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Stefan Reimpell Humboldt-Universität zu Berlin

Gothaer Straße 17 Philosophische Fakultät I


10823 Berlin Institut für Geschichtswissenschaften
stefan.reimpell@arcor.de
030/24539939
Matrikelnummer: 199333
Hauptfach: Neuere und Neueste Geschichte
1. Nebenfach: Mittelalterliche Geschichte
2. Nebenfach: Philosophie

Heinrich Friedjung, Franz Klein


und Ludo Moritz Hartmann.
Gelehrtenpolitik in Wien
zwischen 1875 und 1925

Magisterarbeit
Abgabetermin: 21. Januar 2013

Erster Gutachter: Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch


Zweite Gutachterin: Prof. Dr. Birgit Aschmann
2

Inhaltsverzeichnis

Seite

A. Problem, Forschungslage, verwendete Literatur und Vorgehen 4

B. Lebenswege 13
I. Heinrich Friedjung 13
II. Franz Klein 32
III. Ludo Moritz Hartmann 45
IV. Direkte Kontakte zwischen Friedjung, Klein und Hartmann 57
1. Friedjung und Klein 58
2. Friedjung und Hartmann 59
3. Klein und Hartmann 62

C. Verhältnis zur „Wiener Moderne“ 62

D. Gelehrtenpolitik 68
I. Gelehrte 68
II. Politik 69
III. Politik durch Gelehrte als Gelehrte 71

E. Gelehrtenpolitik von Friedjung, Klein und Hartmann 75


I. Politik 75
1. Heinrich Friedjung 75
a. Inhalt 75
aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich 75
bb. Sozialpolitik 90
b. Mittel und Wirkung 95
2. Franz Klein 104
a. Inhalt 104
aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich 104
bb. Sozialpolitik 114
3

b. Mittel und Wirkung 127


Seite

3. Ludo Moritz Hartmann 135


a. Inhalt 135
aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich 135
bb. Sozialpolitik 145
b. Mittel und Wirkung 147
II. Basis der Politik im wissenschaftlichen Selbstverständnis? 152
1. Heinrich Friedjung 152
2. Franz Klein 160
3. Ludo Moritz Hartmann 163

F. Drei repräsentative Wiener Gelehrte, die mehr oder weniger


stark ausgeprägte Gelehrtenpolitik betrieben 170

Literaturverzeichnis 172
4

A. Problem, Forschungslage, verwendete Literatur und Vorgehen

„Gelehrtenpolitik“ - das heißt, allgemein ausgedrückt, von Gelehrten als Gelehrten


betriebene Politik - soll Thema dieser Untersuchung sein. 1 Denn sie bietet ein
besonders interessantes und problemreiches Feld für die Geschichtswissenschaft,
weil sie im Spannungsverhältnis von Wissenschaft, Politik und öffentlicher Meinung
und damit an der Schnittstelle zwischen Wissenschafts-, Politik- und Sozialgeschichte
steht und zudem viel über das Selbstverständnis ihrer Protagonisten aussagt - gerade
auch in Abgrenzung von ihren ausschließlich wissenschaftlich tätigen Kollegen
einerseits und von professionellen Nur-Politikern andererseits. 2

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dabei auf den Schauplatz Wien. 3 Denn in
Anbetracht der zwischen 1875 und 1925 hier betriebenen Gelehrtenpolitik kommt ein
weiteres, besonderes Erkenntnisinteresse hinzu, weil zumindest die gern als „Wiener
Moderne“ bezeichnete Kernphase dieser Zeitspanne - nämlich 1880/90 bis 1914/18 -
gemäß der überwiegenden Zahl der geschichtswissenschaftlichen Studien gerade
durch einen allgemeinen Trend zum „Rückzug“ (nicht nur von Gelehrten) aus der
Politik geprägt war.4 So ist hier das in dieser Periode in Wien dennoch nicht selten
anzutreffende Phänomen der Gelehrtenpolitik sowohl im Kontext dieser
gleichzeitigen starken Gegenströmung als auch im Vergleich mit den Jahrzehnten
vor dieser Zeit zu betrachten.5

1
Die hier verwandte, verhältnismäßig unspezifische Definition von „Gelehrtenpolitik“ entspricht derjenigen, die
vom Bruch Wissenschaft, 20 als eine vorläufige an den Beginn seiner Studie stellt, in deren Verlauf er sie dann
allerdings konkretisiert und damit einengt. Zur Herkunft des Begriffs - er wurde maßgeblich geprägt von
Friedrich Meinecke in seinem Aufsatz über „Drei Generationen deutscher Gelehrtenpolitik“ aus dem Jahre 1922 -:
ebd., Fn. 37.
2
Für vom Bruch Wissenschaft, 16, 135 ist Gelehrtenpolitik offenbar zumindest hauptsächlich Bestandteil der
Wissenschaftsgeschichte.
3
Wobei zwei wesentliche hier behandelte politische Tätigkeiten - Hartmanns Wirken als Gesandter der Republik
[Deutsch-]Österreich in Berlin und Kleins Teilnahme an der Friedensdelegation in Saint-Germain-en-Laye - zwar
nicht in Wien stattfanden, aber dennoch einbezogen werden sollen und können, und zwar schon allein deswegen,
weil sie zum Teil von Wien aus geleitet wurden. Dass unter den Städten der Habsburger-Monarchie gerade Wien
gewählt wurde, ist einerseits durch die Vorrangstellung dieser Stadt, insb. ihrer Universität, im geistigen Leben
des Reiches bedingt und andererseits durch die dort bestehende beste Möglichkeit, politischen Einfluss
auszuüben.
4
So vor allem Schorske Wien, 265-346. S. dazu unten, C. Das Wort „Rückzug“ ist hier zumindest teilweise
irreführend, weil es impliziert, dass durch dieselben Personen oder jedenfalls die Mehrheit derselben Generation
zuvor bereits einmal Politik betrieben worden war - was aber nicht der Fall war.
5
Letzteres allerdings nur in groben Zügen.
5

Eine Untersuchung der Gelehrtenpolitik in Wien ist auch deswegen angebracht, weil
es bislang an Erörterungen dieses Themas für Österreich - worunter in dieser Arbeit
im Sinne der überwiegenden zeitgenössischen Diktion für die Zeit bis zum Ende der
Habsburger-Monarchie das gesamte Cisleithanien verstanden wird 6 -, im Gegensatz
etwa zum Deutschen Reich, weitgehend mangelt. 7 So konstatierte denn auch
Wilhelm Filla vor zwanzig Jahren und nach wie vor gültig, die Wiener Moderne sei
bislang einseitig erforscht worden, ihr sei ein bis dato unterbeleuchteter Zug zur
Demokratisierung von Wissen und kulturellen Inhalten sowie von
Lebensverhältnissen immanent gewesen, wie er in dem Milieu der „Spätaufklärung“
zum Ausdruck gekommen sei.8

Diese Untersuchung beschäftigt sich mit dem halben Jahrhundert, das durch das
letzte Viertel des 19. und das erste Viertel des 20. Jahrhunderts gebildet wird. Dieser
zeitliche Rahmen ergibt sich zum einen daraus, dass die - zumindest im Deutschen
Reich - von etwa 1890 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914
erfolgte Blütezeit der Gelehrtenpolitik abgedeckt werden soll; aus noch zu

6
„Österreich“ konnte allerdings auch bis zum Ende der k. u. k. Monarchie das deutschsprachige Kernland
bezeichnen, worauf sich der Begriff nach deren Zerschlagung dann exklusiv verengte. Zu den verschiedenen
„Österreich“-Begriffen bis 1918 s. Lindström Empire, 14, 16.
7
Soweit ersichtlich, existiert kein grundlegendes und umfassendes Werk zu diesem Thema. Lediglich gestreift
werden einige Aspekte davon bei Ash Wissenschaft, Feichtinger Wissenschaft, Höflechner Baumeister, Preglau-
Hämmerle Funktion, Stimmer Eliten, Stimmer Universität sowie Weinzierl Universität. Etwas eingehender ist
Kann Hochschule. Die 1947 veröffentlichte Schrift Heinrich Lehrkörper betrifft immerhin die parlamentarische
Tätigkeit von Dozenten der Universität Wien, allerdings mit starkem Schwerpunkt auf die in der vorliegenden
Arbeit eher am Rande interessierende „liberale Ära“ von 1861 bis 1879, und dies zusätzlich noch unter
Beschränkung auf das Herrenhaus. Das ansonsten offensichtlich einzige sachlich und teilweise auch zeitlich
einschlägige Werk ist R. Luft Professoren, das jedoch lediglich die Situation Böhmen untersucht. Auch
Abhandlungen über einzelne Gelehrtenpolitiker sind rar: Zwar existieren eine Monographie über
Gelehrtenpolitik bei dem Staatsrechts- und Verwaltungswissenschaftler und Vorkämpfer des
Sozialstaatsgedankens Lorenz von Stein (1815-1890) sowie Texte über politische Tätigkeiten der Mediziner
Ernst Wilhelm Brücke und Joseph Hyrtl (1819-1892 bzw. 1810-1894) und des Geologen und Paläontologen
Eduard Sueß (1831-1914), doch sind die ersten drei schon wegen ihrer im wesentlichen vor dem hier
betrachteten Zeitraum angesiedelten Aktivität nicht einschlägig und gehörte auch letzterer nicht derjenigen
Generation an, welche der Gelehrtenpolitik ab 1875 eine neue Gestalt gab. S. immerhin die kurzen
Ausführungen über den Botaniker Richard Wettstein (Ritter) von Westersheim (1863-1931) als Politiker bei
Petz-Grabenbauer Politiker, 380-382. Wettstein war, wie Hartmann, Mitglied des Ausschusses für die Wiener
volkstümlichen Universitätskurse und des Wiener Volksbildungsvereins - vgl. ebd., 380 - und 1918/9, wie Klein,
Mitglied der Bürgerlich-demokratischen Partei - vgl. ebd., 381. S. allg., freilich auf dem Stand von 1999 bzw.
1988: Höflechner Auswirkungen, 149, Fn. 1: In Österreich fehle es noch weithin an systematischen Forschungen
zur Wissenschaftsgeschichte sowie R. Luft Professoren, 289: Professoren und Politik im Österreich des 19.
Jahrhunderts seien von der Forschung kaum berücksichtigt worden.
8
Filla Einleitung, 16 (mit Hinweis auf Stadler in Fn. 8). Zur „Spätaufklärung“ in Österreich vgl. unten, C. Die
von Rüdiger vom Bruch bedauerten und, soweit ersichtlich, immer noch bestehenden Forschungslücke auf dem
Gebiet der „sozialhistorischer Perspektiven in der nach wie vor umfangreichen publizistikhistorischen Literatur“
über Gelehrtenpolitik kann im Rahmen einer Magisterarbeit allerdings keinesfalls gefüllt werden - Zitat: vom
Bruch Gelehrtenpolitik, 31.
6

erläuternden Gründen werden jedoch noch die fünfzehn Jahre davor und die gut elf
Jahre danach einbezogen.9

Die Facetten der Gelehrtenpolitik in der Donaumetropole zwischen 1875 und 1925
werden hier am Beispiel dreier auf diesem Feld besonders aktiver Wissenschaftler
beleuchtet: des Historikers Heinrich Friedjung, des Juristen Franz Klein und des
Historikers Ludo Moritz Hartmann. Warum gerade sie?

Erstens wegen ihrer jeweiligen individuellen Bedeutung in der Wissenschaft und


durch Gelehrte betriebenen Politik dieser Zeit:
Friedjung war neben Josef Redlich einer der hervorragenden Vertreter des späten
deutschösterreichischen Liberalismus.10 Er „gehörte jenem Kreis jüdischer
Intellektueller an, die in ihrer eigentümlichen Vermengung von deutschem
Nationalismus, liberalem Fortschrittsdenken, sozialem, ja sozialistischem
Engagement und publizistischem Einsatz für kulturelle, künstlerische und
wissenschaftliche Modernität eine geistige Atmosphäre geschaffen haben, die als
Wiener Fin de siècle den Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert geprägt hat. In
seiner Zeit stand Friedjung weit mehr im Rampenlicht der öffentlichen Bewunderung
und der politischen Kontroversen als jene, an die man heute denkt.“ 11 Viele seiner
historiographischen Werke waren zu seiner Zeit ausgesprochene Bestseller und in
der Fachwelt anerkannt.12

Klein, „eine der schillerndsten Persönlichkeiten der ausgehenden Monarchie“, schuf


u. a. den Höhepunkt in der österreichischen Legislative dieser Periode, nämlich die
durch sozialpolitisches Denken geprägten sog. Justizgesetze. 13 Unter ihnen ragt
wiederum das heute noch weitgehend gültige österreichische Zivilprozessgesetz

9
Zur Abgrenzung des Zeitraums von 1890 bis 1914 für eine Untersuchung der Gelehrtenpolitik im Deutschen
Reich: vom Bruch Wissenschaft, 16-32; s. auch Döring Thesen, 148-150, 154 sowie vom Bruch Professoren, 16
f. („Scharnierfunktion“ des Deutschen Kaiserreichs für das 20. Jahrhundert).
10
So Mommsen Sozialdemokratie, 19.
11
F. Fellner Friedjung, 635. Vgl. auch Lindström Empire, 87, Endn. 32; Ritter Historians, 48; ferner Thaler
North, 281 sowie Ritter Liberalism, 238.
12
Vgl. z. B. von Srbik Friedjung, 540. Zu Friedjungs Einfluss als Historiker: Ritter Historians, 46 (vermutlich
der bekannteste der österreichischen Historiker des 19. Jahrhunderts), 46 f. (Friedjungs Schrift „Der Kampf um
die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866” werde heute [1983] noch als eine autoritative Analyse von
Preußens Sieg über die Habsburger-Monarchie im Jahr 1866 betrachtet - mit Verweis auf Gordon A. Craig ebd.,
47, Fn. 8); Bogner Auseinandersetzungen, 231, 233; auch Redlich Nekrolog, 228 („Ich kann mich erinnern, wie
beim deutschen Historikertag in Straßburg im Jahre 1909 beim Namensaufruf Friedjung mit allgemeinem lauten
Beifall begrüßt wurde.“).
13
Vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 108 f.; vgl. auch Böhm Grundlagen, 191.
7

hervor, die „einflußreichste moderne Zivilprozeßkodifikation überhaupt“, welche das


Recht in zahlreichen Ländern stark beeinflusste. 14 In dem gleichen sozialpolitischen
Sinne war er zudem als Justizminister sowie als Schriftsteller außerordentlich aktiv.
Und er gehörte zu den überragenden Rechtswissenschaftlern der Zeit. 15

Hartmann schließlich war als einer der ganz wenigen Universitätsdozenten bereits
frühzeitig Mitglied der österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
geworden und innerhalb dieser der entschiedenste Anhänger einer vornehmlich
nationalen Ausrichtung der Politik sowie während des Weltkrieges der einzige
österreichische Historiker überhaupt, der in einer politischen Partei direkt mitwirkte. 16
Zudem prägte seine geschichtswissenschaftlichen Werke ein für seine Zeit
außerordentlich innovativer Ansatz. Auch wenn er damit zwar eine sehr interessante
Figur darstellt, aber kein typischer Politiker und Gelehrter seiner Zeit war,
entsprachen sein Verhalten und Denken, um mit Günter Fellner zu sprechen, „einer
abgrenzbaren, wenn auch nicht in allen Punkten uniformen, beruflich-soziologischen
und politisch-weltanschaulichen ‚Lebensform’“ und gehörte er zu jenem Lager, das
„sich in besonderer Weise spätaufklärerischen, liberalen, demokratischen,
sozialreformerischen und sozialistischen Prinzipien verpflichtet fühlte.“ 17

14
Zitat Erik Wolf bei Böhm Klein, 240; weitgehende Gültigkeit noch heute: Mayr Forschungsarbeiten, 109. Zur
internationalen Rezeption vgl. van Rhee Litigation, 313-319, insb. 313 (in Deutschland), 314 (in den
Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns, in Skandinavien, Griechenland, Liechtenstein, im Kanton Zürich, z. T.
auch in Italien [hier Rezeption nur durch das Schrifttum, nicht in Gesetzesform], über dieses möglicherweise auf
der Iberischen Halbinsel, womöglich sogar in Frankreich [in Form des „juge de la mise en état“), 314-316 (in
den Niederlanden), s. auch 316-318 (England); Rechberger Ideen, 101-110, insb. 104-106 (in Deutschland), 106
f. (in Italien), 107 f. (in Griechenland), 108 (in Skandinavien), 108-110 (in den osteuropäischen Staaten). Zur
Rezeption in Japan vgl. E. Ludwig Marsch, 215-226; s. ferner Böhm Klein, 240 (zum Teil auch in
Lateinamerika); Sprung Klein, 9, Fn. 3 (von S. 8) (Zivilprozessordnung der Republik Litauen vom 28. 2. 2002).
Interessant auch die sehr positive Einschätzung des Zivilprozessgesetzes Kleins, „eines genialen Mannes“, und
seiner administrativen Leistungen bei deren praktischer Umsetzung durch Karl Kraus in „Die Fackel“ Nr. 21
(1899) (13, 15) - vgl. Sprung Klein, 17.
15
Vgl. Böhm Klein, 241: Für Erik Wolf sei er „der bedeutendste österreichische Jurist in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts“ gewesen. Schey Nekrolog, 183: Die österreichische Juristengemeinde habe ihn nach der
Zivilprozessreform neben Josef Unger als ihren „Meister“ anerkannt und nach dessen Tod als ihren ersten
Meister. Zu „Österreichs Beitrag zur Rechtskultur“ allgemein: Brauneder Beitrag, 405-446, insb. 424-431
(Zentrum mitteleuropäischer Rechtskultur), 441-443 (Umfassende Juristenausbildung).
16
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 159 bzw. Dachs Geschichtswissenschaft, 16. Zur
„bemerkenswerte[n] Scheu“ der Gelehrten im Deutschen Reich dieser Zeit „vor parteipolitischer Einbindung“
vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 33; ähnlich für Böhmen: R. Luft Professoren, 304, 306. Zur besonders
untypischen Hinwendung von Gustav Radbruch zur Sozialdemokratie im Deutschen Reich vgl. vom Bruch
Wissenschaft, 289. Für eine „direkte Zusammenarbeit“ [welcher Art?] von Wissenschaftlern und
sozialdemokratischen Führern im Österreich dieser Zeit gibt es gemäß Weidenholzer Betrachtungen, 186 jedoch
viele Beispiele.
17
Vgl. G. Fellner Hartmann, 124.
8

Zweitens, weil sie Politik mit den unterschiedlichsten Mitteln betrieben und insofern
eine große Brandbreite abdecken: Auch Friedjung und Klein gehörten, wenn auch
nur verhältnismäßig kurz, einer politischen Partei an, wobei Friedjung durch die
vornehmlich von ihm entworfenen Programme zumindest vorübergehend einen
entscheidenden Einfluss auf die Politik jenseits des „Altliberalismus“ gewann. Zudem
hatten alle drei zu verschiedenen Zeiten Mandate in gesetzlichen Vertretungskörpern
inne, waren Mitglieder, Redner und Funktionäre in zahlreichen politischen Vereinen
und publizistisch sowohl auf wissenschaftlichem als auch auf politischem Gebiet in
Zeitungen, Zeitschriften und Büchern außerordentlich produktiv, Friedjung gar als
Eigner und Chefredakteur von Zeitungen. 18 Letzterer betrieb außerdem noch
„gouvernementale“ Gelehrtenpolitik, indem er versuchte, Minister bei informellen
Kontakten zu beeinflussen, während Klein zeitweilig selbst Minister und Mitglied der
Friedensdelegation in Saint-Germain-en-Laye war.

Drittens, weil sie alle - trotz ihrer Unterschiede - zumindest für viele Felder der Politik
von österreichischen Gelehrten dieser Zeit repräsentativ waren.
So urteilt Harry Ritter über Friedjung: “To the end of his life Friedjung looked at the
world with a curious combination of liberal assumptions and anti-liberal belligerence,
and it is this tension which makes him an especially fascinating study for one who
would understand the history of central European liberalism.” sowie “But, for all his
prickly individuality, Friedjung was a truly representative figure; it would, indeed, be
difficult to find an individual whose life more perfectly embodies such a wide range of
the tensions and dilemmas of late nineteenth-century Austria.” 19

Und Fritz Fellner hält Klein für „repräsentativ für die großdeutsch orientierte, aus der
Monarchie in die Republik übernommene Bürokratie: ein sich überparteilich fühlender
Gelehrter und Beamter, der sich mit den Veränderungen, die sich [nach der
Niederlage der Donaumonarchie im Ersten Weltkrieg] vollzogen haben, auch wenn
er sie äußerlich und formal akzeptiert, nicht abfinden kann...“. 20
Wilhelm Filla schließlich schreibt über Hartmann: „Zur Wiener Moderne gehörte auch
eine nicht idealistische Sicht und Analyse von Entwicklungen und Verhältnissen. Hier

18
Vgl. auch Hübinger Gelehrte, 231: Den „Gelehrten-Intellektuellen“ zeichne das charakteristische Dreieck aus
wissenschaftlicher, publizistischer und politischer Aktivität aus. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 42 weist darauf hin,
dass politische Zeitschriften und fachwissenschaftliche Periodika im Deutschen Reich um 1900 insbesondere in
der Beamtenschaft intensiv rezipiert worden seien.
19
Ritter Historians, 49 bzw. 52.
20
F. Fellner Klein, 189. Zur gebotenen Einschränkung dieser Aussage s. unten, bei Fn. 670 f.. Der in dieser
Untersuchung gelegentlich zitierte Begriff „großdeutsch“ ist für die Zeit nach 1871 mehrdeutig.
9

verkörperte Hartmann bei aller individuellen Besonderheit und Einzigartigkeit einen


sozialen Typ, mit dem auseinanderzusetzen sich in Zukunft lohnen wird:
Sozialreformer mit bürgerlichem Hintergrund; Intellektueller mit dem in Praxis
umgesetzten Anspruch, Wissen für möglichst viele Menschen verfügbar und
anwendbar zu machen; Wissenschaftler mit vielfältigsten organisierenden ...
Tätigkeiten; Spezialist mit breit gestreuten wissenschaftlichen Aktivitäten. Aufgrund
der Vielfalt seiner Tätigkeit war Hartmann in ein breites intellektuelles und sozial-
kulturelles Netz von Persönlichkeiten und Aktivitätsbereichen involviert, das sowohl
Grundlage als auch Ausdruck der Wiener Moderne um die Jahrhundertwende und in
den zwanziger Jahren war.“21
Und sie widmeten sich denjenigen beiden Wissenschaftszweigen, aus denen in
Österreich bis mindestens 1914 offenbar die große Mehrheit der Gelehrtenpolitiker
stammte: der Geschichtswissenschaft und, cum grano salis, der Staatswissenschaft.22

Viertens deshalb, weil ihre jeweilige Politik trotz der vielen Übereinstimmungen und
damit der guten Vergleichbarkeit der drei Personen untereinander - so gehörten sie
alle einer Generation an, lebten von frühester Kindheit an mit recht wenigen und
verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen bis zu ihrem Tod in Wien, stammten auch
aus mehr oder weniger demselben Milieu und waren alle Geisteswissenschaftler -
auch signifikante Abweichungen aufwies, die als drei prinzipielle Ausformungen der
Politik von Gelehrten im Wien dieser Zeit gelten können, und das möglicherweise
gefördert durch einige unterschiedliche Voraussetzungen - so den
wissenschaftlichen Betätigungen als Historiker (Friedjung und Hartmann) bzw. als
Jurist (Klein) inklusive ihrer verschiedenen beruflich-amtlichen Stellungen sowie ihrer
unterschiedlichen Religionszugehörigkeit bzw. „religiösen Abstammung“. 23

21
Filla Einleitung, 16.
22
Mehrheit: Vgl. Weinzierl Universität, 17 (zumindest implizit). Zu den Wiener Professoren der
Volkswirtschaftlehre und Finanzwissenschaft, vor allem den Vertretern der „Wiener Schule der
Nationalökonomie“, in der Politik vgl. R. Luft Professoren, 298 f.
23
Hinzu kommt im Falle von Friedjung und Hartmann, dass der Geschichtswissenschaft zumindest im
Deutschen Reich um 1900 neben der Nationalökonomie als „Leitdisziplin“ überragende Bedeutung zukam - vgl.
vom Bruch Gelehrtenpolitik, 29, 39 f.. Zudem hatten Hartmann und Klein vielfältige wissenschaftliche
Beziehungen gerade zu der soeben erwähnten zweiten „Leitdisziplin“, der Nationalökonomie - zu Hartmann s.
unten, B. III.; zu Klein s. Streissler, Denken, 67-74. Allerdings hatte die Jurisprudenz zumindest im Deutschen
Reich ihre führende Stellung in der öffentlichen Diskussion zu dieser Zeit gerade auf Grund des dort
dominierenden - und von Klein nur bedingt geteilten - Rechtspositivismus verloren - s. vom Bruch
Gelehrtenpolitik, 39.
10

Und, schließlich, fünftens, weil auf Grund ihrer außerordentlich hohen


Publikationsrate sowohl auf politischem als auch auf wissenschaftlichem Gebiet ihr
„gelehrtenpolitisches“ Denken besonders umfangreich dokumentiert ist - und dies
zudem, ohne dass einer von ihnen die anderen in dieser Hinsicht deutlich überragt
hätte.

Teilweise aus der Auswahl dieser drei Personen ergibt sich auch die bereits erwähnte
Ausdehnung des Untersuchungszeitraums vor das Jahr 1890 und über das Jahr 1914
hinaus: Denn einerseits hatte die politische Tätigkeit Friedjungs bereits um 1875, also
noch zur Zeit der in Österreich bis 1879 regierenden liberalen Kabinette, begonnen,
und andererseits waren alle drei Wissenschaftler während des Ersten Weltkrieges
politisch aktiv und Klein sowie Hartmann auch danach noch bis etwa 1925, Hartmann
vor allem als Gesandter der Republik [Deutsch-]Österreich in Berlin von Ende 1918
bis Ende 1920 und Klein insbesondere als Mitglied der Friedensdelegation in Saint-
Germain-en-Laye Mitte 1919 - und gerade diese Betätigungen sind besonders
interessant. Ferner wird damit die als Kernzeit der kulturellen Moderne in Europa
geltende Periode zwischen 1880 und 1930, in welcher auch der Erfolg der Politik
durch Intellektuelle besonders groß gewesen sein soll, im Wesentlichen abgedeckt. 24

Da alle drei Protagonisten dieser Arbeit auf einem sehr weiten Spektrum nicht nur
wissenschaftlicher, sondern auch politischer Bereiche aktiv waren und darüber hinaus,
wie erwähnt, eine große Anzahl von Abhandlungen, Vorträgen usw. verfasst haben,
muss sich die Untersuchung auf die allen drei gemeinsamen und zugleich für ihre
Generation typischen zwei Kernbereiche ihrer gelehrtenpolitischen Tätigkeit
konzentrieren: einerseits auf ihr Engagement für die nationalen Belange der
Deutschen in Österreich - inklusive ihrer Einstellung zum Judentum bzw. zum
Antisemitismus - und für ein enges Bündnis mit dem Deutschen Reich in mehr oder
weniger weit gehender Abgrenzung zum monarchischen Vielvölkerstaat, in dem sie
die längste Zeit ihres Lebens verbrachten, sowie andererseits auf ihre Sozialpolitik -
wobei diese Gebiete, wenn auch nicht gleichgewichtig, ausschlaggebend für die
„Identitäten“ der drei Männer waren. 25
24
Kernzeit: Hübinger Gelehrte, 14 f., auch zur hierin anzusiedelnden „kleine[n] Achsenzeit“ einer völligen
Umgruppierung des wissenschaftlichen Wissens an den europäischen Universitäten und einer neuen
Selbstreflexion über das Verhältnis von Wissenschaft und Leben. - Erfolgsperiode der Intellektuellen ebenfalls
zwischen 1880 und 1930: Hübinger Gelehrte, 16 f.
25
Zur Gelehrtenpolitik und der „sozialen Frage“ im Deutschen Reich ab 1890 vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik,
30: „Auf keinem anderen Sektor war gelehrte Sinnaufweisung (Deutungskultur) so eng und nachhaltig - über das
11

So werden zum Beispiel ihre freiheitliche, insbesondere ihre antiklerikale Politik, ihr
Einstehen für einen zentralistischen Staat sowie die von Hartmann betriebene Politik
im Standesinteresse von Gelehrten und seine herausragende Rolle beim Aufbau der
europaweit vorbildlich gewordenen österreichischen Volksbildung nur gestreift. 26
Ersteres deshalb, weil Bekenntnisse zu Freiheit, Laizismus und Zentralismus bereits
in der vorangegangenen politisch aktiven bürgerlichen Generation herrschend
gewesen war und dies auch weit gehend blieb; letzteres deshalb, weil es sich hierbei
eher um Randgebiete von Gelehrtenpolitik handelt. 27 Eine einzige Lücke jedoch ist
schmerzlich: Auf Grund des relativ engen Zeit- und Umfangsrahmens einer
Magisterarbeit kann hier die sehr aufschlussreiche Politik der drei Gelehrten für
Imperialismus oder Antiimperialismus, insbesondere während des Ersten Weltkriegs,
nur angedeutet werden.28
Kaiserreich hinaus - an die sozio-kulturellen Grundlagen der gesellschaftlichen Gliederung geknüpft, vermochte
sie[,] über die begrenzte bildungsbürgerliche Milieueinbindung hinaus zu gelangen.“ Zu Gelehrtenpolitik und
Sozialreform im Wilhelminischen Reich vgl. ebd., 41-44; zur Sozialpolitik als einem Teilbereich dortiger
gouvernementaler Gelehrtenpolitik ebd., 336-338; zu Hans Delbrück als Sozialpolitiker ebd., 347-353.
26
In Bezug auf Hartmanns volksbildnerische Tätigkeit und seinen Einsatz für die Autonomie der Hochschulen
rechtfertigt sich dies auch dadurch, dass er für beide Bereiche strikte politische Neutralität forderte. Zudem ist
ersteres Feld bereits recht gut erforscht. Zur Notwendigkeit der Fokussierung auf einige Bereiche im Bezug auf
das umfangreiche und mannigfaltige Wirken Kleins vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 110.
27
Zur Situation im Deutschen Reich vgl. Döring Thesen, 157: Die „Gelehrtenpolitik“ sei nach ca. 1880 zur
Teilkultur des liberal-antiklerikalen Bereichs von Kulturwissenschaftlern geschrumpft (These). Zum
freiheitlichen Denken Friedjungs vgl. nur Ausgleich, 102; Presse, 2; ferner Litz Grundbegriffe, 31-34
(Liberalismus). Zum freiheitlichen Denken Kleins vgl. nur Klein in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 3
sowie 35 (für Redefreiheit auf Parteiversammlungen); Kriegsnot, 797-802; Ziele, 39 f. Zum freiheitlichen
Denken Hartmanns vgl. nur vom Bruch Rezension, 121 („Sozialdemokrat, mit stark linksliberaler Färbung“); G.
Fellner Hartmann, 105. Zum Antiklerikalismus Friedjungs vgl. nur Ausgleich, 1, 13, 25, 33, 80. Zum
Antiklerikalismus Kleins vgl. nur Klein Saint Germain, 147 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919);
Sprung Lebensweg, 55, Fn. 195 (Salzburger Wacht vom 6. 4. 1926). Zum Antiklerikalismus Hartmanns vgl. nur
Klerikalismus, 398-400; G. Fellner Hartmann, 108 f. Zur Lage in Österreich um 1900 vgl. Nautz/Vahrenkamp
Einleitung, 43 (Der Druck der katholischen Kirche auf die Intelligenz sei enorm gewesen). Zum Zentralismus
Friedjungs vgl. nur Ausgleich, 12; Litz Grundbegriffe, 39-42 (s. allerdings auch ebd., 18). Zum Zentralismus
Kleins vgl. nur Staat, 922-928. Zum Zentralismus Hartmanns vgl. nur Ramhardter Geschichtswissenschaft, 166,
unter Hinweis auf Hartmanns „Über den Beruf unserer Zeit“, 17 (Auf lange Sicht habe Hartmann für
Verstaatlichung der Industrie und Planwirtschaft plädiert.).
28
Immerhin mag dies auch sachlich gerechtfertigt sein im Sinne der Feststellung vom Bruchs Wissenschaft, 135:
„In dem Maße aber, in dem die Gesellschaft selbst sich politisierte, unter Einschluß der akademisch gebildeten
und im engeren Sinne der Hochschulkreise, in dem zugleich der moderne, arbeitsteilig bedingte
Differenzierungsprozeß auch von den Hochschulen nicht Halt machte, wurden politische Optionen und
Führungsqualitäten nicht mehr an ständischen, sondern an konkreten politischen Kriterien gemessen. Insofern
rechtfertigt sich die Entscheidung, das Thema ‚Wissenschaft und Kriegsmoral’ als Beitrag zur Geschichte der
öffentlichen Meinung und nicht als einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte zu behandeln. Gleichwohl ist die
hierhin führende Entwicklung auch im Rahmen der Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte zu sehen.“ Zu
Friedjungs imperialistischer Einstellung vgl. z. B. Colonialpolitik, 1-3, wo er die reichsdeutsche Kolonialpolitik
begrüßt; zu seiner entsprechenden Agitation während des Ersten Weltkriegs vgl. Ramhardter
Geschichtswissenschaft, 73-98; Zailer Friedjung, 112-125. Zu ähnlichen Fällen im späten Habsburger-Reich s.
Lindström Empire, 271. Über Friedjungs Militarismus vgl. Zeitalter, 14; Litz Grundbegriffe, 38 f.; s. auch
Denkschrift, 22 f. Zu Hartmanns lebenslang eingehaltener strikter Ablehnung des Imperialismus vgl. z. B.
Christentum [Dezember 1915], 29; über seinen grundsätzlichen Pazifismus: Krieg, 6. Über Gelehrtenpolitiker im
Deutschen Reich und Imperialismus: vom Bruch Wissenschaft, 328 f.; auch Professoren, 23. Über die
12

Die im engeren Sinne politischen Publikationen von Friedjung, Klein und Hartmann
jeder Art, Monographien, Broschüren, gedruckte Reden, Artikel in Sammelbänden,
Zeitschriften und Zeitungen usw., werden hier beinahe umfassend herangezogen -
ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen hingegen nur insofern, als sie eine in ihrer
Zeit politisch relevante Aussage enthalten oder ihr Selbstverständnis als
Wissenschaftler bzw. ihre Sicht der von ihnen betriebenen Wissenschaft und ihre
Verbindung mit der Politik offenbaren. 29 Dabei werden die - längst edierten - Briefe
Kleins aus Saint-Germain, welchen auch über Kleins Person hinaus ein hoher
Quellenwert zukommt, hier, soweit ersichtlich, erstmals umfassend ausgewertet. 30

Die Darstellungen über diese drei Gelehrtenpolitiker sind ebenfalls umfassend


verarbeitet, und zwar - wie fast alle anderen herangezogenen Werke auch - mit Stand
von Anfang September 2012. 31 Insofern ergibt sich rein quantitativ betrachtet ein
Ungleichgewicht, da es über Friedjung und Klein deutlich mehr Sekundärliteratur gibt
als - sieht man von dessen volksbildnerischer und geschichtswissenschaftlicher
Tätigkeit ab - über Hartmann; dieser Mangel wird jedoch teilweise wettgemacht durch
die eingehenden und aus Archivquellen gespeisten Ausführungen über Hartmanns
auch außerwissenschaftliches Wirken in Günter Fellners Dissertation. 32 Von dem
Schrifttum über das Phänomen „Gelehrtenpolitik“ und verwandte Gebiete im
Allgemeinen und insbesondere von der umfangreichen Literatur über Wissenschaft,
Universität, Politik und öffentliche Meinung in Wien und Österreich sowie die dortige

reichsdeutschen „Mandarine“ im Ersten Weltkrieg vgl. Ringer Gelehrten, 169-185. Fraglich Rumpler Elemente,
91 (Österreich-Ungarn habe um 1900 auf Machtpolitik im Stile des imperialistischen Zeitgeistes verzichtet.).
29
Im Bereich der im engeren Sinne politischen Abhandlungen konnte der Verfasser neben einigen
Tageszeitungen lediglich Hartmanns „Über den Beruf unserer Zeit. Optimistische Betrachtungen“ (Der Aufstieg.
Neue Zeit- und Streitschriften, Bd. 2), Wien o. J. [1917] nicht beschaffen; die entsprechenden Zeitungsartikel
sowie dieses Buch müssen daher aus der Sekundärliteratur zitiert werden. Was die wissenschaftlichen Werke
betrifft, werden hier vor allem zwei Arten von Quellen genutzt: wissenschaftsprogrammatische Texte
(Hartmanns und Kleins) und Vorworte sowie Einleitungen zu historischen Einzeluntersuchen (von Friedjung und
Hartmann). Zum Nachlass Friedjungs im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien und in der Wiener Stadt- und
Landesbibliothek s. Bachmann Friedjung, 201; F. Fellner Friedjung, 636 f.; s. auch Österreichische
Nationalbibliothek Handbuch, Bd. 1, 374, Nr. 2873: „N: ...; Bibliothèque des Nations Unies, Genf“; zum
Nachlass Kleins: F. Fellner/Maschl Einleitung, 10 (Trotz intensiver Nachforschungen sei die Feststellung seines
Verbleibs unmöglich.); zum Nachlass Hartmanns im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien: Mommsen
Sozialdemokratie, 13 (Dieser enthalte nur Material aus der Zeit nach 1918.); vgl. auch G. Fellner Hartmann,
105: Aufgrund der spärlichen autobiographischen Aussagen und Zeugnisse seines Privatlebens sei ein
interpretatorisches „Ausschlachten“ von Notizen, Tagebüchern und Briefen von vornherein [?] unmöglich.
30
Zum hohen Quellenwert dieser Briefe vgl. F. Fellner/Maschl Quellenwert, 15 f.
31
Lediglich die Literatur über die „Wiener Moderne“ (vgl. C.) wurde hier nur bis Februar 2010 berücksichtigt.
32
Zur guten Qualität der derjenigen Stellen in Fellners Werk, die sich auf die Würdigung Hartmanns beziehen,
vgl. vom Bruch Rezension, 122.
13

wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation zwischen 1875 und 1925 werden
hingegen nur ausgewählte Werke herangezogen.

Bedauerlicherweise musste wegen des damit verbundenen, innerhalb der zur


Verfügung stehenden Zeit nicht zu bewältigenden Aufwandes auf den - an sich
angebrachten - Vergleich zu anderen wissenschaftlichen und politischen Zentren
Europas verzichtet werden. Lediglich die Situation im Deutschen Reich - mit welchem
Wiener Wissenschaft und Gelehrtenpolitik in mancherlei Austausch standen - wird
gelegentlich berücksichtigt.33

Im Folgenden werden zunächst (B.) die Lebensstationen von Friedjung, Klein und
Hartmann dargestellt, was zum Verständnis der weiteren Abschnitte dieser Arbeit
unerlässlich ist.34 Sodann (C.) folgt zur Einbettung in den zeitgenössischen Kontext
eine Erörterung dessen, was üblicherweise mit dem Etikett „Wiener Moderne“
versehen wird. Darauf (D.) wird das Phänomen der Gelehrtenpolitik genauer skizziert.
Im Hauptteil (E.) wird die Politik der drei Gelehrten einer eingehenden Untersuchung
unterzogen, und zwar zunächst deren Praxis, eingebettet in den Kontext der
politischen, z. T. auch der sozialen und ökonomischen Entwicklungen in Wien, (E. I.)
und sodann deren mögliche Basis in ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis (E.
II.). Am Ende (F.) findet sich das Ergebnis.

B. Lebenswege
33
Zur Beziehung der Wissenschaft in Österreich zu derjenigen im Deutschen Reich bzw. seinen
Vorgängerstaaten: Höflechner Auswirkungen, 149, Fn. 1: „Ein Problem ist weiters, daß die Entwicklung der
Wissenschaft in Österreich sowie der österreichischen Wissenschaftler so eng verflochten ist mit der
Entwicklung in den deutschen Ländern beziehungsweise an den deutschen Universitäten, daß jede gründlichere
Untersuchung eines besonderen Aufwandes wissenschaftsgeschichtlicher Kausalanalyse und Komparatistik
bedarf.“; vgl. auch ebd., 182, Fn. 79; Cometti conception, 184, Fn. 3: Der größte Teil der österreichischen
Wissenschaftler sei in das Deutsche Reich abgewandert; auch Zöllner Jahre, 66. S. ferner vom Bruch
Wissenschaft, 92, Fn. 132 über die civitas academica, d. h. die traditionelle rechtlich-korporative Stellung, und
die aura academica, also das noch weitgehend ungebrochene Gemeinschaftsbewusstsein: Beide Begriffe dürften
„verbindende Repräsentanz“ für den deutschsprachigen mitteleuropäischen Raum beanspruchen, mit deutlichem
Schwerpunkt auf Deutsch-Österreich. Von den Zeitgenossen seien solche Gemeinsamkeiten wiederholt betont
worden. Zur Möglichkeit und Erforderlichkeit eines europaweiten Vergleichs im Falle der Geschichte der
Intellektuellen des 19. Jahrhunderts: Charle Vordenker, 9-12, insb. 11, 18-21. Zum Verhältnis Wien-Berlin um
1900 und seiner zeitgenössischen Wahrnehmung in Literatur, Theater und Publizistik: Noth Stereotypen, 220-
227 (Berlin als „amerikanische“ Metropole), 227-230 (Wien und die „Kunst der Millionärssöhne“), 230-235
(Berlin: Kampf, Nüchternheit und Arbeit), 235-239 (Wien: Anmut, Spiel und Pose), 239-243 (Die Antinomien
„schwer - leicht“, „männlich - weiblich“ und „gesund - krank“; zur angeblichen „Weiblichkeit“ der Österreicher
im Zusammenhang mit dem Recht vgl. Bolla-Kotek Prozess, 416-419); Sprengel/Streim Einleitung, 24-26
(Städte-Images und nationale Konkurrenz), 34-41 (Zur Entwicklung der Austauschbeziehungen). Zu den
internationalen Verflechtungen der „Wiener Moderne“: Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 32-37.
34
Wobei ihr politisches Engagement und ihre wissenschaftlichen Auffassungen nur gestreift werden, da diese
unter E. detailliert zu erörtern sein werden.
14

I. Heinrich Friedjung
Heinrich Friedjung wurde am 18. Januar 1851 in der kleinen mährischen Ortschaft
Rostschin/Roschtin/Roštín südwestlich Kremsier als Kind einer mäßig begüterten
deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, des Bernhard Friedjung und der Katharina geb.
Hertzka, geboren.35 Seine Eltern zogen, als Friedjung sechs Jahre alt war, Drängen
der „gescheiten tatkräftigen Mutter“ mit ihren Kindern nach Wien, um ihnen eine gute
Schulbildung zu bieten.36 Damit lag Friedjung im Trend: 1870 waren 50%, 1890
65,5% der Wiener nicht in Wien geboren worden. 37 Er blieb lebenslang Junggeselle
und lebte bis zu deren Tod 1908 mit seiner Mutter zusammen. 38

Nach der Volksschule besuchte er das Akademische Gymnasium, wo er als


„Vorzugsschüler ein besonderer Liebling des Geschichtsprofessors“ Heinrich Ficker
gewesen sein soll. In der siebten Klasse soll ein Zusammenstoß mit dem
Philosophie-Professor „bei dem peinlichen, in Rechtsfragen unnachgiebigen
Ehrgefühl Friedjungs“ zu seinem Wechsel an das Schottengymnasium geführt
haben, wo er Unterricht von bedeutenden Lehrern erhielt und unter anderen die
späteren bedeutenden Nationalökonomen Friedrich von Wieser und Eugen Böhm
von Bawerk (bzw. von Böhm-Bawerk) seine Kameraden wurden. 39 Zudem traf er dort
auf den künftigen sozialdemokratischen Führer Viktor Adler, mit dem er über die
Schul- und Studienzeit hinaus freundschaftlich verbunden blieb, und knüpfte enge
Verbindungen mit weiteren (später) hervorragenden Persönlichkeiten, auch mit
Georg von Schönerer.40 „Daß er Historiker werden würde, stand ihm von Anfang an
fest.“ Das Abitur bestand er schließlich mit Auszeichnung. 41

35
Zur Geburt vgl. Bettelheim Friedjung, 33 (Rostschin); Kann Artikel, 451 (Roschtin); Redlich Nekrolog, 225
(Roštin). S. auch Adlgasser/Friedrich Einleitung, 8, Fn. 11: in seinem eigenhändigen Lebenslauf (Wiener Stadt-
und Landesbibliothek, Inventarnummer 156.770) „Rostschin“. Zur Familie: Bachmann Friedjung, 202; F.
Fellner Friedjung 637; Kann Artikel, 451; Redlich Nekrolog, 225; von Srbik Friedjung, 535 f. Zur Einschätzung
der Mutter: Bettelheim ebd.; s. auch von Srbik Friedjung, 535: Die Mutter sei wohl der „geistig reichere“ Teil der
Eltern gewesen.
36
Vgl. Bettelheim Friedjung, 33; von Srbik Friedjung, 536.
37
Vgl. Sagarra Vienna, 191.
38
Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10. Danach wohnte seine - uneheliche - Tochter Paula bei ihm - vgl.
Zailer Friedjung, 127. S. auch Kann Artikel, 451: „T Dr. Paula F.-Reinkraut“.
39
Vgl. Bettelheim Friedjung, 33.
40
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 101. S. ferner Engel-Janosi Rezension, 570: “Mahler’s, Adler’s, and Pern-
erstorfer’s widespread circle of friends growing of the intellectual ‘cell’ in the Schotten Gymnasium. Included
within this group were ... Siegfried Lipiner ...; Heinrich Friedjung; Richard Kralik; Georg Schönerer; Hermann
Bahr; Hugo Wolf; ...Max Gruber; ...Max Menger...; and... Friedrich Eckstein.“. Zum Beginn der Freundschaft
zwischen Friedjung und Schönerer: Dechel Programm, Teil 1, 227-229; Moser Emanzipation, 81 f.
41
Zu allem vgl. Bettelheim [Freund von Friedjung] Friedjung, 33; s. ferner von Srbik Friedjung, 536.
15

Fritz Fellner bemerkt zu Friedjungs Herkunft und frühem Lebensweg in der Tendenz
zutreffend, wenn auch übertreibend, „fast stereotyp“ scheine „dieser Dreiklang:
deutsch-jüdische Abstammung, mährischer Geburtsort, frühzeitige Übersiedlung
nach Wien in den Lebensläufen der meisten jener Persönlichkeiten auf, die das
Wiener Fin de Siècle geprägt haben, und fast ebenso selbstverständlich zählt der
Besuch eines der beiden führenden Wiener Gymnasien, des Akademischen und des
Schottengymnasiums[,] zu den Bildungswegen dieser Männer.“ 42 In der Tat waren
die österreichischen Juden nach ihrer rechtlichen Emanzipation fast überall außer in
Galizien in die deutsche Kulturgemeinschaft eingetreten und wurden außerhalb
rassistischer Kreise auch mehr oder weniger als Deutsche betrachtet. 43 Und sie
stellten um 1900 auch ca. ein Drittel aller Gymnasiasten Wiens. 44

Als Fünfzehnjähriger hatte ihn die Niederlage von Königgrätz 1866 erschüttert;
trotzdem oder gerade deswegen blieben in ihm „die Traditionen des endenden
Deutschen Bundes“ stets lebendig. 45 Sein Studium begann Friedjung an der
Universität Prag, wo er zwei Semester blieb und sich hauptsächlich mit Philosophie
befasste.46 Bereits hier war er politisch leidenschaftlich engagiert; so sprach er auf
einem Kommers der Burschenschaft „Germania“ über die „deutschböhmische
Frage“. 47
Ab dem dritten Semester studierte er dann vornehmlich
Geschichtswissenschaften in Wien, wo er an der Universität unter anderen
Vorlesungen von Theodor von Sickel und Ottokar Lorenz und philosophische von
Theodor Gomperz besuchte und dem Institut für österreichische
Geschichtsforschung als außerordentliches Mitglied angehörte. 48 Obwohl er dort
42
F. Fellner Friedjung 637.
43
Vgl. Whiteside Germans, 163.
44
Vgl. Beller Vienna, 177.
45
Vgl. von Srbik Friedjung, 539; zur tiefen Erschütterung durch die Schlacht von Königgrätz s. auch Friedjung
Ausgleich, 11 f.; Lindström Empire, 13 f.
46
Vgl. Bettelheim Friedjung, 33 (Insb. studierte er die Werke von Spinoza, Kant und Fichte.); von Srbik, 536.
Friedjungs Studienbuch befinde sich in seinem Nachlass im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien - s.
Adlgasser/Friedrich, Einleitung, 7, Fn. 3. Zur Geschichte der Universitäten der Donau-Monarchie von 1850 bis
1914 eingehend: Otruba Universitäten, 75-155 (davon 115-155: Tabellen-Anhang).
47
Vgl. Bettelheim Friedjung, 34; auch von Srbik Friedjung, 536: Vgl. ferner Redlich Nekrolog, 226: Schon seit
seinen Studentenjahren hätten Friedjung lebhaftestes politisches Interesse und tiefstes Gefühl für die Sache der
Deutschen in Österreich erfüllt.
48
Vgl. Bettelheim Friedjung, 34; von Srbik Friedjung, 536. Zur Geschichte der Universität Wien, der Alma mater
Rudolphina: Perger Lexikon, 508; zum sozialen und geographischen Profil der Studenten dort von 1860 bis
1900 eingehend: Cohen Studenten, 290-316; zur Nationalitätenstatistik der Universität Wien: Otruba
Universitäten, 95 f. Zum Philologisch-historischen Seminar, zur Alten Geschichte, zur Archäologie und zur
Epigraphik, zur Urgeschichte, zur „mittleren und neueren Geschichte“, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
sowie zur Kunstgeschichte, insb. zur „Wiener Schule der Kunstgeschichte“, an der Universität Wien von 1884
bis 1938: Zöllner Jahre, 75 f., 80-86. Über das Institut für Österreichische Geschichtsforschung: Möcker
Lexikon, 316.
16

offenbar ordentliches Mitglied hätte werden können, setzte er 1872 bis 1873 sein
Studium in Berlin fort, wo er Vorlesungen bei Ranke, Mommsen und Müllenhoff
belegte.49 Sein Seminarleiter Nitzsch soll geplant haben, Friedjung Ranke als einen
seiner „Hilfsarbeiter und Sekretäre“ vorzuschlagen. 50 Friedjung promovierte jedoch
stattdessen im Juni 1873 in Wien und absolvierte dort die Examina für eine
Mittelschulprofessur, um sich ein Auskommen zu ermöglichen. 51

1873 erlangte er denn auch das Amt eines Lehrers für Geschichte und deutsche
Sprache an der Wiener Handelsakademie, welches er „mit innerlichem Genügen und
äußerem Erfolg“ ausgeführt haben soll.52 In der Mitte der 1870er Jahre trat er dem
die Belange des deutschen Volkstums mit aller „Entschiedenheit“ vertretenden
„Deutschen Verein“ bei, wo er zusammen mit Engelbert Pernerstorfer einer der
„stürmischen Jungen“ gewesen sein soll, die in dauernder Fehde mit den
„Altliberalen“ lagen.53

1877 vertrat Friedjung in seiner „politischen Studie“ „Der Ausgleich mit Ungarn“
Positionen, welche nicht im Sinne der Regierung und des Hofes waren,
insbesondere die Forderung nach einer staatsrechtlichen Trennung Österreichs und
Ungarns und Schaffung einer bloßen Personalunion, und griff darin auch Eduard
Graf Taaffe, den damaligen Statthalter in Tirol, wegen dessen angeblichen
Separatismus und wegen dessen proklerikaler Schulpolitik scharf an. 54 Im Dezember
desselben Jahres hielt er auf einer Versammlung eine Rede, in welcher er eine

49
Ein Grund dafür, dass Friedjung das Institut für österreichische Geschichtsforschung verließ, dürfte in der
Ausrichtung von dessen historischer Arbeit zu finden sein - zu dieser vgl. Ritter Rezension Fellner, 277:
“Neobsolutism’s failure in the 1850s and 1860s, coupled with the IöG’s tight focus on original source criticism
(applied mainly to medieval and early modern documents) deflected the historical guild from its original,
present-centered civic task. Thus, late Habsburg historians ... built careers via meticulous antiquarianism rather
than philosophizing or grand narrative. Exceptions such as Heinrich Friedjung were usually outsiders who did
not hold academic chairs.”.
50
Vgl. zu Vorigem Bettelheim Friedjung, 34; von Srbik Friedjung, 536.
51
Vgl. Bettelheim Friedjung, 34; von Srbik Friedjung, 536. Die Promotion erfolgte noch nach der bis 1872
gültigen Rigorosenordnung, d. h. ohne Dissertation - s. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 7, Fn. 3.
52
Vgl. Bettelheim [Freund Friedjungs] Friedjung, 34 (dort auch das Zitat); von Srbik Friedjung, 536.
53
Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 212 (unter Verweis auf Alois Modl). Vgl. ferner ebd., 273 (Danach hat sich der
seit 1870 bestehende „Deutsche Verein“ Anfang Februar 1887 aufgelöst.) Judson Race, 86 bemerkt über “Altlib-
erale” und Deutschnationalisten, “the age differential separating the leaders of the two groups was actually in -
significant”.
54
Die Bezeichnung des Werkes als „politische Studie“ findet sich in ihrem Untertitel. Zum Angriff auf Graf
Taaffe: Friedjung Ausgleich, 13. S. ferner ebd., 3 (ähnlich: 15 f.): „...und es gibt nicht wenige Leute in
Oesterreich, welche sofort nach der Polizei und nach dem Staatsanwalt rufen gegen jenen Hochverräther, der
sich die Gestaltung der verbündeten Staaten von Oesterreich und Ungarn nach einem anderen Schnitte denkt...“
Dies könnte zwei Jahre später - s. dazu sogleich - tatsächlich auch auf Grund dieser Friedjungschen Schrift
eingetreten sein; von Srbik Friedjung, 537 bejaht dies. Bereits in ihr - vgl. Ausgleich, 28 f. - regte Friedjung die
Gründung einer neuen, deutschnationalen Partei an.
17

deutschnationale Aussage Georg von Schönerers rechtfertigte und gegen die


daraufhin Anzeige erstattet wurde, welche jedoch nicht weiterverfolgt wurde. 55 1879
dann wurde Friedjung auf Grund von Aussagen einiger seiner Schüler durch einen
Kollegen wegen angeblicher unpatriotischer Äußerungen denunziert. 56 Unter Hinweis
auf die Rede von 1877 und diese vermeintlichen Äußerungen verlangte Karl von
Stremayr, der Minister für Kultus und Unterricht im neuen, auf den „Eisernen Ring“
der Bauern, Slawen und Klerikalen gestützten konservativ-föderalistischen Kabinett
Graf Taaffe, vom Verwaltungsrat der Handelsakademie die Entlassung Friedjungs.
Da er dies mit der Androhung verbunden hatte, der Handelsakademie im Falle von
deren Weigerung das Recht der Öffentlichkeit - und damit die Befugnis zur
Ausstellung vom Staat anerkannter Zeugnisse - zu entziehen, entließ sie ihn Ende
1879 dann tatsächlich.57 Friedjung nahm dies jedoch nicht hin: Er ging publizistisch
dagegen vor und forderte ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, jedoch
vergeblich.58

Damit sah er sich vor die Notwendigkeit gestellt, nach einem neuen Lebensunterhalt
zu suchen. Allerdings brachte ihm seine Entlassung auch den Ruf eines
deutschnationalen Helden und Märtyrers ein. 59 Nun wurde er im „Kampf um des
Lebens Notdurft“ und auf Grund „ausgesprochene[r] Veranlagung“ Journalist bei der
den Liberalen nahestehenden „Deutschen Zeitung“ in Wien, die er dann aber -
vermutlich 1883 - „in Folge der Ramucski-Affäre und des bekannten Prozesses der
Deutschen Zeitung“ verließ.60

Im Januar 1880 hatte Friedjung gemeinsam mit von Schönerer den - später in
„Deutscher Klub“ umbenannten, vom noch zu erwähnenden „Deutschen Club“ zu
55
Vgl. Zailer Friedjung, 30-32.
56
Vgl. Bettelheim Friedjung, 36; von Srbik Friedjung, 537.
57
Vgl. zu allem v. a. Zailer Friedjung, 32-34 und Dechel Programm, Teil 1, 214-216; auch Adlgasser/Friedrich
Einleitung, 7, Fn. 2 (mit Hinweisen auf Quellen in Friedjungs Nachlass im Haus-, Hof- und Staatarchiv zu
Wien); Bettelheim Friedjung, 36; von Srbik Friedjung, 537.
58
Zu seinem in der Deutschen Zeitung (Wien) vom 18. 12. 1879 (Abendausgabe) erschienenen, gegen seine
Entlassung gerichteten Artikel „Zur Unabhängigkeit des Lehrerstandes“ s. Bettelheim Friedjung, 29. Zu
Friedjungs vergeblicher Forderung nach einem Disziplinargerichtsverfahren gegen sich selbst s. Zailer
Friedjung, 35; Bettelheim Friedjung, 36.
59
Vgl. Ritter Historians, 48.
60
Zu den ersten beiden Zitaten vgl. Redlich Nekrolog, 226 f.. Zum dritten Zitat und den Fakten vgl. den bei
Adlgasser/Friedrich Einleitung, 9 zitierten eigenhändigen Lebenslauf Friedjungs (s. ebd., Fn. 11: f. Wiener
Stadt- und Landesbibliothek, Inventarnummer 156.770). Was es mit der von Friedjung erwähnten Affäre bzw.
dem von ihm angesprochenen Prozess auf sich hatte, konnte unter vernünftigem Zeitaufwand nicht festgestellt
werden. Zur Nähe der „Deutschen Zeitung“ zu den Liberalen: F. Fellner Friedjung, 639 - s. ferner ebd.: Bereits
vor seiner Entlassung aus dem Lehreramt habe Friedjung gelegentlich an der „Deutschen Zeitung“ mitgearbeitet.
18

unterscheidenden - „Deutschen Leseverein“ gegründet. 61 Im Mai 1880 war dann ihre


gemeinsame Gründung des „Deutschen Schulvereins“ gefolgt, der unter anderem
zur Förderung der deutschen Sprache in den Schulen Österreichs und zur
Zurückdrängung der slawischen Sprachen konzipiert war und besonders viele
Mitglieder anzog.62

1882 rief Friedjung ebenfalls mit von Schönerer sowie anderen Männern seiner
Generation in Abgrenzung vom herkömmlichen, von Honoratioren geprägten
deutsch-österreichischen Liberalismus den auf Massenwirksamkeit ausgerichteten
„Deutschnationalen Verein“ ins Leben; Mitglieder dieser kleinen Gruppe waren auch
Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer, Otto Steinwender, Robert Pattai und Karl
Lueger, deren spätere Wirksamkeit noch darzustellen sein wird. 63 Gemäß Heinrich
Ritter von Srbik fühlte sich Friedjung „angewidert von der Mattheit, dem
Doktrinarismus und den materiellen Interessen in der liberalen Verfassungspartei“ -
nur zogen er und seine Mitstreiter daraus ganz andere Konsequenzen als viele der
ähnlich fühlenden Vertreter der sog. Wiener Moderne, indem jene - zunächst noch
innerparteiliche - politische Opposition betrieben und sich nicht wie diese aus der
Politik zurückzogen.64

Bereits am 14. November 1880 hatte Friedjung auf dem 4. Deutschösterreichischen


Parteitag der liberalen „Verfassungspartei“ ein Programm für deren Umwandlung in
eine deutschnationale und sozialpolitisch engagierte „Deutsche Volkspartei“
vorgelegt, das allgemein so genannte Friedjung-Programm. 65 Sein Plan scheiterte

61
Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 233 f. Der „Deutsche Klub“ bestand lediglich bis 1882.
62
Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 232; Moser Emanzipation, 83 f.; Zailer Friedjung, 37 f. Zum „Deutschen
Schulverein“ vgl. eingehend Judson Race, 89-91, insb. 89: Er sei die erfolgreichste der vielen deutschnationalen
Schutzorganisationen gewesen. „It succeeded in mobilizing a larger and more diverse group of activists ... than
any traditional Liberal clubs had in all of Central Europe. A year after its founding ... 39,000 dues-paying
members. Five years later its membership stood at 107,000 people organized in 986 local branches ..., including
83 women’s groups.“ - vgl. ferner ebd. 93 f. Zum weiteren Schicksal dieses Vereins vgl. Mommsen
Sozialdemokratie, 108: Von Schönerer sei es nicht einmal gelungen, diesen ganz auf die Bahn des
Rassenantisemitismus zu bringen. - sowie Judson Race, 93: Von Schönerer habe sich von „this judaized
Association [sic]“ zurückgezogen und die erfolglose „Deutschnationale Schulvereinigung“ gegründet.
63
Zu Friedjungs Mitgründerschaft: von Srbik Friedjung, 538; zum Übrigen: Mommsen Sozialdemokratie, 106.
64
Zitat: von Srbik Friedjung, 537. Zu Hochschullehrern und nationalem Vereinswesen im Deutschen Reich
zwischen 1890 und 1914: vom Bruch Wissenschaft, 67-70, s. auch ebd., 428-432 (Exkurs 3) sowie vom Bruch
Gelehrtenpolitik, 35-37: Gelehrtenpolitik und Agitationsvereine - allerdings 36: Als Vermittlungsmedien eines
genuinen Gelehrtenbeitrages zur Deutungskultur hätten diese Vereine keine besondere Rolle gespielt; vgl. auch
Charle Vordenker, 210 zu Intellektuellen im reichsdeutschen Vereinswesen dieser Zeit.
65
Es ist abgedruckt bei Berchtold Parteiprogramme, 190-192. Vgl. dazu Berchtold, 189 f.; Dechel Programm,
Teil 1, 235-247; Moser Emanzipation, 84 f. Zailer Friedjung, 39-46. Interessant ist Friedjungs Bedenken sieben
Jahre später: „Es ist schon fraglich, ob es sich für eine Partei empfiehlt, ein förmliches Programm zu
entwerfen...“ (Stück, 13).
19

jedoch.66 Immerhin aber dauerte die Diskussion darüber sowohl in der Partei als auch
in der Presse an.67

Zwei Jahre später wirkte Friedjung an der Gestaltung des sog. Linzer Programms
mit, das die Grundlage einer „Deutschen Volkspartei“ - letztlich „Deutschnationale
Partei“ genannt - werden sollte und dessen endgültige Fassung am 1. 9. 1882
veröffentlicht wurde.68 Wie groß sein Anteil daran war, lässt sich zwar nicht mit letzter
Sicherheit klären.69 Durch inhaltlichen und sprachlichen Vergleich vor allem mit dem
„Friedjung-Programm“ können jedoch vor allem für die nationalpolitischen Abschnitte
mit hoher Wahrscheinlichkeit Friedjung und Schönerer als die Verfasser
angenommen werden.70 Die Formulierung der sozialpolitischen Forderungen
hingegen dürfte hauptsächlich Viktor Adler vorgenommen haben. 71 Einzelheiten des
„Friedjung-“ und des „Linzer Programms“ werden unter E. I. 1. a. zu würdigen sein. 72

Nicht lange nach Entstehung des „Linzer Programms“ verließ Friedjung den Kreis um
von Schönerer wegen dessen immer stärkerer Hinwendung zum Antisemitismus und
zur Feindschaft gegenüber dem k. u. k. Staat. 73 Nach seinem Ausscheiden aus der
66
Vgl. dazu Berchtold Parteiprogramme, 190: Der Vorsitzende des Parteitages, Sturm, habe sich gegen das
Programm ausgesprochen, da es eine Kundgebung gegen die Regierungspolitik sei und „außerdem ein
Parteiprogramm nicht auf einer Volksversammlung [Vollversammlung?] beraten werden könne.“ Es sei dann
einem Komitee zur Beratung zugewiesen, dort aber nicht weiterbehandelt worden.
67
Vgl. F. Fellner Friedjung, 639.
68
Es findet sich bei Berchtold Parteiprogramme, 199-203; dazu: ebd. 198; Dechel Programm, passim; Zailer
Friedjung, 49-56. Es ist nicht zu verwechseln mit dem „Linzer Programm“ der Sozialdemokraten von 1926. Vgl.
ferner Dechel Programm, Teil 1, 234: Aus den Mitgliedern des nur bis zum Sommer 1882 bestehenden
„Deutschen Klubs“ [nicht zu verwechseln mit dem schon erwähnten „Deutschen Club“] - des umbenannten, im
Januar 1880 gegründeten Deutschen Lesevereins (vgl. ebd., 233 f.) - sei jener Ausschuss von fünfzehn Männern
gebildet worden, der die Gründung einer „Deutschen Volkspartei“ habe vorbereiten sollen und sich mit der
Ausarbeitung eines Programms befasst habe; Berchtold Parteiprogramme, 198: Dem Beratungsausschuss hätten
neben Schönerer Pernerstorfer, Friedjung, Viktor Adler, Sylvester, Steinwender, Langgaßner u. a. angehört, als
Berichterstatter habe Pernerstorfer fungiert; die schriftliche Fassung habe Langgaßner besorgt.
69
Vgl. auch Dechel Programm, Teil 2, 385.
70
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 198 sowie eingehend Dechel Programm, Teil 2, 383-397. Vgl. auch Stolz
Männer, 55.
71
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 198; Dechel Programm, Teil 2, 389.
72
Wobei bei Zitaten aus dem Programm stets die Unsicherheit der Urheberschaft der konkreten Passage bedacht
werden sollte. Immerhin aber macht sich jeder Verfasser eines Gemeinschaftswerkes dieses nach außen hin in
allen seinen Teilen zu eigen, so dass die Zitate legitim erscheinen. Zum Bedenken vom Bruchs Wissenschaft,
359 über die (Un-)Vereinbarkeit von Gelehrtenpolitik und Eingliederung in den parteipolitischen
Willensbildungsprozess vgl. unten, E. I.
73
Vgl. Kann Artikel, 451; ferner Dechel Programm, Teil 1, 248-251; Eder Friedjung, 32-92 (Schönerers Weg
zum Rassenantisemitismus), insb. 33-40 (Adlers Trennung von Schönerer), 40-48 (Pernerstorfers Trennung von
Schönerer), 48-92 (Friedjungs Trennung von Schönerer); Moser Emanzipation, 85, unter Angabe des Mais 1881
als Austrittsdatums - was angesichts der Zusammenarbeit der beiden an der Gestaltung des „Linzer Programms“
offenbar noch im Sommer 1882 (vgl. oben, Fn. 68 [Dechel]) - unzutreffend erscheint. Vgl. noch Whiteside Ger-
mans, 186: “...while on his [von Schönerers] part, he seems to have particularly respected Adler and Friedjung as
good Germans.” [auch noch nach seiner Radikalisierung?] sowie von Schönerer gegen oder für [?] Friedjung
über diesen in „Unverfälschte deutsche Worte“ Nr. 20, 1885: „Musterjournalist und Ausnahmsjude“ (s. Stolz
20

Redaktion der „Deutschen Zeitung“ gründete er 1883 in Wien die „Deutsche


Wochenschrift. Organ für die gemeinsamen nationalen Interessen Oesterreichs und
Deutschlands“.74 Ein weiterer Schwerpunkt neben denjenigen, der bereits im
Untertitel des Blattes zum Ausdruck kam, war die Sozialpolitik. 75 Nicht selten wurden
einzelne ihrer Artikel von der Zensur verboten.76

Das politische Hauptanliegen, das Friedjung mit der „Deutschen Wochenschrift“


verfolgt hat, dürfte die Gründung eines „Deutschen Clubs“ - d. h. einer
deutschnationalen Fraktion im Abgeordnetenhaus des cisleithanischen Reichsrats -
gewesen sein, so dass nach dessen tatsächlicher Entstehung Anfang 1885 das Blatt
offenbar zunehmend an Bedeutung verlor.77 Jedenfalls bemühte sich Friedjung
gleichzeitig darum, dem Club eine Tageszeitung zu verschaffen, welche daraufhin in
dessen offizielles Organ umgewandelt werden sollte. Dies gelang auch, als nach
einer entsprechenden Spendenkampagne die Wiener „Deutsche Zeitung“ erworben
wurde, zu deren Chefredakteur Friedjung im Sommer 1886 bestellt wurde. 78 Um
diese Zeit wurde dann auch seine „Deutsche Wochenschrift“, an deren inhaltlicher
Gestaltung er seit seinem Wechsel offenbar nicht mehr mitwirkte, ein Parteiorgan des
„Deutschen Clubs“, von Friedjung aber bereits im November 1886 an einen
Privatmann verkauft und „nach einem unschönen Rechtsstreit, den Friedjung in
einem Flugblatt öffentlich darlegte, im Juli 1888 eingestellt“. 79

Männer, 67).
74
Zu Friedjung und der „Deutschen Wochenschrift“: Dechel Programm, Teil 1, 252-258; F. Fellner Friedjung,
640 f.; Moser Emanzipation, 89-91; Zailer Friedjung, 57-69. Vgl. noch Friedjung Stück, 8, wo er den
Journalismus als die „anstrengendste aller Berufsarten“ bezeichnet.
75
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 109; Ritter Liberalism, 246 f.; Stolz Männer, 61.
76
Vgl. die jeweils auf Seite 1 zu findenden Abdrucke entsprechender Entscheidungen des „k. k. Landesgericht[s]
Wien als Preßgericht[s]“ in der Deutschen Wochenschrift Jg. 2 Nr. 30 vom 27. Juli 1884; Nr. 33 vom 17. August
1884; Nr. 46 vom16. November 1884; Nr. 50 vom 14. Dezember 1884 und Jg. 3 Nr. 2 vom 11. Januar 1885.
Begründet wurden diese Verbote mit strafgesetzlichen Bestimmungen, welche „die öffentliche Ruhe und
Ordnung“ schützen sollten. Dabei handelte es sich teils um vom Gericht als „Schmähungen“ und/oder
„Verspottungen“ bezeichnete Kritik der Zeitung an Regierung, Verwaltung bzw. Reichsrat, teils um von jenem
„Feindseligkeiten“ genannte Anwürfe gegen „eine Classe und einen Stand der bürgerlichen Gesellschaft (den
Clerus)“ bzw. eine „Nationalität (die Polen)“.
77
So Glaubauf Bismarck, 112; s. auch F. Fellner Friedjung, 641. Dies lässt sich schließen aus der Vielzahl von
Artikeln Friedjungs in seiner „Deutschen Wochenschrift“, welche zur Gründung eines solchen „Deutschen
Clubs“ aufrufen - s. z. B. Friedjung, Club Wien, S. 5; Aussichten, S. 1 f.; Club [1884], S. 1 f.; Club [1885], S. 1
f.; „Staatspartei“, 1 f. Zum Motiv der Aufgabe der „Deutschen Wochenschrift“ vgl. aber auch Friedjung Stück,
7: Er habe sein „eigenes Werk, die ‚Deutsche Wochenschrift’, an welchem ich drei arbeits- und mühevolle Jahre
verwendet hatte, der Partei zu Liebe hingegeben.“ Zu Friedjung und dem „Deutschen Club“: Dechel Programm,
Teil 1, 264-275 sowie Moser Emanzipation, 100-102, insb. 100: Friedjung habe bedeutenden Anteil an dessen
Gründung gehabt.
78
Vgl. Moser Emanzipation, 103; auch. Friedjung Stück, 7: Er habe sich nicht um die Stelle beworben.
79
Vgl. Dechel Programm, Teil 1, 268; Moser Emanzipation, 103; Zitat: F. Fellner Friedjung, 643.
21

Der - deutschnationale - „Deutsche Club“ entstand wie sein Gegenspieler, der -


„gouvernementale“ - “Deutsch-österreichische Club“, aus der Spaltung der
altliberalen „Vereinigten Linken“. 80 Er gab sich ein Programm, das im Wesentlichen
die früheren Forderungen Friedjungs und von Schönerers enthielt. 81 Über einen der
Zwecke seiner Unterstützung des Clubs führte Friedjung aus: „Man sollte übrigens
einsehen, daß die Gründung des Deutschen Klubs das einzige Mittel war, um der
fortwährend um sich greifenden Schönererschen Agitation entgegenzutreten.“ 82
Jedoch spaltete sich bereits 1887 unter Otto Steinwender die von Schönerer nahe
stehende „Deutschnationale Vereinigung“ vom „Deutschen Club“ ab und wurde
schließlich die führende deutschnationale Partei in Österreich. 83 Dieser Vorgang
stand in engem Zusammenhang mit Friedjungs Stellung als Chefredakteur der vom
„Deutschen Club“ erworbenen „Deutschen Zeitung“, auf die nun einzugehen ist.

Sein Wirken als Chefredakteur dieses Blattes währte lediglich neun Monate: Im Mai
1887 trat er von diesem Posten zurück und schied im Juli auch aus der Redaktion
aus.84 Die Vorgänge, die zur Aufgabe seines Postens geführt hatten, legte Friedjung
noch im selben Jahr in seiner Rechtfertigungsschrift „Ein Stück Zeitungsgeschichte“
ausführlich dar.85 Er behauptet dort, der Erwerb der Zeitung sei nicht etwa nur durch
das Interesse einer Partei, sondern „in viel höherem Grade durch einen
anerkennenswerthen Drang, bessernd in die Wiener Preßverhältnisse einzugreifen“,
motiviert gewesen.86 Allerdings sei es ein „Grundirrtum“, mit einer Zeitung bei
80
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 108, Fn. 4. Vgl. auch Whiteside Germans, 181: Bereits 1867 hätten die 118
Reichsratsabgeordneten der Liberalen Partei teilweise auf ideologischen, teilweise auf persönlichen und
regionalen Unterschieden basierende rivalisierende “Clubs” gebildet.
81
So Dechel Programm, Teil 1, 267.
82
Friedjung in der Deutschen Wochenschrift 1885 Nr. 39 vom 27. September („Die Bildung des Deutschen
Klubs“), zitiert bei Moser Emanzipation, 102.
83
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 108, Fn. 4; Whiteside Germans, 184 f. Zur Spaltung 1887 eingehend:
Friedjung Stück, 6-19, insb. 11-15. Gemäß Mommsen Sozialdemokratie, 108, Fn. 4 ging aus der 1887 vom
„Deutschen Club“ abgespaltenen „Deutschnationalen Vereinigung“ später die „Deutsche Volkspartei“ hervor,
der dann auch Friedjung angehört habe - dies dürfte allerdings ein Intermezzo zwischen maximal 1888 und 1891
gewesen sein. Über die wechselnden Namen der altliberalen Partei vgl. Ludwig Gumplowicz bei Whiteside Ger-
mans, 179 f.: “The party ... called itself the Left at the very time when it was on the Right. ...When [it] became
disloyal to the constitution ... it called itself the ... (Verfassungstreue). At the time when ... it disintegrated into a
number of factions ... it called itself the ... (Vereinigte Linke). Finally, when it was exposed as the reactionary
guard of capitalism, it called itself ... (Deutsche Fortschrittspartei).”
84
Vgl. F. Fellner Friedjung, 643.
85
Vgl. zu Friedjungs Zeit als Chefredakteur der „Deutschen Zeitung“ ferner: Stolz Männer, 70-76; s. auch F.
Fellner Friedjung, 641-643 - insb. 643: Es sei dort noch eine Reihe anderer jüdischer Schriftsteller als
Redakteure oder freie Mitarbeiter tätig gewesen (Wertheimer, Bettelheim, Auspitz, Mauthner).
86
Vgl. Stück, 4, auch ebd., 7, 12; zur Lage der Wiener Presse in dieser Zeit: ebd., 3: „Ausbeutung der Presse zu
selbstischen Zwecken“, 6: „erniedrigenden Stande der Presse“. Vgl. allerdings auch ebd., 6: „Man wollte, da sich
die Streitsucht im Schoße des deutschen Clubs schon damals der nichtigsten Dinge bemächtigte, etwas Positives
schaffen. Die Zeitung ... werde hoffentlich wie der Schwerstein wirken, der auf die Gründung der neuen Partei
22

Niemandem Anstoß erregen, zwischen den Meinungen hindurch lavieren zu wollen. 87


Ferner versichert er, nur die Grundsätze der Zeitungsleitung seien durch einen
politischen Beirat des Clubs festgelegt worden, im Übrigen aber sei von vornherein
die unerlässliche vollständige Freiheit der Redaktion zugestanden und seien dann
auch alle Eingriffe in ihre Rechte abgewiesen worden; insbesondere sei sie
vollständig unabhängig von unlauteren finanziellen Einflüssen gewesen. 88 Obwohl die
vor dem Kauf anvisierte Auflagenhöhe überschritten wurde und trotz angeblicher
Anerkennung der Öffentlichkeit räumte Friedjung das Scheitern des Vorhabens ein. 89

Einen Grund des frühen Endes seiner Position als Chefredakteur der „Deutschen
Zeitung“ sowie zugleich auch der Spaltung des “Deutschen Clubs“ lässt Friedjung
unter detaillierter Angabe der einzelnen Ereignisse deutlich werden: die
antisemitische Einstellung einiger Mitglieder des „Deutschen Clubs“. 90 In diesem
Zusammenhang merkte er an: „Es ist unstatthaft, sich in Klagen und sentimentalen
Ergüssen über Dinge zu ergehen, die man erlebt und erlitten hat: ich kann auch ruhig
auf diesen Gegenstand eingehen. Was die antisemitische Bewegung
Niederdrückendes für das Ehrgefühl und Hemmendes für den Schaffensdrang eines
Juden besitzt, muß jedweder unter ihnen mit sich selbst abmachen - solche Dinge
verschließt der Mann am besten in seiner Brust.“ 91 Die Feindseligkeiten hätten „auch
das höchste Maß dessen, was anfänglich in Erwägung gezogen werden konnte“,
überschritten.92 Nach dem Erwerb der „Deutschen Zeitung“ durch Privatleute schlug
Friedjung deren Angebot zur Übernahme bzw. Weiterführung der Chefredaktion nach
eigenen Angaben deswegen aus, weil sich diese ein Vetorecht gegen Artikel, die
dem finanziellen und Inserateninteresse des Blattes abträglich hätten sein können,
vorbehalten hätten und dies der „Ehre und Würde der Presse“ zuwider laufe. 93

gelegt sei.“ Zur Tendenz hin zu einer fremdbestimmten Presse als bezahltem Sprachrohr von Interessengruppen
im Wilhelminischen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 276.
87
Vgl. Stück, 17; auch Zeitung, 487 (Solons Vorschrift, jeder athenische Bürger solle bei inneren Parteiungen
bestimmt Stellung beziehen, solle auch für ein „gerade gewachsenes Organ der öffentlichen Meinung“ gelten.).
88
Vgl. Stück, 4.
89
Auflage: Stück, 17, s. auch 8, 16 - Anerkennung der Öffentlichkeit: ebd., 7 - Scheitern: ebd. 3, 21.
90
Allerdings schränkt er ein, der Antisemitismus sei nicht zureichender Grund und Anstoß dafür gewesen und
habe „nur bei einem Häuflein von einem halben Dutzend bestimmend mitgewirkt“ - vgl. Stück, 13. Dies steht
jedoch nicht in Übereinstimmung mit seiner sonstigen Schilderung der Vorgänge - vgl. z. B. ebd., 12: Die
Beratung vom 23. Januar 1887, in der Otto Steinwender den Antrag gestellt hatte, die Missbilligung unter
anderem der Bestellung Friedjungs zum Chefredakteur und der - ablehnenden - Haltung der Deutschen Zeitung
gegenüber dem Antisemitismus auszusprechen, „aber gab ... den Anstoß zum Zerfall des Deutschen Clubs.“.
91
Vgl. Stück, 6-19, Zitat: 6 f., s. insb. 9: Otto Steinwenders Rede am 18. Februar 1887 in Wien nach Vollzug der
Spaltung: „Das erste Bedenken war, daß der Chefredacteur ein Jude war.“
92
Stück, 16.
93
Vgl. Stück, 20, unter dem ironischen Zusatz „Die Annahme desselben wäre, um mit meinen geistreichen
Widersachern zu sprechen, ‚gar zu jüdisch’ gewesen.“.
23

In der Zeit zwischen seinem Ausscheiden aus dem Amt des Chefredakteurs und
demjenigen aus der Redaktion hatte sich Friedjung durch den Abschluss eines
Korrespondentenvertrages mit der Grazer Tagespost abgesichert. 94 Als ständiger
Korrespondent dieser Zeitung und anderer großer Blätter, der „Nationalzeitung“, der
„Münchener Allgemeinen Zeitung“ und der „Vossischen Zeitung“, schlug er sich nun
durch.95 Die politische journalistische Tätigkeit setzte Friedjung bis zu seinem
Lebensende fort.96 Allerdings waren die meisten seiner ab jetzt veröffentlichten
Artikel nunmehr offenbar, „wenn schon nicht im Dienste, so zumindest im Interesse
einer österreichischen Regierungspolitik geschrieben..., auch wenn Friedjung oft
genug sich kritisch mit ihr auseinandersetzte.“ 97 Hiermit deutet sich bereits an, dass
Friedjung sich nach all seiner Agitation gegen die staatstreuen Altliberalen diesen
immer mehr annäherte. Dies kam zum vollen Ausdruck in der folgenden Periode
seiner politischen Arbeit. Gründe dafür dürften vor allem das immer stärkere
Anwachsen des Antisemitismus und der staatsfeindlichen Einstellung in der
deutschnationalen Bewegung, welche er genau deshalb verlassen hatte, und das
den Sturm und Drang seiner früheren Phase mildernde Alter Friedjungs gewesen
sein.98

Bei den Wahlen zum Wiener Gemeinderat im April 1891 wurde Friedjung „mit 1453
[Zensuswahlrecht!] gültigen Stimmen als liberaler Kandidat“ für die Wahlperiode bis
1895 in den zweiten Wahlkörper des ersten Wiener Gemeindebezirkes gewählt. 99 In
diesen vier Jahren gab er dort als „ein sehr eifriges Mitglied“ zahlreiche
Interpellationen ab, brachte wiederholt genau ausgearbeitete Vorschläge ein und
kämpfte unerbittlich scharf gegen Missstände.100 Er zeigte sich gerade hier als -
neuer - Anhänger des „Altliberalismus“ und wurde durch die antisemitischen

94
Vgl. F. Fellner Friedjung, 643.
95
Vgl. Bettelheim Friedjung, 37; F. Fellner Friedjung, 643; von Srbik Friedjung, 537.
96
Vgl. F. Fellner Friedjung, 643, auch 645; Redlich Nekrolog, 227.
97
So zumindest F. Fellner Friedjung, 657 über Friedjungs Texte in der „Münchener Allgemeinen Zeitung“ und
in der „Vossischen Zeitung“.
98
Zu Friedjungs politischem Wandel vgl. Bettelheim Friedjung, 30; Dechel Programm, Teil 1, 252-258; Stieböck
Journalist, 47-49, die ebd., 48 unglücklich formuliert, dieser sei „eben durch die Trennung von Schönerer
bedingt“ gewesen. Vgl. ferner eingehend unten, E. I. 1. a. aa.
99
Protokoll der öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates der k. u. k. Reichshaupt- und Residenzstadt vom 22.
Mai 1891, Nr. 5, zitiert von Zailer Friedjung, 77 - s. auch ebd. (m. Verw. auf Rudolf Kuppe, „Karl Lueger und
seine Zeit“, S. 33): Von den damals neunzehn Gemeindebezirken seien nur im ersten und zweiten Bezirk liberale
Kandidaten gewählt worden, in den übrigen jedoch „die antisemitischen“. S. ferner Adlgasser/Friedrich
Einleitung, 10: Für einen Teil der Wahlperiode habe Friedjung auch dem Wiener Bezirksschulrat angehört.
100
So Zailer Friedjung, 78 mit Hinweis auf die Sitzungsprotokolle.
24

Gemeinderatsmitglieder oft in die Rolle eines Verteidigers der Juden gedrängt. 101
Kurz vor den Ergänzungswahlen zum zweiten Wahlkörper im Frühjahr 1895 stellten
Friedjung und einige weitere liberale Gemeinderäte, die sich zur „Sozialpolitischen
Vereinigung im Wiener Gemeinderat“ zusammen gefunden hatten, offenbar zum
letzten Mal während des Bestehens der Habsburger-Monarchie überhaupt ein
soziales Programm innerhalb der liberalen Partei auf. 102

1895 fand sein parteipolitisches Engagement zugleich mit der Ablösung der liberalen
Leitung der Stadt Wien durch eine christlichsoziale sein Ende. 103 Sein
Hauptaugenmerk richtete er ab jetzt zumindest über längere Phasen auf die
Geschichtsschreibung. Enormen Erfolg brachte ihm sein 1897/8 erschienenes Werk
der „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859-1866“: Es erlebte insgesamt
zehn Auflagen, und allein von den ersten acht bis zum Jahr 1909 wurden mehr als
12.000 Exemplare verkauft. 104 Von Srbik bemerkte dazu: „Noch nie hatte das Werk
eines Österreichers einen so riesenhaften Erfolg geerntet.“ 105 So hatte Friedjung
keine finanziellen Sorgen mehr, und zwar offenbar auch nicht während seiner letzten
eineinhalb Lebensjahre in der durch extreme Inflation geprägten Nachkriegszeit. 106
Friedjungs Art der Geschichtsschreibung als einer „großen Erzählung“, welche auch
der Gegenwart dienen sollte, stellte dabei im späten Habsburger-Reich eine

101
Zu seinem „altliberalen“ Kurs dort vgl. Stolz Männer, 62 f.; s. auch Zailer Friedjung, 77. Zur Friedjung dort
aufgedrängten Rolle eines Verteidigers der Juden vgl. Ritter Historians, 54, Fn. 37.
102
Vgl. Holleis Partei, 23 mit Hinweis in Fn. 1 auf einen Artikel in der „Neuen Freien Presse“ vom 4. Januar
1895 (Morgenblatt), S. 5.
103
Lindström Empire, 81 betrachtet „the problem of anti-Semitism in the German-Liberal camp and Friedjung’s
Jewish identity [diese ist fraglich, vgl. unten, E. I. 1. a. aa.]“ teilweise als ein Pseudo-Problem, da die
Desintegration der Deutschliberalen so vollständig gewesen sei, dass selbst ihr alter Führer, Ernst von Plener,
gegen 1900 gänzlich isoliert gewesen sei und keine [Partei-]Politik mehr habe betreiben können. Das mag
zutreffen, jedoch muss auch im Auge behalten werden, dass Friedjung ohne eine jüdische Herkunft gar nicht erst
- gegen seinen Willen - aus der deutschnationalen Bewegung gestoßen worden wäre und es so sehr fraglich ist,
ob er dann überhaupt jemals zum Altliberalen geworden wäre. Richtig ist jedoch (auch), dass die Zersplitterung
der zunächst noch mehr oder weniger als „Liberale“ firmierenden Bewegung auch ohne den Antisemitismus
erfolgt wäre. Judson Race, 76-95, insb. 77-79, behauptet, der Aufstieg eines konsequenten Nationalismus unter
den Deutschösterreichern habe keineswegs die Krise des Liberalismus verursacht, dessen Bestehen vielmehr
verlängert; die liberalen Parteien hätten u. a. durch ihre Zusammenarbeit mit der Mehrheit der
Deutschnationalisten substantielle politische Hegemonie über einen weit längeren Zeitraum ausüben können, als
es im Allgemeinen zugestanden werde. - vgl. auch ebd., 95 über die lokale Ebene und das Vereinswesen. Vgl.
schließlich noch Lindström Empire, 11 (Gegen Ende des 19. Jahrhunderts seien österreichische Liberale
vermehrt in den Staatsapparat eingetreten.).
104
Zehn Auflagen: vgl. von Srbik Friedjung, 540 [und mehr offenbar auch bis heute nicht]. Zu den ersten acht
Auflagen und der Stückzahl vgl. Bettelheim Friedjung, 31. Eingehend zu diesem Werk: Bogner
Auseinandersetzungen, 38-135, 227-235. Bereits die erwähnte politische Schrift „Der Ausgleich mit Ungarn“
von 1877, von dem Deutschen Verein in Wien und dem Liberalen Verein in Linz propagiert, war erfolgreich
gewesen: Innerhalb eines halben Jahres hatte sie drei Auflagen erlebt - vgl. Bettelheim Friedjung, 35.
105
von Srbik Friedjung, 540.
106
Vgl. Zailer Friedjung, 5 (allgemein für die „späteren Jahre“).
25

Ausnahme dar; die dortige Historikerzunft betrieb nämlich weithin eine akribische,
antiquarische Historiographie.107 Zudem war er ein Vorreiter dessen, was man heute
„Oral History“ nennt.108

Friedjung erhielt nun auch Anerkennung aus der institutionalisierten Gelehrtenwelt.


So verlieh ihm die Universität Heidelberg 1903 das juristische Ehrendoktorat, und
von der Prager deutschen Universität wurde er, obwohl er nie Privatdozent gewesen
war, zum Professor vorgeschlagen.109 Ferner wurde er 1909 zum
korrespondierenden, 1918 zum wirklichen Mitglied der Wiener Akademie der
Wissenschaften gewählt. 110

1909 hatte sein Ruf als Historiker allerdings durch die sog. Friedjung-Affäre und den
in deren Zusammenhang geführten sog. Friedjung-Prozess gelitten. Auslöser war ein
Artikel Friedjungs in der „Neuen Freien Presse“ vom 25. März 1909 gewesen, in
welchem er in scharfem Ton die „jahrelange unterirdische Wühlarbeit [Serbiens] in
Bosnien und der Herzegowina“ anprangerte, eine „Minierarbeit, von Belgrad
systematisch betriebene geheime Agitation“. Die Herrschaft des habsburgischen
Reiches über Bosnien-Herzegowina sei eine unabwendbare Tatsache, und seit dem
5. Oktober 1908 [dem Tag der Annexionserklärung] sei es sein Eigentum. Es sei
„allerhöchste Zeit“ gewesen, die seinerzeitigen „Anschläge“ durch die
Annexionserklärung zu vereiteln.111 Sie sei auch wegen der Österreich-Ungarn tief
verletzenden Antwort des jungtürkischen Komitees auf eine Note der k. u. k.
Regierung notwendig gewesen.112

107
Vgl. dazu oben, Fn. 49 (Ritter).
108
Vgl. F. Fellner Friedjung, 645-660 - auch kritisch zu Friedjungs Vorgehen dabei: vgl. 647-651, 652-656.
109
Vgl. Bettelheim Friedjung, 28; Redlich Nekrolog, 232. 1902 (Bettelheim Friedjung, 27) oder 1904
(Österreichische Nationalbibliothek Handbuch, Bd. 1, 374, Nr. 2873) wurde ihm zudem der „für höchste
Leistungen in Kunst und Wissenschaft“ gestiftete Müller-Preis für sein Werk „Der Kampf um die Vorherrschaft
in Deutschland 1859-1866“ verliehen.
110
Vgl. Redlich Nekrolog, 232. Über die Akademie der Wissenschaften zu Wien: Czeike Lexikon, 32 f., insb. 32:
Geopolitische Interessen der Monarchie und internationale Zusammenarbeit seien in den Jahrzehnten nach 1857
bestimmend für deren Arbeit geworden. Zudem wurde Friedjung korrespondierendes Mitglied der Bayrischen
Akademie der Wissenschaften - vgl. F. Fellner Friedjung, 658.
111
Oesterreich-Ungarn, 2. Zum scharfen Ton s. z. B. ebd., 3: „Unverfrorenheit“. Ca. 30 Jahre zuvor hatte
Friedjung noch geschrieben, Graf Andrássy habe sich ein großes Verdienst um Österreich und um Europa
erworben, indem er sich der annexionsfreundlichen Partei in Österreich beharrlich widersetzt und dadurch
seinem Land den Frieden bewahrt habe - vgl. Friedjung Ausgleich, 76. Fünf Jahre wiederum hingegen enthielt
das „Linzer Programm“, Punkt 1. 2. (bei Berchtold Parteiprogramme, 199) die Forderung, „daß das Königreich
Dalmatien sowie Bosnien und die Hercegowina endgültig in Ungarn einverleibt werden“.
112
Vgl. Oesterreich-Ungarn, 4.
26

Ihm liege „wortgetreu“ ein Bericht an den serbischen Außenminister über eine der
Agitationsfahrten eines Sektionschefs auf ungarischem Boden vor. Friedjung betonte
zudem: „Sollte ... die serbische Regierung irgend eine dieser Angaben bestreiten, so
würde ihnen mit näheren Einzelheiten gedient und die Namen bestochener
[kroatischer] Abgeordneter wie die Summen genannt werden können.“ Schließlich
rechtfertigte er auch den Beginn eines - zur Zeit der Abfassung des Artikels noch im
Raume stehenden - Krieges durch Österreich-Ungarn: „Wenn es den
österreichischen Waffen beschieden sein sollte, das Verschwörernest in Belgrad
gründlich auszufegen..., so wäre dies eine Kulturtat von hohem Werte...“; eine
Großmacht habe die Pflicht, für die Sicherheit ihrer Grenzen zu sorgen. 113

Die von ihm der Agitation bezichtigten kroatischen und serbischen Abgeordneten
strengten daraufhin einen Ehrenbeleidigungsprozess gegen Friedjung vor dem
Geschworenengericht in Wien an, in dessen Verlauf sich herausstellte, dass viele der
22 von Friedjung zum Beleg seiner Vorwürfe benutzten Dokumente gefälscht waren,
möglicherweise gar alle bis auf ein einziges. 114 Diese Unterlagen waren ihm vom k. k.
Minister des Äußeren, Graf Aloys Lexa von Aehrenthal, zur Verfügung gestellt
worden, bei welchem Friedjung seinerzeit mit dem Ziel ein- und ausging, diesen zu
beeinflussen und ggf. zu unterstützen - und von welchem er wiederum selbst
„instrumentalisiert“ wurde.115 Die Übergabe der Dokumente an Friedjung erfolgte
dabei zu dem Zweck, die Annexion Bosniens und der Herzegowina und die
Notwendigkeit eines österreichischen Einmarsches in Serbien in dem von ihm zu
schreibenden Zeitungsartikel zu rechtfertigen; sie stammten aus der k. k. Botschaft in
Belgrad.116 Es handelte sich bei ihnen um in das Deutsche übersetzte Abschriften

113
Oesterreich-Ungarn, 3. Immerhin verwahrte sich Friedjung ebd., 4 gegen die „tendenziösen Ausfälle auf die
serbische Nationalität als solche“.
114
Vgl. Graf Friedjung, 38 bis 59 sowie 59-137, insb. 99, Fn. 155: „Dieses Dokument (Nr. XX von XXII - vgl.
90 f.) erscheint als das einzige unzweifelhaft echte...“; Seton-Watson Trial, 209-287; Zailer Friedjung, 91-111.
Vgl. auch das im Selbstverlag 1909 erschienene Werk Friedjung Aktenstücke, passim, in welchem Friedjung die
dem Gericht vorgelegten Dokumente aufführt.
115
Zur im Deutschen Reich üblichen Instrumentalisierung von Hochschullehrern durch den Staat zu dessen
außenpolitischen Zwecken s. Charle Vordenker, 211. Vgl. auch vom Bruch Professoren, 23 über die dortige
Situation um 1900: „...in den sog. nationalen Fragen, insbesondere bei den Weichenstellungen imperialistischer
und Weltpolitik bediente man sich mit Erfolg professoraler Argumentationskunst und Reputation, doch als
eigentliche Vordenker und Gestalter traten Professoren kaum in Erscheinung.“ Allerdings wurde Friedjung
spätestens 1915 tatsächlich zum Vordenker in Sachen Imperialismus - dazu sogleich, insb. Fn. 150.
116
Vgl. Graf 144-151 (über die Herkunft der Falsifikate), 152-158 (über die Fehler des k. u. k.
Außenministeriums und Friedjungs).
27

sowie um wenige Photographien der in serbischer und kroatischer Sprache - deren


Friedjung nicht mächtig war - verfassten Vorlagen. 117

Auch neben dem Artikel in der „Neuen Freien Presse“ unternahm Friedjung während
der Annexionskrise - letztlich erfolglose - Versuche der Einflussnahme, darunter
denjenigen, die jüdische Gemeinde Salonikis für eine Aktion zur Beendigung des
Boykotts österreichischer und ungarischer Waren im türkischen Reich zu gewinnen,
und denjenigen, zur Beseitigung des britischen Informationsmonopols ein
österreichisches Orientkomitee zu gründen. 118

Den Prozess nutzte Friedjung zu weiteren Angriffen auf Serbien, zur Zuschreibung
der Hauptschuld an der „Affäre“ an die k. k. Regierung und zur Darstellung seiner
„bona fides“/bonae fidei.119 Er endete schließlich mit einem Vergleich: Friedjung
erkannte die Unechtheit derjenigen Dokumente an, welche sich auf einen einzelnen
Abgeordneten mit einem „Alibi“ bezogen, und verpflichtete sich, auch die übrigen
Dokumente nicht mehr „in Anspruch“ zu nehmen, während die Abgeordneten
Friedjungs guten Glauben anerkannten und die Klage zurückzogen. 120 Die
gerichtliche Auseinandersetzung erlebte eine große Resonanz in der Presse des In-
und Auslandes.121 Das Außenministerium sah sich gezwungen, in einem Erlass an
die Gesandten in zahlreichen wichtigen Städten vom Januar 1910 seine Ansicht über
den Prozess zu erläutern, um den „vehementen Angriffen gegen die k.u.k.
Regierung“ entgegentreten zu können.122

117
Vgl. Holy Friedjungprozess, 8. Zur Vorgeschichte des Prozesses: Graf Friedjung, 20-25 (über die politische
Lage in Serbien), 26-38 (über die Lage in den Südslawenländern der Monarchie), 38-59 (über die Ursache des
Prozesses), Holy Friedjungprozess, 4-6 (über die politische Lage), insb. 5: 1908 sei der türkische Sultan Abdul
Hamid II. durch eine Gruppe junger Offiziere gestürzt und daraufhin ein Parlament gewählt worden. Daraus
habe sich für Österreich-Ungarn „ergeben, dass es kein Land verwalten konnte, dessen Abgeordnete nach
Konstantinopel zuständig waren.“; ebd., 7-9 (über die Entstehung des Prozesses); Seton-Watson Annexation,
200-297.
118
Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 11.
119
Vgl. Holy Friedjungprozess, 121 sowie Stieböck Journalist, 75 (Aehrenthal habe in einer Unterredung mit
Josef Redlich im Januar 1910 geäußert, Friedjung habe die Taktlosigkeit begangen, den ganzen Prozess mit
Fingerzeig auf den Ballhausplatz zu führen.) Vgl. ferner Holy Friedjungprozess, 98-102 (über die auf den
Prozess bezogene Privatkorrespondenz Friedjungs), 103-118 (über Friedjungs Nachlass im Hinblick auf den
Prozess), insb. 110-113 (über Friedjungs Rückblick auf seinen Prozess).
120
Vgl. Stieböck Journalist, 74. Scharfe Kritik an der seiner Auffassung nach die Kläger unangemessen
behandelnden Prozessleitung übt Seton-Watson, Trial 240-245, der die Verhandlung im Gerichtssaal mitverfolgt
hatte.
121
Vgl. Graf Friedjung, 138-144; Stieböck Journalist, 74.
122
Vgl. Stieböck Journalist, 74.
28

Zwar litt Friedjungs Reputation als Historiker unter seiner naiven, grob fahrlässigen
Fehleinschätzung der Echtheit der von ihm verwendeten Dokumente; jedoch
verschaffte ihm der Prozess, in welchem er nicht ungeschickt agierte, auch einen
weiteren großen Popularitätsschub unter den Deutschösterreichern. 123 Er selbst hat
aus seinem Irrtum keinen Hehl gemacht, so z. B. als er dem jungen Schriftsteller
Wilhelm Alter Anfang 1913 vorwarf, vermutlich gefälschtem Material für ein von ihm
angekündigtes Werk über den preußisch-österreichischen Krieg von 1866
aufgesessen zu sein, und dabei sowohl Alter gegenüber als auch in der
„Österreichische Rundschau“ auf seinen eigenen Fehler hinwies. 124 Jedoch hätte es
Friedjung auch im Falle von Alter offenbar vollauf genügt, wenn dieser seine „bona
fides“ hätte nachweisen können.125

Der durch Friedjungs Schweigen über die grobe Fahrlässigkeit seines Verhaltens
hervorgerufene Eindruck, für ihn habe es sich dabei um einen lässlichen Fehler
gehandelt, brachte dann Karl Kraus, der bis dahin stets positiv über Friedjung
geschrieben hatte, dazu, in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ wiederholt und über Jahre
hinaus ätzende Kritik an Friedjung zu üben, ihn als den Prototyp des über eigene
Fehler nur Achsel zuckenden Österreichers darzustellen. 126 Und Fredrik Lindström
urteilt: “Despite the catastrophic results, Friedjung did not draw the expected lesson
from this experience; after these events, he only fused his historical scholarship
closer with his political engagement.” 127

Im Ersten Weltkrieg agitierte Friedjung für die von ihm angestrebten „Kriegsziele“.
Der Höhepunkt dieser Wirksamkeit war das von ihm mitverfasste, einflussreichste
und „vielleicht konkreteste“ österreichische Programm für ein „Mitteleuropa“, die
„Denkschrift aus Deutsch-Österreich“, welche ab Juli 1915 auch auf Grund der
strengen Zensur „vertraulich“ an Staatsmänner, Militärs, Parteifunktionäre,
Wirtschaftsleute, Professoren und Publizisten in Österreich und dem Deutschen

123
Vgl. Eder Friedjung, 124. Holy Friedjungprozess, 122 meint darüber hinaus sogar, Friedjungs Ruf als
Wissenschaftler habe „keine Delle“ erhalten und sein Ruf als Ehrenmann sei bestehen geblieben - vgl.
demgegenüber Bachmann Friedjung, 208. Zur Naivität Friedjungs vgl. Holy Friedjungprozess, 111: Die Echtheit
der Unterlagen habe Friedjung aus der Tatsache ersehen, dass das Außenministerium keine Zweifel gehegt hatte
(mit Hinweis auf Friedjung Nachlass „Aufzeichnungen“, 7.).
124
Vgl. Alter, 8 sowie 37 (Nachdruck des Artikels in der „Österreichischen Rundschau“).
125
Vgl. Alter, 11 (Brief Friedjungs an Alter vom 4. Januar 1913), 39.
126
Vgl. Lind Satiriker, 388-395
127
Vgl. Lindström Empire, 75 (Unmittelbar folgend erwähnt Lindström Friedjungs "Das Zeitalter des
Imperialismus 1884-1914“.).
29

Reich verteilt wurde.128 Sie ist durch einen für die damalige militärische und
außenpolitische Situation Österreich-Ungarns „geradezu unglaublichen Optimismus
und von imperialistischen Überzeugungen“ geprägt - wobei dieser Optimismus
allerdings zumindest von den meisten deutschösterreichischen Historikern geteilt
wurde, von den bürgerlichen unter ihnen - so wie von Friedjung selbst - bis weit in
das Jahr 1918.129

Sie reiht sich damit ein in die in diesem Jahr stattfindende „seltsame Verdichtung
siegesgewisser und expansionistisch-imperialistischer Kriegszieldiskussionen in der
deutsch-österreichischen intellektuellen Führungsschichte“, gerade auch unter den
Historikern.130 Besonders nach der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn
Ende Mai 1915 war eine neuerliche Woge der Begeisterung aufgebrandet,
verbunden mit Entrüstung über den „Treubruch“. 131 Das Memorandum entspricht der
allgemeinen Taktik „gouvernementaler Gelehrtenpolitik“, durch „bewußt der
Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachte, der mentalen Eigenart hoher
128
Zur Denkschrift s. F. Fellner Denkschriften, 235-239; Glaubauf Bismarck, 236-243; Ramhardter
Geschichtswissenschaft, 76-96; Zailer Friedjung, 113-119. Zu ihrem Einfluss vgl. Kapp Loyalties, 133-135,
insb. 133; zu ihrem konkreten Charakter: Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40; zu ihrer Vollendungszeit (Juli
1915): Denkschrift, III - s. dazu Ramhardter Geschichtswissenschaft, 79: Sie sei im Juli 1915 als Handschrift
privat gedruckt, verteilt und versandt worden. Zu den Adressaten und zum Geheimcharakter vgl. Denkschrift,
III: „Diese gemeinsame Arbeit kann, da die Erörterung des Kriegszieles nicht vor aller Welt vonstatten gehen
darf, vorerst nicht der Öffentlichkeit übergeben werden. Sie wird nach getroffener Auswahl zunächst einzelnen
leitenden Männern und führenden Geistern Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches zur Prüfung
unterbreitet.“ sowie ebd., II: „Diese Ausgabe ist nicht für den Handel bestellt. Sie gelangt nur an einen
bestimmten, engbegrenzten Kreis von Personen. Die Veröffentlichung durch den Buchhandel ist für später
vorgesehen.“ (was nie geschah: vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40, 94; auch Holleis Partei, 102
[Verbot durch die Zensur]) - schließlich noch ebd., Titelblatt, oben rechts: „Vertraulich!“. Zur strengen Zensur
jeder öffentlichen Kriegszieldiskussion in Österreich-Ungarn vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 191. Zu
den tatsächlichen Empfängern vgl. F. Fellner Denkschriften, 236. Zu weiteren österreichischen Denkschriften
über „Mitteleuropa“ im Ersten Weltkrieg s. F. Fellner Denkschriften, 232-235. Über „Mitteleuropa“-Konzepte
in Österreich-Ungarn: Meyer Mitteleuropa, 174-193, davon 182-190 über den Widerstand gegen das Konzept
dort.
129
Zum optimistischen und imperialistischen Charakter der Denkschrift zu Recht: F. Fellner Denkschriften, 237;
vgl. auch Glaubauf Bismarck 242. Zum Optimismus der Denkschrift vgl. zudem Denkschrift, 31 („...ohne
Zweifel siegreich geendigten Krieges...“); weitere optimistische Aussagen Friedjungs über den Ausgang des
laufenden Krieges - sogar noch 1918 - finden sich z. B. in Vorgänge [Mai 1918], 1 („Schon jetzt sind das
Königreich Polen, sind die Petroleumquellen Rumäniens, die Brotversorgung durch die Ukraine gemeinsame
Angelegenheiten Österreich-Ungarns und Deutschlands, die sich vermehren werden, wenn die Ergebnisse des
Krieges eingeheimst sind ... So ... gilt es die Verteidigung einer neugeschaffenen Weltordnung - im Osten muß
von einer solchen gesprochen werden...“); Abkehr [1. Juni 1918], 2. Zum Kriegsoptimismus unter den
deutschösterreichischen Historikern vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 190, 192.
130
Vgl. F. Fellner Denkschriften, 221; vgl. auch ebd., 232: Die ersten beiden Kriegsjahre hätten sowohl im
Deutschen Reich als auch in Österreich-Ungarn eine wahre Flut von Denkschriften, Broschüren und
Flugschriften hervorgebracht, von denen ein großer Teil lediglich in vervielfältigter Form und andere als
Privatdrucke verbreitet worden seien, ein nicht unbeträchtlicher Teil jedoch tatsächlich auf den Buchmarkt
gelangt sei. Zudem weist er ebd., 227 auf die diese Flut begünstigende Ausschaltung des Parlamentes hin. Zur
Einstellung der österreichischen politischen Parteien zum Mitteleuropa-Konzept vgl. Kapp Loyalties, 123-129;
zu derjenigen der Historiker vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40.
131
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 16.
30

Verwaltungsbeamter geschickt angepaßte Gespräche, Denkschriften und Eingaben“


Einfluss nehmen.132

Welche Anteile an der Denkschrift gerade von Friedjung stammen, ist (noch)
schwerer zu entscheiden als im Falle des „Linzer Programms“. So heißt es denn
auch in ihrem Vorwort: „An der Fassung wirkten je nach dem ihnen vertrauten Stoffe
alle Teilnehmer mit, die Endredaktion wurde nachstehenden Männern überlassen:
Dr. Heinrich Friedjung, Dr. Michael Hainisch, Hofrat Dr. Eugen von Philippovich,
Professor an der Wiener Universität [,] und Dr. Hans Uebersberger, Professor an der
Wiener Universität. Der Inhalt der also zustande gekommenen Denkschrift ist
geistiges Eigentum nicht bloß des Redaktionskomitees, und es ließe sich nicht
feststellen, welche Gedanken von jedem einzelnen der Freunde herrühren.“ 133
Jedoch wird Friedjung in der Literatur als die zentrale Figur hinter der Denkschrift
angesehen - und Gleiches taten offenbar auch die Zeitgenossen. 134

Er selbst ließ denn auch den für einflussreich erachteten Adressaten viele Exemplare
persönlich zukommen, manchmal unter Beifügung eines langen Begleitbriefs;
zwischen der Vollendung des Druckes Mitte September 1915 und dem Jahresende
wurden 500 Stück verteilt.135 Wie hoch der Einfluss der Denkschrift genau war, lässt
sich trotz zahlreicher enthusiastischer Antworten an Friedjung nicht genau sagen. 136
Aus der Sicht einiger Autoren trug sie immerhin vermutlich zum Entstehen der
diplomatischen Offensive des Deutschen Reiches über die „Mitteleuropa-Frage“
zwischen September und November 1915 bei, welche in den
Regierungskonferenzen am 10. und 11. November ihren Höhepunkt fand. 137 Um
132
Zitat: vom Bruch Wissenschaft, 330 (über Hans Delbrück, Gustav Schmoller und Adolf von Harnack).
133
Vgl. Denkschrift, III.
134
Literatur: vgl. F. Fellner Denkschriften, 237; Kapp Loyalties, 133; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 40
sowie 78 („Der führende Mann der ganzen Gruppe war ... Friedjung...“). Zeitgenossen: vgl. Ramhardter
Geschichtswissenschaft, 77 f. sowie 93 (Brief Gustav Marchets an Friedjung vom 25. 8. 1915 als Reaktion auf
die Übermittlung mehrerer Exemplare der Denkschrift durch Michael Hainisch: „...Ihnen als dem führenden
Mann der Gruppe...“.).
135
Vgl. Lindström Empire, 78. Vgl. auch Ramhardter Geschichtswissenschaft, 91: Bis zum 22. September seien
bereits 215 Exemplare verteilt worden. Zu den im Juli 1915 „als Handschrift privat gedruckt[en]“, verteilten und
versandten Exemplaren s. oben, Fn. 128 (Ramhardter). F. Fellner Denkschriften, 236 stellt fest, die gedruckte
Auflage habe aus 265 Stück bestanden - das widerspricht der Angabe von Lindström nicht, wenn man die soeben
erwähnten weiteren Drucke berücksichtigt.
136
Vgl. F. Fellner Denkschriften, 236, der zu Recht Ramhardters Geschichtswissenschaft, 87, 92-96
Überbewertung der im Friedjungschen Nachlass befindlichen Dankesbriefe mit ihren zum Teil enthusiastischen
Floskeln moniert.
137
Vgl. Lindström Empire, 79 (dort auch zur Unterstützung Friedjungs durch den reichsdeutschen Botschafter in
Wien, Heinrich von Tschirschky); Ramhardter Geschichtswissenschaft, 89 f. Für Ramhardter waren eine
unmittelbare Folge der Denkschrift die Bedingungen, die das reichsdeutsche Auswärtige Amt der Regierung in
31

diese Zeit war Friedjung auch persönlich in Berlin und führte Gespräche mit
Theobald von Bethmann Hollweg und anderen führenden reichsdeutschen
Staatsmännern.138 Zudem hält Günther Ramhardter die Vermutung für nahe liegend,
dass die im Dezember 1915 der Regierung überreichte, von 855 - d. h. fast allen -
deutschen Hochschullehrern Österreichs unterzeichnete Forderung nach einem
engen und dauernden wirtschaftlichen Zusammenschluss Österreich-Ungarns mit
dem Deutschen Reich von Friedjung und seinem Kreis initiiert oder zumindest durch
die Denkschrift ausgelöst wurde.139

In der Publizistik und im Kreis der deutschnationalen österreichischen Politiker wurde


die Diskussion über die Denkschrift noch durch das Jahr 1916 hindurch geführt,
jedoch schrittweise zurückgedrängt durch Friedrich Naumanns öffentlich zugängliche
Mitteleuropa-Schrift.140 Einige Details der „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“
werden unter E. I. 1. a. zu berücksichtigen sein.141

Später wurde Friedjung Mitglied des in der ersten Hälfte des Jahres 1917
gegründeten Vereins „Mitteleuropäischer Staatenbund“, der Naumanns betont
demokratisches Mitteleuropa-Bild ablehnte und ihm ein deutsch-zentralistisches
Modell entgegenzustellen versuchte.142 Während des Krieges machte er auch eine
Frontreise, um sich von den Kämpfen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. 143
1917 soll er nach einer allerdings vereinzelten Stelle sogar in das Herrenhaus
berufen worden sein.144 Zwei Jahre später erschien dann der erste Band seines
umfassender geplanten Werkes „Das Zeitalter des Imperialismus. 1884-1914“, das
zwar nicht besonders erfolgreich war; über dessen Bedeutung führt Wolfgang J.
Mommsen jedoch aus, jede Betrachtung der älteren Theorien des Imperialismus

Wien für den Fall einer Angliederung Polens an Österreich-Ungarn stellte, vor allem diejenige einer (noch)
engeren Verbindung zwischen den beiden Reichen nach dem Krieg - vgl. ebd., 89 (unter Verweis auf Fritz
Fischer).
138
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 90 f.
139
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 96 i. V. m. 41. Angesichts des Einflusses der „Denkschrift aus
Deutsch-Österreich“ und der Eigeninitiative seiner Verfasser kann insofern die oben, in Fn. 115 zitierte
Feststellung vom Bruchs nicht auch auf jene bezogen werden.
140
Vgl. F. Fellner Denkschriften, 239.
141
Wobei - wie im Falle des “Linzer Programms“ - bei Zitaten aus der Denkschrift stets die Unsicherheit der
Urheberschaft der konkreten Passage in Rechnung gestellt werden sollte. Die bei Fn. 144 zitierte Angabe der
Endredakteure, es habe sich eine erfreuliche Übereinstimmung der Ansichten der Verfasser gezeigt, lässt die
Zitate der Denkschrift (auch) im Zusammenhang mit Friedjung aber legitim erscheinen.
142
Vgl. Glaubauf Bismarck, 240 f.; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 43.
143
Zailer Friedjung, 5 (ohne Angabe eines Datums).
144
Vgl. Ritter Historians, 71, Fn. 99.
32

habe von der klassischen politischen Interpretation des Imperialismus auszugehen,


wie sie sich im späteren 19. Jahrhundert entwickelt habe und dann vor allem durch
Friedjung mittels dieses Werkes in die Forschung eingebracht worden sei. 145

Heinrich Friedjung starb am 14. Juli 1920 in Wien, nachdem sich zusätzlich zu einer
Arteriosklerose und zu Diabetes eine schwere Nierenerkrankung eingestellt hatte. 146

II. Franz Klein


Franz Klein erblickte das Licht der Welt am 24. April 1854 in Wien als Sohn des aus
Galizien stammenden katholischen Gold- und Silberschmiedes und beeideten
Pretiosenschätzmeisters Karl Klein und dessen aus alteingesessener Wiener
Bürgerfamilie stammenden katholischen Gattin, Theresia geb. Ipold. 147 Nicht selten
wird behauptet, Klein sei väterlicherseits von jüdischer Herkunft gewesen. 148 Dies
konnte jedoch trotz eingehender Forschung durch Rainer Sprung und Peter G. Mayr
nicht bestätigt werden.149 Kleins Bindung an Wien blieb zeitlebens stark. 150 Er wuchs
in bescheidenen Verhältnissen auf.151 Nachdem sein „großdeutsch“ eingestellter
Vater bereits 1868 verstorben war, erhielt seine „ebenso kluge als energische,
radikal liberal interessierte“ Mutter nur eine „sehr bescheidene“ Witwenpension. 152

145
Vgl. W. J. Mommsen Imperialismustheorien, 7 [erster Satz des eigentlichen Textes]; von Srbik Friedjung, 543
(Der große Erfolg habe sich nicht eingestellt.) - ferner ebd., sowohl die Pionierstellung des Werkes würdigend
als auch seine einseitig politikgeschichtliche Ausrichtung kritisierend.
146
Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 13; von Srbik Friedjung, 535.
147
Zur Geburt vgl. Benedikt Klein, 9; Sprung/Mayr Klein, 501 (getauft am 30. April 1854 auf den Namen „Franz
Joseph“). Zu den Vorfahren mütterlicherseits: Sprung/Mayr Klein, 502-505; zu den Vorfahren väterlicherseits:
ebd., 505-508; zum Beruf des Vaters: ebd., 513-515; zu den (Halb-)Geschwistern: ebd., 511 f.
148
So Meyer Mitteleuropa, 236 (i. V. m. dem Index, S. 372); Österreichische Nationalbibliothek Handbuch, Bd.
2, 683, Nr. 5197; Tetzlaff Kurzbiographien, 177; s. auch Sprung/Mayr Klein, 516, welche eine parlamentarische
Interpellation der Abgeordneten Schlesinger und Genossen an den Ministerpräsidenten von 1900 erwähnen, in
der von Klein als einem „jüdischen Sectionschef“ gesprochen wird.
149
S. Sprung/Mayr Klein, 516-519. S. ferner Kosch Deutschland, Sp. 2154, der Klein ohne einen Hinweis auf
eine jüdische Abstammung als Katholiken führt (und ihn als „Benediktinerzögling der Schotten in Wien“
bezeichnet); s. noch Klein Saint Germain, 123 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. Juni 1919), wo er von dem
Gerücht berichtet, unter seiner Führung habe sich ein „‚arischer’ Flügel der bürgerl[ich]-demokr[atischen]
Partei“ gebildet.
150
Vgl. Otto Friedlaender bei Sprung/Mayr Klein, 505; Sprung Klein, 15 f.
151
So Mayr Praxiszeit, 282.
152
Zum Todesjahr des Vaters: Sprung Lebensweg, 16; zur Witwenpension: Sprung/Mayr Klein, 515. S. auch
Otto Friedlaender bei Sprung/Mayr Klein, 514, Fn. 99: Klein sei noch als Kind der Mann im Hause geworden
und habe schon als Gymnasiast zu verdienen begonnen; s. ferner Mayr Schulzeit, 45. Zur Einschätzung der
Mutter: Benedikt [ein Freund Kleins] Klein, 9; ferner Sprung/Mayr Klein, 504: In den nachgelassenen
„Biographischen Notizen“ (s. ebd., Fn. 29: verfasst vermutlich von Ottilie Friedlaender) heißt es, sie sei eine
sehr starke Persönlichkeit gewesen, „von einer unabhängigen und vorurteilslosen Gesinnung, welche sich in der
revolutionären Epoche des Jahres 1848 geformt haben mochte.“ Sie habe es geliebt, „mit einer gewissen
Trockenheit und ohne jedes Pathos scharfe und schlagkräftige, sehr oft radikale Aeusserungen [sic] zu tun.“. Zur
„großdeutschen“ Einstellung des Vaters: Sprung Klein, 15.
33

Bis zu deren Tode im Jahre 1905 wohnte der lebenslange Junggeselle Klein mit ihr
zusammen.153 Gemäß Otto Friedlaender war sie „eine freisinnige Achtundvierzigerin,
eine Demokratin, eine stolze und aufrechte Natur von natürlicher Würde, die auch
hochgestellten Personen freimütig begegnete. So war und blieb auch sein Leben
lang Franz Klein... Den Anschauungen von 1848, die er von ihr geerbt hatte, blieb er
treu.“154 Die Fortführung der Tradition von 1848 durch Klein dürfte dabei vor dem
Hintergrund, dass diese bei den österreichischen Deutschen länger nachwirkte als im
Deutschen Reich, nicht allzu ungewöhnlich sein, auch wenn Günter Fellner
konstatiert, das Andenken an die bürgerliche Revolution sei (auch) in Österreich nur
noch unter den Arbeitern hochgehalten worden. 155

Nach dem Besuch von Volksschulen in Wien und Rodaun wurde Klein 1864 Schüler
am Schottengymnasium in Wien.156 Offenbar bereits als Zwölfjähriger empfand er das
Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund als sehr bitter. 157 Am Ende des
Schuljahres 1867/68 musste er das Schottengymnasium wegen „eines Unfuges,
dessen Urheber und Leiter er [gewesen] war“, verlassen und wechselte an das
Akademische Gymnasium (also „umgekehrt“ zu Friedjung). 158 Dort gelangte er in die
sog. Wunderklasse, zu welcher auch der künftige k. k. Ministerpräsident Max Wladimir
(Freiherr) von Beck - in dessen Kabinett Klein dann Justizminister wurde -, der spätere
Finanzminister Robert Meyer und Thomas Masaryk gehörten. 159 Seine schulischen
Leistungen lagen über dem Durchschnitt, sein Abiturzeugnis von 1872 war hingegen

153
Vgl. Benedikt Klein, 9. S. ferner Sprung/Mayr Klein, 504: In den nachgelassenen „Biographischen Notizen“
heißt es, Klein sei in innigster Liebe mit seiner Mutter verbunden, sie sei zudem die Vertraute seiner Pläne und
Arbeiten gewesen. Mit Ottilie Friedlaender, der Gattin seines Jugendfreundes Josef Friedlaender, hatte Klein ein
jahrzehntelanges „Verhältnis“ (was sich u. a. aus Kleins Briefen an sie aus Saint Germain ergibt) -
zurückhaltender ausgedrückt von Böhm Klein, 237; Sprung Klein, 16. Der schon erwähnte Otto Friedlaender war
der Sohn von Josef und Ottilie.
154
S. bei Sprung/Mayr Klein, 504 f. - dort auch: Kleins Mutter sei die stärkste menschliche Bindung in seinem
Leben gewesen; sie habe seinen Geist geformt. Offenbar hat die enge Bindung an die Mutter zusammen mit
derjenigen an seine Heimatstadt eine Übersiedlung an einen anderen Ort verhindert - so Sprung Klein, 15 f. S.
auch Otto Friedlaender bei Sprung/Mayr Klein, 504 f.: „Er war ein Mensch mit starken Wurzeln. Wien und die
Mutter waren sein Schicksal.“ Speziell zur Ablehnung der Berufung an die Universität Leipzig 1904 Otto
Friedlaender bei Sprung Lebensweg 37, Fn. 123: Sie sei vor allem deshalb erfolgt, weil er sich von seiner
neunundsiebzig Jahre alten, leidenden Mutter nicht habe trennen und ihr eine Übersiedlung nicht habe zumuten
wollen.
155
Zur längeren Nachwirkung bei den Deutschen Österreichs als im „Bismarckreich“: Mommsen
Sozialdemokratie, 106. Fellners Einschätzung bei G. Fellner Hartmann, 106.
156
Zu den Volksschulen vgl. Mayr Schulzeit, 41-47, insb. 41-43: Volksschule (Pfarrschulen); Sprung Klein, 10:
Herbst 1859 in Wien, ab Mai 1860 in Rodaun, im folgenden Schuljahr wieder in Wien, diesmal auf einer
Privatschule. Zu den Gymnasien vgl. Mayr Schulzeit, 43-46.
157
S. Schiffer Klein, Sp. 621.
158
Vgl. Mayr Schulzeit, 44 (dort auch zur Art des „Unfuges“).
159
Vgl. Mayr Schulzeit, 45. Zum mutmaßlichen Anteil Becks an der Berufung Kleins zum Justizminister s.
unten, Fn. 199.
34

durchschnittlich, wenn auch „eher am oberen Rande des Klassendurchschnitts“


liegend.160

Ende des Jahres nahm Klein ein Studium der Rechtswissenschaften an der
Universität Wien auf, von dem er später sagte, er habe es nur als „Brotstudium“
gewählt; er sei nicht gerne Jurist geworden. 161 Hier hörte er u. a. bei Lorenz von Stein
und Adolf Exner sowie - über österreichische Geschichte - bei Ottokar Lorenz. 162
Bereits in seinem ersten Studienjahr trat er dem mehrere Hundert Mitglieder
umfassenden, „großdeutsch“ ausgerichteten Leseverein der deutschen Studenten
Wiens bei, dessen Leiter er im Juli 1875 wurde. 163 Und schon im Juni 1873 wurde er
Mitglied der Burschenschaft „Braune Arminia“, der er bis zu ihrer faktischen
Auflösung 1887 angehörte und deren Statuten vorsahen, ihre Mitglieder seien „auf
ein thatkräftiges Wirken für eine freiheitliche Einigung Deutschlands
vorzubereiten“.164 Auch die für Klein später so typische „sozialpolitische Einfühlung“
soll er bereits in seiner „Jugend“ entwickelt haben. 165

Im Juli 1874 bestand er die rechtshistorische Staatsprüfung, worauf der zweiten Teil
des Studiums folgte, in welchem er u. a. Vorlesungen bei Carl Menger
(Finanzwissenschaft), Lorenz von Stein (Nationalökonomie und Verwaltungslehre)
und Ottokar Lorenz (allgemeine Geschichte des 19. Jahrhunderts) und insbesondere
bei dem sozialpolitisch außerordentlich engagierten Anton Menger über
Zivilprozessrecht besuchte, welche ihm für seine spätere Arbeit an der
Zivilprozessreform zahlreiche Anregungen verschaffte. 166 Schon als Student
160
Zu den Gymnasialzeugnissen: Mayr Schulzeit, 48-55, zum Maturitäts-Zeugnis: ebd., 56, zur Einschätzung
beider: ebd., 56 f.
161
Vgl. Mayr Praxiszeit, 265 (Zitat von Engel und Rießer). Zur Geschichte der Rechtswissenschaft an der
Universität Wien von 1884 bis 1984: Ogris Jahre, 43-63, für die Zeit um 1900 insb.: 49-53.
162
Vgl. Mayr Praxiszeit, 266. Zu den von Klein während seines Studiums besuchten Lehrveranstaltungen s. die
Aufstellung bei Sprung Lebensweg, 61 f. (Anhang II).
163
Vgl. Mayr Praxiszeit, 268-270 (insb. 270 [Zitat von Adolf Bachrach]: Klein habe dort „freundschaftliche
Fühlung mit Viktor Adler, mit Pernerstorfer“ aufgenommen). Dieser Leseverein wurde dann behördlich
aufgelöst im Dezember 1878 - vgl. ebd., 269. Später wurde Klein Mitglied des bedeutenden „Juridisch-
politischen Lesevereins“ - vgl. ebd., 270.
164
Vgl. Mayr Praxiszeit, 267 f. Mitglieder waren auch die beiden künftigen Sozialdemokraten Viktor Adler und
Engelbert Pernerstorfer - vgl. ebd. - sowie der spätere Strafrechtler Franz Liszt - vgl. ebd., 268, Fn. 50.
165
Vgl. Adolf Bachrach bei Mayr Praxiszeit, 270.
166
Vgl. Mayr Praxiszeit, 270 f. - s. insb. das Zitat Kleins auf S. 271: „Zwei, drei Hörer, manchmal auch ich
allein...“ (s. Fn. 67: Nachruf auf Anton Menger, Die Zeit [Wien] vom 8. 2. 1906, 1); ferner ebd., Fn. 66 (Kleins
Nachruf ebd.): Menger könne zu den Vorläufern der Prozessreform [Kleins] gezählt werden; s. ferner Mayr
Praxiszeit, 282; Sprung Lebensweg, 23; sowie Böhm Klein, 240: Menger habe Kleins Prozessreform als eine
Verwirklichung seiner eigenen Idee einer legislativpolitischen Jurisprudenz bzw. sozialen Rechtswissenschaft
betrachtet. S. aber auch Hofmeister Klein, 204: Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, vor allem auch zu
Anton Menger, habe Klein versucht, den Schutz des sozial Schwächeren unter Wahrung der freiheitlich-
35

interessierte sich Klein besonders für das zivilgerichtliche Verfahrensrecht und trug
sich womöglich bereits als solcher daran, an der längst überfälligen Reform des
Zivilprozesses mitzuwirken.167 Im Juli 1876 dann absolvierte er die „judizielle“
Staatsprüfung.168 Im Februar 1877 folgte das „österreichische“ Rigorosum, im Juli
das staatswissenschaftliche, welches durch Ministerialerlass vom Februar 1878 als
Ersatz für die nicht abgelegte Staatprüfung anerkannt wurde, sowie im Januar 1878
das gemeinrechtliche Rigorosum sowie die Promotion zum Doktor der Rechte. 169

Daran schloss sich seine Advokaturspraxis an. 170 Im September 1878 wurde Klein
dann Konzipient in einer offenbar angesehenen Kanzlei und blieb dies bis zum
August 1886; in diese Zeit fielen seine Richteramtsprüfung (im Mai und Oktober
1879) und seine Advokatenprüfung (im Januar und November 1883). 171 1885 wurde
er offenbar zum Privatdozenten für österreichisches Zivilprozessrecht an der
Universität Wien berufen.172 Im März 1886 setzte man ihn interimistisch als
Kanzleidirektor (Syndikus) der Universität Wien ein, endgültig dann im August
desselben Jahres. Klein bekleidete diesen Posten bis zum Februar 1891. 173 Er gab
ihm nach eigener Aussage „Möglichkeit, sich durch einen praktischen Beruf weniger
behindert der wissenschaftlichen Arbeit“ zu widmen.174

Und in der Tat entstand am Ende dieser Zeit sein wirkungsmächtigstes literarisches
Werk, die „Betrachtungen über Probleme der Civilproceßreform in Oesterreich“, die
er unter dem Titel „Pro futuro“ zwischen Oktober 1890 und März 1891 zunächst in
den „Juristischen Blättern“ und kurz darauf auch in Buchform veröffentlichte. 175 Kleins

rechtsstaatlichen Grundrechtsordnung zu bewirken.


167
Zum Interesse Kleins am Zivilverfahrensrecht vgl. Sprung Lebensweg, 22 (m. Nw. in Fn. 48); zum Plan einer
Zivilprozessreform bereits als Student vgl. ebd., Fn. 49, unter Verweis auf Blum, JBl 1926, 82, aber auch unter
Angabe der Gegenmeinung von Benedikt Klein, 9 der die Entstehung dieses Plans unter Berufung auf Bachrach,
JW 1926, 1289 in Kleins Zeit als Advokaturskonzipient ansetzt.
168
Vgl. Mayr Praxiszeit, 275. Kleins um diese Zeit zweimal unternommener Versuch, seinen Wehrdienst als
Einjährigfreiwilliger abzuleisten, wurde wegen Untauglichkeit abgelehnt - vgl. Mayr Praxiszeit, 274 f. (Ihm als
„Mittelschulabsolventen“ wäre diese Verkürzung der üblichen Dienstzeit mit obendrein noch anschließendem
Aufstieg zum Reserveoffizier möglich gewesen. Der aktive Regeldienst dauerte hingegen drei Jahre und war
zudem noch verbunden mit einer siebenjährigen Reservistenzeit sowie schließlich einer Zuteilung zur Landwehr
für zwei Jahre - vgl. ebd.).
169
Vgl. Mayr Praxiszeit, 277 f.
170
Vgl. dazu Mayr Praxiszeit, 279 f. - zu bereits zuvor ausgeübten Praxiszeiten s. ebd., 276 f.
171
Vgl. Mayr Praxiszeit, 281.
172
So jedenfalls - vereinzelt - Schima Artikel NDB, 738.
173
Über Kleins Stellung als Kanzleidirektor der Universität eingehend: Mayr Bestellung, 142-157.
174
Klein Lebensskizze, XIV.
175
S. Klein futuro, passim; vgl. ferner Mayr Bestellung, 155; Sprung Lebensweg, 25 f. (Einzelnachweise in Fn.
69: für 1890 und 1891 jeweils neun Fundstellen in den Juristischen Blättern).
36

Reformvorschläge waren geleitet von seiner Sicht des Prozesses als eines sozialen
Übels und des Rechts als einer Wohlfahrtseinrichtung. 176

Zum November 1886 war Klein zudem auf die Lehrkanzel für österreichisches
Zivilprozess- sowie Handels- und Wechselrecht an der k. u. k. Orientalischen
Akademie berufen und im Dezember 1877 zum außerordentlichen Professor dieser
Lehranstalt ernannt worden.177 Der Direktor der Akademie beurteilte seine Tätigkeit
überaus positiv, und im August 1896, nachdem Klein diesen Posten auf Grund zu
hoher Arbeitsbelastung durch seine inzwischen erlangte neue Stellung hatte
aufgeben müssen, erhielt er die „allerhöchste Anerkennung“ dafür durch Kaiser
Franz Joseph.178

Aufgrund seiner erwähnten Vorschläge zur Zivilprozessreform wurde Klein dann im


Februar 1891 zum Ministerialsekretär im Justizministerium ernannt, um hier endlich
die immer wieder gescheiterte Erneuerung des österreichischen Zivilprozessrechts
durchzuführen.179 Die drei Entwürfe für die „Jurisdictionsnorm“ (vorwiegend Regelung
der Zuständigkeit der Zivilgerichte), die „Civilproceßordnung“ und die
„Executionsordnung“ (Zwangsvollstreckungsrecht) verfasste er allein, wobei er
keinerlei andere Angelegenheiten zu behandeln hatte und nicht an Dienstzeiten
gebunden war.180 Bereits am 20. März 1893 konnten sie als Regierungsvorlage im
Abgeordnetenhaus eingebracht werden.181

Die Klein ebenfalls übertragene Vertretung der Vorlagen im Reichsrat und in allen
Ausschüssen nahm er als ausgezeichneter und überzeugender Redner erfolgreich
wahr.182 Dabei gelang es ihm sogar, eigens für seine Entwürfe die Verabschiedung
176
Vgl. Bolla-Kotek, Prozess, 415-417, 419-423; s. auch Klein (Vortrag „Zeit- und Geistesströmungen im
Prozesse“ von 1901) bei Benedikt Klein, 17: Das österreichische Gesetz sei bisher das einzige, das mit vollem
Ernst aus dem Privatrechtsstreit eine Wohlfahrtseinrichtung gemacht habe.
177
Über Kleins Tätigkeit dort eingehend: Sprung/Mayr Lehrtätigkeit, 89-101, insb. 92-101. S. ferner Benedikt
Klein, 11: 1886 sei Klein Mitglied der judiziellen und 1891 der rechtshistorischen Staatsprüfungskommission
geworden.
178
Sprung/Mayr Lehrtätigkeit, 99 f. bzw.101.
179
Vgl. Sprung Lebensweg, 26 - s. auch ebd.: Entwürfe für eine Neuordnung seien zuvor 1858, 1862, 1867,
1870, 1876 und 1881 veröffentlicht worden. Die entsprechenden reichsdeutschen Gesetze waren seit 1874
parlamentarisch beraten worden und am 1. 10. 1879 als „Reichsjustizgesetze“ in Kraft getreten - vgl. Sprung
Lebensweg, 22 f
180
Vgl. Reindl Klein, 80-85, insb. 80; Sprung Lebensweg, 27.
181
Vgl. Sprung Lebensweg, 28. Zudem hatte Klein bis dahin auch „Erläuternde Bemerkungen“ zu den drei
Entwürfen verfasst - vgl. Bolla-Kotek Prozess, 420.
182
Vgl. Reindl Klein, 81; Sprung Lebensweg, 29. Vgl. auch (ohne entsprechendes Selbstlob) Klein
Lebensskizze, XV.
37

eines Beratungsgesetzes zu bewirken, welches ihre Annahme beschleunigte. 183


Daher konnten die Gesetze schon am 1. August 1895 bzw. am 27. Mai 1896
verabschiedet werden.184

Zudem war Klein bereits vor deren Inkrafttreten am 1. 1. 1898, mit dem das
österreichische Zivilverfahrensrecht auf eine „völlig neue Grundlage“ gestellt wurde,
durch Österreich gereist, um unter den Juristen für die neuen Gesetze zu werben. 185
So organisierte er in den bedeutenderen Städten feierliche Inaugurationen, in
welchen die ersten öffentlichen Verhandlungen nach den neuen Gesetzen in
Anwesenheit der örtlichen Honoratioren abgehalten wurden, ordnete im September
1896 „Wochenversammlungen“ der Richter „zur Erleichterung des Studiums der
Verfahrensgesetze“ an, zu welchen auch die Rechtsanwälte und Notare eingeladen
wurden, und setzte „Gerichtsinspektoren“ ein, welche unter Wahrung der bereits
damals anerkannten richterlichen Unabhängigkeit als Ratgeber bei Unklarheiten und
in Zweifelsfällen dienen und damit die Einheitlichkeit der Anwendung der Gesetze
sichern sollten.186 Außerdem hielt Klein an der Universität Wien Vorlesungen über die
ersten Erfahrungen mit der praktischen Anwendung der Gesetze. 187

Nur zwei Monate nach seinem Eintritt in das Justizministerium, im April 1891, wurde
Klein der Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors für Zivilprozessrecht
verliehen, zwei weitere Monate darauf seine venia legendi auf das Gebiet des
römischen Rechtes ausgedehnt. 188 Diese Kombination einer Stelle als Professor an
183
Vgl. Benedikt Klein, 11 (Insbesondere habe es Spezialdebatten untersagt und lediglich die Annahme oder
Ablehnung der Gesetze en bloc zugelassen.). Vgl. auch Reindl Klein, 80.
184
Das „Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in
bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdictionsnorm)“ wurde am 1. August 1895 beschlossen und am 9. August 1895
im „Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder“ (RGBl.) - 111/1895 -
kundgemacht. Das Gleiche gilt für das „Gesetz über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten (Civilproceßordnung)“ (RGBl. 113/1895). Das „Gesetz über das Executions- und
Sicherungsverfahren (Executionsordnung)“ wurde am 27. Mai 1896 beschlossen und am 6. Juni 1896
kundgemacht (RGBl. 79/1896).
185
Vgl. Benedikt Klein, 16 (dort auch: Klein habe 1897 das schwierigste Gebiet, Galizien, bereist, und es sei ihm
gelungen, selbst dort in der ersten Instanz die Unmittelbarkeit des Verfahrens und dessen Schnelligkeit zu
sichern.); Zitat: Mayr Forschungsarbeiten, 109.
186
Vgl. Reindl Klein, 81 f. S. aber auch ebd., 82: Danach hat „eine ganze Reihe“ von Erlässen Kleins durchaus
die richterliche Unabhängigkeit berührt; s. auch ebd., 86 zu weiterer Kritik seitens der Richterschaft. Zur
„Versöhnung“ mit den Rechtsanwälten 1904 vgl. Reindl Klein, 85.
187
S. Sprung Lebensweg, 65 (Anhang III über die Vorlesungstätigkeit an der Universität Wien): „Die praktische
Anwendung der neuen Processgesetze“ (SS 1899) - offenbar [etwas abweichender Titel] dazu Bolla-Kotek
Prozess, 421 -, „Die praktische Anwendung der Exekutionsordnung“ (SS 1902). Zu Kleins - der
wissenschaftlichen Unabhängigkeit widerstreitender - erfolgreichen Einflussnahme auf die Neubesetzung des
Lehrstuhls für zivilgerichtliches Verfahren an der Universität Wien zugunsten eines der von ihm geschaffenen
Gesetze gewogenen Kandidaten vgl. Reindl Klein, 84 f.
188
Vgl. Sprung Lebensweg, 27 f. i. V. m. 26.
38

der Universität Wien mit einem Posten als hoher Beamter war im späteren
Habsburger-Reich nicht selten.189 Im April 1895 wurde ihm in analoger Anwendung
eines die ordentlichen Professoren im Ruhestand betreffenden Gesetzes von 1870 als
erstem außerordentlichen Professor in Österreich die Berechtigung verliehen, an der
Universität Vorlesungen als Honorarprofessor zu halten. 190

Zwischen 1898 und dem Ende seiner Lehrtätigkeit mit Ablauf des Wintersemesters
1917/18 folgten des Öfteren Phasen, in welchen Klein keine Vorlesungen an der
Universität Wien hielt.191 Seine Vorlesungen sollen „stets überfüllt“ gewesen sein. 192
Ferner stand er „an der Spitze“ der „Wiener internationalen Universitätskurse“. 193 Ihn
erreichten zahlreiche, von ihm stets ausgeschlagene Rufe an andere Universitäten, u.
a. nach Leipzig, Innsbruck und Prag.194

Kleins Karriere im Ministerium ging mit einer Geschwindigkeit vor sich, wie sie
äußerst ungewöhnlich war.195 Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass seine
Vorgesetzten ihn unbedingt halten und einen mehrfach im Raume stehenden
189
Vgl. Gall Laufbahnen, 72. Vgl. Stimmer Eliten, 405. Vgl. auch Stimmer Universität, 80: Zwischen
Hochbürokratie, Universität und politischen Entscheidungsträgern habe es eine partei- und ideologieübergreifende
personelle Verschränkung und berufliche Zirkulation gegeben - vgl. aber Höflechner Auswirkungen, 185 (Ab ca.
1900 habe die Verdichtung der Autonomie-Idee zur Verschlechterung der Beziehungen der österreichischen
Universitäten zur ministeriellen Ebene geführt.). Wobei die Reihenfolge der Kleinschen Ernennungen
möglicherweise eher unüblich war. R. Luft Professoren, 300 weist jedenfalls darauf hin, dass die Berufung eines
Professors zum höheren Beamten anders als im Deutschen Reich finanziell wie prestigemäßig einen eindeutigen
Aufstieg bedeutet habe - und das angesichts dessen, dass die herausgehobene Position der Professoren durch die
stark bürokratisch geprägte Herrschaftsstruktur der Monarchie, die dem Wirtschaftsbürgertum geringere politische
Möglichkeiten ließ als im Wilhelminischen Deutschland, ohnehin verstärkt wurde (vgl. ebd., 301). Über die - der
österreichischen ähnliche - Lage in Frankreich sowie zur abweichenden Situation im Deutschen Reich -
symbolische Kluft zwischen freien und beamteten Intellektuellen, Mangel an Übergangsmöglichkeiten zwischen
diesen beiden Lagern - vgl. Charle Vordenker, 210 (vgl. aber unten, Fn. 395 [Döring]).
190
Vgl. Sprung Lebensweg, 30 f. - s. insb. ebd., 30: Der Minister für Cultus und Unterricht, Ritter von Madeyski,
habe in seinem Vortrag die im Gesetz für die Verleihung dieser Befugnis aufgeführten Voraussetzungen bei
Klein für gegeben angesehen: „...allgemeines hohes Ansehen in Fachkreisen, vorzügliche Wirksamkeit im
Lehramte und zu gewärtigender besonderer Nutzen für die betreffende Universität sowie für die weitere
wissenschaftliche Bethätigung des in Frage kommenden Gelehrten.“.
191
Vgl. Sprung Lebensweg, 64-66 (Anhang III): keine Lehrveranstaltungen in den Sommersemestern zwischen
1898 und 1905, in der gesamten Zeit vom SS 1906 bis zum SS 1910, vom SS 1911 bis zum SS 1912, vom SS
1913 bis zum SS 1914 sowie im SS 1915.
192
So der von Sprung Lebensweg, 14, Fn. 4 zitierte Zeitungsartikel „Von der alten Universität“ von R. Scheu,
den Sprung jedoch trotz Recherche keiner bestimmten Zeitung und keinem Datum zuordnen konnte; auch dem
Verfasser dieser Arbeit ist das nicht gelungen.
193
Zitat: Schima Artikel ÖBL, 379.
194
Vgl. Sprung Klein, 12 f., 16.
195
Vgl. Benedikt Klein, 11; Sprung Lebensweg, 29. Im Einzelnen: 1893 Sektionsrat (extra statum), 1894
Ministerialrat (extra statum), 1895 „Titel und Funktion“ eines Sektionschefs, 1896 Wirklicher Sektionschef (ad
personam), 1897 Titel eines Wirklichen Geheimen Rates, nach Edmund Benedikt die höchste im habsburgischen
Österreich erreichbare Würde, 1900 Beförderung von der einem Sektionschef normalerweise zustehenden IV. in
die III. Rangklasse, welche die höchste Stufe der österreichischen Beamten darstellte. Vgl. dazu Benedikt Klein,
11, 20; Reindl Klein 79 (allerdings für die Ernennung zum Sektionsrat 1892 angebend - s. aber den Antrag des
Grafen Schönborn in der folgenden Fußnote); Sprung Lebensweg, 28 f., 32 f.
39

Wechsel Kleins auf ihm angebotene Lehrstühle oder auf einen anderen Posten
verhindern wollten.196 Im Dezember 1902 gründete er zusammen mit Heinrich
Lammasch in Wien die „Allgemeine Anti-Duell-Liga für Österreich“. Auf der
Gründungsversammlung machte er konkrete Vorschläge zu Aufgaben, Organisation,
Zuständigkeit und Verfahren eines zu errichtenden Ehrenrates zur Verhinderung von
Duellen.197

Schließlich wurde Klein zum 1. Januar 1905 als Leiter an die Spitze des
Justizministeriums berufen, wenn auch noch ohne den Titel eines Justizministers zu
führen.198 Diesen erhielt er dann aber, als Freiherr von Beck am 2. Juni 1906
Ministerpräsident wurde.199 Von 1867 bis 1918 waren offenbar 13/14 oder 15/16
Wiener Professoren Minister und drei Ministerpräsidenten, von 1895 bis 1914 jedoch
nur vier Minister, darunter neben Klein Böhm von Bawerk 1895, 1897 bis 1898 und
196
Vgl. den Antrag auf Ernennung Kleins zum Sektionsrat durch Justizminister Graf Schönborn vom 27. 3. 1893
bei Sprung Lebensweg, 28: Es bestehe „ein eminentes Interesse“, diesen „hochbegabten Mann - selbst mit
Opfern - dem Justizdienst zu erhalten.“ Er könne zudem „vermöge seines tiefen Wissens, seiner vielfältigen
Bildung und glänzenden Begabung“ auch in „anderen Agenden vorzüglich Dienste“ leisten. Vgl. auch Sprung
Lebensweg, 29: Um der parlamentarischen Behandlung der Zivilprozeßgesetze [fast] seine ganze Zeit und Kraft
widmen zu können, habe sich Klein vor die Notwendigkeit gestellt gesehen, seine Lehrtätigkeit an der Wiener
Universität einzuschränken. Im Bestreben, eine angemessene Entschädigung zu bieten, habe der Justizminister
dessen Ernennung zum ‚Ministerialrathe extra statum’ angeregt. - und ebd.: Titel und Funktion eines
Ministerialrates taxfrei habe Klein erhalten, obwohl ihm als „rangjüngstem“ Sektionsrat insgesamt fünf Kollegen
im Range vorangegangen seien. Ausschlaggebend hierfür sei sein Vorhaben gewesen, die Lehrkanzel des
römischen Rechtes an der Prager deutschen Universität zu übernehmen. (vgl. ebd., Fn. 89: „HHStA, Kab-
Kanzlei, Vorträge, Nr 4558/1893“); Sprung Lebensweg, 32: Die Beförderung zum Sektionschef 1896 erfolgte
„zur Anerkennung... wie aus Dankbarkeit, daß Klein, dem jederzeit eine materiell ergiebigere Laufbahn
offenstünde, dem Staatsdienst, dem er zur Zierde gereicht, treu zu bleiben vorzieht“ (vgl. ebd., Fn.101: „HHStA,
Kab-Kanzlei, Vorträge, Nr 2461/1896.“); ferner Justizminister Freiherr von Spens-Booden im Antrag auf
Beförderung in die III. Rangklasse bei Sprung Lebensweg, 33; sowie Sprung Lebensweg, 37 über die Bitte der
österreichischen Regierung an die sächsischen Unterrichtsverwaltung, „mit Rücksicht auf die hervorragende
Stellung Kleins im Justizdienste und nicht minder wegen seiner wissenschaftlichen und Lehr-Tätigkeit“ von
einer Berufungsverhandlung mit ihm abzusehen.
197
Vgl. Klein Bericht Organisation, 33-73, insb. 33, wo er es als einen „über alle Zweifel vernünftige[n]
Gedanke[n]“ bezeichnet, „die Genugtuung für eine Verletzung der Ehre statt im unberechenbaren Ausfall eines
Waffenganges im Urteil derer zu suchen, bei denen unsere Ehre ruht, die uns Ehre geben“, vgl. ferner insb. ebd.,
38-48 (Aufgabe des Ehrenrates), 48-56 (Organisation des Ehrenrates) - hier insb. 56 (Es handele sich um eine
„freie, private und durchaus selbständige Einrichtung“.) -, 56-62 (Verhältnis des ehrenrätlichen Verfahrens zur
Tätigkeit der Strafgerichte), 62-67 (Unterwerfung unter den Ehrenrat) - hier insb. 67 (Zuständigkeit nur bei
freiwilliger Unterwerfung der Streitenden) -, 67-73 (Verfahren) - hier insb. 68 (Eine gütliche Beilegung sei
„aufrichtig zu begrüßen“.).
198
Vgl. Benedikt Klein, 20; Sprung Lebensweg, 38. Ein erstes Angebot zur Übernahme der Leitung des
Justizministeriums im November 1897 hatte Klein noch abgelehnt - vgl. Friedjung Geschichte, Bd. 1, 264
(Gespräch mit Gustav Seidler, Professor der Staatsrechnungswissenschaften an der Universität Wien, vom Mai
1899); Sprung Lebensweg, 32; s. auch Friedjung Geschichte, Bd. 1, 234 (Gespräch mit Seidler vom 8. Februar
1898): Klein habe aus „Gesundheitsrücksichten“ abgelehnt - s. aber Benedikt Klein, 20: Klein habe sich nicht
durch einen etwaigen Regierungswechsel aus seiner leitenden Tätigkeit reißen lassen wollen - noch etwas
anders: Klein selbst Lebensskizze, XV; Sprung Lebensweg, 32 f.: Er habe sich ausschließlich der noch
bevorstehenden praktischen Einführung der neuen Prozessgesetze widmen wollen.
199
Vgl. Benedikt Klein, 20. S. auch Sprung Klein, 15 f.: Sein Verweis vom Schotten-Gymnasium sei für Klein
ein Glücksfall gewesen, weil er durch seinen dadurch bedingten Wechsel in das Akademische Gymnasium ein
Klassenkamerad von Beck geworden sei.
40

1900 bis 1904 als Finanzminister. 200 Während seiner Zeit als Minister - welche in die
in Österreich von 1897 bis 1911/4 dauernde Periode der sog. Beamtenkabinette fällt
- legte Klein zahlreiche Gesetzesentwürfe vor, von denen viele auch in Kraft traten. 201
Besonders erwähnenswert ist dabei das Gesetz zum Schutze der Wahl- und
Versammlungsfreiheit zur Absicherung der Wahlreform vom 26. Januar 1907, welche
das allgemeine, gleiche, direkte, freie und geheime Wahlrecht für Männer gebracht
hatte.202

Klein verblieb in dieser Stellung bis zum 15. November 1908, als die Regierung Beck
ihre Gesamtdemission erklärte.203 Im August 1905 war Klein zudem zum Mitglied des
Herrenhauses auf Lebenszeit berufen worden, wo er sich in der Folge, wie die
meisten der aus der Wissenschaft berufenen Persönlichkeiten, der „Mittelpartei“

200
Vgl. Gall Laufbahnen, 72 bzw. Heinrich Lehrkörper, 233-235 (Tabelle) - insb. ebd.: Zwei der drei
Ministerpräsidenten waren demnach zuvor bereits Minister gewesen. Zur Zeit von 1895 bis 1914: Heinrich ebd.;
vgl. noch Stimmer Universität, 75: Zwischen 1879 und 1911 hätten 9% der „Positionsinhaber der Kabinette“ aus
Universitäten gestammt (vgl. auch Stimmer Eliten, 378 und 387: Dabei sei „der Polen- und Tschechenclub“
überrepräsentiert gewesen.). Vgl. auch Knoll Konstruktion, 51: Neue, informell entstandene Eliten seien in
Österreich um 1900 erkennbar und einflussreich geworden, nachdem sie sehr schnell Stil und Schule gebildet und
unverwechselbare Merkmale erhalten hätten; jedoch hätten sie sich erst nach einem langwierigen
Diffundierungsprozess politisch-offiziell artikulieren können „- zu spät, wenn man an die Heranziehung der
Ökonomen in das Regierungskabinett denkt, an Böhm-Bawerk, Wieser und Philippovich oder Lammasch und
Seipel.“.
201
So wurden im März 1906 das Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und im Monat darauf
das Scheckgesetz, beide von Klein entworfen, verabschiedet - vgl. Benedikt Klein, 20; auch Baltzarek Klein, 176.
Das Institut der GmbH führte er damit in Österreich ein - vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 110 -, auch wenn das
GmbH-Gesetz, wie Klein selbst zugab, im Wesentlichen eine Übernahme des deutschen Vorbildes darstellte - vgl.
Hofmeister Klein, 208. Auch das Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz stammte aus seinem Ministerium - vgl. Baltzarek
Klein, 176. Zu den sog. Beamtenkabinetten vgl. Mantl Modernisierung, 98; zudem Lindström Empire, 10. Zu
Beamten in Regierungen und Parlamenten des Wilhelminischen Reiches vgl. vom Bruch Wissenschaft, 202 bzw.
327 f.
202
Vgl. Böhm Klein, 240 f. Zur Wahlreform 1907 vgl. Knauer Parlament, 16; zu den vorausgegangenen
Wahlreformen von 1873 (Einführung der Direktwahl in den Städten) sowie 1882 (Mindeststeuerherabsetzung)
und 1896 (Mindeststeuerherabsetzung; Einführung einer fünften Kurie, der allgemeinen Wählerklasse): ebd., 15
f.
203
Vgl. Benedikt Klein, 20; Sprung Lebensweg, 38 f.
41

anschloss.204 Er wirkte dort unter anderem als Vorsitzender der Zentralstelle für
Wohnungsreform.205

Die Anerkennung von Kleins wissenschaftlichen Arbeiten in der institutionalisierten


Gelehrtenwelt war groß: So wurden ihm allein fünf Ehrendoktorate zuteil. 206 Zudem
wählte ihn die Wiener Akademie der Wissenschaften 1920 zum Ehrenmitglied. 207
Auch von staatlicher Seite wurde Klein für sein vielfältiges Wirken mehrfach
ausgezeichnet. 208
So wurde er an seinem 70. Geburtstag am 24. April 1924 zum
Ehrenbürger von Wien ernannt, hauptsächlich in Anerkennung seiner Leistungen auf
dem Gebieten der Wohnungsreform und der Jugendfürsorge. 209 Die letzte Ehrung zu

204
Vgl. Benedikt Klein, 20; F. Fellner Klein, 184; Heinrich Lehrkörper, 225; Sprung Lebensweg, 38. Zur
Zusammensetzung des Herrenhauses vgl. Knauer Parlament, 14 (1. die großjährigen Prinzen des kaiserlichen
Hauses, 2. die großjährigen Häupter derjenigen durch ausgedehnten Grundbesitz hervorragenden
Adelsgeschlechter, denen der Kaiser die erbliche Reichsratswürde verliehen hatte, 3. alle Erzbischöfe und die
Bischöfe mit fürstlichem Rang für die Dauer ihres Amtes, 4. vom Monarchen wegen ihrer Verdienste um Staat
oder Kirche, Kunst oder Wissenschaft auf Lebensdauer ernannte Mitglieder; seit 1907 habe es 150-170 Mitglieder
umfasst und sei die Unvereinbarkeit der Ausübung von Herrenhaustätigkeit und Abgeordnetenmandat
festgeschrieben gewesen.). In der Zeit seines Bestehens von 1861 bis 1918 waren 44/45 oder 46 Wiener
Professoren Mitglieder des Herrenhauses - vgl. Gall Laufbahnen, 71 bzw. Heinrich Lehrkörper, 208 - auch ebd.:
34 der 46 hätten sich der Verfassungspartei angeschlossen sowie ebd., 224-226 (Tabelle): 7 von ihnen wurden
hiernach zwischen 1861 und 1878/79, 34 von 1879 bis 1912 ernannt; vgl. ferner Stimmer Universität, 76:
Zwischen 1861 und 1918 seien 9% der Mitglieder akademische Lehrer gewesen, 5 % solche an der Universität
Wien, 85 % der Ersteren hätten liberalen Parteien angehört; Weinzierl Universität, 5: Zwischen 1901 und 1907
seien von insgesamt 347 Mitgliedern 31 Professoren gewesen, von denen 18 der Verfassungspartei angehört
hätten. Unter den Wiener Professoren im Herrenhaus haben gemäß Heinrich Lehrkörper, 209, 216 Juristen „die
meiste und weitesttragende Tätigkeit“ entfaltet, während Angehörige der philosophischen Fakultät kaum aktiv
gewesen seien (vgl. ebd., 214). Sie weist zudem darauf hin, dass das Herrenhaus angesichts der Arbeitsunfähigkeit
des Abgeordnetenhauses in den späten Jahren des Habsburger-Reiches für das öffentliche Leben an Bedeutung
gewonnen habe - vgl. ebd., 206.
205
Vgl. Benedikt Klein, 22; auch Baltzarek Klein, 179.
206
Vgl. Sprung Klein, 15. Und zwar der Universität Czernowitz im Dezember 1900 (vgl. Sprung Lebensweg, 33
f.), der Universität Kiel im November 1913 (vgl. Sprung Lebensweg, 39 f., und zwar das der
Staatswissenschaften für „die Erkenntnis der Zusammenhänge von Recht, Staat und Gesellschaft“, „die
Auffassung des Privatrechtes als eines Niederschlages sozialer, zumal wirtschaftlicher Tatsachen“), der
Universität Graz im Mai 1914 (vgl. Sprung Lebensweg, 44), der Universität Bonn im August 1919 (vgl. Sprung
Lebensweg, 49, und zwar der Staatswissenschaften, gewidmet „Dem Rechtsforscher. Dem Sozialpolitiker. Dem
Gesetzesdenker“) sowie der Universität Heidelberg im Dezember 1922 (vgl. Sprung Lebensweg, 49, und zwar
der Staatswissenschaften). 1902 wurde er außerdem zum Mitglied der „American Academy of Political and
Social Science“ in Philadelphia gewählt - vgl. Sprung Lebensweg, 34.
207
Vgl. Schey Nekrolog, 183; Sprung Lebensweg, 49, insb. Fn. 177: Der Wahlvorschlag von Wlassak, Voltelini
et al. vom 10. 5. 1920 habe zur Begründung u. a. ausgeführt: „Bei Lebzeiten Joseph Ungers ist neben diesem
Meister häufig Franz Klein genannt worden, im In- wie im Ausland. Seit dem Tode des Begründers der
österreichischen Zivilistik ist Klein das anerkannte Haupt der Juristengilde unseres Staates. ...ist er durchaus
würdig, auch als Ehrenmitglied der Gesamtakademie an die Stelle Joseph Ungers zu treten.“ Vgl. zudem die
Aufführung der außerordentlich zahlreichen Würdigungen Kleins zu seinem sechzigsten Geburtstag am 24. 4.
1914 in Fachzeitschriften und in der Tagespresse bei Sprung Lebensweg, 42, Fn.148.
208
1904 wurde er Träger des kaiserlich japanischen Ordens vom heiligen Schatze I. Klasse - vgl. Sprung
Lebensweg, 35. Bei seinem Ausscheiden aus dem Justizministerium 1908 wurde ihm das Großkreuz des
Leopoldordens verliehen, die zweithöchste österreichische Auszeichnung - vgl. Benedikt Klein, 25; Sprung
Lebensweg, 39. Im Mai 1916 erhielt er das Großkreuz des Königlich-Schwedischen Nordstern-Ordens - gl.
Sprung Lebensweg, 44 f.
209
Vgl. Benedikt Klein, 28; auch Sprung Lebensweg, 50.
42

seinen Lebzeiten wurde ihm im November 1924 mit der Verleihung des Großen
Goldenen Ehrenzeichens am Bande der Republik Österreich für Verdienste um die
Republik Österreich zuteil.210

Eine zweite, jedoch sehr kurze Amtszeit als Justizminister folgte während des Ersten
Weltkrieges im zweiten Kabinett (Ernest) von Koerber, und zwar vom 31. Oktober bis
zum 20. Dezember 1916, als dieses auf Grund von starken Differenzen zwischen
dem Ministerpräsidenten und dem seit dem Tod Franz Josephs am 21. November
amtierenden Kaiser Karl I. geschlossen zurücktrat. 211 Unter diesem Kabinett erfolgte
ein - von Klein nachdrücklich unterstützter - Trend hin zu einer
„Reparlamentarisierung“ im von der Suspendierung des Abgeordnetenhauses
geprägten Österreich der ersten Kriegsjahre. 212

Auch Klein betätigte sich während des Krieges in Wiener Kreisen von Männern,
welche über die österreichisch-ungarischen „Kriegsziele“ debattierten und Einfluss
auf Politiker, hohe Beamte, Militärs und Wirtschaftsführer zu nehmen versuchten. 213
Im Januar 1917 gehörte er zu den Gründern der Wiener „Waffenbrüderlichen
Vereinigung“, die nicht einem unmittelbar militärischen Zweck diente und nach dem
Krieg in „Großdeutsche Vereinigung“ umbenannt wurde. 214

Nach Zusammenbruch der Donaumonarchie folgte sein einziges - und kurzes -


parteipolitisches Engagement in seinem Leben, welches zwischen
November/Dezember 1918 und Februar 1919 im Rahmen der von ihm
mitbegründeten „Bürgerlich-demokratischen Partei“ stattfand und seine - auf Grund
des Fehlens von lediglich 70 Stimmen erfolglose - Kandidatur bei den Wahlen zur
210
Vgl. Sprung Lebensweg, 50; einen anderen Verleihungstermin nennt Böhm Klein, 238 (ebenfalls an Kleins
70. Geburtstag). Zu weiteren staatlichen Auszeichnungen Kleins s. Sprung Lebensweg, 33, 36, 38 f.
211
Vgl. Benedikt Klein, 25 - s. auch ebd.: Kleins Wiederverwendung habe sich der Kaiser 1908 vorbehalten, und
zwar - s. Sprung Lebensweg, 39, Fn. 138 - unter „Fortbezug des bisherigen Aktivitätsgehaltes ... sowie einer
Zulage“; Sprung Lebensweg, 45, insb. Fn. 157: Diese Ernennung Kleins sei allseits [angesichts der ebd.
angeführten Quellen: in Fachkreisen] mit großer Befriedigung aufgenommen worden.
212
Vgl. Lindström Empire, 6.
213
Zum hohen Stellenwert lockerer elitärer Gesprächszirkel im Rahmen des bürokratisch-konstitutionellen
Regierungssystems (des Deutschen Reichs): vom Bruch Gelehrtenpolitik, 43.
214
Vgl. zu allem Benedikt Klein, 25 sowie die Artikel „Gründende Versammlung der österreichischen
Waffenbrüderlichen Vereinigung. Wien, 29. Januar, in der Neuen Freien Presse Nr. 18836 vom 30. Januar 1917,
7 f., insb. 8 (Ansprache des Ministers a. D. Dr. Franz Klein) und „Die Waffenbrüderliche Vereinigung in Berlin.
Vorträge des Justizministers a. D. Dr. Franz Klein und des Hofrates Dopsch“. Berlin, 24. Februar, in der Neuen
Freien Presse Nr. 18862 vom 25. Februar 1917, 8 f., insb. 9 („...Bewußtsein der altgeschichtlichen Gemeinschaft
und der gegenwärtigen zahllosen materiellen und geistigen Verflechtungen...“). Zur Umbenennung vgl. Meyer
Mitteleuropa, 293; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 195.
43

Nationalversammlung der Republik am 14. Februar 1919 umfasste. 215 Bis zu seinem
Austritt bald nach den Wahlen war Klein Präsident dieser Partei, im besonders auf
ihn zugeschnittenen Wahlkampf zeigte er einen hohen Einsatz. 216 Seit Ende
November/Anfang Dezember 1918 war Klein außerdem Vorsitzender des
Vorbereitungsdienstes für die erwartete Friedenskonferenz mit den Entente-Mächten
beim Staatsamt für Äußeres der Republik Deutsch-Österreich. 217

Und so war er, gerade auch als seit dem 31. März 1919 amtierender Stellvertreter
von Otto Bauer, dem sozialdemokratischen Staatssekretär [= Minister] des
Außenamtes, zunächst auch als Leiter der österreichischen Delegation bei den in
Saint- Germain-en-Laye stattfindenden Friedensverhandlungen vorgesehen
gewesen; er stieß jedoch wegen seiner dezidierten Anschlussfreundlichkeit und unter
Hinweis auf die in vertraulichen Gesprächen angeblich geäußerte Ablehnung Kleins
als Delegationsleiter durch den Chef der französischen Kommission in Wien, Henry
Allizé, „auf den heftigsten, ja feindlichen Widerstand der Christlichsozialen“. 218
215
Zum knappen Scheitern Kleins vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 567, Fn. 18 (m. Nw.) - ebd. auch: Wegen der
lediglich 70 fehlenden Stimmen und wegen des Bekanntwerdens einiger Unzulänglichkeiten beim Auszählen der
Stimmen habe die BDP Einspruch gegen die Ermittlung des Wahlergebnisses im Wahlkreis 2 eingelegt. Eine
Überprüfung habe zwar kleinere Mängel ergeben, doch sei durch diese das Gesamtergebnis in keiner Weise
beeinflusst worden.
216
Zur Präsidentschaft Kleins vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 524. Zu Klein als „Spitzenkandidat“ und seiner
intensiven Wahlwerbung vgl. ebd., 525 (mit Nw. in Fn. 66) (Klein sei im „sichersten“ Bezirk seiner Partei
[richtig wohl: im für seine Partei „sichersten“ Wahlkreis] nominiert worden, und zwar im Wahlkreis 2 [Innen-
West], und habe seine Position als Spitzenkandidat sehr ernst genommen, indem er u. a. jeweils die
grundlegenden Reden bei den Ortsgruppengründungen jener Bezirke gehalten habe, die zu seinem Wahlkreis
gehört hätten. [Anführungszeichen im Original]). Zum Austritt Kleins aus der BDP: Sprung Lebensweg, 47 (Die
schwere Enttäuschung des Wahlausgangs habe Klein dazu veranlasst.); anders Hawlik Parteien, Teil 2, 536 (mit
Nw. in Fn. 95: Toni Stolper) (Der Erfolg ausgerechnet des Fabrikanten Friedmann als des einzigen aller BDP-
Kandidaten habe den Ausschlag für das Ausscheiden des führenden Dreigespanns Stolper, Klein, Wettstein
gegeben, die Friedmann „in der Gesellschaft ansehnlicher Führer“ bis dahin als gewandten Routinier ertragen,
ihn jedoch als einzigen Vertreter der Partei [in der Nationalversammlung] als tödlich empfunden hätten.); noch
etwas anders Morgenbrod Großbürgertum, 202 (Nach der Wahlniederlage seien die liberal-progressiven Kräfte
um Stolper isoliert gewesen und hätten sich schließlich - vermutlich auf Druck Friedmanns - ganz aus der Partei
zurückgezogen.). Zu den Wahlreden Kleins vgl. Benedikt Klein, 26: Die erste Rede habe er am 3. Januar 1919
gehalten, die letzte am 13. Februar. Vgl. schließlich auch Klein Saint Germain, 124 (Brief an Ottilie Friedlaender
vom 5. Juni 1919): Er habe seit Langem schon keine Fühlung mehr mit der BDP.
217
Vgl. F. Fellner Vertrag, 287; über diese existieren kaum Unterlagen - vgl. F. Fellner Klein, 184.
218
Vgl. F. Fellner Klein, 187. Vgl. ebd. dazu, dass bereits Kleins Bestellung zum Stellvertreter Bauers auf
starken Widerstand der Christlichsozialen gestoßen war. Benedikt Klein, 26 berichtet von einem Veto der
Ententestaaten gegen Kleins Berufung zum Delegationsleiter. Dass die Pariser Vorortverträge und die ihnen
voran gegangenen Friedensverhandlungen in einem größeren Ausmaß als je zuvor von der Untersuchung
rechtlicher Aspekte und von dem Bemühen klarer, bis ins Detail reichender juridischer Entscheidung geprägt
waren, betont F. Fellner Klein, 184. Vgl. auch Sprung Lebensweg, 47, Fn. 170 („Unsere Friedensdelegation.
Aus einem Gespräche mit einem Tiroler Politiker“, Die Reichspost vom 7. 5. 1919): „... kein Mann in
Deutschösterreich außer Dr. Bauer so sehr für die Art der Anschlußpolitik, die jetzt zum Schiffbruch verurteilt
wurde, sich exponiert und verantwortlich gemacht hat, wie Dr. Klein. Das ist ein bedenklich schweres
Reisegepäck für einen Mann, der nach St. Germain fährt, wo Anschlußsachen als Konterbande behandelt
werden.“ Zu einem in einer vereinzelten Stelle abgegebenen weiteren Grund für die Ablehnung Kleins als
Delegationsleiter vgl. unten, Fn. 577.
44

Daraufhin wurde am 8. Mai der sozialdemokratische Staatskanzler, Karl Renner, mit


der Leitung betraut und Klein nur als Stellvertreter des Staatssekretärs für Äußeres
sowie als einer der vier Generalkommissäre und als Berater in die Abordnung
berufen, welcher er dann von Mitte Mai bis Anfang August angehörte und die er
während der zweimaligen Abwesenheit Renners stellvertretend leitete. 219

Da er sein gesamtes, lange erspartes Vermögen in Kriegsanleihen gezeichnet hatte


und diese durch die Inflation während des Krieges und der Nachkriegszeit so gut wie
wertlos geworden waren, musste Klein seinen Lebensunterhalt nun im Wesentlichen
durch Rechtsgutachten verdienen.220 Gerade diese Situation machte ihm sehr zu
schaffen, wie aus zahlreichen seiner Briefe hervorgeht. 221 Er war durch den Umbruch
nach dem Krieg überhaupt in seinem Kern erschüttert. 222

Neben der Erstellung der Gutachten warb er, entsprechend seinem spätestens im
Juni 1919 gefassten Entschluss, beständig weiter für die Vereinigung Deutsch-
Österreichs mit dem Deutschen Reich.223 So gründete er zusammen mit dem
reichsdeutschen Justizminister Eugen Schiffer die „Österreichisch-deutsche
Arbeitsgemeinschaft“ zur geistigen Vorbereitung des „Anschlusses“. 224

Klein war Präsident bzw. Obmann der Juristischen Gesellschaft zu Wien, seit 1903
Ehrenmitglied der Berliner Juristischen Gesellschaft sowie Verfasser des Aufrufs zur

219
Vgl. Benedikt Klein, 26 f.; F. Fellner Klein, 187; F. Fellner/Maschl Friedensdelegation, 24. Sprung
Lebensweg, 48, insb. Fn. 172 (Kurrende Otto Bauers vom 31. 3. 1919). Eine Aufstellung der etwa 40 Mitglieder
der österreichischen Friedensdelegation findet sich bei F. Fellner/Maschl Friedensdelegation, 24 f. - unter ihnen
waren immerhin 6 Universitätsprofessoren (inkl. Kleins), davon zwei als Sachverständige, und ein offenbar
nichtuniversitärer Professor.
220
Vgl. Baltzarek Klein, 181; Sprung Klein, 14.
221
Vgl. Saint Germain, 176 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 20.Juni 1919): „Wird man arbeiten müssen, weil
alles andere wie Gehalte, Zinsen usw. aufhören? Und was? Wer wird nach dieser Arbeit Verlangen haben?
Hierin liegt das Fürchterliche für uns. Man kann alles an Veränderungen mitmachen, aber das Verdienstproblem
ist für unseresgleichen die [sic] Sphinx.“ ebd., 221 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. Juli 1919): „Ich sehe
keine Verdienstmöglichkeit. Wer kann meine Arbeit brauchen? ... Unser Haushalt wird das erste Opfer sein.“.
222
Vgl. Saint Germain, 161 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 15. Juni 1919): „Alle Begriffe ... sind zu
Schanden geworden, alle Herrschaftsformen sind im Sterben...“; ebd., 164 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 16.
Juni 1919): „Vieles von dem, was ich für richtig hielt, hat die Probe nicht bestanden... Es ist ein völliges
Umdenken nötig, gegen das sich aber der Charakter sträubt... Meine geistige Grundlage ist ... zerstört...“; 229
(Brief an Ottilie Friedlaender vom 8.Juli 1919), wo er von einem „Umsturz der Logik, der Begriffe, eine[m]
erkenntnistheoretischen Umsturz“ spricht, „der wahrscheinlich ein dauernder sein wird.“; 231 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 9. Juli 1919): „Ich sehe keinen Halt...“.
223
Zu seinem Entschluss vgl. Saint Germain, 179 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 21. Juni 1919); 188 (Brief
an Ottilie Friedlaender vom 24. Juni 1919). Zur Durchführung dieses Entschlusses: Benedikt Klein, 27.
224
Vgl. Böhm Klein, 237 [hier: „Eduard Schiffer“ - richtig aber: „Eugen Schiffer“]; Schima Artikel NDB, 738.
45

Gründung eines „Oesterreichischen Juristenbundes“. 225 Auch der Ständigen


Deputation des Deutschen Juristentages gehörte er an. 226

Klein erlitt im November 1923 einen Schlaganfall, der ihn monatelang körperlich und
geistig lähmte.227 Im Februar 1924 besserte sich sein Zustand jedoch deutlich, so
dass er auch die Feier zu seinem 70. Geburtstag bei klarem Bewusstsein begehen
konnte.228 Ein zweiter Schlaganfall im Oktober 1925 führte dann jedoch zu seiner
völligen geistigen Umnachtung.229 Franz Klein starb am 6. April 1926 in Wien.230

III. Ludo Moritz Hartmann


Ludwig Moritz Hartmann wurde am 2. März 1865 als Sohn des aus jüdisch-deutscher
Familie in Böhmen stammenden, frühzeitig konfessionslos gewordenen berühmten
Dichters und Kämpfers der Revolution von 1848 Moritz Hartmann und dessen Gattin,
Bertha geb. Rödiger, die aus protestantischer, aus dem Rheinland nach Genf
geflohener Familie stammte, in Stuttgart als Schweizer Staatsbürger geboren. 231
Offenbar seit seiner Kindheit wurde er Ludo statt Ludwig genannt. 232 Nach Ernst
Stein, einem Schüler Hartmanns, war die Atmosphäre im Hause Hartmann „auch von
französischer Bildung gesättigt“; bei „entschiedenstem deutschen Bewußtsein“ sei

225
Präsident bzw. Obmann: vgl. Benedikt Klein, 24 bzw. Sprung Lebensweg, 52 (s. ebd., 50 f.: im Behörden-
und Personalverzeichnis der Universität Wien zum Beginn des Wintersemesters 1925/26 als Obmann
verzeichnet); Ehrenmitglied: vgl. Sprung Lebensweg, 35; Verfasser des Aufrufs: vgl. Schiffer Klein, Sp. 621.
226
Vgl. Schima Artikel NDB, 739; Sprung Lebensweg, 51 f. (s. ebd., 50 f. Behörden- und Personalverzeichnis
der Universität Wien zum Beginn des Wintersemesters 1925/26). Die Organisation des in Wien abgehaltenen 31.
Deutschen Juristentages vom 3. bis 6. 9. 1912 hatte Klein selbst übernommen - vgl. Sprung Lebensweg, 37, Fn.
124. Vgl. noch Sprung Lebensweg, 49, Fn. 179 (Bei der Wahl der Richter des ständigen Internationalen
Gerichtshofes 1921 habe Klein nicht die nötige Stimmenzahl erreicht.).
227
Vgl. Sprung Lebensweg, 49.
228
Vgl. Sprung Lebensweg, 49-51.
229
Vgl. Sprung Lebensweg, 52.
230
Vgl. Benedikt Klein, 28; Sprung Lebensweg, 52. Zu der außerordentlichen Fülle an Nachrufen in
österreichischen, reichsdeutschen und weiteren Zeitungen vgl. ebd., 52-54, Fn. 191; über die die gesamte
österreichische Staatsspitze umfassende Trauergesellschaft vgl. ebd., 54 f.
231
Zur Geburt vgl. Hartmann in einem „autobiographischen Versuche“ bei Bauer Hartmann, 197; Stein
Hartmann, 312 f. Zum Vater vgl. Hartmann Frage Rasseforscher, 167 sowie in dem autobiographische Versuche
bei Bauer Hartmann, 197; Stein Hartmann, 312 f. Zur Staatsbürgerschaft: G. Fellner Hartmann, 109 sowie ebd.,
398, Endn. 189: Fueter behaupte, Hartmann habe stolz an seiner Schweizer Staatsbürgerschaft festgehalten. Erst
1900 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft - vgl. G. Fellner Hartmann, 130. Zur rheinischen
Flüchtlingsfamilie, aus der Hartmanns Mutter stammte: Bauer Hartmann Mitbegründer, 335, dort insb.: Die
letzten Größen der Revolutionszeit - Turgenieff, Alexander Herzen, Carl Vogt, Walesrode und andere - seien
Freunde ihres väterlichen Hauses gewesen.
232
Vgl. G. Fellner Hartmann, 130.
46

der geistige Horizont doch übernational gewesen. 233 Bereits 1868, im auf die
allgemeine Amnestie folgenden Jahr, ließ sich die Familie in Wien nieder. 234

Nach dem frühen Tod des Vaters 1872 sorgte seine ihrerseits „politische radikal-
demokratische Überzeugungen“ sowie ein „warmes sozialpolitisches Empfinden“
hegende Mutter für eine Erziehung des Sohnes ganz im Sinne von Moritz Hartmann
und der Tradition von 1848. 235 Hartmann selbst formulierte in einem
„autobiographischen Versuche“, die schwere Krankheit seines Vaters habe es mit
sich gebracht, „daß ich mehr als sonst kleine Kinder unter dem Einflusse meines
Vaters stand, an den Gesprächen seiner Freunde teilnehmen konnte, allerdings
natürlich als passiver Zuhörer. Die Worte Republik, Revolution, 1848, Demokratie
prägten sich mir ein [,] und als mein Vater eines frühen Todes ... verstarb und meine
Mutter es übernahm, meine Erziehung im Sinne meines Vaters zu leiten, verblieben
sie die Leitworte für die Ansätze meiner Weltanschauung...“ 236 Dabei war unter den
Zielen der Revolution von 1848 für Moritz Hartmann offenbar der nationale Gedanke
besonders wichtig gewesen.237

Zu dieser Erziehung gehörte auch der enge Umgang mit den alten Freunden des
Vaters.238 Ernst Stein urteilte: „Der Kreis, in dem Mutter und Sohn in Wien verkehrten,
darf als die Elite der hiesigen liberalen großbürgerlichen Gesellschaft jener Tage
bezeichnet werden.“ Hartmann habe die freundschaftlichen Beziehungen zu diesem
Kreis stets aufrecht erhalten und sei von ihm in seinem Denken nachhaltig
beeinflusst worden.239 So galt Hartmann seinen Wiener Schulfreunden denn auch
„wenn ich so sagen darf, als der Dauphin des Jahres 1848.“ 240

233
Vgl. Stein Hartmann, 313.
234
Vgl. Hartmann Andenken, 16 f. Hartmanns spätere Meinung von den Wiener Verhältnissen war eher gering -
s. seinen bei G. Fellner Hartmann, 115 zitierten Brief.
235
Zur Erziehung nach den Vorstellungen des Vaters: Hartmann Andenken, 19-21 - Überzeugungen und
Empfindung der Mutter: ebd., 27. Über die Beziehung zu seiner Mutter ebd., 21: „Die Liebe meiner Mutter zu
mir und meine Verehrung und Liebe für meine Mutter sind immer als etwas Selbstverständliches und
Natürliches erschienen.“ Über Moritz Hartmann und die Ideale von 1848 s. Haacke Artikel, 738; Hiller Artikel,
697.
236
Bei Bauer Hartmann, 197.
237
S. Hartmann Andenken, 15 f.: „Kein politisches Ereignis hätte meinen Vater schwerer treffen können als der
Kampf zwischen Deutschen und Deutschen [1866] ... ...so konnte er doch den Ausschluß der Deutschen
Österreichs aus Deutschland nicht verschmerzen ... Seine Stimmung war verzweifelt...“; s. ferner Hiller Artikel,
697: 1848 sei Moritz Hartmann nach Böhmen zurückgekehrt, um mitzuhelfen, die dortigen Deutschen dem
großen Vaterland zu erhalten.
238
Vgl. Hartmann Andenken, 23; Bauer Hartmann, 199.
239
Stein Hartmann, 314.
240
So Bauer Hartmann Mitbegründer, 335.
47

Der Vater hatte zudem die strikte Konfessionslosigkeit der Erziehung seines Sohnes
angeordnet.241 Dies bedeutete, dass Hartmann, weil er in einer Schule am
Religionsunterricht eines Bekenntnisses hätte teilnehmen müssen, bis zur
Vollendung seines vierzehnten Lebensjahres Privatunterricht genoss. 242 Dieser
Unterricht wurde offenbar frei und „nicht schablonenmäßig“ gestaltet. 243

Daher besuchte er erst von der fünften Gymnasialklasse an eine öffentliche Schule,
das Gymnasium in der Wasagasse im IX. Wiener Gemeindebezirk, wo er unter
bedeutenden Lehrern „durch Wissen, Geistesgegenwart und Charakter an die erste
oder zweite Stelle“ gerückt sein soll. 244 In der Schule bejahte er die Frage „Ist es
erlaubt, Kultur mit Gewaltmitteln zu verbreiten?“ unter Verwendung von Auszügen
aus Ferdinand Lassalles „Macht und Recht“. 245 Schon auf dem Gymnasium stand
Hartmann - wie die meisten seiner Klassenkameraden - in Opposition zu den
Habsburgern und brachte seine Verehrung der „Märzgefallenen“ von 1848 durch die
Niederlegung eines Kranzes auf deren Grab in Wien zum Ausdruck. 246 Ebenfalls
bereits damals fühlte er sich zum Historiker berufen. 247 Seine Matura bestand er
schließlich am 4. Juli 1883 mit Auszeichnung. 248 Bis zu seiner Hochzeit mit Margarete
Chroback, der Tochter des bedeutenden Gynäkologen Rudolf Chrobak, im Jahre
1893 wohnte Hartmann bis auf ganz kurze Unterbrechungen mit seiner Mutter
zusammen; sie zog mit ihm an seine jeweiligen Studienorte. 249

Ab 1883 studierte er vier Semester lang Geschichtswissenschaften an der


Universität Wien, wo er Vorlesungen u. a. von Theodor von Sickel und Adolf Exner,
aber auch solche über Kunstgeschichte, Archäologie, Sanskritforschung, Philosophie
der Naturwissenschaft und - bei Lujo Brentano - Nationalökonomie besuchte. 250 Im

241
Vgl. Hartmann Andenken, 20; G. Fellner Hartmann, 108.
242
Vgl. G. Fellner Hartmann, 104 f., 198; Stein Hartmann, 313; s. ferner Hartmann Andenken, 21.
243
Vgl. Hartmann Andenken, 21; Stein [ein Schüler Hartmanns] Hartmann, 313; s. auch Bauer [ein Freund
Hartmanns] Hartmann, 197 f.
244
Vgl. Bauer Hartmann, 198; Stein Hartmann, 313 f.
245
Vgl. Bauer Hartmann, 198. Dazu eingehend (wenn auch bedauerlicherweise zumindest anfangs kaum diesen,
eigentlichen „Aufhänger“ des Texts erkennen lassend): Engel-Janosi Hartmann, 77-91, insb. 78 f.
246
Vgl. Bauer Hartmann, 198.
247
So Stein Hartmann, 314.
248
Vgl. G. Fellner Hartmann, 126.
249
Vgl. Hartmann Andenken, 25 f. Danach wohnte sie nur wenige Häuser von dem der Eheleute entfernt und
nahm seiner Frau einen Teil der Hauswirtschaft ab (s. ebd., 28). Zur Heirat: Bauer Hartmann, 204.
250
Vgl. Bauer Hartmann, 199 f.; Stein Hartmann, 315.
48

Herbst 1885 wechselte er für drei Semester an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu


Berlin, wo er Theodor Mommsen, Harry Breslau, Heinrich Brunner und Wilhelm
Wattenbach hörte.251 Mommsen, „der die Bedeutung dieses Schülers bald erkannte
und rückhaltlos anerkannte“, betreute dort Hartmanns Dissertation „De exilio apud
Romanos“, auf Grund deren er im März 1887 cum laude zum Doktor der Philosophie
promoviert wurde. 252

Bereits in diesem Zusammenhang war er wegen seiner in seinem curriculum vitae


angegebenen Konfessionslosigkeit in Schwierigkeiten geraten: Der Dekan der
philosophischen Fakultät hatte ihn deswegen zunächst nicht zu den strengen
Prüfungen zulassen wollen und dieses Vorhaben erst auf Intervention von Mommsen
und Hermann von Helmholtz aufgegeben. 253 Schließlich schloss Hartmann sein
Studium 1887/88 in Straßburg und 1888 im Institut für Österreichische
Geschichtsforschung in Wien bei Sickel ab. 254 An der Universität Wien habilitierte er
sich im Frühjahr 1889 zum Privatdozenten für Römische Geschichte und Geschichte
des Mittelalters; in der Habilitationsschrift, „Untersuchungen zur Geschichte der
byzantinischen Verwaltung in Italien (540-750)“, wandte sich Hartmann neben der
Verwaltungs- bereits der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu. 255 Ihm lag in der
Folge besonders daran, die Früchte seiner Forschung und Lehre publizistisch der
Allgemeinheit zugänglich zu machen.256

Bis zum Ende der Habsburger-Monarchie blieb Hartmann der sprichwörtliche „ewige
Privatdozent“. Dies war besonders vor dem Hintergrund ungewöhnlich, dass an der
Universität Wien zumindest in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft junge
Dozenten zu Professoren ernannt wurden und dort im Rahmen der Gesetze eine an

251
Vgl. Stein Hartmann, 315. Vgl. auch Hartmann Andenken, 25 über „die Fehler Berlins, das damals noch
nicht so recht in seine neue große Rolle hineingewachsen war“ und über „die etwas geringschätzige Art, mit der
[dort] gelegentlich über Wien gesprochen wurde“.
252
Vgl. - auch zum Zitat - Stein Hartmann, 315 sowie Bauer Hartmann, 200; G. Fellner Hartmann, 130. S. auch
Hartmann bei Bauer Hartmann, 200, nachdem er neben seiner historischen auch seine juristische Schulung - u.
a. durch die römisch-rechtlichen Seminare von Adolf Exner - erwähnt hatte: „Die Ergänzung und Krönung
dieser Schulung wurde mir 1885 in Berlin bei Theodor Mommsen zuteil...“ - vgl. dazu Stein Hartmann, 315
(Hartmann sei der Ansicht gewesen, der Historiker solle zugleich ein halber Jurist sein, und sei ihr von Anfang
gefolgt.).
253
So Stein Hartmann, 319.
254
Vgl. Bauer Hartmann, 200; G. Fellner Hartmann, 131; Stein Hartmann, 315.
255
Vgl. Bauer Hartmann, 200-202; G. Fellner Hartmann, 131 f., dort auch zum Probevortrag Hartmanns „Über
die Ursache des Unterganges des Römischen Reiches“; Rieckenberg Artikel, 737; Stein Hartmann, 319 f.
256
So Lenel Vermischtes, 574. Vgl. dazu insb. Hartmann Vorwort [zur „Weltgeschichte in gemeinverständlicher
Darstellung“], VII, X (Adressaten dieses Werkes waren Nichtwissenschaftler.).
49

der Leistung und Tüchtigkeit des Kandidaten orientierte Toleranz seinem


Bildungsgang gegenüber geherrscht haben soll, so dass „oft recht günstige
akademische Aufstiegschancen“ bestanden haben sollen. 257 Der Hauptgrund für die
Nichtberufung Hartmanns zum Professor war, dass Kaiser Franz Joseph sich
weigerte, Konfessionslose zu Professoren zu ernennen. 258 Aber auch bekennende
Juden waren zu dieser Zeit in Österreich in der relativ einflusslosen Gruppe der
Dozenten und Extraordinarien über-, in der Gruppe der Ordinarien hingegen
unterrepräsentiert.259

Auch Hartmanns seinerzeit unkonventionellen und keineswegs geschätzten


wissenschaftlich-weltanschaulichen Ansichten - welche unter E. II. 3. zu erörtern sein
werden - und sein gegen 1901 erfolgter Eintritt in die Sozialdemokratische
Arbeiterpartei Österreichs (SDAP) mögen zu seiner Nichtberufung beigetragen
haben.260 Tatsächlich fand die Sozialdemokratie zu dieser Zeit in Österreich „keinen
Eingang in die Universitäten“.261 Und überhaupt hemmte das Bekenntnis zu den
politischen Einstellungen der aufkommenden Massenparteien bis 1918 eine
akademische Laufbahn mehr, als dass es sie förderte, weil besonders an der

257
Zu den frühen Ernennungen vgl. Gall Laufbahnen, 69 - insb. zu den Medizinern: Von 99 ordentlichen
Professoren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren 77 % vor ihrem 40. Lebensjahr berufen worden.
Zu den recht günstigen Aufstiegschancen: ebd., 70. Zur gegenteiligen Entwicklung im Deutschen Reich bereits
seit den 1880er Jahren: vom Bruch Gelehrtenpolitik, 34.
258
Vgl. G. Fellner Hartmann, 109, 135, 239-241; Stein Hartmann, 316. Im seinerzeit gültigen „Gesetz betreffend
die Organisation der Universitätsbehörden“ bestimmte § 11, „die Fähigkeit, zu akademischen Würden gewählt
zu werden“, sei „unabhängig vom Glaubensbekenntnis“ - vgl. Akademischer Senat der Wiener Universität Wien,
51 i. V. m. 50 -; ob das Verhalten des Kaisers damit rechtswidrig war - immerhin war Österreich(-Ungarn) im
Großen und Ganzen ein Rechtsstaat (vgl. Lindström Empire, 11, 270; Rumpler Elemente, 87; auch Klein
Gedenkrede, 1065; zu den Einschränkungen vgl. unten, Fn. 546) -, ist eine Frage der Auslegung (Adressat des
Gesetzes nur die Universitätsbehörden? Unabhängigkeit nur von der Art des bestehenden Bekenntnisses oder
auch vom „Ob“ eines Bekenntnisses?). Die Religionsfreiheit war in Artikel 17 des sog. Staatsgrundgesetzes
verbürgt.
259
Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 112.
260
Ein prägnantes Beispiel für die wissenschaftlich-weltanschaulichen Divergenzen zwischen Hartmann und den
meisten seiner Kollegen bietet seine eigene Einschätzung in Entwickelung, VI: Er sei sich bewusst, dass „das
vorliegende Büchlein [d. h. das zentrale Werk über seine geschichtstheoretischen Ansichten] überhaupt und
namentlich in den Kreisen meiner historischen Fachgenossen auf wenig Zustimmung rechnen“ könne. Für die
ähnliche Situation im Deutschen Reich s. vom Bruch Wissenschaft, 195-200 (über die etablierte Zunft sowie die
aufsteigenden Disziplinen und Außenseiter), 367-369 (zum „Lamprechtstreit“), 370-376 (über Karl Lamprecht
und Kurt Breysig).
261
Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 112. Vgl. auch Gall Laufbahnen, 69 i. V. m. 68: Zwischen 1848 und 1900
sei nicht ein ausgesprochenes Arbeiterkind unter den etwas mehr als 100 Medizinprofessoren zu finden gewesen;
vgl. aber auch Höflechner Baumeister, 24, Fn. 77: „Verschärfend trat in Wien hinzu, daß dort auch die
sozialdemokratische Bewegung auf akademischem Boden wesentlich stärker war und beide Elemente -
Sozialismus und Judentum - zu einem Feindbild der Deutschnationalen verschmolzen...“ Zur Situation im
Deutschen Reich zwischen 1860 und 1889, ja auch 1919 und sogar 1933 vgl. vom Bruch Professoren, 18 (Kinder
von Kleinbürgern und Arbeitern hätten nur 1 bis 2% der Hochschullehrer ausgemacht.).
50

Universität Wien die meisten Entscheidungsträger Altliberale waren und das


Instrument der Berufungsvorschläge in ihrem Sinne nutzten. 262

Jedenfalls soll Hartmann mit dem akademischen Senat und der Fakultätsmehrheit in
Konflikt gestanden haben.263 Dass er an der Universität und unter den
Geschichtswissenschaftlern Österreichs ein Außenseiter war, ist unbestritten. 264 So
wurde er vermutlich „um seiner Gesinnung willen“ auch niemals Mitglied der Wiener
Akademie der Wissenschaften.265 Jedoch war er insgesamt kein Abgesonderter, wie
es aber die Ausführungen von Günter Fellner nahe legen. 266 Zudem leidet Fellners
Behauptung, „der“ Historismus habe in Frontstellung zu Hartmann gestanden, unter
einem zu pauschalen Ansatz.267

Spätestens 1888 hatte Hartmann nach eigener Angabe eine sozialistische


Weltanschauung268 entwickelt. Zu Beginn der 1890er Jahre wurde er dann Mitglied
262
Vgl. Engelbrecht Geschichte, 250; auch Lindström Empire, 11 sowie Höflechner Baumeister, 111 - s. aber
auch ebd., 27 für das Jahr 1913 (Es stehe außer Zweifel, dass der Senat in genere den deutschnationalen
Verbindungen mehr als gewogen gewesen sei.) s. auch 63: Die deutschen Hochschulen in Österreich seien im
Rahmen des „Universitätskampfes“ scharf gegen jedwede Universitätsgründung in nichtdeutschen Kronländern
aufgetreten - dazu Kann Hochschule, 519: 1910 hätten die 35,6% Deutschen der westlichen Reichshälfte über fünf
Universitäten verfügt (Wien, Graz, Innsbruck, Prag, Czernowitz), alle 64,6% anderen Nationalitäten über drei
(tschechische Universität Prag, Krakau, Lemberg [die beiden letzteren polnischsprachig]). Bei den übrigen
Hochschulen sei das Verhältnis ähnlich gewesen. Vgl. überdies Ramhardter Geschichtswissenschaft, 192 über die
Historiker (Die überwiegende Mehrheit unter ihnen sei schon vor dem Weltkrieg „großdeutsch“ eingestellt
gewesen). Vgl. auch vom Bruch Professoren, 19 (Die neueren Entwicklungen in der Studentenschaft seien an der
überwältigenden Mehrheit der Professoren im späten Wilhelminischen Kaiserreich offenbar spurlos vorüber
gegangen.) und ebd., 20 zur akademischen Selbstergänzung im Deutschen Reich zwischen 1882 und 1900 sowie
ebd., 21 (Politisch „progressive“ Außenseiter seien [offenbar ab ca. 1882 - vgl. ebd., 20] kaum mehr für
Hochschullehrerposten vorgeschlagen worden.).
263
So jedenfalls Lenel Vermischtes, 572. S. auch Stein Hartmann, 317: Zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens
des Historischen Seminars habe Hartmann keine Einladung erhalten.
264
S. z. B. Bauer Hartmann, 204 f.
265
Zitat: Stein [Schüler Hartmanns] Hartmann, 316; vgl. auch G. Fellner Hartmann, 243.
266
Vgl. vom Bruch Rezension, 121 (Zweifellos sei Hartmann ein Außenseiter in der Zunft gewesen, aber kein
Abgesonderter. Seine Publikationen hätten sich weithin großer Wertschätzung erfreut.); Zorn Hauptinitiator, 381
(Die Kluft zwischen ihm und den „Historisten“ auch in Wien sei weniger [sic] unüberbrückbar [sic] gewesen, als
von Fellner beschrieben.); s. ferner sogleich über Hartmanns Zeitschriftenprojekt. Zu Fellners Sicht vgl. G.
Fellner Hartmann, 271-297 („Das Scheitern der institutionellen Verankerung“), 298-324 („Die Abwehrhaltung
der historistischen Mehrheit“), vgl. auch Bauer Hartmann, 204 f. und Suppanz Historismus, 264-266
(Historische Soziologie versus Historismus).
267
Dies gilt vor allem für Hartmanns Stellung zur Nationalökonomie. So bemerkt z. B. Zorn Volkswirtschaft,
469, Hartmann habe der Historischen Schule [der Nationalökonomie] näher gestanden als der „rein
wissenschaftssoziologisch nicht sozialliberalen“ Schule Carl Mengers; s. auch Bauer Hartmann Mitbegründer,
336 sowie unten, Fn. 877; zur Entwicklung der Nationalökonomie an der Universität Wien: W. Weber Jahre,
104-124. Vgl. ferner Hartmann Wesen, 216, wo eine Pseudopolitik angeprangert wird, welche über den
Historismus spotte. Zudem findet sich gerade der Entwicklungsgedanke nicht nur Hartmann, sondern ist auch
typisch für den Historismus. S. ferner Ritter Rezension Fellner, 277: “Despite the paradigm’s [Quellenkritik des
Instituts für österreichische Geschichtsforschung] strength, there was a budding pre-1914 turn toward
socioeconomic history, represented by Alphons Dopsch and even the young Heinrich von Srbik.”; vgl. noch
Zöllner Jahre, 82 f. (zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien).
268
Vgl. Andenken, 27 i. V. m. S. 26.
51

des „Vereins für Socialpolitik“, 1919 dann in dessen Ausschuss kooptiert und 1924
zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. 269

1893 gehörte er neben zwei weiteren sozialdemokratisch Orientierten, Stephan


Bauer und Karl Grünberg, sowie dem seinerzeit freikonservativen, später
deutschnationalen Georg von Below zu den Gründern der „Zeitschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte“ (ZSWG), die trotz internationalen Widerhalls auf Grund von
Verlagsschwierigkeiten nur bis 1900 bestand. 270 Der Verzicht der Herausgeber auf
jede politische Tendenz soll sich jedoch voll bewährt haben. 271

Nicht viel später gewann Hartmann dann den Leipziger Verlag C. L. Hirschfeld für die
Fortsetzung als Vierteljahrschrift, die seit 1903 erscheinende „Vierteljahrschrift für
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ (VSWG), Stephan Bauer und von Below als
Mitherausgeber sowie bedeutende ausländische Wissenschaftler als Berater. 272 Die
redaktionelle und die literarische Kritik ging in der Folge jedoch immer mehr an von
Below über.273 Die VSWG blieb für längere Zeit die einzige historische
Spezialzeitschrift auf ihrem Gebiet; ihre Herausgeber versuchten - anders als Karl
Lamprecht - nicht, von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte her die „zünftige“
Geschichtswissenschaft in Deutschland zu revolutionieren, und dafür blieb die
VSWG im Rahmen ihres Teilaspekts respektiert. 274 Sie diente dann den Begründern
der „Annales d’histoire économique et sociale“, Marc Bloch und Lucien Febvre, 1929
als Vorbild.275

Ab 1889/90 wirkte Hartmann sowohl als Organisator als auch als Lehrer in der
Wiener Volksbildung.276 Dabei gelangen ihm bedeutende Erfolge, welche weit über

269
Vgl. G. Fellner Hartmann, 247. Zum „Verein für Socialpolitik“ vgl. vom Bruch Wissenschaft, 302-304.
270
Vgl. Zorn Volkswirtschaft, 457, 468-472. Zur den dieser vorangegangenen Publikationen „Zeitschrift für
Volkswirtschaft und Kulturgeschichte“ (1863-1875) bzw. „Vierteljahrschrift für Volkswirtschaft, Politik und
Kulturgeschichte“ (ab 1875): Zorn Volkswirtschaft, 458-467. Vgl. auch Bauer Hartmann Mitbegründer, 338:
Von 1895 bis 1900 habe hauptsächlich Hartmann die Redaktion geführt. Interessant ferner Zorn Volkswirtschaft,
470: „Noch im selben Jahr 1893 eröffnete die HZ durch Below ihren grundsätzlichen Kampf gegen Lamprecht
und dessen in Belows Augen ‚materialistische’ Geschichtsschreibung. Lamprecht stellte darauf auch die
Mitarbeit in der ZSWG ein, zumal Below dort 1896 die seinige im Aufsatzteil begann.“.
271
Vgl. Hermann Aubin bei Zorn Volkswirtschaft, 457, unter Zustimmung Zorns.
272
Vgl. Zorn Volkswirtschaft, 471 - insb. ebd. zu den ausländischen Beratern: G. Espinas in Paris, H. Pirenne in
Gent, G. Salvioli in Palermo und Vinogradoff in London. Zu Hartmann und der ZSWG/derVSWG s. Bauer
Hartmann Mitbegründer, 336-338; G. Fellner Hartmann, 272-285; Zorn Volkswirtschaft, 473-475.
273
So Bauer Hartmann Mitbegründer, 338.
274
So Zorn Volkswirtschaft, 473.
275
Vgl. Zorn Volkswirtschaft, 474.
52

Österreich hinausstrahlten und dort zu Vorbildern wurden. 277 1895 begründete er -


freilich ihrerseits nach dem Vorbild der englischen „University Extension“ - in Wien
die „Volkstümlichen Universitätscurse“.278 Besonders nachhaltig wirkte er im
Volkshochschulwesen; so initiierte er „volksbildnerische Höhepunkte“ im sog.
Volksheim und bewirkte die Errichtung des ersten europäischen
Abendvolkshochschulgebäudes im Wiener Arbeiterbezirk Ottakring. 279 Zudem
gründete er - der in der Monarchie zu jenen wenigen Universitätslehrern gehörte, die
für die uneingeschränkte Zulassung von Frauen zu allen Bildungseinrichtungen
eintraten - den Frauenbildungsverein „Athenäum“. 280 Auch rief er die ab 1904
tagenden Deutschen Volkshochschultage ins Leben, veranlasste die Erstellung
sozialwissenschaftlicher Volksbildungsstudien und betätigte sich als Publizist in
Fragen der Volksbildung.281 Darüber hinaus unternahm er Vortragsreisen zu
Arbeitervereinen.282

276
Zu seiner Lehrtätigkeit in der Volksbildung vgl. Stein [Schüler Hartmanns] Hartmann, 317: Hartmann habe es
ausgezeichnet verstanden, die Ergebnisse seiner Wissenschaft den Laien zugänglich zu machen.
277
Vgl. Filla Hartmann, 67: Hartmanns volksbildnerische Arbeit sei die erfolgreichste und bedeutendste, die in
Österreich je von einem Einzelnen geleistet worden sei. Zu Hartmanns volksbildnerischem Wirken sei
hingewiesen auf Faulstisch Volksbildung; Jaretz Hartmann; Unterthumer Lernen; s. des Weiteren G. Fellner
Hartmann, 250-259. Zum “Wiener Modell” der Volksbildung: Filla Hartmann, 86 f.; zur Mitarbeit Hartmanns
im Wiener Volksbildungsverein insbesondere: ebd., 68-73. Aufstellungen der Publikationen Hartmanns zur
Volksbildung, zu seiner Kurstätigkeit im Volksheim und zu seiner Kurs- und Vortragstätigkeit im Wiener
Volksbildungsverein finden sich bei Filla Anhang, 195 f., 201 f. Zur internationalen Vorbildwirkung der
österreichischen Volkshochschulen s. Hartmann Oesterreich, 3; Bauer Hartmann, 203 - zur Situation im
Todesjahr von Hartmann vgl. ebd.: In Wien haben demnach fünf Volksheime mit mehr als 200 Lehrern und
12.000 ständigen Hörern bestanden - dort auch zu Hartmanns offenbar einzigartiger Spendenrekrutierung unter
den „Wiener Millionäre[n]“ - zu Letzterem vgl. Hartmanns Artikel „Oesterreich“ in der bürgerlichen „Neuen
Freien Presse“.
278
Vgl. Filla Hartmann, 73-77; Bauer Hartmann, 202 f.: Hartmann sei von der Universität mit der Leitung der
von ihr eingesetzten Volksbildungskommission betraut worden. Zur internationalen Wirkung der Kurse vgl.
Höflechner Baumeister, 82: zahlreiche Anfragen aus aller Welt (Fn. 82: u. a. aus Graz, Budapest, Berlin,
Hamburg, München, Zürich, Brüssel, Messina, Odessa). S. auch ebd., 82 f., insb. 82, Fn. 81 (unter Berufung auf
Tschermak): Die Kurse, die im November 1895 in drei Abschnitten mit 58 Kursen zu je 6 Vorträgen angelaufen
seien, hätten mit 6.172 Besuchern mehr Interesse als vergleichsweise in London erweckt. Zur „University
Extension“ im Deutschen Reich s. vom Bruch Wissenschaft, 262-264.
279
Zum „Volksheim“ vgl. Filla Hartmann, 78-84 (Zitat: 78); zur Ottakringer Abendvolkshochschule vgl. ebd.,
87-89; vgl. auch Bauer Hartmann, 203: Ab 1900/1 habe Hartmann Volkshochschulen gegründet, welche auf
Andrängen der Behörden in Wien „Volksheime“ getauft worden seien. Über die vorzügliche Ausstattung des
Volksheimes mit naturwissenschaftlichen Instrumenten vgl. Felt Stadt, 205 (Bericht der Arbeiter-Zeitung vom
November 1907). Auch für die Autonomie und Lehrfreiheit der Volkshochschulen stritt Hartmann: vgl.
Volkshochschulen, 180 f.
280
Vgl. Filla Hartmann, 77 f.; Pribram Tod, 115. Zur Geschichte des Frauenstudiums in Österreich: Heindl
Entwicklung, 17-26; Otruba Universitäten, 86 f.; Preglau-Hämmerle Funktion, 112 f.; vgl. auch - jeweils vor
allem die Reaktion der Konservativen und Rechtsradikalen behandelnd - Hamann Wien, 528-534 (inklusive der
Frage des Frauenwahlrechts) sowie ebd. 525-528 über die Frauenbewegung in Wien ab 1900.
281
Zu Hartmann und den Deutschen Volkshochschultagen vgl. Filla Hartmann, 89; zu den Studien ebd., 90-92;
zu Hartmann als Publizist in Fragen der Volksbildung ebd., 92.
282
Vgl. Bauer Hartmann, 203.
53

Ziel dieses Lehrens war die Anregung zu selbständigem Denken, die Emanzipation
der Einzelpersönlichkeit.283 Dabei forderte Hartmann immer wieder die strikte
politische Unabhängigkeit (auch) der Erwachsenbildung ein. 284 Bildung war für ihn
„nichts anderes ... als die Fähigkeit zur Anpassung an die gegebenen
Verhältnisse.“285 Wohl aus dieser Anschauung heraus war für ihn nichts „so
bezeichnend für den geistigen Fortschritt im neunzehnten Jahrhundert, als daß der
Gedanke Wurzel schlug, über die früher bestehenden Unterrichtsanstalten hinaus
Erwachsene, die schon im Beruf stehen, zu unterrichten“. 286

Darüber hinaus war Hartmann stark in der Hochschulpolitik engagiert. So fungierte er


mehr als zwei Jahrzehnte als Obmann-Stellvertreter der 1899 ins Leben gerufenen
Vereinigung österreichischer Hochschuldozenten, welche die Interessen der
Privatdozenten vertrat.287 Zudem war er einer der treibenden Kräfte hinter der
Einrichtung der deutschen Hochschul[lehrer]tage und der Gründung des

283
Vgl. Filla Hartmann, 69 sowie G. Fellner Hartmann, 105: Gerade weil es Hartmann um die soziale und
kulturelle Emanzipation des Einzelnen gegangen sei, habe er die „massenhafte“ Dimension des Problems
gesehen. Vgl. darüber hinaus Gruber Vienna, 48 für den in der Zwischenkriegszeit unternommenen „largest and
most successful attempt by a Socialist party ... to create a comprehensive proletarian counter culture“: “...the so-
cialists’ plan of action for transforming Viennese workers into self-conscious, willful actors in their own libera-
tion as neue Menschen...” (s. allerdings auch ebd., 50 f.: begrenzter Erfolg; s. zudem die Kritik Grubers an
dieser, von den bürgerlich geprägten Parteiführern paternalistisch betriebenen Politik: ebd., 49-52). Zur Funktion
der Wissenschaftspopularisierung als „Abgrenzungsarbeit“ s. Felt Stadt, 211-214; zu derjenigen als Freiraum:
ebd., 215-217. Zu deren Legitimationsfunktion für die Wissenschaft s. Felt Wissenschaft, 58 f. (unter -
irrtümlicherweise auf 1895 - datiertem Hinweis Zitat von Hartmann aus dem Jahre 1910 über die volkstümlichen
Universitätskurse).
284
Vgl. z. B. Hartmann Ausgestaltung, 171: Es verstehe sich nahezu von selbst, dass alles Politische gemäß den
Statuten von den Universitätskursen strengstens ferngehalten werden müsse, wolle man nicht die Institution nach
unten und nach oben in gleicher Weise gefährden; „die Politik gehört überhaupt nicht in den Rahmen einer
allgemeinen Unterrichtsorganisation...“; s. auch Stein Hartmann, 317. Daher ist die Behauptung von Felt Stadt,
203 zweifelhaft, durch die im Gegensatz zur „University Extension“ sowie vergleichbaren Einrichtungen im
Deutschen Reich weitgehend staatliche Finanzierung und Organisation dieser Kurse durch die Universität habe
sich nicht nur die Erschwinglichkeit der Kurse für die Teilnehmer, sondern auch staatliche Einflussnahme
ergeben, da die Statuten „Vorträge über jene Fragen, auf die sich die politischen, religiösen und socialen Kämpfe
beziehen“ untersagt hätten. Denn jedenfalls unter der Führung Hartmanns wäre auch bei privater Finanzierung
nichts Anderes in Frage gekommen.
285
Vgl. Frage Minoritätenschulen, 155; auch Christentum, 32 f.: Die Steigerung der Bildungsfähigkeit sei ein
Teil der fortgeschrittensten sozialen Organisation eines Staates, der ihn den Kampf ums Dasein am besten
bestehen lasse.
286
Zitat: Kulturjubiläum, 177.
287
Vgl. G. Fellner Hartmann, 246 f.
54

Hochschullehrer-Vereins.288 Stets kämpfte er für die Autonomie der Hochschulen. 289


Diese Einstellung implizierte seine Ablehnung politischer Aussagen vom Katheder
herab, was ihn in seinen letzten Jahren in Konflikt mit Teilen der 1921 von ihm selbst
gegründeten und als Obmann geleiteten „Vereinigung sozialistischer
Hochschullehrer Österreichs“ brachte.290 Auch in der Schulpolitik tat Hartmann sich
hervor: Er rief 1905 zusammen mit Julius Ofner und Paul Freiherr von Hock den
Verein „Freie Schule“ ins Leben, der sich gegen den klerikalen Einfluss auf die
Schulen wandte.291

Der bereits erwähnte Eintritt Hartmanns in die am Jahreswechsel 1888/89


gegründete SDAP erfolgte gegen 1901. 292 1911 bewarb er sich als deren Kandidat in
der Wiener Josefstadt erfolglos um ein Mandat im cisleithanischen
Abgeordnetenhaus; er verlor die Stichwahl gegen den christlichsozialen Rivalen. 293
288
Vgl. Pribram Tod, 115. Zum Deutschen Hochschul[lehrer]tag: vom Bruch Wissenschaft, 114-122, insb. 122:
„Die Etikettierung als Hebel demokratischer Politik im Hochschulbereich wurde dem Hochschultag jedoch in
keiner Weise gerecht. Hartmann selbst zog sich mehr und mehr enttäuscht zurück...“ (m. Nw. in Fn. 246: „Vgl.
L. M. Hartmann an Amira, 18. 12. 1912, StaBi München Amira, Korr. Hartmann.“); vgl. auch G. Fellner
Hartmann, 112, 247. Zum Hochschullehrer-Verein: vom Bruch Wissenschaft, 119-121, insb. 119 (Er umfasste
ca. 700 Mitglieder, die 1913 etwa 15% der deutschsprachigen Hochschullehrer ausmachten, wobei insbesondere
die Hochschulen Deutsch-Österreichs stark repräsentiert gewesen seien.), 121 (Der Verein sei ein Ausfluss der
Übertragung des Gewerkvereinsgedankens auf die Dozentenschaft gewesen, führend geprägt durch Lujo
Brentano und Hartmann.).
289
Vgl. z. B. Grundlagen, 183 f.; Pribram Tod, 114; Stein Hartmann, 315 f.; auch vom Bruch Wissenschaft, 298
(i. V. m. 297 und 438 f.). Zu den 1903 von Hartmann mitbegründeten „Salzburger Hochschulkursen“ bzw.
„wissenschaftlichen Ferialkursen“, welche sich gegen die geplante katholische Universität Salzburg richteten, s.
Bauer Hartmann, 203 sowie G. Fellner Hartmann, 109 (Er sei dort nach außen nicht hervor getreten, „da es die
nationale Studentenschaft ablehnte, dem sozialdemokratischen Privatdozenten eine offizielle Stellung
zuzuerkennen.“). Zum Status der Universitäten in Österreich vgl. Höflechner Baumeister, 45 f.: Bis zum Ende
der Monarchie sei nicht geklärt worden, inwieweit sie Staatsanstalten oder Korporationen gewesen seien.
290
Vgl. Stein Hartmann, 316; auch G. Fellner Hartmann, 245; Pribram Tod, 114.
291
Vgl. Bauer Hartmann, 203; G. Fellner Hartmann, 109 f.; Hawlik, Parteien, Teil 2, 573, Fn. 1; Holleis Partei,
102 f.; Pribram Tod, 114; Stein Hartmann, 315 f. sowie Adler Gedächtnis, 106: Sie sei eine der bedeutendsten,
leidenschaftliche Bekämpfung hervorrufenden Schöpfungen Hartmanns gewesen. Zu den schulpolitischen
Forderungen Hartmanns vgl. auch Hartmann Grundlagen, 185 f. Hartmann war auch Mitglied der 1894 ins
Leben gerufenen Ethischen Gesellschaft, deren Angehörige sich für weltlichen Moralunterricht sowie eine
altruistische und humanistische Ethik einsetzten - vgl. G. Fellner Hartmann, 119.
292
Vgl. Miller Ringen, 23, Fn. 78: Über das Datum des Eintritts fänden sich unterschiedliche Angaben,
jedenfalls sei er lange vor dem ersten Weltkrieg erfolgt; ähnlich: Filla Einleitung, 16 f., Fn. 3. Für 1901: Bauer
Hartmann, 203; Rathkolb Hartmann, 53; Zorn Volkswirtschaft, 457 [unter irriger Bezeichnung der SDAP als
„SPÖ“]. Vgl. auch Stein Hartmann, 315: In den neunziger Jahren hätten Hartmanns aktive Teilnahme an der
sozialdemokratischen Bewegung und seine Freundschaft mit Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer
begonnen. Zu Gründung der SDAP s. Whiteside Germans, 186.
293
Vgl. Adler Gedächtnis, 106; G. Fellner Hartmann 116; Rathkolb Hartmann, 53; Stein Hartmann, 317. Im
Abgeordnetenhaus waren in der Zeit seines Bestehens von 1861 bis 1918 bei zunächst 203, von 1873 bis 1907
353 und ab 1907 516 Mitgliedern (vgl. Knauer Parlament, 15 f.) insgesamt 15 oder 8 Wiener Professoren
vertreten - vgl. Gall Laufbahnen, 41 f. bzw. Heinrich Lehrkörper, 227 f. (Tabelle); ferner Stimmer Universität, 75
(Insgesamt seien nur in den kleinen liberalen Nachfolgeparteien von 1897 bis 1913 Vertreter des akademischen
Lehrkörpers zu finden gewesen.). Zu den elf Wiener Professoren unter den Landtagsabgeordneten im Habsburger-
Reich von 1861 bis 1918 vgl. ebd., 229 f. (Tabelle). Zu gelehrten Politikern in den Parlamenten des Deutschen
Reiches vgl. vom Bruch Wissenschaft, 327 f.; Gelehrtenpolitik, 33 (vergleichsweise geringe Zahl).
55

Da Hartmann die Geschichtswissenschaft als einen Sektor der Soziologie begriff - s.


dazu unten, E. II. 3. -, war es nicht erstaunlich, dass er im April 1907 zu den
Gründern der Soziologischen Gesellschaft in Wien gehörte, der gemäß Max Adler
ersten derartigen Vereinigung im deutschsprachigen Raum. 294 Zudem gründete er
den „Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein“ an der Wiener Universität. 295

Immerhin wurde Hartmanns venia docendi 1901 oder 1902 auf das gesamte Gebiet
der Geschichte ausgedehnt.296 Erst in der Republik wurde er dann, mit dem
Jahreswechsel von 1918 auf 1919, zum außerordentlichen und im Juli 1924 zum
ordentlichen Professor ernannt.297 Er soll ein vorzüglicher Lehrer gewesen sein. 298
Allerdings wurden seine Lehrveranstaltungen zumindest in seinen früheren
Dozentenjahren offenbar nicht gut besucht. 299

Anders als unter den Professoren, war die Verbreitung des Liberalismus unter den
Studenten der österreichischen Universitäten bereits seit Beginn der 1870er Jahre
zugunsten einer immer stärker werdenden Dominanz des Nationalismus
geschrumpft.300 Vor allem in den Studentenverbindungen verbreitete sich zunehmend
ein militanter Deutschnationalismus „kleindeutscher“ Richtung, und es häuften sich
heftige Auseinandersetzungen um nationale Belange, so 1883 Ausschreitungen
294
Vgl. Adler Gedächtnis, 104. S. dazu die vier bei Frisby Simmel, 201-208 abgedruckten Zeitungsberichte von
der Gründungsversammlung am 24. April (Einleitungsvortrag von Georg Simmel: „Wesen und Aufgabe der
Soziologie“).
295
Vgl. Adler Gedächtnis, 106; G. Fellner Hartmann, 119. S. ferner unten, Fn. 294. Zum
„Sozialwissenschaftlichen Bibliotheksverein“ s. unten, Fn. 304.
296
Vgl. Stein Hartmann, 323 (1901); G. Fellner Hartmann, 239 (1902).
297
Zur Berufung zum außerordentlichen Professor vgl. G. Fellner Hartmann, 241 (zum 31. 12. 1918); Stein
Hartmann, 316 (Ende 1918); Bauer Hartmann, 208 (1919). Zur Berufung zum ordentlichen Professor vgl. G.
Fellner Hartmann, 242 (am 30. Juli 1924); Stein Hartmann, 316.
298
Vgl. Pribram Tod, 113; Stein Hartmann, 328: „Sein Vortrag war von ruhiger, vornehm-lässiger Art, doch
nicht eintönig oder gar langweilig“, der Aufwand an Zeit den der vielbeschäftigte Mann der Unterweisung seiner
Schüler gewidmet habe, sei unglaublich gewesen; s. auch Adler Gedächtnis, 108: Seine Schüler an der
Universität und in den Volkshochschulen hätten nicht nur mit Verehrung, sondern mit Liebe an ihm gehangen.
Über Hartmanns pädagogische Prämissen für den Beruf des Historikers eingehend: Herholt Hartmann, 72-87.
299
S. Stein Hartmann, 328: Hartmanns Übungen zur Zeit von Steins Studium bei ihm hätten „sechs oder acht“
Teilnehmer gezählt. S. (aber) auch Adler Gedächtnis, 108: Die Zahl seiner Schüler sei stetig gewachsen.
300
Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 110; s. auch Höflechner Baumeister, 38, 64. Der ab 1907 unternommene
Versuch, an den Universitäten klerikal-restaurative Ziele durchzusetzen, - vgl. Kann Hochschule, 516 (Luegers
Aufruf zur „Eroberung der Universitäten“ auf dem Katholikentag 1907); zur gleichzeitigen ähnlichen
Entwicklung im Deutschen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 180-185, auch 390 - blieb erfolglos (vgl.
Preglau-Hämmerle Funktion, 111, insb. zur sog. „Wahrmund-Affäre“ [Abberufung des vormals streng
kirchentreuen, sich seit 1902 immer mehr dem nationalen Lager nähernden Professors für Kirchenrecht an der
juristischen Fakultät der Universität Innsbruck Ludwig Wahrmund, auf Betreiben der Christlichsozialen und
kirchlicher Kreise], welche Anfang 1908 zum ersten - dreiwöchigen und österreichweiten - Studentenstreik führte
(eingehend dazu Kann Hochschule 515-519).
56

gegen den für die Gründung einer tschechischen Schule in Wien eintretenden Rektor
der Wiener Universität, Friedrich Maassen, 1897 Demonstrationen gegen die
Sprachenverordnungen der Regierung (Kasimir Graf von) Badeni. 301 Da Hartmann
ebenfalls (deutsch-)national eingestellt war, hätte ihm dieser Stimmungsumschwung
- abgesehen von seinen gewalttätigen Folgen - auf den ersten Blick entgegen
kommen müssen.

Jedoch setzte sich in den 1880er Jahren der Antisemitismus bei den
deutschnationalen Studentenverbindungen durch, und es erfolgten immer wieder
Ausschreitungen gegen jüdische Studenten. 302 Die schwersten ereigneten sich im
Mai 1913 an der Universität Wien und führten zu deren vorübergehender Schließung
und einem allgemeinen Farbenverbot. 303 Auch diese Entwicklung führte schließlich
1920 zum Boykott von Hartmanns Lehrveranstaltungen durch die deutschnationale
Studentenschaft, „weil er ihr wegen seiner sozialistischen Gesinnung und halb
jüdischen Abkunft als ein Schädling des deutschen Volkes galt.“ 304

Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt selbst der Außenseiter Hartmann zwei -
reichsdeutsche - Ehrendoktorate, dies allerdings möglicherweise weniger wegen
seiner wissenschaftlichen Verdienste als wegen seines Engagements für den
„Anschluss“ Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich.305
301
Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 110; vgl. auch Blaukopf Apocalypse, 42 zu den Studentenunruhen vom
November 1908 sowie Whiteside Germans, 190, 194, 197, der die Ausschreitungen von Deutschen in Böhmen
nach Erlass der Badenischen Sprachenverordnungen als das für die Spaltung der Nationen Österreichs
entscheidende Ereignis betrachtet - zu Verlauf und Folgen dieser Ausschreitungen inklusive zu von Schönerers
Rolle dabei vgl. ebd., 190-197. Zu den Nationalitätenkämpfen an der Universität Wien bzw. an den
cisleithanischen Universitäten s. Hamann Wien, 387-393 bzw. Otruba Universitäten, 101-104.
302
Vgl. Preglau-Hämmerle Funktion, 111 f.; s. auch Höflechner Baumeister, 24-29, 32 f., 36-38, insb. 37: 1897
habe in Wien der erste deutsche Studententag stattgefunden, d. h. eine Versammlung „deutsch-arischer“
Studierender an österreichischen Hochschulen; ebd., 36: [offenbar 1908] Gründung eines „jüdisch-nationalen
Hochschulausschusses“ an der Universität Wien.
303
Vgl. Höflechner Baumeister, 26.
304
Vgl. Stein Hartmann, 317; auch Lenel Vermischtes, 572 (Boykott durch die größte Studentenorganisation, die
“Deutschen Studentenschaft”). Vgl. ferner Rathkolb Hartmann, 52: Hartmann habe auch die „national denkende
Jugend“ [wohl Zitat Karl Renner] im Rahmen des Sozialwissenschaftlichen Bibliotheksvereins in den Kampf der
Arbeiterbewegung um soziale Gerechtigkeit einbinden wollen - sowie ebd., 53 f. (Zitat Karl Renner): Während
dieser Besprechungen habe ein Vertreter der Verbindung gefragt, „wie wir es mit dem Judenpunkt hielten.“
Nach der Antwort habe „der Vertreter der Gegenseite“ erwidert: „ Man kann von deutschen Studenten nicht
verlangen, daß sie sich mit Jungen, deren Väter Hausierer und Binkeljuden gewesen, an einen Tisch setzen“, und
damit sei die Sitzung aufgehoben gewesen.
305
Und zwar (jeweils) der Staatswissenschaften im August 1919 an der Universität Bonn und 1922 an der
Universität Heidelberg - vgl. Stein Hartmann, 316 f. sowie G. Fellner Hartmann, 242 (In der Begründung der
letzteren Verleihung sei nicht nur auf seine Verdienste um die „fachwissenschaftliche Forschung“, sondern auch
um die „popularisierende Darstellung“ bzw. „Gestaltung des Volkshochschulwesens“ verwiesen worden.
Drittens sei „mit Nachdruck“ seine Rolle als Politiker, der seine Kraft für die „volle staatliche Einigung des
Deutschtums“ eingesetzt habe, hervorgehoben worden.).
57

Zudem wurde er von Viktor Adler als neuem Außenminister im November 1918 zum
Archivbevollmächtigten für Deutsch-Österreich bestellt, als welcher er in seiner
kurzen Amtszeit von nur zwei Wochen die Sicherung, Sammlung und Ordnung der
die unmittelbare Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges betreffenden Akten
veranlasste und die Weichen für deren vorbehaltlose Publikation stellte. 306 In einem
Bericht an Otto Bauer vom 24. Dezember 1918 sprach er sich dafür aus, die Akten
„mit Vollständigkeit und Exaktheit“ zu edieren, und zwar „vor allem im Interesse der
historischen Wahrheit, für die ich auch als sogenannter Diplomat [s. dazu sogleich]
nach wie vor ein faible habe“. 307 Bereits am 8. Dezember hatte er Lujo Brentano
geschrieben, die bevorstehenden Veröffentlichungen seien „in der Tat für Österreich
niederschmetternd“.308 Die später dann erfolgte Publikation war gemäß Stephan
Bauer nach denen der Bolschewiki „die erste ernsthafte Aktenpublikation über den
Kriegsausbruch.“309

Ende des Monats ging Hartmann dann als Gesandter der Republik nach Berlin, um
dort für deren „Anschluss“ an das Deutsche Reich zu wirken, und verblieb in dieser
Stellung bis zum November 1920, als er sie auf Grund der Übernahme der
österreichischen Regierung durch die Christlichsozialen verließ. 310 Dabei nahm er an
der Vorarbeit für einen Verfassungsentwurf, an der Beratung dieses Entwurfs Ende
Januar 1919 durch die Ländervertreter, mit beratender Stimme an den
Verhandlungen des Verfassungsausschusses der deutschen Nationalversammlung
in Weimar und schließlich auch - von der Bundesratstribüne aus - an denen des
Plenums teil.311

306
Vgl. dazu eingehend Engel-Janosi Geschichte, 39-52; vgl. ferner Bauer Hartmann, 207; Rathkolb Hartmann,
55 f.; Stein Hartmann, 327.
307
Vgl. Rathkolb Hartmann, 56.
308
Vgl. Engel-Janosi Geschichte, 40.
309
Bauer Hartmann, 207. Zu Motivation und Wirkung der Edition vgl. Engel-Janosi Geschichte, 42 (ohne Nw.):
In welchem Sinne diese Veröffentlichungen gewirkt hätten [richtig: wirken sollten], habe etwa eine am 15. Juli
1921 [?] an Hartmann in Berlin gerichtete Telefondepesche Renners bezeugt: „...die österreichische Regierung
(will) durch ihre Zustimmung zur Veröffentlichung ... neuerlich dartun, daß die Führung der auswärtigen
Geschäfte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die vorwiegend in der Hand von Abkömmlingen nicht-
deutscher Adelsgeschlechter lag, ihren eigenen Anschauungen keineswegs entsprach und sie daher auch keinen
Grund hat, dieselben zu decken...“ sowie ebd., 51: Die Hoffnung der ersten Monate nach Kriegsende, ein „lautes
reuevolles Schuldbekenntnis“ werde eine Milderung der Friedensbedingungen bewirken, habe sich als
Irrglauben herausgestellt.
310
Vgl. [Stephan] Bauer Hartmann, 208 [hier aber: Beginn in Berlin im Dezember 1918], insb. Otto Bauer ebd.
Zum ersten Auftreten Hartmanns als Gesandter in Berlin am 25. November 1918: Miller Ringen, 24 f.
311
Vgl. Miller Ringen, 27 f.
58

Von Februar 1919 bis Oktober 1920 erlangte er zudem für die SDAP ein Mandat in
der Nationalversammlung der Republik (Deutsch-)Österreich. 312 Hartmanns
Kandidatur scheint in seiner Partei jedoch sehr umstritten gewesen zu sein. 313
Danach wurde er dann als Vertreter des Wiener Landtags Mitglied im Bundesrat. 314
In beiden Kammern soll er wiederholt das Wort ergriffen haben, und zwar
insbesondere zu Hochschulfragen.315

Bis zuletzt als akademischer Lehrer, in der Volksbildung und in verschiedenen


politischen Funktionen tätig, starb Ludo Moritz Hartmann am 14. November 1924 auf
Grund eines Schlaganfalls.316

IV. Direkte Kontakte zwischen Friedjung, Klein und Hartmann


Von Bedeutung ist die Frage, ob sich Friedjung, Klein und Hartmann gegenseitig
beeinflusst haben. Die Annahme einer Bekanntschaft der drei untereinander drängt
sich angesichts - wenn auch selbstverständlich überzeichnender - zeitgenössischer
Aussagen auf, welche den Eindruck erwecken, jeder habe in Wien zumindest bis
1918 jeden gekannt.317 Jedenfalls waren die Diskussionszirkel und Vereine in den
1890er Jahren durch eine relative Homogenität und Begrenztheit geprägt, welche
auch darin zum Ausdruck kamen, dass dieselben Namen bei den verschiedensten
Gelegenheiten auftauchten.318

1. Friedjung und Klein

312
Vgl. Bauer Hartmann, 208; Stein Hartmann, 317. Zur SDAP bei den Wahlen zur konstituierenden
Nationalversammlung: Hawlik Parteien, Teil 2, 649-668, insb. 649-652 (Organisation), 653-655 (Sozialstruktur),
656-658 (Beziehungen zu anderen Parteien), 659-668 (Wahlkampf). Die 165 Mitglieder der konstituierenden
Nationalversammlung wurden durch - erstmalig wirklich allgemeine, da nun auch Wählerinnen umfassende -
Verhältniswahl bestimmt (vgl. Knauer Parlament, 197 f.).
313
Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 659 sowie 662, Fn. 7.
314
Vgl. Stein Hartmann, 317. Der Bundesrat umfasste zu dieser Zeit 50 Mitglieder (vgl. Knauer Parlament, 198).
315
Vgl. Stein Hartmann, 317
316
Vgl. Bauer Hartmann, 208; G. Fellner Hartmann, 243: Stein Hartmann, 329. S. auch Filla Hartmann, 99,
Endn. 36 („Nachtrag zu meinem letzten Willen. Wien, 20. März 1911. HHStA Kart. 1, Konv. 8“).
317
Vgl. das Zitat von Otto Friedlaender bei Mayr Praxiszeit, 268, Fn. 54: „... So eng war Wien damals: Jeder
begegnete einmal dem anderen.“ S. aber Janik Milieus, 46.
318
So G. Fellner Hartmann, 118. Zu den vielfältigen Verflechtungen zwischen den zahlreichen berühmten
künstlerisch-wissenschaftlichen „Wiener Kreisen“, deren Mitglieder oft in mehreren von ihnen gleichzeitig aktiv
waren, vgl. Timms Kreise, 129-138, insb. 132. S. auch ebd. 131: Es hätten nur wenige Frauen an ihnen
teilgenommen; ebd., 136: Viele Angehörige dieser Kreise seien keine gebürtigen Wiener gewesen; ebd., 137:
Eine große Anzahl sei jüdischer Herkunft gewesen. S. noch Schorske Wien, XVIII.
59

Friedjung und Klein haben sich gekannt. So waren sie gleichzeitig Mitglieder der
Burschenschaft „Braune Arminia“.319 Zudem gehörten beide dem ca. 40 Männer aus
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft umfassenden Kreis um den angesehenen
Staatsmann und Hochschulprofessor Gustav Marchet an, welcher von Ende 1914 bis
April 1916 u. a. über die österreichisch-ungarischen „Kriegsziele“ debattierte, für ein
enges Bündnis mit dem Wilhelminischen Deutschland und eine Vormachtstellung der
Deutschösterreicher in Österreich eintrat und seine Vorstellungen unter führenden
Politikern, Bürokraten und Militärs zu verbreiten suchte. 320 Darüber hinaus dürfte
neben Friedjung auch Klein der vorwiegend von Angehörigen jenes Kreises
gebildeten, von 1915 bis 1918/19 bestehenden „Österreichischen Politischen
Gesellschaft“ (ÖPG) angehört haben.321 Interessant ist ferner, dass aus der ÖPG
nach dem Krieg die Bürgerlich-demokratische Partei (BDP) hervorgegangen ist, in
der Klein dann eine so prominente Rolle gespielt hat. 322 Eine gegenseitige
Beeinflussung der beiden Männer könnte nach allem am ehesten im Hinblick auf die
Kriegsziele Österreich-Ungarns erfolgt sein.

2. Friedjung und Hartmann


Friedjung und Hartmann waren Freunde. 323 Vom ständig im Hause von Bertha
Hartmann verkehrenden, vierzehn Jahre älteren Friedjung soll Hartmann viele
319
Vgl. Mayr Praxiszeit, 267 (i. V. m. 268) über Klein, 268 Fn. 50 über Friedjung; s. ferner das Zitat von Ernst
Blum bei Mayr Praxiszeit, 268 Fn. 50: „Sie [die „Braune Arminia“] bot ihm Gelegenheit, mit vielen der Besten
[sic] seiner Kollegen in regen Verkehr, in warme Freundschaft zu kommen. ...Heinrich Friedjung und viele
andere gehörten zu seinem Kreise.“.
320
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 20 f. S. auch Friedjung Geschichte, Bd. 2, 412 (Gespräch mit von
Bethmann-Hollweg in Berlin am 1. November 1915): „Eingehend sprach er mit mir die Stimmungen und
Strömungen für und gegen den Mitteleuropäischen Wirtschaftsbund durch. Ich legte ... die Stellung Koerbers,
Becks, Kleins, Baernreithers dar.“). Zur Gruppe um Gustav Marchet vgl. F. Fellner Denkschriften, 228-231,
insb. 231 (Es sei bei dem derzeitigen Forschungsstand nicht klar zu unterscheiden, ob die Gruppe von
Herrenhausmitgliedern, mit denen zusammen Baernreither zur gleichen Zeit Beratungen über die Zukunft
Österreich-Ungarns gepflegt habe, eine selbständige Gruppierung gewesen sei oder bloß in Ergänzung zum
Marchet-Kreis eigenständige Beratungen durchgeführt habe.).
321
Zur „Österreichischen Politischen Gesellschaft“ vgl. Morgenbrod Großbürgertum, 42-206, insb. 56, 81: Deren
personelle Basis habe zu einem erheblichen Teil aus Mitgliedern des „Marchet-Kreises“ bestanden. Zu
Friedjungs Zugehörigkeit vgl. ebd., 218, 56, Fn. 3, auch 59, 73 i. V. m. Fn. 11 (Reden Friedrich von Wiesers und
Friedjungs auf der Trauerkundgebung der ÖPG vom 2. Dezember 1916 anlässlich des Todes Kaiser Franz
Josephs). Was Kleins Mitgliedschaft betrifft, so gibt Hawlik Parteien, Teil 2, 511, Fn. 31 für die Mitglieder des
provisorischen Ausschusses der Bürgerlich-demokratischen Partei Ende 1918/Anfang 1919, unter denen sich
auch Klein befand, an, sie seien mit Ausnahme eines E. Breßler [gleichzeitig] durchwegs Angehörige der ÖPG
gewesen. Auf der anderen Seite geht aus ebd., Teil 3, Blatt 66 hervor, dass Klein jedenfalls Anfang Dezember
1918 nicht Mitglied der ÖPG war. Die Bezeichnung der Mitglieder der ÖPG im Titel des diese Gesellschaft
behandelnden Werkes von Morgenbrod - „Großbürgertum“ - trifft übrigens auf Friedjung wie auch auf Klein
kaum zu. Vgl. noch Morgenbrod Großbürgertum, 185-198 und Hawlik Parteien, 489 f. über die von Anfang bis
Oktober 1917 in der ÖPG zwischenzeitlich dominierende Tendenz der von der Gruppe um Julius Meinl
vertretenen Forderung nach baldiger Beendigung des Krieges und Wiedereinberufung des Parlaments.
322
Vgl. zu diesem Hervorgehen Hawlik Parteien, Teil 2, 488-490; Morgenbrod Großbürgertum, 201.
323
Vgl. G. Fellner Hartmann, 103; vgl. auch ebd., 405, Endn. 204: Friedjung sei mit Hartmann „familiär [?]
verbunden“ gewesen.
60

Anregungen gewonnen haben. 324 Zudem waren sie in einigen Kreisen gemeinsam
aktiv, nämlich bei den Wiener Fabiern, in bzw. „in der Umgebung“ der
„Sozialpolitischen Partei“ - wo sich Hartmann freilich „am kritischen Flügel“ befand -
und, gemeinsam u. a. mit Hainisch, Pernerstorfer, Alfred F. Pribram und Theodor
Gomperz, in den zwanglosen Runden der in der Vorkriegszeit um Friedjung
gebildeten „Gesellschaft für Geschichtsfreunde“.325

Die nach dem Muster der englischen Fabian Society 1893 auf Initiative von Otto
Wittelshöfer gegründete und bereits kurz nach der Jahrhundertwende aufgelöste
„Wiener Fabier Gesellschaft“ war eine freie Diskutiergruppe, die sozialpolitisch
ähnlich ausgerichtet war wie der „Verein für Socialpolitik“ im Deutschen Reich und an
deren Treffen auch Frauen sowie - an Vortragsabenden - Viktor Adler, Pernerstorfer
und andere sozialistische Führer teilnahmen; bekannt wurde ihre Versammlung vom
18. Dezember 1894, auf welcher sich Hainisch, Wittelshöfer und Philippovich „im
Prinzip“ für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts aussprachen. 326

Teilweise von Mitgliedern der Fabier, teilweise von mit der Politik der „Altliberalen“
unzufriedenen Liberalen, wurde im März 1893 der lose organisierte und bis ca. 1907
bestehende „Sozialpolitische Verein“ gegründet. 327 Auch auf seinen Versammlungen
erschienen - z. T. prominente - Sozialdemokraten sowie Mitglieder der „Vereinigten
324
Vgl. Herholt Hartmann, 18; s. auch das Zitat aus Hartmanns Brief vom 9. Januar 1914 an Friedjung bei F.
Fellner Friedjung, 657 sowie Pribram Tod, 109: „Heinrich Friedjung ward dem Gymnasiasten Führer durch das
Gebiet der Universalgeschichte.“.
325
Gleichzeitige Aktivität bei den Wiener Fabiern und Hartmann „am kritischen Flügel“: G. Fellner Hartmann,
118; zu Friedjung bei den Fabiern vgl. Holleis Partei, 13, 23. In bzw. „in der Umgebung“ der „Sozialpolitischen
Partei“: G. Fellner Hartmann, 120. In der - nach Friedjungs Tod in „Friedjung-Gesellschaft“ umbenannten -
„Gesellschaft für Geschichtsfreunde“: G. Fellner Hartmann, 310 f.; zu letzterer auch Adlgasser/Friedrich
Einleitung, 14: Sie sei von Alfred Francis Pribram und Hartmann als „Friedjung-Gesellschaft“ zur Erforschung
der Zeitgeschichte weitergeführt worden, wobei das vorrangige Ziel darin bestanden habe, Politiker und Militärs
zur Geschichte des Weltkriegs sprechen zu lassen. Bundespräsident Michael Hainisch, ein alter Freund
Friedjungs und Mitglied der Gesellschaft, habe für die Veranstaltungen schließlich einen Raum im Palais am
Ballhausplatz zur Verfügung gestellt (s. auch G. Fellner Hartmann, 311: Es sei wegen ihres „jüdische[n]
Charakters“ eine „Gegengründung“ u. a. durch Alfons Dopsch und Wilhelm Bauer erfolgt.).
326
Vgl. Holleis Partei, 9-14, insb. 10 f., 13; zur Ähnlichkeit der Ziele der Wiener Fabier und des Vereins für
Socialpolitik vgl. G. Fellner Hartmann, 118; zu den sozialistischen Führern als Gästen vgl. Adler Gedächtnis,
106. Nach Adler ebd. war Hartmann zusammen mit Wittelshöfer, Hainisch und anderen Gründer der
Gesellschaft, während Hartmann gemäß Rathkolb Hartmann, 52 erst um 1895 in den Kreisen der Fabier in
Erscheinung trat. Vgl. darüber hinaus noch Holleis Partei, 13: Die Teilnahme der Damen habe der Gesellschaft
das Gepräge eines Salons gegeben - - zur Wiener Salonkultur um die Jahrhundertwende: Ackerl Salonkultur,
695-709.
327
Vgl. Holleis Partei, 14 f., insb. auch den Bericht an die k. u. k. Polizeidirektion ebd., 15: Der Verein scheine
„ein Sammelpunkt für alle jene Elemente zu werden, welche der proletarische Geist der Arbeiterbewegung in
den Reihen der Sozialdemokraten nicht duldet. Tatsächlich sind dem Verein Angehörige der verschiedenen
Bevölkerungsklassen ... beigetreten.“; zur losen Organisation: ebd., 25; zur faktischen Auflösung gegen 1907:
ebd., 100.
61

Deutschen Linken“, wie die Partei der „Altliberalen“ zu dieser Zeit hieß. 328 Ziel des
Vereins war neben sozialpolitischen Forderungen die Einführung des [für Männer]
allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, weswegen es entgegen
der ursprünglichen Absicht seiner Mitglieder zu einer Trennung von den „Altliberalen“
kam.329 Der Verein unterstütze im Wiener Gemeinderatswahlkampf 1896 die dann
jedoch wenig erfolgreichen sozialdemokratischen Kandidaten. 330

Offenbar im selben Jahr ging aus dem Sozialpolitischen Verein die „Sozialpolitische
Partei“ hervor, die eine Verbindung von politischer Freiheit und umfassender
Sozialreform hin zu einem freiheitlichen Wohlfahrtsstaat sowie die Abwehr von
Klerikalismus und Antisemitismus anstrebte und zunächst einiges Aufsehen
erregte.331 Auch ihre Mitglieder traten für das allgemeine und gleiche Wahlrecht [für
Männer] ein.332 Diese Honoratiorenpartei hat es gemäß Eva Holleis zwar vermocht,
das Interesse des liberalen Bürgertums an Sozialpolitik als einer geistigen Strömung,
nicht jedoch als einer praktischen Parteipolitik zu erwecken. 333 Noch weniger habe
sie Einfluss auf die „breite Masse des Volkes“ nehmen können. 334 Auch daher löste
sie sich nach der Erfüllung ihrer Forderung nach dem allgemeinen und gleichen
Wahlrecht ebenso wie der Sozialpolitische Verein gegen 1907 faktisch auf. 335

Darüber hinaus gründeten Friedjung und Hartmann zusammen mit anderen 1901
den „Politischen Aufklärungsverein“, welcher die „Masse des Volkes“ politisch bilden
sollte; er war in erster Linie gegen die Christlichsoziale Partei gerichtet und
bekämpfte den Antisemitismus.336 1902 unterstützte dieser Verein den im 9. Wiener
Gemeindebezirk kandidierenden Kompromisskandidaten der Sozialpolitischen Partei,
der Fortschrittspartei und der Sozialdemokraten gegen den christlichsozialen
Kandidaten, wobei Hartmann Obmann des Wahlkomitees war. 337

328
Vgl. Holleis Partei, 15-17.
329
Vgl. Holleis Partei, 14, 17.
330
Vgl. Holleis Partei, 26 f.
331
Vgl. Holleis Partei, 35-38.
332
Vgl. Holleis Partei, 37.
333
Vgl. Holleis Partei, 106.
334
Vgl. Holleis Partei, 107.
335
Vgl. Holleis Partei, 100.
336
Vgl. Holleis Partei, 81 (1901: s. ebd., Fn. 15).
337
Vgl. Holleis Partei, 81 (1902: s. ebd., Fn. 18).
62

Ferner informierte Hartmann Friedjung im März 1918 über einen ihm von Heinrich
Lammasch vorgelegten Text zur Friedenspolitik, woraufhin Friedjung eine
Pressekampagne gegen Lammasch führte, da er in dem Text einen Verrat an dem
Bündnis mit dem Deutschen Reich erblickte. 338

Die Freundschaft zwischen Friedjung und Hartmann bedeutete jedoch keineswegs,


dass sie in allen ihren politischen und wissenschaftlichen Ansichten
übereinstimmten; im Gegenteil: Die Kluft zwischen ihnen war insofern sehr groß.
Gerade ihre geschichtswissenschaftlichen Ansätze waren, wie noch zu zeigen sein
wird, disparat. Dies alles sprach Hartmann in einem Brief an Louis Eisenmann vom
28. 7. 1920, also kurz nach Friedjungs Tod, aus: „Wie Sie wissen, haben wir ja vor
einiger Zeit kleine Reibungen miteinander gehabt, aber dann doch in voller
Freundschaft miteinander verkehrt. Dass [sic] sich Friedjung in die neuen
Verhältnisse nicht mehr hineinfinden konnte, war ein Schicksal, das sich bei seiner
ganzen Entwicklung konsequent ergeben mußte. Er ist bei all seinen glänzenden
schriftstellerischen Eigenschaften ein Epigone der Historiker der 60[er] Jahre
gewesen und als Politiker ein Epigone der Bismarck’schen Aera und Österreichs. Ich
hatte es natürlich schon viele Jahre vermieden, mich in politische
Auseinandersetzungen mit ihm einzulassen; aber all dies verhindert nicht, daß ich ...
den Wert des Menschen erfasse und anerkenne.“ 339 Der Kern ihrer
wissenschaftlichen und politischen Auffassungen ist also von einer Beeinflussung
durch den jeweils anderen unberührt geblieben.

3. Klein und Hartmann


Ob sich Klein und Hartmann kannten, geht aus den Veröffentlichungen über die
beiden nicht hervor. Sie könnten sich im Österreichisch-Deutschen Volksbund (ÖDV)
begegnet sein; denn dieser wurde von Hartmann gegründet, erwuchs aber aus
einem Gala-Treffen am 17. November 1918 in Berlin und einem daraufhin
entstandenen österreichisch-reichsdeutschen Komitee, welche Klein organisiert
338
Zu den Einzelheiten der Kampagne s. unten, E. I. 1. a. aa. Vgl. ferner Lammasch Denkschrift, 2: Hartmann
habe sich in einem Brief an ihn, Lammasch, als Informator Friedjungs zu erkennen gegeben. Zu Hartmanns
Rolle in dieser Angelegenheit kritisch Hartmanns Parteigenosse Karl Renner unter Pseudonym in der
sozialdemokratischen Zeitschrift „Der Kampf“: Mann Deutschland, 308 f., insb. 309: „... obwohl er [Hartmann]
die Kenntnis dieses Materials nur der Vertrauensseligkeit Lammasch’ [sic] verdankte und obwohl Lammasch
gerade damals von dem ganzen reaktionären und imperialistischen Klüngel im Herrenhause angefallen wurde.
Was tut man nicht alles, wenn man das Vaterland in Gefahr glaubt!“ S. (allerdings) auch Lammasch Denkschrift,
2: Er habe Hartmann nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet. Vgl. ferner Friedjung Erwiderung, 2: „Dr.
Hartmann ... die volle Verläßlichkeit meines Gewährsmannes über jeden Zweifel erhaben.“.
339
Bei G. Fellner Hartmann, 395, Endn. 117. Vgl. ferner ebd., 117 im Zusammenhang mit dem Sozialismus.
63

hatte.340 Gemeinsam war Klein und Hartmann - ebenso wie anfangs Friedjung -
(auch) die Freundschaft mit Viktor Adler und Pernerstorfer. 341 So war Klein denn auch
„wohl der einzige Minister der österreichischen Monarchie, welcher
sozialdemokratischen Führern Du sagte und ihnen von der Ministerbank die Hand
schüttelte.“342 Zudem soll Klein, wie erwähnt, „an der Spitze“ der Wiener
internationalen Universitätskurse gestanden haben - was mit einiger Sicherheit eine
Bekanntschaft mit dem wissenschaftlich ebenfalls international orientierten und die
„Volkstümlichen Universitätscurse“ organisierenden Hartmann nach sich gezogen
haben dürfte.343 Schließlich waren beide gleichzeitig in hohen Positionen
Untergebene des Staatssekretärs Otto Bauer und stimmten zudem mit dessen
nationalpolitischen Ansichten weitgehend überein, so dass der Schluss nahe liegt,
dass sie sich kannten. Eine gegenseitige Beeinflussung Kleins und Hartmanns ist
nach allem jedoch nicht feststellbar.

C. Verhältnis zur „Wiener Moderne“344


Wie aus den Biographien ersichtlich wurde, waren alle drei Protagonisten dieser
Arbeit spätestens kurz nach der Jahrhundertwende politisch außerordentlich aktiv.
Das immer noch gängige Bild von den Trägern der „Wiener Moderne“ des
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts jedoch ist das einer
Generation, welche sich von dem Geschmack und der altliberalen, im Niedergang
begriffenen Politik ihrer Väter gänzlich abgekehrt und sich aus der Politik gänzlich in
das Intime, Individuelle, Persönliche, Subjektive zurückgezogen und dort ihre Psyche
bespiegelt habe.345 Sie sei aus der Wirklichkeit geflohen und habe

340
Zur Gründung des ÖDV durch Hartmann vgl. das Zitat von Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208.
Zur Entstehung des ÖDV aus dem von Klein organisierten Treffen und Komitee vgl. Myers Berlin, 161, („Soon
these activities enjoyed the aid of Schotte and Hartmann...”); vgl. auch Meyer Mitteleuropa, 293.
341
Zu Kleins Verhältnis zu Viktor Adler und Pernerstorfer vgl. Mayr Praxiszeit, 268, 270 (Zitat Adolf Bachrach);
s. ferner Mayr Schulzeit, 44.
342
Vgl. Mayr Praxiszeit, 274 (Zitat aus nachgelassenen „Biographischen Notizen“ - s. 273, insb. Fn. 80:
wahrscheinlich von Ottilie Friedlaender verfasst).
343
Zitat: Schima Artikel ÖBL, 379; vgl. auch Sprung Lebensweg, 55. Zudem hielt Klein Vorträge im Wiener
Volksbildungsverein (über diesen vgl. Hartmann Kulturjubiläum, 178), so z. B. 1890 Klein Rechte, 379-393.
344
Reszler Mythe, 37 bezeichnet diese Periode gar als [damit doch wohl recht konfliktlose und sorgenfreie]
„Belle Époque viennoise“.
345
Vgl. Schorske Wien, 265-346 sowie XVII: Es sei zu einer Art kollektiver Ödipusrevolte gekommen, zu einer
allgegenwärtigen und gleichzeitigen Kritik des liberal-rationalen Erbes von verschiedenen Gebieten kultureller
Tätigkeit her. Vgl. ferner ebd., XVIII: „So schien sich in Österreich eine neue Kultur zu entwickeln wie in einem
Gewächshaus, wobei die politische Krise die Wärme lieferte.“ Vgl. auch Charle Vordenker, 165-168, insb. 167:
„Diese Avantgarde, die nichts mit Politik, Engagement und Öffentlichkeit zu tun haben will, verkörpert die
Extremform des Intellektualismus im Stil des Fin de siècle.“; Hanák Lebensgefühl, 157; Le Rider Ende, 29;
Mantl Modernisierung, 82, 97; Pollak Wien, 26; Zapotoczky Analysen, 36 f.: Die mangelnden
Partizipationsmöglichkeiten im politischen und wirtschaftlichen Bereich hätten Kapitulation (Resignation),
Innere Emigration oder den Versuch, Stärke zu beweisen, zur Folge gehabt; vgl. ferner Knoll Konstruktion, 48.
64

Krisenverdeckungsstrategien sowie Fiktionen als Kunstgriffe der Lebensbewältigung


entwickelt.346 Allen zahlreichen parallelen, konvergierenden Strömungen im Wien des
Fin de siècle sei gemeinsam gewesen das Bemühen, „die Indispensabilität des
Subjektes“ als des „unabdingbare[n] Konstituens“ der Wirklichkeit aufzuzeigen. 347

Eine Untersuchung dieses immer noch dominierenden Bildes ist notwendig, um es mit
der hohen politischen Aktivität der drei hier im Mittelpunkt stehenden Gelehrten in
Beziehung zu setzen und es dabei zugleich teilweise zu korrigieren. Dieser Blick auf
die „Wiener Moderne“ ist inzwischen denn auch zu Recht vielfältig kritisiert worden. 348
Er muss schon deswegen einseitig sein, weil er sich fast ausschließlich auf die
damalige Künstlerelite richtet. Dabei fehlt nicht bloß der Blick auf die „Massen“,
sondern auch auf politisch aktive und keinesfalls dem Persönlichen huldigende
Nichtkünstler wie eben zum Beispiel Friedjung, Klein und Hartmann. 349
Kritisch zur Mode „Wien um 1900“: Brix Interesse, 138-150; Ehalt Wien, 11-13; Mantl Wien, 253-256; Reszler
Mythe, 39-41. Zur zumindest teilweisen Unangemessenheit des viel gebrauchten Diktums „Rückzug aus der
Politik“ in diesem Zusammenhang s. oben, Fn. 4; vgl. auch unten, Fn. 398.
346
So Mantl Modernisierung, 95-97.
347
Vgl. Leser Strömungen, 67. Offenbar hat dazu auch die im Wien der Jahrhundertwende einflussreiche,
allerdings auch oft missverstandene - materialistische - Philosophie Ernst Machs der Welt als eines Komplexes
von Einzelempfindungen beigetragen - vgl. Wagner Besonderheiten, 17. Nur stellte danach auch das Ich selbst
lediglich einen solchen Komplex dar - vgl. Weibel Quadrupel, 410; auch Wagner ebd., 13. Die Auffassung des um
diese Zeit ebenfalls in Wien forschenden und lehrenden Ludwig Boltzmann vom individuellen Gehirn als einem
Weltbild-Apparat und vom Fortschritt nicht als einer Kumulation der Fakten, sondern einer Anpassung der
Theorie an die Bedürfnisse - vgl. Wagner Besonderheiten, 13 - dürfte (daher) prinzipiell (noch) geeigneter zur
Entstehung des genannten Weltbildes gewesen sein als Machs Konzept. Zur Verbindung von Positivismus und
Impressionismus in der „Wiener Moderne“ vgl. Kampits Positivismus, 98-110, insb. 109: (Diese stelle eine
Spezialität der österreichischen Geistigkeit um die Jahrhundertwende dar - ob sie ein Erklärungsprinzip für die
kulturell-geistige Situation in Wien um 1900 abgeben könne, sei „sicherlich kaum eindeutig zu entscheiden.“).
Eine eigenwillige Sicht von der Philosophie in Österreich-Ungarn zwischen 1900 und 1930 als modern, d. h. das
„Alte“ und das „Neue“ polarisierend, (Positivismus mit aufklärerischen und sozialreformerischen Funktionen,
Präsentismus und österreichische Schule der Nationalökonomie) und derjenigen im Deutschen Reich als die
Moderne und die Tradition versöhnend und die Moderne lediglich selektiv aufnehmend, (Neukantianismus,
Historismus) findet sich bei Kiss Intellektuellen, 199-203.
348
S. v. a. Coen Vienna, 1-31, insb. 1-3, sowie 333-352, insb. 337 (hier allerdings mit wenig überzeugender Argu-
mentation: “... what looked to Schorske like the middle class’s retreat from the public sphere was really a symp -
tom of a larger transformation in the relation of state, society, and family, one that liberals found themselves pow-
erless to stop.” - s. auch 351: “To Schorske, and to most theorists of Central European history in the tradition of
Jürgen Habermas, liberalism and the public sphere have appeared to be mutually constitutive historical phenom-
ena. This study has instead emphasized the debt of Austrian liberalism, for better or worse, to the domestic world
of the educated middle class. ... The challenges of family life, as they saw them, were those of a liberal society in
miniature.”); Roth History, 729-745; Spector Garden, 691-710, insb. 691-695, 702, 706 f.; Steinberg Vienna, 151-
162, insb. 151-155.
349
S. dazu auch Sandgruber Exklusivität, 77: Was aus bürgerlicher Sicht als das „Zeitalter der Sicherheit“
[Stefan Zweig - s. unten, Fn. 352] erschienen sei, sei aus der Sicht der Arbeiter eine Zeit starker Unsicherheit
gewesen. Ehalt Wien, 11, 13: Kritik der Ausklammerung der „kleinen Leute“ und des Alltagslebens selbst der
Mittel- und Oberschichten. Zu den politischen Massenbewegungen als Bestandteil der Wiener Moderne: Fischer
Theorie, 110. Die Pluralität, die Heterogenität, die Komplexität, die Ambivalenz und die Widersprüche im Wien
um 1900 allgemein und damit die Problematik vereinheitlichender Begriffe [wie „der“ „Wiener Moderne“]
streichen heraus: Ehalt Wien, 10 f.; Latraverse/Moser Avant-propos, 6-8; Leser Strömungen, 63;
Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 27 f.; s. auch Johnston Geistesgeschichte, 398-401. Allerdings ist einzuräumen,
dass Wien in dieser Zeit auch den Typus des Künstler-Politikers à la von Schönerer, Lueger, Herzl und Viktor
65

Zudem werden die Kontinuitäten zwischen den Generationen ausgeklammert. 350


Gerade die Wiener Kunst dieser Zeit gilt denn auch bekanntlich als deutlich mehr auf
Traditionen aufbauend als etwa die in Berlin.351 Außerdem ist die mit diesem Bild
regelmäßig verbundene Behauptung der extremen Verunsicherung des Wiener
Bürgertums im Fin de siècle stark zu relativieren. 352 Schließlich haben sich sogar
einige führende Wiener Künstler politisch engagiert, direkte Verbindungen zu
„progressiven“ politischen Ideen gepflegt und unmittelbare soziale Ziele verfolgt. 353

Aber auch soweit mit diesem Bild gewisse Strömungen korrekt gezeichnet sind,
tragen diese viel eher „postmoderne“ als moderne Züge und waren damit weniger ein
„Labor(atorium) der Moderne“ und nicht etwa ein „Leuchtfeuer der Moderne“ (William

Adler hervorgerufen hat - dazu unten, E. I. 1. b.


350
Dazu kritisch: Coen Vienna, 345. S. auch Knoll Konstruktion, 48: Selbst während der gewaltigen
Entwicklung des Fin de siècle habe in Österreich eine beharrliche Form der Verweigerung oder Verleugnung
von Veränderung und Veränderbarkeit dominiert.
351
Vgl. nur Le Rider Ende, 30-33 (Überschrift „Wenn die Modernen die Alten respektieren“); Streim Kraus, 180-
189 (Überschrift „Wien und Berlin“ - Tradition vs. Maschine [Karl Kraus]“); s. auch Leser Strömungen, 68;
Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 39-41.
352
So vor allem Coen Vienna, passim, insb. 13. Zur Dimension der Unsicherheit s. auch Leser Strömungen, 64,
der die „Widersprüchlichkeit der Situation“ konstatiert: Die „Welt der Sicherheit“, die Stefan Zweig später in „Die
Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers“, vorgeführt habe, sei gleichzeitig eine Welt der Unsicherheit
gewesen, wie dieser im Laufe des Buches selbst schreibe: „Wir tafelten wie weiland König Belsazar und sahen
nicht die Zeichen der Zeit und mußten dann erst erkennen, daß wir an der Zeit vorbei gelebt haben.“ Die von
Leser konstatierte „Widersprüchlichkeit“ war nach Zweig jedoch nur ein Auseinanderfallen von „objektiver“, erst
ex post verstandener Unsicherheit und dem seinerzeit gemäß Zweig bestehenden Sicherheitsgefühl.
353
Vgl. Csáky Moderne, 34 (mit Beispielen für das politische Engagement - Kreis um „Die Zeit“
[Österreichische Fabier] - für die direkten Verbindungen: Marxismus, Sozialdemokratie, Lipiner-Kreis,
Sozialliberale Partei - für die sozialen Ziele: Secession und Wiener Werkstätte).
66

M. Johnston).354 Denn Modernisierung - und auch „Modernität“ und „die Moderne“ 355
- ist nach heutigem und offenbar auch nach dem um 1900 üblichen, ob nun
affirmativen oder pejorativen, Sprachgebrauch gekennzeichnet durch Indikatoren wie
Fortschritts- und Wissenschaftsoptimismus, Rationalisierung, Arbeitsteilung,
Wirtschaftswachstum, Bevölkerungszunahme, neue Verkehrs- und
Kommunikationsmittel, Bürokratisierung, Industrialisierung, Urbanisierung,
Säkularisierung, Emanzipation von Frauen, von Unterschichten sowie von religiösen
und nationalen Minderheiten, Demokratisierung des politischen Prozesses, Aufstieg
von Parteien und Verbänden, Rechtsgleichheit, grundrechtlich gesicherte Freiheiten,
Mobilität [und Globalisierung] und Mindeststandards sozialer Sicherheit. 356

Die „Wiener Moderne“ hingegen war geprägt gerade von Kritik an der wirtschaftlich-
technischen Modernisierung inklusive eines durch die Modernisierungskosten
hervorgerufenes Krisenbewusstseins und Dekadenzgefühls. 357 Auch der für deren

354
So zu Recht Le Rider Ende, 10: Die Wiener Moderne könne als die Vorwegnahme einiger wesentlicher
„postmoderner“ Themen gelten; 21: Die Zeitgenossen Freuds und Hofmannsthals hätten ihre Situation in Wien
eher als Behinderung betrachtet, fast als Exil. Das Kultur-, Geistes- und Universitätsleben der anderen
europäischen Hauptstädte sei stets Gegenstand ihres Neids gewesen. Sie selbst hätten kaum daran gedacht, ihre
Stadt als Zentrum der Moderne zu bezeichnen. Sie hätten sie eher eine Bastion aller Archaismen genannt; vgl.
zudem ebd., 35-39. Ähnlich: Cometti Conception, 184, Fn. 2; Fischer Theorie, 120-122; Janik Vienna, 156;
Kampits Positivismus, 110; Kiss Intellektuellen, 197, Fn. 3 (neben dem Individualismus auch noch auf die „anti-
totalitären“ und konsumfeindlichen Einstellungen der „Wiener Modernen“ hinweisend); Topitsch Wien, 23, 27.
„Leuchtfeuer der Moderne“: Johnston Geistesgeschichte, 404. Zur oft gebrauchten Bezeichnung „Labor der
Moderne“ für das Wien um 1900 z. B.: Maderthaner Zeit, 249-257. Vermittelnd: D. Luft Modernism, 37 („...the
importance of Austrian thought in the early twentieth century is largely determined by its distinctive conjuncture
by 1900 of strong modernist and postmodernist traditions.”); ähnlich Latraverse/Moser Avant-propos, 10 f.;
Reszler Mythe, 38 f.; Welan Wien, 43; s. auch Leser Strömungen, 64 und Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 21, die
ein Nebeneinanderstehen von bzw. Schwanken zwischen Fortschrittseuphorie und Untergangserwartung
konstatieren, sowie Mantl Modernisierung, 93 f.: Die Moderne breche sich in den kritischen Großleistungen der
späten Donaumonarchie (Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka, Joseph Roth, Robert Musil,
Hermann Broch, Karl Kraus, Adolf Loos, Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein), sowohl die Moderne als auch
die Dekadenz skeptisch untersucht hätten. Zur Begriffsgeschichte von „Modern - Modernität, Moderne“:
Gumbrecht Artikel, 93-131, insb. 120-126 („Die Moderne als Programm um die Jahrhundertwende“); Piepmeier
Artikel, Sp. 53-62, insb. 59-62.
355
Für eine Unterscheidung von als substantiell verstandener Modernität/Modernisierung auf der einen und deren
theoretischer und praktischer Verarbeitung als der Moderne auf der anderen Seite aber: Horak/Mader-
thaner/Mattl/Meiss/Musner/Pfoser, Vorbemerkung, 9 f.
356
So zu Recht Mantl Modernisierung, 87. Zum um 1900 offenbar gebräuchlichen Begriff von „Moderne“ s. Le
Riders (zweite) Bemerkung oben, Fn. 354 sowie Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 38. Allerdings sei nicht Georg
Simmels einzige Definition der Moderne (aus dem Jahre 1911) verschwiegen: „Denn das Wesen der Moderne
überhaupt ist Psychologismus, das Erleben und Deuten der Welt gemäß den Reaktionen unseres Inneren und
eigentlich als einer Innenwelt, die Auflösung der festen Inhalte in das flüssige Element der Seele, aus der alle
Substanz herausgeläutert ist, [sic] und deren Formen nur noch Formen von Bewegung sind.“ - s. Frisby Simmel,
19.
357
So Mantl Modernisierung, 90-95; s. auch Johnston Geistesgeschichte, 393-397; Knoll Konstruktion, 48;
Topitsch Wien, 23. S. allgemein auch Weiß Antinomien, 52: Das Moderne sei nicht das jeweils Neue als solches,
sondern das Neue als „Fortschrittliches“. Dass der typische „Gelehrtenpolitiker“ allerdings ebenso den „Primat
des Geistes“ gerade auch im „technischen Zeitalter“ beanspruchte - s. Schmidt Gelehrtenpolitik, 18 -, sei
allerdings nicht verschwiegen.
67

Künstler konstatierte Eskapismus und ihre hohe Selbstbezogenheit vertragen sich


ebenso wenig mit dem Sprachgebrauch des Begriffs „Moderne“ wie der bei ihnen
weit verbreitete Pessimismus und die unter ihnen häufige Resignation. 358

Der Ansatz von Helmut Rumpler im Hinblick insbesondere auf die Politik im
Habsburger-Reich um 1900, als „modern“ könne nur das gelten, was heute modern
sei, und dies sei die sog. Postmoderne, bietet scheinbar eine Alternative. 359 Aber er ist
nicht nur anachronistisch, sondern mit dem erwähnten Sprachgebrauch nicht
vereinbar, weil er „Moderne“ und „Postmoderne“ auf einer Metaebene betrachtet - auf
der sich dann aus heutiger Sicht allerdings in der Tat die „Postmoderne“ als die
„wahre“ Moderne darstellt -, was dann zu einer heillosen Begriffsverwirrung führt. 360
Dies insbesondere angesichts dessen, dass Rumpler ausdrücklich eingesteht, das
„wissenschaftlich gesicherte Urteil von der Ausweglosigkeit, das
Nationalitätenproblem verfassungspolitisch zu lösen“ sei dadurch keineswegs in Frage
gestellt; es beweise eigentlich nur, dass die Politik der Monarchie in der Frage des
Nationalitätenrechtes unzeitgemäß und in diesem Sinne unmodern im Sinne von
anachronistisch gewesen sei. Unter den übergeordneten Gesichtspunkten
postmoderner Erfahrungen seit 1918 [?] sei wohl nicht die Geschichte, wie sie
notwendig verlaufen sei, zu revidieren, wohl aber das historische Urteil. 361

Die im eigentlichen Sinne moderne Richtung wurde in der Habsburger-Metropole um


die Jahrhundertwende hingegen vor allem durch die Anhänger der bereits erwähnten
„Spätaufklärung“ vertreten, denen auch Klein, Hartmann und zumindest der „frühe“

358
Zur in hohem Grade reflexiven Literatur in Wien um 1900: Pollak, Wien, 28; auch Charle Vordenker, 167 f.
Zu Pessimismus und Resignation: Mantl Modernisierung, 92 f. - weiter macht er noch gesinnungsethische
Kompromisslosigkeit und daraus folgend einen Mangel an pragmatischer Verantwortlichkeit, Weltschmerz,
Zerrissenheit, „Nervosität“, Überfeinerung, Amoralismus, Erschöpfung, taedium vitae und amor mortis aus. Zur
Nervosität: Radkau Zeitalter, passim (für das Deutsche Reich); Worbs Nervenkunst, passim (für Wien); s. auch
Hugo von Hofmannsthal, zit. bei Csáky Moderne, 30: „...hübsche Möbel und überfeine Nerven. Die Poesie
dieser Möbel erscheint uns als das Vergangene, das Spiel dieser Nerven als das Gegenwärtige.“; Nervosität als
besonderes Merkmal dieser Zeit sieht als Konstrukt an: Roelcke Krankheit, passim. Vollends unmodern im
umschriebenen Sinne war der von Knoll Konstruktion, 50 zu Recht konstatierte Anspruch der Kunst der „Wiener
Moderne“ im Fin de siècle, an die Stelle von Wirklichkeit Kunst treten zu lassen, die Wahrheit durch Bilder, die
Öffentlichkeit durch einen Schauplatz zu ersetzen, bzw. „die ‚Wahrheit’ an und für sich“ zu sein.
359
Zu diesem Ansatz: Rumpler Elemente, 86; ähnlich: Horak/Maderthaner/Mattl/Meiss/Musner/Pfoser,
Vorbemerkung, 10 f.
360
Zudem lässt dieser Ansatz den historischen „Zwischenschritt“ der mitteleuropäischen Moderne im
eigentlichen Sinne in den 1920er und frühen 1930er sowie in den 1950er bis 1970er Jahren gänzlich unbeachtet
und „springt“ einfach auf das „Übermorgen“ der Postmoderne „vor“. Die Ablehnung des Rumplerschen
Begriffsverständnisses widerspricht auch nicht der zutreffenden Bemerkung von Weiß in Fn. 382.
361
Rumpler Elemente, 89.
68

Friedjung angehörten.362 Führend unter diesen waren die jüdischstämmigen Wiener


Bürger - so dass der Jude Friedjung und der zum Teil jüdischstämmige Hartmann
insofern typisch sind.363. Hartmann war darüber hinaus auch ein
„Modernisierungstheoretiker“ in diesem Sinne. 364

Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die jeweils in den Blick
genommenen „Generationen“ - die jedoch nicht im Verhältnis von Eltern und Kindern
stehen - divergieren: Denn diejenigen unter den „Jungen“, die im Zeichen der nach
dem Börseneinbruch von 1873 folgenden Wirtschaftskrise mit ihrer Kritik an der
hergebrachten Politik in der Tat in einen - teilweise nur vorübergehenden - Konflikt mit
den „Alten“ gerieten und dieser eine neue, dennoch ebenfalls weitgehend aufgeklärte
Politik entgegensetzten, waren - wie Hartmann und beinahe auch Klein - zwischen
1855 und 1865 geboren worden.365 Die beschriebene gängige Sicht der „Wiener
Moderne“ hingegen bezieht sich hauptsächlich auf die zwischen 1870 und 1880
geborenen Jüngeren - z. B. Hugo von Hofmannsthal, Leopold von Andrian, Felix

362
Zur sog. Spätaufklärung im Wien um 1900 s. Ehs Kelsen, 79-84; Rabinbach Enlightenment, 40-42, insb. 40
(“The sphere of science in Austria ... is a Late Enlightenment, it has both the sceptical quality and this radical
quality of being more Enlightenment than the universalistic Enlightenment of the eighteenth century.” Für die
Wiener Moderne konstatiert er “a great deal of scepticism about universality, laws of history” und fügt hinzu:
“Yet at the same time, a devout belief in science, a devout understanding of the liberating potential of science as
the organizing principle of the modern world...” Vgl. auch Knoll Konstruktion, 49: „Dieser [von Adalbert Stifter
u. a. unternommene] Harmonisierungsversuch war das Ergebnis einer Popularisierung und Internalisierung der
josephinischen Transformation von Aufklärung, der es immer an der Beförderung des allgemeinen Wohls im
Rahmen pragmatisch gegebener Verhältnisse gelegen war. Sie ist auch die Basis für Realitätssinn,
Möglichkeitssinn und vorsichtigen Veränderungswillen. ...orientieren sich an empirisch ermittelbaren
Durchschnittswerten, die als Maßstab sozialer Gegebenheiten dienen. Die Verbesserung durch kleine Schritte ist
dann bei Popper-Lynkaeus ebenso zu finden, wie in den reformistischen Varianten des Austromarxismus.“ Vgl.
(aber) auch Mantl Modernisierung, 91: Der österreichische Garantismus, d. h. dessen ausgeprägtes
Sicherheitsstreben, und Juridismus hätten seit dem aufgeklärten Absolutismus versucht, „Widerlager gegen die
anbrandende Modernisierung zu bauen - und sie damit implizit akzeptiert.“ Zu Friedjung und der Moderne:
Ritter Historians, 69 (dessen Überschrift - vgl. ebd., 45 - „Progressive Historians... Heinrich Friedjung...“
allerdings weit gehend irreführend ist - vgl. dazu unten, E. II. 1.). Zu Klein und der Moderne vgl. Saint Germain,
147 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919) („...diese spießbürgerlichen Gegner allen
‚Modernismus’...), auch ebd., 156 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni 1919); Böhm Grundlagen, 192;
Wilhelm Besuch, 1029. Zu Hartmann und der Moderne vgl. G. Fellner Hartmann, 124: Die Träger des
spätaufklärerisch, liberal, demokratisch, sozialreformerisch und sozialistisch geprägten Lagers, dem Hartmann
angehört habe, seien „fast immer in gewisser Weise Modernisten“ gewesen. „Ihre Schlagwörter waren Vernunft,
Humanität, Bildung, Aufklärung, Fortschritt, Solidarität und nicht zuletzt Sozialismus.“.
363
Vgl. Beller Vienna, 177-180, insb. 177 (führend) und 179 (Modell und Inspiration u. a. in der deutschen
Aufklärung). Zu jüdischen Wissenschaftlern in der österreichischen Politik Ende des 19., Anfang des 20.
Jahrhunderts vgl. Leser Persönlichkeiten, 9-12, 18, 20, 30-32. Freilich waren auch unter den Vertretern der
„Wiener Moderne“ Juden führend: vgl. nur Stefan Zweig bei Charle Vordenker, 166; Fischer Theorie, 118 f.
364
Vgl. Suppanz Historismus, 276-279. Vgl. auch Hartmann Deutschland, 218; ferner G. Fellner Hartmann, 114:
Hartmann habe eine Wachsamkeit gegenüber undemokratischen und unsozialen Missständen gekennzeichnet,
welche ihn davon abgehalten habe, an den diversen künstlerisch-philosophischen Ereignissen „du jour“, wie er
es genannt habe, teilzunehmen. Er habe einen sozial und politisch zu wenig verantwortungsvollen Kunst- und
Wissenschaftsbetrieb generell abgelehnt.
365
Vgl. Pollak Wien, 99 f.
69

Salten und Karl Kraus -, welche die Phase des politischen Überschwangs ihrer
Vorfahren nicht erlebt hatten und sich von den immer noch bitteren politischen
Auseinandersetzungen über nationale und soziale Probleme angewidert fühlten. 366

D. Gelehrtenpolitik
I. Gelehrte
Oft wird unter der Rubrik „Gelehrtenpolitik“ das politische Wirken ausschließlich von
Professoren oder von Hochschullehrern im engeren Sinn, d. h. von ordentlichen und
außerordentlichen Professoren sowie Privatdozenten, behandelt. 367 Aus einem
solchen Blickwinkel heraus fällt Heinrich Friedjung von vornherein nicht in den Kreis
der Gelehrtenpolitiker; denn er war als junger Mann lediglich kurze Zeit Lehrer an der
Wiener Handelsakademie gewesen, danach aber als Journalist und freier
Schriftsteller tätig.368 Dadurch entfällt bei ihm zwar ein nicht unbedeutender Aspekt,
der für den Kern der Gelehrtenpolitiker typisch ist: die Einbindung in die Institution
Hochschule.

Dennoch soll auch Friedjungs Wirken hier erörtert werden. Denn er war (auch) ein
Wissenschaftler von Beruf: Seine selbstständig erschienenen Schriften sind fast
ausschließlich geschichtswissenschaftlicher Natur und von ihm sein Leben hindurch
fast durchgängig verfasst und publiziert worden. Zudem hatte er das Studium der
Geschichtswissenschaften an der Universität Wien absolviert, dort promoviert und
war seit 1909 korrespondierendes, seit 1918 wirkliches Mitglied der Wiener
Akademie der Wissenschaften.369

366
So Pollak Wien, 161-163. Vgl. allerdings auch Friedjung Ausgleich, 12 über das Jahrzehnt zwischen 1867 und
1877 (Der Ausgleich mit Ungarn 1867 habe eine tiefe Entmutigung in Österreich hervorgerufen: Die besten
Talente wendeten sich vom öffentlichen Leben ab. „Der Zuzug jüngerer Kräfte zur politischen Laufbahn hört
beinahe ganz auf.“). Vgl. auch Hanák Lebensgefühl, 161, der unter Hinweis auf die erste russische Revolution,
die gewaltigen sozialen Bewegungen, die Bildung des Entente-Blocks und die Beschleunigung der
Kriegsvorbereitungen die Jahre 1905 und 1906 als Zäsur im Lebensgefühl auch in Wien sieht und als Symptom
dieses Einschnittes die „rasche Abfolge von Kubismus, Expressionismus, Picasso, der Brücke, dem Blauen Reiter,
Futurismus, Konstruktivismus, Apollinaire, Proust, Gide usw.“ anführt - s. auch ebd., 163; vgl. schließlich noch
vom Bruch Wissenschaft, 186 f., nach welchem im Deutschen Reich 1907 eine - allerdings auch durch ein
Abrücken von der parlamentarischen und Tagespolitik gekennzeichnete - Aufbruchstimmung einsetzte.
367
So z. B. im Standardwerk vom Bruch Wissenschaft. Zu dieser Definition von Hochschullehrern s. ebd., 211,
Fn. 697; auch Professoren, 11 f.
368
Vgl. auch F. Fellner Friedjung, 635: Friedjung sei, „abweichend von den üblichen Erscheinungsform eines
deutschen Gelehrten und ähnlicher einem in England anzutreffenden Typus, als Politiker und Essayist
unmittelbar ins Leben gestellt und von dort zum Geschichtsschreiber der neueren Zeit berufen“ worden.
369
Vgl. zu Letzterem Redlich Nekrolog, 232.
70

Hinzu kommt, dass ein Lehrer einer Lehranstalt wie der Handelsakademie im
Österreich dieser Zeit ein ähnlich hohes Prestige genoss wie die eines
Universitätslehrers und er jene unfreiwillig hatte räumen müssen, so dass sein
Selbstverständnis vermutlich durchaus (auch) das eines - wenn auch ehemaligen -
Akademielehrers war.370 Dennoch ist durch die Einbeziehung Friedjungs klar, dass es
in der vorliegenden Arbeit bereits vom Ansatz her nicht um die Behandlung einer
„eigenständige[n] professoral-ständische[n]“ angestrebten oder tatsächlichen
„Meinungsführerschaft“ oder einen „professoralen Kasten-Bonus“ gehen kann. 371

Die Frage, ob es sinnvoll ist, grundsätzlich auch Intellektuelle aus anderen


Berufsgruppen - z. B. Rechtsanwälte, Ärzte, Geistliche, und Lehrer - im Falle ihrer
politischen Betätigung gerade aus ihrem Selbstverständnis als „Geistesarbeiter“
heraus, aber ohne eigene wissenschaftliche Produktion als Gelehrtenpolitiker zu
verstehen oder sie historiographisch jedenfalls zusammen mit diesen zu untersuchen,
kann hier auf sich beruhen.372

II. Politik

Nach Wolfgang Gerhardt ist Politik geprägt durch acht wesentliche Merkmale:
Organisation und Ordnung - Interessen - Konflikt und Macht - Kompromiss und
Konsens - Verfahren und Repräsentation - einen existentiellen Charakter -
Öffentlichkeit bzw. Publizität - das Ziel der Zukunftsgestaltung. 373 Blickt man auf die
Aktionen von Friedjung, Klein und Hartmann, dann erfüllen einige von diesen gerade
im Falle Friedjungs die Merkmale Verfahren und Öffentlichkeit bzw. Publizität nicht.
Jedoch sind informelle Einflussnahmen auf staatliche Entscheidungen ebenso
370
Zum in Österreich traditionell geringen Unterschied des Sozialprestiges von Mittel- und
Hochschul“professoren“: R. Luft Professoren, 296.
371
Zitate: vom Bruch Professoren, 22 bzw. 24; vgl. auch ebd., 23 über das im Deutschen Reich unangefochtene
soziale Prestige der Professoren - welches Friedjung natürlich nicht zukommen konnte.
372
So der Sache nach der Ansatz von Ringer Gelehrten, 15, der sich mit dem von ihm sog. Mandarinentum
beschäftigt und dieses für den europäischen Raum „einfach als eine gesellschaftliche und kulturelle Elite“
definiert, „welche ihren Status in erster Linie ihren Bildungsqualifikationen und nicht Reichtum oder vererbten
Rechten verdankt.“ - vgl. (aber) auch ebd., 16, wo von diesem noch die Kategorie der „‚Intellektuellen des
Manadinentums’ (vor allem die Universitätsprofessoren)“ als der Beschaffer der „geistige[n] Nahrung“ der Elite,
als Hüter der Maßstäbe für die Qualifikationen zum Eintritt in diese und als deren Sprecher in [ausschließlich?]
kulturellen Fragen abgehoben wird. Zu Hübingers Begriff des „Gelehrten-Intellektuellen“ s. sogleich, unter 3.
Die im deutschsprachigen Raum typische Auffassung von einem „Gelehrten“ findet sich bei Klein Saint
Germain, 240 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 13. Juli 1919): Die Nichtgelehrten blieben alle im Einzelnen
stecken, der Gelehrte in dem Sinne, dass er zugleich stets Philosoph sei, beherrsche alles und könne inmitten
aller Divergenzen das Versöhnende des Ganzen einnehmen. Das Gegenteil vertrat Friedrich Nietzsche: Der
Gelehrte bilde den Gegensatz zum freien Gebildeten und wissenschaftlichen Menschen - vgl. Nutzen, 186 f.,
auch 147-153, 160.
373
Gerhardt Politik, 265-269.
71

politische Handlungen wie öffentlich vollzogene, so dass auch diese hier zu


berücksichtigen sind.374 Interessant werden im Laufe der Untersuchung (E. I. 1. und
2.) aber die Merkmale Konflikt, Kompromiss und Konsens werden.

Im Übrigen finden sich bei Friedjung, Klein und Hartmann alle drei klassischen
Hauptfelder der Politik(wissenschaft) 375: zunächst politics, d. h. die politischen
Prozesse, das vor allem durch Kampf geprägte Vorgehen der Akteure inklusive ihrer
Interessen und Handlungspotentiale und ihres Anspruches auf Legitimität sowie des
entstehenden Konsenses. Aber auch policy, d. h. die Inhalte, die Ebene der
Programmbildung und Planung: Vor allem waren Friedjung und Klein an der
Ausarbeitung von Parteiprogrammen beteiligt. Und schließlich spielte polity, d. h. das
Feld der Strukturen, der Normen, Institutionen, der Verfassung und Organisation, eine
wichtige Rolle, und zwar nicht nur durch die Vereins- und Parteiarbeit, sondern im
Falle Kleins auch durch die von ihm geschaffenen Gesetze bzw. deren Entwürfe und
indirekt seine theoretischen Abhandlungen zum Verfassungsrecht.

Welche Auffassung von Politik hatten die drei Protagonisten dieser Arbeit selbst?
Friedjung hielt „einen politischen Kopf“ für denjenigen, der die wirkenden Kräfte
seiner Zeit richtig beurteile, ihre verhältnismäßige Stärke abzumessen verstehe und
den Angriffspunkt wie die Richtung ihres Stoßes voraussage. 376 Alles politische
Geschehen sei auch jenseits der bewussten Täuschung doppelsinnig. 377 Der
praktische Politiker habe es in erster Linie überhaupt nicht mit Lehrmeinungen, nicht
mit Gefühlen und sozialen Überlieferungen zu tun, ihm sei vielmehr das Schaffen
und Wirken Hauptsache.378 Eine bloße Vertretung einer sozialen Schicht mache noch
keine politische Partei aus.379 Zudem bevorzugte Friedjung eine Politik mit „große[n]
Gedanke[n]“ gegenüber einer Politik von Fall zu Fall. 380

Klein kennzeichnete Politik als, „wenn man sagen darf, geregelte Schiffahrtstechnik,
die mit der Unterscheidung von Ziel und Mittel, Plan und Kraft arbeitet.“, aber auch

374
S. nur die besondere Berücksichtigung, welche die „gouvernementale Gelehrtenpolitik“ im Wilhelmnischen
Reich bei vom Bruch Wissenschaft, 249-278, 320-363, zusammenfassend: 359-363, erfährt. Zur
Staatsbezogenheit der typischen reichsdeutschen Gelehrtenpolitik s. auch Schmidt Gelehrtenpolitik, 32-34.
375
S. dazu: Birle/Wagner Politikwissenschaft, 99, 130; Faust/Lauth Politikfeldanalyse, 289 f.; Mols Politik, 29 f.
376
Vgl. Chlumecky II, 458.
377
Vgl. Kaiser, 507 f.
378
Vgl. Stück, 9.
379
Vgl. Wahlen Ungarn, 1.
380
Ausgleich, 77.
72

als einen Interessenkampf und betrachtete es als den Zweck aller Politik, „wenn man
es so nennen darf, ein hoffnungsvolles Gleichgewicht zu sein, ein Gleichgewicht, das
eine erwünschte Ausgestaltung nicht lähmt und natürliches Streben offen läßt“. 381
Er
plädierte für eine „wahrhaftige Leitung der Staatstätigkeit“ „auf eigener Spur“
gegenüber einer bloßen Verwaltung in der Politik.382

Und Hartmann äußerte in einem dem „Wesen der Politik“ gewidmeten Text: „Man
könne „die Politik definieren als die Kunst, gesellschaftliche Tendenzen in rechtliche
Formen umzusetzen.“383 Für ihn war richtige Politik angewandte Wissenschaft:
Politische Probleme seien [nicht nur vom Politikwissenschaftler, sondern auch] vom
Politiker in möglichst objektiver Weise, d. h. wissenschaftlich, zu erörtern; es sei das
festzustellen, was ist, und aus der Kombination der festgestellten Tatsachen der
Schluss zu ziehen; als notwendig erkannte Entwicklungen sollten gefördert
werden.384 Politik sei die Kunst des Möglichen.385 Dabei seien die
Massenbewegungen als „Triebfedern des historischen Werdens“ in den Blick zu
nehmen.386 Schließlich sieht auch Hartmann Interessenkämpfe als ein Merkmal der
(üblichen) Politik an.387

III. Politik durch Gelehrte als Gelehrte


Gelehrtenpolitik wird, wie bereits erwähnt, als Politik durch Gelehrte gerade als
Gelehrte, und das im Sinne eines kollektiven Phänomens, beschrieben. 388 Dadurch
wird eine Überfrachtung des Begriffs mit dem Wirken aller irgendwie politisch aktiven,

381
„Schiffahrtstechnik“: Saint Germain, 313 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. 8. 1919). Interessenkampf:
Moral, 625. Gleichgewicht: ebd., 630. S. ferner Klein bei Wilhelm Besuch, 1027: Richtig regieren heiße nicht
Straßen und Brücken und Bahnen bauen, sondern die Geister beeinflussen. Dazu gehöre aber eine tiefe Kenntnis
der Psychologie der menschlichen Gesellschaft.
382
Vgl. Weg, 395.
383
Wesen, 220. Ebenso: Nation, 135.
384
Vgl. Wesen, 215, insb. zum Begriff des Notwendigen und des Möglichen (abweichend davon: 219); s. auch
ebd., 218: Mit der Auffassung z. B. Jellineks, Politik sei „nicht eine Lehre vom Seienden, sondern vom
Seinsollenden“, sei die Politik in die bequeme, weil nicht zu kontrollierende Bahn der Metaphysik geraten. Er
schränkt jedoch ebd., 219 ein: Man könne die soziologischen Vorgänge eben nicht bis zu ihren letzten
Elementen analysieren und daher hier nicht die strengen Anforderungen der Kausalität stellen, weil die
Einwirkung auch anderer Faktoren nicht ausgeschlossen sei. Hartmann hielt im Wintersemester 1913/14 eine
Vorlesung über „Soziologische Grundlagen der Politik“ (s. Filla Anhang, 199).
385
Vgl. Wesen, 219. (Dieser Begriff des Möglichen weicht von dem ebd., 215 ab.).
386
Vgl. Nation, 150.
387
Vgl. Wesen, 216.
388
1986 stellte Döring Thesen, 149 fest, es habe, soweit er sehe, noch niemand eine „systematische Definition“
von Gelehrtenpolitik gegeben. Das dürfte immer noch gelten, ist jedoch ein vermutlich auch gar nicht behebbarer
Mangel. Zur Erforderlichkeit eines kollektiven - in der vorliegenden Arbeit jedoch allenfalls ansatzweise
behandelbaren - Phänomens: vom Bruch Gelehrtenpolitik, 27. Den Gegenpol zur Politik durch Gelehrte als
Gelehrte bildet Max Webers bekannte Auffassung - vgl. M. Weber Wissenschaft, 215-223.
73

„politisierenden“ Gelehrten sowie demjenigen der „gelehrten Politiker“, welche nach


oder neben einer wissenschaftlichen Karriere ein neues oder zusätzliches
Betätigungsfeld in Verwaltung, Parteien oder Wirtschaft finden, sowie mit demjenigen
eines bloßen Sachverständigen für die eigentlichen Politiker vermieden, so dass ihm
eine heuristische Funktion zukommen kann. 389 Die Träger dieser Politik betrieben sie -
insofern wie die „politischen Professoren“ der ersten beiden Drittel des 19.
Jahrhunderts - auch aus ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis heraus. 390 In
diesem Rahmen versuchten sie insbesondere, den Politikern als Gelehrte das
„geistige Rüstzeug zur Verfügung stellen“. 391 Unter E. II. wird zu untersuchen sein, ob
dies auf die Politik von Friedjung, Klein und Hartmann zutrifft. Die genannten
„politischen Professoren“ hatten noch zusätzliche Kriterien gekennzeichnet - welche
im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls noch von Bedeutung sein werden. 392

389
Zum „politisierenden Gelehrten“ bzw. „politisierenden Professor“ vgl. vom Bruch Fackel, 470 bzw.
Gelehrtenpolitik, 44; Professoren, 17, 24; ferner Wissenschaft, 135, 211 f., 385. Zum „gelehrten Politiker“ vgl.
vom Bruch Wissenschaft, 385. S. auch Döring Thesen, 162 („professorale Politiker“ in Abgrenzung von
Gelehrtenpolitikern). Zur Entwicklung des Sachverständigenwesens in der reichsdeutschen Politik vgl. vom Bruch
Wissenschaft, 251: Im späten Kaiserreich habe die „transitorische Koppelung von traditioneller Gelehrtenpolitik
und moderner gutachtlicher Politikberatung“ stattgefunden; ähnlich Hübinger Gelehrte, 237.
390
Vgl. nur vom Bruch Wissenschaft, 385 f., insb. 386, Fn. 135.
391
Zitat Gustav Schmidt bei vom Bruch Wissenschaft, 385, Fn. 133; vgl. auch Charle Vordenker, 211: Die
reichsdeutschen Hochschullehrer hätten sich als Ratgeber der Fürsten betrachtet.
392
Die „politischen Professoren“ in Deutschland vom Vormärz bis teilweise noch in die 1870er Jahre - s. vom
Bruch Professoren, 22 -, wie sie vor allem von den „Göttinger Sieben“ und Hochschullehrern in der Frankfurter
Nationalversammlung von 1848/49 verkörpert wurden, betrieben Politik nicht nur - wie auch die
Gelehrtenpolitiker - als Gelehrte (vgl. Ehmke Rotteck, 11 f., s. auch 23-25. Vgl. auch Muhlack Professor, 189;
Real Voraussetzungen, 11; Ries Wort, 48, dens. Geburt, 137; Wende Professor, 22 f. [allerdings auch für eine
Berücksichtigung des Einzelfalles], 26) und waren nicht nur - ebenfalls wie diese - der Überzeugung, dass die
„Wissenschaft sich auch im politischen Tageskampf bewähren müsse“ (Muhlack, Professor, 186 [zit. Hans
Fenske]; vgl. auch Real, Voraussetzungen, 87; ferner vom Bruch Wissenschaft, 385 f.: Mit den „politischen
Professoren“ habe die Gelehrtenpolitiker die Frage nach dem „Verhältnis der Wissenschaft zu den großen
Fragen der Gestaltung und Ordnung des öffentlichen Lebens“ verbunden, die Historiker unter ihnen darüber
hinaus „die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Geschichte“). Sie hatten darüber hinaus noch eine „Art
von politischem Alleinvertretungsanspruch“ erhoben (Muhlack, Professor, 186; s. auch Wende, Professor, 21,
24) und waren tatsächlich noch die „einzig anerkannte Elite in Schicksalsfragen der Nation“ (vom Bruch Fackel,
469; vgl. auch Wende Professor, 22), die „Speerspitze“ der die Gesellschaft repräsentierenden öffentlichen
Meinung (s. vom Bruch Wissenschaft, 415) gewesen. S. zudem vom Bruch Wissenschaft, 385 f.: Die Historiker
unter den „politischen Professoren“ hätten im Gegensatz zu den auf sie folgenden „Gelehrtenpolitikern“ die
Frage nach dem Verhältnis von Politik und Geschichte „mit der besonderen Absicht, aus der Wissenschaft von
der Geschichte eine Wissenschaft des Staates, der Politik zu entwickeln, beide miteinander zu verbinden und
systematisch zu begründen“ [Karl Dietrich Bracher über Friedrich Christoph Dahlmann], gestellt; vom Bruch
Professoren, 22: Der „politische Professor“ sei oft „unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit und in
potentiellem Konflikt mit der ihn alimentierenden Staatsbehörde oder mit sog. staatstragenden Kräften für eine
visionäre politische Option“ eingetreten. Einen gänzlich abweichenden Begriff des „politischen Professors“ „im
eigentlichen Sinne“ vertritt R. Luft Professoren, 304: Für ihn sind Mitarbeit in Parteien oder ihren Organisationen
und Bewerbung um Parlamentsmandate ausschlaggebend dafür. Zur Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit -
welche Voraussetzung für das Wirken der „politischen Professoren“ war - vgl. Habermas, Strukturwandel, 69-
85, zu ihren politischen Funktionen: ebd., 122-160, insb. 139-141.
74

Den Typus des Gelehrtenpolitikers bestimmt dabei vor allem der


„nationalpädagogische Anspruch universaler, von materiellen [und auch sonstigen]
Sonderinteressen freier Wahrheit im sittlichen Medium der Vernunft“ bzw. der
„Anhörungsanspruch ‚als öffentliches Gewissen der Nation’“ und speziell bei den
Geschichtswissenschaftlern unter diesen eine Historiographie, welche „Wissen als
historisch fundierte Sinndeutungsangebote an die Gesellschaft zurückgibt, ihrerseits
aber im herrschenden Geschichtsbewußtsein und in eine [sic] bestimmte Lebenswelt
verwurzelt ist“.393

Die - gerade auch aus ihrer Stellung als Diener der Wissenschaft abgeleitete - Un-
bzw. Überparteilichkeit war ein ganz wesentlicher Bestandteil des
Selbstverständnisses zumindest der „Gelehrtenpolitiker“. 394 Hinzu kommt nach Herbert
Döring noch das daraus folgende organisatorische Erfordernis der „strikte[n]
Unabhängigkeit von und [der] Distanz zu Parteien“ und „anderen partikularen Agenten
der Sinndeutung politischer Streitfragen“ sowie, als drittes Kriterium, „bei formaler
Distanz eine Affinität, eine Geistesverwandtschaft“ zum Staatsbeamtentum. 395 Dass
das letzte und - auf den ersten Blick - auch das zweite Kriterium auf Hartmann nicht
zutrifft und das zweite auf Phasen im Leben Friedjungs und Kleins auf den ersten
Blick ebenfalls nicht, wurde bereits in den Biographien deutlich. Insofern wichen sie
also tatsächlich bzw. dem ersten Anschein nach vom „Kernbestand“ des
Gelehrtenpolitikers ab. Dazu bedarf es einer genaueren Analyse unter E. I.
Festzuhalten bleibt aber schon jetzt, dass in Österreich(-Ungarn) wie im Deutschen
393
Erstes Zitat: Döring Thesen, 149; zweites und drittes Zitat: Schmidt Gelehrtenpolitik, 7 bzw. 18 (das zweite
wiederum auf Friedrich Paulsen Bezug nehmend - vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 35); s. auch ebd., 10-19,
insb.10: „politische Deutungskultur“ - ähnlich: vom Bruch Gelehrtenpolitik, 27. S. auch Schmidt
Gelehrtenpolitik, 12: Trotz ihres Verzichts auf unmittelbares „Politik-Gestalten-Wollen“ habe „die Historie“ den
Anspruch auf „die Rolle eines Sprechers für die Zukunft der Nation“ aufrecht erhalten, sowie vom Bruch
Gelehrtenpolitik, 35: Die Gelehrtenpolitiker hätten den Anspruch gehabt, in den großen Fragen der inneren und
äußeren Fortentwicklung der Nation „mit der Fackel der Erkenntnis“ voran zu leuchten (Zitat Gustav
Schmoller); s. dazu auch unten, E. II. 3.
394
S. nur Schmidt Gelehrtenpolitik, 25. Vgl. auch Ringer Gelehrten, 19: Die „Mandarine“ hätten proklamiert, der
Staat stehe weit über den Interessen eines jeden Individuums, selbst über denen des Herrschers [und, so ist
hinzuzufügen, auch über den Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung]. Für Charle Vordenker, 211 zeugt das
gesellschaftliche Bild, das die im Staatsdienst stehenden reichsdeutschen „Mandarine“ von sich selbst entwarfen,
„von einem Rückstand der historischen Entwicklung. Sie erheben den Anspruch, der Wissenschaft zu dienen und
damit über den Parteien zu stehen, ganz wie der kaiserliche Staat im Unterschied zu den parlamentarischen
Staaten den Anspruch erhebt, über den Parteien zu stehen.“ Sie seien „gefangen“ geblieben „in einem überholten
Selbstbild“, das die Gelehrten in den Rang von Vertretern der wahren öffentlichen Meinung erhoben habe, im
Unterschied zu den gewählten Abgeordneten im Reichstag. Fraglich ist, wie sich dies zu ebd., 212 verhält, wo
Charle das Projekt der französischen Intellektuellen als die Vereinigung aller von der Universität
herangebildeten Arbeiter des Geistes zu einer „natürlichen Volksvertretung“ beschreibt.
395
Döring Thesen, 149; vgl. auch ebd., 153: Die enge Verbundenheit der Akademiker des Deutschen Reiches
mit den höheren Beamten habe zu einer gegenseitigen Entfremdung zwischen jenen und den Vertretern der
Wirtschaft geführt - vgl. aber auch oben, Fn. 189 (Charle).
75

Reich Gelehrtenpolitik gerade deshalb aussichtsreich erschien, weil dort „weder


Parlamentarismus noch Absolutismus eine [ausschließliche] Alternative“ darstellte. 396

Gelehrtenpolitiker stellten immer eine Minderheit unter den Gelehrten dar. 397 Ihr
Selbstverständnis war auch dann noch von der Auffassung geprägt, die Wissenschaft
habe den Beruf, Erzieherin der öffentlichen Meinung zu sein, als deren objektive
Voraussetzungen auf Grund des „Zerfall[s] der bürgerlichen Nationalkultur“ und der
„gleichzeitige[n] Erosion eines abgrenzbaren bildungsbürgerlichen Milieus“
zunehmend brüchiger wurden.398 Typisch für Gelehrtenpolitiker zumindest im
Wilhelminischen Deutschland war ihr Versuch, die (bürgerliche) öffentliche Meinung
über die Presse und das Vereinswesen zu beeinflussen, sowie ein liberal-
konservativer Konsens über die „imperialistische Fortentwicklung der unstrittigen
Verfassung“ des Reiches.399

Die Frage, ob - wie von Gangolf Hübinger gefordert - der Begriff des
„Gelehrtenpolitikers“ grundsätzlich durch den des „Gelehrten-Intellektuellen“ ersetzt
werden sollte, soll hier dahingestellt bleiben; denn zumindest im Zusammenhang mit
der vorliegenden Arbeit ist sie eine rein terminologische, da Hübinger die
üblicherweise als Gelehrtenpolitiker bezeichneten Personen(gruppen) von seinem
Begriff des „Gelehrten-Intellektuellen“ keineswegs ausnimmt. 400
396
So für das Deutsche Kaiserreich: Döring Thesen, 156.
397
Dies zeigt sich bereits daran, dass sich selbst im Ersten Weltkrieg nur eine Minderheit von
Universitätsprofessoren mit eigenständigen Beiträgen politisch zu Wort meldete (und das noch abgesehen von
der Frage, ob diese Wortmeldungen Bestandteil von „Gelehrtenpolitik“ waren) - zu den Historikern vgl.
Ramhardter Geschichtswissenschaft, 185.
398
Vgl. Schmidt Gelehrtenpolitik, 11 (Zitat vom Bruch), auch 13-15 (dort, der Sache nach, zur autopoiesis der
Gelehrtenwelt) und 29. Im Zusammenhang mit dem Rückgang politischer Aktivität unter den Gelehrten wird oft
- z. T. missverständlicher Weise (s. oben, Fn. 4, auch 345) - von einem mehr oder weniger allmählichen
„Rückzug“ aus den politischen Tageskämpfen, der aktiven Politik bzw. aus den Parteien gesprochen - vgl. vom
Bruch Professoren, 21, Gelehrtenpolitik, 28 bzw. Wissenschaft, 286-289. Vgl. darüber hinaus (für das Deutsche
Reich) vom Bruch Gelehrtenpolitik, 28, Fn. 7, der einen solchen für die Landtage nur mit Einschränkungen für
gegeben ansieht und zu Recht die mangelnde Berücksichtigung erfolgloser Kandidaturen moniert - es handelte
sich zum Teil also vielmehr um ein „Rückgezogenwerden“ von Gelehrten aus der Politik; vgl. zudem vom Bruch
Wissenschaft, 287 über den Mangel an Reputation von Gelehrten in den reichsdeutschen Parteien.
399
Vgl. vom Bruch Professoren, 22.
400
S. Hübinger Gelehrte, 7, der sich für die Verwendung des Begriffs „spezifischer Intellektueller“ ausspricht;
ferner ebd., 14: „...wird die Bezeichnung des ‚Gelehrtenpolitikers’ für die folgenden Studien durch den Idealtypus
des ‚Gelehrten-Intellektuellen’ ersetzt. Darin kommt die Spannung besser [?] zur Geltung, die sich zwischen dem
Wissenschaftsethos und der Rationalität des Forschers und dem kritischen Engagement des zivilbürgerlichen
Zeitgenossen jeweils aufbaut und die in Wendungen wie ‚Gelehrtenpolitiker’ oder gar ‚politischer Professor’ zu
stark ideologisch [?] verschliffen wird.“ S. auch ebd., 13 über die dort angeführte Differenzierung von Michel
Foucault („intellectuel de gouvernement“, „intellectuel révolutionaire“ und „intellectuel spécifique“): Während
der gouvernementale Intellektuelle die Macht des Staates stützen und der revolutionäre sie stürzen wolle, stelle
sich der spezifische Intellektuelle „bewusst in die Spannung zwischen Wissenschaft als Beruf und Politik als
zivilbürgerliche Verpflichtung.“ - s. auch ebd., 7, 17, 237. Unklar bleibt bei Hübinger, ob (mobilisierende) Kritik
76

E. Gelehrtenpolitik von Friedjung, Klein und Hartmann 401


Zunächst (I.) folgt eine Untersuchung der Inhalte, Mittel und Wirkung ihrer Politik,
dann (II.) wird diese daraufhin geprüft, ob sie eine Grundlage in ihrem jeweiligen
Verständnis von Wissenschaft hatte.

I. Politik
1. Heinrich Friedjung
a. Inhalt
aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich
Friedjung befolgte sein Leben lang leidenschaftlich eine Politik, welche die
Deutschen Österreichs in diesem Land entschieden begünstigen sollte, also eine
nach dem zeitgenössischen Sprachgebrauch betont nationale Politik. 402 Dies war für
einen jüdischen Deutschösterreicher seiner Zeit keineswegs untypisch. 403 Mit dieser
Haltung verbunden war bei Friedjung stets die Forderung nach einem sehr engen
und unauflösbaren, durch die Grundgesetze beider Länder garantierten und auf
Gleichberechtigung beruhenden Bündnis mit dem Deutschen Reich, und zwar auch
noch im März 1918, als er zu diesem Zweck die bereits erwähnte publizistische
Fehde gegen den pazifistisch eingestellten Heinrich Lammasch führte. 404

ein notwendiger Bestandteil der Politik von „Gelehrten-Intellektuellen“, ihr „Störungsfaktor“ (Joseph Alois
Schumpeter - s. ebd., 22) erforderlich sein soll - so ebd., 23 - oder nicht - so ebd., 11, 231, 246 („oder“). Die
Besonderheit der deutschen Kulturtradition auf diesem Gebiet erkennt Hübinger Gelehrte, 23 immerhin an: Die
hier religiös imprägnierte Hochschätzung von Wissenschaft und wissenschaftlicher Bildung für die Gestaltung
eines freien Gemeinwesens führe die Figur des Intellektuellen mit der des Gelehrten zusammen. Ähnlich zum
Verhältnis von Gelehrtenpolitik im Deutschen Reich und der gesamteuropäischen „liberalen Utopie der
Überführung von Herrschaft in Vernunft im Medium der von den Gebildeten verwalteten öffentlichen Meinung“:
Döring Thesen, 150-156, insb. 150 f. Kritisch zu Hübingers Übertragung des Intellektuellenkonzepts von
Schumpeter, Pierre Bourdieu und Christophe Charle (s. Hübinger Gelehrte, 22 f.) auf den deutschen Kulturraum:
Müller Rezension, 1 f. [nach dem Ausdrucken], insb. mit Hinweis auf den hohen Rang von Staatsorientierung
sowie Ordnungs- und Integrationssehnsucht bei deutschen Gebildeten und Akademikern seit dem frühen 19.
Jahrhundert; s. auch R. Ludwig Rezension, 2 [nach dem Ausdrucken]: Ein Manko scheine die weitgehende
Vernachlässigung der Forschungsliteratur zum politischen Professor des 19. Jahrhunderts zu sein, die Hübinger
aber durch seinen problemorientierten Zugriff und durch kenntnisreiche biografische Beiträge ausgleiche [?]. Zu
weiteren Inkonsistenzen bei Hübinger vgl. unten, Fn. 666. Zur Abspaltung einer „Intelligenz“ von den
bürgerlichen Bildungsschichten ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. Habermas Strukturwandel, 265 f.
401
In diesem, analytischen Teil kann und soll die Chronologie der politischen Aktionen weitgehend außer Acht
gelassen werden. Stattdessen wird die Darstellung nach Sachgebieten geordnet vorgenommen. Nur dann, wenn -
wie bei Friedjung und bei Klein - in einzelnen Politikgebieten ein Wandel stattgefunden hat, wird der
chronologische Aspekt thematisiert.
402
Zum „Deutschnationalismus“ Friedjungs s. Litz Grundbegriffe, 34-38. Vgl. auch Lindström Empire, 18 sowie
von Srbik Friedjung, 535. Stolz Männer, 62 f. macht Friedjungs „hochkultivierte Persönlichkeit, deren
Individualismus den Nivellierungstendenzen des Nationalismus widerstrebt“ für seine immer stärker
Hinwendung zum „Altliberalismus“ (mit-)verantwortlich - dies bedeutete aber keine Abwendung von
nationalistischer Politik überhaupt, sondern nur von bestimmten ihrer Formen.
403
Vgl. Beller Jews, 27.
77

Denn er selbst verstand wie die große Mehrheit seiner Mitbürger unter der deutschen
Nation bzw. dem deutschen Volk die das Deutsche als Muttersprache Sprechenden
im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn (sowie in anderen Staaten). 405 Die
Zusammengehörigkeit beider Gruppen rechtfertigte Friedjung - wie seinerzeit
verbreitet - auch mit ihrer gemeinsamen „tausendjährige[n] Geschichte“. 406 Dabei
kritisierte er zwar die Deutschösterreicher für ihren Pessimismus und ihre Passivität,
erkannte ihre Leistungen aber als denen der Reichsdeutschen ebenbürtig an. 407 Eine
österreichische „Nation“ unter Einbeziehung der Tschechen, Polen, Ruthenen,
Slowenen, Italiener und anderer existierte trotz gelegentlich changierenden
Begriffsgebrauchs - im Einklang mit der großen Mehrheit der Deutschösterreicher -
für ihn nicht.408

Zwar verwendete Friedjung zur Bezeichnung der Nation bzw. des Volkes, wie zu
seiner Zeit üblich, des Öfteren auch biologische Metaphern wie die eines „gesunden

404
Vgl. Ausgleich, 20-33, insb. 25-33 sowie 102 (für die Angleichung des gesamten Rechts), 103 (für eine
gemeinsame Währung); „Friedjung-Programm“, Punkt 9, bei Berchtold Parteiprogramme, 191, vgl. auch ebd.,
191, Punkt 10 sowie ebd., 191 f., Punkt 11 - dazu Berchtold ebd., 190 (Das „Friedjung-Programm“ habe als
erstes deutschnationales Konzept die Forderung nach einer Befestigung des Bündnisses mit dem Deutschen
Reich durch ein unauflösliches Grundgesetz erhoben.); vgl. ferner Professor, 1 f.; Zollunion Oesterreich, 1-3;
Zollunion, 1 f.; das „Linzer Programm“, Punkt 11.31 bei Berchtold Parteiprogramme, 203, auch Punkt 7.19.
ebd., 201. Zum Streit mit Lammasch vgl. Friedjung Gegner Oesterreich, 1 f., insb. 1: „...so läßt sich in diesem
Falle sagen, ein österreichischer Pazifist müsse sich nicht zu einem Schädling auswachsen.“; Gegner
Deutschland, 2; Erwiderung, 2 f. - zur Verteidigung von Lammasch vgl. dens. Debatte, 2; Erwiderung, 3;
Denkschrift, 2. Zur Verteidigung Lammaschs durch „Karl Mann“ = Karl Renner s. oben, Fn. 338; auch Karl
Kraus nahm Lammasch in Schutz, und zwar in seinem Artikel „Für Lammasch“ in Die Fackel 474-483 (Mai
1918, 23.Mai 1918), 46) und in seinem Gedicht „Affaire Friedjung“ ebd., 51 - vgl. Lind Satiriker, 398. Auch
nach den Attacken auf Lammasch verteidigte Friedjung das Waffenbündnis - vgl. Vorgänge [Mai 1918], 1. Vgl.
ferner Denkschrift, passim; von Srbik Friedjung, 535. Zur Gleichberechtigung der beiden Reiche im Bündnis:
Friedjung Ausgleich, 81; auch Denkschrift, 14.
405
Vgl. z. B. Ausgleich, 21-23 sowie 79: „Wie ruchlos wäre es, den Kampf mit Deutschland zu unternehmen,
der das deutsch-österreichische Volk [sic] zwingen würde, Partei zu ergreifen zwischen seiner Nationalität
und ... seinem Staatsbewußtsein!“; Vaterland, 1 f.; Deutschböhmen, 479-486, insb. 481, 486. Zur Sprache als
dem Symbol jedes „Volksstamm[es]“ in der späten Habsburger-Monarchie vgl. Feichtinger Wissenschaft, 55.
406
Vgl. Ausgleich, 28; „Friedjung-Programm”, Punkt 7, bei Berchtold Parteiprogramme, 191. Dabei betrachtete
er Österreich-Ungarn - merkwürdigerweise nicht etwa nur Österreich - als die „größte Kolonie des deutschen
Mutterlandes“ - vgl. Vorrede, XIII. Vgl. auch Feichtinger Wissenschaft, 55 (Insbesondere die Historiographie
habe sich zu dieser Zeit mittels ihrer nationalen Meistererzählungen „tief in das politische Vorhaben des ‚nation-
building’ verstrickt“.).
407
Zur Kritik vgl. Ausgleich, 32, 96 f.; Stück, 20; auch Denkschrift, 73 sowie Ritter Historians, 48, Fn. 12. Zur
Ebenbürtigkeit vgl. Ausgleich, 22 f.; Kampf, Bd. 2, 6; Vorrede, XIII; auch Denkschrift, 35. Lindström Empire,
13 meint sogar, „the Austro-German tradition represented by Friedjung was also marked by its feeling of
superiority vis-à-vis the Prusso-German tradition...”; woraus Lindström diese, vereinzelte, Auffassung bezieht,
gibt er nicht an - man vergleiche demgegenüber nur Friedjungs starke Bismarck-Verehrung (dazu Glaubauf
Bismarck, passim).
408
Ein Beispiel für ungenaue Begrifflichkeit findet sich - da Nation und Volk für Friedjung Synonyme waren
(vgl. Ausgleich, 22 f.) - in Ausgleich, 30, wo vom „österreichischen Volk“ die Rede ist - was auch bedeuten
würde, dass dieses nicht zusammen mit den Deutschen im Deutschen Reich eine Einheit gebildet hätte. Genauer
spricht er ebd., 21 f. von „Stamm“ und 22 f. von einem „Glied des deutschen Volkes“. Zur Einstellung der
großen Mehrheit der Deutschösterreicher vgl. z. B. Cohen Politics, 276; Whiteside Germans, 159, 175.
78

Volksorganismus“ und sogar den Begriff der „Race“ bzw. „Rasse“. 409 Dennoch spielte
diese oder eine langfristige Abstammung für seinen Nations- bzw. Volksbegriff keine
Rolle.410 Das Gleiche gilt für die Religionszugehörigkeit. 411 Überhaupt war Friedjung
unreligiös, auch wenn er nie aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft austrat. 412 Für
ihn gab es, wie für die meisten Juden Westeuropas, außer dem Glaubensbekenntnis
keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden. 413 Hervorzuheben ist immerhin
seine besondere Frontstellung gegen den Katholizismus, dem er den
Protestantismus als eine die Modernisierung fördernde Bewegung positiv gegenüber
stellte.414 Friedjungs Auffassung von der Nation steht im Einklang mit der Feststellung
Rüdiger vom Bruchs, gegen 1900 hätten lediglich bei den Juden „ältere Muster von
Bildungsaneignung als Hebel für kollektive Identität und eine gleichzeitige
emanzipatorische Eingliederung in eine über Bildung vermittelte ‚Kulturnation’
ungebrochen“ fort gelebt.415

Den vor allem infolge der großen Zahl von aus Osteuropa einwandernden Juden in
den 1880er Jahren in Wien immer stärker anschwellenden Antisemitismus verurteilte
Friedjung stets scharf: So geißelte er die „dumpfen Empfindungen, welche bei der
Wahl [zum Abgeordnetenhaus] am 1. Juni den Ausschlag gaben. Dies ist
insbesondere bei dem Antisemitismus der Fall.“ sowie „das schmachvolle und
nichtswürdige Treiben der Antisemiten. ... Unterdessen aber richtet [sic] sich der

409
Zur zitierten Metapher vgl. Ausgleich, 30; vgl. auch ebd., 25: „Ein Siechthum aber erfüllte unseren
Volkskörper...“; zur „Race“ bzw. „Rasse“ vgl. unten, bei Fn. 425 bzw. 436.
410
Vgl. Litz Grundbegriffe, 38.
411
Vgl. Litz Grundbegriffe, 35.
412
Vgl. Ritter Historians, 54: “Friedjung was a temperamental sans-culotte who rejected the ‘final principal of
every religion, the subjection of man to a higher being’.“ (Nw.: s. Fn. 36 i. V. m. 53, Fn. 30); Stolz Männer, 65
(Mit dem Glauben seiner „Väter“ habe Friedjung nichts mehr verbunden.), ebd. über das Verbleiben Friedjungs
in der israelitischen Kultusgemeinde (mit Nw. in Fn. 2: Archiv der israelitischen Kultusgemeinde Wiens), ebd.,
66 (Grund dafür unbekannt). Eingehend zu Friedjungs Verhältnis zur Religion: Litz Grundbegriffe, 45-51.
413
Vgl. Moser Emanzipation, 91.
414
Vgl. Ausgleich, 21 sowie 23 (Durch die „katholische Reaction des 17. Jahrhunderts“ seien die
Deutschösterreicher um die „Ernte der geistigen Arbeit betrogen worden, welche im Reformationszeitalter
allüberall ausgesäet worden war.“); Kampf, Bd. 2, 6 (Die Gegenreformation habe das geistige Leben des
deutschösterreichischen „Volksstammes, der keinem der anderen deutschen Stämme an Begabung nachsteht,
gebrochen oder eingeschläfert.“ Denn die von den Jesuiten getragene Form des Katholizismus habe die
Menschen dort von den höchsten Pflichten der Religion ab- und sie, „zufrieden mit äußerer Werktätigkeit, auf
den leichteren Genuß in Kunst und Leben“ gelenkt.). Vgl. auch Ritter Historians, 54 (“Catholicism ... was the
form of religious consciousness he singled out for special attack as the epitome of spiritual servitude and authori -
tarianism, and he depicted the Reformation as a heroic rebellion against spiritual bondage, an affirmation of the
individual and his integrity.”) sowie Litz Grundbegriffe, 31-33. Dörings These, ab ca. 1880 sei
„Gelehrtenpolitik“ im Deutschen Reich zur Teilkultur des liberal-antiklerikalen beziehungsweise säkularisiert-
protestantischen Bereichs von Kulturwissenschaftlern geschrumpft - vgl. Döring Thesen, 157 -, passt gut zu
dieser Einstellung Friedjungs und seiner Politik - nicht so sehr jedoch Dörings weitere Kennzeichnung jener
Teilkultur als einer „protestantisch-kleindeutschen“.
415
Zum Zitat vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 30 f. S. auch Litz Grundbegriffe, 38.
79

roheste Fanatismus und die blindeste Ungerechtigkeit gegen die Juden in ihrer
Gesamtheit, und er verbittert und vertieft die Gegensätze in einer viel verderblicheren
Weise, als es das jüdische Element, selbst nach der strengsten Schätzung,
verschuldet.“416 Zudem trat er im Wiener Gemeinderat den Angriffen der Antisemiten
entgegen und gründete u. a. zum Zweck der Abwehr des Antisemitismus zusammen
mit Hartmann den „Politischen Aufklärungsverein“. 417

Allerdings war in Friedjungs Augen die Forderung nach „Verschmelzung“ der Juden
mit der jeweiligen Nation nicht antisemitisch - im Gegenteil: „Nicht derjenige ist
Antisemit, der den Juden strenge und unerbittlich die Nothwendigkeit vorhält,
allgemach in deutscher Art und Auffassung aufzugehen; auch nicht derjenige
Deutsche, der sich aus einem starken Volksgefühle heraus von der Besonderheit
jüdischer Eigenschaften abgestoßen fühlt. Gegen solche Empfindungen läßt sich
nicht streiten. Wer, gewohnt den Dingen scharf ins Auge zu sehen, den Gegensatz
kräftig hervorhebt, dem darf man nicht Gehässigkeit vorwerfen, wenn er das nur thut,
um zur Verschmelzung des jüdischen Bevölkerungsbruchtheils mit der sie gastlich
beherbergenden Nation zu spornen, nicht aber um sie zu hindern. ... Wer so handelt,
daß er das wünschenswerthe Aufgehen der Juden im deutschen Volke fördert, der
ist kein Antisemit, wenn er auch mit der von dieser Partei gelehrten
Völkerpsychologie liebäugelt; und derjenige ist Antisemit, der, wie die in Oesterreich
unaufhörlich geschieht, wohl seine Unparteilichkeit betheuert, der aber dennoch alles
thut, um die Verbitterung zu nähren, um den Gegensatz zu verschärfen und zu

416
Vgl. Wahlen Wien, 2. Vgl. ferner Stück, 8 („Es ist eine wenig erfreuliche Seite des öffentlichen Lebens in
Oesterreich, daß auch solche Abgeordnete, welche sich in ihrer Thätigkeit wesentlich und in erster Linie von der
Abneigung gegen das Judenthum leiten ließen, unaufhörlich betheuerten, daß sie gegen die Bezeichnung von
[sic] Antisemiten protestiren. ... In Deutschland kennt man die Halbheit und Heuchelei nicht, die sich darin
ausdrückt; dort besteht glücklicherweise jene Richtung nicht, welche man die des ‚geleugneten Antisemitismus’
nennen kann...“); ebd. (über „die wahnwitzige Verlogenheit der Schönerer’schen Presse“); ferner ebd., 20;
Moser Emanzipation, 102. Zu Friedjung und Lueger: Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10; Moser Emanzipation,
123 f.; s. auch Wahlen Ungarn, 1 („redegewandte Streber wie Lueger“). Über Lueger: Hamann Wien, 393-435,
insb. 410-418 über dessen Antisemitismus. Über die jüdischen Immigranten aus Galizien, Böhmen und Ungarn
in Wien vgl. Sagarra Vienna, 194: “They were increasingly regarded by the other established Viennese Jews as
a threat to the position they themselves had achieved.” Der Anteil der Juden an der Wiener Bevölkerung sei
zwischen 1800 und 1900 von unter 0,3% auf 10% gestiegen. - vgl. auch Friedjung Wahlen Wien, 2: „Seit dem
Jahre 1848 ist die Zahl der Juden in Wien von etwa 8000 auf 90.000 gestiegen... Uebrigens ist es wahrscheinlich,
daß Wien, der Herd des Antisemitismus in Oesterreich, keinen größeren Zuwachs an Juden mehr erhalten wird;
der Sättigungspunkt scheint erreicht zu sein...“; vgl. schließlich noch Hamann Wien, 467-496 (über Juden in
Wien), insb. 473-479 („Massenwanderung der Ostjuden“), 482-488 („West- und Ostjuden“).
417
Zum 1891 in Wien gegründeten, von Christen geleiteten Verein zur Abwehr des Antisemitismus, der die
Juden nicht für sich selbst sprechen ließ und (auch) deswegen zusehends in Spannungen mit Juden und in innere
Konflikte geriet, nach 1898 kaum noch aktiv war: Kornberg Vienna, 153-173.
80

vertiefen.“418 Österreichischen Juden assimilierten sich denn auch gerade in dieser


Zeit in großer Zahl an die deutsche Kultur.419

Jonny Moser legt Friedjungs Forderungen - trotz dessen radikaler Wortwahl


(„Aufgehen“, „Aufsaugung“) - so aus, diese hätten nicht eine Assimilation, d. h. „eine
Auflösung in der Wirtsbevölkerung [sic] unter Aufgabe des Glaubensbekenntnisses“,
zum Ziel gehabt, sondern lediglich eine Integration, d. h. „eine vollkommene
Angleichung der Juden an die Wirtsbevölkerung [sic] ohne Aufgabe ihres
Glaubensbekenntnisses“.420 Dies dürfte zutreffen, jedoch hat Friedjung offenbar
zumindest mit einer de facto sich vollziehenden allgemeinen Aufgabe des jüdischen
Glaubens zumindest in den deutschsprachigen Gebieten gerechnet; denn er
prognostizierte: „Das Judentum ist zum Absterben bestimmt.“ 421 Sein
Integrationswunsch im Hinblick auf die Juden dürfte dabei angesichts seiner stetigen
Verteidigung der Juden kaum auf der - für Juden seiner Zeit durchaus nicht
untypischen - Übernahme antisemitischer Stereotypen, gar auf einen - in seiner Zeit
ebenfalls nicht seltenen - „jüdischen Selbsthass“ gegründet gewesen sein. 422

Auch wenn sich Friedjung mit dieser Einstellung im Einklang vor allem mit den schon
länger in Wien ansässigen Juden seiner Generation befand, erntete er dafür auch
scharfe Kritik von den sog. jüdischen Nationalisten, welche noch „das unbekümmerte

418
Stück, 8 f.; vgl. auch Wahlen Wien, 2: „...der Proceß der Aufsaugung des jüdischen Elementes, der
nothwendigerweise erfolgen muß...“ sowie Beller Jews, 27 (m. Nw. in Fn. 16: Friedjung: „‚Rohling und die
Moral des Judenthums’, Die [sic] Deutsche Wochenschrift, 25 October 1885, p. 5“); Friedjung in „Neue
Schriften über die Judenfrage“ in der Deutschen Wochenschrift Jg. 3 Nr. 52 vom 27. 12. 1885, S. 4 f. bei Dechel
Programm, Teil 1, 260 wo er nach Wegen verlangt, auf denen „das deutsche Volk einen ursprünglich
fremdartigen und schon deshalb störenden Bestandteil in seinen Organismus ohne Schäden“ aufnehmen kann.
„Und es wäre die Aufgabe der Christen und Juden, die notwendige Germanisation des ... fremdartigen
Volkselementes zu vollenden.“; vgl. zudem ebd., 261. Dass Friedjung Zeit seines Lebens ein Gegner des
zionistischen Gedankens war - vgl. F. Fellner Friedjung, 643 -, überrascht nach Allem nicht. Zu „Friedjungs
Stellungnahme zur Judenfrage“ allgemein: Dechel Programm, Teil 1, 259-263; Moser Emanzipation, 91-96.
419
Vgl. Beller Jews, 27.
420
Vgl. Moser Emanzipation, 91 (Definition von „Assimilation“: ebd., Fn. 4). Vgl. auch Lindström Empire, 81,
der sich gegen die Auffassung ausspricht, Friedjung sei „a cultural anti-Semite“ gewesen.
421
S. Friedjung in „Neue Schriften über die Judenfrage“ in der Deutschen Wochenschrift Jg. 3 Nr. 52 vom 27.
12. 1885, S. 4 f. bei Dechel Programm, Teil 1, 260.
422
Vgl. aber immerhin Ritter Historians, 54, Fn. 37 (In seinem Artikel „Rohling und die Moral des Judenthums“,
Deutsche Wochenschrift vom 25. Oktober 1885, 3-5, habe Friedjung den Mangel des griechischen Ideals
männlicher Strenge und Schönheit in der alten Hebräischen Kultur beklagt.). Zur allgemeinen Situation: Casillas
Politics, 27 (“Many young Jews, in fact, accepted the stereotype of their elders as the unscrupulous bankers and
money grubbers of European society. As George Mosse indicates, ‘many Jews felt this was a just image, and
many of the young people, especially, thought they saw it exemplified by their parents.’ [Friedjung stammte aber
jedenfalls nicht aus reichem Hause.]); vgl. auch ebd., 65 (“...the assumptions of late nineteenth-century anti-
semitism were so deeply-rooted and pervasive that they even conditioned the thought of the Jewish intelli-
gentsia.”) sowie Fischer Theorie, 119; Whiteside Germans, 185.
81

Selbstvertrauen des Ostjudentums“ besaßen; so richtete sich deren Entrüstung nach


den Worten ihres Führers, Joseph Samuel Bloch, gegen Friedjung, „einen Mann,
der[,] äußerlich im Kreise seiner viel angefeindeten Glaubensgenossen“ beharrend,
„den traurigen Mut besitzt, denselben Insulten [sic] ins Gesicht zu schleudern;
Entrüstung gegen einen Mann, dem der Mut des Konfessionswechsels gebricht und
der sich doch nicht scheut, seine Stammesangehörigen auf diesen Weg des
Treubruches öffentlich und mit Gewalt [?] zu drängen.“ 423 Indes hatte Friedjung in
dem von Bloch angegriffenen Artikel festgestellt, die Juden Mitteleuropas
unterschieden sich „durch eine Welt von geistigen und sittlichen Anschauungen von
der großen Masse der galizischen Juden“, und daraus den Schluss gezogen, „nichts
wäre wünschenswerter als ihre volle Loslösung [?] von denselben.“ 424

Hellsichtig erkannte er: „Der Antisemitismus in Ungarn ist ein wüstes, tolles
Agitationsmittel geworden, das mit verbrecherischen Mitteln, mit Aufhetzung zu
Gewaltthaten arbeitet, [sic] und das zweifelhaften Existenzen eine vergängliche
Popularität verschafft. Es liegt in diesem Treiben eine Unaufrichtigkeit, die sich selbst
richtet. Was wollen die Antisemiten? Nur wenige, und deren Offenherzigkeit ist
immerhin anzuerkennen, sagen rund heraus: Die Juden müssen todtgeschlagen
werden! Das sind die Einzigen, die, wenn man sich so ausdrücken darf, ein
Programm haben. ... Wollte jemand vor die Antisemiten hintreten und ihnen sagen:

423
Übereinstimmung: vgl. F. Fellner Friedjung, 642 (Friedjung habe mit seiner Forderung nach „Aufgehen der
Juden im deutschen Volke” die nationale und kulturelle Grundeinstellung seiner ganzen Generation
offengelegt.). Zu den [sog.] jüdischen Nationalisten vgl. Moser Emanzipation, 91 (Zitat „Selbstvertrauen“:
Tietze, 244 f. - s. 92, Fn. 2); zu den vehementen Angriffen auf Friedjung, insb. den Worten von Bloch („Der
nationale Zwist und die Juden in Österreich“, 63 f.) - welche sich auf Friedjungs Artikel „Neue Schriften über
die Judenfrage“, in: Deutsche Wochenschrift Nr. 52 vom 27. Dezember 1885 beziehen -, ebd., 92 f. Sehr
interessant ist auch die Kritik Theodor Herzls an Friedjung - vgl. dazu Casillas Politics, 68 f.: Herzl habe
erwogen, ein Buch mit Friedjung als Hauptprotagonisten zu schreiben, dessen Leben ruiniert wurde, weil er “too
German” war - s. Herzls [ins Englische übersetzten] Abriss in seinem Tagebuch ebd.: „Hero: a Jewish
newspaperman (something like Dr. Friedjung) of Rabbinical background who turns Germanic. ... Second Vol-
ume: The German Paper. ... Gang of literati joining in, politicians who want to get themselves boosted. Smack in
the middle, the guileless fool who doesn’t see a thing. But all doors open to him because he is against corruption.
... Intoxication with power. ... Third volume: Collapse. The Germans in Bohemia, etc., refuse to be led by a Jew.
The paper declines. Like a gambler gone wild he sacrifices everything to it, first his money, then his principles of
purity. The impresario manipulates him cleverly. Finally, scandalous collapse. Dishonored, he leaves Vienna...
But he had [?] discovered Zion. In the first volume he laughed at the crazy members of Kadimah, after the break-
down (meanwhile they have grown) he recognizes them as solace. As he boards the boat ... the curtain falls.” - zu
Friedjungs Kampf gegen die Korruption vgl. Moser Emanzipation, 96-99; von Srbik Friedjung, 537); zur losen
Bekanntschaft von Friedjung und Herzl vgl. ebd., 93, Endn. 55 (dort auch: Friedjung habe Herzl nach
Einreichung eines Manuskripts für die „Deutsche Wochenschrift“ geraten, einen „weniger jüdischen“
Autorennamen anzunehmen.); s. auch Beller Jews, 27 (Herzl habe einige “literary pieces” für Friedjung
geschrieben.).
424
Friedjung in „Neue Schriften über die Judenfrage“ in der Deutschen Wochenschrift Jg. 3 Nr. 52 vom 27. 12.
1885, S. 4 f. bei Dechel Programm, Teil 1, 260. Zum Fragezeichen hinter „Loslösung“: Das Schriftbild der
Vorlage ist hier sehr schlecht, so dass diese Lesart nicht sicher ist.
82

Wir wollen dem Judenthum als einer gesonderten Race [!] ein Ende machen, doch
[sic] die Juden müssen in der modernen Volksgemeinschaft unter Ablegung ihrer
Eigenthümlichkeit aufgehen, so würden die wunderlichen Heiligen dies als
Philosemitismus und Judengenossenschaft brandmarken. Das Judenthum muß,
wenn es nach ihnen geht, bestehen bleiben, auf daß sie einen Gegenstand des
Hasses und der Agitation besitzen.“425

Die Entstehung des Antisemitismus war für ihn offenbar ausschließlich wirtschaftlich-
sozial bedingt: Es liege „in der Natur der Sache, daß dieses massenhafte Einströmen
eines fremden, energischen, mit dem stärksten Erwerbstriebe ausgestatteten
Volkselementes Störungen im socialen Organismus hervorruft... Eine unglückselige
Geschichte hat die Juden dem Handwerk und dem Ackerbau entfremdet...; sie haben
sich, durch ungerechte Gesetze gezwungen, auf den Geld- und Zwischenhandel
werfen müssen, und Viele von ihnen dehnen die geschäftliche Auffassung dieser
Erwerbszweige auch auf Gebiete aus, wo sie nur verderblich und zersetzend wirken
kann. Das Unrecht, das ihnen durch ein Jahrtausend widerfuhr, rächt sich jetzt an
der Gesellschaft, und zum Unglück gerade an jener Gesellschaft, welche ihnen die
langentbehrte Freiheit wiedergab.“426 Den Antisemitismus der
deutschösterreichischen Studenten hielt er (aber) für ein vorübergehendes
Phänomen jugendlichen Unverstandes. 427

Friedjung wollte nicht bloß den status quo bewahren, sondern auch, dass die
Deutschösterreicher, welche sich seit dem 16. Jahrhundert naturgemäß vielem
hätten entfremden müssen, was deutscher Geist hervorgebracht habe, einen von
ihm idealisierten Zustand wiederherstellen.428 Für ihn war ausgemacht, dass die
Deutschen Österreichs eine reine Interessenpolitik zu ihren eigenen Gunsten

425
Wahlen Ungarn, 2; vgl. aber auch Wahlen Wien 2: „Auf der anderen Seite findet sich, zumal in den von
Juden geleiteten Journalen, eine solche Unkenntnis der wirthschaftlichen Ursachen des Antisemitismus, eine
solche Naivetät und Selbstgenügsamkeit [Anm.: „So brachte das ‚N. Wr. Tgbl.’ einen Artikel, in welchem es den
Rückgang der Civilisation infolge der antisemitischen Wahlen voraussieht und dies symbolisch so ausdrückt,
daß im nächsten Abgeordnetenhause ein Nachbar den andern vergeblich um ein Zündhölzchen ersucht - denn die
Welt sei wieder in die Zeit des Feuerschwammes zurückgekehrt.“], daß die Irrthümer dieses socialen oder
vielmehr ethischen Instinctes nur in Parallele gesetzt werden können mit der gleich rohen Empfindung unserer
Vorstadtwähler...“ sowie Whiteside Germans, 185 f. („Georg Schönerer’s Prussophile and anti-Semitic blasts in
the ’eighties [sic] were taken by such genuine democrats as Engelbert Pernerstorfer, Robert Pattai, Viktor Adler,
and Heinrich Friedjung, of whom the last two were Jews, rather as sensational rallying cries for a democratic
‚people’s party’ than as an assault on the fundamental radical premise of civic equality.“).
426
Vgl. Wahlen Wien, 2; vgl. zudem Uebergewicht, 5; Wahlen Ungarn, 1 f.
427
Vgl. Studenten, 2.
428
Vgl. Ausgleich, 21.
83

betreiben sollten.429 So forderte er in seiner politischen Schrift 1877 wie erwähnt die
staatsrechtliche Loslösung Ungarns von Österreich mit der Begründung, dass „wir
uns voll und rückhaltslos [sic] als Deutsche bekennen und aus dem nationalen
Geiste heraus alles Fremdartige und Krankhafte aus unserem Staat entfernen.“ 430 Es
dürfe, „wo immer ... unsere Stammesgenossen um Geltung oder gar um nationales
Dasein ringen, ... ihnen der Beistand des Hinterlandes nicht fehlen“, das Ausbleiben
einer solchen Unterstützung „wäre Verrat“. 431 (Auch) seine eigene Rolle beschrieb er
so: Es sei die höchste Aufgabe eines politischen Schriftstellers, „auf jenen dunklen
Urgrund aller Völkergeschichte, auf den Nationalcharakter[,] zu wirken“. 432

Diese Interessenpolitik bestand für Friedjung eindeutig in der Wahrung bzw.


Wieder-/Herstellung der Hegemonie der Deutschen in Österreich. 433 Insbesondere
setzte er sich sein Leben lang für das Deutsche als Staats- und Heeressprache und
unerlässliche Voraussetzung für den Eintritt in den Staatsdienst Österreichs ein. 434
429
Vgl. Ausgleich, 28, auch 25 (hier allerdings bezogen auf den Staat); vgl. überdies Litz Grundbegriffe, 36. Zu
Friedjungs Forderung nach Moralfreiheit in der Historiographie vgl. unten, II. 1. Zur Diskussion um Politik und
Moral 1900 vgl. vom Bruch Wissenschaft, 435 f. (Exkurs 5).
430
Vgl. Ausgleich, 25; auch ebd., 24 zu „den unglückseligen kosmopolitischen Tendenzen der österreichischen
Geschichte“. Zur Forderung nach der staatsrechtlichen Trennung von Ungarn vgl. Ausgleich, 3-19, insb. 4 (Es
bestehe faktisch eine Tributpflichtigkeit Österreichs an den ungarischen Staat.), 8, 16 („...sprechen wir ... unsere
Fremdheit, unseren Gegensatz, ja die mögliche Feindschaft gegen unseren östlichen Nachbarn aus...“), 17 f.
(vollständige Unabhängigkeit Ungarns, Ungarn als Ausländer aus Österreich ausgeschlossen), 20, ferner ebd.,
21, wo Friedjung beklagt, dass „wir seit Jahrhunderten zu einem Sonderleben verurtheilt waren, in welchem wir
unsere besten Kräfte für nichtdeutsche Interessen verbraucht haben.“ sowie 22. Zu „Nothwendige[n] Reformen“
ebd., 54-72; zu „Der neue Ausgleich mit Ungarn“: ebd., 34-53; s. auch das „Friedjung-Programm“, Punkt 4, bei
Berchtold Parteiprogramme, 190 f. sowie das „Linzer Programm, Punkt 1. 1. (für eine bloße Personalunion),
ebd., 199.
431
Vgl. Deutschböhmen, 485 f.; ähnlich Stück, 11, 16.
432
Vgl. Ausgleich, 30.
433
Vgl. Ausgleich, 81: „...festbegründeten Hegemonie des deutschen Stammes in Österreich...“; vgl. auch
Deutschböhmen, 480 f. unter Berufung auch auf die Geschichte sowie Denkschrift, 91, 95; ferner Lindström
Empire, 271; Litz Grundbegriffe, 36; von Srbik Friedjung, 535. Vgl. auch noch das „Friedjung-Programm“,
Punkt 2, bei Berchtold Parteiprogramme, 190 (Der Staatsname sollte „Österreich“ sein, und zwar u. a. wegen der
„untrennbaren Zusammengehörigkeit aller Deutschen Österreichs“.). Allerdings war Friedjung ein Verfechter
des Rechtsstaats - vgl. Ritter Historians, 63 -, der diese Hegemonie daher auch nicht mit illegalen Mitteln
herzustellen gedachte. Vgl. zudem Whiteside Germans, 172 („In Jászi’s opinion, certain German and Magyar
Jews acted as ‚an extremely loud and bigoted bodyguard’ for the German and Magyar leadership...”). Zu der
objektiv bereits bestehenden Hegemonie der Deutschen in Österreich vgl. Whiteside Germans, 162-164
(deutsche Dominanz in der Wirtschaft), 164 (Überwiegen der Deutschen in den höheren Schulen [in den
Gymnasien gegen 1914 allerdings kaum], Universitäten - s. dazu auch oben, Fn. 262 - und technischen
Instituten), 164 f. (in den Ministerien 1914 80% Deutsche; Überwiegen auch in der lokalen Verwaltung und in
der Justiz); 165 f. (Deutsch als Sprache in der Armee, allerdings einschränkend), 166 (Dominanz in der
katholischen Kirche und in wichtigen Orden; Deutschsprachige die bedeutenden Figuren in Literatur, Drama,
Musik, Kunst, Wissenschaft und Gelehrtenwelt; mehr Zeitungen und Bücher auf Deutsch als in allen anderen
Sprachen zusammen) - die Habsburger-Dynastie nicht zu vergessen (s. auch ebd., 167); vgl. auch noch ebd., 163
(„One reason for German economic predominance was that, to quote Jászi, ‚capitalism ... assumed more and
more an outstanding Jewish color.’“).
434
Vgl. das „Friedjung-Programm“, Punkt 1, bei Berchtold Parteiprogramme, 190 - dazu Berchtold ebd., 190
(Das Verlangen nach dem Deutschen als Staatssprache sei gegenüber den bis dahin erhobenen Forderungen
deutschnationaler Kreise neu gewesen.); Sprachenrecht, 474-486, insb. 476-478 unter kaum plausibler
84

Dabei sah er die Vormachtstellung der Deutschen in einem staatsrechtlich geeinten


Österreich-Ungarn durch die Ungarn und Slawen und in Österreich selbst durch die
Slawen stets als bedroht an.435 Offenbar sozialdarwinistisch angehaucht, sprach er
von einem „Ringen der deutschen und der slawischen Rasse [!] um Geltung und
Herrschaft in den Sudetenländern“ und einem „notgedrungene[n] Kampf für deutsche
Art und Sitte der nächsten Generation“, rief zur Verteidigung des deutschen
„Sprachbodens“ auf und forderte die „Wacht an der Sprachgrenze“. 436 Überhaupt war
die Idee des Kampfes zentraler Bestandteil seiner Weltsicht. 437

Angst vor den Slawen Österreichs war unter den Deutschösterreichern,


insbesondere unter den deutschösterreichischen Historikern, weit verbreitet. 438
Zwischen 1867 und 1918 lebten in Cisleithanien durchschnittlich neben den ca. 36%
Deutschen denn auch jeweils etwa 23% Tschechen, 18% Polen, 13% Ruthenen, 5%
historischer Herleitung; Staatssprache, 2 f.; sowie das „Linzer Programm“, Punkt 2, insb. Punkt 2. 5. (In Orten
mit sprachlich gemischter Bevölkerung solle an allen Mittelschulen die deutsche Sprache als obligater
Gegenstand gelehrt werden, wohingegen kein Schüler zur Erlernung einer anderen, etwa landes- oder
bezirksüblichen, Sprache gezwungen werden dürfe.) bei Berchtold Parteiprogramme, 199 und schließlich
Denkschrift, 41, 92 f. Eingehend zur deutschen Sprache im späten habsburgischen Österreich: Whiteside
Germans, 159-162, insb. 161, Fn. 3 zu den „landesüblichen“ und den „Landessprachen“ in den einzelnen
Gebieten. Immerhin bekräftigt Denkschrift, 92 den Anspruch der „von alters her ansässigen Nationalitäten“ auf
Errichtung von Volksschulen (nicht aber der zu- und abwandernden „Elemente“).
435
Zu Ungarn vgl. Ausgleich, 24 („Man muß demnach die vielleicht bittere Lehre aus der Geschichte der
dreihundertjährigen Ehe Oesterreichs mit Ungarn ziehen, daß wir nicht politische Kraft genug besitzen, um
Ungarn unserem Staatsleben einzuordnen.“); zu Friedjungs antiungarischer Einstellung vgl. ebd., 16
(„...rabulistischen magyarischen Volke...“). Zu Friedjungs Angst vor den Slawen vgl. Ausgleich, 1 („...die
mögliche Bedrohung unserer führenden Stellung durch Tschechen, Polen und Ultramontane...“);
Deutschböhmen, 479 sowie 480 (Die Deutschböhmen dämmten „die Slawenflut ein und hindern ihr
Überschäumen in das übrige deutsche Gebiet.“), ebd.., 483 (Viele deutsche Städte und Dörfer in Böhmen seien
„in ihrem nationalen Charakter bedroht“.); vgl. ferner Zeitalter, 7; das „Linzer Programm“, Punkt 2 bei
Berchtold Parteiprogramme, 199, wo verlangt wird, den ehemals dem Deutschen Bund angehörenden Ländern
der Monarchie müsse der deutsche Charakter gewahrt bleiben, sowie Denkschrift, 102, wo eine „unnachgiebige
Festhaltung des deutschen Charakters der ehemaligen Reichsländer“ und eine „Wiedergewinnung der verlorenen
Posten in [sic] Südsteiermark, Böhmen und Südtirol“ gefordert werden. Vgl. aber auch Abkehr, 2: Die
Regierung dürfe sich nicht zu Verfolgungen gegen Tschechen hinreißen lassen - sowie Denkschrift, 11 und
schließlich Litz Grundbegriffe, 34: In Friedjungs Frühwerk „Kaiser Karl IV. und sein Antheil am geistigen
Leben seiner Zeit“ habe dieser - im Gegensatz zu seiner später aggressiven Einstellung - ein durchaus
wohlwollendes Verhältnis zum „Tschechentum“ gezeigt.
436
Vgl. Deutschböhmen, 485. Dass sich Friedjung hier besonders für die „Deutschböhmen“ stark machte, dürfte
auch durch seine Herkunft aus Mähren veranlasst gewesen sein sowie durch den Umstand, dass außer in Galizien
- offenbar nur - in Böhmen und Mähren die Deutschen um 1900 in den Justiz- und Verwaltungsbehörden
unterrepräsentiert waren (zu Letzterem vgl. Whiteside Germans, 165, unter Berufung auf Hugelmann).
437
So Ritter Historians, 50. Vgl. auch Friedjung Stück, 20 („Verloren ist nur Derjenige, der sich selbst verloren
gibt; erst dann ist der Triumph zerstörender Kräfte entschieden, wenn die Entschlossenheit versagt, den Kampf
von neuem aufzunehmen.“).
438
Vgl. Judson Race, 90, 94; auch Whiteside Germans, 181, 184 über die Liberalen. Über die
deutschösterreichischen Historiker: Ramhardter Geschichtswissenschaft, 192. Vgl. (aber) auch Charle
Vordenker, 168, wonach es der österreichischen [künstlerischen] Avantgarde besser als den französischen und
deutschen Schriftstellern gelungen sei, sich vor der Ansteckung durch Nationalismus und Fremdenhass zu
schützen.
85

Slowenen sowie 3% Italiener und 1% Rumänen. 439 Diese „Bedrohung“ war in


Friedjungs Augen zumindest teilweise bedingt durch „bittere[r] Gehässigkeit“ gegen
die Deutschen, wobei er merkwürdigerweise das Verhalten der letzteren als eine
mögliche Quelle jenes Gefühls gar nicht in Betracht zog. 440

Er postulierte, die Deutschen Österreichs könnten „erst dann Herren im eigenen


Hause“ sein, wenn Galizien eine selbständige Stellung neben und zum Teil außer
dem cisleithanischen Staat erhalte - und damit polnische Abgeordnete nicht in
Gemeinschaft mit tschechischen u. a. die deutschen leicht überstimmen könnten. 441
Österreich war für ihn ein „deutscher“ Staat, in welchem die Deutschösterreicher, der
„führende Volksstamm, ... die anderen Stämme leiten“ und „die Nationalitäten
niederhalten“ sollten.442 Ausdrücklich gerade auch diesem Zweck diente seine
Forderung nach einem engen Bündnis mit dem Deutschen Reich. 443

Michael Pollaks Bemerkung, die Begeisterung für das Deutschtum im Österreich der
1870er und 1880er Jahre sei „aufbrausenden Charakters“ und von nur kurzer Dauer
gewesen, trifft auf Friedjung allenfalls in sehr abgeschwächtem Maß zu; zudem
übersieht Pollak in der Gesamtsicht den immer mehr anschwellenden Nationalismus
unter den deutschösterreichischen Studenten. 444 So war denn auch die überwiegende

439
Vgl. Whiteside Germans, 159 f. Zu den Tschechen in Wien vgl. Hamann Wien, 437-462.
440
Vgl. Deutschböhmen, 484 (bezogen auf die tschechischen Bürger und Bauern); auch Mommsen
Sozialdemokratie, 19. Dass die Situation zwischen den Nationalitäten des späten habsburgischen Österreich so
dramatisch war, wie sie herkömmlich geschildert wird, bestreitet Cohen Politics, 242-277; vgl. auch Whiteside
Germans, 190 (für die Zeit bis 1897).
441
Vgl. Deutsche, 1; ähnlich Ausgleich, 101; Punkt 3 des „Friedjung-Programms“ (vgl. Berchtold
Parteiprogramme, 190); Punkt 1. 3. des “Linzer Programms“ - hier ebenso für die Bukowina gefordert - (vgl.
Berchtold Parteiprogramme, 199); Denkschrift, 86 - s. auch ebd. 87 (gegen eine Demokratie in Galizien). Auch
der von Ende 1914 bis Juli 1916 aktive Kreis um Gustav Marchet und Josef Maria Baernreither, welchem
Friedjung angehörte, vertrat diese Ansicht - vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 20 f.
442
Vgl. Ausgleich, 20, 24, 28; Auf der anderen Seite sollten die Deutschen in Ungarn nach dem Krieg „nicht
mehr mit derselben Unbilligkeit behandelt werden wie bisher.“ - vgl. Denkschrift, 80. Vgl. auch Meyer
Mitteleuropa, 197: Trotz seiner starken Sympathien für die Deutschösterreicher habe Naumann die „Denkschrift
aus Deutsch-Österreich“ u. a. wegen deren grundlegend antislawischen Tones kritisiert. Vgl. ferner Mommsen
Sozialdemokratie, 109: Die „Deutsche Wochenschrift“ habe die deutsche Arbeiterschaft für einen maßvollen
Nationalismus gegen die slawische nationale Bewegung zu gewinnen versucht, die in diesen Jahren den
Sprachenkampf erneut verstärkt habe.
443
Vgl. Ausgleich, 81 (Warum ein - von Friedjung abgelehnter - „Anschluss“ [Gesamt-]Österreichs an das
Deutsche Reich anders gewirkt haben würde [vgl. ebd., 30-33], bleibt unklar.); Vaterland, 2; auch Denkschrift,
77; Thaler North, 281. Zu den - aus Friedjungs Sicht vermutlich z. T. kontraproduktiven - Folgen des Bündnisses
vgl. Whiteside Germans, 182 f.: “The alliance probably barred the way to any outright anti-German government
in Austria, but it also guaranteed the Austrian government against intervention by Berlin in favor of the Germans
when the Slavs moved to achieve greater equality.” (m. Nw. in Fn. 32: “See the dispatches by Prince Lich-
nowsky and Count Eulenberg from 1898 to 1899...”).
444
Bemerkung: Pollak Wien, 103 - unter dem interessanten Zusatz, diese Begeisterung sei durch Zukunftsängste
vor allem derjenigen gespeist worden, deren ausschließliches Arbeitsmittel die Sprache gewesen sei.
86

Mehrheit der österreichischen Historiker bereits vor dem Weltkrieg deutschnational


eingestellt und versuchte spätestens währenddessen, die Vormachtstellung der
Deutschösterreicher in Cisleithanien historisch herzuleiten. 445

Keineswegs war Friedjung ein Befürworter der Zerschlagung des Habsburger-


Reiches etwa zugunsten eines Anschlusses Deutschösterreichs an das Deutsche
Reich.446 Damit stand er bis zum Kriegsende im Einklang mit der Haltung der großen
Mehrheit der politischen Parteien und Organisationen und überhaupt der
Bevölkerung, welche auch unter den österreichischen Historikern weit verbreitet
war.447

Er war fest von der „Daseinsnotwendigkeit“ der Donaumonarchie überzeugt, die er


auch nach ihrer Auflösung noch verteidigte, obwohl er sah, dass sie „durch eine
Totenklage nicht zum Leben zu erwecken“ sei. 448 Diese Notwendigkeit begründete er
letztlich mit der Aufgabe der Deutschösterreicher, ein „Bollwerk“ gegen die
südöstlichen Nachbarn der Deutschen zu bilden. 449

Nur eine Großmachtstellung des österreichisch-ungarischen Reiches kann dabei


gemäß der „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“ seine Selbsterhaltung garantieren. 450
Zudem gab es für Friedjung eine eigentümliche österreichische Kultur in Recht und
445
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 192 (allerdings mit dem hier unglücklichen Begriff „großdeutsch“
statt deutschnational) bzw. 194 f., auch 192.
446
Und zwar bereits in seiner ersten politischen Publikation: vgl. Ausgleich, 16, wo er sich „mit Stolz und Freude
zu unserem [Ungarn ausschließenden] Oesterreich“ bekennt und die Deutschösterreicher aufruft, „feurige
entschlossene Patrioten dieses deutschen [Gesamt-]Oesterreichs“ zu werden, ebd., 30-33 (gegen einen
„Anschluss“). Vgl. auch von Srbik Friedjung, 535.
447
Parteien und Organisationen: vgl. Cohen Politics, 242 - Bevölkerung: vgl. ebd., 276, auch Lindström Empire,
11, 271 - Historiker: vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 61.
448
Vgl. Vorrede, VII; auch Redlich Nekrolog, 227. Vgl. ferner Vorrede, XI: Der militärische Untergang eines
Staates an sich beweise nicht, dass er lebensunfähig gewesen sei - das verwundert angesichts von Friedjungs
Machtkonzept des Staates. In diesem Zusammenhang argumentiert Friedjung in Richtung einer
„Dolchstoßlegende“: vgl. ebd., XII („Verrat im Hinterland“), auch IX f.; vgl. zudem von Srbik Friedjung, 535;
Stieböck Journalist, 3 sowie oben, bei Fn. 339 (Hartmanns Aussage); s. aber Eder Friedjung, 125 (ohne Nw.):
Friedjung sei auch nach der Niederlage immer für die neuen Verhältnisse aufgeschlossen geblieben - sowie
Lindström Empire, 272 („Arguably, Friedjung and Renner were less severely struck by the dissolution because
they both had their identities firmly anchored in the German nation.“).
449
Vgl. Vorrede, XIII; auch Denkschrift, 101 f., wo von den der habsburgischen Monarchie „bereits in die
Wiege gelegten Aufgaben der Verknüpfung des Orients mit dem Okzident wie der Abwehr der von Osten her
drohenden Barbarei“ die Rede ist. Vgl. ferner Lindström Empire, 271; Thaler North, 281. Allerdings sah
Friedjung diese Mission in Bezug auf Großungarn als gescheitert an und forderte daher 1877 eine Beschränkung
der Wirksamkeit der Deutschösterreicher auf Cisleithanien - vgl. Ausgleich, 24, auch 103.
450
Vgl. Denkschrift, 12. Vgl. auch von Srbik Friedjung, 535 (Friedjung sei stets der Politiker und Historiker
eines Österreich gewesen, das er militärisch kraftvoll habe wissen wollen.); zudem Whiteside Germans, 174
(“The overwhelming majority of German nationalists in the Habsburg empire were ... strong supporters of the
empire’s position as a great power.”).
87

Gesittung; der Versuch, sie „abzustreifen, ist ein Rückfall in die Barbarei.“ 451 Für einen
„Anschluss“ an das Deutsche Reich sprach er sich, keinesfalls inkonsequent, erst aus,
als Österreich-Ungarn bereits in Einzelstaaten zerfallen war - womit er in
Übereinstimmung mit wohl den weitaus meisten deutschösterreichischen Historikern
stand: Spätestens in den 1920er Jahren bekannten sich „ a l l e “ österreichischen
Historiker an Universitäten „offen und klar zum Anschlußgedanken“. 452

Überhaupt hielt Friedjung zumindest für die Fälle, in welchen „die Wohnsitze und
Sprachinseln der verschiedenen Volksstämme ... durcheinandergeworfen sind“,
nichts von der Bildung „geschlossene[r] Nationalstaaten“. 453 Aber dies bedeutete für
Friedjung nicht etwa die Forderung oder Duldung einer gegenseitigen
„Durchmischung“ der Nationen, vielmehr sollten sie großen Wert auf ihre
gegenseitige Abgrenzung legen.454

Friedjungs Patriotismus nahm im Laufe seines Lebens zu. Am prägnantesten ist dies
zu ersehen aus seiner Aussage vom Februar 1884: „Da erkannte der Schreiber
dieser Zeilen an seiner eigenen inneren Erfahrung wieder, mit welch’ zähen Fasern
selbst der entschiedenste, b e d i n g u n g s l o s national denkende Deutsch-
Oesterreicher in seinem engeren Vaterlande wurzle: an meiner tiefen Empörung über
das auf der Balkan-Halbinsel geschehene Unrecht habe ich es empfunden: Ich bin
ein guter Oesterreicher.“455

451
Vgl. Vorrede, XV.
452
Vgl. Vorrede, XIII: „Jetzt, da Österreich zerfallen ist, drängt sich unsere ganze Empfindung in der Liebe zum
Kernvolke der alten Monarchie und damit zur großen deutschen Nation zusammen. ..., zuletzt aber werden wir
doch zum Mutterlande zurückkehren.“ Konsequenz in Friedjungs spätem Bekenntnis zum „Anschluss“ erblicken
ebenfalls Glaubauf Bismarck, 249; Litz Grundbegriffe, 37. Österreichische Historiker an Universitäten: Dachs
Geschichtswissenschaft, 74 (Sperrdruck im Original); vgl. auch Ramhardter Geschichtswissenschaft, 195.
453
Vgl. Vorrede, XII.
454
Vgl. Abkehr [Juni 1918], 1 zur Beziehung der Deutschen und Tschechen Böhmens. Vgl. auch Zeitalter, 13:
„Es ist kein Nachteil, daß die gemeinsame Liebe zum Vaterland sich in allen Nationen stärker erwiesen hat als
der zwischen den Gesellschaftsklassen bestehende Gegensatz, als der unter ihnen gesäte Haß“ - was mindestens
eine Abgrenzung der „Nationen“ impliziert. In Denkschrift, 102 werden für Österreich sogar eine „energischere
Germanisierung, wo der Widerstand weniger zäh, scheinbare Nachgiebigkeit, wo er ernster ist“ verlangt. Vgl. in
diesem Zusammenhang auch Whiteside Germans, 177 über Artikel 19 des sog. Staatsgrundgesetzes von 1867,
der jedem das gleiche und unveräußerliche - persönliche, nicht kollektive - Recht garantierte, seine Nationalität
zu wahren und zu pflegen.
455
Vgl. Bahnen, 3 [Sperrdruck im Original]. Dies beeinflusste auch seine Geschichtsschreibung: “He ... main-
tains much of his earlier idealization of the ... Revolution of 1848..., but tends now to see these events more as
centrifugal and reactionary [!] dangers from the nationalities and provinces for the future of Austria. ...the mod -
ernizing authoritarian centralism of the 1850s, which he sees as carrying forth the Liberal [sic] Josephinist inher -
itance in important regards.” - vgl. Lindström Empire, 36 i. V. m. 35 über das 1908 entstandene Werk “Österre-
ich von 1848 bis 1860”. Vgl. auch Denkschrift 102 f.: „Seit dem Weltkrieg rauschten Vaterlandsliebe und Na-
tionalgefühl der Deutschösterreicher „in einem einzigen, mächtigen Strome dahin“.
88

Sogar den Ausgleich mit Ungarn beurteilte Friedjung 1897/98 insofern positiver als
noch zwanzig Jahre zuvor, als er ihn nunmehr als eine Quelle der Verjüngung der
Außenpolitik des Gesamtreiches darstellte. 456 Dennoch „blieb“ er „der Politiker und
Historiker ... eines Österreich, das künftig in eigener Staatlichkeit neben Ungarn in
der Monarchie stehen ... sollte.“457

Auch die Regierungsform der konstitutionellen Monarchie und die Dynastie der
Habsburger beurteilte Friedjung nach 1877 immer positiver. 458 So postulierte er in
seinem „Friedjung-Programm“ 1880: „Ebenso untrennbar wie mit den Schicksalen
der deutschen Nation ... sind die Deutschen Österreichs mit dem Geschicke der
österreichisch-ungarischen Monarchie verknüpft...“ 459 Und im Mai 1918 schrieb er:
„Gerade in dieser Monarchie ist es ein unabweisliches Bedürfnis, daß sich niemand
zwischen den Herrscher und seine Getreuen dränge, denn das Reich der
Habsburger ist entstanden und beruht noch heute auf dem Einklange und dem
treuen Zusammenstehen von Fürst und Volk, ein Verhältnis, das uns glücklich über
die Stürme des Weltkrieges hinübergeholfen hat und ... eine lichtere Zukunft
verbürgt.“460 Die „Arbeiter-Zeitung“ hatte ihn denn auch bereits 1913 als einen
„offiziösen Journalisten im Historikermantel“ bezeichnet. 461

Diese Änderung von Friedjungs politischer Einstellung ist viel diskutiert worden. Trotz
aller auf den ersten Blick grundsätzlichen Abweichungen der einzelnen Analysen
456
Vgl. Ritter Historians, 66, Fn. 85. Vgl. zudem Denkschrift, 78 f. (kein Ausgleich mehr, dafür aber ein über
mindestens 25 Jahre laufendes Mitteleuropa-Bündnis), 96 (Aufrechterhaltung der im Ausgleich von 1867
umschriebenen Staatlichkeit Ungarns).
457
Von Srbik Friedjung, 535.
458
Zur frühen Kritik vgl. Ausgleich, 9 („...werden wir immer mehr der Spielball in den Händen der Ungarn und
der Hofpartei sein, welche dem dynastischen Interesse zu Liebe Oesterreich alle Lasten aufbürden will, um das
verhätschelte Ungarn ja bei guter Laune zu erhalten.“), auch ebd., 15, 21-23, 97. Whiteside Germans, 169 hebt
hervor, gerade die deutschsprachigen Juden seien dem Staat gegenüber loyal gewesen; zu den österreichischen
Juden als Wählern vgl. Simon Vote, 108 (Sie seien als brennende Anhänger des Liberalismus in das politische
Leben eingetreten.), 121 (1918 habe weder der Sozialismus noch der Klerikalismus noch der
Deutschnationalismus Juden aus der Mittelklasse angezogen.).
459
Vgl. Punkt 8 bei Berchtold Parteiprogramme, 191. Vgl.auch Vaterland, 2.
460
Vorgänge, 2; vgl. auch Denkschrift, 13 sowie Morgenbrod Großbürgertum, 73 i. V. m. Fn. 11. Vgl. aber auch
Vorrede, S. XII: „Der Leser wird in diesem Buche ebensowenig wie in meinen früheren auf das stoßen, was man
dynastische Gesinnung nennt, umso häufiger auf die Überzeugung, daß der Verband der
durcheinandergemengten Nationalitäten zusammengehalten werden sollte.“ Zur konstitutionellen Monarchie in
Österreich-Ungarn seit 1867 vgl. Whiteside Germans, 176.
461
Vgl. F. Fellner Friedjung, 657 (Arbeiter-Zeitung vom 18. September 1913) - vgl. auch ebd.: Auf ein
Schreiben Friedjungs, in dem er sich empört über diese Titulierung gezeigt habe, habe Hartmann in einem Brief
vom 9. Januar 1914 (Nachlass Friedjung, HHStA) geantwortet: „Man hat sich daran gewöhnt, Dich in der
Öffentlichkeit als eine Art von ‚Officiosus’ (das Wort ist hier von mir gewiß nicht böse gemeint) der Idee des
österreichischen Staats überhaupt zu betrachten - was eine Abhängigkeit von den einzelnen Regierungen
natürlich prinzipiell ausschließt und nur besagen will, daß Du freiwillig ein officium übernommen hast, das
Deiner Überzeugung eben entspricht.“ Vgl. ferner Lindström Empire, 18.
89

besteht der Sache nach zu Recht Einigkeit dahin gehend, dass dieser Wandel
lediglich von gradueller Natur war, während die politischen Grundgedanken
Friedjungs gleich blieben.462 Das Diktum Friedrich Naumanns über die oft viel
biegsamer gewordenen Gelehrten und den Professor, der im Allgemeinen nicht mehr
protestiere und stattdessen die Welt nehme, wie sie sei, trifft auf den späteren
Friedjung allerdings partiell zu.463

Friedjungs Einstellung zur Demokratie war zwiespältig. 464 Hans Mommsen scheint an
einer Stelle sogar zu implizieren, er habe (bereits) während seiner Tätigkeit als
Chefredakteur der „Deutschen Wochenschrift“ das allgemeine Wahlrecht
abgelehnt.465 Immerhin hatte Friedjung in der Tat zu Anfang der 1870er Jahre noch
erhebliche Vorbehalte gegen die im Lesezirkel zur Besprechung sozialistischer
Schriften erhobene Forderung nach Erweiterung des Wahlrechts geltend gemacht. 466
1877 dann hatte er zu einem „energischen Selbstregiment des Volkes“ aufgerufen. 467

462
Vgl. von Srbik Friedjung, 535, 539, 542, 544; Lindström Empire, 33, 82; Zailer Friedjung, 3; zudem Bogner
Auseinandersetzungen, 17, Fn. 24; Dechel Programm, Teil 2, 424; F. Fellner Friedjung, 641, auch 639, 644 f; ;
Litz Grundbegriffe, 34 f., 38; Redlich Nekrolog, 227; Ritter Historians, 49, 57, sowie 49, Fn. 15 (wo Ritter darauf
hinweist, Friedjung habe als achtzehnjähriger Student in Prag 1869 eine Vorlesung mit dem Titel “Der
österreichische Staat” vorbereitet, welche bereits viele der fundamentalen Muster seines späteren Denkens
erkennen lasse; das Manuskript befinde sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Nachlass Friedjung, Karton 3.).
Eine Einteilung in vier bis fünf, sich aber auch nur graduell unterscheidenden Phasen von Friedjungs politischer
Einstellung nimmt Lindström Empire, 32-34, 38, 82 f. vor. Vgl. ferner Stolz Männer 63 (Zur Amtszeit Taaffes
hätten noch Friedjungs deutschnational-liberale Gesinnungen überwogen und habe er gegen den wachsenden
slawischen Einfluss gekämpft.). Zur Bedeutung des Bündnisses von 1879 für die Deutschösterreicher vgl.
Whiteside Germans, 182: Seitdem habe es ihnen die nationale Loyalität verboten, ihre Opposition zur inneren
österreichischen Politik so weit zu treiben, dass sie die Stabilität desjenigen Staates gefährdeten, auf den das
deutsche Vaterland nun für seine eigene Sicherheit angewiesen gewesen sei.
463
Zitiert bei vom Bruch Wissenschaft, 58.
464
Zu Demokratie und Sozialismus bei Friedjung vgl. Litz Grundbegriffe, 42-45. Zur geringen Neigung der
„Mandarine“, eine Ausdehnung rein politischer Rechte zu verlangen oder eine Beteiligung des Volkes an der
Herrschaft anzustreben, vgl. Ringer Gelehrten, 19.
465
Mommsen Sozialdemokratie, 115, Fn. 5: „Wahrscheinlich hofften Adler und Pernerstorfer noch, Friedjung
und den Deutschen Club für eine Unterstützung der politischen Arbeiterbewegung, also für allgemeines
Wahlrecht und Sozialreform, zu gewinnen.“ - vgl. aber auch ebd., 114: „Kautsky erwog ernsthaft, ob man mit
der ... Gruppe um Friedjung in der Wahlrechtsfrage zusammengehen könnte...“ Ähnlich wie Hans Mommsens
erstgenanntes Diktum scheint dasjenige von Srbik Friedjung, 539 zu sein: „Wir begreifen es, daß er sich dem
Altliberalismus, gegen den er durch Jahre gestritten hatte, näherte: dieser Liberalismus mit seiner Einschränkung
des politischen Rechtes auf die Gebildeten und Besitzenden entsprach schließlich F.s [sic] innerer Ablehnung
aller Nivellierung ...“ Gegen eine Änderung in Friedjungs Einstellung zur Wahlrechtsfrage spricht seine
Äußerung von 1909 - allerdings nach Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer - in
Deutschböhmen 484: „...es wäre ganz vergeblich, das Vordringen der Demokratie in Österreich deshalb
bekämpfen zu wollen, weil sie jetzt den Slawen zum Nutzen gereicht. Man muß, ob man will oder nicht, die
Wellen brausen und rauschen lassen, sich aber kräftig im Wogenprall behaupten.“ Jedoch saß Friedjung
zwischen 1890 und 1895 ja als Liberaler im Wiener Gemeinderat und stürzte 1893 das Kabinett Taaffe über den
Widerstand u. a. der „Vereinigten Deutschen Linken“, wie sich die Liberalen damals nannten, gegen die
Wahlreformvorlage, nach welcher jedem mindestens 24-jährigen Mann ohne Rücksicht auf die Steuerleistung
das Wahlrecht gewährt werden sollte - vgl. Holleis Partei, 16.
466
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 104.
467
Vgl. Ausgleich, 99.
90

Und noch in seinem „Friedjung-Programm“ hatte er 1880 die „immer fortschreitende


Erweiterung des Wahlrechtes“ gefordert.468

In der von ihm mitverfassten „Denkschrift aus Deutsch-Österreich“ von 1915 heißt es
dann über die Zukunft Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches wiederum:
„Das entscheidende Wort werden die Monarchen zu sprechen haben.“ 469 Genau
diesen Ansatz kritisierte Friedrich Naumann trotz seiner starken Sympathien für die
Deutschösterreicher.470

Eine solche Verbindung von Staatstreue, Patriotismus und deutschem Nationalismus


prägte zwischen Österreichs Ausscheiden aus dem Deutschen Bund 1866 und dem
Ende der Donaumonarchie 1918 die Mehrheit der Deutschösterreicher. 471 Diese
„geteilte Identität“ brachte für viele nicht nur praktische, sondern auch psychisch-
geistige Probleme mit sich.472 So wird den Deutschösterreichern dieser Zeit denn
auch häufig eine Identitätskrise bescheinigt. 473 Gerade wenn das Streben nach
Hegemonie hinzutrat, mussten sich gedankliche und konnten sich innere
Spannungen ergeben.

Friedjung scheint dies alles ausgeblendet zu haben; so stellt Kapp fest: “Friedjung
did not see the glaring contradiction in his identification of Austro-German goals with
the Monarchy’s vital interests; for any attempt on restore German hegemony would
increase Austria-Hungary’s dependence on Germany and antagonize its other na-
tionalities. Perhaps because he avoided this dilemma of divided loyalties...” 474

468
Vgl. Punkt 5 bei Berchtold Parteiprogramme, 191. Vgl. auch das „Linzer Programm“, Punkt 3. 7. bei
Berchtold Parteiprogramme, 199, sowie Punkt 3. 7., ebd., 200 (direkte und geheime Wahl).
469
Vgl. Denkschrift, 104. Vgl. bereits Friedjung Ausgleich, 21: „...die Zertretung aller Keime der Freiheit,
welche im 17. Jahrhundert stattfand, mußte man einem Herrschergeschlechte verzeihen, welches eine große
Orientpolitik zu verfolgen hatte und dem man eine Art Dictatur in Oesterreich zu übertragen genöthigt war, da es
dafür Ungarn an uns zu fesseln versprechen konnte. ... Ein Volk, welches ein anderes unterwirft, muß immer
seiner eigenen Regierung einen höheren Grad von Gewalt einräumen.“.
470
Vgl. Meyer Mitteleuropa, 197. Immerhin prophezeite die Denkschrift, 79 aber, es werde „aus einem
unabweisbaren Entwicklungsbedürfnisse heraus auch in Ungarn zum allgemeinen Wahlrecht kommen“.
471
Vgl. Cohen Politics, 276; Whiteside Germans, 159, 175. Das galt auch für die Sozialisten - vgl. ebd., 188. Zur
Schlüsselstellung des Ausscheidens Österreichs aus dem Deutschen Bund 1866 für die Identitätsfrage der
Deutschösterreicher: ebd., 174.
472
Vgl. Hanák Lebensgefühl, 160 f.; Lindström Empire, 13-16; Meyer Mitteleuropa, 174-193 („The Austro-
Hungarian Dilemma“); Whiteside Germans, 157-200 (Untertitel: „The Dilemma of Dominance”).
473
Vgl. z. B. Casillas Politics, 4, 7.
474
Kapp Loyalties, 134 (f.).
91

Auf der anderen Seite war sein ganzes Lebenswerk geprägt von einem Ringen um
eine Identität der Deutschösterreicher. 475 Das zeigt sich bereits an „Der Ausgleich mit
Ungarn“ von 1877, wo er feststellte: „Die Schlacht bei Königgrätz hat uns einen
schweren Schlag zugefügt und uns in unserem Selbstbewußtsein tief
erschüttert. ...seitdem schwanken wir und haben wir kein Vaterland.“ 476 Und im
Hinblick auf die von ihm zu dieser Zeit weitgehend abgelehnten Bindungen zwischen
Österreich und Ungarn deklamierte er: „Schon weil ich ein ganzer Mensch sein will,
will ich auch bloß Bürger eines einzigen Staates sein. Ich will bloß e i n Vaterland
haben, weil es mir Bedürfniß ist, mich meinem Staate g a n z zu weihen, und weil
ich fürchte, daß die Wärme meines Gefühles abnehmen müßte, wenn ich sie [auch]
einem anderen Volke weihte als meinem eigenen.“ 477 Dass sich das Problem für
Österreich allein, ohne Ungarn, ebenso stellte, weil auch dort schließlich die
Nichtdeutschen in der Mehrheit waren, hat er entweder nicht gesehen oder eben
durch seine Forderung nach Hegemonie der Deutschsprachigen „lösen“ wollen.
Gerade der größte Teil seiner Geschichtsschreibung - dazu unten, II. 1. - stellte den
Versuch der „Therapie“ einer von ihm an sich selbst und bei den meisten
Deutschösterreichern diagnostizierten „Seelenkrankheit“ dar.

bb. Sozialpolitik
Wie beschrieben, gehörte Friedjung zunächst zu den „Jungen Liberalen“, die sich
von den „Alten“ inhaltlich vor allem durch ihren Nationalismus und ihre Forderung
nach Sozialpolitik absetzten.478 Kaum überraschen kann angesichts dieser Ziele,
dass jene zumeist aus „kleinen Verhältnissen“ stammten. 479

475
So auch Lindström Empire, 30-39, 82. Vgl. auch Casillas Politics, 6 f. (“...their [Friedjungs und Herzls] lives
also reflected a high degree of uncertainty regarding the flaws of Austrian society and the proper way to remedy
them. The fact that both men frequently vacillated from posture to posture was the result of their fundamental in-
tellectual inconsistency, or more specifically, their psychological ambivalence.” [wobei “frequently” für Fried-
jung nicht zutrifft]) - vgl. zudem ebd., 10-51 über Friedjung, auch 79-83 sowie Ritter Historians, 57 (“...one
might well conclude that Friedjung was seriously divided within himself concerning his politics and his voca-
tion... This moderate-radical ambivalence remained a permanent feature of his work and personality.”).
476
Ausgleich, 11 f. bzw. 14.
477
Ausgleich, 18 f. (Sperrdruck im Original).
478
Vgl. auch von Srbik Friedjung, 539: Die frühzeitig in Friedjung erwachte Erkenntnis der Notwendigkeit
sozialpolitischer Reformen sei sein festes Bekenntnis geblieben.
479
Zitat Adam Wandruszka bei Dechel Programm, Teil 2, 422. Vgl. auch Ritter Historians, 52 (“...certain mar-
ginal and socially insecure groups which ... were able to play leading roles in shaping modern Austria’s politics.
In their eagerness to transcend their own uncertainty, members of these groups - Jewish assimilationists like
Adler, upward-striving members of the petty bourgeoisie such as Lueger and Pernerstorfer, nouveaux arrivés like
Schönerer - attempted to bridge the gap between Austria’s liberal, patrician Großbürgertum and the people.”).
92

Bereits im - freilich nie gültig gewordenen - „Friedjung-Programm“ von 1880


verwendete er sich dafür, „den gewerblichen und ackerbautreibenden Klassen ...
neben dem Großgrundbesitze und dem beweglichen Kapitale ... endlich die ihnen
gebührende Stellung im Staate“ zukommen zu lassen. Diesen Grundsatz
konkretisierte er durch die Forderungen nach „Entlastung der ärmeren Volksklassen
von den drückenden Verzehrungssteuern“, nach Einführung einer progressiven
Einkommenssteuer und von Luxus- und Börsensteuern sowie nach einer „Reform
der Erbsteuer“ und schließlich nach einer Bekämpfung des Lottos als einer
„moralisch verwerfliche[n] und den Wohlstand des kleinen Mannes bedrohende[n]
Steuer“.480

Diese Punkte wurden dann zwei Jahre darauf im von Friedjung maßgebend mit
gestalteten und auch gültig gewordenen „Linzer Programm“ bis auf den letzten
aufgegriffen und durch weitere Forderungen konkretisiert. Zu diesen gehörte die
„Festsetzung eines steuerfreien Existenzminimums“, die „Aufstellung höherer
Steuersätze für das Renteneinkommen und niedrigere [sic] Sätze für das
Arbeitseinkommen“ sowie die Einführung „wirksamer Vorkehrungen gegen
Steuerumgehungen seitens des mobilen Kapitals“ ebenso wie die weitestgehende
Abschaffung von indirekten Steuern auf die „unentbehrlichen Lebens- und
Gebrauchsartikel“.481

Neu gegenüber dem „Friedjung-Programm“ war die korporativistisch erscheinende


Forderung nach einer „Organisation der arbeitenden Klassen durch Einführung von
obligaten Gewerbegenossenschaften und Arbeitergewerksvereinen“ und nach
„Bildung von Wirtschaftskammern“.482 Auch das Verlangen nach Verstaatlichung der
Eisenbahnen und „des Versicherungswesens“ unter gleichzeitiger Einführung einer
Alters- und Unfallversicherung findet sich hier. 483 Weiter wird eine „Reform der
Fabrikgesetzgebung, insbesondere mit Feststellung einer Normalarbeitszeit,
Beschränkung der Kinder- und Frauenarbeit“ angestrebt. 484 Und auf Initiative von

480
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 191, Punkt 6. Die progressive Einkommenssteuer wurde gemäß Otruba
Jahre, 51 f. erst 1896 durch Böhm von Bawerk durchgesetzt. Zum Ruf der meisten Wissenschaftler im
Wilhelminischen Deutschland nach Einführung einer Erbschaftssteuer s. vom Bruch Wissenschaft,133 f.
481
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 201, Punkt 6, insb. die (Unter-)Punkte 6.16, 6.17 und 6.18. In Punkt 6.17.
wird verlangt, die „gründliche Reform der Erbsteuer mit besonderer Rücksichtnahme auf die Armenversorgung“
durchzuführen.
482
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 201, Punkt 7.20.
483
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202, Punkt 8. 22, 8.23.
484
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202, Punkt 9.26.
93

Schönerers wurde auch noch ein Punkt aufgenommen, der „Maßnahmen zugunsten
des Bauernstandes“ anmahnte.485

Viele der sozialpolitischen Forderungen des „Friedjung-Programms“ und des „Linzer


Programms“ wurden 1893 auch Ziele des Sozialpolitischen Vereins, dessen Mitglied
Friedjung wohl war.486 Einige wurden auch von der von ihm 1895 mitgegründeten
„Sozialpolitischen Vereinigung im Wiener Gemeinderat“ vertreten; darüber hinaus
verlangte diese die Einrichtung von Kindergärten und einer kommunalen
Großschlachterei sowie die Verköstigung bedürftiger Schulkinder, Fürsorge für das
Kleingewerbe und vor allem eine „Neuordnung“ des Wohnungswesens. 487

In der „Deutschen Wochenschrift“ setzte sich Friedjung wiederholt für sozialpolitische


Belange ein. So polemisierte er in seinem gleichnamigen Artikel gegen „Das
Uebergewicht des mobilen Capitals“: Das Sinken der Grundrente untergrabe „die
festeste Wurzel aller staatlichen Ordnung: den Stand der mittleren und kleinen
Grundbesitzer. In Oesterreich tritt noch das außerordentliche, unentschuldbare
Unrecht dazu, daß die Besitzer mobiler Werthe fast vollständig steuerfrei sind. Dem
kann eine Börsensteuer allein nicht abhelfen, sondern nur eine gerechte
Einkommenssteuer, wie sie von der deutschen Opposition geplant wird. ... Eine gute
Einkommenssteuer müßte in einer Zeit steigender Grundrente den Grundbesitz
verhältnißmäßig höher treffen, und in einer Zeit steigender Course müßte der
Percentsteuersatz auf Renteneinkommen erhöht werden. ...wie weit aber sind wir
davon noch in Oesterreich entfernt, wo der Besitzer einer Schusterwerkstatt mehr
directe Steuer zahlt als der Rentner, der sich eines Einkommens von vielen

485
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202, Punkt 10; s. auch ebd., 200, Punkt 4.12. Im weiteren Sinne gehört
auch Punkt 9. 27 - vgl. Berchtold Parteiprogramme, 202 - zu einer Sozialpolitik: „Anlegung von Strafkolonien
zur Unterbringung und Beschäftigung gemeinschädlicher Individuen“.
486
Vgl. Holleis Partei, 14: Verstaatlichung bzw. Kommunalisierung wichtiger öffentlicher Einrichtungen,
Einführung einer progressiven Einkommen- bzw. Kapital- oder Besitzsteuer, Befreiung der Waren zur Deckung
der unentbehrlichen Bedürfnisse des Volkes von den indirekten Steuern, Errichtung staatlicher
Wohlfahrtseinrichtungen für das arbeitende Volk, insbesondere [und insofern z. T. über die beiden Programme
hinausgehend] Einführung einer Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Friedjungs Mitgliedschaft im
Sozialpolitischen Verein erwähnt Holleis nicht eigens, wohl aber seine Zugehörigkeit zur aus diesem
entstandenen und parallel zu jenem bestehenden Sozialpolitischen Partei - vgl. oben, Fn. 325.
487
Vgl. Holleis Partei, 23 (Anführungszeichen um „Neuordnung“ in der Vorlage). Mit dem „Friedjung-“ und
dem “Linzer“ Programm übereinstimmend waren die Forderungen nach Arbeiterversicherungen und
Kommunalisierung allgemeiner Einrichtungen. Vgl. auch ebd., 26: 1896 habe Viktor Adler das Programm der
Sozialpolitischen Vereinigung als durchaus gut bezeichnet. Sein Fehler sei aber gewesen, dass es innerhalb der
Liberalen Partei habe verwirklicht werden sollen.
94

Tausenden erfreut!“488 Auch setzte er sich für eine - allerdings eher geringe -
Verkürzung der Arbeitszeiten der Arbeiter ein. 489

Die Redaktion der „Deutsche Wochenschrift“ unterhielt zunächst denn auch rege
Beziehungen zu sozialpolitischen Intellektuellen, auch zu Viktor Adler und
Pernerstorfer, und „trat entschieden für sozialpolitische, nicht nur mittelständlerische
Reformen ein“.490 Die Sozialdemokraten lobte Friedjung: „An sich sind sociale
Instincte gewiß nicht unberechtigt; wenn dieselben zu solcher Höhe emporgehoben
werden, wie dies in der ganzen, von den besten Köpfen entworfenen Staats- und
Weltanschauung der Socialdemokratie geschehen ist, so können sie zur
Neugestaltung der Gesellschaft auf’s Heilsamste mitwirken.“ 491 Und noch 1919
bezeichnete er die „vom Sozialismus den arbeitenden Klassen geleisteten Dienste“
als „unschätzbar“.492 Auch die „Deutsche Zeitung“ trat gemäß Friedjung „für
Sozialreform ein, verfocht insbesondere die Arbeiterschutzgesetzgebung. Dies
geschah, wie ich glaube, eher zu vorsichtig, als zu [sic] übermäßig.“ 493

Der Beginn von Friedjungs sozialpolitischem Engagement fiel in eine Zeit des
„Paradigmenwechsels auf Seiten der Arbeiter und des Staates“: Die Verfestigung
des neuen, von Weidenholzer so genannten kathedersozialistischen Paradigmas
hatte zu Beginn der 1870er Jahre begonnen, seine Ausbreitung wurde begünstigt
durch den Zusammenbruch der Wiener Börse am 9. Mai 1873, welche zu einer Kritik
des einseitigen ökonomischen Liberalismus quer durch alle ideologischen Positionen
führte.494

In den 1880er Jahren erlangte diese Diskussion dann verstärkt Auswirkung auf die
Gesetzgebung: 1883 wurde die Gewerbefreiheit eingeschränkt, 1885 der
Arbeiterschutz ausgebaut, und ab 1887 wurden Arbeiterversicherungsgesetze
erlassen, wobei die seit 1887 obligatorische Krankenversicherung nur für

488
Uebergewicht, 5. Wobei Friedjung einen Vorwurf an die auch von ihm als Hauptverursacher dieser
Entwicklung ausgemachten jüdischen Kapitalisten als „geradezu thöricht“ ablehnte.
489
Vgl. Arbeiterordnung, 1-3.
490
Mommsen Sozialdemokratie, 109.
491
Wahlen Wien, 2.
492
Vgl. Zeitalter, 12.
493
Stück, 18.
494
Vgl. Weidenholzer Betrachtungen, 176. Erschwerend kam dabei die Verwicklung von Führern der
„Altliberalen“ in Finanzskandale hinzu - vgl. Judson Race, 86. Zu den Folgen des „Börsenkrachs“ vgl. auch
Resch Wien, 57, insb. Tabelle 6; Whiteside Germans, 180.
95

Industriearbeiter galt und für die Einrichtung einer Altersversorgung selbst gegen
1900 nur vage Pläne bestanden, so dass das Leben für die unteren Schichten immer
noch von „höchster Unsicherheit“ geprägt blieb. 495

Friedjung vertrat einen gemeinwohlorientierten Ansatz in der Sozialpolitik, so dass er


- wie erwähnt - Gruppierungen, die sich der bloßen Vertretung schichtspezifischer
Interessen verschreiben, noch nicht einmal als politische Parteien anerkannte. 496
Aber die „rüde Durchsetzung organisierter wirtschaftlicher und sozialer Interessen an
Stelle individueller Entscheidungschancen“ kennzeichnete offenbar auch in
Österreich zunehmend die Parteien.497

Die von Friedjung angestrebte Mitarbeit seines damaligen Freundes Viktor Adler
sowie Karl Kautskys an seiner „Deutschen Wochenschrift“, welcher die beiden
zunächst nicht ablehnend gegenüber gestanden hatten, an unterschiedlichen
Auffassungen: Während jener für eine bürgerliche Sozialpolitik eintrat, wollten
Kautsky und der sich seinerzeit sozialdemokratischen Positionen nähernde Adler die
politische Arbeiterbewegung fördern. 498 Daher konnte Friedjung kaum wie die von
Weidenholzer so genannte kathedersozialistische Intelligenz eine
„Dolmetschfunktion“ zwischen dem Liberalismus und der Arbeiterbewegung
ausüben.499 Zudem stand seine Sozialpolitik damit wie die der Gelehrtenpolitiker im

495
Zu den einzelnen Gesetzen vgl. Hofmeister Klein, 203. Zu den Begrenzungen der
Arbeiterversicherungsgesetze vgl. Sandgruber Exklusivität, 78 - Zitat: ebd., 77. Vgl. ferner Mommsen
Sozialdemokratie, 106: Gerade die sozialpolitische Haltung der Deutschnationalen sei dabei von der
Bismarckschen Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre beeinflusst gewesen.
496
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 114 (Heinrich Mandl habe kurz nach 1882/83 von der „Gruppe um
Friedjung“ berichtet, deren Mehrheit denke „rein national“, und nur ein sehr kleiner Teil sei „national-
sozialistisch à la Dr. Adler“ gesinnt. [nur das letzte Zitat wörtlich von Mandl]); allgemein zur paternalistischen
Rolle der Verwaltung im späten Habsburger-Reich: Lindström Empire, 270. Reine Interessenpolitik contra
politische Partei: vgl. oben, D. II.
497
So, für das Deutsche Reich, vom Bruch Wissenschaft, 276; vgl. auch ebd., 58 (Friedrich Naumann) sowie
Habermas Strukturwandel, 272 f.
498
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 109 (insb. Fn. 3: Schreiben Friedjungs an Kautsky o. D. [1883] mit der
Aufforderung zur Mitarbeit [„Nachlaß Kautsky D X, 491]“), 114 f.; vgl. ferner ebd., 115, Fn. 5 über die
Annäherung Adlers und Pernerstorfers an die Sozialdemokratie im Februar 1886 bei der von ihnen gleichzeitig
wahrscheinlich gehegten Hoffnung, Friedjung und den „Deutschen Club“ doch noch für eine Unterstützung der
politischen Arbeiterbewegung gewinnen zu können. Schon im Lesezirkel zur Besprechung sozialistischer
Schriften hatte Friedjung den Plan Viktor Adlers, jener solle sozialpolitisch tätig werden, verhindert - vgl.
Mommsen Sozialdemokratie, 103 f. Zum Verhältnis zwischen Friedjung und Adler um 1870 vgl. Dechel
Programm, Teil 1, 295 („Du bist der Ruhigste von uns, Du bist der Gescheiteste von uns. Von Dir möchte ich
gerne etwas hören, an das ich mich ein bißchen klammern kann...“ [Brief Viktor Adlers an Friedjung von 1870]);
zum späteren Verhältnis der beiden vgl. F. Fellner Friedjung, 658 (Die persönliche Rivalität zwischen den
ehemaligen Freunden habe immer wieder zu publizistischen Kontroversen und wechselseitigen Kränkungen
geführt.) Vgl. ferner Friedjung Zeitalter, 11, wo er behauptet, die Sozialdemokratie sei mitverantwortlich dafür,
dass die Menschen vor dem Massenmord in Aufständen und Feldschlachten nicht zurückscheuten.
96

Deutschen Reich um diese Zeit „im Übergang vom vorbürgerlichen Wohlfahrts- zum
nachbürgerlichen Sozialstaat“.500

Die „Predigt vom Klassenkampf“ nannte er - zumindest aus heutiger Sicht wohl kaum
zu Unrecht - eine „Halbwahrheit“. 501 Obwohl Friedjungs Ziel wie beschrieben
zumindest bei seiner Tätigkeit für den Deutschnationalen Verein und für die
Deutschnationale Partei Massenwirksamkeit war, hatte er selbst seine Einstellung
zur „Menge“ bereits zuvor als „kühl“ bezeichnet. 502 Eine solche elitäre Sicht war auch
für Gelehrtenpolitiker im Wilhelminischen Deutschland nicht ungewöhnlich. 503

b. Mittel und Wirkung


Friedjungs frühes Wirken in politischen Parteien und Vereinen könnte man mit einer
durch ihn in diesen betriebenen „Gelehrtenpolitik“ für unvereinbar ansehen. 504 Sein
hoher Anteil insbesondere an der Formulierung des „Linzer Programms“ der
Deutschnationalen Partei zeigt aber den großen Einfluss, den er gerade auf diese
Partei, ja sogar auf ihre Entstehung, genommen hat, auch wenn er die - vermutlich
nicht von ihm verfassten - sozialpolitischen Punkte des Programms möglicherweise
als zum Teil zu weit gehend betrachtet hat.505

Auf Grund des - durch seine eigene Politik beschleunigten - Aufkommens von
„Massenparteien“, welche im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Wien offenbar
mehr noch als sonst wo in Europa die politische Führung übernahmen, war

499
Zur „kathedersozialistischen Intelligenz“ und ihrer „Dolmetschfunktion“ vgl. Weidenholzer Betrachtungen,
179 f.
500
Vgl. vom Bruch Professoren, 25.
501
Zitate: Zeitalter, 11. Zu Friedjungs Einstellung zur marxistischen Schule bzw. zum Sozialismus vgl. darüber
hinaus Litz Grundbegriffe, 26-29 bzw. 44 f.
502
Vgl. Ritter Historians, 48, Fn. 12: “Although Friedjung was indeed a major theorist of populism, he also dis-
played the strong-willed intellectual’s distrust of ‘people’. His publicistic and scholarly works are strewn with
disparaging references to the ‘Austrian character’ and ‘public opinion’. In 1878, he privately confessed to Adler
that, unlike his friend, he was ‘cool toward the multitude.’ HHSA, Nachlaß F., Karton 4, F. to Adler, Jan. 13,
1878“. Vgl. überdies von Srbik Friedjung, 539; Stolz Männer, 62 f., 78.
503
Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 282-286 über „Geistesaristokratie und Massengesellschaft“, auch 280-282
(über Schmoller und Delbrück).
504
Über die „mit Gelehrtenpolitik kaum zu vereinbarende langfristige Eingliederung in den parteipolitischen
Willensbildungsprozeß“ vgl. vom Bruch Wissenschaft, 359; ähnlich: Gelehrtenpolitik, 37 f.; vgl. zudem noch
ebd., 33: [reichsdeutsche] Gelehrte habe eine „bemerkenswerte Scheu vor parteipolitischer Einbindung“
gekennzeichnet.
505
Letzteres deswegen, weil er im „Friedjung-Programm“ zwei Jahre zuvor weniger weit gehende
sozialpolitische Forderungen erhoben hatte, als sie dann im „Linzer Programm“ erschienen. Dies dürfte
insbesondere für das - im „Friedjung-Programm“ gänzlich fehlende - Verlangen nach Verstaatlichungen in
letzterem gelten.
97

Friedjungs sozialpolitisches Engagement immer weniger gefragt. 506 Die von Gustave
Le Bon 1895 zumindest nicht gänzlich untreffend beschriebene und auch im
deutschsprachigen Raum stark rezipierte „Psychologie der Massen“ dürfte Friedjung
zwar durchaus wahrgenommen haben, einer strategisch-taktischen Ausrichtung an
dieser jedoch stark abgeneigt gewesen sein. 507 So entsprach der trotz aller seiner
Leidenschaft um rationale Argumentation bemühte Friedjung nicht dem nun empor
kommenden Typus des „Künstler-Politikers“ à la Lueger, von Schönerer oder Herzl,
welcher die Politik ästhetisierte, sich insbesondere aristokratisch stilisierte und
zugleich mit dem Gestus des Volksnahen auftrat sowie Erlösungserwartungen
nährte. 508
Auch Viktor Adler betrieb nun, in den Worten Wolfgang Maderthaners,
eine „poetische Politik“.509

Zudem entsprachen die Ziele der neuen Massenparteien, der Sozialdemokraten und
der Christlichsozialen, nicht denen von Friedjung. Insbesondere sah er deutlich, dass
das überwiegend die Letzteren wählende Kleinbürgertum - dem er freilich selbst

506
Zur vermutlich europaweiten Vorreiterrolle der Massenparteien Wiens in dieser Zeit vgl. Sagarra Vienna,
198. Vgl. auch Whiteside Germans, 197 (“After 1900 Austrian political parties ... were mass organizations ma-
nipulated by professional politicians. Planned propaganda emphasizing fear, hatred, and messianic hope with
sensational extravagance was substituted for serious discussion and reasoned persuasion.”). Jedoch war die
Betonung der Notwendigkeit individueller Verantwortung im Angesicht der kollektiven Kräfte gerade (deshalb)
in Wien im europaweiten Vergleich auch wiederum besonders intensiv - vgl. Beller Vienna, 180. Vgl. überdies
Charle Vordenker, 212 (Die reichsdeutschen Intellektuellen [(um) 1897: s. Zitat Friedrich Paulsen, ebd. 211f.]
seien sich ähnlich wie die französischen der Gefahr bewusst geworden, dass die Gebildeten in einer von den
Massen, den Parteien, der Wirtschaft und dem Staat beherrschten Welt an den Rand gedrängt würden.). Zur
Umstellung der Honoratiorenparteien auf solche mit Massenbasis zu dieser Zeit vgl. Habermas Strukturwandel,
302. Zur von Friedjung selbst mit hervorgerufenen Tendenz zur „Massenpartei“ vgl. Ritter Historians, 52: “In-
stead of awakening a public-spirited democracy, their populism conjured up a new radicalism, based to a large
extent on a racial anti-Semitism which eventually drove Friedjung himself from public [richtig: parteipolitis-
chem] life.”.
507
Zu Le Bons Sicht vgl. dessen Werk Psychologie, insb. 2-5 (Veränderung der Politik, Auflösung der
Kulturen), 42 f., 80-82 (Vernunft sei auf die „Massen“ ohne Einfluss.), 128-136 (über „Die Wählermassen“),
137-151 (über „Die Parlamentsversammlungen“), insb. 143 f.: „Zuweilen gibt es einen intelligenten und
gebildeten Führer, doch das schadet ihm in der Regel mehr[,] als es ihm nützt. Die Intelligenz, die die
Verbundenheit aller Dinge erkennt, die Verstehen und Erklären ermöglicht, macht nachgiebig und vermindert
die Kraft und Gewalt der Überzeugungen erheblich, die die Apostel nötig haben. Die großen Führer aller
Zeiten ... waren sehr beschränkt und haben deshalb den größten Einfluß ausgeübt. ...welche Macht ein Mann, der
sich mit einem Nimbus zu umgeben weiß, durch die Verbindung von starker Überzeugung mit
außergewöhnlicher Beschränktheit des Geistes erlangt. Das sind ... die notwendigen Voraussetzungen, um die
Hindernisse zu übersehen und um wollen zu können. Instinktiv erkennen die Massen in diesen kraftvoll
Überzeugten die Gebieter, die sie brauchen.“.
508
Zu dieser Entwicklung vgl. Lorenz Moderne, 23 f. - vgl. dort insb. noch 24 (Zumindest Luegers und Herzls
öffentliches Auftreten sei durch ein Dandytum geprägt gewesen, das wiederum auf die Selbststilisierung des
Künstlervirtuosen in der Literatur des Fin de Siècle verweise.).
509
Vgl. Maderthaner Politik, 759-776, insb. 776 sowie 770, 772-776 - und hier wiederum insb. 773
(„Ästhetisierung der Politik“, „Metapolitik“, „Politik als Gesamtkunstwerk“ seien die Schlagworte, mit denen
die neuere Forschung die Politikkonzeption Adlers und der frühen Führungsschicht der österreichischen
Sozialdemokratie umschreibe. Sie habe eine gefühlsmäßige Bindung der Arbeitermassen über einen fest
umschriebenen, ritualisierten Kanon von Feiern und Festen angestrebt.).
98

entstammte - ein aufgrund der „mächtigen Gewalten des unbarmherzigen


wirthschaftlichen Fortschrittes“ verunsichertes und - im Großen und Ganzen -
„unklares, unzufriedenes, jedem mundfertigen Demagogen zugängliches
Bevölkerungselement“ war.510

Schließlich zeigte sich Friedjung nicht gewillt, seine Tätigkeit als Historiker
aufzugeben, was angesichts der Entwicklung der Parteien hin zum Berufspolitikertum
„mit dem Zwang zu hauptamtlich besoldeten Funktionärskadern“ aber wohl nötig
geworden wäre. 511
Alles dies führte mit zu seinem Übergang zu einer
„gouvernementalen“ Gelehrtenpolitik. 512

Friedjungs Methode vor allem seiner späteren Jahre, sich für politische Anliegen
direkt an Minister zu wenden, war zu dieser Zeit in Österreich üblich. 513 Gerade in der
Zeit der „Beamtenkabinette“ ab 1897 war sie zumindest auf den ersten Blick ein
besonders probates Mittel der Einflussnahme, weil dem vorherigen bürokratischen
Werdegang vieler der Minister in der Regel eine ähnliche Sozialisation im
bildungsbürgerlichen Milieu vorangegangen war, wie sie auch Friedjung prägte. 514
Dies vor allem angesichts der Tatsache, dass die homogene bürokratisch-
510
Vgl. Wahlen Ungarn 1. Allerdings prophezeite er ebd. - unzutreffend - auch den Untergang des
Kleinbürgertums, d. h. des „Gewerbestandes, der Kleingewerbetreibenden, der ‚Fünfguldenmänner’“. Es werde
„in nicht allzu ferner Zeit zermalmt werden zwischen den capitalbildenden Classen und ... der kraftvoll
emporstrebenden Arbeiterschaft.“.
511
Zu Friedjungs Unwillen dagegen, sich ganz von den historischen Studien ab- und dem (politischen)
Zeitungswesen zuzuwenden, vgl. F. Fellner Friedjung, 644 (Brief Friedjungs an Bettelheim vom 24. 2. 1891 -
vgl. ebd., Fn. 46). Zitat: vom Bruch Wissenschaft, 276; vgl. auch Ringer Gelehrten, 22 („Obwohl das
Mandarinentum kämpfen wird... Parteiführer, Kapitalisten und Techniker werden seine Führungsrolle
übernehmen.“).
512
Vgl. zu den eine entsprechende Taktik anwendenden Gelehrtenpolitikern im Wilhelminischen Reich vom
Bruch Wissenschaft, 360 (Der Delbrück/Schmoller-Gruppe sei gemeinsam gewesen „ihre unter dem Aspekt
Geist und Masse diskutierte Überlegenheit gegenüber den ... auf parteipolitische Betätigung verwiesenen,
praktisch sich überwiegend auf einzelne publizistische Vorstöße beschränkenden Kollegen“.).
513
Zu Friedjungs Methode vgl. F. Fellner Friedjung, 656; Lindström Empire, 30 f., 38, 81, 271; vgl. aber
immerhin auch Litz Grundbegriffe, 33 (ohne Nw.) (Beim staatlichen Absolutismus habe Friedjung eine
patriarchalische und eine bürokratische Spielart unterschieden, wobei ihm die letztere als die umfassendere am
verdammenswertesten erschienen sei.). Zur Üblichkeit dieses Vorgehens vgl. Lindström Empire, 12, 81. Zur
entsprechenden Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland vgl. vom Bruch Wissenschaft, 63-66, 249-
278, 330-338, 359-363.
514
Insbesondere besetzte das (alt-)liberale Bürgertum in dieser Zeit immer noch, ja teilweise - sozusagen in
Kompensation seiner alten herrschenden Stellung in der parlamentarischen Politik - erstmalig wichtige
Positionen in der Verwaltung - vgl. Lindström Empire, 11; vgl. auch ebd. („The peculiarities of the Austrian
Rechtsstaat and Josephinist Verwaltung partly canceled out the opposition between bureaucratic and political
leadership in late Imperial Austria.”). Zu den gemeinsamen Vorbedingungen der Gelehrtenpolitiker und der
höheren Beamten im Deutschen Reich - Selbstverständnis, Milieu und Vorbildung - vgl. vom Bruch
Wissenschaft, 249-253 (zur Vorbildung der höheren Verwaltungsbeamten in Preußen insb. ebd., 436-438
[Exkurs 6]). Zur - von Friedjung zu dieser Zeit ja erfüllten - Voraussetzung der parteipolitischen Zurückhaltung
und des damit einhergehenden ungetrübten Prestiges des anerkannt unabhängigen Gelehrten für eine
„gouvernementale“ Gelehrtenpolitik vgl. vom Bruch Gelehrtenpolitik, 37 f.
99

militärische Elite bis 1918 eine Vormachtstellung inne hatte und somit teilweise in der
Lage war, an sie herangetragene Wünsche umzusetzen. 515

Insgesamt fuhr Friedjung alle vier politischen Strategien: 1. die direkte und offene,
wie z. B. im Gemeinderat; 2. die eher verdeckte, nämlich den Versuch der
Einflussnahme auf Entscheidungsträger in persönlichen Treffen; 3. die indirekte und
offene, also die Publikation eindeutig politischer Texte; 4. die indirekte und eher
verdeckte, d. h. die Veröffentlichung historischer Werke in politischer Absicht. Dabei
wechselte er gegen 1900 von der ersten zur zweiten, während er die dritte und vierte
durchgängig verfolgte.

Das von Friedjung maßgebend mitgestaltete „Linzer Programm“ bildete die Basis der
„Deutschnationalen Partei“ und übte in den Worten von Alfred Dechel einen
ungeheuren ideologischen Einfluss auf die deutschnationale Bewegung und auf die
Ideen des gesamten Nationalismus in Österreich aus; es wurde durch von Schönerer
erst 1907 offiziell aufgegeben. 516 Allerdings hatte Letzterer diesem „nach 1885“ den
folgenden zusätzlichen Punkt hinzugefügt: „Zur Durchführung der angestrebten
Reformen ist die Beseitigung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens unerläßlich.“517 Das grundsätzlich staatstreue Programm verlor
zudem auf Grund der Radikalisierung von Schönerers Deutschnationalismus und

515
Zur Vormachtstellung dieser Elite vgl. Knoll Konstruktion, 52; vgl. ferner Sandgruber Exklusivität, 76 (Der
Anteil der Beamtenschaft an den Erwerbstätigen sei in Wien um 1900 viel höher gewesen als in Berlin.). Vgl.
auch vom Bruch Wissenschaft, 354: Angesichts der tatsächlich oder scheinbar vorhandenen Alternativen habe
die „gouvernementale“ Gelehrtenpolitik den Vorzug hoher Effizienz im Vorkriegsdeutschland gehabt, zumal sie
Flexibilität nicht ausgeschlossen habe - ähnlich: 359, wo vom Bruch zudem noch auf deren Vorteile der
Möglichkeit jederzeitigen Rückzuges, der Wahrung der individuellen Autorität und des relativ geringen
Zeitverlustes hinweist; vgl. aber auch, ebenfalls für das Wilhelminische Deutschland, vom Bruch Wissenschaft,
361 (Gustav Schmoller habe das politische Gewicht von Beamtenschaft, sozialpolitisch engagierter Intelligenz
und öffentlichen Mandatsträgern überschätzt.).
516
Vgl. Dechel Programm, Teil 2, 416; auch Berchtold Parteiprogramme, 198 sowie Whiteside Germans, 183; s.
ferner: Casillas Politics, 65 über “Der jüdische Staat” von Theodor Herzl: “A number of passages ... are, in fact,
strongly reminiscent of ‘The Linz Program’...” „Deutsche Volkspartei“ hatte sich kurz zuvor eine
„Gegengründung“ von Adolf Fischhof genannt, die trotz ihres Namens dezidiert übernational ausgerichtet war,
woraufhin die ob dieser „Namensusurpation“ empörten Deutschnationalen unter der Führung von Friedjung und
Pernerstorfer wüste Störungsversuche unternahmen - vgl. Zailer Friedjung 47 f., insb. den dort zitierten Bericht
über die Versammlung der DVP am 16. Juli 1882 in der Neuen Freien Presse Nr. 6425 vom 17. Juli 1882,
Morgenausgabe, 2-4 sowie den bei Moser Emanzipation, 87 f. zitierten Bericht der Wiener Allgemeinen Zeitung
vom 17. Juli 1882, Morgenausgabe.
517
Vgl. Berchtold Parteiprogramme, 203, Punkt 12 inklusive der dortigen Anmerkung. Zu Schönerer vgl.
Hamann Wien, 337-361, insb. 344-347 (Rassenantisemitismus), 352-355 (Aktionen gegen die „Judenpresse“),
auch 186-190. Zum Verhältnis zwischen Friedjung und Schönerer: Dechel Programm, Teil 1, 227-251 sowie
Moser Emanzipation, 82: Friedjung, Schönerers Ideengeber, sei von diesem wiederholt in überschwänglichen
Toasts gefeiert worden: „An mein Herz, du edler deutscher Kämpe! Nicht Friedjung, sondern Streitjung sollst du
fortab heißen!“; vgl. auch von Srbik Friedjung, 537: 1879 habe Schönerer nur die Beseitigung der „bisherigen
semitischen Herrschaft des Geldes und der Phrase“ gefordert, womit auch Friedjung einverstanden gewesen sei.
100

Feindlichkeit gegenüber der Donaumonarchie innerhalb der Partei auch insofern


rasch an Bedeutung.518

In dem von sämtlichen bürgerlichen Parteien mit Ausnahme derjenigen von


Schönerers unterstützten „Pfingstprogramm“ von 1899 hingegen finden sich ähnliche
nationalpolitische Forderungen wie im „Linzer Programm“. 519 Zudem wurden ein
Großteil von dessen sozialpolitischen und einige seiner freiheitlich-demokratische
Forderungen in der Folge staatlicherseits verwirklicht - was möglicherweise ohne das
Programm nicht oder später geschehen wäre. 520

Neben der inhaltlichen Wirkung auf die Deutschnationalen war das „Linzer
Programm“ auch richtungweisend für den politischen Stil in Österreich, leistete es
„wesentliche Vorarbeit für das spätere österreichische Parteiwesen, für die
Entwicklung der auf Massenwirksamkeit ausgerichteten ‚modernen’ Parteien...“. 521
Auf der anderen Seite konnte es den Zerfall der deutschnational-liberal-sozialen
Bewegung nicht verhindern, und eben die modernen Parteien wurden ausgerechnet
von deren früheren Anhängern gegründet - die Sozialdemokratische Arbeiterpartei
von Viktor Adler und Pernerstorfer, die Christlichsoziale Partei von Pattai und Lueger
-, so dass man das „Linzer Programm“ mit Dechel als „das Sprungbrett für einen
politisch-ideologischen Frontenwechsel“ bezeichnen kann. 522 Für Hans Mommsen
trat mit dem Linzer Programm gar „der Zersetzungsprozeß des deutsch-
österreichischen Liberalismus in seine entscheidende Phase.“ 523

518
Unglücklich ausgedrückt von Dechel Programm, Teil 2, 414: „Jedoch geriet diese Bewegung ... immer mehr
ins chauvinistische, antisemitische und antiösterreichische Fahrwasser, so daß die ursprünglichen Ideen des
‚Linzer Programms’... in eine ganz andere Richtung gelenkt wurden.“
519
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 19.
520
Vgl. Dechel Programm, Teil 2, 426, der allerdings - ohne Nachweise - auf eine Kausalität zu schließen
scheint.
521
So Dechel Programm, Teil 2, 426. Vgl. auch Mommsen Sozialdemokratie, 106 zum „Deutschnationalen
Verein“ allgemein.
522
Vgl. Dechel Programm, Teil 2, 426 (mit der Einschränkung „gewissermaßen“); vgl. allerdings ebd., 421: Das
Verhältnis Luegers zur Gruppe um das Linzer Programm sei ein eher lockeres gewesen. Vgl. auch Mommsen
Sozialdemokratie, 107: Aus der deutschnationalen Partei seien die Führer der modernen Parteien Österreichs, der
Alldeutschen, der Deutschfortschrittlichen, der Christlichsozialen und der Sozialdemokratie, hervorgegangen.
523
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 106; ähnlich Judson Race, 87. Das trifft aber lediglich für die mit dem
Programm bereits vollzogene Spaltung der liberalen Verfassungspartei in eine „altliberale“ und eine
„jungliberal“-sozial-nationale Bewegung zu - die spätere Spaltung der letzteren in die „modernen“ Parteien
hingegen konnte das Programm lediglich nicht verhindern, hat sie aber kaum gar noch unterstützt. Zur Wirkung
des “Linzer Programms” auf die Nichtdeutschen in Österreich vgl. Whiteside Germans, 183: “But to the Slavs it
was only another form of ruthless German oppression, rendered all the more hateful by its pretense of democ -
racy.”.
101

Nach Anton Bettelheim, einem Freund Friedjungs, fand die „Deutsche


Wochenschrift“ Friedjungs „starken Anhang bei Lesern und Schreibern“. 524 Jedoch
kann sich dies nicht auf einen Vergleich mit den führenden Blättern beziehen. Denn
ab 1880 hatte ein rapider Wandel in der Wiener Tagespresse eingesetzt: Mit
Ausnahme der „Neuen Freien Presse“, die ihre beherrschende Position halten
konnte, sanken die Auflagen der loyalen und traditionellen Presse. 525 Dies geschah
im Rahmen des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“, welcher - unter anderem - die
Entstehung eines Massenmarktes für geistige Produkte bedeutete. 526

Dass Friedjung mit seinem für die Entstehung des „Deutschen Clubs“ maßgeblichen
Engagement zur Spaltung der (alt-)liberalen „Vereinigten Linken“ beitrug und - wenn
auch ungewollt und gänzlich unverschuldet - auch zur Spaltung wiederum des
Ersteren, kann wohl (auch) kaum als Erfolg seiner Politik gewertet werden. Und sein
Einsatz in der Annexionskrise endete ja in einem Desaster. Insbesondere gingen die
serbische Regierung und die irredentistischen Kräfte in den südslawischen Gebieten
des Habsburger-Reiches gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor, weil sich die
Grundlosigkeit der Beschuldigungen gezeigt hatte. 527

Die Urteile über die Wirksamkeit von Friedjungs politischer Karriere in der Literatur
fallen denn auch negativ aus: Nach Franz Adlgasser und Margret Friedrich war sie
„konfliktbeladen und wenig erfolgreich“, gemäß Heinrich Ritter von Srbik besaß
Friedjung die „Gabe zum aktiv wirkenden Politiker ... wohl überhaupt nicht in großem
Maße. Er war zu sehr von dem Verlangen, den Werdegang der Gegenwart zu
erkennen, beseelt, als daß er den entschiedenen Tatwillen für politische Ziele hätte
524
Vgl. Bettelheim Friedjung, 37.
525
Vgl. Pollak Wien, 105, s. auch die Tabelle ebd., 107, insb. die Stückzahlen der „Neuen Freien Presse“: 1890:
40.000 - 1895: 45.000 - 1900: 55.000 - 1910: 50.000 sowie der Arbeiter-Zeitung: 1890: 9.000 - 1895: 15.000 -
1900: 24.000 - 1910: 54.000. Vgl. auch Friedjung Stück, 5: „Mit den reichen Geldmitteln dieses Blattes [der
„Neuen Freien Presse“], durch welche mit Leichtigkeit die besten Mitarbeiter, die weitreichendsten
Verbindungen gewonnen werden konnten, war ein Wettbewerb nicht zu versuchen.“
526
Zur Entstehung des Massenmarktes für geistige Produkte als einem Bestandteil des „Strukturwandels der
Öffentlichkeit“ vgl. Hübinger Gelehrte, 236 f. Zum Letzterem grundlegend: Habermas Strukturwandel, 21-33,
225-342 - speziell zum medialen Massenmarkt ebd., 257-265. Vgl. ferner ebd., 161-178, 343-359 zum Begriff
der öffentlichen Meinung; zu letzterem im Wilhelminischen Deutschland: vom Bruch Wissenschaft, 392-413;
vgl. schließlich Friedjung Stück, 22 (Es sei nicht wahr, dass das Publikum unreif sei für eine seriöse politische
Zeitung. „Wer so spricht, begeht an der öffentlichen Meinung ein schweres Unrecht.“).
527
Südland bei Holy Friedjungprozess, 120. S. ferner ebd. (mit Verweis in Fn. 258 auf Rappaport, Rund um den
Friedjungprozess, 357): Der Prozess habe zur Folge gehabt, dass man sich in Österreich Jahre hindurch nicht
mehr getraut habe, Geheimnachrichten zu gebrauchen. So habe man bei der Zusammenstellung des Dossiers
zum Ultimatum vom 22. Juli 1914 eine ganze Reihe teils geheimer, teils „ostensibler“ Schriftstücke über die
“Schwarze Hand“ nicht verwendet. Friedjung hielt seine Niederlage nicht davon ab, die Einverleibung Bosniens
und der Herzegowina bis zu seinem Tod zu verteidigen - vgl. Lindström Empire, 75.
102

aufbringen können.“528 Letzteres traf offenbar auf viele Gelehrtenpolitiker zu. 529
Ferner führt von Srbik aus, Einfluss auf die Masse habe der „innerlich den
Massentrieben stets fremde, kulturerfüllte Mann“ nicht gewinnen können, „dessen
geistigem Wesen nur ein kleinerer bildungsgesättigter Kreis homogen war. Die
zunehmende Demokratisierung der deutschnationalen Bewegung, die sich eines
Teils der Volksinstinkte bemächtigte“, sei ihm fremd gewesen. 530

So bemerkt denn auch Erich Zailer, Friedjungs Reden seien für die Masse der
Zuhörer viel zu hoch gewesen, und er habe nicht über die Gabe verfügt, seine
Gefolgschaft zu begeistern und mitzureißen. 531 Allerdings war Friedjungs politische
Taktik nach 1895 - freilich sicher gerade auch deswegen - ja ohnehin kaum mehr
durch den Versuch geprägt, direkt auf die „Massen“ zu wirken. Ob die
„gouvernementale“ Politik, die er seit ca. 1900 bevorzugte, von Erfolg gekrönt war,
lässt sich kaum sagen, zumindest dürfte er nicht nachhaltig gewesen sein. 532

Und gemäß Elisabeth Stieböck erlebte er gerade in der Politik die größten
Rückschläge - was ganz in seiner Veranlagung begründet gewesen sei; u. a. habe er

528
Vgl. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10 bzw. von Srbik Friedjung, 539; ähnlich bereits Stolz Männer [von
1941, aber - außer allenfalls dieser Stelle - keineswegs antisemitisch oder sonst voreingenommen gegen
Friedjung], 62 (Friedjung sei eben „zuviel Wissenschaftler und doch auch zu viel Jude“ gewesen, „als daß er sich
nicht mit der Wirklichkeit abgefunden hätte“. Praktischer politischer Erfolg sei ihm versagt geblieben, weil es
ihm als Theoretiker am Willen zur Tat gefehlt habe.); Zailer Friedjung, 5, 77. Vgl. ferner F. Fellner Friedjung,
644 (Brief Friedjungs an Bettelheim vom 30. 1. 1901 - vgl. ebd., Fn. 48): „Auch bin ich 15 Jahre älter[,] als ich
es bei dem Versuche mit der Deutschen Zeitung war. Ich besitze nicht mehr die Elastizität wie zu jener Zeit und
vor allem nicht mehr den Glauben an die siegreiche Kraft eines ehrlichen Wirkens. Daher eigne ich mich nicht
mehr zum Handeln, sondern zur Betrachtung und Schilderung historischer Vorgänge.“ [Kursivschrift in der
Vorlage] Gemäß F. Fellner war es jedoch nicht das Handeln selbst, vor dem Friedjung zurückschreckt habe, es
sei die Scheu gewesen, „an leitender Stelle Verantwortung für Handlungsentscheidungen übernehmen zu
müssen.“ In der theoretischen Konzeption und Analyse, nicht in der praktischen Umsetzung der politischen
Urteile habe dessen Stärke gelegen. Jedenfalls rief Friedjung oft zum Aktivismus auf: vgl. Stück, 20; Ausgleich,
13, 32 f., 93 f., 97-100. Zu „konfliktbeladen“ vgl. auch Friedjung Stück, 8: „Im öffentlichen Leben muß mancher
Strauß ausgefochten werden; im Kampfe gegen die Gemeinheit der Gesinnung soll kein Pardon gegeben werden
und keine Schonung erwartet werden.“.
529
Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 286 unter Zustimmung zu Friedrich Paulsen.
530
Vgl. von Srbik Friedjung, 539.
531
Vgl. Zailer Friedjung, 77. Vgl. auch den Zeitgenossen Mayer in seinem Werk „Ein jüdischer Kaufmann, 322“
über die Funktionäre der Sozialpolitischen Partei (bei Holleis Partei, 38): „Die Leute waren brav, aber keine
praktischen Politiker. Sie kannten weder die Psychologie der Massen, noch hatten sie überhaupt
Menschenkenntnis. Sie glaubten[,] durch ihre Aufrichtigkeit in ihren sozialpolitischen Bestrebungen Menschen
gewinnen zu können, die an ganz andere Dinge dachten ... und von denen sie verspottet wurden. Zwiespältig in
ihrem Herzen und schwankend nach außen[,] hatten sie keine Haltung und gelangten zu keiner Stellung.“
(Letzteres ist freilich übertrieben.). Vgl. überdies noch Stieböck Journalist, 2 (Friedjungs politische Manifeste
hätten nie die breite Masse erreicht.).
532
Dass messbare Daten für den Einfluss von „gouvernementaler“ Gelehrtenpolitik [hier: im Deutschen Reich
von 1890 bis 1914] nicht angegeben werden könnten, bemerkt vom Bruch Wissenschaft, 418, vgl. auch ebd. 359
(Friedrich Meinecke). Zur Kurzlebigkeit als Merkmal der gouvernementalen Gelehrtenpolitik vgl. Meinecke bei
vom Bruch Wissenschaft, 359.
103

die politischen Verhältnisse falsch eingestuft und seine Fähigkeiten überschätzt. 533
Auch Friedjungs Tochter, Pauline [bzw. Paula - vgl. oben, Fn. 38] Reinkraut, fällte ein
insoweit vernichtendes Urteil: „Ich frage mich unaufhörlich, wie sich ein Theoretiker,
wie er es war, an die Politik verlieren konnte. ... Nicht nur, daß er keine Begabung
zum Politiker hatte, es nahm an seinen Versuchen nie nur der Kopf, sondern auch
das Herz zu viel teil.“534

Besonders hinderlich für einen politischen Einfluss wirkte sich Friedjungs - bei vielen
anderen Gelehrtenpolitiker ebenso vorhandene - Kompromisslosigkeit aus. 535
Außerdem war er dünnhäutig und „ehrpusselig“. 536 Als weiteres schweres Hindernis
erwiesen sich seine Naivität und Leichtgläubigkeit, wie sie sich in der „Friedjung-
Affäre“ gezeigt hatten.537 So prophezeite er allen Ernstes, die von ihm geforderte
Übernahme der Außenpolitik der slawischen Balkanstaaten durch Deutschland und
Österreich unter gleichzeitiger Garantie ihrer Selbständigkeit im Inneren werde ein
„Geschenk“ sein, welches jene „willig“ annehmen würden. 538 Und Graf Aehrenthal
533
Vgl. Stieböck Journalist, 86 - hier auch Zitat der Charakterisierung Friedjungs durch Josef Redlich: „linkisch
wie immer“ (Fn. 1: „Das politische Tagebuch, S. 35“); auch ebd., 75 (In einer Unterredung mit Josef Redlich am
9. Januar 1910 habe sich Aehrenthal sehr über Friedjungs Eitelkeit und Unklugheit beklagt.). Vgl. zudem Zailer
Friedjung, 77: Friedjung sei sich seiner Mängel als Politiker nicht bewusst gewesen.
534
Vgl. Bogner Auseinandersetzungen, 17, Fn. 25 (ohne Nw. - s. auch ebd., 3 Fn. 2, wo eine schriftliche
Rücksprache - offenbar in anderer Sache - mit Pauline Reinkraut erwähnt wird).
535
Vgl. Zailer Friedjung, 4, 77. Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10 (Friedjung sei ein „Streithansel“ gewesen,
„der Konflikte ohne Kompromißbereitschaft austrug und auf diese Weise sogar alte Freundschaften
zerstörte.“[Anführungszeichen bei „Streithansel“ im Original]); auch Ritter Historians, 50 (Friedjung sei
emotional, aggressiv und kompromisslos gewesen.); Ritter Historians, 50 (Seine Beziehung zu anderen
Menschen sei häufig die einer engen Freundschaft und Zusammenarbeit gewesen, welche von einer
melodramatischen Entfremdung abgelöst worden sei.). Zur Kompromisslosigkeit vieler Gelehrtenpolitiker vgl.
vom Bruch Wissenschaft, 286 f.
536
Vgl. Zailer Friedjung, 77 bzw. Bettelheim Friedjung, 33 und Adlgasser/Friedrich Einleitung, 10: Friedjung
habe Karl Lueger zum Duell gefordert, was dieser jedoch abgelehnt habe. Ständig kehrte Friedjung zudem,
freilich durchaus im Sinne des „Zeitgeists“, den Wert der bzw. seiner „Mannhaftigkeit“ und „Männlichkeit“
hervor - vgl. Stück, 16; Ausgleich, 16, 30, 99; Kampf, Bd. 2, 6; Ritter Historians, 50 (dort auch zur Üblichkeit
eines solchen Bildes zu dieser Zeit), der darin „controlling images“ sieht, möglicherweise Projektionen von
Friedjungs eigenen Problemen mit seiner Selbstkontrolle - in einem Brief an Viktor Adler von 1878 habe dieser
sein eigenes “Selbst“ als ein „uncontrollable element of his personality, an ‚idol, to which I could sacrifice
everything’“ bezeichnet, aber auch als einen „‚häßliche[n] Geselle[n]’ ... which ‚draws me irresistibly into the
struggle’“. - vgl. ferner ebd., 70 f. (“Like many Austrian intellectuals, Friedjung dramatized his life as well as his
work according to the structure of Bürgerliches Trauerspiel - he privately yearned for recognition of his service
to the state and constantly (though unjustly) complained that his contributions were not appreciated - and thus
unconsciously exhibited and fostered the political and psychological immaturity wich he so loufly deplored.“)
sowie Casillas Politics, 69 über Herzls Ansicht von Friedjung; s. aber Bettelheim [Freund Friedjungs] Friedjung,
29 (Friedjung habe Eitelkeit fern gelegen.).
537
Sein Freund Anton Bettelheim schrieb zu Friedjungs Lebzeiten über dessen „reine, im Kern kindliche Natur“:
Den „Mahnruf zu beständigem Mißtrauen eigner und fremder Handlungen und Unterlassungen wird Friedjung
schwerlich je zu dem seinigen machen.“ - vgl. Bettelheim Friedjung, 28 bzw. 35; ferner Ritter Rezension
Adlgasser, 291: Friedjung hätten “intractable emotions, self-important vanity, an aversion to compromise, and
abundant political naiveté” gekennzeichnet.
538
Vgl. Ausgleich, 83. Friedjungs ähnliche Behauptung in der Vossischen Zeitung während des Ersten
Weltkriegs, Serbien werde zu den Kriegsgewinnern gehören, da es in Zukunft durch verstärkte wirtschaftliche
104

sah er offenbar als den Schwarzenberg seiner Zeit an. 539 Auch nahm er die
Beteuerung der Anhänglichkeit an das Herrscherhaus, die durch die Führer aller in
den zwei Parlamenten vertretenen nationalen Parteien fast bis zum Ende des
Krieges wiederholt wurde, doch wohl allzu ernst. 540

Insgesamt ist festzustellen, dass Friedjungs politische Aktivität im eigentlichen Sinne


Alles in Allem entweder kaum oder aber sogar einen kontraproduktiven Einfluss
gehabt hat - wie im Fall seiner Förderung der deutschnationalen Bewegung: Denn
diese trug durch ihren Versuch, mittels eines neuen politischen Stils die traditionelle
Honoratiorenstruktur zu überwinden und Massenwirksamkeit zu erlangen, gerade zur
Entstehung radikaler, insbesondere antisemitischer Politik und damit auch zu
Friedjungs Hinwendung zu den immer unbedeutender werdenden Altliberalen bei. 541
Dennoch hätte er als Jude langfristig auch ohne diesen seinen Anteil an der
Entwicklung und wohl selbst im Falle einer Konversion keine Chance gehabt, im
deutschnationalen Lager zu verbleiben. Allerdings dürften seine in politischer Absicht
verfassten historischen Werke angesichts ihrer hohen Verkaufszahlen im
deutschösterreichischen Bürgertum geistig recht stark gewirkt haben.

und politische Bande enger mit der Monarchie verbunden sein werde, wurde denn auch von Karl Kraus
entsprechend satirisch behandelt vgl. Lind Satiriker, 398 f. („Der darbende Bürger“, in Die Fackel 474-483 [Mai
1918, 23.Mai 1918], [u. a.?] 56). Vgl. auch das „Friedjung-Programm“, Punkt 12, bei Berchtold
Parteiprogramme, 192: „...auf daß die Balkan-Staaten sich der großen mitteleuropäischen Allianz ohne Sorge für
ihre politische Freiheit und ohne Furcht vor Annexionen anzuschließen vermögen.“.
539
Vgl. Lindström Empire, 38.
540
Zur Ernstnahme dieser Beteuerungen vgl. Vorrede, IX f. Vgl. schließlich noch Ausgleich, 8, wo Friedjung die
völlige Trennung der österreichischen und der ungarischen Armee und die in beiden jeweils allein herrschende
Gültigkeit des „nationalen Gedanken[s]“ fordert, und gleichzeitig verlangt, den beiden Armeen danach eine
„klare Idee“ zu geben, für welche beide zusammen einzustehen vermöchten. Zu Friedjungs Leichtgläubigkeit
gegenüber den Aussagen der von ihm befragten Zeitzeugen und zu seiner Instrumentalisierung durch diese vgl.
F. Fellner Friedjung, 652; Ritter Rezension Adlgasser, 292 - zu Herzls entsprechender allgemeiner Sicht auf
Friedjung vgl. oben, Fn. 423. Nicht verschwiegen werden soll, dass Friedjung durchaus über Einsicht in die
Funktionsweise praktischer Politik verfügte, wie diese beiden Aussagen von ihm belegen: „Es ist ganz und gar
ungeschickt, über eine taktische Frage der Zukunft zu berathen, bevor die Sachlage dazu treibt.“ vgl. Stück, 15.
Es sei verhängnisvoll, wenn man die „Behandlung der Geschäfte durch einen parlamentarischen Club, welcher ...
bestimmte politische Actionen durchzuführen hat“, mit „der oft nothwendigen, aber an sich nichtigen
agitatorischen Thätigkeit durch einen Verein, der etwas Großes damit gethan zu haben glaubt, wenn er einen
weithin tönenden Beschluß faßt“, verwechsele - vgl. Stück, 13.
541
Ähnlich Ritter Historians, 52; vgl. auch Dechel Programm, Teil 2, 426. S. ferner Mommsen Sozialdemokratie,
106, zudem (aber) auch 107 f. (Das „Fünf-Gulden-Wahlrecht“ von 1882 habe den kleinbürgerlichen und
kleinbäuerlichen Bevölkerungskreisen einen unverhältnismäßig großen Einfluss eingeräumt, womit das
Eindringen des sozialen und des rassischen Antisemitismus in den Parteienkampf erleichtert worden sei, weil
dieser sich als geeignetes Mittel zur Gewinnung der Sympathie jener angeboten habe.).
105

2. Franz Klein
a. Inhalt
aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich
Klein war stets stark deutschnational eingestellt. So ist er gemäß Otto Friedlaender
seit seiner Studienzeit „ein geradezu naiv-gläubiger Großdeutscher“ geblieben. 542
Sein Begriff der Nation bzw. des Volkes war ein kultureller. 543 Religion war ihm
grundsätzlich weder für seinen Nationsbegriff noch für sein eigenes Empfinden von
Belang.544 Privat äußerte er sich 1919 - ausgerechnet seiner jüdischen Geliebten,
Ottilie Friedlaender, gegenüber - durchaus antisemitisch, und zwar teilweise auch
unter begrifflicher Abgrenzung von Deutschen und Juden, doch in seiner Politik
spielte der Antisemitismus, soweit ersichtlich, niemals eine Rolle. 545

Öffentlichen Ausdruck fand seine nationale Einstellung bis zum November 1918 nur
wenig. Gerade im Hinblick auf seine beiden Amtszeiten als Justizminister verwundert
das nicht, weil er als solcher kaum parteiisch sein konnte, zumal die Gleichheit vor
dem Gesetz galt. 546

Seine Einstellung zum Staat Österreich-Ungarn hingegen erfuhr durch die


Niederlage im Ersten Weltkrieg einen starken Wandel - welcher in der Literatur

542
Vgl. Mayr Praxiszeit, 282.
543
Und das „Volk“ sah er offenbar als eine kollektive Einheit - vgl. Saint Germain, 229 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 8. Juli 1919): „Volkspersönlichkeit“. Allerdings lehnte Klein gemäß Böhm Grundlagen, 201
die Lehre der historistischen Schule des Rechts von dem „das positive Recht schaffenden Volksgeist“ als
„Mystizismus und spirituelle Romantik“ ab.
544
Zu seiner eigenen religiösen Indifferenz vgl. Saint Germain, 147 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni
1919), 307 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 3. August 1919); s. aber auch Kulturgemeinschaft, 109, wo er die
„hinreißende seelische Veredelung“ durch den „Siegeszug des Christentums oder die Reformation“ preist.
545
Zu Kleins privaten antisemitischen Äußerungen vgl. Saint Germain, 105-107 (Brief an Ottilie Friedlaender
vom 1. Juni 1919), insb. 106, wo er „die bekannte jüdische Gegnerschaft gegen Deutschland und die bekannte
jüdische Hinneigung zu den Westländern“ beklagt, sowie ebd., 220 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. Juli
1919) („Aber das hiesige Gesindel, die gesamte Judenschaft, die nun plötzlich hier eingedrungen ist, ... leuchtete
[angesichts der - zutreffenden [s. ebd. 219, Fn. 2] - Meldung, Otto Bauer habe am Vortag in einer Rede vor dem
Kongress der Arbeiterräte erklärt, die Regierung sehe von einem Anschluss ab] ordentlich.“). Vgl. ferner z. B.
ebd., 140 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 9. Juni 1919), 200 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 28. Juni
1919), 270 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 23.Juli 1919). Zur Bedeutungslosigkeit dieser Ressentiments für
Kleins Politik vgl. auch die bereits genannte Interpellation der Abgeordneten Schlesinger und Genossen an den
Ministerpräsidenten von 1900, nach welcher Klein Juden bei der Stellenvergabe sogar bevorzugt habe - vgl.
Sprung/Mayr Klein, 516. Dass Ottilie Friedlaender Kleins Geliebte war, geht z. B. aus Saint Germain, 291-293
(Brief von Ottilie Friedlaender an Klein vom 29. Juli 1919) hervor.
546
Zu Österreich(-Ungarn) als einem mehr oder weniger ausgeprägten Rechtsstaat vgl. oben, Fn. 258. Es muss
aber darauf hingewiesen werden, dass die in den sog. Grundgesetzen vom Dezember 1867 enthaltenen
Grundrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit von den Behörden oft missachtet wurden - vgl.
Whiteside Germans, 177 i. V. m. 176, der dort allerdings trotz aller dieser Einschränkungen auch bemerkt, es sei
zweifelhaft, ob sich der deutschösterreichische klassische oder Laissez-faire-Liberalismus in Inhalt und Elan
beträchtlich vom Liberalismus anderer westeuropäischer Staaten mit Ausnahme Englands unterschieden habe.
Zur Ausbildung des Verwaltungsrechts in Österreich s. Brauneder Beitrag, 419-421.
106

bislang offensichtlich noch nicht beleuchtet worden ist. So hatte Klein im November
1914 von dem „Gefühl der staatlichen Solidarität“ geschwärmt, das so intensiv
gewesen sei, dass es die nationalen Gegensätze mit einem Male überbrückt habe. 547
Und er bezeichnete die Beendigung der Tätigkeit des Ostmarkvereins im Deutschen
Reich, die dessen Vorstand „angesichts des lobenswerten Verhaltens der Polen in
der Kriegszeit“ beschlossen habe, als „erfreuliches Dokument für das Zurückdrängen
des nationalen Standpunktes durch den Patriotismus“, sprach von „verbohrte[n]
Nationalisten.548 Schließlich lobte er das Streben, „verschiedene Volksstämme in
einem modernen Kulturstaate, das heißt auf der Basis vollen Anteiles am
Staatsleben, gleichen Rechtes und kultureller Entwicklungsfreiheit[,] zu
vereinigen.“549

Im Dezember 1917 lehnte er die „nun hemmungslos über das Ziel schießenden“
nationalen Wünsche ab und freute sich über den sich seiner Einschätzung nach
anbahnenden „Bankrott des Größenwahnes, nach eigenem Gutdünken und
Interesse geschichtlich gewordene Gebilde vernichten oder auflösen zu wollen, die
sich zur Achtung der Rechte anderer bekennen und daraus ihre Lebensfähigkeit und
ihr Daseinsrecht schöpfen.“550

Und noch am 1. November 1918 hatte er sich gegen die Auflösung der
Donaumonarchie und gegen das Selbstbestimmungsrecht als ein Naturrecht
ausgesprochen: Er forderte die Errichtung von Gliedstaaten unter Wahrung aller
Vorteile eines großen geordneten Staates nach dem Muster Deutschlands oder auch
„nur“ der Vereinigten Staaten und führte aus: „Sofern das Ausscheiden nicht die
Genehmigung der gesetzgebenden Faktoren des Stammstaates ... erhalten hat,
haftet dem Vorgange etwas von Staatsstreich oder Revolution an.“; deswegen sei

547
Vgl. Krieg, 763.
548
Vgl. Krieg, 764 [erstes Zitat auch in der Vorlage in Anführungszeichen] bzw. 768.
549
Vgl. Krieg, 772. Vgl. ferner Kulturgemeinschaft [1915], 100, Fn. 1: Die Forderung nach einem engeren
Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn sei kein nationales Verlangen, es gehe vielmehr
um die politische Zukunft der beiden Reiche - sowie ebd., 111, wo er das das Vorhaben einer „Auflösung
Deutschlands und Österreich-Ungarns“ als Torheit bezeichnet; ferner Gedenkrede [1916], 1065 f. sowie seine
Propagandaschrift Kriegsgeist, 7, auch 13. Bereits 1910 hatte Klein dem von ihm sog. nationalen
Internationalismus, d. h. dem weltweit den staatlichen Interessen verfolgenden Nationalismus ohne
Gegenseitigkeit, den Vorteil zuerkannt, in einem Vielvölkerstaat „über dem sondernden Stammesbewußtsein das
der staatlichen Gemeinsamkeit, der höheren Einheit“ zu etablieren - vgl. Internationalismus, 595. Vgl. ferner
Schiffer Klein, Sp. 620 f. (Im Ersten Weltkrieg sei von der Bewegung, der Klein angehört habe, noch
„Rücksichtnahme auf die unantastbare Souveränität beider Teile [nämlich Österreich-Ungarns und des
Deutschen Reiches]“ geübt worden.).
550
Vgl. Gedenktag, 654; vgl. auch Gedenkrede [Dezember 1916], 1065.
107

„irgendeine Art von Zweiseitigkeit des Ablösungsvorganges ratsam“. 551 Zudem berief
er sich auf „Österreichs Bestimmung, eine ‚Barriere gegen Osten’ zu sein“. 552

Die Staatstreue Kleins kam auch darin zum Ausdruck, dass er kurz vor Weihnachten
1914 zusammen mit Mitgliedern des Niederösterreichischen Gewerbevereins und mit
Karl Urban, Eugen von Philippovich, Michael Hainisch u. a. das erste umfassende
österreichische „Mitteleuropa“-Konzept entwarf, dessen Erstellung u. a. der - in der
Vorlage in das Englische übersetzte - Leitsatz zugrunde lag, dass „these events
demanded the most effective possible consolidation and strengthening of the state to
counter ‘irresponsable disturbers of the peace and centrifugal tendencies’.“ 553 Und er
strebte eine Rechtsvereinheitlichung zwischen Österreich und Ungarn an. 554

Auch die Dynastie der Habsburger pries er in dieser Zeit noch. So führte er die von
ihm begrüßte Überbrückung der nationalen Gegensätze im Krieg auch auf das
Gefühl der „Pflicht, für Dynastie und Heimat einzustehen“, zurück. 555 Und in seiner
Gedenkrede auf Kaiser Franz Joseph am 8. Dezember 1916 rühmte er nicht nur,
dieser habe „als conditor juris in der Rechtspflege nicht seinesgleichen“, sondern
nahm auch „trauernd“ von dem „erhabenen Toten Abschied, in dem sich für uns alle
von ihrer [sic] Kindheit [sic] Staatswesen und Staatsmacht verkörperten“, und rief
aus: „...innigst hoffend, daß seinem Herrscheramte das Glück lächeln wird, huldigen
wir des verstorbenen Kaisers erlauchtem Nachfolger...“ 556

Den in Mitteleuropa „plötzlich aus dem Grabe gestiegen[en]“ Geist des Absolutismus
jedoch lehnte er bereits im Krieg ab. 557 In der parlamentslosen Zeit von August 1914
bis Mai 1917 betonte er immer wieder die Notwendigkeit von mehr Demokratie und
forderte insofern eine „Läuterung der amtlichen Praxis“. 558 In seiner Ansprache an die
551
Vgl. Recht Selbstbestimmung, 659 bzw. 657; zum Erscheinungsdatum vgl. Klein Reden, V i. Verb. m. dem
Inhaltsverzeichnis der Deutschen Juristenzeitung 23 (1918), Heft 21/22.
552
Vgl. Recht Selbstbestimmung, 658.
553
Vgl. Meyer Mitteleuropa, 152 m. Nw. in Fn. 41 („Nachlass Baernreither, Tagebuch Notizen, 1914-15;
mimeographed item, Einige Leitsätze für die Besprechung über die deutsch-österreich-ungarischen
Wirtschaftsbeziehungen, n. d.“).
554
Vgl. Benedikt Klein, 25; Schiffer Klein, Sp. 620 f.
555
Vgl. Krieg, 763 f.
556
Vgl. Gedenkrede, 1065 f. Allerdings wird man von dieser Rede im Hinblick auf Kleins innere Einstellung
vermutlich einige Abstriche zu machen haben, weil er sie in seiner Eigenschaft als Minister hielt, ja
möglicherweise halten musste.
557
Vgl. Rechte Krieges, 808.
558
Vgl. Rechte Krieges, 803-809, insb. 807 („Läuterung“); vgl. auch Kriegsnot, 798. Dies implizierte seine
Forderung nach dem höchstmöglichen Grad von Pressefreiheit - vgl. seine eigene Einschätzung in Lebensskizze,
XVI („Klein bemühte sich während der kurzen Zeit[,] in die Zensur Ordnung und Maß zu bringen...“).
108

Beamten des Ministeriums nach seiner zweiten Ernennung zum Justizminister


mahnte er ganz unverblümt: „Man kann die heutige ... Gesellschaft nicht ohne sie
regieren und ihre Angelegenheiten nicht ohne sie verwalten, weder im Frieden noch
im Kriege.“559 Klein selbst stellte rückblickend dazu fest, diese Antrittsrede, in der er
„die vollständige Abkehr“ von den im Krieg bis dahin maßgebend gewesenen
Regierungsgrundsätzen für notwendig erklärt habe, habe lebhaften Widerhall in
Publikum und Presse gefunden.560 Und im Dezember 1917 klagte er: „Ein besonders
trüber Abschnitt dieses Mangels an Einklang [zwischen Regierungskunst und
Verfassung] trägt die Überschrift: Notverordnung.“ 561 Schon 1912 hatte er für eine
umfangreiche Beteiligung der gesamten Bevölkerung an der politischen
Willensbildung geworben und vor einer Schwächung oder Lahmlegung des
Parlaments gewarnt. 562

Bereits im Januar 1919 monierte Klein dann auf einer Versammlung der BDP den
„schalen Staatsgedanken“, dem die Angehörigen seiner Generation in Österreich
ihre politischen Ansichten und sogar ihr Nationalbewusstsein geopfert hätten, so
dass sie es „bis heute nicht wiedergefunden haben.“ 563 Später bezeichnete er die
Christlichsozialen „als Reinkultur aller schlechten Eigenschaften und Untugenden der
habsburgisch mißleiteten Deutsch-Österreicher“, durch deren Herrschaft sich
Letztere Schmach und eine Schande auf sich geladen hätten, der die
Geringschätzung und Verachtung der Welt verdientermaßen zuteil geworden sei. 564
Außerdem beklagte er, an der misslichen Aufgabe Deutschösterreichs, fremde
Völker im Zaume zu halten, sei es fast verblutet. 565 Für ihn war „das alte Österreich“
nun „bis in den Kern krank“ gewesen. 566 Den Plan zur Bildung einer

559
Ansprache Beamten Wiederernennung, 1031. Allerdings begründete er dies vor allem mit der erwähnten
praktischen Notwendigkeit, welche der „innerste unpolitische, soziale Grund der Notwendigkeit“
parlamentarischer Einrichtungen sei.
560
Vgl. Lebensskizze, XVI.
561
Vgl. Gedenktag, 652.
562
Vgl. Sozius [1912], 596-600, insb. 599 („Es ist an sich kein schlechtes Zeichen für den Stand von Intelligenz
und Kultur, wenn die Bevölkerung außerhalb des Parlaments an dessen Arbeiten Interesse gewinnt und sie
verständnisvoll verfolgt.“), 600 (gegen Schwächung oder Lahmlegung des Parlaments).
563
Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 7.
564
Vgl. St. Germain, 267 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 22. Juli 1919); ähnlich ebd., 310 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 4. August 1919).
565
Vgl. Anschlußfrage, 1001. Vgl. auch Antwort Friedensvertrag, 853 („...aller planmäßigen Schwächung,
welche die Deutschen seit Taaffe in Österreich zu erleiden hatten...“); ähnlich: Grundgedanken, 861.
566
Vgl. Staat, 922.
109

„Donaukonföderation“ der früher zum Habsburger-Reich gehörenden Länder lehnte


Klein ebenfalls ab.567

Auch von der im Habsburger-Reich betriebenen Innenpolitik zeigte er sich nun


besonders angewidert. So schrieb er am 22. November 1918, Österreich sei immer
ein Staat bevormundender Obrigkeit gewesen. 568 Und „der Jugend“ rief er auf einer
Versammlung der Bürgerlich-demokratischen Partei im Januar 1919 zu, sie solle es
besser machen als die „Aelteren und Alten unter uns“ - Klein selbst eingeschlossen -,
welche in Unselbständigkeit gelebt und sich ihren „Geist und Willen“ hätten
„verkümmern und verkrüppeln lassen“.569

Bereits am 13. November 1918 hatte er sich in einer von ihm einberufenen
Veranstaltung in der Juristischen Gesellschaft für den Aufbau eines (sozialen und)
demokratischen Gemeinwesens eingesetzt. 570 Von nun ab forderte er beständig den
„raschesten Auf- und Ausbau der Demokratie“; der Geist der Demokratie müsse mit
allen Mitteln geweckt und gefördert werden, wobei die weitere Vernachlässigung der
geistigen oder Gefühlsseiten dabei ein Irrtum wäre, der sich schwer rächen könnte. 571
Ja, er prangerte Ende November 1918 als undemokratisch gar an, dass Behörden
unterhalb der ministeriellen Ebene konstant blieben „und, als ob gar nichts
geschehen wäre, nach dem alten Schimmel fortarbeite[n]“. 572 Fritz Fellners

567
Vgl. Anschlußfrage, 998 f., insb. 999: „Die Gemeinschaft mit den anderen Nationalstaaten wird
Deutschösterreich auch nicht kräftigen, denn es sind größtenteils die alten Feinde der Deutschen aus der
Monarchie, die viel dazu beigetragen haben, Deutschösterreich in seinen jetzigen verzweifelten Zustand zu
versetzen[,] und es schwächen wollen.“ S. allerdings auch die - freilich aus taktischen Gründen abgegebene -
Äußerung Kleins im Interview mit dem Korrespondenten des „Temps“ in Saint-Germain: Nicht
Deutschösterreich, sondern die neuen, aus der alten Monarchie hervorgegangenen Staaten seien es, „die den
Gedanken jeder politischen Gemeinschaft zurückgewiesen haben“ - vgl. Anschluß, 989.
568
Vgl. Demokratisierung 667.
569
Klein in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 3. Vgl. auch Saint Germain, 105 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 31. Mai 1919): „Das ist auch eine Art Dank vom Haus Habsburg, daß wir durch dieses
Geschlecht so herunter regiert wurden, bis wir selber ein unmögliches, kraftloses Volk geworden sind.“ - vgl.
ferner ebd., 80 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. 5. 1919); 158 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni
1919).
570
Vgl. Benedikt Klein, 26.
571
Vgl. Demokratisierung, 669; vgl. auch Ziele, 40 sowie Punkt 2 der „Leitsätze der Bürgerlich-demokratischen
Partei“, unterzeichnet von Dr. Franz Klein, Minister a. D.: „Wir wollen ein freies, sich selbstbestimmendes
demokratisches Volk sein und bleiben.“ bei Stern Stolper, 497; Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 67 (hier als
Sonderabdruck, Die Zeit vom 10. Januar 1919): [6] jeweils Fotokopie; ferner Referat Völkerbundenquete, 868
über den Völkerbund: „Irrig war, daß man ihn als eine Staaten- und Regierungsanstalt errichtete, statt, wie es
seinem Namen entsprochen hätte, als einen wahren Bund der Völker...“ sowie „Die 14 Punkte der Bürgerlich-
demokratischen Partei“, Punkt 2: „Wir fordern die Sicherung der D e m o k r a t i e durch G l e i c h b e r e c h t
i g u n g aller Männer und Frauen vor dem Gesetz.“ bei Stern Stolper, 496; Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hier
in Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]), jeweils Fotokopie [Sperrdruck in den Vorlagen].
572
Vgl. Demokratisierung, 668.
110

Einschätzung Kleins als eines kühlen Vernunftrepublikaners mutet nach alledem


zweifelhaft an.573 Die beiden zuletzt aufgeführten Aussagen Kleins erscheinen
angesichts der folgenden Entwicklung gerade in der Weimarer Republik als
prophetisch.

Den Wechsel seines Blickes auf das Habsburger-Reich beschreibt und erklärt
möglicherweise zum Teil seine nachträgliche Einschätzung, die
(Deutsch-)Österreicher hätten sich bislang in einer Atmosphäre der Zersetzung
hoffnungslos fort „gefristet“, „die jeden herabdrückte, ohne daß er es wußte.“ 574
Demgegenüber projizierte er allerdings im August desselben Jahres seine
nunmehrige Sicht auf die Zeit vor der Niederlage: „Wie man früher schon,
Österreichs wahre Verhältnisse kennend, trostlos in die Zukunft sah...“ 575

Dabei hegte (auch) Klein zumindest nach dem Zerfall des Reiches antiungarische
und antislawische Ressentiments und Ängste. 576 Das wirkte sich nach einer -
allerdings vereinzelten - Stelle auch politisch aus: Denn Klein wurde demnach 1919
nicht nur wegen seines prononcierten Anschlusskurses, sondern auch wegen
antislawischer Äußerungen nicht zum Leiter der österreichischen Friedensdelegation
berufen.577

Wenn Klein bis zum Kriegsende auch noch nicht für den „Anschluss“ an das
Deutsche Reich votiert hatte, so war er in dieser Zeit, vor allem während des Krieges
selbst, ein rühriger Agitator für ein enges Wirtschaftbündnis mit diesem und für eine
weit gehende Angleichung der Rechtssysteme beider Staaten. 578 Bereits während
seiner Mitgliedschaft im Leseverein der deutschen Studenten Wiens hatte er sich
„eifrigst eingenommen für die Verbindung zwischen den beiden Reichen“ gezeigt. 579
573
Zu Fellners Urteil: F. Fellner Klein, 185 (bezogen auf den ersten, von Klein verfassten Aufruf der BDP in
„Die Zeit“ vom 4. Dezember 1918).
574
Vgl. Saint Germain, 188 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. Juni 1919). Vgl. dazu auch Stefan Zweigs
Beurteilung oben, Fn. 352.
575
Vgl. Saint Germain, 315 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 6. August 1919).
576
Vgl. Saint Germain, 74 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 21. 5. 1919): Die Deutschen Österreichs müssten
vor „Versumpfung und Vertschechung“ bewahrt werden; ebd., 158 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juni
1919): Ungarn und Böhmen seien „der Erbfeind“ [sic]; sowie ebd., 178 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 21.
Juni 1919), wo seine Angst besonders zum Ausdruck kommt; vgl. ferner Kulturgemeinschaft, 96: „Sven Hedin
schrieb im Mai, die Einigkeit der beiden Reiche sei der Faktor, vor dem die slawischen Wogen sich gelegt
haben... Ebenso große Kraft und daher auch Einigkeit ... erheischt...“.
577
S. Resch Wien, 53.
578
Vgl. Kulturgemeinschaft, 87-112, insb. 92 („geistig-kulturelle Verwandtschaft“) und 98 („der staats-, welt-
und kulturpolitisch unerläßliche Zusammenschluß“); Rechtsannäherung, 968-974; Einklang, 702-719.
579
Vgl. Mayr Praxiszeit, 270 (Zitat Adolf Bachrach).
111

Dabei sah er die Deutschösterreicher insbesondere wegen des von ihm bei ihnen
ausgemachten Phlegmas sowie wegen ihrer angeblichen Servilität, Leichtsinnigkeit
und Grundsatzlosigkeit - zumindest während seiner Zeit in Saint-Germain - als den
Reichsdeutschen unterlegen an.580

Im Dezember 1914 sprach er sich im Rahmen der bereits erwähnten Aktion des
Niederösterreichischen Gewerbevereins für engere wirtschaftliche Bindungen an das
Deutsche Reich aus.581 Darüber hinaus setzte er das im August 1915 durch die
Ältesten der Berliner Kaufmannschaft verfasste Programm für die Vereinheitlichung
der Gesetze beider Länder in deren Auftrag um, vertiefte und verdichtete es dabei
und entwickelte es schöpferisch weiter.582 Ferner bewirkte er eine Entschließung der
ständigen Deputation des Deutschen Juristentages am 8. April 1916, wonach
entsprechend der „notwendigen“ Vertiefung des politischen Bündnisses und der
erhofften wirtschaftlichen Annäherung auch eine Vereinheitlichung des Rechts in
möglichst hohem Maß herbeigeführt werden sollte. 583 Während des Krieges setzte
sich Klein auch für das Militärbündnis zwischen den Mittelmächten ein. 584

Nach dessen Ende sprach er sich sowohl in Publikationen als auch im Rahmen
seiner parteipolitischen Aktivität immer wieder prononciert für den nationalen

580
Vgl. Saint Germain, 110 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 2. Juni 1919): „Oft kommt mir der Gedanke in
den Sinn, ob es nicht wirklich vernünftiger wäre, wenn dieses deutsch-öster[reichische] Volk verschwände. Es
wird allen zum Ekel immer im Wege sein ... und ein guter Deutscher muß eigentlich froh sein, wenn dem
deutschen Reich dieses Geschenk ... erspart bliebe... Das Gesunde, Heilfähige, Stärkende wird dadurch nicht
gefördert.“; ebd., 190 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 25. Juni 1919), wo er die „völlige Unfruchtbarkeit
unserer Landsleute in allen ihren Schichten“ beklagt; vgl. auch ebd., 280 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 16.
Juli 1919), wo er sich lobend über die Reichsdeutschen äußert. Weitere wüste Invektive gegen die
Deutschösterreicher bzw. die (deutschen) Wiener finden sich z. B. in Saint Germain, 52 f. (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 15. 5. 1919), 130 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 7. Juni 1919), 275 f. (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 24. Juli 1919), 300 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 1. August 1919), 313 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 5. August 1919). Auf der anderen Seite beklagte er sich oft „mit einem Gemisch aus Spott und
Wehmut“ über die Reichsdeutschen, die „manchmal ohne Verständnis, jedoch nicht ohne Hochmut“ auf die
Deutschösterreicher herabsähen - vgl. Schiffer Klein, Sp. 621. S. auch noch Sprung Lebensweg, 44 (Erwiderung
Kleins auf die Festrede des Sektionschefs im Justizministerium Dr. Ritter von Schauer an seinem 60. Geburtstag
am 14. 4. 1914 - s. 42): „...damit bei dem ohnehin geringen Prestige, das leider oft österreichische Schöpfungen
begleitet, man nicht sagen könne, daß das Werk abgefallen sei.“.
581
Vgl. Meyer Mitteleuropa, 152 - s. dort Punkt 3 (m. Nw. in Fn. 41: „Nachlass Baernreither, Tagebuch Notizen,
1914-15; mimeographed item, Einige Leitsätze für die Besprechung über die deutsch-österreich-ungarischen
Wirtschaftsbeziehungen, n. d.“).
582
So Schiffer Klein, Sp. 620.
583
So Benedikt Klein, 24 f. Im Wintersemester 1915/16 hielt Klein darüber hinaus noch eine Vorlesung über
„Die Gesellschaftslehre des Krieges“, im Wintersemester 1917/18 eine über „Das Organisationswesen der
Gegenwart II: Kriegs- und Friedensorganisationen“ - vgl. Sprung Lebensweg, 66.
584
Vgl. Kulturgemeinschaft, 90 („Sie [die beiden Kaiserreiche] müssen im Verhandlungssaale wie am
Schlachtfelde ein Körper sein, der sich nicht zersplittern läßt.“; ähnlich 111).
112

Gedanken aus.585 Besonders kam dies zum Ausdruck in seinen beständigen


Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Deutschösterreicher und nach
Vereinigung mit dem Deutschen Reich sowie in seiner Ablehnung der Zuteilung von
Gebieten mit deutschsprachiger Bevölkerung an andere Staaten. 586 Auch die von ihm
mitgeführte BDP propagierte die Vereinigung, wenn auch in ihren „14 Punkten“ nicht
gänzlich eindeutig: „Deutschösterreich ist eine Republik und ein untrennbarer
Bestandteil des g r o ß e n d e u t s c h e n V a t e r l a n d e s. In dieser
Gemeinschaft allein erblicken wir eine Gewähr unserer geistigen, sittlichen und
wirtschaftlichen Wohlfahrt“.587

Der Wunsch nach einem „völlige[n] Anschluß“ beherrschte Klein nun mehr und mehr,
und „dieses Sehnen“ füllte sein „Herz fast bis zum Rande“. 588 Seine entsprechenden
Reden soll er mit „hinreißender Beredsamkeit“ vorgetragen und damit Begeisterung
erweckt haben.589 „Heißen Herzens bat, mahnte und drängte er“, den günstigen
585
Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4, 7; Grundgedanken, 862 f., insb. 863: „Wir sind - und mag
man uns das noch so oft absprechen - Deutsche...“; vgl. auch Saint Germain, 102 (Brief an Ottilie Friedlaender
vom 31. 5. 1919) über die Forderung der Siegermächte, den Namen „Deutsch-Österreich“ zugunsten von
„Österreich“ abzulegen: „Man kann sich keine größere Unverschämtheit denken.“ ebd., 140 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 9. Juni 1919): „Ich bringe diesem internationalen Geckentum [Heinrich Lammaschs] keine
Sympathie entgegen, kann sie [solche Leute] aber verstehen.“.
586
Vgl. Punkt 4 der Leitsätze der Bürgerlich-demokratischen Partei, unterzeichnet von Dr. Franz Klein, Minister
a. D.: „Wir wollen deutsch sein und bleiben; [im Sonderabdruck: ,] deutsch nicht bloß in der Sprache, sondern
auch in Seele, Gemüt, Sittlichkeit und unserem ganzen Wesen, deutsch in lebendigstem Bewußtsein unserer
Zugehörigkeit [zu] und untrennbaren Verbindung mit dem ganzen deutschen Volke.“ bei Stern Stolper, 497;
Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 67 (hier in der Form des Sonderabdruckes in „Die Zeit“ vom 10. Januar 1919),
jeweils Fotokopie. Für das Recht auf Selbstbestimmung: Antwort Friedensvertrag, 853; Grundgedanken, 862;
Friedensvertrag, 866 f.; Revision, 876; Anchluß, 988 f. Vertragsentwurf, 851 f., auch unter Hinweis auf die
vierzehn Punkte Wilsons - dass Wilsons Grundsatz gar nicht das Selbstbestimmungsrecht, sondern lediglich „the
interest of the population concerned“ gewesen sei, welche zunächst die Beibehaltung traditioneller
administrativer Grenzen, dann Modifikationen auf Grund ökonomischer Überlegungen und verkehrspolitischer
Erwägungen und schließlich strategisch-politische Forderungen umfasste, betont F. Fellner Vertrag, 292; vgl.
ferner: Klein Saint Germain 107 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 1. Juni 1919): „Die Warnung Bauers, sich
nicht zu sehr auf die Selbstbestimmung zu berufen, hat mich schon seinerzeit sehr überrascht, nun habe ich mit
dieser ganz falschen Preisgebung eines Hauptgrundes leider einen Kampf auszufechten.“ Für den „Anschluss“:
Anschluß, 989; Deutschösterreich, 990-996; Anschlußfrage, 999 f.; Revision, 877. Gegen die Zuteilung Südtirols
an Italien: South Tyrol, 878-880, insb. 880: “Now that the peace treaties have thrust differing peoples into one
political system...”.
587
„Die 14 Punkte der Bürgerlich-demokratischen Partei“, Punkt 1 - bei Stern Stolper, 496; Hawlik Parteien,
Teil 3, Bl. 68 (hier in Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]), jeweils Fotokopie [Sperrdruck
in den Vorlagen].
588
Vgl. Schiffer Klein, Sp. 621. Vgl. auch Benedikt Klein, 29.
589
So Benedikt [Freund Kleins] Klein, 26. Vgl. aber auch Hawlik Parteien, Teil 2, 525: Kleins Stellungnahme zur
Anschlussfrage sei nicht von dem enthusiasmierten Elan Gustav Stolpers getragen gewesen und erscheine eher
abwartend (mit Zitat aus der Neuen Freien Presse vom 28. Januar 1919, wo Klein sich für den Anschluss
ausspricht, jedoch bemerkt: „Vorläufig denken wir nicht daran, ein entscheidendes Wort zu sprechen, bevor der
Friede nicht geschlossen ist.“); ebd., 526: Damit aber Kleins Anschlussfreude nicht unterschätzt werde, habe er
sie in einem rhetorisch wirksamen Wortspiel bekräftigt (Zitat aus Neuen Freien Presse vom 28. Januar 1919):
„Daß es aber unter Deutschen Deutsche gibt, welche verhindern wollen, daß Deutsche Deutsche sind, ist
empörend.“); sowie ebd. 508 (Stolper sei in der Partei wohl der entschiedenste Verfechter der Anschlussidee
gewesen, die anderen „Proponenten“ der Partei hätten sich als „weitaus vorsichtiger“ erwiesen.).
113

Augenblick für den Anschluss nicht zu versäumen. „Er sah periculum in mora, und
fast verzweifelt warnte er immer und immer wieder vor einer Politik, die sich in Reden
und Stimmung, in Hoffen und Harren verausgabte.“ 590 Auf der anderen Seite
versuchte er, Optimismus zu verbreiten; so bekräftigte er im Juli 1920: „Die
Vereinigung reift schon heran.“591

Zwar hatte sich mittlerweile eine neue Situation ergeben, so dass Klein und auch
Karl Renner argumentieren konnten, das Streben nach „Anschluss“ sei keine neue
Phase des pangermanischen Programms, sondern lediglich ein Ausdruck von
„despair and abandonment.“ 592 So wies Klein denn auch immer wieder auf die
„Lebensunfähigkeit“ eines Rumpfösterreichs hin. 593 Und in der Tat war dies die
Ansicht offenbar sämtlicher führender Österreicher in dieser Zeit, weswegen die
Diskussion allein um die Alternative(n) „Anschluss oder Donaukonföderation?“
kreiste.594

Trotzdem kann dies kaum Kleins einziger Beweggrund gewesen sein, weil er
nunmehr so betont national argumentierte. Ein solcher Wechsel von einer
Propaganda des „Mitteleuropa“-Gedankens hin zur Anschlussbewegung war nach
Kriegsende jedenfalls keineswegs selten. 595

Wiederholt betonte Klein allerdings die internationale Idee und verwarf eine
grundsätzliche Abneigung gegen „das Fremde“. 596 Zudem sah er, dass der
590
Schiffer Klein, Sp. 621; vgl. auch Revision, 874 f., wo Klein die Deutschösterreicher anprangert, sich selbst
dadurch ein schweres Unrecht zuzufügen, dass sie „so schweigend und so still“ duldeten. Sich selbst laut zur
Geltung zu bringen, sei „höchste Zeit“. Vgl. ferner Saint Germain, 168 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 18.
Juni 1919) sowie 294 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 30. Juli 1919): „...aber trägt nicht der neue Kurs zur Zeit
alles in sich, um das Herankommen der günstigen Stunde mehr und mehr hinauszuschieben, so daß sie
schließlich überhaupt verpaßt sein wird?“; schließlich noch Kleins Aufruf zum Aktivismus in Bürgerlich-
demokratische Partei Jugend, 4 sowie Saint Germain, 313 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 5. August 1919)
(„Vom Schwätzen zur Tat ist aber leider ein unangenehmer schwerer Weg für Menschen...“).
591
Anschlußfrage, 1001.
592
Vgl. zu dieser Argumentation Meyer Mitteleuropa, 294.
593
Vgl. nur Friedensvertrag, 868, 875. S. auch Saint Germain, 116 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 3. Juni
1919): „Wenn man uns selbst in diesem Zustand verurteilt, allein zu bleiben, [sic] und eigene Wirtschaft zu
führen, so ist das ein Beweis, daß es auf Ausrottung abgesehen ist.“.
594
Vgl. Myers Berlin, 168.
595
Vgl. Meyer Mitteleuropa, 293; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 195.
596
Vgl. nur Internationalismus, 594 (inkl. des Zitats); Kulturgemeinschaft, 6, 16-38, 41, 49 f., insb. 50 (für
weltbürgerliche Bildung, Abschütteln von Vorurteilen, Abschwächen des Nationalismus, Pflege des rein
Menschlichen, Altruismus im friedlichen Völkerverkehr, einen Kreuzzug gegen die chauvinistische Presse), 92-
94, 105, 108-112 - das alles freilich unter Bezeichnung der Ententemächte als der Störer der internationalen Idee.
Interessant auch seine Ablehnung des (italienischen) Faschismus als einer Gesetze brechenden und gewalttätigen
Bewegung - vgl. South Tyrol, 879. Auch wies Klein wiederholt auf die Errungenschaften in anderen Staaten hin,
die Österreich(-Ungarn) zum Vorbild dienen sollten - vgl. z. B. Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 540;
114

Nationalismus nichts an sich Gutes, Moralisches, sondern etwas Emotionales ist. 597
Überhaupt vertrat er die Position, Politik habe moralisch zu sein, sie habe „dieselben
Sittenregeln zur Richtschnur zu nehmen wie alles übrige Tun in der Gesellschaft.“ 598

Den Vertrag von Saint-Germain brandmarkte er als „Weltverbrechen“, das - im


Gegensatz zum Krieg - die wahre „Quelle unseres unsäglichen Elendes“ sei. 599 Die
Friedensverträge mit Österreich und mit dem Deutschen Reich seien „vom selben
Geist der Vernichtung beseelt“. 600 Fast das gesamte öffentliche und private Leben
Österreichs war in Kleins Augen der Siegerwillkür preisgegeben. 601 Mit dieser Sicht
stand er keineswegs allein: Zumindest die dem bürgerlichen Lager nahestehenden
deutschösterreichischen Historiker hatten - wie auch Klein - die Mittelmächte bereits
während des Krieges als in einem Kampf gegen eine Welt von Hass und Lüge
gesehen.602 Kleins Verzweiflung am Ende seiner Tätigkeit in der Friedensdelegation
war, nach seinen Briefen aus Saint-Germain an Ottilie Friedlaender zu schließen,
vollkommen.603 Eine Kriegsschuld Österreichs oder des Deutschen Reiches sah er
nicht.604
Foregger Klein, 221 (s. Fn. 10: „StProt über die Beratungen zur Strafgesetzreform 1.“)
597
Vgl. Moral, 629.
598
Vgl. Moral, 617-639, insb. 628, auch 638; ferner Ziele, 39 (Ethik, Gemeinsinn, Menschentum, idealistische
und altruistische Gesinnung als Leitfäden der Politik). Über die „Sittlichkeit als eigenständige Sinndimension“
bei Klein vgl. Böhm Grundlagen, 197, auch 199; vgl. zudem Böhm Klein, 242 (Klein habe eine am Kantschen
Pflichtbegriff orientierte Verantwortungsethik geprägt.). Zur Diskussion um Politik und Moral gegen 1900 im
Wilhelminischen Deutschland vgl. vom Bruch Wissenschaft, 435 f. (Exkurs 5).
599
Vgl. Revision, 874. Eine überwiegend positive Bewertung des Vertrages von Saint-Germain nimmt F. Fellner
Vertrag, 282-304 vor.
600
Vgl. Friedensvertrag, 864; vgl. auch Grundgedanken, 863 sowie Saint Germain, 59 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 18. 5. 1919) über die Siegermächte: „Und was da noch vom vernunftlosen Tiere
unterscheidet ... in entfesselter Bosheit, Rache, Furcht und Herrschbegier...“; s. aber auch Anschlußfrage, 997
(„Deutschland gegenüber war die Haltung Frankreichs beim Friedensschluß durch Haß und Revanche
vorgezeichnet, hinsichtlich Deutschösterreich [sic] war es anders. Alles fließt da noch[,] und Frankreich will sich
nichts verderben.“).
601
Vgl. Friedensvertrag, 865. Vgl. auch Revision, 875: Die durch den Vertrag bewirkte Abhängigkeit des Landes
von ausländischen Krediten versetze seine Bewohner zurück in die Lage Höriger; jener entbehre aller Humanität
und habe den Verlust von allem, was dem Leben Zweck und Wert verleihe, bewirkt.
602
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 189; vgl. auch ebd., 190: 1914 habe eine einheitliche Woge der
Empörung die gesamte Historikerschaft erfasst, weil ihr der Krieg als den friedliebenden Mittelmächten
aufgezwungen erschienen sei. Interessant ist insbesondere, dass Klein vornehmlich die Intellektuellen der
Ententeländer - im Gegensatz zu einem großen Teil, vielleicht der Mehrheit von denen im Zweibund - als
diejenigen ausmachte, welche den Hass zwischen den Krieg führenden Lagern gesät hätten - vgl.
Kulturgemeinschaft, 65-67 sowie 71; vgl. aber auch Moral, 617.
603
Vgl. vor allem die letzten (veröffentlichten) Sätze Kleins in dieser Korrespondenz überhaupt: Saint Germain,
315 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 6. August 1919): „Alles ... hinfällig ... Man ist Fremder in seinem
Vaterland geworden... Ich bin hier gestorben als tätiger Mensch und als denkendes Wesen... Der Epilog mußte
sein, wie er ist. Wie der Friede im Ganzen aussieht, ein Volk und ein Mensch ist da gebrochen worden...“ [die
letzten Punkte zwar in der Vorlage, aber möglicherweise nicht im Original: s. die allgemeine Bemerkung von F.
Fellner/Adlgasser Einleitung 11 f.].
604
Vgl. Kulturgemeinschaft, 72, 104, 106; Moral, 637; auch Revision, 875; vgl. ferner Saint Germain, 185 f.
(Brief an Ottilie Friedlaender vom 23. Juni 1919) („...daß sie [die „Ententeleute“] Tausende, Millionen von
115

bb. Sozialpolitik
In Kleins gesamtem Wirken spielte die Sozialpolitik die bedeutendste Rolle. Diesem
Befund entsprach auch seine Selbstsicht: Er mochte nicht Jurist, sondern wollte
„Sozialpolitiker“ genannt werden. 605 Vermutlich erwarb Klein sein großes Verständnis
für soziale Fragen auch durch seine Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen. 606 Er
sah sich in allen seinen juristischen Tätigkeiten primär als Sozialpolitiker, weil für ihn
das Recht in erster Linie ein Instrument zur Verbesserung gesellschaftlicher
Zustände war.607 Letzteres hat er immer wieder hervorgehoben, vor allem nach
seiner ersten Amtszeit als Justizminister.608

So berief er sich für von ihm erstrebte Gesetzesvorhaben auf „Sozialpolitik und
Mitleidsgedanken unserer Zeit“ und hob die soziale Verantwortung der Beamten des
Justizministeriums hervor.609 Der „Gedanke der Fürsorge, der Pflegschaft, des
Errettens“ müsse das Walten der Justiz durchdringen; statt der bloß rechtlichen und
juristischen Gesichtspunkte seien auch für Rechtspflege und Rechtsordnung die
gesamten staatlichen, gesellschaftlichen Interessen ebenso maßgebend geworden
wie für die Politik - das Recht sei von einer „kahlen Schutzmaßregel“ zu einem
„vollbürtigen Wohlfahrts- und Kulturelement“ zu erheben. 610 1910 bereits hatte er die
von ihm mitgeführte internationale Bewegung zur Verbesserung der
Wohnungssituation als „in jedem Sinne sozial“ bezeichnet: Sie arbeite für alle, sei
eine echte Kulturbewegung. Das Beste habe die Menschheit fast immer durch
Bestrebungen gewonnen, die „zuvörderst nur an die Bedürftigen und Schwachen
dachten.“ Die Gesellschaft habe sich in Bezug auf die Lage der Familien zu lange

Menschen durch ihre Politik, wenn nicht durch den von ihnen planmäßig vorbereiteten Krieg zugrunde gerichtet
haben..., das ist natürlich etwas Sittlich-Schönes.“); ebd., 228 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 8. Juli 1919).
605
Vgl. Otto Friedlaender bei Mayr Praxiszeit, 266, Fn. 38 (von Seite 265).
606
So auch Mayr Praxiszeit, 282. Vgl. ferner Benedikt [Freund Kleins], Klein, 22 über „Kleins soziales
Empfinden und sein oft verkanntes warmes Herz“ sowie Böhm Klein, 242 über sein „warmherziges soziales
Empfinden“.
607
Vgl. Hofmeister Klein, 203; auch Benedikt Klein, 28, der auf Kleins außerordentliche Bedeutung bei der
theoretischen Begründung eines solchen Ansatzes hinweist, sowie Böhm Klein, 241 (Ganz allgemein sei die
Hebung der Volkswohlfahrt und -bildung Kleins vorrangiges Ziel gewesen.).
608
Vgl. seine Selbsteinschätzung in Lebensskizze, XVI: Die Jahre nach seiner ersten Demission habe er sich der
wissenschaftlichen Arbeit mit besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialpolitischer Fragen
gewidmet; vgl. auch Baltzarek Klein, 180; Sprung Lebensweg, 39.
609
Vgl. Stabilisierung, 723 bzw. Ansprache Beamten Demission, 1021. Vgl. ferner Moral, 621, 632. S.
schließlich noch Baltzarek Klein, 180 (Klein habe den Anschauungen der Wiener Fabier, ohne ihnen unmittelbar
anzugehören, in Vielem nahe gestanden.).
610
Ansprache Beamten Wiederernennung, 1032 f.
116

unverzeihlicher, fast sträflicher Sorglosigkeit hingegeben. „Alles sich selbst


überlassen und auf die Vernunft der Dinge warten ist eine schlechte Politik.“ 611

Das war eine klare Absage an „Manchestertum“ und laissez faire-Politik mit ihrem
Vertrauen zur einst von Adam Smith postulierten invisible hand.612 Allerdings war dies
in Österreich spätestens um 1900 zum Gemeingut geworden. 613 Auch war die
Einbettung des Rechtswesens in eine politische, ökonomische und soziale
Gesamtschau für die Wiener Rechtslehrer dieser Zeit typisch. 614

Auf der anderen Seite ging das Interesse des Bürgertums an der sozialliberalen
Bewegung spätestens seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer
1907 zurück; denn die Interessen der Arbeiter konnten nun im Abgeordnetenhaus
durch von ihnen gewählte Vertreter wahrgenommen werden, so dass die Fürsprache
durch die gehobenen Schichten nicht mehr so dringend geboten war wie zuvor;
zudem schlug das Gefühl der Bürgerlichen für die Arbeiter mit dem Aufstieg der
Sozialdemokratie tendenziell in Angst vor dem „roten Gespenst“ um. 615 Diesem Trend
lief das gerade zu dieser Zeit sogar noch wachsende Interesse Kleins an Sozialpolitik
also diametral zuwider.

Bei aller seiner Vorliebe für die Sozialpolitik war Klein keineswegs ein Anhänger des
Sozialismus.616 So sprach er sich offenbar stets für so wenige staatliche Eingriffe in

611
Vgl. zu allem Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 546 f.
612
Vgl. auch noch Kulturgemeinschaft, 37: Die Anhänger des alten Liberalismus hätten wohl gedacht, „daß sich
von selbst ein mächtiger, der Welt und der Menschheit heilsamer Gedanke aus dem Chaos der einzelnen
Bestrebungen herausarbeiten werde. Das aber war ... ein schöner Wahn...“. Vgl. ferner Böhm Grundlagen, 195.
613
Vgl. Mayr Forschungsarbeiten, 107; Böhm Grundlagen, 195; auch Cohen Politics, 244 (“...civil society in-
volved widening segments of the general population during the last decades before World War I, and it devel-
oped ... in close connection with evolving governmental and administrative structures that had to provide a grow-
ing array of public services ... and find ways to accommodate, to at least some extent, social demands.”), ebd.
257 (“At the end of the century books, journals, and newspapers presented a rich flowering of political and social
criticism of all stripes in all the major languages of the Austrian crown lands.”). Zum Deutschen Reich vgl. vom
Bruch Wissenschaft, 158, der die „ungewöhnliche Einmütigkeit innerhalb der aura academica“ hervorhebt, in
der „die älteren Kathedersozialisten wie Schmoller, Wagner und Brentano als geistige Väter des neuen ethischen
Idealismus gefeiert“ worden seien.
614
Vgl. Sprung Lebensweg, 34, Fn. 114. Zum sozialen Recht in Österreich vgl. Somek Politik, 372-377.
615
So Holleis Partei, 100; sie bezieht sich allerdings auf „die Wahlrechtserweiterungen” und die Möglichkeit der
eigenen Interessenvertretung „in den parlamentarischen Körperschaften” - dies bedarf der Einschränkung, da das
Wahlrecht für die meisten Provinzparlamente und auch Kommunalversammlungen in den österreichischen
Kronländern bis zum Ende der Monarchie beschränkt und gestuft blieb - vgl. Cohen Politics, 250. Zur Lage im
Deutschen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 158 i. V. m. 157: Die 1890 eingetretene sozialpolitische
Aufbruchstimmung sei ab 1897 u. a. durch „Flottenenthusiasmus“ und „eine offenkundige sozialpolitische
Ermüdung“ gedämpft worden.
616
Vgl. dazu z. B. Saint Germain, 147 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919); ebd., 245 (Brief an
Ottilie Friedlaender vom 15. Juli 1919): „Als einzige Rettung bleibt nur der Sozialismus, das ist aber eine
117

Wirtschaft und Gesellschaft wie nur irgendwie möglich und in der Regel für lediglich
indirekte Hilfe (zur Selbsthilfe) durch den Staat an die
Selbstverwaltungseinrichtungen der betroffenen Berufe aus. 617 Die
Kommunalisierung von Monopolbetrieben in Wien - der seinerzeit so genannte, auch
im Deutschen Reich bedeutsame Munizipalsozialismus - durch die Christlichsozialen
dürfte daher nur für Zeiten echter Not seine Zustimmung gefunden haben. 618

Zudem verfolgte Klein mit seiner Sozialpolitik die Stützung vornehmlich des unteren
Mittelstands der Gewerbetreibenden, Bauern und Beamten und kaum der ärmsten
Bevölkerungsschichten.619 Auch dies dürfte durch seine Herkunft mitbedingt gewesen
sein.620 Immerhin war diese Ausrichtung von Kleins Sozialpolitik deswegen
keineswegs abwegig, weil Wiens ökonomische Struktur zumindest um 1900 trotz des
gleichzeitigen Industrialisierungsschubes dort weiterhin vorrangig vom Kleingewerbe
und den Dienstleistungen geprägt war. 621 Was die Kandidaten und die öffentlich
bekennenden Sympathisanten der BDP betrifft, gab es einen „Überhang zu“

Rettung, die alles vernichtet, was uns lieb und teuer war.“; zudem ebd., 262 (Brief an Ottilie Friedlaender vom
20. Juli 1919). Vgl. aber auch ebd., 80 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. 5. 1919), wo sich Klein im
Zusammenhang mit dem Sozialismus gegen die Reaktion und für entwicklungsgeschichtliches Denken
ausspricht. Interessant ist seine Einschätzung ebd., 298 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 31. Juli 1919), auf
lange Sicht dürften die antisozialistischen Länder, die seinerzeit die Führung hätten, „in der Vorderhand
bleiben“.
617
Vgl. Baltzarek Klein, 180 f.; vgl. auch Böhm Grundlagen, 195 sowie Hofmeister Klein, 204: Im Gegensatz zu
vielen seiner Zeitgenossen, vor allem auch zu seinem Lehrer Anton Menger, habe Klein versucht, den Schutz des
sozial Schwächeren unter Wahrung der vom Liberalismus geschaffenen freiheitlich-rechtsstaatlichen
Grundrechtsordnung zu bewirken. Vgl. ferner Internationalismus, 596 für den internationalen Geschäftsverkehr.
Zu Kleins Vorstellungen über die Kartelle vgl. Baltzarek Klein, 176-178; Benedikt Klein, 19. Vgl. schließlich
Sprung Lebensweg, 51 (Behörden- und Personalverzeichnis der Universität Wien zum Beginn des
Wintersemesters 1925/26): Klein war Ehrenmitglied der Gremien der Wiener Kaufmannschaft und des
niederösterreichischen Gewerbevereins. Interessant ist auch, dass Klein sich privat gegen eine staatliche
Arbeitslosenunterstützung aussprach - vgl. Saint Germain, 224 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 6.Juli 1919).
618
Zum „Munizipalsozialismus“ im Wien der Jahrhundertwende vgl. Hamann Wien, 399-401; Sandgruber
Exklusivität, 78.
619
Vgl. Baltzarek Klein, 181. Zu Kleins verhaltener Einstellung zum „Land“ im Gegensatz zur Stadt vgl. Saint
Germain, 139 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 9. Juni 1919); ebd., 156 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14.
Juni 1919). Zum österreichischen „Garantismus und Juridismus“, vgl. oben, Fn. 362. Über schichtspezifische
Einseitigkeiten in der politischen und vornehmlich sozialpolitischen Beurteilung unter reichsdeutschen
Gelehrtenpolitikern (hier insb. Gustav Schmollers) vgl. vom Bruch Wissenschaft, 361.
620
Allgemein zu Bildungsbürgertum und Hochschullehrerschaft bzw. Bildungsbürgertum und Universität vgl.
vom Bruch Wissenschaft, 424-427 (Exkurs I) bzw. Gelehrtenpolitik, 30-35.
621
Zu Letzterem vgl. Sandgruber Exklusivität, 75 f. S. auch Ringer Gelehrten, 16-18 für die ökonomischen und
staatlichen Voraussetzungen des von ihm sog. Mandarinentums - insb. 16 (Es gedeihe auf der Zwischenstufe
zwischen der primär agrarischen Stufe der ökonomischen Organisation und der vollständigen
Industrialisierung.), 17 (Politisch begünstige die allmähliche Wandlung eines im Wesentlichen feudalen Staates
in eine bürokratisierte Monarchie die Herausbildung einer starken und selbstbewussten Elite von Mandarinen.).
118

selbständigen Berufen; Arbeiter, untergeordnete Angestellte, Kleingewerbetreibende


[und sicher auch Bauern] spielten dort eine unbedeutende Rolle. 622

Allerdings war Klein nicht nur selbst als Minister ohne Scheu vor öffentlichen
Kontakten mit Sozialdemokraten, sondern warb bereits Anfang 1917 dafür, der Staat
solle nach dem Frieden „dem Arbeiter vorurteilslos und gerecht begegnen. Auch dem
sozialdemokratischen.“623 Und er hatte sich bereits auf dem 27. Deutschen
Juristentag 1904 in Innsbruck für das freie Koalitionsrecht der Arbeiter als ein
Gegengewicht zur Freiheit des unternehmerischen Zusammenschlusses
eingesetzt.624 Überhaupt war Kleins Stellung in der Wiener Gesellschaft günstig für
seine - auf Ausgleich bedachte - Politik; so hieß es in einem offenbar nach seinem
Tod erschienenen Zeitungsartikel: „Da er für einen überaus aufgeklärten und
freisinnigen Mann galt, aber zugleich der erklärte Liebling der konservativen
Bürokratie war, so bewies er in seiner Person, daß man in Österreich sehr
entgegengesetzte Lager vereinigen konnte, wenn man den richtigen Stil dazu
fand.“625

Wie beschrieben, lehnte Klein Revolutionen ab und favorisierte stattdessen


Reformen innerhalb der jeweiligen Staatsform; zudem betrachtete er es als
wichtigste Funktion des von ihm begrüßten „Parlament[s] des allgemeinen
Wahlrechtes“, ein „Sicherheitsventil für innere gesellschaftliche Spannungen“ zu
sein, ein „Anfang der Heilung für die sozialen Konflikte, soweit Heilung möglich ist.“ 626
Insbesondere verwarf Klein den Sozialdarwinismus. 627 Das Ziel, soziale Konflikte -
622
Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 539. Vgl. außerdem unten, Fn. 698 (Honoratiorenpartei). Dass sich die
Wahlversammlungen, auf denen Klein als „Spitzenkandidat“ und Spitzenredner auftrat, auf die bürgerlichen
Bezirke Wiens beschränkten, bemerkt F. Fellner Klein, 185.
623
Vgl. Moral, 633, unter Zitat von Bernhard Fürst von Bülow. Vgl. auch Kleins Lob der Sozialdemokratie in
Österreich für ihren „Burgfrieden“ - Krieg, 764 [„Burgfrieden“ nicht in der Vorlage].
624
Vgl. Sprung Lebensweg, 38 i. V. m. 37. Vgl. (aber) auch unten, bei Fn. 638. Über Gustav Schmollers These
der sich gegenseitig ausbalancierenden sozialen Klassen vgl. vom Bruch Wissenschaft 361 (Diese übersteigere
die realen Machtmittel und rechtlichen Möglichkeiten der organisierten Arbeiterschaft.). Klein gehörte auch dem
seit 1911 bestehenden ständigen Arbeitsbeirat im Handelsministerium an - vgl. Sprung Lebensweg, 44; vgl. insb.
Fn. 150: Dieser sei „auch berufen ..., Gutachten abzugeben und Anträge zu stellen in allen Angelegenheiten,
welche das Arbeitsverhältnis, den Arbeiterschutz, die Arbeiterversicherung und die Arbeiterfürsorge betreffen.“
Er war zu je einem Drittel aus Unternehmern, Arbeitern und Fachleuten zusammengesetzt. - „Akt des
‚Präsidiums des k.k. Handels-Ministeriums’ Prot Z 4646/1911 (erliegend im Österreichischen Staatsarchiv,
Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien)“.
625
Vgl. Sprung Lebensweg, 14, Fn. 4 (R. Scheu „Von der alten Universität“ in Zeitung NN, Datum NN - die
Suche nach der Fundstelle sei erfolglos geblieben).
626
Vgl. Sozius, 600.
627
Vgl. Kriegsrätsel, 788 - allerdings mit einer seltsamen (Teil-)Begründung: „...die Vorstellung vom Kampfe
ums Dasein, die in den Gesellschaftswissenschaften landläufig geworden ist, haben die Naturhistoriker schon
lange beiseite gelegt.“; vgl. ferner Philosophie, 678 (Die neue Philosophie werde vom schrankenlosen Recht des
119

präventiv/prophylaktisch - zu vermeiden oder jedenfalls - reaktiv/therapeutisch - zu


beheben, verfolgten zur gleichen Zeit auch die typischen Gelehrtenpolitiker im
Deutschen Reich.628 Dabei dachte Klein allerdings keineswegs statisch oder
harmoniebesessen, sondern befürwortete ein „Streben, in den verschiedenen
Schichten und Teilen ein gleiches Niveau herzustellen, das die Gesellschaft in
immerwährender Bewegung hält“, also ein Politik der Balance, des Austarierens. 629

Diese bürgerliche, insbesondere „gelehrtenpolitische“ Einstellung verknüpfte sich bei


ihm mit einer weiteren: Er forderte stets eine am „Gemeinwohl“ orientierte - also mehr
oder weniger „überparteiliche“ - Politik. 630 (Auch) daher verfolgte er stets eine
„pragmatisch betonte Mittellinie“, wie dies auch durch Gelehrtenpolitiker im
Deutschen Reich geschah.631 Insbesondere sollten sich seiner Meinung nach „die

Herrenmenschen zur Macht und der vorausbestimmten Niedrigkeit der Herdenmenschen abzugehen haben. Das
weise in der Pädagogik auf „Hingabe an die Gesamtheit und Menschlichkeit“ und in der Geschichtsphilosophie
auf ein „Zurücktreten von Macht und Wirtschaft hinter Kultur, Zivilisation und dem ‚ewigen Werte des Guten
und Schönen’“ hin, „durchwegs als jedermann zugängliche Güter gedacht.“).
628
Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 353-358 („Rotes Kreuz“ oder „Friedensliga“ im „socialen Krieg“?) sowie
Schmidt Gelehrtenpolitik, 18 (Gelehrtenpolitiker hätten eine Politik des „innerpolitischen Ausgleichs und der
Kanalisierung von sozialen Konflikten“ betrieben.) sowie ebd., 28. Vgl. ferner vom Bruch Gelehrtenpolitik, 42
(Leitender Gesichtspunkt des Vereins für Socialpolitik sei „die reibungslose Bewältigung von
Modernisierungskrisen durch staatliche Gesetzgebung“ gewesen.). Vgl. schließlich noch vom Bruch
Wissenschaft, 157-164 zum „Sozialismus der Hochschullehrer“, ebd., 294-320 zum „Kathedersozialismus“ und
ebd., 336-338 zur Sozialpolitik als einem Teilbereich „gouvernementaler“ Gelehrtenpolitik.
629
Zitat aus Klein „Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse“ von 1901 bei Böhm Grundlagen, 193 (wiederum
zitiert nach Erik Wolf).
630
Vgl. nur in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4; Ziele, 39; auch Krieg [November 1914], 765 f.: Der
Krieg habe das Land von dem „Alpdrucke“ des unempfindlichen Egoismus befreit und endlich wieder das ganze
Volk eine Gemeinschaft „auf Gedeih und Verderb“ werden lassen. Die Einzelnen gingen in der Gesamtheit auf,
das soziale Bewusstsein sei, wie es immer sein sollte, an die erste Stelle getreten. [zweites Zitat bereits in der
Vorlage in Anführungszeichen]. Vgl. zudem noch Saint Germain, 189 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 24.
Juni 1919) „Was jetzt der Staat ist, das ist ... nichts anderes als eine kleinliche Parteienbalgerei...“; ebd., 275
(Brief an Ottilie Friedlaender vom 24. Juli 1919): Auch die Sozialdemokraten wollten nur ihre Gedanken
„wissenschaftlich hergerichtet hören“, um Bildung als Mittel „höheren, mehr objektiven Denkens“ gehe es ihnen
hingegen nicht. Dass das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung im (späten) habsburgischen Österreich groß
war, der Staat sorge für die Wohlfahrt der ganzen Bevölkerung, betont Lindström Empire, 12. Für die
Gelehrtenpolitiker des „Weimarer Kreises“ vgl. Döring Thesen, 166: Obwohl diese eine Mitgliedschaft in einer
politischen Partei für „unvereinbar mit der gelehrtenpolitischen Ausstrahlung eines Hochschullehrers“ gehalten
hätten, „gehörten sie überwiegend der DDP [der Schwesterpartei der BDP - vgl. unten, Fn. 698] an. Sie hielten
diese für eine Ausnahme unter den modernen Massenparteien und sahen in ihr ein ähnlich idealistisches
Politikverständnis wie bei sich selbst vertreten, das keinem engen Gruppeninteresse diene, sondern
Weltanschauung und Staatsgesinnung über ökonomische und soziale Interessen stelle.“. Vgl. auch vom Bruch
Wissenschaft, 361, der Gustav Schmollers Überschätzung der neutralen Funktion von Beamtenschaft,
sozialpolitisch engagierter Intelligenz und öffentlichen Mandatsträgern konstatiert. Auch eine ausgleichende und
korrigierende Funktion der gebildeten öffentlichen Meinung lasse sich für das Wilhelminische Deutschland nicht
nachweisen.
631
Zitat: Hofmeister Klein, 215. Vgl. auch Benedikt Klein, 19: Immer habe Klein Montesquieus Anschauung
befolgt, die Mäßigung regiere die Welt, nicht der Exzess. Zur Situation im Deutschen Reich vgl. vom Bruch
Wissenschaft, 388 (In der späten Bismarckzeit [s. 387] hätten Jungakademiker [der Geschichtswissenschaft - s.
364/Überschrift] eine „über Reform verankerte Politik der ‚mittleren Linie’“, die Stabilisierung einer Regierung
über den Parteien angestrebt.); Schmidt Gelehrtenpolitik, 28 („Ideologie der Mitte“).
120

bürgerliche und die soziale Wahrheit zum Wohle des Ganzen vereinigen“. 632 Dabei
versuchte er, einen starken Mittelstand als unabdingbare Voraussetzung eines
funktionierenden Staates zu propagieren: Dort begegneten und bänden sich Kapital
und Arbeit. Kein Gemeinwesen könne ohne solche ausgleichenden
Übergangsschichten bestehen. Der Mittelstand sei zudem eine „unersetzliche
Durchgangsstelle der aufsteigenden Klassenbewegung“. 633

In diesem Sinne besagte der fünfte der (ausschließlich) von Klein unterzeichneten
sechs „Leitsätze der Bürgerlich-demokratischen Partei“ vom Januar 1919 : „Wir
wollen ein Staatswesen, das politisch, wirtschaftlich und sozial gerecht die Klassen-
und Parteigegensätze tunlichst mildert, um alle Volkskraft für fruchtbare Zwecke der
Gesamtheit zu verwenden.“634 Und „Die 14 Punkte der Bürgerlich-demokratischen
Partei“ vom darauf folgenden Monat enthielten folgende vorwiegend sozial- bzw.
wirtschaftspolitischen Ziele:

„3. Wir fordern die Teilnahme aller Stände an der Leitung der staatlichen Geschicke
und verwerfen darum K l a s s e n h e r r s c h a f t wie K l a s s e n k a m p f. Die
V e r w a l t u n g darf nicht bürokratisch bleiben, sondern muß auf der tätigen
Mitarbeit des ganzen Volkes gegründet werden.
...
632
Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 6; vgl. auch Stabilisierung, 721.Vgl. des Weiteren Saint
Germain, 229 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 8. Juli 1919), wo er klagt, aus der Sozialpolitik sei in Österreich
1919 eine Proletariatsdiktatur geworden. Vgl. ferner Hawlik Parteien, Teil 2, 496 unter Hinweis auch darauf,
dass das „Bürgerlich“ im Namen der Partei von deren Gründern nicht als Klassenbezeichnung, sondern als
Inbegriff der Volksgesamtheit verstanden worden sei. Zu Recht bemerkt Hawlik ebd., die Sorge um das
Gemeinwohl sei, angesichts der von den Großparteien verfolgten Interessen, zur [bloß negativ definierten]
„Sammelbeckenideologie“ für all jene geworden, die sich den Blöcken nicht zugehörig gefühlt hätten, mithin zu
einem Überbau der partikularen Interessen der Parteimitglieder. [Anführungszeichen in der Vorlage]. Zur
Tradition der Förderung des Gemeinwohls im Habsburger-Reich vgl. oben, Fn. 362 (Knoll).
633
Vgl. Mittelstandssorgen, 843. Kleins Sorgen um die Existenz des Bürgertums, dem er sich selbst zurechnete,
kommen zum Ausdruck in Saint Germain, 190 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 25. Juni 1919): Es finde ein
Kampf zwischen Bauern und Arbeitern statt, und „das allerdings selbstschuldige Bürgertum verschwindet. Samt
seiner Kultur. Wer das aushalten kann!“ sowie ebd., 298 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 31. Juli 1919); vgl.
ferner in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 6: Das „seit langem immer mehr und mehr sinkende und
immer mehr sich verlierende Bürgertum“ solle gehoben und wieder erweckt werden. Vgl. noch F. Fellner Klein,
189: Kleins Denken sei durch eine „seltsame Widersprüchlichkeit“ gekennzeichnet, wie sie in seinen Briefen
sichtbar werde: „Der aufgeschlossenen Reformbereitschaft, mit der Klein als Jurist die Modernisierung des
Rechtssystems vorangetrieben hat, steht eine fast engstirnig anmutende Ablehnung und Abwertung der realen
politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich um ihn vollziehen, gegenüber.“ Dies erscheint nicht
plausibel: Denn die beiden von Fellner in Bezug genommenen Re-/Aktionen Kleins fanden zu gänzlich
unterschiedlichen Zeiten in politisch-gesellschaftlich gänzlich verschiedenen Situationen statt.
634
Vgl. bei Stern Stolper, 497 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 67 (hier als Sonderabdruck, Die Zeit vom
10. Januar 1919): Leitsätze der Bürgerlich-demokratischen Partei, unterzeichnet von „Dr. Franz Klein, Minister
a. D.“ (jeweils Fotokopie). Klein hatte bereits den ersten Aufruf der Partei verfasst - vgl. Hawlik Parteien, Teil 2,
524 (Fn. 64: „Zeit 4. 12. 1918 p. 1“) - zum Urteil Fritz Fellners darüber vgl. oben, bei Fn. 573.
121

8. Wir fordern eine soziale Steuerpolitik, die nicht den Mittelstand erdrückt, sondern
die K r i e g s l a s t e n in Stadt und Land vor allem von jenen tragen läßt, die aus
dem Krieg Vorteil gezogen haben. Die Steuerpolitik soll u n g e s u n d e E i n k o
m- m e n- u n d B e s i t z v e r s c h i e d e n h e i t ausgleichen.
...
10. Wir fordern eine durchgreifende Besserstellung der S t a a t s a n g e s t e l l -
t e n, deren Bezüge so geregelt werden müssen, daß sie frei von materiellen Sorgen
sich erhöhten Anforderungen des Dienstes widmen können; die Staatsangestellten
müssen gegen p a r t e i p o l i t i s c h e A b h ä n g i g k e i t gesichert werden.

11. Wir fordern den Schutz jedes w o h l e r w o r b e n e n E i g e n t u m s, vor


allem die Sicherung der K r i e g s a n l e i h e durch eine allgemeine
Vermögensabgabe. Niemand darf durch seine finanzielle Pflichterfüllung gegen den
Staat zu Schaden kommen.

12. Wir fordern Schutz g e g e n A u s b e u t u n g aller Art. Wir fordern daher


insbesondere den internationalen A c h t s t u n d e n t a g für Arbeiter [sic - nicht
gesperrt gedruckt] und A n g e s t e l l t e , Ausbau der s o z i a l e n V e r s i c h e -
r u n g, A r b e i t s l o s e n f ü r s o r g e , Behebung des Wohnungselends durch
städtische Bodenreform und Bautätigkeit, vor allem Fürsorge für die leibliche und
sittliche Gesundheit der K i n d e r unseres Volkes.

13. Wir fordern die Verallgemeinerung der V o l k s b i l d u n g, verbesserte F a c h-


b i l d u n g für städtische und ländliche Erwerbsstände und Beseitigung des B i l -
d u n g s p r i v i l e g s der Besitzenden. Die Schule muß frei sein von politischen
und kirchlichen Einflüssen, der L e h r e r, dem wir die Erziehung unserer Kinder
anvertrauen, bewahrt sein vor w i r t s c h a f t l i c h e r S o r g e.“ 635

635
Vgl. bei Stern Stolper, 496 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hier in Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom
12. Februar 1919, S. 3[?]) (jeweils Fotokopie) [Sperrdruck in den Vorlagen]. Zur BDP eingehend: Hawlik
Parteien, Teil 2, 488-572, insb. 488-493 (zur Entstehung), 494-509 (zu Ideologie und Programmatik), 510-520
(zur Organisation), 521-536 (zu den führenden Persönlichkeiten und ihrer Stellung innerhalb der Partei), 537-
541 (zur Sozialstruktur), 542-557 (zu den Beziehungen zu anderen Parteien), 558-561 (zur Kandidatenauslese),
562-566 (zur Wahlpropaganda), 567-572 (zum Wahlausgang und den Konsequenzen) sowie Stern Stolper, 172-
220, insb. 176-187 (zu den programmatischen Ausführungen Gustav Stolpers), 188-193 (zur Beschaffung der
Parteigelder), 194-197 (zum Wahlkampf), 198-206 (zu den die Partei unterstützenden Gruppen), 207-212 (zu
Aufbau und Organisation), 213-220 (zum Wahlergebnis, Analyse der Niederlage).
122

Dass Kleins Zivilprozessreform sozialpolitisch geprägt war, wurde bereits betont. 636
Auch hier zeigte sich sein Streben nach Linderung sozialer Kämpfe. 637 Besonders
prägnant kam dies in seiner Rede bei der Gründung der Allgemeinen Anti-Duell-Liga
für Österreich 1902 zum Ausdruck: „Streit und Zwiespalt gab es zu aller Zeit in der
Welt, aber in den Formen seiner [sic] Schlichtung überwiegt abwechselnd: ich
möchte sagen, das Kampf- und das Friedenselement. Übersatt des Kampfes, von
dem man sich moralische Läuterung erhofft hat, während er häufig nur Verwüstung
und Trostlosigkeit brachte, taucht in der neueren Zeit das Friedenselement wieder
mehr empor. Nur zwei Beispiele aus weit auseinanderliegenden Lebensgebieten: im
Ringen um die Arbeitsbedingungen der Kollektivvertrag und die Einigungsämter und
Ausschüsse, in den internationalen Beziehungen das aus der Haager Konferenz
hervorgegangene Schiedsgericht. Das Institut des [zur Verhinderung von Duellen
eingerichteten] Ehrenrates ist vom selben Stamm.“ 638

Damit setzte er der ungemein einflussreichen, 1872 ausgerechnet in Wien erstmals


geäußerten und mit einer Spitze gegen die Österreicher versehenen Auffassung
Rudolf von Jherings, der „Kampf ums Recht“ sei eine Pflicht des Berechtigten gegen
sich selbst und gegen das Gemeinwesen, ein konträres Konzept entgegen. 639

Kleins Hauptaugenmerk bei der Reform lag auf der Schnelligkeit des Verfahrens und
damit auch auf der Senkung von dessen Kosten sowie auf der trotz dessen
636
Zu den sozialpolitischen Grundgedanken der Exekutionsordnung Kleins vgl. Rechberger Klein
Exekutionsrecht, 127-129; auch Bolla-Kotek Prozess, 422 f. (Mit ihr habe Klein die Erhaltung der
wirtschaftlichen Existenz des Schuldners angestrebt.).
637
S. dazu auch Kleins Wirken für die Friedensgerichtsbarkeit - vgl. Mayr Klein Friedensgerichtsbarkeit, 135-
155. Vgl. zudem Foregger Klein, 218: Es sei wohl kein Zufall gewesen, dass in der Amtszeit Kleins als
Justizminister 1907 das Gesetz über die Gemeindevermittlungsämter geschaffen worden sei, welche auch die
Aufgabe gehabt hätten, Ehrenbeleidigungsstreitigkeiten schieds- und friedensrichterlich beizulegen.
638
In Vorstand der Allgemeinen Anti-Duell-Liga für Österreich Bericht, 91. Vgl. auch Klein, „Zeit- und
Geistesströmungen im Prozesse“, 28 zitiert bei Bolla-Kotek Prozess: „Jeder gut durchgeführte und richtig
entschiedene Prozeß ist ein Triumph des Rechts; aber für Staat und Gesellschaft, für Politik, Volkswohlstand,
ethische Kultur und Menschenliebe ist doch ein ohne Zwang und Reibung loyal erfülltes Rechtsgeschäft
unendlich mehr Gewinn als hundert tadellose Prozesse!“ [Kursivdruck in der Vorlage]. Vgl. ferner Moral [März-
April 1917], 635: Von dem „Götzen Gewalt“ kehrten sich nun viele „in Grauen und Überdruß“ ab, die ihm vor
dem Krieg „feurig gehuldigt“ hätten.
639
Zu von Jherings Auffassung vgl. von Jhering Kampf, 17-36, insb. 17, 24 sowie Bolla-Kotek Prozess, 418 f.
Zum Einfluss dieses Werkes vgl. von Jhering Kampf, 3 [Vorbemerkung] (Eine weitere Verbreitung als von
Jherings „Der Kampf ums Recht“ habe kein Werk der Rechtsliteratur in neuerer Zeit gefunden.); Bolla-Kotek
Prozess, 418 („Der Kampf ums Recht“ dürfte heute die am weitesten verbreitete Fachschrift eines
Rechtsgelehrten sein. Bereits um die Jahrhundertwende sei diese Schrift in fast alle europäischen Sprachen und
ins Japanische übersetzt worden.). Der der Schrift zugrunde liegende Vortrag des seinerzeit in Wien lehrenden
von Jhering im Frühling 1872 war auf Einladung der Wiener Juristischen Gesellschaft erfolgt - vgl. Bolla-Kotek
Prozess, 418. Über die Spitze gegen die Österreicher s. Bolla-Kotek Prozess, 419. Dass Klein mit Jhering
allerdings in seiner Auffassung von der Notwendigkeit der soziologischen Sinndeutung der Rechtspflege
übereinstimmte, hebt Böhm Grundlagen, 193 f., hervor.
123

wirksamen und wahrheitsgemäßen Sachverhaltsermittlung. 640 Er schwächte die


liberalen Prozessgrundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit gegenüber der
reichsdeutschen Zivilprozessordnung von 1877 auf „ein praktisch vertretbares Maß“
ab und verband Beibringungsgrundsatz und Verhandlungsmaxime mit Elementen
des Amtsbetriebs und der Inquisitionsmaxime, indem er insbesondere die richterliche
Prozessleitungspflicht im Interesse der wirtschaftlich schwächeren Partei stärkte. 641
Bereits die von ihm angestrebte Verkürzung der Verfahren entsprach seiner Sicht
des Prozesses als eines „sozialen Übels“, und in letzterem Sinne verankerte er nicht
nur die Wahrheitspflicht der Parteien im Gesetz, sondern legte sogar größten Wert
auf deren „gegenseitige Unterstützung“. 642

Klein nahm, „frei von jedem Dogmatismus und Maximenkult“, eine Synthese von
Prozessgrundsätzen vor.643 Er ging dabei nach eigener Aussage „nicht in kahl
dialektischer Weise, sondern in historischer Beleuchtung, rechtsvergleichend“ unter
„Zuhilfenahme der Statistik“ vor.644

Kleins größtes persönliches Anliegen innerhalb der Sozialpolitik war die


Jugendfürsorge. Er selbst bezeichnete sich auf dem 1. österreichischen
Kinderschutzkongress 1907 als begeisterten Anhänger des Kinder- und
Jugendschutzes und forderte den Schutz der Kinder auch gegen einen Missbrauch
640
Vgl. Kralik Verwirklichung, 89. Zur ökonomischen Deutung des Zivilprozesses als eines arbeitsteiligen
Verfahrens „unter der zentralen Anforderung von Zeit, Kosten und Arbeitskraft“ durch Emil Steinbach und zur
Übernahme dieses Konzeptes durch Klein vgl. Böhm Grundlagen, 196.
641
Vgl. Hofmeister/Neumair Artikel, 350 - vgl. auch ebd.: Auf diese Weise habe Klein den um die
Jahrhundertwende herrschenden Denkweisen (Prozess als Massenerscheinung; Sozialfunktion auch des
Zivilprozesses) besser gerecht werden können als durch Verfolgung eines rein liberalen Prozessrechtsdenkens
wie etwa desjenigen von Adolf Wach. Zur Verfahrensschnelligkeit in Kleins Reform vgl. Kralik
Verwirklichung, 90 f., 94 f., zur Sachverhaltsermittlung vgl. ebd., 91-93; zur Mündlichkeit und Unmittelbarkeit
vgl. ebd., 93 f. Vgl. ferner Benedikt Klein, 11-19; van Rhee Litigation, 308-313. Sehr aufschlussreich ist im
Zusammenhang mit der Einführung des Untersuchungsgrundsatzes (d. h. der Inquisitionsmaxime) Kleins bei
Böhm Grundlagen, 199 f. zitiertes Diktum: Die „Wahrheitsbeurteilung im Prozesse“ sei „tatsächlich zu jeder Zeit
der Abglanz der höchsten Geistesstufe eines Volkes“ (Zitat aus „Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse“, 13
f. - vgl. ebd., 200, Fn. 31). Dass Klein bei seiner Reform nicht nur das „Gemeinwohl“, sondern auch den Schutz
individueller Rechtsgüter im Auge hatte, hebt Bolla-Kotek Prozess, 421 (unter nicht nachgewiesenem Zitat
Kleins) hervor. Zur Verwurzelung der Macht des Richters im Zivilverfahren in der österreichischen
Rechtstradition s. Böhm Grundlagen, 200.
642
Zum Zusammenhang von mehr oder weniger starker Friedensstörung durch den Prozess und dessen Länge
bzw. Kürze vgl. Bolla-Kotek Prozess, 420. Zur Wahrheitspflicht und gegenseitigen Unterstützung: Kralik
Verwirklichung, 91 bzw. 92 (Zitat von Klein).
643
Vgl. Böhm Klein, 240 (Zitat); Bolla-Kotek Prozess, 420 f.; Schey Nekrolog, 182; vgl. auch Kralik
Verwirklichung, 89 (Klein sei an der Lösung von Fragen der Prozessdogmatik, die auch damals schon in der
Wissenschaft eingehend erörtert worden seien, wenig gelegen gewesen, manchmal sei er diesen geradezu
ausgewichen.).
644
Vgl. Benedikt Klein, 9 f. (Zitat Kleins aus „Sind wir bereit? Betrachtungen über Probleme der
Zivilprozeßreform“). Wobei Klein den (juristischen) Historismus ablehnte - vgl. Schima Artikel NDB, 739,
Artikel ÖBL, 379.
124

der elterlichen Rechte.645 Außerdem führte er ganz im Sinne des


Resozialisierungsgedankens aus, Verurteilung und Bestrafung eines Jugendlichen
seien nicht der Weisheit letzter Schluss. 646 Hier kündigte er auch eine Erhöhung der
Strafmündigkeitsgrenze - sie lag seinerzeit bei nur 7 Jahren - und neue materielle
strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen sowie eine
Beschränkung der Öffentlichkeit bei Strafverhandlungen gegen diese an. 647

Rückblickend auf seine erste Zeit im Justizministerium, bewertete er denn auch die
Schaffung der Grundlagen der Jugendfürsorge als noch bedeutender als die
Zivilprozessreform. Die Mitarbeiter des Ministeriums hätten jene „damals in dem
großen Begeisterungsrausch ohne Gesetz, ohne Verordnung“ gelegt, „indem wir
durch die Gerichte den Zustand herstellten, wie er sich kaum durch eine
Gesetzgebung in der Praxis verwirklichen läßt.“ 648
In der Tat hatte Klein ohne
gesetzliche Grundlage die Institution des Jugendrichters eingeführt, Waisenräte
geschaffen und die Fürsorgeerziehung gefördert. 649 Ja, er hatte gar die Beteiligung
der Richter an den Waisenräten, an Jugendschutz und Armenwesen angeregt, was
ihm aus Reihen der Ersteren Kritik einbrachte. 650

645
Vgl. Rede Kinderschutzkongreß (Bericht der Neuen Freien Presse), 496 - vgl. auch ebd.: Das Verständnis für
das Eigenwesen der sich entfaltenden jungen Menschenseele erwache. Ellen Keys einflussreiches Werk „Das
Jahrhundert des Kindes“ war 1900 erschienen und 1902 auf Deutsch publiziert worden. Vgl. auch Hofmeister
Klein, 209 f. sowie Sprung Lebensweg, 36.
646
Vgl. Rede Kinderschutzkongreß (Bericht der Neuen Freien Presse) 497; vgl. auch Foregger Klein, 227:
Kleins Tendenz im Strafvollzugsrecht allgemein sei die Betonung erzieherischer Beeinflussung, insbesondere
durch sinnvolle Arbeiten, und im Jugendstrafrecht der Vorrang der Deliktsvermeidung vor repressiven
Maßnahmen gewesen.
647
Vgl. Rede Kinderschutzkongreß (Bericht der Neuen Freien Presse) 498 f. Das von ihm 1907 vorgelegte
Gesetz betreffend die strafrechtliche Behandlung und den strafrechtlichen Schutz Jugendlicher wurde jedoch
nicht verabschiedet - vgl. Benedikt Klein, 22. Zum nicht in Kraft getretenen Entwurf eines ersten
Jugendgerichtsgesetzes von 1907 vgl. Foregger Klein, 223 f.: Die Strafmündigkeit sollte danach erst ab dem 14.
Lebensjahr beginnen - die alte Grenze von 7 Jahren galt in Österreich bzw. der Republik Österreich dann noch
bis 1928, als ein Jugendgerichtsgesetz erlassen wurde. Der Entwurf sah ferner vor: die Einführung eines
„besonderen Entschuldigungsgrundes“ der „problematischen Reife“, des Strafersatzes der „Ermahnung“, einer
Schutzaufsicht - der Vorläuferin der Bewährungshilfe -, einer bedingten Entlassung nach Verbüßung von zwei
Dritteln der Strafe (mindestens aber von drei Monaten), einer Rehabilitation vor allem durch Tilgung von
Verurteilungen, des ausnahmslosen Ausschlusses der Öffentlichkeit und der heute unter dem Namen der
Jugendgerichtshilfe bekannten Einrichtung sowie die Abschaffung von Strafverfügungen und
Abwesenheitsurteilen gegen Jugendliche.
648
Vgl. Sprung Lebensweg, 43 f. (Erwiderung Kleins auf die Festrede des Sektionschefs im Justizministerium
Dr. Ritter von Schauer an seinem 60. Geburtstag am 14. 4. 1914 - s. ebd., 42).
649
Vgl. Benedikt Klein, 22. Zum Anteil Kleins an all diesen Maßnahmen vgl. Foregger Klein, 228: Die massive
Hinwendung des Justizministeriums zum Strafrecht und zum Jugendstrafrecht während Kleins erster Amtszeit
trage deutlich dessen Züge.
650
Vgl. Reindl Klein, 86.
125

Schon mit Verordnung vom 23. 5. 1905 über den Rechtsschutz der Unmündigen und
Jugendlichen im gerichtlichen Strafverfahren war eine umfangreiche Regelung des
Jugendstrafverfahrens getroffen worden, welche u. a. die Rechte der gesetzlichen
Vertreter, insbesondere dasjenige auf Akteneinsicht, festlegte, für den Fall von deren
Verhinderung oder Ausschließung die Bestellung eines Kurators anordnete, die
Zuweisung eines Verteidigers auch im bezirksgerichtlichen Verfahren für obligat
erklärte und die Untersuchungshaft Jugendlicher beschränkte. 651 Vier Monate später
wurden durch die außerordentlich umfangreiche Verordnung vom 30. 9. 1905 über
den Strafvollzug an Unmündigen und Jugendlichen eigene Jugendabteilungen in
allen Vollzugsanstalten geschaffen - solche hatten bis dahin nur in vier
österreichischen Städten existiert -, die Trennung der „unverdorbenen“ jungen
Menschen von den „verderbten“ und der Einsatz nur der besten Beamten dort
verfügt; zudem wurden stumpfsinnige Arbeiten verboten sowie ideelle und materielle
Hilfen in der Zeit nach der Entlassung eingeführt. 652 Am 21. 10. 1908 dann folgte die
Verordnung über das Strafverfahren gegen Jugendliche, welche u. a. die
Konzentration dieser Verfahren bei bestimmten Richtern und die strikte Trennung
von den Strafsachen gegen Erwachsene vorschrieb. 653

Klein kümmerte sich jedoch nicht nur um den strafrechtlichen Aspekt des
Jugendschutzes - d. h. um die Verbesserung der Lage minderjähriger Täter und um
den durch Straftatbestände zu bewirkenden Schutz Minderjähriger vor Straftaten -,
sondern auch um dessen weitere Felder. So verlangte er, das „sozialpolitische
Institut“ der vormunds- und pflegschaftsbehördliche Fürsorge habe mit allen Zweigen
der Justiz, mit Polizei und Verwaltung, freiwilligen Hilfsorganisationen u. a.
zusammenzuarbeiten, wobei die Jugendfürsorge einen besonderen
Verwaltungszweig bilden solle.654

Ein anderer Schwerpunkt von Kleins Sozialpolitik lag auf dem Gebiet des Bau- und
Wohnungswesens. Die Wohnverhältnisse im Wien der ausgehenden Habsburgerzeit

651
Vgl. Foregger Klein, 221 f.
652
Vgl. Foregger Klein, 222.
653
Vgl. Foregger Klein, 222. Vgl. ferner ebd., 223 über die Ministerialerlasse vom 15. 3. 1905 bzw. 1. 2. 1907:
Darin sei die Empfehlung ausgesprochen worden, in Fällen falscher Zeugenaussagen von Jugendlichen die
Möglichkeit einer Erledigung nach § 2 des Strafgesetzes („Gründe, die den bösen Vorsatz ausschließen“)
vorzusehen [sic], bzw. ein Hinwirken auf Vermeidung falscher Zeugenaussagen durch Jugendliche
vorgeschrieben worden.
654
Vgl. Hälfte, 501 bzw. 503.
126

waren sehr schlecht, schlechter noch als im Berlin dieser Epoche. 655 Klein machte
sich auf dem 9. Internationalen Wohnungskongress in Wien 1910 stark für eine
Abhilfe „gegen das Wohnungselend in den ärmeren Volksschichten“, die „trostlosen,
oft geradezu menschenunwürdigen Wohnverhältnissen“ ausgesetzt seien. 656 Bei der
Schaffung neuer Wohnungen für diese Menschen sei die „Trias Gesundheit,
Zweckmäßigkeit und Billigkeit unter tunlichstem Bedacht auf das ästhetische
Moment“ zu berücksichtigen, und auch Selbsthilfe solle gefördert werden. 657

Im selben Jahr wirkte er auch im Herrenhaus in diese Richtung, wo er „das Gesetz


vom 26. April 1912 betreffend das Baurecht zustande brachte“, das
Bodenspekulation hemmen, den Bau von Kleinwohnungen erleichtern und die Mieten
senken und stabilisieren sollte.658 Er war zudem Vorsitzender der Zentralstelle für
Wohnungsreform sowie Mitglied des Kuratoriums der Kaiser-Franz-Joseph-
Jubiläums-Stiftung für Volkswohnungen [und Wohlfahrtseinrichtungen]. 659 Trotz
seiner besonderen Betonung der Wohnungsverhältnisse der Ärmsten auf dem
genannten Kongress war das Baurecht gemäß Herbert Hofmeister für Klein vor allem
ein Instrument der Mittelstandspolitik.660

Jedenfalls war Mittelstandspolitik ein weiterer Schwerpunkt seiner Sozialpolitik. 661 So


schlug er 1904 zum Zwecke der Entschuldung landwirtschaftlicher Betriebe den
staatlich geförderten Ausbau des genossenschaftlichen Agrarkredites vor. 662 Und er
sprach sich für die gesetzliche Festlegung eines Mindestlohnes für Angestellte, für
deren Koalitionsrecht und für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch für solche
Angestellte aus, deren Dienstverhältnisse in größeren Gruppen überwiegend

655
Vgl. Hamann Wien, 202-206; Le Rider Ende, 26; Sandgruber Exklusivität, 77 (hier auch der Vergleich mit
Berlin).
656
Vgl. Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 541.
657
Vgl. Begrüßungsansprache Wohnungskongreß, 543 f.
658
1910: vgl. Rede Generaldebatte, 513-521. 1912: vgl. Benedikt Klein, 22 f.
659
Vgl. Benedikt Klein, 22 bzw. Sprung Lebensweg, 51 f. (Eintrag im Behörden- und Personalverzeichnis der
Universität Wien zum Beginn des Wintersemesters 1925/26).
660
Vgl. Hofmeister Klein, 206 - wobei er unter „Mittelstandspolitik“ offenbar weniger die Förderung von
Bauunternehmen, also auch Konjunkturpolitik, versteht als vielmehr den Bau guter Wohnungen für
„Mittelständler“. Zu Kleins Wohnungspolitik vgl. auch noch Baltzarek Klein, 179.
661
Vgl. auch Hofmeister Klein, 207. Gegen die „Zügellosigkeit des Kapitals“ sprach sich Klein bereits 1910 aus
- vgl. Internationalismus, 595. Dass er vor allem nach dem Ersten Weltkrieg kein Freund des „Großkapitals“
war, ist aus Saint Germain, 233 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 10. Juli 1919), 260 f. (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 20. Juli 1919) ersichtlich - vgl. auch ebd., 212 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 2. Juli 1919)
(„...die Finanzleute, an denen ich den berufsmäßigen Kapitalismus hassen lerne...“) sowie 309 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 4. August 1919).
662
Vgl. Entschuldungsfrage, 164; Hofmeister Klein, 205.
127

gleichmäßig geordnet waren.663 Des Weiteren trat 1910 Kleins Entwurf eines
Handlungsgehilfengesetzes in Kraft, welches zusammen mit dem 1906 erlassenen
Altersversicherungsgesetz der Angestellten international, „führend“ war, „teilweise
sogar gegenüber dem Deutschen Reich“. 664

Und 1922 setzte sich Klein auch in eigener Sache für „geistige, künstlerische und
technische Kräfte“ ein, insbesondere für eine Festsetzung des Wertes der
österreichischen Währung, welche nicht dazu führen würde, dass sich diese „im
Kampf um ihre Existenz aufreiben“ müssten. 665 Der beabsichtige
Währungsstabilisierungskurs käme einer Enteignung gleich, so dass das Mindeste
eine angemessene Entschädigung wäre. 666 In einigen seiner Briefe aus Saint-
Germain reflektierte er denn auch über den Bedeutungsverlust der „Intellektuellen“. 667

Aber auch auf anderen Feldern der Sozialpolitik war Klein aktiv. Genannt werden
sollen hier nur noch das Eherecht, die Besserstellung der Frauen überhaupt sowie
das Erwachsenenstrafrecht und dort besonders sein - freilich zumindest zunächst
vergeblicher - Einsatz für eine nur noch fakultative Androhung der Todesstrafe sowie
für eine besonders großzügige Amnestie aus Anlass der Thronbesteigung Karls I. 668
663
Vgl. Benedikt Klein, 23 - vgl. insb. ebd.: Dabei habe er den Mindestlohn als beste Maßregel gegen
gewaltsame Erzwingung der Forderungen der Angestellten angepriesen.
664
Vgl. Hofmeister Klein, 206 f. Den Gesetzgeber sah Klein auch an eine planmäßige Fürsorge „für den letzten
Lebensabschnitt“ gebunden - vgl. Stabilisierung, 723.
665
Vgl. Stabilisierung, 722 f.
666
Vgl. Stabilisierung, 723. Zum - sozial geleiteten - volkswirtschaftlichen Denken Kleins s. Streissler Denken,
67-74. Vgl. auch Hübinger Gelehrte, 236 (Der Zeitpunkt der Erörterungen der „Not der geistigen Arbeiter“, in
denen Alfred Weber sich stark engagiert habe, mache den strukturellen Wandel vom alten gelehrtenpolitischen
zum neuen intellektuellen Selbstverständnis besonders sinnfällig. Hieran fällt auf, dass Hübinger plötzlich
Gelehrtenpolitik und bewusste Intellektualität doch als gesonderte Erscheinungen begreift. Das Gleiche gilt für die
Passage ebd., 236 f.: Die Rolle des Generalkritikers und Vordenkers des Zeitgeistes hätten die Gelehrten-
Intellektuellen mehr und mehr abgegeben, ihre Präsenz auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt sei jetzt
weniger Ausdruck eines „gelehrtenpolitischen Gruppenbewußtseins“ als Zeichen individuellen Engagements -
sowie für seine Feststellung ebd., 237 f.: Max Weber habe ein wichtiges Element des alten gelehrtenpolitischen
Typus - nämlich die „Verantwortung vor der Geschichte“ - in die Zeit nach 1918 gerettet.).
667
Vgl. Saint Germain, 256 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 18. Juli 1919): „...und ein Intellektueller, der sonst
nichts ist, hat nun überhaupt keine Existenzfähigkeit.“; ebd., 280 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 26. Juli
1919): „Der Intellektuelle zahlt die Zeche.“ Vgl. noch Charle Vordenker, 205 f.: Die Reflexion über die eigene
Rolle sei einer der drei Bestandteile des deutschen und des französischen Begriffs des Intellektuellen.
668
Zu Kleins Erwachsenenstrafrechtspolitik vgl. Benedikt Klein, 20-22; Foregger Klein, 219-221 (Entwurf eines
Strafgesetzbuches - dazu Klein selbst Lebensskizze, XVI: „Aus diesen Beratungen ging der vor dem Kriege im
Herrenhause beschlossene Strafgesetzentwurf hervor. Die Arbeit dazu war bei Kleins Rücktritt zur schwereren
Hälfte bereits getan.“), 224 (Hausordnungen für die gerichtlichen Gefangenenhäuser, welche mit die Keimzelle
des heutigen Strafvollzugsgesetzes gewesen seien), 226 (Klein 1917/18 im Herrenhaus Berichterstatter über das
Gesetz über die Entschädigung ungerechtfertigt verurteilter Personen). Zu Kleins Forderung nach nur noch
fakultativer Androhung der Todesstrafe vgl. Foregger Klein, 220. Zur Amnestie vgl. Klein Lebensskizze, XVI:
„Sein letztes Amt war die Vorbereitung der Amnestie aus Anlaß der Thronbesteigung, die er großzügiger geplant
hatte, als sie schließlich ausging.“ Zum Eherecht vgl. Punkt 14 der „14 Punkte der Bürgerlich-Demokratischen
Partei“: „Wir fordern ... eine Reform des E h e r e c h t e s nach dem Muster aller fortgeschrittenen Staaten.“ -
128

b. Mittel und Wirkung


Da Klein politisch vor allem als verhältnismäßig ungebundener Mitarbeiter im
Justizministerium - er scheint in seiner Politik weitgehend freie Hand gehabt und im
Justizministerium die alle wichtige Vorhaben prägende Kraft gewesen zu sein - und
als führender Parteipolitiker in der BDP sowie als freier Schriftsteller hervortrat,
konnte er den rechtspositivistischen Ansatz der Neutralität der Gerichte und der
Verwaltung für seine politische Tätigkeit weitgehend ignorieren und als Gestalter
fungieren.669 Er war auch entgegen der von Fritz Fellner in der Einleitung dieser
Arbeit zitierten Einschätzung zwar durchaus ein typischer Vertreter des Bürgertums,
als er sich im Grunde überparteilich wähnte, aber keineswegs ein Freund der
Bürokratie. Dies erhellt glaubhaft aus mehrfachen Äußerungen Kleins. 670 So urteilte
denn auch Rainer Sprung, Klein habe die Pedanterie, den Hochmut und die
ängstliche Umständlichkeit der Beamten gehasst. 671

Seinem politischen Streben waren jedoch dadurch Schranken gesetzt, dass er - wie
der klassische Gelehrtenpolitiker - „Massenparteien“ gegenüber äußerst skeptisch
war.672 Zwar begrüßte er stets eine umfangreiche Beteiligung der gesamten
Bevölkerung an der politischen Willensbildung und forderte „Wohlwollen für das
Entfalten der geistigen Begabung der Massen“, sah auch frühzeitig sehr klar die

vgl. bei Stern Stolper, 496 sowie bei Hawlik Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hier in Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12.
Februar 1919, S. 3[?]) (jeweils Fotokopie) [Sperrdruck in der Vorlage]; bereits 1905 hatte sich Klein für ein
„modernes“ Eherecht ausgesprochen, dessen Realisierung zu diesem Zeitpunkt allerdings auf Grund der
katholisch geprägten Ansichten der Mehrheit der Bevölkerung für aussichtslos erklärt: vgl. Weg, 393-395; vgl.
auch noch in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 6 (Das „Eigenwesen der Frau“ solle sich auch in der
Politik ausprägen.) sowie Sprung Lebensweg, 44 (Namens des Bundes österreichischer Frauenvereine sei Klein
an seinem 60. Geburtstag eine Gratulations-Adresse überreicht worden.).
669
Zu Kleins Stellung im Justizministerium vgl. Foregger Klein, 228: Dessen spezifische Ausrichtung unter
jenem als Leiter indiziere Kleins Rolle als Ideenspender und Initiator in sehr vielen Belangen, und alle wichtigen
Punkte seien wohl nicht nur mit, sondern zu einem großen Teil durch Klein geregelt worden.
670
Vgl. Saint Germain, 109 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 2. Juni 1919), auch ebd., 146 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 11. Juni 1919), 216 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. Juli 1919) sowie 265 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 21. Juli 1919): „Die Beamten stumpf und gleichgültig, kühl wie immer. Eine Gesellschaft mit
Wasser in den Adern...“ Vgl. auch Kleins Brief vom 19. Juli 1895 an Ottilie Friedlaender bei Benedikt Klein, 16.
671
Vgl. Sprung Lebensweg, 26 f. In den „14 Punkten der Bürgerlich-Demokratischen Partei“ fand sich denn auch
unter Punkt 3.: „Die V e r w a l t u n g darf nicht bürokratisch bleiben, sondern muß auf der tätigen Mitarbeit
des ganzen Volkes gegründet werden.“ [Sperrdruck im Original] - vgl. bei Stern Stolper, 496 sowie bei Hawlik
Parteien, Teil 3, Bl. 68 (hier in Die Zeit Nr. 5883 [,18. Jg.] vom 12. Februar 1919, S. 3[?]) (jeweils Fotokopie).
Vgl. aber immerhin auch Reindl Klein, 86 (Die Richterschaft habe dem Ministerium Kleins zum Vorwurf
gemacht, dass Verwaltungsbeamte in hohe Richterpositionen berufen würden.).
672
Vgl. F. Fellner Klein, 189: „Geprägt von dem individualistischen Elitismus deutscher Erziehung[,] fürchtet er
von den nun in der Politik zur Führung gelangenden demokratischen Massenparteien die Zerstörung des
überlieferten gesellschaftlichen Ordnungssystems.“.
129

dadurch gebotene Veränderung in der Form der Politik. 673 Auch formulierte er seine
Gesetzesentwürfe in einem volkstümlichen, verständlichen Stil. 674 Und schließlich
mahnte er im Wahlkampf der BDP an, das Bürgertum müsse „eine tiefgreifende
Abkehr von überlieferten Zuständen, von überlieferten Einrichtungen“ vollziehen. 675
Innerlich blieb er den „Massen“ gegenüber jedoch fremd. 676

Klein war nach allen hier herangezogenen zeitgenössischen Aussagen ein


glänzender, enthusiastischer und Wahrhaftigkeit ausstrahlender Redner, der durch
diese Gaben mitzureißen und zu überzeugen verstand. 677 Gemäß seinem Freund
Edmund Benedikt wirkten „die tiefe Überzeugung von dem, was er sprach, seine
Erscheinung, seine Beherrschung des Wortes, sein klangvolles Organ ... hinreißend,
fast betäubend und rissen alle Hörer mit.“ 678 Außerdem trug zu seinen Erfolgen bei,
dass er sehr viel arbeitete.679

In seinen jüngeren Jahren verfügte er auch über den nötigen Takt, um seine Ziele
ohne große Reibungsverluste zu erreichen. 680 Das wohl beste Beispiel für beides ist
sein Einsatz im Reichsrat, der zum Durchbruch bei den Verhandlungen über sog.
Justizgesetze führte; und dabei vor allem, dass es ihm gelang, die Mehrheit von
dessen Mitgliedern von der Notwendigkeit eines eigenen Beratungsgesetzes zur

673
Vgl. oben, a. aa. bzw. Ziele, 39 bzw. Sozius [1912], 599 f. (Die früher entsprechend den Kreisen, welche die
Volksvertretungen damals hauptsächlich gestellt hätten, „akademisch auf der Tribüne“ stattfindenden
Diskussionen seien notwendigerweise in dem Maße abgelöst worden, als aus jenen wahre Volksbewegungen
geworden seien.).
674
So Schima Artikel NDB, 739; dazu auch: Böhm Grundlagen, 201.
675
Vgl. in Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4 f.
676
Vgl. Saint Germain, 218 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. Juli 1919): „Haben wir auf anderes zu rechnen,
als daß eine neue rohe Gesellschaft voll Selbstgefühl ihrer brutalen Massenstärke uns beiseite schiebt?“; auch
ebd., 229 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 8. Juli 1919).
677
Vgl. Benedikt [Freund Kleins] Klein, 9 (Bereits als Student habe er sich durch seine rednerische Begabung
hervorgetan.) ebd., 19, 26 (zur tiefen Überzeugung seiner Äußerungen bzw. zum Eindruck ihrer Wahrhaftigkeit);
Böhm Klein, 242 („unbedingte Wahrheitsliebe“ „Formulierungskunst“, „glänzende Rednergabe“,
„enthusiastische[s] Gemüt“, „mitreißende[s] Temperament“). Vgl. auch Sprung Lebensweg, 14, Fn. 4 (R. Scheu
„Von der alten Universität“ in Zeitung NN, Datum NN - Suche nach der Fundstelle erfolglos): Klein sei feurig
und stürmisch gewesen, seine Person habe fasziniert und im Ruf der Genialität gestanden, seine Lebhaftigkeit
„etwas vom Champagner“ gehabt. Vgl. überdies noch Böhm Klein, 242 (umfassende Bildung Kleins); Böhm
Grundlagen, 192 („ungeheure Belesenheit auf zahlreichen Gebieten“).
678
Benedikt Klein, 19 - vgl. auch ebd. über die „merkwürdige Verbindung des impetuosen, oft leidenschaftlichen
Vortrages mit der Mäßigung der Anschauungen und Vorschläge, die alle sozialpolitischen Schriften Kleins“
kennzeichne.
679
Vgl. Böhm Klein, 242; auch Klein selbst bei Wilhelm Besuch, 1029 („In meinem Leben gibt es wenig
Interessantes oder gar Romantisches. Das Hervorstechendste darin ist vielleicht, daß ich immer wie ein Tier
gearbeitet habe, denn unser heutiges Leben verlangt den Fleiß als Grundbedingung jeder Existenz und jeden [sic]
Erfolges.“).
680
Vgl. Schey Nekrolog, 181 (bezogen auf die parlamentarischen Verhandlungen der sog. Justizgesetze - vgl.
dazu auch die folgende Fußnote).
130

Beschleunigung der Verhandlungen zu überzeugen - immerhin gaben die


Abgeordneten damit einen Teil ihrer Rechte auf. 681

Alle Details zur Umsetzung seiner Ideen konnte Klein im Reichsrat allerdings nicht
durchsetzen.682 Auch haben nicht alle aus dem Entwurf in das Gesetz
übernommenen Einzelbestimmungen in der Praxis den von Klein angestrebten Erfolg
gezeitigt.683 Jedenfalls aber stellte Justizminister Alois Freiherr Spens von Booden
1900 fest, Klein sei es „zu verdanken, daß die Civilproceßreform ... sich zum
Vortheile der Bevölkerung in allen Kronländern mit überwältigender Schnelligkeit
eingelebt hat.“684

Auf der anderen Seite brachte sich Klein offenbar um manchen sachlichen Erfolg,
weil er auf Grund gewisser Charakterzüge abgelehnt wurde. 685 So war er „für seine
Person“ offenbar ein Einzelgänger. 686 Seine Empfindlichkeit und seine
Kompromisslosigkeit steigerten sich im Laufe seines Lebens immer mehr. 687 Die
681
Über die parlamentarischen Verhandlungen der sog. Justizgesetze vgl. Schey Nekrolog, 181; Sprung
Lebensweg, 29 (Auch für die Vertretung der Gesetzentwürfe im ständigen Ausschuss sowie im Plenum des
Abgeordnetenhauses habe sich der ausgezeichnete und überzeugende Redner Klein als unentbehrlich erwiesen).
Über das Beratungsgesetz vgl. Benedikt Klein, 11 (Dessen Zustandekommen sei der „merkwürdigen Kraft der
Persönlichkeit Kleins“ zu verdanken gewesen.).
682
Vgl. die drei Beispiele bei Kralik Verwirklichung, 90 f., 93.
683
Vgl. Kralik Verwirklichung, 90-93, 95. Vgl. auch Benedikt Klein, 18 sowie Sprung Lebensweg, 44 (Kleins
Erwiderung auf die Festrede des Sektionschefs im Justizministerium Dr. Ritter von Schauer an seinem 60.
Geburtstag am 14. 4. 1914 - s. ebd., 42): „...beschleicht mich immer mehr die Sorge, ... ob nicht das, was hell
aufstrebend zur Sonne gedacht war, sich zu neigen beginnt. Nicht alles kann ja mit jener Kraft gehalten werden,
die die Begeisterung gibt.“. Zur Kritik an Einzelbestimmungen Kleins vgl. Kralik Verwirklichung, 90 f. (Die
Überprüfung des ablehnenden Beschlusses über eine gerichtsablehnende Einrede lediglich durch das einseitige
Rekursverfahren sei eine nicht ausreichende Rechtsschutzgarantie.), 94 (Einige Fristen seien zu kurz.). Ob das
Neuerungsverbot im Rechtsmittelverfahren, eine „eigenständige Schöpfung Kleins“, so unproblematisch ist, wie
Kralik Verwirklichung, 95 meint, ist zu bezweifeln (vgl. auch Kraliks gegenteilige Einschätzung in einem
ähnlich gelagerten Problem ebd., 92).
684
In seinem Antrag auf Einreihung Kleins in die III. Rangklasse der Staatsbeamten ad personam - zitiert bei
Sprung Lebensweg, 33. Vgl. auch Reindl Klein, 85: Die rund 5.100 Richter der Monarchie hätten die neuen
Verfahrensregeln offenbar nicht nur gewissenhaft, sondern häufig sogar mit einer gewissen Begeisterung
angewendet.
685
Theodor Rittler in einem Gespräch in Trins, wiedergegeben bei Sprung Lebensweg, 14.
686
Vgl. Schima Artikel NDB, 739.
687
Vgl. Benedikt Klein, 20: Sein feines Gefühl habe ihn den Kampf im Parlament und später denjenigen mit den
„unbedingten Kartelladvokaten“ mit einem gewissen Ekel empfinden lassen, „ja er ging so weit, sich durch diese
Fehden als fast entehrt zu bezeichnen.“; vgl. auch Saint Germain, 231 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 9.Juli
1919): „Man darf nicht zu feinfühlig sein... Ich kann mir aber heute nicht mehr abgewöhnen, was nun einmal zu
meinem Wesen gehört, ob es gut oder unvernünftig ist.“ Vgl. ferner Sprung Klein, 16: Von einigen Zeitgenossen
sei Klein als hochbegabt, wissenschaftlich genial, fast immer lachend und mit einer Redegabe von „beständig
überschäumender Lustigkeit“ beschrieben worden, von anderen als pessimistische, unnahbare, permanent
überarbeitete, gereizte, ungeduldige, sarkastische und im privaten Verkehr mimosenhaft empfindliche
Persönlichkeit; ähnlich: Sprung Lebensweg, 13 f.; vgl. auch Fellner Klein, 189. Diese verschiedenen Eindrücke
müssen - auch abgesehen von ihrer ohnehin gegebenen Subjektivität - nicht unvereinbar sein; insbesondere liegt
es auf Grund der von Klein in Saint Germain geschriebenen Briefe nahe, dass sich bei ihm im zunehmenden
Alter die zuletzt genannten Charakterzüge immer mehr bemerkbar machten. Vgl. ferner Friedjung Geschichte,
131

permanente Unzufriedenheit mit seiner jeweiligen Aufgabe und sein beständiges


Schwanken, ob er statt des politischen Wirkens nicht doch lieber wieder seine Lehr-
und Forschungstätigkeit intensivieren solle, werden dazu beigetragen haben. 688
Dabei muss hervorgehoben werden, dass Klein selbst sich durch die stetig
anwachsenden Anerkennungen und finanziellen Zugeständnisse der Regierung in
den 1890er und 1910er Jahren immer wieder in das Justizministerium bzw. die
Regierung hat einbinden lassen.689

Die bereits zitierten Zweifel vom Bruchs an der Vereinbarkeit von Gelehrtenpolitik
und langfristiger Eingliederung in den parteipolitischen Willensbildungsprozess
treffen auf Kleins Wirken in der BDP überwiegend zu. 690 Auf der einen Seite war Klein
deren Präsident und der von der Partei am stärksten unterstützte Kandidat bei den
Wahlen zur Nationalversammlung, gehörte zudem neben seinen beiden
Professorenkollegen Gustav Solper und Richard Wettstein Ritter von Westersheim
zu den drei Männern, welche auch programmatisch das Rückgrat der Partei bildeten
- und war damit in der Lage, möglicherweise „gelehrtenpolitische“ Wirkung zu

Bd. 1, 234 (Gespräch mit Gustav Seidler, Professor der Staatsrechnungswissenschaften an der Universität Wien,
vom 8. Februar 1898); Saint Germain, 203 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 29. Juni 1919): „Jedem schlägt
seine Stunde, wo die Entwicklung über ihn hinweg geht. Für mich hätte sie bei meiner geringen
Assimilationsneigung schon viel früher geschlagen, wenn ich nicht lange genug außerhalb des Lebens gestanden
wäre...“, auch ebd., 161 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 15. Juni 1919); ebd., 314 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 6. August 1919). Zur Kompromisslosigkeit vieler Gelehrtenpolitiker vgl. oben, Fn. 535.
688
Zu Kleins Unzufriedenheit und seinem Schwanken vgl. Benedikt Klein, 16 f. (insb. Kleins Brief vom 19. Juli
1895 an Ottilie Friedlaender über seine Aufgaben im Justizministerium nach der Fertigstellung seiner Entwürfe
der sog. Jusiznormen: Es sei „ein trauriger schwerer Anfang schwierigster Aufgaben, die tief unter den Höhen
des Geisteslebens liegen, wo kein Gedankenblitz hinreicht. Trockene Erdgräber, höchstens
Gemüsegartenarbeit.“) sowie 19 (In seinen Briefen vom 11./12. September 1904 an Ottilie Friedlaender
bemerkte er hiernach, alle gerade errungenen Erfolge seien nutzlos für ihn, da er für ewige Zeit in die
Beamtenstellung verbannt sei, obwohl doch nur der Weg der Wissenschaft wünschenswert sei.), 28 („Manche
Äußerung läßt darauf schließen, daß er sich stärker zu einer rein wissenschaftlichen Tätigkeit hingezogen fühlte,
dann wieder, daß ihm die Führung des Staates als leitender Staatsmann als das eigentliche Ziel des Lebens
erschienen ist.“). Vgl. (aber) auch Sprung Lebensweg, 39 und Klein, 13: 1908 sei Klein „unfreiwilliger
Staatspensionist“ geworden. [Anführungszeichen in der Vorlage]. Zur Einschränkung seiner Lehrtätigkeit an der
Universität Wien durch seine Aufgaben im Justizministerium vgl. Sprung Lebensweg, 29-31. Zur für
Gelehrtenpolitiker typischen Unlust, sich mit zahllosen Detailfragen zu beschäftigten, vgl. vom Bruch
Wissenschaft, 286.
689
Vgl. Sprung Lebensweg, 37: Nachdem die österreichische Regierung die sächsische Unterrichtsverwaltung
nach dem entsprechenden Vorschlag der Universität Leipzig 1904 dringend ersucht habe, von einer
Berufungsverhandlung mit Klein abzusehen, habe Klein mit Schreiben vom 28. 8. 1904 an die Universität
Leipzig [ohne Nw.] unter Hinweis auch auf das ihm „früher bewilligte Entgegenkommen“ geäußert: „...aber
nachdem die österr. [sic] Regierung sich so ... ausgesprochen hat, wäre es geradezu ein feindseliger Akt, wenn
ich trotzdem weggehen wollte.“ - vgl. aber auch die Aussage Otto Friedlaenders oben, Fn. 154.
690
Vgl. auch noch vom Bruch Professoren, 24 zur Lage im Deutschen Reich („...angesichts der bereits 1916
unüberbrückbaren und 1917 institutionell abschottenden Polarisierung innen- und außenpolitischer
Zielprojektionen zerbrach jener labile Konsens, gliederten sich die Professoren in die politischen und sozialen
Lagerbildungen ein, wurde der professorale Kasten-Bonus dauerhaft nivelliert.“).
132

entfalten.691 Auch der weiteren Feststellung vom Bruchs, die parteipolitische


Einbindung der „heftig politisierenden Gelehrten“ habe in der Weimarer Republik
keine eigenständige professoral-ständische Meinungsführerschaft [oder gar
Stimmführerführerschaft] mehr erkennen lassen, unterfällt Klein damit jedenfalls
insofern nicht, als er einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die den Kurs der BDP
hatte.692 Allerdings war dieser Einfluss in der Tat kein eigenständiger professoral-
ständischer.

Auf der anderen Seite war Klein innerhalb der Partei „eine Mittlerrolle“ zwischen
deren beiden Flügeln, dem kapitalistisch-konservativen einerseits und dem
akademisch-progressiven andererseits, „zugefallen“, die er natürlich nicht ohne
Abstriche auch an seinen eigenen politischen Auffassungen wahrnehmen konnte -
auch wenn er neben Wettstein, Stolper und Hainisch derjenige war, der „vom
Grundsatz her“ nicht gewillt war, die Gesamtinteressen der Partei zugunsten von
Interessengruppen preiszugeben.693

Im Zusammenhang mit dem Mangel an Wirksamkeit in der österreichischen Politik,


den Kleins Aktivität in der BDP letztlich kennzeichnete, sind auch die Gründe für das
weitgehende Scheitern der Partei und für den Misserfolg seiner Kandidatur zu
erwägen. Das gerade vor dem Hintergrund, dass diese Partei im Wahlkampf einen
seinerzeit außergewöhnlichen Aufwand betrieben hatte: Sie hatte u. a.
Kinematographen, Lautsprecherwagen, „Sandwich-men“, welche als „lebende
Plakatwände“ fungiert hatten, und möglicherweise auch Flugblätter abwerfende
691
Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 524: Klein habe nach Gustav Stolper wohl die meisten programmatischen
Artikel der Partei verfasst (drei Nw. in Fn. 65). Zu Kleins Aussagen im Wahlkampf vgl. insb. in Bürgerlich-
demokratische Partei Jugend, 3-7, 35, 39. Vgl. ferner Hawlik ebd., 565: Stolper und Klein hätten auf den
Wahlversammlungen über die grundlegenden Fragen der Partei gesprochen; ebd., 531: Klein, Wettstein und
Stolper seien das Dreigestirn gewesen, welches das Rückgrat der Bürgerlich-Demokratischen Partei dargestellt
habe; vgl. ferner ebd., 564: „Vor allem Klein, Wettstein, aber auch Friedmann und Granitsch wurden in den
Mittelpunkt der Wahlwerbung gesetzt.“ Diese vier hätten zusammen mit Stolper die meisten
Wählerversammlungen bestritten.
692
Für die Passage über die Weimarer Republik vgl. vom Bruch Professoren, 22.
693
Zu Kleins „Mittlerrolle“: Hawlik Parteien, Teil 2, 526. Zu Kleins pragmatischem Kurs der „Mittellinie“
allgemein vgl. oben, bei und in Fn. 631. Eingehend zu den genannten beiden Flügeln der Partei: Hawlik Parteien,
Teil 2, 526-536; vgl. auch ebd., 497 f. (Durch den Eintritt von Mitgliedern der mittelständischen Berufsgruppen
und die Spenden industrieller Mäzene habe sich die Partei zur Interessenvertreterin des bürgerlichen Mittelstands
entwickelt). Zu den vier die Gesamtinteressen der Partei betonenden Männern vgl. ebd., 529. Zu Kleins
abweichender Meinung zu Punkt 12 (Arbeitslosenfürsorge) der „14 Punkte der Bürgerlich-demokratischen
Partei“ vgl. oben, Fn. 619 a. E. Zur allgemeinen Entwicklung der Parteien - „rüde Durchsetzung organisierter
wirtschaftlicher und sozialer Interessen an Stelle individueller Entscheidungschancen“ - vgl. oben, bei Fn. 497.
Vgl. schließlich noch Kleins eigene Einschätzung nur wenige Monate nach seinem Engagement in der BDP:
Saint Germain, 100 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 30. Mai 1919): „Es gibt nur ein Wort: Weg aus der
Öffentlichkeit oder doch aus der ‚aktiven Politik’ und ihren Trägern heraus! Stets dienen müssen..., an Leute
gebunden sein, die einem nichts bedeuten... - dazu bin ich zu alt.“.
133

Flugzeuge eingesetzt; zudem hatte sie mehr als alle anderen Parteien Wert auf Stil
und Optik des Wahlkampfes gelegt.694

Klein selbst führte das Scheitern - durchaus zu Recht - auf das Fehlen innerer
Geschlossenheit des Bürgertums zurück, welches stärker als die proletarischen
Massen geistig, wirtschaftlich und sozial differenziert und daher nicht leicht auf einen
Nenner zu bringen sei.695 Diese Zersplitterung des bürgerlichen Lagers hatte auch
darin ihren Ausdruck gefunden, dass sich „allzuviele Parteien“ um die Stimmen
gerade des bürgerlichen Mittelstands bewarben. 696 Tatsächlich hatte bereits
[spätestens] in der Gründerzeit eine soziokulturelle Binnendifferenzierung des
österreichischen Bürgertums eingesetzt und sich im Zuge der Wahlrechtsreform
verstärkt - und zwar, mit den Worten von Ulrike Döcker, „in die Askese eines klerikal-
sparsamen Kleinbürgertums, in die Nationaltümelei eines abschottungswilligen
Mittelbürgertums, in die Lebensästhetisierung eines wohlbetuchten
Großbürgertums“.697

Hawlik benennt „versuchsweise“ noch andere mögliche Gründe der Niederlage der
BDP: eine mangelhafte Organisation, das Image der Partei von Reichtum und
Überfluss, die Unglaubhaftigkeit von deren sozialem Engagement, einen
unterschwelligen Antisemitismus bei den Wählern, Animositäten des kleinen Mannes

694
Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 562 (dort auch: Die BDP habe wohl den mit Abstand größten Werbeaufwand
betrieben.) bzw. 564. Die von der BDP eingesetzten Lautsprecherwagen bezeichnet F. Fellner Klein, 186 als
„völlig neues Instrument der Propaganda“, und er weist darauf hin, die „Sandwich-men“ seien zuvor nur zu
[gewerblichen] Reklamezwecken verwendet worden; vgl. (aber) auch ebd., 186: Der geplante Einsatz von
Flugzeugen sei an den hohen Kosten gescheitert.
695
Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 567 f. i. V. m. 568 Fn. 19 m. Nw. des Kleinschen Diktums („Die Wahlsünden
der Bürgerlich-demokratischen Partei, in: Der Friede 28. 2. 1919.“). Vgl. auch Morgenbrod Großbürgertum, 201
f. Kleins extreme Enttäuschung über seine Wahlniederlage ist ausgedrückt in zahlreichen Briefen an Ottilie
Friedlaender aus Saint Germain 1919 - vgl. nur Saint Germain, 90 (Brief vom 27. 5. 1919); 100 f. (Brief vom 30
Mai 1919): „Besonders genugtuend verlaufen meine Extratouren wahrhaftig nicht! Stets nahe Erfolge winkend
und dann Sturz. Das muß seine Ursache haben, aber ich durchschaue sie nicht ganz.“; 118 f. (Brief vom 4. Juni
1919).
696
Vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 569 f.; allgemein zur Zersplitterung der Bürgerlichen auch ebd., 542-555. Klein
selbst hatte bereits im Januar 1919 mit der Begründung für die BDP geworben, die „heillos zersplitterten
bürgerlichen Parteien“ und die „Erstarrung ihrer ehernen Programme“ überwinden zu wollen - vgl. in
Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 4. In einem Brief an Stolper vom 28. Februar 1919 (BA Koblenz, Nl.
Gustav Stolper, Nr. 5) benannte Klein noch einen weiteren (möglichen) Grund für den Misserfolg: Die Partei
habe es versäumt, in der Öffentlichkeit ihren Gegensatz zu der pazifistischen Gedankenwelt der Gruppe um
Meinl, die sich jetzt als Feind des Anschlusses an Deutschland profiliere, deutlich zu machen - vgl. Stern
Stolper, 202 Fn. 4. Stolper wiederum sah rückblickend das Fehlen eines eigenen Parteiblattes als eine Ursache
an: Man habe statt eines redaktionellen Werbeartikels die bezahlte Annonce und an die Stelle des ausführlichen
Versammlungsberichts die übermäßige Versammlungsankündigung gesetzt - vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 563.
697
Zitat bei Morgenbrod Großbürgertum, 181.
134

gegenüber den in der Partei vorherrschenden Intellektuellen. 698 Gerade die letztere -
plausible - Erwägung Hawliks spricht Bände über die Chancen einer Partei, in
welcher auch „Gelehrtenpolitiker“ bzw. „politisierende Gelehrte“ eine große Rolle
spielten. So trifft vom Bruchs Beobachtung, die Diskrepanz zwischen Aufstellung und
Wahlerfolg von Hochschullehrern seit den 1870er Jahren belege einen zunehmend
unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Politik als Beruf und Wissenschaft als Beruf,
offenbar auch auf Klein und seine gelehrten Kollegen zu. 699 Aber vor dem
Hintergrund, dass gemäß Döring in der Weimarer Republik in der durch die
Niederlage und die Revolution ausgelösten Identifikationskrise überhaupt nur noch
„sozialliberale Professoren vom linken Flügel der ‚Kathedersozialisten’
gelehrtenpolitisch aktiv“ waren, ist Kleins Kandidatur immerhin bemerkenswert. 700

Außerdem klagte Klein nach dem Scheitern seiner Kandidatur zur


Nationalversammlung immer wieder über die von ihm selbst - trotz seiner
Verbitterung sicherlich nicht zu Unrecht - konstatierte unüberwindbare Kluft zwischen

698
Vgl. Hawlik Parteien, 568 f. Vgl. ebd., 492 f. zur starken materiellen Hilfe für die Partei, welche manchen
Kompromiss notwendig gemacht und damit auch einen Verlust an Glaubwürdigkeit mit sich gebracht habe. ebd.,
562: Die Partei habe wohl mit Abstand den größten Werbeaufwand betrieben, „dieses Übermaß an Werbung“,
welches den Gegnern Agitationsstoff geboten habe, habe fast schon eine kontraproduktive Wirkung gezeitigt.
Zur Finanzierung der Partei v. a. von Kreisen aus dem Deutschen Reich vgl. Stern Stolper, 188-193, insb. 191
(Zitat aus - s. Fn. 56 i. V. m. Fn. 55 - Bürgerlich-demokratische Wählerversammlung, Die Zeit Jg. 18 Nr. 5886
vom 15. 2. 1919, S. 6): „Ich erkläre, sagte Redner [Klein], auf Ehre und Seligkeit, daß wir weder aus dem
Günther- noch aus dem Schoeller-Fonds oder irgendeinem anderen industriellen oder finanziellen Fonds Gelder
verlangt oder empfangen haben[.] (Rufe: woher kommt das Geld?) Unsere Mittel kommen aus Sammlungen von
Freunden und Mitgliedern. (Rufe: Kriegsgewinnern, Wucherern, Millionären! Großer Lärm.. [sic])“ sowie ebd.,
193: Ungeklärt bleibe, warum die BDP nicht dezidiert erklärt habe, dass ihre Parteigelder aus Deutschland
gestammt hätten, und „sich weiters auf derartig vage Umschreibungen einließ, wie sie Franz Klein“ in seiner
Stellungnahme abgegeben habe. Vgl. zudem Hawlik Parteien, Teil 2, 555 f: Die Beziehungen zur
Schwesterpartei in Deutschland, der Deutschen demokratischen Partei (DDP), seien sehr eng gewesen; von dort
habe sie großzügige finanzielle Hilfe und die Unterstützung durch prominente Wahlredner wie v. a. Hjalmar
Schacht und Theodor Heuß erhalten Vgl. noch - ohne Nachweise - F. Fellner Klein, 185 („Aber es war nicht nur
die Liebe zur deutschen Nation, die den Protagonisten der neuen Partei gemeinsam war, es war auch, ja vor
allem das deutsche Geld.“ [Kursivschrift im Original]). Zum Charakter der BDP als einer zumindest teilweisen
Honoratiorenpartei vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 492; vgl. ferner ebd., 510 (Unter den 23 Mitgliedern - vgl. dazu
ebd., 510 f. - des provisorischen Ausschusses der Partei befanden sich demnach neben Klein noch drei
Universitätsprofessoren.) sowie ebd., 510, Fn. 30 (Der provisorische Vorstand habe zunächst aus vier, dann acht
Mitgliedern bestanden - und zumindest unter letzteren befanden sich mit Klein und Wettstein mindestens zwei
Universitätsprofessoren; im Übrigen gehörte auch der Universitätsprofessor Edmund Bernatzik zu den führenden
Mitgliedern der Partei - zu dessen Mitgliedschaft vgl. ebd., 529).
699
Zu der genannten Diskrepanz: vom Bruch Professoren, 23.
700
Vgl. Döring Thesen, 148.
135

ihm selbst und den Parteipolitikern. 701 Dies entsprach in hohem Maße dem typischen
Gelehrtenpolitiker.

Die Wirksamkeit seiner eigenen Tätigkeit im Rahmen der Delegation in Saint-


Germain schätzte Klein in dort verfassten Briefen wegen der von ihm konstatierten
und auch seiner eigenen Einschätzung nach teilweise selbstverschuldeten Isolierung
seiner Person in derselben als äußerst gering ein. 702 Das gilt noch verstärkt für die
Zeit nach Otto Bauers Rücktritt als Staatssekretär des Äußeren Ende Juli 1919, mit
welchem er sich im Gegensatz zum Staatskanzler und Leiter der Delegation, Karl
Renner, in allen wesentlichen Fragen des Friedensvertrages einig war. 703 Allerdings
wird man hier einige Abstriche zu machen haben, weil Klein sich in Saint-Germain
ganz offenbar im Zustand einer Depression befand, was zum Teil auch zu seiner
negativen Beurteilung seines eigenen Einflusses geführt haben dürfte. 704

701
Vgl. Saint Germain, 239 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 13. Juli 1919); vgl. zudem ebd., 103 (Brief an
Ottilie Friedlaender vom 31. Mai 1919): „Wer zu viel erkennt ..., der kann nicht mehr mit dem politischen Pack
leben, dessen Kurzsichtigkeit und Beschränktheit die erste Bedingung ihrer [sic] Existenz ist [sic].“ Keiner von
den Parteileuten in Saint Germain interessiere sich mehr als für eine bestimmte Fragen- und Interessengruppe.
„Ob sie und wie sie in das gesamte Weltbild sich schickt, das überlassen sie dem lieben Herrgott... Daher kam
mein Versuch, ins öffentliche Leben hinein zu wachsen, viel zu spät oder war ein Versuch, gänzlich
Unvereinbares zu vereinigen. Nun heißt es, diese Weisheit fort zu schleppen als Strafe für grobe Unklugheit.“
[Punkte im Original]; vgl. ferner ebd., 146 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 11. Juni 1919): „Aber diese Politik
mit ihrem allzu Menschlichen. Nun erst begreife ich im letzten den Unterschied zwischen den Parteileuten und
meinem Denken. Wenn der Cristl[ich]-Soz[iale] ‚Berater’ Schwächen der Soz[ial]-Demok[raten] ans Licht
zieht..., ist ihm das wertvoller[,] als ob das unserer Arbeit nützt oder schadet. Er läßt das Dümmste geschehen,
wenn er daraus Parteivorteile oder Anklage gegen eine andere Partei herausschlagen kann.“ [Danach folgt die
gleiche Anklage gegen die Sozialdemokraten.]; ebd., 278 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 25. Juli 1919):
„Mein Abschied von der Politik ist endlich ein unbedingter. Für sie bin ich nicht ordinär genug. So roh[,] als
man dafür sein muß, liegt mir nicht.“.
702
Die Zahl dieser Briefe beträgt ca. 30 (von insgesamt über 70). Daher sei hier nur eine Auswahl von ihnen
angegeben: Saint Germain, 105, 107 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 1. Juni 1919), ebd., 141 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 9. Juni 1919) - dort allerdings auch: „Denn als eine Stütze und ein Beschützer der deutschen
Orientierung glaube ich, bisher nicht versagt und nicht [sic] ausgelassen zu haben.“-, ebd., 205 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 30. Juni 1919), ebd., 244 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 14. Juli 1919) - s. auch ebd., Fn.
1 (Ein Denkschriftentwurf Kleins sei extrem verändert worden.) -, 273 (Brief an Otto Bauer vom 23. Juli 1919),
279 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 26. Juli 1919). F. Fellner Klein, 189 meint auch im Zusammenhang mit
den Friedensverhandlungen: „Indem Klein auf den Gegenseiten nur Haß, Bosheit und Zerstörungssucht zu sehen
vermochte, verschloß er sich selbst der Möglichkeit einer positiven Mitgestaltung an der politischen, nationalen
und gesellschaftlichen Neuordnung.“ Das impliziert einerseits die Prämisse, die Ententemächte seien tatsächlich
offen gewesen für Vorschläge der Verliererstaaten, und ist, was die Innenpolitik betrifft, verfehlt, weil Klein
einer ausgleichenden Linie folgte und im Falle des Erfolges seiner nur knapp gescheiterten Kandidatur für die
Nationalversammlung mehr hätte bewirken können.
703
Vgl. nur Saint Germain, 295 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 30. Juli 1919), 308 (Brief an Ottilie
Friedlaender vom 4. August 1919). Zur Übereinstimmung mit Otto Bauer und nicht mit Karl Renner vgl. Saint
Germain, 71 (Brief an Otto Bauer vom 20. Mai 1919); 167 (Brief an Ottilie Friedlaender vom 17. Juni 1919).
Vgl. zudem Sprung Lebensweg, 48, Fn. 173 (Die Reichspost vom 3. 8. 1919): „...Dr. Klein hat bekanntermaßen
im Einverständnis mit Dr. Bauer hinter dem Rücken des Staatskanzlers der von Dr. Renner vertretenen Politik
der realen Auffassungen entgegengearbeitet.“.
704
Zu einem Beleg für Kleins Depression vgl. nur Saint Germain, 283 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 27.
Juli 1919).
136

Zudem hatten die Pläne der Ententemächte seiner Auffassung nach ohnehin bereits
festgestanden, als die österreichische Delegation ihre schriftlichen Eingaben
machte.705 Insbesondere beklagte er die Verweigerung mündlicher Verhandlungen
durch die Siegermächte.706

Die Wirksamkeit von Kleins Politik ist nach alledem gespalten: Seine
sozialpolitischen Anstrengungen während seiner Zeit im Justizministerium zeitigten
zu einem erheblichen Teil Erfolg, sein sonstiges politisches Engagement hingegen
kaum.

3. Ludo Moritz Hartmann


a. Inhalt
aa. Nation, Judentum, Staat, Staatsform, Deutsches Reich
Hartmann war sein Leben lang ein begeisterter Deutschnationaler. 707 Er definierte die
Nation als „die Gesamtheit der durch gemeinsames Schicksal und gemeinsamen
Verkehr, dessen Vermittlerin die Sprache ist, zu einer Kulturgemeinschaft
verbundenen Menschen.“708 Obwohl er auch von einem „Volksindividuum“ sprach,
betonte er, bei Menschengruppen handele es sich nicht um etwas von den
Individuen Losgelöstes, die Zusammenfassung von Menschen zu einer Gruppe sei
etwas Subjektives, die Gruppe dürfe nicht als etwas an sich und über den Menschen
Bestehendes hypostasiert werden.709

705
Vgl. Vertragsentwurf, 851.
706
Vgl. Grundgedanken, 860.
707
Vgl. G. Fellner Hartmann, 259-270; auch Hartmann Niedergang, 680: Das Geschick der Deutschen in
Österreich sei ein Stück Geschichte des deutschen Volkes.
708
Nation, 135; zur Wechselseitigkeit von Verkehrsgemeinschaft und Sprache vgl. ebd., 141 (Allein durch die
Bildung einer Verkehrsgemeinschaft sei es möglich, die gemeinsame Sprache zu erhalten.). Dabei betrachtet er
die Nation der Sache nach als identisch mit dem, was üblicherweise als „Volk“ angesehen wird, verwendet den
Begriff „Volk“ zuweilen aber als Bezeichnung für das „Staatsvolk“ = die Staatsbevölkerung - vgl. ebd., 137. Zu
einem Widerspruch gegen seinen Nationsbegriff vgl. unten, Fn. 734.
709
„Volksindividuum“: Grenze, 190; vgl. auch Nation, 137 („Organismus“); zur Gruppe: Entwickelung, 36, 50.
137

Dabei lehnte er ausdrücklich auch die damaligen Rassenkonzepte ab. 710 Die
Zugehörigkeit zu einer Religion oder Konfession war für die Auffassung des
konfessionslosen Hartmann von der Nation irrelevant. 711 Gegen den Antisemitismus
engagierte er sich wie erwähnt im von ihm und Friedjung gegründeten „Politischen
Aufklärungsverein“, auch nahm er im November 1923 an einer Protestkundgebung
gegen die gewalttätigen Krawalle teil, die völkisch-nationale gegen jüdische und
sozialistische Studenten inszenierten.712 Ein „jüdischer Selbsthass”, wie ihn Walter B.
Simon bei jüdischstämmigen sozialistischen Führern in Österreich um 1918
ausmacht, ist bei Hartmann kaum zu erkennen. 713

Den nationalen Staat sah Hartmann als „die vorläufig höchste Stufe der Entwicklung,
der gegenüber alle anderen staatsbildenden Faktoren - Eroberung, Religion etc. - als
Rudimente erscheinen“, auch wenn es sich hierbei selbstverständlich nur um eine
historische Tendenz handele, die wie alle soziologischen Prinzipien nicht
„ausnahmslos exakt“ wirke.714 An die Stelle des durch feindliche Allianzen
zerrissenen europäischen Gleichgewichtssystems müsse die arbeitsteilige
Völkergesellschaft der kultivierten Nationen treten. 715 Die Nationen waren ihm im
weltwirtschaftlichen Rahmen die Träger spezialisierter ökonomischer Tätigkeit - er
vertrat damit eine Globalisierungstheorie ganz besonderen Zuschnitts. 716 Sie seien
notwendige Bedingung eines stabilen internationalen Gleichgewichts. 717 Die
nationalen Staaten würden so lange bestehen, wie ihre Gemeinschaften auf die
Sprache angewiesen und die räumliche Trennung nicht technisch vollständig
überwunden sein werde.718
710
Vgl. Entwickelung, 38-46, insb. 42: „Was die Rassentheoretiker und Rassenphantasten ... setzen möchten, ist
eine auf unexakten Beobachtungen beruhende Mystik.“; Rezension, 174 f.; s. auch Hartmanns ironische „Frage
an den Rasseforscher Frank“, 167 f., 170. Interessant auch G. Fellner Hartmann, 108 über Hartmanns 1923 in
Arbeiter-Zeitung erschienene (vgl. ebd., 107) Warnung vor den „neuen Glücksritter[n] auf der fascistischen
Einheitsfront“; vgl. dazu auch Stein Hartmann, 329.
711
Vgl. auch G. Fellner Hartmann, 111.
712
Zu Letzterem vgl. G. Fellner Hartmann, 245.
713
Zum “Jewish self-hatred” jüdischstämmiger sozialistischer Führer: Simon Vote, 121
714
Vgl. Nation, 137 bzw. 139.
715
Vgl. Krieg, 24 f.
716
Vgl. Nation, 147; Grenze, 190 sowie Ursachen, 365 unter Hinweis darauf, dass die wirtschaftlichen
Argumente der „Freihändler“ nicht widerlegt worden seien.
717
Vgl. Grenze, 190.
718
Vgl. Entwickelung, 61: Die historische Entwicklung bewege sich „auf dem Wege der Staatenkämpfe in der
Richtung der Aufhebung der Staatengegensätze." (dies neben der Aufhebung der Klassen der zweite Teil des
„historischen Assoziationsgesetzes“ oder des „Gesetzes der fortschreitenden Vergesellschaftung“ oder, „etwas
hochtrabend“, des „soziologischen Grundgesetzes“); vgl. auch Suppanz Historismus, 275 („Globalisierung - die
Assoziation zur Weltgesellschaft“). Vgl. zudem Hartmann Krieg, 25, wo er sich für die internationale
Organisation der „nationalen Einheiten der Kulturvölker“ [nicht der „primitiven“?] ausspricht. Vgl. aber auch
138

Aus der von ihm behaupteten „historischen Tendenz“ ergab sich für Hartmann
zunächst die Ablehnung des Imperialismus, auch in der Form sprachlicher
Expansionsbestrebungen.719 Ferner folgten aus ihr für ihn die Ablehnung von
„Vielvölkerstaaten“ wie Österreich-Ungarn, das Selbstbestimmungsrecht der
Nationen und die Forderung nach einem „Anschluss“ der mehrheitlich
deutschsprachig besiedelten und an das Deutsche Reich angrenzenden Gebiete an
letzteres.720 Für Hartmann waren die Deutschösterreicher ihren „Brüdern“, den
Reichsdeutschen, zumindest im Hinblick auf Willenskraft, Berufsausbildung und
Technik unterlegen.721 Und selbstverständlich hatte Wien sich im Falle einer
Vereinigung Deutschösterreichs mit dem Deutschen Reich seiner Meinung nach - im
Gegensatz zu nicht wenigen seiner Landsleute - mit einer zweiten Position im großen
Reich abzufinden.722

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte Hartmann - trotz aller Zensur - öffentlich die
Auflösung der Donaumonarchie gefordert. 723 Und im April 1918 polemisierte er gegen
die „allzu ‚Gemütlichen’, die nichts mehr fürchten, als daß das Raritätenkabinett, das
Rathkolb Hartmann, 58: Hartmann habe sich „stets skeptisch gegenüber der Durchführbarkeit des
Völkerbundgedankens in der Gegenwart“ gezeigt (unter Hinweis auf Hartmanns Bericht an Bauer vom 11.
Dezember 1918).
719
Vgl. Nation 141. Vgl. auch Grenze, 187: „Die Eroberungsgrenzen ... sind nicht nur auf Dauer für den
erobernden Staat von Schaden, weil fremdartige Bestandteile die Entwicklung des Staates stören, weil eben das
Zusammengehörigkeitsgefühl selbst und zentrifugale Strömungen die Aktion des Staates hemmen, sondern sie
vergewaltigen und beschädigen vor allem den besiegten Staat.“.
720
Hier kann es sich um einen Zirkel handeln; denn Hartmann „wollte“ die deutsche Nationalstaatlichkeit
zumindest auch aus emotionalen Gründen, so dass letztere womöglich erst zu seiner Behauptung der
entsprechenden „historischen Tendenz“ geführt haben - vgl. auch Hartmann selbst Debatte, 166: „...wie viele
subjektive Momente beinahe notwendig bei der Beurteilung derartiger Dinge mitunterlaufen.“ Selbstverständlich
war Hartmann auch für den Verbleib Elsaß-Lothringens beim Deutschen Reich - vgl. Deutschland, 216 f.
Interessant in diesem Zusammenhang Karl Kautsky über den Beginn der 1880er Jahre bei Maderthaner Politik,
769: “Die österreichischen Juden waren damals die feurigsten Vertreter des Anschlußgedankens...”.
721
Vgl. in Sozialdemokraten (Bericht), 3 (dort auch das Zitat) - wo er allerdings auch in Aussicht stellt, dass im
vereinten Deutschland Preußen nicht mehr die unbedingte Vorherrschaft haben werde und „auch wir
Süddeutsche mit unserer kulturellen Eigenart uns ... werden geltend machen können.“; vgl. auch Niedergang,
679; Deutschland, 218; vgl. zudem (aber) Oesterreich, 3, wo er mit seinem Lob der Deutschösterreicher
insbesondere wegen ihrer in Europa führenden Stellung im Volksbildungswesen allerdings vornehmlich den
Eingang von Spenden für dieses fördern will. Kritisch zu dieser überaus positiven Einstellung Hartmanns zu den
Reichsdeutschen: Stein Hartmann, 314; diesem zustimmend: G. Fellner Hartmann, 264.
722
Vgl. Myers Berlin, 162 (Fn. 33: „‚Interview mit Dr. Ludo Hartmann,’ [sic] Berliner Tageblatt, No. 620, Dec.
4, 1918, AA, Österreich 95, Bd. 26.“). Dass von 1866 bis 1938 viele Deutschösterreicher sich ihr Land zwar als
Teil eines Großdeutschland vorstellen konnten, dabei jedoch mindestens an eine Mitherrschaft Wiens dachten,
hebt Lindström Empire, 15 - möglicherweise übertreibend - hervor.
723
Vgl. Nation [1912], 136-149, insb. 138 i. V. m. 137 („ein Rudiment der Entwicklung“), 148 f.; Debatte, 162
(„...der unmögliche, naturwidrige Staat..., der all dieses Jammers trübe Quelle ist“ [Zitat Austerlitz] - „...dieses
naturwidrigen Staates...“); s. ferner Deutschland [April 1918], 218 („...das sattsam bekannte Elend dieses
österreichischen Zwangsverbandes...“); Appell, 8 (bereits für die Zeit der Revolution 1848), 11 („Und nachdem
das sonderbare Konglomerat Österreich zusammengeraubt, zusammengeheiratet und durch das Schwert der
Türken zusammengeschweißt war...“); vgl. auch Rathkolb Hartmann, 55; ferner G. Fellner Hartmann, 112, 260.
139

man Oesterreich nennt, einmal ordentlich ausgestaubt werden könnte, wobei


allzuviel kostbarer Moder verloren gehen könnte.“ 724 Dabei erkannte er klar den
inneren Widerspruch der „deutsch-bürgerlichen Parteien in Oesterreich, die sowohl
zentralistisch als auch national sein wollen... Halb Irredentisten, halb Staatspartei,
kommen sie nicht selten so weit, daß sie auch die Träger einer äußeren Politik
werden, welche nur imperialistisch genannt werden kann...“ - womit er den inneren
Widerspruch auch der Politik seines Freundes Friedjung treffend beschrieb. 725

Hartmann war offenbar überhaupt der einzige seinerzeitige deutschösterreichische


Historiker, der die Donaumonarchie und ihre Ideen scharf kritisierte. 726 Seine - die
Zerschlagung Österreich-Ungarns implizierende - Forderung nach Vereinigung
Deutschösterreichs mit dem Deutschen Reich hätte ihn 1918 beinahe noch ins
Gefängnis gebracht.727 Scharf waren nach dem Ende des Habsburger-Reiches auch
seine Attacken gegen den erwähnten Plan einer „Donaukonföderation“. 728

Und zum Selbstbestimmungsrecht führte er im Oktober 1918 - ganz im Gegensatz


zu Klein und unter unverhohlener Drohung - aus, dieses könne „natürlich nicht vom
heutigen Staate ausgehen, der es leugnet und sein Widerspiel ist. Es gründet sich
auf die gesellschaftliche Notwendigkeit, die eben neues positives Recht schafft, auf
ruhigem Wege, wenn der Staat sich anpaßt, und auf revolutionärem Wege, wenn er
gezwungen werden muß.“729
724
Deutschland, 218.
725
Vgl. Nation, 149. Auf die ähnliche Haltung vieler seiner (führenden) Parteigenossen wies er dabei jedoch
nicht hin. Interessant ist in diesem Zusammenhang die auf die deutschösterreichischen Nationalisten im Ersten
Weltkrieg bezogene Bemerkung von Whiteside Germans, 198 (“The victories of the Central Powers on the
eastern front during the war induced a defensive, almost defeatist, attitude among the Austrian Germans, in
contrast to the expansionist energy released in Germany. The grandiose plans ... only filled German national po-
litical leaders with dismay at the prospect of the empire’s becoming more and more a Slav state. The end of the
war, which brought unparalleled disaster ..., came to the national leaders almost as a relief...”).
726
So jedenfalls Dachs Geschichtswissenschaft, 37.
727
Vgl. G. Fellner, 266 m. Nw. auf S. 434, Endnote 248 („Alfred Werre, ‚Ludo Hartmann’, Nachlaß-LMH,
HHStA, K. 1, Konv. 10, 3 f.“): „Ein Vortrag, den er in München gehalten hatte, war der äußere Anlaß. ... Es
wurde gegen Hartmann ein hochnotpeinliches Verfahren wegen Hochverrates eingeleitet. Aber die Oktober[-]
und Novembertage des Jahres 1918 machten diesem Spuk sehr rasch ein Ende.“.
728
Vgl. in Sozialdemokraten, 3: Die Idee der „berüchtigten Donaukonföderation gehört wohl zu den
verschrobensten, man könnte vielleicht auch sagen, verbrecherischesten, die Völker, die sich mit einem großen
Hurra von der Zusammengehörigkeit befreit haben und von dem jedes einzelne dem anderen bestätigt, es wolle
mit ihm politisch nichts mehr zu tun haben, jetzt wieder zusammenzufügen und ihnen zuzurufen: Liebet euch
untereinander! (Heiterkeit)“ Damit befand sich Hartmann in Übereinstimmung mit vielen österreichischen
Historikern - vgl. Dachs Geschichtswissenschaft, 74. Vgl. auch den Bericht Hartmanns an Otto Bauer vom 7.
Jänner 1919) bei Rathkolb Hartmann, 61.
729
Vgl. Selbstbestimmungsrecht, 2 - vgl. auch ebd.: Der Übergang der Macht von einem Träger des
Staatswillens auf den anderen sei dem Inhalt nach immer revolutionär. Die österreichische wie die preußische
Verfassung gehe in letzter Linie auf einen Oktroi von oben zurück. Für das Selbstbestimmungsrecht ferner
140

Selbstverständlich lehnte Hartmann an Österreich-Ungarn auch die Staatsform der


Monarchie und die Dynastie der Habsburger von Anfang an ab. Nach Ernst Stein hat
er sich auch während deren Herrschaft „wenig Mühe gegeben, seinen vom Vater
ererbten Abscheu gegen die monarchische Staatsform und gegen die habsburgische
Dynastie im besonderen zu verbergen.“730

Hartmann war stets Demokrat. Während des Ersten Weltkriegs war er gemäß
Herbert Dachs der einzige deutschösterreichische Historiker, der den
parlamentslosen Zustand in Cisleithanien und das scharfe Vorgehen der Behörden
kritisierte.731 So gehörte er - freilich mit nicht wenigen weiteren Universitätsgelehrten -
zu denjenigen, die für den 22. Oktober 1916 eine Versammlung zur Forderung nach
Wiedereinberufung des Reichsrates vorbereiteten, welche jedoch drei Tage davor
von der Wiener Polizeibehörde verboten wurde. 732 Auch verlangte Hartmann eine
Demokratisierung der Schulen und Hochschulen im Sinne von Zugang und
Chancengleichheit für alle.733 Dass auch eine - zumindest im engeren Sinne
undemokratische - Diktatur des Proletariats für ihn letztlich nicht in Frage kam, wird
unter II. 3. zu zeigen sein.

Außerdem ergab sich aus seiner Sicht der historischen Entwicklung „die
naturgesetzliche Notwendigkeit“ und damit das Gebot der - wenn auch „natürlich
nicht durch Gewaltmaßregeln“ zu bewirkenden - Förderung einer völligen
Assimilierung der (auf wie auch immer abzugrenzenden Gebieten lebenden)
jeweiligen nationalen Minderheiten. 734 Auch auf diesem Gebiet galt ihm die

Deutschland [April 1918], 215; Appell, 11; Grenze, 187, 190.


730
Vgl. Stein Hartmann, 316 sowie auch Rathkolb Hartmann, 54. Bereits zum Habsburgerjubiläum 1882 war
Hartmanns Gymnasialklasse den Feierlichkeiten an der Schule fern geblieben und hatte, wie bereits angedeutet,
auf Anregung Hartmanns einen Kranz beschafft, mit einer roten Schleife und der Aufschrift „Das Helle vor uns,
Finsternis im Rücken“ aus dem „Faust“ versehen und ihn dann durch Stephan Bauer und Hartmann selbst auf
dem Grab der Märzgefallenen niederlegen lassen - vgl. Bauer Hartmann, 198 unter Zitat eines
autobiographischen Versuchs Hartmanns.
731
Vgl. Dachs Geschichtswissenschaft, 19, 66.
732
Vgl. Dachs Geschichtswissenschaft, 66; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 65 sowie Morgenbrod
Großbürgertum, 65: Neben Hartmann seien die Universitätsprofessoren Edmund Bernatzik, Heinrich Lammasch,
Ernst Fuchs, Emil von Schrutka und Hans Sperl die Initiatoren gewesen. Eine unmittelbare Folge des
Versammlungsverbots sei das Attentat Friedrich Adlers auf den Ministerpräsidenten Karl Graf von Stürgkh am
21. Oktober gewesen.
733
Vgl. Grundlagen, 185-188.
734
Vgl. Nation, 141-144 („natürlich nicht durch Gewaltmaßregeln“: 143); Frage Minoritätenschulen, 154-160;
Debatte, 163 f. („naturgesetzliche Notwendigkeit“: 163). In Nation, 144 spricht Hartmann von „innere[r]
Kolonisation“ als nationaler Aufgabe. Immerhin meinte er - wenn auch in Widerspruch zu seinem auf der
Sprache aufbauenden Nationsbegriff -: „Es mag sich ein jeder persönlich zu jeder beliebigen Nation bekennen
141

darwinistische Formel, dass „lebensfähig nur ist, was sich als das Stärkere erweist,
weil es sich den Verhältnissen anpasst.“ 735 Dabei war er konsequent: Dort, wo sie
selbst in der Minderheit waren, hatten sich die Deutschsprachigen seiner Auffassung
nach der jeweiligen Mehrheit sprachlich anzupassen. 736 Vermutlich wurzelte
Hartmanns Assimilationsforderung auch darin, dass nicht wenige seiner Vorfahren
selbst sich dem Deutschen angeglichen hatten. 737

Mit diesem nationalpolitischen Konzept befand sich Hartmann bis 1918 und zum Teil
darüber hinaus in Opposition zur Großzahl seiner sozialdemokratischen
Parteigenossen.738 In der Tat stellte sowohl Karl Renner als auch Otto Bauer dieselbe
Spannung zwischen einem Verlangen nach Einheit des Habsburger-Reiches und
deutschnationaler Auffassung, wie sie unter vielen Bürgerlichen bestand, auch bei
sich selbst und unter den Arbeitern fest und hegten auch sie Gedanken an eine
Hegemonie der Deutschösterreicher.739 Ganz anders Hartmann: Er sprach von einem
„vulgär-sozialistisches Vorurteil“, dass der Klassenkampf die Nation überwinde oder

und soll in seiner persönlichen Freiheit des Bekenntnisses nicht eingeschränkt werden.“ Aber es sei wohl eine
andere Frage, sich zu irgendeiner Sprache zu bekennen. - vgl. Debatte 164.
735
Vgl. Frage Minoritätenschulen, 154.
736
Vgl. aber (?) auch Nation, 144, wo er im Zusammenhang mit der Assimilation eine „energische Sozialpolitik“
fordert, „welche die Lebensenergie der Nationsgenossen erhöht“.
737
S. dazu Frage Rasseforscher, 167-170. Vgl. (aber) auch Appell, 5: Deutschlands „leidensvolles Geschick“
habe es immer wieder zur Aufnahme nicht autochthoner Bildungselemente geführt.
738
Vgl. Kulemann Beispiel, 137; s. Frage Minoritätenschulen, 160, Anm.: In der sozialdemokratischen
Monatsschrift „Der Kampf“, dem theoretischen Organ der österreichischen Sozialdemokraten habe von der
ersten Ausgabe im Oktober 1907 bis 1912 eine intensive und teilweise auf hohem theoretischen Niveau stehende
Diskussion der „nationalen Frage“ stattgefunden, in der sich Hartmann für seine Position herbe Kritik habe
gefallen lassen müssen. Mit ihren 56 Artikeln sei dies die breiteste Diskussion nationaler Fragen gewesen, die je
in einem österreichischen Medium stattgefunden habe. - vgl. auch Goldinger Question, 153. Zur Zeitschrift „Der
Kampf“ vgl. Kollman Rezension, 423-425, insb. 423 („high level“, „broad coverage“, „wide horizon“), 425 („the
high intellectual level and the creativeness“). Während des Ersten Weltkriegs existierten drei Richtungen
innerhalb der Sozialdemokratie Österreichs: eine österreichisch orientierte (Renner in der deutschen, Šmeral in
der tschechoslawischen [sic], Diamand in der polnischen Partei), eine national orientierte ([Karl]Leuthner und
Ludo Moritz Hartmann in der deutschen, Habermann und Modráček in der tschechoslawischen, Moraczewski in
der polnischen Partei) und eine internationale Richtung (die deutsch-österreichische „Linke“, die tschechischen
Zentralisten und die sich ihnen nähernde Gruppe Stivin unter den Tschechoslawen und die polnische „Linke“) -
vgl. den Bericht über den Parteitag der polnischen Sozialdemokratie in „Der Kampf“ 11 (1918), Nr. 7 (Juli), 511
f. Vgl. auch Miller Ringen, 5 i. V. m. 4: Die Forderung nach einer Umgestaltung Österreichs zu einer Föderation
autonomer Nationen sei auch während des Krieges von der überwältigenden Mehrheit der Partei nicht in Frage
gestellt worden. Einflussreichster Vertreter dieser Konzeption sei Karl Renner gewesen, und auch der
unumstrittene Führer der Partei, Viktor Adler, habe es verfolgt. Zu einem ähnlich untypischen Fall von
Verknüpfung von Nationalismus und Sozialismus wie dem von Hartmann im Deutschen Reich gegen 1900
(Adolph Wagner - der freilich auch christlich orientiert war) s. vom Bruch Wissenschaft, 69, auch ebd. Fn. 55.
739
Zur Spannung vgl. Whiteside Germans, 188; zu unbewussten Hegemonie-Vorstellungen in der Partei vgl.
Kulemann Partei, 126; zur Hegemonie bei Renner vgl. dessen Aussage bei Kulemann, 130 „Die Deutschen
können nur herrschen, wenn sie führen; führen können sie heute nur im Zeichen der Demokratie.“; zu Bauer vgl.
Kulemann Beispiel, 129, aber auch über dessen sich andeutenden inneren Wandel in der Reichsfrage seinen ebd.
zitierten Brief an Kautsky vom September 1913 („Am verständlichsten wäre heute vielleicht eine Propaganda,
die die Hoffnung der Arbeiter auf den Zerfall Österreichs lenken würde. Aber das ist noch nicht möglich...“).
142

ausschließe; man könne vielmehr „geradezu sagen, daß die notwendige


organisatorische Ergänzung der Klassenorganisation die nationale ist, die sich zu
jener verhält wie die horizontale Gliederung zur vertikalen.“ 740 Außerdem führte die
Demokratie in seinen Augen notwendigerweise zum Nationalstaat. 741 Die Intensität
seines nationalen Empfindens reichte in den Augen seines Schülers Ernst Stein „ bis
hart an die Grenze dessen ..., was mit seiner international-sozialistischen Gesinnung
vereinbar war“, und Oliver Rathkolb fällt die „für einen dem Materialismus theoretisch
verbundenen Historiker unglaubliche Romantik“ seines Deutschnationalismus auf. 742

Im nationalen Sinne verfolgte Hartmann z. B. gegen 1896 den Plan, zusammen mit
den bürgerlichen deutschen Parteien ein gemeinsames Nationalitätenprogramm
unter der Führung der deutschen und unter Ausschluss der nichtdeutschen
Sozialdemokraten zustande zu bringen, was mit der internationalen Haltung der
Partei nicht vereinbar war.743 Zudem war der mit diesem Plan bezweckte nationale
Föderalismus für Hartmann konsequenterweise ohnehin nur ein Übergangsstadium
für die Auflösung des Habsburger-Reiches und den „historisch notwendigen
Anschluß“ Deutschösterreichs an das Reich. 744

Auf Grund dieser, in seiner Partei isolierten Stellung Hartmanns in der nationalen
Politik sind die von vom Bruch zu Recht erhobenen, bereits erwähnten Zweifel an der
Vereinbarkeit von Gelehrtenpolitik und langfristiger Eingliederung in den
parteipolitischen Willensbildungsprozess für Hartmann zumindest insofern nicht
einschlägig.745 Die deutschösterreichischen Sozialdemokraten näherten sich zudem

740
Vgl. Nation, 145; ähnlich Debatte, 161 f., 164 f.
741
Vgl. Ursachen, 362; Appell, 7, auch 10 f.; ferner Nation, 147.
742
Stein Hartmann, 314; Rathkolb Hartmann, 52. Vgl. auch G. Fellner Hartmann, 261, 263 sowie Hartmanns
seltsame Aussagen in einem Bericht an Otto Bauer vom 2. Januar 1919 bei Rathkolb Hartmann, 59: Die
„deutsche Umwälzung“ bzw. „deutsche Revolution“ von 1918/19 sei eine rein soziale Bewegung ohne
nationalen Inhalt und gedankenarm. Es fehle ihr der romantische [!] Schwung ebenso wie die nationale
Begeisterung des Jahres 1848. Sie sei keine geistige Revolution, sondern ein rein materieller [!] Kampf.
743
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 300 (unter Hinweis auf „Verus (pseud.) [Hartmann]: Die Nationalitäten in
Österreich und die Sozialdemokratie, Neue Zeit XV/2 (1896/97), S. 688 ff.“ in Fn. 3), 306. Vgl. zudem oben, Fn.
304 über Hartmanns - vergeblichen - Versuch, mit der deutschnationalen Studentenschaft zusammen zu arbeiten.
744
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 306 - mit Nachweis in Fn. 2: „Vgl. den Brief Hartmanns an Kautsky vom
5. 2. 1898, wo er sich zustimmend zu Kautskys Zerfallsprognose äußert, und den Brief vom 15. 7. 1897
(Nachlaß Kautsky D XII, 85 u. 83).“.
745
Nur scheinbar widerspricht dem oben Gesagten Adler Gedächtnis, 106: „Er wäre schon früher auch offiziell
der sozialdemokratischen Partei beigetreten, wenn nicht gerade die Partei selbst Wert darauf gelegt hätte, einen
Mann solchen Gepräges wie Hartmann als einen Helfer zu haben, der ihr durch seine Haltung außerhalb der
Organisation mehr nützen konnte, als wenn er sich dieses Vorteiles einer Art neutralen Stellung begab. Aber
schließlich fand es Hartmann doch mit seiner Überzeugung unvereinbar, in einer doch unmöglichen Neutralität
zu verharren...“.
143

auf Druck insbesondere ihrer tschechischen Parteigenossen tatsächlich dem


nationalen Gedanken an, was seinen Ausdruck im bis 1918 geltenden Brünner
Nationalitätenprogramm von 1898 fand, das die Umwandlung der Habsburger-
Monarchie in einen demokratischen Nationalitätenbundesstaat forderte. 746 Im
Gegensatz zu Hartmanns Vorstellungen wurde hier allerdings das Recht der
nationalen Minderheiten anerkannt und ein Recht der „Nationalitäten“ auf Trennung
vom Gesamtreich implizit negiert.747 Das Programm konnte den Bruch zwischen der
deutschösterreichischen und der großen Mehrheit der tschechischen
Sozialdemokratie nicht verhindern, der sich zwischen 1906 und 1911 vollzog. 748 Ab
ca. 1907 vertraten die Sozialdemokraten immer mehr die Interessen der einzelnen
Völker gegen den Staat, was den nationalen Gedanken nun auch in der
deutschösterreichischen Arbeiterschaft wachsen ließ und auch die „großdeutschen“
Überlieferungen unter ihnen erneuerte. 749

Hartmann betonte jedoch stets, „die weltbürgerliche Idee“ sei eine notwendige
Ergänzung der nationalen, wahres Weltbürgertum und nationaler Staat bedingten
einander wie Gesellschaft und Individuum. 750 Außerdem sei im Kampf um das
Selbstbestimmungsrecht der eigenen Nation nicht die Feindschaft gegen die fremde
inbegriffen und nationalistische oder chauvinistische Politik abzulehnen. 751 Dennoch
sollen auch ihm Ressentiments gegen die Angehörigen anderer Völker nicht fremd
gewesen sein.752
746
Zum Brünner Nationalitätenprogramm: Kulemann Beispiel, 122-126. Zuvor hatte die Hainfelder Erklärung
gegolten, welche sich auf die Verurteilung der Vorrechte der Nationen und die Erklärung der SDAP zu einer
internationalen Partei beschränkte - vgl. ebd., 121. Zu den mit dem Brünner Programm übereinstimmenden
Konzepten von Otto Bauer und von Karl Renner vor dem Ersten Weltkrieg vgl. ebd., 126-129 bzw. 129-131
(vgl. aber 130 zu Renners Vorschlag, die Nationen nach dem Personalitätsprinzip zu organisieren).
747
Vgl. Kulemann Beispiel, 122 - vgl. auch noch ebd.: Die Forderung nach einer Staatssprache sei verworfen
worden.
748
Vgl. Kulemann Beispiel, 135-137; Whiteside Germans, 186-188. Bereits 1897 war ein neues
Organisationsstatut der Partei ergangen, das diese de facto in eine Föderation nationaler Parteien mit einer
föderativen Leitung verwandelt hatte - vgl. Kulemann Beispiel, 121.
749
Vgl. Mommsen Sozialdemokratie, 354.
750
Vgl. Nation, 147 bzw. Krieg, 25. Es fragt sich, in welchem Verhältnis Letzteres zu der von Hartmann
durchaus bejahten Möglichkeit des Endes der Nationalstaaten - vgl. oben, Fn. 718 - steht. Vgl. ferner
Christentum [Dezember 1915], 25 f. (für Internationalität und eine Weltorganisation). Zudem hatte Hartman
einen weiten internationalen Horizont - vgl. Bauer Hartmann Mitbegründer, 339 (Hartmann habe an der
Erkenntnis der Einheit der abendländischen Zivilisation gearbeitet.); Pribram Tod, 110 („Er war
sprachenkundig, ein feiner Kenner der Literaturen aller Zeiten und Völker.“); s. auch die von ihm 1919
herausgegebene „Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung“, unter deren Mitarbeitern sich zudem ein
Japaner, ein Franzose und ein Italiener befanden, womit Hartmann gemäß Stein Hartmann, 326 als erster
angesehener Gelehrte nach dem Ersten Weltkrieg „die sonst einander noch immer feindlich gegenüberstehenden
Nationen zu internationaler Kulturarbeit zu vereinigen gewusst“ hat.
751
Vgl. Krieg, 25 bzw. Nation, 146-148.
752
Vgl. - allerdings vereinzelt - Heuss bei Ramhardter Geschichtswissenschaft, 166: Hartmann sei ein
„gefühlsbetonter Großdeutscher voll antimagyarischer, auch antislawischer Empfindung“ gewesen. Man mag
144

Da Hartmann den „Anschluss“ an das Deutsche Reich befürwortete, verwundert es


nicht, dass er in der Zeit, in der dieses Ziel nicht zu verwirklichen war, jedenfalls auf
ein enges Bündnis zwischen den beiden Staaten hinwirkte. So gehörte er neben von
Philippovich, von Wettstein, Uebersberger u. a. dem Initiativkomitee an, das die
Forderung nach einem engen und dauernden wirtschaftlichen Zusammenschluss
Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Reich aufstellte und wie erwähnt bis zum
Dezember 1915 deren Unterzeichnung durch 855 deutschsprachige Hochschullehrer
Österreichs zustande brachte.753 Mit enormem Enthusiasmus machte sich Hartmann
für eine Zollunion zwischen Österreich [also offenbar ohne Ungarn] und dem
Deutschen Reich stark und forderte in der Ausschusssitzung des „Vereins für
Socialpolitik“ am 6. April 1916 in Berlin, dieses solle die Initiative ergreifen und jenem
das Zollbündnis aufzwingen.754

In einem Artikel vom April 1918 trat Hartmann auch für das Waffenbündnis als
notwendiges Übel ein.755 Seine Information Friedjungs über die angeblich
bündnisfeindliche Denkschrift von Lammasch gehört auch in diesen Rahmen, da sie
ja zur Pressekampagne Friedjungs gegen Letzteren führte. Gemäß Ramhardter gab
es in Österreich von Anfang 1915 bis zum Kriegsende „keinen einzigen Gelehrten
oder Publizisten“, der sich nicht für ein unauflösliches, enges Bündnis mit dem
Deutschen Reich ausgesprochen hätte.756

Nach dem Krieg wurde Hartmann dann vollends zum „Propheten des
Anschlusses“.757 Wie kaum ein zweiter engagierte er sich mit agitatorischem Pathos

seine Rede von den „Excesse[n] des czechischen Mob [sic]“, welcher die Prager deutschen Kliniken und
Institute im Dezember 1897 mit Steinen beworfen und mit Fäkalien verunreinigt habe - vgl. Niedergang, 678 -
als antislawisch bezeichnen.
753
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 41, auch 96.
754
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 166 f.
755
Vgl. Deutschland, 215-219.
756
Vgl. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 192. Das ist unglücklich ausgedrückt mindestens deswegen, weil
Ramhardter selbst ermittelt hat, dass weite Teile der Gelehrtenschaft sich während des Krieges jeder politischen
Stellungnahme und Betätigung enthielten - vgl. ebd., 185. Gemeint können also allenfalls diejenigen Gelehrten
und Publizisten sein, die sich damals überhaupt politisch äußerten. Zudem dürfte er auch nur die auf dem Gebiet
der Geschichte aktiv gewesenen meinen; denn sein Werk bezieht sich nur auf Historiker.
757
Zitat aus der Arbeiter-Zeitung bei G. Fellner Hartmann, 259.
145

und grenzenlosem Enthusiasmus für dieses Ziel. 758


Selbst Otto Bauer war
Hartmanns Vorgehen dabei oft zu forsch, zu wenig vorsichtig. 759

Über seine persönlichen Kontakte mit führenden Politikern hinaus lancierte Hartmann
diverse Kampagnen zur Gewinnung der öffentlichen Meinung für das Vorhaben, sei
es in der Presse oder durch Versammlungen, in welchen Professoren, Publizisten
und Politiker für die Vereinigung sprachen. 760 Als Pendler zwischen Berlin und Wien
betrieb er gleichzeitig Propaganda in Österreich selbst. 761

Dort hatten bereits alle Parteien für den „Anschluss“ optiert, so dass sich Hartmann
nun auch in dieser Hinsicht nicht mehr in Opposition zur Mehrheit zumindest der
Politiker befand.762 Artikel 2 des durch die Provisorische Nationalversammlung
erlassenen Gesetzes über die Staats- und Regierungsform Deutschösterreichs vom
12. November 1918 bestimmte: „Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen

758
Vgl. G. Fellner Hartmann, 261; Myers Berlin, 160 f.; auch Ramhardter Geschichtswissenschaft, 168
(Hartmann habe „mit geradezu schwärmerischer Verehrung“ der deutschen Einheit vorzuarbeiten versucht.).
759
Vgl. Low Austria, 57 (mit Zitat 57 f.); Rathkolb Hartmann, 60 („Ich bitte daher auch Sie, sich bei Ihrer
Tätigkeit in Berlin, die im Allgemeinen meinen Intentionen vollkommen entspricht, etwas mehr Zurückhaltung
aufzuerlegen.“ [Otto Bauer an Hartmann, 3. Januar 1919]); vgl. auch Myers Berlin, 160 sowie 169 (“...reports to
the French embassy about the ‘impassioned’ activity of Hartmann in Berlin only increased French doubts about
the sincerity of the German-Austrians.”). Über Otto Bauer als Ideologen und Motor des “Anschluss”-Versuchs:
Miller Ringen, 3-15. Zur Änderung von Bauers Haltung vgl. Myers Berlin, 155-165 (1. Phase) bzw. 165-171 (2.
Phase), insb. 165 (“Since Germany did not ‘show the resolution’ which Bauer desired..., he began to find it more
difficult to maintain his policy in the face of the opposition at home and from France.”) - s. aber auch ebd., 174 f.
760
Vgl. Myers Berlin, 161 f. Rathkolb Hartmann, 58: Hartmann habe eine sehr geschickt gesteuerte
Pressepropagandaoffensive geführt; nach eigener Aussage wollte er damit auch verhindern, dass die Agitation in
die Händen von Leuten gelangt, „die des Alldeutschtums verdächtig sind“; denn sie dürfe nicht von einem
annexionistischen Gesichtspunkt, sondern müsse vom Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgehen (Bericht an
Bauer vom 28. November 1918). Publizistisch nahm Hartmann z. B. in Vorwort Verdross, 6 und Appell, 19-32
für den „Anschluss“ Stellung. Vgl. zudem noch seine im SS 1921 sowie im WS 1922/23 an der Universität
Wien gehaltene Vorlesung „(Die) Geschichte des großdeutschen Gedankens“ - vgl. Filla Anhang, 200; s. dazu
auch Weinzierl Universität, 11: Von den beginnenden zwanziger Jahren an seien an allen österreichischen
Universitäten eigene Vorlesungen über die damals noch von einer Mehrheit der Österreicher erhoffte
Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich gehalten worden, und zwar von Historikern und
Staatswissenschaftlern der unterschiedlichsten Provenienz.
761
Vgl. z. B. den Bericht Sozialdemokraten, 3 vom 4. Februar 1919 über Hartmanns Rede im Rahmen der
Wahlen zur Nationalversammlung; Stein Hartmann, 329 (Organisation von Anschlussdemonstrationen in
Österreich durch Hartmann). Auch Hartmann brachte in der Diskussion der Sache nach das Argument von der
„Lebensunfähigkeit“ der Republik (Deutsch-)Österreich vor - vgl. in Sozialdemokraten, 3.
762
Für die SDAP vgl. Hawlik Parteien, Teil 2, 648 („uneingeschränkte[s] Eintreten“), 665. Ein erster, „allerdings
noch recht zögerlicher“ Vorstoß der SDAP „in Richtung auf eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich“ war
der Beschluss des Klubs der deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten im österreichischen
Abgeordnetenhaus vom 3. Oktober 1918 - vgl. Miller Ringen, 11 f. Ausdrücklich erfolgte das Bekenntnis zum
„Anschluss“ dann durch Viktor Adler im Namen der Partei auf der konstituierenden Sitzung der deutsch-
österreichischen Provisorischen Nationalversammlung in Wien am 21. Oktober 1918 - vgl. Miller Ringen, 13 f.
Vgl. schließlich Rathkolb Hartmann, 53 (Vor allem in der Führungsschicht der Sozialdemokraten hätten
zahlreiche Intellektuelle jüdischer Herkunft nach 1918 einen Anschluss an ein sozialistisches Deutschland
gefordert.).
146

Republik.“ 763
Und es waren, wie bereits gesagt, nun auch (fast) alle österreichischen
Historiker-Kollegen Hartmanns Befürworter des Zusammenschlusses mit dem
Deutschen Reich geworden. Wie die Stimmung der Bevölkerung in dieser Frage war,
ist abgesehen von den bekannten, freilich (sofern nicht manipuliert) eindeutigen
Volksreferenden in einigen österreichischen Bundesländern schwer zu beurteilen,
jedoch dürfte die große Mehrheit eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich
ebenfalls befürwortet haben.764 Auf jeden Fall waren die Deutschösterreicher wie
bereits zuvor im Hinblick auf die Mitteleuropa-Bewegung im Schnitt enthusiastischer
für den „Anschluss“ eingenommen als die Reichsdeutschen. 765

Wie Klein warnte Hartmann beständig vor halbem Vorgehen und verlangte den
Vollzug „jene[s] berühmte[n] kühne[n] Griff[s]“, forderte, den „günstige[n] Moment“
„eben auf irgendeine Weise“ herbeizuführen. 766 Das heißt: Er befürwortete ein
staatsrechtliches fait accompli.767

Auch wenn die Vergeblichkeit aller seiner Bemühungen um die Vereinigung die
größte Enttäuschung seines Lebens darstellte, war Hartmann bei seiner endgültigen
Rückkehr nach Wien keineswegs gebrochen, „eben weil er an der Konsequenz der
‚Weltgeschichte’ nie gezweifelt“ habe.768

bb. Sozialpolitik
Zunächst war Hartmann wie erwähnt in verschiedenen sozialpolitisch ausgerichteten
Vereinigungen aktiv. Die im Rahmen der Erörterungen über Friedjungs Sozialpolitik
bereits beschriebenen sozialpolitischen Ziele der Wiener Fabier sowie der
Sozialpolitischen Partei dürfte er zumindest weit gehend geteilt haben.

763
Vgl. Miller Ringen, 14 f.
764
Vgl. Suval Search, 275; Meyer Mitteleuropa, 293 (Konservative, Liberale und Sozialisten in beiden Ländern
hätten den Anschluss fast einmütig unterstützt.).Vgl. ferner Boyer War, 38 f. insb. 38 („...remarkably diverse and
inconsistent, pendulating from week to week and month to month...”) und 39, Fn. 167 und 169 (Schreiben Otto
Bauers an Hartmann vom 3. Januar bzw. 15. Juli 1919). Zur Resonanz auf den „Anschlussgedanken“ innerhalb
der Arbeiterbewegung: Miller Ringen, 39-48, insb. 39 (Nach der Akzeptanz durch die SDAP habe es hier -
soweit es sich feststellen lasse - keine Opposition mehr dagegen.).
765
Vgl. Meyer Mitteleuropa, 294.
766
Vgl. G. Fellner Hartmann, 270. Vgl. auch Hartmann Vorwort Verdross, 6: „...soll aber jeder Deutsche seine
Stimme erheben für das Gebot der Gerechtigkeit und Notwendigkeit, das Groß-Deutschland heißt.“.
767
Vgl. Miller Ringen, 37.
768
Größte Enttäuschung: Pribram Tod, 114; Ungebrochenheit: G. Fellner Hartmann, 270 unter Berufung auf
Hartmanns Tochter (Nw. in Endn. 287, S. 436); vgl. auch Hartmann Vorwort Verdross, 6: Falls die Konferenz in
Saint-Germain das Selbstbestimmungsrecht des Volkes verkennen sollte, werde „die Geschichte über sie selbst
hinweggehen.“ Die Entscheidung stehe nahe bevor.
147

Angesichts seiner Mitgliedschaft in der SDAP seit ca. 1901 liegt die Annahme nahe,
er habe sich - gerade im Verhältnis zu Friedjung und Klein - zumindest seitdem
besonders stark in der Sozialpolitik engagiert. 769 Sie trifft jedoch, zumindest nach den
bisher über Hartmanns politische Aktivität veröffentlichten wenigen Darstellungen
und seinen hier herangezogenen eigenen Publikationen zu urteilen, nur insoweit zu,
als man seinen durchgängig starken Einsatz für die Volksbildung in Betracht zieht.
Ansonsten trat er in konkreten sozialpolitischen Fragen offenbar erstaunlich wenig in
Erscheinung.770 Das überrascht vielleicht umso mehr, als Hartmann in Max Adlers
Worten sich nicht bloß wie die meisten Gebildeten dieser Zeit als ein zum Volk
herabsteigender Gebender, sondern (entgegen seiner eigenen sozialen Herkunft) als
ein Teil seiner aufstrebenden und kämpfenden Klassen gefühlt hat. 771

Aus zwei zeitgenössischen Aussagen geht jedenfalls hervor, dass Hartmann sich in
der SDAP offenbar überwiegend nur im Sinne einer Agitation gegen den
Klerikalismus und für den Schutz freier Forschung engagierte - was nur am Rande
sozialpolitisch und überdies nicht spezifisch sozialdemokratisch war, was
selbstverständlich auch jeder aktive Liberale dieser Zeit tat. 772 Allerdings war die
gesamte deutschsprachige sozialdemokratische Intelligenz in Wien gemäß Josef
Weidenholzer „in erster Linie einmal antiklerikal“.773

769
Von den von Weidenholzer Betrachtungen, 182 f. im Anschluss an Robert Michels genannten acht - in etwa
nach ihrer „Güte“ geordneten - typischen Motiven für den Beitritt Intellektueller zu einer sozialdemokratischen
Partei dürften für Hartmann (nur) die ersten drei eine weitgehende Rolle gespielt haben: „1. Der Mann der
Wissenschaft ist vom ‚veredelten Idealismus beseelt’, ‚wissenschaftliche Konsequenz ist ihm kategorischer
Imperativ’, und die Opfer, die er der Partei bringt, steigern sein Lebensgefühl. 2. Der Mann des ‚starken, von
innerer Glut durchdrungenen Gefühlslebens wird vom Bekennermut getrieben’ und vom ‚Bedürfnis, Gutes zu
tun’ geleitet. Er hegt ‚Abscheu vor aller Ungerechtigkeit’ und ‚Mitleid mit der Schwäche und dem Elend’. Seine
persönliche Befriedigung liegt in der ‚Hingabe an die Verwirklichung großer Ideen’. 3. Der Patriot, ‚der dem
Sozialismus aus tiefem Schmerz oder bitterer Enttäuschung über die Leiden des Vaterlandes’ beitritt. Der
Sozialismus ist für ihn ‚unbewußt nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck’.“.
770
Kaum etwas zu tun hat dies mit einer eventuell befürchteten Repression durch die Behörden - der Hartmann
ohnehin stets mutig entgegen stand -; denn die im Juni 1886 nach dem Vorbild der reichsdeutschen
„Sozialistengesetze“ in Österreich(-Ungarn) eingeleiteten Maßnahmen gegen „anarchistische“ Agitation waren
Ende der 1880er Jahre entschärft worden, und seitdem wurden keinerlei Versuche durch den Staat mehr
unternommen, Oppositionsbewegungen für ungesetzlich zu erklären - vgl. Cohen Politics, 251 f.. Vgl. noch
Holleis Partei, 106 (Das liberale Bürgertum habe u. a. Hartmanns sozialpolitische Schriften mit großem Interesse
gelesen, jedoch kein Interesse an aktiver Sozialpolitik gehabt.) sowie die immerhin hohe Auflagenzahl der
Arbeiter-Zeitung - vgl. oben, Fn. 525 -, in welcher Hartmann zahlreiche Artikel veröffentlichte.
771
Vgl. Adler Gedächtnis, 106.
772
Zu diesen beiden, offenbar fast ausschließlichen Schwerpunkten von Hartmanns Tätigkeit innerhalb der
Partei: Pribram Tod, 114; Stein Hartmann, 315.
773
Zitat: Weidenholzer Betrachtungen, 186. Zur Liberalität der österreichischen „kathedersozialistische[n]
Intelligenz“ allgemein: ebd., 179, 186.
148

In der Theorie postulierte Hartmann - der von Marx beeinflusst, aber kein
Austro-/Marxist war - zwar die Notwendigkeit des Klassenkampfes. 774 Auch
behauptete er, die Arbeiterorganisationen seien vor allem auch
Widerstandsorganisationen gegen die „Herrschaft“ des Unternehmers, die
Arbeiterklasse vertrete das Gesamtinteresse der Zukunft, und sprach sich auf lange
Sicht für Verstaatlichung der Industrie, Planwirtschaft und eine Abschaffung des
Systems der Profitwirtschaft aus. 775 Aber dies wirkte sich in seiner Tagespolitik
offensichtlich kaum aus.776

Möglicherweise ist das offenbar nicht allzu starke Engagement Hartmanns in der
Sozialpolitik im engeren Sinne auch auf seine enorme Arbeitsbelastung in
Forschung, Lehre und Volksbildung sowie im Kampf für die deutsche Nation
zurückzuführen.777 So benutzte er seine zahlreichen Dienstreisen als Gesandter in
Berlin von dort nach Wien, wo er sich dann ein bis zwei Tage aufhielt, zur
Fortsetzung seiner akademischen Lehrtätigkeit und arbeitete nachts noch einige
Stunden wissenschaftlich.778 Die bereits erwähnte Entwicklung der Parteien hin zum

774
Vgl. Entwickelung, 53-56; auch Christentum, 31 f., 34; Klerikalismus, 400. Zur „Soziologie der Revolution“
vgl. Soziologie, 24-39. Kein Marxist: vgl. Adler Gedächtnis, 103 f.; vom Bruch Rezension, 121 sowie G. Fellner
Hartmann, 121 (Hartmann habe kein ausgeprägtes Marxismusverständnis besessen.). Vgl. auch Hartmann
Entwickelung, V (dort auch zu Hartmanns selbst bekundeter ausdrücklicher Übereinstimmung mit Pjotr
Kropotkin „in manchen Punkten“). Vgl. überdies Filla Hartmann, 84: „Hartmanns Volksheim hat sich ... zum
[sic] Marxismus in zunehmendem Maße geöffnet...” Zur Offenheit und Transformation des Austromarxismus
vgl. Knapp Rezension, 582.
775
Vgl. Rezension, 175 bzw. Frage Minoritätenschulen, 153 bzw. Ramhardter Geschichtswissenschaft, 166 (mit
Hinweis auf Hartmanns „Über den Beruf unserer Zeit“, 17). Zur „Soziologie der Revolution“ vgl. Hartmann
Soziologie, 24-39. Zu Hartmanns Einstellung zur Gewalt vgl. Engel-Janosi Hartmann, 77-91. Zur Arbeiterschaft
als Vertreterin des Gesamtinteresses der Zukunft vgl. auch Hawlik Parteien, Teil 2, 653 (In ihrer Theorie sei die
SDAP als Kämpferin aller Unterprivilegierten aufgetreten. Tatsächlich habe sie jedoch nur den überwiegenden
Teil des Proletariats umfasst, während sie die Interessen der Mittelständler und Kleinbauern nicht berücksichtigt
habe.).
776
Nur in scheinbarem Widerspruch hierzu steht die unten bei Fn. 808 zitierte Aussage Hartmanns über die
österreichische Sozialdemokratie.
777
Vgl. G. Fellner Hartmann, 105: Hartmanns Leben sei von ständiger aufreibender Arbeit überlastet gewesen.
778
Vgl. Stein Hartmann, 329. Vgl. für das späte Deutsche Kaiserreich auch vom Bruch Wissenschaft, 12: Die
„Professionalisierung“ im Hochschulbereich habe in erheblichem Maße zuvor politisch einsetzbare Energien
gebunden - zu den einzelnen Faktoren vgl. ebd., 250 (v. a. zunehmende wissenschaftliche Spezialisierung,
Konkurrenzdruck, „Großbetrieb der Wissenschaft“ [Harnack], wissenschaftlicher Produktionszwang,
Verwaltungstätigkeiten, wachsende Prüfungs- und Lehraufgaben, vehement nachdrängender wissenschaftlicher
Nachwuchs). Zu den Trends an den reichsdeutschen Universitäten dieser Zeit vgl. ferner vom Bruch
Gelehrtenpolitik, 33-35, insb. 34: Konzentration (auf die Massenuniversitäten [Berlin, München, Leipzig]) und
Organisation (lokale Schwerpunktforschung im Zuge wissenschaftspolitischer Steuerungsmaßnahmen sowie
organisierte Verbundforschung und hochschulfrei organisierte Projektforschung) - Diversifikation
(Spezialisierung, aufgewertete bzw. neue Hochschultypen, Personalstruktur), ebd., 34 f. (Dekorporierung). Zur
Explosion der studentischen Frequenzen im Deutschen Reich zwischen 1870 und 1910 bzw. 1869 und 1914: vom
Bruch Professoren, 13 bzw. 19; zudem auch Hübinger Gelehrte, 235. Für Österreich in den 1890er Jahren
konstatiert Höflechner Baumeister, 176 f. (allerdings), das Hochschulsystem sei „in sich überaltert“ gewesen, und
es habe ein Strom von Berufungen an reichsdeutsche Hochschulen eingesetzt, welcher im Gegenzug kaum eine
Entsprechung gefunden habe; vgl. dazu auch Hartmann Niedergang [1902], 678-680.
149

Berufspolitikertum „mit dem Zwang zu hauptamtlich besoldeten Funktionärskadern“


wird das Ihrige dazu beigetragen haben; so ist von einem bestimmten Posten
Hartmanns in der SDAP in der Literatur nichts zu finden. Über eine zur Durchsetzung
eigener Vorhaben in der Partei nötige „Hausmacht“ verfügte Hartmann wie der
typische Gelehrtenpolitiker wohl kaum, aber möglicherweise hat er (auch)
sozialpolitisch Einfluss auf die eng mit ihm befreundeten Führer der Partei
genommen.779

Dass er innerhalb seiner politischen Aktivität jedoch offenbar andere als


sozialpolitische Schwerpunkte setzte, muss Gründe außerhalb der vorstehenden
Erwägungen gehabt haben - vermutlich u. a. seine bürgerliche, eben gerade diese
politischen Schwerpunkte setzende Erziehung.780

b. Mittel und Wirkung


Zwar präzisierte Hartmann 1917, als die österreichische Sozialdemokratie immer
mehr in Opposition zur Kriegspolitik gelangte, seine schon früher indirekt erhobene
Forderung nach Beseitigung des bürgerlichen Klassenstaates in der Broschüre „Über
den Beruf unserer Zeit“, in welcher er prophezeite, der Kampf der Bourgeoisien
untereinander liefere dem Proletariat die Waffen, welche sich gegen die Bourgeoisie
selbst kehren würden, und in der er die Arbeiterschaft aufforderte, die Initiative zu
ergreifen.781 Ansonsten aber befürwortete er evolutionäre Mittel zur Erreichung des
revolutionären Zustandes und lehnte besonders die Anwendung der
„bolschewikischen Methoden“, insbesondere „die Terrorisierung der Mehrheit durch
die bewußten Minderheiten“ in Deutschland ab. 782

Mit letzteren Ansichten befand er sich in der SDAP nicht in einer Minderheit. Denn
der österreichische Sozialismus (zumindest) der Vorkriegszeit verstand sich

779
Zu diesen Freundschaften vgl. Pribram Tod, 114 (vor allem mit Viktor Adler und Pernerstorfer); [Max] Adler
Gedächtnis, 106 (mit Viktor Adler); Bauer Hartmann, 203 (mit Viktor Adler). Zum regelmäßigen Fehlen einer
Hausmacht von Gelehrtenpolitikern vgl. vom Bruch Wissenschaft, 287.
780
Vgl. auch vom Bruch Rezension, 121 über Hartmann („Sozialdemokrat, mit stark linksliberaler Färbung“).
781
Vgl. Huber Universität, 46; Ramhardter Geschichtswissenschaft, 165; zu dieser Schrift Hartmanns vgl. ferner
Herholt Hartmann, 72-81, auch 82 f. S. schließlich noch Lenel Vermischtes, 572 (Hartmann habe sich
[beständig?] „empört über die Nachgiebigkeit der [reichs-]deutschen Sozialdemokratie gegen die Reaktion“
geäußert.).
782
Vgl. oben, a. aa. zu seiner Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien in der nationalen
Frage; auch Knapp Rezension, 583 über „the quick willingness of Ludo Moritz Hartmann, before 1914, to call
for political democracy and to disregard revolution“. Gegen die „bolschewikischen“ Methoden in Deutschland:
Hartmann Deutschland, 218.
150

„vornehmlich als Kulturbewegung, als Mittel zur sittlichen, moralischen und


intellektuellen Hebung der Arbeiterschaft“. 783 Und nach Hartmanns eigener
Einschätzung von 1910 arbeitete die österreichische Sozialdemokratie im Gegensatz
zur SPD nicht in erster Linie auf die Gestaltung der Zukunft hin, sondern wollte
Einfluss auf die bestehenden Verhältnisse ausüben. 784 Zudem war die SDAP gemäß
Peter Kulemann zwar aktivistischer und kämpferischer als die deutsche
Sozialdemokratie, wie es besonders in der Massenstreikfrage zum Ausdruck
gekommen sei, es habe ihr auch ein „revisionistischer“ Flügel gefehlt; jedoch habe
sie ihre Politik viel taktischer als die SPD formuliert und sei viel eher als diese zum
Lavieren und zur Nutzung von Gelegenheiten wie „Hofgang oder ... Mitarbeit an
bürgerlichen Zeitungen, die eine formale Oppositionshaltung ausdrückten“, bereit
gewesen.785 Demnach durchbrach die SDAP „in der Praxis nicht den Rahmen der
bürgerlichen Zielvorstellungen, war ein Gutteil ihrer Politik in der habsburgischen
Monarchie auf die Durchsetzung bürgerlich-demokratischer Ideale und Reformen
gerichtet“.786

Die Einschätzung der Aktivität Hartmanns innerhalb der SDAP ist nicht ganz
einheitlich: Nach Hans Jürgen Rieckenberg ist er parteipolitisch nicht besonders
hervorgetreten, gemäß Alfred Francis Pribram wirkte er „im alten Staate ...
Dezennien hindurch“ im Interesse der sozialdemokratischen Partei und diente ihr
selbstlos.787 In der Einschätzung Günter Fellners war er als Parteipolitiker „nicht sehr
erfolgreich“.788

783
Zitat: Maderthaner Politik, 773. Vgl. auch Kulemann Beispiel, 157:
784
Vgl. Kulemann Beispiel, 157 (1910: s. ebd. 435, Endn. 346). Vgl. auch Weidenholzer Betrachtungen, 170
(Leo Trotzki über die Austromarxisten): „Diese Menschen waren keine Revolutionäre ... Der Austromarxist aber
erwies sich zu oft als ein Philister, der den einen oder den anderen Teil der Marxschen Theorie studierte, wie
man Jus studiert...“.
785
Vgl. Kulemann Beispiel, 157. Zur josephinischen Tradition der Verbesserung durch kleine Schritte, die sich
bis hin zu den reformistischen Varianten des Austromarxismus ausgewirkt habe, vgl. Knoll Konstruktion, 49.
Über die „distinct ‚Austrian idea’“ parlamentarischer Politik - scharfe Worte gegenüber den eigenen Anhängern
bei gleichzeitigen, zu Kompromissen führenden Verhandlungen mit den politischen Gegnern - zumindest bis
1897 allgemein: Whiteside Germans, 190. Vgl. auch Hawlik Parteien, Teil 2, 635(-646): In der SDAP sei
kontrovers über die Frage bürgerliche Demokratie oder Räterepublik bzw. Diktatur des Proletariats [also über
das anzustrebende Ziel] diskutiert worden. Der Parteitag 1917 habe erstmals den Gegensatz zwischen
“Reformisten” (“Rechten”) und “Revolutionären” (“Linken”) [also zwischen den Propagandisten verschiedener
Mittel zur Erreichung des Zieles] zu Tage gebracht.
786
So Kulemann Beispiel, 134.
787
Vgl. Rieckenberg Artikel, 737 bzw. Pribram Tod, 114.
788
Vgl. G. Fellner Hartmann, 116.
151

Obwohl Hartmanns Propaganda als Gesandter in Berlin zum größten Teil in Form
persönlicher Einwirkungen stattfand und ihr Einfluss daher insofern nur schwer
abzuschätzen ist, waren sich die Zeitgenossen offenbar einig darüber, dass erst
seiner „Agitation von Mann zu Mann“, seiner Einflussnahme auf die führenden
Politiker aller Parteien in Berlin gelang, die dem „Anschluss“ gegenüber dort
ursprünglich sehr reservierte Stimmung innerhalb von nur fünf Monaten derart zu
ändern, dass nun alle reichsdeutschen Parteien für diesen plädierten. 789
Insbesondere baute er „sehr schnell“ ein „sehr intimes Verhältnis“ zu Friedrich Ebert
auf und bereitete die Berliner Verhandlungen der beiden Außenminister, Otto Bauer
und Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, vor. 790

Und während Susanne Miller einen gestaltenden Einfluss Hartmanns auf die
Beratungsergebnisse in der Weimarer Nationalversammlung bestreitet, hielt Otto
Bauer einen solchen nicht nur für existent, sondern auch für groß. 791 In diesem
Zusammenhang bemerkte Bauer, auf Hartmanns Vorschlag hin sei die
schwarzrotgoldene Flagge in der Weimarer Verfassung als Reichsflagge
festgeschrieben und die Bestimmung aufgenommen worden, die Österreich den
„Anschluss“ offen hielt.792

789
Vgl. Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208; „AdR, NPA, Gesandtschaftsakten Berlin, 1929[?],
423/Pol v. 23. Nov. 1920“ bei Rathkolb Hartmann, 63: “Den Erfolg des zweijährigen Wirkens des ersten
österreichischen Gesandten bildet die Einheitsfront aller deutschen Parteien des Reiches in der Anschlußfrage.”
Vgl. auch Myers Berlin, 160: „...it cannot be doubted that he effectively rallied supporters to the Anschluss
cause.” - auch ebd., 161, 174; vgl. ferner, allgemein zum - dem Wechsel in Otto Bauers Politik (s. oben, Fn. 759)
konträren - Stimmungswandel in Berlin, Hartmann Appell, 6 und Myers Berlin, 153-165 (1. Phase) bzw. 172-
174 (2. Phase). In seinem Bericht an Bauer vom 2. Januar 1919 hatte er noch gemeldet: „Der von Deutsch-
Österreich ergangene Ruf nach Vereinigung aller Deutschen verhallt teilnahmslos...“ - vgl. Rathkolb Hartmann,
59; vgl. dazu ebenfalls Miller Ringen, 15-20, 21-28 (zur Politik der Volksbeauftragten), 41-48, insb. 46 (Auch
die Repräsentanten der süddeutschen Länder hätten nur eine schwache Anteilnahme gezeigt - mit Zitat von
Hartmann in Fn. 162), sowie 49 f. (Hartmann in einem Brief an R. Laun). Zu Hartmanns Wirken als Gesandter
in Berlin s. Miller Ringen, 23-30, 32, 36-40, 46, Fn. 162, 49 f., insb. 24 f.(Bereits die Ansprache beim ersten
Auftreten Hartmanns als österreichischer Gesandter auf der Konferenz vom 25. November 1918 in Berlin, zu der
die „Reichsleitung“ Vertreter sämtlicher deutscher Länder sowie die Staatssekretäre der Reichsämter und ihre
Beigeordneten eingeladen hatte, habe nach Oberst Hans von Haeften vom Preußischen Kriegsministerium
großen Eindruck gemacht.).
790
Vgl. Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208; Miller Ringen, 38 (Eigenartigerweise habe sich
zwischen dem „oft übervorsichtigen, nüchternen Ebert“ und dem „als etwas weltfremd geltenden Enthusiasten
Hartmann“ eine Übereinstimmung über die Notwendigkeit des Anschlusses vor dem Friedensschluss
herausgebildet.).
791
Vgl. Miller Ringen, 28 [ohne Nw.] mit dem Zusatz, nur selten habe Hartmann „in diesem Gremium“ [wohl:
im Plenum] das Wort ergriffen, und dies zumeist auch nur, um seine Übereinstimmung mit dem Standpunkt von
Hugo Preuß und dem der Sozialdemokraten zu bekunden [ohne Nw.] bzw. Otto Bauer bei [Stephan] Bauer
Hartmann, 208.
792
Otto Bauer bei [Stephan] Bauer Hartmann, 208.
152

Dennoch erwies sich sein großer Einsatz in dieser Frage bekanntlich im Ergebnis als
unwirksam. Mit seinem Drängen nach einem fait accompli hatte er sich gegen die
von den Außenministern der beiden Länder angewandte Taktik eines schrittweisen
Vorgehens zudem nicht durchsetzen können. 793 Immerhin haben sich einige seiner
Einschätzungen als zutreffend erwiesen: seine Skepsis hinsichtlich der Förderung
der Einheit beider Länder durch wirtschafts- und währungspolitische Verhandlungen
und auch, dass der „Anschluss“ nach dem Friedensschluss vermutlich eine noch
geringere Chance hatte als davor.794

Einige Charaktereigenschaften Hartmanns dürften seinem Erfolg in der Politik


abträglich gewesen sein. Zu jenen gehörten nach Aussage nicht nur seiner Freunde
und Schüler besonders seine, auch von den politischen Gegnern anerkannte
Wahrhaftigkeit und Gesinnungstreue: Er trat hiernach immer mit ganzer Kraft mutig
für seine Überzeugung ein ohne Rücksichtnahme auf mögliche negative Folgen. 795
Das müsste dann nicht bloß seine bekannten - aber auf Grund seines mangelnden
Ehrgeizes, innerhalb des Systems politische Karriere zu machen, wenig relevanten -
Schwierigkeiten mit dem k. u. k. Staat zur Folge gehabt, sondern sich auch auf seine
Stellung innerhalb der SDAP ausgewirkt haben.796 Durch seine Wortmeldungen zur
„nationalen Frage“ war er denn auch, wie gesagt, jedenfalls in dieser Hinsicht bis
1918 isoliert in seiner Partei.

Außerdem galt Hartmann, wie angeführt, als „etwas weltfremd“ - was eine dem
Politisieren nicht gerade förderliche Eigenschaft ist. 797 Das gilt wohl - ohne dass zum
Beleg dafür tiefschürfende psychologische Untersuchungen nötig wären - zum Teil
auch für seine in allen Nachrufen, ob von wissenschaftlichen Gegnern oder von

793
Vgl. Miller Ringen, 35 f.
794
So Miller Ringen, 39 bzw. ähnlich ebd., 38 (genau: „...nach Friedensschluß der Anschluß erst recht keine
Chance mehr hatte.“). Zum Vorziehen der Behandlung wirtschaftlicher Fragen vgl. Miller, Ringen, 36 f. (mit
Zitat eines Schreibens von Hartmann an Otto Bauer vom 4. 3. 1919).
795
Vgl. Pribram [Freund Hartmanns] Tod, 113-115; auch Bauer [Freund Hartmanns] Hartmann, 197; Stein
[Schüler Hartmanns] Hartmann, 316; vgl. ferner Hartmann selbst Andenken, 21 sowie einen Gegner Hartmanns
auf wissenschaftlichem und politischem Gebiet, Lenel, in Vermischtes, 572, 574.
796
Zu den Reibungen mit dem Habsburger-Staat vgl. das erwähnte Verfahren gegen ihn kurz vor Ende des
Ersten Weltkriegs sowie Stein Hartmann, 316 (Da Hartmann sich nie gescheut habe, das auszusprechen, was er
für wahr und recht gehalten habe, habe es an Konflikten mit dem Habsburgerstaat nicht fehlen können. Bereits
als Jüngling habe er aus Entrüstung über die Brutalität eines Polizisten eine „Einmengung in eine
Amtshandlung“ begangen, und 1912 sei er „auf eine lächerliche Anklage hin“ wegen Beleidigung der Prager
Polizei zu einer Geldstrafe verurteilt worden.).
797
Zitat: Miller Ringen, 38. Vgl. auch noch Stein Hartmann, 315 (Hartmann sei in den Dingen des Alltags sehr
unpraktisch gewesen.).
153

persönlichen Freunden, gepriesene menschliche Wärme, Güte und Fairness. 798 Und
noch mehr dafür, dass er undemagogisch, still, fein, bescheiden, geistig vornehm
und tolerant gewesen sein soll.799 Allerdings halfen ihm seine „bezwingende
Liebenswürdigkeit“ und die Sympathien, die er weithin erweckte, in politischer
Hinsicht auch; und zwar dann, wenn er - wie als Gesandter in Berlin - in
persönlichem Kontakt mit einflussreichen Menschen stand. 800

Dennoch urteilte sein Schüler Ernst Stein über Hartmanns Wirken als Gesandter in
Berlin offenbar zu Recht: „Der stets vertrauensvolle und ehrliche Optimist besaß wohl
die liebenswürdigsten Umgangsformen, aber nicht die Verschlagenheit, die der
Diplomat braucht. So beurteilte er die Wirklichkeit allzusehr nach den öligen Phrasen,
mit denen die Regierungen beiderseits nicht sparten...“ 801 Zudem verfügte Hartmann
über ein „politischem Finassieren abholde[s] Temperament“ - was bekanntlich dem
Erfolg von Politik in der Regel hinderlich ist. 802 In der Tat fehlte vielen
Gelehrtenpolitikern der Wille, sich an taktischen Winkelzügen zu beteiligen. 803
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Hartmanns Politik wenig Erfolg beschieden war.

II. Basis der Politik im wissenschaftlichen Selbstverständnis?


1. Heinrich Friedjung
Aufgabe des Historikers war für Friedjung nicht, über Wahrheit und Irrtum zu urteilen,
sondern „festzustellen, welche Kräfte in der Vergangenheit gewaltet haben und

798
Über die Nachrufe und deren entsprechenden Inhalt: Herholt Hartmann, 18. Vgl. auch Adler Gedächtnis, 108;
Pribram Tod, 115; Stein Hartmann, 329.
799
Undemagogisch: Bauer Hartmann, 203; tolerant: Stein Hartmann, 316; zu den übrigen aufgeführten
Eigenschaften vgl. Adler Gedächtnis, 108; zur Bescheidenheit bzw. Selbstlosigkeit Hartmanns vgl. (auch) Stein
Hartmann, 316 bzw. G. Fellner Hartmann, 105.
800
Zitat: Adler Gedächtnis, 108; über die Sympathien: Bauer Hartmann, 203; über den Wert von Hartmanns
Liebenswürdigkeit in der Politik: Bauer Hartmann Mitbegründer, 338.
801
Stein Hartmann, 329; vgl. auch Myers Berlin, 160 (Hartmanns emotionale Bindung habe eine objektive
Berichterstattung von der Situation in Berlin zuweilen verhindert.); Miller Ringen, 37 i. V. m. 36 zur falschen
Einschätzung der Haltung Graf Brockdorff-Rantzaus durch Hartmann in einem Schreiben an Otto Bauer vom 4.
3. 1919. Zum „sittlichen Optimismus“ Hartmanns vgl. noch Lenel Vermischtes, 574.
802
Zitat: Miller Ringen, 36.
803
Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 286.
154

welche Wirkungen durch ihr Wechselspiel ausgelöst worden sind.“ 804 Dabei gebe es
in der Kette von Ursache und Wirkung keine Lücke.805

Allerdings differenzierte er: „Die innere Notwendigkeit des Geschehens und all das,
was wir die Gesetzmäßigkeit geschichtlichen Werdens nennen, tritt eben nur dann
hervor, wenn die Welthistorie in großen Epochen betrachtet wird. Dagegen hängt das
Schicksal der einzelnen Generation oder gar der Ausgang jedes besonderen Krieges
oft weniger von der Gediegenheit der verschiedenen Volksnaturen als von den
Fähigkeiten der handelnden Menschen ab. Die Geschichte ist also ein kunstvolles
Gewebe von Notwendigkeit und Zufall - und in den vieldeutigen Begriff des Zufalls
fällt alles Persönliche... In dieser verwirrenden und zugleich reizvollen
Mannigfaltigkeit sucht der Geschichtsschreiber das Gesetz der Entwicklung“, welche
durch die Kräfte bestimmt sei, die „aus dem geheimnisvollen Urgrunde der
Volksseele aufsteigen.“806 Insgesamt zeichnete Friedjung angesichts der „unendlich
reich[en]“ Fülle und „wundervollen Mannigfaltigkeit“ der Geschichte eine Abneigung
gegen Lehrsätze und Systeme in der Historie aus. 807

Die Hauptträger der Geschichte waren für ihn - ganz im Sinne des historistischen
Konzepts vom „Volksgeist“ - also die „Völker“: Im großen Gang der Weltgeschichte
entscheide in erster Linie die „lebendige Volkskraft“, sie werde „gebieterisch durch
die Kräfte bestimmt..., die aus dem geheimnisvollen Urgrund der Volksseele
aufsteigen.“808 Dabei stellte er sich diese „Völker“ und ihr „Volksgefühl“ als bereits
sehr lange mehr oder weniger unverändert vor. 809 So befand er: „Dem Historiker ist

804
Vgl. Zeitalter, 12. Zu Friedjung als Historiker vgl. v. a. Glaubauf Bismarck, passim, insb. 244-250. Zum Stil
der historischen Werke Friedjungs vgl. - lobend - Hartmann an Louis Eisenmann (Paris), 28. 7. 1920 bei G.
Fellner Hartmann, 395, Endn. 117; Redlich Nekrolog, 226, 228 f.; Ritter Historians, 70 (zu Friedjungs
Charakter-Darstellungen) und Rezension Adlgasser, 291; von Srbik Friedjung, 536, 540 (insb.: „Feinheit der
Porträts“, „Plastik der Schlachtenschilderungen“, „Künstler“); vgl. noch Bettelheim Friedjung, 29 („Künstler“);
Bogner Auseinandersetzungen, 108; ablehnend hingegen Karl Kraus - vgl. Lind Satiriker, 391
(„Papierdeutsch“).
805
Vgl. Custoza, 6. Kritisch zur Art der Historiographie Friedjungs äußerte sich sein Freund Hartmann - vgl.
oben, bei Fn. 339.
806
Vgl. Kampf, Bd. 2, 1 f. Eine Begründung für diese Differenzierung liefert Friedjung nicht.
807
Vgl. Litz Grundbegriffe, 26 f. Auch dies ist typisch historistisch. Zur Skepsis gegenüber historischen Gesetzen
im Wien um 1900 s. oben, Fn. 362 (Rabinbach).
808
Vgl. Kampf, Bd. 2, 1 f.; vgl. auch Ausgleich, 30, („...jenen dunklen Urgrund aller Völkergeschichte ... den
Nationalcharakter...“). Die Rolle der Juden in der österreichischen Geschichte behandelte Friedjung in seinem
wissenschaftlichen Werk - gemäß dem genannten Ansatz in Verbindung mit seinem Volksbegriff konsequent -
nur selten - vgl. Ritter Historians, 54, der meint, dies sei offenbar deswegen geschehen, weil Friedjung seine
Objektivität nicht habe kompromittieren wollen.
809
Vgl. Einigung, 1 - s. allerdings auch ebd.: Die geistige Blüte des 18. Jahrhunderts habe das Volksgefühl
gehoben: Die deutsche Nation sei sich des Zusammenhangs ihrer Volksstämme bewusst geworden.
155

es eine lohnende Aufgabe, die Erinnerung an den Heldenmut der Vorfahren und an
deren segensreiche Taten im Frieden wach zu halten: das ist sein Leitstern durch
das Gestrüpp von der Menschen Schuld und Torheit, das uns beim Wandern durch
die Jahrhunderte den Atem raubt und das Herz beklemmt.“ 810

Dies bedeutete allerdings nicht, dass Friedjung nicht auch


Universalgeschichtsschreibung betrieb.811 Und der angeblich überragende Einfluss
der Völker auf die Geschichte verhinderte auch nicht, dass sich seine historischen
Werke auf Personen konzentrierten. 812 Wichtig waren ihm dabei deren
Handlungsmotive, ihre Entschlussfassung und ihre Charaktere. 813 So heißt es, wenn
auch unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer Beschränkung aus Gründen der Zeit-
und Stofffülle, im Vorwort zum „Zeitalter des Imperialismus“, das Werk beschränke
sich der Hauptsache nach auf „das wundervolle Geflecht der äußeren Politik, auf das
Zusammen- und Gegenspiel der internationalen Entwürfe und Handlungen der
führenden Männer.“814

Neben den Personen standen in Friedjungs Geschichtsschreibung diplomatische und


kriegerische Aktionen im Vordergrund.815 Er selbst räumte in seinem „Zeitalter des
Imperialismus“ ein, die Nichtberücksichtigung der inneren Entwicklung der Nationen,
ihrer Kultur- und Sozialgeschichte beruhe nicht darauf, dass er diesen geringere
Wichtigkeit beigemessen habe, sondern auf dem Bewusstsein der Schranken seines
Könnens.816 Bereits in „Österreich von 1848 bis 1860“ hatte er bekannt, auf den
unbedingt einzubeziehenden Gebieten der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte kein
Kenner, sondern ein Lernender zu sein. 817 Zudem lobte er sogar die marxistische
810
Custoza, 3.
811
Nämlich vor allem in seinem letzten großen Werk, „Das Zeitalter des Imperialismus“ - s. insb. Zeitalter, VII
f. (Ohne Bemühen nach Erkenntnis der weltgeschichtlichen Zusammenhänge liefere der Historiker „bloß einen
Trümmerhaufen von Ereignissen“, er müsse vielmehr in das Wesen eines Zeitalters eindringen und Einheit in die
Mannigfaltigkeit bringen. Auch dies ist ein „urhistoristisches“ Anliegen.)
812
Über diese Konzentration: von Srbik Friedjung, 540 f. Sie entsprach Friedjungs Individualismus - vgl. ebd.,
539.
813
Vgl. Kampf, Bd. 1, VI.
814
Vgl. Zeitalter, VI.
815
Vgl. von Srbik Friedjung, 540 f.
816
Vgl. Zeitalter, VI. Vgl. auch - kritisch - von Srbik Friedjung, 543; Redlich Nekrolog, 230 f. (zu geringe
Beachtung der weltwirtschaftlichen Entwicklungen); ferner Litz Grundbegriffe, 29 (Friedjung habe die
soziologische und ökonomische Komponente der geschichtlichen Entwicklung weit gehend außer Acht
gelassen.).
817
Vgl. Österreich, IX f. Kritisch zur geringen Berücksichtigung von Verfassung und Verwaltung sowie
geistigem, kirchlichem und künstlerischem Leben dort: von Srbik Friedjung, 542. Ganz anders: Ritter Liberal-
ism, 246 (“Heinrich Friedjung, the famous historian, is a good example of a liberal who is seldom associated
with enlightened social views. In point of fact, Friedjung was a perceptive sociocultural historian, as the second
156

Geschichtsschreibung, welche „wie eine Fackel in das Reich des historischen


Wissens“ leuchte, wenn auch ihre Einseitigkeit habe überwunden werden müssen. 818
Dem Gedanken eines Fortschrittes in der Geschichte stand Friedjung nicht
ablehnend, aber doch skeptisch gegenüber: Immer setze sich die Menschheit höhere
Ziele, steige auch aufwärts, immer jedoch stoße sie auf die Schranken der Natur; die
Weltgeschichte dürfe nicht in den Rahmen eines selbstgebildeten Begriffs des
Fortschrittes der Menschheit gezwängt werden.819

Friedjungs Einstellung zur Objektivität bzw. Subjektivität des Historikers war unklar.
Auf der einen Seite bestand er darauf, mit seinem geschichtswissenschaftlichen
Werk ausschließlich der historischen Wahrheit zu dienen. 820 Insbesondere verwarf er
„mit Bestimmtheit“ den „Einbruch von Phantasie und Willkür in die Wissenschaft“. 821
Auf der anderen Seite aber hielt er es für „unbillig, von dem Schilderer [nur?]
zeitgenössischer Geschichte Parteilosigkeit zu verlangen, zumal bei Ereignissen,
welche die eigene Heimat betreffen und oft an seine innerste Empfindung rühren.“ 822

So gelangte er zu einem seltsam inkonsistenten Ergebnis: „Kein fühlender Mensch


kann sich vermessen, an diese Dinge mit voller Unparteilichkeit zu gehen, wohl aber
ist der Historiker zu strenger Wahrhaftigkeit verpflichtet[,] und Geschehenes darf von
ihm nicht verschwiegen werden, auch wenn dadurch politischen oder nationalen
Gegnern Stoff und Rüstzeug geliefert werden sollte. Mag der Geschichtsschreiber
immerhin gleich Tacitus von Leidenschaft und Teilnahme ergriffen sein, wenn er nur
volume of his unfinished Österreich von 1848 bis 1860 testifies.“).
818
Vgl. Zeitalter, 12. Vgl. auch Litz Grundbegriffe, 26-29.
819
Vgl. Zeitalter, 3 bzw. (implizit) Karl IV., 2.
820
Vgl. Benedeks, XVI (allerdings nur für dieses Buch); ähnlich: Kampf, Bd. 1, IX. Vgl. auch Österreich, VIII
(Weder Sieg noch Niederlage dürfe „das Urteil des Geschichtsschreibers bei der Feststellung von Tatsachen und
der Würdigung der Triebfedern beirren.“); ähnlich Kampf, Bd. 2, 1 - s. aber von Srbik Friedjung, 541 (In „Der
Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“ bestimme der Blick auf den Kampfausgang sehr die Anschauung
der österreichischen Vorkriegspolitik.). Vgl. ferner Karl IV., 1 (Jedes „Ding“ sei um seiner selbst willen zu
betrachten. [implizit]), ebd., 3 (Der Historiker solle versuchen, sich „in die Dinge selbst hineinzuversetzen“ und
ihnen „nach eigenem Werth Rang und Stellung in der Geschichte anzuweisen“.); ähnlich: Österreich, VIII;
Zeitalter, VIII. Vom Bruch Professoren, 21 verweist darauf, dass gerade eine „scheinbar unpolitische, nur
wissenschaftlicher Dignität geschuldete Gelehrtenreputation“ sich im öffentlichen Meinungskampf umso
wirkungsvoller habe instrumentalisieren lassen; vgl. auch Gelehrtenpolitik, 40: Voraussetzung für die Resonanz
historischer Werke „im gebildeten Bürgertum, bei publizistischen opinion leaders und der bürokratischen
Herrschaftselite“ sei nach der Gründung des Deutschen Reiches u. a. deren “Objektivität“ gewesen.
[Anführungszeichen bei Objektivität in der Vorlage].
821
Alter, 21.
822
Österreich, VIII; ähnlich Zeitalter, V. Zu den besonderen Schwierigkeiten der Zeitgeschichtsschreibung vgl.
Österreich, IX; Zeitalter, V. Zur Unmöglichkeit einer vollkommen unparteiischen Zeitung, da die
„Unpersönlichkeit“ der menschlichen Natur gerade nicht entspreche, vgl. Zeitung, 487. Vgl. auch noch
Bettelheim Friedjung, 39 (Friedjung habe die Geschichte des neuen Österreich äußerlich und innerlich
leidenschaftlich miterlebt.).
157

die Fähigkeit besitzt, Menschen und Dinge nach ihrer eigensten Natur zu sehen und
zu schildern; dann erkennt man die Wahrheit auch durch den Schleier, den seine
Neigungen über sie gebreitet haben mögen.“ 823

Friedjungs Geschichtsschreibung war in der Tat stark von seinen eigenen


Werturteilen geprägt.824 In mindestens einem Fall entlarvte er sich insofern - zwar
nicht notwendiger, aber doch wahrscheinlicher Weise - selbst, als er in einem Brief
an Anton Bettelheim vom 2. 1. 1898 von diesem verlangte, die ihm gegenüber
offenbarten Motive, welche ihn zum Schreiben der Biographie Ludwig August Ritters
von Benedek veranlasst hatten, sollten wegen ihrer „starke[r] persönliche[r] Färbung
unter uns bleiben“.825

Zudem strebte Friedjung mit seiner Geschichtsschreibung vielfach politische Ziele


an.826 So schrieb er in seinem Begleitbrief zu einem Exemplar der “Denkschrift aus
823
Österreich, VIII (inkl. „Wem aber die Gaben des Historikers versagt sind, der leuchtet auch mit der
vielgerühmten Objektivität nicht in das Wesen der Dinge hinein.“); ferner Vorrede, VII; Redlich Nekrolog, 228
über „Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859-1866“. Vgl. - in Bezug auf Friedjungs im Text
wiedergegebene Forderung, nichts zu verschweigen - aber auch Benedeks, XV: „Darunter befindet sich nicht ein
Blatt, das geeignet wäre, die Empfindungen eines seinem österreichischen Vaterlande noch so ergebenen
Bürgers oder Soldaten zu verletzen. ... Sonach konnte in diesem Buche alles Belangreiche aus seinen [Benedeks]
Papieren veröffentlicht, nichts Wesentliches mußte unterdrückt werden.“ Zu „Darstellung und Urteil“ bei
Friedjung s. Litz Grundbegriffe, 22-25.
824
Vgl. auch von Srbik Friedjung, 541: Der Maßstab in „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“ sei sehr
dem politischen Liberalismus des Autors entnommen; den dortigen absolutierenden Werturteilen über die
Innenstruktur Österreichs könne eine bestimmte Einseitigkeit nicht abgesprochen werden. Noch weit mehr habe
Friedjungs zeitpolitische Einstellung in seinem zweiten großen Werk, „Österreich von 1848 bis 1860“, zu sehr
die Macht in seinem historisch-politischen Werten übernommen. Vgl. aber auch (teilweise wenig überzeugend)
Bogner Auseinandersetzungen, 228 f., 231-233. Zur Werturteilsdiskussion im Deutschen Reich v. a. im Rahmen
der Nationalökonomie und Soziologie vgl. vom Bruch Wissenschaft, 294-320, insb. 294 f. über
„Wissenschaftlich-methodische Angriffe in politischer Absicht“.
825
Vgl. F. Fellner Friedjung, 646. Logisch betrachtet, ist ein subjektives Motiv für die Auswahl eines Themas
noch kein hinreichender Grund dafür, dass auch eine subjektive Behandlung des Stoffes erfolgt; aber gerade
Friedjungs Einschwören Bettelheims auf Verschwiegenheit deutet auch auf Letztere hin; Entsprechendes gilt
(sogar) für die sogleich anzusprechende Absicht, mit einem wissenschaftlichen Werk zugleich politische Ziele
zu erreichen.
826
Vgl. auch Glaubauf Bismarck, 116 (Friedjung habe jene Ziele, für die er als Journalist und in seinen
politischen Studien eingetreten war, mit den Mitteln der wissenschaftlichen Historie zu propagieren versucht.),
118 (Seine politische Grundeinstellung sei eine extrem starke Komponente seines historischen Denkens
gewesen.); Litz Grundbegriffe, 22 f. (Friedjung behalte sich das Recht vor, „ahnen zu lassen, welche Wege er
den Völkern und der Menschheit, besonders aber dem eigenen Vaterlande weisen möchte“ - Nw. ebd., Fn. 26),
25 (Von politischer Indifferenz sei in Friedjungs Werken nichts zu spüren). Die anschließende Behauptung von
Litz ebd., 26: „Friedjung löst also das durch den Titel dieses Abschnittes [„Politisches Bekenntnis und
geschichtliche Wahrheit“] ausgedrückte Dilemma in dem Sinne, daß er weder der geschichtlichen Wahrheit sein
politisches Bekenntnis, noch seinem politischen Bekenntnis die geschichtliche Wahrheit opfern will.“ ist
verwunderlich: Dies ist keinesfalls eine Lösung, sondern sogar eine Bekräftigung des Dilemmas, da Friedjung
dabei ja keine strikte Trennung beider Bereiche im Sinne etwa von M. Weber Wissenschaft, 215-223 vornahm.
Vgl. zudem Lindström Empire, 31 („...his interest in the question of (political) partisanship versus (historical)
truthfulness, which in Friedjung seems to have generated a tension that propelled his very successful dual career
forward.“), 75; Ritter Historians, 56 („Friedjung’s historical imagination was made to serve his political fantasy.
The basic outlines of the Linz Program of 1881 are already visible in these two works of 1876 and 1877 [Karl
158

Deutsch-Österreich” an Bethmannn Hollweg: Da er Jahre seines Lebens der


Geschichtsschreibung des Bruderkrieges von 1866 gewidmet habe mit der Absicht,
diesen Kampf als Vorbedingung für die echte Versöhnung darzustellen, seien seine
Arbeiten und Bemühungen nun darauf gerichtet, dem Ziel der Vereinigung
Mitteleuropas zu dienen und es als Produkt des ruhmreichen Krieges von 1915 zu
porträtieren.827 Ähnliches konnte für den Zeitpunkt einer Neuausgabe gelten: Im
selben Jahr bezeichnete er es als Zweck des Separatdruckes der Schilderung der
Schlachten von Custoza und Lissa aus „Der Kampf um die Vorherrschaft um
Deutschland“, den Leser in seinem „Vertrauen auf unsere heldenmütig streitende
Armee und auf unsere bewährte Flotte“ zu bestärken; die Siege Altösterreichs sollten
als „Ansporn für den Kampf der Söhne der habsburgischen Monarchie an der Seite
ihrer Waffenbrüder aus dem Deutschen Reiche“ dienen. 828 Zu dem Grundwerk hatte
er angemerkt, auch durch die Benennung der tieferen Ursachen von dessen
Niederlagen erweise der Geschichtsschreiber seinem Staat einen Dienst. 829

Klar ersichtlich ist in Friedjungs Historiographie denn auch eine „therapeutische“


Absicht, gerade zur Überwindung des Traumas von 1866. 830 Folgende Passage
veranschaulicht dies besonders gut: „So ist der Krieg von 1866 dem Österreicher
eine schmerzlich-stolze Erinnerung. Er brachte schwere Schläge für das vielgeprüfte
Reich, aber unrühmlich wurde nirgends gestritten, die Waffenehre überall gewahrt.
Und da auf dem blutgedüngten Gefilde von Königgrätz die Saat des Bündnisses mit
Deutschland aufsproß, ... so war die Trauer über die erlittene Niederlage doch
gemildert, und gehobenen Mutes können die Söhne der Sieger von Custoza und
Lissa von den zu Lande und zu Wasser erfochtenen Siegen erzählen.“ 831

IV. und Ausgleich].”); vgl. auch ebd., 55 f. über Friedjungs Frühwerk “Karl IV.” als Fürstenspiegel.
827
Vgl. Lindström Empire, 78. Vgl. auch von Srbik Friedjung, 540: Mit „Der Kampf um die Vorherrschaft in
Deutschland“ habe Friedjung versöhnen und vereinen wollen; sowie Ritter Historians. 66: „Der Kampf um die
Vorherrschaft in Deutschland“ sei zu einem großen Teil geschrieben, um eine existierende Regierungspolitik zu
unterstützen: das Bündnis mit Deutschland und Italien.
828
Vgl. Custoza, 3.
829
Implizit in der Kampf, Bd. 2, 2. Vgl. auch Ritter Historians 67 (“Der Kampf um die Vorherrschaft in
Deutschland” “was conceived as an instrument of purgation, a device to arouse pity and fear and thereby exor -
cise the ghosts of three hundred years of repression: Friedjung intended his book as a final radical political act to
help topple the old structure once and for all.”). Zu Friedjungs nicht allein politischem Interesse an der
Geschichtsschreibung vgl. Vorrede, S. VII („Finden meine Worte den Weg auch zu den Herzen und dem Willen
des Lesers, so ist dies eine erwünschte Nebenwirkung, wenn die Arbeiten auch in erster Linie der historischen
Erkenntnis dienen sollten.“) und VIII („War doch mit dem Zerfalle der österreichisch-ungarischen Monarchie
nichts wertlos geworden, was jemals die Kenntnis vom alten Österreich erweitert hatte.“).
830
So bereits Bettelheim Friedjung, 30 („Für sich und andere schöpfte er aus der richtigen Quelle den richtigen
Heiltrank.“) sowie Lindström Empire, 32, 35; vgl. auch Ritter in der vorigen Fn.
831
Custoza, 4 f.
159

Um 1910 - also nachdem Friedjung bereits längst in diesem Sinne gewirkt hatte -
häuften sich auch im Wilhelminischen Deutschland die Stimmen von Historikern, die
einer „notwendigen politischen Relevanz historischer Erkenntnisse“ das Wort
redeten, wobei neben der legitimationsbedürftigen Weltpolitik zentrale Motive
„zunehmendes Unbehagen über bloß spezialisierte Detailforschung sowie - etwa im
Falle Lamprechts - eine ‚bedrückende Einsicht in die nationalpolitische
Einflußlosigkeit und Ziellosigkeit der deutschen Geschichtsschreibung’ waren.“ 832
Jedoch sollte nach deren Auffassung - im Gegensatz zu großen Teilen von
Friedjungs historischen Arbeiten - eine solche „erforderliche Historisierung der Politik
und des öffentlichen politischen Bewußtseins nicht mit einer Politisierung der Historie
als Wissenschaft“ einhergehen, die „Historie“ nicht „zur Dienerin der Politik“
werden.833 Letzteres gilt nach Ramhardter sogar für den ganz überwiegenden Teil
der Geschichtsschreibung durch deutschösterreichische Historiker während des
Ersten Weltkriegs.834 Insofern war Friedjungs Ansatz - zumindest in seiner Offenheit -
eine Ausnahme.

Moralische Urteile in der Historiographie lehnte Friedjung für den Regelfall (jedoch)
ab: „Als Historiker befolge ich den Grundsatz, moralische Urteile nur insoweit
abzugeben, als sich die Geschichtsdarstellung zu den Ansichten der Zeitgenossen,
in erster Linie der beteiligten Personen, in ein Verhältnis setzen muß. Wenn diese
sich zu ihren Handlungen durch die sittliche Auffassung einer Tat bestimmen ließen,
so kann es der Historiker nicht vermeiden, auch auf Motive solcher Art sorgfältig
einzugehen.“835 So äußerte er im Hinblick auf das Streben Ungarns nach
832
Vgl. Vom Bruch Wissenschaft, 378 f. - Zitat von W. Goetz (vgl. 379, Fn. 90).
833
Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 379 - „Historie zur Dienerin der Politik“: Zitat von Lenz (vgl. ebd., Fn. 99);
vgl. weiter ebd.: „Die Historiker sahen ... in der Verbindung von nationaler Färbung der Darstellung und
objektiver Universalität des Standpunktes (Oncken) die Voraussetzung für eine national verbindliche wie
wissenschaftlich distanzierte und unangreifbare Durchdringung und Beratung der zeitgenössischen Politik, um
sodann um so unbefangener zu politischen Wertungen und Forderungen gelangen zu können. Die für die
historisch-politische Publizistik maßgebende Verfahrensweise ausführlicher und meist weitausholender
historischer Abrisse und Trendbeschreibungen und deren Einmünden in konkrete politische
Handlungsanweisungen oder Belehrungen des öffentlichen Bewußtseins erklärt sich mit aus dieser Prämisse...“.
834
Ramhardter Geschichtswissenschaft, 186 f. - vgl. (aber) auch ebd., 191: Viele österreichische Historiker
hätten sich im Krieg auf die historischen Grundlagen und die politischen Traditionen der Habsburger-Monarchie
zurückbesonnen und daraus die Aufgaben Österreichs abgeleitet sowie die österreichische Staatsmission und die
Existenznotwendigkeit des Vielvölkerreiches beschworen. Dabei hätten sie es ihrem wissenschaftlichen Ruf als
nicht abträglich empfunden, wenn sie zu diesem Zweck bestimmte vorgefasste politische Ansichten mit
historischen Fakten zu belegen versuchten, die willkürlich auf das Ergebnis hin ausgewählt gewesen seien.
835
Entgegnung, 132. Vgl. auch Litz Grundbegriffe, 23 f.: Für Friedjung sei lediglich die Geeignetheit der Mittel
zu einem von der betreffenden historischen Persönlichkeit angestrebten Ziel voll bewertbar, weil es sich hier um
eine Sache des abwägenden Verstandes handele.
160

Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert: Wer hier „von Recht und Unrecht spricht,
verkennt die Natur der Völker. Es ist nicht Sache des Geschichtsschreibers, das
Richteramt zu üben und den Nationen und Volkskräften Recht oder Schuld
zuzumessen. ... Ihnen [den großen Historikern des Altertums] galt es als
selbstverständlich, daß der Starke nach Sieg und Macht strebt, und ebenso, daß der
Unterworfene die ihm auferlegte Herrschaft abschütteln will...“ 836 Diese, sich selbst
auferlegte Zurückhaltung wahrte er allerdings nicht immer. 837

Den Grundsatz „Macht vor Recht“ erkannte Friedjung denn auch nicht nur für das
Gebiet des zeitgenössischen „Kampfes“ der Nationen, sondern auch für das gesamte
Feld der Geschichte „vorbehaltlos“ an. 838 Nach dem Zerfall des Habsburger-Reiches,
dessen „Daseinsnotwendigkeit“ er so oft postuliert hatte, jedoch abstrahierte er von
gewissen die Macht mitbestimmenden Faktoren: Der militärische Untergang eines
Staates an sich beweise nicht, dass er lebensunfähig gewesen sei. „Aus inneren
Gründen heraus hätte der vollständige Auseinanderbruch Österreich-Ungarns nicht
eintreten müssen, so daß man mit Wallenstein ausrufen möchte: ‚Das aber ist
geschehen wider Sternenlauf und Schicksal!’“ 839 Das „unbestochene [!] Auge“ sehe
nur den Kampf der Stärkeren gegen die Schwächeren, erkenne in der Gewalt das
letzte Wort der „sogenannten Weltvernunft“. 840 Und plötzlich argumentierte er in
diesem Zusammenhang moralisch: „Nur dann sind die Fürsprecher des alten
Österreich vor dem Gerichtshof der Weltgeschichte des Irrtums überwiesen, wenn an

836
Österreich, VII. Vgl. auch Zeitalter, V und 12.
837
Vgl. z. B. - freilich in einem eher politisch ausgerichteten Artikel - Chlumecky II, 461 („Italiens treuloser
Politik“).
838
Zu Friedjungs Historiographie vgl. insofern Glaubauf Bismarck 167-170, insb. 168 (Zitat). Eingehend über
Friedjungs „Ethische Grundbegriffe“: Litz Grundbegriffe, 69-85- vgl. auch ebd., 23: Der moralische Maßstab sei
für Friedjung nur im Hinblick auf das Verhalten einzelner Menschen anwendbar und die moralische Beurteilung
einer historischen Persönlichkeit für ihn auf Grund der für den Historiker nur eingeschränkten Zugänglichkeit
von deren Innerem sehr problematisch gewesen, sowie ebd., 35: Friedjung hat demnach die Macht eines Volkes -
im Sinne eines „Rechts des Stärkeren“ - auch als rechtsbegründend angesehen; die zweite, nachrangige
Rechtsquelle sei ihm das „historische“ Recht gewesen, welches in seiner Sicht ausschließlich auf Verträgen
basiere. Vgl. auch Oesterreich-Ungarn, 2, wo Friedjung die Annexion Bosniens und der Herzegowina neben
internationalen Verträgen mit österreichisch-ungarischen militärischen Siegen und der Sache nach mit der
bloßen „unabwendbare[n] Tatsache der österreichischen Herrschaft“ rechtfertigt, sowie Chlumecky Adria, 454
[1906], wo zur bloßen Vormachtstellung Österreichs in Albanien noch deren historische Begründung tritt.
839
Vgl. Vorrede, XI. Es fragt sich, wie sich dies zu ebd., VII verhält, wo Friedjung eine „schändliche
Selbstaufgabe im Oktober 1918“ anprangert.
840
Vgl. Vorrede, XI. Vgl. auch Chlumecky II, 461 („Es widerspräche meiner Denkungsart, meine Ansicht dem
von Italiens treuloser Politik erzielten Erfolg anzupassen...“), 462 (Die österreichisch-ungarische Armee habe
lange gegen die in der Überzahl befindlichen Italiener standgehalten; erst nach den Siegen „des Feindes“ auf
dem Balkan und in Frankreich und dem dadurch hervorgerufenen inneren Zusammenbruch Österreich-Ungarns
hätten jene „über die bereits zertrümmerte Mauer“ steigen können. „Die Götzendiener des Erfolgs werden der
österreichisch-ungarischen Armee auch nach deren Zerschlagung diesen Ruhm nicht entreißen können.“).
161

seiner Stelle wieder Staaten mit dauernden Rechts-, Friedens- und Machtordnungen
entstehen.“841

Was besagt nun diese Auffassung Friedjungs über seine Wissenschaft für seine
Politik? Auf jeden Fall war ihm der Dienst am „Gemeinwohl“ Pflicht - wobei dies noch
keine spezifische Pflicht gerade eines Wissenschaftlers bedeutet. 842 Es ist darüber
hinaus (nochmals) hervorzuheben, dass er bereits unmittelbar durch seine
historischen Werke Politik betrieb und seine politischen Äußerungen überdies oft mit
historischen „Begründungen“ versah - womit er wie die typischen Gelehrtenpolitiker
den Anspruch vertrat, Sprecher „für die Zukunft der Nation“ zu sein. 843 Daher kann -
auch mit vielen Stimmen in der Literatur - festgehalten werden: Bei Friedjung haben
Wissenschaft und Politik eine untrennbare Einheit gebildet, in welcher beide Aspekte
in beständiger, spannungsreicher Wechselwirkung standen. 844 Auch trifft auf ihn das
angeführte Merkmal des gelehrtenpolitischen Historikers zu, dass er „Wissen als
historisch fundierte Sinndeutungsangebote an die Gesellschaft“ zurückgab,
seinerseits aber im herrschenden Geschichtsbewusstsein - nämlich dem
späthistoristischen - verwurzelt war. Friedjung war daher insofern durchaus ein
Gelehrtenpolitiker.

2. Franz Klein

841
Vgl. Vorrede, XVI.
842
Zur Pflicht zur Förderung des Gemeinwohls: Stück, 22; vgl. zudem von Srbik Friedjung, 538: Friedjung habe
das „Tagesschriftstellertum stets als ein Amt am Volke und Staate“ angesehen. Vgl. schließlich noch Friedjung
Ausgleich, 13, wo er sich über die im Jahrzehnt von 1867 bis 1877 geringe Beteiligung der Österreicher an der
Politik sowie darüber beklagt, dass die privaten Tugenden in Österreich geschätzt würden, der öffentliche
Charakter jedoch niedriger Motive beschuldigt werde.
843
Zu Letzterem vgl. z. B. sein historisch-analoges Argument in Abkehr [1. Juni 1918], 2: 1866, 1897 und 1908,
in den drei Krisenjahren Böhmens, sei kein Riss erfolgt, „und nicht viel anders, so darf man wohl annehmen,
wird es auch jetzt sein.“.
844
Ähnlich bereits von Srbik Friedjung, 535 sowie F. Fellner Friedjung, 644; Litz Grundbegriffe, 19. Vgl. ferner
Adlgasser/Friedrich Einleitung, 12; Lindström Empire, 30 („Sometimes ... Friedjung’s attempt to fashion a new
historical narrative on the development of Austria fused completely with his day-to-day political writing. ...
Friedjung attempted to write the history of Austria simultaneously as he was partaking in the enactment of this
narrative, attempting to influence the course of this history as it was unfolding.”). Vgl. auch noch Zeitalter, S.
VI: („Förderlich war der Arbeit meine durch vier Jahrzehnte ununterbrochene publizistische Tätigkeit.“).
Journalismus als einen eigenen, dritten Aspekt von Friedjungs Wirken zu betrachten - wie F. Fellner Friedjung,
644 dies tut -, ist allerdings kaum angemessen, da es sich dabei, anders als bei Wissenschaft und Politik,
lediglich um ein Mittel zur Verbreitung von Gedanken handelt, und zwar im Falle von Friedjung zur Werbung
für seine Politik. F. Fellner Friedjung, 645 monierte 1988, Fachhistoriker hätten sich nie der Mühe unterzogen,
„Friedjungs tagespolitische Produktion im Kontext seiner sogenannten wissenschaftlichen Werke zu sehen.“ Das
trifft - bis heute - (nur) insoweit zu, als dies noch nicht detailliert geschehen ist.
162

Für Klein war das Recht, wie gesehen, Mittel zur Verwirklichung sozialer Ziele. Genau
wie in der Politik folgte er auch in der Rechtswissenschaft einer „pragmatisch
betonte[n] Mittellinie“. So bezeichnet ihn Hofmeister als in methodischer Hinsicht
ausgewogensten Rechtsdenker des alten Österreich. Er sei vollkommen frei von
Einseitigkeiten gewesen, an denen gerade die Rechtslehre des frühen 20.
Jahrhunderts nicht gerade arm gewesen sei: Unter den jüngeren Zeitgenossen Kleins
hätten sich „extreme Anhänger der soziologischen Jurisprudenz (Freirechtler, Eugen
Ehrlich, Armin Ehrenzweig usw[.]) wie auch Rechtspositivisten (die Gründergeneration
der Wiener rechtstheoretischen Schule)“ befunden. 845

In der Tat wandte sich Klein gegen die Freirechtsschule in der Gestalt, welche
Hermann Kantorowicz vertrat, nämlich gegen ein weit gehend ungebundenes
Juristenrecht: Deren Umsetzung würde „ein unkontrollierbares Juristenmonopol,
jedenfalls eine starke Mehrung ihres Einflusses“ bedeuten.“ 846 Sie sei der
Rechtssicherheit abträglich, antisozial, „von echter Juristenüberhebung erfüllt“ und
berücksichtige nicht die Interessen der Bevölkerung. Das Recht sei „überhaupt nicht
Richtereigentum, sondern Gemeingut.“ 847 Zudem verstießen diese Vorstellungen
gegen die Verfassung, und ihre Durchführung würde eine „Art Staatstreich“
bedeuten.848

Auf der anderen Seite beschritt Klein, wie beschrieben, zumindest im Hinblick auf die
Einrichtung der Jugendfürsorge ohne die Grundlage eines Gesetzes oder einer
Verordnung selbst unkonventionelle Wege. Auch seine bereits zitierte Forderung, der
„Gedanke der Fürsorge, der Pflegschaft, des Errettens“ habe das Walten der Justiz zu
845
Vgl. Hofmeister Klein, 215. Zu Kleins beiden wohl bedeutendsten rechtswissenschaftlichen Werken,
„Sachbesitz und Ersitzung, Forschungen im Gebiete des römischen Sachenrechtes und Zivilprozesses“ von 1891
und „Die psychischen Quellen des Rechtsgehorsams und der Rechtsgeltung“ von 1912, vgl. Benedikt Klein, 10
bzw. 23; über letzteres auch Böhm Grundlagen, 196-199, insb. 197: Dieses sei, beeinflusst durch Wilhelm
Wundt, ein „bahnbrechendes Werk der Rechtspsychologie“ gewesen; Coing, Grundzüge, 289 f. sowie 292. Dass
Kleins „allgemein-theoretische“ Studien bis auf eben dieses Werk in der Literatur „kaum Aufmerksamkeit und
Widerhall“ erweckt hätten, betont Böhm ebd., 196. Über Eugen Ehrlichs rechtssoziologischen Ansatz: Rehbinder
Begründung, 34-99, insb. 96-99 („Die freie Rechtsfindung als Rechtschöpfung im Falle echter Lücken“), hier
wiederum insb. 98: Der Richter „soll kein Sozialrevolutionär sein, sondern seine Entscheidung behutsam auf
dem sozialen Sachverhalt, d. h. aber auf den Tatsachen des Rechts und damit auf den Normen des
gesellschaftlichen Rechts, aufbauen.“; Somek Politik, 375, 378-384, insb. 378: „Überspitzt ausgedrückt[,] ist
Ehrlich der Schöpfer der Rechtstheorie der selbstorganisierten sozialen Systeme.“ Mit der „Gründergeneration
der Wiener rechtstheoretischen Schule“ spielt Hofmeister vor allem auf Hans Kelsen an - zu ihm vgl. sogleich,
Fn. 866.
846
Vgl. Kampf, 396 (Klein bespricht hier die von Hermann Kantorowicz verfasste und unter dem Pseudonym
„Gnaeus Flavius“ 1906 publizierte Schrift „Der Kampf um die Rechtswissenschaft“.).
847
Vgl. Kampf, 398 f.
848
Vgl. Kampf, 400.
163

durchdringen, lässt keinen strengen Gesetzespositivismus erkennen, wie er etwa von


Hans Kelsen propagiert wurde.849 Mit Eugen Ehrlich stimmte er darüber hinaus
insofern überein, dass der „volkstümlichen Verkehrssitte“, soweit möglich, „die
Funktion einer Rechtsnorm zu übertragen“ sei. 850

Jedoch war diese auf wissenschaftlichem Gebiet ausgleichende Position Kleins -


welche sich, wie gesagt, auch in seiner Synthese von Zivilprozessmaximen
ausdrückte - nicht so sehr ein Grund für seine ebenfalls möglichst auf Ausgleich
bedachte Politik.851 Eher dürfte, gerade angesichts der nach seinem Konzept
dienenden Funktion des Rechts, das Gegenteil gelten: Die Politik der „Mitte“ verlangt
eine Rechtswissenschaft und Justiz der „Mitte“. Daher war Klein insofern kein
„Gelehrtenpolitiker“ im eigentlichen Sinn, als es seine „eigene“ Wissenschaft betrifft:
Er erhob zwar für sich, wie sich aus den bisherigen Ausführungen dieser Arbeit
ergibt, durchaus einen „nationalpädagogischen Anspruch universaler ... Wahrheit im
sittlichen Medium der Vernunft“; aber sein politisches Engagement fußte offenbar
kaum auf einem rechtswissenschaftlichen Fundament oder Selbstverständnis.
Jedoch setzte Klein seine rechtswissenschaftlichen Kenntnisse immerhin als Mittel
zur Erreichung seiner politischen Ziele ein. Dies entspricht durchaus auch dem

849
Noch deutlicher Klein in „Zeit- und Geistesströmungen im Prozesse“ (1901), bei Bolla-Kotek Prozess: „Man
braucht nur die gebundene Kraft des Richters freizugeben und sie wie die der übrigen Staatsorgane in den Dienst
des Rechts, des Gemeinwohles und des gesellschaftlichen Friedens zu stellen.“ [Kursivdruck in der Vorlage].
Über Kelsens Lehre: Métall Kelsen, 102-121; Somek Politik, 385-400; auch Ehs Kelsen, 13-27; über sein Leben:
Métall Kelsen, 1-101; zur überragenden Bedeutung seiner Theorie des Rechts, deren weltweiter Rezeption:
Somek Politik, 400 f.; über das Verhältnis seines Werkes zur dort sog. Wiener Moderne: Jabloner Kelsen, 61-77,
insb. 77: Ein spezifisch „moderner“ Zug an Kelsen sei das „Paradigma einer Verbindung von Rationalität und
Fortschritt.“ Die Reine Rechtslehre als Theorie des positiven Rechts habe „die Verfügbarkeit des Rechts als
bewusstes und willentlich eingesetztes Mittel zur Veränderung der Gesellschaft“ gesteigert. [Anführungszeichen
bei „moderner“ im Original] Auch wenn man Letzterem zustimmen würde, wäre aber auch die Einschränkung
der Macht des Richters für Veränderungen zu berücksichtigen. Allerdings war die österreichische
Juristentradition ohnehin seit Langem stark formalistisch geprägt gewesen, und zwar gerade im Sinne des
Versuchs einer Kompensation der Modernisierung - vgl. dazu Mantl Modernisierung, 98. Vgl. ferner
Nautz/Vahrenkamp Einleitung, 43: Kelsen selbst habe seine 1934 edierte „Reine Rechtslehre“ als Ausfluss des
Vielvölkerstaates bezeichnet.
850
Vgl. Böhm Grundlagen, 201 (Zitat aus Klein Die psychischen Quellen des Rechtsgehorsams und der
Rechtsgeltung, 70 - vgl. ebd., 202, Fn. 39) sowie - für Eugen Ehrlich - oben, Fn. 845 (Rehbinder).
851
Vgl. auch Böhm Grundlagen, 192 über Kleins pragmatischen Realismus (auch) auf dem Gebiet des Rechts
und seine sich jeder eindeutigen Zuordnung entziehenden rechtstheoretischen und rechtssoziologischen
Reflexionen - dabei betont Böhm jedoch die gedankliche Eigenständigkeit Kleins - sowie über dessen Denken
und Schreib- bzw. Redestil: „Das Geistreiche, Enthusiastische, Sprunghaft-Assoziative, das sich neben klarem
Wirklichkeitssinn und abwägender Rationalität in seinem Wesen findet, wie auch der essayistische,
faszinierende und oft auch überredende Stil schwächen mitunter die Präzision seiner Gedankenführung, der
ohnehin jede Systematik um ihrer selbst willen völlig ferne liegt.“; zu Letzterem vgl. ferner Bolla-Kotek Prozess,
422 („Meister der Sprache“).
164

Verständnis (nationalökonomischer) Gelehrtenpolitiker im Wilhelminischen


Deutschland.852

Zudem darf man nicht übersehen, dass Klein über sein engeres Fachgebiet hinaus
blickte: Die Beachtung der Erkenntnisse der Soziologie und Psychologie war in
seinen Augen von hoher Bedeutung - und das, so darf man annehmen, gerade auch
für eine gute Politik.853 Auch selbst versuchte er - vor allem nach seiner ersten
Amtszeit als Justizminister -, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und psychischen
Gründe und Ziele der Rechtsnormen und die soziologische Zusammenhänge der
Rechtslehre aufzudecken - ohne dabei einen „vordergründigen Ökonomismus“, den
Materialismus oder einen Psychologismus zu verfechten, (aber) unter Zubilligung von
„Teilwahrheiten“ des Sozialismus und Marxismus. 854 Außerdem war Klein stets
Befürworter einer Politik mit einem Plan - welcher wiederum (auch) aus
wissenschaftlichen Erkenntnissen hätte folgen können, ja vermutlich zumindest zum
Teil auch sollen.855

Dennoch dürfte Kleins Politik kaum systematisch auf einer wissenschaftlichen Basis
gestanden haben.856 Gegen seine Einstufung in die Gruppe der „Gelehrtenpolitiker“
spricht zudem seine eigene Außendarstellung. Denn Klein nutzte im Rahmen seiner
politischen Tätigkeit, soweit ersichtlich, niemals die Bezeichnung „Professor“;
vielmehr trat er seit seiner ersten Amtszeit als Minister (und abgesehen natürlich von
seiner kurzen zweiten Amtszeit) offenbar entweder einfach unter seinem Namen (mit

852
Vgl. vom Bruch Wissenschaft, 357 f. über Gustav Schmoller (Der „um das ‚Gemeinwohl’ besorgten und
dadurch im zeitgenössischen Verständnis zugleich eng mit ‚Sozialpolitik’ gekoppelten Wissenschaft“ werde „im
innerstaatlichen Bereich die Durchsetzung sozialer ‚Gerechtigkeit’“ zugewiesen, „womit zugleich das Leitmotiv
der nationalökonomischen Politiker bezeichnet“ gewesen sei.).
853
Vgl. Klein bei Wilhelm Besuch [Mai 1914], 1027; auch Ziele, 6 f., wo Klein sich für die Soziologie als einen
verfeinerten Erkenntnisbehelf stark macht, insb. 6 („Staat, Volk, Gesellschaft, Parteien, Massen usw., ehemals
entweder bloß Sammelworte oder vieldeutige streitige Begriffe, hat diese Wissenschaft als lebendige geistig-
seelische Bildungen auf physischer Grundlage zu erfassen gelehrt.“).
854
Zu den entsprechenden Versuchen Kleins vgl. Schey Nekrolog, 183. Vgl. auch Böhm Klein, 239: Kleins
soziologische Reflexionen hätten einen wesentlichen Teil seines literarischen Werks geprägt. Böhm behauptet
hier zudem, Klein habe „allgemeine Anerkennung als Rechtssoziologe“ gefunden. Vgl. auch Böhm Grundlagen,
195 bzw. 197 - dort insb. zu Kleins Ablehnung von „vordergründige[m] Ökonomismus“ und Materialismus und
zur Zubilligung der genannten „Teilwahrheiten“ bzw. zu seiner nicht-psychologistischen Position.
855
Vgl. Weg [September 1905, anonym], 395 („Man legt sich die Frage vor, wie viel politischen Einfluß die
Regierungen haben, die sich seit längerer Zeit folgen. Mehr Verwaltung als wahrhaftige Leitung der
Staatstätigkeit. Ein beständiges Diplomatisieren um die täglichen Notwendigkeiten des Staatslebens. Ein
Abmühen, notdürftig, das politische Gleichgewicht zu halten, das es ganz und gar verwehrt, einmal auf eigner
Spur einherzuschreiten.“); Saint Germain, 309 f. (Brief an Ottilie Friedlaender vom 4. August 1919).
856
Dass die Verwissenschaftlichung der Sozialpolitik bereits in der Generation Max Webers den
Intellektuellentypus geprägt habe, merkt Hübinger Gelehrte, 237 an.
165

oder auch ohne den Zusatz „Dr.“) oder als „Minister a. D.“ auf. 857 Ob dies auch seiner
inneren Sicht von sich selbst entsprach, ist zwar unklar, aber der Eindruck auf die
Adressaten seiner Politik und damit auch deren Erwartungshaltung war - und dies
sicher von Klein beabsichtigt - eindeutig.

Allerdings rief Klein in einer an die „akademische Jugend“ gerichteten Versammlung


der BDP vom 10. Januar 1919 aus: „Oder darf ich vielleicht sagen: Kommilitonen;
denn auch ich stehe in Reih’ und Glied mit Ihnen im Kampfe, dessen Hauptstützen
seit jeher die deutschen Hochschulen waren, im Kampfe gegen politische und
geistige Dunkelheit und Enge.“858 Diese, wenn auch offensichtlich vereinzelte,
Aussage lässt sogar die Deutung zu, Kleins Selbstbild sei das eines „politischen
Professors“ gewesen, wie er in den ersten beiden Dritteln des 19.Jahrhunderts
verbreitet war. Zudem war auch Klein offenbar der Auffassung, die Gebildeten und
insbesondere die Universitäten seien Wortführer ihrer jeweiligen Nationen. 859 Die
Anwendung des Begriffs „Gelehrtenpolitiker“ auf Klein ist nach Allem zweifelhaft.

3. Ludo Moritz Hartmann


In der Sicht Hartmanns gehört die Geschichte zum Bereich der Biologie. 860 In
letzterem wiederum hätten die auf dem Gebiet der anorganischen Natur herrschenden
mechanischen Gesetze grundsätzlich ebenfalls Geltung, da beide Bereiche sich nur
durch ihre jeweiligen Tatsachenkomplexe unterschieden, nicht aber durch die
Elemente, aus denen sie sich zusammensetzten. 861 Die historische Entwicklung ist
857
Das betrifft sämtliche hier ausgewerteten Quellen.
858
In Bürgerlich-demokratische Partei Jugend, 3.
859
Vgl. Kulturgemeinschaft, 65: Die trotzigsten Absagen an den gesellschaftlichen Internationalismus seien
„aus den Lagern der hohen und höchsten Bildung gekommen, von den Wortführern der Nationen und den
angesehensten Körperschaften ihres geistigen Lebens.“ Und kurz danach - ebd., 65 f. - werden die Universitäten
angesprochen. Ganz wörtlich genommen, ergäbe sich zwar gerade ein Unterschied zwischen den Wortführern
der Nationen und den Universitäten, aber dies dürfte Klein kaum gemeint haben.
860
Vgl. Entwickelung, 2-5. Gerne verwandte Hartmann bei der Behandlung historischer Fragen denn auch Worte
wie „rudimentär“ und „atavistisch“ - vgl. z. B. Krieg, 24. Eingehend zu Hartmanns geschichtswissenschaftliches
Konzept: G. Fellner Hartmann, 137-237, insb. 137-171. Fellner nutzt die Figur des „Paradigmenwechsels“, um
Hartmanns Stellung zur herrschenden Strömung in der Geschichtswissenschaft zu beschreiben - zum „Wechsel
der Paradigmata“ bzw. zur „wissenschaftlichen Revolution“ vgl. Kuhn Struktur, 25, 57-64, 79 f., 97-99, 103,
104-170, 179, 187-203, 215 f. Ein Verzeichnis der historischen Schriften Hartmanns findet sich bei Stein
Hartmann, 329-332. Speziell zu „Hartmann und die Alte Geschichte“ s. Herholt Hartmann, 89-154. Zu
Hartmanns wohl wichtigstem Werk, „Geschichte Italiens im Mittelalter“, vgl. Stein [Schüler Hartmanns]
Hartmann, 324 f., insb. 325 (Es sei nicht zuviel gesagt, wenn man sie „ein erlesenes unvergängliches Denkmal
der historischen Weltliteratur“ nenne.). Zu Hartmanns Schreibstil positiv: Stein Hartmann, 324 f.; Pribram Tod,
110; Rieckenberg Artikel, 737; vgl. auch Lenel Vermischtes, 574. Zur enormen Quellenkenntnis Hartmanns und
der Seriosität seiner historischen Arbeiten vgl. Herholt Hartmann, 12; auch Pribram Tod, 110.
861
Vgl. Entwickelung, 2 f. (unter Berufung auf Ernst Mach); zur Gesetzmäßigkeit in der Geschichte vgl.
insgesamt ebd., 1-25; ferner Bauer Hartmann, 204: „Er war stets auf der Suche nach Entwicklungsgesetzen, in
der Jugend naiver und doktrinärer, später behutsamer...“ - ähnlich: Pribram Tod, 113.
166

somit also determiniert, ebenso wie es für Hartmann der menschliche Wille ist. 862
Pathetisch nannte er „die Weltgeschichte“ die „stärkste aller Herrinnen“, ja das
„Weltgericht in letzter Instanz“.863 Mit einer solchen Sicht befand sich Hartmann im
eklatanten Widerspruch zur sog. Wiener Moderne. 864

Die historische Entwicklung ist gemäß Hartmann durch Fortschritt geprägt, und zwar
durch fortschreitende Vergesellschaftung, fortschreitende Produktivität und
fortschreitende Differenzierung.865 Sie bewege sich „auf dem Wege der
Klassenkämpfe in Richtung nach der Aufhebung der Klassen“. 866 „Man mag diese
Entwickelungstendenz als historisches Assoziationsgesetz oder als Gesetz der
fortschreitenden Vergesellschaftung oder auch etwas hochtrabend als soziologisches
Grundgesetz bezeichnen.“867 Die politische Geschichte sei eine Funktion der
Wirtschaftsgeschichte.868 Überhaupt komme es auf die Massenerscheinungen und
nicht auf die „Intriguen der einzelnen zufällig [?] zum äußeren Handeln berufenen
Persönlichkeiten“ an.869 Die Form der historischen Entwicklung sei durch direkte
Anpassung und Auslese im Kampf ums Dasein bedingt. 870

862
Vgl. Wesen, 216 (menschlicher Wille). Vgl. auch Christentum, 26. Zu einem ähnlichen Ansatz im Deutschen
Reich (Franz Eulenburg), der kaum beachtet wurde, vgl. vom Bruch Wissenschaft, 370, insb. Fn. 41. Zur Skepsis
gegenüber historischen Gesetzen im Wien um 1900 s. oben, Fn. 362 (Rabinbach).
863
Weltgeschichte, XVI bzw. Krieg, 6.
864
Das erhellt aus Schorske Wien, XI: „Die vielen Begriffe, die man geprägt hatte, um jede der Strömungen in
der Kultur der Zeit nach Nietzsche zu definieren oder zu beherrschen - Irrationalismus, Subjektivismus,
Abstraktion, Angst, Technologie - besaßen weder die äußerliche Eigenschaft, sich zur Verallgemeinerung zu
eignen, noch erlaubten sie irgendeine überzeugende dialektische Integration in den geschichtlichen Prozeß...“.
865
Vgl. Entwickelung, 56-89, insb. 62, sowie 82-89. Vgl. auch Suppanz Historismus, 265 (Hartmann habe in der
Tradition eines starken Fortschrittsglaubens gestanden.).
866
Vgl. Entwickelung, 61; ferner Christentum, 34.
867
Entwickelung, 61; vgl. dazu Suppanz Historismus, 267-269. S. ferner G. Fellner Hartmann, 122: Nahezu alle
der folgenden Theoreme Hartmanns: historische, d. h. hauptsächlich wirtschaftliche, Entwicklung, weitgehende
Notwendigkeit dieser, Leugnung der Willensfreiheit, Dialektik = „Hegelei“, Determinierung der sozialen und
kulturellen Überbauphänomene, Sozialismus als letzte Stufe der historischen Entwicklung seien cum grano salis
vom Gros der Intellektuellen der reichsdeutschen und österreichischen Sozialdemokratie vertreten worden.
868
Vgl. Entwickelung, 30.
869
Vgl. Nation, 150. Vgl. auch Weltgeschichte, IX sowie Rezension, 174 („...würde, wenn man schon
psychologisch sein will, die Psychologie der 3 000 000 sozialdemokratischen Stimmen die Psychologie Krupps
aufwiegen.“). Zudem betrachtete Hartmann oft längere Entwicklungslinien - vgl. Herholt Hartmann, 12. S.
allerdings auch Pribram Tod, 112: „...aber deshalb mangelte ihm keineswegs das Interesse noch die Fähigkeit,
den großen historischen Persönlichkeiten gerecht zu werden.“ Aus Hartmanns Feder hätten vielmehr zahlreiche
glänzend geschriebene Charakteristiken gestammt.
870
Vgl. Entwickelung, 62. Zum Kampf ums Dasein vgl. ebd., 26-38; zu Anpassung und Auslese ebd., 47-50. Vgl.
auch Christentum, 32 f. (Die fortgeschrittenste soziale Organisation eines Staates lasse ihn den Kampf ums Dasein
am besten bestehen.). Zu seiner Beeinflussung durch Darwin vgl. Entwickelung, V. S. schließlich noch G. Fellner
Hartmann, 123: Dem Darwinismus sei in einer antiidealistisch und antichristlich interpretierten Version in den
Kreisen der Arbeiterbewegung wie in Teilen des fortschrittlichen Bürgertums hervorragende Bedeutung
zugekommen.
167

Allerdings sei der genannte Fortschritt nur ein „Entwickelungsgesetz“, nicht ein Gesetz
im Sinne der physikalischen Kausalität, was bedeute, dass jenes „nicht ausnahmslos
exakt“ wirke und nur die Richtung der menschlichen Entwicklung angebe sowie
lediglich auf die Gesamtheit aller Gruppen von Menschen anwendbar sei. 871 So gibt
Hartmann denn auch zu, dass die „Vorgänge, auf welche wir in der Geschichte die
Aufmerksamkeit richten, die allerkompliziertesten“ und „die Kategorien, die zur
Zusammenfassung derartiger Vorgänge unter einem Gesichtspunkte verwendet
werden können, so weit und unbestimmt“ seien, „daß von einer Exaktheit im Sinne
physikalischer Abstraktionen nicht die Rede sein kann“; ja, er geht so weit,
anzuerkennen, dass bei „der Auswahl und Abgrenzung der Tatsachenkomplexe, die
miteinander in Zusammenhang gebracht werden, notwendig die größte Willkür Platz
greift.“872 Ihm war auch klar, dass jeder darstellende Historiker gezwungen ist „zu
konstruieren, zu rekonstruieren“; mit dieser Synthese müssten aber einerseits Kritik
und Analyse der Quellen und andererseits die Anschauung von den kausalen
Zusammenhängen, das eigentlich Erkenntnistheoretische der Soziologie, Hand in
Hand gehen.873

Dieses Konzept wirkt sich nach Hartmann für den Historiker dahingehend aus, dass
dieser seine Wissenschaft, soweit sie nicht die quellenkritische Feststellung von
Einzeltatsachen betrifft, mit denselben Methoden wie denen der Soziologie zu
betreiben hat.874 Diesen Methodenmonismus hat er stets vertreten. 875 Psychologische

871
Vgl. Entwickelung, 60 unter Berufung auf Ernst Mach (Zitat „nicht ausnahmslos exakt“); vgl. auch 24 f. Zum
universalgeschichtlichen Blick Hartmanns vgl. Stein Hartmann, 326 (In der von ihm herausgegebenen
„Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung“ sei als ein besonderer Band die erste in einer
europäischen Sprache und nach europäischen Grundsätzen geschriebene Geschichte Chinas erschienen.); vgl.
auch G. Fellner Hartmann, 249 (Hartmanns Referat „Geschichtsauffassung und Geschichtsdarstellung“ 1921 auf
dem Ersten Sozialdemokratischen Kulturtag in Dresden - s. 248); Suppanz Historismus, 265.
872
Vgl. Entwickelung, 3 f.
873
Vgl. Lamprecht, 212.
874
Vgl. Entwickelung, 2-5; vgl. bereits den Untertitel dieses Werkes: „Sechs Vorträge zur Einleitung in eine
historische Soziologie“. Zu Hartmann und der Soziologie vgl. Fleck Hartmann, 37-50; Herholt, 23-87 sowie
Adler Gedächtnis, 103 f.; Stein Hartmann, 318 f.; Suppanz Historismus, 264-266. Adler Gedächtnis, 104 hebt
Hartmanns unermüdlichen Einsatz für die Einführung der Soziologie an den Universitäten hervor. Er selbst habe
zu den Ersten gehört, die neben Prof. Emil Reich an der Universität [Wien] über soziologische Themen
Kollegien gelesen hätten. Und noch zuletzt sei er bemüht gewesen, durch die Vorbereitung einer Studienreform
der juristischen Studien auch der Gesellschaftswissenschaft größere Bedeutung einzuräumen. Unter Hartmanns
Vorlesungen bzw. Übungen an der Universität Wien finden sich auch folgende: „Über historische Entwicklung“
(SS 1892), „Einleitung in eine historische Sociologie“ bzw. „...Soziologie“ (SS 1895, WS 1903/04), Einführung
in die soziologische Geschichtsbetrachtung (WS 1906/07), Soziologische Grundlagen der Politik (WS 1913/14),
Historisch-soziologische Zeitfragen (WS 1914/15), Soziologische und historische Übungen (WS 1924/25) - vgl.
die Übersicht in Filla Anhang, 197-200. Zur Geschichte der Soziologie in Österreich vgl. Knoll Soziologie, 56-
62; Torrance Entstehung, 443-495.
875
Vgl. Rezension, 169; auch Suppanz Historismus, 265. Über die gegenteilige, fragmentierte Situation in der
„Wiener Moderne“ vgl. Schorske Wien, XI (Jedes Feld habe Unabhängigkeit vom Ganzen verkündet und sei
168

Erklärungen lehnte er ab, weil sie andere Zusammenhänge voraussetzten, als in der
übrigen Natur angenommen würden, und weil sie bloß zwei Seiten desselben
Vorganges beschrieben.876 Stattdessen waren für Hartmann Wirtschafts- und
Sozialgeschichte die durch den Historiker zu bearbeitenden Gebiete. 877

Die Feststellung eines Fortschritts in der Geschichte sei lediglich auf deren bloßes
Fortschreiten bezogen und impliziere nicht die Bewertung des Letzteren als positiv
(oder negativ).878 Zwar nicht vom Standpunkt eines etwa übergeordneten Sollens,
wohl aber von dem der Entwicklung aus sei eine Handlung historisch wertvoll oder
schädlich, je nachdem sie die Entwicklung gefördert oder gehemmt habe. 879 Der
Wertmaßstab des Historikers beurteile jede Handlung danach, ob sie zur
Vergesellschaftung beigetragen oder deren Tendenz entgegengesetzt gewesen sei,
und die einzelne Persönlichkeit danach, ob ihre Motive Förderung oder Zersetzung
der Vergesellschaftung gewesen seien.880 „Und damit erhält auch der kategorische
Imperativ seinen Inhalt: Handle so, daß deine Handlung beiträgt zur
Vergesellschaftung. Richtiger: Beurteile eine Handlung danach, ob sie zur
Gesellschaft beigetragen hat.“881 Da Hartmann dem Fortschreiten als solchem keinen
Eigenwert beimisst und man die letztlich ja ohnehin notwendige Entwicklung auch
einfach inklusive der ihr entgegen stehenden Widerstände ablaufen lassen könnte,
kann diese Wertung wohl nur darauf basieren, dass er Reibungsverluste durch
Hemmungen dieser Entwicklung für schädlich hält. 882
selbst noch in Teile zerfallen.).
876
Vgl. Entwickelung, 7-14, insb. 8; auch Rezension, 169-171, 174. Vgl. zudem G. Fellner Hartmann, 102
sowie 115: Hartmann habe keinerlei Interesse an Freud und der Psychoanalyse gezeigt, Freuds Name sei in
seinem Schrifttum nicht erwähnt - zur Psychoanalyse in Wien am Beginn des 20. Jahrhunderts vgl. Dvorak
Revolution, 427-435; Strotzka Wien, 365-374.
877
Vgl. Weltgeschichte, IX; Debatte, 161 (Das historische Werden sei nur aus Klassenkämpfen zu begreifen.);
ferner Adler Gedächtnis, 103; Bauer Hartmann Mitbegründer, 336 (dort auch zur Ausgangslage und Motivation
Hartmanns bei der Suche nach wirtschaftlichen Gesetzen zur Erklärung geschichtlicher Vorgänge sowie zum
Einfluss des Methodenstreits in der Nationalökonomie darauf: Hartmann habe die Lehre des nach Wien
berufenen Lujo Brentano der individualwirtschaftlichen Analyse der Mengerschen vorgezogen.). Vgl. außerdem
oben, Fn. 267. Zur Sozialgeschichtsschreibung im Wilhelminischen Reich vgl. vom Bruch Wissenschaft, 364-
376.
878
Vgl. Entwickelung, 83 - zum Fortschritt insgesamt: 82-89.
879
Vgl. Entwickelung, 87. Über den normativen Gehalt von Hartmanns Entwicklungslehre s. Suppanz
Historismus, 269 f.
880
Vgl. Entwickelung, 87 f. Warum bei der Beurteilung der Persönlichkeit plötzlich psychische Faktoren eine
Rolle spielen sollen, erklärt Hartmann nicht.
881
Vgl. Entwickelung, 88 - konkret bedeutet dies gemäß Hartmann eine „Pflicht“ der Vergesellschaftung, der
einerseits die „Pflicht“ der Arbeit, andererseits die „Pflicht“ der selbständigen Ausbildung der Persönlichkeit
entspringe (vgl. ebd. [Anführungszeichen in der Vorlage]).
882
S. z. B. Frage Minoritätenschulen, 154, wo er die Erforderlichkeit der völligen Assimilation an die
Mehrheitssprache damit begründet, Minderheitensprachen stellten ein Verkehrshindernis dar. Die
„Notwendigkeit des politischen Kampfes“ proklamierte er in Christentum, 34. Eine weitere - allerdings letztlich
169

Vor teleologischen und im engeren Sinne ethischen Betrachtungen warnte Hartmann


oft.883 Überhaupt vertrat er den Standpunkt, dem Historiker bleibe Objektivität, d. h. [!]
das Streben nach Wahrheit, „Lebensgesetz“.884 Die „Hingebung an die Wahrheit, wie
sie dem Gebildeten ziemt, ohne Rücksicht auf Dogmen oder Wünsche“, habe zwar
kein Forscher und kein Laie jemals erreicht, aber „wir nehmen für uns in Anspruch die
unbedingte Ehrlichkeit der Forschung“ bzw. das Streben nach größtmöglicher
Annäherung an dieses Ziel.885 Er zitierte dabei gern Theodor Mommsens berühmtes
Diktum „Unser Lebensnerv ist die voraussetzungslose Forschung...“ 886 Dass
Hartmann diesem Ideal selbst nicht ausnahmslos entsprochen hat, braucht kaum
betont zu werden.887

Er hielt ferner dafür: So berechtigt die Forderung, die Geschichte solle die Lehrerin
des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens sein, an sich auch sei, verlasse doch der
darstellende Historiker sein Gebiet, wenn er die Nutzanwendung lehre, wenn er von
der Wissenschaft der Geschichte übergehe zur Kunst der Politik. 888 Diesen Schritt hin
zum Politiker hat Hartmann zwar häufig getan, so z. B. wenn er aus der Geschichte
die Notwendigkeit der Bildung von Nationalstaaten und der Assimilation von
zu verneinende - Frage ist, ob Hartmanns Propagierung der Entwicklungsförderung auf der Prämisse der von
ihm vertretenen Unfreiheit des menschlichen Willens nicht ohnehin nutzlos ist. Vgl. auch G. Fellner Hartmann,
122: In der Theorie habe Hartmann die Willensfreiheit fast [?] ausnahmslos geleugnet, „in der Praxis - sei es in
der historischen Detailschilderung oder im Fall des unermüdlich aktiven Menschen Hartmann selber - offenbar
weniger.“.
883
Vgl. Rezension, 172; vgl. auch Jahre, 6: Man müsse auf der Hut sein, „nicht das für den Historiker stets
gefährliche ethische Pathos an unrechter Stelle anzuwenden. Wenn man sich aber zu einem Verdammungsurteile
gedrängt fühlt, so gebe man es nicht über das Volk im allgemeinen, dessen Einfluß historisch gebunden und
klassenmäßig verschieden ist, sondern über Staat und Regierung ab...“ sowie Entwickelung, 86: Wenn der
Historiker „eigentliche, direkte Werturteile“ fälle, dann sei das „Sichhineinversetzen in den Geist der Zeit
besonders geboten“.
884
Vgl. Jahre, 5. Damit befand er sich im Einklang mit der Wiener Philosophie und der Psychoanalyse um 1900
- dazu: Fischer Theorie, 125. Zur Werturteilsdiskussion im Deutschen Reich vgl. oben, Fn. 824.
885
Vgl. Weltgeschichte, VIII bzw. Grundlagen, 183. Vgl. zudem Bauer Hartmann, 206; Pribram Tod, 109.
886
Vgl. z. B. Grundlagen, 183; ähnlich Ursachen, 360. Vgl. noch G. Fellner Hartmann, 110: Hartmann habe
„einen strikten Gegensatz zwischen dem, was er voraussetzungslos, dogmenfrei, wissenschaftlich, empirisch,
induktiv nannte, und religiösen oder politischen Dogmen“ gesehen.
887
Vgl. auch Lenel Vermischtes, 573; Stein Hartmann, 318. Rathkolb Hartmann, 56 meint, Hartmann habe als
Archivbevollmächtigter der Republik Deutsch-Österreich trotz seiner kurzen Amtszeit die politische
Zielrichtung der an sich gut gemachten Edition geprägt, welche die politische Verantwortung des Deutschen
Reiches fast völlig marginalisiert und ausgeklammert habe; vgl. auch Engel-Janosi Geschichte, 43: Die
veröffentlichten Akten seien so ausgewählt worden, dass die Publikation zu einer „Anklageschrift von
erdrückendem Gewicht“ [Konsul Norbert Bischoff] geworden sei. Lediglich auf den Konflikt mit Serbien
bezogene Dokumente seien aufgenommen worden.
888
Vgl. Weltgeschichte, IX f. Ähnlich M. Weber Wissenschaft, 215-223. Überhaupt sah Hartmann (historische)
Analogieschlüsse sehr kritisch - vgl. Rezension, 172; auch Entwickelung, 60, Fn. 2; sowie G. Fellner Hartmann,
249 (Hartmanns Referat „Geschichtsauffassung und Geschichtsdarstellung“ 1921 auf dem Ersten
Sozialdemokratischen Kulturtag in Dresden - s. 248); vgl. aber Hartmann selbst bei G. Fellner Hartmann, 132 in
seinem Probevortrag „Über die Ursachen des Unterganges des römischen Reiches“.
170

Minderheiten herleitete. Logisch widersprüchlich ist dies jedoch nicht. Das gilt auch
für Hartmanns - Korporationsgeist zeigende - Äußerung, die Universitäten seien
durch die volkstümlichen Universitätskurse „aus der Zunft“ herausgehoben und durch
sie in wissenschaftlicher Hinsicht zu Führern des Volkes gemacht worden, und seine
Feststellung, die Lehrenden seien nicht mehr unbeteiligte Vermittler von Wissen über
die Vergangenheit, sondern aktive Gestalter des „Werdenden“. 889

Wie verhält sich nun Hartmanns Konzept der Geschichte und der
Geschichtsschreibung zu seiner Politik? Im Gegensatz zu Friedjung betrieb
Hartmann in aller Regel nicht bereits durch seine wissenschaftlichen Publikationen
Politik; denn er erhob für diese nicht nur den Anspruch auf strikte Objektivität und
politische Neutralität, sondern wurde diesem offenbar überwiegend auch gerecht.
Abgesehen von seiner Schrift „Über historische Entwickelung“, kann im Großen und
Ganzen allenfalls seine Konzentration auf sozial- und wirtschaftshistorische Themen
geeignet gewesen sein, den Leser in der Ausbildung einer entsprechenden
Weltanschauung zu bestärken. Mit dieser relativ geringen Parteilichkeit in seinem
wissenschaftlichen Wirken entsprach er genau dem Selbstbild des typischen
Gelehrtenpolitikers.

In der anderen Richtung jedoch fand eine Wirkung in höchstem Maße statt, genau
wie es Merkmal des Gelehrtenpolitikers war: Hartmanns wissenschaftlich-
philosophische Anschauung von der notwendigen Entwicklung der Menschheit war
Ausgangspunkt seiner politischen Aktivität, welche ja dem Ziel dienen sollte, eben
diese Entwicklung voranzutreiben - und er forderte, wie beschrieben, auch
grundsätzlich eine an den von ihm gesehenen Notwendigkeiten orientierte,
„wissenschaftliche“ Politik - wollte also in der Tat wie die Gelehrtenpolitiker den
Politikern mit seiner Wissenschaft das „geistige Rüstzeug zur Verfügung stellen“ und
Sprecher „für die Zukunft der Nation“ sein.890
889
Vgl. dazu Oesterreich, 3 bzw. „Über den Beruf unserer Zeit“, Nachkriegsausgabe, zitiert bei Herholt
Hartmann, 73.
890
Vgl. dazu oben, D. 2. In diesen Zusammenhang gehört auch Hartmanns Glaube, „objektiver“,
„wissenschaftlicher“ Unterricht (insb. in der Volkshochschule) sei der Garant dafür, dass sich der Sozialismus
und eine nationale Politik durchsetzen würden - vgl. (für den Sozialismus) Stein Hartmann, 317 sowie Ash
Wissenschaft, 32: „Der Anspruch, ‚Denke zu lehren’, wie dies Hartmann formulierte, beschränkte sich aber
keineswegs auf die Verbreitung wissenschaftlichen Wissens. Vielmehr lag diesem Anspruch die implizite
Annahme zugrunde, daß der geistigen Befreiung die politische auf dem Fuß folgen würde“; Adler Gedächtnis,
105: Die Wissenschaft habe in Hartmanns Sicht an die Massen vermittelt werden müssen, um auf diese Weise
die Nation zu einer wirklichen kulturellen Einheit zu machen. S. ferner, allgemein zur Wiener Volksbildung
dieser Zeit, insbesondere aber zu der von Sozialdemokraten betriebenen: Felt Wissenschaft, 52 f. S. zudem
171

Gut dazu passt Günter Fellners Einschätzung, für die Gruppe in Wien, der Hartmann
angehört habe, habe der „emanzipatorische Positivismus“ eine „Lebensform“
gebildet, wie sie dann besonders im Wiener Kreis der 1920er und 1930er Jahre zum
Ausdruck gekommen sei; diese Spielart des Positivismus habe ältere Formen dieser
Denkrichtung aus dem 19. Jahrhundert mit einer neopositivistischen Ausprägung
verbunden.891 Auch Hartmanns Sicht der Universitäten als Führer des Volkes in
wissenschaftlicher Hinsicht und der Lehrenden als aktiven Gestaltern des
Werdenden in Verbindung mit seinem erwähnten Glauben, der „wissenschaftliche“
Unterricht werde von selbst zur Bekehrung der Lernenden zu einem nationalen
Sozialismus führen, entspricht exakt dem nationalpädagogischen Anspruch von
Gelehrtenpolitikern auf Wahrheit sowie darauf, die Wissenschaft habe den Beruf,
Erzieherin der öffentlichen Meinung zu sein.

Mit dieser Auffassung von Politik entsprach Hartmann nicht bloß dem Typus des
Gelehrtenpolitikers, sondern sogar dem des „politischen (Geschichts-)Professors“ vor
seiner Zeit: Wie bereits zitiert, hatten sich die Historiker unter den „politischen
Professoren“ die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Geschichte nämlich im
Gegensatz zu den auf sie folgenden „Gelehrtenpolitikern“ „mit der besonderen
Absicht“ gestellt, „aus der Wissenschaft von der Geschichte eine Wissenschaft des
Staates, der Politik zu entwickeln, beide miteinander zu verbinden und systematisch
zu begründen“.892 Mehr noch, Hartmann entsprach bis 1918 auch dadurch dem
„alten“ Typus des „politischen Professors“, dass er tatsächlich wie dieser „unter
Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit und in potentiellem Konflikt mit der ihn
alimentierenden Staatsbehörde oder mit staatstragenden Kräften für eine visionäre
politische Option eintrat“.893 Und dies als Teil einer - wenn auch hauchdünnen -
„Speerspitze“ der Gesellschaft, welche in seiner Sicht ja bereits theoretisch die Basis
Hartmanns Forderung nach einem „Bund der Wissenschaft und der Arbeiter” - vgl. G. Fellner Hartmann, 108 (in
einem Artikel in einer Ausgabe der Arbeiter-Zeitung von 1923 - s. ebd. 107). Zum Glauben an das befreiende
Potential der Wissenschaft als des organisierenden Prinzips der modernen Welt in Wien um 1900 s. oben, Fn.
362 (Rabinbach). Darüber hinaus entsprach es auch Hartmanns Auffassung von den „Pflichten eines [jeden]
Mannes“, dass er sich in das öffentliche Leben begab, um dort u. a. als Politiker im Dienst des Volkes zu wirken
- vgl. Pribram Tod, 113; auch G. Fellner Hartmann, 105 - , was dem hier aufgestellten Befund aber nicht
abträglich ist.
891
Vgl. G. Fellner Hartmann, 124 - s. auch ebd.: Symbolfigur dieses Lagers sei Ernst Mach gewesen, sowie
oben, bei Fn. 17. Vgl. noch Kiss Intellektuellen, 200, Fn. 10: Der Positivismus des Wiener Kreises sei „in breiten
Flächen politisch links“ gewesen.
892
vom Bruch Wissenschaft, 385 f. (Zitat: Karl Dietrich Bracher über Friedrich Christoph Dahlmann).
893
Zitat: vom Bruch, Professoren, 22. Vgl. noch Hartmann selbst in Grundlagen, 184: Es seien nicht zum
Mindesten Studenten und Professoren gewesen, welche für die Ideale des 19. Jahrhunderts gekämpft hätten.
172

des bloßen „Überbaus“ Staat war. Allerdings erhob Hartmann - trotz aller seiner
Forderungen nach Verwissenschaftlichung der Politik - nicht etwa eine „Art von
politischem Alleinvertretungsanspruch“ der Gelehrten, und dieser wäre, im
Gegensatz zur Lage während der ersten beiden Drittel des 19. Jahrhunderts, auch
illusorisch gewesen.

Da alle soeben nicht genannten Merkmale des „politischen Professors“ und des
„Gelehrtenpolitikers“ übereinstimmen und das erste der beiden oben aufgeführten
Merkmale immerhin nur ein „Mehr“ gegenüber dem immerhin ebenfalls auf der Basis
seiner Wissenschaftsauffassung Politik betreibenden Gelehrtenpolitiker darstellt,
kann man Hartmann auch als Gelehrtenpolitiker bezeichnen - zumal damit für die
hier behandelte Epoche eine Abgrenzung sinnvoller Weise weniger zum „politischen
Professors“ alten Stiles als zu „politisierenden Gelehrten“ oder „gelehrten Politikern“
unter Hartmanns Zeitgenossen gemeint sein kann. Freilich fehlte Hartmann die für
Gelehrtenpolitiker zumindest im deutschsprachigen Raum typische Loyalität
gegenüber dem (konstitutionell-)monarchischen Staat, welchen er, im Gegenteil,
ablehnte und gelegentlich sogar verbal bekämpfte. Dieses Merkmal von
Gelehrtenpolitik ist jedoch nur ein typisches, aber nicht ein zwingendes.

F. Drei repräsentative Wiener Gelehrte, die mehr oder weniger stark


ausgeprägte Gelehrtenpolitik betrieben
Die drei Protagonisten dieser Untersuchung waren anders als viele ihrer Wiener
Zeitgenossen, vor allem als die Vertreter der sog. Wiener Moderne, politisch auf
vielen Feldern und mit verschiedensten Mitteln sehr aktiv. Trotz eines zum Teil nicht
geringen Einflusses auf das politische Leben war ihrem Engagement - abgesehen
von Klein mit seiner Tätigkeit als Justizminister - im Ergebnis allerdings kein großer
Erfolg beschieden, was auch durch einige ihrer Charaktereigenschaften und
Einstellungen bedingt war, wie sie bei vielen Gelehrten zu finden waren. Sie
gehörten dem Bildungsbürgertum sowie - Hartmann und Klein mehr, Friedjung
weniger - dem freilich nicht sehr großen Milieu der „Spätaufklärung“ an, wobei Klein
und Hartmann besonders durch die Traditionen der Revolution von 1848/49 geprägt
waren.
173

Die Inhalte der Politik der drei Männer wiesen einige Überschneidungen, trotz ihrer
ähnlichen Sozialisation aber auch starke Unterschiede auf. Friedjung verkörperte
dabei mit seiner Sicht von und seinem Kampf um die deutschösterreichische Identität
besonders exemplarisch das Denken und Fühlen seiner Landsleute. Mit ihm sowie
Klein und Hartmann dürften alle methodischen und die meisten inhaltlichen Varianten
Wiener Gelehrtenpolitik zwischen 1875 und 1925 abgedeckt sein.

Die politische Tätigkeit der Drei war in unterschiedlichem Maß von den Merkmalen
der „Gelehrtenpolitik“ geprägt: Im Hinblick auf das Fundament ihrer Politik in ihrem
wissenschaftlichen Selbstverständnis war Hartmann eindeutig ein Gelehrtenpolitiker,
Friedjung recht klar auch, Klein weniger klar.

Bei Friedjung und vor allem bei Klein ist (aber) noch ihre - für Gelehrtenpolitiker,
freilich auch für andere Bildungsbürger, typische -, mehr oder weniger
„überparteiliche“ Gemeinwohlorientierung im politischen Bereich zu berücksichtigen.
Zudem nutzten alle drei auch das unter Gelehrtenpolitikern besonders übliche Mittel
der Beeinflussung der „öffentlichen Meinung“ durch Presse und Vereinswesen in
weitem Umfang. Bei Friedjung ist zudem noch seine - ebenfalls für Gelehrtenpolitiker
kennzeichnende - Geistesverwandtschaft mit dem Beamtentum hervorzuheben, die
sich auch in seinem, die Gelehrtenpolitik allgemein oft prägenden,
„gouvernementalen“ Vorgehen ausdrückte; bei ihm und Klein (zumindest) bis 1918
zudem noch ihre Bejahung der Verfassung ihres Staates.

Die im vorstehenden Absatz herausgehobenen Elemente sind geeignet, die


Einstufung zumindest von Hartmanns und Friedjungs politischer Aktivität als
Gelehrtenpolitik noch zu unterstreichen. Vor allem Friedjung gehörte mit seiner Art
der Politik ab ca. 1900 allerdings einer „aussterbenden Spezies“ an: dem
Gelehrtenpolitiker.
174

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- Ansprache an die Beamten des Justizministeriums anläßlich der Demission als


Justizminister (Nach einem Berichte.), 16. November 1908, Bd. 2, S. 1021-1023.
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- Begrüßungsansprache auf dem Neunten Internationalen Wohnungskongreß (Auf


dem Kongreß sind folgende Regierungen vertreten: Österreich, Ungarn, Deutsches
Reich, Frankreich, Belgien, Niederlande, Schweden, Vereinigte Staaten von
Ameriatka). Wien, 30. Mai 1910, Bd. 1, S. 540-548.

- Rede in der Generaldebatte über die Errichtung eines Wohnungsfürsorgefonds


(Stenographisches Protokoll des Herrenhauses). 21. Dezember 1910, Bd. 1, S. 513-
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- Nationaler Internationalismus. 25. Dezember 1910, Bd. 2, S. 593-596.

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- Das Kriegsrätsel. 25. Dezember 1914, Bd. 2, S. 788-791.

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VERSICHERUNG

Ich habe diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen Quellen und
Hilfsmittel benutzt als die in ihr angegebenen.

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