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Juli 2013
reich
des
todes
Die ganze Welt schaut nach Kairo – zugleich
foltern Beduinen auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel
Tausende afrikanische Migranten, um Lösegeld
zu erpressen. Und gleich nebenan machen ahnungslose
deutsche Touristen Urlaub. Unterwegs durch
eine Region, in der kriminelle Gewalt, Tourismus und
Weltpolitik nahe beieinanderliegen
Von michael obert | Fotos: moises saman
S
Al-Arissa-Checkpoint, Nordsinai, Ägypten: Ein Beduine telefoniert vor
einem Posten der ägyptischen Armee im Randgebiet von Al-Arish.
Menschenhändlern verkaufen. Diese ver- »30 000 Dollar«, sagt Selomon und starrt ins Unten: Ein junger Afrikaner liegt auf der Neve-
schleppen Selomon über die Grenze nach Leere. »30 000 Dollar wollten sie von meiner Sha’anan-Straße, ebenfalls im Süden Tel Avivs. Die
Bewohner nennen dieses Viertel wegen der vielen
Ägypten und weiter auf die Sinai-Halbinsel Schwester in Eritrea haben.« Gelinge es den
Flüchtlinge »besetzte Stadt« – und übersehen, dass
– in ein Foltercamp der hier lebenden Be- Kidnappern mit ihren Foltermethoden nicht, es sich bei den »Besatzern« um schwer traumatisierte
duinen, arabische Viehzüchter mit nomadi- das Lösegeld zu erpressen, dann töteten sie Opfer von brutaler Folter und Vergewaltigung handelt.
schen Wurzeln. »Das sind keine Menschen«, ihre Geiseln. »Oder sie schneiden dir Nieren,
sagt Selomon; sein verstümmelter Zeigefin- Leber, Herz und Augen heraus und verkaufen
ger zittert. »Das sind blutrünstige Bestien.« sie an Organhändler.«
Im Schatten der Schlagzeilen über den Von den rund 60 000 afrikanischen Mi-
Putsch in Kairo, bei dem das Militär kürz- granten, die es nach Schätzungen der Tel
lich Ägyptens Präsident Mohammed Mursi Aviver Organisation Ärzte für Menschen-
stürzte, halten Beduinen in der Wüste des rechte in den vergangenen Jahren illegal über
Sinai afrikanische Migranten als Geiseln ge- die ägyptische Grenze nach Israel geschafft
fangen. Tausende wurden in den vergangenen haben, sind bis zu 7000 in den Folterkam-
Jahren gefoltert. Die ägyptische Halbinsel am mern der Beduinen misshandelt worden.
Roten Meer, beliebtes Ferienparadies der Mehr als 4000 haben die Torturen nicht über-
Deutschen, grenzt im Westen an den Suez- lebt; ihre Leichen verrotten in der Wüste.
Kanal und im Osten an Israel und den Rund tausend Menschen sollen sich derzeit
Gaza-Streifen. Rund 300 000 Beduinen be- in den Fängen der Kidnapper befinden.
wohnen das dünn besiedelte Wüstengebiet; Auf der Sinai-Halbinsel ist die ägypti-
einzelne Gruppen haben sich auf den Men- sche Militärpräsenz seit dem Camp-David-
schenhandel spezialisiert. Friedensabkommen mit Israel von 1978 er-
Die Migranten kommen vor allem aus Eri- heblich eingeschränkt. Die UN-Blauhelm-
trea, aber auch aus dem Sudan, aus Äthiopien soldaten, die den Frieden in der strategisch
und Somalia. Ihre Kidnapper schlagen sie mit wichtigen Wüstenregion überwachen sollen,
Stöcken, Ketten und Eisenstangen, bis sie ih- halten sich vor allem an ihren Stützpunkten
nen die Telefonnummern ihrer Familien ver- auf. Das so entstandene Machtvakuum haben
raten. Sobald die Verbindung steht, beginnt die Beduinenstämme in den vergangenen
die Folter. Die Kidnapper drücken ihren Op- Jahrzehnten genutzt, um Milizen zu gründen
fern Zigaretten in den Gesichtern aus, brand- und eigene Machtstrukturen zu etablieren.
marken sie mit glühendem Metall, über- Besonders seit dem Sturz von Hosni Mu-
schütten sie mit kochendem Wasser. Sie um- barak im Februar 2011 hat sich der Sinai, der
wickeln ihre Finger mit Kabeln und drücken fast so groß wie Bayern ist, zu einem Territo-
sie in die Steckdose, bis das Fleisch schwarz rium ohne Recht und Gesetz entwickelt.
wird, oder sie gießen ihnen Diesel über den Während Urlauber im Süden der Halbinsel
Kopf und zünden sie an, während die Ange- an Hotelstränden in der Sonne baden, verset-
hörigen der Gefolterten daheim ihre Schreie zen bewaffnete kriminelle Banden und mili-
über Handy mit anhören müssen. tante Islamisten den Norden in Angst und
Syrien
Irak
Tel Aviv
Al-Arish Israel
Jordanien
Kairo
Sinai-
Halbinsel
Ägypten Saudi-Arabien
Sharm-
El-Sheikh
»Wir lösen
Hier, ganz nah an der Grenze zu Israel, befinden sich die Foltercamps. Jeder einzelne Keller käme dafür in Frage.
einander«, sagt Hamdi Al-Azazi wenig später chen dieses oder jenes Organ. Es ist wie bei
in seinem kleinen Büro in einer Nebenstraße Ersatzteilen für ein Auto.«
von Al-Arish. »Wir lösen Probleme mit der Die Ärzte sollen mit schweren Geländewa-
Waffe.« gen aus Kairo in die Wüste des Sinai reisen,
In der »Kommandozentrale« des Men- um afrikanischen Flüchtlingen in Operati-
schenrechtlers – grauer Schnauzbart, blaues onszelten ihre Organe zu rauben, diese in
Hemd, Bundfaltenhose – sind die Rollläden Kühlschränken nach Kairo zu bringen und
Tag und Nacht heruntergelassen. Die Tür ist sie dort zu implantieren. Allerdings ist Ham-
mit Stahlriegeln gesichert. Eine Neonröhre di Al-Azazi der einzige unserer Gesprächs-
spendet Licht, ein Ventilator surrt. »In den partner, der diese mobilen Kliniken gesehen
letzten zwei Jahren haben wir in der Wüste haben will.
Hunderte verstümmelter Afrikaner gefun- Fast täglich bekommt er Morddrohungen.
den«, erzählt Al-Azazi und zeigt uns auf sei- Zweimal ist auf ihn geschossen worden. Als
nem Computer die Fotos der Leichen: tot sein elfjähriger Sohn Abdul gegenüber im
geprügelt, verhungert, verbrannt, selbst im Laden kürzlich einen Schokoriegel kaufen
Tod noch aneinandergekettet. Körper ohne wollte, wurde er von einem Geländewagen
Köpfe. Ein Baby mit aufgeschlagener Schädel- angefahren. Al-Azazi ist überzeugt: »Ein An-
decke. Eine junge Frau, mit Petroleum über- schlag der Menschenhändler.« Sein Sohn
gossen und angezündet. »Bevor sie starb«, überlebte, aber seine Hände und Beine sind
präzisiert Al-Azazi. gebrochen, sein Gesicht wird für immer von
An der Wand hängt ein Plakat seiner Or- Narben entstellt sein.
ganisation New Generation Foundation for »Ihre Drohungen machen mich nur noch
Human Rights. Die einheimischen Aktivisten entschlossener«, sagt Al-Azazi auf dem Weg
versorgen Afrikaner, die den Foltercamps ent- zum Friedhof. Während wir an Bauruinen
kommen oder nach Zahlung des Lösegeldes und hoch gesicherten Checkpoints vorbei-
freigelassen werden, mit Essen, Kleidung und fahren, spricht er in einem fort von seiner
Medizin. Auf seinem Computer zeigt uns Al- Religion, dem Islam. Der verbiete es ihm,
Azazi noch grausamere Fotos: Körper von Ver wegzusehen, wenn andere Menschen leiden.
storbenen mit aufgesägten, leeren Brustkörben; »Egal ob sie Muslime sind oder nicht.«
andere sind in der Mitte oder an den Seiten Aus der ganzen Gegend rufen ihn die Leu-
mit großen Stichen zugenäht. »Nieren, Leber, te an, wenn sie Leichen gefolterter Afrikaner
Herz, Augenlinsen«, zählt Al-Azazi auf – Or- in der Wüste finden. Al-Azazi holt sie ab,
ganräuber sollen sie herausgeschnitten haben. wäscht sie, salbt sie mit wohlriechenden Es-
Al-Azazi hat die Fotos dem früheren Chef senzen und hüllt sie in weißes Tuch ein; dann
der Rechtsmedizin in Kairo vorgelegt, der die begräbt er sie mit eigenen Händen. »Über
Nähte als »professionelle Arbeit« einstuft. Ein 500«, sagt er, als wir vor dem Friedhofstor am Die letzten Folteropfer hat er vor zwei Tagen seines Foltercamps ist stundenlang besetzt. Blog das Fehlen des Rechts auf Meinungsfrei-
umfangreicher Bericht der Europäischen Rand von Al-Arish aus dem Auto steigen. Das begraben. Zwei Männer und eine junge Frau Selomons Geschichte beginnt an einem küh- heit in ihrem Land kritisiert hatten.
Union zeichnet das Bild einer regelrechten Massengrab sieht aus wie eine Müllhalde. mit weit aufgerissenen Augen, die sich nicht len Morgen im Dezember 2011 an der Uni- Eritrea liegt an der Küste des Roten
Industrie des Organhandels auf dem Sinai. »Hier sieben«, sagt Al-Azazi und stapft über mehr schließen ließen und ihn seither in sei- versität von Asmara, der Hauptstadt von Eri- Meeres, oberhalb des Horns von Afrika. Vor
Ein Beduine teilte kürzlich anonym dem zerrissene Sandalen, Kleiderfetzen, Plastikfla- nen Träumen heimsuchen. trea, wo er im letzten Semester Computer- zwanzig Jahren erkämpfte das Land seine Un-
amerikanischen TV-Sender CNN mit: »Ärzte schen hinweg, während er die Markierungen Am Abend rufen wir die Telefonnummer technik studiert. Mitten in die Vorlesung abhängigkeit vom benachbarten Äthiopien.
aus Kairo rufen mich an und sagen mir, wir abliest, die er in die Friedhofsmauer geritzt an, die uns Selomon, der Mann ohne Hände, stürmen plötzlich Polizisten und verhaften Seither herrscht in Eritrea eine brutale Dikta-
haben hier einen Privatpatienten und brau- hat. »Hier vier, hier neun, hier ein Baby.« in Tel Aviv gegeben hat. Aber die Nummer mehrere seiner Freunde, weil diese in einem tur. Im Einparteienstaat mit strikter Planwirt-
Auch der Eritreer Hagos, 23, hat die Folterlager im Sinai überlebt,
er wohnt jetzt in einem staatlichen Heim in Israel. Süddeutsche Zeitung Magazin 17
Links: Mikele aus Eritrea zeigt dem Fotografen seinen von Folter geschundenen
Rücken. Er lebt heute in Kairo.
schaft werden Oppositionelle gefoltert luft kommt durch die Schlitze hinter dem
und Journalisten eingesperrt. Amnesty Motor. »Ich wollte einfach nur ein neues
International prangert das Regime wegen Leben beginnen«, erzählte uns Selomon
systematischer Unterdrückung seiner Bür- im Café am Levinsky-Park. Doch die Wüs-
ger an: erzwungener und zeitlich unbe- te des Sinai erfüllt keine Wünsche. Als
grenzter Militärdienst für Männer und schwer bewaffnete Beduinen die Heck-
Frauen, religiöse Verfolgung, Todesurteile. klappe des Lastwagens aufreißen, sind sie-
250 000 Menschen sind in den vergange- ben Afrikaner erstickt, darunter zwei Kin-
nen Jahren aus Eritrea geflohen. der und ein Baby.
Als sich Selomon nach der Verhaftung Seit Tagen suchen wir in Al-Arish nach
seiner Freunde für ihre Freilassung ein- jenen tausend afrikanischen Geiseln, die in
setzt, wird er selbst verhört – und flüchtet den Foltercamps der Beduinen Selomons
über die Grenze in den benachbarten Su- Schicksal teilen. Doch wo immer wir nach
dan, bevor die Schergen des Regimes ihn ihnen fragen – beim Gouverneur des Nord-
festnehmen können. Er schlägt sich bis ins sinai, bei der lokalen Militärführung, bei
Flüchtlingscamp Shagarab durch und den Generälen der Grenzpatrouillen –,
wähnt sich dort in Sicherheit. Doch als er schließen sich die Türen, werden Telefonge-
auf dem Weg zur Essensausgabe ist, sprin- spräche unterbrochen, eben noch freund-
gen – unter den Augen sudanesischer Sol- liche Gesichter zu steinernen Masken. Es ist,
daten, die von den Vereinten Nationen für als suchten wir nach Gespenstern.
den Schutz der Flüchtlinge bezahlt werden Im Krankenhaus finden wir nur noch
Oben: Die Beine von Beserate, 18, Immigrantin aus
– sechs mit Kalaschnikows bewaffnete die Handschellen, mit denen entkommene Eritrea. Sie erholt sich gerade von einer Hauttrans-
Männer von einem Landcruiser. oder freigekaufte und oft schwer verletzte plantation, die notwendig wurde, weil sich im Folter-
Es sind Menschenjäger vom Stamm der Folteropfer an die Betten gekettet wurden. camp durch das Scheuern der engen Fußfesseln
Rashaida, eines losen Verbunds noma- »Verlegt ins Gefängnis«, sagt uns ein Arzt ihre Knöchel entzündeten.
discher Clans. Mit Gewehrkolben schlagen in einem fleckigen weißen Kittel, als wir Unten: Seble, 24, lebt in einer Unterkunft in Tel Aviv.
sie Selomon nieder und werfen ihn auf die nach dem Verbleib der Afrikaner fragen. Hinter ihr liegen Wochen der Misshandlung und Folter,
Ladefläche ihres Pick-ups. Eine monate- »Oder abtransportiert nach Kairo.« Aber die Erinnerung daran wird sie ein Leben lang verfolgen.
lange Odyssee nach Norden beginnt. sicherheitshalber sollen wir doch mal in
Von einer kriminellen Bande an die der Leichenhalle nachsehen.
nächste weiterverkauft, wird er von einem Wenn die Geiseln die Torturen in den
gut organisierten Netzwerk über die Gren- Foltercamps überleben und tatsächlich
ze nach Ägypten geschafft, mit rund 150 freikommen, ist ihr Leidensweg noch
anderen entführten Eritreern in einen als lange nicht beendet: Viele irren tagelang
Geflügeltransporter getarnten Lastwagen in der Wüste umher. Die israelische Re-
gepfercht und über die Suez-Kanal-Brücke gierung hat einen Großteil des 240 Kilo-
auf den Sinai gekarrt. Die einzige Frisch- meter langen und fast fünf Meter hohen
Auf dem Fernseher in Sebles Zimmer stapeln sich Ein krabbelndes Baby im Frauenzentrum von Tel Aviv.
ihre Habseligkeiten, auf dem Bildschirm
laufen Musikvideos aus dem eritreischen Fernsehen.
Stahlzauns fertiggestellt, der sich entlang der wird der Zutritt verwehrt. Mit der Begründung,
Grenze zu Ägypten von Eilat an der Nordspitze die ehemaligen Geiseln der Beduinen seien
des Roten Meeres bis nach Gaza zieht und Wirtschaftsflüchtlinge, damit illegal im Land
afrikanische Flüchtlinge aus dem Sinai fern- und ohne Anspruch auf politisches Asyl.
halten soll. Und so werden Eritreer in ihr Land zurück-
Im offiziellen israelischen Wortlaut werden geschickt, obwohl sie dort Gefahr laufen, erneut
sie mistanenim genannt, »Eindringlinge«, eine eingesperrt und gefoltert oder gar als »Verräter«
Bezeichnung, die lange für unerwünschte Paläs hingerichtet zu werden, weil sie ihre Heimat
tinenser verwendet wurde und afrikanische illegal verlassen haben. »Damit verstößt Ägyp-
Migranten in die Nähe von Terroristen rückt. ten gegen die Genfer Flüchtlingskonvention«,
Politiker vom rechten Flügel bezeichnen sie als sagt Mohammed Dairi vom UNHCR-Büro
»Krebsgeschwür in unserem Körper«, und Pre- in Kairo.
mierminister Benjamin Netanjahu sieht durch Wir haben die Hoffnung, in Al-Arish einige
sie den jüdischen Charakter Israels bedroht. der Afrikaner zu finden, schon fast aufgegeben,
Das kürzlich verschärfte »Gesetz zur Bekämp- da bestätigt uns ein Informant, dass in den Poli-
fung der Infiltration« sieht vor, dass afrika- zeigefängnissen der Stadt 122 ehemalige Gei-
nische Flüchtlinge bis zu drei Jahren festgehal- seln festgehalten werden. Der einzige Weg zu
ten werden können. Ohne Gerichtsverfahren. ihnen führt über den Polizeichef der Provinz
Und mitsamt ihrer Kinder. Nordsinai. Den wollen wir auch fragen, warum
Derzeit lässt die israelische Regierung Ge- die Staatsgewalt nichts gegen die Kidnapper
fängnisse bauen, in denen mehr als 10 000 Mig- und Folterer unternimmt.
ranten inhaftiert werden können. »Israel, eine General Sameh Beshadi lässt uns in sein Büro
Nation, die selbst von Flüchtlingen gegründet bitten. Kaffee wird serviert. Mit Kardamon. Er
wurde, verstößt gegen das internationale stehe uns in fünf Minuten zur Verfügung, lässt
Flüchtlingsrecht«, sagt Sigal Rozen von der er ausrichten. Nach zwei Stunden will er uns
Menschenrechtsorganisation Hotline for Mig- dann plötzlich doch nicht mehr treffen. Auf ein-
rant Workers in Tel Aviv. mal brauchen wir eine spezielle Genehmigung,
Auf ägyptischer Seite ergeht es denen, die die um ihm ein paar Fragen zu stellen. Zu beantra-
Torturen in den Foltercamps der Beduinen über- gen in Kairo.
leben, nicht besser. Denn statt gegen die Täter »Zugang zu afrikanischen Häftlingen verbo-
gehen Ägyptens Behörden gegen die Opfer vor. ten«, sagt der junge Offizier, der uns aus dem
Am Grenzzaun riskieren sie, von Patrouillen er- hoch gesicherten Präsidium hinausbegleitet.
schossen zu werden. Schwerverletzte werden im »Vorsichtsmaßnahme gegen schlechte Presse.«
Krankenhaus von Al-Arish zwar notdürftig ver- Dann senkt er die Stimme und verrät uns, dass
sorgt, aber mit Handschellen an die Betten geket- die Stammesgebiete in der Wüste, wo die Folter-
tet. »Damit sie nicht abhauen«, sagt der Arzt im camps liegen, für Fremde der reine Selbstmord
fleckigen Kittel. »Diese Leute sind Kriminelle.« seien. Auch für Polizisten. »Die Beduinen knal-
Wer keine äußeren Anzeichen von Folter auf- len uns dort draußen einfach ab«, flüstert er.
weist, wandert direkt ins Polizeigefängnis, wo »Nicht für eine Million würde ich freiwillig ei-
Afrikaner oft monatelang ohne ausreichend nen Fuß in diese Wüste setzen.«
Wasser und Nahrung in winzigen Zellen zusam- Es dauert Tage, bis wir jemanden finden, der
Ihn treffen? Scheich Ibrahim verschluckt Eritrea ist eines der ärmsten Länder der
sich fast an seinem Tee. Unter keinen Um- Welt. Selomons Familie, einfache Bauern,
ständen will er uns zeigen, wo Ouda Abu verkauft ihr Haus und ihr Vieh, um das Lö-
Saad wohnt. »Zuerst foltert er Sie, um he- segeld per Western Union an einen Mittels-
rauszufinden, wer Sie geschickt hat«, sagt mann der Erpresser in Israel zu überweisen.
unser Gastgeber. »Dann vergräbt er Sie le- Doch der Erlös reicht bei Weitem nicht, um
bendig in der Wüste.« Nicht einmal der den Sohn freizukaufen. Und während seine
mächtige Scheich Ibrahim Al-Manei würde Schwester bei Verwandten und Bekannten
es wagen, an seine Tür zu klopfen. sammelt, auch in der Exilgemeinschaft in
Die Bosse des Netzwerks haben Tausende Europa und den USA, reißen die Anrufe der
auf dem Gewissen. Und jedes Schicksal hat Kidnapper nicht ab. Jedes Mal wenn sie
seine eigene Geschichte. Selomon, der junge das Telefon abnimmt, hört sie Selomons
Eritreer aus dem Café in Tel Aviv, wird nach Schreie.
seiner Ankunft auf dem Sinai aus dem Ge- Seine Peiniger fesseln ihm die Füße mit
flügellaster gezerrt und mit 25 anderen afri- schweren Ketten, die seine Haut bis auf die
kanischen Geiseln in einen Keller gesperrt. Knochen aufreiben. Vor einer benachbarten
Kein Licht, keine Toilette. Tagelang be- Kellerzelle stehen täglich Beduinen an, um
kommt er nichts zu essen und zu trinken. Frauen zu vergewaltigen. Mit dem heißen
Seine neuen Besitzer schlagen ihn, bis er die Gummi geschmolzener Kühlerschläuche
Telefonnummer seiner Schwester in Asmara verbrennen sie ihre Brustwarzen und stoßen
verrät. Als sie abnimmt, muss sie mit anhö- Eisenstangen in ihre Vaginen. Selbst wenn
ren, wie ihr Bruder um Hilfe schreit. Dann eine der Frauen ihren Verletzungen erliegt,
ein lautes Krachen. Wie von morschem lösen sie ihre Fesseln nicht. Tagelang bleiben
Holz. Mit schweren Eisenstangen brechen die Überlebenden an die Toten gekettet.
die Beduinen Selomons Handgelenke; seine Selomon hängen sie schließlich an den
Schwester lassen sie wissen: »30 000 Dollar Händen an der Decke auf, »an einem Haken
– oder wir bringen ihn um!« wie ein geschlachtetes Tier«. Als er vier Tage
nicht. Überlebende der Foltercamps berich- die Zahlung der Lösegelder zu beschleunigen. len Familien der Gegend seien einzelne Leute
ten zwar von einem Mann mit weißem Kittel
und Arztkoffer, den die Kidnapper ihren Gei-
Allerdings muss man sich dann fragen, was es
mit den Fotos von professionell zugenähten
beteiligt, windet sich Al-Manei; dann nennt
er uns doch einen Namen: Ouda Abu Saad
Sie stehen Schlange,
seln vorführen, um ihnen dann zu drohen:
»Wenn eure Familie nicht zahlt, schneidet der
Leichen auf sich hat. Der organisierte Organ-
handel auf dem Sinai bleibt nebulös.
vom Stamm der Jalouf. Bis vor wenigen Jah-
ren hütete Saad noch Ziegen. Doch dann
um Frauen
Doktor eure Nieren raus.« Aber selbst gesehen
hat einen Organraub niemand. Vielleicht ist
Scheich Ibrahim Al-Manei lässt uns noch
einmal Tee eingießen. Wer sind die Köpfe des
baute er in kürzester Zeit mehrere millionen-
teure Märchenpaläste mit fernöstlich anmu-
zu vergewaltigen
die Drohung eine perfide Psycho-Folter, um Netzwerks der Menschenhändler? In fast al- tenden Pagodendächern in die Wüste.
dem Morden tatenlos zu gen, sagt er. Aus Angst vor den Islamisten. Ob
das stimmt, ist jetzt nicht wichtig. Wir wol-
Frauen in Strohzäune einrollten und anzün-
deten; wie sie ein Baby von der Brust der
werk haben wir im Gefängnis gelernt«, sagt
der Beduine, »in den Folterkammern von
len wissen, was in einem Beduinen vorgeht, Mutter rissen, es erwürgten und damit Fuß- Mubarak.« Viele seiner Kollegen seien in den
wenn er Afrikaner zu Tode quält. ball spielten; wie sie ein Erdloch mit Glut Verliesen des Regimes jahrelang selbst ge-
Scheich Ibrahim Al-Manei, ein mächtiger Anführer des beduinischen Stammes der Sawarka, ist erklärter
28 Süddeutsche Zeitung Magazin Gegner des Menschenhandels und kümmert sich um Überlebende der Foltercamps.
Mikeles Rücken erzählt die ganze Geschichte seines Leids. Er hat überlebt und
wohnt nun mit zwölf anderen Eritreern in einem sicheren Haus in Kairo.