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Publishers Weekly
Mit ihrem internationalen Bestseller hat die gefeierte Psychologin Dr. Becky Kennedy eine
wahre Erziehungsrevolution ausgelöst: Millionen Eltern, frustriert von Ratschlägen, die
entweder nicht funktionieren oder sich einfach nicht richtig anfühlen, folgen ihrem
bestärkenden und wirksamen Ansatz.
In Good Inside zeigt sie ein völlig neues Erziehungsprinzip, das auf ermutigenden und leicht
umsetzbaren Strategien beruht – und Eltern dabei hilft, Selbstzweifel hinter sich zu lassen und
eine starke und liebevolle Führung zu entwickeln.
Dieses Buch bietet nicht nur eine erfrischende Perspektive auf Kindererziehung, sondern
enthält auch unzählige praktische Lösungsansätze für konkrete Situationen wie Wutanfälle,
Trennungsängste, Geschwisterrivalität und vieles mehr. Eine unverzichtbare Ressource, die
dabei hilft, Kinder auf ein Leben voller Selbstvertrauen, Mut und Resilienz vorzubereiten.
»Nichts gibt uns mehr Sicherheit, als wenn wir als der gute Mensch erkannt werden, der wir
sind. Vergessen Sie das nie, auch wenn es das Einzige in diesem Buch sein sollte, woran Sie
sich später erinnern. Sie sind grundlegend gut. Ihr Kind ist grundlegend gut. Wenn Sie sich auf
diese Wahrheit besinnen, bevor Sie damit beginnen, sich um Veränderungen zu bemühen,
sind Sie auf dem richtigen Weg.«
Wir alle verlieren bei der Erziehung manchmal die Geduld oder sagen Dinge, die wir am
liebsten zurücknehmen würden. Doch wie finden wir danach wieder Zugang zu unserem
Kind? Wie gewinnen wir neues Vertrauen in unsere Fähigkeiten als Eltern?
Dr. Becky Kennedy zeigt in ihrem inspirierenden Buch:
Dr. Becky Kennedy, klinische Psychologin und selbst dreifache Mutter, wurde vom Time
Magazine zur Elternflüsterin des neuen Jahrtausends gekürt. Ihr innovativer Ansatz im
Umgang mit Kindern hat sie zu einer gefragten Expertin gemacht. Kennedy übersetzt
fundiertes Erziehungswissen in alltagsnahe und leicht umsetzbare Strategien und erreicht
damit Eltern in den sozialen Medien ebenso wie über ihren beliebten Podcast. Ihr Ziel ist es,
Müttern und Vätern effektive Werkzeuge an die Hand zu geben, um Herausforderungen bei der
Kindererziehung besser zu bewältigen.
Good Inside ist ihr erstes Buch und wurde aus dem Stand ein New-York-Times-Bestseller. Es
wurde bereits in mehr als 30 Sprachen übersetzt.
www.goodinside.com
#1 New York Times Bestseller
»Dr. Becky, mein Kind hat schon gelernt, aufs Töpfchen zu gehen,
aber jetzt pinkelt es uns plötzlich das Haus voll. Wir haben schon
alles versucht: Belohnungen, Schimpfen – nichts funktioniert.
Können Sie uns helfen?«
»Dr. Becky, meine Zwölfjährige hört einfach nicht auf mich! Das ist
zum Aus-der-Haut-Fahren! Können Sie mir helfen?«
Ja. Ich kann Ihnen helfen. Wir finden heraus, was da los ist. Als
klinische Psychologin arbeite ich in meiner Praxis schon seit vielen
Jahren mit Eltern, die sich in herausfordernden Situationen an mich
wenden, in denen sie sich frustriert, ausgelaugt und verzweifelt
fühlen. Auch wenn sich diese Fälle oberflächlich betrachtet
voneinander unterscheiden – die Fünfjährige mit dem frechen
Mundwerk, das eigentlich schon »stubenreine« Kind, das wieder
rückfällig wird, und die aufsässige Zwölfjährige –, verbindet sie
jedoch ein gemeinsamer Wunsch der Eltern: Sie alle wollen es besser
machen. Immer wieder erzählen sie mir: »Ich weiß, welche Art Vater
oder Mutter ich sein will. Ich weiß nur nicht, wie ich da hinkomme.
Bitte helfen Sie mir, diese Lücke zu schließen.«
Ich beginne Sitzungen meist damit, gemeinsam mit den Eltern ein
einzelnes Verhaltensmuster des Kindes zu untersuchen. Denn dieses
Verhalten gibt uns einen Hinweis darauf, womit ein Kind – und häufig
das ganze Familiensystem – sich herumschlägt. Indem wir bestimmte
Verhaltensweisen des Kindes unter die Lupe nehmen, erkennen wir,
was dieses Kind braucht und welche Kompetenzen ihm fehlen. Wir
decken die Trigger für die Eltern auf und entdecken so Bereiche, in
denen sie wachsen können. Und schon ist der Schritt getan von »Was
ist nur los mit meinem Kind? Können Sie das abstellen?« hin zu dem
Punkt, an dem die Eltern sich fragen: »Womit hat mein Kind
Probleme? Und wie kann ich ihm dabei helfen?« Und dies führt
hoffentlich zu der Frage: »Was löst diese Situation in MIR aus?«
In meiner Arbeit geht es mir darum, verzweifelten und frustrierten
Eltern zu helfen, Hoffnung zu schöpfen, zu Kraft und Selbstreflexion zu
finden – ohne dabei auf die gängigen Erziehungsstrategien
zurückzugreifen. Ich rate Ihnen bei provokantem Verhalten Ihres
Kindes nicht zur Time-out-Technik (der modernen Form des
Eckenstehens), nicht zu Lob- und Fleißstickern oder überhaupt zu
einem Lohn-und-Strafe-System. Aber was rate ich Ihnen dann?
Zuallererst müssen Sie zu verstehen versuchen, dass das
problematische Verhalten nur die Spitze des Eisbergs ist und dass
unter der Oberfläche die ganze innere Welt Ihres Kindes liegt. Und
diese will nur eines: verstanden werden.
Halten wir eines fest: Wir alle machen Fehler. Wir alle verhalten uns in
schwierigen Momenten manchmal nicht gerade vorbildlich, und das
gilt für jedes Alter. Aber am meisten prägen uns unsere ersten
Lebensjahre. Denn hier beginnt unser Körper abzuspeichern, wie wir
mit schwierigen Situationen umgehen sollen, und zwar je nachdem,
wie unsere Eltern in schwierigen Situationen reagieren. Mit anderen
Worten: Unser innerer Monolog in Problemsituationen (»Jetzt sei nicht
so empfindlich«, »Ich reagiere total übertrieben«, »Ich bin so doof«
oder ganz im Gegenteil »Ich tue mein Bestes«, »Ich möchte ja nur
verstanden werden«) spiegelt wider, wie sich unsere Eltern in den
entsprechenden Momenten verhalten haben. Überdenken wir nun
unsere Antworten auf diese »Was geschieht dann?«-Fragen, wird uns
klar, welche Art von Schaltkreis in unserem Körper angelegt wurde.
Lassen Sie mich kurz erklären, was ich mit dem Begriff
»Schaltkreis« meine. Babys – winzige, hilflose Wesen – sind
sozusagen darauf »programmiert«, eine möglichst starke Bindung zu
ihrer Bezugsperson herzustellen, weil dies ihre Überlebenschancen
erhöht. In den ersten Lebensjahren speichert daher der Körper ab,
unter welchen Bedingungen wir Liebe, Aufmerksamkeit, Verständnis
und Zuneigung erfahren und wann wir zurückgewiesen, bestraft oder
uns selbst überlassen werden. Diese »Datensammlung« beeinflusst
unsere Entwicklung massiv, weil wir uns ein Verhalten, das uns Liebe
und Aufmerksamkeit sichert, schnell aneignen, während wir kritisierte
oder missbilligte Verhaltensweisen als »schlecht« etikettieren und
künftig eher vermeiden.
Nur: Nichts an uns ist wirklich schlecht. Hinter der Aussage »Bringt
meine Schwester ins Krankenhaus zurück! Ich hasse sie!« verbirgt
sich ein Kind, das unter massiven Verlustängsten leidet und sich von
der neuen Familiensituation bedroht fühlt. Das Kind, das sich trotzig
einen Keks nimmt, fühlt sich wahrscheinlich in anderen
Lebensbereichen zu wenig beachtet und zu sehr kontrolliert. Und der
unvollendete Aufsatz ist vermutlich ein Signal für die Probleme und
Unsicherheiten eines Teenagers. Hinter »schlechtem Benehmen«
verbirgt sich immer ein gutes Kind. Doch wenn Eltern bestimmte
Verhaltensweisen stets mit schroffen Worten unterbinden, ohne das
gute Kind dahinter zu sehen, verinnerlicht das Kind die Vorstellung,
dass es schlecht ist. Kein Kind möchte aber schlecht sein. Deshalb
entwickelt es Strategien wie einen negativen inneren Monolog, mit
dem es sich ausschimpft, um seine Schlechtigkeit, also das »böse
Kind«, zu vernichten. Es will das »gute Kind« finden, also jene
Verhaltensweisen, die ihm Anerkennung und Verbundenheit
verschaffen.
Welche Erfahrungen haben Sie als Kind mit »schlechtem« Benehmen
gemacht? Hat Ihr Körper gelernt, dieses mit Verurteilung, Strafe und
Alleinsein zu verbinden? Oder mit klaren Grenzen, Mitgefühl und
Verbundenheit? Oder einfacher gefragt, in dem Wissen, dass
»schlechtes Benehmen« in Wirklichkeit Ausdruck innerer Nöte ist: Auf
welche Reaktionen sind Sie programmiert? Begegnen Sie sich selbst
eher mit Kritik oder eher mit Mitgefühl? Mit Vorwürfen oder mit
Neugier?
Wir gehen mit uns selbst so um, wie wir es von unseren
Bezugspersonen gelernt haben. Und genauso verhalten wir uns auch
unseren eigenen Kindern gegenüber. Kein Wunder also, dass sich die
Vorstellung vom »inneren Schlechtsein« von Generation zu
Generation weitervererbt: Meine Eltern haben auf meine inneren Nöte
mit Strenge und Kritik reagiert. → Ich habe gelernt, in solchen
Momenten an meinem grundlegenden Gutsein zu zweifeln. → Jetzt,
als Erwachsene, reagiere ich auf meine inneren Nöte mit
Selbstvorwürfen und Selbstkritik. → Wenn mein Kind sich
danebenbenimmt, wird derselbe Schaltkreis in meinem Körper
aktiviert. → Ich reagiere gezwungenermaßen schroff auf die inneren
Nöte meines Kindes. → Ich installiere den gleichen Schaltkreis im
Körper meines Kindes. Also lernt mein Kind, an seinem
grundlegenden Gutsein zu zweifeln, wenn es in Not ist. → Und so
weiter und so fort.
Lassen Sie uns an dieser Stelle innehalten. Legen Sie eine Hand auf
Ihr Herz und lassen Sie sich selbst diese wichtige Botschaft spüren:
»Ich bin hier, weil ich etwas verändern möchte. Ich will mein von
Generation zu Generation vererbtes familiäres Muster durchbrechen
und durch ein neues ersetzen: Ich will, dass meine Kinder sich in ihrer
Haut wohlfühlen, dass sie sich als geschätzt und liebenswert
wahrnehmen, auch wenn sie schwierige Momente durchmachen. Und
der erste Schritt dazu ist, dass ich wieder Zugang finde zu meinem
eigenen Gutsein. Mein Gutsein war stets da.« Sie tragen keine
Schuld an den generationsübergreifenden Mustern. Ganz im
Gegenteil. Wenn Sie dieses Buch lesen, heißt das für mich, dass Sie
den Teufelskreis durchbrechen wollen. Sie haben beschlossen, das
LETZTE Familienmitglied zu sein, das mit diesen schädlichen Mustern
groß geworden ist. Sie sind bereit, die Last der früheren
Generationen auf Ihre Schultern zu nehmen und zum Wohl der
kommenden einen anderen Weg zu wählen. Wow.
Sie machen es keineswegs falsch – vielmehr sind Sie mutig und
tapfer. Und Sie lieben Ihr Kind über alles. Nur echte Held*innen
können es schaffen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: Alle
Achtung!
Die weitherzigste Sicht
Oft kann man das Gute in anderen Menschen erkennen, indem man
sich eine ganz einfache Frage stellt: »Was ist meine weitherzigste
Sicht auf das, was gerade passiert ist?« Eben das mache ich oft im
Umgang mit meinen Kindern und meinen Freunden. Und ich arbeite
daran, dieses Prinzip auch in meiner Ehe und mir selbst gegenüber
anzuwenden. Jedes Mal, wenn ich diese Frage (auch
unausgesprochen) formuliere, spüre ich, wie mein Körper sich
entspannt und ich mit anderen Menschen auf eine Weise
kommuniziere, die sich viel besser anfühlt.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Ihr ältester
Sohn hat in ein paar Tagen Geburtstag und Sie haben vor, zur Feier
des Tages mit ihm allein essen zu gehen. Also versuchen Sie, Ihr
jüngeres Kind darauf vorzubereiten. »Ich möchte dir sagen, was für
Samstag geplant ist«, eröffnen Sie ihm. »Nico hat Geburtstag, und
Papa und ich gehen mit ihm in ein Restaurant. Oma kommt und bleibt
bei dir, bis wir wieder da sind. Das dauert ungefähr eine Stunde.«
Der Kleine explodiert: »Du und Papa, ihr geht ohne mich mit Nico
aus? Ich hasse dich! Du bist die gemeinste Mutter der Welt!«
Nanu? Was ist da gerade passiert? Und wie reagieren Sie? Hier ein
paar Optionen: 1) »Die gemeinste Mutter? Ich habe dir gerade erst
ein neues Spielzeug gekauft! Du bist einfach nur undankbar!« 2)
»Wenn du so etwas sagst, macht das Mama sehr traurig.« 3) Sie
ignorieren den Wutausbruch und lassen Ihr Kind stehen. 4) »Oh, das
sind aber deutliche Worte, da muss ich erst mal durchatmen … Ich
höre da heraus, dass du ganz schön wütend bist. Erzähl mir mehr.«
Ich bin für Option 4. Denn die ergibt am meisten Sinn, wenn ich die
weitherzigste Sicht auf das Verhalten meines Kindes praktiziere. Bei
Option 1 schließe ich aus den Worten meines Kinds ganz einfach,
dass es ungezogen und undankbar ist. Bei Option 2 gebe ich meinem
Kind zu verstehen, dass seine Gefühle zu stark und beängstigend
sind, um damit umgehen zu können, dass sie andere verletzen und
somit seine sichere Bindung zu mir als Bezugsperson gefährden. (Auf
das Thema Bindung gehen wir in Kapitel 4 noch näher ein, aber Kern
der Sache ist: Wenn wir die Wirkung unseres Kindes auf uns selbst
in den Mittelpunkt stellen, bereiten wir eher der Co-Abhängigkeit den
Weg als dass wir Emotionsregulierung — den kompetenten Umgang
mit den eigenen Gefühlen — und Empathie fördern. Bei der dritten
Option vermittle ich meinem Kind die Botschaft, dass ich es für
unvernünftig und seine Sorgen für unwichtig halte. Die weitherzigste
Sicht auf seine Reaktion hingegen ist folgende: »Hmm. Mein Kind
wünscht sich aufrichtig, bei diesem besonderen Mittagessen dabei zu
sein. Das verstehe ich. Es ist traurig und eifersüchtig. Mit diesen
schmerzlichen Gefühlen kann es noch nicht umgehen. Deshalb
nehmen sie in diesem kleinen Körper so viel Raum ein, dass sie als
heftige und verletzende Worte herausbrechen.« Ich gehe also davon
aus, dass mein Kind gut ist, und reagiere einfühlsam. Ich erkenne
seine Antwort als Ausdruck von großem Kummer und nicht als
Zeichen, dass es schlecht ist.
Dank der weitherzigsten Sicht lernen Eltern, dem Beachtung zu
schenken, was im Inneren ihres Kindes vorgeht (große Gefühle,
große Sorgen, große Wünsche, große Empfindungen), statt nur auf
das Verhalten zu schauen, in dem sich diese inneren Zustände
entladen (heftige Worte und manchmal auch heftige Handlungen).
Wenn wir unseren Kindern dieses Prinzip vorleben, lehren wir sie, es
uns gleichzutun. Wir lenken ihre Aufmerksamkeit auf ihr inneres
Erleben, zu dem ihre Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen,
Bedürfnisse, Erinnerungen und Bilder gehören.
Um uns selbst regulieren zu können, müssen wir zuerst lernen, die
Vorgänge in unserem Inneren wahrzunehmen. Wir fördern also in
unseren Kindern das Herausbilden einer Basis für gesunde
Bewältigungsstrategien, indem wir uns auf die inneren Vorgänge
konzentrieren statt auf das Außen. Wenn Sie das Verhalten Ihres
Kindes so weitherzig wie möglich betrachten, heißt das nicht, dass
Sie »es ihm leicht machen«. Vielmehr setzen Sie seine
Verhaltensweisen in einen größeren Zusammenhang, wodurch es ihm
leichterfällt, wichtige Strategien zur Gefühlsregulation für seine
Zukunft zu entwickeln. Und gleichzeitig bleiben die Verbundenheit und
die enge Beziehung zu Ihrem Kind bestehen.
Ein weiterer Grund, warum ich gerne die weitherzigste Sicht
anwende, ist folgender: Immer, aber ganz besonders dann, wenn
Kinder ihre Emotionen nicht mehr regulieren können (was nur
bedeutet, dass ihre Bewältigungsstrategien noch nicht genügend
ausgebildet sind), verlassen sich Kinder auf die Reaktionen ihrer
Eltern, um Antworten zu finden auf Fragen wie: »Wer bin ich in
diesem Moment? Bin ich ein schlechtes Kind, das schlechte Dinge
tut? Oder bin ich ein gutes Kind, das einen schweren Moment hat?«.
Unsere Kinder entwickeln ihr Selbstbild, indem sie die Antworten ihrer
Eltern auf diese Fragen übernehmen. Wenn wir uns selbstbewusste
Kinder wünschen, die sich in ihrer Haut wohlfühlen, müssen wir ihnen
zu verstehen geben, dass sie auch dann gut sind, wenn sie sich
problematisch verhalten.
Ich rufe mir oft in Erinnerung, dass Kinder sich dem Bild anpassen,
das ihre Eltern von ihnen haben, und sich dementsprechend verhalten.
Sagen wir unseren Kindern, sie seien egoistisch, dann denken sie
tatsächlich nur an sich selbst. Und raten Sie mal, was geschieht,
wenn wir unserem Sohn vorhalten, seine Schwester habe viel
bessere Manieren als er: Er benimmt sich natürlich weiterhin
unhöflich. Aber auch das Gegenteil ist wahr. Sagen wir unseren
Kindern: »Du bist ein gutes Kind, das gerade einen schwierigen
Moment erlebt. Ich bin für dich da, ich bin bei dir«, dann neigen sie
eher dazu, ihre inneren Kämpfe großherzig anzunehmen. Und das
erleichtert es ihnen wiederum, ihr Verhalten zu regulieren und die
richtige Entscheidung zu treffen.
Ich konnte einmal beobachten, wie mein älterer Sohn überlegte, ob
er sein Knabberzeug mit seiner Schwester teilen sollte. Ich wollte
gerade sagen: »Na komm schon! Deine Schwester würde bestimmt
mit dir teilen!«, als sich eine andere Stimme in mir zu Wort meldete:
»Großzügigste Sicht! Großzügigste Sicht!« Also erklärte ich ihm
stattdessen: »Ich weiß, dass du genauso gut teilen und großzügig
sein kannst wie alle anderen Familienmitglieder. Ich gehe jetzt aus
dem Zimmer, und du und deine Schwester könnt das untereinander
ausmachen.« Ich hörte, wie er seiner Schwester die Bitte nach dem
Cracker abschlug, aber ihr ein paar seiner Salzbrezeln gab. Ziel
erreicht? Nein, aber wenn ich nur das Ziel im Auge habe, übersehe
ich die kleinen Fortschritte, und die sind mir ebenso wichtig. Mein
Sohn entschied sich für das kleinere Opfer. Das akzeptiere ich.
Nichts ist so wertvoll wie wenn wir lernen, unser grundlegendes
Gutsein auch in schwierigen Momenten zu erkennen. Denn dies
verstärkt unsere Fähigkeit, unser Verhalten zu überdenken und etwas
daran zu verändern. Wir werden nur dann die richtigen
Entscheidungen treffen, wenn wir uns selbst und unserer Umgebung
vertrauen können. Nichts gibt uns mehr Sicherheit, als wenn wir als
der gute Mensch erkannt werden, der wir sind. Vergessen Sie das
nie, auch wenn es das Einzige in diesem Buch sein sollte, woran Sie
sich später erinnern. Sie sind grundlegend gut. Ihr Kind ist
grundlegend gut. Wenn Sie sich auf diese Wahrheit besinnen, bevor
Sie damit beginnen, sich um Veränderungen zu bemühen, sind Sie auf
dem richtigen Weg.
Kapitel 2
»Ich lasse dich deinen Bruder nicht schlagen.« Sie stellen sich
zwischen die Kinder und verhindern mit Ihrem Körper weitere
Schläge.
»Ich lasse dich nicht mit der Schere in der Hand herumrennen.«
Sie umfassen Ihr Kind an der Taille, damit es nicht weglaufen
kann.
»Die Bildschirmzeit ist zu Ende. Ich schalte jetzt den Fernseher
aus.« Sie tun dies und legen die Fernbedienung außer
Reichweite.
Hier nun ein paar Gegenbeispiele, bei denen wir, statt Grenzen zu
setzen, diese Aufgabe den Kindern überlassen haben. In solchen
Szenarien eskaliert das Benehmen für gewöhnlich trotz unserer
Bemühungen. Das liegt nicht daran, dass unsere Kinder nicht »hören
wollen«. Ihr Körper stößt schlichtweg nicht auf Schranken. Wenn kein
fest entschlossener Erwachsener da ist, der für ihre Sicherheit sorgt,
bringt sie das noch mehr außer Kontrolle als das ursprüngliche
Problem.
In jedem dieser Beispiele fordern Eltern ihre Kinder dazu auf, ein
Bedürfnis oder einen Wunsch zu unterdrücken. Dazu sind sie aber auf
ihrem derzeitigen Entwicklungsstand gar nicht fähig. Wir können
einem Kind nicht einfach befehlen, mit etwas aufzuhören – sei es mit
Schlagen, Rennen oder dem Erbetteln von zusätzlicher Bildschirmzeit.
Gut, wir können das natürlich tun. Auch mir passiert so etwas! Aber
wir werden mit diesen Appellen nichts erreichen. Warum? Weil wir
niemand anderen regulieren können – nur uns selbst. Und wenn wir
unser Kind dazu auffordern, unseren Job für uns zu tun, dann kann es
seine Gefühle noch weniger bewältigen. Denn im Prinzip sagen wir
damit: »Ich sehe, dass du die Kontrolle verloren hast. Da ich nicht
weiß, wie ich dir helfen kann, überlasse ich es dir, wieder ins
Gleichgewicht zu kommen.« Das ist für das Kind beängstigend, denn
genau in solchen Momenten braucht es unbedingt einen
Erwachsenen, der eine sichere, konsequente Grenze setzt. Und diese
Grenze ist eine Form von Liebe. Sie sagen dadurch: »Ich weiß, dass
du grundlegend gut bist und dich nur gerade deine Emotionen
überrollt haben. Ich werde dir den Halt geben, den du brauchst. Ich
werde dich daran hindern, dich so zu verhalten. Ich werde dich davor
bewahren, dass dein Kontrollverlust dich steuert.«
Wünschen wir uns das nicht alle, wenn wir die Fassung verloren
haben? Jemanden, der ruhig bleibt, Verantwortung übernimmt und
dafür sorgt, dass wir uns wieder sicher fühlen?
Natürlich besteht unsere Aufgabe nicht allein darin, für die
körperliche Unversehrtheit unserer Kinder zu sorgen. Wir haben uns
auch um ihre seelische Gesundheit zu kümmern. Dabei helfen uns
Bestätigung und Empathie.
Bestätigung bedeutet, das emotionale Erleben einer anderen Person
als real und wahr zu betrachten und nicht als bloße Einbildung, von
der wir den anderen mit Argumenten und Überzeugungskraft
abbringen wollen. Bestätigung hört sich so an: »Du bist wütend, das
ist klar, ich sehe das.«
Abwertung, also das Abtun des Erlebens oder der Wahrheit einer
anderen Person, klingt hingegen so: »Du hast keinen Grund, so
wütend zu sein, sei doch nicht so empfindlich!«
Denken Sie daran, alle Menschen – Kinder genauso wie
Erwachsene – haben das tiefe Bedürfnis, als der Mensch
wahrgenommen zu werden, der sie sind. Und wer wir sind hängt zu
jedem Zeitpunkt davon ab, wie wir uns fühlen. Wenn andere
unsere Gefühle bestätigen, beginnen wir unser eigenes Erleben zu
regulieren, weil uns jemand bestätigt, dass es real ist. Wenn unser
Erleben hingegen abgewertet wird, geraten wir meistens noch mehr
aus dem Gleichgewicht, weil uns jemand sagt, es entspräche nicht
der Wirklichkeit. Und das fühlt sich extrem unangenehm an.
Empathie, unser zweites Hilfsmittel bei der emotionalen Fürsorge
unserer Kinder, bezeichnet die Fähigkeit, die Gefühle eines anderen
Menschen zu verstehen und nachzuvollziehen. Und das wollen wir
dann tun, wenn wir die Gefühle des anderen als berechtigt ansehen.
Zuerst kommt also die Bestätigung (»Das emotionale Erleben meines
Kindes ist real.«) und dann die Empathie (»Ich kann versuchen, seine
Gefühle zu verstehen und darauf einzugehen, statt sie zu
unterbinden.«). Empathie entsteht durch unsere Fähigkeit, neugierig
zu sein: Wir versuchen zu verstehen, was in unserem Kind vorgeht,
statt darüber zu urteilen. Empathie gibt Kindern – und auch
Erwachsenen – das Gefühl, dass da jemand am gleichen Strang
zieht. Es ist fast, als ob ein anderer Mensch uns einen Teil unserer
emotionalen Bürde abnimmt. Denn Gefühle drücken sich nur dann im
Verhalten aus, wenn sie innerlich nicht zu bewältigen sind, wenn sie zu
heftig sind, um reguliert und in Schach gehalten zu werden. Wenn uns
jemand Empathie entgegenbringt (»Oje, das muss sich wirklich
schlimm anfühlen!«), machen wir die Erfahrung, die Daniel Siegel als
»sich gefühlt fühlen« bezeichnet. Außerdem spüren wir, dass eine
andere Person in unserem emotionalen Erleben anwesend ist, und
dadurch fällt es uns leichter, damit umzugehen. So lernen wir
allmählich, unsere Gefühle zu regulieren. Haben sich Kinder diese
Fähigkeit einmal angeeignet, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich
ihre Gefühle im Verhalten äußern. Ihr Kind sagt dann zum Beispiel:
»Ich bin so sauer auf meine Schwester« (wodurch es seine Wut
reguliert), anstatt sie zu schlagen (Fehlregulierung). Es sagt: »Ich will
herumrennen!« (wodurch es ein Bedürfnis reguliert), statt mit einer
Schere in der Hand durch den Flur zu sausen (Fehlregulierung). Oder:
»Ich wünschte, ich könnte mir gleich noch eine Sendung anschauen«
(wodurch es seine Enttäuschung reguliert), statt in Tränen
auszubrechen (Fehlregulierung).
Aber Bestätigung und Empathie sorgen nicht nur dafür, dass sich
Kinder gut fühlen, sondern haben noch tiefergehende Auswirkungen.
Eines der wichtigsten Ziele in der Kindheit ist es, gesunde Strategien
zur Emotionsregulierung aufzubauen: Wege zu finden, Gefühle
zuzulassen und damit umzugehen, sowie die Fähigkeit zu entwickeln,
sich im Strudel seiner Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse
zurechtzufinden, statt davon überrollt zu werden. Empathie und
Bestätigung vonseiten der Eltern sind entscheidend, damit ein Kind
lernt, seine Gefühle zu regulieren. Deshalb sollten wir sie nicht als
»Nachsicht« oder »Sentimentalität« abtun, sondern als
ernstzunehmende und entscheidende Faktoren der Erziehung.
Nun haben wir also ein Gesamtbild unserer Aufgabe. Wenden wir
uns daher noch einmal den Beispielen zu, in denen wir Grenzen
gesetzt haben, um uns anzusehen, wie wir Bestätigung und Empathie
einfließen lassen können.
»Ich lasse dich deinen Bruder nicht schlagen«. Sie stellen sich
zwischen die Kinder und verhindern mit Ihrer körperlichen
Anwesenheit weitere Schläge. »Ich weiß, dass du frustriert bist!
Es ist schon hart, einen Bruder zu haben, der krabbeln kann und
nach all deinen Sachen greift. Aber ich bin ja da. Ich werde dir
helfen herauszufinden, wie du deine Bauklötzchenlandschaft
schützen kannst.«
»Ich lasse dich nicht mit der Schere in der Hand herumrennen«.
Sie umfassen Ihr Kind in der Taille, damit es nicht weglaufen
kann. »Ich weiß, dass du Lust hast zu rennen! Du kannst die
Schere hinlegen und herumlaufen oder du schneidest fertig aus
und saust später herum. Was möchtest du lieber machen? Ach
so, beides? Ich weiß, Spatz. Aber ich lasse dich so etwas
Gefährliches nicht tun, auch wenn du mir deswegen böse bist.
So lieb hab ich dich. Du darfst mir ruhig böse sein, ich verstehe
das.«
»Die Bildschirmzeit ist zu Ende. Ich schalte jetzt den Fernseher
aus.« Sie machen das Gerät aus und legen die Fernbedienung
außer Reichweite. »Du möchtest noch eine Sendung sehen. Das
weiß ich. Für mich ist es auch schwierig, die Fernsehzeit zu
beenden. Magst du mir sagen, wie die Sendung heißt, die du dir
morgen anschauen möchtest? Ich werde den Namen
aufschreiben, damit wir ihn nicht vergessen.«
Bindungstheorie
Kinder kommen mit dem angeborenen Bedürfnis zur Welt, sich an ihre
Bezugspersonen zu »binden«. Die Bindungstheorie geht auf den
Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby zurück, der sie in
den 1970er Jahren entwickelte. Er beschrieb darin Bindung als ein
System der Nähe: Kinder, die es verstehen, sich die Nähe (im Sinne
von körperlicher Nähe) einer Bezugsperson zu sichern, erhalten mit
höherer Wahrscheinlichkeit Fürsorge und Schutz, was ihre
Überlebenschancen steigert. Kinder hingegen, die eine geringere
Nähe zu ihrer Bezugsperson herstellen, haben geringere Aussichten,
zu überleben, weil sie weniger Zuwendung und Schutz erfahren.
Bowlby drückte es so aus: Bindung ist nicht nur ein »willkommenes
Extra«, sondern ein primärer Evolutionsmechanismus. Tatsächlich
entscheidet Bindung darüber, ob das Baby seine Grundbedürfnisse
wie Nahrung, Wasser und emotionale Sicherheit stillen kann. Die
Bindungstheorie besagt, dass Kinder darauf »programmiert« sind,
nach Bindungspersonen zu suchen, die ihnen die Zuwendung und den
Schutz bieten, die sie zum Überleben brauchen.
Kinder entwickeln verschiedene Formen der Bindung, je nachdem,
welche Erfahrungen sie in der frühen Kindheit mit ihren
Bezugspersonen gemacht haben. Diese Bindungstypen haben
Auswirkungen auf das innere Arbeitsmodell des Kindes – auf die
Gedanken, Erinnerungen, Überzeugungen, Emotionen und
Verhaltensweisen, die beeinflussen, wie das Kind mit sich selbst und
anderen interagiert, sowie auf die Art der Beziehungen, die es später
eingeht. Das innere Arbeitsmodell basiert auf dem, was ein Kind
durch persönliche Interaktion über die Ansprechbarkeit,
Verfügbarkeit, Beständigkeit, Hilfestellung und Reaktionsfähigkeit
seiner Bezugsperson lernt. Kinder hinterfragen unsere Interaktionen
mit ihnen anhand von gewissen Überlegungen: Bin ich liebenswert
und gut, und ist meine Anwesenheit erwünscht? Werde ich beachtet
und gehört? Was kann ich von anderen erwarten, wenn ich mich
aufrege? Was kann ich von anderen erwarten, wenn ich von
Gefühlen überwältigt werde? Was kann ich von anderen erwarten,
wenn wir nicht einer Meinung sind? Aus den Antworten auf diese
Fragen leiten sie verallgemeinernd ab, wer sie sein dürfen und wie
die Welt funktioniert. Wenn wir unsere Kinder auffordern, ihre
Bildschirmzeit einzuhalten oder ihnen den Wunsch nach längerem
Aufbleiben abschlagen, mag es uns tatsächlich nur um diese Dinge
gehen. Aber für Kleinkinder geht es um etwas viel Größeres. Sie
leiten daraus ab, ob es in Beziehungen allgemein in Ordnung ist,
Wünsche und Gefühle zu hegen, die zu schwierigen Momenten
führen.
Vergessen Sie nicht: Kinder lernen während der Zeit, in der sie an
uns Eltern gebunden sind, wie Beziehungen funktionieren. Sie sind
völlig abhängig von uns, um überleben zu können, und wissen das
instinktiv auch. Deshalb sammeln sie Informationen über ihr Umfeld
und richten ihr Verhalten auf das Ziel aus, eine möglichst starke
Bindung herzustellen und ihren Eltern so nah wie möglich zu sein. Um
es auf den Punkt zu bringen: Die Art, wie wir auf die Bedürfnisse
unserer Kinder eingehen, die Bandbreite von Gefühlen, die wir ihnen
zugestehen, die Regelmäßigkeit unseres Da-Seins, die Tatsache, ob
wir nach Auseinandersetzungen zur Wiedergutmachung bereit sind
oder nicht, unser gelassenes oder aufbrausendes Reagieren – all
diese Verhaltensweisen haben Auswirkungen, die weit über die
Familieneinheit hinausgehen.
Was uns die Bindungstheorie mit auf den Weg gibt, ist Folgendes:
Kleinkinder versuchen, sich so gut wie möglich ihrem Umfeld
anzupassen. Dabei speichern sie Informationen ab und entwickeln
daraus Erwartungen. Diese frühe Vernetzung beeinflusst, wie sie sich
und andere wahrnehmen – bis weit über die Kindheit hinaus.
Schauen wir uns nun ein paar Beispiele an, die zeigen, welche
»Lehren« über Bindung das Kind aus frühen Interaktionen zieht.
Natürlich handelt es sich dabei um Verallgemeinerungen, aber ich
gehe davon aus, dass meine Beispielinteraktionen stellvertretend für
Erfahrungen stehen, die sich im Leben des Kindes beständig
wiederholen.
VERHALTEN: Das Kind weint, als seine Eltern es an der Schule
absetzen.
Mögliche Reaktion der Eltern Nr. 1: »Hör auf, dich wie ein Baby
aufzuführen!«
Bindungslektion Nr. 1: Wenn ich mich verletzlich fühle, macht man
mich lächerlich und versteht mich nicht. Ich darf meine Verletzlichkeit
in engen Beziehungen nicht zeigen. Sie wird dort zum Problem.
Mögliche Reaktion der Eltern Nr. 2: »Der Abschied fällt dir heute
schwer. Das verstehe ich. An manchen Tagen ist das so. Ich weiß,
dass du hier in der Schule in Sicherheit bist, und wir wissen beide,
dass Mama immer zurückkommt. Ich hole dich ab.«
Bindungslektion Nr. 2: Ich kann erwarten, dass andere meine
Gefühle ernst nehmen. Wenn ich mich verletzlich fühle und traurig
bin, erhalte ich Bestätigung und Unterstützung. Verletzlichkeit stellt in
engen Beziehungen kein Problem dar.
VERHALTEN: Das Kind hat einen Wutanfall, weil es kein Eis zum
Frühstück kriegt.
Mögliche Reaktion der Eltern Nr. 1: »Ich werde nicht mit dir
sprechen, solange du dich so danebenbenimmst. Geh in dein
Zimmer und komm erst heraus, wenn du dich beruhigt hast!«
Bindungslektion Nr. 1: Wenn ich etwas will, vertreibe ich andere
Menschen. Ich werde zu einem schlechten Kind, und man lässt mich
allein. Andere Menschen sind nur dann gern in meiner Nähe, wenn
ich nett und gefügig bin.
Mögliche Reaktion der Eltern Nr. 2: »Ich weiß, Mäuschen. Du
möchtest ein Eis zum Frühstück. Aber das kommt nicht in Frage. Du
darfst darüber ruhig wütend sein.«
Bindungslektion Nr. 2: Ich darf eigene Wünsche haben. Eigene
Wünsche sind in engen Beziehungen erlaubt.
VERHALTEN: Auf einer Geburtstagsparty klammert sich das Kind
an seinen Vater, statt sich den anderen Kindern anzuschließen.
Mögliche Reaktion der Eltern Nr. 1: »Du kennst doch alle hier. Na
komm schon, du brauchst doch keine Angst zu haben!«
Bindungslektion Nr. 1: Ich kann meinen Gefühlen nicht trauen, weil
sie lächerlich und übertrieben sind. Andere Leute wissen besser als
ich, wie ich mich fühlen sollte.
Mögliche Reaktion der Eltern Nr. 2: »Irgendwie fühlst du dich nicht
ganz wohl hier. Das verstehe ich. Nimm dir ruhig Zeit, bis du dich
bereit fühlst.«
Bindungslektion Nr. 2: Ich kann meinen Gefühlen trauen. Ich darf
mich unsicher fühlen. Ich weiß, was ich fühle, und kann erwarten,
dass andere Leute mich respektieren und unterstützen.
Von ihren ersten Lebenstagen an lernen unsere Kinder, was Nähe
schafft und was Distanz. Mit dem Ziel, eine sichere Bindung
herzustellen, passen sie ihr Verhalten an. Wählen Eltern jeweils die
Reaktionsmöglichkeit Nr. 1 (und in der Annahme, dass dieses
Verhaltensmuster regelmäßig vorkommt), zieht das Kind den Schluss,
dass bestimmte Gefühle die Bindung gefährden. Es wird dann
versuchen, diese Gefühle abzuschalten, wahrscheinlich indem es
Schamgefühle entwickelt und sich Selbstvorwürfe macht. Schließlich
hängt davon im wahrsten Sinne des Wortes sein Überleben ab.
Entscheiden sich Eltern hingegen jeweils für Reaktionsmöglichkeit
Nr. 2 (auch hier nehmen wir an, dass dies allgemeine
Verhaltensmuster sind), zieht das Kind daraus die Lehre, dass seine
Gefühle real und berechtigt sind und in engen Beziehungen Platz
haben.
Ich möchte allerdings klarstellen, dass auch Reaktionsmöglichkeit
Nr. 2 das Problem nicht augenblicklich lösen wird. Tränen und
Geschrei lassen sich nicht auf Knopfdruck abstellen. Trotzdem wird
Ihr Handeln zweierlei positive Auswirkungen haben: Mit Ihrer Hilfe
wird Ihr Kind in naher Zukunft Regulierungsstrategien erlernen, durch
die es bald in der Lage ist, mit seiner Enttäuschung umzugehen. Und
langfristig wird es Selbstvertrauen, Akzeptanz und Offenheit
gegenüber anderen entwickeln, statt in Scham, Selbstverachtung und
Abwehrhaltung zu verfallen.
Springen wir nun um ein paar Jahrzehnte in die Zukunft. Das innere
Arbeitsmodell und das Bindungssystem der inzwischen erwachsenen
Person basiert immer noch auf dem, was sie über die Interaktion mit
ihren Eltern gelernt hat. Inzwischen wendet sie das Erlernte jedoch
auf andere enge Beziehungen an. Vielleicht denkt sie: »Meine
Verletzlichkeit ist unerwünscht in engen Beziehungen, ich muss allein
damit zurechtkommen.« Oder: »Ich darf nicht um Dinge bitten,
solange ich nicht sicher bin, dass ich sie von der anderen Person
bekomme – nur so kann ich mich in einer Beziehung sicher und wohl
fühlen.« Wollen wir, dass unsere Kinder später Beziehungen
anstreben, in denen sich Abhängigkeit und Unabhängigkeit die Waage
halten, in denen sie Nähe zulassen können, ohne sich selbst zu
»verlieren«, in denen sie ihre Schwachstellen offenbaren und auf
Unterstützung hoffen dürfen, dann müssen wir viel Arbeit in ihre
frühen Kindheitsjahre investieren. Denn je sicherer und geborgener
sich ein Kind bei seinen Eltern fühlt und je größer die Bandbreite der
Gefühle, die es innerhalb dieser Beziehung empfinden kann, desto
mehr Sicherheit und Geborgenheit wird es auch in seinen
Beziehungen im Erwachsenenalter erfahren.
Wie also können wir heute zu unseren Kindern eine sichere Bindung
aufbauen, auf deren Grundlage sie später mit anderen Menschen
dasselbe tun können? Im Allgemeinen geben Eltern, die mit
Zuwendung, Wärme, Verlässlichkeit und Trost erziehen, ihrem Kind
eine sichere Grundlage mit. Es fühlt sich in der Welt sicher und lebt
in der Überzeugung: »Es wird immer jemand für mich da sein und
mich trösten, wenn etwas schiefgeht«. Das Kind kann getrost auf
Erkundungsreise gehen: Neues ausprobieren, Risiken auf sich
nehmen, Misserfolge wegstecken und seine Verletzlichkeit zeigen.
Das Paradoxe daran ist: Je stärker die Bindung an unsere Eltern ist,
desto eher werden wir Neugierde und Forschergeist an den Tag
legen. Je mehr wir uns auf die sichere Beziehung zu unseren Eltern
verlassen können, desto selbstsicherer werden wir. Anders gesagt:
Abhängigkeit und Unabhängigkeit stehen nicht unbedingt im
Widerspruch zueinander, sondern bedingen sich gegenseitig. Beides
ist wahr! Je deutlicher Kinder die Verlässlichkeit ihrer Eltern
spüren, desto unabhängiger können sie sein. Das Vertrauen in
die Anwesenheit eines Menschen, der sie versteht, nicht über sie
urteilt, sie unterstützt und tröstet, wenn etwas schiefgeht, lässt Kinder
zu selbstsicheren, zuversichtlichen und mutigen Erwachsenen werden.
Evidenzbasierte Erziehungsmethoden
Ich mag Wissenschaft. Und Beweise. Es gibt tonnenweise
wissenschaftliche Literatur – sehr überzeugende Studien in
glaubwürdigen Zeitschriften –, die die Wirksamkeit
verhaltensorientierter Erziehungsmethoden statistisch belegen. Eltern
fragen mich oft: »Wie können Sie gegen eine Methode sein, die
problematisches Verhalten nachweislich verändert? Was kann daran
schlecht sein?« Nun, schlecht ist vielleicht das falsche Wort. Aber ich
habe folgendes Problem damit: Die belegten Verhaltensänderungen
lassen uns aus den Augen verlieren, was wirklich wichtig ist, weil wir
uns auf das konzentrieren, was innerhalb eines kurzen Zeitraums
feststellbar ist. Das ist ein bisschen widersinnig. Einer meiner
Lieblingssupervisoren sagte einmal zu mir: »Wenn ich wollte, könnte
ich anhand einer Studie nachweisen, dass meine Methode
Problemverhalten um hundert Prozent reduziert! Eltern müssten ihr
kleines Kind nur jedes Mal, wenn es unerwünschtes Verhalten zeigt,
schlagen oder eine Nacht lang auf der Straße schlafen lassen. Dann
würde meine Studie mit absoluter Sicherheit zeigen, dass jedes Kind
nach wenigen Wochen gefügiger wäre.« Natürlich trat mein
Supervisor nicht für Kindesmisshandlungen ein. Er wollte nur darauf
hinweisen, dass statistische Daten gründlich hinterfragt werden
müssen und dass niemand mit Zahlen prahlen sollte, die auf
angsteinflößenden Methoden und Zwang beruhen. Evidenzbasierte
Erziehung misst ihren Erfolg oft daran, ob ein Verhalten sich ändert
oder nicht. Sie stützt sich auf ein Konzept, welches das Verhalten
über alles stellt. Aber wenn Sie mich fragen, genügt das nicht, um
den Erfolg dieser Art der Erziehung nachzuweisen. Wenn Ihr Sohn
aufgehört hat, seinem Schwesterchen das Spielzeug wegzunehmen,
sich aber immer noch Sorgen macht, dass das Baby seine ganze
Welt auf den Kopf gestellt hat, dann haben Sie ihm nicht wirklich
geholfen. Sie haben nur sich selbst geholfen, und das auch nur
vorübergehend. So lange nämlich, bis die Gefühle, die das Verhalten
ausgelöst haben (und sich weiter verstärken, weil sie unbeachtet und
unbewältigt geblieben sind), an anderer Stelle wieder zum Vorschein
kommen.
Sich zu sehr auf Verhaltensänderung zu konzentrieren kann dazu
führen, dass wir unsere menschliche Seite aus den Augen verlieren.
Wir beurteilen uns selbst und unsere Kinder nur nach dem, was wir
nach außen zeigen, und lassen die Elemente, die unser Wesen
vervollständigen, außer Acht – unsere Gefühle, Ängste, Bedürfnisse
und unser Mitgefühl. Für mich gilt auch hier: Beides ist wahr.
Statistische Daten sind wichtig. Wir sollten aber auch hinterfragen,
auf welche Grundlage wir uns da stützen. Zahlen, die auf
Verhaltensänderung durch Kontrolle, Zwang und Verlassensängste
beruhen, sollten wir mit Skepsis betrachten. Für mich sind solche
Daten jedenfalls kein überzeugendes Argument.
Ein weiterer Grund dafür, warum verhaltensorientierte Methoden
zunächst attraktiv wirken, ist, dass sie greifbar und klar
herüberkommen. Seien wir ehrlich: Es ist leicht zu verstehen, wenn
man positives Verhalten mit einem Aufkleber belohnt. Viel schwieriger
ist es, herauszufinden, warum Ihr Kind dieses positive Verhalten
überhaupt verweigert hat. Auszeiten kommen uns einfacher vor als
komplizierte Fragen. Aber wenn wir die »schwierigere« Methode
wählen, sind wir danach einen großen Schritt weiter. In seinem
wegweisenden Buch Discipline: From Compliance to Community
schreibt der bekannte Sozialwissenschaftler Alfie Kohn: Wenn Eltern
oder Fachleute »ihre Aufgabe darin sehen, das Verhalten des Kindes
zu verändern, lassen sie sich unwissentlich auf eine Theorie ein, die
eben das ausschließt, was das eigentlich Wichtigste ist: die
Gedanken und Gefühle, Bedürfnisse und Sichtweisen, Beweggründe
und Wertvorstellungen des Kindes zu begreifen, kurz gesagt das, was
zu diesen Verhaltensweisen führt. Das Verhalten ist nur das, was sich
an der Oberfläche zeigt. Was aber in Wirklichkeit zählt, ist die
Person, die es an den Tag legt, und ihre Gründe dafür.« Klassische
Disziplin, so erklärt er, kann kurzfristig »Verhalten ändern, aber sie
trägt nichts zur Entwicklung bei«. Stattdessen fordert Kohn,
Erwachsene sollten die Fähigkeit entwickeln, »die Handlungen zu
›durchschauen‹, um ihre Auslöser zu verstehen und einen Weg zu
finden, wie wir auf letztere einwirken können.«
Wie können wir das also angehen? Wie durchschauen wir die
Handlung, um die tieferliegenden Beweggründe zu verstehen? Das
Konzept klingt gut, lässt sich aber nicht so einfach umsetzen, wenn
unser Sohn frech zu uns ist, unsere Tochter mit Essen um sich
schmeißt oder beide zusammen die Polstermöbel als Trampolin
benutzen. Den Anfang machen wir, wie ich bereits sagte, indem wir
neugierig sind. Beginnen wir mit ein paar Fragen, die Sie sich nach
jeder schwierigen Situation stellen können:
Zuallererst: Verbundenheit
Nach vielen Monaten der gemeinsamen Arbeit sagte mir eine meiner
Klientinnen, sie hätte für sich ein Mantra gefunden: »Zuallererst
Verbundenheit!« Sie erzählte, dass sie dieses Mantra zu Beginn jedes
einzelnen Tages spreche. Sie hatte es sogar auf einen Zettel
geschrieben, der an ihrem Kühlschrank klebte. Den Sinn ihres
Mantras erklärte sie so: »Mir scheint hinter allem, was Sie sagen, die
Idee der Verbundenheit zu stehen. Die Verbundenheit kommt an
erster Stelle, alles andere danach. Mein Sohn sagt: ›Ich hasse
dich!‹ – und ich stelle zuerst eine Verbindung her zu dem, was in
seinem Innersten passiert. Meine Tochter hört nicht auf mich – und ich
verbinde mich mit dem, was in ihrem Innersten geschieht. Auch wenn
mein Mann wegen irgendetwas sauer auf mich ist, stelle ich eine
Verbindung her zu dem, was er sagt, bevor ich in
Verteidigungsstellung gehe. Das funktioniert sogar bei mir selbst!
Egal, was ich denke oder fühle, es wird nie schlimm oder
übermächtig, wenn ich die Verbundenheit mit mir selbst und mit
anderen Menschen an erste Stelle setze. Dieses Mantra hat mir in
jeder familiären Situation geholfen.«
Das hat mich beeindruckt: »Zuallererst Verbundenheit.«
Verbundenheit ist das Gegenteil von Scham. Sie ist sogar das richtige
Gegenmittel gegen Scham. Scham ist ein Alarmzeichen dafür, dass
Alleinsein, Gefahr und Schlechtsein droht. Verbundenheit hingegen ist
ein Zeichen für Präsenz, Sicherheit und Gutsein. Eines allerdings
möchte ich klarstellen: Verbundenheit bedeutet nicht Zustimmung. Bei
der Zustimmung geht es meist um ein bestimmtes Verhalten,
Verbundenheit meint hingegen die Beziehung zu der Person, die hinter
dem Verhalten steht.
Und das ist ein weiterer Grund, warum negative Verhaltensweisen
nicht »bestärkt« werden, wenn wir unseren Kindern in ihren
schwierigen Momenten mit Verbundenheit begegnen: Scham hat noch
nie zu positiven Verhaltensänderungen geführt – zu keiner Zeit, an
keinem Ort, bei keinem einzigen Menschen. Scham ist klebrig. Wir
bleiben darin hängen. Verbundenheit ist offen, sie ermöglicht uns,
weiterzugehen. Verbundenheit heißt, dass wir unseren Kindern
signalisieren: »Es ist okay, in diesem Moment du zu sein. Selbst wenn
du zu kämpfen hast, ist es okay, du zu sein. Ich bin hier bei dir, so wie
du bist.«
Kapitel 9
Selbstfürsorge
Es gibt ein paar Dinge, die ich später einmal nicht gerne von meinen
Kindern hören möchte: »Meine Mutter? Sie hat alles für mich getan.«
Oder: »Bei meiner Mutter kam ich immer zuerst.« Und: »Meine
Mutter hat sich nie um sich selbst gekümmert. Sie war immer voll
damit beschäftigt, uns zu versorgen.« Ich hoffe, dass sie nie eine wie
auch immer geartete Version der Worte sagen: »Meine Mutter hat
sich bei meiner Erziehung vollkommen aufgerieben.«
Was aber möchte ich meine Kinder gerne sagen hören? Wie wäre
es mit: »Meine Mutter? Sie wusste genau, wann sie Zeit für sich
selbst brauchte, und hat genau das richtige Gleichgewicht zwischen
ihren und meinen Bedürfnissen gefunden«? Oder: »Meine Mutter war
ein wunderbares Beispiel für Selbstfürsorge. Sie hat mir beigebracht,
wie wichtig es ist, sich um sich selbst zu kümmern, und dass man
sich trotzdem auch anderen Menschen zuwenden kann.« Vielleicht
sogar: »Meine Mutter hat mir gezeigt, dass Elternsein nicht heißt,
sich selbst zu verlieren. Bei der Elternschaft geht es vielmehr darum,
sein Kind dabei zu unterstützen, zu wachsen und sich zu entwickeln,
während man sich gleichzeitig selbst weiterentwickelt.«
In der heutigen Welt der intensivierten Elternschaft herrscht ein
weitverbreitetes Missverständnis: dass Kinder zu haben bedeutet, die
eigene Identität aufzugeben. Dass wir, sobald wir uns um kleine
Kinder zu kümmern haben, kein Anrecht mehr darauf haben, etwas
für uns selbst zu tun. In Wirklichkeit nutzt diese selbstlose
Elternschaft keinem: den Eltern nicht, die erschöpft und nachtragend
werden, wenn sie so viel von sich geben, ohne dann wieder
aufzutanken, und den Kindern nicht, die merken, wie kaputt ihre Eltern
sind und deshalb Gefühle der Schuld, der Angst und der Unsicherheit
entwickeln.
Dass Eltern mit der Selbstfürsorge Probleme haben, hat viele
Gründe. Sie fürchten, »egoistisch« zu sein. Sie stehen unter dem
Druck, jeden freien Moment der »Verbesserung« ihrer Kinder widmen
zu wollen, damit sie einmal »Erfolg« haben. Oder sie haben einfach
nicht die Zeit und Energie, nach einem langen Tag noch etwas für sich
selbst zu tun. Für Eltern, die mehrere Jobs haben oder lange
Arbeitszeiten oder keine zuverlässige Kinderbetreuung, liegt jede
Form von Selbstfürsorge schlichtweg außer Reichweite.
Und haben Eltern dann doch einmal Gelegenheit, ihre Batterien
wieder aufzuladen, entwickeln sie Schuldgefühle, die sich noch
verstärken, wenn die Kinder lauthals protestieren. Wenn Sie
beispielsweise einmal Nein sagen zum Spielnachmittag Ihres
Jüngsten (ein kleiner Akt der Selbstfürsorge), dann wirft Ihr Kind
Ihnen vielleicht an den Kopf: »Ich kann keine Freunde einladen, weil
du keine anderen Leute im Haus haben willst?« Wenn Sie sich für
einen geruhsamen Spaziergang entscheiden, dann heißt es
womöglich: »Du gehst alleine spazieren? Du willst nicht mit mir
zusammen sein?« Und wenn Sie sich dann tatsächlich mal wieder mit
Freund*innen verabreden, ist die Kleine empört: »Du gehst lieber mit
Freunden weg, als mich ins Bett zu bringen?«
Aber trotz aller Behauptungen des Gegenteils fühlen Kinder sich
sicher, wenn Eltern Grenzen setzen, mit denen sie sich Raum zur
Selbstfürsorge geben. Schließlich sind Eltern die
Führungspersönlichkeiten in der Familie, und Kinder wollen sehen,
dass diese stark und selbstsicher sind. Selbstlose Eltern – das heißt,
dass die Führungsgestalt kein Selbst hat. Und diese Vorstellung
macht jedem Kind Angst. Kinder möchten keineswegs das Gefühl
haben, dass ihr Oberhaupt jemand ist, der nicht greifbar ist, von
anderen missachtet oder übergangen wird, sich selbst verloren hat.
Niemand ist von Natur aus darauf programmiert, die eigenen
Bedürfnisse für die eines anderen zurückzustecken. Wenn Sie dazu
neigen, sich für das Familiensystem aufzuopfern, dann haben Sie
diese Werte vermutlich in der frühen Kindheit gelernt, während die
Schaltkreise Ihres Körpers sich gerade entwickelten.
Haben Sie also tatsächlich Probleme damit, etwas für sich selbst zu
tun, sollten Sie mit Selbstmitgefühl anfangen. Sagen Sie sich: »In
meiner frühen Kindheit muss eine meiner Überlebensstrategien
gewesen sein, die Bedürfnisse anderer zu erspüren. Und das hat so
viel Raum eingenommen, dass ich nicht auf meine eigenen
Bedürfnisse achten konnte.«
Wir müssen lernen, unsere Denk- und Verhaltensmuster zu
respektieren, bevor wir uns der Herausforderung stellen, sie zu
ändern und etwas Neues auszuprobieren. Wir müssen unsere inneren
Kämpfe verstehen, damit wir Zugang zu unserem grundlegenden
Gutsein finden. Ohne diesen Zugang kann kein Wandel stattfinden.
Nachdem wir uns so mit Güte begegnet sind, können wir unseren
inneren Dialog ändern und sagen: »Ich arbeite an einem neuen
Muster. Ich versuche, meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu
ergründen und zu lernen, dass diese wertvoll sind. Wenn ich etwas
Neues ausprobiere, wird mein Körper sich unwohl fühlen. Das
Unwohlsein ist ein Zeichen, dass ich einen neuen Schaltkreis lege, der
in meiner frühen Kindheit nicht vorhanden war. Mein Unwohlsein ist ein
Signal, dass ein Wandel stattfindet … und kein Beleg dafür, dass ich
etwas falsch mache.«
Selbstfürsorge kann sich außer Reichweite anfühlen, wenn wir sie
als eine weitere Aufgabe auf unserer To-do-Liste betrachten. »Wie
bitte? Ich muss erst alles Mögliche an mir selbst ändern, bevor sich
etwas in der Beziehung zu meinen Kindern verändert?« Aber natürlich
können Sie auch einen anderen Blickwinkel einnehmen, der die
Hoffnung sichtbar werden lässt, die darin liegt: »Mir bietet sich hier
eine echte Chance. Ich kann meine eigenen Wunden heilen, während
ich gleichzeitig meine Kinder auf eine Weise erziehe, die mich stolz
macht. Beides ist gleichzeitig möglich.«
Über elterliche Selbstfürsorge könnte ich ein ganzes Buch schreiben.
Tatsächlich würde ich das auch gerne tun, aber erst nachdem ich
nach dem Schreiben dieses Buches meine Reserven wieder aufgefüllt
habe: mit Ruhe und Auszeit vom Schreiben, um das Bedürfnis meines
Körpers nach Stille und Erholung zu erfüllen. In der Zwischenzeit
möchte ich Ihnen ein paar meiner liebsten Selbstfürsorgestrategien
ans Herz legen, die Sie auch anwenden können, wenn Sie nur wenig
Zeit haben. Denn wir können unseren Kindern nur dann unsere
Energie widmen, wenn wir selbst genug davon zur Verfügung haben.
Wir können nicht geduldig sein, wenn wir keine Geduld mit uns selbst
haben. Wir können uns nicht äußerlich wandeln, wenn wir innerlich
nicht die nötigen Grundlagen schaffen. Unsere Beziehung zu anderen
Menschen kann nur so gut sein wie die Beziehung zu uns selbst.
Setzen Sie sich bequem auf den Stuhl. Beide Fußsohlen ruhen
sicher auf der Erde, der Rücken ist gerade.
Schließen Sie die Augen oder richten Sie Ihren Blick locker auf
einen Punkt am Boden.
Legen Sie eine Hand auf den Bauch, die andere auf die Brust.
Nun stellen Sie sich vor, dass Sie eine Tasse heiße Schokolade
vor sich haben. Atmen Sie langsam ein, um den Duft der
Schokolade ganz auszukosten. Atmen Sie so langsam aus, dass
Sie die Sahne nicht wegpusten, die auf der Oberfläche
schwimmt. Sie können sich auch vorstellen, dass Sie einen
Strohhalm zwischen den Lippen halten. Dadurch verlangsamt
sich Ihre Ausatmung weiter. Langsames Ausatmen ist der
Schlüssel zur Entspannung. Wiederholen Sie das fünf- bis
zehnmal.
Es ist ganz normal, wenn Ihre Gedanken Sie ablenken.
Benennen Sie die Gedanken, die aufkommen. Sagen Sie:
»Hallo, Gedanke.« Oder: »Hallo, Sorge.« Und: »Hallo,
Planung.« Dann atmen Sie wieder ein.
Sagen Sie sich: »Es ist in Ordnung, wenn jemand sich ärgert,
weil ich für mich eintrete. Das heißt nicht, dass ich ein
schlechter Mensch bin. Und es hindert mich nicht daran, bei
meiner Entscheidung zu bleiben.«
Stellen Sie sich einen Tennisplatz vor. Sie stehen auf der einen
Seite, Ihr Gegenüber auf der anderen. Rufen Sie sich
Folgendes ins Gedächtnis: »Ich bin hier … und hier mit mir sind
meine Bedürfnisse und Entscheidungen. Der andere ist DORT,
auf seiner Seite. Die Gefühle, die er wegen meiner
Entscheidung hat … sind auf SEINER Seite des Platzes, nicht
auf der meinen. Ich kann sie sehen. Ich kann sie sogar
verstehen … aber ich bin nicht der Grund dafür, und ich bin nicht
dafür verantwortlich, dass sie verschwinden.«
Um etwas für uns selbst zu tun, müssen wir letztlich dazu fähig sein,
Nein zu Menschen zu sagen, die ausgerechnet in diesem Augenblick
etwas von uns wollen. Nachstehend finden Sie ein paar Tipps, wie Sie
Nein sagen können, damit Ihre »Diese eine Sache für mich«-Strategie
auch von Erfolg gekrönt ist.
Legen Sie eine Hand auf Ihr Herz, und sagen Sie sich: »Es ist in
Ordnung, dass ich zu kämpfen habe. Es ist okay, Fehler zu
machen. Es ist in Ordnung, dass ich nicht alles weiß. Ich erlaube
mir, nicht alles im Griff zu haben. Selbst wenn bei mir im Außen
alles drunter und drüber geht, bleibe ich im Inneren doch
grundlegend gut. Ich bin im Innersten gut.«
Wenn Sie mit bestimmten Dingen in Ihrer Erziehung unzufrieden
sind und sich über sich selbst ärgern, wenn Sie von Ihren
Reaktionen enttäuscht sind, dann sagen Sie sich: »Ich bin nicht
mein momentanes Verhalten. Ich bin nicht mein momentanes
Verhalten.«
Verbundenheit aufbauen und
Verhaltensweisen angehen
Kapitel 11
Bindungskapital aufbauen
Neulich in meiner Sprechstunde. Die Eltern, die mir gegenübersaßen,
eröffneten das Gespräch mit einem Hilferuf: »Dr. Becky, wir wissen
gar nicht, wo wir anfangen sollen. Unser Zuhause ist ein einziges
Chaos. Bei uns wird nur noch herumgeschrien. Und wir geben nur
noch leere Drohungen von uns, weil wir nicht wissen, was wir sonst
tun sollen. Unsere Kinder hören einfach nicht auf uns. Es ist, als
würden wir in einem endlosen Teufelskreis feststecken: hier die
Wutanfälle unserer Vierjährigen, da die Unverschämtheiten unseres
Siebenjährigen. Und Heston, unser Ältester, sagt plötzlich, er sei
dumm und habe keine Freunde. Wenn wir versuchen, mit ihm zu
reden, schreit er nur, wir würden überhaupt nichts verstehen, und
dann schlägt er die Tür zu seinem Zimmer zu. Izzy, die Vierjährige,
wird jeden Morgen hysterisch, wenn wir sie im Kindergarten abliefern.
Danach sind wir mit den Nerven am Ende, und das ist eine
schreckliche Art und Weise, den Tag zu beginnen. BITTE HELFEN
SIE UNS!«
Ich atmete kurz durch. »Erstens: Ich freue mich, dass Sie hier sind«,
sagte ich. »Zweitens: Ich werde all Ihre Probleme lösen. Jedes
einzelne.«
Die Eltern lachten. Ich lächelte. Und fuhr dann fort: »Gut, das ist
vielleicht nicht ganz richtig. Wir werden vielleicht gar keines lösen,
zumindest nicht heute. Denn der Knackpunkt ist: Sie können Verhalten
nicht ändern, bevor Sie nicht eine Bindung aufgebaut haben. Also
werden wir uns zuerst darauf konzentrieren. Das eigentliche Problem
sind nicht die Dinge, die Sie gerade aufgezählt haben, nicht die
Wutanfälle, nicht die frechen Antworten, das Türenknallen oder das
Geheul am Eingang zum Kindergarten. Das eigentliche Problem ist,
dass Ihr Familiensystem aus dem Gleichgewicht ist. Niemand fühlt
sich darin sicher und geborgen.«
An diesem Punkt atmeten die Eltern sichtbar auf. Allein die
Tatsache, dass jemand das Problem benannte – eins, das wirklich mit
ihren Erfahrungen zusammenpasste – und sich sicher war, einen Weg
zu finden, war schon eine Erleichterung. Wir hielten uns also nicht mit
dem Geschrei oder den leeren Drohungen auf, sondern brachten das
Gespräch gleich auf das Thema »Verbundenheit«. Ich stellte den
Eltern ein paar einfache, aber wirkungsvolle Strategien zum
Bindungsaufbau vor. Auf diese praktisch erprobten Mittel greife ich
immer wieder zurück – privat ebenso wie in der Beratung –, um die
Bindung innerhalb des Familiensystems zu stärken und es wieder ins
Gleichgewicht zu bringen.
Einige dieser Maßnahmen erwecken vielleicht den Eindruck, als
würden sie nur in einer »idealen Welt« funktionieren. Aber meiner
Ansicht nach ist hier für jeden etwas dabei. Es ist hier nicht von
Belang, wie sich das Ungleichgewicht in Ihrer Familie äußert, ob in
einem frechen Mundwerk, Lügen, Geschwisterrivalität, Wutanfällen
oder anderen Verhaltensproblemen, die ich in den folgenden Kapiteln
anschneiden werde. Die vorgestellten Strategien ziehen positive
Veränderungen nach sich, wie auch immer sich die Probleme an der
Oberfläche darstellen mögen. Sie funktionieren deswegen, weil sie
den Eltern helfen, zu ihren Kindern Bindung und Nähe aufzubauen,
statt sich auf Maßnahmen zur Verhaltensänderung zu konzentrieren.
Denn wie wir mittlerweile wissen, ist Verhalten nicht das Problem,
sondern nur ein Symptom. Wirklich effektive Strategien setzen an der
Wurzel an und bewirken schon deshalb mehr familiären Frieden.
Ich erkläre meinen Klient*innen immer: Wenn Eltern in endlosen
Kämpfen mit ihrem Kind stecken, verbirgt sich dahinter meist eines
von zwei Problemen. Entweder fühlen die Kinder sich ihren Eltern
nicht so verbunden, wie sie sich das wünschen. Oder sie haben mit
massiven Problemen bzw. unerfüllten Bedürfnissen zu kämpfen, mit
denen sie sich alleingelassen fühlen. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind
habe ein emotionales Bankkonto. Die Währung auf diesem Konto ist
Verbundenheit. Wie Ihr Kind sich im jeweiligen Moment verhält, hängt
ganz von seinem Kontostand ab. Ich habe schon einmal den Begriff
»Bindungskapital« erwähnt. Wenn wir wahrhaftig mit unserem Kind
verbunden sind, seine Erfahrung nachvollziehen können, seine
Gefühle akzeptieren und uns bemühen zu begreifen, was in ihm
vorgeht, dann vermehren wir dieses Kapital. Mit einem ordentlichen
Polster an Bindungskapital fühlen unsere Kinder sich sicher,
geborgen, wertvoll und kompetent. Diese positiven Gefühle zeigen
sich äußerlich in »gutem« Verhalten – als Kooperation, Flexibilität und
Regulierungsfähigkeit. Um positive Veränderungen anzustoßen,
müssen wir also zuerst Verbundenheit aufbauen. Mehr Verbundenheit
bedeutet, dass unsere Kinder sich besser fühlen und sich in der
Folge besser verhalten. Aber vergessen Sie nicht: Das Verhalten ist
das letzte Glied in der Kette. Wir können das Pferd nicht von hinten
aufzäumen. Am Anfang steht immer die Verbundenheit.
Wir sollten auch im Hinterkopf behalten, dass Bindungskapital sich
vermehren, aber auch weniger werden kann. Wie vom Bankkonto
heben wir auch hier regelmäßig Beträge ab. Als Eltern geben wir
Bindungskapital aus, wenn wir unsere Kinder bitten, ihr Zimmer
aufzuräumen, wenn wir ihnen sagen, dass wir ein paar Minuten ohne
sie brauchen, um einen wichtigen Anruf zu tätigen, und wenn wir ihnen
sagen: »Wir müssen jetzt nach Hause gehen, Liebes« oder: »Schluss
mit Fernsehen.« Eltern geben viel Bindungskapital aus, weil wir von
unseren Kindern immer wieder Dinge fordern müssen, die sie nicht
unbedingt tun wollen. Daraus folgt, dass Eltern mehr
Bindungskapital aufbauen müssen, als sie ausgeben. Wir
brauchen ordentliche Rücklagen, damit uns nicht mittendrin das Geld
ausgeht.
Und die Erfolgsstrategie beim Aufbau von Bindungskapital ist
folgende: Wir erzielen die höchste Rendite, wenn wir Ruhe bewahren.
In der Hitze des Gefechts auf Verbundenheit zu setzen, wird nicht
funktionieren, weil unser Körper nicht gut lernen kann, wenn wir im
Kampf-Flucht-Modus sind. In ruhigeren Momenten können wir einen
Gang zurückschalten, die Bindung zum Kind herstellen, uns sein
Gutsein in Erinnerung rufen und so eine stärkere Beziehung aufbauen.
Die folgenden Maßnahmen sind für die ruhigeren Momente gedacht.
Denn diese sind die beste Zeit, um die Beziehung zu Ihrem Kind zu
verbessern. Eine Zeit, in der neue Fähigkeiten erworben und die
Weichen für einen Wandel gestellt werden. Wenn sich in meiner
Familie etwas nicht gut anfühlt, zahle ich als erstes mit diesen
Strategien auf das Bindungskonto ein.
Für kleine Kinder: »So, jetzt ist SOS angesagt! Ich lege mein
Handy ins andere Zimmer, damit ich mich ganz auf dich
konzentrieren kann. Nur wir beide, und du darfst aussuchen,
was wir zusammen machen!«
Für ältere Kinder: »Hallo, Schatz. Weißt du was: Ich brauche
heute ein bisschen SOS mit dir – nur du und ich, und das Telefon
liegt in der Küche. Ich weiß, dass es lästig ist, wenn es klingelt
und mich ablenkt. Sollen wir uns später ein bisschen Zeit für uns
gönnen? Wir nehmen uns 10 oder 15 Minuten, und du kannst
bestimmen, was wir machen.«
Vergessen Sie nicht: Bei der SOS geht es um die Welt Ihres Kindes.
Stellen Sie keine Fragen, sondern lassen Sie sich auf seine Ideen ein.
Wenn sich das ungewohnt anfühlt, dann ist das in Ordnung! Die
meisten Eltern sind nicht daran gewöhnt, so mit ihrem Kind
umzugehen. Versuchen Sie es einfach wie folgt:
Beschreiben: »Du baust einen Turm.« Oder: »Du malst jetzt mit
roter Farbe.«
Nachahmen: Wenn Ihr Kind eine Blume malt, nehmen Sie Ihr
Blatt Papier zur Hand, setzen sich neben die Kleine und malen
auch eine Blume. Sie müssen dabei nicht reden. Wenn Sie es
auf diese Weise spiegeln, zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie ihm
Ihre ganze Aufmerksamkeit widmen und dass es Ihnen am
Herzen liegt.
Reflektierendes Zuhören: Wenn Ihr Kind sagt: »Ich möchte mit
dem Lastwagen spielen!«, antworten Sie: »Du möchtest mit
dem Lastwagen spielen.« Sagt es: »Das Schweinchen möchte
in die Scheune«, sagen Sie: »Dieses Schweinchen will also in
die Scheune?«
Das Auffüll-Spiel
Dieses Spiel habe ich erfunden, als mein Ältester nach der Geburt
unseres jüngsten Kindes Probleme hatte. Seitdem wende ich es
immer an. Mein Sohn war trotzig und frech und wurde schnell
wütend … lauter Dinge, angesichts derer ich lieber weniger Zeit mit
ihm verbracht hätte. Aber ich merkte bald, dass er zu kämpfen hatte.
Hinter seiner Wut standen Fragen wie: »Werde ich immer noch
beachtet?« Oder: »Werden meine Bedürfnisse erfüllt?« Und:
»Bekomme ich auch genug von Mama und Papa ab?« Er war so
gestresst davon, dass wir plötzlich zu fünft waren, dass sein
emotionales Bankkonto sich mehr oder weniger leer anfühlte. Er
brauchte also eine Bindungskapitalspritze, obwohl er mich durch sein
Verhalten eigentlich eher wegstieß.
Also erfand ich das Auffüll-Spiel. Immer wenn er schwierig wurde,
reagierte ich nicht instinktiv. Ich atmete vielmehr einmal tief durch und
sagte dann langsam und in liebevollem Ton: »Ich glaube, du möchtest
mir sagen, dass dein Mama-Füllstand nicht besonders hoch ist?«
Dass ich sanft reagierte, ließ ihn sanft antworten. Oft sagte er etwas
wie: »Ja … ich bin nur bis hier voll.« Damit zeigte er auf seine Beine.
Dann umarmte ich ihn liebevoll und drückte ihn, bis der Mama-
Füllstand bis zum Kopf reichte. Dann drückte ich ihn noch einmal fest,
damit er »ein bisschen extra Mama« hatte, was ihm über die nächste
Zeit half. Änderte sich dadurch sein Verhalten? Nein. Jedenfalls nicht
gleich. Dieses »Spiel« hatte keine Sofortwirkung, aber es markierte
einen klaren Wendepunkt. Es war der erste Schritt, denn es machte
deutlich, was mein Kind brauchte: mehr von seinen Eltern.
Wenn das Benehmen Ihres Kindes Sie nächstes Mal eher zur Flucht
reizt, führen Sie das Auffüll-Spiel ein. Erklären Sie Ihrem Kind, dass
es sich nur deshalb so verhält, weil es nicht genug von Mama (oder
Papa) hat. Es braucht also eine ordentliche Dosis seiner Eltern, am
besten voller Lachen und Herumalbern.
Sobald klar ist, wie nützlich das Auffüll-Spiel ist (Sie werden
voraussichtlich schnell sehen können, wie Sie beide sich beruhigen),
werden Sie von selbst Auffüllen spielen wollen, bevor der Tank so
leer ist, dass das Kind mit ungezogenem Verhalten darauf
aufmerksam machen muss. Vielleicht spielen Sie Auffüllen, bevor Sie
miteinander Lego spielen oder bevor Ihre Tochter sich abends die
Zähne putzt. Sie können Ihre Kinder auch fragen. »Kann ich alle mit
Papa auffüllen, bevor wir loslegen?« Dann machen Sie das Auffüll-
Spiel mit jedem Kind einzeln.
1. Sagen Sie zu Ihrem Kind: »Ich glaube nicht, dass du schon ganz
mit Mama/Papa aufgefüllt bist. Ich glaube, der Mama-Füllstand
geht höchstens bis zu den Knöcheln! Also los: Füllen wir dich
auf!«
2. Drücken Sie Ihr Kind lange und fest.
3. »Und jetzt? Waaas? Nur bis zu den Knien? Na, dann los zu
Runde zwei …«
4. Drücken Sie Ihr Kind nochmals. Ziehen Sie dabei ruhig ein
Gesicht, als müssten Sie Ihre ganze Kraft einsetzen.
5. »Was? Nur bis zum Bauch? Ich dachte, ich wäre schon höher
gekommen. Na, dann gibt es mehr Mama in Runde drei.«
6. Sobald Ihr Kind sich ganz aufgefüllt fühlt, bekommt es noch eine
Umarmung. Sagen Sie zum Beispiel: »Ich gebe dir lieber noch
was extra, nur für den Fall. Es geht im Moment so viel
durcheinander, dass es vielleicht nicht schlecht ist, ein bisschen
extra Mama zu haben.«
Die Gefühlsbank
In puncto Gefühle wissen wir eines ganz genau: Sie sind nur so lange
furchteinflößend, wie wir mit ihnen allein sind. Wenn jemand zu uns
sagt: »He! Du fühlst dich [traurig/ängstlich/wütend/ausgeschlossen].
Das ist in Ordnung. Ich bin für dich da. Erzähl mir davon«, dann lässt
das Gefühl sofort nach. Wir fühlen uns nicht mehr überrollt, sondern
sicher und geborgen.
Wenn Kinder aufgewühlt sind, ist das ein bisschen so, als würde sie
etwas auf eine Gefühlsbank niederdrücken. Das kann eine Wutbank
sein, eine Enttäuschungsbank oder auch eine Niemand-mag-mich-
Bank. Was Kinder (und Erwachsene) am liebsten mögen, wenn sie
auf einer solchen Bank sitzen müssen, ist, dass sich jemand zu ihnen
setzt. Sobald jemand neben uns sitzt, fühlt die Bank sich gleich
weniger dunkel und kalt an. Denn wir haben einen »Bankwärmer«.
Wenn Ihr Sohn zu Ihnen sagt: »Ich wünschte, ich hätte keinen
kleinen Bruder. Er bringt immer meine ganzen Sachen
durcheinander!«, dann sitzt er vermutlich auf der »Es ist nicht leicht,
mein Leben zu teilen«-Bank. Setzen Sie sich zu ihm. Vielleicht müssen
Sie eine Grenze ziehen, aber Sie können sich trotzdem zu ihm setzen:
»Ah, du denkst darüber nach, wie schwer das Teilen ist. Das
verstehe ich, Liebes. Ich lasse dich nicht im Stich. Du darfst
deswegen wütend sein. Ich bin trotzdem hier bei dir.«
Wenn Ihre Tochter damit zu kämpfen hat, dass ihre beste Freundin
in eine andere Stadt zieht, und Sie anschreit: »Warum können wir
nicht umziehen, damit ich weiter mit Liv zusammen sein kann? Ich
hasse es, hier zu leben. Ich hasse euch alle!«, dann atmen Sie am
besten erst einmal kurz durch. Hinter diesem Angriff steht ein Gefühl.
Ihre Tochter braucht Bestätigung und Unterstützung. Sie sitzt auf der
Verlust-Bank. Setzen Sie sich zu ihr: »Ich verstehe dich ja. Das ist
wirklich schlimm.«
Und … Sie können sich auch auf Ihrer eigenen Bank zu sich selbst
setzen. Suchen Sie den Anteil von sich, der trösten kann. (Er ist
immer da! Ohne Ausnahme!) Bitten Sie ihn, sich zu Ihrem ängstlichen,
traurigen oder selbstkritischen Selbst zu setzen. Sagen Sie zu dem
von Gefühlen gebeutelten Teil: »Ich bin ja da, liebes überwältigtes
Gefühl. Ich verstehe dich. Ich höre dir zu. Du bist ein Teil meines
Selbst, nicht mein ganzes Selbst. Ich setze mich zu dir.«
Setzen Sie sich zu Ihrem Kind aufs Bett oder Sofa, wenn es mit
Ihnen spricht.
Sagen Sie wenig, solange es redet. Sie können nicken und es
mitfühlend anschauen.
Bieten Sie Ihrem Kind eine Umarmung an, wenn es aufgewühlt
ist.
Atmen Sie beide tief ein und aus.
Albern sein
Das Elterndasein ist manchmal nicht gerade erhebend. Schon die
ganze Logistik strengt an (»Ich hole dich von der Schule ab, dann
bringe ich dich zum Zahnarzt. Danach hast du Fußballtraining. Abends
machen wir Hausaufgaben, dann das Abendessen, und heute gehst
du mal früh ins Bett, okay?«). Da gerät man nur allzu leicht in eine
Beziehung zu dem Kind, die sich ermüdend, frustrierend und einfach
anstrengend anfühlt. Ich stelle in meiner Praxis immer wieder fest,
dass in vielen Familien einfach das Albernsein fehlt. Das
Herumblödeln. Das Quatschmachen. Der SPASS!
Spaß ist wichtig. Wirklich wichtig. Herumblödeln und Rumalbern sind
optimale Möglichkeiten, um Bindungskapital aufzubauen. Lachen
reduziert Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin. Und es vermehrt
Antikörper bzw. andere Immunzellen. Wir sollten das Lachen also
sehr ernst nehmen, denn jedes Mal, wenn wir kichern oder
losprusten, macht es unseren Körper ein klein wenig gesünder.
Außerdem fühlen sich unsere Kinder wichtig, geborgen und geliebt,
wenn wir mit ihnen alberne Tanzpartys veranstalten, uns verrückte
Lieder ausdenken und Fangen spielen. Da es eine unserer
Hauptaufgaben als Eltern ist, unseren Kindern das Gefühl der
Geborgenheit zu vermitteln, ist Albernheit ein wichtiger Aspekt
unseres Elterndaseins. Wir können nicht lachen, wenn wir uns bedroht
fühlen. Wenn wir also mit unseren Kindern lachen, dann vermitteln wir
ihnen die Botschaft: »Dies hier ist dein absolut sicheres Heim. Hier
wirst du beschützt. Du kannst hier ganz du selbst sein.«
Manchen Eltern fällt es leichter als anderen, sich albern zu verhalten.
In diesem Fall können Sie diesen Absatz überspringen. Fühlt es sich
für Sie hingegen unnatürlich und komisch an, wenn Sie mit Ihren
Kindern herumalbern (weil Sie sich für einen ernsthaften Menschen
halten), dann halten Sie kurz inne und machen Sie sich bewusst, dass
der erste Schritt in Richtung mehr Leichtigkeit ist, sich dieser Sperre
bewusst zu werden. Alle Eltern haben in bestimmten Bereichen
Schwierigkeiten mit der Erziehung, ob es nun ums Grenzensetzen, um
den Umgang mit Konflikten, um Albernheiten oder um andere Dinge
geht. Ist herumzualbern nichts für Sie, dann liegt das vermutlich
daran, dass man Ihnen das nie vorgelebt hat. Eltern, die mit ihrem
Kind nicht einfach so herumblödeln können, sind höchstwahrscheinlich
in einem Haushalt aufgewachsen, wo Albernheit im Keim erstickt
wurde: durch Scham (»Hör sofort auf, du blamierst mich ja bis auf die
Knochen!«), durch Ignorieren (Eltern lösen sich aus dem Kontakt,
wenn ein Kind spielen oder herumalbern will) oder durch Strafen
(»Hier wird keine Fäkalsprache gebraucht. Geh sofort auf dein
Zimmer.«). War dies in Ihrer Familie der Fall, dann haben Sie
vermutlich gelernt, Ihre alberne Ader verkümmern zu lassen, denn wir
spalten uns automatisch von allem ab, das schon früh negative
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Möchten Sie sich wieder mit Ihrer
verspielten Seite verbinden, sollten Sie vielleicht das Kapitel über
Selbstfürsorge noch einmal lesen. Dort finden Sie Tipps, wie Sie
Zugang zu Ihrer albernen Seite finden. Denn dieser Teil von Ihnen ist
immer noch da, er ist nur verschüttet und traut sich nicht so recht
heraus.
Nachstehend finden Sie ein paar von meinen Ideen für alberne und
spielerische Aktivitäten. Aber es gibt unglaublich viele Möglichkeiten,
herumzublödeln. Wenn Kinder lachen, fängt die Luft an zu prickeln.
Wenn Sie dann einfach mitmachen, ohne damit etwas erzwingen oder
erreichen zu wollen, machen Sie alles richtig.
1. Teilen Sie mit, dass Sie reflektiert, also sich Gedanken gemacht
haben.
2. Erkennen Sie die Erfahrung Ihres Gegenübers an.
3. Machen Sie klar, was Sie beim nächsten Mal anders machen
würden.
4. Zeigen Sie sich neugierig, um die Verbindung
wiederherzustellen, jetzt, wo das Gefühl der Sicherheit wieder
da ist.
Hier ein Beispiel, in dem alle vier Schritte Anwendung finden: »Ich
muss dauernd an den Augenblick vorhin denken [Reflexion], als ich in
euer Zimmer gekommen bin, nachdem du den Bauklötzchenturm
deiner Schwester umgeworfen hast. Ich bin sicher, dass du dich über
etwas aufgeregt hast, sonst hättest du das wohl nicht getan
[Anerkennen]. Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe. Ich
wünschte, ich hätte dich lieber gefragt, was in dir vorgeht [Anders-
Machen]. Sollen wir noch mal von vorn anfangen? Kannst du mir
sagen, wie es dir gegangen ist, bevor du den Turm umgeworfen
hast? Es ist mir wichtig. Ich würde das gerne hören, um dich besser
zu verstehen [Neugier].«
Wenn jemand mit Ihnen gemeinsam etwas reflektiert (»Ich muss
daran denken …«) und Ihre Gefühle akzeptiert (»Du warst
wahrscheinlich ganz schön sauer, sonst hättest du nicht …« oder:
»Es hat sich wahrscheinlich beunruhigend angefühlt, als ich …«),
dann macht diese Person deutlich, dass sie sich für Ihre Gedanken
und Gefühle interessiert und nicht nur für Ihr Verhalten. Wie wir
mittlerweile wissen: Wenn wir nach den Gefühlen hinter bestimmten
Verhaltensweisen fragen, helfen wir unseren Kindern dabei, ein
Bewusstsein für ihre Gefühle aufzubauen und zu lernen, ihre
Emotionen zu regulieren. Wenn wir also das Ende umschreiben,
stärken wir nicht nur die Beziehung zu unserem Kind, sondern
verhelfen ihm auch zu einer besseren Emotionsregulierung. Eine
einfache Maßnahme, die viel bewirkt.
Wenn wir unserem Gegenüber sagen, was wir gerne anders
gemacht hätten, signalisieren wir, dass wir uns Gedanken machen
über das, was wir tun. Wir übernehmen Verantwortung nicht nur für
unser Handeln, sondern auch für den Wandel, den wir anstreben. Und
wenn wir den Mut haben, schwierige Momente nicht einfach
unkommentiert zu lassen, sondern mit Neugier auf den anderen
Menschen zuzugehen, stellen wir Nähe her. Denn damit verdeutlichen
wir, dass in unseren Augen mit einer Entschuldigung der zugefügte
Schmerz nicht vom Tisch ist. Wir machen unserem Gegenüber klar,
dass seine Gefühle und seine Wirklichkeit uns wichtiger sind als unser
Stolz und unsere Komfortzone. Außerdem erfahren wir mehr über den
anderen Menschen und vertiefen die Beziehung, weil wir offen sind für
seine Wahrheit.
Einen Punkt möchte ich noch präzisieren: Ich gehe mit meinen
Kindern nicht immer durch alle vier Phasen. Manchmal sage ich: »Es
tut mir leid, dass ich laut geworden bin.« (Reflexion). Oder: »Ich
habe heftig auf deine Frage reagiert. Das hat sich vermutlich für dich
nicht gut angefühlt … Mir ist das klar, und es tut mir leid. Ich habe
dich lieb.« (Reflexion und Anerkennen). Oder ich sage: »Ich war
gestern sehr schlecht gelaunt – die Arbeit hat mich gestresst. Es war
nicht dein Fehler, als ich mich aufgeregt habe, weil dir dein
Abendessen nicht geschmeckt hat. Das lag einzig und allein an mir,
nicht an dir. Ich wünschte, ich hätte meinen Stress nicht an dir
abreagiert.« (Reflexion, Anerkennen, Anders-Machen).
Also betreiben auch Sie Wiedergutmachung so, wie es für Sie passt.
Manche Strategien sind umfangreicher, andere kurz und knapp. Das
Wichtigste dabei ist, dass Sie die Verantwortung übernehmen und
Ihren Kindern klarmachen, dass nicht sie Ihre Gefühle oder
Reaktionen verursacht haben. Wenn Kinder mit schwierigen Gefühlen
allein gelassen werden, neigen sie zu Selbstvorwürfen (»Ich bin ein
schlechtes Kind.«) und zu Selbstzweifeln (»Habe ich überreagiert?
Vielleicht hat sie gar nicht geschrien? Sollte ich mich nicht daran
gewöhnen, dass andere Menschen so mit mir umgehen?«). Wenn wir
uns um Wiedergutmachung bemühen, verhindern wir, dass unsere
Kinder überhaupt erst auf solche Erklärungen verfallen. Das stärkt ihr
Selbstbewusstsein und ihr Gefühl für Geborgenheit in dieser Welt.
Und vergessen Sie bitte nicht: Nichts fühlt sich für Kinder
schrecklicher an als die Gefühle, mit denen sie alleingelassen
werden. Die Wiedergutmachung ersetzt das Alleinsein durch
Verbundenheit. Und das sollte für uns alle das Wichtigste sein.
Kapitel 12
Wenn wir sagen »Mein Kind hört nicht«, reden wir nicht wirklich übers
Zuhören. Mir ist kein Fall bekannt, in dem Eltern sich beschwert
hätten, ihr Kind höre nicht, wenn es heißt: »Auf dem Esstisch steht
Eiscreme für dich.« Oder: »Du kannst ruhig noch länger fernsehen.«
Was wir in Situationen, wie sie Sonia beschrieben hat, in Wirklichkeit
meinen, ist: »Mein Sohn verweigert mir die Kooperation, wenn ich
etwas von ihm verlange, was er nicht tun möchte.«
Wie aber reagieren wir als Erwachsene, wenn jemand uns um etwas
bittet, das wir nicht machen wollen? Nun, das hängt davon ab, wie
nahe wir der fragenden Person in diesem Augenblick stehen. Wenn
ich mit meiner Ehe glücklich bin und mein Mann mich bittet, ihm auf
dem Heimweg von der Arbeit etwas mitzubringen, dann sage ich wohl
eher Ja. Fühle ich mich aber in letzter Zeit missverstanden oder
wenig geschätzt, dann antworte ich, ich hätte dafür keine Zeit.
Je enger wir uns einem Menschen verbunden fühlen, desto mehr
neigen wir dazu, seine Bitten zu erfüllen. Daher ist das »Hören« im
Grunde ein Barometer, das die Stärke der Bindung anzeigt. Wenn
unsere Kinder nicht auf uns hören, dann sollten wir begreifen, dass
das Problem nicht das Kind, sondern die Beziehung ist. Wenn Ihr Kind
Sie ignoriert, wenn es sich Ihren Bitten oder Forderungen meistens
verweigert, dann will es Ihnen sagen, dass es eine ordentliche Portion
Streicheleinheiten braucht. Hierbei geht es nicht um eine
Meinungsumfrage über Ihre Qualifikation als Vater oder Mutter. Sie
sind keine schlechten Eltern, und Sie haben kein böses Kind. Und die
Beziehung zu Ihrem Kind ist keineswegs im Eimer. Alle Eltern-Kind-
Beziehungen brauchen hin und wieder eine Extraportion Liebe
und Aufmerksamkeit.
In meiner Familie bekomme ich (in Form von »Ungehorsam«) immer
wieder Feedback von meinen drei Kindern, welches mir zeigt, dass
ich langsamer machen, über die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes
nachdenken und etwas für unsere Beziehung tun sollte. In solchen
Fällen versuche ich, mir Zeit zu nehmen und zu überlegen, was in
diesem Kind vorgeht, was es sein könnte, das sich hart oder
frustrierend anfühlt, und warum mein Kind sich »nicht beachtet« oder
beiseitegeschoben vorkommt. Das heißt nicht, dass ich mir
Schuldgefühle mache. Aber ich übernehme die Verantwortung,
darüber nachzudenken, warum mein Kind auf Distanz geht und
welcher Teil unserer Beziehung mehr Aufmerksamkeit braucht. Ich
erinnere mich daran, dass Verbundenheit die Bereitschaft zur
Kooperation erhöht, denn wir alle helfen Menschen gerne, denen wir
uns nahe fühlen.
Außerdem gibt es für »taube Ohren« bei Kindern noch einen zweiten
Grund. Mein ältester Sohn drückte das mal so aus: »Eltern wollen
immer, dass Kinder mit etwas aufhören, was Spaß macht, und
stattdessen etwas tun, was ihnen nicht gefällt. Deswegen hören die
Kinder nicht auf sie.« Ich denke, da hat er recht. Vielleicht spielt
unsere Kleine ja gerade mit ihrem Lego, wir möchten aber, dass sie
ins Bad geht. Oder sie verputzt Pfannkuchen mit Schokosplittern, und
wir wollen, dass sie die Schuhe anzieht, damit wir das Haus verlassen
können. Möglicherweise sieht sie auch gerade fern, und wir schalten
das Gerät aus. Wir sagen unseren Kindern, dass sie etwas tun
müssen, was sie aber nicht tun wollen – etwas, das für uns wichtig
ist, aber nicht für sie. Kein Wunder, dass sie die Kooperation in
solchen Fällen verweigern.
Und vielleicht würden Erwachsene da genauso reagieren. Nehmen
wir an, Sie sitzen mit einem guten Freund beim Abendessen und
jemand kommt vorbei und sagt: »Könnt ihr mal damit aufhören und
mir helfen, meine Toilette sauber zu machen?« Ich bin sicher, Sie
beide würden dieses Ansinnen ablehnen und sich wieder Ihrer
Mahlzeit widmen.
Eltern machen das leider oft: Sie möchten, dass die Kinder mit
etwas aufhören, was sie gerne tun, und stattdessen etwas machen,
was ihnen gar nicht liegt. Das bedeutet nicht, dass wir von unseren
Kindern gar nichts mehr verlangen dürfen – wir werden unsere Kinder
immer bitten müssen, Dinge zu tun, auf die sie keine Lust haben.
Letztlich geht es aber darum, wie wir unser Ansinnen formulieren.
Herumzuschreien ist zum Beispiel eher kontraproduktiv. Wenn wir
anfangen zu brüllen, versetzt das den kindlichen Körper in
Alarmzustand. Kinder erleben den aggressiven Ton der Eltern, deren
Lautstärke und Körpersprache als dermaßen bedrohlich, dass sie in
diesem Zustand nicht verarbeiten können, was die Eltern eigentlich
sagen. Denn ihre ganze Energie richtet sich darauf, diesen
gefährlichen Moment zu überstehen.
Hat das bockige Verhalten Ihres Kindes Sie je derart frustriert, dass
Sie geschrien haben: »Hörst du eigentlich, was ich dir sage?«. Die
Antwort auf diese Frage lautet: Nein. Das Kind »hört« in diesem
Augenblick nicht. Und das ist kein Zeichen von mangelndem Respekt
oder Ungehorsam. Vielmehr verfällt sein Körper in diesem Moment in
Schockstarre. Dabei wollen wir unsere Kinder ja nicht in Angst und
Schrecken versetzen. Wir wollen nicht, dass sie gerade dann
erstarren, wenn wir möchten, dass sie mit uns zusammenarbeiten.
(Vergessen Sie nicht: Sie sind auch dann gute Eltern, wenn Sie
einmal losbrüllen. Und wenn Sie doch laut geworden sind, können Sie
danach immer noch Wiedergutmachung leisten.) Wenn wir unsere
Bitte mit Verbundenheit, Respekt und Vertrauen aufladen und ein
spielerisches Moment in die Diskussion bringen, dann legt sich seine
anfängliche Widerspenstigkeit und unser Kind macht bereitwillig mit.
Die Strategien
Stellen Sie die Verbindung her, bevor Sie fragen
Wenn Sie möchten, dass Ihr Kind Ihnen zuhört, sollten Sie ihm in
seiner Welt begegnen, bevor Sie es bitten, etwas in Ihrer Welt zu tun.
Ein Kind muss sich beachtet fühlen, bevor es mit Dingen aufhört, die
es mag (zum Beispiel malen oder mit Knete spielen), und etwas tut,
was Ihnen wichtig ist (wie die Malsachen aufzuräumen). Sich
beachtet zu fühlen ist ein wunderbarer Bindungsstifter. Wenn wir uns
jemandem nahe fühlen, dann lassen wir uns selbstverständlich auf
Kooperation ein. Wenn wir mit Worten bestätigen, was unser Kind
gerade tut, dann ist das, als würden wir sagen: »Ich sehe dich: Du
bist ein realer Mensch mit realen Wünschen, Gedanken und
Gefühlen.« So senden wir die Botschaft, dass wir unserem Kind
zuhören. Das Kind wird sich dann revanchieren und seinerseits auf
uns hören.
Beispiele:
»Wir können uns jetzt von Abby verabschieden und nach Hause
gehen oder ihr könnt noch ein Kartenspiel machen. Das
überlasse ich dir … Noch ein Spiel? Okay. Ich weiß, dass du
nachher mitkommst, daher ist das in Ordnung.«
»Du kannst dein Geschirr jetzt wegräumen oder du machst es
nach dem Duschen … Nach dem Duschen? Okay. Ich vertraue
dir, dass du das wirklich tust. Hört sich gut an.«
Humor
Humor eröffnet uns fast immer die Gelegenheit, einen anderen
Blickwinkel einzunehmen. Und genau das brauchen wir, wenn wir von
unseren Kindern etwas verlangen. Wenn wir unsere spielerische Seite
reaktivieren, statt frustriert zu sein, schließen wir uns unseren Kindern
in der Welt an, die sie lieben – eine Welt voller Lachen,
Unbeschwertheit und Fröhlichkeit. Und im Grunde wollen wir diese
Welt ja auch für uns. Wenn wir das Lachen in die Gleichung
einbeziehen, fühlen unsere Kinder sich uns eher verbunden und lösen
diese gerne mit uns.
Beispiele:
Der Schließ-die-Augen-Trick
Ich bin eigentlich kein Fan von Elterntricks, weil sie gewöhnlich
kurzfristiges Gehorchen über langfristige Verbundenheit stellen. Aber
auf eine meiner Lieblingsstrategien, den Schließ-die-Augen-Trick, trifft
das nicht zu. Mit diesem Trick geben Sie Ihren Kindern alles, was sie
brauchen, damit sie bereit sind zuzuhören: Respekt, Vertrauen,
Unabhängigkeit, Kontrolle und ein spielerisches Element. Und das
geht so: »Ich schließe jetzt meine Augen«, sagen Sie und legen die
Hand über Ihre Augen. »Ich meine ja nur: Wenn ich die Augen öffne
und da ist plötzlich ein Kind, das die Schuhe anhat … wenn da ein
Kind ist, fertig angezogen und verpackt … dann weiß ich nicht, was
ich tue! Dann bin ich so richtig durcheinander! Vielleicht mache ich
sogar … oh nein … einen Wackeltanz, bei dem ich herumeiere und
vielleicht sogar auf den Boden falle!« Kurze Pause. Warten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind jetzt blitzschnell seine Schuhe
anzieht, ist gerade sehr groß geworden. Warum? Weil die Initiative
nun bei Ihrem Kind liegt. Es hat alles unter Kontrolle, statt kontrolliert
zu werden. Ihr Kind hat das Gefühl, dass Sie ihm vertrauen, weil Sie
ja die Augen geschlossen haben. (Auch wenn Sie ein bisschen
blinzeln.) Dazu kommt noch, dass Sie herumblödeln und etwas total
Unsinniges versprechen. Welches Kind kann dem schon widerstehen:
Eltern, die tapsig tanzen und dann hinfallen und total lächerlich
aussehen?
Die Strategie funktioniert auch bei älteren Kindern. Viele Eltern von
Sieben- oder Achtjährigen erzählen mir, dass ihre Kinder nicht nur auf
den Schließ-die-Augen-Trick eingehen, sondern sogar darum bitten.
Wenn Sie überzeugt sind, dass das bei Ihrer Teenagerin nie klappen
wird, dann wenden Sie einfach nur das Grundprinzip dieser Strategie
an. Versuchen Sie es mit: »Ich sehe, dass du dein Zimmer noch nicht
aufgeräumt hast … Hmm, ich gehe jetzt runter und mache das
Abendessen. Ich vertraue dir, dass du dein Versprechen gehalten und
deine Sachen weggeräumt hast, bevor du zum Essen runterkommst.«
Das funktioniert genauso: mithilfe von Vertrauen. Und das
Spielerische? Sagen Sie doch beim Weggehen: »Ich meine ja nur:
Wenn dieses Zimmer am Ende aufgeräumt ist, dann fange ich
vielleicht sogar an zu singen.«
Wenn Sie sich fragen, warum diese Strategie so gut funktioniert,
dann stellen Sie sich vor, Ihr Chef verlange von Ihnen, dass Sie einen
Bericht überarbeiten. Welchen Unterschied würde es gefühlsmäßig
für Sie machen, wenn er währenddessen neben Ihrem Schreibtisch
stehen bleibt oder wenn er nach ein paar ermutigenden Worten in
sein Büro zurückgeht? Im letzteren Fall würde ich mit Sicherheit
besser arbeiten. Wir alle schätzen es, wenn man uns vertraut, statt
uns zu kontrollieren. Und wenn mein Chef sogar versprechen würde,
etwas völlig Idiotisches zu tun, sobald der Bericht fertig ist? Dann
würde ich mich schleunigst ans Werk machen. Diese Gelegenheit
würde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.
Der Rollentausch
Es gibt vieles, was wir in »reibungsfreien« Situationen tun können,
damit unsere Kinder dann im entscheidenden Fall eher mitziehen. Je
mehr wir einem Kind das Gefühl geben, dass wir es beachten und
ihm dahingehend vertrauen, dass es unabhängig ist und seine
Angelegenheiten im Griff hat, desto eher wird es auf unsere Bitten
hören. Das ist eine echte Erleichterung, weil es Tag für Tag unzählige
Möglichkeiten gibt, Bindungs- und »Hör«-Kapital aufzubauen.
Es gibt zum Beispiel das »Ich höre jetzt auf dich«-Spiel. Stellen Sie
es Ihrem Kind so vor: »Ich weiß, dass Kinder es nicht leicht haben.
Es gibt so viele Dinge, die die Eltern von dir wollen! Also spielen wir
jetzt ein Spiel. In den nächsten fünf Minuten bist du der Erwachsene
und ich das Kind. Ich muss tun, was du sagst, vorausgesetzt es ist
nicht gefährlich.« Erklären Sie Ihrer Kleinen, dass das Spiel nichts mit
Essen oder Geschenken zu tun hat. (Ihr Kind kann Ihnen nicht
befehlen, ihm 100 neue Pokémonkarten zu kaufen oder 30 Tüten
Smarties.) Es geht einfach um Alltagstätigkeiten – was genau ist nicht
wichtig. Was zählt, ist nur, dass Sie Rollen tauschen. Erlauben Sie
Ihrem Kind, mit der Rolle des mächtigen Erwachsenen zu
experimentieren. Drücken Sie Ihr Mitgefühl aus für die Probleme des
Kindseins. Während des Spiels können Sie ruhig ein wenig
übertreiben, wenn Sie gehorchen müssen. Zum Beispiel: »Ihhh! Echt
jetzt? Ich muss das Lego wegräumen? Ich maaaaaag aber nicht.«
Oder: »Mäh, ich mag jetzt aber nicht duschen!« Ich finde das Spiel
auch für mich recht nützlich. Es erinnert mich daran, wie schwer es
sein kann, Befehle auszuführen, wenn man eigentlich lieber etwas
anderes täte.
Wutanfälle
Der dreijährige Ezra kommt in die Küche und will von Orly, seiner
Mutter, Eis zum Frühstück. Orly sagt freundlich: »Eis? Nein, Schatz,
das geht nicht. Wie wäre es denn mit einem Nutella-Brot?« Ezra
aber schreit: »EIS JETZT! Ich will Eis. Ich brauche jeeeeetzt Eis!«
Dann lässt er sich auf den Boden fallen, weint scheinbar endlos und
schreit immer wieder nach Eis.
Wutanfälle sind normal. Tatsächlich sind sie nicht nur normal, sondern
gesund. Klar heißt das nicht, dass sie Spaß machen oder angenehm
sind. Natürlich nicht. Wutanfälle sind eine Nervenprobe für jeden, der
darin verwickelt ist. Und doch gehören sie zur gesunden Entwicklung
eines Kindes. Wutanfälle – jene Momente, in denen Ihr Kind
buchstäblich »ausrastet« – sind ein klares Signal: Ihr Kind wird mit
den emotionalen Anforderungen der Situation nicht fertig. Wenn es
einen Wutanfall hat, erlebt Ihr Kind ein Gefühl, einen Drang, eine
Empfindung, die seine Fähigkeit zur Emotionsregulierung übersteigt.
Das dürfen wir nicht vergessen: Wutanfälle sind, biologisch gesehen,
Fehlregulierungen und keine bewussten Akte des Ungehorsams.
Wutanfälle beginnen häufig damit, dass das Kind etwas will (Eis) und
etwas (oder jemand, in diesem Fall ein Elternteil) sich seinem Wunsch
entgegenstellt. Nicht zu bekommen, was man will, ist eine der
schwierigsten menschlichen Erfahrungen – für Kinder ebenso wie für
Erwachsene. In einem Wutanfall steckt folgende Botschaft: »Auch
wenn du Nein sagst, weiß ich immer noch, was ich will. Mein ganzer
Körper zeigt dir, dass mein Wunsch in mir lebendig ist und ich
frustriert bin, weil er nicht erfüllt wird.« Sollten wir gefährliche
Verhaltensweisen während des Wutanfalls verhindern? Absolut.
Sollten wir selbst ruhig bleiben? Aber sicher. Ist es unsere Aufgabe,
den Wutanfall im Keim zu ersticken, sodass er gar nicht erst
ausagiert wird? Nein, auf keinen Fall. Und das hat seinen Grund: Wir
wollen ja, dass unsere Kinder den Mut haben, sich Dinge zu
wünschen.
Als Eltern wollen wir, dass unsere Kinder fähig sind, ihre Wünsche
zu erkennen und zu äußern, sich darüber bewusst zu bleiben: »Ich
weiß, was ich will, selbst wenn jemand Nein sagt.« Aber wir können
von unseren Kindern, solange sie klein sind, nicht
Unterwürfigkeit und Gehorsam fordern und dann, sobald sie
älter sind, von ihnen erwarten, dass sie plötzlich
Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft beweisen. So
funktioniert das einfach nicht. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind ist jetzt 25
Jahre alt. Möchten Sie, dass Ihr Sohn unmissverständlich sagt: »Nein,
das möchte ich nicht«, wenn jemand von ihm etwas verlangt, was
gegen seine Überzeugung geht? Möchten Sie, dass Ihre Tochter in
der Lage ist, eine Gehaltserhöhung zu verlangen? Oder ihrem Partner
zu sagen: »Ich möchte, dass du mir gegenüber respektvoller bist«?
Wenn wir wollen, dass unsere Kinder als Erwachsene ihre Wünsche
und Bedürfnisse kennen, dann sollten wir Wutanfälle als nötigen
Entwicklungsschritt akzeptieren.
Wenn der Auslöser für Wutanfälle ist, dass ein Kind sich etwas
wünscht und es nicht bekommt, was genau »explodiert« dann, wenn
es »ausrastet«? Nun, hinter jedem einzelnen Wutanfall steht ein Kind,
das ein gewisses Quantum an Stress aufgebaut hat – eine Mischung
aus Frustration, Enttäuschung, Eifersucht, Trauer und Ärger. Ich stelle
mir Wutanfälle manchmal als Eruption vor, als Moment, in dem »das
Gefäß voller aufwühlender Gefühle« überkocht. Was diesem Anfall
unmittelbar vorausgeht, ist nur der letzte Tropfen, der das Fass
überlaufen lässt. Dann ist mir klar, dass der Wutanfall meines Kindes
keine enervierende oder lächerliche Überreaktion ist, sondern der
emotionale Ausdruck eines Menschen, der Leid erfährt und damit
nicht fertig wird. Wir Erwachsenen sollten uns daran erinnern, dass
auch wir manchmal kleine Nervenzusammenbrüche erleben. Auch bei
uns gibt es diesen Punkt, an dem der Stress zu viel wird und wir bei
der erstbesten Kleinigkeit ausrasten. Stellen Sie sich vor, Sie hätten
Ihre Brieftasche verloren, bei der Besprechung im Büro Kritik
einstecken müssen und erfahren, dass Ihre Freundin sich zum
Abendessen mit jemand anderem verabredet hat. Und nun kommen
Sie nach Hause und wollen nichts weiter, als sich Ihr Lieblings-T-Shirt
überziehen und sich aufs Sofa plumpsen lassen. Da müssen Sie
feststellen, dass das gute Stück in der Wäsche eingegangen ist und
nicht mehr passt. Sprächen wir jetzt von mir, hieße das: Ich breche in
Tränen aus. Und vielleicht schreie ich laut: »Nein, nein, nein, nein!«
Und wenn dann mein Partner noch sagt: »Becky, das ist doch keine
große Sache. Nimm dir einfach ein anderes T-Shirt.« … Nun, sagen
wir einfach: Meine Reaktion würde nicht gerade freundlich ausfallen.
Würde mein Partner allerdings bemerken, dass hinter meiner
Reaktion etwas anderes stecken muss, dass ich an jenem Tag
einiges durchgemacht habe, dass an der ganzen Geschichte mehr
dran ist, als sich auf den ersten Blick zeigt … dann würde ich mich
sofort beruhigen, weil ich mich verstanden und sicher fühlen würde,
weil ich wüsste, dass ich grundlegend gut bin. Das eingelaufene T-
Shirt war nur der Trigger. Die eigentliche Ursache für meinen
Ausbruch waren die Enttäuschung, Frustration und Trauer, die sich im
Laufe des Tages angestaut haben. Wenn wir unseren Kindern durch
ihre Wutanfälle hindurchhelfen wollen, müssen wir hinter das Ereignis
blicken können, das den »Ausraster« ausgelöst hat, und die
wirklichen, schmerzlichen Gefühle dahinter verstehen. Zu erkennen,
was tatsächlich hinter einem Wutanfall steckt, und auf das Innenleben
unseres Kindes zu reagieren statt auf sein äußeres Verhalten, ist eine
unerlässliche elterliche Fähigkeit.
Die Strategien, die ich Ihnen hier vorstelle, helfen Ihnen bei dieser
Aufgabe. Sie empfehlen sich für die Fälle, wenn es um einen rein
emotionalen Ausbruch geht – wenn er also nicht mit physischer
Aggression wie Schlagen, Spucken, Beißen, Treten oder Mit-
Sachen-Werfen einhergeht. Wutanfälle, die mit körperlicher
Aggression einhergehen und bei denen Grenzen verletzt werden,
erfordern einen anderen Ansatz, mit dem wir uns im nächsten Kapitel
beschäftigen. Die im Folgenden vorgestellten Maßnahmen haben
durchweg ein Ziel: dem Kind bei der Regulierung seiner Emotionen zu
helfen. Es geht dabei nicht darum, den Wutanfall abzustellen.
Beabsichtigen wir lediglich, das Schreien und Weinen zu unterbinden,
lernen die Kinder nur eines: »Die Gefühle, mit denen ich nicht fertig
werde, überfordern auch meine Eltern. Sie versuchen, sie
abzuschalten, was bedeutet, dass meine Gefühle genauso schlecht
sind, wie sie sich anfühlen.« Unsere Kinder können nicht lernen, wie
sie mit einem schwierigen Gefühl umgehen können, wenn wir
Erwachsene dieses umgehen oder abstellen wollen. Daher sollte
unser vordringlichstes Ziel bei Wutanfällen sein, selbst ruhig zu
bleiben und für die Sicherheit unserer Kinder zu sorgen. Danach
sollten wir für sie da sein, damit die Kinder sehen, wie wir trotz ihrer
fehlregulierten Gefühle unsere eigenen Emotionen weiterhin unter
Kontrolle haben. Die unten aufgeführten Maßnahmen zielen alle
darauf ab, die Verbundenheit mit Ihrem Kind zu stärken, unser
Verständnis zu bezeugen und ihm klarzumachen, wie es an seinem
grundlegenden Gutsein festhalten kann.
Die Strategien
Erinnern Sie sich an Ihr eigenes grundlegendes
Gutsein
Eltern haben meist Probleme, angesichts von Wutanfällen ruhig zu
bleiben, weil die Fehlregulierung unserer Kinder Selbstvorwürfe bei
uns auslöst. Denn äußere Schuldzuweisungen gehen immer mit
inneren einher. Wenn wir uns fragen: »Was stimmt nicht mit meinem
Kind?«, fragen wir uns gleichzeitig auch: »Was stimmt nicht mit mir?«
Vielleicht denken wir ja auch: »Ich mache das mit der Erziehung nicht
richtig.« Das ist ein ziemlich schmerzhafter Gedanke. Und daher
versuchen wir häufig, den Wutanfall abzustellen, um unsere eigenen
Unzulänglichkeitsgefühle loszuwerden. Wenn Ihr Kind also das
nächste Mal ausrastet, dann sagen Sie sich, bevor Sie irgendetwas
anderes tun: »Mit mir stimmt alles. Mit meinem Kind stimmt alles. Ich
kann damit umgehen.« Vielleicht drucken Sie sich dieses Mantra aus
und hängen es irgendwo auf, am Badezimmerspiegel zum Beispiel,
oder Sie stellen es auf Ihren Nachttisch. Dadurch wird dieser
Gedanke zu einem Teil Ihrer täglichen Routine. Er hilft Ihnen mehr als
alles andere, bei einem Wutanfall ruhig zu bleiben.
Beides ist wahr
Ich möchte auch, dass Sie die folgenden Worte auswendig lernen:
»Beides ist wahr: Ich bin für diese Entscheidung verantwortlich, und
meine Antwort ist Nein. Du hingegen bist verantwortlich für deine
Gefühle, und du darfst dich aufregen.« Die Worte selbst sind nicht so
wichtig wie die Idee dahinter und Ihr Tonfall. Die Idee: Wir dürfen
Entscheidungen treffen, und unsere Kinder dürfen ihre Gefühle haben.
Der Tonfall: Wir wollen nicht, dass unsere Worte kalt und distanziert
klingen, als wollten wir sagen: »Du kannst dich ruhig aufregen, das ist
mir völlig egal.« Wir wollen unseren Kindern die Erlaubnis für ihre
Emotionen geben und ihnen unser Mitgefühl zeigen. Möglicherweise
möchten Sie ja etwas sagen wie: »Ich verstehe, warum du dich so
fühlst.« Oder: »Ich weiß, das ist wirklich hart.« Und: »Kindsein kann
sehr schwierig sein.« Im Umgang mit Wutanfällen sind drei Dinge von
entscheidender Bedeutung: Wir sind nicht verantwortlich für die
Gefühle unserer Kinder. Unsere Kinder müssen sich mit unseren
Entscheidungen nicht einverstanden erklären. Und wenn wir ihnen
vermitteln, dass ihre Gefühle in Ordnung sind, lernen sie, dass sie
auch intensive Emotionen haben dürfen – und das ist wichtig für jede
Form der Emotionsregulierung.
Die Strategien
»Ich lasse dich nicht«
Sagen Sie laut: »Hör auf, mit den Trinkflaschen zu werfen!« Und:
»Bitte hör auf, mit Sachen um dich zu werfen! Bitte!« Eine kurze
Pause. Einmal durchatmen. Und dann: »Ich lasse dich nicht weiter mit
Trinkflaschen werfen.« Diese vier Worte: »Ich lasse dich nicht …«
sind ein wichtiges Utensil im elterlichen Instrumentenkasten. »Ich
lasse dich nicht …« macht dem Kind klar, dass die Eltern die
Verantwortung tragen und dass sie das Kind daran hindern werden,
weiter auf diese fehlregulierte Weise zu handeln, die sich darüber
hinaus schrecklich anfühlt. Denn, das vergessen wir häufig: Kinder
fühlen sich nicht wohl, wenn sie außer Kontrolle sind. Sie genießen es
keineswegs, wenn ihr Körper unfähig ist, gute und sichere
Entscheidungen zu treffen. Ähnlich wie auch Erwachsene sich nicht
gerne bei schlechtem Benehmen ertappen. Beim kindlichen Ausbruch
kommt allerdings hinzu, dass Kinder von ihrer Entwicklung her absolut
unfähig sind, in einem solchen Moment innezuhalten. Wenn sie das
könnten, würden sie es tun. Wenn sie aufhören könnten zu schlagen,
würden sie das tun. Könnten sie aufhören zu beißen, dann würden sie
das tun. Ein fehlreguliertes Kind braucht einen Erwachsenen, der die
lodernden Flammen eindämmt, eben das, was es selbst nicht
zustande bringt. Die klare Ansage »Ich lasse dich nicht« und ein
Handeln, das ihr auch entspricht, sind ein Akt der Liebe und des
Schutzes.
Was meine ich nun mit »entsprechendem Handeln«? Ein »Ich lasse
dich deine Schwester nicht treten« erfordert, dass Sie als Elternteil
zwei Kinder trennen. »Ich lasse dich nicht auf mich einschlagen«
erfordert, dass Sie die Schläge blockieren, bevor sie Sie treffen. »Ich
lasse dich nicht auf der Anrichte herumhüpfen« heißt, dass Sie das
Kind nehmen und von der Anrichte herunterheben.
Eines sollten Sie dabei beachten: »Ich lasse dich nicht« ist keine
Strategie für den Alltag. Ich möchte Ihnen nicht empfehlen, dass Sie
ständig diktieren, was Ihre Kinder tun, und so Ihre Dominanz
ausspielen. »Ich lasse dich nicht« ist eine Ansage, die dann
angebracht ist, wenn Ihr Kind keine guten Entscheidungen mehr
treffen kann – wenn es sich und andere in Gefahr bringt oder sich so
verhält, dass Sie klare Vorgaben machen müssen. Wenn Sie in
solchen Situationen mit nicht mehr ankommen als »Bitte lass das«
oder »Das darfst du nicht«, dann wird das Kind nur noch ängstlicher,
weil es das Gefühl hat, dass es selbst der Boss sein muss. Das wird
die Fehlregulierung noch verstärken, weil Sie ihm den Eindruck
vermitteln, dass Sie keine Autorität ausüben wollen, und Gedanken in
ihm auslösen wie: »Warum wollen meine Eltern mir die Verantwortung
geben? Sie sehen, dass ich zu kämpfen habe, und lassen mich im
Stich! Die Gefühle, die mich und meinen Körper überrollt haben, sind
jetzt auch zu viel für meine Eltern … und das macht mir mehr Angst
als alles andere.« Kein Wunder also, dass das Kind sich so nicht
»beruhigen« kann.
Das Geschichtenerzählen
Die meisten Eltern, die gerade einen Wutanfall überstanden haben,
denken sich: »Uff, bin ich froh, dass das vorbei ist. Das vergessen wir
jetzt ganz schnell!« Aber wenn wir mit dem Kind reden, sobald alle
sich wieder beruhigt haben, und die fehlregulierten Momente noch
einmal durchgehen, kann das unendlich wertvoll sein. Indem Sie auf
die Szene zurückkommen, in der die Gefühlsfeuer noch wild loderten,
können Sie im Nachhinein mit Verbundenheit, Empathie und
Verständnis darauf reagieren. Das sind Schlüsselelemente der
Regulierung, die die Fehlregulierung ausgleichen können. Wenn Ihr
Kind dann wieder einmal schwierige Zeiten durchmacht, können Sie
leichter auf diese entscheidenden Elemente zurückgreifen.
Geschichtenerzählen heißt in diesem Fall, dass Sie den chaotischen
Ausbruch noch einmal durchgehen, um ihn in einen größeren
Zusammenhang zu stellen. Diese Strategie müssen Sie nicht bei
jedem Wutausbruch anwenden, hin und wieder aber kann sie ganz
sinnvoll sein. Sagen wir einmal, Ihr Kind hat einen filmreifen Ausraster
hingelegt, als sein Bruder ihm gesagt hat, es dürfe nicht mit ihm und
seinem Freund spielen. Stunden oder Tage später könnten Sie sagen:
»Lass mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe … Du wolltest
mit Dante und Kaito spielen, aber Dante hat Nein gesagt … Das war
für dich so schlimm, dass du angefangen hast, zu schreien und zu
treten … Dann hat Papa dich auf dein Zimmer getragen und ist mit dir
dort geblieben … Wir haben dort zusammen gewartet, bis dein
Körper sich beruhigt hat …«
An diesem Punkt fragen viele Eltern: »Und was dann? Was mache
ich danach? Sage ich den Kindern, wie sie das beim nächsten Mal
besser handhaben können?« Nein! Allein, dass Sie präsent sind und
das Ganze in einen Zusammenhang einordnen, ändert schon, wie die
Erfahrung bei Ihrem Kind abgespeichert wird. Der neuronale Pfad,
der mit Regulierung endet (d. h. weniger Wutanfälle), beginnt mit
Verständnis und Verbundenheit. Und die stellen sich ein, wenn Sie die
Geschichte noch einmal erzählen. Vielleicht spüren Sie ja, dass Ihr
Kind sich öffnet. Dann können Sie sagen: »Hmm, es fühlt sich
schlimm an, wenn man ausgeschlossen wird. Ich frage mich, was du
machen könntest, wenn das wieder vorkommt und Dante wieder
einen Freund zum Spielen eingeladen hat …« Das ist in Ordnung, es
schadet nicht. Aber vergessen Sie nicht, dass für diese Strategie das
Gefühl der Verbundenheit und die Geschichte zentral sind, nicht die
mögliche Lösung.
Geschwisterrivalität
Der sechsjährige Hari und seine vierjährige Schwester Annika
spielen mit Bauklötzchen, während ihr Vater Ray das Mittagessen
zubereitet. Ray hört einen Schrei, dann ein Weinen und allerlei
seltsame Geräusche. Er geht ins Kinderzimmer und sieht, dass Hari
alle Klötze für sich beansprucht und seiner Schwester keine
abgeben will. Annika läuft zu ihrem Vater: »Er hat mich geschubst!
Ich bin hingefallen!« Hari brüllt: »Das stimmt nicht! Sie wollte die
Klötze, mit denen ich gerade gebaut habe. Sie macht immer, dass
ich Ärger bekomme.«
Die Strategien
Spielzeit ohne Smartphone (SOS)
Für gesunde Geschwisterbeziehungen ist nichts so wichtig wie
ausreichend SOS: Zeit, die die Eltern nur allein mit einem Kind
verbringen. Je sicherer sich das Kind der Bindung zu seinen Eltern ist,
desto eher versteht es Schwester oder Bruder als Spielkamerad*in
und nicht als Rival*in. Wenn meine Kinder gerade stark miteinander
rivalisieren, rufe ich mir ins Gedächtnis: »Sie spüren keinen Halt und
fühlen sich unsicher. Jedes braucht mehr Verbundenheit mit mir, um
sich in dieser Familie verankert zu fühlen. Also planen wir mal SOS
für alle ein!« Die SOS ist in vielen Bereichen eine grundlegende
Voraussetzung für den Wandel. Wie das genau geht, erfahren Sie auf
Seite 155 bis 159.
Und wie hilft das alles jetzt Hari, Annika und Ray?
Ray ruft sich ins Gedächtnis: »Runterschalten, nicht das Problem
lösen.« Zuerst macht er den Kindern die Regulierung vor: »Puuh, hier
geht’s ja ganz schön ab. Da muss ich erst mal tief durchatmen!« Er
legt eine Hand auf sein Herz und atmet ein paar Mal hörbar ein und
aus. Das ist so ganz anders als alles, was Hari und Annika sonst von
Erwachsenen kennen. Schon deshalb machen sie mit. Ray fährt fort:
»Ich sehe hier zwei sehr aufgeregte Kinder … Ich weiß, es passt
euch beiden nicht, wie das hier läuft. Aber ich werde nicht
entscheiden, wer recht hat oder nicht bzw. was passiert ist oder
nicht … Annika, anscheinend wolltest du auch mit den Bauklötzchen
spielen … und Hari, du hattest wohl einen Plan und wolltest die
Klötzchen für dich haben. Das ist gar nicht so einfach. Zwei Kinder,
beide wollen die Klötzchen haben, beide haben Ideen … Ich glaube,
wenn wir mal intensiv nachdenken … finden wir eine Lösung.
Hmmm …« Dann legt Ray eine Pause ein. Schließlich sagt Hari:
»Hier, nimm die.« Und Annika ist zufrieden. Ray ist jetzt erschöpft,
aber er ruft sich in Erinnerung, dass seine Kinder lernen müssen,
Probleme zu lösen. Und dafür war der ganze Prozess sehr wichtig.
Außerdem speichert er ab, dass Annika und Hari das
Geschwistersein vielleicht gerade nicht so attraktiv finden. Also plant
er für beide später ein wenig SOS ein.
Kapitel 16
Die Strategien
Sich nicht ködern lassen
Wenn Sie auf das äußere Verhalten Ihres Kindes so reagieren, als
gäbe es dafür keine tieferen Gründe, schlucken Sie den Köder. Das
oberflächliche Verhalten als Zeichen eines tiefersitzenden Problems
zu betrachten – das Gefühl hinter den Worten zu erkennen und nicht
auf die Worte selbst zu reagieren –, heißt, dass Sie nicht anbeißen.
Und das macht einen großen Unterschied.
Und wie sieht das nun aus?
Beispiele:
»Ich schalte jetzt die PlayStation aus und nehme den Controller
an mich. Irgendetwas geht doch in dir vor. Ich habe Nein gesagt,
und du hast trotzdem angefangen zu spielen. Darüber können
wir später noch nachdenken: Irgendetwas an den Videospielen
macht es dir schwer, auf das zu hören, was ich sage. Aber es
scheint auch zwischen uns irgendetwas nicht zu stimmen, sonst
wäre das nicht passiert.«
»Puh, das sind ja große Worte … Du musst wirklich empört
sein, wenn du so etwas sagst. Ich weiß, dass du wütend bist,
weil dein Turm umgefallen ist. Da wäre ich auch wütend. Aber
ich bin für dich da, und ich habe dich lieb.«
»Ich werde diesen Ton nicht zulassen … Aber trotz alledem
muss ja einiges passiert sein, damit du so reagierst. Ich wäre
gerne mal mit dir ein bisschen allein. Ich weiß, dass es nicht
leicht ist, Teenager zu sein. Ich möchte dir zuhören und dich
verstehen. Ich habe dich lieb, auch wenn du sauer auf mich
bist.«
Manchmal aber sind Worte zu viel. Also erlauben Sie sich, tief
durchzuatmen und einfach da zu sein. Richten Sie den Blick auf
den Boden, nicken Sie. In derart aufgeladenen Situationen kann
mitunter sogar ein Augenkontakt zu viel sein, aber solch
einfache Gesten sagen: »Ich habe dich verstanden. Ich bin da.
Ich habe dich lieb.«
1. Atmen Sie tief durch. Vergessen Sie nicht: Trotz ist kein Zeichen
für mangelnden Respekt oder einen schlechten Charakter.
2. Bringen Sie Ihre Autorität zum Ausdruck. Sagen Sie klar, was
Sie tun, während Sie Ihre Rolle als Autoritätsperson ausfüllen
und Grenzen setzen. (Vergessen Sie nicht: Sie müssen sich
Ihrer Aufgabe bewusst sein.) Sie können sagen: »Ich nehme
dich jetzt vom Sofa runter«, wenn Sie nicht wollen, dass Ihr
Sohn darauf herumhüpft. Oder wenn Sie Ihre Tochter dabei
ertappen, wie Sie sich mit dem iPad im Schrank versteckt,
obwohl ihre Bildschirmzeit abgelaufen ist: »Du kannst mir das
iPad jetzt geben. Und wenn dir das zu schwerfällt, kann ich es
nehmen.« Und danach: »Ich werde es dir jetzt wegnehmen,
Schatz. Ich weiß, dass dir das nicht gefällt.«
3. Ziehen Sie eine klare Grenze, aber nur, weil Ihr Kind die
Fähigkeit zur Impulskontrolle noch nicht besitzt, nicht weil es
Ihnen nicht gehorcht hat. Das kann heißen, dass Sie mit Ihrem
Sohn, der nicht fähig war, mit dem Rumhüpfen auf dem Sofa
aufzuhören, in seinem Zimmer bleiben. Oder dass Sie das iPad
irgendwohin legen, wo Ihre Tochter nicht herankommt. Erwarten
Sie nicht, dass Ihr Kind auf einen Schlag Impulskontrolle
entwickelt, nur weil es »erwischt« wurde. Ihr Kind signalisiert
Ihnen, dass es Ihre Hilfe zur Grenzsetzung braucht. Und Sie
müssen ihm helfen.
4. Überlegen Sie, ob es einen Weg gibt, den entsprechenden
Impuls zu sublimieren, in anderen Worten: Können Sie Ihrem
Kind helfen, seinen Wunsch so auszudrücken, dass es Ihre
Grenzen nicht verletzt? Sie könnten sagen: »Du möchtest jetzt
gerne herumhüpfen. Auf dem Sofa geht das aber nicht. Gehen
wir doch raus, dann kannst du im Gras herumhopsen.« Oder:
»Dein Verhalten sagt mir, dass wir eine Liste mit tollen Dingen
aufstellen müssen, die du alleine machen kannst, wenn ich, wie
jetzt, E-Mails für die Arbeit schreiben muss.«
5. Denken Sie später über das Geschehene nach, und handeln
Sie. Mit welcher Form der Impulskontrolle hat Ihr Kind
Schwierigkeiten? Können Sie, wenn sich alles wieder beruhigt
hat, Ihrem Kind beibringen, wie es innehalten und durchatmen
kann, falls es diesen Impuls wieder verspürt, um sich dann für
eine bessere Möglichkeit zu entscheiden? Brauchen Sie mehr
Mitwirkung von Ihrem Kind, damit es bestimmte Regeln
beachtet?
Quengeln
Adeze sitzt neben ihrer Mutter Imani am Tisch und macht
Hausaufgaben. Die hilft ihr dabei, beantwortet aber auch am Handy
E-Mails. Nebenbei hat sie noch ein Auge auf Adezes kleinen Bruder,
der durch das Wohnzimmer krabbelt. Da bricht Adeze die Spitze
des Bleistifts ab, und sie verlangt in quengeligem Ton von ihrer
Mutter: »Ich brauche einen spitzen Stiiiiiift! Kannst du mir einen
hoooolen?« Imani glaubt, jetzt gleich platzen zu müssen.
Die Strategien
Lassen Sie Ihren inneren Quengler raus
Wenn das Jammern Ihres Kindes Sie nervt und Sie in einem Haushalt
aufwuchsen, in dem Verletzlichkeit nicht akzeptiert wurde, möchte ich,
dass Sie etwas ausprobieren. Legen Sie sich die Hand aufs Herz, und
sagen Sie sich: »Es ist in Ordnung, Hilfe zu brauchen und sich
ohnmächtig zu fühlen. Auch starke, resiliente Menschen fühlen sich
manchmal so.« Vielleicht wollen Sie ja vor dem Spiegel einmal
ausprobieren, wie das ist, sich so richtig zu beschweren. Jammern
Sie, wie viele E-Mails Sie täglich beantworten müssen. Oder dass
Sie keine Lust haben zu putzen. Oder dass Sie so müde sind.
Paradoxerweise werden Sie unempfindlich gegen das Quengeln, je
mehr Sie selbst herumnörgeln. Und was tun Sie am besten, wenn Ihre
Kinder quengeln und Sie spüren, wie Ihnen die Galle hochkommt?
Dann sagen Sie: »Einen Augenblick. Ich muss erst mal durchatmen.«
Dann legen Sie die Hand aufs Herz und sagen sich leise: »Ich bin
sicher. Ich kann damit umgehen.« Und dabei atmen Sie tief ein und
aus.
Legen Sie das Telefon weg und sagen Sie: »Ich lege jetzt mein
Telefon weg. Ich habe das Gefühl, ich bin abgelenkt, und du
hast das bemerkt. Jetzt bin ich für dich da.«
Setzen Sie sich neben Ihr Kind auf den Boden und sagen Sie:
»Etwas fühlt sich für dich nicht gut an. Das kann ich mir
vorstellen. Sehen wir mal, ob wir es rausbekommen.«
Zeigen Sie Mitgefühl und Verständnis für die Situation von
Kindern: »Manchmal ist es wirklich schwer, ein Kind zu sein. Ich
weiß.« Wenn das gut ankommt, machen Sie weiter: »Du
wünschst dir, dass du alle Entscheidungen selbst treffen darfst.
Ich verstehe dich ja.«
Öffnen Sie das Ventil: »Lass es raus, Schatz. Alles ist
schrecklich, oder? Ich bin ja hier bei dir. Es ist schon in
Ordnung.«
Spielen Sie das Auffüll-Spiel: »Willst du mir etwa sagen, dass
du eine Extraportion Mami brauchst? Darf ich auffüllen?«
Lügen
Als Jake von der Schule nach Hause kommt, sagt seine Mutter
Dara zu ihm: »Dein Lehrer hat angerufen. Er sagt, du hast auf dem
Pausenhof Owen umgerannt. Was war denn da los?«
»Ich habe niemanden umgerannt«, entgegnet Jake. »So war das
nicht.«
Dara setzt nach: »Lüg mich nicht an! Wenn du mich anlügst,
bekommst du mehr Ärger, als wenn du mir einfach sagst, was
passiert ist.«
»Ich lüge nicht«, sagt Jake. »Warum glaubst du dem Lehrer mehr
als mir? Du gibst immer mir die Schuld!«
Dara und Jake haben sich festgefahren.
Warum lügen Kinder? Nun, vielleicht überlegen wir erst einmal, warum
Kinder nicht lügen, bevor wir uns mit dem Rest beschäftigen. Wenn
unsere Kinder uns anlügen, vermuten wir dahinter meist das
Schlimmste. Wir denken: »Mein Kind ist unglaublich aufsässig!« Oder:
»Mein Kind glaubt, es kann mich verarschen!« Oder: »Mein Kind lügt
mir geradewegs ins Gesicht … wie asozial. Irgendetwas stimmt nicht
mit ihm!« Aber wenn wir Lügen als Zeichen mangelnden Respekts
betrachten (»Lügst du mich an? Hör auf, mich so respektlos zu
behandeln!«), übersehen wir das eigentlich Wichtige. Dann heißt es:
wir gegen unsere Kinder. Und schon sind wir mittendrin im schönsten
Eltern-Kind-Machtkampf, den keiner gewinnen kann.
In Wirklichkeit hat Lügen nichts mit Trotz oder Verschlagenheit oder
asozialem Verhalten zu tun (auch wenn Sie so etwas ohnehin nur im
Zorn sagen). Wie wir schon so oft in diesem Buch gesehen haben,
geht es auch beim Lügen mehr um die Grundbedürfnisse des Kindes
und seine Sehnsucht nach Bindung statt um Manipulation oder
»Verarsche«. Damit will ich nicht sagen, dass Sie es einfach
akzeptieren sollten, wenn Ihr Kind lügt. Aber bei meinem Ansatz geht
es nicht darum, auf der Stelle ein Geständnis zu erzwingen, sondern
herauszufinden, was hinter der Lüge steckt. Und dieses Problem
können wir dann angehen, um ein Umfeld zu schaffen, in dem die
Wahrheit eher möglich wird. Wir können ein Verhalten nicht ändern,
wenn wir es nicht verstehen. Strafen, Drohungen und Wut aber tragen
nichts zum Verständnis bei.
Kinder lügen aus verschiedenen Gründen. Erstens ist die Grenze
zwischen Fantasie und Wirklichkeit bei ihnen unschärfer als bei
Erwachsenen. Kinder tun ja beim Spielen häufig »als ob« und lassen
sich dabei von den Gesetzen der Realität nicht beeindrucken. Sie
treten in verschiedene Welten ein und übernehmen die Züge
unterschiedlichster Figuren. Ich bin ein großer Fan solcher Spiele.
Kinder können dabei alles ausdrücken, womit sie zu kämpfen haben,
in einer sicheren Welt, die sie voll unter Kontrolle haben. Wenn Sie
Ihre Tochter fragen, ob sie die Lampe umgeworfen hat (und
tatsächlich wissen, dass sie es war), Ihre Tochter aber sagt: »Nein,
ich habe in meinem Zimmer gespielt«, dann versucht sie, indem sie
sich ins Reich der Fantasie flüchtet, einen Umgang mit ihren
Schuldgefühlen zu finden bzw. mit ihrer Angst davor, dass Sie
enttäuscht oder wütend reagieren.
Auch hier haben wir, was unseren Blick auf das Ganze betrifft, zwei
Möglichkeiten: Wir sind entweder der Meinung, dass sie »es
vermeidet, die Wahrheit zu sagen«. Oder wir kommen zu dem
Schluss, dass die Wahrheit für sie so erschreckend ist, dass sie
lieber in die Welt des »So tun, als ob« flüchtet, wo sie alles unter
Kontrolle hat und sich ein Ende ausdenken kann, das ihr besser
gefällt.
Wenn wir Lügen vor dem Hintergrund der Sehnsüchte unserer
Kinder betrachten – in diesem Fall wünscht sich unsere Tochter
Kontrolle und ein anderes Ende –, sehen wir sie nicht als gegen uns
gerichtetes Verhalten, sondern als Zeichen für den Wunsch der
Kinder, sich sicher und gut zu fühlen. Denn dies sind die Bedürfnisse,
die ihr gesamtes Handeln beeinflussen und letztlich auch das von uns
Erwachsenen. Glaubt ein Kind, dass seine Eltern es nicht für liebens-
und schätzenswert halten, dann flüchtet es in eine Fantasiewelt, in
der sein Gutsein gewahrt bleibt. Was wir als Lüge sehen, ist
tatsächlich eine Nebenwirkung der Evolution: Das Überleben unserer
Kinder hängt von ihrer Bindung zu uns ab. Deren Stärke wiederum ist
abhängig vom Gefühl der Sicherheit und des Erwünschtseins. Wenn
Sie Ihre Tochter fragen, ob sie die Lampe zerbrochen hat, war ihr
erster Gedanke vermutlich: »Ich wünschte, die Lampe wäre nicht
zerbrochen. Ich wünschte, ich hätte nie in der Nähe der Lampe
gespielt. Hätte ich doch nur in meinem Zimmer gespielt!« All diese
Wünsche finden ihren Ausdruck dann in: »Ich habe in meinem Zimmer
gespielt.« Darin eine Lüge zu sehen und zu sagen: »Lüg mich nicht
an!«, verfehlt den Kern.
Kinder lügen auch, wenn sie glauben, dass die Wahrheit die Bindung
zu ihren Eltern gefährden würde. Bindung ist ein System mit
verschiedenen Graden der Nähe. Dabei geht es Kindern darum, dass
sie ihren Bezugspersonen nahe sind und dass diese die Nähe zu ihnen
wollen. Vor diesem Hintergrund bewerten Kinder die Bindung zu ihren
Eltern ständig neu. Sie fragen sich: »Wird das, was ich meinen Eltern
sage, diese Nähe verringern oder wird es mir zu mehr Verbundenheit
verhelfen?« Wenn ein Kind glaubt, die Bezugsperson nimmt sein
Verhalten durch die Brille des »schlechten Kindes« wahr und geht
deshalb auf Distanz, wird es jedes Mal lügen. Unser Körper ist darauf
programmiert, uns vor dem Verlassenwerden zu schützen. Als
»schlechtes Kind« wahrgenommen zu werden (»Ich kann mich jetzt
nicht mit dir beschäftigen. Geh in dein Zimmer.« Oder: »Wer lügt
denn bitte seiner Mutter ins Gesicht? Was stimmt denn mit dir
nicht?«), ist daher für ein Kind die größte Bedrohung überhaupt. Was
wir als Lügen sehen und bezeichnen, ist häufig nur ein
Schutzmechanismus des Körpers. Es geht also nicht um
»Manipulation«, sondern um Selbstverteidigung.
Der dritthäufigste Grund, weshalb Kinder lügen, ist, dass sie ihre
Unabhängigkeit bewahren wollen. Wir alle – Kinder ebenso wie
Erwachsene – haben das grundsätzliche Bedürfnis, uns selbst zu
spüren, zu wissen, wer wir sind und dass wir ein Recht darauf haben,
hier zu sein. Daher werden wir nicht gerne kontrolliert. Das fühlt sich
so an, als würde uns die andere Person nicht als eigenständigen
Menschen wahrnehmen. In solch einem Szenario rebellieren alle
Menschen, selbst wenn ihnen das schadet. Sie brauchen einfach
dieses kleine Stück Leben, das sie als ihr ureigenstes betrachten.
Kinder jeder Altersgruppe haben das Bedürfnis, dass ein Teil ihres
Lebens nichts mit den Eltern zu tun hat, damit sie das Gefühl der
Souveränität bewahren können. Manche Kinder greifen zur Lüge als
wesentlicher Strategie, um dieses grundsätzlich menschliche
Bedürfnis zu befriedigen. Wenn ein kleines Kind, das in einer Familie
mit strengen Ernährungsregeln aufwächst, sich einen Keks holt, weiß
es um seine Selbstständigkeit. Wenn eine Teenagerin, die schulisch
massiv unter Druck steht, aufhört, für ihre Prüfungen zu lernen, weiß
sie, dass sie von ihren Eltern unabhängig ist. Wenn Kinder in solchen
Fällen lügen – »Ich habe den Keks nicht genommen.« Oder: »Ich
habe schon gelernt!« –, halten sie damit an diesem Teil ihres Lebens
fest, in dem sie sich ganz als sie selbst fühlen. Natürlich reagieren
Eltern dann häufig mit vermehrter Kontrolle, was die Motivation zum
Lügen verstärkt.
Das Interessante an solchen »Teufelskreisen« ist aber: Sobald wir
die Dynamik dahinter kennen, wissen wir, wie wir sie verändern
können. Wenn wir den Teufelskreis »kindliche Lüge/elterliche
Kontrolle« durchbrechen wollen, fangen wir (nicht gerade
überraschend) am besten mit Verbundenheit an. Sprechen Sie Ihr
Kind in einem ruhigen Moment an: »Ich würde dir gerne mehr
Eigenständigkeit lassen. Ich weiß ja, dass es nicht so toll ist, wenn
man als Kind so wenig über sein Leben bestimmen kann. Aber wo
sollen wir da anfangen? Welche Dinge würdest du gern mehr selbst
entscheiden?« Hören Sie jetzt gut zu, dann wissen Sie, wo Sie
ansetzen können.
Bevor wir uns nun mit entsprechenden Strategien beschäftigen,
möchte ich noch einen Punkt klarstellen. Eltern konzentrieren sich
häufig darauf, eine bestimmte Lüge »aufzudecken«. Wenn es um den
Umgang mit Kindern geht, die gerne lügen, versuche ich, die Wahrheit
in der Zukunft zu fördern, statt jetzt »Geständnisse« zu bekommen.
Die hier vorgestellten Maßnahmen werden Ihr Kind nicht dazu
bringen, dass es zugibt: »Ja, ich habe gelogen! Es stimmt!« Das ist
nicht unser Ziel. Es geht vielmehr darum, das heimische Umfeld so zu
gestalten, dass Ihre Kinder Sie als sicheren Erwachsenen erleben,
der mit ihren Erfahrungen fertig wird. Das heißt: Wir atmen erst
einmal durch und schlucken unseren Stolz hinunter, wenn wir mit einer
Lüge konfrontiert sind – wir lassen den Moment vorübergehen, ohne
ein Geständnis zu verlangen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf
das langfristige, wichtigere Ziel. Ich verspreche Ihnen, es lohnt sich.
Die Strategien
Betrachten Sie die Lüge als Wunsch
Eine Lüge als Wunsch zu betrachten, erlaubt uns, weiterhin das
Gutsein unseres Kindes zu sehen – und das ist ein entscheidender
Punkt, wenn es um den Umgang mit Lügen geht. Damit ändert sich
die Richtung des Gespräches, weil sich mehr Alternativen auftun als
nur »Wahrheit« und »Lüge«. Es gibt nämlich noch einiges
dazwischen. Wenn Sie diese Grauzone wahrnehmen und ansprechen
können, entschärfen Sie die Situation und schaffen Voraussetzungen
für mehr Verbundenheit mit Ihrem Kind. Wenn Ihr Kind sagt: »Ich war
auch schon in Florida«, könnten Sie antworten: »Hmm … Vermutlich
hättest du gerne die Ferien in Florida verbracht. Das klingt so schön
sonnig und warm. Was könnten wir wohl alles anfangen, wenn wir
tatsächlich dort Ferien machen würden?« Sagt Ihre Tochter: »Ich
habe den Klötzchenturm meiner Schwester nicht umgeworfen. Er ist
einfach eingestürzt«, dann reagieren Sie vielleicht so: »Du wünschst
dir jetzt wahrscheinlich, der Turm wäre nicht umgefallen …« Oder:
»Ich mache manchmal auch Dinge, von denen ich mir später
wünsche, ich hätte sie nicht getan. Es ist nicht leicht, wenn so etwas
passiert.« Die Lüge als Wunsch zu betrachten heißt, dass wir uns auf
die Seite unseres Kindes stellen und es nicht als Feind sehen. Dieser
Perspektivwechsel ändert das ganze Klima und führt dazu, dass Ihr
Kind mit größerer Bereitwilligkeit wieder die Wahrheit sagt.
Ängste
Die fünfjährige Blake hat Angst vor Feuer. Wenn bei einer
Geburtstagsfeier die Kerzen auf dem Kuchen angezündet werden,
fängt sie an zu weinen. Häufig liegen zwischen Gelassenheit und
Panik nur wenige Sekunden. Einmal war ihre Familie mit Freunden
beim Campen. Als Blake an der Hand ihres Vaters zu den Zelten
zurückkam, sah sie, dass die andere Familie ein großes Lagerfeuer
gebaut hatte. Leo, Blakes Vater, sagt ihr immer wieder, dass sie
sicher sei und man aufpassen werde, damit das Feuer nicht zu groß
wird. Er erklärt, dass ein Lagerfeuer Spaß mache und sie sich
davor nicht fürchten müsse. Aber Blake klammert sich an ihren
Vater und schreit aus vollem Hals. Leo ist frustriert und weiß nicht,
wie er damit umgehen soll.
Die Strategien
Steigen Sie mit ins Loch
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hätte vor irgendetwas Angst. Das kann
eine vergleichsweise harmlose Sache sein, wie eine
Geburtstagsfeier, oder etwas Schwierigeres, wie der Tod eines
Verwandten. Nun malen Sie sich aus, wie Ihr Kind in einem Loch im
Boden sitzt. Das Loch ist die Angst. Ihr Kind steckt mittendrin in
dieser unangenehmen Empfindung. Wir wollen unseren Kindern das
Gefühl geben, dass wir mit ihnen in das Loch steigen und ihnen
Gesellschaft leisten – und nicht versuchen, sie herauszuholen. Wenn
wir das tun, geschehen zwei wichtige Dinge: Unser Kind fühlt sich
nicht mehr allein, und wir zeigen ihm, dass das, was es so sehr
fürchtet, uns nicht angsterregend erscheint, denn sonst würden wir
uns ihm ja nicht anschließen. Nehmen wir an, Ihr Kind fürchtet, dass
Sie am nächsten Morgen vielleicht nicht mehr da sein könnten, obwohl
Sie es noch nie zurückgelassen haben, ohne ihm genau zu sagen,
wann Sie wiederkommen. Schieben Sie die Logik einmal zur Seite
und ab ins »Loch«: »Wenn du abends ins Bett gehst, hast du also
Angst, dass ich am Morgen nicht mehr da bin? Das ist wirklich eine
schreckliche Vorstellung …« (Das Kind aus dem Loch zu holen, hört
sich hingegen so an: »Liebes, du musst dir darüber keine Sorgen
machen. Ich bin doch noch nie weggegangen, ohne dir Bescheid zu
sagen.«)
Trockenübungen
Eltern wollen häufig nicht mit ihrem Kind über die Situationen
sprechen, die ihm Angst machen. Wir versuchen, nicht darüber
nachzudenken, und hoffen inständig, dass unser Nachwuchs seine
Ängste vergisst oder dass es beim nächsten Mal anders sein wird.
Aber glauben Sie mir: Diese Art der Verdrängung verstärkt die Angst
nur. Wenn wir ein Gespräch über das Problem vermeiden, schließt
unser Kind daraus, dass diese Situation auch uns Angst macht.
Trockenübungen hingegen geben Eltern die Möglichkeit, zu zeigen,
dass wir eine herausfordernde Situation für handhabbar halten. Und
unsere Kleinen können üben, wie sie im »Ernstfall« reagieren. Solche
Trockenübungen helfen Kindern, sich auf bestimmte Situationen
vorzubereiten: auf Momente der Trennung, Arztbesuche, Sportfeste,
Spielnachmittage, Vorlesen in der Klasse … Wenn ich recht überlege,
gibt es fast keine Stresssituation, die sich durch eine Trockenübung
nicht besser bewältigen ließe. Sie können die Situation direkt mit dem
Kind üben oder mit Kuscheltieren. Letzteres ist vor allem bei kleinen
Kindern hilfreich, wenn sie keine Lust zum Rollenspiel haben. Oder für
Kinder, die die angsteinflößende Situation eben nicht durchspielen
wollen.
Eine Trockenübung für den Moment der Trennung könnte zum
Beispiel so aussehen: »Am Montag ist dein erster Schultag.
Überlegen wir doch gemeinsam, wie wir uns verabschieden wollen,
und dann lass uns das ein paarmal üben, damit unser Körper für den
Moment bereit ist.« Dann üben Sie ein knappes Szenario ein. Spielen
Sie durch, wie Sie weggehen oder tief durchatmen. Geben Sie dem
Kind ein Mantra, für den Fall, dass es traurig ist. Selbst wenn Ihr Kind
dabei Anzeichen von Stress zeigt: Die Übung macht das Kind nicht
ängstlicher. Es lernt vielmehr, die schwierige Situation zu meistern.
Die Trockenübung für den Arztbesuch mithilfe von Plüschtieren
könnte sich so gestalten: Sie haben einen Teddybären, Ihre Tochter
ein Einhorn. Sie, als Teddy, sagen: »Hallo, Einhorn. Willkommen beim
Doktor! Du und deine Mutter könnt jetzt in den Behandlungsraum
kommen.« Und dann gehen Sie den Arztbesuch in eben der Form
durch, in der er sich abspielen wird. Vielleicht probieren Sie das auch
aus. (»Okay, Einhorn! Jetzt setzt du dich auf Mamas Schoß, während
ich in dein Ohr gucke und nachschaue, ob da auch alles in Ordnung
ist! Kannst du mal ganz still halten, liebes Einhorn? Super machst du
das!«)
Die Strategien
Was tut sich in Ihrem Innersten?
Auf Schüchternheit ihrer Kinder reagieren viele Eltern mit überholten
Mustern, vor allem, wenn sie selbst eher extravertiert sind oder in
einer Familie aufwuchsen, in der Aktivsein immer mehr zählte als
Innehalten. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind sei das einzige in einer
munter spielenden Kinderschar, das lieber auf dem Schoß der Mama
sitzt. Nehmen Sie wahr, wie Sie sich mit diesem Gedanken fühlen?
Würden Sie das Kind am liebsten absetzen? Es gibt hier keine
unangemessenen Impulse – es geht einzig darum, Informationen zu
sammeln. Also denken Sie daran: »Zu merken, dass ich bestimmte
Gefühle habe, macht mich nicht zu einer schlechten Mutter. Alle
Gefühle sind erlaubt, was ich meinen Kindern ja auch immer sage.
Meine eigenen Auslöser zu kennen, hilft mir, meine Erfahrung und die
meines Kindes auseinanderzuhalten.«
Wenn Sie merken, dass die Ängstlichkeit, die Schüchternheit und
Anhänglichkeit Ihres Kindes Sie irritieren, erinnern Sie sich, dass
diese Haltung des Kindes, sich nicht sofort einer Gruppe
anzuschließen, etwas sein kann, das sie später einmal an ihm
bewundern werden. Wie wäre es mit einer 180-Grad-Wendung Ihrer
Wahrnehmung seiner Zurückhaltung: »Mein Kind weiß, wer es ist. Es
weiß, womit es sich wohlfühlt und womit nicht, und stellt sich dem
Gruppenzwang entgegen. Das ist echt mutig, beeindruckend und
selbstbewusst!«
Bestätigen und »Wann immer du so weit bist«
Wenn Ihr Kind schüchtern ist, sollten Sie es zuerst in seinen Gefühlen
bestätigen, statt diese mit Argumenten wegzaubern zu wollen. Gehen
Sie davon aus, dass sein Zögern einen Grund hat, auch wenn Sie
diesen zunächst nicht verstehen. Sie helfen Ihrem Kind, sich in seiner
Haut wohlzufühlen, wenn Sie die Gefühle hinter seiner Zurückhaltung
für berechtigt erklären. Und das ermöglicht ihm wiederum ein
breiteres Spektrum an Reaktionen. (Erwachsenen geht es da nicht
anders.)
Zu diesem Zweck gibt es eine Art Zauberspruch: »Wann immer du
so weit bist …« Dieser Satz zeigt Ihrem Kind, dass Sie ihm vertrauen,
was wiederum sein Selbstvertrauen stärkt. Und Selbstvertrauen ist
für unser Selbstbewusstsein essenziell. Gleichzeitig enthält der Satz
aber auch den Hinweis, dass etwas in Bewegung ist – und dass Ihr
Kind sich irgendwann wieder wohlfühlen wird. Wir möchten unseren
Kindern ja beibringen, dass sie selbst ihre Gefühle am besten
beurteilen können, denn das versetzt sie in die Lage, gute
Entscheidungen zu treffen. Wenn Ihr Kind beim Stadtteilfest nicht mit
den Nachbarn reden will, dann hört sich Ihre Strategie vielleicht so an:
»Sieht aus, als bräuchtest du ein paar Minuten. Lass dir ruhig Zeit. Du
weißt ja selbst, wann du so weit bist.« Oder wenn der Gedanke, auf
einer Geburtstagsfeier zu tanzen, Ihr Kind nervös macht, könnten Sie
sagen: »Du warst ja noch nie hier. Es ist okay, wenn du erst gucken
willst. Bleib dabei ruhig in meiner Nähe. Und wann immer du so weit
bist …«
Was aber, wenn Ihr Kind nie so weit ist? Dann denken Sie jetzt
vielleicht: »Genau das mache ich doch seit einer Ewigkeit, und
trotzdem versteckt sich meine Kleine immer hinter mir, sobald wir
Leute treffen, und weigert sich, sich anderen anzuschließen.« Das
heißt nicht, dass Sie beim Anwenden dieser Strategie etwas »falsch«
machen. Erinnern wir uns an die weitherzigste Sicht: Ein Kind, das
immer an der Seitenlinie bleibt und uns immer am Rockzipfel hängt,
fühlt sich erstarrt, ängstlich und absolut nicht in seinem Element.
Vielleicht braucht es einfach eine Pause, was größere Gruppen
angeht. Sie »bestärken« es damit nicht in seiner Schüchternheit,
sondern holen Ihr Kind dort ab, wo es gerade ist. In dieser Situation
bieten sich zusätzliche Hilfestellungen an: Um ihm seine Schamgefühle
ein wenig zu nehmen, können Sie ihm erzählen, dass Sie als Kind
selbst Trennungsängste hatten. Sie können es auch »emotional
impfen«, indem Sie vorab über die Gefühle reden, die in solchen
Momenten auftreten können. Und Sie können es vorbereiten (siehe
unten).
Etikettierungen vermeiden
Unsere Kinder reagieren immer auf die Version ihrer selbst, die wir
ihnen spiegeln. Wenn wir Kindern Etiketten aufkleben wie: »Sie ist
eben schüchtern.« oder: »Er redet nicht gerne mit Erwachsenen. Er
ist immer recht zurückhaltend«, dann sperren wir sie in festgelegte
Rollenmuster, die jeden Wandel schwierig machen. Statt dem Kind
einen Stempel aufzudrücken, sollten Sie ihm lieber eine weitherzige
Interpretation seines Verhaltens bieten, vor allem, wenn andere
Menschen es in eine bestimmte Schublade stecken wollen. Wenn ein
Verwandter sagt: »Aisha, warum bist du nur so schüchtern?«, atmen
Sie kurz durch und schalten sich dann ein: »Aisha ist nicht schüchtern.
Sie überlegt nur, was sie tun will und was nicht, was ja gut ist. Sie
wird schon erzählen, wie es ihr in der Schule gerade geht, wenn sie
so weit ist.« Legen Sie Ihrer Tochter dabei ruhig die Hand auf die
Schulter, damit sie weiß, dass Sie auf ihrer Seite sind.
Mangelnde Frustrationstoleranz
Braeden ist vier Jahre alt und tüftelt an einem zwölfteiligen Puzzle.
Sein Vater Ethan sitzt daneben. Braeden hat drei Stücke
aneinandergefügt, mit dem vierten hat er Schwierigkeiten. Ethan,
der seinen Sohn beobachtet, sagt enttäuscht: »Braeden, dieses Teil
kannst du jetzt noch nicht brauchen. Siehst du denn nicht, dass es
nicht passt, nicht mal farblich?« Braeden schaut seinen Vater an,
wirft das Puzzleteil weg und sagt: »Ich bin so schlecht im Puzzeln.
Ich hasse Puzzles!« Einige Tage später in meiner Praxis erzählt
Ethan mir, dass Braeden seine Sache immer ganz gut macht, bis
irgendetwas nicht klappt. Dann lässt er das Ganze sein oder
besteht darauf, dass seine Eltern ihm helfen.
Die Strategien
Tief ein- und ausatmen
Wenn wir uns frustriert fühlen, ist es das Beste, erst einmal tief
durchzuatmen. Tiefe Atemzüge beruhigen unser Nervensystem, und
das ist nötig, damit wir Zugriff auf alle anderen
Bewältigungsstrategien haben. Wenn Sie sehen, wie Ihr Kind
allmählich frustriert wird, sagen Sie ihm nicht, dass es erst einmal tief
durchatmen soll. Machen Sie es vor! Wenn Ihr Dreijähriger genervt
ist, weil er vergebens versucht, Essen auf die Gabel zu bekommen,
richten Sie Ihren Blick nicht auf ihn, atmen aber hörbar ein paar Mal
tief durch. Wenn Ihre Sechsjährige es einfach nicht schafft, die
Buchstaben des Alphabets richtig auszusprechen, atmen Sie in ihrer
Gegenwart tief ein und aus. Vergessen Sie nicht: Unsere Kinder
lernen die Selbstregulierung, indem wir sie co-regulieren. Tief ein- und
auszuatmen macht dem Kind klar, dass es auch in der Frustration
Zugang zu Ruhe und Sicherheit hat. Und das tiefe Atmen erdet
letztlich auch uns, was heißt, dass wir weniger genervt sind oder alte
Verhaltensmuster ausagieren.
Mantras
Ich bin ein großer Fan von Mantras. Sie geben uns für Augenblicke
und Gefühle, die sich überwältigend anfühlen (wie Momente der
Frustration), etwas Kleines, Handhabbares, auf das wir uns
konzentrieren können. Kindern helfen sie, mit beiden Beinen auf dem
Boden zu bleiben. Aber statt dem Kind ein Mantra aufzudrücken, das
es rezitieren soll, stellen Sie es lieber als etwas vor, das Sie selbst
einmal gelernt haben und jetzt weiterreichen. Zum Beispiel: »Mit
sechs war ich immer total frustriert, wenn mir etwas zu schwer war!
Das war ganz furchtbar! Aber ich weiß noch genau, was mein Vater –
ja, genau, dein Opa Harry! – gesagt hat. Er hat gesagt, wenn ihm
einmal alles zu viel ist, dann legt er sich die Hand aufs Herz, atmet tief
ein und sagt zu sich selbst: ›Das fühlt sich schwer an, weil es schwer
ist, nicht weil ich etwas falsch mache.‹ Und das habe ich mir dann
auch gesagt! Vielleicht magst du es auch mal ausprobieren, das wäre
richtig cool … Ich weiß, es hört sich doof an, aber es hilft wirklich. Ich
zeig’s dir …« Bei jüngeren Kindern könnte das Mantra lauten: »Ich
kann das.« Oder: »Ich mag Herausforderungen.« Und: »Ich kann
auch schwierige Sachen.« Beziehungsweise: »Das ist schwierig, aber
ich mache jetzt einfach weiter.«
Sobald Sie Ihre Werte aufgeschrieben haben, reden Sie des Öfteren
darüber, vor allem wenn Sie einen »Fehler« machen oder etwas nicht
wissen. Ich wiederhole den Wertekanon eines flexiblen Selbstbilds
gerne beim Kochen. (»Mist … Ich glaube, ich habe dieses Rezept
versemmelt! Nun, es war ja ganz neu, und ich habe es noch nie
gemacht. Aber in unserer Familie schätzen wir Herausforderungen.
Und ich weiß jetzt, wie ich es beim nächsten Mal besser machen
kann. Also gar nicht so schlecht, das Ganze!«) Ein Kind erlebt
Frustration häufig so, dass es sich »allein« und »nicht gut genug«
fühlt. Je mehr Sie es also an Ihren eigenen Kämpfen teilhaben lassen
und die Frustrationstoleranz vorleben, die Sie ihm vermitteln wollen,
desto eher wird Ihr Kind diese Haltung verinnerlichen.
Satters Methode ist deshalb so gut, weil sie nicht nur zu gesunden
Ernährungsgewohnheiten, sondern auch zu Selbstregulierung,
Selbstbewusstsein und Einverständnis führt und viele andere positive
Effekte hat.
Ihnen ist vielleicht aufgefallen, dass sich Satters Aufteilung der
Verantwortlichkeiten recht ähnlich anhört wie die in Kapitel 3
vorgestellte Verteilung der familiären Aufgaben. So, wie ich glaube,
dass Familiensysteme besser funktionieren, wenn jeder seine Rolle
kennt, ist Satter davon überzeugt, dass sich eine gesunde Beziehung
zum Essen und zum eigenen Körper dann einstellt, wenn jedes
Familienmitglied seine Rolle kennt und »bei dieser bleibt«. Satters
Ansicht nach sind Eltern für die Grenzen rund ums Essen
verantwortlich – also für das Was, Wo und Wann. Sie betreten die
Bühne als Erste. Sie treffen die grundlegenden Entscheidungen und
bestimmen Alternativen ebenso wie Grenzen. Danach geht die
Verantwortung auf das Kind über. Stellen Sie sich die elterliche Rolle
vor wie ein Gefäß – Sie legen die äußeren Grenzen fest, aber
innerhalb des Gefäßes darf das Kind ausprobieren, was es will, und
sich selbst ausdrücken. Sie wissen ja, was ich über die Rolle der
Kinder im Familiensystem sage: sich ausprobieren und Gefühle
ausdrücken. In Satters Modell drücken die Kinder sich durch ihre
Essensentscheidungen aus – was kommt in meinen Mund rein, was
schlucke ich, wie viel esse ich wovon und was lasse ich übrig.
Was ich an Satters Aufteilung der Verantwortung gut finde: Sie
ermöglicht Eltern, sich in ihrer Rolle gut zu fühlen, egal, was das Kind
isst oder nicht. Die Eltern können sich immer sagen: »Meine Aufgabe
ist das Was, Wann und Wo. Habe ich meine Aufgabe gut gemacht?
Nun, ich habe Hähnchen, Nudeln und Brokkoli auf den Tisch gebracht.
Ich habe entschieden, dass wir um 17.30 Uhr essen, und zwar am
Küchentisch. Also ja, ich habe meine Aufgabe gut gemacht!«
Natürlich werden sich die Eltern fragen: »Unser Sohn hat nur die
Nudeln gegessen … Wieso nur mag er kein Gemüse? Mache ich
etwas falsch?« Aber an dieser Stelle sollten die inneren Alarmglocken
schrillen: »Aber das ist die Aufgabe meines Kindes! Diese
Entscheidung muss es selbst treffen. Daher werde ich wieder zu
meiner Rolle zurückkehren. Ich werde weiterhin meine Aufgabe
erledigen und meinem Kind vertrauen, dass es die seine ausführt …
Ich mache meinen Job also gut.«
Der wichtigste Gedanke rund um die kindliche Ernährung ist
zweifellos dieser: Ängste ums Essen zu lindern ist wichtiger als die
Frage, was gegessen wird. Gibt es zu dieser Regel Ausnahmen?
Natürlich. Wenn Ihr Kind gesundheitliche Probleme hat oder ein Arzt
Sie auf eine problematische Entwicklung anspricht, dann ist das eine
besondere Situation. Doch selbst dann sollten Sie darauf achten, wie
sich Ihr Kind beim Essen fühlt. Der Mittagstisch ist nur ein weiterer
Ort, an dem wir das Verhalten unserer Kinder (während des Essens)
als Fenster betrachten können, das uns einen Blick auf seine Gefühle
erlaubt. Wie immer brauchen Kinder Eltern, die Grenzen setzen und
die ihre Individualität akzeptieren, sodass sie sich ausprobieren und
gedeihen können. Vergessen Sie nicht: Kinder dürfen so wenig selbst
entscheiden. Manchmal ist das Einzige, was sie kontrollieren können,
das, was sie in ihren Körper aufnehmen. Essen und Aufs-Töpfchen-
Gehen sind Bereiche, in denen Eltern ihr Kontrollbedürfnis wirklich
herunterfahren und den Kindern damit die Freiheit geben sollten, die
sie brauchen.
Die Strategien
Mantras
Ich habe ja schon erwähnt, dass Mantras Kindern helfen, mit beiden
Beinen auf dem Boden zu bleiben, wenn sie unruhig sind. Aber das
gilt auch für Eltern. Wenn Sie wissen, dass das Essen mit Ihren
Kindern ein schwieriges Thema für Sie ist oder dass Sie die Kontrolle
darüber nicht aufgeben möchten, dann wählen Sie ein Mantra,
welches Sie an Ihre Aufgaben erinnert. Zum Beispiel: »Meine einzige
Aufgabe ist das Was, Wann und Wo. Ich schaffe das. Ich kann das.«
Oder: »Was mein Kind isst, ist nicht so wichtig. Ich erledige meine
Aufgabe gut. Meinem Kind wird es gutgehen.« Oder: »Was mein Kind
isst, sagt nichts darüber aus, wie gut ich meine Aufgabe als Vater
mache.«
Erinnern Sie sich an die Wahrheit: »Ich weiß, dass mein Kind
etwas von den Dingen mag, die ich auf den Tisch gebracht
habe. Das ist vielleicht nicht gerade sein Lieblingsessen, aber
eine gute Alternative. Meine Aufgabe ist es, solche Sachen auf
den Tisch zu bringen. Die seine, zu entscheiden, was davon es
essen will. Das ist vielleicht im Moment nicht schön, aber wir
erledigen beide nur unsere Aufgabe.«
Vergessen Sie nicht, dass Sie die Zustimmung Ihres Kleinen
nicht brauchen: »Mein Kind muss mir nicht zustimmen.«
Erlauben Sie Ihrem Kind, sich aufzuregen: »Es ist in Ordnung,
wenn du wütend bist.«
Benennen Sie den Wunsch: »Du hättest lieber … zum
Mittagessen als …« Oder: »Du wünschst dir, du könntest allein
entscheiden, was wir zu Mittag essen.«
Trennen Sie den Protest von Ihrer Entscheidung: »Der Protest
meines Kindes heißt nicht, dass ich eine schlechte Entscheidung
getroffen habe. Und er bedeutet nicht, dass ich als Elternteil
schlecht oder gefühlskalt bin.«
Erinnern Sie sich und Ihr Kind an Ihre Aufgabe: »Meine Aufgabe
als Elternteil ist es, Entscheidungen zu treffen, von denen ich
denke, dass sie gut für dich sind, auch wenn sie dir nicht
gefallen.«
Körperliche Selbstbestimmung
Die vierjährige Kiki und ihr siebenjähriger Bruder Lex besuchen die
Großeltern. Als sie ankommen, umarmt der Großvater Lex und
wendet sich dann Kiki zu. Kiki läuft weg und sagt: »Nicht umarmen!«
Ihr Großvater geht ihr nach und sagt: »Ich habe dich monatelang
nicht gesehen! Lass dich doch von deinem Opa knuddeln! Ich bin
traurig, wenn du das nicht machst. Willst du, dass der Opa traurig
ist, Kleines?« Tasha, Kikis Mutter, ist genervt und hat gleichzeitig
Schuldgefühle. Ihr Vater wirkt wirklich verletzt, und ihre Tochter
macht keine Anstalten, das wiedergutzumachen. Tasha weiß nicht,
was sie machen soll.
Wiederholen Sie zusammen mit mir diese Worte: »Ich bin der einzige
Mensch in meinem Körper. Ich bin der einzige Mensch, der weiß, was
ich will, wozu ich bereit bin und was sich für mich richtig anfühlt.«
Und weiter: »Ich bestimme über meinen Körper. Ich bin bestimmte
körperliche Grenzen. Ich bestimme, wer mich berührt, wann mich
jemand berührt und wie lange. Wenn ich heute etwas mag, kann es
sein, dass ich es morgen nicht mehr will. Von manchen Menschen
mag ich berührt werden, von anderen nicht. Ich bin die einzige
Person, die diese Entscheidungen treffen kann.«
Und noch etwas: »Es wird Zeiten geben, in denen ich für mich
eintreten und das tun werde, was sich für mich richtig anfühlt.
Anderen Menschen wird das vielleicht nicht gefallen, und sie werden
dagegen protestieren. Sie werden darüber reden, was sie von mir
wollen, und nicht respektieren, wenn ich ihnen sage, was sich für
mich gut anfühlt. Es ist nicht meine Aufgabe, andere Menschen
glücklich zu machen. Ihr Unbehagen ist ein Gefühl in ihrem Körper.
Ich bin nicht daran schuld, und es liegt auch nicht in meiner
Verantwortung, dieses Gefühl abzustellen.«
Pause. Achten Sie darauf, wie Ihr Körper auf diese Aussagen
reagiert. Was spüren Sie? Passen diese Sätze zu dem, was Sie in
der Kindheit gelernt haben? Passen sie zu dem, wie Sie heute
Entscheidungen treffen, die Ihren Körper betreffen? Oder zu dem,
wie Sie dieses Thema als Kind, Teenager oder junger Erwachsener
gehandhabt haben? Bevor wir über Fragen der körperlichen
Selbstbestimmung unserer Kinder nachdenken können, müssen wir
uns erst einmal darüber klar werden, wie wir in Bezug auf unseren
eigenen Körper zu diesen Fragen stehen und was sie in uns auslösen.
Wie wir das Thema körperliche Selbstbestimmung handhaben – das
Konzept, dass jeder Mensch das Recht auf volle Kontrolle über
seinen Körper hat –, beeinflusst zwangsläufig auch unsere Kinder. Die
Vorstellung, dass Sie über Ihren Körper selbst bestimmen dürfen,
haben Sie nicht aus Büchern oder aus dem Klassenzimmer. Sie
haben sie vielmehr durch Ihre frühkindlichen Erfahrungen verinnerlicht,
nämlich dadurch, ob Sie eben das Gefühl hatten, über Ihren Körper
selbst bestimmen zu dürfen oder nicht. Letztlich geht es hier um eine
einzige Frage. Und die Antwort darauf lernen Kinder nicht durch das,
was wir sagen, sondern durch unsere Reaktion auf heikle Situationen.
Die Frage lautet: »Habe ich das Recht, zu anderen Nein zu sagen,
auch wenn ich sie dadurch verärgere?«
Ich persönlich möchte, dass zum Sprachschatz meiner Kinder auch
Worte gehören wie »Nein«, »Ich mag nicht« oder »Hör auf«. Ich
wünsche mir außerdem, dass sie etwas noch Wichtigeres
beherrschen: die Fähigkeit, diese Worte auch zu gebrauchen. Wo
liegt da nun der Unterschied? Nun, spätestens wenn unsere Kinder
die Pubertät erreicht haben, beherrschen sie natürlich Worte wie
»Nein« oder »Ich mag nicht«. Doch das nötige Selbstbewusstsein,
diese Grenze auch tatsächlich zu ziehen, entsteht aus ihren
frühkindlichen Erfahrungen mit uns. Es hängt davon ab, ob wir sie
ermutigt haben, auf ihren Körper zu hören, um herauszufinden, womit
sie sich wohlfühlen. Oder ob wir sie eher dazu angehalten haben,
diese Gefühle beiseitezuschieben, um andere Menschen nicht vor den
Kopf zu stoßen.
Hierbei geht es mir um mehr als nur die Frage, ob unsere Kinder
selbst entscheiden dürfen, ob sie ihre Großeltern umarmen wollen
oder nicht. Kikis Fall ist ein Paradebeispiel, weil er für den Konflikt
zwischen »anderen gefallen« und »auf die eigenen Körpersignale
hören« steht. Aber es gibt durchaus andere Momente, in denen wir
die Schaltkreise für körperliche Selbstbestimmung anlegen. Wenn ein
Kind nicht zur Geburtstagsfeier gehen will, wenn es sich über einen
gut gemeinten Witz aufregt oder nach einem mageren Abendessen
meint, es sei satt, oder wenn es sich im dunklen Keller fürchtet – all
diese Augenblicke bestimmen, inwieweit Kinder körperliche
Selbstbestimmung verinnerlichen.
Vergessen Sie nicht, dass Kinder ständig unausgesprochene Fragen
stellen. Eine dieser Fragen lautet: »Kenne ich die Signale in meinem
Körper besser als alle anderen, oder haben die anderen recht, wenn
sie mir sagen, was in mir vorgeht? Erkenne ich die Signale meines
Körpers richtig, oder muss ich mich auf andere verlassen, um sie zu
verstehen?« In den folgenden Beispielen können Eltern entweder so
reagieren, dass beim Kind die Schaltkreise für ein klares Nein bzw.
ein Einverständnis gelegt werden, oder auf eine Art, die ihr Kind auf
Selbstzweifel programmieren.
Die Strategien
»Ich glaube dir.«
Schaltkreise für Selbstbestimmung aufzubauen ist gleichbedeutend
mit Schaltkreisen für Selbstvertrauen. Wenn Kinder sich und ihren
Gefühlen nicht vertrauen, glauben sie auch nicht, dass sie fähig sind,
persönliche Entscheidungen zu treffen. Wenn Ihre Tochter Ihnen sagt,
dass ihr kalt ist, obwohl Sie sich in der Wohnung wohlfühlen, glauben
Sie ihr einfach: »Dir ist kalt? Das glaube ich dir. Sollen wir gucken,
was wir dagegen unternehmen können?« Wenn Ihr Sohn nicht
gekitzelt werden will, dann akzeptieren Sie das: »Alles klar. Du magst
das Kitzeln nicht. Das glaube ich dir. Ich freue mich, dass du mir
Bescheid sagst, und ich mache es auch nicht mehr.« Wenn Ihr Kind
sagt, dass es bei einem bestimmten Zeichentrickfilm Angst hat, dann
glauben Sie ihm: »Das macht dir Angst, hmm? Ich glaube dir.«
»Irgendetwas an …«
Manchmal wissen wir nicht, was in unserem Kind vorgeht – wir sehen
zwar, dass es sich nicht wohlfühlt, haben aber keine Ahnung, warum
das so ist. Vielleicht regt sich Ihr Kind über das rote T-Shirt auf,
obwohl Rot eigentlich seine Lieblingsfarbe ist. Oder Ihre Tochter ist
geknickt, weil Sie zur Arbeit gehen, obwohl Sie das in den neun
Jahren, die sie nun schon auf der Welt ist, fast jeden Tag getan
haben. In solchen Augenblicken spricht man den Gefühlen des Kindes
häufig ihre Berechtigung ab oder versucht, ihm Gefühle einzureden,
die es nicht hat. Und man wirft gerne mit all den Worten um sich, von
denen ich Ihnen oben empfohlen haben, sie aus Ihrem Wortschatz zu
streichen. Ich setze dann immer auf: »Irgendetwas an …«, denn
damit können Sie Ihrem Kind sagen, dass Sie ihm glauben und seine
Erfahrung für berechtigt halten, auch wenn Sie nicht genau wissen,
was gerade in ihm vorgeht. Zum Beispiel: »Irgendetwas an diesem
roten T-Shirt gefällt dir nicht …« Oder: »Irgendetwas an unserer
Verabschiedung fühlt sich heute für dich nicht gut an …« Nur weil Sie
die Erfahrung Ihres Kindes nicht verstehen, heißt das nicht, dass
diese nicht real ist. »Irgendetwas an …« hilft Ihnen, diese Kluft zu
überwinden.
Weinen
Abdullah, Vater des siebenjährigen Yusuf, hat eben per E-Mail
erfahren, dass sein Sohn nicht in die Baseballmannschaft seiner
Schule aufgenommen wurde. Abdullah sagt zu Yusuf: »Mein Schatz,
du hast es nicht in die Schulmannschaft der Großen geschafft. Aber
du bist immer noch im Team der Kleinen. Das ist doch toll, oder?
Dann kannst du mit all deinen alten Freunden spielen.« Abdullah
merkt, dass Yusuf die Tränen kommen. Er weiß nicht recht, was er
sagen soll. Soll er Yusuf besser mit etwas Schönem ablenken, um
ihm die Enttäuschung zu nehmen?
Hier eine kurze Multiple-Choice-Übung. Stellen Sie sich vor, Sie reden
mit einem Freund und merken plötzlich, dass Ihnen die Tränen
kommen. Wie stehen Sie zu Ihren Tränen? Was denken Sie darüber?
Es gibt hier keine richtige oder falsche Antwort. Es geht nur um die
Information. Was registrieren Sie? Stehen Sie Ihren Tränen kritisch
gegenüber? Machen Sie sich Sorgen, wie Ihr Gegenüber reagiert?
Oder verspüren Sie Neugier, Respekt und Mitgefühl?
Wir können viel über unsere persönliche Geschichte lernen, wenn wir
uns bewusst machen, wie wir zu unseren Tränen stehen. Diese
einfache Multiple-Choice-Übung verrät uns, wie in unserer Familie
früher damit umgegangen wurde, wenn uns zum Weinen war. Tränen
sind universell, aber unsere Reaktion darauf ist sehr persönlich und
hängt von den Schaltkreisen ab, die wir als Kinder entwickelt haben.
In unserem Bindungssystem bedeutet Weinen, dass wir emotionale
Unterstützung brauchen, die Verbundenheit mit anderen Menschen.
Das Weinen zeigt uns, wie wir uns fühlen und dass dieses Gefühl
sehr stark ist. Ich stelle mir manchmal vor, dass meine Tränen mit mir
reden: »In dir geht etwas so Bedeutsames vor, dass wir tatsächlich
aus deinen Augen rinnen, nur damit du das endlich bemerkst.« Aber
Tränen sind auch ein sichtbarer Ausdruck der Verletzlichkeit eines
Kindes, und das löst bei den Eltern oft erstaunliche Gefühle aus.
Vergessen wir nicht: Unsere Trigger sagen uns, was wir in der frühen
Kindheit zu verdrängen gelernt haben. Die Scham über das Weinen
wird häufig von Generation zu Generation weitergegeben: Ein Kind
weint, weil es die Hilfe seiner Eltern braucht. Die Eltern reagieren
heftig, weil sie als Kinder gelernt haben, ihre emotionalen Bedürfnisse
für sich zu behalten. Die Eltern reagieren also auf ihr Kind genauso,
wie früher auf sie reagiert wurde. Und so setzt sich der Teufelskreis
der Scham auf ewig fort.
Manchmal aber lösen Kindertränen bei den Eltern auch
Schuldgefühle aus, weil sie glauben, etwas falsch gemacht zu haben.
Ich bin dafür, dass wir die Generation sind, die darunter einen
Schlussstrich zieht. Wir wollen Dreh- und Angelpunkt des Wandels
sein. Dazu müssen wir uns eines merken: »Der Körper lügt nie.
Weinen ist eine Botschaft des Körpers, die uns über seine Gefühle
informiert. Ich muss meine Tränen oder die meines Kindes nicht
mögen … respektieren muss ich sie allerdings.«
Wann immer ich über das Weinen rede, stellt man mir stets die
gleiche Frage: »Aber was ist dann mit künstlichem oder
vorgespieltem Weinen?« Darauf möchte ich gerne ebenfalls mit einer
Frage antworten: Warum bezeichnen wir dieses Weinen als
»künstlich«? An diesem Punkt müssen wir einen Schritt zurücktreten
und uns fragen, wie unsere Sicht der Dinge unsere Gefühle für unser
Kind beeinflusst. Wenn wir von »künstlichem Weinen« reden,
verurteilen wir dieses. Wir gehen auf Distanz zu unserem Kind und
sehen es als manipulativ an oder gar als »Feind«. Das jagt mir einen
Schauder über den Rücken, denn als Eltern sollten wir genau das
Gegenteil tun: Wir sollten auf unsere Kinder mit einer offenen und
mitfühlenden Neugier zugehen, die sich auf die Überzeugung stützt,
dass Kinder (und Erwachsene!) immer mit den Mitteln, die sie haben,
das Bestmögliche tun. Oder anders ausgedrückt: Kinder sind
grundlegend gut …
Was also ist los, wenn sie ihre Emotionen so zugespitzt ausdrücken?
Diese Frage verdient meiner Ansicht nach eine Antwort, weil sie sich
dem Kind voller Offenheit – in einer Haltung der Verbundenheit –
zuwendet, statt es zu verurteilen. So sehen wir unser Kind vielmehr
als Teamkameraden.
Überdenken wir also kurz die Idee »künstlichen« Weinens. Was
würde mich als Erwachsenen dazu bringen, meine Emotionen derart
zu überspitzen? Schließlich passiert das uns allen einmal. Wenn ich
möchte, dass meine Gefühle und Bedürfnisse ernst genommen
werden, und gleichzeitig spüre, dass jemand darauf mit Desinteresse,
Gleichgültigkeit oder Herabsetzung reagiert, dann würde mein Körper
sicher auf einen intensiveren Gefühlsausdruck umschalten. Ich würde
verzweifelt versuchen, akzeptiert und verstanden zu werden. Wenn
wir »künstliches« Weinen vor diesem Hintergrund betrachten, denken
wir weniger über den oberflächlichen Ausdruck nach als über die
zugrunde liegenden unerfüllten Bedürfnisse. Hier helfen Sätze wie:
»Ich merke schon, dass dir jetzt etwas sehr wichtig ist. Mir ist das
auch wichtig, ich bin für dich da.« Oder: »Ich merke schon, wie sehr
dich das belastet. Ich glaube dir ja, ehrlich.« Das heißt noch nicht,
dass Sie in irgendeiner Weise den momentanen Wünschen Ihres
Kindes »nachgeben« müssen. Schließlich wissen wir alle, dass
beides richtig sein kann: Wir setzen eine klare Grenze, gehen aber
trotzdem voller Empathie auf unser Kind zu und bestätigen ihm die
Daseinsberechtigung seiner Gefühle.
Die Strategien
Reden Sie über das Weinen
Reden Sie mit Ihrem Kind über Tränen, aber zu einem Zeitpunkt, an
dem es gerade nicht weint. Vielleicht machen Sie beim Vorlesen eine
Pause, wenn eine der Figuren traurig ist. Dann können Sie
beispielsweise sagen: »Sie sieht traurig aus. Meinst du, sie wird
gleich weinen? Ich weine auch, wenn ich traurig bin, aber nicht immer.
Beides ist in Ordnung.« Oder Sie erzählen von einem Erlebnis, bei
dem Sie geweint haben: »Ich weiß noch, als ich so alt war wie du,
hat Mama mir Geld für den Eismann mitgegeben. Ich wollte unbedingt
Schokoladeneis … aber das war schon aus. ›OH NEIN‹, habe ich
gejammert und angefangen zu weinen. Ich war so enttäuscht.« Damit
nehmen wir dem Weinen die Last der Scham. Wenn Sie Ihrem Kind
erzählen, dass auch Sie wegen Kleinigkeiten geweint haben, fühlt es
sich mit seinen Tränen weniger allein.
Selbstbewusstsein aufbauen
Der sechsjährige Charlie rennt mit seinen Freunden über den
Spielplatz und spielt Fangen. Seine Mutter Clara merkt, dass er
öfter erwischt wird und langsamer ist als seine sportlicheren
Freunde. Sobald seine Freunde fort sind, bricht Charlie in Tränen
aus und sagt zu seiner Mutter: »Die sind alle schneller als ich. Und
ich muss immer raus. Ich bin einfach das langsamste Kind in meiner
Klasse!« Clara findet es schrecklich, ihren Jungen so leiden zu
sehen. Sie fragt sich, ob sie ihm sagen soll, dass er einfach nur
einen schlechten Tag hatte, und ihn daran erinnern soll, dass er
super Schach spielt und künstlerisch begabt ist.
Die Strategien
Führung durch Bestätigung
Wenn wir im Hinterkopf behalten, dass Selbstbewusstsein heißt, zu
»wissen, dass die eigenen Gefühle in Ordnung sind«, können wir
unsere Kinder zu selbstbewussten Menschen erziehen, indem wir
ihnen klarmachen, dass ihre Gefühle real und zu bewältigen sind.
Indem wir diese Gefühle benennen und sie dadurch bestätigen,
zeigen wir unserem Kind, dass seine Gefühle okay sind. Zum Beispiel
so:
Situation: Ihr Sohn sagt Ihnen, dass er traurig war, als Sie sich am
Schultor von ihm verabschiedet haben.
Führung durch Bestätigung: »Du warst traurig, als ich
weggegangen bin? Ja, das kann sich schwierig anfühlen.« (Und
nicht: »Aber der Rest des Tages war doch super, oder?«)
Situation: Ihre Tochter sagt, dass sie nicht zum Fußballtraining
gehen will.
Führung durch Bestätigung: »Irgendwas passt dir am
Fußballtraining gerade nicht, oder? Naja, kann vorkommen.
Überlegen wir doch mal gemeinsam, was das ist?« (Und nicht:
»Aber du spielst doch so gerne Fußball!«)
Perfektionismus
Die sechsjährige Freya besucht die erste Klasse und sitzt gerade
über einer Hausaufgabe: Sie soll in vier Sätzen eine bestimmte
Tätigkeit beschreiben. Aislyn, Freyas Mutter, schaut ihr zu. Freya
schreibt ein Wort aufs Papier, dann sagt sie: »Nein, das wird
anders geschrieben.« Sie streicht das Wort durch, versucht es
wieder, streicht es dann wieder durch.
»Schatz, schreib doch einfach, wie du meinst«, sagt Aislyn zu
Freya. »Die Lehrerin hat doch gesagt, es muss nicht perfekt sein!«
»Ich hasse schreiben!«, sagt Freya. »Und ich mache das nicht,
wenn du mir nicht sagst, wie man die Worte richtig schreibt!«
Aislyn weiß nicht, wie sie ihrer Tochter helfen soll.
Was geht in Kindern vor, bei denen alles zu hundert Prozent richtig
sein muss, die mit einem »gut genug« nicht leben können, die sich
völlig verschließen, wenn die Dinge nicht exakt so laufen, wie sie sich
das vorgestellt haben? Nun, hinter Perfektionismus steckt fast immer
ein Problem mit der Emotionsregulierung. Hinter dem »Ich bin die
schlechteste Malerin auf der ganzen Welt« steht ein Kind, das eine
tolle Vorstellung von dem Bild hat, das es malen möchte, und von
dem realen Ergebnis enttäuscht ist. Hinter dem »Ich bin so doof in
Mathe« verbirgt sich ein Kind, das so gerne kompetent wäre, aber
stattdessen zutiefst verwirrt ist. Hinter dem »Ich habe meine
Mannschaft im Stich gelassen«, steckt ein Kind, das die Momente
nicht sieht, in denen das Spiel gut gelaufen ist, sondern nur den
verschossenen Elfmeter. Bei jedem dieser Beispiele äußert sich die
Enttäuschung – das Auseinanderklaffen von kindlicher
Wunschvorstellung und realem Ergebnis – als Perfektionismus. Und
weil es hier um Emotionsregulierung geht, wird Logik uns nicht
weiterhelfen. Wir können ein Kind nicht davon überzeugen, dass es
wunderschön malt oder dass Mathe für alle schwer ist oder dass der
eine verschossene Elfmeter nichts über seine sportlichen Fähigkeiten
aussagt. Neigt unser Kind zum Perfektionismus, so erfordert das von
uns, dass wir uns die starken, übermächtigen Gefühle ansehen, die
hinter seinem Schwarz-Weiß-Denken, hinter seiner Überzeichnung
der Situation stecken. Nur so dringen wir zum Kern des Problems vor
und können unseren Kindern helfen, die Fähigkeiten zu entwickeln, die
sie brauchen.
Perfektionistische Kinder sind meist auch ausgesprochen unflexibel.
Ihre Stimmungen und Reaktionen spielen sich häufig in Extremen ab.
Ihre Gefühle fahren mit ihnen Achterbahn, und ihr Selbstbild ist
extrem zerbrechlich. Sie fühlen sich nur in einem sehr eng
abgesteckten Rahmen wohl in ihrer Haut. Alles, was außerhalb
dieses Rahmens liegt, scheint schlecht. Daher werfen diese Kinder
auch so schnell das Handtuch, wenn etwas nicht so läuft, wie sie sich
das vorstellen. (»Ich mach das nicht!« Oder: »Mir reicht es jetzt!«
Und: »Ich bin der Allerschlechteste!«) Das heißt nicht, dass sie stur
oder verwöhnt sind. Sie können sich selbst einfach in diesem Moment
keine guten Gefühle entgegenbringen. Unser Ziel als Eltern muss es
also sein, diesen Rahmen auszuweiten, damit der kleine Perfektionist
lernt, in den »Grauzonen« zu leben. Dann fallen die Hochs und Tiefs
des Selbstwertgefühls nicht mehr so extrem aus. Wir möchten
unserem Kind beibringen, sich gut genug zu fühlen und nicht mehr an
dem Bedürfnis zu hängen, perfekt zu sein.
Diese Unfähigkeit, mit Grauzonen zurechtzukommen, kommt meist
daher, dass perfektionistische Kinder Nuancen nicht ertragen – oder
überhaupt verstehen. Für sie ist Verhalten gleich Identität. Sie sind
nicht in der Lage, das eine vom anderen zu trennen. Und dabei macht
es keinen Unterschied, ob sie gerade mit sich zufrieden sind oder kein
gutes Haar an sich lassen. Zum Beispiel bedeutet für sie eine
Buchseite richtig zu lesen (Verhalten): »Ich bin klug« (Identität). Ein
Wort falsch auszusprechen (Verhalten) heißt: »Ich bin dumm«
(Identität). Beim Schnürsenkelbinden das erste Mal alles richtig zu
machen (Verhalten) bedeutet: »Ich bin so toll« (Identität). Die Schleife
hingegen nicht hinzubekommen (Verhalten) beweist: »Ich bin ein
Versager« (Identität). Wenn wir Kindern mit Hang zum
Perfektionismus helfen wollen, müssen wir sie lehren, zwischen dem,
was sie tun, und dem, was sie sind, zu unterscheiden. Damit erlernen
sie die Freiheit, sich auch in der Grauzone wohlzufühlen: auch mit sich
zufrieden zu sein, wenn Schuhebinden beim ersten Mal schiefgeht
oder wenn es beim Lesen hapert. Der Perfektionismus beraubt das
Kind (und auch jeden Erwachsenen) der Möglichkeit, sich im Prozess
des Lernens wohlzufühlen, weil es davon ausgeht, dass nur ein
erfolgreiches Ergebnis gut sein kann. Perfektionistischen Kindern
müssen wir zeigen, wie sie zu ihrem Gut-genug-Gefühl kommen, und
ihnen vermitteln, dass sie auch jenseits von Erfolgen als Menschen
wertvoll sind.
Noch ein wichtiger Hinweis zu diesem Thema: Eltern sollten ihren
Kindern helfen, ihren Perfektionismus zu erkennen, nicht, ihn
loszuwerden. Viele Eltern denken, sie sollen ihre Kinder zu »Nicht-
Perfektionisten« machen. Aber wenn wir einen Persönlichkeitsanteil
unseres Kindes (möglicherweise auch noch rabiat) unterdrücken,
vermitteln wir ihm, dass dieser Anteil schlecht oder falsch ist. Wir
sollten unseren Kindern stattdessen beibringen, eine bessere
Beziehung zu ihrem Perfektionismus herzustellen, damit sie rechtzeitig
merken, wann ihr Vollkommenheitsdrang sich zu regen beginnt. Nur
dann können sie verhindern, dass er ihr ganzes Tun beherrscht oder
ihnen diktiert, wie sie sich zu fühlen haben. Schließlich hat der
Perfektionismus auch Seiten, die sich gut anfühlen, wie Willensstärke,
Tatkraft und Überzeugung. Und wir wollen ja, dass unsere Kinder mit
diesen Zügen leben lernen, ohne unter dem Druck, alles perfekt
machen zu müssen, zusammenzubrechen.
Die Strategien
Gehen Sie mit Ihren eigenen Fehlern sinnvoll um
Kinder beobachten ihre Eltern ständig und lernen so, was diesen
wichtig ist und welche Werte in der Familie am meisten zählen. Wenn
Ihre Kinder perfektionistische Züge haben, achten Sie darauf, wie Sie
in Gegenwart Ihrer Kinder mit Ihren eigenen Fehlern, Ihren
Schwierigkeiten und Ihrem eigenen »In der Grauzone leben«
umgehen. Das könnte so funktionieren: »Oh, nein! Ich habe eine
wichtige Mail an meinen Chef geschrieben und so viele Tippfehler
gemacht! Mist, ich wollte es doch Korrektur lesen, aber dann habe
ich’s vergessen!« Das rutscht jedem einmal heraus. Wichtig ist, dass
Sie danach einen anderen Umgang mit Ihrem Problem vorleben –
nämlich einen, der Ihrem Kind die Art von tieferliegenden Botschaften
vermitteln, die für seine Entwicklung wichtig sind. Legen Sie die Hand
auf Ihr Herz und sagen Sie laut: »Ich bin auch in Ordnung, wenn ich
einen Fehler mache. Ich bin sicher. Ich bin grundlegend gut, selbst
wenn ich etwas falsch mache.« So können Sie vorleben, wie man
Verhalten von der eigenen Identität trennt und sich auch gut fühlt,
wenn etwas einmal nicht gelingt.
Trennungsangst
Der dreijährige Wesley ist aufgeregt. Bislang hat er nur seine
älteren Geschwister morgens aus dem Haus gehen sehen. Doch
nun beginnt auch für ihn die aufregende Zeit im Kindergarten.
Wesleys Vater Jeff weiß, dass manche Kinder sich am Anfang nur
schwer von ihren Eltern trennen können, aber er sagt nichts, um
Wesley nicht auf falsche Gedanken zu bringen. Doch als der
Moment des Abschieds gekommen ist, klammert sich Wesley an
Jeffs Bein und schreit: »Nein, nein, nein, Papa, bleib hier!« Jeff fühlt
sich hilflos und versteht nicht, was falsch gelaufen ist.
Trennungen fallen oft schwer. Es ist völlig normal, dass ein Kind
weint, wenn man es im Kindergarten absetzt oder wenn die Mutter
zur Arbeit muss. Oder auch, dass es absichtlich herumtrödelt, wenn
es zur Schule muss. Es will die Bindung aufrechterhalten. Für Kinder
ist die Gegenwart ihrer Eltern gleichbedeutend mit Schutz, weil ihr
Körper ihnen signalisiert: »Solange deine Eltern da sind, bist du in
Sicherheit.« Trennungssituationen stellen eine große Herausforderung
dar. Die Kleinen müssen es schaffen, sich in einer neuen Umgebung
oder bei einer anderen Bezugsperson sicher zu fühlen. Das heißt, sie
müssen das Gefühl der Sicherheit, das ihnen die Bindung zu ihren
Eltern schenkt, auch aufrechterhalten können, wenn die Beziehung für
sie gerade nicht greifbar ist. Damit sich die Trennung machbar
anfühlt, müssen sie die Emotionen, die sie in Anwesenheit eines
Elternteils haben, verinnerlichen – das heißt bereit zum Abruf haben.
Sie müssen das Gefühl haben, auch in Abwesenheit ihrer Eltern in
dieser Welt sicher zu sein. Kein Wunder also, dass der
Trennungsprozess Tränen und unangenehme Gefühle auslöst.
Ich stelle mir das Gefühl von Sicherheit wie eine Kugel aus Licht vor.
Wenn sich ein Kind in der Nähe der Eltern aufhält, ist es von diesem
Licht umgeben und fühlt sich sicher, sodass es auf Erkundungstour
gehen, spielen und wachsen kann. Wir Eltern hoffen, dass unsere
Kinder irgendwann dieses Licht auch in unserer Abwesenheit spüren,
weil es in ihnen scheint – weil es in ihren Körper eingedrungen und zu
ihrem eigenen Licht geworden ist.
Diese Idee der Verinnerlichung hilft uns zu verstehen, was Kinder
brauchen, um Trennungen gut zu verkraften. Sie müssen buchstäblich
etwas von ihren Eltern in sich »aufnehmen«, um die Sicherheit der
Beziehung auch dann zu spüren, wenn sie sich von Mutter oder Vater
verabschieden. Laut dem englischen Kinderarzt und Psychoanalytiker
Donald Winnicott schaffen Kleinkinder sich eine mentale
Repräsentation der Eltern-Kind-Beziehung, damit sie auch in deren
Abwesenheit Zugriff auf die damit verbundenen Gefühle haben.
Sogenannte »Übergangsobjekte« helfen Kindern bei diesem Prozess:
eine Schmusedecke, ein Kuscheltier oder ein vertrauter Gegenstand
verkörpert die Eltern-Kind-Bindung und erinnert das Kind daran, dass
seine Eltern auch dann noch für es »da sind«, wenn sie sich außer
Sichtweite aufhalten. Eltern, deren Kinder mit Trennungsangst zu
kämpfen haben, empfehle ich grundsätzlich solche Übergangsobjekte,
denn sie erleichtern Kindern die Trennung. Letztlich geht es darum,
dass unsere Kleinen sich auch in unserer Abwesenheit »an uns
festhalten« können.
Die Trennungsreaktionen sind von Kind zu Kind verschieden, sogar
innerhalb derselben Familie. Es ist völlig normal, ein Kind zu haben,
das sich problemlos trennt, und eines, das schon beim Gedanken an
eine bevorstehende Trennung verzweifelt. Der Charakter Ihres Kindes
lässt erahnen, wie es auf Ihre Abwesenheit reagieren wird. Eines
meiner Kinder zum Beispiel ist sehr risikofreudig, ausgeglichen und
stets darauf aus, neue Dinge auszuprobieren. Ein anderes hingegen
taut meist nur langsam auf, ist vorsichtig und empfindet tief (das
heißt, seine Gefühle lassen sich leicht auslösen und halten lange an).
Obwohl alle äußeren Faktoren ihrer ersten Trennungserfahrung im
Kindergarten gleich waren, war meinem Mann und mir im Voraus klar,
dass der Abschied dem risikofreudigen Kind leichter fallen würde,
dass es seltener weinen und sich rascher neue Gewohnheiten
aneignen würde. Wesentlich ist, dass wir keine Werturteile fällen. Es
ist nicht so, dass sich eines meiner Kinder »besser« als das andere
trennt. Die beiden erleben die Trennung einfach ganz anders. Es ist
eine große Hilfe, wenn Sie Ihr einzigartiges Kind gut genug kennen,
um seine Reaktion vorherzusehen und Ihre Erwartungen
entsprechend anzupassen. So bleiben Sie bei einem tränenreichen
Abschied gelassener.
Wo wir gerade von tränenreichen Abschieden sprechen: Wir dürfen
nicht vergessen, dass Eltern immer nur eine Seite des
Trennungsprozesses sehen – den Abschied. Wir bekommen
üblicherweise nicht mit, wie unsere Kinder sich beruhigen, ihre
Gefühle wieder unter Kontrolle bekommen und schließlich zufrieden
spielen. Tatsächlich sind in einer Kindergartengruppe oft gerade die
Kinder am aktivsten, die bei der Trennung am heftigsten protestiert
haben.
Eine entscheidende Rolle spielt auch die Fähigkeit der Eltern, darauf
zu vertrauen, dass ihr Kind die Situation bewältigen wird. Wie sich der
Moment des Abschieds für ein Kind anfühlt, sagt nichts darüber aus,
wie es die Schule oder Kita allgemein erlebt. Eltern, die sich dessen
bewusst sind, fällt es leichter, Zuversicht auszustrahlen. Und das ist
sehr wichtig, denn unsere eigenen Gefühle haben einen enormen
Einfluss auf die Trennungserfahrung unserer Kinder. Registrieren sie
Zögern, Nervosität oder Zweifel bei uns, reagieren sie heftiger, weil
sie unsere Angst übernehmen und sich dadurch ihre eigene Furcht
verstärkt. In den Momenten der Trennung fragen uns unsere Kinder
im Prinzip: »Denkst du, dass es mir gutgehen wird?« Es gibt nichts
Beunruhigenderes für ein Kind, als sich von einem Elternteil zu
verabschieden, der selbst Angst vor der Trennung hat. Das ist, als
würden Sie ihm sagen: »Du bist hier nicht sicher. Tschüss.« Ein
schreckliches Gefühl für jedes Kind. Denken Sie also daran, dass die
Eltern die Atmosphäre bestimmen – Trennung mag für alle schwierig
sein, aber wer Sicherheit vermittelt, hält den Schlüssel zu einem
reibungslosen Auseinandergehen in der Hand.
Die Strategien
Lernen Sie Ihre eigenen Trennungsängste kennen
Welche Gefühle löst der Gedanke, sich von Ihrem Kind zu trennen, in
Ihnen aus? Falls Sie traurig oder nervös sind, ist das völlig in
Ordnung! Wir sollten unsere Gefühle immer zulassen, uns aber auch
zu verstehen bemühen, was wir brauchen, um in Trennungsmomenten
Stärke zeigen zu können. Sie könnten zum Beispiel Ihre
unangenehmen Gefühle begrüßen, wie ich es oft tue: »Hallo, Angst,
du darfst hier sein!« Oder »Hi, ihr traurigen Gefühle darüber, dass
mein Kind größer wird und wir für eine Weile getrennt sein werden.
Ihr seid willkommen. Ich will euch begrüßen, bevor ich meine Tochter
abgebe, und ein zweites Mal, wenn ich wieder zu Hause bin. Beim
Abschied werde ich euch bitten, in den Hintergrund zu treten, damit
ich meinem Mädchen zeigen kann, dass sie sicher ist, wenn sie in die
Schule geht.« In Kapitel 10 finden Sie noch weitere Strategien, die
Ihnen helfen können, Ihre Emotionen zu akzeptieren.
Übergangsobjekt
Kuscheltiere oder Schmusedecken können Kindern, die sich mit dem
Abschiednehmen schwertun, eine Hilfe sein, weil sie als
Weggefährten eine Brücke zwischen zu Hause und dem Kindergarten
schlagen. Vielleicht möchte Ihr Kind ein laminiertes Familienfoto (Sie
können auch einfach durchsichtiges Paketband benutzen!) mitnehmen,
das Sie auch als Basis für ein Ritual verwenden können: Ermuntern
Sie Ihr Kind, nach der Verabschiedung das Bild anzuschauen und
immer wieder zu sagen: »Meine Familie ist in der Nähe, meine
Familie ist in der Nähe«. Lassen Sie doch Ihr Kind sein
Übergangsobjekt selbst auswählen: »Gibt es etwas, das du in den
Kindergarten mitnehmen möchtest, weil es dich an zu Hause
erinnert?«
Schlafen
Die vierjährige Cora hat immer gut geschlafen – bis vor Kurzem.
Seit vier Wochen weigert sie sich, ins Bett zu gehen, verlangt statt
zwei Gutenachtgeschichten zehn und weint, wenn ihre Eltern, Ben
und Matt, den Raum verlassen. Um zwei Uhr morgens wacht sie auf
und besteht darauf, dass einer ihrer Väter sich zu ihr legt. Coras
Eltern sind ratlos und erschöpft. Nachdem Sticker-Tabellen und
Strafen nichts gebracht haben, sind sie kurz davor, Cora auf den
Rat eines Freundes hin in ihrem Zimmer einzuschließen. Aber der
Gedanke weckt ungute Gefühle in ihnen. Im Moment wissen sie
schlicht und einfach nicht mehr weiter.
Nichts ist für Eltern so frustrierend, wie wenn wir uns den lieben
langen Tag mit der Erziehung unseres Kindes abgemüht haben und
dieses dann abends nicht ins Bett will oder mitten in der Nacht
aufwacht, wenn wir unseren wohlverdienten Schlaf brauchen. Mit dem
abendlichen Protest umzugehen, ist nicht einfach – das fällt allen
Eltern schwer. Zumal das Quengeln pünktlich dann losgeht, wenn sie
sehnsüchtig auf die kinderfreie Zeit des Tages warten, in der sie sich
endlich entspannen, lesen oder etwas für sich selbst tun können. Da
können wir als Eltern schon einmal mit unserem Schicksal hadern.
Rufen Sie sich in dieser Situation immer in Erinnerung:
Schlafprobleme sind letztlich Ausdruck von Trennungsangst.
Schließlich erwartet man vom Kind, dass es nachts bis zu zehn
Stunden lang allein ist und sich dabei sicher genug fühlt, um
überhaupt einschlafen zu können. Und weil es um
Trennungsschwierigkeiten geht, müssen wir auf die Bindungstheorie
zurückgreifen, um das Problem zu lösen. Wir wissen ja:
Bindungsverhalten ist das Streben nach Nähe, weil Kinder sich am
sichersten fühlen, wenn ihre Eltern bei ihnen sind.
Manche Kinder fürchten sich vor der Nacht – es ist dunkel, sie sind
allein, ihr Körper wird heruntergefahren, und der Geist kommt auf
Touren. Sie werden bedrängt von furchterregenden Gedanken oder
existenziellen Sorgen um die Beziehung zu den Eltern. (»Sind meine
Eltern wirklich da, wenn ich sie nicht sehen kann?«)
Im Schlaf kommen manchmal auch Ängste und Probleme hoch, die
andere Lebensbereiche betreffen. Kinder nehmen Veränderungen in
ihrer Umgebung als Bedrohung wahr. Solange Veränderungen wie
der Schulbeginn, plötzliche Ehestreitigkeiten, die Geburt von
Geschwistern oder ein Umzug nicht erklärt sind, suchen sie die Nähe
ihrer Eltern, bis sie ihre Umgebung wieder als sicher empfinden.
Solche schwierigen Momente führen häufig zu Schlafstörungen, weil
die Kinder sich in ihrem Körper unwohl fühlen und sich nicht genug
entspannen können, um einzuschlafen. In Zeiten des Wandels suchen
Kinder die Nähe ihrer Eltern ganz besonders, weil sie so ihr Bedürfnis
nach Verbundenheit und Sicherheit stillen können. Und was ist das
Gegenteil von »in der Nähe seiner Eltern sein«? Genau, sich nachts
von ihnen zu trennen.
Was also können wir tun, um das Schlafverhalten unserer Kinder zu
verbessern? Meiner Meinung nach sollten wir in zwei Schritten
vorgehen: Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass sie sich sicher
fühlen. Wir müssen ihnen helfen, Bewältigungsstrategien tagsüber zu
entwickeln, wenn für sie nicht so viel auf dem Spiel steht. Nur so
werden sie sich auch am Abend sicher genug für eine Trennung
fühlen. Nur dann können wir ihnen im zweiten Schritt das Zubettgehen
schmackhaft machen.
Häufig fixieren wir uns in unserer Frustration so sehr auf das
Schlafen, dass wir nicht merken, was unser Kind sonst noch
beschäftigt. Das ist zwar verständlich, verschärft aber häufig die
Probleme, die zu den Schlafstörungen führen. Wenn Eltern mit Kälte,
Strafen und Ablehnung reagieren, fühlen die Kinder sich noch
einsamer. Schließlich brauchen sie Verständnis und Hilfe, um sich
selbst beruhigen zu können. Dann wünschen sie sich nichts sehnlicher
als die Präsenz der Eltern, was wiederum unsere Frustration
verstärkt … ein Teufelskreis.
Da ist es auch keine Hilfe, dass viele Ratschläge zum Thema
»Schlafprobleme« sich auf das Verhalten der Kinder richten. Die
übersehen nämlich die Schwierigkeiten, die sich hinter der
Schlafverweigerung oder dem Aufwachen um zwei Uhr morgens
verbergen. Viele Eltern haben mir erzählt, Fachleute hätten ihnen
geraten, die Ängste ihres Kinds zu ignorieren, die Kinderzimmertür
abzuschließen oder einfach gar nichts zu tun, während es panisch
schreit. Allein der Gedanke daran schmerzt mich.
Gleichzeitig sagt mir meine weitherzigste Interpretation, dass diese
Eltern verzweifelt nach einem Rezept suchen, das allen zum dringend
benötigten Schlaf verhilft. Ich kann das verstehen. Auch ich selbst
habe mit meinen Kindern viele schwierige Schlafphasen
durchgemacht und weiß, wie schnell man da in eine Spirale totaler
Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit gerät. Eben deshalb ist es mir ein
großes Anliegen, ein Konzept zur Lösung von Schlafproblemen zu
erarbeiten, das sich richtig anfühlt, die Bedürfnisse von Kindern und
Eltern berücksichtigt, Trennungsängste nicht noch weiter schürt …
und das Alleinschlafen tatsächlich fördert.
Kommen wir also zurück auf das, was wir über Bindungsverhalten
und Trennung wissen. Kinder, die sich schwertun mit Trennungen,
haben Mühe, die beruhigenden Aspekte der Eltern-Kind-Beziehung zu
verinnerlichen – sie fühlen sich zwar sicher in Gegenwart der Eltern,
sind aber in deren Abwesenheit oft verängstigt. Diese Lücke gilt es zu
schließen. Wir müssen dem Kind helfen, jene Teile der Eltern-Kind-
Beziehung in sich zu bewahren, die ihm ein Gefühl von Geborgenheit,
Sicherheit und Vertrauen schenken. Genau das braucht es, um gut zu
schlafen. Wenn es uns gelingt, die Anwesenheit eines Elternteils für
das Kind dauerhaft spürbar zu machen, kann es auch dann auf die
beruhigende Wirkung der Eltern-Kind-Beziehung zurückgreifen, wenn
die Eltern nicht anwesend sind. Das ist das Ziel. Wenn Sie darüber
nachdenken, wie sich die Schlafprobleme Ihres Kinds lösen lassen,
fragen Sie sich, ob Ihre Ideen dem Kind helfen, mit Ihrer Abwesenheit
fertigzuwerden, oder, im Gegenteil, seine Ängste verstärken. Diese
Unterscheidung hilft Ihnen zu beurteilen, was dem Kind nutzt und sich
gut anfühlt.
Einen Hinweis noch, bevor ich mit den konkreten Hilfsmaßnahmen
anfange: Mein Ziel ist, dass Ihr Kind ein Gefühl der Sicherheit
entwickelt. Wann sich dies in besserem Schlaf niederschlagen wird,
kann ich nicht vorhersagen. Veränderungen im Schlafverhalten
nehmen oft mehr Zeit in Anspruch, als uns lieb ist. In der Zwischenzeit
sollten Sie sich, solange es mit dem Alleinschlafen noch nicht klappt,
über Ihre eigenen Bedürfnisse klar werden: Vielleicht können Sie sich
bei den nächtlichen Einsätzen mit Partner oder Partnerin (so
vorhanden) abwechseln. Oder Sie erlauben dem Kind tagsüber
zusätzliche Bildschirmzeit, um sich kurz hinzulegen. Oder Sie nehmen
sich einen Tag frei, um Schlaf nachzuholen. Ich weiß, dass das auf
Dauer nicht genügen wird. Aber ich weiß auch, dass jeder noch so
kleine Moment der Selbstfürsorge einen Unterschied machen kann.
Die Strategien
»Wo sind die anderen?«
Für Kinder ist das konstante Dasein ihrer Eltern nicht
selbstverständlich. Sie wissen nicht, dass Sie auch dann noch da
sind, wenn sie im Bett liegen. Machen Sie ihnen das begreiflich.
Erklären Sie ihnen tagsüber, wo Sie Ihren Abend verbringen. Gehen
Sie mit ihnen durchs Haus, um es ihnen zu zeigen. Zum Beispiel so:
»Wenn du schlafen gehst, isst Mama in der Küche ihr Abendessen.
Dann lese ich auf dem Sofa und gehe danach in mein Zimmer zum
Schlafen. Ich bin immer da, auch während du schläfst! Und am
Morgen wache ich auf und komme zu dir ins Zimmer.« In Zeiten
massiver Umbrüche fügen Sie vielleicht noch hinzu: »In unserem
Leben gibt es gerade viele Veränderungen. Aber eins wird gleich
bleiben: Wenn du ins Bett gehst, bin ich immer noch da. Sogar wenn
deine Augen geschlossen sind und du mich nicht sehen kannst, bin ich
da und werde immer noch da sein, wenn du aufwachst.«
Rollenspiel
Holen Sie die Kuscheltiere, Lastwagen, Puppen oder sonstigen
Spielsachen hervor, die Ihr Kind mag. Spielen Sie damit Gutenacht-
Szenen vor, bringen Sie Gefühle zur Sprache, die bei der Trennung
hochkommen, und zeigen Sie Strategien, die zur Beruhigung
beitragen. Zum Beispiel so: »Komm, wir helfen dem Entchen, sich
fürs Schlafengehen bereit zu machen!« Dann wenden Sie sich ans
Entchen: »Entchen, ich weiß, dass das Schlafen für dich nicht der
schönste Teil vom Tag ist. Es ist in Ordnung, wenn du traurig bist
beim Zubettgehen. Aber denk daran, Mama Ente ist ganz in deiner
Nähe. Du bist in Sicherheit und Mama Ente kommt am Morgen wieder
zu dir. Also, machen wir uns bereit zum Schlafengehen.« Dann gehen
Sie das Abendritual durch, an das Ihr Kind gewöhnt ist. »Jetzt lesen
wir dem Entchen seine beiden Bücher vor, putzen ihm die Zähne und
singen ihm ein Lied. Dann sagen wir Gute Nacht.« Sie können auch
auf Momente eingehen, die für Ihr Kind normalerweise schwierig sind.
Bettelt Ihre Tochter zum Beispiel jedes Mal um eine zusätzliche
Gutenachtgeschichte, dann beziehen Sie dies mit ein: Spielen Sie die
Auseinandersetzung nach, fühlen Sie sich in den Wunsch ein, und
setzen Sie eine Grenze: »Ach Entchen, ich weiß, du möchtest noch
eine Geschichte hören! Gib mir doch das Buch, dann nehme ich es
mit, damit wir es morgen früh zusammen lesen können.« Oder: »Ach
Entchen, ich weiß, du möchtest noch eine Geschichte hören. Es ist
schwierig, nach zweien aufzuhören. Jetzt lese ich keine mehr … aber
dafür morgen früh!«
Der Trost-Buzzer
Der Knackpunkt bei der Lösung kindlicher Schlafprobleme ist meiner
Ansicht nach: Wie kann ein Kind sich die Geborgenheit, die es in
Gegenwart seiner Eltern fühlt, bewahren, wenn diese nicht im Raum
sind? Aus dieser Frage heraus habe ich den »Trost-Buzzer«
entwickelt, der Kinder Ihre beruhigende Gegenwart auch dann spüren
lässt, wenn Sie sich im Wohnzimmer aufhalten oder in Ihrem Bett
liegen. Das geht so: Besorgen Sie sich einen bespielbaren Buzzer mit
mindestens 30 Sekunden Aufnahmezeit (günstig im Internet
erhältlich). Zeichnen Sie in einem ruhigen Moment eine Schlaf-
Botschaft für Ihr Kind auf. Sprechen Sie mit gleichmäßiger,
beruhigender Stimme. Vielleicht wählen Sie eine Strophe eines
Gutenachtlieds oder das Einschlaf-Mantra Ihres Kindes. Oder Sie
denken sich eine Nachricht über das Wiedersehen am Morgen aus –
irgendetwas, was Ihr Kind in Ihrer Abwesenheit beruhigt. Bauen Sie
den Buzzer ins Einschlafritual ein: Ihr Kind drückt den Buzzer einmal,
während Sie im Raum sind, einmal, wenn Sie hinausgehen, und
zweimal, nachdem Sie das Zimmer verlassen haben. Sie können auch
eine Vereinbarung treffen: »Lass uns mit dem Trost-Buzzer üben. Ich
möchte, dass du dir die Nachricht vier Mal anhörst, bevor du mich
rufst. Ich warte vor deiner Tür und höre, wenn du ihn benutzt. Wenn
du dich immer noch nicht sicher fühlst, kannst du mich rufen. Ich
komme zu dir, streichle dir über den Rücken und bestätige dir, dass
du geborgen bist. Dann versuchen wir das Ganze noch mal.« Der
Buzzer lässt Ihr Kind Ihre Gegenwart spüren und bringt die
beruhigende Wirkung der Beziehung in sein Zimmer, auch wenn Sie
nicht im eigentlichen Sinn anwesend sind. Ihr Kind kann sich mit Ihnen
in Verbindung setzen, indem es den Buzzer drückt und Ihrer Stimme
lauscht. So fühlt es sich nicht länger allein und hilflos.
Und wie hilft das alles jetzt Cora, Ben und Matt?
Am Morgen haben Ben und Matt wieder zu ihrer Gelassenheit
zurückgefunden und reden darüber, was sich wohl hinter Coras
Weigerung zu schlafen verbirgt. Sie glauben, dass Cora sich fürchtet,
und schmieden einen Plan, um diese Angst abzubauen. Da ihnen
aufgefallen ist, dass Cora in letzter Zeit vor allem Ben gegenüber
auch tagsüber sehr anhänglich ist, führen sie ein paar allgemeine
Trennungsrituale ein. Sie mimen am Tag in Coras Zimmer
Abschiedsszenen, die sie spielerisch und albern gestalten. Cora spielt
gerne mit Puppen, also lässt Matt diese lautstark gegen das
Zubettgehen protestieren und ein Einschlaf-Mantra wiederholen.
Danach ist Cora bereit, es selbst auszuprobieren. Ben kauft einen
bespielbaren Buzzer und nimmt das Mantra sowie Coras Einschlaflied
auf. Cora wirkt erleichtert, als die beiden ihr den Buzzer geben. Dabei
wird Ben und Matt klar, wie verzweifelt sie nachts nach einem
»Zugang« zu ihren Eltern sucht. Die Proteste dauern noch einige
Nächte lang an und werden dann allmählich seltener. Ben und Matt
fällt ein Stein vom Herzen. Der neue Ansatz scheint zu funktionieren,
und Cora macht bemerkenswerte Fortschritte.
Kapitel 29
Manche Kinder empfinden tiefer und kommen schneller auf Touren als
andere. Ihre starken Empfindungen halten auch länger an. Klingelt es
an dieser Stelle bei Ihnen? Erinnert Sie diese Beschreibung an Ihr
eigenes Kind? Dann lassen Sie mich klar und deutlich sagen: Sie
bilden sich das nicht ein. Ihr Kind hat vermutlich öfter Wutausbrüche
als andere Kinder, und sie sind intensiver und dauern auch länger an.
Und noch etwas: Mit Ihrem Kind und mit Ihnen ist alles in Ordnung.
Und noch einmal, denn dieser Satz ist immens wichtig: Mit Ihrem Kind
und mit Ihnen ist alles in Ordnung.
Normalerweise verwende ich nur ungern Etiketten. Aber in diesem
Fall finde ich es für Eltern hilfreich, ihr Kind mit einem treffenden
Ausdruck einschätzen zu können, um leichter Unterstützung zu finden.
Kinder mit besonders intensiven Emotionen nenne ich »gefühlsstarke
Kinder«7. Diese Bezeichnung drückt aus, wie sie die Welt erleben,
und erklärt, warum sie sich oft überfordert und schneller »bedroht«
fühlen als andere und dann mit dem »Kampf-Flucht-Impuls«
reagieren. Ja, der Umgang mit gefühlsstarken Kindern ist nicht ganz
einfach. Und ja, Eltern von gefühlsstarken Kindern brauchen
tatsächlich spezielle Strategien, die auf einem grundlegenden
Verständnis für diese Kinder aufbauen: Wovor haben gefühlsstarke
Kinder am meisten Angst? Was brauchen sie in ihren verzweifeltsten
Momenten, und warum reagieren sie so heftig?
Die Strategien in diesem Buch, die anderen Kindern, ja vielleicht
sogar den Geschwistern von gefühlsstarken Kindern helfen
(Strategien wie Gefühle benennen oder Unterstützung anbieten),
können bei Ihrem gefühlsstarken Kind ein schwelendes Feuer noch
zusätzlich anfachen. Solche Kinder tun sich oft schwer, Hilfe zu
akzeptieren. Sie schreien sofort »Hör auf!«, wenn Sie über Gefühle
sprechen, und kommen schon wegen Kleinigkeiten von null auf
hundert. Merken Sie sich: Sie machen nichts »falsch«. Sie haben
nicht die falschen Worte gewählt oder sich im Ton vergriffen.
Gefühlsstarke Kinder werden von ihren Gefühlen derart schnell
überwältigt, dass sie Ihr unmittelbares Hilfsangebot einfach nicht
annehmen können. Ich weiß, wie frustrierend und kräftezehrend das
ist, wie abgelehnt man sich dabei fühlen kann.
Bestimmt erinnern Sie sich jetzt an ein paar schreckliche Szenen, in
denen Ihnen etwas herausgerutscht ist, das Ihnen im Nachhinein
leidtat. Oder in denen Sie auf eine Art reagiert haben, die bei Ihnen
oder Ihrem Kind ein ungutes Gefühl hinterlassen hat. Atmen Sie tief
durch. Nehmen Sie wahr, wie sich Ihre Schuldgefühle (»Ich bin eine
schlechte Mutter, ein schlechter Vater«) zu Wort melden. Begrüßen
Sie sie, und machen Sie dann die Stimme Ihres Selbstmitgefühls
ausfindig. Lauschen Sie ihr: »Du bist da. Du liest dieses Buch. Du
denkst nach, lernst und bist bereit, etwas Neues auszuprobieren –
das ist großartig von dir!« Wir sind wieder bei unserer ultimativen
Wahrheit angelangt: Sie sind gute Eltern und haben ein gutes Kind,
und Sie beide können schwierige Momente durchleben.
Die gute Nachricht bei alledem: Ich versichere Ihnen, gefühlsstarke
Kinder können lernen, ihre Emotionen zu regulieren, Ruhe zu finden
und den Boden unter ihren Füßen zurückzubekommen. Und sie
können gute Beziehungen zu anderen eingehen. Sie brauchen bloß die
Hilfe ihrer Eltern. Sie brauchen unsere Bereitschaft, neue Methoden
zu erlernen, und unsere feste Überzeugung, dass auch sie
grundlegend gut sind.
Um gefühlsstarke Kinder zu verstehen, müssen wir uns auf die
Evolutionstheorie besinnen. Solche Kinder erleben Scham als
existentielle Bedrohung. Denken Sie daran, Scham versetzt
Menschen in eine urzeitliche Verteidigungshaltung, löst in ihnen den
Instinkt aus, sich zu schützen. Und das tun wir, indem wir erstarren,
andere angreifen oder sie ausschließen. In diesem Zustand erlebt
das Kind die Welt als extrem gefährlich. Selbst der Versuch seiner
Eltern, ihm zu helfen, fühlt sich wie ein Angriff an, weshalb
gefühlsstarke Kinder uns genau dann zurückweisen, wenn sie unsere
Hilfe bräuchten.
Darüber hinaus erleben sich gefühlsstarke Kinder leicht als innerlich
»schlecht«. Sie machen sich Sorgen, dass die Gefühle und
Empfindungen, die sie überrollen, auch für andere unerträglich sind.
Daher fürchten sie die Ablehnung. Gefühlsstarke Kinder verspüren
eine große Angst davor, schlecht zu sein und keine Liebe zu
verdienen. Sie sorgen sich, ob ihre Eltern sie »ertragen«, mit ihnen
»fertigwerden«, ob ihre Eltern dem Sturm standhalten können, wo sie
sich doch selbst völlig verloren fühlen.
Selbstverständlich behalten diese Kinder ihre Ängste immer für sich.
Mir ist kein einziges gefühlsstarkes Kind bekannt, das zu seinen
Eltern gesagt hätte: »Ich fühle mich oft total überwältigt von meinen
Gefühlen und habe Angst, dass sie auch die anderen überrollen.
Deshalb gerate ich so in Panik oder werde aggressiv. Bitte habt
Geduld mit mir und lasst euch nicht beirren. Zeigt mir, dass ich gut
und liebenswert bin und in dieser Welt zurechtkommen kann.« Kein
Kind versteht diese Dynamik. (Ehrlich gesagt würde es auch jedem
Erwachsenen schwerfallen, solche inneren Erfahrungen in Worte zu
fassen). Dennoch sollten Sie sich an diese Erklärung erinnern. Sie
bringt das Wesen unserer gefühlsstarken Kinder auf den Punkt.
Hier ein Beispiel dafür, wie solche intensiven Emotionen zum
Ausdruck kommen: Ihre gefühlsstarke Tochter tut sich schwer mit
dem Teilen. Sie reißt einem Spielgefährten den Teddy aus der Hand
und weigert sich, ihn zurückzugeben. Normalerweise würden Eltern
hier vielleicht eingreifen und sagen: »Ich weiß, teilen ist schwierig! Ich
bin ja da. Komm, ich helfe dir dabei.« Das Kind würde die Hilfe –
Grenzsetzung und Trost – wahrscheinlich annehmen. Ein
gefühlsstarkes Kind jedoch reagiert auf das Hilfsangebot unter
Umständen mit einem heftigen Gefühlsausbruch. In seinem Körper
aktiviert seine Schwäche (»Ich wollte den Teddy. Dann habe ich ihn
mir genommen. Ich wünschte, ich hätte das nicht getan«) intensive
Schamgefühle (»Das hätte ich nicht tun dürfen, ich bin schlecht«). Es
wäre für mich nicht weiter verwunderlich, wenn das Mädchen in
dieser Situation auf den Vermittlungsversuch der Eltern reagiert wie
ein verwundetes Tier, das um sein Überleben kämpft: »Lass mich in
Ruhe!« Oder: »Nein, ich gebe den Teddy nicht zurück. Ich hasse
dich!« In solchen Momenten erschrickt ein gefühlsstarkes Kind selbst
über seine heftigen Gefühle. Nach außen wirkt seine Reaktion aber
unbegründet und hartherzig. Denken Sie daran: Logik hilft uns nicht
weiter, wenn wir Emotionen zu verstehen versuchen, und das trifft
ganz besonders bei gefühlsstarken Kindern zu.
Eltern haben das Gefühl, dass ihr Kind oft schon beim geringsten
Anlass ausflippt, um sich schlägt und frech wird. Deshalb reagieren
sie mit Abwertung und Zurückweisung. Es kann passieren, dass sie
ihr Kind anschreien: »Gut, wenn du meine Hilfe nicht willst, dann eben
nicht!« Oder: »Geh auf dein Zimmer und komm erst wieder heraus,
wenn du dich beruhigt hast!« Oder: »Du übertreibst immer total!«
Und: »Du machst uns andauernd Schwierigkeiten!« Nochmals, wenn
Ihnen dies bekannt vorkommt, sind Sie hier genau richtig. Sie sind
trotzdem gute Eltern. Lesen Sie einfach weiter.
Eine der größten Ängste von gefühlsstarken Kindern ist, dass die
Gefühle, die sie selbst überwältigen, auch anderen zu viel werden:
dass Dinge, die sich so schlimm und unkontrollierbar anfühlen,
tatsächlich auch schlimm und unkontrollierbar sind. Alle Kinder, egal
ob gefühlsstark oder nicht, nehmen wahr, wie die ihnen vertrauten
Erwachsenen auf ihre Gefühle reagieren, und schließen daraus, was
bewältigbar ist und was nicht. Wenn Eltern gefühlsstarke Kinder
anschreien, ausschimpfen oder zurückweisen, verstärkt das deren
fehlregulierte Verhaltensmuster noch.
Kommen wir auf das Beispiel des Mädchens zurück, das seinem
Spielgefährten den Teddy weggenommen hat. Sagen wir, es hat auf
das Eingreifen seines Vaters hin geschrien: »Ich hasse dich!« Was
dieses gefühlsstarke Kind eigentlich sagt, ist: »Ich habe die Kontrolle
verloren. Ich habe den Teddy genommen, weil ich ihn so sehr wollte,
dass ich mich nicht beherrschen konnte. Und jetzt hat mich auch noch
die Angst gepackt, schlecht und nicht liebenswert zu sein. Dadurch
fühle ich mich bedroht. Mein Körper ist im Alarmzustand, sodass ich
mich unbedingt schützen muss.« In diesem Moment braucht das
gefühlsstarke Kind nichts so sehr wie das Verständnis seines Vaters:
Er sollte sich bewusst sein, dass seine Tochter zwar nach außen hin
die Kontrolle verloren hat und vielleicht auch zum Angriff bereit ist.
Innerlich aber herrscht ein Gefühl der Bedrohung, Angst und
Überforderung vor. Dieses Kind braucht die Unterstützung seiner
Eltern, aber es ist unfähig, direkte Hilfe anzunehmen, solange es
rundherum alles als feindlich empfindet. Eltern von gefühlsstarken
Kindern müssen lernen, »den Raum zu halten« – ganz konkret heißt
das: präsent zu sein und zu bleiben, damit das Kind erkennt, dass
seine intensiven Gefühle nicht die ganze Welt plattmachen, sodass es
am Ende allein ist. Eltern von gefühlsstarken Kindern müssen sich
damit begnügen, den Schaden zu begrenzen, statt das Problem lösen
zu wollen. Entscheidend ist, dass sie die Kämpfe ihres Kindes in
einem größeren Rahmen sehen können, statt sich nur auf das zu
konzentrieren, was an der Oberfläche passiert.
Die Strategien
Neugier statt Vorwürfe
Wenn wir Eltern uns im Vorwurfsmodus befinden, sind wir uns nicht im
Klaren, ob wir selbst oder unser Kind die Schuld an dem Verhalten
tragen. Wir sagen uns: »Etwas stimmt nicht mit mir. Ich verkorkse
mein Kind für immer und ewig.« Oder: »Etwas stimmt nicht mit
meinem Kind. Es ist nicht normal und wird immer so bleiben.« Wird
unser Verhalten hingegen von Neugier bestimmt, stellen wir ganz
andere Überlegungen an: »Ich möchte wissen, was in meinem Kind
vorgeht.« Oder: »Mein Kind fühlt sich vermutlich so, wie es sich
benimmt. Es wird also von seinen Gefühlen überwältigt und empfindet
sich als ›schlecht‹! Was ist da los? Was braucht mein Kind?«
Wenn Ihr gefühlsstarkes Kind Sie vor eine Herausforderung stellt,
richten Sie den Blick zuerst nach innen. In welchem Modus sind Sie
gerade? Begrüßen Sie Ihre Selbstvorwürfe: »Hallo, Selbstvorwürfe,
ich sehe, ihr wollt das Ruder übernehmen! Bitte tretet einen Schritt
zurück, damit ich zu meiner Neugierde finden kann. Ich weiß, dass sie
da ist.« Anschließend können Sie anfangen, Fragen zu stellen.
Zuallererst: Eindämmen
Gefühlsstarke Kinder haben heftige Ausbrüche. Häufig flippen sie
gründlich aus, schlagen um sich, treten, werfen mit Gegenständen
und sind völlig außer sich. Was sie in diesem Zustand zuerst von uns
brauchen, ist, dass wir das Feuer eindämmen. Atmen Sie tief durch
und rufen sich in Erinnerung, dass Sie in erster Linie für die Sicherheit
Ihres Kindes verantwortlich sind. In solchen Momenten bedeutet das,
das Kind aus der Situation herauszuholen, es in einen kleineren Raum
zu bringen, sich mit ihm hinzusetzen und dem emotionalen Sturm
standzuhalten.
Sicher, Ihrem Kind wird das überhaupt nicht gefallen. Es wird
protestieren und betteln: »Nein, warte, ich will jetzt nicht weg! Ich
beruhige mich ja schon!« Nun sind wir am entscheidenden Punkt
angelangt: SIE MÜSSEN DAS JETZT DURCHZIEHEN! Und zwar
nicht, weil Sie »gewinnen« wollen, nicht weil Ihr Kind Sie absichtlich
provoziert, nicht um Ihrem Kind zu zeigen, »wer hier das Sagen hat«.
Sie dürfen nicht nachgeben, weil Ihr Kind sehen muss, dass sein
Kontrollverlust nicht auf Sie übergreift. Sie müssen ihm zeigen, dass
Sie die Zügel fest in der Hand halten und ihm in schwierigen
Situationen helfen können. Ihr Kind wird darauf bestehen, nicht in sein
Zimmer gebracht zu werden, aber das ist nur Fassade. In Wirklichkeit
will es Ihnen etwas ganz anderes sagen: »Ich brauche jetzt
jemanden, der die Kontrolle übernimmt, weil ich momentan nicht in
der Lage bin, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Bitte sei du
mein Anker. Bitte zeige mir, dass meine überwältigenden Gefühle
nicht ansteckend sind.«
Beschreiben Sie Ihrem Kind also, was gerade vor sich geht: »Ich
trage dich jetzt in dein Zimmer. Du bekommst keinen Ärger. Ich setze
mich zu dir. Du bist ein gutes Kind, das gerade einen schwierigen
Moment durchlebt.«
L
Lagerfeuer (Beispiel)
Lampe (Beispiel)
Lärm (Beispiel)
Laute Stimmen
Lernprozesse
Lob
Loch (als Angst-Metapher)
Lohn-und-Strafe-System
Lügen
M
Machtkämpfe
Mantras
– Ängste
– Einschlafen
– Frustration
– Grundlagen
– »Gutes Kind, das es gerade schwer hat«
– Gutsein-Erinnerung
– Staubsaugerdilemma
– Verbundenheit
Mathe lernen (Beispiel)
Mazlish, Elaine
Meeting (Beispiel)
Metaphern
– Gefäß
– Loch (als Angst-Metapher)
Missverstanden fühlen
Mitgefühl zeigen
Mit-Sachen-Werfen
Mittagessen
Mobiltelefon, siehe Spielzeit ohne Smartphone
Multiplizität
Muster, siehe Familiäre Muster
N
Nachahmen (während SOS)
Nachdenken (Ermutigung)
Nachtisch
Negatives (allgemein) siehe auch Körperliche Selbstbestimmung;
siehe auch Beides ist wahr
Nein sagen, siehe auch Körperliche Selbstbestimmung
– Grundlagen
– Tipps
Nervensystem
Neugier
Neuroplastizität
Nicht-beachtet-Werden
Nicht-hören-Wollen
Null-Toleranz-Politik siehe auch Grenzen setzen
»Nur das eine ist wahr«-Denkweise siehe auch Beides ist wahr
P
Paartherapie
Pandemie
Panik, siehe Ängste
Payne, Tina
Perfekte Stimme (Strategie)
Perfektionismus
Perlenkette (Beispiel)
Personifizieren von Gefühlen (Strategie)
Persönlichkeitsanteile
Photolyse (Beispiel)
PlayStation (Beispiel)
Plüschtiere, siehe Stofftiere
Präsenz zeigen, siehe auch einzelne Beispiele
– als Strategie
– bei unhöflichem Verhalten
– Sicherheit geben
Problematisches Verhalten
– Grundlagen
– Teufelskreise
– Unhöflichkeit
Pubertät siehe auch Teenager
Puzzles (Beispiele)
Q
Quatschmachen, siehe Albern sein
Quengeleien
R
»Rabeneltern«
Reden (Strategien), siehe auch Fragen stellen; siehe auch
Geschichten erzählen
– Ängste ansprechen
– bei belastenden Gefühlen
– Daumen-Spiel
– erzählen lassen
– »Habe ich dir schon mal erzählt, wie ...«
– »Irgendetwas an ...«
– Klartext reden
– über Trennung
– über Weinen
Reflektieren
Reflexhandlungen
Regeln einführen (Strategie)
Resilienz
– Entwicklungsstrategien
– Glück versus
– Grundlagen
Respekt
Rituale (bei Trennungsangst)
Rollenspiele (Strategie)
Rollentausch (Strategie)
Rollen und Zuständigkeiten
– bei Ernährung
– im Familiensystem (Eltern)
– im Familiensystem (Kind)
Ruhig bleiben, siehe Sicherheit
Runterschalten und erzählen lassen (Strategie)
S
Satter, Ellyn
Sattheit (Beispiel)
Scham, siehe auch Schuld- und Schamgefühle
– Beispiele
– erkennen und abbauen
– gefühlsstarker Kinder
– Grundlagen
– Langzeitauswirkungen
Scheidungen
Schere (Beispiel)
Scherze
Schikane
Schimpfworte
Schlafverhalten
– Beispiel
– Einschlaf-Mantras
– Grundlagen
– Sicherheit-Gewährleistung
Schlagen
Schlechtsein (als grundlegende Annahme)
Schließ-die-Augen-Trick (Strategie)
Schmusedecke siehe auch Stofftiere
Schreiben lernen (Beispiel)
Schubsen
Schüchternheit und Zaghaftigkeit
Schuld- und Schamgefühle, siehe auch Scham, siehe auch
Selbstvorwürfe und -zweifel
– der Eltern
– familiäre Muster
– Grundlagen
– »Rabeneltern«-Schleife
Schule (Beispiele) siehe auch Lernprozesse
Schutz, siehe Sicherheit
Schwartz, Richard
Schwarz-Weiß-Denken
Schwindeln, siehe Lügen
Selbstbestimmung (über den eigenen Körper)
Selbstbewusstsein
– Aufbaustrategien
– frühkindliche Prägung
– Grundlagen
– Unterminierungsgründe
– Verantwortungsaufteilung und
Selbstbild, siehe auch Selbstvorwürfe und -zweifel
– flexibles und statisches
– Grundlagen
– negatives
– perfektionistischer Kinder
– Prägung
Selbsterfüllende Prophezeiung
Selbstfürsorge (Grundprinzip)
– annehmen, anerkennen, zulassen
– atmen
– der Eltern allg.
– eigene Bedürfnisse erfüllen
– eine Sache nur für mich
– Nein sagen
– Wiedergutmachung - an uns selbst
Selbstkontrolle
Selbstkritik
Selbstmitgefühl
Selbstreflexion
Selbstsicherheit
Selbstvertrauen
– Aufbaustrategien
– Grundlagen
– und Selbstbestimmung
– Voraussetzungen
Selbstvorwürfe und -zweifel, siehe auch Schuld- und Schamgefühle
– der Eltern
– der Kinder
– »Rabeneltern«-Schleife
– Schaltkreise
– Signale
Selbstwertgefühl
Sexualität (Empfängnis)
Sichere Distanz (Strategie)
Sicherheit, siehe auch Präsenz zeigen
– Gewährleistung
– Kontrolle versus
– Schlafverhalten
– Trennungsangst
»Sich gefühlt fühlen«
Sich nicht ködern lassen (Strategie)
Siegel, Daniel
Smartphone, siehe Spielzeit ohne Smartphone
Snacks
Souveränität
Spaß (gemeinsamer) siehe auch Albern sein
Spiele und spielen
– alberne
– Auffüll-Spiel
– Beispiele
– Daumen-Spiel
– dazulernen
– perfekte Stimme
– Rituale einüben
– Rollenspiele
– Rollentausch
Spielplatz (Beispiele)
Spielzeit ohne Smartphone (SOS, Strategie)
Spielzeug-Wegnehmen (Beispiel)
Spott
Sprachempfehlungen, siehe auch Reden
Spucken
Stabilität
Stadtteilfest (Beispiel)
Statistik
Staubsaugerlärm (Beispiel)
Sterben und Sterblichkeit
Stift (Beispiel)
Stofftiere
– Auseinandersetzungen um
– Rollenspiele
– Trockenübungen
– Übergangsobjekte
Strafen und Belohnung
Streit, siehe auch Auseinandersetzungen, siehe auch
Geschwisterrivalität
– zw. Ehepartnern (Beispiele)
– zw. Geschwistern (Beispiele)
Stress, siehe auch Ängste
– am Arbeitsplatz (Beispiele)
– Hormone
– Resilienz und
– Umgang mit
– Wutanfälle und
Studien (zu Beziehungen)
Sturheit
System der Inneren Familie (IFS)
T
Talentshow
Tanzpartys
Teddybären (Beispiele), siehe auch Stofftiere
Teenager (Beispiele)
Teilen (Beispiele)
Telefonat (Beispiel)
Tennisplatz (Beispiel)
Teufelskreise, siehe auch Familiäre Muster
– Erregungsspirale
– essensbedingte
– frustrationsbedingte
– innerfamiliäre
– Lügen und Kontrolle
– problematisches Verhalten
– schambedingte
– Schlafstörungen
– selbsterfüllende Prophezeiung
– Selbstkritik
– Selbstvorwürfe und Schuldgefühle
Time-outs
Tippfehler (Beispiel)
Tod, siehe Sterben und Sterblichkeit
Toleranz, siehe Frustrationstoleranz, siehe Null-Toleranz-Politik
Tonfall
Tränen
Trauer, siehe auch Sterben und Sterblichkeit
Trennen von Kindern (in gefährlichen Situationen)
Trennungsangst
– Kindergarten und Kita
– Schlafprobleme
– Strategien
Treten
Trinkflasche (Beispiel)
Tritte
Trockenübungen (Strategie)
Trost-Buzzer (Strategie)
Trotziges Verhalten
T-Shirt (Beispiel)
U
Übergangsobjekte (Strategie)
Übernachtungen (auswärtige)
Überzeugungsversuche
Umarmung (Beispiel)
Umgangston, siehe Tonfall
Umzüge
Undankbarkeit
Unformulierte Erfahrung
Ungeduld
Ungewissheiten
Unglückliche Kinder (Beispiele)
Unhöflichkeit, siehe Problematisches Verhalten
V
Ventile (emotionale)
Verantwortung, siehe auch Sicherheit
– Aufteilung
– für eigenes Tun
– im Familiensystem (Eltern)
– Übernahme
Verbindung herstellen, dann fragen (Strategie)
Verbotswidersetzung (Beispiel)
Verbundenheit, siehe auch Bindungskapital aufbauen, siehe auch
einzelne Strategien
– Grundlagen
– Mantra
Verdrängung (und Angst)
Verhalten (allgemein), siehe auch Familiäre Muster, siehe auch
einzelne Themen
– als Fenster
– Bedürfnisse und
– Gefühle versus
– Identität versus
– Muster
– Wissenschaft und
Verkleiden-Spiel
Verlassensängste siehe auch Trennungsangst
Verletzende Worte
Verletzlichkeit
– familiäre Muster und
– von Eltern
– von Kindern
Verluste (und Gefühlsbank)
Verständnis, siehe auch Reden, siehe auch Beides ist wahr, siehe
auch einzelne Themen
Versuch-Würdigung (Strategie)
Vertrauen, siehe auch Selbstvertrauen
Videospiele (Beispiele)
Vielfalt
Vollkommenheitsdrang
Vorbereitung (Strategien)
– auf Ereignisse
– auf schwierige Themen
Vorbildfunktion
Vorspielungen
Vorwürfe, siehe Selbstvorwürfe und -zweifel
W
Wahl lassen (Strategie)
Wahrheit sagen (Grundprinzip), siehe auch Beides ist wahr, siehe
auch Ehrlichkeit
Wahrnehmungen bestätigen
Wandel, siehe Es ist nie zu spät
»Wann immer du so weit bist ...« (Strategie)
Weinen
Weitherzigkeit
»Wenn es nun wirklich so gewesen wäre ...« (Strategie)
Wettbewerb, siehe Geschwisterrivalität
Widerstandskraft (innere), siehe Resilienz
Wiedergutmachung
– an uns selbst
– Beispiele
– Grundlagen
Wiederholung der Bitte (Strategie)
Winnicott, Donald
Wirklichkeit und Fantasie
Wissen, siehe Lernprozesse
Wissenschaft
Wortschatz
»Wo sind die anderen?« (Strategie)
Wunsch benennen (Strategie)
Wut und Wutanfälle , siehe auch Aggressionen, siehe auch
Ausflippen
– gefühlsstarker Kinder
– Geschwisterkind und
– Grundlagen
– Lügen und
– Nicht-beachtet-Werden
– Strategien
Z
Zahnverlust (Beispiel)
Zeit widmen, siehe auch Bildschirmzeit, siehe auch Spielzeit ohne
Smartphone
Zuhören, siehe auch Reden
Zukunft (der Kinder)
– Schaltkreise
– Weichen für die
Zweifel, siehe auch Selbstvorwürfe und -zweifel
Zweitgeborene
Zwicken
Über die Autorin
Dr. Becky Kennedy ist klinische Psychologin und dreifache Mutter.
Das Time-Magazin hat sie zur »Elternflüsterin des neuen
Jahrtausends« gekürt, weil sie den Umgang mit unseren Kindern ganz
neu denkt. Sie ist darauf spezialisiert, zu ergründen, was wirklich in
unseren Kindern vorgeht. Ihre Erkenntnisse übersetzt sie in einfache,
leicht umsetzbare Strategien für Eltern. Dr. Beckys Ziel ist es, Eltern
Instrumente an die Hand zu geben, um die Herausforderung der
Kindererziehung besser zu bewältigen.
Dr. Becky begeistert auf Instagram mehr als eine Million loyale und
sehr aktive Follower. Sie bietet eine Vielzahl von Workshops für
Eltern an, ist Host eines äußerst beliebten Podcasts sowie eines
Newsletters. Sie hat außerdem ein Handbuch fürs Töpfchentraining
verfasst. Good Inside ist ihr erstes Buch.
Ihr wöchentlicher Podcast Good Inside with Dr. Becky wurde im
April 2021 ins Leben gerufen und eroberte sofort Platz 1 der Apple-
Podcast-Charts Kinder und Familie. Woche für Woche nimmt sie
sich schwierige Erziehungsfragen vor und liefert umsetzbare
Ratschläge zur Lösung – in kurzen Episoden, weil sie weiß, dass
Eltern wenig Zeit haben.
Dr. Becky hat ihren Bachelor in Psychologie und Human
Development an der Duke University in North Carolina gemacht. Dort
gehörte sie zu der Ehrengesellschaft Phi Beta Kappa und machte
ihren Abschluss mit höchster Auszeichnung. Ihren Doktortitel erwarb
sie in Klinischer Psychologie an der Columbia University in New York.
Mehr über Dr. Becky (in englischer Sprache) erfahren Sie auf
www.goodinside.com
Anmerkungen
1 Doell, Faye, »Partners’ Listening Styles and Relationship Satisfaction: Listening to
Understand vs. Listening to Respond«, Doktorarbeit an der Universität von
Toronto, 2003.
2 Siegel, Daniel, Payne Bryson, Tina, Achtsame Kommunikation mit Kindern.
Zwölf revolutionäre Strategien aus der Hirnforschung für die gesunde
Entwicklung Ihres Kindes, Freiburg im Br. 2013, S. 38.
3 Zenger, J. H., Folkman, J., The Extraordinary Leader: Turning Good Managers
into Great Leaders, New York 2002.
4 Bromberg, P. M., »Shadow and Substance: A Relational Perspective on Clinical
Process«, in: Psychoanalytic Psychology (1993) 10, S. 147 – 168.
5 W. R. Fairbairn, Psychoanalytic Studies of the Personality (Routledge & Kegan
Paul, 1952).
6 D. B. Stern, »Unformulated Experience: From Familiar Chaos to Creative
Disorder«, in: Contemporary Psychoanalysis 19 (1), 1983, S. 71 – 99.
7 Die Autorin verwendet die Formulierung deeply feeling kids (intensiv fühlende
Kinder). Im deutschsprachigen Raum ist dafür der von Nora Imlau geprägte
Begriff gefühlsstarke Kinder geläufig, sodass bei der Übersetzung auf diese
Formulierung zurückgegriffen wurde.
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