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Buchrezensionen > Sachliteratur > Konspirationistisches Manifest

Erreger heftiger Diskussionen

Konspirationistisches Manifest
„Wir sind Konspirationisten, wie von nun alle vernünftigen
Menschen“.


Foto: Cover zum Buch.

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 15.08.2022  4  1  7 min.

Mit diesen Satz, der in Deutschland auch bei vielen Linken


Alarmsignale aussenden lässt, beginnt ein knapp 200-seitiger
Essay, der den schlichten Titel „Konspirationistisches Manifest“
trägt. Das Buch ist ganz in Schwarz gehalten und auf der Rückseite
prangt der etwas kryptische Satz: „Wir werden siegen, weil wir
tiefgründiger sind“.

Der Text wird dem Umfeld des Unsichtbaren Komitees zugerechnet,


jener unbekannten Gruppe von Intellektuellen, die sich als Staats-
und mehr noch als Gründer der gesamten Zivilisation einen Namen
gemacht haben. Das Unsichtbare Komitee wurde von grossen
Teilen der staatsablehnenden Linken in Deutschland verschlungen,
bekam aber auch durchweg gute Kritiken im bürgerlichen und
linksliberalen
 Feuilleton. Dass ist auch nicht so verwunderlich, weil
Untergrund-Blättle
der Text bei aller rhetorischen Radikalität jegliche Form linker ÖFFNEN


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Organisation ablehnte und letztlich einen Rückzug in
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selbstorganisierte Landkommunen und sogenannte temporär

befreite Zonen propagierte. Damit wird übersehen, dass dort dann 
vielleicht die Polizei eine Zeitlang zurückzieht, aber die
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kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen deshalb
nicht verschwunden sind.

Radikaler Flügel des Liberalismus

Da in den Texten des Unsichtbaren Komitees auch jede Form von


gewerkschaftlicher Tätigkeit abgelehnt wurde, konnte man von
einer Kombination des radikalen Liberalismus mit anarchistischen
Grundannahmen sprechen, wie er für Teile der
ausserparlamentarischen Linken Szene vieler europäischer Länder
nicht so untypisch ist. Das machte den Text des Unsichtbaren
Komitees attraktiv, auch für das liberale Feuilleton. Das
Konspirationistische Manifest ist geprägt von einer totalen
Ablehnung nicht nur jedes Staates und jeder Macht. Wie immer die
Beziehungen der Autoren der neuen Schrift zum Unsichtbaren
Komitee gestaltet sind, da gibt es ja aus verständlichen Gründen
keine offiziellen Erklärungen, ideologisch ist eine Nähe erkennbar.

Vor allem der erste Teil des Konspi-Manifests liest sich sehr
spannend, man ist schnell gefangen in den besonderen Sound des
Textes. Aber man stellt fest, dass sich die Autor*innen auch hier
dem Unsichtbaren Komitee sehr ähnlich, sich wenig um reale
Machtverschiebungen in bürgerlichen Gesellschaften interessieren
und schon gar nicht für Klassenkämpfe. Dass ist nicht
verwunderlich, weil die Autor*innen unverkennbar einen
akademischen Hintergrund haben, wie unschwer an der Menge von
Wissenschaftler*innen, Philosoph*innen, Schriftsteller*innen zu
erkennen ist, die in dem Buch erwähnt werden. Auch wenig
bekannte Quellen werden herangezogen. Besonders frappierend ist,
dass die Autor*innen in den verschiedenen Wissensfakultäten
bewandert sind, seien es die verschiedenen Literaturepochen,
theologische Abhandlungen, aber auch viele Quellen aus der
Vorgeschichte von Internet und Smartphone. Zu all diesen Themen
und noch viel mehr, haben die anonymen Autor*innen geforscht.

Wie schon beim Komitee-Text bliebt auch hier die Perspektive


bescheiden. Letztlich läuft es hier auf ein widerständiges Leben
heraus,
 das nicht näher spezifiziert wird, aber mit den Begriff „sich
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verschwören also“ mystifiziert wird. Wobei die Autor*innen schon

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am Anfang des Buches die Herkunft des Wortes darlegten und

erklärten, dass es ursprünglich um Treffen ging. Es wird nur in 
einigen Thesen am Schluss des Textes davor gewarnt, in
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wahrnehmbaren linken Gruppen aktiv zu werden. Sie sollten
möglich nicht in den Radar von repressiven Staatsapparaten
kommen. Konträr zu dieser doch sehr gemässigten Perspektive
finden sich immer wieder Anklänge einer radikalen Praxis in dem
Buch. Die Autor*innen beziehen sich sogar manchmal positiv auf
die radikale Phase der Bolschewiki von 1917 – 1920 und loben da
auch die Schriften des kommunistischen Philosophen Georg
Lukacs allerdings aus seiner romantischen Phase vor seinem
Wechsel ins kommunistische Lager.

Kein wirklicher Begriff vom Staat und seinen


Apparaten

Die Fokussierung der Autor*innen auf den Kampf gegen die Macht
in all ihren unterschiedlichen Formen führt dazu, dass an manchen
Stellen die Unterschiede zwischen bürgerlicher Demokratie und
faschistischer Herrschaft verschwinden. So richtig es ist, immer
wieder zu betonen, dass es sich hier nicht um antagonistische
Beziehungen handelt, ist es auch falsch, quasi jeden Unterschied
zwischen den Herrschaftsformen einzuebnen. Diesen Eindruck hat
man manchmal, wenn dann darüber geschrieben wird, welche linke
Wissenschaftler*innen in den 1930 und 1940er Jahre mit den US-
Staatsapparaten kooperierten, was schon länger bekannt ist. Dass
es dabei um den Kampf gegen den Nationalsozialismus ging und
dass seine Niederlage für Juden beispielsweise nun gar nicht
nebensächlich war, bleibt bei dieser allgemeinen Machtkritik
ausgeblendet.

Besonders irritiert ist, wenn an einer Stelle romantisierend auf die


Stadt im Mittelalter geschaut wird, die durch Architektur und
moderne Stadtplanung zerstört wurde. Über die Unterdrückungs-
und Ausbeutungsverhältnisse in der mittelalterlichen Stadt
hingegen wird im Manifest ebenso geschwiegen, wie die geringe
Lebenerwartung der Menschen damals im Vergleich zu heute. Das
würde auch die romantische Machtkritik der Autor*innen in Frage
stellen. Diese fehlende Differenzierung wird auch deutlich, wenn im
Manifest impliziert vertreten wird, der Lockdown könnte ein Coup
 Herrschenden
der in aller Welt sein, um die Aufstände der Jahre
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2018/19 zu beenden. DaNewsletter
werden völligRSS
unterschiedliche
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Bewegungen geannt, beispielsweise die Gelbwestenbewegung, die

aber im Frühjahr schon ganz ohne Lockdown vor allem durch 
stattliche Repression geschwächt war. Auch die massiven Proteste
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in Hongkong wird erwähnt, die damals tatsächlich die
prochinesische Führungsrüge unter Druck setzten.

Auf die Inhalte der Forderungen wird gar nicht eingegangen. Dann
hätte man festgestellt, dass es sich da keineswegs um eine Kritik
an Macht und Staat im Allgemeinen handelt, sondern gegen den
Machtanspruch Chinas. Einige der Protestierenden schwenkten die
Fahne der ehemaligen Kolonialisten. Der Hongkong-Aufstand hatte
durchaus Anhänger, natürlich nicht in der chinesischen
Führungsclique, aber sehr wohl bei den Staatsapparaten der USA
und auch der EU.

Ein globaler Lockdown als Reaktion auf diese Kämpfe lässt sich so
nicht erklären, dass würde höchstens für China gelten. Das wird
nicht direkt besprochen, aber wie soll man die Überschrift „Die
Konterrevolution von 2020 ist eine Reaktion auf die Aufstände von
2019“ anders verstehen? Zumal an anderen Stellen im Manifest von
einen Coup der Herrschenden geschrieben wird.

Die Materialität des Virus wird nicht bestritten, es wird aber an


verschiedenen Stellen suggeriert, dass es längt nicht so gefährlich
sei, wie manche glauben. Tatsächlich finden sich an manchen
Stellen Thesen, die anschlussfähig an irrationalistische Tendenzen
der Massnahmekritiker*innen sind. Andererseits gelingen den
Autoren auch sehr treffende Beobachtungen und polemische
Zuspitzungen für die Fraktion der Linken, die unter Corona-
Bedingungen die Staatsapparate an Härte im Durchgreifen gegen
angebliche Impf- oder Maskenkritiker*innen noch übertrumpfen
wollten.

Linke Massnahmekritiker mit wenigen rechten


Ausreissern

Treffendere Kritiken finden sich in der zweiten Ausgabe der


Zeitschrift „Der Erreger“ wo Texte aus sehr unterschiedlichen linken
politischen Milieus dokumentiert sind. Die Mitbegründerin des
Nautilus-Verlags Hanna Mittelstädt ist dort ebenso vertreten wie

Achim Szepanski vom Non-Verlag, Tove Soiland von der Initiative
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Feministischer Lockdown, der linke Bolschewismuskritiker Hendrik
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Wallat, um nur einige zu nennen. Bei einer solchen Bannbreite an

Beiträgen sind auch die Schwerpunkte der Beiträge sehr 
unterschiedlich. Zu Vielen habe ich grosse Widersprüche der
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vertretenen Thesen, aber ich finde es gut, dass sie diskutiert
werden und ihnen auch heftig widersprochen werden.

Bei einigen wenigen der Beitrage hat man den Eindruck, sie sind
von der konservativen Achse des Gutes geprägt. Besonders
heftigen Widerspruch habe ich zu einen Beitrag eines Autors unter
dem Alias-Namen Re Badaud, der die Zerstörung der Familie und
das Schwinden des Sexus beklagt, ohne zu erwähnen, dass ein
Grossteil der sexuellen Angriffe auf Frauen in der Familie
stattfindet.

Wenn dann der Autor noch von „muslimischen Männern


schwadroniert, die „sich zusammenrotten, um Frauen aber auch als
homosexuell empfundenen Männern das Leben zur Hölle zu
machen“ und vorher schon über Eltern, die sich von ihren Kindern
an der Nase rumtanzen lassen, polemisiert, dann ist der Autor nicht
mehr weit vom Jürgen Elsässer vor 20 Jahren, wo er auch noch in
linken Zeitungen das Hohelied auf die Familie gesungen hat, bevor
er nach scharf rechts abbog. Zum Glück sind solche Ausreisser
nach Rechts allerdings im Erreger die Ausnahme. Er sollte auf jeden
Fall zum Erreger heftiger Diskussionen werden.

Peter Nowak

Das Konspirationistische Manifest http://magazinredaktion.tk/corona93.php kann


für 6 Euro per Email unter konspiration@protonmail.com bestellt werden,
ebenfalls 6 Euro kostet „Der Erreger“, der über unter dererreger@mailbox.org
bestellt werden kann.

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