burte, Wiltfeber, der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers, Leip-
zig 1912, S. 64 ff, 89, 150.
' Johannes Schlaf, Das dritte Reich, Dresden 1923, S. 103, 253 ff. Franz Kafka und Max Brod
besuchten 1912 im Verlauf ihrer Weimarreise den fünfzigjährigen Schlaf, ebenso Paul
Ernst. Kafka beschreibt Johannes Schlaf mit einem Anflug von Sympathie. Nicht ohne Iro-
nie geht er auf Schlafs „Geozentrismus", aber leider nicht auf den Roman „Das dritte
Reich" ein. Vgl. Max Brod/Franz Kafka, Eine Freundschaft. Briefwechsel, hrsg. von Mal-
colm Pasley, Frankfurt a. M., 1989, S. 249.
14
Johannes Schlaf, Aus meinem Leben, Erinnerungen von Johannes Schlaf, Halle 1941, S. 64.
' Arthur Moeller van den Brück ist wahrscheinlich von Dimitri Mereschkowski und Fedor
Dostojewski beeinflußt. Moeller van den Brück, der Mereschkowski in Paris kennengelernt
hatte, war der Herausgeber der ersten Gesamtausgabe der Werke Dostojewskis in Deutsch-
land, welche wiederum von seiner zweiten Frau übersetzt wurden; vgl. den Aufsatz von Me-
reschkowski, Die religiöse Revolution; abgedruckt als Einführung zu Dostojewskis Politi-
sche Schriften, München 1920; Hildegard Schaeder, Moskau - Das Dritte Rom: Studien zur
Geschichte der politischen Theorien in der slawischen Welt, Hamburg 1929; Bernhard
Schultze, Russische Denker, Wien 1950; Hugo Rahner, Vom Ersten bis zum Dritten Rom,
Innsbruck 1950.
* Arthur Moeller van den Brück, Die Deutschen. Unsere Menschheitsgeschichte, 8 Bde.,
Minden/Westfalen 1904.
58 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

1933 verfaßt worden. In der Ende der zwanziger Jahre und verstärkt vor 1933
einsetzenden Flut der Reichsliteratur 1 ging es um weit mehr. Die das Thema
„Reich" oder „Drittes Reich" behandelnden Autoren sahen sich in der O p -
position zur westeuropäischen Kultur des öffentlichen Rechts, vor allem aber
des rationalen Verfassungsstaates. Hans-Joachim Schwierskott 1 8 betont, wie
Goedecker, daß die Deutungsversuche äußerst mannigfaltig sind. Das Ge-
meinsame dieser Literatur sei der „Sendungsgedanke" der Deutschen. Drei
Bedeutungsebenen sind in der Literatur der zwanziger Jahre unverkennbar:

1. der Begriff Reich im Sinne des Neuen Testamente,


2. der Begriff Reich unter Rückbezug auf das „Sacrum Imperium Romanum
Nationes Germaniae",
3. der Bezug auf den Namen Reich im Sinne des Wilhelminischen Bismarck-
staates von 1871 bis 1918.

Keinesfalls war der Begriff „Reich" in der Literatur der zwanziger Jahre nur
durch die Konzeption von Moeller van den Brück oder von der der National-
sozialisten besetzt. Protestanten wie Wilhelm Lütgert , Kenner der „Religion
des deutschen Idealismus", oder der Katholik Georg Sebastian Huber 2 0 , der
sein Buch „der neuen deutschen Jugend in Liebe gewidmet" hat, stellen den
Bezug zu den großen geistesgeschichtlichen und politischen Bewegungen von
Vergangenheit und Gegenwart her. Das Reich war Thema der schönen Lite-
ratur (Stefan George) und der Religionsphilosophie (Alois Dempf). Julius
Petersen 2 1 versuchte in einer Affirmation des neuen „Dritten Reiches" die
Bedeutung der Frühromantik nachzuweisen. Aus der Position der Aufklärung
werden unter dem Sammelbegriff „Reich" oder „Drittes Reich" die Traditio-
nen des deutschen Irrationalismus repräsentiert. In den religiösen Motiven
derjenigen deutschen Schriftsteller hingegen, die von den Nationalsozialisten
in Anspruch g e n o m m e n wurden, wie Walter Flex, oder mit den Nationalso-
zialisten mehr (Adolf Bartels, Hans G r i m m , Erwin G u i d o Kolbenhever) oder
weniger (Ludwig Klages, Hans Blüher) sympathisierten, sind ausdrückliche
Bekenntnisse zu Joachim von Fiore nicht festzustellen.
Politisch-gesellschaftlich relevant ist die völkische Bewegung, wozu auch
die Herren der „Ring-Bewegung", die zahlreichen O r d e n , Bünde, barfüßigen
Propheten und die sogenannten „Nationalbolschewisten" 2 2 zu zählen sind.

Vgl. Paul Goedecker, Der Reichsgedanke im Schrifttum von 1919-1935, Phil. Diss., Mar-
burg 1951.
Hans-Joachim Schwierskott, Arthur Moeller van den Brück und der revolutionäre Nationa-
lismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1963, S. 107.
Wilhelm Lütgert, Reich Gottes und Weltgeschichte, Gütersloh 1928.
Georg Sebastian Huber, Vom Christentum zum Reich Gottes, Regensburg 1935.
Julius Petersen, Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich in deutscher Sage und Dichtung,
Stuttgart 1934.
Vgl. Otto Ernst Schüttekopf, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minder-
heiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 59

Die Schriften von Edgar Julius Jung 2 3 , Friedrich Hielscher 2 4 und Walther
Schotte 2 ^, denen allesamt die religiösen Implikationen des T o p o s „Reich" ge-
meinsam sind, waren äußerst einflußreich und erfolgreich.
Wie die begeisterte Nationalsozialistin Frieda Eckrich 1939 in ihrer unter
Arnold Bergstraesser angefertigten Dissertation „Die Idee des Reiches in der
national-politischen Literatur seit Beendigung des Weltkrieges" 2 6 mit guten
G r ü n d e n feststellte, sind aber die Ansätze einer durchgearbeiteten politischen
Reichstheologie im Sinne der national-politischen Literatur der zwanziger und
dreißiger Jahre nur bei dem äußerst erfolgreichen Schriftsteller Wilhelm Sta-
pel zu finden. Dessen 1932 in zwei Auflagen erschienenes Werk „Der christ-
liche Staatsmann" hat den Untertitel „Eine Theologie des Nationalismus". 2 7
Nach Stapel ist es „der Antichrist", der „gegen die Verbindung von Reich und
Christentum" eifere. Stapel ist davon überzeugt, daß „Christus und Kaiser zu-
sammengehören, wie Heilsgeschichte und Weltgeschichte". 2 8 Stapel zitiert
nicht nur ausführlich aus der Bibel, sondern bezieht sich auch auf den spezi-
fisch religiösen Gehalt von Carl Schmitts „Begriff des Politischen":
Den Gegensatz von Freund und Feind als das Wesen des Politischen entdeckt zu
haben, bleibt ein Verdienst Carl Schmitts.
Dessen Ausführungen über den Begriff des Politischen aus dem „Archiv für
Sozialwissenschaft und Sozialpolitik des Jahrgangs 1927" paraphrasierend,
kommt er zu einer bei Schmitt nicht explizit ausgesprochenen Beurteilung:
Dadurch, daß nur der Staat bestimmt, wer Freund oder Feind ist, fügt er seiner
Verwaltungsaufgabe die politische Funktion hinzu: er wird militant. Wie Gott mit
seinen himmlischen Heerscharen gegen Lucifer und dessen Gesellen kämpft, so
kämpft der Staat mit seinen Feinden. 30
Schmitt hatte in seiner ersten mehrmals variierten Schrift über den Begriff des
Politischen behauptet:
Ein Theologe hört auf, Theologe zu sein, wenn er die Menschen nicht mehr für
sündhaft oder erlösungsbedürftig hält und Erlöste von Nicht-Erlösten, Auserwähl-
te von Nicht-Auserwählten nicht mehr unterscheidet.31

Edgar Julius Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung durch
ein neues Reich, Berlin 1930; ders., Sinndeutung der deutschen Revolution, Oldenburg
1933.
:4
Friedrich Hielscher, Das Reich, Berlin 1931.
25
Walther Schotte, Der neue Staat, Berlin 1932.
16
Frieda Eckrich, Die Idee des Reiches in der national-politischen Literatur seit Beendigung
des Weltkrieges, Phil. Diss., Heidelberg 1937.
Wilhelm Stapel, Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, Hamburg
1932, S. 244; vgl. hierzu: Willy Keinhorst, Wilhelm Stapel, ein evangelischer Journalist im
Nationalsozialismus, Gratwanderer zwischen Politik und Theologie, Frankfurt a. M. 1993.
9
Wilhelm Stapel, Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, Hamburg
1932, S. 245.
3
Ebd.
* Ebd., S. 170.
!
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 24.
60 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Es ist nicht Moeller van den Brück, von dem die Nationalsozialisten den Be-
griff „Drittes Reich" übernommen haben, sondern ein einflußreicher Mitbe-
gründer der nationalsozialistischen Bewegung hat diesen Begriff schon 1919,
also vor der ersten Veröffentlichung von Moeller van den Brucks berühmtem
Werk aus dem Jahre 1923, im eindeutigen Kontext politisch-ideologischer
Schriften gebraucht. Es ist der zum Politiker mutierte Poet Dietrich Eckart.
Inwieweit dessen Vorstellung vom „Dritten Reich" mit bestimmten Merkma-
len des „Tausendjährigen Reiches", wie die Zeit der Herrschaft der National-
sozialisten ja schließlich auch genannt wird, im Sinne der Apokalypsis des Jo-
hannes übereinstimmen, soll in den nächsten Kapiteln behandelt werden.

2. Die Einführung des Symbols „Drittes Reich"


in die NS-Ideologie durch Dietrich Eckart

a. Dietrich Eckart: Gründungsvater der N S D A P ,


Freund und Förderer Adolf Hitlers
Dietrich Eckart war nicht nur Poet. Er zählt zu den Gründungsvätern der na-
tionalsozialistischen Ideologie und der nationalsozialistischen Bewegung. Als
er während der Zeit der Bayerischen Räterepublik das erste Heft der Zeit-
schrift „Auf gut deutsch" in einer Auflage von 25000 Stück mehr verteilen als
verkaufen ließ, war er ein angesehenes Mitglied der Münchener guten Gesell-
schaft.32 In dieser Gesellschaft begriff man das Wort „Volk" „völkisch",
glaubte an das Volkstum und hätte sich nie zu der optimistischen Ironie Tu-
cholskys hinreißen lassen, daß das Volk nicht tümele. In dieser Gesellschaft
verkehrten diverse Bürgerliche und Adlige, die Verleger Bruckmann und Böp-
ple, der Klavierfabrikant Bechstein sowie der Dichter Alfred Schuler, der
Mentor von Ludwig Klages.33 Eine Gesellschaft, für die der Geist letztlich
das war, was er nicht ist, der „Widersacher der Seele", um auf einen Buchtitel
des in letzter Zeit im Zuge der „New Age"-Bewegung wieder zu Ansehen ge-
langten Antisemiten Ludwig Klages anzuspielen, dem geistigen Mittäter bei
der Ermordung seines Schulfreundes Theodor Lessing.
Dietrich Eckart war Mitglied der ominösen Thule-Gesellschaft, und seine
Beziehungen reichten von der Reichswehr über das Münchener Präsidium bis
zu den Freicorps. So ist es kein Zufall, daß Alfred Rosenberg, kaum Anfang
1919 in München angekommen - „Ich kam nach München, ohne einen Men-

Vgl. Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler. Der völkische Publizist Dietrich Eckart,
Bremen 1970, S. 27 ff. (im folgenden kurz: Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler).
Vgl. Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Vom Weltschmerz des technischen Zeitalters. Ludwig Kla-
ges, in: Karl Schwedhelm (Hrsg.), Propheten des Nationalsozialismus, München 1969, S.
169 ff.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 61

sehen zu kennen" 3 4 - , von der Tänzerin Edith von Schrenck auf Dietrich
E c k a r t und dessen, so Rosenberg, „kleine Kampfschrift" aufmerksam ge-
m a c h t wurde. Rosenberg hatte „im Dezember 1918" seine „baltische Hei-
m a t " , staatsrechtlich bis 1918 Teil des russischen Imperiums, verlassen, um
„an der Aufklärung über Bolschewismus und die zu ihm gehörenden Proble-
me beizutragen". 3 5 Einen Tag nachdem er von Edith von Schrenck die An-
schrift erhalten hatte, sprach Rosenberg bei Dietrich Eckart in der
Tengstr. 28 — um die Ecke mag Oswald Spengler spazierengegangen sein -
vor:

Ob er einen Streiter gegen Jerusalem brauchen könne? Er lachte: Sicher.36


Dietrich Eckart hat dem Emigranten Alfred Rosenberg, bevor dieser mit der
D A P respektive N S D A P in Berührung kam, nicht nur zu ersten Veröffentli-
chungen verholfen; er war auch der Vorgänger Rosenbergs als „Hauptschrift-
leiter" des „Völkischen Beobachters". Dietrich Eckart war einer der wenigen
Duzfreunde Adolf Hitlers. E r regte Hitler dazu an, den „Völkischen Beob-
achter" zu kaufen, und half entscheidend bei der Finanzierung der Zeitung.
Hitler und Eckart lernten sich wahrscheinlich im Herbst 1919 kennen. Mar-
garete Plewnia 37 , von der eine der beiden nach 1945 erschienenen Monogra-
phien über Dietrich Eckart verfaßt wurde, hat das Verhältnis Eckarts zu Hit-
ler gründlich erforscht. Hitler betrachtete Eckart als „väterlichen Freund",
und Eckart sprach von Hitler als „mein Adolf'. 3 8 Hitlers privat und öffent-
lich bekundete Verehrung überdauerte den T o d Eckarts (1923) in männer-
bündlerischer Treue. D e r „Frankfurter Zeitung" bekam dies 1943 schlecht.
Ah. Hitler ein Gedenkartikel über Dietrich Eckart nicht gefiel, ließ er die Zei-
tung verbieten. 3 9 Das k o m m t davon, wenn, wie von den meisten Bildungs-
büigern und Intellektuellen auch heute noch, „Mein K a m p f nicht studiert
wild, ja, noch nicht einmal der Schluß gelesen wird. Das ganze Buch endet
mit dem gesperrt gedruckten und in die Mitte gesetzten Namen Dietrich
Eckarts. Hitler will „jene Helden vor Augen führen, die im klarsten Bewußt-
sein sich für uns geopfert haben". Und nur einen nennt Hitler beim Namen:

Und unter sie will ich auch jenen Mann rechnen, der als der Besten einer sein Le-
ben dem Erwachen seines, unseres Volkes gewidmet hat im Dichten und Denken
am Ende der Tat:
Dietrich Eckart.40

34
Dietrich Eckart, Ein Vermächtnis, hrsg. von Alfred Rosenberg, München 1935, S. 45 (im
tolgenden kurz: Dietrich Eckart, Vermächtnis).
35
Ebd., S. 44.
36
Ebd., S. 45.
37
Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler, S. 66 ff.
38
Ebd., S. 67.
39
Vgl. ebd., S. 8.
40
Adolf Hitler, Mein Kampf, 2. Bde. in einem Band. Ungekürzte Ausgabe, München 1941, S.
"81 (im folgenden kurz: Adolf Hitler, Mein Kampf)
62 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

D a s Leben Dietrich Eckarts begann am 23. März 1868 in Neumarkt in der


Oberpfalz. Eckarts Vater, der Justizrat und N o t a r G e o r g Christian Eckart,
war ein w o h l h a b e n d e r und angesehener M a n n der bayerischen Provinz; die
Mutter verstarb früh. N a c h dem Abitur studierte Eckart Medizin, brach aber
nach d e m Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt das Studium ab; Alfred Ro-
senberg zufolge soll Eckart auch Morphinist gewesen sein 41 , 1895 ging er
nach Berlin. Bis 1914, das väterliche E r b e war schnell verbraucht, schlug er
sich dort als Journalist und Dichter durch. E r verfaßte Lyrik („In der Frem-
de"), Märchen („Tannhäuser auf Urlaub") und Dramen („Familienväter",
„ D e r Froschkönig", „ D e r E r b g r a f ' , „Ein Kerl spekuliert"). In den Jahren des
Mißerfolges veränderte er seine Weltanschauung, verabschiedete sich von den
oppositionellen T e n d e n z e n seiner Jugend, von Heine und Nietzsche zugleich.
E r w u r d e ein völkischer Dichter. Mit dem Ersten Weltkrieg begann der Er-
folg. Dietrich Eckart hatte Ibsens „Peer G y n t " nachgedichtet und einge-
deutscht. Schon seit 1905 besaß er die G u n s t des Grafen von Hylsen-Haesele,
I n t e n d a n t des Königlichen Schauspielhauses zu Berlin, welcher wiederum
unmittelbaren Z u g a n g zu allerhöchster Stelle, nämlich zu Wilhelm IL hatte.
1911 reichte Eckart Graf Hylsen die ersten Entwürfe der Nachdichtung ein.
Aber erst auf W u n s c h Wilhelms IL persönlich wurde das Stück 1914 aufge-
führt. Dietrich Eckart wurde bekannt. E r durfte für die Hochzeit der Tochter
Wilhelms IL ein vaterländisches D r a m a , „Heinrich der Hohenstaufe", schrei-
ben.
N a c h dem Hitler-Putsch 1923 kam der Hauptschriftleiter des „Völkischen
B e o b a c h t e r s " für kurze Zeit in das Gefängnis München-Stadelheim. Nach
seiner Entlassung starb er am 25. D e z e m b e r 1923 in Berchtesgaden.
E s gibt, gemessen an seiner Bedeutung, wenig Literatur über Dietrich
Eckart. An zeitgenössischen Arbeiten liegt lediglich Rosenbergs bereits zitier-
tes „ V e r m ä c h t n i s " vor, in dem er 1927 G e d i c h t e und Aufsätze Eckarts mit
einer nicht einmal schlecht geschriebenen Einleitung veröffentlicht hat. In
der Literatur nach 1945 ist Eckart nur gering beachtet worden. Es erschienen
lediglich zwei Monographien. 4 2 1961 veröffentlichte Ernst Nolte 4 3 einen Auf-
satz über eine der wichtigsten Quellen zur NS-Ideologie nämlich das Buch
„ D e r Bolschewismus von Moses bis Lenin. Zwiegespräch zwischen Adolf
Hitler und mir" 4 4 , das Eckart kurz vor seinem T o d e geschrieben hatte. Es ist
wie ein Dialog aufgebaut, in dem Eckart den Stichwortgeber spielt. In E r n s t
Noltes Aufsatz wird im Gegensatz zu Klaus Scholders brillanter D e u t u n g —

41
Vgl. Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 13.
42
Vgl. Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler; Paul Wilhelm Becker, Der Dramatiker
Dietrich Eckart. Ein Beitrag zur Dramatik des Dritten Reiches, Phil. Diss., Köln 1961.
43
Ernst Nolte, Eine frühe Quelle zu Hitlers Antisemitismus, in: Historische Zeitschrift 192
(1961), S. 585-606.
44
Dietrich Eckart, Der Bolschewismus von Moses bis Lenin. Zwiegespräch zwischen Adolf
Hitler und mir, München 1925 (im folgenden kurz: Dietrich Eckart, Der Bolschewismus
von Moses bis Lenin).
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 63

im ersten Band von „Die Kirchen und das Dritte Reich" — der religiöse G e -
halt der Weltanschauung Dietrich Eckarts nicht erkannt. 4 5
D e n T o p o s „Drittes Reich" - Dietrich Eckart schreibt „drittes Reich" -
verwendet er in einem Beitrag in der Zeitschrift „Auf gut d e u t s c h " v o m Juli
1919, in dem der religiöse Gehalt schon im Titel „Luther und der Z i n s " er-
kennbar ist.
Dietrich Eckart erklärt nicht, w o h e r er den Begriff „drittes Reich" g e n o m -
men hat. Da er Ibsens D r a m a „Peer G y n t " umgedichtet hat, vermute ich, daß
er ihn aus Ibsens Drama „Kaiser und Galiläer" entlehnt hat. Danach ist das
dritte Reich ein „Reich", das auf dem Baum der Erkenntnis und des Kreuzes
zusammen gegründet werden soll. 46 Julian, der zweifelnde christliche Kaiser,
ist zwar noch nicht der Messias, aber er erkennt dessen Wesen im Dialog mit
dem philosophischen Protagonisten Maximos:

Julian: Messias? Weder Kaiser noch Erlöser?


Maximos: Beide in einem und einer in beiden.
Julian: Kaiser/Gott - Gott/Kaiser, Kaiser im Reich des Geistes - und Gott in des
Fleisches Reich.
Maximos: Das ist das dritte Reich, Julian!
Julian: Ja, Maximos, das ist das dritte Reich.47
Dietrich Eckart nimmt in dem Aufsatz „Luther und der Z i n s " eine längere
Passage aus Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher N a t i o n " so-
wie weitere Zitate Luthers und einiger anderer Autoren, die man anerkennen
müsse, zum Anlaß, die angeblich seit J a h r h u n d e r t e n herrschende Abhängig-
keit des Adels, des Volkes und der Kirche v o n der Macht der J u d e n zu de-
monstrieren. Im vorletzten Absatz dieses Beitrages w ü n s c h t Eckart sich, „wir
hätten an der Spitze der Evangelischen Kirche so einen Luther, der kein Blatt
vor den Mund nimmt, wenn es gilt, das himmelschreiende Unrecht am deut-
schen Volk furchtlos zu b r a n d m a r k e n " . Statt dessen stoße man „überall in der
Christenheit auf Leisetreter, auf lauter Angstmeier, die am liebsten sogar den
Herrn selber mit der Barbarei seiner Zeit entschuldigen m ö c h t e n , weil er so
,unkultiviert' war, den Wechslern und Wucherern mit der Peitsche das H a n d -
werk zu legen."
Selbst Hindenburg, von dem Eckart erwartete, er möge die „Macht der Ju-
d e n " brechen, wird in den Vorwurf des „Leisetreters" einbezogen:
Bei aller Verehrung für Hindenburg und seine Helfer muß ich doch sagen: Eine
größere Tat als die Schlacht bei Tannenberg wäre es gewesen, wenn diese Männer
mit eiserner Faust in die grauenhafte Mißwirtschaft, hierzulande, die doch keinem
von ihnen hatte verborgen sein können, geschlagen hätten, daß die Fetzen nur so

Vgl. Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1, Frankfurt a. M./Berlin/Wien
1977, S. 104.
Vgl. Henrik Ibsen, Kaiser und Galiläer, Sämtliche Werke und Briefe, Berlin 1898-1909,
durchges. und eingel. von Georg Brandes, Berlin 1899, Bd. 5, S. 74.
Ebd., S. 246.
64 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

herumgeflogen wären. Macht dazu hatten sie eine Zeitlang, und auch das Volk
wäre hinter ihnen gestanden. Von dieser Schuld sind sie mit dem besten Willen
nicht freizusprechen; und sie selber, glaube ich, leiden jetzt auch am meisten dar-
unter. 48
D e r Begriff „drittes Reich" fällt am E n d e des nächsten Absatzes, am Schluß
des Beitrages. Eckart führt aus, „Luthers flammender Z o r n " sei „doppelt und
dreifach durch die G e m e i n h e i t unserer Tage gerechtfertigt", die für ihn,
Eckart, eine Zeit der K a t a s t r o p h e ist. Eine Katastrophe, die Luther - halb
P r o p h e t , halb Analytiker — vorausgesehen habe:
Sein unpolitischer, aber dafür echt deutscher Kopf sah voraus, wohin uns der Zins-
wucher bringen mußte, und wenn er sich auch über die Katastrophe um etliche
Jahrhunderte irrte - der geniale Blick war deshalb nicht weniger vorhanden.
Anschließend wiederholt Eckart einen für ihn zentralen Satz aus dem länge-
ren Lutherzitat:
Der Teufel hat den Zinsfuß erdacht. 49
Danach plädiert er, in A n l e h n u n g an den Nationalsozialisten Gottfried Feder,
für die „Brechung der Zinssklaverei". Im folgenden stellt Eckart einen religi-
ös b e s t i m m t e n Z u s a m m e n h a n g her, und zwar zwischen der Weltwirtschaft
und den deutschen O p f e r n des E r s t e n Weltkrieges, dem Untergang dieser
Weltwirtschaft und der „Befreiung der Menschheit vom Fluche des G o l d e s "
und d e m Vermögen der D e u t s c h e n , das „dritte Reich" herbeizuführen:
Die ganze Weltwirtschaft würde zugrunde gehen, jammern sie [die gegenwärtigen
Staatsmänner, C.-E. B.] fast tränenden Auges. So soll sie zugrunde gehn, und ist
nicht schade darum! Oder ist man wirklich der blödsinnigen Meinung, Millionen
unserer Besten seien ins Grab gesunken, zu keinem anderen Zweck, als daß es mit
der Fraßgier beim alten bliebe! ,Der flieget nie, der heut nicht flog',

und
Zeichen und Wunder geschehen, aus der Sintflut will sich eine neue Welt gebären, jene Pharisäer
aber greinen um elende Notgroschen! Die Befreiung der Menschheit vom Fluche des Goldes steh
vor der Türe! Nur darum unser Zusammenbruch, nur darum unser Golgatha! Heil ist uns
Deutschen widerfahren, nicht Jammer und Not, so arg wir's auchjet^t noch empfinden. Nirgends
auf Erden ein anderes Volk, das fähiger, gründlicher wäre, das dritte Reich %u erfüllen, denn
unsres! Veni Creator Spiritus!^0
O h n e Zweifel wird der Begriff „Drittes Reich" in der Konnexität von Politik
und Religion verwendet. Sind in d e m v o n Eckart imaginierten Kausalnexus
von G o l d , Geld, Zins, Wirtschaft, Macht der Juden, Weltkrieg, N o t , Z u s a m -
m e n b r u c h , Befreiung der Menschheit, Heil und Qualität der Deutschen sowie

48
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Wochenzeitschrift für Ordnung und Recht, Nr
19/20, 1919, S. 296.
49
Ebd.
50
Ebd., S. 296 f. [Hervorhebung C.-E. B.].
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 65

dem Bezug auf G o t t als „Creator spiritus" Fragmente der NS-Ideologie ent-
halten? Zwei miteinander kombinierte Relationsreihen sind zu erkennen und
k o m m e n als T h e m a der NS-Ideologie in Betracht: erstens das Verhältnis von
Gegenwart und Zukunft und zweitens das Verhältnis der eigenen Gesell-
schaft zu Gott.
Eckart nimmt die Gegenwart in der doppelten Bedeutung des Begriffs Ka-
tastrophe wahr. Einerseits im Sinne von Z u s a m m e n b r u c h , N o t , Leid und
Elend, andererseits im Sinne von W e n d e . Im Schöße der katastrophalen G e -
genwart will sich eine „neue W e l t " gebären. Die Zukunft hat die Qualität der
„Befreiung der Menschheit" und des Heils des deutschen Volkes. N o t w e n d i g
ist für Eckart das, was die N o t wendet: „ N u r d a r u m " der „ Z u s a m m e n b r u c h ,
nur darum Leid und O p f e r " (Golgatha) und eben „nicht J a m m e r und N o t " .
Gegenwart und Zukunft sind durch einen qualitativen Sprung unterschieden.
Das von dem deutschen Volk herzustellende „Dritte Reich" hat mithin die
Qualität der neuen O r d n u n g in einer neuen Welt. N u r das deutsche Volk
kann die Zeit des Heils herbeiführen, und nur dem deutschen Volk k o m m t in
Zukunft Heil zu.
Das Verhältnis zwischen dem Elend der G e g e n w a r t und dem Heil in der
Zukunft verweist auf das apokalyptische Muster der Offenbarung des J o h a n -
nes. Weiterhin ist die Historisierung der Trinität (Reich des Vaters - Reich
des Sohnes — Reich des Geistes) zu erkennen. D a s folgt aus der Beziehung
zwischen dem „Dritten Reich" und G o t t als „Creator spiritus". D e n n der
„Creator spiritus" ist nach d e m G l a u b e n der Christen der Schöpfergott als
Geist und Pneuma.
Eckart hat keine Abhandlung über das „Dritte Reich" und die damit zu-
sammenhängenden Komplexe geschrieben. Die religiösen Implikationen sei-
ner Beurteilung der politischen Lage waren aus den in den Jahren 1919 und
1920 in der Zeitschrift „Auf gut d e u t s c h " veröffentlichten Aufsätzen heraus-
zuarbeiten und zu belegen. Für d e n Einfluß Eckarts auf die spätere Bildung
der NS-Ideologie spricht der U m s t a n d , daß Alfred Rosenberg der fleißigste
und wichtigste Mitarbeiter der Zeitschrift „Auf gut d e u t s c h " war. Hauptsäch-
lich kommt es aber auf die inhaltliche Analyse der Ideologeme Eckarts an. Im
Hinblick auf das Bewußtsein v o m Verhältnis von G o t t und Gesellschaft ist
die Beziehung zwischen dem deutschen Volk und G o t t einerseits sowie der
angenommene Kausalnexus zwischen der Macht der J u d e n und dem Teufel
andererseits von Interesse und der Gegenstand der folgenden deskriptiven
Analyse. Da die Konjugation v o n Politik und Religion in Relationen aufzulö-
sen ist, war für die n u n m e h r folgende inhaltliche Darstellung des ideologi-
schen Materials folgende Reihenfolge einzuhalten:
1. die allgemeine Gottesvorstellung im Hinblick auf das Verhältnis G o t t zu
Mensch, hier das Muster der christlich-deutschen Mystik,
2. das Verhältnis G o t t - G e s e l l s c h a f t , das Wesen der D e u t s c h e n und der J u -
den nach dem Muster Christ und Antichrist,
3. Politik als Religionskrieg nach d e m Muster der Apokalyptik.
66 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Wird die K o r r e s p o n d e n z von G o t t , Christus und deutschem Volk sowie den


J u d e n und der überirdischen Macht des Bösen in der W a h r n e h m u n g der Poli-
tik nach d e m Muster der Offenbarung des J o h a n n e s (Tausendjähriges Reich)
wiederholt und gipfelt sie sogar darin, dann wird der Begriff „Drittes Reich"
auf wesentliche Merkmale der Konjugation v o n Politik und Religion bezogen.
Es hängt d a n n v o n weiteren Interpretationen der Originalquellen der N S -
Ideologie ab, o b die bei Dietrich Eckart erfaßten Konstellationen wiederholt
oder verändert werden und damit zu den wesentlichen Merkmalen der N S -
Ideologie zu zählen sind.

b. D i e allgemeine Gottesvorstellung nach d e m Muster


der christlichen Mystik

Fragt man danach, worauf das Wissen beruht, ausgerechnet dem deutschen
Volk widerfahre Heil v o m „Creator Spiritus", so m u ß die allgemeine Gottes-
vorstellung Eckarts untersucht werden. D e r Bezug z u m „Creator spiritus"
deutet darauf hin, daß Eckart an G o t t im Sinne der christlichen Tradition
glaubt. Eckarts Verständnis von Politik und der Begriffsumfang vom „Drit-
ten Reich" haben keinen religiösen Gehalt, wenn die allgemeine Gottesvor-
stellung nur an dieser Stelle oder überhaupt nicht nachweisbar ist. Umgekehrt
hätte seine Religiosität keinen politischen Gehalt, w e n n der Glaube an G o t t
nur und ausschließlich auf das jenseitige Heil ausgerichtet wäre. Aus der Dif-
ferenz von T r a n s z e n d e n z und I m m a n e n z resultiert die Beurteilung des Zu-
s a m m e n h a n g s von Politik und Religion. Wird z. B. a n g e n o m m e n , der Mensch
habe Prädikate, die für den Gläubigen Eigenschaften G o t t e s sind, und wird
zugleich die Welt o h n e S p a n n u n g von Diesseits und Jenseits wahrgenommen,
dann liegt unter der Perspektive der Religion eine vollkommene Immanenti-
sierung der T r a n s z e n d e n z und Säkularisierung vor. G o t t wird ersetzt. Eckarts
Ideologie wäre dann Religionsersatz. Wird die Differenz von Diesseits und
Jenseits sowie Mensch und G o t t jedoch gemindert, so wird eine bestimmte
Konjugation von Politik und Religion ermöglicht. Wird der Unterscheid von
Diesseits und Jenseits beibehalten und an eine Vereinigung von Mensch und
G o t t geglaubt, d a n n liegt eine partielle I m m a n e n t i s i e r u n g oder Säkularisie-
rung vor. Das ist bei der deutschen Mystik und bei Dietrich Eckart der Fall.
Im Versuch, sich von der Dogmatik der G r o ß k i r c h e n abzulösen und gleich-
zeitig den V o r r a n g des Spirituellen beizubehalten, wurde n in der deutschen
Romantik und zu Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s die klassischen deutschen My-
stiker wiederentdeckt, gelesen und rezipiert. D e r Begriff Mystik wird hier
nicht in der umgangssprachlichen Bedeutung von unklar, unverständlich oder
undurchschaubar verwendet. In dieser U n t e r s u c h u n g wird, wie in der geistes-
geschichtlichen Tradition, unter Mystik eine spezifische Art und Weise der
D e u t u n g des Verhältnisses v o n Mensch u n d G o t t verstanden. D e r Mystiker
glaubt an seine Vereinigung mit G o t t , erlebt G o t t in sich selbst oder glaubt
G o t t im Menschen erkannt zu haben.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 67

Bisher wurde in der Literatur über die NS-Ideologie die Rezeption der
deutschen Mystik nicht genügend beachtet. Bei dieser Thematik ist nach mei-
ner Einschätzung die „arisch-christliche Mystik" des J ö r g Lanz von Lieben-
fels 51 , der angeblich der M a n n war, der „Hitler die Ideen g a b " 5 2 , nicht so re-
levant wie die Verknüpfung von Mystik und Religion im einflußreichen Werk
des sogenannten Rassentheoretikers H o u s t o n Stewart Chamberlain 5 3 . Dieser
würdigte z. B. - analytisch vielleicht sogar mit Recht - die Mystik J a c o b Böh-
mes dahingehend:

Jeder Mystiker ist (ob er's will oder nicht) ein geborener Antisemit. 54
Den H ö h e p u n k t der Rezeption deutscher Mystik in die NS-Ideologie erreicht
Alfred Rosenberg. Dieser wurde nicht nur der Nachfolger Eckarts als
„Hauptschriftleiter" des „Völkischen Beobachters", sondern 1934 als Beauf-
tragter für die weltanschauliche Schulung und Leitung der NS-Verbände von
Adolf Hitler zum Reichsleiter der N S D A P ernannt. 5 5
Die Integration der mystischen Spekulationen in die NS-Ideologie beginnt
mit Dietrich Eckart. Bei ihm als ideologischen „Dichtervater" ist anzusetzen.
Dietrich Eckart war, bevor er völkischer Dichter, Antisemit u n d Apoka-
lyptiker wurde, Verehrer des zum Katholizismus konvertierten Mystikers J o -
hannes Scheffler (1624-1672), der wegen seiner schlesischen Heimat als „An-
gelus Silesius" b e r ü h m t wurde. „ D e s s e n Cherubinischer W a n d e r s m a n n wur-
de Eckart", so Alfred Rosenberg in seiner Dietrich Eckart gewidmeten Ver-
mächtnisschrift, „zu seiner Bibel. Namentlich jene Stellen des späteren My-
stikers, in denen er in seiner Seele göttliche Gewalten fühlt und sich erhaben
weiß über alle Kreatur, sich b e w u ß t wird, daß auch G o t t letzten E n d e s eine
Schöpfung der Seele sei. Und alles, was nicht zu ähnlichen Ergebnissen wie
Silesianische Lehre gelangte, erschien Eckart nicht tief und wesentlich [...].
An dieser Einstellung schloß sich eine besondere V e r e h r u n g der Gestalt Chri-
sti an, die sogar in rein politischen Aufsätzen immer wieder hervorbrach." 5 6
In der Dietrich Ekkart gewidmeten Vermächtnisschrift hat der Herausgeber

51
Eigentlich Adolf Josef Lanz, Herausgeber der vor und nach dem Ersten Weltkrieg verbrei-
teten Zeitschrift „Ostara", Begründer des Neutempler-Ordens (Ordo Novi Tempil), vgl.
die jüngst verlegte Schrift „Praktische Einführung in die arisch-christliche Mystik", Mün-
chen 1980, Reprint eines Aufsatzes aus der Zeitschrift „Ostara", Nr. 101 aus dem Jahre
1922 von J. W. Wölfel, sowie „Ariomatische Briefe" von Jörg Lanz von Liebenfels.
32
Wilfried Daim, der Mann der Hitler die Ideen gab, München 1958; bestritten wird die Wir-
kung des Lanz von Liebenfels mit guten Gründen von Christoph Lindenberg, Technik des
Bösen. Zur Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus, Stuttgart 1978.
1
Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, München 1899, S.
700, 780, 861, 888 f., 894, 900, 911, 927 f., 967 (im folgenden kurz: Houston Stewart Cham-
berlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts).
54
Ebd., S. 878.
55 Rosenberg entwickelte, wie noch auszuführen sein wird, aus der Mystik Meister Eckharts
1260—1328) die Rassedoktrin der nordischen Seele.
Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 22, 32 f.
68 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Alfred Rosenberg Gedichte Eckarts veröffentlicht, die die Überschrift „Ecce


d e u s " tragen. In d e m P o e m „Selbstgespräch" wird das Verhältnis von Dies-
seits und Jenseits sowie v o n T r a u m und Wirklichkeit in merkwürdiger Weise
aufeinander bezogen:
Du bist wie einer, der am Tage schläft und träumt.
Und gar nicht ahnet, daß ihn hellstes Licht umsäumt.
Im Diesseits gehst du auf, wie er im Traumgesicht.
Dein Eingebettetsein im Jenseits merkst du nicht.
Begreif es doch einmal: dein Jenseits ist schon da
Und war schon da, bevor dein Geist das Diesseits sah
Was ist Geburt und Tod, was Altern und Gebrest?
Zusammen nur ein Punkt, der sich nicht messen läßt.

Die W a h r n e h m u n g des Ichs und der Welt nach dem Muster von Diesseits
und Jenseits ist also bestimmend. Bestimmend ist für Eckart aber auch, daß
die Spaltung von G o t t und Mensch aufgehoben wird. Dies führt dazu, daß
das Ich zum G o t t wird:
Bedenke jederzeit, die Welt ist nur ein Nichts.
Ein Traumgebilde bloß des inneren Gesichts.
Wer aber sieht so falsch? Du kannst sagen: Ich.
Erwache! und du fühlst zu Gott geworden dich. 57

Für Eckart ist die diesseitige Welt also nur ein Traumgebilde. Es ist daher für
ihn n u r konsequent, wenn er den M e n s c h e n dazu auffordert, aus diesem
T r a u m zu erwachen. Die Wirklichkeit, zu der im Erwachen aufgefordert wird,
besteht also darin, daß der Mensch sich zu G o t t geworden fühlt, also in der
Symbiose von Mensch und G o t t :
War' Gott dir meilenfern, statt daß er über Nacht,
Wie du aus dir zu ihm, aus sich zu dir erwacht,
So wärest du ja nie vor seiner Kraft gefeit,
Und niemals gab's für dich die wahre Seligkeit.58

In der N a c h t , das heißt durch die Ablösung von der materiellen diesseitigen
Welt, gelangt der Mensch zur Vereinigung mit Gott. G o t t ist für Eckart nicht
der ferne, ganz andere. Das Verhältnis des Menschen zu G o t t ist nicht das
der Furcht vor d e m starken Herrscher, sondern das der wahren Seligkeit, der
Einheit von G o t t und Mensch. Diese Einheit m u ß aber stets neu errungen
werden:
So oft du dich - bedenk's! - noch mit der Welt betörst
Und dann ihr jedesmal wie früher ganz gehörst,
So oft hat auch in dir gesiegt der Antichrist —
Vernichtet ist er erst, wenn keine Welt mehr ist.

Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 111


58
Ebd., S. 109.
59
Ebd., S. 111.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 69

Solange der Mensch der materiellen Welt verhaftet bleibt, unterliegt er d e m


Prinzip des Bösen, d e m Antichrist. E s liegt also am Menschen selbst, der Ver-
suchung des Bösen zu widerstehen, um zur erlösenden Vereinigung mit G o t t
zu gelangen:
Verstrickt im Wahn der Welt bist du Gottsohn zumeist.
Willst du dich daraus entwirren, versuch's dein Heilger Geist.
Wenn's dir gelingt, durchschaut in dir Gottvater sich -
Hält die Dreieinigkeit nicht jedem Zweifel Stich?!

Aufgrund der Gotteskindschaft und des Wirkens des Heiligen Geistes ist der
Mensch potentiell fähig, zum Ebenbild G o t t e s zu werden. Eckarts Mystik ist
an der Christologie u n d an dem D o g m a der Trinität (Gott als Vater, Sohn
und Geist) orientiert.
Die Gotteskindschaft eines jeden ist hier ein zentrales Motiv. Eckart
nimmt an, daß es möglich ist, ein Ich, b e s t i m m t nicht jedes Ich, k ö n n e so-
wohl G o t t als Mensch sein, „ G o t t s o h n " . Ist G o t t „Creator spiritus", so be-
sitzt in diesem P o e m das Ich den Heiligen Geist, der in ihm wirken kann. U n d
über die Wirkung des Heiligen Geistes wird die Selbstmächtigkeit des Men-
schen erhöht. G o t t als Vater erkennt („schaut") sich selbst im M e n s c h e n —
um es zu wiederholen: So „durchschaut in dir Gottvater sieb".60 Erst das
christliche D o g m a von der Dreieinigkeit vertreibt jeden Zweifel. Auch in dem
Gedicht „Das Rätsel" besteht die Lösung im Erleben und Erfahren der Trini-
tät Gottes. O h n e Zweifel soll nach Dietrich Eckart der Mensch werden wie
Jesus Christus und m u ß erkennen, daß er nie von Jesus Christus geschieden
war. Eckart bereitet die Propaganda dieses Wegs zur Selbsterkenntnis jedoch
vor, indem er meint, der „ A d a m " müsse ü b e r w u n d e n werden. Aber nicht nur
das: D e r Mensch m u ß den alten „ A d a m " überwinden, indem er wie Jesus
Christus das J u d e n t u m verwirft. D a s Erleben des Göttlichen und die Er-
kenntnis, Jesus Christus zu sein, wird mit der Ü b e r w i n d u n g des Alten Testa-
ments durch das N e u e verglichen. So fährt Eckart in der Auflösung des Rät-
sels nach dem Bekenntnis zur Trinität fort:

Das Neue Testament entrang dem alten sich,


Wie sich einmal erlöst von dieser Welt dein Ich;
Und wie du dann dem Wahn von einst entfremdet bist,
So hat sein Judentum verworfen Jesus Christus.
Nun weißt du auch, warum du selbst der Adam bist,
Und daß du werden mußt dein eigner Jesus Christ.
Fragt einer, ob der Herr ein Mensch gewesen sei,
So sag: Genau wie ich, und lächelst still dabei.
Du gehst zwar immerzu in seinen Stapfen nur,
Und oft versprengt dich noch die sündige Natur;
Doch finden mußt du ihn, und dann - wie wunderbar!
Erkennst du, daß er nie von dir geschieden war.

Hervorhebung C.-E. B
70 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Dietrich Eckart ist gewiß ein deutscher Dichter. E r will die Tiefe und betreibt
Erweckungspoesie. Erweckt werden soll die Erkenntnis des Göttlichen im
Menschen selbst. Die Divinisierung des Ichs enthält aber schon die Imagina-
tion der Teilnahme an der Macht eines U r s p r u n g s , nämlich an der Gottes.
Die Divinisierung des Menschen w u r d e für Eckart das beherrschende Deu-
tungsmuster der D i c h t u n g und später der Politik. Das auf eine ursprüngliche
Ursache bezogene Entwerfen persönlicher Identität k o m m t z. B. bei Dietrich
Eckarts D e u t u n g v o n „Peer G y n t " zum Ausdruck. Eckart hat nicht nur Ib-
sens „Peer G y n t " nachgedichtet, s o n d e r n auch mehrere Schriften zur Inter-
pretation des „Peer G y n t " verfaßt. In der 1918 veröffentlichten „Einführung
in Ibsens ,Peer G y n t ' und in Griegs Musik zur D i c h t u n g " wird der Unter-
schied zwischen Vernunft und Verstand folgendermaßen definiert:

Den Trug der Welt empfinden kann man aber nur solange, als man sich der göttli-
chen Seele, seiner heimlichen Ursache, wenigstens einigermaßen bewußt ist, als
man Anteil hat an der höchsten Vernunft, die nicht mit dem Verstand verwechselt
werden darf.61

D a s sei bei Peer G y n t der Fall, „wie uns die in demselben Gedankengang
wurzelnde deutsche Mystik belehrt", und auch Peer Gynts Liebe zu Solveig
sei so zu erklären, d e n n diese sei „Spiegelbild seines augenblicklich reinen
Fühlens". Peer Gynts Liebe zu Solveig als „ideale Liebe" sei „Liebe der Seele
zu ihrer eigenen Idee, zu ihrem Urbild", die „einzige Liebe, die so zu heißen
verdient, es ist die Liebe zu d e m Göttlichen in uns, eben zu unserer Seele, nur
durch das außen vermittelt". 6 2 Ja, deshalb bleibe Solveig vom Bösen unbe-
rührt, „weil an Peer G y n t s Seele, die sie verkörpert, letzterdings nichts ,Bö-
ses' heranreicht". 6
Wahrheit kann nach Dietrich Eckart nur derjenige erkennen, der sich der
„göttlichen Seele" bewußt wird. Voraussetzung dieses Bewußtseins ist der
Besitz einer göttlichen Seele. D e r „Seele" k o m m t nach Dietrich Eckart das
Prädikat „göttlich" insofern zu, als G o t t als „ U r s a c h e " verstanden wird. G o t t
ist, ganz im Sinne der abendländischen Theologie, ens causa sui, Ursache sei-
ner selbst, letzter G r u n d , letzte Instanz. D i e persönliche Identität geht in der
göttlichen Identität auf. D a s „ G ö t t l i c h e " in uns impliziert in dieser Logik, daß
der Mensch an der göttlichen Substanz teilhat. Kategorial betrachtet, sind die
Konsubstantialität von Mensch und G o t t und das damit einhergehende Den-
ken von Kausalität wesentliche Merkmale der Ideologie des nicht nur von Ro-
senberg, sondern vor allem auch v o n Hitler hochverehrten Dietrich Eckart.

61
Dietrich Eckart, Einführung in Ibsens ,Peer Gynt', Eckart, in: ders., Vermächtnis, S. 180.
62
Ebd., S. 186.
63
Ebd.; man könnte selbstverständlich bei diesen durch Gott vermittelten Liebes- und Spie-
gelbeziehungen, wonach die Geliebte über und erst durch die Teilnahme des Mannes am
göttlichen Ursprung definiert wird, an typisch männlich-patriarchalische Deutungsmuster
denken. Gott wird nicht männlich gedacht, sondern die Frau bleibt vom Bösen erst durch
das Göttliche im Mann unberührt.
Das nationalsozialistische Verständnis v o m „ D r i t t e n Reich" 71

Z u untersuchen ist mithin, o b wir bei anderen führenden Ideologen des Na -


tionalsozialismus ähnliche oder dieselben Konfigurationen antreffen. Dietrich
Eckart jedenfalls glaubte, daß G o t t eine überirdische Kraft sei und daß diese
überirdische Kraft in ihm wirke. So konnte er a n n e h m e n , das Ziel G o t t e s zu
kennen. Weil G o t t in ihm war, m a c h t e er sich zum Maß allen Urteils und
konnte die Verschiedenheit v o n W u n s c h und Wirklichkeit nicht erkennen.
D e n n wer daran glaubt, G o t t sei in ihm, hat die absolute Basis der Erkenntnis
in sich. E r weiß, was G o t t will, und damit, was geschehen soll oder wird, weil
er an der Kraft G o t t e s teilnimmt. In dieser Logik ist es notwendig, eine Er-
klärung für den seinen W ü n s c h e n nicht entsprechenden Kausalverlauf zu fin-
den. Es liegt nahe, dafür eine göttliche Gegenkraft verantwortlich zu machen.
W e n n Dietrich Eckart davon überzeugt ist, daß jeder sein „Jesus Christ" nur
werden kann, wenn er sich v o m „ W a h n " des J u d e n t u m s in ihm befreit, dann
kann man darin eine Erklärung für eine rätselhafte Formulierung im Partei-
programm der N S D A P aus dem Jahre 1920 finden. G e m ä ß der Ziffer 24 des
Parteiprogramms vertritt die Partei „den S t a n d p u n k t eines positiven Chri-
stentums". Die rätselhafte Formulierung lautet anschließend:

Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns. 64


Daher soll n u n m e h r das Verhältnis zwischen D e u t s c h t u m und J u d e n t u m un-
tersucht werden.

c. D a s W e s e n d e r D e u t s c h e n u n d d e r J u d e n
nach dem Muster Christ und Antichrist

Dietrich Eckart, der schon bei der D e u t s c h e n Arbeiterpartei (DAP), der Vor-
gängerin der N S D A P , Vorträge hielt, für den Ausgleich zwischen dem Vor-
sitzenden der D A P Drexler und d e m neuen Vorsitzenden der N S D A P Hitler
sorgte und der am P r o g r a m m der N S D A P mitgewirkt hat 6 5 , veröffentlichte
im ersten Halbjahr des Jahres 1919, also vor der Abfassung des Parteipro-
gramms der N S D A P , in seiner Zeitschrift „Auf gut d e u t s c h " einen Aufsatz
mit dem Titel „Das J u d e n t u m in und außer u n s " . 6 6 Dieser Aufsatz ist ein Be-
kenntnis Eckarts zur Einheit von D e u t s c h t u m und Christentum. D e r Kausal-
nexus zwischen G o t t , Christentum und Seele ist darin das wesentliche Krite-

„Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich kon-
fessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialisti-
schen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Gesundung unseres
Volkes nur erfolgen kann vom Innern heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz geht vor Ei-
gennutz", Gottfried Feder (Hrsg.), Das Programm der NSDAP und seine weltanschauli-
chen Grundlagen, München 1930, S. 22.
Vgl. Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler, S. 65f., 94 f.
Dietrich Eckart: Das Judentum in und außer uns, in: ders (Hrsg.) Auf gut deutsch, Wochen
Zeitschrift für Ordnung und Recht, 1. Jg., 1919 (im folgenden kurz: Dietrich Eckart: Das
Judentum in und außer uns).
72 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

rium zur Unterscheidung zwischen d e u t s c h e m Volk und Juden. Bevor die


darin imaginierte B e s t i m m u n g kollektiver Identität nachgewiesen werden soll,
ist ein G e d i c h t aus dem J a h r e 1923 zu zitieren, in dem der Z u s a m m e n h a n g
zwischen der Konfiguration „ G o t t in u n s " und der Politik eindeutig ist. Für
Eckart ist der „ G o t t in u n s " , also im M e n s c h e n und in einem bestimmten
Kollektiv, das F u n d a m e n t des Sollens und Gelingens vaterländischer Rettung.
V o n d e m z u m „ H o m o politicus" avancierten Poeten wurde am 29. August
1923, Rosenberg hatte ihn im März v o m Posten des Hauptschriftleiters abge-
löst, ein Gedicht mit dem Titel „Die E n t s c h e i d u n g " veröffentlicht. Lang und
breit wird zunächst das Elend des deutschen Vaterlands beklagt:

O Vaterland!
Entthronte Königin im Bettlerkleide,
Verhöhnt, bespien von Haß und Unverstand,
Verächdich jetzt sogar dem Sklaven Neide,
Herabgewürdigt wie zur feilsten Dirne,
Im Winkel, unter Fäulnis hingerafft -
[...]
Wir irrten lange durch die dunklen Tage,
Einander fremd geworden, wie verweht,
Verzweifelt, sinnlos, weder Zorn noch Klage,
Kein Trotz, kein Gram, kein Fluch und kein Gebet.
Wir gingen lange so als wie im Traum,
Wir lebten kaum,

Anschließend wird die Rettung beschworen:


Wir retten dich! Das Banner aufgenommen,
Empor zum Licht, so frei, wie's nie geschah!
Noch zögern viele - will! Sie werden kommen;
Noch grollen viele - will! Und Sie sind da.
Kein Schwur und kein Verbrechen! Wollen, wollen!
Wir wollen, es geschieht, es ist geschehen!
Der Gott in uns, er zeigt uns, was wir sollen;
Und was wir sollen, muß und wird auch gehn!
Zum Sturm, zum Sieg! Die alten Adler schweben,
Judas erbleicht, er wankt, er stürzt, er fällt!
Frei ist das Reich, das Vaterland, das Leben,
Und frei - die Welt!67

In diesem G e d i c h t wird ein letzter G r u n d — „der G o t t in u n s " — und damit


ein unüberbietbares F u n d a m e n t für den allseits bekannten Glauben, am deut-
schen Wesen müsse die Welt genesen 6 8 , artikuliert.

67
Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 150 f. [Hervorhebung C.-E. B.].
68
In dem 1914 veröffentlichten Drama „Heinrich der Hohenstaufe. Deutsche Historie in viet
Vorgängen" läßt Dietrich Eckart den Kaiser sagen:
Der Menschheit Pfauenstolz - ein Gaunervolk,
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 73

W e n n auch Authentizität ein zweifelhafter Wert ist, so ist d o c h kaum zu


bezweifeln, daß diese Poesie authentisch ist. Authentisch für das Empfinden,
w a s „auf gut d e u t s c h " Tiefe g e n a n n t wird. W ä h r e n d die spirituelle Vereini-
g u n g von Mensch u n d G o t t in der Mystik an sich auf die Sphäre des Indivi-
duellen beschränkt bleibt, wird sie bei Dietrich Eckart auch zum Paradigma
d e r politischen Realität.
Auch das Prinzip völkischer Hoffnung hat seinen G r u n d in der K o n s u b -
stantialität von Mensch und G o t t . Eckart verknüpft die Sorge um das Vater-
land „ E n t t h r o n t e K ö n i g i n " und die Sammlung der Retter, welche rein sind,
mit der historischen Gewißheit des Sieges. In Eckarts mystischer Existenz-
interpretation wird die Gewißheit, daß das, was ist, und das, was sein soll, zu-
sammenfallen, durch das Wissen um das Göttliche im Menschen ermöglicht.
I h m ist die Teleologie des Lichts keine Utopie und die Apokalyptik des
Sturms kein leerer T r a u m . Die Freiheit von Reich, „Vaterland", „ L e b e n " und
gesamter „Welt" hat einen ersten u n d letzten G r u n d . D a s k o m m e n d e , also
das „Dritte Reich" verdankt seine Existenz dem Realissimum G o t t in der
Realität teutonischer Subjektivität.
Der T o p o s „ G o t t in u n s " ist nicht nur in diesem Gedicht für die Bestim-
m u n g der Deutschen konstitutiv. D a v o n ist auch, was am E n d e des Gedich-
tes anklingt, die Definition der J u d e n abhängig. In dem Aufsatz „ D a s J u d e n -
tum in und außer u n s " versucht Dietrich Eckart nicht weniger manisch als ex-
zessiv zu demonstrieren, daß die positive Bestimmung der D e u t s c h e n mit der
Negation aller J u d e n korrespondiert; und dies deshalb, weil das sogenannte
Wesen des deutschen Volkes sein F u n d a m e n t in G o t t und Christus habe. D e r
Angelpunkt der den D e u t s c h e n von Eckart zugeordneten Qualitäten ist seine
Auffassung von der Seele und ihrem göttlichen Wesen. D e r Aufsatz beginnt
mit einer Kritik an Paulus und endet mit einer an Spinoza. Dietrich Eckart
bemüht G o e t h e und ziüert antijudaistische Urteile Voltaires. Vornehmlich
orientiert er sich an Schopenhauers Lehre der Weltverneinung und der Welt-
bejahung. Er zitiert Schopenhauers antisemitische Ausfälle sowie seine Auf-
fassung, die Hitler in „Mein K a m p f ebenfalls anführt, die J u d e n seien „Mei-
ster im Lügen". Eckart b e m ü h t aber auch O t t o Weinigers Ausfälle gegen die
Juden, die — notabene - für den J u d e n T h e o d o r Lessing Ausdruck jüdischen
Selbsthasses sind. Weltbejahung wird von Eckart mit dem reinen Glauben an
das Diesseits und Weltverneinung mit d e m Glauben an das Jenseits gleichge-
setzt. D e r jüdischen Lehre Spinozas fehle „der Glaub e an ein überirdisches

Die Hinterlist in ihr. Das Deutsche aber


Verkörpert ihre Sehnsucht nach Licht,
Und wie von uns ein jeder dieses Drangs bedarf,
Der Gottheit sich zu nähern, also
Bedarf es auch der deutschen Kraft und Macht
Und Herrlichkeit, auf das die Welt genese!
74 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Sein". 6 9 Für Spinoza sei die „Welt gleich G o t t , während sie nur der Wider
schein G o t t e s , d. h. der göttlichen Seele ist". 7 0
Dietrich Eckart ist der Überzeugung, daß „die Körperwelt durchaus nicht
das Wichtigste oder gar Einzige ist, was es gibt, sondern daß vielmehr hoch
über allem, und zwar v o n Ewigkeit zu Ewigkeit, das Seelische thront, als das
allein Wertvolle, allein Unvergängliche". 7 1 Weltbejahung o h n e Glauben an
das Jenseits, „reine Weltbejahung", führe zur „Vernichtung nicht bloß des ir
dischen Scheines, sondern auch des wahrhaft Seienden, des Seelischen". 7 2
Seele ist für Dietrich Eckart Substanz der irdischen und überirdischen Welt.
Seele ist das Bewirkende, aber sie wirkt nicht in jedem Menschen gleich, in
der Semantik Eckarts:

Seele steckt zwar hinter allem und jedem, aber nicht überall wirkt sie.73
W e n n sie aber „lebendig g e n u g " wirkt, k o m m t es im Menschen „zum Gefühl
für das allein W a h r e " . 7 4 D a s „allein W a h r e " der Seele wiederum besteht im
Gefühl „für ihr eigenes göttliches W e s e n " . 7 3 Die göttliche Seele braucht ein
Medium, um zum Bewußtsein ihrer selbst zu k o m m e n , das heißt in der Se
mantik Eckarts die „ A u ß e n w e l t " und die „Leiblichkeit". So fährt er fort:
Ohne das Medium der Außenwelt, d. h. der Leiblichkeit, kann eben die Seele nir
gends im Diesseits zur Ahnung oder gar zum Bewußtsein ihres göttlichen Wertes
kommen, nirgends zu ihrer Idee, der einzigen Idee, die es gibt. 76

Seele hat mithin ein selbstbezügliches Ziel, das sie selbst ist. Dabei zitiert er
Voltaires Überzeugung, daß die Unsterblichkeit der Seele die Grundlage aller
Religion sei. E r kommentiert Voltaire in F o r m von Kettenschlüssen, das U n
sterbliche sei Seele, und Seele sei wiederum das Göttliche. So fährt er fort:
Auf was es einzig und allein ankommt: Auf die Unsterblichkeit der Seele, über
haupt nur auf die Unsterblichkeit der Seele [...]. Das Unsterbliche ist die Seele, und
die Seele ist das Unsterbliche. Außer der Seele gibt es aber nichts Unsterbliches, sie
ist das allein Göttliche, innerhalb der Zeitlichkeit mit sich uneins, nachher jedoch
der einige Gott. 77

Woraus resultiert nun trotz der Differenz v o n Zeitlichkeit und ewiger Zeit die
Unsterblichkeit der Seele? Schon in der Zeit k o m m t es zu einer absoluten
V e r b i n d u n g v o n Mensch und Gott: „ G o t t ist Mensch geworden, d. h. nirgend

69
Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 230, Erstveröffentlichung in: „Auf gut deutsch, Wochen
Zeitschrift für Ordnung und Recht", hrsg. von Dietrich Eckart, Jg. 1919.
70
Ebd.
71
Ebd., S. 195.
72
Ebd., S. 218.
73
Ebd., S. 220.
74
Ebd.
75
Ebd.
76
Ebd.
77
Ebd., S. 206.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 75

anders steckt er als im M e n s c h e n . " 7 8 Die Differenz hingegen folgt aus einer
Spaltung des Geistes, d e n n er fährt fort: „aber wie zerteilt: in den weltlichen
u n d himmlischen Geist". 7 9
Das Bewußtsein v o m göttlichen Wert der Seele haben nach Dietrich
Eckart nur die Christen, denn nur den Christen w o h n t die göttliche Seele in-
ne: „Die Seele ist naturgemäß christlich." 8 0 Dietrich Eckart beabsichtigt aber
nicht, sich nur mit dem P h ä n o m e n v o m ewigen Sein in der christlichen Seele
zu beschäftigen, sondern will auch das Wesen des Ariers und des deutschen
Volkes in Rücksicht auf das Verhältnis von Ewigkeit, G o t t und Seele bestim-
men. So meint er z. B.:

Wer sich, wie der Arier, als ein Ewiges empfindet, für den hat der Tod seinen Sta-
chel verloren; den können nicht einmal die Schrecken des Krieges aus der Fassung
bringen; der geht sogar, wenn die wüste Erkenntnis, die Idee, bei ihm durchbricht,
singend in die Schlacht.81
Dietrich Eckart ist davon überzeugt, „daß wir D e u t s c h e schon v o r vielen
Jahrhunderten G o t t und Seele als eins empfunden h a b e n " . So wie die Seele
nach Eckart naturgemäß christlich ist, so glaubt er auch, daß „die einzige
Kraft" des deutschen Volkes „unsere christliche W e s e n h e i t " sei. H a b e n alle
Deutschen eine „christliche Wesenheit", d a n n haben alle Deutschen eine ge-
meinsame Seele. Dietrich Eckart n i m m t an, was ja nicht selbstverständlich ist,
daß es kollektive Identität gibt, und er kann nicht anders, als diese religiös zu
hegreifen. Eckarts Begriff v o n Volk ist orientiert an der essentialistischen
Auffassung v o m Wesen. Alle D e u t s c h e n haben an dieser Essenz teil, aber in
einigen Exemplaren erreiche „das deutsche Wesen", damit meint er an dieser
Stelle G o e t h e , „den H ö h e p u n k t " . Das Ideal bleibt aber Jesus Christus.

Das eine Wort ,Ihr richtet nach dem Fleische, ich richte niemand', offenbart die
göttliche Freiheit vom Einfluß des Sinnlichen, die Überwindung der irdischen
Welt, sogar ohne das Medium der Kunst. 83
Ohne Christus kann auch das Wesen des deutschen Volkes nicht verstanden
werden:
Im deutschen Wesen ist Christ zu Gast; drum ist es dem Antichrist verhaßt. 84
Daraus folgt, daß die B e s t i m m u n g des deutschen Wesens (Christ) im R a h m e n
eines substantiellen Dualismus (Antichrist) v o r g e n o m m e n wird. Im folgenden
ist zu klären, o b die Gleichsetzung christlich —deutsch mit der Gleichsetzung

* Ebd.
71
Ebd.
v
Dietrich Eckart, Das Judentum in und außer uns, S. 208
8
Ebd., S. 224.
R;
Ebd., S. 206.
83
Ebd., S. 246.
81
Dietrich Eckart, Auf gut deutsch, Heft 4, 1919, S. 60.
76 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

antichristlich-jüdisch korreliert. Dafür sprechen die folgenden Ausführun-


gen Eckarts zu G o t t , Himmelreich, Deutschtum, J u d e n t u m und arischem
Geist, wobei er die angeblich in der jüdischen Religion enthaltene Trennung
zwischen G o t t und Mensch ablehnt:
Dieser jüdische Gottesbegriff geht uns Deutsche nichts an! Wir empfinden Gott
nirgendwo anders, als in uns selbst. Uns ist die Seele das Göttliche, von der wie-
derum der Jude keine Ahnung hat. ,Das Himmelreich ist inwendig in euch' [Lk
17,21, C.-E. B.], also auch Gott, der zum Himmelreich gehört. Unsterblich fühlen
wir unsere Seele, ewig von Anbeginn zu Anbeginn, und lehnen es deshalb ab, uns
einreden zu lassen, daß wir aus dem Nichts entstanden seien [...] So lehrte längst
der arische Geist, noch ehe Christus das Licht der Welt wie in einem Brennspiegel
zusammenfaßte. 85

Eckarts Vorstellung vom Arier, also sein Rassismus, besteht auch darin, daß
Christus nur eine Individuation des substantiell-arischen Geistes ist. D e r hier
behauptete Gegensatz zwischen dem arisch-christlichen Gottesbegriff und
dem jüdischen Gottesbegriff führt dazu, zu untersuchen, ob Eckarts religiö-
ses Apperzeptionsmuster zum Verständnis des im Parteiprogramm der
N S D A P formulierten Bekenntnisses zum „positiven Christentum" im Kampf
gegen den „jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns" beiträgt. Auf-
schlußreich ist diesbezüglich Eckarts Schrift „Das Judentum in und außer
uns". D o r t wendet sich Eckart gegen die Zersetzung des Christentums durch
den jüdischen Materialismus:

Gerade aber die Vermantschung des christlichen Ideals mit dem jüdischen Mate-
rialismus schädigt, und zwar ganz allein, das Christentum. 86
Hängt Eckarts Charakterisierung der ]uden, sie seien alle Materialisten, mit
seiner Bestimmung von Religion zusammen?:
Um noch einmal und immer wieder das bis jetzt wichtigste zu wiederholen: In der
ludenreligion fehlt der Glaube an ein übersinnliches Jenseits vollständig.87
Festzuhalten ist zunächst, daß für Eckart die Differenz von Diesseits und
Jenseits maßgebend für die Beurteilung der Juden ist und daß sie wegen des
fehlenden Glaubens an ein Jenseits der sinnlichen Welt verfallen sind:
Und einzig da in der Welt stehen die Juden mit dieser ihrer rein irdisch gerichteten
Religion!!
So müsse man „das Judenvolk als die Verkörperung der Weltbejahung ins
Auge fassen". 88 Allen Juden kommt im Zuge der Substanzspekulation Eckarts
ein „Grundcharakter" 8 9 und ein „ureigenes Wesen" 9 0 - woraus die Verwen-

85
Dietrich Eckart, Auf gut deutsch, Heft 3, 1919, S. 38.
86
Dietrich Eckart, Das Judentum in und außer uns, in: ders., Vermächtnis, S. 204.
87
Ebd., S. 214; vgl. Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 336; Kapitel B.IIIJ.c.dd dieses Buches
88
Ebd., S. 216.
89
Ebd., S. 208.
90
Ebd., S. 210.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich"

d ü n g des Kollektivsingulars „der J u d e " resultiert — zu. Die Juden haben nach
Dietrich Eckart keine Seele. D e n n wo sich „Seele regt, tritt notwendigerweise
auch das Gefühl für das Unsterbliche a u f . 9 1 Die Juden können nach Eckart
nicht an einen transzendenten G o t t glauben, „weil der G o t t der Juden nichts
anderes ist als die Projektion ihres ureigensten Wesens". 9 2 Nach dieser Logik
entspricht der „bis ins tiefste Mark überzeugte Leugner der Seele" dem „Ur-
bild aller Seelenlosigkeit", nämlich dem „Mephisto", und er ist damit der
„Todfeind" 9 3 der Seele. So wie Dietrich Eckart meint, „das vollständige Feh-
len des Unsterblichkeitsgedankens" sei der „Kern der Judenreligion", so lei-
tet er den „Grundcharakter" und das „Wesen der J u d e n " daraus ab. Und die-
se Ableitung geht weit über die Verwerfung des sogenannten „jüdischen Ma-
terialismus" hinaus. Die Identifikation von Gott, Jenseits und Seele entspricht
der Identifikation von Mephisto, J u d e n t u m , Entseelung und Vernichtung.
Ziel und „Geheimnis des J u d e n t u m s " sei die „Entseelung der Welt".

Um die Entseelung der Welt, um nichts anderes ist es diesem zu tun, sie aber wäre
gleichbedeutend mit ihrer Vernichtung. Darauf läuft schon jetzt, wie die Juden
noch unter uns wohnen, alles hinaus, was sie unternehmen und muß es. Die Ent-
seelung der Menschheit ist ihr Ziel. Deshalb suchen sie jede Form zu zerbrechen,
hinter der die lebendige Seele wirkt.94
Ja, Dietrich Eckart ist sogar der Meinung, die Juden kämen „aus dem Nichts".
Ihr Motto sei, „Ihr sollt alle Völker fressen", der „Tod Christi war der Schluß-
stein der Vernichtung desjenigen Volkes, mit dem die Juden nach ihrem Ein-
fall in eine menschliche Welt wohl zuerst in Berührung gekommen waren".
D e r Relation g ö t t l i c h - c h r i s t l i c h - d e u t s c h entspricht die Relation s a t a n i s c h -
jüdisch—antideutsch. Die Juden hätten mit ihrer „rein irdisch gerichteten Re-
ligion" die „größten und glorreichsten Völker" überlebt; sie würden weiter
überleben, „und zwar bis an das Ende aller Tage, bis die Erlösungsstunde der
Menschheit schlägt". 9 6 Demgegenüber wird die „Sendung des deutschen Vol-
kes" definiert: „Die Sendung des deutschen Volkes endigt, das ist meine feste
Überzeugung, mit der letzten Stunde der Menschheit"; das deutsche Volk
habe die „Bestimmung, die in der Erlösung der Welt besteht, zu erfüllen". 97
Für Dietrich Eckart ist mithin die Bestimmung des deutschen Volkes un-
trennbar mit dem Kampf gegen die Substanz bzw. das Wesen aller Juden ver-
bunden. Die Absicht der Juden, alles zu vernichten, haben die Juden nicht aus
sich selbst und durch sich selbst heraus. Sie unterliegen dem Prinzip des Cha-
os, des Nichts, und dies sind Eigenschaften des Teufels. So behauptet er un-
ter Rekurs auf Schopenhauer:

Ebd., S. 208
Ebd., S. 210.
Ebd., S. 221.
Ebd., S. 219.
Ebd., S. 199.
Ebd., S. 215.
Ebd., S. 218.
78 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Wir werden sehen, daß die Meisterschaft im Lügen, die er [Schopenhauer, C.-E. B.]
den Juden zuerkennt, aus gar nichts anderem entspringt, als gerade aus dem tota-
len Mangel an Gefühl für das Überirdische, aus gar nichts anderm. 98
Über Schopenhauer hinausgehend, in korrektem, aber nicht benanntem Be-
zug auf das Neue Testament, aber jeder weiß, daß mit der Formulierung
„Fürst dieser Welt" der Teufel gemeint ist, fährt Dietrich Eckart fort:
Umsonst heißt nicht der ,Fürst dieser Welt' der ,Vater aller Lügen'.99
Alle Juden sind „Meister im Lügen", weil, wie es im 8. Kapitel des Evangeli-
ums des Johannes heißt, ihr „Vater, der Teufel ist", und der „ist ein Mörder
und Lügner von Anfang an". Die nach Dietrich Eckart unveränderlichen
Charaktereigenschaften der Juden, die „Entseelung" und „Vernichtung" von
Mensch und Welt sich zum Ziel zu machen, entsprechen mithin der Qualifi-
kation des Teufels als Mörder. 1 0 0
Die Bestimmung und Sendung der Deutschen, die Welt und die Mensch-
heit zu erlösen, wird untrennbar mit dem Kampf gegen das Böse und dessen
„Verkörperung" im J u d e n t u m verbunden. Die Welt wird von Dietrich Eckart
so wahrgenommen, als ob es in ihr eine gegen ihn gerichtete gewaltige und
überirdische Macht gebe, die das Ziel hat, seine Welt, das, was ihm Welt ist,
zu vernichten. Erlösung und Vernichtung geraten in einen unabdingbaren
Zusammenhang.
Es war zu überprüfen, ob Eckarts Verwendung des Begriffs „Drittes
Reich" nur Schlagwortcharakter hat oder eine griffige Zusammenfassung ei-
ner in anderen Texten nachweisbaren allgemeinen Weltanschauung ist. Aus
der Analyse des Kontextes und der Konnotationen des Begriffs „Drittes
Reich" ergab sich die Frage: Besteht ein notwendiger Z u s a m m e n h a n g zwi-
schen der Trinität (Gott als Vater, Sohn und Geist) sowie der von Dietrich
Eckart an G o t t als Geist (Creator spiritus) gerichteten Bitte „Veni Creator
Spiritus" und der von ihm behaupteten Fähigkeit, nur das deutsche Volk kön-
ne das „dritte Reich" herbeiführen?
Zu beginnen aber war damit, womit für den „ h o m o religiosus" alles an-
fängt, nämlich mit Gott. Es mußte herausgefunden werden, ob Eckart eine

98
Ebd., S. 204.
99
Ebd.
00
„Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Der ist ein
Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht
in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner
und ein Vater derselben" (|oh 8, 44). Dietrich Eckart kennt diese Stelle. Er zitiert sie in:
Der Bolschewismus von Moses bis Lenin, S. 18, 52. Trotz dieses schwachsinnigen Titels
oder gerade wegen dieses Titels kennt und zitiert er die Meisterdenker des Antisemitismus,
angefangen bei Luther über Voltaire und Schopenhauer bis zu Dostojewski, Werner Som-
bart und Henry Ford. Er zitiert aber auch Heine, Börne, sogar die weniger bekannten jüdi-
schen Schriftsteller wie Arthur Ruppin und sogar Karl Emil Franzos; auch läßt er es sich
nicht entgehen, die antisemitischen Ausfälle der jüdischen Schriftsteller Otto Weininger
und Arthur Trebitsch zu zitieren.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 79

allgemeine - wenn auch zunächst unpolitische — Gottesvorstellung hat und


ob genau diese in Eckarts Bestimmung kollektiver Identität von Bedeutung
ist. Nach dem bisherigen Verlauf der Untersuchung kann festgestellt werden,
daß Dietrich Eckart überhaupt eine allgemeine Gottesvorstellung hat. Eckarts
im unpolitischen Kontext verwendeter Gottesbegriff ist nach dem Muster der
Mystik qualifiziert worden. Bei Dietrich Eckart trifft das für die Mystik typi-
sche Merkmal der Vereinigung von Mensch und G o t t zu. Bei ihm liegt das
Gewicht bei dem im Menschen erlebten, erfahrenen oder vorhandenen Gott.
Eckarts Vorstellung von G o t t ist christlich-mystisch, weil sie nach dem Mu-
ster der Trinität artikuliert wird. Sie geht über die Dogmatik der Kirchen hin-
aus, weil G o t t dem Menschen innewohnt. Eckart löst das Rätsel Mensch, in-
dem er meint, der Mensch könne sich aus dem Wahn und den Verstrickun-
gen der Welt mit Hilfe des ihm innewohnenden Heiligen Geistes dahinge-
hend lösen, daß sich „Gottvater" in ihm erkennt. Indes ist die Transzendenz
nicht vollständig immanentisiert. D e n n Eckart erhält den Unterschied von
Diesseits und Jenseits aufrecht. Seine Mystik ist darüber hinaus an der christ-
lichen Religion orientiert, weil bei der Ablösung des Alten Testamentes durch
das Neue Testament in der Psyche des Mystikers der „ G o t t s o h n " — dieses
Dogma trennt bekanntlich beide Religionen - das J u d e n t u m überwinden m u ß
wie angeblich einst Jesus Christus. In anderen, drastischeren Worten: Wenn
Dietrich Eckart dichtet, „das Neue Testament entrang dem Alten sich, wie
sich einmal erlöst von dieser Welt dein Ich", und wenn seine Interpretation
des Neuen Testamentes in entscheidenden Hinsichten von der bisherigen In-
terpretation abweicht, dann könnte man überspitzt formulieren, daß er in den
Fragmenten eines neuen, dritten Testamentes arisch-mystischer Provenienz
dachte. Dafür spricht auch, daß er genau den mystisch-christlichen Gottes-
begriff- unter Minderung der Spannung von Diesseits und Jenseits - verwen-
det, um die Qualität des deutschen Volkes zu bestimmen. Eckarts Bewußtsein
von Gesellschaft hat einen religiösen Gehalt spezifischer Art. Aus der Per-
spektive der Distanz zu Dietrich Eckart könnte man sagen, er überträgt die
Qualität des mystisch-christlichen Gottesbegriffs auf das Kollektiv der Deut-
schen. Für Dietrich Eckart ist das aber keine Übertragung. Er ist der Auffas-
sung, daß G o t t den Deutschen im Gegensatz zu den Juden innewohnt. Was
für den kritischen Betrachter eine Substantialisierung des deutschen Volkes
ist oder eine geheimnisvolle Transsubstantiation, ist für Dietrich Eckart real.
Eckart kann Volk, wie viele zu seiner Zeit und heute auch noch, nur mit dem
Begriff des Wesens erfassen. Er verwendet den Begriff Wesen nicht im Sinne
von analytisch oder logisch notwendigen Merkmalen zum Zwecke der Zuord-
nung von Prädikaten oder der Beurteilung eines Sachverhaltes. Vielmehr wird
von einer G r u p p e von Personen behauptet, sie hätte einen Inbegriff von Ei-
genschaften, alle seien ein und dieselbe Person und hätten bleibende Qualitä-
ten. Die Gesamtheit aller Deutschen hat in diesem Sinn ein Wesen. D e m
deutschen Volk komme, im strikten Wortsinn von Identität, ein und dieselbe
Qualität zu.
80 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Dietrich Eckart verwendet keine biologischen oder sozialdarwinistischen


Termini. So wie er b e t o n t , daß man das W o r t Seele nie im Plural schreiben
dürfe, so haben auch die D e u t s c h e n eine Seele. Im Gegensatz zu der unbe-
dachten V e r w e n d u n g der W o r t e Volksseele oder deutsches Wesen hat Diet
rieh Eckart einen G r u n d , v o m deutschen Wesen oder v o m Wesen des deut-
schen Volkes zu sprechen. Das Wesen der D e u t s c h e n und des deutschen
Volkes hat sein F u n d a m e n t in Christus und in G o t t . In d e m Aufsatz „Das
J u d e n t u m in und außer u n s " ist die A n t w o r t auf die Frage enthalten, warum
die D e u t s c h e n fähig sind, das „Dritte Reich zu erfüllen". Im Kontext der Dif-
ferenz von Diesseits und Jenseits, G o t t und Satan, Christ und Antichrist, See-
le als „wahrhaft Seiendem" und Entseelung als Vernichtung definiert Eckart
deutsche Identität, die darin besteht, durch die Negation des J u d e n t u m s die
„Bestimmung, die in der Erlösung der Welt besteht, zu erfüllen". Das „Dritte
Reich" kann mithin semantisch korrekt durch „die E r l ö s u n g der Welt" sub-
stituiert werden. D a das „Dritte Reich" außerdem ein Reich der Zukunft ist,
ist zu untersuchen, o b die der Erfüllung vorausgehende Situation des Elends
und der N o t als Voraussetzung und Durchgangsstadium dem apokalyptischen
Muster v o m „Tausendjährigen Reich" entspricht.

d. P o l i t i k als R e l i g i o n s k r i e g n a c h d e m M u s t e r
der Offenbarung des J o h a n n e s

Das „Dritte Reich" der Nationalsozialisten wird auch, meist pejorativ ge-
meint, als „Tausendjähriges Reich" bezeichnet. An sich ist der Chiliasmus
oder Millenansmus mit der politischen Linken in V e r b i n d u n g gebracht wor-
den. E n t w e d e r wird mit d e m Nachweis chiliastischer Strukturen der ersatz-
religiöse Gehalt kommunistischer Ideologien kritisiert 1 0 1 , oder Anhänger pro-
gressiv linker Bewegungen der Neuzeit bejahten den Chiliasmus sozialrevo-
lutionärer Bewegungen am E n d e des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit;
in all diesen Strömungen wurde der T r a u m v o m „Tausendjährigen Reich" als
Vorläufer m o d e r n e r Utopien anerkannt. Hier aber ist im Anschluß an die bei-
den letzten Abschnitte nicht die politische Theologie der Befreiung des Vol-
kes, sondern die politische Religion der „völkischen" Ideologie von Interes-
se. E s ist die Frage zu beantworten, o b in Eckarts Bewußtsein von Zeit und
Geschichte, d e m Verhältnis von Zukunft und Gegenwart, der fundamentale
Gegensatz zwischen G o t t und Satan sowie Christ und Antichrist enthalten ist
und die W a h r n e h m u n g von „ D e u t s c h t u m " und „ J u d e n t u m " beeinflußt. Mit
anderen W o r t e n : E s ist zu überprüfen, o b das Bewußtsein von Gesellschaft
und die K o n s t i t u t i o n kollektiver Identität von apokalyptischen Apperzep-

Vgl. Norman Cohn, Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianis-
mus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern/
München 1961.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 81

t i o n s m u s t e r n abhängig sind. Auf die Offenbarung des J o h a n n e s hat sich Diet-


rich Eckart in zwei Beiträgen der Zeitschrift „Auf gut d e u t s c h " zweimal un-
mittelbar berufen, um die Revolution der Marxisten in Ungarn und der Bol-
schewiki in Rußland zu deuten. Aber schon während des Ersten Weltkrieges
hat er in seiner Tragödie „ L o r e n z a c c i o " die Sehnsucht nach einem F ü h r e r
u n d Retter unter deutlicher V e r w e n d u n g apokalyptischer Symbole und unter
B e z u g n a h m e auf Ereignisse aus der Offenbarung des J o h a n n e s , um ein der
Mystik entsprechendes Verb zu verwenden, sozusagen aus sich herausge-
drückt. Z u n ä c h s t aber ist kurz an den Inhalt und die Struktur der Offenba-
r u n g des J o h a n n e s zu erinnern. D a r a n schließt sich die Darstellung der präna-
tionalsozialistischen und nationalsozialistischen Phase an.
D e r Glaube der Christen an das K o m m e n des Tausendjähriges Reiches ge-
m ä ß dem 20. Kapitel der Offenbarung des J o h a n n e s ist nicht von der christ-
lichen Eschatologie in den Evangelien und den Briefen des Paulus zu tren-
n e n . Während die ersten Anhänger Jesu und der Apostel Paulus auch glaub-
ten, sie seien selbst am unmittelbar letzten Akt vor der Wiederauferstehung
Christi und dem damit einsetzenden Beginn des göttlichen Reiches beteiligt,
ist im letzten Teil der christlichen Bibel, also der Offenbarung des J o h a n n e s ,
vor dem ewigen Reich G o t t e s eine Zwischenzeit eingeschaltet. In der Offen-
barung des J o h a n n e s k o m m t die Wiederkehr Christi zweimal vor. D e r ersten
Wiederkehr folgt die tausendjährige Zwischenzeit, in der Christus mit den
wiederauferstandenen Märtyrern in Frieden und Glückseligkeit herrscht, weil
das Böse für tausend J a h r e g e b a n n t und gefangen ist. D e r Teufel wird nach
tausend Jahren noch einmal losgelassen, und nach dem totalen Sieg über das
Böse bricht das Heil des ewigen Reiches aus. In der Offenbarung des J o h a n -
nes wird der Dualismus zwischen Licht und Finsternis aufgelöst. G a n z gegen
die zur Zeit übliche V e r w e n d u n g v o n Apokalypse hat die Apokalyptik im
letzten Teil der christlichen Bibel kein negatives Resultat. D e r Dualismus von
Christ und Antichrist wird ü b e r w u n d e n . Das ganze gegen das Christentum
gerichtete Streben des Antichristen erreicht zwar einen H ö h e p u n k t , aber die
fundamentalen Z u s a m m e n b r ü c h e der äußeren und inneren O r d n u n g sind die
Bedingung der Wende. N o t und Elend bilden die Voraussetzung der Wieder-
erscheinung Christi. J o h a n n e s prophezeit als „ W o r t G o t t e s " (19, 9) das K o m -
men des Retters. Er sieht jemanden, der „war angetan mit einem Kleide, das
mit Blut besprengt war; und sein N a m e heißt das ,Wort G o t t e s ' . Und ihm
folgte nach das Heer im H i m m e l auf weißen Pferden [...]. U n d aus seinem
Munde ging ein scharfes Schwert, daß er damit die Heiden schlüge; und er
wird sie regieren mit eisernem Stabe [...]. U n d er hat einen N a m e n geschrie-
ben auf seinem Kleid und auf seiner Hüfte, also: ein K ö n i g aller Könige und
ein Herr aller H e r r e n " (19, 13-16).
Wenn Dietrich Eckart meint, das deutsche Wesen werde v o m „Antichrist"
gehaßt, meint er mit „Antichrist" keinen beliebigen G e g n e r des Christentums.
Der „Antichrist" (2. Brief des Paulus an die Thessalonicher 2, 3 f.; 1. Brief des
Johannes 2, 18) ist nach d e m G l a u b e n der Christen kein gewöhnlicher G e g -
82 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

ner oder Kritiker der Christen. D e n n er ist ein Feind, hinter welchem der Sa-
tan steht. Existenz und Macht des Satans bilden ein wesentliches Merkmal
der apokalyptischen Interpretation der Beziehung von Gegenwart und Zu-
kunft. In der Perspektive der christlichen Apokalyptik ist der „Antichrist" der
v o m Satan gesandte gewaltige G e g n e r der christlichen Erlösung, welcher kurz
v o r der Wiederkehr Christi die gesamte Macht des Bösen zum K a m p f gegen
die Christenheit anführt. D e r K a m p f zwischen G o t t und Satan ist in der Of-
fenbarung des J o h a n n e s ein Kampf, der im K o s m o s beginnt und auf die Erde
verlagert wird:

Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der
Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde,
und seine Engel wurden auch dahin geworfen. 102
Im 13. Kapitel wird der v o m Satan geschickte Antichrist als Tier symbolisiert,
das aus dem Meer steigt. Seine Macht empfängt es vom Drachen, dem Sym-
bol des Satans selbst:
Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht [...] Und
es ward ihm gegeben ein Mund, zu reden große Dinge und Lästerungen, [...], zur
Lästerung gegen Gott, zu lästern seinen Namen [...] Und ihm ward gegeben, zu
streiten mit den Heiligen und sie zu überwinden [...].""

V o r der Wiedererscheinung Christi versammeln sich die Anhänger Satans


z u m K a m p f gegen G o t t an einem O r t n a m e n s Harmageddon. Mit großer
poetischer Kraft wird die Ankündigung des Gerichts über Babylon geschil-
dert, der „großen H u r e [...], mit welcher gehurt haben die Könige auf Erden;
und die da w o h n e n auf E r d e n , sind trunken geworden von dem Wein ihrer
H u r e r e i " (17, 1,2). J o h a n n e s , der nicht mit d e m Evangelisten zu verwechseln
ist, sieht sie als „ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier, das war
voll N a m e n der Lästerungen und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.
Und das Weib war bekleidet mit P u r p u r und Scharlach und übergoldet mit
G o l d und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der
H a n d , voll Greuel und Unsauberkeit ihrer H u r e r e i " (17,3—4).
Exakt diese Ereignisse und Symbole machen den Inhalt des Monologs ei-
nes D o m i n i k a n e r s in der Tragödie „ L o r e n z a c c i o " aus. In der Apokalypse des
J o h a n n e s wird die Macht des Satans g e b r o c h e n . Babylon fällt (18. Kapitel),
Christus erscheint, in der g r o ß e n Messiasschlacht werden die Anhänger Sa-
tans vernichtet — „ U n d das Tier ward gegriffen und mit ihm der falsche Pro-
p h e t " —, sie werden lebendig in den „feurigen Pfuhl geworfen [...]. Und die
andern wurden erwürgt mit d e m Schwert des, der auf dem Pferde saß, das aus
seinem M u n d e ging; und alle Vögel wurden satt von ihrem Fleisch" (19, 21).
Die Gläubigen hingegen leben friedlich mit Christo für tausend Jahre.

102
Offb. 12, 9.
103
Offb. 13,2-7.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 83

In der Tragödie Dietrich Eckarts hingegen ist der M ö n c h verzweifelt. Die


Tragödie spielt im Florenz der Renaissance und betrifft den K a m p f um die
Macht innerhalb der Familie der Medici. Für uns ist aber hier nicht der Prot-
agonist Lorenzaccio, Mitglied der Familie der Medici, v o n Interesse, sondern
der Monolog des Dominikaners. D e r D o m i n i k a n e r ist verzweifelt, weil n o c h
kein Führer zu erblicken sei:
Keiner, der in Sturm und Wetter
Aufrecht ging, oh, nicht einer!
(ins Knie sinkend)
Unser Führer, unser Retter
Keiner, keiner, keiner, keiner. 104

In der Lorenzaccio-Interpretation Alfred Rosenbergs bildet der D o m i n i k a n e r


den Gegenpol zu „Ahasver" 1 0 5 . D e m D o m i n i k a n e r (Savonarola) stünde „als
Verkörperung der hemmungslosen Selbstbejahung Ahasver gegenüber: D e r
blinde Wille zum Unterjochen, Herrschen, K n e c h t e n , die Gier, alle G ü t e r die-
ser Welt in seinem Besitz zu sehen, spricht aus der Begegnung zwischen Lo-
renzo und dem Ewigen Juden. Im unersättlichen D r a n g treibt es diesen Trieb,
trotz aller Niederlagen, immer wieder an, sich Heere zu formen für seine
Weltherrschaft, gleich, mit welchen Mitteln, gleich, mit Hilfe welcher Persön-
lichkeiten." 1 0 6 Die apokalyptischen Konfigurationen im D e n k e n Dietrich
Eckarts sind im Monolog des D o m i n i k a n e r s deutlich zu erkennen, deshalb
wird er ausführlich zitiert. Die jeweilige K o n k o r d a n z zur O f f e n b a r u n g des
Johannes füge ich an markanten Stellen ein.

Will uns, dreimal weh uns allen,


Seit vom Himmel auf die Erde
Satans Stern herabgefallen,
Daß sein Reich erschlossen werde! [vgl. Offb. 12, 9; C.-E. B.]
Wie aus einem Ofen schwelen
Durch die Lande schwarze Schafe,
Und die Augen wie die Seelen
Leiden unheilbaren Schaden.
Tausende von Skorpionen
Kriechen in dem Rauch der Lüge,
Auf den Häuptern goldne Kronen
Menschenähnlich ihre Züge.
Wen sie in die Ferse stechen,
Der krankt an Herz und Hirne
Und wird Gottes Siegel brechen
Aus dem Reifen seiner Stirne.
Wehe diesem Volk der Spötter!

104
Dietrich Eckart, Lorenzaccio, Tragödie in fünf Aufzügen, München 1918, S. 24.
105
Vgl. Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 45.
106
Ebd.
84 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Schamlos wie sie selber brüsten


Ihre Erz- und Marmorgötter
Sich mit todesmut'gen Lüsten, [vgl. Offb. 12 ff.; C.-E. B.]
Siebenköpfig aus der Lache
Ist das Tier heraufgestiegen,
Und ihm gab der alte Drache
Kraft, die Einfalt zu besiegen,
Gab ihm aller Völker Zungen,
Daß er rede große Dinge
Und mit schlauen Lästerungen
Zweifach seine Opfer finge, [vgl. Offb. 13, 1-7; C.-E. B.]
Höher uns! Auf seinem Kamme
Thront Baalit die große Hure,
Rot das Haar wie eine Flamme,
Augen ... im Azore.
Ihre Brüste Goldopale
Schimmern aus dem Scharlachmantel!
Also hält sie eine Schale
Mit dem Safte der Tarantel.
Trink, du Rasender, und keuche
Tanzend in der Todesstraße! [vgl. Offb. 17, 1-4; C.-E. B.]
Heilung wird dir von der Seuche
Nicht einmal im letzten Schlafe.
Wer, Wille, dreimal Wille!
Nirgends Rettung vor dem Falle!
Fleischeslust, wohin ich sehe!
Teufelsdiener, alle!
Keiner, der aus Gottes Odem
Ströme reinen Lebens schlürfte,
Daß ewig noch in dem Brodem
Treu und wahrhaft nennen dürfte!
Keiner, der zum Opfer trüge
Gnadenreich die Frucht der Sünden
Der die geilen Reben schlüge,
Bis im Blut die Fähre stünden!
Keiner, der den Stolz zu beugen
Heldenhaft die Schleuder schwänge
Und die steingewordnen Zeugen
Unsrer Schmach zu Boden zwänge!
Keiner, der in Sturm und Wetter
Aufrecht ginge, oh, nicht einer!
(ins Knie sinkend)
Unser Führer, unser Retter
Keiner, keiner, keiner, keiner!"107
Es ist kein Wunder, daß Dietrich Eckart während seiner politischen Aktivität
für die Nationalsozialisten ganz entschieden zur Entstehung des Führerkulte;

Dietrich Eckart, Lorenzaccio. Tragödie in fünf Aufzügen, München 1918.


Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 85

beigetragen hat. 1 0 8 Sein Glaube an das Charisma Hitlers läßt sich in seiner Ly
rik treffend nachweisen. Darauf ist in dem Kapitel über den Führerkult be
sonders einzugehen. 1 0 9 G e h t es in Eckarts Tragödie dem Dominikaner als
Protagonisten der Apokalyptik um die Rettung von Florenz, so geht es Eckart
selbst um die Rettung der Welt durch das „deutsche Wesen". In seiner ideo
logischen Prosa hat sich Eckart direkt auf seine Quelle, nämlich die Offenba
rung des J o h a n n e s , berufen. Dabei geht es jedesmal um die Interpretation
kommunistischer Revolutionen. D e r Text, der mit den Worten beginnt „Sie
benköpfig aus der Lache [...]" aus der Tragödie „Lorenzaccio" stellt den
Schlußteil einer antisemitischen Schmähschrift über die ungarische Revolu
tion dar. Eckarts K o m m e n t a r zur Räterepublik in Ungarn, 1919 in einer Son
d e r n u m m e r der Zeitschrift „Auf gut deutsch" mit dem Titel „Aus Ungarns
Schreckenstagen" erschienen, ist in Versen verfaßt. Diese stehen neben den
Karikaturen von neunundzwanzig führenden Revolutionären. N e b e n jeder
Karikatur steht ein Vierzeiler von Eckart. Das Titelblatt stellt Bela Kun, den
führenden ungarischen Revolutionär, dar.

Bela Kun
Diktator
Nur schauen, schauen! Mehr tut hier nicht not,
Um klar zu machen, was auch uns bedroht!
Es ist zuzugeben, daß es mir schwerfällt, mich notwendigerweise Versen wie
folgenden aussetzen zu müssen, um mehr über die repräsentativen
ren eines „deutschen Dichters" zu erfahren, dem immerhin „Mein K a m p f
gewidmet ist und der zu den Gründungsvätern der Nationalsozialistischen
Bewegung gehört:
Seht Ihr's denn nicht! Fühlt Ihr's denn nicht?
Schreien's denn nicht schon die Steine?
Der Jude ist los! Über Leben und Licht
Entfesselt stürzt das Gemeine.
Auf tat sich die alte die teuflische Macht,
Voll Lüge und List,
Und die Hölle lacht,
Und der Antichrist [...]
,Alle Völker sollt ihr fressen',
Dieses freche Bibelwort,
Keinen Augenblick vergessen,
Wirfst es auch noch heute fort.
Mit dem Zins hat's angefangen,
Mit dem Zins begann die Fron;
Nun erfüllt sich das Verlangen,
Judas' nach dem Weltenthron.

Vgl. Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler, S. 76 f.


Vgl. Kap. B.II.3 dieses Buches.
86 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Der Arbeiter aber, statt zu fragen,


Warum sie vom Wuchergeld nichts sagen,
Nie eine Silbe, nie einen Laut,
Vertraut ihnen, wie man Gott vertraut.
Wird doch in ihm seit fünfzig Jahr'
Nur Haß geschürt und Volksverrat;
Und ob Lasalle, ob Marx es war,
Ein Jude war es, der es tat!
Dann endlich ist die Zeit gekommen,
Die Moses seinem Volk versprach,
Dann wird die Peitsche vorgenommen,
Und nirgends Rettung vor der Schmach.

Die Töchter aber, Kinder, Bräute,


Verdorben bis ins Mark hinein:
Des Wüstenvolkes schnelle Beute
Schluckt sie zuletzt die Gosse ein.
Seht Ihr's denn nicht? Fühlt Ihr's denn nicht?
Ihr müßt erschauern!
Erkennt Ihr denn nicht in jedem Gesicht
Das teuflische Lauern?
Den höhnischen Zug um Augen und Mund;
Die Herzen wie ein Stein!
Kain!
Und mit ihnen im Bund?
Hunderte von Christen fielen
Ihrer Wut zum Opfer, glaubt es!
Alle Foltern ließ man spielen -
Adonais Gesetz erlaubt es.
Halbverhungert wurden Männer
Regelrecht ans Kreuz geschlagen,
Eine Spielart nur für Kenner,
Atavistisch sozusagen.
Andern zog man bloß die Zunge
Aufwärts unter Leibeskräften,
Um sie nach verweg'nem Schwünge
An der Stirne festzuheften.

Manchen wurden kleine Klötze


In das Nagelfleisch getrieben,
Wie's vielleicht der alte Götze
Ebenfalls schon vorgeschrieben.
Anderen quetschte man gelassen
Aus dem Rund die Augensterne,
Witzelnd, daß man solchermaßen
Auch die Pfirsiche entkerne.
Lauter Übungen der alten,
Wohlerprobten Schächterweise -
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 87

Mag wer will die Hände falten,


Mir dreht alles sich im Kreise!
Schuft - ein jeglicher der Christen
Der noch so von Liebe schmachtet,
Daß er selbst im Bolschewisten
Noch den ,Gott' zu ehren trachtet.
N e b e n den letzten fünf ungarischen Revolutionären stehen die Verse, die
Dietrich Eckart bereits in der Tragödie „Lorenzaccio" als Ausdruck der Füh-
rersehnsucht verwendet hat. An dieser Stelle finden wir einen ausdrücklichen
Hinweis auf die Offenbarung des Johannes mit dem Aufruf zum Kampf und
mit der Sicherheit k o m m e n d e r „Wende". Dietrich Eckarts K o m m e n t a r zu
d e n karikaturhaft verzerrten Porträts ungarischer Funktionäre lautet nun-
mehr:

Ja, das Tier, das unheilträchtig


Christ und Menschentum befehdet,
Wenn es, aller Sprachen mächtig,
Seine großen Töne redet.
Also offenbart sich heute
Des Johannes Prophezeiung;
Und das nennen viele Leute -
Soll man's glauben! - Volksbefreiung!
Dieb und Mörder - ist das Ende,
Ist der Anfang dieses Bundes.
Auf zum Kampf! Es naht die Wende!
Tod den Schurken auch bei uns!

Die apokalyptische Struktur ist offenkundig. Die Sicherheit der nahen „Wen-
d e " bedeutet, daß die positiven Momente der Prophezeiung des Johannes,
nämlich die Erlösung vom Bösen im Tausendjährigen Reich (vgl. Kapitel 20
der Offb.) unmittelbar bevorstehen. Auch bei Dietrich Eckart leiten Elend
u n d N o t der Gegenwart die Wende ein. Die „teuflische Macht" des „Anti-
christ" determiniert die Handlungen aller Juden - „Der Jude ist los!" Deshalb
sind die Juden Mörder und handeln nach dem Motto „Alle Völker sollt ihr
fressen". Weil die Juden die Verkörperung des Antichristen sind, besteht für
Dietrich Eckart auch kein Widerspruch darin, daß sie sowohl den Kapitalis-
mus als auch den Marxismus-Kommunismus determinieren. Wie in dem Auf-
satz „Das J u d e n t u m in und außer u n s " und damit gemäß der Ziffer 24 des
Parteiprogramms der N S D A P streben die Juden nach der Beherrschung der
Welt mit dem Mittel der Vernichtung. Auffällig ist, daß die Konstellation
C h r i s t - A n t i c h r i s t andere Klassifizierungen politischer Gegnerschaft über-
formt. Nach Dietrich Eckart besteht die maßgebende Intention der Marxisten
nicht darin, die Bourgeoisie und deren Knechte zu eliminieren, sondern die
Christen zu ermorden; für ihn sind es primär Christen, die „regelrecht ans
Kreuz geschlagen" werden. Damit reiht sich Dietrich Eckart in diejenige
88 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

christliche Tradition ein, in der das jüdische Volk als das „Gottesmördervolk"
gilt. Eckarts „Poesie" des Schreckens reicht zwar nicht an die der Offenba-
rung des Johannes heran, es ist aber immerhin erstaunlich, was ihm an sadi-
stischen Bildern, in der Obsession, bedroht zu sein, so einfällt. Die Juden er-
halten ihre Macht, ihre Gewalt des Mordens und des Lügens von der überir-
dischen Macht des Bösen. Der aus der Lache herausgestiegene Drache ver-
leiht den Juden die Fähigkeit zu lügen und zu betrügen. Nach dem Wahrneh-
mungsmuster Eckarts ermorden die Bolschewiki nicht den Klassenfeind oder
die Gegner der Revolution; vielmehr verfolgt „der J u d e " „Christ und Men-
schentum". Vom Anfang des geheimnisvollen Auftauchens „des J u d e n " bis
zur „ W e n d e " besteht der Bund zwischen Satan und dem Judentum. Die Wen-
de kann nur durch das Ende, das Ende aller Juden, herbeigeführt werden:
„Tod den Schurken auch bei uns!"
Eckarts Deutung der russischen Oktoberrevolution ist nun mit dem Pam-
phlet „Die Totengräber Rußlands" 1 zu dokumentieren. Das Pamphlet be-
steht aus einunddreißig Karikaturen. Zu jeder Karikatur dichtete Eckart rohe
Verse. In allen Karikaturen werden die Vertreter der Revolution sowohl als
Bolschewiki als auch als Juden stigmatisiert. Meist wird ihrem russischen Na-
men ein deutscher - das heißt also ein jüdischer - N a m e angehängt: z. B. Si-
nowjew-Apfelbaum, Leiba Trotzky-Braunstein, Kamkov-Kalt, Wolodarsky-
Cohen, Martow-Zederbaum, Kamenew-Rosenfeld. Dieses Machwerk aller-
übelster Sorte wurde mit einem Beitrag Alfred Rosenbergs unter dem Titel
„Der jüdische Bolschewismus" eingeleitet. In dieser Einleitung heißt es:

Wer Rußland kennt und die Möglichkeit hatte, alle Phasen der Revolution zu be-
obachten, der wird zwar zugeben, daß die anarchistischen Triebe des russischen
Volkes vielleicht auch den Gang über die Mitte hinweg erzwungen hätten, aber
ebenso sicher ist es, daß nie und nimmer heute ein solch systematisches Ausrot-
tungssystem alles Wurzelstarken, ein solch fanatisches Vernichtungsinstrument ge-
schaffen sein würde, wenn sich nicht jenes Element an die Spitze der Anarchie ge-
schwungen hätte, das, durch die Jahrtausende sich gleichbleibend, immer die Ver-
körperung der hemmungslosen, unersättlichen Gier, Grausamkeit und Skrupello-
sigkeit gewesen ist: der Jude.

Rosenberg stellt eine eindeutige Zweck-Mittel-Relation zwischen dem Bol-


schewismus und der Macht der Juden her:
Daß der Bolschewismus nur Mittel, nicht Ziel ist, weiß jeder, der die jüdische Po-
litik durchschaut hat: Mittel zur Ausrottung alles Wurzelstarken, zur Entsittlichung
der Völker, zur Vernichtung der nationalen Wirtschaft, um sie später auf ,legale
Weise' für ein Butterbrot zu erwerben.
Rosenberg prophezeit, daß „die hebräischen Meuchelmörder auch in Rußland
ihrem Schicksal nicht entgehen werden", nämlich dem „Strafgericht":

Dietrich Eckart, Die Totengräber Rußlands. Zeichnungen von Otto von Kurseil, Verse
von Dietrich Eckart, München 1921 (im folgenden kurz: Dietrich Eckhart, Die Totengrä-
ber Rußlands).
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 89

Das Strafgericht des russischen Volkes wird keinen Juden mehr in Rußland dulden.
Beschlossen aber wird der Artikel mit einem Aufruf an das deutsche Volk:
Nie wirst Du Dein Leben ruhig ausbauen können, wenn die zerstörerischen Bazil-
len in Deinem Blute kreisen. Erblicke den Abgrund, dem man Dich zuführt und -
rette Dich." 1
Die Serie der Karikaturen mit den danebenstehenden Versen beginnt Eckart
mit dem stigmatisierenden Porträt „Sinowjew-Apfelbaum, Gouverneur von
Petersburg, Vorsitzender der Exekutive der 3. Internationale", unter dem fol-
gender Vierzeiler steht:
Rund zweieinhalb Millionen barg
Die Hauptstadt vor dem grauenhaften Morden;
Durch Judas Rache ist ein Riesensarg
Mit zwei Millionen Toten draus geworden.
Unter dem verzerrten Porträt des späteren Opfers Stalins, nämlich „Leiba
Trotzky-Braunstein, Kriegs- und Marinekommissar, der eigentliche Diktator
Rußlands", heißt es:
Ist das ein Mensch? Ein Teufel? Tretet näher.
Ein Basilisk? Ein toll gewordner Faun?
Sagt alles nur in allem: Ein Hebräer -
Ihr werdet seinesgleichen oft noch schaun.

Interessant ist auch die W a h r n e h m u n g Lenins. Sogar er wird zum „Juden"


gemacht:
Lenin = Uljanow
Vorsitzender des Rates der Volkskommissare, halbtalmudischer Herkunft.
Seine Frau ist Jüdin, in der Familie wird jiddisch gesprochen und sein Ge-
sicht?!
Trotzdem soll er kein Jude sein.
Nicht unseres Blutes! Israel, zum Lachen!
Als gälte nicht das Christuswort auch hier:
Ihr zieht umher, Genossen euch zu machen,
Die sind dann zehnmal schlimmer noch als ihr!

Für Dietrich Eckart sind fast alle führenden Bolschewiken Juden. Sie sind
Mörder und Lügner, weil sie des Satans sind. Dies mögen folgende Beispiele
dokumentieren:
Kamenew-Rosenfeld
Delegierter in Brest-Litowsk
Von weltlicher Kultur bereits beleckt,
Macht er den Eindruck der Beschaulichkeit;

Alfred Rosenberg, Der jüdische Bolschewismus, in: Dietrich Eckart, Die Totengräber
Rußlands, S. 3, 5.
90 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Seht hinter seine Gläser, Ihr entdeckt


Den Sohn der Wüste lauern, mordbereit.
K. Radek = Sobelsohn
Berüchtigter Sowjetagent, zumeist in Berlin.
Radek oder Kradek, schnell gelesen,
(Was „Dieb" heißt) nannte er sich schamlos schlau;
Ein solcher ist er denn auch stets gewesen.
Und doch - wie kommts? - betreut ihn Rathenau.
Jankel Jurowsky
Mörder der Zarenfamilie, Jude.
Nach Qualen, wie vom Satan selbst erdacht,
Erlag der Zar der Blutgier dieses Hundes,
Erlag die Unschuld ihr in einer Macht,
Und ringsrum jubelte das Volk des ,Bundes'.
Vigdor Kopp
Lange Zeit Sowjetvertreter in Berlin.
Erzberger selig schwärmte sehr für ihn,
Und arg vermutlich war das Abschiedsweh;
Ein Extraspäßchen hatte in Berlin
An seiner offnen Hand die K.P.D. 112
Die Deutung der russischen Oktoberrevolution nach dem Muster der Offen-
barung des Johannes wird eindeutig in dem Aufsatz „Die Schlacht auf den
Katalaunischen Feldern" vorgenommen. In diesem Aufsatz wird auch der
Bezug zwischen „Deutschtum und J u d e n t u m " hergestellt. Von der D e u t u n g
der „Schlacht auf den Katalaunischen Feldern" ausgehend, interpretiert Diet-
rich Eckart zunächst die Ereignisse in Rußland. Universal, nämlich das ganze
Universum betreffend, ist an der Interpretation dieser Schlacht die Behaup-
tung, diese sei als Kampf „zwischen Licht und Finsternis" zu beurteilen.
Schon in den ersten zwei Absätzen des Aufsatzes heißt es:
Anno 451. Die Ebene bei Troves im heutigen Nordfrankreich. Übersät von den
Reiterscharen des Hunnenkönigs Attila, der ,Gottesgeißel'. Asiens Nomadenvöl-
ker, aus dem russischen Dongebiet hervorgebrochen, im Ansturm auf das letzte
Bollwerk des grauenhaft verwüsteten Abendlandes [...]. So rasend das Gemetzel,
daß wie die Märe kündet, der Erschlagenen Geister noch in den Lüften miteinan-
der weiter kämpften. Zwischen Licht und Finsternis die Entscheidungsschlacht.
Und Attila floh zurück in die pannonische Steppe. Gerettet das Abendland.

Im dritten Abschnitt kommt Dietrich Eckart zur Sache, das heißt zur Gegen-
wart. Er zitiert die Apokalypse des Johannes unmittelbar und deutet sie um:
Anno 1919. Was wird geschehen? Wer Ohren hat, zu hören, hört es kommen. Das
rollende Rad der Weltgeschichte. Schon dröhnt es heran an Polens zerklüftete
Mauer. Und wieder ist es das russische Chaos. Gepeitscht von einer anderen Got-
tesgeißel, dem .listigen Fürsten dieser Welt'. Von Aschmedai, dem Verderber. Von
Israels Rachegeist.

112
Dietrich Eckart, Die Totengräber Rußlands, S. 6 f.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 91

,Und ich sah, und siehe ein fahles Pferd, und der darauf saß, des Name hieß Tod,
und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben, zu tödten das vier-
te Theil auf der Erde, mit dem Schwert und Hunger, und mit dem Tod, und durch
die Thiere auf Erden (Offenb. d. Joh., 6,8.)'.
Durch die Tiere auf Erden. Durch die vertierten Waffen des russischen Volkes. So
und nicht anders steht es da drüben. 113
Dietrich Eckart kann die Macht der Marxisten in Rußland nur als Ausdruck
der Macht der Juden begreifen. Er glaubt, daß „in Rußlands Hauptstadt der
jüdische Weltmachtsgedanke in seiner ganzen Raserei verbrecherisch wider
den Himmel fährt". Anschließend leitet Eckart auf den auf die Deutschen zu-
k o m m e n d e n Fundamentalkonflikt über:
Die Entscheidungsstunde ist gekommen; ^wischen Sein und Schein, tgvischen
tum und Judentum, ^wischen dem All und dem Nichts, zwischen Wahrheit und Lüge,
zwischen Innen und Außen, zwischen Recht und Willkür, zwischen Sinn und
Wahnwitz, zwischen Güte und Mord hat die Menschheit abermals die Wahl.114
Bei der hier behaupteten fundamentalen Konfrontation zwischen Sein, All,
Wahrheit, Innen, Recht, Sinn und G ü t e (Deutschtum) einerseits und Schein,
Nichts, Lüge, Außen, Willkür, Wahnwitz und Mord (Judentum) andererseits
wird die christliche Religion nicht erwähnt. Indes führt Dietrich Eckart eini-
ge Seiten weiter, bei der Charakterisierung der revolutionären Zustände in
Rußland, aus:
Wer's noch nicht wußte, der weiß es jetzt: eine regelrechte Christenverfolgung,
nach alttestamentarischer Schächterweise, rituell noch im Blutrausch. Und von sol-
chen - mein Gott, wie soll man sie nennen? Bestien, damit etwas gesagt sei — von
solchen Bestien erwartet man in Deutschland - o, ich weiß nicht mehr, was man in
Deutschland von ihnen erwartet! Mein eigener Vers dröhnt mir durch Ohr und
Herz und jeden Nerv:
Sturm, Sturm, Sturm
läuten die Glocken von Turm zu Turm [ . . . ] . *
Dietrich Eckart ist mithin von der Überzeugung besessen, nicht die Abschaf-
fung des Privateigentums durch die Kommunisten, sondern die Verfolgung
der Christen durch die Juden sei das eigentliche Ziel der Revolution in Ruß-
land. Die Behauptung, die Christenheit werde durch die Juden bedroht, ist
aus historischer Perspektive als Inversion zu beurteilen. Für Dietrich Eckart
indes gilt:
Der fürchterliche Haß schon gegen ein bloßes Bild Christi im Bereich der Juden-
literatur versteht sich für jeden, der nur ein paar einschlägige Seiten im Talmud ge-

1,3
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 9/10 (1919), S. 81 f.
114
Ebd., S. 86, [Hervorhebung C.-E. B.].
115
Ebd., S. 90.
92 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

lesen hat, von selbst. Wie es in einer solchen Gegend den christlichen Seelsorgern
geht, bedürfte eigentlich keiner besonderen Schilderung mehr. 116
So ist es auch nicht verwunderlich, daß nicht Lenin, sondern der Jude Trotzki
samt Helfershelfern den Versuch unternehme, die Innenpolitik des deutschen
Reiches zu beeinflussen:
Kein anderes Mittel gibt es, als mit einem Schlag ganze Arbeit zu verrichten. Die
Juden lassen im Reich nichts unversucht, ihrem Trotzki den Weg zu bereiten. Nur
ein Beispiel: Vor wenigen Tagen wurde in dem Berliner Hotel ,FürstenhoP der rus-
sische Jude Kupferstoch verhaftet. In seinen Koffern hatte er Zaren- bzw. Duma-
Noten im Werte von fünf Millionen Rubel und ganze Ballen bolschewistischer Pro-
pagandaschriften. Nach einigen Stunden wurde er aber auf Anordnung des Regie-
rungsrates Hennig mitsamt seinem Geld und Hetzapparat wieder freigelassen, weil
gegen ihn ,nichts vorlag'. Vielleicht versteht man den Grund, wenn man erfährt,
daß der Herr Regierungsrat ein Schwiegersohn des berühmten Herrn Sklarz ist.
Mehr brauchte es nicht, um die ganze hohe Politik unserer Zeit in ihren geheim-
sten Fäden zu durchschauen. 117

Selbstverständlich fühlt sich Dietrich Eckart durch den „Bolschewismus" be-


droht. Aber er faßt die Bedrohung als eine kosmische Bedrohung auf. Mar-
xismus respektive Bolschewismus haben für Dietrich Eckart mithin nur eine
der antijudaisch-satanologischen Apokalyptik untergeordnete Funktion. Die
Macht der Marxisten ist für ihn eine abgeleitete Macht. Die Marxisten seien
vom „ J u d e n " beherrscht. Alle Juden wiederum aber unterlägen der universa-
len Macht des Bösen.
Die Komplementärbeziehung zwischen D e u t s c h t u m und J u d e n t u m ist das
Ergebnis einer Subsumption unter das Modell des Verhältnisses „Christ" und
„Antichrist". D e r Konflikt zwischen „Christ" und „Antichrist" ist für Eckart
so fundamental, daß er damit Politik als Krieg und den Weltkrieg als Religi-
onskrieg interpretiert. In dem Aufsatz „ I m m e r lächeln, und doch ein Schur-
ke!", dessen Thema die Politik Amerikas und das Friedensprogramm v o n Wil-
son ist, ist Eckart der Überzeugung, daß der Weltkrieg ein Religionskrieg ge-
wesen sei; und zwar ein Krieg zwischen „Christ" und „Antichrist":
Dieser Krieg war ein Religionskrieg, damit man endlich klar sehe! Ein Krieg zwi-
schen Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Christ und Antichrist!118
Da Eckart die dem Krieg zugrundeliegenden Ursachen substantialisiert, ist
dieser Krieg noch nicht vorbei. Er ist daher ein K a m p f bis zur Vernichtung
einer der beiden an ihm beteiligten Mächte:
Wenn das Licht mit der Finsternis zusammenprallt, gibt es kein Paktieren! Da gibt
es nur Kampf auf Leben und Tod, bis zur Vernichtung des einen oder anderen

116
Ebd., S. 91.
1,7
Ebd., S. 95.
118
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 6, 1919, S. 23, sowie Heft 2, 1919, S. 20 f.
[Hervorhebung C.-E. B.].
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 93

Teils. Und deshalb ist der Weltkrieg nur scheinbar zu Ende; ja, wir stehen jetzt är-
ger darin, als je zuvor, trotzdem die Waffen ruhn. Nur die grenzenloseste Einfalt
oder die niederträchtigste Verlogenheit kann behaupten: wenn das und das nicht
geschehen wäre, hätten wir die Amerikaner von uns abgehalten! Derselbe Schwin-
del, den die Herren Eisner und Konsorten noch immer breitzutreten wagen.119

W e n n Dietrich Eckart zum K a m p f und zur Tat gegen die Juden auffordert,
d a n n ist die Vernichtung der J u d e n die Konsequenz völkischer Identität,
nämlich der Bestimmung des deutschen Volkes, das „Dritte Reich" und die
Bedingungen der zukünftigen Erlösung zu erfüllen.

e. Z u s a m m e n f a s s u n g :
Z u m Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n Mystik u n d A p o k a l y p t i k

Dietrich Eckart macht keine Aussagen über Regierungssystem, Staatsform


u n d verfassungsrechtlichen Status des „Dritten Reiches". Das „Dritte Reich"
hat die Qualität zukünftiger Erlösung und damit die des Endes aller Politik im
strikt klassischen Sinn. D e r politische Gehalt der Konzeption vom „Dritten
Reich" resultiert aus dem Weg zur Lösung aller politischen Konflikte. Der
Weg ist der Krieg, und die Wahrheit des Krieges ist der Religionskrieg. D e r
Religionskrieg hat wiederum politische Dimensionen. Er ist ein Kampf fun-
damentaler Art mit dem Ergebnis der Endlösung. Politische Ereignisse sind
nach Dietrich Eckart bestimmt vom Kampf überirdischer Mächte, dem
K a m p f zwischen Licht und Finsternis sowie zwischen G o t t und Satan. Der
Sieg über das Böse besteht nicht in der Wandlung der Bösen zum Guten, son-
dern geschieht durch deren Vernichtung. Die politische Implikation det Reli-
gion Eckarts besteht weiterhin darin, daß, anders als in der traditionellen
christlichen Eschatologie, die Menschen nicht mehr bloß Objekt überirdi-
scher Mächte, sondern Subjekte der Erlösung sind. Im Hinblick auf die Macht
des Subjekts denkt Eckart trotz seiner kruden Rückkehr zu der archaischen
Apokalyptik des Neuen Testamentes in den Wahrnehmungsmustern der Mo-
derne. Eckart ist weiterhin deshalb modern, weil er die Macht des Volkes aus
seinet Konzeption nicht ausschließt. D e n n ganz gegen die christlich-aristo-
kratische Tradition ist das Volk auch Subjekt von Geschichte. Aber nur das
deutsche Volk ist der kollektive Akteur des Heils. Politische Ereignis folgen
sind für ihn Heilsgeschehen. N u r das deutsche Volk ist Subjekt und Objekt
des Heils; ein Heil der Deutschen wird für die Deutschen und nur durch die
Deutschen herbeigeführt. Das deutsche Volk ist ecclesia politica und ecclesia mi-
litans. Für Dietrich Eckart existiert ein Fundament der Fähigkeit, das „dritte
Reich" und seine Bestimmung der Erlösung zu erfüllen. Er glaubt an eine
besondere Verbindung zwischen G o t t und dem deutschen Volk. Diese Ver-
bindung wiederum ermöglicht es ihm, Volk und damit alle Deutschen als We-

119
Ebd., S. 84.
94 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

sen aufzufassen. Um zu spezifizieren, was Eckart unter Verbindung gemeint


hat, soll der Unterschied zu einer ähnlichen Art, Verbindung zu denken, her-
ausgestellt werden. Die Verbindung zwischen Volk und G o t t kann zum Bei-
spiel als zeitweilige Hilfe oder G n a d e des überirdischen und von den Men-
schen prinzipiell unterschiedenen Gottes verstanden werden. Möglich ist es
auch, wie in der jüdischen Religion, die Verbindung als Bund im Sinne eines
Vertrages mit dem Ewigen zu verstehen. Bei diesen Vorstellungen — oder bes-
ser gesagt diesem Glauben - bleibt G o t t G o t t und Mensch Mensch. Dies ist
bei Eckart nicht der Fall. Er glaubt zwischen d e m deutschen Volk und G o t t
bestehe eine Verbindung durch Konsubstantialität. Das deutsche Volk ist p o -
pulus Dei, weil G o t t nach Eckart im deutschen Volk real präsent ist. E r ent-
wickelt die Qualität der Deutschen aus der Identität von G o t t und Seele so-
wie Seele und Deutschtum. Dabei glaubt er an die Transformation der Quali-
tät Christi auf die Deutschen. Alle Deutschen werden zu einem Wesen, weil
Christus in ihnen zu Gast ist. Alle einzelnen D e u t s c h e n werden zu einem We-
sen verbunden, weil sie eine gemeinsame göttliche Seele haben. Genauer ge-
sagt: Sie sind Produkt dieser Seele. Gemeinsame Sprache, Kultur, Recht oder
Geschichte sind das Ergebnis der Existenz dieser Seele. D a ß jeder einzelne
Deutsche mit allen anderen zu einem Wesen v e r b u n d e n ist, daß Gesellschaft
nicht heterogen, sondern homogen ist, daß dem Kollektiv Identität als Prädi-
kat zukommt, hat mithin ein Fundament in G o t t . Auf diese Weise wird die
historische Kontinuität kollektiver Identität spekulativ abgesichert. Jeder
Deutsche nimmt am unsterblichen Kollektiv wie an einer identischen Sub-
stanz teil.
Diese Spekulation ist im Z u s a m m e n h a n g mit der apokalyptischen Antizi-
pation der Zukunft zu betrachten. Der Grund für die Überzeugung, Sieg und
Heil in der Zukunft überhaupt verwirklichen zu k ö n n e n , beruht auf dem
Glauben, jeder Deutsche nehme an einer göttlichen Substanz teil. Mit ande-
ren Worten: Erst vor diesem Hintergrund wird plausibel, warum der Unsinn,
die Zukunft sei durch Sieg und Heil qualifiziert — und dieser Zustand könne
sogar durch die Deutschen herbeigeführt werden —, geglaubt werden kann.
Meiner Überzeugung nach besteht also ein Z u s a m m e n h a n g zwischen der völ-
kischen Apokalyptik und dem mystischen Muster der Gottesvorstellung
Eckarts. Betrachtet man beide Positionen als voneinander getrennte Auffas-
sungen, dann ist es zunächst plausibel, daß Eckart gegenüber dem apokalyp-
tischen Denken wegen seines mystischen Gottesbegriffes keine kritische Di-
stanz einnehmen konnte. Eckart ist kein Metaphysiker, denn G o t t als das
Maß aller Dinge und das Maß aller Urteile ist in ihm selbst. Was im Hinblick
auf die psychische Struktur als Manifestation von O m n i p o t e n z p h a n t a s i e n und
G r ö ß e n w a h n bezeichnet werden kann, ist auch im Hinblick auf die rationalen
Bedingungen des Erkennens zu betrachten. Für Eckart gibt es keinen Unter-
schied zwischen Denken und Sein, die D e u t s c h e n haben eine unsterbliche
Seele, weil ihnen die Unsterblichkeit der Seele b e w u ß t ist, und sie ist ihnen
bewußt, weil G o t t in ihnen ist. Im Hinblick auf die logische Qualität seiner
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 95

A u s s a g e n führt das dazu, daß Objekt und Metaebene v o n Aussagen nicht


v o n e i n a n d e r getrennt werden. Eckart kann Kausalität nur so denken, als o b
objektive Kausalverläufe auf ihn als G o t t zugeschnitten sind. Bedingung und
Folge sowie Ursache und Wirkung sind um ihn als G o t t und Mensch zugleich
zentriert. Eckart hat sozusagen die Kopernikanische Wende noch nicht be-
griffen und meint, die S o n n e drehe sich um ihn. Das selbstbezügliche Bestim-
m e n der Kausalität und die Konsubstantialität von Mensch und G o t t bedin-
gen einander. Möglicherweise ist sogar, im Prozeß der Ideologiebildung, die
A n n a h m e einer a priori im deutschen Volk enthaltenen identischen Seele -
das F u n d a m e n t für die K o h ä r e n z der empirischen Vielheit — vom mystischen
Gottesbegriff her entwickelt worden. Zeitlich jedenfalls geht die christlich-
göttliche Selbstreferenz des Mystikers dem Bewußtsein von Gesellschaft und
Geschichte voraus. Jedenfalls korrespondieren beide Komplexe — der G o t t in
uns u n d das apokalyptische Muster - auch noch während seiner Zeit als
Schriftleiter des „Völkischen Beobachters". Die im Begriffsfeld vom „Dritten
Reich" enthaltene A n n a h m e über die Qualität von Gesellschaft und G e -
schichte ist aber nicht nur in der Relation von G o t t und Christus zum deut-
schen Volk zu definieren. In den nunmehr abschließenden Bemerkungen ist
das M o m e n t der Negation bzw. das Verhältnis von Innen und Außen noch-
mals hervorzuheben. So fruchtbar die Substanzmystik für die daraus entsprin-
gende Identität der D e u t s c h e n auch sein mag, so furchtbar ist sie auch.
H a b e n die Deutschen eine göttliche Seele und ist Politik ein Kampf zwi-
schen Licht und Finsternis sowie G o t t und Satan, dann müssen die Deut-
schen, um das „Dritte Reich" zu erfüllen, in eine spezifische Beziehung zur
überirdischen Macht des Bösen geraten. Nicht nur das eigene Kollektiv m u ß
in einer spezifischen V e r b i n d u n g zu überirdischen Mächten stehen, sondern
die überirdischen Gegenkräfte müssen auch ihr Volk haben. Die anderen
bzw. die nicht zum d e u t s c h e n Kollektiv gehörenden Gesellschaften geraten
in die Beziehung zum Bösen. W a r u m aber sind es gerade die Juden und nicht
die Mitglieder irgendeiner anderen Religions- und Abstammungsgemein-
schaft? Dies folgt meiner Ü b e r z e u g u n g nach daraus, daß bei Eckart die Kon-
stitution religiös bestimmter Kollektivität in der Umdeutung der christlichen
Religion vollzogen w u r d e , o h n e Christologie somit nicht denkbar ist. Die
Christen glauben, daß G o t t in Christus und Christus in der christlichen Ge-
meinde präsent ist. Sie glauben, n u n m e h r das Volk Gottes zu sein, und nen-
nen ihr Glaubensbekenntnis im Gegensatz zur Glaubensgrundlage der Juden
„Neues Testament". I n d e m Eckart die reine Transzendenz Gottes ablehnt
und die Vorstellung der Einheit von G o t t und Mensch auf das deutsche Volk
überträgt, spekuliert er n u r konsequent, wenn er die Juden aus der Verbin-
dung zu menschlichen Kollektiven ausgrenzt. Die Juden werden in das Ver-
hältnis zu G o t t und Satan einbezogen. Weil Christus im deutschen Wesen
präsent ist und Jesus nach Eckart das J u d e n t u m überwunden hat, müssen die
Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft und nicht irgendwelche anderen Mit-
glieder eines x-beliebig anderen Kollektivs die komplementäre Funktion er-
96 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

füllen, die überirdische Macht des Bösen — Satan, Mephisto oder Teufel als
Gegenkraft zu G o t t - zu verkörpern. Alle J u d e n haben dieselben Eigenschaf-
ten, insofern sie durch die Macht des Bösen prädestiniert sind. Weil in der
W a h r n e h m u n g v o n Welt die J u d e n v o n der überirdischen Macht des Bösen
bestimmt werden, ist es semantisch konsequent, den Kollektivsingular „der
J u d e " zu gebrauchen. Innerhalb einer christlich geprägten Kultur liegt es
nahe, daß diejenigen, die als J u d e definiert sind, als gewaltige Gegner des ei-
genen Wesens empfunden werden. Dafür sprechen, worauf zurückzukommen
sein wird, bestimmte Stellen im N e u e n T e s t a m e n t und das historische Fak-
tum, daß die christliche Religion nur in der Negation der jüdischen Religion
zum Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit gelangte. Man kann darüber streiten,
o b die von Eckart hergestellten Konfigurationen genuin christlich oder reli-
gionshistorisch als gnostisch bzw. gnostizistisch zu beurteilen sind. D a dieses
P r o b l e m erst im G e s a m t z u s a m m e n h a n g mit anderen Vertretern nationalso-
zialistischer Ideologie behandelt werden soll, ist hier zunächst der Frage
nachzugehen, w a r u m eine solch fundamentale Zweiteilung und deren Aufhe-
b u n g ü b e r h a u p t v o r g e n o m m e n wurde. Abgesehen von allgemeinen kulturhi-
storischen Erwägungen über die Tradition dualistischen D e n k e n s der Men-
schen und Völker, ist die fundamentale Zweiteilung in Rücksicht auf die my-
stisch-magische Auffassung von „ G o t t in u n s " auch plausibel. Die Zweitei-
lung ist plausibel, weil ein G r u n d dafür gefunden werden m u ß , weshalb das
Wirken G o t t e s bisher nur begrenzt erfolgreich war. Existiert indes eine Ge-
genkraft zu G o t t , braucht der Glaube an das Wirken G o t t e s in bezug auf die
eigene Indentität und Macht (der G o t t in uns) nicht aufgegeben zu werden.
Wird der Glaube an die Wirkung einer fundamentalen und diametral definier-
ten Gegenkraft aufgegeben, dann m ü ß t e die Divinisierung des Selbst und der
damit einhergehenden Basis der Identität aufgegeben werden. Das gilt um so
mehr, wenn das Selbstwertgefühl der M e n s c h e n erstens über das Kollektiv
und zweitens über das Kollektiv einer Abstammungsgemeinschaft (Rasse)
konstituiert oder vermittelt wird. G ä b e Eckart - oder der Typus Dietrich
Eckart — seinen Glauben an den J u d e n als Antichrist auf, so müßte er auch
seinen Glauben aufgeben, im deutschen Wesen sei Christ zu Gast. Gäbe er
seinen Antisemitismus auf, so m ü ß t e er die Grundlage seines Selbstwertge-
fühls oder sogar, wie er meint, sein „Sein" schlechthin aufgeben. Was „positi-
ves C h r i s t e n t u m " g e m ä ß dem Parteiprogramm der N S D A P nach Dietrich
Eckart ist, w u r d e hinreichend dargelegt. E s besteht kein G r u n d zu der An-
n a h m e , daß er kein typischer Vertreter einer bestimmten Richtung des deut-
schen Geistes ist. Sieg und K a m p f haben bei ihm eine religiös fundierte In-
tention. E s wäre gefährlich, Dietrich Eckart als weniger gefahrlosen, weil spi-
rituellen Vertreter der nationalsozialistischen Ideologie zu beurteilen. Eckarts
K o m m e n t a r e zur politischen Lage sind durchtränkt v o n H a ß , Z o r n und Wut.
E r wittert gewaltige V e r s c h w ö r u n g e n . D e r Wille zur Macht ist begleitet von
der Angst vor d e m N i c h t s . In der typisch subjektzentrierten D e u t u n g v o n
Kausalität fühlt er sich von fundamentalen Mächten bedroht. Er hat das be-
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 97

r ü h m t e Schlagwort erfunden: „ D e u t s c h l a n d erwache". Die Angst v o r der


V e r n i c h t u n g schlägt um in den Willen zur Rache. A m 23. D e z e m b e r 1919
stand auf der ersten Seite der Zeitschrift „Auf gut d e u t s c h " das von Dietrich
E c k a r t verfaßte Gedicht „Feuerjo":
Sturm, Sturm, Sturm,
Läutet die Glocken von Turm zu Turm,
Läutet die Männer, die Greise, die Buben,
Läutet die Schläfer aus ihren Stuben,
Läutet die Mädchen herunter die Stiegen,
Läutet die Mütter hinweg von den Wiegen,
Dröhnen soll sie, und gellen die Lust,
Rasen, rasen im Donner der Rache,
Läutet die Toten aus ihrer Gruft,
Deutschland, erwache! 120

Im J a h r e 1922 hat Dietrich Eckart dem Gedicht folgende Strophe vorange


setzt:
Sturm, Sturm, Sturm!
Läutet die Glocken von Turm zu Turm!
Läutet, daß Funken zu sprühen beginnen,
Judas erscheint, das Reich zu gewinnen,
Läutet, daß blutig die Seile sich röten,
Rings lauter Brennen und Martern und Töten.
Läutet Sturm, daß die Erde sich bäumt
Unter dem Donner der rettenden Rache.
Wehe dem Volk, das heute noch träumt,
Deutschland, erwache!121

Diese beiden Strophen wurden, von H a n s G a n s e r zum Sturmlied der Natio


nalsozialistischen Bewegung vertont, zum Kampflied der N S D A P . N a c h Al
fred Rosenberg wurde n die W o r t e „ D e u t s c h l a n d erwache" Bestandteil der
„Standarten der Nationalsozialistischen D e u t s c h e n Arbeiterpartei". D a s
„Kampflied aber ertönt schmetternd auf jedem Parteitag der Bewegung, w e n n
sich alljährlich immer m e h r und mehr Männer im braunen H e m d zum Appell
zusammenfinden". 1 2 2
Dietrich Eckart gehörte zu den führenden Ideologen in der G r ü n d u n g s
phase der N S D A P . E r wurde später von G o e b b e l s , Rosenberg und Hitler ver
ehrt, und seine Bedeutung wurde, wenn auch seine Schriften kaum gelesen
wurden, von den Akteuren nationalsozialistischer Politik und Herrschaft
selbst anerkannt. Im folgenden ist danach zu fragen, o b und inwieweit die
Elemente seines D e n k e n s in der Ideologie Hitlers, Rosenbergs und G o e b b e l s '
enthalten sind. D e r T o p o s „Drittes Reich" soll bei einem der einflußreichsten

120
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 44/45, 1919, S. 521.
121
Dietrich Eckart, Vermächtnis, S. 66.
122
Vgl. Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler, S. 84 f.

Bayerische
Stasisbibüotnek
München
98 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Ideologen nationalsozialistischer Politik untersucht werden, nämlich bei J o -


seph G o e b b e l s . Die Beziehung zwischen Mensch, Rasse und G o t t ist der Ge-
genstand der Kapitel über Alfred R o s e n b e r g und Adolf Hitler, wobei es ent-
scheidend darauf a n k o m m t , wie Adolf Hitler die „Welt" anschaute.
Die D e u t u n g der Welt nach d e m apokalyptischen Muster ist für die N S -
Ideologie d a n n v o n Bedeutung, wenn sie auch bei anderen führenden Aktivi-
sten der Nationalsozialistischen Bewegung nachweisbar ist. Es ist nicht ver-
wunderlich, daß angesichts der Erfahrung der Niederlage im Ersten Welt-
krieg, in den man mit dem Ruf „ G o t t mit u n s " zog, und der anschließenden
ö k o n o m i s c h e n , sozialen und politischen Konflikte, die D e u t u n g der Gegen-
wart unter der Verheißung einer glücklichen Zukunft von Bedeutung ist und
daß die Antizipation des Künftigen wieder mit G o t t in Verbindung gebracht
wird. Die oft geäußerte Meinung, die Nationalsozialisten hätten ein diffuses,
aber allgemein in der deutschen Gesellschaft dominierendes Wendebewußt-
sein nur ausgenutzt und selbst nicht in dieser Weise daran geglaubt, läßt sich
am Beispiel des späteren Propagandaministers deshalb gut falsifizieren, weil
dieser bereits vor seinem Eintritt in die N S D A P ausführlich Tagebücher ge-
schrieben hat.

3. Der politische „Katechismus" des Bildungsbürgers


und späteren Propagandaministers Joseph Goebbels

a. K a t h o l i s c h e K i n d h e i t u n d v e r z w e i f e l t e J u g e n d

Die U n t e r s u c h u n g der Goebbelsschen Ideologie stellt auch einen Beitrag zur


Rekonstruktion des Werdegangs eines Nationalsozialisten dar, der bedeutsam
für die allgemeine Erforschung der Ideologiebildung des Nationalsozialismus
ist. Auf die psychischen Dispositionen kann im R a h m e n dieser Arbeit nur
verwiesen werden, um daran zu erinnern, daß die Ideologiebildung auch psy-
chischen Dispositionen unterliegt. 1 2 3
Für die Zeit vor d e m Eintritt in die N S D A P werden vorwiegend zwei
Quellen verwendet, nämlich das v o n J o s e p h G o e b b e l s vor seinem Eintritt
(Frühjahr 1925) am 27. Juni 1924 b e g o n n e n e Tagebuch und die in dieser Zeit
geschriebenen „ E r i n n e r u n g e n " an sein bisheriges Leben. Vornehmlich wer-
den Stellen aus den M o n a t e n Juni bis September 1924 zitiert. Die Geschichte
der Publikation ist eine Geschichte für sich; erst im S o m m e r des Jahres 1987
wurden die Tagebücher im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte veröffent-
licht. Die v o n Elke Fröhlich herausgegebenen Tagebücher betreffen die Zeit

Vgl. Claus-E. Barsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph Goebbels. Zur Psyche
und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927, München 198"7.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 99

v o n 1924 bis 1941. Z u m Erkenntniswert der Tagebücher sei auf ihre Einlei
t u n g verwiesen. 1 2 4
U m das pränationalsozialistische Bewußtsein v o n J o s e p h G o e b b e l s nun
m e h r zu verdeutlichen, ist zunächst nur von Konfigurationen vor dem Ein
tritt in die N S D A P die Rede. D e r religiöse Gehalt des Begriffs „Drittes
Reich", das sei v o r w e g g e n o m m e n , fällt schon bei der ersten Lektüre durch die
V e r w e n d u n g der Begriffe G l a u b e , Erlösung, G o t t , Christus und Antichrist
auf. N i c h t nur K ä m p f e n und Siegen, sondern auch Opfern sind die v o n ihm
bevorzugten Tätigkeiten, zu denen er sich und die Nationalsozialisten aufruft.
Schon vor dem Eintritt in die N S D A P bestimmt er das Verhältnis v o n
Freund und Feind mit religiösen D e u t u n g s m u s t e r n der Welt, und schon v o r
dem Eintritt in die N S D A P ist eine daran orientierte, aber noch nicht auf eine
bestimmte Person konzentrierte Sehnsucht nach einem Führer zu erkennen.
In der von Goebbels hergestellten Konstellation von G o t t , Christus und G e
schichte vollzieht sich die Bewertung der eigenen Gesellschaft und die damit
korrespondierende der J u d e n . Am P r o z e ß seiner Ideologiebildung ist bemer
kenswert, daß dieser sich während der Erfahrung einer persönlichen Krise
vollzieht. Insofern m a n unter Krise nicht nur eine Zeit der Notlage, sondern
auch einen zur E n t s c h e i d u n g drängenden Zustand verstehen m u ß , haben die
in dieser Situation feststellbaren Kriterien und Muster einen h o h e n Grad an
Authentizität. D a ß G o e b b e l s das geglaubt hat, was er in seinen Tagebüchern
notiert, geht allein daraus hervor, daß hier nicht das Bild eines nationalsozia
listischen Helden aufzufinden ist. G o e b b e l s hat, so gut er eben k o n n t e , über
sich und die Welt geschrieben. Das Tagebuch war, wie er selber schreibt, sein
„Gewissensarzt" 1 2 5 und „sorgsamer Beichtvater". 1 2 6
Z u m besseren Verständnis und zur K o r r e k t u r verschiedener Legenden
über Goebbels seien hier noch einige Bemerkungen über seine Jugend voran
geschickt.
Goebbels wurde am 29. O k t o b e r 1897 in Rheydt (bei Mönchengladbach)
geboren. Seine Vorfahren s t a m m t e n aus der G e g e n d zwischen Aachen, Köln
und Mönchengladbach. Sie waren alle katholisch und gehörten jener von Bau
ern abstammenden Bevölkerungsschicht an, die im Verlaufe des 19. J a h r h u n
derts in die Städte zog, um gesellschaftlich aufzusteigen. D e r Vater war zur
Zeit der G e b u r t seines Sohnes Handlungsgehilfe in einer Dochtfabrik, wurde
Buchhalter und erhielt später Prokura. Die Familie b e z o g kurz nach der G e
burt des Sohnes Paul J o s e p h ein Reihenhaus in der Dahlener Straße. G o e b
bels hatte zwei ältere Brüder u n d zwei jüngere Schwestern (die eine starb

Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, 4.
Bde., im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte in Verbindung mit dem Bundesarchiv,
hier: Bd. 1, S. XC ff., München 1988 (fortan zitiert als Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goeb
bels, Tagebücher).
F.lke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 23. 9. 1924.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 23. 3. 1925.
100 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

1915, seine Schwester Maria, die 1987 noch in der Gegend um München leb-
te, war zwölf Jahre jünger als Goebbels). G o e b b e l s wuchs weder im sozialen
Elend auf, noch wurde er von strengen oder exzentrischen Eltern erzogen
oder gar tyrannisiert. D e r Vater starb 1929, die Mutter überlebte ihren Sohn
Joseph um einige Jahre. Wie sehr der katholische Glaube im Leben des Kna-
ben bestimmend war, geht aus einem Brief hervor, den der Vater dem Stu-
denten schrieb. Dieser Brief wurde in der Kirchenzeitung für das Bistum
Aachen am 27. O k t o b e r 1946 veröffentlicht.
Der Vater meint, diejenigen, die am Glauben zweifelten, seien „bei weitem
nicht die schlechtesten Christen". Er hält die Glaubenszweifel bei einem jun-
gen Menschen, wie seinem Sohn, für nicht so schlimm; er fragt indes nach
dessen Plänen - „Beabsichtigst Du, Bücher zu schreiben, die mit der katholi-
schen Religion nicht zu vereinbaren sind?" - und empfiehlt seinem Sohn ein-
dringlich als Hilfe das Gebet. Dabei erinnert er ihn an ein Ereignis, dessen
Schilderung hier wesentlich ist. D e n n es k o m m t darin die in der Familie
Goebbels ritualisierte Frömmigkeit angesichts des Todes zum Ausdruck:

Solltest Du aber dennoch glauben, Deinen Glauben zu verlieren, dann möchte ich
Dich zurückführen in das Jahr 1915, wo Du morgens neben mir an dem Sterbebett
unserer leider so früh verstorbenen Elisabeth auf den Knien saßest und mit mir ein
Vater unser für die Seele dieses Engels betetest. Was war da ein Trost in unserem
Schmerz - doch nur, daß die liebe Verstorbene mit den Tröstungen der Kirche ver-
sehen war und daß wir gemeinsam beten konnten. 127

Aus diesem Brief wurde hier nicht wegen der Kirchenfrömmigkeit des Eltern-
hauses zitiert. Ich möchte vielmehr betonen, daß die Annahme, man k ö n n e
durch Gebete oder durch Rituale etwas für das Seelenheil eines Menschen
unternehmen, zu den magischen Elementen einer Religion gehört. Gebete ha-
ben einen magischen Charakter, wenn der Betende glaubt, er könne durch sie
auf den Willen und die Macht Gottes nach eigenen Wünschen und Hoffnun-
gen Einfluß nehmen, um so auch den Kausalverlauf der Welt zu beeinflus-
sen. 1 2 8
Goebbels hat seinen Glauben an Christus und die christliche Religion,
wenn auch in spezifischer Form, nie aufgegeben. Goebbels ist nie aus der
Kirche ausgetreten und wurde auch nicht exkommuniziert. Er wurde außer-
dem, das sei hier betont, nie von Jesuiten erzogen. Goebbels mochte seine
Geschwister, ganz besonders seine jüngere Schwester, und ist stets gern zu
seiner Familie nach Rheydt zurückgekehrt. Während die Brüder nach der
Mittleren Reife einen Beruf erlernten, besuchte Goebbels das Gymnasium bis

Heinrich Fraenkel/Roger Manvell, Goebbels. Eine Biographie, Köln 1960, S. 80 ff.


Vgl. Harald Biezais, Von der VC'esensidentität der Religion und Magie, Acta Acadimiae
Aboensis, Abo 1978; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundrisse der verstehen-
den Soziologie, 5. revidierte Aufl. besorgt von Johannes Winkclmann, Köln/Berlin 1972,
S. 245 ff., 257, 259 ff., 321 ff.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 101

z u m Abitur. 1917 bestand er die Reifeprüfung, gehörte zu den besten Schü-


lern, hatte im Reifezeugnis nur die N o t e n „gut" und „sehr gut", dies in La-
tein, Deutsch und Religion. Er hielt die Abiturrede als Verfasser des besten
Deutschaufsatzes. 1 2 9 Es steht fest, daß Goebbels am rechten Fuß einen Spe-
zialschuh trug. Daran knüpfen sich mannigfache Spekulationen, bei welchen
schon die Verwendung des W o r t e s Klumpfuß unseriöse Assoziationen er-
weckt. Eine medizinisch exakte Beschreibung des Fußleidens, welches weder
seine Eltern noch seine Geschwister und seine Kinder hatten, konnte bisher
nicht ermittelt werden. Die Rede vom „Klumpfuß" ist nicht nur ungenau,
sondern verführt zu billigen Vereinfachungen biologisch-abergläubischer Art.
Glaubt man den Erinnerungen von Goebbels, die er 1924 verfaßt hat, so sind
zwei Konfliktstoffe von Bedeutung. Der erste betrifft die Sexualität. G o e b -
bels notiert in Erinnerung an seine Jugend:

Kampf mit dem Geschlecht. Glaube krank zu sein. Bis heute nicht wieder ge-
heilt.130
Zweitens war er der Überzeugung, weder von seinen Lehrern noch von sei-
nen Kameraden geliebt zu werden. 1 3 1 Immerhin lernte er in der Obersekunda
seinen einzigen Freund Richard Flisges kennen. Dieser zog, wie die meisten
der Klassenkameraden, in den Krieg. Das durfte Goebbels nicht. Er wurde
wegen seiner zarten Körperkonstitution für nicht tauglich erklärt. In seinem
1924 geschriebenen Erinnerungen heißt es dazu:
Kriegsausbruch. Mobilmachung. Alles zu den Fahnen. Schmerz, daß ich nicht mit
kann.132
Von 1917 bis 1921 studierte G o e b b e l s Germanistik in Bonn, Freiburg, Würz-
burg, München und Heidelberg. In den „Erinnerungen" wird der N a m e Hit-
ler nicht erwähnt. Dies ist für die kurze Zeit in München deshalb von Inter-
esse, weil sich Goebbels immerhin an die Vorlesungen von Max Weber, an
Artur Kutscher, bei dem er promovieren wollte, und an die Politik allgemein
erinnerte. Goebbels, der Dichter werden wollte, entwirft in München das, wie
er schreibt, „Fragment eines soz. Dramas ,die Arbeit'". 1 3 3 Goebbels war wäh-
rend seines Studiums p e r m a n e n t verzweifelt. Nach den im Jahre 1920 ge-
schriebenen „Erinnerungen" war er in den Osterferien 1919 nicht nur orien-
tierungslos, sondern interessierte sich nur gering für Politik:

Ich kenne mich in der Welt nicht mehr aus. Steigendes müdes Gefühl. Politik nur
erst zögernd.134

129
Vgl. Helmut Heiber, Joseph Goebbels, München 1965, S. 18 ff.
130
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, Bd. 1, S. 5.
131
Vgl. ebd., S. 2.
132
Ebd., S. 4.
133
Ebd., S. 17.
134
Ebd., S. 11.
102 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Er hatte „Ekel vor der Universität". 1 3 5 D e r ausschlaggebende G r u n d der Ver-


zweiflung war die T r e n n u n g von seiner Geliebten. Schon in den Herbstferien
1919 wollte er wegen des Trennungsversuches einen Roman schreiben.
In der Not zur Feder. Ich schreibe aus dem Herzblut meine eigene Geschichte
[...]. Sage mein ganzes Leiden her. Ohne Schminke, so wie ich es sehe. 136
Im Winter 1 9 2 0 / 2 1 steigert sich nach der endgültigen T r e n n u n g seine Ver-
zweiflung. E r hat „Sehnsucht nach dem E n d e " , ihm ist „alles gleichgültig". Er
n i m m t sich vor, „in Heidelberg p r o m o v i e r e n und d a n n Schluß machen".
„Pessimismus. T o d e s g e d a n k e n " . Im Rückblick auf die T r e n n u n g schreibt er:
„Ekel vor dem Leben". 1 3 7
E r n i m m t sich das Leben nicht, s o n d e r n p r o m o v i e r t tatsächlich. Da sehr
häufig die Ansicht vertreten wird, er habe bei Gundolf, d e m Meisterschüler
Stefan Georges promoviert, sei hier ausdrücklich vermerkt, daß dies nicht der
Fall ist. Hans-Dieter Müller hat in seiner Dissertation 1 3 8 anhand der Univer-
sitätsakte nachgewiesen, daß G o e b b e l s kein Seminar bei G u n d o l f belegt hat,
sondern lediglich 1920 die Vorlesung „ D i e B e g r ü n d u n g der romantischen
Schule" besuchte. Indes hat er bei einem anderen J u d e n , nämlich bei Max von
Waldberg, promoviert. E r reicht die Arbeit mit d e m T h e m a „Wilhelm von
Schütz als Dramatiker. Ein Beitrag zur Geschichte des Dramas der romanti-
schen Schule" im Herbst 1921 ein.
G o e b b e l s , der seine Dissertation zu Hause schreibt, lebt von 1921 bis 1924
in Rheydt bei seinen Eltern. Er dichtet, liest, gibt Nachhilfestunden, bleibt
verzweifelt und beginnt seine bis 1926 dauernde Beziehung zu Else J., die
nach den N o r m e n der Nationalsozialisten „Halbjüdin" ist. Eine kurze Zeit,
von J a n u a r bis O k t o b e r 1923, arbeitet er bei einer Bank in Köln. Goebbels
liest Spengler, Chamberlain, Dostojewski u n d O t t o Weininger. Mitte 1924
beginnt er sich langsam zu politisieren. Im August 1924 n i m m t ihn Fritz
Prang, Fabrikantensohn aus Mönchengladbach, schon seit 1922 Mitglied der
N S D A P , zum Parteitag der „nationalsozialistischen Freiheitsbewegung" — ei-
ner Koalition v o n Teilen der verbotenen N S D A P unter Leitung von Gregor
Strasser und den „ D e u t s c h - V ö l k i s c h e n " — nach Weimar mit. Im September
1924 wird G o e b b e l s Sekretär von Friedrich Wiegershaus, der Reichstagsab-
g e o r d n e t e r der völkischen Freiheitspartei, Verfasser völkischer D r a m e n und
Handelsvertreter ist. G o e b b e l s wird der einzige Redakteur der Wochenzeit-
schrift „Die völkische Freiheit" und zieht nach Elberfeld. Anfang 1925 trennt
sich G o e b b e l s von Wiegershaus und wird Mitglied der neu formierten
N S D A P . G o e b b e l s g e h ö r t sofort zum zehnköpfigen Vorstand des G a u s

135
Ebd., S. 13.
136
Ebd., S. 14.
137
Ebd., S. 19.
138
Hans-Dieter Müller, Der junge Goebbels. Zur ideologischen Entwicklung eines politischen
Propagandisten, Phil. Diss., Freiburg i. Br. 1973.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 103

R h e i n l a n d - N o r d (Sitz Elberfeld). Kurze Zeit später wird er Gaugeschäftsfüh-


rer und ab O k t o b e r 1925 „Schriftleiter" der von G r e g o r Strasser herausgege-
b e n e n „Nationalsozialistischen Briefe". G o e b b e l s wird m e h r und m e h r als
Redner eingesetzt, ja er hält bis zu hundert Reden im J a h r und wird E n d e O k -
t o b e r 1926 von Hitler z u m Gauleiter von Berlin ernannt.
In Berlin reorganisiert G o e b b e l s die Partei. 1928 wird er Reichstagsabge-
o r d n e t e r der N S D A P und Stadtverordneter in Berlin. 1931 heiratet er Magda
Q u a n d t , geborene Ritschel. 1933 wird er Propagandaminister und am 30.
April 1945 für einen T a g Reichskanzler. A m 1. Mai 1945 bringen sich Magda
und J o s e p h Goebbels um, n a c h d e m sie ihre sechs Kinder getötet haben.

b. Religion und Katastrophenbewußtsein


v o r d e m E i n t r i t t in d i e N S D A P

U m G o e b b e l s ' pränationalsozialistisches Bewußtsein zu verdeutlichen, wer-


den im folgenden nur Stellen aus den T a g e b ü c h e r n , die v o r dem Eintritt in
die N S D A P notiert wurden, behandelt. Die Perspektive des K a t a s t r o p h e n b e -
wußtseins wurde gewählt, weil sie den Nationalsozialismus übergreift, bei
G o e b b e l s dem Eintritt in die N S D A P vorausgeht und besonders deutlich er-
kennbar ist. Vorausgesetzt wird, daß es nicht zwingend ist, Konflikte sowie
ökonomische, soziale und politische Verelendung mit einem bestimmten Ka-
tastrophenbewußtsein w a h r z u n e h m e n und zu bewerten.
D e r Begriff der K a t a s t r o p h e enthält drei D i m e n s i o n e n . E r s t e n s w e r d e n
Elend und N o t als äußerst intensiv empfunden und bewertet. Zweitens wird
die gegenwärtige Situation als Phase des Untergangs oder des Z u s a m m e n -
bruchs begriffen. Untergang und Z u s a m m e n b r u c h sind dabei fundamentaler
Natur. Das Fundamentale bezieht sich entweder auf den Untergang der Welt
überhaupt oder auf den der bisherigen O r d n u n g e n . Deshalb wird drittens die
gegenwärtige Situation als W e n d e interpretiert. Die wörtliche Bedeutung des
griechischen Begriffs „ k a t a s t r o p h e " (griechischer W o r t s i n n von katastrophe:
Umwendung) setzt bestimmte A n n a h m e n über das Verhältnis v o n G e g e n w a r t
und Zukunft voraus. G o e b b e l s verbindet seine G e d a n k e n an die Zukunft, die
Sehnsucht nach einer neuen Welt und nach einem neuen M e n s c h e n mit d e m
Z u s a m m e n b r u c h der Gesellschaft. Darin ist das Verhältnis v o n G o t t und
Mensch integriert, und zwar im Medium der christlichen Religion und in d e m
Wunsch nach der Rückkehr z u m Geist des Urchristentums. Die allererste
Eintragung des am 27. Juni 1924 b e g o n n e n e n Tagebuchs lautet:

Franz Herwig. ,St. Sebastian von Wedding'. Eine Christusnovelle. Ich mußte viel
an Jakob Wassermanns' .Christian Wahnschaffe' denken. Aber dieser St. Sebastian
ist doch reiner, überzeugender, mit einem Wort, christlicher. Es geht was vom wah-
ren Geiste des Katholizismus durch dieses Büchlein. So etwas Franz von Assisi.
Wie weit ist die offizielle Kirche doch von diesem Geiste fern! All diese Bücher aus
dem Geiste des Urchristentums, das ist ja nichts anderes als Ausfluß einer starken
Sehnsucht nach dem Geiste Christi. Hauptmann ,Der Narr in Christu'. Vorläufig
104 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

noch das erste Buch in deutscher Sprache aus diesem G e d a n k e n . Aber wie weit
steht der ,Narr' noch hinter Dostojewskis ,Idiot'! Rußland wird den neuen Chri-
stusglauben mit all der jungen Inbrunst und all dem kindlichen Glauben, all dem
religiösen Schmerze und Fanatismus finden. Ich denke in diesen Tagen viel an die
Zukunft Deutschlands und Europas. Wie wird das Bild dieses Erdteils in fünfzig
Jahren sein! Wahrscheinlich ganz anders! Wir haben heute einen neuen Menschen,
wenigstens den Anfang davon. Die menschliche Gesellschaft ist dieselbe alte ge-
blieben. Es wird nicht eher Ruhe in E u r o p a sein, bis diese F o r m der menschlichen
Gesellschaft g e b r o c h e n ist. D a s neue Geschlecht wird sich selbst seine neue, ihm
gemäße Form geben. Man kann den G a n g der Geschichte nicht zurückhalten. D e r
neue Mensch hat immer und überall nur eine Sehnsucht: nach einer neuen Welt.
Else ist sommerlich gut zu mir.

S c h o n v o r d e m E i n t r i t t in d a s a k t i v e p o l i t i s c h e L e b e n h a t G o e b b e l s d a s K o n -
z e p t d e r r e l i g i ö s e n E r n e u e r u n g d e r G e m e i n s c h a f t in d e r a u s d e m J a h r e 1 9 2 3
s t a m m e n d e n e r s t e n F a s s u n g d e s T a g e b u c h - R o m a n s „ M i c h a e l " zu P a p i e r g e -
b r a c h t . D e r ein C h r i s t u s d r a m a d i c h t e n d e P r o t a g o n i s t stellt u n t e r d e m D a t u m
d e s 3 0 . M ä r z in d e r F a s s u n g v o n 1 9 2 3 fest:

Christus starb. Christus lebt. Ausgesprochen. Ich bin hier. Fünf Akte stehen auf
dem Papier. Ich bin zu E n d e . 1 4 0

U n t e r d e m D a t u m 4. A p r i l läßt G o e b b e l s d e n P r o t a g o n i s t e n f o l g e n d e s n o t i e -
ren:

Epilog zu Christus, Dichter und Zeitgeist in der Wüste hinter der Welt.
Dichter.
Ich bin gesegnet worden.
In mir löste sich die Pein.
Ich wache auf, ich lebe, ich glaube. Machtvolles Wort, D u Löser meiner Qual,
Mit meinen H ä n d e n fasse ich Dich
U n d forme Dich zum leuchtenden
T a n z der Zeit. Ich stehe auf, ich habe Kraft,
T o t e zu wecken.
Sie wachen auf aus tiefem Schlaf,
N u r wenig erst,
D o c h m e h r und mehr.
Die Reihen füllen sich, ein Meer steht auf,
Ein Volk, eine Gemeinschaft.
G e d a n k e bindet uns,
Wir sind vereint im Glauben,
Im starken Willen,

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 27. 6. 1924.


Fassung 1929: statt „Ausgesprochen": „Ich habe ihn neu geschaut"; die Formulierung:
„Ich bin hier" fehlt; statt „zu Ende" steht „am Ende", vgl. Joseph Goebbels, Michael. Ein
deutsches Schicksal in Tagebuchblättern, München 1929, S. 96 (im folgenden kurz: Joseph
Goebbels, Michael); die erste Fassung hatte den Titel „Michael Voormann. Ein Menschen-
schicksal in Tagebuchblättern", unveröff. Ms.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 105

Nach junger Form und Fülle der Verheißung


Und werden so die neue Welt gestalten.141
I n seinem realen Tagebuch definiert Goebbels, der sich als Außenseiter fühlt,
am 5. September 1924 seine Haltung zur Gesellschaft mit Hilfe der Identitäts-
formel „Ich bin, wie ich b i n " unter Bezugnahme auf Gott:
Bin ich ein Außenseiter? Man sollte es wohl meinen. Gut, gut! Was soll ich dage-
gen machen? Ich bin, wie ich bin. Wie Gott mich erschaffen hat. Ihm werde ich
wohl gut genug sein. Sonst hätte er mich anders gemacht. Demütig und klug und
bescheiden und fleißig. Musterbürger. Pfui Teufel!!!

D e r Rückbezug auf G o t t im Selbstbezug auf das Ich, wie auch immer theolo-
gisch zu klassifizieren, setzt zumindest voraus, daß Goebbels an die Existenz
Gottes glaubt. Wie ernst es Goebbels mit seinem Glauben an G o t t war, kann
meiner Ansicht nach dadurch bewiesen werden, daß sich Goebbels nicht
scheut, über G o t t anläßlich eines erotischen Erlebnisses zu meditieren. Sogar
in Goebbels' Code der Liebe k o m m t G o t t vor. V o n der Deutun g eines eroti-
schen Erlebnisses geht er über zum Aufstieg der Seele zu Gott: Dabei sollte
nicht vergessen werden, daß das Objekt seiner Begierde in der Sprache der
Nationalsozialisten eine „Halbjüdin" war.

Gestern Nachmittag mit Else zum Schäferstündchen bereit. Da kommt Willy Ka-
merbeck - und bleibt bis in den Abend hinein [...]. Volle gesegnete Stunde am
Abend. Man kostet das letzte an tiefer menschlicher Lust. Man möchte schreien,
jubeln, singen — es ist eine Lust, das Leben zu fühlen.
Spannung, alles harrt in uns der großen Stunde. Das Blut pocht in den Adern. Es
klopft in Kopf und Herz. Eine geheimnisvolle Macht zieht die lebenden Körper
aneinander und ineinander. Man vergißt [...] (unleserlich) und Qual. Augenblicke
völligen Vergessens. Man durcheilt Ewigkeiten, Glut, Jubel und Wahnsinn.
Und dann eine Stunde stillen gesättigten Glücks. Man verlangt nichts mehr. Man
ruht im Schoß der Ewigkeit aus. Das Leben ist nur noch ein Beispiel. Man ist still
und weise. Und so sitzt man, Arm in Arm und Wange an Wange. Lange, lange und
wartet auf ein Zeichen Gottes. Still wie des Meeres Spiegel ist deine Seele. Nur hier
und da kräuselt noch ein leichter Wind das glatte Wasser. Dann will die Lust wie-
der aufkeimen in deinem Blut.
Und dann kommt wieder die große Stille über dich, und du tastest von Stufe zu
Stufe bis zum Throne Gottes. 142

Zwar kann man aus dieser Stelle schließen, daß Goebbels nicht den Ty-
pus Mann repräsentiert, dessen Anfälligkeit für Chauvinismus und Faschis-
mus mit unterdrückter Sexualität erklärt werden kann, wenngleich Goebbels

141
Joseph Goebbels, Michael, S. 96; in der Fassung von 1929 steht statt „neue Welt" „neues
Reich", sonst wörtlich identisch.
142
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 19. 7. 1924.
106 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

seinen Eros als dunkel und gestört erfahren hat. 1 4 3 D a s durch den Zusam-
menfall von Sexual-, Natur- und Gottesmystik ausgelöste Gefühl des Glücks
war ein Ausnahmezustand. In den Tagebüchern wird weit m e h r die Stimmung
der Verzweiflung festgehalten. Auch hier k o m m t Goebbels ohne G o t t nicht
aus, wobei die Verschmelzung der psychisch-individuellen Erfahrung mit der
allgemein-politischen Lage nicht fehlt:

Hirn und Herz sind mir wie ausgetrocknet vor Verzweiflung um mich und mein
Vaterland.
Eine drückende Schwere liegt über Deutschland. Man muß auf das Schlimmste
warten.
Ich wollte mithelfen am Wiederaufbau. Und überall weist man mich ab.
Der heutige Kampf um das Gesicht Deutschlands ist der uralte Kampf zwischen
Vater und Sohn.
Verzweiflung! Verzweiflung! Ich mag nicht mehr leben, um all das Unrecht anzu-
sehen. Ich muß mitkämpfen für Recht und Freiheit!
Verzweiflung! Hilf mir, großer Gott! Ich bin am Ende meiner Kraft.144
Daß sich Goebbels gekränkt fühlte, ist hier nicht von Interesse, interessant ist
vielmehr, daß er politisch aktiv sein wollte. Goebbels schießt aber über den
normalen Willen zur Tat hinaus. D e n n er identifiziert sich mit Deutschland.
Er stellt sich politische Aktivität nicht nur in der Form des Kampfes, sondern
eines uralten Kampfes zwischen Alt und Neu, nämlich Vater und Sohn, vor.
In der empfundenen Schwere gegenwärtigen Elends wird eine Verschärfung
der Krise, der Einbruch des Schlimmsten, erwartet. Im Bewußtsein der Ver-
zweiflung ist eine spezifische Gottesvorstellung enthalten. W e n n Goebbels
nicht mehr leben will und am Ende seiner Kraft Hilfe von G o t t erwartet, so
heißt das im Hinblick auf seine Gottesvorstellung, daß sein G o t t ein G o t t der
Macht und Kraft ist.
Sind die bisherigen Zitate aus einem überwiegend profanen K o n t e x t her-
ausgenommen worden und daher nicht repräsentativ? O b die private Krisen-
erfahrung und die Beurteilung der Gegenwart unter dem Aspekt einer besse-
ren Zukunft bei Goebbels zusammenfallen und ob in der D e u t u n g des priva-
ten und öffentlichen Lebens weitere religiöse Deutungsmuster enthalten sind,
soll im folgenden geklärt werden.
Richten wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die Selbstwahrnehmung
der persönlichen Situation. Goebbels ging es materiell sicher nicht gut; aber
immerhin lebte er zu Hause, hatte ein Dach über dem K o p f und genug zu es-
sen. Z u d e m war im Sommer 1924 die allgemeine politische und ökonomische

143
Vgl. Claus-E. Barsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phil Joseph Goebbels. Zur Psyche
und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927, München 1987, S. 195-255.
144
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 4. 7. 1924.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 107

Situation in Deutschland nicht gerade hervorragend, aber zur Verzweiflung


bestand kein Anlaß. Goebbels aber findet für seine materielle Lage folgende
Worte:
Ich warte bis in alle Ewigkeit auf Stellung und Geld. Verzweiflung! Skepsis! Zu-
sammenbruch! Ich weiß nicht mehr aus noch ein.145
Woraus resultiert die Verzweiflung? Weshalb der Zusammenbruch? Es müs-
sen noch ganz andere Erwartungshaltungen als die Hoffnung auf die Befrie-
digung materieller Interessen vorhanden sein, um die Lage so verzweifelt als
Z u s a m m e n b r u c h charakterisieren zu können. Als Goebbels sein Tagebuch
am 27. Juni 1924 begann, befand er sich immer noch in einer intensiv erleb-
ten persönlichen Krise. Drei Wochen nach der ersten Eintragung schreibt er:
Alles, was ich beginne, geht schief. Ich komme hier nicht aus dem Kaff heraus. Als
ob mir die Flügel beschnitten wären. Das macht mich so saft- und kraftlos. Ich
habe bis jetzt noch keine rechte Lebensaufgabe gefunden. Manchmal des Morgens
habe ich Furcht davor aufzustehen. Nichts erwartet mich, keine Freude, kein
Schmerz, keine Pflicht und keine Aufgabe. Meinem Leben fehlt die Konzentration
und die Sammlung. Ich irre und schwärme durch das Universum umher. Zu einem
aufrechten Leben gehört doch vor allem eine feste Aufgabe und eine sichere
Grundlage. Das fehlt mir. Wie so oft frage ich mich heute wieder: Was soll ich tun?
Was beginnen? Ewiger Zweifel. Ewige Frage. Wie ausgetrocknet ist mein Geist.
Irgendetwas hat mich kaltgestellt. Zu brennen und nicht anzünden zu können! Das
Geld, das ich nicht habe, drückt mich nieder. Armseliges Leben, das sich nach dem
verdammten Geld richten muß. Fluch und Verderben über mich. Ich habe mich
gegen die bestehende Ordnung empört. Nun trage ich die Folgen. Erlösung! Ich
stürze von Fall zu Fall und von Schuld zu Schuld in den Abgrund. Unseliges Ver-
hängnis! Was nützt das Zeitungskauen! Man wird nur dümmer und blöder dadurch.
Die Politik verdirbt mich.146

O h n e eine Analyse der Persönlichkeitsstruktur v o r n e h m e n zu wollen, sind


einige Grundhaltungen festzuhalten. Wer darunter leidet, weder Freude noch
Schmerz zu erwarten, wer meint, sein Geist sei „ausgetrocknet", ja, wer
glaubt irgend etwas habe ihn „kaltgestellt", zu dessen Depressionen gehört
nicht nur das Gefühl der Kraftlosigkeit, sondern geradezu das Empfinden, tot
zu sein. Indes gebraucht Goebbels in der Situation der Desorientierung und
Unsicherheit einen über den erlebten Alltag der Verzweiflung hinausgehen-
den Modus der Beschreibung. Die Tagebücher lassen weder an dieser noch
an anderen Stellen dianoetische Tugenden erkennen: Goebbels sieht sich im
Universum herumirren und dementsprechend in den Abgrund stürzen. Er
faßt nicht den Entschluß, seine Situation durch Vernunft zu ändern. Er for-
dert sich zwar in dem Tagebuch zu vielen Haltungen und Handlungen auf, zu
Vernunft aber will er sich nie entschließen. So geht Goebbels zum Beispiel

145
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 30. 6. 1924.
146
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 17. 7. 1924.
108 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

weder an dieser Stelle noch im Verlaufe des gesamten Tagebuches der Frage
nach, warum denn die E m p ö r u n g gegen die O r d n u n g als Schuld zu interpre-
tieren sei oder eben nicht als Schuld. Wege und Kriterien in der Krisis - in
der zur Entscheidung drängenden Notlage — sind bei ihm anderer Art. Das
Gefühl, in den Abgrund zu stürzen, sich in einem unseligen „Verhängnis" zu
befinden, ist von dem Wunsch nach Erlösung begleitet. G o e b b e l s will nicht
analysieren, sondern sogar den Geist überwinden. D a s Ziel der Überwindung
ist die Reinheit des Herzens und die Erlösung v o m Elend:

Der Geist ist eine Gefahr für uns. Wir müssen den Geist überwinden. Der Geist
quält uns und treibt uns von Katastrophe zu Katastrophe. Nur im reinen Herzen
findet der gepeinigte Mensch Erlösung vom Elend. Über den Geist hinaus zum
reinen Menschen.14
Erlösung und Katastrophe stehen mithin im Z u s a m m e n h a n g . Die Sehnsucht
nach Erlösung bewirkt, daß die Zeit als Katastrophe w a h r g e n o m m e n wird.
Goebbels beschwört aber, mitten in der Krise, von Katastrophe zu Katastro-
phe getrieben, den neuen Menschen und den Willen zur Tat. Wir wenden uns
daher seinem Bewußtsein von Gegenwart und Geschichte zu:
Aber die Quintessenz des neuen Menschen stellen wir, wir jungen Männer ohne
Tradition und ohne Geschlecht. Wir sind das Salz der Erde. Über Adel und Bour-
geoisie hinaus ein neues Geschlecht. Wir dürfen nicht verzweifeln, das ist nicht
anständig und zu leicht, keine Aufgabe für die Jugend Europas, die die schlimmste
Zeit erlebt seit Menschengedenken [...]. Ich möchte wieder einmal die Flügel
schlagen! Zum Flug in blaue Ferne! Warum lieben wir Modernen alle das Kranke?
Sind wir selber krank? Wir haben zuviel gelitten! Dekadenz ist süß und bitter zu-
gleich. Aber die Mischung ist verführerisch für den Zeitgenossen. Aufpassen,
Freund! Nicht daran denken! Opfern! Deine Mission erfüllen!148

Wenn Goebbels in seiner Verzweiflung für sich und sein Vaterland das
Schlimmste erwartet, so hat das den Grund in seinem allgemeinen Bewußt-
sein von Geschichte. D e r moderne Mensch ist nicht nur krank. Die M o d e r n e ,
von Katastrophe zu Katastrophe getrieben, ist nach G o e b b e l s so weit gefal-
len, daß er glaubt, in der schlimmsten aller Zeiten leben zu müssen. In die-
sem Kontext, aber nicht nur in diesem Kontext, entscheidet sich G o e b b e l s zu
zwei Formen des Handelns, welche nur aus einer religiösen G r u n d h a l t u n g zu
verstehen sind, nämlich zu opfern und eine Mission zu erfüllen. Wenn G o e b -
bels sich dazu auffordert, nicht zu verzweifeln, politisch aktiv zu werden, so
geschieht das aufgrund einer spezifischen Antizipation der Zukunft. Chaos,
Not , Elend und Zusammenbruch haben in G o e b b e l s ' D e n k e n , wie bei Diet-
rich Eckart auch, eine Funktion. Die Verschärfung der gegenwärtigen Krise
ist die Bedingung der Verbesserung:

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 2. 7. 1924.


Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 7. 7. 1924.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 109

Die Inflation. Tolle Zeiten. Der Dollar klettert wie ein Jongleur. Bei mir heimliche
Freude. Ja, das Chaos muß kommen, wenn es besser werden soll. Kommunismus.
Judentum. Ich bin deutscher Kommunist. 149
Wir wollen hier den spezifischen Z u s a m m e n h a n g zwischen Kommunismus,
J u d e n t u m und der B e h a u p t u n g „ich bin deutscher K o m m u n i s t " außer acht
lassen. Wenn Goebbels sich als deutschen Kommunisten bezeichnet, meint er
damit nicht, er sei Marxist mit deutscher Staatsbürgerschaft. Hier interessiert
die Zweck-Mittel-Relation von elender Gegenwart und positiver Zukunft.
Ein Jahr nach der Inflation, inzwischen war Goebbels Redakteur der Zeitung
„Die völkische Freiheit" u n d Sekretär bei dem Reichstagsabgeordneten Diet-
rich Wiegershaus geworden, glaubt er sich auf dem Weg zur Macht. Er beur-
teilt das Londoner A b k o m m e n , welches schließlich die Voraussetzung für die
E n t s p a n n u n g zwischen Deutschland und den Westmächten bildete, dem In-
halt nach negativ. E r meint aber, genau das könne weiterführen auf dem Weg
zum Staat der Zukunft:

Das Londoner Abkommen ist angenommen. Die Deutschnationalen haben uns


verraten. Um ein Linsengericht. (Der Kanzlerposten.) Sie werden es bitter büßen
müssen. Eine Etappe weiter zum völkisch-sozialen Staat. Zwar negativ. Aber viel-
leicht weiterführend als manches Positive. Wir sind noch nicht reif zur Macht.150
Goebbels erweitert den G e d a n k e n über das Negative, welches zum Positiven
führt, auf die Weltgeschichte. E r meint das religionspsychologisch. Die N o t
muß noch größer werden, damit der heilige Glaube an die deutsche Zukunft
aufersteht:
Nochmal in aller Verzweiflung: Weltgeschichte wird in Jahrhunderten und nicht in
Tagen gemacht. Das Herz krampft sich zusammen bei dem Gedanken, daß wir nun
ein geknechtetes Sklavenvolk sind und ausländischen Juden für Ewigkeit Zins zah-
len sollen. Aber die deutsche Not muß noch größer werden, damit sie heilend und
fördernd wirken kann. Wir müssen durch die aspera zu den astra. Flugkraft in gol-
dene Ferne. Wir müssen unsere Ziele um so höher stecken, je tiefer das heutige
Deutschland in Schmach versinkt. Und dann den heiligen Glauben an unsere Zu-
kunft neu in uns aufstehen lassen.151

Goebbels nimmt das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft nach dem Mu-
ster der Katastrophe wahr, insofern er erstens die Gegenwart als Zeit äußer-
ster N o t beurteilt, zweitens sie als Phase des Untergangs und des Zusammen-
bruchs begreift und drittens auf eine große Wende (katastrophe) hofft. Was
aber ist nach Goebbels Ursache für die gegenwärtige N o t des deutschen Vol-
kes? Goebbels' Beurteilung gegenwärtiger Prozesse und Strukturen enthält
einen von ihm a n g e n o m m e n e n Kausalnexus besonderer Art. Wie Goebbels

149
Erinnerungsblätter, in: Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, S. 27.
150
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 30. 8. 1924.
151
Ebd.
110 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

an die zukünftige Erlösung und die Macht G o t t e s glaubt, so glaubt er auch an


die des Teufels. Der Glaube an die Macht des Bösen erfüllt ihn nicht nur mit
Schrecken, sondern das Böse hat wiederum irdische Trabanten und verur-
sacht die N o t der Deutschen.
Zunächst soll daran erinnert werden, das geht aus dem zitierten Brief des
Vaters an den Sohn hervor, daß Goebbels in dem Glauben erzogen wurde, es
gebe überirdische Mächte, die auf die Natur der Menschen und Dinge einwir-
ken. Dieser Glaube hat eine infantil-magische Dimension, wenn geglaubt
wird, man könne die überirdischen Mächte wiederum selbst beeinflussen. So
wie geglaubt wird, G o t t könne Ursachen und Wirkungen gemäß den eigenen
Zwecken, Wünschen und Maßstäben beeinflussen, wird umgekehrt geglaubt,
deren Nichterfüllung sei von überirdisch-bösen Mächten verursacht worden,
deren Macht und Kraft richte sich ausgerechnet gegen einen selbst oder die
eigene Gemeinschaft. Gerade in der N o t wird der Wunsch nach dem Eingriff
überirdischer Mächte zum Zwecke der eigenen Rettung verstärkt. Anhand der
Tagebücher kann nun nachgewiesen werden, daß Goebbels in einer persön-
lich intensiv erlebten Krise, in seiner ideologiebildenden Phase, an die Ein-
wirkung überirdisch-böser Mächte in die Sphäre der Politik geglaubt hat:

In schweren Stunden mag man wohl verzweifeln. Ein grauer Tag ist aufgestiegen.
Regen fällt und rieselt in langem Strom an dem Fenster herunter. Es ist Herbst
über Deutschland geworden. Grauer Herbst. Die Kraft stockt in den Adern, und
das Leben pulst nicht mehr stark durch das Herz. Arm ist der Glaube und karg die
Hoffnung. Wir sehen keine Sterne mehr. Dunkelheit. Das Böse hat seine Macht
angetreten. Das Helle, Lichte ist geschwunden. Wir müssen rasten und neuen Mut
schöpfen. Dunkler Tag. Grau dämmert der Morgen. Will es noch einmal Licht wer-
den?' 52

Goebbels glaubt an eine umfassende Macht des Bösen. Verhält sich eine p o -
litische Partei nicht nach Goebbels' Wünschen und Vorstellungen, so unter-
liegt sie dieser Macht:
In London: Man verhandelt Europa. Die deutschen Schweinehunde mit, das Zen-
trum ist eine Einrichtung des Satans. So etwas Raffiniertes kann nur die Macht des
Bösen aushecken. Man kommt nicht dagegen an. 153
Goebbels ist davon überzeugt, daß das „Böse" als Ursache politischer Reali-
tät dem Auftreten der Wirkung (Londoner Abkommen) vorangeht, nämlich
daß der „Satan" eine parteipolitische Einrichtung ausgeheckt habe. In der
G r u n d b e s t i m m u n g des Folgezusammenhanges von Ursache und W i r k u n g
selbst stehen sich wiederum die Kräfte des Lichts und die Kräfte der Finster-
nis antagonistisch gegenüber:

Die politischen Zustände in Europa, speziell in Deutschland-Frankreich drängen


nach einer gewaltsamen Erschütterung. Es ist kaum zu verstehen, wie die allgemei-

152
Ebd.
153
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 6. 8. 1924.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 111

ne Volksstimmung so bald nach 1918 ins gerade Gegenteil umschlagen konnte. Die
bösen Kräfte sind heute noch am Werke. Wie lange noch? Wer vermag es zu sa-
gen? Endlich wird doch einmal der große Lichtstrahl unserer Freiheit aufscheinen?
Man darf nur nicht den Mut verlieren. Der Gedanke lebt und marschiert in die
Zukunft. Heil und Sieg! Für den neuen Menschen!"154

D a s zukünftige Heil und der neue Mensch werden mithin nicht nur von poli-
tischen Gegnern bedroht, sondern deren T u n ist das Werk des Bösen. Der
politische Feind ist kein normaler Feind mit anderen ökonomischen, territo-
rialen oder ideologischen Interessen, sondern ein existentieller Feind substan-
tieller Natur. Die später für die nationalsozialistische Massenbewegung so
entscheidenden Schlagwörter von Sieg und Heil sind von Goebbels schon vor
seinem Eintritt in die N S D A P im Kampf gegen das Böse gefunden worden.
D e r Wunsch nach „Sieg" und „Heil" kann damit auch als eine entscheidende
zum Nationalsozialismus führende Disposition gewertet werden. Hinsichtlich
des Katastrophenbewußtseins ist festzuhalten, daß Goebbels zweierlei erwar-
tete: erstens eine gewaltsame Erschütterung und zweitens den Sieg über die
Kräfte des Bösen. Letzteres wiederum ist abhängig von den Sehnsüchten
nach Sieg und Heil. Im Bewußtsein von Goebbels sind diese Momente von
entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der eigenen Gesellschaft und
die der Gemeinschaft der Juden. Nach Goebbels sind alle Juden - „der J u d e "
— vom Prinzip des Bösen determiniert. Der dualistischen Gegenüberstellung
von Licht und Finsternis entspricht die Gegenüberstellung von Arier und Se-
mit: Bevor Goebbels Politiker und Mitglied der N S D A P wurde, notierte er in
seinem Tagebuch:

Das Geld ist die Kraft des Bösen und der Jude sein Trabant. Arier, Semit, positiv,
negativ, aufbauend, niederreißend. Der Jude hat seine schicksalhafte Mission, die
kranke arische Rasse wieder zu sich selbst zu bringen. Unser Heil oder unser Ver-
derben, das hängt von uns ab. 155
Insofern Goebbels von Ariern einerseits und Semiten andererseits spricht,
nimmt er eine an Abstammungsgemeinschaften (Rassen) orientierte Eintei-
lung vor. Das Kriterium dafür, daß die eine sogenannte Rasse das Prädikat
positiv und die andere sogenannte Rasse das Prädikat negativ erhält, beruht
aber bei Goebbels nicht primär auf rassebiologisch und sozialdarwinistisch zu
klassifizierenden Mustern. Die Bewertung der Rassen bzw. der sogenannten
Rassen erfolgt vielmehr aus einer spezifischen Satanologie 1 3 6 , welche wieder-

154
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 7. 7. 1924.
155
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 6. 8. 1924.
156
Zur Thematik der Satanologie vgl. Gustav Roskoff, Geschichte des Teufels. Eine kulturhi-
storische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert, Leipzig 1869, Neuauflage
Nördlingen 1987; Karl R. H. Frick, Satan und die Satanisten. Ideengeschichtliche Untersu-
chungen zur Herkunft der komplexen Gestalt „Luzifer/Satan/Teufel", Bd. 1, Graz 1982,
Bd. 2, Graz 1985.
112 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

um selbst innerhalb einer umfassenderen religiösen Interpretation 1 5 7 von


Letztbegründungen eine spezifische Bedeutung hat. Aus dieser Konnexität
folgt erst die vulgäre Dämonisierung der Juden, die zur Volksfrömmigkeit 1 5 8
gehörende Überzeugung, die Juden seien Vampire. Goebbels notiert das tra-
ditionell antijudaistische Vorurteil, die Juden seien Vampire schon in der er-
sten Eintragung seines Tagebuches vom 27. Juni 1924, anläßlich der Lektüre
von Richard Wagner und Maximilian Harden:

Ich las heute morgen R. Wagner ,Die Kunst des Dirigierens'. Für einen Musiker
eine Fundgrube von Dirigentenfeinheiten. Lektüre Maximilian Harden (alias Isidor
Witkowski) .Prozesse': (Köpfe. 3. Teil). Was ist dieser verdammte Jude für ein
heuchlerischer Schweinehund. Lumpen, Schufte, Verräter. Die saugen uns das Blut
aus den Adern. Vampire!159

Im Hinblick auf die Symptome des allgemeinen Antisemitismus ist noch fest-
zuhalten, daß dieser auch bei Goebbels losgelöst von jeglicher konkreten Er-
fahrung entstand. 1 6 0
Bei Goebbels war die Kraftlosigkeit - „Hilf mir, großer Gott! Ich bin am
Ende meiner K r a f t " - Moment der Krise. Der in der Phase der Kraftlosigkeit
geäußerte Wunsch nach der Hilfe Gottes geht einher mit der A n n a h m e , die
Kraftlosigkeit sei durch die Macht des Bösen bewirkt. Das Böse ist am Werk,
indem „der J u d e " Goebbels und seiner Gemeinschaft die Grundlage von
Kraft und Macht entzieht, indem er die Grundlage des Lebens vernichtet, in-
dem er das Blut aus den Adern saugt. Die Relation von Kraftlosigkeit einer-
seits und dem Antijudaismus andererseits ist nicht zu trennen v o m Glauben
an eine allgemeine auf Menschen und Dinge einwirkende Macht des Bösen.
D a ß die Dämonologie hinsichtlich der Macht des Bösen, deren Verkörperung
angeblich die Juden sind, prinzipieller Natur ist, ist in der Analyse des Antise-
mitismus meist verkannt worden. Wenn man für die allgemeine Dämonologie
in der Situation der individuell interpretierten Krise psychologische Erklä-
rungsmuster heranzieht, dann ist danach zu fragen, warum gerade die Juden
das Objekt infantil-magischer Fixierungen wurden. Zu fragen wäre weiterhin,
ob der „Satanismus" von Goebbels allgemein religiöser Natur ist oder aber
im Kontext einer spezifischen Religion, hier der Haltung G o e b b e l s ' zur

Vgl. Leon Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, 2 Bde., Worms 1977.


Vgl. Frantisek Graus, Judenfeindschaft im Mittelalter, in: Herbert A. Strauss/Norbert
Kampe (Hrsg.), Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust, Frankfurt
a. M./New York 1985, S. 29-47; Bela Grunberger, Vom Narzißmus zum Objekt, Frank-
furt a. M. 1982, S. 33, 249 ff.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 27. 6. 1924.
Goebbels konstatiert, daß er es genossen hat, mit der „Halbjüdin" Else „gekost" zu haben,
und läßt sich gleichwohl - geradezu im selben Gedankengang - zu den übelsten Verdam-
mungen „der Juden" hinreißen. Überhaupt finden wir in den Tagebüchern von 1924/25
und 1925/26 keine negativen Beurteilungen seiner Geliebten. Im Gegenteil konstatiert er
z. B. am 7. Juli 1924: „Else hilft mir wacker. Das gute Mädchen. Ihr schulde ich unendlich
viel."
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 113

christlichen Religion, zu verstehen ist. Goebbels' Haltung zur christlichen Re-


ligion ist bereits dargelegt worden. Goebbels' Bewußtsein ist in der pränatio-
nalsozialistischen Phase von christlichen Orientierungsmustern bestimmt.
D e r aus der christlichen Volksfrömmigkeit stammende Glaube, die Juden
wollten Leben zerstören, ist von Goebbels auch im Kontext seines Bekennt-
nisses zum Christentum im Tagebuch notiert worden. D e n n zwei Sätze vor-
her endete der Gedankengang der bereits zitierten ersten Eintragung, wonach
für G o e b b e l s die Sehnsucht nach dem Geist des Urchristentums der Sehn-
sucht nach d e m neuen Menschen und der neuen Zeit entspricht.
Im Verlauf des Tagebuches und im Verlauf der darin bekundeten Politisie-
rung ändert Goebbels seine Haltung zur christlichen Religion nicht. Er über-
trägt die christliche Erwartung nach jenseitiger Erlösung auf den diesseitigen
Bereich der Politik und wird Anhänger der völkischen Bewegung. E n d e Au-
gust 1924 konzipiert er seine ersten Aufsätze für die Zeitschrift „Völkische
Freiheit". D a z u schreibt er, diese seien „noch mehr das Bekenntnis eines völ-
kisch-Suchenden denn eines völkisch-Glaubenden". Ganz bewußt entschei-
det sich Goebbels in diesem Z u s a m m e n h a n g gegen die Aufklärung. So fährt
er fort:

Ich ringe mich zum Glauben durch. Das geht nicht so schnell, wenn man so lange
gefüllt war mit weltbürgerlichem Geiste. Das Gift muß heraus!161
Knappe fünf W o c h e n später gebraucht Goebbels für die „neue Welt" den
Begriff des „neuen Reiches". Seine Fixierung, eine Mission zu erfüllen, wird
verstärkt. E r ist davon überzeugt, daß diese zu Sieg und Heil führe:
Ich suche das neue Reich und den neuen Menschen. Die finde ich nur im Glauben.
Der Glaube an die Mission in uns führt uns zum letzten Sieg! Heil!162
Zur Hoffnung auf zukünftiges Heil angesichts der elenden Gegenwart und
der Macht des Bösen gehört aber noch eine K o m p o n e n t e der Ideologiebil-
dung, in deren Kontext fast alle Momente des pränationalsozialistischen Den-
kens v o r k o m m e n : Verzweiflung, Kraftlosigkeit, Identifikation mit Volk und
Vaterland, gegenwärtige N o t sowie die Rettung durch Gott, durch ein Wun-
der und durch - einen Mann:
Deutschland sehnt sich nach dem Einen, dem Mann, wie die Erde im Sommer
nach dem Regen. Uns rettet nur noch letzte Sammlung der Kraft, Begeisterung und
restlose Hingabe. Das sind alles ja Wunderdinge. Aber kann uns nicht nur noch ein
Wunder retten! Herr, zeig dem deutschen Volke ein Wunder! Ein Wunder!! Ein
Mann!!! Bismarck, sta up! Hirn und Herz sind mir wie ausgetrocknet vor Verzweif-
lung um mich und mein Vaterland. Eine drückende Schwere liegt über Deutsch-
land. Man muß auf das Schlimmste warten. Ich wollte mithelfen beim Wiederauf-
bau. Und überall weist man mich ab. Der heutige Kampf um das Gesicht Deutsch-
lands ist der uralte Kampf zwischen Vater und Sohn. Verzweiflung! Verzweiflung!

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 21. 8. 1924.


Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 27. 9. 1924.
114 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Ich mag nicht mehr leben, um all das Unrecht anzusehen. Ich muß mitkämpfen für
Recht und Freiheit! Verzweiflung! Hilf mir, großer Gott! Ich bin am Ende meiner
Kraft!!!163
Mithin stellt die im M o d u s des Glaubens formulierte Führersehnsucht 1 6 4 eine
wichtige K o m p o n e n t e der Ideologiebildung dar. Dieses Zitat beweist, daß
G o e b b e l s nicht als O p p o r t u n i s t Anhänger Adolf Hitlers wurde. Die allgemei-
ne F ü h r e r s e h n s u c h t geht bei ihm, wie bei Dietrich Eckart auch, der Konkre-
tisierung und der politischen Aktivität voraus. D e r Glaube an das Charisma
ist im N e x u s eines allgemeinen Katastrophenbewußtseins entstanden.
Z u s a m m e n f a s s e n d ist festzustellen, daß das Katastrophenbewußtsein von
G o e b b e l s mehrere einander ergänzende Bestandteile enthält:

1. In der Situation der intensiv erlebten Krise werden Z u s a m m e n b r u c h , N o t


und Elend als W e n d e zu einem „neuen Reich" bzw. zu einer „neuen Welt"
begriffen.
2. N o t und Elend haben eine fundamentale Ursache, nämlich die „Macht des
Bösen".
3. Sind die J u d e n nach d e m Johannes-Evangelium Kinder des Satans 1 6 5 , so
sind sie nach G o e b b e l s ' Überzeugung „Trabanten des Bösen". Daraus re-
sultiert auch die kollektive und v o n der Erfahrung losgelöste Beurteilung
jedes J u d e n . Insofern sie durch die Macht des Satans (als Trabanten) de-
terminiert sind, ist ihre individuelle und konkrete Verhaltensweise ohne
Bedeutung.
4. In der Situation des Z u s a m m e n b r u c h s u n d der N o t werden „Sieg" und
„Heil" erwartet. Heil ist eine Qualität der Zukunft und gilt der eigenen Ge-
meinschaft, der Sieg m u ß über das „Böse" und seine Instrumente errungen
werden.
5. In der Situation der Verzweiflung und des Elends wird ein spezifischer
Eingriff G o t t e s gewünscht. G o e b b e l s ist überzeugt, dabei selbst eine Mis-
sion erfüllen zu müssen. Die Sehnsucht nach einem starken Mann wird ge-
radezu mit dem G e b e t überformt, mit dem Wunsch nach einem Wunder,
nämlich G o t t solle den „ E i n e n " , den Retter schicken.

D a s T a g e b u c h des J o s e p h G o e b b e l s aus den Monaten Juni bis September


1924 enthält Fragmente einer christlichen Apokalyptik, welche wiederum eine
zentrale D i m e n s i o n im P r o z e ß der Ideologiebildung ist. In der bisherigen
F o r s c h u n g und in vielen Kreisen der Öffentlichkeit ist man davon überzeugt,
G o e b b e l s sei Machiavellist oder O p p o r t u n i s t gewesen. Das ist jedoch genau-
so verfehlt wie die oft anzutreffende Dämonisierung von Goebbels selbst.

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 4. 7. 1924.


Zur Struktur des spezifischen Glaubens an das Charisma Hitlers vgl. in diesem Buch Kap
B.4.
Vgl. Joh. 8,43.
D a s nationalsozialistische Verständnis v o m „ D r i t t e n Reich" 115

c. Politik und Religion nach dem Eintritt in die N S D A P

aa. Gott, Christus und Erlösung


Um den Vorwurf der Demagogie stigmatisierend zu steigern, vergleichen Par-
teivorsitzende ihre politischen Gegner gern mit Goebbels. Die Massenmedien
lieben es, ihn als Verführer zu charakterisieren. In einem im November 1987
im Z D F gesendeten Film über Goebbels mit dem Titel „Der Verführer" wur-
de sogar vorwiegend das unter der Regie von Goebbels selbst produzierte
Material gesendet. So durfte Fritz Hippler über Goebbels plaudern. Hippler
war Reichsfilmintendant (1939-1943) und ist der Autor eines der wohl übel-
sten antisemitischen Machwerke, nämlich des Films „Der ewige Jude". Der
Film wurde teilweise in den Ghettos Osteuropas, unter Ausnutzung der von
den Nationalsozialisten selbst geschaffenen Entwürdigungen der Juden 1940
gedreht. Andre Libik, Produzent und Regisseur des im Z D F gesendeten
Films, wußte dies entweder nicht oder wollte diesen Umstand verschweigen.
In der anschließenden Diskussion behauptete ein Fachmann, Goebbels sei
nur dem Führer Hitler gefolgt, sei kein Propagandist gewesen, denn das Wort
Propaganda bedeute - was begriffsgeschichtlich stimmt — die Vertretung ei-
ner Lehre, einer Überzeugung oder eines Glaubens. Im Kontext eines Films
mit dem Titel „Der Verführer", in dem überhaupt nicht erklärt wird, worin
die Verführung bestand, wirkt das sehr verführerisch.
Im letzten Kapitel wurde versucht darzulegen, daß Goebbels sich selbst
verführt und zum Nationalsozialisten disponiert hat. Seine christliche Erzie-
hung spricht nicht dagegen, denn für die Umdeutung, Übernahme oder die
Mißachtung christlicher Werte ist jeder selbst verantwortlich. Goebbels un-
terlag nicht der angeblich hypnotischen Kraft Adolf Hitlers, sondern hat sei-
ne „Weltanschauung" in Form eines ideologisch-autogenen Trainings selbst
gebildet.166
Man könnte vermuten, daß Goebbels mit seinem Eintritt in die NSDAP
die religiöse Dimension seines Denkens ablegte oder seine Abkehr von der
christlichen Religion in seinem Tagebuch bekannte. Das ist jedoch nicht der
Fall. Das Tagebuch beginnt mit einem Bekenntnis zur christlichen Religion
und endet nach einem Jahr, Goebbels ist nunmehr Mitglied der NSDAP, wie-
derum mit einem Bekenntnis zur christlichen Religion. Über dem am 22. Juni
1924 begonnenen Tagebuch steht das Motto „Wir müssen opfern. Die Arbeit
im Geist ist das größte Opfer". Und die Notizen beginnen, wie bereits zitiert,
mit einem Bekenntnis zum „Christusglauben" und zur Katholizität des Franz

Vgl. Claus-E. Barsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph Goebbels. Zur Psyche
und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927, München 1987, S. 137 ff;
296 ff. Selbstverständlich hat Goebbels seine Ideologie nicht nur und ausschließlich aus
sich selbst heraus gebildet, sondern war wie jeder andere von einer bestimmten Tradition
und äußeren Umständen abhängig.
116 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

von Assisi. Am Beginn seiner Karriere, Goebbels ist Privatsekretär von Wie-
gershaus und einziger Redakteur der von Wiegershaus herausgegebenen Zeit-
schrift „Völkische Freiheit", definiert er seine Vorstellung von Weltanschau-
ung unter der Bejahung von Religion:
Die völkische Frage verknüpft sich in mir mit allen Fragen des Geistes und der
Religion. Ich fange an, völkisch zu denken. Das hat nichts mehr mit Politik zu tun.
Das ist Weltanschauung. Ich fange an, Untergrund zu finden. Boden, auf dem man
stehen kann." 167
Goebbels beendet schließlich das im Juni 1924 begonnene Tagebuch am 10.
Juni 1925 mit einem Bekenntnis zu den von Paulus formulierten christlichen
Kardinaltugenden:
Jetzt ist dieses Tagebuch zu Ende. Ich habe den heutigen Abend benutzt, etwas
darin herumzublättern. Das alte Lied: viel Freud, viel Leid! Wie reich war dieses
Jahr! Ich kann es kaum glauben! Eins ist geblieben: die Liebe. So gehe ich mit Lie-
be an den neuen Tag! Herrgott, gib mir Kraft, daß ich bestehe. Ich will, daß das
Recht komme. Mit Liebe an den neuen Tag. ,Nun aber bleibet uns: Glaube, Hoff-
nung, Liebe, diese drei! Aber die Liebe ist die größeste unter ihnen!' So schließe ich
dieses Buch im Zeichen des Glaubens und der Liebe! Ich glaube an die Zukunft!
Ich liebe mein Volk und mein Vaterland! Arbeiten! Opfern! Nicht verzweifeln!!!168

Goebbels hat sich auch öffentlich und im politisch-ideologischen Zusammen-


hang zum Monotheismus bekannt. In einem Beitrag, dessen Gegenstand die
Kritik an der „Revolution an sich" ist, in dem er weiterhin behauptet, jeder
Revolutionär, der die Revolution an sich wolle, sei ein Zerstörer und Zerset-
zer und unterliege dem Prinzip des Bösen 1 6 9 , heißt es am Schluß unumstöß-
lich:
Da gibt es kein Ding an sich außer Gott™
Unverkennbar ist die Strukturähnlichkeit mit dem Denken Dietrich Eckarts,
nicht nur im Hinblick auf den Glauben an Gott, sondern auch im Hinblick
auf den Glauben an die Existenz des Bösen. Auch ist wie bei Dietrich Eckart
die gleichzeitige Bejahung und Verneinung der Differenz zu G o t t festzustel-
len. Von G o t t geschaffen zu sein und sich ein Bild von G o t t zu machen, wie
G o t t zu sein, ergänzen sich in dem Gottesglauben von Goebbels:
Hat mich Gott nach seinem Ebenbild erschaffen, dann bin ich ein Stück von ihm.
Gott. Je größer und ragender ich Gott mache, desto größer und ragender bin ich
selbst.171

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 20. 8. 1924.


Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 9. 6. 1925.
Joseph Goebbels, Die Revolution als Ding an sich, in: ders., Wege ins Dritte Reich, Briefe
und Aufsätze für Zeitgenossen, München 1926, S. 146.
Ebd., S. 48 [Hervorhebung C.-E. B.].
Joseph Goebbels, Michael, S. 86; anders als beim meditativen Rückgriff Eckarts auf die
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 117

Selbst wenn Goebbels sich in den realen Tagebüchern über den Kampf ums
Dasein äußert, fehlt der Bezug auf G o t t und das Neue Testament nicht. Er
bejaht zwar das Recht des Stärkeren, sieht aber keinen Widerspruch zum
N e u e n Testament. Das läßt einerseits auf ein allgemein physio-theologisches
Weltbild schließen, wonach zwischen G o t t als Schöpfer der Natur und den
Naturgesetzen selbst kein Widerspruch bestehen kann. Z u m anderen ist sei-
ne Gottesvorstellung auch deshalb ambivalent, weil die Äußerung über den
K a m p f ums Dasein an die erlittene Diskriminierung in seiner eigenen Kind-
heit, wegen seiner eigenen Schwäche, angefügt wird.

Ich spiele jetzt viel auf dem Hof mit Elsbethchen. Ein Kind ist doch ein Wunder
Gottes, das uns für ein paar Stunden alles Leid und alle Qual der Erden vergessen
läßt. Welch tiefe Weisheit: ,Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder'. Lernen wir wie-
der lachen und weinen wie die Kinder! Aber Kinder können manchmal furchtbar
grausam sein. Besonders körperlichen Schwächen und Unebenheiten der anderen
Kinder gegenüber. Ich weiß, ein Liedchen davon zu singen. Aber das sind die Kin-
der aus Naturtrieb. Ist die Natur nicht auch furchtbar grausam? Ist der Kampf ums
Dasein, - zwischen Mensch und Mensch, Staat und Staat, Rasse und Rasse, Erdteil
und Erdteil, — nicht der grausamste Prozeß, den die Welt kennt? Das Recht des
Stärkeren - wir müssen dieses Naturgesetz wieder einmal klarer sehen, dann ver-
fliegen alle Phantasien von Pazifismus und ewigem Frieden. 172

Es ist aufschlußreich, daß die von Goebbels zitierte Bibelstelle - „Wenn ihr
nicht werdet wie die Kinder" 1 7 3 - sich auf das Reich Gottes, mithin auf die
Erlösung bezieht. Bei dem mittelmäßig gebildeten Dr. phil. Goebbels — der
geisteswissenschaftliche Didakt Alfred Rosenberg war wesentlich fleißiger
und sehr viel belesener - lassen sich keine Wiederholungen biologistischer
Argumentationsfiguren im Sinne des Sozialdarwinismus feststellen. Goebbels
läßt sich auch in den Beiträgen der 1926 und 1927 veröffentlichten Bücher
„Die zweite Revolution" und „Wege ins Dritte Reich" nicht über das Wesen
der Rasse aus. Weder Eugenik noch Euthanasie scheinen ihn interessiert zu
haben. Er schwärmt weder von dem blonden Übermenschen noch für alt-
deutsche Größe. Vielmehr ist er auf Kraft, Stärke, Tat und Sieg fixiert.
Im März 1925, Goebbels ist inzwischen Mitglied der neugegründeten
N S D A P , ist er sogar der Überzeugung, nur als Nationalsozialist wahrer Christ
zu sein und fordert sich selbst zur Tat und zum Opfer auf:
Hitler wird verboten. Der alte Jammer. Aber eine Idee läßt sich nicht unterdrük-
ken. Der Gedanke lebt und wird leben. Wir jungen Männer müssen ihn zur Tat

Mystik hat der Protagonist Michael aufgrund bestimmter Aktionen das Gefühl, ein Gott
zu sein; einmal während einer kriegerischen Aktion: „Ich bin ein Held, ein Gott, ein Erlö-
ser" (S. 116), zum anderen während der Arbeit im Bergwerk: „Feuer spritzt aus den Stei-
nen. Ich schlage Flammen! Ich schlage Licht! Ich bin kein Mensch mehr Ich bin ein Tita-
ne. Ein Gott!", S. 127.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 11.7. 1924.
Mt 18, 3: „Wahrlich ich sage Euch: Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die
Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen."
118 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

machen. Opfern! Das Reden hilft nichts. Handeln! Sozialisten der Tat sein. Wie
wenig sind wir das. Wahre Christen sein! So schwer, so wahnsinnig schwer ist
das! 174
G o e b b e l s hat sich nicht nur heimlich in seinen Tagebüchern zur christlichen
Religion bekannt. D e m Protagonisten seines Tagebuch-Romanes „Michael",
veröffentlicht im offiziellen Parteiverlag 1929, unterlegt er die besondere Be-
ziehung des deutschen Volkes zu Jesus Christus:
Nun habe ich das Wort: Wir modernen Deutschen sind so etwas wie Christusso-
zialisten. 175
D e r Protagonist Michael schreibt schließlich im Verlaufe seiner Entwicklung
zum Nationalsozialisten ein D r a m a über Jesus Christus:
Die Erleuchtung ist über mich gekommen. Ich schreibe ein Drama. Der Held ist
Jesus Christus. 176
W ä h r e n d in der völkisch-religiösen Tradition der Begründer der christlichen
Religion meist nur Jesus genannt wird, bleibt J o s e p h Goebbels bei der katho-
lischen Tradition, eben Jesus Christus.
In d e m T a g e b u c h - R o m a n finden wir die Elemente der Ideologie der rea-
len Tagebücher wieder. In ihm wird eine Symbiose 1 7 7 des Protagonisten mit
der Gestalt eines Führers geschildert und die Verknüpfung zwischen Ideolo-
gie und Religion deutlich v o r g e n o m m e n . Die Deutschen seien das „ H e r r e n -
volk der Welt" 1 7 8 , welches durch „Krieg" 1 7 9 und „ K a m p f 1 8 0 , die „Welt" 1 8 1
neu gestalten kann. Z u m „ m o d e r n e n D e u t s c h e n " gehöre auch „das neue
Prinzip, das bedenkenlose Aufgeben, sich O p f e r n , die Hingabe zum Volk." 1 8 2
G o e b b e l s meint das nicht in einem allgemeinen Sinne, sondern bezieht sich
an dieser Stelle auf Christus:

Die Idee des Opfers gewann zum erstenmal in Christus sichtbare Gestalt. 183
D e r schließlich zum Nationalsozialisten gereifte Held gelangt kurz vor dem
E n d e des T a g e b u c h - R o m a n s zu der Überzeugung:
Wieder komme ich zu Christus. Die deutsche Gottesfrage ist nicht von Christus zu
trennen. Wir haben unseren eigentlichen Zusammenhalt mit Gott verloren [...]
Volk ohne Religion, das ist so wie Mensch ohne Atem. 184

174
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 16. 3. 1925.
175
Joseph Goebbels, Michael, S. 82.
176
Ebd., S. 52.
177
„Und meine Augen versanken in zwei großen, blauen Sternen", ebd., S. 103.
178
Ebd., S. 91.
179
Ebd., S. 24.
180
Ebd., S. 137.
181
Ebd., S. 132.
182
Ebd., S. 81.
183
Ebd., S. 82.
184
Ebd., S. 145. Freilich kritisiert der Protagonist - und damit Goebbels selbst - die gegen
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 119

Schon in den realen Tagebüchern des Jahres 1924, als G o e b b e l s noch nicht
Mitglied der N S D A P war, hatte er den Z u s a m m e n h a n g von Politik und Reli-
gion bejaht.
Die völkische Frage verknüpft sich in mir mit allen Fragen des Geistes und der
Religion. Ich fange an, völkisch zu denken. Das hat nichts mehr mit Politik zu tun.
Das ist Weltanschauung. Ich fange an, Untergrund zu finden. Boden, auf dem man
stehen kann. 185
In diesem Kontext kommentiert er die T e n d e n z der fünf für die Zeitschrift
geschriebenen Aufsätze dahingehend:
Meine fünf Aufsätze sind fertig: 1. Liberalismus und staatlicher Sozialismus. 2.
Grundlegende Fragen völkisch-sozialen Denkens. 3. Völkischer Geist im Kampf
gegen die Internationale. 4. Völkische Kulturfragen. 5. Ausblicke.
In diesen Aufsätzen habe ich einen kleinen Umriß meiner völkischen Gedanken
gegeben. Es ist alles noch nicht so ganz ausgegoren. Noch mehr das Bekenntnis
eines völkisch-Suchenden, denn eines völkisch-Glaubenden. Ich ringe mich zum
Glauben durch. Das geht nicht so schnell, wenn man so lange gefüllt war mit welt-
bürgerlichem Geist. Das Gift muß heraus. 186

Im März 1925, jetzt Mitglied der N S D A P , deutet er seinen Weg dahingehend:


Der nationalsozialistische Gedanke ist im Marschieren. Die nationalsozialistische
Tat hat noch nicht angefangen. Ich will sie beginnen! Das Opfer ist alles!187
Das Hauptmotiv der Sehnsucht G o e b b e l s ' ist Erlösung. D a r a u f w a r er so sehr
versessen, daß er - Dostojewski in seinen realen T a g e b ü c h e r n k o m m e n t i e -
rend - diese sogar von Rußland des Jahres 1924 erwartete:
Dostojewski ,Nettchen Neswanow' macht Freude. Die russische Psychologie ist so
einleuchtend, weil sie klar und einfach ist. Der Russe sucht keine Probleme außer
sich, weil er sie in der Brust trägt. Rußland, wann wirst du erwachen? Die alte Welt
sehnt sich nach deiner erlösenden Tat! Rußland, du Hoffnung einer sterbenden
Welt! Wann wird es Tag werden? 188

Auch in den 1929 veröffentlichten literarischen „ T a g e b u c h b l ä t t e r n " des „Mi-


chael" ist penetrant häufig von E r l ö s u n g die Rede. 1 8 9 G o e b b e l s ist davon
überzeugt, Selbsterlösung sei die Voraussetzung politischer Aktionen. In „Mi-
chael" wird das prägnant formuliert:

wärtige Religiosität. Die Konfessionen hätten versagt, sie würden „jede Bildung eines neu-
en religiösen Willens verhindern", aber die Deutschen wurden „auch im Religiösen einmal
herrlich erwachen". Der „breiten Masse" solle man „ihre Götzen lassen, bis man ihnen ei-
nen neuen Gott geben kann".
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 20. 8. 1924.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 21. 8. 1924.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 15. 3. 1925.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 15. 7. 1924.
Joseph Goebbels, Michael, r. B. S. 27, 52, 83, 88, 106, 112, 121 ff., 127, 129, 147 ff.
120 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Wenn ich mich selbst erlöse, dann erlöse ich mein Volk.
Arbeit und Opfer sind Mittel der Erlösung. 1 9 1 Auch in den literarischen „Ta-
gebuchblättern" gehen Omnipotenzphantasien und Gottesglaube ineinander
über. Wie bei Dietrich Eckart ist auch bei Goebbels eine spezifische Interpre-
tation des Verhältnisses des Einzelmenschen zu G o t t festzustellen.
Bevor der Dichter Michael als Zuhörer einer politischen Rede die Offen-
barung eines Propheten erfährt, erkannte er die Zeichen der Zeit:
Der da oben spricht, wälzt Quarter auf Quarter zu einem Dom der Zukunft. Was
in mir seit Jahren lebte, hier wird es Gestalt und nimmt greifbare Form an. Offen-
barung! Offenbarung [...]. Ich gehe, nein, ich werde getrieben bis an die Tribüne.
Da steh ich lange und schaue diesem Einen ins Gesicht. 192
Er will „ein Volk, eine Gemeinschaft" sowie das „neue Reich" gestalten:
4. April
Epilog zu Christus. Dichter und Zeitgeist in der Würde hinter der Welt.
Dichter:
,Ich bin gesegnet worden,
In mir löst sich die Pein.
Ich wache auf,
Ich lebe, ich glaube!
Machtvolles Wort, Du Löser meiner Qual,
Mit meinen Händen fass' ich Dich
Und forme Dich zum leuchtenden
Fanal der Zeit.
Ich stehe auf, ich habe Kraft,
Tote zu wecken.
Sie wachen auf aus tiefem Schlaf,
Nur wenige erst, doch mehr und mehr.
Die Reihen füllen sich, ein Herr steht auf,
Ein Volk, eine Gemeinschaft.
Gedanke bindet uns,
Wir sind vereint im Glauben,
Im starken Willen
Nach junger Form und Fülle der Verheißung
Und werden so das neue Reich gestalten.'
In diesem Abschnitt wurden aus systematischen G r ü n d e n die allgemeine
Gottesvorstellung sowie die Relationen Gott—Mensch und G o t t - G e s e l l -

Ebd., S. 86; vgl. auch: „Mich selbst erlösen; einen Weg für die anderen brechen", S. 122;
„Ich will erlösen. Und wenn ich die letzte Konsequenz ziehen sollte, ich muß neu formen;
auch mich selbst", S. 106; „Wir müssen alle einmal Erlösungsarbeit tun, zuerst an uns
selbst, dann an den anderen [...] Ich habe mich selbsr erlöst: In mir machte ich den deut-
schen Menschen frei", S. 147 f.
„Die Arbeit als Erlöserin! Nicht das Geld, Arbeit und Kampf machen uns frei!", S. 149;
„Durch Opfer (Arbeit??) zur Erlösung!", ebd., S. 124.
192 Ebd., S. 102.
m Ebd., S. 97.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 121

schaft isoliert dargestellt. D e r miserable Poet Goebbels wurde durch die Kon-
jugation von Politik und Religion ein erfolgreicher Ideologe. Der Glaube, das
wesentliche Merkmal des neuzeitlichen Religionsbegriffes, wird bewußt zur
Grundlage seines Urteils über Politik gemacht. Goebbels interessierte sich
nicht für die klassischen Gegenstände der Politik, weder für Staatslehre noch
für Ö k o n o m i e . Sein Bewußtsein von Gesellschaft ist auf das Volk gerichtet.
G o e b b e l s ist vom Volk besessen und will das Volk besitzen. Er hat weder
religionsgeschichtliche noch theologische oder gar religionsphilosophische
Werke studiert. Er hat seine Ideologie aus sich selbst, im Rückgriff auf zen-
trale Momente seiner religiösen Erziehung, während einer individuellen Krise
entwickelt. Er veränderte die Religion seiner Kindheit, indem er die Konsti-
tution neuer gesellschaftlicher Identität unter der Perspektive eines neuen
Reiches beabsichtigte. Im nächsten Abschnitt kommt es darauf an, die we-
sentlichen Merkmale seiner Vorstellung vom „Dritten Reich" darzustellen.

bb. Erlösung und „Drittes Reich"

In den beiden Büchern „Die zweite Revolution. Briefe an Zeitgenossen" 1 9 4


und „Wege ins Dritte Reich. Briefe und Aufsätze für Zeitgenossen" 1 9 5 sowie
in der gedruckten Rede „Lenin oder Hitler?" 1 9 6 kulminiert die Verknüpfung
von Politik und Religion auch außerhalb der Bekenntnisse in den Tagebü-
chern im T o p o s v o m „Reich, das k o m m t " , dem „Dritten Reich". Goebbels
entwickelt indes in den zumeist in Briefform geschriebenen Aufsätzen keine
hehre vom „Dritten Reich". In den meisten Beiträgen werden die Figuratio-
nen seiner Argumentation wiederholt und nur nach aktuellem Anlaß variiert
oder verschieden akzentuiert. In der Rede „Lenin oder Hitler?", die Goebbels
im ganzen Reich hielt und mit der er sich innerhalb der N S D A P profilierte,
wählt Goebbels zur Benennung des zukünftigen Zustandes der deutschen
Gesellschaft und zur Bestimmung deutschen Denkens den Begriff „Drittes
Reich". Im Begriff „Drittes Reich" ist sowohl die Vorstellung von „ G r o ß -
deutschland" als auch die von „einer sozialistischen Schicksalsgemeinschaft"
enthalten:

Wir wollen den deutschen Gedanken in eine neue Form prägen, in die Form des
dritten Reiches. Dieses dritte Reich wollen wir mit der letzten Inbrunst unseres
Herzens; das dritte Reich eines Großdeutschland; das dritte Reich einer sozialisti-
schen Schicksalsgemeinschaft.197

194
Joseph Goebbels, Die zweite Revolution. Briefe an Zeitgenossen, Zwickau 1926 (im fol-
genden kurz: Joseph Goebbels, Die zweite Revolution).
5
Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich. Briefe und Aufsätze für Zeitgenossen, München
1926 (im folgenden kurz: Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich).
196
Joseph Goebbels, Lenin oder Hitler? (Rede, gehalten am 19. Februar 1926 im Opernhaus
in Königsberg), Zwickau 1926 (im folgenden kurz: Joseph Goebbels, Lenin oder Hitler?).
197
Ebd., S. 26.
122 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Unter bestimmten Bedingungen sind Gott, das Weltenschicksal und die G e


schichte auf der Seite der Deutschen, der Sozialismus wird nicht die Welt
oder die Deutschen erlösen, die Welt wird durch Deutschland erlöst werden:
Erst wenn 60 Millionen mit der letzten Inbrunst ihres Herzens frei werden wollen,
dann wird das Weltenschicksal, dann wird der Gott der Geschichte seinen Segen
geben [...]. Der Sozialismus kann und wird nicht die Welt erlösen. Die Welt wird
nie erlöst werden. Er wird ein Volk, vielleicht die Völker erlösen; er ist die Staats
lehre der Zukunftsnation [...]. Wir sind Willen zur Zukunft. Wir wollen durch
Deutschland die Welt erlösen und nicht durch die Welt Deutschland erlösen. 198
Ganz gezielt setzt sich Goebbels nicht nur vom wissenschaftlichen Sozialis
mus, sondern auch von dem rationalen Ideal der Moderne ab. Wie zur Zeit
wieder Mode, beruft er sich nicht nur auf den kalten Verstand, sondern auf
Gefühl und Willen:
Das sind Erkenntnisse, die nicht aus Büchern stammen, sondern letzte Einsichten
in die tiefsten Dinge, die der politische Zukunftsinstinkt uns gab f...]. Es ist der
tiefste Grund einer Freiheitsbewegung, daß sie nicht aus den kalten Kräften des
Verstandes kommt, sondern daß sie Sache des Willens, des Gefühls, daß sie an ei
nem Tag wie ein Gefühl ins Volk hineinströme und alles mitreißen wird, was noch
halb und feige war.199

Die Diskriminierung der „Erfahrung" und des „Wissens" vermischt Goebbels


mit der Verherrlichung des „jugendlichen Aktivismus". 2 n o Aber Goebbels ist
davon überzeugt, daß sich dieser auf die weltgeschichtliche Mission richte:
Diese Jungen sind wir, getrieben von einem Willen zur Mission, getrieben von der
Notwendigkeit zu handeln, geformt von der Aufgabe, die die Weltgeschichte uns
auferlegt hat. Diese Jungen bauen am Deutschland der Zukunft. Sie lachen über die
weise Erfahrung und neunmalkluge Besserwisserei der Weisen und Alten. Das, was
wir wollen, ist größer als Erfahrung und Wissen. So tritt das nationalsozialistische
junge Deutschland auf den Plan.201

Diese teutonische unio mystica hat aber schon in der Gegenwart das Glück, die
Inkarnation der Erlösung in einer Person zu erleben:
Nur eine Bewegung ist allein dazu imstande: der nationale Sozialismus, verkörpert
in einem Führer Adolf Hitler.202
Auf die synthetisierende Funktion des Führers zum Zwecke der Konstitution
von Gesellschaft und Zukunft soll erst im nächsten Kapitel eingegangen wer
den. Bevor die Bedeutung des Führers in der Konzeption v o m „Dritten
Reich" zu erörtern ist, soll der Z u s a m m e n h a n g zwischen der Erlösung und
der Einheit der Volksgemeinschaft behandelt werden.

198
Ebd., S. 26, 31
199
Ebd., S. 28 f.
200
Ebd.
201
Ebd., S. 29.
202
Ebd., S. 22.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 123

Für die Propaganda bevorzugt Goebbels die Predigt. D e n Vorrang der Pre
digt fordert Goebbels dann, wenn er sich selbst und die Mitglieder der Partei
als M o m e n t der Erlösung begreift, für das „Reich, das k o m m t " .
Die Begriffe Kampf, Volk, Bewegung, Revolution werden in dem Aufsatz
„ D e n k e r oder Prediger" in Beziehung gesetzt zur Mission der Erlösung im
zukünftigen Reich. In diesem Aufsatz will Goebbels einen schwäbischen Par
teifreund davon überzeugen, daß ein politischer Redner predigen müsse. Das
von ihm selbst zu gewinnende Publikum im Ruhrgebiet charakterisiert er als
proletarisch. Die Menschen im Ruhrgebiet, wo er zu reden habe, „wurden als
Kinder mit H a ß genährt, die lernten in der Schule das ABC der E m p ö r u n g
der Revolution [...], die kennen Hunger nicht nur vom Namen oder als vor
bereitendes Stadium zum Picknick". D e r schwäbische Parteifreund sei Den
ker, er aber sei „Prediger, Apostel, Rufer im Streit". Seine Zuhörer wollen
angeblich „ m e h r als Denken und Philosophie", nämlich Kampf. Der Typus
des Denkers erhält von Goebbels die allgemein im Abendland akzeptierten
Merkmale der Vernunft:

Sachlich, klug, wissend, logisch, gelehrt, gespickt mit historischen Beweisgründen.


Er aber müsse, um die „Seele des deutschen Arbeitsmannes" kämpfen und
die Masse formen:
Ich stand vor tausenden und predigte Barrikaden und Revolution. Man hat bei ih
nen das Hungern noch nicht verlernt. Deshalb kann man in Gedanken Erfüllung
finden. Der Gedanke nach Freiheit ist nicht das Vorrecht einer Klasse. Der Hun
ger nach Brot gestaltet die Welt. Hunger nach letzter Erfüllung der geheimnisvoll
uns übertragenen Mission schafft das größere: Volk und Mensch. Das ist unsere
letzte Aufgabe, und sie geht auch nicht an ihnen vorbei. Stehn Sie auf und predi
gen Sie! Werfen Sie die Blässe des Gedankens über Bord, sie erzieht keine Narren,
sie formt keine Helden. Wir werden erst dann ans Ziel gelangen, wenn wir Mut
genug haben, lachend zu zerstören, zu zertrümmern, was uns heilig war als Tradi
tion, als Erziehung, als Freundschaft und menschliche Liebe. Zum Prediger gehört,
daß er sich selbst nichts ist und die anderen ihm alles. Lernen wir das! Dann stehen
wir turmhoch über all dem Geifer, der um uns spritzt. Dann werden wir Helden,
werden wir Erlöser sein. Dann begreifen wird das Tiefste, das wir nicht auf dieser
Welt sind, um zu leiden und zu sterben, sondern um eine Mission zu erfüllen. Der
eine fühlt den Trieb zur Mission stärker in sich, der andere schwächer. In uns
brennt er dann wie ein Fanal. Dann müssen wir so sein, wie wir sind. Dann müssen
wir leiden, damit das Lachen nicht auf Ewigkeit aus Deutschland verschwindet.
Dann müssen wir kämpfen, damit wir Ruhe finden vor dem Dämon, der uns
peitscht und vorwärtstreibt. Dann müssen wir überwinden, daß wir unüberwindlich
werden.

Dann erfüllt sich an uns das Geheimnis der Geschichte: daß wir ein Stück Erlö
sung sind für ein Reich, das kommt.
Mit Handschlag, Ihr Joseph Goebbels 203

Joseph Goebbels, Die zweite Revolution, S. 59 ff.


124 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Mit dem Reich, das k o m m t , meint G o e b b e l s das „Dritte Reich". So hat er ein
J a h r später eine Aufsatzsammlung unter d e m Titel „Wege ins Dritte Reich"
veröffentlicht. Unter der Perspektive des k o m m e n d e n Reiches werden in dem
hier zitierten Aufsatz Handlungsziele, Werte, ö k o n o m i s c h e , soziale und poli-
tische Wirklichkeitsbeschreibungen, seine eigene Identität sowie die seiner
G e n o s s e n und des Volkes in der Sprache des Glaubens und der Religion arti-
kuliert. Vernunft und Glaube ergänzen einander nicht wie in der scholasti-
schen Theologie, s o n d e r n stehen einander dualistisch gegenüber. Ganz
selbstverständlich interpretiert G o e b b e l s sich als einen Prediger, der von ei-
nem „ D ä m o n " getrieben werde. Diese verdinglicht-spiritualistische Interpre-
tation seiner selbst korrespondiert mit seinem G r ö ß e n w a h n und seinen O m -
nipotenzphantasien: „ D a n n müssen wir überwinden, daß wir unüberwindlich
werden."
Unüberwindlichkeit ist also auch ein Ziel der die Erlösun g betreibenden
Apostel, Rufer, Prediger oder Missionare des „Dritten Reiches". Die Gegen-
wart wird als katastrophal empfunden. Aus der Relation von Gegenwart und
Zukunft folgt auch die Rechtfertigung, zu z e r t r ü m m e r n und zu zerstören. Als
Apostel, Rufer, Prediger und Missionare vollziehen die so definierten Natio-
nalsozialisten aber nichts anderes als das sogenannte Geheimnis der G e -
schichte. In Rücksicht auf dieses Bewußtsein von Geschichte m u ß die Gesell-
schaft erst noch im Sinne der Einheit konstituiert werden, was wiederum zur
K o n s e q u e n z hat, daß der „neue Mensch", von dem G o e b b e l s am Anfang sei-
nes Tagebuches aus dem J a h r e 1925 schon träumte, formiert werden muß.
G o e b b e l s denkt geradezu zwanghaft an U m s t ä n d e und Zustände, die Iden-
tität ermöglichen und ausmachen. Deshalb ist er sowohl Gegner des Klassen-
kampfes als auch G e g n e r des traditionellen Nationalismus. In dem Aufsatz
„Klassenkampf und Volksgemeinschaft" 2 0 4 stellt Goebbels fest, daß die Ein-
heit der Gesellschaft, das heißt für ihn Volksgemeinschaft, noch gar nicht
v o r h a n d e n ist. Deshalb fragt er nach den Ursachen und postuliert die Mittel
zur Herstellung der Volksgemeinschaft. In drei Schritten legt er dar, worauf
es ihm a n k o m m t :
Erstens: die „deutsche E i n h e i t " sei ein „leid- und schmerzvolles Produkt
der gemeinsamen N o t " . D a h e r müsse die „soziale Frage" gelöst werden, denn
„Arbeiter und Bürger" könnten nicht wie bisher so „nebeneinander leben".
Zweitens: Die N o t sei nicht nur die des „Leibes", sondern auch die der
„Seele".
Drittens: Diese N o t hat nach G o e b b e l s eine religiöse Dimension; das Rin-
gen um „ E r l ö s u n g " . D e r Schlüssel zur Konstitution der Volksgemeinschaft
liege im Bereich der Innerlichkeit:
Machen wir uns selbst nichts vor! Predigen wir nicht einer Volksgemeinschaft, die
innerlich durchaus unwahrhaftig ist, die überhaupt nicht da ist, die nicht kommen

Joseph Goebbels, Klassenkampf und Volksgemeinschaft, in: ders., Die zweite Revolution,
S. 13 ff.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 125

kann ohne eine systematische Revolutionierung all dessen, was als Staats- und Ge-
sellschaftsform um uns ist, die keinen einzigen Schritt weitergeführt wird durch
Reden, Parlamentsbeschlüsse und Resolutionen, sondern erst am Ende des Kamp-
fes um die deutsche Einheit ein letztes leid- und schmerzvolles Produkt der ge-
meinsamen Not ist. Reden wir nicht um die Dinge herum, lernen wir vielmehr die-
se Not, die schon den größten Teil unseres Volkes in tragischer Unabwendbarkeit
begriffen hat, verstehen, lernen wir sie mittragen, zu unserer eigenen Not machen,
damit wir sie umso brutaler und leidenschaftlicher beseitigen. Es ist ja nicht nur die
Not des Leibes, die da um Erlösung ringt, sondern in ihrem Gefolge eine, wenn
auch manchmal unbewußte, so doch gerade darum umso namenloserer Not der
deutschen Seele.205
N a c h Goebbels haben sowohl die „Idee der Z u k u n f t " als auch die „Idee des
Sozialismus" als M o m e n t e der Erlösun g die Funktion der Konstituierung von
Gesellschaft:
Wir haben nun lange genug mit sanftmütigem Augenaufschlag von der kommen-
den deutschen Volksgemeinschaft gesprochen. Wir sprachen vom Frontgeist nach
dem Kriege, vergaßen aber meist dabei, den Frontgeist zu fordern, wie er sein muß
und nicht, wie er manchmal war. Brücken bauen zum Verstehen, das ist ihre Paro-
le. Gut! Wir sind dabei! Aber bauen wir Brücken nicht nur herüber, sondern hin-
über. Es gibt bei Gott und allen Himmeln nur eins, was uns alle verbinden könnte:
die Idee der Zukunft. Schon in der Gemeinsamkeit dieser Idee liegt ein gut Stück
Sozialismus. Der Sozialismus ist wie jede große Idee eine Weltidee. Erschrecken
Sie nicht: Ideen sind international, doch spiegeln sie sich im Menschen national,
d. h. erdverbunden. Sie sind nur im Staate einzeln zu verdichten und zu verkör-
pern. Jede große Idee birgt in sich das Moment der Erlösung. Wie sich der Bürger-
stand im vergangenen Jahrhundert im Kampf um eine Idee emanzipierte, so wird
sich in unserem Jahrhundert im Kampfe um eine andere Idee unser Volk von der
Knechtschaft emanzipieren. Was reden wir da von einer neuen Front zwischen
Bürger und Arbeiter. Die ist ja da, die ist seit Jahrzehnten da; die Frage kann nur
lauten: wie beseitigen wir sie am allerschnellsten und am allerradikalsten? 206

Als Mittel empfiehlt G o e b b e l s den Kampf, und wer sich aus der Volksge-
meinschaft herausstelle, sei der Feind:
Wir kommen nicht darum herum: es muß gekämpft werden. Seien wir so ehrlich,
da, wo gekämpft werden muß, offen und gerade mit unserer ganzen Leidenschaft
zu kämpfen. Die Volksgemeinschaft ist nicht nur ein Produkt des völkischen Pa-
triotismus, sondern vielmehr ein Produkt vaterländischer Liebe und vaterländi-
schen Hasses. Wer sich selbst aus dieser Volksgemeinschaft herausstellt, wer ihr
offen zuwider handelt, ob bewußt oder unbewußt, das zu untersuchen fehlt uns die
Zeit, der ist unser Feind, den wir von ganzem Herzen und mit all unserer Inbrunst
hassen bis in den Tod. 207

Goebbels ist nicht der Überzeugung, in der M o d e r n e sei die Politik von der
Religion emanzipiert, das zwanzigste J a h r h u n d e r t zur E n t z a u b e r u n g ver-

205
Ebd., S. 15.
206
Ebd., S. 16.
207
Ebd.
126 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

dämmt. Es stellt eine ganz andere Konnexität zwischen Religion und der Idee
des Staates in der Zukunft her:
Wir leben im Zeitalter der Masse: aber nicht der Masse gehört die Zukunft, son-
dern dem, der die Masse mit organischem Leben füllt. Dem Treiber, dem Former,
dem König der Massen gehört das neue Jahrhundert. Aber auch am Ende der Mas-
senbewegung unserer Zeit steht die Diktatur. Der Cäsarismus der Reaktion ist ata-
vistischer Unsinn. Die Diktatur der sozialistischen Idee im Staate ist die Zukunft.
So klingt in unser hysterisches Tagesgeschrei schon verhalten der Marschrhvthmus
der Massen hinein, der Rhythmus von Axt- und Hammerschlag, das ewige Lied der
Arbeit, die die Welt befreit. Erlösung marschiert. 208

Wenn Goebbels die Massen verführte — man unterstellt ihm ja allenthalben


Erfolg - , so tat er dies im Bewußtsein, Modernität und Religion miteinander
zu versöhnen. Seine Intention, Schrittmacher und Wegbereiter einer neuen
Zeit zu werden, vollzog sich im Bewußtsein der „ N o t der Gegenwart" und im
„neuen Glauben", welcher aus der N o t der Gegenwart geboren werde:
Es geht das junge Volk zum Säen aus über die deutschen Äcker. Not ist im Volk,
und Elend fährt durchs Land. Aber das junge Volk verzweifelt nicht. Es sät neuen
Glauben, neue Liebe, neues Leben. 209
Goebbels gelingt es, geradezu alles miteinander zu vereinigen und der Idee
des Glaubens und der Erlösung unterzuordnen: soziale Not, Wirtschaft, den
Kampf ums Dasein, das Formen der Massen und die Bedeutung eines Füh-
rers. Er will sogar die Mitglieder seiner eigenen Bewegung missionieren und
versichert in einem Aufsatz mit dem Titel „ D e r Glaube an das Proletariat"
dem späteren obersten SA-Führer Franz Pfeffer von Salomon:
Seien wir uns endlich einmal grundsätzlich klar darüber: Soweit hier überhaupt von
Recht oder Unrecht gesprochen werden kann, ist das Proletariat dem Besitz gegen-
über auf der ganzen Linie im Recht. Man hat immer Recht, wenn man um das nack-
te Leben kämpft. Es ist unsittlich und falsch, da von Interessengruppen zu spre-
chen. Auf der einen Seite allerdings steht die Interessengruppe, die zähe, schleimi-
ge Masse von Besitz und Bildung; auf der anderen Seite stehen Hunger, Verzweif-
lung und Opfer. Wir erreichen nichts, wenn wir uns auf die Interessen von Besitz
und Bildung stützen. Wir erreichen alles, wenn wir Hunger, Verzweiflung und
Opfer für unsere Ziele in Marsch setzen. Sie sehen in der Masse den Prototyp des
Passivum. Ich sehe in der Masse den Stoff, den wir Bildhauer der Zukunft zu klin-
gendem, gestaltetem Erz formen müssen. Nicht der Masse allerdings gehört die
Zukunft, sondern dem, der sie mit Leben füllt, dem Herrscher, dem König der
Masse. Er hört heute schon den verhaltenen Rhythmus der Millionen, die im Werk
der Rache um Freiheit und Brot beginnen.

Das steht himmelhoch über Wirtschaft und Interessen. Das ist ein Erlösungsge-
danke, ein Evangelium, an das ich mit unerschütterbarer Gewißheit glaube. Das ist
der Wiederbeginn des uralten Naturkampfes ums Dasein, den wir heute in grandio-

208
Ebd.
209
Ebd.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 127

sen Ausmaßen sich anbahnen sehen. Da erhebt sich die Politik des Tages sieghaft
in die klare Höhe weltanschaulicher Weite. Das sehen sie nicht. Sie stecken noch
in dem Phrasendrusch von Lohn und Interesse. Unser Sozialismus ist mehr. Er ist
alles, er ist Glaube und Erlösung!!210
Man kann Goebbels' Glaube an Erlösung nicht als Ausdruck der Säkularisa-
tion charakterisieren, denn er besteht auf den Glauben an G o t t und erfüllt
somit die wesentliche Bedingung religiöser Existenzinterpretation. Nach ihm
gibt es nicht die „Revolution als Ding an sich", sondern - nach dem gleichna-
migen Aufsatz in dem Sammelband „Wege ins Dritte Reich" - es gibt „kein
D i n g an sich außer Gott". 2 1 1
Die Identität des eigenen wiederherzustellenden Kollektivs wird wie in der
politischen Theologie Carl Schmitts 2 1 2 oder der mystischen Apokalyptik Diet-
rich Eckarts durch die antagonistischen Gegensätze G o t t und Satan, Sein und
Nichts sowie Aufbauen und Zerstören hergestellt. Die genuin phänomenolo-
gischen Merkmale von Macht, nämlich Verbinden oder Auflösen, werden mit
der religiösen Existenzinterpretation beschreibend und wertend zusammen-
gebracht. Goebbels selbst subsumiert in diesem Kontext Verfall, Zerstörung
und Zersetzung erstens unter das Prinzip des Bösen und zweitens unter eine
bestimmte Auffassung von Geschichte:

Im Verlauf der großen geschichtlichen Epochen geht die Linie der Entwicklung
nach oben und nach unten. Nach oben geht der Aufbau, nach unten stürzt der Zu-
sammenbruch. In diese Linie ist der Mensch gestellt. Setzt ihn das Schicksal in die
Entwicklung nach oben, dann wird er bauen, setzt es ihn in die Entwicklung nach
unten, dann wird er zerstören müssen. Aber immer wird er der bejahende, schöp-
ferische, gestaltende Mensch sein. Und gegen ihn wird ebenso ewig das Prinzip des
Bösen kämpfen, der Mensch der Zersetzung und des Verfalls. Er wird im Gestal-
ten Empörer und in der Zerstörung Zersetzer und Revolutionär als Ding an sich
sein und bleiben.213

Zum Merkmal nationalsozialistischer Mentalität, einen Menschen unabhängig


von seinen individuellen Fähigkeiten und seinem Verhalten durch das Kollek-
tiv zu definieren und ihn dementsprechend zu behandeln, kommt gemäß der
Perspektive Goebbels' die Annahme hinzu, es gäbe ein „Prinzip des Bösen".
Willensfreiheit und Schuld des einzelnen sind damit von vornherein ausge-
schlossen. Sie sind vom Bösen determiniert und können gar nicht anders sein,
als sie sind. Sie müssen gemäß diesem Glauben Instrumente und Werkzeuge
des Bösen sein. Nach diesem Dualismus ist der Revolutionär vom „Typ
Goebbels" ganz anders prädestiniert. Dessen Identität wird durch die „ge-
schichtliche Sendung" konstituiert, woraus die Berechtigung folgt, durch Zer-
störung das neue Reich aufzubauen:

Joseph Goebbels, Der Glaube an das Proletariat, in: ders., Die zweite Revolution, S. 56.
Joseph Goebbels, Die Revolution als Ding an sich, in: ders., Wege ins Dritte Reich, S. 48
Carl Schmitt, Politische Theologie, S. 71, 75, 83.
Joseph Goebbels, Der Glaube an das Proletariat, in: ders., Wege ins Dritte Reich, S. 47.
128 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Wir aber werden zerstören müssen, um Raum zum Bauen zu schaffen. Wir werden
Revolutionäre sein müssen, um Staatsmänner werden zu können. Wir werden den
Liberalismus zerschlagen müssen, um den Sozialismus zu vollenden. Das ist der
Sinn unserer Revolution und unserer geschichtlichen Sendung. Über den zerstören
den Trieb der Gegenwart durch Zertrümmerung eben dieser Gegenwart einem
neuen Reich den Weg zu bahnen, die Gasse frei zu machen für eine andere Zu
kunft, indem wir das vor uns Geschaffene und vielleicht uns selbst zum Opfer
bringen, das ist unsere Aufgabe.214

Dieser Typus von Mensch ist Instrument oder Werkzeug des „göttlichen Wil
lens", da es aber kein Ding an sich außer G o t t gibt, ist es der göttliche Wille
der Geschichte, welcher durch den Führer als Vermittler zwischen Gott,
Mensch und Geschichte erfüllt wird:
Und glaubt an den Sieg der Idee! Dann ist es kein Damaskus, wenn wir geschlos
sen hinter ihrem Führer stehen; dann beugen wir uns nicht vor ihm aus byzantini
schem Zwang, weil er es befahl und wir mußten gehorchen. Dann beugen wir uns
vor ihm mit jenem alten Männerstolz vor Königsthronen, jenem Gefühl der Sicher
heit, daß er mehr ist als Du und Ich, mit jener beruhigenden Gewißheit, daß er
Männer gebraucht und Männer bestehen läßt.
Daß auch er nur ein Instrument ist jenes göttlichen Willens, der die Geschichte ge
staltet, der Revolutionen schickt, daß sie neue Welten gebären, und Welten baut,
daß sie einst im Strudel neuer Schöpferlust zerbrechen.
Zu dem sind auch wir Werkzeug. Und weil das Geschichte ist, sind wir Instrumen
te jenes gestaltenden Willens der Zukunft.
Da gibt es kein Ding an sich außer Gott. 215
Der Sieg der Idee hat bei Goebbels keine sozialdarwinistische oder materiali
stische Grundlage. Er beruht auf seinem Glauben an Gott, die Geschichte
und die existentielle Notwendigkeit, sich dem Führer als „ I n s t r u m e n t " von
G o t t und Geschichte anzuschließen. Nirgends konzentriert sich G o e b b e l s '
Hoffnung auf die Aufhebung der säkularisierten, „entgötterten" Welt mehr,
als in seiner Sehnsucht nach der Vermittlung von Transzendenz und Imma
nenz, G o t t und Mensch, G o t t und Gesellschaft sowie G o t t und Welt durch
einen mit außerordentlichen Fähigkeiten begabten Menschen. Man könnte
meinen, Max Weber habe die Aufsätze und die Tagebücher des Dr. phil. J o
seph Goebbels gelesen, um seine Definition des Charismas zu entwickeln.
Der psychokognitive Akt der Anerkennung des Charismas Adolf Hitlers geht
von Goebbels aus. Er ist es, der glaubt, Adolf Hitler habe, wie es bei Max
Weber 2 1 6 heißt, die „Qualität einer Persönlichkeit", die „mit übernatürlichen
oder übermenschlichen Kräften begabt" ist und als „gottgesandt" gewertet

2.4
Ebd., S. 48.
2.5
Ebd.
216
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundrisse der verstehenden Soziologie, 5. Re
vidierte Aufl. besorgt von Johannes Winkelmann, Köln/Berlin 1972, S. 140.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 129

wird. G o e b b e l s hat sogar einen Aufsatz mit dem Titel „Die Führerfrage" ge-
schrieben. Auf die darin zur Sprache kommenden Elemente der Führerver-
ehrung wird in dem Kapitel über den Glauben an das Charisma Adolf Hitlers,
in d e m mehrere führende Nationalsozialisten behandelt werden, detaillierter
eingegangen. Hier genügt es festzuhalten, daß Goebbels der Meinung ist, Hit-
ler habe in einer Rede vor dem Landgericht München, wo Hitler wegen des
N o v e m b e r p u t s c h e s vom 9. N o v e m b e r 1923 angeklagt war, den „Katechismus
neuen politischen Glaubens in der Verzweiflung einer zusammenbrechenden,
entgötterten Welt" formuliert:

Sie sprachen vor dem Volksgericht in München, daß es um mehr gehe als Minister
zu werden und erinnerten mit tiefstem Erschüttern an einen Mann, auf dessen
Grabstein nicht Geheimrat, Baron von und zu ..., sondern einfach und groß .Ri-
chard Wagner' steht. Dieses stolze Wort danken wir Ihnen. Das muß man einmal
erfaßt und ergründet haben, um das Wesen des Führers zu erkennen.
Vor dem Gericht in München wuchsen Sie vor uns in das letzte Format des Füh-
rers hinein. Was Sie da sagten, ist das größte, das nach Bismarck in Deutschland
gesprochen wurde. Da brachten Sie mehr zum Ausdruck, als eigene Qual und eige-
nen Kampf. Da nannten Sie die Not einer ganzen Generation, die in zerfahrener
Sehnsucht nach Männern und Aufgaben sucht. Da predigten Sie den Kampf statt
feigen Erschlaffens, da forderten Sie Fanatismus statt pazifistischer Feigheit, da
lehrten Sie die Liebe zum Volk zu Freiheit und Vaterland mit heißer, verzehrender
Glut. Was Sie da sagten, das ist der Katechismus neuen politischen Glaubens in der
Verzweiflung einer zusammenbrechenden, entgötterten Welt.

Sie verstummten nicht. Ihnen gab ein Gott zu sagen, was wir leiden. Sie faßten
unsere Qual in erlösende Worte, formten Sätze der Zuversicht auf das kommende
Wunder. Das danken wir Ihnen. Das wird Ihnen einst Deutschland danken.
Von unten fingen Sie an, wie jeder große Führer. Aber wie jeder große Führer
wuchsen Sie mit der Aufgabe, wurden groß, wie Sie größer wurden, wurden ein
Wunder wie Sie ein politisches Wunder wurden. Darum haßt man Sie, wenn man
die Idee treffen will. Darum bekämpft und beschmutzt man Sie, wenn man den
politischen Glauben meint [...]
So grüßt das junge Deutschland Sie, lieber Adolf Hitler, als sein Symbol, als seine
Verkörperung, als den Mann, den Kämpfer, den ersten Diener an der Idee, dem
auch wir uns mit jeder Faser, mit jedem Gedanken, mit all unserem Tun und Han-
deln verbunden fühlen.
Bleiben Sie uns, was Sie uns heute sind: der liebe, sturmerprobte Führer aus Ge-
fahr und Not, Freiheit und Brot
Ich grüße Sie! Heil!
Ihr Dr. Goebbels. 217

Wir wissen, daß Joseph Goebbels vor seinem Eintritt in die N S D A P seine
Sehnsucht nach einem starken Mann und nach einem Führer im Kontext mit

Joseph Goebbels, Die Führerfrage, in: ders., Die zweite Revolution, S. 6-8
130 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

der Bitte, G o t t möge ihm helfen, niedergeschrieben hat. N o c h stärker als in


den öffentlichen Bekenntnissen kommt die religiöse Dimension seiner Füh-
rersehnsucht in dem Tagebuch zum Ausdruck. Goebbels ist bereit, einen p o -
litischen Führer nach dem Vorbild christlicher P r o p h e t e n , ja Christus
selbst, zu imaginieren. Anläßlich der Lektüre von Adolf Hitlers „Mein
K a m p f notiert er am 14. O k t o b e r 1925:

Ich lese Hitlers Buch zu Ende. Mit reißender Spannung! Wer ist dieser Mann? Halb
Plebejer, halb Gott! Tatsächlich der Christus oder nur der Johannes? Sehnsucht
nach Ruhe und Frieden.
Goebbels gehörte zwar am Anfang seiner Karriere zur nordwestdeutschen
N S D A P , die vornehmlich durch Gregor Strasser organisiert wurde und die im
innerparteilichen Konflikt mit der Münchner N S D A P stand, aber auf seinem
Nachttisch stand nicht das Bild Gregor Strassers. V o r der Auseinanderset-
zung zwischen dem sogenannten linken Flügel Strassers mit der G r u p p e
„Hitler" in München wegen der Entschädigung der Fürstenenteignung (die
Strasser-Gruppe war gegen die Entschädigung der nach der Revolution ent-
eigneten Fürsten) im Februar 1926 in Bamberg stand das Bild Adolf Hitlers
auf seinem Nachttisch:

Auf meinem Tisch stehen eine Reihe neuer Bilder von ihm. Entzückend! 218
Es entspricht also durchaus der Einlösung seines Glaubens, wenn G o e b b e l s
im Konflikt zwischen der nordwestdeutschen G t u p p e um Gregor Strasser
und dem süddeutschen Flügel um Adolf Hitler sich im Frühjahr 1926 auf die
Seite Hitlers stellte.
Goebbels' „Katechismus neuen politischen G l a u b e n s " enthält — korre-
spondierend mit der Verzweiflung über die „entgötterte Welt" und dem Glau-
ben an das Charisma Hitlers — eine aus einer spezifischen Form des Glaubens
vorgenommene Definition von Politik. Die für Goebbels maßgebende reli-
giöse Implikation des Politischen ist der Glaube an Wunder. Goebbels ist v o n
der magischen Form der Religiosität attrahiert:
Wir haben gelernt, daß Politik nicht nur die Kunst des Möglichen ist.219
Magie als Glaube an die Durchbrechung der den Menschen bekannten oder
von ihnen selbst geschaffenen Kausalstrukturen bedeutet für denjenigen, der
an Wunder glaubt, daß die überirdischen Kräfte die Welt gemäß seinen W ü n -
schen und Hoffnungen regieren. Wird diese Form des D e n k e n s auf das Be-
wußtsein von Gesellschaft übertragen, dann gerät die Bestimmung, wer
Freund und wer Feind ist, in den Sog magischer Existenzinterpretation. Z u
den magisch-religiösen Dimensionen des Komplexes Drittes Reich ist auch
sein Postulat des Opferns zu rechnen:

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 6. 2. 1926.


Vgl. Joseph Goebbels, Die Führerfrage, in: ders., Die zweite Revolution, S. 9
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 131

Opfert! Im Opfer liegt die Reinigung von Schuld. Geht den harten Opfergang um
der Zukunft willen [...]. Das Opfer ist da alles. Es macht uns zu Helden der Tat,
vor deren berauschendem Atem das Alte stürzt und das Neue sich formt wie von
selbst. 220
D e r heilige Zweck des neuen Reiches heiligt das Mittel des Opferns:
Geht den Opfergang um der Zukunft willen! Werdet Helden der Überwindung!
[...]. Das Wunder des neuen Reiches wird an dem getan, der an sich selbst ein
Wunder vollbringt. Und nun geht und handelt!221
G o e b b e l s verlangt also von den Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft das
Selbstopfer als politische Handlung. Das Mittel zur Erreichung der Erlösung
im Dritten Reich ist aber nicht nur das Selbstopfer der Nationalsozialisten
und der D e u t s c h e n , sondern auch das Fremdopfer, was im folgenden darzu-
legen ist.

cc. „ D e r J u d e " als „Antichrist"

D e r Antisemitismus G o e b b e l s ' ist nicht durch unangenehme Erfahrung mit


Menschen jüdischer Herkunft hervorgerufen worden. Die oben bereits er-
wähnte Else war seine langjährige Geliebte, an der er außerordentlich hing. 2 2 2
Else aber war nach der Definition der Nationalsozialisten „Halbjüdin".
O b w o h l er sich v o n ihr verwöhnt fühlt und meint, im Kreise seiner Familie
und seiner Geliebten, das „Leben eines Paschas" zu führen, entwickelt er im
Zuge dieser patriarchalischen Idylle einen AntiJudaismus im Sinne des apoka-
lyptisch-chiliastischen Dualismus:
Drei Tage war ich zu Hause. Es war eine helle Freude und Seligkeit. Wie wunder-
voll paradiesisch doch so ein paar Tage der absoluten Ruhe sind. Mit Elsbeth ge-
spielt, mit Benno getollt, mit Maria geulkt, mit Mutter erzählt, mit Else gekost. So
das Leben eines Paschas. Und Vater schreitet hindurch mit einer ruhigen, ernsten
Sachlichkeit. Dazwischen las ich Iw. Naschiwins ,Rasputin' mit tiefer Erschütte-
rung aus. Das grandiose Gemälde des russischen Bolschewismus. Wohl etwas
weißrussisch gesehen. Aber niederdrückend in seiner satanischen Grausamkeit. So
mag der Teufel wüten, wenn er die Welt beherrscht. Der Jude ist wohl der Antichrist
der Weltgeschichte. Man kennt sich kaum mehr aus in all dem Unrat von Lüge,
Schmutz, Blut und viehischer Grausamkeit. Wenn wir Deutschland davor bewah-

0
Vgl. Joseph Goebbels, Opfergang, in: ders., Wege ins Dritte Reich, S. 55.
121
Ebd., S. 56; vgl. Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 324-327, S. 377 ff.; Kap. C.II.3 dieses Bu-
ches.
„Mutter ist gut zu mir. Ich verdanke ihr fast alles, was ich bin. Else ist meine junge Mutter
und Geliebte. Ich denke manchmal an sie als Mutter", Tagebücher, 8. 8. 1924; „Else ist
fort. Regen und grau. Trostlose Einsamkeit. Ich stehe vor der Verzweiflung", Elke Fröh-
lich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 4. 9. 1925, „Ein Zeichen! Der Zug geht los.
Else dreht sich herum und weint. Dann schließe ich das Fenster und auf die Wagendecke
fällt Regen! Ich habe Abschied vom Leben der anderen genommen! Das Herz zerbrach!",
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 28. 9. 1926.
132 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

ren, dann sind wir wahrhaft patres patriae! Heute nur Arbeit als Ausspannung.
Heute abend in Langenberg Sonnenwende. Ich rede. 223
Allein mit diesem Zitat kann bewiesen werden, daß G o e b b e l s ' Antisemitis-
mus kein biologischer ist. D e n n mit dem T o p o s „Antichrist" wird in der
christlichen Überlieferung, ausgehend v o m N e u e n Testament (Erster Brief
des Johannes 2,18; 2,22; 3,7; 4,3 und Zweiter Brief des Johannes 7) nicht nur
ein schlichter Gegner der eigenen Religion bezeichnet. Der „Antichrist" ist
vielmehr der von Satan geschickte gewaltige Gegner aller Christen und der
Verhinderer ihrer Erlösung. Es steht hiermit fest, daß für Goebbels, der, wie
schon ausgeführt, an die Existenz des Bösen glaubt und dessen Macht fürch-
tet, das Volk der Juden die Verkörperung des Satans darstellt. 2 2 4 Mit dieser
Notation aus dem Tagebuch des Jahres 1926 wird auch widerlegt, daß G o e b -
bels sich nur aus opportunistischen G r ü n d e n oder allein wegen des Zwecks
der Massenpropaganda zum Antisemitismus bekannt hat. Aufschlußreich für
Goebbels' Antisemitismus, im Rahmen seiner eigenen Deutung des Christen-
tums, ist auch der in dem offiziellen Parteiverlag erschienene Tagebuch-Ro-
man „Michael", dessen Protagonist schließlich ein Christusdrama schreibt:

Der Jude ist uns im Wesen entgegengesetzt. Er hat unser Volk geschändet, unsere
Ideale besudelt, die Kraft der Nation gelähmt, die Sitten angefault und die Moral
verdorben. 225

Auch in diesem Kontext deutet Goebbels Gesellschaft ganz allgemein in der


Kategorie der Identität, insofern sowohl von der fremden als auch von der
eigenen Gemeinschaft behauptet wird, sie hätte ein „Wesen". Die Fremd-
bestimmung geschieht im Selbstbezug, sie ist von der eigenen Selbstbestim
mung abhängig. D e n n „der J u d e " , womit alle einzelnen Juden gemeint sind,
wird dadurch bestimmt, daß er die eigenen „Ideale" und die eigene „Kraft"
des deutschen Volkes negiert. Auch hier beruft sich Goebbels auf den Dua-
lismus von G o t t und Teufel:
Wer den Teufel nicht hassen kann, der kann auch Gott nicht lieben. Wer sein Volk
liebt, der muß die Vernichter seines Volkes hassen.
Goebbels legt an dieser Stelle Wert darauf, zu betonen:
Christus kann gar kein Jude gewesen sein. Das brauche ich erst gar nicht wissen-
schaftlich zu beweisen. Das ist so. 227
Goebbels ist geradezu zu diesem Glauben gezwungen, weil er das „Wesen"
der modernen Deutschen durch Christus definiert:

223
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 26. 6. 1926 [Hervorhebung C.-E. B.)
224
Vgl. Evangelium des Johannes 8,44, wonach der Teufel der Vater der Juden ist.
225
Joseph Goebbels, Michael, S. 57.
226
Ebd., S. 58.
227
Ebd.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 133

Wir modernen Deutschen sind so etwas wie Christussozialisten.228


Im Anschluß daran wird, v o m angeblich diametralen Gegensatz von Christus
und dem J u d e n t u m ausgehend, die jüdische Rasse diskriminiert:
Christus ist das Genie der Liebe, als solches der diametralste Gegenpol zum Juden-
tum, das die Inkarnation des Hasses darstellt. Der Jude bildet eine Unrasse unter
den Rassen der Erde. Er hat dieselbe Aufgabe, die im menschlichen Organismus
der Giftbazillus hat: den Widerstand der gesunden Kräfte mobil zu machen oder
ein zum Tode bestimmtes Lebewesen schneller und geräuschloser sterben zu las-
229
sen.
Anschließend werden in dem Zusammenhang mit dem Opfer- und Kreuzes-
tod Christi alle Juden als Mörder und Lügner definiert:
Christus ist der erste Judengegner von Format. ,Du sollst alle Völker fressen!' Dem
hat er den Krieg angesagt. Deshalb mußte das Judentum ihn beseitigen. Denn er
rüttelte an den Fundamenten seiner zukünftigen Weltmacht.
Der Jude ist die menschgewordene Lüge. In Christus hat er zum erstenmal vor der
Geschichte die ewige Wahrheit ans Kreuz geschlagen. Das hat sich an die dutzende
Male in den darauf folgenden zwanzig Jahrhunderten wiederholt und wiederholt
sich heute aufs Neue.
Die Idee des Opfers gewann zum erstenmal in Christus sichtbare Gestalt. Das
Opfer gehört zum Wesen des Sozialismus. Sich selbst hingeben für die anderen.
Dafür hat der Jude allerdings kein Verständnis. Sein Sozialismus heißt: die anderen
zum Opfer bringen für sich selbst.
So sieht auch der Marxismus in der Praxis aus.
Verteile dein Gut an die Armen, Christus.
Eigentum ist Diebstahl - solange es nicht mir gehört: Marx.
Christussozialisten: d. h. freiwillig und gern das tun, was die Allerweltssozialisten
aus Mitleid oder Staatsräson tun.
Moralische Notwendigkeit gegen politische Einsicht.
Der Kampf, den wir heute ausfechten bis zum Sieg oder bis zum bitteren Ende, ist
im tiefsten Sinn ein Kampf zwischen Christus und Marx.
Christus: das Prinzip der Liebe.
Marx: das Prinzip des Hasses. 230
Das dualistische Wahrnehmungsmuster von Kraft und Gegenkraft wird in
dem zitierten Kontext zu einer Entgegensetzung von Existenz und Nichtexi-
stenz gesteigert:

2a
Ebd., S. 82.
229
Ebd.
230
Ebd.
134 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Entweder er richtet uns zu Grunde, oder wir machen ihn unschädlich. Ein anderes
ist nicht denkbar.231
Die Intention der Vernichtung der Juden ist mithin schon sehr früh, aus der
Konstellation des politischen Glaubens heraus, artikuliert worden. Goebbels
hat diese Intention der Vernichtung auch in öffentlichen Reden ausgespro-
chen. Er fügt in der Rede „Lenin oder Hitler?" seinen Bemerkungen über die
Notwendigkeit der Erkenntnis des Weltfeindes die Kampfansage an:

Wir wollen den Kampf gegen diesen Weltfeind aufnehmen. Wir wollen Deutsch-
land zu einem Staat, das deutsche Volk zu einer Nation machen. Dieses Volk soll
reit gemacht werden, dem Feind den Dolch mitten ins Her% ^u stoßen}^2

D e r Aufruf zum Völkermord ist mithin eine Folge der Bestimmung der kol-
lektiven Identität des deutschen und des jüdischen Volkes. Diese wiederum
enthält eindeutig religiöse Implikationen. Das deutsche Volk ist das Volk
Christi („Christussozialisten") und das jüdische das des „Antichrist". Der An-
tagonismus zwischen überirdischen Mächten wird auf die Beziehung zwi-
schen dem deutschen und dem jüdischen Volk übertragen. D e r Kampf zwi-
schen Deutschen und Juden wird in Analogie zum K a m p f zwischen G o t t und
Satan begriffen. Gemäß der apokalyptischen Vision (Offenbarung des J o h a n -
nes 19,20) vom „Dritten Reich" muß dieser Kampf mit der Vernichtung der
Bösen, das heißt für Goebbels der Juden, enden.
Goebbels hat den in seiner Kampfzeit entworfenen politischen Glauben
während seiner ganzen politischen Tätigkeit bewahrt. 1942, die ersten Ver-
nichtungslager in Polen funktionierten schon, betreibt er, wie er selbst
schreibt, aktiv die Vernichtung. Er drückt sich in der Beschreibung seiner Tä-
tigkeit in derselben Sprache aus wie zu der Zeit, als er sich nach dem Dritten
Reich, nach Erlösung und dem Führer sehnte.
Daher sollte man nicht vergessen, was Goebbels im Jahre 1942 über die
Vernichtung der Juden in seinem Tagebuch festhielt:
Aus dem Generalgouvernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die Juden nach
Osten abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu be-
schreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr
viel übrig. Im großen kann man wohl festhalten, daß 60 % davon liquidiert werden
müssen, während nur noch 4 0 % in die Arbeit eingesetzt werden können. An den
Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber voll ver-
dient haben. Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalität obwalten lassen. Die
Juden würden, wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten [...].
Auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radika-
len Lösung, die nach Lage der Dinge geboten ist und deshalb unausweichlich er-
scheint. Gott sei Dank haben wir jetzt während des Krieges eine ganze Reihe von
Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt wären [...].

231
Ebd., S. 58.
232
Joseph Goebbels, Lenin oder Hitler?, S. 24 [Hervorhebung C.-E. B.].
233
Louis P. Lochner (Hrsg.), Goebbels Tagebücher aus den Jahren 1942-43, Zürich 1948, S
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 135

A m 14. Februar 1942 schreibt er sogar:


Die Juden haben die Katastrophe, die sie heute erleben, verdient. Sie werden mit
der Vernichtung unserer Feinde auch ihre eigene Vernichtung erleben. VC ir müssen
diesen Prozeß nur mit einer kalten Rücksichtslosigkeit beschleunigen, und wir tun
damit der leidenden und seit Jahrtausenden vom Judentum gequälten Menschheit
einen unschätzbaren Dienst. 234
Als Gauleiter von Berlin forcierte er die Deportation der Juden. Am 2. März
1943 hält er fest:
Wir schaffen die Juden endgültig aus Berlin hinaus [...]. Leider hat sich auch hier
wieder herausgestellt, daß die besseren Kreise unsere Judenpolitik nicht verstehen
und sich auf die Seite der Juden stellen. Infolgedessen ist unsere Aktion vorzeitig
verraten worden, so daß uns eine ganze Menge von Juden durch die Hände ge-
wischt sind. Aber wir werden ihrer noch habhaft werden. Jedenfalls werde ich nicht
ruhen, bis wenigstens die Reichshauptstadt gänzlich judenfrei geworden ist.2
Z u m Ende des Krieges hin hat sich Goebbels auf historische Größe n (unter
anderen Friedrich IL), auf Gott, die Geschichte und den Führer berufen. In
einer Rundfunkrede v o m 28. Februar 1945 glaubt er immer noch, die Weltge-
schichte als das Weltgericht sei auf der Seite der Deutschen. Er spricht die
N o t und das Elend des deutschen Volkes offen aus und ist sich gleichwohl
des Sieges bewußt:
Wenn ich in diesem Falle auch nur für meine Person sprechen will, so weiß ich
doch, daß ungezählte Millionen Deutsche — und gerade die, die durch diesen Krieg
das größte Leid erfuhren: die Mütter und Kinder auf den Trecks, die Ausgebomb-
ten, die, die ihren Sohn oder Brüder oder Vater im Felde verloren, vor allem aber
unsere Soldaten an der Front - mir mit einem leidenschaftlichen JA ihre Zustim-
mung bekunden, wenn ich sage, daß ich fest und unerschütterlich daran glaube,
daß diese unsere Sache am Ende den Sieg davontragen wird, daß, wenn das nicht
der Fall wäre, die Göttin der Geschichte nur eine Hure des Geldes und feige An-
beterin der Zahl wäre, daß die Geschichte selbst dann aber auch keine höhere Mo-
ral besitze und die Welt, die sie aus den furchtbaren Wehen dieses Krieges hervor-
gehen ließe, keine tiefere Daseinsberechtigung mehr hätte, daß das Leben in ihr
schlimmer wäre als die Hölle, daß ich es nicht mehr für wert hielte, gelebt zu ha-
ben, weder für mich noch für meine Kinder noch für die alle, die ich liebte und mit
denen ich so viele reiche Jahre hindurch für ein besseres und edleres Menschen-
dasein gekämpft habe, daß ich ein solches Leben persönlich gerne und mit Freu-
den von mir werfen würde, weil es nur noch Verachtung verdiente, und lediglich
die zu bedauern wären, die es sich selbst unter diesen Umständen noch um den
Preis einer feigen Unterwürfigkeit erkaufen wollten!

Hat die Geschichte den Menschen je Anlaß gegeben, so über sie zu denken und zu
urteilen? Nein! Sie war am Ende immer gerecht, wenn die Völker ihr Gelegenheit

142, 27. 3. 1942; vgl. Ralf Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels Tagebücher, Bd. 4, Mün
chen und Zürich 1992, S. 1776 .
234
Ebd., S. 87.
235
Ebd., S. 238.
136 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

gaben, gerecht sein zu dürfen. Sie prüfte die, die sie zum höchsten berufen wollte,
stets auf das Härteste und Grausamste, um sich dann erst, wenn sie hart am Rande
der Verzweiflung standen, gütig zu ihnen hernieder zu neigen, um ihnen die Palme
des Sieges zu reichen. Wann und wodurch hat sie uns Grund gegeben anzunehmen,
daß sie ihre Gesinnung geändert hätte? Sie ist die gleiche geblieben. Zeiten, Völker
und Menschen mögen sich verwandeln, — sie aber bleibt ewig unwandelbar. Wenn
sie uns heute prüft und lange abwägt, wem sie in diesem Völkerringen den letzten
Sieg und damit den endgültigen Triumph zuerkennen soll: wir dürfen uns nicht
darüber beklagen. Ein Friedrich II. mußte sieben lange, bittere Jahre um sein und
seines Staates nacktes Leben kämpfen, manchmal unter den aussichtslosesten Be-
dingungen. Und wie oft hat er in bitterem, verletztem Stolz gegen das Schicksal
gehadert, das ihn aber doch nur schlug und peinigte, um ihn am Ende zu den ganz
Großen der Geschichte zu erheben und aus dem kleinen, armen, verfolgten Preu-
ßen die Keimzelle des neuen deutschen Reiches zu machen, das heute — auf jenes
einzigen Königs heroischer Leistung fußend - um die geistige Führung unseres
Kontinentes kämpft.236

N o c h in der Rundfunkansprache am Vorabend zu Hitlers 56. Geburtstag -


die Sowjetarn.ee stand vor den Toren Berlins - beschwor Goebbels die spe-
zifische Beziehung zwischen G o t t und dem deutschen Volk einerseits und
das satanische Werk der Feinde andererseits:
Es bringt zwar Prüfungen und Belastungen übermenschlicher Natur mit sich, sich
gegen eine übermächtig erscheinende Koalition satanischer Weltzerstörungskräfte
zur Wehr setzen zu müssen, aber es ist auch keine Unehre, - im Gegenteil! Tapfer
einen Kampf, der unvermeidlich und unausweichlich ist, auf sich zu nehmen, ihn
im Namen einer göttlichen Vorsehung und im Vertrauen auf sie und wenn auch
späten Segen durchzuführen, mit reinem Gewissen und reinen Händen aufrecht
vor seinem Schicksal zu stehen, alles Leid und jede Prüfung zu ertragen, aber nie-
mals auch nur mit einem Gedanken daran denken, dem geschichtlichen Auftrag
untreu und in der qualvollsten Stunde der letzten Entscheidung schwankend zu
werden und die Flinte ins Korn zu werfen, - das ist nicht nur männlich, das ist
auch im besten Sinne deutsch! Würde unser Volk sich diesem Auftrag nicht zu ei-
gen machen und für ihn nicht eintreten wie für einen Spruch Gottes, - es verdiente
kein weiteres Dasein mehr, es würde mit dem Anrecht darauf auch jede Möglich-
keit dazu verlieren.237

Entsprechend der Führersehnsucht Dietrich Eckarts während des Ersten


Weltkrieges glaubt Goebbels, daß hinter den Feinden Deutschlands „der
J u d e " als Satan stehe und daß es nur eine Gegenkraft gebe: den Führer Adolf
Hitler:
Noch einmal stürmen die Heere der feindlichen Mächte gegen unsere Verteidi-
gungsfronten an. Hinter ihnen geifert als Einpeitscher das internationale Judentum,
das keinen Frieden will, bis es sein satanisches Ziel der Zerstörung der Welt er-
reicht hat. Aber es wird vergeblich sein! Gott wird Luzifer wie so oft schon, wenn
er vor den Toren der Macht über alle Völker stand, wieder in den Abgrund schleu-

236
Helmut Heiber (Hrsg.), Goebbels Reden, München 1972, Bd. 2, S. 435 f.
237
Ebd., S. 450.
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 137

dem, aus dem er gekommen ist. Ein Mann von wahrhaft säkularer Größe, von ei-
nem Mut ohnegleichen, von einer Standhaftigkeit, die die Herzen erhebt und er-
schüttert, wird dabei sein Werkzeug sein. Wer wollte behaupten, daß dieser Mann
in der Führerschaft des Bolschewismus oder der Plutokratie zu finden sei? Nein,
das deutsche Volk hat ihn geboren. Es hat ihn auf den Schild erhoben, es hat ihn
sich in freier Wahl zum Führer erkoren; es kennt seine Werke des Friedens, und es
ist nun gewillt, seine ihm aufgezwungenen Werke des Krieges bis zum erfolgrei-
chen Ende zu tragen und durchzuführen [...]. Er soll uns bleiben, was er uns ist
und immer war - unser Hitler!238
In Erinnerung an die am Schluß des ersten Kapitels aufgestellten Kriterien,
mit denen die religiösen Implikationen der NS-Ideologie festgestellt werden
sollten, nämlich der Konfiguration Mensch —Gesellschaft—Geschichte-Gott,
kann festgehalten werden, daß Joseph Goebbels sowohl vor als auch nach
seinem Eintritt in die N S D A P ein durch die christliche Religion beeinflußtes
Bewußtsein von Mensch, Gesellschaft und Geschichte hatte. Auffallend ist
bei Goebbels das Motiv der Erlösung und der Versuch, kollektive Identität
durch die Antizipation der Erlösung im „Dritten Reich" zu konstituieren. Wie
Dietrich Eckart glaubt er an eine besondere, ausgewählte Beziehung des eige-
nen Kollektivs zu Gott. Unverkennbar ist die damit einhergehende Fixierung
auf Kraft und Macht. Das wird von Goebbels auch in seinem Glauben an das
Charisma überhaupt und die Konkretisierung dieses Glaubens in der Person
Adolf Hitlers ausgedrückt. D e r T o p o s „Rasse" kommt in seinen Reden und
Tagebuchnotationen sehr selten und stets ohne Benutzung biologisch-natur-
wissenschaftlichen Vokabulars vor. Zieht man die Kategorie der Identität zur
Beschreibung und Erfassung der NS-Ideologie des Joseph Goebbels heran,
so kann man feststellen, daß der ideologische Gehalt seiner Reden, Aufsätze
und Tagebuchnotizen dem „Idealtypus" der Super-Identität entspricht: „Ein
Volk - ein Reich - ein Führer". Im Hinblick auf die Art und Weise, Kausal-
verläufe zu begreifen und zu bewerten, ist sein Denken als Beispiel für sub-
jektzentrierte Kausalität zu charakterisieren. Auch Goebbels hat im Hinblick
auf sein Denken über Mensch, Gesellschaft und Geschichte die kopernikani-
sche Wende noch nicht vollzogen. Goebbels glaubt, daß sich die Welt um ihn
und seine Wünsche drehe.
Das Moment des Sieges über die Kräfte des Bösen und die damit einher-
gehende Forderung der Vernichtung gehören auch bei Goebbels zur Konzep-
tion des „Dritten Reiches". Da auch Goebbels an die Macht des Teufels als
Gegenkraft zur Macht Gottes glaubt, soll in der zusammenfassenden Schluß-
betrachtung des Kapitels die Frage beantwortet werden, ob auch Goebbels
sich das „Dritte Reich" nach dem apokalyptischen Muster vorstellt.

Ebd., S. 452 f., 455


138 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

4. Zusammenfassung:
Sieg und Heil durch den Kampf gegen das Böse
So häufig der Begriff „Drittes Reich" gebraucht wird, um die Zeit der Herr-
schaft der Nationalsozialisten zu bezeichnen, so unbestimmt blieb er vor und
nach 1945. Assoziiert werden konnte sowohl der Begriff Reich im Sinne von
Imperium als auch im Sinne der Eschatologie, dem Reich G o t t e s . Die Ver-
wendung der Zahl „drei" als Attribut läßt verschiedene D e u t u n g e n zu. Sie
kann eine rein säkularisierte Form haben wie z. B. bei dem Begründer des
wissenschaftlichen Positivismus Auguste C o m t e , nach dem die Gesamtge-
schichte in das theologische, metaphysische und wissenschaftliche Zeitalter
einzuteilen ist. Die Aussagen Eckarts und G o e b b e l s ' über das „Dritte Reich"
haben weder einen theologischen noch einen metaphysischen und schon gar
nicht einen wissenschaftlichen Charakter. D e n n Theologie, Metaphysik und
Wissenschaft basieren auf systematischen D e d u k t i o n e n . Eckart und Goebbels
entwerfen auch keine Utopien in der Tradition ihres Erfinders. D e n n T h o m a s
Morus verbindet die liebevolle Schilderung des konkreten Lebens einer glück-
lichen Gesellschaft mit der exakten Konstruktion politischer Institutionen,
o h n e jegliche Aussagen über die Zukunft zu machen. Eckart und Goebbels
verwenden auch nicht den weltlichen Reichsbegriff, der in der abendländi-
schen Tradition zur Bezeichnung der Herrschaft und der O r d n u n g in einem
bestimmten geographischen Raum diente. In der Rede über das „Dritte
Reich" haben die Aussagen über Politik religiöse und die Aussagen über Reli-
gion politische Implikationen im Hinblick auf das Bewußtsein von Mensch
und Gesellschaft. Für Eckart und Goebbels ist das Volk Objekt und Subjekt
des politischen Lebens. Im Hinblick auf die Bedeutung des Volkes und die
Fixierung auf eine bessere Welt in der Zukunft sind beide modern. Nicht die
Obrigkeit oder der Monarch ist das Objekt ihrer ideologischen Begierde.
Nicht die von G o t t k o m m e n d e Obrigkeit oder das G o t t e s g n a d e n t u m des
Fürsten wird legitimiert. Die Verbindung zwischen d e m Volk der Deutschen
und G o t t ist das A und O ihrer K o m m u n i k a t i o n über das k o m m e n d e Reich.
Eckart und Goebbels haben eine nicht an die strikten D o g m e n der G r o ß -
kirchen gebundene allgemeine Gottesvorstellung. Aber in mehr oder weniger
freischwebender Religiosität glauben sie an G o t t als Schöpfer und Urgrund
aller Dinge. Während Eckart - nach dem Muster der deutschen Mystik —
glaubt, G o t t sei im Menschen existent, schwankt G o e b b e l s zwischen der Auf-
fassung, es gebe „kein Ding an sich außer G o t t " und der Divinisierung seines
literarischen Protagonisten „Michael". Nicht Erfahrung und Denken sind für
Goebbels und Eckart die Quelle politischer Urteile, sondern der Glaube an
G o t t in einer „entgötterten Welt". G o t t ist nicht tot, sondern ganz besonders
im Volk der Deutschen lebendig. Viel intensiver als ihr Glaube an die sub-
stantiell konzipierte Verbindung zwischen G o t t und Volk wird indes der
Glaube an das gegenwärtige und das vergangene Wirken der überirdischen
Macht des Bösen artikuliert. So wie die Substanz, die Identität und die M a c h t
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 139

des deutschen Volkes in G o t t ihren letzten Urgrund haben, wird die Aktuali-
sierung der göttlichen P o t e n z der Deutschen durch das Böse bzw. die Ver-
k ö r p e r u n g des Bösen gehindert. Warum das geschieht, ist leicht einzusehen.
Erhält G o t t im eigenen Kollektiv Gestalt, dann kann das Böse als Gegen-
macht G o t t e s nicht abstrakt erfaßt werden, sondern m u ß auch in einem Kol-
lektiv, nämlich in einem fremden, Gestalt annehmen. Hinter allen möglichen
Z u s a m m e n h ä n g e n des politischen Lebens ist für Eckart und für Goebbels das
Wirken des gegen die eigene Substanz und Identität gerichteten Bösen er-
kennbar. Seit der Aufklärung k o m m t das Böse in der wissenschaftlichen Deu-
tung von Welt und im allgemeinen Glauben an den Fortschritt nicht mehr
vor. Anders in der Rede v o m k o m m e n d e n Dritten Reich. Hier wird es zum
Ereignis, hier wird es getan. Politische Kausalverhältnisse haben in G o t t und
im Bösen ihren letzten G r u n d . Die Macht überirdischer Kräfte wird durch
Kollektivierung vermittelt. 2 3 9 Die religiösen Konfigurationen in der Rede
über das „Dritte Reich" haben indes keine rein allgemein-deistische Qualität.
D e n n Eckart und G o e b b e l s bekennen sich zum Christentum, zu einem „po-
sitiven Christentum", wie es in der Ziffer 24 des Parteiprogrammes der
N S D A P gefordert wird. Die Gedichte Eckarts und die Tagebücher Goebbels'
sind ein Beweis dafür, daß zwischen den veröffentlichten ideologischen Tex-
ten und d e m subjektiv geglaubten Inhalt der Weltanschauung keine Differenz
besteht.
Für die Politische Wissenschaft und die Wirklichkeit des Politischen ist
nicht nur die religiöse Richtigkeit oder christliche Wahrheit, sondern auch der
Versuch, kollektive Identität herzustellen und zum Gegenstand öffentlicher
Kommunikation zu m a c h e n , v o n Interesse. Das Prinzip kollektiver Identität
— so irrational es auch sein mag — ist nicht nur durch die Einheit und Gleich-
heit des Volkes als Subjekt und Objekt der Geschichte zu beschreiben. Kol-
lektive Identität kann ideologisch auch konzipiert werden, indem die in der
kulturellen Tradition virulenten Fragen, wer sind wir, woher kommen wir und
wohin gehen wir, neu beurteilt werden. Die Frage nach dem „Woher" kann
mit der Imagination der A b s t a m m u n g von einer Rasse beantwortet werden.
Eckart und G o e b b e l s v e r w e n d e n den Begriff des Ariers allerdings selten.
Über das Wesen des Ariers wird nicht spekuliert und, anders als etwa bei Ro-
senberg und Hitler, ist die Rasse nicht Gegenstand breiter und ausführlicher
Argumentationen. Auf Darwin oder die biologisch-materialistischen K o n z e p -
tionen der Sozialdarwinisten wird nicht Bezug genommen.
In der Rede vom „Dritten Reich" liegt der Schwerpunkt in der Beantwor-
tung der Frage „Wohin gehen wir?" Über die Beantwortung dieser Frage wird
versucht, kollektive Identität zu stiften. Die Beurteilung der Gegenwart unter

Ich vermute, daß dies ein Grund für den Erfolg der Nationalsozialisten bei den Massen
und den Gebildeten ist.
140 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

der Perspektive der Zukunft steht im Vordergrund der K o m m u n i k a t i o n über


das kommende, das „Dritte Reich". Die an sich nicht erfahrbare künftige Zeit
und die Vorstellung von Zukunft werden von Eckart und Goebbels nach dem
Muster der Apokalypse ausgefüllt und besetzt. Eckart und Goebbels haben
sich nicht aufgrund besonderer empirischer, historischer und theologischer
Studien vorgenommen, die Vorstellungen von Zukunft und Volk zum Zwek-
ke der Konstituierung national-völkischer Identität im Rückgriff auf die Of-
fenbarung des Johannes zu entwerfen. Es läßt sich nicht beweisen, daß sie aus
taktischen und strategischen Überlegungen Zweck-Mittel-Relationen aufge-
stellt haben, um die magischen Ressourcen einer christlich erzogenen Gesell-
schaft zu reaktivieren. Sie waren keine Genies der W e r b u n g und keine Ken-
ner der sogenannten Volksseele. Ihnen ist die Reaktivierung apokalyptischer
Deutungsmuster einfach passiert. Das war möglich, weil säkularisierte und
unmittelbare Apokalyptik zur kulturellen Tradition ihrer Gesellschaft gehör-
ten. Deshalb sind folgende Unterschiede zwischen nationalsozialistischer und
christlicher Apokalyptik festzuhalten. Die Vernichtung wird in der Apokalyp-
se des Johannes nicht durch die Menschen vollzogen. Die Menschen sind
nicht aktive Subjekte im Erlösungs- und Vernichtungsgeschehen. In der
christlichen Religion werden die Prädestination der zu Erlösenden, U m k e h r
und Heilsversprechen sowie Vernichtungsprognosen nicht an eine bestimmte
Fortpflanzungs- und Abstammungsgemeinschaft g e b u n d e n . N u r durch G o t t
und Christus kann jeder erlöst oder vernichtet werden — unabhängig von
Geburt und Herkunft. Im Hinblick auf G o t t oder Satan sind alle Menschen
gleich.
In der Konzeption vom „Dritten Reich" hingegen glaubt man an Selbster-
lösung. Als Ergebnis der Analyse des Begriffes „Reich", des „Dritten Rei-
ches" als Element der NS-Ideologie, sollen dessen wesentliche Merkmale
festgehalten werden, die als Umdeutung der J o h a n n e s - O f f e n b a r u n g zu verste-
hen sind. Das „Dritte Reich" ist ein Reich der Zukunft, welches hauptsäch-
lich durch die Prädikate „Erlösung" und „Heil" der D e u t s c h e n qualifiziert ist.
Gegenwart und Zukunft sind durch einen qualitativen Sprung getrennt. D e m
qualitativen Sprung geht eine Zeit der Krise bis zur K a t a s t r o p h e voraus. N o t
und Elend sind das notwendige Durchgangsstadium für das zukünftige Heil.
Z u m Zwecke der Herstellung des Heils und der E r l ö s u n g m u ß ein K a m p f
stattfinden. Der K a m p f ist kein beliebiger Konflikt, sondern er wird inner-
halb eines substantiellen Dualismus als Kampf gegen das Böse gedeutet. Die
Nationalsozialisten sind Instrumente des göttlichen Willens (Goebbels) oder
haben teil an der göttlichen Seele (Eckart): Die V e r n i c h t u n g der Bösen ist die
wesentliche Bedingung von Sieg und Heil des deutschen Volkes. Die H a u p t -
vertreter des Bösen bzw. des Satans sind die J u d e n . Als „Antichrist" m u ß
„der J u d e " vernichtet werden. Adolf Hitler wird g e m ä ß d e m Paradigma der
Inkarnation betrachtet. Das Bild von Hitler ist nach d e m Vorbild vom kämp-
fenden und triumphierenden Christus gebildet. E r u n d seine Anhänger sind
ein „Stück Erlösung für ein Reich, das k o m m t " .
Das nationalsozialistische Verständnis vom „Dritten Reich" 141

D e r Komplex „Drittes Reich" innerhalb der Ideologie führender National-


sozialisten wie G o e b b e l s und Eckart umfaßt also, um es nochmals hervorzu-
heben, folgende Merkmale:
Erstens: Das „Dritte Reich" ist ein Reich der Zukunft, welches hauptsäch-
lich durch das Prädikat „ E r l ö s u n g " qualifiziert ist.
Zweitens: Gegenwart und Zukunft sind durch einen qualitativen Sprung ge-
trennt. D e m qualitativen Sprung geht eine Zeit der Krise bis zur Katastrophe
voraus.
Drittens: Z u r Überwindung der Katastrophe und zur Herstellung der durch
Erlösung qualifizierten Zukunft m u ß ein Kampf stattfinden. Dieser Kampf ist
kein beliebiger Konflikt, sondern er wird innerhalb eines substantiellen Dua-
lismus als K a m p f gegen das Böse gedeutet.
Viertens: Die Nationalsozialisten sind Instrumente des göttlichen Willens.
Die Gesellschaft wird durch einen Führer konstituiert. Adolf Hitler wird von
Goebbels als Inkarnation einer spezifischen Christussymbolik betrachtet,
nämlich als kämpfender und siegender Christus. Adolf Hitler und seine An-
hänger werden als „Stück Erlösung für ein Reich, das k o m m t " qualifiziert. In
Adolf Hitler ist die Zukunft schon am weitesten entwickelt.
Fünftens: Die Hauptvertreter des Bösen bzw. des Satans sind die Juden. Als
„Antichrist" m u ß „der J u d e " von den Nationalsozialisten vernichtet werden.
Folgende Unterschiede zwischen der nationalsozialistischen und der christli-
chen Religion sind in diesem K o n t e x t festzuhalten:

1. Die Vernichtung wird in der Apokalypse des Johannes nicht von den Men-
schen durchgeführt. Die Menschen sind nicht Subjekte, sondern Objekte
von Vernichtung und Erlösung.
2. Im Hinblick auf die rassische Ursprungsmystik gilt, daß in der christlichen
Religion Prädestination, U m k e h r und Heilsversprechen sowie Vernich-
tungsprognosen nicht an eine bestimmte Fortpflanzungs- und Abstam-
mungsgemeinschaft gebunden sind. Im Hinblick auf G e b u r t und Abstam-
mung sind vor G o t t - und Satan - alle Menschen gleich.

Indes ist der christliche Hintergrund der Schlagwörter „Heil Hitler", „Ein
V o l k - e i n Reich —ein F ü h r e r " und „Sieg-Heil" innerhalb der nationalsoziali-
stischen Literatur unverkennbar. Man kann allerdings den zu überwindenden
Dualismus und die Intention der Selbsterlösung, vielleicht auch den völki-
schen Rassismus als gnostisch qualifizieren. 240 Aber Eckart, Goebbels, Ro-
senberg und Hitler sind christlich erzogen worden und kannten die gnosti-

Vgl. Eric Voegelin, Religionsersatz. Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit, in:
Wort und Wahrheit, Heft 1, 15. Jahrgang 1960, S. 5-18; vgl. ders., Die neue Wissenschaft
der Politik, München 1959, 3. Aufl. Salzburg 1977; Micha Brumlik, Die Gnostiker. Der
Traum von der Selbsterlösung des Menschen, Frankfurt a. M. 1992, S. 356 ff.
142 Z u r P h ä n o m e n o l o g i e d e r nationalsozialistischen W e l t a n s c h a u u n g

sehen Schriften nicht; und an die Macht des Bösen - ein Merkmal gnostischer
Religion — glaubten auch die Kirchenväter. 241
Das Ideologem „Drittes Reich" kann auch als Resultat eines Versuches be-
urteilt werden, die Welt wieder zu verzaubern. Das magische Element der po-
litischen Religiosität der führenden Nationalsozialisten ist unverkennbar.
Denn der Glaube an das Wunder — das Wunder, das Unmögliche möglich zu
machen — wird ungeniert artikuliert und sogar gefordert. Da auch der Glaube
an Wunder einen Halt im Sinnlichen braucht, muß es eine Gestalt geben, bei
der die Vermittlung von Gott, Geschichte und Volk real schon präsent ist.
Obwohl die Funktion des Retters zum Moment der apokalyptischen Wahr-
nehmung von Welt zählt, ist der Glaube an Adolf Hitler ein selbständiges -
begrenzt selbständiges — Moment der NS-Ideologie.

Die Spezifizierung der Religiosität der Nationalsozialisten soll aber erst im Abschlußkapitel
der Arbeit, nach der Analyse des Ideologems „Rasse" vorgenommen werden.
IL Der Glaube an das Charisma Adolf Hiders

1. Der Gruß „Heil Hitler"

Obwohl die Ideologie, die Bewegung und die Herrschaft des Nationalsozia-
lismus nicht auf Adolf Hitler zentriert werden können, versteht es sich beina-
he von selbst, daß der Modus, an Adolf Hitler zu glauben, dargestellt werden
muß.
In religionspolitologischer Sicht, das heißt aus der Perspektive der theore-
tischen und moralischen Distanz, ist das Thema dieses Abschnittes nicht das
Charisma, sondern der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers. An dem Un-
terschied zwischen Charisma (wörtlich: Gnadengabe) und dem Glauben an
das Charisma einer Person ist schon deshalb festzuhalten, weil der Begriff
Charisma auch im nichtreligiösen Sinn verwendet wird, indem z. B. einem
Fußballspieler oder einem beliebigen Führer einer mehr oder weniger demo-
kratischen Partei eine außergewöhnliche Wirkung oder Aura zugesprochen
wird. Im Hinblick auf den Nationalsozialismus als politische Religion kommt
es also darauf an zu prüfen, ob das Charisma religiös artikuliert wird. Das ist
z. B. dann der Fall, wenn an das Charisma einer Person aufgrund einer göttli-
chen Fügung geglaubt wird, wenn also an Adolf Hitler als Werkzeug eines
göttlichen Willens oder einer überirdischen Macht geglaubt wird. Man kann
das Charisma Adolf Hitlers auch dann als religiös beurteilen, wenn die ihm
von seinen Anhängern zugesprochenen Eigenschaften unter Max Webers
Definition des Charismas subsumiert werden. Denn Charisma soll nach Max
Weber „eine als außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen,
um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder min-
destens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräf-
ten oder Eigenschaften (begabt) oder als gottgesandt oder als vorbildlich und
deshalb als .Führer' gewertet wird". 1 Dies vorausgesetzt, kann die Bedeutung
des Führers in der nationalsozialistischen Ideologie nicht als areligiös oder
pseudoreligiös beurteilt werden. Es kommt aber nicht nur darauf an, ob die
Adolf Hitler zugeordneten Eigenschaften unmittelbar als religiös zu bestim-
men sind und ob sich das Religiöse nur auf ihn bezieht und konzentriert. Es
kommt auch darauf an festzustellen, in welchen Konstellationen das Charis-
ma Adolf Hitlers artikuliert wird. Im Hinblick auf den rein gesellschaftlich-
politischen Aspekt ist zu untersuchen, ob eine Person deshalb als Führer gilt,
weh sie die Funktion des Vermittlers zwischen den verschiedenen Mitgliedern

Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundrisse der verstehenden Soziologie, 5. Revi-
derte Aufl. besorgt von Johannes Winkelmann, Köln/Berlin 1972, S. 140.
144 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

und Schichten des Volkes ausübt und somit gesellschaftliche Einheit stiftet.
Weiterhin ist von Interesse, ob geglaubt wird, eine Person - eben der Führer
- repräsentiere schon das K o m m e n d e und ohne sie werde der künftige Status
der Gesellschaft nicht erreicht. K o m m t zu beiden Komplexen — Vermittlung
von Einheit und Zukunft - die Integration religiöser Deutungsmuster hinzu
und wird vor allem geglaubt, eine Person habe eine besondere Beziehung zu
einer überirdischen Macht, dann hat die Führerideologie religiöse Implikatio-
nen.
Von besonderem Gewicht für die Bewertung der nationalsozialistischen
Ideologie als Religion wird die Beantwortung der Frage sein, o b die Adolf
Hitler zugesprochenen Prädikate rein rassenbiologischer Provenienz sind;
denn unbestritten gilt die überragende Bedeutung des Führers als wesentli-
ches Merkmal der nationalsozialistischen Ideologie. Je geringer die Adolf Hit-
ler zugeordneten Qualitäten rein biologisch zu qualifizieren sind, desto zen-
traler werden die religiösen Elemente der nationalsozialistischen Ideologie zu
bewerten sein. Gilt Adolf Hitler als außerordentliches E,xemplar des G e n -
pools der Arier, oder spielt das Ideologem „Rasse" bei der Artikulation der
Führerqualitäten keine Rolle? Kurzum: Im folgenden Abschnitt geht es um
den Z u s a m m e n h a n g zwischen den Schlagworten „Heil Hitler", „Ein V ö l k -
ern R e i c h - e i n Führer" und „Sieg—Heil". Dementsprechend k o m m t es darauf
an, die Bedeutung des Glaubens an Adolf Hitler für die Konstitution v o n
Volk und Reich nachzuweisen. Mit anderen Worten: In dem folgenden Ab-
schnitt geht es darum, o b der Wunsch nach Sieg und Heil von Volk und
Reich im Kontext des T o p o s „Heil Hitler" artikuliert wird.
In dieser Untersuchung wird die fanatische Begeisterung für Adolf Hitler
als bekannt unterstellt. D e r Glaube an Adolf Hitler in der breiten Bevölke-
rung ist zum Beispiel in der Untersuchung des englischen Historikers Ian
Kershaw 2 auf empirischer Grundlage eindrucksvoll dargestellt worden. E r
kommt zu der Einschätzung, daß die Verehrung Hitlers pseudoreligiös 3 gewe-
sen sei. Seine Beurteilung hat aber den Nachteil, daß unklar bleibt, was er
unter pseudoreligiös oder religiös versteht. Dieser Mangel wird deutlich,
wenn Kershaw Kardinal Faulhabers Einschätzung Hitlers zitiert:
Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott. Er anerkennt das Chri-
stentum als den Baumeister der abendländischen Kultur.4

2
Ian Kershaw, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich, Stutt-
gart 1980.
„In einer Zeit, als die Aussagen der von der Kirche vermittelten christlichen Offenbarungs-
religion in großen Teilen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit im wörtlichen Sinn verloren
hatten, war jene Form der Kombination säkularisierter christlich-religiöser Gefühle mit na-
tionalen Heilserwartungen, wie Hitler sie bot, besonders wirkungsvoll. Kaum einer hat das
besser verstanden als der Propagandaminister Joseph Goebbels, selbst von solchen pseudo-
religiösen Gefühlen motiviert und zugleich ihr bester Propagandist", ebd., S. 91.
4
Ebd., S. 90, 92.
D e r Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 145

Der studierte Theologe und Kirchenfürst, mithin ein Spezialist in Glaubens-


fragen, war davon überzeugt, Hitler sei religiös. Es bleibt also unklar, warum
Hitler und diejenigen, die glaubten, was er glaubte und an ihn glaubten nur
pseudoreligiös gewesen sein sollten. War Hitler etwa „religiös", seine Anhän-
ger, die an ihn glaubten und sich ständig mit „Heil Hitler" grüßten, aber
nicht? Es kommt in dieser Untersuchung nicht darauf an, ob die Überzeu-
gung seiner Anhänger als „wahre" oder „falsche" Religion zu beurteilen ist.
Während in der Arbeit von Ian Kershaw die Verehrung Hitlers in breiten
Schichten der Bevölkerung belegt wird5 , wird sie im Rahmen der folgenden
Darstellung nur in bezug auf eine Personengruppe, nämlich die führenden
Mitglieder der NSDAP, Dietrich Eckart, Rudolf Heß, Julius Streicher, Baidur
von Schirach, Heinrich Himmler, Hermann Göring und Josef Goebbels aus-
führlicher behandelt. Um den ideologischen Übergang vom Wilhelminismus
zum Nationalsozialismus in den Blick zu bekommen, soll auch die Disposi-
tion der Hitler-Verehrung bei dem Wagnerianer und Briefpartner Wil-
helms II. Houston Stewart Chamberlain dargelegt werden.
An sich ist der allseitige Gruß „Heil Hitler" schon ein wahrhafter Aus-
druck der Volksfrömmigkeit. Wenn die überwiegende Mehrheit der Mitglie-
der einer Gesellschaft jeden Brief mit „Heil Hitler" beschließt und sie einan-
der mehrmals täglich mit „Heil Hitler" grüßen, dann hat der Glaube an Adolf
Hitler eine Massenbasis, dessen wie auch immer zu klassifizierende religiöse
Qualität nicht bestritten werden kann. Intensiver kann Volksfrömmigkeit
nicht geschaffen, gelebt und erneuert werden. Da das heute kaum mehr vor-
stellbar ist, soll die Deutung eines sowohl politisch als auch religiös denken-
den Zeitgenossen zur Hilfe genommen werden. Der Philosoph Romano
Guardini hat in seiner Weihnachten 1945 abgeschlossenen kleinen Arbeit
„Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik"6 die sakrale und ge-
sellschaftliche Dimension des „Heil Hitler" dahingehend interpretiert, daß
„jene Empfindungen, die sich sonst auf den Heiland Jesus Christus gerichtet
hatten" 7 , auf den Führer Adolf Hitler gelenkt wurden:
So ist, religionsgeschichtlich gesehen, der G r u ß eine der einfachsten F o r m e n der
Frömmigkeit: Gemeinschaft und Begegnung, Beschwörung und Abwehr. Folge-
richtig erscheint bei der christlichen U m d e n k u n g des Daseins in ihm der N a m e des
Erlösers, Jesu Christi. An seine Stelle ist der N a m e Hiders gesetzt worden. Gewiß,
der G r u ß wurde in der Regel gedankenlos vollzogen, seinem Sinn nach bedeutet er

Zum Verhältnis „Führer-Volk" siehe auch: Hans-Jürgen Eitner, Hitlers Deutsche. Das En-
de eines Tabus, Gernsbach 1990; Nikolaus von Preradovich/Josef Stingel, „Gott segne den
Führer!" Die Kirchen im Dritten Reich. Eine Dokumentation von Bekenntnissen und
Selbstzeugnissen, Starnberg 1985; Günter Scholdt, Autoren über Hitler. Deutschsprachige
Schriftsteller 1919-1945 und ihr Bild vom „Führer", Bonn/Berlin 1993; Marlies Steinert,
Hitler, München 1994.
Romano Guardini, Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik. Eine theologisch-
politische Besinnung, Stuttgart 1946.
Ebd., S. 41.
146 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

aber ein doppeltes. Einmal, daß man dem Manne, dessen Name darin genannt
wurde, bei jeder Begegnung, d. h. also unzählige Male im Laufe des Tages, Heil zu
wünschte. Alle Kraft und alles Glück, das alle Herzen wünschend zu erwirken ver
mochten, sollte sich auf ihn sammeln. Der Gruß bedeutet aber noch etwas ande
res. Nicht nur wurde Hitler Heil zugewünscht, sondern den Begegnenden wurde
gewünscht, Hitlers Heil solle über ihn kommen. Gegenbild und Verdrängung des
sen, was der Gläubige meint, wenn er dem anderen die Gnade Jesu Christi
wünscht. 8

Für den Christen und Religionsphilosophen Guardini hat die Verehrung Hit
lers einen religiösen Charakter. Hier ist die Feststellung der religiösen Bedeu
tung des G r u ß e s im Hinblick auf die Intersubjektivität interessant. Der
W u n s c h des G r ü ß e n d e n , G o t t möge „alle Kraft und alles G l ü c k " für Hitlet
und in Hitler „sammeln", setzt den Glauben des G r ü ß e n d e n an G o t t voraus.
In der Dreiecksbeziehung Mensch —Gott —Gesellschaft als Dreiecksbezie
h u n g zwischen G r ü ß e n d e m —Gott—Führer glaubt der G r ü ß e n d e an seine per
sönliche Beziehung zu G o t t und an die Macht Gottes. Insofern an den Ein
griff einer überirdischen Macht zugunsten einer politischen Institution, näm
lich die des Reichskanzlers geglaubt wird, ist der G r ü ß e n d e in die Konnexität
von Religion und Politik involviert. Er glaubt an den Z u s a m m e n h a n g von
Politik und Religion. Insofern der G r ü ß e n d e wünscht, „Hitlers Heil" solle für
die G r ü ß e n d e n wirksam werden, glaubt der G r ü ß e n d e an die spezifische Gna
dengabe (Charisma) als Ausdruck der Beziehung zwischen Adolf Hitler und
G o t t . D a d u r c h , daß jeder den anderen in bezug auf Adolf Hitler und auf G o t t
grüßt, hat jeder im G r u ß sich selbst und den anderen bejaht. Sowohl der Grü
ßende als auch Hitler und auch G o t t sind die Mittler zwischen den sich Be
gegnenden. D e r G e g r ü ß t e ist der Spiegel für das eigene Heil. Jeder G r ü
ßende empfängt das Heil v o m anderen, von Hitler und von G o t t zugleich.
D u r c h den anderen, durch Hitler und durch G o t t wird im G r u ß eine gesell
schaftlich konstitutive V e r b i n d u n g hergestellt und damit Intersubjektivität
produziert und reproduziert. Dieser G r u ß beinhaltet die Merkmale der Defi
nition des Charismas von Max Weber. Demjenigen, dem Heil gewünscht
wird, fällt Macht zu. Die Chance, daß er seinen Willen durchsetzen kann, be
ruht auf d e m G l a u b e n seiner Anhänger, er sei Mittler zwischen G o t t und
Mensch, letztlich aber auf d e m Glauben an G o t t selbst. Die K o m m u n i k a t i o n
als Bedingung von Macht, ist jeweils abhängig von der Subjektivität der sich
mit „Heil Hitler" G r ü ß e n d e n , welche durch den Glauben an das Charisma
Hitlers wiederum mit G o t t vermittelt und dadurch untereinander verbunden
werden.

Ebd., S. 42.
D e r Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 147

2. Houston Stewart Chamberlain


In den n u n m e h r zu behandelnden Äußerungen des G l a u b e n s an Adolf Hitler
bei führenden Nationalsozialisten k o m m t es darauf an, festzustellen, o b die
ersten Anhänger Adolf Hitlers, bei denen das Argument des O p p o r t u n i s m u s
gegenüber der herrschenden Obrigkeit oder der Anpassung an eine mächtige
Massenbewegung nicht greift, das Hitler gewünschte Heil in den o b e n darge-
legten Konstellationen geäußert haben. Beginnen wollen wir aber mit zwei
Quellen, die von einem Schriftsteller s t a m m e n , der selbst nicht Mitglied der
Nationalsozialistischen Partei wurde, der aber die Tradition des Wilhelminis-
mus repräsentiert, nämlich mit dem Wagnerianer H o u s t o n Stewart Chamber-
lain. Im Anschluß an die grundlegende Studie v o n D o r i s Mendlewitsch 1 0
kommt es hier nur darauf an, den Z u s a m m e n h a n g zwischen der Hitler-Ver-
ehrung Chamberlains und dem G r u n d z u g seines Werkes „Mensch und
Gott" 1 1 aufzuweisen. Wilhelm II. glaubte, wie es in einem Brief v o m 3 1 . D e -
zember 1901 nachzulesen ist, G o t t habe den D e u t s c h e n Chamberlain ge-
schenkt „zum Heil der Deutschen und damit zum Heil der Menschheit", im
„Gefühle für eine gute, göttliche Sache zu streiten", „im K a m p f für G e r m a -
nen gegen R o m , Jerusalem usw.". A m Schluß seines Briefes w ü n s c h t er
Chamberlain für das J a h r 1902 „ G o t t e s Segen und des Heilands Stärkung". 1 2
Chamberlain wiederum glaubte an Deutschland wegen Adolf Hitler u n d
wünscht ihm G o t t e s Schutz, wie er in einem Brief v o m 7. März 1923 versi-
chert:

Mein Glauben an das Deutschtum hat nicht einen Augenblick gewankt, jedoch hat
mein Hoffen - ich gestehe es — eine tiefe Ebbe erreicht. Sie haben den Zustand
meiner Seele mit einem Schlage umgewandelt. Daß Deutschland in der Stunde sei-
ner höchsten Not sich einen Hitler gebiert, das bezeugt sein Lebendigsein; desglei-
chen die Wirkung, die von ihm ausging; denn diese zwei Dinge - die Persönlich-
keit und ihre Wirkung — gehören zusammen [...] Ich durfte billig einschlafen und
hätte auch nicht nötig gehabt, wieder zu erwachen. Gottes Schutz sei bei Ihnen!
Houston Stewart Chamberlain 13

Vgl. Claus-E. Barsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phü. Joseph Goebbels. Zur Psyche
und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923-1927, München 1987, S. 356 f.; Hart-
mut Zelinsky, Sieg oder Untergang. Sieg und Untergang. Kaiser Wilhelm II., Die Werk-Idee
Richard Wagners und der , Weltkampf', München 1990.
11
Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhun-
dert, Rheda-Wiedenbrück 1988.
1
Houston Stewart Chamberlain, Mensch und Gott. Betrachtungen über Religion und Chri-
stentum, München 1921 (im folgenden kurz: Houston Stewart Chamberlain, Mensch und
Gott).
u
Houston Stewart Chamberlain, Briefe 1892-1924, München 1928, Bd. 2, S. 142.
' Houston Stewart Chamberlain, Auswahl aus seinen Werken, hrsg. von Hardy L. Schmidt
»us dem Nachlaß von Dr. E. Boepple, Breslau 1934, S. 65-69.
148 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Chamberlain versichert Hitler in diesem Brief— den er mit „Sehr geehrter und
lieber Herr Hitler!" einleitet - , er sei ein „Erwecker der Seelen"; Chamberlain
begründet die v o n Hitler ausgehende aufbauende Gewalt, indem er den Kos-
mos bemüht:
Sie haben Gewaltiges zu leisten vor sich, aber trotz Ihrer Willenskraft halte ich Sie
nicht für einen Gewaltmenschen. Sie kennen Goethes Unterscheidung von Gewalt
und Gewalt! Es gibt eine Gewalt, die aus dem Chaos stammt und zum Chaos hin-
führt, und es gibt eine Gewalt, deren Wesen es ist, Kosmos zu gestalten, und von
dieser sagt er: ,Sie bildet regelnd jegliche Gestalt — und selbst im großen ist es nicht
Gewalt'. In solchem kosmosbildenden Sinne meine ich es, wenn ich Sie zu den auf-
bauenden, nicht zu den gewaltsamen Menschen gezählt wissen will.14
N o c h deutlicher äußert sich H o u s t o n Stewart Chamberlain in d e m Brief an
den völkischen Verleger E r n s t Boepple v o m 1. Januar 1924. Hitler sei nicht
nur eine „Lichtgestalt", sondern auch zu d e n „ H e r z m e n s c h e n " zu rechnen.
D a r ü b e r hinaus ist er für Chamberlain „ V o l k s m e n s c h " — „ E r liebt das Volk"
und „gewinnt das Volk im Sturme". D a s „Großartige an Hitler" seien „sein
M u t " und „seine Zivilcourage", was sich vor allem im Kampf gegen den Mar-
xismus und die J u d e n zeige: „Man kann sich nicht zugleich zu Jesus beken-
nen u n d zu denen, die ihn ans Kreuz geschlagen." Hitlers Mut, Ernst und
Liebe erklärten „seine u n e r h ö r t e Wirkungsgewalt auf die uns so entfremdeten
Arbeiter, die es ihm allein gelang scharenweise zu gesünderen Ansichten zu
bekehren und damit zugleich Macht zu brechen und eine andere an die Stelle
aufzurichten". Am Schluß des Briefes b e k e n n t Chamberlain, ganz im Sinne
des „Heil Hitler", u n u m w u n d e n , daß G o t t Hitler den Deutschen geschenkt
habe, und wünscht, daß G o t t ihn zum Segen der Deutschen bewahren möge:

Das, was Hitler schon geschaffen hat, als sein eigenstes Werk, ist bereits ein gewal-
tiges, was nicht so bald hinschwinden wird; dieser Mann hat gewirkt wie ein Got-
tessegen, die Herzen aufrichtend, die Augen auf klar erblickte Ziele öffnend, die
Gemüter erweiternd, die Fähigkeit zur Liebe und Entrüstung entfachend, den Mut
und die Entschlossenheit stählend; aber wir haben ihn noch bitter nötig: Gott, der
ihn uns geschenkt hat, möge ihn noch viele Jahre bewahren zum Segen für das
deutsche Vaterland! 15

Chamberlain hatte schon in der kleinen Schrift „Arische Weltanschauung" 1 6


in bezug auf den arischen Christus sowie auf das unmittelbar zu erwartende
Reich G o t t e s ' 7 d a r a u f g e s e t z t , daß die „in Deutschland größten Männer ,die
Gipfel der Menschheit' neu planen". U n d „da diese Männer ihr Licht ebenso
über Vergangenheit wie über die Zukunft werfen", glaubte er „versichern zu
k ö n n e n , daß wenigstens diejenigen unter uns, die es nicht verschmähten, J ü n -

14
Ebd.
15
Ebd., S. 65-67.
16
Houston Stewart Chamberlain, Arische Weltanschauung, 3. Aufl., München 1916.
17
„In diesem Leben liegt wie im Acker der verborgene Schatz!", ebd. S. 85; „Vater unser,
Dein Reich komme bald", ebd., S. 87.
Der G l a u b e an das Charisma Adolf Hitlers 149

ger des wahren Meisters unseres Geschlechts zu sein, sehr ,bald' sich in die
Art der arischen Weltanschauung hineinleben und d a n n empfinden werden,
als seien sie im Besitz eines bisher unrechtmäßig vorenthaltenen Eigentums
getreten". 1 8
Das pseudotheoretische Modell dieses G l a u b e n s finden wir nicht nur in
der 292 Seiten umfassenden Schrift „Mensch und G o t t " , sondern auch in
d e m vielzitierten Werk „Die G r u n d l a g e n des X I X . J a h r h u n d e r t s " . Nach
Chamberlain hat Christus der Welt eine durchaus neue Vorstellung von G o t t
gegeben. „Man redet von A n t h r o p o m o r p h i s m u s ! K a n n d e n n der Mensch an-
ders handeln und denken als ein A n t h r o p o s . " 1 9 Christus bejahe das Leben,
„und weil er göttlich war, wandte sich Christus nicht hinweg v o m Leben, son-
dern zum Leben hin". 2 0 Für Chamberlain heißt das, daß der Mensch handelt
und denkt wie G o t t und Christus zugleich:

Sein wie Christus war, leben wie Christus lebte, sterben wie Christus starb, das ist
das Himmelreich, das ist das ewige Leben. 21
Für Chamberlain ist die Prophetie Christi v o m „Reich G o t t e s " nicht nur
Glaube, sondern auch Erkenntnis:
Ich führe wieder jene Worte Christi an, denn es kann nie zu häufig geschehen: ,Das
Himmelreich ist inwendig in euch.' Das ist eine Erkenntnis oder ein Glaube, ge-
wonnen durch göttliche Gnade. Erlösung durch Erkenntnis, Erlösung durch Glau-
be: zwei Auffassungen, die nicht so weit voneinander abweichen, wie man wohl ge-
meint hat. 22

Viele gläubige Christen dürften diese Interpretation des Evangeliums als un-
christlich beurteilen, da H o u s t o n Stewart Chamberlain die T r a n s z e n d e n z des
Reiches zwar nicht aufhebt, aber durch Inkarnation vergegenwärtigt. In einer
Hinsicht ist Chamberlain jedenfalls ausdrücklich zuzustimmen:
Jeder Mystiker ist (ob er's will oder nicht) ein geborener Antisemit. 23
Die hier interessierende Frage, o b Chamberlain die Adolf Hitler z u g e o r d n e -
ten Attribute aus rein biologischen Fakten ableitet, ist zu verneinen. C h a m -
berlains Hauptwerk, „Die Grundlagen des X I X . J a h r h u n d e r t s " , enthält keine
spezifische Führerideologie. 2 4 Als Brücke zwischen seinem Rassismus u n d
der Führerideologie kommt mithin n u r die Integration Jesu Christi in Frage.
Das abstrakte Muster dafür hat Chamberlain in der Schrift „Mensch und

18
Ebd., S. 88.
19
Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, S. 232.
20
Ebd., S. 202.
21
Ebd., S. 201; in der ungekürzten Volksausgabe von 1906 steht statt „Himmelreich" „Reich
Gottes", wobei „ist" gesperrt gedruckt wurde.
22
Ebd., S. 567; vgl. Evangelium nach Lukas, 17,21.
23
Ebd., S. 878.
24
Auch in diesem Werk widmet sich Chamberlain nicht nur ausführlich und positiv dem Pro-
blem der Religion, sondern auch Jesus Christus, vgl. ebd., S. 189-251.
150 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

G o t t " , deren Dreh- und Angelpunkt Jesus als Heiland ist, entwickelt. Zu-
nächst ist bemerkenswert, daß Chamberlain in dieser Abhandlung ganz per-
sönlich gehaltene Glaubensbekenntnisse abgibt. In seinem Monotheismus
fällt die Auffassung von einem guten, den Menschen helfenden G o t t auf:
Dieser Gott, das gute Wesen, des Menschen Freund, der Vater im Himmel, der bei
bösen Gedanken und Taten freundlich streng mahnt und bei guten hilft und stützt
- dieser Gott ist mir seit früher Jugend stets gegenwärtig; immer war mir zumute,
als stünde ich auf seinem offenen Handteller und könnte darum, was auch gesche-
he, nie in den Abgrund stürzen; ohne dieses Bewußtsein wäre ich außerstande ge-
wesen, mein Leben zu leben. Ich glaube an keine Möglichkeit, eines alle Kreise er-
fassenden, mächtigen und anhaltenden Wiederaufblühens religiösen Lebens, bis
nicht dieser Gott — der nicht gewußt, sondern geglaubt wird - von neuem allgemei-
ner Besitz der Menschen Seelen wird. Dazu müßte aber der Wüstengott aus unse-
rer Erziehung verbannt werden. Er vergiftet uns von Kindesbeinen an unsere Vor-
stellung von und unsere Beziehung zu der Gottheit. Auch die Dreieinigkeit müßte
als großartiges, wahrheitsträchtiges, mythologisches Symbol erkannt, jedoch nicht
durch Einzwängung in Schulformeln und Aufnötigung als dogmatisches Glaubens-
bekenntnis zu einer Marter für Hirn und Herz gemacht werden.

Unter Berufung auf Kant und auf seine Schulung in den exakten Wissenschaf-
ten sowie in der strikten T r e n n u n g zwischen Wissen und Glauben bekennt er
sich zu Jesus Christus:
Gerade weil ich die Schulung der exakten Wissenschaft zu erhalten das Glück hat
te und außerdem von Immanuel Kant belehrt wurde, ,er habe das Wissen aufheben
müssen, um zum Glauben Platz zu bekommen' [Reine Vernunft, Vorrede zur 2.
Ausgabe; S. XXX]. - Dank diesen beiden Umständen bin ich gewohnt, zwischen
Wissen und Glauben mit Schärfe zu unterscheiden. Was ich glaube, steht in mei-
nem Gemüte noch tiefer verankert als das, was ich zu wissen vermeine; es steht
aber an anderem Orte, unter anderen Gesetzen, und es fällt mir infolgedessen
schwer, mich in die Köpfe der Unbelehrten hineinzufinden, sowie ihnen Einblick
in meinen Kopf zu gewähren, da die meisten über diese Unterscheidung keine kla
re Vorstellung besitzen. Ich weiß, daß die Sonne am Himmel steht; fester und ge-
wisser und inhaltsreicher aber ist mein Glaube an Jesum Christum als meinem Hei-
land. Was Christus uns gebracht hat, ist der Glaube an Gott: ,Wenn ihr mich kenn-
tet, so kenntet ihr auch meinen Vater' (Joh. 8,19).26

Die Gestalt Jesu ist das Vorbild für Chamberlains grundsätzliche Auffassung
von Religion. Sie dient ihm dazu, den „ K e r n " aller Religion zu bestimmen:
Inmitten der bunten, unausdenkbaren, phantastischen, oft an Wahnsinn grenzen-
den Fülle, aus welcher unsere ,Religionen' gewoben sind, bildet der Gedanke -
besser gesagt die Gedankengestalt - des Mittlers den eigentlich und wahrhaft reli-
giösen Kern, neben welchem alles übrige nur als Beiwerk gelten muß —, als ein
mehr oder minder zufalliges Beiwerk, zeitlich bedingt und zum Teil rein willkür-
lich, oft sogar unmittelbar unreligiös, wenn nicht gar antireligiös.27

Houston Stewart Chamberlain, Mensch und Gott, S. 35


Ebd., S. 88.
Ebd., S. 42.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 151

Chamberlain erblickt in den „beiden Idealen des Mittlers (Gottmensch und


Menschgott)" eine „bemerkenswerte Verbindung von Tiefsinn und Kindlich-
keit". 2 8 Jesus von Nazareth, „der Mittler zwischen G o t t und Mensch", habe
„uns schon vor 2000 Jahren die vollkommene Religion gebracht". 2 9 Die Ge-
dankengestalt wird nach Chamberlain aber nicht ausschließlich in Jesus Chri-
stus konkretisiert. Chamberlain vertritt die Auffassung, daß der Mittler „ent-
weder ein göttlicher Bote ist - vielleicht G o t t selber, der sich zu uns Irdischen
herabsenkt, und zwar, damit er sich uns verständlich mache, in menschlicher
Gestalt - oder ein Mensch, welcher dank hoher und heiliger Gaben bis nah
an das von uns geahnte höhere Wesen heranreicht". 3 0 Für die von Chamber-
lain gestiftete und imaginierte Verknüpfung von Rasse und Heiland ist maß-
gebend, daß „das zwischen Mensch und G o t t Vermittelnde nicht immer eine
Persönlichkeit" 3 1 sein muß. Er sieht auch einen Z u s a m m e n h a n g zwischen
Blutgemeinschaft, Opfer und Gott:

Dem Opfer liegt nicht - wie man es uns gelehrt hatte und wie wir es aus der Bibel
und aus Homer zu entnehmen glaubten - die Vorstellung einer der Gottheit darge-
brachten Gabe oder Abgabe zugrunde, sondern vielmehr der ungleich tiefere Ge-
danke von der Bedeutung der Blutgemeinschaft als eines bindenden und verbin-
denden Mittels zwischen den Lebewesen. Alle noch so urtümlichen Völker achten
die Blutsbrüderschaft; durch sie wird eine wahre Verwandtschaft mit ihren Pflich-
ten und Rechten begründet: daher als Ziel die Herbeiführung einer blutsbrüderli-
chen Verwandtschaft zwischen Mensch und Gott. 32

Chamberlain erhöht die Gedankengestalt des Mittlers zum Prinzip, und er


hält die Vermittlungsfunktion der Kirche für überflüssig:
Das Kommen eines Mittlers zwischen Mensch und Gott läßt die verschiedenen
Dogmengebäude, wie den ganzen Apparat der von den Kirchen aufgezwungenen
Gebräuche überhaupt als unnötig erscheinen, indem alle menschlichen Versuche
durch diese göttlichen Fügungen nunmehr aufgehoben worden sind.33

Damit aber verlagert Chamberlain die Art und Weise, an die Vermittlung zwi-
schen Mensch und G o t t zu glauben, ins Subjektive. So fahrt er fort:
Fortan genügt es, an den Mittler zu glauben — und das heißt, ihn zu erfassen, ein
jeder wie es ihm am besten gelingen will, sei es mit dem schlagenden Herzen, sei es
mit der sinnenden Seele, und sich fest an ihn zu klammern: damit ist Gottes Ge-
genwart schon erworben und tritt der Mensch ohne weiteres in des Vaters Reich
ein.34

Dementsprechend interpretiert Chamberlain auch Wagners Parsifal. Im Mit-


telpunkt stehe
28
Ebd., S. 48.
29
Ebd., S. 103.
30
Ebd., S. 46.
31
Ebd., S. 43.
32
Ebd.
33
Ebd., S. 298.
34
Ebd., S. 299.
152 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

die Absicht, ,die Gottesklage', welche die ganze Welt erfüllt, jedoch von tauben
Menschenohren ungehört bleibt, in Aller Seelen erschütternd ertönen zu lassen,
daß sie mit Parzival ausrufen müssen:
Des Heilands Klage da vernehm ich
Die Klage, ach! die Klage Und das entweihte Heiligtum!35
Chamberlain glaubt fest daran, daß Wagners Parsifal dargestellte Religion sei
und ihrer Vermittlung diene:
Zu den tiefsten Tiefen religiöser Mystik wagt der Meister — gestützt auf die Mitwir-
kung der ars christianissima — uns hinabzuführen, bis zu dem Mitleiden mit dem
mitleidvollen und bis zu dem
Höchsten Heiles Wunder:
Erlösung dem Erlöser!
Ein solches Werk gehört offenbar ganz und gar in das Gebiet der Religion und
sollte ausschließlich im Dienste der religiösen Überzeugung, der es sein Entstehen
verdankt, aufgeführt werden.
Vielleicht kann Wagner nichts dafür, wenn er von Hitler und den Nationalso-
zialisten über alle Maßen geschätzt wurde. Sicher ist, daß die Blut- und Hei-
landsmystik vieler Wagnerianer, und Chamberlain zählt zu den gebildetesten
und gelehrtesten Verehrern Wagners, zum Nationalsozialismus und zum
„Heil Hitler" disponiert hat.

3. Dietrich Eckart
Auch Eckart geriet in den Sog der Wagnerianer und veröffentlichte sogar ein
Essay über „Parsifal". Ich erinnere daran, daß bei der Verwendung des T o p o s
„Drittes Reich" die „Befreiung der M e n s c h h e i t " — selbiges erhoffte Wil-
helm II. — die entscheidende Qualität der Zukunft ausmachte, wobei Dietrich
Eckart sich auf den Creator spiritus berief. 37 Ebenfalls ist daran zu erinnern,
d a ß die K o n z e n t r a t i o n der Hoffnung auf eine Person, welche das Böse be-
siegt und conditio sine qua non für das Heil der eigenen Gemeinschaft ist, seit
Joachim von Fiore zur apokalyptischen Tradition (dux versus antichrist) und
zum damit verwandten Barbarossa-Mythos zählt. 3 8 Eckart hat, wie bereits

35
Ebd., S. 284.
36
Ebd., S. 285; zum Problem Wagner und der Nationalsozialismus vgl. Hartmut Zelinsky,
Richard Wagner. Ein deutsches Thema, 3. Aufl., Berlin 1983.
37
„Nirgends auf Erden ein anderes Volk, das fähiger, gründlicher wäre, das dritte Reich zu
erfüllen, denn unseres! Veni Creator spiritus!", Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch,
1919, S. 297.
38
Vgl. Arno Borst, Barbarossas Erwachen - Zur Geschichte deutscher Identität, in: Identität,
Bd. 6 der Reihe „Poetik und Hermeneutik", hrsg. von O d o Marquard und Karl-Heinz
Stierle, München 1979, S. 17-61;Julius Petersen, Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich in
deutscher Sage und Dichtung, Stuttgart 1934; Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts
D e r G l a u b e an das Charisma Adolf Hitlers 153

ausgeführt 3 9 , die s c h o n im E r s t e n Weltkrieg aus d e m Geist der Apokalyptik


resultierende F ü h r e r s e h n s u c h t in seiner Tragödie „ L o r e n z a c c i o " artikuliert. 4 0
D e r Dominikaner beklagt sich bitter, daß noch kein Führer zu erblicken sei:
Keiner, der im Sturm und Wetter
Aufrecht ginge, oh, nicht einer!
(ins Knie sinkend)
Unser Führer, unser Retter
Keiner, keiner, keiner, keiner!41
Kein anderer als Dietrich Eckart ist der Erfinder des sogenannten Führer-
mythos der nationalsozialistischen Bewegung. Schon bevor Dietrich Eckart
Adolf Hitler kannte, veröffentlichte er auf der ersten Seite seiner Zeitschrift
ein Gedicht mit dem Titel „Auf h o h e r W a r t e " , in welchem das K o m m e n ei-
nes Führers angekündigt wird. Wieder wird die Gegenwart als K a t a s t r o p h e
interpretiert, als N o t , aber auch als W e n d e p u n k t . Am Schluß des Gedichtes
heißt es:

Da kam der Wahn wie über Nacht,


Es kam die Wut, der Krieg, die Schlacht,
Die Gier nach allem, was da gleißt,
Der Britengeist, der Judengeist,
Verquickt (der Sprung ist ja nicht weit)
Mit Gallierhaß und -eitelkeit.
Geduld! Es wird schon irgendwann
Ein Mann daraus, ein deutscher Mann! 42

In derselben N u m m e r der Zeitschrift v o m 5. Juli 1919 findet sich außerdem


der Aufsatz „Luther u n d der Z i n s " , in dem die Fähigkeit der D e u t s c h e n , das
„Dritte Reich" herzustellen, behauptet wird.
Zwischen Eckart u n d Hitler bestand v o n Beginn ihrer Bekanntschaft an,
so Margarete Plewnia, ein „ganz persönliche[s] und innigejs] Verhältnis". 4 3
Der poetische Ideologe Eckart, mit seinen Verbindungen zu Klavierfabrikan-
ten, Verlegern, dem Polizeipräsidium und der Reichswehr, einige, wenn auch
nicht alle, bürgerlichen Kreise repräsentierend, machte aus Adolf Hitler den
„Führer". Er zögerte zunächst jedoch, eine bestimmte Person mit den Attri-

und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, München 1929, 4.
Aufl., München/Wien 1973, S. 269 ff.
39
Vgl. in diesem Buch Kap. Il.B.2.d.
40
Teile dieses Monologs wiederum wurden, wie im vorangehenden Kapitel zitiert, in der anti-
semitischen Hetzschrift „Aus Ungarns Schreckenstagen" verwendet; wie z. B. „Siebenköp-
fig aus der Lache/Ist das Tier heraufgestiegen/Und ihm gab der alte Drache/Kraft, die
Einfalt zu besiegen", vgl .Dietrich Eckart, Lorenzaccio, Tragödie in fünf Aufzügen, Mün-
chen 1918, S. 22-25.
41
Ebd.
42
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 19/20, S. 290.
43
Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler, S. 67; vgl. auch Paul Wilhelm Becker, Der Dra-
matiker Dietrich Eckart. Ein Beitrag zur Dramatik des Dritten Reiches, Diss. Phil., Köln
1969.
154 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

buten eines Führers auszuzeichnen. A u ß e r d e m war er, wie alle Apokalyptiker,


nicht pessimistisch. E r glaubte nicht daran, daß das Werden und das Sein für
immer, von Anfang bis zum E n d e der Geschichte, von der Kraft des Negati-
ven, v o m Schlechten und v o m Bösen bestimmt werden. D e r „Creator Spiri-
t u s " werde das deutsche Volk und nur das deutsche Volk erlösen. Insofern
wird T r a n s z e n d e n z immanentisiert; eine immanentisierte T r a n s z e n d e n z teu-
tonischer Provenienz. So wird in d e m am 15. D e z e m b e r 1919 in der Zeit-
schrift „Auf gut d e u t s c h " - gleich auf der ersten Seite - veröffentlichten Ge-
dicht mit dem Titel „ G e d u l d " die „deutsche Seele" das Böse unter der Füh-
rung eines n o c h u n b e k a n n t e n Helden besiegen. Das Gedicht enthält viele
Überzeugungen, in denen das Prinzip Hoffnung vorherrscht: Was einmal war,
k o m m t wieder; weil einmal etwas war, ist der Realgrund für die Wiederkehr
v o r h a n d e n . In d e m Gedicht wird die „deutsche Kraft" der Nibelungen be-
schworen. Das Nibelungenlied sei nicht von einer Person, sondern v o n „des
deutschen Volkes Seele" geschaffen, die „von ihrer eigenen G r ö ß e über-
m a n n t " worden sei. I m zweiten Teil des Gedichts wird ein namenloser Retter
angekündigt. E r soll wegen der mustergültig vorgeführten K o n n e x i t ä t zwi-
schen Volk und Führer einerseits und der angekündigten Rache an all denje-
nigen, welche nicht zur divinisierten Gemeinschaft der Deutschen zählen an-
dererseits, zitiert werden:

Glaubt man denn wirklich, was so kühn begonnen,


Verginge jemals unter schmutz'ger Not?
Die deutsche Seele wie das Licht der Sonnen,
Besiegt die Nacht mit neuem Morgenrot!
Wohl kauert noch in all dem schweren Dunkel
An Tür und Tor der Heunen Lügenbrut,
Und ihrer Augen stechendes Gefunkel
Verrät die Gier nach Gold, die Gier nach Blut;
Doch hält die Wacht, die treue Wacht ein Großer,
Der Tronjer nicht, ein Andrer ist uns nah,
Vertraut und fremd zugleich, ein Namenloser,
Den jeder fühlt und doch noch keiner sah.

Wie ruhig gehen seine Atemzüge!


Er rührt sich nicht, er wartet stumm und still,
So langsam auch zum Kampfe mit der Lüge
die Stunde der Vergeltung dämmern will.
Er wartet still, der Held, auf den wir bauen,
Nur manchmal klirrt das Schwert an seinem Gurt,
Dann faucht und heult es ringsum voller Grauen,
Das Heunenvolk, der Hölle Ausgeburt.
Er wartet stumm, vor Augen nur das eine:
Die hundertfach an uns begangne Schuld -
Schon ist's, als kam's herauf mit hellem Scheine [...] Geduld! Geduld! 44
44
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 40/41, S. 614; vgl. Dietrich Eckart, Ver
mächtnis, S. 152.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 155

E s ist also nur folgerichtig, daß zum 34. G e b u r t s t a g Adolf Hitlers am 20.
April 1923 im „Völkischen B e o b a c h t e r " folgendes G e d i c h t veröffentlicht
wurde:
Fünf Jahre Not, wie noch kein Volk sie litt!
Fünf Jahre Kot, Gebirge der Gemeinheit!
Vernichtet, was an stolzer Glut und Reinheit,
Was uns an Größe Bismarck einst erstritt!
Und doch - auch wenn der Ekel noch so würgt -
Es war doch, war doch — oder ist's Legende?
Es war doch deutsches Land? Und doch dies Ende?
Nicht eine Kraft mehr, die uns Sieg verbürgt?
Die Herzen auf! Wer sehen will, der sieht!
Die Kraft ist das, vor der die Nacht entflieht!4''
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Glaube Dietrich Eckarts an Adolf
Hitler aus dem Wunsch nach Sieg und Heil für die „deutsche Seele" resultiert.
D e r „Heilbringer" ist mit dem Volk und nur mit d e m deutschen Volk verbun-
den. Die eigentliche Aufgabe des Retters der Existenz des deutschen Volkes
ist aber nicht nur, das „dritte Reich" zu errichten, sondern gleichzeitig das
„Böse", inkarniert im Juden, zu vernichten. Die „deutsche Seele", welche „die
Nacht mit neuem Morgenrot besiegt", kann dies offenbar nur dann, wenn sie
in einem Führer eine Kraft besitzt, „vor der die N a c h t entflieht". Das deut-
sche Volk braucht darüber hinaus, u m Seele zu sein, Rache, Vergeltung und
Vernichtung. Genauso wie der Glaub e an das Charisma Adolf Hitlers nicht
profan im Sinne irgendeiner Ausstrahlung, sondern genuin religiös ist, so ist
das Heil, das den Deutschen nach Dietrich Eckart widerfährt, um das „dritte
Reich zu erfüllen", von der Vernichtung der Inkarnation des Bösen abhängig.
So resultieren das Charisma Adolf Hitlers und die H o f f n u n g auf die Vernich-
tung des Juden aus dem apokalyptischen G r u n d m u s t e r der Ideologie Eckarts.

4. Rudolf Heß

Mit dem „Sturmlied" Dietrich Eckarts endet ein 1923 an der Universität
München verteiltes Flugblatt mit der Überschrift: „Wie wird der M a n n be-
schaffen sein, der Deutschland wieder zur H ö h e führt?" Das Flugblatt ist v o n
Rudolf Heß verfaßt worden. E r war seit d e m 1. Juli 1920 Mitglied der D A P ,
aus der bekanntlich die N S D A P hervorgegangen ist. Z u s a m m e n mit Hitler
saß er im Gefängnis von Landsberg, danach war er „Privatsekretär" und spä-
ter Stellvertreter des Führers; s c h o n früh las er die Zeitschrift „Auf gut

Völkischer Beobachter, Nr. 72, 20. April 1923, zitiert nach Dietrich Eckart, Vermächtnis,
S. 149.
156 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

deutsch". 4 6 In d e m ganzen Flugblatt wird der N a m e Adolf Hitler nicht ge-


nannt. Rudolf H e ß will den Eindruck erwecken, daß ein Führer als K o m m e n -
der schon 1921 erwartet und beschrieben wurde. D e n n im Vorspann der aus-
führlichen Beschreibung wird versichert, daß mit dem Text ein im N o v e m b e r
1921 von einem D e u t s c h e n in Spanien veranstaltetes Preisausschreiben ge-
w o n n e n wurde und daß nach „Mitteilung des Veranstalters" noch „eine gan-
ze Reihe anderer Bewerber den gleichen M a n n beschrieben" habe.
Rudolf H e ß folgt nicht der e b e n s o direkten wie fulminanten Apokalvptik
Eckarts. Aber gewisse der O f f e n b a r u n g e n t n o m m e n e M o m e n t e sind in die
Beschreibung des k o m m e n d e n Mannes eingeflochten. Im Zusammenbruch
und Chaos der Gegenwart gehe „es nicht weniger als während des Krieges um
Sein oder Nichtsein der N a t i o n " . Die Frage laute „Untergang oder Ausstieg",
um „des großen Endziels willen" müsse es der Führer „auch auf sich nehmen
k ö n n e n , der Mehrheit v o r ü b e r g e h e n d als Verräter an der Nation zu schei-
n e n " . Die „letzte und nicht leichteste Aufgabe" sei „die Verankerung der neu-
en Schöpfung gegen die Stürme der Zukunft". D e r k o m m e n d e Retter sei zwar
ein Diktator, den das „ C h a o s der kranken Volksherrschaft gebiert". Im G e -
gensatz zu den Diktatoren der Vergangenheit aber, H e ß nennt Napoleon und
Caesar, denen Macht Selbstzweck gewesen sei, handele der Mann, der
„ D e u t s c h l a n d wieder aufwärts führt", in „heiliger Vaterlandsliebe". D e m
künftigen „ F ü h r e r " wird eine Reihe außerordentlicher Qualitäten zugespro-
chen: „scharf v o n Geist, klar und wahr, leidenschaftlich und wieder be-
herrscht, kalt und kühn, zielbewußt wegen d e m Entschluß, hemmungslos in
der raschen Durchführung, rücksichtslos gegen sich selbst und andere, erbar-
mungslos hart und wieder weich in der Liebe zu seinem Volk, unermüdlich in
der Arbeit, mit stählerner Faust in samtenem Handschuh, fähig, sich letztlich
selbst zu besiegen". D a s Werk des k o m m e n d e n Führers aber „darf nicht auf
die überragenden Ausmaße des Erbauers zugeschnitten sein, sonst wankt das
ganze bei seinem Hinscheiden wie der Staat Friedrichs und Bismarcks". Her-
v o r g e h o b e n wird in diesem Flugblatt, daß der k o m m e n d e Mann die Funktion
der Vermittlung zum Zweck der Vereinigung erfüllen wird. D e r Führer
k o m m t aus dem Volk und wirkt auf das Volk:

Tiefes Wissen auf allen Gebieten des staatlichen Lebens und der Geschichte, die
Fähigkeit, daraus die Lehren zu ziehen, der Glaube an die Reinheit der eigenen
Sache und an den endlichen Sieg, und eine unbändige Willenskraft geben ihm die
Macht der hinreißenden Rede, die die Massen ihm zujubeln läßt. Um der Rettung
der Nation willen verabscheut er nicht die Waffen des Gegners, Demagogie,
Schlagworte, Straßenumzüge usw., zu benutzen ...
Wo alle Autorität geschwunden ist, schafft Volkstümlichkeit allein Autorität [...].
Kraft seiner Rede führt er, wie Mussolini, die Arbeiter zum rücksichtslosen Natio-
nalismus, zertrümmert die international-soziale marxistische Weltanschauung. An

Vgl. Rudolf Heß, Briefe 1908-1933, hrsg. von Wolf Rudiger Heß, München 1987 (im fol
genden kurz: Rudolf Heß, Briefe).
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 157

ihre Stelle setzt er den national-sozialen Gedanken. Hierzu erzieht er Handarbeiter,


wie sogenannte Intelligenz: Gesamtinteresse geht vor Eigeninteresse, erst die Na-
tion, dann das persönliche Ich. Diese Vereinigung des Nationalen mit dem Sozia-
len ist der Drehpunkt unserer Zeit gleich den Reformen des Freiherrn von Stein
vor den Befreiungskriegen.

D a s Verhältnis zwischen Zeit, Geist, F ü h r e r und Masse beschreibt Rudolf


H e ß so:
Der Führer muß gesunde Geistesrichtungen seiner Zeit aufnehmen und sie zur
zündenden Idee zusammengeballt wieder hinausschleudern unter die Masse.
D e r k o m m e n d e Mann hat nach Rudolf H e ß auch deshalb Charisma, weil ihn
eine besondere Aura und Ausstrahlungskraft auszeichnet:
Er selbst hat mit der Masse nichts gemein, ist ganz Persönlichkeit, wie jeder Gro-
ße. Die Macht der Persönlichkeit strahlt ein Etwas aus, das die Umgebung in sei-
nen Bann zwingt und immer weitere Kreise zieht. Das Volk lechzt nach einem
wirklichen Führer, frei von allem Parteigefeilsche, nach einem reinen Führer mit
innerer Wahrhaftigkeit.
Zwar versichert er:
Noch wissen wir nicht, wann er rettend eingreift, der ,Mann'. Aber daß er kommt,
fühlen Millionen.
Sicher ist sich aber Rudolf H e ß , daß „über die Verräter an der N a t i o n vor,
während und nach dem Kriege" ein „fürchterliches Strafgericht" hereinbricht;
denn, so die anschließende auf das k o m m e n d e Reich bezogene Begründung:
In jeder Richtung wird ganze Arbeit getan: ,Die Freiheit und das Himmelreich er-
ringen keine Halben'.
Wenn auch in dieser Beschreibung der Führer nicht unmittelbar als gott-
gesandt charakterisiert wird, so ist die religiöse D i m e n s i o n in der Beschrei-
bung des Führers ernst zu n e h m e n . D e n n aus den Briefen Rudolf H e ß ' an
seine Eltern und seine Verlobte geht hervor, daß er glaubte, religiös zu sein,
und daß er glaubte, daß Hitler religiös sei. Er glaubte an G o t t , an das deut-
sche Volk und an die Astrologie — all dies in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit seiner
Mutter. Rudolf Heß ist ein Beispiel für die Möglichkeit, daß die Dispositio-
nen zum Glauben an einen Führer auch durch Familientraditionen entstehen
können.
In den von Klara Heß während des Krieges an ihren Sohn geschriebenen
Briefen ist eine für die Zeit des Krieges sehr übliche Verknüpfung von Reli-
gion und Politik nachweisbar:
Deine Beschreibung von dem September-Angriff erzeugte bei uns arges Mitleid
und großen Stolz für Deine Kameraden. Es gehört unsagbar viel Pflichtgefühl und
Willenskraft und Mut dazu, diesen Angriff auszuhalten u. zurückzuschlagen. Auch
Du wirst auf Deine Kameraden stolz sein. Gott gebe, daß Ihr vor ähnlichem behü-
tet bleibt. Gebe Euch allen geistig u. körperliche Kraft, stets den Sieg davon zu tra-
gen. Es stehen wohl leider noch harte Kämpfe bevor, bis unsere Feinde an Frieden
158 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

denken werden. Wenn es aber so gut für uns weitergeht, werden sie doch endlich
ihre Ohnmacht einsehen.47
Sie hofft, daß G o t t auf der Seite der Deutschen stehe, mithin an eine exklusi-
ve Beziehung zwischen Volk und Gott. Nach dem E n d e des Krieges zeigt sie
Sympathien für das Proletariat, betont aber zugleich, daß es n o c h für den
Geist gewonnen werden müsse - durch einen Führer:
Auch ich stimme Dir bei, mich für keine Partei festzulegen, sondern mit Freuden
die Partei anzuerkennen, die Ordnung und Gleichheit aller Parteien durchführen
kann. Der vor der Revolution bestandene große Unterschied zwischen Reich u.
Arm war mir stets gegen das Gefühl, und seh ich jetzt mit Freuden den Wohlstand
der Arbeiter. Nur müssen sie in ihren Forderungen vernünftig bleiben und nicht
auf den Umsturz und Unterdrückung der anderen Klassen losarbeiten. Außerdem
hat das Proletariat zur Zeit leider nur Hunger nach Geld und Schlemmerei, und das
Suchen, sich geistig empor zu ringen, liegt ihnen noch sehr fern. Mit dem Tanz
ums .Goldene Kalb' wird unser Volk niemals erstarken. Wenn sich doch endlich
ein Führer fände, der es für geistiges Wachstum gewinnen könnte. 48

D e n Mann, der in der Lage war, den Arbeiter v o m Materialismus abzubrin-


gen, fand Rudolf Heß ziemlich schnell. H e ß ist von Hitlers Erfolgen als Red-
ner gerade in dieser Hinsicht überzeugt. Seiner kritischen Cousine gegenüber
hebt er die Fähigkeit des Führers, zwischen den Schichten zu vermitteln, her-
vor. Hitler ist ihm inzwischen „ein lieber Freund geworden. Ein Pracht-
mensch!" Heß glaubt, daß Hitler in der Lage sei, „die Brücke zu schlagen
zwischen den Volksschichten, einen Sozialismus zu gründen auf nationaler
Grundlage. Das schließt natürlich ganz von selbst den Kampf gegen das Ju-
dentum in sich ein". E r versucht, der Cousine die Fähigkeiten Adolf Hitlers
mit der Schilderung einer Rede zu beweisen:

Die Erfolge, die er erzielte, sind größer als die irgendeiner sonstigen Bewegung
z. Zt. - Kürzlich brachte er es in einer prachtvollen Rede fertig, daß am Schluß im
Zirkus Krone die etwa 6000 Zuhörer aller Kreise das Deutschland-Lied anstimm-
ten, die etwa 2000 anwesenden Kommunisten sangen mit. In anderen Städten, in
denen Hitler noch nicht wirkte, etwas Unerhörtes.

Auch die angebliche Tier- und Kinderliebe Hitlers wird ins Feld geführt:
Der scheinbar so rauhe Mensch ist innerlich rührend weich, was ich vor allem in
seiner Art, mit kleinen Kindern umzugehen, ersehe und aus seinem Mitgefühl mit
Tieren.

H e ß fahrt fort, indem er auf den Zweck einer die Arbeitermassen integrieren-
den Einheit der Gesellschaft als Bedingung von Zukunft im Sumpf der G e -
genwart zurückkommt:
Mein ganzer Schmerz ist immer nur, daß ich geldlich nicht mehr für die Bewegung
tun kann, für die Bewegung, die in meinen Augen in erster Linie dazu berufen ist,

47
Ebd., S. 157, 11. 12. 1915.
48
Ebd., S. 255.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 159

Deutschland aus dem Sumpf heraus zu helfen. Denn die Zukunft beruht darauf, ob
es uns gelingt, die breiten Arbeitermassen zum Nationalen zurückzuführen.49
H e ß berichtet seiner Verlobten und seinen Eltern sehr viel und sehr oft über
seine politische Tätigkeit. Zu Adolf Hitler äußert er sich besonders häufig in
der Zeit, als beide Häftlinge in Landsberg sind. Die W a h r n e h m u n g und Beur-
teilung Hitlers vollzieht sich bei Rudolf H e ß nicht vorwiegend in christlicher
Symbolik. Gegenüber seinen Briefpartnern nennt er Hitler meistens „Tri-
b u n " . Gleichwohl kommt zu den außerordentlichen Qualitäten Hitlers, z. B.
dem „Genialen" und dem „Heldischen" 5 0 , noch etwas hinzu. Er glaubt, daß
Hitlers Erfolg als Redner von etwas „Unbeschreibbarem" ausginge, von dem
Hitler „besessen" werde. Seiner Verlobten berichtet er von dem in Hof Mitte
September veranstalteten „Deutschen T a g " folgendes:

Wie ein Lauffeuer ging es durch die Stadt: ,Er spricht um zwölf Uhr' — Programm-
widrig und im Handumdrehen waren sechs Säle zum Brechen überfüllt, u. davor
standen die Massen, vergeblich Einlaß erhoffend, dabei faßte ein Saal allein 5000.
Ich bin mit ihm von Saal zu Saal. Hinreißend sprach er, meist 1/2 Stunde, obwohl
er sich auf je zehn Minuten beschränken wollte. In einem Saal wurde er plötzlich
wieder von dem Unbeschreibbaren besessen — es packte mich so, daß ich die Zäh-
ne aufeinanderbeißen mußte. Dort sprach er über 3/4 Stunde. Viele gute u. kriti-
sche Köpfe waren im Saal - am Schluß waren sie außer sich vor Begeisterung. Aber
ernst war der Tribun wie selten. Er hat keine zum Lachen reizende Redewendung
gebracht, und ich sah ihn selbst den ganzen Tag keinmal lachen. Er fühlt, was über
Deutschland steht, u. fühlt seine Verantwortung auch — wie er mir kürzlich sagte -
im Hinblick auf den Beginn, auf den Entschluß von seiner Seite, das Feuer auf das
Pulverfaß zu werfen.51

Heß' Glaube an die Aura Hitlers korreliert mit seiner magisch-astrologischen


Auffassung v o m Verhältnis zwischen überirdischen und irdischen Kräften,
und damit hängt auch seine Gewißheit zukünftiger Erfolge zusammen. Ru-
dolf H e ß versuchte, seinen Glauben an die Astrologie 3 2 auch gegenüber Hit-
ler durchzusetzen. Seiner Verlobten berichtet er in einem Brief vom 18. Juni
aus dem Gefängnis von Landsberg:
Ich schick Ihr wieder ein Gespräch von ihm [Hitler] mit. Es ist ziemlich ,authen-
tisch', [...] abgesehen von dem Interesse, das alles, was er sagt, für mich hat, tritt
noch das eigentümliche Gefühl hinzu, an der Seite des Mannes zu gehen, von dem
ich bestimmt weiß, daß er der ,kommende Mann' in Deutschland ist, der Dikta-
tor', dessen Flagge doch über kurz oder lang auf den öffentlichen Gebäuden in
Berlin wehen wird. Er selbst hat ja den Glauben, der Berge versetzt [...]. Bei einer
wilden Debatte über die Frage der Astrologie, die ich angezettelt hatte, erklärte der
Tribun, er habe ja leider sich nicht beeinflussen lassen, aber die Tatsachen müsse
er doch feststellen. Diese seien: Es wäre ihm von verschiedenen Seiten gesagt wor-

41
Ebd., S. 267, 11. 4. 1921.
51
Ebd., S. 322.
5
Ebd., S. 304.
5;
Vgl. ebd. S. 314, 338, 368, 386.
160 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

den seinerzeit, wenn er in nächster Zeit handle, so würde seine Person dabei vor-
erst unter die Räder kommen, allerdings auf weitere Sicht würde sich das ganze
zum Guten auswirken. Noch ein weiteres sei ihm gesagt worden, doch könne er
darüber vorerst nicht reden. Er spreche noch lange nicht der Astrologie das Wort,
aber in Anbetracht der Tatsachen könne er sie auch nicht ablehnen. 53
Rudolf H e ß verbindet seinen Glauben an die P r o g n o s e n der Astrologie mit
einem sich von den herrschenden K o n v e n t i o n e n distanzierenden Glauben an
G o t t , ja er ist sogar überzeugt, „zutiefst religiös" zu sein. Seinen mittlerweile
wieder nach Alexandrien zurückgekehrten Eltern berichtet er anläßlich seiner
geplanten Eheschließung:
Mit dem Himmel im landläufigen Sinn haben wir beiden ohnehin nicht viel zu tun,
ebenso wie wir zu den heuügen Konfessionen kein rechtes Verhältnis haben -
wohl gerade, weil wir zutiefst religiös sind. Einen Pfarrer, der unserer Auffassung
entspräche, kennen wir hier nicht. Daher machen wir unseren Entschluß für uns
mit dem Herrgott ab und verzichten auf die äußere Formalität.

D e r Glaube des Rudolf H e ß ist nicht genau zu spezifizieren. Zu seinem Glau-


ben an Hitler zählt aber auch sein G l a u b e , Hitler sei nicht nur religiös, son-
dern wie auch er selbst sogar „tief religiös":
Neulich bin ich, wie schon öfters, mit Kriebe und Weber aneinandergeraten über
den Punkt meiner Stellung zur protestantischen Kirche [...] Der Tribun saß lä-
chelnd, aber schweigend dabei [...]. Später, als wir allein waren, versicherte er mir
noch öfters, wie er sich freue, daß wir uns hier so träfen. In der Öffentlichkeit hüte
er sich freilich, etwas Derartiges zu sagen, da müsse er aus politischen Zweckmä-
ßigkeitsgründen seiner Kirche gegenüber etwas heucheln - heute noch — , so zuwi-
der es ihm auch sei. Ebenso wie er seine Kampfstellung gegen den Alkohol heute
maskieren müsse. Wenn man übrigens hier wie zum Beichten u. wie zur Messe
geht, ob dann die Kirche nicht doch weiß, was es geschlagen hat? Wenn er das
Zeug zum Heucheln großen Stils hätte, wäre er vielleicht Geistlicher geworden,
hätte gewartet, bis er entsprechend hoch und fest im Sattel sitzt und hätte dann
vielleicht kirchlich reformiert u. revoltiert. Hätte vielleicht die deutsche Einheits-
kirche geschaffen. Das könne aber nur von einem kommen, der in der Organisa-
tion selbst drinsteckt. Im Grunde ist der Tribun tief religiös veranlagt. In seiner
Gedenkrede am 2. August 1924 sagte er, nur wer sich selbst nicht aufgebe, könne
damit rechnen, daß Gott ihm beistehe. ,Und wenn der Tag einst da ist, erflehen wir
den Segen des Höchsten, den Segen, ohne den letzten Endes nichts zu vollbringen
ist auf dieser Welt'. Er freut sich jetzt wie ein K n d auf das Freikommen am 1. Ok-
tober. Hoffentlich gibts keine Enttäuschung! 55

D e r Glaube des Rudolf H e ß an Adolf Hitler ist v o m „politischen Glaubens-


b e k e n n t n i s " Adolf Hitlers in „Mein K a m p f ' 5 6 nicht zu trennen, dessen Inhalt
er durch die Vorlesungen Hitlers in L a n d s b e r g sowie die Herstellung des

3
Ebd., S. 338 [die Auslassungen wurden vom Herausgeber vorgenommen].
54
Ebd., S. 387.
53
Ebd., S. 351 [die Auslassungen wurden vom Herausgeber der Briefe vorgenommen]
56
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 511.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 161

druckfertigen Manuskripts kannte. Für den zweiten Band verfaßte er sogar


die Kolumnentitel (Seitenüberschriften). 5 " Rudolf H e ß war ökonomisch auf
Hitler nicht angewiesen, er hatte einen ihn persönlich fördernden - und vor
Hitler w a r n e n d e n — Mentor, nämlich den Universitätsprofessor Karl Haus-
hofer. D e r Student der N a t i o n a l ö k o n o m i e hatte sogar die Aussicht, bei dem
einflußreichen Geopolitiker wissenschaftlicher Assistent zu werden. Die Ver-
ehrung für Adolf Hitler begann mit ideologischen Übereinstimmungen. D e r
nationalsozialistischen Ideologie Rudolf H e ß ' gehen kognitiv der Nationalis-
mus und emotional das Erlebnis des Krieges sowie die D e u t u n g der Nieder-
lage voraus. Auch dies gehört zu den Dispositionen der Hitler-Verehrung.
Nach dem Bericht einer Szene aus d e m Landsberger Gefängnis, bei der sich
beide an T o d , Opfer, Gemeinschaft und H e l d e n t u m im Ersten Weltkrieg er-
innern, gesteht Rudolf H e ß der Verlobten seine Liebe zu Hitler. Mitte Juni
1924 las Adolf Hitler Rudolf H e ß einen Text aus „Mein K a m p f vor, dessen
T h e m e n die Opferbereitschaft und der Glaube an Deutschland sind. H e ß faßt
die Lesung für seine Verlobte folgendermaßen zusammen:

Kurz darauf in Flandern pfeifen und singen die ersten Grüße des Todes ihnen ent-
gegen. Regiment deutscher Jugend neben Regiment stürmt. Plötzlich klingt es von
weit rechts erst leise, dann immer stärker herüber: ,Deutschland, Deutschland über
alles ...' Immer Neue nehmen es auf, das Lied, und geben es weiter, bis die ganze
Front ein stürmendes Singen ist. Zwischen die Träger des Sanges aber peitschen
die Garben, die Blüte Deutschlands niedermähend. Das Singen verstummt nicht. 58

Hitler n u n m e h r wörtlich zitierend, fahrt Rudolf H e ß in dem Brief fort:


Die jungen Regimenter verstanden vielleicht nicht so zu kämpfen wie die anderen,
aber sie verstanden zu sterben. 59
I
Daraufhin unterbricht Hitler die Lesung und bringt H e ß mit seinem Schluch-
zen aus der Fassung:
Der Tribun harte zuletzt immer langsamer, immer stockender gelesen, mit unbe-
weglichem Gesicht suchte er auf seinem, wie mir schien, unübersichtlichen Kon-
zept, er machte immer längere Pausen, dann ließ er plötzlich das Blatt sinken,
stützte seinen Kopf in seine Hand und - schluchzte . Daß es da auch mit mei-
ner Fassung zu Ende war, brauch' ich Dir das zu sagen!60

Die extreme Polarisierung von Leben und T o d sowie die Auffassung, Subjekt
des Opferns u n d Objekt von Vernichtung zu sein, sind, wie noch zu zeigen
sein wird, zentrale M o m e n t e der Weltanschauung Hitlers 6 1 , die somit Reflexe
auf seine Erfahrung des Krieges sind, welche wiederum in der ideologischen
Kommunikation reaktiviert werden. Im Gespräch mit H e ß wird die Angst vor

57
Vgl. Rudolf Heß, Briefe, S. 370.
58
Rudolf Heß, Briefe, S. 342.
59
Ebd.
60
Ebd.
61
Vgl. Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 326, 328.
162 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

dem T o d hervorgerufen und gleichzeitig gefordert, sie zu besiegen. „Gleich


d a r a u f , so fährt Rudolf Heß fort, „riß er sich zusammen und las tonlos wei-
ter. Viel von dem, was drinnen stand, kam mir nicht zum Bewußtsein: Kriegs-
propaganda und ähnliches". Hitler erklärt H e ß anschließend, daß er und wie
er den „Selbsterhaltungstrieb" 6 2 überwunden habe:
Er zeigte mir anschließend die Stichworte für den folgenden Absatz. Er kam ge-
sprächsweise nochmals zurück auf etwas, das er im Vorlesen berührt hatte: Wie der
Selbsterhaltungstrieb sich in ihm meldete, wie ein Unbeschreibliches seine Brust
einengte, seinen Lauf zu hemmen versuchte, das Hirn anfing, Gründe zu finden,
die den Unsinn des eigenen Handelns klarlegen wollten, - ,und es war doch nur
Feigheit'. ,Ich habe dies alles langsam überwunden; Winter [19] 15, [19] 16 war ich
ganz frei davon.' Er gestehe das ganz offen, ohne sich zu schämen, daß er emp-
findlichere Nerven als andere habe.

Der Wille, den eigenen T o d zu bemeistern, führt bei Hitler nicht zur Welt-
verneinung und zum Mitleid, sondern in der Identifikation mit dem Kollektiv
und dessen Toten zum Wunsch nach Rache und — zum Männerbund:
Dann sprach er noch ein paar Worte vom unvergleichlichen Heldentum unseres
Heeres, das sich ganz zeigte bei seiner Haltung, als aller Rausch vorüber war, er
sprach von seinen Kämpfen und Leiden und dann der Verrat zu Hause - ,oh, ich
werde erbarmungslos und fürchterlich Rache nehmen, an dem Tag, an dem ich es
kann! Ich nehme Rache im Namen der Toten, die ich dann vor mir seh'! Über die
,Lesepause' haben wir kein Wort verloren; aber als ich ging, reichten wir uns die
1 land zum festem, langem Druck.

Übermannt gesteht Heß seiner Verlobten:


Ich bin ihm ergeben mehr denn je! Ich liebe ihn!63
H e ß ' Glaube an Hitler korreliert mit einem bestimmten Bewußtsein von G e -
sellschaft. Er will nicht nur, daß die Gesellschaft eine Einheit bildet und das
Proletariat in die Nation integriert wird. Auch Volk und Staat sollen eine ge-
schlossene Einheit bilden. So schließt er sich der organischen Gesellschafts-
lehre O t h m a r Spanns an und kommentiert diese richtig:
Der wahre Sozialist dagegen geht von der Gesamtheit aus. Staat, Yolkhcit, Volk
sind in sich geschlossen oder sollten es sein und die darin Vereinten wirken im
Rahmen u. zum Vorteil des Ganzen, das persönliche Ich dem Gemeinschaftsge-
danken unterordnend. 64
Für Heß hat Hitler eine zentrale Funktion im P r o z e ß der Herstellung kollek-
tiver Identität. Auch die von Sigmund Freud analysierte Liebe zu einem Füh-
rer ist bei H e ß festzustellen. 65

62
Ebd., S. 324.
63
Rudolf Heß, Briefe, S. 342.
64
Ebd., S. 343.
65
Genauer: Wegen der Liebe zum eigenen Ich-Ideal wird eine andere Person geliebt, und auf-
grund der Identifikation verschiedener Menschen mit ein und derselben Person entsteht die
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 163

Wenn uns auch die Religiosität von Rudolf H e ß ebenso undogmatisch wie
diffus erscheint, so hat er, der v o n sich glaubte, „zutiefst religiös" 6 6 zu sein
und vice versa das gleiche v o n Hitler annahm 6 7 , keine anderen Termini zur
Verfügung, als Hitler die Prädikate Caesar und Retter zuzuordnen. Rudolf
H e ß ist hier ausführlicher behandelt worden, weil an ihm die Steigerung des
normalen Nationalismus — v o n der elterlichen Erziehung über die Erlebnisse
des Krieges und die Erfahrung der Nachkriegszeit — zum Nationalsozialismus
festgestellt werden kann. E r hat auch während der Nürnberger Prozesse an
seiner dunkel-religiös b e s t i m m t e n Haltung zu Adolf Hitler festgehalten und
sich nicht mit Schutzbehauptungen herauszureden versucht. Rudolf Heß war
weder O p p o r t u n i s t n o c h Parteibonze. Man kann ihm nicht einmal die soge-
nannten Sekundärtugenden eines anständigen Mitteleuropäers absprechen. Er
ist ein Beispiel dafür, wie m a n trotz guter Familie, höherer Schulbildung und
überdurchschnittlicher Intelligenz durch religiös-politische Wahrnehmungs-
muster magischer Provenienz kritische Urteilskraft und reflexive Distanz ver-
liert. So hielt er in der Fixierung auf Sieg und Heil der Nation ohne Um-
schweife den Inhalt des antisemitischen Machwerkes „Die Weisen von Z i o n "
für wahr. 6 8

5. Julius Streicher

Klar und schlicht glaubt hingegen Julius Streicher an das unmittelbar religiös
fundierte Charisma Adolf Hitlers. Julius Streicher wird hier nicht wegen sei-
nes bekannten rassischen AntiJudaismus zitiert; interessant ist er in unserem
Zusammenhang, weil er sich im O k t o b e r 1922 als Führer mit seiner gleich-
starken Organisation — wegen Adolf Hitler — der N S D A P anschloß. Auch bei
Julius Streicher geht die religiöse W a h r n e h m u n g der Politik dem Glauben an
Adolf Hitler voraus. D e r gelernte Volksschullehrer agitierte 1920 — Streicher
war in diesem Jahr der völkisch-rassistischen „Deutschen Sozialistischen Par-
tei" beigetreten - in einer Rede gegen „Blutsfremde" und für den „Rassen-
kampf" als Voraussetzung des wahren Sozialismus. 69 Julius Streicher plädier-
te für den Primat des Kollektivs gegenüber den Individuen, indem er klipp
und klar die Überzeugung verkündete:

Masse; vgl. Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, Frankfurt a. M. 1967, S


53 ff.
66
Rudolf Heß, Briefe, S. 387.
6
" Vgl. ebd., S. 359.
68
Vgl. ebd., S. 279.
69
Vgl. Julius Streicher, Kampf dem Weltfeind. Reden aus der Kampfzeit, gesammelt und be-
arbeitet von Dr. Heinz Preiß, Nürnberg 1938, S. 15.
164 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Niemand kann sein eigenes Glück bauen, ohne in einer deutschen Volksgemein-
schaft verwurzelt zu sein: Wer in dieser verzweifelten Lage nur an sich selbst denkt
und dabei das Wohl der Volksgesamtheit vergißt, ist ein geborener Verbrecher!70
Die religiöse Dimension seiner W a h r n e h m u n g von Politik kommt vor allem
in seiner Vorstellung vom Verhältnis von Gegenwart und Zukunft eindeutig
zum Ausdruck. Wie bei H o u s t o n Stewart Chamberlain, Dietrich Eckart und
Rudolf Heß hält er die gegenwärtige Lage selbstverständlich für katastrophal.
Kämpfen und Glauben seien die Bedingungen zukünftiger Erlösung zur Ret-
tung der Welt im K a m p f gegen das Böse im N a m e n des Abendlandes. Die am
13. N o v e m b e r 1920 gehaltene Rede endet ganz im Muster der Apokalyptik
Dietrich Eckarts:

Meine Volksgenossen! Wenn wir uns auch in einer denkbar schlechten Lage befin-
den, so seht nicht schwarz in die Zukunft! Laßt eure Köpfe nicht hängen und rafft
euch auf zum Kampf gegen die, die euch bedrücken! Vom Sklavenjoch werden wir
nur erlöst, wenn wir kämpfen und glauben. Unser deutsches Volk hat noch eine
große Sendung! Das Abendland ist totgesagt worden. Es darf aber nicht sterben!
Der deutsche Mensch wird, wenn er geläutert und zur Erkenntnis gekommen ist,
der Welt die Rettung bringen und der Midgardschlange den Kopf zertreten! '

Unumstößlich ist Julius Streicher vom Sieg im Kampf um die Wiederaufer-


stehung des deutschen Volkes überzeugt:
Ich kämpfe bis zum Sieg. Diesen werden wir erlangen, wenn auch die anderen jetzt
noch die Macht haben! Mein Glaube ist, daß das deutsche Volk, über das so viel
Unglück gebracht worden ist, eines Tages wiederauferstehen wird!72
Ganz gegen die empirische Realität - Hitler hatte zum damaligen Zeitpunkt
kaum Macht - bindet Julius Streicher das Bewußtsein des Sieges früh an die
Existenz Adolf Hitlers, wie z. B. in einer Rede v o m 20. N o v e m b e r 1924 im
Bayerischen Landtag:
Es ist gleichgültig, ob der, der das Volk rettet, eine Krone trägt oder auf einem Prä-
sidentenstuhl sitzt. Ein Mann muß es sein, der die Krone in seinem Herzen hat.
Der Retter kommt nicht von dort her, wo man mit dem Worte .Christentum' den
größten Volksbetrug begeht, auch nicht von dort her, wo deutsche Menschen im
Dienst der Golgathamörder stehen. Ich könnte ihnen den Namen des Mannes nen-
nen, der Deutschland retten wird. Sie mögen lachen, Sie mögen mich für einen
Narren halten. Zu allen Zeiten wurde derjenige, der der Gegenwart vorauseilte, für
geisteskrank erklärt. Besonders den großen Erfindern und Entdeckern ist es so er-
gangen. Anfangs wurden sie zu Narren gestempelt, später konnte man sie nicht
genug in den Himmel hinaufloben.73

Julius Streicher erklärt auch frank und frei, daß er nur deshalb im Parlament
sei, weil ihn „Adolf Hitler beauftragt" habe. Er sei trotz des Scheiterns am 9.

70
Ebd.
71
Ebd.
72
Ebd., Rede vom 23. November 1922, S. 20
73
Ebd., S. 33 f.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 165

N o v e m b e r 1923 und der Opfer an der „Feldherrnhalle" fest davon überzeugt,


daß die, die dort starben, für die Zukunft starben. Es gibt keinen Grund an-
z u n e h m e n , daß Julius Streicher in dieser Rede im Bayerischen Landtag nicht
an das geglaubt hat, was er gesagt hat. Trotz des Risikos, ausgelacht zu wer-
den — was für den Ernst seine Glaubensfixierung spricht —, nennt er, während
das Objekt seiner Sehnsucht noch im Gefängnis sitzt und der Parteiapparat
im desolaten Zustand ist, den „Retter" beim Namen:

Sie verstehen das nicht und lachen, unsere Bewegung aber ist durch das Blut dieser
Helden geweiht. Jetzt sage ich Ihnen, wer der Mann ist, der uns helfen wird. Er ist
kein Trotzki, kein Ministerpräsident Held - es ist ein einfacher Frontsoldat, ein
Mann, der heute noch die Ungerechtigkeit einer Regierung ertragen muß, in Zu-
kunft aber von knieschlotternden Ministerpräsidenten ersucht werden wird: Adolf
Hitler komm! Hilf uns, wir haben Bankrott gemacht!74
Ich betone, daß Streichers Siegesbewußtsein nicht etwa deshalb zitiert wurde,
um ihm irgendwelche prophetischen Gaben zu unterstellen. Aus dieser Rede
ist zitiert worden, um mit der Darstellung des Konfliktes zwischen Wunsch
und Wirklichkeit im Jahre 1924 die Authentizität des Glaubens des Julius
Streicher zu beweisen. Für Streicher ist aber Adolf Hitler nicht nur ein Retter
im allgemein unverbindlichen Sinne. Es entspricht den schon 1920 ausge-
drückten Forderungen von „erlösen", „kämpfen" und „glauben" im Hinblick
auf die „große Sendung" des deutschen Volkes, der „Welt die Rettung" zu
bringen 7 5 , wenn er in einer Rede v o m 1. Juli 1928 predigt, daß die „Rettung
unseres Volkes gelingen wird", weil Adolf Hitler von G o t t gesegnet sei. Strei-
cher verknüpft mit unverständlichen Worten die Rassenfrage als Frage der
Weltgeschichte im Kampf gegen den Weltfeind mit der Apokalyptik von Sieg
und Heil. Weil Adolf Hitler von G o t t gesegnet sei, glaubt er seine Hörer „mit
neuem M u t " trösten zu können: Alle Elemente der NS-Ideologie sind am
Schluß dieser kurzen Rede auf dem fränkischen Hesseiberg enthalten:

Ich habe euch hierher auf diese stolze Höhe gerufen, auf daß ihr wie unsere Vor-
fahren euch Kraft und Stärke holt. Nehmt von diesem heiligen Berg die Erkennt-
nis mit ins Tal, daß an all unserem Unglück der Weltjude schuld ist. Er hat uns um
unser Gut und unsere Ehre gebracht. Wenn wir unsere Lage verstehen wollen,
wenn wir überhaupt die Weltgeschichte begreifen wollen, dann müssen wir die Ras-
senfrage kennen: Sie ist der Schlüssel zu allen Geschehen auf dieser Erde. So laßt
uns mit neuem Mut und mit neuem Glauben in den Kampf gehen! Wir sind zwar
wenige, aber wir sind nicht allein. Ein Mann ist erstanden, dem die Rettung unse-
res Volkes gelingen wird: Adolf Hitler. Er ist gesegnet von Gott, er wird das
Schlimmste von unserem Volk abwenden. Darum glauben wir an ihn und kämpfen
mit ihm. Grüßt mit mir Adolf Hitler! Sieg - Heil!76

74
Ebd., S. 34.
75
Vgl. ebd., S. 20.
76
Ebd., S. 111.
166 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Julius Streicher glaubt nicht nur an G o t t , sondern auch an die Macht des Bö-
sen. Als er z. B. in der Eröffnungsrede des dritten Reichsparteitages der
N S D A P am 20. August 1927 versichert, „wir leben und schauen in eine neue
Zukunft und glauben, daß es Adolf Hitler und seinen Getreuen gelingt, das
deutsche Volk aus den H ä n d e n Judas zu befreien", greift er damit korrespon-
dierend am Schluß seiner Rede auf D ü r e r s b e r ü h m t e s Bild von „Ritter, Tod
und Teufel" sowie auf Luthers Hoffnung, den altbösen Feind zu besiegen,
zurück:

Wer die Idee Adolf Hitlers in sich aufgenommen hat, der braucht kein Wort mehr
zu hören, der weiß, um was es geht. Der Nürnberger Meister Albrecht Dürer hat
ein Bild gemalt, auf welchem ein tapferer Ritter hoch zu Roß durch Schluchten an
Tod und Teufel vorbei zum Siege reitet. Möge auch jeder von uns solch ein Ritter
werden, der Tod und Teufel überwindet! Mit diesem Wunsche möchte ich euch
begrüßen. Denkt bei allem, was ihr tut, daß es für den Nationalsozialisten nur ei-
nes gibt - unablässig in unser Volk hineinzuschreien: ,Und wenn die Welt voll Teu-
fel war', es muß uns doch gelingen!'77

Julius Streicher glaubt nicht nur, daß Adolf Hitler v o n G o t t gesegnet sei, son-
dern auch, daß dieser der Mittler zwischen G o t t und Mensch ist. Er glaubt,
daß Adolf Hitler „von G o t t gesandt ist", und er k o m m t zu diesem Glaubens-
bekenntnis im Anschluß an die von ihm v o r g e n o m m e n e Identifikation der
Nationalsozialisten mit den ersten J ü n g e r n Jesu Christi:
Wir kämpfen, wie die Jünger nach dem Mord von Golgatha einst kämpften. Diese
einfachen kleinen Menschen fingen an zu reden und zu kämpfen. So geht auch ihr
hinaus als Apostel der Gegenwart! Es geht um Großes, es geht um alles. Deutscher,
erkenne die Stunde! Wir haben unsere Pflicht getan. Erkennst du die Schwere der
Stunde nicht, dann versinke! Aber klage nicht! Du trägst ja selbst die Schuld! Wir
Nationalsozialisten glauben, daß Adolf Hitler der Sendbote für ein neues Deutsch-
land ist! Wir glauben, daß er von Gott gesandt ist, um das deutsche Volk vom Blut-
sauger Alljuda zu befreien. Es geht um die Erlösung des deutschen Volkes, auf daß
die Welt erlöst werde. Marschiert mit uns! Durch Kampf zum Sieg! ' 8

Auch bei Julius Streicher ist zu betonen, daß er wie H o u s t o n Stewart Cham-
berlain, Dietrich Eckart und Rudolf H e ß die zur F ü h r u n g berechtigenden
Qualitäten weder erbbiologisch noch eugenisch, n o c h sozialdarwinistisch be-
stimmt. I m G l a u b e n an die außerordentlichen Fähigkeiten Adolf Hitlers hat
die Rasse keine konstitutive oder legitimierende Funktion. Nirgends liest man
bei dem als primitiv verschrieenen Rassisten Julius Streicher, daß Adolf Hit-
ler deshalb der F ü h r e r sei, weil in ihm das Potential der arischen Rasse auf
v o l l k o m m e n e Weise aktualisiert wäre. Die B e d e u t u n g Adolf Hitlers k o m m t
nicht von unten, aus N a t u r oder Rasse, sondern von oben, im K a m p f um eine
Zukunft der E r l ö s u n g gegen den bösen Weltfeind.

Ebd., S. 94; vgl. auch S. 142.


Ebd., Rede vom 21. April 1932, S. 132
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 167

Die Darstellung des G l a u b e n s an Adolf Hitler d r o h t r e d u n d a n t zu werden.


D a es aber in diesem Abschnitt darauf a n k o m m t zu überprüfen, o b das Cha-
risma ein wesentliches Merkmal der NS-Führerideologie ist und o b diese als
religiös bestimmbares P h ä n o m e n abgelöst von anderen religiösen P h ä n o m e -
nen begriffen werden kann, ist die Häufigkeit der W i e d e r h o l u n g mehr oder
weniger variierter Konfigurationen nicht zu vermeiden. N u r wenn bestimmte
Inhalte immer wieder festgestellt werden, kann gerechtfertigt werden, daß sie
das Wesentliche und die Bestimmtheit der NS-Ideologie ausmachen. Die
Wiederholung gehört außerdem zur Sache, weil sie eine konstitutive, expansi-
ve, erneuernde und legitimatorische F u n k t i o n innerhalb der Ideologie selbst
hat.
Ein ganz anderes Problem stellt hingegen die B e a n t w o r t u n g der Frage dar,
o b der in den literarischen Quellen feststellbare Glaube „wirklicher", „au-
thentischer" Glaube war. Man ist a posteriori geneigt, dies zu bezweifeln.
Aber welche G r ü n d e k ö n n e n gegen die Wahrhaftigkeit und Echtheit der ge-
äußerten Glaubensbekenntnisse ins Feld geführt werden? E s ist eine Frage
der Beweislast. G e g e n ü b e r der hier vertretenen Interpretation wären Indizien
und Fakten vorzubringen.

6. Baldur von Schirach

Welches Indiz hat man dafür, daß der Verfasser des folgenden Gedichts, das
auch noch den Titel „ D e u t u n g " hat, ungläubig war?
Gott ist die Nähe und was fern,
er ist das Wasser und die Winde.
Gott ist die Erde und der Stern
und ist das Lächeln in dem Kinde.
Gott ist die Gasse und der Dom,
die Arbeit und die dunkle Ruh,
ist Wittenberg und heilig Rom.
Er ist der Gott und dennoch Du! 79

Gewiß ist der in diesem Gedicht geäußerte Inhalt nicht nur nach den Lehren
von Wittenberg und Rom als pantheistisch zu beurteilen, w o m i t aber nur der
Irrglaube nach den D o g m a t a v o n W i t t e n b e r g und R o m bewiesen wäre. D a s
Verdikt des Unglaubens aber m ü ß t e sich auf öffentliche oder nichtöffentliche
Bekundungen des Atheismus stützen können. Solange Zeugnisse dafür nicht
nachweisbar sind, ist es besser, die Quelle selbst zu interpretieren. D e r Ver-
fasser des eben zitierten Gedichtes hält sich offensichtlich nicht an das Mu-
ster der scholastisch-aristotelischen Logik, sonst hätte er W i t t e n b e r g u n d
Rom nicht in eins gesetzt. Selbst den Lutheranern wiederum wird die ins Sub-

Baldur von Schirach, Die Fahne der Verfolgten, Berlin o. ) . , S. 53.


168 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

jektive entlassene Gläubigkeit zu weit gehen, wenn der Schwärmer glaubt,


„ G o t t " und „ D u " vereinigen zu dürfen. Wenn auch die Ästhetik dieses Po-
ems nicht gerade das Erhabene evoziert, könnte man doch die in diesem Ge-
dicht zum Ausdruck kommende Versöhnung von Mensch, N a t u r und Kos-
mos (Gott ist Wasser, Wind, Erde und Stern) als Indiz für die Lebendigkeit
des Glaubens werten. D a ß es sich hier um modernen, zur Expression gelang-
ten Glauben handelt, wird erst recht dadurch deutlich, daß das Symbol des
Alltags (Gasse) nicht von der Manifestation des Außeralltäglichen (Dom) ge-
trennt erscheint. Ja, darüber hinaus wird in diesem Gedicht der Widerspruch
zwischen der Arbeit als Prinzip weltverändernder Bewegung und der welter-
haltenden Ruhe in G o t t aufgehoben. Es handelt sich bei diesem Gedicht
nicht um einen reaktionären, toten Kirchenglauben, sondern um einen mo-
dernen, das heißt lebendigen und damit wirklichen Glauben. Man m u ß dieses
Gedicht, wie es hier ironisch versucht wurde, nicht auf diese Weise interpre-
tieren, aber es ist nicht zu bestreiten, daß man es mit guten G r ü n d e n so inter-
pretieren kann. Auf jeden Fall wird die Kluft von G o t t und Mensch sowohl
verneint als auch bewahrt: „ E r ist der G o t t und dennoch Du!"
Mit welchem Argument will man die authentische Religiosität im folgen-
den Poem bestreiten, wenn man dazu noch bedenkt, daß gegen das darin be-
schworene Opfer das Argument des Unterschieds zwischen politisch-symbo-
lischer Poetik und real-historischer Poesis nicht ins Feld geführt werden
kann? In dem Band, aus dem hier zitiert wird, steht es auf der gegenüberlie-
genden Seite des vorher zitierten Gedichtes. Es stammt vom selben Verfas-
ser und trägt den Titel „Golgatha":
Deutschland, du warst der Heiland dieser Welt,
und wer dich ansah, ahnte Deinen Sinn:
Dass Gott uns Grössres gab als nur Gewinn
und Geld.
Nun hat die Welt ein Kreuz für dich gemacht
und singt zu Deiner heil'gen Agonie
den grossen Chor der Neunten Symphonie
und lacht.80'
Das Schicksal des deutschen Volkes wird ohne Scheu mit dem Schicksal von
Jesus Christus identifiziert, das heißt, daß das Selbstopfer des deutschen Vol-
kes, analog zum Kreuzestod Christi, die Bedingung seiner Wiederauferste-
hung und seines Heils ist; die Erlösung des Volkes wird also durch das deut-
sche Volk für das deutsche Volk selbst vollbracht.
Baidur von Schirach hat die beiden Gedichte in einem Band mit dem Titel
„Die Fahne der Verfolgten" 8 1 veröffentlicht, der „Adolf Hitler, dem Führer"
gewidmet ist. Im größten Teil der Gedichte wird das Wir-Gefühl - d e m Titel

80
Ebd, S. 52
81
Ebd., S. 52 f.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 169

e n t s p r e c h e n d - durch das Martyrium oder das Beispiel der Märtyrer 8 2 nach


d e m Leitmotiv „Unser ganzes Leben ist ein Opfergang!" 8 3 , aber auch gleich-
zeitig durch das Bewußtsein der Avantgarde konstituiert:
Wir sind die Ketzer und die tiefen Frommen
Das Heut', das Gestern und das große Kommen. 84
E r w e c k u n g durch Siegesgewißheit im Kampf gegen das Böse beschließt den
zu stiftenden Bund:
Nie kann ein Teufel uns was tun!
Die Fahne flackert wild im Wind:
die Siege unserer Jugend sind
ein Ruf an alle, die noch ruhn!85
Es fehlt auch hier nicht der Rekurs auf den triumphierenden, die Juden besie-
g e n d e n Christus. Baidur von Schirach denkt sich die „Wiederkehr Christi"
aus:
Christus
Wenn heute er vom Himmel niederstiege,
der grosse Krieger, der die Wechsler schlug
so brüllt ihr wieder euer ,crucifige!'
und schlagt an's Kreuz ihn, das er selber trug.
Er aber lächelt leise eurem Hasse:
,Die Wahrheit steht, wenn auch ihr Träger fällt;
der Glaube lebt, da ich das Leben lasse [...]
Und ragt am Kreuz den Kämpfern aller Welt.'86
Sechs Gedichte sind dem Führer unmittelbar gewidmet. Wenn Deutschland
in dem Gedicht „Golgatha" der „Heiland dieser Welt" ist, dann darf Baidur
von Schirach auch in dem Poem „ D e m Führer" glauben:
Das ist die Wahrheit, die mich dir verband:
Ich suchte dich und fand mein Vaterland [...]
Ich glaub an dich, denn du bist die Nation,
Ich glaub an Deutschland,
Weil du Deutschlands Sohn. 87

Anders als beim fränkischen Unterführer Julius Streicher wird der Glaube an
das Charisma Hitlers nicht unmittelbar zum Ausdruck gebracht, sondern poe-
tisch evoziert. In dem ebenfalls Adolf Hitler gewidmeten Gedicht mit dem
Titel „Das G r ö s s t e " wird die Seele Hitlers in der Spannung von diesseitiger

82
Vgl. ebd., S. 13, 15 f., 19 f., 27, 29, 32, 53, 56 f.
83
Ebd., S. 19.
84
Ebd., S. 12; vgl. S. 56.
85
Ebd., S. 58.
86
Ebd., S. 49.
87
Ebd., S. 38.
170 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

und jenseitiger Welt angebetet. Was das „ G r ö s s t e " an Hitler sei, beschreibt
von Schirach folgendermaßen:
Das ist an ihm das Grösste: dass er nicht
nur unser Führer ist und vieler Held,
sondern er selber: gerade, fest und schlicht,
dass in ihm ruhen die Wurzeln unserer Welt,
und seine Seele an die Sterne strich
und er doch Mensch blieb, so wie du und ich [...] 88
Hitler ist der Führer, weil er der Seinsgrund der Welt ist - „In ihm ruhen die
Wurzeln unserer Welt." Hitler ist der Führer, weil seine Seele die kosmisch-
überirdische Welt berührt — „Seine Seele an die Sterne strich." Hitler sei den-
noch Mensch geblieben, mithin G o t t und Mensch zugleich. Hitlers Existenz
umfaßt Ursprung und Ziel, er hängt sozusagen zwischen Wurzeln und Him-
mel, und daher m u ß ihm die Praxis kultisch-religiöser Verehrung angetragen
werden. Die Gläubigen müssen ihm eine Kirche bauen, ein M o n u m e n t , in
dem er als ewige Bewegung (Flamme) u n d ewige Ruhe (Marmor) verehrt
wird:

Einem Führer
Dir Treuem bauen wir ein Monument
aus Blöcken von hartem Stein.
Wir stellen ein Feuer, das immer brennt,
mitten hinein.
Und wer dich kennt, der weiß an dem Altar:
die Flamme ohne Ruh
und der weiße Marmor kalt und klar,
bist du. 89
Die K o m m u n i o n von Schirach, Volk und Führer geht so weit, daß sich der
Poet traut, Worte des Führers als seine eigenen zu schaffen. Das heißt, er
traut sich, seine eigenen Imaginationen als die des Führers auszugeben:
Hider
Ihr seid vieltausend hinter mir,
und ihr seid ich und ich bin ihr.
Ich habe keinen Gedanken gelebt,
der nicht in euren Herzen gebebt.
Und forme ich Worte, so weiß ich keins,
das nicht mit eurem Wollen eins.
Denn ich bin ihr und ihr seid ich,
und wir alle glauben, Deutschland, an dich!90
Das Gedicht mit dem Titel „Hitler" verrät den Wunsch nach totaler Identifi-
kation. Hitler ist das Volk, und das Volk ist Hitler. Hitler ist in jedem Deut-

88
Ebd., S. 37
89
Ebd., S. 42.
90
Ebd., S. 39.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 171

sehen, und jeder Deutsche ist in Hitler, alle Deutschen sind ein und dasselbe.
Auch bei d e m Aristokraten Baidur von Schirach korreliert der Glaube an das
Charisma Adolf Hitlers mit dem Wunsch nach Identität als Qualität von Ge-
sellschaft.
Die Darstellung des Glaubens an das Charisma Adolf Hitlers als Moment
der politischen Religion soll n u n m e h r durch einen kurzen Hinweis auf die Art
der Religiosität Himmlers sowie auf die fragwürdige Gläubigkeit Görings und
die fanatische Gläubigkeit G o e b b e l s ' abgeschlossen werden.

7. Heinrich Himmler

Innerhalb der Varianten der NS-Ideologie vertritt Himmler das Element der
arischen Rassezucht am radikalsten. Meist wird er nur als Vertreter eines
pseudo-wissenschaftlichen Biologismus betrachtet. Aber diese Einschätzung
ist verkürzt. Himmler kann nicht als reiner Technokrat begriffen werden, und
er begriff sich selbst nicht als solcher. In der „Anleitung für die Gestaltung
der ,SS-Namensweihe'" ist sein Glaubensbekenntnis zusammengefaßt:
Wir glauben an das Volk, des Blutes Träger. Und an den Führer, den uns Gott be-
stimmt.91
Josef Ackermann weist in seiner ausgezeichneten Untersuchung nach, daß
auch Himmler von Houston Stewart Chamberlain beeinflußt war 9 2 und dem-
entsprechend an den arischen Jesus glaubte. So ließ er in einer Verfügung an
die Schulungsleiter und alle SS-Führer „jeden Angriff gegen Christus als Per-
son" verbieten, „da solche Angriffe oder die Beschimpfung von Christus als
J u d e n " sowohl „unwürdig" als auch „geschichtlich bestimmt unwahr" 9 3 sei-
en.
Himmler fingiert mithin eine Konzeption von Rasse, welche nicht auf rein
biologisch-materialistischer Grundlage beruht. Seine ariosophische Blutmagie
und germanofetischistische Runenverehrung stellen zwar ein sonderbares
Gemisch dar, können aber nicht als neuheidnisch bezeichnet werden. D e n n
Heinrich Himmler ist kein Polytheist, sondern Monotheist. Himmler machte
nicht nur die Rasse zur Religion, sondern war auch religiös, weil er an G o t t
und die Vorsehung glaubte:

Es gibt manche Leute in Deutschland, die glauben, gerade uns SS-Männer gottlos
und religionslos heißen zu können. Es ist richtig, daß wir uns als Schutzstaffel um
Konfession und Kirche des einzelnen weniger denn irgend jemand in Deutschland
kümmern. Es ist jedoch die schwerste Verkennung unserer ganzen Art, wenn ir-
gend jemand glauben sollte, wir hätten uns an die uns vom Führer gestellte Aufga-

1
Josef Ackermann, Himmler als Ideologe, Göttingen 1970, S. 87
92
Vgl. ebd., S. 17 ff.
93
Ebd., S. 77.
172 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

be und an die uns selbst gegebenen Gesetze heranzuwagen, wenn wir nicht aus
allerinnerster Überzeugung an einen Herrgott glauben würden. 94
Heinrich Himmler gehört zu denjenigen führenden Nationalsozialisten, wel-
che gläubige Ideologen waren. 9 5 Wie für Chamberlain zählen auch für Himm-
ler G o e t h e und Hitler zu den „Lichtgestalten, die dem Germanentum immer
dann entstehen, wenn es in tiefste körperliche, geistige und seelische N o t ge-
langt". Auch Himmler hängt dem apokalyptischen Muster - „Dieses Reich
wird geradezu ein heiliger Mythos sein" 9 6 , das Auftreten eines Retters in den
Zeiten der Katastrophe, des Kampfes und des Sieges — an. Aber er verknüpft
seinen apokalyptischen Glauben mit der rassereligiösen Sicht von Inkarnation
und Karma. Für Himmler vereinigt Hitler in sich die Fähigkeiten von G o e t h e
und Bismarck und damit des Germanentums überhaupt. So fährt er fort:

Goethe war eine solche Gestalt auf dem Geistesgebiet, Bismarck auf dem politi-
schen Sektor, der Führer ist es auf allen Gebieten, dem politischen, kulturellen und
militärischen. Er ist dazu von dem Karma des Germanentums der Welt vorbe-
stimmt, den Kampf gegen den Osten zu führen und das Germanentum der Welt
zu retten, eine der ganz großen Lichtgestalten hat in ihm eine Inkarnation gefun-
den. 97

Himmler glaubt also nicht aufgrund quantitativer Messungen oder wissen-


schaftlicher Analysen des Blutes an Hitler sowie an dessen überragende Be-
deutung, sondern aufgrund einer religiösen Fiktion. D e r T o p o s der Wieder-
geburt taucht bei Himmler in der Variante des Karmas auf, insofern Hitler
vom „Karma des Germanentums der Welt vorbestimmt" war. Im Glauben
des Heinrich Himmler an Adolf Hitler kommt aber nicht nur die Ursprungs-
und Wiedergeburtsspekulation zum Ausdruck. Himmler glaubt an die Ewig-
keit des deutschen Volkes und die Abhängigkeit der göttlichen O r d n u n g der
Welt von der Existenz des Ariers und verbindet dies mit dem Glauben, Hitler
sei von G o t t gesandt. Im Rückgriff auf die Ahnen und im Vorgriff auf das Ur-
teil späterer Generationen schließt er eine Rede aus dem Jahre 1944 mit fol-
genden Sätzen:

Wir werden nach dem Krieg die Zeit des Friedens, wo wir arbeiten und den Frie-
den gewinnen wollen, was vielleicht schwerer ist, als den Krieg zu gewinnen, mit-
machen und dann wird einmal das Ende unseres Daseins sein, und da wollen wir
heute alle so handeln, daß wir am Ende sagen können und daß unsere Kinder und
Enkel dann von uns sagen: Sie waren es wert, unsere Väter, unsere Ahnen, daß sie
Adolf Hitlers, des vom Herrgott gesandten Führers, Offiziere in der schwersten
Zeit des germanischen Volkes gewesen sind.

Bradley F. Smith/Agnes Peterson (Hrsg.), Heinrich Himmler, Geheimreden 1933-1945


und andere Aussprachen, München 1974, S. 86 (im folgenden kurz: Heinrich Himmler,
Reden).
Vgl. Josef Ackermann, Himmler als Ideologe, Göttingen 1970, S. 77 ff.
Heinrich Himmler, Reden, Rede am 24. Oktober 1943 in Posen.
Felix Kersten, Totenkopf und Treue, Hamburg 1953, S. 190.
Heinrich Himmler, Reden, S. 237.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 173

Tritt bei Heinrich Himmler die „Sendung" in der Konstellation des Krieges
und des Kampfes in den Vordergrund, so ist sein G o t t auch ein G o t t des
Schicksals, welches Adolf Hitler den Deutschen schenkt. Auf einer Führer-
tagung der SS im Jahre 1935 predigt er:
Nach 2000 Jahren gibt uns das Schicksal noch einmal eine Chance, noch einmal
eine Möglichkeit und schickt uns diesen Führer Adolf Hitler.
D a r ü b e r hinaus ergänzen sich „ E n d l ö s u n g " und „Erlösung". In einer Rede
über die Judenfrage vor Generälen in Sonthofen vom 5. Mai 1940 beteuert er:
Wir wollen niemals vergessen: Das Schicksal, der Herrgott, ist alle paar Jahrtausen-
de so gnädig, daß er einem Volk den Führer schickt, den wir in Adolf Hitler ha-
ben."
D e r katholisch erzogene Himmler war ein Gegner der christlichen Kirchen,
aber er war „gottgläubig". Der Glaube an das Charisma Hitlers ist also nicht
von einem damit korrespondierenden Glauben an die Existenz und Macht
Gottes zu trennen. Auch in der offiziellen Zeitschrift der SS wird dieser Glau-
be dokumentiert:
Wenn du unseren Führer siehst, ist es wie ein Traum; du vergißt alles, um dich, es
ist, als ob Gott zu dir kommt. 100
Mithin ist Hitler der Vermittler zwischen G o t t und der SS. Himmler ver-
gleicht sogar Hitler mit Christus selbst. So berichtet Felix Kersten, Himmler
habe ihm gegenüber geäußert, daß die Menschen noch nach Jahrhunderten
„ebenso gläubig" zu Hitler „aufschauen werden wie sie es zu Christus getan
hätten". 1 0 1 Auch der Massenmörder Himmler denkt im Modus der Vermitt-
lung. In seinem Glauben an das Charisma Hitlers kreuzt er die Spekulation
des göttlich-arischen Blutes mit der Sendung durch einen allmächtigen Gott.

8. Hermann Göring

D e r aus gutem Hause stammende und im Ersten Weltkrieg hochdekorierte


Fliegeroffizier Hermann Göring, dessen gesellschaftliche Beziehungen bis in
das Haus Hohenzollern hinaufreichten, trat 1922 in die N S D A P ein und wur-
de beim N o v e m b e r p u t s c h 1923 schwer verletzt. Es ist nicht nachzuweisen,
daß Göring, wie häufig angenommen wird, den reinen Machttyp repräsentier-
te, es sei denn, man unterstellt ihm für die Zeit, in der die N S D A P noch er-
folglos war, prophetische Gaben. Feststellen läßt sich dagegen, daß Göring

Ebd., S. 202.
„Das Schwarze Korps", 30. Januar 1941, S. 4.
Felix Kersten, Totenkopf und Treue, Hamburg 1953, S. 190
174 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

die Beziehung zwischen Gott, Führer und Volk öffentlich bekundete. Er hat-
te auch eine bestimmte Auffassung von Gesellschaft, die auch deshalb glaub-
würdig wirkt, weil ihr eine gewisse Komik nicht abzusprechen ist. Göring
vergleicht das Volk mit dem Wald und benutzt als tertium comparationis das seit
der Romantik und der ehrwürdigen historischen Rechtsschule zum Ansehen
gelangte Prinzip des Organismus. Auf diese Weise werden „ewiger Wald" und
„ewiges Volk" zu einem „ewigen Wesen". In einer Rede auf der Tagung
des Deutschen Forstvereins vom 17. August 1936 führt der Jäger Göring aus:

Aus der Idee der Nachhaltigkeit und aus der organischen Auffassung des Waldwe-
sens entsteht der Gedanke vom ewigen Wald. Wald und Volk in nationalsozialisti-
scher Auffassung haben viel Wesensverwandtes. Auch das Volk ist eine Lebensge
meinschaft, ein großes organisches ewiges Wesen, dessen letzte Gliederung die ein-
zelnen Volksgenossen sind. Nur die völlige Einordnung des einzelnen in den
Dienst des Ganzen verbürgt die ewige Dauer der Gemeinschaft. Ewiger Wald und
ewiges Volk gehören zusammen. 103

Die „völlige Einordnung des einzelnen in den Dienst des G a n z e n " verlangt
Hermann Göring auch in einer Rede vor der Akademie für Deutsches Recht
am 13. N o v e m b e r 1934, in welcher die Beziehung zwischen ewigem Recht,
ewiger Moral, Volksgemeinschaft und Führer hergestellt wird. O b ihm je-
mand diese Rede geschrieben hat oder ob er sie selbst schrieb ist unerheblich;
Göring argumentiert angesichts der Ewigkeit:
Es mögen sich in einzelnen Fällen Gesetze ändern, eins aber bleibt ewig: Das ist
nicht der Buchstabe des Gesetzes, nicht der Buchstabe des Rechts, sondern das
Rechtsempfinden selbst. Das ist das Ewige: das Empfinden, die Sehnsucht nach
dem Recht und der Glaube an die Gerechtigkeit. Man kann es aber deshalb nicht
gesetzmäßig oder paragraphenmäßig überspitzen. Das moralische Recht ist das
ewige Recht.104

Den Bogen zum Organismus, allerdings o h n e diesen Begriff in diesem Kon-


text zu gebrauchen, findet Göring hier durch das Blut sowie durch das ge-
meinsame Rechtsempfinden der Blut- und Artgleichen. So fährt er fort:
Das ewige Recht, das moralische Recht aber liegt seit tausenden von Jahren fest
verankert in der Brust der Menschen. Es pflanzt sich fort von Ahnen auf Nach-
kommen und ist aus dem Blute des Volkes geboren und darum haben die Blut- und
Artgleichen ihr Recht und verstehen es. 105
Aber das selbsterhaltende System des Organismus reicht zur Konstitution des
Ganzen nicht aus. Das Ganze der Volksgemeinschaft braucht die Gesetze des
Staates, deren Legitimität aus der Verbindung v o n F ü h r e r und Volksgemein-
schaft begründet wird:

102
Erich Gritzbach (Hrsg.), Hermann Göring, Reden und Aufsätze, München 1938, S. 251
103
Ebd.
104
Ebd., S. 145 f.
105
Ebd., S. 146.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 175

Der Führer hat den Zustand der Revolution aber inzwischen für beendet erklärt.
Wir haben uns in die Zeit geordneten Neuaufbaus durchgekämpft. Der Führer hat
in seinem Amnestiegesetz vom 7. August 1934 noch einmal in hochherzlichstcr
Weise Gnade geübt. Wer sich gegen die Gesetze des Staates vergeht, handelt gegen
den Willen des Führers, handelt gegen die Bewegung, gegen den Staatsgedanken
und gegen unsere Weltanschauung. Er verletzt damit die heilige Treuepflicht ge-
genüber dem Führer; denn die Treue der Gefolgschaft heißt Gehorsam. Er handelt
damit auch gegen die Volksgemeinschaft, die vom Geiste und Willen des Führers
erfüllt und getragen wird. Das gilt für jeden, aber auch jeden Volksgenossen. M

Wir wollen hier nicht den offensichtlichen Hintergrund des „Röhm-Put-


s c h e s " beachten, sondern vielmehr die Überzeugung, daß die Volksgemein-
schaft nicht aus sich und durch sich wie ein Organismus funktioniert, son-
dern v o m Geiste und Willen des Führers erfüllt und getragen wird, ihre Le-
bendigkeit und Ganzheit damit v o m Führer abhängt. Unabhängig davon, o b
G ö r i n g nach Macht strebte oder nicht, jedenfalls hat er begriffen, daß Welt-
anschauung das F u n d a m e n t der Einheit von Volk und Reich ist, welche wie-
d e r u m durch Adolf Hitler geschmiedet werde. In der Rundfunkrede vom 30.
Januar 1933 heißt es unmißverständlich:

Wir werden euch beweisen, daß wir ein neues Fundament gebaut haben, weitab
von eurem Hause, das ihr vor vierzehn Jahren errichtet habt und bei dem jetzt auch
noch die Fassade eingestürzt ist. Dieses Fundament aber soll zusammengeschweißt
sein aus unserer Weltanschauung, aus der Weltanschauung, die endlich wieder die
beiden Begriffe Nationalismus und Sozialismus zusammenführt [...] Die feindli-
chen Lager sollen nun in eine einzige Einheit zusammengeschweißt werden, darum
soll diese Weltanschauung das Fundament des neuen Reiches sein [...]. Die Ein-
heit des Reichs, Volksgenossen, bleibt eine leere Form, wenn das Volk zerrissen ist,
und deshalb gibt erst die Einheit des Volkes der Einheit des Reiches den wahren
Inhalt. Diese Einheit des Volkes zu schmieden, ist das Lebenswerk Adolf Hit-
lers. 107

Auch Göring, der sein moderates Verhältnis zur evangelischen Kirche durch
die öffentlich zelebrierte Taufe seiner Tochter dokumentierte, war nicht
areligiös. Wäre es G ö r i n g nur um „Machteroberung" gegangen so impliziert
dies, daß man ihm glaubte, wenn er sich öffentlich zum Charisma Adolf Hit-
lers bekenne. Selbst wenn dem so wäre, folgt daraus, daß Religion und Cha-
risma zu den Bedingungen nationalsozialistischer Macht zu zählen sind.
In einer Rede auf d e m Reichsparteitag in Nürnberg bei der Tagung der
Deutschen Arbeitsfront am 10. September 1938, vom Herausgeber mit der
Überschrift „Konzentratio n aller Kräfte" versehen, glaubt er an die besonde-
re Beziehung zwischen G o t t dem Allmächtigen und Adolf Hitler:
In all diesen Jahren hat der Allmächtige ihn und das Volk wieder und immer wie-
der gesegnet. Er hat uns im Führer den Retter gesandt. Unbeirrbar ging der Führer
seinen Weg, und unbeirrbar folgen wir ihm. Der Weg war steil, doch herrlich sein

106
Ebd., S. 149.
m
Ebd., S. 29 f.
176 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Ziel: unser Großdeutschland. In diesen Stunden und Tagen, da von außen immer
wieder versucht wird, hier und dort Kleinmut ins deutsche Volk zu bringen, Zwei-
fel an seiner Führung im deutschen Volk zu erwecken, das deutsche Volk zu um-
schmeicheln und zu bedrohen, kann ich nur das eine zu euch allen und zum gan-
zen Volke sagen: Deutsches Volk, trage die stählerne Gewißheit in dir: Solange
Volk und Führer eins sind, wird Deutschland unüberwindlich sein. Der Herr sand-
te uns den Führer, nicht damit wir untergehen, sondern damit Deutschland aufer-
stehe. 108

Die meisten Elemente der NS-Ideologie, nämlich die Identität von Volk und
Führer, die Unüberwindlichkeit Großdeutschlands im Kampf gegen die Spal-
ter der Einheit sowie die Auferstehung des deutschen Volkes infolge der
Kausalbeziehung zwischen dem Allmächtigen und Adolf Hitler als Retter,
sind hier mustergültig zusammengefaßt worden. Am besten aber kommt man
dem Glauben an das Charisma Hitlers sowie den mit diesem Glauben zusam-
menhängenden Umständen bei Joseph Goebbels auf die Spur.

9. Joseph Goebbels

Kaum einer der führenden nationalsozialistischen Aktivisten hat sich zum


Führerprinzip und zu Adolf Hitler so ausführlich geäußert wie der Propagan-
daminister und Nachfolger Hitlers als Reichskanzler für einen Tag. Dies
schon am Beginn seiner politischen Aktivitäten in den Jahren 1926 und 1927;
zu einer Zeit also, als die N S D A P nur geringe politische Macht hatte. Aber
noch früher, in der 1921 angefertigten Dissertation, ist die Disposition zur
Führerverehrung vor dem Hintergrund seines Urteils über die Romantik er-
kennbar. In der Einleitung zur Dissertation behauptet G o e b b e l s , es gebe
„wohl kaum ein Zeitalter in der Geschichte des deutschen Geistes, das eine
solche Ähnlichkeit hatte mit den wissenschaftlichen und künstlerischen Strö-
mungen, die das Decennium, das wir heute durchleben, ausfüllen, wie gerade
das Zeitalter der Romantik". 1 0 9 Der „Geist unserer Zeit und der Frühro-
mantik" seien „Brüder, vom selben Vater gezeugt und von derselben Mutter
zur Welt gebracht". 1 1 0 Goebbels charakterisiert das Zeitalter der Romantik
mit dem typisch deutschen Affekt gegen die Aufklärung. Dagegen kämpfe die
junge Generation der Romantiker, von der er annimmt, daß deren mystische
Sehnsucht nach G o t t mit der Sehnsucht nach einem Führer einhergehe:

Hie wie dort macht sich eine seichte Aufklärung breit, die in plattem, geistlosem
Atheismus ihr Endziel und ihren Zweck findet. Aber dagegen kämpft die junge
Generation der Gottsucher, der Mystiker, der Romantiker an. Sie sprechen von

108
Ebd., S. 390; vgl. S. 326.
109
Joseph Goebbels, Wilhelm von Schütz als Dramatiker. Ein Beitrag zur Geschichte des
Dramas der Romantischen Schule, Phil. Diss., Heidelberg 1921.
110
Ebd., S. 10.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 177

Idealismus und Liebe, verehren einen Gott, der vom einzelnen mystisch erlebt
wird, glauben an eine Welt, die gut ist. Und doch ist ihre Liebe kalt und läßt kalt.
,Pedantismus' und ,Sünd' sind die Elemente ihrer heiligen Glut. Alle diese kleinen
und kleinsten schreien nach Führern; aber kein Großer will sich finden, der sie alle
in seine Arme nehme. Und im innersten Winkel seines Herzens denkt ein jeder,
daß er der Große, der Berufene sei, und er merkt es nicht und will es nicht merken,
wie er bis über die Ohren in dem beschränkten Zirkel der Zeit und des Parteibe-
triebes steht.111

G o e b b e l s hat der apokalyptisch motivierten Aufsatzsammlung „Wege ins


Dritte Reich" unter anderem den Aphorismus vorausgeschickt: „Der echte
D e u t s c h e bleibt zeit seines Lebens ein Gottsucher" 1 1 2 , und auch in der Früh-
romantik besteht eine Verknüpfung zwischen Mystik und Apokalyptik. So
dichtete Novalis für Ludwig Tieck:

Du wirst das Reich verkünden,


Das 1000 Jahre soll bestehen;
Wirst überschwenglich Wesen finden,
Und Jacob Böhme wiedersehen. 113

Nach Friedrich Schlegel ist „der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu
realisieren", der „elastische Punkt der progressiven Bildung und der Anfang
der m o d e r n e n Geschichte. Was in gar keiner Beziehung aufs Reich Gottes
steht, ist in ihr nur Nebensache." 1 1 4 Der zarte Novalis ist sich in dem zitier-
ten G e d i c h t auch bewußt, daß das Hereinbrechen des Tausendjährigen Rei-
ches mit dem imaginierten Wiedersehen des Mystikers Jakob Böhme nicht
nur eine friedliche Imagination ist. D e n n das Gedicht fängt an:
Die Zeit ist da und nicht verborgen
Soll das Mysterium mehr sein.
In diesem Buche bricht der Morgen
Gewaltig in die Zeit hinein.

Als sich Goebbels, der eigentlich Dichter werden wollte, im Juli 1924 mehr
und m e h r politisierte, aber noch nicht Mitglied der N S D A P war, verdichtet
sich seine allgemeine Führersehnsucht. Diese Führersehnsucht korrespon-
diert mit der — in Kapitel II nachgewiesenen - allgemeinen apokalyptischen
W a h r n e h m u n g von Krise sowie mit der Bewunderung von historischer G r ö -
ße. Eine Biographie über Friedrich den IL von Preußen kommentierend,
k o m m t Goebbels am 19. Juli 1924 zu dem Schluß:

111
Ebd., S. 8.
112
Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich, S. 5.
113
Paul Kluckhohn (Hrsg.), Novalis, Schriften, Die Werke Friedrich von Hardenbergs, 4. Bde.
und ein Begleitbuch, Stuttgart/Darmstadt, 1964, Bd. 1, S. 411; vgl. Hans-Joachim Mahl,
Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk von Novalis, Heidelberg 1965; Ernst Benz, Les
Sources mystiques de la Philosophie romantique allemande, Paris 1968.
114
Friedrich Schlegel, Athenäum. Fragment 22.
178 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Große Männer machen große Zeiten - aber nicht große Zeiten große Männer [...].
Aber die Zeit wird erst groß durch den Mann. Alexander, Cäsar, Barbarossa, Na-
poleon, Friedrich, Bismarck [...]. Fehlt der große Mann, dann ist die Zeit noch
nicht reif.115
Die Sehnsucht nach einem Führer hat J o s e p h Goebbels in dieser Zeit noch
nicht auf eine bestimmte Person konzentriert. 1 1 6
Goebbels lobt z. B. den sozialdemokratischen Minister G u s t a v N o s k e .
Gleichwohl meint er, dieser hätte „mit seinen Machtmitteln die jüdische Ge-
fahr bekämpfen sollen". Im Anschluß daran betet er geradezu — für Goebbels
hatte das Tagebuch, wie er selbst schrieb, die Funktion des Beichtvaters 117 —,
daß G o t t ihm und dem Vaterland einen Führer sende:

Deutschland sehnt sich nach dem Einen, dem Mann, wie die Erde im Sommer
nach Regen. Uns rettet nur noch letzte Sammlung der Kraft, Begeisterung und rest-
lose Hingabe. Das sind ja alles Wunderdinge. Aber kann uns nicht nur noch ein
Wunder retten? Herr, zeig dem deutschen Volk ein Wunder! Ein Wunder!! Einen
Mann!!! Bismarck sta up! Hirn und Herz sind mir wie ausgetrocknet vor Verzweif-
lung um mich und um mein Vaterland.118

V o n Anfang an hat Goebbels sich in seinen öffentlichen Reden nicht aus


machtpolitischem Kalkül zu Adolf Hitler bekannt. In dem im Jahre 1926 ge-
schriebenen Tagebuch ist die libidinöse Bindung an Hitler nachweisbar. Vor
allem nachdem sich Goebbels von Hitler akzeptiert wähnt, häufen sich die
Liebeserklärungen. Diese sind teils zärtlich-ulkig - „So ein Brauskopf kann
mein Führer sein" 1 1 9 —, teils zärtlich-schmusig - „Wie ein Kind, lieb, gut,
barmherzig. Wie eine Katze, listig, klug und gewandt." 1 2 0 Sie gelten dem
„Kerl", dem „Mann", der „wie ein L ö w e " „brüllend-groß und gigantisch 1 2 1
ist. V o m „Genie", „Baumeister" und „Staatskünstler" erhält er auch gefühls-
betonte Gunstbeweise. Goebbels glaubt, „er verhätschelt mich wie ein
Kind" 1 2 2 , so daß ihm einige Tage später der Abschied ganz besonders
schwerfällt, weil er von Hitler einen Rosenstrauß erhielt: „Hitler gibt mir ei-
nen Blumenstrauß mit, rote Rosen. Abschied von ihm. Das Herz tut mir
weh." 1 2 3

115
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 19. 7. 1924, S. 45.
116
„Ich kenne überhaupt noch keinen völkischen Führer. Ich muß bald einen kennenlernen,
damit ich mir wieder neuen Mut und neues Selbstvertrauen hole. So geht's nimmer. Eine
Hoffnung nach der anderen bröckelt in mir ab. Ich renne schnurstracks in die Verzweif-
lung!", Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 30. 6. 1924.
1,7
Vgl. Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, S. 97.
118
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 4. 7. 1924.
119
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 13. 4. 1926.
120
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 24. 7. 1926.
121
Ebd.
122
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 25. 7. 1926.
123
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 31. 7. 1926.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 179

J a , v o n welchem deutschen Politiker ist schon folgende im Tagebuch n o -


tierte Liebeserklärung bekannt geworden, wie sie Goebbels an Adolf Hitler
richtet:
Hitler umarmt mich, als er mich sieht. Er sagt mir viel Lob. Ich glaube, er hat mich
wie keinen ins Herz geschlossen. Nach Hause. Mit Munder sitze ich noch bis tief
in die Nacht und philosophiere. Munder, der Denker, ich der Prediger [...]. Bei
Frau Dr. Nölter zum Kaffee. Wir feiern Hitlers Geburtstag. 37 Jahre ist er alt. 37
Kerzen und Blumen brennen. Und er erzählt vom 9. November 1923. Adolf Hit-
ler, ich liebe Dich, weil Du groß und einfach zugleich bist. Das, was man Genie
nennt. 124
Bei d e m in der Person Goebbels feststellbaren Zusammenfall von kognitiv-
apokalvptischen Wahrnehmungsmustern und emotionalen Dispositionen ist
es kein Wunder, wenn er seinem Tagebuch anvertraut:
Ja, diesem Manne kann man dienen. So sieht der Schöpfer des dritten Reiches
aus. 125
Hitler ist für Goebbels nicht nur ein Genie, sondern „das selbstverständlich
schaffende Instrument eines göttlichen Schicksals". 1 2 6 Für den einige Jahre
später öffentlich zelebrierten Glauben an die Übereinstimmung zwischen der
V o r s e h u n g und dem Schicksal Hitlers glaubt Goebbels eine sinnlich wahr-
nehmbare Bestätigung zu finden:
Wie Prophetie klingt das. Droben am Himmel formt sich eine weiße Wolke zum
Hakenkreuz. Ein flimmerndes Licht steht am Himmel, das kein Stern sein kann.
Ein Zeichen des Schicksals!? Spät gehn wir heim! Weit in der Ferne flimmert Salz-
burg. Ich bin so etwas wie glücklich. Dieses Leben ist schon wert, gelebt zu wer-
den. 127
Man kann aber nicht annehmen, diese außerordentliche Begeisterung sei le-
diglich auf die Stimmung und auf das Erlebnis männerbündlerischer Symbio-
se zurückzuführen. N o c h bevor Goebbels bei Hitler empfangen wurde und
mit ihm öffentlich auftreten durfte, fragt er sich anläßlich der Lektüre von
Hitlers „Mein K a m p f ' am 14. O k t o b e r 1925:
Ich lese Hitlers Buch zu Ende. Mit reißender Spannung! Wer ist dieser Mann? Halb
Plebejer, halb Gott! Tatsächlich der Christus oder nur der Johannes?
Joseph Goebbels hat in seiner allerersten Kampfzeit aber nicht nur privat,
sondern auch öffentlich, gerichtet vor allem an die Mitglieder der N S D A P ,
seiner Bewunderung für Adolf Hitler Ausdruck verliehen. Seine Bekenntnisse
aus dieser Zeit sind als Briefe verfaßt und vorwiegend zunächst in den „Na-
tionalsozialistischen Briefen" erschienen und später in den Büchern „Die

Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 19. 4. 1926


Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 23. 7. 1926
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, 24. 7. 1926
Ebd.
180 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

zweite Revolution" und „Wege ins Dritte Reich" veröffentlicht worden. In


diesen in der F o r s c h u n g sehr vernachlässigten Quellen nimmt Joseph G o e b -
bels zu den verschiedensten ideologischen Fragen Stellung. Er erwähnt Hitler
nicht ständig, aber sowohl der Aufsatz „Die Führerfrage" als auch die separat
veröffentlichte Rede „Lenin oder Hitler?" enthalten die an Hitler orientierte
und im Z u s a m m e n h a n g mit diesem artikulierte Struktur der NS-Ideologie.
Die funktionale Struktur der Vermittlung läßt sich von der des Glaubens
nicht trennen. Man kann weder sagen, G o e b b e l s glaubt an Hitler, damit die
Gesellschaft konstituiert werde, n o c h daß er die neue Gesellschaft konstituie-
ren will, weil er an Hitler und G o t t glaubt.
U n v e r k e n n b a r aber ist die Relation Mensch — F ü h r e r - G o t t , aus welcher
die Relationen Mensch —Zukunft-Gesellschaft sowie Mensch —Führer und
Führer—Mensch ihren fundamentalen Gehalt gewinnen. In dem Aufsatz „Die
Führerfrage" definiert G o e b b e l s , wie bereits ausgeführt, Politik prinzipiell
magisch. 1 2 8 Weiterhin führt G o e b b e l s in diesem Aufsatz aus, Hitler sei als
Redner nicht Parlamentarier, sondern Prediger. Als Prediger wolle Hitler „die
letzte Vollendung einer geheimnisvoll erkannten Idee" 1 2 9 , den „Katechismus
eines neuen politischen G l a u b e n s in der Verzweiflung einer zusammenbre-
c h e n d e n , entgötterten Welt". 1 3 0 Für G o e b b e l s kann Hitler dies, d e n n er
glaubt:

Ihnen gab ein Gott zu sagen, was wir leiden. Sie faßten unsere Qual in erlösende
Worte, formten Sätze der Zuversicht auf das kommende Wunder. 131
Man kann diesen Glauben an Hitler nicht als Ausdruck heidnischer oder sä-
kularisierter Religion bezeichnen. D e n n in dem Aufsatz „Die Revolution als
D i n g an sich" äußert sich J o s e p h G o e b b e l s über Hitler und seine Anhänger
zugleich:
Daß auch er nur ein Instrument ist jenes göttlichen Willens, der die Geschichte
gestaltet, der Revolutionen schickt, daß sie neue Welten gebären, und Welten baut,
daß sie einst im Strudel neuer Schöpferlust zerbrechen. Zudem sind auch wir
Werkzeug. Und weil das Geschichte ist, sind wir Instrument jenes gestaltenden
Willens der Zukunft. Da gibt es kein Ding an sich außer Gott. 132

Hitler stiftet im G l a u b e n des J o s e p h G o e b b e l s neuen Glauben:


Wie ein Meteor stiegen Sie vor unseren staunenden Blicken auf und taten Wunder

128
Es sei nochmals daran erinnert: „Wir haben gelernt, daß Politik nicht mehr die Kunst des
Möglichen ist. Was wir wollen, ist nach den Gesetzen der Mechanik unerreichbar und un-
erfüllbar. Wir wissen das. Und dennoch handeln wir nach der Erkenntnis, weil wir an das
Wunder, an das Unmögliche und Unerreichbare glauben. Für uns ist die Politik das Wun-
der des Unmöglichen", Joseph Goebbels, Die Führerfrage, in: ders., Die zweite Revolu-
tion, S. 6.
,29
Ebd.
130
Ebd., S. 7.
131
Ebd.
132
Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich, S. 48.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 181

der Klärung und des Glaubens in einer Welt der Skepsis und Verzweiflung. Über
den Massen standen Sie, gläubig und zukunftsgewiß, mit dem Willen, zur Freiheit
dieser Masse, mit einer unermeßlichen Liebe zu den tiefsten Inbrünsten derer, die
an das neue Reich glauben. 133

Mithin ist Hitler „Bahnbrecher und Gestalter", in der „Erfüllung einer ge-
heimnisvollen Sehnsucht", „den G l a u b e n an die Zukunft":
Sie verkörpern in sich den Glauben, dessen erster Diener im Kampfe um die Zu-
kunft zu sein, Ihrer wahren Bescheidenheit genügt. 134
Hitler vermittelt zwischen dem neuen Reich und der Gegenwart aber auch
dadurch, daß sein Geist im Geiste seiner Anhänger wirkt:
Es ist nicht die Aufgabe des Führers, alles zu machen. Aber in dem, was getan
wird, lebt sein Geist und sein mitreißender Sturm nach vorne. 135
Diese neue Gemeinschaft steht „an den W e n d e p u n k t e n der G e s c h i c h t e " und
sie erhält ihre Kohärenz durch Adolf Hitler:
So stehen diese kleinen willensstarken Minderheiten, geführt und beseelt von dem
Willen eines Einzigen, an den Wendepunkten der Geschichte, fallen dem abgrund-
entgegenrollenden Rad der Entwicklung in die Speichen, predigen Glauben in letz-
ter Verzweiflung, ziehen als Prediger, als Apostel der neuen Idee durch das Land
und vollbringen das Wunder der erlösenden Freiheit. 136

W e n n Goebbels also zu der R e d e w e n d u n g greift, „ I h n e n gab ein G o t t zu sa-


gen, was wir leiden", ist das nicht nur eine Floskel, sondern Ausdruck einer
erhofften Vermittlung zwischen G o t t und Mensch, zwischen G o t t , Mensch,
Gesellschaft, Zukunft und Erlösung. Diese Funktion oder diesen Glauben
erfüllt Hitler nicht nur für seine Jünger, Anhänger und die Nationalsozialisten
der ersten Stunde. In dem Aufsatz „Klassenkampf und Volksgemeinschaft"
ist er derjenige, der die „Masse mit organischem Leben erfüllt". Deshalb ge-
höre ihm die Zukunft. Ihm, „dem Treiber, d e m F o r m e r , d e m K ö n i g der Mas-
se gehört das neue Jahrhundert". 1 3 7 So glaubt sich J o s e p h G o e b b e l s von der
Reaktion abzusetzen, und so formuliert er seine K o n z e p t i o n von Sozialismus:
Der Cäsarismus der Reaktion ist ein atavistischer Unsinn, die Diktatur der soziali-
stischen Idee im Staate ist die Zukunft. So klingt in unser hysterisches Tages-
geschrei schon verhalten der Marschrhythmus der Massen hinein, der Rhythmus
von Axt und Hammerschlag, das ewige Lied der Arbeit, die die Welt befreit. Erlö-
sung marschiert. 138

Joseph Goebbels, Die Führerfrage, in: ders., Die zweite Revolution, S. 5.


134
Ebd.
135
Ebd., S. 6.
136
Ebd.
7
Joseph Goebbels, Klassenkampf und Volksgemeinschaft, in: ders., Die zweite Revolution,
S. 16.
1,8
Ebd.
182 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

1945 marschierte die Rote A r m e e in das Z e n t r u m des Dritten Reiches. Hitler


folgend, n a h m sich G o e b b e l s das Leben. Aus dem Komplex der tödlich-sym-
biotischen Fixierung ist der religiöse Gehalt nicht wegzudenken. Mit G o e b -
bels kann die Darstellung des Glaubens b e d e u t e n d e r und mächtiger National-
sozialisten an Hitler beendet werden. N u n m e h r sollen nur noch die wesentli-
chen Merkmale der Führerideologie und die im Glauben an Adolf Hitler zu-
sammentreffenden K o m p l e x e zusammengefaßt werden.

10. Exkurs: Der Hitlerkult in der deutschen Lyrik

Die V e r b i n d u n g zwischen den D e u t s c h e n und Hitler sowie zwischen dem


deutschen Volk und G o t t ist auch die immer wiederkehrende Konfiguration,
die deutsche Dichter verwendeten, um die Bedeutung Adolf Hitlers zu feiern.
So zeugten in einer Auswahl von A. F. Velmede 1 3 9 61 Dichter für Hitler, dar-
unter Adolf Bartels, Friedrich v o n Gagern, J o a c h i m von der Goltz, Hans
G r i m m , H a n s J o h s t , E r n s t Jünger, E. G. Kolbenheyer, Agnes Miegel, Rudolf
Alexander Schröder, Ina Seidel, Lulu v o n Strauß und Torney und Will Ves-
per.
Da diese „Ausdrücke unserer U r s p r a c h e " für den Gebrauch innerhalb der
W e h r m a c h t bestimm t waren, sollen einige Beispiele für die politischen Waf-
fen der Fichtianer des 20. J a h r h u n d e r t s , welche die Übereinstimmung zwi-
schen d e m Geist unserer Dichter und d e m „Volksgeist" der Nationalsoziali-
sten beweisen, hier dokumentiert werden.

J o s e f Weinheber:
Deutschlands Genius,
Deutschlands Herz und Haupt [...]
Retter, Löser, der die Macht bezwang,
Ernte du auch, dulde Kranz und Sang.

Erwin G u i d o Kolbenheyer:
In Deiner Liebe, Deinem strengen Mut,
Volk wird aus Dir, und Dein ist seine Kraft.
Wer das erlebt hat, dankt in Dir dem Volk,
Des Volkes Schicksal weiß er Dir verbunden,
da Deinem Leben er das Heil erwünscht,
Wünscht Heil er dem, wofür er lebt: dem Volk.

August Friedrich Velmede (Hrsg.), Dem Führer. Worte deutscher Dichter. Eine Auswahl
für die „Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht", Heft 37, zum „Geburts-
tag des Führers 1941".
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 183

Bruno Brehm:
Er wird viele Menschen um Rat fragen müssen,
weil ihm vieles immer fremd bleibt, aber beraten
wird er sich nur mit Gottes dunkler Stimme
in seiner eigenen Brust [...]
Die Herren und Gelehrten werden den Mann
nicht verstehen, denn ihre Leiden sind es nicht,
[...]
alle Ehren und alle Würden sind vom Glanz jener Tränen,
die in Tausenden von Augen schimmern, wenn sie
diesen Menschen schauen, der gekommen ist sie zu erretten.
Und in den Taten dieses Mannes
sieht das Volk in einen Spiegel
Wie groß, wie gerecht
und wie schön es ist,
es achtet sich selbst
und es zwingt die anderen Völker zur Achtung.

Hermann Burte:
Groß ist das Schicksal! Größer,
Wer sich dagegen stellt:
Dem eignen Volk ein Löser
Und Retter in der Welt!

Ernst Jünger, mehr Faschist als Nationalsozialist, bringt G o t t nicht ins Spiel:
Wir sind Kameraden, wie nur Soldaten es sein können, durch Tat, Blut und Gesin
nung zu einem Körper und einem Willen verwachsen. [...] Heute sind der Mann
und die Tat des Tages Inhalt, und übermorgen wird von der besten Mannschaft
eines großen, kriegerischen Volkes der Meißel an das neue Gesicht der Erde gelegt.
Das ist ein Tag, wie die von Wahlstatt, von Wien und von Leipzig, da wird einem
Volk und seinen Gedanken die blutige Gasse gebrochen.

Hans Carossa:
Ja, je tiefer eine menschliche Natur im Weltgrund wurzelt,
um so weniger wird sie die Umwälzungen,
ihres Zeitalters zu fürchten haben, im Gegenteil!
[...]
Jedem echten Gründer und Beweger fühlt er sich verbunden,
und wenn er nun aus seiner kleinen Welt heraus
bewundernd sieht, wie draußen auf dem großen
sonnenbeschienenen Felde der Tat
ein Mann von höchstem Mut und höchster Entschlußkraft
um eine neue Form seines Volkes kämpft,
so muß es ihn mit Stolz erfüllen,
184 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

daß er auf seine stille Weise dem gleichen Volke dienen darf.
Ermutigt kehrt er zu seinen Aufgaben zurück
und wünscht jedem kühnen,
das allgemeine Schicksal tragenden Kämpfer und Führer
Heil und Glück.

Agnes Miegel:
Übermächtig
füllt mich demütiger Dank, daß ich dieses erlebe,
Dir noch dienen kann, dienend den Deutschen,
mit der Gabe, die Gott mir verlieh!
Daß die Meinen
die gefallenen, geliebten Gefährten der Kindheit,
daß die Toten, die dein Kommen ersehnten,
daß die Ahnen, deren verlassenen Heimat
wiederkehrt durch Dich, —
daß sie alle
mir in der Seele, mir im Blute noch leben,
mit mir dich segnen!
Nicht der Jugend brausendes Überschäumen
kann ich Dir geben!
Doch ich liebe das Leben
wie nur der es liebt, mit dem alle der Seinen
fortgehn von Heimat und Volk. Heimkehrend zur Erde,
daraus sie stiegen.
Doch dieses wäre
höchste Erfüllung mir und Ehre den Ahnen:
Heilige Fackel, nie mehr weitergereichte,
Dir zu opfern!

Ina Seidel:
Hier stehen wir alle einig um den Einen,
und dieser Eine ist des Volkes Herz.
]
Ach, zahllos sind sie mit uns angetreten,
auf zu den Sternen staffelt sich der Chor,
zu grüßen: Heil ihm - Und: hilf ihm! zu beten —
Die Unsichtbaren tragen es empor -

Erna Blaas:
Der Erwählte bedarf nicht der Wahl;
Er führt schon von Anfang.
Seht, schon ist er die Mitte der Welt!
Seine Schrift ist aus Sternen,
Um die Ewigen sehn
Wie aus Augen voll Glanz auf den Ihren.
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 185

Leopold von Schenkendorf:


Führe uns! In Deinen Händen
Liegt das Schicksal von Millionen.
Die in Deinem Herzen wohnen,
Denen Du ein Glaube bist. -
Gott hat Dir die Kraft gegeben.
Einzig deinem Volk zu leben,
Das für Dich der Pulsschlag ist!

Georg Britting:
Was immer die Deutschen
sich träumend ersehnten,
Wofür sie litten und fochten und fielen,
Die besten der Männer,
Die Sänger die Lieder,
Die Helden der Schlacht,
Und was sie verzagt dann schier
nicht mehr zu hoffen gewagt:
In einem herrlichen Jahr
Ward es gewaltig vollbracht.

Heinrich Zillich:
Den Deutschen von Gott gesandt,
lange verkannter einsamer Mann.
Du großer, an dem sie gefehlt, weil sie erst spät auf dem Schild,
aber dann doppelt freudig dich hoben,
Herzog der Deutschen, Retter des Reiches und des Volks bis in die letzte Mark.

Johannes Linke:
Täglich hämmert ihn Gott
der ihn als Opfer erkor und zum Retter berief,
reiner und härter,
bis keine Versuchung, kein Lockruf,
ihn mehr berührt

Joachim von der Goltz:


Bestimmt, der Gottheit Willen zu vollziehn,
Ein neuer Glaube all die Herzen schwellt,

Erretter! Volkes Held! Du wunderbar


Behütet einst die deutsche Not zu wenden.
186 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Lulu von Strauß und Torney:


Volk, glaube der Stimme der ewigen Finsternis nicht!

Jeden, dem das Blut in den Adern brennt,


wenn einer den heiligen Namen nennt!
Seht ihr, seht, wie es klar aus den Wolken bricht -
Licht! Licht!

Will Vesper:
So gelte denn wieder
Urväter Sitte:
Es steigt der Führer
aus Volkes Mitte.
Sie kannten vor Zeiten
nicht Krone noch Thron.
Es führte die Männer
ihr tüchtigster Sohn.
Die Freien der Freie!
Nur eigene Tat
gab ihm die Weihe
und Gottes Gnad!

Adolf Bartels:
Daß Gott Dich uns gegeben,
Ist unser höchstes Glück:
Du führst das deutsche Leben
Zu seinem Kern zurück.

H e r m a n n Claudius:
Herrgott, steh' dem Führer bei!
Daß sein Werk das Deine sei.
Daß Dein Werk das seine sei.
Herrgott, steh' dem Führer bei.
Herrgott, steh uns allen bei,
Daß sein Werk das unsre sei,
Unser Werk das seine sei -
Herrgott, steh' uns allen bei.

H a n s Johst:
Und Volk und Führer sind vermählt.
Das Dritte Reich versteint, gestählt,
steht festgefügt im Morgenglanz
umbaut als köstlichste Monstranz
dein glücklichstes Lächeln. Mein Führer!
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 187

Rud<olf Alexander Schröder:


Heilig Vaterland,
in Gefahren,
Deine Söhne stehen,
Dich zu wahren.
Von Gefahr umringt,
Heilig Vaterland,
Schau, von Waffen blinkt
Jede Hand
[-]
Bei den Sternen steht,
Was wir schwören;
Der die Sterne lenkt,
Wird uns hören.

Die Auswahl der Gedichte endet übrigens mit einem G e d i c h t ,aus der An-
fangszeit der Bewegung', mit einem G e d i c h t desjenigen Dichters, der den
T o p o s „Drittes Reich" in die nationalsozialistische Bewegung eingebracht
hat, mit einem Gedicht von Dietrich Eckart also.

11. Der Führer im Kreuz kollektiver Identität

Das Führerprinzip ist nicht nur ein Übel totalitärer Systeme. Auch in d e m o -
kratischen Gesellschaften besteht die Gefahr, die Komplexität des Politi-
schen auf eine Person zu reduzieren. D e n Willen, einer Person alle Macht zu
übertragen, hatten in der Zeit der ersten Demokratie in Deutschland zwar
viele Mitglieder vieler Parteien, aber nirgends wurde er so radikal wie bei den
Mitgliedern der N S D A P artikuliert. G e w i ß k o m m t man bei der begeisterten
Verehrung Hitlers vor und nach 1933 in allen Schichten der Bevölkerung
nicht ohne sozialpsychologische Erklärungen aus. Verfehlt sind indes die Er-
klärungen, die sich mit der Manipulation der Massen begnügen. Mit der Er-
klärung wird zwar die Unschuld des Volkes gerettet, aber dafür fällt man in
gewisser Weise auf das Selbstverständnis der Nationalsozialisten herein. Ei-
ner Person — Hitler — werden dann auch n o c h dämonisch-magische Fähigkei-
ten zugebilligt. O h n e Zweifel aber ist die Identifikation der Wählerinnen und
Wähler mit der G r ö ß e und der Macht einer bestimmten Person und die damit
verbundene Lust, v o n Gewissen und V e r a n t w o r t u n g entlastet zu sein, ein
zentrales M o m e n t des Personenkultes — u n d damit die Schuld der Wählenden.
Offen bleibt bei der psvchologischen Erklärung jedoch, warum gerade diese
Person und nicht eine andere, die z. B. ein ganz anderes ideologisches Ange-
b o t macht und gleichwohl die Rolle des Führers beansprucht, gewählt wird.
Weiterhin ist zu bedenken, daß die psychische Disposition zum Personenkult
v o n jeweils dominierenden Ideologien unabhängig sein kann. N a r z i ß m u s ,
188 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Omnipotenzphantasien und Minderwertigkeitskomplexe konnten wilhelmini-


sche Bildungsbürger genauso haben, wie sie die postmodernen Konsumbür-
ger auch heute haben können. O b jemand als „leader" einer angelsächsischen
Partei oder als Führer der N S D A P anerkannt wird, ist von der politischen Zi-
vilisadon sowie von den Tugenden der Wähler und Gewählten abhängig. Weil
Gesellschaft nicht von allein funktioniert, sind auch das Modell von Gesell-
schaft und das Bild vom Volk K o m p o n e n t e n des Willens zum Führerkultus.
Versteht die Mehrheit der Menschen die Gesellschaft nicht als Einheit oder
makro antbropos, sondern als Vielheit, in der das Allgemeine z. B. durch die
Prinzipien der Verfassung gelenkt und durch Gesetze stets konkretisiert wer-
den m u ß , dann sind die Chancen, daß statt eines Führers lediglich ein „lea-
der" gewählt wird, groß. Aus den hier behandelten Texten geht hervor, daß
das Führerprinzip mit dem Willen zur kollektiven Identität korreliert. Identi-
tät ist oder soll ein Attribut des Volkes sein; und zwar im mehrfachen Sinn
des Begriffs Identität. Das Ganze des Volkes soll keine Summe, sondern alle
Deutschen sollen ein und dasselbe sein. Bestimmte Aussagen über einen
Deutschen sollen auch über jeden anderen Deutschen gelten: Wir sind wir,
und uns übertrifft niemand. Identität des Selbstwertgefühls im Sinne des
überragenden Wertes des eigenen Volkes ist eine wesentliche K o m p o n e n t e
des nationalsozialistischen Führerprinzips. Eine Person ist im Selbstverständ-
nis der Nationalsozialisten dann Führer, wenn ihr die Funktion der Herstel-
lung kollektiver - und über das Kollektiv vermittelt - individueller Identität
auferlegt wird. D e r Führer hat die Funktion des Vermittlers der Intersubjek-
tivität; er soll das Verbindende eines Verbandes und der Kitt der Kohärenz
sein. In der Tat funktioniert auch die Imagination der Einheit durch die Iden-
tifikation vieler mit einer Person nach dem Konzept, wenn zwei oder mehre-
re G r ö ß e n einer Dritten gleichen, sind sie untereinander gleich. Allerdings
nicht im Falle des Verlustes öffentlicher Tugenden und bei der Unfähigkeit
durch Gesetzgebung und Rechtsprechung das Allgemeine zu finden. Ist in
der Vorstellung der Wähler das Volk darüber hinaus ein Subjekt der G e -
schichte oder sollte es sein, so eignet sich eine Person als Kommunikator und
Vermittler besonders gut, gerade weil unter empirisch-rationaler Perspektive
das Volk kein Subjekt ist und kein Wesen hat.
Die hier behandelten Nationalsozialisten haben die Führerfrage nicht von
der deutschen Tradition und vom Problem der Konstituierung kollektiver
Einheit isoliert. Über den Führer wurde nicht o h n e das Volk kommuniziert.
Weil Macht aus der Verbindung von Menschen resultiert und Machtprozesse
im Verbinden von Menschen bestehen, wurde die Kommunikation über den
Führer und seine identitatsstiftende Funktion eine wichtige Bedingung der
Gewinnung der Herrschaft. Die identitatsstiftende Funktion des Führers wird
noch im Hinblick auf die Erwartung des K o m m e n d e n gesteigert. Im moder-
nen Bewußtsein wird nämlich von der Position der antizipierten Zukunft aus
Identität bestimmt: Wir sind die, die wir sein werden. Derjenige wird als Füh-
rer angesehen, von dem angenommen wird, er personifiziere einen zukünfti-
D e r G l a u b e an das Charisma Adolf Hitlers 189

gen Status, das, was noch nicht ist, aber in der Entwicklung enthalten ist. Was
für alle gelten wird, ist in einer Person schon realisiert. Diese identitätsstif-
tende Bedeutung einer Person ist nicht zu unterschätzen. D e n n an sich kann
die Zukunft nicht erlebt werden und bleibt für das sinnliche Bewußtsein leer.
Die Personifikation des Künftigen k o m m t dem Bedürfnis nach anschaulicher
W a h r n e h m u n g entgegen. Im Hinblick auf die Kombination von Volk und
Zukunft — der Ableitung des Bewußtseins von Gesellschaft aus dem Bewußt-
sein v o n Geschichte — unterliegen die Nationalsozialisten der progressiven
Mentalität. D e n n weder für den Geburtsadel noch für das Besitzbürgertum
steht das Volk in der Art im Mittelpunkt wie in der völkischen Weltanschau-
ung. Für den konservativen Ultramontanen ist der Papst und für den obrig-
keitstreuen Protestanten der Landesfürst bestenfalls eine unbestrittene Auto-
rität. Für den Nationalsozialisten aber fallen die Bedeutung des Stellvertreters
Christi und die des Gottesgnadentums des Monarchen in Hitler zusammen.
Die klassisch-abendländische T r e n n u n g zwischen weltlicher und geistlicher
Gewalt — vis spiritualis und vis temporalis, Papst und Cäsar - und die modern-
westliche T r e n n u n g zwischen Staat und Kirche, politischem Verband und
Gemeinschaft der Gläubigen ist den hier behandelten Ideologen kein Modell.
Versteht man unter modern lediglich das, was zeitlich jeweils eine Tradition
ablöst, dann sind die Nationalsozialisten 1934 insofern modern, als sie die
parlamentarische Demokratie abgelöst haben. 1 4 0
Der religiöse Gehalt des Führerprinzips ist ein — wenn auch nur ein - maß-
gebender Grund, die NS-Ideologie als politische Religion beurteilen zu kön-
nen. Die hier behandelten Ideologen berufen sich auf den Glauben als Form
des Erkennens. Sie glauben noch nicht einmal an ein geheimnisvolles und
numinoses Heiliges. Sie glauben an Gott. Die von ihnen angenommenen
Qualitäten Adolf Hitlers beruhen auf diesem Glauben. Sie trennen die politi-
schen Funktionen nicht von ihrem Glauben. D e r Inhalt des Führerprinzips
der nier behandelten Ideologen erfüllt die von Max Weber festgelegten De-
finitonsmerkmale des Charismas. 1 4 1 In den Augen der Nationalsozialisten ist
das Iharisma Hitlers nicht irgendeine Gnadengabe, sie kommt vielmehr von
Got:. Hitler ist der von G o t t gesandte Führer des deutschen Volkes. Die

In Hinblick auf das Paradigma des Verfassungsstaates selbstverständlich nicht.


Charisma, das wörtlich lediglich „Gnadengabe" bedeutet, soll nach Max Weber „eine als
aißeralltäglich (ursprünglich, sowohl bei Propheten wie bei therapeutischen wie bei
Iechts-Weisen wie bei Jagdführern wie bei Kriegshelden: als magisch bedingt) geltende
Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen, sie als mit übernatürlichen oder
ibermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zu-
gänglichen Kräften oder Eigenschaften (begabt) oder als gottgesandt oder als vorbildlich
ind deshalb als .Führer' gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethi-
s;hen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus .objektiv' richtig zu bewerten sein wür-
ce, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: Darauf allein, wie sie tatsächlich von
cen charismatisch Beherrschten, den .Anhängern', bewertet wird, kommt es an", vgl. Max
Veber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Köln/Berlin
»64, S. 140.
190 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Gabe Hitlers ist geistiger N a t u r und wiederum auf G o t t gerichtet. Hitler hat
im Glauben der Nationalsozialisten eine außergewöhnliche Beziehung zu
Gott. Sie ist unmittelbarer, intensiver und vor allem wirkungsvoller als die
anderer Menschen. Hitler vermittelt zwischen G o t t und Deutschen sowie
zwischen Deutschen und Gott, Volk und G o t t und G o t t und Volk. Dadurch
kann, wie z. B. für Goebbels, das Wesen der Politik, das Unmögliche möglich
zu machen, also das Wunder, erfüllt werden. Politische Kausalverläufe, also
Machtprozesse, können via Hitler durch G o t t gesteuert werden. Durch die-
sen Glauben erhält das Problem der Herstellung kollektiver Identität eine
fundamentale Lösung. Hitler ist nicht nur der Vermittler kollektiver Identität
auf der horizontalen E b e n e gesellschaftlicher Beziehung. Hitler vermittelt
zwischen Unten und O b e n , zwischen Diesseits u n d Jenseits. W e n n Goebbels
z. B. glaubt, der Geist Hitlers sei im Geist seiner Anhänger anwesend, erhält
die daraus resultierende Verbindung Substanz, sie wird durch Hitlers Qualitä-
ten an G o t t zurückgebunden, erhält die Garantie allerhöchster Macht. Er-
gänzt und verstärkt wird die identitätsstiftende Bedeutung Hitlers noch durch
eine Konfiguration auf der Achse der Zeit. Die Identität hervorrufende Be-
ziehung zwischen Volk, Zukunft und G o t t wird durch Hitler vermittelt. Die
Inkarnation des K o m m e n d e n hat in G o t t ihre Substanz. Weil die Inkarnation
eines allseitigen und für alle zutreffenden, aber noch nicht realisierten Prin-
zips - der neue Mensch - ein göttliches F u n d a m e n t hat, ist Adolf Hitler der
Führer, daher soll er voranschreiten. Daher soll er befehlen. D a h e r m u ß man
ihm folgen. Das Ideologem Führer enthält keine biologischen, materialisti-
schen, eugenischen und sozialdarwinistischen Argumente und Rechtfertigun-
gen. Die Rasse ist nicht das Prinzip des nationalsozialistischen Führerkultes.
Dessen Gehalt ist das Resultat einer religiösen Existenzinterpretation, und die
sakralen Prädikate des Führers überwiegen die M o m e n t e partieller Säkularisie-
rung.
Dennoch ist zu fragen: Reicht für den gewünschten Kausalnexus zwischen
Volk und G o t t der Glaube an den Führer aus? G e n ü g t es, daß gegenwärtig
nur durch eine Person kollektive Identität substantialisiert wird? Ist die Un-
gleichheit zwischen Volk und Führer nicht d o c h zu groß, oder gibt es trotz
der aktuellen Ungleichheit zwischen Volk und Führer ein F u n d a m e n t für die
potentielle Gleichheit aller Volksgenossen? Sind nicht doch n o c h ganz ande-
re Konkreüsierungen und Projektionsobjekte der Gewißheit nötig? M u ß nicht
gerade in der Moderne die Rückbindung an die Materie und die Sicherheit
durch die Natur v o r h a n d e n sein? In anderen Worten: Welchen Stellenwert
hat der Begriff der Rasse? Betraf der Schwerpunkt der bisher behandelten
Quellen das Ziel des deutschen Volkes, so geht es n u n m e h r hinab zu dem
Ursprung; mit anderen Worten: um die Beantwortung der Frage, wer wir sind
durch das Wissen oder den Glauben, woher wir kommen. Es ist n u n m e h r zu
untersuchen, in welcher Form der Rassismus eine Ergänzung der bisher be-
handelten K o m p o n e n t e n der NS-Ideologie darstellt. Hat auch der Rassismus
der Nationalsozialisten einen religiösen Gehalt, oder wollten sich die Natio-
Der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers 191

nalsozialisten mit ihrer Ü b e r z e u g u n g von der Überlegenheit der Arier auf die
Naturwissenschaft berufen? Sind auch in den Aussagen über Volk und Rasse
die bisher herausgearbeiteten Muster enthalten, ist der Glaube an G o t t nicht
von ihrer völkischen Weltanschauung zu isolieren und ist der Arier die göttli
che Substanz des deutschen Volkes, dann ist der Nationalsozialismus eine
politische Religion. Die m a ß g e b e n d e n Quellen müssen gemäß der Macht
struktur der Nationalsozialisten die völkische Weltanschauung des Führers
selbst und die des von ihm für die weltanschaulichen Fragen eingesetzten
Stellvertreters sein.
III. Volk und Rasse

1. Das Problem der Konstitution des Volkes

O b w o h l der Rassismus älter ist als der Nationalsozialismus, gilt er als das
Merkmal, wodurch die Ideologie des Nationalsozialismus von anderen am
einfachsten unterschieden werden kann. Einer vereinfachenden Gleichset-
zung von Nationalsozialismus und Rassismus ist jedoch entgegenzuhalten,
daß Rassismus ein Sammelbegriff mit einem weiten Umfang geworden ist. Mit
dem Vorwurf des Rassismus können die wirklichen oder angeblichen Feinde
der Fremden, der Frauen, des Sozialismus, der Dritten Welt und der gesam-
ten Menschheit belegt werden. Rassismus ist nicht nur in Deutschland wieder
aktuell. Er ist der antagonistische Gegensatz zur Zivilisation, zu Religion,
Kultur und zur Natur der Menschen. Äußerst mannigfaltig sind die Deutun-
gen des Rassismus. Für einige hat der Rassismus nur eine Funktion und ist
Instrument — der Herrschenden, des Nationalismus, des Militarismus, des Ka-
pitalismus oder sonstiger Mächte. Andere wiederum reden über den Rassis-
mus, als habe er die Qualität eines selbständig agierenden Ungeistes, der ent-
steht, wächst, blüht, gedeiht, sich ausbreitet, vergeht und erneut stets bereit
ist, die Menschen zu überfallen; kurz: ein Wesen, das dem Bösen gleicht.
Im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen und nichtwissenschaft-
licher Reflexionen steht die Frage, wie der Rassismus zu erklären ist. Es gibt
auch bei dieser Frage eine Fülle von Antworten, je nach Denkansätzen und
ideologischen Prämissen, je nach ökonomischer, psychologischer, soziologi-
scher, medizinischer, politologischer, historischer oder philosophischer Be-
trachtungsweise. D e r „allgemeine" Rassismus ist indes nicht der Gegenstand
dieses Kapitels. Im Hinblick auf die Vielfalt und Vielzahl der Erklärungsan-
sätze sei zunächst betont, daß auch nicht beabsichtigt wird, den Rassismus zu
erklären. Nach den Bedingungen und Ursachen der E n t s t e h u n g des Rassis-
mus als solchem wird in dieser Arbeit primär nicht gefragt. Im Vordergrund
steht das Selbstverständnis der Nationalsozialisten. Gefragt wird, was und wie
die Nationalsozialisten gedacht haben. Herausgearbeitet werden soll der von
ihnen für objektiv erachtete Sinn gesellschaftlicher Existenz. Im Vordergrund
steht damit nicht die Erklärung des Negativen - die Ursachen des Aufstandes
gegen geradezu alle Güter der Humanität - sowie die Frage, wie das Negative
des Rassismus in die Welt kam, sondern das Positive, das heißt das, was in der
Überzeugung der Nationalsozialisten positiv war. D e n n das reine Nichts, das
Unnütze, das Sinnlose, die absolut unbestimmte Negation oder das Böse wol-
Volk und Rasse 193

len nur die wenigsten. D a r ü b e r hinaus ist der allgemeine Rassismus nicht der
G e g e n s t a n d dieser Untersuchung, aber es wird ein allgemeines Verständnis
von Rassismus vorausgesetzt. Rassismus impliziert, daß Menschen in G e -
samtheiten eingeteilt werden, die durch Vererbung Sondermerkmale körperli-
cher, psvchischer oder kognitiver Art haben, und daß die Sondereigenschaf-
ten „ a n d e r e r " G r u p p e n extrem disqualifiziert werden. Rasse ist dabei ein Un-
terbegriff von Menschheit, der die Vorstellung einschließt, alle Mitglieder der-
selben Rasse hätten durch Vererbung Sondermerkmale, die bei rein gezeug-
ten N a c h k o m m e n erhalten bleiben. Der Gegenstand der Untersuchung be-
trifft also die Auffassung, alle Vor- und Nachfahren der eigenen Rasse hätten
im Unterschied zu anderen Rassen vererbte und nur ihnen zukommende au-
ßerordentliche Qualitäten körperlicher, seelischer, geistiger und kognitiver
Natur. D e r spezifische Gegenstand der Untersuchung ist die Auffassung von
der „Rasse der Arier" in den Augen der Nationalsozialisten. Das Erkenntnis-
interesse richtet sich zunächst auf die Art und Weise, in welcher der Arier von
Hitler und Rosenberg definiert wurde. Dabei sind die Aussagen von Rosen-
berg und Hitler über die Arier und die anderen fremden Rassen nicht als iso-
liertes P h ä n o m e n , sondern nur in der Koinzidenz mit anderen Komplexen zu
begreifen. Die Attribute des Ariers sind vorwiegend im Hinblick auf das Be-
wußtsein von Mensch, Gesellschaft und Geschichte von Bedeutung. Von
großem Interesse sind die existentiellen Kategorien, also Aussagen über Le-
ben und T o d . Das heißt, es ist nicht nur zu untersuchen, inwieweit in der Ras-
senideologie die Reproduktion des Lebens thematisiert wird, sondern glei-
chermaßen o b und wie das Töten, der T o d der anderen und der eigene T o d
aufgefaßt, geregelt und gerechtfertigt werden. Von Interesse ist daher, ob mit
dem Ideologem „Arier" eine Problemlösung für das Opfer und die Frage
nach der Unsterblichkeit der Seele verbunden ist. Dasselbe gilt im Hinblick
auf die Gefühle von Macht, Kraft, Stärke sowie H a ß , Zorn, Angst, Furcht
und Schrecken.
D e r Rassismus kann nicht losgelöst von den Formen des Wissens behan-
delt werden. Wird herausgefunden, unter welche Kategorien des Erkennens
das D e n k e n der nationalsozialistischen Ideologen subsumiert werden kann,
welche bevorzugt, abgelehnt oder nicht angewendet wurden, dann werden
Verstehen und Distanz gesteigert, Analyse und Kritik verschärft. D e n n die
Art und Weise, wie Welt apperzipiert wird, ist für die Lösung eines Problems
gesellschaftlicher Existenz besonders relevant. Gemeint ist dies spezifisch im
Hinblick darauf, wie die Frage beantwortet wird, worin in Gemeinschaften,
Verbänden und Vereinigungen - man braucht sich nur an den semantischen
Gehalt der eben aufgeführten Begriffe zu halten — das allen Gemeinsame, das
Band oder die Einheit besteht oder woraus es resultiert. Was macht im natio-
nalsozialistischen D e n k e n die Zusammengehörigkeit, die Kohärenz, das Ver-
bindende und das Allgemeine aus? Was heißt es überhaupt, wenn behauptet
wird, wir sind ein Volk, seitdem man unter Volk nicht mehr die Beherrschten
bzw. die unteren Schichten, sondern alle Mitglieder der Gesamtgesellschaft
194 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

versteht? Es geht mithin darum, festzustellen, welches Bewußtsein von G e -


sellschaft vorherrscht. Wird die Gesamtgesellschaft mit den Kategorien der
Vielheit und Differenz aufgefaßt, dann kann man sich damit begnügen, bei
der Anerkennung vieler Differenzen das alle Verbindende in der Verfassung,
im Recht, den Gesetzen, den N o r m e n und den Institutionen zu sehen. 1 Man
kann aber ganz im Gegenteil das gesellschaftliche Ganze - besser: die gesell-
schaftliche Existenz — mit den Kategorien der Identität, Einheit oder H o m o -
genität wahrnehmen und Gesellschaft als Körper, Körperschaft, geistigen Or-
ganismus, kollektives Ich, Seele, Person oder Subjekt begreifen. Diese Auffas-
sung war lange Zeit vorherrschend und wird auch heute noch vertreten, o h n e
daß nach dem Grund dieser Konzeption gefragt wird. Wird das Volk als Sub-
jekt begriffen, dann kann das aber auch dazu führen, daß eine Substanz für
die Identität des Volkes erfunden wird. E b e n s o ist es wahrscheinlich, daß in
einer Kultur der Substantialisierung das Bewußtsein von Volk und Nation
vom Zwang zur Substantialisierung beeinflußt wird. Das gilt um so mehr,
wenn aus der Perspektive der Kritik an der Gegenwart die Auffassung vertre-
ten wird, die kollektive Identität sei noch nicht realisiert, sie solle aber herge-
stellt werden und müsse das Ziel einer auf die Zukunft gerichteten Politik
sein. Es ist mithin von Interesse, ob das Ideologem Arier für die Nationalso-
zialisten die Bedeutung der Substanz des deutschen Volkes hatte bzw. o b das
Verhältnis zwischen arischer Rasse und deutschem Volk dem von Potentia-
lität und Aktualität entspricht.
Wenn die Kategorien des Seins und Erkennens in dieser Arbeit nicht
gründlich genug berücksichtigt werden können, so liegt das daran, daß für das
Attribut national des Nationalsozialismus Volk und Rasse im Mittelpunkt des
Erkenntnisinteresses stehen. D e m Verständnis von Volk k o m m t dabei eine
größere Aufmerksamkeit zu als dem von Nation. Das ist aus folgenden G r ü n -
den angebracht: In der deutschen Tradition kann zwischen Volk und Nation
nicht strikt unterschieden werden. Der Begriff des Volkes ist das wesentliche
Merkmal des Nationenbegriffs. 2 Dabei ist viel mehr als Sprache und Kultur
die gemeinsame Abstammung die Bedingung der Zugehörigkeit zum deut-
schen Volk. Adolf Hitler hat ganz entschieden betont, die Nationalsozialisten
hätten „aus dem Grundgedankengang einer allgemein völkischen Weltvorstel-
lung die wesentlichen G r u n d z ü g e " 3 ihrer „Weltanschauung" e n t n o m m e n .
Was für den Nationalsozialismus „national" ist, resultiert aus der Bestimmung
des deutschen Volkes. Es liegt auf der Hand, daß die Grenze zwischen einer
substantiellen und einer identitären Auffassung von Volk - das durch gemein-

Notabene: das ist das von mir bevorzugte Paradigma.


Vgl. den Artikel „Volk, Nation, Nationalismus, Masse", in: Otto Brunner/Werner Contze/
Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur poli-
tisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1993, S. 141-431, hier: S. 142 ff., 330 ff,
389 ff.
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 424.
Volk und Rasse 195

same Abstammung zusammengehörige Wesen Volk als historisches Subjekt


der Politik - und dem Ideologem Rasse kaum feststellbar ist. Die nationalso-
zialistische Auffassung von Volk steht vor allem deshalb im Mittelpunkt des
Interesses, weil es auch für die Legitimation der demokratischen Regierungs-
form nicht gleichgültig ist, welche Auffassung von Volk im Volk dominant
ist. Politik in der Moderne ist nicht nur die Berücksichtigung der Stimmen
und Stimmungen im Volk, sondern auch die Bestimmung des Volkes. Politik
im 19. und 20. Jahrhundert ist unter anderem der Kampf um die Besetzung
des Volksbegriffs sowie die Durchsetzung einer bestimmten Leitvorstellung
von Volk. Selbstverständlich ist der Zusammenhang von Nation, Volk und
Rasse nicht zwingend. Versteht man unter Nation und Volk nur die Mitglie-
der eines Staatsverbandes und verstehen sich die politischen Akteure als Freie
und Gleiche einer „plural society", unabhängig von Herkunft und Abstam-
mung, so steht das demokratische Nationalstaatsprinzip im Widerspruch zum
Rassismus. Wird aber der „demos" der Demokratie als Subjekt oder Willens-
einheit vorgestellt, so ist die Verträglichkeit von Nationalstaatsprinzip und
Demokratie gefährdet. Denn durch die Annahme, das Volk oder die Nation
habe als Ganzes einen souveränen Willen, wird das Prinzip der Freien und
Gleichen, die in gesellschaftlicher Existenz handeln, unterminiert. An die
Stelle des Modells pluraler Intersubjektivität tritt das Muß identitärer Kollek-
tivität. Wird das Volk als Subjekt von Geschichte und Politik konzipiert, dann
können die in einer Gesellschaft der wechselseitigen Teilhabe und Abhängig-
keit handelnden Menschen nur noch Organe des unteilbaren Kollektivs na-
mens Volk sein. Ist das Volk ein unteilbares Subjekt, so liegt es nahe, anzu-
nehmen, es habe eine Seele oder einen Geist.
Daß eine solche Annahme naheliegt, läßt die religiöse Dimension der Auf-
fassung von Volk und Nation erkennen. 4 Oft werden bei dem Versuch, zu
definieren, was eine Nation sei, Konfigurationen verwendet, deren religiöse
Dimensionen kaum noch erkennbar sind, aber ihren Sinn nur daraus erhalten.
Als Beispiel dafür soll der Kontext einer vielzitierten demokratischen Defini-
tion von Nation angeführt werden. In dem 1882 gehaltenen Vortrag „Was ist
eine Nation?" beantwortete der Religionshistoriker Ernest Renan die Frage
folgendermaßen: „Eine Nation ist ein tägliches Plebiszit, wie das Dasein des
einzelnen eine andauernde Behauptung des Lebens ist." 5 Bei der häufigen

4
Zum Verhältnis Nation und Religion vgl. John H. Haves, Nationalism. A Religion, New
York 1960; Kurt Hübner, Mythos und Politik. Ein Beitrag zum philosophischen Begriff der
Nation, in: Bernhard Willms (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Nation, Veröffentlichung
der Stiftung Kulturkreis 2000, Tübingen/Zürich/Paris 1986-1992; Thomas Nipperdey, Re-
ligion im Umbruch: Deutschland 1870-1918, München 1988; Paul M. Zulehner, Säkularisie-
rung von Gesellschaft, Person und Religion. Religion und Kirche in Österreich, zugleich
Univ. Wien, Theolog. Fak., Habil. Sehr. 1972, Wien 1973; Bassam Tibi, Vom Gottesreich
zum Nationalstaat. Islam und pan-arabischer Nationalismus, Frankfurt a. M. 1991.
Ernest Renan: Was ist eine Nation? Vortrag von 1882, hier zitiert nach der Veröffentli-
chung des gesamten Vortrages in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 27. März
1993.
196 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Wiederholung des ersten Halbsatzes wird aber verschwiegen, daß diese de-
mokratische Auffassung von Nation zwei Sätze zuvor mit der Bestimmung:
„Eine N a ü o n ist also eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Ge-
fühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man zu bringen ge-
willt ist" eingeleitet wird. Nicht diskutiert wird, daß Renan der Überzeugung
ist, „eine Nation ist eine Seele, ein geistiges Prinzip". Verweisen „Opfer",
„Seele" und „geistiges Prinzip" weit mehr auf religiöse Deutungsmuster, als
das „tägliche Plebiszit" vermuten läßt, so kann man in der im Lob auf die
Französische Revolution enthaltenen Definition von einer Auswechslung des
religiösen Hintergrundes sprechen. Es sei nämlich der „Ruhm Frankreichs,
durch die Französische Revolution verkündet zu haben, daß eine Nation aus
sich selbst heraus existiert". Wenn eine Nation ein Wesen mit Seele und Geist
ist, das aus sich selbst heraus existiert und für das geopfert werden soll, so
liegt die Bewahrung und Veränderung des religiösen Hintergrundes auf der
Hand. D e n n ein Wesen, das aus sich selbst existiert, das ist in der christlich-
abendländischen Tradition Gott, als Schöpfer oder ens causa sui. Also k o m m t
selbst Renan, der energisch bestreitet, daß „Rasse", „Sprache", „gemeinsame
Interessen", „Geographie", „militärische Notwendigkeit" und sogar „Reli-
gion" eine „hinreichende Grundlage" seien, „um darauf eine moderne Nation
zu errichten", ohne Begriffe nicht aus, deren Sinn erst im Zusammenhang mit
religiösen Deutungsmustern verständlich wird. Gegen das tägliche Plebiszit
Renans und gegen die staatsrechtliche Bestimmung von Nation führt Fried-
rich Meinecke mit seiner bekannten Unterscheidung von Staats- und Kultur-
nation den Volksgeist als Ursache der echten Nation ins Feld. Für ihn ist der
„Volksgeist", aus dessen geschichtlichem Leben die Nation entsteht, eine Art
lebendige Substanz. „National" werde der „echte Nationalstaat" erst durch
„das stille Wirken des Volksgeistes". 6
Im 19. Jahrhundert sind in allen Konzeptionen von Volk und Nation diese
Subjekte der Geschichte. Da in ihnen die Ideologie der historischen Konti-
nuität der kollektiven Identität enthalten ist, liegt der Verdacht nahe, daß der
Schritt von der Erfindung der Nation oder der des Volkes zur Erfindung der
Rasse nur klein ist. D e r Z u s a m m e n h a n g zwischen Volk und Rasse ist das
Thema der folgenden Kapitel. Vertritt der angebliche Repräsentant eines de-
mokratischen Begriffs von Nation, Ernest Renan, die Auffassung, die Nation
habe Seele, so glaubt der „Hauptschriftleiter" des „Völkischen Beobachters",
Alfred Rosenberg, der am 24. Januar 1934 von Adolf Hitler mit der gesamten
geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der nationalsoziali-
stischen Bewegung beauftragt wurde, die Rasse habe Seele.

Friedrich Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen
Nationalstaates. München/Berlin 1908, S. 12.
Volk und Rasse 197

2. „Mythus" als „Mystik". Alfred Rosenbergs „Wertung der


seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe"

a. Z u m L e b e n R o s e n b e r g s u n d s e i n e n P o s i t i o n e n in P a r t e i u n d Staat

W e n n auch Rosenbergs Hauptwerk mit dem vielzitierten Titel „Mythus des


20. J a h r h u n d e r t s " und d e m weniger bekannten Zusatz „Eine Wertung der
seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit" nicht den kanonischen Rang
hatte wie Hitlers „Mein K a m p f und wenn auch Rosenberg in vielen Hin-
sichten von Hitler abweicht, so erhielt das Werk doch einen parteioffiziellen
Rang, und der „Mythus" wurde immerhin bei Partei- und Staatsfeiern ver-
schenkt. Bis 1944 stieg die Auflage auf 1,1 Millionen. Der mächtige Martin
B o r m a n n drängte Rosenberg sogar, seine Weltanschauung in handlichen The-
sen zu formulieren und veröffentlichen zu lassen. Rosenbergs „Wertung der
seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe" ist für die Erforschung der Ideologien
des 20. Jahrhunderts allein deshalb von Bedeutung, weil sie uns darüber Auf-
schluß gibt, aufgrund welcher Apperzeptionsmuster von Mensch und Welt
ein m e h r oder weniger gebildeter Autodidakt von zurückhaltendem Auftreten
und gutem Benehmen Mittäter des Massenmordes wurde, o h n e sich einer
Schuld bewußt zu werden. Im Prozeß vor dem Internationalen Militärge-
richtshof in Nürnberg erklärte Rosenberg in seiner Stellungnahme zur Ankla-
ge: „Ich weiß mein Gewissen völlig frei von einer Beihilfe zum Völkermord
[...]. Völlig anders als meine Auffassung war die hier im Prozeß erwiesene
Praxis der deutschen Staatsführung im Kriege. Adolf Hitler zog in steigendem
Maße Personen heran, die nicht meine Kameraden, sondern meine Gegner
waren. Zu deren unheilvollen Taten habe ich zu erklären: Dies war nicht die
Durchführung des Nationalsozialismus, für den Millionen gläubige Männer
und Frauen gekämpft hatten, sondern ein schmählicher Mißbrauch, eine auch
von mir zutiefst verurteilte Entartung." 7
N a c h 1945 wurde im deutschsprachigen Raum keine einzige Monographie
veröffentlicht, deren alleiniger Gegenstand die Ideologie Rosenbergs ist. Die
Untersuchungen von Herbert Phillips Rotfeder 8 , Joseph Billig 9 und Reinhard
Bollmus 1 0 betreffen das berüchtigte „Amt Rosenberg". Die Biographie von

7
Joe Heydecker/Johannes Leeb, Der Nürnberger Prozeß, Bd. 2, Köln 1985, S. 458.
8
Herbert P. Rotfeder, Study of Alfred Rosenbergs Organization for National Socialist Ideo-
logy, Michigan 1936.
' Joseph Billig, Alfred Rosenberg dans l'action ideologique, politique et administrative du
Reich hitlerien. Inventaire commente de la collection de documents conserves au C.D.J.C.
Provenant des archives du Reichsleiter et ministre A. Rosenberg, Paris 1963.
0
Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg. Studien zum Machtkampf im nationalsozialisti-
schen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970.
198 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Robert Cecil 11 wiederum ist so gut, daß sie bezeichnenderweise nicht in


Deutschland verlegt wurde.
Rosenberg wurde am 13. Januar 1891 in Reval (heute Tallin), damals
Hauptstadt des russischen G o u v e r n e m e n t s Estland, in der die Baltendeut-
schen die Oberschicht bildeten, als Sohn eines Kaufmanns geboren. Rosen-
berg studierte in Riga und Moskau Architektur. N a c h dem Vertrag von Ver-
sailles und der Souveränität Estlands verließ er seine baltische Heimat in
Richtung München. Schon als Gymnasiast las er H o u s t o n Stewart Chamber-
lains berühmtes Werk „Die Grundlagen des X I X . J a h r h u n d e r t s " . 1 2 Rosenberg
bekannte in einem aus dem Jahre 1935 s t a m m e n d e n Manuskript mit dem Ti-
tel „Wie der Mythus entstand": „Eine andere Welt stieg vor mir auf: Hellas,
Juda, Rom. Und zu allem sagte ich ja, und immer wieder ja [...]. Die grund-
sätzliche Erkenntnis des jüdischen Problems hatte mich erfaßt und nicht
mehr losgelassen. Was sich später politisch ereignete, erschien mir deshalb
notwendig - ich brauchte keinerlei subjektive Erfahrung hinzuzutun. Und
was Chamberlain über das Germanentum sagte, begründete bei mir, was ich
beim Lesen germanischer Sagen erlebt hatte." 1 3
1927 veröffentlichte Rosenberg eine Chamberlain-Biographie. So kann
man den im Nürnberger Gefängnis geschriebenen Memoiren, die Heinrich
Härtle, der ehemalige Angestellte Rosenbergs, 1955 unter dem Titel „Letzte
Aufzeichnungen" veröffentlichte, glauben, wonach Rosenberg behauptete,
daß er „den stärksten Anstoß durch H. St. Chamberlains ,Grundlagen des
XIX. Jahrhunderts' erhalten" 1 4 hat. Rosenberg reiht sich damit in die Tradi-
tion der Wagnerianer ein. D e n überragenden Erfolg der „Grundlagen " doku-
mentierte der Bruckmann-Verlag in der Sammlung der Rezensionen, die der
zweiten, erweiterten Auflage von 1903 als Sonderdruck beigefügt wurden.
Chamberlain, der 1908 Richard Wagners T o c h t e r Eva heiratete, hat neben
seinem Hauptwerk auch Monographien über Wagner, Kant und G o e t h e ver-
faßt. Betont werden muß, daß Chamberlains Rassismus bei weitem nicht nur
biologischer oder sozialdarwinistischer Art war. Vielmehr verband der viel-
gelesene und einflußreiche Sachbuchschriftsteller seinen G l a u b e n an G o t t
und Christus mit biologischen Spekulationen. Chamberlains „ G r u n d l a g e n "
sind, wie Doris Mendlewitsch 1 '' nachgewiesen hat, eine Synthese von Rassis-
mus und Christologie. So hat Chamberlain nicht nur gesammelte „Worte
Christi" herausgegeben, sondern seine D e u t u n g der christlichen Religion, ab-
gesehen von den umfangreichen Ausführungen in den „Grundlagen", in der

" Robert Cecil, The Mythus of the Masterrace Alfred Rosenberg and Nazi Ideology, London
1972.
12
Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts.
13
Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg. Studien zum Machtkampf im nationalsozialisti-
schen Herrschaftssystem, S. 21.
14
Heinrich Härtle, Letzte Aufzeichnungen, Göttingen 1955, S. 273.
15
Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhun
dert, Rheda-Wiedenbrück 1988.
Volk und Rasse 199

umfangreichen Monographie „Mensch und Gott. Betrachtungen über Reli-


gion und Christentum" 1 6 zusammengefaßt. Sein eher naturwissenschaftlich
orientiertes Werk „Natur und Leben" 1 7 wurde immerhin posthum von dem
bekannten Biologen und Verhaltensforscher Jakob von Uexküll herausgege-
ben.
In der famosen Szene Münchens machte Rosenberg bald die Bekannt-
schaft von Dietrich Eckart und Adolf Hitler. Er wurde schon Ende 1919 Mit-
glied der Deutschen Arbeiterpartei, der Vorgängerin der N S D A P , und hatte
die Mitgliedsnummer 623. 1 8 Rosenberg, der nie daran dachte, als Architekt
sein Geld zu verdienen, schlug sich mit journalistischen Arbeiten durch. Im
J a h r e 1921, Hitler war inzwischen Vorsitzender der N S D A P und Dietrich
Eckart Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachters", wurde Rosenberg
Eckarts rechte Hand. Da Dietrich Eckart nicht gerade ein disziplinierter Ar-
beiter war, wuchs der Einfluß Alfred Rosenbergs auf die Gestaltung des
„Völkischen Beobachters" rasch.
E r galt nicht nur als Spezialist für das zeitgenössische Rußland, sondern
veröffentlichte auch viele antisemitischen Schriften: „Die Spur des Juden im
Wandel der Zeiten" (1920); „Unmoral im Talmud" (1920); „Das Verbrechen
der Freimaurerei. J u d e n t u m / J e s u i t i s m u s / D e u t s c h e s Christentum" (1922);
„Pest in Rußland. Der Bolschewismus, seine Häupter, Handlanger und O p -
fer" (1922); „Der staatsfeindliche Zionismus" (1922). Vor allem aber gab er
1923 die berüchtigte Fälschung aus dem Milieu des panslawistischen Antise-
mitismus der Jahrhundertwende, „Die Protokolle der Weisen von Zion und
die jüdische Weltpolitik", neu heraus. Überdies tat er sich auch als Übersetzer
aus dem Französischen hervor: 1922 erschien in München unter dem deut-
schen Titel „Der Jude, das J u d e n t u m und die Verjudung der christlichen Völ-
ker" die antisemitische Schrift „Le Juif, le Judaisme et la Judaisation des
Peuples Chretiens" von G o u g e n o t de Mousseaux aus dem Jahre 1869. Rosen-
berg wurde zum führenden und repräsentativen Ideologen des Nationalsozia-
lismus. E r verfaßte das erste parteioffizielle D o k u m e n t zur NS-Ideologie,
nämlich einen K o m m e n t a r zum Parteiprogramm mit dem Titel: „Wesen,
Grundsätze und Ziele der N S D A P " (1923). In der N S D A P erhielt Rosenberg
im Laufe der Zeit mehrere Funktionen. Ab Februar 1923 wurde er Haupt-
schriftleiter des inzwischen täglich erscheinenden „Völkischen Beobachters".
Diese Position hatte er, obwohl er ab 1933 die tägliche Mitarbeit in der Re-
daktion aufgab und mittlerweile in Berlin wohnte, bis 1937 inne, blieb aber
bis zum Ende der NS-Herrschaft Herausgeber. Das Verhältnis zu Adolf Hit-
ler war während der Kampfzeit sehr freundschaftlich und kühlte lediglich
zwischen 1930 und 1933 ab, belebte sich aber wieder während des Krieges.

Houston Stewart Chamberlain, Mensch und Gott.


Houston Stewart Chamberlain, Natur und Leben, München 1928.
Die Mitgliedsnummern begannen bekanntlich mit 500; Hitler hatte die Mitgliedsnummer
555.
200 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

R o s e n b e r g nahm an vorderster F r o n t am N o v e m b e r - P u t s c h 1923 teil und


wurde, als Hitler seine Festungshaft verbüßte, für kurze Zeit v o n Hitler zum
Leiter der N S D A P eingesetzt. Rosenberg konzentrierte seine Tätigkeit für die
Bewegung auf die Fragen der sogenannten Weltanschauung. Er war ein flei-
ßiger Besucher der M ü n c h n e r Staatsbibliothek und soll d o r t m e h r als drei-
zehn Stunden täglich gearbeitet haben. Zwischen 1924 und 1933 erschien von
ihm außer d e m „ M y t h u s " eine Reihe weiterer Schriften. 1 9 1929 gründete Ro-
senberg den „ K a m p f b u n d für deutsche Kultur".
R o s e n b e r g hatte auch unmittelbar außenpolitische Ambitionen. Er wurde
nach den Septemberwahlen des Jahres 1930 Vertreter der N S D A P im Außen-
politischen Ausschuß des Reichstages. Z u seiner E n t t ä u s c h u n g bekam er aber
nach der Machtübertragung lediglich das speziell für ihn eingerichtete „Au-
ßenpolitische A m t der N S D A P " übertragen. In dieser Funktion wurde er aber
am 2. J u n i 1933, wie viele führende Kämpfer auch, mit d e m Titel „Reichs-
leiter des N S D A P " belohnt. Schließlich erhielt er die parteioffizielle Funktion
des ideologischen Erziehers: Hitler selbst übertrug ihm am 24. Januar 1934
das A m t zur „ Ü b e r w a c h u n g der gesamten geistigen und weltanschaulichen
Schulung und Erziehung der N S D A P " . 1937 erhielt Rosenberg als erster den
D e u t s c h e n Nationalpreis mit der Begründung: „A. Rosenberg hat in seinen
Werken in hervorragendstem Maße die Weltanschauung des Nationalsozialis-
mus wissenschaftlich und intuitiv begründet und festigen geholfen."
D u r c h einen Erlaß des Führers wurde er 1940 „Beauftragter des Führers
zur Sicherung der nationalsozialistischen Weltanschauung". Im gleichen Jahr
gelang es ihm, Hitler zu einem Erlaß über die Vorbereitung einer künftigen
Partei-Universität ( „ H o h e Schule") zu bewegen, was die Schaffung des soge-
nannten „Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg" zur Folge hatte. Damit wurde
R o s e n b e r g legitimiert, Materialien in Bibliotheken und Archiven für die zu-
künftige Partei-Universität in ganz E u r o p a zu konfiszieren und sich unmittel-
bar am Kultur- und K u n s t r a u b in Westeuropa, insbesondere in Frankreich, zu
beteiligen. Rosenbergs Interesse galt vornehmlich einer Materialsammlung für
die „ H o h e Schule" der nationalsozialistischen Ideologiebildung, das heißt
speziell der Literatur zur Judenfrage und zur Freimaurerei etc., die er auch aus
Privatbesitz beschlagnahmen ließ. 2 0

Vgl. Alfred Rosenberg, Der völkische Staatsgedanke. Untergang und Neugeburt, München
1924; ders.: Die internationale Hochfinanz als Herrin der Arbeiterbewegung in allen Län-
dern, München 1925; ders.: Houston Stewart Chamberlain als Verkünder und Begründer
einer deutschen Zukunft, München 1926; ders.: Dreißig November-Köpfe, Berlin 1927;
ders.: Der Weltverschwörerkongreß zu Basel, München 1927; ders.: Der Zukunftsweg ei-
ner deutschen Außenpolitik, München 1927; ders.: Freimaurerische Weltpolitik im Lichte
der kritischen Forschung, München 1929; ders.: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine
Wertung der seelisch-geistigen Gestaltungskämpfe unserer Zeit, 1. Aufl., München 1930, in
den nachfolgenden Ausführungen wird zitiert nach der 3. Aufl., München 1932 (im folgen-
den kurz: Alfred Rosenberg, Mythus).
Vgl. Herbert P. Rotfeder, Study of Alfred Rosenbergs Organization for National Socialist
Ideology, Michigan 1936; Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg. Studien zum Macht-
Volk und Rasse 201

Während des Krieges wuchs nicht nur seine Bedeutung für die Schulung in
Weltanschauungsfragen. Als „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete"
war er de jure für die dort begangenen Schwerverbrechen verantwortlich. Ro-
senberg ist mit Recht zum Tode verurteilt worden. Nur wegen der Mittäter-
schaft an den Kriegsverbrechen und am Massenmord an den Juden ist sein
„Mythus" für mich von Interesse. Rosenberg war zwar nicht primitiv, unge-
bildet und dumm, er war aber auch kein Wissenschaftler, gar Philosoph. Sein
„Mythus" ist nach meiner Überzeugung Nonsens, aber der Nonsens muß -
wenn er zu Verbrechen führt - Gegenstand von Wissenschaft und Philoso-
phie sein. Ich behaupte auch nicht, Rosenberg habe seine Weltanschauung
artikuliert, um den Willen zur Vernichtung der Juden oder die Kriegsverbre-
chen zu legitimieren. Für ihn war die Ideologiebildung kein Vorwand, um nie-
deren Instinkten zu folgen. Ich behaupte somit auch nicht, daß er wider seine
Natur von seiner Ideologie betäubt wurde. Nicht andere, vor, unter oder über
der Ideologiebildung feststehende Ursachen und Erklärungen, wie z. B. der
Gewinn persönlicher Macht oder die Rechtfertigung des kapitalistischen
Herrschaftssystems sind der Gegenstand der folgenden Ausführungen. Es ist
meiner Überzeugung nach auch nicht wichtig, ob Rosenberg wortwörtlich ge-
schrieben hat, die Juden seien zu vernichten. Es kommt darauf an, herauszu-
finden, ob Vernichtung ein zentrales Element der Ideologie Rosenbergs ist
oder eine Implikation der — wie es im Untertitel zum „Mythus" heißt - „Wer-
tung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit". Mit anderen, sym-
bolischen und damit von Religion sowie Mythos abhängigen Worten: Das
Problem ist nicht, ob Rosenberg von Natur aus böse war und das Böse woll-
te, sondern ob er an das Prinzip und die Personifikation des Bösen glaubte
und dessen Vernichtung wollen mußte. Bei der Beweisführung wird, wie bis-
her, die analysierende Methode angewendet. Zuerst sind Rosenbergs Aussa-
gen über das Verhältnis von Gott und Mensch, losgelöst von seinem Bewußt-
sein von Volk und Rasse, zu untersuchen. Wenn anschließend nachgewiesen
werden kann, daß Rosenbergs Affirmation der Religion und seine spezifische
Bestimmung von Religion integraler Bestandteil der Konstituierung kollekti-
ver Identität sind, dann ist die These vom biologischen Rassismus der Natio-
nalsozialisten im Falle Rosenbergs widerlegt. Diesem Nachweis soll, um zu
vermitteln, daß das Thema des Kapitels nicht aus dem Zusammenhang geris-
sen ist und dem gesamten Kontext des „Mythus" entspricht, ein kurzer Über-
blick über den Inhalt und Aufbau dieses Werkes vorausgeschickt werden —
auch deshalb, weil das Machwerk kaum erhältlich ist und zudem nur mühsam
zu lesen ist.

kämpf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970.; Billig, Joseph, Alfred


Rosenberg, dans l'action ideologique politique et administrative du Reich hitlerien. Inven-
taire commente de la collection de documents conserves au C.D.J.C. Provenant des archi-
ves du Reichsleiter et ministre A. Rosenberg, Paris 1963.
202 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

b . Z u m I n h a l t u n d A u f b a u d e s „ M y t h u s des 20. J a h r h u n d e r t s " .


W i e die n o r d i s c h e Seele in R o s e n b e r g z u m B e w u ß t s e i n i h r e r
P n e u m a p a t h o l o g i e g e l a n g t e — eine n i c h t m i n d e r m ü h s a m
geschriebene und e b e n s o quälend zu lesende Z u s a m m e n f a s s u n g

Form und Inhalt des 712 Seiten umfassenden Werkes lassen nicht den Zweck
erkennen, die Überzeugung von der Überlegenheit der arisch-germanisch-
nordischen Rasse nach den Regeln der Wissenschaft zu begründen. Weder
wird die pure Rassendoktrin systematisch entfaltet, noch werden die Rassen-
lehren des 19. Jahrhunderts in der Tradition von Arthur de Gobineau oder
die Vererbungsforschung der Jahrhundertwende in der Tradition von Francis
Galton (Fritz Lenz, O t t o A m m o n , Alfred Ploetz, Eugen Fischer) behandelt.
Auf Schädelmessungen oder sonstige empirische Fakten läßt sich Rosenberg
nicht ein. Die wesentlichen Aussagen über Rasse sind vielmehr in eine Deu-
tung der Kulturgeschichte eingebunden, bei der stets auf die Wertung zeitge-
nössischer Weltanschauungen hingeführt wird. Schon rein quantitativ ist die
Darstellung der puren Rassendoktrin geringer als die der Kulturgeschichte.
Daher schlage ich bei der Interpretation des „Mythus des 20. Jahrhunderts"
vor, drei Arten von Aussagen zu unterscheiden:
1. unmittelbare Aussagen über das Wesen von Rasse sowie die Qualität und
den Wert der eigenen Rasse - die pure Rassendoktrin,
2. Aussagen über das, was durch Rasse in der Sphäre der Kultur und des
Geistes bewirkt wird. Diese Aussagen betreffen die Wertungen im Bereich
der Wissenschaft, der Philosophie sowie der Kunst und der Religion,
3. Aussagen, die nach Rosenberg die „seelisch-geistigen" Wertungen der Po-
litik betreffen.
Rosenbergs Auffassung von Rasse ist nicht leicht zu bestimmen. Sein Beweis
für die Überlegenheit der nordischen Rasse besteht im großen und ganzen in
der D e u t u n g der Geschichte der beinahe allseits anerkannten europäischen
Genies. Dabei ist er in den Konflikt K ö r p e r - S e e l e —Geist bzw. Natur—Trieb
—Wille —Vernunft-Glaube verstrickt und versucht ihn zu lösen. Daß es noch
keine nach den derzeit gültigen Regeln der Wissenschaft verfaßte Kritik des
Gesamtwerks Rosenbergs gibt - die hier auch nicht geleistet werden kann -
liegt vielleicht auch daran, daß eine ungeheure Menge Material (Eklektizismus
auf beinahe jeder Seite) zu überprüfen wäre. So ist z. B. Rosenbergs Überzeu-
gung, Kant sei ein mustergültiger E x p o n e n t der nordischen Rasse, leicht als
N o n s e n s zu bezeichnen. Schwerer ist die kategoriale Erfassung des für Ro-
senberg maßgebenden Grundes. Warum kann Rosenberg nicht einfach for-
mulieren, Kant habe eine richtige T r e n n u n g von Natur und Freiheit vorge-
nommen, sondern m u ß artikulieren, „in K a n t " - auf das „in" k o m m t es an -
gelange der nordisch-europäische Geist zum Bewußtsein?- 1 Rosenbergs Be-

Die Grundtatsache des nordisch-europäischen Geistes ist die bewußt oder unbewußt vor
Volk und Rasse 203

hauptung über die Trennung von Natur und Freiheit bei Kant ist nicht falsch.
Allerdings erwähnt Rosenberg Kants Traktat über die Rassen der Menschheit
nicht. In einer umfangreichen Analyse des „Mythus des 20. Jahrhunderts"
müßte der Zusammenhang zwischen Rosenbergs Lob der Trennung von Na-
tur und Freiheit und dem Rassismus als „Mythus" erforscht werden.
Die Perspektive des Problems wird noch deutlicher, wenn Rosenbergs
ähnlich gelagerte positive Wertung der Wissenschaft22 und der Technik23 be-
rücksichtigt wird. Das Problem besteht darin, herauszufinden, welchem gno-
seologischen Konflikt sich Rosenberg ausgesetzt sah. Gewiß liegt es nahe zu
behaupten, Rosenberg hätte weder Kant noch das Prinzip Wissenschaft be-
griffen. Aber erst durch die Begründung dieses Einwandes werden die Regeln
des wissenschaftlichen Denkens erfüllt, und erst dadurch könnte ein Beitrag
zur Erklärung des Rassismus geleistet werden. Als Hinweis mag genügen, daß
es nach Rosenberg keine voraussetzungslose Wissenschaft gibt.24 Heutzutage
ist Rosenbergs Auffassung nicht leicht zu widerlegen. Die Auffassung von der
voraussetzungslosen, das heißt wertfreien und der Objektivität verpflichteten
Wissenschaft war am Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschend und ist eine
Folge der Übertragung des naturwissenschaftlich-mathematischen Denkens
auf alle Bereiche der Existenz sowie ein Merkmal für die säkularisierte Mo-
derne. Mit dem Paradigma vom Selbstzweck der Wissenschaft, damit voraus-
setzungslos und wertfrei, konnten alle Fragen nach dem Sinn der Existenz
und den ethischen Grundlagen der Politik aus der Wissenschaft eskamotiert
werden. Mit dem Paradigma vom Selbstzweck der Wissenschaft und der Sä-
kularisierung waren aber weder die religiösen Bedürfnisse der Menschen ver-
schwunden noch die Glaubensinhalte der religiös erzogenen Menschen außer
Kraft gesetzt. Einerseits konnte mit dem Paradigma der wertfreien und vor-
aussetzungslosen Wissenschaft im Milieu der zwanziger Jahre gegen die Ideo-
logie und damit gegen den Wert der Rasse wissenschaftlich nicht argumen-

genommene Scheidung zweier Welten, der Welt der Freiheit und der Welt der Natur. In Im-
manuel Kant gelangte dieses Urphänomen der Denkmethodik unseres Lebens zum lichte-
sten Bewußtsein und darf nimmer unseren Augen entschwinden. Dieses Selbsterwachen be-
zeugt aber eine ganz besondere Auffassung dessen, was als .wirklich' anzusehen ist", Alfred
Rosenberg, Mythus, S. 131.
„Alles, was wir heute ganz abstrakt Wissenschaft nennen, ist das Ergebnis der germanischen
Schöpferkräfte", ebd., S. 120.
„Wer heute blindwütig über ,die Technik' zetert und auf sie Verwünschungen über Verwün-
schungen häuft, der vergißt, daß ihr Hervortreten auf einen ewigen germanischen Antrieb
zurückgeht, der dann auch mit ihrem Untergang ebenfalls verschwinden müßte. Das aber
würde uns erst recht einer Barbarei ausliefern, jenem Zustand, an dem die Kulturen um das
Mittelmeer herum einst untergegangen sind", ebd., S. 142.
„Es gibt keine voraussetzungslose Wissenschaft, sondern nur Wissenschaft mit Vorausset-
zungen [...]. Die eine Gruppe der Voraussetzungen sind die Ideen, Theorien, Hypothesen,
welche die zersplitterten suchenden Kräfte nach einer Richtung lenken und durch das Ex-
periment auf ihren sachlichen Wahrheitsgehalt geprüft werden", ebd., S. 119 f.
204 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

tiert werden. Andererseits kann Rosenberg mit seinem Protest gegen die vor-
aussetzungslose Wissenschaft den „Mythus" als Voraussetzung von Wissen-
schaft — sozusagen als meta-theoretisches Axiom — setzen und darüber hin-
aus die wertfreie Wissenschaft selbst in den Dienst des „ M y t h u s " stellen. Was
aber versteht Rosenberg unter „Mythus"?
Rosenberg vermeidet eine schulmäßige Definition. E r verfaßte keine My-
thologie, das heißt eine auf Forschung beruhende Lehre vom Mythos als
Sonderdisziplin der Religionsgeschichte oder der Ethnologie. Aber immerhin
beantwortet er, wenn auch erst am Beginn des letzten Drittels des Werkes, die
selbstgestellte Frage: „Was ist ein Mythus?" 2 5 D e r äußerst knappen Beantwor-
tung gehen breitere Ausführungen über den Traum voraus. Rosenberg befür-
wortet die Bedeutung des Traumes für das Leben eindeutig, emphatisch und
energisch. 2 6 Unmittelbar nach Beantwortung der selbstgestellten Frage: „Was
ist ein Mythus?" wird die Kritik am jüdischen „ M y t h u s " mit einer Bemerkung
über die Kraftentfaltung des Traumes eingeleitet. 2 7 Rosenberg nimmt eine
Unterscheidung zwischen schöpferischen T r ä u m e n , traumlosen Zerstörern
und vernichtenden Träumen vor. 2 8 Traum und Mythus erhalten bei Rosen-
berg fast dieselben Attribute. Im Traum wird nach Rosenberg die Sehnsucht
zum „Bild", dem Träumer wird „dies Traumgesicht zum Bild des Lebens",
und er „stellt alle innere Regungen nach einer Richtung ein". D e r Traum ist
die Wirkung „einer seelischen Kraft", er ist selbst sowohl Ursache als auch
Kraft „und gebiert schließlich die schöpferische Tat". 2 9 Rosenberg selbst be-
schreibt das dritte Buch seines Werkes über das „ k o m m e n d e Reich", in dem
Kapitel „Mythus und T y p u s " als Traum. 3 0 Mit einer Bemerkung über die
Werte des Charakters und die Linien des Geisteslebens leitet er n u n m e h r die
Beantwortung seiner Frage „Was ist ein Mythus?" ein:

25
Ebd., S. 459.
26
„Es wird einmal eine Zeit kommen, in der die Völker ihre großen Träumer als die größten
Tatsachenmenschen verehren werden", ebd. S. 453.
27
Vgl. ebd., S. 459 f. und die Bezeichnung des Kapitels 1.2 des dritten Buches in der Inhalts-
angabe, nämlich „Der jüdische Mythus", S. XVI.
28
„Es gibt neben den die fruchtbare Wirklichkeit erzwingenden Träumen und den traumlosen
Zerstörern auch vernichtende Träume. Sie sind ebenso wirklich und oft ebenso stark wie
die schöpferischen", ebd., S. 455; die Träume der arisch-nordischen Rasse sind schöpfe-
risch, der Traum der Juden ist vernichtend: „Dieser Traum trieb die Juden um die ganze
Welt. Ruhelos, traumstark, deshalb auch wirklichkeitsschaffend, zerstörende Wirklichkeit,
lebt und webt der Träger böser Traumgesichte noch heute unter uns", ebd., S. 456.
29
Ebd., S. 453.
30
„Noch haben viele nicht den Mut zu diesem Traum [dem Lagardes und dem des Mystikers
Meister Eckhart, C.-E. B.]; noch hemmen fremde Traumgesichte vielfach ihr seelisches
Wirken, deshalb sei hier der bescheiden-anmaßende Versuch unternommen, das, was in den
zwei vorhergehenden Büchern als unser Wesen mehr zergliedernd dargestellt wurde, hier
im Kontrast als traumhaft-wirkliche Zielsetzung niederzulegen. Als Bild, soweit dieses von
dem ewigen nordisch-germanischen Ideen durchflutet ist, nicht in technischen Einzelhei-
ten", ebd., S. 458 f.
Volk und Rasse 205

Die Werte des Charakters, die Linien des Geisteslebens, die Farbigkeiten der Sym-
bole laufen nebeneinander her, verschlingen sich und ergeben doch einen Men-
schen. Aber nur dann in ganzer blutvoller Fülle, wenn sie selbst Folgen, Geburten
aus einem Zentrum sind, das jenseits des nur erfahrungsmäßig (empirisch) Er-
forschbaren liegt. Diese nicht faßbare Zusammenfassung aller Richtungen des Ich,
des Volkes, überhaupt einer Gemeinschaft, macht seinen Mythus aus.31

Mit dem Merkmal der Z u s a m m e n f a s s u n g aller Richtungen, des Ich und des
Volkes, und der jenseits aller Empirie liegenden Qualität fallen die Bestim-
m u n g e n von T r a u m und Wirklichkeit zusammen. Die Begriffe „Mythus" und
„ T r a u m " werden auch in den unmittelbar anschließenden Beispielen ausge-
tauscht.
Die Götterwelt Homers war solch' ein Mythus [...]. Der Mythus von der Schön-
heit des Apoll und der Kraft des Zeus, von der Schicksalsnotwendigkeit im Kos-
mos und des ihr geheimnisvoll verbundenen Menschenwesens war griechisches
Wirken über Jahrtausende hinweg, wenn auch erst bei Homer zur typenzüchtenden
Kraft gesammelt. Eine solch' ungeheure Kraft entfaltet aber nicht nur ein schöpfe-
risches Traum-Gesicht, sondern auch vom schmarotzerhaften Weltherrschafts-
Traum der Juden ist eine ungeheure - wenn auch zerstörende - Kraft ausgegan-
gen. 32

D e r Mythus ist also nicht nur v o n einer unbegreiflichen Macht verursacht,


sondern hat selbst wieder Macht. Mit der Bestimmung des Mythus als Zusam-
menfassung aller Richtungen des Ich und des Volkes und seinem Charakter
als T r a u m durfte sich R o s e n b e r g an dieser Stelle begnügen, weil der Inhalt
des Mythus und die grundlegende Spekulation der Ursachen und Wirkungs-
beziehungen von T r a u m und Tat im gesamten Werk dargestellt werden. Die
- vollkommen unkritische - Wertschätzung des Traumes an sich ist vor allem
in der Einleitung zur dritten Auflage erkennbar, in welcher auch ein zentraler
Inhalt des Traumes angegeben wird. Rosenberg träumt davon, daß
alle schlagenden Quellen sich zu einem großen Strom der deutsch-nordischen Wie-
dergeburt vereinigen werden
und fährt fort:
Das ist ein Traum, wert gelehrt und gelebt zu werden. Und dieses Erleben und dies
Leben, das allein ist Abglanz einer erahnten Ewigkeit, die geheimnisvolle Sendung
auf dieser Welt, in die wir hineingesetzt wurden, um das zu werden, was wir sind.33
Der Gegenstand des T r a u m e s — „das zu werden, was wir sind" — ist mithin
die kollektive Identität des deutschen Volkes. D e n Wachtraum kollektiver
Identität bringt Rosenberg also sowohl unter dem Aspekt des Werdens in der
Zeit als auch im Hinblick auf die Ewigkeit auf den ideologischen Begriff. Die
Realisierung des T r a u m e s versteht er als Sendung in der Analogie von Zeit

31
Ebd., S. 459.
32
Ebd., S. 459 f.
33
Ebd.
206 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

und Ewigkeit. Der Traum von der Wiedergeburt des deutschen Volkes soll
„gelehrt und gelebt" werden.
Rosenberg versteht sein Werk als Beitrag zur Herstellung kollektiver Iden-
tität. Er versucht — daran will er gemessen werden - , „eine gleichzeitige See-
len- und Geistesrichtung herbeizuführen" und „die Voraussetzung einer all-
gemeinen Wiedergeburt selbst aufzuzeigen". 3 4 Es ist aber nicht zu übersehen,
daß Rosenbergs Traum von der Wiedergeburt des deutschen Volkes von ei-
nem Alptraum begleitet wird. Angesichts der gegenwärtigen Situation hat er
die Angst, daß

mit dem politischen Zusammenbruch auch die seelische Katastrophe eintreten muß
und das deutsche Volk als wirkliches l/olk aus der Geschichte verschwinden
wird.
Die Wiedergeburt des deutschen Volkes ist nach Rosenberg, was uns noch
intensiv beschäftigen wird, eine Angelegenheit der Seele:
Eine echte Wiedergeburt aber ist nie Sache der Machtpolitik allein, noch viel weni-
ger eine Frage der wirtschaftlichen Sanierung, wie anmaßende Hohlköpfe meinen,
sondern bedeutet ein zentrales Erlebnis der Seele, die Anerkennung eines höchsten
Wertes. Setzt sich dieses Erlebnis von Mensch zu Mensch millionenfach fort, stellt
sich schließlich die geeinte Kraft des Volkes vor diese innere Umwandlung, dann
wird keine Macht der Welt die Auferstehung Deutschlands zu verhindern vermö-
gen.36
Insofern die Wiedergeburt nicht nur ein seelischer Prozeß ist, sondern für
Rosenberg auch die „Anerkennung eines höchsten Wertes" bedeutet, enthält
der Traum von der Wiedergeburt in der Krise der Zeit die Kriterien des Ur-
teils über die Zeit. Rosenberg meint, in seinem Buch handele es sich um die
„Herausmeißelung der geistigen Typen, somit um das Selbst-Bewußtwerden
suchender Menschen". 3 7 Es geht Rosenberg nicht darum, daß irgendeine See-
le erlebt, irgendein Wert erkannt und irgendein Bewußtsein sich seiner selbst
bewußt wird. Es sind vielmehr die „Werte der Rassenseele", die für Rosen-
berg „noch nicht lebendiges Bewußtsein geworden" sind. Die fundamentale
Voraussetzung dafür, daß die Deutschen noch werden können, was sie an
sich schon sind, ist das Sein und Werden der Rassenseele. Daher müsse man
„aus einem neuen Lebensmythus einen neuen Menschentypus schaffen". 3 8
Nicht eine biologische, naturwissenschaftliche oder empirische K o n z e p t i o n
ist das Modell des nationalsozialistischen Meisterideologen. Das „Wesen" v o n
Rasse besteht in der unauflöslichen Verbindung von Rasse und Seele:

34
„Das Problem ist also: gegen das chaotische Durcheinander eine gleiche Seelen- und Gei-
stesrichtung herbeizuführen, die Voraussetzungen einer allgemeinen Wiedergeburt selbst
aufzuzeigen. An diesem Wollen ist der Wert meines Werkes zu messen", ebd., S. 14.
35
Ebd., S. 15 [Hervorhebung im Original].
36
Ebd. [Hervorhebung im Original].
37
Ebd., S. 8.
38
Ebd., S. 2.
Volk und Rasse 207

Seele aber bedeutet Rasse von innen gesehen. Und umgekehrt ist Rasse die Außen-
seite einer Seele.39
Die Identität von innen und außen ist untrennbar mit den Spekulationen über
K o s m o s und Mensch 4 0 , Blut und Seele, Ich und Seele sowie Seele und Gott 4 1
verbunden. Die „Selbstverwirklichung" 4 2 ist für Rosenberg die Wirkung von
Seele in der Geschichte der Kunst, der Wissenschaft, der Religion, des Staa-
tes und vor allem der Völker. Das sind die wesentlichen Merkmale seiner Ras-
sendoktrin, sie stellen den Inhalt seines Werkes sowie seiner Arbeit am „My-
t h u s " dar. Rosenberg will das Bewußtsein der Rassenseele erwecken, um ei-
nen neuen „Menschentypus" 4 3 zu schaffen und die Identität des Volkes 4 4 her-
zustellen.
Rosenberg, der glaubt, nur „Kärrner" eines „neuen Weltbildes" 4 5 zu sein,
hat sein Werk in folgende drei Bücher eingeteilt:

„Das Ringen der W e r t e "


„ D a s Wesen der germanischen K u n s t "
„ D a s kommende Reich"

Allein das Inhaltsverzeichnis umfaßt vierzehn Seiten (S. VII—XXI) und ent-
hält eine detaillierte Beschreibung der Kapitel und Abschnitte. Die Titel der
einzelnen Abschnitte eines Kapitels (z. B. „Innen- und Außenpolitik", der 1.
Abschnitt des VI. Kapitels) werden im Text selbst nicht wiederholt. Bei dem
n u n m e h r darzustellenden Überblick habe ich mich an den Aufbau Rosen-
bergs gehalten, aber mehrere Kapitel zusammengefaßt und mit einer am In-
halt orientierten Überschrift versehen.

aa. Die Rassenseele und ihre Geschichte

Das erste Buch hat drei Kapitel, nämlich „Rasse und Rassenseele", „Liebe
und E h r e " und „Mystik und Tat". Rosenberg, der glaubt, in einer Zeit des
Zusammenbruchs und am Beginn einer „Weltrevolution" 4 6 zu stehen, meint,
daß „die Weltgeschichte neu geschrieben werden muß". 4 7 So überwiegt in

39
Ebd.
40
Vgl. ebd., S. 12, 459.
41
Vgl. ebd., insbes. 230 f.
42
Zum Gebrauch des Begriffes vgl. ebd., S. 248, 689.
43
„Das ist die Aufgabe unseres Jahrhunderts: aus einem neuen Lebensmythus einen neuen
Menschentypus schaffen", ebd., S. 2.
44
Der „alt-neue Mythus" sage, „daß wir mit erhöhtem Bewußtsein und flutendem Willen zum
erstenmal als ganzes Volk wir selbst werden wollen: ,Eins mit sich selbst', wie es Meister
F.ckehart erstrebte". Mythus sei „das Neuerwachen des zellenbildenden seelischen Zen-
trums", ebd., S. 699.
45
Ebd., S. 2.
46
Ebd.
47
Ebd., S. 21.
208 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

den ersten fünf Abschnitten des Kapitels „Rasse und Rassenseele" die histo-
rische Betrachtung der vermeintlichen Geschichte der „nordisch-atlantischen
Völker", die ihren Ausgang n e h m e n von einem „nordischen Mittelpunkt der
Schöpfung, n e n n e n wir ihn, o h n e uns auf die Annahme eines versunkenen at-
lantischen Erdteils festzulegen, die Atlantis". 4 8 G r o ß e Bedeutung mißt er den
Persern und den I n d e r n bei, die er zu den arischen Völkern zählt. Die „arisch-
indische Welle" ist der erste faßbare Angelpunkt seiner Geschichtsbetrach-
tung. Rosenberg denkt nicht daran, irgendeine Quelle oder irgendeine wissen-
schaftliche A b h a n d l u n g zu zitieren oder sich darauf zu berufen. Die Religion
der Perser und vielmehr noch die der Inder sind für ihn die ersten Zeugnisse
des nordischen Mythus. Ziemlich schnell behandelt er das „nordische Hellas"
und das „nordisch-republikanische Latinertum". Syrien, Karthago, Etrurien,
aber vor allem Jerusalem sind ihm die O r t e des Rassenfeindes. V o n dort sei
die Z e r s e t z u n g der nordischen Rasse ausgegangen. An der Rassenmischung,
auch hier Chamberlain folgend, sei das römische Imperium zugrunde gegan-
gen. 4 9 Die G e r m a n e n hingegen seien die „Staatenschöpfer des Abendlandes".
E r stellt der magischen Religion Vorderasiens den „Solarmythus der nordi-
schen Rassenseele" gegenüber. W e n n Rosenberg im folgenden „ R o m "
schreibt, so meint er die katholische Kirche und die verhängnisvolle Wirkung
des J u d e n t u m s „in der Gestalt" des Katholizismus. Jesus Christus, auch hier
Chamberlain folgend, sei kein J u d e gewesen. Rosenberg ist der Überzeugung,
es gäbe so etwas wie ein Urchristentum. E s sei eine Art Urevangelium noch
erkennbar, und zwar in den Evangelien des Markus und des J o h a n n e s . D e r
Abfall v o m Urchristentum habe bereits mit Paulus begonnen. Paulus ist für
ihn die V e r k ö r p e r u n g des Hauptfeindes schlechthin. Rosenberg erzählt die
Geschichte der nordischen Rassenseele und verbindet seine Erzählungen mit
kräftigen Wertungen. Wie seiner Ü b e r z e u g u n g nach die nordische Rassensee-
le ist, leitet er aus seiner Geschichte der Rassenseele ab, projiziert aber zu-
gleich in seine Darstellung dieser Geschichte hinein, was seinem Mythus nach
sein soll. Die allseits bekannten historischen Figuren, die mit „ R o m " in K o n -
flikt gerieten, seien es die Ketzer oder die Kaiser, sind ihm Ausdruck der ver-
borgen oder offen wirkenden nordischen Rassenseele. D a ß das jüdisch-pau-
linische Rom ü b e r h a u p t so erfolgreich gegenüber dem nordischen Mythus
war, führt er auf die „germanische Großherzigkeit" zurück.
A m Schluß des fünften Kapitels 5 0 schafft es Rosenberg, in fünf Absätzen
eine G e d a n k e n k e t t e zwischen dem Urchristentum, dem Mythus des Blutes,
einer Z u s a m m e n f a s s u n g seiner rassisch g e b u n d e n e n Kulturgeschichte, den
Charaktergrundlagen der germanischen Wissenschaft, Religion und Kunst,
den Voraussetzungen der Wiedergeburt und dem Kampf gegen den Unter-

Ebd., S. 25.
Vgl. Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, S. 255 ff.
Vgl. Alfred Rosenberg, Mythus, S. 114 f.
Volk und Rasse 209

m e n s c h e n herzustellen. Was die Substanz der Kollektividentität der D e u t -


schen sei, welche Eigenschaften die arisch-nordische Rassenseele angeblich
h a b e und welche Elemente die Rassenideologie Rosenbergs hat, ist in diesen
fünf Absätzen erkennbar. Rosenberg beginnt mit dem Sieg der Urchristen auf
der Grundlage des Glaubens:
Einst fanden Urchristen den starken Glauben, alle Martern und Verfolgungen auf
sich zu nehmen. Und sie siegten.51
N a c h d e m „Rom diese Taten m i ß b r a u c h t e " , Rosenberg meint die Ketzer-
bewegungen des Mittelalters, seien aber „neue glaubensstarke Hunderttausen-
de in E u r o p a , die noch auf dem Scheiterhaufen für freien Glauben und freies
Forschen kämpften", erstanden. Diese hätten „um ihr arteigenes D a s e i n " ge-
kämpft und „alle Grundlagen abendländisch-nordischer K u l t u r " geschaffen.
In d e m hugenottischen Feldmarschall Coligny und in Luther gipfele dieser
Prozeß: „ O h n e Coligny und Luther kein Bach, kein G o e t h e , kein Leibniz,
kein Kant." Indes sei der „treuherzige Bibelglaube der P r o t e s t a n t e n h e u t e "
ebenso „dahingesunken" „wie einst der Glaube an die göttliche Berufung der
Kirche". Rosenberg ist nun aber nicht der Überzeugung, er lebe in einem
Zeitalter endgültiger Säkularisierung. D e n n heute erwache „ein neuer Glau-
b e " . Für Rosenberg ist nicht das W u n d e r , sondern der „ M y t h u s " des Glau-
bens liebstes Kind. In der n u n m e h r folgenden B e s t i m m u n g des „ M y t h u s "
liegt das A und das O der Ideologie Rosenbergs, nämlich die Gleichsetzung
von Blut und göttlichem Wesen der Menschen:

Heute erwacht aber ein neuer Glaube: Der Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem
Blute auch das göttliche Wesen des Menschen überhaupt zu verteidigen. Der mit
hellstem Wissen verkörperte Glaube, daß das nordische Blut jenes Mysterium dar-
stellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat. 52
Damit berührt Rosenberg sowohl die Christologie - das Verhältnis von G o t t
und Mensch, das Bekenntnis z u m menschlichen G o t t , die Gemeinschaft der
Gotteskinder, die Gegenwart von Leib und Blut Jesu Christi — als auch das
K o n z e p t der Autopoiesis m o d e r n e r Subjektivität. E r setzt sich v o n beidem
ab, bleibt aber davon abhängig. Die — selbstverständlich - nordische Seele ist
nicht fremdbestimmt. Nicht der Glaub e an die Sakramente selbst wird ver-
worfen, sondern nur die alten Sakramente. D e n n die Realpräsenz des göttli-
chen Blutes bleibt für Rosenberg ein „Mysterium", ist Wissen und Glaube
zugleich.
Nach diesem fundamentalen Glaubensbekenntnis geht Rosenberg zu einer
Zusammenfassung seiner historischen „Rückschau der Rassengeschichte als
Kulturgeschichte" über. Der Versuch, die Qualität der Rassenseele und damit
die Qualität der Prädikate gegenwärtiger kollektiver Identität festzulegen,

51
Ebd., S. 114.
52
Ebd.
210 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

wird durch die historische Vermittlung ergänzt. In Rosenbergs Bewußtsein


von Geschichte hat die „Schöpferkraft" der nordischen Rassenseele folgende
„Vielgestaltigkeit":

1. „Das arische Indien beschenkte die Welt mit einer Metaphysik, wie sie an
Tiefe auch heute noch nicht erreicht worden ist;"
2. „das arische Persien dichtete uns den religiösen Mythus, von dessen Kraft
wir noch alle heute zehren;"
3. „das dorische Hellas erträumte die Schönheit auf dieser Welt, wie sie in der
uns vorliegenden in sich ruhenden Vollendung nie mehr vollendet wurde;"
4. „das italienische Rom zeigte uns die formale Staatszucht als Beispiel, wie
eine menschliche bedrohte Gesamtheit sich gestalten und wehren m u ß . "
5. Die Quintessenz: „Und das germanische Europa beschenkte die Welt mit
dem leuchtendsten Ideal des Menschentums: mit der Lehre von dem Cha-
rakterwert als Grundlage aller Gesittung, mit dem Hochgesang auf die
höchsten Werte des nordischen Wesen, auf die Idee der Gewissensfreiheit
und der E h r e . " 5 3

Für Rosenberg ist es eine „Erkenntnis", daß Europa „in allen seinen Erzeug-
nissen schöpferisch gemacht worden ist allein vom Charakter". Dies sei „das
Thema sowohl der europäischen Religion als auch der germanischen Wissen-
schaft, aber auch der nordischen Kunst". Man müsse „sich dieser Tatsache
innerlich b e w u ß t " werden, um „die Voraussetzung jeglicher Wiedergeburt"
zu schaffen. Diese „ E r k e n n t n i s " sei die „Grundlage einer neuen Weltan-
schauung", die „allein uns die Kraft geben wird", die „angemaßte Herrschaft
des U n t e r m e n s c h e n " niederzuwerfen und eine „arteigene G e s i t t u n g " zu er-
schaffen.

bb. Mythus, Erkenntnis und Wissenschaft

In den nächsten drei Kapiteln des „Mythus" sind die Grundzüge der Ideolo-
gie Rosenbergs enthalten, wobei der Schwerpunkt von der eurozentrischen
Historie auf die Probleme des Erkennens verlagert wird. Diese Kapitel sind
eine Musterquelle für die gnoseologischen Implikationen von Ideologie und
vice versa für die ideologischen Folgen der erkenntnistheoretischen Konflik-
te des 19. und 20. Jahrhunderts. Rosenberg versucht, die Doktri n der Rassen-
seele mit einer, wie er meint, „neuen" Auffassung von Wirklichkeit zu verein-
baren. Seine Argumentation läuft darauf hinaus, daß Wissenschaft und Reli-
gion parallel ihr Recht haben und voneinander unabhängig, o h n e daß die Kri-
terien der einen auf die Kriterien der anderen bereits A n w e n d u n g finden dür-
fen, Geltungskraft beanspruchen können. Er meint, bei Kants T r e n n u n g zwi-

Ebd., S. 114 f.
Volk und Rasse 211

sehen den formalen Bedingungen von Erfahrung und dem materiellen Inhalt
von Aussagen ansetzen zu müssen , um zur Rechtfertigung inhaltlich be-
stimmter innerer Werte zurückkehren zu können. 55 Im Anschluß an Kant und
gemäß der modernen Trennung zwischen Werten und Wissenschaft begrenzt
Rosenberg Wissenschaft auf den Bereich der äußeren Natur, nämlich auf Na-
turwissenschaften, und Religion auf das Innere des Menschen, nämlich auf
das Himmelreich im Menschen.56 Gegen das Paradigma der modernen empi-
rischen Wissenschaften und über Kant hinaus postuliert Rosenberg, daß es
keine voraussetzungslose Wissenschaft gebe57 und daß Philosophie mehr Be-
kenntnis als Erkenntnis sei.58 Von Kant sich freigesetzt wähnend, ist dieses
Bekenntnis ein „seelisches und rassisches Bekenntnis, ein Bekenntnis zu Cha-
rakterwerten". 59 Rosenberg verneint weder Philosophie noch Naturgesetze,
sondern seine, vermeintlich, erkenntniskritische Auffassung von der Wirk-
lichkeit des Lebens eines Volkes läuft auf eine Synthese hinaus, der er das
Attribut „mystisch" gibt und welche in der Wirkung von Seele gipfelt60; wo-
bei nicht zu bestreiten ist, daß das politische Leben tatsächlich nicht durch
Vernunftschlüsse oder durch die Darstellung von Ursache und Wirkung er-
klärt werden kann.
Rosenberg macht aus der Trennung zweier Welten das ontische Prinzip
der Polarität. In Kants Trennung zweier Welten - Freiheit und Natur - meint
er nicht nur eine neue Denkmethodik zur Erfassung der Wirklichkeit zu er-

„Eine Kritik der reinen Vernunft hat den Zweck, uns die formalen Voraussetzungen jeder
möglichen Erfahrung zum Bewußtsein zu führen und die verschiedenen tätigen Kräfte des
Menschen auf ein bestimmtes, ihnen allein überlassenes Gebiet einzuschränken. Das Au-
ßerachtlassen der erkenntniskritischen Einsichten hat zu den größten Verwilderungen auf
allen Gebieten geführt: deshalb bedeutete die Erkenntniskritik Kants das hellbewußte Er-
wachen inmitten einer Zeit, die der religiös-scholastischen, platt-naturalistischen oder
schwül-sensualistischen Systeme müde zu werden begann", ebd., S. 115 f.
„Bei Anerkennung dieser höchsten Leistung der Vernunftkritik ist jedoch über das Formale
hinaus, über die innere Art und Weise des Gebrauchs der seelischen und der Vernunftkräfte
noch nichts ausgemacht, d. h. eine Wertung des innersten Wesens der verschiedenen Kul-
turen und Weltanschauungen nicht einbegriffen", ebd., S. 116.
„Zum philosophischen Bewußtsein jedoch ist nordischer Geist dann in Immanuel Kant ge-
langt, dessen wesentliches Werk in der endlich einmal durchgeführten Scheidung der Be-
fugnisse von Religion und Wissenschaft liegt. Religion hat nur mit dem .Himmelreich in
uns' zu tun, echte Wissenschaft nur mit Mechanistik, Physik, Chemismus, Biologie", ebd.,
S. 134 f.
„Es gibt keine voraussetzungslose Wissenschaft, sondern nur Wissenschaft mit Vorausset-
zungen", ebd., S. 119.
„Letzten Endes ist denn auch jede über eine formale Vernunftkritik hinausgehende Philo-
sophie weniger eine Erkenntnis als ein Bekenntnis", ebd., S. 118.
Ebd.
„Das Leben einer Rasse, eines Volkes, ist keine sich logisch entwickelnde Philosophie, auch
kein sich naturgesetzlich abwickelnder Vorgang, sondern die Ausbildung einer mystischen
Synthese, einer Seelenbetätigung, die weder durch Vernunftschlüsse erklärt, noch durch
Darstellung von Ursache und Wirkung begreiflich gemacht werden kann", ebd., S. 117.
212 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

kennen; 6 1 die „Polarität aller Erscheinungen, aber auch aller Ideen" ist für
Rosenberg ein „ U r p h ä n o m e n der ,Welt'". 6 2 In der vermeintlichen Überwin-
dung von Monismus und Pluralismus und im Anschluß an Betrachtungen
über die Kausalität der Verstandestätigkeit und die einheitsstiftende Ver-
nunft 6 3 definiert Rosenberg Polarität:
Polarität bedeutet stets Gleichzeitigkeit der Gegensätze, deren beide Größen und
Gegebenheiten also nicht als nacheinander hervortretend zu erklären sind.64
Die „Zwiefachheit alles Seins" zeige sich „physikalisch als Licht und Schat-
ten, heiß und kalt, endlich und unendlich; geistig als wahr und unwahr; mora-
lisch als gut und böse", weiterhin „dynamisch als Bewegung und Ruhe; als
positiv und negativ, religiös als göttlich und satanisch". 6 5
Für Rosenberg ist die Polarität ein „metaphysisches Urgesetz alles Seins
und Werdens". 6 6 Daraus „folgen" - Sein und Werden sind für Rosenberg
auch „polare Gegensätze" - „zunächst zwei Arten des Lebensgefühls". Diese
Arten des Lebensgefühls sind für die Qualifikation der arischen Seele wieder-
um maßgebend. Es sind: „dynamisches Wesen oder statische Wertsetzung". 6 7
Rosenberg lehnt die „statische Weltbetrachtung" ab und läßt sich über deren
Entstehung, nämlich den jüdischen Monotheismus sowie dessen Erbschaft,
nämlich die christlichen Kirchen und die moderne Menschheit, aus. Aber der
„kirchliche Jahwe ist nun heute tot wie Wotan vor 1500 Jahren". 6 8 D e r „dy-
namisch (willenhaft) empfindende Mensch dagegen läßt bewußt oder unbe-
wußt zwar ein ,Sein' wirken, forscht aber dem Werden als Ausdruck des Seins
nach". 6 9 D e r nordischen Seele gelingt offenbar die mystische Synthese zwi-
schen Sein und Werden:

Dieses fortdauernde .werdende' Ringen um das .Sein' ist germanische Religion, die
sich sogar in der weitabgewandtesten Mystik noch bemerkbar macht. .Offenba-
rung' innerhalb des nordischen Fühlens kann nur Steigerung, Krönung eines Wer-
dens, nicht Vernichtung der Naturgesetze sein.70

61
„Die Grundtatsache des nordisch-europäischen Geistes ist die bewußt oder unbewußt vor
genommene Scheidung zweier Welten, der Welt der Freiheit und der Welt der Natur. In Im-
manuel Kant gelangte dieses Urphänomen der Denkmethodik unseres Lebens zum lichte-
sten Bewußtsein und darf nimmermehr unseren Augen entschwinden. Dieses Selbsterwa
chen bezeugt aber eine ganz besondere Auffassung dessen, was als .wirklich' anzusehen ist",
ebd., S. 131.
62
Ebd., S. 125.
63
„Der Verstand schafft dann den ursächlichen Zusammenhang, die Vernunft, die Einheit
des Mannigfaltigen durch Aufstellung leitender Ideen", ebd.
M
Ebd., S. 126.
65
Ebd., S. 125 f.
66
Ebd., S. 126.
67
Ebd.
68
Ebd., S. 134.
69
Ebd.
70
Ebd.
Volk und Rasse 213

cc. Mythus, „Liebe und E h r e "

R o s e n b e r g läßt die Polarität nicht für ewig gelten. D e n n der Inhalt des aller-
letzten Kapitels des „Mythus" entspricht seinem Titel, der „Einheit des We-
s e n s " lautet. Bevor Rosenberg sich nun unmittelbar der deutschen Mystik
widmet, nämlich der des Meister Eckhart, behandelt er in einem gesonderten
Kapitel die Differenz von „Liebe und Ehre". 7 1 Auch in diesem Kapitel argu-
mentiert Rosenberg entsprechend seiner Wertung und Deutun g von Ge-
schichte. D e m g e m ä ß ist das Kapitel aufgebaut. Rosenberg fängt mit dem al-
ten Indien an, um auf dem Weg über Persien, Griechenland und Rom, das
Mittelalter, die Reformation und das 19. Jahrhundert die Gegenwart zu be-
handeln. Der Sieg des Bolschewismus, so endet der historische Überblick, sei
eine Folge „der russischen Leidens- und Mitleidenslehre". 7 2 Liebe und Ehre
seien „im Willenhaften wurzelnde W e r t e " so wie „seelische Wesenheiten".
U m diese sei „rassisch bedingt" 7 3 seit zweitausend Jahren in Europa gerungen
worden. Für die nordische Rasse sind die „Ehre und die Idee der mit ihr un-
trennbar verbundenen, aus dem Bewußtsein der inneren Freiheit stammen-
den Pflicht" 7 4 die höchsten Werte. O h n e „den Eingriff des bewaffneten rö-
misch-syrischen Christentums" wäre die „Natursymbolik" der Germanen „ei-
nem neuen sittlich-metaphysischen System, einer neuen Glaubensform gewi-
chen". Die Ursache für den langandauernden Erfolg des Christentums ist für
Rosenberg rassenpsychologischer Natur. N e b e n „der früheren technischen
Überlegenheit des alten, erfahrenen Südens" sei dafür, gerade in der religiö-
sen Krise der Germanen, der „Anruf der germanischen Großherzigkeit" ver-
antwortlich gewesen. Das Zentrum der christlichen Botschaft, die Liebe, be-
handelt Rosenberg nicht. Ihn interessiert die frohe Botschaft, die Liebe Got-
tes zu den Menschen, genausowenig wie der Konflikt zwischen amor dei und
amor sui. Das Christentum habe anstelle der E h r e „die Liebe im Sinne von
D e m u t , Barmherzigkeit, Unterwürfigkeit und Askese" als höchsten Wert pro-
klamiert. Mit „dieser alle Geschöpfe der Welt gleichmäßig umfassenden Lie-
beslehre" sei „ein empfindlicher Schlag gegen die Seele des nordischen E u r o -
pas geführt worden". ' Rosenberg lehnt die Liebe als höchsten Wert nicht nur
ab, weil der Universalismus des Liebesgebotes der Rasse schade. Für Rosen-
berg, der stets Universalismus und Individualismus bekämpft, richtet sich Lie-
be nur an das Individuum. 7 6 Liebe enthalte „kein wirklich starkes volk- oder
staatenbildendes Element". Außerdem habe noch niemand „im Ernst die O p -

Ebd., S. 145, 217.


Ebd., S. 206.
Ebd., S. 146.
Ebd., S. 147.
Ebd., S. 155.
„Liebe und Mitleid — selbst wenn sie ,die ganze Welt' zu umfassen vorgeben — richten sich
doch stets an das einzelne liebende und leidende Wesen [...]. Die Liebe zum Nächsten oder
zum Fernsten kann Taten höchster Opferwilligkeit zeugen, ist aber gleichfalls eine auf das
Einzelhafte bezogene seelische Kraft", ebd., S. 150.
214 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

ferung eines ganzen Staates, eines ganzes Volkes"^7 wegen des Wertes der
Liebe gefordert. Allerdings wolle die Kirche sich selbst nicht an den Wert der
Liebe binden. 78 Die Kirche konnte „Machtpolitik mit Hilfe der Liebe trei-
ben", indem sie die Idee der Ehre in „Demut" und „liebevolle Hingabe" um-
gewandelt habe. Dasselbe gelte für „die freimaurerische Humanität". 79 Vor
allem aber für den Marxismus.80 Trotz aller Kritik an Humanismus, Liberalis-
mus und Marxismus versucht Rosenberg in diesem Kapitel hauptsächlich, die
römisch-katholische Kirche zu demaskieren. Dazu führt er nicht nur die
Geldgier der Päpste, Bischöfe und Mönche 81 , sondern auch den prinzipiellen
„Zauberglauben" 82 der römisch-katholischen Kirche ins Feld: Die römisch-
katholische Religion sei die wissenschaftsfeindliche „Weltanschauung des
Medizinmannes". 83
Jesus Christus, wie bereits erwähnt nach Rosenberg kein Jude, indes wird
nicht angetastet. Rosenberg polemisiert vornehmlich gegen das „römische
Christentum", das Jesus Christus zugunsten der Priesterherrschaft ausge-
schaltet habe 84 , er feiert Luther als den „Retter des Abendlandes" 85 , um dann
am Schluß des Kapitels die Umwertung der Werte beider Kirchen „im Sinne
eines germanischen Christentums" 86 zu fordern. Die Zeit sei dafür reif, das
„alte syrisch-jüdisch-ostische Kirchentum entthront sich selbst", der „alte

77
Ebd.
8
„Selbst die Organisation der .Religion der Liebe' ist ohne Liebe aufgebaut gewesen. Und
zwar liebloser als andere typenschaffende Mächte", ebd. S. 156; „Die Kirche selbst, als
Zuchtform, konnte und durfte keine Liebe kennen, um sich als typenbildende Kraft zu er-
halten und weiter durchzusetzen", ebd., S. 159.
79
Ebd., S. 206.
80
„In kluger Weise wird hier die seelische Opferfähigkeit des Proletariats angerufen, um die-
ses seinen Führern gegenüber innerlich abhängig zu machen. Wir sehen hier im Marxismus
die Idee des Opfers und der ,Liebe' die gleiche Rolle spielen, wie im römischen System",
ebd., S. 204.
81 Vgl. ebd., S. 170 ff.
82
Ebd., S. 172 f.
85
„Den Versuch schildern, die zauberhaft-dämonische Weltauffassung des Medizinmannes
weltpolitisch durchzusetzen, heißt römische Dogmen- und Kirchengeschichte schreiben",
ebd., S. 173 f.; „Die letzten Folgerungen aus dem römischen System hat der Jesuitismus ge-
zogen. Den Schlußstein in dem Bau der Medizinmannphilosophie schuf das Vatikanische
Konzil. Hier wurde der Medizinmann für die Zeit der Ausübung seines Amtes zum Gott,
zum unfehlbaren Gott erklärt. Jesus ist jetzt, streng genommen, nicht mehr in Stellvertre-
tung, sondern abgesetzt", ebd., S. 175.
84
„Bezeichnend ist für das römische Christentum, daß es die Persönlichkeit des Stifters nach
Möglichkeit ausschaltet, um den kirchlichen Aufbau einer Priesterschaft an ihre Stelle zu
setzen", ebd., S. 160.
85
„Durch die Gesamtheit der antirömischen Bewegungen wurde Europa gerettet und der
größte Retter des Abendlandes ist Martin Luther deshalb, weil er das Wesen bekämpfte, aus
dem sich die skizzierten Zustände als notwendige Ergebnisse ergaben: das zaubergewaltige
Priestertum Roms als Fortsetzung der Priestergesellschaften Vorder- und Mittelasiens",
ebd., S. 185; vgl. ebd., S. 183.
86
Ebd., S. 215.
Volk und Rasse 215

Nationalismus ist tot", und der „alte Sozialismus verfault am lebendigen Lei-
b e " . 8 7 Denn, so leitet Rosenberg zum Kapitel „Mystik und T a t " über, die
„nordische Seele beginnt von ihrem Zentrum - dem Ehrbewußtsein - heraus
wieder zu wirken" und eine „neue Zeit deutscher Mystik ist angebrochen". 8 8
In einer Zeit der „Weltrevolution" 8 9 erwachen der „Mythus des Blutes" und
der „Mythus der freien Seele" zu einem „neuen bewußten Leben". 9 0 Die Wir-
kung der Seele ist mithin vom Bewußtsein von der freien Seele abhängig.

dd. Mythus und Mystik

Rosenberg glaubt zum Bewußtseinsprozeß beizutragen, indem er die Mystik


als Erzeugnis der nordischen Seele aus- und umdeutet. Rosenberg meint nicht
irgendeine Mystik, sondern die des Dominikaners Meister Eckhart, den er
„ E c k e h a r t " schreibt:
In Meister Eckehart kam die nordische Seele zum erstenmal ganz zum Bewußtsein
ihrer selbst. In seiner Persönlichkeit liegen alle unsere späteren Großen gebettet.
Aus seiner großen Seele kam - und wird — einmal der deutsche Glaube geboren
werden.91
Die sechzig Seiten über den Dominikaner stellen den Angelpunkt der politi-
schen Religion Rosenbergs dar. Auf seine Ausführungen dazu wird daher im
nächsten Kapitel gründlich einzugehen sein. Hier nur so viel: Während Ro-
senberg den oft herbeigerufenen Kant nur paraphrasiert, wird der Mystiker
häufig zitiert. Selbstverständlich nimmt Rosenberg die Mystik Meister Eck-
harts nur selektiv wahr, er zitiert aus den im einschlägigen Eugen Diederichs-
Verlag von H e r m a n n Büttner herausgegebenen Schriften und Predigten. 9 2
Eine besondere Übereinstimmung zwischen dem Rasseideologen und dem
Mystiker besteht in der Milderung der Spannung von Jenseits und Diesseits.
Rosenberg überträgt die in sprachlichen Symbolen artikulierte Erfahrung der
Vereinigung mit G o t t auf das Blut und die Seele eines imaginierten Kollek-
tivs, nämlich die nordisch-arische Rasse, und gewinnt so deren maßgebendes
Prädikat oder — in der Sprache Rosenbergs — ihr Wesen.
In den weiteren zwei Büchern des „Mythus" werden die prinzipiellen Spe-
kulationen ergänzt und konkretisiert.

8
" Ebd.
88
Ebd., S. 216.
' „Es bricht also heute eine ganze Welt zusammen. Das Ergebnis des Weltkrieges bedeutet
eine Weltrevolution", ebd.
90
Ebd.
91
Ebd., S. 258 f.
9_
Vgl. Hermann Büttner (Hrsg.), Meister Eckharts Schriften und Predigten. 2 Bde., Leipzig
1903 [Während Rosenberg die Schreibweise „Eckehart" gebraucht, bevorzuge ich, um die
Distanz zwischen Rosenberg und Büttner zu markieren, „Eckhart", C.-E. B.].
216 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

ee. Der Zusammenhang zwischen Kunst und Religion


Das zweite Buch über „Das Wesen der germanischen Kunst" umfaßt 176 Sei-
ten und ist in vier Kapitel mit den bezeichnenden Titeln „Das rassische
Schönheitsideal", „Wille und Trieb", „Persönlichkeits- und Sachlichkeitsstil"
sowie „Der ästhetische Wille" eingeteilt. Für Rosenberg ist Kunst Religion,
weshalb er dem ganzen Buch die Auffassung Wagners - „Das Kunstwerk ist
die lebendig dargestellte Religion" - als Motto voranstellt. Kunst und Reli-
gion sind das Resultat der seelischen Qualität von Rasse.93 So wird im Urteil
über Richard Wagner nicht nur der Ursachen- und Wirkungszusammenhang
zwischen Rassenseele und Einzelseele deutlich, sondern auch Rosenbergs
Rückschluß von der Geniereligion auf die Prädikate der nordischen Seele. Für
Rosenberg kommt „in Richard Wagner" — somit nicht primär in seinem Werk,
sondern in seiner Persönlichkeit — das Wesen der abendländischen Kunst und
der nordischen Seele zugleich, nämlich die Übereinstimmung zwischen Kos-
mos und Einzelwille, zum Ausdruck.94
Rosenberg setzt sich gründlich mit den ästhetischen Theorien des 19. Jahr-
hunderts auseinander. Er thematisiert das Schöne 95 und das Erhabene. 96 Vor
allem aber entwickelt er eine auf den Willen ausgerichtete Auffassung von
Kunst. Dabei orientiert er sich nicht an Wagner, auch nicht an Nietzsche, der
zwar wohlwollend97, aber selten erwähnt wird98, dessen Wille ihm aber zu ge-
brochen war.99 Rosenberg folgt den Spuren des Meisters beider Propheten,
nämlich Schopenhauer, ausführlich und recht ordentlich. Rosenbergs Be-
schäftigung mit Schopenhauer geht angeblich auf das Jahr 1918 zurück. Im
„Mythus" widmet Rosenberg Schopenhauer ein ganzes Kapitel mit dem signi-
fikanten Titel „Wille und Trieb". Er bekennt, daß die Umdeutung von Scho-
penhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung" grundlegend für
seine ganze Weltanschauung sei, wie jede „Tat" wesentlich „entladener Wil-
le" sei , so sei Kunst die „Dynamik" der „Willensentladung". lfn Schopen-

93
„Auf dem Gebiete der Kunst erleben wir die Parallelerscheinung zu den religiös weltan-
schaulichen Entwicklungen. Ein rassisch-seelischer Impuls schafft Werke genial unbefan-
gener Art, ergreift kindlichgroß seine gegenwärtige Umgebung, alte überkommene For-
men, ändert selbstherrlich ihre Kraftlinien", Alfred Rosenberg, Mythus, S. 319.
94
Vgl. ebd., S. 433.
95
Vgl. ebd., S. 277 ff.
96
Vgl. ebd., S. 419 ff.
97
Vgl. ebd., S. 530.
98
Vgl. ebd., S. 37, 424, 530, 691 f.
9
„Seine wilde Predigt vom Übermenschen war eine gewaltsame Vergrößerung des unter
jochten, vom stofflichen Druck der Zeit gedrosselten Eigenlebens [...]. Daß ein Nietzsche
verrückt wurde, ist ein Gleichnis. Ein ungeheuer gestauter Wille brach sich zwar Bahn wie
eine Sturzflut, aber der gleiche innerlich schon lange vorher gebrochene Wille konnte die
Gestaltung nicht mehr erzwingen [...]. An das Banner Nietzsches reihten sich dann die ro-
ten Standarten und die marxistischen nomadischen Wanderprediger", ebd., S. 530.
100 Ebd., S. 316 f.
toi „So war die Kunst Rembrandts, Leonardos, Michelangelos geartet. Dynamik aber ist stets
Willensentladung. Auch in der Kunst", ebd., S. 345.
Volk und Rasse 217

hauer, darin besteht Rosenbergs Umdeutung, habe zwar die Verneinung des
Willens zum Leben gelehrt, aber „er meint die Verneinung des Triebes und
die Bejahung des Willens". 1 0 2 Rosenberg will, entsprechend der Mystik von
der freien Seele, daß der Wille frei werde, indem er dem Trieb entgegenge-
setzt wird. 1 0 1 Schopenhauer habe verkannt, daß der Wille o h n e „die ideenbil-
dende Vernunft" nur „tierischer T r i e b " sei, ein „unschöpferisches, niederzie-
hendes Prinzip". Dies sei tragisch, aber wegen des Kampfes sei auch „Arthur
Schopenhauer - unser". 1 Im K a m p f gegen den Trieb und die „Materie" legt
Rosenberg das Modell der Persönlichkeit und des Künstlers zugleich fest.
„Persönlichkeit" sei stets ein „Gegensatz zum Stoff, ein angreifend tätiges
und unermüdliches Bestreben, den Stoff zum Gleichnis für innerstes Wollen
und künstlerische Formkräfte umzugestalten". 1 0 5 Wie die Gotik „die erste
steinerne Verkörperung der dynamisch-abendländischen Seele" sei, so ist für
Rosenberg nur das schön, was sozusagen telekinetisch durch den Stoff hin-
durch Willen ausstrahlt. Man muß selbstverständlich diese Ausführungen als
einen Versuch begreifen, kollektive Identität zu erträumen. Auch liegt es
nahe, die Ausführungen über die Kunst wie auch die über Liebe und Ehre
unter dem Gesichtspunkt psychosozialer Motive zu interpretieren. Hier soll
es genügen, das zu zitieren, was für Rosenberg schön ist:

Als ,schön' kann dann neben dem nordischen Rassenideal für uns nur die durch die
Stofflichkeit hindurchdrängende innere Ausstrahlung eines bedeutenden Willens
gelten.106
An2umerken bleibt noch, daß Rosenberg die moderne Kunst verflucht, weil
deren Urheber angeblich die Juden sind. 107 D e n Übergang zum nächsten
Buch findet er damit, daß noch kein Dichter den Weltkrieg als „Geburts-
stunde" der „seelischen Wiedergeburt" 108 gestaltet habe.

102
Ebd., S. 337.
103
,Der Wille muß in seiner alten Reinheit, als ein dem egoistischen Trieb entgegenwirkendes
^rinzip aus dem Reiche der Freiheit, wie Kant und Fichte es meinten, aufgefaßt werden,
vill man sich eine Grundlage für nordisches Lebensgefühl wieder freimachen", ebd., S.
543; vgl. auch S. 344.
104
Ebd., S. 342.
105 Ebd., S. 352.
106 Ebd., S. 348.
in" Vgl. ebd., S. 414,447 f.
108
Ebd., S. 450.
218 Z u r P h ä n o m e n o l o g i e der nationalsozialistischen Weltanschauung

ff. Mythus und Typus

„Die Wiedergeburt des V o l k e s " ist der T e n o r des letzten, 250 Seiten umfas-
senden Buches über „ D a s k o m m e n d e Reich". Macht und Heil des Volkes
sind das T h e m a des M o t t o s 1 0 9 und des allerletzten Satzes. 110
Das Buch ist in sieben Kapitel eingeteilt: „Mythus und Typus", „Der Staat
und die Geschlechter", „Volk und Staat", „Das nordisch-deutsche Recht",
„ D e u t s c h e Volkskirche und Schule", „Ein neues Staatensystem" und „Die
Einheit des Wesens". Im ersten Kapitel „Mythus und T y p u s " werden noch
einmal prinzipielle Erwägungen wiederholt. D e r neue Mensch ist das zentrale
T h e m a , es k o m m t nach Rosenberg darauf an, einen „neuen Lebensmythus"
und einen „neuen Menschentypus" 1 1 1 zu schaffen. O h n e Feind - gemeint ist
selbstverständlich „der J u d e " — k o m m t Rosenberg auch hier nicht aus. Der
gesamten O r d n u n g der Welt drohe Gefahr durch den „Mythus" der „Gegen-
rasse". 1 1 2 Auf den „jüdischen M y t h u s " der „Weltherrschaft" ist selbstver-
ständlich z u r ü c k z u k o m m e n .

gg. Staat, Geschlechter, Volk, Nationalismus, Sozialismus, Recht

Die „Aufgabe zur Zeit", einen neuen Tvpus zu schaffen, verlangt darauf ein-
zugehen, w o alles Leben anfängt, nämlich auf die Geschlechterfrage. Dieses
Kapitel ist in der konsequenten A n w e n d u n g des polaren Prinzips ein Muster-
beispiel für den Geschlechterdualismus und für die Diskriminierung der Frau
im Nationalsozialismus. Es überrascht nicht, daß für Rosenberg „heute in der
Predigt von der Reinerhaltung der Rasse die heiligste und größte Aufgabe der
Frau" 1 1 3 liegt. Rosenberg fordert die „Emanzipation der Frau von der Frau-
enemanzipation" 1 1 4 , und dementsprechend kann die Verwirklichung des neu-
en Reiches nur die „Aufgabe des Mannes, eines Männerbundes sein". 1 1 5
Am E n d e des Kapitels über „Staat und Geschlechter" sieht sich Rosenberg
genötigt, den Typus „ M a n n " zu beschreiben, der den Beginn und die Dauer
des k o m m e n d e n Reiches garantiert. E r erwägt, o b Jesus, Alexander, Napole-
on, G o e t h e , Bismarck oder Moltke dafür in Frage kommen. Er entscheidet

109
„In der ganzen Lebensgeschichte eines Volkes ist sein heiligster Augenblick, wo es aus sei
ner Ohnmacht erwacht Ein Volk, das mit Lust und Liebe die Ewigkeit seines Volks
tums auffaßt, kann zu allen Zeiten sein Wiedergeburtsfest und seine Auferstehung feiern
Friedrich Ludwig Jahn", ebd., S. 451.
110
„Und die heilige Stunde des Deutschen wird dann eintreten, wenn das Symbol des Erwa-
chens, die Fahne mit dem Zeichen des aufsteigenden Lebens das allein herrschende Be
kenntnis des Reiches geworden ist", ebd., S. 701.
111
Ebd., S. 2; vgl. S. 453 ff.
112
Ebd., S. 462.
113
Ebd., S. 511.
114
Ebd., S. 512.
115
Ebd., S. 513.
Volk u n d Rasse 219

sich für den Typus Moltke.116 Das preußische Prinzip, den Untergebenen fest
umrissene Aufträge zu erteilen und ihnen die Durchführung frei zu überlas-
sen, findet — überraschenderweise — Rosenbergs Bewunderung. 117 Aber am
Beginn des kommenden Reiches wird der „Moltke-Typ" für den „zu formen-
den Männerbund — nennen wir ihn Deutschen Orden — nicht stark in den
Vordergrund treten". 118 Am Anfang wird das Wort, die „Predigten der Lu-
ther-Naturen", der „lutherhafte Führer" sein. Aber er könne dem Reich nur
Dauer verleihen, wenn er die Grundsätze Moltkes auf die Politik übertrage. 119
Hier ist nicht die Abweichung vom Moltke-Typus von Interesse, sondern das
von Rosenberg am Ende des Kapitels über „Staat und Geschlechter" entwor-
fene Programm der „Typenzüchtung" des neuen Deutschen. 120
In den Kapiteln „Volk und Staat" 121 sowie „Das nordisch-deutsche
Recht" 122 behandelt Rosenberg endlich, aber auch nicht gerade umfangreich
oder gründlich, Sachverhalte, die gemeinhin Gegenstand politischer Debat-
ten, aber auch dann nur meist ideologischer Provenienz sind: „Jakobinismus",
„Marxismus", „Dynastismus", „Legitimismus", „Universalismus", „Indivi-
dualismus", „Liberalismus", „Plutokratie" und „Wirtschaftsindividualismus"
werden mehr oder weniger genau beschrieben, aber entschieden — unter Ver-
weis auf die dahinterstehende römische oder jüdische Macht — verurteilt.
Heutzutage dürfte interessieren, daß Rosenberg eine Art ökologisches Pro-
gramm entwickelt und begründet. Rosenberg, der weder ein Feind der Wis-

„Der Schöpfer des Großen Generalstabes ist die stärkste typenbildende Kraft seit Fried-
rich dem Großen", ebd., S. 518.
„Der direkte Untergebene war verpflichtet, seine Anschauungen, begründet, mit aller
Schärfe zu vertreten, sie bei gegenteiligem Befehl sogar zu Protokoll zu geben. Dieser
Grundsatz, von oben bis unter durchgeführt, gefördert durch Bestimmung, die sämtlich
darauf hinausliefen, den deutschen Soldaten - trotz schärfster Disziplin — zum selbständig
denkenden und entschlossen handelnden Menschen und Kämpfer zu erziehen, war das
deutsche Geheimnis der Erfolge im Weltkrieg", ebd., S. 518.
Ebd., S. 520.
119 „Um inmitten des heutigen chaotischen Durcheinanders die Seelen emporzureißen, dazu
bedarf es Predigten der Luther-Naturen, die hypnotisieren, und Schriftsteller, welche die
Herzen bewußt ummagnetisieren. Der lutherhafte Führer zum kommenden Reiche aber
muß sich im klaren darüber sein, daß er dem Bismarcksystem nach dem Siege unbedingt
entsagen und die Moltkeschen Grundsätze auch auf die Politik übertragen muß, wenn er
nicht nur sich verwirklichen, sondern auch über seinen Tod hinaus ein dauerhaftes, auf
einen Höchstwert eingeschworenes Reich schaffen möchte", ebd., S. 520 f.
„Der Fritzische Ehrbegriff, Moltkes Zuchtmethode und Bismarckscher heiliger Wille, das
sind die drei Kräfte, die in verschiedenen Persönlichkeiten in verschiedener Mischung ver-
körpert alle nur einem dienen: der Ehre der deutschen Nation. Sie ist der Mythus, der den
Typus der Deutschen der Zukunft bestimmen muß. Hat man das erkannt, so wird man
aber bereits in der Gegenwart beginnen, ihn zu formen", ebd., S. 521 f.
121 Ebd., S. 523-562.
122
Ebd., S. 563-598.
220 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

senschaft 1 2 3 noch ein Feind der Technik w a r ' 2 4 entfaltet seine Kritik an der
urbanen Zivilisation der Neuzeit gemäß seiner T r e n n u n g von innerer Freiheit
und Natur. 1 2 5 Das falsche Freiheitsverständnis des 19. Jahrhunderts habe zu
dem untauglichen Versuch geführt, die Natur der Willkür des Menschen aus-
zusetzen. 1 2 6 Die „unerbittliche N a t u r " werde sich „bis zur k o m m e n d e n Kata-
strophe" rächen, „bei der die sogenannte Weltwirtschaft mitsamt ihrem
künstlichen, naturwidrigen Unterbau einem Weltuntergang vergleichbar zu-
sammenstürzen wird". 1 2 7 Deshalb fordert Rosenberg nicht nur im K a m p f um
mehr „Lebensraum" ein Leben mit „Schwert und Pflug für E h r e und Frei-
heit" 1 2 8 , sondern kritisiert die am Automobil orientierte „Verkehrsleichtig-
keit" der „Weltstädte" 1 2 9 und zieht darüber hinaus noch die Konsequenz, das
Recht auf Freizügigkeit zum Zwecke der Verhinderung zu großer Städte ein-
zuschränken. 1 3 0
D e r Schwerpunkt des Kapitels liegt in der B e s t i m m u n g des Verhältnisses
von Volk und Staat, Volk und Nation, Volk und Sozialismus sowie Volk und
einzelnem. Mit wenigen Zitaten kann der V o r r a n g des Volkes, dessen Sub-
stanz selbstverständlich die Rassenseele ist, im Denken des „Haupt-
schriftleiters" des „Völkischen Beobachters" belegt werden. Oft wird die
These vertreten, die absolute Anerkennung des Staates sei ein wesentliches
Element der nationalsozialistischen Ideologie. Aber für Rosenberg, ebenso
wie für Hitler, steht das Volk nicht nur über d e m einzelnen, sondern auch
über dem Staat. Rosenberg denkt das Volk in der holistisch-romantischen
Tradition, wonach „das Volk als ein Organismus zu erfassen" ist und die
„Ganzheit Nation der Maßstab für das Individuum und kleine Kollektive ein-
schränkende Handlungen ist". 131 Rosenberg stellt „Volk und Rasse höher als

1M
„Alles, was wir heute ganz abstrakt Wissenschaft nennen, ist ein Ergebnis der germani-
schen Schöpferkräfte", ebd., S. 120.
124
„Wer heute blindwütig über ,die Technik' zetert und auf sie Verwünschungen über Ver-
wünschungen häuft, der vergißt, daß ihr Hervortreten auf einen ewigen germanischen An-
trieb zurückgeht, der dann auch mit ihrem Untergang ebenfalls verschwinden müßte [...].
Nicht ,die Technik' tötet heute alles Vitale, sondern der Mensch ist entartet", ebd., S.
142 f.
125
„Die Idee der Ehre ist von der Idee der Freiheit unzertrennlich. Mag man der Fassung die-
ser Idee in noch so verschiedener Abart begegnen, so besteht die metaphysisch tiefste
zweifellos in dem deutschen Bekenntnis von Eckehart, Luther, Goethe bis zu H. St. Cham-
berlain, der sie unserer Zeit so lichtvoll gedeutet hat: in dem Eingeständnis der Parallelität
von Naturgesetzlichkeit und Freiheit, zusammengefaßt im menschlichen Einzelwesen,
ohne daß sich dieses Rätsel weiter lösen ließe", ebd., S. 532.
126
„Dieses Hinübergreifen der .Freiheit' in organische Prozesse zeitigte notwendig eine Na
turentfremdung, abstrakt-schematische, wirtschaftliche und politische Lehren, die nicht
mehr hinhorchten auf die Gesetze der Natur, sondern dem Vereinzelungstriebe des Indi-
viduums folgten", ebd., S. 532.
127
Ebd., S. 532 f.
128 Ebd., S. 534.
Ebd., S. 555.
130 Vgl. ebd., S. 552.
131 Ebd., S. 536.
Volk und Rasse 221

d e n jeweiligen Staat und seine Formen". 1 3 2 Volk ist Wert und Ziel schlecht
hin, Staat, Kirche, Recht und K u n s t sind nur Mittel zur Erhaltung des Vol
kes. 1 3 3 Aus der Kontinuität v o n Volk, im Gegensatz zu Staatsgesetzen und
Staatsformen, zieht Rosenberg den Schluß, Volk und Nation identifizierend,
der N a t i o n habe sich alles zu unterwerfen. 1 3 4 Weil der „Volkheit Autorität"
h ö h e r stehe als die Autorität des Staates, sind Staatsformen und Staatsrecht
P r o b l e m e der Zweckmäßigkeit, ist „ein unbedingter Legitimismus genauso
unvölkisch wie das alte Staatsrecht". Die „Frage der Monarchie" ist eine
„Zweckmäßigkeitsfrage", und die „Republik wird völkisch werden müssen
oder verschwinden". 1 3 5
R o s e n b e r g behandelt den „Begriff des Sozialismus" und den Sozialismus
im Sinne v o n Nationalsozialismus äußerst knapp. Allgemein, so meint er, sei
Sozialismus „eine A n s c h a u u n g , welche die Unterordnung des einzelnen unter
den Willen eines Kollektivs fordert, heiße dies nun Klasse, Kirche, Staat oder
Volk". 1 3 6 Damit aber werde „der wesentliche Inhalt des Wortes vollkommen
beiseite geschoben". 1 3 7 Aus der Definiüon der sozialen Tätigkeit leitet Rosen
berg n u n m e h r die B e d e u t u n g des Sozialismus in seinem Sinne ab:

Bedeutet soziale Tätigkeit ein privates Unternehmen zum Zwecke der Rettung des
einzelnen vor seelischem und materiellem Zusammenbruch, so bedeutet Sozialis
mus die von einem Kollektiv durchgeführte Sicherung des Einzelwesens bzw. gan
zer Gemeinschaften vor jeglicher Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte.138

Rosenberg versichert, daß nicht „jede Beugung des Individuums unter das
G e b o t eines Kollektivs" und auch „nicht jede Vergesellschaftung, Verstaatli
chung" Sozialismus sei. D e r „Marxismus" bedeutet „überhaupt keine Ände
rung der Verhältnisse, sondern nur einen Weltkapitalismus mit anderen Vor
zeichen. Weshalb der Marxismus überall mit der demokratischen Plutokratie
marschiert, die sich dann aber stets als stärker als er selbst erweist". 1 3 9 Woran
meint Rosenberg nun erkennen zu können, was Sozialismus sei? Er führt aus,
das ergebe sich aus der Folge einer Maßnahme, und dafür wiederum sei „das
Wesen der G a n z h e i t " maßgebend:

132
Ebd., S. 548.
™ „Der Staat ist uns heute kein selbständiger Götze mehr, vor dem alle im Staube zu liegen
hätten; der Staat ist nicht einmal ein Zweck, sondern er ist auch nur ein Mittel zur Volks
erhaltung. Ein Mittel unter anderen, wie es Kirche, Recht, Kunst und Wissenschaft ebenso
sein sollten", ebd., S. 526.
131
„Staatformen ändern sich und Staatsgesetze vergehen, das Volk bleibt. Daraus folgt allein
schon, daß die Nation das Erste und Letzte ist, dem sich alles andere zu unterwerfen hat",
ebd.
135
Ebd., S. 527.
136
Ebd., S. 534.
13
" Ebd.
131
Ebd.
l
* Ebd., S. 534 f.
222 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Ob eine Maßnahme sozialistisch ist, kann sich also nur aus ihrer Folge ergeben, sei
jene nun vorbeugender Art oder bereits vorliegende Tatsachen ändernd. Maßge-
bend für diese Folge ist dabei das Wesen der Ganzheit (des Kollektivs), in deren
Namen die Durchführung einer das Individuum einschränkenden, gesellschaftlich-
wirtschaftlichen Anweisung erfolgt."°

Aus der Auffassung vom „Volk" als „Organismus" und der „ G a n z h e i t " von
Nation zieht Rosenberg den Schluß, „Nationalismus" sei „Sozialismus":
Es ergibt sich also nicht Kampf, sondern Gleichung zwischen echtem Nationalis-
mus und echtem Sozialismus, eine begründete Zusammenschau, die Deutschland
Hitler verdankt. 141

Den Übergang zu dem Kapitel über das „nordisch-deutsche R e c h t " gestaltet


Rosenberg mit einer auf die Nation bezogenen Anweisung zu einem seligen
und ewigen Leben. Der Schlußsatz des Kapitels über „Volk und Staat" lautet:
Pflicht und Aufgabe eines jeden ist es, die neugestellten Aufgaben der Nation im-
mer wieder von neuem zu erfassen, ihnen in Ehrfurcht zu dienen und dieses Leben
ist in Wahrheit die ewige Seligkeit.

Die Doktrin der Typenbildung des neuen Menschen veranlaßt Rosenberg, die
Grundzüge des neuen Rechts zu behandeln. 1 4 3 Die „Verfälschung der nor-
disch ehrbewußten Rechtsidee durch römisch-syrische Einflüsse" ist für Ro-
senberg „eine der tiefsten Ursachen auch unserer heutigen sozialen Zerrissen-
heit". 1 4 4 Im Ergebnis lehnt er die „formal-juristische" Beurteilung des Wirt-
schaftsrechts zugunsten des „nordisch-germanischen E h r b e w u ß t s e i n s " ab.
Der formalen Seite des römischen Besitzrechtes stellt er eine durch den Wert
der Arbeit gerechtfertigte Auffassung von Eigentum und Besitz gegenüber:
Im wahren, echten Sinne ist Besitz (im Sinne von Eigentum) gar nichts anderes als
geronnene Arbeit. Denn jede wirklich schöpferische Arbeitsleistung, gleich auf
welchem Gebiete, ist nichts weiter als Besitzbildung.145
Berechtigtes Eigentum ergebe sich aus der Relation von Privateigentum und
Gesamtheit. 1 4 6 Rosenberg lehnt das Streikrecht und die Aussperrung 1 4 7 sowie

140
Ebd., S. 535.
141
Ebd., S. 536.
142
Ebd., S. 562.
143
„In der Handhabung eines Rechtsgedanken liegt vielleicht die stärkste typenbildende, aber
auch typenzerstörende Kraft", ebd., S. 566.
144
Ebd., S. 563.
145
Ebd., S. 583.
146
„Wenn das römische Recht nur auf die formale Seite des Besitzes pochte, diesen Besitz
gleichsam als Sache für sich aus allen Beziehungen heraushob, so kennt die germanische
Rechtsauffassung diesen Standpunkt überhaupt nicht, sondern kennt und anerkennt nur
Beziehungen. Beziehungen pflichtgemäßer Art zwischen dem Privateigentum und der Ge-
samtheit, welche dem Charakter des Besitzes überhaupt erst den Sinn des berechtigten Ei-
gentums geben", ebd., S. 587.
147
Vgl. ebd., S. 585 f.
Volk und Rasse 223

die ungleiche Behandlung unehelicher Kinder im Familienrecht ab. 1 4 8 D a ß


das E h e r e c h t die „Grundlage für das Entstehen eines neuen Adels" 1 4 9 be-
rücksichtigen müsse, hängt selbstverständlich mit der ideologischen Funda-
mentalspekulation zusammen. Das „Recht", die „Politik" seien keine „abso-
lute Wesenheiten", sondern das Recht sei „für ewig an ein gewisses Blut ge-
knüpft", mit „dem es erscheint und mit dem es vergeht". 1 5 0 Dies gelte, o b -
wohl die Einheit und Reinheit der Rasse in Deutschland nicht allseitig sei. 151
Dies bedeute keinen „Rassenhaß", sondern, hiermit wird das Thema der kol-
lektiven Identität resp. Kohärenz der Gesellschaft schlicht formuliert, „das
bewußte Anerkennen eines blutvollen Bindemittels innerhalb unseres Volks-
tums". 1 : > 2 Weil nun „viele Kräfte darauf bewußt hinarbeiten", daß „das nordi-
sche Blut restlos versiegen" solle, fordert Rosenberg eine der Wiedergeburt
des deutschen Volkes und der Konstitution kollektiver Identität entsprechen-
de Rechtspolitik, deren Prinzipien „Rassenschutz, Rassenzucht und Rassen-
hygiene" 1 5 3 sind.

hh. Die neue Religion, die neue „Deutsche Volkskirche" und die Erziehung

Mit dem Kapitel „Deutsche Volkskirche und Schule" 1 5 4 verfolgt Rosenberg


den Plan, die Bedingungen für eine künftige deutsche Volkskirche bzw. Na-
tionalkirche aufzuzeigen, weshalb es eine Fülle von Belegen für die Art der
politischen Religion Rosenbergs, auf die noch eingegangen wird, enthält. Ro-
senberg wiederholt seine Auffassungen über das Verhältnis von Wissenschaft
und Religion sowie seine Bewertung der D o g m e n der christlichen Kirchen. In
seinen Ausführungen über neue Schulen akzentuiert er den Wert der Rassen-
geschichte und hebt die Bedeutung des Genies für die Charakterbildung her-
vor. Die Kritik am wissenschaftsfeindlichen Rom und an der Orientierung
der Protestanten am Alten Testament gehen nicht so weit, Jesus Christus
selbst anzugreifen. Rosenberg fordert in Ablehnung der Lehren des Apostels
Paulus und zwecks Reinigung des Neuen Testamentes vom Aberglauben ein

148
Vgl. ebd., S. 595 f.
149
Ebd., S. 596.
150
Ebd., S. 572.
151
„Kein Volk Europas ist rassisch einheitlich, auch Deutschland nicht [...] Nordisches Blut
gestaltete vor allem anderen auch deutsches Leben. Selbst jene Kreise, in denen es heute
in Reinheit nur geringe Bestandteile aufweist, haben von ihm ihren Grundstock", ebd., S.
576.
152
Ebd., S. 576 f.
„Will eine deutsche Erneuerung die Werte unserer Seele im Leben verwirklichen, so muß
sie auch die körperlichen Voraussetzungen dieser Werte erhalten und stärken. Rassen-
schutz, Rassenzucht und Rassenhygiene sind also die unerläßlichen Forderungen einer
neuen Zeit. Rassenzucht bedeutet aber im Sinn unseres tiefsten Suchens vor allem den
Schutz der nordischen Rassenbestandteile unseres Volkes. Ein deutscher Staat hat als die
erste Pflicht Gesetze zu schaffen, die dieser Grundforderung entsprechen", ebd., S. 577.
154
Ebd., S. 599-636.
224 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

fünftes Evangelium. 1 5 5 Grundlage dafür sei nicht nur das Evangelium des J o -
hannes 1 5 6 , sondern eine Rekonstruktion des „von der jüdischen Überliefe-
rung" gereinigten „Urevangeliums des Markus". 1 5 7 „Richtig zu stellen" als
„unerläßliche Forderung der deutschen Erneuerungsbewegung" 1 5 8 sei auch
die Gestalt Jesu. Rosenberg ist so ernsthaft von der Bedeutung der Religion
überzeugt, daß er meint, die Bedingungen für die Institutionalisierung einer
neuen National- oder Volkskirche seien noch nicht vorhanden. 1 5 9 E r ist über-
haupt der Meinung, „absolute religiöse Genies, d. h. vollkommen eigengesetz-
liche Verkörperungen des Göttlichen in einem Menschen hat E u r o p a noch
nicht besessen". 1 6 0 In diesem Kontext stellt er fest, „daß uns ein echtes G e -
nie, das den Mythus offenbart und uns zum Typus erzieht, noch nicht ge-
schenkt worden ist". 161 Daher könne er nur „Vorarbeiten" leisten, u m „sich
im Dienst des Mythus der Nation durch Schaffung einer deutschen Volkskir-
che zu bemühen, bis ein zweiter Meister Eckehart einmal die Spannung löst
und diese Deutsche Seelengemeinschaft verkörpert, lebt, formt". 1 6 2

ii. Grundzüge der Außenpolitik

Das Kapitel „Ein neues Staatensystem" 1 6 3 ist für das Them a dieser Untersu-
chung nicht wichtig. Im Stile der traditionellen Völkerpsychologie beurteilt
Rosenberg nicht nur die Völker Europas, sondern der gesamten Welt. Wer
dabei schlecht oder sogar, „obwohl nicht der nordischen Rasse zugehörig",
mit Respekt beurteilt wird, soll hier nicht wiederholt werden. Rosenberg
nimmt Weltgeschichte als Rassengeschichte wahr, weshalb auch für Afrika
gelte: „Der Blutmythus ist auch hier erwacht, seine Kraft wird nach 50 Jahren
ungeheuer angeschwollen sein", er fügt hinzu: „Bis dahin hat der nordische
Mensch Vorsorge zu treffen, daß es in seinen Staaten keine Neger m e h r gibt,
keine Gelben, keine Mulatten und keine Juden. Diese Erkenntnis wirft das
Problem Amerikas auf." 164

155 Vgl. ebd., S. 602 f.


156 Vgl. ebd., S. 606.
157
Ebd., S. 607.
158
Ebd., S. 604.
159 „In keinem deutschen Lande ist ein religiöses Genie aufgetreten, um neben den bestehen-
den religiösen Typen uns einen neuen vorzuleben. Diese Tatsache ist entscheidend inso-
fern, als kein verantwortungsbewußter Deutscher die Forderung auf Verlassen der Kirchen
an jene richten darf, die noch gläubig an ihnen hängen", ebd., S. 599.
160
161
Ebd,, s.
Ebd.,
442.
601.
162
a
163
,s.
Ebd., 608.

IM
, s.
Ebd., 637-677.
Ebd.,s. 668.
Volk und Rasse 225

jj. „Die Einheit des Wesens": die Rassenseele und die zukünftige Identität
des deutschen Volkes

D a s letzte Kapitel des gesamten Werkes hat den für unser Erkenntnis-
interesse bezeichnenden Titel „Die Einheit des Wesens". 1 6 5 Hier werden die
spekulativen Grundzüge der Rassendoktrin zusammengefaßt und noch ein-
mal beispielhaft erläutert. Summa summarum hält Rosenberg die an anderer
Stelle eindringlich konstatierte „Polarität" 1 6 6 des Seins nicht aus. Es geht ihm
nicht nur um das „Einssein von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" 1 6 7
oder um die „Einheit von Mythus, Märchen, Sagen und Philosophie" 1 6 8 , son-
dern um die „Ganzheit" von „Rassenseele", „Volkstum", „Persönlichkeit" 1 6 9
und „Kulturkreis", damit das „ganze Volk" endlich „eins mit sich selbst" 1 7 0
werde.
Daß Rosenbergs „Mythus" das Werk eines Autodidakten ist, der die Toll-
kühnheit besitzt, unabhängig von der wissenschaftlich gelehrten Literatur
über beinahe die gesamte Religions-, Kunst- und Philosophiegeschichte zu
urteilen, und ob und wo er sich dabei irrt, sind hier nicht die zu diskutieren-
den Probleme. Indiziert ist damit aber, daß Rosenberg von dem Angelpunkt
seiner Rassendoktrin, der Tätigkeit der Rassenseele in ihm selbst, überzeugt
ist. Bedeutsam ist darüber hinaus, daß Rosenberg von der Evidenz seiner
Axiome ausgeht und, wie schon der Untertitel des Werkes anzeigt, auf „Wer-
tung" aus ist. Im Hinblick auf die politische Praxis und die spezifische Wirk-
lichkeit des Politischen ist relevant, daß Rosenberg das Ziel verfolgt, kollekti-
ve Identität herzustellen. Ein schrecklicher, aber allseits anerkannter Versuch,
dessen Mittel, allein, weil das so schön deutsch klingt - die „Wertung der see-
lisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit" - leider nicht von vornherein
untauglich ist. Bemerkenswert ist, daß das im Begriff der Identität enthaltene
„Selbst" bei Rosenberg nicht abstrakt bleibt, sondern daß dem Kollektiv kon-
krete Eigenschaften zugeordnet werden. Die Bestimmung der Identität wird
mit Hilfe einer Reihe von Qualitäten vorgenommen, die aus dem Reservoir
der abendländischen Kultur- und der deutschen Mentalitätsgeschichte ent-
n o m m e n werden. Damit trifft auf Rosenberg die populäre Kritik am Rassis-
mus, nämlich daß die Beschäftigung mit dem Feind, dem Fremden und dem
Negativen des anderen das Wesentliche sei und die exakte Selbstbestimmung
fehle, nicht zu. Rosenberg nimmt vielmehr die Position ein, das Positive per-
manent zu benennen, auszubreiten und zu spezifizieren. Dabei verliert man
sogar schnell den Überblick darüber, was die nordische Rasse oder die Deut-
schen ,so alles' sind. Rosenberg ist versessen auf das Eigene. Die Wissen-

165
Ebd., S. 678-701.
166
Ebd., S. 126.
167
Ebd.
168
Ebd., S. 688 f.
169
Ebd., S. 697.
" Ebd., S. 699.
226 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

schaff ist für Rosenberg Resultat und Wert der nordischen, der eigenen Ras-
se. Aber Existenz und Wert der Rasse sind ihm von vornherein nicht das Re-
sultat einer wissenschaftlichen Begründung. Vor allem wird die Wissenschaft
der Biologie nicht zur Begründung des Wesens und Wertes der arisch-nordi-
schen Rasse benutzt. 1 7 1 Kein einziger der Vertreter des sogenannten Sozial-
darwinismus oder der Vererbungslehre wird zur Rechtfertigung der Überle-
genheit der arisch-nordischen Rasse herangezogen. Rosenberg verfehlt das
Maß der Wissenschaft insofern nicht, weil er es im Hinblick auf die Rassen-
doktrin gar nicht anstrebt. Einen Anhänger Rosenbergs hätte man nicht mit
empirisch-wissenschaftlichen Argumenten überzeugen können. Der ganze
Diskurs über die Bedeutung der Wissenschaft und der Biologie zum Zwecke
der Beschreibung und Kritik des allgemeinen Rassismus ist im Falle Rosen-
bergs daher irrelevant. D e r Rassismus Rosenbergs, des nach Hitler wichtig-
sten Ideologen des Nationalsozialismus, kann nicht mit dem Argument des
pseudo-wissenschaftlichen Biologismus qualifiziert oder erledigt werden. Ro-
senbergs „Mythus" von der Überlegenheit der arisch-nordischen Rasse ist der
Fall eines konsequenten Willens zur Religion. Was er unter Religion und Ras-
se versteht und inwiefern sein Rassismus einen religiösen Gehalt hat, soll da-
her n u n m e h r unabhängig von aller Wertung, machtpolitischer Analytik und
historisch-genetischer Erklärung so exakt wie möglich aus der ideologischen
Quelle herausgearbeitet werden.

c. R o s e n b e r g s v o n R a s s e u n d V o l k s t u m a b s t r a h i e r t e A u f f a s s u n g
v o n Religion

Aus der Zusammenfassung des „Mythus" geht ohne Zweifel hervor, daß Ro-
senberg den Sinn der Existenz religiös interpretiert. Daß sein „Mythus" dem
Inhalt und der Form nach schon selbst eine Religion ist, wird damit nicht
behauptet und ist eine Frage der Definition. D e r Religionshistoriker Hans-P.
Hasenfratz ist der Meinung, Rosenbergs „Mythus" sei Religion. In einem be-
wundernswert bündigen und kenntnisreichen Aufsatz geht er dabei allerdings
von einem an analytisch-empirischen Paradigmen von Wissenschaft orientier-
ten Religionsbegriff aus und versteht unter Religion „ein Orientierungssy-
stem", das sich von der empirisch-nichtwertenden Wissenschaft, von der em-
pirisch-wertenden Ideologie sowie von der nichtempirisch-nichtwertenden
Philosophie „durch seinen nicht-empirischen, wertenden Charakter" 1 7 2 unter-

„Die Flucht des 19. Jahrhunderts zum Darwinismus und Positivismus war der erste große,
nur rein bestialische Protest gegen die Ideale lebens- und luftleer gewordener Mächte [...].
Oder aber das Blut wurde zur chemischen Formel entseelt und dadurch ,erklärt'", ebd.,
S. 22.
Hans-P. Hasenfratz, Die Religion Alfred Rosenbergs, in: Numen. International Review for
the History of Religions, Vol. XXXVI, Leiden 1989, S. 115-124 (Fußnote 14); vgl. Man-
Volk und Rasse 227

scheidet. Schon dem Untertitel nach - „Eine Wertung der seelisch-geistigen


Gestaltungskämpfe unserer Zeit" - ist damit Rosenbergs „Mythus" eine Reli-
gion. Die Definition von Hasenfratz geht, sieht man davon ab, daß reine
Empirie immer nur die Hälfte der politischen Empirie ist, für den Zweck die-
ser Untersuchung zu weit. Außerdem geht es in dieser Arbeit nicht darum, zu
klären, ob die NS-ldeologie oder der „Mythus" eine „reine" Religion ist. Es
geht um die Frage, ob es sich um politische Religion handelt, was unter ande-
rem heißt, daß die Aussagen über Religion politische Implikationen und die
Aussagen über Politik religiöse Implikationen haben.
Im besonderen soll geklärt werden, ob auf den „Mythus" Rosenbergs die
Merkmale von religiösem oder biologischem Rassismus zutreffen. Unter Ras-
sismus soll hier eine Ideologie verstanden werden, bei der die Menschheit
unter der Annahme der mehr oder weniger starken Überlegenheit der eigenen
Rasse in Rassen eingeteilt wird. Bedeutsam ist mithin, ob Rosenberg erstens
Rasse selbst und zweitens die Überlegenheit der eigenen Rasse in Kategorien
der Biologie oder der Religion denkt, begreift, wahrnimmt oder definiert.
Darüber hinaus soll geprüft werden, ob Rosenberg die Qualitäten der soge-
nannten nordisch-arischen Rasse und die der sogenannten jüdischen Gegen-
rasse mit einigen, also nicht allen, aber zentralen Merkmalen religiöser Prove-
nienz bestimmt. Es ist also nur festzustellen, ob in einigen, aber wesentlichen
Merkmalen eine Übereinstimmung besteht oder nicht. Um zu präzisieren, ob
Rosenbergs Aussagen über Rasse religiöse und über Religion rassistische Im-
plikationen haben, ist zunächst eine Abstraktion und Trennung vorzuneh-
men. Daher ist im folgenden zunächst Rosenbergs allgemeines und besonde-
res Verständnis von Religion — losgelöst vom Rassismus - zu erfassen. Wenn
Rosenberg
1. den Glauben an den Unterschied von Diesseits und Jenseits im Gegensatz
zum Wissen für die Deutung von Welt und Wirklichkeit für maßgebend
hält und
2. der Gegenstand des Glaubens Gott und die Personifikation des Bösen ist,
dann ist ein wesentlicher Gehalt seiner Existenzinterpretation oder „Weltan-
schauung" religiös. Bekennt sich Rosenberg zum „positiven Christentum"
(gemäß Ziffer 24 des Parteiprogramms der NSDAP), spezifiziert er dieses
„Positive" - wie auch immer — und bekennt sich - wie auch immer und wahr-
scheinlich anders als in der katholischen und protestantischen Kirche - zu
Jesus selbst, dann besteht — ob häretisch oder für uns unchristlich - ein Zu-
sammenhang zwischen der religiösen Tradition der Deutschen und dem „My-
thus". Glaubt Rosenberg an die Unsterblichkeit der Seele und erörtert das
Verhältnis zwischen Seele und Gott ausführlich, dann ist die religiöse Inten-
tion Rosenbergs intensiv.

fred Frank, Gott im Exil. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt a. M., S.
105 ff.
228 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Letztlich aber sind Rosenbergs allgemeiner Religionsbegriff und sein spe-


zifisches Verhältnis zur Religion auch deshalb zu behandeln, weil dadurch die
Nähe oder Ferne zum Projekt der Moderne einerseits und zu der religiösen
Tradition andererseits erkennbar werden können. Auf zwei Komplexe, die
schwer oder überhaupt nicht miteinander in Verbindung zu bringen sind,
möchte ich die Aufmerksamkeit lenken. D e r eine betrifft das Böse und der
andere die Subjektivität. Das Böse ist kein Thema im Diskurs der Moderne,
die Subjektivität ist das Thema der Moderne. Das Böse paßt nicht in die pro-
gressiv-wissenschaftliche Interpretation der Wirklichkeit, aber das, was mit
dem Bösen benannt wird, nämlich Zerstörung, Übel, Not, Angst, Elend, kurz:
die Negation des Lebens, des Glücks und der Wahrheit, werden weiterhin er-
fahren und sind empirisch schwer zu eskamotieren - vor allem während und
nach dem Ersten Weltkrieg. Vermessen wäre es, anzunehmen, daß die im Re-
ligionsunterricht von nahezu neunzig Prozent aller Deutschen geförderte in-
fantil-magische Dimension des Denkens, deren nicht wegzuleugnendes Mo-
ment auch die Personifikation des Bösen ist, von allen D e u t s c h e n in illumi-
natorischer Weisheit und emanzipatorischer Selbstverwirklichung überwun-
den worden wäre. Durch das Verschwinden des Bösen in der analytischen
Philosophie und dem naturwissenschaftlichen Weltbild sowie der schon ma-
gisch anmutenden Verwandlung des Bösen in die Funktion des Negativen in
der historisch-dialektischen Geschichtsteleologie entstanden Lücken oder
Widersprüche. Es ist hier nicht nötig, das Böse - als die invisibilisierte Kate-
gorie der Moderne - in der Philosophiegeschichte des gesamten Abendlandes
zu b e h a n d e l n . 1 3 Mir scheint es plausibel, daß angesichts der Unvollkommen-
heit des politisches Seins, des Übels in der gesellschaftlichen Umwelt, des
persönlichen Scheiterns und des individuellen Leidens die Identifikation des
Bösen für das Bewußtsein eine nicht nur autosuggestive, sondern auch kon-
fliktlösende und legitimatorische Wirkung haben kann. Enthält der religiöse
Rassismus eine raffinierte, sogenannte Wiederkehr des Bösen inmitten des
Versuchs der Entzauberung der Welt? Damit hängt die Frage nach dem Dua-
lismus im „Mythus" Rosenbergs zusammen. Vertrat Rosenberg einen radika-
len, das heißt immerwährenden, oder nur gemilderten Dualismus? Inwieweit
paßt der „Antichrist" in die inhaltliche Konzeption des „Mythus"?
Auf den Komplex der Subjektivität möchte ich aus folgender Überlegung
hinweisen. Das Selbst als Projekt der Moderne, eben das W e r d e n des Men-
schen aus sich selbst und durch sich selbst, korrespondiert mit der Negation
der Existenz Gottes. Ist G o t t ein Attribut des kollektiven Selbst und ist das
Kollektiv die Einheit von menschlicher und göttlicher Natur, d a n n ist der re-
ligiöse Rassismus ein veritabler Synkretismus zwischen dem Projekt der Mo-
derne und der Tradition der Religion. Es gibt Menschen, die schaffen G o t t

Vgl. Christoph Schulte, radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche,
München 1988; Rüdiger Safranski, Das Böse, München 1997.
Volk und Rasse 229

nach ihrem Bilde, und es gibt Menschen, die schaffen ihr Selbst nach dem
Bilde G o t t e s ; es gibt Ideologen, die wollen das Volk nach dem Bild ihres
emanzipatorischen Selbst, und es gibt Ideologen, die wollen das Volk nach
d e m Bilde Gottes schaffen. Wollte Rosenberg beides zugleich? D o c h nun-
mehr zur Sache selbst, Rosenbergs Verhältnis zur Religion.
D e n für das moderne Denken charakteristischen Antagonismus von Reli-
gion und Wissenschaft kennt Rosenberg nicht. Wissenschaft und Religion
sind, neben der Kunst, Momente der Weltanschauung. 1 7 4 D e n Begriff Welt-
anschauung bezieht Rosenberg, wie er betont, nicht nur auf den kognitiven
Akt der Anschauung, sondern auch auf die Haltung. 1 7 5 Für Rosenberg exi-
stiert ein die gesamte Wirklichkeit der Welt dominierendes „ U r p h ä n o m e n " 1 7 6
und „Urgesetz". 1 7 7 Das ist, in der vermeintlichen Überwindung von Monis-
mus und Pluralismus, das dualistische Prinzip der Polarität, der „Polarität al-
ler Erscheinungen, aber auch aller Ideen". 1 7 8 In der Weltanschauung Rosen-
bergs ist Polarität ein über die N a t u r hinausgehendes und hinter der Natur
stehendes Urgesetz, ein „metaphysisches Urgesetz" der gesamten Welt, näm-
lich alles „Seins und Werdens". 1 7 9 Unter Polarität versteht er, unter Ableh-
nung der klassischen Auffassung des Kausalnexus von früher und später, die
„Gleichzeitigkeit der Gegensätze". 1 8 0 Die - auf gut deutsch - „Zwiefachheit
alles Seins zeigt sich"; die reflexiv gebrauchte Form des Tätigkeitswortes „zei-
gen" zeugt sozusagen von der Tätigkeit der Zwiefachheit selbst: z. B. „physi-
kalisch als Licht und Schatten, heiß und kalt, endlich und unendlich", und
„geistig als wahr und unwahr", „moralisch als gut und b ö s e " sowie, was uns
im folgenden interessiert, „religiös als göttlich und satanisch". 1 8 1
Im Hinblick auf die traditionelle Gretchenfrage: Wie hält es Rosenberg mit
der Religion? und auf die moderne Fragestellung: Wie hält er es mit der Wis-
senschaft? ist Rosenbergs Einstellung nach beiden Seiten hin positiv, wenn

174
„Eine Weltanschauung umfaßt Religion, Wissenschaft und Kunst. Aus diesen Urbetätigun-
gen des Menschen erwachsen alle übrigen Zweige des Wirkens", Alfred Rosenberg, Welt-
anschauliche Thesen, in: Hans-Günther Seraphim (Hrsg.), Das politische Tagebuch Alfred
Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, Göttingen 1956, S. 241; die sogenannten „Weltanschau-
lichen Thesen" hatte Rosenberg 1939 auf Anregung Bormanns verfaßt.
1
™ „Weltanschauung heißt: eine bestimmte Art, die Welt anzuschauen. Weltanschauung ist
deshalb Haltung, nicht Dogma. Haltung zur Welt: d. h. zum äußeren Schicksal und zu den
seelischen Antrieben", ebd.
176
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 125.
1-7
Ebd., S. 126.
,7?
Ebd., S. 125.
' ^ Ebd., S. 126.
181
„Polarität bedeutet stets Gleichzeitigkeit der Gegensätze, deren beide Größen und Gege-
benheiten also nicht als nacheinander hervortretend zu erklären sind [...]. Ein ursächlicher
Zusammenhang ist also bis zu den letzten Grenzen unserer vorwärtstastenden Erkenntnis
zwischen den polar erscheinenden Gruppen nirgends nachweisbar. Aus der immer beste-
henden Gegensätzlichkeit von Ja und Nein aber entsteht alles Leben, alles Schöpferische",
ebd.
181
Ebd., S. 125 f.; zur Polarität vgl. weiterhin S. 231, 232, 244, 573.
230 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

zwischen echter Religion und wahrer Wissenschaft „richtig" unterschieden


wird. „Wahre Wissenschaft" könne „echte Religion" nicht „ e n t t h r o n e n " 1 8 2 ,
„ G l a u b e " und „Wissen" seien „überhaupt nicht in Gegenstellung zu brin-
gen", und „wahre Religion"' 8 3 könne weder durch die Naturwissenschaften
bewiesen noch widerlegt werden. Da aber Rosenberg davon überzeugt ist,
daß es keine „voraussetzungslose Wissenschaft, sondern nur Wissenschaft
mit Voraussetzungen" 1 8 4 gibt und „echte Wissenschaft" doch nur mit „Me-
chanistik, Physik, Chemismus, Biologie" 1 8 5 zu tun habe, ja, im „Darwinismus
und Positivismus" „das Blut" sogar „zur chemischen Formel entseelt und
dadurch ,erklärt'" 1 8 6 wurde, ist Religion für die Existenz v o n Gesellschaft
vorrangig und konstitutiv: „Gemeinschaften werden nur durch freiwilligen
Glauben als echte Darstellung eines Inneren wirklich erhalten." 1 8 7 Aber was
versteht Rosenberg unter Religion?

Religion heißt: seelische Bindung eines Menschen oder eines Volkes an ein über
diesem Leben stehendes Göttliches. Religion ist also ein Teil der gesamten weltan-
schaulichen Haltung. In dem Glauben an Gott oder die Gottheit sowie an eine
Vorsehung ist ein Bekenntnis miteingeschlossen. Dieses Bekenntnis ist wesentli-
cher Bestandteil der Religion.188

Für Rosenberg ist also nicht schon alles Religion, was nicht empirisch-wert-
freie Wissenschaft und erkenntnistheoretisch-wertfreie Philosophie ist. Er de-
finiert Religion nicht aus einer subjektiv-idiosynkratischen Position heraus.
Rosenberg hält sich an die Konvention der religiösen Tradition. D e n n für Ro-
senberg ist Religion die Weltanschauung aus dem Glauben an und dem Be-
kenntnis zu Gott, wenn auch der Begriff „Gottheit" nicht der Semantik pro-
testantischer oder katholischer Glaubenbekenntnisse entspricht. Auch mit
der Formulierung der „Bindung" an Gott, und zwar der Bindung der Seele an
Gott, wird ein allgemein anerkanntes Merkmal von Religiosität in die Defini-
tion einbezogen. Insofern für Rosenberg auch die Haltung eine K o m p o n e n t e
von Religion ist, wird zugleich die Ausrichtung der Lebensführung am Inhalt

182
„Die Wissenschaft ist schematisch, die Religion willenhaft, die Kunst symbolisch. Jedes
Gebiet hat seine Eigengesetzlichkeit . Doch nie vermag wahre Wissenschaft echte Re-
ligion zu entthronen", ebd., S. 600.
,83
„Glaube und Wissen sind überhaupt nicht in Gegenstellung zu bringen . Wahre Reli-
gion aber wird weder durch Entdeckung der Natur bewiesen noch durch sie gestürzt. Re-
ligion ist ein Ergebnis eines inneren Erlebens, nicht die Folge irgend eines naturwissen-
schaftlichen Gottesbeweises oder einer Auferstehungslegende; sie hat überhaupt mit Wun-
dern und Zaubereien nichts zu tun", Alfred Rosenberg, Weltanschauliche Thesen, in:
Hans-Günther Seraphim (Hrsg.), Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und
1939/40, Göttingen 1956, S. 253.
184
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 119.
185
Ebd., S. 135.
186
Ebd., S. 22.
187
Alfred Rosenberg, Weltanschauliche Thesen, in: Hans-Günther Seraphim (Hrsg.), Das po-
litische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, Göttingen 1956, S. 248.
188
Ebd., S. 242.
Volk und Rasse 231

des Glaubens zum Bestandteil von Religion. In Rosenbergs Definition ist vor
allem die Spannung zwischen Immanenz und Transzendenz enthalten. Welt
ist nicht nur das empirisch-sinnlich wahrnehmbare Leben, sondern zur Welt
g e h ö r t das über dem Leben stehende Göttliche, die Gottheit, die Vorsehung,
ein jenseitiger Gott. Indem Rosenberg den Begriff „Vorsehung" in seiner De-
finition verwendet, stimmt er mit zwei weiteren Merkmalen des konventio-
nellen Religionsverständnisses überein. Nicht nur der Glaube an die Abhän-
gigkeit des Menschen von einer göttlichen Macht wird artikuliert. Die Macht
über den Anfang und das Ziel, das A und das O , den Grund des Anfangs und
d e n G r u n d des Zieles, also die Zeit, ist für Rosenberg ein Element von Reli-
gion. In Rosenbergs Weltanschauung ist darüber hinaus ein unbestrittenes
Merkmal traditioneller Religiosität enthalten, nämlich der Glaube an die Un-
sterblichkeit der Seele, die letzten Endes die Rassenseele betrifft. Aber er
glaubt auch an die Unsterblichkeit der Einzelseele 1 8 9 oder an die „ewige Per-
sönlichkeit". 1 9 0 Er meint sogar, dies stünde nicht im Widerspruch zur Er-
kenntnistheorie 1 9 1 , und er ist davon überzeugt: „Jede Persönlichkeit ist eine
Einheit o h n e Ende." 1 9 2
Ungewöhnlich an der Definition Rosenbergs ist die auf die völkische Reli-
giosität verweisende K o m p o n e n t e der „seelischen Bindung" eines „Volkes"
an „das Göttliche". Das führt zu der Frage, wer das Volk Gottes sei und wie
die Relation Volk und G o t t inhaltlich bestimmt bzw. fingiert wird. Für den
gesamten religiösen Gehalt des „Mythus" und der NS-Ideologie überhaupt ist
die genaue Bestimmung, worin die Bindung besteht, von maßgebendem Ge-
wicht. Wird an die Bindung nach dem Muster des Bundes und in der Bindung
an göttliche G e b o t e oder wird an sie in der Form der substantiellen Verbin-
dung oder Vereinigung — artikuliert gemäß der Kategorie der Substanz - ge-
glaubt? Das Besondere des religiösen Inhalts des „Mythus" und des positiven
Christentums soll aufgrund der Aussagen über Gott, Christus, die christliche
Mystik des Meister Eckhart und das Böse unter der Perspektive der Spannung
v o n Transzendenz und Immanen z festgestellt werden. Wird die Spannung
total aufgelöst oder nur, aber immerhin äußerst intensiv, minimalisiert? Es
kommt darauf an, festzustellen, ob Rosenberg die Differenz von diesseitiger
und jenseitiger Welt aufhebt, indem er den Unterschied von diesseitiger und
jenseitiger Welt bejaht und gleichwohl den von Seele und G o t t verneint. Für
die Differenz von Sein und Seinsgrund im Denken Rosenbergs spricht die af-
firmative Verwendung des Attributs „metaphysisch" 1 9 3 , wobei der Terminus
„Metaphysik" und die philosophischen Richtungen der Metaphysik nicht ei-

Alfred Rosenberg, Mythus, S. 68V, 692.


Ebd., S. 390.
„Die Idee der unsterblichen Persönlichkeit ist eine Seelendichtung, aber sie ist ein religio
ser Hochflug, der mit der strengsten Erkenntniskritik nicht in Widerspruch gerät", ebd., S
394.
Ebd., S. 391.
Vgl. ebd., S. 130, 263, 609.
232 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

gens thematisiert werden. Der arisch-nordische Mensch kann sich „als reines
Subjekt" des „ihm innewohnenden metaphysischen Wesens bewußt" 1 9 4 wer-
den. D e m entspricht die „Sehnsucht sich aus den Erdenfesseln zu einem un-
bekannten Ewigen" 1 9 5 zu erheben. Was „faustische Seele" genannt werde, sei
„das Streben nach dem Unendlichen auf allen Gebieten". 1 9 6 E r stellt, Scho-
penhauer folgend und ihn verbessern wollend 1 9 7 , fest, daß das „wollende
Wesen" des Menschen „in zwei Teile geteilt ist: in ein sinnlich-triebhaftes und
ein übersinnlich-willenhaftes". 1 9 8 Vehement macht er sich für den Willen zur
Weltüberwindung im Kampf gegen den „egoistischen T r i e b " 1 9 9 sowie den
„Egoismus" der „Selbsterhaltung" 2 0 0 stark. So sei Christus der „Weltüberwin-
der aus Nazareth". 2 0 1 Ja, die Weltüberwindung sei Kriterium für Kunst und
Religion zugleich. 202 Das „Wesentliche aller K u n s t des Abendlandes" wieder-
um bestehe darin — und ist deshalb „in Richard Wagner offenbar geworden"
- , daß eine bestimmte - die nordische - Seele „kosmisch-seelische Gesetze
willenhaft erlebt und geistig-architektonisch gestaltet". 2 0 3
Im Hinblick auf die Differenzen zur herrschenden religiösen Tradition soll
damit begonnen werden, womit in der religiösen Existenzinterpretation alles
anfängt - bei Gott. Die Frage nach dem Wesen G o t t e s , der Präsenz Gottes
und dem Verhältnis von Mensch und G o t t ist bei Rosenberg mit anderen
Auffassungen verbunden als in der christlichen Tradition der Kirchen, wobei,
dies vorweg, Rosenberg bei aller Kritik an der katholischen und der prote-
stantischen Konfession Jesus zu einer erhabenen Gestalt macht. Er maßt sich
sogar an, zu behaupten, nur sein eigenes Verständnis von Religion sei christ-
lich.
Rosenberg scheut sich, G o t t Attribute zuzuordnen, und macht wenig Aus-
sagen über das Wesen Gottes. Ein direktes, den Gottesbegriff der christlichen
Theologie umfassendes Kapitel enthält der „ M y t h u s " nicht. Eine systemati-
sche Argumentation im Hinblick auf Sätze wie , G o t t ist vollkommen oder
nicht vollkommen', ,allwissend oder nicht allwissend', ,allgütig oder nicht all-
gütig', wagt Rosenberg nicht. Vehement verneint er die jüdisch-christliche
Lehre, G o t t habe die Welt aus dem Nichts geschaffen. 2 0 4 G e m ä ß dem Urphä-
nomen der Polarität ist für Rosenberg das G o t t e s p r o b l e m ein Problem der

194 Ebd. , S. 222.


195 Ebd. , S. 268.
196 Ebd. , S. 271.
197 Vgl. ebd., S. 323--344, 318, 393,408, 417, 441 ,682, 687 f.
198 Ebd. , S. 336.
199 Ebd. , S. 334.
200 Ebd. , S. 335.
201 Ebd. , S. 332.
202 „In Europa ganz allem wurde die Kunst ein echtes Medium der Weltüberwindung, eine
Religion an sich" , ebd., S. 443.
203 Ebd. , S. 433.
204 Vgl., :bd., S. 127, 246 f ., 250 f., 256.
Volk und Rasse 233

Einheit, der Vielheit, der Schöpfung und des Bösen. Im Hinblick auf G o t t hat
nach Rosenberg die „Weltbetrachtung" des „Monismus" folgenden Gehalt:
Religiös wird sie einen strengen Eingottglauben (Monotheismus) fordern, wird die-
sen Einheitsgott mit allen Eigenschaften der Kraft und Herrlichkeit umkleiden,
wird auf ihn die Schöpfung zurückführen, ja das Satanische selbst wegzuerklären
bemüht sein. Zu einem solchen Gott wurde Jahwe, der dann als starres, einseitiges
System mit Hilfe der christlichen Kirchen ins abendländische Denken einbrach. 205
Rosenberg verurteilt die mittelalterliche kirchliche Lehre mit der Schlußfolge-
rung: „Der Mensch lebt also nicht in seiner seelischen Atmosphäre, sondern
im Bannkreis des absoluten, fernen, herrschenden Gottes." 2 0 6 So wie er den
absoluten und fernen G o t t nicht ertragen kann, setzt er sich vom G o t t der
neuzeitlichen Philosophen ab. „ G o t t " ist für Rosenberg „der positive Aus-
druck des religiösen M e n s c h e n für die bloß philosophisch abgrenzende Be-
zeichnung ,Ding an sich'". 2 0 7 G o t t ist so etwas wie ein ewiges Wesen, denn
Rosenberg glaubt, „eine seelische Stärke" sei „als Folge einer inneren Zusam-
menballung nicht anders vorzustellen denn als Geschenk des als G o t t gedach-
ten ewigen Wesens". 2 0 8 D e r Mensch bleibt in bestimmter Weise Geschöpf
dieses ewigen Wesens, hat seinen G r u n d weder in sich selbst noch in der
N a t u r allein: „Die ,heilige Vereinigung' (polarisch bedingt, doch unvermischt)
von G o t t und N a t u r ist der U r g r u n d unseres Wesens." 2 0 9 D e r „über allem
thronende, unnahbare, furchtbare G o t t " 2 1 0 ist nicht der G o t t Rosenbergs, son-
dern sein G o t t ist ein „Gott der Gegenwart".2U G o t t ist nicht tot, und das Krite-
rium für wahre Religion ist für Rosenberg mit einer Botschaft Christi verbun-
den, der Botschaft v o m Himmelreich, dem Reich Gottes. Aber nicht das Tau-
sendjährige Reich in der Zeit, n o c h das Reich Gottes außerhalb der Zeit ist
das Maß des Urteils. R o s e n b e r g vertritt eine partiell die Transzendenz imma-
nentisietende und der m o d e r n e n Subjektivität entgegenkommende und ihr
vorausgehende Position. D a s Himmelreich wird nicht auf Raum und Zeit,
sondern auf das eigene Selbst bezogen. Nach Rosenbergs Maß für Religion
sind sowohl der kirchliche als auch der heidnische Glaube an G o t t erledigt:

Der kirchliche Jahwe ist nun heute tot wie Wotan vor 1500 Jahren [...]. Religion
hat nur mit dem ,Himmelreich in uns' zu tun. 212
Der Glaube an das „Himmelreich", also das Reich Gottes „in u n s " ist also für
Rosenberg das Kriterium für Religion. Ist das Reich Gottes „in u n s " ein Kri-
terium für Religion, dann kann G o t t nicht nur im jenseitigen Himmel existie-

205 127.
Ebd. S.
206 Ebd. S. 246.
207 Ebd. S. 224.
201 Ebd. S. 235.
209 Ebd. S. 231.
210 Ebd. S. 246.
211 Ebd. S. 243 'Hervorhebung C. -E. B.]
212 Ebd. S. 134.
234 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

ren. Er wandelt auch nicht im Himmelreich auf Erden, mitten unter den Men-
schen als der absolut andere der Menschen. D a ß das Himmelreich in uns ein
Kriterium von Religion ist, hängt mit Rosenbergs spezifischer Auffassung
über das Verhältnis von G o t t und Mensch zusammen und resultiert aus sei-
nem Modell von wahrer Religion. Das ist die christliche Mystik Meister Eck-
harts. Meister Eckhart ist der „Schöpfer einer neuen Religion, unsere Reli-
gion". 2 1 3 Nach Rosenbergs Exegese des Meisters ist G o t t nicht überall, son-
dern Meister Eckhart hat „uns unsere Religion" geschenkt, indem er versuch-
te, „das Leib und Seele knechtende syrische Dogma zu überwinden und den
G o t t im eigenen Busen zu erwecken, das ,Himmelreich inwendig in uns'". 2 1 4
Der Lehre und den Predigten Meister Eckharts (1260-1327) widmet Ro-
senberg sechs Abschnitte (55 Seiten) des Kapitels „Mystik und Tat". Es ist in
Rücksicht auf die Zeit der Jahrhundertwende bestritten worden, daß Meister
Eckhart ein Mystiker sei. 215 Aber darauf kommt es hier nicht an. Wird unter
Mystik nur die spirituelle Erfahrung eines transzendenten Seinsgrundes ver-
standen, die nur und nur symbolisch artikuliert wird und nicht gegenständlich
gedeutet werden darf, dann ist Rosenberg kein Mystiker. Wird aber unter
Mystik die reale Vereinigung des Menschen mit G o t t und die darauf beruhen-
de Auffassung der realen Einheit des Selbst oder der Seele mit G o t t sowie das
Ziel der Eingliederung des Selbst oder der Seele in G o t t verstanden, dann hat,
Meister Eckhart hin oder Meister Eckhart her, Rosenbergs Interpretation der
Predigten und Reden Meister Eckharts einen mystischen Charakter. Bestrit-
ten werden kann, daß sich Rosenberg um eine ordentliche Exegese der von
ihm benutzten Texte der Predigten Meister Eckharts bemühte, wenngleich er
den Meister sehr häufig (ungefähr 35mal) und ausführlich zitiert. Aber es ist
nur von sekundärer Bedeutung, ob Rosenberg ein richtiger Mystiker war oder
nicht. Daher kommt es im folgenden nur darauf an, festzustellen, wie Rosen-
berg das Verhältnis von Seele und G o t t bestimmt. Hier interessiert das Re-
sultat der Auslegung, weil nur Rosenbergs Denken und nicht die Mystik als
solche der Gegenstand dieser Untersuchung ist. N u r eine offensichtliche Um-
deutung respektive Übertragung allgemein mystischer Existenzinterpretation
soll ganz am Schluß des Kapitels behandelt werden.
Für Rosenberg ist die Mystik Meister Eckharts eine neue Religion wegen
der darin entdeckten Qualitäten der Seele. In der gesamten deutschen Mystik
und nicht in der Renaissance sei „die Idee der seelischen Persönlichkeit, die
tragende Idee unserer Geschichte" formuliert und „zum erstenmal" zur „Re-
ligion und Lebenslehre" 2 1 6 formiert worden. Der deutsche Mystiker „ent-

213
Ebd., S. 239.
214
Ebd., S. 219.
215
Vgl. Kurt Flasch, Meister Eckhart - Versuch, ihn aus dem mystischen Strom zu retten, in:
Peter Koslowski (Hrsg.), Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie, München
1988, S. 94-110.
216
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 220.
Volk und Rasse 235

deckt eine rein seelische Macht und fühlt[,] daß diese seine Seele ein Zentrum
an Kraft darstellt, dem schlechterdings nichts vergleichbar ist".217 Der Mysti-
ker sei zwar „bemüht, sich aus den Verstrickungen der stofflichen Welt im-
mer mehr und mehr herauszulösen [...] je mehr er alle Erdenschwere über-
windet um so größer, reicher, göttlicher fühlt er sich innerlich werden." 218
Aber die Mystik Meister Eckharts sei eine Mystik der Tat. Denn nach „dem
seligen Gewahrwerden des ,Fünkleins', des geheimnisvollen Zentrums unse-
res Seins" ging Meister Eckhart „wieder den Weg zurück von der Seele zur
Welt".219 Meister Eckhart habe nämlich drei Kräfte entdeckt, „vermittels de-
rer die Seele in die Welt hineingreift: den Willen, der sich dem Objekt zuwen-
det, die Vernunft, die das Ergriffene durchschaut und ordnet und das Ge-
dächtnis, welches das Erlebte und Erschaute aufbewahrt". Diese „drei Kräf-
te" seien „gleichsam das Gegenstück zur heiligen Dreieinigkeit".220 Rosen-
berg meint, Meister Eckhart habe dem Willen den Vorrang gegeben, denn -
den Meister zitierend — wo „die Vernunft nicht weiter kann, da schwingt sich
der Wille im Licht und in der Kraft des Glaubens überlegen auf'.221 Mystik
sei nicht „Selbsthingabe an ein anderes", denn diese Betrachtungsweise ent-
stamme der „scheinbar unausrottbaren Einstellung, als seien Ich und Gott
wesensverschieden". 222 Nach Rosenberg hat Meister Eckhart gelehrt, daß
„unsere Seele darauf beruhe, mit Gott eins zu werden". 223 Auch habe „Jesus
fraglos das Eins-Sein mit Gott als Erlösung und Ziel" 224 gepriesen. Es sei das
Verdienst des Mystikers gewesen, „die Gleichwertigkeit der Seele mit Gott zu
verkünden", denn „das innere Werk der Eroberung des Himmelreichs" kön-
ne „nur durch höchste Freiheit vollbracht werden". 225 Gnade sei nur, so Ro-
senberg Meister Eckhart zitierend, „Einssein mit Gott". 226 Das „Zentrum des
Meister Eckhart" sei der „Standpunkt der abgeschlossenen, gottgleichen, frei-
en, schönen und adeligen Seele".227 Es scheint jedoch so, daß die Identität
zwischen Gott und Seele damit noch nicht voll aktualisiert ist. Denn nach Ro-
senberg sind bestimmte religiöse Werte wie Liebe, Demut, Barmherzigkeit,
Gebet und Gnade „gut und nützlich, aber nur unter der einen Bedingung:
wenn es die Kraft der Seele stärkt, sie erhebt, sie Gott gleicher werden
läßt".228 Mit dem Argument, daß „Jesus vom Himmelreich in uns" gespro-

217
Ebd., S. 217.
2,8
Ebd.
219
Ebd., S. 239.
220
Ebd.
221
Ebd., S. 240, vgl. auch S. 336, 342, 349.
222
Ebd., S. 223.
223
Ebd., S. 234.
224
Ebd., S. 235; in diesem Zusammenhang lehnt er die katholisch-protestantische Gnaden-
lehre als paulinisch und damit unchristlich ab.
225
Ebd., S. 222.
226
Ebd., S. 236.
22
" Ebd., S. 238.
n> Ebd.
236 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

chen habe, lehnt Rosenberg die Beziehung zwischen G o t t und Mensch bzw.
Schöpfer und Geschöpf im Sinne der scholastischen Lehre von der „analogia
entis" ab. 2 2 9 Rosenberg greift vielmehr zu den Formulierungen der G o t t -
gleichheit der Seele 230 oder „Gottgleichheit der menschlichen Seele". 2 3 1 Auch
in der Art der Beziehung zwischen Mensch und G o t t beachtet Rosenberg das
Prinzip der Polarität. So sind Seele und G o t t gleich, aber „Ich und G o t t sind
seelische Polarität, Schöpfungsakt ist jede vollzogene Vereinigung, das Aus-
einandergehen ruft erneut dynamische Kräfte hervor". 2 3 2 Rosenberg denkt
sozusagen in der Konfiguration der Einheit von Nichteinheit und Einheit.
Rosenberg ist insofern selbst ein Mystiker, weil er an die Möglichkeit der Ver-
einigung des Menschen mit G o t t glaubt. Nicht nur wegen der Polarität von
Ich und G o t t wird die Transzendenz Gottes nicht total aufgehoben. Rosen-
berg denkt die Dynamik von Seele auch „stets ,zu G o t t hin' und stets ,von
G o t t her'".
Für Rosenberg steht fest, „daß abendländische Mystik nicht das Leben aus-
schließt, sondern, im Gegenteil, sich das schöpferische Dasein als Partner
gewählt hat". 2 3 3 Die Dynamik der abendländischen Mystik „äußert sich nir-
gends in Weltflucht, sondern bedeutet Weltüberwindung, K a m p f . Die
schöpferische Weltüberwindung geschehe „auf zweierlei Weise: religiös-
künstlerisch-metaphysisch und luziferisch-empirisch". 2 3 4 Luziferisch ist hier
ein positiv verwendetes Attribut. Luziferisch ist die „empirische Weltüber-
windung", die „Raum und Zeit überwindende Macht" der Forschung, der
Technik und der Industrie, der „Kampf um Unterjochung der Materie, o h n e
den subjektiven Vorteil als treibendes Motiv zur Voraussetzung zu haben". 2 3 5
Zu unterscheiden sei „zwischen luziferisch und satanisch" 2 3 6 ; womit - nach-
dem so viel von G o t t die Rede war - auf die andere Seite des „ U r p h ä n o m e n s "
und „metaphysischen Urgesetzes alles Seins und Werdens" der religiösen Po-
larität zurückzukommen ist, also auf das Böse. Wenn auch Rosenberg verkün-
det, die Polarität alles Seins und Werdens zeige sich „religiös als göttlich und
satanisch" 2 3 7 , so sind doch seine quantitativen und unmittelbaren Ausführun-
gen über das Satanische bzw. das Böse weitaus weniger umfangreich als die
über das Verhältnis des Menschen zum Göttlichen. Während Rosenberg das
Verhältnis der Seele zu G o t t im Kapitel „Mystik und Tat" thematisiert, hat er
über den „Mensch und das Böse" kein entsprechendes Kapitel verfaßt. Direkt
ist vom Bösen selten, indirekt aber im ganzen „Mythus" die Rede. Die Begrif-

229
Vgl. ebd., S. 247.
230
Vgl. ebd., S. XII
231
Ebd., S. 246.
232
Ebd., S. 248.
233
Ebd., S. 262.
234
Ebd.
235
Ebd., S. 263.
236
Ebd.
237
Ebd., S. 126.
Volk und Rasse 237

fe „das B ö s e " , „Satan" und „Mephistopheles" werden nur an einigen Stellen


gebraucht, aber dann in prinzipieller Weise und in einem gewichtigen Kon-
text. F ü r Rosenberg steht fest, daß es das Böse und Satanische gibt. Unbe-
dingt werden Religionen, in denen versucht wird, „das Satanische selbst weg-
zuerklären" 2 3 8 , verworfen. Weil die Polarität von göttlich und satanisch ein
„ U r p h ä n o m e n " und „metaphysisches Urgesetz alles Seins und Werdens
ist" 2 3 9 , ist das Böse ein Prinzip der irdischen und überirdischen Grundstruk-
tur der Welt selbst. Selbstverständlich kann man das Urphänomen der Polari-
tät auch als Prinzip des Dualismus begreifen. Der Dualismus göttlich —sata-
nisch ist nicht allen F o r m e n des Dualismus übergeordnet, sondern nur ein
M o m e n t der „Polarität aller Erscheinungen und Ideen", wie z. B. der physi-
kalischen, moralischen, geistigen und dynamischen Polarität. 2 4 0 Aus der Defi-
nition der Polarität, bei der die „Gleichzeitigkeit der Gegensätze, deren beide
G r ö ß e n und Gegebenheiten also nicht als nacheinander hervortretend zu er-
klären s i n d " 2 4 ' , folgt, daß das Satanische nicht von G o t t geschaffen, Satan
nicht von G o t t abgefallen sein kann. Das Böse ist auch nicht der bloße Abfall
vom G u t e n oder die Beraubung Gottes. Im Hinblick auf die religiöse Polari-
tät beruft sich Rosenberg auf die „altpersischen Lehren". 2 4 2 Die „Vorstellung
eines allweltlichen (kosmischen) Gottes der alten Perser" sei „das gewaltigste
Zeugnis für die religiös-philosophische Anerkennung des polaren Seins".
In Zarathustras Religionsschöpfung sei „Ahura Mazda, der ewige G o t t des
Lichtes" zu einer „kosmischen I d e e " herangewachsen, ihm „steht als Feind
der dunkle Angromayniu gegenüber und ringt mit ihm um die Weltherr-
schaft". 2 4 4 In den kosmischen K a m p f um die Weltherrschaft werden die
Menschen involviert. D e n n , so Rosenberg, der Perser sei „zum Dienst für
den lichten G o t t " verpflichtet gewesen, weil „rund um den ringenden Men-
schen" „das Böse" 2 4 5 lauere. Das Böse ist mithin eine Weltmacht und gemäß
dem Urgesetz der Polarität ein selbständiges Prinzip. Die Macht des Bösen ist
jedoch nicht absolut. Denn in „einem gewaltigen Ringen besiegt dann Ahura
Mazda den Angromayniu und richtet sein Friedensreich auf'. 2 4 6 Die Polarität
allen Seins und Werdens hat eine zeitlich-historische Struktur: „Das große
kosmische Drama vollzieht sich in einem viele Weltenalter dauernden Ringen
zwischen dem Licht und der Finsternis." Der Konflikt dauert nur so lange,
bis

238
Ebd., S. 127, vgl. ebd., S. 604, 607.
239
Ebd., S. 126.
240
Vgl. ebd., S. 125 f.
241
Ebd., S. 126.
242
Ebd., S. 130.
243
Ebd., S. 129.
244
Ebd., S. 32.
245
Ebd., S. 33; Rosenberg fährt fort: „Nach dem Tode scheidet sich Gutes und Böses auf
evig."
246
Ebd., S. 33.
238 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

nach einem furchtbaren K a m p f der V( eltheiland, der Caoshianc, k o m m t und die


schwarzen von den weißen Schafen sondert, also eine Gestalt, als welche Jesus ei-
ner späteren Welt erschien. Die Dramatik m u ß natürlich einen H ö h e p u n k t im Sie-
ge finden, aber nirgends ist die Dynamik des seelischen Bewußtseins großartiger
niedergelegt als in der altpersischen Lehre. 2 4 '

Rosenberg ist also deshalb kein Vertreter eines radikalen Dualismus, weil die-
ser in der Zukunft überwunden werden werde. Das Böse liegt für ihn auch
nicht in der äußeren Natur 2 4 8 , genausowenig wie es daraus resultiert, daß auf
der Grundlage der Willensfreiheit die Maximen der Moral nicht erfüllt wer-
den können. 2 4 9 Rosenberg bestimmt vielmehr das Böse analog zu seiner Auf-
fassung von der Gleichheit der Seele mit G o t t ; das heißt, er glaubt an eine
Gleichheit des Menschen - nicht aller Menschen, sondern nur der Mitglieder
eines bestimmten Kollektivs - mit dem Bösen. E s ist daher zu klären, in wel-
cher Weise die Konfiguration des „Antichrist" zum religiösen Inhalt des „My-
t h u s " paßt. Damit soll nicht behauptet werden, daß Rosenbergs Auffassung
vom Bösen allein eine Folge seiner Auffassung vom Christentum ist. Aber es
ist unverkennbar, daß Rosenbergs Auffassung v o m D r a m a des Kampfes zwi-
schen Licht und Finsternis nicht nur mit der Apokalyptik Dietrich Eckarts
und Joseph Goebbels', sondern auch mit einigen Merkmalen der Offenba-
rung des Johannes übereinstimmt. Außerdem meint auch Rosenberg, daß Je-
sus der Welt als Heiland erschien, und er bekennt sich zum „positiven Chri-
stentum" im Gegensatz zum „negativen Christentum". Aber nicht die christ-
liche Religion stelle den fundamentalen Gegensatz zum Prinzip der Polarität
dar, sondern im Monismus des jüdischen M o n o t h e i s m u s sei das „Satanische"
wegzuerklären versucht worden. Nicht in der Religion Jesu selbst, sondern im
„Jerusalemitischen" 2 5 0 sieht Rosenberg den Hauptfeind der altpersischen
Lichtreligion. 251
Für Rosenberg, hier folgt er seinem Meister H o u s t o n Stewart Chamber-
lain 252 und stimmt mit den protestantischen Pfarrern der N S D A P im Bund
„Deutscher Christen" überein, war Christus kein J u d e . 2 5 3 Aber er war für Ro-
senberg auch kein kleiner arischer Wanderprediger aus Galiläa, sondern „Ver-
mittler zwischen Mensch und Gott". 2 5 4 Für Rosenberg „bedeutet Jesus trotz
aller christlichen Kirchen einen Angelpunkt unserer Geschichte". 2 5 5 Jesus sei

247
Ebd., S. 130.
248
Vgl. ebd., S. 251, 266, 532, 536, 554, 683 f.
249
Vgl. Christoph Schulte, radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche,
München 1988, S. 33 ff., S. 74 ff.
250
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 130.
251
Vgl. ebd., S. 33.
252
Vgl. Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, S. 204.
Für Rosenberg liegt „nicht der geringste zwingende Grund zur Annahme vor, daß Jesus
jüdischer Herkunft gewesen" ist, Rosenberg, Mythus, S. 76.
254
Ebd., S. 624.
255
Ebd., S. 391.
Volk und Rasse 239

als „Religionsgründer" eine, w e n n auch nur eine unter anderen, „vollkommen


eigengesetzliche V e r k ö r p e r u n g des Göttlichen in einem Menschen". 2 5 6 Der
„ E m p ö r e r aus N a z a r e t h " war „eine Offenbarung" 2 5 7 ,wenn auch keine „ein-
malige", denn er habe gepredigt: „,Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu
bringen, sondern das Schwert'". 2 5 8 Im Hinblick auf die Kreuzigung und die
Auferstehung fordert Rosenberg die „Schöpfung" eines „neuen Jesusbildes",
nämlich: „Jesus der Held". 2 5 9 Rosenberg stellt einen Z u s a m m e n h a n g zwi-
schen der Einheit von Mensch und G o t t und dem Opfertod Christi her. Je-
sus, der Herr, und die absolute Persönlichkeit geraten in den Vordergrund. So
wie Rosenberg die Vorstellung „des absoluten, fernen, herrschenden Got-
tes" 2 6 v e h e m e n t verwirft, so identifiziert er die Einheit von Persönlichkeit
und G o t t mit der Gestalt Jesu:

Nur im streng jüdisch-kirchlichen ,Christentum' lebt noch die vollkommene Tren-


nung Persönlichkeit —Gott weiter, obgleich die Gestalt Jesu gerade diese Einheit in
einem Maße fordert, wie sie in der Geschichte selten zu dieser bezaubernden Grö-
ße herangewachsen ist: die absolute Persönlichkeit, die ist, d. h. frei ihrem eigenen
Gesetz nach lebt, als Herr über die Person. 261
D e r „gewaltige Prediger und Z ü r n e r im T e m p e l " ist nach Rosenberg „selbst-
bewußter Herr im besten und höchsten Sinn des Wortes" 2 6 2 , und das Opfer
und die Liebe Christi werden dahingehend gedeutet:
Und jetzt dürfen wir wohl auch sagen, daß die Liebe Jesu Christi die Liebe eines
seines Seelenadels und seiner starken Persönlichkeit bewußten Mannes gewesen ist.
Jesus opferte sich als Herr, nicht als Knecht. 263
Rosenbergs Kritik an der religiösen Tradition der Kirchen - er meint, es hät-
te „Urchristen" 2 6 4 gegeben - besteht in einer wüsten Polemik gegen die ka-
tholische Konfession und in einem eher sanften Tadel am Protestantismus.
Abgesehen von den rassistisch bedingten Argumenten gegenüber der rö-
misch-katholischen Kirche, nämlich diese untergrabe die Werte von Volk,

Ebd., S. 442; Rosenberg meint das im Zusammenhang mit dem Bedauern, daß Europa „ab-
solut religiöse Genies wie z. B. Zarathustra und Jajnavalkya für seinen aufrechten religiö-
sen Fanatismus noch nicht besessen habe".
257
Ebd., S. 134.
258 „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf der Erde. Ich bin

nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert", Matth. 10,34.


259 Alfred Rosenberg, Mythus, S. 414.
260 Ebd., S. 246.
261
Ebd., S. 396; ohne Zweifel läßt diese Idolatrie eine Verknüpfung von moderner Subjektivi-
tät und der F.inheit von Gott und Mensch erkennen. Was kann moderne Subjektivität mehr
sein als die „absolute Persönlichkeit", die „frei ihrem eigenen Gesetz nach lebt" oder, wie
es einige Zeilen weiter heißt, die „Idee der eigengesetzlichen Persönlichkeit"?
262
Ebd., S. 604.
263
Ebd., S. 622.
2M Ebd., S. 114, 74 f.
240 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

N a t i o n und Rasse 2 6 5 , verurteilt Rosenberg auch den „Zauberglauben" 2 6 6 , die


„ E r b - S ü n d e n l e h r e " 2 6 7 , die „ G n a d e n l e h r e " 2 6 8 , die „Sakramente" 2 6 9 sowie Lie-
be, Mitleid, Barmherzigkeit und D e m u t als primäre T u g e n d e n . 2 7 0 Jeder spie-
ßige Freidenker k ö n n t e Freude am Vokabular Rosenbergs haben (der Prie-
ster, dessen „Typus der Medizinmann ist" 2 7 1 ; R o m betreibe die „Machtpolitik
eines sich selbst v e r g ö t t e r n d e n Priesterbundes" 2 7 2 ; der P a p s t als „Medizin-
m a n n " werde „ z u m unfehlbaren G o t t erklärt" 2 7 3 ). Auch Luther, der zwar
„der größte Retter des A b e n d l a n d e s " 2 7 4 gewesen sei, habe den Protestantis-
mus auf das „ N e u e T e s t a m e n t " und das „Alte T e s t a m e n t " 2 7 5 verpflichtet -
w o m i t wir zum Kern der Kritik am negativen Christentum gelangen. Das p o -
sitive und das negative Christentum seien seit jeher im K a m p f begriffen. 2 7 6
Maßgebend für Rosenberg ist das „Leben des Soter (des Heilands)" und nicht
die Folgen seines T o d e s „dem einzigen Motiv der paulinischen Briefe". So
wird G o e t h e zum K r o n z e u g e n der abendländischen Seele und des positiven
Christentums: „ G o e t h e aber empfand gerade das Leben Christi als wichtig,
nicht den T o d , und bezeugte dadurch die Seele des germanischen Abendlan-
des, das positive Christentum gegenüber d e m negativen der auf etrusko-asia-
tische Vorstellung zurückgehenden Priesterherrschaft und des Hexen-
w a h n s . " 2 7 7 D a s negative C h r i s t e n t u m „ p o c h t auf seine syrisch-etruskische
Überlieferung, auf abstrakte D o g m e n und altgeheiligte G e b r ä u c h e " . 2 7 8 Ro-
senberg ist davon überzeugt, daß gleich nach dem T o d Christi die Lehren Jesu
verfälscht worden seien. 2 7 9 Die Kritik an der katholischen und an der prote-
stantischen Theologie läuft darauf hinaus, daß die gesamte Tradition der Kir-
che nicht christlich, sondern nur paulinisch gewesen sei:

Die jüdische Vorstellung vom ,Knecht Gottes', der vom willkürlichen, absolutisti-
schen Gott Gnade zuerteilt erhält, somit übergegangen auf Rom und Wittenberg,
klammert sich noch immer an Paulus, [...] womit gesagt sein soll, daß die Kirchen

265
Vgl. ebd., S. 76, 156, 167, 170, 184, 195, 460 f.
266
Ebd. S. 172, 175.
267
Ebd., S. 71 f., 237.
268 Ebd., S. 168, 235.
269 Ebd., S. 162.
270 Vgl. ebd., S. 150, 155 f., 168 f., 681.
271
Ebd., S. 127.
272
Ebd., S. 160.
273
Ebd., S. 175.
274
Ebd., S. 185.
275
Ebd., S. 129.
276
„Das negative und das positive Christentum standen von je im Kampfe und ringen noch
erbitterter als früher gerade in unseren Tagen", ebd., S. 79.
277 Ebd., S. 78.
278 Ebd., S. 79.

m „Die große Persönlichkeit Jesu Christi, wie immer sie auch gestaltet gewesen sein mag,
wurde gleich nach ihrem Hinscheiden mit allem Wust des vorderasiatischen, des jüdischen
und afrikanischen Lebens beladen und verschmolzen", ebd., S. 74.
Volk und Rasse 241

nicht christlich, sondern paulinisch sind, da doch Jesus fraglos das Eins-Sein mit
Gott als Erlösung und Ziel pries. 280
Die Affirmation der Einheit v o n G o t t und Mensch ist mithin für Rosenberg
das Kriterium für die Verurteilung der jüdisch-christlichen Tradition. Die
Einheit v o n göttlicher und menschlicher N a t u r korrespondiert, was im Hin-
blick auf ein Paradigma der M o d e r n e zu b e t o n e n ist, mit der Verwerfung ei-
nes d e m Menschen fremd gegenüberstehenden, herrschenden G o t t e s . Rosen-
berg fordert keineswegs die totale Negation des Christentums und der Evan-
gelien, sondern fordert — man höre und staune — ein neues, ein „fünftes Evan-
gelium" 2 8 1 ; sozusagen ein drittes Testament. Für die neue Religion sollen so-
gar das J o h a n n e s - und das Markus-Evangelium herangezogen werden. „Jo-
h a n n e s " habe „Jesus genial gedeutet". 2 8 2 D a s „ J o h a n n e s - E v a n g e l i u m " enthal-
te die „erste geniale D e u t u n g , das Erlebnis der ewigen Polarität v o n G u t und
Böse gegen die alttestamenthche Wahnvorstellung, daß J a h w e das G u t e und
das Böse aus d e m Nichts geschaffen" habe. D a s Evangelium Marci sei das
„Urevangelium", was übrigens auch in der historisch-kritischen Bibelfor-
schung behauptet wurde. Für Rosenberg gilt:

Das Markus-Evangelium enthält wahrscheinlich (wenn auch gleichfalls überarbei-


tet) den eigendichen Kern der Botschaft von der Gotteskindschaft gegen die semi-
tische Lehre vom Knechte Gottes. 284
Alle anderen Auffassungen über die Lehre Jesu seien paulinisch. 2 8 5 Was pau-
linisch ist, ist nicht christlich, was paulinisch ist, ist jüdisch, ist mithin negati-
ves Christentum. Die wesentlichen theologischen Merkmale von positivem
und negativem Christentum faßt Rosenberg dahingehend zusammen:
Die .christlichen' Kirchen sind aber eine ungeheuerliche, bewußte und unbewußte
Umfälschung der schlichten, frohen Botschaft vom Himmelreich, inwendig in uns,
von der Gotteskindschaft, vom Dienst für das Gute und von der flammenden Ab-
wehr gegen das Böse. 286

Rosenbergs spezifisches Verständnis von Religion besteht in der Einheit v o n


G o t t und menschlicher Seele. D e r religiöse „ K e r n " der „Gotteskindschaft"
hat die Form der Konsubstantialität von Mensch und G o t t . Die Einheit v o n
göttlicher und menschlicher N a t u r k o m m t nicht, wie in der Dogmatik der
katholischen und der protestantischen Kirche, einzig und allein Jesus Christus

280
Ebd., S. 235; vgl. ebd., S. 605.
281
Ebd., S. 603.
282
Ebd., S. 606.
283
Ebd., S. 604.
284 Ebd.
285 „Unsere paulinischen Kirchen sind somit im wesentlichen nicht christlich, sondern ein Er-
zeugnis der jüdisch-syrischen Apostelbestrebungen, wie sie der jerusalemitische Verfasser
des Matthäus-Evangeliums eingeleitet und Paulus unabhängig von ihm beendet hatte",
ebd., S. 605.
Ebd., S. 607.
242 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

zu. Rosenberg ist auf die Verkörperung des Absoluten im Menschen, auf die
reale Vereinigung von G o t t und Mensch, auf die Realpräsenz Gottes in der
Seele aus. Weiterhin sind für Rosenberg G o t t und das Böse polare Gegensät-
ze. Dementsprechend besteht die Dramatik der Geschichte in einem K a m p f
zwischen göttlichen und satanischen Mächten, an dessen E n d e der Sieg über
die Bösen mit Hilfe eines kommenden Weltheilands erreicht werden kann. 2 8 7
Inwiefern diese Dimensionen von Religion Implikationen der Rassendoktrin
Rosenbergs sind, soll im folgenden dargelegt werden.

d. Rasse u n d kollektive I d e n t i t ä t . D a s d e u t s c h e V o l k , sein Selbst,


seine Seele u n d seine S u b s t a n z

aa. Identität und Substanz

Nachdem im vorhergehenden Abschnitt Rosenbergs allgemeiner Religions-


begriff sowie sein Glaube an Gott, Christus und das Böse aus methodischen
G r ü n d e n für sich behandelt wurden, soll nun das in diesem Kontext stehen-
de Bewußtsein von Gesellschaft fokussiert werden. Im Z e n t r u m von Rosen-
bergs Bewußtsein von Gesellschaft steht der Z u s a m m e n h a n g von Volk und
Rasse, wobei er zwischen Volk und Nation nicht unterscheidet. Dabei ist das
Ziel des hier verfolgten Erkenntnisinteresses nicht der Rassismus als solcher,
sondern die Auffassung von Volk, dem Wert und dem Werden des Volkes.
Läßt sich der „Mythus" Rosenbergs in den Problemgehalt der Konstitution
kollektiver Identität einordnen, dann denkt Rosenberg nicht außerhalb der
ideologischen Konstellationen der Moderne. Möglicherweise ist seine K o n -
zeption von „Rasse" im Hinblick auf die Konstellation der Souveränität und
Identität des Volkes radikaler, als es die endothymen Freunde der Volkssou-
veränität ahnen.
Die absolute Subjektivität des Individuums einer Rasse ist nicht die Sache
Rosenbergs. Das Volk als Ganzes ist das Ziel und der Mythus das Medium.
Das wird - in der Prosa des Erweckens - am Schluß des Werkes mustergültig
zusammengefaßt.
Dieser alt-neue Mythus treibt und bereichert bereits Millionen von Menschensee-
len. Er sagt heute mit tausend Zungen, daß wir uns nicht ,um 1800 vollendet' hät-
ten, sondern daß wir mit erhöhtem Bewußtsein und flutendem Willen zum ersten-
mal als ganzes Volk wir selbst werden wollen: ,Eins mit sich selbst', wie es Mei-
ster Eckehart erstrebte. Mythus ist für Hunderttausende von Seelen nicht etwas,
was man mit gelehrter Überheblichkeit als Kuriosität in Katalogen vermerkt, son-
dern das Neuerwachen des zellenbildenden seelischen Zentrums. 288

Vgl. ebd., S. 130.


Ebd., S. 699 [Hervorhebung im Original!
Volk und Rasse 243

Fast der gesamte Gehalt des Rosenbergschen „Mythus" ist in diesem Schlüs-
selzitat enthalten. Zwischen Mythus, Seele, den Einzelseelen, Bewußtsein,
Wille und den künftigen Qualitäten von Volk herrscht eine intensive Bindung.
D e r „ M y t h u s " ist sowohl alt als auch neu. Er wirkt - „treibt" und „berei-
c h e r t " - auf Millionen von Einzelseelen im Hinblick auf ihre kollektive Exi-
stenz. Zwischen dem „Mythus" und den Einzelseelen besteht eine — noch er-
klärungsbedürftige - innige Verbindung, denn der Mythus artikuliert sich
durch die Individuen eines Kollektivs, indem er mit „tausend Z u n g e n " etwas
„sagt". D e r Zustand der Verbindung wird verdoppelt, insofern auch die Dif-
ferenz von Bewußtsein und Wille — was weiterhin erklärungsbedürftig ist -
wegen eines gemeinsamen Zieles aufgehoben wird. Bewußtsein und Wille (ge-
mäß dem Kontext offensichtlich Bestandteile von Seele) haben nicht als
„ I c h " , sondern als „Wir" ein kollektiv-selbstreferentielles, nämlich ein auf das
Volk gerichtetes Ziel. Durch den Mythus und mit dem Mythus wollen die
„Menschenseelen" etwas werden, was sie noch nicht sind. 289 Das Ziel besteht
darin, „selbst werden" zu „wollen". Aber nicht nur das „Selbst" ist das Ziel.
Rosenberg ist auf eine Übereinstimmung aus. Der „Mythus" hat zum Inhalt,
daß das Volk „ E i n s " werden soll, nämlich „Eins mit sich selbst".
Mit der hier zitierten Stelle wird die Definition des Mythus am Anfang des
Buches über „Das kommende Reich" ergänzt. D o r t macht die „nicht faßbare
Zusammenfassung aller Richtungen des Ich, des Volkes, überhaupt einer Ge-
meinschaft" einen Mythus aus, wenn er aus einem „ Z e n t r u m " , das wiederum
„jenseits des nur erfahrungsmäßig (empirisch) Erforschbaren liegt" 290 , ge-
boren wird. Die hier beschriebene Funktion des Mythus betrifft drei Dimen-
sionen:

1. Seele sowie Bewußtsein und Wille


2. Volk
3. Identität: Das Volk, das „Eins mit sich selbst" werden will und ein und
dasselbe werden will; die Einheit und das Selbst des Volkes, mithin Identi-
tät als Prädikat von Volk.

Im Hinblick auf die verschiedenen Konzeptionen von Identität 2 9 1 in den ver-


schiedenen Bereichen und Theorien über Identität könnte daran gezweifelt
werden, o b es überhaupt sinnvoll ist, mit dem Begriff Identität den „Mythus"
Rosenbergs deskriptiv zu erfassen. Aber ohne Zweifel entspricht der von Ro-
senberg absichtlich gewählte T o p o s „Eins mit sich selbst" dem semantischen

289
Der Text könnte auch die Auslegung zulassen, daß sich das Verb „wollen" sowohl auf
„Wir" als auch auf „als ganzes Volk" bezieht.
290
Ebd., S. 459.
291
Vgl. Dieter Henrich, .Identität' - Begriffe, Probleme, Grenzen, in: Odo Marquard und
Karlheinz Stierle (Hrsg.), Politik und Hermeneutik, Bd. XIII, Identität, München 1979, S.
133-187.
244 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

und begriffsgeschichtlichen Gehalt des Begriffes Identität, insofern das Prä-


dikat identisch „ein und dasselbe" bedeutet. D a ß für Rosenberg der Logos
der Mystik für den T o p o s „Volk" maßgebend ist, spricht nicht gegen die Zu-
hilfenahme der Kategorie Identität z u m Zwecke der rein phänomenologi-
schen Erfassung des „Mythus". D e n n Rosenberg bemüht mit Meister Eckhart
den Beginn einer wirkmächtigen Tradition in der deutschen Geistesgeschich-
te. D e r sozusagen metatheoretische Ansatz des Modells „Mystik" - welche
B e s t i m m u n g v o n Identität k o m m t o h n e den sogenannten meta-theoretischen
Ansatz ü b e r h a u p t aus? — schließt die Ähnlichkeit - wenn auch nur in einigen
Hinsichten - mit den verschiedenen Strukturen moderner Identitätskonzep-
tionen nicht aus. Z u m Beispiel soll g e m ä ß der modernen Sozialpsychologie,
deren Gegenstand die einzelne Person (individuelles Selbst) im Verhältnis zu
G r u p p e n der Gesellschaft (soziales Selbst) ist, die Identität erworben werden.
D a h e r sind bestimmte Qualitäten wie A u t o n o m i e , Konstanz und Charakter
erforderlich, um im Urteil über eine Person das Prädikat Identität zu ermög-
lichen. 2 9 2 Ist Identität der Einzelpsyche das Ziel der Sozialpsychologie, so
geht es R o s e n b e r g primär um die Kollektivperson der Deutschen, um das ge-
sellschaftlich-völkische Selbst und um die Volksseele. Volkspsychologisch hat
R o s e n b e r g ein Selbst im Z u s a m m e n h a n g mit bestimmten W e r t e n 2 9 3 (die
H ö c h s t w e r t e sind E h r e und Freiheit) sowie die Formierung eines ganz be-
stimmten Typus des neuen deutschen Menschen im Sinn. D a ß sich die Deut-
schen ihre Gesetze selbst geben sollen, jede F r e m d b e s t i m m u n g negierend, ist
nicht nur der Sinn des Kapitels über das „Nordische Recht", sondern des
ganzen „ M y t h u s " und verweist nur auf das zu beschreibende P h ä n o m e n
selbst. D a weiterhin die Kategorie der Identität mit dem M o m e n t der K o n -
stanz v e r b u n d e n ist, m u ß geprüft werden, o b Rosenberg einen G r u n d für die
K o n s t a n z kollektiver Identität gefunden oder erfunden hat. Dieser Problem-
gehalt ist auch anders zu beschreiben. Bei Rosenberg hat die Z u o r d n u n g ,
„Eins mit sich selbst" zu sein, nicht den Zweck, das Volk als Gegenstand ei-
nes Urteils wertfrei v o n Völkern gleichwertiger Art zu unterscheiden und
Identität rein formal und damit politisch problemlos vorauszusetzen. Für Ro-
senberg ist Identität im Sinne v o n „Eins mit sich selbst" — leider, nämlich
anders als bei Kant, den er gern b e m ü h t 2 9 4 - nicht nur eine Kategorie des
Bewußtseins. G e r a d e die A n n a h m e , Identität in den Prozeß eines Werdens zu
ziehen und sie einem Kollektivum, nämlich d e m Volk als Ziel, z u o r d n e n zu
wollen, kann zu der These verführen, daß mit d e m Modell des „ M y t h u s " eine
O p e r a t i o n möglich ist, die uns aus der m o d e r n e n Logik (der sogenannten lo-

Vgl. ebd., S. 136.


Schließlich hat der „Mythus" den Untertitel „Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestal-
tenkämpfe unserer Zeit", und das erste Buch den Titel „Das Ringen der Werte", Alfred
Rosenberg, Mythus, S. 2, 4, 81, 514 f., 601.
Vgl. ebd., S. 121, 131, 136, 141, 143, 200, 241, 273, 303, 318, 323, 393, 398, 419, 571, 630,
687.
Volk und Rasse 245

gischen Identität) bekannt ist, nämlich die der Substitution der Elemente ei-
ner Relation in den Gesamtbereich von Individuen. Die Operation der Sub-
stitution bei der Bildung eines Identitätsurteils in der modernen Logik folgt
dem sogenannten Gesetz der Identität von Leibniz. 295 Danach sind x und y
identisch, wenn alle Eigenschaften, die x zukommen, auch y zukommen und
daher x und y „nach Belieben durch einander ersetzt werden" können. 296
Ohne Rosenberg zum Logiker oder gar kompetenten Interpreten von Leib-
niz hochzustilisieren, soll nicht unerwähnt bleiben, daß für Rosenberg Leib-
niz der „Ahnungsvolle und doch schon hellbewußte Verkünder" einer zeitge-
mäßen „Auffassung von Ich und Du, von Ich und Ewigkeit" 297 ist, indem er
danach gefragt habe, was die Seelen als „Monaden" miteinander als Gleiche
verbindet. 298 Vielleicht aber hat Rosenberg ein Konzept, wonach Subjekt und
Objekt, Denken und Sein, Geist und Materie nur verschiedene Momente oder
Erscheinung einer einzigen Wirklichkeit sind, die in einem letzten Urgrund,
einem Ursprung oder einer Substanz zusammenfallen? Insofern das Prinzip
Einheit und das Prinzip Selbst Momente seiner Auffassung von Volk und
Seele sind, ist aber zunächst an die Verwendung der Begriffe Einheit und
Selbst anzuknüpfen.
Rosenbergs These von der „Polarität aller Erscheinungen und Ideen" 299
könnte dagegen sprechen, die gnoseologische Struktur des „Mythus" unter
die Kategorie der Identität subsumieren zu dürfen. Aber die „Zwiefachheit
alles Seins" 300 wird durch ein fundamentales Einheitsprinzip, nämlich die
„Einheit des Wesens" 301 , so die Überschrift über das allerletzte Kapitel des
gesamten „Mythus", ergänzt. Dieses zeige sich in der Form des „Einssein von

Wilhelm Leibniz, Specimen calculi universalis, in: C. J. Erhardt (Hrsg.), Die philosophi-
schen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. 7, Berlin 1890, S. 219. Immerhin hat
sich Leibniz selbst mit seiner Schrift „Von der wahren Theologia mystica" zu einer aktiven
Form der Mystik bekannt und behauptet, sie in seine Philosophie aufgenommen zu haben.
Zu der Frage, ob diese Schrift eine Übersetzung der Monadenlehre in die Sprachen der
Mystik sei und dazu, welchem Verständnis von Mystik die Auffassung Leibniz' entspricht,
vgl. Albert Heinekamp, Leibniz und die Mystik, in: Koslowski (Hrsg.), Gnosis und Mystik
in der Geschichte der Philosophie, München 1988, S. 183-206: Nach Heinekamp steht
Leibniz der Mystik nur nahe, „wenn man — wie z. B. Baruzzi und Mahnke — einen sehr wei-
ten und unspezifischen Begriff von Mystik zugrundelegt" (ebd., S. 203). Indes meint auch
der große Leibniz, „daß Gott und das Licht sich in uns befänden" (ebd., S. 191) und
stimmt insofern mit den metaphilosophischen Annahmen aller Mystiker überein.
Vgl. Heinrich Scholz/Hermann Schweitzer, Die sogenannten Definitionen durch Abstrak-
tion — Eine Theorie der Definitionen durch Bildung von Gleichheitsverwandtschaften,
Leipzig 1935, S. 19; Albert Menne, Gleichheit, Identität und Wirklichkeit. Eine logisch-phi-
losophische Untersuchung, in: Ratio, Bd. 4, Heft. 1, Jg. 1961; Rudolf Göldel, Die Lehre
von der Identität in der Logikwissenschaft seit Lotze, Leipzig 1935; ders., Identität als
Brücke zwischen Mensch und Welt, Leipzig 1936.
297 Alfred Rosenberg, Mythus, S. 689.
298 Vgl. ebd., S. 694, 690, 93 f.
299 Ebd., S. 125.
300 Ebd.
»1 Ebd., S. 678.
246 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", so die Beschreibung des ersten


Abschnittes des letzten Kapitels in der Gliederung. 3 0 2 Geschichte sei „nicht
Entwicklung eines Nichts zu einem Etwas, auch nicht von Unbedeutendem
zu G r o ß e m , und nicht die Verwandlung eines Wesens in ein ganz anderes" 3 0 3 ,
sondern die ursprüngliche Einheit des Wesens bleibe erhalten. Diese Einheit
gelte auch für die „deutsche Geschichte, für ihre Männer, ihre Werte, für den
uralten und neuen Mythus, für die tragenden Ideen des deutschen Volks-
tums". 3 0 4 W o die Einheit des Wesens namens Volk ihren Grund hat, bedarf
natürlich noch der Klärung, was auch für die von Rosenberg im selben Kon-
text angenommene „Einheit von Mythus, Märchen, Sage und Philosophie" 3 0 5
gilt. Das heißt, es ist darauf zurückzukommen, warum Rosenberg konsequen-
terweise annimmt, daß eine „Weltanschauung" nur dann wahr sei, wenn Mär-
chen, Sagen, Mystik, Kunst und Philosophie „sich gegenseitig umschalten las-
sen und das Gleiche in verschiedener Weise ausdrücken, innere Werte glei-
cher Art zur Voraussetzung haben". Es hängt auf jeden Fall damit zusammen,
daß die „Einheit von Seele und Natur" 3 0 6 u n d das „Eins-Sein mit G o t t " 3 0 7 im
„Mythus" Rosenbergs zu einer substantiell verstandenen Identität führen.
Entsprechen Rosenbergs Aussagen über den Inhalt und den Zweck des
Mythus nicht nur dem Einheitsprinzip des Begriffs Identität, sondern auch
dem Prinzip der Selbigkeit? Wenn Rosenberg am Schluß des Mythus bekun-
det, der „alt-neue Mythus" führe dazu, „daß wir mit erhöhtem Bewußtsein
und flutendem Willen als ganzes Volk wir selbst werden wollen" 3 0 8 , dann ist
das Selbst-Werden nicht beiläufig gemeint. Dafür spricht nicht nur der Verweis
auf die Mystik mit der Formulierung „,Eins mit sich selbst', wie es Meister
Eckhart erstrebte" sowie die Wiederholung dieser Formulierung an zentralen
Stellen 309 , sondern auch der Kontext der Wortkombinationen von „Selbst",
„Selbstverwirklichung" 3 1 0 , „Selbstentfaltung" 3 1 1 , „Selbstbewußtsein" 3 1 2 ,
313 314
„Selbstgefühl" , „Selbstvollendung" und „Selbstbestimmung". 3 1 5 Die
Substantivbildungen mit „Selbst" haben auch deshalb Gewicht, weil sie vor-
nehmlich in zwei zentralen Kapiteln, nämlich in dem Kapitel über Meister

302
Vgl. ebd., S. XX.
303
Ebd., S. 678.
304
Ebd.
305
Inhaltsbeschreibung des 3. Kapitels des letzten Buches in der Gliederung, ebd., S. XXI;
vgl. S. 688.
306
Ebd., S. 230.
307
Ebd., S. 235.
308
Ebd., S. 699 [Hervorhebung im Original).
309
Vgl. ebd., S. 699, S. 234, 273, 693.
3,0
Ebd., S. 248, 685, 689.
311
Ebd., S. 691.
3,2
Ebd., S. 8, 223, 259.
313
Ebd., S. 700.
3,4
Ebd., S. 684.
315
Ebd., S. 222.
Volk und Rasse 247

Eckhart („Mystik und Tat") und im Schlußkapitel („Die Einheit des Wesens")
v o r k o m m e n . Zu prüfen ist, ob Zweck und Inhalt der Aussagen Rosenbergs
über Selbstbewußtsein, Selbstverwirklichung, Selbstentfaltung und Selbstvoll-
e n d u n g das Urteil zulassen, daß es sich dabei um ein Prinzip „Selbst" hande-
le. E s ist daran zu erinnern, daß nach dem Selbstverständnis Rosenbergs die
Arbeit für den „Mythus" die „Herausmeißelung der geistigen Typen" und die
Arbeit am „ M y t h u s " „das ,Selbst-Bewußtwerden suchender Menschen ist'".
N a c h Rosenberg wird „im Bewußtsein der möglichen Vervollkommnung
durch Selbstverwirklichung" eine „neue Sittlichkeit begründet" 3 1 6 , deren Maß
und Ziel in der Seele selbst liege, denn, so Rosenberg, die „Seele holt sich
keine abstrakten Regeln von außen, sie bewegt sich auch nicht auf ein äuße-
res, hingestelltes Ziel zu, sie geht also in keinem Fall ,aus sich heraus', son-
dern ,kommt zu sich selbst'". 3 1 7 N i c h t ein Selbst zu sein ist Schuld, nicht ir-
gendeine Schuld, sondern die einzige Schuld: „Es gibt für den Menschen nur
eine Schuld", so zitiert er zustimmend Paul de Lagarde, „die, nicht er selbst
zu sein". 3 1 8 Rosenberg reduziert Schuld nicht ohne G r u n d . Die Reduktion hat
ihren G r u n d im G r u n d schlechthin, denn sie resultiert aus der Beziehung
zwischen G o t t selbst und dem persönlichen Selbst. Rosenberg verknüpft die
„Idee der eigengesetzlichen Persönlichkeit" mit der der „Einheit von Persön-
lichkeit und Gott". 3 1 9 D e m e n t s p r e c h e n d konzipiert Rosenberg die Lehre von
der Prädestination. Im Gegensatz zu „der jüdisch-syrisch-römischen Gedan-
kenwelt aber, welche Persönlichkeit und G o t t auseinanderreiht und feindlich
gegenüberstellt", sage die „Lehre von der Vorherbestimmung (Prädestina-
tion)", in der „abendländischen Gedankenwelt nichts weiter, als daß der ,Gott
im Busen', der nicht der Gegensatz des Ich, sondern das Selbst ist, das Ziel
durch die Wesensart bestimmt". 3 2 0 Ein Selbst zu sein ist mithin Sache der
Prädestination. Prädestination heißt, das Selbst zu werden, das man - an sich
schon — ist. Eins mit sich selbst sein heißt Eins mit G o t t zu sein. G o t t ist das
Selbst. Das Ziel, selbst zu werden, beruht darauf, die Wesensart Gottes in
sich zu haben und ist dadurch bestimmt. Das Selbst als Ziel, die Selbstver-
wirklichung, ist durch einen göttlichen Anfangsgrund, durch einen Ursprung
und ein Erstes bestimmt. D a s Selbst ist Prinzip. D e r intranszendente G o t t ist
das Selbst oder das Selbst ist intranszendenter Gott. Ist in der abendländi-
schen Theologie nur G o t t ens causa sui, Ursache seiner selbst, so ist für
Rosenberg, Meister Eckhart zitierend, auch das Ich Ursache seiner Selbst:

,Ich bin die Ursache meiner selbst, nach meinem ewigen und nach meinem zeitli-

316
Ebd., S. 689.
3.7
Ebd., S. 689 f.
3.8
Im Kontext wird die Autfassung Lagardes, „Nationen" seien das Ergebnis „göttlicher Ein-
setzungen" und „Gedanken Gottes" zitiert. Paul de Lagarde sei „nach Meister Eckhart
vielleicht der Erste, der den deutschen ewigen Traum ausgesprochen hat", ebd., S. 458.
3.9
Ebd., S. 396.
320
Ebd., S. 395.
248 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

chen Wesen [...]. In meiner Geburt wurden auch alle Dinge geboren, ich war zu-
gleich meine eigene und aller Dinge Ursache.
Was, so muß hinzugefügt werden, für den heiligen Augustinus die Kardinal-
sünde der Superbia und das Motiv der Erbsünde ist 322 , ist für Rosenberg ein
noch nie dagewesenes „bewußtes aristokratisches Seelenbekenntnis". 3 2 3 Das
Selbst als Erzeugung des Ichs durch das Ich geschieht, anders als in der links-
hegelianischen Tradition der Emanzipation, allerdings nicht o h n e Gott. Zwar
sind nach Rosenberg „Ich und G o t t seelische Polarität" 3 2 4 , aber „Schöp-
fungsakt ist jede Vereinigung" von Ich und Gott, und darauf bezieht sich Ro-
senbergs Verständnis von Selbstbewußtsein:

Die echte nordische Seele ist auf ihrem Höhenfluge stets ,zu Gott zu' und .stets
von Gott her'. Ihre ,Ruhe in Gott' ist zugleich ,Ruhe in sich'. Diese Vereinigung,
als Verschenken und Selbstbewußtsein zugleich empfunden, heißt nordische My-
stik.325

Die Vereinigung von G o t t und Ich als Inhalt des Selbstbewußtseins k o m m t


mithin nur dem nordischen Selbstbewußtsein zu. N u r das nordische Selbst
hat den „ G o t t im Busen", und nur dort wird das göttliche Selbst verwirklicht.
Für Rosenberg ist Selbst zu sein ein Sein, das wird, bei dem das Selbst nicht
nur Objekt Gottes, sondern auch göttliches Subjekt ist:
Wir stehen strebend in einem ewigen Werden, jedoch mit dem Bewußtsein eines
Seins, das ,wird'. Dieser nordische Gedanke der Selbstverwirklichung erhält in jü-
disch-römischer Verfälschung den Sinn einer Bewegung der Kreatur ,zu Gott zu',
wobei aus der Selbstverwirklichung eine Verwirklichung des Gottes wird, in des-
sen Hand wir doch nur gestaltlosen Ton oder einen Leichnam darstellen.

Das moderne M o m e n t der jede Fremdbestimmung negierenden Selbstver-


wirklichung als Emanzipation der Menschheit vom Judentum soll in diesem
Kontext nicht verkannt werden. Aber Rosenberg beabsichtigt nicht, daß al-
lein und nur in der Subjektivität der Einzelpersönlichkeit das Selbst unvermit-
telt zum Bewußtsein seiner Selbst kommt und sich verwirklicht. D e n n selbst
die „großen Einzelmenschen" und das „ G e n i e " sind nur die „größte Verkör-
perung der Nation". 3 2 7 Der „weiseste M e n s c h " ist „der, dessen persönliche
Selbstverwirklichung mit der Lebensdarstellung der G r o ß e n germanischen
Blutes auf der gleichen Linie liegt" 328 , und „selbsterlebte weisheitsvolle Welt-
betrachtung und organische Selbstvollendung bedeuten das Erleben jenes

321
Ebd. , S. 225.
322 Vgl. Aurelius Augustinus;, Der Gottesstaat, 3 Bde. Salzburg 1966, Buch 13
323 Alfred Rosenberg, MytbJS,
323 Vgl. S. 225.
324 Ebd. , S. 248.
325 Ebd. [Hervorhebung im Original].
326 Ebd.
327 Ebd. , S. 628.
328 Ebd. , S. 685.
Volk und Rasse 249

Blutstromes, der die altgermanischen Dichter, die großen Denker und Künst-
ler, die deutschen Staatsmänner und Feldherren verbindet". 3 2 9 Die hiermit
behauptete Kohärenz der Einzelpersönlichkeiten enthält die Annahme einer
Substanz der nordischen Selbstverwirklichung und -Vollendung, womit auf
das mit großen Buchstaben zu schreibende Selbst der nordischen Rassen-
seele, deren Eigenschaften erst ermöglichen, daß das Volk „Eins mit sich
selbst" werden wird, überzuleiten ist.
Zwischen Persönlichkeit, Volk, Rasse und Kultur stellt Rosenberg - die
Organismuskonzeption O t h m a r Spanns partiell kritisierend — folgenden Zu-
sammenhang her:
Wir setzen folgende lebensgesetzliche Gliederung: 1. Rassenseele, 2. Volkstum, 3.
Persönlichkeit, 4. Kulturkreis, wobei wir nicht an eine Stufenleiter von oben nach
unten denken, sondern an einen durchpulsten Kreislauf. Die Rassenseele ist nicht
mit Händen greifbar und doch dargestellt im blutgebundenen Volkstum, gekrönt
und gleichnishaft zusammengeballt in den großen Persönlichkeiten, die schöpfe-
risch wirkend einen Kulturkreis erzeugen, der wiederum von Rasse und Rassen-
seele getragen wird. Diese Ganzheit ist nicht nur ,Geist', sondern Geist und Wille,
also eine Lebenstotalität. Die ,Ausgliederungsfülle' des Volkstums wird also hier-
mit organisch auf ihre blut-seelischen Urgründe zurückgeführt.330

Im Kausalzusammenhang zwischen Volkstum, Rassenseele und Persönlich-


keit, Rassenseele und Kultur sowie Volk und Persönlichkeit, Volk und Kultur
sowie Persönlichkeit und Kultur sind die wesentlichen Merkmale der Art und
Weise, wie Rosenberg kollektive Identität zu imaginieren versucht, enthalten.
Das Kreislaufmodell Rosenbergs ist nicht durch eine äquivalente Wechselwir-
kung zwischen Rassenseele, Volk, Persönlichkeit und Kultur bestimmt. Der
„Kreis" zwischen Rassenseele, Volkstum, Persönlichkeit und Kultur ist nicht
geschlossen, weil die Kultur nicht auf die Rassenseele zurückwirkt und auf
diese keinen bestimmenden Einfluß ausübt. Vielmehr wird die Kultur von
Rasse und Rassenseele „getragen". Die Rassenseele ist nicht nur Trägerin der
Kultur, sondern auch der Persönlichkeit, deren Seele wiederum nicht aus sich
begriffen wird, sondern nur eine Zusammenballung von etwas anderem, näm-
lich der Rassenseele, ist. Träger des Volkstums ist nicht das Volk oder, was
auch in Frage käme, eine selbstmächtige Volksseele, vielmehr ist das Volks-
tum „Darstellung" der „Rassenseele". Die Volksseele wiederum ist eine
„rassegebundene Volksseele" 3 3 1 , wie das Volkstum „rassegebundenes Volks-
tum" 3 3 2 ist. Volkstum, Persönlichkeit und Kultur existieren nicht selbständig,
sondern sind durch Rasse und Rassenseele bewirkt und können deshalb nicht
durch sich selbst, sondern nur durch Rasse und Rassenseele begriffen werden.
Das Volkstum wird von Rosenberg auf Gründe, nämlich auf die „blut-seeli-

Ebd., S. 684 f.
Ebd., S. 697; vgl. ebd., S. 270, 290, 321, 387, 629, 694, 685, 699
Ebd., S. 697.
Ebd., S. 684.
250 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

sehen Urgründe" 3 3 3 zurückgeführt, die, insofern sie Urgründe sind, wiederum


grundlos und unbedingt sind. Sind Blut und Seele der Rasse etwas, was er-
stens dem Volkstum, zweitens der Persönlichkeit und drittens der Kultur zu-
grunde liegt und für sich gleichbleibend bestehen bleibt, dann ist Rasse die
Substanz von Volk, Persönlichkeit und Kultur. Schon Rosenbergs Vorliebe
für das Präfix „ur", bei den Substantiven G r u n d , Gehalt, G e s e t z , Element,
Kraft, P h ä n o m e n und sogar letzten Endes Substanz selbst, ist ein Indiz für
die spezifischen Substantiasierungen Rosenbergs. So ist die „Polarität aller
Erscheinungen" für Rosenberg sowohl ein „ U r p h ä n o m e n " 3 3 4 als auch ein
„metaphysisches Urgesetz". 3 3 5 Der nordische Mensch erkennt weiterhin in
seinem „Innersten" nicht nur einen Gehalt, sondern den „Urgehalt" der
Welt" 3 3 6 , er ist sich nicht nur des Grundes, sondern sogar des „ U r g r u n d e s " 3 3 7
seines „Wesens" 3 3 8 bewußt, er erfaßt nicht die schlichten G r ü n d e , sondern
die „Urgründe" 3 3 9 des Daseins. Für Rosenberg ist das „Lösen stofflicher Bin-
dungen und das Tasten nach etwas Ewigem" ein „Zeichen, daß die seelische,
allein schöpferische Urkraft des Menschen wirklich lebendig ist" — aber „die-
ser echt religiöse Urgrund fehlt bis auf geringe Reste der Rasse der Semiten
und ihren bastardierten Halbbrüdern, den J u d e n " . 3 4 0 E b e n s o ist es „das Ur-
p h ä n o m e n " der „germanischen Seele", eine „ewigtätige, beherrschende, su-
chende, zeit- und raumlose, von aller Erdgebundenheit gelöste Kraft und
Einzigartigkeit" 3 4 1 zu fühlen. Weiterhin geht der „wirkliche K a m p f " nicht nur
„um die Erhaltung der rassischen Substanz" 3 4 2 , sondern der „kühnste Natio-
nalismus" ist auf „die Ursubstanz, auf die artgebundene Volkheit selbst"^ 4 3
gerichtet; man „erkennt bewußt den seelisch-rassisch bedingten Willen als
Urphänomen und Voraussetzung seines ganzen Daseins an". 3 4 4

bb. Das wirkende Potential der identisch bleibenden Kollektivseele

Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit der hier zitierte Z u s a m m e n -


hang zwischen Urgrund, Urphänomen, Urkraft, Urgehalt und Urgesetz einer-
seits sowie Rasse und Seele andererseits das konsequente Resultat einer ent-
wickelten Rassendoktrin ist. Damit soll nachgewiesen werden, daß Rosenberg
Rasse sowohl als Substanz als auch als Subjekt v o n Mensch, Gesellschaft und

333
Ebd. , s.
697
334 Ebd., s.
125
335 Ebd. , s.
126.
336 Ebd. , s.
225.
337
338
,s.251
Ebd..

339
Ebd.,s.231.
Ebd.., s.
251.
340
341
Ebd.,s.362.
Ebd.;,s.
389.
342
343
Ebd..s.119.
344
Ebd.,s.85.
Ebd.,s.628.
Volk und Rasse 251

Geschichte versteht. Zunächst soll dokumentiert werden, wie Rosenberg Ras-


se definiert, welche wesentlichen Merkmale er ihr zuordnet oder was seiner
Auffassung nach ihr Wesen ist. Danach ist zu prüfen, ob und wie der funda-
mentale Charakter der Rassenseele zur Bestimmung der Kultur, der Gesell-
schaft und der Geschichte dient. Mit anderen Worten: Ist für Rosenberg die
Rassenseele ,natura naturans' der N a t u r des Menschen und des Volkes?
Zu einer exakten Definition v o n Rasse hat sich Rosenberg nicht hinreißen
lassen. Außer auf Chamberlain und Lagarde beruft er sich nicht auf irgendei-
nen Verfasser der äußerst umfangreichen Literatur zur sogenannten Rassen-
frage. Die antijudaistischen Bemerkungen seiner Helden Kant, Schopenhauer
und Wagner werden nicht zitiert, Nietzsches Anti-Antisemitismus wird still-
schweigend übergangen. Rosenberg wurde zwar stark von den Schriften Hou-
ston Stewart Chamberlains beeinflußt, hat aber eine durchaus eigenständige,
alle Implikationen des Rassismus radikal erfassende Doktrin entwickelt. Er
führt in das Ideologem Rasse etwas ein, was seit Jahrtausenden zur Deutun g
des Lebens zählt, nämlich Seele, u n d beschwört permanent etwas, was just in
Deutschland seit der Reformation und der Romantik vor allem von den Bil-
dungsbürgern geradezu geheiligt wurde, nämlich das Innere. Gleich in der
Einleitung, die „rassische Geschichtsbetrachtung" sowie die „neue Sendung"
der Deutschen beschreibend, ist nicht nur von Kampf, Blut, Volk und Rasse,
sondern auch von der „Volksseele", der „Rassenseele", dem „Ringen" der
„Seelenwerte" und von der „Seele" 3 4 5 selbst die Rede. Im „mystischen Zei-
chen" des „Blutes" ginge ein „neuer Zellenbau der deutschen Volksseele vor
sich". Geschichte bedeute „nicht m e h r Kampf von Klasse gegen Klasse, nicht
mehr Ringen zwischen Kirchendogma und Dogma, sondern die Auseinander-
setzung zwischen Blut und Blut, Rasse und Rasse, Volk und Volk". Und das
wiederum - womit die Kämpfe v o n Blut, Rasse und Volk die spezifisch Ro-
senbergsche Interpretation erhalten - „bedeutet: Ringen von Seelenwert ge-
gen Seelenwert". 3 4 6 Die „Werte der Rassenseele" seien die „treibenden Mäch-
te hinter dem neuen Weltbild", sie seien aber noch nicht lebendiges Bewußt-
sein geworden. Im Anschluß daran nimmt Rosenberg den ersten Versuch der
Bestimmung von Rasse vor: „Seele aber bedeutet Kasse von innen gesehen. Und
gekehrt ist Baisse die Außenseite einer Seele. " 3 4 7 Wenn Seele die Innenseite von
Rasse ist und Rasse die Außenseite einer Seele, dann sind offensichtlich Ras-
se und Seele zwei Seiten einer Ganzheit. Damit wird allerdings Rasse nicht
nur um den Begriff der Seele erweitert, sondern das Verständnis von Seele auf
die Rasse reduziert. Dieses Bewußtsein von Seele ist stets auch ein Bewußt-
sein von Rasse, und jedes Bewußtsein von Rasse ist stets auch ein Bewußt-
sein von Seele. „Jede Rasse hat", so Rosenberg an einer anderen Stelle, „ihre
Seele, jede Seele ihre Rasse, ihre eigene innere und äußere Architektonik, ihre

345
Ebd., S. 1 f.
346
Ebd.
Ebd., S. 2 [Hervorhebung im Original],
252 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

charakteristische Erscheinungsform und Gebärde des Lebensstils, ein nur ihr


eigenes Verhältnis zwischen den Kräften des Willens und der Vernunft. Jede
Rasse züchtet letzten Endes nur ein höchstes Ideal." 3 4 8 So wie „Rasse die Au-
ßenseite einer Seele" ist, ist nach der Gnoseologie Rosenbergs der „Begriff
des Volks- und Rassetums" der „Ausdruck eines bestimmten Seelentums". 3 4 9
So wie „Seele" „Rasse von innen gesehen" bedeute, ist für Rosenberg „das
nordisch-abendländische Seelenbekenntnis" eine „innere Seite des deutsch-
germanischen Menschen, der nordischen Rasse". 3 5 0 Über die Rasse als solche
erfahren wir im gesamten „Mythus" Rosenbergs wenig. Die Differenz zwi-
schen der Innenseite und der Außenseite bleibt diffus. Eine exakte Ausfüh-
rung über das, was konkret unter die „Außenseite der Seele" zu subsumieren
ist, fehlt im gesamten Werk. Es spricht einiges dafür, daß mit der Außenseite
die „ N a t u r " gemeint ist, in der sich die Rassenseele entfaltet 351 , und mit „Na-
tur" wiederum „Blut" in Verbindung gebracht wird. Rosenberg lehnt nämlich
„blutleere Werte" ab:

Rasse ist das Gleichnis einer Seele, das gesamte Rassengut ein Wert an sich ohne
Bezug auf blutleere Werte, die das Naturvolle übersehen, aber ohne Bezug auf
Stoffanbeter, die nur das Geschehen in Zeit und Raum erblicken, ohne dies Ge-
schehen als das größte und letzte aller Geheimnisse zu erfahren.352
Rosenberg ist zwar der Überzeugung, daß das Gesetz des Blutes „Idee und
Tat des Menschen bestimmt" 3 5 3 , aber er kritisiert die „Flucht des 19. Jahrhun-
derts zum Darwinismus und Positivismus" 3 5 4 - „das Blut wurde zur chemi-
schen Formel entseelt und dadurch .erklärt'". 3 5 5 Rosenberg will das Blut nicht
wissenschaftlich und damit entseelend erklären, sondern erklärt die angebli-
chen Gesetze des Blutes zur Religion. D e n n - so fährt er im Kontext fort —
ein „Verstoß gegen die G e b o t e des Blutes" habe die Rache des Blutes zur
Folge, und „dieser Rache des Blutes ist niemand entgangen, der die Religion
des Blutes mißachtete". 3 r i 6 Rosenberg will nicht nur das Blut nicht wissen-
schaftlich, sondern auch „die Religion des Blutes" für sich nicht erklären. E r
braucht auch keine prinzipiellen Ausführungen über das „Blut" zu machen,
denn er hat eine ganz bestimmte Auffassung über den Z u s a m m e n h a n g v o n
Blut und Seele:

Neben dem Mythus von der ewigen freien Seele steht der Mythus, die Religion des
Blutes. Das eine entspricht dem anderen, ohne daß wir wissen, ob hier Ursache

348
Ebd., S. 116.
349
Ebd., S. 387.
350
Ebd., S. 252.
351
„Die Rassenseele lebt und entfaltet sich in einer Natur, die gewisse Eigenschaften weckt
und andere zurückdämmt", ebd., S. 251.
352
Ebd., S. 23.
353
Ebd., S. 22.
354
Ebd., vgl. ebd., S. 600.
355
Ebd., S. 22.
356
Ebd.
Volk und Rasse 253

und Wirkung vorliegen. Rasse und Ich, Blut und Seele stehen in engstem Zusam-
menhange. 357
Entspricht die „Religion des Blutes" dem „Mythus der Seele" und kann nicht
festgestellt werden, was Ursache und Wirkung ist, dann stehen Blut und Seele
in der Weise im Zusammenhang, daß zwischen ihnen kein substantieller Un-
terschied festgestellt werden kann. Da Rosenberg mit dieser Auffassung über
den geheimnisvollen Kausalnexus von Blut und Seele die Seelenmystik Mei-
ster Eckharts — in dem Kapitel „Mystik und Tat" - interpretiert, ist für den
Chefideologen der N S D A P Blutmystik stets auch Seelenmystik. In dem Ka-
pitel über „Rasse und Seele" legt er fest, „daß das Kämpfen des Blutes und
die geahnte Mystik des Lebensgeschehens nicht zwei verschiedene Dinge
sind, sondern ein und dasselbe auf verschiedene Weise darstellen" 3 5 8 , und
schließt aus der folgenden Verbindung von Blut, Seele und Natur:

Rassengeschichte ist deshalb Naturgeschichte und Seelenmystik zugleich; die Ge-


schichte der Religion des Blutes aber ist, umgekehrt, die große Welterzählung vom
Aufstieg und Untergang der Völker, ihrer Helden und Denker, ihrer Erfinder und
Künstler. 359
D a ß Physisches und Psychisches, Außenseite (Rasse) und Innenseite (Seele)
nur zwei verschiedene Seiten ein und derselben Existenz sind, kann und
braucht nach Rosenberg nicht erklärt zu werden:
Das Leben einer Rasse, eines Volkes, ist keine sich logisch entwickelnde Philoso-
phie, auch kein sich naturgesetzlich abwickelnder Vorgang, sondern die Ausbildung
einer mystischen Synthese, einer Seelenbetätigung, die weder durch Vernunft-
schlüsse erklärt noch durch Darstellung von Ursache und Wirkung begreiflich ge-
macht werden kann.360

Das Modell der Rassendoktrin Rosenbergs ist nicht der biologische Szientis-
mus, und damit ist sein Rassismus nicht a priori pseudowissenschaftlich. Ro-
senberg unterläuft den Streit um den wissenschaftlichen Charakter der Ras-
senlehre. Das Leben einer Rasse oder eines Volkes ist „Seelenbetätigung",
und was Rosenberg unter Rasse versteht, kann nur seiner Auffassung von
Seele e n t n o m m e n werden.
Da Rasse die „Außenseite einer Seele ist" sowie „Seele" umgekehrt „Rasse
von innen gesehen" bedeutet, weiterhin „jede Rasse ihre Seele, jede Seele ihre
Rasse" 3 6 1 hat, darüber hinaus das „Leben einer Rasse, eines Volkes" die „Aus-
bildung einer mystischen Synthese, einer Seelenbetätigung" 3 6 2 ist, steht fest,
daß Seele ein wesentliches Merkmal des Rassebegriffs ist. Die Bedeutung die-

357
Ebd., S. 258.
358
Ebd., S. 23.
359
Ebd.
360
Ebd., S. 117.
361
Ebd., S. 16.
362
Ebd., S. 117.
254 Z u r P h ä n o m e n o l o g i e der nationalsozialistischen W e l t a n s c h a u u n g

ser B e s t i m m u n g ist dann h o c h einzuschätzen, wenn im „ M y t h u s " über die


B e d e u t u n g v o n Seele Explikationen und Wiederholungen festzustellen sind.
Es ist daher zu überprüfen, inwieweit Seele zum D r e h - und Angelpunkt der
Rassendoktrin gemacht wird. Das ist dann der Fall, wenn nachgewiesen wer-
den kann, daß der Seele prinzipielle Prädikate zugeordnet werden und diese
relativ häufig in die Argumentationsstruktur integriert werden. Vorwegneh-
m e n d kann gesagt werden, daß sich die verschiedenen Verwendungen des Be-
griffs Seele unter ein bestimmtes Schema subsumieren lassen. Rosenbergs Ar-
gumentation läßt erkennen, daß er die Auffassung vertritt, Seele habe Kraft,
P o t e n ü a , Dynamik, ein Ziel, ein bestimmtes Vermögen, Fähigkeiten und die
Möglichkeit, Wirkung zu verursachen; ihr k o m m e Wirksamkeit, Tätigkeit,
Wirklichsein, Aktivität und Energie zu; ihr kann Macht im Sinne des Über-
gangs v o n einer potentiellen in eine aktuelle Seinsweise z u k o m m e n . Damit
soll nicht behauptet werden, R o s e n b e r g habe zum Zwecke der Darstellung
seiner Seelenspekulation die eben aufgezählten Kategorien exakt bestimmt
und systematisch angewendet oder sich gar darüber Rechenschaft abgelegt.
Es soll erst recht nicht behauptet werden, daß die genannten Kategorien in
sich vernünftig sind. Hier soll nur so kurz wie möglich geprüft werden, ob der
Begriff der Seele das Gewicht der Rassendoktrin Rosenbergs ausmacht und
o b Rosenbergs Verständnis von Seele religiöse Apperzeptionsmuster erken-
nen läßt.
Mir ist es gelungen, einundsiebzig mehr oder weniger zur Interpretation
nötigende Stellen zur Seele aufzufinden, die hier nicht alle aufgelistet werden
sollen. Im folgenden soll aber ein umfassender Überblick, dem Aufbau des
Mythus folgend, gegeben werden. D a r a n soll erkennbar werden, in welchem
K o n t e x t der Begriff der Seele von Rosenberg konkret gebraucht wird. An-
schließend sollen die wesentlichen Merkmale des Seelenbegriffs zusammen-
gefaßt werden. In der Einleitung 3 6 3 und den ersten fünf Abschnitten des er-
sten Kapitels des ersten Buches („Rasse und Rassenseele", S. 1—140) k o m m e n
die Begriffe Seele, Rassenseele oder die K o m b i n a t i o n „blut-seelisch" sehr sel-
ten vor. 3 6 4 I m sechsten Abschnitt des Kapitels („Erkenntniskritik und Wer-
tung", S. 115—125) ist gehäufter von der Seele bzw. der Rassenseele die
Rede. 3 6 5 Hier haben aber die Ausführungen Rosenbergs axiomatische Gel-
tung. 3 6 6 Auch im siebten Abschnitt des Kapitels über „Rasse und Rassen-

Vgl. ebd., S. 3, 14 f.
Vgl. ebd., S. 22 f., 29, 78, 83, 85, 90.
Vgl. ebd., S. 116-120, 126.
Rasse ist Seele (vgl. ebd., S. 116), das Leben einer Rasse als Seelenbetätigung (vgl. ebd., S.
117), Philosophie als „seelisches und rassisches Bekenntnis" (ebd., S. 118), „ K a m p f um
den „Neuaufbau der seelischen Zellen" im Hinblick auf die „Erhaltung der rassischen Sub-
stanz selbst" (ebd., S. 119), „Eine bestimmte Seele und Rasse tritt dem Weltall mit einer
auch besonders gearteten Fragestellung entgegen" (ebd., S. 120), das „Bekenntnis" und die
„Zustimmung" zu den „Höchstwerten" kann nur aus gleichen Seelen" kommen, ebd., S.
124.
Volk und Rasse 255

seele" dessen Gegenstand unter anderem „ E m p f i n d u n g e n , Verstand, Erfah-


rung, Vernunftideen" u n d das D o g m a v o n der „Polarität aller Erscheinun-
g e n " sind, wird die K o n n e x i t ä t von Rasse, Seele und Blut festgelegt. 367 Hier
ist es die „Seele", die diese Polarität anerkennt, das Gewicht auf die eine oder
die andere Seite legt und die Weltanschauung bestimmt. 3 6 8 Weiterhin wird die
„Dynamik des Seelischen" in der „alt-persischen L e h r e " betont und die „See-
lengemeinschaft in religiös-sittlicher Beziehung" mit dem „nordischen Men-
schen" festgestellt. 369 I m letzten Abschnitt („Die Kurve des solaren Mythus
und der nordischen Philosophie", S. 134—144), in d e m es um das Verhältnis
zwischen Vernunft und N a t u r geht, steht die Rassenseele bzw. die Seele rela-
tiv häufig im Mittelpunkt. 3 7 0 N e b e n der Kritik am Universalismus 3 7 1 ist die
Kritik an Ludwig Klages, bei dem bekanntlich der Geist der Widersacher der
Seele ist, auffällig. 372 E s sei die „ S e h n s u c h t " der Gegenwart, die „Vernunft
und den Willen in Übereinstimmung zu bringen mit den Richtungen des see-
lisch-rassischen Stromes des G e r m a n e n t u m s " 3 7 3 , damit die „Idee der geistig-
seelischen E h r e " in „einem seelisch-geistigen K a m p f mit den W e r t e n anders
rassischer Träger" 3 7 4 bestehen könne.
Im zweiten Kapitel des ersten Buches („Liebe und E h r e " , S. 145—216) wird
nur viermal 3 7 5 auf die Seelenkonzeption zurückgegriffen. Dabei hängt die am
Anfang geäußerte Einschätzung, daß die Gegenwart „eine Zeit der größten
Seelenwende" 3 7 6 sei, mit der Schlußbetrachtung, als Überleitung zum Kapitel
„Mystik und T a t " zusammen, insofern d o r t die „Weltrevolution" 3 7 7 beschwo-
ren wird. Das Gewicht, das Rosenberg der Seele gibt, kann in der Schlußbe-
trachtung des Kapitels recht deutlich veranschaulicht werden. N a c h Rosen-
berg findet in der Gegenwart — als „Ergebnis des Weltkrieges" — eine „Welt-
revolution" statt. Einerseits bräche „heute eine ganze Welt z u s a m m e n " , in
diesem Z u s a m m e n b r u c h zeige sich das „wahre Gesicht des mit allem Wust
der Jahrtausende überladenen 19. J a h r h u n d e r t s " . Andererseits „aber erheben
sich heute Mächte, die begraben schienen, und ergreifen immer bewußter Be-

367
Vgl. ebd., S. 126, 129 f., 134.
368 Vgl. ebd., S. 126.
369 Vgl. ebd., S. 130.
370 Vgl. ebd., S. 134, 137-140, 143 t
371 Fiiir Rncpn
Für Rosenberg ist der Universalismus gleichzusetzen mit der „Unitarisierung aller Seelen";
vgl. ebd., S. 136.
372
Rosenberg kritisiert die „Psvcho-Kosmogonie" von Ludwig Klages. Die „rassisch-seelische
VC'eltbetrachtung" führe, im Gegensatz zu den „semitoiden Völkern" zu einer Übereinstim-
mung der „Haltung der Seele, des Willens, der Vernunft" dem „Universum" gegenüber.
Dies sei bei allen „nordischen Völkern" eine „wesentlich ähnliche" Haltung der Seele, ebd.,
S. 137; ähnlich vgl. ebd., S. 140.
373
Ebd., S. 143.
374
Ebd., S. 144.
375
Vgl. ebd., S. 140, 150, 157, 216.
376
Ebd., S. 157.
377
Ebd., S. 216.
256 Z u r Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

sitz von allen, die um ein neues Lebens- und Zeitgefühl ringen". Rosenberg
meint nicht die Macht einer Klasse oder die Macht, welche aus naturwissen-
schaftlichen Erkenntnissen resultiert, sondern die Macht einer Seele: „ D i e
nordische Seele beginnt von ihrem Z e n t r u m — dem Ehrbewußtsein — heraus
wieder zu wirken." Rosenbergs Revolutionsverständnis gleicht in gewisser
Weise den modern-apokalyptischen Konzeptionen. D e r Z u s a m m e n b r u c h der
alten, jahrtausendealten Welt ist nämlich die Bedingung und das Durchgangs-
stadium für eine neue und wesentlich bessere Zeit. Zu der G e b u r t einer neu-
en Welt aus dem Schöße der alten, um an ein berühmtes Diktum von Karl
Marx 3 7 8 zu erinnern, kommt aber die A n n a h m e hinzu, das alte latente u n d
verborgene Mächte die Bedingung für die neue Welt herstellen. E s handelt
sich mithin nicht um in der Evolution neu entstandene Konstellationen. Viel-
mehr wird etwas verwirklicht, weil etwas schon einmal war. Für das nationale
allseitige Schlagwort von der „Wiedergeburt der Nation oder des Volkes"
wird eine fundamentale Basis entdeckt, nämlich die Macht der nordischen
Seele, die offensichtlich zeitweise, wie Friedrich Barbarossa, geschlafen hat.
Hier ist eine wesentliche Prädikation von Seele festzustellen, nämlich daß der
Seele die Merkmale der Wirksamkeit, Tätigkeit und Aktivität in einer gewis-
sen Weise zukommen. Da diese Seele aber „begraben schien" und erst in der
Zeit der Revolution „wiederzuwirken" beginnt, begreift Rosenberg - wissen-
schaftlich vertretbar oder nicht — Seele nach dem Schema v o n Möglichkeit
und Wirklichkeit. Seele hat die Qualität einer Potentia, einer latenten Macht,
die wiederzuwirken beginnt. Die Revolution ist eine Seelenwende 3 8 0 , und die
Seelenrevolution 3 8 1 besteht darin, daß sich Seele aktualisiert. Die „Weltrevo-
lution" ist nach Rosenberg ein Prozeß, in dem die nordische Seele aus dem
Zustand der Möglichkeit in den der Wirklichkeit übergeht. Die Seele befindet
sich im Übergang von einer potentiellen in eine aktuelle Seinsweise. Rosen-
berg nimmt Seele somit nach dem Muster von Potentialität und Aktualität
wahr. Damit verwendet Rosenberg zur Erklärung eines eminent politischen
Prozesses keine kausal-logische oder evolutionsbiologische Erklärung. Rosen-
berg überträgt keine darwinistischen Muster auf psychische Prozesse. D a Ro-
senberg mit einer bestimmten Konzeption von Seele ein so genuin politisches
Ereignis wie Weltrevolution erklärt und dabei ein so wichtiges Erklärungs-
muster wie den Z u s a m m e n h a n g von Potentialität und Aktualität verwendet,
kann nicht behauptet werden, Seele habe in seiner Konzeption von Rasse nur
eine deklaratorische oder nebensächliche Bedeutung. Im K o n t e x t über die
revolutionäre Seelenaktivität ist weiterhin eine Qualität von Seele erkennbar,
die für das Problem der kollektiven Kohärenz von Interesse ist. Rosenberg
fährt nämlich nach der Feststellung, die nordische Seele beginne „wiederzu-
wirken", fort:

378
Karl Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW, Bd. 13, S. 9.
379
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 7, 15, laufender Kolumnentitel über S. 216 sowie S. 450.
380
Vgl. ebd., S. 165.
381
Vgl. ebd., S. 698.
Volk und Rasse 257

Und sie wirkt geheimnisvoll, ähnlich wie zu der Zeit, als sie Odin schuf, als einst
Otto des Großen Hand spürbar wurde, als sie Meister Eckehart gebar, als Bach in
Tönen dichtete und als Friedrich der Einzige über die Erde schritt. Eine neue Zeit
deutscher Mystik ist angebrochen. Der Mythus des Blutes und der Mythus der frei-
en Seele erwachen zu neuem bewußten Leben.382

So geheimnisvoll der Vorgang der Wirkung auch bewertet wird, so eindeutig


ist das Bewirkte: „Die Seele schuf O d i n " und „gebar" Meister Eckhart, sie
entwirft also Religion; sie „dichtete" in den „Tönen Bachs", produziert also
Kunst; sie verursacht die Handlung O t t o des G r o ß e n und Friedrich des Ein-
zigen (womit er den Hohenzollernkönig meint), macht also Politik. Daraus
folgt, daß Kunst 3 8 3 , Religion und Politik, eine nicht unerhebliche Reihe
menschlicher Angelegenheiten, das Resultat der nordischen Seelenbetätigun-
gen sind. Die nordische Rassenseele ist mithin ein Super-Subjekt. Die Hand-
lungen der einzelnen Subjekte sind die Außenseite oder die Medien der reli-
giösen, künstlerischen oder politischen Potenzen der Seele. Weil in O t t o , Mei-
ster Eckhart, Hans und Fritz, obwohl zu verschiedenen Zeiten und in ver-
schiedener Weise, die nordische Seele wirkt, besteht zwischen ihnen durch
die eine Seelentätigkeit Kohärenz. Diese Wirkfähigkeit ist im Hinblick auf die
potentielle und künftig zu aktualisierende Identität des deutschen Volkes von
Interesse.
Die hier knapp analysierten Prädikate von Seele bzw. nordischer Seele stel-
len eine Konsequenz der im Kapitel über „Mystik und T a t " prinzipiell festge-
legten Eigenschaften der Seele dar. Auf sechsundfünfzig Seiten (S. 217—
273) 3 8 4 entwickelt Rosenberg seine Spekulationen. Die Aneinanderreihung
der Textstellen ist ein Indiz für die relative Konsistenz seiner Argumentation,
zumindest dafür, daß Rosenberg das Objekt seiner doktrinären Begierde mit
heiligem Eifer verfolgt. Hier sind die allgemeinen Ausführungen über das
Verhältnis von G o t t und Seele, Seele und Natur sowie über die Kräfte der
Seele (Vernunft, Wille und Erinnerung) zu finden. Das allgemeine Muster sei-
nes Religionsverständnisses ist in dieser Untersuchung (in Kapitel B.III.2.c)
bereits dargelegt worden. Zu erinnern ist nur daran, warum für Rosenberg die
Mystik Meister Eckharts von Bedeutung ist. Das Kapitel ist im Hinblick auf
die Ideologie von Interesse und damit eine wichtige Quelle für die NS-Ideo-
logie überhaupt, weil nach Rosenberg „in Meister Eckehart die nordische
Seele zum erstenmal zum Bewußtsein ihrer selbst kam". 3 8 5 Rosenberg macht
damit nicht nur Aussagen über Meister Eckhart (ob sie stimmen oder nicht,
ist phänomenologisch nicht von Interesse), sondern mit dieser Qualifikation
ist die Seelenspekulation artikuliert, nämlich erstens daß in einer Person die

382
Ebd., S. 216, vgl. ebd., S. 157, 679.
383
Vgl. ebd., S. 290.
384
Vgl. ebd., S. 216, 217, 218, 219, 223, 224, 225, 226, 231, 235, 236, 237, 238, 239, 241, 246,
247, 248, 251, 252, 258, 259, 260, 262, 263, 269, 270, 271, 272.
385
Ebd., S. 218.
258 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

kollektive Seele wirkt, und zweitens, daß sie in Personen zum Bewußtsein ge-
langt. D e r Mystiker wirkt nach Rosenberg nicht nur dadurch, daß man seine
Werke eifrig studiert. Der Mystiker erfüllt eine Funktion mit seiner Seele:
„Aus seiner großen Seele kann — und wird - einmal der deutsche Glaube ge-
b o r e n werden." 3 8 6 Die Interpretation Eckharts durch Rosenberg ist für die
Erfassung der NS-Ideologie deshalb von Bedeutung, weil Rosenberg davon
überzeugt ist, der Mystagoge sei der „Schöpfer einer neuen Religion, unserer
Religion" 3 8 7 , weil er „uns unsere Religion schenkte". 3 8 8 Auf einige prinzipiel-
le Bestimmungen ist am E n d e dieses Abschnitts zurückzukommen. Schließ-
lich enthält gerade dieses Kapitel die Letztbegründung für die angeblich fun-
damental-antagonistische Differenz zwischen der nordischen Seele und dem
Judentum.
Vielseitig entfaltet aber Rosenberg seine Rassenseeledoktrin auch im zwei-
ten Buch des Werkes — in der Mitte des „Mythus" — über „Das Wesen der
germanischen K u n s t " (S. 277—450). Die Ausdruckssymbolik wird hier dahin-
gehend angewendet, daß die Wirksamkeit von Seele in der Wirklichkeit der
K u n s t ausgedrückt wird; daß, schlicht gesagt, die Seele Kunst aus sich heraus-
drückt und daß zwischen beiden Bereichen eine ständige und regelhafte Be-
ziehung besteht. D e r studierte Architekt nimmt die Möglichkeit wahr, mit
K o m m e n t a r e n über die Kunst dasjenige, was durch Expression und Reprä-
sentation zur Wirklichkeit gelangt, nämlich die Qualitäten von Seele, manisch
auszumalen. Mit der Annahme, daß die „verschiedenen rassischen T y p e n " die
V e r k ö r p e r u n g bestimmter seelischer „Wesenheiten" seien, wird „Ästhetik"
eine Funktion seelischer „Wesenheiten", ist „also rassisch-seelisch be-
dingt". 3 8 9 So sei z. B. „Sancho kein ,dicker Mann', sondern eine zusammen-
geballte rassisch-seelische Wesenheit, gleichwie sein Herr eine tragisch-komi-
sche Verzerrung des nordischen Rittertums darstellt." 3 9 0 Für Rosenberg ist
die K u n s t das Medium, um das Wirken von Seele in weltanschaulicher Absicht
zu demonstrieren. Der Gegenstand des gesamten Buches ist nicht die Kunst
als solche oder das Schöne und Erhabene. Vielmehr wird in dem Buch mit
den Kapiteln „Das rassische Schönheitsideal", „Wille und Trieb", „Persön-
lichkeits- und Sachlichkeitsstil", „Der ästhetische Wille" das Verhältnis von
Seele und Persönlichkeit sowie von „Rassenseele und Kultur" dargelegt. D a ß
R o s e n b e r g sich überhaupt über Wille und Trieb am Beispiel Schopenhauers
ausläßt, folgt aus dem Primat der Seele 391 , genauso wie die Kritik an Schopen-
hauer seiner Ansicht über die „Seelenkultur" 3 9 2 entspringt. So ist „Persönlich-
keit (Wille plus Vernunft)" eine „das Metaphysische im Menschen darstellen-

386
Ebd., S. 259.
387
Ebd., S. 239.
388
Ebd., S. 218; vgl. ebd., S. 138, 394, 458, 560, 621, 685, 699, 701.
389
Ebd., S. 290.
390
Ebd., S. 291; vgl. S. 319, 321.
391
Vgl. ebd., S. 332.
392
Ebd., S. 336; vgl. S. 321, 343.
Volk und Rasse 259

de Macht, im engeren Sinne die innere und rasdos wirkende Tatkraft (Aktivi-
tät) des inneren Wesens, das Urrätsel (Urphänomen) der germanischen See-
le." 3 9 3 Die rassenseelische Gestaltanthropologie kann mit folgender Bewer-
tung der Gotik demonstriert werden:
Gotik ist deshalb die Erfüllung einer Sehnsucht, die auch nur ein Vorwärts kennt,
sie ist die erste steinerne Verkörperung der dynamisch-abendländischen Seele, wie
sie später die Malerei wieder zu verkörpern suchte, die sich aber dann erst in der
Musik — zum Teil auch im Drama — restlos verwirklichen konnte. 394

Für Rosenberg ist das „Lösen von stofflichen Bindungen und das Tasten
nach etwas Ewigem" ein „Zeichen" dafür, daß die „seelische, allein schöpfe-
rische Urkraft des Menschen lebendig" ist, und er zieht daraus den Schluß:
Das Urelement wird Form durch eine künstlerische Neugeburt. Und wenn dieses
Göttliche auch keinen Namen trägt, so weht sein Hauch doch auch in einem
Selbstbildnis Rembrandts, in einer Ballade Goethes. 395

Rosenberg läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, prinzipielle Bemerkun-


gen über die Semiten zu machen, denen dieser „echt religiöse U r g r u n d " an-
geblich fehlt. 396 Solche oder ähnliche Bestimmungen von Seele durchziehen
das Buch über die Kunst. 3 9 7 Rosenberg läßt sich allgemein über das Verhält-
nis von Seele, Kraft und Persönlichkeit aus 3 9 8 und bestimmt das Wesen der
Kunst als „Ausdruck eines bestimmten Seelentums". 3 9 9 Er behauptet, daß der
Glaube an die Unsterblichkeit der Seele das „Urphänomen und die Quelle der
Kraft der nordischen Seele" sei. 400 Dadurch k o m m t auch das Lob auf Jesus 4 0 1
und die Bestimmung der „Religionsseele des Abendlandes" 4 0 2 zustande.
Spengler wird gelobt, aber auch kritisiert, denn „er sieht nicht rassisch-seeli-
sche Gewalten Welten gestalten". 4 0 3 D e r „Wille" sei Seelenprägung für eine
zielbewußte Energie, und deshalb entwickelt Rosenberg das D o g m a vom „äs-
thetischen Willen". 4 0 4 Die Musik Bachs und Beethovens sei keine „Verflüch-
tigung der Seele, sondern bedeutet gerade den Durchbruch einer Seelenkraft
ohnegleichen". 4 0 5 Es sei die „Aufgabe" der Kunst, die „formende Tatkraft
unserer Seele zu steigern, ihre Freiheit der Welt gegenüber zu festigen, ja die-

393 Ebd , S. 349.


394 Ebd , S. 352.
395 Ebd , S. 362.
396 Vgl. ebd., S. 362.
397 Vgl. ebd., S. 257, 270, 290--292, 313 f. 321 336, 344, 349, 351 f. 386 f., 389 f., 399, 404,
407, 409, 418, 427, 433, 443.
398 Vgl. ebd., S. 386.
399 Ebd , S. 387.
400 Ebd , S. 389.
401 ebd., S. 390.
Vgl.
402 Ebd , S. 390 f., 393, 395.
403 Ebd , S. 404.
404 Ebd , S. 406 f., 409.
405 Ebd , S. 406; vgl. 421, 418, 426.
260 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

se zu überwinden". 4 0 6 Die Prädikate, die Rosenberg der nordischen Seele zu-


ordnet, sind in seiner Beurteilung der K u n s t Richard Wagners mustergültig
formuliert:
Das Wesentliche aller Kunst des Abendlandes ist aber in Richard Wagner offenbar
geworden: daß die nordische Seele nicht kontemplativ ist, daß sie sich auch nicht
in individueller Psychologie verliert, sondern kosmisch-seelische Gesetze willen-
haft erlebt und geistig-architektonisch gestaltet.

Wagner ist somit nicht ein Genie aus sich selbst und durch sich selbst, son-
dern in ihm wirkt die nordische Seele. Ihre Qualität des Willens steht in Über-
einstimmung mit kosmisch-seelischen G e s e t z e n , und sie ist in besonderer
Weise in der Lage, diese sowohl geistig als auch künstlerisch zu gestalten. So
meint Rosenberg auch, daß „das Seelenleben W a g n e r s " mit d e m „Unterton
aller europäischer G r o ß e n " 4 0 8 zusammenträfe. Dies sei, und insofern habe
auch Schopenhauer recht, die „Kraft des Heroisch-Willenhaften", die in den
„größten Werken des A b e n d l a n d e s " als „ G e h a l t und Sehnsucht" erkennbar
sei. Eine „Gewalt, die alles formt". Ihre E r w e c k u n g im Empfänger ist auch
das „letzte Ziel abendländischen Kunstschaffens". In der K u n s t finde man
das, „was aus d e m Wesen der nordisch-abendländischen Seele geschaffen
wurde". 4 0 9 I m zweiten Buch, dessen M o t t o von Wagner stammt („Das Kunst-
werk ist die lebendig dargestellte Religion"), führt Rosenberg am Schluß aus,
daß das seelische Suchen „in der Geschichte des A b e n d l a n d e s " nicht religiös,
sondern n u r „römisch-jüdisch" gewesen sei. Wegen des römisch-jüdischen
Einflusses sei das Schwergewicht des seelischen Suchens „auf den künstleri-
schen Willen verlegt w o r d e n " :

In Europa ganz allein wurde die Kunst ein echtes Medium der Weltüberwindung,
eine Religion an sich. Die Kreuzigung Grünewalds, ein gotischer Dom, ein Selbst-
bildnis Rembrandts, eine Fuge Bachs, die ,Eroica', der Chorus Mysticus sind
Gleichnisse einer ganz neuen Seele, einer stetig aktiven Seele, wie sie einzig Euro-
pa geboren hat. 410

Gleichwohl ist „die Religionsseele des A b e n d l a n d e s " nach Rosenberg „in


Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der Lehre J e s u " zu deuten. D e n n die „Lehre J e s u " ent-
halte die „ B e h a u p t u n g der ewigen P e r s ö n l i c h k e i t " 4 " gegenüber „einer ganzen
Welt"; jede „Persönlichkeit" sei eine „Einheit o h n e E n d e " 4 1 2 . „ D e s h a l b " , so
Rosenberg, bedeutet „Jesus trotz aller christlichen Kirchen einen Angelpunkt
unserer G e s c h i c h t e " . 4 1 3 So wird auch mit d e m D o g m a der Unsterblichkeit der

406
Ebd., S. 418; vgl. 421, 426 f.
407
Ebd., S. 433.
408
Ebd., S. 434.
409
Ebd.
410
Ebd., S. 443.
4,1
Ebd., S. 390.
412
Ebd., S. 391.
413
Ebd., S. 391; vgl. S. 395.
Volk und Rasse 261

Seele der faustische Mensch bzw. G o e t h e definiert. D e r „faustische M e n s c h "


erlebe „innerlich ein n u r ihm allein Eigenartig-Unsterbliches", er fühle eine
„unsterbliche, nur einmal erscheinende Seele, eine ewigtätige, beherrschende,
suchende, zeit- und raumlose, v o n aller E r d g e b u n d e n h e i t gelöste Kraft und
Einzigartigkeit [...]. — D a s ist das Geheimnis der germanisch-nordischen See-
le, das U r p h a n o m e n , wie G o e t h e es n e n n e n w ü r d e , hinter d e m wir nichts
mehr suchen, erkennen, erklären k ö n n e n und dürfen, das wir nur verehren
sollen, um es auch in uns wirken zu lassen". 4 1 4 Die nordische Seele bedarf,
um wirken zu können, der Kunst. D a h e r beklagt R o s e n b e r g am Schluß des
Buches über die germanische K u n s t , daß das D r a m a des Ersten Weltkrieges
noch nicht beschrieben sei, d e n n nur dadurch k ö n n t e n „die Einzelseelen,
nach und nach gleichgesinnt", sich einzustellen beginnen, d a n n könnten „die
H e r z e n " im Sinne eines neuen Mythus auch „wieder neu geformt w e r d e n " ,
dann „ist aufs neue wieder einmal die Welt überwunden worden — durch die
Kunst". 4 1 5
In dem Kapitel über das Wesen der germanischen K u n s t sind die soge-
nannten Genies der Vergangenheit der Gegenstand, an dem die Beschaffen-
heit der Rassenseele am Beispiel der bisherigen Realisierung ihrer Kräfte de-
monstriert werden soll. I m dritten Buch, d e m Buch über das „ K o m m e n d e
Reich", geht es um die Potenz der Rassenseele im Hinblick auf die erst noch
zu realisierende kollektive Identität. Im ersten Kapitel — „Mythus und T y p u s "
— ist die „seelische Kraft" für die Bestimmung des Mythus als T r a u m rele-
vant. 4 1 6 Im zweiten Kapitel - „ D e r Staat und die Geschlechter" — wird Seele
nur im Kontext des Abschnittes über „Wille u n d T y p e n z u c h t " zitiert. 4 1 7
Dünn sind auch die Ausführungen im dritten Kapitel 4 1 8 - „Volk und Staat" -
sowie im vierten Kapitel über das „nordisch-deutsche Recht". 4 1 9 Häufig greift
Rosenberg im fünften Kapitel — „ D e u t s c h e Volkskirche und Schule" - auf die
Seele zurück, was auf d e n schwerpunktmäßigen Z u s a m m e n h a n g v o n Seele
und Religion oder umgekehrt verweist. Im sechsten Kapitel - „Ein neues
Staatensystem" - konnte ich n u r eine E r w ä h n u n g finden. 4 2 0 Im fünfund-
dreißig Seiten umfassenden Schlußkapitel des gesamten Werkes, das den be-
zeichnenden Titel „Die Einheit des W e s e n s " hat, wird wieder verstärkt auf
die Seele respektive Rassenseele zurückgegriffen. 4 2 1 Die meisten in d e m letz-
ten Buch von Rosenberg b e s t i m m t e n Eigenschaften der Rassenseele betref-
fen die Bedingungen der zu realisierenden Ziele nationalsozialistischer Poli-

414
Ebd., S. 389; zu dem oft zitierten Goethe vgl. S. 121, 241, 259, 287, 314, 350, 394, 429, 436,
515, 623, 681, 684 f.
415
Ebd., S. 450.
416
Vgl. ebd., S. 453, 458, 460 f.
417
Vgl. ebd., S. 513, 515.
418
Vgl. ebd., S. 529, 546.
419
Vgl. ebd., S. 577, 598.
420
Vgl. ebd., S. 662.
421
Vgl. ebd., S. 678, 680, 685, 687, 689, 692-694, 697, 699-701.
262 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

tik. Es geht vornehmlich um den neu zu schaffenden Typus von Mensch, die
neue Volkskirche und vor allem das neue Volk. Bedenkt man den Gesamtum-
fang des „ M y t h u s " , fällt auf, daß auf das Blut allein, also auf das Blut an und
für sich, sehr selten rekurriert wird. 4 2 2 N a c h d e m bisher die Wirkung der Ras-
senseele in kultureller Hinsicht dargelegt wurde, wobei eine ganze Reihe von
Implikationen nicht analysiert wurde, ist n u n m e h r zum H a u p t t h e m a der Un-
tersuchung zurückzukehren. Bisher wurden das Religionsverständnis sowie
die Kategorien Identität und Substanz im Hinblick auf Volk und Rasse ge-
trennt behandelt. N u n m e h r geht es um die Potenz der Rasse aufgrund ihres
Charakters als Seele, um die Seele als Substanz für die erst noch zu schaffen-
de Einheit des Volkes und das Selbst des Volkes. Wenn auch die religiösen
Implikationen der Rassenseelenspekulation aus den Wirkungen der Rassen-
seele im Bereich der K u n s t schon erkennbar waren, k o m m t es n u n m e h r dar-
auf an, den religiösen Rassismus strikt anhand von Schlüsseltexten zu bele-
gen. Die folgenden Ausführungen sind auf folgende Fragen konzentriert:
Ist Seele das Z e n t r u m des Bewußtseins v o n Gemeinschaft, und wie wird
wiederum die religiöse Inhärenz von Seele aufgefaßt?
Wie wird Seele unmittelbar mit religiösen Mustern bestimmt, und sind die
fundamentalen Prädikate von Seele religiöser Natur?
Z u n ä c h s t ist die Beziehung von Seele und Kollektiv bzw. der Modus der
Beziehung von Seele und Gesellschaft bzw. Gemeinschaft zu klären. Um das
G e m e i n t e zu präzisieren und die Fragestellung von vorhandenen festen Vor-
stellungen zu lösen, soll das empirisch-individualistische Modell v o n Gesell-
schaft zu Hilfe g e n o m m e n werden. Unter empirisch-analytischer Perspektive
existiert hinter, unter oder über den miteinander handelnden Menschen kein
Wesen, kein Subjekt, kein Geist, keine Person, kein K ö r p e r und kein System.
Das heißt, daß die Art der Relation der miteinander handelnden Menschen
nicht so konzipiert wird, daß sie alle einen Körper, einen Organismus, eine
Person, ein handelndes und denkendes Wesen sind. Die miteinander wirken-
den und handelnden Menschen sind nicht ein und dasselbe mit bestimmten
gleichbleibenden u n d variablen Prädikaten, sie sind in einigen Hinsichten
gleich und in anderen wiederum nicht. Das alle Verbindende m u ß stets erneu-
ert oder durch K o n s e n s b i l d u n g neu gefunden werden. E s sei an dieser Stelle
nochmals daran erinnert, daß das politische Problem darin besteht, o b man
es bei der Vielheit als Merkmal des Volkes bleiben läßt oder die Identität,
Einheit und H o m o g e n i t ä t bloß als Fiktion und abstrakt voraussetzt oder o b
die Fiktion der Identität tatsächlich realisiert werden soll. Es soll n u n m e h r
untersucht werden, o b die D o k t r i n der Rassenseele die Funktion des Verbin-
dens u n d Vereinigens der Mitglieder einer Gesellschaft erfüllt; und zwar in
der Weise, daß m a n sagen kann, sie sind oder werden ein wahres Volk erst
d a n n sein, wenn Identität das Attribut ihrer Kollektivität ist. Wie argumen-

Vgl. ebd., zum Beispiel S. 22 f., 28; schon auf S. 29 ist vom „Eigenwert des seelischen
Selbstes ohne jede Magie und Dämonie" die Rede; vgl. ebd., S. 508 f., S. 572 f., S. 667 f.
Volk und Rasse 263

tiert Rosenberg dahingehend, daß das deutsche Volk eines Tages tatsächlich
„Eins mit sich selbst" ist? Da Rosenberg nicht der konventionellen Ansicht
ist, dem deutschen Volk oder der N a t i o n k o m m e Einheit und Selbigkeit
schon zu, ist n u n m e h r zu dokumentieren, woraus R o s e n b e r g die Möglichkeit
ihrer Verwirklichung ableiten zu können meint.
Aus den ersten zwei Seiten des Kapitels über die „Einheit des W e s e n s "
kann die Basisspekulation Rosenbergs herausgearbeitet werden. Rosenberg
leitet den gesamten Schluß des „ M y t h u s " mit dem T h e m a der „Einheit des
Volkes" ein:
Ein Volk ist als Volk verloren, ist als solches überhaupt gestorben, wenn es beim
Überschauen seiner Geschichte und bei Prüfung seines Zukunftswillens keine Ein-
heit mehr findet.421
Es geht Rosenberg also darum aufzuzeigen, worin die D e u t s c h e n in Vergan-
genheit und Zukunft ihre Einheit und die Bedingung ihrer Existenz als Volk
überhaupt finden k ö n n e n . Aus der Behauptung, „ G e s c h i c h t e " sei „nicht E n t -
wicklung von einem Nichts zu einem Etwas, auch nicht v o n U n b e d e u t e n d e m
zu G r o ß e m , auch nicht die Verwandlung eines Wesens in ein ganz anderes,
sondern das erste rassisch-völkische Erwachen durch Helden, G ö t t e r und
Dichter ist bereits ein H ö h e p u n k t für immer".
Daraus folgt zunächst, daß es in der Geschichte einen Anfang, ein Erstes
gibt, und daß dieser schon der H ö h e p u n k t ist, der im Mythus ausgedrückt
wird. Der erste H ö h e p u n k t geht nicht verloren und kann nicht gesteigert wer-
den. So heißt es einige Seiten weiter: „ D a s letztmögliche ,Wissen' einer Rasse
liegt schon in ihrem ersten religiösen Mythus eingeschlossen." 4 2 4 Daraus
folgt, daß die Einheit aus einem nicht zu überbietenden Ursprung, einem er-
sten Sprung, konstituiert wird. Woraus aber ist dieser Mythus entsprungen,
und warum kann Rosenberg behaupten, diese Einheit gelte auch für die deut-
sche Geschichte, für ihre Männer sowie für die „tragenden Ideen des deut-
schen Volkstums"? 4 2 5
Was ist für die bleibende Wirkung des Mythus verantwortlich? Rosenberg
charakterisiert den Odin-Mythus, gibt die G r ü n d e für die historische K o n -
stanz des Mythus an u n d greift dabei auf die Qualitäten v o n Seele zurück.
„ G e s t o r b e n " sei „eine F o r m O d i n s " . O d i n aber ist nicht die Sache selbst:
„Odin als das ewige Spiegelbild der seelischen Urkräfte des nordischen Men-
schen lebt heute noch wie vor 5000 J a h r e n . " 4 2 6 Das Erste und Ursprüngliche
sind mithin die seelischen Urkräfte. „ O d i n " faßt nach Rosenberg „in sich zu-

423
Ebd., S. 678.
424
Ebd., S. 684.
425
„Diese Einheit gilt auch für die deutsche Geschichte, für ihre Männer, ihre Werte, für den
uralten und neuen Mythus, für die tragenden Ideen des deutschen Volkstums", ebd., S.
678.
426
Ebd., S. 679.
264 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

s a m m e n " : „ E h r e " , „ H e l d e n t u m " , „ K u n s t " , „Dienen", „Schutz des Rechts",


„ewiges Suchen nach Weisheit". E r ist nur Spiegelbild und nur Symbol. Er ist
das Symbol von etwas anderem, nämlich „ein Symbol der nordischen, ewigen
suchenden und werdenden Seele." 4 2 7 Deren „unbändige Willenhaftigkeit" zei-
ge „gleich von allem Anfang ihres Erscheinens auch die innere, strebende,
weisheitsuchende, metaphyische Seite". In der Seele ist also v o n Anfang an
virtualiter ihre ganze Potentialität enthalten. „Derselbe Geist aber", so fährt
R o s e n b e r g fort, „offenbart sich wiederum bei den freien g r o ß e n Ostgoten,
d e m frommen Ulfilas" sowie „im erstarkenden Rittertum und in den großen
nordisch-abendländischen Mystikern, mit ihrem Größten, Meister Eckehart.
Und wiederum stellen wir später fest, daß, als im friderizianischen Preußen
die Seele, die einst O d i n gebar, erneut lebendig wurde bei Hohenfriedberg
und Leuthen, sie zugleich auch in der Seele des Thomaskantors und Goethes
wiedergeboren w u r d e " . 4 2 8 Die gesamte Potentia der „seelischen Urkräfte" ist
also nicht nur im Anfang enthalten, sondern bleibt sich gleich. N u r die
„ F o r m " differiert. W e n n Rosenberg vor diesen Ausführungen über O d i n und
die nordische Seele festgestellt hatte, daß die Einheit gilt, „und zwar für die
deutsche Geschichte, für ihre M ä n n e r " , dann deshalb, weil sich der „Geist"
der „seelischen Urkräfte" in den Ostgoten, in den Rittern und in den Mysti-
kern offenbart habe. N u r weil die Urkräfte seelischer Natur sind, kann „beim
Ü b e r s c h a u e n " der „ G e s c h i c h t e " die Einheit gefunden werden. Die Urkräfte
sind dieselben geblieben und drücken sich in Rittern und Mystikern aus.
W e n n die Seele O d i n gebiert, w e n n sie in den Teilnehmern der Schlacht bei
Hohenfriedberg und Leuthen lebendig wird und wenn sie „zugleich" in der
Seele Bachs und G o e t h e s wiedergeboren wird, haben die Preußen, G o e t h e
und Bach eine Einzelseele, und gleichzeitig existiert neben, vor, über und
unter ihnen eine Urseele als Megapsyche: „Von diesem Standpunkt aus", so ent-
wickelt R o s e n b e r g seinen G r u n d g e d a n k e n , „wird die B e h a u p t u n g tief ge-
rechtfertigt erscheinen, daß eine nordische Heldensage, ein preußischer
Marsch, eine K o m p o s i t i o n Bachs, eine Predigt Eckeharts, ein F a u s t m o n o l o g
n u r verschiedene Äußerungen ein und derselben Seele, Schöpfungen des gleichen
Willens sind, ewige Kräfte, die zuerst unter dem N a m e n Odin sich vereinten, in
der Neuzeit in Friedrich u n d Bismarck Gestalt gewannen." 4 2 9 Insofern My-
stik, Mythus, Musik, Predigt und Politik Wirkungen „ein und derselben See-
le" sind, ist es die Megapsyche, der von Rosenberg Identität zugesprochen
wird. W e n n Mystik, Mythus, Musik, Predigt und Politik „Schöpfungen des
gleichen Willens" sind, dann k o m m t nach Rosenberg der Seele Identität im
Sinne der Einheit und Gleichheit mit sich selbst zu.
Die folgende r e d u n d a n t e Darstellung ist beabsichtigt. N i c h t nur weil die
Wiederholung die Funktion des Beweises hat — also Rosenberg nicht nur bei-

427
Ebd.
428
Ebd.
429
Ebd., S. 679 f. [Hervorhebung C.-E. B.]
Volk und Rasse 265

läufig über die Potenz der Seele unter dem Aspekt der Identität schreibt —,
sondern weil dadurch auch der ideologische Zwangscharakter seines D e n k e n s
dokumentiert werden kann. Rosenberg benutzt die Begriffe Einheit und
Gleichheit synonym im Hinblick darauf, daß „Mythus, Märchen, Sage und
Philosophie" als Schöpfungen der Massenpsyche — „sich gegenseitig umschal-
ten lassen". 4 3 0 Das wird im Inhaltsverzeichnis des G e s a m t w e r k e s (S. XXI)
mit „Einheit von Mythus, Märchen, Sage und Philosophie" bezeichnet. Es ist
die Megapsyche, die Identität im Sinne der Einheit und Gleichheit hatte und
immer noch hat. Denn „gleich" sind die Kräfte des Willens und die Werte der
Seele „in ihrer Artung" - also im Hinblick auf angeborene Eigentümlichkeit
— und in ihrer „Richtung" — also im Hinblick auf Ziel oder Telos — auch ge-
blieben. 4 3 1 Insofern die Rassenseele „ein und dieselbe" 4 3 2 ist, deren „gestal-
tende Willenskräfte und Seelenwerte" im Hinblick auf „Richtung und Artung
die gleichen" geblieben sind, k o m m t der Megapsyche Identität als Prädikat
zu. Indem die Megapsyche in allen deutschen Menschen wirkt, werden diese
durch die gleichbleibenden und gleichgerichteten Urkräfte der Megapsyche
vereint und sind insoweit untereinander gleich. W e n n Rosenberg annimmt, es
seien die „letztmöglichen G r e n z e n unserer seelischen Ausweitung, wenn der
Baidur- und Siegfried-Mythus als gleichartig mit d e m Wesen des deutschen
Soldaten von 1914 erscheint", und daß darüber hinaus „die Wiedergeburt des
Deutschtums aus dem heutigen C h a o s " 4 3 ermöglicht werde, dann besteht
Artgleichheit zwischen Siegfried und d e m deutschen Soldaten aufgrund der
Potenz der sich gleichbleibenden Rassenseele. W e n n nach Rosenberg die Me-
gapsyche ein und dieselbe war, ist und bleibt, und wenn sie als solche wirkt,
insofern ihre „Schöpfung" auf dem immer gleichbleibenden Willen sowie
ewigen Urkräften beruht, dann beschreibt Rosenberg Seele mit der Kategorie
der Substanz.
Seele ist das Zugrundeliegende und Gleichbleibende, das nicht verändert
wird, aber Veränderungen bewirkt. N u r weil Rosenberg der Seele den Charak-
ter der Substanz zuerkennt, kann er die Megapsyche mit der personalen Psy-
che identifizieren und gleichschalten. D a ß z. B. im Ersten Weltkrieg die „Ein-
zelseele starb", wird damit gleichbewertet bzw. gleichgesetzt, daß „jener Adel,
jene Freiheit der mystisch ehrbewußten Seele, die in einem n o c h nie gesehe-

430
Der Schluß des 3. Abschnittes des Kapitels über die „Einheit des Wesens" lautet: „Eine
Weltanschauung wird also erst dann ,wahr' sein, wenn Märchen, Sage, Mystik, Kunst und
Philosophie sich gegenseitig umschalten lassen und das Gleiche in verschiedener Weise
ausdrücken, innere Werte gleicher Art zur Voraussetzung haben", ebd., S. 688.
431
] Die Rassenseele bemächtigte sich der alten Fragen vermittels neuer Formen, aber
ihre gestaltenden Willenskräfte und Seelenwerte blieben in ihrer Richtung und Artung die
gleichen. An ihnen allein aber kann man Wesen und Geschichte des nordischen Menschen
ablesen, nachdem der selige Mittelpunkt selbst wieder neu erlebt worden ist", ebd., S. 693;
vgl. ebd., S. 183, 689, 700.
432
Ebd., S. 680.
433
Ebd., S. 685.
266 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

nen breiten Strom über Deutschlands Grenzen sich zum Opfer brachte". 4 3 4
Wenn nach Rosenberg dieses „Opfer" den „künftigen Lebensrhvthmus des
deutschen Volkes bestimmen, den neuen Typus des Deutschen züchten" 4 3 5
wird, ist damit auch gemeint, daß die erst noch herzustellende Identität des
deutschen Volkes nur durch die substantielle Identität der Seele ermöglicht
wird. Mit anderen Worten: N u r aufgrund der substantiell konzipierten Identi-
tät kann Rosenberg folgerichtig Meister Eckhart und den Soldaten des Ersten
Weltkrieges miteinander identifizieren und so weit gehen, daß sie „ein und
dasselbe sind". Der Deutsche müsse „nun zu seiner herrlichen Mystik zurück-
greifen" und „sich die Seelengröße eines Meister Eckehart wieder erringen und
leben, daß dieser Mann und der feldgraue Held unterm Stahlhelm ein und derselbe
lind".36 Ist dies der Fall, dann sind wesentliche Bedingungen für die Realisie-
rung der Identität des Volkes erfüllt. „ D a n n " , so fährt Rosenberg fort, „ist
der Weg frei für eine deutsche Volksreligion der Zukunft, eine echte Deutsche
Kirche und eine einheitliche deutsche Volkskultur." 4 3 7 Das heißt, daß die
identitätstiftende Wirkung auf der Potenz von Seele beruht, mit anderen
Worten: Die einzelnen Soldaten sind aufgrund der Wirkkraft der nordischen
Seele miteinander verbunden. Die partielle Teilnahme an der identischen See-
lensubstanz ist die Grundlage der gesellschaftlichen Kohärenz. D a ß die
„volkhafte Vermittlung" selbst das Ziel Herders und seiner Nachfolger war
und sie miteinander verband, beruht für Rosenberg auf der „Gemeinsamkeit
eines seelenverschmolzenen Blutes, welches den alles verbindenden Unter-
strom eines Lebensganzen bildete". 4 3 8 Zusammenfassend kann gesagt wer-
den, daß der Beschaffenheit der Seele auch im Hinblick auf kollektive Kohä-
renz und kollektive Identität diejenigen Kräfte zukommen, die den Übergang
von einer potentiellen zu einer aktuellen Seinsweise ermöglichen. Es sind pri-
mär die Kräfte der Seele, aber in Verbindung mit Blut. Es sind die „Urkräfte
ein und derselben Seele", die „in der Neuzeit in Friedrich und Bismarck G e -
stalt gewannen. Und solange diese Kräfte wirksam sind, so lange, und nur so
lange, wirkt und webt noch nordisches Blut mit nordischer Seele in mysti-
scher Vereinigung, als Voraussetzung jeder artechten Schöpfung." 4 3 9 Wegen
der nicht nur hier am Schluß des „Mythus" eindeutig artikulierten Konnexität
von kollektiver Identität und Religion, „vor allem der Religion Meister Ecke-
harts", ist auf die die gesamte Rassendoktrin fundierende Auffassung über das

414
Ebd., S. 699.
4.5
Ebd.
4.6
Ebd., S. 621 [Hervorhebung im Original].
437
Ebd. [Hervorhebung C.-E. B.].
Ebd., S. 694: „Herder und seine Nachfolger suchten bereits die volkhafte Vermittlung;
heute fügen wir hinzu: das, was sie verwandt machte, was sie zu ähnlicher Entwicklung der
inneren Gestalt trieb, war die Gemeinsamkeit eines seelenverschmolzenen Blutes, welches
den alles verbindenden Unterstrom eines Lebensganzen bildete"; zum „Gemeinsamkeits-
bewußtsein Herders" vgl. ebd., S. 690.
439
Ebd., S. 680.
Volk und Rasse 267

Verhältnis von Seele und G o t t vornehmlich in dem Kapitel „Mystik und Tat"'
z u r ü c k z u k o m m e n , womit auch die Aussagen über das Verhältnis zwischen
der jüdischen „Gegenrasse" und Satan darzustellen sind.

cc. Die „Gottgleichheit" der „nordischen Seele" und


die „Satan-Natur" der Juden

W u r d e n in der bisherigen Darstellung Rosenbergs Aussagen über Religion


und über Politik aus methodisch-analytischen G r ü n d e n getrennt, so sind sie
n u n m e h r wieder zusammenzufügen. Es ist bereits belegt worden, daß Rosen-
berg von der Notwendigkeit einer „neuen Religion" 4 4 0 überzeugt war und daß
er auf eine „deutsche religiöse Bewegung, die sich zu einer Volkskirche ent-
wickeln wird" 4 4 1 , hoffte. Es ist ebenso dargestellt worden, daß Rosenberg die
Konfession der katholischen und der evangelischen Kirche wegen der angeb-
lich paulinisch-jüdischen Tradition ablehnte und daß er meinte, die Ele-
m e n t e eines „fünften Evangeliums" 4 4 3 entdecken zu können. Jesus, daran soll
ausdrücklich erinnert werden, war nach Rosenberg mitnichten ein kleiner ari-
scher Wanderprediger aus Galiläa, sondern, hier in Übereinstimmung mit der
traditionellen Christologie, „Vermittler zwischen Mensch und Gott" 4 4 4 , eine,
wenn auch nur eine „vollkommen eigengesetzliche Verkörperung des Göttli-
chen in einem Menschen". 4 4 5 Nicht der „Gekreuzigte" sei heute „das bilden-
de Ideal". 4 4 6 Jesus, der natürlich kein Jude war 4 4 7 , der „ E m p ö r e r aus Naza-
reth" 4 4 8 , der „Held" 4 4 9 , das macht ein wesentliches M o m e n t des sogenannten
„positiven Christentums" 4 5 0 aus, „opferte sich als Herr, nicht als Knecht". 4
Die „echte Religion" ist für Rosenberg die Mystik Meister Eckeharts, vor al-
lem wegen der darin entdeckten wahren Qualitäten von Seele. In der Inter-
pretation des Mystikers, den Topos vom Seelenfünklein (scintilla animae) auf-
nehmend 4 5 2 , ist Seele ein „Zentrum an Kraft", womit Rosenberg auch
„Macht", „seelische Macht" 4 5 3 meint. Prinzipiell hat die Seele drei Möglich-

440
Ebd., S. 620.
441
Ebd., S. 608.
442
Vgl. ebd., S. 235, 605.
«43
Ebd., S. 603; vgl. Markus- und Johannes-Evangelium.
444
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 624.
445
Ebd., S. 442.
446
Ebd., S. 604.
447 Vgl. ebd., S. 76.
448 Ebd., S. 134.
449
Ebd., 414.
450
Ebd., S. 78.
451
Ebd., S. 662.
452
Vgl. ebd., S. 217, 223.
453
„Er [i. e. der Mystiker; C.-E. B.] entdeckt eine rein seelische Macht und fühlt, daß diese
seine Seele ein Zentrum an Kraft darstellt, dem schlechterdings nichts vergleichbar ist.
Diese Freiheit und Unbekümmertheit der Seele allem, auch Gott gegenüber und die Ab-
268 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

keiten zu wirken, drei „Kräfte" habe der Mystiker nach „dem seligen Gewahr-
werden" des „Fünkleins", des „geheimnisvollen Zentrums unseres Seins" ent-
deckt:
Drei Kräfte entdeckt er, vermittels deren die Seele in die Welt hineingreift: Den
Willen, der sich dem Objekt zuwendet, die Vernunft, die das Ergriffene durch-
schaut und ordnet, und das Gedächtnis, welches das Erlebte und Erschaute aufbe-
wahrt. Diese drei Kräfte sind gleichsam das Gegenstück zur heiligen Dreieinig-
keit.454

Rosenberg betont die angebliche „Dynamik der nordisch-abendländischen


Seele", welche Meister Eckhart an „Stelle der jüdisch-römischen Statik" ge-
setzt habe, und das heiße auch, „an die Stelle der jüdisch-römischen Weltan-
schauung tritt das nordisch-abendländische Seelenbekenntnis als die innere
Seite des deutsch-germanischen Menschen, der nordischen Rasse". 4 5 5 Es ist
somit eindeutig, daß Rosenberg die in der Einleitung gegebene Definition,
„Seele aber bedeutet Kasse von innen gesehen. Und umgekehrt ist Blasse die Außenseite
einer See/e"456, auf die Mystik Meister Eckharts bezieht. Fundamental ist da-
nach die Dynamik der Seele im Verhältnis zu Gott:

Jedes Geschöpf treibt sein Wesen um eines wenn auch ihm selbst unbekannten
Zieles wegen. Auch die Seele besitzt ihr Ziel: rein zu sich selber und zum Gott-
bewußtsein zu gelangen.457
Die Entelechie der Seele besteht aber auch in der Bewegung des Rückzuges:
[...] die Vorbedingung des .inneren Werkes' ist deshalb das Einziehen aller nach
außen wirkenden Kräfte, das Auslöschen aller Bilder und Gleichnisse. Dieses in-
nere Werk' aber bedeutet: Das Himmelreich ,an sich zu reißen', wie es Jesus von
den ,Gewaltigen' der Seele bezeugt und gefordert habe. Dieser Versuch des Mysti-
kers fordert also die Ausschaltung der Welt als Vorstellung, um uns möglichst als
reines Subjekt des uns innewohnenden metaphysischen Wesens bewußt zu werden;

Rosenberg verknüpft das Prinzip der Ewigkeit der Seele mit der Spekulation
der G e b u r t Gottes in der Seele. „ N o c h nie" habe es ein „solch bewußtes ari-
stokratisches Seelenbekenntnis gegeben", wie folgende Expressionen des My-
stikers:
,Ich bin die Ursache meiner selbst, nach meinem ewigen und nach meinem zeitli-
chen Wesen. Nur hierum bin ich geboren. Nach meiner ewigen Geburtsweise bin
ich von Ewigkeit her gewesen und bin und werde ewiglich bleiben [...]. In meiner

wehr eines jeden Zwanges, auch eines solchen von selten Gottes zeigt die tiefste Tiefe, bis
wohin wir den nordischen Ehr- und Freiheitsbegriff hinunter verfolgen können", ebd., S.
217.
454
Ebd., S. 239; vgl. S. 241, 321, 343 f., 393, 406.
455
Ebd., S. 252.
456
Ebd., S. 2 [Hervorhebung im Original].
457
Ebd., S. 221.
458
Ebd., S. 221 f.
Volk und Rasse 269

Geburt wurden auch alle Dinge geboren, ich war zugleich meine eigene und aller
Dinge Ursache. Und wollte ich: weder ich wäre noch alle Dinge. Wäre aber ich
nicht, so wäre auch Gott nicht.' 439
Da G o t t folglich in der Seele geboren wird und die Seele das Ziel hat, „rein
zu sich selber und zum Gottesbewußtsein zu gelangen" 4 6 0 , besteht die Ente-
lechie der Seele nach der Rosenberg-Interpretation des Mystikers im Werden
G o t t e s in der Seele. Damit besteht für die „echte Wiedergeburt" eines Volkes
als „zentrales Erlebnis der Seele" 4 6 1 eine nicht hintergehbare fundamentale
Basis. D e n Prozeß der „Selbst-Verwirklichung" bezieht Rosenberg auf die
Bewegung der Seele von G o t t und zu Gott. Es ist der „nordische Gedanke
der Selbstverwirklichung". 4 6 2 Die schon in dem Abschnitt über das allgemei-
ne Religionsverständnis Rosenbergs nachgewiesene Bestimmung des Verhält-
nisses von Seele und G o t t betrifft nur und ausschließlich die nordische Seele.
Rosenberg lehnt die „analogia entis", also das Verhältnis der bloßen Ähnlich-
keit sogar unter Hinweis auf Jesus („Und auch Jesus sprach vom Himmelreich
in uns" 4 6 3 ) ab. Es ist die nordische Seele, für die gilt, daß „unsere Seele darauf
beruhe, mit G o t t eins zu werden". 4 6 4 Die „Gottgleichheit der Seele" 4 6 5 ist
eine Beschaffenheit von Seele, die nur der arisch-nordischen Seele zukommt:
„Das nordisch-seelische Erbgut bestand tatsächlich im Bewußtsein nicht nur
der Gottähnlichkeit, sondern der Gottgleichheit der menschlichen Seele." 4 6 6
G o t t gleich ist aber nicht nur die Seele der nordischen Rasse, sondern auch
des Volksglaubens sowie des völkischen Glaubens liebstes Kind, nämlich das
Blut. 4 6 7

Heute erwacht aber ein neuer Glaube: der Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem
Blute auch das göttliche Wesen des Menschen überhaupt zu verteidigen. Der mit
hellstem Wissen verkörperte Glaube, daß das nordische Blut jenes Mysterium dar-
stellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat.468

Die Deutschen haben mithin eine über das göttliche Blut und die göttliche
Seele real vermittelte Beziehung zu Gott. Die Überlegenheit des deutschen
Volkes und damit aller Deutschen über die Mitglieder anderer Kollektive be-
ruht auf der Teilnahme an der göttlichen Substanz. Die Einheit von göttlicher

459
Ebd., S. 225.
460 Ebd., S. 221.
461 Ebd., S. 15, vgl. ebd., S. 17, 85, 531, 539.
462
Ebd., S. 248 sowie laufender Kolumnentitel zu S. 248: „Die echte nordische Seele ist auf
ihrem Höhepunkt stets ,zu Gott zu' und stets ,von Gott her'. Ihre ,Ruhe in Gott' ist zu-
gleich ,Ruhe in sich'."
463
Ebd., S. 247.
464
Ebd., S. 234.
465
Ebd., S. 246, 238, 629.
466
Ebd., S. 246.
467 „Neben dem Mythus von der ewigen freien Seele steht der Mythus, die Religion des Blutes" ebd., S. 258
[Hervorhebung im Original].
Ebd., S. 114.
270 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

und menschlicher N a t u r 4 6 9 macht die prinzipielle Konfiguration des religiö-


sen Rassismus Rosenbergs aus. Das ist indes nur die eine Seite des „Mythus"
als Mystik. D e n n warum ist die nordische „Selbstverwirklichung" 4 7 0 noch
nicht vollendet, warum werden die „alten Sakramente" 4 7 1 erst jetzt überwun-
den? Es m u ß , u m die nur unvollkommen realisierte Emanation der nordi-
schen Seele zu rechtfertigen und die bisherige O h n m a c h t der Deutschen er-
klären zu k ö n n e n , eine der selbstbezüglichen Konsubstantialität von nordi-
scher Seele und G o t t entgegenwirkende, substantialisierte Kraft wirken - das
Böse.
Das „polare U r p h ä n o m e n " zur nordischen Rassenseele ist für Rosenberg
die jüdische „ G e g e n r a s s e " 4 7 2 , und ausschließlich die jüdische Rasse ist die
Gegenrasse. Während in der nordischen Rasse die Vereinigung von göttlicher
und menschlicher N a t u r stattfindet, ist „der J u d e " der „Sohn der Satan-Na-
tur". 4 7 3 D a s wird im Z u s a m m e n h a n g mit der Verurteilung des „Moralkodex"
der J u d e n , „der nur eins kennt: den Vorteil der J u d e n " , festgestellt:

Daraus folgt die Zulassung, ja Genehmigung des Überlistens, des Diebstahls, des
Totschlags [..]. So sehen wir denn seit 2500 Jahren das ewig gleiche Bild. Gierig
nach Gütern dieser Welt, zieht der Jude von Stadt zu Stadt, von Land zu Land und
bleibt dort, wo er am wenigsten Widerstand für geschäftige Schmarotzerbetätigung
findet. Er wird verjagt, kommt wieder, ein Geschlecht wird erschlagen, das andere
beginnt unbeirrbar das gleiche Spiel. Gaukelhaft halb und halb dämonisch [...]
zieht Ahasver als Sohn der Satan-Natur durch die Geschichte der Welt. Ewig unter
anderem Namen und doch immer gleichbleibend; ewig die Wahrheit beteuernd und
immer lügend. 4 ' 4

Die „jüdische Einstellung zur Welt" sei „satanisch". 4 7 5 Die „ungeheure" und
„zerstörende Kraft" der „ K i n d e r J a k o b s " sei in der Gestalt des „Mephisto-
pheles" richtig und „unnachahmlich gezeichnet". 4 7 6 Das Gesetz der „ E n t -
w e r t u n g " , das der „jüdische D ä m o n " angeblich ausnutze, ist nach Rosenberg
„sein G e s e t z " , nach d e m dieser „ D ä m o n " angetreten ist, „und dem er nie ent-
gehen kann - solange er b e s t e h t " . * ' ' Fundamental fixiert und konsequent lebt
Rosenberg in der E r w a r t u n g einer „großen, vielleicht endgültigen Auseinan-
dersetzung zwischen zwei weltfernen Seelen", der „Auseinandersetzung des
deutschen Genius mit dem jüdischen D ä m o n " . 4 7 8 Diese Auseinandersetzung
sieht Rosenberg „in einem viele Weltjahre dauernden Ringen zwischen dem

469
Rosenberg zitiert Meister Eckhart und dessen Deutung der „heiligen Vereinigung göttlicher un
menschlicher Slatur"'in „Christo", ebd., S. 230 [Hervorhebung im Original].
470
Ebd., S. 248.
471
Ebd., S. 144.
472
Ebd., S. 46, vgl. ebd. S. 462, 686.
473
Ebd., S. 265.
474
Ebd., S. 265 ff.
475
Ebd., S. 263.
476
Ebd., S. 460, vgl. ebd., S. 364, 455 ff., 461, 466, 670-672.
477
Ebd., S. 460, vgl. ebd., S. 461.
478
Ebd., S. 460, vgl. ebd. S. 138, 686 ff.
Volk und Rasse 271

Licht und der Finsternis" 4 7 9 , deren Dramatik ihren „ H ö h e p u n k t im Siege" 4 8 0


findet. So wie die Realpräsenz Gottes in der Megapsyche der nordischen Ras-
se stattfindet, wird das Kollektivsubjekt „ J u d e " zur satanischen Gegenrasse
substantialisiert. D e r Rassismus Rosenbergs ist durch und durch ein religiö-
ser Rassismus. O b das bei Hitler, der für Rosenberg lediglich „der Erwecker
der Rassenseele" 481 ist auch der Fall ist, soll n u n m e h r untersucht werden.

3. Hitlers politische Religion

a. N a t i o n a l s o z i a l i s m u s als „ v ö l k i s c h e W e l t a n s c h a u u n g "
u n d R a s s e als S u b s t a n z d e r erst n o c h h e r a u s z u s t e l l e n d e n I d e n t i t ä t
des deutschen Volkes

Es gibt zwar eine Bibliographie über alle Adolf Hitler betreffenden Veröf-
fentlichungen, in der ca. 1500 Werke notiert werden, aber eine Monographie
mit d e m Ziel, sowohl die systematischen als auch die historischen Anforde-
rungen einer Ideologiekritik anhand v o n Hitlers „Mein K a m p f zu erfüllen,
liegt fünfzig Jahre nach dem E n d e des Zweiten Weltkrieges meines Wissens
n o c h nicht vor. 4 8 2 Ausführlich thematisiert und berücksichtigt wurden die
Originalquellen nur in zwei Arbeiten, deren Gegenstand zudem die Religiosi-
tät Hitlers ist und die von Außenseitern des Wissenschaftsbetriebes verfaßt
wurden. Aber die grundsoliden Untersuchungen des katholischen Publizisten
Friedrich Heer und des protestantischen Pfarrers Wolfgang H a m m e r sind in
der c o m m u n i o der doctores nicht rezipiert w o r d e n . 4 8 3 Auch die verschieden-
sten sogenannten Faschismustheorien beruhen nicht auf einer analytischen
und kritischen Durchdringung des Textes v o n „Mein K a m p f . Das heißt, es
liegt keine Arbeit vor, in der auch nur versucht w o r d e n wäre, die deskripti-
ven, kategorialen, analytischen und kritischen Paradigmen der Wissenschaft
anzuwenden, und an die sich ein wissenschaftlicher Diskurs anschließen
könnte. Ein Verstoß gegen die Regeln der Wissenschaft und des vernünftigen
Argumentierens ist z. B. auch in dem Diskurs über die Verstrickungen Hei-
deggers in den Nationalsozialismus zu konstatieren. Ab und zu tragen „Phi-

479
Ebd., S. 130.
480
Ebd., S. 130.
481
Ebd., S. 546; laufender Kolumnentitel zu dieser Seite.
Vgl. Gerhard Schreiber, Hitler. Interpretationen 1923-1983. Ergebnisse, Methoden und
Probleme der Forschung; 2. verb. u. durch eine annotierte Bibliographie für die Jahre
1984-1987 ergänzte Auflage, Darmstadt 1988.
' Vgl. Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität,
2. Aufl. Frankfurt a. M./Berlin 1989; Wolfgang Hammer, Adolf Hitler - ein deutscher
Messias?, Bd. I: Dialog mit dem „Führer", München 1970, Bd. 2: „Tyrann der Völker",
München 1972; Bd. III: „Tyrann der Völker", München 1974.
272 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

losophen" Fakten über Heideggers Tätigkeit in der NS-Zeit zusammen und


spekulieren dann darüber, wieso ein Philosoph Anhänger Hitlers wurde. Die-
se Feststellung der Fakten, wann, wie und wie lange Heidegger für die
N S D A P aktiv war und sich zum Führer Adolf Hitler bekannte, fällt jedoch in
die Kompetenz der empirisch orientierten Geschichtswissenschaft. Philoso-
phen hingegen sollten über die „Identität und Differenz" zwischen der „völ-
kischen Weltvorstellung" 4 8 4 und der Vor-Stellung von Welt im Denken Hei-
deggers urteilen.
Die Berücksichtigung analytisch-kategorialer Aspekte kann hier nur in der
Konzentration auf einige Komplexe geleistet werden. Die Perspektive meiner
Hitler-Lektüre ist dieselbe wie bei Rosenberg. Es kommt also darauf an, das
Ideologem „Rasse" im Hinblick auf das Bewußtsein von Mensch, Gesell-
schaft und Geschichte zu untersuchen. Das heißt, daß nachzuweisen ist, in
„Mein K a m p f sei eine Konzeption und Konstitution von Gesellschaft ent-
halten und „Rasse" diene der Konstruktion des Volkes. Es kommt darauf an,
zu belegen, daß das Denken Hitlers unter die Kategorien Identität, Einheit,
Homogenität und Substanz subsumiert werden kann. Es soll die Streitfrage
beantwortet werden, ob im Denken Hitlers der materialistisch-evolutionäre
Biologismus oder der religiöse Gehalt in der Bestimmung von „Rasse" und
„Volk" überwiegt und von maßgebendem Gewicht ist.
E s soll überprüft werden, o b und wie die Qualitäten von Rasse durch den
Rückgriff auf Natur und G o t t festgelegt werden. Zu prüfen ist weiterhin, o b
Hitlers Bestimmungen des Ariers vom Antisemitismus zu trennen sind oder
ob sich im Rassismus Hitlers Affirmation und Negation in wechselseitiger
Abhängigkeit ergänzen. Darzulegen ist am Anfang, welche Bedeutung Hitler
Religion allgemein zubilligte, ob er selbst den Glauben als Modus der Exi-
stenzinterpretation bevorzugte, ob er in der Spannung von Diesseits und Jen-
seits argumentierte, selbst an G o t t glaubte und wie er den Glauben an G o t t
auf sich selbst bezog. Ergibt die Überprüfung der genannten Aspekte, daß die
religiösen Dimensionen überwiegen, dann ist die Ideologie Hitlers, die für ihn
„Weltanschauung" und „Weltvorstellung" ist, eine politische Religion. Mit
anderen Worten: Sind die religiösen Implikationen des Bewußtseins von Ras-
se zentral, so hat sowohl die Bestimmung des Ariers als auch die des Juden
primär einen religiösen Gehalt. Sind Rasse und Volk innenpolitisch d e m Staat
übergeordnet, dann wird Außenpolitik unter der Prämisse von Rasse defi-
niert, dann ist „ G l a u b e " respektive „Glaubensbekenntnis" maßgebend für
Hitlers Verständnis von Politik. Glaubt Hitler an eine besondere Beziehung
zwischen sich und Gott, sowie zwischen Gott, der arischen Rasse und d e m
deutschen Volk, dann ist im Bewußtsein Hitlers Religiosität für Politik maß-
gebend. Die nächsten Kapitel sind daher nach folgenden Gesichtspunkten ge-
gliedert:

Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 424.


Volk und Rasse 273

b. Die von Rasse und Volk abstrahierte Positivitat von Religion und Hitlers
Glaube an G o t t
c. D e r religiöse Rassismus
aa. D e r Glaube Hitlers an seine spezifische Beziehung zu G o t t und an die be
sondere Verbindung zwischen G o t t und dem deutschen Volk
b b . G o t t , Natur und die rassischen „Urelemente" der Deutschen
cc. Die Arier als „höchstes Ebenbild des H e r r n "
dd. „ D e r J u d e " als „Personifikation des Teufels" und „Widersacher jedes
Menschentums"

Z u v o r aber ist das allgemeine Verhältnis von Rasse und Volk zu behandeln.
D e r Begriff, den Hitler für die Gesamtauffassung des Denkens der Natio
nalsozialisten über Politik verwendet, ist der um 1800 in der Romantik ent
standene der „Weltanschauung". 4 8 5 Zur spezifischen Kennzeichnung der po
litischen Denkformen der Nationalsozialisten verwendet Hitler nicht das Ad
jektiv „rassisch", sondern „völkisch". 4 8 6 Das Programm der N S D A P sei die
„organisatorische Erfassung einer Weltanschauung" 4 8 7 und „Instrument" der
„völkischen Weltanschauung". 4 8 8 Hitler beendet das Kapitel „Weltanschau
ung und Partei" mit dem laufenden Kolumnentitel „Bildung des politischen
Glaubenbekenntnisses" und einer jeden Zweifel ausschließenden Proklama
tion:

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei übernimmt aus dem Grundge


dankengang einer allgemeinen völkischen Weltvorstellung die wesentlichen Grund
züge, bildet aus denselben, unter Berücksichtigung der praktischen Wirklichkeit,
der Zeit und des vorhandenen Menschenmaterials sowie seiner Schwächen, ein po
litisches Glaubensbekenntnis, das nun seinerseits in der so ermöglichten straffen
organisatorischen Erfassung großer Menschenmassen die Voraussetzung für die
siegreiche Durchfechtung dieser Weltanschauung selber schafft.489

Hitler will das deutsche Volk nicht durch die Perspektive der Welt, sondern
Welt durch Volk in den Blick bekommen. E r stellt sie sich „völkisch" vor.
Die „völkische Weltvorstellung" ist keine Wissenschaft oder Philosophie,
sondern ein „politisches Glaubensbekenntnis" mit dem Zweck der Organisa
tion „großer Menschenmassen". N u r darin sieht Hitler die „Voraussetzung"
für den Sieg einer „Weltanschauung". Hitler identifiziert also „nationalsozia
listisch" mit „völkisch" und beansprucht darüber hinaus den alleinigen Ver
tretungsanspruch der Nationalsozialisten für die völkische Weltanschauung
und damit das M o n o p o l zur Bestimmung dessen, was unter Volk zu verste
hen sei. In diesem Kontext, worauf zurückzukommen sein wird, also bei der
Bestimmung dessen, was unter „völkisch" zu verstehen ist, bejaht Hitler die

485
Ebd., S. 410 f.
486
Ebd., S. 419 f., 422 ff., 431, 449, 513
487
Ebd., S. 422.
488
Ebd., S. 423.
489
Ebd., S. 424.
274 Zur P h ä n o m e n o l o g i e der nationalsozialistischen Weltanschauung

Religion und nimmt eine spezifische von ihm bevorzugte Form „der allgemei-
nen Bezeichnung ,religiös'" 490 vor.
Die Bedeutung von Volk in der Weltanschauung Hitlers läßt sich durch die
Rangordnung des Volkes im Verhältnis zum Staat erkennen. Dem Volk
kommt das Primat zu. Nach der „völkischen Weltanschauung" ist „Volk"
dem Staat übergeordnet. Grundsätzlich ist für Hitler Staat „nicht ein Inhalt,
sondern eine Form". 491 Der Arier vermag nach Hitler sich unter „einem
Staat" also „nur den lebendigen Organismus eines Volkstums vorzustel-
len". 492 Die „Güte eines Staates" sei nach der „Güte" der „Einrichtung für
das jeweils in Frage kommende Volkstum" 493 zu bewerten. Staat sei „nicht
Selbstzweck" 494 , sondern nur „Mittel" 495 .
Nicht „Staat", sondern „Volkstum" sei die Voraussetzung für das „höhere
Menschentum" 496 überhaupt. Nach Hitler ist ein Volkstum nur dann zur Bil-
dung eines höheren Menschentums befähigt, wenn die Ursache einer „kultur-
fähigen Rasse" vorhanden ist. Staat sei Mittel und Voraussetzung, aber nicht
Ursache für die höhere menschliche Kultur. 497 Der „höchste Zweck des völ-
kischen Staates" sei die „Erhaltung derjenigen rassischen Urelemente, die, als
kulturspendend, die Schönheit und Würde eines höheren Menschentums
schaffen".498 Der zukünftige Staat habe „die Rasse in den Mittelpunkt des all-
gemeinen Lebens zu setzen". 499 Ein Staat müsse „als schlecht bezeichnet
werden, wenn er, bei aller kulturellen Höhe, den Träger dieser Kultur in sei-
ner rassischen Zusammensetzung dem Untergang weiht".300
Dem Ursache-Wirkung-Verhältnis zwischen Rasse und Volk ist auch das
Modell der zu konstituierenden Gesellschaft zu entnehmen. Hitler verwendet
zur Bezeichnung von Volk nicht nur den Begriff „Organismus" 501 , sondern
auch den des Körpers. So ist im Kontext des Verhältnisses von Rasse, Volk
und Staat vom „Volkskörper' 002 die Rede. Rasse und Blut sind nach Hitler
die Bedingungen für die „innere Geschlossenheit des Volkskörpers" 503 bzw.

490
Ebd., S. 416 f.
491
Ebd., S. 436, vgl. ebd., S. 434.
492
Ebd., S. 434.
493
Ebd., S. 435.
494
Ebd., S. 431.
495
Ebd., S. 433: „Der Staat ist ein Mittel zum Zweck."
496
„So ist die Voraussetzung zum Bestehen eines höheren Menschentums nicht der Staat,
sondern das Volkstum, das hierzu befähigt ist", ebd., S. 432 f.
497
„Die grundsätzliche Erkenntnis ist dann die, daß der Staat keinen Zweck, sondern ein Mit-
tel darstellt. Er ist wohl die Voraussetzung zur Bildung einer höheren menschlichen Kul-
tur, allein nicht die Ursache derselben. Diese liegt vielmehr ausschließlich im Vorhanden-
sein einer zur Kultur befähigten Rasse", ebd., S. 431.
498
Ebd., S. 434.
499
Ebd., S. 446.
500
Ebd., S. 435.
501
Ebd., S. 434; zur zweitrangigen Bedeutung des Staates vgl. auch S. 425, 431, 435.
502
Ebd., S. 431 f., 435, 437, 443.
503
Ebd., S. 443.
Volk und Rasse 275

eines ,,geschlossene[n] Volkskörper[s]". 5 0 4 Z u m Zwecke der erkenntnisför-


dernden Distanz könnte man den Begriff „Volkskörper" mit „corpus populi"
übersetzen. Wird gesellschaftliche Existenz mit d e m T o p o s „Volkskörper"
artikuliert und ist im Begriff des Körpers sowohl das M o m e n t der Einheit als
auch das des Blutes enthalten, dann wird die „innere Geschlossenheit" des
Volkes mit der Kategorie der H o m o g e n i t ä t w a h r g e n o m m e n . Die Aufgabe des
Staates sei es daher, eine Gesellschaft „physisch und seelisch gleichartiger"
Menschen zu schaffen:

Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck liegt in der Erhaltung und Förde-
rung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen. Diese Er-
haltung selber umfaßt erstlich den rassenmäßigen Bestand und gestattet dadurch
die freie Entwicklung aller in der Rasse schlummernden Kräfte. 505
Darüber hinaus habe der Staat die „Aufgabe", aus dem deutschen Volke die
„wertvollsten Bestände an rassischen Urelementen nicht nur zu sammeln und
zu erhalten, sondern langsam und sicher zur beherrschenden Stellung empor-
zuführen". 5 0 6 Typisch für das D e n k e n Hitlers ist die kausale Konnexität von
Einheit und Reinheit im Hinblick auf Rasse und Volk. D a s Ursache-Wirkung-
Verhältnis von Volk und Rasse ist für Hitler im Hinblick auf das Ziel der
„Nationalisierung der Massen" 5 0 ^ von Bedeutung. Dabei will er einen „positi-
ven K a m p f um die Seele unseres Volkes" 5 0 8 führen. Hitlers Ziel ist die „Ein-
heit" der Seele des Volkes. D a ß diese Einheit n o c h nicht verwirklicht ist, hat
für ihn folgende Ursache:

Völker, die auf die Erhaltung ihrer rassischen Reinheit verzichten, leisten damit
auch Verzicht auf die Einheit ihrer Seele in all ihren Äußerungen. Die Zerrissen-
heit ihres Wesens ist die naturnotwendige Folge der Zerrissenheit ihres Blutes, und
die Veränderung ihrer geistigen und schöpferischen Kraft ist nur die Wirkung der
Änderung ihrer rassischen Grundlagen. 509

Da die „Einheit" der „Seele" eines Volkes „in all ihren Ä u ß e r u n g e n " von der
„rassischen Grundlage" abhängt, da das „ W e s e n " der „Volksseele" samt „ih-
rer geistigen und schöpferischen Kraft" Einheit und Reinheit von Rasse zur
Grundlage hat und da nach Hitler im deutschen Volk „Bestände an rassischen
Urelementen" 5 1 0 vorhanden sind, denkt Hitler über Rasse und Volk im Modus der
Kategorie der Substan^. Die Ursache der Einheit des Volkes liegt in der Einheit
und Reinheit der Rasse. Das Charakteristikum der Substanz wird von Hitler
auf die Struktur kollektiv-gesellschaftlicher Identität bezogen. Für Hitler ist
Rasse die Substanz für die künftige Identität des Volkes. Rasse ist Substanz

504
Ebd., S. 438.
505
Ebd., S. 433.
506
Ebd., S. 439.
507
Ebd., S. 372.
508
Ebd.
509
Ebd.
Mu
Ebd., S. 439.
276 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

für drei F o r m e n v o n Identität, nämlich der Identität im Sinne von Einheit, im


Sinne von „ W e s e n " und im Sinne v o n „Seele". In der „völkischen" Konzep
tion Hitlers von Volk sind O r g a n i s m u s , Geschlossenheit, Einheit, Reinheit
und H o m o g e n i t ä t die zu konstituierenden Prädikate des Volkes, und sie sind
auf die Wirkursache von Rasse zurückzuführen, woraus folgt, daß Hitler Ras
se mit der Kategorie der Substanz — was ihm wahrscheinlich gar nicht bewußt
ist — begreift. Das Bewußtsein von Volk in der „völkischen Weltanschauung"
Hitlers steht damit im Widerspruch zum heterogenen sowie pluralistischen
„ d e m o s " nach d e m Modell des demokratischen Verfassungsstaates. Die Fra
ge, o b die Substantialisierung des Volkes und der gesellschaftlichen Identität
sowie die überlegene Macht des deutschen Volkes aus religiösen Apperzep
tionen von Welt resultiert, ist aus einem besonderen G r u n d e von Gewicht,
der später behandelt, aber hier schon genannt werden soll. Hitlers Mittel zur
Konstitution gesellschaftlicher Identität müssen nach meiner Meinung des
halb b e s o n d e r s radikal sein, weil die Substanz des deutschen Volkes durch
dessen „rassische Zerrissenheit" 5 1 1 gefährdet sei. Die Substanz des deutschen
Volkes sei gefährdet, weil die ursprüngliche Einheit der Rasse des deutschen
Volkes nicht mehr existiert:

Unser deutsches Volkstum beruht leider nicht mehr auf einem einheitlichen rassi
schen Kern. Der Prozeß der Verschmelzung der verschiedenen Urbestandteile ist
auch noch nicht so weit fortgeschritten, daß man von einer dadurch neugebildeten
Rasse sprechen könnte. Im Gegenteil: die blutsmäßigen Vergiftungen, die unseren
Volkskörper, besonders seit dem Dreißigjährigen Kriege, trafen, führten nicht nur
zu einer Zersetzung unseres Blutes, sondern auch zu einer solchen unserer Seele.512

Die bisherige U n t e r s u c h u n g des Verhältnisses von Volk und Rasse hat erge
ben, daß für Hitler die Rasse die Grundlage der Einheit der Seele und des
Wesens des Volkes ist. D a m i t kann Hitlers „völkische Weltanschauung" als
ein Versuch betrachtet werden, das m o d e r n e Problem der Herstellung kollek
tiver Identität zu lösen. Diese Substanzspekulation kann religiöse Implikatio
nen haben oder auch nicht. D a h e r sollen im folgenden zunächst Hitlers spe
zifisches Verständnis von Religion und seine Haltung zur Religion untersucht
werden. Erst d a n n ist zu klären, warum Hitler davon überzeugt ist, daß das
deutsche Volk die Welt beherrschen k ö n n e , und warum er fürchtet, „der Ju
d e " sei in der Lage, die D e u t s c h e n zu besiegen und gleichzeitig jede mensch
liche Kultur und die gesamte Menschheit auszurotten.

511
Ebd., S. 437.
512
Ebd., S. 436 f.
Volk und Rasse 277

b. D i e v o n Rasse u n d Volk abstrahierte Positivität v o n Religion


u n d Hitlers G l a u b e an G o t t

Hitlers Oberbegriff für Inhalt und Form des D e n k e n s über Politik ist „Welt
anschauung". Nationalsozialismus ist nach Hitler nicht nur eine „völkische
Weltanschauung", sondern Hitler charakterisiert ganz allgemein seine Weltan
schauung als „ G l a u b e " oder „ G l a u b e n s b e k e n n t n i s " unter besonderer und
höchstrangiger Bewertung des Glaubens im Hinblick auf die P h ä n o m e n e des
Politischen.
Hitler gebraucht den Ausdruck Glaube an mehreren zentralen Stellen zur
näheren Bestimmung der nationalsozialistischen Weltanschauung. E r schließt
das erste Kapitel des zweiten Bandes mit dem Titel „Weltanschauung und
Partei" mit der Erklärung, daß es der Nationalsozialistischen D e u t s c h e n Ar
beiterpartei um die „Bildung" eines „politischen G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e s " 5 1 3
ginge. Dieser Kontext ist aus zwei G r ü n d e n relevant. Erstens, weil Hitler auf
die allgemeine Tradition der völkischen Ideologie in Deutschland Bezug
nimmt, und zweitens, weil Hitler hier eine V e r b i n d u n g zwischen der erst
noch zu konstituierenden gesellschaftlichen Gemeinschaft der N S D A P , der
Organisation, den „ M e n s c h e n m a s s e n " und dem Sieg der „Weltanschauung"
herstellt:

Mit anderen Worten: Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei über


nimmt aus dem Grundgedankengang einer allgemeinen völkischen Weltvorstellung
die wesentlichen Grundzüge, bildet aus denselben, unter Berücksichtigung der
praktischen Wirklichkeit, der Zeit und des vorhandenen Menschenmaterials sowie
seiner Schwächen, ein politisches Glaubensbekenntnis, das nun seinerseits in der
so ermöglichten straffen organisatorischen Erfassung großer Menschenmassen die
Voraussetzung für die siegreiche Durchfechtung dieser Weltanschauung selber
schafft.514

Hitler stellt eine Analogie zur Religion her und behauptet in demselben Kapi
tel:
Die organisatorische Erfassung einer Weltanschauung kann aber ewig nur auf
Grund einer bestimmten Formulierung derselben stattfinden, und was für den
Glauben die Dogmen darstellen, sind für die sich bildende politische Partei die Par
teigrundsätze. 515

In dem Kapitel „Weltanschauung und Organisation" wiederum wird das Pro


gramm der N S D A P als „politisches G l a u b e n s b e k e n n t n i s " charakterisiert.
Deshalb wurde das Programm der neuen Bewegung in wenigen, insgesamt fünf
undzwanzig Leitsätzen zusammengefaßt. Sie sind bestimmt, in erster Linie dem
Mann aus dem Volk ein grobes Bild des Wollens der Bewegung zu geben. Sie sind

5,3
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 424 [Überschrift]
514
Ebd., S. 424.
5,5
Ebd., S. 422.
278 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

gewissermaßen ein politisches Glaubensbekenntnis, das einerseits für die Bewegung


wirbt und andererseits sich eignet, die Geworbenen zu verbinden und zusammen-
zuschweißen durch eine gemeinsam anerkannte Verpflichtung.516

Hitler kommt es nicht drauf an, Kampf, Sieg, Macht und Herrschaft auf pure
Gewalt oder obrigkeitsstaatliche Maßnahmen bürokratischer Aktionen zu
stützen. Eine „Weltanschauung" ist nach Hitler so lange ohne Bedeutung für
die „praktische Ausgestaltung eines Völkerlebens", wie „sich ihr Wirken nicht
im Siege ihrer Ideen vollendet hat und ihre Parteidogmen die neuen Staats-
grundsätze der Gemeinschaft eines Volkes bilden". 5 1 7 Eine „geistige Vorstel-
lung allgemeiner Art" ist nach Hitler nur dann das „ F u n d a m e n t " einer „kom-
menden Entwicklung", wenn sie „in der inneren Homogenität ihrer Überzeu-
gung die nötige Kraft zum Kampfe zu entwickeln vermag". Hitler lehnt eine
allgemeine Weltanschauung ab; sie m u ß nach seiner Überzeugung den Cha-
rakter eines politischen Glaubens haben. Deshalb fährt Hitler weiter fort:
„Aus allgemeinen Vorstellungen muß ein politisches Programm, aus einer all-
gemeinen Weltanschauung ein bestimmter politischer Glaube geprägt wer-
den." 5 1 8 Zwar betont Hitler in diesem Kontext den noch zu behandelnden
Unterschied zwischen einem Programmatiker und einem Politiker, aber das,
worauf sich der Glaube bezieht, ist nach Hitler ein „Ideal", welches ewig gel-
te und wahr sei:

So muß sich ein ewiges Ideal als Leitstern einer Menschheit leider damit abfinden,
die Schwächen dieser Menschheit zu berücksichtigen, um nicht an der allgemeinen
menschlichen Unzulänglichkeit von vornherein zu scheitern. Zum Erforscher der
Wahrheit hat sich der Kenner der Volkspsyche zu gesellen, um aus dem Reich des
Ewig-Wahren und Idealen das menschlich Mögliche für kleine Sterbliche heraus-
zuholen und Gestalt werden zu lassen.519

Hitler verwendet den Begriff des Glaubens nicht allgemein im Sinne von Si-
cherheit, Wahrscheinlichkeit oder festem Vertrauen auf irgend etwas, sondern
in bezug auf Religion:
Indem der Glaube mithilft, den Menschen über das Niveau eines tierischen Dahin-
lebens zu erheben, trägt er in Wahrheit zur Festigung und Sicherung seiner Exi-
stenz bei. Man nehme der heutigen Menschheit die durch ihre Erziehung gestütz-
ten, religiös-glaubensmäßigen, in ihrer praktischen Bedeutung aber sittlich-morali-
schen Grundsätze durch Ausscheidung dieser religiösen Erziehung und ohne die-
selbe durch Gleichwertiges zu ersetzen, und man wird das Ergebnis in einer schwe-
ren Erschütterung der Fundamente ihres Daseins vor sich haben. Man darf also
wohl feststellen, daß nicht nur der Mensch lebt, um höheren Idealen zu dienen,
sondern daß diese höheren Ideale umgekehrt auch die Voraussetzung zu seinem
Dasein als Mensch geben. So schließt sich der Kreis. 520

516
Ebd., S. 511 [Hervorhebung im Original]
517
Ebd., S. 418.
518
Ebd.
519
Ebd., S. 418 f.
520
Ebd., S. 416 f.
Volk und Rasse 279

Auch Hitlers Vorstellung von Religion liegt in der Tradition des Abendlandes,
weil das Attribut „religiös" in der Auffassung Hitlers die Unzerstörbarkeit der
Seele, die Ewigkeit des Daseins und die Existenz eines höheren Wesens be-
inhaltet:
Natürlich liegen auch schon in der allgemeinen Bezeichnung .religiös' einzelne
grundsätzliche Gedanken oder Überzeugungen, zum Beispiel die der Unzerstörbar-
keit der Seele, der Ewigkeit ihres Daseins, der Existenz eines höheren Wesens
usw. 521

Worauf es Hitler aber ankommt, ist die Unumstößlichkeit des Glaubens:


Allein alle diese Gedanken, und mögen sie für den einzelnen noch so überzeugend
sein, unterliegen so lange der kritischen Prüfung dieses einzelnen und damit so lan-
ge einer schwankenden Bejahung oder Verneinung, bis eben nicht die gefühlsmä-
ßige Ahnung oder Erkenntnis die gesetzmäßige Kraft apodiktischen Glaubens an-
nimmt. Dieser vor allem ist der Kampffaktor, der der Anerkennung religiöser
Grundanschauungen Bresche schlägt und die Bahn frei macht. 522

Aber nicht nur an dieser Stelle, nämlich im Hinblick auf den Kampf um den
Sieg des Glaubens, geht es Hitler um den apodiktischen Glauben. Die unum-
stößliche und unmittelbare Gewißheit ist für Hitler in deutlicher Anspielung
auf seine eigene Funktion auch die Voraussetzung einer noch zu formieren-
den Gesellschaft:
Diese Umsetzung einer allgemeinen weltanschauungsmäßigen idealen Vorstellung
von höchster Wahrhaftigkeit in eine bestimmt begrenzte, straff organisierte, geistig
und willensmäßig einheitliche politische Glaubens- und Kampfgemeinschaft ist die
bedeutungsvolle Leistung, da von ihrer glücklichen Lösung allein die Möglichkeit
eines Sieges der Idee abhängt. Hier muß aus dem Heer von oft Millionen Men-
schen, die im einzelnen mehr oder weniger klar und bestimmt diese Wahrheiten
ahnen, zum Teil vielleicht begreifen, einer hervortreten, um mit apodiktischer Kraft
aus der schwankenden Vorstellungswelt der breiten Masse granitene Grundsätze zu
formen und solange den Kampf für ihre alleinige Richtigkeit aufzunehmen, bis sich
aus dem Wellenspiel einer freien Gedankenwelt ein eherner Fels einheitlicher glau-
bens- und willensmäßiger Verbundenheit erhebt. 523

Hitler ist nicht gegen die Vernunft bzw. nicht gegen das, was er unter Ver-
nunft versteht. Im Hinblick auf das „Heil" der „arischen Menschheit" erhält
Glaube aber eindeutig das Primat:
Sorgen aber muß sie [die nationalsozialistische Bewegung, C.-E. B.] dafür, daß we-
nigstens in unserem Lande der tödliche Gegner erkannt und der Kampf gegen ihn
als leuchtendes Zeichen einer lichteren Zeit auch den anderen Völkern den Weg
weisen möge zum Heil einer ringenden arischen Menschheit. Im übrigen mag dann
die Vernunft unsere Leiterin sein, der Wille unsere Kraft. Die heilige Pflicht, so zu
handeln, gebe uns Beharrlichkeit, und höchster Schirmherr bleibe unser Glaube. 524

521
Ebd., S. 417.
522
Ebd.
523
Ebd., S. 419.
524
Ebd., S. 724 f.
280 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß Hitlers Rede über Glaube, Religion
sowie Existenz und Dasein gewisse funktionale Momente enthält. D e n n nach
Hitler „trägt" der „ G l a u b e " auch zur „Festigung und Sicherung" der „Exi-
stenz" des Menschen bei. Die „religiös-glaubensmäßigen" Grundsätze haben
nach Hitler auch eine „praktische Bedeutung" im „sittlich-moralischen" Be-
reich. Falle die „religiöse Erziehung" des Menschen weg, so bestünde das
„Ergebnis in einer schweren Erschütterung der Fundamente des Daseins". 5 2 5
In diesem konservativen Funktionalismus geht aber Hitlers Auffassung von
Religion nicht auf. D e n n der Glaube hat nach Hitler im K o n t e x t dieser Argu-
mentation auch den religiös definierten „höheren Idealen zu dienen". Ja, der
Glaube ist das Kriterium des Unterschiedes zwischen Mensch und Tier und
hilft mit, „den Menschen über das Niveau eines tierischen Dahinlebens zu
erheben". 5 2 6 Da Hitler - wie bereits dargelegt - unter „religiös" dem Inhalt
nach die „Unzerstörbarkeit der Seele" des Menschen, die „Ewigkeit ihres Da-
seins" sowie die „Existenz eines höheren Wesens" versteht, werden Religion
und Glaube nicht im Sinne des modernen Funktionalismus auf den Zweck
der Selbsterhaltung reduziert. Gerade weil Hitler einen Bezug zwischen dem
Glauben an einen allmächtigen Schöpfer und den weltimmanenten Bedingun-
gen von Existenz und Macht herstellt, hat er ein religiös bestimmtes Muster
der Wahrnehmung von Gesellschaft und Macht. Gesteigert wird diese Bezie-
hung durch die von Hitler postulierte „gesetzmäßige Kraft apodiktischen
Glaubens". Sie ist zwar „Kampffaktor", hat aber auch eine Funktion im Hin-
blick auf die „Anerkennung religiöser G r u n d a n s c h a u u n g e n " . 5 2 7 Hitler lehnt
die Subjektivität des Glaubens ab und will dem Prozeß der „kritischen Prü-
fung" sowie der „schwankenden Bejahung oder V e r n e i n u n g " des einzelnen
entgegensteuern, damit „die gesetzmäßige Kraft apodiktischen G l a u b e n s " als
„Kampffaktor" der „Anerkennung religiöser G r u n d a n s c h a u u n g e n " die „Bre-
sche schlägt". 5 2 8 Daher will er die Bedingungen „glaubens- und willensmäßi-
ger Verbundenheit" herstellen. Gleichzeitig hat aber die „straff organisierte
geistig und willensmäßig einheitliche politische Glaubens- und Kampfgemein-
schaft" die Funktion, „die Möglichkeit eines Sieges der I d e e " 5 2 9 zu verwirkli-
chen. Aber nicht nur der „ G l a u b e " ist die Bedingung von Verbundenheit im
Sinne „glaubens- und willensmäßiger Verbundenheit", nicht nur die „apodik-
tische Kraft" ist die Bedingung der Einheit der Masse. Sondern es m u ß „ei-
ner hervortreten", um mit „apodiktischer Kraft aus der schwankenden Vor-
stellungswelt der breiten Masse granitene Grundsätze zu f o r m e n " und so lan-
ge den Kampf für ihre alleinige Richtigkeit aufzunehmen, bis sich aus dem

525
Ebd., S. 416 f.
526
Ebd., S. 416.
527
Ebd., S. 417.
528
Ebd.
529
Ebd., S. 419.
Volk und Rasse 281

„Wellenspiel einer freien Gedankenwelt ein eherner Fels einheitlicher glau-


b e n s - und willensmäßiger Verbundenheit erhebt". 5 3 0 Dieser Eine, der hervor-
treten m u ß , ist somit der Fels, auf den die Gemeinschaft des deutschen Vol-
kes aufgebaut werden kann. 5 3 1 Hitler meint sich selbst damit nicht nur als
Politiker. Er meint, daß er auch Prophet sei. D e n n so wie für Hitler das „Pro-
g r a m m " der N S D A P „gewissermaßen ein politisches Glaubensbekenntnis"
ist 5 3 2 , so definiert Hitler in seiner Unterscheidung zwischen Programmatiker
und Politiker den Programmatiker dahingehend, daß dessen Eigenschaften
die Eigenschaften des Propheten sind. Vor allem aber ist Hitler davon über-
zeugt, daß, ganz selten in der Geschichte, beides in einer Person zusammen-
fallen könne. Die in der Unterscheidung von Politiker und Programmatiker
v o r g e n o m m e n e Bestimmung des Programmatikers ist in der Definition der
eigenen Funktion Hitlers ein wichtiges Argument für das Selbstverständnis
Hitlers und damit für die Beurteilung der NS-Ideologie als politischer Reli-
gion.
Auf der dritten Seite des Kapitels „Beginn meiner politischen Tätigkeit" 5
unterscheidet Hitler unvermittelt zwischen dem Typus des Programmatikers
und dem des Politikers. Die von Hitler konstatierte „große Verschiedenheit
der Aufgaben des Programmatikers und des Politikers" 5 3 4 sowie die von Hit-
ler für möglich gehaltene „Vereinigung von beiden in einer Person" 5 3 5 geben
uns Aufschluß über das Selbstbewußtsein Hitlers. Aufgrund der von ihm vor-
g e n o m m e n e n Spezifizierung und Gewichtung kann beurteilt werden, ob Hit-
ler mehr intendierte als machtpolitischen Erfolg. Stellt Hitler abstrakt-prinzi-
pielles Denken über die konkreten Regeln des Handelns? Entscheidet er sich
für „die" Wahrheit oder nur für kurzfristige Erfolge? Ist Hitler der Überzeu-
gung der Pragmatiker, Utilitaristen und Sophisten, daß all unsere Gedanken
nichts anderes seien als erfolgsorientierte N o r m e n für unser Handeln? Inwie-
weit spielt für Hitler die unmittelbare Durchsetzbarkeit von Handlungszielen
in der Gegenwart eine Rolle, inwieweit vertraut er darauf, daß die Richtigkeit
v o n Überzeugungen in der Zukunft oder überhaupt nicht erwiesen werden
muß? Welche Person ist für Hitler das Beispiel für einen Programmatiker oder
gar dafür, „daß sich der Politiker mit dem Programmatiker vermählt"? 5 3 6
Hitler stellt den Typus des Programmatikers dem des Politikers gegenüber.
E r unterscheidet vornehmlich nach Aufgabe und G r ö ß e der Programmatiker
und Politiker und gibt dazu den „Prüfstein" für die G r ö ß e an. Er beginnt die

530
Ebd.
531
In Abwandlung von Matthäus 16,18 scheint Hitler sich zu verkünden: Ich bin der Eine und
auf diesem Fels will ich meine Kirche bauen.
532
Ebd., S. 511.
533
Ebd., S. 226-235.
534
Ebd., S. 230.
535
Ebd.
536
Ebd., S. 231 f.
282 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Z u o r d n u n g der verschiedenen Aufgaben im Hinblick auf den Unterschied


zwischen Weg und Ziel:
Die Aufgabe des Programmatikers ist nicht, die verschiedenen Grade der Erfüll
barkeit einer Sache festzustellen, sondern die Sache als solche klarzulegen; das
heißt: er hat sich weniger um den Weg als das Ziel zu kümmern. 537

Bei der Beurteilung des Ziels ist nach Hitler „die prinzipielle Richtigkeit einer
Idee und nicht die Schwierigkeit ihrer Durchführung" 5 3 8 entscheidend. Die
Gegenüberstellung von prinzipieller Richtigkeit und Durchführung wird im
nächsten Satz variiert und gesteigert, insofern es hier um die „absolute Wahr
heit" einerseits und um „Zweckmäßigkeit" sowie „Wirklichkeit" andererseits
geht. Trage der Programmatiker der absoluten Wahrheit nicht mehr Rech
nung, sei er nicht mehr „Polarstern der suchenden Menschheit", er arbeite
nur nach dem „Rezept des Alltags". Erst nach diesen Zuordnungen setzt die
Bestimmung des Politikers ein. Während der Programmatiker das „Ziel einer
Bewegung" festzulegen habe, habe der Politiker seine Erfüllung anzustreben.
O b w o h l gegensätzlich aufeinander bezogen, ist der Politiker einer Bewegung
durch etwas ganz anderes bestimmt als der Programmatiker. Die dem Typus
des Programmatikers vornehmlich zukommende Aufgabe ist auf die ewige
Wahrheit bezogen:

Sowie der Programmatiker versucht, an Stelle der absoluten Wahrheit der soge
nannten .Zweckmäßigkeit' und .Wirklichkeit' Rechnung zu tragen, wird seine Ar
beit aufhören, ein Polarstern der suchenden Menschheit zu sein, um statt dessen
zu einem Rezept des Lebens zu werden. Der Programmatiker einer Bewegung hat
das Ziel derselben festzulegen, der Politiker seine Erfüllung anzustreben. Der eine
wird demgemäß in seinem Denken von der ewigen Wahrheit bestimmt, der andere
in seinem Handeln mehr von der jeweiligen praktischen Wirklichkeit.539

Anschließend gibt Hitler die Gründe für die jeweilige „ G r ö ß e " sowie den
„Prüfstein für die Bedeutung" an. D e r Maßstab für die G r ö ß e des Program
matikers läge in der „absoluten abstrakten Richtigkeit seiner Idee", der des
Politikers in der „richtigen Einstellung zu den gegebenen Tatsachen und ei
ner nützlichen Verwendung derselben". D e r Gegensatz zwischen der absolu
ten Abstraktheit und Richtigkeit einerseits und den Tatsachen sowie ihrer
Nützlichkeit andererseits führt aber nicht zu einer Gleichwertigkeit von Pro
grammatiker und Politiker. D e r Politiker hat nach Hitler über die Tatsachen
und ihre nützliche Verwendung in Abhängigkeit von den Aufgaben des Pro
grammatikers zu entscheiden. Ihm hat „als Leitstern das Ziel des Programma
tikers zu dienen". 5 4 0 Dem Kriterium des „ D e n k e n s " einer „ewigen" „abstrak
t e n " und „absoluten" Wahrheit einerseits sowie der Orientierung an Handeln

537
Ebd., S. 229.
538
Ebd.
539
Ebd.
540
Ebd., S. 230.
Volk und Rasse 283

und Tatsachen andererseits folgt auch der „Prüfstein für die Bedeutung" des
Politikers und des Programmatikers. Während beim Politiker der „Erfolg sei-
ner Pläne und T a t e n " sowie „das Zur-Wirklichkeit-Werden" das Maß ist, ist
der Programmatiker dieser Prüfung enthoben. Die „Bedeutung des Program-
matikers" dürfe „nicht an der Erfüllung seiner Ziele gemessen werden, son-
dern an der Richtigkeit derselben". Hitler meint damit — ob das widerspruchs-
frei ist, soll dahingestellt bleiben - zweierlei. Einmal sei die Bedeutung des
Programmatikers an dessen Einfluß auf die Entwicklung der Menschheit zu
messen, zum anderen bestünden eine Kluft und ein Zusammenhang zwischen
Idee und Erfüllung. Für Hitler ist eine Idee um so „abstrakt richtiger und
damit gewaltiger", je „unmöglicher" ihre „vollständige Erfüllung" bleibe. Die
Unmöglichkeit „vollständige[r] Erfüllung" führt bei Hitler also nicht zur Ver-
urteilung abstrakter Ideen, sondern zur positiven Bewertung ihrer Bedeutung.
Hitler rechtfertigt seine Bewertung mit der Bedeutung, welche die Begründer
von Religionen hätten, und zitiert als Beispiel Jesus Christus.

Während man als Prüfstein für die Bedeutung eines Politikers den Erfolg seiner
Pläne und Taten ansehen darf, das heißt also das Zur-Wirklichkeit-Werden dersel-
ben, kann die Verwirklichung der letzten Absicht des Programmatikers nie erfol-
gen, da wohl der menschliche Gedanke Wahrheiten zu erfassen, kristallklare Ziele
aufzustellen vermag, allein die restlose Erfüllung derselben an der allgemein
menschlichen Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit scheitern wird. Je abstrakt
richtiger und damit gewaltiger die Idee sein wird, um so unmöglicher bleibt deren
vollständige Erfüllung, solange sie nun einmal von Menschen abhängt. Daher darf
auch die Bedeutung des Programmatikers nicht an der Erfüllung seiner Ziele ge-
messen werden, sondern an der Richtigkeit derselben und dem Einfluß, den sie auf
die Entwicklung der Menschheit genommen haben. Wäre es anders, dürften nicht
die Begründer von Religionen zu den größten Menschen auf dieser Erde gerechnet
werden, da ja die Erfüllung ihrer ethischen Absichten niemals eine auch nur annä-
hernd vollständige sein wird. Selbst die Religion der Liebe ist in ihrem Wirken nur
ein schwacher Abglanz des Wollens ihres erhabenen Begründers; allein ihre Bedeu-
tung liegt in der Richtung, die sie einer allgemeinen menschlichen Kultur-, Sittlich-
keits- und Moralentwicklung zu geben versuchte. 541

N a c h d e m Hitler „die überaus große Verschiedenheit der Aufgaben des Pro-


grammatikers und des Politikers festgestellt hat und darin die „Ursache"
sieht, „warum fast nie eine Vereinigung von beiden in einer Person zu fin-
den" 5 4 2 sei, bewertet er die Bedeutung derjenigen Politiker, die sich am Er-
folg und der Durchsetzbarkeit der unmittelbaren Gegenwart orientieren:
Je freier ein solcher .Politiker' sich von großen Ideen hält, um so leichter und häu-
fig auch sichtbarer, immer jedoch schneller, werden seine Erfolge sein. Freilich, sie
sind damit auch der irdischen Vergänglichkeit geweiht und überleben manchmal
nicht den Tod ihrer Väter. Das Werk solcher Politiker ist im großen und ganzen
für die Nachwelt bedeutungslos, da ihre Erfolge in der Gegenwart ja nur auf dem

541
Ebd
542
Ebd
284 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Fernhalten aller wirklich großen und einschneidenden Probleme und Gedanken


beruhen, die als solche auch für die späteren Generationen von Wert gewesen sein
würden. 543
Hitler verachtet denjenigen Politiker, der nur „Verständnis bei der großen
M a s s e " findet, weil „Bier- und Milcherlässe zunächst besser einleuchten als
weitschauende Zukunftspläne, deren Verwirklichung erst später eintreten
kann, deren N u t z e n aber ü b e r h a u p t erst der Nachwelt zugute k o m m t " . 5 4 4
Derjenige ist zweiten Ranges (ein Politiker, den er in Gänsefüßchen setzt, der
Gänsefüßchen-Politiker also), der sich „wie die große Masse der Politiker"
aus „Eitelkeit" und „ D u m m h e i t " nach der „Augenblickssympathie des gro-
ßen H a u s e s " richte. Hitler macht damit dem Parlamentarier den Vorwurf,
sich nur nach der Gegenwart und dem Erfolg in derselben zu richten:

So wird schon aus einer gewissen Eitelkeit heraus, die immer eine Verwandte der
Dummheit ist, die große Masse der Politiker sich fernhalten von allen wirklich
schweren Zukunftsentwürfen, um nicht der Augenblickssympathie des großen
Hauses verlustig zu gehen. Der Erfolg und die Bedeutung eines solchen Politikers
liegen dann ausschließlich in der Gegenwart und sind für die Nachwelt nicht vor-
handen. 545

Das V o r h a n d e n s e i n v o n „wirklich schweren Zukunftsentwürfen" - darauf


war nicht nur Hitler fixiert - ist das entscheidende Merkmal für die Bedeu-
tung eines Politikers. Insofern sich die Verwirklichung von „Zukunftsentwür-
fen" immer und stets erst in der Zukunft vollzieht und in der Gegenwart em-
pirisch nicht zu überprüfen ist, ist der „Prüfstein" für die Bedeutung eines
Politikers die Geschichte. D e r bedeutende Politiker wird nach dem M o t t o
„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" in die N ä h e des Programmatikers
gerückt. Im Hinblick auf die drei Seiten später 5 4 6 artikulierte, schon mehrmals
zitierte Ü b e r z e u g u n g Hitlers, dem deutschen Volk käme die „Erfüllung" ei-
ner „ v o m Schöpfer des Universums zugewiesenen Mission" 5 4 7 zu, sind es die
biospirituellen Prinzipien des deutschen Volkes, welche in der Weltgeschich-
te ihre „Verwirklichung" finden werden. Weil Hitler gegenwärtig in halbgebil-
deten Kreisen unterstellt wird, er habe aus utilitaristischen Motiven zum
Zwecke der G e w i n n u n g der Macht um der Macht willen gehandelt, sei der die
pragmatische Realpolitik diskriminierende Kontext zitiert:

Anders liegen die Verhältnisse bei dem Programmatiker. Seine Bedeutung liegt fast
immer nur in der Zukunft, da er ja nicht selten das ist, was man mit dem Worte
.weltfremd' bezeichnet. Denn wenn die Kunst des Politikers wirklich als eine
Kunst des Möglichen gilt, dann gehört der Programmatiker zu jenen, von denen es
heißt, daß sie den Göttern nur gefallen, wenn sie Unmögliches verlangen und wol-

543
Ebd., S. 230 f.
544
Ebd., S. 231.
545
Ebd.
546
Vgl. ebd., S. 234.
547
Ebd.
Volk und Rasse 285

len. Er wird auf die Anerkennung der Gegenwart fast immer Verzicht zu leisten
haben, erntet aber dafür, falls seine Gedanken unsterblich sind, den Ruhm der
Nachwelt. 548
Wir wollen hier auf die Spekulation einer wissenden Teilhabe des Bewußt
seins am Verlauf der späteren Geschichte, in welcher dann der R u h m geern
tet werden kann, und die K o r r e s p o n d e n z zwischen der Unsterblichkeit der
Gedanken und dem R u h m der Nachwelt nicht eingehen. Festzuhalten ist, daß
bei Hitler dem Programmatiker die Prädikate des P r o p h e t e n z u k o m m e n . Auf
das Postulat des Programmatikers, „ U n m ö g l i c h e s " zu verlangen, ist alsbald
einzugehen. D e n n noch größer ist nach Hitler die Bedeutung eines Men
schen, wenn sich in einer Person der Typus des prophetischen Pragmatikers
mit dem des praktischen Politikers „vereint" und als „vermählt" erscheint:

Innerhalb langer Perioden der Menschheit kann es einmal vorkommen, daß sich
der Politiker mit dem Programmatiker vermählt. Je inniger aber diese Verschmel
zung ist, um so größer sind die Widerstände, die sich dem Wirken des Politikers
dann entgegenstemmen. Er arbeitet nicht mehr für Erfordernisse, die jedem
nächstbesten Spießbürger einleuchten, sondern für Ziele, die nur die wenigsten
begreifen. Daher ist dann sein Leben zerrissen von Liebe und Haß. Der Protest der
Gegenwart, die den Mann nicht begreift, ringt mit der Anerkennung der Nachwelt,
für die er ja auch arbeitet.

Z u m Typus der „ V e r s c h m e l z u n g " seien „die großen Kämpfer auf dieser Welt,
die, von der Gegenwart nicht verstanden, d e n n o c h den Streit um ihre Ideen
und Ideale durchzufechten bereit sind", zu rechnen. Ihr „Leben und W i r k e n "
werde einst „in rührend dankbarer Bewunderung verfolgt". Ja, dieses „Leben
und Wirken", so fährt Hitler fort, vermöge „besonders in trüben Tagen ge
brochene Herzen und verzweifelnde Seelen wieder zu erheben". 5 5 0 W e n n
auch Hitler das Mißverhältnis zwischen der A n e r k e n n u n g in der G e g e n w a r t
und dem Erfolg in der Zukunft intensiv ausmalt, so mag er eine absolute
T r e n n u n g nicht ausschließen und hält eine bestimmte A n n ä h e r u n g für mög
lich:
Denn je größer die Werke eines Menschen für die Zukunft sind, um so weniger
vermag sie die Gegenwart zu erfassen, um so schwerer ist auch der Kampf und um
so seltener auch der Erfolg. Blüht er aber dennoch in Jahrhunderten Einem, dann
kann ihn vielleicht in seinen späten Tagen schon ein leiser Schimmer des kommen
den Ruhmes umstrahlen. Freilich sind diese Großen nur die Marathonläufer der
Geschichte; der Lorbeerkranz der Gegenwart berührt nur mehr die Schläfen des
sterbenden Helden. 551

Z u m Typus der „Verschmelzung", bei d e m „sich der Politiker mit dem Pro
grammatiker vermählt", gehören sowohl die „wirklich g r o ß e n Staatsmänner"

548
Ebd., S. 231.
549
Ebd., S. 231 f.
550
Ebd., S. 232.
551
Ebd.
286 Z u r P h ä n o m e n o l o g i e der nationalsozialistischen W e l t a n s c h a u u n g

als auch „alle sonstigen g r o ß e n Reformatoren". Hitler führt drei Beispiele na-
mentlich an:
Hierzu gehören aber nicht nur die wirklich großen Staatsmänner, sondern auch alle
sonstigen großen Reformatoren. Neben Friedrich dem Großen stehen hier Martin
Luther sowohl wie Richard Wagner. 552
D a ß unter den drei Beispielen der auf einem Denkmal „Unter den Linden" zu
Berlin gen O s t e n reitende Friedrich IL von Preußen ist, verwundert nicht.
D a ß auch Richard Wagner zu den drei Personen zählt, in denen „sich der Po-
litiker mit dem Programmatiker vermählt", sollte vor allem nach den gründli-
chen U n t e r s u c h u n g e n H a r t m u t Zelinskys 3 auch nicht überraschen. D a ß
Hitler indes zu der Formulierung greift, „Martin Luther sowohl wie Richard
Wagner" 5 5 4 , beweist die schwer zu spezifizierende, aber eindeutig vorhande-
ne, „ V e r s c h m e l z u n g " v o n Politik und Religion im Selbstverständnis Adolf
Hitlers. D a sich Hitler zu den „Revolutionären" der Geschichte zählt, enthält
die v o n ihm für möglich gehaltene Synthese von Programmatiker und Politi-
ker auch Indizien über sein Bewußtsein von sich selbst.
Hitlers Ausführungen über die Typen Programmatiker und Politiker in
dem eben dokumentierten K o n t e x t sind ein Musterbeispiel für politische Re-
ligion. D e n n die „Vereinigung v o n beiden in einer Person" 5 5 5 bzw. deren
„Verschmelzung" 5 5 6 betrifft den Zusammenfall von „Erfolg" („Zur-Wirklich-
keit-Werden") mit der „absoluten Wahrheit" der „Begründer von Religio-
nen". 5 5 7 Gleichwohl m u ß die „ I d e e " nach Hitler nicht unbedingt in der G e -
schichte realisiert werden. Auch o h n e irdischen Erfolg kann ein Glaube wert-
voll bleiben. Hitler ist der Überzeugung, daß die Erfüllung der „ethischen
Absichten" der Religionsbegründer „niemals eine nur annähernd vollständige
sein wird". 5 5 8
U n t e r der Perspektive der Macht in der Spannung von Möglichkeit und
Wirklichkeit hat Hitler ein spezifisches W a h r n e h m u n g s m u s t e r im Hinblick
auf irdische und überirdische Kräfte. Als Ausgang der folgenden, Hitlers
Weltanschauung zunächst abschließenden Analyse soll eine Bemerkung aus
d e m eben zitierten K o n t e x t herangezogen werden. Sie betrifft Hitlers Glau-
ben an G o t t und die Vorsehung. Hitler führt, wie bereits zitiert, eine Bemer-
kung über das Verhältnis des Programmatikers zu den G ö t t e r n an, nach der
die Programmatiker den „ G ö t t e r n nur gefallen, wenn sie Unmögliches verlan-
gen und wollen". 5 5 9 G e n a u an diesen Glauben knüpfte er wortwörtlich in ei-

552
Ebd.
553
Hartmut Zelinsky, Richard Wagner. Ein deutsches Thema, Wien 1983.
554
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 232 [Hervorhebung C.-E. B.].
555
Ebd., S. 230.
556
Ebd., S. 232.
557
Ebd., S. 229 f.
558
Ebd.
559
Ebd., S. 231.
Volk und Rasse 287

ner v o r Wehrwirtschaftsführern am H . J u l i 1944 auf dem Obersalzberg gehal-


tenen Rede an. Er sagt hier nicht nur, er sei „ein frommer M e n s c h " , sondern
er thematisiert hier auch wie in „Mein K a m p f die Relation v o n „Naturgeset-
z e n " und „ G o t t " . Vor allem aber glaubt er an die Konnexität zwischen eige-
nen Taten und der „ Z u s t i m m u n g der V o r s e h u n g " . In der vornehmlich wirt-
schaftlichen und militärischen T h e m e n gewidmeten Rede k o m m t Hitler,
n a c h d e m er die Überlegenheit der deutschen Ingenieure mit der Überlegen-
heit der Rasse begründet hat, zu dem Schluß:

Die Aufgaben, die ich stelle, sind ungeheure, aber denken Sie dabei öfter an den
alten Spruch: Die Götter lieben den, der von ihnen Unmögliches verlangt. Doch
wenn wir das Unmögliche schaffen, dann werden wir die Zustimmung der Vorse-
hung wohl bekommen. Ich bin vielleicht kein sogenanntes Kirchenlicht - ein
Frömmling, das bin ich nicht. Aber im tiefsten Innern bin ich doch ein frommer
Mensch, d. h. ich glaube, daß, wer den Naturgesetzen, die ein Gott geschaffen hat,
entsprechend auf dieser Welt tapfer kämpft und nie kapituliert — daß der dann auch
von dem Gesetzgeber nicht im Stich gelassen wird, sondern daß endlich er doch
den Segen der Vorsehung bekommt. 560

Hitler glaubt also, daß man den Willen G o t t e s und über den Willen G o t t e s
den Kausalverlauf irdischer und politischer Ereignisse beeinflussen kann —
womit er weiß G o t t keine Ausnahme in der langen Geschichte allgemeiner,
europäischer oder deutscher Religiosität repräsentiert.
Wenig ist so gut bewiesen wie der allgemeine Glaube Adolf Hitlers an
Gott, nachzulesen sowohl in den von Max D o m a r u s herausgegebenen öffent-
lichen Reden als auch in den privaten Tischgesprächen. 5 6 1 In den meisten Ar-
beiten über Adolf Hitler wird dessen Glaube an G o t t auch nicht bestritten,
wie bei Joachim C. Fest, Rudolph Binion, Albrecht Tyrell, Werner Maser,
Erich Cramer oder J. P. Stern. Aber ausführliche U n t e r s u c h u n g e n über die
Religiosität Hitlers sind nur von zwei bekennenden Christen verfaßt worden.
Schon 1968 wurde die äußerst kenntnis- und umfangreiche Arbeit des öster-
reichischen Katholiken Friedrich Heer 5 6 2 — D e r Glaub e des Adolf Hitler.
Anatomie einer politischen Religiosität - veröffentlicht. Friedrich Heer ver-

Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, Wiesbaden 1973, S. 2117
(im folgenden kurz: Max Domarus: Hitler). In der von Max Domarus herausgegebenen Re-
de befindet sich eine Fußnote zu den Ausführungen, „daß der dann auch von dem Gesetz-
geber nicht im Stich gelassen" werde. Die Fußnote betrifft eine nonverbale Äußerung
Hitlers, mit der das Spezifische seines Glaubens akzentuiert wird. Die Fußnote lautet: „Bei
diesen Worten klopfte Hitler mit dem Mittelknöchel der rechten Hand auf die Pultplatte,
um seiner Äußerung hörbaren Nachdruck zu verleihen", ebd., S. 2117 [Fußnote 170).
Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, vollständige und überarbei-
tete Neuausgabe mit bisher unbekannten Selbstzeugnissen Adolf Hitlers, Stuttgart 1976;
Werner Jochmann (Hrsg.), Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944,
Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, München 1982.
Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität,
Frankfurt a. M. 1989.
288 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

sucht die Religiosität Hitlers aus dem Milieukatholizismus seiner österreichi-


schen Kindheit und Jugend und aus dem konservativen Hochkatholizismus
Pacellis (Papst Pius XII.) zu erklären. Sein 1968 publiziertes Werk ist selbst
bei den eifrig über den Nationalsozialismus diskutierenden 68ern nicht rezi-
piert worden. Das mag daran liegen, daß sein Resümee geeignet ist, den Glau-
ben an das Volk zu erschüttern:
Der Glaube des Adolf Hitler entspricht in breitesten Schichtungen und Strukturen
dem Glauben breitester Schichten des deutschen Volkes. Daraus resultiert nicht
zuletzt die massive Basis seines Erfolges. Beide, Hitler und die Mentalität dieses
Volkes, wurzeln lückenlos in einer Kontinuität, die sich vom Anfang des 19. Jahr-
hunderts bis heute entfaltet. 563
Auch Wolfgang H a m m e r 5 6 4 , Pfarrer einer evangelisch-reformierten Gemein-
de in der Schweiz, hat im dritten Band seiner Hitler-Monographie unter Re-
kurs auf geistesgeschichtliche Traditionen die Religion Hitlers ausführlich be-
handelt. Hans-Jürgen Eimer 5 6 5 , nach dessen Berechnung alle zugänglichen
Hitler-Worte fünftausend Druckseiten zählen, k o m m t zu dem Ergebnis, daß
Hitler an G o t t glaubte. Unbestritten sind indes Hitlers kritische Bemerkungen
über die staatsrechtlich anerkannten Großkirchen sowie seine Kritik an der
Lebensfeindlichkeit der christlich-religiösen Traditionen. Schwieriger ist
schon, Hitlers Bewertung von Jesus zu beurteilen. Negative Bemerkungen
über Jesus liegen überhaupt nicht vor. Wolfgang H a m m e r und Hans-Jürgen
Eitner stellen darüber hinaus Hitlers messianische Selbstinterpretation her-
aus. D e r Theologe Wolfgang H a m m e r k o m m t zu d e m Ergebnis:

Er sagt es nie ausdrücklich, aber oft indirekt: Das Vorbild seiner Selbsteinschät-
zung ist Jesus Christus! Freilich nicht der Sündenheiland, der Gekreuzigte, sondern
am ehesten jener, der mit der Geißel den Tempel reinigt und dem ein jubelndes Je-
rusalem huldigt, als es ihn wie einen nationalen Heros der Befreiung bejubelt.566

Hans-Jürgen Eitner erwägt sogar, was bei dem symbolsüchtigen Hitler durch-
aus plausibel ist, o b Hitler, der „sich (bis 1933) gern mit der Hundepeitsche
zeigt", dies auch tat, „weil das Johannes-Evangelium Jesus mit der Peitsche
darstellte". 5 6 7 In der Tat liegen v o n Hitler überhaupt keine negativen Bewer-
tungen und Einschätzungen Jesu vor. Eine erst im nächsten Kapitel zu be-
handelnde Passage aus „Mein K a m p f 0 6 8 enthält eine Wertung von Jesus

563
Ebd., S. 566.
564
Wolfgang Hammer, Adolf Hitler - ein Prophet unserer Zeit? Dialog mit dem „Führer"
(III). Ideologische Aspekte, München 1974.
565
Hans-Jürgen Eitner, Der .Führer'. Hitlers Persönlichkeit und Charakter, München 1981.
566
Wolfgang Hammer, Adolf Hitler - ein Prophet unserer Zeit? Dialog mit dem „Führer"
(III). Ideologische Aspekte, München 1974, S. 57; vgl. auch Max Domarus, Hitler, S. 30;
Hans-Jürgen Eitner, Der .Führer', Hitlers Persönlichkeit und Charakter, München 1981, S.
45-48.
567
Hans-Jürgen Eitner, Der .Führer', Hitlers Persönlichkeit und Charakter, München 1981, S.
246.
568
Adolf Hider, Mein Kampf, S. 336.
Volk und Rasse 289

Christus, welche schon in einer Rede v o m 12. April 1922 öffentlich bekundet
w u r d e ' 6 9 u n d welche sich auch am E n d e seines Lebens in den „Aufzeichnun-
g e n " Heinrich H e i m s 5 7 0 wiederfindet. Ein knappes halbes J a h r vor seinem
T o d e wiederholt Hitler die Auffassung seines väterlichen Freundes Dietrich
Eckart und seines Verehrers H o u s t o n Stewart Chamberlain:
Jesus war sicher kein Jude. 571
D e r sich durchziehende G r u n d t e n o r lautet:
Jesus kämpfte gegen den verderblichen Materialismus seiner Zeit und damit gegen
die Juden [...] Und nun fälschte Saulus (Paulus) in raffinierter Weise die christliche
Idee um: Aus der Kampfansage gegen die Vergottung des Geldes, aus der Kampf-
ansage gegen den jüdischen Eigennutz, den jüdischen Materialismus wurde die tra-
gende Idee der Minderrassigen, der Sklaven, der Unterdrückten, der an Geld und
Gut Armen gegen die herrschende Klasse, gegen die Oberrasse, ,gegen die Unter-
drücker'! Die Religion des Paulus und das von da an vertretene Christentum war
nichts anderes als Kommunismus! 572
Hier ist nicht der O r t , in den Streit einzugreifen, zu welchen der zahlreichen
Varianten des angeblichen „ U r - C h r i s t e n t u m s " der Glaube an den arischen
Jesus zu zählen ist und in welcher Weise und o b dieser Glaube christlich oder
ketzerisch sei. Es ist aber falsch zu b e h a u p t e n , Hitler vertrete einen heid-
nisch-germanischen oder neopaganen Glauben. Dagegen spricht zunächst,
daß er den Rückgriff auf altgermanische Ausdrücke ablehnt:
Wenn irgend etwas unvölkisch ist, dann ist es dieses Herumwerfen mit besonders
altgermanischen Ausdrücken, die weder in die heutige Zeit passen, noch etwas
Bestimmtes vorstellen, sondern leicht dazu führen können, die Bedeutung einer
Bewegung im äußeren Sprachschatz derselben zu sehen. Das ist ein wahrer Unfug,
den man aber heute unzählige Male beobachten kann. 573

Hitler macht sich über die ausschließlich an das G e r m a n e n t u m anknüpfenden


Völkischen lustig:
Es ist das Charakteristische dieser Naturen, daß sie von altgermanischem Helden-
tum, von grauer Vorzeit, Steinäxten, Ger und Schild schwärmen, in Wirklichkeit
aber die größten Feiglinge sind, die man sich vorstellen kann. Denn die gleichen
Leute, die mit altdeutschen, vorsorglich nachgemachten Blechschwertern in den
Lüften herumfuchteln, ein präpariertes Bärenfell mit Stierhörnern über dem bärti-
gen Haupte, predigen für die Gegenwart immer nur den Kampf mit geistigen Waf-
fen und fliehen vor jedem kommunistischen Gummiknüppel eiligst von dannen.

569
Vgl. Eberhard Jäckel/Axel Kuhn (Hrsg.), Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924,
Karlsruhe 1980, S. 607 ff., 623-625.
" Werner Jochmann (Hrsg.), Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941—1944.
Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, München 1982.
571
Ebd., S. 412.
572
Ebd.
573
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 395.
290 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Die Nachwelt wird einmal wenig Veranlassung besitzen, ihr eigenes Heldendasein
in einem neuen Epos zu verherrlichen. 4
O b Strategie oder Taktik, Hitler lehnt auch die „völkischen J o h a n n e s s e " we-
gen deren „Weltfremdheit" ab:
Von der Weltfremdheit und besonders der Unkenntnis der Volksseele dieser völki-
schen Johannesse des zwanzigsten Jahrhunderts will ich dabei ganz absehen. Sie
wird genügend illustriert durch die Lächerlichkeit, mit der sie von links behandelt
werden. Man läßt sie schwätzen und lacht sie aus. Wer es aber auf dieser Welt nicht
fertigbringt, von seinen Gegnern gehaßt zu werden, scheint mir als Freund nicht
viel wert zu sein. Und so war auch die Freundschaft dieser Menschen für unsere
junge Bewegung nicht nur wertlos, sondern immer nur schädlich, und es war auch
der Hauptgrund, warum wir erstens den Namen ,Partei' wählten - wir durften hof-
fen, daß dadurch allein schon ein ganzer Schwärm dieser völkischen Schlafwandler
von uns zurückgescheucht würde —, und warum wir uns zweitens als
listische Deutsche Arbeiterpartei bezeichneten. 575

D e r Glaube Adolf Hitlers kann nur d a n n als heidnisch spezifiziert werden,


wenn an irgendeiner Stelle quellenmäßig belegt werden kann, daß er sich auf
den Polytheismus der indogermanischen Mythen beruft. Das ist nirgends der
Fall. Wie bereits gezeigt, bestimmt Hitler das Prädikat religiös im Sinne des
G l a u b e n s an die „Existenz eines höheren Wesens". 5 7 6 Festzuhalten ist, daß
durch das Postulat des apodiktischen G l a u b e n s und durch die Uberzeugtheit
von der Positivität der Religion 5 7 7 sowie durch die emphatische Bewunde-
rung, der seiner Ü b e r z e u g u n g nach ewige Wahrheiten verkündenden Religi-
onsstifter (z. B. Jesus) und durch die Verherrlichung von Martin Luther und
Richard Wagner Hitlers Affirmation der Religion bewiesen wird. 5 7 8 Seine Ein-
stellung kann man vielleicht als eine atheologische sowie diffuse F o r m von
Religion bezeichnen, aber keinesfalls als germanischen Polytheismus. Es
bleibt noch zu prüfen, o b mit dem Glauben an die „Existenz eines höheren
W e s e n s " in Hinsicht auf seine Charakterisierung des Prädikats „religiös" und
d e m Postulat eines „apodiktischen G l a u b e n s " 5 7 9 der Glaube an G o t t im Sin-
ne des Schöpfers und Lenkers der Welt gemeint ist. Dazu soll an dieser Stelle
„Mein K a m p f als Quelle herangezogen werden. Hitler beruft sich in der Tat
in „Mein K a m p f auf ein göttliches Wesen: E r lehnt entschieden die „Kor-
rektur des göttlichen Willens" ab und fordert die „Erfüllung" einer „vom
Schöpfer des Universums zugewiesenen Mission". 3 8 0 Bestimmte „Entwick-
lungen" herbeizuführen charakterisiert er „als Sünde treiben wider den Wil-

574
Ebd., S. 396.
575 Ebd., S. 398 f. [Hervorhebung im Original
576 Ebd., S. 417.
577 Vgl. ebd., S. 415, S. 416 und S. 417 ff.
578 Vgl. ebd., S. 492, S. 299 ff.
579 Ebd., S. 417.
580 Ebd., S. 234.
Volk und Rasse 291

len des ewigen Schöpfers" 5 8 1 , u n d er wendet sich gegen den Frevel „am güti
gen Schöpfer". 5 Er rechtfertigt bestimmte Aufgaben des Staates im Hin
blick auf „eines durch die G ü t e des Allmächtigen" 5 8 3 verursachten Geschenks
und versichert schließlich, selbst „für das Werk des H e r r n " 5 8 4 zu kämpfen.
Hitlers Charakterisierung des G l a u b e n s als wesentliches Merkmal der natio
nalsozialistischen Weltanschauung beinhaltet mithin nicht irgendeinen profa
nen Glauben. Hitlers religiöser Glaube enthält im Sinne des Heilsgedankens
den Glauben an einen allmächtigen und gütigen Schöpfer, mithin an G o t t . Es
k o m m t hinzu, daß nach seiner Auffassung von Religion diejenigen eine Reli
gion „nicht besitzen" können, denen „der Glaube an ein Jenseits vollkommen
fremd ist". 5 8 5 Zu Hitlers allgemeiner Auffassung von Religion gehört mithin
der Glaube an die Transzendenz. Seine spezifische Religion aber ist auf Volk
und Rasse gerichtet.

c. D e r religiöse R a s s i s m u s

aa. D e r Glaube Hitlers an seine spezifische Beziehung zu G o t t u n d


an die besondere Verbindung zwischen G o t t und dem deutschen Volk

Hitler glaubt an eine ganz persönliche Beziehung, die er zur V o r s e h u n g und


zu G o t t hat. E r glaubt an eine kausale Konnexität zwischen seinen politischen
Erfolgen und dem Willen G o t t e s . Am 9. April 1938 b e k e n n t er angesichts
seines Triumphes in Wien:
Ich glaube, daß es auch Gottes Wille war, von hier einen Knaben in das Reich zu
schicken, ihn groß werden zu lassen, ihn zum Führer der Nation zu erheben. 586
Hitler glaubt an die Koinzidenz zwischen der V o r s e h u n g und seinen politi
schen Entscheidungen:
Wenn ich auf die fünf Jahre, die hinter uns liegen, zurückblicke, dann darf ich doch
sagen: Das ist nicht Menschenwerk allein gewesen. Wenn uns nicht die Vorsehung
geholfen hätte, würde ich diese schwindelnden Wege oft nicht gefunden haben. 587
In den rituell zelebrierten G r u n d s a t z r e d e n zum Neujahrstag bekundet Hitler,
auf dem Gipfel seiner Flrfolge, am 30. Januar 1941:
Ich danke dir, mein Herrgott, daß du mich jetzt dorthin gebracht hast, wo ich end
lich mein Programm verwirklichen kann. 588

581
Ebd., S. 319.
582 Ebd., S. 421.
583 Ebd., S. 439.
SM Ebd., S. 71.
585 Ebd., S. 336.
586 Max Domarus, Hitler, S. 849.
587 Ebd., Rede in Würzburg vom 27. Juni 1937, S. 704.
588 Ebd., S. 1659; vgl. auch die Neujahrsreden von 1940, ebd., S. 1442, 1942, 2074.
292 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Im Jahre 1943 versammelten sich im Festsaal des Hofbräuhauses zu München


am 24. Februar, im Gedenken an die Parteigründung im Jahre 1920, in wel-
cher das Parteiprogramm der N S D A P beschlossen wurde, alte Parteigenos-
sen. Hitler war nicht anwesend, aber ließ durch den alten Kämpfer H e r m a n n
Esser - notabene hat dieser nach 1945 unbehelligt in München gelebt und
h o h e Positionen im Bayerischen Reisebüro innegehabt - eine Proklamation
verlesen. Hitler ließ sich wegen der Aufgaben im Osten entschuldigen und
wies zunächst, das sei hier wegen der noch immer verkannten Bedeutung
Dietrich Eckarts in der Literatur zum Nationalsozialismus zitiert, auf das
Sturmlied Dietrich Eckarts hin:

Das Sturmlied unseres unvergessenen, alten treuen Dietrich Eckart erweist sich in
diesen Monaten wieder als eine Fanfare, die die Menschen aufwecken kann, um
ihnen den Blick zu öffnen für das Schicksal, das uns in der Gegenwart und unseren
Kindern in der Zukunft — und darüber hinaus allen europäischen Völkern - dro-
hen würde, wenn es nicht gelänge, den teuflischen Plan der jüdischen Welrverbre-
cher zum Scheitern zu bringen.589

Hitler stellt eine Wechselbeziehung zwischen seinem fanatischen Glauben


und dem fanatischen Glauben seiner engsten Anhänger her und thematisiert
anschließend die Konnexität zwischen dem jüdischen Weltfeind, dem Sieg
und der ihm geltenden Vorsehung:
Meine Parteigenossen! Diesen Fanatismus habt ihr von mir gelernt. Nehmt die
Versicherung entgegen, daß mich selbst aber der gleiche Fanatismus auch heute
genau so beseelt, daß er mich nie verlassen wird, so lange ich lebe. Auch den Glau
ben habt ihr von mir empfangen, und seid versichert, daß auch dieser Glaube heu-
te in mir noch stärker als je zuvor ist. Wir werden die Macht der jüdischen Welt-
koalition zerbrechen und zerschlagen, und die um ihre Freiheit, das Leben und das
tägliche Brot ringende Menschheit wird sich in diesem Kampf den endgültigen Sieg
erkämpfen. So wie mich in der Zeit des Ringens um die Macht jeder Anschlag un-
serer Gegner und jeder ihrer scheinbaren Erfolge nur noch verbissener machte in
meiner Entschlossenheit, auch nicht einen Schritt vom Wege abzuweichen, der frü-
her oder später zum Ziele führen mußte, so bin ich auch heute vom gleichen Wil-
len erfüllt, die mir vom Schicksal übertragene Aufgabe bis zur letzten Konsequenz zu
lösen.590

Im Kampf gegen das Böse, den „teuflischen Plan der jüdischen Weltverbre-
cher" gemäß der Apokalyptik Dietrich Eckarts, sieht sich Hitler genau so wie
Dietrich Eckart ihn gesehen hat, nämlich als Vermittler zwischen überirdi-
schen Mächten und denen, die an ihn glauben, die Mitglieder seiner Partei.
D e n n Hitler fährt fort:
Ich habe ein Recht zu glauben, daß mich die Vorsehung bestimmt hat, diese Auf-
gabe zu erfüllen, denn ohne ihre Gnade hätte ich nicht als unbekannter Mann den

Ebd., S. 1990; vgl. Philip Bouhler (Hrsg.), Adolf Hitler. Sammlungen der Reden, Erlasse
und Verlautbarungen des Führers, München 1944, S. 32.
Max Domarus, Hitler [Hervorhebung C.-E. B.].
Volk und Rasse 293

Weg aus diesem Saale antreten können durch alle Hindernisse und Anschläge hin-
durch bis zur Übernahme der Macht und endlich weiter bis zu diesem Kampf, ge-
krönt von Siegen, wie sie die Weltgeschichte noch nicht erlebt hat, allerdings auch
belastet mit Sorgen, an denen vielleicht zahllose schwächere Charaktere zerbrochen
wären.
Ich habe aber von der Vorsehung auch das Glück erhalten, in solchen Stunden um
mich stets eine verschworene Gemeinschaft zu besitzen, die mit hingebender Gläu-
bigkeit ihr Schicksal als ein einziges gemeinsames ansah und mir als Führer in die-
sem Kampf immer treu zur Seite stand und stehen wird.591

Was Hitler im vorangegangenen Text über die Beziehung zwischen seinen al-
ten Parteigenossen und sich selbst formulierte, gilt auch für die Beziehung
zwischen ihm und dem deutschen Volk. So heißt es in einer Rede vom 20.
März 1936:
Deutsches Volk, ich habe dich glauben gelehrt, nun gib du mir deinen Glauben!592
Z u zitieren ist unter dieser Perspektive auch aus einer Rede v o m 25. März
1938 in Königsberg:
Was sich in diesen letzten Wochen abspielte, ist das Ergebnis des Triumphes einer
Idee, eines Triumphes des Willens, aber auch eines Triumphes der Beharrlichkeit
und der Zähigkeit und vor allem: Es ist das Ergebnis des Wunders des Glaubens:
Denn nur der Glaube hat diese Berge versetzen können. Ich bin einst im Glauben
an das deutsche Volk ausgezogen und habe diesen unermeßlichen Kampf begon-
nen, im Glauben an mich sind erst Tausende und dann Hunderttausende und end-
lich Millionen mir nachgefolgt.593

Hitler hat sich auch vor und während der Machtübergabe im Jahre 1933 auf
G o t t „den Allmächtigen" berufen; am 25. Februar auf einer Kundgebung im
Berliner Sportpalast vor 25 000 Zuhörern: „Ich glaube, daß sich der Arm des
Allmächtigen von denen wegziehen wird, die nur nach fremder Deckung su-
chen" 5 9 4 ; in München am 7. September 1932:
Ich habe auch die Überzeugung und das sichere Gefühl, daß mir nichts zustoßen
kann, weil ich weiß, daß ich von der Vorsehung zur Erfüllung meiner Aufgaben be-
stimmt bin. Mein Wille ist zäh, unbändig und unerschütterlich. Und bis ich 85 Jah-
re alt bin, ist Herr von Hindenburg längst nicht mehr. Wir kommen an die Reihe.595

Berühmt ist seine Rede vom 10. Februar 1933 kurz nach der Regierungs-
übernahme:
Um Gott und dem eigenen Gewissen Genüge zu tun, haben wir uns noch einmal
an das deutsche Volk gewandt [...] Denn ich kann mich nicht lösen von dem Glau-

Philip Bouhler (Hrsg.), Adolf Hitler. Sammlung der Reden, Erlasse und Verlautbarungen
des Führers, München 1944, S. 33 f.; Max Domarus, Hitler, S. 1991 [Hervorhebung C.-E.
B.].
Max Domarus, Hitler, S. 609.
Ebd., S. 837.
Ebd., S. 95 [Hervorhebung C.-E. B.].
Ebd., S. 135 [Hervorhebung C.-E. B.].
294 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

ben an mein Volk, kann mich nicht lossagen von der Überzeugung, daß diese Na-
tion wieder einst auferstehen wird, kann mich nicht entfernen von der Liebe zu
diesem meinem Volk und hege felsenfest die Überzeugung, daß eben doch einmal
die Stunde kommt, in der die Millionen, die uns heute hassen, hinter uns stehen
und mit uns dann begrüßen werden das gemeinsam geschaffene, mühsam erkämpf-
te, bitter erworbene neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft
und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen!596

Durch dieses „Vaterunser" knüpft Hitler an die apokalyptische Vision seines


Freundes und Förderers Dietrich Eckart sowie ganz in der Übereinstimmung
mit den Visionen Goebbels' an den T o p o s des neuen respektive „Dritten
Reichs" an. Dieselbe Grundstruktur - J a m m e r und Elend als Durchgangssta-
tionen zu einem neuen Reich des allgemeinen Friedens - läßt die Rede vom
24. Februar 1933 erkennen:
Wir müssen wiedergutmachen, was die Zeit von gestern verbrochen hat! Wir ha-
ben die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Blätter, die in der deutschen Geschichte
von unserem Verfall künden und melden, durch uns zerrissen werden und daß
einst die deutsche Jugend das neue Reich erleben kann. Aus Not und Elend und
Jammer und Verkommenheit ist dann wieder entstanden ein deutsches Reich, auf
das wir stolz zu sein vermögen, das uns die Freiheit gegeben hat, unseren Men-
schen das tägliche Brot und damit den Frieden auf Erden! 597

Wenn Hitler am 13. September 1936 auf dem Parteitag in N ü r n b e r g predigt:


„Das ist das Wunder unserer Zeit, daß ihr mich gefunden habt" - hier unter
brach ihn langer Beifall - „daß ihr mich gefunden habt unter so vielen Millio-
nen! Und daß ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück!" 5 9 8 , dann
ist das der Ausdruck der magischen Dimension von Religiosität. Hitler be-
greift Wunder ganz im traditionell religiösen Sinn, nämlich als Eingriff einer
überirdischen Macht in irdische Ereignisse. In einer am 6. Juni 1937 in Re-
gensburg gehaltenen Rede kommt das kurz und bündig zum Ausdruck:
Wenn aber diese Allmacht ein Werk segnet, so wie sie unseres gesegnet hat, dann
können es Menschen auch nicht mehr zerstören. 599
Man könnte annehmen und manche wollen vielleicht sogar glauben, daß Hit-
ler den Glauben des einfachen Volkes, der Bildungsbürger und der Professo-
ren „ n u r " instrumental ausnutzte. Das spräche zwar nicht für diejenigen, die
ihn gewählt haben oder Mitglied seiner Partei wurden, ist aber gleichwohl
nicht der Fall. Die These von der Instrumentalisierung kann vor allem durch
die im privaten Kreis geäußerten und von Heinrich Heim im Auftrag Bor-
manns notierten „Monologe im Führerhauptquartier" widerlegt werden. Hier
artikuliert Hitler seinen Glauben angesichts der Erhabenheit der N a t u r und
kommt darüber zu der Vorstellung der Allmacht:

596
Ebd., S. 207 f.
597
Ebd., S. 214 f.
598
Ebd., S. 643.
599
Ebd., S. 712.
Volk und Rasse 295

Wir werden allenfalls die Gesetze kennenlernen, nach denen sich das Leben der
Naturwesenheit bestimmt; wenn es hochkommt, werden wir unserem Dasein das
Wissen um das Naturgesetz nutzbar machen können; aber warum das Gesetz wal-
tet, erfahren wir nicht. Das versteht sich von selbst: Unser Standort erlaubt uns
nicht, in andere Ebenen hineinzusehen. Dafür hat der Mensch den wunderschönen
Begriff von der Allmacht gefunden, deren Walten er verehrt. Zum Atheismus wol-
len wir nicht erziehen. In jedem Menschen lebt das Ahnungsvermögen, was das
Walten dessen angeht, was man Gott nennt. 600
Hitlers Assoziationen sind recht modern und drehen sich um das Verhältnis
zwischen Wissenschaft und Frömmigkeit. Er lehnt in diesen Monologen wäh-
rend des Krieges die Kirchenfrömmigkeit zwar wegen der Wissenschaft ab,
betont aber die Begrenztheit bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse. 6 0 1
Hitler fährt, eine gewisse Modernität seiner Auffassung ist ihm nicht abzu-
sprechen, im Hinblick auf die Grenzen der Wissenschaft fort:

Die Wissenschaft kann nicht erklären, weshalb die Dinge der Natur so sind, wie sie
dem forschenden Auge sich offenbaren. Hier springt die Religion ein und bringt
Beruhigung. Indes, in der Gestalt der Kirche setzt sie sich in Widerspruch zum
Leben: Die Autorität der kirchlichen Oberen beruht darauf, daß Lehre zum Dog-
ma erhoben ist, und die Kirche würde sich selber aufgeben, hielte sie nicht fest an
ihrer dogmatisch gebundenen Lehre. 602

Die T r e n n u n g von Kirche und Religion gilt für Hitler aber nicht im Hinblick
auf die zehn Gebote.
Die zehn Gebote sind Ordnungsgesetze, die absolut lobenswert sind. Da durch-
dringen sich Kirche und Religion!603
Ganz in der Weise der physiotheologischen Übereinstimmung von Natur und
G o t t im Hinblick auf die Bestimmung der Rasse kommt Hitler schließlich zu
dem Ergebnis der Notwendigkeit des Glaubens an eine überirdisch-schöpfe-
rische Kraft in der Opposition zum Rationalismus des 19. Jahrhunderts:
Töricht ist es, den Menschen glauben zu machen, er sei Dirigent, wie das eine auf-
dringliche liberale Wissenschaft des vorigen Jahrhunderts getan hat. Der gleiche
Mensch, der, rascher vorwärts zu kommen, einen Saurier mit einer ganz kleinen
Hirnmasse besteigt! Das ist das, was ich für das Schlimmste halte. Die Russen
konnten sich gegen ihren Popen wenden, aber sie durften das nicht umdrehen in
einen Kampf gegen die höhere Gewalt. Tatsache ist, daß wir willenlose Geschöpfe
sind, daß es eine schöpferische Kraft aber gibt, das leugnen zu wollen, ist Dumm-
heit. Wer etwas Falsches glaubt, steht noch höher als der, welcher überhaupt nicht
glaubt. So ein bolschewistischer Professor bildet sich ein, über die Schöpfung zu

600
Werner Jochmann (Hrsg.): Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944.
Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, München 1982, S. 40.
601
Vgl. ebd., S. 103: „Die Wissenschaft ist nichts anderes wie eine Leiter, die man erklimmt:
Mit jeder Stufe sieht man ein bißchen weiter, aber das Ende der Dinge sieht auch die Wis-
senschaft nicht."
602
Ebd., S. 104 f.
603
Ebd., S. 104.
296 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

triumphieren! Solchen Menschen gegenüber werden wir Herren sein: Ob wir nun
aus dem Katechismus oder ob wir aus der Philosophie schöpfen, wir haben eine
Rückzugsmöglichkeit, während sie mit ihrer nur materialistischen Anschauung sich
am Ende noch gegenseitig auffressen.
Ü b e r h a u p t finden wir in den meist nächtlich vorgetragenen Monologen und
Tischgesprächen noch eine Menge Meditationen und Assoziationen über Na-
tur, Religion, Wissenschaft, Kirche und Christentum. Wir finden Beweise für
Hitlers G r ö ß e n w a h n und auch für die brutale Diskriminierung der Geistli-
chen. 6 0 5 V o n psychoanalytischem Interesse dürfte sein, daß gerade Hitler die
Inquisition und die V e r b r e n n u n g von Menschen der katholischen Kirche vor-
wirft. 6 0 6 Seine Aggression gilt dem „ J u d e n - C h r i s t e n t u m " 6 0 7 , nicht Christus,
aber Paulus. 6 0 8 D e n Glauben an die besondere Beziehung zwischen G o t t und
dem deutschen Volk hat Hitler vor und w ä h r e n d des Krieges immer wieder
gepredigt. Schon 1937 brachte er die völkisch-religiöse Ideologie auf den Be-
griff, indem er behauptete, G o t t habe das deutsche Volk geradezu geschaffen:

Gott hat dieses Volk gebildet, nach seinem Willen ist es geworden, und nach unse-
rem Willen soll es bleiben und nimmer mehr vergehen. 609
In Hitlers letzter Rundfunkansprache v o m 30. Januar 1945 wiederholt er sei-
ne frühe Auffassung, daß die Arier „ G o t t e s k i n d e r " seien, und verlangt gemäß
seiner B e s t i m m u n g des Ariers aus „Mein K a m p f ' 6 1 0 das unbedingte Opfer.
A m 3. September 1939 heißt es in Hitlers „Aufruf an das deutsche Volk":
Wer sich daher jetzt an dieser Ewigkeit versündigt, hat nichts anderes zu erwarten,
als daß er als Feind der Nation vernichtet wird. Wenn unser Volk in solchem Sinne
seine höchste Pflicht erfüllt, wird uns auch jener Herrgott beistehen, der seine
Gnade noch immer dem gegeben hat, der entschlossen war, sich selbst zu helfen. 61 '

Am 24. Februar 1940 - anläßlich des mißglückten Attentats Eisers - überträgt


er den G l a u b e n an die V o r s e h u n g und Fürsorge G o t t e s auf das deutsche
Volk:
Im übrigen glaube ich eines: Es gibt einen Herrgott! [...] Und in dieser ganzen Zeit
hat die Vorsehung unsere Arbeit wieder gesegnet. Je tapferer wir waren, um so

504
Ebd., S. 105,24. 10. 1941.
605
„Diese Pfaffen! Wenn ich bloß so eine schwarze Minderwertigkeit daherkommen sehe! Das
Hirn ist dem Menschen gegeben, um zu denken; wenn er denken will, wird er von einer
schwarzen Dreckwanze verbrannt!", ebd., S. 285.
606 Vgl. ebd., S. 286.
607 Ebd., S. 297.
608
Vgl. ebd., S. 150; vgl. ebd., auch S. 412: „Jesus kämpfte gegen den verderblichen Materia-
lismus seiner Zeit und damit gegen die Juden"; „Christus war ein Arier, aber Paulus hat
seine Lehre benutzt, die Unterwelt zu mobilisieren und einen Vorbolschewismus zu orga-
nisieren."
609
Max Domarus, Hitler, S. 712.
610
„In der Hingabe des eigenen Lebens für die Existenz der Gemeinschaft liegt die Krönung
alles Opfersinnes", Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 327.
Max Domarus, Hitler, S. 1341.
Volk und Rasse 297

mehr kam auch der Segen der Vorsehung ... Wenn aber jemand mit gläubigem
Herzen sich zu diesem Volk bekennt und dafür arbeitet und alles einsetzt für die-
ses Volk, dann kann es nicht sein, daß die Vorsehung dieses Volk zugrunde gehen
läßt. Mehr als Wunderbares hat seitdem die Vorsehung an uns getan. Ich kann Sie
nur alle bitten: Fassen Sie diesen Glauben als alte Nationalsozialisten nur recht
stark. Es kann nicht anders sein. Wir müssen siegen, und wir werden daher sie-
gen. 612
D e m britischen Journalisten G. Ward Price erklärte er:
Ich glaube an Gott, und ich bin überzeugt, daß er 67 Millionen Deutsche nicht
verlassen wird, die so hart dafür gearbeitet haben, ihre rechtmäßige Stellung in der
Welt wiederzugewinnen. 613
Die Aussicht und Fürsorge der V o r s e h u n g kann nicht fatalistisch erwartet
werden. Es handelt sich in der W a h r n e h m u n g Hitlers, wie bei G o e b b e l s und
Dietrich Eckart schon in den zwanziger Jahren ähnlich ausgedrückt, nicht um
einen schlichten Krieg:
In diesem gewaltigsten Kampf aller Zeiten dürfen wir nicht erwarten, daß die Vor-
sehung den Sieg verschenkt. Es wird jeder einzelne und jedes Volk gewogen, und
was zu leicht befunden wird, muß fallen. Ich habe daher schon am 1. September
1939 erklärt, daß, ganz gleich, was auch kommen möge, weder Zeit noch Waffen-
gewalt die deutsche Nation besiegen werden. 614
D e r „ K a m p f um das D a s e i n " wird nicht nach dem Paradigma der Evolutions-
theorie Darwins, sondern im Hinblick auf den Allmächtigen verstanden:
Der Allmächtige wird der gerechte Richter sein. Unsere Aufgabe aber ist es, unsere
Pflicht so zu erfüllen, daß wir vor ihm, als dem Schöpfer aller Welten, nach dem
von ihm gegebenen Gesetz des Kampfes um das Dasein zu bestehen vermögen,
daß wir, ohne jemals zu verzagen, kein Leben schonen und keine Arbeit scheuen,
um das Leben unseres Volkes für die Zukunft zu erhalten. 615

Auch in der Rundfunkansprache v o m 30. J a n u a r 1944 wird die „ G r ö ß e der


weltgeschichtlichen Auseinandersetzung" 6 1 6 dahingehend interpretiert, daß
der objektive, v o n G o t t d e m Allmächtigen gestaltete Kausalverlauf histori-
scher Ereignisse durch das Handeln Hitlers, der Menschen, und vor allem der
Deutschen beeinflußt werden kann:
Je größer deshalb auch heute die Sorgen sind, um so größer wird auch dereinst der
Allmächtige die Leistung derjenigen wägen, beurteilen und belohnen, die gegen-
über einer Welt von Feinden ihre Fahne in treuen Händen hielten und unverzagt

6,2
Ebd., S. 1469.
613
Max Domarus, Hitler, S. 17.
'',4 Ebd., S. 1978; vgl. Philip Bouhler (Hrsg.), Adolf Hider, Sammlung der Reden, Erlasse und
Verlautbarungen, München 1982 , S. 274.
615
Max Domarus, Hitler, S. 1979; Philip Bouhler (Hrsg), Adolf Hider Sammlung der Reden,
Erlasse und Verlautbarungen, München 1982, S. 26.
616
Max Domarus, Hitler, S. 2085.
298 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

vorwärts trugen. Dieser Kampf wird deshalb am Ende trotz aller Teufeleien unse-
rer Gegner zum größten Sieg des Deutschen Reiches führen.61"
Bis zum Schluß hat Hitler die auserwählte Beziehung zwischen dem deut-
schen Volk und der göttlichen Macht beschworen. In der letzten, von ihm
nicht selbst vorgetragenen Rundfunkansprache vom 30. Januar 1945 heißt es:
Der Allmächtige hat unser Volk geschaffen. Indem wir seine Existenz verteidigen,
verteidigen wir sein Werk. 618
Weiterhin stellt er einen Z u s a m m e n h a n g zwischen dem Opfer der Deutschen
und dem Segen G o t t e s her:
Indem wir eine so verschworene Gemeinschaft bilden, können wir mit Recht vor
den Allmächtigen treten und ihn um seine Gnade und seinen Segen bitten. Denn
mehr kann ein Volk nicht tun, als daß jeder, der kämpfen kann, kämpft und jeder,
der arbeiten kann, arbeitet und alle gemeinsam opfern, nur von dem einen Gedan-
ken erfüllt, die Freiheit, die nationale Ehre und damit die Zukunft des Lebens si-
cherzustellen. 619
D e r Gottesbegriff Hitlers entspricht der konventionellen monotheistischen
Tradition, nämlich dem Glauben an die Allmacht eines jenseitigen Schöpfers.
Die subjektzentrierte Kausalität, nämlich zu glauben, daß der allmächtige
G o t t den Kausalverlauf zugunsten eigener Wünsche lenkt 620 , ist ein Merkmal
traditioneller Volksfrömmigkeit. An die spezifische und exklusive Beziehung
zwischen dem deutschen Volk und G o t t haben überdies auch Fichte, Lang-
behn, Lagarde und Kaiser Wilhelm II. geglaubt. 6 2 1 Die NS-Ideologie ist aber
vor allem dann eine politische Religion, wenn das Ideologem „Arier" mit re-
ligiösen Apperzeptionsmustern begriffen wird.

b b . Gott, Natur und die rassischen „ U r e l e m e n t e " der Deutschen

Im folgenden Abschnitt wird dargelegt, inwieweit sich Hitler bei der K o n -


struktion von Rasse und Volk auf N a t u r oder G o t t oder auf beides beruft.
Dabei wird davon ausgegangen, daß das Objekt für die Feststellung der reli-
giösen oder nichtreligiösen Implikationen der nationalsozialistischen Ideolo-
gie vornehmlich das Bewußtsein Hitlers von Mensch und Gesellschaft ist.
Der Rassismus Hitlers hat d a n n einen religiösen Gehalt, wenn die dem Arier
zugeordneten Eigenschaften einer am Glauben orientierten Existenzinterpre-
tation e n t n o m m e n sind und eine ersatzreligiöse, radikal vollendete I m m a n e n -

617
Ebd., S. 2086.
618
Ebd., S. 2196.
619
Ebd., S. 2198.
620
Vgl. Claus-E. Barsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph Goebbels. Zur Psyche
und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923—1927, München 1987, S. 257-282.
621
Vgl. Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahr-
hundert, Rheda-Wiedenbrück 1988.
Volk und Rasse 299

tisierung der Transzendenz nicht vorliegt. Wird hingegen der Rassismus Hit-
lers außerhalb allgemein religiöser Vorstellungen und in nichtreligiöser Spra-
che formuliert, so wird das Gewicht der anderen Ideologeme der NS-Ideolo-
gie samt ihren religiösen Dimensionen für die gesamte Beurteilung der N S -
Ideologie als politische Religion geschwächt. Hat selbst die Konstitution von
Gesellschaft mittels der Erfindung v o n Rasse religiöse D i m e n s i o n e n , dann
kann der religiöse Charakter der gesamten NS-Ideologie schwer widerlegt
werden. Hat der Rassismus religiöse D i m e n s i o n e n , so wäre zur Zeit der Herr-
schaft des Nationalsozialismus die T r e n n u n g von Politik und Religion aufge-
hoben und die rechtliche T r e n n u n g zwischen Staat und Kirche durch die p o -
litische Religion der Nationalsozialisten überformt. Auch die Unterschiede
zwischen den offiziellen D o g m e n der öffentlich-rechtlichen Körperschaften
der beiden deutschen Großkirchen und dem Rassismus k ö n n e n nicht gegen
die Relevanz der religiösen D i m e n s i o n e n der NS-Ideologie ins Feld geführt
werden. Dabei ist davon auszugehen, daß Kirchenfrömmigkeit und Zustim-
m u n g zur NS-Ideologie sich sowohl ergänzend vereinbaren lassen als auch
desintegrierend aufeinanderprallen können. Da die Mehrheit der christlich or-
ganisierten Mitglieder der Bevölkerung (über 90 %) Hitler zustimmte, könnte
man schließen, daß entweder die Erkenntnis des Widerspruchs zwischen Ras-
sismus und Christentum oder das existentielle Bekenntnis zur Wahrheit Jesu
Christi nicht vorhanden war. Hat der Rassismus der Nationalsozialisten reli-
giöse Elemente, dann wäre ein — wenn auch nur ein — Ansatz für das erklä-
rungsbedürftige und empirisch nicht zu bestreitende Faktum der teilweise
sogar begeisterten Zustimmung der Mehrheit der deutschen Christen zur Po-
litik Adolf Hitlers gefunden. Finden wir im Rassismus Hitlers eine Komposi-
tion sozialdarwinistisch-biologischer und religiöser Elemente im Rekurs auf
Natur und Gott, dann wäre ein Erklärungsansatz dafür gefunden, weshalb der
sogenannte „Geist der M o d e r n e " nicht die A b l e h n u n g des Rassismus zur
Folge hatte. D e r Prozeß der Ideologiebildung als solcher, der sich stets in der
Psvche des Menschen vollzieht, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung.
Ich verstehe aber die folgenden Ausführungen als Beitrag für eine diesbezüg-
liche soziologisch-psychologische Forschung, insofern diese die P h ä n o m e n o -
logie des Bewußtseins zum Ausgang n e h m e n m u ß ; ein Gesichtspunkt, der
voraussetzt, daß man nicht an das Charisma Adolf Hitlers glaubt, nämlich daß
man nicht daran glaubt, er habe eine außergewöhnliche Beziehung zu G o t t
oder umgekehrt, er verkörpere das Böse.
Der Gegenstand dieses Abschnittes ist durch folgende Gesichtspunkte ge-
gliedert. Ausgehend von einer knappen Charakterisierung der Lehren Dar-
wins wird die Relation N a t u r — G o t t - A r i e r in Hitlers „Mein K a m p f behan-
delt. O b w o h l zum Bewußtsein v o m Arier die Negation des J u d e n gehört,
kommt es in diesem Abschnitt mehr darauf an, die d e m Arier zugeordneten
Eigenschaften herauszuarbeiten. D e n n das Verhältnis des Menschen zum an-
deren hängt von der Art und Weise ab, wie er seine Identität gewinnt und die
Frage beantwortet, wer er selbst sei. Eine reine, u n b e s t i m m t e , v o n der eige-
300 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

nen Position unabhängige Negation gibt es nach meiner Überzeugung nicht.


Wird das arische M o m e n t im Rassismus isoliert betrachtet, dann werden die
attraktiven Momente und Werte der stets vom Mißlingen bedrohten Identi-
tätsfindung besser bewußt.
Das Paradigma der Lehren Darwins entspricht nicht den ideologischen
Konfigurationen der Argumentation Hitlers. Es ist vornehmlich ein Problem
des Positivismus der modernen Evolutionsbiologie, daß die Lehren Darwins
von den Vertretern des liberalen Konkurrenzkapitalismus (H. Spencer), des
dialektischen Materialismus (K. Kautsky) oder der deutschen Rassenanthro-
pologie in ihre jeweilige Ideologie transformiert werden konnten. Es kann
nicht bestritten werden, daß die Übertragung der Lehren Darwins auf die Ge-
sellschaft in Europa, den USA und in Deutschland am Ende des 19. Jahrhun-
derts zu einer Vermischung zwischen Sozialdarwinismus und Rassismus führ-
te. 6 Daher können die Lehre Darwins und deren Übertragung in den soge-
nannten Sozialdarwinismus als brauchbare Folie dienen, mit deren Hilfe der
Hitlerische Rassismus auf seinen religiösen oder nicht-religiösen Gehalt ge-
prüft werden kann. Ist Hitler reiner Darwinist, dann hat sein Rassismus keine
religiöse Dimension. Überwiegt der Pseudodarwinismus, ein reiner Rekurs
auf Natur und Entwicklung, so sind eventuelle religiöse Dimensionen für die
Beurteilung des Rassismus nicht ausschlaggebend. Darwin, im Gegensatz zu
den meisten Sozialdarwinisten seiner Zeit, vertritt in seiner Evolutionslehre
das Paradigma einer natürlichen Kausalität. Die hauptsächliche, aber nicht
einzige Ursache biotischer Evolution ist nach Darwin die natürliche Auslese
und die Erzeugung erblicher Variabilität sowie die Veränderung des Bauplans
der G e n e und des Verhaltens. Mit der Metapher „struggle for life" wird so-
wohl die Wechselbeziehung zwischen Organismen oder G r u p p e n von Orga-
nismen als auch das Verhältnis der Organismen zur Umwelt beschrieben.
Darwin geht davon aus, daß durch „Selektion" bei der Fortpflanzung das
E n d e oder die Veränderungen zukünftiger Populationen bedingt wird. Die
jeweiligen Veränderungen sind dabei nur bei je einem Individuum einer Po-
pulation nachweisbar. Den Zusammenfall von Vernunft, Freiheit oder Moral
im Laufe einer teleologischen Entwicklung und im Sinne des Fortschritts zum
Besseren, der für die meisten Auffassungen von Gesamtgeschichte der
Menschheit im 19. und 20. Jahrhundert kennzeichnend ist, wird von Darwin
nicht vertreten. Darüber hinaus kommt das Wirken göttlicher oder überirdi-
scher Kräfte in der Natur in seiner Lehre nicht vor. Darwins Auffassung von
Natur enthält vielmehr einen Begriff der Materie, dessen Merkmale Selbst-
organisation und -entwicklung sind.

Vgl. Peter Weingart/Jürgen Kroll/Kurt Bayertz, Rasse, Blut, Gene. Geschichte der Euge-
nik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988; Hansjoachim VC'. Koch, Der
Sozialdarwinismus. Seine Genese und sein Einfluß auf das imperialistische Denken, Mün-
chen 1973.
Volk und Rasse 301

Hitlers Eugenik dagegen beruht gerade nicht auf rein biologischer G r u n d -


lage. Hitlers Rasseneugenik besteht darin - weil das deutsche Volk nicht ras-
serein sei —, die „Urelemente" arisch zu erhalten oder in ihrer Reinheit wieder
herzustellen. Dementsprechend wird auch der Zweck der Ehe bestimmt:
Ein völkischer Staat wird damit in erster Linie die Ehe aus dem Niveau einer dau-
ernden Rassenschande herauszuheben haben, um ihr die Weihe jener Institution zu
geben, die berufen ist, Ebenbilder des Herrn zu zeugen und nicht Mißgeburten
zwischen Mensch und Affe.623

Mithin haben die Urelemente arischer Natur den Charakter des Göttlichen.
D a s soll nun im folgenden, unabhängig von der wechselseitigen Beziehung
A r i e r - J u d e , näher spezifiziert werden.

cc. Die Arier als „höchstes Ebenbild des H e r r n "

In dem Kapitel „Volk und Rasse" gebraucht Hitler die darwinistischen Begrif-
fe „Selbsterhaltung", „Kampf ums Dasein", „Auslese" und „Entwicklung" in
der Darstellung seiner Auffassung von Natur. Auf das Verhältnis Volk, Rasse
und Natur möchte ich gerade deshalb eingehen, weil ich die These vertrete,
daß Hitler über diese Relation weit hinausgeht. Es kommt im Rahmen dieser
Arbeit nicht darauf an, Hitlers Naturbegriff systematisch und historisch zu er-
läutern. Ich möchte lediglich zeigen, daß Hitler die Relation Volk, Rasse und
Natur in seine Argumentation integriert. Hitler ist überzeugt, daß der Mensch
in seinem Verhältnis zur Natur diese nicht überwinden könne:

Allein ganz abgesehen davon, daß der Mensch die Natur noch in keiner Sache
überwunden hat, sondern höchstens das eine oder andere Zipfelchen ihres unge-
heuren, riesenhaften Schleiers von ewigen Rätseln und Geheimnissen erwischt und
emporzuheben versuchte, da er in Wahrheit nichts erfindet, sondern alles nur ent-
deckt, daß er nicht die Natur beherrscht, sondern nur auf Grund der Kenntnis ein-
zelner Naturgesetze und Geheimnisse zum Herrn derjenigen anderen Lebewesen
aufgestiegen ist, denen dieses Wissen eben fehlt - also ganz abgesehen davon, kann
eine Idee nicht die Voraussetzungen zum Werden und Sein der Menschheit
winden, da die Idee selber ja nur vom Menschen abhängt. Ohne Menschen gibt es
keine menschliche Idee auf dieser Welt, mithin ist die Idee als solche doch immer
bedingt durch das Vorhandensein der Menschen und damit all der Gesetze, die zu
diesem Dasein die Voraussetzung schufen.624

Während es Hitler an dieser Stelle darum geht, den Pazifismus mit dem Argu-
ment zu kritisieren, dieser beruhe auf dem „jüdischen Unsinn" 6 2 5 , der Mensch
könne die Natur überwinden, ist hier zu betonen, daß Hitler auf dem Boden
neuzeitlicher Tradition argumentiert, wenn für ihn die „Kenntnis einzelner

623
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 444 f.
624
Ebd., S. 314 f. [Hervorhebung im Original]
625
Ebd., S. 314.
302 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Naturgesetze" die Voraussetzung zur Beherrschung anderer Lebewesen ist,


und wenn er vom „Werden" der „Menschheit" ausgeht. Die Entwicklung der
Menschheit steht bekanntlich im Z e n t r u m des Streits zwischen der traditio
nellen Interpretation der Schöpfungsgeschichte auf der Grundlage der Bibel
einerseits und den Vertretern der Evolutionstheorie andererseits, denen zu
folge die Entwicklung von Leben sich auf der Grundlage der Selbstorganisa
tion der Materie und der Organismen vollzieht. Mit dem „ W e r d e n " der
„Menschheit" meint Hitler ganz im Sinne der Auffassung von Geschichte des
19. und 20. Jahrhunderts „Weltgeschichte". Im Hinblick auf das „Sein" der
Menschen stellt Hitler am Beginn des Kapitels „Volk und Rasse" fest, daß
seine Auffassung von Volk und Rasse auf der Wahrheit der Grundsätze der
Natur beruhe. Hitler behauptet, es gebe „Wahrheiten, die so sehr auf der Stra
ße liegen, daß sie gerade deshalb von der gewöhnlichen Welt nicht gesehen
oder wenigstens nicht erkannt werden", bis plötzlich jemand etwas entdecke,
„was doch alle wissen müßten". Die „Eier des K o l u m b u s " lägen zu „ H u n
derttausenden herum, nur die Kolumbusse sind e b e n seltener zu treffen". Die
Menschen wanderten „ausnahmslos im G a r t e n der Natur umher, bilden sich
ein, fast alles zu kennen und zu wissen, und gehen doch mit wenigen Ausnah
men wie blind an einem der hervorstechendsten Grundsätze ihres Waltens
vorbei". D e r Grundsatz von Ursache und Wirkung („Walten") betrifft das
Geschehen der Fortpflanzung. Aber nach Hitler gehen die Menschen an der
in der Natur als Grundsatz vorhandenen Regel „der inneren Abgeschlossen
heit der Arten sämtlicher Lebewesen dieser E r d e " vorbei. Hitler begreift die
ses Prinzip („Grundsatz") als „Ausdrucksform" des „Lebenswillens der Na
tur" sowie als „Grundgesetz" und illustriert dies mit einem Beispiel, welches
recht oft zitiert wird, um seinen biologischen Rassismus zu belegen. Dabei
begnügt man sich meist mit den von Hitler herangezogenen Beispielen. Hier
soll jedoch der ganze das „Walten" der G r u n d s ä t z e der Natur kommentieren
de Absatz zitiert werden:

Schon die oberflächlichste Betrachtung zeigt als nahezu ehernes Grundgesetz all
der unzähligen Ausdrucksformen des Lebenswillens der Natur ihre in sich begrenz
te Form der Fortpflanzung und Vermehrung. Jedes Tier paart sich mit einem Ge
nossen der gleichen Art. Meise geht zu Meise, Fink zu Fink, der Storch zur
Störchin, Feldmaus zu Feldmaus, Hausmaus zu Hausmaus, der Wolf zur Wölfin
usw.626

Indes ist Hitler nicht der Auffassung, dieses „ G r u n d g e s e t z " gelte im Sinne
eines Naturgesetzes für die Fortpflanzung zwischen den verschiedenen Ras
sen, er meint aber, es solle als N o r m für die Beziehung zwischen den Rassen
gelten. Nach Hitler können nur „außerordentliche U m s t ä n d e " an diesem
Grundsatz etwas ändern, nämlich „in erster Linie der Zwang der Gefangen
schaft sowie eine sonstige Unmöglichkeit der Paarung innerhalb der gleichen

Ebd., S. 311
Volk und Rasse 303

Art". Die „ N a t u r " stelle sich deshalb gegen die Mischung, weil die Folgen bei
den „späteren N a c h k o m m e n " aufträten. Abweichend vom Darwinismus und
in unüberbrückbarer Differenz zu den Lehren Darwins redet Hitler über die
N a t u r a n t h r o p o m o r p h . Die N a t u r „stemmt sich", „protestiert", „verweigert
sich", „schränkt ein" oder „raubt":
Dann aber beginnt die Natur, sich auch mit allen Mitteln dagegen zu stemmen, und
ihr sichtbarer Protest besteht entweder in der Verweigerung der weiteren Zeu-
gungsfähigkeit für die Bastarde, oder sie schränkt die Fruchtbarkeit der späteren
Nachkommen ein; in den meisten Fällen aber raubt sie die Widerstandsfähigkeit
gegen Krankheit oder feindliche Angriffe. Das ist nur zu natürlich.627

Hitler erörtert anschließend nicht die Kreuzung verschiedener Arten, sondern


die Gefahren der Degeneration im Falle der „Kreuzung zweier nicht ganz
gleich hoher Wesen". Über die Analyse hinaus beharrt er darauf, der Stärkere
habe zu herrschen und damit „dem Willen der Natur zur Höherzüchtung des
Lebens überhaupt" zu entsprechen:
Jede Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen gibt als Produkt ein Mittel-
ding zwischen der Höhe der beiden Eltern. Das heißt also: das Junge wird wohl
höher stehen als die rassisch niedrigere Hälfte des Elternpaares, allein nicht so
hoch wie die höhere. Folglich wird es im Kampf gegen diese höhere später unter-
liegen. Solche Paarung widerspricht aber dem Willen der Natur zur Höherzüchtung
des Lebens überhaupt. Die Voraussetzung hierzu liegt nicht im Verbinden von
Höher- und Minderwertigem, sondern im restlosen Siege des ersteren. Der Stärke-
re hat zu herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um so
die eigene Größe zu opfern. Nur der geborene Schwächling kann dies als grausam
empfinden, dafür aber ist er auch nur ein schwacher und beschränkter Mensch;
denn würde dieses Gesetz nicht herrschen, wäre ja jede vorstellbare Höherentwick-
lung aller organischen Lebewesen undenkbar.

Hitler nimmt mit dieser Argumentation nicht die Position einer empirisch-
analytischen Beweisführung ein. Er will diese Position auch gar nicht einneh-
men. Deshalb soll hier auf seinen Wissenschaftsbegriff nicht eingegangen
werden. Man kann nur feststellen, daß Hitler die Forderung aufstellt, der
„Starke hat zu herrschen". 6 2 9 Hitler behauptet auf der Ebene dieser Argu-
mentation - und ist davon auch überzeugt —, in der Natur gebe es den
„Kampf um das Dasein" 6 3 0 und „am E n d e " siege „die Sucht der Selbsterhal-
tung". 6 3 1 Daher plädiert er dafür, sich dementsprechend zu verhalten. Hitler
fürchtet den Untergang der „ursprünglich-schöpferischen Rasse" und ist dar-
auf fixiert, die Bedingungen der „Erhaltung" der „Kultur" einhalten zu müs-

627
Ebd., S. 311 f.
628
Ebd., S. 312.
629
Ebd.
630
Ebd., S. 149.
631
Ebd., S. 148.
304 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

sen. In dieser Rücksicht formuliert er das vielzitierte „ R e c h t " des Stärkeren,


welches bekanntlich kein Recht ist:
Alle großen Kulturen der Vergangenheit gingen nur zugrunde, weil die ursprüng-
lich schöpferische Rasse an Blutsvergiftung abstarb. Immer war die letzte Ursache
eines solchen Unterganges das Vergessen, daß alle Kultur von Menschen abhängt
und nicht umgekehrt, daß also, um eine bestimmte Kultur zu bewahren, der sie
erschaffende Mensch erhalten werden muß. Diese Erhaltung aber ist gebunden an
das eherne Gesetz der Notwendigkeit und des Rechtes des Sieges des Besten und
Stärkeren. 632
Kann man die Argumente Hitlers für das Recht des Stärkeren in der Art und
Weise verstehen, wie in der Philosophie der antiken Sophisten oder der des
T h o m a s H o b b e s argumentiert wurde? Ich vermute nein. Es hat meiner An-
sicht nach auch keinen Sinn, gegen die Argumentation Hitlers einzuwenden,
entweder gelte das „ N a t u r g e s e t z " oder aber nicht; wenn es gelte, dann würde
sich das Verhalten der „Arier" im Hinblick auf die Rassenkreuzung auch o h n e
die von Hitler aufgestellten G e b o t e der Rassenhygiene kausalnotwendig dem
Naturgesetz entsprechend vollziehen. Für zweifelhaft halte ich es auch, Hit-
ler auf das „Gesetz der Höherentwicklung" auf naturwissenschaftlicher oder
allgemeinwissenschaftlicher Basis festlegen zu wollen. Hitler begibt sich nicht
auf das Feld der Wissenschaft, um einen physikalischen oder biologischen,
nach den Regeln der Wissenschaft g e w o n n e n e n Begriff der Evolution anzu-
wenden. Ihm geht es gar nicht um eine Auffassung von Naturgesetzen, die im
Rahmen der Physik oder der Evolutionsbiologie verifiziert oder falsifiziert
werden könnten. D e n n Hitler beruft sich neben dem „ G r u n d g e s e t z " der Na-
tur oder dem „Gesetz der H ö h e r e n t w i c k l u n g " auf eine prima causa, die er
bewußt und expressis verbis in seine Argumentation im Hinblick auf die Re-
lation von N a t u r und Rasse einführt, nämlich auf Gott. Hitler ist davon über-
zeugt, daß seine Rassendoktrin mit „dem Willen der N a t u r " 6 3 3 und dem „Wol-
len des ewigen Schöpfers" 6 3 4 übereinstimmt, denn eine gegen die Selektion
der Natur vom Menschen v o r g e n o m m e n e Verhaltensweise ist für ihn eine
„Korrektur des göttlichen Willens". 6 3 5 D e r Arier sei im Gegensatz zum J u d e n
„Ebenbild des Herrn". 6 3 6 Die „rassischen Urelemente" seien dem deutschen
Volk „durch die G ü t e des Allmächtigen dieser E r d e " als Ausdruck „höchsten
M e n s c h e n t u m s " 6 3 7 geschenkt worden. Rasse und Volk der Deutschen hätten
zur „Erfüllung" der ihnen „ v o m Schöpfer des Universums zugewiesenen Mis-

632
Ebd., S. 316.
633
Ebd., S. 312.
634
Ebd., S. 314.
635
Ebd., S. 145.
636
Ebd., S. 421, 445, 196
637
Ebd., S. 439.
Volk und Rasse 305

sion" 6 3 8 heranzureifen. Ich behaupte, es war Hitler ernst, w e n n er in der Ras-


senmischung eine „ S ü n d e " sah:
Die Sünde wider Blut und Rasse ist die Erbsünde dieser Welt und das Ende einer
sich ihr ergebenden Menschheit. 639
Weil die Integration G o t t e s in der Ideologie Hitlers in die Konstellation N a -
t u r — D a s e i n - R a s s e - V o l k — K u l t u r kaum bekannt ist, sollen die Textstellen
etwas ausführlicher zitiert werden. In der v o n mir gewählten Reihenfolge be-
ginne ich mit dem von Hitler hergestellten Z u s a m m e n h a n g zwischen Zeu-
gung und dem K a m p f u m das Dasein. Hitlers B e g r ü n d u n g für die Möglich-
keit der Degeneration des deutschen Volkes geht davon aus, daß „die N a t u r "
bei den Menschen die „ Z e u g u n g freigibt". 6 4 0 Menschen k ö n n e n entweder auf
die Zeugung verzichten oder „das Schwächlichste, ja Krankhafteste um jeden
Preis" erhalten und retten. Beim Menschen k ö n n e „anstelle des natürlichen
Kampfes um das Dasein, der nur den Allerstärksten und Gesündesten am
Leben läßt", die „ V e r h ö h n u n g der N a t u r und ihres Willens" 6 4 1 anhalten. Dies
führe im Verlauf zukünftiger Reproduktion zur Z u n a h m e des Schwachen und
Krankhaften; in einem Volke, w o dies geduldet wird, werde diesem „eines
Tages das Dasein auf dieser Welt g e n o m m e n " . 6 4 2 E r polemisiert gegen den
Verzicht auf Zeugung u n d gegen das Recht aller g e b o r e n e n Lebewesen auf
Leben. Der Verstoß gegen die natürliche Auslese ist für ihn zugleich ein Ver-
stoß gegen den Willen G o t t e s :

Während die Natur, indem sie die Zeugung freigibt, jedoch die Forterhaltung einer
schwersten Prüfung unterwirft, aus einer Überzahl von Einzelwesen die besten sich
als wert zum Leben auserwählt, sie also allein erhält und ebenso zu Trägern der
Forterhaltung ihrer Art werden läßt, schränkt der Mensch die Zeugung ein, sorgt
jedoch krampfhaft dafür, daß jedes einmal geborene Wesen um jeden Preis auch
erhalten werde. Diese Korrektur des göttlichen Willens scheint ihm ebenso weise wie
human zu sein.643

Auch in bezug auf die Rassenkreuzung h e b t Hitler hervor, die „Niedersen-


kung des Niveaus der h ö h e r e n Rasse" verstoße nicht n u r gegen die „eiserne
Logik der Natur", sondern sei sogar ein Verstoß gegen den Willen Gottes:
Eine solche Entwicklung herbeiführen, heißt aber denn doch nichts anderes als
Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers. 644
Selektion und Auswahl durch die Natur und die Entwicklung zur Höherbil-
dung entsprechen damit d e m „Willen des ewigen Schöpfers", also eines per-

638
Ebd., S. 234.
639
Ebd., S. 272.
640
Ebd., S. 144.
641
Ebd., S. 145.
642
Ebd.
643
Ebd., S. 144 f. [Hervorhebung C.-E. B.]
644
Ebd., S. 314.
306 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

sönlich gedachten G o t t e s gemäß der abendländisch-monotheistischen Tradi-


tion. Wird die „Rassenfrage" gegen den Willen - das M o m e n t des Willens
impliziert die Auffassung von G o t t als Person — des Schöpfers gelöst, dann
ist der Untergang also die Strafe für die Auflehnung gegen die Naturgesetze
und den Willen G o t t e s zugleich. Unter diesem Aspekt der Verknüpfung der
Rassenfrage mit G o t t ist auch Hitlers P r o g r a m m der Rassenhygiene und der
H ö h e r z ü c h t u n g zu bewerten. Die Reinhaltung des Blutes ist für Hitler die
Voraussetzung dafür, daß das deutsche Volk zu der „ihm vom Schöpfer des
Universums zugewiesenen Mission heranzureifen vermag". 6 4 5 D e r religiöse
Gehalt der völkischen Weltanschauung Hitlers ist deshalb von Gewicht, weil
Hitler den T o p o s v o m Ebenbild G o t t e s in das Programm der Eugenik ein-
führt und die machtpolitische Mission des deutschen Volkes kausal auf G o t t
zurückführt. Die N o r m der „Reinheit" des Blutes und der „Rassereinheit"
spiegelt verstärkt eine zu realisierende „Notwendigkeit" wider, weil Hitler
davon ausgeht, daß „diese Welt dereinst n o c h schwersten Kämpfen um das
Dasein der Menschheit ausgesetzt sein wird". 6 4 6 Eine weitere, das Konflikt-
bewußtsein verschärfende A n n a h m e besteht, wie schon erwähnt, darin, daß
Hitler davon ausgeht, die Rassereinheit sei im deutschen Volk n o c h nicht ak-
tualisiert. Zweck und Ziel von Rassenhygiene und Eugenik lassen sich an den
v o n Hitler dargestellten „Folgen unserer rassischen Zerrissenheit" 6 4 ^ sehr gut
festmachen:

Unser deutsches Volkstum beruht leider nicht mehr auf einem einheitlichen rassi-
schen Kern. Der Prozeß der Verschmelzung der verschiedenen Urbestandteile ist
auch noch nicht so weit fortgeschritten, daß man von einer dadurch neugebildeten
Rasse sprechen könnte [...] Nicht nur gebietsmäßig sind die rassischen Grundele-
mente verschieden gelagert, sondern auch im einzelnen, innerhalb des gleichen Ge-
bietes. 648

Darauf b e r u h e der „Überindividualismus" im deutschen Volk, welcher in


friedlichen Zeitläufen zwar „manchmal gute D i e n s t e " geleistet habe, „alles in
allem g e n o m m e n aber hat er uns um die Weltherrschaft gebracht".
Wichtiger als die Feststellung der „Zerrissenheit" ist die Schlußfolgerung,
die Hitler aus der noch unvermischt v o r h a n d e n e n Existenz der „Urbestand-
teile" zieht. Diese implizieren eine Ursprungsspekulation der im deutschen
Volk potentiell v o r h a n d e n e n U r s p r u n g s m a c h t . Zwar bedauert Hitler die
„Tatsache des N i c h t v o r h a n d e n s e i n s eines blutmäßig einheitlichen Volks-
t u m s " 6 4 9 , er ist aber der Überzeugung, daß das „Unterbleiben restloser Ver-
m i s c h u n g " ein „Segen" gewesen sei, indem „auch heute n o c h in unserem
deutschen Volkskörper große unvermischt gebliebene Bestände an nordisch-

545
Ebd., S. 234.
646
Ebd., S. 148.
647
Ebd., S. 437.
648
Ebd., S. 436 f.
649
Ebd., S. 438.
Volk und Rasse 307

germanischen Menschen" 6 5 0 v o r h a n d e n seien. W e n n Hitler annimmt, nur bei


einer „restlosen Vermengung unserer rassischen U r e l e m e n t e " gingen die Ei-
genschaften der „Urelemente" wie „sie der H ö c h s t s t e h e n d e der Urbestandtei-
le ursprünglich besaß" 6 5 1 verloren, geht er von einer die „Weltherrschaft" be-
g r ü n d e n d e n ursprünglichen P o t e n z — der Spekulation der U r s p r u n g s m a c h t als
M a c h t des Ursprungs, der „ U r e l e m e n t e " respektive der „Urbestandteile" —
aus. Hätte mithin „unser deutsches V o l k s t u m " einen „einheitlich rassischen
K e r n " und wäre die „Rassereinheit" „voll entwickelt", „ d a n n w ü r d e das
D e u t s c h e Reich wohl Herrin des Erdballs sein" 6 5 , und die substantiellen Be-
dingungen „eines die Welt in den D i e n s t einer h ö h e r e n Kultur n e h m e n d e n
Herrenvolkes" 6 5 3 wären erfüllt. Die Wirkkraft der ursprünglichen Urelemente
b e r u h t nach Hitler aber nicht auf der Selektion im K a m p f um das Dasein, also
einer biologisch bedingten Entwicklung, sondern auf der Kontinuität eines
v o n Anfang an vorhandenen Urelementes, welches d e m deutschen Volk v o n
G o t t geschenkt wurde. Für Hitler konzentriert sich die G ü t e G o t t e s auf das
Blut der Arier und ausschließlich auf ihre rassisch „ h ö c h s t s t e h e n d e n " Urele-
m e n t e oder Urbestandteile. Hitler verliert sich mit seinen Ausführungen über
die ursprüngliche Potenz der Urelemente auch nicht im zweck-, handlungs-
und politikfreien Raum. Aus der „ g e w o n n e n e n E r k e n n t n i s " , so fordert er an-
schließend, folge, daß der „Staat z u m ersten Mal ein inneres, hohes Ziel"
habe. Diese Aufgabe wird mit d e m G e s c h e n k G o t t e s gerechtfertigt. Die
„wahrhaft h o h e Mission des Staates" bestehe nämlich in „der Erhaltung und
F ö r d e r u n g eines durch die G ü t e des Allmächtigen dieser E r d e geschenkten
höchsten Menschentums". E r habe die „Aufgabe, aus diesem Volke die wert-
vollsten Bestände an rassischen Urelementen nicht n u r zu sammeln und zu
erhalten, sondern langsam und sicher zur beherrschenden Stellung e m p o r z u -
führen". 6 5 4
Die Spezialbeziehung der D e u t s c h e n zu der prima causa G o t t artikuliert
Hitler auch mit dem T o p o s „Ebenbild des H e r r n " . Deshalb erfüllen sie die
nur ihnen mögliche Aufgabe der „ K u l t u r b e g r ü n d u n g " oder „Kultur-
schöpfung", und deshalb haben sie die Pflicht der Bewahrung des „besten
Menschentums"; das sei Aufgabe des „völkischen Staates" als „Wahrer einer
tausendjährigen Zukunft". Die „ H ö h e r z ü c h t u n g " 6 5 5 als Inhalt der „völki-
schen Weltanschauung" 6 5 6 hat nach Hitler letztlich und hauptsächlich den
Zweck, „Ebenbilder des Herrn zu zeugen". 6 5 7

650
Ebd.
651
Ebd.
652
Ebd., S. 437 f.
653
Ebd., S. 438.
654
Ebd., S. 439.
655
Ebd., S. 447.
656
Ebd., S. 449.
657
Ebd., S. 445.
308 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Die Überlegenheit des „Ariers" beruht eben darauf, daß die vorhandenen
Urelemente und ursprünglichen Bestandteile in der Überzeugung Hitlers das
Prädikat „Ebenbild des H e r r n " haben. Gegen die Auffassung, Hitler habe im
Z u s a m m e n h a n g mit den Aufgaben der Rassenhygiene die Begriffe „Kultur-
begründer" und „Kulturschöpfer" nur nebenbei erwähnt und genauso neben-
bei den Zweck der E h e , „Ebenbilder des Herrn zu zeugen", spricht nicht n u r
die allgemein vorgenommene Verknüpfung zwischen Natur und göttlichem
Willen, sondern auch, daß dem T o p o s „Ebenbild des H e r r n " mehrere Bedeu-
tungsebenen zukommen. Eine markante, fast die gesamte „völkische Weltan-
schauung" Hitlers zusammenfassende Stelle, in der ein Zusammenhang zwi-
schen Kultur, Gott, Natur und dem Herrenvolk hergestellt wird, lautet:

Menschliche Kultur und Zivilisation sind auf diesem Erdteil unzertrennlich gebun-
den an das Vorhandensein des Ariers. Sein Aussterben oder Untergehen wird auf
diesen Erdball wieder die dunklen Schleier einer kulturlosen Zeit senken.
Das Untergraben des Bestandes der menschlichen Kultur durch Vernichtung ihres
Trägers aber erscheint in den Augen einer völkischen Weltanschauung als das
fluchwürdigste Verbrechen. Wer die Hand an das höchste Ebenbild des Herrn zu
legen wagt, frevelt am gütigen Schöpfer dieses Wunders und hilft mit an der Ver-
treibung aus dem Paradies. Damit entspricht die völkische Weltanschauung dem
innersten Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wiederherstellt, das
zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muß [...].
Wir alle ahnen, daß in ferner Zukunft Probleme an den Menschen herantreten kön-
nen, zu deren Bewältigung nur eine höchste Rasse als Herrenvolk, gestützt auf die
Mittel und Möglichkeiten eines ganzen Erdballs, berufen sein wird.658

Nochmals hervorzuheben ist also, daß G o t t die Arier geschaffen hat und die
Arier wiederum die gesamte menschliche Kultur geschaffen haben und daß
für Hitler die Arier die Vollstrecker des Göttlichen auf E r d e n sind. N i c h t
übersehen werden sollte aber auch eine fundamentale Furcht Hitlers; die
Furcht vor dem Dunklen, die Furcht vor dem „dunklen Schleier", der sich
über den „gesamten Erdball" senken könne. Gegen das Argument, die Divi-
nisierung des Ariers sei eine vollkommene Säkularisierung des traditionellen
Gottesverständnisses und damit nicht mehr traditionell religiös, spricht auch
Hitlers Glaube, der „Schöpfer des Universums" habe dem deutschen Volk
eine „Mission" zugewiesen. Die Sonderbeziehung des deutschen Volkes zu
G o t t und seine Auserwähltheit hat bei Hitler in der Gestalt der Rasse einen
spezifischen Gehalt. Hitler ist von einer auf das Subjekt des deutschen Vol-
kes zentrierten Kausalbeziehung zum „Schöpfer des Universums" besessen.
Das ist der wesentliche Grund für Hitlers Wahn, das deutsche Volk k ö n n e die
ganze Welt beherrschen und es sei auch in der Lage, die ihm vom Schöpfer
zugewiesene Mission zu erfüllen:

Für was wir ^u kämpfen haben, ist die Sicherung des Bestehens und der Vermehrung unserer
}\asse und unseres Volkes, die Ernährung seiner Kinder und Reinhaltung des Blutes, die Frei-

Ebd., S. 421 f. [Hervorhebung C.-E. B.]


Volk und Rasse 309

heit und Unabhängigkeit des Vaterlandes, auf daß unser Volk %ur Erfüllung der auch ihm vom
Schöpfer unseres Universums zugewiesenen Mission heranzureifen vermag.
Nicht zu vergessen ist weiterhin, daß im Hinblick auf die Kohärenz und Iden-
tität von Gesellschaft Hitler ganz selbstverständlich vom „geschlossenen
Volkskörper" spricht und daß für die Kontinuität der Überlegenheit und der
Zusammengehörigkeit der Deutschen in der Überzeugung Hitlers die Kon-
stanz der göttlichen Urelemente die zentrale Annahme darstellt. Der K a m p f
ums Dasein ist ein Kampf um Sein oder Nichtsein der Menschheit. Die Dif-
ferenz zwischen dem deutschen Volk und anderen Völkern, zwischen der
Rasse des deutschen Volkes und anderen Rassen ist eine Differenz, die an-
hand der Kriterien G o t t und Natur postuliert wird.
D e r Glaube, daß der „Arier" das „höchste Ebenbild des H e r r n " sei, ist
auch in Hitlers Einteilung der Menschheit in drei Arten enthalten:
Würde man die Menschheit in drei Arten einteilen: in Kulturbegründer, Kulturträ-
ger und Kulturzerstörer, dann käme als Vertreter der ersten wohl nur der Arier in
Frage. Von ihm stammen die Fundamente und Mauern aller menschlichen Schöp-
fungen.660

Die spezifizierende Bestimmung des Ariers in diesem Kontext begründet Hit-


ler nicht evolutionsbiologisch, sondern mit Prädikaten, die im „Rückschluß"
zu erkennen seien:
Was wir heute an menschlicher Kultur, an Ergebnissen von Kunst, Wissenschaft
und Technik vor uns sehen, ist nahezu ausschließlich schöpferisches Produkt des
Ariers. Gerade diese Tatsache aber läßt den nicht unbegründeten Rückschluß zu,
daß er allein der Begründer höheren Menschentums überhaupt war, mithin den
Urtyp dessen darstellt, was wir unter dem Worte ,Mensch' verstehen. Er ist der
Prometheus der Menschheit, aus dessen lichter Stirne der göttliche Funke des
Genies zu allen Zeiten hervorsprang, immer von neuem jenes Feuer entzündend,
das als Erkenntnis die Nacht der schweigenden Geheimnisse aufhellte, und den
Menschen so den Weg zum Beherrscher der anderen Wesen dieser Erde emporstei-
gen ließ. Man schalte ihn aus - und tiefe Dunkelheit wird vielleicht schon nach
wenigen Jahrtausenden sich abermals auf die Erde senken, die menschliche Kultur
würde vergehen und die Welt veröden. 661

Mit d e m Arier als „Kulturbegründer" sind also folgende Merkmale verbun-


den:

1. „Begründer dessen, was wir mit dem Worte Menschheit alles umfassen"
2. „ U r t y p " dessen, „was wir unter dem Wort ,Mensch' verstehen"
3. allein der „Begründer höheren Menschentums überhaupt"
4. „Prometheus der Menschheit"
5. der „göttliche Funke des Genies".

659
Ebd., S. 234 [Hervorhebung im Original]
660
Ebd., S. 318.
661
Ebd., S. 317 f.
310 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Diese B e s t i m m u n g des Ariers impliziert, daß die Kulturzerstörer, worauf


noch z u r ü c k z u k o m m e n ist, keine Menschen sind. Hitler gibt eine Begründung
dafür, warum der Arier der Urtyp des Menschen ist. D e n n das rassische Ur-
element enthält den „göttlichen Funken des Genies", ist mithin göttlich. D e r
göttliche Funke entspricht der D o k t r i n Rosenbergs v o m göttlichen Seelen-
fünklein als Wesensmerkmal der nordischen Seele. Das Göttliche existiert
somit auch nach Hitler im Urtyp Mensch, das heißt nur im Arier. Hitler stellt
nicht nur einen Z u s a m m e n h a n g zwischen den pneumatisch-religiösen Be-
stimmungen des Ariers und seinen kulturbegründenden Fähigkeiten her, son-
dern auch der Idealismus des Ariers wird mit der kulturbegründenden Potenz
in V e r b i n d u n g gebracht. Hitler stellt fest, daß der Idealismus

in Wahrheit die Voraussetzung zu dem war, ist und sein wird, was wir mit mensch-
licher Kultur bezeichnen, ja daß er allein erst den Begriff .Mensch' geschaffen hat.
Dieser inneren Gesinnung verdankt der Arier seine Stellung auf dieser Welt, und
ihr verdankt die Welt den Menschen; denn sie allein hat aus dem reinen Geist die
schöpferische Kraft geformt, die in einzigartiger Vermählung von roher Faust und
genialem Intellekt die Denkmäler der menschlichen Kultur erschuf. Ohne seine
ideale Gesinnung wären alle, auch die blendendsten Fähigkeiten des Geistes nur
Geist an sich, äußerer Schein ohne inneren Wert, jedoch niemals schöpferische
Kraft. 662

Hitler hat eine einfache, aber folgenreiche Vorstellung von Idealismus. D e r


Idealismus wird bestimm t als die Negation v o n „Egoismus und Eigennutz";
er wird positiv als die Fähigkeit zum O p f e r n qualifiziert:
Was aber für die Arbeit als Grundlage menschlicher Ernährung und alles mensch-
lichen Fortschritts gilt, trifft in noch höherem Maße zu für den Schutz des Men-
schen und seiner Kultur. In der Hingabe des eigenen Lebens für die Existenz der
Gemeinschaft liegt die Krönung alles Opfersinnes. Nur dadurch wird verhindert,
daß, was Menschenhände bauten, Menschenhände wieder stürzen oder die Natur
vernichtet. Gerade unsere deutsche Sprache besitzt ein Wort, das in herrlicher
Weise das Handeln nach diesem Sinne bezeichnet: Pflichterfüllung; das heißt, nicht
sich selbst genügen, sondern der Allgemeinheit dienen. Die grundsätzliche Gesin-
nung, aus der ein solches Handeln erwächst, nennen wir - zum Unterschied vom
Egoismus, vom Eigennutz — Idealismus. Wir verstehen darunter nur die
fähigkeit des einzelnen für die Gesamtheit, für seine Mitmenschend

Hitler b e a n t w o r t e t „die Frage nach der inneren Ursache der überragenden


B e d e u t u n g des A r i e r t u m s " also auch unter d e m Kriterium des „ O p f e r s i n n e s "
bzw. aufgrund der damit z u s a m m e n h ä n g e n d e n Begrenzung des „Selbsterhal-
tungstriebes" des einzelnen:
Dieser Aufopferungswille zum Einsatz der persönlichen Arbeit, und wenn nötig,
des eigenen Lebens für andere ist am stärksten beim Arier ausgebildet. Der Arier
ist nicht in seinen geistigen Eigenschaften an sich am größten, sondern im Ausma-

662
Ebd., S. 327.
663
Ebd. [Hervorhebung C.-E. B.]
Volk und Rasse 311

ße der Bereitwilligkeit, alle Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.


Der Selbsterhaltungstrieb hat bei ihm die edelste Form erreicht, indem er das eige-
ne Ich dem Leben der Gesamtheit willig unterordnet und, wenn die Stunde es for-
dert, auch zum Opfer bringt. Nicht in den intellektuellen Gaben liegt die Ursache
der kulturbildenden und aufbauenden Fähigkeit des Ariers. Hätte er nur diese al-
lein, würde er damit immer nur zerstörend wirken können. 664

D a s Selbstopfer — ein religiöses Verhalten — hängt natürlich mit einer typisch


religiösen Existenzinterpretation z u s a m m e n und wird dadurch erleichtert:
Man kann sich aber eine Religion nach arischer Auffassung nicht vorstellen, der die
Überzeugung des Fortlebens nach dem Tode in irgendeiner Form mangelt. 665
So wird im biologisch-darwinistischen Rassismus nicht argumentiert. D e r
Rassismus Hitlers ist ein biokulturell-religiöser Rassismus. Die Überlegenheit
der durch gemeinsame Erbanlagen b e s t i m m t e n Gesellschaft des deutschen
Volkes gegenüber anderen Rassen wird religiös begründet. Dieser Gegensatz
ist wahrhaft gewaltig, weil N a t u r und G o t t die B e s t i m m u n g der rassisch-völ-
kischen Identität ausmachen. Die T r a n s z e n d e n z leuchtet beim Arier nicht nur
im reinen Glauben auf, sondern ist ihm seinsmäßig und ursprünglich-stofflich
immanent. Hitler n i m m t die Bedeutung G o t t e s für die Welt so ernst, daß man
die Existenz der göttlichen Urelemente im Blut des „Ariers" als K o n z e n d e n z
- das heißt als Zusammenfall von I m m a n e n z und T r a n s z e n d e n z - bezeich-
nen könnte. Im ,Lichte' des Ariers als „Lichtbringer" 6 6 6 ist das Verhältnis des
„Ariers" zu G o t t zu sehen. Die toten, lebenden und k o m m e n d e n Mitglieder
der Gemeinschaft der Arier n e h m e n an einem Urelement göttlicher N a t u r
teil. D e m Kollektiv des „Ariers" k o m m t so identische Teilnahme an einer
identischen Substanz in identischer Kontinuität zu.
Man könnte gegen diese Interpretation einwenden, das habe Hitler in
Landsberg bei dem Diktat v o n „Mein K a m p f aus opportunistisch-taktischen
Zwecken aus sich herausfließen lassen. Abgesehen davon, daß dieser Ein-
wand begründet werden m u ß , ist zu fragen, wen Hitler damit benutzen wollte
und woher man weiß, daß Hitler wußte, daß diese Argumentation strategisch
erfolgreich sein würde. Mit der Behauptung, Hitler habe in „Mein K a m p f
nur strategisch argumentiert, spricht man Hitler im nachhinein prophetisches
Genie zu und wird selbst zum Opfer der völkischen Mystifikation Hitlers. Es
ist eine Quelle vorhanden, die von Hitler 1920 nicht für die Veröffentlichung
bestimmt war und während seines Lebens nie veröffentlicht wurde. In dieser
Quelle, dem bereits zitierten E n t w u r f für eine „ m o n u m e n t a l e Geschichte der
Menschheit", erhalten die Arier das Prädikat „Gotteskinder". Dieser E n t w u r f
kann zur Erläuterung von „Mein K a m p f deshalb herangezogen werden, weil
die Konzeption des Kapitels „Volk und Rasse" der Struktur und dem Inhalt

664
Ebd., S. 325 f.
665
Ebd., S. 336.
666
Ebd., S. 320.
312 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

nach dem Entwurf für die „monumentale Geschichte der M e n s c h h e i t " ent-
spricht. Das gilt auch für die in diesem Entwurf und in „Mein K a m p f n o -
tierten Überzeugungen über die „ N a t u r " und den „Kampf um das Dasein".
Schon in diesem Entwurf hatte Hitler, wie bereits zitiert und belegt, notiert,
„der Sieg des Stärkeren" habe auch die „Rechte auf den Sieg" zur Folge; die
„Natur ist niemals grausam", und der „geniale, die Natur erkennende
Mensch" mache diese „Grundlage" zur Voraussetzung seiner Urteile. Dieser
Entwurf beginnt mit der Reihung „ 1 . Bibel" - „2. D e r Arier" - „3. Sein Wir-
ken" — „4. Der J u d e " - „5. Sein Werk". Hitler führt anschließend auch hier
zwei „Gesichtspunkte" an, nämlich „Idealismus - Materialismus". Nach der
Behauptung „nichts ohne Ursache — Geschichte machen M e n s c h e n " folgt die
Notation „Menschenarten". Die Einteilung der zwei Menschenarten erfolgt
nunmehr nach dem Schema:

Schaffende und Drohnen - Erbauer u. Zerstörer — Gotteskinder und Menschen.661

Mit der Differenz zwischen göttlich (arische Rasse) und nichtgöttlich (nicht-
arische Rassen) ist der Rassismus Hitlers nicht erschöpfend beschrieben. Die
Differenz zwischen Ariern und Nichtariern könnte lediglich darin bestehen,
daß den Nichtariern keine göttliche Potentialität zukommt und darüber hin-
aus keine weiteren Bestimmungen negativer Art maßgebend seien. Die Nega-
tion der Gleichheit aller Menschen vor G o t t kann mehr oder weniger schwe-
re Verstöße gegen die Menschenrechte zur Folge haben, sie m u ß aber nicht
unbedingt zu einer fundamentalen Feindschaft führen. Z u m Rassismus Hit-
lers gehört auch der Antisemitismus, und es ist daher zu untersuchen, o b die-
ser eine fundamentale Erweiterung des Unterschieds göttlich/nichtgöttlich
enthält.

dd. „Der J u d e " als „Personifikation des Teufels"


und „Widersacher jedes Menschentums"

Nach Adolf Hitler ist „der J u d e " „Kulturzerstörer" 6 6 8 , während der Arier
„Kulturbegründer" 6 6 9 ist. Mithin erfolgt diese Charakterisierung des J u d e n
nicht losgelöst von den angeblichen Qualitäten des Ariers. Es ist hervorzuhe-
ben, daß die Negation des Juden durch die Bestimmung des Verhältnisses
zwischen Arier und Jude vorgenommen wird - und dieses Verhältnis ist nach
Adolf Hitler sowohl antagonistischer als auch fundamentaler Natur:

Den gewaltigsten Gegensatz %.um Arier bildet der Jude.610

Werner Maser, Hitlers Briefe und Notizen, Düsseldorf 1973, S. 293 [Hervorhebung C.-E
B.].
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 317.
Ebd., S. 317.
Ebd., S. 329 [Hervorhebung C.-E. B.].
Volk und Rasse 313

W o r a u s der Superlativ „gewaltigst" resultiert, soll nicht sofort benannt, son-


d e r n Schritt für Schritt ermittelt werden. Zunächst ist von Interesse, was Hit-
ler unmittelbar nach der Festlegung des fundamentalen Antagonismus aus-
führt:
Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude. Bei kaum einem Volke der
Welt ist der Selbsterhaltungstrieb stärker entwickelt als beim sogenannten auser-
wählten. Als bester Beweis hierfür darf die einfache Tatsache des Bestehens dieser
Rasse allein schon gelten. Wo ist das Volk, das in den letzten zweitausend Jahren
so wenigen Veränderungen der inneren Veranlagung, des Charakters usw. ausge-
setzt gewesen wäre als das jüdische? Welches Volk endlich hat größere Umwälzun-
gen mitgemacht als dieses - und ist dennoch immer als dasselbe aus den gewaltig-
sten Katastrophen der Menschheit hervorgegangen? Welch ein unendlich zäher
Wille zum Leben, zur Erhaltung der Art spricht aus diesen Tatsachen!671

Hitler konkretisiert den Gegensatz also dahingehend, daß er dem jüdischen


Volk einen von Anfang an vorhandenen, identisch gebliebenen und äußerst
starken Selbsterhaltungstrieb unterstellt. Wäre Hitler Sozialdarwinist, dann
m ü ß t e er den erfolgreichen „Willen zum Leben" und die in der langen Ge-
schichte gelungene „Erhaltung der Art" des jüdischen Volkes loben oder zu-
mindest gleichgültig hinnehmen. Während der Arier „das eigene Leben der
Gesamtheit willig unterordnet" und „zum Opfer bringt" 6 7 2 , seinen Selbster-
haltungstrieb also überwindet, indem er sich „opfert", gilt für den Juden:

Der Aufopferungswille im jüdischen Volk geht über den nackten Selbsterhaltungs-


trieb des einzelnen nicht hinaus. 673
Das Opfer als Kriterium zur Spezifizierung des Unterschieds zwischen Arier
und J u d e kann, m u ß aber nicht einen religiösen Gehalt haben. D a ß Hitler in
dem hier zitierten Kontext den Juden abspricht, das auserwählte Volk zu sein,
verweist darauf, daß der Unterschied zwischen Arier und Jude die Sphäre der
Religion betrifft. Für den religiösen Gehalt der Begriffe „Opfer" und „Auf-
opferungswille" (sacrificium farcere) spricht im Rahmen der antagonistischen
Wesensbestimmung von Arier und Jude, daß wie bereits dargelegt, die Natur
des Ariers göttlich sei. Bewiesen wird der religiöse Gehalt des „Opferns" da-
durch, daß für Hitler Religion ein wesentliches Kriterium für die Differenz
zwischen Jude und Arier ist:

671
Ebd., S. 329.
672
Ebd., S. 326.
673
Ebd., S. 330; Zur Bedeutung des Opfers vgl. Gunnar Heinsohn, Die Erschaffung der Göt-
ter. Das Opfer als Ursprung der Religion, Reinbek 1997; ders., Kollektive Verdrängung
und die zwanghafte Wiederkehr des Menschenopfers, Basel 1984; Robert Spaemann, Be-
merkungen zum Opferbegriff, in: Zur Theorie des Opferns, hrsg. von Richard Schenk,
Stuttgart-Bad Cannstatt 1995; C . E . Barsch, Erlösung und Vernichtung. Dr. phil. Joseph
Goebbels. Zur Psyche und Ideologie eines jungen Nationalsozialisten 1923—1927, Mün-
chen 1987, S. 251 ff.; vgl. in diesem Buch Kap. C.II.3.
314 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Das Judentum war immer ein Volk mit bestimmten rassischen Eigenarten und nie-
mals eine Religion, nur sein Fortkommen ließ es schon frühzeitig nach einem Mit-
tel suchen, das die unangenehme Aufmerksamkeit in bezug auf seine Angehörigen
zu zerstreuen vermochte. Welches Mittel aber wäre zweckmäßiger und zugleich
harmloser gewesen als die Einschiebung des geborgten Begriffs der Religionsge-
meinschaft. Denn auch hier ist alles entlehnt, besser gestohlen - aus dem ursprüng-
lichen eigenen Wesen kann der Jude eine religiöse Einrichtung schon deshalb nicht
besitzen, da ihm der Idealismus in jeder Form fehlt und damit auch der Glaube an
ein Jenseits vollkommen fremd ist. 674

Somit entspricht nicht nur die negative F r e m d b e s t i m m u n g der J u d e n , nämlich


keine Religion zu haben, der positiven Selbstbestimmung der Arier, nämlich
Religion zu haben, sondern T r a n s z e n d e n z ist für Hitler ein wesentliches Kri-
terium für Religion. Die arische Auffassung von Religion bedeutet im Sinne
Hitlers an das Jenseits zu glauben. Mit der Behauptung, die J u d e n hätten kei-
ne Religion und glaubten nicht an das Jenseits, werden alle J u d e n religiös ex-
propriiert. So fährt Hitler fort:

Man kann sich aber eine Religion nach arischer Auffassung nicht vorstellen, der die
Überzeugung des Fortlebens nach dem Tode in irgendeiner Form mangelt. Tat-
sächlich ist auch der Talmud kein Buch zur Vorbereitung für das Jenseits, sondern
nur für ein praktisches und erträgliches Leben im Diesseits. 675
Die J u d e n sind damit ihrem „ursprünglichen W e s e n " nach ausschließlich dem
Diesseits verhaftet. Im Gegensatz dazu gehört der Glaube an das Jenseits
zum Wesen des Ariers. D e r diametrale Gegensatz zwischen d e m Wesen des
Ariers und dem Wesen des J u d e n hängt also von Hitlers Kriterium für Reli-
gion, dem Glauben an das Jenseits ab. Daraus folgt weiterhin, daß der Glaube
an das Jenseits nicht n u r maßgebend für Hitlers Antisemitismus, sondern
auch ein wesentliches Merkmal seiner Auffassung v o n Religion ist. Mehrere
Überlagerungen und Verschränkungen christlicher Motive und Glaubensin-
halte sind in diesem Text enthalten.
Erstens: der Glaube, daß die Gemeinschaft der Christen durch den Opfer-
tod Christi, bzw. sein Selbstopfer, erlöst wird und daß das Heil G o t t e s von
den J u d e n auf die Gemeinschaft der Christen übergegangen sei.
Zweitens: der Glaub e an die Einheit aller toten, lebenden und noch nicht ge-
b o r e n e n Christen.
Drittens: der Glaube, es gäbe das Böse und das Böse habe eine Inkarnation
bzw. Personifikation.
Diese drei K o m p l e x e sind allgemein anerkannte Glaubensgrundsätze der
meisten Christen, während die in dem zitierten Text erkennbare Anspielung,
die J u d e n seien das G o t t e s m ö r d e r v o l k , eine christlich-antijudaistische E n t -
gleisung ist. Es darf hier nicht verschwiegen werden, daß der christliche Anti-
judaismus durchaus aus dem N e u e n T e s t a m e n t abgeleitet werden kann. In der

Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 335 f.


Ebd., S. 336.
Volk und Rasse 315

für die E n t s t e h u n g des Ideologems „Drittes Reich" einflußreichen Offenba-


r u n g des J o h a n n e s ist die jüdische Religionsgemeinschaft die „Schule des Sa-
t a n s " . 6 7 6 In dem nicht nur von Rosenberg, sondern auch v o n Fichte und
Schelling geschätzten Evangelium des J o h a n n e s sagt Christus zu den Juden:
Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt Ihr tun. Der
ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahr-
heit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen; denn
er ist ein Lügner und ein Vater derselben. [...] Wer von Gott ist, der hört Gottes
Worte; darum höret ihr nicht, denn ihr seid nicht von Gott. 6 " 7
D i e fast zweitausend J a h r e w ä h r e n d e Tradition des christlichen Antijudais-
m u s ist nicht das T h e m a dieser U n t e r s u c h u n g . Mir k o m m t es auf die Inter-
pretation der Behauptung Hitlers an, der J u d e sei „Widersacher jeden Men-
schentums". G e m ä ß dem hier zitierten K o n t e x t ist der J u d e auch „Widersa-
c h e r " aller Christen, mithin Widerchrist bzw. Antichrist. D e r Antichrist wie-
derum ist gemäß dem N e u e n T e s t a m e n t 6 7 8 der v o m Satan geschickte gewalti-
ge Verhinderer der E r l ö s u n g aller Christen. W e n n Hitler den J u d e n als „Wi-
dersacher jeden M e n s c h e n t u m s " damonisiert, dann wird damit behauptet, er
sei der Antichrist, und das impliziert, er habe eine satanische Beschaffenheit.
„Bildet der J u d e " den „gewaltigsten G e g e n s a t z " z u m Arier und ist der Arier
„Ebenbild G o t t e s " , d a n n ist „der J u d e " das Ebenbild des Satans. Sogar ex-
pressis verbis hat Hitler seinen G l a u b e n , „der J u d e " sei satanischer N a t u r , in
„Mein K a m p f ausgedrückt. Er bezeichnet „den J u d e n " — womit er alle Men-
schen jüdischer A b s t a m m u n g meint — als: „Gottesgeißel" 6 7 9 , „Personifikation
des Teufels als Sinnbild alles Bösen" 6 8 0 , „Urbild der Kraft, die stets das Böse
will" 681 , „wahre Teufel". 6 8 2 E s ist v o n prinzipieller Bedeutung, daß das Böse
auch ein Symbol der Z e r s t ö r u n g ist bzw. daß das Zerstörerische ein Merkmal
des Bösen ist und die Eigenschaft „zerstörerisch" von Hitler sehr oft zur
Charakterisierung der J u d e n verwendet wird. W e n n z. B. wie schon öfter zi-
tiert, „der J u d e " im Gegensatz zum Arier, dem „Kulturbegründer", der „Kul-
turzerstörer" ist, dann ist er nicht „ Z e r s t ö r e r " im profanen, sondern im reli-
giös-fundamentalen Sinn. Zwischen dem J u d e n , dem Ebenbild des Satans,
und dem Arier, dem „Ebenbild des H e r r n " , besteht mithin für Hitler die fun-
damentalste Feindschaft. Weil Hitler an diese fundamentalste Feindschaft
glaubt, stellt er folgenden K a u s a l z u s a m m e n h a n g her:

676
Offb. 2,9; 3,9.
677
Evangelium des Johannes, 8, 44; 8, 47.
678
Vgl. 1. Brief des Johannes 2,18; 4,3; 2. Brief des Johannes 7.
679
Adolf Hider., Mein Kampf, S. 339.
680
Ebd., S. 355.
681
Ebd., S. 332.
682
Ebd., S. 68.
316 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

Menschliche Kultur und Zivilisation sind auf diesem Erdteil unzertrennlich gebun-
den an das Vorhandensein des Ariers. Sein Aussterben oder Untergehen wird auf
diesen Erdball wieder die dunklen Schleier einer kulturlosen Zeit senken. 683

Ein Angriff auf den Arier, das „höchste Ebenbild des Herrn", ist für Hitler
nicht nur ein Frevel „am gütigen Schöpfer dieses Wunders" 6 8 4 , sondern auch
ein Angriff auf das Leben aller Arier, der vom „Widersacher jeden Menschen-
t u m s " ausgeht und wegen der Macht des Satans für den J u d e n auch erfolg-
reich sein kann. „ D e r J u d e " — und Hitler meint damit, um es nochmals zu
b e t o n e n , jeden einzelnen J u d e n — ist also als „Kulturzerstörer" auch potenti-
eller M ö r d e r aller Arier und als „Widersacher jeden M e n s c h e n t u m s " der
Feind der gesamten Menschheit. U m sein Ziel der Zerstörung zu erreichen,
bediene sich der J u d e aller möglichen Mittel, z. B. der Lüge und der Verleum-
dung:

Das Mittel aber, mit dem er so vermessene, aber aufrechte Seelen zu brechen ver-
sucht, heißt nicht ehrlicher Kampf, sondern Lüge und Verleumdung. Hier schreckt
er vor gar nichts zurück und wird in seiner Gemeinheit so riesengroß, daß sich nie-
mand zu wundern braucht, wenn in unserem Volke die Personifikation des Teufels
als Sinnbild alles Bösen die leibhaftige Gestalt des Juden annimmt.

Für Hitler ist auch das E n g a g e m e n t der Juden in der sozialen Frage nur ein
Mittel, um Absichten durchzusetzen, die teuflisch sind. Im Kapitel „Volk und
Rasse" und im K o n t e x t mit der oben zitierten „Personifikation des Teufels"
stellt Hitler im Hinblick auf die Taktik des Judentums 6 8 6 in der sozialen Frage
folgende Kausalbeziehung her:
Denn unter diesem Mantel rein sozialer Gedanken liegen wahrhaft teuflische
ten verborgen, ja, sie werden mit frechster Deutlichkeit auch wohl in voller Öffent-
lichkeit vorgetragen. Diese Lehre stellt ein unzertrennliches Gemisch von Vernunft
und menschlichem Aberwitz dar, aber immer so, daß nur der Wahnsinn zur Wirk-
lichkeit zu werden vermag, niemals die Vernunft. Durch die kategorische Ableh-
nung der Persönlichkeit und damit der Nation und ihres rassischen Inhalts zerstört
sie die elementaren Grundlagen der gesamten menschlichen Kultur, die gerade von
diesem Faktor abhängig ist. Dieses ist der wahre innere Kern der marxistischen
Weltanschauung, soferne man diese Ausgeburt eines verbrecherischen Gehirnes als
,Weltanschauung' bezeichnen darf.687

Die Überzeugung, hinter dem J u d e n stehe der Teufel, wird v o n Hitler an ei-
ner anderen Stelle ausführlicher dargelegt. Hitler beurteilt im biographischen
Rückblick sein „Studium der Grundlagen des Marxismus" und fragt im Zu-

Ebd., S. 421; vgl. ebd., S. 317 f.: „Man schalte ihn [den Arier, C.-E. B.] aus, und tiefe Dun-
kelheit wird vielleicht schon nach wenigen Jahrtausenden sich abermals auf die Erde sen-
ken, die menschliche Kultur würde vergehen und die Welt veröden."
684 Ebd., S. 421.
685 Ebd., S. 355.
686 Vgl. ebd.
687 Ebd., S. 351 [Hervorhebung C.-E. B.].
Volk und Rasse 317

s a m m e n h a n g mit der Judenfrage danach, wer der eigentliche U r h e b e r des


Marxismus gewesen sei. Dabei habe sich ihm folgende Alternative gestellt:
Die Frage war nur noch, ob den Begründern das Ergebnis ihrer Schöpfung schon
in seiner letzten Form gesehen, vorschwebte, oder ob sie selber das Opfer eines
Irrtums wurden. 688
Hitler verneint die zweite Alternative. Nach seiner Schlußfolgerung
mußten die einstigen Urheber dieser Völkerkrankheit wahre Teufel gewesen sein;
denn nur in dem Gehirne eines Ungeheuers - nicht eines Menschen — konnte dann
der Plan zu einer Organisation sinnvolle Gestalt annehmen, deren Tätigkeit als
Schlußergebnis zum Zusammenbruch der menschlichen Kultur und damit zur Ver-
ödung der Welt führen muß. 689
Hitler zieht eine Konsequenz, welche eine weitere Seite seines Theismus er-
kennen läßt, nämlich seinen Glauben an das Schicksal und die Vorsehung:
In diesem Falle blieb als Rettung noch der Kampf, der Kampf mit allen Waffen,
die menschlicher Geist, Verstand und Wille zu erfassen vermögen, ganz gleich,
wem das Schicksal dann seinen Segen in die Wagschale senkt. 690
Am Schluß seiner Betrachtungen über die „jüdische Dialektik" und den „Mar-
xismus als Zerstörer der Kultur" k o m m t er zu d e m Ergebnis:
Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völ-
ker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann
wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den
Äther ziehen. 69 '

Zunächst soll darauf aufmerksam gemacht werden, daß nicht der Marxismus-
K o m m u n i s m u s für Hitler der maßgebende Feind ist. D e r Marxismus ist für
ihn ausschließlich deshalb zu bekämpfen, weil er ein I n s t r u m e n t für die ver-
meintlich satanischen Pläne des Judentums ist. H e r v o r z u h e b e n ist, daß Hitler
es tatsächlich für möglich hält, „der J u d e " könne die gesamte Menschheit ver-
nichten. D e n Juden wird somit eine sowohl ungeheure als auch übermensch-
liche Macht unterstellt, die Macht totaler Z e r s t ö r u n g , mithin die Macht des
Bösen. Und nur weil Hitler glaubt, die Macht „des J u d e n " sei die Macht des
Bösen, ist es für ihn logisch, daß das kleine Volk der J u d e n die P o t e n z habe,
die gesamte Menschheit auszurotten. In der — bereits dargelegten — besonde-
ren Beziehung zu G o t t sich wähnend, zieht er am E n d e des Kapitels folgen-
den Schluß:

So glaube ich heute, im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich
des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.692

688
Ebd., S. 68.
689
Ebd. [Hervorhebung C.-E. B.].
690
Ebd.
691
Ebd., S. 69 f.
692
Ebd. [Hervorhebung im Original]
318 Zur Phänomenologie der nationalsozialistischen Weltanschauung

So, wie Hitler glaubt, im Sinne des „allmächtigen Schöpfers" zu handeln, so


glaubt er auch, daß die der Macht G o t t e s entgegenwirkende Macht „des Ju-
d e n " die des Satans sei. Hitlers eliminatorischer Antisemitismus ist mithin
nicht biologisch motiviert. D e r Gegensatz zwischen Arier und J u d e ist des-
halb der „gewaltigste", weil „der Arier" die Inkarnation G o t t e s und „der
J u d e " die des Satans sei.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Bestimmung der Identität des
deutschen Volkes durch das Ideologem „Arier" religiöse Dimensionen hat.
Diese religiösen Dimensionen sind von Gewicht, weil der Biologismus für die
Herstellung der kollektiven Identität des deutschen Volkes in Hitlers Weltan-
schauung nicht von Bedeutung ist. Die biopolitischen Merkmale des Sozial-
darwinismus werden vielmehr maßgebend durch den religiösen Gehalt über-
formt. Nicht der gemeinsame und beliebig zu qualifizierende G e n p o o l , son-
dern die göttlichen „Urelemente" im Blut der Arier sind für Hitler Substanz
und Ursache für den gemeinsamen Charakter aller Deutschen. Volk im Sinne
der völkischen Weltanschauung Hitlers ist eine gesellschaftliche Formation
des Ariers, deren Höherentwicklung zur politischen und kulturellen Welt-
macht auf der Verbindung zwischen G o t t und Natur in der Rasse der Arier
als G r u n d ihres Daseins, ihrer Kraft, ihrer Macht und ihrer Herrlichkeit be-
ruht. Demgegenüber beruhe das sogenannte Wesen des jüdischen Volkes auf
der Macht des Bösen. Auch d e m jüdischen Volk werden Prädikate im kogni-
tiven Modus der Substantialisierung zugeordnet. Im Verhältnis zum deut-
schen Volk ist das jüdische Volk das existentiell ganz andere, weil es ontisch
böse sei. Die substantielle Differenz zwischen den Ariern und den Juden re-
sultiert aus den religiösen M o m e n t e n der Weltanschauung Hitlers. Inwiefern
die Mephistophelisierung aller J u d e n mit dem AntiJudaismus der christlichen
Religion, der christlichen Tradition, der christlichen Häresie und der Trans-
formation christlicher Glaubensinhalte zusammenhängt, soll erst später be-
handelt werden. D e n n die Frage, warum ausschließlich das jüdische Volk und
nicht ein anderes Kollektiv bzw. eine andere „Rasse" zum substantiellen
Feind erklärt wurde, ist immer n o c h offen und o h n e Zweifel v o n grundsätzli-
cher Bedeutung.
D e r Glaube an die besondere G u n s t in der Beziehung zwischen der eige-
nen Macht und der des Allmächtigen führt stets zu Defizienzerfahrungen im
Hinblick auf die unmittelbar w a h r z u n e h m e n d e Realität. Der Glaub e an die
Spezialbeziehung zwischen dem eigenen Kollektiv und der Macht Gottes
kann dann dennoch aufrechterhalten werden, wenn geglaubt wird, daß die
Nichterfüllung der eigenen Wünsche durch eine überirdische Gegenkraft und
deren irdische Trabanten verhindert wird. Wird die eigene Identität auf das
Realissimum G o t t zurückgeführt, dann m u ß im Konfliktlösungsmodell der
Weltanschauung Hitlers das Realissimum des Bösen eingeführt werden.
Glaubt man an die Existenz götdicher Urelemente im eigenen Volk, so m u ß
man auch an die Existenz satanischer E l e m e n t e , an die Inkarnation des Bö-
sen glauben. Glaubt man an die Kontinuität der toten, lebenden und kom-
Volk und Rasse 319

mtenden Menschen - die identische Teilnahme an einer identischen Substanz


— ^so hat das die mörderische K o n s e q u e n z : Jeder wirkliche oder vermeintliche
Aingriff eines Juden auf das Leben eines jeden einzelnen des eigenen Kollek-
tiv/s ist zugleich ein Angriff auf jeden anderen einzelnen des eigenen Kollek-
tiv/s. Die fatale Konsequenz der Substantialisierung der eigenen Gesellschaft
füir die noch zu leistende Konstitution völkisch-kollektiver Identität lautet:
Die Gewinnung der Seele des Volkes kann nur gelingen, wenn man neben der Füh-
rung des positiven Kampfes für die eigenen Ziele den Gegner dieser Ziele vernich-
tet [...] Die Nationalisierung unserer Masse wird nur gelingen, wenn bei allem po-
sitiven Kampf um die Seele unseres Volkes ihre internationalen Vergifter ausgerot-
tet werden. 6 ' 3
Hiitler hat schon in „Mein K a m p f den M o r d am Volk der Juden gefordert.
Hiitler hat den Holocaust der J u d e n nicht in einem nebensächlichen Zusam-
mtenhang formuliert, sondern im K o n t e x t des ideologischen Kernsatzes:
Ohne klarste Erkenntnis des Rasseproblems, und damit der Judenfrage, wird ein
Wiederaufstieg der deutschen Nation nicht mehr erfolgen. Die Rassenfrage gibt
nicht nur den Schlüssel zur Weltgeschichte, sondern auch zur menschlichen Kul-
tur überhaupt. 694

6933
Ebd., S. 371 f.
6944
Eid., S. 372.
C. Politik, Resakralisation und Annihilation

I. Zusammenfassung: Die nationalsozialistische


Ideologie und die Identität der Deutschen

1. Das deutsche Volk und sein zukünftiger Status —


das „Dritte Reich"

D e r T o p o s „Drittes Reich" betrifft das nationalsozialistische Bewußtsein von


Geschichte, insbesondere das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft. Die
unmittelbare Darstellung der religiösen Dimensionen der NS-Ideologie wur-
de mit dem T o p o s „Drittes Reich" begonnen, weil die Zeit der Herrschaft der
Nationalsozialisten damit bezeichnet wird.
Die Relation G o t t - G e s c h i c h t e - M e n s c h wurde in den Schriften des Dich-
ters Dietrich Eckart (1865—1923) und des späteren Propagandaministers J o -
seph Goebbels aufgefunden, herausgearbeitet und belegt. Mit Eckart wurde
begonnen, weil er Gründungsvater der N S D A P und der erste Hauptschrift-
leiter des „Völkischen Beobachters" war und weil er aufgrund seiner Aufsät-
ze in der Zeitschrift „Auf gut deutsch" die NS-Ideologie mitbegründet hat.
Die ideologischen Produktionen des „Dichters" Dietrich Eckart - er ist der
Verfasser des bekannten Sturmliedes der SA — sind einprägsam und enthalten
alle Merkmale der NS-Ideologie. Vor allem aber hat Eckart den T o p o s „Drit-
tes Reich" schon 1919 in das Vokabular der NS-Ideologie eingeführt und so
zum Ideologem der Nationalsozialisten gemacht. In seinen Schriften kann
man die religiöse Tradition der Apokalyptik des „Tausendjährigen Reiches"
nicht nur durch Strukturvergleiche nachweisen. Dietrich Eckart zitiert auch
aus der Johannesapokalypse, beurteilt die Gegenwart in der apokalyptischen
Antizipation der Zukunft, und er reduziert die Beziehung M e n s c h - G e s e l l -
s c h a f t - G e g e n w a r t - Z u k u n f t — G o t t auf das deutsche Volk. Dietrich Eckart
beruft sich auf G o t t als Creator spiritus der christlichen Trinitätslehre, um die
Fähigkeit der Deutschen, das „dritte Reich" zu erfüllen, zu begründen. Ist im
„deutschen W e s e n " der Gottessohn „Christ zu Gast", so ist es konsequent,
daß das deutsche Volk dem „Antichrist verhaßt" 1 ist.

Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 4, 1919, S. 60


322 Politik, Resakralisation und Annihilation

W ä h r e n d nach christlicher Tradition der Antichrist jeder vermeintliche


G e g n e r der christlichen Erlösung sein kann, reduziert Dietrich Eckart die In-
karnation der gewaltigen, satanischen Gegenkraft Gottes, den Antichristen,
auf das Kollektivum der J u d e n , deren Macht — wie in den Kapiteln über
Eckart ausführlich dargelegt — eine „teuflische Macht" sei. Die Juden würden
durch die überirdische Kraft des Satans determiniert. Sie verkörperten das sa-
tanisch-großmächtige „Tier" der Apokalyptik. Als Organe des Teufels seien
sie Lügner u n d Mörder. Sie hätten keine Seele, und ihr T u n führe zu Chaos
und dem Nichts. In d e m substantiellen Dualismus Licht—Finsternis, G o t t -
Satan, C h r i s t - A n t i c h r i s t ist bereits die Grundlage der Vernichtung der Juden
konstitutiv angelegt, da Dietrich Eckart wie alle Apokalyptiker davon über-
zeugt ist, daß der Dualismus aufgelöst werden m u ß . Für ihn war in strikter
A n w e n d u n g des apokalyptischen Musters der Erste Weltkrieg ein „Religions-
krieg" 2 , ein „Krieg zwischen Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Christ
und Antichrist" 3 D e m e n t s p r e c h e n d gibt es, wenn „das Licht mit der Finster-
nis zusammenprallt", nur „ K a m p f auf L e b e n und T o d bis zur Vernichtung
des einen oder anderen Teils". Dieser Religionskrieg sei noch nicht zu E n d e .
Adolf Hitler, dessen V e r e h r u n g für Dietrich Eckart bis in den Zweiten Welt-
krieg nachzuweisen ist, hat so gehandelt, wie sein väterlicher Freund es pro-
phezeit hat. D a h e r sei ein Fundamentalkonflikt, an den die Nationalsoziali-
sten glaubten und der schon am Anfang der Bewegung artikuliert wurde,
nochmals zitiert:

Die Entscheidungsstunde ist gekommen: zwischen Schein und Sein, zwischen


Deutschtum und Judentum, zwischen All und Nichts, zwischen Wahrheit und
Lüge, zwischen Innen und Außen, zwischen Recht und Willkür, zwischen Sinn und
Wahnwitz, zwischen Güte und Mord hat die Menschheit abermals die Wahl.4
Auch der Glaube an das Charisma eines politischen Führers konnte am Bei-
spiel der religiösen Implikationen der Ideologie Eckarts erklärt werden. Die
Sehnsucht nach d e m Führer hat Eckart, n o c h bevor er Hitler kannte, im K o n -
text der U m d e u t u n g der Johannesapokalypse artikuliert. D e r Führer k o m m t
aus d e m Volk, er ist „ein N a m e n l o s e r " , der sich auf die „Vergeltung" zu-
nächst „ s t u m m und still" vorbereitet. D e r F ü h r e r ist „Retter", was im apoka-
lyptischen K o n t e x t nichts anderes heißt, als daß er eine besondere, intensive
und h e r v o r g e h o b e n e Beziehung zu G o t t hat. Er hat für das Volk die Funk-
tion, die aus der Relation G e g e n w a r t - Z u k u n f t resultiert; er ist nämlich, so
Eckart zum 34. G e b u r t s t a g Hitlers in dem bereits zitierten Gedicht, die Kraft,
die „uns Sieg verbürgt", die Kraft, „vor der die N a c h t entflieht".
Die Spekulationen Dietrich Eckarts haben den M o d u s der „translatio". E r
überträgt o h n e besondere begriffliche und reflexive Anstrengungen bestimm-

2
Dietrich Eckart (Hrsg.), Auf gut deutsch, Heft 2, 1919, S. 20
3
Ebd., S. 84.
4
Dietrich Eckhart, Vermächtnis, S. 86.
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 323

te Z u o r d n u n g e n . Weil er sich aller Erklärungen, Begründungen und Reflexio-


n e n enthält, kann er v o m gemeinen Glauben sofort begriffen werden. Bei
E c k a r t ist G o t t nicht tot. E r vermindert aber die E n t f e r n u n g und Spannung
zwischen G o t t und Mensch erheblich, d e n n sein Gottesbegriff steht in der
Tradition der d e u t s c h e n Mystik. W e n n er v o m „ G o t t in u n s " spricht und
glaubt, an den katholischen Mystiker Angelus Silesius anknüpfen zu können,
divinisiert er jedoch nicht den Menschen schlechthin, sondern nur den Men-
schen arischer Herkunft.
Klar, einfach und unmißverständlich sind auch bei J o s e p h G o e b b e l s die
unter d e m T o p o s „Drittes Reich" zu subsumierenden apokalyptischen Muster
formuliert. Sehr lange hat der säkularisierte Begriff der Propaganda im Sinne
v o n Reklame den U m s t a n d verdeckt, daß es G o e b b e l s , wie bei der von der
Papstkirche im 17. J a h r h u n d e r t geschaffenen „Congregatio de propaganda
fide", um die Verbreitung des Glaubens ging. G o e b b e l s hatte schon in einem
Aufsatz aus dem Jahre 1926 Hitlers Weltanschauung richtig erkannt, indem er
sie als „Katechismus eines neuen politischen G l a u b e n s " beurteilte. Auch
G o e b b e l s ' Ideologie ist politischer Glaube, was unter anderem mit den reli-
giösen Selbstbekenntnissen seiner vor und nach d e m Eintritt in die N S D A P
geschriebenen T a g e b ü c h e r bewiesen wurde. Hier hat er seine Ideologie in
Gebetsform gebildet. E r hat an Führer, Volk und Vaterland geglaubt und wie
die meisten D e u t s c h e n an eine exklusive V e r b i n d u n g zwischen G o t t , Volk
und Vaterland. Am 9. Juni 1926, n u n m e h r schon Mitglied der N S D A P , zitiert
er eine die Kardinaltugenden der Christen betreffende Stelle aus der ältesten
Quelle der christlichen Religion 5 :

,Nun aber bleibet uns: Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei! Aber die Liebe ist die
größeste unter ihnen!' [...] Ich liebe mein Volk und mein Vaterland!6
E b e n s o folgt das Wendebewußtsein G o e b b e l s ' , das heißt die E r w a r t u n g des
qualitativen Sprungs v o n der N o t der Gegenwart zur Erlösung im „Dritte n
Reich", dem Schema L i c h t - F i n s t e r n i s , Gott—Satan, Christ—Antichrist. Mit
anderen Worten: G o e b b e l s hat ein dezidiertes Katastrophenbewußtsein. Wie
Eckart interpretiert G o e b b e l s Mensch, Gesellschaft und Geschichte nach
apokalyptischem Muster. Auch bei ihm hat die in jeder Apokalyptik ausge-
sprochene Hoffnung auf Sieg und Heil ihren letzten G r u n d in G o t t . Auch
Goebbels macht die Ü b e r w i n d u n g des fundamentalen Dualismus zum Prin-
zip seiner Hoffnung und damit vice versa Hoffnung zum Prinzip. G e r a d e bei
ihm hängt die Verwirklichung des Ziels von der Tatkraft der Menschen ab,
die damit zum Organ des göttlichen Willens werden.

1. Korintherbnef, 13 [Nach Hitler und Rosenberg sowie anderen völkischen, deutschen


oder arischen Christen ist der Apostel Paulus übrigens der Verfälscher des sogenannten
„Urevangeliums" Jesu, C.-E. B.].
6
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, S. 118.
324 Politik, Resakralisation und Annihilation

D e r von der z ä h m e n d e n Scholastik freie Glaube des Katholiken Goebbels


läßt ein G r u n d p r o b l e m aller aktiven Erlösungsstrategien erkennen: O b die
Aktivität, zu der G o e b b e l s unerbittlich auffordert, nämlich das Reich Gottes
durch menschliche Aktivität herbeizuführen, die Vernichtung des Bösen und
der Bösen als Bedingung der Erlösung vermeiden kann. Auf dieses Problem
ist weiter unten nochmals gesondert einzugehen.
So wie Goebbels an G o t t glaubt („Da gibt es kein Ding an sich außer
G o t t " ) , glaubt er an das Prinzip des Bösen und an die in die N a t u r der Men-
schen und in die Gesellschaft hineinwirkende überirdische Kraft des Satans.
Der K a m p f zwischen den überirdischen Kräften bestimm t die historische
Relation zwischen Gegenwart und Zukunft, und beide Komplexe bestimmen
sein Bewußtsein von Menschen, Gemeinschaften und Völkern. Z u r Bezeich-
nung des k o m m e n d e n Zustands wählt Goebbels den T o p o s „Drittes Reich",
in welchem nur das deutsche Volk erlöst wird: „Wir wollen den deutschen
Gedanken in eine neue F o r m prägen, in die F o r m des Dritten Reiches."
Penetrant häufig stimmt sich G o e b b e l s auf Erlösung ein. Das Ziel der Er-
lösung soll durch die Mittäterschaft der Menschen erreicht werden, die dann
selbst „ H e l d e n " und „ E r l ö s e r " werden. So stellt er der Aufsatzsammlung
„Wege ins Dritte Reich" auch die A p h o r i s m e n voran „ D e r echte Deutsche
bleibt zeit seines Lebens ein G o t t s u c h e r " , „ D a s Leben ist eine Stufe zu G o t t "
und „Nur wer sich selbst erlöst, kann andere erlösen". In dem Aufsatz „ D e n -
ker oder Prediger?" fordert und prophezeit er zugleich:

Dann müssen wir kämpfen, damit wir Ruhe finden vor dem Dämon, der uns vor-
wärts peitscht und treibt. Dann müssen wir überwinden, daß wir unüberwindlich
werden. Dann erfüllt sich an uns das Geheimnis der Geschichte: daß wir ein Stück
Erlösung sind für ein Reich, das kommt. 7
Wie Dietrich Eckart überträgt er die Christussymbolik auf Adolf Hitler
(„Halb Plebejer, halb Gott! Tatsächlich Christus oder nur der J o h a n n e s ? " ) .
Was für Hitler gilt — „daß auch er nur ein Instrument ist jenes göttlichen Wil-
lens, der die Geschichte gestaltet" — gilt auch für die Mitglieder der Zukunfts-
bewegung: „zudem sind auch wir Werkzeug [...] Instrumente jenes gestalten-
den Willens der Zukunft." Ist „der J u d e " nach G o e b b e l s ' Tagebuchnotiz der
„Antichrist der Weltgeschichte", so m u ß diese gewaltige Gegenkraft der Er-
lösung der Apokalyptik des J o h a n n e s entsprechend vernichtet werden. G o e b -
bels fordert zu dieser Vernichtung expressis verbis auf. In der veröffentlich-
ten Rede „Lenin oder Hitler?" erklärt er das „internationale J u d e n t u m " zum
„Weltfeind". Für das deutsche Volk gilt: „Dieses Volk soll bereitgemacht wer-
den, dem Feind den Dolch mitten ins Herz zu stoßen."
In diesem repräsentativen D o k u m e n t nationalsozialistischer Ideologie arti-
kuliert Goebbels die für alle Nationalsozialisten typische Fundamentalbezie-

Joseph Goebbels, Die zweite Revolution. Briefe an Zeitgenossen, Zwickau 1926, S. 62


Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 325

hung: G o t t und das deutsche Volk einerseits, die J u d e n und der Teufel ande-
rerseits:
Wer den Teufel nicht hassen kann, der kann auch Gott nicht lieben. Wer sein Volk
liebt, der muß die Vernichter seines Volkes hassen, aus tiefster Seele hassen. 8
In der Untersuchung ist betont w o r d e n , daß sich die Äußerungen Goebbels'
besonders zur Rekonstruktion der Führerideologie eigneten. Darauf ist zu-
rückzukommen.
Glauben, Siegen und Opfern sind die wesentlichen von den Nationalsozia-
listen geforderten Formen gesellschaftlichen Handelns. Auch der von G o e b -
bels hergestellte Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus, Christentum,
Antisemitismus und Opfern ist nochmals gesondert zu untersuchen.
Mit dem T o p o s „Drittes Reich" wird also in der NS-Ideologie die Relation
G o t t - G e s c h i c h t e - G e s e l l s c h a f t - M e n s c h symbolisiert. Die Reihenfolge hat
eine hierarchische Funktion. Die Bewertung der Geschichte ist von G o t t ab-
hängig, die der Gesellschaft v o n Geschichte. D e r einzelne Mensch wiederum
wird dem Kollektivum untergeordnet. D e r Kreis wird indes dadurch ge-
schlossen, daß bestimmte Menschen - bei weitem nicht alle — einen göttli-
chen Kern in sich haben. Das menschliche Bedürfnis, sich der Konnexität
zwischen Gegenwart und Zukunft zu vergewissern, wird durch diese Ursa-
che-Wirkung-Spekulation intensiv erfüllt. Die Konflikte der Gegenwart und
der Vergangenheit werden durch die Relation Gott—Geschichte respektive
Z u k u n f t - G e g e n w a r t interpretiert. In der Antizipation einer spezifisch quali-
fizierten Zukunft wird die Gegenwart von der Position der Zukunft - gerade-
zu aus der vorweggenommenen Zukunft zurückblickend — wahrgenommen.
Insofern die Zukunft durch die L ö s u n g substantialisierter Konflikte, nämlich
als Erlösung, qualifiziert wird, werden gerade dadurch die Konflikte der Ge-
genwart in schmerzender Verschärfung w a h r g e n o m m e n . Sie werden substan-
tialisiert als Kampf zwischen d e m Absoluten und d e m Bösen. Möchte man
die Frage beantworten, warum an den Nationalsozialismus geglaubt wurde,
dann ist der durch das Christentum vermittelte und in allen Schichten der Ge-
sellschaft verwurzelte Glaube an die künftige Erlösung zu berücksichtigen.
Weil die genannten Komplexe explizit oder implizit artikuliert wurden, konn-
te die Symbolik des „Dritten Reiches" zwischen den Absendern und Empfän-
gern Identifikationen vermitteln. Die Adressaten konnten den Nationalsozia-
listen glauben, weil sie aufgrund christlich-apokalyptischer Traditionen, deren
Umdeutungen oder Transformationen ihre Existenz in gleicher oder ähnli-
cher Weise wahrgenommen haben. Absender und Adressaten haben eine ge-
meinsame, der spezifischen Ideologiebildung vorausgehende Art und Weise
der stets zu vollziehenden W a h r n e h m u n g der Beziehung zwischen Gegenwart
und Zukunft. Und wer will bestreiten, daß angesichts der zu erfahrenden
Übel in dieser Welt - o b im großen oder im kleinen - die Sicherheit künftiger

Joseph Goebbels, Michael, S. 58.


326 Politik, Resakralisation und Annihilation

Fundamentallösungen Glücksgefühle hervorruft. Aber vorweggenommen


wird nicht nur die Aufhebung aller Sorgen. Dem Positiven korreliert die
Macht des Negativen, vulgo der Glaube an die gegenwärtige Wirkung des
Teufels. Ob der dadurch evozierte Schrecken erst recht den Glauben an das
Positive wiederum intensiviert, kann hier dahingestellt bleiben.
Der Komplex „Drittes Reich" innerhalb der Ideologie führender National-
sozialisten umfaßt folgende Merkmale:
1. Das „Dritte Reich" ist ein Reich der Zukunft, welches durch das Prädikat
Erlösung qualifiziert wird.
2. Gegenwart und Zukunft sind durch einen qualitativen Sprung getrennt.
Dem qualitativen Sprung geht eine Zeit der Krise bis zur Katastrophe vor-
aus.
3. Zur Überwindung der Katastrophe und zur Herstellung der durch Erlö-
sung qualifizierten Zukunft muß ein Kampf stattfinden. Dieser Kampf ist
kein beliebiger Konflikt, sondern er wird innerhalb eines substantiellen
Dualismus als Kampf gegen das Böse gedeutet.
4. Die Nationalsozialisten sind Instrumente des göttlichen Willens in der
Geschichte, und das deutsche Volk ist Subjekt seiner Heilsgeschichte. Nur
das deutsche Volk ist in der Lage, das „Dritte Reich" und damit seine Er-
lösung herbeizuführen.
5. In Hitler ist die Zukunft schon am stärksten verkörpert. Die künftige Ge-
sellschaft wird auch durch den Führer konstituiert. Adolf Hitler wird von
Joseph Goebbels und Dietrich Eckart als Inkarnation einer spezifischen
Christussymbolik betrachtet, nämlich als kämpfender und siegender Chri-
stus, ohne den die Erlösung nicht herbeigeführt werden kann.
6. Die Hauptvertreter des Bösen bzw. des Satans sind die Juden. Sie sind die
Dämonen des „Verfalls". Als „Antichrist" muß „der Jude" von den Voll-
streckern der Erlösung vernichtet werden.
Auf den Unterschied zwischen der nationalsozialistischen und der christli-
chen Apokalyptik ist gesondert einzugehen.

2. Das deutsche Volk und sein Kommunikator Adolf Hitler -


der „Führer"

Es ist bekannt, daß Prinzen, Pastoren, Proletarier, Professoren, Plutokraten,


Bürger, Bischöfe, Bauern, Beamte und Freiberufler sowie Frauen aus allen
Schichten Hitler so maßlos verehrten, daß sie dadurch zur Masse wurden. Die
Konzentration der nach 1945 veröffentlichten Literatur auf Hitler wiederum
könnte Gegenstand eines eigenständigen Forschungsprojektes sein.

Vgl. zu der auf Hitler zentrierten Literatur: Gerhard Schreiber, Hitler Interpretationen
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 327

Hier kam es vornehmlich darauf an, nach den Hitler von seinen ersten füh-
r e n d e n Funktionären z u g e o r d n e t e n Eigenschaften zu fragen. 1 0 Maßgebend
für die Frage war, o b die Hitler angeblich z u k o m m e n d e n Qualitäten religiö-
ser N a t u r sind und mit d e m Bewußtsein von Gesellschaft und Geschichte zu-
s a m m e n h ä n g e n . Das Symbol „ F ü h r e r " war in Relationen aufzulösen. Auf-
grund des Erkenntnisinteresses an der prinzipiellen Problematik der Konsti-
tution kollektiver Identität war das Verhältnis zwischen jedem Individuum
u n d Hitler und von Hitler zu jedem Individuum v o n Gewicht. Das heißt, daß
das Wahrnehmungsmuster, durch welches Hitler dem Volk gegenübergestellt
wird, durchbrochen werden sollte. E s war zu überprüfen, o b die hier zitierten
Anhänger Hitlers der Meinung waren, erst via Hitler würde n die D e u t s c h e n
zu einem Volk oder erst durch Hitler würde das deutsche Volk zu einem wah-
ren und starken Volk werden. E s war zu beurteilen, o b das Ideologem „Drit-
tes Reich" — also das Verhältnis Gegenwart und Zukunft — zum Komplex der
Aussagen über Hitler zählt. Dasselbe gilt hinsichtlich des Rassismus. W u r d e
Hitler aufgrund biologischer Qualitäten als besonderes Exemplar der arischen
Rasse angesehen oder nicht? War der Antisemitismus ein Band zwischen den
Subjekten und dem Objekt der Verehrung, o h n e das Hitler gar nicht als Füh-
rer anerkannt worden wäre?
Begonnen wurde das Kapitel mit der Bedeutung des G r u ß e s „Heil Hitler"
im Hinblick auf Intersubjektivität. Ausgegangen wurde von der Interpretation
des Religionsphilosophen R o m a n o Guardini. Guardini hatte gleich nach d e m
Krieg festgestellt, daß mit diesem G r u ß „an die Stelle" Jesu Christi der
„ N a m e Hitlers" 1 1 gesetzt wurde. Diese allseitige Volksfrömmigkeit n u n m e h r
nicht berücksichtigend, wurde aus historischen G r ü n d e n H o u s t o n Stewart
Chamberlain, der Schwiegersohn Richard Wagners, behandelt. Bei H o u s t o n
Stewart Chamberlain, der als einflußreicher Vertreter des m o d e r n e n Rassis-
mus berühmt wurde, ist der in der bisherigen F o r s c h u n g kaum beachtete Z u -
sammenhang zwischen seiner spezifischen Christologie und den Hitler angeb-
lich z u k o m m e n d e n Attributen nachgewiesen w o r d e n . Chamberlain verliert
kein Wort über die arische Gestalt Hitlers. Seine maßlose V e r e h r u n g Hitlers
läßt keine biologische Argumentation erkennen.
Dietrich Eckart hatte schon während des Ersten Weltkrieges im eindeutig
nachweisbaren apokalyptischen K o n t e x t die Sehnsucht nach einem Führer als
Retter poetisch auf den P u n k t gebracht. Bei ihm sollte man aber auch nicht
die Korrelation zwischen seiner trinitarischen Mystik — das Erlebnis des G o t -
tessohnes in der Seele — und dem späteren Hitlerkult verkennen.

1923-1983. Ergebnisse, Methoden und Probleme der Forschung, 2. verb. und durch eine
annotierte Bibliographie für die Jahre 1984-1987 ergänzte Aufl., Darmstadt 1988, S. 301 ff.
Vgl. oben Kapitel B.III, S. 143-191.
Romano Guardini, Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik. Eine theologisch-
politische Besinnung, Stuttgart 1946, S. 42.
328 Politik, Resakralisation und Annihilation

In den Briefen v o n Rudolf H e ß ist die Art der Religiosität nicht klar zu
spezifizieren. Aber die Bedingung seines Glaubens an Hitler lag darin, daß er
meinte, Hitler sei tief religiös. Festzuhalten ist hier, daß Heß von der magi-
schen Qualität Hitlers überzeugt war. D u r c h den Glauben an Adolf Hitler
wurde seine diffuse Religiosität in einen apodiktischen Glauben an den Na-
tionalsozialismus transformiert.
D e r wegen seines Antisemitismus berüchtigte Volksschullehrer und Gau-
leiter Julius Streicher vertrat den Primat des Kollektivs (Volksgemeinschaft)
im K o n t e x t apokalyptischer Visionen. E r war vor dem Hintergrund seiner
selbstgestrickten Religiosität v o m Sieg Adolf Hitlers und v o m Sieg durch
Adolf Hitler so überzeugt, daß er seine eigene Partei 1922 in die N S D A P ein-
gliederte. Für Streicher war Hitler von G o t t gesegnet und gesandt sowie Mitt-
ler zwischen G o t t und Volk. D a h e r glaubte er, Hitler könne das Volk erlösen.
E b e n s o glaubte er an die Macht des Bösen und wäre ohne den dadurch evo-
zierten Antisemitismus nie ein fanatischer Anhänger Hitlers geworden.
Bei Baidur von Schirach fällt, vor dem Hintergrund einer pansophischen
V e r s ö h n u n g von G o t t , K o s m o s , Mensch und Natur, die Sehnsucht nach ei-
nem lebendigen Glauben auf. Bei ihm ist die wechselseitige Verbindung von
G o t t , Kreuz, Opfer, Heiland, Mensch, Volk und Hitler besonders penetrant.
Weiterhin ist die K o r r e s p o n d e n z zwischen d e m Wunsch nach totalen Identi-
fikationen und der Funktion des g r o ß e n Kommunikators offensichtlich.
Bei Heinrich Himmler hingegen fällt die Konstellation von Sieg und Heil
im Z u s a m m e n h a n g mit den Aussagen über Hitler auf. Aber auch der wegen
seines rohen Rassismus bekannte Himmler glaubte, daß Hitler „ u n s " von
„ G o t t b e s t i m m t " wurde. O b w o h l Himmler bei seinen Wiedergeburtsphanta-
sien das Modell des Karmas bevorzugte, verglich er Hitler mit Christus und
war darüber hinaus d a v o n überzeugt, daß „das Schicksal, der H e r r g o t t " nur
„alle paar Jahrtausende so gnädig" ist, „einem Volk" einen Führer zu „schik-
ken".
Auch bei d e m wegen seines Zynismus bekannten Göring läßt sich Atheis-
mus nicht nachweisen; er blieb der evangelischen Kirche verbunden. Göring
hat öffentlich erklärt, daß G o t t den Führer sandte, damit Deutschland aufer-
stehe. Sollte dies aus machtpolitischen G r ü n d e n in demagogischer Absicht
erfolgt sein, d a n n spricht das dafür, daß G ö r i n g meinte, seine Z u h ö r e r seien
v o n diesem G l a u b e n überzeugt, das heißt, d a n n ist das ein Indiz dafür, daß
im deutschen Volk der Glaube an die religiösen Qualitäten Hitlers stark ver-
breitet war.
Eine idealtypische Variante für die E r f o r s c h u n g des Personenkultes kann
am Beispiel derjenigen Eigenschaften ermittelt werden, die J o s e p h Goebbels
Hitler zugesprochen hat. Als Quelle dafür k o m m e n vor allem die frühen Ta-
gebücher in Frage. Die Vermischun g von psychologischen und religiösen
Motiven kann nicht bestritten werden. Die unspezifische Führersehnsucht
hat G o e b b e l s schon vor dem Eintritt in die N S D A P notiert. D e r Wunsch
nach O m n i p o t e n z u n d nach E r l ö s u n g ist nach d e m Modus apokalyptischer
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 329

Existenzinterpretation formuliert worden. Für G o e b b e l s war Hitler der Mitt-


ler zwischen Gegenwart, Zukunft und G o t t . Für G o e b b e l s k o n n t e Hitler nur
deshalb die Funktion der Vermittlung bei der Konstitution völkischer Identi-
tät erfüllen. O h n e den Glauben an G o t t und den W u n s c h nach Heil, o h n e das
Ziel der Herstellung eines h o m o g e n e n und allen Völkern überlegenen Volkes,
o h n e den antisemitisch definierten Feind und o h n e den Willen zur Macht
hätte Goebbels aus dem sehr verehrten Adolf Hitler nicht den Führer gemacht
— „halb Plebejer, halb G o t t " , „ I n s t r u m e n t " des „göttlichen Willens" der G e -
schichte.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß alle hier behandelten Funktionäre
ihre Existenz religiös interpretierten und daß Hitler nirgends im K o n t e x t ei-
ner rassenbiologischen Argumentationsstruktur die Prädikate erhielt, die ihn
zum Führer qualifizierten. In den Aussagen aller hier behandelten National-
sozialisten werden die Definitionsmerkmale, mit denen Max Weber das Cha-
risma eines Politikers beschreibt, erfüllt. D e r Glaube an das Charisma Hitlers
war eine Bedingung der Machtgewinnung und des Machterhaltes. D a das aber
n o c h nicht Herrschaft bedeutet, war der Glaube an das Charisma Adolf Hit-
lers nicht nur eine Ursache des Unterganges, sondern auch aller kriminellen
Folgen nationalsozialistisch-völkischer Politik. 1 2

3. Der völkisch-religiöse Rassismus: die divinisierten Arier


einerseits und die satanisierten Juden andererseits

Nicht der Rassismus als solcher, sondern das Bewußtsein von Gesellschaft
war das Thema des Kapitels „Volk und Rasse". Es ging darum herauszufin-
den, ob Rosenberg und Hitler ein das Individuum übergreifendes gesell-
schaftliches Ganzes - die Gesamtgesellschaft im Sinne von Volk und N a t i o n
- mit den Kategorien Identität, Einheit und H o m o g e n i t ä t apperzipierten.
Weiterhin wurde geprüft, ob sie für die historische Kontinuität kollektiver
Identität einen Grund gefunden haben und wie sie die Differenz zu Mitglie-
dern anderer Kollektive definierten. Ist Rasse die ursprüngliche Substanz des
deutschen Volkes und die Grundlage künftiger kollektiver Identität? O h n e
Zweifel gebrauchen Rosenberg und Hitler den Begriff Rasse auch im biologi-
schen Sinne. Sie sind der Ansicht, daß es Populationen gibt, die sich in der
Häufigkeitsverteilung ihrer G e n e unterscheiden. 1 3 Sie gehen von der Verer-

:
Die Frage, wieso Hitler des Volkes oberster Protagonist werden konnte, wenngleich er op-
tisch die Rassemerkmale selbst nicht erfüllte, läßt darauf schließen, daß „Mein K a m p f
nicht gelesen wurde.
' Zum wissenschaftlichen Begriff von Rasse vgl. Lesley Clarence Dunn/Theodosius Dob-
zhansky, Vererbung, Rasse und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1970; Leon Poliakov/Chnsu-
an Delacampagne/Patrick Jirard, Über den Rassismus. 16 Kapitel zur Anatomie, Geschich-
te und Deutung des Rassewahns, Stuttgart 1976.
330 Politik, Resakralisation und Annihilation

bung bestimmter Merkmale und dem Einfluß der Vererbung auf das gesamte
Verhalten der Menschen aus. Aber durch diese Bestimmungen von Rasse ist
ihre Weltanschauung noch nicht unter den Begriff des Rassismus zu subsu-
mieren. Unter politikwissenschaftlichen Aspekten ist eine Ideologie erst dann
rassistisch, wenn behauptet wird, alle Mitglieder ein und desselben Kollektivs
hätten dasselbe genetische Potential und seien deshalb allen Mitgliedern an-
derer Kollektive von vornherein und unabänderlich mehr oder weniger ex-
trem überlegen; die Mitglieder der angeblich anderen Rasse seinen dazu prä-
destiniert, minderwertig zu sein, seien zu diskriminierende Fremde, die ganz
anderen oder substantielle Feinde, welche wiederum im Zweifel zu bekämp-
fen und zu besiegen seien. Begnügt man sich nicht damit, aus dem abstrakten
Verständnis von Rasse ohne nähere Konkretisierung die Qualifikation der
NS-Ideologie abzuleiten, sondern fragt danach, ob auch die Überlegenheit
der Rasse der Arier von Rosenberg und Hitler überwiegend biologisch-mate-
rialistisch begründet wurde, so ist dies zu verneinen, denn vorrangig sind die
anthropologisch-religiösen Qualifikationen des Ariers genauso erkennbar wie
die damit unauflöslich korrespondierende Negation des Juden.
Bei der Analyse des Zusammenhanges zwischen Volk und Rasse bei Ro-
senberg und Hitler wurde mit der Frage begonnen, welche Position sie zur
Religion einnehmen, was sie unter Religion verstehen und was ihre bevorzug-
te Art der Religiosität ist. Als Nachweis für die religiösen Dimensionen ihres
Rassismus galt, daß ihr Verständnis von Religion die Bestimmung des „Ari-
ers" und „des Juden" prägte. Auch hatten Rosenberg und Hitler ein bestimm-
tes Bewußtsein von Geschichte, wonach die Gegenwart vor 1933 als Kata-
strophe (Not und Wende), die jüngste Vergangenheit als defizient und die
Zukunft als perfekt bewertet wurde. Der Schwerpunkt ihrer Argumentation
richtete sich aber nicht auf die Bestimmung der Zukunft, sondern auf die Be-
antwortung der Frage, wer wir sind, durch die Beantwortung der Frage, wo-
her wir kommen.
Rosenberg versucht mit dem Inhalt seines „Mythus" zur Wiedergeburt 14
und zur Konstitution der kollektiven Identität 15 der Deutschen beizutragen.
Weltanschauung ist Rosenbergs ideologischer Leitbegriff, der Oberbegriff,
welcher Religion, Wissenschaft und Kunst umfaßt.16 In Rosenbergs allgemei-
nem Religionsbegriff ist der Glaube an und das Bekenntnis zu Gott sowie die
Bindung der Seele an Gott enthalten.17 Rosenberg ist weiterhin von der Not-
wendigkeit einer „neuen Religion"18 überzeugt und sieht sich in der Pflicht,

Vgl. Alfred Rosenberg, Mythus, S. 15.


Vgl. ebd., S. 699.
Vgl. Alfred Rosenberg, Weltanschauliche Thesen, in: Hans-Günther Seraphim (Hrsg.), Das
politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35, Göttingen 1956, S. 241.
Vgl. ebd., S. 242.
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 620.
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der D e u t s c h e n 331

dazu „Vorarbeit zu leisten". Er hofft auf eine „deutsche religiöse Bewegung,


die sich zu einer Volkskirche entwickeln" soll. Für Rosenberg besteht eine
radikale Trennung zwischen Wissenschaft und Religion. Indes seien „Glaube"
und „Wissen" niemals „in Gegenstellung zu bringen", und „wahre Religion"
könne weder durch die Naturwissenschaften bewiesen noch widerlegt wer-
den. 21 Nach Rosenberg gibt es keine „voraussetzungslose Wissenschaft, son-
dern nur Wissenschaft mit Voraussetzungen". 22 Weiterhin könne „wahre
Wissenschaft" eine „echte Religion" nicht „entthronen". 23 Eine „echte Wis-
senschaft" habe „nur mit Mechanistik, Physik, Chemismus, Biologie" 4 zu
tun, „Darwinismus und Positivismus" werden expressis verbis verworfen.25
Rosenberg denkt zwar in der Spannung von Diesseits und Jenseits, lehnt es
aber ab, daß der Mensch „im Bannkreis des absoluten, fernen, herrschenden
Gottes" 26 lebt: „Religion hat nur mit dem .Himmelreich in uns' zu tun". 27 Ro-
senberg ist, getreu der Ziffer 24 des Parteiprogramms der NSDAP, Vertreter
eines „positiven Christentums". Er stellt das „positive Christentum" gegen-
über dem negativen heraus. Beide seien von jeher im Kampf begriffen.29 Für
Rosenberg war Christus kein Jude. 30 Er fordert keineswegs die totale Nega-
tion des Christentums, sondern ein neues, „fünftes Evangelium".31 Er meint,
in zwei kanonisierten Evangelien Elemente des positiven Christentums auf-
finden zu können. 32 Das Evangelium des Markus sei das „Urevangelium"33,
weshalb er es auch das „Ur-Markus-Evangelium" 34 nennt. Rosenberg bejaht
im Markus-Evangelium „den eigentlichen Kern der Botschaft von der Got-
teskindschaft"35 und im Johannes-Evangelium die Polarität von „gut und
böse". 36 Die christlichen Kirchen hätten seit Paulus die „Botschaft vom Him-
melreich inwendig in uns, von der Gotteskindschaft, vom Dienst für das
Gute und von der flammenden Abwehr gegen das Böse" 37 gefälscht. Die

19
Ebd., S. 601.
20
Ebd., S. 608, vgl. S. 515, 601, 602.
"' Vgl. Alfred Rosenberg, Weltanschauliche Thesen, in: Hans-Günther Seraphim (Hrsg.), Das
politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35, Göttingen 1956., S. 253.
22
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 119.
3
Ebd., S. 600.
'A Ebd., S. 135.
8
Vgl. ebd., S. 22, 600.
* Ebd., S. 246.
Ebd., S. 135; vgl. zum Topos „Himmelreich in uns" S. 218, 235, 601 ff.
3
Ebd., S. 78.
;
'' Vgl. ebd., S. 79.
" Vgl. ebd., S. 76.
'1 Ebd., S. 603.
2
Vgl. ebd., S. 604 ff.
Ebd., S. 607.
A
Laufender Kolumnentitel zu ebd., S. 604.
* Ebd.
36
Ebd.
* Ebd., S. 607.
J
332 Politik, Resakralisation und Annihilation

christlichen Kirchen seien paulinisch. Was paulinisch ist, ist nicht christlich,
was paulinisch ist, ist jüdisch, ist mithin negatives Christentum.
E c h t e Religion ist für R o s e n b e r g die Mystik Meister Eckharts samt den
damit angeblich entdeckten wahren Qualitäten von Seele. Meister Eckhart sei
der „größte Apostel des nordischen A b e n d l a n d e s " und habe „uns unsere Re-
ligion" 3 9 geschenkt. Rosenbergs spezifisches Verständnis von Religion ist mit
der K o n z e p t i o n der Rassenseele unlöslich verbunden. So meint er:
In Meister Eckehart kam die nordische Seele zum ersten Mal ganz zum Bewußt-
sein ihrer selbst. In seiner Persönlichkeit liegen alle unsere späteren Großen gebet-
tet. Aus seiner großen Seele kann — und wird - einmal der deutsche Glaube gebo-
ren werden. 40
Das Spezifikum der Rassendoktrin Rosenbergs besteht darin, daß Seele eine
Qualität der Rasse ist. Rosenberg begreift Rasse in der wechselseitigen Ab-
hängigkeit von I n n e n und A u ß e n , wobei Rasse — nur - die Außenseite von
Seele ist. 4 ' Die Logik der Philosophie und der Logos der Naturgesetze wer-
den zur Bestimmung der Rasse expressis verbis abgelehnt. 4 2 Rosenberg über-
trägt die in der Mystik Eckharts angeblich vorhandenen Qualitäten von Seele
auf und nur auf die Qualitäten der nordischen Seele. Die „Gottgleichheit der
Seele" wird z u m wesentlichen Prädikat der arisch-nordischen Seele. 4 3 Gott-
gleich ist aber nicht nur die Seele, sondern auch das Blut. Nach Rosenberg
erwacht „ein neuer Glaube: der Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem Blu-
te auch das göttliche Wesen des Menschen überhaupt zu verteidigen". 4 4 Die
Einheit von göttlicher und menschlicher N a t u r ist die prinzipielle Konfigura-
tion der rassischen Ursubstanz des deutschen Volkes. Die partielle Teilnah-
me an der religiös bestimmten Substanz ist auch die Grundlage der künftigen
Identität des deutschen Volkes, so daß es eines Tages „eins mit sich selbst wie
es Meister Eckehart e r s t r e b t e " werde. Weil die Potenz der Seele in allen
D e u t s c h e n wirke, bestehe zwischen allen toten, lebenden und zukünftigen
Deutschen Kohärenz.
D e r durch die Rasse, also das göttliche Blut und die göttliche Seele, ver-
mittelten Beziehung des deutschen Volkes zu G o t t stehe die jüdische „ G e -
genrasse" 4 5 — und nur die jüdische Rasse sei die „Gegenrasse" - gegenüber.
In der jüdischen Rasse wirke eine der Konsubstantialität von Mensch und
G o t t e n t s p r e c h e n d e Gegenkraft, eine ebenfalls substantialisierte Kraft, näm-
lich das Böse. Rosenberg führt zur Bestimmung der Juden keine sozialdarwi-

38
Vgl. ebd., S. 606, 235.
39
Ebd., S. 218, vgl. S. 618 ff.
40
Ebd., S. 258 f.
41
Vgl. ebd., S. 2.
42
Vgl. ebd., S. 117.
43
Vgl. ebd., S. 218, 234, 246, 618 ff.
44
Ebd., S. 114.
45
Ebd., S. 462.
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 333

nistisch-biologischen A r g u m e n t e an. Die Differenz zu den J u d e n wird be-


stimmt nach dem Muster des Kampfes zwischen G o t t und Satan. Die jüdi-
sche Rasse sei nur deshalb die „Gegenrasse", weil „der J u d e " der „Sohn der
Satan-Natur" 4 6 sei. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Rasse für Rosen-
berg eine Megapsyche ist und daß die Überlegenheit des deutschen Volkes
und damit aller Deutschen über die Mitglieder aller anderen Kollektive im
M o d u s religiöser Existenzinterpretation artikuliert wird. D e r Rassismus des
Stellvertreters des Führers in Fragen der Weltanschauung und der Erziehung
der Nationalsozialisten ist als religiöser Rassismus zu beurteilen. Auch der
modern anmutende Gebrauch der Begriffe „Selbstverwirklichung" 4 7 , „Selbst-
entfaltung" 4 8 , „Selbstbewußtsein" 4 9 , „Selbstgefühl" 5 0 , „Selbstvollendung" 5 1
und „Selbstbestimmung" 5 2 resultiert aus der Doktri n v o n der göttlichen Sub-
stanz der Seele; er betrifft nur die Mitglieder der nordischen Seelengemein-
schaft und ist nur daraus zu verstehen.
Die nationalsozialistische Ideologie ist aber nicht nur aufgrund der explizi-
ten und impliziten religiösen D i m e n s i o n e n des Rassismus, die in der Unter-
suchung aufgezeigt werden, als religiös zu charakterisieren, sondern auch weil
„ G l a u b e " eine zentrale Kategorie der Nationalsozialisten ist. E s ist nicht al-
lein die kollektive Identität der D e u t s c h e n , die mit der Kategorie des Glau-
bens festgelegt wird, sondern auch die identische Existenz der „Gegenkraft",
des „Feindes" schlechthin — „des J u d e n " - wird durch sie bestimmt.
Hitler gebraucht den Ausdruck Glaube an zentralen Stellen zur Bestim-
mung der nationalsozialistischen „Weltanschauung", die für ihn eine völki-
sche „Weltvorstellung" 5 3 ist. Am E n d e des Kapitels „Weltanschauung und
Partei" betont Hitler ausdrücklich, die N S D A P strebe die „Bildung" eines
„politischen Glaubensbekenntnisses" 5 4 an. N a c h Hitler m u ß „aus einer allge-
meinen Weltanschauung ein bestimmter politischer Glaube geprägt wer-
den". 5 5 Hitler verwendet den Begriff „ G l a u b e n " nicht allgemein, sondern im
Kontext mit der Bestimmung der Prädikate „völkisch" und „religiös". 5 6 Wei-
terhin kommt es ihm auf die „gesetzmäßige Kraft apodiktischen G l a u b e n s " 5 7
an. Für Hitler liegen in der „allgemeinen Bezeichnung ,religiös' einzelne
grundsätzliche Gedanken oder Überzeugungen, z. B. die der Unzerstörbarkeit

46
Ebd., S. 265.
47
Ebd., S. 248, 685, 589.
48
Ebd., S. 691.
49
Ebd., S. 8, 223, 259.
50
Ebd., S. 700.
51
Ebd., S. 684.
52
Ebd., S. 222.
53
\dolf Hitler, Mein Kampf, S. 424
54
Ebd.
55
Ebd., S. 418.
56
Ebd., S. 416 ff.
s
" Ebd., S. 417.
334 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

der Seele, der Ewigkeit ihres Daseins, der Existenz eines höheren Wesens
usw.". 5 8 Hitler gebraucht also den Begriff Religion im konventionellen Sinne.
D e r religiöse G e h a l t der allgemeinen Weltanschauung Hitlers ist nicht neu-
heidnisch. So macht sich Hitler in „Mein K a m p f über diejenigen „ N a t u r e n "
und „ R a u s c h e b ä r t e " lustig, die „von altgermanischem Heldentum schwär-
m e n " und mit „altdeutschen, vorsorglich nachgemachten Blechschwertern in
den Lüften herumfuchteln". 5 9
Hitler spricht in seinen Reden beständig von dem „Allmächtigen" und der
„ V o r s e h u n g " . 6 0 Hitler glaubt, daß er eine besondere Beziehung zu G o t t hat
und daß sein persönliches Schicksal mit d e m Willen Gottes übereinstimmt. 6 1
Er glaubt weiterhin, daß das deutsche Volk von G o t t geschaffen ist und ewig
lebt. 6 2 Das deutsche Volk ist mächtig, weil G o t t allmächtig ist: „Wenn aber
diese Allmacht ein Werk segnet, so wie sie unseres gesegnet hat, dann kön-
nen Menschen es auch nicht m e h r zerstören." 6 3
Hitler überträgt in gewisser Weise die Anschauung des Kampfes um das
Dasein in den K a m p f um das Überleben der Rassen und hält sogar den Sieg
der jüdischen Rasse für möglich und ist darüber hinaus von der panischen
Angst besessen, daß „der J u d e " siegt u n d „der Arier" von der E r d e ver-
schwindet. Für Hitler fallen der Wille der N a t u r und der Wille Gottes zusam-
men. Hitler m ö c h t e die Bedingung dafür schaffen, „daß unser Volk zur Er-
füllung der auch ihm v o m Schöpfer des Universums zugewiesenen Mission
heranzureifen vermag". 6 4 D a s deutsche Volk kann diese Mission erfüllen,
d e n n es hat eine Substanz, die Rasse des Ariers. D e r Arier ist Kulturbegrün-
der, d e n n er ist „allein der Begründer höheren M e n s c h e n t u m s " und „Lirtyp"
dessen, „was wir unter d e m W o r t e .Mensch' verstehen"; er ist „der Promet-
heus der Menschheit, aus dessen lichter Stirne der göttliche Funke des Genies
zu allen Zeiten h e r v o r s p r a n g " . 6 5 D a r ü b e r hinaus hat der Arier das Prädikat,
„das h ö c h s t e Ebenbild des H e r r n " 6 6 zu sein. Die Arier seien „Gotteskin-
der". 6 ^ Religion und Kultur sind mithin die maßgebenden Kriterien zur Be-
s t i m m u n g der kollektiven Identität des deutschen Volkes. Nicht in die Mei-
nung, der Rassismus Hitlers sei vorwiegend biologisch-darwinistisch zu be-
werten, paßt auch die wechselseitige Abhängigkeit bei der Bestimmung des
sogenannten Wesens aller Arier und Juden. Unauflöslich verknüpft Hitler das

58
Ebd.
59
Ebd., S. 396 ff.
60
Max Domarus, Hitler, S. 17, 95, 135, 208, 609, 704, 849, 1442, 1942, 2074, 2196, 2198.
61
Vgl. ebd., S. 849.
62
Vgl. ebd., S. 187.
63
Ebd., S. 700.
64
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 234, vgl. 438 f.
65
Ebd., S. 317.
66
Ebd., S. 421, vgl. zum Topos „Ebenbild des Herrn" S. 196, 445.
6
' Fragment Hitlers „Monumentale Geschichte der Menschheit", veröffentlicht in: Werner
Maser, Hitlers Briefe und Notizen, Düsseldorf 1973, S. 93.
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 335

Rassenproblem mit der Judenfrage. 68 Die Verknüpfung ist wechselseitig, weil


Hitler meint: „Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude." 69 Ist
der Arier Kulturbegründer, so ist „der Jude" der „Kulturzerstörer". 70 So wie
Hitler meint: „Wer die Hand an das höchste Ebenbild des Herrn zu legen
wagt, frevelt am gütigen Schöpfer dieses Wunders und hilft mit an der Ver
treibung aus dem Paradies" 71 , so ist der gewaltigste Gegensatz zum allgütigen
Schöpfer das Böse; das Böse als die Macht der Zerstörung des Lichtes, der
Wahrheit und des Lebens. Hitler ist tatsächlich der Überzeugung, die Identi
tät aller Juden sei durch das Böse bestimmt. In „Mein K a m p f heißt es wort
wörtlich, der Jude sei die „Gottesgeißel" 72 , die „Personifikation des Teufels
als Sinnbild alles Bösen" 73 , „Urbild der ,Kraft, die stets das Böse will'", 4 oder
die Juden seien als Erfinder des Marxismus „wahre Teufel". 75 Religion zu
haben oder nicht zu haben ist ein wesentliches Kriterium der Differenz zwi
schen Jude und Arier.76 Während jeder Arier bereit sei, sich selbst zu opfern,
wirke in jedem Juden der Selbsterhaltungstrieb: „Der Aufopferungswille im
jüdischen Volke geht über den nackten Selbsterhaltungstrieb des einzelnen
nicht hinaus." 77 Die „jüdische Religionslehre" sei „in erster Linie eine Anwei
sung zur Reinhaltung des Blutes des Judentums". 78 Das maßgebende Kriteri
um dafür, daß der Jude im Gegensatz zum Arier keine Religion habe, sei der
fehlende Glaube an das Jenseits. 79 „Fremd" sei dem „ursprünglichen eigenen
Wesen" des Juden schon Christus gewesen. Die Reduktion der jüdischen Exi
stenz auf das Diesseits habe schon Christus erkannt, der, was nicht zu verges
sen ist, für Hitler wie für Dietrich Eckart, Joseph Goebbels und Alfred Ro
senberg auch, kein Jude war.80 Deshalb sei Christus vom „Widersacher jedes

68
„Ohne klarste Erkenntnis des Rasseproblems, und damit der Juden frage, wird ein Wieder
aufstieg der deutschen Nation nicht mehr erfolgen", Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 372.
69
Ebd., S. 329.
70
Ebd., S. 318.
71
Ebd., S. 421.
~2 Ebd., S. 339.
73
Ebd., S. 355.
74
Ebd., S. 332.
75
Ebd., S. 68.
'' „Das Judentum war immer ein Volk mit bestimmten rassischen Eigenarten und niemals
eine Religion", ebd., S. 335.
Ebd., S. 330.
78
Ebd., S. 336.
„(...] aus dem ursprünglichen eigenen Wesen kann der Jude eine religiöse Einrichtung
schon deshalb nicht besitzen, da ihm der Idealismus in jeder Form fehlt und damit auch der
Glaube an ein Jenseits vollkommen fremd ist. Man kann sich aber eine Religion nach ari
scher Auffassung nicht vorstellen, der die Überzeugung des Fortlebens nach dem Tod in
irgendeiner Form mangelt", ebd., S. 336.
„Sein Leben ist nur von dieser Welt, und sein Geist ist dem wahren Christentum innerlich
so fremd, wie sein Wesen es zweitausend Jahre vorher dem großen Gründer der neuen Leh
re selber war", ebd.
336 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

Menschentums" 81 ermordet worden. Der Antisemitismus ist wesentlicher Be-


standteil des nationalsozialistischen Rassismus. Die Bestimmung der kollekti-
ven Identität der Arier und auch der Juden folgt dem Modus religiöser Sinn-
stiftung. „Der Jude" sei der Widersacher jedes Menschentums, der Widersa-
cher Christi und damit der potentielle Mörder des gottmenschlichen Ariers
und des arisch-göttlichen Volkes der Deutschen. Hitler projiziert das Böse in
das Judentum. Auch der Rassismus Hitlers ist religiöser Natur.
Mit der biologischen Charakterisierung der Ideologeme Rasse und Arier
wird der volle Gehalt des nationalsozialistischen Rassismus verdeckt. Die Ar-
gumentationen Hitlers und Rosenbergs lassen einen Gebrauch der Begriffe
Rasse und Arier erkennen, der über die Determination durch das Blut oder
die Disposition durch Vererbung und Gene weit hinausgeht. Der Rassismus
wird in seiner Bedeutsamkeit für die Sinnstiftung des Lebens, die Konstruk-
tion gesellschaftlicher Wirklichkeit und die Konstitution politischer Macht
unterschätzt. Insofern die Bildung und Wirkung von Ideologien nur durch
Funktionen des menschlichen Denkens erklärt werden können, vor allen Din-
gen durch den Zusammenhang von Emotion und Kognition, muß auf einige
ungelöste Probleme hingewiesen werden. Gleichwohl schlage ich vor, das
Ideologem Arier als Symbol, Metapher, Personifikation, Inkarnation oder Re-
präsentation von etwas zu bezeichnen, das der Sache nach nicht wahrnehm-
bar oder darstellbar ist, nur geistig oder kognitiv erfaßt werden kann. Außer-
dem ist es plausibel, daß mit dem Ideologem Rasse etwas artikuliert wird,
wodurch mehrere und voneinander verschiedene Komplexe zusammenfallen
und ineinander transformiert werden können. Ob die verschiedenen Komple-
xe die Struktur eines Symbols, einer Metapher, einer Inkarnation, einer Ex-
pression oder Repräsentation haben oder nicht, kann hier nicht abschließend
herausgearbeitet werden. Aber immerhin sind folgende Konnotationen und
ihre jeweiligen Konjunktionen erkennbar. Mit dem Ideologem Arier wird die
gesamtgesellschaftliche Existenz von Volk und Nation artikuliert. Der Arier
ist eine Repräsentation des Volkes, und dadurch wird der nur geistig zu er-
kennende Prozeß des Vereinens personifiziert. Das gilt erst recht dann, wenn
der Begriff des Volkes alle toten, lebenden und noch nicht geborenen Mitglie-
der eines Kollektivs umfaßt. Das Verständnis von Volk wird radikalisiert, in-
sofern die Existenz von Volk auf seine Wurzeln zurückgeführt wird. Die Ra-
dikalisierung wird durch die häufige und gewichtige Verbindung von Haupt-
wörtern mit dem Präfix „ur" formuliert. So verwendet Hitler die Worte „Ur-
typus" und „Urelemente", Rosenberg sogar „Ursubstanz" und „Urphänome-
ne". Hitler und Rosenberg sind nur aus einer Kultur heraus zu begreifen, in

„Freilich machte dieser aus seiner Gesinnung dem jüdischen Volk gegenüber keinen Hehl,
griff, wenn nötig, sogar zur Peitsche, um aus dem Tempel des Herrn diesen Widersacher
jedes Menschentums zu treiben, der auch damals wie immer in der Religion nur ein Mittel
zur geschäftlichen Existenz sah. Dafür wurde dann Christus freilich an das Kreuz geschla-
gen", ebd., S. 336.
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 337

d e r einem Urzustand ein nicht hintergehbares Gewicht beigemessen wird.


Für Hitler und R o s e n b e r g sind der Urgrund und das Ursprüngliche das Bes-
sere, das Eigentliche u n d das E c h t e . Ursprüngliche Einheit, Reinheit und
Macht sind das Maß aller Dinge u n d das Ziel aller Intentionen. Hitler und Ro-
senberg teilen eine Überzeugung, nach welcher der Urgrund als der schöpfe-
rische Anfang die Mannigfaltigkeit aller Erscheinungen in sich birgt und aus
sich hervorbringt. Das impliziert aber auch den Abfall v o m Urgrund bis zur
Möglichkeit des Abgrundes und die Wiedergewinnung des Urgrundes durch
Aufstieg, Wiedergeburt oder - in der striktesten W o r t b e d e u t u n g - Revolu-
tion. Mit der Ursprungsspekulation, der überlegenen Macht des Urgrundes,
werden auch Aussagen über Ursache und Wirkung gemacht. D a m i t wird ein
spezifischer Typus, über Kausalität zu urteilen, dem Inhalt und der F o r m
nach festgelegt. Die Macht eines Kollektivs oder eines Individuums kann als
Potenz begriffen werden, die wegen der ursprünglichen Qualität trotz widrig-
ster Umstände aktualisiert werden kann. Das heißt, daß mit dem M o d u s des
Übergangs von der potentiellen in die aktuelle Seinsweise, die besonders in
der Seelenspekulation Rosenbergs erkennbar ist, Aussagen über die Macht
des gegenwärtigen Kollektivs g e m a c h t werden. Für die Identität des Kollek-
tivs ist ein substantieller G r u n d v o r h a n d e n , mit dem viele Zweifel und Unsi-
cherheiten an der unmittelbar erlebten Realität beseitigt werden können. Die
Annahme einer ursprünglichen Substanz ist die Grundlage dafür, die Erfül-
lung aller wünschenswerten Ziele und Z u s t ä n d e für realisierbar halten zu
können und Intentionen, die unter d e m Eindruck der pragmatischen Reali-
tätserfahrung, der auch der Rassist unterliegt, als hoffnungslos, utopisch und
traumhaft im Sinne einer nie zu realisierenden Wirklichkeit bewertet werden
können, erhalten ein F u n d a m e n t . W e r d e n der P r o z e ß des Ursprungs u n d die
Wirkung des Urgrundes für wahr gehalten, so kann man davon überzeugt
sein, daß das in der Gegenwart unmöglich Erscheinende möglich wird, daß
das, was einmal war, wieder eintreten wird. Schließlich wird mit dem I d e o -
logen! Arier auch der Urgrund von Seele personifiziert. Dabei ist zu berück-
sichtigen, daß für Rosenberg Seele die Innenseite von Rasse ist und Hitler an
die Existenz der Volksseele glaubt. Unter der Voraussetzung, daß die Bildung
und Anerkennung einer Ideologie stets auch ein psychischer Prozeß ist, auch
wenn man Psyche nicht mehr als Substanz, sondern nur als E n s e m b l e be-
stimmter Funktionen begreift, m ö c h t e ich auf folgende sozialpsychologische
Komplexe hinweisen. 8 2 D a s Ideologem Rasse ermöglicht die Erfüllung sym-
biotischer Sehnsüchte. Mit dem Ideologem Arier k ö n n e n die Gefühle der
Stärke, G r ö ß e und Macht als Ausgleich für unmittelbar erfahrene Defizienz
erlebt werden. D u r c h die Imagination einer Teilnahme an einem genialen
Kern des Kollektivs kann die Kluft zwischen narzißtischen Idealen und nicht

Es versteht sich, daß ich hier auf der Ebene der Plausibilität argumentiere und daß es sich
dabei nur um Hypothesen handeln kann.
338 Politik, Resakralisation und Annihilation

v o r h a n d e n e n Fähigkeiten geschlossen werden. Es ist nicht zu bezweifeln, daß


folgender Kettenschluß funktioniert: G o e t h e ist ein Teil des genial-überzeit-
lichen Kollektivs der D e u t s c h e n — G o e t h e ist ein Genie - ich oder die Repro-
duktion meines E g o s (Kinder) sind Teil des genialen Genpools (Blut) meiner
durch A b s t a m m u n g definierten Gemeinschaft. Nichts scheint schöner als das
Gefühl der Macht, welches leider G o t t e s s c h o n durch reine Phantasie und
pure Imagination hervorgerufen werden kann. Im Ideologem der Rasse ist
auch die Verneinung der schichtenspezifischen Nachteile und Unterschiede
durch Habitus, Geld, Bildung und aristokratische Herkunft, vermittelt durch
die imaginierte Teilhabe an einem göttlich-mächtigen Kern, enthalten. Gera-
de weil die Potentialität der Artgleichheit auf den nächsten bezogen wird und
nicht auf die gesamte Menschheit, ist die die Minderwertigkeit kompensieren-
de Wirkung des Rassismus gerade von den der Aufklärung verpflichteten In-
tellektuellen erkannt worden. Das Paradigma der Homogenität, der Gleich-
ursprünglichkeit, in bezug auf die eigene Brut, gestattet die Differenz zu Men-
schen, den F r e m d e n , eine Differenz, die nicht unter Beweis gestellt zu wer-
den braucht. Last but not least m u ß erkannt werden, daß das Ideologem Ras-
se die Entlastung von intellektueller Anstrengung des Begriffs, von Verant-
w o r t u n g und Gewissen gestattet. Mit d e m Glauben an die Teilhabe an einer
ursprünglichen Kraft kann die Freisetzung - boshaft formuliert: Emanzipa-
tion — des vitalen u n d aggressiven Elans der Menschen bewirkt werden. Mag
auch das Ideologem Rasse ein P h ä n o m e n neurotischer Kultur sein, so ist
d o c h die völkische Weltanschauung Rosenbergs und Hitlers nicht primitiv.
Letztlich wird alles zusammengehalten durch die religiösen Dimensionen der
hier kognitiv und sozialpsychologisch behaupteten Strukturen.

4. Der Zusammenhang der Komplexe Reich, Führer, Volk,


Rasse und Antisemitismus

D e r Z u s a m m e n h a n g der verschiedenen Komplexe der nationalsozialistischen


Ideologie resultiert aus der Verbindung zwischen dem Problem der Konstitu-
tion kollektiver Identität und den religiösen Dimensionen der Topoi Volk,
Rasse, Reich, Führer, Arier und J u d e . Das „Dritte Reich" ist demnach ein
Reich der Zukunft, welches hauptsächlich durch das Prädikat „ E r l ö s u n g "
qualifiziert ist und dadurch das Bewußtsein von Gesellschaft bestimmt. G e -
genwart und Zukunft sind durch einen qualitativen Sprung getrennt. D e m
qualitativen Sprung geht eine Zeit der Krise und der Katastrophe voraus.
Z u m Zwecke zukünftiger E r l ö s u n g und der Ermöglichung der Macht des
Volkes und der Herstellung der Einheit und Reinheit des Kollektivsubjektes
„deutsches Volk" m u ß ein K a m p f stattfinden. Dieser Kampf ist kein beliebi-
ger Kampf, sondern wird innerhalb eines substantiell verstandenen Dualis-
mus zwischen G o t t und dem Bösen gedeutet. Die Identität der Gesellschaft
Nationalsozialistische Ideologie und Identität der Deutschen 339

wird nicht nur durch die Vorstellung, ein Mensch verkörpere das Volk, kon-
stituiert, sondern die synthetisierende Funktion eines Führers ist begleitet v o n
d e r Imagination, ein Mensch fungiere als Vermittler zwischen G o t t und Volk.
D i e Nationalsozialisten interpretierten sich nicht nur als I n s t r u m e n t e des
göttlichen Willens der Geschichte, sondern auch als Inkarnation G o t t e s . D e m
historischen und kosmischen Fundamentalkonflikt zwischen G o t t und dem
Bösen korrespondiert die Substantialisierung b e s t i m m t e r Kollektivsubjekte,
ihrer Macht und ihrer Identität. Das deutsche Volk kann Subjekt seiner Heils-
geschichte sein, weil es die divinisierte Substanz der Rasse der Arier hat. Mit
d e m Ideologem Arier wird die religiöse Sehnsucht nach der Präsenz des G ö t t -
lichen artikuliert, und zwar der Präsenz des Göttlichen im Volk. Die alte Fra-
g e , wer das Volk G o t t e s sei, wird substantiell beantwortet. Z w i s c h e n G o t t
und Volk, das heißt zwischen irdischen und überirdischen Mächten, besteht
kein Vertrag, bei dem an einen jenseitigen G o t t geglaubt wird, der außerhalb
des Volkes existiert. Der Arier hingegen ist laut den hier behandelten Quellen
ein gottmenschlicher M a k r o a n t h r o p o s , die V e r k ö r p e r u n g G o t t e s in einem
Teil der Menschheit. Die Realpräsenz G o t t e s findet im Blut und in der Mega-
psyche der Rasse statt. Mensch und Kollektiv werden nicht analog zu G o t t
verstanden, sondern die Rasse ist gottgleich. So wie die arisch-nordische See-
le das „Himmelreich" in ihrem Selbst hat, wird das Böse kollektiviert. Das
Kollektivsubjekt Jude wird zur satanischen Gegenrasse substantialisiert. D e r
Jude, und damit jeder einzelne J u d e , wird nicht mit rein biologischen G r ü n -
den zur Gegenrasse erklärt. Die F r e m d b e s t i m m u n g aller J u d e n hat, wie Eric
Voegelin schon früh erkannte, die Funktion der „ G e g e n i d e e " . 8 D e r J u d e
wird von Hitler und Rosenberg im M o d u s der Konsubstantialität von Satan
und Mensch wahrgenommen. Die Satanisierung aller J u d e n wird von Dietrich
Rekart und Joseph Goebbels wortwörtlich mit der Bezeichnung „Antichrist"
vorgenommen. Aber auch die Charakterisierung „des J u d e n " bei Rosenberg
- im Z u s a m m e n h a n g mit der Bestimmung des „positiven C h r i s t e n t u m s " - als
Satan und bei Hitler im Kontext mit der B e s t i m m u n g des J u d e n t u m s und des
Todes Christi als „Widersacher jedes M e n s c h e n t u m s " läßt die K o n n o t a t i o n
der Bedeutung von „Antichrist" erkennen, was im folgenden Abschnitt noch
zu erörtern ist. Summa summaru m kann festgestellt werden, daß alle K o m p l e -
xe der nationalsozialistischen Ideologie eine religiöse D i m e n s i o n haben. Weil
das nationalsozialistische Bewußtsein von Mensch, Gesellschaft und G e -
schichte überwiegend von einer religiösen Existenzinterpretation bestimmt
wird und weil die Bewertung von Macht, Herrschaft, Staat und Recht davon
abhängt, hat die nationalsozialistische Ideologie die Qualität einer politischen
Religion. O h n e die religiösen D i m e n s i o n e n der nationalsozialistisch definier-
ten Kategorien des Daseins, des E r k e n n e n s und des Politischen bestünde

Eric Voegelin, Rasse und Staat, Tübingen 1933, S. 181 ff.


340 Politik, Resakralisation und Annihilation

zwischen Ursprung und Ziel, zwischen Identität und Substanz, zwischen


Volk und Reich, zwischen Führer und Masse und zwischen allen einzelnen
Mitgliedern der Gemeinschaft kein Zusammenhang. Welcher Art aber die na-
tionalsozialistische Religiosität ist, soll im nächsten Kapitel präzisiert werden
- um Mißverständnisse auszuschließen.
IL Der Modus der Religiosität

1. Apokalyptik, Satanologie und AntiJudaismus


im Neuen Testament

Gewiß haben die christlichen Großkirchen die Offenbarung des Johannes


immer mißtrauisch behandelt, vor allem dann, wenn sich die verschiedensten
häretischen und schwärmerischen Bewegungen auf sie beriefen. Aber sie ist
nun einmal der allerletzte Teil der kanonisierten christlichen Quellen, der
christlichen Bibel. Auf die mannigfaltige Literatur zur Offenbarung selbst
oder zu den verschiedenen Varianten und Umdeutungen braucht hier nicht
eingegangen zu werden.1 Um Vorurteilen und Mißverständnissen vorzubeu-
gen, sollen im folgenden die Struktur der Apokalyptik, die Bedeutung des
Teufels und der AntiJudaismus in der Schrift so kurz wie möglich beschrie-
ben werden. In der Offenbarung des Johannes wird - im Rückblick auf das
Leben und Wirken Jesu - der zukünftige Verlauf der Geschichte bis zur Wie-
derkunft Jesu beschrieben. Der zukünftige Verlauf der Geschichte ist be-
stimmt durch ein Ziel, nämlich die Verwirklichung des Reiches Gottes. Die
Apokalypse des Johannes ist für den Glauben der Christen deshalb von Be-
deutung, weil die von Jesus selbst prophezeite endgültige Vollendung der
Heilsereignisse zum Zeitpunkt der Abfassung der Apokalypse und bis heute
immer noch nicht eingetreten ist. Entscheidend ist in unserem Zusammen-

Vgl. Hans Urs von Balthasar, Apokalypse der deutschen Seele. Studien zu einer Lehre von
den letzten Haltungen, 3 Bde., Salzburg/Leipzig 1937; Klaus Breuning, Die Vision des Rei-
ches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929-1934), München
1969; Norman Cohn, Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianis-
mus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern/
München 1961; Martin Erbstösser/Ernst Werner, Ideologische Probleme des mittelalterli-
chen Plebejertums. Die freigeistige Häresie und ihre sozialen Wurzeln, Berlin 1960; Amon
Funkelstein, Heilsplan und nationale Entwicklung. Gegenwartsbestimmung im Geschichts-
denken des Mittelalters, München 1965; Heinz Hertl, Das Dritte Reich in der Geistesge-
schichte, Hamburg 1934; Klaus Koch, Rettung vor der Apokalyptik, Gütersloh 1978; Karl
Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Ge-
schichtsphilosophie, Stuttgart 1961; Wilhelm Lütgert, Reich Gottes und Weltgeschichte,
Gütersloh 1928; Julius Petersen, Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich in deutscher Sage
und Dichtung, Stuttgart 1934; Walter Schmitthals, Die Apokalyptik. Einführung und Deu-
tung, Göttingen 1973; Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, München 1959;
Klaus Vondung, Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des
Nationalsozialismus, Göttingen 1971; ders., Die Apokalypse in Deutschland, München
1988.
342 Politik, Resakralisation und Annihilation

hang nicht, wann und von wem die Apokalypse des Johannes verfaßt worden
ist. Entscheidend ist vielmehr, daß der Text zum Glaubensinhalt der Christen
wurde und daß er am E n d e des N e u e n Testamentes steht. Die reichhaltigen,
nur aus der Zeit der Abfassung zu verstehenden Bezüge sind hier deshalb
nicht relevant, weil sie erst durch m ü h s a m e historische Studien von Speziali-
sten herausgearbeitet wurden, also die Existenzinterpretation nicht beeinflus-
sen k o n n t e n .
Im Z u s a m m e n h a n g mit der Predigt Jesu vom Reich, das k o m m e , und der
Erlösung v o m Übel (Bösen), wie sie jeder Christ im „Vaterunser" beten lernt,
ist die Offenbarung des J o h a n n e s Glaubensgrundlage sowohl für die Priester
als auch für die Laien. In ihr wird eine Eigenart menschlichen Seins, nämlich
die Fähigkeit des v o r w e g n e h m e n d e n , die Zukunft denkenden Bewußtseins
spezifiziert. Das dem J o h a n n e s via Christus geoffenbarte Wissen Gottes über
den Verlauf der Zukunft bezieht sich auf ein Geschehen von kosmischer
Weite. Satan, dämonische Mächte, Engelwesen, finstere Streitkräfte sowie un-
heimliche Gewalten treten in dem als D r a m a konzipierten Verlauf auf. Die
darin geschilderten Katastrophen haben immer wieder fasziniert. Gleichwohl
ist Apokalyptik nicht prinzipiell pessimistisch oder nihilistisch. Verstanden
werden die in der Offenbarung des J o h a n n e s geschilderten furchtbaren Ereig-
nisse wie Krieg, Krankheiten, H u n g e r s n o t und Naturzerstörung im ursprüng-
lichen Sinn des Wortes „katastrophe", nämlich als Wende; als Wende zum
Besseren u n d als W e n d e zur Erlösung. D e m ersten Zeitalter der Erlösung,
dem Tausendjährigen Reich, geht die b e r ü h m t e Christusschlacht voraus. Ge-
nau hier ist der O r t für den Glauben an einen triumphierenden, militanten,
die Kräfte des Bösen und Satan selbst besiegenden Jesus Christus:

Und er war angetan mit einem Kleide, das mit Blut besprengt war; und sein Name
heißt das Wort Gottes. Und ihm folgte nach das Heer im Himmel auf weißen Pfer-
den kommend angetan mit weißer und reiner Leinwand. (19,13; 19,14)2

Jesus ist bis an die Z ä h n e bewaffnet, d e n n


aus seinem Munde ging ein scharfes Schwert. (19,15)
D e r nächste Vers des Kapitels 19 läßt eine politische, jedenfalls auf Kraft,
Macht und Gewalt hinauslaufende D e u t u n g zu:
Und der hat einen Namen geschrieben auf seinem Kleid und auf seiner Hüfte also:
Ein König aller Könige und ein Herr aller Herren.
Mit guten, aus der Schrift belegbaren G r ü n d e n dürfen die Christen glauben,
daß die Ungläubigen vernichtet werden:
Und ich sah einen Engel in der Sonne stehen; und er schrie mit großer Stimme und
sprach zu allen Vögeln, die unter dem Himmel fliegen: Kommt und versammelt

Ich folge hier der mir zur Konfirmation geschenkten Übersetzung Martin Luthers, Evange
lische Haupt-Bibelgesellschaft Berlin.
Der Modus der Religiosität 343

euch zu dem Abendmahl des großen Gottes, daß ihr esset das Fleisch der Könige
und der Hauptleute und das Fleisch der Starken und der Pferde und derer, die dar
auf sitzen, und das Fleisch aller Freien und Knechte, der Kleinen und Großen! Und
ich sah das Tier und die Könige auf Erden und ihre Heere versammelt, Streit zu
halten mit dem, der auf dem Pferde saß, und mit seinem Heer. (19,17;19,18;19,19)
W a r u m sollten die Christen nicht an die Wahrheit der n u n folgenden ge
schichtlichen Ereignisse glauben dürfen?
Und das Tier ward gegriffen und mit ihm der falsche Prophet, der das Zeichen tat
vor ihm, durch welche er verführte, die das Malzeichen des Tieres nahmen und die
das Bild des Tieres anbeteten; lebendig wurden diese beiden in den feurigen Pfuhl
geworfen, der mit Schwefel brannte; und die anderen wurden erwürgt mit dem
Schwert des, der auf dem Pferde saß, das aus seinem Mund ging; und alle Vögel
wurden satt von ihrem Fleisch. (19,20; 19,21)
G e w i ß ist es auch denkbar, daß man das folgende Kapitel, nämlich das dritt
letzte, nicht zur Kenntnis nimmt oder an die Wahrheit dieser P r o p h e z e i u n g
einfach nicht glaubt. Unter Berufung auf das N e u e T e s t a m e n t kann aber
ebenso an die Wahrheit des im 20. Kapitel beschriebenen Zustands des Tau
sendjährigen Reiches geglaubt werden. N u r und nur durch das N e u e Testa
ment und über die Offenbarung des J o h a n n e s wurde die Apokalyptik in der
europäischen Tradition rezipiert, und nur in der Offenbarung des J o h a n n e s
finden wir die Vorstellung vom Tausendjährigen Reich. G e m ä ß d e m Inhalt
des 20. Kapitels wird Satan für tausend J a h r e g e b u n d e n :
Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan, und
band ihn tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und ver
siegelte obendrauf, daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollen
det würden tausend Jahre; und darnach muß er los werden eine kleine Zeit. (20,2;
20,3)
Ja, die Christen dürfen glauben, d a ß die Märtyrer eine erste Wiederauferste
hung erleben und mit Christus tausend J a h r e herrschen:
Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet sind um des Zeugnisses Jesu und um
des Wortes Gottes willen, und die nicht angebetet hatten das Tier noch sein Bild
und nicht genommen hatten sein Malzeichen an ihre Stirn und auf ihre Hand; diese
lebten und regierten mit Christus tausend Jahre. (20,4)
Der Inhalt der letzten zwei Kapitel der christlichen Bibel ist bekannt. D e r
Satan wird wieder losgelassen, es k o m m t zum Entscheidungskampf zwischen
Satan und G o t t — die Kräfte der Finsternis werden besiegt. Satan und seine
Anhänger werden vernichtet. Ewige E r l ö s u n g ist den Christen, aber n u r die
sen, gewiß; eine nicht minder lehrreiche als heilsame Prophezeiung. Entschei
dend für die Struktur des apokalyptischen D e n k e n s sind folgende M o m e n t e :

1. Die Beziehung zwischen Gegenwart und Zukunft ist dadurch gekennzeich


net, daß ein qualitativer Sprung zwischen der N o t , dem Elend und den Ka
tastrophen der Gegenwart und der E r l ö s u n g im Tausendjährigen oder
Ewigen Reich Gottes a n g e n o m m e n wird.
344 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

2. D e r Zustand der Erlösun g wird durch K a m p f und Vernichtung herbeige-


führt. Dieser K a m p f ist ein K a m p f zwischen den überirdischen Kräften
des Lichtes und der Finsternis, der Macht G o t t e s und der Macht des Bö-
sen. Sieg und Heil fallen z u s a m m e n . Die Menschen werden entweder er-
löst oder nicht, sind entweder Kinder des Satans oder Kinder G o t t e s .
3. Herbeigeführt wird der Sieg über die Kräfte des Bösen nur und nur durch
die Macht G o t t e s . N u r und nur die göttlichen Mächte, also nicht die Men-
schen selbst, haben somit das Recht, die Bösen zu vernichten.

In der Offenbarung des J o h a n n e s , innerhalb des Dualismus und der Überwin-


d u n g des Dualismus G o t t und Satan, finden wir keinen primär antijudaischen
Fundamentalismus. Aber immerhin, und das ist keine Kleinigkeit, gelten die
Anhänger der jüdischen Religion als „Schule des Satans" (Offb. 2,9; 3,9). Mit
Blick auf die politische Religiosität der hier behandelten Nationalsozialisten,
nach welcher der J u d e der Antichrist sei, interessiert im folgenden, inwiefern
die Rede v o m J u d e n als Antichrist, also v o m Bösen determiniert, einen Halt
in den Evangelien und Briefen des N e u e n Testamentes hat. Entscheidend ist,
welche Bedeutung die Rede v o n der Macht Satans innerhalb der uns überlie-
ferten Predigt Jesu v o m Reich G o t t e s hat. Aus hier nicht zu erörternden
G r ü n d e n ist die Bedeutung Satans im N e u e n Testament wesentlich größer als
im sogenannten Alten T e s t a m e n t , der Bibel der Juden. Satan ist eben nicht
nur ein abgefallener Engel oder ein schlichter Gegenspieler, sondern „Lüg-
n e r " und „Mörder von Anfang a n " (Evangelium des Joh. 8,44). Jesus hinge-
gen ist Exorzist. Jesus ist nach der Überlieferung der Evangelien in der Lage,
Teufel auszutreiben. Jesus hat die Macht, verändernd in die N a t u r der Dinge
und der Menschen einzugreifen. Die Predigt Jesu Christi v o m Reich G o t t e s
geht einher mit der Austreibung des Teufels: „So ich aber die Teufel durch
den Geist G o t t e s austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch g e k o m m e n "
(Matth. 12,28). — Zwei Verse später: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider
mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut."
Auch die J ü n g e r Jesu partizipieren an der Kraft des Gottessohnes, mithin
an der Kraft G o t t e s . 3 E s sind aber nicht nur die Jünger, die diese Macht er-
halten, sondern auch die Anhänger Jesu. Die immer wieder in der Geschichte
des Abendlandes anzutreffende A n n a h m e , bestimmte Anhänger Christi hät-
ten die Macht, den Teufel in Gestalt der Heiden, Ketzer, Frauen oder J u d e n
zu bekämpfen, hat Halt im N e u e n Testament und geht einher mit der Predigt
v o m Reich, das k o m m t :

Die Siebzig aber kamen wieder mit Freuden und sprachen: Herr, es sind uns auch
die Teufel untenan in deinem Namen. Er sprach aber zu ihnen: Ich sah wohl den
Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Sehet, ich habe euch Macht gegeben, zu
treten auf Schlangen und Skorpione und über alle Gewalt des Feindes; und nichts

„Er aber rief die Zwölf zusammen und gab ihnen Gewalt und Macht über die Teufel und
daß sie Seuchen heilen konnten und sandte sie aus, zu predigen das Reich Gottes und zu
heilen die Kranken", Lk. 9,1-12; vgl. Matth. 10,1; Mk. 6,13.
D e r M o d u s der Religiosität 345

wird euch beschädigen. Doch darin freuet euch nicht, daß euch die Geister Unter-
tan sind. Freut euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind.4
D a s G e b o t der Nächstenliebe, wie auch immer korrekt zu deuten, kann un-
terlaufen werden, weil diejenigen, die nicht an Jesus und seine Predigt v o m
Reich G o t t e s glauben, verbrannt werden:
Der Acker ist die Welt. Der gute Samen sind die Kinder des Reiches. Das Unkraut
sind die Kinder der Bosheit. Der Feind, der sie sät, ist der Teufel. Die Frnte ist das
Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Gleich wie man nun das Unkraut aus-
jätet und mit Feuer verbrennt, so wird's auch am Ende dieser Welt gehen.

Die Heilserfüllung aller durch Liebe und G n a d e zu E r l ö s e n d e n wird in der


christlichen Religion dadurch komplementiert, daß diejenigen, die nicht an
Jesus glauben, vernichtet werden. So wie das Reich G o t t e s die Macht des Sa-
tans zum kontrafaktischen Korrelat hat, so wird die Identität und Differenz
der Gemeinschaft der Gläubigen bestimmt. D u r c h die Liebe zu Jesus und
durch die Liebe zu G o t t entsteht zwar die V e r b i n d u n g jedes Christen zu ei-
nem anderen Christen als Gemeinschaft der Liebe, was im Evangelium des
Johannes am deutlichsten formuliert wurde. 6 Diejenigen aber, die nicht das-
selbe wie die Christen glauben, k ö n n e n oder müssen wegen der Satanologie
nicht nur als Andersgläubige, sondern als Feinde mit der Zusatzqualifikation,
Instrumente des Bösen zu sein, bewertet werden. So argumentiert Paulus, daß
der Unglaube auf das Blendwerk des Satans zurückgeht. 7 Das Evangelium des
J o h a n n e s , in dem die Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis die ent-
scheidende Symbolik ist, enthält das b e r ü h m t e Beispiel v o m Weinstock und
den Reben. Wer mit Christus v e r b u n d e n bleibt, wird erlöst. Die anderen wer-
den verbrannt. 8 Das Evangelium des J o h a n n e s ist auch b e s o n d e r s judenfeind-
lich. Auf die verschiedenen gegen die jüdischen Gelehrten und die jüdischen
Gläubigen, gegen Jerusalem und gegen den Tempel gerichteten Stellen in den
synoptischen Evangelien soll hier nicht eingegangen werden. Das Verhältnis
zwischen den Anhängern des neuen Glaubens zu denjenigen, die an dem al-
ten Glauben festhielten, ist naturgemäß besonders kompliziert. Man sollte
eine wechselseitige Polemik, besonders in Rücksicht auf die historische Situa-
tion der Entstehung der Evangelien, mithin der G r ü n d u n g s p h a s e der christli-
chen Religion, auch nicht überbewerten. Das sogenannte Alte Testament, für
die Juden ist es natürlich nicht das alte, ist Teil des christlichen Glaubens, und

4
Lk. 10,17-20.
5
Matth. 13,38^*0.
6
Vgl. Evangelium des Johannes 14; 15,9-13; 16; 17,3; 17,20-26; 23; 27; 13,34 ff.
Vgl. 2. Kor. 4,4 ff.; 11,14 ff.
„Ich bin der VC einstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel
Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggewor-
fen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und müssen
brennen. So ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr
wollt, und es wird euch widerfahren", ebd.,Joh. 15,5-7.
346 Politik, Resakralisation und Annihilation

die Juden haben in der Heilsgeschichte der Christen eine besondere Bedeu-
tung. D o c h in den Texten des Neuen Testaments steht statt „der J u d e n " oder
„die J u d e n " nie: diejenigen, die am alten Glauben festhalten, die unsere Brü-
der sind, für die wir beten, denen wir unsere G e b o t e verdanken, sollen ruhig
bei ihrem Glauben bleiben - und wenn sie in die Hölle kommen, so ist das
ihre Verantwortung. Die Formulierung „die J u d e n " im deutschen Text läßt
einen Zusammenfall von Ethnos und Religion zu. Und genau das ist das Ein-
fallstor für den Zusammenhang zwischen Antijudaismus und dem Antisemi-
tismus im 19. Jahrhundert. In den synoptischen Evangelien und in den Brie-
fen des Paulus ist die Verwerfung der Anhänger der alten Religion nicht ab-
solut, hingegen ist sie es im Evangelium des J o h a n n e s . Das ist, was die kol-
lektive Identität der Religionsgemeinschaft betrifft, besonders fatal. Nach
dem Johannes-Evangelium ist Gott, vermittelt durch Jesus Christus und nur
durch Jesus Christus, in jedem Christen. 9 Mit d e m Teufel werden nach dem
Evangelisten nun diejenigen in Verbindung gebracht, die nicht an Christus
glauben und in denen Christus, und damit G o t t , nicht ist. Im 8. Kapitel er-
klärt Jesus Christus, warum die Pharisäer, besonders fromme J u d e n , ihn nicht
verstehen können. Mithin geht es um eine Erklärung dafür, warum fromme
Juden keine Christen sind. Nach der D e u t u n g der Predigt Jesu durch Johan-
nes können sie es auch gar nicht werden, denn sie sind nicht von G o t t . Hier
sagt Jesus den „Juden":

Warum kennt ihr denn meine Sprache nicht? Denn ihr könnt ja mein Wort nicht
hören. Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr
tun. Der ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn
die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Ei-
genen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben. 10

Diese Stelle kann dahingehend gedeutet werden, daß die Juden, weil sie nicht
an die Selbst- und Gottesauslegung Jesu glauben, Kinder des Teufels sind
oder gar von ihm abstammen. Weiterhin kann in der Logik des Evangelisten
behauptet werden, daß diejenigen, die Jesus verstehen, Gotteskinder sind:
Wer von Gott ist, der hört Gottes Worte.11
Einflußreich für den jahrtausendealten Antijudaismus in der christlichen Tra-
dition ist die Ursachenerklärung für den Abfall des Jüngers Judas Ischariot.
Nach dem Evangelium des Johannes „fuhr der Satan" in Judas.
Meiner Ansicht nach ist für den Antijudaismus des Neuen Testamentes die
nicht nebensächliche Bedeutung Satans in der christlichen Offenbarungs-
theologie entscheidend. Vergegenwärtigen sollte man sich, daß dieses Offen-

9
Vgl.Joh. 17,20-26.
10
Joh. 8,43 f.; vgl. 1. Joh. 3,8-10; 2. Petr. 2,4.
11
Joh. 8,47.
12
Joh. 13,26; 13,2; Lk. 22,3.
Der Modus der Religiosität 347

barungswissen primär die J u d e n betreffen m u ß . D e n n die Christen müssen


glauben — sonst sind sie eben keine Christen —, daß sie nunmehr das Volk
G o t t e s , das neue Volk Gottes, die neue Gemeinschaft des Heils sind und daß
das Heil von den Juden auf sie übergegangen ist — durch Jesus Christus, den
S o h n G o t t e s . Wir Christen müssen glauben, daß wir an der Kraft und dem
Heil G o t t e s schon, aber noch nicht vollkommen, teilnehmen. Unsere Ge-
meinschaft hat sich in der Differenz zur jüdischen Religion konstituiert.
O h n e diese Differenz hätten die ersten Christen keine eigene Identität ent-
wickeln können. Wenn wir glauben, Jesus Christus sei der Vermittler zwi-
schen G o t t und uns, dann kann die Differenz zu denen, die das nicht glau-
ben, entgleisen. Uns kann, aber m u ß nicht, „der J u d e " als die Negation unse-
res Heils erscheinen, als die Verneinung unserer Erlösung. Je nach der Bewer-
tung des Konfliktes zwischen G o t t und dem Bösen können oder müssen so-
gar die Andersgläubigen vom Bösen determiniert sein. D a ß der AntiJudaismus
in der christlichen Tradition Halt in der Schrift hat, ist nicht zu bestreiten.
Aber diese Formulierung ist in einer Hinsicht nicht genau. Mit der Formulie-
rung wird nicht deutlich, daß der Antijudaismus kein selbständiges Phänomen
ist. D e r Antijudaismus ist keine sich aus sich selbst entwickelnde sowie Heide
und Christ infizierende Kraft. E r fällt nicht, wie Satan, vom Himmel und wird
nicht vom Ur-Bösen verursacht. Die Unterschiede zwischen christlichem An-
tijudaismus, christlicher Apokalyptik und christlicher Satanologie zur politi-
schen Religion der Nationalsozialisten sind offensichtlich. Indes ist auf die
Ähnlichkeiten in einigen Hinsichten zurückzukommen. Denn schließlich muß
erklärt werden, weshalb er im christlichen Milieu entstand und von den Chri-
sten nicht so entschieden bekämpft wurde wie „das Böse" selbst.

2. Christliche Häresie oder politische Religion?

U m Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich erneut wiederholen, daß ich


nicht der Überzeugung bin, daß die politische Religion des Nationalsozialis-
mus dem Christentum gleicht. Auch ist die politische Religion des National-
sozialismus nicht aus der christlichen Religion abgeleitet worden. Wer jedoch
den dünne n Faden christlicher Glaubensgewißheit aushält, wird ohne Scheu
danach fragen, in welchen Hinsichten, ob in einigen oder gar in vielen, Ähn-
lichkeiten festgestellt werden können. Die Beantwortung der Frage, was an
der Religionsideologie der Nationalsozialisten christlich, häretisch oder genu-
in neu ist, m u ß künftiger F o r s c h u n g überlassen bleiben. Durch eine solche
Arbeit könnten Erkenntnisse gewonnen werden, die über die querelies d'alle-
mandes weit hinausgehen. Allein weil die überwiegende Mehrheit der Deut-
schen sowohl dem Zeitgeist der Moderne als auch dem Versuch der christli-
chen Erziehung ausgesetzt war, ebenso weil sie als Mitglieder der öffentlich-
rechtlich privilegierten Religionsgemeinschaften brav ihre Kirchensteuer
348 Politik, Resakralisation und Annihilation

zahlten und als Arbeitnehmer oder Beamte in das zweckrationale System der
Ö k o n o m i e integriert waren, war es unwahrscheinlich, daß eine Ideologie p o -
litisch erfolgreich w u r d e , in der mit der christlichen Tradition genauso radikal
g e b r o c h e n wird wie mit d e m Geist der Moderne. D a ß der Nationalsozialis-
m u s ein Aufstand gegen die christlichen Güter des Abendlandes oder die
Modelle der m o d e r n e n W e l t o r d n u n g war, wie die Nachwelt, je nach Glaube,
gerne meint, kann im R a h m e n dieser Untersuchung nicht den Regeln der Wis-
senschaft entsprechend begründet werden. Gleichwohl können, um Diskurse
und Forschungen anzuregen oder Arbeitshypothesen aufzustellen, einige Un-
terschiede und Ähnlichkeiten zwischen der NS-Ideologie einerseits sowie
dem Christentum und der Moderne andererseits festgestellt werden, wobei
der hier g r o b versuchte Strukturvergleich nicht mit einer historisch-geneti-
schen Argumentation verwechselt werden sollte.
Ausgegangen wird von den Komplexen der NS-Ideologie, deren religiöser
Gehalt der Gegenstand dieser Untersuchung war: Erlösung durch den Zu-
sammenfall von Sieg und Heil in der Zukunft aufgrund eines fundamentalen
Kampfes zwischen G o t t und dem Bösen, der Glaube an die charismatische
Qualität eines Menschen, die Einheit von menschlicher und göttlicher Natur,
die Bestimmung des Willens und der Handlungsweise bestimmter Menschen
oder Kollektive durch das Böse bzw. die Personifikation des Bösen, das O p -
fern als heilsbringender Akt sowie Tod, Wiedergeburt und die Unsterblichkeit
der Seele. Das archimedische Kriterium, das lediglich der Feststellung des
Unterschiedes, aber nicht der Erfassung des gesamten Gehaltes dient, ist die
S p a n n u n g von Jenseits und Diesseits. Mit dem Begriff der Moderne soll dies-
bezüglich die v o l l k o m m e n e Ablehnung der Transzendenz, die Indifferenz ge-
genüber dem Verhältnis von Diesseits und Jenseits sowie die Ausdifferenzie-
rung oder Defunktionalisierung von Religion bezeichnet werden. Z u m m o -
d e r n e n Bewußtsein zählt das an den Naturwissenschaften, der Mathematik
und der formalen Logik orientierte Paradigma des Erkennens. E b e n s o ist
nicht zu bestreiten, daß die reine Subjektivität, zumindest im 19. und bis weit
ins 20. J a h r h u n d e r t einen Wert bei der modernen Sinnstiftung darstellte. Frei-
lich bedeutet „ m o d e r n " auch, im Sinn der Begriffsgeschichte und der ver-
schiedenen Entwürfe der Gesamtgeschichte, daß das jeweils Neue besser sei
als das Ältere, sei es im Bereich der Politik, der Wissenschaft und Technik,
der Ö k o n o m i e und der Kunst.
Im Hinblick auf die in jeder Apokalyptik enthaltenen Aussagen über die
Zeit und das große T h e m a der Eschatologie besteht zwischen der NS-Ideolo-
gie u n d dem Christentum Ähnlichkeit, insofern die Zukunft die Qualität der
Erlösung hat, die zudem nur durch die Annihilation des Bösen herbeigeführt
werden kann. Hitler glaubt zwar nicht an das Ende der irdischen Welt, aber
er hält den Sieg des Bösen, die Vernichtung aller Menschen, des „Menschen-
t u m s " und aller Kultur für möglich. Das steht im Widerspruch zur Glaubens-
gewißheit der Christen. Z w a r glaubt Hitler an die Unsterblichkeit der Seele
und an einen jenseitigen G o t t , aber die ethische Dimension des Jüngsten G e -
D e r Modus der Religiosität 349

richtes durch G o t t und Christus sowie die Auferstehung des Fleisches kom-
m e n bei ihm nicht vor. Rosenberg hingegen glaubt nicht an die Möglichkeit
des Unterganges. In seiner Dramaturgie des Kampfes zwischen Licht und
Finsternis sowie G o t t und dem Bösen beruft er sich zudem auf den vorchrist-
lichen Parsismus, auf altpersische und angeblich arische Lehren. E r ist v o m
Sieg der Gotteskinder überzeugt, was daraus erklärt werden kann, daß er die
Präsenz G o t t e s in einer seelischen Substanz ausführlich konzipiert hat. Bei
Dietrich Eckart und J o s e p h Goebbels hingegen ist das apokalyptische Modell
der Offenbarung des Johannes viel deutlicher zu erkennen als bei Rosenberg
und Hitler. Maßgebend aber für die Differenz zwischen den religiös definier-
ten Qualitäten der Zukunft im Nationalsozialismus und dem G l a u b e n s b e -
kenntnis katholischer und evangelischer Christen ist der Wille zur Tat. G e -
m ä ß der nationalsozialistischen Apokalyptik ist die E r l ö s u n g das Resultat
menschlicher Aktivität, ist, wie Micha Brumlik und Eric Voegelin betonen,
Selbsterlösung — was noch weiter unten zu behandelnde schwerwiegende Im-
plikationen hat. D a ß die Menschen selbst das Reich G o t t e s verwirklichen
können, k o m m t dem Zeitgeist der modernen Subjektivität 1 3 entgegen, wobei
das M o m e n t der Selbstmächtigkeit des Individuums, der Wille zur Macht
oder das durch Imagination hervorgerufene Gefühl der Macht nicht zu ver-
kennen sind.
Alle hier behandelten Ideologen glaubten an G o t t und eine V e r b i n d u n g
zwischen G o t t und Geschichte. Wird angenommen, die M o d e r n e sei eine
vollständige Säkularisierung des Reiches Gottes, so ist in der NS-Ideologie
nur eine partielle Säkularisierung enthalten.
D e n Glauben an Sieg und Heil in der Zukunft kann man auch als Resakra-
lisierung der Zeit bezeichnen. Es ist zu untersuchen, o b das geschichtsspe-
kulative Potential des 19. und 20. Jahrhunderts auf ein archao-eschatologi-
sches Potential zurückentwickelt und gleichzeitig m o d e r n e n Allgemeinplätzen
angepaßt wurde. Im Hinblick auf die Geschichte der Einflüsse ist bei der Bil-
dung und Rezeption der NS-Ideologie der Einfluß der Romantik weit h ö h e r
einzuschätzen als der der utopisch-chiliastischen Traditionen der Sozialisten.
So hat z. B. Joseph Goebbels über die Romantik promoviert. Nicht zu über-
schätzen ist das Lob, das Friedrich Leopold Freiherr von H a r d e n b e r g , der
sich nicht o h n e Absicht Novalis 1 4 nannte, von H o u s t o n Stewart Chamber-

Ob der Wille zur Selbsterlösung die Quelle der Moderne ist, kann an dieser Stelle dahinge-
stellt bleiben. In der Auffassung, daß die zukünftige Zeit eine neue und qualitativ vollkom-
mene Zeit sei, besteht die Gemeinsamkeit zwischen der nationalsozialistischen und der
christlichen Religion, aber auch zwischen der christlichen Eschatologie und der modernen
Geschichtsteleologie; zum Problem der Gnosis und dem Konzept der Selbsterlösung vgl.
Micha Brumlik, Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen, Frank-
furt a. M. 1992; Eric Voegelin, Gnostische Politik. In: Merkur, IV. Jahrgang, 1952, S. 3 0 1 -
317.
Vgl. dazu Hans-Joachim Mahl, Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis, Hei-
delberg 1965; vgl. zur deutschen Romantik auch Ernst Benz, Les Sources Mystiques de la
350 Politik, Resakralisation und Annihilation

lain 15 erfuhr; für die konservative Mentalität sind die Schriften v o n Julius Pe-
tersen 1 6 aufschlußreich. Die Urteile der Nationalsozialisten über die kommen-
de Zeit und den zukünftigen Vollzugscharakter des Lebens und Werdens ist
mit der christlichen Eschatologie nicht identisch und steht zu denjenigen Pa-
radigmata der Moderne, nach denen jede Aussage über die unmittelbare Zu-
kunft unwissenschaftlich ist, sei es Geschichtstheologie, Geschichtsteleologie
oder Geschichtsutopie, im Widerspruch. Indes konnten die Nationalsoziali-
sten eine Bedingung des Machterwerbs vor 1933 gerade deshalb erfüllen, weil
sie weder die Position der reinen Transzendenz noch die der reinen Wissen-
schaft artikuliert und propagiert haben. Gleichwohl ist unschwer einzusehen,
daß der Glaube, der G o t t der Geschichte sei auf Seiten des deutschen Volkes,
im Widerspruch zur christlichen Religion steht, was allerdings schon im Er-
sten Weltkrieg seitens der Kirchen selbst nicht erkannt oder nicht vertreten
wurde. Ich bin nicht nur der Überzeugung, daß der nationale Chiliasmus als
Religion der Befreiung unchristlich ist, weil ein Kollektiv zugleich Subjekt
und Objekt der Erlösung ist. Viel wichtiger ist die davon nicht zu trennende
Implikation der absoluten Negation, eine Negation, die immer die Mitglieder
anderer Kollektive treffen muß.
Das Bekenntnis der Nationalsozialisten z u m „positiven Christentum" ge-
mäß dem Parteiprogramm der N S D A P führt zunächst zu der hier konkret zu
beantwortenden Frage, welche Haltung die Nationalsozialisten zu Jesus Chri-
stus selbst einnahmen. Theoretisch sind damit zentrale Desiderata der Reli-
gionspolitologie verbunden. Ein Problem betrifft die Konfiguration der Ver-
mittlung, nämlich der Vermittlung zwischen G o t t und Mensch sowie G o t t
und Gemeinschaft. Inwieweit die Konfiguration der Vermittlung als Versuch,
die Differenz zwischen Jenseits und Diesseits in einigen Hinsichten zu ver-
neinen und in anderen zu bewahren, politische Konsequenzen haben muß,
kann hier nicht behandelt werden. Auf jeden Fall ist der Z u s a m m e n h a n g zwi-
schen dem Bekenntnis zum positiven Christentum und dem Glauben an das
Charisma Adolf Hitlers nicht zu verkennen. In dieser Untersuchung ist nach-
gewiesen worden, daß die Beurteilung Jesu — von Jesus Christus ist viel selte-
ner die Rede — stets äußerst positiv ist, und Rosenberg darüber hinaus meint,

Philosophie Romantique Allemande, Paris 1968; Hermann Kurzke, Romantik und Konser-
vativismus. Das politische Werk von Hardenbergs im Horizonte seiner Wirkungsgeschichte,
München 1983; Klaus Behrens, Friedrich Schlegels Geschichtsphilosophie 1794—1808. Ein
Beitrag zur politischen Romantik, Tübingen 1984; Ulrich Gaier, Krumme Regel. Novalis'
Konstruktionslehre des schaffenden Geistes und ihre Tradition, Tübingen 1970; Martin
Meyer, Romantische Religion, in: Jacob Taubes (Hrsg.), Religionstheorie und Politische
Theologie, Bd. 1: Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München 1983.
Vgl. Houston Stewart Chamberlain, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, S. 55, S. 546.
16
Vß'- Julius Petersen, Das goldene Zeitalter bei den deutschen Romantikern, Halle 1926;
ders., Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich in deutscher Sage und Dichtung, Stuttgart
1934.
D e r M o d u s der Religiosität 351

Paulus und die Kirche hätten das Urchristentum verfälscht.17 Selbstverständ-


lich widerspricht die Auffassung, Jesus Christus sei Arier gewesen, der Schrift
und den verpflichtenden Glaubensgrundsätzen aller Kirchen. Darüber hinaus
war für Rosenberg Hitler nur der Erwecker der Rassenseele und kein religiö-
ses Genie ä la Meister Eckhart, auf das er immer noch wartete. 18 Mag auch
Christus das Modell für den Glauben an die zwischen Gott und Volk vermit-
telnde Fähigkeit Adolf Hitlers gewesen sein, so gibt es doch viele Formen —
7.. B. Engel — der personifizierten Vermittlung. Wenn auch Dietrich Eckart
und Joseph Goebbels — wie viele Deutsche auch19 - Hitler für den Retter und
Erlöser hielten, so wurde er doch nie mit Jesus Christus gleichgesetzt und als
Religionsstifter angesehen.
Interessanter und für die Beurteilung der NS-Ideologie gewichtiger als die
Wertschätzung Jesu Christi und das angebliche Charisma Adolf Hitlers ist die
in der Christologie enthaltene Konfiguration der Einheit von göttlicher und
menschlicher Natur. Während bei dem Glauben an das Charisma Adolf Hit-
lers zwischen Diesseits und Jenseits, Gott und Volk sowie überirdischer und
irdischer Macht nur vermittelt wird, wird im Glauben an die Einheit von gött-
licher und menschlicher Natur die Transzendenz Gottes immanentisiert.
Während in der christlichen Religion ausschließlich Jesus Christus die Gott-
menschnatur hat, haben der nationalsozialistischen Religion zufolge viele
Menschen die Qualität der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur.
Potentiell kann jeder Arier der Erlöser sein. Die Christologie wird nationali-
siert und demokratisiert.
Es ist schwer zu beantworten, ob die gnostizistischen Syndrome in der
NS-Ideologie gewichtiger bewertet werden können als die Transformation
der Christologie. Eric Voegelin, der den Nationalsozialismus schon früh als
politische Religion bezeichnete, gelangte später zu der Auffassung, er sei ein
Phänomen moderner Gnosis. 20 Auf den vielfachen Zusammenhang zwischen

1
Vgl. in diesem Buch Kap. B.I1I.2.C; Dietrich Klagges, der 1932 Hitler in den Status des Re-
gierungsrates versetzte und damit zum Deutschen machte sowie von 1933 bis 1945 Mini-
sterpräsident von Braunschweig war, verfaßte ein Buch über „Das Urevangelium Jesu. Der
deutsche Glaube", Leipzig 1929; ich halte den Einfluß von Houston Stewart Chamberlains,
Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, 1. Teil, 3. Kap.: Die Erscheinung Christi, S. 189-255;
sowie von: Houston Stewart Chamberlain, Worte Christi, 2. Aufl. München 1900; ders.,
Mensch und Gott, München 1921, ideologiegeschichtlich für maßgebend.
18
Vgl. Kap. B.II1.3.
Vgl. dazu Günther Scholt, Autoren über Hitler. Deutschsprachige Schriftsteller 1919 bis
1945 und ihr Bild vom „Führer", Bonn 1993, S. 33 ff., 114 ff.; Nikolaus von Preradovich/
Josef Stingel, „Gott segne den Führer!" Die Kirchen im Dritten Reich - eine Dokumenta-
tion von Bekenntnissen und Selbstzeugnissen, Starnberg 1985.

Eric Voegelin, Die politischen Religionen, Wien 1938, 2. Aufl. Stockholm 1939; neue Aufl.
München 1993, hrsg. von Peter Opitz; ders., Die neue Wissenschaft der Politik, München
1959; ders., Religionsersatz. Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit, in: Wort und
Wahrheit, Heft 1, 15. Jg., 1960.
352 Politik, Resakralisation und Annihilation

Gnosis und Christentum in der Religionsgeschichte oder Gnosis, Hermetik


und Mystik in den mehr oder weniger apokryphen Strömungen der Geistes-
geschichte kann hier nicht eingegangen werden. Aber in Rücksicht auf die
esoterischen, theosophischen, pansophischen, anthroposophischen, prä-öko-
logischen und sonstigen okkulten 21 Organisationen und Publikationen — in
der sogenannten schönen Literatur 22 , auch das, was Thomas Nipperdey tref-
fend „vagierende" und „außerkirchliche Religiosität"23 nennt - ist am Beispiel
der Semantik Hitlers auf einige, aber eben nur einige gnosüsche Motive hin-
zuweisen. Zunächst geht es in der Gnosis um Selbsterlösung.24 Die Gottes-
lehre der Gnostiker enthält, wie Hans Jonas zusammenfaßt, „einen neuen me-
taphysischen Status des Menschen in der Seinsordnung". 25 Kurt Rudolph, der
die Gnosis anhand der neuesten Funde untersuchte, stellt in dem Abschnitt
über das Verhältnis Gott—Mensch folgendes Grundmerkmal des gnostischen
Schöpfungsmythos fest: „Die Idee des Falles eines himmlischen Wesens und
seine Zerstreuung in die irdische Welt ist überhaupt eine der Grundvorstel-
lungen der Gnosis und hat ihre großartigste und klarste Ausgestaltung im Ma-
nichäismus erhalten." 26 Entscheidend für unser Problem ist die mit dem
Kampf zwischen Licht und Finsternis verbundene Anthropologie (Anthropo-
gonie). Der Dualismus zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse, führt
zur Einteilung der Menschen in zwei bzw. drei Klassen. Einige Menschen
haben den Lichtteil, den göttlichen Funken, das „Pneuma" in sich und die
anderen nicht, sind nur Sarkiker, also bloße Fleischesmenschen oder Hyliker,
also Materialisten.27 Die Pneumatiker sind gottgleich, insofern in ihnen der
„Kern" des göttlichen Lichtfunkens enthalten ist. Die anderen sind nur durch
den dämonischen Leib bestimmt. Bei der Argumentation Hitlers, weshalb der
Arier und nur der Arier Kulturbegründer ist, sind einige gnostische Symbole
erkennbar. Der Arier ist „allein der Begründer höheren Menschentums" und
der „Urtyp" des Menschen". 28 Das entspricht dem „anthropos" der Anthro-
pogonie gnostischer Spekulationen. Bei Hitler heißt es im Anschluß an die

21
Vgl. Rene Freund, Braune Magie? Okkultismus, New Age und Nationalsozialismus, Wien
1995.
22
Vgl. die Schriften von Hermann Burte, Theodor Däubler, Arthur Dimer, Hans Grimm, Ju
lius Langbehn, Erwin Guido Kolbenheyer, Johannes Schlaf, Alfred Schuler; vgl. Uwe-Karl
Ketelsen, Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur in Deutschland 1890 bis
1945, Göttingen 1976. — Verfolgt man die hier angeführten Quellenverweise, beginnt man
Piatons Abneigung gegen die märchenerzählenden Dichter zu verstehen.
23
Thomas Nipperdey, Religion im Umbruch. Deutschland 1870 bis 1918, München 1988, S.
143.
24
Vgl. Gilles Quispel, Gnosis als Weltreligion, Zürich 1951.
25
Hans Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Bd. 1, Göttingen 1964, S. 383.
26
Kurt Rudolph, Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Leipzig 1977, S.
100.
27
Vgl. ebd., S. 66, 68 f.
28
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 317.
Der Modus der Religiosität 353

V e r k ü n d i g u n g „allein der Arier" stelle den „Urtyp dessen" dar, „was wir un-
tter d e m W o r t ,Mensch' verstehen":
Er ist der Prometheus der Menschheit, aus dessen lichter Stirne der göttliche Funke
des Genies zu allen Zeiten hervorsprang, immer von neuem jenes Feuer entzün-
dend, das als Erkenntnis die Nacht der schweigenden Geheimnisse aufhellte und den
Menschen so den Weg zum Beherrscher der anderen Wesen dieser Erde emporsteigen
ließ. Man schalte ihn aus - und tiefe Dunkelheit wird vielleicht schon nach wenigen
Jahrtausenden sich abermals auf die Erde senken, die menschliche Kultur würde
vergehen und die Welt veröden. 29

D i e K o n n o t a t i o n der Termini „ E r k e n n t n i s " , „göttlicher F u n k e " und „empor-


steigen" einerseits, sowie „ N a c h t " , „ D u n k e l h e i t " und „ s e n k e n " andererseits
spricht für die gnostische Struktur der Argumentation Hitlers. D e r typisch
gnostische Dualismus zwischen Licht und Dunkelheit und die Personalisie-
rung des Lichtprinzips sind auch im folgenden Text erkennbar:
Denn so wie der tatsächliche und geistige Eroberer im Blut der Unterworfenen
verlorenging, verlor sich auch der Brennstoff tut die Fackel des menschlichen Kultur-
fortschrittes! Wie die Farbe durch das Blut der ehemaligen Herren einen leisen
Schimmer als Erinnerung an diese beibehielt, so ist auch die Nacht des kulturellen
Lebens milde aufgehellt durch die gebliebenen Schöpfungen der einstigen Licbt-
bringer [...] So wie im täglichen Leben das sogenannte Genie eines besonderen An-
lasses, ja oft eines förmlichen Anstoßes bedarf, um zum Leuchten gebracht zu wer-
den, so im Völkerleben auch die geniale Kasse [...] Der Hammerschlag des Schick-
sals, der den einen zu Boden wirft, schlägt bei dem anderen plötzlich auf Stahl, und
indem die Hülle des Alltags zerbricht, liegt vor den Augen der staunenden Welt der
bisher verborgene Kern offen zutage. 30

Die Schöpferkraft des „Lichtbringers" ist auch für die Argumentation maß-
gebend, woraus der Idealismus des Ariers resultiere:
Wie nötig aber ist es, immer wieder zu erkennen, daß der Idealismus nicht etwa
eine überflüssige Gefühlsäußerung darstellt, sondern daß er in Wahrheit die Vor-
aussetzung zu dem war, ist und sein wird, was wir mit menschlicher Kultur be-
zeichnen, ja daß er allein erst den Begriff .Mensch' geschaffen hat. Dieser inneren
Gesinnung verdankt der Arier seine Stellung auf dieser Welt, und ihr verdankt die
Welt den Menschen; denn sie allein hat aus dem reinen Geist die schöpferische Kraft ge-
formt, die in einzigartiger Vermählung von roher Faust und genialem Intellekt die
Denkmäler der menschlichen Kultur erschuf. Ohne seine ideale Gesinnung wären
alle, auch die blendendsten Fähigkeiten des Geistes nur Geist an sich, äußerer
Schein ohne inneren Wert, jedoch niemals schöpferische Kraft?x

Die Arier haben also aufgrund ihres göttlichen Lichtteils ein P n e u m a im Sin-
ne von Seelenkraft und Geist, einen inneren göttlichen K e r n und sind deshalb
diejenigen, denen die Welt den „ U r t y p " des „ M e n s c h e n t u m s " sowie die Kul-
tur verdankt. Hitler hält es für möglich, daß der „Lichtbringer" v o m jüdischen

Ebd., S. 317 f. [Hervorhebung C.-E. B.]


Ebd., S. 320 f. [Hervorhebung C.-E. B.j
Ebd., S. 327 [Hervorhebung C.-E. B.].
354 Politik, Resakralisation und Annihilation

Volk besiegt werden könne. D e r Sieg des Juden würde ebenfalls die Vernich-
tung der gesamten Menschheit zur Folge haben:
Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völ-
ker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann
wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den
Äther ziehen.12
D a ß „der J u d e " den „gewaltigsten Gegensatz zum Arier" bildet und wie die-
ser Gegensatz bestimmt wird, spricht ebenfalls für die gnostischen Elemente
in der Weltanschauung Hitlers. Das Verhältnis zwischen Arier und Jude kann
man analog zu dem gnostischen Dualismus zwischen Pneumatikern und Sar-
kikern deuten. G e m ä ß dem gnostischen Muster des Kampfes zwischen Licht
und Finsternis verkörpern die Arier das Prinzip des Lichts, die J u d e n hinge-
gen das der Finsternis. Der Sieg der Juden würde Chaos und Dunkelheit über
die gesamte Erde bringen; sie personifizieren die gnostische „Gleichsetzung
von ,böse' und .Materie'". 3 3
Wie groß die Strukturähnlichkeit zwischen der Selbsterlösung in der G n o -
sis und dem Erlösungsgedanken in der Ideologie Hitlers ist, soll hier nicht
entschieden werden. 3 4 Außerdem sind Gnosis und Apokalyptik nicht vonein-
ander zu isolieren. 35 Der Vitalismus der Nationalsozialisten sowie die Strate-
gie der Bevölkerungsvermehrung sprechen gegen die wesentliche Bedeutung
der gnostischen Elemente im Denken Hitlers. Man kann auch im Rassismus
Hitlers eine Überwindung gnostisch motivierter Konflikte erblicken. Anders
als bei der Gnosis sind für Hitler die Natur und die Materie an sich nicht
böse, sondern er glaubt im Gegenteil an eine Übereinstimmung zwischen dem
Willen eines allmächtigen Schöpfers und der Natur. Die Attraktion gnosti-
scher Spekulationen rührt meiner Ansicht nach daher, daß in ihr ein Problem
nicht auftaucht, nämlich die Rechtfertigung eines gütigen Schöpfers ange-
sichts der nun doch vorhandenen Masse der Übel in Gesellschaft und Ge-
schichte, die eben auch die Christen das Böse nennen. D e r Rassismus Hitlers
ist, wo auch immer seine literarischen Lesefrüchte herstammen — den Begriff
Gnosis verwendet er im Gegensatz zu Rosenberg und Chamberlain nicht -
nur begrenzt als gnostischer Ethnozentrismus zu klassifizieren. Selbstver-
ständlich waren die Anhänger, Erfinder oder Vertreter der mannigfaltigen
gnostischen Systeme in der Antike und die Träger gnostischer Bewegungen
im Mittelalter keine Rassisten. D a ß Rosenberg die Ketzerbewegungen des

32
Ebd., S. 69 f.
3
Kurt Rudolph, Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Leipzig 1977, S.
66.; vgl. dazu auch S. 30 f., 184 f., 214, 294 f.; sowie Walter Schmitthals, Die Apokalyptik.
Einführung und Deutung, Göttingen 1973, S. 67 f.
34
Vgl. Micha Brumlik, Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen,
Frankfurt a. M. 1992, S. 356 ff.
35
Vgl. Kurt Rudolph, Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Leipzig
1977, S. 40; sowie Walter Schmitthals, Die Apokalyptik. Einführung und Deutung, Göttin-
gen 1973, S. 67 f.
D e r M o d u s der Religiosität 355

Mittelalters als Kämpfer gegen den jüdisch-katholischen Monotheismus feiert


u n d daß für ihn „Polarität" ein „metaphysisches Urgesetz alles Seins und
W e r d e n s " war, spricht zwar auch für die Bedeutung gnostischer Erkenntnis-
modelle in der NS-Ideologie, aber bei ihm überwiegt, trotz aller Struktur-
ähnlichkeiten zwischen G n o s i s und Mystik, die christliche Mystik Meister
Kckharts.
Die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur bei gleichzeitiger Dif-
ferenz von G o t t und Mensch wird nirgends so deutlich wie in der klassischen
Mystik und in der NS-ldeologie nirgends so exakt wie bei Rosenberg artiku-
liert. Aus der Perspektive der katholischen Kirche ist das Häresie, aus der der
m o d e r n e n Wissenschaft N o n s e n s und aus der der Psychoanalyse G r ö ß e n -
wahn. Man kann die romantischen Strömungen der zwanziger Jahre wieder-
um auf die klassische Romantik und diese wiederum auf gnostisch-mystische
Spekulationen zurückführen. 3 6 Man kann aber auch, wie Leszek Kolakow-
ski , die Entstehung der materialistischen Dialektik aus den Grundlagen der
deutschen Mystik von Meister Eckhart, Jakob Böhme und Angelus Silesius
her erklären. Ich hingegen möchte im Hinblick auf die ,Einheit' von mensch-
licher und göttlicher N a t u r den Z u s a m m e n h a n g zwischen Opfer, Blut und
der Lehre vom Corpus Christi mysticum thematisieren.
Die Fähigkeit, sich selbst zu opfern, ist nach Hitler eine wesentliche Qua-
lität des Ariers. 3 8 Für R o s e n b e r g ist das Opfer, das die nordische Seele im Er-
sten Weltkrieg vollzog, die wesentliche Voraussetzung für die Wiedergeburt
der nordischen Seele u n d Bedingung der Konstitution völkischer Identität. 3 9
Es gibt auch keinen G r u n d anzunehmen, daß Goebbels das Opfern als Mo-
dell gesellschaftlich relevanten Handelns nicht ernst g e n o m m e n habe. Von 31
Aufsätzen in den Büchern „Die zweite Revolution" und „Wege ins Dritte
Reich" haben zwei das O p f e r n sogar schon im Titel („Idee und Opfer" und
„Opfergang"). 4 0 Sein privates Tagebuch beginnt mit der Aufforderung an sich
selbst, zu opfern, und dasselbe Motiv ist auch das Motto des Tagebuch-
romans „Michael".
Der Widerspruch zwischen dem Rassismus der Nationalsozialisten und der
potentiellen Erlösung aller Menschen stellt sich anders dar, wenn man die
Bedeutung des Blutes in der christlichen Religion in Betracht zieht. Macht
man sich klar, daß Rasse eine Möglichkeit ist, das Bewußtsein von Gesell-
schaft zu definieren, und daß der Rassismus in seinem Selbstverständnis eine
Religion des Blutes ist, so kann man das Problem aufrollen, indem man nach
der Bedeutung des Blutes für die Konstitution der christlichen Gemeinschaft

Vgl. Auguste Viatte, Les Sources Okkultes du Romantisme, Paris 1928; Hans Graßl, Auf-
bruch zur Romantik, München 1968.
Leszek Kolakowski, Die Hauptströmungen des Marxismus, Bd. 1, München 1977, S. 46 f.
Vgl. Adolf Hider, Mein Kampf, S. 325 f.
Vgl. Alfred Rosenberg, Mythus, S. 701.
Vgl. Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich, S. 19 ff; 54 ff.
356 Politik, Resakralisation und Annihilation

fragt. Insofern Christus sein Blut für das zukünftige Heil der Christen vergos-
sen hat, ist Opfern die conditio sine qua n o n für das zukünftige Heil der Chri-
sten. N a c h christlichem Selbstverständnis wird aber auch durch das Blut
Christi ein neuer Bund geschlossen. Die Bedeutung des Blutes k o m m t in der
Eucharistie und im D o g m a v o n der Transsubstantiation v o n Blut und Wein
in Christi Leib und Blut besonders deutlich zum Ausdruck. Im Hinblick auf
die katholische Jugend von G o e b b e l s , Eckart und Hitler kann es nicht scha-
den, sich die Bedeutung des realen Blutes im „heiligen Meßopfer" anhand ei-
nes Werkes aus der Zeit ihrer G e b u r t vor Augen zu führen, ist d o c h die Li-
turgie der Messe auch deshalb von Interesse, weil im Gottesdienst ein be-
stimmtes Erlebnis v o n Gemeinschaft schon in Kindheit und Jugend geprägt
werden kann:

Der Consecrationsmoment ist der wichtigste und feierlichste, der erhabenste und
ergreifendste, der weihevollste und gnadenreichste der gesamten Opferfeier [...]
denn er schließt jenes glorreiche, unergründlich tiefe Werk in sich, in welchem alle
Liebeswunder Gottes wie in einem Brenn- und Lichtpunkt sich sammeln - den
Vollzug des eucharistischen Opfers. Die Verwandlung des Brotes und Weines in
Christi Opferleib und Opferblut kann nur ausgehen von dem, der .allein Wunder-
bares wirkt': sie ist eine That schöpferischer Allmacht ... Bei seiner priesterlichen
Weihe hat der Celebrans die übernatürliche Gewalt empfangen, die Worte ,das ist
mein Leib' - ,das ist mein Blut' [...] so auszusprechen, daß sie wirksam sind, d. h.
die zubereiteten Brot- und Weinelemente in Christi Leib und Blut umwandeln. 41

Das Blut im Kelch ist in der Opferfeier der Katholiken kein Symbol, sondern
das reale Blut Christi:
Die Einheit zwischen dem Kelche beim letzten Abendmahl und dem Kelche auf
dem Altare bezieht sich also zunächst auf die darin enthaltene Opfermaterie, wel-
che überall spezifisch, d. h. wesentlich dieselbe ist und sein muß. Vollkommen,
d. h. numerisch ist diese Einheit erst vorhanden nach der Consecration; dann ist
hier wie dort ganz das nämliche Blut in beiden Kelchen: ,Dies ist der Kelch meines
Blutes' [...] sprach der Heiland im Abendmahlssaale und spricht der Priester am
Altare. [...] Dann sprach er über den gesegneten Wein jene heiligen Worte, welche
der Priester jetzt an seiner Stelle über den Kelch spricht, um das irdische Element
in das göttliche Blut Christi zu verwandeln. 42

D a s mysterium fidei (das Geheimnis des Glaubens) besteht darin, daß „der
G o t t m e n s c h am Kreuz sein Blut für uns vergossen hat und daß er es auf dem
Altare wiederum mystisch für uns vergießt". 4 3 Die Wirkung des Opfers ist der
neue und ewige Bund, „Christi O p f e r b l u t " — das Blut „des neuen und ewigen
Bundes [...], welches für euch u n d für viele vergossen wird zur Vergebung

41
Nikolaus Gihr, Das heilige Meßopfer. Dogmatisch, liturgisch und ascetisch erklärt, 6. Aufl.,
Freiburg 1897, S. 591 f.
42
Ebd., S. 598.
43
Ebd., S. 599.
D e r M o d u s d e r Religiosität 357

(der S ü n d e n " 4 4 — ist mithin das Blut eines G o t t m e n s c h e n . In der Opferfeier


'wird damit auch das O p f e r des G o t t m e n s c h e n nochmals vollzogen:
Durch die gesonderte Consecration der Hostie und des Kelches wird Christi Leib
und Blut unter der doppelten Gestalt des Brotes und Weines gegenwärtig, d. h. ge-
opfert. [...] Einige leise Worte aus dem Munde des Priesters - und die Wesenheit
des Brotes und Weines ist verschwunden: An deren Stelle ist Christi Leib und Blut,
der ganze Christus, das Opferlamm von Golgatha getreten. 45

Transsubstantiation und Consecration haben in der Opferfeier der katholi-


schen Kirche darüber hinaus n o c h zwei für das Bewußtsein v o n G e m e i n -
schaft entscheidende Wirkungen. D a s heißt nach Gihr:
Auf dem Altare ist er aber auch unser Opfer, ist er in unseren Händen - wir sollen
ihn ebenfalls Gott darbringen. Das geschieht bereits in der Consecration; denn der
Opferakt als solcher schließt wesentlich die Oblation der Gabe in sich.46

D u r c h die Opferfeier werden die Christen sowohl Diener als auch Mitglieder
des heiligen Volks G o t t e s :
Die Worte plebs tua sancta - ,dein heiliges Volk' — sprechen den übernatürlichen
Adel der im Taufsakramente wiedergeborenen Gläubigen aus; diese sind und sol-
len sein ein ,Volk Gottes' (plebs tua) und als solches ein .heiliges Volk' (plebs
sancta). Die Gläubigen sind das Eigentumsvolk Gottes; denn Gott hat sie durch
den hohen Lösepreis des Blutes Christi erkauft und erworben. Sie bilden eine Ge-
meinschaft, welche in ganz besonderer Weise Gott geweiht und angehörig ist. Als
,heiliges Volk' werden die Glieder der Kirche bezeichnet, sofern Gott sie begnadigt
und den Geist der Heiligung reichlich über sie ausgegossen hat, wodurch sie befä-
higt und verpflichtet sind, ein neues, tugendhaftes, frommes Leben zu führen.47

Damit aber ist das Bewußtsein, ein heiliges Volk zu sein, ein Volk G o t t e s zu
sein, nicht nur vom Opfer Christi abhängig, sondern auch verknüpft mit der
realen Gegenwart des G o t t m e n s c h e n während des Gottesdienstes. H a t das
Ideologem Rasse selbst in der Ideologie der Nationalsozialisten eine religiöse
Implikation und ist diese religiöse Implikation mit d e m Prädikat „ G o t t -
m e n s c h " verbunden, so ist zumindest in einer Hinsicht eine Strukturähnlich-
keit zwischen Christentum und Rassismus, zwischen christlicher und „ari-
scher" Immanentisierung G o t t e s feststellbar. D e n n bei Rosenberg heißt es:
Heute erwacht aber ein neuer Glaube: der Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem
Blute auch das göttliche Wesen des Menschen überhaupt zu verteidigen. Der mit
hellstem Wissen verkörperte Glaube, daß das nordische Blut jenes Mysterium dar-
stellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat. 48

44
Matth. 26,26-29; Mk. 14,22-24; Lk. 22,19-20.
5
Nikolaus Gihr, Das heilige Meßopfer. Dogmatisch, liturgisch und ascetisch erklärt, 6. Aufl.,
Freiburg 1897, S. 600.
46
Ebd., S. 606.
47
Ebd., S. 609.
48
Alfred Rosenberg, Mythus, S. 114.
358 Politik, Resakralisation und Annihilation

Rosenberg ist, trotz aller Polemik gegen den Zauberglauben der katholischen
Kirche, also von der Christologie abhängig. Er verwandelt trotz gegenteiliger
Versicherungen das Wunder der Transsubstantiation in ein anderes, in das
des blutseelischen Urgrundes der nordischen Seele. Mit anderen Worten:
Nach dem neuen Sakrament hat nicht nur einer das Prädikat göttlich, sondern
alle Deutschen sind im G r u n d e göttliche Wesen. Wenn Leon Poliakov in sei-
ner ideengeschichtlichen Untersuchung über den „Arischen Mythos", in der
der Nationalsozialismus selbst nicht unmittelbar anhand der ideologischen
Quellen behandelt wird, feststellt, daß — im Unterschied zum englischen - im
deutschen Rassismus „eine bestimmte Vorstellung von Christus bedeutsam
und bezeichnend ist", so verweist er nur auf die Semantik. 49
Trotz aller Unterschiede zwischen der christlichen Eucharistie und dem
arischen Mythus des Blutes kommt es mir in diesem Z u s a m m e n h a n g lediglich
darauf an, danach zu fragen, ob zwischen dem nationalsozialistischen Be-
wußtsein von Gesellschaft sowie dem Glauben der Christen, sie seien das
Volk Gottes und der G o t t m e n s c h Christus sei im Blut real präsent, ein Zu-
sammenhang besteht. Mit anderen Worten: Den Christen ist die Erfahrung
der Göttlichkeit des Blutes wegen des Sakraments der Eucharistie bzw. we-
gen des Dogmas der Transsubstantiation nicht fremd. Vor allem ist die Ein-
heit von Mensch und G o t t in Christo immerhin gemäß einem offiziell katho-
lischen Lexikon der dreißiger Jahre das Paradigma für die konkrete Bestim-
mung der Gemeinschaft der Gläubigen. D e n n Christus als G o t t e s s o h n ist das
„Urbild" der Kirche:

Das Urbild der Gründung war sich der Gottmensch selber: Die geheimnisvolle
Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen, des Unsichtbaren und Sichtbaren,
Lebensaufgabe und Lebensschicksale, Leiden und Verklärung.50
Es soll nun beileibe nicht unterschlagen werden, daß in der nationalsozialisti-
schen Religionsideologie das Bewußtsein von Gemeinschaft auf irdische
Macht und politische Herrschaft gerichtet ist. Aber es ist nicht zu übersehen,
daß ein generell-historischer Z u s a m m e n h a n g zwischen religiösem und politi-
schem Bewußtsein von Gesellschaft besteht. Hier soll nicht die religionsso-
ziologische Forschung von Emile Durkheim, Marcel Mauss, Max Weber und

„Wir glauben, daß hier eine bestimmte Vorstellung von Christus bedeutsam und bezeich-
nend ist: Keine angelsächsische Bewegung hat je daran gedacht, die Frage der .Rassenzu-
gehörigkeit' des Menschensohns aufzuwerfen, während dies Problem in Deutschland, wie
wir gesehen haben, bereits in Fichtes Philosophie angeschnitten wurde. Einen weiteren
Hinweis liefert die Semantik: Wenn man von den akzeptierten Begriffen ausgeht, dann ist
,englische' oder .angelsächsische' Religion nur eine Nebeneinanderstellung von Wörtern,
ebenso willkürlich wie .französische Religion' oder schweizerische Religion'. Hingegen wid-
meten sich mehrere Generationen der Entwicklung einer deutschen Religion oder eines
deutschen Glaubens", Leon Poliakov, Der Arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus
und Nationalismus, Wien (u. a.) 1971, S. 357.
Artikel „Kirche", in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Freiburg 1933, Bd. V, S.
977.
D e r Modus der Religiosität 359

Niklas L u h m a n n bemüht, sondern der Anschluß an ein Werk von Ernst H.


K a n t o r o w i c z gesucht werden:
Man hat schon oft gesagt, daß die neuen Monarchien in vieler Hinsicht den Kir-
chen angeglichen waren. Weniger ist davon gesprochen worden, wie sehr die spät-
mittelalterlichen und modernen Staaten direkt vom kirchlichen Modell beeinflußt
waren, vor allem von dem allumfassenden geistlichen Prototyp körperschaftlicher
Begriffe, dem corpus mysticum der Kirche.51

Die Gemeinschaft aller Christen - nicht nur die der im Gottesdienst der Kir-
che versammelten - erhält durch die Wirkung des Heiligen Geistes das Prädi-
kat ,unitas': Die Christen werden zu einer spirituell ausgerichteten Körper-
schaft vereinigt. 5 2 Jeder einzelne darf somit glauben, via Gemeinschaft als
Leib Christi und via Christus als Sohn Gottes an einer identischen Substanz
teilzunehmen — G o t t ist in Christo, Christus in der Christenheit, G o t t in je-
dem einzelnen Christen. 5 3
Bei Hegel liegt die dialektisch-historische Transformation dieses Dogmas
auf der Hand. D a ß die Imagination nationaler Identität von religiösen Deu-
tungsmustern abhängig ist, wird durch eine Auffassung von Nation bzw. Volk
deutlich, die sehr häufig ist. Gemeint ist diejenige Auffassung von Volk oder
Nation, wonach diese eine Gemeinschaft der toten, lebenden und noch nicht
geborenen Mitglieder ist, die somit als Säkularisation des christlichen Dogmas
vom Corpus Christi mysticum bewertet werden kann. 5 4 Aber womit soll der
Anspruch historischer Kontinuität kollektiver Identität begründet werden,
wenn an die Wirkung des Heiligen Geistes nicht mehr geglaubt wird? Das
vielzitierte tägliche Plebiszit, womit Ernest Renan 5 5 die Nation unter anderem

Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie
des Mittelalters, München 1990, S. 206.
Gerhard Dohren-van Rossum, Politische Körper, Organismus, Organisation. Zur Ge-
schichte naturaler Metaphorik in der politischen Sprache, phil. Diss., Bielefeld 1977; Henri
de Lubac, Corpus Mysticum. Kirche und Eucharistie im Mittelalter. Eine historische Stu-
die, Einsiedeln 1969.
Vgl. Joh. 14, 6-10; 14, 15; 14, 20-23; 15, 9-13; 16, 27; 17, 3; 17, 20-26.
Vgl. Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Otto Brunner/Werner Contze/Reinhart Ko-
selleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen
Sprache in Deutschland, Stuttgart 1993, S. 141-431 (hier 142 ff., 330 ff., 389 ff.).
„Eine Nation ist ein tägliches Plebiszit, wie das Dasein des Einzelnen eine andauernde Be-
hauptung des Lebens ist." Ernest Renan, Was ist eine Nation?, hier zitiert nach der Veröf-
fentlichung des Vortrages in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. März 1993. Bei
der zahlreichen Wiederholung und Kommentierung des ersten Halbsatzes wird aber ver-
schwiegen, daß diese demokratische Auffassung von Nation zwei Sätze zuvor mit der Be-
stimmung eingeleitet wird: „Eine Nation ist also eine große Solldargemeinschaft, getragen
von dem Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man zu bringen ge-
willt ist." Diskutiert wird weiterhin, daß Renan der Überzeugung ist, „eine Nation ist eine
Seele, ein geistiges Prinzip". Nicht diskutiert wird hingegen, daß Renan der Auffassung war,
daß die Nation „aus sich selbst heraus existiert" und dem Religionshistoriker somit bewußt
gewesen sein muß, daß er die Nation mit religiösen Deutungsmustern definierte.
360 Politik, Resakralisation und Annihilation

definiert, ist dazu nicht geeignet. Man kann den Volksgeist zu Hilfe rufen56 -
oder eben die Rasse zur Substanz des Volkes machen. Weil mit der Konzep-
tion des Volkes als Gemeinschaft der toten, lebenden und zukünftigen Mit-
glieder die identische Teilnahme des einzelnen an einer gleichbleibenden Sub-
stanz impliziert werden kann, ist der Schritt vom Nationalismus zum Rassis-
mus klein. Die Divinisierung des Volkes durch die Einheit von menschlicher
und göttlicher Natur als Qualität des Ariers ist keine totale Säkularisierung der
Lehre vom Corpus Christi mysticum, sondern die partielle Immanentisierung
Gottes.
Ist man der Überzeugung, die Säkularisierung sei ein wesentliches Merkmal
der Moderne, dann stimmt die nationalsozialistische Weltanschauung teilwei-
se mit dem Projekt der Moderne überein. Die Übereinstimmung betrifft die
Aufwertung des Volkes und ohne Zweifel auch die der Subjektivität, auch
wenn diese über das Kollektiv vermittelt wird. Die Negation eines transzen-
denten, das Selbst fremdbestimmenden Gottes kommt der Selbstbestimmung
als Merkmal der Subjektivität entgegen. Ein schwerwiegender und folgenrei-
cher Unterschied zwischen dem Projekt der Moderne und dem Nationalsozia-
lismus besteht in dessen Negation des Verfassungsstaates. Darüber hinaus ist
das Verhältnis von Gott und Mensch und Gott und Volk für den Szientismus
der Moderne irrelevant. Aus der Perspektive des Szientismus ist die Doktrin
von der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur mit der Konzeption
der Moderne unvereinbar. 57 Eine sorgfältige Erörterung des Unterschieds oder
der Übereinstimmungen zwischen Moderne und Nationalsozialismus würde
den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Indes möchte ich im Hinblick auf
den Antisemitismus auf einen zunächst nicht offensichtlichen Zusammenhang
zwischen dem Nationalsozialismus und der Moderne verweisen; dieser betrifft
das metaphysisch-ontische Böse, bzw. den Diskurs über das Böse. Die Natio-
nalsozialisten behaupteten, es gäbe das Böse, für die Anhänger der Moderne
war dies Aberglaube und daher realhistorisch überwunden.

So Friedrich Meinecke: „Der echte Nationalstaat geht nach dieset Auffassung vielmehr wie
eine eigenartige Blume aus dem besonderen Boden einer Nation hervor, der neben ihm
auch noch manche andere staatliche Gebilde von ebenso kräftigen und originellen Gepräge
tragen kann, und national ist und wird er nicht durch den Willen der Regierenden oder der
Nation, sondern so, wie Sprache, Sitte, Glaube national sind und werden, durch das stille
Wirken des Volksgeistes." Friedrich Meineke, Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien
zur Genesis des deutschen Nationalstaates, München/Berlin 1908, S. 12.
Das Kriterium der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur, die Gottmenschnatur
Christi, ist für die Differenz, das erste monotheistische Schisma, zwischen jüdischer und
christlicher Religion maßgebend gewesen; vgl. Paulus, Gal. 2,20; 2. Kot. 1,19; Rom. 1,1 ff.;
Leopold Lucas, Zur Geschichte der Juden im vierten Jahrhundert — der Kampf zwischen
Christentum und Judentum, Berlin 1910 (Beiträge zur Geschichte der Juden, Teil I), Neu-
druck, Hildesheim 1985; Karl Heinrich Rengstorf, Das Neue Testament und die nachapo-
stolische Zeit; Bernhard Blumenkranz, Patristik und Frühmittelalter, in: Karl Heinrich
Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch (Hrsg.), Kirche und Svnagoge. Handbuch zur
Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, Bd. 1, München 1968, Bd. 2,
München 1970.
D e r M o d u s der Religiosität 361

Wird in der Offenbarung des J o h a n n e s v o r der ersten Wiederauferstehung


J e s u „der Drache, die alte Schlange, welches ist der Teufel und Satan", gefes-
selt in einen versiegelten A b g r u n d geworfen, so verschwindet im Projekt der
M o d e r n e das Böse aus d e m Bewußtsein von Mensch, Gesellschaft und G e -
schichte. Aber auch im Zeitalter der M o d e r n e wurde das Böse in seinen ver-
schiedenen Erscheinungsformen von den Menschen erfahren. In der kleinen
oder großen Welt k o n n t e n die Menschen erleben, daß alle möglichen Attak-
ken auf das ihnen lebenswerte Leben und das Leben selbst erfolgreich sein
k ö n n e n und von Erfolg gekrönt wurden. Vernichtung, Z e r s t ö r u n g , T o d ,
Mord, Verderben, Unwahrheit, Unglück, Ungerechtigkeit, Unfreiheit, Elend,
N o t und Unheil aller Art, kurz das, was m a n , so G o e t h e oder der Teufel
selbst, „das Böse" nennt, war existent. O b es in den wertfreien Wissenschaf-
ten ausgeklammert, in der sogenannten dialektischen Theorie in die Negation
der Negation umfunktioniert, in der Ästhetik in den Schrecken umgetauft
oder in der Psychotherapie in das U n b e w u ß t e verbannt wurde, ist hier nicht
maßgebend. D e m steht die Langzeitwirkung traditioneller Mentalitäten, deren
Erneuerung durch die religiöse Erziehung, das religiöse Leben der Kirchen-
mitglieder, die Volksfrömmigkeit sowie der Einfluß von Weltanschauungsli-
teratur, Märchen, Sage, D i c h t u n g , O p e r und bildender K u n s t gegenüber. E s
scheint, daß die Moderni den N a m e n des Bösen nicht n e n n e n - als kennten
sie ihn nicht. Anders die Nationalsozialisten: Sie n a n n t e n das Böse beim Na -
men - als kennten sie es. Sie füllten ein V a k u u m im offenen System der M o -
derne. Ihre Botschaft läßt erkennen, daß sie das Böse

1. als mehr oder weniger selbständiges Prinzip in die G r u n d s t r u k t u r von Welt


verlegten,
2. personifizierten,
3. allen Mitgliedern der Gemeinschaft der J u d e n substantialisierend als deren
kollektive Identität z u o r d n e t e n ,
4. durch eigenes T u n unbedingt besiegen wollten und
5. auch sicher waren, es aufgrund der Divinisierung des eigenen Kollektivs
besiegen zu können.

Da Rosenberg im Rahmen der umfassenden Konkretisierung des „positiven


Christentums" „den J u d e n " dem Satan und Hitler im Kontext mit dem Kreu-
zestod Christi „den J u d e n " als „Widersacher jedes M e n s c h e n t u m s " dem Teu-
fel gleichsetzte, liegt die Strukturähnlichkeit zwischen der Auffassung des
Bösen als „Antichrist" in der christlichen und in der nationalsozialistischen
Religion auf der Hand. D a das Böse 5 8 aber das im Verhältnis zum Antichrist

8
Auf die reichhaltigen Auffassungen vom „Bösen" bzw. „Übel" (Kakön/Malum) im Gegen-
teil von „Gut" kann hier nicht eingegangen werden. Auf das bloße Verfehlen des Guten
oder des Bösen als mehr oder weniger ursprünglichem Prinzip von Welt oder auf die Inkar-
nation des Bösen kann nur verwiesen werden; ebenso auf die metaphysische und religiöse
Tradition, auf Piaton, Plotin, den Parsismus, die Gnosis, Mani, Augustinus, Luther, Jakob
Böhme, Kant, Hegel, die Romantik, Schelling und Nietzsche. Im Hinblick auf historische
362 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

universalere A p p e r z e p t i o n s m u s t e r von Welt und Wirklichkeit ist, schlage ich


vor, den Problemgehalt des Bösen — ob psychologisch, moralisch, metaphy-
sisch oder existentiell — für die Bildung, A n e r k e n n u n g und Verinnerlichung
der nationalsozialistischen Weltanschauung genauso zu beachten wie den
Einfluß der christlichen Tradition. D e n n es ist daran zu erinnern, daß der
Christ angesichts unmittelbar bevorstehender Erlösung (Parusie) den Bösen
nicht widerstehen und seine Feinde sogar lieben soll; vielleicht darf er sogar
glauben, damit die Bedingung der Erlösung zu erfüllen. 59 Damit mögen zwar
alle politischen Dilemmata der christlichen Religion, v o m Fatalismus bis zum
Fanatismus, involviert sein, aber der Glaube, „der J u d e " sei der „Antichrist"
führt noch nicht zum Genozid. Darüber hinaus ist es plausibel, daß die Chri-
sten die Existenz der J u d e n zur Versicherung ihrer eigenen Identität brauch-
ten. T r o t z aller von den Christen verursachten Entwürdigungen und Verfol-
gungen bis zu den begangenen Verbrechen an Leib und Leben, im Mittelalter
und am Beginn der Neuzeit sollte, um es blasphemisch zu formulieren, die
Vernichtung aller Bösen ihrem Herrn Jesus Christus und G o t t selbst überlas-
sen bleiben. Auch g e m ä ß dem modernen, aber auch klassisch philosophi-
schen Bewußtsein von Mensch und Gesellschaft können die Christen oder die
Kirche in einem ganz b e s t i m m t e n Sinn nicht für den Genozid verantwortlich
sein. D e n n Kollektivsubjekte können a priori nicht schuldfähig sein, weil sie
kein Bewußtsein und kein Gewissen haben und damit als solche nicht han-
deln können. Ein Gewissen kann immer nur der einzelne Mensch haben. O b
das die Christen in der ersten Hälfte des J a h r h u n d e r t s erkannt hatten oder
nicht, der G e n o z i d ist kein Bestandteil des christlichen Glaubens und damit
keine Legitimationsquelle für den Völkermord. Aber o h n e das protologische,
in der christlichen Religion ungelöste Problem des sogenannten Bösen wäre
die D i m e n s i o n des Bösen nicht Bestandteil der NS-Ideologie, und die Bot-
schaft des Sieges über alles Elend der D e u t s c h e n wäre nicht verstanden wor-
den. Es ist an der Zeit, das Böse zum T h e m a religionspolitologischer For-
schung zu machen. D a z u gibt es aktuelle Anlässe in Hülle und Fülle - ob das
Böse ein überirdisches Prinzip ist oder nur eine Verfehlung der Erkenntnis

Untersuchungen wären Gustav Roskoff, „Geschichte des Teufels", Leipzig 1869, Repr.
Nördlingen 1987, und Karl R. H. Frick, Satan und die Satanisten. Ideengeschichtliche Un-
tersuchungen über Herkunft der komplexen Gestalt ,Luzifer — Satan - Teufel', Bd. 1, Graz
1982, Bd. 2, Graz 1989, zu nennen. Aufschlußreich unter theologischen Aspekten sind die
Arbeiten von Eugen Drewermann, Struktur des Bösen, Bd. 1-3, München/Paderborn/
Wien 1982; Hermann Hering, Das Problem des Bösen in der Theologie, Darmstadt 1985,
sowie Herbert Haag, Vor dem Bösen ratlos, München 1989, und philosophiegeschichtlich:
Christoph Schulte, radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche, München
1989, sowie sozioethnologisch; Jeanne Favret-Faada, Die Wörter, der Zauber, der Tod. Der
Hexenglaube im Heimland von Westfrankreich, Frankfurt a. M. 1979.
Vgl. Matth. 5,24 f.
D e r M o d u s der Religiosität 363

des G u t e n , o b es der biopsychischen Natur aller M e n s c h e n entspricht oder


b e i m einzelnen Menschen n u r zur Erklärung dafür dient, daß das freie Sub-
jekt nicht so handelt, wie es die Menschenrechte gebieten, o b der Glaube an
die feindlichen Mächte der „Reaktion" eine Folge der mißlingenden Produk-
tion des radikal N e u e n ist, o b in der Religion das Böse gebannt wird oder
nicht, sowohl die religiösen als auch die politischen Stimmungen werden
d u r c h den bloßen Glauben an die Macht des Bösen ungemein aktiviert. 6 0 Ich
glaube nicht, daß es irgendeine Kraft gibt, wie der hegelnde G o e t h e hoffte,
die stets das Böse will und doch das G u t e schafft, und daß die Idee des G u -
ten, im Gegensatz zu der Imagination des Bösen, b e s o n d e r s wirkungsvoll —
und notabene - ästhetisch attraktiv ist. Auch der Glaube an die widergöttliche
Macht des Bösen schafft die Wirklichkeit des sogenannten Bösen, also die
Z e r s t ö r u n g aller G ü t e r des Lebens und die V e r n i c h t u n g des Lebens selbst.
Das heißt nicht, daß das Böse sich weiß und weil es weiß, daß es sich weiß,
sich zu dem hervorbringt, was es an sich ist — aber wer weiß?
Zwar stimmen viele K o m p o n e n t e n der nationalsozialistischen Religion in
vielen Hinsichten - deren Reihe selbstverständlich erweitert werden kann —
mit traditionell bekannten Glaubensinhalten überein, aber die politische Reli-
gion der Nationalsozialisten ist mit der traditionell-christlichen, neuchristlich-
häretischen oder neuheidnischen-nichtchristlichen Religiosität nicht identisch.
Die hier behandelten Nationalsozialisten waren keine Professoren für T h e o -
logie, die in mühevoller Arbeit ein widerspruchsfreies System konstruiert ha-
ben. Die Nationalsozialisten beanspruchten nicht, sich auf D a u e r innerhalb
der christlichen Religion zu organisieren und die protestantische oder katho-
lische Theologie zu akzeptieren. Die Kampf- und Herrschaftszeit war zu
kurz, als daß eine Lehre der Gottheit ausgearbeitet werden konnte. 6 1 Die end-
gültige Ablösung von den alten Religionen sollte auf die Zeit nach dem Sieg
verschoben werden. Die nationalsozialistische Religion enthält Fragmente ei-
ner neuen Theologie, weil das Verhältnis von Politik und Religion neu artiku-
liert wird. Das traditionelle Schema, das Verhältnis von Politik und Religion
zu bestimmen, paßt nicht auf die politische Religion der Nationalsozialisten.
Sie kann nicht unter folgende Muster subsumiert werden: die antike Verbin-
dung von Kultus und Polis, die wechselseitige T r e n n u n g und Abhängigkeit
von vis spiritualis und vis temporalis sowie den Cäsaropapismus, das frühneu-
zeitliche Gottesgnadentum und die spätneuzeitliche T r e n n u n g von Staat und
K r c h e . Bei diesen Einteilungen ist die Differenz v o n G o t t und Mensch so-
wie K o s m o s und Gesellschaft maßgebend, und die jeweiligen politischen und
religiösen Institutionen werden dementsprechend ins Verhältnis gesetzt. In

Angst und Furcht in der Moderne werden von der Zeitgeistforschung immer noch zu sehr
vernachlässigt.
Es ist nicht auszuschließen, daß im Falle eines Sieges genügend deutsche Theologen mit tie-
fer Inbrunst und viel Fleiß sich dies zur Lebensaufgabe gemacht hätten.
364 Politik, Resakralisation und Annihilation

der politischen Religion der Nationalsozialisten wird hingegen von der Ein-
heit der göttlichen und menschlichen N a t u r ausgegangen. Die absolute Herr-
schaft Gottes und damit die Unterwerfung unter G o t t sowie der Bund mit
G o t t werden entschieden verworfen.
Einerseits ist in der politischen Religion der Nationalsozialisten, nämlich
im Ideologem des Ariers, die Symbiose v o n G o t t und Mensch enthalten, an-
dererseits aber auch der Versuch der Synthese zwischen Moderne und Religi-
on. Modern ist unter religiösen Aspekten die partielle Negation der Transzen-
denz und unter politischen die Souveränität des Volkes. Modern ist auch die
Förderung von Wissenschaft, Technik und Ö k o n o m i e und allen diesbezügli-
chen Prozessen der Modernisierung. In der nationalsozialistischen Religion
wird zwischen wertfreier Naturwissenschaft und Glaube eine T r e n n u n g vor-
genommen. Die Naturwissenschaft wird nicht diskriminiert, sondern wie
Technik und Ö k o n o m i e instrumentalisiert. Wissenschaft, Technik und Ö k o -
nomie erhalten ihren Wert dadurch, daß sie der Gewinnung, Haltung und Er-
weiterung von Macht dienen.
Die Nationalsozialisten verfolgten wie selbstverständlich das moderne Ziel
sich die Naturwissenschaft zunutze zu machen. Aber weil sie an die K o n s u b -
stantialität von G o t t und Mensch glaubten und an die damit korrespondieren-
de Identität von Mikrokosmos und M a k r o k o s m o s , meinten sie, N a t u r und
Mensch versöhnen und alle Entgleisungen der Modernisierung aufheben zu
können.
Der Entzauberung der Welt stellten die hier behandelten Ideologen deren
Resakralisierung durch die Sakralisierung des Volkes entgegen. Die in der
göttlichen Substanz des Ariers enthaltene Divinisierung des Volkes ist das
wesentlich Neue der nationalsozialistischen Konstitution der kollektiven
Identität. Weiterhin kann mit der Transformation der Christologie als M o -
ment der völkischen Weltvorstellung erklärt werden, warum so viele Men-
schen bereit waren, sich für die Nation zu opfern und für sie zu sterben.
D e n n die partielle Teilhabe an einer identischen Substanz (die Nation als Ein-
heit der toten, lebenden und noch nicht geborenen Mitglieder einer Gemein-
schaft) verheißt Unsterblichkeit. Erst recht kann mit der Einheit von göttli-
cher und menschlicher Natur als tertium comparationis zwischen christlicher
und nationalsozialistischer Religion nachvollzogen werden, weshalb bei vie-
len Christen der Verstand aussetzte, wenn sie der nationalsozialistischen Po-
litik zustimmten. Die Vermischung von Politik und Religion in der national-
sozialistischen Weltanschauung legt es nahe, danach zu fragen, o b diese als
christliche Häresie (Ketzerei) zu beurteilen ist. Dafür spricht, daß die religiös-
politischen Ansichten der hier behandelten Nationalsozialisten zwar aus dem
Gesamtgut der christlichen Religion ausgewählt wurden, die Rassedoktrin und
der Wille zur Errichtung des Tausendjährigen Reiches in dieser Welt aber
deutlich den verpflichtenden Glaubensgrundsätzen sowohl der katholischen
als auch der protestantischen Kirche widersprechen. Die Beantwortung der
Frage, o b es sich um eine formelle Häresie handelt oder nicht, ist aber den
D e r M o d u s der Religiosität 365

christlichen Kirchen selbst zu überlassen. 6 2 Auch wenn die wechselseitige


D u r c h d r i n g u n g religiöser und politischer Aussagen in den hier behandelten
T e x t e n nachgewiesen werden konnte, soll doch nicht bestritten werden, daß
die Beurteilung der nationalsozialistischen Weltanschauung als politischer Re-
ligion problematisch bleibt.
Z w a r ist daran zu erinnern, daß Eric Voegelin am Schluß seiner Studie
über „Die Politischen Religionen" 6 3 aus dem Jahre 1938 den Nationalsozia-
lismus als politische Religion charakterisierte, sich aber Jahrzehnte später von
dem Begriff politische Religion distanzierte:
Die Interpretation ist nicht völlig falsch, aber ich würde den Begriff Religion nicht
länger verwenden, weil er zu unscharf ist und schon im Ansatz das eigentliche Pro-
blem der Erfahrung verzerrt, indem er sie mit dem anderen Problem der Dogmatik
und der Doktrin vermengt. 64

Ich aber möchte, obwohl ich dem Werk Voegelins wesentliche Hinsichten
verdanke und von ihm promoviert wurde — dies statt aller weiteren Fußnoten
- , an d e m Terminus „politische Religion" festhalten und ihn genauer bestim-
men. Mit der Bezeichnung „politische Religion" wird nämlich über die vorge-
n o m m e n e Gewichtung eines bestimmten Problemgehaltes informiert. Das ist
dann sinnvoll, wenn der eigentliche Problemgehalt in der allgemeinen Öffent-
lichkeit unbekannt ist und in der Wissenschaft vernachlässigt wurde. Dabei ist
es nicht notwendig, den Begriff zu definieren, denn eine Definition kann erst
dann v o r g e n o m m e n werden, wenn aus einem bestimmten Bereich hinrei-
chende Forschungsleistungen vorliegen: Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Weder ist von den Vertretern des Faches „Politische Wissenschaft" eine Mo-
nographie über die gesamte NS-Ideologie vorgelegt worden, noch existieren
Ansätze zu einer wissenschaftlichen Disziplin, die den Namen „Religionspo-
litologie" — etwa vergleichbar mit der Religionssoziologie — verdient. Gleich-
wohl sind die zur Behandlung unseres Themas, nämlich politische Religion,
geeigneten Kriterien und Merkmale anzugeben, um Schlüsse im Hinblick auf
den zu subsumierenden Sachverhalt ziehen zu können. Daher soll versucht
werden, „politische Religion" als T o p o s hinreichend zu bestimmen. Politi-
sche Religion bedeutet, daß Aussagen über Religion politische, und Aussagen
über Politik religiöse Implikationen haben. Als wesentliches Merkmal von Re-
ligionen, worüber sich vortrefflich streiten läßt, soll im Rahmen des hier an-
gewendeten religionspolitologischen Ansatzes der Glaube gelten. Von „Glau-
be" im Sinne einer religiösen Existenzinterpretation kann auf jeden Fall im-
mer d a n n die Rede sein, wenn die Differenz von Jenseits und Diesseits arti-

lch selbst neige dazu, unter Berufung auf Augustinus, den Glauben der Nationalsozialisten
als Kardinalsünde der Superbia zu verwerfen.
Eric Voegelin, Die politischen Religionen, Wien 1938, 2. Aufl. Stockholm 1939, neue Aufl.
München 1993, hrsg. von Peter Opitz.
Eric Voegelin, Autobiographische Reflexionen, München 1994, eingeleitet und mit einer Bi-
bliographie von Peter Opitz (Hrsg.), S. 70.
366 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

kuliert wird. Eine Gesamtauffassung von Welt, einschließlich des menschli-


chen Seins und Verhaltens, kann, zumindest innerhalb der abendländischen
Tradition, immer dann mit dem Begriff Religion bezeichnet werden, wenn die
Existenz überirdischer Mächte für wahr gehalten wird; vor allem w e n n an die
Wirkung Gottes und des Bösen geglaubt wird und weiterhin an die Unsterb-
lichkeit der Seele, die Erlösung, das Opfer, das Charisma sowie der Messia-
nismus in den Glauben einbezogen wird. Das gilt erst recht dann, wenn der
neuzeitliche Begriff von Religion im Gegensatz zu Wissenschaft und Philoso-
phie verwendet wird. Indes schließt die reine Ausrichtung des Glaubens und
Verhaltens an der Transzendenz — sub specie aeternitatis — die D e u t u n g einer
Religion als politischer Religion aus. Aber ist eine D e u t u n g der Spannung von
menschlichem und göttlichem Sein ohne politische Implikationen überhaupt
möglich oder gar sinnvoll? Im Rahmen dieser Untersuchung reicht es aus, als
Merkmal von Politik Eric Voegelins Bestimmung der O r d n u n g von Mensch,
Gesellschaft und Geschichte heranzuziehen. Dabei wird der Begriff der G e -
sellschaft als Oberbegriff für Gemeinschaft, Kirche, Volk, Nation und Staat
verwendet. Der Komplex der Politik betrifft im Rahmen unseres Themas vor-
nehmlich das Bewußtsein von Gesellschaft, mit welchem wiederum Macht-
und Herrschaftsprozesse sowie gesellschaftliche Institutionen konstituiert,
wahrgenommen und bewertet werden. 6 5 Eine Religion soll dann als politisch
gelten, wenn durch eine religiöse Existenzinterpretation die O r d n u n g von
Mensch und Gesellschaft wahrgenommen und beurteilt wird; wenn das reli-
giös bestimmte Bewußtsein von Gesellschaft, z. B. des Volkes, handlungslei-
tende Kriterien enthält. Das Primat der Religion in bezug auf das Politische —
und damit die vorerst berechtigte Verwendung des Substantivs Religion -
liegt immer dann vor, wenn durch eine religiöse Existenzinterpretation, vor
allem in der Differenz von Transzendenz und I m m a n e n z , unmittelbar der
Zweck erfüllt wird, das Bewußtsein von gesellschaftlich-politischer Existenz
zu bestimmen. Ein Fall von politischer Religion, selbstverständlich sind an-
dere möglich, liegt immer dann vor, w e n n das Bewußtsein von kollektiver
Identität (Einheit, Homogenität, Ganzheit und Kohärenz), das eigene oder
ein anderes Kollektiv betreffend, im abhängigen Verhältnis zu überirdischen
Mächten, wie z. B. G o t t oder Satan, artikuliert wird.
Auf die historischen und theoretischen Relationen von Politik und Reli-
gion m u ß hier nicht eingegangen werden. Jedoch m ö c h t e ich auf zwei der
wichtigsten Momente unserer religiösen Tradition hinweisen, die mit der
Thematik des Nationalsozialismus verbunden sind: die Präsenz G o t t e s und
die Inkarnation des Bösen. Wird die Präsenz Gottes, bei der viele Gestalten
denkbar sind, mit der Frage in Verbindung gebracht, wer das Volk G o t t e s sei,
dann ist der Schritt zur politischen Religion nicht weit. Religionspolitologisch

Politik wird also nicht auf Macht reduziert. Selbstverständlich gehören die sogenannten
Vierte oder Tugenden des Menschen, wie Gerechtigkeit und Klugheit, sowie die verschie-
denen Paradigmata der politischen Ordnung zum Bereich von Politik.
Der Modus der Religiosität 367

v o n Interesse ist, an welche F o r m der Verbindung von G o t t und Mensch


b z w . G o t t und Volk geglaubt wird. Dabei ist eine Beziehung zwischen einem
Volk und einem transzendenten, nicht-menschlichen G o t t von einer substan-
tialisierten Verbindung zwischen Volk und G o t t zu unterscheiden. Wird an
eiine substantielle Verbindung, z. B. an die Einheit von göttlicher und
menschlicher Natur geglaubt, so entsteht nicht nur Streit darüber, wer das
Volk Gottes sei, sondern es wird auch das gewaltige Problem aufgeworfen,
wie die Identität anderer Kollektive zu bestimmen ist. Genau in diesem Zu-
s a m m e n h a n g wird die Art der Apperzeption des Bösen relevant. Kann der
Glaub e an die Macht des Bösen überhaupt ausgeschaltet werden? Kann ver-
mieden werden, daß das Böse kollektiviert wird? Damit ist der Zwang ge-
meint, das Böse in Hinblick auf Kollektivität wahrzunehmen und es zu im-
manentisieren, indem es in einem anderen Kollektiv - als reale Gegenmacht
— personifiziert wird. Bedenkt man nun, daß im Diskurs der Moderne der
Glaube an das Böse nicht v o r k o m m t , aber das, was man das Böse nennt,
nämlich die Z e r s t ö r u n g o d e r Bedrohung aller Güter des Lebens, gleichwohl
nicht verschwunden ist, dann kann der an der Demokratie orientierten
Politikwissenschaft der Glaub e an die Durchdringung des Weltlichen — und
damit des Volkes - durch G o t t nicht gleichgültig sein. D e n n im demokrati-
schen Projekt der Moderne m u ß gesellschaftlich anerkannt werden, was un-
ter demos zu verstehen ist. E s ist machtpolitisch relevant, wer den Begriff des
Volkes besetzt und wie das Verständnis von Volk konzipiert wird. Es ist, das
wäre ein übergeordneter Aspekt dieser Untersuchung, der Diskurs darüber zu
eröffnen, o b die vielzitierte Entzauberung der Welt tatsächlich auch das Be-
wußtsein von Gesellschaft erfaßt hat oder ob - vielleicht hinter dem Rücken
der Demokraten — das Volk zum Objekt religiöser Begierden wurde und sich
die Tendenz einer Wiederverzauberung von Welt durch die Sakralisierung des
eigenen Volkes und die damit notwendig einhergehende Satanisierung ande-
rer Gesellschaften feststellen läßt. Es ist die Aufgabe einer christlichen Reli-
gionsgeschichte festzustellen, o b die nationalsozialistische Weltanschauung
eine christliche Häresie ist oder nicht. Zusammenfassend soll aber festgehal-
ten werden, daß die nationalsozialistische Anschauung von Welt, Geschichte,
Gesellschaft, Menschen, Macht und Herrschaft den Charakter einer politi-
schen Religion hat. Die nationalsozialistische Weltanschauung hat einen reli-
giösen Gehalt, weil der Glaube im Gegensatz zu Wissenschaft und Philoso-
phie für die Deutun g v o n politischer Wirklichkeit maßgebend ist. Es handelt
sich bei dem Glauben der hier behandelten Nationalsozialisten nicht um ei-
nen beliebig profanen Glauben, weil er in der Differenz von Transzendenz
und Immanenz artikuliert wurde. Die Gegenstände des Glaubens sind einer-
seits G o t t und andererseits das Böse. Geglaubt wird weiterhin an die Un-
sterblichkeit der Seele, den heiligen Sinn des Opferns, das Charisma einer be-
stimmten Person und an die Erlösung. Indes liegt eine reine Ausrichtung des
Glaubens und Verhaltens an die Erlösung im Jenseits nicht vor. Die Tran-
szendenz wurde teilweise, aber nicht umfassend immanentisiert: Die Religion
368 Politik, Resakralisation und Annihilation

wird also nicht ersetzt. Eine totale Immanentisierung liegt im Falle des Na
tionalsozialismus deshalb nicht vor, weil die Differenz von Transzendenz und
I m m a n e n z nicht vollständig negiert wird. Die nationalsozialistische Gesamt
auffassung von Welt und menschlichem Sein ist ein Fall von politischer Reli
gion, weil der Glaube für das Bewußtsein der O r d n u n g von Mensch, Gesell
schaft und Geschichte b e s t i m m e n d ist. V o r allem wird die Auffassung v o n
kollektiver Identität im abhängigen Verhältnis zu überirdischen Mächten arti
kuliert.
Das Prädikat politisch dieser Art von Religion resultiert aus einer bestimm
ten Immanentisierung. Die Immanentisierung besteht darin, daß G o t t z u m
Attribut des deutschen Volkes gemacht wurde. Die Einheit von menschlicher
und göttlicher N a t u r der arischen Rasse als potentielle und zu aktualisierende
Substanz des deutschen Volkes und damit seiner erst noch herauszustellen
den kollektiven Identität ist leider nicht nur die einzige Seite der politischen
Religion des Nationalsozialismus. Die Immanentisierung betrifft auch das
Böse, welches substantialisiert wird. Inwieweit die religiöse Fremdbestim
m u n g des jüdischen Volkes mit d e m m o d e r n e n Willen zur Selbsterlösung ein
hergeht und o b die politische Religion Hitlers dem Versuch, das gesamte jü
dische Volk zu e r m o r d e n , vorausgeht wie der Blitz dem D o n n e r 6 6 , ist ab
schließend zu untersuchen.

3. Der Genozid an den Juden aus der Perspektive


der Religionspolitologie

In den öffentlichen D e b a t t e n der letzten Jahrzehnte wurde noch nicht einmal


erwähnt, daß, bevor im Zweiten Weltkrieg die Gelegenheit zur Tat günstig
war und „der F ü h r e r " dabei vorbildlich voranschritt, wie Goebbels in seinem
Tagebuch 6 7 notierte, die Intention der Vernichtung in „Mein K a m p f ausge
sprochen wurde; das heißt, Hitler hat das konkrete Ziel seines Handelns gar
nicht verhehlt, woran im folgenden anzuknüpfen ist.
D a h e r werde ich mit der von Hitler selbst ausgesprochenen Absicht der
Vernichtung beginnen, die weder im jüngsten Streit um die Einzigartigkeit

Vgl. Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 1834.
Elke Fröhlich (Hrsg.), Joseph Goebbels, Tagebücher, Notiz vom 27. 3. 1942: „An den Ju
den wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber vollauf verdient
haben. Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalität obwalten lassen. Die Juden würden,
wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten [...] Auch hier ist der Führer der
unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung, die nach Lage der Dinge
geboten ist und deshalb unausweichlich erscheint. Gott sei Dank haben wir jetzt während
des Krieges eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt wären."
Schon im Jahre 1926 forderte Goebbels öffentlich dazu auf, „dem Feind den Dolch mitten
ins Herz zu stoßen", Joseph Goebbels, Lenin oder Hitler? Eine Rede, Zwickau 1926, S. 24.
D e r M o d u s der Religiosität 369

des v o n den Nationalsozialisten realisierten G e n o z i d s n o c h in der reichhalti-


gen Literatur über den Nationalsozialismus interpretiert w o r d e n ist:
Die Gewinnung der Seele des Volkes kann nur gelingen, wenn man neben der Füh-
rung des positiven Kampfes für die eigenen Ziele den Gegner dieser Ziele vernich-
tet. 68
Dieses Zitat steht in engem Z u s a m m e n h a n g mit d e m von Hitler zu Beginn
des Kapitels erklärten Ziel der „neuen Bewegung" seit d e m J a h r e 1919, der
„Nationalisierung der Massen". 6 9 Die Prämisse der Nationalisierung und die
Schlußfolgerung der Vernichtung w e r d e n einige Zeilen weiter unter unzwei-
deutiger Benennung der Objekte der Vernichtung ausgesprochen:
Die Nationalisierung unserer Masse wird nur gelingen, wenn bei allem positiven
Kampf um die Seele unseres Volkes ihre internationalen Vergifter ausgerottet wer-
den.™
Keineswegs ist die Bedeutung dieser Stelle als nebensächlich abzutun. D e n n
Hitler bewertet die Nationalisierung als „oberstes Ziel". A u ß e r d e m schließt
Hitler mit dem bekannten Satz:
Die Rassenfrage gibt nicht nur den Schlüssel zur Weltgeschichte, sondern auch zur
menschlichen Kultur überhaupt. 71
Daß in der Diktion Hitlers die J u d e n die internationalen Vergifter sind, folgt
allein schon aus dem Inhalt und Wortlaut des vorangegangenen Kapitels
„Volk und Rasse". Die K o m b i n a t i o n v o n Seele, Volk, Nationalisierung,
K a m p f und Vernichtung enthält den G r u n d für die Einzigartigkeit des v o n
den Nationalsozialisten versuchten G e n o z i d s . Nach Hitler hat das Volk zwar
Seele, aber ist noch nicht voll entwickelte Nation. 7 2
Die von ihm gewollte Dynamik der Nationalisierung ist seinem Verständ-
nis nach als historischer Prozeß zu begreifen. Ein Volk m u ß ausgerottet wer-
den, damit eine neue Gestalt von Gesellschaft konstituiert werden kann. Ver-
nichtung wird damit zum Spezifikum der nationalsozialistischen Ideologie. In
dem immerwährenden Prozeß der Konstituierung von Gesellschaft ist diese
Poesis von Gesellschaft einzigartig. Z u fragen ist, was Hitler damit meint,
wenn er von der Seele des Volkes oder der Seele unseres Volkes spricht.
Wenn Hitler überzeugt ist, daß das Volk eine Seele im Sinne eines inneren,
empfindenden und wollenden Wesens habe, so wäre die Kollektivseele das

Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 371.


Ebd., S. 369; laufende Kolumnentitel der Seiten 365 bis 377.
Ebd., S. 372.
Ebd.
Ich kann an dieser Stelle auf eine Nebenbemerkung nicht verzichten. Die bittere Wahrheit
im Hinblick auf die Seele des deutschen Volkes bestünde nicht darin, daß man ihm ange-
sichts der Erfolge antisemitischer Propaganda Seele absprechen müßte, sondern dann, daß
es erst durch die Imagination eines fundamentalen und zu vernichtenden Feindes Seele er-
hielte. Indes hat kein Volk auf der Welt Seele.
370 Politik, Resakralisation und Annihilation

verbindende Moment zwischen allen Mitgliedern des Volkes: Alle sind eins -
ein Volk - , weil alle eine gemeinsame Seele haben. Explizit ist in diesem Kon-
text nur enthalten, daß die „Einheit der Seele" Hitlers Ziel und die „Zerris-
senheit ihres Wesens" seine Furcht ist. Hitler glaubt den G r u n d für die Zer-
rissenheit der Seele des Volkes zu kennen:
Völker, die auf die Erhaltung ihrer rassischen Reinheit verzichten, leisten damit
auch Verzicht auf die Einheit ihrer Seele in all ihren Äußerungen. Die Zerrissen-
heit ihres Wesens ist die naturnotwendige Folge der Zerrissenheit ihres Blutes, und
die Veränderung ihrer geistigen und schöpferischen Kraft ist nur die Wirkung der
Änderung ihrer rassischen Grundlagen. 73

D e r Grund für die aktuelle Zerrissenheit ist also der Abfall von der Einheit
und der Reinheit des Ursprungs. D e r ursprüngliche Zustand soll aber wieder
hergestellt werden, und das deutsche Volk m u ß von der Entfremdung v o m
Ursprung befreit werden:
Wer das deutsche Volk von seinem ihm ursprünglich wesensfremden Äußerungen
und Untugenden von heute befreien will, wird es erst ablösen müssen vom frem-
den Erreger dieser Äußerungen und Untugenden. Ohne klarste Erkenntnis des
Rasseproblems, und damit der Judenfrage, wird ein Wiederaufstieg der deutschen
Nation nicht mehr erfolgen.74

Für den Modus der von Hitler implizit verwendeten kognitiven Muster ist
dieser Kontext ein Beleg, daß Hitler die Kategorie der Substanz unreflektiert
anwendet. Blut ist ihm ein ursprüngliches Kraftzentrum. Wenn von der Rein-
heit des eigenen Ursprungs ausgegangen wird, dann kann für den Abfall v o m
Ursprung nicht die eigene ursprüngliche Reinheit verantwortlich gemacht
werden, sondern es m u ß ein äußerer, der substantiellen Einheit entgegenwir-
kender, fremder Grund für den Abfall v o m Ursprung gefunden werden. Die
Bedingung der Wiederherstellung der ursprünglichen Reinheit besteht also
darin, die Ursache der E n t f r e m d u n g zu beseitigen.
Das nationalsozialistische Selbstverständnis, die Vernichtung der Juden sei
die unbedingte Voraussetzung einer neuen politischen Ordnung, resultiert aus
der religiösen Sinngebung und ist ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie.
Die religiöse Sinngebung ist zunächst ausschlaggebend dafür, daß der Rasse
die Funktion der Substanz z u k o m m t . Substantialisiert wird sowohl die Exi-
stenz des deutschen als auch die des jüdischen Volkes. Das Muster der reli-
giösen Apperzeption von Welt wiederum ist an dem Konflikt zwischen gött-
lichen und widergöttlichen Mächten ausgerichtet. D e r Fundamentalkonflikt
zwischen G o t t und Satan wird kollektiviert, indem die eine Rasse das wesent-
liche Merkmal der Konsubstantialität von G o t t und Mensch und die andere
von Satan und Mensch erhält. D a ß die Einheit v o n menschlicher und göttli-
cher Natur der arischen Rasse in ein antagonistisches Verhältnis zum satani-

73
Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 372,
74
Ebd.
Der Modus der Religiosität 371

sehen W e s e n der jüdischen und nicht einer x-beliebigen anderen Rasse ge-
setzt wird, folgt aus der T r a n s f o r m a t i o n der Christologie und der Differenz
zwischen jüdischer und christlicher Religion. I m Gegensatz zu den Juden
glauben die Christen an die Einheit v o n menschlicher und göttlicher Natur in
Christo. Weiterhin verneinen sie, daß die J u d e n das Volk Gottes sind, und
glauben, sie seien es n u n m e h r selbst. W e n n die Christen glauben, alle toten,
lebenden und noch nicht geborenen Christen seien Glieder des Corpus Chri-
sti, jeder Christ sei also Teil einer transhistorisch-kollektiven Einheit, dann
kann (muß aber nicht) der Angriff auf Christus als Angriff auf jeden Christen
und der Angriff auf einen Christen als Angriff auf Christus begriffen werden.
Die J a h r h u n d e r t e währende — empirisch-historisch unhaltbare — Anklage, das
jüdische Volk habe Jesus ermordet, „der J u d e " sei das „Gottesmördervolk"
geblieben (Kontinuität der kollektiven Identität), impliziert, jedes Mitglied des
jüdischen Volkes sei zu jeder Zeit ein potentieller Mörder jedes einzelnen
Christen. D a d u r c h , daß geglaubt wird, die J u d e n seien zugleich das Gottes-
mördervolk und das Volk, das das Volk G o t t e s mordet und nicht irgendeine
beliebige Gemeinschaft, erhält der Fundamentalkonflikt zwischen G o t t und
Satan die Bedeutung, die Macht des Bösen sei primär den Juden und nicht ir-
gendeiner x-beliebigen Gemeinschaft zuzurechnen. O h n e den Glauben an die
Immanenz G o t t e s in der christlichen Gemeinschaft könnte der Glaube, die
historische Tat des Opfertodes Jesu sei die Bedingung der Erlösung der
Menschheit, seine volle Kraft nicht entfalten, und der Glaube an die gegen
das eigene Heil gerichtete Macht des Bösen und der am T o d Christi ausge-
richtete AntiJudaismus wären funktionslos.
Bei der Transformation der traditionellen Christologie, der modern-magi-
schen Transsubstantiation der Prädikate Jesu in die exklusive Potenz des
deutschen Volkes blieb der Glaube an die gegen Christus und das deutsche
Volk gerichtete Macht des Bösen erhalten. E s ist zweifelhaft, o b der Glaube
an die Immanentisierung Gottes in ein Kollektiv funktionieren kann, wenn
der Glaube an die Kollektivierung des Bösen wegfällt. Die Imagination des
Bösen und die Annahme der Personifikation des Bösen in einem Kollektiv
cienen der Aufrechterhaltung der Identität. Wird die Aktualisierung göttlicher
Substanz zur Sache der kollektiven Selbstverwirklichung und stellt als solche
cie Basis dafür dar, die dem d e u t s c h e n Volk v o m Schöpfer des Universums
zugewiesene Funktion zu erfüllen, d a n n dient der Glaube an die Macht und
Personifikation des Bösen der Aufrechterhaltung kollektiver Identität. Der
Glaube dient angesichts des Realitätsdruckes dazu, die noch nicht gelungene
Aktualisierung vorhandener Potentiale erklären und rechtfertigen zu können
Lnd die gegenwärtige O h n m a c h t nicht sich selbst zurechnen zu müssen. Das
Postulat, die J u d e n seien zu vernichten, ist also aus der Verknüpfung von
Identität und Religion entstanden, und dieser Komplex ist bei der Beantwor-
tung der Frage „Warum Auschwitz?" zu berücksichtigen.
Der Mord an den Juden resultiert aber nicht aus der Religion als solcher,
sondern aus ihrer nationalsozialistischen Sonderform. Z u r religiös definierten
372 Politik, Resakralisation und Annihilation

Fremd- und Feindbestimmung müssen das Postulat der selbstmächtigen Tat,


der Wille zur Macht und der Voluntarismus der Selbsterlösung hinzukom-
men. Vor allem ist die spezifische Bedeutung des Opferns in der politischen
Religion der Nationalsozialisten zu rekonstruieren. Meine These läuft darauf
hinaus, daß die nationalsozialistische Art der Selbst- und F r e m d b e s t i m m u n g
dazu führt, den Sinn des Opferns zu pervertieren, die Juden zum Zwecke des
Heils des kollektiven Selbst zum Fremdopfer zu machen.
Um meine Argumentation zu entwickeln, m ö c h t e ich zuvor die kognitive
K o m p o n e n t e des Glaubens an die Einheit von göttlicher und menschlicher
Natur in der eigenen Gemeinschaft, nämlich die Konsubstantialität von G o t t
und Mensch sowie den damit untrennbar verbundenen Modus, einen Kausal-
nexus zu bestimmen, behandeln. Darauf ist deshalb einzugehen, weil davon
wiederum das Bewußtsein von Gerechtigkeit, Recht, Ethik sowie Moral und
die Bewertung der existentiellen P h ä n o m e n e wie Leben, T o d , Kraft und
Angst abhängt. D e r Glaube an die Einheit von göttlicher und menschlicher
Natur, die Konsubstantialität von G o t t und Mensch sowie die Immanentisie-
rung Gottes im Subjekt, sei es kollektiv oder individuell konzipiert, hat nicht
nur politische Implikationen, sondern korrespondiert auch mit den Katego-
rien des Erkennens, vor allem mit den Kategorien der Substanz, der Kausali-
tät, der Identität, der Differenz, der Einheit und Vielheit. Mit dem Axiom der
Konsubstantialität - o b rational haltbar oder nicht, kann dahingestellt bleiben
- wird die Substantiaiität von G o t t und d e m Selbst als Subjekt vorausgesetzt.
Damit wird Substantiaiität auf das Selbst bezogen, sie ist selbstbezüglich und
wird auf das Subjekt zentriert. Mit der A n n a h m e der Einheit von göttlicher
und menschlicher Natur, am deutlichsten in der Mystik und im Falle des Na-
tionalsozialismus in der Mystik Rosenbergs artikuliert, fallen der G r u n d und
das Begründete im Hinblick auf das Subjekt zusammen. Auf diese Weise wer-
den die Wahrnehmung, Erfahrung und Herstellung von Folgezusammenhän-
gen sowie die Logik von Ursache und Wirkung, Bedingung und Folge, Zweck
und Grund überhaupt, also die Kategorie der Kausalität, wahrgenommen und
bestimmt. Die selbstbezügliche Substantiaiität korreliert mit subjektzentrier-
ter Kausalität. Da der Glaube an einen G r u n d oder das Wissen von einem
G r u n d ein factum ist und die facta im Bereich des Politischen verändern kön-
nen, ist die Art, etwas als Ursache und Wirkung anzusehen, die Welt dem
G r u n d nach zu erfassen und zu erklären, für die Art des Tuns und damit für
den Genozid maßgebend. So enthält z. B. die Auffassung, die J u d e n seien der
Weltfeind oder die Inkarnation des Bösen, als Einzelaussage eine kausale
Zuordnung, nämlich sie seien Ursache für etwas und hätten ein bestimmtes
Ziel. Die subjektzentrierte Auffassung von Kausalität besteht darin, daß das
Subjekt, die Wirkungszusammenhänge erfassend, der Überzeugung ist, die
Ursachen von Ereignissen seien in der Weise final überformt, gehorchten
Zielen und Zwecken, die sich auf das eigene Subjekt, auf das gerade die Z u -
sammenhänge beurteilende Selbst beziehen. Bedingung und Folge sowie Ur-
sachen und Wirkungen werden so bewertet, daß das Subjekt der unerschüt-
Der Modus der Religiosität 373

terlichen Überzeugung ist, es sei causa finalis, Endzweck von Ereignissen und
Prozessen. Ein Kausalnexus wird nicht nur vom Selbst hergestellt, etwas wird
auch nur erkannt, wenn das Subjekt selbst betroffen und Teil der Zusammen-
hänge ist — die v o m Subjekt unabhängige Welt wird als solche nicht begriffen.
Wird in den Kategorien der Substanz gedacht und wird die Subjektivität des
eigenen Selbst in die Ursache u n d das Ziel allen Geschehens eingegliedert,
d a n n müssen alle Beziehungen der politischen Existenz so gedeutet werden,
wie sie v o m urteilenden Subjekt interpretiert werden. Im Falle des National-
sozialismus ist primär das kollektive Selbst das „Maß aller Dinge", ihrer Exi-
stenz oder Nichtexistenz. D a s Selbst ist sich der Endzweck, und das Subjekt
— o b Führer, Funktionär oder Volk - entscheidet darüber, wie der Endzweck
erfüllt werden soll, was kausal oder nicht kausal ist. Damit ist gemeint, daß die
Konsubstantialität von Mensch und G o t t und die damit zusammenhängende
subjektzentrierte Form der Kausalitätsurteile für die gedankliche Operation
zur Erfassung gesellschaftlich-politischer Prozesse bestimmte Konsequenzen
hat. D e r Unterschied zwischen Außen und Innen, Teil und Ganzem, Prinzi-
pium und K o n k r e t u m sowie Subjektivität und Objektivität wird aufgehoben.
An die Stelle der Differenz tritt die Negation, die Negation der Heterogenität
und Vielheit. Differenz, Heterogenität u n d Vielheit werden als Chaos, Zer-
störung und Vernichtung von Identität verstanden. Indem die Differenz von
Subjektivität und Objektivität entfällt, kann der objektive Status der Gerech-
tigkeit, des Rechts, der Gesetze, der Moral und der Ethik nicht anerkannt
werden. Im Modus der subjektzentrierten Kausalität wird die Geltungskraft
der Idee der Gerechtigkeit oder der universalen Menschenrechte oder des
christlichen Naturrechts nicht anerkannt, weil deren prinzipielle Struktur
nicht erkannt werden kann. Wer die Welt im Modus selbstbezüglicher Sub-
stantialität sowie subjektzentrierter Kausalität beurteilt, will die Menschen-
rechte nicht abschaffen, weil er weiß, was Recht und Gesetz sind, sondern
weil er es nicht weiß. Das Bewußtsein vom transsubjektiven Status des Rechts
und der Ethik kann nicht entstehen. Wissen — das Wissen um die Objektivität
eines Kausalzusammenhangs sowie um die N o r m e n des Urteils - und sub-
jektzentrierte Kausalität schließen sich aus. Wer die Realität im Modus sub-
jektzentrierter Kausalität wahrnimmt, ist nicht nur blind gegenüber der O b -
jektivität, sondern muß diese als gegen sich gerichtet interpretieren. Das
Transsubjektive von Recht und Ethik kann nicht erkannt werden, weil hinter
jedem abstrakten Prinzip, entsprechend der substantialisierten Subjektivität,
eine Person oder eine Kollektivperson als letzter Träger und Verursacher
steht; im Falle der Differenz eine feindliche, kollektivierte oder personifizier-
te Substanz. So wie bei der a n g e n o m m e n e n Einheit von göttlicher und
menschlicher Natur die eigene Macht substantialisiert wird - die Ursprungs-
n a c h t im Subjekt des Selbst - , wird auch jede Differenz zwischen Menschen
tnd G r u p p e n als Produkt feindlicher Macht gedeutet, die gegen die eigene
Identität gerichtet ist. Beim E n t s c h l u ß Hitlers, im K a m p f um die „Gewin-
nung der Seele des Volkes" auf „Objektivität" zu verzichten und die Gegner
374 Politik, Resakralisation und Annihilation

der eigenen „Ziele" zu vernichten, konnte der objektive Status des Rechts
und der Ethik keine bindende Wirkung entfalten. Hitler konnte Gerechtigkeit
und Moral nicht anerkennen, weil er sie nicht kannte.
Bei der subjektzentrierten Substantialität ist - die verschiedenen Inversio-
nen und Apperzeptionsverweigerungen k ö n n e n hier nicht behandelt werden
- das Syndrom auffällig, daß zwischen Begriff und Sein sowie Wunsch und
Wirklichkeit nicht differenziert wird, sie im G r u n d e g e n o m m e n ein und das-
selbe sind. Die magische Dimension der subjektzentrierten Kausalität besteht
in dem Glauben, daß die eigene und die absolute Macht zusammenfallen. Es
kann an das Wunder geglaubt werden, daß das Unmögliche möglich wird, daß
der an sich objektive Kausalverlauf mit den eigenen T r ä u m e n und Wünschen
zusammenfällt. Genau das wiederum macht die Kausalstruktur des Opferns
aus.
Im magisch-religiösen Selbstverständnis ist O p f e r n ein Akt, bei dem der
Opfernde hofft, seine Güter oder sein Leben gegen zukünftiges Heil eintau-
schen zu können. Das Opfer ist ein Mittel, überirdische Kräfte in der Weise
günstig zu stimmen, daß diese in den Kausalverlauf der Welt zugunsten des
Opfernden oder seiner Wünsche, die nicht unbedingt egoistisch sein müssen,
verändernd eingreifen. Das Wunder als des Glaubens liebstes Kind enthält
die kognitive Struktur subjektzentrierter Kausalität. D a das Opfern ein we-
sentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Religion ist und für Hitler
sogar das entscheidende Kriterium für den Unterschied zwischen Ariern und
Juden, kann die Bedeutung des Opferns in der Religion Hitlers o h n e den M o -
dus subjektzentrierter Kausalitätswahrnehmung nicht begriffen werden. Hit-
lers Verständnis des Opferns ist daher im Z u s a m m e n h a n g von Selbsterhal-
tung, Angst und Unsterblichkeit darzustellen, wobei die extrem artikulierte
Polarität von Dasein und Nichtsein zu beachten ist. E s wird in der deutschen
Sprache zwischen Opfer im Sinne von Sakrifizium, wobei das Opfer Subjekt
oder Objekt einer sakralen Handlung ist, und dem Opfer als Objekt bloßer
Gewalt (frz. ,victime' und engl. ,victim') nicht unterschieden. Für J u d e n kann
der Genozid kein Opfer im Sinne von Sakrifizium sein. Es ist daher äußerst
fraglich, ob der Begriff Holocaust (Brandopfer) für die E r m o r d u n g der J u d e n
überhaupt verwendet werden kann. D a h e r sollte dafür, daß jemand Objekt
reiner Gewalt ist, der Begriff „Victim" eingeführt werden. Außerdem schlage
ich vor, zwischen Selbst- und Fremdopfer zu differenzieren. Soll der Kausal-
verlauf durch den Verlust eigener Güter oder des eigenen Lebens beeinflußt
werden, handelt es sich um ein Selbstopfer, wird hingegen geglaubt, mit Hilfe
magisch-sakraler Handlungen fremdes Leben oder fremde Güter benutzen zu
müssen, um subjektzentriert auf den Kausalverlauf Einfluß zu nehmen, han-
delt es sich um ein Fremdopfer.
Hitler integriert Selbsterhaltung und die damit korrespondierende Angst
vor dem T o d in seine Anschauung von Welt und Volk. Die Differenz v o n
Welt und Volk wird aufgehoben, indem das deutsche Volk mit dem Sein und
die Juden mit dem Nichts, der Finsternis u n d dem Bösen identifiziert werden.
Der Modus der Religiosität 375

Dabei werden mit der Selbsterhaltung als angeblichem Gesetz der Natur die
m o d e r n e n Werte des vitalen Elans, nämlich Stärke, Kraft, Dynamik und E n -
ergie in den Fundamentalkonflikt einbezogen und im Modus subjektzentrier-
ter Kausalität w a h r g e n o m m e n . Die Affirmation des Fressens und Gefressen-
w e r d e n s als Gesetz der N a t u r im K a m p f um das Dasein und die damit ein-
hergehende Notwendigkeit, mit d e m eigenen T o d zu rechnen, rufen Gefühle
v o n Angst und Schrecken hervor. Angesichts der im Selbsterhaltungsprinzip
stets implizierten Wirklichkeit des Todes werden nicht nur religiöse Gefühle
aktiviert oder reaktiviert. D e r Glaube des Adolf Hitler enthält darüber hinaus
die Therapie der d u r c h die Weltanschauung selbst evozierten Ängste und
Schrecken. Die Angst v o r dem T o d als Angst vor der Finsternis und dem
ewigen Nichtsein, dem E n d e aller Selbsterhaltung, wird dadurch aufgehoben,
daß das Individuum ein Teil der unsterblichen Rasse ist. D e n n das Individu-
u m ist Teil des Kollektivs, und das Kollektiv selbst hat den Charakter der
Substanz überzeitlicher Identität. Wer wie Hitler an die Prädikate der Rasse
der Arier glaubt, für den ist der T o d nicht mehr das Ende jeglicher Form des
Lebens, das absolute Nichtsein. Im Ideologem Rasse ist mithin eine Lösung
des Problems der Unsterblichkeit des Individuums enthalten. Diese Problem-
lösung verspricht wegen der Substantialisierung der eigenen Gesellschaft und
des Zusammenfalls v o n Individuum und Kollektiv weit mehr Sicherheit als
andere F o r m e n der Existenzinterpretation sub specie mortis et aeternitatis,
wie z. B. der Glaube an die Auferstehung des Fleisches in der christlichen Re-
ligion auf der Grundlage des Wunders oder sonstiger Varianten der Wieder-
geburt zu verschiedenen Zeiten unter anderen Bedingungen. Strenggenom-
men stirbt der gläubige Arier nicht für den eigenen Genpool, die eigene Brut,
die Verwandtschaft, die N a t i o n oder gar für eine abstrakte Idee von Zukunft
und Gesellschaft, sondern sein E g o ist von vornherein lebendig im rassischen
Kern des eigenen Volkes aufgehoben. Im rassischen Kern fällt die als biolo-
gisch zu interpretierende Reproduktion der G e n e durch Kinder, die biolo-
gisch-schlichte Unsterblichkeit, mit der Hoffnung auf die Unsterblichkeit der
Seele zusammen. Der T o d als ewiges Nichtsein verliert seinen Stachel.
Das Nichts ist in den symbolischen Konfigurationen Hitlers aber auch das
andere. Das andere bleibt nicht unbestimmt und abstrakt, sondern erhält eine
gesellschaftlich-kollektive Gestalt. Das absolut andere ist nicht G o t t , weil die
Rasse der Arier sich selbst G o t t ist. D e r andere ist im Beziehungsgeflecht der
Menschen innerhalb der eigenen Gesellschaft allein deshalb nicht ein x-belie-
biges Mitglied der eigenen Gesellschaft, weil die Relation zwischen den Indi-
viduen identisch und h o m o g e n konzipiert ist. Einzelwesen und Gesamtwesen
sind ein und dasselbe. Die Hölle sind nicht x-beliebig andere, die Hölle ist
jedes Mitglied eines b e s t i m m t e n anderen Kollektivs. Das andere im eigenen
Wesen — das Dunkle, das Böse, das Irrationale, das Amoralische des eigenen
Selbst - wird ausdifferenziert. D a s der eigenen Selbstbestimmung nicht Ent-
sprechende wird aus der eigenen Psyche sowie d e m eigenen Kollektiv ausge-
grenzt. D e r andere ist allein deshalb der Feind, weil das Selbst — im Zusam-
376 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

menfall zwischen Teil und Ganzem des Ideologems Rasse - die Inkarnation
von Sein, Licht, Gott und Natur ist. So wird aus dem Tod des anderen im
Kampf um das Leben im Dasein mehr als eine nur hier und da notwendige
Bedingung zur Rettung des eigenen Lebens. Aus dem Kampf um das Dasein
wird ein Kampf um das Sein. Nicht der Krieg und die Konkurrenz aller gegen
alle mit wechselseitigen Allianzen und mehr oder weniger langen Unterbre-
chungen des Friedens ist das Charakteristikum von Hitlers Konfliktmodell.
Kampf wird zum Prinzip des Seins. Der Konflikt zwischen Sein und Nichts,
Licht und Finsternis sowie Gott und dem Bösen ist nicht überall, sondern
wird grundsätzlich in jeweils zwei Kollektive aufgespalten. Das göttliche
Selbst ist „der Arier", und das andere ist „der Jude".
Hitler nimmt die Welt sowie die Geschichte der Welt durch das Muster
zweier sich auf Leben und Tod bekämpfender Kollektive wahr. In seiner
Weltanschauung ist der Kampf um das Selbst von vornherein Verteidigung.
Er denkt die Selbsterhaltung „des Juden" — und gemäß seiner Anschauung
von Volk und Welt muß er sie so denken - gemäß der subjektzentrierten
Struktur, Kausalität zu denken, als Angriff auf das Leben jedes Ariers. Wir
erinnern uns, daß „der Jude" in Hitlers Wahrnehmungsperspektive keine Re-
ligion hat und nur durch einen rein egoistisch-materialistischen Selbsterhal-
tungstrieb charakterisiert ist.75 Jeder Jude tötet nach Hitler aber nicht nur, um
nicht selbst getötet zu werden. „Der Jude" verteidige nicht nur sein Leben.
Der Jude stehe, weil er eben keine Religion habe, nicht in der Verbindung zu
einer göttlichen Kraft. „Dem Juden" gehe es allein um die Vernichtung zum
Zwecke der Vernichtung, daher riskiere er sogar die Selbstvernichtung.76 Wir
erinnern uns, daß Hitler daran glaubt, mit dem Sieg „des Juden" sei die
Menschheit selbst ausgelöscht. In seinen Augen sind die Arier Opfer im Sin-
ne des Objektes reiner von den Juden ausgehender Gewalt. Für Hitler wird
der Arier viktimisiert. Weil für Hitler „der Jude" keine Religion hat, hat der
Angriff des Juden auf das Leben des Ariers keinen heiligen Zweck. Heilig ist
für Hitler nur der Arier. Der Tod des einzelnen Ariers ist nach Hitler ein Sa-
krifizium.
Der Tod „des Juden", der durch den Arier zum Zwecke des Heils der Ari-
er bewirkt wird, so die zentrale These meiner Beurteilung des Massenmords
an den Juden, ist in der Phänomenologie, der Innenansicht Hitlers ebenso ein
Sakrifizium. Zunächst möchte ich festhalten, daß in der Phänomenologie des Be-
wußtseins Hitlers jeder Angriff auf jeden einzelnen Arier ein Angriff auf Gott
und alle Arier zugleich ist. Denn nach der kognitiven Struktur des Bewußt-
seins vom Arier sind im Arier nicht nur Gott und Mensch, sondern auch alle
Mitglieder des Kollektivs zu einem Einzelwesen vereinigt. Die Folge dieser
sowohl religiösen als auch biologischen Logik der Identität besteht darin, daß

„Bei kaum einem Volke der Welt ist der Selbsterhaltungstrieb stärker entwickelt als beim
sogenannten auserwählten", ebd., S. 329.
„Nach dem Tode des Opfers stirbt auch früher oder später der Vampir", ebd., S. 358.
Der Modus der Religiosität 377

für Hitler jeder Angriff eines J u d e n - sei er O r t h o d o x e r , Zionist, Kapitalist,


Marxist, Deutschnationaler oder eben nur ein junger M a n n , der aus individu-
eller Verzweiflung Anfang N o v e m b e r 1938 von Paris nicht nach Polen zu-
rückgeschickt werden will und ein Attentat auf den deutschen Botschafter
v e r ü b t — ein Angriff auf das Sein, das Licht, auf G o t t und die Kinder der gött-
lichen Rasse der Arier und damit gegen jeden einzelnen D e u t s c h e n ist. G e n e -
tisch konzipierter Kollektivismus und makrokosmisch artikulierte Paranoia
ergänzen einander. Der Biologismus der Selbsterhaltung, die Mystik des Blu-
tes, das Konfliktmodell des Kampfes um das Dasein und das Konfliktmodell
der Apokalvptik koinzidieren im Weltdrama der Rassengeschichte. Die christ-
liche Kardinaltugend der Hoffnung als Grundlage eschatologischer Erlösun g
wird ersetzt durch die Notwendigkeit, hier auf E r d e n das Paradies der Arier
zu errichten. Das M o m e n t der Wende im Begriff der Katastrophe denkt Hit-
ler wie sein väterlicher Freund Dietrich Eckart und sein G e n o s s e Goebbels:

Sicher aber geht diese Welt einer großen Umwälzung entgegen. Und es kann nur
die eine Frage sein, ob sie zum Heil der arischen Menschheit oder zum Nutzen des
ewigen Juden ausschlägt.77
Weil Hitler glaubte, in einer Spezialbeziehung zum allmächtigen Schöpfer und
Herrn der Vorsehung zu stehen, hat die Vernichtung der J u d e n den Charak-
ter eines Sakrifiziums, einer sakralen Handlung. Diese Art der Religiosität hat
eine magische K o m p o n e n t e , insofern der Magier glaubt, durch eigenes T u n
überirdische Kräfte zum Zwecke der Beeinflussung irdischer Kausalverläufe
manipulieren zu können. Diese magische K o m p o n e n t e hat dieselbe Struktur
wie der infantile Alltagsglaube, durch Gebete den Willen des lieben G o t t e s
beeinflussen zu können. Meine These besagt, daß diese F o r m magischer Reli-
giosität eine der Bedingungen für den Beschluß des M a s s e n m o r d s an den Ju-
den darstellt. Dabei findet im Glauben an die B e d e u t u n g des Blutopfers eine
Inversion statt. Aus dem „auserwählten Volk" der J u d e n wird das, wie es Hit-
ler selbst formuliert, „sogenannte auserwählte Volk" 7 8 , während das deutsche
Volk zum Volk Gottes gemacht wird. Z u m Zwecke des eigenen Heils werden
die Juden zum Opfer im Sinne v o n Sakrifizium gemacht. Mit der Vernichtung
der Juden — so meine These — wollte Hitler zwar eine G e g e n m a c h t treffen,
aber er wollte eine hinter allem stehende G e g e n m a c h t , den in seinen Augen
substantiellen Urheber der Gegenkraft zum Arier, die überirdische Gegen-
kraft zu G o t t und zum Arier zugleich, also die hinter „dem J u d e n " stehende,
allein im Juden inkarnierte Kraft des Bösen - den Sog des Nichts — vernich-
ten. Mit der Vernichtung der J u d e n wollte Hitler den Willen des Allmächti-
gen ausführen und seine G u n s t bewirken. Wird in der Konfiguration magi-
scher Religiosität an einen Kausalnexus zwischen Völkern und überirdischen
Kräften geglaubt, dann hat die T ö t u n g des Feindes aus der Sicht des Täters

Ebd., S. 475
Ebd., S. 329
378 Politik, Resakralisation u n d Annihilation

den Charakter eines sakralen Rituals; objektiv gesehen handelt es sich um (Ri-
tual-)Mord. Hitler glaubte an den Eingriff des Allmächtigen in den Kausal-
verlauf der Welt zu seinen und des d e u t s c h e n Volkes Gunsten. Auch Hitlers
Opferlogik wird v o n seiner Auffassung des göttlichen Funkens in seinem
Selbst und von seiner Überzeugung, Mittler zwischen G o t t und Volk zu sein,
determiniert. D a h e r glaubte er unerschütterlich zu wissen, was für das deut-
sche Volk ein Segen oder Nichtsegen sei. E r glaubte, das O p f e r n sei eine
Voraussetzung, „um mit Recht vor den Allmächtigen zu treten, um ihn um
seine G n a d e zu bitten". 7 9 W a r u m sollte Hitler, dem die Vernichtung der Ju-
den ein fundamentales Anliegen war, von seiner prinzipiellen Weise, Gott, die
Welt und sich selbst w a h r z u n e h m e n , abgewichen sein? Zu glauben, daß G o t t
ausgerechnet Hitler und das deutsche Volk liebt und seine Willensmacht nach
deren W ü n s c h e n ausrichtet, daß das Absolute für Hitler und die Deutschen
agiert, entspricht d e m Idealtypus subjektzentrierter Kausalität. W e n n schon
die Hingabe des Lebens eines Ariers, das arische Selbstopfer, den Segen des
Allmächtigen hervorrufen kann, so gilt das erst recht, wenn die J u d e n als In-
karnation des Bösen ihr Leben zum Zwecke des arischen Heils verlieren.
Andere Menschen zum Zwecke des Eigenheils zu töten ist objektiv gottloser
W a h n , entspricht aber der „Opferlogik" Hitlers.
So unerforscht das Motiv des Opfers in der Religion Hitlers auch noch ist,
viel offensichtlicher als meine V e r m u t u n g , Hitler habe die Vernichtung als
Sacrificium farcere verstanden, ist die Erklärung des Massenmords gemäß der
Argumentationsstruktur, der Zweck heilige das Mittel. Ist die Erlösung der
Arier, das arische Paradies auf E r d e n , das Ziel politischer Tat, dann ist der
Zweck des T u n s heilig. Heiligt der heilige Zweck die Mittel, so ist Vernich-
tung ein heiliges Mittel zum Zwecke der Erfüllung heiliger Zwecke; mithin
nichts anderes als ein sakraler P r o z e ß — wie das Opfern auch. U n d welcher
Gläubige kann bestreiten, daß die Vernichtung der Bösen zum Zwecke von
Sieg und Heil ein sakraler Akt ist? U n d welcher Fanatiker wird daran zweifeln
— wenn er glaubt, das der Kern seines Selbst an der göttlichen Substanz teil-
hat u n d sein Blut gottgleich ist —, nicht wissen zu können, was G o t t will?
Welcher D e u t s c h e , der den göttlichen Archetypus seiner Seele zum Bewußt-
sein seiner selbst als Religion gebracht hat, wird die heilige Pflicht nicht aner-
kennen: „So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu han-
deln: I n d e m ich mich des J u d e n erwehre, kämpfe ich für das Werk des
H e r r n . " 8 0 Welcher v o m unbedingten Wert des Willens Besessene, der die
Echtheit seines Glaubens bezeugen m u ß , wird angesichts des für möglich ge-
haltenen Sieges des Bösen und der damit einhergehenden Vernichtung der
Menschheit 8 1 auch nur auf die Idee k o m m e n , die G r u n d - und Menschenrech-

Max Domarus, Hitler, S. 2198; vgl. ebd., S. 651


Adolf Hitler, Mein Kampf, S. 70.
Ebd., S. 318.
Der Modus der Religiosität 379

te für die J u d e n gelten zu lassen? Was sollen da alteuropäische T u g e n d e n oder


m o d e r n e Moral, wenn das deutsche Volk die ihm „ v o m Schöpfer des Univer-
s u m s zugewiesene Mission" 8 2 der Weltherrschaft erfüllen m u ß , w e n n doch
„ d e r J u d e " gar nicht „den Urtyp dessen darstellt, was wir unter dem W o r t
.Mensch' verstehen" 8 1 und als v o m Bösen determiniert gar nicht anders kann
als alle Völker und sogar sich selbst zu vernichten 8 4 : E r l ö s u n g d e m Erlöser,
V e r n i c h t u n g dem Vernichter.
W a r u m Auschwitz? Viele meinen, das sei nicht zu erklären. Hitlers Ab-
sicht, die J u d e n zu ermorden, ist aus religionspolitologischer Perspektive
durch die Interpretation seiner Schriften und Reden nachweisbar. Hitler hat
an dieser Absicht festgehalten und sie, als ihm die U m s t ä n d e günstig erschie-
nen, in die Tat umsetzen lassen. D a s war im Hinblick auf den Zweck, den
militärischen Feind zu besiegen, nicht zweckrational. Als höherer Zweck er-
schien ihm aber der Sieg über den angeblich fundamentaleren Feind, den
„bösen Weltfeind", „den J u d e n " . D a s ist die notwendige K o n s e q u e n z seiner
politischen Religion. Die gläubigen Nationalsozialisten, für die die politische
Religion Hitlers das vereinigende und verpflichtende Band war, hatten keine
andere Wahl, als dem Entschluß Hitlers zuzustimmen oder aufzuhören, Na-
tionalsozialisten zu sein. Sie waren, da im 20. J a h r h u n d e r t jeder für die Wahl
seiner Ideologie selbst verantwortlich ist, Mittäter des Massenmordes.
Im bisherigen Verlauf der U n t e r s u c h u n g ist die Perspektive der politischen
Ethik selten unmittelbar angesprochen w o r d e n . D a s Kriterium der Natur-
und Menschenrechte war aber v o n Anfang an die m a ß g e b e n d e Perspektive
und das Motiv, das das Erkenntnisinteresse leitete. Mit der deskriptiv-katego-
rialen Erfassung des nationalsozialistischen Bewußtseins sollte eine unver-
zichtbare Voraussetzung jeder moralisch-rechtlichen Beurteilung, nämlich die
Darstellung des faktischen G r u n d e s eines Urteils — hier die des ideologischen
Sachverhaltes — erfüllt werden. D e r Gegenstand der U n t e r s u c h u n g war nicht
der Mord selbst, sondern das nationalsozialistische Bewußtsein von Mensch,
Gesellschaft und Geschichte. E s kann hier dahingestellt bleiben, o b die Kri-
terien des Urteils der aristotelisch-platonischen Ethik, dem mittelalterlichen
oder neuzeitlichen Naturrecht oder der kantischen Tradition der Metaphysik
der Sitten e n t n o m m e n werden sollten. Es genügt, sich auf die überpositive
Geltung der Menschenrechte, die außerhalb der jeweils faktischen Wirklich-
keit maßgebend sein sollen, zu einigen. Die Untersuchungsergebnisse über
den Z u s a m m e n h a n g des nationalsozialistischen Bewußtseins mit der dadurch
bedingten Praxis der Vernichtung sollen abschließend in F o r m v o n fünf T h e -
sen zusammengefaßt werden:

Ebd., S. 234.
Ebd., S. 317.
Vgl. ebd., S. 352.
380 Politik, Resakralisation und Annihilation

1. O h n e die in der Ideologie der Nationalsozialisten artikulierten Bezüge auf


G o t t , Natur, Zeit und Geschichte, o h n e die unter die Kategorie, Einheit,
Homogenität, Kausalität und Substanz zu subsumierenden Aussagen und
ohne die Leben, Bewegung, Kraft, Ursprung, Ziel, Geburt, Wiedergeburt,
T o d , Unsterblichkeit sowie Angst betreffenden Überzeugungen ist die
„Weltanschauung" der Nationalsozialisten nicht zu verstehen, wäre sie als
politische Ideologie untauglich.
2. Die im nationalsozialistischen Bewußtsein durch die Ideologeme Rasse,
Volk und Volksgemeinschaft konstituierte gesellschaftliche Identität ent-
hält eine geglaubte Konnexität zwischen Gott, den Ariern und dem deut-
schen Volk. Daraus resultiert der Unterschied zwischen Volk im Sinne
völkischer Ideologie und „ d e m o s " im westeuropäischen Begriff der D e m o -
kratie. Die Konstitution und Imagination völkischer Identität enthält ein
konkurrierendes K o m p l e m e n t der absoluten Negation. Die gesellschaftli-
che Identität ist abhängig von dem Glauben der Nationalsozialisten, die
Juden verkörperten die überirdische Gegenkraft des Satans.
3. Die W a h r n e h m u n g und die Wertung der Mitglieder der jüdischen Gemein-
schaft durch Fremdbestimmung dieser Gemeinschaft ist kein isoliertes
Phänomen, sondern abhängig von dem spezifischen Versuch der National-
sozialisten, kollektive Identität zu konstituieren. Die Negation des Frem-
den und die Fremdbestimmung sind abhängig von der nationalsozialisti-
schen Selbstbestimmung.
4. Der Mord an den Juden ist primär eine Folge der religiösen Implikationen
der NS-Ideologie. Das Selbstopfer des Ariers für die Gemeinschaft ist
nach dem Selbstverständnis der Nationalsozialisten Opfern im Sinne v o n
sacrificatio. Die Vernichtung der J u d e n ist gemäß Hitlers apodiktischem
Glauben ein Fremdopfer im Sinne von sacrificium.
5. Trotz vieler gegenaufklärerischer Elemente der NS-Ideologie und des fest-
stellbaren Unbehagens der Nationalsozialisten an bestimmten M o m e n t e n
der Moderne entspricht die NS-Ideologie in einigen Hinsichten dem soge-
nannten „Geist der M o d e r n e " , und die Macht der Nationalsozialisten ist
ein M o m e n t der realhistorischen Moderne.

Es ist zu vermuten, daß der Erfolg der Nationalsozialisten vor dem Beginn
der legalen Herrschaft 1933 auf dem religiösen Gehalt ihrer Ideologie beruht.
Der Charakter der politischen Religion der NS-Ideologie zählt zu den wesent-
lichen Bedingungen der Machtgewinnung der Nationalsozialisten. Die politi-
sche Religion der Nationalsozialisten ist das Kapital ihres Un-Geistes. Die
Nationalsozialisten reduzierten Politik auf Religion und Religion auf Macht.
Daher waren sie und die Mehrheit der Deutschen - und umgekehrt die Mehr-
heit der Deutschen und ihre Nationalsozialisten - zur Herrschaft nicht fähig
und unternahmen den Versuch, Millionen Menschen aller Völker dieser Welt
und sich selbst zu vernichten.
Der Nationalsozialismus war historisch nicht notwendig, aber er ist o h n e
Der Modus der Religiosität 381

die Geschichte Deutschlands nicht zu erklären. Für die historische Forschung


ist das Ergebnis der Untersuchung im Hinblick auf die religions-, geistes-,
ideen- und kulturgeschichtliche Tradition von Belang. Die Charakterisierung
des Nationalsozialismus als politische Religion ist auch für den Vergleich
zwischen Nationalsozialismus und Marxismus-Leninismus von Interesse. Das
Resultat der Untersuchung ist von prinzipiellem Wert für das Verhältnis von
Biologie, Ö k o n o m i e , Anthropologie, Psychologie, Wissenschaft, Philosophie,
Politik und Religion. Die Erkenntnisse der Untersuchung sind von aktuellem
N u t z e n . Z u r Zeit sind die Neonazis zwar nicht in der Lage, Religion zu pro-
pagieren und deshalb erfolgreich zu agieren. Da die Vernunft in der Ge-
schichte bisher nur ein lucidum intervallum war, ist es wahrscheinlich, daß
neue oder alte Formen politischer Religionen nicht nur in Osteuropa oder im
Orient die Chance haben, die begrenzte, aber immerhin vorhandene Vernunft
des modernen Verfassungsstaates zu zerstören. Da in den Wissenschaften die
Frage nach dem Sinn der Existenz nicht beantwortet wird und die Mehrheit
der Gesellschaft nicht philosophieren will, korrespondiert der Prozeß der
Ausdifferenzierung der Religion und die Indifferenz gegenüber der Religion
auch mit dem Prozeß der Dekulturation. Summa summarum: Religionspoli-
tologie ist sowohl von historischem als auch von aktuellem Interesse. In
Rücksicht auf die politische Theologie des Okzidents kann ich nicht umhin,
auf die Altersweisheit Heinrich Heines in dem Gedicht „ Z u m Lazarus" zu
verweisen:

Z u m Lazarus
Laß die heiigen Parabolen,
Laß die frommen Hypothesen -
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.
Warum schleppt sich blutend, elend
Unter Kreuzlast der Gerechte
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Roß der Schlechte?
Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig!
Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler —
Aber ist das eine Antwort?
Literaturverzeichnis

Es versteht sich, daß es sich hier nur um eine Auswahl aus der schier unüber-
schaubaren Literaturflut zum Problemfeld des Nationalsozialismus handelt.

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Ackermann, Josef 171 Eitner, Hans-Jürgen 288
Adorno, Theodor W. 18 Esser, Hermann 292
Ammon, O t t o 202
Augustinus, Aurelius 248 Faulhaber, Michael von 144
Feder, Gottfried 64
B a c h j o h a n n Sebastian 257, 259 f., 264 Fest J o a c h i m C. 287
Bartels, Adolf 58, 186 Fischer, Eugen 202
Beethoven, Ludwig van 259 Flasch, Kurt 234
Bergstraesser, Arnold 59 Flex, Walter 58
Billig, Joseph 197 Flisges, Richard 101
Binion, Rudolph 287 Franz von Assisi 115 f.
Bismarck, O t t o von 172 Freud, Sigmund 162
Blaas, Erna 184 Friedrich II. von Preußen 177 f., 257
Bloch, Ernst 18, 54 Fröhlich, Elke 98, 368
Blüher, Hans 58
Böckenförde, Ernst-Wolfgang 42 Galton, Francis 202
Boepple, Ernst 148 George, Stefan 102
B ö h m e j a k o b 177,355 Gihr, Nikolaus 357
Bollmus, Reinhard 197 G o e b b e l s j o s e p h 97-137, 138-141, 145,
Bormann, Martin 197 176-182, 190, 238, 294, 321, 323-326,
Brehm, Bruno 183 328 f., 335, 339, 349, 351, 355 f., 368
Britting, Georg 185 Goethe J o h a n n Wolfgang 75, 172, 209,
Brumlik, Micha 349 240,259,261,264,338
Burte, Hermann 56, 183 Goltz J o a c h i m von der 185
Büttner, Hermann 215 Göring, Hermann 145, 173-176, 328
Grimm, Hans 58
Carossa, Hans 183
Guardini, Romano 145 f., 327
Cecil, Robert 198
Gundolf, Friedrich 102
Chamberlain, Houston Stewart 67, 102,
145, 147-152, 171, 198, 208, 238, 251, Hammer, Wolfgang 271, 288
289, 327, 349, 354 Harden, Maximilian 112
Claudius, Hermann 186 Härtle, Heinrich 198
Comte, Auguste 138 Hasenfratz, Hans-P. 226 f.
Cramer, Erich 287 Haushofer, Karl 161
Darwin, Charles 252, 300, 303 Heer, Friedrich 271, 287
Dempf, Alois 55 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 24—29, 31,
Domarus, Max 287 39, 56, 359
Donoso C o r t e s J u a n 36 Heidegger, Martin 271 f.
Dostojewski, Fjodor 102, 104, 119 Heim, Heinrich 289, 294
Dürer, Albrecht 166 Heine, Heinrich 381
Durkheim, Emile 358 Herder, Johann Gottfried 266
Herwig, Franz 103
Eckart, Dietrich 56, 60-98, 114, 116, 120, Heß, Klara 157
127, 136-141, 145, 152-155, 164, 187, Heß, Rudolf 145, 155-163, 328
199, 238, 289, 292, 294, 321-324, 326 f., Hielscher, Friedrich 59
335,339,349,351,356 Himmler, Heinrich 145, 171-173, 328
406 Personenregister

Hindenburg, Paul von 63 Mendlewitsch, Doris 147, 198


Hippler, Fritz 115 Meyer, J. P. 23
Hitler, Adolf 17, 50, 97 f., 114 f., 121, Miegel, Agnes 184
128-130, 134, 136 f., 139-141, 143-191, Moeller van den Brück, Arthur 57, 60
193 f., 199 f., 271-319, 326-330, 3 3 3 - Moltke, Helmuth von 219
339, 349-356, 368-370, 374-379 Morus, Thomas 138
Hobbes, Thomas 23, 304 Mousseaux, Gougenot de 199
Horkheimer, Max 18 Mutius, Gerhard 56
Huber, Georg Sebastian 58
Nietzsche, Friedrich 216, 251
Ibsen, Henrik 62, 63, 70 Nipperdey, Thomas 352
Nolte, Ernst 62
Jesus Christus 30, 34, 69, 75, 79, 81, 95,
Noske, Gustav 178
100, 104, 115, 118, 132 f., 149-151, 166,
Novalis (Friedrich Leopold Freiherr von
168, 171, 208 f., 214, 223 f., 232, 238 f.,
Hardenberg) 177, 349
241, 260, 267, 283, 288 f., 315, 331,
342-347, 351, 358 f. Paulus (Apostel) 116, 223
Joachim von Fiore 54—56, 58, 152 Petersen, Julius 58,350
Johst, Hans 186 Plewnia, Margarete 6 1 , 153
Jonas, Hans 352 Ploetz, Alfred 202
Jung, Edgar Julius 59 Poliakov, Leon 358
Jünger, Ernst 183 Rembrandt van Rijn 259 f.
Renan, Ernest 195 f., 359
Kant, Immanuel 22, 54, 150, 202 f., 210 f.
Rosenberg, Alfred 60 f., 65, 67 f., 72, 83,
Kantorowicz, Ernst H. 25, 359
88, 97 f., 117, 139, 141, 193, 196-272.
Kershaw, Ian 144 f.
310, 315, 329-333, 335-339, 349 f.,
Kersten, Felix 173
354 f., 357 f., 361
Klages, Ludwig 58, 60, 255
Rotfeder, Herbert Phillips 197
Kolakowski, Leszeck 18
Rousseau, Jean-Jacques 23 f.
Kolbenheyer, Erwin Guido 58, 182
Kutscher, Artur 101
Scheffler, Johannes 67
Lagarde, Paul de 251,298 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 56
Leibniz, Gottfried Wilhelm 209, 245 Schenkendorf, Leopold von 185
Lenin, Wladimir Iljitsch 89, 92, 121, 134, Schirach, Baidur von 145, 166-171, 328
180 Schlaf, Johannes 57
Lenz, Fritz 202 Schlegel, Friedrich 177
Lessing, Gotthold Ephraim 56 Schmitt, Carl 19, 21, 31 f., 34-37, 39, 41,
Lessing, Theodor 60, 73 59, 127
Libik, Andre 115 Schoeps, Hans Joachim 18 f.
Linke, Johannes 185 ScholderX Klaus 62
Löwith, Karl 53 Scholz, Fridhard 33
Luhmann, Niklas 359 Schopenhauer, Arthur 77 f., 216 f., 232,
Lütgert, Wilhelm 58 258
Luther, Martin 63, 209, 214, 240, 286, 290 Schotte, Walther 59
Schröder, Rudolf Alexander 187
Marx, Karl 43 f., 133,256 Schwierskott, Hans-Joachim 58
Maser, Werner 287 Seidel, Ina 184
Mauss, Marcel 358 Spann, Othmar 162, 249
Meier, Heinrich 35 Spengler, Oswald 61, 102
Meinecke, Friedrich 196 Spinoza, Baruch de 73 f.
Meister Eckhart (Eckhart von Hochheim) Stapel, Wilhelm 59
213, 215, 234 f., 246 f., 253, 257 f., 264, Stern,J. P. 287
266-268, 332, 355 Strasser, Gregor 102 f., 130
Personenregister 407

S t r a u ß und Torney, Lulu von 186 Voegelin, Eric 18 f., 21, 49, 339, 349, 351,
i-Streicher, Julius 1 4 5 , 1 6 2 - 1 6 7 , 3 2 8 365 f.
Voltaire 73 f.
Taubes Jacob 18 Wagner, Richard 112, 151 f., 198, 216, 232,
T.eck, Ludwig 177 I ö 0 , 286, 290
lopitsch hrnst 18 Weber, Max 22, 101, 128, 143, 146, 189,
Trotzki, Leo 89, 92 ,.
Tucholsky, Kurt 60 , v , . , ', , , ,on
T n 4 i'u u . OOT Weinheber, Josef 182
Tyrell, Albrecht 287 Weimnger, Otto 102
., , „ , , , ,„„ Wiegershaus, Friedrich 102
Uexkull,Jakob
J von 199 ,° , . , , „ . . ._ - O Q
Wilhelm II., deutscher Kaiser 147,298
,. ,. Wust, Martin 56
Varro 46
Velmede, August Friedrich 182 Zelinsky, Hartmut 286
Vesper, Will 186 Zillich, Heinrich 185

( Bayerische ]
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