Sie sind auf Seite 1von 9

Gr Interakt Org (2023) 54:155–163

https://doi.org/10.1007/s11612-023-00679-4

HAUPTBEITRÄGE - THEMENTEIL

Kontinuierliches Vorgehen bei organisationalen Veränderungen

Fallbeispiel eines alternativen Ansatzes im Change Management

Gerhard P. Krejci1 · Barbara Vogel1

Angenommen: 22. März 2023 / Online publiziert: 20. Juni 2023


© The Author(s), under exclusive licence to Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023

Zusammenfassung
Nicht immer sind Ziele zu Beginn des Veränderungsvorhabens klar und eindeutig formuliert, sondern können erst im
Lauf der Zeit konkretisiert, verändert und ergänzt werden. Auch die Kontext- und Rahmenbedingungen stellen sich nicht
immer als bekannt und stabil dar. Bei solchen Ausgangslagen dürfte episodisch verstandenes Vorgehen, wie es so oft in
Change Projekten angewendet wird, nicht sinnvoll sein. Wir wollen in diesem Beitrag der Zeitschrift Gruppe. Interaktion.
Organisation. (GIO) entlang eines praktischen Beispiels die Anwendung eines „kontinuierlichen“ Veränderungsvorgehens
als alternativen Ansatz thematisieren. Um eine passende Verknüpfung von Theorie und Praxis herzustellen, sollen Voraus-
setzungen und Anforderungen für Beratung und Führung ebenfalls thematisiert weden.

Schlüsselwörter Veränderung · Lewin · Kontinuierlich · Episodisch · Beratung

Continuous approach in organizational change


A case study of an alternative way to change management

Abstract
At the beginning of the change initiative goals are not always clearly and unambiguously formulated, but can only be
concretized, changed and supplemented over time. Also, context and framework conditions are not always known and
stable. In such situations, the application of an episodic approach, as it is so often used in change projects, does not seem
to be suitable. It is the intention of this article in Gruppe. Interaction. Organization. (GIO) to address along a practical
example the application of a “continuous” change approach as an alternative. In order to establish a suitable link between
theory and practice, preconditions and requirements for consulting and leadership will also be addressed.

Keywords Change · Lewin · Continuous Change · Episodic Change · Consulting

1 Einleitung und diese auch zu initiieren (vgl. Wimmer und Schuma-


cher 2009). Nicht selten wird dafür Unterstützung in Form
In der Regel ist es eine der primären Aufgaben von Füh- von externer Beratung beigezogen, die für die Gestaltung
rung, die Notwendigkeit von Veränderungen zu erkennen und Umsetzungsbegleitung eines „Change Projektes“ be-
auftragt wird1. Beobachtet man Fallbeispiele von Verände-
rungsvorhaben (manche veröffentlicht, andere bei Tagun-
 Mag. Dr. Gerhard P. Krejci
Krejci@simon-weber.de
Barbara Vogel 1 Wir verwenden den Begriff „Transformation“ bewusst nicht, denn
Vogel@simon-weber.de eine solche bedeutet „das grundlegende System auf Basis einer Zu-
kunftsvision zu verändern und Dinge völlig anders zu machen ... Trans-
1
Simon Weber Friends GmbH, formation öffnet den Blick in eine neue Welt und schafft ein neues
Vangerowstr. 14, 69115 Heidelberg, Deutschland Selbst“ (Haas et al. 2022, S. 20).

K
156 G. P. Krejci, B. Vogel

Geschäsführung

Commercial Human
Sales & Project Customer
Engineering Administraon &
Development Execuon Service Resources
Procurement

3 10 6 3 4
Abteilungsleitungen Projektleitungen Abteilungsleitungen Abteilungsleitungen Abteilungsleitungen

Abb. 1 Organigramm FA

gen vorgestellt), so entsteht der Eindruck, dass diese einem sehr viel Unabhängigkeit gewährte. Diese Unabhängigkeit
klar definiertem Ziel folgen und in einem zuvor ausgear- wurde über lange Zeit mit sichtbar großem Stolz gepflegt,
beiteten Plan abgearbeitet werden. Dieser Plan dient in vie- was sich an einem kolportierten Ausspruch eines Mana-
lerlei Hinsicht zur Reduktion von Unsicherheit (vgl. Luh- gers zeigt: „Wir sind in diesem Konzern so etwas wie ein
mann 2000, S. 230 f.): Man hofft, Orientierung zu haben, gallisches Dorf“3. Diese Autonomie einer überschaubaren
erforderliche Ressourcen entsprechend zuteilen zu können Einheit in einem weltweit agierenden Konzern war nicht
und das Risiko für Überraschungen und Unabwägbarkeiten nur in administrativen und technischen Abläufen und Stan-
möglichst klein halten zu können. dards erkennbar, sondern auch was das verfügbare Wissen
Eine solche Vorgehensweise lässt eine generelle Sicht- und die Arbeitsressourcen betrifft.
weise auf Organisationen erkennen: Diese funktionieren Die formale Organisation von FA ist relativ flach de-
nach langjährig erlernten und praktizierten Strukturen und finiert (sh. Abb. 1): Neben dem Geschäftsführer sind die
Mustern. Sollen die zu einem hohen Grad stabil erschei- ihm untergeordneten sechs Bereichsleitungen zu einer Ge-
nenden Strukturen und Muster unterborchen, adaptiert bzw. schäftsleitung zusammengefasst. Die Zuständigkeiten der
ergänzt werden oder sollen überhaupt neue eingeführt wer- Bereichsleitungen sind an den generellen Arbeitsprozessen
den, bedeutet dies, mit einer vorübergehenden Instabilität orientiert: Die von Vertrieb und Entwicklung angebahnten
und mit möglichen Widerständen umgehen zu müssen. Aufträge werden von Projektabwicklung begleitet und tech-
Wie kann man allerdings vorgehen, wenn Ziele und Rah- nisch vom Engineering umgesetzt. Der Kundendienst be-
menbedingungen unklar sind, sich permanent ändern, viel- treut nach Inbetriebnahme die Kunden. Die administrativen
leicht sogar sehr unterschiedliche Veräderungsanforderun- Bereiche Kommerzielle Dienste & Einkauf sowie Personal-
gen gegeben sind? Wir wollen diesen Fragen anhand eines wesen stellen interne Dienstleistungen zur Verfügung. Die
Falls aus unserer Praxis nachgehen und uns dabei auf ent- meisten Bereiche sind auf Abteilungen aufgeteilt, die von
sprechende Theorieressourcen beziehen. Abteilungsleiter:innen geführt werden. Die 16 Abteilungs-
leitungen und 10 Projektleiter:innen werden intern (und
auch hier im Folgenden) als „Kader“ bezeichnet, da sie
2 Eine projektorientierte Organisation wesentliche Führungsaufgaben bei FA übernehmen.

Die hier beschriebene Organisation2 (nennen wir sie FA) ist 2.1 Zur Vorgeschichte
ein weltweit tätiges, hochspezialisiertes Technologieunter-
nehmen, das spezielle technische Anlagen für andere Orga- Vor einigen Jahren stellte die Personalabteilung eine bemer-
nisationen baut und auf seinem Gebiet der größte Anbieter kenswerte Zunahme an Austritten fest und erkannte grö-
ist. Das Unternehmen selbst wurde vor einigen Jahren von ßere Schwierigkeiten bei der Neuaufnahme von Mitarbei-
einem Konzern (in Folge HQ genannt) gekauft, der zunächst ter:innen, insbesondere bei Techniker:innen.

2 Wir haben uns entschlossen, die Organisation hier in diesem Text

zu anonymisieren, da eine offizielle Genehmigung des Inhaltes mög-


licherweise viel Zeit und mitunter viele Änderungswünsche zur Folge 3 Mit dieser Bezeichnung wird auf das fiktive „Dorf der Unbeugsa-

hätte. Die wesentlichen Eckpunkte dieses Textes wurden zwar mit dem men“ aus dem Comic-Serie „Asterix und Obelix“ von Goscinny und
Geschäftsführer der Organisation besprochen, dennoch sehen wir uns Uderzo (1969) verwiesen, dessen Bewohner sich als höchst autonom
als autonom genug, den Fall aus unserer (natürlich subjektiven) Sicht und von der römischen Besatzungsmacht keinerlei Vorschriften ma-
heraus zu beschreiben. chen lassendes Volk verstehen.

K
Kontinuierliches Vorgehen bei organisationalen Veränderungen 157

Bei unserem ersten Auftrag, der Bearbeitung der Exit- wechselseitige Abhängigkeit und damit die notwendige Ab-
Kennzahlen, wurde relativ rasch klar, dass wir mit der ge- kehr vom Verständnis als „gallisches Dorf“ auf den Punkt.
samten Geschäftsführung und dem Kader an der Problema- Paradoxerweise sucht der Konzern also die dezentralen Spe-
tik arbeiten würden. Das Projekt selbst wurde zufrieden- zialkompetenzen und die Expertise von FA, das sich in der
stellend abgeschlossen (da sich die Kennzahlen in Folge Vergangenheit ohne Einfluss der Mutter sehr gut entwickelt
signifikant verbesserten) und soll hier nicht zu viel Raum hat. Gleichzeitig wird klar, dass man ohne die Anpassung
einnehmen. Wichtig ist die Erwähnung dieses ersten Bera- an die zentralen Standards des HQ und ohne die Nutzung
tungsauftrages, weil wir durch ihn ein gutes Vertrauensver- (noch fehlender) interner Kompetenzen den neuen Anfor-
hältnis in der Organisation aufbauen konnten. Der damalige derungen der Märkte nicht mehr genügen kann. Man müsse
Geschäftsführer übernahm Mitte 2021 eine andere Aufgabe die nächsten Schritte von einem kleineren Mittelstandsun-
im Konzern. Ihm folgte ein lange im Unternehmen tätiger ternehmen zu einer größeren Organisation setzen und sich
Bereichsleiter nach, den man im Unternehmen einschätzen in einem engeren Verbund mit dem Konzern verstehen. In
konnte und dem man allgemein vertraute. diesen Veränderungsprozess sollen die Bereichsleitungen
Im Herbst 2021 zeichnete sich der Folgeauftrag ab, den und der Kader eng eingebunden werden.
wir hier als Praxisbeispiel verwenden wollen. Der Geschäftsführer diskutiert diese Ausgangssituation
und die Notwendigkeit der „stärkeren Integration in den
2.2 Die Ausgangslage Konzern“ zunächst mit den Bereichsleitungen. Einige zei-
gen sich eher zurückhaltend und plädieren dafür, nur we-
Bei unserem Auftragsklärungsgespräch berichten der neue nige Änderungen durchzuführen. Umfangreiche Verände-
Geschäftsführer und die Personalleiterin von einem signi- rungsprozesse würden sich negativ auf die Bearbeitung der
fikanten Wachstum bei den Mitarbeitenden (40 Neuzugän- Kundenprojekte auswirken und man „hätte ohnedies genug
ge haben inzwischen zu einer Gesamtzahl von 130 Perso- zu tun“. Auch steht die Befürchtung im Raum, dass im Zuge
nen geführt) bei einer moderaten Fluktuation von 2,5 %. einer stärkeren Zentralisierung die Autonomie der gemein-
Das Unternehmen blickt auf eine kräftig steigende Nach- samen Unternehmenssteuerung und -entwicklung in Gefahr
frage an Kundengeschäften zurück, darüberhinaus wird im käme. Allerdings werden in Folge die Schwierigkeiten, die
Jahr 2021 das größte Kundenprojekt der Unternehmensge- Anforderungen des Marktes zu bedienen, grösser und es
schichte verkauft. Die Kundenaufträge verändern sich je- wird immer klarer, dass kein Weg an signifikanten Ände-
doch nicht nur quantitativ, denn viele neue Anfragen stellen rungen bei FA vorbeiführt. Entweder wird FA selbst aktiv
vielmehr auch besondere Herausforderungen auf technolo- oder der Konzern wird aktiv werden.
gischer Ebene für FA dar. Diese Veränderungen bringen mit
sich, dass die aktuellen Strukturen und Abläufe von FA an
ihre Grenzen geraten: Mitarbeitende sind überlastet, viele 3 Theoretische Reflexion der Ausgangslage
Schnittstellen sind unklar, diverse Abstimmungen unterein-
ander sind verbesserungswürdig, und es zeichnet sich ein Die Verfasser:innen dieses Praxisberichtes verstehen sich
Bedarf an neuen Funktionen bzw. Rollen ab. Auch die re- als systemtheoretisch orientierte Berater:innen und versu-
gelmäßig durchgeführten Befragungen der Mitarbeitenden chen im Lewin’schen Sinne4 praktische Arbeit mit Blick
zeigen, dass viele Verantwortlichkeiten unklar und Abläufe auf eine theoretisch gut fundierte Basis zu gestalten. Wir
verbesserungswürdig sind. Es besteht Veränderungsbedarf, fassen für unsere Argumentation hier ein paar sehr rudi-
der noch undefiniert ist. mentäre Eckpunkte zusammen (für Details siehe Luhmann
Gleichzeitig kündigt HQ an, in nächster Zeit viele Akti- 1984, 2000; oder Simon 1991, 2007, 2018): Wir folgen in
vitäten standardisieren zu wollen. Dazu gehört zum Beispiel unserer Arbeit der grundlegenden Festlegung, dass die Ak-
die Einführung einer gemeinsamen Software-Anwendung tivitäten innerhalb eines sozialen Systems von diesem selbst
bei FA und eine notwendige Anpassung diverser Prozes- initiiert und durchgeführt werden und dabei gut eingespiel-
se an jene des Konzerns. Die Bewegungen der „Mutteror- ten Mustern und Strukturen folgen (die Termini dafür lau-
ganisation“ werden unterschiedlich gedeutet und es bleibt ten „Selbstdetermination“ und „operative Schließung“). Zu-
viel Spielraum für diese Interpretationen. Viele beschlos- sätzlich nehmen soziale Systeme Einflüsse aus ihren rele-
sene Veränderungsvorhaben betreffen nur Teilbereiche der vanten Umwelten wahr und bearbeiten diese, sofern ihre
Organisation, einiges ist vage bzw. unklar. internen Strukturen dafür entsprechend gestaltet („struktu-
Marktseitig zeichnet sich gleichzeitig eine höhere Nach- rell gekoppelt“) sind (vgl. Luhmann 1984, S. 300; Wimmer
frage an Lösungen ab, bei denen die Kompetenzen des Kon- 2012, S. 33). Für jedweden Versuch der Veränderung von
zerns auch bei FA gefragt sein werden. „Wir sind wichtig
für HQ, aber auch wir können nicht ohne den Konzern, 4 Wir beziehen uns u. a. auf den allseits bekannten Satz „There is

um erfolgreich zu bleiben“, bringt unser Auftraggeber die nothing more practical than a good theory“ vgl. Lewin (1951, S. 169).

K
158 G. P. Krejci, B. Vogel

außen (also entweder durch Beratung oder durch Manage- erforderlich werden, dann ist mit Widerstand zu rechnen,
ment) bedeutet dies, dass sogenannte „instruktive Interak- sodass diese nur sehr zögerlich und mit großem Aufwand
tionen“ in Form von klaren Anweisungen, die erwartbare durchführbar sind. Die Organisation muss über identifizier-
Ergebnisse liefern, wenig bzw. bedingt wirksam sein wer- te Defizite bisher als erfolgreich eingeschätzter Praktiken
den. Um als Umwelt innerhalb des sozialen Systems Or- aufgeklärt werden, die es zu beheben gilt. Die festgefahre-
ganisation wirksam werden und bestimmte Veränderungen nen, starren, wenig veränderungsbereiten Phänomene müs-
initiieren zu können, müssen die internen Strukturen ent- sen im Rahmen eines sehr zielgerichteten, linear ablaufen-
sprechend „irritiert“ oder „gestört“ werden, bevor man sich den Vorgehens bearbeitet werden.
mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit einer Neugestaltung Idealerweise wird dabei ganz im Sinne von Lewin (1947,
widmen kann. Für das entsprechende Vorgehen hat sich S. 34 ff.) in drei Schritten vorgegangen und ein Prozess
in der Praxis die Bezeichnung „Intervention“ durchgesetzt durchlaufen, der sich sich sowohl in der Praxis, als auch in
(vgl. Willke 1999; Groth und Wimmer 2004; beispielhaft der Theorie als ein generell akzeptiertes Konzept etabliert
Königswieser und Exner 1998). hat (vgl. Schein 1996):
Das bedeutet für Beratung, dass man versuchen muss,
1. Beim Unfreeze (Auftauen) soll „das Feld“ möglichst gut
die internen Logiken der jeweiligen Organisation zu ver-
aufbereitet werden, indem man bestimmte Erwartungen
stehen (also deren beobachtbare Strukturen und Muster),
(im Sinn von „so kann es definitiv nicht weitergehen“)
um Ansatzpunkte für wirksame Interventionen zu identifi-
widerlegt, Lernbemühungen fördert und ein gewisses Le-
zieren bzw. ein entsprechendes strategisches Vorgehen zu
vel an Sicherheit erarbeitet.
definieren.
2. Die eigentliche Veränderung (Change) achtet besonders
auf die Unterbrechung und bzw. oder die Einführung
3.1 Interventionsstrategische Überlegungen
neuer Aktivitäten, Sichtweisen, kognitiver Strukturen
etc.,
Zunächst lässt sich im vorliegenden Fall eine gewisse
3. was schließlich in ein neuerliches Refreeze (wieder Ein-
„Grundlogik“ erkennen, nach der FA gewöhnt ist zu agie-
frieren) mündet, bei dem die neu eingeführten oder un-
ren. Die Kundenaufträge werden wie einzelne Projekte
terbrochenen Strukturen sichergestellt bzw. in neue Rou-
behandelt (Heintel und Krainz 2011): Beginn und Ende
tinen überführt werden.
sind relativ klar vorgegeben. Zuständigkeiten, Arbeitsab-
läufe und Ressourcenzuteilung folgen definierten Planun- Akteure der Veränderung werden als Treiber der Ver-
gen. Würde man in solch einer an Projektarbeit gewöhnten änderung gesehen, die sich insbesondere auf die Überwin-
Organisation ein „Change Projekt“ durchführen und eine dung von Trägheit und Widerstand fokussieren, bestimmte
Person damit beauftragen, wäre die Organisation entlastet, Unterstützungsmaßnahmen und Vorgehensweisen fördern –
denn immerhin ist man ja auch noch mit anspruchsvollen und diese auf kommunikativer Ebene zusätzlich unterstüt-
Tätigkeiten für die Kundenprojekte beschäftigt. zen. Change Agents koordinieren den Gesamtprozess und
Allerdings wäre dies unserer Einschätzung nach für die begünstigen die Zustimmung in der Organisation. Episodi-
Organisation eher ein zeitlich befristeter Standardprozess, scher Change bietet sich besonders für große, klar abge-
der wenig Unterschied machen und dadurch vermutlich re- grenzte und umfangreiche Veränderungsvorhaben an. Man
lativ wenig Aufmerksamkeit erhalten würde. Ein solches geht dabei von der Prämisse aus, dass nach erfolgreicher
Vorgehen, so unsere Hypothese, wäre gerade im Rahmen Umsetzung für längere Zeit wieder mit Stabilität des Neu-
der skizzierten Kontextfaktoren wenig erfolgversprechend. en gerechnet werden kann (vgl. Weick und Quinn 1999).
Der Blick auf die Arbeiten von Weick und Quinn (1999) zu
Veränderungen in Organisationen bestärkt uns in dieser An- 3.3 Kontinuierlicher Change
nahme. Die Autoren differenzieren darin generell zwischen
zwei generellen Ansätzen, dem episodischen und dem kon- Betrachtet man die Aktivitäten in Organisationen mit dem
tinuierlichen Change-Prozess. Erklärungsansatz sich selbst organisierender Prozesse, dann
wird Veränderung als eine Konstante endloser Modifikatio-
3.2 Episodischer Change nen erkennbar. Das Geschehen ist geprägt durch aufmerk-
same Reaktionen auf tägliche Zufälle und organisatorische
Die Grundidee des episodischen Veränderungsprozesses be- Instabilität. Veränderung ist aus diesem Betrachtungswinkel
ruht auf einem strukturkonservativen Verständnis von Or- keine Ausnahme, sondern die Regel, also „kontinuierlich“.
ganisationen: Sie verfügen demnach über eingelernte Ab- Die Organisation ist in der Lage, sich auf den Zufall ein-
läufe und fest etablierte Strukturen und behandeln diese zustellen und sich kurzfristig anzupassen. Unterstützende
eher „konservativ“. Die Routinen sind gut ausbalanciert und Interventionen zielen daher idealerweise auf die Stärkung
Ergebnisse relativ gut vorhersagbar. Wenn Veränderungen langfristiger Anpassungsfähigkeit ab. Sie sollten zyklisch

K
Kontinuierliches Vorgehen bei organisationalen Veränderungen 159

und prozesshaft, ohne einen fix definierten Endzustand an- Veränderungsprozess ein, sodass die Organisation flexibel
gelegt werden. agieren und reagieren kann – was eine Herausforderung für
Ein kontinuierliches Change-Vorgehen ist weniger „lewi- die sonst so präzise agierende und sehr technisch „ticken-
nisch“, sondern mehr „konfuzianisch“ zu betrachten (vgl. de“ Organisation darstellt. Aber auch für Beratung bedeutet
ebd.): dies eine Umstellung im Vorgehen, muss man doch sehr
flexibel auf den Kunden und dessen Aktivitäten eingehen.
1. Strukturen und vor allem lange eingelernte Muster müs-
Termine werden oft kurzfristig abgestimmt und Aufwän-
sen identifiziert und bearbeitet werden. Dazu bedarf es
de sind schwer zu beziffern. Das regelmäßige Freezing-
in einem ersten Schritt eines Freeze (Einfrieren). Das be-
Rebalancing-Unfreezing stellt also für alle Beteiligten eine
deutet, innezuhalten und mit (Selbst-)Reflexion zu begin-
voraussetzungsvolle Vorgehensweise dar.
nen.
Im hier beschriebenen Change-Prozess werden die Er-
2. Im Zuge eines Rebalance (neu Ausbalancieren) können
eignisse in regelmäßigen Online-Calls mit FA besprochen
Lernmöglichkeiten identifiziert werden, um Muster zu
und punktuelle Interventionsmöglichkeiten diskutiert. Um
variieren und bestimmte Wahrnehmungen neu zu inter-
die Organisation bei ihrem kontinuierlichen Change gut zu
pretieren bzw. umzudeuten.
begleiten, werden kurzfristig einige Workshops durchge-
3. Mit neuen Erkenntnissen kann bewusst wieder ein Un-
führt:
freeze (Auftauen) initiiert werden, um weiterhin hohe
Aufmerksamkeit auf das Geschehen in relevanten Um-
Schritt 1 (März 2022) In einem eintägigen Treffen mit der
welten zu lenken und bei Bedarf wieder zu improvisieren
Geschäftsleitung werden die Ausgangssituation bearbeitet
oder rasch punktuell reagieren zu können.
und die Einzelinitiativen identifiziert. Dabei soll ein ge-
Auf diese Art werden die Akteure der Veränderung (also meinsames Verständnis für die Veränderungsanforderungen
Berater:innen und Führungspersonen) zu Sinnvermittlern, erarbeitet werden: Welche Änderungen zeichnen sich in
die im Zuge regelmäßiger Reflexionen die je wichtigen The- meinem Bereich ab und welche anderen Bereiche (inner-
men in Erinnerung rufen bzw. hervorheben helfen. halb von FA und zu anderen Bereichen in HQ) müssen dabei
berücksichtigt werden? Dieser Blick auf die Abhängigkei-
3.4 Praxisreflexion 2 – Entscheidung für ten ist neu für die Organisation und paradoxerweise wird
kontinuierlichen Change damit ein dezentrales Agieren betont, obwohl die Verände-
rungsimpulse größtenteils mit der Zentralisierung und der
Verknüpft man die (zugegebenermaßen sehr grob skiz- Anpassung an die Konzernlogik zu tun haben. Den meisten
zierte) Charakterisierung von Change als einer „Episode“ Führungskräften wird nun klar, dass beides berücksichtigt
mit den geplanten Vorhaben der FA, so scheint ein „Le- werden muss. Einige Bereichsleiter erkennen Chancen und
win’sches Vorgehen“ wenig sinnvoll: Es sind zu viele klei- identifizieren konkrete Aktivitäten, andere reagieren skep-
nere und einzeln gelagerte Veränderungen geplant. Darüber tisch abwartend und wenig überzeugt. Gegen Ende des Ta-
hinaus verändern sich viele Kontextvariablen ständig: Kun- ges wird Unsicherheit bei den Akteuren deutlich, man fühlt
den stellen neue Anforderungen, Mitbewerber verändern ihr sich noch nicht ausreichend gut vorbereitet für den Work-
Portfolio, die Organisation ringt mit dem Fachkräfteman- shop mit dem Kader, der wenig später stattfinden soll. Wir
gel, die Covid 19-Pandemie hält an und die Anforderungen einigen uns (spontan) auf ein weiteres Treffen am Vorabend
aus dem Konzern (HQ) konkretisieren und erweitern sich des Workshops mit dem Kader. Das Ziel dabei: Der obers-
regelmäßig. Schließlich sollen auch die Arbeitsprozesse ten Führungsebene ausreichend Sicherheit für den Prozess
hinsichtlich der Schnittstellen und Zuständigkeiten regel- gewährleisten.
mäßig angepasst werden. Es wird leicht erkennbar, dass der
Prozess kaum zuverlässig geplant und durchgeführt wer- Schritt 2 Am Vorabend des Workshops mit dem gesam-
den kann, sondern dass fortlaufende Selbstbeobachtung, ten Kader reisen die Mitglieder der Geschäftsleitung früher
Improvisation und rasche Reaktionsfähigkeit erforderlich an und präsentieren sich gegenseitig ihre ausgearbeiteten
sind. Vorhaben. Einige erkennbare Unterschiede hinsichtlich der
Im Zuge der Auftragsklärung mit der Beratung wird er- vorbereiteten Präsentationen führen dazu, dass manche Ak-
kennbar, dass die Veränderungsvorhaben und Ziele schwer teure diese bis spät nachts überarbeiten. Es wird erkennbar,
einzugrenzen sind und kaum Aussagen über zeitliche Rah- dass die Bereichsleiter zu Change Agents geworden sind
menbedingungen gemacht werden können. Der Geschäfts- (übrigens ohne sie als solche zu titulieren).
führer vermutet viele unterschiedliche Anforderungen zur Im Zuge des zweitägigen Workshops mit dem Kader (zir-
Veränderung und sucht externe Unterstützung dafür. Al- ka 30 Personen) werden viele erforderliche Abstimmungen
les spricht für eine besondere Art des Vorgehens und die und Planungen vorgenommen, für die einzelne Personen
daran Beteiligten lassen sich auf einen iterativen, offenen Verantwortung übernehmen. Ein gemeinsamer Projektplan

K
160 G. P. Krejci, B. Vogel

wird jedoch nicht erstellt, sondern ein zweiter Schritt für Deutlich wird hier, dass der Geschäftsführer nicht einer
Juni 2022 angekündigt. Die dichte Arbeitsatmosphäre wäh- Idee von Partizipation (im Sinne der klassischen OE) oder
rend dieses zweitägigen Workshops signalisiert ein offenbar von Selbstorganisation (wie sie in manchen agilen Ansät-
breites Verständnis für Veränderungen – auch wenn nicht zen propagiert wird) folgt. Vielmehr setzt er auf Transpa-
alles sofort klar ausgearbeitet werden kann. renz und Überzeugung, um breite Akzeptanz und aktive
Einige Wochen nach dem Kaderworkshop zeigt sich der Mitarbeit bei der Veränderung zu gewinnen.
Geschäftsführer im Gespräch mit den Berater:innen „sehr Auf die Workshops folgen monatliche Abstimmungen
zufrieden mit den Aktivitäten, die nach dem Workshop ge- zwischen Geschäftsführung und Berater:innen die wider-
startet wurden. Die Agilität der Firma wurde gesteigert“, spiegeln, wie die Organisation sich im Veränderungspro-
Mitarbeiter argumentieren sogar von sich aus, dass es sinn- zess beobachtet. Dabei werden sowohl fachliche Themen
voll wäre, die Prozesse von FA an jene von HQ anzupassen. betrachtet wie auch der Entwicklungsprozess und die Zu-
Gleichzeitig machen sich im HQ die Auswirkungen der sammenarbeit bespiegelt.
gerade begonnenen Ukraine-Krise bemerkbar: Viele Pro-
 Status Mitte Juli 22: HR hat eine bei den teilnehmenden
jekte sind abrupt unterbrochen worden und das verfügbare
Kadermitgliedern eine Umfrage zur Zufriedenheit durch-
Personal ist eher unterbeschäftigt. Es wird auch klar, dass
geführt. 70 % sind mit dem Workshop zufrieden, 67 %
man das Wissen und die Arbeitskraft von HQ-Mitarbei-
sehen den Prozess als „auf dem richtigen Weg“, für 58 %
ter:innen auch bei FA nutzen kann – sofern die Prozesse
ist der Case for Action klar. (Die relativ niedrige Zustim-
gut abgestimmt sind. Somit werden weitere „Case(s) for
mung bei der letzten Kennzahl könnte man als Reaktion
Action(s)“ erkennbar.
der Mitwirkenden auf die neuartige und ungewohnte Of-
fenheit des Prozesses erklären: Die Organisation ist vor-
Schritt 3: Anfang Juni 2022 Bei einem Geschäftsleitungs-
wiegend episodisches Vorgehen mit klaren Zwecken und
treffen stellt sich nun die Frage: „Wo stehen die Bereiche
Zielvorgaben gewohnt. Offenbar wird noch Zeit benötigt,
mit ihren Aktivitäten? Was ist gelungen? Was war schwie-
um damit zurechtzukommen. Bereichsleiter planen wei-
rig? Welche nächsten Schritte sind erforderlich?“ Dieses
tere Informationsrunden und Einzelgespräche zu Anfor-
Treffen dient auch dazu, bestimmte Aufgabenstellungen für
derungen und zum allgemeinen Vorgehen.)
einen Workshop vorzubereiten, bei dem mit einem erweiter-
 Status September 22: „Wir sind unterwegs, aber in klei-
ten Kader (d. h. Abteilungsleitungen und Projektleitungen
nen Schritten.“ FA sieht sich vor großen Herausforderun-
plus Expert:innen) gearbeitet werden soll.
gen durch eine Steigerung der Aufträge („Kunden ren-
nen uns die Tür ein“) in Kombination mit dem akuten
Schritt 4: Mitte Juni 2022 Wieder beginnen wir am Vor-
Ressourcen-Engpass, denn viele offene Stellen können
abend mit einem Treffen der Geschäftsleitung, bei dem wir
nicht nachbesetzt werden. Mitarbeiter:innen aus HQ sind
Aufgabenstellungen an den erweiterten Kader formulieren.
eher zurückhaltend und wollen keinen Arbeitsplatzwech-
Während dieses Treffens sollen in sich selbst steuernden
sel vornehmen. Viel Kontakt zwischen Geschäftsleitung
Kleingruppen neue Rollen und Zuständigkeiten, Schnitt-
und HQ.
stellen und Querschnittsthemen sowie wichtige Entschei-
 Status Oktober 22: Zusammenarbeit mit HQ läuft immer
dungen in den Blick genommen werden. Jedes Team trägt
besser; viele Tätigkeiten werden an HQ übergeben, aller-
die Verantwortung dafür, dass die wichtigen Fragen bear-
dings wird der Wunsch formuliert, dass das Know-How
beitet werden und die Bereichsleitungen über Entscheidun-
bei FA gesichert wird. Auch Abteilungsleitungen gehen
gen informiert werden. Dies alles geschieht mit Blick auf
direkter auf HQ-Kollegen zu.
HQ und die aktuellen und potenziellen Anforderungen des
 Status November 22: „Wir kommen in ruhigere Gewäs-
Konzerns. Eine komplexe Landkarte wird in diesem Work-
ser“. Mitarbeiter:innen merken nun, wie wichtig die An-
shop sichtbar.
gleichung der Prozesse ist. Viele äußern sich begeistert
Bei all diesen Schritten passt der Geschäftsführer seine
über den Austausch mit HQ. Das Managment lässt viel
Aktivitäten gezielt an. Er präsentiert seine Einschätzung der
Gestaltungsraum, denn immerhin blickt man auch auf ein
Situation, unterscheidet wichtige Rahmenbedingungen, ent-
erfolgreiches Geschäftsjahr: „Bestes Jahr ever“.
wickelt visionäre Zielbilder. Bei der Erarbeitung der jewei-
ligen Ergebnisse hält er sich im Hintergrund. Vor, während Es gibt kein Ende der Geschichte, sondern es bleibt beim
und nach den Workshops führt er Einzelgespräche mit den kontinuierlichen Vorgehen. Uns allen (d. h. der beauftra-
Akteuren. Dies alles klingt auf den ersten Eindruck als ei- genden Geschäftsleitung, wie auch den Berater:innen) wird
ne der Rolle entsprechende Selbstverständlichkeit, stellt je- im Zuge der Arbeit immer klarer, dass wir ein Vorgehen
doch im Gesamtprozess eine wichtige, vertrauensfördernde gewählt haben, das sich anders darstellt als jenes, das in
Maßnahmen dar. Fachmagazinen und auf Tagungen oftmals präsentiert wird
(es gibt einige Ausnahmen wie Scott-Morgan et al. 2001;

K
Kontinuierliches Vorgehen bei organisationalen Veränderungen 161

Clement 2018). Wir wollen zum Abschluss (auch im Sinne menbedingungen, Vorgeschichten, relevante Umwelten und
eines Freeze-Rebalancing-Unfreeze) einigen Fragen nach- involvierte Akteure. Es kann dabei nicht immer alles voll-
gehen, die für Praxis und Forschung relevant sein könnten. ständig geklärt werden und immer wieder stellen sich bei
der Umsetzung Überraschungen und Unvorhersehbarkeiten
ein. Natürlich bleibt auch immer ein gutes Maß an Komple-
4 Fazit xität, das im Zuge des Vorgehens behandelt werden muss.
Dennoch lässt sich die Rolle der Beratung auf den Punkt
An dieser Stelle soll nochmals explizit darauf hingewiesen bringen: Sie soll die Unsicherheit möglichst reduzieren hel-
werden, dass wir keinesfalls den Eindruck erwecken wol- fen, indem sie möglichst strukturiert und geplant vorgehen.
len, man solle auf episodisch gesehene Change Projekte Problematisch kann es beim episodischen Vorgehen wer-
verzichten und nur noch kontinuierlich vorgehen. So wich- den, wenn die Umsetzung des Plans zu sehr im Vorder-
tig aus unserer Sicht ein kontinuierlicher Change sein kann grund steht und weniger auf sich ändernde Kontextbedin-
(und im vorliegenden Fall ist), so gibt es zweifellos ge- gungen oder sich als nicht passend erweisende Zielvorstel-
nug Anwendungsfälle bzw. Konstellationen, in denen die lungen reagiert wird. Eine dadurch erforderliche Anpassung
Veränderung als episodisch betrachtet werden sollte. wird oft als Scheitern oder Unvermögen erklärt und dafür
muss jemand Verantwortung übernehmen. In solchen Fäl-
4.1 Episodischer Change bleibt sinnvoll len müssste man punktuell auf „Improvisation“ (vgl. Weick
1998) umschalten und das Klientensystem entsprechend da-
Ein „episodisch behandeltes“ Change-Projekt ist bei sehr rauf einstellen.
klaren Ausgangslagen und gut formulierten Zielvorgaben
eine sinnvolle Vorgehensweise. Das gilt vor allem dann, 4.2 Kontinuierlicher Change als gute Alternative
wenn Organisationen mit umfangreichen, signifikanten und
radikalen Veränderungsanforderungen konfrontiert werden Haben wir es eher mit äußerst unklaren, sich permanent
und in kürzester Zeit neue Strukturen und Prozesse einge- ändernden, immer wieder Überraschung bietenden Situatio-
führt werden sollen. Insbesondere wenn es sich um Verän- nen zu tun, dann wird ein Vorgehen im Sinne einer „konti-
derungen handelt, die in einer sich nur schwer ändernden, nuierlichen Veränderung“ sinnvoller sein. Damit wird kon-
ja äußerst trägen Organisation durchgeführt werden müs- sequent das Unwägbare, das Unsichtbare und nicht Planba-
sen, ist der „Lewin’sche Ansatz“ (Weick und Quinn 1999) re zum Teil des Plans. Veränderung wird als konstantes Phä-
zielführend. nomen eines permanent auf Umwelteinflüsse reagierenden
Ähnlich argumentiert auch Kotter (2008), der dafür ein sozialen Systems (also die Organisation) betrachtet. Und
8-Schritte-Vorgehen vorschlägt und beispielsweise zu Be- da Organisationen Veränderungen gewohnt sind, ist die Fä-
ginn eines Veränderungsprozesses die Fokussierung auf die higkeit zu improvisieren nicht eine Ausnahme, sondern die
Notwendigkeit („Sense of Urgency“), sowie die Bildung ei- Regel und wird zu einer entscheidenden organisationalen
ner einflussreichen und wegweisenden Gruppierung („Gui- Kompetenz.
ding Coalition“) und die Erarbeitung einer Vision und Stra- Ein kontinuierliches Vorgehen ist für Organisationen die
tegie („Develop a Vision & Strategy“) fordert. Für diese Praxis der von Ashby (1956) geforderten „Requisite Varie-
Vorgehensweise bedarf es ausreichenden Wissens um die ty“: Eine möglichst hohe Varietät in den internen Aktivitä-
Rahmenbedingungen und klarer Ziele zu Beginn des Pro- ten soll auf die hohe Varietät der Umwelteinflüsse reagieren
zesses. können. Komplexen „Gemengelagen“ kann die Organisati-
Primäre Aufgabe von Berater:innen ist dabei, im Ver- on entsprechend begegnen. Wir haben viele dieser Charak-
änderungsprozess eine gewisse Sicherheit zu gewährleis- teristika im oben beschriebenen Fall identifiziert.
ten. Sie schlagen Vorgehensweisen vor, indem sie sachliche Die Rolle von Beratung sollte beim kontinuierlichen
Themen mit zeitlichen Rahmensetzungen und sozialen Fra- Change teilweise anders angelegt werden. Natürlich bleibt
gestellungen kombinieren. Sie entwerfen den Ablaufplan es bei der Funktion der Unsicherheitsabsorption (vgl. Luh-
mit den einzelnen Veränderungsschritten und suchen die mann 2000, S. 183 ff.), diese wird aber mit anderen Mitteln
wichtigsten „Key Player“ in der Organisation, die mitbeob- bewerkstelligt. Das zeigt sich schon bei der Auftragsklä-
achten und am Change mitarbeiten. Das können Personen rung, denn ein klares Ziel wird kaum formuliert werden
sein, die wichtige Entscheidungen treffen, die aktiv an der können. Vielmehr wird sehr vage ein Prozess beauftragt,
Veränderung mitarbeiten, die von den Veränderungen be- der „in eine bestimmte Richtung geht“ und dafür müssen
troffen sind und die auch unterstützend mitwirken. sich alle Beteiligten entsprechend auf einen offenen und
Um dem gerecht zu werden führen Berater:innen um- flexiblen Prozess einlassen. Planung und Koordination,
fangreiche Auftragsklärungsgespräche durch, analysieren sowie die Bearbeitung von Widerstand rücken eher in den
Kontexte des Änderungsvorhabens wie zum Beispiel Rah- Hintergrund (siehe oben die Erwähnung der „spontanen

K
162 G. P. Krejci, B. Vogel

Maßnahmen“ oder die Vermeidung eines Gesamtplanes). zur Organisationsentwicklung (vgl. Trebesch 2007) zu ge-
Das Innehalten und Reflektieren der im täglichen Prozess ben, insbesondere was die zyklisch-iterative Vorgehenswei-
beobachtbaren Phänomene („Freeze“), die (Um-)Deutung se und die besondere Fokussierung auf Partizipation der Be-
und Neu-Ordnung von eingespielten Mustern („Rebalan- troffenen betrifft. Dabei sehen sich Berater:innen in erster
ce“) und schließlich die Aufforderung zum fortgesetzten Linie als Experten für die Gestaltung von Entwicklungs-
Improvisieren („Unfreeze“) stellen für viele Berater:innen prozessen, bei denen die (mitunter sehr normativ klingen-
ungewohnte Vorgehensweisen5 dar. de) Einbindung der Betroffenen und Konsensbildung im
Generell wird im kontinuierlichen Vorgehen Vertrauen Vordergrund stehen. Allerdings werden viele Interventio-
zu einer wichtige Rahmenbedingung, denn „Wer Vertrau- nen eher mit Blick auf Beziehungsgestaltungen zwischen
en schenkt, erweitert sein Handlungspotenzial beträchtlich“ Personen und Gruppen gesehen, als mit (oft nüchtern und
(Luhmann 1984, S. 180). Und gerade bei Situationen hoher sachlich erscheinenden) Organisationsfragen (vgl. Simon
Komplexität wird Vertrauen zu einem wichtigen Parameter. 2014). Wie oben ausgeführt, stehen beim kontinuierlichen
Damit ist nicht nur „personales“ Vertrauen gemeint (wie Vorgehen des Freeze-Rebalance-Unfreeze die Bearbeitung
es sich durch den Geschäftsführer und andere Protagonis- von Mustern und Strukturen (und somit insbesondere Orga-
ten zeigte) und das im Zuge persönlicher, direkter Inter- nisationsthemen) besonders im Vordergrund. Die Sozialdi-
aktionen erzeugt werden kann. Vielmehr ist auch System- mension wird berücksichtigt, steht aber nicht normativ im
vertrauen erforderlich, also jenes, das durch beobachtbare Mittelpunkt.
Handlungen und Entscheidungen auf Ebene der Strukturen
und Muster wirksam wird und vor allem rasch so rasch wie 4.3 Ein Ausblick
möglich aufgebaut werden muss. Meyerson et al. (1996)
haben dafür den Begriff des „Swift Trust“ geprägt und be- Wir möchten sowohl Praxis als auch Wissenschaft dazu
tonen dabei die Wichtigkeit klar definierter Zuständigkei- anregen, die hier dargestellten Ansätze im Umgang mit
ten, Rollenklarheiten, vereinbarter Vorgehensweisen etc. Im Change näher zu untersuchen. Insbesondere was Kombi-
vorliegenden Fall wurde daran im Rahmen der Workshops nationen und Variationen von „episodisch – kontinuierlich“
intensiv gearbeitet. betrifft, sind uns relativ wenige praktische Berichte (vgl.
Auch im agilen Diskurs wird Veränderung als Dauer- Clement 2018, S. 64 ff.; Gebauer 2017) oder wissenschaft-
aufgabe beschrieben und viele Prinzipien finden sich auch lich fundierte Untersuchungen bekannt.
im kontinuierlichen Change wieder – dazu gehören bei- Eine zunehmende Kontextdynamik könnte dafür spre-
spielsweise die Rahmung und Orientierung („Purpose-For- chen, dass sich auch das iterative Vorgehen des kontinu-
mulierungen“), das schrittweise Anpassen, die Betonung ierlichen Change noch weiter durchsetzt. Nicht zuletzt mit
des Prozesses, das ständige Nachschärfen der Zielbilder, Blick auf aktuell diskutierte neuere Formen des Organisie-
die Feedbackschleifen, etc. rens (vgl. beispielhaft Laloux 2014; Robertson 2015; Oes-
Im vorliegenden Beispiel wird erkennbar, dass in der tereich und Schröder 2017) ist durchaus mit einer stärkeren
Praxis vieles klar von typisch agilen Prinzipien abweichen Hinwendung an ein kontinuierliches Verständnis von Ver-
kann: Die Impulse für die Veränderungen (Veränderungs- änderungen zu rechnen.
notwendigkeit) werden als von außen (dem Markt) bzw. aus Das hat natürlich Auswirkungen auf die praktische Be-
dem Top Management kommend beschrieben – statt „von ratungstätigkeit: Kontinuierliches Vorgehen muss gut (und
den Menschen“ im Inneren der Organisation. Es werden immer wieder) erklärt und begleitet werden. Beratung stellt
keine agilen Rollen geformt und auch keine klaren Ver- sich dabei auf die Seite des Nicht-Wissens, trainiert im Kun-
änderungsetappen („Sprints“) unterschieden. Ansätze der densystem die Selbstbeobachtung, lernt aus den eigenen In-
Selbstorganisation werden an keiner Stelle propagiert. Die terventionen und hat die wichtige Aufgabe, das Vertrauen
Abweichungen vom agilen Change Managment und von der Kunden in die eigene Improvisations- und Lernfähig-
den Scrum-Prinzipien, die dabei häufig hinterlegt werden, keit zu stärken. Ebenso muss Beratung aushalten, dass der
sind somit (zu) markant. Uns scheint das Konzept der kon- Change (möglicherweise überraschend) als beendet erklärt
tinuierlichen Veränderung die passendere Rahmung zu sein. wird. Es bleibt geplant unplanbar.
Eine Nähe des kontinuierlichen Ansatzes im Change
scheint es auch zur Prozessberatung (vgl. Schein 2003) und Literatur
Ashby, W. R. (1956). An introduction to cybernetics. Wiley.
5 Im übrigen lernt man vieles davon in gruppendynamischen Trai- Clement, U. (2018). Wandel in Organisationen. Über Roadmaps, Hel-
nings. Daher ist die intensive Beschäftigung mit Gruppendynamik und denreisen und Saftpressen. Vandenhoeck & Ruprecht.
der Besuch von sogenannten T-Gruppen ein ideales Lern-, Erfahrungs- Gebauer, A. (2017). Kollektive Achtsamkeit organisieren: Strategien
und Übungsfeld für Beratung und Management. In solchen Seminaren und Werkzeuge für eine proaktive Risikokultur. Schäffer-Poe-
kann man kontinuierlichen Wandel bestens beobachten. schel.

K
Kontinuierliches Vorgehen bei organisationalen Veränderungen 163

Goscinny, R., & Uderzo, A. (1969). Asterix der Gallier. Delta Hori- Willke, H. (1999). Systemtheorie II: Interventionstheorie. Grundzüge
zont. einer Theorie der Intervention in komplexe Systeme (3. Aufl.). Lu-
Groth, T., & Wimmer, R. (2004). Konstruktivismus in der Pra- cius & Lucius.
xis:Systemische Organisationsberatung. In F. von Ameln (Hrsg.), Wimmer, R. (2012). Die neuere Systemtheorie und ihre Implikationen
Konstruktivismus: die Grundlagen systemischer Therapie, Be- für das Verständnis von Organisation, Führung und Management.
ratung und Bildungsarbeit (S. 224–244). UTB Taschenbuch, A. In J. Rüegg-Stürm & T. Bieger (Hrsg.), Unternehmerisches Ma-
Francke. nagement. Herausforderungen und Pespektiven (S. 7–65).
Haas, O., North, K., & Pakleppa, C. (2022). Transformation. Tiefgrei- Wimmer, R., & Schumacher, T. (2009). Führung und Organisation.
fende Veränderungen verstehen, ermöglichen und gestalten. Vah- In R. Wimmer, J. O. Meissner & P. Wolf (Hrsg.), Praktische
len. Organisationswissenschaft, Lehrbuch für Studium und Beruf (S.
Heintel, P., & Krainz, E. E. (2011). Projektmanagement: Hierarchie- 169–194). Carl-Auer.
krise, Systemabwehr, Komplexitätsbewältigung (5. Aufl.). Wies-
baden: Gabler. Springer Nature oder sein Lizenzgeber (z.B. eine Gesellschaft oder
Königswieser, R., & Exner, A. (1998). Systemische Intervention. Ar- ein*e andere*r Vertragspartner*in) hält die ausschließlichen Nut-
chitekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager. zungsrechte an diesem Artikel kraft eines Verlagsvertrags mit dem/den
Klett-Cotta. Autor*in(nen) oder anderen Rechteinhaber*in(nen); die Selbstarchi-
Kotter, J. P. (2008). Leading change. Why transformation efforts fail. vierung der akzeptierten Manuskriptversion dieses Artikels durch
Harvard business review, january 2007. (S. 3–11). Autor*in(nen) unterliegt ausschließlich den Bedingungen dieses Ver-
Laloux, F. (2014). Reinventing organiziations. Nelson Parker. lagsvertrags und dem geltenden Recht.
Lewin, K. (1947). Frontiers in group dynamics: concept, method and
reality in social science; social equilibria and social change. Hu-
man Relations, 1(1), 5–41. https://doi.org/10.1177/0018726747001 Mag. Dr. phil. Gerhard P. Krej-
00103. ci studierte Handelswissenschaften
Lewin, K. (1951). Field theory in social science. Harper & Row. an der Wirtschaftsuniversität Wien
Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Suhrkamp. und promovierte in Interventions-
Luhmann, N. (2000). Organisation und Entscheidung. Verlag für So- wissenschaften an der Alpen-Adria
zialwissenschaften. Universität Klagenfurt. Er ist sys-
Meyerson, D., Weick, K. E., & Kramer, R. M. (1996). Swift trust in temischer Organisationsberater und
temporary groups. In R. M. Kramer & T. R. Tyler (Hrsg.), Trust Gesellschafter bei Simon Weber
in organizations: Frontiers of theory and research (S. 166–195). Friends, Dozent an der Fachhoch-
SAGE. schule Wels und lehrendes Mitglied
Oestereich, B., & Schröder, C. (2017). Das kollegial geführte Unter- der Österreichischen Gesellschaft
nehmen. Valen. für Gruppendynamik und Organisa-
Robertson, B. J. (2015). Holacracy: the new management system for tionsberatung (ÖGGO). Als Berater
a rapidly changing world. Henry Holt and Company. begleitet er Führung und Teams
Schein, E. (1996). Kurt Lewin’s change theory in the field and in the bei organisatorischen Herausforde-
classroom: notes toward a model of managed learning. Systems rungen. Neben seiner praktischen
Practice, 9(1), 27–47. Arbeit forscht und publiziert er regelmäßig. In all seinen Tätigkeiten
Schein, E. (2003). Prozessberatung für die Organisation der Zukunft: ist es ihm wichtig ist, gruppendynamische und systemtheoretische
Der Aufbau einer helfenden Beziehung. EHP-Verlag Andreas Erkenntnisse zu verknüpfen.
Kohlhage.
Scott-Morgan, P., Hoving, E., Smit, H., & van der Slot, A. (2001). Barbara Vogel M.A. – Beraterin,
Stabilität durch Wandel. Vier Modelle, mit denn Sie die Verän- Coach und Moderatorin. Mit Philo-
derungsmüdigkeit Ihrer Mitarbeiter begegenen. Campus. sophie und Politikwissenschaft ge-
Simon, F. B. (1991). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivis- startet, dann im ersten beruflichen
mus. Carl-Auer Compact. Leben als Kreative und Marketing-
Simon, F. B. (2007). Einführung in die systemische Organisationstheo- Expertin unterwegs. Im zweiten
rie. Carl-Auer Compact. Leben – nach einer systemischen
Simon, F. B. (2014). Einführung in die (System-)Theorie der Beratung. Ausbildung – begleitet sie seit über
Carl-Auer. 20 Jahren Entwicklungsprozesse in
Simon, F. B. (2018). Formen: Zur Kopplung von Organismus, Psyche zumeist größeren Organisationen,
und sozialen Systemen. Carl-Auer. mit Teams und Individuen.Sie ist
Trebesch, K. (2007). Die Beteilungen der Betroffenen in Verände- Gründerin einer eigenen Firma, ar-
rungsprozessen. OrganisationsEntwicklung, 3, 31–34. beitet für verschiedene Hochschu-
Weick, K. E. (1998). Improvisation as a mindset for organizational ana- len und ist als Netzwerkpartnerin
lysis. Organization Science, 9(5), 543–555. für Simon, Weber & Friends tätig.
Weick, K. E., & Quinn, R. E. (1999). Organizational change and devel- Arbeitsschwerpunkte: Führung, Or-
opment. Annual Review of Psychology, 50, 361–386. ganisationsentwicklung, Strategie, New Work/Agilität, Innovation und
Design Thinking

Das könnte Ihnen auch gefallen