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Von Osman Engin

im l K in schon Taschenbuch Verlag erschienen:


K a n a k c n - G a n d h i (20476)
GötterRatte (20708)
Don Osman (20799) Donnerstag, 10. Juni
\\Vst-ostlichcs Sofa (20908)
Getürkte Weihnacht (20931)
"lote essen keinen Döner (21054)
Lieber Onkel Ömer (21097) T olles Leben habe ich: gestern Knast
HartzIV!
morgen

Vor fünf Tagen wurde ich von der Polizei festgenommen,


saß sogar wegen dringenden Mordverdachts im Gefängnis,
durfte erst gestern wieder nach Hause, und heute erfahre
ich, dass mir mein Meister in Halle 4 fristlos kündigen
u diesem Konian entstand im Rahmen der Arbeiten für die Ge- will.
Vlnverici- /u Pflugscharen«, die im Band »Mords.Metropole.
Für Abenteurer und Bandschiispringer ohne Seil mag
uril am l IcllwcgV« (Grafit Verlag 2010) veröffentlicht wurde und
in Teilen in dieses Buch eingegangen ist. das vielleicht eine richtig tolle Super-Gaudi sein, aber für
mich ist das der absolute Super-G AU! Denn das ist leider
Ausführliche Informationen über weder ein Märchen noch ein Film.
unsere Autoren und Bücher Selbst für einen Roman wäre so ein blöder Anfang glat-
finden Sie auf unserer Website
www.dtv.de
ter Selbstmord! Welcher vernünftige Mensch würde denn
in der heutigen Zeit ein Buch kaufen, dessen Titelheld
gleich auf der ersten Seite arbeitslos wird und bald für
Originalausgabe 2010
l leut.scherTaschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,
Jahre hinter Gitter muss? Wer identifiziert sich schon ger-
München ne mit einem schlecht gelaunten, dicken, alten, auslän-
1 Deutscher Taschenbuch Verlag, München
dischen Hartz-IV-Knastbruder? Besonders, wo sich doch
Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen
Umschla<>bild:Til Mette auf den aktuellen Bestsellerlisten nur Titel tummeln wie:
Gesct/l aus der Perpetua l 1 , 7 5 / 1 3 , 5 ' >Wer arm ist, ist selbst schuld! Fünf Tipps zur ersten
Sät/: ( J r e i n e r & Reichel, Köln
Million! <
und Bindung: Druckerei C . H . Beck, Nördlingen
r u i k l a u l säurefreiem, ehlorl'rei gebleichtem Papier >Dicke sind hässlich — schlank in zwei Tagen !<
P r i m e d in Gcrm.iny • ISBN 978-3-423-21251-9 >Alt ist aut - in zehn Minuten zehn Jahre jünger !<
>Glück ist machbar werde Fernsehstar!< Mein Meister Viehtreiber ist nicht einfach nur ein ge-
• Im Sehlal d ü n n und reich!< wöhnlicher Industriemeister, nein, er hat gleich mehrere
Und da/u jede Menge kitschige Lav-Storys, die teils in Qualifikationen. Hauptsächlich wird er aber dafür be-
romantischen, teils in sehr feuchten Gebieten vor lauter zahlt - wenn er nicht gerade Leute vor die Tür setzt -,
Häppv Lnds nur so triefen. dass er in unserem Pausenraum ununterbrochen frauen-,
schwulen-, tier- und ausländerfeindliche Witze erzählt.
Diese Kündigungen finden bei uns in Halle 4 regelmäßig Unsere Belegschaft ist tarifvertraglich dazu verpflich-
im J u n i s t i l l t und heißen offiziell »Frühjahrsputz«. In die- tet, auf der Stelle laut zu lachen, wenn der Meister glaubt,
sem Jahr kann man sie auch problemlos »ethnische Säu- einen Witz gemacht zu haben. Es ist sehr selten, dass ihm
b e r u n g « n e n n e n , denn alle dreizehn Kollegen, die vor die ein Witz mal gelingt. Ich persönlich habe es noch nie
Tür gcsei/.t werden, sind Ausländer. Alles Leute, die jähre- erleben dürfen, Trotzdem lache ich natürlich immer am
ang mit m i r zusammen in Halle 4 geschuftet haben. lautesten. Es ist nun mal so, dass die Ausländer auf allen
M e i n Meisler Viehtreiber ist erneut für diesen all- Gebieten des täglichen Lebens sehr viel mehr leisten müs-
j ä h r l i c h e n Z y k l u s zum Moderator auserkoren worden. sen als die Eingeborenen, um akzeptiert zu werden.
Obwohl er heute die Mittagsschicht o
hat,' ist er extra eine Ich gebe mal ein Beispiel seines grandiosen Humors:
S t u n d e f r ü h e r gekommen, um der Mannschaft von der Eine Blondine, ein Schwuler, ein Türke und eine Oma mit
Frühschicht die tollen »Abschiedsurkunden« persönlich Langhaardackel treffen sich ...
zu übergeben. Aber wenn ich es mir so recht überlege, darf ich doch
gar keine Witze über Frauen, Schwule, Senioren und Da-
Die Kollegen verlassen einer nach dem anderen mit lan- ckel erzählen — das ist politisch nicht korrekt! Als Türke
gen Gesichtern sein Büro. Viele der Kumpels müssen sich habe ich nur die Lizenz, mich über Ausländer lustig zu
a n s c h l i e ß e n d im Klo übergeben,
o '
nachdem der Meister machen. Besser gesagt, über Türken! Eigentlich sogar nur
ihnen die »Urkunden« übergeben hat. Ich bin der Letzte, über Osmans! Über Osmans, die im Karnickelweg 7b
ich bin als Dreizehnter dran. Letzte Nacht war auch noch wohnen, in Halle 4 arbeiten und mit Mädchennamen
Vollmond, und ich habe mich morgens beim Rasieren Engin heißen.
geschnitten, weil mich eine schwarze Katze brutal von Aber jetzt kann ich nicht mal mehr das. Heute ist mir
h i n t e n erschreckt hat, die sich dann später in meine kleine nicht nach Witzemachen zumute.
l o c h t e t - Halice verwandelte. Es war also von vornherein Vor Angst schlotternd und mit zittrigen Knien betrete
klar, dass der heutige Tag nicht so toll verlaufen würde. ich das Büro von Herrn Viehtreiber. Der darf natürlich
über alle Minderheiten herziehen und diese dann hinter-
her auch noch einfach leuern, wenn ihm danach ist. Der Weil sie alles so supergünstig bauen, will niemand auf der
Mann hat's wirklich gut! Welt mehr die Sachen kaufen, die Osman baut.«
»Osman, mein l jeher, im Namen der Gcschäftsleitung »War ja klar, dass ein Mord nicht unbedingt Glück
von H n l l e 4 bedanke ich mich recht herzlich für deine bringt«, murmle ich leise.
langjährige hervorragende Arbeit in unserem Betrieb«, »Mord? Was für'n Mord? Willst du mich etwa umbrin-
r u f t er mit aufgesetzt trauriger Miene. Wobei ihm sowohl gen? Junge, das ist doch keine Lösung!« Er wird blass.
der Text als auch die Betroffenheitsmiene wirklich super »Die Bullen haben mich doch tagelang wegen Mordver-
gelingen. Na ja, jahrelange Übung auf diesem Fachgebiet dacht eingelocht! Deshalb habe ich Sie doch Montag aus
x a h l l sich eben aus. Schwerte angerufen, dass ich nicht zur Arbeit kommen
» C h e f , meinen Sie wirklich, dass ein Tritt in den Hin- kann. Gestern haben die uns erst laufen lassen.«
t e r n bei den Kollegen als aufrichtiger Dank wahrgenom- »Ich fass es nicht! Eingelocht
o
wegen
o
Mordverdacht?
men \, stelle ich ihn vor eine Gewissensfrage. Was hast du denn ausgefressen?«
»Ohm . . . öööh . . . na jaaa ...«, stammelt er plötzlich. In dem Moment fallt mir siedend heiß ein, dass mein
Seine reibungslose Kündigungsmaschinerie ist ins Sto- Meister verrückt nach Geschichten ist! Nach allen Arten
o o o
cken geraten! [c'h glaube, ich hätte ihn doch nicht unter- von Geschichten! Am meisten nach solchen mit Mord und
brechen solK-n. Jet/t wird er mir wohl erst recht kün- Totschlag. Er ist dann wie hypnotisiert und vergisst alles,
digen ! was um ihn herum geschieht. Wir haben schon des Öfte-
Das ist eine brillante Eigenschaft von mir: im falschen ren die Pausen in Halle 4 um eine halbe Stunde, ja manch-
M o m e n t am falschen Ort garantiert immer das vollkom- mal sogar um eine ganze Stunde überzogen, weil wir
men falsche /u sagen! dabei einfach die Zeit vergessen haben - besser gesagt: er.
^ > O s m a n , was soll ich denn machen? Das Wohl der Fir- Die Kumpels erzählen ja diese bescheuerten Mord-und-
ma lasst uns keine andere Möglichkeit. Die Globalisierung Totschlag-Geschichten genau aus dem Grund!
t r i f f t uns alle hart! Wegen der Chinesen muss ich dieTür- »Los, Osman, nun erzähl schon, wer wurde denn ge-
•cen raussehmcißcn. Ich persönlich werde dich jedenfalls killt? Du bist doch kein Mörder, oder?«
sehr vermissen. Hier sind deine Papiere — und tschüss!«, Seine Stimme zittert, seine Augen flackern, er hofft auf
findet er seine Sprache und seine Rolle wieder. die große Sensation, einem wahrhaftigen Mörder gegen-
»Wegen der Chinesen?«, frage ich irritiert. »Welcher überzusitzen.
chinesische Kollege hat mich denn verpetzt?« »Ich werde verdächtigt, ein Mörder zu sein«, nuschle
>> Wir haben doch keinen Chinesen bei uns in Halle 4«, ich.
s a s.; t er. »Ich meine doch wegen der Chinesen in China! »Was? Als was wirst du verdächtigt?« Er runzelt die

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Stirn, spit/t die Ohren und legt mein Kündigungsschrei- »Aber in einen Mordiall verwickelt zu sein, ist kein
ben »eistesabwesend vor sich hin auf den großen Schreib- Pappenstiel.«
tisch halt es aber immer noch krampfhaft mit seinen »Das will ich auch meinen. Los, spann mich nicht wei-
\n lest! ter auf die Folter — erzähl schon!«
/ \is ist meine Chance! Wie ein Ertrinkender, der sich sogar an einer Gift-
> M ( K ) . . . « , nuschele ich wieder ganz schön undeutlich. schlange festklammern würde, klammere ich mich an
»Ich hab's wieder nicht verstanden, als was?«, zappelt das letzte Fünkchen Hoffnung, doch nicht gekündigt zu
IT bereits wie ein begriffsstutziger Fisch an meiner Angel. werden, und plappere drauflos:
»Mööö...« »Also, Herr Viehtreiber, in diesen unglaublichen Schla-
»Waaas?« massel hat mich meine Frau Eminanim letzten Freitag
» M o o o r . . . «• reingeritten! Sie wollte unbedingt übers Wochenende
»Mön er?« ihre Cousine in Frankfurt besuchen. Deshalb sind wir
>>]a. Mörder!« am Freitag direkt nach der Arbeit losgefahren, damit
»Ich fass es nicht! Das ist ein Ding!« o wir zum Abendessen dort sind. Unser Ford-Transit war
»U:h m e i n e , vielleicht werde ich als Mörder verdächtigt, aber anderer Meinung. O
Nach drei Stunden hatte er kei-
vielleicht auch n i c h t . Jedenfalls konnte ich den Kommis- ne Lust mehr. Er gab ein paar komische Geräusche von
O i

sar Lück nicht restlos von meiner Unschuld überzeugen. sich, ruckelte, zuckelte und blieb auf der Standspur ste-
bs wird weiterhin gegen mich ermittelt.« hen.
»Mein Gott, nun erzähl doch endlich!«, brüllt er völlig Ich rate Ihnen: Bleiben Sie bloß nicht an einem Freitag
Ungeduld i«. auf der Autobahn liegen. Es dauerte Stunden, bis end-
»Das tut mir leid, Herr Viehtreiber, aber in diesem Fall lich der ADAC kam. Und es vergingen erneut mehrere
wird weiterhin von der Mordkommission ermittelt. Ich Stunden, bis dieser Kfz-Mechaniker unseren Transit da-
darl in der Öffentlichkeit nicht darüber reden.« von überzeugt hatte, endlich weiterzufahren. Aber meine
» M i t mir imisst du sogar darüber reden, ich bin dein Leiden hörten damit noch nicht auf. Es war schon fast
Vorgesetzter! F. s gibt eine unmittelbare Mitteilungs- Mitternacht, da fing meine Frau an, komische Geräusche
pHicht, so steht das im Tarifvertrag, hier, schau, Seite 1 1 , von sich zu geben und zu jammern:
Paragraf 7c.« >Osman, ich bin tot!<, stöhnte sie, während ich einen
»Aber Sie haben mir doch gekündigt!« klapprigen ukrainischen Lkw überholte, der damit be-
»Noch nicht«, ruft er und wedelt mit dem Kündigungs- schäftigt war, eine lange, dunkle Qualmspur in die Nacht
schreiben. zu blasen.

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»F.minanim, die Fenster sind doch zu, so schnell ver- zu sparen und meinen Kumpel wiederzusehen, dachte ich
mutet
o
man sich nichtx, beruhigte o
ich sie. mir.
>Aaaaah, ich bin tot!<, jammerte sie \veiter wie ein klei- >Eminanim, der Klaus wohnt gleich hier vorne in
nes K i n d . Schwerte. Wir fahren zu ihm, da kannst du in einem wei-
>Ste!l dich doch nicht so an! So leicht stirbt man nicht. chen Bett schlafen. Versprochen ist versprochen!^ rief ich
Außerdem bin ich derjenige, der eigentlich tot sein müss- begeistert.
te. Ich liah mich doch die ganze Zeit abgerackert, wah- >Doch nicht nachts um zwei! Lass uns lieber in ein Hotel
rem du nul dem Beifahrersitz geschnarcht hast! Noch gehen<, schnarchte Eminanim mehr als sie sprach.
etwas Geduld, mein Schatz, in wenigen Stunden sind wir >Wir sind doch schon am Westhofener Kreuz, gleich
in Frankfurt.< kommt die Abfahrt nach Schwerte. Wir können heute bei
>k:h habe meiner Cousine schon eine SMS geschickt, ihm umsonst übernachten, und morgen fahren wir dann
liass wir es h e u t e nicht mehr schaffen. Die Leute schla- nach einem schönen Gratis-Frühstück quicklebendig zu
fen Bestimmt längst, und ich kann auch nicht mehr! Ich deiner Cousine nach Frankfurts
w i l l unbedingt in ein Hotel! Ich inuss sofort schlafen!<, Dank unseres tollen Navis befanden wir uns fünfzehn
schluchzte sie. Minuten später in der Hagener Straße und bogen von dort
> F . m i n a n i m , hast du eine Ahnung, was so ein Hotel in die Ruhrstraße ein.
an 11 IM- A u t o b a h n kostet? Aber ich habe eine ganz tolle >Eminanim, schau doch, die Haustür steht sperrangel-
Idee! l.ass uns doch meinem Kumpel Klaus einen Uber- weit offen. Also wenn das keine Einladung ist. Klaus
raschungsbesuch abstatten. Ich glaube, der wohnt hier in wohnt, soviel ich weiß, in der ersten Etage, du kannst
der Nälux, schlug ich vor. schon langsam raufgehen und klingeln, ich komme mit
O

>Hist du noch ogan/ dicht? Ich besuche niemanden mitten den Koffern nach. Ich kann das Zeug unmöglich nachts im
in der N a c h t . Schon gar nicht einen Deutschen, bei denen Wagen lassen, wir sind doch im Ruhrgebiet<, rief ich und
muss man sich zwei Monate vorher anmelden! Ich will schubste sie aus dem Wagen.
jetzt sofort ein B c t t h a b c n U Meine Frau konnte zwar kaum noch stehen, aber sie
Herr Viehtreiber, den Klaus kennen Sie doch auch. Er krabbelte tapfer die Treppen nach oben.
liat l e t z t e s J a h r sechs Wochen lang hier bei uns in Halle 4 Die Nachbarn dachten bestimmt, wir kämen vom
aui Montage gearbeitet. Sie wissen sicher noch, der hat Komasaufen und ich hätte 5,3 Promille im Blut. Und
oben u n t e r dem Dach die dicken Lüftungsschächte neu Eminanim hätte demnach gar kein Blut mehr in ihren
isoliert:, und der wollte unbedingt, class ich ihn mal im Adern, sonder n puren Alkohol.
Ruhrgebiet besuche. Das ist die Gelegenheit, Hotelkosten Ich merkte, dass ich nie und nimmer alle Koffer nach

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oben schleppen konnte! Wieso meine Frau für zwei Tage >Doch, doch! Die tote Frau hier ist die Inge!<
drei Koller braucht, ist mir heute noch schleierhaft. Sol- >Ich glaube, ich träume, ich leg mich besser sofort hin.<
len sie uns den Kram doch klauen, dachte ich, schnappte >Osman, bist du bescheuert? Du kannst dich doch nicht
mir da> ( i l a s l ü r meine dritten Zähne und stapfte die einfach zu einer toten Frau hinlegen, verdammt!<
l reppenhoch, >Bei Allah, wenn das kein Albtraum ist, dann weiß ich
Vor der weil aufgerissenen Wohnungstür meines Kum- auch nicht, was es ist<, murmelte ich entsetzt.
pels hörte ich, ich meine, sah ich Eminanim mit: noch wei- >Wir müssen sofort die Polizei anrufen. Dein Kumpel
ter aufgerissenen Augen und offenem Mund herzzerrei- Klaus hat mit Sicherheit die arme Inge mit dieser schwe-
ßend schreien und /.war völlig tonlos! ren Metallvase er schlagen !<
>Hminanim, w a r u m schreist du denn so fürchterlich . . . ? >Wieso das denn? Vielleicht hat sie ja Selbstmord be-
Ich i n e i n e , w a r u m hättest du denn so fürchterlich ge- gangen.
o o
<
schrien, wenn du noch deine Stimme gehabt hättest?<, >Du Spinner! Wie viele Leute kennst du, die sich mit
I r a o t e ich sie /.utiefst erschüttert. einer Metallvase umgebracht haben?<
> ' l o t , t o t , tot!! U, stammelte sie krampfhaft. >Eminanim, woher kennst du eigentlich diese tote Inge
.Ich weil'», ich weil;!, du bist todmüde. Jetzt lass mich aus Schwerte?<
rein.i >Als ich die Inge kannte, lebte sie noch!<
>Ich nicht, die . . . die ist tot!< >Ich fass es nicht! Wir sind zum ersten Mal in dieser
AVer ist tot? Die Klaus?< Stadt, wir besuchen zum ersten Mal meinen Kumpel
>Nein, die Inge!< Klaus, wir finden zum ersten Mal eine tote Frau auf dem
>Eminanim, du träumst ja im Stehen, leg dich sofort Boden, und du sagst, dass du sie kennst. Findest du das
hin.< nicht selbst etwas eigenartig? Oder ist diese Inge womög-
>Sirh doch, da liegt sie, die lnge!< lich eine berühmte Persönlichkeit, die man kennen soll-
>Bei A l l a l i , da liegt ja wirklich eine Frau auf dem Bo- te? Ist das etwa die Inge Meysel? Bei Allah, mein Kumpel
d e n ! < , schrie /ur Abwechslung ich. Klaus hat Inge Meysel umgebracht!<«
>Sa;>O ich doch,' die Inpv
O
ist tot!< »Was? Die Inge Meysel wurde umgebracht?«, unter-
> L - m i n a n i i n , woher weißt du, dass diese tote Frau nicht bricht mich der Meister mit großen Augen.
Klaus . . , öhrn . . . ich meine, woher weißt du, dass diese Ich schaue höchst theatralisch völlig besorgt auf die Uhr
tote Frau tot ist . . . ah, woher weißt du, dass diese tote und rufe total erschrocken:
Frau eine Inge i s t ? ! < , stotterte ich völlig schockiert und »HerrViehtreiber, mein Bus, ich verpasse meinen Bus!«
dem Durchdrehen gefahrlich nahe. »Warte mal, wie ist die Geschichte denn ausgegangen?

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Weshalb warst du im Knast?«, brüllt er und springt mit Ich glaube, so richtig schonend ist das nicht. Eminanims
meiner Kündigung in der Hand auf. Gesichtsausdruck vor meinem geistigen Auge lässt dieses
» D a f ü r habe ich jet/t überhaupt keine Zeit«, rufe ich Gefühl jedenfalls nicht aufkommen.
und stelle i h n , mich und mein Schicksal auf eine harte
Probe. »Ich muss leider sofort weg! Wie die Geschichte »Mein Gott, du wirst gekündigt?«, stammelt sie mit völlig
weitergeht, erzähle ich Ihnen morgen, versprochen ist versteinertem Gesicht. Diesmal nicht vor meinem geis- o
versprochen«, schlage ich ihm schlitzohrig einen Diil vor. tigen, sondern vor meinen verblüfften richtigen Augen,
Pointe gegen Kündigung! In Sekundenschnelle sende und fällt fast in Ohnmacht.
ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass Herrn Viehtreibers »Das ist nicht ogesagt«,
o
halte ich dagegen
o o
und sie fest
N e u g i e r aul'das linde dieser Mordgeschichte in ungeahnte im Arm. »Eigentlich sollte ich ja mit allen anderen zu-
l lohen steigen möge. sammen heute ogekündigt o
werden. Daraufhin habe ich an-
»Also g u t , komm morgen wieder, einen Tag darfst du gefangen dem Meister eine Geschichte zu erzählen. Des-
noch in Halle 4 arbeiten«, ruft er mir hinterher. halb darf ich morgen wieder kommen, um den Rest der
l o l l ! lis hat geklappt! Ich laufe direkt zu meinem Wa- Geschichte zu erzählen.«
gen, k 'h habe den Viehtreiber nicht angelogen, mein Ford- »Toll! Mit anderen Worten, du wirst morgen raus-
Transii ist ja im Grunde auch so was wie ein Bus. Aber der geschmissen!«
wäre ohne mich wohl kaum weggefahren. »Aber wenn ich ihm morgen nach der Schicht noch
eine andere Geschichte erzähle, kriege ich vielleicht noch
Während der Fahrt nach Hause überlege ich mir, wie ich einen weiteren Tag Aufschub.«
diese schreckliche Wahrheit meiner Frau einigermaßen »1001 Nacht in Deutschland also?«
schonend beibringen »Nein, 1001 Nächte muss ich ihn nicht hinhalten.
o kann, damit sie mich nicht auch noch
rauswirft. Von wo auch immer: aus der Küche, aus dem Wenn ich diesen Juni überstehe, sind wir gerettet, dann
Schlaf/immer, aus dem Bett! Sie hatte mir außerdem ver- kann er mich nicht mehr rausschmeißen. Im Juli gibt es
boten, die Mordgeschichte in der Fabrik auszuplaudern. vier Wochen Betriebsferien, und dann ist das Sommer-
»Eminanim, stell dir vor, bei uns in Halle 4 wurden heu- loch vorbei.«
te n u l einen Schlag ein Dutzend Leute gekündigt«, werde »Aber heute ist doch erst der 10. Juni.«
ich ihr sagen. »Ja, noch genau zwanzig Foltertage!«
»Und was ist mit dir?«, wird sie sicherlich voller böser So makaber es auch klingen mag, die zwölf Kollegen,
Vorahnungen tragen. die heute vor die Tür gesetzt wurden, haben mich vor
»Ich darf noch einenTag arbeiten!« Eminanims Zorn gerettet! Wenn ich der einzige Kan-

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did.u wäre, der in Zukunft vierundzwanzig Stunden lang mich manchmal mit »Mama Osman« an. Und auch ihre
l )äumchen drehen darf, dann hätte meine Frau mich kopf- Lehrerin, Frau Ingeborg Lehrknecht-Ziegenbart, korres-
über in den Fleischwolf gesteckt. Das ist vermutlich der pondiert nur mit meiner Frau.
l i e i e r e Sinn von Massenentlassungen. Wenn unser Telefon klingelt, heißt es nur: »Ist Frau
»Weis hast du ihm denn erzählt?«, fragt Eminanim neu- Engin da?«
Ein türkisches Sprichwort sagt: Wenn man einem Men-
»Ohhmm . . . « , m u r m l e ich. schen 100 Mal sagt, dass er ein Esel ist, sattelt er sich beim
»i )och nicht etwa . . . ? « 101. Mal selbst. Beim 101. Brief, adressiert an meine Frau,
»Was sollte ich denn machen? Er hat mich gezwungen. war ich vor ein paar Jahren auch so weit. Ich habe zwar
Ich hatte keine andere Wahl.« nicht »iah, iah« gebrüllt, aber ich habe mich selbst dabei er-
» A l i c r der Kommissar Luc k hat doch ausdrücklich ge- tappt, wie ich verzweifelt darüber nachgedacht habe, was
s.iot ...« denn mein Mädchenname vor der Hochzeit gewesen ist?
»Wenn ich meinen Job verliere, wird die Inge ja auch Verglichen mit meinem Elend kann ich doch über die Men -
nicht wieder lebendig!« sehen nur lachen, die das Ozonloch, Arbeitslosigkeit oder
l ) i e Deutschen haben ja das Vorurteil, nur weil ich ein Übergewicht als lebensbedrohliche Probleme ansehen.
türkischer Gastarbeiter mit Migrationshintergrund bin, Ich werde nie vergessen, wie ich an einem regneri-
dass ich auch automatisch der Boss der Familie bin. Der schen, dunklen, hässlichen Montagmorgen nach unten
[•rnährer! Der Führer! Der Mann im Haus! Das Familien- zum Briefkasten oging,o'
um die Post zu holen. Wegen o
des
oberhaupt! schlechten Wetters hatte ich bereits so miese Laune, dass
S t i m m t aber alles nicht! Bei uns ticken die Uhren an- ich dachte, da könnten die an meine Frau adressierten
ders. Denn weder Patriarchat noch diese Gleichberech- Briefe auch nicht mehr viel anrichten.
tigung von Mann und Frau haben bei uns zu Hause je statt- In dem Moment hörte ich, wie die Mülltonnen geleert
^gefunden. Wenn meine seligen o Vorfahren mich so ogesehen wurden. Der Müllmann kippte gerade unsere Tonne in
hätten, dann hätten sie ihr Osmanisches Reich niemals den Wagen und reichte sie mir anschließend herüber:
nach mir benannt, sondern nach meiner Frau - weil sich »Bitteschön, Herr Engin«, sagte er plötzlich.
im Karnickclweg 7b alles um meine Frau Eminanim dreht! Ich traute meinen Ohren nicht!
Die gan/e Post, alle Briefe, alle Rechnungen und alle »Wie bitte, was haben Sie gesagt?«, stotterte ich scho-
Mahnungen kommen ausschließlich auf den Namen mei- ckiert.
ner Frau an. Adressiert an »Frau Eminanim Engin, Karni- »Hier, nehmen Sie Ihre Mülltonne, Herr Engin«, wieder-
ckel weg 7b«. Selbst meine kleine Tochter Hatice spricht holte der gute Mann erneut.

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