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Arabischsprachige nationalsozialistische
Propaganda während des Zweiten Weltkriegs und
des Holocaust
von Jeffrey Herf
Abstract: During the Second World War and the Holocaust, Arab exiles living in
Berlin, led by Haj Amin el-Husseini, enthusiastically collaborated with the Nazi regime
to produce Arabic language radio and print propaganda aimed at North Africa and the
Middle East. The resulting propaganda displayed an ideological fusion between Na-
tional Socialist ideology on the one hand, and elements of radical Arab nationalism
and Islamist ideology on the other. Previously under-utilized or unused evidence from
British, German and American government archives make the most extensive account
to date about this campaign possible. National Socialist Arabic language propaganda
constituted an important chapter in the diffusion and merging of Nazi with Islamist
forms of Jew-hatred during the Second World War and thereafter in the Middle East.
1 Dieser Artikel basiert auf Jeffrey Herf, Nazi Propaganda for the Arab World, New Haven
2009; ders., Nazi Germany’s Propaganda Aimed at Arabs and Muslims During World
War II and the Holocaust. Old Themes, New Archival Findings, in: Central European
History 42. 2009, S. 709 – 736 und ders., Hitlers Dschihad. NS-Rundfunkpropaganda für
Nordafrika und den Nahen Osten, in: VfZ 58. 2010, S. 259 – 286. Alle Zitate übersetzt
vom Autor, sofern nicht anders angegeben.
H.E. [His Excellency] Rashid Ali Kilani, the premier of Iraq, has sent the following letter to
the Director of the Racial Section of the National Socialist Party :
Honorable Sir :
The Axis’ enemies in their propaganda state that the Germans consider the Arabs among the
lower castes. In my capacity as the Premier of Iraq I can give an assurance that the Arabs do
not give this claim any importance after what they have seen and felt from German treatment
and help to them. But as the enemy propaganda goes on repeating these lies, I should like to
receive an answer from an official source regarding the German consideration of the Arab
race. I should be very grateful to get from you a reply on the opinion of Germany on this
subject.
Signed. Rashid Ali al Kilani.
4 Siehe Jeffrey Herf, Defining Antisemitism, in: ders., Nazi Propaganda for the Arab
World, S. 15 – 35. Siehe außerdem Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PAdAA),
R99173, Inland Partei, Zugehörigkeit der Ägypter, Iraker, Iraner, Perser und Türken zur
arischen Rasse, Bd. 1, 1935 – 1936.
5 Ebd.
6 Dazu siehe auch Jeffrey Herf, The Jewish Enemy. Nazi Propaganda During World War II
and the Holocaust, Cambridge, MA 2006.
7 United States Archives and Record Administration, College Park (NACP), RG84, Egypt:
Cairo, Embassy General Records, 1936 – 1955, 820.00 – 822.00, entry 2410, 1942, Box 77,
Alexander Kirk to Secretary of State, Enclosure No. 1 to Despatch No. 692, Alexander
Kirk to Secretary of State, 11. 11. 1942, Radio Berlin, 23. 10. 1942, 19. 30 Uhr (gesendet
auf Arabisch); zitiert in: Herf, Nazi Propaganda for the Arab World, S. 150.
8 Siehe Elpeleg, The Grand Mufti und Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem und die
Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis, Darmstadt 2007.
9 Zu Husseini und der Konferenz in Baludan siehe Elpeleg, The Grand Mufti, S. 47 f. An
der Konferenz nahmen 400 Delegierte, darunter auch inoffizielle Vertreter aus
aufgrund der Verfolgung durch die Briten nicht daran teilnehmen, doch wurde
den Gästen einer seiner Texte mit dem Titel „Der Islam und die Juden“
vorgelesen. Im darauffolgenden Jahr wurde der Text in deutscher Sprache
beim Verlagshaus Junker und Dünnhaupt in Berlin publiziert, das Artikel und
Bücher veröffentlichte, die die nationalsozialistische Ideologie unterstützten.
Der Aufsatz erschien unter dem Titel „Islam – Judentum. Aufruf des Großmufti
an die islamische Welt im Jahre 1937“ in dem von Mohamed Sabry
herausgegebenen Band „Islam – Judentum – Bolschewismus“.10 „Der Islam
und die Juden“ ist einer der Grundlagentexte der intellektuellen Geschichte des
Islamismus im 20. Jahrhundert. Der Text enthält eine extrem antijüdische
Interpretation des Korans, die die Juden als Feinde des Islams seit dessen
Gründung darstellt. Die Veröffentlichung des Textes in einer deutschen
Fassung 1938 in Berlin bedeutet, dass Husseinis islamistischer Judenhass in
Regierungs- und Akademikerkreisen, die die Entwicklungen in der arabischen
Welt verfolgten, bekannt war. Husseini schrieb:
Dieser Kampf der Juden gegen die Araber ist nichts Neues, nur hat sich im Laufe der Zeit der
Schauplatz geändert. Die Juden hassen Mohammed und den Islam und jeden Menschen, der
sein Volk fordern will und gegen jüdischen Geiz und Korruption kämpft. Der Kampf
zwischen Juden und Islam begann, als Mohammed von Mekka nach Medina floh, wo er die
Grundlage für die Entwicklungen des Islams schuf. […]
Und wenn einer die Juden so kennengelernt hat wie sie sind, nämlich so, wie sie im Koran und
in den heiligen Schriften geschildert sind, dann sind die Qualen zu verstehen, denen die
Araber in Palästina schon jetzt ausgeliefert sind, und man wird sich vorstellen können, wie
diese Qualen ins ungeheuerliche steigen werden, wenn die Juden einmal ihre Hand voll und
ganz auf Palästina gelegt haben werden.
Meinen moslemischen Brüdern der ganzen Welt lege ich die Geschichte und das wahre
Erlebnis, das die Juden nicht ableugnen können, vor. Die Verse aus dem Koran und Hadith
beweisen euch, daß die Juden die bittersten Gegner des Islams gewesen sind und noch weiter
versuchen, den selben zu vernichten. Glaubt ihnen nicht, sie kennen nur Heuchelei und List.
[…] Haltet zusammen, kämpft für den islamischen Gedanken, kämpft für eure Religion und
euer Dasein! Gebt nicht eher Ruhe, bis euer Land von den Juden frei ist! Duldet nicht den
Aufteilungsplan, denn Palästina ist seit Jahrhunderten ein arabisches Land und soll ewig
arabisch bleiben.11
arabischen Ländern und 124 Palästinenser, teil. Am letzten Tag wählten die Delegierten
Husseini zum Ehrenpräsidenten der Konferenz.
10 Haj Amin el-Husseini, Islam – Judentum. Aufruf des Großmufti an die islamische Welt
im Jahre 1937, in: Mohamed Sabry, Islam – Judentum – Bolschewismus, Berlin 1938,
S. 22 – 32. Siehe Matthias Küntzel, Das Erbe des Mufti, in: Tribüne. Zeitschrift zum
Verständnis des Judentums, 184. 2007, S. 151 – 158. Ich danke Matthias Küntzel, dass er
mich auf dieses bedeutende Dokument aufmerksam gemacht hat.
11 Haj Amin el-Husseini, Islam-Judentum, S. 23 f. u. S. 32; auch teilweise zitiert in Küntzel,
Das Erbe des Mufti.
Wie Matthias Küntzel bemerkt, war Husseinis Text eine „innovative Leistung“,
weil „die klassische islamische Literatur Mohammeds Kampf mit den Juden in
der Regel als eine geringfügige Episode im Leben des Propheten behandelt
hatte“, während im Laufe der Zeit „die judenfeindlichen Sätze im Koran und
im Hadith, den Berichten über den Propheten, weitgehend in Vergessenheit
geraten“ waren. Husseini betonte die angebliche Feindseligkeit, die die Juden
in Medina Mohammed gegenüber zeigten, hob antijüdische Passagen aus dem
Koran hervor und behauptete, dass diese jüdische Feindseligkeit sich 1937 im
Konflikt um Palästina manifestiert habe.12 Dabei legte er eine parteiische und
selektive Lesart vergangener Traditionen vor und formte diese nach seinen
Interessen um. „Der Islam und die Juden“ wurde zu einem der grundlegenden
Texte für die islamistischen Bemühungen des 20. Jahrhunderts, Teile der
islamischen Tradition in den Dienst des Judenhasses zu stellen. Die Versuche
von Islamisten wie Husseini oder Hassan al-Banna, die islamischen Traditio-
nen zu radikalisieren und umzuformen, sind nicht mit der Radikalisierung des
europäischen Christentums durch die Nationalsozialisten gleichzusetzen,
waren aber ein paralleles Projekt, dass eine spezielle Lesart und Neuordnung
einzelner Komponenten einer umfangreichen religiösen Tradition vornahm
und in den Dienst des zeitgenössischen Judenhasses stellte.13 Im Jahre 1937
hatte Husseini – vier Jahre vor seiner Ankunft in Berlin – in Baludan die
Schlüsselelemente des Judenhasses vorgestellt, die auf einer modernen
islamistischen Interpretation des Koran und des Hadith basierten. Während
der vier Jahre, die er in Berlin verbrachte, leisteten er und seine Genossen aktiv
Beiträge zur ideologischen Verschmelzung, die in der arabischsprachigen
Propaganda des NS-Regimes Ausdruck fanden.
Im Herbst 1941, als Hitler die Entscheidung über die Durchsetzung der
„Endlösung“ in Europa traf, kam es zu bedeutenden Entwicklungen bezüglich
der fremdsprachigen Propaganda. Im Oktober 1941 klärte Hitler den Disput
zwischen dem Propagandaminister Joseph Goebbels und dem Außenminister
Joachim von Ribbentrop, indem er dem Auswärtigen Amt unter Ribbentrop
die Hauptverantwortung für die Auslandspropaganda übertrug. Innerhalb des
Auswärtigen Amts koordinierten zwei Stellen, die beide Amt VII hießen, die
regionale, rundfunkpolitische Propaganda und arbeiteten mit den prominen-
ten arabischen Exilanten zusammen.14 Das Orientreferat, das der politischen
Abteilung des Auswärtigen Amts unterstellt war und dort auch als Amt VII
bekannt war, überwachte die politischen und propagandistischen Strategien,
die auf Ägypten, Afghanistan, Saudi-Arabien, Palästina, Syrien, die Türkei,
Indien, den Iran, Sudan und Ceylon abzielten.15 Parallel dazu existierte in der
rundfunkpolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt ein Referat VII, das die
Radiobeiträge, die in diese Länder übertragen wurden, verfasste und koor-
dinierte.16 Am 1. September 1943 war das Personal der gesamten rundfunk-
politischen Abteilung auf 226 Personen angewachsen.17 Auch Kurt Georg
Kiesinger, der zwischen 1966 und 1969 Kanzler der Bundesrepublik Deutsch-
land war, arbeitete hier und war von 1943 bis 1945 der stellvertretende Leiter.18
Das Orientreferat, Amt VII in der politischen Abteilung, wurde von Wilhelm
Melchers geleitet. Direktor des Amtes VII in der rundfunkpolitischen
Abteilung war während des Krieges Kurt Munzel. Munzel, ein Diplomat und
Orientalist, hatte im Jahrzehnt vor dem Krieg in der Dresdner Bank in Kairo
gearbeitet.19 1942 unterstanden Munzel 19 Mitarbeiter, darunter, nach den
Namen zu urteilen, auch sieben Araber und vier „wissenschaftliche Assisten-
ten“, das heißt Deutsche, die Arabisch sprachen und Kenntnisse über den
Islam besaßen.20
15 PAdAA, R67478 Referate RuPers. RuHs, Teil 3: Haushalt, Personal (Handakte Bartsch),
1939 – 1943, Bde. 3 – 4, Auswärtiges Amt, Politische Abteilung.
16 PAdAA, Rundfunkpolitische Abteilung, R67477 Referate RuPers. RuHs, Teil 1: Verwal-
tung, Organisation 1941 – 1943, Bde. 2 – 3, Haushaltsvoranschlag der Rundfunkpoliti-
schen Abteilung des Auswärtigen Amtes vom 1. 4. 1942 bis 31. 3. 1943.
17 Ebd., Anlage 1: Zahlenmäßige Übersicht über den Inlandspersonalbestand der Abtei-
lung Ru., Stand vom 1. 9. 1942.
18 PAdAA, Rundfunkpolitische Abteilung, R67476 Referate RuPers. RuHs,Teil 1: Verwal-
tung, Organisation 1939 – 1945, Bde. 1 – 2, Personalbestand der Rundfunkpolitischen
Abteilung, Berlin, 14.8.1943.
19 Ebd.; Munzel stellte seine Dissertation 1948 an der Universität Erlangen fertig. In den
1950er Jahren kehrte er zurück, um einen Posten im westdeutschen Außenministerium
zu übernehmen. Siehe Ludmila Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten. Deutschspra-
chige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
Wiesbaden 2003, S. 199.
20 PAdAA, Rundfunkpolitische Abteilung, R67477 Referate RuPers. RuHs, Teil 1: Verwal-
tung, Organisation 1941 – 1943, Bde. 2 – 3, Übersicht über die Arbeitsgebiete der
rundfunkpolitischen Abteilung und ihrer Referate, Ref. VII Orient, S. 4 und Rundfunk-
abteilung Inland, Personalstand 1. 9. 1942, Ref. VII Orient, Personal der Orientabteilung
in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Außenministeriums, S. 16. Unter den
Mitarbeitern, siehe Kurt Munzel, Ägyptisch-Arabischer Sprachführer, Wiesbaden 1958
und 1983. Hans-Joachim Kißling wurde später Dozent für die Geschichte und Kultur des
Orients und der Türkei an der Universität München. Siehe unter anderem seine Werke
The Muslim World, Leiden 1969; Handbuch der Orientalistik, Leiden 1959; zusammen
mit Hans Georg Majer, Islamkundliche Abhandlungen, München 1974.
Von September 1939 bis Herbst 1941, bevor Husseini und Kilani nach Berlin
kamen, basierten die arabischsprachigen Rundfunksendungen hauptsächlich
auf dem Fachwissen der deutschen Orientalisten, die die arabische und
islamische Literatur und Poesie kannten, auf den Ortskenntnissen der
deutschen Diplomaten, die vor dem Krieg in arabischen Ländern gearbeitet
hatten, und auf Beiträgen von den zahlenmäßig nicht genau erfassten Arabern,
die zu Kriegsbeginn in Berlin lebten. Die meisten Rundfunksendungen waren
im Ton eines wohlwollenden, gut informierten und politisch engagierten
Gelehrten gehalten, der danach strebte, aber nicht recht dazu fähig war, die
Details der lokalen Politik zu verdeutlichen. Sie verbreiteten die klare
Botschaft, dass es dem NS-Regime nicht um die Oberherrschaft der Arier
über die unterlegenen Semiten im Nahen Osten gehe, sondern dass es vielmehr
ein Freund der arabischen Nationalisten und der Religion des Islams sei.
Zahlreiche Textbeispiele illustrieren die behandelten Kernthemen.21
Der Koran oder vielmehr seine nationalsozialistische und radikalislamistische
Lesart wurde zum Schlüsseltext für die Bemühungen, beide Ideologien
kulturell zu verschmelzen. Vor 1939 zirkulierten im Nahen Osten arabische
Übersetzungen von „Mein Kampf“ und der „Protokolle der Weisen von Zion“.
Obwohl die „Protokolle“ während und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg
in der Region sehr bekannt waren, spielten weder sie noch die Reden von Hitler
und Goebbels eine große Rolle im arabischsprachigen NS-Radio oder der
gedruckten Propaganda des Zweiten Weltkrieges. Denn die deutschen Diplo-
maten waren sich seit Mitte der 1930er Jahre bewusst, dass Hitlers rassistische
Sicht auf die Araber in „Mein Kampf“ ein schwer lösbares Problem für die
deutschen Bemühungen darstellte, Verbündete und Kollaborateure unter den
Nichtjuden, also den Arabern und den muslimischen „Semiten“ zu finden.
Die Macht und fortdauernde Signifikanz, die die NS-Propaganda in der
Geschichte des radikalen Islams und bei der Verbreitung des Antisemitismus
im Nahen Osten hatte, basierten vielmehr auf der Verflechtung der NS-
Ideologie mit den antizionistischen Strömungen des arabischen Nationalis-
mus. Diese Vermischung wurde durch eine selektive Auslegung der bereits
existierenden antijüdischen Texte im Koran und der dazu existierenden
islamischen Kommentare erreicht. Die führenden Funktionäre im deutschen
Außenministerium, wie zum Beispiel Erwin Ettel, aber auch die NS-Orienta-
listen, die mit Himmlers Reichssicherheitshauptamt der SS zusammenarbei-
teten, kamen zu dem Schluss, dass der Koran und die islamischen Traditionen
– wie sie sie verstanden – und nicht „Mein Kampf“ oder die „Protokolle“ den
Schlüssel lieferten, der ihnen kulturellen und politischen Zugang zu den
21 Vgl. etwa Bundesarchiv Berlin (BAB), R 901, R 73039, Rundfunkabteilung, Ref. VII
Arabische und Iranische Sendungen, Vorl. 39, Dezember 1940-Januar 1941. Zum
deutschen Orientalismus, speziell im 19. Jahrhundert siehe Suzanne L. Marchands
bedeutendes Werk, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and
Scholarship, New York 2010.
Oh Mohammedaner, seit langer Zeit befindet Ihr Euch in tiefem Schlaf und in Vergessenheit.
In dieser Zeit seid Ihr eine Beute für jeden geworden, denn man hat Euch alles erlaubt.
Diese Schwäche und dieser Verfall hat Euch nur deshalb getroffen, weil Ihr Euch von dem
rechten Weg Eurer Religion abgewandt habt und weil Ihr dem zuwider handelt, was Euch
geboten wurde. Ihr habt viel Unrecht und böse Taten begangen und Euren Verstand mit
leeren Einbildungen gefüllt. Deshalb seid Ihr eine Gemeinschaft geworden, die nichts mehr
bindet. Die Reichen unter Euch nutzen die Schwachen aus und der Unwissende unter Euch
erhebt sich in Stolz über den Wissenden. Eure Kräfte haben sich daher gespalten und Eure
Waffen sind stumpf geworden. Es trifft auf Euch jetzt das Wort des Korans zu:
,Sie haben Gott vergessen, da hat er sie selbst vergessen lassen. Sie gehören daher zu den
Schädlingen.‘
Oh Mohammedaner, soll ich Euch einen Weg weisen, der Euch aus dieser Qual rettet.
,Glaubt an Gott und seinen Propheten und kämpft für Gott mit Euren Gütern und Euren
Seelen.‘22
22 BAB, R 901 Auswärtiges Amt, R73039, Rundfunkabteilung, Kult. R., Ref. VII (Orient),
Mu/Ei, Wachet auf!, Berlin 6. 2. 1941 (gesendet auf Arabisch), S. 94 – 96.
der NS-Ideologie und -Politik bezeichnet habe.23 Diese und andere Sendungen
übermittelten die Botschaft, dass das Wiedererwachen des fundamentalisti-
schen Islams ebenso wichtig sei wie die politische und ideologische Revolte des
Nationalsozialismus gegen die moderne Politik der westlichen Welt. Eine
Rückkehr zur wörtlichen Lesart des Korans und deren Anwendung auf die
zeitgenössische Realität sei kein Relikt einer rückständigen Kultur, sondern
Teil der großen Bewegung, die nun in NS-Deutschland und im faschistischen
Italien an der Macht waren.
Die Nationalsozialisten hofften, die Hinwendung dieser Radiosendungen zu
islamischen Themen würde ihnen Zugang zu den Muslimen verschaffen und
diese dazu bringen, auch die säkularen und politischen Botschaften des
Nationalsozialismus anzuhören. An dem Tag, als Radio Berlin die oben zitierte
Botschaft übertrug, sendete es auch die Rede „[z]ur Regierungserklärung für
die Araber“.24 Im selben Radiosender, zur selben Zeit, vielleicht sogar durch
denselben Sprecher, schwenkte die NS-Sendung von spezifisch religiösen
Fragen zu eindeutig säkularen und politischen Themen über. Dem Publikum
wurde Deutschlands „volle Sympathie“ für den arabischen „Freiheits- und
Unabhängigkeitskampf“ übermittelt. Dieser Kampf bewirke, dass sie „den
ihnen gebührenden Platz unter der Sonne wieder einnehmen und ihren Ruhm
sowie ihre Ehre im Dienste der Menschheit und Zivilisation wiedererlangen“.
Die Regierungserklärung
hat beim deutschen Volk, das für seine Liebe und Sympathie für die Araber bekannt ist, ein
starkes Echo gefunden, zugleich aber auch die Bande der Freundschaft verstärkt, die das
deutsche Volk den Arabern gegenüber seit langer Zeit hegt. Dies ist nicht zu verwundern,
denn die beiden großen Völker haben viele Eigenschaften und Tugenden gemeinsam. Beide
sind durch ihren kriegerischen Mut, ihre Heldenhaftigkeit und männliche Gesinnung
bekannt, und beide schätzen die Ehre und verherrlichen das Reich und die Freiheit.
Außerdem aber sind beide Völker noch durch andere Bande verbunden. Die Leiden und
Ungerechtigkeiten, unter denen sie nach dem Ausgang des Weltkrieges zu leiden hatten,
mussten sie teilen, denn beide großen Völker wurden in ihrer Ehre beleidigt, ihre Rechte
wurden ihnen verleugnet und mit den Füßen getreten. Beide bluteten aus denselben
Wunden, aber beide hatten auch einen gemeinsamen Feind: nämlich die Alliierten, die sie
zerspalteten und ihnen keinen Anspruch auf Ehre gönnten. Deutschland ist es nun gelungen,
diese Schmach von sich zu wälzen und seine alten Rechte wiederzuerlangen, so dass
Deutschlands Stimme überall gehört wird und Deutschland seine alte Stellung wieder
eingenommen hat.25
23 Jeffrey Herf, Reactionary Modernism. Technology, Culture and Politics in Weimar and
the Third Reich, New York 1984.
24 BAB, R 901, Auswärtiges Amt, R73039, Rundfunkabteilung, Ref. VII Arabische und
Iranische Sendungen, Vorl. 39, Dezember 1940-Februar 1941, Kult. R., Ref. VII (Orient),
Mu/Scha, Zur Regierungserklärung an die Araber, Gespräch vom 12. 12. 1940 (gesendet
auf Arabisch), S. 11 – 13.
25 Ebd.
NS-Deutschland war nach dieser Darstellung das Modell einer Nation, die
gedemütigt wurde, aber dennoch ihre Unabhängigkeit und Einheit wiederer-
langt hatte. Die deutsche Sympathie für die Araber schloss auch kulturelle und
religiöse Bereiche mit ein. In vielen orientalistischen Instituten hatten sich die
deutschen Gelehrten „seit langer Zeit […] bemüht, durch Bücher und Studien
den Geist, die Zivilisation und die Wissenschaften der Araber kennenzuler-
nen“. Daraus entwickelte sich „ein Band gegenseitigen Verständnisses zwi-
schen den Arabern und Deutschland“. Deutschland hatte auch „die neuen
nationalen Bewegungen der arabischen Völker“ und die „Aufstände“ in
Ägypten, Palästina, Transjordanien und im Irak
zu würdigen gewusst und die Opfer, die sie gefordert haben, geehrt, denn sie sind um ihrer
Freiheit Willen gefallen. Ibn Saud, Saad Zaghlul, Faisal und andere haben in deutschen
Büchern und in der deutschen Presse stets die ihnen gebührende Würdigung erfahren.
Der Aufstand in Palästina, den England anstiftete und den die Juden, die den
Arabern ihr Vaterland rauben wollten, mit den Engländern fortgeführt hätten,
sei von Deutschland mit aufrichtigem freundschaftlichem Mitgefühl und mit
voller Sympathie für die Araber verfolgt worden. Daher sei „zwischen den
arabischen Völkern und Deutschland eine Freundschaft auf fester Basis“
entstanden.26
Das Argument, dass eine Wiederbelebung des religiösen Glaubens einen Sieg,
und ein Verlust des Glaubens eine politische Niederlage bringe, blieb von 1940
bis Anfang 1941 ein fortdauerndes Thema in den nationalsozialistischen
Propagandasendungen.27 Am 6. Februar 1941 beschwor Radio Berlin die
Muslime, aus ihrem langen Schlaf aufzuwachen und ihren Glauben wieder-
zufinden.28 Der religiöse Glaube sei „der Ursprung allen Erfolges“. Wenn die
Muslime den „Kampf für Gott gegen sich selbst wie auch gegen ihre Feinde
führten, waren sie stark“. Sie konnten „die Feinde Gottes erschrecken“ und
bauten einen „mächtigen Staat“ auf. Leider hätten sie sich
von dem Kampf für Gott […] abgewandt und sich zu den Ungläubigen gewendet. […] Jetzt
aber hat die Stunde geschlagen. Oh Mohammedaner, wacht auf aus Eurem langen Schlaf und
zeigt der Welt, dass ihr die Anhänger Gottes seid, die Ihn und seine Religion verteidigen.29
26 BAB, R 901, Auswärtiges Amt, R73039, Rundfunkabteilung, Ref. VII Arabische und
Iranische Sendungen, Vorl. 39, Dezember 1940-Februar 1941, Kult. R., Ref. VII (Orient),
Mu/Scha, Zur Regierungserklärung an die Araber, Gespräch vom 12. 12. 1940 (gesendet
auf Arabisch), S. 12 f.
27 BAB, R901, R73039, Rundfunkabteilung, Ref. VII Arabische und Iranische Sendungen,
Vorl. 39, Dez. 1940-Feb. 1941, Kult. R., Ref VII (Orient) Mu/B, Die Selbstsucht,
16. 1. 1941 (gesendet auf Arabisch), S. 62 – 64.
28 Wachet auf!, Berlin 6. 2. 1941, S. 95 f.
29 Ebd., S. 96.
In diesen Sendungen, wie auch während des ganzen Krieges, unterstützte der
nationalsozialistische Rundfunk eine islamische Wiederbelebung – als Vor-
bedingung wurde die Rückkehr zur Botschaft des Korans verstanden. Wie die
Autoren von „Neuerungen und Aberglaube im Islam“ jedoch am 20. Februar
1941 behaupteten, hatte eine islamische Wiederbelebung nichts mit Neue-
rungen zu tun. Die Gläubigen müssten gegenüber „den Feinden“ des Islams,
„vor allem den Juden“, wachsam bleiben. Die Sendungen zitierten eine
berühmte Passage des Korans: „Gott sagt im Koran: ,Du wirst finden, dass die
am meisten den Gläubigen feindlich eingestellt sind, die Juden und Götzen-
anbeter sind!‘[sic!]“ Die Juden „waren von jeher und sind auch heute noch die
Feinde des Islam und der Mohammedaner, die sie mit allen Mitteln zu
bekriegen versuchen“. Die Juden seien weiter eine Quelle des „Aberglaubens“,
die Muslime aber müssten sich „an die Vorschriften des Korans und die Gebote
des Propheten“ halten. Auf diese Weise wären „sie und ihre Religion vor allen
denen geschützt, die Neuerungen einführen wollen“ und würden „gegen ihre
Feinde und die Feinde ihrer Religion“ siegen.30
Den Sendungen, die vor dem Eintreffen Husseinis und Kilanis in Berlin im
November 1941 ausgestrahlt wurden, fehlte ein gewisses Verständnis für die
lokalen Idiome und die Politik in Nordafrika und im Nahen Osten. Mit dem
Eintreffen der arabischen Exilanten in Berlin wurde diese Unzulänglichkeit
aufgehoben.31 Die beiden Männer trafen Hitler und Ribbentrop.32 Bei seinem
berühmten Treffen mit Husseini am 28. November 1941 versprach Hitler ihm,
dass nach dem vorgesehenen deutschen Sieg an der Ostfront die Stunde der
arabischen Befreiung kommen würde. Dann, so Hitler, sei es das Ziel NS-
Deutschlands, das „jüdische Element“ in der arabischen Sphäre – das zurzeit
unter dem Schutz der britischen Macht stehe – zu vernichten.33 Mit anderen
Worten: Hitler hatte die Entscheidung über die „Endlösung der jüdischen
Frage in Europa“ bereits getroffen, als er Husseini mitteilte, dass er, Hitler,
30 BAB, R901, R73039, Rundfunkabteilung, Ref. VIII Arabische und Iranische Sendungen,
Vorl. 39, Dez. – Feb. 1941, Kult. R. Ref VIII (Orient) Mu/B, Neuerungen und Aberglaube
im Islam, 20. 2. 1941 (gesendet auf Arabisch), S. 122 – 124.
31 Zu Haj Amin al-Husseini und Rashid Ali el-Kilani in Berlin siehe Elpeleg, The Grand
Mufti; Gensicke, Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten; Mallmann und
Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 105 – 120 und Lukasz Hirszowicz, The Third
Reich and the Arab East, London 1966, S. 211 – 228.
32 Dazu siehe Peter Longerich, Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des
Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, München 1987.
33 Documents on German Foreign Policy (DGFP), 1918 – 1945, Series D (1937 – 1945),
Bd. 13: The War Years, June 23 – December 11, 1941, Washington, DC 1965, No. 515,
Memorandum by an Official of the Foreign Minister’s Secretariat, Record of the
Conversation between the Führer and the Grand Mufti of Jerusalem on November 28,
1941, in the Presence of Reich Foreign Minister and Minster Grobba in Berlin, Berlin,
30. 11. 1941, S. 881 f. u. S. 884.
auch die klare Absicht hatte, die „Endlösung“ zu globalisieren, das heißt, sie
auch auf die ungefähr 700.000 Juden auszudehnen, die außerhalb Europas in
Nordafrika und im Nahen Osten lebten. Wie Martin Cüppers und Klaus
Michael Mallmann in ihrer bedeutenden Studie „Halbmond und Hakenkreuz“
zeigen, führte Hitlers Entscheidung im Frühjahr 1942 zu realen militärischen
Plänen: dem Aufbau der SS-Einsatzgruppe Ägypten. Damit hing das Schicksal
der Juden in Nordafrika und im Nahen Osten ausschließlich vom Ausgang der
militärischen Auseinandersetzungen in Stalingrad und al-Alamein ab.
Im Winter 1941/42 kam es zwischen den arabischen Exilanten und dem NS-
Regime zu einer ernsthaften Zusammenarbeit. Am 18. April 1942 sandte
Alexander Kirk dem US-amerikanischen Außenminister in Washington,
Cordell Hull, eine Zusammenfassung der arabischsprachigen NS-Rundfunk-
sendungen aus den vergangenen sechs Monaten. Mit diesem ausführlichen
Bericht begann die amerikanische Dokumentation der Kollaboration zwi-
schen NS-Deutschland und der Entourage um Husseini und Kilani.34 Kirk fasst
die Propaganda folgendermaßen zusammen: Die Achsenmächte und die
Araber hätten eine „natürliche Sympathie“ füreinander, da beide Seiten eine
„großartige Zivilisation“ aufzuweisen hätten. Die Gegner der Achsenmächte
seien „britischer Imperialismus“, „bolschewistische Barbarei“, „jüdische
Gier“ und „amerikanischer Materialismus“. Für die Befreiung vom gemein-
samen Feind, dem anglo-bolschewistischen Imperium, müssten sich die
arabischen Länder gegen eben diesen verbünden. Und um nach der bevor-
stehenden Niederlage Großbritanniens nicht von Amerikanern, Russen und
Juden beherrscht zu werden, müssten die Araber schnell handeln. Sie sollten
sich ihrer eigenen Stärke bewusst werden und sich vereinen, wie es in der
Anfangszeit des Islams der Fall gewesen sei. Hitler und Mussolini bzw. die
Achsenmächte würden ihnen beistehen. Weiterhin warnte die Propaganda vor
der Zusammenarbeit mit den Briten:
Incredible and horrible as it must seem to any True Believer, and certainly to the Axis
Commentator, there are Mohammedans willing to sell themselves to Britain and by so doing,
prove false to Islam. Among these are ‘Rabbi’ Abdullah, the buffoon of Transjordan; the
traitor Nuri el-Said of Iraq and Sheikh Tajeddine of Syria. But these will fall with their masters
and that fall will be soon. There are signs that the Middle East will be the next field of Axis
activity and it will be a bad day for traitors when the victorious and righteous liberators of
Islam arrive.35
34 NACP, RG659, United States Department of State, Central Decimal File, 1940 – 1944,
740.0011/European War 1939, Microfilm Records M982, Roll 114, 21414, Alexander Kirk
to Secretary of State, Telegram 340, General Summary of Tendencies in Axis Broadcasts
in Arabic, Cairo, 18. 4. 1942.
35 Ebd., S. 1 f.
36 NACP, RG659, United States Department of State, Central Decimal File, 1940 – 1944,
740.0011/European War 1939, Microfilm Records M982, Roll 114, 21414, Alexander Kirk
to Secretary of State, Telegram 340, General Summary of Tendencies in Axis Broadcasts
in Arabic, Cairo, 18. 4. 1942, S. 1 – 4.
37 Siehe Herf, The Jewish Enemy.
38 Dazu siehe Herf, Nazi Propaganda for the Arab World.
The Axis forces are entering Egypt, not as an enemy country, but to dismiss the British from
Egyptian territory, and to continue operations against Britain in order to liberate the whole
of the Near East from the British yoke. The policy of the Axis powers is inspired by the
principle, ‘Egypt for the Egyptians.’ The emancipation of Egypt form the chains which have
linked her to Britain, and her security from the risks of war, will enable her to assume her
position among the independent sovereign states.41
Seit 1940 hatten sich Husseini und Kilani um eine Erklärung von deutscher
und italienischer Seite zugunsten der arabischen Unabhängigkeit bemüht. Im
Sommer 1942 unterstützen die beiden Diktaturen im Zusammenhang mit
ihrer Kriegsstrategie in Nordafrika eine solche gemeinsame Erklärung und
gaben diese bekannt.
In der deutschsprachigen Propaganda in und für Deutschland hatten Hitler
und Goebbels den Deutschen öffentlich versprochen, dass das NS-Regime die
Vernichtung der Juden Europas tatsächlich durchführte. Die Juden hatten
gemäß dem nationalsozialistischen Narrativ den Zweiten Weltkrieg angefan-
gen, um die Deutschen – nicht nur das Regime, sondern das gesamte deutsche
39 NACP, RG 208, Records of the Office of War Information (OWI), Informational Files on
the Near East, 1941 – 1946, Entry 373, Box 417, Anne H. Fuller, Memorandum on Radio
Reception in the Near East and India, 18. 8. 1941.
40 Siehe „Egypt“ und „Libya“ in: UNESCO, World Survey of Education, Bd. 1, Paris 1955,
S. 26 u. S. 424. Zum Bildungsstand in Palästina vgl. Ami Ayalon, Reading Palestine.
Printing and Literacy, 1900 – 1948, Austin 2004 und NACP, RG 226, Records of the Offices
of Strategic Services, Cairo, SI/X2, Entry 172, Box 4, Enemy Courier Systems in Turkey
und Syria.
41 NACP, RG 84, Foreign Service Posts of the Department of State, General Records, Cairo,
Embassy, 1942, 815.4 – 820.02, Box 77, Despatch No. 502 from the American Legation at
Cairo, Egypt, Axis Broadcasts in Arabic, 3.7. -9. 7. 1942, Kairo, 21. 7. 1942, S. 1.
Volk – zu vernichten. Jetzt müssten die Juden Europas den Preis in Form der
von Hitler befohlenen Ausrottung bezahlen.42 In den arabischsprachigen
Kurzwellensendungen lautete die Botschaft anders; demnach sollten die
arabischen Rundfunkhörer ähnliche Taten selbst ausführen, das hieß, sie
sollten die Juden in Nordafrika und im Nahen Osten selbst töten. Die
Sendungen zielten auf eine mörderische Volksverhetzung im Nahen Osten.
Zum ersten Mal in der modernen Geschichte – sieben Jahrzehnte vor dem
Genozid in Ruanda – wurde der Rundfunk als Instrument eines möglichen
oder versuchten Genozids eingesetzt.
Am 7. Juli 1942 um 20.15 Uhr hörten die Amerikaner in Kairo im Programm
von Die Stimme des Freien Arabertums eine Sendung mit dem Titel „Kill the
Jews Before They Kill You“.43 Sie begann mit der Behauptung,
dass eine große Anzahl von Juden, die in Ägypten wohnten sowie eine Anzahl von Polen,
Griechen, Armeniern und Freien Franzosen, Revolver und Munition erhalten haben. […]
Ziel dieser Waffenverteilung durch die Briten ist eine Hilfestellung gegen die Ägypter, für den
letzten Moment, wenn die Briten dazu gezwungen sind, Ägypten zu räumen. […] Angesichts
dieses barbarischen Vorgehens der Briten und zur Rettung der ägyptischen Nation halten wir
es für das Beste, dass sich die Ägypter Schulter an Schulter wie ein Mann erheben und die
Juden töten, bevor diese eine Chance haben, das ägyptische Volk zu verraten. Es ist die Pflicht
der Ägypter, die Juden zu vernichten und deren Eigentum zu zerstören. […] Ihr müsst die
Juden töten, ehe sie das Feuer auf Euch eröffnen. Tötet die Juden, die Euer Vermögen an sich
gerissen haben und einen Anschlag auf Eure Sicherheit planen. Araber Syriens, des Irak und
Palästinas, worauf wartet Ihr? Die Juden haben vor, Eure Frauen zu schänden, Eure Kinder
umzubringen und Euch zu vernichten. Nach der muslimischen Religion ist die Verteidigung
Eures Lebens eine Pflicht, die nur durch die Vernichtung der Juden erfüllt werden kann. Das
ist Eure beste Chance, diese dreckige Rasse loszuwerden, die Euch Eurer Rechte beraubt und
Euren Ländern Unheil und Zerstörung gebracht hat. Tötet die Juden, steckt ihren Besitz in
Brand, zerstört ihre Geschäfte, vernichtet diese niederträchtigen Helfer des britischen
Imperialismus. Eure einzige Hoffnung auf Rettung ist die Vernichtung der Juden, ehe sie
Euch vernichten.44
Hier, auf den arabischen und muslimischen Kontext bezogen, sehen wir genau
dieselbe Logik der Projektion und Paranoia, die ein bestimmendes Merkmal
des nationalsozialistischen Antisemitismus in Europa darstellte. Es war
unmöglich, sich noch stumpfer und deutlicher auszudrücken. Diese Schimpf-
tiraden brachten den politischen und rassistischen Hass des Nationalsozia-
lismus mit den angenommenen religiösen Forderungen des Islams zusammen.
Im Fall eines deutschen Sieges in al-Alamein erwarteten deutsche Diplomaten,
Agenten und Offiziere eine ähnliche Kollaboration von bestimmten Teilen und
Gruppen der lokalen Bevölkerung, wie sie sie mitunter auch schon an der
Ostfront erfahren hatten.45 Die nationalsozialistische Auslandspropaganda
verfolgte einen doppelten Zweck: Sie galt als Unterstützung sowohl für die
Achsenarmeen in Nordafrika als auch für die Ausdehnung der „Endlösung der
Judenfrage“ jenseits der geographischen Grenzen Europas.
Nach der Niederlage Deutschlands in Stalingrad im Januar 1943 wurde in der
nationalsozialistischen Inlandspropaganda, insbesondere von Joseph Goeb-
bels in seinen Reden, vor einer durch die Rote Armee verursachten Katastro-
phe, das heißt dem Sieg der Alliierten in Europa, gewarnt. Nach der Niederlage
in al-Alamein zeichneten die Warnungen in der arabischen Auslandspropa-
ganda ein ebenso verheerendes Bild. Am 30. Januar 1943 wurde in der Sendung
„Die arabische Nation“ über „Großbritannien und die Juden“ gesprochen:
Die Juden trachten danach, in Zukunft die Welt zu beherrschen. Wenn Großbritannien durch
ein Meer von Blut watet, so deshalb, damit die Juden unangefochten die Welt beherrschen,
denn die Juden sind nicht zufrieden mit Palästina, Syrien und Transjordanien – nicht einmal
mit Marokko, sie wollen die ganze Welt haben. Sie legen jedoch große Schlauheit an den Tag,
indem sie diese Herrschaft nicht auf einmal zu erringen suchen. Daher haben sie den Mythos
geschaffen, dass die Briten jüdischer Herkunft sind, um so ihre Ambitionen verwirklichen zu
können. Auf der anderen Seite möchte Amerika das Britische Empire erben. Aber die
Amerikaner sind Angelsachsen und deshalb Söhne Isaaks, was natürlich bedeutet, dass sie
Juden sind. So wird das Britische Empire unweigerlich das Empire Isaaks sein, mit anderen
Worten das jüdische Empire. Gigantische Kräfte ringen miteinander. Länder verschwinden,
Throne stürzen, nur weil die Juden die Welt beherrschen wollen. Ein jüdischer Sieg würde die
Desintegration der ganzen Welt bedeuten und die Degeneration der Menschheit und den
Rückfall der Zivilisation in die Steinzeit. Das möge Gott verhüten.46
Am 8. September 1943 behauptete Radio Berlin, dass die Juden nicht zufrieden
sein würden bis „jedes Gebiet zwischen Tigris und Nil jüdisch“ geworden sei.47
3/4/44, Near and Middle East. Siehe auch Herf, Nazi Propaganda for the Arab World,
S. 213.
45 Mallmann u. Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, insbesondere Kapitel 7 – 9.
46 NACP, RG84, Egypt: Cairo, Embassy General Records, 1936 – 1955, 820.00 – 822.00, 1943,
entry 2410, Box 93, Kirk to Secretary of State, No. 848, The Arab Nation, 30. 1. 1943,
“Britain and the Jews”, 10. 2. 1943, Axis Broadcasts in Arabic, 29.1. to 4. 2. 1943, 3 – 4.
47 NACP, RG84, Egypt: Cairo, Embassy General Records, 1936 – 1955, 820.00 – 822.00, 1943,
entry 2410, Box 93, Kirk to Secretary of State, No. 1313, Berlin, 8. 9. 1943 (gesendet auf
Das Hauptthema dieser Sendung war die angebliche jüdische Bedrohung für
den Islam und das Christentum. Das jüdische Ziel sei, „Kreuz und Halbmond
aus allen arabischen Gebieten zu entfernen“. Wenn die Juden erfolgreich
wären, würden die Folgen schrecklich sein
Nicht ein einziger arabische Muslim oder Christ wird in der arabischen Welt übrig bleiben.
Araber! Stellt Euch vor, Ägypten, Irak und all die arabischen Länder würden jüdisch sein.
Christentum oder Islam würden dort nicht mehr existieren.48
In der Sendung „Palestine between the Bolsheviks and the Jews“, die am
3. November 1943 von Die Stimme des Freien Arabertums ausgestrahlt wurde,
machte die Propaganda den Zionismus für den Zweiten Weltkrieg, sowie die
Juden für „alle Probleme der Welt“ verantwortlich und rief zur „Auslöschung
der jüdischen Rasse“ auf.49
Besonders nach der deutschen Niederlage in Tunesien im Frühling 1943 war
der Kampf um Palästina ein Nebenschauplatz im globalen und europäischen
Weltkriegsgeschehen geworden. Dennoch hatte die deutsche Propaganda in
dieser Sendung den Zionismus als Ursprung des Zweiten Weltkrieges ausge-
macht. Die Behauptung, dass NS-Deutschland während des Krieges mit den
Zionisten zusammengearbeitet habe, ist in den Jahren des Kalten Krieges in
der sowjetischen, arabischen und antizionistischen Propaganda zum Gemein-
platz geworden. Tatsächlich hat das Naziregime den Zionismus immer
verachtet, wie dieses und viele andere Zeugnisse zeigen. In seiner Propaganda
hat das Regime nie einen Unterschied zwischen Zionisten und Juden gemacht.
Zudem waren deutsche Diplomaten überzeugt, dass ihre Ablehnung des
Zionismus von entscheidender Bedeutung für ihren Versuch war, Verbündete
unter Arabern und Muslimen zu finden.
Der Beitrag Husseinis zur Globalisierung des europäischen Judenhasses kam
in den Sendungen deutlich zum Ausdruck.50 Egal ob in Beirut 1937 oder in
Berlin zwischen 1941 und 1945, er ließ keinen Zweifel daran, dass sein Hass auf
alten islamischen Traditionen gründete. Dem Mufti zufolge war die Balfour-
Erklärung das Resultat einer jüdisch-englischen Verschwörung während und
nach dem Ersten Weltkrieg. In Berlin bediente er sich eines modernen,
säkularen Verschwörungsnarrativs des europäischen Antisemitismus des
20. Jahrhunderts, gepaart mit einem religiös begründeten Judenhass, der
Arabisch), Talk: The Ambitions of the Jews, Axis Broadcasts in Arabic, 2.9 – 8.9.1943. Zu
Goebbels Rede „Wollt ihr den totalen Krieg?“ siehe Herf, The Jewish Enemy, S. 192 – 96.
48 Ebd.
49 NACP, RG84, Egypt: Cairo, Embassy General Records, 1936 – 1955, 820.00 – 822.00, 1943,
entry 2410, Box 93, Kirk to Secretary of State, No. 1410, Voice of Free Arabism,
3. 11. 1943, 20.15 Uhr, Palestine between the Bolsheviks and the Jews, S. 1, Axis
Broadcasts in Arabic for 3.11. to 9. 11. 1943.
50 Ebd., 5. 11. 1943, 18.30 Uhr, The protests of the Moslems of Europe against the Balfour
Declaration, S. 3 f.
Aus seiner Sicht war der Zionismus nur der letzte von vielen bisherigen
jüdischen Angriffen auf den Islam und die Muslime gewesen.
Über die Rezeption dieser Sendungen kamen amerikanische, britische und
deutsche Diplomaten und Nachrichtendienste zum selben Schluss – nämlich,
dass bestimmte, aktivistische Minderheiten, wie die Muslimbruderschaft,
junge Offiziere in Ägypten, Zirkel um König Faruk in Ägypten, Studenten und
Professoren der Al-Azhar-Universität in Kairo und andere Intellektuelle und
Politiker in Palästina, Syrien, im Libanon, Irak und Iran für den Nationalso-
zialismus und Hitler Sympathie gezeigt hatten. Alle kriegführenden Mächte
waren der Meinung, dass Deutschland für den Fall, dass Rommel in al-Alamein
gewinnen sollte, arabische Kollaborateure finden könne.52
Die arabischsprachige Propaganda, die in Rundfunksendungen oder auf
Flugblättern durch das Deutsche Afrikakorps verbreitet wurde, stammte
hauptsächlich von den betreffenden Orientreferaten im Auswärtigen Amt.53
Husseini hatte aber auch enge Kontakte zu Heinrich Himmler und dem
Reichssicherheitshauptamt.54 Am 1. Januar 1944 wandte sich Himmler an die
51 PadAA, R27327, Großmufti, 1942 – 1944, Haj Amin el-Husseini, Rede S. Em. [Seiner
Eminenz] Des Großmufti anlässlich der Protestkundgebung gegen die Balfour-Erklä-
rung am 2. November 1943, Berlin, Islamisches Zentral-Institut 1943, S. 297 – 880. Siehe
diese Passage im Koran: „Du wirst sicher finden, daß diejenigen Menschen, die sich den
Gläubigen gegenüber am meisten feindlich zeigen, die Juden und die Heiden sind.“ Der
Koran, übersetzt von Rudi Paret, Stuttgart 2004, 5:82.
52 Zum Thema ägyptischer Kritiker gegen Faschismus und Nationalsozialismus siehe
Israel Gershoni u. James Jankowski, Confronting Fascism in Egypt. Dictatorship and
Democracy in the 1930s, Stanford 2009. Eine Bilanz zum heiklen Thema der arabischen
Sympathie und/oder Feindschaft gegenüber dem Nationalsozialismus sollte ein wich-
tiges Ziel zukünftiger Forschung sein.
53 Zu den gedruckten Materialien in Nordafrika siehe Herf, Nazi Propaganda for the Arab
World, S. 78 – 83; siehe auch PAdAA, 60747, G. R. v. Neurath, Propagandaoffiziere, 1941/
42, Bd. 1 u. 2.
54 Siehe Gensicke, Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten.
55 BAB, NS19/4012, Heinrich Himmler, Rede des Reichsführers SS Heinrich Himmler vor den
Führern der 13. SS-Frchw. B.h. Görings Division (Kroatien) im Führerheim Westlager,
Truppenübungsplatz Neuhammer am 11. Januar 1944, S. 6 – 16; auch verfügbar in NACP,
RG 242, T-175, Roll 94, Frames 4877 – 4887.
56 Ebd., S. 11.
57 Zu Husseini und der bosnischen SS-Division siehe Mallmann u. Cüppers, Halbmond
und Hakenkreuz, S. 231 – 235 und Jozo Tomasevich, War and Revolution in Yugoslavia,
1941 – 1945. Occupation and Collaboration, Stanford 2001, S. 499 – 501. Obwohl ihre
Anzahl gering war, spielten einige der Muslime, die im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis
kämpften, beim Aufbau des radikalen Islam im Europa nach 1945 eine wichtige Rolle. Zu
dieser faszinierenden und kaum bekannten Geschichte siehe Ian Johnson, A Mosque in
Munich. Nazis, the CIA and the Rise of the Muslim Brotherhood in the West, Boston
2010. Ich danke ihm für unsere interessanten Diskussionen im Herbst 2007 in Berlin und
für die Erlaubnis, den Entwurf seines Manuskriptes zu lesen.
62 BAB, (Mikrofiche) NS19/3544, Der Reichsführer SS, persönlicher Stab, an den SS-
Obergruppenführer Berger, Betr.: Koranstellen, die sich auf den Führer beziehen sollen,
11.9.1943, S. 25. Siehe „Berger, Gottlob“ und „Brandt, Rudolf“, in: Ernst Klee, Das
Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt 2003,
S. 41 und S. 71.
63 BAB, (Mikrofiche) NS19/3544, Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, VI C13 AZ,
Forschungsstelle Orient, An den Reichsführer SS, Feldkommandostelle, betrifft:
Koranstellen, die sich auf den Führer beziehen sollen, S. 13 f. Zu den Mitgliedern des
„Orient-Forschungsamtes“ in Tübingen gehörten der SS-Sturmbannführer Wilhelm
Beisner und die Experten Dr. Otto Rössler und Dr. Walter Lorch. Zu Beisner siehe
„Beisner, Wilhelm“, in: Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 37. Rössler war
seit 1932 Mitglied der NSDAP. Nachdem er seine Doktorarbeit in Berlin fertiggestellt
hatte, ging Rössler 1937 an die Universität von Tübingen, um seine Habilitation zu
schreiben, die er 1941 vollendete. Dort arbeitete er auch für das „Arische Institut“, das
zum SS-„Ahnenerbe“ gehörte, und war für das Reichssicherheitshauptamt tätig.
Außerdem arbeitete er für das Berliner Institut zum Studium der Judenfrage und
anschließend für das Amt VI, das Orient-Forschungszentrum an der Universität
Tübingen. Dazu siehe Horst Junginger, Von der philologischen zur völkischen
Religionswissenschaft, Tübingen 1999. Zum Amt VI siehe Michael Fahlbusch, „Reichs-
sicherheitshauptamt Abteilung VI G (Reichsstiftung für Länderkunde)“, in: Michael
Fahlbusch u. Ingo Haar (Hg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften, München,
2008, S. 545 – 555. Zu den deutschen Orientalisten während des Nationalsozialismus
siehe Ludmilla Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung
des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wiesbaden 2003.
64 BAB, (Mikrofiche) NS19/3544, Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, VI C13 AZ,
Forschungsstelle Orient, An den Reichsführer SS, Feldkommandostelle, betrifft:
Ende Januar 1944 wurde ein Flugblatt gedruckt, und das Amt VI des RSHA
erklärte sich damit einverstanden, seine „geheimdienstlichen Verbindungen
und sonstigen Möglichkeiten für die Verbreitung der Flugblätter in den dafür
in Frage kommenden arabischen Ländern […] zur Verfügung zu stellen“. Im
Hinblick auf die politische Lage im Nahen Osten, besonders in Palästina,
erwartete es, „einen besonderen Erfolg“ von dem „Einsatz dieser Flugblatt-
propaganda gerade jetzt“.65 Eine Kurzmitteilung des RSHA, Amt VI, verdeut-
lichte den Beitrag, den die NS-Orientalisten in Tübingen in dieser Angele-
genheit geleistet hatten und drückte ihre Hoffnung aus, durch die Propaganda
ein religiöses Massenpublikum zu erreichen. „Das Volk im Orient ist in der Tat
vielfach der Ansicht, der Führer sei ein Nebi“ (Prophet). Von der Tatsache
„dieser Benennung“ könne
jedoch weiter kein Gebrauch gemacht werden, da man sonst in Widerspruch mit der
offiziellen islamischen Theologie geraten würde, für die es nach Mohammed, der das ,Siegel
der Propheten‘ genannt wird, keinen Nebi mehr geben kann.
Ende Juni 1944 druckte das Propagandaministerium eine Million Kopien des
Flugblatts.67 Die Übersetzung des arabischen Textes lautet wie folgt:
,und siehe, wahrlich, er ist ein Wissen für die Stunde‘ [nämlich des Jüngsten Gerichtes].
(Koran, XLIII 61)
Es ist uns gelehrt worden, dass am Ende der Tage der Dadjdjal erscheinen wird, ein
Ungeheuer, das die Menschen täuschen und betrügen wird. Dies wird eine Zeit schwerer
Bedrückung für die Gläubigen sein. Der berühmte arabische Historiker Abu Djafar
Muhammad b. Djabirat-Tabaris sagte, der Dadjdjal sei ein Riese und Judenkönig, der die
ganze Welt beherrschen wird. Muhammad b. Jamail Abu Abdallah al-Bjufi al-Burhari saget,
der Dadjdjal sei feist und kraushaarig.
Koranstellen, die sich auf den Führer beziehen sollen, S. 13 f. Siehe „Beisner, Wilhelm“,
in: Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, S. 37.
65 BAB, R55/20712, RMVP, Zeischka, Druck und Verbreitung von Flugblättern in
arabischen Ländern, Berlin 26. 1. 1944, Anlage 1.
66 Ebd.
67 Ebd., Anlage 2.
Oh Araber, seht ihr, dass die Zeit des Dadjdjal gekommen ist? Erkennt ihr ihn wieder, den
feisten, kraushaarigen Juden, der die ganze Welt betrügt und beherrscht, und den Arabern
ihr Land stiehlt? Wahrlich, er ist ein Ungeheuer, und seine Verbündeten sind Satannasse! Es
ist uns gelehrt worden, dass die Herrschaft des Dadjdjal nicht dauern wird. Abdallah b. Umar
ab-Baydawi sagte, dass Gott seinen Diener senden wird, der den Dadjdjal mit seiner Lanze
töten und seine Paläste zerstören wird.
Oh Araber, kennt ihr den Diener Gottes? Er ist bereits auf der Welt erschienen und schwingt
schon seine Lanze gegen den Dadjdjal und seine Verbündeten, und hat ihnen schon schwere
Wunden geschlagen. Er wird den Dadjdjal töten, wie es geschrieben steht, sein Paläste
zerstören und sein Verbündeten in die Hölle stürzen.
,und siehe, wahrlich, er ist ein Wissen für die Stunde.‘68
Dieses Dokument ist ein bemerkenswertes Beispiel für die kulturelle Ver-
schmelzung der nationalsozialistischen und islamistischen Ideologie. Anstatt
die europäische Konspirationstheorie an die Religion des Islam anzupassen,
wurde die europäische Person Adolf Hitler in einen islamistischen Kontext
eingefügt.69
Am 23. Juni 1945 schrieb das Office of Strategic Services (OSS) in Washington
in Vorbereitung auf die Nürnberger Prozesse einen Bericht über mögliche
arabische Reaktionen auf den Kriegsverbrecher-Prozesse gegen die arabischen
Achsenkollaborateure.70 Die Schlussfolgerung zum „Near East and the War
Crimes Problem“ lautete wie folgt:
Die populäre Meinung über die Nazi-Kriegsverbrecher im Nahen Osten kann mit dem Wort
Apathie beschrieben werden. Aufgrund des allgemeinen Gefühls der Feindschaft gegenüber
dem Imperialismus der alliierten Mächte existiert die Tendenz, mit denjenigen zu
sympathisieren, die den Achsenmächten geholfen haben, nicht aber sie zu verurteilen.71
Als Husseini 1946 in Kairo eintraf, fand das OSS seine im entsprechenden
Bericht vom Juni 1945 gezogene Schlußfolgerung bestätigt, wonach die
politische Meinung im arabischen Raum dazu tendierte, mit denen, die den
Achsenmächten geholfen hatten, eher zu sympathisieren als sie zu verurteilen.
Nach dem Ende der Zensur konnte Hassan al-Banna, der charismatische
Führer der Muslimbruderschaft, seine Ansichten zu Husseini noch einmal
öffentlich bekanntmachen. In einem Brief an die Arabische Liga, den das OSS
bekam, zeigte sich al-Banna begeistert über die Rückkehr Husseinis. Er nannte
ihn einen Helden, „der mit der Hilfe Hitlers und Deutschlands ein Empire
herausgefordert und gegen den Zionismus gekämpft hat. Deutschland und
Hitler sind nicht mehr, aber Amin Al-Husseini wird den Kampf fortsetzen.“
Jetzt sei er zurückgekommen „um den Kampf gegen die verbrecherischen
Briten und den Zionismus wieder aufzunehmen“. Al-Banna schrieb: „Amin!
Vorwärts! Gott ist mit Dir! Wir stehen hinter Dir. Wir sind bereit, unseren Hals
für die Sache zu riskieren. Bis zum Tode! Vorwärts marsch.“72 Wenn ein Krieg
gegen den Zionismus geführt werden sollte, sei niemand besser dafür geeignet
als Husseini, der so viel Kampferfahrung in Berlin gesammelt habe. Al-Banna
kritisierte Husseini nicht für seine NS-Kollaboration. Im Gegenteil waren es
Husseinis Worte und Taten während seines Aufenthaltes in NS-Deutschland,
die Al-Banna für lobenswert befand.
Im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg wurde Husseini zum wichtigsten Führer
der palästinensischen Nationalbewegung. Sein politischer Erfolg nach dem
Krieg bewies die große Wirkungsmacht der politisch-ideologischen Ver-
schmelzung von nationalsozialistischer Ideologie, radikalem Islamismus und
säkularem arabischen Nationalismus. Dieses Amalgam von religiösen und
säkularen Ideologien wirkte sich jahrelang auf den Nahen Osten aus und war
eine der Ursachen – wenn auch nicht der Hauptgrund – für den Konflikt
zwischen den Arabern und Juden in Palästina. Im Jahr 1950 verfasste der
ideologische Anführer der Muslimbruderschaft Sayyid Qutb einen Artikel mit
dem Titel „Unser Kampf mit den Juden“, der 1970 in Saudi-Arabien neu
aufgelegt wurde.73 Qutbs Texte dienen den Islamisten seitdem als wichtige
Inspirationsquelle. Er griff die Juden für ihren vermeintlich uralten Hass auf
den Islam an, der sich erneut in der Gründung des Staates Israel zeige. Die
Juden, schrieb er, hätten Allah seit Jahrhunderten missachtet. Allah habe sie
bestraft, aber sie weigerten sich zuzuhören. Schließlich habe Allah Hitler
gesandt, um die Juden zu bestrafen. Qutb leugnete die Vernichtung der
europäischen Juden nicht. Wir wissen nicht, ob Sayyid Qutb die Radiosender
Die Stimme des Freien Arabertums bzw. Radio Berlin hörte, oder ob er die
Nazi-Propaganda las, die Hitler als Botschafter Gottes darstellte. In seinem
Werk „Unser Kampf mit den Juden” griff Qutb sowohl auf die ursprünglichen
Traditionen des Islamismus als auch auf den in Europa wurzelnden Judenhass
zurück. So wie Husseini die Grundgedanken seines in Baludan vorgetragenen
Textes nach Berlin brachte, führte Qutb den europäischen Antisemitismus in
den islamistischen Diskurs ein. Der Gedankenaustausch zwischen dem Nahen
Osten und NS-Deutschland fand also in beide Richtungen statt.
Die arabischsprachige Propaganda NS-Deutschlands war das Ergebnis eines
Aufeinandertreffens zweier unterschiedlicher Traditionen, die trotz ihrer von
Grund auf verschiedenen kulturellen Wurzeln, ethnischen Unterschieden und
sprachlichen Barrieren eine gemeinsame Grundlage fanden. Diese basierte auf
dem gemeinsamen Hass auf die liberale Demokratie, Großbritannien, die USA,
die Sowjetunion und vor allem auf die Juden und das zionistische Projekt in
Palästina. Arabische Exilanten unterstützten diese Radikalisierung ihrer
Traditionen durch eine selektive Lesart des Korans und ermöglichten damit
den Muslimen einen Zugang zu dem radikalen Juden- und Demokratiehass des
„Dritten Reiches“. Nachdem die Nazis herausgefunden hatten, wie sie die
bereits existierenden antisemitischen Strömungen in der europäischen und
deutschen Kultur radikalisieren konnten, lernten die Funktionäre und Ideo-
logen, die die auf Araber und Muslime abzielende Propaganda erarbeiteten,
wie sie nun auch auf das bereits bestehende antijüdischen Gedankengut in den
islamischen Traditionen aufbauen konnten.
Die moderne Forschung zum arabischen und islamistischen Umgang mit
Faschismus und Nationalsozialismus sowie zu deren Nachwirkungen in den
folgenden Jahrzehnten wird zunehmend breiter. Wenn wir die Frage der
Rezeption beantworten wollen, ist es von größter Bedeutung, dass wir uns an
die ursprünglichen Grundlagen der Botschaften erinnern. Die arabischspra-
chigen Radiosendungen und Flugblätter zeugen von der enthusiastischen
Rezeption des Nationalsozialismus zumindest unter den Kollaborateuren, die
an ihrer Entstehung beteiligt waren. Sie sind das Ergebnis eines Gedanken-
austausches und einer kulturellen Verschmelzung, die durch eine politische
und ideologische Zusammenarbeit entstanden; diese Zusammenarbeit be-
ruhte sowohl auf vermeintlich gemeinsamen Interessen als auch auf ideolo-
gischen Überzeugungen.