Sie sind auf Seite 1von 162

96

I
(B)

Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen begegnen Gleichheit bei der Arbeit:
Den Herausforderungen begegnen
Bericht des Generaldirektors

Die Welt der Arbeit eröffnet einzigartige Möglichkeiten, marktpolitiken und des öffentlichen Beschaffungswesens Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien
die Diskriminierung in den Gesellschaften von heute – bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, die stärker auf und Rechte bei der Arbeit
zu bekämpfen. Trotz großer Fortschritte bestehen Vielfalt und Gleichheit ausgerichtet sind.
2007
Ungleichheiten fort, von denen weltweit Millionen
von Menschen betroffen sind. Neben besonders Der Bericht gibt einen Überblick über Initiativen
heimtückischen Erscheinungsformen der seit langem von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur
bekannten Formen von Diskriminierung entstehen neue Behandlung von Fragen wie Lohngerechtigkeit in
Formen, z. B. aufgrund von Behinderung, HIV/Aids- Gesamtarbeitsverträgen, Maßnahmen des Human-
Status, Alter, Genetik oder Lebensstil. Diese Gleich- ressourcenmanagements und soziale Verantwortung
stellungshindernisse können Gesellschaften daran von Unternehmen. Außerdem zeigt er auf, was
hindern, das Potenzial der globalisierten Wirtschaft von getan werden kann, um die Beschäftigungsfähigkeit
heute voll auszuschöpfen. diskriminierungsgefährdeter Menschen zu stärken

IAA Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen begegnen


und die Arbeitsvermittlungsfunktion in privaten und
Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen öffentlichen Sektoren zu verbessern, damit Arbeitsmärkte
begegnen ist der zweite Gesamtbericht zu diesem effizienter funktionieren.
Thema. Er befasst sich mit Diskriminierung und
Ungleichheit bei der Arbeit und untersucht, was getan Dieser neue Gesamtbericht erkennt an, dass der Kampf
werden muss, um sie zu beseitigen. Außerdem beurteilt gegen Diskriminierung nationale, regionale und globale
der Bericht die Wirksamkeit konventioneller und neuer Antworten erfordert, und er stellt die Bemühungen
grundsatzpolitscher Instrumente – z. B. aktiver Arbeits- zu ihrer Bekämpfung in den weiteren strategischen
Rahmen des Ziels der IAO der menschenwürdigen
Arbeit für alle Männer und Frauen. Schließlich schlägt
er Folgemaßnahmen vor um sicherzustellen, dass die
Förderung der Chancengleichheit für alle in der Welt der
Arbeit zu einer Realität wird.

Preis: 35 Schweizer Franken I S B N 978-92-2-718130-3

9 789227 181303
Gleichheit bei der Arbeit:
Den Herausforderungen begegnen
BERICHT DES GENERALDIREKTORS

Gleichheit bei der Arbeit:


Den Herausforderungen begegnen
Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung
der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit

INTERNATIONALE ARBEITSKONFERENZ
96. Tagung 2007

Bericht I (B)

INTERNATIONALES ARBEITSAMT GENF


Dieser Bericht steht auch auf der IAO-Website zur Verfügung (www.ilo.org/declaration).

ISBN 978–92–2–718130–3
ISSN 0251–4095

Erste Auflage 2007

Die in Veröffentlichungen des IAA verwendeten, der Praxis der Vereinten Nationen entsprechenden Bezeichnungen
sowie die Anordnung und Darstellung des Inhalts sind keinesfalls als eine Meinungsäußerung des Internationalen
Arbeitsamtes hinsichtlich der Rechtsstellung irgendeines Landes, Gebietes oder Territoriums oder dessen Behörden
oder hinsichtlich der Grenzen eines solchen Landes oder Gebietes aufzufassen.
Die Nennung von Firmen und gewerblichen Erzeugnissen und Verfahren bedeutet nicht, dass das Internationale
Arbeitsamt sie billigt, und das Fehlen eines Hinweises auf eine bestimmte Firma oder ein bestimmtes Erzeugnis oder
Verfahren ist nicht als Missbilligung aufzufassen.
Veröffentlichungen des IAA können bei größeren Buchhandlungen, den Zweigämtern des IAA in zahlreichen
Ländern oder direkt beim Internationalen Arbeitsamt, ILO Publications, CH-1211 Genf 22, Schweiz, bestellt werden.
Diese Stelle versendet auch kostenlos Kataloge oder Verzeichnisse neuer Veröffentlichungen.

Gedruckt in der Schweiz SRO


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung ............................................................................................................... ix

Einleitung ............................................................................................................................. 1

Teil I. Definition und Messung von Diskriminierung ................................................. 7

1. Diskriminierung und Gleichheit: Definition der Konzepte ......................................... 10

2. Diskriminierung messen: Wo stehen wir?.................................................................... 12

Teil II. Muster von Diskriminierung bei der Arbeit: Jüngste Entwicklungen .......... 17

1. Seit langem anerkannte Formen von Diskriminierung ............................................... 18


Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt: Ein uneinheitliches Bild........................... 18
Die Persistenz rassischer und ethnischer Diskriminierung......................................................... 27
Arbeitsmigranten ........................................................................................................................ 34
Diskriminierung aufgrund des Glaubensbekenntnisses.............................................................. 37
Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft....................................................................... 38

2. Neu anerkannte Formen von Diskriminierung............................................................ 43


Ein Arbeitsplatz für Menschen jeden Alters: Ein erreichbares Ziel?.......................................... 43
Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung............................................................... 48
Diskriminierung aufgrund von Behinderung.............................................................................. 43
Anhaltende Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV/Aids ...................... 50

3. Neue Erscheinungsformen von Diskriminierung ........................................................ 54


Genetische Diskriminierung....................................................................................................... 54
Diskriminierung aufgrund des Lebensstils ................................................................................. 55

Teil III. Institutionen und Politiken: Trends, Auswirkungen


und Herausforderungen ..................................................................................... 59

1. Trends bei institutionellen und politischen Antworten seit 2003................................. 60


Diskriminierung und Rechtsreformen: Allgemeine Trends........................................................ 60
Die Zunahme von speziellen Institutionen, die sich mit Diskriminierung
und Gleichstellung befassen .................................................................................................. 62
Die Herausforderung der Umsetzung der Gesetzgebung ........................................................... 63
Die sich wandelnde Arbeitsnachfrage ........................................................................................ 66

v
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Die Auflösung von Engpässen beim Arbeitskräfteangebot durch einbindungsorientierte


aktive Arbeitsmarktpolitiken.................................................................................................. 74
Maßnahmen für den Abbau des geschlechtsspezifischen Gefälles in der
Beschäftigung und Entlohnung.............................................................................................. 80
Jüngste Entwicklungen auf internationaler Ebene...................................................................... 90

2. Die Sozialpartner in Bewegung .................................................................................... 94


Die Arbeitgeberverbände............................................................................................................ 94
Trends in der gewerkschaftlichen Organisierung ....................................................................... 95
Kollektivverhandlungen: Was ist neu?....................................................................................... 96
Soziale Verantwortung der Unternehmen: Potenzial zur Förderung der Gleichstellung............ 102

Teil IV. Die Maßnahmen der IAO, Vergangenheit und Zukunft................................. 107

1. Errungenschaften und Herausforderungen der IAO .................................................. 107


Aktionsplan zur Beseitigung von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf ....................... 107
Laufende Engagements der IAO ................................................................................................ 112

2. Die nächsten Schritte .................................................................................................... 129


Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in der Welt der Arbeit ..................................... 129
Die Eingliederung von Nichtdiskriminierung und Gleichheit in die Landesprogramme für
menschenwürdige Arbeit (DWCPs)....................................................................................... 130
Bessere Gesetze und besserer Vollzug ....................................................................................... 131
Effektivere nichtregulatorische Initiativen ................................................................................. 131
Sozialpartner sind besser ausgestattet, um Gleichheit am Arbeitsplatz Realität
werden zu lassen .................................................................................................................... 132

Anhang
Hinweise zur Methodik .............................................................................................................. 135

vi
Zusammenfassung

Der zweite Gesamtbericht über Diskriminie- Neue Ansätze


rung im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklä- Ein in dem Bericht empfohlener Ansatz, um
rung der IAO über grundlegende Prinzipien und Gleichstellung am Arbeitsplatz zu erreichen,
Rechte bei der Arbeit 1 untersucht neu entstehende besteht darin, herkömmliche grundsatzpolitische
Probleme im Zusammenhang mit Mustern von Antidiskriminierungsmaßnahmen wie kohärente
Diskriminierung und Ungleichheiten am Arbeits- und umfassende Gesetze, wirksame Durchset-
platz sowie aktuelle grundsatzpolitische Reak- zungsmechanismen und spezialisierte Stellen
tionen auf diese Entwicklungen. Er beschreibt die durch andere grundsatzpolitische Instrumente wie
bisherigen Erfahrungen und Errungenschaften der aktive Arbeitsmarktpolitiken zu ergänzen. Diese
IAO und die Herausforderungen, mit denen die können die Funktionsweise von Arbeitsmärkten
Organisation konfrontiert ist. verbessern und Diskriminierung entgegenwirken
Der Bericht macht darauf aufmerksam, dass durch umfassende Maßnahmen, die die Arbeits-
geltende Rechtsvorschriften gegen Diskriminie- vermittlungsfunktion von öffentlichen wie priva-
rung besser durchgesetzt werden müssen, nicht ten Arbeitsvermittlungsdiensten verbessern und
regulatorische Initiativen von Regierungen und die Beschäftigungsfähigkeit von Personen stärken,
Unternehmen benötigt werden und die Sozialpart- die Gefahr laufen, diskriminiert zu werden.
ner in die Lage versetzt werden müssen, wirk- Um das Geschlechtergefälle bei der Beschäfti-
samer dazu beizutragen, Gleichheit am Arbeits- gung und dem Entgelt zu beseitigen, bedarf es
platz zu einer Realität zu machen. Er präsentiert ebenfalls neuer grundsatzpolitischer Maßnahmen.
weitere Vorschläge für zukünftiges Handeln, wozu Trotz Fortschritten, insbesondere der erheblichen
auch gehört, die Gleichstellung generell zu einem Bildungserfolge von Frauen, verdienen diese
Ziel der IAO-Landesprogramme für menschen- weiterhin überall weniger als Männer, und die
würdige Arbeit zu machen. ungleich verteilte Last der familiären Verpflich-
Der Gesamtbericht beschreibt wichtige Fort- tungen benachteiligt Frauen, die eine Vollzeitstelle
schritte im Kampf gegen Diskriminierung, z. B. wünschen.
Fortschritte bei der Ratifizierung der diesbezüg- Der Bericht unterstreicht den Umstand, dass
lichen IAO-Übereinkommen sowie Verbesse- die weitere Aufnahme der grundlegenden Rechte
rungen im Bereich der Gesetzgebung und der und Prinzipien in Vereinbarungen zur regionalen
Institutionen auf nationaler Ebene, aber auch wirtschaftlichen Integration und in Freihandelsab-
Aktionspläne und Programme zur Bekämpfung kommen einen wichtigen Beitrag zur Verringe-
von Ungleichheiten als Folge von Diskriminie- rung der Diskriminierung am Arbeitsplatz leisten
rung. Und der Bericht macht auf Probleme auf- kann. Wenn die Vertragsparteien Verpflichtungen
merksam: schwache Durchsetzung geltenden in Bezug auf Fragen der Nichtdiskriminierung und
Rechts, fehlende Ressourcen bei den Stellen, die Gleichstellung eingehen, muss auf wirksame Fol-
eingerichtet werden, um gegen Diskriminierung gemechanismen geachtet werden. Institutionen zur
vorzugehen, zu eng gefasste Pläne und zu kurz Entwicklungsfinanzierung haben in den letzten
angelegte Programme. Als ein Bereich, in dem es Jahren begonnen, von ihren privaten Kreditneh-
besonders schwierig ist, grundsatzpolitische Maß- mern zu fordern, die in grundlegenden internatio-
nahmen für mehr Gleichheit zum Erfolg zu führen, nalen Arbeitsnormen niedergelegten Prinzipien
wird die informelle Wirtschaft hervorgehoben. und Rechte zu achten. Für Arbeitgeber mündet
dies in die Verpflichtung, am Arbeitsplatz für die
Gleichstellung fördernde Abläufe zu sorgen.
1
Der erste Gesamtbericht zu diesem Thema, Gleichheit bei
der Arbeit – ein Gebot der Stunde, erschien 2003.

ix
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Die Notwendigkeit besserer Daten kann, und der Freiheit von Arbeitnehmern, ein
Nationale politische Verpflichtungen zur Bekämp- Leben ihrer Wahl zu führen.
fung von Diskriminierung und zur Förderung der
Gleichbehandlung und Chancengleichheit am Trends bei institutionellen und politischen
Arbeitsplatz sind weit verbreitet. Dies belegt Reaktionen
beispielsweise die fast universelle Ratifizierung Seit der Veröffentlichung des ersten Gesamtbe-
der zwei wichtigsten Urkunden der IAO in diesem richts zu dem Thema hat ein weltweiter Trend
Bereich, des Übereinkommens (Nr. 100) über die eingesetzt, wonach sicherzustellen ist, dass die
Gleichheit des Entgelts, 1951, und des Überein- vier Kataloge der von der IAO eingeführten
kommens (Nr. 111) über die Diskriminierung in grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der
Beschäftigung und Beruf, 1958. Nur eine Hand- Arbeit durch das Arbeitsrecht abgedeckt werden.
voll Länder müssen diese Übereinkommen noch Parallel zur vermehrten Akzeptanz der Notwen-
ratifizieren. digkeit von konkreten Rechtsvorschriften für
Dennoch ist es Fakt, dass Diskriminierung ein Nichtdiskriminierung und Gleichstellung am
tückisches und sich veränderndes Phänomen Arbeitsplatz sind auf nationaler Ebene spezielle
darstellt, das schwer zu quantifizieren sein kann, Gremien eingerichtet oder umstrukturiert worden,
weshalb taugliche Gegenmaßnahmen schwierig um Einzelpersonen zu helfen, gerichtliche Schritte
sein können. Es gibt nicht den einen Indikator, der einzuleiten, für Reformen zu werben sowie natio-
Fortschritte bei ihrer Beseitigung erfassen kann, nale Antidiskriminierungsaktionspläne zu entwi-
wenngleich die verfügbaren Daten eindeutig zei- ckeln und zu beaufsichtigen. Diese Stellen stehen
gen, dass die Unterschiede zwischen etablierten für eine allgemeinere Konzentration auf Gleichbe-
und für Diskriminierung anfälligen Gruppen handlung und Chancengleichheit bei der Arbeit.
beträchtlich sind und nur langsam abnehmen. Ein Beispiel ist der 2003 in Mexiko eingesetzte
Erwägungen des Schutzes der Privatsphäre sowie Nationalrat zur Verhinderung von Diskriminie-
ideologische und politische Hürden verhindern rung, der 2006 die erste nationale öffentliche
häufig, dass Daten zu bestimmten Gruppen erho- Maßnahme zur Bekämpfung der Diskriminierung
ben werden. Außerdem verzichten viele Länder in die Wege leitete.
auf die Quantifizierung der Gleichstellungsunter- In Europa verpflichtet die EU-Richtlinie zur
schiede, weil sie fürchten, so soziale Spannungen Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse 2
zu verstärken. Dies wirft die wichtige Frage auf, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU),
wie der Schutz personenbezogener Daten und des eine für die Diskriminierung zuständige nationale
Rechts des Einzelnen auf den Schutz seiner Privat- Stelle zu benennen. Bislang haben 19 Länder ihre
sphäre mit der Notwendigkeit der Überwachung Institutionen geändert, indem sie entweder das
von Diskriminierung mittels statistischer Verfah- Mandat bestehender Stellen erweiterten oder neue
ren in Einklang gebracht werden kann. Bei der schufen. In Lateinamerika spielen rassische und
Qualität der Daten zu geschlechtsspezifischen ethnische Ungleichheiten eine gewichtige Rolle
Ungleichheiten wurden zwar gewisse Fortschritte im öffentlichen Themenkatalog mehrerer Länder,
erzielt, in Bezug auf bestimmte wichtige Indikato- zum Beispiel in Brasilien, wo ein mit ministe-
ren, z. B. das geschlechtsspezifische Lohngefälle, riellem Rang ausgestattetes Sondersekretariat für
sind jedoch noch weitere Anstrengungen erforder- Maßnahmen zur Förderung der Rassengleichheit
lich. eingerichtet.

Neue Formen von Diskriminierung Die Umsetzung geltenden Rechts


Das Problem der Datensammlung wird noch In vielen Ländern ist es den Opfern von Diskri-
dadurch verschärft, dass neuere Formen von Dis- minierung im Bereich der Beschäftigung nicht
kriminierung zu den seit langem anerkannten immer möglich, die Gerichte anzurufen. Ursachen
Mustern wie Diskriminierung aufgrund von hierfür sind häufig ihre benachteiligte soziale
Geschlecht, Rasse oder Religion hinzukommen. Position, fehlender Zugang zu Rechtshilfe, Furcht
Das Bewusstsein für die unfaire Behandlung von vor Repressalien oder Misstrauen gegenüber dem
jüngeren wie älteren Arbeitnehmern, Personen mit Justizsystem.
Behinderungen und Personen mit HIV/Aids Ein Beispiel dafür, wie der Zugang zu Gerich-
nimmt zu. Ein weiteres Problem ist das Auftreten ten verbessert werden kann, bildet das Roma-
von Praktiken, Menschen zu benachteiligen, die Beratungsnetzwerk gegen Diskriminierung in
eine genetische Veranlagung haben, an bestimm- Ungarn, eine Gemeinschaftsinitiative mehrerer
ten Krankheiten zu erkranken, oder das Leben eine Ministerien. Es hilft Beschwerdeführern bei der
auf einer Art leben, die als ungesund angesehen
wird. So gut wie jede Lebensstilentscheidung hat
Auswirkungen auf die Gesundheit; daraus ergibt
sich die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist 2
Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur
zwischen dem, was ein Arbeitgeber vorschreiben Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unter-
schied der Rasse oder der ethnischen Herkunft.

x
ZUSAMMENFASSUNG

Beseitigung von Diskriminierung und der Wieder- Quoten und Zeitrahmen für ihre Erreichung fest-
einstellung nach einer unrechtmäßigen Entlassung. gelegt wurden, um in Bezug auf die Beschäftigung
Weil die IAO genau weiß, wie schwierig es Diskriminierung zu beseitigen oder einen
für die Opfer von Diskriminierung sein kann, sich Anspruch auf Entschädigung festzuschreiben. Die
Gehör zu verschaffen und vor Gericht Recht zu Ergebnisse zeigen, dass dort, wo die Anforde-
bekommen, bietet sie Ausbildungslehrgänge über rungen an die Arbeitgeber hoch waren und gelten-
internationale Arbeitsnormen für Richter und des Recht wirksam durchgesetzt wurde, positive
Anwälte an. Diese werden vom Internationalen Diskriminierung die Vertretung von Gruppen, die
Ausbildungszentrum der IAO in Turin durchge- von Diskriminierung betroffen waren, verbessert
führt und haben zu positiven Ergebnisse geführt. hat, selbst wenn die Folgen abhängig von der
Die Möglichkeiten der Bekämpfung der Dis- jeweiligen Gruppe und dem genauen Inhalt der
kriminierung mit Hilfe der Arbeitsaufsicht werden Gesetze unterschiedlich ausfielen. Um wirklich
oft nur unzureichend ausgeschöpft. Arbeitsauf- effektiv zu sein, muss die positive Diskriminie-
sichtsbehörden können die Einhaltung geltender rung allerdings von Investitionen in die Qualität
Vorschriften überwachen und durchsetzen, ohne der Bildung benachteiligter Gruppen begleitet
dass die Opfer Gerichtsverfahren einleiten oder werden.
auch nur eine Aussage machen müssen. Sie sind
auch befugt, Arbeitsstätten zu überprüfen und zu Funktioniert die Beschaffungspolitik als
entscheiden, ob ein Diskriminierungstatbestand Mittel gegen Diskriminierung?
vorliegt, ohne dass dieser zuvor zur Anzeige Öffentliche Beschaffungspolitiken, die Rassen-
gebracht worden sein muss. Beispiele aus mehre- oder Geschlechtergleichstellungsklauseln umfas-
ren Ländern belegen die positiven Ergebnisse sen, gelten zunehmend als wirksames Instrument
staatlicher Entscheidungen, den Vollzugs- und zur Bekämpfung von Diskriminierung. Die
Beratungsmöglichkeiten der Prüfer der Arbeitsauf- Größenordnung und die wirtschaftliche Bedeutung
sicht größere Bedeutung beizumessen und dafür öffentlicher Ausschreibungen eröffnen ein großes
mehr Mittel bereitzustellen. In Brasilien wurde mit Potenzial zur Beseitigung von Diskriminierung. In
Unterstützung der IAO ein Programm mit der Südafrika beispielsweise vergaben Staat und
Bezeichnung Brasilien, Geschlecht und Rasse – Staatsunternehmen 2004 Aufträge über Waren-
Vereint für Chancengleichheit eingerichtet, das in lieferungen und Dienstleistungen für mehr als
Zusammenarbeit mit den Stellen für die Förderung 123 Milliarden US-Dollar. Die Frage ist jedoch
von Chancengleichheit und die Bekämpfung von noch offen, unter welchen Bedingungen sie zu
Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf Auf- personeller Vielfältigkeit beitragen können, wenn
klärungs- und Schlichtungsfunktionen wahrge- gleichzeitig die Qualitätsstandards und ein gutes
nommen hat. Dies führte 2006 zur Einrichtung Preis-Leistungs-Verhältnis gewahrt werden sollen.
einer speziellen Beratungsabteilung für Diskri- Der Gesamtbericht präsentiert Beispiele für
minierungs- und Gleichstellungsangelegenheiten die Förderung der Rassengleichstellung durch die
im brasilianischen Arbeitsministerium. In der öffentliche Beschaffungspolitik in den Vereinigten
Tschechischen Republik erließ das Arbeitsministe- Staaten, Südafrika und Europa. Sie verdeutlichen
rium 2003 für Arbeitsaufsichtsbeamte eine Wei- das große Potenzial derartiger Maßnahmen. Dafür
sung zur Chancengleichheit von Frauen und müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt
Männern mit konkreten Anleitungen zur Durch- sein; vor allem muss politische Unterstützung
führung von Gleichstellungsprüfungen. Mehrere vorhanden sein. Die Regeln müssen klar und
andere Länder wie Belgien, Polen und Zypern transparent sein, Informationen über die Ver-
haben der Arbeitsaufsicht bei der Lösung von knüpfung zwischen Beschaffung und Gleichstel-
Diskriminierungsproblemen mehr Gewicht einge- lung müssen allgemein verbreitet werden, ebenso
räumt. das erforderliche Wissen. Auf lange Sicht müssen
Bei der Entwicklung eines Indikators zum die finanziellen Vorteile für die Wirtschaft offen-
Nutzen und zur Wirkung von Antidiskriminie- sichtlich die Bemühungen zum Erreichen von
rungsgesetzen bedarf es jedoch noch weiterer Gleichstellungszielen lohnen.
Anstrengungen zur Erfassung und Auswertung
von Daten zu Zahl, Art und Ausgang von Fällen Aktive Arbeitsmarktpolitik
von Diskriminierung.
Eine aktive Arbeitsmarktpolitik umfasst viele
Die sich wandelnde Arbeitsnachfrage Maßnahmen: Arbeitsuche, Einstellung und Ver-
mittlung, Ausbildung, Einstellungsbeihilfen, Pro-
In die Personalpolitik integrierte Maßnahmen der gramme zur Schaffung von Arbeitsplätzen und
positiven Diskriminierung können Arbeitgebern verschiedene Unterstützungsleistungen. Sie wird
helfen, die Integration am Arbeitsplatz zu ver- auf unterschiedliche Weise mit unterschiedlichen
bessern. Der Gesamtbericht enthält Informationen Ergebnissen in vielen Ländern angewandt. Eine
über diesbezügliche Programme in Indien, aktive Arbeitsmarktpolitik kann zweifellos
Kanada, Malaysia, Namibia, Nordirland, Südaf- beträchtliche Möglichkeiten zur Verringerung von
rika, dem Vereinigten Königreich und den Verei- Ungleichheiten bieten. Die Belege zeigen jedoch,
nigten Staaten, wo per Gesetz Zielvorgaben oder

xi
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

dass Angehörige diskriminierter Gruppen, die an um zu zeigen, dass Programme für Entgeltge-
Stellenvermittlungs- und Ausbildungsprogrammen rechtigkeit zu allgemeineren Zielen wie der Ver-
teilnehmen, oft keinen Erfolg haben. Der Bericht ringerung der Armut, sozialer Integration und
gibt einen Überblick über die bisherigen Erfahrun- höherer Qualität der öffentlichen Dienstleistungen
gen bei der allgemeinen Berücksichtigung von beitragen.
Gleichstellungsbelangen und der Förderung der Männer wie Frauen benötigen Maßnahmen
Geschlechtergleichstellung im Rahmen der Euro- zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um
päischen Beschäftigungsstrategie (EBS), einem Arbeitnehmerinnen mit familiären Verpflichtun-
einzigartigen Instrument, das die EU-Mitgliedstaa- gen in einer Welt mit längeren Arbeitszeiten und
ten verpflichtet, jährlich beschäftigungsbezogene Arbeitsabläufen, die Frauen benachteiligen und
Aktionspläne auf der Grundlage gemeinsam ver- ihren beruflichen Werdegang beeinträchtigen, bei
einbarter Zielvorgaben zu erstellen. der Überwindung der Probleme des besseren Aus-
Es werden Beispiele von Arbeitsvermittlungs- gleichs von beruflichen und familiären Belangen
dienstleistungen für benachteiligte Gruppen unter zu helfen. Dieser Bericht zeigt, dass die Ferti-
anderem in Peru und Spanien angeführt, um zu litätsrate dort stieg, wo für besser verfügbare
zeigen, wie private und öffentliche Arbeitsvermitt- Kinderbetreuung und leichterem Zugang zu Teil-
lungen die Beschäftigungschancen positiv beein- zeitarbeit gesorgt wurde.
flussen können. Außerdem beschreibt der Bericht In den letzten zehn Jahren hat die Teilzeit-
von öffentlichen wie privaten Anbietern in Brasi- arbeit beträchtlich zugenommen. Dies hat zu einer
lien, Indien, Kambodscha, und Peru durchgeführte höheren Erwerbsbeteiligung und einer höheren
Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme zur Beschäftigungsrate von Frauen geführt. Allerdings
Entwicklung der Beschäftigungsfähigkeit. betreffen die Beschäftigungschancen für Frauen
oft Stellen mit einem niedrigen Status. Eine Aus-
Maßnahmen zur Beseitigung des nahme bilden die Niederlande, wo dank einer
Geschlechtergefälles umfassenden Arbeitsmarktregulierung die Einfüh-
Die Beschäftigungschancen für Frauen haben sich rung der Teilzeitarbeit in allen Sektoren und für
verbessert, und ihnen stehen Berufe offen, die alle Berufe gelungen ist und eine gleichmäßigere
einmal als Männern vorbehalten galten. Trotz die- Verteilung der Teilzeitarbeit auf Frauen und Män-
ses Umstands und trotz der Fortschritte von ner erreicht wurde.
Frauen bei der Bildungsleistung ist ihr Verdienst Vor allem für Kinder unter drei Jahren sind
im Durchschnitt weiterhin niedriger als der von Kinderbetreuungseinrichtungen immer noch nur
Männern. Außerdem ist es für Frauen schwierig, beschränkt verfügbar und galten in vielen Teilen
familiäre Verpflichtungen und eine Berufstätigkeit der Welt nicht als Priorität. Ein besonderer Bedarf
in Einklang zu bringen, ohne ihre Beförderungs- an Kinderbetreuung besteht im informellen Sek-
und Qualifizierungschancen zu mindern. Und tor; diesbezügliche Initiativen in Indien und Süd-
selbst dort, wo es ihnen gelingt, diese Hindernisse afrika zeitigten positive Ergebnisse.
zu überwinden, verdienen sie weniger als Männer. Gleichzeitig wurden die Anreize für Väter, zur
Einen Weg zu Entgeltgerechtigkeit bieten Betreuung Elternzeit geltend zu machen, beträcht-
geschlechtsneutrale Arbeitsbewertungsmethoden. lich verändert. Weltweit wurde es sowohl in
In den letzten Jahren wurden in Ländern wie Industrie- als auch in Entwicklungsländern Män-
Schweden, der Schweiz oder Spanien eine Reihe nern erleichtert, Elternzeit zu nehmen. Allerdings
solcher Methoden entwickelt. In Portugal, Schwe- ist der Anteil der Väter, die von dieser Möglich-
den und dem Vereinigten Königreich spielen ins- keit Gebrauch machen, in den meisten Ländern
besondere für Klein- und Mittelunternehmen auch noch niedrig.
Kommissionen für Entgeltgerechtigkeit eine wich-
tige Rolle. Nicht diskriminierende Kreditvergabe
Weil es in Ländern ein unterschiedliches Ver- In den letzten Jahren haben die Institutionen für
ständnis von Entgeltgerechtigkeit und unterschied- Entwicklungsfinanzierung begonnen, die ökolo-
liche Modelle zu ihrer Förderung gibt, führt die gischen und sozialen Folgen ihrer Kreditvergabe-
Arbeitsbewertung nicht immer zur Korrektur von praxis zu überprüfen. Als ein Kriterium wurde
Entgeltunterschieden. Die Komplexität der analy- dabei auch die Einhaltung internationaler
tischen Arbeitsbewertung stellt vielerorts weiter- Arbeitsnormen in der Beschäftigung berücksich-
hin eine Herausforderung dar, und wenngleich in tigt. Die Internationale Finanz-Corporation (IFC)
einer Reihe neuerer Gesetze und Vorschriften hat Leistungsnormen eingeführt, die sie verpflich-
Bezug auf „gleiche“ Arbeit genommen wird, ist ten, Zusagen für Kredite von der Einhaltung der
darin nicht von „gleichwertiger Arbeit“ die Rede. IAO-Kernarbeitsnormen sowie der Normen für
Manche Länder wie der Libanon, Mauritius oder Arbeitsschutz und sozialverträglicher Personal-
Nigeria haben allerdings in diesem Bereich die politik abhängig zu machen. Diese Leistungsnor-
IAO um Unterstützung ersucht. men wurden in Zusammenarbeit mit einem breiten
Ermutigende Ergebnisse wurden von der Spektrum von Akteuren einschließlich der IAO
Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD) und des Internationalen Bundes Freier Gewerk-
registriert. Diese hat eine Kampagne durchgeführt, schaften (IBFG) entwickelt. Mehr als 40 nationale

xii
ZUSAMMENFASSUNG

Entwicklungsbanken (die „Äquatorbanken“), auf meine Berücksichtigung von Gleichstellungs-


die etwa 85 Prozent der globalen Kredite für Ent- belangen über die nationalen Arbeitsministerien
wicklungsprojekte entfallen, haben sich verpflich- erreicht werden kann.
tet, bei Projekten mit einem Volumen von mindes- Ein Beispiel für positive Auswirkungen von
tens 10 Millionen US-Dollar die IFC-Leistungs- NAALC im Bereich der Diskriminierung war die
normen anzuwenden. Die IFC hat auch einen Leit- Klageerhebung durch nichtstaatliche Organisatio-
faden für gute Praxis in Bezug auf Nichtdiskrimi- nen aus Mexiko und den Vereinigten Staaten
nierung und Chancengleichheit veröffentlicht. Im gegen obligatorische Schwangerschaftstests und
Juni 2006 setzte die Interamerikanische Entwick- daraus resultierende Entlassungen, die die mexika-
lungsbank noch strengere Auflagen bezüglich der nische Regierung bewog, die Praxis bei Mitarbei-
Anwendung internationaler Arbeitsnormen bei terinnen des öffentlichen Sektors nicht weiter zu
Infrastrukturprojekten fest, und die Europäische verfolgen.
Investitionsbank hat eine ähnliche Norm ein- Durch die Schaffung von Kapazität im Rah-
geführt. Die Asiatische Entwicklungsbank hat men dieser regionalen Abkommen wurden auch
2006 in enger Zusammenarbeit mit der IAO ein gewisse positive Entwicklungen erzielt.
Handbuch über Kernarbeitsnormen heraus-
gegeben. Der Präsident der Weltbank hat erklärt, Die Sozialpartner in Bewegung
er sei bereit zu gewährleisten, dass bei allen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände haben
der Weltbank finanzierten Infrastrukturprojekten Initiativen zur Beseitigung von Diskriminierung
die IAO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden. am Arbeitsplatz entwickelt und Gleichstellungs-
fragen zu einem zentralen Aspekt von Kollektiv-
Regionale Wirtschaftsintegration verhandlungen gemacht.
und Freihandelsabkommen – Beispielsweise beteiligen sich Arbeitgeber des
Ein uneinheitliches Bild privaten und öffentlichen Sektors in Neuseeland
Die Zahl der Freihandelsabkommen hat in den seit 1992 an einer Gemeinschaftsinitiative, dem
lenzten Jahren stark zugenommen; ihr Ansatz Trust für Chancengleichheit in der Beschäftigung,
gegenüber Fragen der Diskriminierung fällt sehr und sie haben gemeinsam mit dem Verband der
unterschiedlich aus. Während mehrere explizit auf Personalbeschaffungs- und Personalberatungs-
Nichtdiskriminierung und Entgeltgleichheit Bezug dienste eine Veröffentlichung erstellt, die sich an
nehmen, ist dies bei anderen nicht der Fall, wenn- Personalbeschaffungsagenturen wendet und auf
gleich darin Nichtdiskriminierung und Gleich- die Beendigung diskriminierender Praktiken zielt.
stellung als Themen für die technische Zusam- Im Vereinigten Königreich hat das Arbeitgeber-
menarbeit aufgeführt sind. Andere Abkommen forum für Behinderungsfragen 2005 und 2007 den
enthalten überhaupt keine Aussagen zur Diskrimi- Behindertenstandard vorgelegt, ein Maßstab zur
nierung am Arbeitsplatz; z. B. ist dies der Fall Beurteilung der Bilanz von Arbeitgebern und
beim Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) Dienstleistungsanbietern in Bezug auf den
zwischen der Europäischen Union und 77 Ländern Umgang mit Behinderung. Arbeitgeber in Sri
in Afrika, der Karibik und dem Pazifikraum, das Lanka und Kenia haben Handlungskonzepte zu
gegenwärtig verhandelt und 2008 in Kraft treten den Themen Gleichstellung und sexuelle Belästi-
soll. gung entwickelt, und der philippinische Arbeit-
Manche Beobachter sind der Auffassung, dass geberverband hat mehrere Initiativen für gute
Nichtdiskriminierung und Gleichstellung im Nord- Praxis gestartet, um die Mitgliedsorganisationen
amerikanischen Abkommen über Arbeitszusam- von den Vorteilen der Einführung von Maßnah-
menarbeit (NAALC) und im Abkommen über men zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie
Arbeitszusammenarbeit zwischen Kanada und und Beruf zu überzeugen. Die Internationale
Chile (CCALC) als Rechte zweiten Ranges behan- Arbeitgeberorganisation hat einen Leitfaden ver-
delt werden. Wie die Behandlung von Fragen der öffentlicht, der die Hindernisse für Unternehme-
Geschlechtergleichstellung gemäß dem Nord- rinnen beschreibt und zeigt, wie Arbeitgeber-
afrikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) verbände bessere Unterstützung und Vertretung
und dem Gemeinsamen Markt des Südens gewährleisten können.
(MERCOSUR) zeigt, führen unterschiedliche Bei den Gewerkschaften ist in manchen Län-
nationale gesetzliche Kontexte zu Diskrepanzen dern und Sektoren die Tendenz einer Zunahme der
bei der Behandlung von Diskriminierung in den Anzahl von Frauen in der Mitgliedschaft erkenn-
Regionen. Was NAFTA betrifft, schienen Frauen- bar. Damit die Gewerkschaften von diesen
gruppen in den Vereinigten Staaten und Mexiko Zuwächsen profitieren können, müssen sie auf die
relativ geringes Interesse daran zu haben, was sich besonderen Umstände weiblicher Arbeitnehmerin-
an dem Mangel diesbezüglicher substanzieller nen eingehen, z. B. das Geschlechtergefälle beim
Bestimmungen zeigt. Im Fall von MERCOSUR Entgelt. Die von der IÖD eingeleitete Fünfjahres-
war die Agenda der Frauenrechte nicht fest kampagne (2002-07) hat gezeigt, dass die
etabliert, wenngleich in Übereinstimmung mit Forderung nach Entgeltgerechtigkeit ein wirk-
dem Vertrag von Asunción gebildete dreigliedrige sames Mittel zur Mobilisierung von Arbeitnehme-
nationale Kommissionen prüfen, ob die allge- rinnen sein und einen positiven Einfluss auf die

xiii
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Entwicklung einer Gewerkschaft insgesamt haben zuarbeiten und Foren für den Wissensaustausch
kann. auf nationaler und regionaler Ebene einzurichten.
Eine wichtige Entwicklung im Jahr 2006 war
der Beitritt der Vereinigung der selbständig Was die IAO erreicht hat
erwerbstätigen Frauen (SEWA) zum IBFG, jetzt Der Gesamtbericht beschreibt Fortschritte, die
ein Gründungsmitglied des neuen Internationalen durch eine Reihe von Interventionen der IAO im
Gewerkschaftsbundes (IGB). Im Vereinigten Rahmen der Folgemaßnahmen zum Aktionsplan
Königreich und in den Vereinigten Staaten hat die bezüglich der Beseitigung der Diskriminierung in
Beteiligung ethnischer und rassischer Minderhei- Beschäftigung und Beruf für die Jahre 2004-07
ten große Fortschritte gemacht, und in Frankreich erreicht worden sind.
haben sich die Gewerkschaften bemüht, die Ver- Der Plan konzentrierte sich auf zwei Priori-
tretung ethnischer Minderheiten in ihren Struktu- täten: das geschlechtsspezifische Lohngefälle
ren zu verstärken, um deren Position am Arbeits- sowie die rassische/ethnische Gleichstellung und
platz zu verbessern. ihre geschlechtsspezifische Dimension. Parallel
Im Bereich der Kollektivverhandlungen ist für dazu sollten die laufenden Aktivitäten in Bezug
die Gewerkschaften insbesondere in den Industrie- auf HIV/Aids und Behinderung konsolidiert wer-
ländern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf den. Beispielsweise wurde zur Entwicklung von
ein wichtiges Thema, mit dem sie auch hoffen, Beschäftigungspolitiken und Arbeitsbewertungs-
wieder mehr Mitglieder anzuziehen. In einigen methoden die technische Zusammenarbeit auf
Ländern haben Kollektivverhandlungen zu Lei- mehrere Länder ausgedehnt. Der Bericht enthält
stungen geführt, die über das, was das Gesetz vor- eine Vielzahl von Beispielen für Kooperationsak-
schreibt, hinausgehen, insbesondere im Bereich tivitäten der IAO in der ganzen Welt. Der 2003
von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von eingerichtete Partnerschaftsfonds für die Gleich-
Familie und Beruf. In Gesamtarbeitsverträgen stellung der Geschlechter war ein weiteres Instru-
anderer Länder, darunter auch neue EU-Mitglied- ment, um die Gleichstellung am Arbeitsplatz in
staaten, werden Themen wie die Bereitstellung der Praxis Wirklichkeit werden zu lassen. Die IAO
von Kinderbetreuung jedoch noch vernachlässigt. will die gesetzlichen Bestimmungen stärken und
Ein weiterer Trend in den Industriestaaten betrifft hat eine große Zahl von Ländern sowohl im Nor-
die Berücksichtigung der Entgeltgerechtigkeit in den als auch im Süden in dieser Hinsicht unter-
Kollektivverhandlungen. In Frankreich beispiels- stützt. Im Bereich der allgemeinen Berücksichti-
weise hat man sich darauf geeinigt, bis 2010 die gung von Gleichstellungsbelangen verbindet das
Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Män- Gleichstellungsnetzwerk im Amt Ansprechpartner
nern im Rahmen von Gesamtarbeitverträgen zu und hilft beim Austausch von Erfahrungen und
beseitigen. Praktiken. Zwischen 2001 und 2005 wurden in
Der Gesamtbericht zeigt auch, dass die Unter- Dienststellen der Zentrale und den Außenämtern
nehmen durch nicht regulatorische Maßnahmen der IAO 25 Gleichstellungsaudits durchgeführt.
ihre Personalpolitik und Praxis des Humanres- Die IAO war die erste Organisation im VN-Sys-
sourcenmanagements anpassen können. Solche tem, die diesen Schritt unternahm.
Maßnahmen reichen von der öffentlichen Beschaf- Der Gesamtbericht stellt fest, dass das Prinzip
fungspolitik bis zu Initiativen zur sozialen Verant- „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ eines der
wortung von Unternehmen. Das gestiegene Inter- am wenigsten verstandenen Konzepte im Bereich
esse an Programmen zur sozialen Verantwortung der Antidiskriminierungsmaßnahmen ist: Oft wird
von Unternehmen (CSR) kann als Reaktion auf das Konzept in Gesetzesvorschriften eng ausge-
die Herausforderungen gesehen werden, die durch legt, und es fehlen zuverlässige, nach Geschlecht
den sich entwickelnden globalen Arbeitsmarkt aufgeschlüsselte Lohndaten, was die Trendüber-
entstehen. Diese Programme sind ein Instrument, wachung erschwert. Der Aktionsplan konzentriert
um freiwillig Prinzipien zu bekräftigen, und sie sich deshalb auf die Sammlung von Wissen über
haben dazu beigetragen, das Bewusstsein für die die Vor- und Nachteile der Förderung der Ent-
Bedeutung der Nichtdiskriminierung zu schärfen. geltgerechtigkeit, die Trends bei den geschlechts-
Eine von der Weltbank 2003-04 veröffentliche spezifischen Entgeltunterschieden und die
Sichtung von etwa 100 multinationalen Unter- zugrunde liegenden Ursachen, die Vernetzung und
nehmen durch die Weltbank zeigte, dass in vier die Zusammenarbeit mit Globalen Gewerk-
von fünf untersuchten Verhaltenskodexen für schaftsföderationen sowie die Bereitstellung tech-
Industrie- und Dienstleistungssektoren Nichtdis- nischer Unterstützung auf Landesebene. Informa-
kriminierungsklauseln oder Gleichstellungsgaran- tionsblätter zu Ländern in Afrika, Europa und
tien in irgendeiner Form aufgenommen worden Lateinamerika wurden erstellt, um einen Über-
waren. blick über die nach Sektoren und Berufen aufge-
Um Nichtdiskriminierungs- und Gleichstel- schlüsselten Trends beim geschlechtsspezifischen
lungsziele zu erreichen, beabsichtigt die IAO, viel Entgeltgefälle in den letzten 15 Jahren, maßgeb-
versprechende Beispiele aus der Praxis zu doku- liche nationale institutionelle und rechtliche Rah-
mentieren, grundsatzpolitische Empfehlungen aus- menbedingungen sowie themenbezogene Stellung-
nahmen der Sachverständigenausschüsse im Laufe

xiv
ZUSAMMENFASSUNG

der letzten 15 Jahre zu geben. Ähnliche Aktivi- Gleichstellungsaktionsplans geschlechtsspezifi-


täten wurden auch in Ostasien aufgenommen. Ein sche Ungleichheiten zu überwinden.
Papier, in dem die Vor- und Nachteile der Ent- Ein Indikator zur Messung der Wirksamkeit
geltgerechtigkeit gegenübergestellt werden, wiegt eines Gesetzes ist die Zahl der Diskriminierungs-
den Mangel an Untersuchungen zu dem Thema fälle, die bei Gericht eingereicht und angemessen
zumindest teilweise auf. weiterverfolgt werden, und in diesem Zusammen-
Weil Beschäftigungspolitiken und -pro- hang ist die Ausbildung von Richtern und Rechts-
gramme geschlechtsspezifische Aspekte oft nicht anwälten von grundlegender Bedeutung. Das
berücksichtigen, hat sich die IAO bemüht, Internationale Ausbildungszentrum der IAO in
Arbeitsministerien bei der Ausarbeitung und Turin (das Turiner Zentrum) hat eine aktive Rolle
Umsetzung nationaler Beschäftigungspolitiken zu bei der Ausbildung von Richtern, Anwälten und
beraten. Ein Beispiel liefert das von Belgien finan- Juraprofessoren in Bezug auf das internationale
zierte Projekt „Förderung der Chancengleichheit Arbeitsrecht gespielt. Als ein Resultat besteht jetzt
von Frauen und Männern in den Landesüberprü- eine langfristige Zusammenarbeit mit Richteraus-
fungen der Beschäftigung der Stabilitätspaktlän- bildungszentren und Hochschulen in Albanien,
der“. Die IAO hat auch Bolivien, Ecuador, Argentinien, Brasilien, Madagaskar, Marokko und
Kolumbien und Peru dabei unterstützt, die dem Senegal. Das Turiner Zentrum hat auch die
geschlechtsspezifische Diskriminierung besser in Europäische Kommission dabei unterstützt, die
ihrer Beschäftigungspolitik zu berücksichtigen. Geschlechtergleichstellung in den Mittelpunkt
Ländern wurde bei ihren Bemühungen zur ihrer Agenda für die Durchführung von Entwick-
Förderung der Gleichstellung der Rassen techni- lungshilfe zu rücken.
sche Unterstützung gewährt, z. B. Brasilien im Im März 2005 beschloss der Verwaltungsrat
Rahmen des Nationalen Projekts für Rassengleich- des Internationalen Arbeitsamtes, dass künftig bei
stellung. Ein in 14 Ländern unter dem Aspekt der allen IAO-Projekten der technischen Zusammen-
ethnischen Gleichstellung durchgeführter Audit arbeit die Förderung der Geschlechtergleichstel-
von Strategiepapieren zur Verringerung der Armut lung angemessen berücksichtigt werden muss. Mit
(PRSPs) kam zu dem Schluss, dass die Anerken- sechs Geberländern wurden in dieser Hinsicht
nung der Rechte von indigenen und in Stämmen Rahmenvereinbarungen unterzeichnet. Damit die
lebenden Völkern wie sie im Übereinkommen Fähigkeit der Mitgliedsgruppen, positive Schritte
(Nr. 169), 1989, über eingeborene und in Stäm- zur Förderung der Chancengleichheit zu unterneh-
men lebenden Völker verankert sind, eine unab- men, verbessert werden kann, leisten einige dieser
dingbare Voraussetzung für die Überwindung Länder darüber hinaus Beiträge zu dem 2003 ein-
ihrer Armut und sozialen Ausgrenzung ist, und gerichteten Partnerschaftsfonds für die Gleichstel-
empfahl Kapazitätsschaffung für indigene Organi- lung der Geschlechter. In 25 Ländern werden der-
sationen und örtliche Behörden zur Umsetzung zeit 13 vom Fonds finanzierte Projekte durch-
lokaler auf Einbindung ausgerichteter Entwick- geführt. Seit 2006 ist ein Kernkriterium bei der
lungspläne. Prüfung neuer Vorschläge für technische Zusam-
menarbeit die Aufnahme einer Strategie zur allge-
Laufende Engagements der IAO meinen Berücksichtigung von Gleichstellungs-
Der Aktionsplan trug dem Umstand Rechnung, belangen.
dass die traditionellen IAO-Tätigkeiten wie die Im Gesamtbericht wird detailliert auf die tech-
Überwachung der Durchführung der Überein- nische Unterstützung eingegangen, die für Regie-
kommen konsolidiert werden müssen. Richtlinien rungs- oder Arbeitgeberinitiativen zur Entwick-
wurden ausgearbeitet zur Frage, wie für Menschen lung von Konzepten für gleiche Beschäftigungs-
mit Behinderungen durch Gesetzesvorschriften chancen auf der Unternehmensebene in Chile,
Chancengleichheit in der Beschäftigung gefördert Indonesien, Kambodscha und Sri Lanka geleistet
werden kann, und in ausgewählten Ländern wur- wurde. Better Factories Cambodia, ein einzigarti-
den Wirkungsstudien durchgeführt, um die viel- ges IAO-Programm, zeigt beispielhaft, wie die
fältigen Formen und Ziele von Antidiskriminie- Dreigliedrigkeit in Verbindung mit einer integrier-
rungsgesetzen aufzuzeigen. Nachdem im Konfe- ten Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedin-
renzausschuss für die Durchführung der Normen gungen in globalen Produktionssystemen beitra-
2005 darüber diskutiert worden war, dass Bosnien gen kann.
und Herzegowina keine Berichte über ratifizierte Der Praxisorientierte Leitfaden der IAO zu
Übereinkommen vorgelegt hatte, leistete die IAO HIV/Aids in der Welt der Arbeit dient jetzt in
2006 in dem Land beispielsweise Unterstützung etwa 40 Ländern als Orientierungshilfe und wird
bei der Formulierung einer Strategie, in der die in mehr als 60 Ländern von politischen Entschei-
Prioritäten der Behörden und der Sozialpartner in dungsträgern und den Sozialpartnern als Referenz
Bezug auf die wirksame Umsetzung des Gleich- genutzt. Das IAO-Programm Strategische Ant-
stellungsgesetzes festgeschrieben wurden. In Mau- worten der Unternehmen auf HIV/Aids (SHARE)
ritius wurde ein Projekt zur Entwicklung von ist bereits 300.000 Arbeitnehmern in der formellen
Maßnahmen initiiert, um im Rahmen der Natio- und informellen Wirtschaft von 23 Ländern zugute
nalen Gleichstellungspolitik und des Nationalen gekommen und hat maßgeblich zur Verabschie-

xv
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

dung besserer gesetzlicher Rahmenbedingungen täten auf der nationalen Ebene. Dies bedeutet, dass
beigetragen. Seit 2000 wurden im Rahmen des über die Formen von Diskriminierung, denen vor-
SHARE-Programms mehr als 2.500 Personen rangig entgegengewirkt werden soll, im Einzelfall
geschult, darunter Vertreter von Gewerkschaften entschieden werden muss, um den Bedürfnissen
und Arbeitgeberverbänden, Arbeitsaufsichtsbe- und Ersuchen der Mitgliedsgruppen und den
amte, Richter und Mitarbeiter nichtstaatlicher Stellungnahmen der Aufsichtsorgane der IAO
Organisationen. Rechnung tragen zu können. In allen Fällen wird
Auf Grundlage der IAO-Richtliniensammlung die Gleichstellung der Geschlechter ein allge-
über den Umgang mit Behinderungen am Arbeits- meines strategisches Ziel sein, das mit Nachdruck
platz hat „AbilityAP“, das IAO-Programm für verfolgt werden soll. Der Ansatz zur Geschlechter-
Behinderungsfragen in Asien und dem Pazifik- gleichstellung hat sich nach und nach so verändert,
raum, eine umfassende Datenbank über Gesetze dass jetzt der Schwerpunkt auf der allgemeinen
und Politiken angelegt und Beratungsdienst- Berücksichtigung von Gleichstellungsbelangen in
leistungen zu Politiken und Programmen erbracht. der technischen Zusammenarbeit und den grund-
Die Aktivitäten in Afrika zielen auf die Ver- satzpolitischen Bereichen der IAO liegt.
besserung der Qualifikationen behinderter Arbeit- Um zu einer besseren Durchsetzung des gel-
nehmer und die Förderung von Unternehmens- tenden Rechts im Bereich der Gleichstellung bei-
gründungen von Frauen mit Behinderungen. zutragen, wird die IAO Materialien zu den ver-
Der 2005 angenommene Multilaterale Rah- bindlichen Bestimmungen der Übereinkommen
men der IAO für Arbeitsmigration legt besonders Nr. 100 und 111 sowie anderer maßgeblicher
Gewicht auf die Diskriminierung von Migranten Übereinkommen ausarbeiten. Sie wird auf die
und fordert die Förderung ihrer Rechte. Die IAO Bedeutung einer starken und wirksamen Arbeits-
hat eine Datenbank mit 150 bewährten Praktiken aufsicht und Arbeitsverwaltung hinweisen sowie
bei der Integration von Arbeitsmigranten zusam- die Vernetzung auf nationaler und internationaler
mengestellt und 2004 ein Programm für die Ebene fördern, um die fachliche Kompetenz und
Stärkung der Kapazität afrikanischer Staaten zur die Erfahrung der Arbeitsaufsichtsbeamten zu ver-
Steuerung der Arbeitsmigration begonnen. größern.
Landesprogramme für menschenwürdige Im Rahmen ihrer Fördertätigkeiten bei Regie-
Arbeit sind das Hauptinstrument der IAO zur rungen und der Wirtschaft wird die IAO auch für
Unterstützung der Bemühungen ihrer Mitglieder, nicht regulatorische Maßnahmen werben, um auf
menschenwürdige Arbeit auf nationaler Ebene diese Weise Einfluss zu nehmen auf Investitions-
Wirklichkeit werden zu lassen. Zu Entwicklungen und Handelspolitiken und -praktiken sowie auf
in der letzten Zeit gehörten die Ausrufung der Initiativen im Rahmen der sozialen Verantwortung
Asiatischen Dekade für menschenwürdige Arbeit von Unternehmen für die Einführung von
und der Dekade zur Förderung menschenwürdiger Verhaltenskodexen mit Bezug auf grundlegende
Arbeit in Amerika im Jahr 2006. In diesem Prinzipien und Rechte bei der Arbeit.
Zusammenhang wurden in beiden Regionen kon- Mit dem Ziel, konkrete Verbesserungen im
krete Verpflichtungen und Zielvorgaben zur Berufsleben von Erwerbstätigen zu erreichen, die
Beseitigung der Ungleichheit in Bezug auf men- Diskriminierung ausgesetzt sind, soll letztlich die
schenwürdige Arbeit zwischen etablierten und für wichtige Rolle der Sozialpartner in zentralen
Diskriminierung anfälligen Gruppen festgelegt. Bereichen wie Kollektivverhandlungen heraus-
gestellt werden. Im Rahmen des Aktionsplans
Künftige Schwerpunkte sollen Informationen über die Erfahrungen von
Die Folgemaßnahmen der IAO zum Zweiten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden in die-
Gesamtbericht über Diskriminierung werden sich sem Bereich zusammengestellt werden, um posi-
auf die Erfahrungen stützen, die in den vier Jahren tive Beispiele für Verhaltenskodexe oder Richt-
seit der Veröffentlichung des ersten Berichts linien zur Förderung von Gleichbehandlung und
gesammelt wurden. Sie werden abgestimmt mit Chancengleichheit für alle verfügbar zu machen.
der strategischen Planung der Organisation, vor Mit diesen unterschiedlichen Aktivitäten wird die
allem mit den Landesprogrammen für menschen- IAO weiterhin den Problemen der Diskriminie-
würdige Arbeit als dem Hauprahmen für Aktivi- rung in der Welt der Arbeit entgegenwirken.

xvi
Einleitung

1. Im vor vier Jahren erschienenen Gesamtbericht negativen Auswirkungen auf Investitionen und das
zum Thema Diskriminierung mit dem Titel Wirtschaftswachstum zur Folge haben.
Gleichheit bei der Arbeit – ein Gebot der Stunde 3. In der Gesamtbetrachtung der Anstrengungen
wurde betont, dass die Arbeitsstätte – sei es eine zur Überwindung von Diskriminierung ergibt sich
Fabrik, ein Büro, ein landwirtschaftlicher Betrieb eine Mischung signifikanter Fortschritte und
oder die Straße – ein strategischer Ansatzpunkt ist, deutlicher Misserfolge. Die Ächtung der Diskrimi-
um die Gesellschaft von Diskriminierung zu nierung in Beschäftigung und Beruf ist heute so
befreien 1 . Wie alle sozialen Institutionen stellen gut wie global, und das gleiche gilt für das
der Arbeitsmarkt und seine Institutionen sowohl Bekenntnis der Politik, sie zu bekämpfen. Neun
eine Ursache als auch eine Lösung für Diskrimi- von zehn IAO-Mitgliedstaaten haben die zwei
nierung dar. Am Arbeitsplatz kann Diskriminie- grundlegenden internationalen Arbeitsnormen zu
rung jedoch einfacher und wirksamer bekämpft diesem Thema – das Übereinkommen (Nr. 100)
werden. Im Bericht Gleichheit bei der Arbeit – ein über die Gleichheit des Entgelts, 1951, und das
Gebot der Stunde wurde auch auf die schwerwie- Übereinkommen (Nr. 111) über die Diskrimi-
genden negativen wirtschaftlichen, sozialen und nierung in Beschäftigung und Beruf, 1958, –
politischen Folgen der Tolerierung von Diskri- ratifiziert (siehe Teil I, Kapitel 1). Mit der Ratifi-
minierung am Arbeitsplatz verwiesen und zierung von Übereinkommen Nr. 111 durch China
behauptet, dass die Vorteile stärker integrierender im Jahr 2006 hat die Zahl der durch dieses Über-
Arbeitsplätze schwerer wiegen als die Kosten der einkommen weltweit geschützten Personen
Bekämpfung von Diskriminierung. beträchtlich zugenommen.
2. Vier Jahre später sind diese Botschaften weiter- 4. Die in vielen Ländern erzielten Fortschritte im
hin gültig. In einer anscheinend zunehmend rechtlichen und institutionellen Bereich waren
ungleichen, unsicheren und gefährlichen Welt ist ebenfalls bemerkenswert. Kürzlich reformierte
die Bekämpfung der Diskriminierung bei der Arbeitsgesetze enthalten Nichtdiskriminierungs-
Arbeit jedoch noch vordringlicher geworden. Dis- und Gleichheitsvorschriften; viele Länder, vor
kriminierung schließt Menschen aufgrund ihrer allem in Afrika südlich der Sahara, haben Gesetze
Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihren sozialen verabschiedet, die Arbeitnehmer mit HIV/Aids vor
Herkunft von bestimmten Berufen aus oder Diskriminierung schützen, und sexuelle Belästi-
verwehrt ihnen gar jegliche Arbeit oder ein gung ist in vielen Ländern verboten. Länder haben
leistungsgerechtes Entgelt. Dies führt zu einer das Spektrum der verbotenen Gründe für Diskri-
sozialen und wirtschaftlichen Benachteiligung, die minierung über die in Übereinkommen Nr. 111
wiederum Ineffizienz und ungleiche Ergebnisse explizit genannten erweitert. Zu diesen Ländern
zur Folge hat. Gleichzeitig verringert signifikante zählen die EU-Mitgliedstaaten, die in den letzten
und anhaltende Ungleichheit in Bezug auf Jahren die im Jahr 2000 erlassenen Richtlinien zur
Einkommen, Vermögen und Chancen die Wirk- Regelung der Diskriminierung bei der Arbeit 2 in
samkeit jeglicher Maßnahmen zur Bekämpfung
von Diskriminierung. Dies kann politische Insta- 2
bilität und soziale Unruhen mit entsprechenden Die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur
Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unter-
schied der Rasse oder der ethnischen Herkunft und die Richt-
linie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Fest-
1
IAA: Gleichheit bei der Arbeit – Ein Gebot der Stunde, legung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der
Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, der darauf
der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der abzielt, Diskriminierung aufgrund von Glaubensbekenntnis
Arbeit, Bericht 1(B), Internationale Arbeitskonferenz, oder Weltanschauung, Alter, Behinderung oder sexueller
91. Tagung, Genf, 2003, Abs. 11. Orientierung zu untersagen.

1
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

der gesamten EU in nationales Recht umgesetzt die sich gewöhnlich an Arbeitsstätten und
haben, wodurch die Diskriminierung aufgrund von Beschäftigten im formellen Sektor orientieren. Die
Rasse, Glaubensbekenntnis oder Weltanschauung, neuen Maßnahmen, die diese Beschränkungen
Alter, Behinderung oder sexueller Orientierung aufheben sollten, scheinen per saldo nicht zu
gesetzlich verboten wurde. weniger Diskriminierung geführt zu haben.
5. Wenngleich dieser Trend in manchen Regionen 8. Wenn wir Fortschritte erreichen wollen,
augenfälliger war als in anderen, konnte insgesamt müssen wir verstehen, warum es so schwierig ist,
eine Tendenz zu einer stärkeren institutionellen Gleichheit herzustellen.
Verpflichtung zu Nichtdiskriminierung und 9. Erstens ist Diskriminierung sowohl in der
Gleichheit verzeichnet werden. In den letzten vier Natur des Menschen als auch in der Arbeitsweise
Jahren wurden Fachgremien oder Fachkommissio- von Institutionen verwurzelt. Sie war immer und
nen eingerichtet, die Opfern von Diskriminierung überall ein Aspekt des Gemeinwesens. Dies
Rechtsbeistand bieten oder Arbeitgeber beraten, erschwert es, dagegen vorzugehen, bevor die
wie sie ihre Entgeltsysteme transparenter und Situation unerträglich wird.
geschlechtsneutraler machen können. So wurde 10. Zweitens ist Diskriminierung ein sich ent-
beispielsweise in Brasilien, wo 46 Prozent der wickelnder Prozess: Seit langem bestehende For-
Bevölkerung dunkelhäutig sind, 2003 zum ersten men von Diskriminierung, etwa aufgrund von
Mal ein mit ministeriellem Status ausgestattetes Rasse, Glaubensbekenntnis, Klassenzugehörigkeit
Sondersekretariat für Maßnahmen zur Förderung oder Geschlecht, sterben nicht einfach aus,
der Rassengleichheit (SEPPIR) eingerichtet. sondern nehmen subtilere Erscheinungsformen an
6. An Aktionsplänen, Sonderprogrammen oder oder werden sogar mit ausgefeilteren Begrün-
aktiven Arbeitsmarktkonzepten zur Verbesserung dungen legitimiert. Beispielsweise haben Terroris-
des Status und der Beschäftigungsaussichten von mus und die Sicherheitspolitik seit dem 11. Sep-
für Diskriminierung anfälligen Gruppen hat es tember 2001 dazu beigetragen, Pauschalverdäch-
nicht gemangelt. Diese reichen von einkommens- tigungen von Muslimen und Arabern zu ver-
schwachen Müttern von Kleinkindern bis zu stärken, was zu gravierender Diskriminierung am
Menschen mit Behinderungen und älteren Arbeit- Arbeitsplatz geführt hat. Feindselige und rassisti-
nehmern. Mit dem Auftrag, Beschäftigungskon- sche Äußerungen gegenüber tatsächlichen oder
zepte zur Beseitigung der bestimmte Teile der mutmaßlichen ausländischen Arbeitnehmern sind
Bevölkerung betreffenden Defizite in Bezug auf sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungs-
menschenwürdige Arbeit zu entwickeln, wurden ländern an der Tagesordnung. Diese Ressenti-
dreigliedrige Kommissionen wie die Dreigliedrige ments erwachsen aus in den Gastländern
Kommission für Geschlechter- und Rassengleich- herrschenden Gefühlen von Furcht und Unsicher-
stellung bei der Arbeit in Brasilien eingesetzt. In heit, die durch die mit der Globalisierung einher-
einer zunehmenden Zahl von Ländern in Europa gehenden tief greifenden sozioökonomischen Ver-
und Lateinamerika wurden Tarifverträge abge- änderungen zugenommen haben. Zu den früher
schlossen, die einen Erziehungsurlaub für Väter üblichen Rechtfertigungen für Rassismus unter
vorsehen. Dies fördert die gerechtere Verteilung Verweis auf die angebliche Überlegenheit einer
entlohnter und nicht entlohnter Arbeit zwischen Kultur im Vergleich zu einer anderen gesellen sich
Männern und Frauen. nun Argumente, die sich auf die angebliche Not-
7. All dies sind positive Entwicklungen; es wendigkeit der Bewahrung nationaler Identitäten
bestehen jedoch weiterhin zahlreiche Defizite. und Kulturen vor Werten und Institutionen anderer
Wie aus der relativ geringen Zahl von Diskri- Kulturen stützen. Gleichzeitig entstehen infolge
minierungsklagen und noch weniger Verurteilun- sowohl struktureller wirtschaftlicher Veränderun-
gen in vielen Ländern ersichtlich ist, wird insbe- gen als auch gesellschaftlicher und kultureller
sondere in Entwicklungs- und Transformations- Umwälzungen neue Formen der Diskriminierung.
ländern, aber nicht nur dort, das geltende Recht Ein bestimmtes Alter oder ein vermuteter Lebens-
unzureichend durchgesetzt. Spezialisierten Gre- stil kann heute insbesondere in den Industrie-
mien und Kommissionen stehen zu wenig Perso- ländern zu einem folgenschweren Nachteil im
nal und Finanzmittel zur Verfügung. Aktionspläne Berufsleben werden.
und Sonderprogramme hatten häufig einen zu 11. Drittens gehen trotz des allgemeinen Kon-
engen Geltungsbereich, konnten nicht auf Dauer senses darüber, dass Diskriminierung sowohl
aufrechterhalten werden und fielen politischen falsch als auch ineffizient ist, die Meinungen
Veränderungen zum Opfer. Millionen Arbeitneh- darüber auseinander, wie sie beseitigt werden kann
mer in der informellen Wirtschaft, in der soziale und was die Förderung der Chancengleichheit in
Schranken und Trennlinien fortbestehen 3 , profi- der Praxis bedeutet. Die anhaltende hitzige
tieren nicht von Konzepten für mehr Gleichheit, Debatte darüber, ob die positive Diskriminierung
unterrepräsentierter Gruppen erstrebenswert, legi-
3
tim und wirksam ist, mag als Beispiel für diese
B. Harriss-White: „Inequality at work in the informal divergierenden Meinungen dienen.
economy: Key issues and illustrations“ in International Labour
Review, Jg. 142 (2003), Nr. 4, S. 459-469. 12. Viertens herrscht der Eindruck vor, dass ins-
besondere kurz- und mittelfristig die Ausmerzung

2
EINLEITUNG

der Diskriminierung zu kostspielig ist, ihre Union sechs Monate später 6 stützen die
Vorteile schwer zu messen sind und die Kosten Bemühungen, Gleichheit bei der Arbeit weltweit
schwerer wiegen als potenzielle Vorteile. Dies Wirklichkeit werden zu lassen.
erklärt, warum in Zeiten wirtschaftlicher Rezes- 16. Dieser zweite Gesamtbericht zum Thema
sion oder Stagnation Maßnahmen für mehr Diskriminierung gliedert sich in vier Teile. Teil I
Gleichheit auf Widerstand stoßen, an Legitimation definiert die Konzepte Diskriminierung, Gleich-
einbüßen und möglicherweise aufgegeben werden. behandlung und Chancengleichheit und behandelt
13. Fünftens und letztens haben die Liberali- darüber hinaus die Erfolge und Probleme bei der
sierung des Handels und der Finanzmärkte sowie Messung von Diskriminierung und bei der
eine rigorose Geld- und Haushaltspolitik, die die Bewertung von Fortschritten bezüglich der
Voraussetzungen für einen gesunden marktwirt- Förderung von Gleichheit in der Welt der Arbeit
schaftlichen Wettbewerb schaffen sollten, nicht auf globaler Ebene.
immer zu mehr sozialer Gleichheit oder zu mehr 17. Teil II beschreibt die Muster der Diskrimi-
Solidarität zwischen Arbeitnehmern oder Arbeit- nierung in Beschäftigung und Beruf weltweit,
nehmergruppen geführt. Gleichzeitig haben die aufbauend auf den ersten Gesamtbericht zu dem
weltweite Verbreitung der Demokratie und die Thema. Dieser Teil nimmt eine Beurteilung der
wachsende Macht der Medien benachteiligten globalen Situation bei den herkömmlicheren For-
Gruppen geholfen, sich Gehör zu verschaffen und men von Diskriminierung vor, insbesondere
nachdrücklich wirksamere Mechanismen sozialer aufgrund des Geschlechts oder der Rasse, die im
Solidarität einzufordern. ersten Gesamtbericht über Diskriminierung zu
14. Warum wird dann der geringere berufliche vorrangigen Handlungsfeldern der IAO im Zeit-
Erfolg bestimmter sozialer Gruppen lediglich als raum von 2004 bis 2007 erklärt worden waren.
Bestätigung ihrer unzureichenden Fähigkeiten und Anschließend beschreibt er aktuelle Trends bei
nicht als das Ergebnis verwehrter Chancen infolge Formen von Diskriminierung, auf die bereits im
früherer und anhaltender systemischer Diskrimi- früheren Gesamtbericht eingegangen wurde und
nierung wahrgenommen? Wenngleich Diskrimi- die in jüngerer Zeit als nicht hinnehmbar ein-
nierung und die dadurch verfestigten Ungleich- gestuft wurden: Diskriminierung aufgrund von
heiten unbestritten ein strukturelles Problem Behinderung, vermutetem oder tatsächlichem
darstellen, für das Behelfslösungen nicht taugen, HIV/Aids-Status oder Alter. Neu an diesem
zeigen aussagekräftige Belege, dass die Duldung Bericht ist, dass darin erstmals auf Diskriminie-
von Diskriminierung mit großen wirtschaftlichen, rung aufgrund sexueller Orientierung eingegangen
sozialen und politischen Nachteile verbunden ist 4. wird, die in einer wachsenden, wenngleich immer
15. Dieser Bericht baut auf dem ersten Gesamt- noch begrenzten Zahl von Ländern Anlass zur
bericht über die Beseitigung der Diskriminierung Sorge gibt. Ein weiteres neues Element ist die
in Beschäftigung und Beruf im Rahmen der Untersuchung von in fortgeschrittenen Volkswirt-
Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über schaften neu entstehenden Praktiken, Personen zu
grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit benachteiligen, die eine genetische Veranlagung
auf 5 . Seine Hauptbotschaft lautet, dass zur haben, an bestimmten Krankheiten zu erkranken,
weiteren wirksamen Bekämpfung der Diskriminie- oder einen bestimmten Lebensstil pflegen. Alle
rung am Arbeitsplatz die Schaffung von Gesell- diese Trends müssen sorgfältig überwacht werden.
schaften mit mehr Gleichheit zu einem zentralen 18. Teil III gibt einen Überblick über den Gel-
Ziel von Entwicklungsparadigmen und -konzepten tungsbereich und die Wirkung von Gesetzen,
und die Förderung der Chancengleichheit in Grundsatzkonzepten und praktischen Maßnahmen
Bezug auf den Zugang zu menschenwürdiger einer Reihe von Akteuren – des Staates, der
Arbeit für alle Frauen und Männer unabhängig Sozialpartner und anderer relevanter Institutionen
von Rasse, Glaubensbekenntnis, Behinderung, – zur Bekämpfung der Diskriminierung und zur
Alter oder sexueller Orientierung Vehikel für Fort- Förderung von Gleichheit auf nationaler, interna-
schritte in diese Richtung werden müssen. Die tionaler und globaler Ebene. Die beschriebenen
Bestätigung von menschenwürdiger Arbeit als nationalen Initiativen betreffen vorwiegend Län-
einem globalen Ziel des Tagungsteils auf hoher der mit hohem oder mittlerem Einkommen. Dies
Ebene des VN-Wirtschafts- und Sozialrates – also beruht auf der höheren Zahl von Antidiskriminie-
auf Ministerebene – im Juli 2006 und die rungsmaßnahmen und der Verfügbarkeit entspre-
Verabschiedung einer Reihe von Beschlüssen zur chender Daten in diesen Ländern, was ein besseres
Förderung menschenwürdiger Arbeit in Europa Verständnis der tatsächlichen Effekte nationalen
und der Welt durch den Rat der Europäischen Handelns ermöglicht und einige nützliche Rück-
schlüsse gestattet, die zukünftige politische Ent-
scheidungen erleichtern. Es spiegelt jedoch auch
4
Weltbank: Weltentwicklungsbericht 2006: Chancengerech-
tigkeit und Entwicklung (Droste, Düsseldorf, 2006). 6
Rat der Europäischen Union: Schlussfolgerungen des Rates
5
IAA: Gleichheit bei der Arbeit – Ein Gebot der Stunde, zum Thema „Menschenwürdige Arbeit für alle“, unter
a.a.O. www.consilium.europa.eu.

3
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

den niedrigen Stellenwert des Themas der wenngleich nicht auf einer einheitlichen Grund-
Diskriminierung bei der Arbeit in der öffentlichen lage –, Nichtdiskriminierungs- und Gleichheits-
Agenda von Ländern mit niedrigem Einkommen aspekte in Landesprogramme für menschenwür-
wider, was darauf hindeutet, dass dieses Problem dige Arbeit sowie in beschäftigungsorientierte
entweder schwer zu lösen ist oder nicht als Strategien und Programme zur Armutsbekämp-
prioritär eingestuft wird. Andererseits ergibt die fung zu integrieren. Auch in punkto Entgelt-
Überprüfung auf internationaler und globaler gleichheit sowie im Kampf gegen Diskriminierung
Ebene, dass in immer mehr Instrumenten für aufgrund der Rasse – zwei Bereiche, bei denen im
verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln ersten Gesamtbericht Handlungsbedarf und
Bezug genommen wird auf Nichtdiskriminie- Defizite festgestellt worden waren – wurden nur
rungs- und Gleichheitsaspekte sowie auf die langsam Fortschritte erzielt. Aus dem Gesamtbild
Auswirkungen regionaler wirtschaftlicher Integra- ist ersichtlich, wie hartnäckig sich diese Probleme
tionsprozesse und von Verhandlungen zu Handels- weltweit einer Lösung widersetzen, sodass dieser
fragen auf den Erfolg einer Agenda für mehr Befund nicht unbedingt verwundern kann. Er wirft
Gleichheit in der Welt der Arbeit. jedoch wichtige Fragen darüber auf, wie weiter
19. In Teil IV wird berichtet, wie die IAO ihre vorgegangen werden soll.
Mitgliedstaaten bei der Beseitigung der Diskrimi- 20. In Teil IV werden diese und andere Fragen
nierung und der Förderung von Chancengleichheit erörtert und Vorschläge für die Zukunft unter-
unterstützt. Dabei sind sowohl Errungenschaften breitet. Es wird der Standpunkt vertreten, dass die
als auch Probleme zu verzeichnen. Die IAO hat Frage der Chancengleichheit bei der Arbeit in die
weiterhin Unterstützung bei der Formulierung nächsten Phasen der Agenda für menschenwürdige
oder Überarbeitung von Gleichstellungsgesetzen Arbeit integriert wird sollte, und zwar vor allem in
sowie der Integration von Nichtdiskriminierungs- Landesprogramme für menschenwürdige Arbeit
und Gleichheitsaspekten in Arbeitsgesetzreformen und die Bemühungen um eine kohärente Grund-
geleistet. Durch ihr Aufsichtssystem hat sie immer satzpolitik auf der globalen Ebene.
wieder auf sowohl herkömmliche als auch neue 21. Die Beseitigung von Diskriminierung und die
Probleme aufmerksam gemacht und positive Förderung von Gleichheit sind eine ständige
Entwicklungen gefördert. Die Aktivitäten mit dem Herausforderung, die ein neuerliches politisches
Ziel, Menschen mit Behinderungen oder mit und grundsätzliches Engagement erfordern. Sie
tatsächlichem oder vermuteten HIV/Aids-Status stellen dennoch Ziele dar, die die IAO sowie ihre
Chancengleichheit zu garantieren, wurden ebenso Mitgliedsgruppen und internationalen Partner
fortgesetzt wie Maßnahmen zu bestimmten erreichen können, wenn alle beteiligten Parteien
Aspekten der Gleichstellung der Geschlechter. Es stetige Bemühungen unternehmen.
wurden auch Anstrengungen unternommen –

4
TEIL I

Definition und Messung von


Diskriminierung
22. Es herrscht allgemein Einigkeit, dass Dis- Gleichheit des Entgelts, 1951, und des Überein-
kriminierung bei der Arbeit eine Missachtung kommens (Nr. 111) über die Diskriminierungen in
eines Menschenrechts ist. Sie stellt eine Ver- Beschäftigung und Beruf, 1958, in den letzten
geudung menschlicher Fähigkeiten mit negativen Jahren und ihre ständige Zunahme belegen dies
Folgen für die Produktivität und das wirtschaft- (Abbildung 1.1 und Übersicht 1.1).
liche Wachstum dar, erzeugt sozioökonomische 24. Vor diesem Hintergrund lautet die Haupt-
Ungleichheiten, die den sozialen Zusammenhalt frage, ob Fortschritte auf dem Weg zu mehr
und die Solidarität in der Gesellschaft unter- Gleichheit allen zugute kommen, und die Haupt-
graben, und sie erschwert die Armutsbekämpfung. aufgabe besteht darin, Erkenntnisse zu gewinnen,
Es besteht auch Einvernehmen darüber, dass die die als Leitlinien für zukünftige Aktivitäten des
Förderung von Chancengleichheit und Gleichbe- Staates, der Sozialpartner und anderer wichtige
handlung eine Voraussetzung für die Beseitigung Akteure dienen können. Dieser Teil des Gesamt-
der Diskriminierung im Recht und in der Praxis berichts definiert noch einmal kurz die Konzepte
ist 1. der Diskriminierung sowie der Gleichbehandlung
23. Das Bekenntnis der Politik zur Bekämpfung und Chancengleichheit in Beschäftigung und
der Diskriminierung und zur Förderung von Beruf. Angesichts der Missverständnisse und der
Gleichbehandlung und Chancengleichheit bei der mangelnden Klarheit, die diese Begriffe umgeben,
Arbeit ist fast global. Die hohe Zahl der Ratifizie- ist dies unerlässlich.
rungen des Übereinkommens (Nr. 100) über die

1
Siehe IAA: Gleichheit bei der Arbeit – ein Gebot der Stunde,
Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung
der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der
Arbeit, Bericht 1(B), Internationale Arbeitskonferenz,
91. Tagung, Genf, 2003.

7
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Abbildung 1.1. Zahl der Ratifizierungen der Übereinkommen Nr. 100 und 111, 1990-2005

180

170
168
111
160
158
164 100
150

140 134

130
128
120
109
110

100 106

90

0
1990 1995 2000 2005

Übersicht 1.1. Länder, die die Übereinkommen Nr. 100 bzw. Nr. 111 noch nicht ratifiziert haben

Länder, die das Übereinkommen Nr. 100 Länder, die das Übereinkommen Nr. 111
noch nicht ratifiziert haben (16) noch nicht ratifiziert haben (14)
Bahrain, Katar, Kiribati, Kuwait, Demokrati- Japan, Kiribati, Demokratische Volksrepublik Laos,
sche Volksrepublik Laos, Liberia, Monte- Malaysia, Montenegro, Myanmar, Oman, Salomon-
negro, Myanmar, Namibia, Oman, Salomon- Inseln, Samoa, Singapur, Surinam, Thailand, Timor-
Inseln, , Samoa, Somalia, Surinam, Timor- Leste und Vereinigte Staaten
Leste und Vereinigte Staaten

8
DEFINITION UND MESSUNG VON DISKRIMINIERUNG

1. Diskriminierung und Gleichheit: Definition der Konzepte

25. Das Übereinkommen Nr. 111 definiert Diskri- formellen und informellen Sektor statt, kann
minierung als „jede Unterscheidung, Ausschlie- allerdings im Letztgenannten offener zutage tre-
ßung oder Bevorzugung, die aufgrund der Rasse, ten, weil er außerhalb des Geltungsbereichs oder
der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbe- der Reichweite der Arbeitsgesetze und der Durch-
kenntnisses, der politischen Meinung, der natio- setzungsmechanismen liegen kann.
nalen Abstammung oder der sozialen Herkunft 28. Diskriminierung kann unmittelbar und mittel-
vorgenommen wird und die dazu führt, die bar erfolgen. Sie ist unmittelbar, wenn Vorschrif-
Gleichheit der Gelegenheiten oder der Behandlung ten, Vorgehensweisen und Grundsätze bestimmte
in Beschäftigung oder Beruf aufzuheben“. Es lässt Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer
außerdem zu, dass nach Anhörung von Arbeit- bestimmten Gruppe ausgrenzen oder bevorzugen.
geber- und Arbeitnehmerverbänden durch die Zu den Formen unmittelbarer Diskriminierung
Regierungen weitere Kriterien hinzugefügt zählen Stellenangebote, die die Aussage enthalten,
werden. Auf der Grundlage von den bei den Mit- dass sich Personen über einem bestimmten Alter
gliedstaaten eingeholten Informationen hat der erst gar nicht zu bewerben brauchen, oder eine
Sachverständigenausschuss für die Durchführung Personalpolitik, die generell Schwangerschafts-
der Übereinkommen und Empfehlungen festge- tests für Arbeitnehmerinnen vorsieht, um diese bei
stellt, dass in vielen Ländern zusätzliche Gründe einem positiven Befund nicht einzustellen oder zu
für Diskriminierung zusätzlich zu den im Über- entlassen. Diskriminierung aufgrund von Schwan-
einkommen Nr. 111 genannten anerkannt wurden, gerschaft scheint selbst in Ländern wieder zuzu-
und der frühere wie der aktuelle Gesamtbericht zu nehmen, in denen diese Form der Diskriminierung
dem Thema bestätigen dies. In einer zunehmenden lange bekämpft wurde und die mit stark rück-
Zahl von Ländern wurde die Liste in den letzten läufigen Fertilitätsraten konfrontiert sind. So wird
Jahren u.a. um Behinderung, Alter, Gesundheits- in einem Bericht der britischen Equal Opportu-
zustand (einschließlich tatsächlichem oder ver- nities Commission festgestellt, dass im Vereinig-
mutetem HIV/Aids-Status), Mitgliedschaft in ten Königreich jährlich 30.000 Frauen aufgrund
einer Gewerkschaft und Familienstand erweitert. einer Schwangerschaft arbeitslos werden und nur
26. Diskriminierung kann bei der Stellensuche, 3 Prozent derjenigen, denen deswegen Schwierig-
während der Arbeitszeit und beim Ausscheiden keiten bereitet werden, eine Klage bei einem
aus einem Arbeitsverhältnis stattfinden. Diskrimi- Arbeitsgericht einreichen 2. Diskriminierung liegt
nierung ist eine Anders- oder Schlechterbehand- auch vor, wenn Unternehmen Arbeitnehmerinnen
lung bestimmter Personen aufgrund eines oder bei der Einstellung vorschreiben, dass sie erst eine
mehrerer der vorstehend genannten Merkmale gewisse Zeit für das Unternehmen tätig sein
unabhängig von ihrer Fähigkeit zur Erfüllung der müssen, bevor sie schwanger werden dürfen 3.
Voraussetzungen, die mit der Tätigkeit verbunden 29. Diskriminierung ist mittelbar, wenn sich
sind. Diskriminierung liegt vor, wenn einem quali- scheinbar neutrale Normen und Vorgehensweisen
fizierten Anhänger einer Minderheitsreligion unverhältnismäßig auf eine oder mehrere feststell-
aufgrund seines Glaubensbekenntnisses eine Stelle bare Gruppen auswirken, ohne dass es dafür eine
verwehrt oder ein kompetenter Arbeitnehmer, der Rechtfertigung gibt. Die Durchführung von Fort-
Gewerkschaftsmitglied ist, aufgrund dieses bildungskursen außerhalb der normalen Arbeits-
Umstands gemobbt wird. Um Diskriminierung zeit, beispielsweise am Wochenende oder nach
handelt es sich ebenfalls, wenn ein ausländischer Feierabend, kann Arbeitnehmer ausschließen, die
Arbeitnehmer geringer entlohnt wird als ein ein- vielleicht an einer Teilnahme interessiert sind,
heimischer oder wenn Landarbeitern, die einer wegen ihrer familiären Verpflichtungen dazu aber
niedrigen Kaste angehören oder zur indigenen nicht in der Lage sind, was wiederum ihre Auf-
Bevölkerung zählen, der Lohn ständig später stiegschancen beeinträchtigt.
ausgezahlt wird als ihren Kollegen aus einer 30. Die Ungleichbehandlung bestimmter Katego-
höheren Kaste oder nicht indigenen Gruppen. rien von Arbeitnehmern in Form eines niedrigeren
Auch eine Krankenschwester oder eine Röntgen-
assistentin, die gleichwertige Arbeit verrichten wie
2
ein Medizintechniker, aber schlechter bezahlt Equal Opportunities Commission: „Pregnancy discrimina-
werden, sind Opfer von Diskriminierung. tion: EOC investigation“, unter www.eoc.org.uk.
3
27. Diskriminierung ist kein außergewöhnliches The Research Centre for Female Labor and Gender, Institute
of Labour Science and Social Affairs, Ministry of Labor,
oder von der Regel abweichendes Ereignis, son- Invalids and Social Affairs; F. Howell: Equality, labour and
dern ein systeminhärentes Phänomen, das häufig social protection for women and men in the Formal and
mit der Arbeitsorganisation zusammenhängt und Informal economy in Viet Nam: Issues for advocacy and policy
auf vorherrschenden kulturellen und sozialen Wer- development (Hanoi, IAA, 2003), S. 90.
ten und Normen beruht. Diskriminierung findet im

9
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Niveaus von Sozialleistungen oder des Entgelts 35. Nicht alle Unterschiede in der Behandlung
kann ebenfalls mittelbare Diskriminierung sein. von Arbeitnehmern sind unrechtmäßig. Dazu zäh-
Die überall anzutreffende Einschränkung des len beispielsweise solche, die sich aus den tatsäch-
Rechtsschutzes für Hausangestellte, bei denen es lichen Anforderungen einer Stelle ergeben. Männ-
sich mehrheitlich um Frauen mit niedrigem lich oder weiblich zu sein, kann eine rechtmäßige
Einkommen handelt, die einer rassischen oder Vorbedingung bei Stellen sein, die engen Körper-
ethnischen Minderheit angehören und häufig Aus- kontakt erfordern oder im Bereich der darstellen-
länderinnen sind, wurde als eine Form mittelbarer den Künste angesiedelt sind. Unterscheidungen
Diskriminierung aufgrund von Klassenzuge- auf der Grundlage von Qualifikationen oder Ein-
hörigkeit, Geschlecht, Rasse oder Migrantenstatus satzwillen sind gerechtfertigt und legitim: Gegen
anerkannt. Entgeltunterschiede auf der Grundlage unter-
31. Strukturelle Diskriminierung ist in sozialen schiedlich langer Bildung oder Arbeitszeiten ist
Strukturen, institutionellen Strukturen und Rechts- nichts einzuwenden.
konstrukten inhärent oder institutionalisiert, die 36. Genauso stellen spezielle Maßnahmen, die die
diskriminierende Vorgehensweisen und Ergeb- nicht identische Behandlung von Personen mit
nisse widerspiegeln und reproduzieren. Dazu besonderen Bedürfnissen aufgrund ihres
können beispielsweise abweichende oder schlech- Geschlechts, einer geistigen, sensorischen oder
tere Ausbildungsbedingungen für Angehörige eth- körperlichen Behinderung oder ihrer sozialen Her-
nischer Minderheiten oder ein mangelhaftes Ange- kunft umfassen, keine Diskriminierung dar. Die
bot an Bildungs-, Verkehrs- und anderen Dienst- Anwendung des Prinzips der Gleichbehandlung
leistungen in Wohngebieten oder Gettos zählen, in und der Chancengleichheit bedeutet mehr, als
denen viele Angehörige ethnischer Minderheiten Personen gleich zu behandeln: Es erfordert auch
oder Einwanderer wohnen. spezielle Maßnahmen und die Berücksichtigung
32. Jegliche Form von Diskriminierung resultiert von Unterschieden. Der Bau von Rampen in
in Ungleichheiten, die für die Opfer von Diskri- Arbeitsstätten für körperbehinderte Arbeitnehmer
minierung eine Benachteiligung zur Folge hat, die ist eine solche Maßnahme, und Arbeitnehmerin-
ihren Zugang zu Beschäftigungschancen und erst nen Schwangerschafts- und Mutterschutz zu
recht zu Gleichbehandlung am Arbeitsplatz ver- garantieren, ist eine Voraussetzung für die
schlechtert. Sie beeinträchtigt auch die Arbeits- Gewährleistung echter Gleichheit mit Männern in
motivation und die Leistungsfähigkeit, was zu der Arbeitswelt.
niedrigerer Arbeitsproduktivität und Spannungen 37. Zeitlich begrenzte Sondermaßnahmen – auch
am Arbeitsplatz mit negativen Folgen für die bekannt als positive Diskriminierung – können
Leistung und den Zustand des Unternehmens ins- ebenfalls genutzt werden, um die Situation wegen
gesamt führt. Deshalb nutzt die Förderung perso- früherer oder aktueller Diskriminierung besonders
nalpolitischer Praxis und Grundsätze, die Diskri- benachteiligter Gruppen rascher zu verbessern. Sie
minierung bei der Arbeit verhindern und Gleich- umfassen eine Reihe von Interventionen, die
behandlung sowie Chancengleichheit ohne will- zeitlich begrenzt sind (was nicht bedeutet, dass sie
kürliche Unterscheidungen begünstigen, nicht nur von kurzer Dauer sein müssen), unterschiedliche
den einzelnen Arbeitnehmern, sondern auch dem Zielgruppen haben können und aus unterschied-
Unternehmen. lichen Gründen gerechtfertigt sein können (siehe
33. Schwerwiegende und anhaltende Diskriminie- Abschnitt über positive Diskriminierung in
rung bei der Arbeit trägt zu Armut und sozialer Teil III, Kapitel 1). Sie decken unterschiedliche
Ausgrenzung bei. Vorurteile auf der Grundlage Phasen und Aspekte des Arbeitsverhältnisses ab
der sozialen Herkunft und des familiären Hinter- und können mit dem Erreichen von Zielen in den
grunds wiegen oft schwerer als tatsächliche Quali- Bereichen Einstellung, Ausbildung, Beförderung
fikationen oder Strebsamkeit und verurteilen oder Quoten in Zusammenhang stehen. Dabei geht
Menschen somit zu sozialer Immobilität. Beson- es immer darum, dass ein bestimmter Stellenanteil
ders zu leiden haben Menschen, die mehrfach an Angehörige unterrepräsentierter Gruppen ver-
diskriminiert werden, beispielsweise solche, die geben wird. Unabhängig von diesen Unterschie-
nicht nur arm sind, sondern auch einer religiösen den basieren Maßnahmen der positiven Diskrimi-
oder rassischen Minderheit angehören und gleich- nierung auf der Anerkennung des Umstands, dass
zeitig bereits ein höheres Alter erreicht haben. die Beseitigung von Diskriminierung allein nie zu
34. Aus diesem Grund sind Arme so häufig von gleichen Bedingungen für alle führen kann, wenn
Diskriminierung betroffen und hindert Armut es erst einmal zu verfestigter und anhaltender
Menschen, sich von Diskriminierung zu befreien. Benachteiligung gekommen ist.
Der beschriebene Sachverhalt zeigt, dass struk- 38. Diese Maßnahmen haben Anlass zu umfang-
turelle sowie unmittelbare und mittelbare Diskri- reichen Diskussionen und Kontroversen gegeben,
minierung nur durch gezielte Grundsatzinter- in der jüngeren Vergangenheit auch im Kontext
ventionen seitens des Staates, der Sozialpartner von Arbeitsrechtsreformen. Kritiker bemängeln,
und anderer wichtiger Akteure wirksam über- dass sie Personen, die nicht zu den Zielgruppen
wunden werden kann. gehören, unangemessen benachteiligen, Angehö-

10
DEFINITION UND MESSUNG VON DISKRIMINIERUNG

rige der Zielgruppen weiter stigmatisieren und zu Mitgliedstaaten sexuelle Orientierung der Grund,
einem Rückgang der Gesamteffizienz und -pro- bei dem bis heute im Vergleich zu den anderen in
duktivität führen. Die Erfahrung zeigt, dass mit der letzten Zeit anerkannten Diskriminierungs-
diesen Maßnahmen die angestrebten Ziele erreicht gründen die geringsten Fortschritte erzielt wurden.
werden können, wenn bestimmte Voraussetzungen In manchen Fällen kann die Gleichstellung der
erfüllt werden. Geschlechter überlieferten Normen zuwiderlaufen,
39. Um Gleichheit bei der Arbeit durchzusetzen, und ihre Förderung kann als Strategie zur
reicht es daher nicht aus, Diskriminierung zu Schwächung bestimmter Gruppen wahrgenommen
verbieten: Der Status quo muss geändert und die werden – beispielsweise indigener Völker, die
Arbeitswelt muss integrativer gestaltet werden. bereits unter beträchtlichem Druck stehen, ihre
Wie viel Wandel erstrebenswert ist, in welcher kulturelle Identität aufzugeben.
Beziehung und bis zu welchem Zeitpunkt, muss 41. Flexibilität ist zweifellos notwendig; was
auf der Landesebene den nationalen Möglichkei- letztlich zählt, sind jedoch die in der Praxis erziel-
ten entsprechend und unter Berücksichtigung kul- ten Ergebnisse. Dies wiederum erfordert die stän-
tureller und sozialer Empfindlichkeiten entschie- dige Überwachung, Beurteilung und Anpassung
den werden. der ergriffenen Maßnahmen zur Förderung von
40. Das Problembewusstsein in Bezug auf Diskri- Gleichheit, der Auswirkungen dieser Maßnahmen
minierung und die Bereitschaft zu ihrer Bekämp- auf die Situation geschützter Gruppen und der
fung variieren im Lauf der Zeit und nach Diskri- Häufigkeit von Diskriminierung.
minierungsgrund: Beispielsweise ist in den EU-

11
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

2. Diskriminierung messen: Wo stehen wir?

42. Die regelmäßige Erfassung von Daten zur Unterschiede auf Diskriminierung zurückgeführt
Diskriminierung ist eine Voraussetzung dafür, sie werden können, führt Diskriminierung zu
sichtbar zu machen und kostenwirksame Gegen- Ungleichheiten. Sind diese erheblich und von
maßnahmen zu entwickeln. Diskriminierung zu Dauer, macht die Schlussfolgerung Sinn, dass
messen ist auch wichtig, weil sie das Stigma zu Diskriminierung vorliegt. Die regelmäßige Mes-
verringern hilft, das bestimmten Gruppen anhaftet. sung von Ungleichheiten zwischen Gruppen kann
Wenn den Angehörigen dieser Gruppen klar deshalb dazu beitragen, Druck auf die politischen
gemacht wird, dass ihre Benachteiligung das Entscheidungsträger auszuüben, staatliche Hand-
Resultat von Rechtsverletzungen ist, trauen sie lungskonzepte zu beschließen, die auf die Beseiti-
sich vielleicht, ihre Rechte einzufordern und gung dieser Ungleichheiten abzielen. Regressions-
Wiedergutmachung zu verlangen. analysen ermöglichen zu entscheiden, welcher
43. Die Messung und Überwachung von Diskri- Teil des Unterschieds auf Diskriminierung zurück-
minierung sowohl auf der globalen als auch auf geführt werden muss und welcher auf objektiven
der nationalen Ebene ist nicht einfach, wenngleich Faktoren wie Bildung, Berufserfahrung oder
in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt Beschäftigungssektor beruht. Sie liefern somit
wurden. Bestehende Probleme betreffen sowohl, Orientierungshilfen für gezieltere Interventionen
was, als auch, wie gemessen werden sollte. Ein der Politik.
offensichtlicher Weg der Erfassung von Diskrimi- 46. In manchen Ländern sind in Frage kommende
nierung bei der Arbeit ist die Zusammenstellung Unternehmen gesetzlich verpflichtet, Statistiken
und statistische Aufbereitung der Zahl der Dis- zur Zusammensetzung ihrer Belegschaft nach
kriminierungsbeschwerden, der Zahl der ent- Geschlecht oder Rasse zu erstellen, damit ermittelt
schiedenen Fälle und der Zahl der Verurteilungen. werden kann, ob Diskriminierung stattfindet, und
Nützlich an dieser Art von Daten ist, dass sie dazu gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergriffen wer-
beitragen, für Diskriminierung anfällige Gruppen den können. Diese Ergebnisse werden dann den
zu ermitteln, und dass sie Veränderungen der Daten in offiziellen nationalen Statistiken zur
Handlungskonzepte und der Vorgehensweisen in Zusammensetzung der nationalen oder lokalen
der Praxis sowie ihre Wirkung deutlich machen 4. Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nach
44. Diese Daten erfassen jedoch nur einen kleinen Geschlecht oder Rasse gegenübergestellt. Wenn
Teil der tatsächlich stattfindenden Diskriminie- sich Diskrepanzen ergeben, werden die Unter-
rung. Dies gilt insbesondere in Ländern, in denen nehmen aufgefordert, die bemängelte Situation
die Menschen nur in eingeschränktem Maß über abzustellen, indem sie den Anteil der unterreprä-
Rechte und Rechtsbehelfe Bescheid wissen, das sentierten Gruppen am Personal und in den vertre-
geltende Recht nur schwach durchgesetzt wird, die tenen Berufen erhöhen (siehe Teil III, Kapitel 1,
Klageerhebung mühsam sowie kostspielig ist und Abschnitt über die sich wandelnde Arbeitsnach-
Arbeit vorwiegend informell ist. Paradoxerweise frage). Die Zahl der Länder, in denen aktive Anti-
ist eine hohe und steigende Zahl von Diskriminie- diskriminierungsgesetze in Kraft sind, ist noch
rungsbeschwerden gewöhnlich ein Zeichen für klein, nimmt jedoch zu.
Fortschritt: Sie signalisiert ein besseres Verständ- 47. Bei der Messung von Ungleichheiten zwi-
nis dessen, was Diskriminierung ist, und spiegelt schen Gruppen besteht das Problem darin, dass
Vertrauen in die Unparteilichkeit und Effizienz aussagekräftige Daten auf nationaler Ebene nur für
des Justizsystems oder anderer Rechtsbehelfs- einige Diskriminierungsgründe verfügbar sind
mechanismen wider. Deshalb liefert diese Art von (mit großen Unterschieden von Land zu Land),
Daten einen nützlichen, wenngleich unzureichen- und es solche Daten auf globaler Ebene für noch
den Indikator für die Diskriminierungsprobleme in weniger Gründe gibt. Beispielsweise sind Daten
einem Land. zur Religionszugehörigkeit oder zur sexuellen
45. Ein anderer Weg zur Messung von Diskrimi- Orientierung der Bevölkerung im erwerbsfähigen
nierung besteht in der Sammlung von Statistiken Alter spärlich vorhanden, weil in vielen Fällen das
zu Ungleichheiten bei den Arbeitsmarktergebnis- nationale Recht die Weitergabe solcher Daten
sen auf der nationalen Ebene zwischen dominie- verbietet. Dies wirft die wichtige Frage auf, wie
renden Gruppen und Gruppen, die von spezifi- der Schutz personenbezogener Daten und des
schen Formen von Diskriminierung betroffen sind. Rechts des Einzelnen auf den Schutz seiner Privat-
Wenngleich – wie bereits erwähnt – nicht alle sphäre mit der Notwendigkeit der Überwachung
von Diskriminierung mittels statistischer Verfah-
4
S. Bruyère: „The measurement of discrimination and inequa- ren in Einklang gebracht werden kann. In einer
lities: Conceptualization and methodological issues”, für diesen Studie der Europäischen Kommission wird über
Gesamtbericht ausgearbeitetes Papier. eine Reihe von Ländern berichtet, die dieses
Dilemma lösen konnten. Ein entscheidender

12
DEFINITION UND MESSUNG VON DISKRIMINIERUNG

Faktor ist offenbar das Vertrauen in nationale den falschen Eindruck, dass Rassismus ein auf die
Statistikinstitutionen und ihre Fähigkeit, Vertrau- Folgen von Migration begrenztes Phänomen ist 8.
lichkeit und Betriebssicherheit zu gewährleisten, 50. Andere Länder wie Frankreich zögern, Statis-
wenn sie „sensitive“ Daten verwenden 5. tiken zur ethnischen Zusammensetzung ihrer
48. In den letzten Jahren hat sich die Verfüg- Gesellschaft zu erheben. Im Anschluss an die
barkeit von Statistikdaten zu Diskriminierungs- sozialen Unruhen in den Vororten französischer
gründen wie Behinderung erheblich verbessert. Großstädte Ende 2005 hat die Regierung ihr Vor-
Die Vergleichbarkeit zwischen Ländern und gehen gegen rassische Diskriminierung intensi-
zwischen Zeiträumen innerhalb von Ländern ist viert. Die Frage, ob Statistiken erhoben werden
jedoch nach wie vor problematisch. Das IAA hat sollten oder nicht, um Ausmaß und Wesen des
2004 ein Kompendium herausgegeben, das einen Rassismusproblems zu beurteilen, hat zu einer
Überblick über die in 95 Ländern verwendeten hitzigen Debatte in dem Land geführt 9 . Kritiker
Methodologien gibt, die Statistiken zur Beschäfti- verweisen darauf, dass die Quantifizierung der
gungssituation von Behinderten erheben oder zu Nachteile aufgrund der ethnischen Herkunft zu
erheben planen 6 . Die IAO-Richtlinien The größerer gesellschaftlicher Fragmentierung führen
employment situation of people with disabilities: würde, während die Befürworter behaupten, dass
Towards improved statistical information sollten ihre Unterlassung die Situation weiter verschärfen
Anfang 2007 fertig gestellt und veröffentlicht würde 10.
werden. 51. Das Geschlecht ist der Diskriminierungs-
49. Aus dem Blickwinkel der Statistik wurde Dis- grund, bei dem sowohl hinsichtlich der Datenerhe-
kriminierung aufgrund von Rasse oder ethnischer bung und der Berichterstattung auf der Länder-
Herkunft in einer größeren Zahl von Ländern ebene als auch der Entwicklung von Indikatoren
definiert. In den letzten Jahren haben Länder wie für die Gleichstellung der Geschlechter auf regio-
Bolivien, Ecuador und Guatemala große Anstren- naler und internationaler Ebene die meisten Fort-
gungen unternommen, um Daten über ihre indi- schritte erzielt wurden, wenngleich diese immer
genen Völker zu erhalten 7 . Weil Länder jedoch noch unbefriedigend sind (Kasten 1.1). Die
unterschiedliche Klassifizierungskategorien ver- Aktivitäten der Europäischen Kommission haben
wenden, ist ein internationaler Vergleich nicht umfassende Indikatoren für die Gleichstellung der
möglich (Übersicht 1.2). Begriffe wie „Rasse“ Geschlechter in den Bereichen Zugang zu
oder „ethnische Herkunft“ nehmen in unterschied- Beschäftigung, Auflösung von Beschäftigungsver-
lichen nationalen Kontexten eigene und sich unter- hältnissen, Entgelt sowie Maßnahmen zur Verein-
scheidende Bedeutungen an, weil sie das Resultat barkeit von Familie und Beruf hervorgebracht 11.
unterschiedlicher geschichtlicher, sozioökonomi- 52. Zahlreiche Länder haben begonnen, Statisti-
scher und rechtlicher Prozesse sind. Wichtig ist ken zu wichtigen geschlechtsspezifischen Indika-
jedoch, dass Indikatoren wie „Nationalität“ oder toren zu erheben, beispielsweise zu Gewalt gegen
„Geburtsland“ von Auskunftspersonen oder ihren Frauen einschließlich bei der Arbeit oder zu der
Eltern nicht ersatzweise verwendet werden, um die Frage, wie Frauen und Männer die Zeit zwischen
Zusammensetzung einer Gesellschaft nach Rasse bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie der Frei-
oder Ethnizität zu messen. Das „Geburtsland“ ist zeit aufteilen. Insbesondere in den Entwicklungs-
weder ein zuverlässiges Indiz für die „Hautfarbe“ ländern stehen die Aktivitäten in diesem Bereich
noch für andere Merkmale im Zusammenhang mit erst am Anfang, aber indem sie ein Bild von der
der ethnischen Herkunft. Außerdem vermittelt dies Arbeitsbelastung von Männern und Frauen vermit-
teln, liefern sie politischen Entscheidungsträgern,
die beispielsweise an der Steigerung der Erwerbs-
beteiligung von Frauen interessiert sind, nützliche
Hinweise für grundsatzpolitische Entscheidungen.
5
Europäische Kommission: Vergleichende Studie über die
Sammlung von Daten mit dem Ziel der Bemessung des Aus-
maßes und der Auswirkung von Diskriminierung in den Ver-
einigten Staaten, Kanada, Australien, Großbritannien und den 8
Niederlanden (Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Siehe Europäische Kommission: Vergleichende Studie…,
Europäischen Gemeinschaften, 2004), S. 83. a.a.O.
9
6
IAA: Statistics on the employment situation of people with Siehe R. Fauroux: La lutte contre les discriminations
disabilities: A compendium of national methodologies, Arbeits- ethniques dans le domaine de l’emploi (Paris, Ministère de
papier Nr. 40, Hauptabteilung Integration von Grundsatz- l’emploi, de la cohésion sociale et du logement, 2005).
10
politik, Büro Statistik (Genf, 2004). Die meisten dieser Länder Siehe J-B. de Montvalon; L. Van Eeckhout: „La France
verwenden allgemeine Haushaltsbefragungen (40 Prozent) und résiste au comptage ethnique“, in Le Monde, 3. Juli 2006.
Volkszählungen (30 Prozent). Nur ein Zehntel führt spezielle 11
J. Rubery; D. Grimshaw; C. Fagan; H. Figueiredo; M.
Haushaltsbefragungen zum Thema Behinderung durch. Smith: „Gender equality still on the European agenda – but for
7
Siehe J. Renshaw; N. Wray: „Indicadores de pobreza how long?“, in Industrial Relations Journal, Jg. 34, Nr. 5,
indígena” (unveröffentlichtes Dokument, Jan. 2004). S. 484-486.

13
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Übersicht 1.2. In ausgewählten Ländern bei Volkszählungen erhobene Angaben zu Rasse oder
Ethnizität

Land Angabe

Vereinigte Staaten Rasse, Ethnizität bei Lateinamerikanern, Geburtsort,


Staatsangehörigkeit, Abstammung, im Haushalt gesprochene Sprache
Kanada Rasse, Sprache, Abstammung und spezielle Angaben für Angehörige der
Urbevölkerung oder First Nation, Inuit und Métis
Deutschland Nationalität/Staatsangehörigkeit
Brasilien Rasse und Hautfarbe
Südafrika Bevölkerungsgruppe, Staatsangehörigkeit, Geburtsland, im Haushalt
gesprochene Sprache
Mauritius Gemeinschaft, Staatsangehörigkeit, Sprachgruppe
Fidschi Ethnische Gruppe, Geburtsort
Australien Staatsangehörigkeit, indigene Identität, Abstammung, Geburtsland,
Eltern im Ausland oder in Australien geboren, Sprache
Neuseeland Ethnische Gruppe, von maorischer Abstammung, Geburtsland,
Sprache(n), in denen Konversation geführt werden kann

Quelle: J. Allan: International concepts and classifications: Review of the measurement of ethnicity (Wellington, Statistics New Zealand, 2001).

53. Die Organisation für wirtschaftliche Zusam- haben jedoch einen unmittelbaren Einfluss auf die
menarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Chancen und Wahlmöglichkeiten von Frauen auf
Datenbank „Gender, Institutionen und Entwick- dem Arbeitsmarkt.
lung “ (GID) eingerichtet, die vorhandene Indika- 54. Es gibt nicht den einen Indikator, der Fort-
toren für Geschlechter(un)gleichheit im Bildungs- schritte oder das Fehlen derselben bei der Besei-
wesen, im Gesundheitswesen, im Beschäftigungs- tigung von Diskriminierung und der Förderung
sektor und in der politischen Vertretung mit Indi- von Gleichheit bei der Arbeit aussagekräftig
katoren verbindet, die Vorurteile in Institutionen erfassen kann. Stattdessen werden mehrere Indi-
mit einem Einfluss auf das Ausmaß und die katoren benötigt, von denen ein jeder unter-
Formen der Partizipation von Frauen an der schiedliche, aber in einer gegenseitigen Beziehung
Wirtschaft messen 12. Die GID-Datenbank umfasst zueinander stehende Aspekte wie Ungleichheiten
insgesamt 50 Indikatoren für 162 Länder. Die bei den Arbeitsmarktergebnissen misst, die auf
Indikatoren sind in vier Kategorien unterteilt: politische Versäumnisse und Elemente von
Familienrecht (einschließlich von Informationen Diskriminierung hinweisen. Die Verfügbarkeit
über Traditionen im Zusammenhang mit der entsprechender Daten ist uneinheitlich, was
Eheschließung, elterliche Autorität, Verstoßung), sowohl von der Basis als auch den entsprechenden
körperliche Unversehrheit (Genitalverstümmelung Variablen abhängt; es werden jedoch Anstren-
bei Frauen und Mädchen, Vergewaltigung, gungen unternommen, dies abzustellen.
sexuelle Nötigung usw.), bürgerliche Rechte 55. Trotz dieser Defizite zeigen die Daten
(Möglichkeiten für Frauen, sich um ein politisches jedenfalls übereinstimmend, dass die beruflichen
Amt zu bewerben oder sich frei außerhalb des Statusunterschiede zwischen dominierenden und
Hauses zu bewegen) und Eigentumsrechte (Recht für Diskriminierung anfälligen Gruppen von
auf den Besitz von Grundeigentum oder anderes Bedeutung sind und nur langsam verringert
Vermögen). Die GID-Datenbank enthält zahl- werden können. Dies bestätigt erneut die Not-
reiche Parameter, die sich auf Beschäftigung und wendigkeit und den hohen Stellenwert eines
die Arbeitswelt beziehen, und andere wie Tradi- fördernden Umfeldes mit einer Kombination von
tionen im Zusammenhang mit der Eheschließung, Antidiskriminierungsgesetzen und unterstützenden
Bewegungsfreiheit von Frauen und Eigentums- Institutionen für mehr Gleichheit sowie kohä-
rechte von Frauen, die darüber hinausgehen. Alle renten politischen Maßnahmen zur Förderung von
Gleichheit am Arbeitsplatz und darüber hinaus.
12
Internet-Adresse der Datenbank: www.oecd.org/dev/
institutions/ GIDdatabase.

14
DEFINITION UND MESSUNG VON DISKRIMINIERUNG

Kasten 1.1
Welche Fortschritte wurden bei der Messung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten erzielt?

Der VN-Bericht The World’s Women: Progress in Statistics untersucht die offiziellen nationalen Daten für den Zeitraum von
1995 bis 2003 in 204 Ländern. Die Verfasser kommen zu der Schlussfolgerung, dass die beschränkte Verfügbarkeit von
Daten zu Indikatoren für die Gleichstellung der Geschlechter eine Folge von unzureichender nationaler Kapazität im
Statistikbereich, unterlassener Berücksichtigung von Gender-Aspekten in der staatlichen Politik sowie unzulänglichen
Konzepten und Methoden ist. Die Fortschritte bei der Datenerhebung zu geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktindikatoren
waren sowohl in Bezug auf die Indikatoren als auch nach Regionen sehr uneinheitlich. Die wirtschaftlich aktive
Bevölkerung ist der Indikator, zu dem die größte Anzahl von Ländern oder Gebieten nach Geschlecht aufgeschlüsselte
Daten vorgelegt haben, diese Zahl geht jedoch seit 1975 ständig zurück. Am häufigsten wurden Daten aus Europa gemel-
det, am seltensten aus Afrika. 34 der 50 asiatischen Länder stellten nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselte Daten zu
diesem Indikator zur Verfügung; China und Indien gehörten jedoch nicht dazu. Von den 17 Ländern in Ozeanien stellten
nur 17 nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselte Daten zur Erwerbsbeteiligung zur Verfügung; diese entsprachen jedoch
95 Prozent der Bevölkerung. Die Zahl der Länder, die nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten zum von Arbeitslosigkeit
betroffenen Teil der Bevölkerung gemeldet haben, lag etwas niedriger. Im Berichtszeitraum meldeten 87 Länder
mindestens einmal nach Geschlecht und Bildungsstand aufgeschlüsselte Arbeitslosigkeitsdaten. Nur 72 konnten diese
Daten jedoch häufiger bereitstellen. Wichtig zu vermerken ist, dass die größte Verbesserung bei der Datenbereitstellung
Informationen im Bereich von Arbeitslosenstatistiken betrifft. Die Datenerfassung zur nach Geschlecht aufgeschlüsselten
Verteilung der Berufe hinkt weiter hinterher. Zehn von 204 Ländern oder Gebieten konnten Informationen dieser Art
bereitstellen – davon jedoch nur 68 häufig. Mehr als die Hälfte der meldenden Länder lagen in Amerika, Europa oder
Asien. Der Indikator, bei dem die geringsten Fortschritte erzielt wurden, betrifft Statistiken zu nach großem Industriesektor
oder nach Geschlecht aufgeschlüsselten Löhnen. Nur 52 Länder stellten Daten zu diesem Indikator bereit. Wenngleich
dies einen deutlichen Anstieg gegenüber 1995 darstellt, entfallen fast drei Viertel der verfügbaren Daten auf europäische
und asiatische Länder. Obwohl in vielen Ländern ein großer Teil der Arbeitsplätze für Frauen in der informellen Wirtschaft
angesiedelt sind, haben seit 1995 nur etwa 60 Länder diesbezügliche Statistiken zur Verfügung gestellt.
Quelle: VN: The world’s women 2005: Progress in statistics (New York, 2006).

15
TEIL II

Muster von Diskriminierung bei der


Arbeit: Jüngste Entwicklungen
56. Im Bericht Gleichheit bei der Arbeit – ein denen angenommen wird, dass sie zu Erfolg am
Gebot der Stunde wurde gezeigt, dass Diskrimi- Arbeitsplatz führen. Diese Einstellungen wiede-
nierung bei der Arbeit ein bewegliches Ziel ist: rum werden gewöhnlich bestimmten sozialen
Zum einen bestehen seit langem erkannte Dis- Gruppen zugeschrieben, während bei anderen
kriminierungsmuster aufgrund von Geschlecht, Gruppen gemutmaßt wird, dass sie diese Einstel-
Rasse und Glaubensbekenntnis fort, die vielfach lungen nicht haben, wodurch ihnen unabhängig
auch neue Ausdrucksformen annehmen. Zum von ihren Leistungen die Chancengleichheit ver-
anderen können neue Formen beobachtet werden, wehrt wird. Ein bemerkenswerter Aspekt dieses
beispielsweise die Diskriminierung von Menschen globalen Bildes besteht darin, dass unabhängig
mit tatsächlichem oder vermutetem HIV/Aids- von der sozioökonomischen Entwicklung eines
Status oder von Arbeitnehmern an beiden Enden Landes sowie seiner wirtschaftlichen Offenheit
des Altersspektrums. Parallel dazu wurden in und Dynamik bestimmte Gruppen stets die nie-
mehreren Ländern andere Praktiken registriert, drigsten Berufe innehaben und den niedrigsten
beispielsweise solche, die Personen mit Gewohn- Lohn erhalten.
heiten benachteiligen, die als ungesund angesehen 58. Teil II gibt einen Überblick über die neueste
werden. Entwicklung bei den weltweiten Mustern von Dis-
57. Die „Vitalität“ der Diskriminierung bei der kriminierung in Beschäftigung und Beruf: Gegen-
Arbeit hängt eng mit den Veränderungen der stand der Untersuchung sind Fortbestehen und
Strukturen und der Dynamik von Arbeitsmärkten Wandel der seit langem anerkannten Formen von
überall auf der Welt zusammen, die von über- Diskriminierung, (die im Übereinkommen Nr. 111
geordneten wirtschaftlichen und politischen Pro- explizit aufgeführt werden), es wird auf die Hart-
zessen angetrieben werden. Solche Veränderungen näckigkeit der in jüngerer Zeit anerkannten For-
bewirken eine Neudefinition der Strukturen sozia- men eingegangen, und die Verfasser plädieren für
ler Mobilität und sozialer Schichtung und verän- eine genaue Prüfung neu entstehender Praktiken
dern die in der Gesellschaft herrschenden Meinun- am Arbeitsplatz, die Anlass zu Sorge geben.
gen zur Arbeitsethik oder zu Einstellungen, von

17
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

1. Seit langem anerkannte Formen von Diskriminierung

Gleichstellung der Geschlechter in der 62. Die Beschäftigungsquoten von Frauen haben
Arbeitswelt: Ein uneinheitliches Bild ebenfalls in den meisten Regionen zugenommen,
wobei die Unterschiede zwischen den Regionen
59. Um die Diskriminierung aufgrund des
nach wie vor beträchtlich sind. Die höchsten
Geschlechts in Beschäftigung und Beruf wirksam
Beschäftigungsquoten von Frauen werden weiter-
bekämpfen zu können, muss man sowohl ihre
hin in Nordamerika verzeichnet, die niedrigste
Bedeutung als auch ihre Entwicklung im Lauf der
dagegen immer noch im Nahen Osten und in
Zeit verstehen. Angesichts fehlender globaler
Nordafrika (Übersicht 2.2). Während die Beschäf-
Daten zur geschlechtsspezifischen Diskriminie-
tigungsquoten von Frauen gestiegen sind, waren
rung werden Ungleichheiten bei den Arbeitsmarkt-
die von Männern in fünf von acht Regionen leicht
ergebnissen zwischen Männern und Frauen als
rückläufig, insbesondere in Europa (nicht EU)
valide Hilfsgrößen für die Diskriminierung auf-
sowie in Zentral- und Südasien.
grund des Geschlechts verwendet (siehe Teil I,
63. Mit Ausnahme von Ostasien und dem Pazifik-
Kapitel 2). Wenngleich die geschlechtsspezifische
raum sowie von Afrika südlich der Sahara sind die
Ungleichheit mit anderen Formen von Ungleich-
Arbeitslosenquoten von sowohl Männern als auch
heit wie Ungleichheiten aufgrund des Alters oder
Frauen geringfügig zurückgegangen oder weisen
der Rasse koexistiert und in einer Wechselbe-
keine Veränderung auf. Die Arbeitslosenquote von
ziehung steht, sind auf der globalen Ebene Daten
Frauen ist jedoch fast überall nach wie vor höher
zur Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
als die von Männern. Die größten geschlechts-
leichter verfügbar als zur Diskriminierung auf-
spezifischen Unterschiede im Hinblick auf die
grund anderer Personenmerkmale. Aus diesem
Arbeitslosigkeit bestehen im Nahen Osten und in
Grund konzentriert sich dieser Abschnitt auf
Nordafrika sowie in Lateinamerika (Über-
Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in
sicht 2.3). Nordamerika ist die einzige Region mit
Bezug auf eine Reihe von Arbeitsmarktvariablen.
einer höheren Arbeitslosenquote von Männern als
60. Zur Untersuchung des relativen Status von
der von Frauen.
Frauen auf dem Arbeitsmarkt wurden acht Indika-
toren ausgewählt: die Erwerbsbeteiligung, die
nach Geschlecht aufgeschlüsselte Beschäftigungs- Mehr Frauen in unselbstständiger
und Arbeitslosenquote, der Anteil von Frauen an Beschäftigung, aber viele arbeiten
der nicht-agrarischen und der gesamten unselbst- weiterhin unbezahlt
ständigen Beschäftigung, die prozentuale Vertei- 64. Der Anteil von Frauen an der unselbst-
lung arbeitender Frauen (unbezahlt, selbstständig, ständigen Gesamtbeschäftigung im nicht-agrari-
in unselbstständiger Beschäftigung), der Anteil schen Sektor wurde als Indikator zur Messung der
von Frauen in Gesetzgebungs- und Führungsposi- Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen der
tionen und geschlechtsspezifische Einkommens- Millenniums-Entwicklungsziele in Bezug auf die
unterschiede (siehe die Hinweise zur Methodik im Gleichstellung der Geschlechter und die Ermäch-
Anhang). tigung der Frau ausgewählt. Daten zum Anteil von
Frauen an der unselbstständigen Gesamtbeschäf-
Die Erwerbsbeteiligung von tigung wurden darüber hinaus auch gesammelt,
Frauen nimmt weiter zu weil in manchen Ländern in der exportorientierten
61. Die Daten für den Zeitraum von 1995 bis Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren viele
2004 bestätigen, dass die Erwerbsbeteiligung von unselbstständige Arbeitsplätze für Frauen entstan-
Frauen und der Anteil von Frauen an den abhän- den sind (Übersicht 2.4).
gigen Beschäftigungsverhältnissen in fast allen 65. Übersicht 2.4 zeigt, dass in allen Regionen
Regionen der Welt weiter zugenommen hat (Über- der Anteil von Frauen sowohl an der nicht-agra-
sicht 2.1). Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist rischen unselbstständigen Beschäftigung als auch
weiter deutlich gestiegen, sodass sich der an der unselbstständigen Beschäftigung insgesamt
geschlechtsspezifische Unterschied der Erwerbs- um ungefähr 2 Prozent gestiegen ist. Außerdem ist
quoten weltweit auf 3,5 Prozent verringert hat. abgesehen von Südasien der Anteil von Frauen an
Aus Übersicht 2.1 geht hervor, dass der Anstieg der nicht-agrarischen unselbstständigen Beschäf-
am stärksten in Lateinamerika und der Karibik tigung höher als an der unselbstständigen Beschäf-
ausgefallen ist, gefolgt von der Europäischen tigung insgesamt. Dieser Trend bestätigt, dass die
Union, Südasien und – ausgehend von sehr niedri- unselbstständige Arbeit in der Landwirtschaft eine
gen Werten – dem Nahen Osten und Nordafrika. vergleichsweise wichtige Einkommensquelle für
Für Ostasien und den Pazifikraum verzeichnete Frauen in dieser Region verglichen mit anderen
dieser Indikator geringe Zuwächse, während er in ist.
den Transformationswirtschaften und in Afrika 66. Während der niedrigste Anteil von Frauen an
südlich der Sahara fast unverändert blieb. der nicht-agrarischen unselbstständigen Beschäfti-

18
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Übersicht 2.1. Erwerbsquoten von Frauen und Anteil der Frauen als Prozentsatz der Quoten von
Männern, nach Region, 1995-2004 (in Prozent)

Zahl der Erwerbsquoten von Frauen Erwerbsquoten von Frauen als Anteil
Länder oder der Quoten von Männern
Gebiete
1995 2000 2004 1995 2004

Welt 173 54,8 55,7 56,6 66,2 69,6


Ostasien und Pazifik 24 59,5 60,3 61,2 71,6 74,3
Europa (nicht EU) und 23 62,2 60,6 60,9 79,3 80,3
Zentralasien
Europäische Union 25 57,9 60,4 62,0 74,3 80,8
Lateinamerika und Karibik 28 48,1 51,5 53,9 58,0 65,3
Naher Osten und Nordafrika 19 27,5 29,8 32,0 34,0 39,5
Nordamerika 2 68,6 70,4 71,2 83,0 86,7
Südasien 8 39,5 41,3 43,5 46,8 52,6
Afrika südlich der Sahara 44 64,6 63,7 63,0 73,6 73,0
Alle gezeigten Werte sind Mittelwerte.
Quellen: IAA: Key Indicators of the Labour Market (KILM), 4. Auflage (Genf, 2006), Tabelle 1a; IAA: Global Employment Trends Model.

Übersicht 2.2. Anteil der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung nach Geschlecht und Region,
1995-2004 (in Prozent)

Beschäftigungsquote von Frauen Beschäftigungsquote von Männern


1995 2004 1995 2004

Welt 51,2 53 78,4 77,5


Ostasien und Pazifik 58,1 59,3 81,7 80,6
Europa (nicht EU) und Zentralasien 57,3 56,7 71,8 69,6
Europäische Union 52,5 56,9 72,3 72,1
Lateinamerika und Karibik 43,3 49,2 79,3 80
Naher Osten und Nordafrika 23,3 26,8 74,3 74,5
Nordamerika 64,8 68,6 78,2 78,7
Südasien 37,5 40,7 84,2 82,1
Afrika südlich der Sahara 62,6 60,6 83,6 81,6

Quellen: KILM, 4. Auflage, Tabelle 1a; IAA: Global Employment Trends Model.

gung weiterhin im Nahen Osten und Nordafrika gefolgt von Afrika südlich der Sahara sowie von
verzeichnet wird, fiel der Anstieg bei dieser Ostasien und dem Pazifikraum.
Variable in dieser Region am höchsten aus,

19
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Übersicht 2.3. Arbeitslosigkeit nach Geschlecht und Region, 1995-2004

Arbeitslosenquote von Frauen Arbeitslosenquote von Männern


1995 2004 1995 2004
Welt 9,8 9,3 8,4 8,2
Ostasien und Pazifik 4,7 5,0 4,6 5,0
Europa (nicht EU) und
11,2 11,1 11,4 11,2
Zentralasien
Europäische Union 11,1 9,3 9 7,8
Lateinamerika und Karibik 11,8 10,4 8,1 6,8
Naher Osten und Nordafrika 16,9 16,1 10,7 10,6
Nordamerika 7,4 6,1 7,8 6,6
Südasien 8,2 8,1 4 4,1
Afrika südlich der Sahara 7,3 7,6 8,6 9,1
Quelle: Ebd.

Übersicht 2.4. Anteil von Frauen an der nicht-agrarischen unselbstständigen Beschäftigung


(Milleniums-Entwicklungsziel 3) und an der unselbstständigen Beschäftigung
insgesamt,1995-2004 (in Prozent)

Zahl der Länder Anteil von Frauen an nicht- Anteil von Frauen an der
oder Gebiete agrarischer unselbstständiger unselbstständigen
Beschäftigung Beschäftigung insgesamt
1995 2004 1995 2004
Welt 79 41,3 43,5 40,3 42,1
Ostasien und Pazifik 11 43,1 46,5 41,8 44,9
Europa (nicht EU) und 12 43,9 45,7 43,4 44,7
Zentralasien
Europäische Union 22 45,8 47,4 45,4 47,1
Lateinamerika und 22 40,4 42,2 38,6 40,3
Karibik
Mittlerer Osten und 4 24,5 28,2 22,2 24,9
Nordafrika
Nordamerika 2 48,1 49,0 46,5 47,4
Südasien 2 14,3 16,5 17,8 17,6
Afrika südlich der 4 36,0 39,5 35,8 36,0
Sahara
Alle gezeigten Werte sind Mittelwerte.
Quellen: Anteil von Frauen an der nicht-agrarischen unselbstständigen Beschäftigung: Statistische Abteilung der VN – United Nations Common
Database; Anteil von Frauen an der unselbstständigen Beschäftigung: KILM, 4. Auflage, Tabelle 3. Wenn Daten in KILM nicht verfügbar waren,
wurde die Tabelle mit Daten aus Tabelle 2D der IAO-Datenbank für Arbeitsstatistik (LABORSTA) aufgefüllt (gilt primär für Daten für 2004).

67. Wenngleich bei diesen beiden Indikatoren Erträge aus ihrer Arbeit kontrollieren können, ist
weltweit eine positive Entwicklung zu verzeichnen dies ein wichtiger Indikator für den Status von
war, bleibt in vielen Regionen der Anteil von Frauen.
Frauen, die ohne Bezahlung arbeiten, hoch (Abbil- 68. Afrika südlich der Sahara ist die einzige
dung 2.1). Weil unbezahlt mitarbeitende Familien- Region, in der der Anteil der ohne Bezahlung
angehörige weder die Produktionsmittel noch die arbeitenden Frauen an der Zahl der beschäftigten

20
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Abbildung 2.1. Prozentuale Aufteilung von Arbeitnehmerinnen nach Status in der weiblichen
Beschäftigung insgesamt, nach Region, 1995 und 2004

Unbezahlt Selbstständig Arbeitnehmer


100%
73.1 76.0 71.0 71.5 84.2 86.4 69.5 67.8 67.8 71.4 90.9 91.7 19.8 19.6 40.2 40.7

90%

80%
10.7 20.3

70%

60%
43.3 39.2

50%

40%

30% 27.1 12.5


25.1
12.0 14.0 11.1
12.0
12.3
20%

10.9
10.4
10%
8.4 8.0
15.0 11.7 17.0 14.4 4.8 3.2 5.4 5.1 19.7 17.6 0.7 0.3 69.5 60.0 16.5 20.1
0%
1995 2004 1995 2004 1995 2004 1995 2004 1995 2004 1995 2004 1995 2004 1995 2004
Ostasien & Pazifik Europa (ohne EU) Europäische Lateinamerika & Mittlerer Osten & Nordamerika Südasien Afrika südlich der
& Zentralasien Union Karibik Nordafrika Sahara

Quelle: Beschäftigung von Frauen nach Status: KILM, 4. Auflage, Tabelle 3. Wenn Daten in KILM nicht verfügbar waren, wurde die
Tabelle mit Daten aus Tabelle 2D der IAO-Datenbank für Arbeitsstatistik (LABORSTA) aufgefüllt (gilt primär für Daten für 2004).

Frauen insgesamt zugenommen hat, und zwar um sind, Frauen vorwiegend in gering qualifizierten
3,6 Prozent. In allen anderen Regionen war dieser Tätigkeiten anzutreffen sind 1.
Anteil rückläufig, wenngleich mit beträchtlichen 70. Ein anderer Aspekt informeller Arbeit von
Abweichungen. Es bestehen jedoch große Unter- Frauen ist die Hausarbeit. Trotz fehlender globaler
schiede zwischen den Regionen hinsichtlich des Daten zeigen die Belege, dass ein bedeutender und
Anteils von Frauen, die ohne Entgelt arbeiten. größer werdender Teil der erwerbstätigen Frauen
Südasien ist die Region mit dem höchsten Anteil dieser Beschäftigungsform zuzurechnen ist. Dies
unbezahlter weiblicher Arbeitskräfte: Dort arbei- kann partiell auf die Zunahme der Arbeitsmigra-
ten zwei Drittel aller beschäftigten Frauen ohne tion von Frauen zurückgeführt werden (siehe
Bezahlung. Die Region verzeichnete im Berichts- Abschnitt über Arbeitsmigranten).
zeitraum aber auch den stärksten Rückgang dieses 71. Wie bei den Gruppen der „Arbeitnehmer“
Anteils. oder Lohnverdiener ist der Anteil von Frauen in
69. In vielen Regionen ist ein beträchtlicher Teil allen Regionen leicht gestiegen. Ausnahmen bil-
der erwerbstätigen Frauen weiterhin selbständig den Lateinamerika und die Karibik sowie Süd-
tätig. Selbstständigkeit kann als Ersatzindikator asien, wo die Anteile unverändert blieben.
für eine Erwerbstätigkeit im informellen Sektor
verwendet werden, die durch niedrige Bezahlung, Mehr Frauen auf Stellen mit hohem Status,
schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichenden das Lohngefälle besteht jedoch fort
Schutz charakterisiert ist. Eine neuere IAA-Studie
bestätigt, dass ein unverhältnismäßig hoher Anteil 72. Wenn in einem Land ein hoher Anteil von
von Frauen in der informellen Beschäftigung Frauen Angehörige gesetzgebender Körperschaf-
anzutreffen ist und dass im Bereich der selbststän- ten, leitende Verwaltungsbedienstete oder Füh-
digen Erwerbstätigkeit, obschon etwa gleich viele rungskräfte in der Privatwirtschaft sind, wird
Männer wie Frauen selbstständig erwerbstätig daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Frauen
Zugang zu qualitativ hochwertigen Stellen haben.
Wenngleich Frauen in solchen Positionen weltweit
noch deutlich die Minderheit bilden (28 Prozent),

1
R. Galli; D. Kucera: „Gender, informality and employment
flexibility in Latin America“ (erscheint demnächst).

21
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

ist der Aufholprozess in den letzten Jahren und Frauen als wichtigem Grund für anhaltende
ermutigend. Der Anteil von Frauen in solchen geschlechtsspezifische Unterschiede schmälerte.
Positionen mit hohem Status hat in allen Regionen 76. Für den Fertigungssektor sind nach
zugenommen (Übersicht 2.5). Wenngleich der Geschlecht aufgeschlüsselte vergleichbare Lohn-
stärkste Anstieg bei diesem Indikator in Südasien daten allgemeiner verfügbar. Abbildung 2.3 zeigt
verzeichnet wurde (fast eine Verdoppelung inner- die Entwicklung des geschlechtsspezifischen
halb von neun Jahren), ist dies immer noch die Lohngefälles in diesem Sektor zwischen 1995 und
Region mit dem niedrigsten Anteil von Frauen, die 2004 für 37 Länder und Gebiete. Während sich
Angehörige gesetzgebender Körperschaften, lei- das Gefälle in den meisten Ländern und insbeson-
tende Verwaltungsbedienstete oder Führungs- dere in Costa Rica und dem Vereinigten König-
kräfte in der Privatwirtschaft sind. reich verringerte, verzeichneten andere Länder
73. Für den Anteil von Frauen, die solche Positio- (beispielsweise Ägypten, Sri Lanka und El Salva-
nen bekleiden, scheint der Stand der wirtschaftli- dor) gravierende geschlechtsspezifische Einkom-
chen Entwicklung eines Landes nicht ausschlagge- mensunterschiede. Wo diese kleiner wurden, war
bend zu sein. Viele andere Faktoren können dazu die Entwicklung primär auf sinkende Löhne für
herangezogen werden, Unterschiede des Anteils Männer und nicht auf eine höhere Bezahlung für
von Frauen in der Gruppe der Personen, die Ange- Frauen zurückzuführen. Die geschlechtsspezifi-
hörige gesetzgebender Körperschaften, leitende schen Einkommensunterschiede nahmen auch in
Verwaltungsbedienstete oder Führungskräfte in der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS)
der Privatwirtschaft sind, zu erklären. Dazu zählen und den zentral- und osteuropäischen Ländern zu.
Antidiskriminierungsgesetze und -handlungskon- Dies wurde durch die Verschlechterung der
zepte, nationale Stellenklassifizierungen und Arbeitsmarktbedingungen infolge des Übergangs
-kodifizierungssysteme sowie kulturelle Aspekte 2. zur Marktwirtschaft und deren unverhältnismäßig
74. Wie bereits erwähnt, stehen auf globaler starke Auswirkungen auf Frauen erklärt 3.
Ebene präzise und zuverlässige Daten zur Mes- 77. In der gesamten EU ist der Unterschied beim
sung geschlechtsspezifischer Einkommensunter- durchschnittlichen Bruttostundenlohn zwischen
schiede nicht griffbereit zur Verfügung. Außerdem Männern und Frauen über alle Wirtschaftssektoren
verwenden die verfügbaren diesbezüglichen Sta- und Unternehmen mit 15 Prozent hoch geblieben
tistiken unterschiedliche Bezugsgrößen: Manche (Abbildung 2.4). Der Europäischen Kommission
beziehen sich auf Bruttostundenlöhne – sei es zufolge beruht der Unterschied der Verdienstni-
sektorübergreifend oder in bestimmten Sektoren –, veaus von Männern und Frauen auf der „Missach-
andere auf den Verdienst. Unabhängig von der tung der Rechtsvorschriften zum gleichen Entgelt
verwendeten Bezugsgröße belegen die Daten und einer Reihe struktureller Ungleichheiten wie
jedoch übereinstimmend die Existenz wichtiger geschlechtsspezifischen Unterschieden auf dem
Einkommensunterschiede zwischen den Geschlech- Arbeitsmarkt, Unterschieden bei den Arbeitsmus-
tern. tern, dem Zugang zu Bildung und Berufsausbil-
75. Im Bericht Gleichheit bei der Arbeit – ein dung, mit Vorurteilen behafteter Beurteilungs- und
Gebot der Stunde wurde gezeigt, dass signifikante Entgeltsysteme sowie Stereotypen“ 4 . Fehlende
geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede geschlechtergerechte Maßnahmen zur Vereinbar-
weltweit zu den am stärksten verfestigten Merk- keit von Familie und Beruf in manchen EU-
malen von Arbeitsmärkten zählen. Selbst wenn Ländern tragen ebenfalls zum Fortbestehen der
sich die geschlechtsspezifischen Einkommensun- geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede
terschiede in manchen Ländern verringert und in bei.
anderen stagniert haben, arbeiten Frauen im 78. In Lateinamerika sind die Einkommen und
Durchschnitt weiterhin für ein geringeres Entgelt Löhne von Frauen anteilig in allen Ländern
als Männer. Dieser Trend besteht trotz der bemer- bemerkenswert angestiegen, mit Ausnahme von
kenswerten Fortschritte von Frauen bei den Bil- Argentinien (dem einzigen Land mit einem
dungsabschlüssen im Vergleich zu Männern fort Anstieg bei beiden geschlechtsspezifischen Unter-
(Abbildung 2.2). Mit den erwähnenswerten Aus- schieden um etwa 10 Prozentpunkte). Es bestehen
nahmen von Südasien und Afrika südlich der jedoch beträchtliche Abweichungen der Größe der
Sahara war bei Frauen die Bruttobildungsbeteili- geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede
gungsquote im tertiären Bildungsbereich wesent- je nachdem, ob der Verdienst oder der Lohn
lich höher als bei Männern, was die Bedeutung der
„Produktivitätsunterschiede“ zwischen Männern

3
M. Corley; Y. Perardel; K. Popova: Wage inequality by gender
2
R. Anker: „Women's access to occupations with authority, and occupation: A cross country analysis, Employment Stra-
influence and decision-making power“, Arbeitspapier Nr. 44, tegy Papers, 2005/20, S. 19.
4
Hauptabteilung Integration von Grundsatzpolitik (Genf, IAA, Europäische Kommission: Report on equality between women
2005) unter www.ilo.org/public/english/bureau/integra and men 2006 (Luxemburg, Amt für amtliche Veröffentlichun-
tion/download/publicat/4_3_414_wp-44.pdf. gen der Europäischen Gemeinschaften, 2006), S. 10.

22
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Übersicht 2.5. Anteil von Frauen an Gesetzgebungs- und Führungspositionen, 1995 und 2004
(in Prozent)

Zahl der Länder 1995 2004 Absoluter prozentualer Anstieg


oder Gebiete
Welt 73 25,5 28,3 2,7
Nach Regionen
Ostasien und Pazifik 12 20,9 24,8 3,9
Europa (nicht EU) und Zentralasien 10 27,5 29,2 1,7
Europäische Union 22 27,5 30,6 3,1
Lateinamerika und Karibik 16 32,7 35,0 2,3
Mittlerer Osten und Nordafrika 6 9,2 11,0 1,8
Nordamerika 2 38,6 41,2 2,6
Südasien 2 4,6 8,6 4,0
Afrika südlich der Sahara 3 22,1 24,8 2,7
Wenn Daten für 1995 bis 2004 nicht verfügbar waren, wurden die des nächstliegenden verfügbaren Jahres verwandt. Alle gezeigten
Werte sind Mittelwerte.
Quelle: IAA: LABORSTA, Tabelle 2 C (Beschäftigung nach Beruf).

Gegenstand der Betrachtung ist (Übersicht 2.6). Teil der geschlechtsspezifischen Einkommensun-
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim terschiede gleichgesetzt wird, einen nicht unbe-
Verdienst sind nach wie vor etwa 10 bis 20 Pro- deutenden Teil der geschlechtsspezifischen Ein-
zentpunkte größer als beim Lohn. Ausnahmen kommensunterschiede ausmacht, der jedoch je
dazu bilden El Salvador, Paraguay und Venezuela, nach Land und verwendeter Methodologie stark
wo die Unterschiede noch größer ausfallen. variiert. Der nicht zu erklärende Teil der
79. Zwischen 1994 und 2004 war in allen Län- geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede
dern außer der Dominikanischen Republik der beläuft sich in den Industrieländern auf 5 bis
Rückgang der geschlechtsspezifischen Unter- 15 Prozent 6 . In Südafrika 7 und der Republik
schiede bei den Löhnen wesentlich stärker als Korea 8 macht er 20 Prozent der geschlechtsspezi-
beim Verdienst. Die geschlechtsspezifischen fischen Einkommensunterschiede insgesamt aus
Unterschiede beim Verdienst nahmen in Argenti- und in China 9 sowie in Australien 10 sogar 80 Pro-
nien, der Dominikanischen Republik und Nicara- zent. In Frankreich erhöht sich der nicht zu erklä-
gua zu. rende Teil der geschlechtsspezifischen Einkom-
80. In den letzten Jahren wurde in Industrie- und mensunterschiede mit zunehmendem Alter: Bei
Entwicklungs- sowie in Transformationsländern
eine Reihe von Studien mit dem Ziel durchgeführt,
zu ermitteln, welcher Teil der geschlechtsspezifi-
schen Einkommensunterschiede auf Diskriminie-
rung und welcher auf objektive Faktoren wie Bil- 6
M. Gunderson: „Viewpoint: Male-female wage differentials:
dung, Berufserfahrung und in bezahlte Arbeit How can that be?“, in Canadian Journal of Economics, Jg. 39,
investierte Zeit zurückzuführen ist 5. Die meisten Nr. 1 (2006), S. 1-21.
Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass 7
C. Grün: „Direct and indirect gender discrimination in the
Diskriminierung, die mit dem nicht zu erklärenden South African labor market“, in International Journal of
Manpower, Jg. 25, Nr. 3/4 (2004), S. 321-342.
8
5 E. Monk-Turner; C. Turner: „The gender wage gap in South
A.Y.C. Liu: „Gender wage gap in Viet Nam: 1993 to 1998“,
Korea: How much has changed in 10 years?“, in Journal of
in Journal of Comparative Economics, Jg. 32, Nr. 3 (Sept.
Asian Economics, Jg. 15, Nr. 2 (2004), S. 415-424.
2004), S. 586-596; C.J. Gerry; B.-Y. Kim; C.A. Li: „The gen- 9
der wage gap and wage arrears in Russia: Evidence from the S. Demurger; M. Fournier; Y. Chen: „The evolution of
RLMS“ in Journal of Population Economics, Jg. 17, Nr. 2 gender earnings gaps and discrimination in urban China: 1988-
(Juni 2004), S. 267-288; T. Gálvez: „Discriminación de género 1995“, Forschungspapier, Hong Kong Institute of Economics
en el mercado laboral de América Latina: La brecha de ingre- and Business Strategy, 2005.
10
sos 2001“, Kap. III, in L. Abramo (Hrsg.): Trabajo decente y A.C. Preston: „Female earnings in Australia: An analysis of
equidad de género en América Latina (Santiago, IAA, 2006), 1991 Census data“, in Australian Bulletin of Labour, Jg. 26,
S. 95-128. Nr. 1 (2000), S. 38-58.

23
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Abbildung 2.2. Verhältnis der weiblichen zur männlichen Bruttobildungsbeteiligungsquote im


Grundschul-, Sekundar- und Tertiärbereich, nach Region, 2002-03
1.6

1.4

1.2

1.0

0.8

0.6

0.4

0.2

0.0
Südasien Afrika südlich der Ostasien & Welt Europa (ohne Europäische Nordamerika Mittlerer Osten & Lateinamerika &
Sahara Pazifik EU) & Union Nordafrika Karibik
Zentralasien

Region

Grundschule 2002/03 Sekundarbereich 2002/03 Tertiärbereich 2002/03

Quelle: UNESCO: Education for all Global Monitoring Report 2007 (Paris, 2006): Tabelle 5 (Participation in primary education); Tabelle 8 (Partici-
pation in secondary and post-secondary non-tertiary education); Tabelle 9 (Participation in tertiary education).

Abbildung 2.3. Geschlechtsrspezifisches Lohngefälle im Fertigungssektor,


ausgewählte Länder und Gebiete, 1995 und 2004
(Unterschied zwischen Löhnen von Frauen und Männern in Prozent)
60.0

50.0

1995 2004
40.0

30.0

20.0

10.0

0.0
Au gen
r
Sr den

Le ka

he Dän lien

en
nd

nd
nd
de
nd

Äg nd
Bu pten

igr en

his Öst arn

ep h

Jo gien
an nien

Zy a
Si ern
B pur
za lien

Re Bot an
k K na
Ba ea
ain
k

Un iz
rw d

Fi tan

sta h
Sc ica

Ge ina
k
Lit n

en
Sc ado

pu mar

Ho Lux ubli

hin
ic
No tlan

Co eidc
ra

ko mbu
an

Ne nnla
Ni eela
lan
De Irla

or
au
Ka Isla

la

ri

pu sua
eif
hw

ch erre
R

hr
h
s

p
a
kI

Ga rasi
a
e
e

s K lga

Ja
or
a
,C
ch

ch

,C
y

ng
lv

str
t
iL

str
e
hw

er

rd
bli
Sa

e
uts
sa

us

ng
eR
ed

bli
ön
El

iw
Re

Ta
ng

nd
gte

ec

du
isc

ini

ch
re

lan
am

Ts
Ve

an
Isl

rd
tjo
es
W

Quelle: Berechnungen auf der Grundlage von KILM, 4. Auflage, Tabelle 15.

24
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Abbildung 2.4. Geschlechtsspezifisches Lohngefälle, ausgewählte europäische Länder,


ausgewählte Jahre (Unterschied zwischen Löhnen von Frauen und Männern
in Prozent)
35

30

25

20

15

10

0
ch
rn

nd

nd

en

ch
e

rg

l1
n2
nd

n1

d2

n1
ar
nd
ue

ic
ar

ie

ga
pe

bu
ei

ei
la

la

ed
an
ie
tla

ie

lie
re

an
em
ng
rla
ta

gr

kr
ch

en
än

lg

rtu
Zy

Ita
er
Es

hw
Irl

Sp
Li

an

Be
ni

de

än
xe
ts

ch
um

Po
st

Sc
eu

Fr
Ö
ie

D
Lu

rie
R
N

D
s

G
te
ig

Länder
in
re
Ve

1995 1999 2004

1 Unterbrochene Reihe 2 Vorläufige Angaben


Quelle: Eurostat, unter epp.eurostat.ec.europa.eu.

Frauen unter 35 Jahren beträgt er 6 Prozent der besondere in Ländern, in denen die Erwerbsquote
Einkommensunterschiede zwischen Männern und von Frauen traditionell niedrig war. Gleichzeitig
Frauen, wohingegen sich dieser Wert für Frauen fielen trotz der bemerkenswerten Verbesserungen
über 35 Jahre verdoppelt 11. bei den Bildungsabschlüssen von Frauen die
81. Diskriminierung beim Entgelt kann unmittel- Fortschritte bei der Verringerung der geschlechts-
bar sein, wenn sie sich auf gleiche oder ähnliche spezifischen Unterschiede in Bezug auf die
Stellen bezieht, bzw. mittelbar, wenn sie sich auf Besetzung von Stellen mit hohem Status und das
unterschiedliche Stellen gleichen Werts bezieht. Arbeitseinkommen beträchtlich kleiner aus. Dies
Belege zeigen, dass beide Formen überall nach unterstreicht die Notwendigkeit anhaltender
wie vor ein Problem darstellen. In den Industrie- Bemühungen, die Chancengleichheit von Frauen
ländern wurden Probleme der unmittelbaren Dis- im Beschäftigungssektor zu fördern, unmittelbare
kriminierung beim Entgelt in Bezug auf Fach- und und mittelbare Diskriminierung aufgrund des
Führungspositionen und Handwerksberufe festge- Geschlechts beim Entgelt zu bekämpfen und
stellt 12. Frauen zu ermöglichen, bezahlte Arbeit und Auf-
82. Die Situation von Frauen auf dem Arbeits- gaben in Haushalt und Familie besser zu verein-
markt hat sich seit 1995 überall auf der Welt deut- baren.
lich verbessert. Ihre Beschäftigungsquoten sind
ebenso wie ihre Erwerbsquoten gestiegen, und
zwar schneller als die von Männern. Dies gilt ins-

11
Ministère de l’emploi, de la cohésion sociale et du logement:
„Les écarts de salaries horaires entre hommes et femmes en
2002: Une évaluation possible de la discrimination salariale“,
in Premières synthèses, Nr. 22/1 (Juni 2006), S. 6.
12
Pay Equity Task Force: Pay Equity: A new approach to a
fundamental right, Final Report 2004 (Ottawa, 2004), S. 171,
unter www.payequityreview.gc.ca.

25
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Übersicht 2.6. Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen in Lateinamerika, 1994


und 2004 (in Prozent)

Unterschiede beim Erwerbseinkommen 1 Lohnunterschiede 2

1994 2004 1994 2004


Argentinien 71 61 76 68
Bolivien 54 61 61 77
Brasilien 56 66 61 87
Chile 67 64 70 83
Costa Rica 69 75 75 85
Dominikanische Republik 75 68 90 89
Ecuador 67 67 76 87
El Salvador 63 73 79 100
Guatemala 55 58 70 80
Honduras 63 76 73 95
Kolumbien 68 77 83 99
Mexiko 57 63 68 78
Nicaragua 77 69 77 82
Panama 71 76 75 85
Paraguay 60 70 64 95
Peru 60 61 73 78
Uruguay 61 72 63 71
Bolivarische Republik Venezuela 70 76 83 99
Unterschied berechnet als der Quotient des durchschnittlichen Einkommens von Frauen und des durchschnittlichen Einkommens von
Männern, multipliziert mit 100. Wenn Daten für 1994 und 2004 nicht verfügbar waren, wurden die des nächstliegenden verfügbaren
Jahres verwandt.
1 Das Erwerbseinkommen entspricht dem Einkommen aller erwerbstätigen Personen (selbstständige Arbeitnehmer, abhängig

Beschäftigte, Arbeitgeber). 2 Löhne entsprechen dem Einkommen abhängig Beschäftigter.


Quelle: Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC): Social Panorama of Latin America 2005 (Santiago, Ver-
einte Nationen, 2006), Statistischer Anhang, Tabelle 26.

26
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Die Persistenz rassischer und ethnischer sich jedoch je nach den betroffenen Gruppen und
Diskriminierung werden im weiteren Verlauf getrennt voneinander
untersucht.
83. Diskriminierung aufgrund der Rasse 13 stellt
weiterhin ein sich der Bekämpfung hartnäckig
widersetzendes Problem dar: Es nimmt in Ländern Menschen afrikanischer Abstammung
wie Brasilien und Südafrika, die vor einiger Zeit 86. In mehreren Ländern ist in den letzten Jahren
begonnen haben, dagegen vorzugehen, langsam eine kleine schwarze Mittelklasse, bestehend aus
ab, legt in Ländern, die es immer noch leugnen, gemeinhin als „Schwarze“ bezeichneten Men-
eine beträchtliche Vitalität an den Tag, und hält schen afrikanischer Abstammung, entstanden. Die
sich zäh selbst in Ländern, die sie seit langem Mehrheit von ihnen ist jedoch weiterhin mit
anerkennen. unverhältnismäßig hohen Anteilen unter den
84. Frühere Konflikte oder Bürgerkriege zwi- Arbeitslosen und am unteren Ende der Stellen-
schen Angehörigen verschiedener Rassen oder und Lohnskala anzutreffen. Dies gilt überall und
ethnischer Gruppen haben in Teilen Afrikas und in ist unabhängig von den sozioökonomischen
Osteuropa den Rassismus verschärft, beispiels- Umständen der Länder, in denen sie leben.
weise im ostafrikanischen Seenhochland oder im 87. In den Vereinigten Staaten beispielsweise
Kaukasus und auf dem Balkan. Weltweit haben sind die rassenbedingten Lohnunterschiede weiter-
die zunehmende Arbeitsmigration und die daraus hin beträchtlich: Manchen politischen Analysten
resultierenden Befürchtungen in den Zielländern zufolge wird eine Parität der Qualifikationen zwi-
die Feindseligkeit gegenüber Arbeitsmigranten schen der schwarzen und der weißen Bevölkerung
und Arbeitnehmern ausländischer Abstammung – frühestens 2050 möglich sein 14 , was bedeutet,
mögen sie Bürger des Landes geworden sein, in dass auch die Lohnunterschiede weiter bestehen
dem sie arbeiten, oder nicht – angeheizt. werden.
88. Rassenbedingte Vorurteile scheinen nicht
Sind Rassismus und Armut untrennbar nachzulassen: Viele Arbeitgeber halten schwarze
Arbeitnehmer, besonders wenn sie jung und
miteinander verbunden? männlich sind (siehe Abschnitt über Altersdiskri-
85. Von rassischer Diskriminierung sind weltweit minierung in Kapitel 2), nach wie vor für faul,
Millionen von Arbeitnehmern betroffen. Dazu unehrlich und gewalttätig 15 . Die Tatsache, dass
zählen Schwarze, Angehörige ethnischer Minder- immer mehr junge Schwarze Gefängnisstrafen
heiten und indigener Völker, Bürger ausländischer verbüßen, in Verbindung mit ihrer geringen oder
Abstammung und Arbeitsmigranten. Sehr häufig fehlenden Berufserfahrung macht sie besonders
sind diejenigen, die rassisch oder ethnisch diskri- anfällig für die Stereotypisierung 16 . Wenngleich
miniert werden, sehr arm. Jahrhundertelange schwarze Frauen gewöhnlich einen höheren Bil-
Ungleichbehandlung in allen Lebensbereichen in dungsstand als Männer und bessere Chancen
Verbindung mit anhaltenden und tief greifenden haben, eine Management- und Fachposition zu
ethnischen sozioökonomischen Ungleichheiten bekleiden, verdienen schwarze Männer mehr als
erklären ihr schlechtes Abschneiden bei Bildungs- vergleichbare schwarze Frauen, was auf das Vor-
abschlüssen und beruflichem Status, die sie errei- handensein geschlechtsspezifischer Diskriminie-
chen. Diese Defizite machen sie wiederum anfällig rung beim Entgelt schließen lässt. Infolgedessen
für die Zuschreibung ethnischer Stereotypen, wäh- sind mehr schwarze Frauen von Armut betroffen
rend die soziale und geografische Ausgrenzung als schwarze Männer (26,7 gegenüber 22,8 Pro-
ethnische Ungleichheiten perpetuiert, wodurch bei zent) 17.
Mehrheitsgruppen herrschende Eindrücke von 89. Im Vereinigten Königreich sind Personen
„Minderwertigkeit“ oder „Abscheu“ verstärkt schwarzafrikanischer oder karibischer Herkunft
werden. Die Dynamik und die Erscheinungsfor- weiterhin von höherer Arbeitslosigkeit sowie
men von rassischer Diskriminierung unterscheiden unfairer Behandlung betroffen und erhalten vor
13
Die Begriffe „Rasse“ und „Rassismus“ werden häufig ober- 14
D. Neal: Why has black-white skill convergence stopped?,
flächlich zur Bezeichnung von Sprachgruppen oder Minder- Working Paper 11090, (Cambridge, MA, National Bureau of
heiten verwendet, deren Identität auf religiösen oder kulturellen Economic Research), Jan. 2005, unter papers.nber.org/papers/
Merkmalen oder sogar auf nationaler Abstammung beruht. w11090.pdf?new_window=1.
Eine andere Hautfarbe ist nur eines der ethnischen Merkmale, 15
Siehe J. Faundez: „Racism and employment“, in Dimensions
allerdings das offensichtlichste, weshalb es häufig im Zusam-
of racism (New York und Genf, Vereinte Nationen, 2005),
menhang mit dem Diskriminierungsgrund „Rasse“ in Ver-
S. 57.
fassungen oder Gesetze Eingang findet, die in bestimmten 16
Ländern zum Diskriminierungsverbot verabschiedet werden. E. McCrate: Why racial stereotyping doesn’t just go away:
Allgemein gilt jede Form von Diskriminierung einer ethni- The question of honesty and work ethic, Working Paper Series
schen Gruppe als Rassendiskriminierung. Siehe IAA: Equality No. 115 (Apr. 2006), Political Economy Research Institute,
in employment and occupation, Special Survey on Equality in University of Massachusetts, Amherst.
17
Employment and Occupation in respect of Convention J.D. McKinnon; C.E. Bennett: We the people: Blacks in the
No. 111, Bericht III (Teil 4B), Internationale Arbeitskonferenz, United States, Census 2000 Special Reports (US Census
83. Tagung, Genf, 1996, Abs. 30 und 31. Bureau, Aug. 2005).

27
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

allem Stellen mit geringen Qualifikationsanfor- Institute (NALEDI), dass Schwarze und insbeson-
derungen und niedriger Bezahlung. Nach den dere schwarze Frauen am Arbeitsplatz noch immer
Ergebnissen der offiziellen Erhebung Citizenship diskriminiert werden 23. Die Hauptaufgabe besteht
Survey 18 ist es bei Schwarzen am häufigsten der in der Förderung wirtschaftlicher Gleichheit für
Fall, dass ihnen eine Stelle verwehrt wird, und die überwiegende Mehrheit von Schwarzafrika-
wahrscheinlicher als bei anderen, dass ihnen in nern durch grundsatzpolitisches staatliches Han-
den letzten 5 Jahren eine Stelle verwehrt wurde. deln wie eine integrative Bildungspolitik oder die
Dementsprechend bleibt die Beschäftigungsquote Umverteilung von Grund und Boden, die zwar
von Schwarzen niedrig, wohingegen ihre Arbeits- auch der Bekämpfung von Diskriminierung
losenquoten die höchsten sind: 13 Prozent für dienen, aber darüber hinausgehen.
Schwarze afrikanischer Herkunft und 12 Prozent 91. Die Mobilisierung der Zivilgesellschaft, ins-
für Schwarze karibischer Herkunft – mehr als besondere der Schwarzenbewegung, und staatli-
doppelt so hoch wie die Arbeitslosenquote von ches Handeln waren die Voraussetzungen dafür,
Weißen (5 Prozent). Alle weißen Auskunftsperso- dass in Brasilien Veränderungen begonnen haben.
nen stimmten der Aussage zu, dass rassenbedingte Daten zeigen, dass sich die Stundenlöhne der die
Vorurteile im Vereinigten Königreich in den Mehrheit bildenden schwarzen Frauen und
letzten fünf Jahren zugenommen haben 19 . Sollte Männer im Vergleich zu denen weißer Männer seit
die Beschäftigungsquote von schwarzen Arbeit- 2001 erhöht haben (Abbildung 2.5). Zu diesen
nehmern so niedrig bleiben wie derzeit, könnte es Ergebnissen haben die Inflationsbekämpfung und
Schätzungen zufolge 46 Jahre dauern, bevor die Nettozuwächse des Realmindestlohns beigetra-
Beschäftigungsunterschiede zwischen Schwarzen gen 24.
und Weißen aufgehoben sein werden 20.
90. Die Einführung der Demokratie in Südafrika Die Roma
Mitte der neunziger Jahre resultierte in einer
92. Die schlechte Behandlung und die extreme
Verbesserung des Verdienstes der schwarzafri-
Armut der Roma, die gewöhnlich auch als Zigeu-
kanischen Arbeitnehmer im Vergleich zu den
ner bezeichnet werden, mit 10 Millionen Angehö-
Angehörigen aller anderen Rassen. Die wirt-
rigen jedoch die größte ethnische Minderheit in
schaftliche Öffnung und der beispiellose Zustrom
Europa bilden 25, ist eines der drängendsten politi-
in den formellen Arbeitsmarkt neu eintretender
schen, sozialen und Menschenrechtsprobleme für
Arbeitnehmer nach dem Ende der Apartheid
ein sich erweiterndes Europa. Dies war der Anlass
hatten jedoch dazu geführt, dass diese Zuwächse
für die Ausrufung der „Dekade zur Eingliederung
bis 2001 fast vollständig wieder verloren gegan-
der Roma“ (2005-15), der ersten grenzüberschrei-
gen waren. Und die Verdienstunterschiede
tenden Initiative zur Veränderung des Lebens die-
bestehen bis heute in erheblichem Maß fort. Die
ser Menschen in der Region 26.
Arbeitslosenquoten sind bei den Schwarzafrika-
93. Die Daten zu ihrer Beschäftigungssituation
nern am höchsten 21 , und betroffen sind insbe-
sind nicht genau dokumentiert; nach jüngsten
sondere gering qualifizierte und aus ländlichen
Schätzungen der Europäischen Kommission 27 und
Gebieten stammende Personen 22 . Trotz der
des Entwicklungsprogramms der Vereinten Natio-
nachdrücklichen Maßnahmen der Regierung und
nen (UNDP) 28 ist ihre Beschäftigungssituation
der Sozialpartner zur Bekämpfung von rassenbe-
jedoch alarmierend. In Ländern wie Albanien,
dingter und anderer Diskriminierung und manchen
Fortschritten zeigt eine neuere Erhebung des
National Labour and Economic Development
23
NALEDI: The workers’ survey for COSATU, Aug. 2006,
unter www.naledi.org.za.
18 24
S. Kitchen; J. Michaelson; N. Wood: 2005 Citizenship IAA: Trabalho decente e desigualdade racial no Brasil
Survey – Race and faith topic report (London, Department for (erscheint demnächst).
Communities and Local Government, Juni 2006), unter 25
Generaldirektion Beschäftigung und Soziales. Die Situation
www.communities.gov.uk/pub/34/CitizenshipSurveyTopicrepo der Roma in der erweiterten Europäischen Union (Luxemburg,
rtraceandfaith_id1501034.pdf. Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen
19
Commission for Racial Equality (Vereinigtes Königreich): Gemeinschaften, 2004), S. 6, Abs. 7.
Factfile 1: Employment and ethnicity (Apr. 2006), unter 26
Dabei handelt es sich um eine von der internationalen
www.cre.gov.uk/research/factfiles.html. Gemeinschaft unterstützte, gemeinsame Maßnahme von acht
20
Gewerkschaftskongress (TUC): „Fifty years to plug ethnic Ländern in Mittel- und Südosteuropa, siehe www.romadecade.
minority employment gap, says TUC“, 5. Juli 2005, unter org.
www.tuc.org.uk/equality/tuc-10161-f0.cfm. 27
Die Situation der Roma in der erweiterten Europäischen
21
Statistics South Africa: March 2006 Labour force survey, Union, a.a.O., S. 23. Siehe auch A. Gil-Robles, Menschen-
unter www.statssa.gov.za/publications/P0210/P0210March rechtskommissar: Final report on the human rights situation of
2006.pdf. the Roma, Sinti and Travellers in Europe, 15. Febr. 2006, Amt
22
P.G. Leite; T. McKinley; R.G. Osorio: The post-apartheid des Menschenrechtskommissars, Europarat, CommDH(2006)1.
28
evolution of earnings inequality in South Africa 1995-2004, UNDP: At risk: Roma and the displaced in the Southeast
(Brasilia, International Poverty Centre, UNDP, 2006), Working Europe (Bratislava, UNDP-Regionalbüro für Europa und die
Paper No. 32, Okt. 2006. Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, 2006), S. 41.

28
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Abbildung 2.5. Mittlerer Stundenlohn weißer und schwarzer Frauen sowie schwarzer Männer als
Prozentsatz des Stundenlohns weißer Männer, Brasilien, 1992-2005
80
75
72 72
70 67 67 67
64 64 65 64
63 63
60 60 59 59
60 58
55 55 54
51 52 51
50 49 49 50
50
45 44 45 44

40
34 35
33 32 33
30

20

10

0
1992 1993 1995 1996 1997 1998 1999 2001 2002 2003 2004 2005

Weiße Frauen Schw arze M änner Schw arze Frauen

Quelle: IAA, berechnet auf Grundlage von Daten des Brasilianischen Geographie- und Statistikinstituts (IBGE).

Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, nehmern, die unabhängig von ihrem Bildungs-
der ehemaligen jugoslawischen Republik Maze- stand Arbeit für Ungelernte ausüben. Die Belege
donien, Montenegro, Rumänien, Serbien und dem zeigen jedoch, dass Roma in gemischten und inte-
Kosovo beträgt die Arbeitslosenquote von Roma grierten Siedlungen unabhängig vom Geschlecht
und insbesondere von Roma-Frauen zwischen 50 die Sekundarstufe abgeschlossen hatten und Stel-
und 90 Prozent. Während ihre Beschäftigungs- len im formellen Sektor innehatten. Dies legt die
quote insgesamt niedrig ist, ist sie für Roma bis zu Vermutung nahe, dass eine geringere sozialräumli-
24 Jahren höher als für die Bevölkerungsmehrheit, che Segregation zu besseren sozialen Ergebnissen
was bei ihnen auf eine hohe Inzidenz von führt 32.
Kinderarbeit schließen lässt 29 (Abbildung 2.6). 95. Negative Einstellungen ihnen gegenüber sind
94. Wichtige Faktoren sind geringe Bildungs- nicht das einzige Problem; das geltende Recht
erfolge infolge niedriger Schulbesuchsquoten auf- kann ebenfalls Hürden errichten. In Rumänien
grund fehlender finanzieller Mittel für Kleidung, beispielsweise müssen Bewerber für eine beliebige
Schreibutensilien und Mahlzeiten und eine Über- Stelle eine mindestens achtjährige Grundschul-
repräsentanz in Schulen für körperlich oder geistig bildung nachweisen, wodurch Menschen mit
Behinderte 30. Aber selbst Roma mit einem Hoch- einem unterdurchschnittlichen Bildungsstand
schulabschluss haben eine doppelt so hohe schwer benachteiligt werden 33. In anderen Fällen
Arbeitslosenquote wie der Mehrheit angehörende konnten Roma jedoch aufgrund des geltenden
Sozialarbeiter mit einem identischen Bildungs- Rechts erfolgreich gegen ihre Diskriminierung
abschluss. Gleichzeitig ist ihr Entgeltzuwachs für klagen (siehe Kasten 2.1).
jedes zusätzliche Bildungsjahr wesentlich niedri-
ger als bei der Mehrheit, was zu beträchtlichen
ethnisch bedingten Einkommensunterschieden
führt 31 . Ihre Diskriminierung manifestiert sich
auch im höheren Prozentsatz von Roma-Arbeit-
29
Ebd., S. 48. 32
D. Ringold; M. Orenstein; E. Wilkens, a.a.O., S. 74.
30
D. Ringold; M. Orenstein; E. Wilkens: Roma in an expan- 33
F. Nasture: „Comparing Romanian policies on employment:
ding Europe (Washington DC, Weltbank, 2005), S. xv. Lessons for the Roma Decade“, in Eumap.org, Aug. 2005,
31
UNDP, a.a.O., S. 51. unter www.eumap.org.

29
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Abbildung 2.6. Beschäftigungsquoten der Roma und der Mehrheit, nach Altersgruppe,
% Südosteuropa, 2004 (in Prozent)
70
65
61
60

50
45

40
40

Mehrheit
30
24
Roma
20
21
14

10 12
5
3
1 1
0
5 bis 9 10 bis 14 15 bis 24 25 bis 44 45 bis 59 60 und älter
Altersgruppe
Quelle: UNDP: At risk: Roma and the displaced in Southeastern Europe (Bratislava, UNDP-Regionalbüro für Europa und die Gemeinschaft
Unabhängiger Staaten, 2006), S.48.

Kasten 2.1
Ein Gericht verurteilt die Diskriminierung eines Roma-Arbeitnehmers

Am 16. November 2005 gewann ein Roma auf der Grundlage des bulgarischen Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung
ein Verfahren vor dem Bezirksgericht der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Der Kläger hatte sich 2003 bei einem Nahrungs-
mittelhersteller beworben. Ihm war telefonisch mitgeteilt worden, dass die einzige Anforderung sei, männlich und unter
30 Jahre alt zu sein, Roma sich jedoch nicht zu bewerben bräuchten. Als die Anzeige 2004 erneut erschien, bewarb er sich
ein weiteres Mal und verschwieg beim Einstellungsgespräch, dass er Rom war. Bei dem Einstellungsgespräch vermittelte
ihm die Geschäftsleitung den Eindruck, es sei unwahrscheinlich, dass er eingestellt würde. Mehrere Wochen später teilte
man ihm tatsächlich mit, er sei nicht eingestellt worden. Das Unternehmen unterließ es, ihm mitzuteilen, dass
unzureichende Qualifikationen der Grund für die Nichteinstellung waren. Das Gericht sah jedoch genügend Anscheins-
beweis für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ethnizität des Bewerbers und der Entscheidung des Unter-
nehmens, ihn nicht einzustellen. Dies ist ein Beispiel für ein Gerichtsurteil, in dem die unmittelbare ethnische Diskriminie-
rung bei der Anwerbung und Einstellung von Beschäftigten anerkannt und verurteilt wurde.
Quelle: Europäisches Roma-Rechtszentrum (ERRC): Bulgarian court fines employer for denying access to employment to Roma,
16. November 2005, unter www.errc.org.

30
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Indigene und Stammesvölker Indigene Arbeitnehmer verdienen im Durchschnitt


96. Eine weitere Gruppe, die unverhältnismäßig etwa die Hälfte von dem, was nicht-indigene
stark von Armut und insbesondere chronischer Arbeitnehmer bekommen. Zwischen 25 und
Armut betroffen ist, bilden die indigenen und 50 Prozent des Einkommensunterschiedes ist auf
Stammesvölker. Trotz eines Anteils von lediglich Diskriminierung und nicht beobachtbare Aspekte
5 Prozent an der Weltbevölkerung machen sie wie die Qualität der Schulbildung zurückzu-
mehr als 15 Prozent der Armen auf der Welt aus. führen 36 (Abbildung 2.7).
Die Ursache für diesen Stand der Dinge ist gesell- 100. Die Einkommensunterschiede nehmen mit
schaftlicher und institutioneller Rassismus wäh- der Bildung zu: Am stärksten betroffen sind quali-
rend der Kolonialherrschaft und nach der Unab- fizierte indigene Arbeitnehmer und Fachkräfte.
hängigkeit in Verbindung mit der Verwehrung Die Bildungserträge sind daher für Indigene
ihrer Rechte als eigenständige Völker einschließ- kleiner als für Nicht-Indigene, was dazu führt,
lich der Rechte auf Zugang zu ihren angestammten dass für indigene Haushalte ein negativer Anreiz
Gebieten und der Kontrolle darüber. besteht, in weiterführende und höhere Bildung zu
97. Das Vordringen in ihre traditionellen Gebiete investieren. Eine weitere Determinante für Diskri-
und deren Besitzergreifung de jure oder de facto minierung ist das Geschlecht: Die Einkommens-
haben unvermindert angehalten, sind die wichtige unterschiede fallen bei indigenen Frauen noch
Ursache der Verarmung dieser Völker und bilden größer aus als bei indigenen Männern (Abbil-
nach wie vor den Kern ihrer misslichen Lage. dung 2.8). Während der neunziger Jahre blieben
Wegen des Landraubs sind sie zur Existenzsiche- die auf Diskriminierung beruhenden Einkommens-
rung auf Lohnarbeit angewiesen, deren Bedeutung unterschiede zwischen indigenen und nicht-indi-
weiter zunehmen wird. Auch die Arbeitsmigration genen Arbeitnehmern in Lateinamerika fast unver-
– binnenstaatlich oder grenzüberschreitend – ändert.
scheint zuzunehmen (Kasten 2.2) 34. 101. Diskriminierung beim Entgelt umfasst bei
98. In Vietnam lässt sich nur die Hälfte des Angehörigen von indigenen und Stammesvölkern
Unterschiedes der Pro-Kopf-Ausgaben zwischen beträchtlich niedrigeren Lohn für die gleiche
der indigenen Khin-Mehrheit und der Hoa-Min- Arbeit, Entgeltleistung teilweise oder vollständig
derheit einerseits und den anderen ethnischen in Naturalien 37 und Verzögerungen der Entgelt-
Minderheiten andererseits auf Unterschiede des leistung. Eine Folge dieser Praktiken ist, dass in
Sach- und Humankapitals zurückführen. Der ver- mehreren Regionen 38 einschließlich Afrikas
bleibende Teil ist das Resultat einer weniger gün- (Kasten 2.4) ein beträchtlicher Teil der Landarbei-
stigen Behandlung oder unterschiedlicher Divi- ter in Schuldknechtschaft ist. In Peru sind gerade
denden vergleichbarer Merkmale 35. die entlegensten und halb isolierten indigenen
99. In Lateinamerika ist bei Indigenen die Wahr- Gemeinschaften wie jene der Murunahua, der
scheinlichkeit größer als bei Nicht-Indigenen, dass Maschko-Piro und der Kaschibo-Kakataibo in so-
sie im informellen Sektor oder unbezahlt arbeiten genannten „geschützten“ Naturgebieten besonders
und dass sie in der Landwirtschaft tätig sind. Eine stark von Missbrauch und Freiheitsentzug betrof-
wichtige Ursache sind ihre schlechteren Bildungs- fen 39 . Indigene und Stammesvölker sind auch
erfolge trotz längerer Schulbildung für die Bevöl- genannten „geschützten“ Naturgebieten besonders
kerung insgesamt. Aber selbst nach Überprüfung stark von Missbrauch und Freiheitsentzug betrof-
des Einflusses von Bildung bleibt ein wichtiger fen. 40.
Teil der Einkommensunterschiede zwischen indi-
genen und nicht-indigenen Arbeitnehmern offen.

36
G. Hall; H.A. Patrinos (Hrsg.): Indigenous people, poverty
34 and human development in Latin America 1994-2004 (Palgrave
I. Kempf: Pobreza y pueblos indígenas: más allá de las Macmillan, 2006).
necesidades, Observatorio de conflictos, Serie identidades y 37
J. Renshaw (Hrsg.): Indicadores de bienestar y de pobreza
pueblos indígenas (Madrid, Centro de Investigación para la
indígena (Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB), Okt.
Paz, 2003); Internationale Organisation für Migration (IOM),
2004) (unveröffentlichtes Dokument), S. 50.
Secretariat of the Permanent Forum on Indigenous Issues: 38
Report of an Expert Workshop on Indigenous Peoples and IAA: Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit, Gesamtbe-
Migration: Challenges and Opportunities, Genf, 6.-7. Apr. richt im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO
2006, E/C.19/2006/CRP.5; M.A. Barrón Pérez: „Jornada de über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit,
trabajo, ahorro y remesas de los jornalesros agrícolas migrantes Bericht I (B), Internationale Arbeitskonferenz, 93. Tagung,
en las diversas regiones hortícolas de México, Canadá y Genf, 2005.
39
España“ in Análisis Económico, Nr. 46, Jg. XXI (erstes Quartal E. Bedoya Garland; A. Bedoya Silva-Santisteban: El trabajo
2006), unter www.analisiseconomico.com.mx/pdf/4605.pdf. forzoso en la extracción de la madera en la amazonía peruana,
35
D. van de Walle; D. Gunewardena: „Sources of ethnic DECLARATION/WP/40/2004 (Genf, IAA, 2005), S. 12-13.
40
inequality in Viet Nam“, in Journal of Development G. Hall; H.A. Patrinos: a.a.O.; IAA: Guidelines for comba-
Economics, Jg. 65 (2001), S. 177-207. ting child labour among indigenous peoples (Genf, 2006).

31
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 2.2
Grenzüberschreitende Arbeitsmigration bei indigenen und Stammesvölkern

In Nepal stellen die indigenen Völker aus den Berggebieten, die Gebirgs-Janajatis, den größten Anteil der in anderen
Ländern als Indien arbeitenden Arbeitsmigranten (29 Prozent), und sie erzielen das höchste Durchschnittseinkommen aus
Rücküberweisungen (fast 35 Prozent des jährlichen Haushaltseinkommens). In Pakistan belegen die offiziellen Statistiken
seit 2004 eine Zunahme der Arbeitsmigration ins Ausland von Bewohnern der Stammesgebiete, vor allem auf Stellen in der
Bauindustrie in den Golfstaaten. Wegen ihres eingeschränkten Zugangs zu offiziellen Migrationskanälen und offiziellen
Reisedokumenten scheint bei Angehörigen von indigenen und Stammesvölkern die Wahrscheinlichkeit höher als bei
anderen Gruppen zu sein, dass sie illegale Arbeitsmigranten werden. Und indigene Frauen sind besonders gefährdet,
Opfer von Menschenschmugglern zu werden.
Quellen: Department for International Development (DFID) und Weltbank: Unequal citizens. Gender, caste and ethnic exclusion in Nepal
(Kathmandu, 2006); IOM, Secretariat of the Permanent Forum on Indigenous Issues: Report of an Expert Workshop on Indigenous
Peoples and Migration: Challenges and Opportunities, Genf, 6.-7. April 2006, E/C.19/2006/CRP.5, S. 11.

Abbildung 2.7. Absolute Unterschiede des Arbeitseinkommens zwischen indigenen und nicht-
indigenen Arbeitnehmern, ausgewählte lateinamerikanische Länder und Jahre
(Unterschiede in Prozent)
80
73.8
70

60
51.5
50
42.8 44.2
40 38.1
36.1
31.0
30 25.6
19.9 18.6
20 16.3
13.4
10

0
B o liv ie n , 2 0 0 2 (M ä n n e r) E c u a d o r, 1 9 9 8 (in s g e s a m t) M e xiko , 2 0 0 2 (M ä n n e r) P e ru , 2 0 0 1 (M ä n n e r)

N ich t d u rc h u n te rs c h ie d lich e D u rch u n te rs ch ie d lic h e


G e s a m tu n te rs c h ie d
P ro d u k tivitä t e rk lä rb a re r A n te il P ro d u k tivitä t e rk lä rb a re r A n te il

Quelle: G. Hall; H.A. Patrinos (Hrsg.): Indigenous peoples, poverty and human development in Latin America (Palgrave Macmillan, 2006).

102. Trotz der zunehmenden Belege für die Dis- markts schmälern. Investitionen in mehr, bessere
kriminierung von Angehörigen von indigenen und und kulturell adäquate Schulen und Gesundheits-
Stammesvölkern auf dem Arbeitsmarkt wird dienstleistungen für indigene und Stammesvölker
dieser Aspekt in politischen Initiativen zur Ver- sind dringend notwendig und willkommen; sie
besserung ihrer Lebensbedingungen meist ver- allein werden jedoch ihre Diskriminierung bei der
nachlässigt. Politische Rezepte konzentrieren sich Arbeit nicht beenden. Daneben müssen Maßnah-
auf die Nachteile wie schlechte Schulbildung und men ergriffen werden, die explizit auf die Besei-
schlechten Gesundheitszustand, die ihre Erfolgs- tigung von Vorurteilen auf der Arbeitgeberseite
aussichten auf der Angebotsseite des Arbeits- abzielen.

32
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Abbildung 2.8. Unterschiede des Arbeitseinkommens nach Geschlecht und Ethnizität, Guatemala,
2000 (in Quetzale pro Monat)
6000

5000

4000

3000

2000

1000

0
0-5 Jahre 6-8 Jahre 9-12 Jahre 13+ Jahre
Bildungsdauer in Jahren

Indigene Frauen Indigene Männer Nicht-indigene Frauen Nicht-indigene Männer

Quelle: P. Sauma: Las desigualdades étnicas y de género en el mercado del trabajo de Guatemala, DECLARATION/WP/27/2004 (Genf, IAA,
2004), S. 35.

Kasten 2.3
Die Erhebung von Daten zu indigenen und Stammesvölkern: Probleme und Herausforderungen

Wenige Länder erheben Daten zur Situation und zu den Lebensumständen ihrer indigenen und Stammesvölker und
schlüsseln sie auf. Zu den Hauptproblemen zählen: die unzureichende Eignung von Standardfragebögen zur Erfassung
ihrer Situation, Art und Anzahl der Kriterien für die Feststellung der ethnischen Zugehörigkeit von Auskunftspersonen
(Wohnort, Sprach(en)beherrschung, Selbstidentifikation usw.), die unzutreffende Wiedergabe indigener Identitäten, weil die
Fragen falsch verstanden werden, der Umstand, dass indigene Völker häufig in Konfliktgebieten leben, und Schwie-
rigkeiten bei der Erhebung der Situation von Indigenen, die in andere Länder migrieren. Fachleute, auch indigene Exper-
ten, haben betont, wie wichtig es ist, indigene und Stammesvölker an der Erhebung, Analyse und Auswertung von Daten
zu beteiligen. Dies würde dazu beitragen, kulturell angemessene Indikatoren zu definieren und das Misstrauen von
Angehörigen von indigenen und Stammesvölkern gegenüber der Datenerhebung durch staatliche Stellen zu überwinden.
Gemeinsame Initiativen von Regierung und indigenen Organisationen in Kanada und Neuseeland in diesem Bereich haben
sich als ermutigend erwiesen. Fachleute empfehlen auch den Einsatz einer größeren Zahl von Identifikationskriterien und
betonen die Notwendigkeit, Daten zu erheben, die Aspekte der Diskriminierung und Ausgrenzung in wirtschaftlicher,
sozialer und kultureller Hinsicht berücksichtigen. Dazu zählt u.a. die Anerkennung des Wertes indigener Arbeit,
beispielsweise „den Lebensunterhalt sichern“ im Gegensatz zu „einen Arbeitsplatz haben“.
Quellen: Vereinte Nationen: Report of the Workshop on Data Collection and Disaggregation for Indigenous Peoples, Ständiges Forum für
indigene Fragen, Dritte Tagung, New York, 10.-21. Mai 2004, E/C.19/2004/2; Vereinte Nationen: Report of the Meeting on Indigenous
Peoples and Indicators of Well-being, Ständiges Forum für indigene Fragen, Fünfte Tagung, New York, 15.-26. Mai 2006,
E/C.19/2006/CRP.3.

Andere Gruppen Bewohnern früherer japanischer Kolonien (bei-


103. In Japan hat der Sonderberichterstatter der spielsweise Koreaner und Chinesen) abstam-
Vereinten Nationen über zeitgenössische Formen men 41 . Sie zeigt sich in Form von niedrigen
des Rassismus, der Rassendiskriminierung, der
Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhän- 41
Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen: Report
gender Intoleranz jüngst Besorgnis über die Dis- of the Special Rapporteur on contemporary forms of racism,
kriminierung u.a. von Personen geäußert, die von

33
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 2.4
Schuldknechtschaft beim Hirtenvolk der Mbororo und den Völkern der Baka, Bakola und Bagyèli
(sogenannten „Pygmäen“) in Kamerun

Vom IAA 2004 und 2005 durchgeführte partizipatorische Untersuchungen unter Mitwirkung von Vertretern von Indigenen
und indigenen Gemeinschaften deckten auf, dass in vielen Gebieten die so genannten „Pygmäen“-Gemeinschaften oder
einzelne Personen oder bestimmte Familien aus diesen Gemeinschaften als Eigentum ihrer Nachbarn eingestuft werden.
Die Lager von „Pygmäen“ sind in den kamerunischen Verwaltungsstrukturen nicht offiziell anerkannt und werden darin
lediglich als Anhängsel benachbarter und offiziell anerkannter (nicht-indigener) Dörfer geführt. Dies hat unmittelbare
Auswirkungen auf ihre Möglichkeiten, Grund und Boden zu besitzen sowie an Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Der
größte Teil der Land- und Waldgebiete, die von den „Pygmäen“-Gemeinschaften traditionell zu Subsistenzzwecken genutzt
wurden, wurden beschlagnahmt, verkauft oder in Schutzgebiete umgewandelt. Infolgedessen sind die Mitglieder dieser
früher nomadischen Jäger/Sammler-Gemeinschaften zunehmend auf Lohnarbeit und Landwirtschaft als Sesshafte in ihren
Nachbargemeinden angewiesen. Es wurde festgestellt, dass Schuldknechtschaft und die Unterbezahlung indigener
Arbeitnehmer im Vergleich zu Arbeitnehmern, die anderen ethnischen Gruppen angehören, weit verbreitet sind.
Quellen: A.K. Barume: Etude sur le cadre légal pour la protection des droits des peuples indigènes et tribaux au Cameroun, PRO 169
(Genf, IAA, 2005); B. Tchoumba: Indigenous and tribal peoples and poverty reduction strategies in Cameroon, PRO 169, IAA und Centre
pour l’Environnement et le Développement, Yaoundé (Genf, IAA, 2005).

Löhnen, langen Arbeitszeiten, harter Arbeit und schaft nutzbringend sind, und 70 Prozent befür-
Gewalt. Um sie besser zu schützen, hat die größte worten die Einwanderung von Russen und
japanische Gewerkschaft, Rengo, eine Gewerk- russischsprachigen Menschen, während die Migra-
schaft für chinesische Arbeitnehmer gegründet 42. tion von anderen ethnischen Gruppen einge-
104. In Russland sind Rassismus und Fremden- schränkt werden sollte.
feindlichkeit seit dem Zusammenbruch der
UdSSR immer offener zutage getreten 43. Bereits Arbeitsmigranten
zu Sowjetzeiten waren Rivalität und bisweilen 105. Bereits auf den vorhergehenden Seiten
Konflikte zwischen Angehörigen der unterschied- wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass
lichen Nationalitäten in der Sowjetunion gängig, Arbeitsmigranten aufgrund ihrer Hautfarbe und
wurden jedoch unter Kontrolle gehalten. Ein- Rasse, ihres tatsächlichen oder vermuteten Glau-
zelberichte zeigen, dass der Rassismus gegenüber bensbekenntnisses oder einer Kombination dieser
Menschen aus den früheren Sowjetrepubliken und Gründe häufig diskriminiert werden. Sie können
insbesondere aus kaukasischen und zentralasiati- auch allein deshalb benachteiligt werden, weil sie
schen Ländern zugenommen hat 44 . In Russland Migranten sind. Frauen, die etwa die Hälfte aller
wird die Zahl der illegale Arbeitsmigranten auf 5 Arbeitsmigranten ausmachen, können in doppelter
bis 14 Millionen geschätzt 45 . Bei einer 2005 Hinsicht benachteiligt werden (Kasten 2.5).
durchgeführten Umfrage des Moskauer Men- 106. Weil die Anteile im Ausland geborener
schenrechtsbüro 46 bezweifelten etwa 40 Prozent Arbeitnehmer an der Erwerbsbevölkerung vieler
der Russen, dass die Migranten für die Volkswirt- Länder beträchtlich sind und weiter zunehmen,
bietet die Situation von Arbeitsmigranten immer
radical dicrismination, xenophobia and related intolerance,
häufiger Anlass zu Sorge. Ihre Zahl wird weltweit
Doudou Diène (Addendum: Mission to Japan), auf 86 Millionen und in den Entwicklungsregio-
E/CN.4/2006/16/Add.2, 24. Jan. 2006. nen auf etwa 32 Millionen geschätzt. Mit aller
42
S. Kakuchi: „Male migrant workers in Japan have it tough“, Wahrscheinlichkeit wird sich die Migration von
in Asia Times Online, 9. Juni 2005, unter www.atimes.com/ Männern und Frauen auf der Suche nach besseren
atimes/Japan/GF09Dh02.html. Chancen auf einen Arbeitsplatz in den nächsten
43
Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Jahren ausweiten 47 . In Westeuropa liegt der
Rassendiskriminierung: Concluding observations of the Anteil der Migranten an der der Erwerbsbevölke-
Committee on the Elimination of Racial Discrimination: rung derzeit bei 10 Prozent. In einer Reihe afrika-
Russian Federation, Dok. CERD/C/62/CO/7, 21. März 2003.
44 nischer, asiatischer und amerikanischer Länder
C. Wyatt: „Racism on the rise in Russia“, in BBC News,
16. Juli 2002, unter news.bbc.co.uk/1/hi/world/europe/21312
sind die Prozentsätze höher, und in manchen
14.stm.
45
RIA Novosti: „Russia: Legal migrant workers up 63% on 47
Siehe IAA: Der Weg zu einer fairen Behandlung von Wan-
2004“, 26. Jan. 2006, unter en.rian.ru/russia/20060126/43196 derarbeitnehmern in der globalen Wirtschaft, Bericht VI, Inter-
003.html. nationale Arbeitskonferenz, 92. Tagung, Genf, 2004; OSZE;
46
Moscow Bureau for Human Rights: „Racism, xenophobia, IOM; IAA: Handbook on establishing effective labour
ethnic discrimination and anti-semitism in Russia“, Juni 2005, migration policies in countries of origin and destination (Wien,
unter www.antirasizm.ru/english_rep_017.doc. 2006).

34
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Kasten 2.5
Die doppelte Bürde von Arbeitsmigrantinnen

Stellen für Migrantinnen bieten vor allem weniger regulierte Sektoren wie Landwirtschaft, Sexindustrie und Hausarbeit,
weshalb Migrantinnen anfälliger für Ausbeutung und Ungleichbehandlung sind als Migranten. Nicht nur in Westeuropa,
sondern auch in den Golfstaaten und asiatischen Ländern mit hohem und mittlerem Einkommen sind Hausangestellte
überwiegend Migrantinnen. In den dem Golfkooperationsrat (GCC) angehörenden Ländern sind etwa 20 bis 40 Prozent
aller Arbeitsmigranten Frauen, die vorwiegend aus süd- und südostasiatischen Ländern stammen. Viele andere arbeiten
auch im Libanon und in Jordanien (2000 arbeiteten 35.000 Sri Lankerinnen und 7.000 Filipinas als Hausangestellte in
Jordanien). Wenngleich ihre Arbeitsbedingungen beträchtlich variieren, sind diese Arbeitnehmerinnen besonders anfällig
für Diskriminierung, Ausbeutung und Missbrauch in aller Form einschließlich Schikanierung, Gewaltanwendung durch
Arbeitgeber und Arbeitsvermittler, Zwangsarbeit, niedriger Löhne und unzureichender Sozialversicherung. Diskriminierung
beim Entgelt aufgrund der Nationalität kann ebenfalls in vielen Ländern Asiens und des Nahen Ostens festgestellt werden
(während viele philippinische Arbeitnehmerinnen relativ hohe Löhne verdienen, erhalten die meisten indonesischen und sri-
lankischen Frauen nicht einmal den Mindestlohn). Von Diskriminierung sind auch qualifizierte Migrantinnen betroffen, vor
allem, wenn sie einer rassischen, ethnischen oder religiösen Minderheit angehören. In einer Reihe von Untersuchungen
wurde beispielsweise festgestellt, dass in Kanada Migrantinnen mit einem Hochschulabschluss, die erkennbar einer
Minderheit angehören, Stellen und Entgelte angeboten werden, die unter dem Niveau dessen liegen, was Männern unter
den gleichen Voraussetzungen oder nicht einer Minderheit angehörenden Frauen mit einem entsprechenden Bildungs-
hintergrund angeboten wird. Dies ist das Resultat sowohl institutioneller Hindernisse für die Anerkennung ausländischer
Diplome und Hochschulabschlüsse als auch von Vorurteilen der Arbeitgeber, die bei der Einstellung zum Tragen kommen.

Quellen: R. Jureidini: Migrant workers and xenophobia in the Middle East (Genf, Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für Soziale
Entwicklung (UNRISD), Dezember 2003), unter www.unrisd.org/; C. Kuptsch (Hrsg.): Merchants of labour (Genf, Internationales Institut für
Arbeitsfragen, 2006); IAA: Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit, Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der
IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Bericht I (B), Internationale Arbeitskonferenz, 93. Tagung, 2005; J. Salaff;
A. Greve: “Gendered structural barriers to job attainment for skilled Chinese emigrants in Canada”, in International Journal of Population
Geography, Jg. 9 (2003), S. 443-456 unter www.chass.utoronto.ca/~agreve/IJPG_Salaff-Greve.pdf.

Golfstaaten machen Arbeitsmigranten mehr als die Stellen mit hohen Qualifikationsanforderungen
50 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus. innehaben, als für solche mit Stellen für unge-
107. Ein sichtbarer Hinweis auf die Diskrimi- lernte Arbeitskräfte und mit niedrigem Status.
nierung von Arbeitsmigranten ist der Umstand, Hoch qualifizierte Arbeitnehmer erhalten gewöhn-
dass sehr viele von ihnen – häufig unabhängig von lich umfangreichere Garantien für den Erhalt einer
ihrer Qualifikation – schmutzige, gefährliche oder dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung als gering
erniedrigende Stellen innehaben, bei denen Schutz qualifizierte. Solche Formen der Bevorzugung
oft unzureichend ist oder im Recht oder in der treffen gering qualifizierte Arbeitnehmer, die
Praxis vollständig fehlt 48. ohnehin bereits besonders anfällig für Ausbeutung
108. Während die meisten Staaten legalen und Verletzungen ihrer Rechte sind, besonders
Arbeitsmigranten im Vergleich zu ihren Staats- hart. Wenn geringe Qualifikationen das Resultat
angehörigen de jure die gleiche Behandlung in verwehrter Chancengleichheit im Bildungswesen
Bezug auf Entgelt, Arbeitszeiten, bezahlten Urlaub oder bei der Arbeit in ihren Herkunftsländern
und Mindestalter einräumen, sind sie dennoch aufgrund ihres Geschlechts, ihres Glaubensbe-
einer Reihe von Beschäftigungsbeschränkungen kenntnisses oder ihrer Rasse sind, verschärft die
unterworfen (siehe Kasten 2.6). Die Häufigkeit schlechtere Behandlung gering qualifizierter
und das Ausmaß der Andersbehandlung können Arbeitsmigranten in den Zielländern ihre Diskri-
variieren, je nachdem, ob Arbeitsmigranten auf minierung weiter.
Dauer oder zeitlich begrenzt eingestellt werden 110. Im Hinblick auf Rechte auf soziale Siche-
und ob sie hoch oder gering qualifiziert sind. rung, die Beschäftigungsmobilität sowie den
109. Die Migrationspolitik in den einzelnen Län- Zugang zu Beschäftigung und Berufsausbildung
dern zielt im Allgemeinen eher auf Chancen- ist der Widerstand gegen die Gleichstellung mit
gleichheit und Gleichbehandlung zwischen Ein- Einheimischen wesentlich stärker ausgeprägt. Ob
heimischen und Arbeitsmigranten für Personen, eine andere Beschäftigung, Notstandsarbeiten und
Umschulung bereitgestellt werden, hängt häufig
48
Siehe IAA: Der Weg zu einer fairen Behandlung von davon ab, ob sich Arbeitsmigranten nur vorüber-
Wanderarbeitnehmern in der globalen Wirtschaft, a.a.O., gehend oder auf Dauer angesiedelt haben, was
Abs. 150-165 (Landwirtschaft), 173-178 (Ausbeuterbetriebe), jedoch gegen die Bestimmungen der Normen der
181-194 (Care-Ökonomie, Hausarbeit) und bis zu einem IAO einschließlich derer im Übereinkommen
gewissen Grad auch 166-172 (Baugewerbe). (Nr. 143) über Wanderarbeitnehmer (ergänzende

35
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 2.6
Arbeitsmigranten: Beispiele für Beschäftigungsbeschränkungen

Es gibt viele Formen der Beschränkung der freien Beschäftigungswahl und des Zugangs zum Arbeitsmarkt für
Arbeitsmigranten. Das Arbeitssystem ermöglicht es Regierungen, den Zugang von Ausländern auf bestimmte Stellen-
kategorien zu begrenzen (beispielsweise in Zypern, Belgien, der Tschechischen Republik, Saudi-Arabien, Ägypten, Jorda-
nien und der Arabischen Republik Syrien) und die Stellenwahl von Arbeitsmigranten einzuschränken (beispielsweise in der
Republik Südkorea, wo Arbeitsmigranten nach der Einführung des neuen Systems zur Regelung von Arbeitsgenehmi-
gungen (EPS) nur noch zweimal die Stelle wechseln dürfen). Migranten kann auch nur der Zugang zu einer bestimmten
Region eines Landes gestattet sein (Bulgarien, Schweiz). Für das System können von der Regierung festgelegte Quoten
gelten (beispielsweise in Kasachstan), oder Migranten benötigen eine Arbeitserlaubnis, die der Arbeitgeber beantragen
muss (beispielsweise in Österreich). Der freie Zugang zum Arbeitsmarkt wird gewöhnlich nach einer bestimmten Beschäf-
tigungsdauer im Land gewährt. Zu den sonstigen Beschränkungen zählen: Vorschriften, die Arbeitsmigranten den Zugang
zu bestimmten, Einheimischen vorbehaltenen Berufen in Verwaltung und Politik (politische Ämter und Verwalungs-
aufgaben) verwehren, die Nichtanerkennung von Diplomen oder Qualifikationen, die im Herkunftsland erworben wurden,
die Ausreisepflicht nach Vertragsende sowie administrative und bürokratische Schwierigkeiten (beispielsweise für
Arbeitslose in Spanien, restriktive Visumbestimmungen in den Golfstaaten). In den arabischen Ländern ist das Recht aus-
ländischer Arbeitnehmer auf Familienzusammenführung und auf den Zugang zur Krankenversicherung eingeschränkt.
Saudi-Arabien hat zur Finanzierung von Ausbildungsprogrammen für Einheimische Maßnahmen wie die Besteuerung der
Einstellung von Ausländern und die Besteuerung von Ausländern eingeführt. Kuwait und die Vereinigten Arabischen
Emirate haben für Migranten auch indirekte Steuern, insbesondere Gebühren für die medizinische Versorgung und
chirurgische Eingriffe, eingeführt.
Quellen: OSZE; IOM; IAA: Handbook on establishing effective labour migration policies in countries of origin and destination (Wien, 2006),
S. 133-137, 102; Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen: Specific groups and individuals: Migrant workers, von der
Sonderberichterstatterin Frau Gabriela Rodríguez Pizarro gemäß der Resolution 2003/46 der Menschenrechtskommission vorgelegter
Bericht, Dok. E/CN.4/2004/76/Add. 2, 14. Januar 2004; N. Shah: Restrictive labour immigration policies in the oil-rich Gulf: Effectiveness
and implications for sending Asian countries, United Nations Expert Group Meeting on International Migration and Development in the
Arab Region, Dok. UN/POP/EGM/2006/03, 5. Mai 2006, unter www.un.org/esa/population/meetings/EGM_Ittmig_Arab/P03_Shah.pdf;
P. Fargues: International migration in the Arab region: Trends and policies, United Nations Expert Group Meeting on International
Migration and Development in the Arab Region, Dok. UN/POP/EGM/2006/09Rev., 5. September 2006, unter www.un.org/esa/population/
meetings/EGM_Ittmig_Arab/P09_Fargues.pdf.

Bestimmungen), 1975, verstößt. Dies ist ein wich- dern, die sich legal im Land aufhalten, vorsieht 50.
tiges Thema, insbesondere angesichts der ständi- Auch wenn die EU die Einwanderung auf Dauer
gen Zunahme der Programme für Zeitarbeits- nicht unterstützt, scheint sich zudem dennoch nach
kräfte, die Arbeitsmigranten häufig an einen und nach die Erkenntnis durchzusetzen, dass sie in
Arbeitgeber binden oder sie zwingen, unmittelbar manchen Sektoren wünschenswert sein könnte 51.
nach Vertragsende auszureisen und wieder einzu- 112. Die Umstände illegaler Arbeitsmigranten
reisen, nachdem eine bestimmte Frist verstrichen sind besonders besorgniserregend. Bei Rechtsver-
ist. Diese zeitlich begrenzten Programme halten stößen des Arbeitgebers kann es für sie schwierig
Arbeitsmigranten von der Ansiedlung im Land ab, sein, ihre Rechte einzufordern oder Rechtsmittel
was in der Praxis oft zu ihrem Ausschluss von einzulegen, weil manche Länder dies nicht vor-
Gleichbehandlung führt 49. sehen oder Arbeitsmigranten das Recht auf
111. In regionalen Integrationsprogrammen wer- Gerichtsverfahren in einer Sprache, die sie verste-
den manchen Nationalitäten gegenüber anderen hen, vorenthalten. In vielen Ländern haben von
Privilegien eingeräumt, indem Mitgliedstaaten den zuständigen Behörden aufgegriffene illegale
Arbeitsmigranten aus Ländern, die dem regionalen Migranten auch nicht die Möglichkeit oder die
Block angehören, Chancengleichheit und Gleich-
behandlung gewähren, dies jedoch Menschen 50
Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. Nov. 2003 betref-
vorenthalten, die nicht Bürger eines Mitgliedstaa- fend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigen
tes sind. Es gab jedoch einige ermutigende Ent- Drittstaatsangehörigen, Amtsblatt L016, 23. Jan. 2004, S. 0044-
wicklungen in Form einer EU-Regelung, die eine 0053. Nach der vorgeschlagenen Richtlinie anerkennen die
Gleichbehandlung von Angehörigen aus Drittlän- Mitgliedstaaten eine langfristige Aufenthaltsberechtigtigung
nach einem fünfjährigen ununterbrochenen legalen Aufenthalt.
Ihnen wird Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen von EU-
Mitgliedstaaten in Bezug auf die meisten sozioökonomischen
Rechte gewährt.
49 51
Siehe OSZE; IOM; IAA: a.a.O., S. 134-144. OSZE; IOM; IAA: a.a.O., S.125.

36
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Zeit, die Auszahlung ausstehender Löhne oder auf diesem Niveau. Bei den Beschwerdeführern
Leistungen zu fordern oder Einspruch einzulegen. handelte es sich vorwiegend um muslimische
113. Positiv ist zu vermerken, dass Gewerkschaf- Arbeitnehmer 54. 2005 meldete der Rat für Ameri-
ten weltweit immer häufiger Maßnahmen ergriffen kanisch-Islamische Beziehungen (CAIR) eine
haben, um die missliche Lage von Arbeitsmigran- Zunahme der Beschwerden wegen antimuslimi-
ten zu mildern. So hat etwa die Zahl bilateraler scher Schikanierung, Gewaltanwendung und dis-
und multilateraler Vereinbarungen zur Unter- kriminierender Behandlung um 30 Prozent gegen-
stützung von Arbeitsmigranten und zur Bekämp- über 2004 55.
fung ihrer Ausbeutung zwischen Gewerkschaften 117. Der Streit um das Tragen des Kopftuchs
aus Herkunfts- und Zielländern zugenommen. Ein oder Hidschab durch muslimische Frauen und
Beispiel ist das Abkommen, das zwischen maure- Mädchen hat die unterschiedlichen Positionen der
tanischen und spanischen Gewerkschaften einzelnen EU-Länder in Bezug auf Säkularismus
geschlossen wurde. Eine andere interessante Ini- und Religionsfreiheit sowie einige Widersprüche
tiative ist „UNI-Passport“, die von dem Verband aufgezeigt. Beispielsweise urteilte das deutsche
Union Network International (UNI) eingeführt Verfassungsgericht 2003 zu Gunsten einer Lehre-
wurde und seit 2001 Arbeitsmigranten, die bereits rin, die das Kopftuch im Unterricht tragen wollte,
Mitglied einer Gewerkschaft in ihrem Herkunfts- aber mindestens vier deutsche Bundesländer haben
land sind, ermöglicht, „Gastmitglied“ bei einer Lehrerinnen verboten, das Kopftuch zu tragen,
Mitgliedsgewerkschaft der UNI im Zielland zu und in mindestens einem Bundesland gilt das
werden. In Malaysia beschloss die Konferenz des Verbot für alle Landesbeamtinnen 56.
Malaysischen Gewerkschaftskongresses (MTUC) 118. In vielen Ländern besteht weiterhin ein
über Migrationsfragen, die im Jahr 2005 stattfand, enger Zusammenhang zwischen der Diskriminie-
Mechanismen einzurichten, die einen besseren rung aufgrund des Glaubensbekenntnisses und der
Schutz der 1,5 Millionen legalen Arbeitsmigranten Rasse/Ethnizität (beispielsweise Menschen aus
in dem Land gewährleisten sollen 52. Nordafrika in Frankreich) oder der sozialen Her-
kunft (beispielsweise Dalits in Indien). Dort sind
Diskriminierung aufgrund des Pasmanda und Dalits von noch größerer Ausgren-
Glaubensbekenntnisses zung und sozioökonomischer Diskriminierung
betroffen, wenn sie daneben entweder Muslime 57
114. Die Bedeutung der Diskriminierung auf oder Christen 58 sind. In anderen Ländern (Afgha-
Grund des Glaubensbekenntnisses hat in den letz- nistan, Bangladesch und Pakistan) werden Hindus
ten Jahren zugenommen, wozu mehrere Faktoren weiterhin als nicht gleichgestellte Bürger behan-
beigetragen haben: die Verschärfung wirtschaft- delt und erhalten nur Stellen für ungelernte
licher Ungleichheiten zwischen Angehörigen Arbeitskräfte 59.
unterschiedlicher religiöser, rassischer oder ethni- 119. Die Diskriminierung aufgrund des Glaubens-
scher Gruppen, die Zunahme der Migration sowie bekenntnisses fällt häufig gravierender in Gesell-
die daraus resultierenden kulturellen Probleme schaften aus, in denen es keine Religionsfreiheit
und die Terroranschläge sowie die Einführung von gibt oder in denen andere Religionen durch eine
Sicherheitsmaßnahmen als Reaktion darauf. Staatsreligion benachteiligt oder ausgegrenzt
115. In den Industrieländern hat sich die Diskri- werden. Beispielsweise dürfen Arbeitsmigranten
minierung von Muslimen nach dem 11. September in Saudi-Arabien, die keine Muslime sind, keine
2001 verschlimmert. Ihre Formen reichen von religiösen Symbole wie das christliche Kreuz oder
Schikanierung über beleidigende Äußerungen zu hinduistische Segenszeichen (Tilaka) sichtbar
religiösen Überzeugungen oder Praktiken bis zur tragen. Andere Formen der Diskriminierung
Weigerung von Arbeitgebern, durch das Glau-
bensbekenntnis einer Person bedingte Bedürfnisse
zu berücksichtigen, die vielleicht nicht mit einer
Vorschrift, Qualifikation oder Praktik in Einklang 54
stehen (Kasten 2.7) 53. 55
Ebd.
116. Die Zahl der bei der amerikanischen Gleich- CAIR: The Status of Muslim civil rights in the United States
stellungsbehörde Kommission für Chancengleich- 2006: The struggle for equality (Washington, DC), unter
www.cair.com/cair2006report/.
heit in der Beschäftigung (EEOC) eingereichten 56
BBC: „The Islamic veil across Europe“, 6. Okt. 2006, unter
Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund news.bbc.co.uk/2/hi/europe/5414098.stm.
des Glaubensbekenntnisses hat 2002 um mehr als 57
Siehe Asian Human Rights Commission – Religious Groups
20 Prozent zugenommen und verharrte auch 2003 for Human Rights: Ali Anwar: „Letter to Justice Rajinder
Sachar – Pasmanda and Dalit Muslims“, 7. Nov. 2005, unter
52
MTUC Conference on Migrant Workers (18.-19. Apr. www.rghr.net/mainfile.php/0743/1030.
58
2005): Die Schlussresolution kann auf der Internet-Präsenz des Siehe Dalitchristians.com: „Problems and struggles”, unter
Global Union Research Network (GURN) eingesehen werden, www.dalitchristians.com/Html/problems_struggles.htm.
unter www.gurn.info/topic/migrant/mtuc_conf_apr05.pdf. 59
Hindu American Foundation: „Hindus in South Asia and the
53
P. Sappal: „Workplace intolerance rises for Muslims after diaspora: A survey of human rights, 2005“, unter
Sept. 11“, in Career Journal, 13. Jan. 2004. www.hinduamericanfoundation.org/reports.htm#hhr2005.

37
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 2.7
Beilegung von Spannungen zwischen religiösen Vorschriften und etablierten Praktiken am Arbeitsplatz

In Arbeitsstätten, Diensten und Einrichtungen gilt häufig eine bestimmte Kleiderordnung. Diese kann beispielsweise
vorschreiben, eine bestimmte Arbeits- oder Schutzkleidung zu tragen, oder verbieten, eine Kopfbedeckung zu tragen.
Diese Kleidungsvorschriften können in unmittelbarem Widerspruch zu religiösen Kleidungsvorschriften stehen. Bestimmte
Glaubensrichtungen gestatten Männern beispielsweise nicht, ihre Haare zu schneiden, während ein Arbeitgeber aus
Gründen der Hygiene und der Sicherheit einen Kurzhaarschnitt vorschreiben kann. Ein Beispiel für ein Entgegenkommen
gegenüber einer solchen religiösen Vorschrift ist die Aufforderung an betroffenes Personal, das Haar mit einem Netz oder
einer anderen geeigneten Hülle abzudecken. Manche Glaubensrichtungen schreiben vor, dass ihre Angehörigen im Lauf
des Tages bestimmte Gebetszeiten einhalten. Diese Vorschrift kann den Regelarbeitszeiten in einem Unternehmen oder
den täglichen Abläufen am Arbeitsplatz entgegenstehen. Eine Möglichkeit zur Konfliktvermeidung besteht in modifizierten
Pausenregelungen oder flexiblen Arbeitszeiten und/oder der Bereitstellung eines abgeschlossenen Bereichs für religiöse
Handlungen. Es kann der Fall eintreten, dass ein Arbeitnehmer Urlaub beantragt, um einen Feiertag einzuhalten, weil
seine Religion es ihm verbietet, an diesem Tag zu arbeiten. Flexible Disposition kann eine Lösung sein, und sie kann
abweichende Arbeitsanfang- und -endezeiten an den Tagen umfassen, an denen die betreffende Person nicht während der
gesamten Regelarbeitszeit anwesend sein kann. Eine andere Möglichkeit wäre, sie die Mittagspause durcharbeiten zu
lassen oder für sie gestaffelte Arbeitszeiten einzuführen. In Fällen, in denen Personen bereits alle bezahlten Urlaubstage
genommen haben, auf die sie Anspruch haben, sollten Arbeitgeber auch prüfen, ob sie ihnen gestatten, Zeit nachzu-
arbeiten oder Gleittage zu verbrauchen.
Quelle: Ontario Human Rights Commission: „Policy on creed and the accommodation of religious observances”, unter
www.ohrc.on.ca/english/publications/creed-religion-policy.shtml.

betreffen Stellenanzeigen, die Bewerber bestimm- Vorurteile und institutionelle Praktiken aufgrund
ter religiöser Gruppen (insbesondere Hindus) der sozialen Herkunft beschränken deshalb die
ausschließen oder das Verbot für Arbeitsmigran- soziale Mobilität bestimmter Personen. Nicht nur
ten, ihre Religion auszuüben 60. Zur Situation der in Gesellschaften mit einer starren Schichtung,
Baha’i in der Islamischen Republik Iran haben sondern auch in solchen, in denen sich die strenge
Organe der IAO und der Vereinten Nationen soziale Segmentierung verringert hat, ist es
wiederholt Stellung genommen. weiterhin ein großes Hindernis für Chancen-
120. In Senegal und im Sudan müssen christliche gleichheit, eine bestimmte soziale Herkunft zu
Arbeitsuchende ihren Glauben leugnen oder haben. Dies beruht auf dem Umstand, dass bei
konvertieren, wenn sie eine Stelle bekommen Maßnahmen zur Überwindung dieser Hürde eine
wollen 61. Eine der zähesten Formen von Diskri- Reihe von Sektoren und in der Zuständigkeit
minierung betrifft die Kopten in Ägypten, denen unterschiedlicher Regierungsbereiche liegende
der gleichberechtigte Zugang zur Schulbildung grundsatzpolitische Aspekte berücksichtigt wer-
sowie Chancengleichheit bei Stellenbewerbungen den müssen, was die Koordinierung und
und Beförderungen verwehrt wird. Nur sehr Umsetzung erschwert.
wenige von ihnen werden auf Führungspositionen
in der Regierung berufen oder kandidieren für das Arbeitsmigranten aus ländlichen Gebieten
Parlament. Aufnahme in Polizei- und Armee-
122. In China ist der Wohnort eine wichtige
schulen ist ausgeschlossen, und nur sehr wenige
Determinante für Leistungen und Chancen, auch
sind Schul- oder Hochschullehrer 62.
in Bezug auf Beschäftigung und Beruf. Bewohner
ländlicher Gebiete verfügen über geringere
Diskriminierung aufgrund der sozialen Ansprüche als Stadtbewohner. Das Hukou
Herkunft genannte Einwohnerregistrierungssystem, das
121. Diskriminierung aufgrund der sozialen Her- Menschen an einen Ort band und seit 1958 in
kunft liegt vor, wenn einer Person wegen der Kraft war, ist seit den achtziger Jahren nach und
Klasse oder sozio-professionellen Kategorie oder nach abgeschafft worden, um der steigenden
der Kaste, der sie angehört, eine Stelle oder Nachfrage der Wirtschaft in den Metropolen des
bestimmte Wirtschaftsaktivität verwehrt wird. Landes Rechnung zu tragen 63. Während der Weg-

60
CEACR: Individual Observation concerning Convention
No. 111, Saudi Arabia, 2005. 63
61
M. Tuñon: „Internal labour migration in China: Features and
ZENIT: La persécution antichrétienne dans le monde responses“ (Beijing, IAA, Apr. 2006), unter www.ilo.org/
(Interview mit T. Grimaux), März 2006, unter www.ebior.org/ public/english/region/asro/beijing/download/training/lab_migra
Societe/Persecutions-I.htm. .pdf; und Bingqin Li: „Floating population or urban citizens?
62
Siehe www.copts.com. Status, social provision and circumstances of rural-urban

38
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

zug von einem Wohnort, an dem Personen dukts (BIP) erwirtschaftet, und sie machen
registriert waren, freigegeben wurde, ist es für 40 Prozent der städtischen Erwerbsbevölkerung
Migranten immer noch schwierig, eine Registrie- aus. Sie stammen aus den wirtschaftlich weniger
rung in einer Großstadt zu erhalten. entwickelten Gebieten (den Provinzen in West-
123. Von den schätzungsweise 150 Millionen und Zentralchina), sind im Allgemeinen jung
Arbeitsmigranten aus ländlichen Gebieten, die (71 Prozent sind zwischen 15 und 29 Jahre alt)
heute in chinesischen Großstädten arbeiten, ver- und haben selten mehr als die Mittelschule
fügen nur 40 Prozent entweder über eine Geneh- abgeschlossen.
migung, sich dort auf Dauer oder zeitlich begrenzt 127. In den letzten Jahren hat die chinesische
anzusiedeln, während dies für die anderen – die so Regierung wichtige Schritte unternommen, um das
genannte „floating population“ – nicht gilt. Ange- Hukou-System zu reformieren und die Benach-
sichts der enormen Zunahme der Migration aus teiligung der Arbeitsmigranten aus ländlichen
den ländlichen Gebieten in die Großstädte in den Gebieten zu beseitigen. 2002 und 2003 wurden auf
letzten zwei Jahrzehnten – von 2 Millionen Empfehlung des Staatsrats eine Reihe von Vor-
Arbeitsmigranten aus ländlichen Gebieten Mitte schriften erlassen. Sie bezogen sich auf das Verbot
der achtziger Jahre auf 150 Millionen heute – überhöhter Gebühren für Migranten, die dauer-
bietet dies Anlass zu Sorge 64. hafte oder zeitlich begrenzte Stellen in Städten
124. Aufgrund ihres sozialen Status sind Migran- suchen, die Pflicht für Arbeitgeber zur Unter-
ten aus ländlichen Gebieten von institutionali- zeichnung von Arbeitsverträgen und das Verbot
sierter Diskriminierung betroffen 65 . In manchen verspäteter Lohnzahlungen an Arbeitsmigranten.
Großstädten verwehren ihnen die Behörden den 2006 verabschiedete der Staatsrat weitere Empfeh-
Zugang zu bestimmten Arten von Stellen (den lungen. Diese betrafen u.a. einen garantierten
besseren), die Personen mit einer Aufenthalts- Mindestlohn für Arbeitsmigranten aus ländlichen
genehmigung vorbehalten bleiben. Arbeitsmigran- Gebieten, die Durchsetzung des Arbeitsvertrags-
ten aus ländlichen Gebieten sind gewöhnlich auf systems, Zugang zu Arbeitsvermittlung und
informelle Netzwerke angewiesen (95 Prozent Berufsausbildung, Zugang zu öffentlichen Dienst-
fanden ihre Stelle durch Freunde oder auf eigene leistungen sowie die Förderung der wirtschaft-
Initiative) und erhalten letztlich doch nur schlecht lichen Entwicklung vor Ort und von Unternehmen
bezahlte Stellen für niedere Tätigkeiten im infor- in Dörfern. Schritte wurden unternommen, um
mellen Sektor, die in den Großstädten registrierte darüber hinaus das System der sozialen Sicherheit
Arbeitnehmer ablehnen 66. sowie den Geltungsbereich der Arbeitsgesetze auf
125. Die meisten von ihnen, insbesondere die- Arbeitsmigranten auszudehnen.
jenigen ohne Aufenthaltsgenehmigung, haben 128. Das 2006 in Kraft getretene novellierte
keinen Arbeitsvertrag. Sie können Schwierig- Schulpflichtgesetz schreibt für Kinder sowohl in
keiten haben, rechtzeitig entlohnt zu werden, Städten als auch auf dem Land eine neunjährige
arbeiten für gewöhnlich länger, sind anfälliger für Schulpflicht vor und räumt Kindern von Arbeits-
Arbeitsunfälle und Krankheiten, haben keine migranten das Recht auf Bildung unabhängig von
Sozialversicherung und können anderen Risiken, ihrem Wohnort ein. In den 11. Fünfjahres-Ent-
z. B. dem des Menschenschmuggels ausgesetzt wicklungsrichtlinien für 2006 bis 2010 wird
sein. Viele Migranten aus ländlichen Gebieten Migration als unverzichtbarer Bestandteil der
verfügen über keinen hohen Bildungsstand und nationalen Entwicklungsstrategie bezeichnet, und
erhalten deshalb keine berufliche Qualifizierung der Staatsrat hat auf Anforderung des Ministe-
und Beförderungschancen. riums für Arbeit und Soziale Sicherheit der Ein-
126. In einer Zeit der raschen wirtschaftlichen setzung eines Gemeinsamen Komitees für Arbeits-
Entwicklung und des Übergangs sind die Arbeits- migranten zugestimmt. Die Ratifizierung des IAO-
migranten aus ländlichen Gebieten für die wirt- Übereinkommens Nr. 111 im Januar 2006 bein-
schaftliche Entwicklung in China ein Aktivposten haltet eine zusätzliche Verpflichtung zur Abschaf-
gewesen. In den letzten 20 Jahren haben sie fung der Diskriminierung in der Beschäftigung
16 Prozent des Wachstums des Bruttoinlandspro- aufgrund der sozialen Herkunft.
129. Die Reform des Hukou-Systems erfordert
migrants in China“, in Social policy and administration, Jg. 40, eine Reihe strategischer institutioneller Maßnah-
Nr. 2 (Apr. 2006), S. 174-195. men einschließlich der Reform des Arbeitsschutz-
64
M Tuñon: a.a.O. systems, der Reorganisation des Systems für die
65
Human Rights in China (HRIC): „Institutionalized exclu- Verteilung der staatlichen Ressourcen sowie die
sion: The tenuous legal status of internal migrants in China’s Erweiterung und Neuschaffung von Kapazität, um
major cities“, 6. Nov. 2002, unter hrichina.org/public/contents/ den in Städten lebenden Migranten aus ländlichen
article?revision%5fid=17138&item%5fid=3195; und „China’s Gebieten staatliche und soziale Dienstleistungen
household registration (Hukou) system: Discrimination and (Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum)
reform“, Vortrag von Fei-Ling Wang, Congressional-Executive
Commission on China, 2. Sept. 2005, unter www.cecc.gov/
anbieten zu können. Darüber hinaus muss eine
pages/roundtables/090205/Wang.php. Veränderung der Einstellungen herbeigeführt wer-
66
M. Tuñon: a.a.O. den, damit Arbeitnehmer aus Städten und aus

39
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

ländlichen Gebieten in gleicher Weise mit Würde zugelassen für Arbeiten, bei denen sie Kontakt mit
und Achtung behandelt werden. Wasser oder Nahrungsmitteln für Nicht-Dalits
haben, und dürfen auch keine Wohnung von
Diskriminierung aufgrund der Nicht-Dalits betreten. Sie sind daher von einem
Kastenzugehörigkeit breiten Spektrum von Arbeitsgelegenheiten im
Bereich der Herstellung, der Verarbeitung oder
130. Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung des Verkaufs von Nahrungsmitteln, von Haus-
aufgrund ihrer angeblichen „Unreinheit“ und arbeit und von der Erbringung bestimmter Dienst-
Minderwertigkeit sind für Millionen Männer und leistungen im privaten und öffentlichen Sektor
Frauen in verschiedenen Teilen der Welt eine all- (beispielsweise als Bürogehilfen) ausgeschlossen.
tägliche Erfahrung. Diskriminierung mit Wurzeln Begrenzter Zugang zu Bildung, Ausbildung und
im Kastensystem oder ähnlichen Systemen mit Ressourcen wie Grund und Boden oder Krediten
einer starren sozialen Schichtung wurde in Afrika, beschränken ihre Chancen auf den Zugang zu
in Asien und im Nahen Osten beobachtet; nicht ihrer Kaste zugeordneten Berufen und men-
nirgendwo ist die Praxis jedoch so verbreitet wie schenwürdiger Arbeit. Die Benachteiligung, die
in Südasien 67 und insbesondere in Indien und Dalits aufgrund ihrer Diskriminierung in allen
Nepal 68. Wenngleich das Kastenwesen per Gesetz Lebensbereichen erfahren, führt dazu, dass sie in
abgeschafft wurde und die Praxis der „Unberühr- höherem Maß von Armut betroffen sind als Nicht-
barkeit“ verboten ist, bleibt die Kastenzugehörig- Dalits (Kasten 2.8).
keit in der gesamten Unterregion ein bestimmen- 132. Eine sehr ermutigende neuere Entwicklung
der Faktor für den wirtschaftlichen und sozialen als Resultat von Bemühungen der Nationalen
Status von Dalit-Männern und -Frauen. Die Menschenrechtskommission stellt die Ankündi-
Mobilisierung der Dalits in den betreffenden gung des indischen Ministerpräsidenten dar, dass
Ländern hat auch dazu beigetragen, auf nationaler die erniedrigende Praxis der manuellen Reinigung
und internationaler Ebene die Aufmerksamkeit auf von Latrinen ohne Spülung abgeschafft werden
ihre missliche Lage zu lenken 69. soll. Nach einer Reihe von Konsultationen der
131. Diskriminierung aufgrund der Kastenzuge- Kommission mit Vertretern der Zentralregierung
hörigkeit beschränkt die Dalits auf Berufe, die und der Regierungen der Bundesstaaten sowie
ihrer Kaste zugeordnet sind. Dazu zählen die anderer wichtiger Akteure hat die Planungs-
niedrigsten Tätigkeiten wie die manuelle Reini- kommission einen Nationalen Aktionsplan zur
gung von Latrinen ohne Spülung oder die Tier- vollständigen Abschaffung der manuellen Reini-
kadaverbeseitigung 70 . Dalits sind generell nicht gung von Latrinen ohne Spülung bis Ende 2007
formuliert 71.
67
Der 2004 vorgelegte Bericht der VN-Unterkommission für 133. Dort, wo es dem Problem entgegenwirkende
die Förderung und den Schutz der Menschenrechte geht auf die politische Grundsatzkonzepte und Gesetze gibt,
Situation in Bangladesch, Burkina Faso, Indien, Japan, Kenia, werden sie oft nicht oder nur unzureichend
Mali, den Föderierten Staaten von Mikronesien, Nepal, Pakis- umgesetzt oder vollzogen 72 . Positive Diskrimi-
tan, dem Senegal, Sri Lanka und dem Jemen ein (Menschen- nierung hat einer kleinen Zahl von Dalits
rechtskommission: Prevention of discrimination, erweitertes
Arbeitspapier von Asbjørn Eide und Yozo Yokota zur Frage geholfen, Stellen im formellen Sektor zu finden,
der Diskriminierung aufgrund von Arbeit und Abstammung, jedoch nicht zu Fortschritten auf dem Weg zu
Dok. E/CN.4/Sub.2/2004/31, 5. Juli 2004). Chancengleichheit für alle geführt. Rein entwick-
68
In Indien hebt die Verfassung das Kastensystem auf und lungsorientierte Ansätze zur Verbesserung des
sieht eine Quotenpolitik für die so genannten „gelisteten“ Schicksals der Dalits sind unzureichend, wenn
Kasten vor, um die gesellschaftliche De-facto-Trennung zu
überwinden. Entsprechende Bürgerrechts- und andere Schutz-
gesetze wurden ebenfalls in Kraft gesetzt. Auch in Nepal ver-
bieten Verfassung und geltendes Recht die Diskriminierung
aufgrund der Kastenzugehörigkeit. Diese Praxis umfasst die Beseitigung menschlicher Exkre-
69
Um die Achtung ihrer Menschenrechte und Menschenwürde mente aus Latrinen ohne Spülung unter erniedrigenden und
einzufordern, nutzen die Dalits ihre eigenen zivilgesellschaftli- gefährlichen Bedingungen. Trotz Bemühungen der Regierung,
chen Organisationen. Das Europäische Parlament und die VN- diese Art von Latrinen abzuschaffen, sind sie weiterhin landes-
Menschenrechtskommission haben Resolutionen zur Dis- weit in Betrieb. Siehe CEACR: Individuelle Bemerkung zu
kriminierung bei der Arbeit aufgrund der Herkunft verabschie- Indien, Übereinkommen Nr. 111, veröffentlicht 2006.
71
det. Im amerikanischen Kongress fand im Oktober 2005 eine Siehe The Hindu: „End manual scavenging, governments
Anhörung zu dem Thema statt. Die Vernetzung internationaler told“, unter www.thehindu.com/2003/12/30/stories/200312300
nichtstaatlicher Organisationen mit dem Ziel, das Bewusstsein 1521200.htm.
für die schlimme Lage der Dalits zu schärfen, führte 2004 zur 72
Die Nationale Kommission für gelistete Kasten und gelistete
Verabschiedung der „Kathmandu Dalit Declaration“, die unter Stämme Indiens (jetzt zwei separate Kommissionen) hat wie-
www.nepaldalitinfo.20m.com/archives/KathDeclaration.pdf derholt Maßnahmen zur Gewährleistung der wirksamen Durch-
eingesehen werden kann. setzung des Gesetzes zum Schutz der Bürgerrechte von 1955,
70
Die Praxis der manuellen Reinigung von Latrinen ohne des Gesetzes zur Verhinderung von Gräueltaten an Angehöri-
Spülung war mit Bezugnahme auf Indien Gegenstand von gen gelisteter Kasten und gelisteter Stämme von 1989 und des
Bemerkungen des Sachverständigenausschusses für die Durch- Gesetzes zum Verbot der Beschäftigung von Latrinenreinigern
führung der Übereinkommen und Empfehlungen (CEACR). und des Baus von Latrinen ohne Spülung von 1993 gefordert.

40
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Kasten 2.8
Diskriminierung in der Beschäftigung und Armut: Der Fall der nepalesischen Dalits

Die 2,9 Millionen Dalits machen etwa 13 Prozent der nepalesischen Gesamtbevölkerung aus, die sich aus
unterschiedlichen Kastengruppen und indigenen Völkern (Janajati) zusammensetzt. Insgesamt sank der Anteil der
Personen unterhalb der Armutsgrenze zwischen 1996 und 2004 von 42 auf 31 Prozent. Wenngleich alle Gruppen an dem
Rückgang der Armut Anteil hatten, kam er den Dalits und den in den Bergen lebenden Janajati am wenigsten zugute,
sodass diese weiterhin am stärksten von Armut betroffen sind. Die Armutsinzidenz sank bei den Dalits von 59 auf 47 und
bei den in den Bergen lebenden Janajati von 49 auf 44 Prozent, während die höchste Kastengruppe der Brahmanen/
Chhetri den stärksten Rückgang der Armutsinzidenz verzeichnete (von 34 auf 19 Prozent), gefolgt von den in den Ebenen
lebenden Janajati (von 53 auf 36 Prozent).
Bei einer IAA-Umfrage bei Dalits in Nepal im Jahr 20021 gaben 43 Prozent der Auskunftspersonen an, Analphabeten zu
sein (34,6 Prozent der männlichen und 62,2 Prozent der weiblichen Auskunftspersonen). Der Wert liegt 5 Prozentpunkte
unter dem nationalen Durchschnitt. Nur 6,3 Prozent der Auskunftspersonen über 14 Jahre hatten eine Berufsausbildung in
irgendeiner Form erhalten, und 80 Prozent von diesen waren männlichen Geschlechts. 71 Prozent der Auskunftspersonen
erklärten, auf den Stellen, die sie im formellen oder privaten Sektor innegehabt hatten, niedrigere Löhne als Angehörige
anderer Gruppen erhalten zu haben. Die meisten, die Arbeit außerhalb der für niedrige Kasten typischen Berufe hatten
finden können, hatten Lohnarbeit in der Landwirtschaft verrichtet. 48 Prozent meinten, offene Stellen wären für Dalits
wegen ihrer Kastenangehörigkeit nicht zugänglich, und 21 Prozent erklärten, wegen ihrer Kastenzugehörigkeit bei einer
Stellenbewerbung abgelehnt worden zu sein.
1 Eine in 1.447 Haushalten in 60 Dalit-Siedlungen und 18 Distriken Nepals durchgeführte Haushaltserhebung.

Quelle: DFID und Weltbank: Unequal citizens – Gender, caste and ethnic exclusion in Nepal (Kathmandu, 2006); IAA: „Discrimination and
forced labour of occupational castes in Nepal, 2003“ (unveröffentlichtes Dokument).

nicht gleichzeitig die strukturellen Ursachen „Sklaven“ gegeben. Im Lauf der Zeit haben sich
bekämpft und die kastenbedingten Hürden abge- diese Unterschiede abgeschliffen, insbesondere bei
baut werden. sesshaften Gruppen. Bis zu einem gewissen Grad
134. Diskriminierung aufgrund der Kastenzuge- gab es sogar soziale und wirtschaftliche Mobilität,
hörigkeit ähnlich dem System der „Unberühr- vor allem infolge saisonaler oder länger währender
barkeit“ in Südasien wurde auch in Afrika und im Arbeitsmigration in Nachbarländer. Beispiels-
Nahen Osten festgestellt. Die Gemeinschaft der weise entwickeln von Sklaven abstammende
Midgo in der Somali-Region von Äthiopien gelten männliche Tuareg, die gewöhnlich vorübergehend
als unrein, Unheil bringend, sündhaft und verun- aus der Region Bankilaré migrieren, Strategien,
reinigend, sodass sie es „verdienen“, von anderen um bei ihrer Rückkehr in die Heimat die soziale
gemieden und beleidigt zu werden. Die Midgo Hierarchie zu vermeiden – der erste Schritt eines
überleben dank Überweisungen von Angehörigen allmählichen Befreiungsprozesses 74 . Allerdings
der Gruppe, die im Ausland leben. In Nigeria scheinen von Sklaven abstammende Personen
werden die Osu als unberührbar und sozial abge- immer noch einer Reihe ausbeuterischer und
lehnt betrachtet. In Kenia wird eine Untergruppe diskriminierender Praktiken einschließlich
der Samburu, die als Ilkunono oder „Schmiede“ bestimmter Überreste von Zwangsarbeit unter-
bezeichnet wird, verachtet und diskriminiert. Im worfen zu sein 75 . In Studien wurde eine Unter-
Jemen bilden die Al Achdam eine sozial geächtete scheidung zwischen „aktiven“ und „passiven“
Gruppe, denen die staatsbürgerlichen Rechte Formen der Sklaverei vorgenommen 76.
verwehrt werden und die bei der Entsorgung von 136. Ein von der Regierung von Niger kürzlich
Exkrementen zum Einsatz kommen 73. unternommener positiver Schritt war die Ein-
135. Die soziale Schichtung im Niger ist ein nach setzung einer interministeriellen nationalen Kom-
wie vor komplexes und höchst brisantes Problem. mission gegen die verbleibenden Probleme im
Historisch hat es innerhalb einiger sozialer
Gruppen Unterscheidungen zwischen „Edlen“ und 74
F. Boyer: „L’esclavage chez les Touaregs de Bankilaré au
„Nicht-Edlen“ bzw. zwischen „Herren“ und miroir des migrations circulaires“, in Cahiers d’études
africaines, Nr. 179-180 (2005).
75
IAA: Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit, a.a.O.,
73
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, Unterkom- Abs. 201-206.
76
mission für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte: M. Oumarou: Défis et opportunités pour la Déclaration au
Progress report of Mr Yozo Yokota and Ms Chin-Sung Chung, Niger: Identification des obstacles à la mise en oeuvre des
Special Rapporteurs on the topic of discrimination based on principes et droits fondamentaux au travail et propositions de
work and descent, 58. Tagung, Dok. A/HRC/Sub.1/58/CRP.2, solutions au Niger, DECLARATION/WP4/2001 (Genf, IAA),
28. Juli 2006. S. 24.

41
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Zusammenhang mit Zwangsarbeit und Diskri- men der Umsetzung eines nationalen Aktionsplans
minierung. Sie soll die menschenwürdige Arbeit in Zusammenarbeit mit dem IAA solche Praktiken
und die Armutsbekämpfung fördern und im Rah- verhindern.

42
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

2. Neu anerkannte Formen von Diskriminierung

137. Dieses Kapitel untersucht die jüngsten Ent- Anteile der Menschen im Alter von 60 Jahren und
wicklungen bei den Mustern von Diskriminierung darüber an der Gesamtbevölkerung kleiner, neh-
wegen Gründen, die im Übereinkommen Nr. 111 men jedoch wesentlich rascher zu (Abbil-
nicht explizit aufgeführt sind, denen in vielen dung 2.9).
Mitgliedstaaten jedoch mittlerweile im geltenden
Recht Rechnung getragen wurde. Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer
141. Eine oft ungerechtfertigte Schlechterbehand-
Ein Arbeitsplatz für Menschen jeden Alters: lung aufgrund des Alters scheint ein wichtiger
Ein erreichbares Ziel? Faktor für den niedrigeren beruflichen Status
138. Das Alter wird überall auf der Welt zu einer jüngerer Arbeitnehmer und insbesondere für den
zunehmend wichtigen Determinante des berufli- Umstand zu sein, dass sie unverhältnismäßig
chen Status und der Erträge aus Arbeit. Von der häufig in Aushilfsjobs mit niedrigeren Leistungen,
Diskriminierung aufgrund des Alters sind Per- Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschan-
sonen an beiden Enden des Altersspektrums cen anzutreffen sind. Neuere Umfragen zeigen,
betroffen, wenngleich sich ihre Erscheinungs- dass jüngere Arbeitnehmer im Gegensatz zur
formen und die Gründe, die zu ihr führen, danach gängigen Meinung anfälliger für Diskriminierung
unterscheiden, ob es sich um jüngere oder ältere aufgrund des Alters sein können als ältere. Laut
Arbeitnehmer handelt. Darüber hinaus ist die einem Bericht des britischen Arbeitgeberforums
Überzeugung tief verwurzelt, dass eine hohe für Altersfragen (EFA) ist die Altersdiskriminie-
Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer nur zu rung bei der Arbeit für Menschen unter 20 ein
Lasten jüngerer Personen erreicht werden kann, größeres Problem als für 50- bis 60-Jährige 79.
die neu in den Arbeitsmarkt eintreten, oder umge- 142. Die Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer
kehrt. Dies kann den Staat dazu bewegen, eine kann viele Formen annehmen; z. B. die Zahlung
Gruppe gegenüber der anderen zu bevorzugen und eines niedrigen Anfangsgehalts für jüngere Arbeit-
auf diese Weise die Diskriminierung Letzterer nehmer, angeblich gerechtfertigt dadurch, dass sie
verschärfen. unerfahrener sind. Niedrigere Löhne sollen auch
139. Die dringende Notwendigkeit, Arbeitsplätze zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit bei-
für Menschen aller Altersgruppen zu schaffen, tragen, weil Arbeitgeber hierdurch Anreize zur
wird durch die neueren Trends unterstrichen. 2005 Einstellung jüngerer Arbeitnehmer erhalten 80 .
entfielen weltweit 44 Prozent aller Arbeitslosen Diese Vorgehensweise könnte für Stellen mit
auf Jugendliche, obwohl ihr Anteil an der Gesamt- Qualifikationsanforderungen gerechtfertigt sein,
erwerbsbevölkerung im Alter von 15 Jahren und die höher sind als diejenigen, über die Jugendliche
darüber nur 25 Prozent ausmachte. Das heißt, bei verfügen, weil Arbeitgeber so angeregt werden
Jugendlichen ist die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos könnten, ihre geringere Erfahrung durch Investi-
zu sein, dreimal so hoch wie bei Erwachsenen. tionen in ihre berufliche Weiterbildung wettzu-
Des Weiteren lebten mehr als 300 Millionen machen. Unter anderen Umständen stellt sie
Jugendliche oder 25 Prozent der jugendlichen jedoch einen Verstoß des in der Erklärung der
Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von IAO festgeschriebenen Prinzips der gleichen
2 US-Dollar pro Tag 77. Entlohnung für gleichwertige Arbeit dar. Zudem
140. Auf der anderen Seite wird es bis 2030 in haben sich niedrigere Löhne für jüngere Arbeit-
der EU 110 Millionen Menschen über 65 Jahre nehmer nicht als wirksames Mittel zur Verringe-
geben – verglichen mit 71 Millionen im Jahr 2000. rung der Jugendarbeitslosigkeit erwiesen 81.
Für das Verhältnis der Arbeitnehmer zu denen
über 65 bedeutet dies einen Rückgang von 4,27
auf 2,55 78. In den Entwicklungsländern sind die

79
Employers Forum on Age (EFA): „Age stereotypes
defunct“, 17. Febr. 2005, unter www.efa.org.uk/press/press-
release005.asp.
80
G. Rosas; G. Rossignotti: „Starting the new millennium
right: Decent employment for young people“, in International
77
IAA: Global employment trends for youth (Genf, 2006). Labour Review, Jg. 144, Nr. 2 (2005), S. 139-160.
78 81
EQUAL: „Schwindendes Arbeitskräfteangebot? Nicht nur M. Godfrey: Youth employment policy in developing and
eine demografische Frage“, Policy brief, unter europa.eu.int/ transition countries: Prevention as well as cure, Social Protec-
comm/employment_social/equal/policy-briefs/etg3-working- tion Discussion Paper, Nr. 0320 (Washington, DC, Weltbank,
life-cycle_de.cfm. 2003).

43
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Abbildung 2.9. Bevölkerungsanteil im Alter von 60 Jahren und darüber, ausgewählte Länder,
2000 und 2020
2000 2020
35.0

30.0

25.0

20.0

15.0

10.0

5.0

0.0

ie
n s n le na en ba do
r n en en n an n si
a o ru a
re a t i o
n
pu
r a a d n ei n e u a y u e la
ru ilie hi hi bi ie di si l ie st no ik
Pe r ik nk an ie rk ai
nt
in la as C C Ku ua rg In ne Ita ch ba al
ay ex Ko d er g a d a f i L a h a il es T ü U kr
g z
e Be Br l um Ec eo o a Li M
M in ü r T un U
ru ne
A rg Ko G
I nd K as F ö S S S T Ve
he
sc
si
us
R

Quelle: United Nations Department of Economic and Social Affairs: World Population Prospects: The 2004 Revision, Population Database, unter
esa.un.org/unpp/index.asp?panel=2.

143. Zu den anderen Formen der Diskriminierung jüngere Immigranten der zweiten Generation und
jüngerer Arbeitnehmer zählen längere Probezeiten insbesondere solche nordafrikanischer Herkunft
als für ältere Arbeitnehmer und die stärkere beiderlei Geschlechts in Stellenanzeigen und bei
Nutzung flexibler Vertragsformen oder spezieller der Einstellung verbreitet diskriminiert werden.
Verträge bei der Einstellung jüngerer Arbeitneh- Entgeltunterschiede zwischen jüngeren Franzosen
mer 82. Die verfügbaren Belege sind nicht beweis- und jüngeren Immigranten beruhen vollständig auf
kräftig, aber neuere Daten der Europäischen berufsbedingten Unterschieden. Bei den Unter-
Kommission zeigen, dass mehr als 30 Prozent der schieden zwischen jüngeren Französinnen und
jüngeren Arbeitnehmer mit Zeitverträgen nach jüngeren Immigrantinnen kommt jedoch Entgel-
einem Jahr einen festen Arbeitsplatz gefunden tungleichheit bei gleichwertiger Arbeit hinzu. Alle
hatten. Sechs Jahre später hatten jedoch 20 Pro- jungen Frauen werden jedoch unabhängig von
zent das Beschäftigungsverhältnis aufgegeben, ihrer Nationalität und Herkunft mit Blick auf das
und etwa 16 Prozent hatten noch immer prekäre Entgelt zusätzlich aufgrund ihres Geschlechts
Stellen inne. Eine anfänglich ungünstigere diskriminiert.
Behandlung kann deshalb weit reichende Konse- 145. In Brasilien wiesen 2004 schwarze wie
quenzen für das spätere Arbeitsleben junger weiße männliche Jugendliche in den Altersgrup-
Menschen haben, die in den Arbeitsmarkt ein- pen der 15- bis 19-Jährigen und der 20- bis 24-
treten. Jährigen ähnliche Beschäftigungs- und Arbeits-
144. Jüngere Arbeitnehmer können auch diskri- losenquoten auf. Sowohl weiße als auch schwarze
miniert werden, indem es ihnen aufgrund ihres weibliche Jugendliche verzeichneten höhere
Geschlechts, ihrer Nationalität, ihrer Rasse oder Arbeitslosen- und niedrigere Beschäftigungs-
ihrer ethnischen Herkunft oder einer Kombination quoten als gleichaltrige männliche Jugendliche.
dieser Faktoren erschwert wird, eine Stelle zu Dies lässt darauf schließen, dass in dem Land das
finden, eine Ausbildung zu erhalten oder gleiches Geschlecht als Diskriminierungsgrund schwerer
Entgelt für gleichwertige Arbeit zu erhalten. wiegt als die Rasse. Mit den höchsten Arbeitslo-
Untersuchungen 83 zeigen, dass in Frankreich senquoten und den niedrigsten Beschäftigungs-

82
R. Diez de Medina: Jóvenes y empleo en los noventa
(Montevideo, CINTERFOR, 2001). O. Joseph; S. Lemière: La discrimination de genre et d’origine
83
Siehe P. Simon: „France and the unknown second genera- à l’encontre des jeunes sur le marché du travail: Mesures à
tion: Preliminary results on social mobility“, in International partir de différents aspects des situations professionnelles,
Migration Review, Jg. 37, Nr. 4 (2003), S. 1091-1119; März 2005, unter www.cereq.fr/pdf/Net-Doc-12.pdf.

44
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

quoten waren junge schwarze Frauen am stärksten 150. Interessanterweise scheinen Klein- und Mit-
benachteiligt (Abbildungen 2.10 und 2.11). telunternehmen bereiter als große Firmen, ältere
146. In den Vereinigten Staaten standen sich 2005 Arbeitnehmer einzustellen. Dies gilt insbesondere,
Schwarze im Alter zwischen 15 und 24 Jahren wenn die Arbeitnehmer früher in Großunterneh-
wesentlich schlechter als gleichaltrige Weiße. men beschäftigt waren 86. Dies bedeutet allerdings
Junge schwarze Frauen schnitten jedoch besser ab nicht, dass KMU weniger voreingenommen sind
als junge schwarze Männer: Sie hatten höhere als Großunternehmen: Weil sie weniger in die
Beschäftigungs- und niedrigere Arbeitslosenquo- Fortbildung investieren, könnte es eher darauf hin-
ten (Abbildung 2.12). Die besseren Ergebnisse bei weisen, dass sie gerne von den Fortbildungsaktivi-
jungen schwarzen Frauen wurde auf angespannte täten größerer Unternehmen profitieren möchten.
Arbeitsmärkte und die steigende Nachfrage im 151. Gesellschaftliche Auffassungen ändern sich
Dienstleistungssektor, den Übergang von Sozial- nur langsam. Gesetzliche Verbote der Altersdiskri-
hilfe zu Fördern und Fordern sowie die höheren minierung sind daher ein wichtiges Instrument für
Einkommenszuschüsse insbesondere für Arme eine beschleunigte Verhaltensänderung. In Län-
trotz Armut mit Kindern zurückgeführt 84. dern wie Neuseeland, Australien, Kanada und den
Vereinigten Staaten ist die Altersdiskriminierung
Diskriminierung älterer Arbeitnehmer seit vielen Jahren gesetzlich verboten. Unter dem
Einfluss der Rahmenrichtlinie für die Verwirk-
147. Eine negative Haltung gegenüber der Ein-
lichung der Gleichbehandlung 87 haben die meis-
stellung und Weiterbeschäftigung älterer Arbeit-
ten EU-Länder in den letzten Jahren die Bestim-
nehmer beruht auf Ansichten, nach denen sie
mungen zur Altersdiskriminierung in nationales
langsam lernen, weniger anpassungsfähig sind und
Recht umgesetzt. Beispielsweise trat im Vereinig-
ihr gesundheitlicher Zustand zu wünschen lässt.
ten Königreich im Oktober 2006 das Gesetz gegen
Altersunfreundliche Arbeitsbedingungen sind eine
Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz (Employ-
Erscheinungsform ihrer Diskriminierung. Innova-
ment Equality (Age) Regulations) in Kraft, das die
tive Erfahrungen zeigen jedoch, dass Vorurteile
mittelbare und unmittelbare Diskriminierung,
bezüglich des Alters abgebaut werden können,
Schikanierung und Benachteiligung aufgrund des
wenn Arbeitsstätten durch Arbeitsplatzumgestal-
Alters von Personen jeglichen Alters – jung oder
tung oder Arbeitsumorganisation besser an die
alt – untersagt.
Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer angepasst wer-
152. In Neuseeland hat das gesetzliche Verbot der
den (Kasten 2.9).
Ungleichbehandlung aufgrund des Alters die
148. Zusätzliche Hindernisse für die Einstellung
offensichtlichsten Formen der Altersdiskriminie-
älterer Arbeitnehmer können in den Annahmen
rung wie diskriminierende Stellenanzeigen oder
bestehen, dass ihre Beschäftigung mit höheren
Internet-Seiten mit diskriminierenden Beschrei-
Kosten verbunden ist und ihre Produktivität mit
bungen offener Stellen aus der Welt geschafft. Es
dem Rückgang ihrer körperlichen und geistigen
hat sich jedoch als weniger geeignet zur Bekämp-
Leistungsfähigkeit abnimmt. Diese Unterstellun-
fung der verdeckten Diskriminierung erwiesen,
gen sind vor allem in Ländern verbreitet, in denen
insbesondere bei der Einstellung und in der Perso-
die Lohnsysteme und die Leistungen besonders
nalbeschaffungsindustrie 88. Einer der Gründe für
stark an Alter und Betriebszugehörigkeit geknüpft
seine begrenzte Wirkung ist, dass seine Durch-
sind (Österreich, Belgien, Frankreich, Japan und
setzung von individuellen Klagen abhängig ist und
den Vereinigten Staaten) 85.
die Beweislast beim Kläger liegt. Dies hält Diskri-
149. Es ist jedoch irreführend anzunehmen, dass
minierungsopfer von der Klageeinreichung ab, vor
ältere Arbeitnehmer weniger produktiv sind. Ihre
allem dann, wenn die Diskriminierung mittelbar
Produktivität muss auf der Grundlage sowohl der
und deshalb schwieriger zu beweisen ist.
Bedeutung ihrer Qualifikationen und Kompeten-
zen für ihren aktuellen Arbeitsplatz als auch ihrer
Berufserfahrung beurteilt werden. Bei Arbeitneh-
mern, die lange unter schlechten Bedingungen
arbeiten mussten und deshalb unter gesundheitli-
chen Problemen leiden, ist eine nachlassende Pro-
duktivität wahrscheinlich, weshalb sie Anspruch
auf Schutz haben. 86
Siehe EIRO: „Industrial relations and the ageing workforce:
A review of measures to combat age discrimination in employ-
ment: The case of France“.
87
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. Nov. 2000 zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung
der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.
84
P. Edelman; H.J. Holzer; P. Offner: Reconnecting disadvan- 88
J. McGregor: „Combating employment discrimination and
taged young men (Washington, DC, The Urban Institute Press, older workers in New Zealand: The law, the rhetoric and
2006), S. 18-19. reality“, in P. Thew; K. Eastman; J. Bourke (Hrsg.): Age
85
Siehe OECD: Ageing and employment policies, series, discrimination: Mitigating risk at the workplace (Sydney, CCH
various countries (Paris 2005). Australia Limited, 2005), S. 156-167.

45
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Abbildung 2.10. Beschäftigungs- und Arbeitslosenquoten nach Rasse und Geschlecht,


Alter 20 bis 24 Jahre, Brasilien, 2004
80

70

60
B e s c h ä f t ig u n g s r a t e

50

40

30

20 A r b e it s lo s e n r a t e

10

0
w e i ß , m ä n n lic h w e iß , w e ib l ic h s c h w a r z , w e i b l ic h s c h w a r z , m ä n n lic h

Quelle: National Houshold Sampling Survey (PNAD).

Abbildung 2.11. Beschäftigungs- und Arbeitslosenquoten nach Rasse und Geschlecht,


Alter 15 bis 19 Jahre, Brasilien, 2004
50
B e s c h ä f t ig u n g s r a t e
45

40

35

30

25 A r b e it s lo s e n r a t e

20

15

0
w e i ß , m ä n n lic h w e iß , w e ib l ic h s c h w a r z , w e i b l ic h s c h w a r z , m ä n n lic h

Quelle: Ebd.

Der Trugschluss der Substituierung älterer gerne Frühverrentungsprogramme nutzt 89 . Selbst


durch jüngere Arbeitnehmer Frühverrentungsprogramme mit Ersatzklauseln
hatten nur eine geringe Wirkung, weil neu in den
153. Empirische Belege zeigen, dass ältere
Markt eintretenden Arbeitnehmern häufig die
Arbeitnehmer selten durch jüngere ersetzt werden.
Erfahrungen und die Qualifikationen fehlten, die
Neueinstellungen erfolgen in wesentlich höherem
von älteren Arbeitnehmern freigemachte Stellen
Maß im Dienstleistungssektor und durch kleinere
erforderten. Nach Untersuchungen der OECD
Unternehmen, während man im Industriesektor
und für die Industrieberufe in Großunternehmen
89
P. Auer; M. Fortuny: „Ageing of the labour force in OECD
countries: Economic and social consequences”, Employment
Paper 2000/2 (Genf, IAA).

46
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Abbildung 2.12. Beschäftigungs- und Arbeitslosenquoten nach Rasse und Geschlecht,


Alter 16 bis 24 Jahre, Vereinigte Staaten, 2004
70

60
B e s c h ä f t ig u n g s r a t e
50

40

30

20
A r b e it s lo s e n r a t e

10

0
w e i ß , m ä n n lic h w e iß , w e ib l ic h s c h w a r z , w e i b l ic h s c h w a r z , m ä n n lic h

Quelle: Statistikamt der Vereinigten Staaten.

Kasten 2.9
Unternehmensinitiativen: Anpassung von Arbeitsstätten an ältere Arbeitnehmer

Gesundheits- und Arbeitsschutzmaßnahmen sind sehr wichtig. Dies gilt insbesondere, weil die Schwere von Arbeits-
unfällen mit dem Alter zunimmt. Präventivmaßnahmen wie die Anpassung der Arbeitsstätte an die Bedürfnisse älterer
Arbeitnehmer oder die Einführung flexiblerer Arbeitszeiten können sehr hilfreich sein. In den Vereinigten Staaten haben
Arbeitgeber im Gesundheitswesen die Belastung von Krankenschwestern verringert, indem sie hydraulisch verstellbare
Krankenhausbetten installiert haben. In Australien hat ein Vertriebshändler von Medizinprodukten, dessen Personal sich zu
einem Drittel aus Frauen über 45 Jahre zusammensetzt, Pausen während der Arbeitszeit und Teilzeitarbeit eingeführt und
EDV-Fortbildung für des Umgangs mit dem Computer Unkundige angeboten – mit dem Ergebnis, dass es in zwei Jahren
keine Personalfluktuation gab. In Österreich hat der Geokunststoffhersteller Polyfelt die Wochenarbeitszeit auf 34 Stunden
reduziert und neue Schichtmuster eingeführt, d.h. 5 statt 4 Schichten mit 3 bis 4 schichtfreien Tagen und 6 Nachtschichten
pro Monat (vorher 8). In Deutschland hat Volkswagen ein System von Zeitgutschriften entwickelt, das Arbeitnehmern
ermöglicht, Teile ihres Bruttoeinkommens, Zahlungen für Sonderschichten, Aufschläge, Sonderurlaub und Überstunden auf
einem speziellen Konto anzulegen. Die Arbeitnehmer können ihr „Guthaben“ nach eigenem Ermessen verwenden und ab
55 Jahren gegen Freizeit eintauschen oder nach dem Renteneintritt ein höheres Alterseinkommen erhalten.
Quellen: Kapitel 4 „Age discrimination and human resource management in practice“, in P. Thew; K. Eastman; J. Bourke (Hrsg.): Age
discrimination: Mitigating risk in the workplace (Sydney, CCH Australia Limited, 2005); und A. Jolivet; S. Lee: Employment conditions in an
ageing world: Meeting the working time challenge, Conditions of Work and Employment Series, Nr. 9 (Genf, IAA, 2004).

resultierte der Einsatz solcher Programme in wohlausgewogenen Gesamtstrategie für Vollbe-


Ländern wie Belgien und Frankreich in einem schäftigung eingebettet werden, die in Überein-
drastischen Rückgang der Beschäftigungsquoten stimmung mit der IAO-Empfehlung (Nr. 162)
älterer Menschen. Gleichzeitig führten sie weder betreffend ältere Arbeitnehmer, 1980, allen Bevöl-
zu höherer Jugendbeschäftigung noch zu nied- kerungsgruppen angemessen Rechnung trägt. Eine
rigerer Jugendarbeitslosigkeit 90. Gesellschaft für alle Altersgruppen erfordert ein
154. Die Verlagerung der Beschäftigungspro- Umdenken in Bezug auf die Vorstellungen vom
bleme von einer Bevölkerungsgruppe auf eine herkömmlichen Erwerbslebenszyklus und die Ein-
andere kann nicht die Lösung sein: Ältere Arbeit- führung flexibler und maßgeschneiderter Arbeits-
nehmer betreffende Maßnahmen dürfen nicht iso- muster 91. Um den Übergang von der Konkurrenz
liert von denen jüngerer Arbeitnehmer getroffen
werden, sondern müssen in den Kontext einer 91
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Grünbuch
„Angesichts des demografischen Wandels: Eine neue Solidari-
90
OECD: Live longer, work longer, Ageing and Employment tät zwischen den Generationen“ (Brüssel, 16. März 2005),
Policies synthesis report (Paris, 2006). COM (2005) 94 final.

47
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

zur Solidarität zwischen Altersgruppen herbeizu- linie. In anderen wie Frankreich gibt es keine
führen, ist dies unverzichtbar. konkrete Bestimmung, die die Anweisung zur
Diskriminierung aus diesem Grund gesetzwidrig
Diskriminierung aufgrund der sexuellen macht. In Lettland ist die Diskriminierung
Orientierung aufgrund der sexuellen Orientierung in der Berufs-
beratung und Berufsausbildung nicht verboten. In
155. Eine Person, deren sexuelle Orientierung vielen Ländern fällt die sexuelle Orientierung
nicht mit den vorherrschenden und etablierten nicht in die Zuständigkeit nationaler Antidiskri-
Mustern übereinstimmt, kann mit verbaler, psychi- minierungsstellen.
scher und körperlicher Gewaltanwendung und
Hassakten konfrontiert werden. Homosexualität ist
in einer Reihe von Ländern auf der Welt nach wie Diskriminierung aufgrund von Behinderung
vor verboten und kann vielerorts mit Leibes- oder 158. Etwa 650 Millionen Menschen oder 10 Pro-
Haftstrafen geahndet werden 92. zent der Weltbevölkerung leben mit einer kör-
156. Bei der Arbeit können Arbeitnehmer dis- perlichen oder geistigen Behinderung. Statistiken
kriminiert werden, wenn sie bekannterweise oder lassen darauf schließen, dass etwa 20 Prozent der
mutmaßlich lesbisch, schwul, bisexuell oder Betroffenen mit ihrer Behinderung auf die Welt
Transgender-Personen 93 sind (Kasten 2.10). kommen, während die meisten sie nach der
157. Die Bekämpfung der Diskriminierung auf- Vollendung des 16. Lebensjahres erleiden und
grund der sexuellen Orientierung hat für die zwar primär im Arbeitsleben 96. Die große Mehr-
internationalen und nationalen Menschenrechts- heit der Menschen mit Behinderungen – 80 Pro-
institutionen und -mechanismen zunehmend an zent – lebt in Entwicklungsländern.
Bedeutung gewonnen 94 . In einer Reihe von 159. Etwa 470 Millionen Menschen mit Behin-
Ländern wurden gesetzliche Bestimmungen zur derungen sind im erwerbsfähigen Alter 97. Bei der
Bekämpfung der Diskriminierung bei der Arbeit Größe der Bevölkerung mit Behinderungen im
aufgrund der sexuellen Orientierung angenommen erwerbsfähigen Alter sowie ihrer Arbeitslosen-
(Übersicht 2.7). Dies geschah in den letzten drei und Beschäftigungsquoten bestehen länderüber-
Jahren vor allem in den 25 EU-Ländern nach der greifend große Unterschiede. Darin spiegelt sich
Annahme der Verabschiedung Gleichbehand- zum Teil die Vielfalt der weltweit verwendeten
lungsrichtlinie, die u.a. die Diskriminierung auf Definitionen und Methodologien zur Erfassung
Grund der sexuellen Orientierung verbietet. Bei von Behinderung wieder (siehe Teil I, Kapitel 2).
der Umsetzung der Richtlinie wurden jedoch eine Ihre Erwerbsquoten liegen jedoch überall deutlich
Reihe von Defiziten bemängelt 95 . In einigen unter dem Durchschnitt. Dies beruht u.a. auf ihren
Mitgliedstaaten wie in Estland ist die Definition niedrigeren Bildungs- und Berufsabschlüssen, die
von Schikanierung restriktiver als in der Richt- sich wiederum auf gesellschaftliche und institu-
tionelle Beschränkungen der Chancengleichheit
für Menschen mit Behinderungen im Bildungs-
92
Siehe Le Monde und International Lesbian and Gay Asso- wesen und in der Berufsausbildung zurückführen
ciation (ILGA): State homophobia, a „world legal map“ of lassen.
legislation affecting LGBT people (2004), unter www.ilga.org/ 160. In Brasilien sind die Erwerbsquoten von
statehomophobia/ StateHomophobia3.jpg. Frauen mit einer Behinderung niedriger als die der
93
„Transgender“ ist ein sehr weit gefasster Begriff. Darunter Männer dieser Gruppe, und der Unterschied
können Personen fallen, die mit stereotypen Geschlechtsnor- zwischen beiden ist größer als zwischen Behin-
men und gesellschaftlichen Vorstellungen nicht einverstanden
sind, ebenso wie Personen, die unter ihrem biologischen derten und Nichtbehinderten 98 . Nach Aufnahme
Geschlecht leiden. einer Erwerbstätigkeit verdienen Menschen mit
94
Beispielsweise kam das Thema der sexuellen Orientierung Behinderungen im Allgemeinen weniger als ent-
2003 auf die Tagesordnung des Menschenrechtsrates der sprechende Nichtbehinderte. Wenngleich sich
Vereinten Nationen, als Brasilien einen Resolutionsentwurf zu
Menschenrechten und sexueller Orientierung einbrachte. Die
sexuelle Orientierung wurde in den Berichten des Sonderbe- 96
richterstatters über außergerichtliche, summarische oder Siehe „Disabled employees: Labour standards, an Emplo-
willkürliche Hinrichtungen und der Sonderberichterstatterin yers’ Forum on Disability briefing for CSR practitioners“,
über Gewalt gegen Frauen, deren Ursachen und deren Folgen unter www.csreurope.org/csrinfo/csrdisability/Disabledemplo
behandelt (www.ohchr.org/english/bodies/chr/special/sexual yees.
97
orientation.htm). Siehe auch D. Sanders: „Human rights and Angaben zur Behinderung basieren auf der Schätzung der
sexual orientation in international law”, 11. Mai 2005, unter Weltgesundheitsorganisation, derzufolge 10 Prozent der Welt-
www.ilga.org/news_results.asp?FileCategory=44&ZoneID=7& bevölkerung an einer Behinderung leiden, und der Hauptab-
FileID=577. teilung wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten: World
95
Siehe J. Cormack; M. Bell: „Entwicklung des Antidiskrimi- Population Prospects: The 2004 Revision, Population Data-
nierungsrecht in Europa: Ein Vergleich in den 25 EU-Mit- base, unter esa.un.org/unpp.
98
gliedstaaten“, Bericht vorgelegt für das Europäische Netzwerk A. Bercovich: „People with disability in Brazil: A look at
unabhängiger Sachverständiger im Bereich der Nichtdiskrimi- 2000 Census results“, Instituto Brasileiro de Geografia e Esta-
nierung, Sept. 2005, unter web20.s112.typo3server.com/ tística, Population Census Committee, 2001, unter
fileadmin/pdfs/Reports/Law_Report_2005/05compan_de.pdf. iussp2005.princeton.edu/download.aspx?submissionId=52108.

48
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Kasten 2.10
Erscheinungsformen von Diskriminierung bei der Arbeit aufgrund der sexuellen Orientierung

Ablehnung der Beschäftigung, Entlassung, keine Beförderung.


Schikanierung: unangenehme Witze, Anspielungen und anzügliche Bemerkungen, Beleidigungen, üble Nachrede,
Beschimpfungen, Mobbing und Benachteiligung, falsche Anschuldigungen des Kindesmissbrauchs, Graffiti, beleidigende
Anrufe, anonyme Post, Eigentumsbeschädigung, Erpressung, Gewaltandrohung und sogar Todesdrohungen.
Verwehrung von Leistungen beim gleichgeschlechtlichen Partner (beispielsweise Sonderurlaub aus diversen Anlässen wie
Umzug/Kindesgeburt/Elternurlaub/Pflege eines erkrankten Partners/Trauerfall, Bildungseinrichtungen für Betriebsange-
hörige und ihre Familien, kostenlose oder vergünstigte Waren oder Dienstleistungen des Arbeitgebers, Hinterbliebenen-
leistungen bei Betriebsrenten oder Lebensversicherungen, Krankenversicherung für Betriebsangehörige und ihre
Familien).
Selbstausgrenzung (wenn beispielsweise Homosexuelle bestimmte Stellen, Laufbahnen oder Arbeitgeber meiden, weil sie
befürchten, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden).

Übersicht 2.7. Beispiele für Gesetzgebung, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen
Orientierung verbietet

Anwendungsbereich: Allgemeines Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung


Australien Gesetz über die Kommission für Menschenrechte und Chancengleichheit, 1986
Bulgarien Gesetz vom 24. September 2003 über den Schutz vor Diskriminierung
Ecuador Politische Verfassung der Republik Ecuador vom 5. Juni 1998 (Artikel 23)
Fidschi Gesetz Nr. 13 von 1997 zur Ergänzung der Verfassung
Kanada Kanadisches Menschenrechtsgesetz in der novellierten Fassung vom 20. Juni 1996
Republik Korea Gesetz über die Menschenrechtskommission (Nr. 6481 von Mai 2001)
Neuseeland Menschenrechtsgesetz vom 10. August 1993 (Nr. 82 von 1993)

Anwendungsbereich: Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in der


Beschäftigung
Dänemark Gesetz Nr. 756 von 2004 über das Verbot der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt
Finnland Nichtdiskriminierungsgesetz (Nr. 21/2004)
Israel Gesetz über die Chancengleichheit in der Beschäftigung 5748-1988
Kroatien Arbeitsgesetz von 1995 in der novellierten Fassung von 2003
Litauen Gesetz Nr. IX-926 (Arbeitsgesetz) vom 4. Juni 2002
Malta Vorschriften zur Gleichbehandlung in der Beschäftigung von 2004
Norwegen Gesetz über das Arbeitsumfeld (Nr. 62 von Juni 2005)
Schweden Gesetz Nr. 479 von 2005 zur Novellierung von Gesetz Nr. 133 von 1999 (Verbot der
Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben)
Slowakei Antidiskriminierungsgesetz Nr. 365/2004
Slowenien Gesetz über das Arbeitsverhältnis vom 24. April 2002
Südafrika Gesetz Nr. 55 von 1998 über die Gleichstellung in der Beschäftigung in der
novellierten Fassung von 2006
Timor Leste Vorschrift Nr. 2002/5 zur Verabschiedung eines Arbeitsgesetzes in Timor Leste
Ungarn Gesetz CXXV vom 22. Dezember 2003 zur Gleichbehandlung und Förderung von
Chancengleichheit
Vereinigtes Vorschriften (Nr. 1661) zur Gleichbehandlung in der Beschäftigung (sexuelle
Königreich Orientierung) 2003

Quelle: IAA: NATLEX-Datenbank, unter www.ilo.org/dyn/natlex/natlex_browse.home?.

49
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

dieser Verdienstunterschied zu einem beträchtli- oder unfähig, berufliche Anforderungen zu


chen Teil mit ihren niedrigeren Bildungsleistun- erfüllen, oder ihre Beschäftigung ziehe zu hohe
gen erklären lässt, muss ein anderer jedoch auf Kosten nach sich. Manche Unternehmen haben
Diskriminierung zurückgeführt werden. Genauso jedoch festgestellt, dass Integrationskosten nicht
wichtig sind die Entgeltunterschiede zwischen zu hoch sein müssen (Kasten 2.11).
männlichen und weiblichen Behinderten. Sie 164. Diskriminierung ist vor allem in der Ein-
erreichen z. B. in Kanada bis zu 39 Prozent. Die stellungsphase verbreitet: Eine in Frankreich
Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft hilft, die durchgeführte Umfrage zeigt, dass weniger als
Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne 2 Prozent der Personen, die in ihrem Lebenslauf
Behinderungen zu verkleinern. Weniger wirksam ihre Behinderung erwähnt hatten, eine Antwort
ist sie, wenn es darum geht, Frauen zu helfen, ein erhielten und zu einem Einstellungsgespräch
höheres Entgeltniveau im Vergleich zu männ- eingeladen wurden 104.
lichen Behinderten zu erreichen. Dies verweist auf 165. Gleichwohl ist die Zahl der Fälle von Dis-
eine zusätzliche Diskriminierung beim Entgelt kriminierung aufgrund von Behinderung sowohl
aufgrund des Geschlechts 99. absolut als auch relativ in mehreren Ländern
161. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede angestiegen (Kasten 2.12). Dies lässt darauf
der Arbeitslosenquoten in den Ländern im Nahen schließen, dass mittlerweile besser verstanden
Osten und in Nordafrika zählen zu den größten auf wird, wie ungerecht diese Form von Diskrimi-
der Welt (6 Prozent höher für Frauen als für nierung ist. Die Entwicklung kann jedoch auch auf
Männer im Jahr 2003). Dies lässt vermuten, dass der Verlagerung der Beweislast vom Opfer auf
behinderte Frauen bei der Arbeitsuche im Ver- den Arbeitgeber oder eine Kombination von
gleich zu behinderten Männern mit zusätzlichen beidem beruhen.
Hürden konfrontiert sind 100 . Gewalt stellt eine
zusätzliche Erscheinungsform der Diskriminie- Anhaltende Stigmatisierung und
rung aufgrund des Geschlechts dar: Für Frauen Diskriminierung von Menschen mit
besteht ein größeres Risiko, Opfer von Gewalt zu
werden, insbesondere von unmittelbarer körperli- HIV/Aids
cher Gewalt und sexuellem Missbrauch. Eine 166. Derzeit leben weltweit etwa 40 Millionen
2004 in Simbabwe durchgeführte Untersuchung Menschen mit HIV/Aids, verglichen mit 37 Mil-
ergab, dass 87,4 Prozent der Mädchen mit Behin- lionen im Jahr 2003. Von diesen lebt die große
derungen sexuell missbraucht worden waren und Mehrheit (95 Prozent) in Entwicklungsländern.
von diesen 52,4 Prozent positiv auf HIV getestet Die am stärksten betroffene Region ist Afrika
wurden. Die Situation stellt sich in Namibia und südlich der Sahara, worauf lediglich 10 Prozent
Botsuana ähnlich dar 101. der Weltbevölkerung, aber 60 Prozent aller Men-
162. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person schen mit HIV/Aids entfallen. Die Epidemie
mit einer Behinderung eine Stelle findet, scheint breitet sich jedoch auch in Asien, Osteuropa und
mit zunehmendem Grad der Behinderung zu Zentralasien rasch aus 105 . Die Prävalenz nimmt
sinken 102 . In Europa haben Personen im Alter am raschesten bei jungen Erwachsenen zwischen
zwischen 16 und 64 Jahren eine Wahrscheinlich- 15 und 29 Jahren und vor allem bei Mädchen und
keit von 66 Prozent, eine Stelle zu finden. Dieser jungen Frauen zu.
Wert sinkt bei leicht behinderten Personen auf 47 167. 90 Prozent der Menschen mit HIV/Aids
und bei stark behinderten auf 25 Prozent 103. oder weltweit 36 Millionen Menschen sind in
163. Eine wichtige Ursache für die Ausgrenzung irgendeiner Form wirtschaftlich aktiv. Die meisten
oder Benachteiligung von Menschen mit Behinde- von ihnen sind zwischen 15 und 49 Jahre alt, d.h.
rungen ist nach wie vor, dass häufig die sie kommen aus dem produktivsten Segment der
Auffassung vorherrscht, sie seien unproduktiv Erwerbsbevölkerung 106. Jedes Jahr sterben 3 Mil-
lionen Menschen im erwerbsfähigen Alter an den
99
Folgen von HIV/Aids. Bis 2005 belief sich der
Siehe „There’s room at the top for workers with disabilities: Verlust an Produktivkräften bereits auf etwa
Canadian research shows union membership and gender are
key factors”, unter www.disabilityworld.org/06-08_04/
employment/canadianresearch.shtml.
100
Weltbank: „A note on disability issues in the Middle East 104
Observatoire des Discriminations: „Discriminations à
and North Africa“, Human Development Department, Juni l’embauche: de l’envoi du CV à l’entretien“, Apr. 2005, Paris,
2005. unter www.cergors.univ-paris1.fr/docsatelecharger/Discrimina
101
G. Charowa: „Women with disabilities in Zimbabwe expe- tionsenvoientretien.pdf.
rience discrimination“, 15. Nov. 2005, unter www.disability 105
Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen für HIV/
world.org/12-01_06/zimbabwewomen.shtml. Aids (UNAIDS): „UNAIDS/WHO AIDS epidemic update“,
102
Siehe IAA: „Trade unions and disabilities: Promoting Dez. 2005.
decent work, combating discrimination“, Labour Education 106
IAA: Saving lives, protecting jobs, International HIV/AIDS
2004/4, Nr. 137. Workplace Education Programme, SHARE: Strategic HIV/
103
Siehe www.csreurope.org/csrinfo/csrdisability/Disability AIDS Responses by Enterprises, Zwischenbericht (Genf,
andemployment. 2006), S. viii.

50
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Kasten 2.11
Unternehmen widerlegen das Kostenargument

65 Prozent der australischen Arbeitgeber beurteilten die Kosten der Bereitstellung von Arbeitsplätzen für Behinderte als
neutral, und 20 Prozent gaben an, insgesamt einen finanziellen Nutzen zu erzielen. Die durchschnittlichen Einstellungs-
kosten eines behinderten Arbeitnehmers betrugen 13 Prozent der durchschnittlichen Einstellungskosten eines nicht
behinderten Arbeitnehmers. DuPont hat Untersuchungen durchgeführt, nach denen Umfragen durchgängig belegen, dass
behinderte Arbeitnehmer ab dem Alter von 36 Jahren gleich gute oder bessere Leistungen erbringen als ihre nicht
behinderten Kollegen. Nur 4 Prozent der Behinderten im erwerbsfähigen Alter benötigen zusätzliche Anpassungen am
Arbeitsplatz. Die Kosten sind im Allgemeinen vernachlässigbar. Marks and Spencer hat nachgewiesen, dass zwei Drittel
der Anpassungen für Behinderte keinen finanziellen Aufwand erfordern.
Quelle: Siehe www.JobAccess.gov.au/ und www.csreurope.org.

Kasten 2.12
Zunehmende Zahl der Beschwerden wegen Diskriminierung in der Beschäftigung aufgrund von Behinderung

Im Vereinigten Königreich zeigt die Statistik der Arbeitsgerichte, dass 2004 ein für Arbeitgeber besonders kostspieliges
Jahr war: Wegen Diskriminierung aufgrund von Behinderung wurden die höchsten Entschädigungszahlungen verhängt. Ihr
Durchschnitt lag mit 28.889 britischen Pfund mehr als doppelt so hoch wie für den Diskriminierungsgrund mit dem
zweithöchsten Wert (Rasse mit 13.720 britischen Pfund). Die Gerichte sprachen den Klägern in 9 Prozent der Fälle von
Diskriminierung aufgrund von Behinderung Beträge über 100.000 britischen Pfund zu (in nur 1 Prozent bei Fällen von
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und 0 Prozent bei Fällen von Diskriminierung aufgrund von Rasse). In
Australien ging die Zahl der bei der Kommission für Menschenrechte und Chancengleichheit (HREOC) eingereichten
Beschwerden wegen Verstößen gegen das Gesetz über Diskriminierung aufgrund von Behinderung (DDA) zwischen 1994-
95 und 1998-99 zurück und blieb seitdem konstant. 2002-03 betrafen wie in den meisten Jahren mehr als die Hälfte aller
Beschwerden mit Bezugnahme auf das DDA (53 Prozent) den Beschäftigungssektor. In Hongkong verzeichnete die
Kommission für Chancengleichheit in den ersten fünf Monaten von 2006 eine Zunahme der Zahl der Beschwerden wegen
Diskriminierung. Von 305 Beschwerden (272 im gleichen Zeitraum des Vorjahrs) wurden 172 unter Bezugnahme auf das
Gesetz über Diskriminierung aufgrund von Behinderung eingereicht (eine Zunahme von 6 Prozent gegenüber dem
gleichen Zeitraum des Vorjahrs). Die Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund von Behinderung machten 56 Prozent
aller Beschwerden aus und lagen damit an erster Stelle vor Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts (40 Prozent) und Beschwerden wegen Diskriminierung aufgrund des Familienstands (4 Prozent). In den
Vereinigten Staaten wurden zwischen 1992 und 2005 bei der Gleichstellungsbehörde EEOC jährlich mehr als
70.000 Beschwerden eingereicht, von denen etwa 19 Prozent (220.000) auf das Behindertengleichstellungsgesetz (ADA)
Bezug nahmen. 2005 wurden unter Bezugnahme auf das ADA 14.983 Beschwerden eingereicht (19,7 Prozent aller
Beschwerden), für die Entschädigungen im Gesamtumfang von 44,8 Millionen US-Dollar zugesprochen wurden. Von den
417 von der EEOC 2005 angestrengten Gerichtsverfahren bezogen sich 11 Prozent (46) auf das ADA. Dieser Prozentsatz
ist seit 2002 relativ konstant geblieben.
Quellen: Equal Opportunities Review, von LexisNexis Butterworths, August 2005; Prime Minister’s Strategy Unit (Vereinigtes Königreich):
Improving the life chances of disabled people, Abschlussbericht, Januar 2005; siehe auch: www.hreoc.gov.au, www.eoc.org.hk und
www.eeoc.gov/.

28 Millionen, und wenn die derzeitigen Trends große Gefährdung von Frauen durch HIV/Aids
anhalten, wird diese Zahl bis 2010 auf 48 und bis durch wirtschaftliche Not, fehlende Beschäfti-
2015 auf 74 Millionen steigen 107. gung, Traditionen und schlechten Zugang zu Bil-
168. Die Stigmatisierung (Kasten 2.13) und Dis- dung, Ausbildung und Informationen verstärkt.
kriminierung von Menschen mit tatsächlichem Von Stigmatisierung sind mehr Frauen als Männer
oder vermutetem HIV/Aids-Status nimmt vielfäl- betroffen, selbst wenn Erstere durch ihre Ehe-
tige und komplexe Formen an und ist schwierig zu männer infiziert werden. Eine im Rahmen einer
messen, und die entsprechenden Daten ist Studie der IAO in Indien durchgeführte Umfrage
schwierig zu interpretieren 108. Weltweit wird die
einschließlich einer Liste mit 37 unterschiedlichen Situationen
107
in zehn wichtigen Bereichen des sozialen Lebens, z. B.
IAA: HIV/AIDS and work in a globalizing world (Genf, Beschäftigung, Sozialfürsorge und Zugang zu öffentlichen
2005), unter www.ilo.org/public/english/protection/trav/aids/ Vorkehrungen/Anpassungen oder Dienstleistungen. Siehe auch
publ/globalizing.pdf. die von USAID, UNAIDS und UNICEF kofinanzierte Daten-
108
Siehe UNAIDS: Protocol for the identification of bank HIV/AIDS Survey Indicators, unter www.measuredhs.
discrimination against people living with HIV (Genf, 2000), com/hivdata/start.cfm.

51
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 2.13
„Wenn ich Aids habe, werden die Menschen mich meiden“

In Südafrika hat das Programm „Horizonte“ in Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Stromerzeuger ESKOM und
Development Research Africa eine Studie zur Stigmatisierung und Diskriminierung am Arbeitsplatz durchgeführt. Die
größten Befürchtungen der Befragten bezogen sich auf die Beziehungen zu Kollegen: Drei Viertel der Auskunftspersonen
befürchteten soziale Isolation, 50 Prozent erwähnten Gerüchte und Gerede, 18 Prozent Beleidigungen. Etwa 90 Prozent
der befragten Arbeitnehmer stimmten der Aussage zu „Wenn ich Aids habe, werden die Menschen mich meiden“. Ein
Viertel der Arbeitnehmer und 55 Prozent ihrer Partnerinnen oder Angehörigen gaben an, sie befürchteten, im Fall einer
Aids-Erkrankung entlassen zu werden. In Frankreich verschweigen zwei Drittel der HIV-positiven Personen (65 Prozent)
ihren HIV-Status am Arbeitsplatz, so dass er häufig von einer anderen Person preisgegeben wird.
Quelle: J. Pulerwitz; J. Greene; E. Esu-Williams; R. Stewart: „Addressing stigma and discrimination in the workplace: The example of
ESKOM, South Africa“, Exchange, 2004-2, unter www.kit.nl/exchange/html/2004-2_adressing_stigma.asp; und Sida Info Service: Enquête
sur les discriminations à l’encontre des personnes vivant avec le VIH, 2005, unter www.sida-info-service.org/.

bei 292 Personen (42 Prozent davon Frauen mit 171. Diskriminierung bei der Einstellung ist ein
einem Durchschnittsalter von 30 Jahren) ergab, gängiges Phänomen, insbesondere beim Militär 112
dass 90 Prozent der Frauen von ihren Ehemännern und in den Gesundheitssektoren 113. Die Diskrimi-
infiziert worden waren. Mehr Frauen waren Opfer nierung in Letzteren 114 kann weit über die Frage
von Diskriminierung geworden als Männer von obligatorischen Tests hinausgehen. Gesund-
(74 Prozent gegenüber 68 Prozent der Männer) 109. heitspersonal kann anderes Gesundheitspersonal
169. Wegen ihres niedrigen sozialen Status sind oder Patienten diskriminieren, Arbeitgeber können
Frauen gefährdet, in größere Abhängigkeit und Personal diskriminieren, und die Diskriminierung
Armut zu geraten. Aufgrund von HIV/Aids hat die kann vielfältige Formen annehmen (beispielsweise
Zahl junger Mädchen, die nicht die Schule verzögerte oder ungeeignete Behandlung, Verlet-
besuchen, beträchtlich zugenommen, und Bil- zungen der Schweigepflicht, unethisches Verhal-
dungsmängel verstärken geschlechtsspezifische ten). 2005 betrafen in Mexiko neun von zehn bei
Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt. der Nationalen Menschenrechtskommission von
170. Die Diskriminierung in der Beschäftigung Menschen mit HIV/Aids eingereichte Beschwer-
ist weltweit nach wie vor stark verbreitet, selbst in den den Gesundheitssektor. In Frankreich kam
Ländern, die seit langem Aids-Grundsatzkonzepte eine 2005 durchgeführte Untersuchung zu dem
und -Programme verfolgen. Dies zeigen beispiels- Schluss, dass die höchste Zahl der Fälle von Dis-
weise Umfragen, die in den letzten fünf Jahren kriminierungen bei der Behandlung im Gesund-
von Sida Info Service in Frankreich durchgeführt heitssektor (43,7 Prozent der Befragten), am
wurden 110. Bei einer Umfrage in Asien 111 erklärte Arbeitsplatz (33,7 Prozent) und bei Ersuchen um
eine von sechs Auskunftspersonen, am Arbeits- Dienstleistungen im Banken- und Versicherungs-
platz diskriminiert worden zu sein: Auf den sektor (33,6 Prozent) auftraten 115.
Philippinen war ein höherer Teil der Auskunfts- 172. Bis 2006 hatten 73 Länder Bestimmungen zu
personen (21 Prozent) Opfer von Diskriminierung HIV/Aids in ihre Arbeits- oder Antidiskrimi-
geworden als in anderen Ländern (15 Prozent in nierungsgesetze 116 aufgenommen (Übersicht 2.8
Indonesien, 12 Prozent in Indien und 7 Prozent in enthält einige Beispiele für die Art der Gesetz-
Thailand). 33 Prozent der Arbeitnehmer, die auf gebung und HIV/Aids betreffende Bestimmun-
den Philippinen diskriminiert worden waren, gen). Dennoch findet Diskriminierung selbst in
verloren ihre Stelle, 44 Prozent erhielten andere Ländern statt, in denen Menschen mit HIV/Aids
Aufgaben zugewiesen, und 21 Prozent büßten die gesetzlichen Schutz genießen.
Aussicht auf eine Beförderung ein. Für die über-
wiegende Mehrheit der Auskunftspersonen gab es
keinen Rechtsbehelf.
112
109 IAA: HIV/AIDS and work in a globalizing world, a.a.O.
IAA: Socio-economic impact of HIV/AIDS on people living 113
with HIV/AIDS and their families (New Dehli, 2003), unter Sida Info Service: Enquête sur les discriminations à
www.ilo.org/public/english/region/asro/newdelhi/aids/downloa l’encontre des personnes vivant avec le VIH, 2005, unter
d/socioec.pdf. www.sida-info-service.org.
114
110
Ein 1990 von der französischen Behörde zur AIDS- Siehe IAA/WHO: Joint WHO/ILO Guidelines on health
Bekämpfung (AFLS) gegründeter nationaler Verband zur services and HIV/AIDS (Genf, IAA, 2005).
115
AIDS-Bekämpfung; siehe www.sida-info-service.org. Sida Info Service, a.a.O.
111 116
Asia Pacific Network of People living with HIV/AIDS IAA: The workplace: Gateway to universal access (Genf,
(APN+): „AIDS discrimination in Asia“, 2004, unter 2006), unter www.ilo.org/public/english/protection/trav/aids/
www.gnpplus.net/regions/files/AIDS-asia.pdf. publ/access.pdf.

52
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Übersicht 2.8. Arten von Gesetzgebung mit HIV/Aids betreffenden Bestimmungen, ausgewählte
Länder

Arbeitsrecht Bestimmungen zu Diskriminierung und Bewerberaus- Bahamas,


schluss aufgrund von HIV sind in geltende Vorschriften Rumänien,
integriert. Simbabwe
Verbot von Diskriminierung und Zwangstests auf HIV in
der Beschäftigung
Antidiskriminierungs- Bestimmungen zur Verhinderung und Bestrafung aller Rumänien
und Formen von Diskriminierung einschließlich von Personen
Menschenrechtsgesetze mit HIV/Aids und „benachteiligten Gruppen“
Gesetze zu Sie dienen dem Schutz von Menschen mit Behinderun- Vereinigtes
Behinderungen gen, enthalten gewöhnlich Vorschriften zu Gleichbehand- Königreich,
lung und Nichtdiskriminierung und schreiben Arbeitgebern Vereinigte
vor, zumutbare Anpassungen vorzunehmen (Arbeitszeit, Staaten
Aufgaben und Arbeitsumfeld). Diese Gesetze können auf
Menschen mit HIV/Aids ausgedehnt werden, wenngleich
ihr Geltungsbereich je nach Definition von Behinderung
und ihrer Interpretation durch Gerichte variieren kann.
Spezielle Aids-Gesetze Verbot der Diskriminierung in Bezug auf Arbeitsrechte, China,
Ausbildung, Beförderung und Karrierechancen Costa Rica,
Kambodscha,
Mosambik

173. Die Ergänzung von Gesetzen durch nicht IAO zu HIV/Aids und die Welt der Arbeit und die
legislative Maßnahmen wie Initiativen am Unterzeichnung zweigliedriger Vereinbarungen in
Arbeitsplatz ist somit eine Voraussetzung für die Sektoren wie z. B. dem Transportgewerbe, in
Veränderung der Einstellungen und des Verhal- denen Arbeitnehmer anfälliger für die Krankheit
tens von Arbeitgebern und Kollegen gegenüber sind, (siehe Teil IV, Kapitel 1, Abschnitt über die
Personen mit tatsächlichem oder vermutetem HIV/ Förderung der Chancengleichheit am Arbeits-
Aids-Status. Positive Beispiele sind z. B. die platz).
Annahme des Praxisorientierten Leitfadens der

53
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

3. Neue Erscheinungsformen von Diskriminierung

174. In den letzten Jahren sind vor allem in den höhere Wahrscheinlichkeit vorliegt, infolgedessen
Industrieländern eine Reihe von Praktiken in Gesundheitsrisiken ausgesetzt zu sein und gesund-
Erscheinung getreten, die dazu führen können, heitliche Schäden davonzutragen.
dass bestimmte Personen aufgrund von Risiken 176. Gentests können leicht zu ungerechtfertigter
benachteiligt werden, die ihre Einstellung oder Entlassung oder verwehrter Einstellung führen.
Weiterbeschäftigung nach Ansicht des Arbeit- Eine Einstellung von der Wahrscheinlichkeit
gebers mit sich bringen kann. Zu den Betroffenen abhängig zu machen, dass ein Bewerber eine
zählen Personen mit einer genetischen Veran- bestimmte Krankheit entwickelt, statt von seiner
lagung, an bestimmten Krankheiten zu erkranken, Eignung für die betreffende Stelle, erfüllt den
und Personen, deren Lebensweise als „ungesund“ Tatbestand der Diskriminierung. Außerdem sagt
eingestuft wird. Im Vergleich zu den auf den ein Test, der anzeigt, dass eine Person für die
vorhergehenden Seiten beschriebenen Missstän- Entwicklung einer bestimmten Krankheit anfällig
den sind dies neuere Praktiken, und die Debatte ist, nichts darüber aus, wann sie ausbrechen und
über ihre Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit ist wie schwer sie sein wird 118.
noch nicht abgeschlossen. Sie werfen wichtige 177. Genetische Diskriminierung am Arbeitsplatz
Fragen darüber auf, wo die Grenze zu ziehen ist wurde vor mehreren Gerichten weltweit nachge-
zwischen der Kontrolle des Arbeitgebers über das wiesen und angefochten (Kasten 2.14).
Verhalten außerhalb der Arbeitsstätte und der 178. Dies hat viele Länder bewogen, gesetzliche
Freiheit von Arbeitnehmern, das Leben ihrer Wahl Maßnahmen zu ergreifen. Mehrere EU-Mitglied-
zu führen. Wegen der raschen Verbreitung dieser staaten erließen ein gesetzliches Verbot der gene-
Praktiken ist es wichtig, das Bewusstsein dafür zu tischen Diskriminierung (Dänemark, Finnland,
schärfen und sie zu beobachten. Außerdem sollte Frankreich und Schweden). Andere verboten oder
nicht vergessen werden, dass Bemühungen mit beschränkten die Erhebung genetischer Daten von
dem Ziel, die Art und Weise zu ändern, in der Beschäftigten ohne deren explizite Zustimmung
Menschen den Lebensstil anderer betrachten, in (Griechenland, Italien, Luxemburg, Niederlande
der Familie, der Gemeinschaft und der Schule und Österreich) 119 und anerkannten und garan-
beginnen müssen. tierten damit das Recht auf den Schutz der
Privatsphäre. In den Vereinigten Staaten verab-
Genetische Diskriminierung schiedete der Senat am 17. Februar 2005 einstim-
mig das Gesetz über das Verbot der Diskrimi-
175. Die rasche Entwicklung der Genetik und
nierung aufgrund genetischer Daten (Genetic
damit zusammenhängender neuer Technologien
Information Nondiscrimination Act) von 2005, das
haben es leichter gemacht, Informationen über den
die missbräuchliche Nutzung genetischer Daten
genetischen Status von Personen zu erhalten.
im Zusammenhang mit Krankenversicherung und
Gentests wurden definiert als „die Durchführung
Beschäftigung verbietet 120.
eines wissenschaftlichen Tests, um Angaben über
179. Unternehmen ergreifen ebenfalls Abhilfe-
einige Merkmale der genetischen Veranlagung
maßnahmen. IBM ist das erste Großunternehmen,
einer Person zu erhalten, die auf ein gegenwärtiges
das seine Verfahrensweisen geändert hat, um die
oder künftiges Gesundheitsproblem hinweist“ 117.
Nutzung genetischer Daten bei Personalentschei-
Genetisches Screening hat wichtige Auswirkungen
dungen 121 und bei Entscheidungen über die
am Arbeitsplatz, weil Arbeitgeber ein Interesse
Rechtmäßigkeit des Anspruchs von Beschäftigten
daran haben können, Arbeitnehmer nicht einzu-
stellen oder zu entlassen, deren genetischer Status
eine Veranlagung zeigt, zukünftig an einer
bestimmten Krankheit zu erkranken. In seltenen
Fällen kann es sein, dass Arbeitgeber das geneti-
sche Screening unter Hinweis auf Sicherheits- und 118
Gesundheitsgründe rechtfertigen. Dies gilt insbe- National Workrights Institute: „Genetic discrimination in
the workplace fact sheet“, unter www.workrights.org/issue
sondere dann, wenn Arbeitnehmer mit Gefahren- _genetic/gd_fact_sheet.html.
stoffen wie Chemikalien oder Strahlung in Kon- 119
„Ethische Aspekte von Gentests am Arbeitsplatz“, a.a.O.,
takt kommen können und bei ihnen deshalb eine Abs. 1.8.
120
H.T. Greely J.D.: „Banning genetic discrimination“, in New
117
„Ethische Aspekte von Gentests am Arbeitsplatz“, Stel- England Journal of Medicine, Nr. 353:9, 1. Sep. 2005, unter
lungnahme der Europäischen Gruppe für Ethik in Naturwissen- content.nejm.org/cgi/content/full/353/9/865.
121
schaften und neuen Technologien bei der Europäischen Kom- A. Barrett: „IBM’s smart stance on genetic testing“, in Busi-
mission (28. Juli 2003), unter http://ec.europa.eu/european_ ness Week online, 11. Oktober 2005, unter www.businessweek.
group_ethics/docs/avis18_de.pdf. com/technology/content/oct2005/tc20051011_9733_tc024.htm.

54
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Kasten 2.14
Gerichte lehnen Gentests als rechtmäßige Grundlage für Personalentscheidungen ab

Deutschland: Verwaltungsgericht Darmstadt, Hessen, 2004


In Deutschland müssen sich Lehrer wie alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor der Festanstellung einer
Gesundheitsprüfung unterziehen. Eine junge Lehramtsanwärterin wurde von der Amtsärztin untersucht und für vollkommen
gesund befunden. Auf Fragen nach der Krankengeschichte in ihrer Familie gab sie jedoch an, dass ihr Vater unter Morbus
Huntington litt. Einen Gentest lehnte sie ab. Die Bildungsbehörden verweigerten ihr unter Berufung auf den ärztlichen
Bericht eine Festanstellung im deutschen öffentlichen Dienst. Die Lehrerin reichte dagegen beim Verwaltungsgericht
erfolgreich Klage ein.1
Vereinigte Staaten: Equal Employment Opportunity Commission, 2001
Die amerikanische Gleichstellungsbehörde (Equal Employment Opportunity Commission – EEOC) beschuldigte die
Eisenbahngesellschaft Burlington Northern Santa Fe Railway (BNSF), ihre Beschäftigten insgeheim auf einen genetischen
Marker für das Karpaltunnelsyndrom zu testen. Das Gentestprogramm wurde aufgedeckt, als einer der Arbeitnehmer, bei
dem das Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert worden war, zu einer Pflichtuntersuchung beim Firmenarzt von seiner Ehefrau
begleitet wurde. Diese war ausgebildete Krankenschwester und wurde misstrauisch, als der Arzt dem Mann im Verlauf der
Untersuchung sieben Ampullen Blut entnahm. Da eine fristlose Kündigung drohte, handelte die EEOC sofort und
beantragte bei einem Bundesgericht eine einstweilige Verfügung. Sie argumentierte, dass die Tests gegen das
Behindertengleichstellungsgesetz (ADA) verstießen, weil sie weder stellenbezogen noch wirtschaftlich notwendig waren.
Eine Weiterbeschäftigungsentscheidung von den Ergebnissen solcher Tests abhängig zu machen, erfülle den Tatbestand
von Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Knapp zwei Monate nach Einreichung der Klage erreichten die EEOC und
die BNSF einen Vergleich, der all das umfasste, was die EEOC angestrebt hatte.2
Hongkong, China: Bezirksgericht Hongkong, 2000
Das Bezirksgericht Hongkong sprach drei Männern Schadenersatz zu, weil die Regierung ihnen unter dem bloßen Hinweis
darauf, dass ihre Eltern unter Schizophrenie litten, ein Beschäftigungsverhältnis verweigert hatte. Sie waren ohne Angabe
eines klaren Grundes nicht eingestellt beziehungsweise entlassen worden. Eine Untersuchung der Kommission für
Chancengleichheit deckte die Verbindung zur Krankengeschichte der Familie und damit die Erfüllung des Tatbestands
genetischer Diskriminierung auf.3
1D. Schmitz; U. Wiesing: „Just a family medical history?“, in BMJ, Jg. 332, 4. Februar 2006, unter www.bmj.com. 2 Siehe United States
Equal Employment Opportunity Commission: „EEOC settles ADA suit against BNSF for geneteic bias”, Press Release, 18. April 2001,
unter www.eeoc.gov/press/4-18-01-html. 3 R. McKie: „China is thwarted by jobs ruling: Hong Kong judge’s decision on gene data hailed
as civil rights landmark“, in The Observer, 1. Oktober 2000, in Guardian Unlimited, www.guardian.co.uk.

auf Krankenversicherung oder betriebliche Sozial- Zulassung des Einsatzes von Gentests prüfen zu
leistungen 122 zu verhindern. wollen, wo diese zumutbar und sachlich begründet
180. Auch Gewerkschaften sind in Bezug auf sind und ein Ausgleich zwischen den Interessen
dieses Thema aktiv geworden. Der Australische von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der
Gewerkschaftsrat (ACTU) erklärte 2002 in seiner Bevölkerung insgesamt stattfindet.
Antwort auf eine Anfrage der Australischen 181. Die Debatte zu der Frage, ob es objektive
Rechtsreformkommission und der Australischen Gründe oder Umstände zur Rechtfertigung der
Gesundheitsethikkommission bezüglich des Ablehnung oder nachteiligen Behandlung von
Schutzes humangenetischer Daten, dass Arbeit- Personen aufgrund ihrer Gene gibt oder nicht, ist
gebern nicht gestattet werden sollte, genetische noch unentschieden. Unabhängig davon muss jede
Daten eines Beschäftigten zu erheben 123 . Die unterschiedliche Behandlung die Kriterien der
Kommissionen übten Kritik an der unangemesse- Objektivität, Zumutbarkeit, Angemessenheit und
nen Erhebung genetischer Daten von Beschäf- Verhältnismäßigkeit erfüllen.
tigten durch die Arbeitgeber, erklärten jedoch, die
Diskriminierung aufgrund des Lebensstils
122
USA Today: „IBM won’t use genetic info for hiring, 182. Der Lebensstil und konkreter die Frage, ob
benefits“, 10. Okt. 2005, unter www.usatoday.com/money/ eine Person ein „gesundes“ Leben führt, wird zu
industries/technology/2005-10-10-ibm-genetics_x.htm. einem mitentscheidenden Faktor für die Ein-
123
Australian Council of Trade Unions (ACTU): ACTU stellung oder Weiterbeschäftigung. Übergewichtig
response to the Australian Law Reform Commission and oder Raucher zu sein oder unter Bluthochdruck zu
Australian Health Ethics Commission inquiry into protection of leiden, kann in mehreren Industrieländern beruf-
human genetic information, Discussion Paper 66, Dez. 2002,
unter www.actu.asn.au/Images/Dynamic/oldsite/public/papers/ lich von Nachteil sein. So gut wie jede Lebens-
genetic4/genetic4.doc. stilentscheidung einschließlich der, schnelle Autos
zu fahren, hat Auswirkungen auf die Gesundheit;

55
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

daraus ergibt sich die Frage, wo die Grenze zu sterium von Neuseeland erklärten im August
ziehen ist zwischen dem, was ein Arbeitgeber vor- 2006, dass die Weigerung, Raucher einzustellen,
schreiben kann, und der Freiheit von Arbeitneh- nicht unrechtmäßig sei, weil weder das nationale
mern, ein Leben ihrer Wahl zu führen. Menschenrechtsgesetz noch das Gesetz über
183. Weil manche Unternehmen es zur offiziellen Arbeitsbeziehungen Rauchen als unrechtmäßigen
Firmenpolitik gemacht haben, Rauchen zu ver- Diskriminierungsgrund abdecken.
bieten, ist die Benachteiligung von Rauchern im 185. Diese Umstände haben eine hitzige Debatte
Arbeitsleben im Vergleich zu anderen Fällen ein- auch unter denjenigen ausgelöst, die sich die
facher zu quantifizieren. In den Vereinigten Staa- Bekämpfung des Tabakkonsums auf die Fahnen
ten beispielsweise stellen viele Unternehmen keine geschrieben haben: Manche sahen darin eine zu
Raucher ein oder bestrafen sie durch höhere Kran- drakonische Maßnahme, die sich für die Agenda
kenversicherungsbeiträge 124 . Das Interesse von gegen das Rauchen als kontraproduktiv erweisen
Unternehmen am Lebensstil ihrer Beschäftigten könnte, andere dagegen einen weiteren Schritt auf
hängt zum Teil damit zusammen, dass sie zusätz- dem Weg zur Ausmerzung des Tabakkonsums 129.
liche Krankenversicherungskosten infolge unge- Gewerkschaften in Europa wie der Europäische
sunder Gewohnheiten vermeiden möchten. Dies Gewerkschaftsbund (EGB) und der Allgemeine
gilt insbesondere in Ländern, in denen Arbeitgeber Italienische Gewerkschaftsbund (CGIL) haben
ganz oder teilweise für die Krankenversicherung ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen, dass die
ihrer Beschäftigten aufkommen müssen. Bei der Tolerierung der Diskriminierung von Rauchern
Festlegung der Kosten für den Versicherungs- anderen Formen der Diskriminierung Tür und Tor
schutz sind in elf amerikanischen Bundesstaaten öffnen würde 130.
unterschiedliche Tarife für Raucher und Nicht- 186. Die Verringerung des Tabakkonsums, die
raucher zulässig 125 . Andererseits haben etwa Senkung des Cholesterinspiegels oder die Bekämp-
30 Bundesstaaten im selben Land als Reaktion auf fung von Adipositas sind erstrebenswerte und
Antiraucherfirmenpolitiken Gesetze verabschiedet, legitime Ziele öffentlicher Gesundheitspolitik. Mit
die die Diskriminierung von Rauchern oder Beteiligung der Beschäftigten entwickelte Arbeits-
aufgrund des Lebensstils verbieten, wenngleich sie platzinitiativen wie Arbeitsschutzprogramme 131
in unterschiedlichem Umfang Schutz bieten 126 . oder Tabakentwöhnungsprogramme 132 und das
Firmenpolitiken enthalten nicht generell Bestim- Angebot angemessener Unterstützung für Raucher
mungen, die Personen ausdrücklich bestrafen, die unter Beachtung der Rechte von Nichtrauchern
übergewichtig sind oder einen hohen Cholesterin- können zu diesem Ziel beitragen.
spiegel haben, aber die verfügbaren Belege lassen 187. Ein zentrales Element des Prinzips der
darauf schließen, dass eine nachteilige Behand- Nichtdiskriminierung und Gleichstellung bei der
lung nicht selten vorkommt 127. Arbeit ist, dass alle Beschäftigungsentscheidungen
184. In den letzten Jahren ist die nachteilige auf der Fähigkeit des Bewerbers oder Stellen-
Behandlung von Rauchern auch in anderen Teilen inhabers beruhen, die mit der jeweiligen Stelle
der Welt verbreiteter geworden. Die Weltgesund-
heitsorganisation (WHO) hat bekannt gegeben, 129
Siehe K. Slama: „Schisms in the tobacco control move-
dass sie ab dem 1. Dezember 2005 keine Raucher ment“, in International Journal of Tuberculosis and Lung
oder Konsumenten von Tabak in anderer Form Disease, Jg. 10, Nr. 4 und 5, Apr. und Mai 2006. Siehe auch Le
einstellen würde, die sich nicht bereit erklären Temps: „L’OMS est déterminée à ne plus recruter de fumeurs :
würden, den Tabakkonsum aufzugeben 128 . Die Pour l’exemple“, 1. Dez. 2005.
Menschenrechtskommission und das Arbeitsmini- 130
EUbusiness.com: „EU Commission’s anti-smoking stand
sparks cloud of complaints“, 7. August 2006, unter
www.eubusiness.com/Employment/060807154817.efj7kady;
124 siehe auch P. Pearson: „Smokers, the new deviants“, 20. Aug.
U. Furi-Perry: „Butting in: Employers penalize smokers
2006, unter www.smokersclubinc.com/modules.php?name=
and overweight workers“, 8. Nov. 2004, unter www.law News&file=article&sid=3548.
crossing.com/article/index.php?id=416. 131
125 Siehe das IAO-Programm Sicherheit und Gesundheit bei
Aon Consulting: „No-smoking policies must contend with
der Arbeit und Umwelt (SafeWork), unter www.ilo.org/
state laws protecting smokers“, in Forum, Oktober 2005, unter
public/english/protection/safework/tobacco/index.htm. Zur
www.aon.com/about/publications/pdf/issues/october_05_no_
Gesetzgebung siehe C. Håkansta: Workplace smoking –
smoking_policies.pdf.
126
Working paper: A review of national and local practical and
Siehe R. Dotinga: „Can boss insist on healthy habits?“, in regulatory measures, IAO/SafeWork (Genf, IAA, 2004).
Christian Science Monitor, 11. Jan. 2006, unter 132
In den Vereinigten Staaten ergab eine Umfrage von
www.csmonitor.com/2006/0111/p15s01-ussc.html.
127
Deloitte & Touche, dass knapp über 50 Prozent der Arbeitge-
Siehe American Civil Liberties Union: „Lifestyle discrimi- ber Tabakentwöhnungsprogramme anbieten, während dem
nation in the workplace: Your right to privacy under attack“, Interessenverband National Business Group on Health zufolge
31. Dez. 1998, unter www.aclu.org/workplacerights/gen/ lediglich 24 Prozent der Arbeitgeber die Kosten einer Behand-
13384res19981231.html. lung infolge Tabakkonsums übernehmen. Von 365 im Jahr
128
Siehe WHO: „WHO policy on non-recruitment of smo- 2005 befragten Großunternehmen boten 56 Prozent Entwöh-
kers“, unter www.who.int/employment/recruitment/en/ und nungsprogramme an. Siehe M. Hill: „Employer initiatives to
„Frequently asked questions“, Nov. 2005, unter www.who.int/ stop smoking“, in Journal of Employee Assistance, Jg. 36,
employment/FAQs_smoking_English.pdf. Nr. 2, zweites Quartal 2006.

56
MUSTER VON DISKRIMINIERUNG BEI DER ARBEIT: JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

verbundenen Anforderungen zu erfüllen. Wenn oder andere Personen ausgehen, mit denen eine
ungesunde Ernährung oder Rauchen – auch übergewichtige Person oder ein Raucher im
außerhalb der Arbeitszeiten und der Arbeitsstätte – Arbeitsalltag Kontakt hat. Umgekehrt würde die
nachweislich die Ausführung arbeitsplatzbezoge- Verweigerung einer Einstellung oder die Entlas-
ner Aufgaben beeinträchtigen, ist die Nichteinstel- sung qualifizierter Personen einzig unter Berufung
lung von übergewichtigen Personen oder Rau- auf ihre Adipositas oder die Tatsache, dass sie
chern legitim. Gleichermaßen kann Adipositas außerhalb der Arbeitszeit rauchen, den Tatbestand
oder Rauchen ein gültiger Entlassungsgrund sein, der Diskriminierung erfüllen und eine unangemes-
wenn davon schädliche Einflüsse auf Kollegen sene Einmischung in das Privatleben darstellen.

57
Teil III

Institutionen und Politiken:


Trends, Auswirkungen und
Herausforderungen

188. Der Staat, aber auch nichtstaatliche Akteure mittlerem Einkommen: In diesen Ländern gibt es
und Institutionen, z. B. Arbeitnehmer- und Arbeit- mehr und umfangreichere Initiativen zur Förde-
geberverbände oder Kollektivverhandlungen, spie- rung der Gleichstellung und mehr verfügbare
len eine wichtige Rolle für die Gleichheit am Daten als in Ländern mit niedrigem Einkommen.
Arbeitsplatz. Auf Grund der Umstrukturierung der Außerdem untersucht es auf internationaler und
Wirtschaft und des globalen Wettbewerbs müssen regionaler Ebene geförderte Initiativen zur Förde-
Fragen der Ungleichheit am Arbeitsplatz heute auf rung der Gleichstellung.
Landesebene und darüber hinaus angegangen wer- 191. Anschließend untersucht das Kapitel das
den, denn die Entwicklung auf den Weltmärkten Potenzial und die Herausforderungen neuer
wirkt sich zunehmend auch auf die Arbeitsplätze Entwicklungen bei der internationalen Kreditver-
aus 1. Zwar ist die Politik der Einzelstaaten nach gabe-, Investitions- und Handelspolitik und beim
wie vor für die Herstellung von Gleichheit am allgemeinen Verlauf der wirtschaftlichen Integra-
Arbeitsplatz unverzichtbar, gleichzeitig sind aber tion und die Auswirkung dieser Entwicklungen
auch Anstrengungen auf internationaler und auf das Ziel der Gleichheit bei der Arbeit.
globaler Ebene erforderlich. 192. Kapitel 2 befasst sich mit den jüngsten Ent-
189. In diesem Teil werden vor allem Umfang wicklungen im Bereich der Nichtdiskriminierung
und Auswirkung der jüngsten rechtlichen, institu- und Gleichheit im Rahmen von Kollektivverhand-
tionellen und politischen Tendenzen auf nationaler lungen sowie mit den in diesem Bereich von den
wie internationaler Ebene untersucht und vorbild- Sozialpartnern angeregten Initiativen. Schließlich
liche Praktiken genannt, die zu einem positiven untersucht es, wie die soziale Verantwortung der
Wandel beigetragen haben. Unternehmen (Corporate Social Responsibility,
190. Kapitel 1 befasst sich zunächst mit dem CSR) einen Beitrag zur Erreichung von Gleich-
staatlichen Handeln auf nationaler Ebene, insbe- stellungszielen leistet.
sondere der Industrieländer und der Länder mit

1
Siehe IAA: Sich wandelnde Strukturen in der Welt der
Arbeit, Bericht des Generaldirektors, Bericht I(C), Interna-
tionale Arbeitskonferenz, 95. Tagung, Genf, 2006.

59
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

1. Trends bei institutionellen und politischen Antworten seit


2003

Diskriminierung und Rechtsreformen: mehr spezifische Gesetze geben wird, die Diskri-
Allgemeine Trends minierung auf Grund von Behinderung verbieten.
Beschäftigungs- und Arbeitsplatzrechte spielen bei
193. Die Tendenz geht weltweit dahin, die vier
diesem neuen Instrument eine wichtige Rolle,
Kataloge der Grundprinzipien und Rechte bei der
denn hier wird der Tatsache Rechnung getragen,
Arbeit – zu denen auch Nichtdiskriminierung und
dass die Schaffung von menschenwürdiger Arbeit
Gleichheit gehören – im Arbeitsrecht zu veran-
für Menschen mit Behinderung nicht als Element
kern. Dieser Trend ist in den vergangenen fünf
der Sozialpolitik zu sehen ist, sondern als Frage
Jahren in vielen Ländern deutlich sichtbar gewor-
der Menschenrechte und der gesellschaftlichen
den, die Reformprozesse des Arbeitsrechts planen,
Integration.
darunter auch einige gerade erst unabhängig
197. Eine weitere interessante Entwicklung ist die
gewordene Länder wie Timor-Leste.
stärkere Betonung von Sanktionsmaßnahmen.
194. Eine weitere klare Tendenz ist die globale
Dies spiegelt sich darin, dass Diskriminierung je
Anerkennung der Notwendigkeit von konkreten
nach Grund und Land als Straftat oder als
Rechtsvorschriften zur Nichtdiskriminierung und
zivilrechtliche Tat und/oder Ordnungswidrigkeit
Gleichstellung am Arbeitsplatz. Diese allgemeine
geahndet wird. Der Umgang mit der Diskrimi-
Akzeptanz kann als großer Erfolg der 4. Welt-
nierung aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln
frauenkonferenz der Vereinten Nationen ange-
entspricht dem Bemühen um einen verbesserten
sehen werden, die 1995 in Peking stattfand.
und rascheren Schutz von Diskriminierungsopfern
195. Bestimmungen über Nichtdiskriminierung
im Alltagsleben.
und Gleichstellung werden insbesondere in den
198. Der Schutz vor Diskriminierung wird auch
Industriestaaten zunehmend in Form eines Textes
gestärkt durch das Verbot der mittelbaren Diskri-
zusammengefasst, der die unterschiedlichen Dis-
minierung und die Umkehr der Beweislast, die
kriminierungsgründe erfasst (EU-Richtlinien, Aus-
nun der Person oder dem Unternehmen auferlegt
tralien und das Vereinigte Königreich). Dieser
wird, die der Diskriminierung beschuldigt sind,
Ansatz, der auch im System der Vereinten Natio-
sobald ein glaubhaft gemachter Sachverhalt vor-
nen vor allem im Bereich Menschenrechte zuneh-
liegt. Unter dem Einfluss der genannten EU-Richt-
mend an Bedeutung gewinnt, basiert auf der
linien (Einleitung und Teil II, Kapitel 2) 3 wurden
Erkenntnis, dass bestimmte Menschen möglicher-
in der Gesetzgebung einzelner EU-Mitgliedsländer
weise aus mehr als einem Grund diskriminiert
die Gründe erweitert, nach denen die Beweislast
werden. Es wird angestrebt, Diskriminierungsop-
bei den Arbeitgebern liegt, und mittelbare und
fern unabhängig von der Diskriminierungsursache
unmittelbare Diskriminierung sowie Belästigung
durchgängig Hilfe anzubieten; dies entspricht dem
und Anleitung zur Diskriminierung, die beide als
Trend zur Gründung von Organisationen für meh-
einer Diskriminierung entsprechend eingestuft
rere Diskriminierungsgründe oder spezialisierten
werden, verboten. Die EU-Richtlinien enthalten
Dachgremien (siehe folgenden Abschnitt).
außerdem die Forderung nach einem Schutz gegen
196. Unter Umständen ist es jedoch besser und
Viktimisierung als wesentliche Voraussetzung, die
auch einfacher als die Abänderung eines beste-
erfüllt sein muss, damit Einzelne ihre Rechte
henden Gesetzes, zu einem bestimmten Thema ein
geltend machen können. Auch positive Maßnah-
spezielles Gesetz anzunehmen. Ein solches Gesetz
men sind erlaubt, um in der Praxis eine vollstän-
kann gleichzeitig Ausdruck für ein entschiedenes
dige Gleichheit geschützter Gruppen zu gewähr-
politisches Engagement bei Fragen von großer
leisten. Die Einstellung zu positiven Maßnahmen
Bedeutung sein; dies ist z. B. in zahlreichen afri-
schwankt allerdings unter den Mitgliedsländern
kanischen Ländern der Fall, die spezielle Gesetz-
ganz erheblich: in den Niederlanden sind sie nur
gebung zu der auf HIV/Aids basierenden Diskri-
dann zugelassen, wenn Beweise für eine struktu-
minierung angenommen haben 2 . Es ist davon
relle Diskriminierung auf Grund des Geschlechts,
auszugehen, dass es in den nächsten Jahren auf
der Rasse oder einer Behinderung vorliegen, und
Grund der Annahme des Übereinkommens über
die Rechte von Menschen mit Behinderungen
durch die Vereinten Nationen im Dezember 2006 3
Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur
Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unter-
2
Siehe J. Hodges: Guidelines on adressing HIV/Aids in the schied der Rasse oder der ethnischen Herkunft und Richtlinie
workplace employment and labour law, InFocus-Programm 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung
Sozialer Dialog, Arbeitsrecht und Arbeitsverwaltung (IFP/ eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich-
DIALOGUE) Papier Nr. 3 (Genf, IAA, 2004). behandlung in Beschäftigung und Beruf.

60
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

in der Slowakei erklärte das Verfassungsgericht paritäre Ausschüsse überprüft werden kann 6 . In
positive Maßnahmen für verfassungswidrig 4. Japan sieht das novellierte Gesetz für Chancen-
199. Eine weitere in Teil II dieses Berichts gleichheit in der Beschäftigung vor, dass ab
erwähnte Tendenz ist die Aufnahme von Vor- 1. April 2007 Männer und Frauen vor sexueller
schriften, die ein Verbot der Diskriminierung am Belästigung zu schützen sind und der Arbeitgeber
Arbeitsplatz aus Gründen des Alters, der sexuellen durch Maßnahmen am Arbeitsplatz für die Umset-
Orientierung oder der genetischen Veranlagung zung dieser Vorschriften sorgen muss. Unterneh-
vorsehen, in eine ganze Reihe von Gesetzestexten. men, die diese Auflagen nicht erfüllen, werden
Dieser Trend ist in der industrialisierten Welt öffentlich bloßgestellt, was sich nachteilig auf ihr
stärker ausgeprägt, und der vorgesehene Schutz ist Bild in der Öffentlichkeit auswirkt.
uneinheitlich, da die unterschiedlichen Aspekte 202. Finnland, Frankreich und Spanien verab-
der Beschäftigung oft nur bedingt erfasst werden. schiedeten 2005 und 2006 proaktive Gesetze zur
200. Bezüglich der Diskriminierung auf Grund Entgeltgerechtigkeit, die es den Arbeitgebern nicht
der sexuellen Orientierung waren in allen Regio- nur verbieten, auf Grund des Geschlechts beim
nen beim Ausmaß des in der Gesetzgebung enthal- Entgelt zu diskriminieren, sondern sie auch ver-
tenen Schutzes beachtliche Fortschritte zu ver- pflichten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Chan-
zeichnen. Besonders interessant sind die Gesetze cengleichheit z. B. durch die Überprüfung eines
in Bereichen, von denen allgemein bekannt ist, einheitlichen Entgelts und Arbeitsplatzbewer-
dass Frauen in ihnen traditionell diskriminiert tungsmethoden zu fördern und jeglichen auf
werden. Österreich z. B. schreibt die Gleichbe- Diskriminierung beruhenden Unterschied bei der
handlung von Frauen in der Forst- und Land- Entlohnung umgehend abstellen. Die Erfahrung
wirtschaft vor. Zypern verabschiedete Gesetze, mit lehrt, dass sich das Problem der geschlechts-
deren Hilfe langfristige Verträge für Frauen bedingten Diskriminierung beim Entgelt durch
gefördert und die Rechte von Beschäftigten im integrative Gesetze besonders erfolgreich aufzei-
Bereich der Zeitarbeit, wo besonders viele Frauen gen und ansprechen lässt, da sie insbesondere dazu
anzutreffen sind, geschützt werden. Peru hob das beitragen, die zögerliche Haltung der Arbeitgeber
Verbot des Beitritts zum Militär und zur Polizei bei der Öffentlichmachung von Lohninformatio-
auf, und Tansania und Burkina Faso arbeiteten nen zu überwinden.
Vorschriften aus, nach denen Frauen nicht mehr 203. Trotz dieser ermutigenden Entwicklungen
von der Teilhabe an der Regierung ausgeschlossen sind bei weitem nicht alle Probleme gelöst. Einige
werden können. Länder weigern sich beispielsweise, die sexuelle
201. Eine weitere positive Entwicklung ist die Diskriminierung in allen Bereichen der Beschäf-
zunehmende Beachtung der sexuellen Belästi- tigung zu verbieten (Vietnam, Korea und Sudan),
gung, einer Form der sexuellen Diskriminierung 5. andere halten an Schutzmaßnahmen fest, die sich
Einige Länder erließen Gesetze, die ausschließlich möglicherweise diskriminierend auswirken (Indo-
dieses Problem zum Inhalt haben (Belize, Costa nesien, Jemen und die Mongolei), in wieder ande-
Rica, Israel, die Philippinen und Uganda), wäh- ren gilt die Entgeltgerechtigkeit nur für Grund-
rend in anderen Ländern Rechtsmaßnahmen in oder Durchschnittslöhne oder bestimmte Vergü-
anderen Teilbereichen der Gesetzgebung wie etwa tungen (Kirgistan, Pakistan, Slowakei und Thai-
im Straf-, Delikts- oder Arbeitsrecht vorgesehen land) oder es wird bei Zusatzvergütungen ein-
sind. So definieren und bestrafen jüngste Abände- schließlich des Familiengeldes an geschlechts-
rungen des Arbeitsgesetzes in Chile sexuelle spezifischen Entgeltunterschieden festgehalten
Belästigung als die Menschenwürde verletzend, (Senegal, Trinidad und Tobago).
und Arbeitgeber sind verpflichtet, diesbezügliche 204. Reformen des Arbeitsrechts bewirken unter
Vorschriften in innerbetriebliche Regelungen auf- Umständen eine Schwächung des Schutzes von
zunehmen, so dass die Sachlage regelmäßig durch Gruppen, die ohnehin anfällig für Diskriminierung
die Firmenleitung, Arbeitnehmervertreter und sind. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang
die Erfahrung von Ländern, die mit Hilfe von
Gesetzen z.B. die Entlassungskosten von Gruppen
wie jüngeren Arbeitnehmern senkten, um die
4 Arbeitslosigkeit in diesen Gruppen abzubauen,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung
an den Rat und das Europäische Parlament: Richtlinie allerdings ohne dieses Ziel zu erreichen (siehe
2000/43/EG vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleich- Abschnitt über Altersdiskriminierung in Teil II,
behandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder Kapitel 2). Im Gegensatz dazu wurde in Chile
ethnischen Herkunft (Brüssel, 30. Okt. 2006), Com (2006) 643 2006 eine Gesetzesnovelle über Outsourcing ange-
endgültig, S. 8. nommen, um ausgelagerten Arbeitnehmern die
5
In seiner allgemeinen Bemerkung zum Übereinkommen
Nr. 111 (2003) definiert der Sachverständigenausschuss für die
Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen die
6
sexuelle Belästigung als für den Adressaten unwillkommenes Gesetz Nr. 20.005 vom 8. März 2005 über die Definition und
und beleidigendes sexuelles Verhalten. Bestrafung der sexuellen Belästigung.

61
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Gleichbehandlung mit fest angestellten Arbeitneh- opfer das gleiche Anrecht auf Schutz haben 9. Die
mern einschließlich Mutterschutz zu garantieren 7. Einrichtung dieser Gremien wurde allerdings
begleitet von einer lebhaften Diskussion über die
Die Zunahme von speziellen Institutionen, Vor- und Nachteile von Institutionen, die sich mit
die sich mit Diskriminierung und einem einzelnen Diskriminierungsgrund befassen
gegenüber denen mit Zuständigkeit für mehrere
Gleichstellung befassen Gründe (Übersicht 3.1).
205. Die Landschaft der Institutionen, die sich 208. Die Erfahrungen der 25 EU-Mitgliedsländer
mit Fragen der Diskriminierung und der Gleich- beim Umgang mit rassischer und ethnischer Dis-
stellung beschäftigen, zeichnet sich durch die kriminierung unterscheiden sich beträchtlich und
Gründung oder Umstrukturierung spezialisierter spiegeln, wie bereits erwähnt, unterschiedliche
nationaler Gremien aus. Deren Machtfülle ist Auffassungen darüber wider, wie das Ziel rassi-
durchaus unterschiedlich: So können sie Einzel- scher oder ethnischer Gleichstellung zu erreichen
personen dabei helfen, gerichtliche Schritte ein- ist. Daher ist die Harmonisierung der Konzepte
zuleiten, oder Reformen bestehender Gesetze und Strategien zur Förderung rassischer und ethni-
vorschlagen, die Sozialpartner dabei beraten, wie scher Gleichstellung im erweiterten Europa wich-
sie Gleichstellung wirksam in der Praxis tig. Die Europäische Kommission gegen Rassis-
umsetzen, oder die Umsetzung nationaler Aktions- mus und Intoleranz (ECRI), ein vom ersten Gipfel
pläne planen und beaufsichtigen. Diese Institu- der Staats- und Regierungschefs der Mitglied-
tionen operieren entweder unabhängig von der staaten des Europarates in Wien 1993 eingesetztes
Regierung oder existieren in oder neben bereits unabhängiges Gremium zur Überwachung der
bestehenden staatlichen Behörden und arbeiten auf Menschenrechte, bemüht sich, zu diesem Ziel bei-
unterschiedlichen Verwaltungsebenen. Sie stehen zutragen, indem sie ein Forum zum Austausch
für die Abkehr von einer eng gefassten Definition bewährter Praktiken in Bezug auf wichtige Fragen
der Diskriminierung und die Hinwendung zu einer bietet, z. B. die Sammlung ethnischer Daten, der
Definition, die auf Gleichbehandlung und Chan- Vollzug nationaler Gesetze gegen rassisch begrün-
cengleichheit bei der Arbeit beruht und ergeb- dete Diskriminierung sowie Vermittlung und
nisorientiert und proaktiv ist. andere Formen der Konfliktlösung 10.
206. Bis 2000 erweiterten unter dem Einfluss der 209. In Lateinamerika spielen rassische und
EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unter- ethnische Ungleichheiten nach einer langen
schied der Rasse, die die EU-Mitgliedsländer ver- Geschichte der Verleugnung 11 nun dank der
pflichtet, ein für die Diskriminierung auf Grund Mobilisierung der Zivilgesellschaft und staatlicher
der Rasse oder der ethnischen Herkunft zustän- Unterstützung eine wichtige Rolle im öffentlichen
diges nationales Gremium zu benennen 8, 19 von Themenkatalog mehrerer Länder, z. B. in Brasilien
25 Ländern in Europa das Mandat der bestehenden (Kasten 3.1). Im März 2003 schuf die Regierung
Institutionen um den Bereich Rasse und ethnische erstmals in der Geschichte des Landes ein mit
Herkunft (z. B. Österreich, Litauen und die Nie- ministeriellem Rang ausgestattetes Sondersekre-
derlande) oder sie schufen neue Stellen, die sich tariat für Maßnahmen zur Förderung von Rassen-
mit allen in der nationalen Gesetzgebung und in gleichheit (SEPPIR).
den EU-Richtlinien verbotenen Formen der Dis-
kriminierung befassen (z. B. Frankreich und
Ungarn) oder sich ausschließlich auf Diskriminie-
rung auf Grund der Rasse oder der ethnischen
Herkunft konzentrieren (z. B. Italien und Spanien).
207. In Europa gibt es mehr Institutionen, die sich
mit Mehrfachdiskriminierung über die Grenzen
der Rasse oder ethnischen Herkunft oder des
Geschlechts hinaus beschäftigen als Gremien, die 9
J. Niessen; J. Cormack: „Organismi specializzati istituiti a
lediglich für eine Form der Diskriminierung livello nazionale in eguito all’adozione delle direttive anti-
zuständig sind. Dies zeigt die Entschlossenheit, discriminatorie comunitarie”, in S. Fabeni und M.G. Toniollo
über die Erfordernisse der EU-Gesetzgebung hin- (Hrsg.): La discriminazione fondata sull’orientamento
sessuale: l’attuazione della direttiva 2000/78/CE e la nuova
ausgehend jede Diskriminierung zu eliminieren, disciplina per la protezione dei diritti delle persone
und die Überzeugung, dass alle Diskriminierungs- omosessuali sul posto di lavoro (Rom, Ediesse, 2005), S. 2802.
10
Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz
(ECRI): Examples of good practices: Specialised bodies to
combat racism, xenophobia, antisemitism and intolerance at
national level (Straßburg, Europarat, Jan. 2006).
7
Gesetz Nr. 20.123 vom 16. Okt. 2006 über Outsourcing- 11
A.E. Dulitzky: „A region in denial: Racial discrimination and
Regelungen, die Funktionsweise von Zeitarbeitsdienstleistern racism in Latin America“, in A. Dzidzienyo; S. Oboler (Hrsg.):
und Zeitarbeitsverträge. Neither enemies nor friends: Latinos, Blacks, Afro-Latinos
8
Richtlinie 2000/43/EG des Rates, a.a.O., Art. 13. (Houndmills, Palgrave Macmillian, 2005).

62
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Übersicht 3.1. Vor- und Nachteile von Gleichstellungsinstitutionen mit Zuständigkeit für mehr als
einen Diskriminierungsgrund

Vorteile Nachteile/Probleme
Setzt sich mit Mehrfachdiskriminierung auseinander, da Möglicherweise fehlende Konzentration auf einen speziellen
manche Menschen mehr als einer Form der Diskriminierung Grund und die Schwierigkeit, das generelle Anliegen der
ausgesetzt sind Nichtdiskriminierung und der Gleichheit einerseits und
Wissenstransfer aus Bereichen, in denen Gesetz und Politik andererseits die Notwendigkeit, konkret auf jeden
relativ weit entwickelt sind, z. B. Geschlecht und Rasse, auf Diskriminierungsgrund einzugehen, miteinander zu
„neuere“ Gründe, z. B. sexuelle Ausrichtung vereinbaren
Konsequentere, vom Diskriminierungsgrund unabhängige Je nach Diskriminierungsgrund möglicherweise
Hilfe für die Opfer unterschiedliches Schutzniveau
Konsequentere und effektivere Beratung und Hilfe für Mögliche Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit einer
Arbeitgeber, Gewerkschaften und politische größeren Anzahl von diskriminierten Gemeinschaften und
Entscheidungsträger Gruppen
Kosteneffektivere Ressourcennutzung, z. B. Mitarbeiter, Mögliche Finanz- und Personalengpässe, vor allem beim
Bürokosten usw. Zusammenschluss von bereits bestehenden Gremien

Quelle: F. Palmer: Specialised National Institutions to combat discrimination in Europe, für diesen Gesamtbericht ausgearbeitetes Papier.
J. Niessen; J. Cormack: „Organismi speciallizzati istituiti a livello nazionale in seguito all’adozione delle direttive antidiscriminatories comuni-
tarie“ in S. Faben; M.G. Toniollo (Hrsg.): La discriminazione fondata sull’orientamento sessuale: L’attuazione della direttiva 2000/78/CE e la
nuova disciplina per la protezione dei diritti delle persone omossessuali sul posto di lavoro (Rom, Ediesse, 2005), S. 280.

210. In den Entwicklungsländern befassen sich Die Herausforderung der Umsetzung der
die Institutionen eher mit einem einzelnen Diskri- Gesetzgebung
minierungsgrund als mit mehreren. Allerdings gibt
es einige interessante Ausnahmen, z. B. die Kom-
mission für Chancengleichheit in Hongkong, Arbeitsgerichte
China, und den Nationalrat zur Verhinderung von 212. Selbst wenn es spezielle Institutionen für
Diskriminierung (CONAPRED) in Mexiko Menschenrechte und Gleichstellung gibt, liegt es
(Kasten 3.2). oft im Zuständigkeitsbereich der Gerichte und der
211. Die Kommission für Chancengleichheit in Arbeitsverwaltung, die Antidiskriminierungsge-
Hongkong, China, wurde 1996 eingesetzt und setzgebung zu beaufsichtigen und umzusetzen.
richtet sich gegen Diskriminierung auf Grund von Die Gerichte hören Einzelfälle und regeln sie; sie
Geschlecht, Familienstand, Schwangerschaft, bestimmen, ob Diskriminierung vorliegt oder nicht
Behinderung und Betreuungsaufgaben in der und legen mit einer für die Streitparteien verbind-
Familie. Sie ist befugt, Nachforschungen anzu- lichen Entscheidung die Rechtsfolgen fest. Eine
stellen und zu vermitteln; sie veröffentlicht Samm- Gerichtsverhandlung macht es möglich, dass das
lungen praktischer Richtlinien zur Chancengleich- Opfer durch die gesetzlich vorhandenen Rechts-
heit, forscht im Bereich Diskriminierung und baut mittel Gerechtigkeit erfährt: Die Diskriminierung
Partnerschaften mit Unternehmen und Regierungs- wird beendet, und das Opfer erhält eine Entschädi-
sowie Nichtregierungsorganisationen auf. Eine gung für erlittene Schäden. Die Gerichte schützen
wichtige Leistung der Kommission war die Angeklagte auch vor grundlosen Anschuldigun-
Reform des Systems zur Verteilung von Plätzen in gen. Aus der Jurisprudenz der höheren Gerichte
weiterführenden Schulen, das ein Vierteljahrhun- im Bereich der Gleichheit entstanden Bemühun-
dert lang zu einer systematischen Absenkung der gen, die Gesetzgebung zu stärken und zu entwi-
Noten der besten Mädchen und einer Anhebung ckeln 13.
der Noten der besten Jungen führte; der Zugang
von Mädchen zu den besten Schulen wurde auf
diese Weise über Geschlechtsquoten willkürlich
begrenzt 12. 13
So sehen z. B. die Bestimmungen der EU vor, dass die
Beweislast auf den Angeklagten übertragen wird, nachdem der
Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass in Fällen von
glaubhaft gemachter Diskriminierung die Beweislast anzu-
passen ist: Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dez. 1997
über die Beweislast bei Diskriminierung auf Grund des
12
Equal Opportunities Commission: Annual Report 02/03 Geschlechts, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften,
(Hongkong, China), S. 4. L 014, 20.01.1998, S. 6-8.

63
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 3.1
Folgemaßnahmen in Lateinamerika zur Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit und damit einhergehende Intoleranz von 2001 (Durban)

Im Juli 2006 wurde in Brasilia eine von Brasilien und Chile organisierte amerikanische Regionalkonferenz über die
Fortschritte und die noch verbleibenden Herausforderungen der effektiven Umsetzung der Erklärung und des Aktionspro-
gramms von Durban gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit einhergehender Intoleranz
veranstaltet. Das Abschlussdokument dieser Konferenz enthielt folgende Regelungen:
z Anerkennung der positiven Rolle der nationalen Institutionen beim Kampf gegen den Rassismus;
z die Notwendigkeit eines nationalen Überwachungssystems und die Einführung von Indikatoren zur Messung der
Wirkung nationaler Maßnahmen und Programme;
z die Ausarbeitung von Menschenrechts-Ausbildungsprogrammen, insbesondere im Bereich Justizverwaltung;
z die Notwendigkeit einer Politik der positiven Maßnahmen;
z einen Aufruf an die Regierungen, verlässliche und aufgeschlüsselte Daten zu Rasse, Geschlecht, geografischer
Verteilung und sozioökonomischen Indikatoren zu sammeln.
Quelle: Vereinte Nationen, Generalversammlung: Weltweite Bemühungen um die vollständige Beseitigung von Rassismus, Rassendiskri-
minierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz und umfassende Umsetzung und Weiterverfolgung der Erklä-
rung und des Aktionsprogramms von Durban, Bericht des Generalsekretärs, Dok. A/61/337, 12. September 2006, Absatz 57 und 59.

213. In vielen Ländern ist es den Opfern von Dis- ven Rechtssystem verankerten Grundrechten und
kriminierung beim Zugang zur Beschäftigung dem Gewohnheitsrecht zu lösen 14.
nicht uneingeschränkt möglich, ein Gericht anzu- 214. Mitgliedern diskriminierter Gruppen bleibt
rufen, was sich an der sehr geringen Anzahl der der Weg zur Gerechtigkeit auf Grund mangelnden
relevanten Fälle ablesen lässt, die vor gewöhn- Zugangs zu leicht zugänglicher Rechtshilfe und
lichen Gerichten oder Arbeitsgerichten verhandelt fehlenden angemessenen Verfahrensregeln nicht
werden. Den Opfern der Diskriminierung, die oft selten verwehrt. „Meine Rechte“, eine Fernsehsen-
sozial und wirtschaftlich benachteiligten Gruppen dung, die mit Hilfe von gespielten Gerichtsver-
angehören, mögen gerichtliche Schritte als Mittel handlungen echte Streitigkeiten in Gerichten in
gegen die Ungerechtigkeit wenig geeignet erschei- Armenien zeigt, hilft den armenischen Bürgern,
nen, oder sie wagen keine Klage, entweder aus ihre Rechte und Entschädigungsverfahren besser
Angst vor Repressalien oder weil sie die Chancen zu verstehen und baut das weit verbreitete Miss-
eines erfolgreichen Ausgangs ihres Verfahrens als trauen gegenüber den Gerichten ab 15. Zu den wei-
gering ansehen. In bestimmten Fällen kann die teren innovativen Erfahrungen zählt das Roma-
Unvereinbarkeit des positiven Rechtssystems mit Beratungsnetzwerk gegen Diskriminierung in
dem herkömmlichen Gewohnheitsrecht die Diskri- Ungarn (Kasten 3.3).
minierung von Randgruppen noch verschärfen, 215. In einer Reihe von Gerichtsbarkeiten
vor allem dort, wo Ersterem Legitimität und poli- benutzen die Gerichte internationale Arbeitsnor-
tische Reichweite fehlen und die Gewohnheits- men als Rechtsquelle 16 . Weiterbildungsmaßnah-
rechtssysteme die übliche Form der Regulierung men der IAO für Richter und Anwälte im Bereich
und Konfliktlösung sind. Das Gewohnheitsrecht internationaler Arbeitsnormen stoßen auf ein sehr
legitimiert und verstärkt bestimmte Formen der positives Echo und weisen positive Ergebnisse
Ungleichheit unter Umständen noch, vor allem die auf; die Teilnehmer beginnen, das erworbene
auf geschlechtsspezifischen Aspekten beruhende Wissen in ihrer täglichen Arbeit anzuwenden
Benachteiligung, die Verweigerung des Zugangs (siehe Teil IV, Kapitel 1) 17.
von Frauen zu Land und anderen Vermögens-
werten oder die Zementierung von Machtstruk- 14
turen auf der Basis ethnischer Herkunft. Ein Weltbank: Weltentwicklungsbericht 2006: Chancengleich-
heit und Entwicklung (Washington, 2005), Kasten 8.3, S. 160.
Schritt in die richtige Richtung wird von Ländern, 15
Ebd., Kasten 8.1, S. 157.
z. B. Südafrika, unternommen, die sich bemühen,
das Gewohnheitsrecht in verfassungsrechtliche 16
Siehe C. Thomas, M. Oelz und X. Beaudonnet: „The use of
Reformen zu integrieren und gleichzeitig even- international labour law in domestic courts: Theory, recent
tuelle Unvereinbarkeiten zwischen den im positi- jurisprudence and practical implications“, in: J.-C. Javillier und
B. Gernigon (Hrsg.): Les normes internationales du travail: un
patrimoine pour l’avenir. Mélanges en l’honneur de Nicolas
Valticos (Genf, IAA, 2004), S.249-285.
17
Siehe A.A. Sanches: Evaluation d’impact des cours sur les
normes internationales du travail pour juges, juristes et

64
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.2
Mexiko: Nationalrat zur Verhinderung von Diskriminierung (CONAPRED)

CONAPRED entstand 2003 durch das Bundesgesetz für die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung; dieses
Gesetz verbietet jede Diskriminierung auf Grund von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Gesundheitszustand, Alter, Behin-
derung, sozialem oder wirtschaftlichem Status, Schwangerschaft, Sprache, Meinung und Familienstand, sexueller Aus-
richtung, Staatsangehörigkeit oder Religion. CONAPRED macht sich viele Strategien mit dem Ziel zunutze, der
Diskriminierung in Mexiko ein Ende zu setzen. CONAPRED arbeitet Programme aus, mit der die Diskriminierung bei der
Arbeit ebenso bekämpft wird wie Diskriminierung in anderen Bereichen; legt Vorschläge für wichtige Rechtsreformen vor;
lanciert Aufklärungskampagnen; führt Studien durch, die das Auftreten und das Erscheinungsbild verschiedener Formen
der Diskriminierung dokumentieren; untersucht alle mutmaßlichen diskriminierenden Praktiken einzelner oder föderaler
Behörden; und setzt gemäß dem föderalen Gesetz Verwaltungsmaßnahmen durch, um die Annahme vorbeugender und
korrigierender Maßnahmen durch öffentliche und private Organisationen zu verifizieren. CONAPRED lancierte ein eigen-
ständiges Programm für Menschen mit Behinderungen und eines für nicht heterosexuelle Menschen. CONAPRED arbeitet
derzeit an der Ausarbeitung einer Reihe von Indikatoren, mit deren Hilfe das Ausmaß der Diskriminierung gemessen wer-
den soll und die staatliche Maßnahmen im Hinblick auf Diskriminierung und Gleichstellung in das öffentliche Interesse
rücken sollen. Im Mai 2006 wurde unter der Schirmherrschaft von CONAPRED die erste nationale öffentliche Maßnahme
zur Bekämpfung der Diskriminierung in die Wege geleitet.
Quellen: A. Becerra Gelover: Fighting discrimination in Mexico: The case of the National Council for the Prevention of Discrimination, für
diesen Gesamtbericht ausgearbeitetes Papier, Mai 2006; CONAPRED-website unter: www.conapred.org.mx.

Kasten 3.3
Ungarn: Das Roma-Beratungsnetzwerk gegen Diskriminierung

Dieses Netz ist eine gemeinsame Initiative der Ministerien für Recht, Roma-Angelegenheiten und Chancengleichheit, des
Amts für nationale und ethnische Minderheiten und der Nationalen Roma-Selbstverwaltung. Aufgabe des Netzwerks ist es,
den Roma kostenfreie Rechtsberatung anzubieten. 2005 bestand das Netzwerk aus 30 Rechtsanwälten. Von 1. Mai bis
31. Mai bearbeitete es 256 Fälle von Beschäftigungsdiskriminierung. In diesen Fällen ging es vorrangig darum, die diskri-
minierende Maßnahme oder Situation zu beenden und die Wiedereinstellung zu erreichen. Klagen und Verwaltungsverfah-
ren vor den zuständigen Gremien wurden nur als letztes Mittel angestrengt, wenn die Fälle nicht auf andere Art und Weise
gelöst werden konnten. Die Anwälte des Netzwerks legen jeden Monat Berichte über ihre Aktivitäten vor, die dann von
ihrer Verwaltungsstruktur geprüft werden.
Quelle: Bericht der ungarischen Regierung im Jahr 2005 nach Artikel 22 der Verfassung der IAO zum Übereinkommen Nr. 111.

Die Arbeitsaufsicht: Ein unzureichend mutmaßliches Diskriminierungsopfer die Initiative


genutztes Potenzial ergreift. Die Arbeitsaufsicht ist befugt, Arbeits-
plätze nach Gutdünken zu inspizieren und Infor-
216. Dank der Aufnahme von Nichtdiskriminie-
mationen zu sammeln und zu prüfen, zu denen
rungsvorschriften in die Arbeitsgesetzgebung kann
Opfer keinen Zugang haben und die unter
sich die Arbeitsaufsicht auch mit Diskriminie-
Umständen Diskriminierung erkennen lassen.
rungsfragen befassen. Wenn es bereits umfassende
Selbst in Fällen, in denen eine Inspektion auf
Antidiskriminierungsgesetze gibt, ist es manchmal
Grund von Berichten einer Person oder Gruppe
Aufgabe des Arbeitsaufsichtsdienstes, die darin
stattfindet, ist der Beschwerdeführer nicht Verfah-
enthaltenen Bestimmungen für Arbeit und
renspartei, so dass die Belastung für ihn viel gerin-
Beschäftigung zu überwachen 18 . Anders als ein
ger ist.
Gericht kann der Arbeitsaufsichtsdienst die Ein-
217. In einigen Gerichtsbarkeiten dürfen Arbeits-
haltung der gesetzlichen Bestimmungen über-
aufsichtsbeamte Fälle vor Gericht bringen oder in
wachen, ohne darauf angewiesen zu sein, dass ein
ein von einer anderen Partei angestrengtes Verfah-
ren eingreifen. Argentinien, die Dominikanische
professeurs de droit (1999-2003) (Turin, Internationales Aus-
Republik, Guatemala und Mexiko sind Beispiele
bildungszentrum der IAO, 2005). dafür, dass einige Regierungen in Lateinamerika
18
So ist nach dem durch Gesetz Nr. 50/2006 abgewandelten den Beratungsdiensten der Arbeitsaufsicht und
finnischen Nichtdiskriminierungsgesetz (Nr. 21/2004) die Ein- deren Umsetzung der Gesetze allmählich wohl
haltung des Gesetzes bei Beschäftigungs- und Dienstlei- doch mehr Beachtung schenken und bereit sind,
stungsverhältnissen durch Berufssicherheits- und Gesundheits-
behörden zu beaufsichtigen.

65
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

mehr Finanzmittel bereitzustellen, um die Arbeits- schriften 20. Darüber hinaus behindern die knappen
aufsicht zu stärken 19. den Arbeitsaufsichtsbehörden zur Verfügung ste-
218. Die Arbeitsaufsicht kann durch die Bereit- henden Mittel und die begrenzte Infrastruktur in
stellung von Informationen und technische Bera- der Praxis Maßnahmen der Arbeitsaufsichtsbeam-
tung auch bei der Verhinderung von Diskriminie- ten in diesem Bereich.
rung eine Rolle spielen. Diese Aktivitäten sind 221. Wenn ein gerichtliches Vorgehen den
effektiver, wenn sie in eine übergreifende und Opfern der Diskriminierung keine wirkliche Mög-
integrierte nationale Politik der Förderung von lichkeit bietet, die vorhandenen Rechtsmittel aus-
Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit ein- zuschöpfen, wird der eigentliche Sinn des Rechts-
gebunden sind. Ein gutes Beispiel dafür sind die schutzes ausgehöhlt. Trotzdem bedeutet es nicht,
núcleos in Brasilien, Stellen, die die Chancen- dass andere Methoden zum Umgang mit Diskrimi-
gleichheit fördern und die Diskriminierung in nierung, wie z. B. Vorbeugung und Vermittlung,
Beschäftigung und Beruf bekämpfen (Kasten 3.4). weniger wichtig sind, wenn der Schwerpunkt auf
219. Um sich angemessen mit der Diskrimi- Durchsetzung, Strafen und Sanktionen gelegt
nierung auseinandersetzen zu können, braucht wird. Die alternative Konfliktlösung funktioniert
man die erforderlichen Kapazitäten und einen am besten, wenn die Durchsetzung als letzter
klaren Auftrag; in einer Reihe von Ländern lehrt Ausweg gesehen wird. Die Möglichkeit der Straf-
die Erfahrung, dass die Arbeitsaufsicht ihr Poten- verfolgung oder einer Geldstrafe ist für die
zial zur Bekämpfung der Diskriminierung dann Arbeitgeber ein effektiver Anreiz, in ihren Unter-
am besten ausschöpfen kann, wenn vorher durch nehmen Diskriminierung zu vermeiden und vor-
bestimmte Schritte der Weg bereitet wurde beugende Maßnahmen zu ergreifen.
(Kasten 3.5). Die Arbeitsverwaltung in Belgien 222. Um den rechtlichen Schutz vor Diskriminie-
hat eine Stelle für die Beratung und Ausbildung rung zu stärken, sollten Ausbildung und Kapazi-
von Arbeitsaufsichtsinspektoren in Fragen der tätsausbau sich an Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Diskriminierung eingerichtet. Als Teil dieser und ihre Verbände, an Justizausbilder und
Bemühung wurde ein Handbuch zur Verfügung Anwälte und an Richter und Arbeitsaufsichts-
gestellt, um Arbeitsinspektoren zu helfen, Fragen beamte richten. In den meisten Gerichtsbarkeiten
der Diskriminierung am Arbeitsplatz anzugehen. fehlt die Erfahrung im Umgang mit Diskriminie-
In Zypern weist das Gesetz über die rungsfällen; daher wäre für prozessführende Par-
Entgeltgerechtigkeit von 2002 der Arbeitsaufsicht teien und Richter eine praktische Fortbildung
konkrete Kontroll- und Beratungsfunktionen unter Berücksichtigung der vergleichenden
hinsichtlich der Entgeltgleichheit zu. Der jährliche Rechtswissenschaft und des maßgeblichen Völker-
Lehrgang für Arbeitsinspektoren in Uruguay rechts (siehe Teil IV, Kapitel 1) besonders sinn-
befasst sich regelmäßig mit Gleichstellungsfragen. voll. Neben der Weiterbildung dieses Personen-
In Polen erklärten die Behörden die Einhaltung kreises im Bereich Gesetzgebung und Rechts-
der Gleichstellungsbestimmungen für eine streitigkeiten sollte den Opfern ein verlässlicher
bestimmte Zeit zu einer Priorität der Arbeitsauf- Zugang zu Strukturen und Mechanismen – ein-
sicht, und die Nationale Arbeitsaufsicht führte auf schließlich Rechtshilfe – ermöglicht werden, die
der Grundlage eines ausführlichen Fragebogens Unterstützung und Beratung anbieten.
Inspektionen zur Geschlechtergleichstellung 223. Außerdem sollten Informationen über Zahl,
durch. In Pakistan bezeichnet die Arbeitsschutz- Art und Ausgang von Diskriminierungsfällen
politik 2005, gestützt auf die Arbeitsaufsichtspolitik regelmäßig gesammelt und ausgewertet werden als
2006, die Eliminierung der geschlechtsspezifi- Indikator über die praktischen Auswirkungen von
schen Diskriminierung bei der Arbeit als ein Antidiskriminierungsgesetzgebung.
wichtiges Ziel.
220. In einer Reihe von Ländern sind der Rolle Die sich wandelnde Arbeitsnachfrage
der Arbeitsaufsicht bei der Bekämpfung der
224. Die Umsetzung von konkreten positiven
Diskriminierung Grenzen gesetzt, weil Fragen der
Maßnahmen als Teil der Entwicklung ihrer
Diskriminierung in die Zuständigkeit anderer
Humanressourcen und Managementpolitik ermög-
Stellen fallen oder weil die Diskriminierung als
licht es den Arbeitgebern, eine wichtige Rolle bei
Angelegenheit gilt, für die Gerichte zuständig
der Schaffung von stärker auf Gleichheit und Ein-
sind. In Kroatien sieht das Arbeitsgesetz (kon-
bindung ausgerichteten Arbeitsplätzen zu spielen.
solidierter Text von 2004) keine Strafen bei
So haben die Arbeitgeber bei der Förderung von
Verstößen gegen die Vorschriften zur Entgeltge-
nicht diskriminierenden Praktiken im Bereich
rechtigkeit vor, und die Arbeitsaufsicht hat daher
Humanressourcen etwas vorzuweisen.
kein Mandat zur Überwachung dieser Vor-

19 20
M.J. Piore; A. Schrank. „Trading up: An embryonic model Ausschuss für die Durchführung der Übereinkommen und
for easing the human cost of free markets“ in Boston review, Empfehlungen: Direkte Anfrage, 2006, Übereinkommen
unter bostonreview.net/BR31.5/ pioreschrank.html. Nr. 100.

66
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.4
Brasilien: Lernerfahrungen mit núcleos zur Förderung von Chancengleichheit und den Kampf gegen die
Diskriminierung

1995 richtete das Ministerium für Arbeit und Beschäftigung mit der technischen Unterstützung der IAO das Programm
Brasilien, Geschlecht und Rasse – Vereint für Chancengleichheit ein und gründete im Rahmen der Regionalabteilungen
des Ministeriums auf Staatsebene die als núcleos bezeichneten Stellen zur Bekämpfung von Diskriminierung in der
Arbeitswelt und im Beruf. In den Stellen werden die Beschwerden über Diskriminierung angenommen und untersucht und
Vermittlungsdienste und Aufklärungsprogramme angeboten. 2005 wurde mit Hilfe der IAO eine Evaluierung von fünf aus-
gewählten núcleos durchgeführt. Die Studie offenbarte positive Ergebnisse, aber auch einige Mängel. Es wurde festge-
stellt, dass die Benachteiligung aus rassischen Gründen im Vergleich zur Diskriminierung auf Grund von Behinderung
wenig Beachtung fand (zum Teil war dies auf die den Arbeitgebern vorgegebenen gesetzlichen Quoten zurückzuführen).
Vorwiegend befasste man sich mit der Diskriminierung in der formalen Lohnbeschäftigung, obwohl ein großer Teil der
schwarzen Bevölkerung in informellen Arbeitsverhältnissen oder in selbstständiger Arbeit beschäftigt ist. Die núcleos
hatten keine gemeinsame Arbeitsmethode und waren nicht an gemeinsamen Zielen und Wirkungsindikatoren ausgerichtet.
Es gab daher auch Unterschiede in der relativen Bedeutung, die der Arbeitsaufsicht bei den Aktivitäten im Bereich Sensibi-
lisierung/Bildung und der Zusammenarbeit/dem konstruktiven Dialog mit den Unternehmen zugemessen wurde, obwohl es
in allen Fällen eine Arbeitsaufsicht gab. In einigen Fällen wurden jedoch Kontakte zu Universitäten und nichtstaatlichen
Organisationen hergestellt, und in dem núcleo “Pro-Dignidade” (Natal) waren Vertreter nichtstaatlicher Organisationen mit
einem Vermittlungsverfahren befasst, in dem es um eine Diskriminierungsbeschwerde auf Grund eines HIV-Falles ging.
Die Evaluierungsstudie hob die Notwendigkeit hervor, die Zielrichtung und Arbeitsmethoden der núcleos zu vereinheit-
lichen und gemeinsame Kriterien für die Leistungsbewertung auszuarbeiten. Sie forderte die núcleos auf, Synergieeffekte
mit anderen Programmen des Arbeitsministeriums (z. B. im Zusammenhang mit der solidaritätsbasierten Wirtschaft) und
mit anderen staatlichen Partnern anzustreben (z. B. dem Sekretariat für Frauenpolitik, dem für Arbeitsrecht zuständigen
Generalstaatsanwalt und dem Sondersekretariat für Maßnahmen zur Förderung der Rassengleichheit (SEPPIR) und Men-
schenrechtsinstitutionen). Die Kontroll- und Evaluierungsaktivitäten sollen auf nationaler Ebene verbessert und stärker
koordiniert werden. Auf dieser Grundlage arbeitete die IAO gemeinsam mit dem Arbeitsministerium daran, die Kapazität
der Mitarbeiter dieser Stellen auszubauen, um einige dieser Probleme bewältigen zu können. Die IAO beteiligte sich auch
an Diskussionen über die Umstrukturierung des Ministeriums, die 2006 zur Gründung der Sonderberatungsabteilung zu
Fragen der Diskriminierung und Gleichheit führten, die unmittelbar dem Exekutivsekretär des Arbeitsministeriums unter-
stellt ist und so das Augenmerk innerhalb der Organisationsstruktur des Arbeitsministeriums vermehrt auf diese Probleme
richtet.
Quelle: P. Cappellin, J.C. Alexim, C. Letierre, A experiência do núcleos de promoção da igualdade de oportunidades e combate à
discriminação no emprego e na ocupação (Brasilia, IAA, 2005), unter www.oitbrasil.org.br.

Kasten 3.5
Gleichstellungsinspektionen in der Tschechischen Republik

Das Arbeitsministerium in der Tschechischen Republik veröffentlichte für die Arbeitsinspektoren eine am 1. Januar 2003 in
Kraft getretene Methodische Anleitung zur Chancengleichheit für Männer und Frauen. Das Dokument beschreibt die
entsprechenden Rechtsvorschriften und gibt konkrete Anleitungen, wie Gleichstellungsinspektionen auszuführen sind. Der
Fragenkatalog während einer Gleichstellungsinspektion umfasst Fragen der Einstellung, Ausbildung und Beförderung, der
Arbeitsbedingungen, sexuellen Belästigung, des Stillens und des Mutterschafts- und Elternurlaubs. Ein weiteres Dokument
liefert einen Leitfaden, wie Arbeitsplätze bewertet werden müssen, um festzustellen, ob bei gleicher Arbeit auch die
Gleichheit des Entgelts gegeben ist. Das neue Arbeitsaufsichtsgesetz von 2005 sieht vor, dass Verletzungen des Prinzips
der Gleichbehandlung und des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit Verstöße sind, die mit Geldstrafen geahndet werden.
Die Arbeitsaufsicht stellte in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 und der ersten Hälfte des Jahres 2005 insgesamt 757
Verstöße gegen die Vorschrift der Entgeltgerechtigkeit fest.
Quelle: Regierungsberichte der Tschechischen Republik von 2003 und 2006 gemäß Artikel 22 der Verfassung der IAO zum Überein-
kommen Nr. 100.

„Positive Diskriminierung“: Was wurde mit gleiche Bedingungen zu schaffen. In solchen Fäl-
ihrer Hilfe erreicht? len ist unter Umständen eine andere Behandlung
von Mitgliedern benachteiligter Gruppen von-
225. Wie bereits erwähnt, beruht positive Diskri-
nöten, bis die Gründe hinfällig sind, die den
minierung auf der Erkenntnis, dass, wenn tief ver-
Einsatz dieser Maßnahmen rechtfertigen. Positive
wurzelte Ungleichheiten existieren, ein bloßes
Maßnahmen bedeuten nicht, dass etwas mit den
Verbot der Diskriminierung nicht ausreicht, um
Nutznießern nicht stimmt oder dass sie sich

67
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

ändern müssen; vielmehr sind sie ein Hinweis niedrig ist und Schwankungen bei ihrer Vertretung
darauf, dass die Institutionen des Arbeitsmarkts es in Spitzenpositionen unerheblich sind 21.
nicht schaffen, Chancengleichheit für alle herzu- 230. In Namibia sind die bisher aus rassischen
stellen. Solche Maßnahmen können sich an eine Gründen benachteiligten Männer bei den Fach-
oder mehrere Gruppen richten und staatliche oder und Vorarbeiterpositionen, wo sie nun die größte
private Unternehmen (Übersicht 3.2) betreffen. Gruppe stellen, besser vertreten, und auch der
226. Meist werden die in Frage kommenden Anteil ihrer Kolleginnen stieg an. Allerdings
Arbeitgeber gebeten, in regelmäßigen Abständen dominieren Männer, und zwar vor allem weiße
Berichte zur demografischen Zusammensetzung Männer, in Spitzen- und Führungspositionen,
ihrer Belegschaft und über den Wandel im zeit- während Frauen, weiße wie schwarze, nach wie
lichen Verlauf, die Gründe für die mangelhafte vor unterrepräsentiert sind 22. Ähnlich wie in Süd-
Vertretung spezieller Gruppen und die Maßnah- afrika waren Menschen mit Behinderungen auf
men zur Änderung dieser Situation auszuarbeiten. allen Beschäftigungsebenen kaum vertreten. Der
Es geht dabei nicht um bloße Statistik, sondern Staatssektor ist bei der Ernennung von Mitgliedern
auch um einen Überblick über die Führungsmaß- aus allen ausgewählten Gruppen in führende und
nahmen und -praktiken der Unternehmen im mittlere Positionen tonangebend; Privatunterneh-
Bereich Humanressourcen. men führen an, dass sie kaum qualifizierte Mit-
227. Wie haben sich diese Maßnahmen ausge- glieder der ausgewählten Gruppen an sich binden
wirkt? Untergruben sie generell die Effektivität, und daher mit quasi-staatlichen oder Staatsunter-
indem sie die Normen herabsetzten und Gruppen, nehmen nicht mithalten könnten, da sie außer-
die von ihnen profitieren, und solche, denen aus stande seien, ein ähnlich hohes Entgelt zu zah-
den Maßnahmen kein Nutzen entsteht, davon len 23.
abschrecken, ihr Bestes zu leisten? Oder ist es 231. In Nordirland wurden Mitglieder der unter-
ihnen gelungen, die auf Grund vergangener und repräsentierten religiösen Gemeinschaft in den
heutiger Diskriminierung entstandene Situation neunziger Jahren vermehrt eingestellt, und es
der Benachteiligung zu korrigieren, ohne die entwickelte sich ein stärkeres religiöses Gleich-
Gesamtproduktivität auszuhöhlen? gewicht in der Zusammensetzung der Belegschaft
228. Diese wichtigen Fragen erfordern eine Ant- von Unternehmen, die bezüglich der mangelhaften
wort, insbesondere angesichts der derzeit, oft stark Repräsentation von Protestanten bzw. Katholiken
ideologisch geprägten Debatte über diese Proble- eine Einigung getroffen hatten 24.
matik. Nicht alle ausgewählten Unternehmer kom- 232. In Kanada weisen die Jahresberichte über die
men ihrer Pflicht zur Berichterstattung nach, und Leistungen der öffentlichen Dienste insgesamt
es ist schwierig nachzuvollziehen, wie genau sich anhaltende Fortschritte und positive Ergebnisse
positive Diskriminierung oder andere politische aus, obwohl es weiterhin einige Schwachstellen
Maßnahmen auf die Verbesserung der Lage von gibt, vor allem bezüglich der „sichtbaren Minder-
unterrepräsentierten Gruppen auswirken; trotz die- heiten“. Die öffentlichen Dienste blieben deutlich
ser fehlenden Daten lassen sich einige Schlussfol- hinter ihrer Zielsetzung zurück, knapp über
gerungen zur Auswirkung der Maßnahmen ziehen. 10 Prozent der Stellen mit Mitgliedern der sicht-
229. In Südafrika hat die positive Diskriminie- baren Minderheiten zu besetzen. Auf Grund des
rung offenbar Auswirkungen auf das Beleg- ständigen Zustroms von Einwanderern aus Asien,
schaftsprofil der Arbeitgeber gehabt, die vom Afrika, der Karibik und Lateinamerika verändert
Gesetz über die Gleichstellung in der Beschäfti- sich die Zielsetzung ständig. Die unbefriedigende
gung erfasst werden; die Fortschritte fielen in den Leistung des öffentlichen Dienstes wird durch die
begünstigten Gruppen jedoch unterschiedlich aus, besseren Ergebnisse des vom Staat kontrollierten
schwarze Männer haben am meisten profitiert. privaten Sektors ausgeglichen, wo das Gesetz über
2003 entfielen auf sie 18,5 Prozent aller Positio- die Gleichstellung in der Beschäftigung ebenfalls
nen im Spitzenmanagement und 20 Prozent im
höheren Management, gegenüber 5,3 bzw.
7,4 Prozent im Fall schwarzer Frauen und 8,8 21
Commission for Employment Equity: Annual Report 2003-
bzw. 15 Prozent im Fall weißer Frauen. Auf 04 (Pretoria, Arbeitsministerium), unter www.labour.gov.za.
schwarze Frauen und Männer entfielen gemeinsam 22
V. Usiku: „Affirmative action in employment: The Nami-
fast 37 Prozent bzw. über 37 Prozent aller Beför- bian experience“, bei der Internationalen Gesprächsrunde über
derungen in Positionen des Spitzenmanagements die Förderung von Gleichheit und rassischer Eingliederung
und der höheren Führungsebene in den Jahren vorgelegtes Papier, Brasilia, 11.-14. Apr. 2005.
2002-03. Die Neueinstellung spielte eine ebenso 23
D. Motinga; T. Mbuende: Progress on affirmative action
wichtige Rolle bei der Verbesserung ihrer and employment equity: Still a man’s world!, IPFR Briefing
Vertretung an der Spitze. Die Position schwarzer Paper Nr. 26, Nov. 2003.
24
Frauen, insbesondere afrikanischer Frauen, hat C. McCrudden; R. Ford; A. Heath: „Legal regulation of
affirmative action in Northern Ireland: An empirical assess-
sich offenbar verschlechtert, während die Anzahl ment“, Oxford Journal of Legal Studies, Jg. 24, Nr. 3 (2004),
der Menschen mit Behinderungen weiterhin S. 363-415.

68
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Übersicht 3.2. Merkmale positiv diskriminierender Programme in sieben Ländern

Vereinigte Kanada Indien Malaysia Namibia Südafrika Vereinigtes


Staaten Königreich
(Nordirland)
Gesetz Durchfüh- Gesetz zur Verfassung Neue Gesetz über Gesetz über Erlass über
rungsver- Chancengleich- Wirtschafts- positive Diskri- Gleichstellung faire
ordnung des heit in der politik, 1970: minierung in der Beschäfti-
Präsidenten Beschäftigung, (Beschäfti- Beschäftigung, gung und
11246, 1965 1995 gung), 1998 1998 Behandlung,
– Chancen- 1998
gleichheit in
der Beschäf-
tigung
Zielgruppen Rassische Frauen, Im Plan Bumiputeras Rassisch Schwarze Katholische
Minderheiten, Sichtbare vorgesehene (Ethnische benachteiligte (Afrikaner, Minderheit
Frauen Minderheiten 1, Kasten, Malaien ), Personen, Farbige und
Im Plan vor- Menschen Frauen, Inder 3),
Indigene,
gesehene mit Behin- Menschen mit Frauen,
Menschen mit Stämme, derungen
Behinderungen Behinderungen Menschen mit
Andere Behinderungen
„rückständige
Klassen“ 2
Anwendungs- Unternehmer öffentlicher und öffentlicher öffentlicher öffentlicher und öffentlicher und öffentlicher
bereich aus dem privater Sektor und privater und privater privater Sektor privater Sektor und privater
öffentlichen Sektor Sektor Sektor
und privaten (freiwillig)
Sektor
Erwartungen Ausgleich für Ausgleich für Beseitigung Ausgleich Ausgleich für Beseitigung von Abschaffung
Diskriminie- Diskriminierung der gesell- für fehlende Diskriminierung Diskriminierung der Beschäf-
rung in der in der Vergan- schaftlichen Entwicklung in der Vergan- in der Beschäf- tigungs-
Vergangen- genheit und der und Beschäf- genheit und der tigung und der diskrimi-
heit Aufbau einer tigungsdis- Aufbau einer Aufbau einer nierung
rassisch ver- kriminierung rassisch ver- rassisch ver-
stärkt gleichge- stärkt gleich- stärkt gleich-
stellten Gesell- gestellten gestellten
schaft Gesellschaft Gesellschaft
Quoten oder Ziele und Ziele und Quoten oder Quoten Ziele und Ziele und Ziele und
Ziele und Zeitpläne Zeitpläne „Reservie- Zeitpläne Zeitpläne Zeitpläne
Zeitpläne rungen“
1 Der Begriff „sichtbare Minderheiten“ bezieht sich auf Menschen nicht-indigenen Ursprungs, die nicht der weißen Rasse angehören und keine

weiße Hautfarbe haben.


2 Die „rückständigen Klassen“ in Indien stellen keine klar definierte Kategorie dar, und die Identifizierung von Gruppen mit einem Anspruch auf

diese Sonderrechte ist regelmäßig Gegenstand von Auseinandersetzungen und Überprüfungen.


3 Diese in der Apartheid verwendete rassische Klassifizierung wurde nach 1994 beibehalten. Der Begriff „Afrikanisch“ bezeichnet die indigene

Bevölkerung Südafrikas im Unterschied zu Menschen, deren Herkunft in andere Kontinente zurückverfolgt werden kann; „Farbige“ bezeichnet
Südafrikaner gemischter Rasse, und „Inder” bezieht sich auf Menschen indischer Abstammung.

gilt und die Beschäftigungsgleichheit als wesent- 233. Dieser kurze Überblick zeigt, dass in mehre-
licher Faktor auf dem Weg zu größerem unterneh- ren Ländern, in denen gründliche Analysen durch-
merischen Erfolg angesehen wird 25. geführt wurden, die positive Diskriminierung den
Anteil geschützter Gruppen in der Arbeitswelt
25
W. Boxhill: „Employment Equity in Canada“, bei der Inter-
nachweislich verbesserte, wenn auch die Auswir-
nationalen Gesprächsrunde über die Förderung von Gleichheit kung von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich war.
und rassischer Eingliederung vorgelegtes Papier, Brasilia, 11.- 234. Der Schlüssel zum Erfolg dieser Maßnah-
14. Apr. 2005. men ist das Engagement der Arbeitgeber und die
Wirksamkeit der Durchsetzungsmechanismen. Die

69
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Arbeitgeber in Südafrika verzeichneten die größ- nen Einstellungsziels für externe Mitarbeiter von
ten Erfolge damit, qualifizierte Mitarbeiter aus 20 Prozent erreicht hat 28. 2005 engagierte sich die
ausgewählten Gruppen, die schon lange vor dem Regierung mit dem Programm „Ein Kanada für
Inkrafttreten des Beschäftigungsgleichheitsgeset- alle: Kanadas Aktionsplan gegen den Rassismus“
zes an positiven Maßnahmen beteiligt waren, für noch stärker für die Beseitigung des Rassismus bei
sich zu gewinnen, zu fördern und im Unternehmen den staatlichen Arbeitsplätzen.
zu halten. Diese Arbeitgeber sahen die positiven 237. Gesetze können sich positiv wie negativ
Maßnahmen als eine Schlüsselstrategie zur Unter- darauf auswirken, in welchem Maß Praktiken des
stützung ihrer Unternehmensziele in Bezug auf Humanressourcenmanagements stärker integrierte
Produktivität, Spitzenleistung und globale Wettbe- Arbeitsplätze schaffen können. In Ländern, die
werbsfähigkeit. Für die Einstellung dieser Arbeit- vorwiegend Programme auf freiwilliger Basis
geber ist bezeichnend, dass bei ihnen die Mitarbei- (z. B. das Vereinigte Königreich) oder strenge
terqualifizierung in der Liste der von ihnen über- Auflagen wie etwa Quoten haben (z. B. Malaysia
nommenen positiven Maßnahmen ganz oben und Indien, zumindest im staatlichen Sektor), fehlt
steht 26. Unternehmen vielleicht der Anreiz, formale Prak-
235. Auch Gleichstellungsausschüsse können bei tiken des Humanressourcenmanagements zu ent-
der verbesserten Umsetzung von Maßnahmen eine wickeln. Das geringere Klagerisiko auf der Grund-
wesentliche Rolle spielen. In Nordirland z. B. lage unfairer Beschäftigung hat zur Folge, dass die
gelang der damaligen Kommission für gerechte Arbeitgeber einen größeren Ermessensspielraum
Beschäftigung (FEC), die 2000 in der Gleichstel- bei der Art der Maßnahmen haben, zu deren
lungskommission für Nordirland (ECNI) aufging, Umsetzung sie sich entschließen. Andererseits
der Abschluss von Vereinbarungen mit in Frage steht die strenge Vorgabe, bestimmte Quoten
kommenden Arbeitgebern, die ähnliche Umset- erfüllen zu müssen, möglicherweise der Entwick-
zungsbestimmungen enthielten. Unabhängig lung formaler Testverfahren für Stellenbewerber
davon, ob diese Vereinbarungen verbindlich oder im Weg.
freiwillig waren, enthielten sie eine Klausel über 238. In Ländern wie Kanada, Namibia, Südafrika
die „Fortschrittsüberwachung“, die vorsah, dass und den Vereinigten Staaten, in denen Gesetze den
Mitarbeiter der FEC Kontakt mit Arbeitgebern Arbeitgebern im Fall der Nichteinhaltung Kosten
hielten, um sicherzustellen, dass vereinbarte Maß- aufbürden, aber keine strikten Maßnahmen wie
nahmen auch umgesetzt und regelmäßige Berichte etwa Quoten durchgesetzt werden, haben die
über Beschäftigungstrends geprüft würden. Im Arbeitgeber einen stärkeren Anreiz, komplexere
Lauf der Zeit verschob sich der Schwerpunkt der Humanressourcensysteme zu entwickeln. Eine for-
FEC von großen auf kleinere Unternehmen; male Stellenbewertung, Testverfahren für Stellen-
dadurch war man stärker auf freiwillige Vereinba- bewerber, die Bewertung des Weiterbildungsbe-
rungen angewiesen, und die Priorität galt nun eher darfs und der Weiterbildung selbst, formale
Bemühungen, für die effektive Umsetzung der Berufswege und leistungsbezogene Löhne können
bereits erzielten Vereinbarungen zu sorgen, statt sich in einem solchen Umfeld möglicherweise
neue zu unterzeichnen 27. besser entwickeln 29.
236. Kapazitätsaufbau und Schulungen für Füh- 239. Positiv diskriminierende Maßnahmen müs-
rungskräfte sind ebenfalls von großer Bedeutung. sen sich stützen auf einen effektiven Gesetzes-
Die vorläufige Bewertung der von der kanadi- vollzug, gekoppelt mit dem für die Umsetzung
schen Regierung 2000 eingeführten Initiative für erforderlichen Kapazitätsaufbau, einer besseren
die Bejahung des Wandels (ECI) und des Aktions- Rechenschaftspflicht und der Entwicklung von
plans, mit deren Hilfe die mangelhafte Repräsen- Werkzeugen, um die Fachleute in der Praxis und
tation der sichtbaren Minderheiten im öffentlichen die für die Umsetzung zuständigen Personen zu
Dienst angegangen werden soll, empfiehlt erwei- unterstützen.
terte Investitionen in die Weiterbildung von Füh- 240. Positive Diskriminierung ist zwar wichtig,
rungskräften über ECI. Sie empfiehlt darüber hin- reicht aber allein nicht aus, um stärker auf Ein-
aus eine Humanressourcenplanung, die auf die bindung ausgerichtete Arbeitsplätze zu schaffen.
sichtbaren Minderheiten ausgerichtet ist, sowie die Gleichzeitig muss auch in der Gemeinschaft und
Aufnahme von ECI-Zielsetzungen in die Leistun-
gen der für Auswahl und Einstellung zuständigen 28
Consulting and Audit Canada: “Preliminary evaluation of
Führungskräfte. Diese Initiativen sollen die Reprä- the Embracing Change Initiative”, für die für Gleichstellung in
sentierung der sichtbaren Minderheiten beschleu- der Beschäftigung zuständige Dienststelle ausgearbeitetes
nigen, die trotz eines stetigen jährlichen Anstiegs Papier, Public Services Human Resources Management
seit 2000 erst die Hälfte des für 2003 vorgesehe- Agency of Canada, Juni 2004, S.v.
29
S. Taggar: „A comparative look at the impact on human
26
resources management of employment equity legislation“ in
Commission for Employment Equity, Annual Report 2001- H. Jain, P. Sloane and F. Horwitz (Hrsg.): Employment Equity
2002 unter www.labour.gov.za. and affirmative action: An international comparison (Armonk,
27
C. McCrudden; R. Ford; A. Heath: a.a.O. N.Y., M.E. Sharpe Inc., 2003), S. 71.

70
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

in der Schule gehandelt werden. So kann z. B. die 242. Sind diese politischen Maßnahmen aber
Rassentrennung im Wohnungsmarkt die Rassen- effektiv oder bloße Augenwischerei? Unter wel-
trennung im Arbeitsmarkt stützen, da sie Einstel- chen Umständen schaffen sie in Bezug auf Rasse,
lungspraktiken über lokale Netzwerke verfestigt, Geschlecht und/oder Behinderung besser inte-
die Mitglieder rassischer Minderheiten unab- grierte Arbeitsplätze? Treibt eine Beschaffungs-
hängig von ihrer Qualifikation von menschen- politik, mittels derer die Gleichheit gefördert wird,
würdiger Arbeit fernhalten. Auch hohe und stetige die Kosten in die Höhe? Schließt sie kleine und
Investitionen in eine qualitativ wertvolle Schulbil- mittlere Unternehmen (KMUs) als Bieter aus oder
dung der jüngeren Mitglieder benachteiligter erschwert sie es ihnen, erfolgreiche Gebote vorzu-
Gruppen mit dem Ziel, die Zahl der Schulab- legen?
brecher zu senken und die der Universitäts- 243. Die Vereinigten Staaten gehören zu den
studenten zu erhöhen, haben eine entscheidende Ländern mit der längsten Erfahrung in diesem
Bedeutung bei der Schließung der sozioökonomi- Bereich. Seit Mitte der sechziger Jahre sind staat-
schen Kluft zwischen der gesellschaftlichen Mitte liche Unternehmer und Subunternehmer mit
und den nachgeordneten Gruppen. Regierungsverträgen ab einem Gesamtbetrag von
oder über 10.000 US-Dollar verpflichtet, ihre
Die Beschaffungspolitik: Ist sie sinnvoll im Belegschaft zu analysieren, die Auswirkung ihrer
Kampf gegen die Diskriminierung? persönlichen Praktiken auf ihre Leistung aus dem
Blickwinkel der Chancengleichheit bei der
241. Der Bericht Gleichheit bei der Arbeit – ein Beschäftigung zu überprüfen, damit zusammen-
Gebot der Stunde hob hervor, dass die staatliche hängende Hürden zu identifizieren und abzubauen.
Beschaffungspolitik zunehmend als Ergänzung der Zu diesem Zweck können Rückzahlungen gelei-
nationalen Gesetzgebung bei der Förderung sozia- stet, eine Person, die zum Diskriminierungsopfer
ler Ziele, auch dem der Gleichheit bei der Arbeit, wurde, wieder am Arbeitsplatz eingegliedert oder
eingesetzt wird. Mit den Mitteln der Beschaf- Ziele und Maßstäbe gesetzt werden, um eine
fungspolitik lassen sich diese Ziele erreichen, bessere Repräsentierung unterrepräsentierter
indem man entweder Unternehmer auffordert, die Gruppen zu gewährleisten. Das Büro des Bundes-
Zusammensetzung ihrer Belegschaft bezüglich programms für Vertragseinhaltung (OFCCP) ist
Rasse, Geschlecht oder Nichtbehinderung/Behin- zuständig für die Weiterentwicklung und Umset-
derung zu verändern, oder indem man Unterneh- zung der Regeln und Bestimmungen der Durch-
merinnen und Unternehmer, die einer rassischen führungsverordnung 11.246 (Chancengleichheit in
oder ethnischen Minderheit angehören, ermutigt, der Beschäftigung), des Eckpfeilers der Bemühun-
sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteili- gen der Vereinigten Staaten, die Vergabe von
gen. In Anbetracht des Ausmaßes und der wirt- Staatsaufträgen und die Chancengleichheit bei der
schaftlichen Bedeutung von öffentlichen Aus- Beschäftigung miteinander zu verknüpfen 32.
schreibungen ist die potentielle Wirkung von 244. In den Vereinigten Staaten wurden die
Gleichheitsklauseln für die Beseitigung diskrimi- Ergebnisse dieser Nutzung des öffentlichen
nierender Praktiken und für die Diversifizierung Auftragswesens für die Verwirklichung von
der Arbeitskräfte und der Eigentümerschaft in den Gleichheitszielen in den letzten Jahrzehnten mit
Unternehmen sehr groß. Auch die das Überein- unterschiedlichen Methoden bewertet. Ursprüng-
kommen Nr. 111 begleitende IAO-Empfehlung lich galten Umfang und Inhalt des schriftlichen,
Nr. 111 30 verweist ausdrücklich auf die Verwen- vom Unternehmer ausgearbeiteten positiven
dung von Verträgen für diesen Zweck, und der Diskriminierungsprogramms als wichtigster Grad-
Sachverständigenausschuss für die Durchführung messer. Zu Beginn der achtziger Jahre versuchte
der Übereinkommen und Empfehlungen hat man dann, die Wirkung des Gesetzes zu messen,
betont, dass es wünschenswert ist, durch öffent- indem man die Änderungen bei der Zahl der unter-
liche Aufträge sowohl die Chancengleichheit bei repräsentierten Gruppen auf allen Ebenen der
der Arbeit wie auch die gleiche Entlohnung für Belegschaft eines Unternehmens prüfte. Schließ-
gleichwertige Arbeit zu gewährleisten 31. lich wurden die Zahl der vom OFCCP durchge-
führten Evaluierungen, die Zahl der entschädigten
30
Absatz 3 der Empfehlung sieht vor, dass jedes Mitglied die
Beachtung des Prinzips der Nichtdiskriminierung „wo immer Arbeitskonferenz, 72. Tagung, Genf, 1986, Abs. 158. Idem:
anwendbar und notwendig“ fördern soll, indem die Vertrags- Euality in employment and occupation, Allgemeine Erhebung
eignung bei der Vergabe öffentlicher Gelder ebenso von der des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der
Einhaltung des Prinzips abhängig gemacht werden soll wie die Übereinkommen und Empehlungen, Bericht III(4B), Inter-
Vergabe von Zuschüssen für Schulungsstätten und Lizenzen nationale Arbeitskonferenz, 75. Tagung, Genf, 1988, Abs. 177.
für den Betrieb einer privaten Arbeitsvermittlungs- oder 32
Dieser und die folgenden Absätze stützen sich auf
Berufsberatungsagentur. J. DuBray: „Use of public procurement policies in the United
31
IAA: Equal remuneration, Allgemeine Erhebung des Sach- States to combat discrimination and to promote equal
verständigenausschusses für die Durchführung der Überein- employment opportunities“, für diesen Gesamtbericht erstelltes
kommen und Empehlungen, Bericht III(4B), Internationale Hintergrundpapier.

71
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Opfer und die Höhe der finanziellen Entschädi- zen und politischen Maßnahmen mit dem Ziel, den
gungen zum Maßstab. Aspekt der Rasse aus Besitz und Kontrolle von
245. Die Einhaltung scheint Hand in Hand mit Unternehmen herauszunehmen. Das „Präferenz-
dem Engagement der Unternehmensführung zu auftragswesen” soll insbesondere die rassische
gehen: Je stärker sich die Vorstände und Zusammensetzung der den Staat wie auch die
Geschäftsführer eines Unternehmens den Zielen großen privaten Unternehmen beliefernden Unter-
der Chancengleichheit bei der Beschäftigung nehmen verändern und so zur Entwicklung des
verpflichtet fühlen, desto größer ist die Wirkung schwarzen Unternehmertums beitragen.
der Beschaffungspolitik. Auch die Größe des 248. Das Präferenzauftragswesen spielt bei vielen
Unternehmens spielt eine Rolle: Selbst wenn der durch das umfassende Gesetz für die schwarze
kleinere Unternehmen willens sind, die wirtschaftliche Selbstbestimmung vorgeschriebe-
entsprechenden Gesetze einzuhalten, verfügen sie nen „BEE-Sektorchartas für den Wandel“ eine
doch über geringere Mittel und kämpfen mit wichtige Rolle. Diese Chartas sind von allen wich-
anderen Problemen, so dass sie nicht in der Lage tigen Beteiligten eines bestimmten Sektors ausge-
sind, engagierte Mitarbeiter für Angelegenheiten handelte freiwillige Vereinbarungen, mit deren
der Chancengleichheit freizustellen. Hilfe die Indikatoren, die Zielsetzung und der
246. Bei Nichteinhaltung werden schriftliche Zeitrahmen festgehalten werden, innerhalb derer
Schlichtungsvereinbarungen zwischen dem betref- Fortschritte bei der Erfüllung der BEE-Verpflich-
fenden Arbeitgeber und dem OFCCP ausgearbei- tungen gemessen werden sollen (Kasten 3.6).
tet. Zu Beginn der achtziger Jahre brachte die Viele Chartas gehen weit über die gesetzlich
Einführung von Liaisongruppen in der Wirtschaft festgelegten Zielsetzungen hinaus. Das Präferenz-
regelmäßig Unternehmergruppen aus einer Viel- auftragswesen führt beispielsweise bei der Zuer-
zahl von Branchen mit Vertretern des OFCCP kennung von Geboten zu einem Preispräferenz-
zusammen, um Informationen über Fragen der system von 10 bis 20 Prozent für Unternehmen im
Chancengleichheit in der Beschäftigung in einem Besitz von Schwarzen oder von Frauen 34.
neutralen Umfeld auszutauschen. Dies trug zur 249. Es ist zu früh, um die Wirkung des Präfe-
Vertrauensbildung zwischen den Parteien bei und renzauftragswesens in Südafrika zu bewerten, aber
führte zur Schaffung des Preises für vorbildliche sein Potenzial ist nicht zu verkennen: Allein 2004
Freiwilligenarbeit (EVE). Der Arbeitsminister gaben staatliche und im Staatsbesitz befindliche
zeichnet so jedes Jahr drei bis zwölf Unternehmer Unternehmen über 123 Millionen US-Dollar für
aus, die sich für weit über die gesetzlichen Anfor- den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen
derungen hinausreichende positive Maßnahmen aus 35 . Der Erfolg des Präferenzauftragswesens
entschieden haben. hängt allerdings von mehreren Voraussetzungen
247. In Südafrika ist der Einsatz des öffentlichen ab: Unabdingbar sind kompetente, verlässliche
Auftragswesens mit dem Ziel der Veränderung der und hinsichtlich Rasse und Geschlecht verschie-
sozialen Landschaft des Landes ein weitaus jün- denartige Anbieter von Dienstleistungen und
geres Phänomen und nimmt einen wichtigen Platz Gütern sowie eine strenge Überwachung im Hin-
in der nationalen Agenda ein. Das „Präferenzauf- blick auf Qualitätsnormen und Korruption. Das
tragswesen“ ist Bestandteil des auf einer breiten Angebot einer vielgestaltigen Gruppe von Anbie-
Basis aufbauenden Gesetzes für schwarze wirt- tern erfordert bedeutende Investitionen in Bildung
schaftliche Selbstbestimmung (BEE) 33 . Diese und Qualifizierung sowie unterstützende Maßnah-
Strategie gründet sich auf eine ganze Reihe von men, um dem schwarzen Unternehmertum einen
seit Mitte der neunziger Jahre eingeführten Geset- Schub zu geben und den Übergang von Mikroun-
ternehmen zu KMUs zu erleichtern. Andererseits
33
muss ein unabhängiges und strenges Aufsichts-
Die Zielsetzung des auf einer breiten Basis aufbauenden system über die Lieferanten, wie es in zahlreichen
Gesetzes für schwarze wirtschaftliche Selbstbestimmung ist es,
die Eigentümerschaft und Leitung von Unternehmen durch
Chartas vorgesehen ist, verhindern, dass einige
Schwarze zu steigern, deutliche Veränderungen in der rassi- etablierte, von Weißen kontrollierte Unternehmen
schen Zusammensetzung der Facharbeiterschaft in neuen und Schwarze oder Frauen lediglich nutzen, um sich
bereits bestehenden Unternehmen zu erreichen, die Eigen- an der Auftragsvergabe beteiligen zu können.
tümerschaft an Unternehmens- und Produktivvermögenswerten
von Gemeinden und Arbeitnehmern zu erleichtern, den Anteil
von Frauen an Eigentum und Leitung bestehender und neuer 34
Unternehmen zu steigern und Investitionen in im Besitz von Einige dieser Chartas verlangen, dass Unternehmen im Jahr
Schwarzen – definiert als Afrikaner, Farbige und Inder – 2010 bis zu 50 Prozent der in ihrem Ermessen stehenden Aus-
befindlichen Unternehmen zu fördern. Die wirtschaftliche gaben für Unternehmen im Besitz von Schwarzen und Frauen
Selbstbestimmung ergänzt Bemühungen, die Beschäftigungs- vorsehen. L. Mbabane: „Preferential procurement in South
gleichheit in den Unternehmen zu fördern, wie es im Beschäf- Africa’s Black Economic Empowerment Policy and its pro-
tigungsgleichheitsgesetz von 1998 festgelegt ist. Das Ziel spects for combating discrimination and reducing economic
dieses Gesetzes ist es, eine ausgewogene Vertretung der inequalities“, für diesen Gesamtbericht ausgearbeitetes Papier.
35
benachteiligten Gruppen sicherzustellen und ihre Chancen- Bureau for Economic Research, Stellenbosch University,
gleichheit zu fördern. 2005, a.a.O.

72
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.6
Business Unity South Africa (BUSA) und die schwarze wirtschaftliche Selbstbestimmung (BEE)

Der Unternehmerverband BUSA entwickelte als Bestandteil seines Beitrags zur Erreichung der BEE-Zielsetzungen für
seine Mitglieder einen Leitfaden, der Schritt für Schritt beschreibt, wie Chartas zum Wandel von Sektoren (freiwillige
Vereinbarungen zur Umsetzung der BEE-Zielsetzungen in einem bestimmten Sektor) zu formulieren sind. Der Leitfaden
beschreibt das Verfahren, dass diesen Chartas zugrunde liegt, klärt die in eine Wertungsliste zur Bestimmung des Status
von Unternehmen im Hinblick auf BEE aufzunehmenden Kriterien, setzt die Schritte fest, mit denen die vorrangig zu
bewältigenden Probleme des Wandels identifiziert werden können, und enthält Richtlinien, wie die effektive Umsetzung der
Chartas zu überwachen und zu evaluieren ist.
Quelle: Business Unity South Africa (BUSA): A guide on BEE sector transformation charter facilitation and formulation, unter
www.busa.org.za.

250. In Europa ist die Verwendung der Beschaf- Vordergrund: a) Welche Gruppen (z. B. rassische
fungspolitik zur Förderung der Gleichheit bei der oder ethnische Minderheiten, Menschen mit
Arbeit eine neuere Entwicklung und noch nicht so Behinderungen) sollten Zielgruppen sein? Dies
sichtbar wie in den oben erwähnten Ländern. würde unterschiedliche Auswirkungen für den
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein wichtiger jeweiligen Ansatz und die Instrumente haben.
Umstand ist die Tatsache, dass die Rechtsvor- b) Welche Gleichstellungsbereiche sollten einbe-
schriften der EU den Maßnahmen der positiven zogen werden, z. B. nur die Beschäftigung oder
Diskriminierung wesentlich engere Grenzen set- auch das Wohnungswesen und die Bereitstellung
zen als dies in Südafrika oder den Vereinigten wesentlicher öffentlicher Dienste? c) Wo sollen
Staaten der Fall ist. Ein anderer Grund sind die die beschaffungspolitischen Maßnahmen zu Wir-
sehr komplexen Bestimmungen in den Rechtsvor- kungen führen, innerhalb der Gerichtsbarkeit der
schriften der EU und im Übereinkommen der zuständigen Behörden oder im Ausland? d) Inwie-
Welthandelsorganisation (WTO) über das öffent- weit kann man von Unternehmen verlangen, über
liche Beschaffungswesen und die Unsicherheit, ob die bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen hin-
nach diesen die Nutzung des öffentlichen Auf- auszugehen? e) Auf welcher Ebene soll der Staat
tragswesens zur Erreichung sozialer Ziele über- bei der Nutzung des öffentlichen Beschaffungs-
haupt zulässig ist 36. wesens zur Erreichung von Gleichstellungszielen
251. 2001 veröffentlichte die Europäische Kom- aktiv werden 39?
mission daher eine Mitteilung, um ihre Haltung 253. Diese Fragestellungen lassen sich an den
zur Verwendung der öffentlichen Beschaffung zu heute in Europa bestehenden vier unterschied-
Zwecken der Sozialpolitik klarzustellen. Seither lichen Modellen der öffentlichen Ausschreibungen
bemüht sie sich, ihre Normen hinsichtlich des für Gleichstellungsziele ablesen (Übersicht 3.3).
öffentlichen Auftragswesens durch die Verbrei- 254. Anhand der untersuchten Fälle wird ersicht-
tung von Informationen zu harmonisieren, jedoch lich, dass sich, wenn die Bestimmungen von Ver-
ohne dabei neue Handelsschranken im EU-Bin- trägen eingehalten und bestimmte Bedingungen
nenmarkt zu errichten 37 . Ein Beispiel für diese erfüllt werden, viel dafür tun lässt, die Gleichheit
Bemühungen ist der 2006 veröffentlichte Leit- bei der Arbeit zu fördern, auch bei Zulieferketten.
faden „Bauen für Alle“, der Hinweise gibt zur Die politische Bedeutung, die der Beseitigung der
Verwendung von Zugangskriterien bei der öffent- Diskriminierung zukommt, und die Förderung der
lichen Auftragsvergabe, um eine barrierefreie Gleichstellung durch die Gesellschaft insgesamt
Zugänglichkeit in der baulichen Umwelt für Men- geben den Ausschlag, wenn es darum geht, die
schen mit Behinderungen zu gewährleisten 38. Akzeptanz und Wirkung der Vertragseinhaltung
252. Fünf Fragen stehen bei der aktuellen euro- für den Aufbau einer stärker von Gleichheit
päischen Debatte über die Nutzung der öffent- geprägten Gesellschaft zu fördern.
lichen Beschaffungspolitik für Gleichheitsziele im 255. Eine weitere sehr wichtige Bedingung ist
Klarheit und Transparenz bei den Regeln und
36
C. McCrudden: „Public procurement: How effective is it in Auswirkungen des öffentlichen Auftragswesens
combating discrimination?“, Mai 2006, für diesen Gesamtbe- auf Gleichheitsziele. Ein nützlicher Ansatz besteht
richt ausgearbeitetes Hintergrundpapier. darin, benutzerfreundliche Informationen bereitzu-
37
Mitteilung der Kommission über die Auslegung des gemein- stellen und zu verteilen, wie man die Verbindung
schaftlichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur zwischen Auftragswesen und Gleichheit herstellt,
Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicher welche Klauseln diesem Zweck dienlich sein
Aufträge, COM/2001/0566, Amtsblatt 333, 28. Nov. 2001, könnten, welche Formen rassischer, geschlechts-
unter eur-lex.europa.eu.
38
Der Leitfaden für alle (Luxemburg, Info-Handicap und das
39
„Build-for-All“-Projekt, 2006), unter www.design-fuer-alle.de. C. McCrudden: “Public procurement”, a.a.O.

73
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

spezifischer oder anderer Formen der Gleichheit z Sie können umfassende politische Maßnah-
angesprochen werden sollten und welche Erfah- men zur Bekämpfung der Diskriminierung am
rungen und Ergebnisse Unternehmen im In- und Arbeitsplatz entwickeln;
Ausland verzeichnen. Foren zum Austausch von z sie können die Stellenvermittlungstätigkeit
Wissen, wie sie in Südafrika und den Vereinigten des öffentlichen und privaten Sektors verbes-
Staaten entwickelt wurden, sind gut geeignet, das sern; und
notwendige Know-how zu verbreiten und gleich- z sie können die Beschäftigungsfähigkeit von
zeitig die erforderliche Legitimität zu schaffen. diskriminierungsgefährdeten Menschen ver-
256. Ein Bereich, der genauer untersucht werden bessern.
sollte, sind die Auswirkungen, die das sozial ein-
gesetzte Auftragswesen auf die Beteiligung kleiner Die Ausarbeitung umfassender
und mittlerer Unternehmen an Ausschreibungs- politischer Maßnahmen zur Behandlung
verfahren hat. Es ist auch wichtig, der Wirtschaft
zu zeigen, dass es sich durchaus lohnen kann, sich von Diskriminierung am Arbeitsplatz
der Gleichheitserwägungen anzunehmen und so 260. Die Erfahrung der generellen Berücksichti-
das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen gung geschlechtsspezifischer Belange und die För-
der Förderung der Gleichheit und der Herstellung derung der Geschlechtergleichstellung in der
von Kosteneffizienz abzubauen 40. Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) steht
in der Welt einmalig da und zeigt deutlich die
Vorteile und Herausforderungen des „Gender
Die Auflösung von Engpässen
Mainstreaming“ (Kasten 3.7). Die 1997 einge-
beim Arbeitskräfteangebot durch führte EBS sieht vor, dass die Mitgliedsländer
einbindungsorientierte aktive jedes Jahr auf der Grundlage allgemeiner verein-
Arbeitsmarktpolitiken barter Zielsetzungen einen Nationalen Aktionsplan
257. Zu den aktiven Arbeitsmarktpolitiken für Beschäftigung ausarbeiten. Die Gleichstellung
gehören eine ganze Reihe von Maßnahmen: der Geschlechter wurde in diesen Prozess inte-
Stellensuche, Vermittlung und Unterbringung, griert durch die Vorgabe, dass in den Aktions-
Ausbildung, Einstellungssubventionen, Pro- plänen geschlechtsspezifische Fragen und deren
gramme zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Auswirkungen anzusprechen sind, die Zielsetzung
verschiedene Betreuungsdienste. Weltweit ver- einer spezifischen Beschäftigungsquote für Frauen
fügen zahlreiche Länder über aktive Politiken, die von 60 Prozent bis 2010 (Gipfel von Lissabon,
sich allerdings nach Umfang, Art der Maßnahmen 2000) und für den Zeitraum 1997-2002 die Ein-
und Effektivität unterscheiden 41 . In Anbetracht führung einer tragenden Säule – eine von vieren –
der überproportional hohen Zahl der ohnehin für zur Förderung der Chancengleichheit zwischen
Diskriminierung anfälligen Gruppen unter den Männern und Frauen. In der nächsten EBS-Phase
Arbeitslosen, den Unterbeschäftigten und den wurde die Gleichstellung der Geschlechter zu
Inaktiven haben diese Politiken ein enormes einer von zehn Handlungsprioritäten, wobei die
Potenzial, deren relative Aussichten auf Arbeit zu Forderung nach der generellen Berücksichtigung
verbessern oder zu stabilisieren und so dazu bei- geschlechtsspezifischer Benachteiligung in den
zutragen, die Ungleichheiten zwischen den einzel- verbleibenden Prioritätsbereichen bestehen blieb.
nen Gruppen abzubauen. Einige Länder setzten nationale Ziele und Zeitrah-
258. Allerdings wird rasch offenbar, dass Mitglie- men für den Abbau von geschlechtsspezifischen
der diskriminierter Gruppen zwar in Stellen- und Diskrepanzen bei der Beschäftigung, der Arbeits-
Ausbildungsprogrammen untergebracht werden losigkeit und beim Entgelt, versäumten es aber
können, es ihnen jedoch oft nicht gelingt, den glei- gelegentlich, konkrete politische Maßnahmen zur
chen Erfolg wie vergleichbare Arbeitsuchende aus Umsetzung dieser Ziele zu definieren. In zahlrei-
nicht diskriminierten Gruppen zu erzielen. Die chen Ländern spielten die Sozialpartner eine wich-
bestehende strukturelle Ungleichheit auf dem tige Rolle bei dem Versuch, diese Diskrepanzen
Arbeitsmarkt muss erkannt und beseitigt werden. zu verringern.
259. Aktive Arbeitsmarktpolitiken und -pro-
gramme können die Diskriminierung auf drei Die Verbesserung der Stellenvermittlung im
Wege angehen: öffentlichen und privaten Sektor
261. Die Effektivität der Stellenvermittlungsdien-
ste der privaten und der öffentlichen Arbeits-
40
Siehe IRIS Consulting: Department for Work and Pensions: vermittler wird bemessen anhand der Vermitt-
Review of race equality and public sector procurement, Sept. lungsrate und der Kosten pro Vermittlung. Durch
2005. den Druck in beiden Sektoren, bestimmte Rechen-
41
P. Auer; U. Efendioglu; J. Leschke: Active labor market schaftsstandards zu erfüllen, sehen sich die Ver-
policies around the world: Coping with the consequences of mittlungsagenturen gezwungen, die am besten
globalization (Genf, IAA, 2005).

74
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Übersicht 3.3. Sich entwickelnde Modelle einer europäischen Praxis für die Verknüpfung von
Beschaffungspolitik mit Gleichstellungszielen

Modelle und Ziele Beispiele Vorteile Problembereiche


Bieterqualifikations- West Midlands, (Vereinigtes Senkt das Risiko, Wird für eng gefasste Antidiskriminie-
modell: Richtet sich an Königreich): 6 öffentliche unzureichend quali- rungsziele eingesetzt, nicht für weiter
der Vorqualifikations- Behörden entwickelten einen fizierte Firmen oder gefasste Gleichheitsziele.
stufe aus und untersagt „gemeinsamen Standard“, mit solche mit zweifel- Beschränkt den Wettbewerb, da poten-
es Firmen, denen es dessen Hilfe festgestellt wird, haftem Ruf unter tielle, finanziell stabile und technisch
nicht gelingt, Gleich- ob die Maßnahmen einer Vertrag zu nehmen. kompetente Wettbewerber, die aus der
stellungsanforderungen Firma hinsichtlich der Rassen- Alle potentiellen Auf- Perspektive der Antidiskriminierung nicht
zu erfüllen, den beziehungen die nationalen tragnehmer, nicht nur geeignet sein mögen, ausgeschlossen
Zuschlag bei Staatsauf- gesetzlichen Bestimmungen die, die den Zuschlag werden.
trägen zu bekommen. zur Rassengleichheit erfüllen. erhalten, werden zur Dient eher als Mittel, ein Unternehmen
Annahme von Antidis- zur Ordnung zu rufen denn als Anreiz,
kriminierungsmaßnah- HR-Praktiken zu verbessern.
men ermutigt.
Vertragsbedingungs- Seit 2001 verlangt eine Reduziert den Wettbe- Relativ unflexibel, da für alle die gleichen
modell: Richtet sich an dänische Gemeinde von ihren werb nicht, da mögliche Bedingungen gelten; keine Anreize,
die Phase nach der Auftragnehmern, ein Gleichbe- Vertragspartner nicht mehr als bloß das Nötigste zu tun.
Auftragsvergabe; handlungsprogramm für auf der Basis früherer Die Bedingungen gelten ausschließlich
verlangt die Einhaltung Menschen mit unterschied- Aktivitäten aus- für diesen einen Vertrag.
bestimmter Bedingun- lichem ethnischen Hintergrund geschaltet werden. Die Durchsetzung ist gänzlich von der
gen bei der Umsetzung zu entwickeln und messbare Überwachung nach der Vertragsvergabe
des Vertrags. Ziele für die Laufzeit des abhängig. Die Effektivität der Über-
Vertrags zu benennen. wachung wiederum ist nur gewährleistet,
Nichteinhaltung dieser wenn die Gleichheitsfragen ähnlich strikt
Bedingungen wird als mit überwacht werden wie die eigentliche
Nichterfüllung des Vertrags Aufgabe des Auftrags.
angesehen. Es ist erforderlich, ein Kontrollinstrument
zu entwickeln, um die Einhaltung zu
bewerten und das geeignete Mittel bei
Vertragsbruch festzulegen (Finanz-
strafen oder Nichtvergabe künftiger
Aufträge).
Modell der Vergabe- Ein Pilotschema in Nordirland Fördert den Wettbe- Stärkere Betonung von Gleichstellung
kriterien: Bieterfirmen, verlangt von Bietern, bei werb zwischen den führt unter Umständen zu höheren
die nachweisen können, öffentlichen Verträgen Arbeits- Bietern in Bezug auf Gesamtkosten des Angebots zum
dass sie nicht nur finan- lose einzustellen. Das Unter- Gleichstellungsfragen Nachteil der den Auftrag
ziell stabil und technisch nehmen wird aus mehreren ausschreibenden Behörde.
kompetent sind, sondern Geboten danach ausgewählt,
auch den Gleichstel- wie es Gleichheitsfragen
lungsanforderungen angeht.
genügen, wird bei der
Vertragsvergabe ein
Vorteil gewährt.
Modell der techni- Staatliches Handelsbüro (Ver- Senkt vermutlich die mit Die Einhaltungsverfahren sind kompli-
schen Spezifizierung: einigtes Königreich): Gebote, dem „Vergabekriterien- ziert, Angebotsdokumente müssen die
Die erfolgreichen Unter- die keine fairen Handelsoptio- Modell“ assoziierten Bieter auffordern, gleichstellungs-
nehmer erfüllen die von nen enthalten, werden nicht Kosten. orientierte Lösungen anzubieten und die
den Behörden vorge- abgewiesen und gelten nicht Mindesterwartungen hinsichtlich der
gebenen technischen als Nichteinhaltung. Gleichstellung definieren und festlegen,
Voraussetzungen und Einem Angebot mit fairen Han- in welcher Form diese Lösungen
bieten gleichzeitig delsoptionen wird der Vorzug vorzulegen sind.
gleichstellungsorien- gegeben, wenn es nur unwe-
tierte Lösungen an. sentlich über den Angeboten
ohne solche Lösungen liegt.
Quelle: C. McCrudden: Public procurement: How effective is it in combating discrimination? Mai 2006, für diesen Gesamtbericht ausgearbeitetes
Hintergrundpapier.

75
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 3.7
Gender Mainstreaming und die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS):
Eine Bewertung der ersten Phase
Die EBS wirkte als wichtiger Katalysator für die Integration der Chancengleichheitsproblematik in den gesamten Rahmen
der Beschäftigung. Fortschritte waren nach dem Abschluss der ersten Phase der EBS vor allem beim Abbau der
geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Beschäftigung, der Ausweitung der Urlaubsansprüche und der Kinderbe-
treuung zu verzeichnen, und zwar selbst in Ländern wie Frankreich, die bereits über eine recht gute Versorgung verfügten.
Die Initiativen zur Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles erwiesen sich jedoch als nicht ausreichend, und
die vorhandenen Erfahrungen erlauben es noch nicht, die Wirkung von Maßnahmen mit dem Ziel der Abschaffung einer
beruflichen Trennung der Geschlechter zu bewerten. Die Ergebnisse wie auch die Ausgangspositionen sind in den Mit-
gliedstaaten sehr unterschiedlich; Fortschritte zeigten sich vor allem in Ländern, in denen geschlechtsspezifische Aspekte
traditionell keine Beachtung fanden. Z. B. trugen in Italien und Portugal politische Veränderungen auf nationaler Ebene
dazu bei, dass Bemühungen um das Gender Mainstreaming einen Rückschlag erlitten.
Die Richtlinien zum Gender Mainstreaming bezüglich der in der ersten EBS-Phase erwähnten Säule der Chancengleichheit
zwischen Männern und Frauen forderten die Regierungen auf, Beratungssysteme mit Einrichtungen für die Gleichstellung
der Geschlechter einzurichten und zu unterstützen, Indikatoren zur Messung des Fortschritts der Gleichstellung zu
entwickeln und Verfahren für die Bewertung der Auswirkung von Gleichstellungsmaßnahmen anzuwenden. Man versuchte,
das Gender Mainstreaming durch die Fortbildung der Akteure im Bereich der Chancengleichheit zu fördern, z. B. auch in
Griechenland, wo die zuständigen Beamten lernten, beim Einsatz von Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) stärker
auf die Gleichstellung der Geschlechter zu achten. Bei Qualität und Umfang der Indikatoren zur Messung der
Gleichstellung gab es kontinuierliche Verbesserungen, obwohl in einigen Fällen auf Grund der Qualität und des Mangels
an nach Geschlecht aufgeschlüsselten Daten nicht in allen Ländern Indikatoren für die Geschlechtergleichstellung
vorlagen. Den meisten Ländern gelang es nicht, die Gleichstellungsthematik zu den anderen drei Säulen der EBS ins
Zentrum zu rücken, aber einige schafften es in Bezug auf aktive Arbeitsmarktpolitiken. Dazu gehört Österreich mit der
Forderung an die staatlichen Arbeitsvermittlungsagenturen, bis zu 50 Prozent ihrer Haushaltsmittel für Frauen einzuplanen;
Dänemark führte eine Gender-Mainstreaming-Strategie in seine staatlichen Arbeitsvermittlungsagenturen ein sowie
Pilotprojekte, um die Geschlechtertrennung aufzuheben und die Präsenz von Frauen in Schlüsselsektoren zu steigern und
so Engpässe bei Arbeits- und Fachkräften aufzulösen. In Österreich, Belgien, Frankreich und Deutschland wurde für
Arbeitsuchende der Zugang zu den Arbeitsmarktmaßnahmen unabhängig davon geöffnet, ob sie berechtigt sind,
Arbeitslosenunterstützung zu beziehen oder nicht. Die Entwicklung des Unternehmertums ist der Bereich, in dem die
meisten Länder entweder Gleichstellungsziele innerhalb bestehender Programme festsetzten oder neue Pläne für
bestimmte Zielgruppen entwickelten. Andererseits wird beim lebenslangen Lernen und bei Maßnahmen zum Abbau
fehlender Fachkenntnisse den Gleichstellungsfragen wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Quellen: J. Rubery: „Gender mainstreaming and gender equality in the EU: The impact of the EU employment strategy”, in Industrial
Relations Journal, 33:5, S. 500-522; J. Rubery; D. Grimshaw; C. Fagan; H. Figueiredo; M. Smith: „Gender equality still on the European
agenda – but for how long?”, in Industrial Relations Journal, 34:5, S. 484-486.

qualifizierten und sofort einsatzbereiten Bewerber erwies sich das Job-Coaching, dessen Ziel es ist,
einzustellen. Dies benachteiligt weniger gut ausge- Menschen mit Behinderungen unmittelbar in den
bildete Personen, bei deren Vermittlung echte oder Arbeitsplatz zu integrieren (Vereinigte Staaten,
vermeintliche Hindernisse im Weg stehen. Australien, Norwegen, Vereinigtes Königreich).
262. Im öffentlichen Sektor strebt man oft einen 264. Ein weiteres Beispiel ist die Initiative zur
Ausgleich zwischen Zielen der wirtschaftlichen Einbeziehung ethnischer Minderheiten (EMO), die
Effizienz und Zielen der sozialen Gerechtigkeit an, 2002 von der britischen Regierung als Teil der
z. B. bei der bereits erwähnten Europäischen nächsten Phase ihres New Deals eingeleitet wurde.
Beschäftigungsstrategie. Sie soll den Menschen aus ethnischen Minder-
263. Um Personen, die eine solche Hilfe am heiten den Übergang von der Arbeitslosigkeit in
nötigsten brauchen, unter dem Aspekt der Gleich- die Beschäftigung erleichtern helfen und erreicht
heit bei der Stellensuche und Vermittlung zu dies mit folgenden Mitteln: Konzentration auf
unterstützen, werden verschiedene Maßnahmen bestimmte geografische Gebiete (die Initiative
eingesetzt (Kasten 3.8). Als besonders effektiv

76
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.8
ACCEDER: Bessere Beschäftigungschancen für arbeitslose Roma in Spanien
ACCEDER ist ein spanisches Programm, das allgemein Anerkennung als vorbildliche Praxis findet. Es wurde 1998 in
Madrid eingeführt und anschließend auf 13 spanische Regionen ausgedehnt. Ziel ist, die Chancen der Gemeinschaft der
Roma hinsichtlich ihrer Integration in den Arbeitsmarkt zu verbessern. In der Zeit von 2000-06 war das Ziel, 2.500 Arbeits-
verträge für arbeitslose Personen abzuschließen, von denen rund 70 Prozent Roma sein sollten. Das Programm war auf
die individuellen Bedürfnisse der Arbeitslosen zugeschnitten: Es sah Beratung bei der Auswahl von Stellen vor, die zu den
Fähigkeiten des Bewerbers passten, half bei der Suche nach Unternehmen und der Kontaktaufnahme und bot Ausbil-
dungsmaßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit an. 1999 waren 304 aktiv Arbeitsuchende bei ACCEDER
registriert, und 63 Prozent davon fanden eine Beschäftigung. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele die Stelle auch halten
konnten. Die Stärke des Programms liegt in seinem individualisierten Ansatz, der Fähigkeiten und Arbeitsplatz genau
aneinander anpasst, und im Einsatz von Vermittlern, die die Kluft zwischen Roma und Nicht-Roma überbrücken helfen.
Seine Schwächen liegen in der Schwierigkeit, ausreichende und angemessene Weiterbildung für Personen mit niedrigem
Bildungsstand anzubieten, und in der anhaltenden Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Das Programm hatte nicht berück-
sichtigt, dass einige Teilnehmer nicht willens sein würden, schlecht bezahlte Stellen anzunehmen, und in der Folge ihren
Anspruch auf Sozialleistungen verloren.
Quellen: D. Ringold; M. Orenstein; E. Wilkens: Roma in an expanding Europe: Breaking the poverty cycle (Washington DC, Weltbank,
2005), Kasten 6.3., S. 166; Fundación Secretariado Gitano (FSG): „The Multiregional Operational Program Fight against Discrimination
ACCEDER: Actions aimend at the Romani community in Spain“, in Roma Rights Quarterly, Nr. 1, 2006, unter www.errc.org.

wird in fünf Regionen eingesetzt, in denen 75 Pro- (Der Leitfaden „Dealing with Discrimination“
zent der zu ethnischen Minderheiten gehörenden beschreibt das Verfahren.) Wenn ein Arbeitgeber
Erwachsenen im arbeitsfähigen Alter wohnen) und nachweislich diskriminiert oder wenn ein Arbeit-
Partnerschaften zwischen lokalen privaten Institu- suchender in einer schriftlichen Beschwerde einen
tionen und Jobcentre Plus (dem staatlichen Arbeitgeber der Diskriminierung beschuldigt, sind
Arbeitsvermittlungsdienst) und/oder anderen loka- die Mitarbeiter gehalten, mit diesem Arbeitgeber
len Dienstleistungsanbietern. Durch die Vielzahl über sein Verhalten und die Rechtsnormen zu
ihrer Kommunikationstechniken (von SMS-, Fern- sprechen. Dieses Verfahren kam allerdings bisher
seh- und Radiowerbung bis zum Angebot von selten zur Anwendung. Ein Grund ist die geringe
Hausbesuchen und dem Besuch lokaler Märkte) Zahl der schriftlichen Beschwerden von Arbeit-
und die Sprachkenntnisse der EMO-Mitarbeiter suchenden, entweder weil das Verfahren nicht
wurden Menschen erreicht, die nie zuvor einen bekannt ist oder weil Skepsis herrscht, ob die Mit-
Fuß in ein Jobcentre Plus gesetzt hatten, vor allem arbeiter bereit sind, sich seiner zu bedienen.
indische und pakistanische Frauen 42. Außerdem ist die Diskriminierung des Arbeit-
265. Ein wichtiger Teil der Einstellungs- und gebers oft verdeckt oder subtil und damit kaum zu
Vermittlungsaktivitäten der Stellenvermittlungs- beweisen, oder die Mitarbeiter erklären die Einzel-
dienste besteht darin, sich mit den diskriminie- heiten des Beschwerdeverfahrens nur unzurei-
renden Einstellungspraktiken der Arbeitgeber zu chend oder vermeiden es gar, Arbeitsuchende an
beschäftigen. Die Arbeitgeber können entweder Arbeitsplätze zu schicken, bei denen sie von
implizite oder explizite Anweisungen zu den vornherein vermuten, dass es zu Diskriminierung
Qualifikationen der einzustellenden Bewerber kommt 43 . Eine diskriminierende Auswahl kann
liefern; gelegentlich gibt es keinen Zusammen- z. B. in Form von Befragungen oder Tests erfol-
hang zwischen den geforderten Qualifikationen gen, die ein hohes Maß analytischer oder kommu-
und der tatsächlich zu leistenden Arbeit. Das nikativer Fähigkeit voraussetzen, die die Tätigkeit
Beispiel aus dem Red CIL-PROEmpleo-Pro- nicht erfordert 44 . Dies kann vermieden werden,
gramm in Peru liefert Beweise für Diskriminie- wenn Arbeitsvermittlungsagenturen Arbeitgeber
rungspraktiken bei der Arbeit der staatlichen beraten.
Arbeitsvermittlungsbehörden (Kasten 3.9).
266. Zum Abbau dieser diskriminierenden Prakti-
ken führte das Jobcentre Plus im Vereinigten
Königreich ein Verfahren ein, mit dessen Hilfe die
43
unmittelbare und mittelbare Diskriminierung M. Hudson; H. Barnes; K. Ray; J. Philips: „Ethnic minority
durch Arbeitgeber erfasst und angegangen wird. perceptions and experiences of Jobcentre Plus“, Forschungs-
bericht Nr. 349, Department for Work and Pensions, 2006,
S.108-118, unter www.dwp.gov.uk.
42 44
H. Barnes et al.: „Ethnic Minority Outreach: An evaluation“, C. Roberts; S. Campbell: „Talk on trial: Job interviews,
Department for Work and Pensions, Research Report Nr. 229 language and ethnicity“, Research Summary Nr. 344, Depart-
(2005), unter: www.dwp.gov.uk. ment for Work and Pensions, unter: www.dwp.gov.uk.

77
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 3.9
Red CIL PROEmpleo (RED) in Peru

Die Gründung von RED diente dem Ziel, die Beschäftigungschancen insbesondere der sozial benachteiligten Gruppen zu
verbessern. RED arbeitet vorwiegend über ein Netz staatlicher und privater Agenturen in den großen Städten des Landes,
vor allem aber in Lima. Die Leistung wird gemessen an den Zahlen a) der registrierten Arbeitsuchenden; b) der
Unternehmen, die RED benutzen; und c) der besetzten offenen Stellen. 2004 kamen 80.064 Personen, also 5,4 Prozent
der Arbeitslosen insgesamt, zu RED; von diesen fanden 24 Prozent Arbeit und füllten 80 Prozent der offenen Stellen. Über
60 Prozent der Arbeitsuchenden waren – wie die Arbeitsuchenden außerhalb des RED-Systems auch – Männer, allerdings
jünger, gebildeter und mit geringerer Arbeitserfahrung. 82 Prozent der offenen Stellen erfordern keine Aus- oder
Grundschulbildung, da die Unternehmen ihre Facharbeiter über andere Wege suchen, entweder über private Arbeitsver-
mittler oder persönliche Kontakte. Der Anteil der Fertigungsunternehmen liegt bei RED-Unternehmen wie bei nicht bei RED
angemeldeten Unternehmen (43 Prozent im Vergleich zu 28 Prozent); dies gilt auch für Unternehmen mit mehr als 100 Mit-
arbeitern (27 Prozent im Vergleich zu 15 Prozent bei den nicht bei RED registrierten Unternehmen). Die den Arbeit-
suchenden bei RED angebotenen Löhne liegen weit unter den Durchschnittslöhnen am Markt. Die RED-Mitarbeiter arbei-
ten mit zwei Formularen: einem mit persönlichen Daten (Alter, Geschlecht, Personenstand, Haushaltsvorstand oder nicht)
und Qualifizierung (Bildung, Ausbildung, Arbeitserfahrung) der Arbeitsuchenden und ihrem derzeitigen und erwarteten
Lohn, und einem zweiten Formular, das ausschließlich Merkmale und Anforderungen der angebotenen Stelle enthält (Bil-
dung, Computerkenntnisse, Sprachkenntnisse, Arbeitserfahrung). Diese Informationen werden in die Datenbank von RED
eingespeist, um den „Abgleich von Bewerber und Stelle“ zu erleichtern und zu beschleunigen und den Erfolg des
Programms zu kontrollieren, aber die RED-Mitarbeiter füllen die Formulare gern per Hand aus, da sie auf diese Art für den
Arbeitgeber relevante Informationen einfügen können, z. B. „Geschlecht“, „Alter“, „Größe“ usw. Eine neue Studie zeigt,
dass auf allen Bildungsstufen „Geschlecht“ und „Alter“ die Arbeitgeber am meisten interessierten und dass sie ganz klar
jungen Männern den Vorzug geben. Eine besondere „Erscheinung“ („schlank“, „helle Hautfarbe“, „gutes Aussehen“) wird
vor allem bei Berufen verlangt, bei denen es Publikumskontakt gibt und für die ausschließlich junge Frauen angefordert
werden. Eine besondere „Größe“ wird vor allem bei Berufen verlangt, bei denen nur Männer nachgefragt sind und bei
denen es manchmal z. B. um die Bedienung von Geräten oder Maschinen in einer bestimmten Höhe geht.
Quelle: P. Vera Rojas: La discriminación en los procesos de selección de personal, DECLARATION Working Paper No. 46, (Genf, IAA,
2006).

267. Eine Möglichkeit, die Hürden für Mitglieder sechs Prioritäten enthielt: Anstieg der Zahl der
benachteiligter Gruppen im Auswahlprozess abzu- Zeitarbeiter mit einer Behinderung; Angebot von
senken, ist die Vorlage anonymer Lebensläufe an Ausbildungsprogrammen für behinderte Arbeit-
den Arbeitgeber (ohne Namen, Alter und Foto des nehmer; weitere Partnerschaften mit regionalen
Arbeitsuchenden). Seit 2003 bemüht sich die und lokalen Organisationen; Aufklärungsaktionen
Nationale Beschäftigungsagentur (ANPE) in in den Unternehmen; Weiterbildung der Man-
Frankreich mit dieser Maßnahme um einen Abbau power-Mitarbeiter; Hilfsangebote für Zeitarbeiter,
der Rassendiskriminierung. Die Identität des die Opfer von Industrieunfällen werden. Es ist
Kandidaten wird dem Arbeitgeber erst dann anzunehmen, dass vor allem bei den großen
bekannt gegeben, wenn er sich mit diesem in Ver- privaten Arbeitsagenturen der mögliche Rufverlust
bindung setzt 45 . Man verspricht sich davon, die auf Grund eines Diskriminierungsfalls schwerer
Hindernisse zu überwinden, denen sich Mitglieder wiegt als die Angst, vorhandene oder potenzielle
ethnischer Minderheiten bereits in einem sehr Kunden zu verlieren, wenngleich die tatsächliche
frühen Stadium des Auswahlverfahrens ausgesetzt Umsetzung von Antidiskriminierungsmaßnahmen
sehen, wie aus aktuellen Umfragen ersichtlich sicherlich nicht immer einfach ist (Kasten 3.10).
wird 46.
268. Private Arbeitsvermittler haben ebenfalls Schaffung von Beschäftigungsfähigkeit
Schritte zur Bekämpfung von Diskriminierung unter diskriminierungsgefährdeten
unternommen. 2005 unterzeichneten z. B. in
Frankreich die Agentur Manpower und der private Menschen
Verband Agefiph einen Zweijahresvertrag, der 269. Der Kampf gegen die Diskriminierung bei
der Arbeit beginnt nicht erst mit der Hilfe am Ort
45
R. Fauroux: La lutte contre les discriminations ethniques
der Stellensuche und -vermittlung.
dans le domaine de l’emploi (Paris, Ministère de l’emploi, de la 270. Beschäftigungs- und Bildungsprogramme
cohésion sociale et du logement, 2005). mit dem Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit diskri-
46
J.F-Amadieu: „Enquête ‘Testing’ sur CV“, Adia/Paris I minierungsgefährdeter Menschen zu verbessern,
Observatoire des Discriminations, unter cergors.univ-paris1.fr/ werden oft von Regierungen finanziert und von
docsatelecharger/pr%E9sentation%20du%20testing%20mai% staatlichen Arbeitsagenturen, Kommunalverwal-
202004.pdf. tungen, Gemeindeorganisationen, dem Privatsek-

78
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.10
Private Arbeitsvermittler und Diskriminierung

Nach zwei Diskriminierungsfällen führte Adecco, die führende private Zeitarbeitsagentur, 2001 eine Reihe von
Korrekturmaßnahmen ein, z. B. eine kostenfreie Telefonnummer für Zeitarbeiter, die sich diskriminiert fühlen, Diversity-
Ausbildung für 2.000 der 4.700 Mitarbeiter und die Verpflichtung für alle Mitarbeiter, von Seiten der Arbeitgeber keinerlei
diskriminierende Beschäftigungsauflagen hinzunehmen; Zuwiderhandlungen werden mit Strafen bis hin zur Entlassung
geahndet. Allerdings wurde in jüngster Zeit eine Tochtergesellschaft von Adecco verklagt, da diese auf Wunsch eines
Kunden ausschließlich junge, weiße, französische Frauen vermittelte.
Siehe Y. Philippin: „L’entreprise prend des couleurs“ in Le journal du Dimanche, 14. Mai 2006, S. 15.

tor oder Gewerkschaften durchgeführt. Der aus der Politik, von denen es 2004 über 6 Millionen gab,
Teilnahme an solchen Programmen gezogene Nut- d.h. 20 Prozent der beschäftigten Frauen insge-
zen hängt davon ab, in welchem Ausmaß die Pro- samt, darunter vor allem schwarze Frauen mit
gramme und die Menschen, die sie anbieten, die geringer Bildung 50 . Das Programm nimmt die
konkreten Bedürfnisse der Mitglieder der benach- dreifache Benachteiligung zur Kenntnis, der
teiligten Gruppen tatsächlich erkennen und auf sie Hausangestellte auf Grund ihres Geschlechts, ihrer
eingehen. Es ist daher für die Relevanz und Legiti- Rasse und ihrer Klasse ausgesetzt sind, und geht
mität der Maßnahmen unerlässlich, die Mitglieder auf diese ein. Die Neuartigkeit des Programms
der betroffenen Gruppen zu beraten und bei der liegt in seinem integrierten Ansatz, der die Berufs-
Ausarbeitung und Durchführung der Maßnahmen ausbildung, die Formalisierung der weitgehend
einzubeziehen 47. nicht angemeldeten Hausarbeit, die Förderung der
271. Berufsberatung, ob sie nun im Verlauf der gewerkschaftlichen Organisierung von Hausange-
Sekundär- oder Tertiärbildung oder durch die stellten und die für sie eingeleiteten Wohnungs-
staatliche Arbeitsvermittlung, Gemeindeorganisa- bauprogramme kombiniert. Die praktischen Maß-
tionen oder den Arbeitgeber angeboten wird, kann nahmen greifen an verschiedenen Fronten: So gibt
bei der Befähigung zur Selbstbestimmung der es Aufklärungskampagnen in den Medien über die
Arbeitnehmer und dem Kampf gegen die Diskri- schwierige Situation dieser Arbeitnehmer, Steuer-
minierung ein wichtiges Werkzeug sein 48 . Oft anreize für die Arbeitgeber, die ihnen ordentliche
sind beim Umgang mit den Bedürfnissen von Arbeitsverträge geben, und Ausbildungskurse für
Mitgliedern einer benachteiligten Gruppe spezielle Hausangestellte über Arbeitsrechte, Grundschul-
Ausbildungsgänge erforderlich, da herkömmliche und Berufsausbildung, um ihre beruflichen Aus-
Ausbildungsprogramme für Menschen, die nur sichten zu verbessern 51. Beihilfen zu den Trans-
begrenzt lesen oder rechnen können, nicht geeig- portkosten oder zur Kinderbetreuung erwiesen
net sind und die Tatsache übersehen, dass diese in sich als wichtige Voraussetzungen, um ihre
informeller Arbeit beschäftigt sind 49. Teilnahme an solchen Veranstaltungen zu ermög-
272. Das Programm „Trabalho doméstico lichen. Das Programm wird vom Arbeitsmini-
cidadão“ in Brasilien, ein integraler Bestandteil sterium in Zusammenarbeit mit den Hausange-
der Nationalen Berufsausbildungspolitik (PNQS), stellten über deren Gewerkschaften durchgeführt.
arbeitet mit einem bahnbrechenden Ansatz und ist 273. In Kambodscha wurden in den neunziger
daher von besonderem Interesse. Zum ersten Mal Jahren und Anfang des neuen Jahrhunderts in den
in der Geschichte Brasiliens sind Hausangestellte ländlichen Gebieten mobile Kurse angeboten, die
die Zielgruppe einer landesweiten staatlichen vielen Frauen auf dem Land eine Ausbildung
ermöglichten. Bis dahin war ihnen der Zugang zu
Ausbildungsmöglichkeiten durch unzureichende
47
E. Ogbonna; M. Noon: „A new deal or new disadvantage? Verkehrsmittel und kulturelle Zwänge verstellt,
British ethnic minorities and Government training“ in Inter- die ihrer physischen Mobilität Grenzen setzten
national Journal of Manpower (Bradford), Jg. 20, Nr. 3/4 (nach den gesellschaftlichen Normen ist es Frauen
(1999). nicht gestattet, ihre Haushalte oder Familien-
48
Für einen Vergleich verschiedener Systeme siehe
A.G. Watts; R.G. Sultana: “Career guidance policies in 37
50
countries: Contrasts and common themes”, in International L. Abramo; M.E. Valenzuela: „Inserción laboral y brechas
Journal for Educational and Vocational Guidance, Jg. 4, Nr. 2- de equidad de género en América Latina“ in L. Abramo
3 (2004), S. 105-122. (Hrsg.): Trabajo decente y equidad de género en América
49
Siehe I. Zoon; J. Kiers „Report on the Council of Europe Latina (Santiago, IAO, 2006), S. 50.
51
Project ǥRoma Access to Employment in SEE’ “ (Stability Pact S. Sanches: „Mainstreaming gender and race in active
for South Eastern Europe, Apr. 2005), unter www.coe.int/ labour market policies: Some reflections and experiences in
T/DG3/RomaTravellers/stabilitypact/activities/FYROM/access Brazil“, Mai 2006, für diesen Gesamtbericht ausgearbeitetes
emplymentregional_en.asp. Hintergrundpapier.

79
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

pflichten für längere Zeit zu verlassen, und es gilt zubauen, so dass Männer und Frauen gleicher-
als unschicklich, Nachbarn um eine Mitfahrgele- maßen einen Nutzen aus dem Gesetz ziehen kön-
genheit zu bitten, um einen Kurs außerhalb der nen 54.
eigenen Gemeinde zu besuchen) 52. 277. Bezeichnend ist der Fall von „A Trabajar
274. Arbeitsmarktprogramme wie z. B. öffent- Urbano“, einem Programm zur Beschaffung von
liche Arbeit und Gemeindearbeit sollen zeitlich Zeitarbeit durch den Ausbau der sozialen und
befristete Lohnzahlungen für gering bezahlte und wirtschaftlichen Infrastruktur in Peru. Zielgruppe
ungelernte Arbeitnehmer schaffen; diese sind in des Programms sind Haushaltsvorstände – Männer
den meisten Entwicklungs- und Transformations- oder Frauen – mit mindestens einem Kind unter
ländern ein wesentliches Element der Beschäfti- 18 Jahren, die den beiden untersten Quantilen
gungspolitik. Sie stellen ein wichtiges politisches angehören und in sorgfältig ausgewählten städti-
Instrument dar, das der Unterbeschäftigung ent- schen Gebieten wohnen. Insgesamt stellen die
gegenwirkt und die Löhne für Gelegenheitsarbeit Frauen zwar die Mehrheit der Teilnehmer, aber
erhöhen hilft, vor allem dort, wo nur Aussichten ihre Beteiligung ist je nach untersuchtem Zeitraum
auf eine Zunahme der formalen Lohnbeschäfti- und Region unterschiedlich. In Lima arbeiten
gung bestehen oder wo neue Arbeitsplätze in mehr Frauen als anderswo, weil die gezahlten
diesem Bereich wohl eher an besser qualifizierte Löhne sehr niedrig sind und unter dem Durch-
Menschen gehen – ob diese nun arbeitslos oder schnittseinkommen potenzieller männlicher Teil-
noch nicht Teil der Erwerbsbevölkerung sind. nehmer liegen. In den anderen Städten liegt der
275. Das 2005 in Indien verabschiedete Nationale Lohn hingegen über dem örtlichen Durchschnitts-
Gesetz für ländliche Beschäftigungsgarantie verdienst potenzieller Teilnehmer und ist daher für
(NREGP) institutionalisierte einen Mindestlohn Männer interessant, die dann auch in der Mehrheit
für ungelernte Landarbeiter und hat zum Ziel, sind. Auch Änderungen der durch das Programm
mindestens 100 Tage Beschäftigung zu garantie- finanzierten Projekte führten zu einem plötzlichen
ren. Falls ein ländlicher Haushalt diese 100 Tage Wandel der geschlechtlichen Zusammensetzung
Arbeit nicht erhält, werden Arbeitslosenbezüge der Teilnehmer. Die Verlagerung von der fast aus-
gezahlt. Es ist zu früh, um Schlüsse über die Aus- schließlichen Konzentration auf Projekte zur Ver-
wirkung des Plans auf Armut und Gleichstellung schönerung Limas und seiner Parks durch den
der Geschlechter zu ziehen; allerdings gibt es Hin- Ausbau sozialer oder wirtschaftlicher Infrastruktur
weise auf mögliche Spannungen innerhalb von und die im Rahmen des Programms an die ausfüh-
Familien hinsichtlich der Auswahl des Familien- renden Institutionen gerichtete Aufforderung,
mitglieds, das die Arbeit erhalten soll, und darauf, geeignete Kandidaten auszuwählen, führte dazu,
dass Frauen benachteiligt werden. Anderswo lehrt dass in massivem Umfang Männer für diese
die Erfahrung jedoch, dass die Höhe und Art der öffentliche Arbeit eingestellt wurden. Das Pro-
Bezahlung, das Einstellungssystem und die Mobi- gramm sah von dieser Aufforderung schließlich ab
lisierung, die Arbeitsbedingungen und die Art der und begründete dies damit, dass sie zu Fehlinter-
Schaffung von Arbeitsplätzen entscheidend dafür pretationen und dem unbeabsichtigten Ausschluss
sind, ob Frauen in diese Programme einbezogen von Frauen geführt habe 55.
werden oder nicht und welche Vorteile ihnen
daraus erwachsen 53. Maßnahmen für den Abbau des
276. Auf Initiative der IAO werden in ausgewähl- geschlechtsspezifischen Gefälles
ten Distrikten in Indien Erhebungen veranstaltet,
um das Nationale Gesetz für ländliche Beschäfti- in der Beschäftigung und Entlohnung
gungsgarantie (NREGP) unter dem Aspekt der 278. Die Tatsachen lehren uns, dass in den
menschenwürdigen Arbeit, der Gleichstellung und meisten Regionen der Welt die Chancen für
der Auswirkung auf die Landflucht zu unter- Frauen, einer Erwerbsbeschäftigung nachzugehen,
suchen. Insbesondere wird die Geschlechterdyna- gestiegen sind, wenn auch in den einzelnen
mik auf der Ebene des Haushalts, der Gemein- Regionen in sehr unterschiedlichem Maß, und
schaft und des Arbeitsplatzes untersucht, um fest- dass eine wachsende Zahl von Frauen Berufe
zustellen, auf welche Weise diese das Ausmaß und ergreifen, die früher Männern vorbehalten waren.
die Formen der Teilnahme von Frauen an dem Trotz der phänomenalen Fortschritte bei ihren
Programm bestimmen. Ziel ist, die notwendigen Bildungserfolgen verdienen Frauen im Durch-
Sicherungen zu entwickeln und in das Gesetz ein- schnitt in allen Ländern nach wie vor weniger als

52 54
ILO, EIC und UNIFEM: Decent work for women and men Institute of Social Studies Trust (ISST): „Women and the
in the informal economy: Profile and good practices in NREGA“, Bericht über die erste Phase, Juni 2006 und Landes-
Cambodia (Bangkok and Phnom Penh, IAA, 2006), S. 67. programm für menschenwürdige Arbeit für Indien 2006-09.
53 55
A. King Dejardin: “Public works programmes, strategy for M. Tostes: “Igualdad de oportunidades y promoción del
poverty alleviation: The gender dimension”, Issues in Develop- empleo en el Perú: Una radiografía” (unveröffentlichtes
ment Discussion Paper No. 10 (Genf, IAA, 1996), S. 18-20. Papier, 2006), S.49.

80
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Männer, und für viele Frauen (und auch einige entlohnen. Dies ist nicht zwangsläufig eine Refle-
Männer), vor allem die am unteren Ende der xion der Marktfaktoren oder des Qualifizierungs-
Berufsleiter, ist die Vereinbarkeit von Elternschaft bedarfs, sondern spiegelt eher die unterschiedlich
und bezahlter Arbeit nach wie vor eine täglich zu verteilte Macht in den Kollektivverhandlungen,
meisternde Aufgabe. vorgefasste Einstellungen im Hinblick auf man-
279. Familiäre Verpflichtungen können auf gelnde Qualifikationen, Marktsätze und die histo-
Grund der Organisation der Gesellschaft und der risch bedingte Unterbewertung von „Frauen-
Art und Weise, wie Betreuungsarbeit aufgeteilt ist, arbeitsplätzen“ wider 57.
ein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt sein, wenn sie
im Widerspruch zu den Ansprüchen der Arbeit Geschlechtsneutrale
stehen 56. Da Frauen in den meisten Gesellschaften Arbeitsbewertungsmethoden:
immer noch den Großteil der familiären Verpflich-
tungen tragen, ist dies ein Grund für Ungleichheit Ein effektives Werkzeug zur Herstellung
der Geschlechter. Das Spannungsfeld zwischen von Entgeltgerechtigkeit
Arbeit und Familie schränkt die Freiheit von 283. Die Herstellung von Entgeltgerechtigkeit
Frauen ein zu entscheiden, ob, wo und in welcher erfordert es, Vergleiche anzustellen und den relati-
Art von Tätigkeit sie arbeiten wollen. Dies wiede- ven Wert zweier Arbeitsstellen mit verschiedenen
rum wirkt sich auf die Dauer ihrer Beschäfti- Inhalten festzustellen, indem man die Arbeits-
gungsverhältnisse, ihre Arbeitserfahrung sowie plätze in Komponenten oder „Faktoren“ und „Sub-
ihre Weiterbildungs- und Berufschancen aus und faktoren“ aufgliedert und diesen Punkte zuordnet.
trägt so dazu bei, ihren Verdienst gering zu halten. Nach analytischen Arbeitsbewertungsmethoden
Aber selbst dann, wenn Frauen mit familiären handelt es sich im Allgemeinen um folgende Fak-
Verpflichtungen es schaffen, sich auf dem Arbeits- toren: Fertigkeiten/Qualifizierung, Verantwortung,
markt zu behaupten, aufzusteigen und hohe Posi- Leistung und Arbeitsbedingungen 58 . Zwei
tionen zu erreichen, verdienen sie immer noch Arbeitsplätze mit dem gleichen numerischen Wert
weniger als ihre männlichen Kollegen. Dies lässt haben einen Anspruch auf gleiches Entgelt. Die
auf eine vorhandene Diskriminierung beim Entgelt Arbeitsbewertung befasst sich mit dem Inhalt des
schließen. Arbeitsplatzes und nicht mit den Merkmalen oder
280. Somit erfordert die Förderung der Gleich- der Leistung der die Arbeit ausführenden Men-
stellung bei der Arbeit eine Reihe von kurz- und schen.
langfristigen politischen Maßnahmen, die gleich- 284. Um „Männer-“ und „Frauen“-Stellen fair
zeitig auf all diese Probleme eingehen. bewerten zu können, muss die Arbeitsbewertung
frei von geschlechtsspezifischer Voreingenom-
Die Förderung der Entgeltgerechtigkeit menheit sein, denn sonst werden wichtige Anfor-
derungen an die Arbeitsplätze von Frauen nicht
281. Zu den zahlreichen Ursachen des berücksichtigt oder niedriger bewertet als bei von
geschlechtsspezifischen Lohngefälles gehört auch Männern besetzten Arbeitsplätzen, was wiederum
die geschlechtsspezifische Diskriminierung im die Unterbewertung der Arbeitsplätze von Frauen
Bereich der Entlohnung. Die Übersicht 3.4 ver- verschärft 59 . Das Verfahren, mit dem Methoden
deutlicht die dem geschlechtsspezifischen Lohn-
gefälle zugrunde liegenden Ursachen mit einer
Aufschlüsselung der unterschiedlichen Umstände,
die zu Diskriminierung führen. 57
Siehe: Women and Work Commission (Vereinigtes König-
282. Die Lösung des Problems der geschlechts- reich): Shaping a fairer future (Febr. 2006) unter www.women
spezifischen Diskriminierung erfordert in Anbe- andequalityunit.gov.uk/research/index.htm.
tracht seiner Hartnäckigkeit spezifische Maßnah- 58
Es gibt zwei Hauptmethoden der Stellenbewertung: die
men. Zu diesem Zweck ist es unabdingbar, globalen/Rankingmethoden und die analytische Stellenbewer-
Gleichheit des Entgelts für gleichwertige Arbeit zu tungsmethode. Die globalen/Rankingmethoden untersuchen
den Arbeitsplatz als Ganzes, nicht seine wesentlichen Bestand-
gewährleisten, ein im Übereinkommen Nr. 100 der teile; dies führt zur Ermittlung der Eigenschaften des Arbeits-
IAO verankertes Grundrecht. Bei der Gleichheit platzinhabers mit den Eigenschaften des Arbeitsplatzes. Daher
des Entgelts geht es nicht darum, dass Männer und ist das Urteil der Bewerter durch den traditionellen Wert der
Frauen das Gleiche verdienen oder darum, die von Arbeitsstelle beeinflusst. Diese Methoden sind schwierig
Frauen geleistete Arbeit zu ändern. Entgeltgerech- anzuwenden, wenn es mehr als 10 Arbeitsplatzkategorien gibt.
tigkeit bedeutet, die Unterbewertung der typi- Der Vergleichs- und Rankingprozess muss bei der Einführung
jeder neuen Arbeitsstellenkategorie wiederholt werden. Siehe:
scherweise von Frauen verrichteten Tätigkeiten zu Pay equity task force: Pay equity: A new approach to a
beseitigen und sie ihrem Wert entsprechend zu fundamental right, Abschlussbericht 2004 (Ottawa, 2004),
Kap. 10, unter www.payequityreview.gc.ca und www.canada.
justice.gc.ca
56 59
C. Hein: Reconciling work and family responsibilities: Herkömmliche analytische Stellenbewertungsmethoden
Practical ideas from global experience (Genf, IAA, 2005), legen großen Wert auf Fertigkeiten, geistige Anstrengungen
S. 10-11. und Verantwortung und bevorzugen daher hochrangige Posi-

81
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Übersicht 3.4. Ursachen und Dimensionen des geschlechtsspezifischen Lohngefälles

Ursachen Dimensionen
Unterschiedliche Produktivitätsmerkmale bei z Ausbildungsjahre
Männern und Frauen z Fachgebiet
z Arbeitserfahrung in Jahren
z Dienstalter am Arbeitsplatz
Unterschiedliche Merkmale der Unternehmen z Größe des Unternehmens
und Sektoren, die Männer und Frauen z Branche
einstellen z Gewerkschaftliche Organisierung der Unternehmens und Sektoren
Unterschiede bei den Arbeitsplätzen von z Frauen in besser bezahlten Positionen unterrepräsentiert
Frauen und Männern z Frauen in einer geringeren Bandbreite von Berufen und in Berufen,
in denen weniger gezahlt wird als bei Männern üblich, über-
repräsentiert
z Frauen und Männer in unterschiedlichen Bereichen derselben
Berufsgruppe angesiedelt
z Frauen bei der Teilzeitarbeit überrepräsentiert
Unterschied in der Stundenzahl bezahlter Arbeit z Männer arbeiten länger (bezahlte Erwerbstätigkeit) als Frauen

Diskriminierung beim Entgelt


Unmittelbare Diskriminierung z Unterschiedliche Bezahlung für Männer (höher) und für Frauen bei
gleicher oder ähnlicher Arbeit
z Unterschiedliche Stellenbezeichnung (und Entgelt) für gleiche oder
ähnliche Arbeit
Mittelbare Diskriminierung z Unterbewertung der mit „weiblichen“ Arbeitsplätzen verbundenen
Fähigkeiten, Kompetenzen und Zuständigkeiten
z Geschlechtsspezifische Benachteiligung bei
Arbeitsplatzbewertungsmethoden
z Geschlechtsspezifische Benachteiligung bei Systemen der Stellen-
einstufung
z Geschlechtsspezifische Benachteiligung bei den Arbeitsentgelt-
systemen

der Arbeitsbewertung entwickelt und angewendet Entgelts“ in Schweden 60 , die ABAKABA- und
werden, ist mindestens ebenso wichtig wie diese die EVALFRI-Methoden in der Schweiz und die
Methoden und ihr technischer Inhalt selbst ISOS-Methode in Spanien.
(Kasten 3.11). Etwaige und unbeabsichtigte 286. Dabei zeigte sich immer wieder, wie wichtig
geschlechtsspezifische Diskrepanzen und Vorur- es ist, dass die Arbeitsbewertung gemeinsam von
teile können bei jeder einzelnen Phase ihrer der Unternehmensführung und den Mitarbeitern,
Entwicklung und Anwendung auftreten. von Männern und Frauen, durchgeführt wird. In
285. In mehreren Industrieländern wurden eine Quebec in Kanada ist es z. B. allen Unternehmen
Reihe von Arbeitsbewertungsmethoden entwickelt, mit 100 oder mehr Mitarbeitern vorgeschrieben,
die frei von geschlechtsspezifischer Voreingenom- einen Ausschuss für Entgeltgerechtigkeit einzu-
menheit sind, z. B. „Schritte zur Gleichheit des richten, der sich zu zwei Dritteln aus Arbeit-
nehmervertretern zusammensetzt, die einer
Gewerkschaft angehören können; 50 Prozent
müssen Frauen sein. Transparenz beim Entgelt
und Aspekte der flexiblen Bezahlung sind
tionen, in denen vorwiegend Männer anzutreffen sind, während ebenfalls von großer Bedeutung dafür, dass die
Aspekte wie sich sorgen und für andere verantwortlich zu sein,
die die Arbeitsplätze von Frauen auszeichnen, nicht
berücksichtigt werden. Siehe C. Katz; C. Baitsch: L’égalité des
60
salaires en pratique – Deux outils d’évaluation du travail non A. Harriman; C. Holm: Steps to pay equity: An easy and
discriminatoire à l’égard des sexes: ABAKABA et VIWIV quick method for the evaluation of work demands (Equal
(Genf, vdf und Georg Editeur, 1996), S. 27. Opportunities Ombudsman, 2001).

82
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.11
Die wichtigsten Phasen einer geschlechtsneutralen analytischen Arbeitsbewertung

Einrichtung und Schulung des Arbeitsbewertungsausschusses


Meist wird zur Durchführung von Arbeitsbewertungen ein innerbetrieblicher Bewertungsausschuss gegründet. Er sollte zu
gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen; die Frauen sollten nicht alle aus niedrig eingestuften Stellen und die
Männer nicht alle aus hohen Managementpositionen kommen, und es sollte die gleiche Anzahl von Arbeitnehmern und
Führungskräften vertreten sein. Der Ausschuss sollte in den technischen Aspekten der benutzten Arbeitsbewertungs-
methode und bezüglich geschlechtsspezifischer Diskriminierung beim Entgelt ausgebildet werden.
Auswahl der zu bewertenden Arbeitsplätze
Dies erfordert eine Ermittlung der Arbeitsplätze, die von Frauen bzw. von Männern dominiert werden. Ein Kriterium ist der
Anteil von Frauen oder Männern, die eine spezielle Arbeit ausüben: Wenn bei einer Arbeit 60 Prozent oder mehr einem
Geschlecht angehören, gilt die Arbeit als von Frauen oder Männern dominiert. Um die zu vergleichenden Arbeitsplätze
auswählen zu können, müssen alle Arbeitsplätze – Voll- oder Teilzeit, befristet oder unbefristet – berücksichtigt werden.
Die Wahl der Methode
Analytische Methoden zur Arbeitsbewertung sind am besten geeignet, geschlechtsspezifische Diskriminierung beim Entgelt
festzustellen und zu beseitigen. Nach der Auswahl einer Methode sollten die Faktoren und Subfaktoren der Arbeits-
anforderungen festgelegt werden. Alle relevanten Aspekte „männlicher“ und „weiblicher“ Arbeit müssen beschrieben
werden, denn das, was nicht erkannt wird, wird auch nicht gemessen oder gezählt. Darüber hinaus wird jedem Subfaktor
eine Bewertungsskala mit einer bestimmten Anzahl von Intensitätsebenen oder Häufigkeit für die Differenzierung der
Arbeitsplatzkategorien zugewiesen. Bei der Festsetzung dieser Ebenen ist es wichtig, geschlechtsspezifische Verzerrungs-
effekte zu vermeiden und den normalerweise mit männlicher Arbeit assoziierten Subfaktoren automatisch eine längere
Skala zuzuweisen.
Das Sammeln von arbeitsbezogenen Informationen
Der Inhalt der zum Vergleich herangezogenen Arbeitsplätze muss bekannt sein. Informationen kann man aus formalen
Stellenbeschreibungen und/oder Fragebögen in offener oder geschlossener Frageform erhalten; die Beschäftigten können
diese ausfüllen oder befragt werden, oder man kann beides kombinieren. Es ist darauf zu achten, dass die in dem Frage-
bogen oder Interview benutzte Sprache nicht zum Fortbestehen der geschlechtsspezifischen Benachteiligung beiträgt,
indem etwa bei der Beschreibung der mit der Arbeit von Frauen verbundenen Aufgaben der Begriff „Koordinieren“ statt
„Leiten“ oder das Passiv statt des Aktivs gebraucht wird. Beschäftigte und Vorgesetzte sollten bei dieser Datensammlung
mitwirken, und beide Parteien müssen die Information billigen. Eventuelle Meinungsverschiedenheiten müssen diskutiert
und ausgeräumt werden.
Untersuchung der Ergebnisse der Arbeitsbewertung
Auf der Grundlage der gesammelten Information und der akzeptierten Faktoren, Subfaktoren und der entsprechenden
Bewertungsskalen entwirft der Ausschuss die Stellenbeschreibungen der bewerteten Arbeitsplätze.
Festsetzung des Wertes der bewerteten Arbeitsplätze: Dafür ist es notwendig, die einzelnen Faktoren und Subfaktoren zu
gewichten, denn nicht alle Faktoren sind für die Arbeit eines Unternehmens von gleicher Bedeutung. Die Gewichtung der
Faktoren muss diese Unterschiede widerspiegeln und transparent und frei von geschlechtsspezifischer Diskrepanz sein.
Auf dieser Grundlage werden den bewerteten Arbeitsplätzen dann Punkte zugewiesen, und diese werden wiederum in
Punktintervallen zusammengefasst.
Analyse und Abgleichung der Punktergebnisse
Nach Abschluss der Bewertungsarbeit und der Punktkalkulation müssen die Punktergebnisse geprüft werden. Dazu muss
verifiziert werden, ob es systematische Unterschiede bei der Punktzahl von „Männer-“ und „Frauen“-Arbeitsplätzen und bei
den Lohnsätzen für ihre Arbeit gibt.
Messung und Beseitigung des Lohngefälles
Nachdem der auf Diskriminierung zurückzuführende Anteil des Entgelts bestimmt ist, muss das Entgelt für die unterbe-
wertete Arbeit entsprechend erhöht werden.
Quelle: IAA: “Promoting pay equity through job evaluation free from gender bias: A step-by-step guide” (in Kürze erscheinend).

Mitarbeiter die Ergebnisse als gerecht und recht- spielen gerade bei KMUs oft eine wichtige Rolle
mäßig wahrnehmen. bei der Erzielung von Entgeltgerechtigkeit. So bie-
287. Kommissionen für Entgeltgerechtigkeit oder tet z. B. in Schweden seit 2001 ein für Chancen-
Kommissionen mit einer breiter gefächerten gleichheit zuständiger Ombudsman Information
Zuständigkeit für Antidiskriminierungsfragen und Beratung, um den Sozialpartnern bei der

83
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach dem Chan- hilfen und lassen so eine geschlechtsspezifische
cengleichheitsgesetz zu helfen, wobei der Kartie- Diskriminierung im Bereich der flexiblen Entloh-
rung von Löhnen eine besondere Rolle zukommt. nung weiterhin zu 62.
Im Vereinigten Königreich entwickelte die Kom- 291. Daher könnte nun vor allem dort, wo
mission für Chancengleichheit eine Fülle an informelle Arbeit, überzählige Arbeitskräfte und
nützlichem Material zur Förderung von Praktiken Armut weit verbreitet sind, der Eindruck ent-
der Entgeltgerechtigkeit gerade auch in kleinen stehen, dass gleicher Lohn für gleichwertige
Unternehmen. Der Einsetzung von dreigliedrigen Arbeit ein „Luxus“ ist, den sich nur entwickelte
Ausschüssen zur Entwicklung von Arbeitsbe- Länder leisten können. Einige Länder, darunter
wertungswerkzeugen für spezielle Sektoren ist für Mauritius, Nigeria und Libanon, erbaten jedoch in
kleine Unternehmen von besonderer Bedeutung. diesem Bereich konkrete Unterstützung durch die
Die Kommissionen helfen mit, die Verwaltungs- IAO.
kosten der Arbeitsbewertungsprozesse zu reduzie- 292. Seit 2001 weist die Internationale der
ren (siehe Abschnitt über den Aktionsplan der Öffentlichen Dienste (PSI) mit zum Teil ermuti-
IAO für die Beseitigung von Diskriminierung in genden Ergebnissen darauf hin, dass Entgelt-
Teil IV, Kapitel 1 – das EQUAL-Projekt in gerechtigkeitsprogramme zu weiter reichenden
Portugal). Zielsetzungen beitragen wie etwa zur Verringe-
288. Vor allem in den Industrieländern zeichnet rung der Armut, zur sozialen Integration und zu
sich eine klare Tendenz ab, das Anliegen der einer verbesserten Qualität der öffentlichen
Entgeltgleichheit in die Kollektivverhandlungen Dienstleistungen 63 . Die Zielsetzung der Entgelt-
aufzunehmen. Dies ist zwar eine positive Entwick- gerechtigkeit findet damit größere gesellschaft-
lung; allerdings besteht die Gefahr, dass die Ent- liche und politische Akzeptanz. Die Entgeltge-
geltgerechtigkeit, falls sie ausschließlich dem rechtigkeit hat weitere Vorteile, z. B. eine bessere
Bereich der Kollektivverhandlungen überlassen Kenntnis der Arbeitsanforderungen und damit ein-
wird, anderen Fragen untergeordnet wird (siehe hergehend eine gezieltere Ausbildung auf Firmen-
Abschnitt über Kollektivverhandlungen in Kapi- ebene und bessere Effektivität beim Entgelt, bei
tel 2). der Einstellung und den Auswahlpraktiken (siehe
289. Arbeitsbewertungsmethoden und -verfahren Kasten 4.1 in Teil IV).
tragen zur Entgeltgerechtigkeit bei, indem sie zu 293. Immer mehr Länder erkennen, dass Maßnah-
Messungen und zur Beseitigung des durch Ent- men zur Förderung der Chancengleichheit und der
geltdiskriminierung entstehenden Lohngefälles Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei
beitragen. In der Praxis ist dies nicht immer der der Beschäftigung und im Berufsleben auch gene-
Fall, denn einzelne Länder haben eine unterschied- rell zum Abbau der Entgeltunterschiede beitragen.
liche Vorstellung von dem, was unter Entgelt- Schritte zur Förderung der Gleichstellung im
gerechtigkeit zu verstehen ist. Dies reicht von der Arbeitsleben, z. B. die bessere Vereinbarkeit von
Beseitigung diskriminierender Entgeltpraktiken Arbeit und Familie, können dazu beitragen, das
bis zur teilweisen Eliminierung dieser Praktiken in Lohngefälle zu beseitigen, indem sie die Dauer der
Verbindung mit Maßnahmen, die auf andere Betriebszugehörigkeit und die Arbeitserfahrung
Ursachen des Lohngefälles insgesamt eingehen von Frauen und ihre Ausbildung und Berufsaus-
(Übersicht 3.5). sichten verbessern.
290. In vielen Entwicklungsländern ist die analy-
tische Arbeitsbewertung nach wie vor ein Problem, Maßnahmen am Arbeitsplatz zur
und zahlreiche Länder verfügen nicht über Ausweitung der Chancen von
Methoden für eine objektive Arbeitsplatzbewer- Arbeitnehmern mit Familienpflichten
tung. Eine Reihe auch neuerer nationaler Gesetze
und Vorschriften verweist lediglich auf „iden- 294. Eine familienfreundliche Organisation ist
tische“ oder „vergleichbare“ Arbeit, nicht jedoch nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer da,
auf den breiter gefassten Begriff der „gleichwerti- und der Begriff der „Familie“ geht über die
gen Arbeit“ 61. Außerdem gelten die Bestimmun- Verantwortung für die Kinderbetreuung hinaus
gen über das gleiche Entgelt oft nur für den und gilt auch für alle anderen Familienmitglieder,
Grundlohn, für Barbezahlung oder bestimmte Bei- die von einem erwerbstätigen Familienmitglied
abhängig sind – ob männlich oder weiblich – (Bei-

61
Z. B. Ägypten, Burkina Faso, Demokratische Republik
Kongo, Estland, Fidschi, Honduras, Indien, Jamaika, Kirgistan, 62
Republik Kongo, Kuba, Nepal, Mexiko, Neuseeland, Zum Beispiel Norfolk Island (Australien), Demokratische
Nicaragua, Panama, Peru, Ruanda, Rumänien, Slowakei, Thai- Republik Kongo, Kirgistan, Pakistan, Ruanda, Slowakei und
land und die Zentralafrikanische Republik; K. Landuyt: „Equal Thailand; ebd., S. 2.
63
remuneration for men and women for work of equal value: A. Hegewisch; S. Hammond; K. Valladares: „Report of the
Convention No. 100 “, Hauptabteilung Internationale Arbeits- evaluation of the PSI Pay Equity Campaign“, 31. Okt. 2006,
normen (Genf, IAA, Febr. 2006), S. 1. unter www.world-psi.org.

84
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Übersicht 3.5. Unterschiedliche Methoden zur Förderung der Entgeltgerechtigkeit

Modell 1 Modell 2 Modell 3

Umfassender Ansatz mit dem Ziel Teilansatz mit dem Ziel der Gemischter Ansatz mit dem Ziel der
der Beseitigung diskriminierender Beseitigung diskriminierender Beseitigung bestimmter diskriminie-
Entgeltpraktiken und dem auf Entgeltpraktiken render Entgeltpraktiken und des
Diskriminierung basierenden geschlechtsspezifischen Lohngefälles
Lohngefälle insgesamt

Schweden und Quebec, Kanada Vereinigtes Königreich, Niederlande Frankreich, Schweiz

Vorgeschrieben Freiwillig Vorgeschrieben


z Schreibt die Entwicklung einer z Schreibt die Entwicklung einer z Erfordert eine geschlechtsspezi-
geschlechtsneutralen geschlechtsneutralen fische Regressionsanalyse, wobei
Arbeitsbewertungsmethode vor Arbeitsbewertungsmethode vor bei einem Lohngefälle von über
z Behandelt und vergleicht z Keine genauen Richtlinien für die 5 Prozent die Analyse bestimmte
Arbeitsplätze, die von Frauen bzw. Messung des Lohngefälles Korrekturmaßnahmen bedingt
Männern dominiert werden z Keine genauen Richtlinien für die (Schweiz)
z Misst das Lohngefälle zwischen Beseitigung des Lohngefälles z Bewertung der Lohnverteilung nach
gleichwertigen Arbeitsplätzen Geschlecht, des monatlichem
z Korrigiert die Löhne bei von Frauen Durchschnittseinkommens nach
dominierten Arbeitsplätzen und Geschlecht und des Frauenanteils
beseitigt das Gefälle innerhalb an den 10 höchstbezahlten Berufen
eines vorgegebenen Zeitrahmens (Frankreich)
z Die Entwicklung einer geschlechts-
neutralen Arbeitsplatzbewertungs-
methode ist nicht vorgeschrieben
z Keine genauen Richtlinien für eine
Messung des Lohngefälles
z Keine genauen Richtlinien für eine
Beseitigung des Lohngefälles
Quelle: M.T. Chicha: A comparative analysis of promoting pay equity: Models and impacts, DECLARATION-Arbeitspapier Nr. 49 (Genf, IAA,
2006).

spiel: ältere Unterhaltspflichtige oder ein behin- Arbeitszeit, d.h. die Beseitigung unproduktiv ver-
derter Partner). brachter Zeit während des Arbeitstages, vor allem
295. Weltweit gibt es schätzungsweise 340 Mil- bei Führungskräften und Selbstständigen 65. Lange
lionen Kinder unter sechs Jahren und 930 Mil- Arbeitszeiten sind offenbar auch in den zehn
lionen unter fünfzehn, die in Haushalten leben, in neuen EU-Mitgliedstaaten ein typisches Merkmal,
denen alle Erwachsenen für Entgelt arbei- und Überstunden insbesondere bei bestimmten
ten 64.Diese Situation ist auf das weltweite Streben schlecht ausgebildeten und gering entlohnten
der Frauen in die Erwerbsbevölkerung ohne einen Arbeitnehmern sind in Thailand 66 sowie in Län-
entsprechenden Rückgang der Arbeit der Männer dern wie Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Chile
und familienunfreundliche staatliche und betrieb- und Mexiko 67 die Norm.
liche Politiken zurückzuführen.
296. In den Industrie-, Entwicklungs- und Trans-
formationsländern erschweren es die heutigen 65
Arbeitszeittrends den Arbeitnehmern mit fami- J.-Y. Boulin; M. Lallement; F. Michon: „Decent working
time in industrialized countries: Issues, scopes and paradoxes“,
liären Verpflichtungen gleichermaßen, Arbeits- in J.-Y. Boulin; M. Lallement; J.C. Messenger; F. Michon
leben und Familienbetreuung miteinander zu ver- (Hrsg.): Decent working time: New trends, new issues (Genf,
einbaren. In den Industriestaaten ist viel die Rede IAA, 2006), S. 32.
von einer Intensivierung und „Verdichtung“ der 66
K. Kusakabe: Reconciling work and family: Issues and
policies in Thailand, Conditions of Work and Employment,
Serie Nr. 14 (Genf, IAA, 2006).
64 67
J. Heymann: Forgotten Families: Ending the growing crisis M.L. Vega Ruiz (Hrsg.): La Reforma laboral en América
confronting children and working parents in a global economy, Latina : 15 años después – Un análisis comparado (Lima,
(New York, Oxford University Press, 2006), S. xi und 7. IAA, 2005), S.41-43.

85
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

297. Lange Arbeitszeiten wirken sich auf Frauen Teilzeitarbeit


unverhältnismäßig stark aus, da nach wie vor sie 301. Die Teilzeitarbeit in der OECD und den EU-
es sind, die den Großteil der familiären Betreu- 15-Ländern stieg in den letzten zehn Jahren stark
ungsaufgaben wahrnehmen und so ihren Möglich- und kontinuierlich an; dieses Angebot führte zu
keiten Grenzen setzen, ob, wo und an welchem einer größeren Teilhabe der Frauen an der Arbeit.
Arbeitsplatz sie arbeiten wollen. In den Industrie- Innerhalb der OECD-Länder gibt es allerdings
ländern sind die extrem langen Arbeitszeiten ein trotz der zunehmenden Verbreitung der Teilzeit-
Hindernis für die Einstellung und den Verbleib arbeit erhebliche Schwankungen bei der relativen
von Frauen in Führungspositionen, und sie verfes- Größe ihres Anteils an der Beschäftigung und der
tigen auf diese Art die geschlechtsspezifische Verteilung in den einzelnen Sektoren und Berufen
Arbeitstrennung und daher auch das Lohngefälle. (Abbildung 3.2). Diese Unterschiede erklären sich
In Kanada z. B. nehmen Frauen mit familiären aus den unterschiedlichen nationalen Politiken und
Verpflichtungen eher als Männer regelmäßige Institutionen; in den meisten Ländern bleibt
zeitlich befristete und saisonabhängige Teilzeit- Teilzeitarbeit jedoch Frauenarbeit und ist gleich-
arbeit am Wochenende an, offenbar in dem Ver- bedeutend mit geringem Status und Ausbildungs-
such, auf die Arbeitszeit ihrer während der Woche stand und begrenzten beruflichen Aufstiegschan-
(Montag bis Freitag) arbeitenden Ehemänner cen, obwohl sie oft so dargestellt wird, als sei sie
Rücksicht zu nehmen 68. für arbeitende Väter ebenso verfügbar wie für
298. In der informellen Wirtschaft wirkt sich der arbeitende Frauen. Zudem ist die Teilzeitarbeit
Zeitdruck besonders stark auf bestimmte Arbeit- vermutlich oft eine unfreiwillige Lösung in dem
nehmerkategorien aus, z. B. Markthändler, also oft Sinne, dass sie im Vergleich zu einer Vollzeitstelle
Frauen, die ihre Kinder zur Arbeit mitbringen und die zweitbeste Lösung ist.
es ständig mit den sich jahreszeitlich wandelnden 302. Die Teilzeitarbeit kann allerdings dabei
Anforderungen, Wetterbedingungen und Markt- helfen, Arbeit und Elternschaft miteinander zu
zeiten zu tun haben, die oft entweder sehr früh vereinbaren, ohne dass sich die geschlechtsspe-
morgens beginnen oder bis in den späten Abend zifischen Ungleichheiten bei Beschäftigung und
reichen. Entgelt und in der Familie verschärfen. Bei einer
299. Diese Arbeitsstrukturen verstärken die Vergleichsuntersuchung der Teilzeitarbeit in
ungleiche Aufteilung der bezahlten und der unbe- Deutschland, den Niederlanden und dem Ver-
zahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern, einigten Königreich stellte sich heraus, dass die
untergraben die Aussichten von Frauen auf Arbeit, Niederlande es geschafft haben, einige der mit
Berufsleben und Entgelt und vergrößern ihre dieser Form der Arbeit generell verbundenen
allgemeine Arbeitsbelastung (Abbildung 3.1). Nachteile für den Arbeitsmarktstatus der Frauen
300. Familienfreundliche staatliche Maßnahmen zu beseitigen. Zunächst „normalisierte“ das Land
können dazu beitragen, diese Herausforderungen die Teilzeitarbeit, indem es die Unterschiede
effektiver anzugehen, wenn gleichzeitig Fragen zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeitnehmern in
der Gleichstellung berücksichtigt werden (Kas- Bezug auf Rechte, Sozialleistungen und Ein-
ten 3.12). Vielleicht können sie auch den alarmie- kommen ausschaltete, während in Deutschland
renden Rückgang der Geburtenrate in einer Reihe und im Vereinigten Königreich diese Stellen sehr
von Industrieländern, z. B. in Japan und Italien, wenige Wochenarbeitsstunden (im Vereinigten
verlangsamen helfen. OECD-Studien belegen, Königreich sind es unter 16 Stunden) und gerin-
dass in einigen Ländern die Korrelation zwischen gere Lohnkosten und Bezahlung umfassen und
dem Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von Sozialschutzleistungen ausgenommen sind.
und der Gesamtgeburtenrate nach der Einführung Zweitens gelang es den Niederlanden, die Teilzeit
einer Reihe von Initiativen zur Verringerung des in allen Sektoren und Berufen einzuführen, und
Spannungsverhältnisses zwischen Arbeit und anders als in den anderen beiden Ländern ist die
Familie, also z. B. umfassende Kinderbetreuungs- Teilzeit gleichmäßig auf alle Gruppen von Frauen
angebote, geringere direkte Kosten für Kinder, verteilt. Aus diesen Gründen gibt es kaum unfrei-
mehr Möglichkeiten einer Teilzeitbeschäftigung willige Teilzeitarbeit, und sie ist unter Männern
und längerer Familienurlaub nach bisher negativen stärker verbreitet als in anderen Ländern 70.
Zahlen nun positiv ausfiel 69. 303. Diese Ergebnisse erklären sich aus einer
umfassenderen Arbeitsmarktregulierung, der
68
Mobilisierung von Frauenorganisationen und der
I.U. Zeytinoglu; G.B. Cooke: „Who is working at week- Unterstützung der Sozialpartner. Trotzdem hinken
ends? Determinants of regular weekend work in Canada“, in
J.-Y. Boulin, et al. (Hrsg.): Decent working time, a.a.O.,
Ausbildung und Berufsaussichten von Teilzeit-
S. 411-412.
69 70
A.C. D’Addio; M. Mira d’Ercole: Trends and determinants M. Yerkes; J. Visser: „Women’s preferences or delineated
of fertility rates in OECD countries: The role of policies, policies? The development of part-time work in the Nether-
OECD Social, Employment and Migration Working Papers lands, Germany and the United Kingdom”, in J.-Y. Boulin et
Nr. 27 (Paris, OECD, 2005). al., a.a.O., S. 257.

86
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Abbildung 3.1. Durchschnittliche Arbeitszeit (entlohnt und nicht entlohnt) von Männern und Frauen
im Alter von 20-74, ausgewählte EU-25-Länder (Stunden pro Tag)
8.5

8.0

Frauen
7.5

7.0

6.5
Männer

6.0

5.5

0
ch
d

en
ch

d
nd

n
n

n
n
n

ie

an
ar

ie

ue
ie

lie
le

ei
ei
la

ed
tla

en

an
lg

Po
ng

Ita
gr

ttl
ta
kr
ch
Be

Es

hw
ow

Sp

Le
ni

Li
U

an
ts

Sc
eu

Sl
Fr
D

s
te
ig
in
re
Ve

Quelle: Eurostat: „A statictical view of he


t life of women und men in the EU 25“, News release 29/2006, 6. März 2006, unter
epp.eurostat.ec.europa.eu.

Kasten 3.12
Die wichtigste Anforderung an familienfreundliche Maßnahmen ist die Gleichstellungsorientierung

Anerkennung der fürsorgenden Rolle der Männer: Angebot von Vaterschaftsurlaub und nach dem anfänglichen Mutter-
schaftsurlaub die Möglichkeit für Männer und Frauen von nicht übertragbarem Elternurlaub.
Familienkompatiblere Gestaltung der „normalen“ Arbeit: Flexible Organisation bezüglich Arbeitsplan, Ruhezeiten und
Ferien, Bereitstellung von Jahresurlaub, kurze Abwesenheit bei Notfällen, (gute) Teilzeit, Flexizeit, Zeitkonten, Telearbeit,
geringere tägliche Arbeitszeit und weniger Überstunden.
Bessere Vereinbarkeit von Familienpflichten und Arbeit: Verfügbarkeit von erschwinglicher und qualitativ guter Kinder-
betreuung für Vorschul- und Kleinkinder.
Förderung einer gerechteren Aufteilung der Familienpflichten zwischen Männern und Frauen.

arbeitnehmern immer noch hinterher, und auch die Die Organisation der Kinderbetreuung
unzureichende Kinderbetreuung ist weiterhin ein 305. Erschwingliche und verlässliche Kinderbe-
Problem. treuungseinrichten sind der Schlüssel zu einer
304. Zudem können die Arbeitnehmer in den vermehrten Teilnahme der Frauen an der Arbeit
genannten drei Ländern auf Grund kürzlicher und dem Verbleib von Müttern im Arbeitsmarkt.
Gesetzesreformen unter bestimmten Umständen Sie ermöglichen es auch allein erziehenden und
zwar eine Änderung der Arbeitszeit beantragen; verheirateten Männern, die bezahlte Arbeit mit
allerdings nahm bisher kaum jemand diese Mög- Familienpflichten zu vereinbaren. Kinderbetreu-
lichkeit in Anspruch. Es ist zu vermuten, dass die ungseinrichtungen und -regelungen müssen die
Arbeitnehmer befürchten, ein Antrag auf verkürzte Bedürfnisse unterschiedlicher Kindergruppen
Arbeitszeit könne sich negativ auf ihre Berufs- berücksichtigen, von Klein- über Vorschul- bis zu
aussichten auswirken.

87
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Abbildung 3.2. Teilzeitarbeit 1 als Anteil an der Gesamtbeschäftigung, nach Geschlecht,


ausgewählte Länder, 2005

40

35

30

25

20

15

10

0
n

ch
d
nd

d
en

e
l

n
k
nd

ch
en

z
da
n
ei

ch

n
d
ga

te

an

Kö la n

nd
lie
ar

ei
ie

an
lie

pa
rk

ei
la

eg
ni

a
la

ei

na
re
rtu

hw
lg
em

el

tra

r la
gr
I ta
ta

en

ch

Ja
Irl
nn

pa

kr

er

w
Be

se
Ka

ni
Po

Sc

us

de
an

än

or

ts
ch

Fi

st
S

eu
e

eu

A
N

ie
Ö
Fr

D
r ie

gt

N
D

s
ni
G

te
i
re

ig
Ve

in
re
F ra ue n Mä nn er Ve

1 Weniger als 30 Stunden pro Woche. Japan: weniger als 35 Stunden pro Woche.

Quelle: OECD: Employment Outlook 2006: Boosting jobs and incomes (Paris, 2006), Statistischer Anhang, Tabelle E.

Schulkindern, die nach der Schule beaufsichtigt titionen zu vermeiden 75. Das schrumpfende Ange-
werden müssen. bot an preisgünstiger und zuverlässiger Kinderbe-
306. Bei der Vorschulerziehung gibt es weltweit treuung in den Ländern Ost- und Mitteleuropas,
ermutigende Entwicklungen, d.h. im Alter von vor allem außerhalb großer Städte, hat es für
drei Jahren bis zur Einschulung 71 . Die Auswei- Mütter schwieriger gemacht, Berufs- und Fami-
tung der Dienstleistungen in den frühen Kindheits- lienleben miteinander zu vereinbaren. Dies hat zu
jahren, d. h. für Kinder unter drei Jahren, verläuft einer stärkeren Diskriminierung von Frauen am
in den Industrieländern allerdings eher schleppend Arbeitsplatz geführt 76.
und hatte in vielen Entwicklungs- und Transfor- 307. Partnerschaften zwischen dem privaten und
mationsländern sowie in der Gemeinschaft unab- öffentlichen Sektor könnten eine äußerst wichtige
hängiger Staaten (GUS) keinerlei Priorität 72. Nach Rolle bei der Reduzierung der Fördermittel für die
dem Zusammenbruch des sowjetischen Blocks Kinderbetreuung spielen. In China ist bei der
behielten Länder wie die Tschechische Republik, Versorgung mit Vorschuldienstleistungen ein
Ungarn 73 , Polen, Weißrussland und die Ukraine Trend zur Privatisierung und zu einer vermehrten
lange, bezahlte oder unbezahlte Elternurlaube für Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor zu
Mütter bei 74 . Diese langen Auszeiten wurden beobachten. Betriebliche Kindergärten wurden
genutzt, um die Nachfrage nach Kinderbetreu- aufgelöst oder an örtliche Bildungsbehörden über-
ungsdiensten zu senken und entsprechende Inves- führt, nichtstaatliche Institutionen sollen die wich-
tigsten Anbieter von Kinderkrippen und Kinder-
71
UNESCO: Education für All: Global Monitoring Report gärten für Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren
2006: Literacy for life (Paris, 2005), S.40. werden, und dafür müssen sie aus verschiedenen
72
Soo-Hyang Choi: Pre-primary education: The valid invest- Quellen Mittel mobilisieren, z. B. von Unterneh-
ment option for EFA, UNESCO Policy Brief on Early Child- men, Bürgern und Gemeinden. Schritte wurden
hood, Nr. 31, März-Apr. 2006. unternommen, um in ländlichen Gebieten bessere
73
Siehe E. Fultz; M. Ruck; S. Steinhilber (Hrsg): The gender
dimensions of social security reform in Central and Eastern
Europe: Case studies of the Czech Republic, Hungary and
75
Poland (Budapest, IAA, 2003). L. Haddad: An integrated approach to early childhood
74
Siehe Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für education and care, UNESCO Early Childhood and Family
Europa (UNECE): „Employability policies in transition coun- Policy Serie Nr. 3, Okt. 2002, S.7.
76
tries: Issues, good practices, and policy options“, dem Regional S. Steinhilber: „Women’s views on social security reform:
Symposium on Mainstreaming Gender into Economic Policies Qualitative survey”, in E. Fultz et al. (Hrsg.), a.a.O., S. 319-
vorgelegtes Hintergrundpapier, 28.-30. Jan. 2004, Genf, S.12. 320.

88
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Leitlinien für frühkindliche Betreuungsdienste eine Organisation, die Straßenverkäufer vertritt,


anzubieten 77. den Bau von Wasseranlagen und Kinderbetreu-
308. In Kenia sind Eltern und Gemeinden die ungseinrichtungen bei der Planung von neuen
wichtigsten Partner bei der Verwaltung der Vor- Märkten auf die Tagesordnung ihrer Verhandlun-
schulzentren, die im Jahr 2000 von 34 Prozent der gen mit lokalen Behörden. Dies ist Teil eines
3- bis 5-Jährigen besucht wurden. 80 Prozent die- größeren Pakets von Forderungen, zu denen u.a.
ser Zentren sind zwar staatlich, und die öffentliche auch vereinfachte Lizenzverfahren und ein Ende
Hand übernimmt die laufenden Kosten für den der Belästigung und der Beschlagnahme von
Betrieb der Vorschulen, Eltern und Gemeinden Waren nicht lizenzierter Verkäufer gehören.
stellen jedoch Grundstücke und die Mittel für den
Bau von Einrichtungen und zahlen das Mobiliar, Vaterschafts- und Elternurlaub
Materialien und die Gehälter der Lehrer. Weitere
312. Urlaubsansprüche für die Kinderbetreuung
wichtige Merkmale des Programms sind die
sind ein Bereich, der sich in den letzten Jahren in
Dezentralisierung und die Achtung der reichen
verschiedenen Ländern sehr gewandelt hat. Väter
und vielfältigen Kultur des Landes 78.
werden durch die Einführung des Vaterschaftsur-
309. Auch Gewerkschaften und Unternehmen
laubs oder Änderungen beim Elternurlaub zuneh-
können sich effektiv zusammentun, um die Span-
mend ermutigt, Betreuungsurlaub zu nehmen. Die
nungen zwischen Arbeits- und Familienleben zu
in letzter Zeit eingeführten Ansprüche auf Vater-
überwinden. Ein gutes Beispiel ist eine Kinder-
schaftsurlaub, ein kurzer Urlaub gleich nach der
betreuungseinrichtung in Bangkok, Thailand, die
Geburt, sind teilweise freiwillig, teilweise ver-
eingereichtet wurde, um die Mitarbeiter des Unter-
bindlich vorgeschrieben: In Italien haben Väter
nehmens TOT PLC bei der Betreuung ihrer
einen Anspruch auf zwei Wochen Urlaub nach der
Kinder zu unterstützen. Das Unternehmen stellt
Geburt, sind aber nicht verpflichtet, diesen zu neh-
das Gebäude und die Gewerkschaften zahlen die
men; in Portugal beträgt der Vaterschaftsurlaub 20
Gehälter der Erzieher; die Eltern bringen Decken
Tage, von denen fünf verbindlich vorgeschrieben
für die Kinder, Windeln und Wasser- und Milch-
sind. Der Urlaub ist unterschiedlich lang (von
flaschen. Die Einrichtung versorgt Kinder im
einem Tag in Chile, Tunesien und Saudi-Arabien
Alter von eineinhalb bis fünf Jahren 79.
bis zu 90 Tagen in Island und Slowenien), er kann
310. Die speziellen Umstände und Bedürfnisse
bezahlt oder unbezahlt sein (letzteres ist häufiger
der Arbeitnehmer mit Familienpflichten in der
der Fall) und er wird vom Arbeitgeber, dem
informellen Wirtschaft erfordern besondere
Sozialversicherungssystem oder einer Kombina-
Beachtung. Der Preis für die Tatenlosigkeit in
tion aus beiden finanziert 82.
diesem Bereich ist nur zu gut bekannt: Kinder
313. In Island wird seit der Gesetzesreform von
werden zu gefährlichen Arbeitsplätzen mitgenom-
2001 kein Unterschied mehr zwischen Vater- und
men oder unbeaufsichtigt zuhause gelassen, wo sie
Mutterschaftsurlaub gemacht; statt dessen wird
sich verletzen oder krank werden können, oder sie
nach der Geburt ein neunmonatiger bezahlter
werden aus der Schule genommen, um jüngere
Urlaub gewährt (bei 80 Prozent des Gehalts).
Geschwister zu versorgen, oder in informellen
Dieser teilt sich in drei gleiche Teile zwischen
Einrichtungen von unzureichender Qualität unter-
Mutter, Vater (dessen Quote ist nicht übertragbar)
gebracht 80.
und dem Paar auf.
311. Die Erfahrung lehrt, dass diese Situation
314. In einigen Ländern ist Elternurlaub, also ein
geändert werden kann und dass eine Konzentra-
relativ langer Zeitraum nach dem Ablauf des
tion auf bestimmte Kategorien informeller Arbeit-
Mutterschaftsurlaubs, für Männer wie Frauen
nehmer und spezielle Bereiche offenbar zu ermuti-
möglich. Entweder ist dies ein gemeinsamer
genden Ergebnissen führt. In Indien wurden auf
Anspruch für beide Elternteile (z. B. in Kuba,
Baustellen Kinderkrippen für die Betreuung der
Estland, Ungarn und Vietnam), oder es sind nicht
Kinder von Wanderbauarbeitern eingerichtet.
übertragbare Einzelansprüche (z. B. in Belgien,
Heute betreibt das System der mobilen Kinder-
Island, Irland) oder eine Kombination von Einzel-
horte ein Netzwerk von 450 Tagespflegeeinrich-
und Familienansprüchen (Norwegen und Schwe-
tungen auf Baustellen und in Elendsvierteln in
den). In Europa spielte die Richtlinie zur Rahmen-
Neu-Delhi, Mumbai und Pune und erreicht so
vereinbarung über Elternurlaub 83 eine entschei-
600.000 Kinder 81 . In Südafrika setzte StreetNet,
82
77
L. Haddad, a.a.O., S. 9-10. I. Öun; G. Pardo Trujillo: Maternity at work: A review of
78 national legislation – Findings from the ILO’s Condition of
Ebd., S. 15-16.
79
Work and Employment Database (Genf, IAA, 2005), S. 37-38.
K. Kusakabe, a.a.O., S. 58. 83
80
Richtlinie 96/34/EG vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE,
J. Heymann: Social transformations and their implications CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über
for the global demand for ECCE, UNESCO Policy Brief on Elternurlaub, Amtsblatt L145, 19. Juni 1996, S. 4-9. Nach die-
Early Childhood, Nr. 8, Nov.-Dez. 2002. ser Richtlinie sollte beiden Elternteilen ein individueller
81
Siehe www.mobilecreches.org. Urlaubsanspruch von mindestens drei Monaten zustehen.

89
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

dende Rolle bei der Erhöhung der Zahl der Län- Versetzung fürchten 87. Ob sie nun nicht oder nur
der, die einen Anspruch auf Elternurlaub anbieten; teilweise genutzt werden, die Bestimmungen für
dies ermutigt Väter, Elternurlaub zu nehmen, und langen Elternurlaub für Frauen stärken die
fördert gleichzeitig die Gleichstellung. Ansicht, sie seien „kostspielig“ und unzuverlässig,
315. Allerdings wird dieser Anspruch faktisch sie tragen zu einem Qualifikationsverlust bei, der
einem großen Teil der arbeitenden Eltern vorent- Frauen stärker betrifft als Männer 88 , und
halten, insbesondere Selbstständigen, Zeitarbeit- erschwert es Müttern, wieder ins Arbeitsleben
nehmern, Arbeitnehmern in kleinen Unternehmen einzusteigen.
(Vereinigte Staaten) oder auf Grund einer früheren 319. In dieser Region findet eine heftige Ausein-
Beschäftigung (Japan). andersetzung um die Frage statt, ob der Eltern-
316. Daten zur Inanspruchnahme zeigen, dass urlaub verkürzt werden sollte, um die geschlechts-
weiterhin überall Frauen häufiger Urlaub nehmen spezifische Ungleichheit in der Beschäftigung und
als die Väter, obschon es einige ermutigende in Haushalten nicht noch weiter zu verschärfen.
Anzeichen für einen Wandel im Verhalten der Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, wäre
Väter gibt, z. B. in Island, wo die Durch- eine konsequentere Umsetzung der Antidiskrimi-
schnittszahl der von Männern genommenen Tagen nierungsgesetzgebung, verbunden mit einer
in drei Jahren von 39 auf 83 stieg, oder in Por- ausgewogeneren Aufteilung der Familienpflichten,
tugal, wo ein Viertel der berechtigten Väter mehr vonnöten 89. Ähnlich sinnvoll wären Maßnahmen,
als die vorgeschriebenen fünf Tage Elternurlaub die Eltern nach dem Elternurlaub bei der Rückkehr
nahm 84 . In allen Fällen ist die Voraussetzung in die Beschäftigung unterstützen 90.
dafür, dass Männer wie Frauen die Ansprüche auf 320. Das Wesen, die Hartnäckigkeit und die
Elternurlaub annehmen, dass der Urlaub bezahlt Folgen der Diskriminierung lassen auf Antidis-
wird, und zwar relativ gut 85. kriminierungsmaßnahmen aufbauende integrierte
317. In der Tschechischen Republik, Ungarn und Entwicklungsstrategien erforderlich erscheinen,
Polen erhielten in den neunziger Jahren Frauen die Arbeitsplatz und Arbeitsmarkt ebenso ins
und Männer gleichen Zugang zu Kinderbetreu- Visier nehmen wie andere gesellschaftliche
ungseinrichtungen, und es wurden frühere Bestim- Bereiche wie etwa die Gemeinschaft, die Schule
mungen außer Kraft gesetzt, die Männer strikteren oder die Familie.
Anforderungen unterwarfen oder ihnen den
Zugang gänzlich untersagten. Indizien zeigen Jüngste Entwicklungen auf internationaler
jedoch, dass die Zahl der Väter, die Kinderbetreu- Ebene
ungszeit in Anspruch nehmen, in diesen Ländern
sehr gering ist. Gründe sind das geringe Sozial- 321. Das Handeln des Staates und der Arbeitneh-
leistungsniveau während der Kinderpausen, kultu- mer- und Arbeitgeberverbände ist für die Schaf-
relle Werte, die Frauen nach wie vor als wichtigste fung integrierter Arbeitsplätze zwar wesentlich,
Betreuungsperson sehen und das geschlechts- die internationale Bühne und ihre Akteure spielen
spezifische Lohngefälle, das Männer abschreckt, jedoch eine ebenso wichtige Rolle. Die Diskrimi-
bezahlte Arbeit zugunsten von Betreuungsauf- nierung gab es natürlich schon lange vor der Glo-
gaben zurückzustellen 86 . Eine interessante Ent- balisierung, aber die Globalisierung veränderte das
wicklung in den Ländern Ost- und Mitteleuropas Ausmaß und die Merkmale der Diskriminierung.
ist die Gewährung von Betreuungsurlaub für Korrekturmaßnahmen dürfen daher nicht mehr auf
andere Personen als die Eltern (z. B. Großmütter ein Eingreifen auf Länderebene beschränkt blei-
und/oder Großeltern und etwaige andere Ver- ben, sondern müssen auch auf sich gegenseitig
wandte), die das Kind versorgen (Litauen, Russ- bestärkende Art und Weise die internationalen und
land, Republik Moldawien). globalen Rahmenbedingungen ins Auge fassen.
318. Viele erwerbstätige Mütter in diesen Län- 322. Internationale Institutionen – öffentlicher
dern scheinen jedoch ihren Anspruch auf Eltern- und privater Art – und Prozesse der regionalen
urlaub nicht wahrzunehmen, da sie einen Verlust wirtschaftlichen Integration entscheiden u.a. dar-
des Arbeitsplatzes oder eine beruflich nachteilige über, ob die Globalisierung Gleichheit und Frie-
den bringt oder aber weitere Ungleichheiten und
Spannungen schürt. Nachfolgend werden Umfang
84
Island: I. Öun; G. Pardo Trujillo, a.a.O., S. 38; Portugal:
F. Deven; P. Moss (Hrsg.): Leave policies and research:
Reviews and country notes, CBGS-Werkdokument, 2005/3. 87
85
European Industrial Relations Obervatory on-line Ebd.
88
(EIROnline): Family-related leave and industrial relations, J. Rubery; D.P. Grimshaw; H. Figueiredo: The gender pay
Sept. 2004, unter eurofound.europa.eu./eiro/2004/03/study/ gap and gender mainstreaming pay policy in EU Member
tn0403101s.html. States. Synthesebericht für das Referat Chancengleichheit der
86 Europäischen Kommission, 2002, S. 7.
E. Fultz; S. Steinhilber: „The gender dimensions of social 89
security reform in the Czech Republic, Hungary and Poland”, UNECE, a.a.O., S. 12.
90
in E. Fultz, et al. (Hrsg.): a.a.O., S. 27. C. Hein, a.a.O., S. 118.

90
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

und Auswirkung mehrerer wichtiger Initiativen bestimmte Stelle gelten nicht als Diskriminie-
untersucht. rung.
325. Die IFC verfügt zudem über einen Gute-
Die Förderung bewährter Praktiken unter Praxis-Leitfaden zur Nichtdiskriminierung und
Kreditnehmern durch kreditpolitische Chancengleichheit, der deutlich macht, dass sich
Maßnahmen Vielfalt ökonomisch rechnet 91 . Es folgte die
323. Die Institutionen für Entwicklungsfinanzie- Annahme der „Äquatorprinzipien“ durch etwa
rung (DFIs) (darunter internationale – globale wie 40 nationale Entwicklungsbanken, die rund
regionale – und nationale Finanzierungsinstitutio- 85 Prozent der weltweiten Kreditvergabe für Ent-
nen) begannen in den letzten Jahren damit, die wicklungsprojekte vertreten und sich verpflichte-
Folgen ihrer Kreditvergabepraxis im Umwelt- und ten, die IFC-Leistungsnormen bei der Finanzie-
im Sozialbereich zu untersuchen. Dazu gehört rung von Projekten mit einem Umfang von min-
auch die Förderung der Achtung der in den destens 10 Millionen US-Dollar anzuwenden 92.
internationalen Arbeitsnormen enthaltenen 326. Ähnlich ermutigende Entwicklungen gab es
Grundsätze bei den Beschäftigungspraktiken ihrer auch bei den regionalen Entwicklungsbanken. Im
Kunden. Die Internationale Finanz-Corporation Juni 2006 veröffentlichte die Interamerikanische
(IFC), die internationale Entwicklungsfinanzie- Entwicklungsbank sogar noch weiter reichende
rungsinstitution der Weltbankgruppe, verabschie- Anforderungen für die Anwendung internationaler
dete vor kurzem Leistungsnormen und Leitlinien Arbeitsnormen bei Infrastrukturprojekten, und die
zu Umwelt- und Sozialnormen, die auch eine Ver- Europäische Investitionsbank ging 2006 eine ver-
pflichtung der IFC enthalten, die Kernarbeitsnor- gleichbare Verpflichtung ein, während die Asiati-
men der IAO sowie die Normen zum Arbeits- sche Entwicklungsbank im Dezember 2006 ihr
schutz und zu Personalabbau anzuwenden. Die Handbuch über Kernarbeitsnormen veröffent-
Leistungsnormen legen Anforderungen fest, die lichte, das in enger Zusammenarbeit mit der IAO
der Kunde erfüllen muss, um die Unterstützung entstand 93 . In ähnlicher Weise erklärte auch der
der IFC zu erhalten; er verpflichtet sich darüber Präsident der Weltbank im Dezember 2006 gegen-
hinaus, geltende nationale Gesetze einzuhalten, über einer hochrangigen Gewerkschaftsdelegation,
wobei die Berufung auf internationale Normen als er wolle dafür sorgen, dass bei allen von der Bank
Orientierung dient. Die Leistungsnormen entstan- finanzierten Infrastrukturprojekten die Kernar-
den in Beratung mit zahlreichen Akteuren, allen beitsnormen der IAO geachtet werden, einschließ-
voran die IAO, und mit der aktiven Teilnahme des lich derer zu Nichtdiskriminierung und Gleichstel-
Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften lung. Fall dies realisiert wird, bedeutet es, dass
(IBFG). diese neue Anforderung bei Projekten von rund
324. Die Leistungsnorm 2 zu Arbeit und Arbeits- 8 Milliarden US-Dollar, die die Bank jedes Jahr
bedingungen enthält folgende Bestimmungen zur finanziert, einzuhalten ist.
Nichtdiskriminierung:
Die regionale Wirtschaftsintegration
Der Kunde trifft Beschäftigungsentscheidungen
nicht auf der Grundlage persönlicher Eigenschaf- und Freihandelsabkommen:
ten, die nichts mit den eigentlichen Arbeitsan- Ein uneinheitliches Bild
forderungen zu tun haben. Der Kunde gründet 327. Die regionale Wirtschaftsintegration und die
die Beschäftigungsbeziehung auf das Prinzip der Verbreitung von Freihandelsabkommen führten zu
Chancengleichheit und der gerechten Behand- unterschiedlichen inner- und zwischenstaatlichen
lung und diskriminiert nicht im Zusammenhang Beschäftigungsstrukturen. In den letzten Jahren
mit Aspekten der Beschäftigungsbeziehung, z. B. wurden in verschiedenen Bereichen Anstrengun-
in Bezug auf Anwerbung und Einstellung, Ent- gen unternommen, um die negativen sozialen Fol-
gelt (einschließlich Lohn und Sozialleistungen),
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, 91
Die Leistungsnormen und der Gute-Praxis-Leitfaden können
Zugang zu Ausbildung, Beförderung, Beendi- auf der Website der IFC eingesehen werden unter www.ifc.org.
gung der Beschäftigung oder Ruhestand und 92
Die ersten Äquatorprinzipien wurden im Oktober 2002 von
Disziplin. In Ländern, deren nationale Gesetze einer kleinen Gruppe von Banken und der IFC angenommen
Regeln zur Nichtdiskriminierung in der Beschäf- und am 4. Juli 2003 in Washington in die Wege geleitet. Im
tigung enthalten, hält sich der Kunde an die Juli 2006 wurden neue überarbeitete Äquatorprinzipien veröf-
nationale Gesetzgebung. Wenn die nationalen fentlicht, unter www.equator-principles.com.
Gesetze zur Nichtdiskriminierung in der 93
Inter-Amerikanische Entwicklungsbank (IDB): Managing
Beschäftigung schweigen, muss er sich an diese labour issues in infrastructure projects, unter www.iadb.org;
Leistungsnorm halten. Spezielle Schutz- oder Europäische Investitionsbank (EIB): The social assessment of
Hilfsmaßnahmen zur Korrektur vergangener Dis- projects outside the European Union: The approach of the
European Investment Bank, unter www.eib.org; Asiatische
kriminierung oder die auf der Sachanforderung Entwicklungsbank (ADB): Core labor standards handbook
des Arbeitsplatzes beruhende Auswahl für eine (Manila, 2006), unter www.adb.org.

91
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

gen des zunehmenden weltweiten Handels zu min- 332. Die Möglichkeit einer supranationalen Über-
dern. Im Vergleich zu den anderen Prinzipien und prüfung bei Verstößen gegen Arbeitsgesetze ist
Rechten bei der Arbeit wurde die Diskriminierung entscheidend, wenn man die Einhaltung grundle-
bislang allerdings nur unvollständig angegangen. gender Arbeitsrechte sicherstellen will. Einige
328. Freihandelsabkommen, definiert als zwi- Analysten merken an, dass im Fall des NAALC
schen zwei oder mehr Staaten abgeschlossene und des CCALC die Durchsetzung der Nichtdis-
internationale Vereinbarungen über gemeinsame kriminierung und der Gleichheit als nachgeordne-
Handels- oder Dienstleistungsfragen, unterschei- tes Recht behandelt wird. Diese Vereinbarungen
den sich von regionalen wirtschaftlichen Integra- sehen zwar die Möglichkeit vor, in Bezug auf
tionsabmachungen wie dem Gemeinsamen Markt Kinderarbeit, Mindestlohn, Gesundheit und
des Südens (MERCOSUR) und der EU, die einen Sicherheit Streitigkeiten zu lösen und Geldstrafen
breiten Katalog von Fragen behandeln und eine zu verhängen, dasselbe System gilt aber nicht für
tiefere Integrationswirkung und stärkeren geogra- die Nichtdiskriminierung und die Entgeltgleichheit
fischen Einfluss auf die Region haben. Da sich und andere grundlegende Prinzipien und Rechte
beide Konzepte und ihre Auswirkungen ähneln, bei der Arbeit 97.
werden sie gemeinsam untersucht. 333. Diskrepanzen beim Umgang mit der Diskri-
329. Die Einstellung der Handelsabkommen zur minierung in den verschiedenen Regionen ergeben
Diskriminierung ist uneinheitlich. In Nordamerika sich oft aus Unterschieden des nationalen Geset-
bezeichnen z. B. das Nordamerikanische Abkom- zeskontextes und der Machtstrukturen, auf denen
men über Arbeitszusammenarbeit (NAALC), das die regionalen Vereinbarungen aufbauen. Dies
Abkommen über Arbeitszusammenarbeit zwi- zeigt sich deutlich in der Behandlung der Gleich-
schen Kanada und Chile (CCALC) und das stellungsfragen in der EU, dem Nordamerikani-
Abkommen über Arbeitszusammenarbeit zwi- schen Freihandelsabkommen (NAFTA) und
schen Kanada und Costa Rica (CCRALC) aus- MERCOSUR. Während die EU ausführliche
drücklich Nichtdiskriminierung und gleiches Ent- Bestimmungen zur Nichtdiskriminierung und
gelt als Grundsätze und Rechte, zu deren Förde- Gleichheit angenommen hat, müssen MERCOSUR
rung sich die Parteien verpflichten 94. und NAFTA ähnlich umfassende Vorschriften erst
330. Andererseits bekräftigen die Parteien in bila- noch einführen 98.
teralen Freihandelsvereinbarungen der Vereinigten 334. Im Rahmen der EU sind diese Rechtsgrund-
Staaten, z. B. mit Jordanien, Singapur and Chile, sätze bereits durch ihre lange Existenz fest veran-
ihre „Verpflichtungen gemäß der IAO-Erklärung kert. Außerdem haben Funktionäre unter dem
über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei starken Einfluss mächtiger Frauengruppen sicher-
der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen 95 “ und gestellt, dass allgemein akzeptierte nationale
bestätigen damit den Grundsatz der Nichtdiskrimi- Rechtsnormen auch in regionalen Bestimmungen
nierung und Gleichheit bei der Arbeit, ohne aller- berücksichtigt wurden 99.
dings in der Liste der Grundsätze und Rechte, von 335. Im Fall von MERCOSUR war die Agenda
denen erwartet wird, dass die Parteien sie durch der Frauenrechte nicht ausreichend etabliert und
Einhaltung der entsprechenden nationalen Gesetz- die Frauengruppen verfügten nicht über eine aus-
gebung achten, ausdrücklich auf diese Prinzipien reichende regionale Vertretung, um die Bestim-
zu verweisen. Gelegentlich findet man jedoch in mungen der Vereinbarung beeinflussen zu kön-
denselben Vereinbarungen die Nichtdiskriminie- nen 100 . Immerhin ergab sich aus der MERCOSUR-
rung und Gleichstellung als Gegenstand der tech- Vereinbarung ein gewisser Fortschritt: Ein supra-
nischen Zusammenarbeit (siehe unten). nationaler dreigliedriger Ausschuss wurde einge-
331. Auch andere Vereinbarungen, die derzeit setzt, um MERCOSUR-Arbeitsgruppen im Hin-
verhandelt werden, scheinen die Frage der Diskri- blick auf Gleichstellungsfragen zu beeinflussen.
minierung eher zu vernachlässigen. Die fehlende Außerdem gibt es in den MERCOSUR-Ländern
Erwähnung der Diskriminierung bei der Arbeit dreigliedrige Ausschüsse auf nationaler Ebene, die
wird als entscheidender Mangel der wirtschaft- ihre Kapazität evaluieren, die generelle Berück-
lichen Partnerschaftsvereinbarungen genannt, die sichtigung von Gleichstellungsaspekten über die
von der Europäischen Union und 77 Ländern nationalen Arbeitsministerien zu gewährleisten.
Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums (AKP-
Staaten) verhandelt werden und im Januar 2008 in
Kraft treten sollen 96.
97
S. Polaski: „Protecting labor rights through trade agree-
ments: An analytical guide“, Journal of International Law and
Policy, Juli 2004, unter www.carnegieendowment.org/
publications/index.cfm?fa=view&id=15796.
94 98
Unter www.naalc.org bzw. www.hrsdc.gc.ca. F. Duina: The social construction of free trade: The Euro-
95
Unter www.ustr.gov. pean Union, NAFTA and MERCOSUR (Princeton N.J., Prin-
96 ceton University Press, 2006), S. 146.
K. Ulmer: „Are trade agreements with the EU beneficial to 99
women in Africa, the Caribbean and the Pacific?“, in Gender Ebd.
100
and Development, Jg. 12, Nr. 2 (Juli 2004). Ebd.

92
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

336. Obwohl das gesetzgeberische Umfeld des 338. Beim NAALC gab es ebenfalls einige Ver-
NAFTA-Abkommens relativ klar etabliert war, besserungen bezüglich diskriminierender Prakti-
schienen Frauengruppen in den Vereinigten Staa- ken. In einem wichtigen Fall leiteten mexikani-
ten und in Mexiko wenig Interesse an der Ausge- sche und US-amerikanische nichtstaatliche Orga-
staltung von NAFTA zu haben, und dies zeigt sich nisationen eine Klage ein, da Arbeitnehmerinnen
am Mangel substantieller Bestimmungen 101 . In gezwungen wurden, sich Schwangerschaftstests zu
Anbetracht der rasch zunehmenden Zahl von Ver- unterziehen, und bei einem positiven Befund ent-
einbarungen ist daher ein vorsichtiges Vorgehen lassen wurden. Diese Klagen führten zu einer
angeraten, um zu vermeiden, bestehende nationale Reihe von grenzüberschreitenden Arbeitstagun-
Ungleichgewichte in regionalen Vereinbarungen gen, bei denen das Problem besprochen und nach
zu replizieren. Interessengruppen sollten diese möglichen Lösungen gesucht wurde. In der Folge
Tendenz zur Kenntnis nehmen und sich bewusst verzichtete die mexikanische Regierung bei Mit-
sein, dass sie ihren Einfluss im supranationalen arbeiterinnen des öffentlichen Sektors auf diese
Bereich zum Tragen bringen müssen. Praxis 103.
337. Ein weiterer Punkt sind der Kapazitäts- 339. Das Bekenntnis zur IAO-Erklärung und zur
aufbau bzw. nachhaltige Verbesserungen beim technischen Zusammenarbeit ist eine klare
Vollzug der Arbeitsgesetze. Mehrere Vereinbarun- Demonstration der Absicht, grundlegende Arbeits-
gen (z. B. NAALC, das Freihandelsabkommen rechte zu schützen, aber die ausdrückliche Auf-
zwischen den Vereinigten Staaten und Chile nahme von Nichtdiskriminierung und Gleichstel-
(FTA) und CCALC) enthalten Mechanismen für lung in alle entsprechenden Bereiche von Handels-
Kapazitätsaufbau, und einige positive Entwicklun- abkommen und in alle Vollstreckungsvorschriften
gen sind sichtbar. Im Fall von CCALC einigten ist ebenso wichtig. Von ähnlicher Bedeutung ist
sich die Parteien, sich jedes Jahr zu treffen, um ein die Konzentration auf technische Unterstützung,
Programm kooperativer Tätigkeiten in Form von Kapazitätsaufbau und die Schaffung starker
Seminaren, technischer Arbeitstagungen, öffentli- Umsetzungsmechanismen und positiver Anreize.
cher Konferenzen und Besuche vor Ort auszuar- Gemeinsam tragen sie dazu bei zu gewährleisten,
beiten. Auf verschiedenen Konferenzen befasste dass die grundlegenden Arbeitsrechte im Prozess
man sich mit Fragen im Zusammenhang mit der der regionalen Wirtschaftsintegration umfassend
Diskriminierung bei der Arbeit, z. B. mit der berücksichtigt werden.
systemischen Diskriminierung und der beruflichen
Segregation, aber auch mit vorbildlichen Praktiken
bei Gesetzgebung, Maßnahmen, Programmen und
Vollzug 102.

101
Ebd.
102
Kanadische Regierung: Ministerial Council Report on the
three-year review of the Canada-Chile Agreement on Labour
Cooperation, Dez. 2002, unter www110.hrdc-drhc.gc.ca/psait_
103
spila/aicdt_ialc/2003_2004/report_english.htm. S. Polaski, a.a.O.

93
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

2. Die Sozialpartner in Bewegung

340. Der Bericht Gleichheit bei der Arbeit – ein (Teilzeit-, Aushilfs- und Vollzeitstellen), als
Gebot der Stunde hob hervor, dass das Ziel der Referenzbeispiele zu veröffentlichen 104.
Gleichheit bei der Arbeit für alle zu einem großen 344. Arbeitgeberverbände können auch dazu bei-
Teil vom überzeugten Engagement und der kon- tragen, Stellenvermittlungsdienste ohne Voreinge-
sequenten Handlungsweise der Arbeitgeber- und nommenheit hinsichtlich Geschlecht, Alter oder
Arbeitnehmerverbände abhängt. Der potenzielle Behinderung aufzubauen. In Neuseeland z. B.
Einfluss der Sozialpartner bei der Förderung der erarbeitete der Trust für Chancengleichheit in der
Gleichheit bei der Arbeit und über diese hinaus ist Beschäftigung (EEO), eine 1992 initiierte gemein-
von Bedeutung, da sie an der Gestaltung der same Initiative führender privater und öffentlicher
übergreifenden wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeitgeber, die sich für die Förderung des
Maßnahmen beteiligt sind, die wichtige Auswir- Bewusstseins der wirtschaftlichen Vorteile von
kungen auf die Struktur des Arbeitsmarkts wie Chancengleichheit am Arbeitsplatz engagiert,
auch auf die soziale Integration und den Abbau gemeinsam mit dem Verband der Einstellungs-
der Armut haben. und Beratungsdienste eine Veröffentlichung, die
341. Wie jede andere gesellschaftliche Institution sich an Beschäftigungsagenturen wendet und sich
neigen auch die Sozialpartner dazu, die in ihrem die Beseitigung diskriminierender Praktiken zum
Umfeld herrschenden diskriminierenden Praktiken Ziel gesetzt hat 105.
zu übernehmen. Ein Eingestehen dieser Praktiken 345. Weltweit erarbeitet eine wachsende Zahl von
und der Kampf gegen sie aus den eigenen Struk- Arbeitgeberverbänden Richtlinien und Werk-
turen heraus und im Rahmen von Kollektiv- zeuge, um ihre Mitgliedsunternehmen dabei zu
verhandlungen ist ein erster wichtiger Schritt in unterstützen, Pläne und Maßnahmen für ihre
die richtige Richtung. Arbeitsplätze auszuarbeiten, um die Chancen-
gleichheit für verschiedene Gruppen zu gewähr-
Die Arbeitgeberverbände leisten. Ein interessantes Beispiel ist der Behin-
dertenstandard 2005 und 2007 vom Arbeitgeber-
342. Arbeitgeber, ihre Verbände und die Politiken
forum für Behinderungsfragen, einem Arbeitge-
und Praktiken der Humanressourcenentwicklung
berverband, dessen etwa 400 Mitglieder rund
und Unternehmensführung, die sie bei ihrer Arbeit
20 Prozent der Arbeitskräfte des Vereinigten
einsetzen, spielen bei der Überwindung der Dis-
Königreichs beschäftigen 106 . Der Behinderten-
kriminierung bei der Arbeit eine entscheidende
standard ist ein Benchmarking-Werkzeug, das die
Rolle.
Leistung von Arbeitgebern und Dienstleistungs-
343. Die Einstellungspraktiken und Maßnahmen,
anbietern im Bereich der Behinderung bewertet:
mit deren Hilfe der am besten geeignete Kandidat
Das Ziel ist, Unternehmen dabei zu unterstützen
für einen Arbeitsplatz ausgewählt wird, sind aus-
festzustellen, wo sie stehen, was sie verbessern
schlaggebend für den Erfolg eines Unternehmens.
müssen und wie sie dies erreichen können. Der
Außerdem erschließen diese Praktiken bei einem
Leistungsvergleich dauert acht Wochen, während
Mangel an qualifizierten Mitarbeitern brachlie-
derer die Teilnehmer einen ausführlichen diagno-
gende Quellen verschiedenartiger Talente. Stellen-
stischen Bericht über ihre Leistung erhalten, die
ausschreibungen sind ein wichtiger Bestandteil
mit der der anderen Teilnehmer verglichen wird.
von Einstellungspraktiken, und ihre richtige Gestal-
2005 nahmen 80 Mitglieder teil; 26 von ihnen
tung ist ein erster Schritt, um die am besten
bewerteten auch ihre Leistung in Bezug auf Rasse
qualifizierten Bewerber anzuziehen und gleich-
und Gleichstellung. Die vollständigen Ergebnisse
zeitig kostspieligen Diskriminierungsfällen vorzu-
wurden in einem Bericht veröffentlicht, der zu
beugen. Der Nationale Arbeitgeberverband von
dem Schluss kam, dass die Unternehmen bedeu-
Singapur (SNEF) bietet ein interessantes Beispiel,
tend weniger in den Bereich der Behinderung als
wie diese Probleme durch Zusammenarbeit der
in die Förderung der Gleichstellung der Rassen
drei beteiligten Parteien, durch Aufklärung und
und der Geschlechter investieren 107.
durch eine Vorbildfunktion angepackt werden
können. Als Teil der umfassenden nationalen
Kampagne für verantwortungsbewusste Stellen-
104
ausschreibungen verteilt der SNEF dreigliedrige Siehe www.sgemployers.com.
105
Richtlinien über nicht diskriminierende Stellen- Top Drawer Consultants: Tools for tapping into talent: A
ausschreibungen. Der Verband fordert seine Mit- training resource for recruitment consultants (Auckland, EEO
Trust).
glieder auf, auf seinen Webseiten nicht diskrimi- 106
nierende Anzeigen für unterschiedliche Berufska- Siehe www.employers-forum.co.uk.
107
tegorien und eine unterschiedliche Vertragsdauer Employers’ Forum on Disability: The Disability Standard
2005: Benchmark report.

94
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

346. Die Gleichstellung und insbesondere Fragen Veröffentlichung Ansätze und Maßnahmen für die
wie sexuelle Belästigung, die Vereinbarkeit von Förderung des Unternehmertums: Ein Leitfaden
Arbeit und Familie oder die Förderung des für Arbeitgeberverbände definiert die Internatio-
gleichen Zugangs und der gleichen Möglichkeiten nale Arbeitgeber-Organisation die Hindernisse, die
zur beruflichen Entwicklung für Frauen und dem Entwicklungspotenzial und der Ausweitung
Männer finden in den Arbeitnehmerverbänden der Geschäftstätigkeit von Unternehmerinnen ent-
zunehmend Beachtung. In Sri Lanka zeigt sich gegenstehen und erläutert, wie die Arbeitgeber-
dieses Anliegen in den vom Arbeitgeberverband verbände für bessere Vertretung und Unter-
von Ceylon (EFC) in Zusammenarbeit mit der stützung sorgen können 111.
IAO 2006 entwickelten Richtlinien für die Unter-
nehmenspolitik zur Geschlechtergleichstellung Trends in der gewerkschaftlichen
(siehe Teil IV, Kapitel 1, Abschnitt über die Organisierung
Förderung der Chancengleichheit bei der Arbeit).
Auch in Kenia bemüht sich der Verband der 349. Die Zunahme der Vertretung von traditionell
Arbeitgeber Kenias (FKE), der sich und seine Mit- unterrepräsentierten Gruppen in der Mitgliedschaft
gliedsverbände als positiv diskriminierende und Führungspositionen der Gewerkschaften
Arbeitgeber vorstellt, bei der Zusammensetzung scheint ein Indiz für stärker integrierte Organisa-
seines Vorstands um Ausgewogenheit der tionsstrategien und demokratischere Strukturen zu
Geschlechter, obwohl er sich bewusst ist, dass sein. Diesbezügliche Daten sind jedoch lückenhaft
diese Vorgabe in Anbetracht der geringen Zahl und oft ungenau und rücken eher die geschlechts-
von Geschäftsführerinnen schwer zu erfüllen sein spezifische Ungleichheit auf der Mitglieds- und
wird. Bezüglich der sexuellen Belästigung ermu- Führungsebene der Gewerkschaften in den Mittel-
tigt der FKE seine Mitgliedsverbände, eine diesbe- punkt als Ungleichheiten aus Gründen der Rasse
zügliche Politik anzunehmen, und er informiert und der Behinderung.
über deren wichtigsten Ziele und Elemente. Dies 350. Die verfügbaren Informationen deuten in
geht über die Bestimmungen des Beamtenethikge- einigen Ländern und in bestimmten Sektoren auf
setzes von 2003 hinaus, das sexuelle Belästigung eine anhaltende Tendenz in Richtung auf eine
zu einer Straftat macht, aber ausschließlich für Zunahme der Mitgliedschaft von Frauen in
Beamte gilt 108. Gewerkschaften. Eine 2005 publizierte Studie des
347. In den Philippinen ergriff der Verband der IAA, die die Mitgliedschaft in Gewerkschaften
philippinischen Arbeitgeber (ECOP) eine Reihe und den Erfassungsgrad durch Kollektivverhand-
von Initiativen; sie reichen von der Dokumen- lungen in einer Reihe Ländern untersuchte, stellt
tation und Verbreitung guter Praktiken bis hin zu fest, dass die Dichte von Arbeitnehmerinnen bei
Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Berufs- und der Gewerkschaftszugehörigkeit in etwa der Hälfte
Privatleben, der Durchführung von Kosten- der in unterschiedlichen Regionen untersuchten
Nutzen-Analysen dieser Programme und der Länder über der der Männer lag (für Angaben zu
Netzwerkarbeit mit Agenturen wie dem Personal- einzelnen Ländern siehe Übersicht 3.6) 112 . Eine
verwaltungsverband der Philippinen (PMAP). weitere Studie aus letzter Zeit bestätigt diese Ten-
Diese Initiativen sollen die Mitgliedsorganisatio- denz in der industrialisierten Welt: In Kanada,
nen davon überzeugen, dass die Annahme von dem Vereinigten Königreich und Irland ist der
Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und gewerkschaftliche Organisationsgrad von Männern
Familie für die betroffenen Arbeitnehmer und ihre und Frauen in etwa gleich, während in Schweden,
Familien wie auch für die Unternehmen selbst und Norwegen und Finnland der Frauenanteil sogar
die Kundenzufriedenheit sinnvoll ist 109 . Der höher liegt 113.
erwähnte EEO-Trust in Neuseeland fördert Maß- 351. Dieser rapide Anstieg bei der Gewerk-
nahmen zum Abbau von Spannungen zwischen schaftsmitgliedschaft von Frauen und deren Orga-
Arbeits- und Familienleben, indem er jedes Jahr nisationsdichte in bestimmten Ländern und Sek-
herausragende Leistungen von Arbeitgebern in toren ist ein Beleg für die wachsende Einbindung
diesem Bereich mit dem Arbeits- und Lebenspreis von Frauen in die bezahlte Arbeit, einen höheren
des EEO-Trusts auszeichnet 110.
348. Die Internationale Arbeitgeber-Organisation 111
Vorlage der IOE zur Jahresüberprüfung 2007 im Rahmen
(IOE) entwickelt eine umfassende Wissensdaten- der Folgemaßnahmen zur Erklärung; siehe auch www.ioe-
bank im Bereich der Gleichstellung und der emp.org/en/policy-areas/gender/index. html.
entsprechenden IAO-Übereinkommen. In ihrer 112
S. Lawrence; J. Ishikawa: Social dialogue indicators –
Trade union membership and collective bargaining coverage:
108
Statistical concepts, methods and findings, Arbeitspapier
IAA: Employers’ organizations taking the lead on gender Nr. 59, Hauptabteilung Integration von Grundsatzpolitik, Büro
equality: Case studies from 10 countries (Genf, 2005), für Statistik und Hauptabteilung Sozialer Dialog, Arbeitsrecht
ACT/EMP, Nr. 43, S.36-37. und Arbeitsverwaltung (Genf, IAA, 2005).
109
Ebd., S.62-66. 113
J. Visser: „Union membership statistics in 24 countries”, in
110
Siehe www.eeotrust.org.nz. Monthly Labour Review, Jan. 2006, Tab. 4, S. 46.

95
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Anteil von Frauen im Öffentlichen Dienst in 32 Prozent zwischen gewerkschaftlich organisier-


Entwicklungs- wie in Industrieländern und die ten und nicht organisierten schwarzen Arbeitneh-
Einführung von Maßnahmen zur Förderung der mern ist es durchaus sinnvoll, Minderheit en ange-
Chancengleichheit. Die Ausweitung der Gewerk- hörende Arbeitnehmer zu vertreten 119 . Auch in
schaftsaktivitäten im bisher gewerkschaftlich eher den Vereinigten Staaten gehörten 2003 die afro-
gering organisierten Dienstleistungssektor und der amerikanischen Schwarzen sowohl bei den
Rückgang der Mitgliedszahlen im von Männern Männern (18 Prozent) wie bei den Frauen (15 Pro-
beherrschten Fertigungssektor haben vermutlich zent) (gegenüber 14 Prozent bei weißen Männern
ebenfalls zur zunehmenden Dichte der gewerk- und 11 Prozent bei weißen Frauen) zu den
schaftlichen Organisierung von Frauen beige- gewerkschaftlich am stärksten organisierten
tragen 114. Gruppen 120.
352. Um aus der Zunahme der Gewerkschafts- 355. In Frankreich arbeiten die Gewerkschaften
mitgliedschaft von Frauen Nutzen ziehen können, als Reaktion auf die sozialen Unruhen in den Vor-
müssen sich die Gewerkschaften dringend der spe- städten Ende 2005 daran, die Vertretung der ethni-
ziellen Umstände der Arbeitnehmerinnen anneh- schen Minderheiten innerhalb ihrer inneren Struk-
men, z. B. der geschlechtsspezifischen Benach- turen zu verbessern, um die Fähigkeit der Arbei-
teiligung in Lohnstrukturen und Systemen zur terbewegung zu stärken, sich deren Notlage am
Lohnfestsetzung oder der ungleichen Behandlung Arbeitsplatz anzunehmen. Der Allgemeine Arbeit-
von Gelegenheits- und Teilzeitarbeitnehmern, nehmerverband (CGT) hat Schritte unternommen,
unter denen Frauen den größten Anteil stellen 115. die Anzahl der Immigranten in seinem Exekutiv-
Die von der Internationale der öffentlichen ausschuss zu erhöhen; der Französische Demo-
Dienste (IÖD) im Oktober 2002 gestartete kratische Gewerkschaftsbund (CFDT) führte eine
weltweite Fünfjahreskampagne zur Entgeltgleich- Untersuchung über das Ausmaß der rassisch
heit zeigt, dass sich die Entgeltgerechtigkeit, bedingten Diskriminierung bei der Arbeit durch,
indem sie zu Lohnzuwächsen bei weiblichen um seine Mitglieder aufzuklären deren Denkweise
Mitgliedern führt, als effektive Organisations- zu ändern, und die Nationale Union Autonomer
strategie für Arbeitnehmerinnen mit positiven Gewerkschaften (UNSA) wandelte ihre Satzung
Auswirkungen für die Gewerkschaft insgesamt ab und engagierte sich bei der Ausbildung ihrer
nutzen lässt 116. Vertreter in Fragen der Nichtdiskriminierung und
353. Die Anstrengungen der nationalen und inter- der Gleichheit 121.
nationalen Arbeitnehmerbewegung, mit unkon- 356. In São Paulo in Brasilien unterzeichnete die
ventionellen Organisationsstrategien und -formen Gewerkschaft der Arbeitnehmer im Handel eine
nicht organisierte und für Diskriminierung beson- Kollektivvereinbarung mit einem der größten
ders anfällige Arbeitnehmer, z. B. informell Handelsunternehmen der Stadt, derzufolge 20 Pro-
Beschäftigte, einzubeziehen, ist eine weitere ermu- zent der Stellen mit schwarzen Arbeitnehmern
tigende Entwicklung. Ein gutes Beispiel ist der besetzt werden.
kürzlich erfolgte Anschluss der Vereinigung der
selbstständig erwerbstätigen Frauen (SEWA) an Kollektivverhandlungen: Was ist neu?
den IBFG im Jahr 2006 117. SEWA ist inzwischen
Mitglied des neuen Internationalen Gewerk-
schaftsbundes (IGB). Arbeit und Familie
354. In einigen Industrieländern scheinen rassi- 357. Vor allem in den Industrieländern setzt eine
sche und ethnische Minderheiten durch Gewerk- wachsende Zahl von Gewerkschaften die Frage
schaften besser vertreten zu sein. So war im von Maßnahmen für Vereinbarkeit von Arbeit und
Vereinigten Königreich in den letzten zehn Jahren Familie auf ihre Verhandlungsagenda, da sie dies
der gewerkschaftliche Organisationsgrad der für ein effektives Mittel zur Erhöhung der
Schwarzen (33 Prozent) unter allen Gruppen
einschließlich der Weißen (29 Prozent) am höch-
sten 118. In Anbetracht eines Lohnunterschieds von H. Holt: Trade union membership 2004 (London, Ministerium
für Handel und Industrie, 2005), unter www.dti.gov.uk.
119
114 Siehe Kommission für Gleichstellung der Rassen (CRE):
Statistics Canada: „Study: The union movement in transi-
„TUC Black Workers Conference – Trevor Phillips’ speech“,
tion”, in The Daily, 31. Aug. 2004, unter www.statcan.ca/ 12. Apr. 2003, unter www.cre.gov.uk/Default.aspx.LocID-0hg
Daily/English/040831/d040831b.htm. new04y.RefLocID-0hg00900c002.Lang-EN.htm.
115
J. Visser, a.a.O., S. 47. 120
Amerikanischer Gewerkschaftsbund und Kongress der
116
Siehe A. Hegewisch; S. Hammond; K. Valladares, a.a.O. Industriegewerkschaften (AFL-CIO): „The Union difference:
117
Self-Employed Women’s Association (SEWA): „SEWA Unions are important for minorities“, unter www.aflcio.org/
Joins the ICFTU”, electronic newsletter, Nr. 8, Juli 2006, unter joinaunion/why/uniondifference/uniondiff12.cfm.
www.sewa.org/newsletter/enews8.htm. 121
Novethic.fr: Les syndicats cherchent à mieux représenter
118
H. Grainger: Trade union membership 2005, (London, les minoritiés ethniques, unter www.novethic.fr/novethic/site/
Department of Trade and Industry, 2006); H. Grainger; dossier/index.jsp?id=99341.

96
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Übersicht 3.6. Gewerkschaftsdichte nach Geschlecht und Sektor, ausgewählte Länder


(in Prozent)

Nach Sektor (Mitgliedschaft insgesamt/unselbstständige Arbeit)


Dichte insgesamt
(Gesamtmitglied- Ferti-
schaft/unselbst- gungs- Ö Öffentliche
Land Jahr Geschlecht ständige Arbeit)* Landwirtschaft sektor Bauwirtschaft Dienste

M 44,5 76,1 11,5 4,3 47,3


Mauritius 2002 W 26,6 68,9 7,3 0.2 18,2
Gesamt 38 74,6 9,2 4,1 38,3
M 30 k.A. k.A. k.A. k.A.
Brasilien 2001 W 25,1 k.A. k.A. k.A. k.A.
Gesamt 27,9 k.A. k.A. k.A. k.A.
M 30,5 15,8 33,9 36,5 16,8
Kanada 2003 W 30 5,3 19,2 5,2 12
Gesamt 30,3 13,1 29,7 32,9 14,4
M 45,2 k.A. k.A. k.A. k.A.
Ägypten 2003 W 32,5 k.A. k.A. k.A. k.A.
Gesamt 42,8 k.A. k.A. k.A. k.A.
M 12,2 6 13,4 2,4 10,3
Ungarn* 2003 W 16,3 7,7 14 7,6 9,2
Gesamt 14,1 6,4 13,6 2,8 9,8
M 39 11 42,7 34,4 71
Irland 2003 W 36 5 36,3 14,3 27,1
Gesamt 37,6 10 40,7 33,3 41,6
M 3,6 k.A. k.A. k.A. k.A.
Philippinen 2003 W 2,7 k.A. k.A. k.A. k.A.
Gesamt 3,2 k.A. k.A. k.A. k.A.
* Kennzahl für die Beschäftigung ist mit Ausnahme Ungarns, wo nur die registrierte Beschäftigung für die Dichte nach Sektor verfügbar ist, die
unselbstständige Arbeit; im Fall der Gesamtdichte wurde die Gesamtbeschäftigung als Kennzahl benutzt.
k.A. = keine Angabe
Quelle: S. Lawrence; J. Ishikawa: Social dialogue indicators – Trade union membership and collective bargaining coverage: Statistical concepts,
methods and findings, Arbeitspapier Nr. 59, Hauptabteilung Integration von Grundsatzpolitik, Büro für Statistik und Hauptabteilung Sozialer
Dialog, Arbeitsrecht und Arbeitsverwaltung (Genf, IAA, 2005).

Mitgliedschaft hält (Kasten 3.13). In Latein- diese Themen allerdings nicht auf der Tagesord-
amerika ist der beginnende Fortschritt daran abzu- nung von Kollektivverhandlungen 122.
sehen, dass in Kollektivvereinbarungen Klauseln
auftauchen, die über die Vorgaben der nationalen
Gesetzgebung hinausgehen (Kasten 3.14).
358. In vielen anderen Ländern, auch in neuen
Mitgliedsländern der EU wie Zypern, der Tschechi- 122
Europäische Stiftung zur Verbesserung der Arbeits- und
schen Republik, Estland und Rumänien stehen Lebensbedingungen (Eurofound): „Reconciliation of work and
family and collective bargaining in the European Union“,
(Dublin, 2006), unter: www.eiro.eurofound.eu.int.

97
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 3.13
Regelungen für die Familienbetreuung in Gesamtarbeitsverträgen

Finnland
Einige sektorale Verträge verbessern den Anspruch der Arbeitnehmer auf kurze Fehlzeiten bei der Arbeit, wenn Kinder
unter zehn Jahren krank werden.
Griechenland
Der nationale Gesamtarbeitsvertrag von 1999, der 4.000 Arbeitnehmer in allen Notarbüros erfasst, gewährt erwerbstätigen
Müttern in den ersten beiden Jahren täglich zwei bezahlte Freistunden und in den folgenden zwei Jahren eine bezahlte
Freistunde; der Vater darf diese Zeit nutzen, wenn die Mutter es nicht tut. Cosmote, ein Mobiltelefonunternehmen, gibt
seinen Mitarbeitern jährlich 32 Stunden Urlaub für die Überwachung der Entwicklung der Kinder in der Schule.
Italien
Gesamtarbeitsverträge auf Unternehmensebene geben den Mitarbeitern Zeit für die Versorgung kranker Familienmitglieder
oder behinderter oder drogensüchtiger Kinder.
Kanada
Urlaubsregelungen für Mitarbeiter, die Familienmitglieder bei Arztterminen, Schul- und Universitätsabschlüssen oder
Gerichtsterminen begleiten, finden sich in Gesamtarbeitsverträgen des öffentlichen und des privaten Sektors.
Quellen: Finnland, Griechenland, Italien – Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen: „Reconciliation of
work and family and collective bargaining in the EU“ (Dublin, 2006), unter www.eiro.eurofound.eu.int; Kanada – K. Bentham: „Labour’s
collective bargaining record on women and family issues“, in G. Hunt; D. Rayside (Hrsg): Equalizing labour: Union response to equity in
Canada (University of Toronto Press, erscheint in Kürze).

359. Die Finanzierung und Einrichtung von Kin- neunziger Jahren bedeutet dies eine Vier-
derbetreuungseinrichtungen vor Ort entspricht in fachung 125.
Ländern mit institutionalisierten Kollektivver- 360. In Italien ist in mehreren betrieblichen Ver-
handlungssystemen einem Trend, und solche Maß- einbarungen die Einführung von Mutter- und Vater-
nahmen gehen inzwischen auch in Lateinamerika schaftsberatern vorgesehen, deren Aufgabe es ist,
gelegentlich über die gesetzlichen Vorschriften mit abwesenden Mitarbeitern in Kontakt zu blei-
hinaus (Kasten 3.14). In Brasilien sind es aller- ben oder für nach dem Mutterschafts- oder einem
dings nur die großen Unternehmen, in denen die langen Elternurlaub zurückkehrende Arbeitnehmer
Gewerkschaften aktiver sind, die zunehmend eine Fortbildungs- oder Auffrischkurse zu organisie-
Krippenversorgung anbieten. In der EU sieht ein ren 126.
Gesamtarbeitsvertrag auf Unternehmensebene für 361. In allen Industrieländern nehmen Teilzeit-
18.500 Telekommunikationsarbeitnehmer in Grie- arbeit, Gelegenheitsarbeit, Telearbeit und andere
chenland eine Kostenübernahme der Kinderbe- flexible Regelungen rasch zu; all diese Formen der
treuung vor 123. Eine Untersuchung von Gesamtar- Arbeit haben einerseits den Vorteil der Verein-
beitsverträgen in Italien fand zahlreiche Kinder- barkeit von Arbeits- und Familienleben, weisen
betreuungseinrichtungen in Unternehmen, vor andererseits aber auch möglicherweise Nachteile
allem bei großen Organisationen mit einem hohen auf bezüglich Arbeitsplatzsicherheit und gewerk-
Anteil weiblicher Mitarbeiter wie z. B. Kranken- schaftlicher Organisation. In Kanada gab es bei
häuser, Callcenter und Versicherungsunterneh- den Leistungen der Krankenversicherung, den
men 124 . 2003 beobachtete eine Untersuchung in Krankenzeiten, Urlaubsleistungen und bezahltem
den Niederlanden einen deutlichen Anstieg der Urlaub Fortschritte für Teilzeitarbeitnehmer,
Zahl der Gesamtarbeitsverträge mit Regelungen während bei Pensionen, Arbeitsplatzsicherheit und
zur Kinderbetreuung, wobei 85 Prozent der Gesamt- Bezahlung kaum Fortschritte zu verzeichnen
arbeitsverträge in großen Unternehmen und waren 127.
40 Prozent der Verträge in kleineren Unternehmen
solche Maßnahmen vorsehen. Gegenüber den
125
Ebd., S. 43-44.
126
Ebd., S. 37.
127
123
Siehe Manitoba Federation of Labour: Brief to the House of
Ebd., S. 23. Commons Federal Labour Standards Review Commission
124
Ebd., S. 37. (Sept. 2005), unter www.fls-ntf.gc.ca/en/sub_fb_25.asp.

98
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.14
Klauseln zu Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in Gesamtarbeitsverträgen,
ausgewählte lateinamerikanische Länder, 1996-2001

Schwangerschaft
z Verlängerung des Zeitraums, in dem schwangere Frauen vor Entlassung geschützt sind (Brasilien).
z Reduzierung der Arbeitsstunden für schwangere Frauen (Brasilien).
z Freistunden für pränatale Untersuchungen (Brasilien).
z Urlaub und Entlassungsschutz bei einer Fehlgeburt (Brasilien).
Mutterschaftsurlaub
z Zahlung von Lohnzuschlägen (Paraguay) und volle Lohngarantie während der Mutterschaftsurlaubs (Uruguay).
z Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs auf bis zu 36 Tage nach dem gesetzlich festgelegten Anspruch (Paraguay).
z Mutterschaftsurlaub vor der Geburt (Argentinien).
z Verlängerung des Urlaubs bei Mehrfachgeburten und behinderten Kindern (Argentinien).
Stillen
z Verlängerung der täglichen Stillpausen (Argentinien, Paraguay, Uruguay).
z Verlängerung des Zeitraums, in dem täglich gestillt werden darf (Brasilien, Uruguay).
Kinderbetreuung
z Urlaub, um Kinder aus gesundheitlichen oder schulischen Gründen zu begleiten (Brasilien).
z Bis zu vier Stunden Urlaub täglich, falls ein Kind unter einem Jahr krank wird (Chile).
z Verlängerung des Anspruchs auf Sozialleistungen für die Kinderbetreuung (Brasilien und Paraguay).
Vaterschaftsurlaub
z Einführung des Vaterschaftsurlaubs (Uruguay und Venezuela).
z Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs (Brasilien, Chile, Paraguay).
z Entlassungsschutz von Vätern bei der Geburt von Kindern (Brasilien).
z Ausweitung von Kinderbetreuungsansprüchen auf den Vater (Brasilien).
Adoption
z Ausweitung von Ansprüchen auf Adoptivväter und -mütter (Brasilien, Paraguay).
Betreuungsurlaub
z Urlaub bei schwerer Erkrankung von engen Verwandten (Chile, Paraguay).

Quelle: L. Abramo; M. Rangel: Negociação coletiva e igualdade de gênero na América Latina (Brasilia, IAA, 2005), S. 49.

362. Die Telearbeit ist heute für die Sozialpartner 363. Beim Mutterschafts- und Elternurlaub gibt
in zahlreichen EU-Ländern Gegenstand von Kol- es in letzter Zeit eine Tendenz zur Erweiterung
lektivverhandlungen, darunter Norwegen, Spanien von Familienbetreuungsregelungen wie Erziehungs-
und das Vereinigte Königreich. In Irland und urlaub, Elternurlaubsleistungen und Vaterschafts-
Portugal sind die Gewerkschaften zurückhaltend urlaub über das hinaus, was im Gesetz vorgesehen
bei ihrer Unterstützung von Telearbeit und flexib- ist. In Kanada sieht z. B. die Gesetzgebung die
len Arbeitsvereinbarungen, denn sie fürchten, dass Zahlung von bis zu 55 Prozent des Arbeitnehmer-
diese Entwicklung allzu prekäre Arbeitsbezie- lohns vor, aber in zahlreichen Kollektivvereinba-
hungen begünstigt. Obwohl Telearbeitsvereinba- rungen wird dieser Betrag auf bis zu 93 Prozent
rungen in Irland selten sind, erstellte eine Reihe angehoben 129 . Formen des Urlaubs, die für
von Gewerkschaften Richtlinien für diesbezüg- Kinder- oder Altenbetreuung genutzt werden,
liche Verhandlungen mit Arbeitgebern 128.
129
Siehe Kanadische Regierung: „Work and family provisions
in Canadian collective agreements“, Kap. II, A. Mutterschafts-
128
Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und urlaub, unter www.hrsdc.gc.ca/asp/gateway.asp?hr=/en/lp/
Arbeitsbedingungen, a.a.O., S. 28 und 47. spila/wlb/wfp/11Maternity_Leave.shtml&hs=.

99
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

werden ebenfalls immer alltäglicher. Dies ist vor kanadischen Kollektivvereinbarungen eher selten
allem für die „Sandwich-Generation“ wichtig, die zu finden sind 134.
für alte Eltern und für Kinder zu sorgen hat 130. 368. Ein weiterer für die Größe des geschlechts-
364. Eine weitere sich deutlich abzeichnende spezifischen Lohngefälles wichtiger Faktor ist die
Tendenz ist die Ausweitung der Urlaubsregelun- Ebene, auf welcher der Gesamtarbeitsvertrag ver-
gen für Väter. In Brasilien, Chile und Paraguay handelt wird, d.h. die Unternehmens- oder Sektor-
sehen Gesamtarbeitsverträge Vaterschaftsurlaub ebene, sowie der Grad der Koordinierung zwi-
vor, der über die gesetzlichen Anforderungen schen den verschiedenen Verhandlungsebenen. Je
hinausgeht. Wie bereits erwähnt, nutzen Väter stärker die Kollektivverhandlungen dezentralisiert
diese Regelungen seltener als Mütter, da es wegen sind, desto größer sind die Lohnunterschiede und
des geschlechtsspezifischen Lohngefälles aus das geschlechtsspezifische Lohngefälle 135.
wirtschaftlichen Gründen für die Familie oft sinn- 369. Mit dem wachsenden Engagement für
voller ist, wenn Frauen den Urlaub nehmen 131 . gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit müssen
Das Fehlen einer sorgfältig ausgearbeiteten Vater- die Sozialpartner nun nach neuen Wegen suchen,
schaftsurlaubsregelung bestärkt unter Umständen diesem Recht innerhalb und außerhalb des
die Rolle der Frau als Hauptverantwortliche für Rahmens der Kollektivverhandlungen Wirkung zu
die Kindererziehung und trägt auf diese Art, wie in verschaffen. Die von der IÖD 2002 eingeführte
Irland zu beobachten ist, zur geschlechtsspezifi- und kürzlich evaluierte Lohngerechtigkeitskam-
schen beruflichen Segregation bei 132. pagne gibt in diesem Zusammenhang einige nütz-
365. Eine weitere Stärkung der Urlaubsregelun- liche Hinweise 136 (Kasten 3.16).
gen für Väter, die Ermutigung der Väter, diese
auch anzunehmen, und die Beschäftigung mit dem Behinderung
geschlechtsspezifischen Lohngefälle und der be- 370. In den meisten europäischen Ländern ent-
ruflichen Segregation sind für die Umsetzung der halten einige Gesamtarbeitsverträge Regelungen
Ziele der Elternurlaubsregelungen unerlässlich. zum Thema Behinderung auf Sektor- oder Unter-
nehmensebene. Im Vereinigten Königreich werden
Entgeltgerechtigkeit Behinderungsfragen oft in einem beratenden Rah-
men auf der Arbeitsplatzebene behandelt, wobei
366. Wie bereits erwähnt, gibt es vor allem in den Maßnahmen zur Sicherung der Chancengleichheit
Industrieländern einen klaren Trend, die Entgelt- gemeinsam ausgearbeitet werden. Auf nationaler
gerechtigkeit in die Gesamtarbeitsverträgen einzu- Ebene enthalten die meisten Vereinbarungen im
beziehen (Kasten 3.15). öffentlichen Sektor eine Chancengleichheitsklau-
367. Die Einbeziehung der Lohngerechtigkeits- sel mit Bezug auf Behinderung. In Norwegen
forderungen in solche Vereinbarungen ist ein enthalten zahlreiche Vereinbarungen spezifische
wichtiges Zeichen dafür, dass die Beseitigung der Klauseln zur Anpassung von Arbeitsplätzen an
geschlechtsspezifischen Diskriminierung beim ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit
Entgelt ein zentraler Punkt für das Erreichen der Gesundheitsbeeinträchtigungen, und in den Nie-
Gleichstellung bei der Arbeit ist. Wenn man das derlanden enthält ein Drittel der Vereinbarungen
Thema allerdings ausschließlich dem Rahmen der Bestimmungen zu Fragen der Wiedereingliede-
Kollektivverhandlungen überlässt, besteht das rung und Auswahl von Menschen mit Behinderun-
Risiko, dass die Lohngerechtigkeit anderen Anlie- gen 137.
gen untergeordnet wird. 2004 zeigte eine Unter- 371. In Belgien enthalten vier nationale Sektor-
suchung des Lohngerechtigkeitssystems in vereinbarungen Bestimmungen zu Behinderungs-
Kanada, dass die Gewerkschaft oder die Arbeit- fragen, und in Irland zeigen die Sozialpartner ein
geber eher zu Kompromissen neigen oder das Ziel starkes Interesse, die Bedürfnisse von Menschen
der Lohngerechtigkeit gänzlich aufgeben, da es
wichtiger erscheint, einen „Deal“ abzuschlie-
ßen 133 . Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass
Garantien für geschlechtsneutrale Lohnsysteme in
134
K. Bentham: a.a.O.
135
J. Plantenga; C. Remery: “The gender pay gap. Origins and
policy responses”, Synthesebericht der Koordinatoren für das
130
Gleichstellungsreferat, Europäische Kommission (EU-Exper-
K. Bentham: „Labour’s collective bargaining record on tengruppe für Gleichstellung, soziale Eingliederung und
women and family issues”, in. G. Hunt; D. Rayside, (Hrsg.): Beschäftigung, Juli 2006), unter www.retepariopportunita.it/
Equalizing Labour: Union response to equity in Canada Rete_Pari_Opportunita/UserFiles/news/report_pay_gap_econo
(University of Toronto Press, erscheint in Kürze). mic_experts.pdf.
131
Ebd. 136
A. Hegewisch; S. Hammond; K. Valladares, a.a.O.
132
Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und 137
EIROnline: „Workers with disabilities: Law, bargaining
Arbeitsbedingungen, a.a.O., S. 29. and the social partners”, 2001, unter www.eiro.eurofound.
133
Pay Equity Task Force, a.a.O. eu.int/2001/02/study/tn0102201s.html.

100
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.15
Verhandlungen für Lohngerechtigkeit: Entwicklungen der letzen Zeit

In Zypern schickten das Arbeitsministerium und die Sozialversicherungsbehörde einen Rundbrief an alle Sozialpartner mit
der Bitte, die Bestimmungen der Gesamtarbeitsverträge, die nicht mit dem Entgeltgerechtigkeitsgesetz von 2002 in
Einklang stehen, zu überprüfen und entsprechend abzuändern.
In Frankreich setzt das Gesetz Nr. 2006-340 vom 23. März 2006 über die Lohngleichheit von Männern und Frauen ein
Fünfjahresziel für die Beseitigung des Entgeltgefälles fest (31. Dezember 2010). Es stärkt die bestehende Verpflichtung der
Arbeitgeber, Verhandlungen über die berufliche Gleichheit durch die Einführung von Maßnahmen zu führen, die z. B. dem
Arbeitsminister erlauben, einzugreifen und Verhandlungen einzuleiten, wo diese noch nicht stattfanden, und solche
Verhandlungen zwingend vorzuschreiben, bevor ein Gesamtarbeitsvertrag in Kraft treten kann. Das Gesetz strebt außer-
dem die bessere Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben und die Verbesserung des Zugangs von Frauen zur Berufs-
ausbildung an, um die Lohngerechtigkeit zu fördern.
In Singapur bekräftigt die Dreigliedrige Erklärung zu gleicher Entlohnung von Männern und Frauen bei gleichwertiger
Arbeit das Eintreten der Regierung und der Sozialpartner für die in dem Übereinkommen Nr. 100 enthaltenen Grundsätze.
Die drei Partner einigten sich außerdem darauf, eine entsprechende Klausel in Gesamtarbeitsverträge einzufügen, um
sicherzustellen, dass sich die Arbeitgeber in ihren Unternehmen an den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleichwertige
Arbeit halten.

Kasten 3.16
Die Lohngerechtigkeitskampagne der IÖD

Die 2002 von der Internationale der öffentlichen Dienste (IÖD) eingeleitete Kampagne zur Förderung der Lohngerechtigkeit
bei den ihr angegliederten Organisationen bot umfassende Unterstützung in Form von Informationspaketen, Ausbildung,
Beratung durch Experten, der Förderung von lokalen Kampagnen für die Lohngerechtigkeit und eines speziellen Mittei-
lungsblattes zum Thema. Die kürzlich erfolgte Evaluierung der Kampagne empfiehlt folgendes:
z Ausbildung und den Kapazitätsaufbau bei nationalen angegliederten Organisationen fortzusetzen und die Kompo-
nente „Ausbildung der Ausbilder“ zu intensivieren;
z Stärkung der Stellenbewertungskapazitäten durch Erstellung einer Materialsammlung, durch die Entwicklung von
Material, um den Gewerkschaften dabei zu helfen, die zur Unterstützung bei Stellenbewertungsprogrammen einge-
stellten Berater auszuwählen, und die Bereitstellung einer Liste von empfohlenen Beratern mit entsprechendem
Fachwissen in verschiedenen Sprachen;
z Erweiterung der Lohngerechtigkeitsagenda mit Schwerpunkt auf leistungsabhängiger Bezahlung und Bewertung,
Entwicklung von Fertigkeiten und Kontrolle der Einstellungs-, Auswahl- und Beförderungsentscheidungen und die
Unterstützung der Einrichtung von zwei- und dreigliedrigen Ausschüssen;
z vermehrte Aufklärung durch Bildungskampagnen über das geschlechtsspezifische Lohngefälle, die Verhandlung
von Richtlinien für die Sammlung und den Austausch von Informationen, die weitere Zusammenarbeit mit der IAO
und die Unterstützung von Forschungsinitiativen mit externen Gremien;
z weitere Betonung des Austauschs von Wissen, z. B. durch Mitteilungsblätter, Online-Diskussionsforen und strategi-
sche Diskussionen auf globaler und regionaler Ebene;
z Austausch von Fachwissen durch Partnerschaften zwischen Entwicklungsländern und IÖD-Organisationen mit ein-
schlägigen Erfahrungen in Australien, Kanada, Neuseeland, Schweden und dem Vereinigten Königreich;
z Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der IAO, um die Kooperationsmechanismen auf nationaler Ebene auszu-
bauen, technische Beratung bezüglich Stellenbewertungsmethoden auf geschlechtsneutraler Basis zu unterstützen,
Gewerkschaften zu unterstützen, die gemäß den Aufsichtsregelungen der IAO Kommentare einreichen möchten,
und um die von der IAO unterstützten Ausbildungsmöglichkeiten zu verbessern;
z Nachweis der Verbindung zwischen Lohngerechtigkeit und der Agenda zur Bekämpfung von Armut, insbesondere
mit Blick auf die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen, durch die Ausarbeitung von stützenden
Richtlinien und Durchführung einer auf den Millenniumszielen basierenden Kampagne und die Aufforderung an die
angegliederten Organisationen, eine solche Kampagne auf der Basis der Millenniumsziele ihres Landes einzuleiten.
Quelle: A. Hegewiisch; S. Hammond; K. Valladares: Report of the evaluation of the PSI Pay Equity Campaign, Okt. 2006, unter
www.world-psi.org.

101
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

mit Behinderungen bei den Kollektivverein- Aktionsliste zur Hilfe beim Umgang mit diesen
barungen einzubeziehen 138 (Kasten 3.17). Herausforderungen 141.

Schwarze Arbeitnehmer, Angehörige Soziale Verantwortung der Unternehmen:


ethnischer Minderheiten und Potenzial zur Förderung der Gleichstellung
Arbeitsmigranten 375. Die Programme für soziale Verantwortung
372. Im Vereinigten Königreich zeigt sich der der Unternehmen (CSR) entstanden als Antwort
Fortschritt bei den Bestimmungen zu schwarzen auf die expandierenden globalen Arbeitsmärkte
Arbeitnehmern, Angehörigen ethnischer Minder- „als Möglichkeit für Unternehmen, den Auswir-
heiten und Arbeitsmigranten: 50 Prozent der dem kungen ihrer Tätigkeit auf die Gesellschaft Beach-
Gewerkschaftskongress (TUC) angehörenden tung zu schenken und ihre Grundsätze und Wert-
Gewerkschaften berichteten anlässlich des Gleich- vorstellungen in ihren eigenen internen Methoden
stellungsaudits von 2005 über einige in diesem und Verfahren und bei ihren Interaktionen mit
Bereich ausgehandelte Verbesserungen, 35 Pro- anderen Akteuren zu bekräftigen. CSR ist eine
zent der befragten Gewerkschaften erwähnten freiwillige, von den Unternehmen ausgehende
Bestimmungen zur Sicherung des gleichen Initiative und bezieht sich auf Aktivitäten, von
Zugangs zu Beförderung, Ausbildung und beruf- denen angenommen wird, dass sie über die
lichem Aufstieg, während 31 Prozent Vereinba- Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften hinaus-
rungen meldeten, die Rassismus am Arbeitsplatz gehen“ 142.
bekämpfen. Einem kleineren, aber wichtigen Pro- 376. CSR-Initiativen gibt es heute in unter-
zentsatz der Gewerkschaften gelang die Aushand- schiedlichen Formen, vom betrieblichen Verhal-
lung von Bestimmungen, die es ihren Mitgliedern tenskodex über Zertifizierungs- und Wirtschafts-
gestatten, Urlaubsansprüche für Reisen zu im prüfungsverfahren bis hin zu Verwaltungssyste-
Ausland lebenden Verwandten (27 Prozent) zu men oder zwischenstaatlichen Initiativen, die
nutzen, die Sprachunterricht vorsehen (13 Prozent) unabhängig oder in Verbindung mit Wirtschafts-
und die die Anerkennung im Ausland erworbener verbänden, nichtstaatlichen Organisationen,
Qualifikationen ermöglichen (10 Prozent) – aus- Regierungen und/oder internationalen Organisa-
nahmslos Regelungen, die für Arbeitsmigranten tionen zustande kommen.
von großer Bedeutung sind 139. 377. Mit der Zunahme der CSR-Programme
373. In den Vereinigten Staaten kämpft UNITE- intensivierte sich auch die Debatte über CSR und
HERE, eine Gewerkschaft, die überwiegend die Rolle von Unternehmen innerhalb der Gesell-
Arbeitnehmer in der Textilindustrie, der Gastro- schaft. Die CSR kann zwar nicht die Rolle der
nomie und im Hotelgewerbe vertritt, für die Auf- Regierung ersetzen 143, sie hat aber das Potenzial,
nahme einer Bestimmung in Gesamtarbeitsver- die Einhaltung von Arbeitsnormen zu verbessern
träge, mit der die Arbeitgeber sich verpflichten, und die Agenda der Nichtdiskriminierung und
die Gewerkschaft zu informieren, sobald sie von Gleichstellung voranzutreiben. Durch die Drei-
einem Besuch durch die Einwanderungs- und Ein- gliedrige Grundsatzerklärung der IAO über multi-
bürgerungsbehörde erfahren 140 . Auf der Tages- nationale Unternehmen und Sozialpolitik, den
ordnung der Verhandlungen tauchen Arbeitsmi- Globalen Pakt der Vereinten Nationen und andere
granten betreffende Fragen inzwischen zwar häufi- Initiativen scheint CSR das Bewusstsein der
ger auf, es ist aber schwierig, Arbeitsmigranten Unternehmen für die Bedeutung der Nichtdiskri-
über Kollektivverhandlungen zu helfen, da sie oft minierung in ihren Geschäftstätigkeiten geschärft
für Subunternehmen tätig sind. zu haben. Nach einer neueren Erhebung der Ver-
374. Mit der Zunahme der Arbeitsmigration einten Nationen geben viele der 500 größten
werden Bestimmungen wie die oben beschriebe- Unternehmen der Welt an, Fragen der Nichtdiskri-
nen vermutlich an Bedeutung zunehmen. Es ist minierung und Gleichstellung zum Teil durch ihre
aber auch möglich, dass Wanderarbeitnehmer als Führungsmaßnahmen und -verfahren in Angriff zu
Bedrohung für die Beschäftigung einheimischer
Arbeitnehmer oder als sozialer Störfaktor gesehen
werden. Der Internationale Bund der Bau- und
Holzarbeiter (IBBH) erstellte eine Strategie- und
141
Internationaler Bund der Bau- und Holzarbeiter (IBBH):
Trade Union Responses for a better management of migrant
138
Ebd. and cross-border work (Genf, 2004), unter
139
Gewerkschaftskongress (TUC): TUC Equality Audit 2005 www.ifbww.org/files/migrantwork.pdf.
142
(London, TUC, 2005), unter www.tuc.org.uk, S. 32-33. IAA: InFocus-Initiative zur sozialen Verantwortung von
140
N. David: „Migrants get unions back to basics”, in Labour Unternehmen (CSR), Verwaltungsratsdok. GB.295/MNE/2/1
Education (Genf, IAA), 2002/4, Nr. 129 unter www.ilo.org/ (März 2006), Abs. 1.
143
public/english/dialogue/actrav/publ/129/12.pdf. Ebd., Abs. 2.

102
INSTITUTIONEN UND POLITIKEN: TRENDS, AUSWIRKUNGEN UND HERAUSFORDERUNGEN

Kasten 3.17
Programm für Wohlstand und Gerechtigkeit – Die irischen Sozialpartner unterstützen Menschen
mit Behinderungen

Das Programm für Wohlstand und Gerechtigkeit ist eine dreigliedrige nationale Vereinbarung mit einer Laufzeit von drei
Jahren, die im März 2000 unterzeichnet wurde und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen vorsieht durch:
z eine Arbeitsgruppe, die sich mit den entsprechenden Fragen am Arbeitsplatz, einschließlich Vertragsstatus und
Entgelt, befasst;
z gesetzliche Reformen: Ein Behindertengesetz soll ausgearbeitet und veröffentlichet werden;
z Verbesserungen beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen: Die Regierung verpflichtet sich, Schritte zur
Verbesserung des Zugangs zu den Diensten zu unternehmen;
z verbesserte Statistiken;
z verbesserte Berufsausbildungsprogramme;
z Verpflichtung auf ein Beschäftigungsziel von 3 Prozent für Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Dienst;
z finanzielle Unterstützung der Sozialpartner, um diese bei gemeinsamen Initiativen für Aufklärung und Förderung der
Beschäftigung zu unterstützen;
z finanzielle Unterstützung der Arbeitgeber, um Anpassungen am Arbeitsplatz vorzunehmen;
z Zuschüsse für Ausbildungsprogramme, die das Bewusstsein für Behinderungsfragen stärken;
z Zuschüsse für die Aus- und Weiterbildung von Menschen, die am Arbeitsplatz eine Behinderung erleiden.
Quelle: EIROnline: “Workers with disabilities: Law, bargaining and the social partners”, 2001, unter www.eiro.eurofound.eu.int/2001/02/
study/tn0102201s.html.

nehmen. Ein solches Ergebnis wäre noch vor fünf ren Bergbau, Öl und Gas Diskriminierung auf
Jahren unwahrscheinlich gewesen 144. Grund der sexuellen Orientierung oder auf Grund
378. Ein Bericht der Weltbank 145 über die Ver- von Gewicht oder Gesundheitszustand.
haltenskodizes von rund 100 multinationalen Unter- 379. Die IAO-Übereinkommen Nr. 100 and
nehmen zeigt, dass in vier der fünf untersuchten Nr. 111 werden jedoch nur sporadisch erwähnt;
Sektoren (Bekleidungs-, Schuh- und Leichtindus- dabei wäre es gerade in Anbetracht der rasch
trie, Agrarindustrie, Öl, Gas und Bergbau) 146 fast wachsenden Zahl von unterschiedlichen Kodizes –
ausnahmslos jeder Kodex in irgendeiner Form die die Unternehmen bei der Suche nach geltenden
eine Nichtdiskriminierungs- und Gleichstellung- Normen eher zusätzlich verwirren könnte –
garantie enthielt, wenn auch ihr Umfang je nach sinnvoll, sich öfter auf sie zu beziehen.
Industriezweig und Unternehmen unterschiedlich 380. Eine neue Untersuchung der Wirkungsab-
war. In einigen Fällen bezog sich diese Garantie schätzung der Initiative für ethischen Handel
ausschließlich auf die Einstell- und Anwerbungs- (ETI) 147, einem Bündnis von Unternehmen, nicht-
praktiken, in anderen betraf sie auch Maßnahmen staatlichen Organisationen und Gewerkschaften,
der beruflichen Förderung. Die Kodizes betreffen das Fortschritte anhand eines jährlichen Berichts-
manchmal auch Fragen, die weder im Überein- und Überprüfungsverfahrens beobachtet, zeigte,
kommen Nr. 111 noch in der nationalen Gesetzge- dass sich im Bereich Diskriminierung weniger
bung erfasst sind. So verbieten einige von der bewegte als in anderen Bereichen wie z. B.
Weltbank untersuchte Unternehmen in den Sekto- Gesundheits- und Sicherheitsfragen, Kinderarbeit,
Arbeitszeit und Mindestlohn.
144
J. Ruggie: Human rights policies and management
practices of Fortune Global 500 firms: Results of a survey,
Corporate Social Responsibility Initiave Working Paper Nr. 28 147
S. Barrientos; S. Smith.: The ETI code of labour practice:
(Harvard University, John F. Kennedy School of Government,
Do workers really benefit? (Institute of Development Studies,
2006), unter www.ksg.harvard.edu/m-rcbg/CSRI/publications/
Universität Sussex, 2006), unter www.ethicaltrade.org; der
workingpaper_ 28_ruggie.pdf.
145
Bericht bewertet Fälle in Indien (Bekleidungssektor), Vietnam
The World Bank Group, Corporate Social Responsibility (Bekleidung und Schuhindustrie), Südafrika (Früchte), Ver-
Practice: „Company codes of conduct and international labour einigtes Königreich (Gartenbau) und Costa Rica (Bananen-
standards: An analytical comparison”, Teil I und II (Washing- industrie). Der ETI-Code erlaubt keine auf Rasse, Kaste, natio-
ton, DC, 2003 und 2004). naler Herkunft, Religion, Alter, Behinderung, Geschlecht,
146
Die Tourismusindustrie beginnt offenbar gerade erst damit, Familienstand, sexuelle Orientierung, Gewerkschaftszuge-
Prinzipien und formale Verhaltenskodizes zu entwickeln. Dies hörigkeit oder politischer Meinung basierende Diskriminierung
erklärt die geringe Visibilität von Nichtdiskriminierungs- und bei Einstellung, Lohn, Zugang zu Weiterbildung, Beförderung,
Gleichstellungsfragen dieses Sektors. Kündigung oder Pensionierung.

103
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

381. An fünf von fünfundzwanzig untersuchten derung und der Ausbildung, hinken jedoch hinter-
Standorten wurden gewisse Fortschritte fest- her. Die Untersuchung sieht kaum Auswirkungen
gestellt. Dazu zählten intensivierte Bemühungen auf die Beseitigung rassischer oder religiöser
um bessere Arbeitsbedingungen für schwangere Benachteiligung bei den Einstellungs- und Aus-
Frauen in Costa Rica, die Ausarbeitung einer wahlverfahren in Südafrika und Indien vor und
Grundsatzpolitik für Chancengleichheit in der äußert Sorge, dass im Vereinigten Königreich ein-
Beschäftigung auf einer Farm in Südafrika und die heimische Arbeitnehmer zu Lasten von Arbeitsmi-
Beseitigung von Altersgrenzen bei Stellenanzei- granten diskriminiert werden. Die Untersuchung
gen in Vietnam. Die Untersuchung stellt fest, dass weist auch darauf hin, dass Arbeitgeber, Wirt-
der bisher erreichte Fortschritt vorwiegend auf schaftsprüfer, Arbeitnehmer und Gewerkschaften
praktischen geschlechtsspezifischen Bedürfnissen Fragen der Nichtdiskriminierung und Gleichstel-
basiert, wie z. B. der Zahlung des Mutterschaftsur- lung bei der Umsetzung von Kodizes oft nicht zur
laubs und von Sozialleistungen nach der Geburt; Kenntnis nehmen und schlägt eine Reihe prakti-
die Bemühungen um Einfluss bei strategischen scher Maßnahmen zur Verbesserung dieser Situa-
Gleichstellungsbedürfnissen wie der Chancen- tion vor.
gleichheit beim Beschäftigungsstatus, der Beför-

104
TEIL IV

Die Maßnahmen der IAO,


Vergangenheit und Zukunft
382. Dieser Teil des Gesamtberichts gibt zunächst
einen Überblick über die von der IAO im Bereich
der Nichtdiskriminierung und Gleichstellung seit
2003 von der IAO geleistete Arbeit; anschließend
werden Empfehlungen für Folgemaßnahmen in
den nächsten vier Jahren vorgeschlagen.

1. Errungenschaften und Herausforderungen der IAO

Aktionsplan zur Beseitigung von Beseitigung der Armut – auch der mit den diskri-
Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf minierenden Praktiken einhergehenden chroni-
schen Armut – durch die Förderung menschen-
383. Im vom Verwaltungsrat 2003 angenomme-
würdiger Arbeit hat ebenfalls einen hohen
nen Aktionsplan für die Durchführung von Folge-
Stellenwert in der aktuellen Agenda der IAO, und
maßnahmen wird die Notwendigkeit hervor-
obwohl sich die IAO schon seit langem dieser
gehoben, die laufenden Aktivitäten des Amtes in
Probleme annimmt, wurde nicht zuletzt auf die-
Hinblick auf HIV/Aids und Behinderungen fort-
sem Gebiet nicht immer konsequent gehandelt.
zuführen und zu konsolidieren; allerdings werden
für die Jahre 2004-07 zwei Schwerpunktthemen
festgehalten: das geschlechtsspezifische Lohnge- Das geschlechtsspezifische Lohngefälle
fälle und die rassische/ethnische Gleichstellung abbauen
sowie die damit verbundene geschlechtsspezifi- 384. Wie bereits dargelegt, hält sich auf den
sche Dimension 1. Die Wahl dieser Themen beruht Arbeitsmärkten weltweit beharrlich das Problem
auf der Feststellung, dass einerseits das des geschlechtsspezifischen Gefälles bei der Ent-
geschlechtsspezifische Lohngefälle ein dauer- lohnung von Arbeitnehmern. Von der Politik wird
haftes, weltweit auftretendes Problem ist und dies mit wachsender Sorge betrachtet. Verschie-
andererseits die Diskriminierung aufgrund der dene Faktoren tragen zu diesem Umstand bei, u.a.
Rasse und ethnischen Herkunft mit ihrem Bezug auch die geschlechtsbedingte Diskriminierung bei
zur Armut eine große Widerstandskraft aufweist. der Entlohnung. Das Übereinkommen Nr. 100,
Löhne und Entgelt und die Mechanismen der eines der IAO-Rechtsinstrumente mit der größten
Mandats der IAO. Auf diesem Gebiet besitzt die Anzahl von Ratifizierungen, bietet eine Antwort
IAO allgemein anerkanntes Fachwissen. Die auf das Problem, indem es gleichen Lohn für
gleichwertige Arbeit vorsieht, auch wenn sich
deren Inhalt unterscheidet.

1
IAA: Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grund- Die Gleichheit des Entgelts fördern
legende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit: Prioritäten und 385. Der Begriff der „Gleichheit des Entgelts für
Aktionspläne für die technische Zusammenarbeit, Verwaltungs- gleichwerte Arbeit” ist unter den im Kampf gegen
ratsdokument GB.288/TC/4 (Nov. 2003), Absätze 15-22.
die Diskriminierung eingesetzten Konzepten ver-

107
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

mutlich eines der am wenigsten verstandenen. Wie führung geschlechtsneutraler Arbeitsplatzbewer-


bereits dargelegt, kommt dies in einigen Ländern tungen aufstellt 2.
in den Gesetze und Verordnungen zum Ausdruck, 389. In Portugal hat die IAO technische Hilfe für
die nach wie vor den Grundsatz der Lohngleich- ein von der Europäischen Kommission finan-
heit eng auslegen und ausschließlich von „identi- ziertes EQUAL-Projekt geleistet, das zum Ziel
scher“ oder „ähnlicher“ Arbeit sprechen. In zahl- hat, eine geschlechtsneutrale Arbeitsplatzevaluie-
reichen Ländern wird durch das Fehlen zuver- rungsmethode für die Gastronomie und den
lässiger, nach Geschlechtern aufgeschlüsselter Getränkesektor zu entwickeln. An diesem Projekt
Lohndaten das Vorhandensein eines geschlechts- sind der Allgemeine Portugiesische Arbeiterbund
spezifischen Lohngefälles verschleiert und (CGTP-IN), die Portugiesische Gewerkschaftsfö-
dadurch die Überwachung von Trends in Umfang deration für den Landwirtschafts-, Lebensmittel-,
und Ursachen des geschlechtsspezifischen Lohn- Getränke-, Hotel- und Tourismussektor
gefälles über einen bestimmten Zeitraum hinweg (FESAHT), der Portugiesische Verband für
erschwert. Gastronomie und verwandte Berufe (ARESP), der
386. Es mag einigen Sozialpartnern schwer fallen, Ausschuss für Chancengleichheit in der Beschäfti-
die Bedeutung des Begriffs der „Gleichwertigkeit“ gung (CITE) und die Generaldirektion für Arbeits-
der Arbeit zu verstehen und zu erkennen, auf aufsicht beteiligt.
welche Weise Lohnstrukturen und Entlohnungs- 390. Das Gaststättengewerbe besteht in Portugal
praktiken zu einer Unterbewertung der Arbeit der hauptsächlich aus kleinen Unternehmen mit nie-
Frauen führen können. Auch ist es möglich, dass drigem Lohnniveau und ist gekennzeichnet durch
möglicherweise das Problem erkannt, aber davon eine geringe Produktivität, eine starke Arbeits-
ausgegangen wird, dass familienfreundliche Maß- kräftefluktuation und eine hohe Fehlzeitenquote,
nahmen oder die Unterstützung von Managerinnen insbesondere unter der weiblichen Belegschaft.
in ihrem Bemühen, die „gläserne Decke“ zu Das „Altern“ der weiblichen Erwerbstätigen des
durchstoßen, dringender und zielführender für die Sektors hat junge Migrantinnen, meist ohne
Verbesserung der Situation der Frauen auf dem gültige Papiere, aus Brasilien und Kap Verde
Arbeitsmarkt seien. In jedem Fall ist jedoch der angezogen, die die Löhne weiter drücken. Sowohl
Kosteneffekt der Lohngleichheit ein Aspekt, der die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerorgani-
beträchtliche Sorgen bereitet, insbesondere im Fall sationen sind angesichts dieser Situation besorgt,
der kleinen und mittleren Unternehmen, da man jedoch sind sie, was die geeigneten Gegenmaß-
sich von der Lohngleichheit keinen spürbaren nahmen betrifft, unterschiedlicher Meinung. Das
Nutzen für die Arbeitsproduktivität verspricht. Projekt zielt darauf ab, der Unterbewertung
387. Aus diesem Grund ist dieser Teil des bestimmter Berufe durch die Entwicklung
Aktionsplans darauf ausgerichtet, a) Wissen über geschlechtsneutraler Evaluierungsmethoden, die
Kosten und Nutzen der Förderung von Lohn- Modernisierung des Berufsklassifizierungssystems
gleichheit und über die Entwicklungstrends beim des Sektors, das noch aus den siebziger Jahren
geschlechtsspezifischen Lohngefälle und seinen stammt, und durch die Ausarbeitung eines auf
Ursachen zu schaffen, b) Netzwerke zu errichten transparenten und geschlechtsneutralen Kriterien
und mit den globalen Gewerkschaftsföderationen und Verfahren beruhenden Entlohnungssystems
zusammenzuarbeiten sowie c) technische Hilfe auf entgegenzuwirken. Auch wenn ein solcher Prozess
Landesebene zu leisten. nicht immer reibungslos verläuft, ist die Einbin-
388. Für Afrika, Europa und Lateinamerika sind dung der Sozialpartner von wesentlicher Bedeu-
Landesinformationsblätter ausgearbeitet worden. tung um sicherzustellen, dass die Anliegen und
Sie geben einen Überblick über folgende Daten: Prioritäten beider Parteien berücksichtigt und die
(i) die Entwicklung des geschlechtsspezifischen Ergebnisse von allen akzeptiert werden.
Lohngefälles in den letzten 15 Jahren, aufge- 391. Seit 2000 kommt jedes Jahr die Inter-
gliedert nach Branchen und Berufen sowie nationale der öffentlichen Dienste (IÖD) mit
Ursachen und Verlauf, (ii) die jeweiligen nationa- anderen Globalen Gewerkschaftsföderationen und
len institutionellen und regulatorischen Rahmen- der IAO zusammen, um eintägige Diskussions-
werke und (iii) die vom Sachverständigenaus- foren über die Lohngleichheit abzuhalten. Diese
schuss für die Durchführung von Übereinkommen Foren haben zum Ziel, a) Informationen über den
und Empfehlungen in den letzten 15 Jahren zu aktuellen Stand der Arbeit der Globalen Gewerk-
diesem Thema vorgelegten Stellungnahmen. Auch schaftsföderationen in Bezug auf Lohngleichheit
für Ostasien sind vor kurzem ähnliche Bemühun- und der IAO in Bezug auf die Folgemaßnahmen
gen angelaufen. In einer Studie wurden Kosten
und Nutzen der Lohngleichheit evaluiert
2
(Kasten 4.1) und ein Leitfaden für die Durch- M.-T. Chicha: A comparative analysis of promoting pay
equity: Models and impacts, DECLARTIONS/WP/49/2006
(Genf, IAA, 2006); IAA: Promoting pay equity through job
evaluation methods: A step by step guide (erscheint dem-
nächst).

108
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Kasten 4.1
Wie macht sich Lohngleichheit bezahlt?

Es gibt nur sehr wenige Studien, in denen Kosten und Nutzen der Lohngleichheit untersucht werden; die meisten, die dies
getan haben, beziehen sich auf Kanada und Schweden. Die geringe Anzahl der Untersuchungen deutet auf die zweifache
Schwierigkeit hin, zum einen über Lohndaten über einen längeren Zeitraum hinweg zu verfügen und zum anderen die
Auswirkungen der Lohngleichheit oder anderer Maßnahmen auf die Arbeitsproduktivität oder andere Variablen zu
ermitteln. Aus der Studie ergeben sich Vorteile für das Personalmanagement (genauere Kenntnis der Arbeitsplatzanforde-
rungen, daher gezieltere betriebliche Ausbildung und höhere Effizienz der Entlohnungs- sowie der Einstellungs- und
Auswahlverfahren), die Motivation und die Loyalität der Arbeitnehmer, die Arbeitsbeziehungen, die Vermeidung von Pro-
zesskosten und den guten Ruf des Unternehmens. Zu den Kostenfaktoren gehören die höhere Lohnsumme, der höhere
Verwaltungsaufwand (infolge des Arbeitsplatzevaluierungsverfahrens) sowie sinkende Arbeitsmoral bei den Arbeitneh-
mern, die nicht unmittelbar von der Lohngleichheit profitieren. In der Studie wird hervorgehoben, dass sich die Zunahme
der Lohnsumme und des Verwaltungsaufwands einfach und schnell quantifizieren lässt; dass jedoch der Nutzen, insbeson-
dere der indirekte Nutzen, nur schwer messbar ist und sich erst mittel- und langfristig einstellt. Die wenigen zur Verfügung
stehenden Daten deuten darauf hin, dass die Lohnanpassungskosten gar nicht so umfangreich sind: So stieg die
Lohnsumme z. B. in der Provinz Ontario um 0,5 bis 2,2 Prozent und in Quebec um 1,5 Prozent. In der Studie werden für
jede Kosten- und Nutzenart eine Reihe nützlicher Indikatoren und verbundener Kenndaten vorgeschlagen (direkt/indirekt,
Vorkommenshäufigkeit, quantifizierbar) und eine Anzahl praktischer Verfahren aufgezeigt, mit deren Hilfe die Kosten
gesenkt und positive Nutzeffekte maximiert werden können.
Quelle: M.-T. Chicha: A comparative analysis of promoting pay equity: Models and impacts, DECLARATION/WP/49/2006 (Genf, IAA,
2006).

zum Gesamtbericht Gleichheit bei der Arbeit – ein Frauen am besten eignen oder welche am „zweck-
Gebot der Stunde (2003) und zur Entschließung mäßigsten“ für sie wäre; mit dem Ergebnis, dass
der Internationalen Arbeitskonferenz über die die Frauen in Berufe ohne Zukunft abgeschoben
Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, werden, für die ohnehin ein Überangebot an
die Entgeltgerechtigkeit und den Mutterschutz aus Arbeitskräften zur Verfügung steht.
dem Jahr 2004 auszutauschen, b) Strategien zu 393. Um angesichts dieser Situation Abhilfe zu
entwickeln, mit Hilfe derer Kapazitäten aufgebaut schaffen, bemüht sich die IAO, ihre Beratung der
werden können und erreicht werden kann, dass Arbeitsministerien in die Erarbeitung und Umset-
sich die Globalen Gewerkschaftsföderationen und zung nationaler Beschäftigungspolitik umzuset-
die Mitgliedsgewerkschaften die Frage der Lohn- zen. Ein Beispiel hierfür ist das von der belgischen
gerechtigkeit zu eigen machen, und c) festzustel- Regierung finanzierte Projekt mit dem Titel „För-
len, wie die IAO diesen Prozess am besten unter- derung der Chancengleichheit zwischen Frauen
stützen kann. und Männern in den Landesbeschäftigungsüber-
prüfungen der Länder des Stabilitätspakts”. Dieses
Beschäftigungspolitik gestalten Projekt ergänzt die technische Hilfe der IAO für
die Folgemaßnahmen zu der von der Südost-
392. Wie weiter oben ausgeführt, erfordert der
europäischen Ministerkonferenz über Beschäfti-
Abbau des geschlechtsspezifischen Lohngefälles
gung im Oktober 2003 in Bukarest verabschie-
die Durchführung einer ganzen Reihe von Maß-
deten Erklärung. In dieser Erklärung verpflichten
nahmen, deren Spektrum von Interventionen für
sich die Arbeitsminister der Länder des Stabili-
Entgeltgerechtigkeit über die Förderung von
tätspakts zur regionalen Zusammenarbeit bei der
Chancengleichheit beim Zugang zu Berufsbe-
Bewältigung der Beschäftigungsprobleme und
ratung und Berufsbildung bis hin zu Maßnahmen
ersuchen die IAO und den Europarat um tech-
zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und
nische Hilfe über die gesamte Dauer des Ver-
Familie reicht. Beschäftigungspolitik und
fahrens. Diese besteht darin, die jeweilige
Beschäftigungsprogramme sind häufig
Beschäftigungssituation der betroffenen Länder zu
geschlechtsblind, d.h. sie berücksichtigen nicht die
untersuchen und Empfehlungen in Form von
speziellen Gegebenheiten und besonderen Belange
Landesberichten zur Beschäftigungspolitik
von Frauen und Männern und führen damit zu
(CREPs) auszuarbeiten. Diese werden nach dem
Ungleichheiten in Chancen und Resultaten und zu
Modell der Gemeinsamen Bewertungspapiere zur
einer verminderten Effektivität der politischen
Beschäftigungspolitik der Europäischen Kommis-
Maßnahmen. Es gibt Fälle, in denen für bestimmte
Kategorien von Frauen gezielte Programme
erstellt werden, denen klischeehafte Ansichten
darüber zugrunde liegen, für welche Arbeit sich

109
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

sion 3 erstellt und dienen der Vorbereitung der auf den Gleichstellungsseminaren erörterten The-
Länder des Stabilitätspakts auf einen zukünftigen men wurden der Dreigliedrigen Tagung vorgelegt,
Beitritt zur Europäischen Union. Das von der die die Landesüberprüfungen der Beschäftigungs-
belgischen Regierung finanzierte Projekt hatte politik billigte, und in der endgültigen Fassung des
zum Ziel, auf das Problem der Geschlechterdiskri- Papiers berücksichtigt.
minierung in den Arbeitsmärkten der betroffenen 395. Die Gleichstellung wurde auch bei sämt-
Länder aufmerksam zu machen und Lösungsmög- lichen Tagungen auf hoher Ebene im Rahmen des
lichkeiten aufzuzeigen. Die Beschäftigungssitua- „Bukarest-Prozesses“ systematisch als Tagungs-
tion der Frauen hat sich in sämtlichen südost- thema aufgenommen. Ein Nebeneffekt war die
europäischen Ländern im Verlauf der letzten Einführung eines Projekts in Serbien mit finanziel-
fünfzehn Jahre drastisch verschlechtert. Es melden ler Unterstützung durch die Schweizer Regierung,
sich sogar weniger Frauen als Männer arbeitslos, im Rahmen dessen den nationalen Arbeitsvermitt-
und wenn sie arbeitslos sind, dauert es bei den lungsdiensten das erforderliche Sachwissen ver-
Frauen länger als bei den Männern, bis sie mittelt wird, um Frauen durch die Förderung
bezahlte Arbeit finden, obwohl die Frauen im aktiver Arbeitsmarktpolitiken und das Gender
Schnitt einen ähnlichen Bildungs- und Ausbil- Mainstreaming in der allgemeinen Funktionsweise
dungsstand aufweisen wie die Männer. Sie sind der Arbeitsvermittlungsdienste den Zugang zu
Diskriminierungen bei Einstellungs- und Entlas- bezahlter Arbeit zu erleichtern.
sungsentscheidungen ausgesetzt, die sich gele- 396. Das Projekt ist in die Landesüberprüfungen
gentlich sogar in den Stellenanzeigen und Arbeits- der Beschäftigungspolitik eingeflossen und hat die
platzbeschreibungen widerspiegeln. Berichte über politischen Entscheidungsträger zu Diskussionen
Geschlechterdiskriminierung in den nationalen über dieses Thema angeregt. Dennoch wird die
Arbeitsvermittlungsstellen sind weit verbreitet. Geschlechterdiskriminierung nach wie vor als
Das führt dazu, dass zahlreiche Frauen ohne marginales Problem betrachtet, größtenteils
Beschäftigung gerne arbeiten würden, wenn ihnen infolge einer Gegenreaktion auf die Emanzipa-
geeignete Angebote und entsprechende Unterstüt- tionspolitik des früheren kommunistischen Sys-
zungsmechanismen zur Verfügung stünden. Bei tems. Die Frauen selbst, die häufig mit der
den Frauen, die bezahlter Arbeit in der formellen Doppelbelastung durch Haushalt und bezahlte
Wirtschaft nachgehen, führt die Segregation bei Beschäftigung überfordert sind, sind angesichts
der Arbeit in allen vier Ländern, in denen die der politischen Forderung nach Gleichstellung der
CREPs bereits fertig gestellt wurden (Albanien, Geschlechter entmutigt, denn für sie bedeutet dies
Kroatien, Republik Moldau und Serbien), zu häufig, mehr Verantwortung als in der Vergan-
einem beträchtlichen Lohngefälle. Frauen sind genheit auf sich zu nehmen. All dies führt dazu,
eher in Berufen und Wirtschaftszweigen zu finden, dass die Einführung von Gleichstellungskonzepten
denen ein geringerer Wert beigemessen wird und und -bestimmungen im Arbeitsmarkt häufig den
in denen die Bezahlung schlechter ist als in den letzten Platz in der Liste politischer Prioritäten
männlich dominierten. einnimmt.
394. Im Rahmen des Projekts wurden Gleichstel- 397. In Peru wurden im Jahr 2005 auf Initiative
lungsseminare organisiert (z. B. in Serbien und in des 2004 gegründeten Komitees für Chancen-
der Republik Moldau), die den Sozialpartnern, den gleichheit die Beschäftigungsprogramme des
Bediensteten der nationalen Arbeitsvermittlungs- Ministeriums aus einer Gleichstellungsperspektive
stellen und den Vertretern der nationalen Gleich- einer Überprüfung unterzogen. Die Ergebnisse
stellungsämter Gelegenheit boten, über Ursachen und Empfehlungen dieser Untersuchung wurden
und mögliche politische Lösungsansätze für die den Mitgliedern des Komitees vorgelegt und mit
dringendsten Gleichstellungs- und Beschäfti- ihnen diskutiert und Aktionspläne für eventuelle
gungsfragen zu diskutieren. Für jedes Land ergab Folgemaßnahmen erörtert. Ein Arbeitsseminar
sich ein anderer Problemkreis. So wurde etwa in wurde organisiert, um die Erfahrungen der
Serbien anlässlich des Gleichstellungsseminars Nachbarländer (Bolivien, Kolumbien und Ecua-
darüber diskutiert, auf welche Weise unternehme- dor) mit dem Gender Mainstreaming in den
rische Initiativen von Frauen unterstützt werden Beschäftigungsprogrammen zu untersuchen.
können, z. B. Kreditmöglichkeiten, Berufsbildung Allerdings hat der häufige Wechsel an der Spitze
und Bildung von Genossenschaften. In der Repub- des Ministeriums zwischen 2004 und 2006, der zu
lik Moldau ging es bei den Diskussionen haupt- wandelnden Arbeitsschwerpunkten führte, sich auf
sächlich um die Politik in Fragen des Mutter- die Zusammensetzung des Komitees und seine
schaftsurlaubs und ihre Auswirkungen auf die Tätigkeit ausgewirkt. Dadurch wurden die Legi-
Erwerbsbeteiligung der Frauen. Die wichtigsten timität und die Kontinuität der Arbeit des Komi-
tees geschwächt. Ähnliche Erfahrungen in anderen
3 Ländern zeigen, dass die Bemühungen um den
Die Gemeinsamen Bewertungspapiere werden von der Euro-
päischen Kommission und den Ländern im Zuge ihrer Bei-
Aufbau von Institutionen mit zahlreichen Proble-
trittsvorbereitungen erarbeitet. men behaftet sind, wenn die Regierungen instabil
sind und häufig wechseln.

110
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Gegen Rassismus und Armut vorgehen 400. Auf ähnliche Weise fördert auch der
398. Regierungen, die Interesse an der Entwick- Aktionsplan der IAO für Folgemaßnahmen eine
lung beschäftigungs- und sozialpolitischer Kon- differenzierte Behandlung indigener und in Stäm-
zepte zur Förderung der Gleichstellung und Ein- men lebender Völker im Rahmen der Prozesse der
gliederung der Rassen bekundet haben, wurde Strategie zur Armutsverringerung (PRS). Die von
technische Unterstützung zur Verfügung gestellt. der Weltbank und dem IWF ausgehenden Strate-
So hat z. B. in Brasilien das von der niederländi- giepapiere zur Verringerung von Armut (PRSPs)
schen Regierung finanzierte Projekt für eine wurden in 14 Ländern weltweit einem Audit hin-
nationale Politik der Rassengleichstellung in den sichtlich der ethnischen Gleichstellung unterzogen
Jahren 2004 bis 2006 das Sondersekretariat für (Kasten 4.2).
Maßnahmen zur Förderung der Rassengleichheit 401. Die Verbreitung und Erörterung dieses nach
(SEPPIR) und das Arbeitsministerium auf diesem ethnischen Gesichtspunkten erstellten Audits auf
Gebiet unterstützt. Eine der wichtigsten Errungen- der Tagung des Ständigen Forums über indigene
schaften des Projekts war die Förderung der insti- Angelegenheiten der Vereinten Nationen im Mai
tutionellen Anbindung des SEPPIR an das 2005 und anlässlich der von der IAO im Okto-
Arbeitsministerium, mit der zum Ausdruck ber 2005 einberufenen technischen Geberkonfe-
gebracht wird, dass der Kampf gegen Rassismus renz haben dazu beigetragen, dass zunehmend
bei der Arbeit eine zentrale Bedeutung für die Einvernehmen über die Voraussetzungen besteht,
Befreiung der Gesellschaft von Diskriminierung die erfüllt sein müssen, damit die indigenen Völ-
hat. Das Projekt hat dazu beigetragen, das föderale ker von der Entwicklung und der Politik zur
Programm des Ministeriums „Brasilien, Armutsverringerung profitieren können. Auf der
Geschlecht und Rasse“ und seine Stellen zur von der Weltbank im Mai 2006 veranstalteten
Förderung von Chancengleichheit und Bekämp- Konferenz über Armut und indigene Völker, an
fung von Diskriminierung durch die Entwicklung der die IAO teilnahm, verpflichtete sich die
einer neuen Arbeitsmethodik auf der Grundlage Weltbank, in zukünftigen PRSPs die Anliegen und
gemeinsamer Ziele, Wirkungsindikatoren sowie Rechte indigener Völker zu berücksichtigen.
standardisierter Verfahren und Praktiken (siehe 402. Dieses Audit nach ethnischen Gesichtspunk-
Kasten 3.4 in Teil III, Kapitel 1) effektiver zu ten hat Schweden veranlasst, Sondermittel für Fol-
gestalten. Das Projekt war auch aktiv an der gemaßnahmen in Bolivien, Peru und Paraguay zur
Durchführung einer Reihe von Arbeitsseminaren Verfügung zu stellen, um die Probleme der
beteiligt, die das Arbeitsministerium in verschie- Zwangsarbeit und der Diskriminierung auf dem
denen Regionen des Landes organisiert hatte, um Arbeitsmarkt zu bewältigen, von denen indigene
Einvernehmen über die Aufgaben und die Arbeits- Völker betroffen sind. Die gleichzeitige Behand-
weise dieser Stellen zu erzielen. lung von Diskriminierung und Zwangsarbeit bietet
399. Die IAO hat über dieses Projekt sowohl insbesondere im Fall der indigenen und in Stäm-
finanziell als auch materiell zur Internationalen men lebenden Völker deutliche Vorteile, denn die
Gesprächsrunde über die Förderung von Gleich- Zwangsarbeit kann in der Tat als die schlimmste
heit und rassischer Eingliederung beigetragen, die Form ethnischer Diskriminierung betrachtet wer-
im April 2005 gemeinsam von der IAO, der Inter- den 4 . Wird dieser Zusammenhang erkannt und
amerikanischen Entwicklungsbank (IDB), UNDP- das Problem als ein Ganzes angegangen, können
Brasilien und dem DFID Brasilien in Brasilia auch die entsprechenden politischen Maßnahmen
gefördert wurde. Bei dieser gemeinsamen Tagung fundierter und kostengünstiger gestaltet werden
kamen 150 Regierungsvertreter, hauptsächlich aus und auf diese Weise die Zwangsarbeit sowohl in
den Planungsministerien, mit Experten für Ras- ihren Wurzeln als auch in ihren Symptomen
sengleichstellung, Wissenschaftlern und Vertre- bekämpft werden, wie die vorläufigen Ergebnisse
tern schwarzer und afrikanischstämmiger Bevöl- dieses Projekts gezeigt haben.
kerungsgruppen des gesamten amerikanischen 403. Einen wichtigen Beitrag zur Festigung eines
Kontinents zusammen, um Fragen der Rassendis- menschenrechtsbezogenen Ansatzes zur Armuts-
kriminierung beim Zugang zur Justiz, zu Bildung verringerung bei indigenen und Stammesvölkern
und Gesundheit, zu Wohnraum und zu wirtschaft- leistet das seit 1996 bestehende IAO-Projekt zur
lichen Gütern und in der Welt der Arbeit zu Förderung der IAO-Politik zu eingeborenen und in
erörtern. Die Teilnahme der IAO hat wesentlich Stämmen lebenden Völkern (PRO 169). Die PRO-
dazu beigetragen, auch die Fragen der Arbeit und 169-Strategie besteht in der Förderung, dem
der Arbeitsbeziehungen in das Programm aufzu- Schutz und der Überwachung der Rechte dieser
nehmen und überzeugend die Bedeutung arbeits-
markt- und arbeitsplatzbezogener Maßnahmen zur 4
IAA: Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit: Gesamt-
Integration der Rassen und Geschlechter als zen- bericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der
trale Elemente der Entwicklungsstrategien zur IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit,
Förderung der Rassengleichheit und zur Verringe- Bericht I(B), Internationale Arbeitskonferenz, 93. Tagung,
rung der Armut in der Region darzulegen. Genf, 2005.

111
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 4.2
PRSPs und indigene und in Stämmen lebende Völker

Seit 1999 sind die Strategiepapiere zur Verringerung von Armut (PRSPs) unter der Ägide der Weltbank und des IWF in
Ländern mit niedrigem Einkommen zu einem allgemeinen Rahmen für Darlehensgewährung, Schuldenerlass und Ent-
wicklungszusammenarbeit geworden. Sie sind offen und partizipatorisch ausgelegt und sollen die traditionell marginalisier-
ten Bevölkerungsgruppen erreichen. Da indigene und Stammesvölker im allgemeinen am unteren Ende sämtlicher konven-
tioneller sozioökonomischer Indikatoren angesiedelt sind, hat die IAO ein Audit durchgeführt, um herauszufinden, ob und
wie die Bedürfnisse und Anliegen dieser Völker berücksichtigt wurden und ob sie in die Beratungen im Vorfeld der PRSPs
eingebunden waren. Das Audit, das in 14 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas durchgeführt wurde, ergab
erhebliche Schwankungen zwischen den einzelnen Regionen und innerhalb der Regionen. Allerdings zeichnen sich die
Länder, in denen die PRSPs deutlicher auf die strukturellen Ursachen der Verarmung dieser Völker ausgerichtet waren,
dadurch aus, dass
z ihre Rechtssysteme die Rechte indigener und in Stämmen lebender Völker anerkennen,
z ihre Institutionen und ihre Polizei die kulturelle Vielfalt achten und ihr Rechnung tragen,
z indigene und in Stämmen lebenden Völker sich organisiert und für einen politischen Wandel mobilisiert haben.
Das Audit gelangt zu dem Schluss, dass die Anerkennung der Rechte indigener und in Stämmen lebender Völker auf
rechtlicher, administrativer und politischer Ebene gemäß den Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 169 der IAO eine
wesentliche Voraussetzung für die Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung dieser Bevölkerung ist. Es wird
empfohlen, auf die Lebensumstände und die Beschäftigungsmuster der indigenen und Stammesvölker zugeschnittene
Armutsindikatoren zu bestimmen und zu testen und die Organisationen und kommunalen Verwaltungen dieser Völker zu
befähigen, auf Inklusion ausgerichtete lokale Entwicklungspläne erarbeiten, umzusetzen und zu überwachen.
Quelle: M. Tomei: Indigenous and tribal peoples. An ethnic audit of selected Poverty Reduction Strategy Papers, DECLARATION, (IAA,
2005, Genf).

Völker gemäß den Bestimmungen des IAO- Laufende Engagements der IAO
Übereinkommens Nr. 169. Gleichzeitig soll 404. Wie bereits erwähnt, ist im Rahmen der
sichergestellt werden, dass auch diese Völker von Folgemaßnahmen deutlich geworden, dass es
den allgemeinen Bemühungen um menschen- erforderlich ist, traditionelle Aufgabenbereiche der
würdige Arbeit und die Achtung internationaler IAO wie die Überwachung und Durchführung der
Arbeitsnormen profitieren und in diese eingebun- Übereinkommen Nr. 100 und Nr. 111 und weiterer
den werden. PRO 169 wird in Zusammenarbeit einschlägiger Arbeitsnormen und die Unterstüt-
mit anderen internationalen Organisationen, zung bei der Entwicklung förderlicher regulatori-
Gebern und Akteuren durchgeführt, zu denen auch scher Rahmenwerke zu konsolidieren und zugleich
das Ständige Forum für indigene Fragen der das Engagement an erst in jüngerer Zeit zutage
Vereinten Nationen gehört. Im Rahmen dieses getretenen Problemfeldern wie HIV/Aids, Behin-
Projekts hat die IAO Maßnahmen zum Aufbau derungen und die Förderung der Gleichstellung
von Kapazitäten bei den indigenen Partnern, den der Geschlechter aufrecht zu erhalten.
Regierungen und den Entwicklungspartnern
durchgeführt und regionale und länderspezifische
Initiativen unterstützt. Zu den in den vergangenen Zur Ausgestaltung wirksamer Gesetze
vier Jahren unternommenen Aktivitäten gehören beitragen
die gemeinsam mit der Afrikanischen Kommis- 405. Um die Diskriminierung zu beseitigen, muss
sion für Menschenrechte und Rechte der Völker sie verboten werden, und dazu bedarf es konkreter
durchgeführte Forschungstätigkeit über den recht- gesetzlicher Bestimmungen. Ein nationales Gesetz
lichen Schutz indigener Gemeinschaften in Afrika, aber ist nur wirklich effektiv, wenn es durch-
die Förderung der Rechte indigener und Stammes- gesetzt wird, und eine angemessene Behandlung
völker in Südasien, der Aufbau von Kapazitäten von Diskriminierungsfällen durch Rechtsanwälte
und die Erarbeitung nationaler Gesetze (z. B. in und Richter ist hierbei ein Schritt in die richtige
Kambodscha, Kamerun, Kongo) sowie technische Richtung.
Unterstützung bei der Umsetzung des Überein-
kommens Nr. 169 (Lateinamerika) 5. Einen wirksamen rechtlichen Rahmen
schaffen
5
406. Die Überwachung der Anwendung von IAO-
Siehe die Website der IAO zu indigenen und in Stämmen Arbeitsnormen, einschließlich der Übereinkom-
lebenden Völkern: www.ilo.org/public/english/indigenous.
men Nr. 100 und Nr. 111, und die technische

112
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Unterstützung der Mitgliedstaaten mit dem Ziel Ebene widerspiegeln sollten 6 . Auch für Arbeits-
sicherzustellen, dass die nationalen Gesetze und richter hat die IAO kürzlich einen HIV/Aids-Leit-
Verfahren im Einklang mit den ratifizierten IAO- faden entwickelt 7.
Übereinkommen stehen, machen den Kern der 409. Ferner hat die IAO eine Richtliniensamm-
Arbeit der IAO aus. Diese Unterstützung kann lung herausgebracht, in der aufgezeigt wird, wie
viele verschiedene Formen annehmen: von der gleiche Beschäftigungschancen für Menschen mit
Rechtsberatung zu Inhalt und Geltungsbereich Behinderungen über entsprechende Gesetze geför-
eines Arbeitsgesetzentwurfs über Hilfe bei der dert werden können 8 . In ausgewählten Ländern
Entwicklung einer Strategie zur Umsetzung der Asiens, des Pazifik und des südlichen Afrika wur-
Gesetze bis hin zum Aufbau von Kapazitäten bei den Untersuchungen über die Auswirkungen von
den Verfassern von Rechtsvorschriften oder bei Gesetzen durchgeführt. Diese geben Aufschluss
den Arbeitsrichtern – oder auch eine Kombination über die vielfältigen Formen und Ziele von
verschiedener Elemente. So hat die IAO etwa Gesetzgebung mit dem Ziel, Diskriminierung auf-
Bosnien und Herzegowina, nachdem 2005 im grund von Behinderungen zu regulieren (Über-
Konferenzausschuss für die Durchführung der sicht 4.1).
Normen eine Aussprache über mangelnde Berichte 410. Ein Maßstab für die Wirksamkeit eines
des Landes über die Ratifizierung von Über- Gesetzes ist die Anzahl der Diskriminierungsfälle,
einkommen stattgefunden hatte, im Jahr 2006 bei die bei Gericht oder einer anderen zuständigen
der Erarbeitung einer Strategie unterstützt, in der Behörde eingereicht und angemessen weiterver-
für die staatlichen Behörden und die Sozialpartner folgt werden; die Ausbildung von Richtern und
Prioritäten für die wirksame Umsetzung des Rechtsanwälten ist hierfür ausschlaggebend.
Gleichstellungsgesetzes ausgewiesen werden. Das
hat den verschiedenen beteiligten Institutionen Richter und Rechtsanwälte besser für die
einen besseren Einblick in ihre jeweiligen Kompe- Behandlung von Diskriminierungsfällen
tenzen und Verantwortungen ermöglicht – eine
wesentliche Voraussetzung für die Herbeiführung befähigen
der gewünschten Veränderungen in Recht und 411. Die Justiz kann eine aktive Rolle bei der
Praxis. besseren Durchsetzung von Antidiskriminierungs-
407. In Mauritius wurde nach der 2002 erfolgten gesetzen spielen. Seit 1999 organisiert das Inter-
Ratifizierung der Übereinkommen Nr. 100 und nationale Ausbildungszentrum der IAO Lehrgänge
Nr. 111 im Jahr 2005 das gemeinsam von der IAO für Richter, Rechtsanwälte und Rechtsprofessoren
und dem UNDP durchgeführte Projekt Schaffung über internationales Arbeitsecht unter Berücksich-
von Kapazität für „Gleichstellung und Ermächti- tigung der Nichtdiskriminierung und der Gleich-
gung der Frauen“ ins Leben gerufen, um im stellung in Beschäftigung und Beruf. Die Gerichte
Rahmen der nationalen Gleichstellungspolitik und müssen auf der Grundlage nationaler Gesetze und
des nationalen Gleichstellungsaktionsplans (2005- Vorschriften entscheiden, können sich aber bei der
2015) Maßnahmen und Strategien zur Überwin- Auslegung und Anwendung nationalen Rechts auf
dung der bestehenden Ungleichheit in der die Rechtsgrundsätze, Konzepte und Definitionen
Beschäftigung, beim Zugang zu Berufsbildung der einschlägigen IAO-Rechtsinstrumente berufen.
und der Entlohnung zu entwickeln. Zu diesem Die Lehrgänge versetzen die Rechtspraktiker in
Zweck soll über dieses Projekt Unterstützung bei die Lage, bei der Schlichtung von Arbeitstreitig-
der Harmonisierung des nationalen Rechts mit den keiten auf internationale Arbeitsnormen zurückzu-
genannten Übereinkommen und beim Abbau dis- greifen. Die Lehrgänge beinhalten ausführliche
kriminierender Praktiken bei der Entlohnung von Analysen wesentlicher Rechtsbegriffe, wie etwa
Frauen geleistet werden. die mittelbare und unmittelbare Diskriminierung,
408. Die von der IAO in diesem Bereich die verschiedenen Diskriminierungsgründe – auch
geleistete Hilfe beinhaltet auch die Entwicklung die erst in jüngerer Zeit anerkannten –, gleicher
und Verbreitung von Leitfäden als Orientierungs-
hilfen für die Gesetzgeber bei der Erarbeitung von
Gesetzesentwürfen. So empfiehlt die IAO etwa, 6
Siehe J. Hodges: Guidelines on addressing HIV/AIDS in the
dass nationale Arbeits- oder Antidiskriminierungs- workplace through employment and labour laws (IAA, 2004,
gesetze, in denen auch Bestimmungen über Aids Genf); M.-C. Chartier: Legal initiatives to address HIV/AIDS
vorgesehen sind, die im Praxisorientierten Leit- in the world of work (IAA, 2005, Genf).
faden der IAO zu HIV/Aids in der Welt der Arbeit 7
IAA: Using the ILO code of practice and training manual:
verankerten Grundsätze berücksichtigen und das Guidelines for labour judges and magistrates (Genf, 2005).
Ergebnis von Beratungen mit den verschiedenen Mehrere Lehrgänge zu diesem Leitfaden wurden im Turiner
Interessengruppen auf nationaler oder regionaler Zentrum der IAO sowie in Süd-, Ost- und Westafrika und in
Südostasien durchgeführt.
8
IAA: Achieving equal employment opportunities for people
with disabilities through legislation: Guidelines (Genf, 2004,
Genf).

113
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Übersicht 4.1. Platzierung von Bestimmungen zu Behinderung in ausgewählten Ländern

Ausgewählte Länder Bestimmungen


Verfassungsrecht Brasilien, China, Bestimmungen über Menschenrechte, Grundfreiheiten
Deutschland, Ghana, mit dem Verbot verschiedener Arten der
Kambodscha, Kanada, Diskriminierung einschließlich der Diskriminierung
Seychellen, Slowenien, aufgrund von Behinderungen
Südafrika, Tansania,
Uganda
Strafrecht Finnland, Frankreich, Geld- und Gefängnisstrafen
Spanien
Spezifische Äthiopien, China, Ghana, Bestimmungen über verschiedene Aspekte (Medizin,
Gesetze für Indien, Kambodscha, Sozialleben, Sozialfürsorge) sowie über die Rechte
Menschen mit Mauritius, Mongolei, Sri Behinderter, u.a. bei der Beschäftigung.
Behinderungen Lanka, Vereinigte
Republik Tansania
Allgemeine Gesetze Australien, Fidschi, Beschäftigungsgesetz (Seychellen), Gesetz über die
Sansibar (Vereinigte Chancengleichheit bei der Beschäftigung (Australien)
Republik Tansania),
Seychellen,
Quoten China, Deutschland, Bestimmungen, nach denen Unternehmen oder
Frankreich, Indien, Italien, bestimmte Kategorien von Unternehmen (z. B. solche
Japan, Mauritius, mit mehr als einer bestimmten Anzahl Beschäftigter)
Mongolei, Polen, einen bestimmten Anteil an Behinderten einstellen
Tansania, Thailand müssen. Auch kann für den Fall der Nichterfüllung eine
Entschädigungszahlung gesetzlich vorgeschrieben
sein (Mauritius).
Beschäftigungs- Australien, Indien, Japan, Vorkehrungen am Arbeitsplatz und Zugangserleichte-
fördermaßnahmen Kanada, Mauritius, nor- rungen
dische Länder, Südafrika,
Vereinigtes Königreich,
Vereinigte Staaten
Äthiopien, Indien, Japan, Arbeitsvermittlungsdienste
Kambodscha, Sri Lanka, (Arbeitsvermittlungsagenturen))
Thailand
China, Frankreich, Japan, Finanzielle Anreize zum Ausgleich für Aufwendungen
Singapur, Sri Lanka, der Arbeitgeber aufgrund der Einstellung behinderter
Thailand Arbeitnehmer: Darlehen zur Anfangsfinanzierung von
Unternehmen (China), Finanzhilfen für die Existenz-
gründung behinderter Menschen und Mikrofinanz-
dienste für Kriegsveteranen (Sri Lanka), finanzielle
Unterstützung für Berufsbildung (Japan, Thailand) und
Steuererleichterungen (China, Singapur)

Lohn für gleichwertige Arbeit sowie geeignete inzwischen für Albanien, Argentinien, Brasilien,
Maßnahmen zur Beseitigung diskriminierender Madagaskar, Marokko und Senegal.
Verhältnisse. 413. Eine unabhängige Studie zur Bewertung der
412. Um einen maximalen Effekt zu erzielen, Auswirkung von Ausbildungstätigkeiten in den
wurden Kooperationen mit Ausbildungszentren Jahren 1999-2003 9 ergab, dass 68 Prozent der
für Richter und juristischen Fakultäten einge-
gangen. Auf diese Weise soll sichergestellt
werden, dass die nationalen Partnerorganisationen 9
Siehe Internationales Ausbildungszentrum der IAO:
das internationale Arbeitsrecht und das Gleichstel- Evaluation d’impact des cours sur les normes internationales
lungsrecht in ihre Lehrpläne aufnehmen. Lang- du travail pour juges, juristes et professeurs de droit (1999-
2003) (Turin, 2005), unter training.itcilo.org/ils/ILS_Judges/
fristig angelegte Kooperationen mit juristischen training_materials/francais/RapportFR.pdf.
Ausbildungszentren und Universitäten bestehen

114
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Kasten 4.3
Auswirkung der Ausbildungstätigkeit für Richter und Rechtsanwälte auf die Rechtsprechung in
Gleichstellungsfällen in Madagaskar

Seit 2002 besteht ein langfristiges Kooperationsabkommen zwischen dem Turiner Zentrum der IAO und der Richterschule
Madagaskars. 2003 berief sich der Oberste Gerichtshof Madagaskars auf das Übereinkommen Nr. 111 der IAO, um
darzulegen, dass das im Tarifvertrag eines Unternehmens für Frauen vorgesehene frühere Rentenalter eine geschlechts-
bedingte Diskriminierung darstellte. Nach Meinung des Gerichts ließ sich die unterschiedliche Behandlung, die für die weib-
lichen Angestellten einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil mit sich brachte, nicht durch objektive, auf die Arbeitsplatz-
anforderungen der Frauen zurückzuführende Gründe rechtfertigen. Das kürzlich ergangene Urteil eines Arbeitsgerichts hat
diese Rechtsprechung auf einen weiteren Fall angewandt.
2004 hat sich das Arbeitsgericht von Antsirabe auf das IAO-Übereinkommen Nr. 111 berufen, um das Argument zu
untermauern, dass die Entlassung eines Angestellten durch eine religiöse Einrichtung eine Diskriminierung darstellte. Der
Angestellte, der als Statistiker arbeitete, wurde entlassen, als er nach seiner Eheschließung mit einer Frau anderen Glau-
bens seine Religionszugehörigkeit wechselte. Das Gericht berief sich bei seiner Entscheidung auf Artikel 1(2) des IAO-
Übereinkommens Nr. 111 für seine Entscheidung, dass die Religion kein Erfordernis darstellt, um die Arbeit eines Statisti-
kers auszuüben. Die Entlassung wurde daher als diskriminierend verurteilt.

Quelle: Arbeitsgericht Antananarivo, Urteil Nr. 529 vom 2. Juni 2006. Arbeitsgericht Antsirabé, Ramiaranjatovo Jean-Louis gegen
Fitsaboana Maso, 7. Juni 2004, zitiert in: Internationales Ausbildungszentrum der IAO: Use of international law by domestic courts,
compendium of court decisions, (Turin, IAA, 2006).

Befragten sich in Rechtsfällen ausdrücklich auf vertretung, Arbeitsmarktergebnissen und sozialem


die internationalen Arbeitsnormen beriefen und so Schutz abzielen.
auf die Rechtsprechung ihres Landes Einfluss 415. Das Gleichstellungsnetzwerk der IAO, das
nahmen (Kasten 4.3); 64 Prozent berichteten, dass Gleichstellungsexperten und -anlaufstellen im
die Lehrpläne der juristischen Fakultäten und der Außendienst und der Zentrale miteinander verbin-
Richterschulen ihres Landes abgeändert worden det, hat zu einem fruchtbaren Austausch von
seien. Erfahrungen und praktischen Verfahren zur
Durchsetzung der Gleichstellung der Geschlechter
Gender Mainstreaming für die beigetragen. Es hat darüber hinaus bewirkt, dass
Gleichstellung der Geschlechter die Gleichstellungsexperten strategischer vorgehen
und beginnen, eine gemeinsame globale Agenda
bei der Arbeit zu erarbeiten, während sie gleichzeitig spezifische
414. Wie bereits in Gleichheit bei der Arbeit – ein regionale und programmatische Anliegen im Auge
Gebot der Stunde ausgeführt, stützt sich die IAO behalten 10.
zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter 416. Ein weiteres Mittel zur Förderung organi-
in der Welt der Arbeit auf eine Doppelstrategie. satorischer Lernprozesse im Hinblick auf die
Diese besteht erstens in der Berücksichtigung Berücksichtigung der Gleichstellungsanliegen in
geschlechtsspezifischer Aspekte bei der Erarbei- den grundsatzpolitischen Konzepten, Programmen
tung und Durchführung sämtlicher Programme und Strukturen der IAO die sind die amts-
und Projekte der IAO und zweitens in gezielten, übergreifenden partizipatorischen Gleichstellungs-
auf Frauen oder auf Männer ausgerichteten Maß- audits. In den Jahren 2001 bis 2005 sind
nahmen zum Abbau des geschlechtsspezifischen 25 Ämter/Gruppen einem Gleichstellungsaudit
Gefälles. Die bisher in der IAO und in anderen unterzogen worden (zehn Gruppen in der Zentrale
Institutionen gesammelten Erfahrungen (siehe und 15 Außenämter in Süd- und Südostasien, im
Kasten 3.7 in Teil III) bestätigen die Relevanz und Nahen Osten, Europa, Afrika und Lateiname-
Zweckmäßigkeit der Beibehaltung dieses doppel- rika) 11. Auch die Mitgliedsgruppen der IAO, dar-
ten Ansatzes. Das Gender Mainstreaming hat unter der IBFG, haben die IAO um Unterstützung
einen zusätzlichen Nutzen, denn es trägt zu einem auf diesem Gebiet ersucht. Dieses Vorhaben, das
besseren Verständnis der Strukturen und Funk- erste seiner Art im System der Vereinten
tionsweise des Arbeitsmarkts und der Arbeits- Nationen, hat das Bewusstsein dafür geschärft,
stätten bei und begünstigt so die Ausgestaltung
und Umsetzung politischer Konzepte. Jedoch läuft 10
IAA: Sharing knowledge: Gender equality in the world of
das Gender Mainstreaming Gefahr, wirkungslos work, Büro für die Gleichstellung der Geschlechter, unter
zu bleiben, wenn es nicht von Maßnahmen beglei- www.ilo.org/gender/.
tet wird, die spezifisch auf das nach wie vor in 11
IAA: ILO participatory gender audit: A tool for organiza-
beträchtlichem Umfang vorhandene geschlechts- tional change, unter www.ilo.org/gender.
spezifische Gefälle bei Mitsprache und Interessen-

115
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

dass die Geschlechterfrage in die technischen die Unterstützung des Gleichstellungsbüros und
Bereiche integriert werden muss. Gleichzeitig der Gleichstellungsexperten im Außendienst
wurde aber deutlich, dass die Umsetzung der aus erwiesen, die einen immer größer werdenden
den Gleichstellungsaudits hervorgegangenen Anteil an geschlechtsspezifischen oder gleich-
Empfehlungen problematisch ist und dass auf- stellungsorientierten Tätigkeiten der technischen
grund fehlender Überwachungsmechanismen nur Zusammenarbeit zu bewältigen haben. Das IAO-
unzureichend Rechenschaft zu erzielen ist 12. Das Programmierungs- und Fachpersonal verfüge
wiederum zeigt, wie schwierig der Übergang von jedoch bislang nur in begrenztem Umfang über
einer Gleichstellungspolitik als „Zusatz“ zu einer Analyse- und Planungskompetenzen in Gleich-
tiefergehenden Integration der Geschlechterfrage stellungsfragen.
in die IAO-Agenda für menschenwürdige Arbeit 420. Im Kontext des gegenwärtigen Entwick-
ist; dies jedoch ist entscheidend für den Erfolg der lungshilfeparadigmas, in dem von den Ländern
Agenda. Eigeninitiative und eine umfassende Koordinie-
rung der Geberhilfe gefordert wird, hat die IAO
Gender Mainstreaming in der technischen über ihr Turiner Zentrum die Europäische Kom-
Zusammenarbeit mission bei ihren Bemühungen unterstützt, die
Gleichstellung der Geschlechter in das Zentrum
417. Der im Jahr 2003 aufgelegte Partnerschafts- ihrer Entwicklungsagenda zu rücken (Kasten 4.5).
fonds der IAO für die Gleichstellung der
Geschlechter und das Gender Mainstreaming in
der technischen Zusammenarbeit sind weitere Gender Mainstreaming im sozialen Dialog
Instrumente, mit denen die IAO die Gleichstellung 421. Im Verlauf der letzten 15 Jahre sind in
der Geschlechter in den verschiedenen Sektoren sämtlichen Regionen nationale Einrichtungen für
und sozioökonomischen und kulturellen Gegeben- den sozialen Dialog entstanden oder konsolidiert
heiten in die Praxis umzusetzen versucht. worden. Damit will man die Probleme der Arbeits-
418. Im März 2005 wurde vom Verwaltungsrat märkte in einem sich rapide wandelnden Umfeld
ein Beschluss mit der Forderung verabschiedet, besser bewältigen. Eine Stärkung der Einrichtun-
die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter gen für Sozialdialog bedeutet zugleich eine
in der gesamten technischen Zusammenarbeit der Stärkung von Partizipation und Demokratie, denn
IAO angemessen zu berücksichtigen. In den kürz- sie verleiht den unmittelbar Betroffenen im Ent-
lich mit Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, scheidungsprozess eine Stimme. 2006 hat der
Norwegen, Schweden und dem Vereinigten Sektor Sozialdialog, Arbeitsrecht und Arbeits-
Königreich unterzeichneten Rahmenvereinbarun- verwaltung (DIALOGUE) eine Forschungsinitia-
gen wird ausdrücklich auf die Bedeutung einer tive ins Leben gerufen, um Vergleichsdaten für die
durchgängigen Berücksichtigung der Gleichstel- Beteiligung der Frauen an den Einrichtungen für
lung der Geschlechter bei der Durchführung der Sozialdialog zu ermitteln. Die Situation ist wenig
Programme hingewiesen. In den Vereinbarungen ermutigend, wie der im Schnitt niedrige Frauen-
mit Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und anteil an diesen Einrichtungen zeigt (Kasten 4.6).
Schweden ist man noch einen Schritt weiter Ein größerer Anteil Frauen in Führungspositionen,
gegangen und hat einen zusätzlichen Beitrag spe- der durch Ausbildungsmaßnahmen, Quoten oder
ziell für den Partnerschaftsfonds der IAO für die Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und
Gleichstellung der Geschlechter ausgewiesen. Der Beruf erzielt werden könnte, würde zur Sicherung
Fonds, der im Jahr 2003 mit Finanzmitteln aus einer ausgewogenen Beteiligung von Männern
dem ordentlichen Haushalt der IAO aufgelegt und Frauen an den Entscheidungsprozessen bei-
wurde, soll die Kapazitäten der IAO-Mitglieds- tragen. Das wichtigste Element für einen Wandel
gruppen stärken, positive Maßnahmen zur Förde- besteht jedoch in der Einsicht, dass eine
rung der Chancengleichheit von Männern und unausgewogene Beteiligung ein Demokratiedefizit
Frauen in der Welt der Arbeit zu ergreifen darstellt.
(Kasten 4.4). 422. Diese Überlegung hat die DIALOGUE ver-
419. Seit Anfang 2006 ist eines der Haupt- anlasst, sich auf Bemühungen zu konzentrieren,
kriterien bei der technischen Überprüfung neuer die Sozialpartner befähigen, die Problematik der
Vorschläge zur technischen Zusammenarbeit der Geschlechterdiskriminierung besser zu verstehen
IAO, ob und in welcher Weise die zu prüfenden und bei den Beratungen im Vorfeld der von der
Vorschläge eine Strategie zur generellen Berück- Weltbank und dem IWF geleiteten Ausarbeitung
sichtigung von Gleichstellungsbelangen beinhal- von PRSPs (siehe Kasten 4.2) anzusprechen.
ten. Dieses Verfahren hat sich als entscheidend für

12
Ebd.

116
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Kasten 4.4
Der Partnerschaftsfonds der IAO für die Gleichstellung der Geschlechter

Im Rahmen des Partnerschaftsfonds der IAO für die Gleichstellung der Geschlechter werden in 25 Ländern 13 Projekte
durchgeführt, ausnahmslos auf der Grundlage von Hilfeersuchen von Arbeitsministerien, Arbeitnehmer- oder Arbeitgeber-
organisationen oder Gruppen von in der informellen Wirtschaft tätigen Frauen. Die Inhalte der vom Fonds unterstützten
Projekte sind breit gefächert; jedoch liegt sämtlichen Projekten die gleiche gemeinsame, mehrstufige Strategie zugrunde,
die eine Bedarfsanalyse, den Aufbau von Kapazitäten, das Management und die Weitergabe von Wissen sowie den
Aufbau von Partnerschaften umfasst. In Marokko hat der Fonds bei der Ausgestaltung praktischer Lösungen für die
speziellen Schutzanforderungen und besonderen Anliegen der Frauen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der
Textil- und Bekleidungsindustrie geholfen. Im Jemen wurden für die Sozialpartner Schulungen durchgeführt, um sicherzu-
stellen, dass die unterschiedlichen Chancen und Risiken von Männern und Frauen im sozialen Dialog erkannt und berück-
sichtigt werden; das Projekt förderte die Gleichstellung nicht nur in den dreigliedrigen Verhandlungen, sondern auch in der
nationalen Politikplanung. In Russland wurden vier Aktionspläne zur Durchführung von Gleichstellungsmaßnahmen auf
dem Gebiet der Beschäftigung und des sozialen Schutzes für die Föderationskreise Zentralrussland, Fernost, Sibirien und
Wolga aufgestellt. 50 in diesem Bereich tätige Journalisten wurden für die geschlechtsspezifische Dimension dieser Politik
sensibilisiert; im Rahmen eines gesamtrussischen Wettbewerbs wurden bis Ende 2003 über 100 Veröffentlichungen und
Radio- und Fernsehsendungen herausgebracht. In China wurden die IAO-Mitgliedsgruppen und der Allchinesische Frauen-
verband (ACWF) in Strategien, Mechanismen und Instrumenten des Gender Mainstreaming geschult und führten gleich-
stellungsorientierte Forschungsarbeiten und Studien zur Folgenabschätzung durch.
Quelle: IAA, Büro für die Gleichstellung der Geschlechter: ILO Gender Equality Partnership Fund: What it is and what it does, unter
www.ilo.org/dyn/gender/docs.

Kasten 4.5
Gender Mainstreaming in der Entwicklungshilfe der Europäischen Union: Ein Projekt zum Kapazitätsaufbau

Die Europäische Union (EU) gehört zu den weltweit größten Entwicklungshilfegebern; mehr als 50 Prozent der gesamten
Entwicklungshilfe wird von der EU finanziert. In der Entwicklungsagenda der EU wird die Gleichstellung sowohl als Ziel als
auch als Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung aufgeführt. Im Rahmen ihres Aktionsprogramms zur Berücksichtigung
der Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen und in allen Bereichen der von der EU finanzierten Entwick-
lungszusammenarbeit hat die Europäische Kommission das Turiner Zentrum um Unterstützung bei der Überwindung der
Kluft zwischen den politischen Grundprinzipien und der Praxis gebeten, indem die Kapazitäten der Europäischen Kom-
mission für das Gender Mainstreaming vom vorgelagerten Dialog mit den Empfängerländern über grundsatzpolitische
Fragen bis hin zur Ausführung der Hilfe und der Durchführung der Projekte gestärkt wird. Seit Januar 2004, also seit mehr
als 36 Monaten, läuft dieses Projekt mit dem Ziel, einen Prozess des organisatorischen Wandels und des institutionellen
Lernens in Gang zu bringen, der auf drei eng miteinander in Verbindung stehende Handlungsebenen ausgerichtet ist:
1) Instrumente und Verfahren: Entwicklung einer Reihe benutzerfreundlicher und standardisierter Instrumente, Leitli-
nien und Informationsquellen für das Gender Mainstreaming, wie z. B. das Toolkit on mainstreaming gender equality
in EU development cooperation in vier Sprachen sowie länder- und sektorspezifische Informationsschriften über
Gleichstellungsfragen.
2) Sensibilisierung der Entscheidungsträger und Schulung des operativen Personals hinsichtlich der Vorgehensweise
zur Berücksichtigung der Gleichstellungsbelange in ihrer täglichen Arbeit sowie der Dialog darüber auf allen Ebenen
und in allen Bereichen der EU-Entwicklungshilfe: 1.200 Teilnehmer, die sich aus Beamten der Europäischen Kom-
mission, Regierungsvertretern aus Drittländern und Vertretern von Geberorganisationen, internationalen Organisa-
tionen und nichtstaatlichen Frauenorganisationen zusammensetzten, wirkten an 50 Arbeitsseminaren und Sensibili-
sierungsveranstaltungen in Brüssel und in 24 Vertretungen der EU in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa mit.
Auch Online-Lernverfahren wurden angewendet, um den Wirkungsbereich zu erweitern und den Gedankenaus-
tausch anzuregen.
3) Angebot einer maßgeschneiderten technischen Unterstützung, durch die institutionelle Lernprozesse, der Aufbau
von Gleichstellungsnetzwerken und der Informationsaustausch gefördert werden: Eine Beratungsstelle für Gleich-
stellungsfragen, die mit drei vollzeitbeschäftigten Gleichstellungsexperten besetzt war, stand für spezifische Aus-
künfte über einzelne laufende Programme und Projekte und über zukünftige Kooperationsstrategien zwischen der
EU und Drittländern, insbesondere in Afrika, der Karibik und dem Pazifik, zur Verfügung. Auch ein vierteljährliches
Mitteilungsblatt und über das Intranet abrufbare Informationen wurden bereitgestellt.
Quellen: GENRE 2003/076514 E950135- Preliminary Summary Assessment of the results achieved over the period 1 January 2004 –
31 March 2006, 20. April 2006, Internationales Ausbildungszentrum/IAA, unter ec.europa.eu/comm/ europeaid/projects/gender/
toolkit_2006/ und www.itcilo.org/ec (für das Online-Lernen).

117
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 4.6
Beteiligung der Frauen an den nationalen Einrichtungen für sozialen Dialog

Mit Hilfe von Fragebögen wurden Daten aus 48 zwei-, drei- und mehrgliedrigen Einrichtungen erhoben – etwa der Hälfte
der gegenwärtig auf nationaler Ebene im sozioökonomischen Bereich operierenden Einrichtungen für Sozialdialog. Aus
den Daten ging hervor, dass der durchschnittliche Anteil der Frauen über alle Regionen hinweg 14,68 Prozent betrug.
Nach Regionen aufgeschlüsselt, wies Europa mit 16,76 Prozent den höchsten Frauenanteil auf, gefolgt von Lateinamerika
und der Karibik mit 14,16 Prozent, Afrika mit 12,34 Prozent und Asien mit 11,21 Prozent. Innerhalb der Regionen waren
beträchtliche Unterschiede zu verzeichnen. Während in Lateinamerika die durchschnittliche Beteiligung der Frauen
11,46 Prozent betrug, sind in der Karibik 34,57 Prozent aller Mitglieder von Einrichtungen für Sozialdialog Frauen. Unter-
gliedert nach Gruppen, betrug der Frauenanteil im Durchschnitt aller Regionen 18,93 Prozent bei den Regierungsvertre-
tern, 12,95 Prozent bei den Arbeitnehmervertretern und 10 Prozent bei den Arbeitgebervertretern. In Ecuador und
Rumänien waren Frauen überhaupt nicht in den Einrichtungen für Sozialdialog vertreten, weder als Vertreterinnen der
Sozialpartner noch als Regierungsvertreterinnen. In Belgien, Haiti und Peru waren Initiativen zur Förderung einer ausge-
wogeneren Beteiligung vorausgegangen.
Eine Überprüfung der Verfahren zur Ernennung der Vertreter ergab für alle Länder, dass die Regierungen die Mitglieder
der Einrichtungen für Sozialdialog zwar offiziell ernennen, die Verantwortung für die Wahl der einzelnen Vertreter jedoch
einzig bei den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen bzw. bei den Regierungen liegt. Aus diesem Grund sollte jede
Strategie zur Schaffung eines ausgewogeneren Verhältnisses zwischen Männern und Frauen in den Einrichtungen des
Sozialdialogs darauf abzielen, den Zugang der Frauen zu den Führungspositionen der Organisationen der Sozialpartner,
der öffentlichen Verwaltung und der Regierungen zu fördern.
Die Daten ergaben darüber hinaus, dass 48 Prozent der Institutionen die Gleichstellung in ihre Dialogagenda aufgenom-
men hatten, wenn auch ohne Systematik. Es scheint kein Zusammenhang zwischen der Gleichstellung als Diskus-
sionsthema auf der Agenda einer Institution und ihrem tatsächlichen Frauenanteil zu bestehen. Die in der Europäischen
Union erlassenen gesetzlichen Bestimmungen zur Gleichstellung haben dazu beigetragen, dass in der EU 64 Prozent der
befragten Einrichtungen für sozialen Dialog die Geschlechterfrage in ihre Dialogagenda aufgenommen haben.

Quelle: IAA: Women’s participation in social dialogue institutions, (erscheint demnächst).

Förderung des Mutterschutzes und der öffentlichungen und praktischen Informationsmit-


Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben teln herausgebracht (Kasten 4.7).
425. Außerdem wurden Förder- und Ausbildungs-
423. Familienpflichten haben Auswirkungen auf
möglichkeiten zur Unterstützung der IAO-Mit-
die Fähigkeit von Frauen und Männern, einen
gliedsgruppen bei der Förderung und Durchfüh-
Arbeitsplatz zu finden und zu behalten und einen
rung der Übereinkommens (Nr. 183) über den
ausreichenden Lebensunterhalt zu verdienen; eine
Mutterschutz, 2000, und des Übereinkommens
Schwangerschaft ist indes überall in der Welt nach
(Nr. 156) über Arbeitnehmer mit Familienpflich-
wie vor ein häufiger Grund für Entlassung oder
ten, 1981, durchgeführt. So wurden etwa im
die Verweigerung einer Beschäftigung. Wie
Jahr 2005 für Vertreterinnen der Frauennetzwerke
bereits weiter oben ausgeführt, haben die durch
des Internationalen Bundes freier Gewerkschaften
die Globalisierung hervorgerufenen Veränderun-
und des Weltverbands der Arbeitnehmer aus 20
gen der Arbeitszeit und der Arbeitsorganisation
Ländern der Region der mittel- und osteuro-
die Schieflage in den Beschäftigungsmustern und
päischen Ländern und der neuen unabhängigen
Arbeitsbedingungen zwischen den Geschlechtern
Staaten in der Sechsten Internationalen Gewerk-
und den gesellschaftlichen Schichten noch ver-
schaftsschule für Frauen, die im September bis
schärft. Das hat auch Einfluss darauf, wie die
Oktober 2005 in Ohrid in Der ehemaligen jugos-
Frauen und Männer für ihre Familien sorgen kön-
lawischen Republik Mazedonien stattfand, Schu-
nen.
lungen über Arbeitnehmer mit Familienpflichten
424. Um dieses Problem zu bewältigen, hat sich
durchgeführt. Zum Abschluss verabschiedeten die
die IAO in den letzten Jahren damit beschäftigt,
Teilnehmerinnen eine Entschließung mit der
ihre Wissensbasis in diesem Bereich zu verbrei-
Aufforderung an ihre jeweiligen Gewerkschaften
tern. Als Ergebnis wurde eine Reihe von Ver-
und Regierungen, angemessene Arbeitsbedingun-

118
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Kasten 4.7
Informationsmaterial der IAO für einen besseren Mutterschutz und die Förderung der Vereinbarkeit
von Berufs- und Privatleben

In Reconciling work and family responsibilities: Practical ideas from global experience werden konkrete Beispiele aus aller
Welt angeführt, die belegen, was getan wird, um den Arbeitnehmern die Vereinbarkeit von Arbeit und Familienpflichten –
wie etwa die Betreuung von Kindern oder alten Menschen – zu erleichtern. Diese Beispiele liefern nützliche Ideen für die
Arbeit der Regierungen, der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und der in diesem Bereich tätigen
Organisationen der Zivilgesellschaft. Vor einiger Zeit sind Arbeitspapiere erstellt worden, in denen die Trends, Probleme,
Politiken und Programme in Bezug auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in drei Ländern bewertet werden: Brasilien,
Japan und Korea. In einigen Entwicklungsländern sind entsprechende Untersuchungen angelaufen.
Maternity at work: A review of national legislation ist eine umfassende Studie über die wichtigsten mutterschutzrechtlichen
Bestimmungen in 166 Ländern. In dieser Publikation werden die nationalen Bestimmungen in Bezug auf den Mutter-
schaftsurlaub (Dauer, Geldleistungen, Finanzierungsquellen und Umfang), andere Formen des Urlaubs (Vaterschafts-
urlaub, Elternurlaub, Adoptionsurlaub), den Schutz vor Entlassung und Diskriminierung sowie den Gesundheitsschutz
schwangerer und stillender Arbeitnehmerinnen analysiert. Die Online-Datenbank über den Mutterschutz, die Informationen
über nationale Mutterschutzgesetze in 160 Ländern enthält, ist vor kurzen aktualisiert worden.
Zum Thema Arbeit und Familienpflichten wurde außerdem eine Reihe von acht Datenblättern herausgegeben; ein Leit-
faden mit dem Titel Healthy beginnings: Guidance on safe maternity at work enthält Informationen über die Grundprinzipien
des Übereinkommens (Nr. 183) über den Mutterschutz, 2000, und praktische Hinweise zur Ermittlung von Risiken und
Gefahren am Arbeitsplatz und zur Verbesserung des Mutterschutzes und der Gesundheit bei der Arbeit; die kurze Informa-
tionsschrift How are workers with family responsibilities faring in the workplace liefert konkrete Beispiele dafür, welche
Auswirkungen Familienpflichten auf die Fähigkeit von Männern und Frauen haben, einen Arbeitsplatz zu finden und zu
behalten.

gen für Arbeitnehmerinnen und alle Arbeitnehmer wächst. Die von den Hausangestellten erbrachten
mit Familienpflichten zu schaffen 13. Dienstleistungen sind so unverzichtbar, dass diese
Nachfrage noch nicht einmal in Zeiten wirt-
Die Mehrfachdiskriminierung von schaftlichen Abschwungs spürbar nachlässt. Inte-
Hausangestellten bekämpfen ressanterweise schnellt die Nachfrage nach Haus-
angestellten in Zeiten wirtschaftlicher Wieder-
426. Die häusliche Arbeit bietet weltweit Millio- belebung nach einer Wirtschaftkrise in kurzer Zeit
nen von Menschen, mehrheitlich Frauen, aber nach oben, während sich das Einkommensniveau
auch Männern, Beschäftigung. Nach diesen deutlich langsamer erholt 15.
Arbeitnehmern besteht in allen Ländern, unabhän- 428. Auf der anderen Seite ist die häusliche
gig von ihrem Entwicklungsstand, eine große Arbeit nach wie vor eine der wenigen Ein-
Nachfrage. So ist etwa in Lateinamerika die kommens- und Beschäftigungsquellen für viele
häusliche Arbeit die größte Beschäftigungsquelle junge und ältere Frauen mit bestenfalls niedrigem
für Frauen außerhalb der Landwirtschaft. 2003 Bildungsniveau. Diese Arbeit ist aber häufig
waren dort 15 Prozent der gesamten weiblichen „unsichtbar“, unterbewertet und ungeschützt. Sie
Erwerbsbevölkerung in der häuslichen Arbeit wird von Angestellten ausgeführt, die nicht als
tätig 14. Arbeitnehmer gelten, für Privatpersonen, die nicht
427. Der Mangel an bezahlbaren und zuver- als Arbeitgeber gelten, in Haushalten, die nicht als
lässigen Betreuungsangeboten für Kinder und Arbeitsplätze angesehen werden. Man betrachtet
andere abhängige Familienangehörige, verbunden diese Tätigkeit als eine Fortführung der tradi-
mit der Notwendigkeit, dass Männer und Frauen tionell unbezahlten Verrichtung häuslicher und
bezahlter Arbeit nachgehen, um ihren Lebens- familiärer Pflichten durch die Frauen und misst ihr
unterhalt ausreichend zu verdienen, erklärt, warum nur geringen finanziellen Wert bei. Das erklärt,
die Nachfrage nach häuslichen Dienstleistungen warum nationale Gesetze dieser Kategorie von
Arbeitnehmern im Allgemeinen einen anderen,
13
ICFTU-WCL, Central and Eastern Europe and Newly niedrigeren Status beimessen als anderen Arbeit-
Independent States Women’s Network: „Declaration on nehmern. Hinzu kommt, dass das geltende Recht
globalization and fair transition for working families“, Ohrid, häufig nicht angewandt wird.
1. Okt. 2005.
14
L. Abramo; M.E. Valenzuela: „Inserción laboral y brechas
15
de equidad de género en América Latina”, in L. Abramo R. Cortés: „Salarios y marco regulatorio del trabajo en el
(Hrsg.): Trabajo decente y equidad de género en América servicio doméstico”, Serie Documentos de Trabajo No. 9,
Latina (Santiago, IAA, 2006), S. 29-62. (Buenos Aires, IAA, 2004).

119
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

429. Es wird zunehmend erkannt, dass die unmit- Karibischen Bund der Hausangestellten
telbare und mittelbare Diskriminierung aufgrund (CONLACTRAHO) und ihre nationalen Verbän-
des Geschlechts und des Alters, häufig in Ver- den mit regionalen und nationalen Gewerk-
bindung mit einem Migrantenstatus oder einer schaften, einschließlich des Interamerikanischen
bestimmten ethnischen Zugehörigkeit, ein wesent- Regionalen Arbeitnehmerbundes (ORIT) zu ent-
licher Grund für die Benachteiligung von Haus- wickeln. In einer im Dezember 2005 in Monte-
angestellten ist. Das hat die Ämter der IAO dazu video verabschiedeten Gemeinsamen Erklärung
veranlasst, gezielte Initiativen für diese Arbeit- wird die IAO u.a. aufgefordert, weitere Normen
nehmer auf regionaler und subregionaler Ebene zum Schutz von Hausangestellten zu beschlie-
ins Leben zu rufen. Das Ziel, die diskriminierende ßen 16.
Behandlung dieser Gruppe von Arbeitnehmern zu 431. Diese Initiativen sind zwar nützlich, sie
bekämpfen, ist in allen Fällen das gleiche; der waren aber von begrenztem Umfang und nur
Ansatz jedoch variiert je nach regionalem Kontext. partieller Anwendbarkeit. Werden z. B. aus-
In Nahost, Asien und Afrika wurden die Maßnah- schließlich die häusliche Arbeit von Minder-
men zur Unterstützung der Hausangestellten in jährigen oder Wanderarbeitnehmern geregelt und
den breiteren Kontext der Bemühungen um eine nur die gravierendsten Fälle einbezogen, bleiben
bessere Regulierung der internationalen Arbeits- Millionen junger und älterer Hausangestellter, die
migration gestellt. Einer der Schwerpunkte in in vielen Fällen vom Land in die Städte abge-
dieser Region ist die Beratung der Regierungen wandert sind, um dort Arbeit zu finden, unbe-
mit dem Ziel sicherzustellen, dass die Einstel- rücksichtigt. Hier besteht Bedarf für die Entwick-
lungspraktiken der privaten Arbeitsvermittlungs- lung globaler, IAO-einheitlicher Konzepte und
dienste nicht zu einer Ausbeutung der in Haus- Maßnamen.
halten angestellten Migranten führen. In Südasien
waren die Maßnahmen für diese Arbeitnehmer Gleiche Beschäftigungschancen bei der
Teil der Initiativen zur Beseitigung der schlimms- Arbeit fördern
ten Formen der Kinder- und der Zwangsarbeit. In
Lateinamerika waren die Bemühungen auf den 432. Die Arbeitsstätte ist ein strategischer Ansatz-
Zusammenhang zwischen der Feminisierung der punkt zur Bekämpfung von Diskriminierung in der
Armut und dem Ungleichgewicht zwischen Beschäftigung und zur Erzielung größerer Vielfalt
Männern und Frauen im Beschäftigungsergebnis und Ausgewogenheit unter der Arbeitnehmer-
ausgerichtet. schaft. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorgani-
430. In allen Regionen war jedoch die Strategie sationen wie auch die Unternehmensleitungen und
darauf ausgerichtet, a) das Ausmaß des Phäno- die Gewerkschaften spielen in dieser Hinsicht eine
mens und die besondere Situation der Hausan- zentrale Rolle. Die IAO hat technische Hilfe für
gestellten zu dokumentieren, b) das niedrigere Initiativen zur Verfügung gestellt, die, ausgehend
Niveau ihrer subjektiven Rechte und Rechts- von den Regierungen und den Arbeitgebern,
ansprüche zu offen zu legen und zu korrigieren, darauf abzielen, Konzepte für gleiche Beschäfti-
c) den Dialog zwischen den Regierungen und den gungschancen auf Betriebsebene zu entwickeln.
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem
über diese Fragen zu fördern und d) Zusammen- Praxisorientierten Leitfaden zu HIV/Aids in der
schlüsse von Hausangestellten zu unterstützen. So Welt der Arbeit zu, der sehr ermutigende Ergeb-
ist z. B. im Libanon ein Nationaler Lenkungsaus- nisse erzielt hat. Die Erfahrung zeigt, dass Inhalt
schuss gegründet worden, in dem Vertreter der und Wirkungsbereich solcher Konzepte den glei-
Regierung, der Arbeitgeberorganisationen, der chen Stellenwert haben wie das Verfahren, nach
Botschaft und der Nichtregierungsorganisationen dem sie erarbeitet wurden: je ausgedehnter die
zusammenkommen, um einen nationalen Aktions- Konsultationen, desto größer die Wahrscheinlich-
plan zur Förderung menschenwürdiger Arbeit für keit, dass diese Politiken später auch angenommen
in Haushalten beschäftigte Migranten zu ent- werden.
wickeln. Der Ausschuss gliedert sich in drei 433. So hat z. B. in Indonesien das Ministerium
Arbeitsgruppen, zuständig für die Rechtsreform für Arbeitskräfte und Migration über ein Bera-
(das libanesische Arbeitsrecht gilt nicht für Haus- tungsverfahren mit den Gewerkschaften und den
angestellte), für die Erarbeitung einer Broschüre Arbeitgeberorganisationen und mit technischer
über die Rechte der Arbeitnehmer und für die Unterstützung durch die IAO in den Jahren 2003
Entwicklung eines Standard-Arbeitsvertrags. In bis 2005 eine Reihe von Richtlinien über gleiche
Uruguay hat die IAO Rechtsberatung für den Beschäftigungschancen für den privaten Sektor
Entwurf eines Gesetzes über die häusliche Arbeit entwickelt 17. Die vom Ministerium gebildete drei-
geleistet, das von der Regierung gebilligt und im
April 2006 dem Parlament vorgelegt wurde. Auch 16
Einsehbar unter www.oitchile.cl/especial.php?id=193.
wurden Bemühungen unternommen, um Verbin- 17
Ministry of Manpower and Transmigration: Guidelines:
dungen zwischen Verbänden von Hausange- Equal employment opportunity in Indonesia (Jakarta, IAA,
stellten, z. B. dem Lateinamerikanischen und

120
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

gliedrige Arbeitsgruppe hatte den Schwerpunkt flexible Arbeitszeiten. Ein besonderes Augenmerk
zunächst auf die Geschlechterdiskriminierung gilt der Verhütung von Belästigung bei der Arbeit,
gelegt, da die Frauen die größte der Diskriminie- insbesondere der sexuellen Belästigung, gemäß
rung und der Benachteiligung ausgesetzte Gruppe dem Gesetz Nr. 20.005 vom März 2005 (siehe
bilden, ging aber später dazu über, den Themenbe- Teil III, Kapitel 1, Abschnitt über Diskriminierung
reich zu erweitern und auch die Probleme rechts- und Rechtsreform). Die Nationaldirektion für den
widriger Praktiken auf Grund von Rasse, Abstam- öffentlichen Dienst ist angehalten, einen Plan für
mung und Behinderungen zu behandeln. Die gute Praktiken aufzustellen; jede Dienststelle oder
Richtlinien über gleiche Beschäftigungschancen Abteilung muss dann jährlich Rechenschaft über
sollen den Unternehmen Orientierung bei der die zur Durchführung des Plans getroffenen Maß-
Umsetzung der entsprechenden nationalen Gesetze nahmen ablegen.
bieten. Es wird darin erklärt, was Chancengleich- 435. In Sri Lanka haben der Arbeitgeberverband
heit bedeutet und welcher Nutzen sich daraus für Ceylons (EFC) und die IAO 2003 gemeinsam eine
die Unternehmen ergibt, und welche Vorausset- Forschungsstudie durchgeführt, um die Situation
zungen erfüllt sein müssen, um die Programme für von Arbeitnehmerinnen bzw. Managerinnen zu
Chancengleichheit in der Beschäftigung erfolg- untersuchen, aufzudecken, welche Hürden der
reich einsetzen zu können. Es werden Verfahren – Laufbahnentwicklung der Frauen entgegenstehen,
von der Einstellung und Einstufung bis hin zu und ein Bündel möglicher Abhilfemaßnahmen
Löhnen und Arbeitsbedingungen – vorgestellt, die vorzuschlagen. Diese Studie basiert auf einer
zu mehr Gleichheit bei der Arbeit führen. Die drei Befragung von 100 privatwirtschaftlichen Unter-
Partner haben die Richtlinien über Chancengleich- nehmen verschiedener Branchen, auch des Plan-
heit Ende 2005 angenommen und mit ihrer Ver- tagen- und des Bekleidungssektors 18 . Sie ergab,
breitung begonnen. dass die Unternehmensleiter der Frage nach der
434. In Chile hat die IAO für die Entwicklung Notwendigkeit einer Gleichstellungspolitik für
eines durch Präsidialverfügung vom 15. Juni 2006 ihre jeweiligen Unternehmen im Allgemeinen eher
angenommenen Kodex’ guter Arbeitspraktiken der skeptisch gegenüberstanden. Die meisten hielten
Nichtdiskriminierung für die staatliche Zentralver- eine solche Politik für diskriminierend und nur in
waltung technische Hilfe bereitgestellt. Dieser Arbeitsstätten sinnvoll, wo der Frauenanteil sehr
Kodex ist für den staatlichen Sektor verpflichtend; hoch sei, wie etwa in den Fabriken. Auf einem
private Unternehmen sind gehalten, ihn auf frei- Arbeitsseminar wurden die Ergebnisse und
williger Basis umzusetzen. Ziel des Kodex ist es, Empfehlungen der Studie diskutiert, um dann
die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der 2005 in die Formulierung und Verabschiedung der
Chancengleichheit und der Gleichbehandlung zu Richtlinien für Unternehmenspolitik zur Gleich-
festigen und gleichzeitig Männern und Frauen zu stellung/Gleichberechtigung der Geschlechter ein-
helfen, ihre Arbeit und ihre Familienpflichten zufließen. Diese sollen in den Betrieben das
miteinander zu vereinbaren. Dabei sollen die sich Bewusstsein für die unterschiedlichen Bedürfnisse
ständig weiterentwickelnden Gesellschafts- und und Zwänge von Männern und Frauen schärfen,
Familienmuster berücksichtigt werden. Sämtliche um diesen besser entsprechen zu können. Zu
Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses, von der diesem Zweck werden Vorschläge dahingehend
Einstellung bis zu den Arbeitsbedingungen, sind gemacht, wie Veränderungen in der Arbeitsorgani-
darin enthalten. Im Kodex wird besonderes sation, den Arbeitsplatzstrukturen, der Personal-
Gewicht auf transparente, leistungsgesteuerte Auf- politik und der Denkweise der Geschäftsführung
stiegs- und Beförderungsverfahren sowie auf glei- herbeigeführt und der Prozess des Wandels über-
chen Zugang zu Ausbildung und Qualifizierungs- wacht werden können. Übersicht 4.2 enthält eine
möglichkeiten gelegt. Geeignete Vorkehrungen, Prüfliste für Gleichstellungsaspekte, denen die
um Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, Unternehmensleitung bei der Entwicklung einer
sich gleichberechtigt mit anderen Kandidaten zu Gleichstellungspolitik Aufmerksamkeit schenken
bewerben, werden gefördert. Ebenso wird ein- sollte.
dringlich angeregt, den Zugang der Frauen zu Ver- 436. Um der steigenden Nachfrage nach techni-
antwortungs- und Führungspositionen zu erleich- scher Unterstützung auf diesem Gebiet nachkom-
tern. Darüber hinaus wird die Bedeutung des men zu können, hat das Büro für Tätigkeiten für
Mutterschutzes hervorgehoben und auf die Not- Arbeitgeber in enger Zusammenarbeit mit dem
wendigkeit hingewiesen, besondere Vorkehrungen Programm Arbeits- und Beschäftigungsbedingun-
für Schwangere und stillende Mütter zu treffen. gen (TRAVAIL), der Hauptabteilung Internationa-
Weitere wichtige Elemente sind die Anerkennung tionaler Arbeitsnormen (NORMES) und der
der Vaterschaftsrechte und Maßnahmen zur Ver- Hauptabteilung Fertigkeiten und Beschäftigungs-
einbarkeit von Arbeit und Familienpflichten, z. B.
18
M. Wickramasinghe; W. Jayatilaka: Beyond glass ceilings
2005), unter www.ilo.org/public/english/region/asro/jakarta/ and brick walls: Gender at the workplace (Colombo, IAA,
download/eeoguidelines.pdf. 2005).

121
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Übersicht 4.2. Prüfliste für Gleichstellungsaspekte

Werbekampagnen Beleuchtung Toiletten


Zulagen und Prämien Mutter-Kind-Raum Umstrukturierungen
Karriere-/Aufstiegschancen medizinische Versorgung und Pensionierung
Gesundheitsfürsorge
Kommunikationseinrichtungen Sitzungen Segregation
Abfindungen Nachtarbeit sexuelle Belästigung
Kinderbetreuung Stillzeiten Personalentwicklung
Entscheidungsfindung Sprachgebrauch Beaufsichtigung
Kleiderordnung Anordnung und Ausgestaltung der Kündigung
Büros
Entlassungsgespräche Aktennotizen Ausbildung und Stipendien
Veranstaltungen und Feiern Liebesaffären am Arbeitsplatz Versetzungen
Raumausstattung Organisationsphilosophie Transport
geschlechtsspezifische elterliche und familiäre Pflichten Transportmittel
Klischees
Beseitigung von Produktivitätsmotivation Nutzung von Anlagen und
Beschwerdepunkten Reagenzien
Belästigung Beförderungen Urlaub
Arbeitsschutz Freizeit Vision
Image Einstellung Arbeitszeit
Einweisung Entlassungen Arbeitsumfeld
Versicherung Entlohnung Heimarbeit
Beurlaubung

Quelle: IAA und Arbeitgeberverband von Cylon: Guidelines for Company Policy on Gender Equity/Equality (Colombo, IAA, 2005).

fähigkeit (SKILLS) ein Schulungspaket für Organisationen sowie die Verbraucher in den
Arbeitgeberorganisationen entwickelt, das sich mit westlichen Ländern profitieren von diesem
den wichtigsten Fragen der Gleichstellung und der Programm, und es trägt zur Verringerung der
Abgrenzung der Geschlechter befasst: Vereinbar- Armut in einem der ärmsten Länder der Welt bei.
keit von Beruf und Familie, sexuelle Belästigung, Das geschieht, indem die Arbeitsbedingungen in
Mutterschutz, Behinderung und Alter. den kambodschanischen Bekleidungsfabriken
437. Für jedes Thema beinhaltet das Paket gemäß den internationalen Kernarbeitsnormen und
Informationsblätter, Better Factories Cambodia, den nationalen Gesetzen überwacht und
ein einzigartiges IAO-Programm, ist beispielhaft dokumentiert werden, die Unternehmen bei der
für das Potential, das die Dreigliedrigkeit in Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der
Verbindung mit einer zunächst im Rahmen der Produktivität durch die Zusammenarbeit auf
technischen Hilfe durch die IAO geförderten Betriebsebene in Bezug auf die Beseitigung von
integrierten Strategie entfalten kann, um die Missständen und auf Fragen der Ausbildung
Steuerung privater Selbstregulierungsbemühungen unterstützt werden und indem gemeinsam mit der
und globaler Produktionssysteme zu verbessern 19. Regierung, den nationalen Herstellern und den
Better Factories Cambodia wurde 2001 gegründet internationalen Abnehmern daran gearbeitet wird,
und verbindet die Überwachung, die Beseitigung einen konsequenten, transparenten und dauer-
von Missständen und die Ausbildung in einem haften Verbesserungszyklus sicherzustellen
Tugendkreis der Verbesserungen miteinander. Die (Kasten 4.8).
Arbeitnehmer und die Arbeitgeber und ihre 438. Das Programm hat zu einer besseren Einhal-
tung arbeitsrechtlicher Bestimmungen, zu einem
19
Anstieg der Exporte sowie zu einer Zunahme
S. Polaski: Cambodia blazes a new path to economic growth
and job creation, Carnegie Paper Nr. 51 (Carnegie Endowment
relativ gut bezahlter Arbeitsplätze in der Beklei-
for International Peace, Okt. 2004), unter dungsindustrie beigetragen. Die internationalen
www.CarnegieEndowment.org/publications. Abnehmer von Textilien haben sich klar dafür
ausgesprochen, ihre Produkte weiterhin, zum Teil

122
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Kasten 4.8
Überwachung diskriminierender Praktiken durch Better Factories Cambodia

In der Frage der Diskriminierung zeigte ein kürzlich veröffentlichter Bericht im Rahmen des Projekts Better Factories
Cambodia, dass 11 Prozent vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2006 überprüften Fabriken diskriminierende Praktiken anwen-
den. Es handelt sich im Allgemeinen um die Entlassung schwangerer Arbeitnehmerinnen und um die Herabstufung des
Dienstalters von Arbeitnehmerinnen mit Kindern nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub. Die Erfahrung mit
Better Factories Cambodia deutet darauf hin, dass auch Männer in den Einstellungsverfahren diskriminiert werden. Darü-
ber hinaus weist der Bericht darauf hin, dass 6 Prozent der überprüften Fabriken Probleme mit der Diskriminierung von
Gewerkschaftsmitgliedern haben.
Um die schwierig zu überwachenden Fragen der Gleichstellung und der Arbeitsbeziehungen näher zu untersuchen und die
wichtigsten Ergebnisse der Überwachung abzusichern, hat Better Factories Cambodia CARE International in Kambodscha
mit der Durchführung einer Befragung von 1.000 Fabrikarbeitern und 80 Personalleitern/Verwaltungsdirektoren
(Gleichstellungsstudie) beauftragt. Die vorläufigen Ergebnisse dieser Gleichstellungsstudie deuten darauf hin, dass verbale
und sexuelle Belästigungen und sogar Fälle von Vergewaltigung auf dem Weg von und zur Arbeitsstätte häufiger vorkom-
men, als das Überwachungsverfahren hatte erkennen lassen. Möglicherweise ist dies auf eine unterschiedliche Auslegung
des Begriffs “sexuelle Belästigung” zurückzuführen. Die Ergebnisse der Studie wurden den Gewerkschafts- und Arbeitge-
bervertretern, internationalen Organisationen, nichtstaatlichen Organisationen und der Regierung vorgelegt. Ziel ist es, weit
reichende Empfehlungen zur erarbeiten, um diesen und anderen Problemen zu begegnen.

Quelle: Better Factories Cambodia, IAA: Seventeenth synthesis report on working conditions in Cambodia’s garment sector, unter
www.betterfactories.org/ilo.

sogar verstärkt, aus Kambodscha zu beziehen, da (Kasten 4.9) 21 . Der Leitfaden dient in etwa
dort ihrer Auffassung nach die Arbeitsbedingun- 40 Ländern 22 als praktische Richtschnur und wird
gen ihren internationalen Anforderungen entspre- in über 60 Ländern von Politkern und Sozial-
chen 20. partnern als Orientierungshilfe verwendet.
440. Ein wesentliches Instrument für die Ver-
Anwendung des Praxisorientierten breitung des Leitfadens und die Unterstützung der
Leitfadens zu HIV/Aids in der Welt Sozialpartner bei seiner praktischen Umsetzung ist
die Tätigkeit der technischen Zusammenarbeit der
der Arbeit IAO. Sechs Elemente sind erforderlich, um einen
439. Das Recht, nicht aufgrund eines tatsäch- wirksamen innerbetrieblichen Plan aufzustellen:
lichen oder vermuteten HIV/Aids-Status diskri- eine solide Grundsatzpolitik, ein repräsentativ
miniert zu werden, ist einer der Eckpfeiler der zusammengesetztes betriebliches HIV/Aids-Komi-
IAO-Grundsatzpolitik auf diesem Gebiet. In der tee mit einer angemessenen Strategie, einem
Verpflichtungserklärung der Sondertagung der Arbeitsplan und den entsprechenden Ressourcen,
Generalversammlung der Vereinten Nationen für ein Programm zur Verhaltensänderung, ein Netz
HIV/Aids (UNGASS) im Juni 2001 hatte man sich von Anlaufstellen und Ausbildern, Zugang zu
zum Ziel gesetzt, bis 2003 auf nationaler Ebene vertraulichen Aids-Tests und Behandlungsmög-
die rechtlichen und politischen Voraussetzungen lichkeiten sowie ein wirksamer Plan zur Lei-
zu schaffen, um die Rechte und die Würde von stungskontrolle.
Menschen, die mit HIV/Aids leben oder einem 441. Das IAO-Projekt Strategische Antworten
hohen HIV/Aids-Risiko ausgesetzt sind, bei der von Unternehmen auf HIV/Aids (SHARE), das
Arbeit zu schützen. In der Erklärung wurde
gefordert, bei der Realisierung dieses Ziels die
einschlägigen internationalen Leitlinien zu berück- 21
Siehe auch das Bildungs- und Ausbildungshandbuch:
sichtigen. Fünf Jahre später hat die UNGASS Implementing of ILO code of practice on HIV/AIDS and the
diese Verpflichtung in ihrer Politischen Erklärung world of work, unter www.ilo.org/public/english/protection/
über HIV/Aids vom Juni 2005 erneut bekräftigt trav/aids/publ/manual.htm.
und damit die nach wie vor große Aktualität des 22
Bisher: Argentinien, Aserbaidschan, Bahamas, Barbados,
Praxisorientierten Leitfadens der IAO zu Benin, Botsuana, Brasilien, Kamerun, Chile, China, Timor-
HIV/Aids in der Welt der Arbeit bestätigt Leste, Äthiopien, Ghana, Indien, Côte d’Ivoire, Japan, Kenia,
Kirgisistan, Malawi, Malaysia, Mauritius, Mexiko, Mosambik,
Namibia, Philippinen, Russische Föderation, Senegal, Seschel-
len, St. Lucia, Südafrika, Sri Lanka, Swaziland, Thailand,
20
Foreign Investment Advisory Service: Cambodia: Togo, Trinidad und Tobago, Uganda, Usbekistan, Sambia,
Corporate social responsibility and the apparel sector buyer Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft, Niederlande und
survey results (Washington, Weltbankgruppe, Dez. 2004). Auswärtiger Dienst des Vereinigten Königreichs.

123
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 4.9
Praxisorientierter Leitfaden der IAO zu HIV/Aids in der Welt der Arbeit

„Im Sinne menschenwürdiger Arbeit und der Achtung der Menschenrechte und der Würde HIV-infizierter und an Aids
erkrankter Personen sollte es keine Diskriminierung von Personen aufgrund der Kenntnis oder Vermutung einer HIV-
Infektion geben. Die Diskriminierung und Stigmatisierung von Personen, die mit HIV-Aids leben, beeinträchtigen die
Bemühungen, die auf die Prävention von HIV/Aids abzielen“ (Absatz 4.2).
Eine HIV-Infektion ist kein Grund für die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses (Absatz 4.8) oder für die
Verweigerung von Sozialleistungen (Absatz 4.10).
Arbeitgeber sollten keine Personalpolitik oder Praktiken zulassen, die HIV/Aids-infizierte oder -betroffene Arbeitnehmer
diskriminieren; es sollten keine HIV/Aids-Reihenuntersuchungen von Arbeitssuchenden oder Beschäftigten vorgenommen
(Absatz 4.6) und die Vertraulichkeit persönlicher Daten gesichert werden (Absatz 4.7).
Auch sollten Personen mit HIV ermutigt werden, so lange zu arbeiten wie medizinisch möglich. Die Arbeitgeber sollten Ver-
fahren vorsehen, mit denen gegen Arbeitnehmer vorgegangen werden kann, die aufgrund der Kenntnis oder Vermutung
einer HIV/Aids-Infektion diskriminieren oder die innerbetrieblichen HIV/Aids-Vorschriften verletzen. Darüber hinaus sollten
die Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen für Arbeitnehmer mit Aids-bedingten Erkrankungen treffen. Dabei könnte es
sich um die Neugestaltung der Arbeitszeit, besondere Ausrüstungen, Gelegenheiten zu Ruhepausen, die Beurlaubung für
Arztbesuche, einen flexiblen Krankenurlaub, Teilzeitarbeit sowie Regelungen für eine Wiederaufnahme der Beschäftigung
handeln (Absatz 5.2).

bereits 300.000 formell und informell beschäftigte den spezifischen IAO-Richtlinien für den Trans-
Arbeitnehmer in 23 Ländern erreicht hat, hatte portsektor 25.
einen maßgeblichen Anteil an der Umsetzung des
Leitfadens und der Verabschiedung geeigneter Die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen
gesetzlicher Rahmen 23. Seit seiner Einführung im mit Behinderungen verbessern
Jahr 2000 sind über SHARE mehr als 2.500 Perso-
nen geschult worden, darunter Arbeitgeber und 443. Mit dem Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit
Arbeitnehmer, Regierungsbeamte, Arbeitsinspek- von Menschen mit Behinderungen zu verbessern,
toren, Arbeitsrichter und Vertreter nichtstaatlicher hat die IAO ihre Tätigkeit auf drei Bereiche
Organisationen. Außerdem wurden Hilfsmittel zur ausgerichtet: Verbreitung von Wissen über das
Anwendung im Betrieb 24 erarbeitet, in denen auf- Problem der Behinderungen in Ausbildung und
gezeigt wird, wie Ausdrucksweisen vermieden Beschäftigung und über die Integration behinder-
werden können, die die Stigmatisierung und Dis- ter Auszubildender in die allgemeinen Berufsbil-
kriminierung und andere diskriminierende Prakti- dungsprogramme, Überzeugungsarbeit und grund-
ken auf Dauer festigen. satzpolitische Beratung von Regierungen und
442. Ferner hat sich ein sektoraler Ansatz als Sozialpartnern sowie die Bereitstellung unterstüt-
wirksam bei der Bekämpfung der Diskriminierung zender Dienste über die Tätigkeiten der techni-
aufgrund einer HIV/Aids-Infektion herausgestellt. schen Zusammenarbeit. Die durchgeführten Maß-
In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara nahmen umfassten Projekte, die auf eine verbes-
hat die IAO die Bemühungen auf nationaler und serte Qualifikation der behinderten Arbeitnehmer
regionaler Ebene um HIV/Aids-Prävention im ausgerichtet sind, wie etwa die Förderung unter-
Transportsektor unterstützt, in dem die Arbeit- nehmerischer Initiativen von behinderten Frauen
nehmer einem besonders hohen Risiko ausgesetzt in Äthiopien oder die Projekte zur Entwicklung
sind, sich mit der Krankheit zu infizieren. Der beruflicher Fertigkeiten und Arbeit für Jugend-
Hauptbeitrag der IAO bestand in der Unter- liche mit Behinderungen in Afrika und Asien.
stützung bei der Harmonisierung regionaler 444. Im Rahmen von AbilityAP, dem in Asien
Verkehrs- und Grenzübertrittsregelungen gemäß und dem Pazifik aktiven Programm der IAO für
Behinderungsfragen, ist vor kurzem die
umfassendste Datenbank der Region für Gesetze
und Politiken mit Bezug zu Menschen mit
Behinderungen geschaffen worden 26. Damit wird
23
Siehe IAA: Saving lives, protecting jobs, Internationales
Programm zur Aufklärung über HIV/Aids am Arbeitsplatz,
25
SHARE: Strategische Antworten von Unternehmen auf HIV/ Siehe IAA: Using the ILO code of practice on HIV/AIDS
Aids, Interimsbericht (Genf, 2006). and the world of work: Guidelines for the transport sector
24
Siehe den ILO-FHI-HIV/AIDS behaviour change communi- (Genf, 2005).
26
cation toolkit for the workplace, unter www.ilo.org/ Der größte Teil der Daten bezieht sich auf die Länder Asiens
public/english/protection/trav/aids/publ/bcctoolkit.htm. und des Pazifik, aber es stehen auch Daten für Länder

124
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

den wiederholten Bitten der Mitgliedsgruppen um sind häufig Opfer von Ungleichbehandlung und
Informationen über die in anderen Ländern zur ungleichen Beschäftigungschancen, wobei den
Förderung der Rechte und zum Wohl dieser temporären Wanderarbeitnehmern (meist ohne
Menschen getroffenen Maßnahmen entsprochen. gültige Papiere) oft sogar der Lohnschutz und die
Die IAO arbeitet mit der Wirtschafts- und soziale Sicherheit verwehrt werden. Die Konfe-
Sozialkommission der Vereinten Nationen für renz beschloss einen Aktionsplan für Wander-
Asien und den Pazifik (UNESCAP), dem Asien- arbeitnehmer, der die Entwicklung eines nicht ver-
Pazifik-Entwicklungszentrum für Behinderungen, bindlichen multilateralen Rahmens für ein an
dem Globalen Netzwerk für angewandte For- Rechten ausgerichtetes Vorgehen hinsichtlich der
schung und Information über Beschäftigung und Arbeitsmigration beinhaltet.
Ausbildung von Menschen mit Behinderungen
(GLADNET) und der Weltbank zusammen, um Der multilaterale Rahmen der IAO zur
diese Datenbank weiter auszubauen. Diese Arbeitsmigration
gemeinsame Initiative ist insofern besonders
zeitgemäß, als im Zusammenhang mit dem 447. Anlässlich einer dreigliedrigen Sachverstän-
geplanten Übereinkommen der Vereinten Natio- digentagung vom 31. Oktober bis 2. November
nen über die Förderung und den Schutz der Rechte 2005 in Genf wurde der multilaterale Rahmen der
und der Würde von Menschen mit Behinderungen IAO zur Arbeitsmigration angenommen. Es
weitere Hilfeersuchen zu erwarten sind. handelt sich um unverbindliche Prinzipien und
445. Mit Hilfe der Richtliniensammlung der IAO Richtlinien für ein an Rechten ausgerichtetes
für den Umgang mit Behinderungen am Arbeits- Vorgehen hinsichtlich der Arbeitsmigration, die
platz hat AbilityAP auch Arbeitgeberorganisatio- im März 2006 vom Verwaltungsrat gebilligt
nen, einzelne Unternehmen und multinationale wurden (Kasten 4.10). In diesem Rahmen wird
Organisationen hinsichtlich der Möglichkeiten betont, dass Wanderarbeitnehmer häufig viel-
beraten, Politiken und Programme zu entwickeln, fältigen Benachteiligungen und Diskriminierungen
die die Beschäftigungserfordernisse von Men- aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse und ihres
schen mit Behinderungen berücksichtigen und Migrantenstatus ausgesetzt sind, und hervorge-
gleichzeitig am Bedarf und den Erwartungen der hoben, dass die Menschenrechte sämtlicher Wan-
Arbeitgeber ausgerichtet sind. Im Rahmen dieser derarbeitnehmer, unabhängig von ihrem Status,
Bemühungen fand u.a. 2005 eine gemeinsame gefördert und geschützt werden sollten. Insbe-
Tagung von IAO und ESCAP mit multinationalen sondere sollten ihnen die in der Erklärung der IAO
Unternehmen, Regierungen, nichtstaatlichen Orga- aus dem Jahr 1988 über grundlegende Prinzipien
nisationen und Vertretern der Menschen mit und Rechte bei der Arbeit und ihren Folgemaß-
Behinderungen statt, um mit allen beteiligten nahmen verankerten Prinzipien und Rechte zugute
Parteien in einen Dialog über die wirtschaftlichen kommen (Kapitel V, Absatz 8) 29.
Vorteile der Einstellung von Menschen mit Behin- 448. Ferner hat die IAO in Zusammenarbeit mit
derungen einzutreten. Im Folgejahr wurden ähn- der OSZE und der IOM einen Beitrag zu dem
liche Diskussionsrunden in China, Hongkong Leitfaden mit dem Titel „Handbook on establi-
(China) und Vietnam veranstaltet, und mehrere shing effective labour migration policies in coun-
multinationale Unternehmen haben über Initiati- tries of origin and destination“ geleistet 30 . Im
ven berichtet, mit denen ihre Einstellungspolitik Rahmen der technischen Zusammenarbeit unter-
zugunsten von Menschen mit Behinderungen stützt das IAO-Projekt DOMWORK die Philippi-
verbessert werden soll 27. nen und Indonesien bei der Bewältigung der
Probleme der häuslichen Arbeit und versetzt sie in
die Lage, besser mit anderen Ländern über einen
Wege zu einer fairen Behandlung der wirksameren Schutz ihrer eigenen als Hausange-
Wanderarbeitnehmer stellte tätigen Arbeitsmigranten zu verhandeln 31.
446. Im Bericht des Amtes für die allgemeine
Aussprache über Wanderarbeitnehmer auf der Erhebungen zur Erfassung von
92. Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2004 Diskriminierungsdaten durchführen
wird den Fragen der Diskriminierung und der
Fremdenfeindlichkeit bei der Arbeit besondere 449. Die IAO hat in mehreren europäischen Län-
Aufmerksamkeit geschenkt 28 . Arbeitsmigranten dern weitere Projekte zur Erhebung von Diskrimi-
nierungsdaten durchgeführt. Es soll ermittelt und
außerhalb der Region zur Verfügung. Siehe www.ilo.org/
29
public/english/region/asro/bangkok/ability/laws.htm. Verfügbar unter www.ilo.org/public/english/protection/
27
Siehe: www.ilo.org/public/english/region/asro/bangkok/ migrant/new/index.htm.
30
ability/. Unter www.osce.org/item/19187.html.
28 31
IAA: Der Weg zu einer fairen Behandlung von Wander- Siehe R. R. Casco: Lighting a torch for employment: „We
arbeitnehmern in der globalen Wirtschaft, Bericht VI, Inter- matter” say Filipino domestic workers”, World of Work,
nationale Arbeitskonferenz, 92. Tagung, Genf, 2004. Nr. 58, Dez. 2006.

125
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 4.10
Multilateraler Rahmen der IAO zur Arbeitsmigration: Nichtdiskriminierungsbestimmungen

Die Regierungen sollten Politiken und Gesetze verabschieden und umsetzen, die sämtliche Formen der Diskriminierung in
Beschäftigung und Beruf beseitigen (Absatz 8.4.4).
Die Wanderarbeitnehmer sollten bei jeder Verletzung ihrer Rechte Anspruch auf Abhilfe haben und frei von Diskrimi-
nierung, Einschüchterung oder Vergeltungsmaßnahmen Beschwerden einreichen und Abhilfe einfordern können
(Absatz 10.5).
Regierungen und Sozialpartner sollten die soziale Integration und Eingliederung der Wanderarbeitnehmer fördern und
zugleich die kulturelle Vielfalt wahren, einer Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer vorbeugen und Maßnahmen zur
Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ergreifen (Absatz 14).
Es sollten verstärkt Antidiskriminierungsgesetze und -politiken gefördert und durchgesetzt werden, mit denen auf die
Fragen der Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung von Wanderarbeitnehmern spezialisierte Gremien geschaffen oder
gestärkt werden, und regelmäßig geschlechtsspezifische Daten erhoben und Untersuchungen zu diesem Thema durchge-
führt werden (Absatz 14.1). Dabei sollten die einschlägigen Entschließungen in dem von der Weltkonferenz gegen Rassis-
mus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz 2001 in Durban verabschie-
deten Aktionsprogramm berücksichtigt werden (Absatz 14.2).

aufgezeigt werden, in welchem Maß Arbeitsmi- Bewährte Praktiken zur Förderung der
granten beim Zugang zu Beschäftigung aufgrund Integration von Wanderarbeitnehmern
ihres Namens diskriminiert werden. Untersu- dokumentieren
chungen dieser Art fanden 2004 in Italien 32 statt,
wo der Schwerpunkt auf marokkanischen Arbeits- 450. Ein weiteres Tätigkeitsfeld war die Erweite-
suchenden lag, und 2005-06 in Frankreich und rung und Konsolidierung einer europäischen
Schweden mit Schwerpunkt auf jungen (20 bis 25 Datenbank der IAO, die etwa 150 Profile bewähr-
Jahre) Bewerbern der zweiten Generation von ter Praktiken enthält (Kasten 4.11). Im Rahmen
Migranten. Frühere Untersuchungen, die von der des von der Europäischen Union unterstützten
IAO durchgeführt worden waren, haben in den Programms „Förderung von Gleichheit in Vielfalt:
jeweiligen Ländern eine beachtliche Wirkung Integration in Europa“ sind weitere Untersuchun-
entfaltet. So ist etwa in Belgien die Erhebung gen über einschlägige Erfahrungen auf nationaler
genutzt worden, um den Inhalt eines 2004 vom Ebene durchgeführt, bewährte Praktiken ermittelt
belgischen Parlament verabschiedeten Gesetzes und weitergegeben und Methoden und Instru-
zur Umsetzung der Anti-Rassismus-Richtlinie der mente zur Beurteilung der Wirksamkeit von Anti-
EU (Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 diskriminierungsmaßnahmen am Arbeitsplatz ent-
über die Gleichbehandlung ohne Unterschied der wickelt worden.
Rasse oder der ethnischen Herkunft) besser zu for- 451. 2004 hat die IAO mit Unterstützung der
mulieren. Darüber hinaus wurden sowohl private Europäischen Union in Nord-, West- und Ost-
als auch öffentliche Arbeitgeber in Flandern ange- afrika ein Programm mit dem Titel Arbeitsmigra-
halten, Aktionsprogramme für Fördermaßnahmen tion für Integration und Entwicklung in Afrika ins
und Antidiskriminierungs-Aktivitäten zu entwi- Leben gerufen, durch das bei Regierungen und
ckeln. In der Region Brüssel wurden Sensibilisie- Sozialpartnern verstärkt Kapazitäten aufgebaut
rungskampagnen durchgeführt und Schulungen für werden sollen, um die Arbeitsmigration zu bewäl-
Angestellte des regionalen Arbeitsvermittlungs- tigen und zugleich die Arbeitsnormen durch sozia-
dienstes über nicht diskriminierendes Verhalten len Dialog zu fördern. Ein gemeinsames Projekt
abgehalten. Arbeitsuchenden steht nun die Mög- von IAO, UNIFEM und der Europäischen
lichkeit offen, im Falle diskriminierender Prakti- Kommission, das Asiatische Programm für die
ken Beschwerde einzulegen 33. Steuerung der Arbeitsmigration, verfolgt seit 2006
ähnliche Ziele.

Landesprogramme für
menschenwürdige Arbeit und
32
E. Allasino; E. Reyneri; A. Venturini; G. Zincone: Labour Strategien zur Armutsverringerung
market discrimination against migrant workers in Italy, ILO 452. Die Programmgestaltung der IAO im
International Migration Papers, Nr. 67, 2004, unter Außendienst ist in wachsendem Maß auf die
www.ilo.org/public/english/protection/migrant/publ/imp- Landesprogramme für menschenwürdige Arbeit
list.htm.
33 (DWCPs) als herausragenden Beitrag der IAO
Gesetz vom 20. Januar 2003 zur Stärkung der Anti-Rassis-
mus-Gesetzgebung.
zum Entwicklungshilfe-Programmrahmen der
Vereinten Nationen (UNDAF) und anderen natio-

126
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Kasten 4.11
Bewährte Praktiken im Kampf gegen Rassendiskriminierung dokumentieren

Die belgische Colruyt-Gruppe hat ein Konzept der „praktizierten Vielfalt“ entwickelt, das fester Bestandteil der Perso-
nalpolitik des Unternehmens ist. Das Konzept beinhaltet eine umfangreiche Nichtdiskriminierungsstrategie, die auf einer
Politik der Nichtduldung von Rassismus und Diskriminierung beruht. In den Einstellungs- und Auswahlverfahren darf es
keinerlei Unterschied in Bezug auf Religion, Geschlecht, Hautfarbe oder Alter geben. Für die Angestellten der Personalab-
teilung werden in Zusammenarbeit mit türkischen und marokkanischen Verbänden Berufsbildungs- und Sprachkurse orga-
nisiert.
Im Rahmen der Dekade der Roma-Integration 2005-15 führt das bulgarische Arbeits- und Sozialministerium mit
Unterstützung der Europäischen Union ein Projekt zur Förderung der Beschäftigung von Roma-Arbeitnehmern durch, im
Verlauf dessen Ausbildungslehrgänge in Berufen vorgesehen sind, für die hauptsächlich bestimmte Fertigungskompeten-
zen, aber ein niedriges Alphabetisierungsniveau erforderlich sind. Es wird davon ausgegangen, dass 1.000 Angehörige der
Minderheitengruppen eine kaufmännische Ausbildung und Beratung für Unternehmensgründungen erhalten werden und
2.000 Langzeitarbeitslosen aus den Reihen der Minderheitengruppen in Ausbildungslehrgängen marktfähige hand-
werkliche und landwirtschaftliche Fertigkeiten vermittelt werden können, mit deren Hilfe sie einen Arbeitsplatz finden oder
sich selbständig machen können.
Auf Initiative der Sozialpartner sind in den Niederlanden Verhaltensrichtlinien gegen Rassendiskriminierung, sexuelle
Belästigung und jede Form der Diskriminierung in die allgemeinen Arbeitsverträge aufgenommen worden. Es handelt sich
um nicht-freiwillige Vereinbarungen: die Firmen haben die Verpflichtung, solche Verhaltensrichtlinien zu entwickeln, es
steht ihnen aber frei, sie an ihre eigenen Bedürfnisse anzupassen. Diese Verhaltensrichtlinien wurden jetzt in der Welt der
Unternehmen und der gemeinnützigen Organisationen entwickelt. Darüber hinaus hat die niederländische Regierung 2001
einen Muster-Verhaltenskodex erstellt, der von jedem Ministerium umgesetzt werden muss.
Quelle: www.wisdom.at/ilo/index.aspx.

nalen Entwicklungsrahmen ausgerichtet. Um niedrigem Einkommen und Menschen mit Behin-


sicherzustellen, dass Fragen der Nichtdiskriminie- derungen Rechnung tragen, denen die Armut auf
rung und der Chancengleichheit auf nationaler besondere Weise zusetzt und die anfällig für
Ebene angemessen behandelt werden, müssen sie Diskriminierung sind 34. Zu diesen Ländern gehö-
sich ausführlich in den DWCPs wieder finden. ren Ghana, wo der Schwerpunkt auf der Einglie-
Das kann eine Herausforderung sein, denn die derung von Menschen mit Behinderungen in den
Mitgliedsgruppen der IAO sind häufig eher bereit, Arbeitsmarkt lag, Tansania, wo eine Grundlagen-
die IAO um Unterstützung zu bitten, wenn es sich analyse der Wechselwirkung von Geschlecht,
um Fragen wie etwa die Schaffung von Beschäfti- Armut und Beschäftigung erstellt wurde, und
gungsmöglichkeiten oder den sozialen Schutz han- Indonesien, wo Gleichstellungsfragen über politi-
delt, als wenn es um die strittigen und schwierigen sche Grundsatzdarstellungen aufgeworfen wurden.
Fragen der grundlegenden Rechte bei der Arbeit Insgesamt gesehen, werden die Fragen der Nicht-
geht. Das zeigt, wie notwendig der Prozess des diskriminierung und der Chancengleichheit, mit
Dialogs und ein über einen längeren Zeitraum Ausnahme der Frage der Geschlechtergleichstel-
angelegtes stufenweises Vorgehen sind, und zwar lung, jedoch eher uneinheitlich und unvollständig
sowohl innerhalb der IAO (zwischen der Zentrale behandelt. Für die Vertreter der Arbeitsministerien
und dem Außendienst), als auch mit den Mit- und der Sozialpartner wurden Schulungsmateri-
gliedsgruppen, um Einvernehmen darüber zu alen entwickelt 35 und Lehrgänge durchgeführt,
erzielen, wie die tief verwurzelten, hartnäckigen um deutlich zu machen, welche Vorteile die
Probleme der Diskriminierung am besten zu Berücksichtigung von Gleichstellungsbelangen bei
bewältigen sind. der Untersuchung der Ursachen und des Verlaufs
453. Einige Erkenntnisse hierzu ergeben sich aus von Armut und bei den Bemühungen um Abhilfe
den Erfahrungen der IAO mit dem Vorhaben, auf durch menschenwürdige Arbeit bietet.
der einen Seite die Mitgliedsgruppen verstärkt in
die Prozesse der Strategiepapiere zur Armuts- 34
IAA: Decent Work and Poverty Reduction Stategies: A
verringerung einzubinden und auf der anderen ein reference manual for ILO staff and constituents (Genf, IAA,
kohärentes Konzept zur Verknüpfung der Agenda 2005).
zur Armutsverringerung mit der Agenda für men- 35
IAA: Social dialogue and poverty reduction strategies: A
schenwürdige Arbeit zu entwickeln. In einigen guide to the integration of gender equality, InFocus Pro-
Ländern wurden besondere Anstrengungen unter- gramme on Social Dialogue, Labour Law and Labour
Admistration (Genf, 2004), siehe www.ilo.org/public/english/
nommen, um sicherzustellen, dass die Mitglieds- dialogue/ifpdial/downloads/papers/gender.pdf.
gruppen der speziellen Situation von Frauen mit

127
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Kasten 4.12
Gleichstellung der Geschlechter als Teil regionaler Agendas für menschenwürdige Arbeit in Asien und Amerika

Die dreigliedrigen Mitgliedsgruppen beendeten die 14. Asiatische Regionaltagung mit der Ausrufung der Asiatischen
Dekade für menschenwürdige Arbeit. Sie verpflichteten sich, entsprechend ihren jeweiligen nationalen Gegebenheiten und
Prioritäten konkrete Ergebnisse im Bereich der menschenwürdigen Arbeit zu erzielen und zur Durchführung bestimmter Ini-
tiativen auf regionaler Ebene zusammenzuarbeiten, um durch gemeinsames Vorgehen und den Austausch von Wissen
und Erkenntnissen dazu beizutragen, das Ziel menschenwürdiger Arbeit bis 2015 zu verwirklichen. In den Schlussfolgerun-
gen der Tagung wird die Bedeutung der Förderung der Geschlechtergleichstellung hervorgehoben, die u.a. durch die Befä-
higung der Frauen zu selbstbestimmtem Handeln erreicht werden soll. Dazu soll die Chancengleichheit beim Zugang zu
menschenwürdiger und produktiver Arbeit gefördert werden. Ferner soll ein besonderes Augenmerk den Bedürfnissen
anfälliger Arbeitnehmergruppen gelten, die sich zum großen Teil aus Frauen und Mädchen zusammensetzen.
Für die Umsetzung der Asiatischen Dekade für menschenwürdige Arbeit müssen die Landesprogramme für menschen-
würdige Arbeit (DWCP) gleichstellungsorientierte Strategien als Beitrag zur Verwirklichung des Ziels menschenwürdiger
Arbeit ermitteln. Die für die regelmäßige Überwachung und Berichterstattung über die Fortschritte der DWCP entwickelten
Vorlagen enthalten einen Abschnitt über die generelle Einbeziehung von Gleichstellungsbelangen. Ferner wurden mehrere
Initiativen zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter auf regionaler Ebene während der Dekade vorgeschlagen.
Dazu gehören der Mutterschutz, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit und die Stärkung der Rechte und des Schutzes von
Arbeitsmigrantinnen, insbesondere im häuslichen Dienst.
In Amerika werden in der von den Arbeitsministern im Mai 2006 in Brasilia verabschiedeten Agenda für die Hemisphäre
(2006-15) eine Reihe von Zielen, Vorgaben und Fristen festgesetzt und die entsprechenden Strategien und grundsatz-
politischen Konzepte aufgezeigt, um das Ziel menschenwürdiger Arbeit in der Region zu verwirklichen. In Anlehnung an die
Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom November 2005 in Mar del Plata wird die menschenwürdige Arbeit als
entscheidendes Element für die Stärkung der Demokratie, die Verringerung der Armut und den Abbau von Ungleichheit
und sozialer Ausgrenzung gewürdigt. Die Achtung und Verwirklichung der grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der
Arbeit, zu denen auch die Nichtdiskriminierung und die Gleichbehandlung gehören, sind zentrale Elemente dieser Agenda,
ebenso wie die Gleichstellung der Geschlechter. Insbesondere haben sich die Minister verpflichtet, die Erwerbsbeteiligung
der Frauen um 10 Prozent und proportional dazu die Beschäftigungsquote der Frauen anzuheben und das geschlechts-
spezifische Lohngefälle und den Anteil informeller Beschäftigung in den kommenden zehn Jahren zu halbieren. Zur
Verwirklichung dieses Ziels sollen die Maßnahmen u.a. auf die Förderung einer Politik der Lohngerechtigkeit – etwa durch
die Entwicklung und Förderung von geschlechtsneutralen Methoden der Arbeitsplatzevaluierung und das Einfügen ent-
sprechender Bestimmungen in die Tarifverträge -, auf die Förderung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die der beruflichen
Segregation der Geschlechter entgegenwirkt und ein besonderes Augenmerk auf junge Frauen richtet, sowie auf eine Ver-
besserung der Situation der Hausangestellten abzielen.

Quelle: GB.297/5, a.a.O.

454. Die jüngsten Entwicklungen geben Anlass September 2006 in Busan stattfand, die Asiatische
zur Hoffnung. Die im Mai 2006 in Brasilia Dekade für menschenwürdige Arbeit bis 2015
anlässlich der 16. Amerikanischen Regionaltagung ausgerufen 37 . In beiden Regionen wurden kon-
zusammengekommen Vertreter von Regierungen, krete Verpflichtungen und Ziele festgelegt, um das
Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen Gefälle zwischen der allgemeinen Bevölkerung
haben sich verpflichtet, eine Dekade für die Förde- und den für Diskriminierung anfälligen Gruppen
rung menschenwürdiger Arbeit in Amerika aus- beim Zugang zu menschenwürdiger Arbeit zu
zurufen 36. Wenige Monate später hat die 14. Asia- verringern (Kasten 4.12).
tische Regionaltagung, die im August/

36 37
Siehe IAA: Report and conclusions of the Sixteenth Siehe IAA: Report and conclusions of the Fourteenth Asian
Amercian Regional Meeting (Brasilia, 2.-5. Mai 2006), Regional Meeting (Busan, 29. Aug.-1. Sept. 2006), Verwal-
Verwaltungsratsdokument GB.297/5 (Nov. 2006). tungsratsdokument GB.297/6 (Nov. 2006).

128
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

2. Die nächsten Schritte

455. Im ersten Gesamtbericht über die Diskri- vier Jahren zu erreichenden Ergebnissen und die
minierung in Beschäftigung und Beruf wurde dazu erforderlichen Tätigkeiten dargestellt.
betont, wie wichtig es sei, bestehende Tätigkeiten
auszubauen und zu konsolidieren, z. B. die Arbeit Förderung der Gleichstellung der
der IAO zur Bekämpfung der Diskriminierung Geschlechter in der Welt der Arbeit
aufgrund einer Behinderung, aufgrund eines wahr-
genommenen oder tatsächlichen HIV/Aids-Status 457. Ein Blick auf die Tätigkeiten, die die IAO in
oder Wanderarbeitnehmerstatus, und die Tätigkei- den letzten vier Jahren im Bereich der Nichtdiskri-
ten der IAO in Bereichen zu stärken, in denen der minierung und Gleichheit durchgeführt hat, zeigt,
Bericht besonders große Bedürfnisse und Defizite dass die Gleichstellung der Geschlechter nach wie
ermittelt hat. Dazu gehören die Realisierung der vor ein wichtiges Anliegen darstellt. Dennoch
Lohngerechtigkeit und ein effektiverer Umgang vollzieht sich bei der Herangehensweise an die
mit der Verbindung zwischen Armut und syste- Frage der Gleichstellung der Geschlechter ein
mischer Diskriminierung ausgehend von der Über- allmählicher Wandel. Es besteht eine deutlich
schneidung von Rasse oder ethnischem Ursprung sichtbare Tendenz zur generellen Einbeziehung
und Geschlecht. Außerdem wurde betont, dass einer Gleichstellungsperspektive in die Aktions-
angesichts dessen, dass die Diskriminierung bei mittel der IAO, insbesondere in die Tätigkeiten
der Arbeit die Funktionsweise und Struktur von der technischen Zusammenarbeit der IAO, und in
Arbeitsmärkten und Arbeitsmarktinstitutionen und grundsatzpolitische Bereiche, z. B. Beschäfti-
die der Mitgliedsgruppen der IAO durchdringt, gungspolitiken, sozialer Dialog oder Verfahren zur
Aktionspläne zu ihrer Beseitigung mit den strate- Verringerung von Armut. Zwar fallen Ausmaß,
gischen Zielen der Organisation und der Förde- Tiefe und Auswirkungen des Gender Mainstrea-
rung der menschenwürdigen Arbeit in Überein- ming in diesen verschiedenen Bereichen sehr
stimmung gebracht werden müssen. Ferner machte unterschiedlich aus, der Trend zeigt jedoch, dass
der Bericht deutlich, wie wichtig es im Hinblick das auf höchster Ebene bestehende Engagement
auf die Beseitigung von Diskriminierung und die für die Gleichstellung der Geschlechter auf pro-
Förderung der Gleichheit am Arbeitsplatz ist, grammatischer und grundsatzpolitischer Ebene
Wissen, Fördertätigkeiten und Dienste zu stärken. mittlerweile zu konkreten Ergebnissen geführt hat.
456. Die Empfehlungen dieses zweiten Gesamt- 458. Dem standen jedoch nicht ausreichend ener-
berichts für in den nächsten vier Jahren zu ergrei- gische Bemühungen um die Verringerung von
fende Folgemaßnahmen fallen zwar ähnlich aus Gleichstellungsdefiziten bei einer Reihe wichtiger
wie im ersten Bericht, sie sind jedoch stärker Arbeitsmarktindikatoren entgegen, z. B. bei den
fokussiert, da sie die gewonnenen Erfahrungen Beschäftigungsquoten, der Häufigkeit informeller
einbeziehen und die Vorgaben der strategischen Arbeit, den Arbeitseinkünften und der Aufteilung
Planung und Tätigkeiten der IAO berücksichtigen. von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen
Diese umfassen insbesondere die Einführung der Männern und Frauen. Dies wiederum bringt die
Landesprogramme für menschenwürdige Arbeit Gefahr mit sich, dass die Auswirkungen des Gen-
(DWCPs) als Hauptrahmen für die Tätigkeit der der Mainstreaming, die sich auf eine Kombination
IAO innerhalb von Ländern, ergänzt durch For- von Bemühungen um die Einführung einer Gleich-
schungsarbeiten und Dienste auf regionaler und stellungsperspektive in alle Programme und Pro-
globaler Ebene 38. Dies bedeutet, dass auf nationa- jekte der IAO und geschlechtsspezifische Maßnah-
ler Ebene die Formen der Diskriminierung, die men zur Förderung der Gleichstellung zwischen
vorrangig Aufmerksamkeit verdienen, und die Männern und Frauen stützen, verwässert werden.
grundsatzpolitischen Handlungsbereiche auf 459. Daher besteht ein Bedarf an stärker integrier-
Grundlage des Einzelfalles zu bestimmen sind, ten, besser koordinierten und genauer fokussierten
und zwar unter Berücksichtigung der Bedürfnisse globalen Maßnahmen der IAO mit dem Ziel, diese
und Forderungen der Mitgliedsgruppen der IAO Ungleichheiten zu verringern. Die Notwendigkeit,
sowie, soweit sinnvoll, die Kommentare der Nor- berufliche und familiäre Anforderungen zu verein-
men-Aufsichtsgremien. Die Gleichstellung der baren, schränkt die Wahlfreiheit von Frauen hin-
Geschlechter ist in allen Fällen als strategisches sichtlich der Frage ein, ob, wo und in welchen
Ziel der IAO entschlossen voranzutreiben. Nach- Berufen sie arbeiten wollen, und sie unterminiert
folgend werden eine Reihe von in den nächsten ihre Arbeitserfahrung, Ausbildungsmöglichkeiten,
Dienstaltersansprüche und Karriereaussichten. All
38
dies trägt dazu bei, ihre Einkünfte gering zu hal-
IAA: Programm- und Haushaltsvorschläge des General- ten. Und selbst wenn es Frauen mit Familienver-
direktors für 2006-07, Verwaltungsratsdokument
GB.292/PFA/8(Rev.) (März 2005).
pflichtungen gelingt, auf dem Arbeitsmarkt zu
verbleiben und in eine hochrangige Stelle aufzu-

129
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

steigen, verdienen sie dennoch weiterhin weniger informellen Wirtschaft“ 39. Daher ist die Einglie-
als ihre männlichen Kollegen. Dies zeigt, dass die derung von Nichtdiskriminierung und Gleichheit
Förderung der Gleichstellung der Geschlechter in in DWCPs unabdingbar um sicherzustellen, dass
der Welt der Arbeit eine Reihe kurz- und lang- sie die angestrebten Ergebnisse erzielen.
fristig ausgerichteter Politiken erfordert, die auf 463. Die nachhaltige Verankerung der Förderung
dem Verständnis dieser Querverbindungen beru- der menschenwürdigen Arbeit in den Agenden des
hen und auf sie eingehen. Systems der Vereinten Nationen und der Finanz-
460. Im Einklang mit der 2004 von der Internatio- institutionen legt die Grundlage für integrierte und
nalen Arbeitskonferenz angenommenen Entschlie- kohärente internationale und nationale Maßnah-
ßung über die Förderung der Gleichstellung der men gegen Diskriminierung an der Arbeitsstätte
Geschlechter, die Entgeltgerechtigkeit und den und darüber hinaus. Zwar kann die Diskriminie-
Mutterschutz wird der Aktionsplan für Folgemaß- rung an der Arbeitsstätte einfacher und effektiver
nahmen vorhandene Kenntnisse und bewährte angegangen werden, ihre Beseitigung ist jedoch
Beispiele aus der Praxis in den Bereichen davon abhängig, dass gleichzeitig auch stetige
geschlechtsspezifische Diskriminierung auf dem Bemühungen unternommen werden, um sie auch
Arbeitsmarkt, die Förderung des Unternehmer- im Haushalt, in der Schule und in der Gemein-
tums von Frauen, Einstellungs- und Tätigkeitsbe- schaft zu beseitigen. Die gemeinsam von der IAO,
wertungsverfahren, geschlechtsspezifische Lohn- der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB),
unterschiede sowie Vereinbarkeit von Arbeits- UNDP Brasilien und DFID Brasilien veranstaltete
und Familienleben zusammenstellen und verfüg- Internationale Gesprächsrunde über die Förderung
bar machen. Gemeinsam mit den Bemerkungen von Gleichheit und rassischer Eingliederung
der Aufsichtsgremien zu ratifizierten Überein- (Brasilia, April 2005) (siehe Abschnitt über die
kommen im Bereich der Gleichstellung der Bekämpfung von Rassismus und Armut in
Geschlechter werden diese Informationen genutzt Kapitel 1 dieses Berichts) ist ein gutes Beispiel für
werden, um eine Reihe drei- und zweigliedriger einen interinstitutionellen integrierten Entwick-
Gesprächsrunden zu organisieren, um Maßnahmen lungsansatz für Rassengleichheit, der einen gleich-
zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter berechtigten Zugang zu Bildung, Gesundheits-
zu ermitteln. Diese globale Aktion wird im Licht versorgung und Wohnungen mit Gleichbehand-
der Ziele und Anforderungen der vier grund- lung und Chancengleichheit in der Welt der Arbeit
legenden Übereinkommen der IAO im Bereich der verbindet. Ein wachsendes Bewusstsein für die
Geschlechtergleichstellung im Hinblick auf die Bedeutung fortschreitender Maßnahmen in der
Verbesserung ihrer Durchführung oder die Förde- Welt der Arbeit in Bezug auf Nichtdiskriminie-
rung ihrer Ratifizierung konzipiert werden. rung und Gleichstellungsfragen sollte dazu beitra-
gen, ein systemweites Handeln zur Unterstützung
Die Eingliederung von Nichtdiskriminierung der Agenda für menschenwürdige Arbeit auf der
und Gleichheit in die Landesprogramme für Landes- und der globalen Ebene zu bewirken.
464. Im Bericht wurde gezeigt, dass ein enger
menschenwürdige Arbeit (DWCPs) Zusammenhang zwischen Armut und der Anfäl-
461. Das Eintreten für menschenwürdige Arbeit ligkeit für Diskriminierung und zwischen häufigen
und die Schaffung von Arbeitsplätzen ist in und anhaltenden Formen von Diskriminierung bei
nationalen und internationalen Politiken sowie in der Arbeit und der Gefahr besteht, ein Opfer von
der globalen Entwicklungsagenda fest verankert, Zwangs- oder Kinderarbeit zu werden. Um eine
wie es beispielsweise in der vom ECOSOC- Nichtdiskriminierungs- und Gleichstellungsper-
Tagungsteil auf Hoher Ebene 2006 angenomme- spektive wirksam in DWCPs und die umfassen-
nen Ministererklärung deutlich wird. In der dere Agenda für menschenwürdige Arbeit zu inte-
Erklärung wird betont, wie wichtig es ist, die Ziele grieren, müssen einige Voraussetzungen erfüllt
der vollen und produktiven Beschäftigung und werden.
menschenwürdigen Arbeit in die Politiken, Pro- 465. Erstens müssen alle Komponenten und ver-
gramme und Tätigkeiten der Organisationen, wandten Tätigkeiten der DWCPs die besonderen
Fonds und Programme der Vereinten Nationen Bedürfnisse und Umstände unterschiedlicher
und der Finanzinstitutionen zu integrieren. Gruppen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Rasse
462. Die Beseitigung der Diskriminierung steht und Religion und ihren unterschiedlichen Fähig-
im Mittelpunkt der menschenwürdigen Arbeit für keiten berücksichtigen, damit alle in gleicher
alle Frauen und Männer, die „auf dem Gedanken Weise von neuen Chancen profitieren können.
der Chancengleichheit für alle beruht, die Arbeit Dies erfordert, dass die IAO und ihre Mitglieds-
suchen, ob als Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder gruppen wissen, wie DWCPs auf eine Weise zu
selbstständig Erwerbstätige, in der formellen oder planen, durchzuführen, zu überwachen und zu

39
IAA: Gleichheit bei der Arbeit – Ein Gebot der Stunde,
a.a.O., S. 1.

130
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

evaluieren sind, die zu ausgewogeneren Ergebnis- dass Gesetze eine unterschiedliche und weniger
sen führt. Ein solcher Ansatz setzt die Einbezie- günstige Behandlung für bestimmte Arbeit-
hung des Teils der dreigliedrigen Mitgliedschaft nehmerkategorien vorsehen, insbesondere wenn
der IAO voraus, der mit Gleichstellungskommis- für Diskriminierung anfällige Gruppen unverhält-
sionen oder anderen spezialisierten Gremien oder nismäßig stark repräsentiert sind. Daher muss die
Verbänden arbeitet, die Interessen von Gruppen IAO eine Reihe nutzerfreundlicher multimedialer
vertreten, die für Diskriminierung anfällig sind. Unterlagen erstellen und verteilen, z. B. Leitlinien
Der Austausch mit einer Vielzahl von Institutio- oder kurze Kommentare zu den rechtlichen
nen sollte die Kapazität der IAO stärken, system- Anforderungen der Übereinkommen Nr. 100 und
weite Maßnahmen zugunsten der menschenwür- 111 sowie der anderen einschlägigen Übereinkom-
digen Arbeit für alle in Gang zu setzen. men mit konkreten Beispielen für die Umsetzung
466. Zweitens ist ein mit ausreichenden Mitteln dieser Bestimmungen in der innerstaatlichen
ausgestattetes förderliches Instrumentarium von Gesetzgebung und Praxis unterschiedlicher Länder
Gesetzen und Institutionen, Vollzugsmechanismen und Antworten auf die häufigsten Fragen und
und staatlichen Politiken erforderlich, um Gleich- Anliegen im Zusammenhang mit bestimmten
heit bei der Arbeit zu erreichen. Ein solcher för- Aspekten dieser Arbeitsnormen. Zur Verbreitung
derlicher Rahmen erstreckt sich auf die Funktions- dieser Informationen müssen nicht nur unkonven-
weise der Arbeitsmärkte, die Arbeitsbedingungen tioneller Vertriebskanäle ermittelt, sondern auch
und die umfassenderen Fragen des sozialen Schut- engere Verbindungen mit anderen internationalen
zes. Außerdem sollte er makroökonomische sowie Organisationen innerhalb des Systems der Ver-
Handels- und Steuerpolitiken einbeziehen, damit einten Nationen, den regionalen Entwicklungs-
ausreichende Schutzmechanismen im Hinblick auf banken und der Europäischen Union eingegangen
potentiell diskriminierende Auswirkungen dieser werden.
Politiken auf bestimmte Gruppen aufgenommen 469. Doch selbst wenn die richtigen Gesetze vor-
werden können. In diesem Zusammenhang dürfte handen sind, erweist sich ihr Vollzug oft als pro-
die Zusammenarbeit der Organisationen der Ver- blematisch. Es wurde bereits gezeigt, dass Arbeits-
einten Nationen von entscheidender Bedeutung aufsichtsbeamten eine wichtige Rolle dabei
sein. zukommt, gegen die Diskriminierung gerichtete
467. Von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbän- Rechtsbestimmungen praktisch umzusetzen.
den individuell oder gemeinsam in Gang gesetzte Starke und effektive Arbeitsaufsichtssysteme und
Initiativen an der Arbeitsstätte sind unabdingbar. tragfähige Arbeitsverwaltungen sowie auf dem
Gleichzeitig stellt ein fundierter ordnungspoliti- modernen Arbeitsrecht beruhende Arbeitsbezie-
scher Rahmen, der sich auf ein qualifiziertes und hungen sind für eine funktionierende Steuerung
gut ausgestattetes Arbeitsaufsichtsamt stützen der Arbeitsmärkte unabdingbar. Die Dokumenta-
kann, zwar einen wesentlichen Schritt zur Beseiti- tion guter Praxis, die Erstellung von Prüflisten
gung von Diskriminierung dar, nichtregulatorische oder Richtlinien, wie Diskriminierung in der
Initiativen können jedoch die Wirkungsweise von Beschäftigung aufgedeckt und verhütet werden
innerstaatlichen und internationalen Gesetzen kann, z. B. durch breit angelegte Verhütungskam-
ergänzen und verstärken. pagnen, und die Schaffung von Kapazität unter
Arbeitsaufsichtsbeamten zur Verbesserung des
Bessere Gesetze und besserer Vollzug Vollzugs von gegen die Diskriminierung gerich-
tete Rechtsbestimmungen sind wichtige Bestand-
468. In dieser Übersicht wurde gezeigt, dass ein
teile des Aktionsplans für Folgemaßnahmen. Die
gesetzliches Diskriminierungsverbot ein wesent-
Einrichtung von umfassenden nationalen und
licher Schritt zur Beseitigung von Diskriminierung
internationalen Netzwerken wird gefördert wer-
ist und dass ordnungspolitische Rahmen kohärent
den, um die beruflichen Fähigkeiten und Erfahrun-
und umfassend sein müssen. Trotz der großen
gen von Arbeitsaufsichtsbeamten zu verbessern.
rechtlichen Fortschritte, die in den letzten Jahren
in vielen Ländern der Welt erzielt worden sind,
gibt es jedoch noch immer Probleme beim Inhalt Effektivere nichtregulatorische Initiativen
und dem Erstreckungsbereich der Rechtsvorschrif- 470. Dieser Gesamtbericht hat gezeigt, dass
ten zur Bekämpfung von Diskriminierung in Unternehmen überzeugt werden können, ihre
Beschäftigung und Beruf sowie bei ihrer Anwen- Praktiken und Politiken im Bereich des Human-
dung. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Problem ressourcenmanagements zu ändern, um durch eine
der Anwendung von Gesetzen, mit denen versucht Reihe nichtregulatorischer Maßnahmen eine
wird, den Grundsatz der gleichen Entlohnung für stärkere Vielfalt in ihrer Belegschaft zu erhalten.
gleiche Arbeit umzusetzen. Abhängig von den Dies umfasst z. B. staatliche Einkaufspolitiken
betreffenden Gründen können Gesetze einen und -praktiken oder Kreditvergabe- und Investi-
partiellen Schutz vor Diskriminierung bieten, da tionspolitiken internationaler oder nationaler Ban-
sie möglicherweise nur bestimmte Aspekte des ken, Handelspolitiken, die durch Marktzugang auf
Arbeitsverhältnisses erfassen. Oder es ist möglich, Landes- oder Regionalebene einen Einfluss auf

131
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Firmen haben, oder freiwillige private Initiativen, Gleichberechtigung und Vereinigungsfreiheit


die Firmen durch Gruppenzwang und das gegen- andererseits. Es wird vorgeschlagen, gemeinsam
seitige Lernen motivieren. Solche Initiativen, z. B. mit in Frage kommenden Institutionen Gesamt-
freiwillige Verhaltenskodizes für Zulieferunter- arbeitsverträge in einer Reihe von Ländern in jeder
nehmen, beinhalten stets Verweise auf grundle- Region zu untersuchen.
gende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, auch 473. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände
auf Nichtdiskriminierung. können auch individuell oder durch dreigliedrige
471. Besonders wichtig ist zu verstehen, was wie Zusammenarbeit Arbeitsplatzinitiativen ent-
geändert werden muss und festzustellen, wie dies wickeln. Der Aktionsplan für Folgemaßnahmen
so kostengünstig wie möglich erreicht werden wird Informationen über diese Erfahrungen
kann. Das Lernen von den Erfahrungen anderer umfassen, z. B. ihren Erstreckungsbereich und
Unternehmen und Länder ist ebenfalls nützlich. Inhalt und ihre Wirkungsweise nach Sektoren und
Der Aktionsplan für Folgemaßnahmen für 2004- Nutznießergruppen, und er wird Muster-Verhal-
2008 sieht vor, viel versprechende Praktiken zu tenskodizes oder -Richtlinien zur Förderung der
dokumentieren, Prüflisten und Kurzstudien zu Gleichbehandlung und Chancengleichheit ent-
erstellen sowie Foren zum Austausch von Wissen wickeln. In ausgewählten Ländern könnte die
auf nationaler oder regionaler Ebene mit sektoraler Schaffung von Kapazität vorgesehen werden, wo
oder sektorübergreifender Ausrichtung zu vielfäl- Initiativen dieser Art auf den Weg gebracht
tigen Fragen einzurichten. Das wichtigste Ziel worden sind und konsolidiert werden müssen.
dieser Initiativen besteht darin festzustellen, unter 474. Durch ihre Mitwirkung an der Ausarbeitung
welchen Bedingungen staatliche Beschaffungs- von Beschäftigungs- und Sozialpolitiken können
politiken, Kreditvergabepolitiken oder CSR-Initia- die Sozialpartner dazu beitragen, gleiche Aus-
tiven am wirksamsten zur Realisierung im Bereich gangsbedingungen zu schaffen, damit jeder am
der Nichtdiskriminierung und Gleichheit beitragen Arbeitsplatz ohne Ansehen von Geschlecht, Rasse
können. oder Behinderung oder anderer Gründe über die
gleichen Erfolgschancen verfügt. Im Hinblick auf
Sozialpartner sind besser ausgestattet, um dieses Ziel müssen sich die Sozialpartner der
Gleichheit am Arbeitsplatz Realität werden unterschiedlichen Wirkungsweise von Beschäfti-
gungs- und Sozialpolitiken auf verschiedene
zu lassen soziale Gruppen bewusst sein, damit sie Wege
472. In dieser Übersicht wurde gezeigt, dass die finden können, um nachteilige Auswirkungen auf
Sozialpartner wichtige Akteure bei der Beseiti- bestimmte Gruppen auf ein Minimum zu
gung von Diskriminierung und der Förderung von beschränken und eine ausgewogenere Verteilung
Gleichheit bei der Arbeit sind. Sie können zur von Chancen zu gewährleisten. Die Tätigkeit der
Realisierung dieses Ziels beitragen, indem sie IAO zur Stärkung der Fähigkeit der Sozialpartner,
diskriminierende und exkludierende Praktiken Fragen der Ungleichheit der Geschlechter zu ver-
innerhalb ihrer eigenen Strukturen und den Diens- stehen und im Rahmen von landesweiten Konsul-
ten, die sie für ihre Mitglieder erbringen, beseiti- tationen zur Ausarbeitung von PRSPs anzugehen,
gen. Kollektivverhandlungen sind ein grundlegen- ist ein gutes Beispiel für einen solchen Ansatz.
des Werkzeug, mit dem Arbeitnehmer und Arbeit- 475. Im nächsten Vierjahreszyklus sollten in
geberverbände bei den Lebens- und Arbeitsbedin- Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter und
gungen und -perspektiven von Arbeitnehmern, die Gleichstellung in anderen Bereichen, wie rassische
für Diskriminierung anfällig sind, konkrete Verän- oder ethnische Gleichstellung, ähnliche Arbeiten
derungen bewirken können. Zwar gibt es umfang- durchgeführt werden. Bei diesen Arbeiten sollten
reiche Informationen über Antidiskriminierungs- die bisher entwickelten und in diesem Bericht
und Gleichberechtigungsklauseln, die in Industrie- erwähnten Werkzeuge genutzt und angepasst wer-
ländern in Gesamtarbeitsverträge aufgenommen den. Welche Formen von Ungleichheit behandelt
worden sind, es ist jedoch sehr wenig über solche werden müssen, wird weitgehend von den beson-
Klauseln in Entwicklungs- und Transformations- deren innerstaatlichen Umständen abhängen.
ländern bekannt. Diese Wissenslücke muss gefüllt 476. „Diskriminierung in der Welt der Arbeit ist
werden, damit entschieden werden kann, welcher nicht nur ein Verstoß gegen die grundlegenden
Weg eingeschlagen werden muss, um sicherzustel- Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, sie verur-
len, dass Kollektivverhandlungen in diesen Län- sacht auch riesige gesellschaftliche Schäden…
dern Diskriminierungsfragen größere Aufmerk- Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden,
samkeit schenken. Besonders wichtig ist dies werden sich die Benachteiligungen im Lauf der
angesichts des Zusammenhangs zwischen Gleich- Zeit gewöhnlich häufen und intensivieren, was mit
berechtigung und Produktivität einerseits und negativen Auswirkungen auf die Freizeit und die

132
DIE MAßNAHMEN DER IAO, VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Gesellschaft im Allgemeinen verbunden ist“. mit politischem Willen und technischem Fach-
Gemeinsam können die IAO und ihre Mitglieds- wissen Gleichheit zu einer Realität werden
gruppen auf nationaler und internationaler Ebene lassen. 40

40
IAA: Sich wandelnde Strukturen in der Welt der Arbeit
(Genf, 2006), S. 31-33.

133
Anhang
Hinweise zur Methodik die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter geteilt
wird, ausgedrückt in Prozent.
Bei der Zusammenstellung der Übersichten und Quelle: KILM, Fourth edition, Tabelle 1a.
Abbildungen in Teil II wurde Ländern oder Gebie-
ten Vorrang eingeräumt, die für den Zeitraum
1995-2004 über vollständige Informationen verfü- Anteil der Beschäftigten an der
gen; standen keine Angaben für jedes Jahr zwi- Gesamtbevölkerung nach Geschlecht und
schen 1995 und 2004 zur Verfügung, wurden die Region (Übersicht 2.2)
Angaben des nächstliegenden Jahres verwandt. So Die Beschäftigung bezieht sich auf Personen ab
wurden die Angaben für 1995 (oder das nächstlie- einem bestimmten Alter, die in einem Bezugszeit-
gendste Jahr) sowie für 2004 (oder das nächstlie- raum berufstätig oder beschäftigt waren. Beschäf-
gendste Jahr) ermittelt. Der absolute prozentuale tigungsangaben beziehen sich auf Vollzeit- und
Zuwachs von 1995 bis 2004 wurde für jedes Land Teilzeitarbeitskräfte, deren Entlohnung sich nach
oder Gebiet auf Grundlage der zur Verfügung ste- der Zahl geleisteter Arbeitsstunden oder der
henden Informationen berechnet. Länder oder Anzahl produzierter Güter richtet und unabhängig
Gebiete, die lediglich Angaben für ein oder zwei von Gewinnen oder der Erwartung von Gewinnen
Jahre im Zeitraum 1995-2004 vorlegt haben, wur- ist.
den von der Stichprobe ebenso ausgenommen wie Die Beschäftigungsquote liefert Informationen
Länder oder Gebiete, die nur Angaben zu einem über die Fähigkeit einer Wirtschaft, Arbeitsplätze
Jahrzehnt (die neunziger Jahre oder die folgende zu schaffen. Sie wird definiert als der Anteil der
Dekade) vorlegten. Bevölkerung eines Landes im erwerbsfähigen
Nach Berechnung sämtlicher Daten und der Alter, der einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine
Überprüfung von Ausreißern wurden die Länder hohe Quote bedeutet, dass ein großer Anteil der
und Gebiete in zwei Tabellen angeordnet: eine Bevölkerung eines Landes erwerbstätig ist, wäh-
nach regionaler Klassifizierung und die andere rend eine niedrige Quote bedeutet, dass ein großer
nach Einkommen (siehe unten für Definitionen Anteil der Bevölkerung nicht direkt an marktrele-
und ein Verzeichnis der Klassifizierungen). In vanten Tätigkeiten beteiligt ist, da diese Menschen
jeder Spalte wurde der Durchschnittswert (Mit- entweder arbeitslos oder (was wahrscheinlicher
telwert) für jede der vorstehend ermittelten Kate- ist) aus der Erwerbsbevölkerung ausgeschieden
gorien nach folgender Formel berechnet: Ȉ Werte sind. Die Beschäftigungsquote wird berechnet,
in Spalte A / Anzahl der Länder und Gebiete in indem die Beschäftigung durch die Bevölkerung
dieser Kategorie (d.h. nach Einkommen und im erwerbsfähigen Alter geteilt wird, ausgedrückt
Region). in Prozent.
Quelle: Angaben zu einzelnen Ländern:
Definitionen 1 und Datenquellen der KILM, Fourth edition, Tabelle 2. Aggregatzahlen:
zugrunde gelegten Messgrößen IAA: Global Employment Trends Model 2005.

Erwerbsquoten von Frauen (Übersicht 2.1) Arbeitslosigkeit nach Geschlecht und


Die Erwerbsbevölkerung ist definiert als alle Per- Region(Übersicht 2.3)
sonen, die in einem bestimmten Bezugszeitraum Arbeitslosigkeit bezieht sich auf alle Personen ab
ihre Arbeitskraft für die Herstellung von Gütern einem bestimmten Alter, die im Bezugszeitraum
und Diensten zur Verfügung stellen bzw. dafür zur a) keine Arbeit hatten, b) für Arbeit zur Verfügung
Verfügung stehen; sie erfasst alle Personen im standen und c) arbeitsuchend waren (d.h. sie
Alter von 15 bis 64, die in dieser Zeit erwerbstätig hatten in einem bestimmten Bezugszeitraum
oder arbeitslos waren. Die Erwerbsquote wird bestimmte Schritte ergriffen, um eine unselbstän-
berechnet, indem die Erwerbsbevölkerung durch dige Beschäftigung zu finden oder eine selbstän-
dige Erwerbstätigkeit aufzunehmen). Die Arbeits-
losenquote wird berechnet, indem die Arbeits-
1
Definitionen aus der Datenbank der IAO für Arbeitsstatistik losigkeit durch die Erwerbsbevölkerung geteilt
(LABORSTA), unter laborsta.ilo.org, und IAA: Key Indicators wird, ausgedrückt in Prozent.
of the Labour Market (KILM), Fourth Editon (Genf, 2006), Quelle: Angaben zu einzelnen Ländern:
unter www.ilo.org/public/english/emploiyment/strat/kilm/ KILM, Fourth edition, Tabelle 8. Aggregatzahlen:
indicators.htm#kilm1.
IAA: Global Employment Trends Model 2005.

135
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Anteil von Frauen an der nicht-agrarischen Diese Angaben werden jährlich von
unselbständigen Beschäftigung LABORSTA aktualisiert und der Statistischen
(Übersicht 2.4) Abteilung der Vereinten Nationen übermittelt.
Der Anteil von Frauen an der Lohnbeschäftigung
(unselbständigen Beschäftigung) im nichtlandwirt- Prozentuelle Aufteilung von
schaftlichen Sektor ist der Anteil weiblicher Arbeitsnehmerinnen nach Status in der
Arbeitnehmer im nichtlandwirtschaftlichen Sektor weiblichen Beschäftigung insgesamt
an der Gesamtbeschäftigung des Sektors. Dies ist (Abbildung 2.1)
einer der Indikatoren des Millenniumsentwick- Diese Messgröße bezieht sich auf den Anteil der
lungsziels 3 (Förderung der Gleichstellung der weiblichen Beschäftigung nach Status (unbezahlt,
Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen). selbständig und angestellt) und stellt dar, wie sich
Berechnet wird dies, indem die Gesamtzahl der diese Trends in den letzten zehn Jahren entwickelt
Frauen in einer unselbständigen Beschäftigung haben.
(Arbeitnehmer) im nichtlandwirtschaftlichen Sek- Quelle: LABORSTA, Tabelle 2D.
tor durch die Gesamtzahl der Personen in einer
unselbständigen Beschäftigung (Arbeitnehmer) in
demselben Sektor geteilt wird, ausgedrückt in Pro- Anteil von Frauen an Gesetzgebungs- und
zent. Führungspositionen (Übersicht 2.5)
Der nichtlandwirtschaftliche Sektor umfasst Nach der internationalen Standardklassifikation
Industrie und Dienstleistungen. Nach der inter- der Berufe (ISCO-68) umfasst die Hauptgruppe 2,
nationalen Standardklassifikation der Wirtschafts- leitende Tätigkeiten im öffentlichen Dienst und in
zweige (ISIC) umfasst Industrie den Bergbau und der Wirtschaft, Bedienstete mit gesetzgeberischen,
die Gewinnung von Steinen und Erden (ein- verwaltenden oder leitenden Aufgaben, während
schließlich der Gewinnung von Erdöl), das verar- in ISCO-88, Hauptgruppe 1, Angehörige gesetzge-
beitende Gewerbe, das Baugewerbe sowie die bender Körperschaften, leitende Verwaltungsbe-
Energie-, Gas- und Wasserversorgung. Die dienstete und Führungskräfte, Angehörige gesetz-
Dienstleistungen umfassen den Groß- und Einzel- gebender Körperschaften und leitende Verwaltungs-
handel, Gaststätten und Hotels, Verkehr, das bedienstete, Unternehmensleiter und Geschäftsfüh-
Lagerwesen und die Nachrichtenübermittlung, das rer umfasst.
Finanz- und Versicherungswesen, Wohnungs- Der Anteil von Frauen in dieser höchsten
unternehmen und geschäftliche Dienste sowie Berufsgruppe wird berechnet, indem die absolute
kommunale, soziale und persönliche Dienstleis- Anzahl der Frauen, die in Positionen mit gesetzge-
tungen. berischen oder leitenden Aufgaben beschäftigt
Quelle: Statistische Abteilung der Vereinten werden, durch die Gesamtbeschäftigung beider
Nationen: United Nations Common Database, Geschlechter in dieser Kategorie geteilt wird,
unter: unstats.un.org/unsd/cdb. ausgedrückt in Prozent.
Quelle: Berechnet auf Grundlage beruflicher
Anteil von Frauen an der unselbständigen Angaben von LABORSTA, Tabelle 2C.
Beschäftigung insgesamt (Übersicht 2.4)
Der Anteil von Frauen an der unselbständigen Geschlechtsspezifisches Lohngefälle im
Beschäftigung (oder Lohnbeschäftigung) ist der Fertigungssektor (Abbildung 2.3)
Anteil weiblicher Arbeitnehmer an der unselbstän- Berechnet anhand folgender Gleichung:
digen Beschäftigung insgesamt. Unselbständig geschlechtsspezifisches Lohngefälle = 1 – (Löhne
Beschäftigte sind Lohnarbeiter oder Angestellte. von Frauen/Löhne von Männern) x 100.
Der Rest der Erwerbstätigen geht einer selbständi- Quelle: KILM, Fourth edition, Tabelle 15.
gen Erwerbstätigkeit nach, entweder als Selbstän-
diger ohne Arbeitnehmer, Mitglied einer Genos- Klassifizierungen von Ländern und Gebieten
senschaft oder als mithelfendes Familienmitglied Die Informationen über die unterschiedlichen oben
(unbezahlte Arbeit). definierten Messgrößen wurden organisiert und ana-
Der Anteil von Frauen an der unselbständigen lysiert, indem Länder und Gebiete in folgenden Kate-
Beschäftigung insgesamt wird berechnet, indem gorien zusammengefasst wurden:
die Gesamtzahl der Frauen in einer unselbständi- a) nach Region, auf Grundlage geografischer und
gen Beschäftigung (Arbeitnehmer) durch die politischer Ähnlichkeiten;
Gesamtzahl der Arbeitnehmer in der Wirtschaft b) nach Einkommensstand gemäß Einkommens-
geteilt wird, ausgedrückt in Prozent. gruppenklassifizierung der Weltbank.
Quelle: Datenbank der IAO für Arbeits-
statistik (LABORSTA), Tabelle 2D, unter
laborsta.ilo.org. a) Regionale Klassifikation
Afrika südlich der Sahara (46): Äquatorialguinea,
Äthiopien, Angola, Benin, Botsuana, Burkina

136
ANHANG

Faso, Burundi, Côte d’Ivoire, Demokratische Repu- Kongo, Republik Korea, Kirgistan, Laotische
blik Kongo, Eritrea, Gabun, Gambia, Ghana, Gui- Demokratische Volksrepublik, Lesotho, Liberia,
nea, Guinea-Bissau, Kamerun, Kap Verde, Kenia, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauretanien, Repu-
Komoren, Kongo, Lesotho, Liberia, Madagaskar, blik Moldau, Mongolei, Mosambik, Myanmar,
Malawi, Mali, Mauretanien, Mauritius, Mosam- Nepal, Nicaragua, Niger, Nigeria, Pakistan,
bik, Namibia, Niger, Nigeria, Ruanda, Sambia, Papua-Neuguinea, Ruanda, Salomon-Inseln, Sam-
São Tomé und Príncipe, Senegal, Sierra Leone, bia, São Tomé und Príncipe, Senegal, Sierra
Simbabwe, Somalia, Südafrika, Sudan, Swasiland, Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Tadschikistan,
Vereinigte Republik Tansania, Togo, Tschad, Vereinigte Republik Tansania, Timor-Leste, Togo,
Uganda, Zentralafrikanische Republik. Tschad, Uganda, Usbekistan, Vietnam, Zentralaf-
Amerika und Karibik (30): Argentinien, Aruba rikanische Republik.
(Niederlande), Bahamas, Barbados, Belize, Boli- Volkswirtschaften mit niedrigem mittlerem Ein-
vien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominica, kommen (51): Ägypten, Albanien, Algerien,
Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Angola, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Boli-
Guatemala, Guyana, Haiti, Honduras, Jamaika, vien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Bulgarien,
Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Panama, Para- China, Die ehemalige jugoslawische Republik
guay, Peru, Puerto Rico (Vereinigte Staaten), Mazedonien, Dschibuti, Dominikanische Repub-
Surinam, Trinidad und Tobago, Uruguay, Vene- lik, Ecuador, El Salvador, Fidschi, Georgien, Gua-
zuela. temala, Guyana, Honduras, Indonesien, Islamische
Europa (Nicht-EU) und Zentralasien (23): Albanien, Republik Iran, Irak, Jamaika, Jordanien, Kasachs-
Aserbaidschan, Armenien, Belarus, Bosnien-Herze- tan, Kap Verde, Kolumbien, Kuba, Malediven,
gowina, Bulgarien, Die ehemalige jugoslawische Marschall-Inseln, Marokko, Namibia, Paraguay,
Republik Mazedonien, Georgien, Island, Kasachstan, Peru, Philippinen, Rumänien, Samoa, Serbien und
Kirgistan, Kroatien, Norwegen, Republik Moldau, Montenegro, Sri Lanka, Surinam, Swasiland, Ara-
Rumänien, Russische Föderation, Schweiz, Serbien bische Republik Syrien, Thailand, Tonga, Tune-
und Montenegro, Tadschikistan, Türkei, Turkmenis- sien, Turkmenistan, Ukraine, Westjordanland und
tan, Ukraine, Usbekistan. Gazastreifen.
EU (25): Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Volkswirtschaften mit hohem mittlerem Einkom-
Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, men (30): Äquatorialguinea, Argentinien, Barba-
Litauen, Lettland, Luxemburg, Malta, Niederlande, dos, Belize, Botsuana, Chile, Costa Rica, Domi-
Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, nica, Estland, Gabun, Kroatien, Lettland, Libanon,
Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Libysch-Arabische Dschamahirija, Litauen, Malay-
Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern. sia, Mauritius, Mexiko, Oman, Panama, Polen,
Mittlerer Osten und Nordafrika (20): Ägypten, Russische Föderation, Slowakei, Südafrika, Trini-
Algerien, Bahrain, Dschibuti, Islamische Republik dad und Tobago, Tschechische Republik, Türkei,
Iran, Irak, Israel, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Ungarn, Uruguay, Venezuela.
Libanon, Libysch-Arabische Dschamahirija, Volkswirtschaften mit hohem Einkommen (42):
Marokko, Oman, Saudi-Arabien, Arabische Repu- Aruba (Niederlande), Australien, Bahamas, Bah-
blik Syrien, Tunesien, Vereinigte Arabische Emi- rain, Belgien, Brunei Darussalam, Dänemark,
rate, Westjordanland und Gazastreifen. Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland,
Nordamerika (2): Kanada, Vereinigte Staaten. Hongkong (China), Irland, Island, Israel, Italien,
Ostasien und Pazifik (28): Australien, Brunei Darus- Japan, Kanada, Katar, Republik Korea, Kuwait,
salam, China, Fidschi, Hongkong (China), Indone- Luxemburg, Macao (China), Malta, Neuseeland,
sien, Japan, Kambodscha, Demokratische Volksre- Niederlande, Niederländische Antillen, Norwegen,
publik Korea, Republik Korea, Laotische Demokrati- Österreich, Portugal, Puerto Rico (Vereinigte
sche Volksrepublik Macao (China), Malaysia, Mar- Staaten), Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Sin-
schall-Inseln, Mongolei, Myanmar, Neuseeland, Nie- gapur, Slowenien, Spanien, Taiwan (China), Ver-
derländische Antillen, Papua-Neuguinea, Philippi- einigte Arabische Emirate, Vereinigtes König-
nen, Samoa, Singapur, Solomon-Inseln, Taiwan reich, Vereinigte Staaten, Zypern.
(China), Thailand, Timor Lest, Tonga, Vietnam.
Südasien (8): Afghanistan, Bangladesch, Bhutan,
Indien, Malediven, Nepal, Pakistan, Sri Lanka.

b) Klassifizierung nach Einkommenshöhe


Volkswirtschaften mit niedrigem Einkommen
(59): Äthiopien, Afghanistan, Bangladesch, Benin,
Bhutan, Burkina Faso, Burundi, Côte d’Ivoire,
Demokratische Republik Kongo, Eritrea, Gambia,
Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Haiti, Indien,
Jemen, Kambodscha, Kamerun, Kenia, Komoren,

137
GLEICHHEIT BEI DER ARBEIT: DEN HERAUSFORDERUNGEN BEGEGNEN

Länder und Gebiete, für die Informationen Übersicht 2.4: Anteil von Frauen an der
zur Verfügung stehen, nach Übersicht: nicht-agrarischen unselbständigen
Beschäftigung (MEZ 3) und an der
Übersicht 2.1, 2.2, 2.3: Erwerbsquoten von unselbständigen Beschäftigung insgesamt,
Frauen und Verhältnis Frauen zu Männern, 1995-2004
Anteil der Beschäftigten an der Verzeichnis der Länder und Gebiete (79): Ägyp-
Gesamtbevölkerung und Arbeitslosigkeit ten, Argentinien, Australien, Bahamas, Bangla-
nach Geschlecht desch, Barbados, Bolivien, Botsuana, Brasilien,
Verzeichnis der Länder und Gebiete (173): Ägyp- Chile, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Die
ten, Äquatorialguinea, Äthiopien, Afghanistan, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien,
Albanien, Algerien, Angola, Aserbaidschan, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador,
Argentinien, Armenien, Australien, Bahamas, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Grie-
Bahrain, Bangladesch, Barbados, Belarus, Bel- chenland, Guatemala, Honduras, Hongkong
gien, Belize, Benin, Bhutan, Bolivien, Bosnien- (China), Irland, Island, Israel, Italien, Jamaika,
Herzegowina, Botsuana, Brasilien, Brunei Darus- Japan, Kanada, Kolumbien, Republik Korea, Kro-
salam, Bulgarien, Burkina Faso, Burundi, Chile, atien, Lettland, Litauen, Macao (China), Malaysia,
China, Costa Rica, Côte d’Ivoire, Dänemark, Mauritius, Mexiko, Republik Moldau, Namibia,
Demokratische Republik Kongo, Deutschland, Die Neuseeland, Niederlande, Niederländische Antil-
ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, len, Norwegen, Österreich, Oman, Pakistan,
Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Panama, Paraguay, Peru, Polen, Portugal, Puerto
Eritrea, Estland, Fidschi, Finnland, Frankreich, Rico, Rumänien, Russische Föderation, San
Gabun, Gambia, Georgien, Ghana, Griechenland, Marino, Schweden, Schweiz, Simbabwe, Singa-
Guatemala, Guinea, Guinea-Bissau, Guyana, pur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Thailand, Tri-
Haiti, Honduras, Hongkong (China), Indien, Indo- nidad und Tobago, Tschechische Republik, Tür-
nesien, Irak, Islamische Republik Iran, Irland, kei, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Bolivarische
Island, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Jemen, Jor- Republik Venezuela, Vereinigte Staaten, Vereinig-
danien, Kambodscha, Kamerun, Kanada, Kap tes Königreich, Vietnam, Westjordanland und
Verde, Kasachstan, Katar, Kenia, Kirgistan, Gazastreifen, Zypern.
Komoren, Kolumbien, Kongo, Demokratische
Republik Korea, Republik Korea, Kroatien, Kuba, Abbildung 2.1: Prozentuale Aufteilung von
Kuwait, Laotische Demokratische Volksrepublik, Arbeitnehmerinnen nach Status in der
Lettland, Libanon, Liberia, Libysch-Arabische weiblichen Beschäftigung insgesamt, nach
Dschamahirija, Litauen, Luxemburg, Macao Region, 1995 und 2004
(China), Madagaskar, Malawi, Malaysia, Maledi-
Verzeichnis der Länder und Gebiete (68): Ägyp-
ven, Mali, Malta, Marokko, Mauretanien, Mauri-
ten, Argentinien, Australien, Bahamas, Bangla-
tius, Mexiko, Republik Moldau, Mongolei,
desch, Barbados, Bolivien, Botsuana, Chile, Costa
Mosambik, Myanmar, Namibia, Nepal, Neusee-
Rica, Dänemark, Deutschland, Die ehemalige
land, Nicaragua, Niederlande, Niederländische
jugoslawische Republik Mazedonien, Dominica,
Antillen, Niger, Nigeria, Norwegen, Österreich,
Ecuador, El Salvador, Estland, Finnland, Geor-
Oman, Pakistan, Panama, Papua-Neuguinea, Para-
gien, Griechenland, Honduras, Hongkong (China),
guay, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Puerto
Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Kamerun,
Rico (Vereinigte Staaten),, Rumänien, Russische
Kanada, Kolumbien, Republik Korea, Kroatien,
Föderation, Ruanda, Salomon-Inseln, Sambia,
Lettland, Litauen, Macao (China), Malaysia,
Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Senegal, Ser-
Mexiko, Republik Moldau, Namibia, Neuseeland,
bien und Montenegro, Sierra Leone, Simbabwe,
Niederlande, Niederländische Antillen, Norwegen,
Singapur, Slowakei, Slowenien, Somalia, Spanien,
Österreich, Pakistan, Panama, Peru, Polen, Portu-
Sri Lanka, Südafrika, Sudan, Surinam, Swasiland,
gal, Puerto Rico, Rumänien, Russische Födera-
Arabische Republik Syrien, Tadschikistan, Verei-
tion, Schweiz, Simbabwe, Singapur, Slowenien,
nigte Republik Tansania, Thailand, Timor-Leste,
Spanien, Thailand, Trinidad und Tobago, Tsche-
Togo, Trinidad und Tobago, Tschad, Tschechische
chische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Uru-
Republik, Tunesien, Türkei, Turkmenistan,
guay, Bolivarische Republik Venezuela, Vereinig-
Uganda, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Usbekistan,
tes Königreich, Vietnam, Westjordanland und
Bolivarische Republik Venezuela, Vereinigte Ara-
Gazastreifen.
bische Emirate, Vereinigte Staaten, Vereinigtes
Königreich, Vietnam, Westjordanland und Gaza-
streifen, Zentralafrikanische Republik, Zypern.

138
ANHANG

Abbildung 2.2: Verhältnis der weiblichen Staaten, Vereinigtes Königreich, Vietnam, West-
zur männlichen jordanland und Gazastreifen, Zypern.
Bruttobildungsbeteiligungsquote im
Grundschul-, Sekundar- und Tertiärbereich Übersicht 2.5: Anteil von Frauen an
Verzeichnis der Länder und Gebiete (133): Alba- Gesetzgebungs- und Führungspositionen
nien, Argentinien, Armenien, Aruba (Nieder- Verzeichnis der Länder und Gebiete (73): Ägyp-
lande), Aserbaidschan, Äthiopien, Australien, ten, Äthiopien, Argentinien, Australien, Bahamas,
Bahrain, Bangladesch, Barbados, Belarus, Bel- Bangladesch, Barbados, Belgien, Bolivien, Botsu-
gien, Belize, Botsuana, Brasilien, Brunei Darussa- ana, Chile, Costa Rica, Dänemark, Deutschland,
lam, Bulgarien, Burkina Faso, Burundi, Chile, Dominica, El Salvador, Estland, Finnland, Geor-
China, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Die gien, Griechenland, Hongkong (China), Island,
ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien,
Dschibuti, Dominikanische Republik, El Salvador, Republik Korea, Kroatien, Lettland, Litauen,
Eritrea, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Macao (China), Malaysia, Mexiko, Republik Mol-
Ghana, Griechenland, Guatemala, Guyana, Indien, dau, Neuseeland, Niederlande, Niederländische
Indonesien, Irak, Islamische Republik Iran, Irland, Antillen, Norwegen, Oman, Österreich, Pakistan,
Island, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Jordanien, Panama, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Puerto
Kambodscha, Kamerun, Kanada, Kap Verde, Rico, Rumänien, Russische Föderation, Schwe-
Kasachstan, Katar, Kenia, Kirgistan, Komoren, den, Schweiz, Saint Lucia, Saudi-Arabien, Singa-
Kolumbien, Kongo, Republik Korea, Kroatien, pur, Slowakei, Slowenien, Spanien, Thailand, Tri-
Kuba, Laotische Demokratische Volksrepublik, nidad und Tobago, Tschechische Republik, Tür-
Lesotho, Lettland, Libanon, Libysch-Arabische kei, Ukraine, Ungarn, Bolivarische Republik
Dschamahirija, Litauen, Luxemburg, Macao Venezuela, Vereinigte Arabische Emirate, Verei-
(China), Madagaskar, Malawi, Malaysia, Malta, nigtes Königreich, Vereinigte Staaten, Vietnam,
Marokko, Marschall-Inseln, Mauretanien, Mauri- Westjordanland und Gazastreifen, Zypern.
tius, Mexiko, Republik Moldau, Mongolei, Nami-
bia, Nepal, Nicaragua, Niederlande, Niederländi- Abbildung 2.3: Geschlechtsspezifisches
sche Antillen, Niger, Nigeria, Norwegen, Öster- Lohngefälle im Fertigungssektor
reich, Oman, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru,
Verzeichnis der Länder und Gebiete (37): Ägyp-
Philippinen, Polen, Portugal, Puerto Rico, Rumä-
ten, Australien, Bahrain, Botsuana, Brasilien, Bul-
nien, Ruanda, Sambia, Samoa, São Tomé und
garien, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, El
Príncipe, Saudi-Arabien, Schweden, Schweiz, Ser-
Salvador, Finnland, Georgien, Hongkong (China),
bien und Montenegro, Sierra Leone, Simbabwe,
Island, Islamische Republik Iran, Irland, Japan,
Slowakei, Slowenien, Spanien, Südafrika, Suri-
Jordanien, Kasachstan, Republik Korea, Lettland,
nam, Swasiland, Tadschikistan, Thailand, Tonga,
Litauen, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande,
Trinidad und Tobago, Tschechische Republik,
Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, Sin-
Tunesien, Türkei, Uganda, Ukraine, Ungarn, Uru-
gapur, Sri Lanka, Taiwan (China), Tschechische
guay, Usbekistan, Bolivarische Republik Venezu-
Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich, West-
ela, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigte
jordanland und Gazastreifen, Zypern.

139
96
I
(B)

Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen begegnen Gleichheit bei der Arbeit:
Den Herausforderungen begegnen
Bericht des Generaldirektors

Die Welt der Arbeit eröffnet einzigartige Möglichkeiten, marktpolitiken und des öffentlichen Beschaffungswesens Gesamtbericht im Rahmen der Folgemaßnahmen zur Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien
die Diskriminierung in den Gesellschaften von heute – bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, die stärker auf und Rechte bei der Arbeit
zu bekämpfen. Trotz großer Fortschritte bestehen Vielfalt und Gleichheit ausgerichtet sind.
2007
Ungleichheiten fort, von denen weltweit Millionen
von Menschen betroffen sind. Neben besonders Der Bericht gibt einen Überblick über Initiativen
heimtückischen Erscheinungsformen der seit langem von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zur
bekannten Formen von Diskriminierung entstehen neue Behandlung von Fragen wie Lohngerechtigkeit in
Formen, z. B. aufgrund von Behinderung, HIV/Aids- Gesamtarbeitsverträgen, Maßnahmen des Human-
Status, Alter, Genetik oder Lebensstil. Diese Gleich- ressourcenmanagements und soziale Verantwortung
stellungshindernisse können Gesellschaften daran von Unternehmen. Außerdem zeigt er auf, was
hindern, das Potenzial der globalisierten Wirtschaft von getan werden kann, um die Beschäftigungsfähigkeit
heute voll auszuschöpfen. diskriminierungsgefährdeter Menschen zu stärken

IAA Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen begegnen


und die Arbeitsvermittlungsfunktion in privaten und
Gleichheit bei der Arbeit: Den Herausforderungen öffentlichen Sektoren zu verbessern, damit Arbeitsmärkte
begegnen ist der zweite Gesamtbericht zu diesem effizienter funktionieren.
Thema. Er befasst sich mit Diskriminierung und
Ungleichheit bei der Arbeit und untersucht, was getan Dieser neue Gesamtbericht erkennt an, dass der Kampf
werden muss, um sie zu beseitigen. Außerdem beurteilt gegen Diskriminierung nationale, regionale und globale
der Bericht die Wirksamkeit konventioneller und neuer Antworten erfordert, und er stellt die Bemühungen
grundsatzpolitscher Instrumente – z. B. aktiver Arbeits- zu ihrer Bekämpfung in den weiteren strategischen
Rahmen des Ziels der IAO der menschenwürdigen
Arbeit für alle Männer und Frauen. Schließlich schlägt
er Folgemaßnahmen vor um sicherzustellen, dass die
Förderung der Chancengleichheit für alle in der Welt der
Arbeit zu einer Realität wird.

Preis: 35 Schweizer Franken I S B N 978-92-2-718130-3

9 789227 181303

Das könnte Ihnen auch gefallen