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INHALTS-VERZEICHNIS

ZUGER
Seite
über die Bibliothek des Generals Zurluuben. Von Dr. Wilhelm J. Meyer, Vizedirektor der Schweizerischen
Landesbibliothek, Bern 3
Zur höheren Vegetation des Zugersees. Von Hermann Steiner, Hünenberg 10
Zum Namen Zug. Ein Nachtrag von Dr. Guntram Saladin, Walchwil/Zürich 15
Abendlicher See. Gedicht von R. Dolder 16
über die zugerischen BoHsard-GeschIcchtcr. Von Dr. Edmund Bossard, Zürich
»Das ist der See in seiner Funkclhelle«. See-Gedichte von Hermann Ferdinand Schell, Zürich
Die Außenrenovation der St. Oswaldskirche (Schluß). Von Dr. Josef Mühle, Direktor der Kunstgewerbe-
schule, Luzcrn
...
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NEUJAHRS-
BLATT
F. Th. Menteler und die Hinter-Glasmalerei in Zug. Von Prof. Dr. Georg Staffelbach, Luzern . . . . 45
Die Kapelle St. Andreas im Städtli in Cham.*) Die Renovation. Von Architekt Emil Weber, Zug ... 50
Die archäologischen Grabungen. Abgekürzter Bericht von Emil Villiger, a. Kantonsrichter, Cham ... 51
Chronik des Kantons Zug. Von Dr. Hans Koch, Stadtbibliothekar, Zug 58
Goldenes Buch. Ehrentafel der Vergabungen im Kanton Zug. Von Alois Wickart, Zug 62

*) Die wissenschaftliche Bewertung von Renovation und Grabungen ist von Herrn Prof. Dr. L. Birchler E. T. H.
für das nächste Neujahrsblatt zugesagt.

Die Photos
zum Artikel »Zur höheren Vegetation des Zugersees«, vom Verfasser selbst;
» » »Die Außenrcnovation der St. Oswaldskirche«, aus dem Photostudio Räber, Zug;
» » »F. Th. Mcnteler und die Hinterglasmalerei in Zug«, Fig. 2 von Fred. Ottinger, Luzern; die ändern
vom Verfasser;
» » »Die Kapelle St. Andreas im Städtli in Cham«, von J. Greter, Photograph, Cham (die zweite Auf-
nahme der ersten Bildseite und die erste der dritten Bildseite), von J. Marfurt, Photoreporter, Cham
(die 2., 3. und 4. Aufnahme der zweiten und die übrigen der dritten Bildseite).

Nachdruck der Beiträge nur mit Quellenangabe gestattet.

J
V e r a n t w o r t l i c h e r R e d a k t o r : D r . Theodor Hafner, Z u g
945
WERNER A N D E R M A T T T R A U E R N D E 1944
ZUGER
NEUJAHRSBLATT
HERAUSGEGEBEN

VON DER

GEMEINNÜTZIGEN GESELLSCHAFT
DES KANTONS ZUG

1945

DRUCK UND VERLAG:


G R A P H I S C H E W E R K S T Ä T T E E B E R H A R D K A L T - Z E H N D E R • ZUG
HUNDERT JAHRE MENZINGEN
1844-1944
Von Philipp Etter

AS Samenkorn wird in die Erde versenkt und stirbt, wenn es zu Frucht


und Ernte reifen soll. Die drei ersten Schwestern von Menzingen,
M.ßernarda Heimgartner, M. Feliciana Kramer und M. Cornelia Mäder,
die am 16. Oktober 1844 in Altdorf ihre Profeß ^abgelegt hatten und
am folgenden Tag von Zug aus nach dem stillen Bergdorf wanderten,
sind alle in jungen Jahren gestorben. Blutarm kamen sie vor hundert Jahren nach
Menzingen. All ihre Habe brachten sie in drei armseligen Handtaschen mit, und droben
auf dem Berg wartete ihrer kein Klösterlein, keine Kapelle, nicht einmal ein eigenes
Haus. Sie besaßen nichts als den festen Glauben ihrer Seele und den frohen Mut
gläubiger Hoffnung, die in ihren Herzen leuchtete. Eine kleine, enge Mietwohnung,
zwei Schul/immer in der — übrigens nach ihnen so genannten — Engelsburg unten im
Dorf und 88 Menzinger Kinder, die den schwarzen Schwestern staunend und mit
wachsendem Vertrauen in die lieben Augen guckten, das war der Anfang. Refektorium
und Dormitorium, Studiersaal und Betraum, Mutterhaus, Seminar und Noviziat, alles
stand in ein paar wenigen, enggeschrankten Kammern beieinander. Und doch wuchs
die kleine Schwesternfamilie schon in den ersten Jahren rasch, und der Zuwachs wurde
ebenso rasch in Anspruch genommen durch die wachsende Nachfrage nach Menzinger
Schvestern. Oft konnten die jungen Lehrerinnen kaum ihr Noviziat recht abschließen,
standen sie schon in der Schulstube irgend eines Land- oder Bergdorfes. Dann kamen
die Wanderjahre des Mutterhauses: Rhäzüns, Zizers — und wieder zurück nach Men-
zin^en, wo die Schwestern auch in dieser Zeit des Wanderns die Schule nie aufgegeben
hatten. Inneres und äußeres Wachstum wurden erkämpft durch eine grenzenlose
Hingabe an den Beruf, durch ein Leben voll Entbehrungen und Armseligkeit und
nicrt zuletzt durch schwere, bittere Prüfungen, die keinem Werk erspart bleiben, das
gro£ werden soll. Mutter Bernarda, die erste Oberin der Schwestern-Kongregation vom
hl. Kreuz, war eine wahrhaft große, starke und tapfere Frau von tiefer Innerlichkeit
und unbeugsamem Willen und dazu von jener bewunderungswürdigen, heiligmäßigen
Setstlosigkeit, wie sie nur großen Frauen und Müttern eigen ist. Sie starb am 13. Dezem-
be? 1863, im Alter von erst 41 Jahren.
Das war des Samenkorn.
Und die Frucht? Nicht nur hundert-, nein buchstäblich tausendfältige Frucht!
Ats den drei ersten schwarzen Schleiern wurden auf die erste Jahrhundertfeier deren
über dreitausend! Die Menzinger Lehrschwestern-Kongregation vom hl. Kreuz zählte
an I.Januar 1944 insgesamt 3174 Schwestern: 1869 in der Schweiz, 595 in Südafrika,
271 in Chile, 170 in Italien, 155 in Bayern, 81 in Indien und 33 in England. In der
Schweiz wirken die Menzinger Schwestern an 135 Kindergärten, 132 Primär- und
29 Sekundärschulen, an 107 Arbeits- und Haushaltungsschulen. In den glänzend
geleiteten und ausgebauten Instituten von Menzingen, Rorschach, Lugano, Bellinzona,
Freiburg und Bulle führen sie 3 Lehrerinnen-Seminarien, 4 Handelsschulen, ein Gym-
nasium (Academie Ste-Croix in Freiburg) und 2 Progymnasien, nicht zu vergessen
endlich die soziale Frauenschule inLuzern.Dazu kommen 17Kinderheime, 14 Arbeiter-
innenheime, 12 Mädchen- und Damenheime, 18 Bürgerheime, 6 Altersheime, 2 Pflege-
heime für Geistesschwache, 8 Erholungsheime, 2 Theologenkonvikte, 3 Kollegien und
4 landwirtschaftliche Schulen, 27 Stationen für private Krankenpflege und 15 Kranken-
häuser. Im Kanton Zug entfalten die Menzinger Schwestern an 11 Kindergärten,
17 Primär- und 4 Sekundärschulen, 14 Arbeits- und Haushaltungsschulen, an 4 Kinder-
heimen, 2 Arbeiterinnenheimen, einem Mädchenheim, 2 Bürgerheimen, einem Alters-
und Pflegeheim, 3 Erholungsheimen und 5 Krankenheimen ihr segenvolles Wirken.
In diesen Zahlen sind nicht eingeschlossen Seminar und Pensionat von Menzingen,
die Haushaltungsschule Salesianum, das Marienheim in Zug und die Meisenburg.
Vor hundert Jahren drei, heute über dreitausend Schwestern! Vor hundert Jahren
eine kleine Mietwohnung im schlichten, einfachen Bergdorf. Heute dort oben das
mächtige, kuppelgekrönte Mutterhaus und das im Abendsonnenschein weit hinaus ins
Schweizerland aufleuchtende Pensionat. Und dazu blühende Provinzen mit eigenen
großen Häusern in vier verschiedenen Erdteilen! Ist das nicht ein Wunder ? Wahrhaftig,
eine herrliche, wunderbare Frucht ist auferstanden aus der heiligen Erde, in der das
Samenkorn starb, um zu leben. An den drei ersten schlichten Schwestern, die vor
hundert Jahren über die alte Tobelbrücke nach Menzingen kamen, hat sich in des
Wortes wirklichen Sinn die Verheißung des Herrn erfüllt: Wer immer Haus, Brüder
oder Schwestern, Mutter, Vater oder Kinder oder Äcker verläßt um meinetwillen,
wird es hundertfach zurückerhalten an Häusern, Schwestern, Müttern und Kindern!
Und die Ernte? Sie läßt sich nicht messen, nicht zählen und nicht wägen. D;nn
hier betreten wir die Welt des Unsichtbaren, des Unmeßbaren. Wir können nur rer-
suchen, aus dem Sichtbaren auf das Unsichtbare zu schließen. Die Verdienste, die sich
die Menzinger Kongregation der Lehrschwestern vom hl. Kreuz in diesen ersten hin-
dert Jahren ihres Bestandes um das Volksschulwesen und um die höhere Bildung
unserer Frauen und Mütter erworben, und der Beitrag, den sie an den geistigen, re-
ligiösen und sozialen Aufstieg geleistet hat, lassen sich aus dem Leben der katholischen
Schweiz und der katholischen Welt überhaupt gar nicht wegdenken. Wenn die kan-
tonale Schulhoheit eine der wesentlichen Säulen der politischen und kulturellen
föderalistischen Struktur unseres Landes darstellt — und die neueste Zeitentwickluig
hat uns gelehrt, diese Wesensgrundlage unserer staatlichen Eigenart neu und doppelt
hoch einzuschätzen — dann kommt schon unter diesem Gesichtspunkt nationaler

H U N D KR T JA II R K M K N Z I N G E N
Werte den Menzinger Lehrschwestern ein bleibendes Verdienst zu. Denn ohne sie,
das läßt sich ohne jegliche Ubertreibung vertreten, wäre es den Bergkantonen der
Innerschweiz mitsamt dem Tessin kaum möglich gewesen, ihre Pflichten auf dem
Gebiete des öffentlichen Erziehungswesens in kantonaler Selbständigkeit und Unab-
hängigkeit zu erfüllen. Denken wir an so und so viele arme, mittellose Berggemeinden!
Und wer, wie der Schreibende, Jahre lang Gelegenheit hatte, die Lehrschwestern
von Menzingen an der Arbeit zu sehen, der weiß und ist verpflichtet, ihnen dieses
Zeugnis auszustellen, daß sie, gewappnet mit dem Büstzeug einer soliden pädagog-
ischen und methodischen Bildung, durch die restlose Hingabe ihrer ganzen Persön-
lichkeit in den Seelen der ihnen anvertrauten Kinder die Kraft der Treue zur Pflicht,
zum Herrgott und zur Heimat zu entzünden wissen. Und darauf kommt es an. Die
Menzinger Schwestern sind ein Bollwerk christlicher und vaterländischer Erziehung!
Aber die Bedeutung der Lehrschwestern-Kongregation vom hl. Kreuz erschöpft sich
nicht in ihrem ungemein fruchtbaren Wirken auf dem Felde der Volksschule. Ebenso
bedeutungsvoll, ebenso wesentlich ist ihr Beitrag an die höhere Bildung unserer Frauen
und Mütter. Nach dieser Bichtung waren die Menzinger Schwestern ja geradezu bahn-
brechend. Sie haben während dieser ersten hundert Jahre des Bestandes ihrer Kon-
gregation an ihren höheren Schulen eine Frauen- und Mütter-Elite in des Wortes
bestem Sinne herangebildet. Und wenn es wahr ist, daß für die geistige Substanz der
Familien und für den Aufstieg der Geschlechter weniger der Mann und Vater als viel-
mehr die Frau und Mutter den ausschlaggebenden Einfluß ausübt, dann läßt sich
wenigstens annäherungsweise ermessen, was Menzingen für die Erhaltung wahrer,
wirklicher Kultur zu bedeuten hat. Doch ich gehe noch einen Schritt weiter. An den
hohen Schulen der Menzinger Schwestern treffen wir nicht nur Töchter aus unsern
guten und besten Schweizerfamilien. Menzingen ist auch für das Ausland Leuchte und
Magnet geworden. Zahlreiche junge Ausländerinnen aller Zungen und Sprachen holten
sich ihre höhere Bildung in Menzingen und an ändern von Menzinger-Schwestern
geleiteten Instituten. Dadurch wurde Menzingen zu einem eigentlichen Zentrum
christlicher und nationaler, aber zugleich auch universeller Kultur. Ich bin überzeugt,
daß nach dem Krieg Menzingen einer der ersten Brennpunkte in unserem Lande
sein fyird, an dem die Völker des Erdballs in ihrem Heiligsten, in ihren kommenden
Frauen und Müttern, sich wieder treffen und finden werden. Hier stoßen universell-
christliche und schweizerische Sendung zusammen und gehen ihren gemeinsamen
Weg. Menzingen, Hochburg christlicher, vaterländischer, universeller und völkerver-
bindender Kultur! Und doch erschöpft sich darin noch nicht Menzingens ganze
Sendung. Voll Bewunderung und Verehrung gedenken wir auch jener lieben, guten
Schwestern, die in opfervoller und selbstloser Arbeit in den Armen-, Waisen- und
Krankenheimen das Werk des barmherzigen Samaritans erfüllen und erneuern, Tag
für Tag, in schenkender und helfender Liebe. Menzingen ist auch eine Zentrale sozia-
ler Tat, eine Kraftzentrale der christlichen Nächstenliebe. Aus dem gleichen Urquell der
Liebe erwuchs das Werk der Menzinger Schwestern in den Missionen, wo so viele von
DIE SCHWEIZ IM URTEIL DEUTSCHER
ihnen, fern der alten Heimat und ihr doch in Treue eng verbunden, in den Seelen
armer Menschen das Licht und die Wärme des Glaubens entfachen.
DICHTER (LITERARISCHE CHRONIK DER LETZTEN JAHRZEHNTE)
Und das Geheimnis all dieses segensvollen, fruchtbaren Wirkens? Die Zeit, in
der P. Theodosius Florentini die Schwestern-Kongregation von Menzingen ins Leben Von Emil Jenal.
rief, hatte der katholischen Schweiz schwere Wunden geschlagen. Zahlreiche alte, ehr-
würdige Mönchs- und Nonnenstifte wurden aufgehoben und ihrem Zweck entfremdet.
Der Sturm fuhr in hohen Wogen über das Meer, der Herr schien zu schlafen, und die A uf den Ausgang des blutigsten und verheerend- Neugier als vielmehr das Bedürfnis, in kritischer
Kleingläubigen begannen zu zweifeln. Das unvergängliche Verdienst des Bündner Ka- •£*- sten aller Kriege harrend, tief bekümmert um Stunde zur Besinnung über unsere staatliche
die Zukunft Europas und unseres eigenen Landes, Eigenart und Sendung anzuregen, denn das holde
puziners bestand darin, daß er an einer Zeitenwende die Forderungen der Stunde und auf der Suche nach den ideellen und moralischen Genügen am Urväterhausrat der Sippe und Ge-
der Zukunft klaren Blickes erkannte und mit kühnem Griff das verwirklichte, was Garanten einer dauernden Friedensordnung, wer- meinde, die Pflege des Lokalen, Musealen und
die Not gebot. Die Gründung der Kongregation der Menzinger Schwestern bildete fen wir den prüfenden Blick immer wieder auch manchmal auch Muffigen enthebt uns nicht der
auf das eidgenössische Staatsideal, um Gewißheit Pflicht, immer wieder die Fenster aufzureißen
einen Durchbruch aus der Welt der Kontemplation in die Welt der Aktion, oder besser zu erlangen, ob es nicht nur unser Gemeinschafts- und in größeren Zusammenhängen zu denken.
und richtiger ausgedrückt, den Vorstoß in die engste Verbindung von Kontemplation schicksal weiterhin zu lenken, sondern auch den Als 1914 ein Riesenfeuer das europäische Staa-
Völkern Europas als Paradigma zu dienen berufen tensystem erfaßte, schlug auch der Schweiz eine
und Aktion. Beides ist notwendig: die Kontemplation und die Aktion. Es wäre ein ver-
sei, denn wir müssen uns, wollen wir unserer bange Schicksalsstunde. Ringsum zerfleischten
hängnisvoller Irrtum, heute etwa jene heiligen Stätten, die seit Jahrhunderten einem menschheitlichen Aufgabe gerecht werden, den sich die Nationen, Millionen von Toten bedeckten
kontemplativen Leben auserwählter Seelen geweiht sind und eigentliche Festungen Ausspruch Montesquieus zu eigen machen: »Si je die Schlachtfelder, Hunger und Elend, Haß und
des Geistes und der Gnade darstellen, als durch die Zeitverhältnisse überholt zu be- ßavais quelque chose qui me füt utile et qui füt Rachegier verfinsterten und versteinerten die Her-
prujudiciable ä ma famille, je le rejetterais de zen. Mit Hekatomben von Gut und Blut trugen
trachten. Es gibt Werte, deren unsterbliche Kraft turmhaft allen Wechsel der Zeiten mon esprit. Si je savais quelque chose qui füt utile die Völker Europas ihre Riesenkämpfe aus, in
überdauert. Aus dieser Kraft nährt sich auch das Werk von Menzingen. Nur verbindet ä ma famille, et qui ne le füt pas ä ma patrie, je denen das jahrzehntelange Machtstreben, der
chercherais ä l'oublier. Si je savais quelque chose übersteigerte Nationalismus und die verfehlte
sich hier die nährende Kraft der Kontemplation unmittelbar mit der aus ihr fließenden
utile ä ma patrie et qui füt prejudiciable ä Minderheitenpolitik ihre todbringenden Früchte
Aktion. Ein Werk, nicht von dieser Welt und doch mitten in der Welt! Maria und l'Europe et au genre humain, je le regarderais zeitigten. Daß die Schweiz im Herzen Europas
Martha zugleich in unzertrennlicher Einheit. Das war der geniale Gedanke des Grün- comme un crime.« Wenn Meinrad Inglin in sei- vom Kriege verschont blieb, konnte füglich als ein
nem »Schweizerspiegel« erklärt, der eidgenös- neues Wunder der eidgenössischen Geschichte be-
ders von Menzingen, des Paters Theodosius Florentini, und in der Verwirklichung sische Gedanke sei eine Lieblingsidee aller guten staunt werden, obwohl es seine triftigen Gründe
dieses Gedankens liegt sein und der Menzinger Schwestern bleibendes Verdienst. Europäer, weil »einem vollkommen ausgegliche- hatte. Nationalismus und Großmachtpolitik, die
Darin enthüllt sich aber auch das letzte Geheimnis der bewunderungswürdigen Ent- nen Menschen, gleichgültig von welchem Niveau, eigentÜchen Kriegsursachen, waren ihr von vorn-
keine andere staatliche Gemeinschaft besser ent- herein fremd. Seit Jahrhunderten verzichtete sie
wicklung von Menzingen und seines Aufstieges während dieses ersten Jahrhunderts spräche, als die unsere, eben weil sie auf allen in Erkenntnis ihrer Sonderstruktur, ihres Staats-
seiner Geschichte. Der äußere Erfolg, den uns Frucht und Ernte offenbaren, läßt sich menschlichen Elementen beruht«, so beseelt ihn zieles und ihrer europäischen Aufgabe auf jede
nur erklären aus der Kraft, die von innen heraus wirkte und das Gesicht von der kein überheblicher Heimatstolz, sondern die Gebietserweiterung, trotzdem sie einmal das ge-
gleiche Überzeugung, die Franz Brentano in die fürchtetste Kriegsheer Europas besessen. Ebenso-
Seele her prägte, wie das Antlitz des Menschen von der Seele her gemeißelt wird. Das Worte münzte: »Es wird auf unserer Erde keine wenig gab es in der Schweiz je ein Minderheiten-
Geheimnis von Menzingen liegt in der Kraft des Gebetes, des Glaubens und der Gnade, Ruhe geben und kein menschenwürdiges Dasein, problem, einen Sprachenstreit, einen Nationali-
die diese tausende von edlen Frauen zu höchstem, selbstlosem Einsatz mobilisierte ehe Europa, ehe die Welt zur Schweiz geworden tätenkonflikt. Dazu kam, daß eine starke Armee
ist.« Ob und in wievielen zermarterten Herzen die Grenzen bewachte, beseelt von Ahnenstolz und
und in die Kraft ebenso selbstloser Aktion ausströmte. Und weil diese letzten, tiefsten dieser Glaube zur Stunde gehegt wird oder der- Freiheitsliebe, von Opferbereitschaft und Kriegs-
und zugleich höchsten Kräfte sich nähren aus dem Ewigen, Unsterblichen, Bleibenden, einst vielleicht Gemeingut werden könnte, wagen tüchtigkeit. Wohl spürte die Schweiz die natio-
verwandeln sich Frucht und Ernte zu neuem Samenkorn, das in unsterblicher Lebens- wir nicht einmal anzudeuten. Wir versuchen hier nalen und später sozialen Spannungen und Ent-
lediglich zu zeigen, wie sich das staatliche Bild der ladungen Europas am eigenen Leib, doch ihr
kraft immer wieder zu neuer Frucht und Ernte reifen wird. An der Schwelle des zwei- Schweiz in und nach dem Weltkrieg von 1914—18 Staatsgedanke erwies sich als stärker denn alle
ten Jahrhunderts der Menzinger Schwestern vom heiligen Kreuz steht die Sicherheit in repräsentativen deutschen Dichtern spiegelte. Keimlinge der Zersetzung. Vier Jahre währte das
der Verheißung, des Lebens und der Unsterblichkeit. Dabei leitet uns nicht so sehr literarhistorische grausige Morden, dann brach die Revolution aus,
und die erschöpften Völker schlössen, auf unüber- Lande Teils heimisch werden lassen«. Von der fried Kellers Seite aus seiner Stube im obem im deutschen Sprachgebiet. Um diesen geistigen
sehbaren Gräberfeldern und Ruinen wandelnd, neutralen Plattform des Berner »Bund« drangen Bürgli die Abendsonne über seinem Heimatgau Heimatboden von uns allen, den Ihr wie unser
einen Frieden, der keiner war. Unter dem Diktat während der Schreckenszeit seine Kriegsberichte gesehen; ich bin nicht erst seit gestern Freund der Volkstum durch die Jahrzehnte beackert und
von Versailles seufzten die besiegten und verge- in weiteste Fernen. Ihretwegen wurde der »Bund« Schweiz . . . Ihnen steht durchaus im Blickpunkte besät hat, und das Ihnen wie uns die Herzen und
waltigten Nationen und sannen insgeheim auf blu- von Generalstäben und Ministerien, in Alphütten des Bewußtseins der schweizerische Staat, dieses Hirne genährt hat und nährt bis auf diesen Tag,
tige Vergeltung. Die klassische Inschrift »Invictis und Palästen, in Schützengräben und Lazaretten schöne, edle und höchst nützliche Gebilde mit ohne daß wir uns je dabei um politische Grenzen
victi victuri« am Gefallenendenkmal der Berliner gelesen, im »Temps« und »Corriere della Sera«, deutschen, französischen, italienischen und räti- bekümmert hätten.«2)
Universität spricht eine deutliche Sprache. Gleich- im »Daily Telegraph« und in der »Nowoje schen Bürgern. Daß der Schweizer zu seiner Ver- Kein Wunder, daß auch die Antikriegspoesie
wohl gab es keine Nation, in der nicht hundert- Wremja« zitiert. Kein Kriegsreporter hat je einen teidigung Gut und Leben gäbe, versteht sich von ihr europäisches Hauptquartier in der Schweiz
tausendfach der Ruf erscholl: Nie wieder Krieg! solch immensen Leserkreis unterrichtet. Mit unge- selbst, daß die Führenden im Schweizer Volk aufschlug. Der Zürcher Verlag Max Rascher lieh
Dieses entsetzliche Unheil fürderhin zu bannen, wöhnlicher militärischer Sachkenntnis und ver- voller Sorge allem vorbauen, was sein Gefüge der internationalen Friedenssehnsucht eine Platt-
war die Aufgabe, die sich der Völkerbund stellte. blüffender Sicherheit wußte er jeweils die strate- lockern könnte, ebenso. Ich begreife vollkommen, form der Verkündigung. Hier predigten die
Vermochte er sie auch nicht zu meistern, so bedeu- gischen Situationen aufzuhellen und mit divinato- daß auch Ihnen, verehrter Freund, zumal jetzt »Weißen Blätter« seit Kriegsbeginn die Botschaft
tete die Grundidee dieser Institution doch das ein- rischem Weitblick die kommenden Ereignisse in Kriegszeiten, diese staatliche Sorge die größte des Pazifismus, indem sie dem bis zum Himmel
zige Fanal, das den Glauben an eine neue Mensch- vorauszudeuten, so daß das geflügelte Wort ent- ist. War es doch auch für mich, den Nicht- aufgetürmten Leid der Menschheit Worte des
heit und ein Zeitalter des Friedens verkündete. stand: __. , . schweizer •— und für Tausende von Reichsdeut- Entsetzens liehen und die irregeleiteten Völker
Hindenburg tut, was er kann,
War die Schweiz während des Krieges der barm- Doch was sagt Stegemann? schen ebenso — ein geradezu furchtbarer Ge- zur Besinnung riefen. In den »Weißen Blättern«
herzige Samariter, das Lazarett Europas, der Sitz danke, die Eidgenossenschaft zerfallen zu sehen. erklangen die dichterischen Schreie, Flüche und
des Roten Kreuzes, so wurde sie in der Nach- Allein, Stegemann, der eine Welt in Atem Durch die Großmächte von Notwendigkeiten ent- Sehnsüchte der Expressionisten, die Gedichte der
kriegszeit zur Herberge des Völkerbundes erko- hielt, fühlte sich nicht bloß »zum Schauen be- lastet, die uns bedrücken, dem Raum nach klein Becher und Beim, Stadier und Werfel, Däubler
ren. Immer wieder feierte man die »pädagogische stellt«. Seine Kriegsberichte ehrten die Schran- und gerade dadurch zu Versuchen geeignet, von und Ehrenstein, die dann in einer Auswahl als
Provinz« Europas als Lehrerin und Vorbild der ken der Neutralität. Noch mehr: er stellte dem überaus tüchtigen Menschen bewohnt, die Frei- »Anthologie menschlicher Gedichte im Krieg«
Völker, da sie der verruchten Macht- und Gewalt- Land sein großes Wissen und Ansehen willig wie heit über alles lieben und, in der Unabhängigkeit vor ein breiteres Publikum traten.3) Im gleichen
politik aus Staatsprinzip entsagt, verschiedene nur je ein Eidgenosse zur Verfügung. Manche nach außen verbürgt, auch über alles pflegen Verlag erschien damals die schmale, aber seelen-
Nationalitäten brüderlich unter dem gleichen politische Mission lud sich der seelisch und phy- können, im Herzen Europas, wo Deutschtum und volle Schrift »Das Herz Europas«, in der Stefan
Dach vereint und Freiheit und Frieden als das sisch Leidende angesichts der schwierigen Lage Romantentum sich treffen — so scheint uns die Zweig seinen Besuch beim Genfer Roten Kreuz
höchste Völkerglück betrachtet. der Schweiz aus eigenem Antrieb auf die Schul- Eidgenossenschaft wie eine Vorbildung der Zeit schilderte: »In unsichtbarer Brandung strömt hier
Wenn wir nun die Schweiz der Kriegs- und tern. Vorab die deutsch - schweizerischen Bezie- im fernen Morgenrot, da die Vereinigten Staaten jeden Tag die Angst, die Sorge, die fragende Not,
Nachkriegszeit im Erlebnis und Urteil deutscher hungen fanden in ihm den emsigsten und von Europa die Güter der Menschheit wahren der schreiende Schrecken von Millionen Völkern
Dichter zeigen, so tritt sie uns zunächst einmal als geschicktesten Mittler. Mit sichtlicher Freude werden . . .« Mit besonderem Nachdruck indes heran. In unsichtbarer Ebbe strömt hier täglich
der wichtigste Beobachtungsposten entgegen, von gedenkt er in den »Erinnerungen« 1930 der Mü- betont Avenarius, daß die politische Eigengesetz- Hoffnung, Trost, Ratschlag und Nachricht zu den
dem aus das gewaltige Völkerringen überblickt hen und Erfolge im Dienste seiner neuen Hei- lichkeit der Schweiz die Symbiose mit der deut- Millionen zurück. Draußen, von einem Ende
werden konnte. Ein bewährter Dichter bewährte mat.1) schen Kulturgemeinschaft nicht lockern dürfe: zum anderen unserer Welt, blutet aus unzähligen
sich als Kriegsberichterstatter größten Stils: Her- Die neutrale Schweiz war indes nicht bloß der »Keller, Böcklin, Welti, sie sind auch unsre Wunden der gekreuzigte Leib Europas. Hier
mann Stegemann. 1891 war der junge Elsässer in ideale Beobachtungsposten, von dem aus die Or- Künstler. Und ebenso sind die großen Deutschen aber schlägt noch sein Herz, denn liier antwortet
die Schweiz gekommen, hatte in Zürich bei Meyer gien des großen Kriegs registriert wurden. Sie auch Ihre Großen und waren es lange schon, ehe dem wahrhaft unmenschlichen Leiden der Zeit
von Knonau und Jakob Bächtold studiert und die ruhte als eine Insel im Chaos, deren Leuchtturm Schiller den Teil schrieb, zu dem unsre Jugend noch ein ewiges Gefühl: das menschliche Mitleid.«
Freundschaft Spittelers, Heers und Isabella Kai- Feuergarben der Menschlichkeit in das brandende wie Ihre jauchzt. Es ist doch nun einmal so, daß Als er vor seinem Freitod 1942 in dem Buch »Die
sers genossen. Sein Schauspiel »Nikolaus von Blutmeer sandte. Sie hütete während des inferna- wir eines Volkstums sind. Wollten Sie sich, woll- Welt von Gestern« gramvoll die Tragödie seiner
Flüe« pries Eugene Monod als ein literarisches lischen Hasses und Streits die Fackel der Humani- ten wir uns aus dieser Gemeinschaft lösen, wir Person und Epoche schilderte, widmete er der
Ereignis und eine nationale Tat. Es war das tät und des Völkerrechts. Das war keine Sinekure. könnten es gar nicht. Wir könnten uns nur zum schweizerischen Friedensinsel das Kapitel »Im
Weihegeschenk, das er der neuen Staatsgemein- Als Karl Spitteler 1914 seine vielberufene Rede Kümmern bringen. Wir sclmitten an unserm Le- Herzen Europas«. Wir erfahren, daß er wie wei-
schaft reichte. Nicht Zufälle oder Erwägungen der »Unser Schweizer Standpunkt« hielt, war das offi- bensbaum Wurzeln ab ... Also werbe ich doch land Grimmelshausens Simplizissimus die Schwei-
Nützlichkeit, »sondern ein Gefühl der Verbunden- zielle Deutachland so verstimmt, daß es den gro- um politische Bundesgenossenschaft? Nein, ich zererde in einem »Taumel« des Glücks betrat:
heit mit seinen althergebrachten freien Anschau- ßen, vordem gepriesenen Epiker verfemte. Aus- werbe um das, was jenseits des Krieges wichtig ist. »Ich liebte die Schweiz, wie ich sie nie zuvor ge-
ungen und der auch in mir wirkende Glaube an nahmen freilich gab es auch diesmal. Als beson- Mit dem Schütze des deutschen Staates hoffen wir liebt. Immer war ich gerne in dies bei kleinem
die Magie geschichtlicher und legendärer Vorbil- nene Antwort auf Spittelers Rede darf jener Brief allein fertig zu werden, die Schweiz kann uns Umfang großartige und in seiner Vielfalt uner-
der, der im Schweizer Volk immer noch lebendig gelten, den Ferdinand Avcnarius 1915 im »Kunst- nicht helfen und darf es nicht, aber um Schutz schöpfliche Land gekommen. Nie aber hatte ich
ist und es instand gesetzt hat, alte germanische wart« veröffentlichte: »Ich habe schon an Gott- und Pflege für das werbe ich, was Gemeingut der
deutschen Schweizer, der deutschen Österreicher, 2) F.Avenarius, Über die Grenzen. An Karl Spitteler:
Volksrechte mit den Grundsätzen der modernen Der Kunstwart. 2. Januar-Heft 1915, S. 41 ff.
westlichen Demokratie zu verbinden, ohne sich im i) H. Stegemann, Erinnerungen aus meinem Leben und der deutschen Russen und der deutschen Ameri- ••} »Anthologie menschlicher Gedichte im Kriegt:
Formalismus zu verlieren, haben mich in dem aus meiner Zeit. Stuttgart 1930. kaner mit uns Reichsdeutschen ist: das Kulturgut Europäische Bibliothek. Bd. 3. Zürich 1918.

8
den Sinn seines Daseins so sehr empfunden: die an deren Wesenheit sie Anteil hatten. Vermitt- Selbstherrlichkeit bis über die Wolken. Sie gebä- üben zu müssen: Versöhnung, Ausgleich, Turnus
schweizerische Idee des Beisammenseins der Na- lung und Aussöhnung mußte ihre Parole heißen, ren nichts als Grauen. Sie finden sich schön, weil von Ehren und Pflichten, über die Gräben von
tionen im selben Räume ohne Feindlichkeit, diese so sie auf die Stimme des Blutes horchten. Kein sie gefährlich sind.« Man begreift, daß der Dich- Sprache und Rasse hinweg, was auf die äußere
weiseste Maxime, durch wechselseitige Achtung Wunder, daß der übernationale Staatsgedanke ter im idyllischen Uttwil am Bodensee sein Zelt Politik anzuwenden heute der Völkerbund mit
und eine ehrlich durchlebte Demokratie sprach- der Eidgenossenschaft gerade diesem Kreise ein aufschlug. Doch als er 1919 Abschied nahm, trug unzureichenden Mitteln versucht. Die Stimme des
liche und volkliche Unterschiede zur Brüderlich- Wohlgefallen war. Rene Schickele, dessen Elsäs- er ein beglückendes Bild der Schweiz nach Hause. Bundespräsidenten in Genf ist deshalb immer wie-
keit zu erheben — welch ein Beispiel dies für sertum durch die deutsch-französische Blutmi- In seinem Buch »Die Grenze« von 1932 verrät der der der Mahnruf des bürgerlichen Ideals schlecht-
unser ganzes verwirrtes Europa! Refugium aller schung besonders pointiert erscheint, umkreist bezaubernde Causeur, wie ihn »zu Straßburg auf hin, das ein weltbürgerliches sein oder überhaupt
Verfolgten, seit Jahrhunderten Heimstatt des mit dem Charme seiner Wortkunst immer wieder der langen Brück'«, als wäre er der Schweizer- nicht mehr sein wird.« Schickele steigt auch in
Friedens und der Freiheit, gastlich jeder Gesin- das Schicksal seiner unglücklichen Heimat. Sein Soldat des Volksliedes, alsbald die Sehnsucht nach den Schacht der Vergangenheit und beschwört —
nung bei treuester Bewahrung seiner besonderen »Hans im Schnakenloch« verkörpert den ewig sich der Schweiz befiel. Nunmehr widmet er dem über- nicht die Gestalten der heroischen Schweiz, son-
Eigenart — wie wichtig erwies sich die Existenz quälenden elsässischen Zweiseelenmenschen, dem völkischen Staat der Eidgenossen das reizende Ka- dern die Idealisten von Schinznach. Die Ge-
dieses einzig übernationalen Staates für unsere nur die Liebe der getrennten Hälften Frieden pitel »Ach! Euer Schweizerland!« Er legt den schichte der Schweiz bedeutet ihm »eine Revolte
Welt! Zu Recht schien mir dies Land mit Schön- schenken könnte. Der Dichter, der in Gottfried Finger auf die schöne Partie »Basel und Straß- gegen die nationale Großmannssucht des in dieser
heit gesegnet, mit Reichtum bedacht.«4) Schrift- von Straßburg seinen freien, übervölkischen Ahn- burg« in Josef Nadlers »Literaturgeschichte der Beziehung wirklich stupiden 19. Jahrhunderts«,
stellern aller Nationen begegnete Zweig in der herrn verehrte und des Glaubens war, es habe deutschen Stämme und Landschaften«, die ihm denn sie »zeigt uns, hundert Einzelheiten beiseite
Schweiz. Das Cafe Odeon in Zürich wurde zum »von Anbeginn ein eigenartiges, niemals ganz die Verbundenheit der über alle Grenzzäune hin- gelassen, einen Kristallisationsprozeß auf dem Bo-
Treffpunkt ausländischer Literaten. Leonhard französisches, niemals ganz deutsches Elsaß be- aus blühenden alemannischen Geistesgärten ver- den des brodelnden Kessels Europa. Die Schweiz
Frank schrieb seine aufreizenden Erzählungen standen«, träumte von einem geeinigten Europa, bürgt. Er rühmt der Schweiz Charakter und assimiliert auf das vorsichtigste, was ihrer Vitali-
»Der Mensch ist gut«, der Ungar Andreas Latzko »dessen Herzstück der Deutsch-Französische Selbstzucht nach, er preist ihr »meisterliches Ta- tät zusagt, und scheidet, ob alt oder neu, alles an-
seine »Menschen im Kriege«. Fritz v. Unruh, vor- Bund« sein müßte. Sein Vertrauen auf den lent der Bescheidung«, ihre Selbstkritik und dere kräftig aus. So entstand die starke, einfache
mals preußischer Offizier, und Franz Werfel Triumph des Geistes über die Gewalt verrät das Bescheidenheit, die literarische Betriebsamkeit Form, deren Symbol das weiße Kreuz im roten
lasen vor. Da war auch James Joyce. Doch näher Geständnis: »Mein Leben lang habe ich an die und Abenteuerlust so vieler Landeskinder, die der Feld ist.« 6)
als sie alle stand ihm der große Europäer und Freiheit und an den Fortschritt geglaubt und die eidgenössischen Stabilität keinen Abbruch tat,
denn »je weiter der Schweizer schweifte und die Wie einen rettenden Anker ergriff der von der
Pazifist Romain Rolland, der mehr als zwei Tyrannis gehaßt«. Die Schweiz der Weltkriegs-
Fremde abschmeckte, umso bedächtiger besann Dämonie des Krieges im Innersten erschütterte
Jahre im Dienste des Roten Kreuzes stand und jahre gab ihm ein Vorgefühl der glückseligen
sich und beharrte die Schweiz«. Er verteidigt sie Rainer Maria Rilke die Freundeshand der
im »Journal de Geneve« jene kleinen Aufsätze Insel, die er suchte. In seiner »Genfer Reise« von
wohlgelaunt gegen vielerlei Nörgler: »Der Schwei- Schweiz. Seit dem Zusammenbruch der Donau-
schrieb, die als »Au-dessus de la melee« in Buch- 1919 erbraust wie aus ekstatischem Taumel das
zer hängt am Geld. Der Franzose nicht? Er ist monarchie Bürger der tschechoslowakischen Re-
form erschienen, Predigten der Hilfe und des »Vive la Suisse!« der über die Grenze fahrenden
ein Vereinsmeier. Mehr als der Deutsche? Er lei- publik, deren Gründer und ersten Präsidenten
Wohltuns, des Vertrauens und der Gerechtigkeit. Kriegsgefangenen: »Die Freude reißt sie, drei und
det am Kantönligeist. Damit hat er es selbst drau- Masaryk er verehrte, lebte Rilke vom Juni 1919
Es wäre ein Irrtum zu glauben, hier hätten sechs aus einem einzigen Kupeefenster, dort hän- bis zu seinem Tode am 29. Dezember 1926 in der
gen sie, gequetscht, mit zehn Armen winkend, ßen in der Welt weiter gebracht als seine Nach-
bloß Dichter gelebt, die den Frieden bekömm- Schweiz, dem »Wartesaal Gottes«. Seine letzte
schreiend, sich dehnend, außer sich. Sogar des barn, die nicht einmal verdauen können, was sie
licher fanden als den Krieg, Ausreißer und und liebste Wohnstätte, das Schlößchen Muzot
stehlen. Bleibt, daß der Schweizer Grobian den
Außensteher ihrer Nation. Wie in Thomas Manns Nachts hört man sie, geisterhaft, im hallenden über Sierre, bot dem Dichter jene »wunderbare
Rollen des Zuges in der Ebene, hört sie bis auf die Weltrekord hält.« Das feurigste Lob indes zollt er
»Zauberberg« der Donnerschlag des Krieges die Zuflucht«, in deren Ruhe und Geborgenheit ihm
zeitentrückten Sanatoriumsinsaßen aufschreckt, so Berge, in der Stille unter den Sternen: toben! Sie ihrem Staatswesen: »Ist nicht die Schweiz ein
Vorbild für eine übernationale Gemeinschaft, in nach jahrelangem Schweigen die »Duineser Ele-
sahen sich 1914 auch viele Dichter Deutschlands werfen sich, immer weiter fahrend, mit dem Ge- gien« und »Sonette an Orpheus« entströmten, Of-
vor erschreckende Probleme gestellt, zumal jene sicht ins Heu, lehnen sich wohlig zurück, wenn ein der glühende Heimatliebe und Weltbürgertum
sich sehr wohl vertragen? Hat nicht dieser Staat fenbarungen einer seit Hölderlin kaum mehr ver-
Zweiseelenmenschen, die mit Frankreich mehr Wald sie mit süßem Kinderschreck umtanzt. Auf- nommenen Sehersprache. So seltsam es klingen
als bloß geistige Verbindungen unterhielten. Der fahrend aus dem fliegenden Aufruhr in die Sterne, Probleme der Wirtschaft friedlich gelöst, um
derentwillen die großen Nachbarn die wildesten mag, auch dieser unpolitische Dichter ist der eid-
Elsässer Rene Schickele, der seit 1915 die »Wei- heben sie die Arme und spreizen die Finger, daß genössischen Staatsidee inne geworden und hätte
ßen Blätter« betreute, die Deutsch-Französin An- die Freiheit, die vom Himmel fließt, an ihren Kriege geführt haben, Kriege, deren Opfer die
Einwohnerzahl der Schweiz um das Zehnfache sich, wie es scheint, bei längerem Leben der
nette Kolb, die gleichfalls in der Schweiz lebte Händen und Armen entlangrinne auf ihren nack- schweizerischen Staatsgemeinschaft eingegliedert.
ten Leib. Wie atmen sie die runden mütterlichen übersteigen? Man plappert das so nach: die Ge-
und Schickele nahestand, durchlitten den Fluch Als der Weltkrieg ausbrach, beseligte ihn für ein
des deutschen und französischen Chauvinismus Formen der Landschaft! Sie fühlen den Schein schichte und die Natur hätten die Schweiz begün-
stigt. Als ob die nationalen Gullivers, die der paar Augenblicke das Erlebnis einer »in herrlich
persönlicher und tiefer als die doktrinären des Mondes auf dem nächtlichen Grund ihrer gefühlter Gefahr« zusammengeschmiedeten hero-
Kriegsgegner und Friedensapostel insgemein. Ihre Augen. Er kühlt, und er ist golden. Sie sind im Schweiz mit solch kleiner Träne des Neids zu hul-
digen glauben, hätten tauschen mögen!« Er preist ischen Gemeinschaft. Doch was er in den ersten
Herzen bluteten angesichts des Hasses der Völker, Paradies.« Außer einer eigenwilligen Hodler-Deu- Augusttagen staunend besungen, erfüllte ihn bald
tung birgt die »Genfer Reise« keinerlei Helvetica. die »glückhafte Schule«, die der schweizerische
<) Stefan Zweig, Das Herz Europas. Ein Besuch im
Ja, die gewaltigen Bergriesen erschrecken sein Politiker gemeinhin durchläuft und die ihn zum
Genfer Roten Kreuz. Zürich 1918. Derselbe, Die Welt von Vorbild der europäischen Staatsmänner erzieht:
Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Stockholm 1942, pazifistisches Herz: »Krieg ist das! Krieg! Sie «) Rene Schickele, Die Genfer Reise. Berlin 1919.
wurzeln im Mord und heben Uire unbekümmerte »täglich ui der inneren Politik das lernen und aus- Derselbe, Die Grenze. Berlin 1932. S. 157 ff.
S. 302.

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mit namenloser Angst. Das »sinnlose Wirrsal«, das beengend, sondern raumschaffend erschienen, so genübersteht) «. In der Schweiz sah er sodann die Doch das schweizerische Bürgerrecht erschöpft
grauenhafte Vorspiel eines »aus Menschenmache daß er die seinem Innenleben »vielfältige Äqui- Verwirklichung der ihm zum geistigen Bedürfnis sich nicht in einer abstrakten Zugehörigkeit zum
hervorgegangenen Untergangs« erschütterte ihn valente« bietende, an Spanien und die Provence gewordenen Völker- und Kulturgemeinschaft. Ein Staat, es setzt das Landrecht in einem Kanton und
derart, daß er für sich und die Menschheit keinen erinnernde Rhonelandschaft als eine der herrlich- sinnvolleres Geschenk als das Schlößchen Muzot dieses wiederum in einer Gemeinde voraus. Der
Hoffnungsstern mehr blinken sah. Der Dichter sten pries, die sein seelenvolles Auge je erblickt. hätte ihm der Schweizer Freund nicht machen Schweizer ist nicht nur Schweizer, er ist zuvör-
schwieg, während die Waffen sprachen und der Von Anbeginn ging er mit der oft verhaltenen, oft können. »Wie zwei Seiten eines aufgeschlagenen derst Waadtländer oder Tessiner, Graubündner
Umsturz das innere Chaos offenbarte. In einem eingestandenen Hoffnung herum, daß ihm »ein Buches lag das Land vor ihm, hier Siders an der oder Berner, Basler oder Thurgauer. Er fühlt das
Brief aus München vom 4. Februar 1918 heißt es: Ausgleich, ein Gutmachendes gerade in diesem äußersten Grenze der deutschen Sprachzone, dort Blut der engsten Heimat in den Adern rauschen.
»Es ist eine Beunruhigung und Sorge, ja eine fort- Lande« bereitet werde. Bald begann er die »gast- Sion, aus dessen Mauern die Laute des Französi- Rilke hat auch diesen für einen Ausländer unge-
währende Warnung des Herzens in mir, die mir lichen Kräfte« des Landes zu rühmen, lernte Gaue schen herüberklingen, und auf jeder Seite konnte wöhnlichen Erlebnisgang durchmessen, ehe er
innerlich zuruft, daß jetzt unaufhörliche Fehler und Städte kennen und suchte, wie Briefe bezeu- er die Herzschläge ablesen, die diese ihm so ver- daran dachte, Schweizerbürger zu werden. Mit
geschehen (auf deutscher Seite), ich starre täglich gen, fast willentlich Wurzel zu schlagen. Wer wandten Welten in brüderlichem Kampfe taten. Recht schien ihm das umfassende Erlebnis eines
in fünf, sechs Zeitungen, und so unbeholfen und weiß, wie lebendig dem Dichter des »Malte Lau- Ihre geistige Gemeinschaft aber, sie schien ihm Schweizer Gaues die überzeugendste Legitimation
rein unkundig ich sie lese, eine jede bestätigt rids Brigge« das Verblichene und Abgeklungene ebenso zwingend wie die materielle, und so war es zu sein. Ergreifende Zeugnisse verbürgen, daß
mir's, und mit jedem Atem ziehe ich das vorwurfs- werden konnte, versteht seine Neigung, auch in Europa, das ihm gerade hier, in dieser verborgen- der Schloßherr von Muzot den Weg zur Volks-
volle, widersprüchige Bewußtsein tiefer in mich der Schweiz überall an den Schlaf des Vergange- sten Einsamkeit, die Notwendigkeit des mensch- seele gefunden. Dabei lag ihm nichts ferner als
ein und weiß den Irrtum und kann ihn doch nicht nen zu rühren. Er forschte nach den Besitzern lichen und des völkischen Ausgleichs bestätigte ästhetisches Geschmäcklertum, das sich an folklo-
sagen, denn wie sollte meine anders erwachsene und Bewohnern seiner jeweiligen Behausungen, er und in ihm selbst jene erhabene Harmonie be- ristischen Kuriositäten weidet. Ihn erfüllte viel-
Stimme sich plötzlich in den Dienst des gröbsten studierte die Familiengeschichte schweizerischer wirkte, in der er — der große Liebende — den mehr jene Ehrfurcht vor echtem Volkstum, jene
Momentes finden. Da und dort spricht einer, wie Bürgergeschlechter und Handelshäuser, er ließ Sinn unseres Daseins begriff.« So Gert Buchheit. franziskanische Liebe zum einfachen Mann, die
ich reden würde, aus einer verwandten Warnung sich, wie seitenlange Betrachtungen seines Tage- Vom Glück der schweizerischen Vielsprachigkeit schon in seiner russischen Zeit offenbar wurde.
heraus — Naumann neulich im Reichstag, Profes- buches erweisen, von den Soldatengestalten in beseligt, erzählt er in einem Brief vom 17. Januar Was die schlichten Bergler verehrten, wurde auch
sor Förster, der Prinz Alexander von Hohenlohe, P.deVallieres' »Geschichte der Schweizer in frem- 1920 von Vorlesungen in Zürich, St. Gallen, Lu- ihm heilig. Er spürte die Macht der Volkstradition
— aber das sind ja gerade die Stimmen, die keine den Diensten« bezaubern und vertiefte sich in zern, Basel, Bern und Winterthur, wo er durch und ging den Spuren lokaler Erinnerungen nach.
Geltung haben.« Dem so leicht verwundbaren Gonzague de Reynolds »Cites et pays Suisses«. kluge Anpassung und Führung die »schwer zu Ja, der gleiche Rilke, der eine Wahl in die
Menschen blieben auch die schwersten Prüfungen Bern mit seiner selbstsicheren Bürgerkultur und penetrierenden« Schweizer zu fesseln vermochte Deutsche Dichterakademie ablehnte, bewarb sich
nicht erspart. In sein Münchner Heim in der Ain- der reichen Überlieferung ebenso weltläufiger wie und neben seinen Übersetzungen auch die franzö- um die Mitgliedschaft der Societe d'histoire du
millerstraße 34, wo der parteilose, allem politi- heimatverbundener Adelsgeschlechter bot ihm die sischen und italienischen Originale lesen konnte Valais romand! So wuchs er in das Walliser Erd-
schen Geschehen hilflos gegenüberstehende Dich- Perspektive, aus der ihm allgemach das Schwei- — »was ja alles in diesem glücklichen Lande reich hinein, bis es in seinem Liede zu tönen be-
ter auf Frieden, Ruhe und Schaffensfreude war- zertum vertraut wurde: »Bern erst, das eine der natürlich ist«. Hier wurde Rilke denn auch zum gann. Der Gedichtzyklus »Vergers, suivis des
tete, drangen bewaffnete Spartakisten, die seine wunderbarsten Städte ist, die ich kenne, hat mir zweisprachigen Dichter. Hier konnte er die durch Quatrains Valaisans«, im französischen Idiom des
Schränke und Schubladen durchsuchten und die geholfen, von seiner Zentrale aus die alte Lebens- den Weltkrieg unterbrochenen Beziehungen zu Tales geschrieben, brachte zunächst »dem Canton
sorgsam geordneten Briefschaften durchstöberten, durchdringung dieser Staaten zu vermuten; europäischen Geistern wieder aufnehmen und du yalais den Beweis einer mehr als nur privaten
was auch die zur Befreiung Münchens herbeigeeil- Schweizer Geschichte, in der die NaturArä/fe dank der traditionellen Freizügigkeit des Gast- Dankbarkeit für so viel (aus Land und Leuten)
ten Soldaten wiederholten. In der Atmosphäre (nicht die formalen Erscheinungen dieser Binnen- landes seine Persönlichkeit nach allen Richtungen Empfangenes«. Es war nicht mehr die Stimme
solcher Verdächtigungen meinte Rilke ersticken länder) sich geradlinig fortgesetzt haben, ist ein- ungestört entfalten. Als ihn am Anfang des Jah- eines Fremdlings, der sein Gastgeschenk brachte,
zu müssen, und fluchtartig zog er in die Schweiz. heitlich und übersichtlich, ist schön; diese wider- res 1923 die europäische Lage überaus beunru- es war, wie der Dichter am 20. März 1924 Eduard
Nicht als ob sein Verhältnis zur Schweiz Liebe auf spruchsvolle, in den dringendsten Steigerungen higte, schrieb er: »Möge die Schweiz mich schüt- Korrodi gestand, eine »Walliser Stimme«, die er
den ersten Blick gewesen wäre. Zunächst hielt ihn sich abspielende Vielfalt konnte nur im Menschen zen.« Etwas wie Schweizerheimweh befiel ihn, als in seinem Innern vernommen hatte: »Nicht um
nur »die Furcht vor den ändern Ländern« fest. sich zum Wesen bilden, und der Schweizer, so ver- er 1925 das letzte Mal in Paris war, dem er so ent- eine beabsichtigte Arbeit handelt es sich hier, son-
»Die Schweiz, gewiß kein Land für mich«, schieden ihn die einzelnen Kantone auch entwik- scheidende Erlebnisse verdankte: »Wie einfach, dern um ein Staunen, ein Nachgeben, eine Über-
schreibt er im August 1919 aus Soglio. Auch seine kelt haben mögen, trägt das Bewußtsein aller sei- solid und aufrichtig kommt mir die liebe Schweiz wältigung. So ist also, seinen Ursprüngen nach,
Landschaftscharakteristik geht nicht die gewohn- ner verbündeten Landschaften an einer eigentüm- neben diesem ständigen Blendwerk vor«. Er war dieses Buch Gedichte zunächst ein schweizerisches
ten Wege. Der Vierwaldstättersee — »jambisch lich breiten und fruchtbaren Stelle seines sonst bald schon »so sehr Binnen-Schweizer geworden«, Buch.« Dieses Dokuments seiner Verbundenheit
des öftem besungen« — reizt ihn sogar zum spöt- nicht leicht durchdringlichen Gemüts.« Wie er so daß er die Grenzen seines Refugiums nur selten mit dem Wallis wollte er sich bedienen, »pour
tischen Vergleich: »vier Taschentücher, die nach über Landschaft, Siedelung und Geschichte zum mehr überschritt. Die Schweizergeschichte, die er appuyer ma future demande de nationalite suisse;
verschiedenen Richtungen Abschied winken.« Und Allgemein-Schweizerischen vorstieß, offenbarte so einheitlich und schön fand, der eidgenössische je ne peux pas prouver mieux que j'ai ce pays
gibt es eine lakonischere Städtecharakteristik als: ihm der Einzelschweizer etwas beglückend Neues, Volksstaat, der ihm einen noch ungewohnten dans le sang, et j'espere que ce sera parfaitement
»Zürich überhaupt —!« Die Berge ernteten weder nämlich »daß in jedem das Volk gegenwärtig ist Volkstumsbegriff offenbarte, der Pluralismus der convaincant pour les autorites qui decideront de
Lob noch Liebe. »Gebirge sind mir in der Tat wi- (was man bei uns so entbehrt, wo man's beständig Sprachen und Kulturen, waren beglückende Er- ma demande«. Dieses Wort des schon Todgeweih-
der die Natiir«, lautet ein Briefgeständnis. Einzig mit dem Stumpfen oder gar Amorphen zu tun hat, fahrungen, die den Eintritt in den eidgenössischen ten verrät, daß er sich mit dem Gedanken trug,
die Walliser Berge ertrug er, weil sie ihm nicht oder aber dem Einzelnen als einer Ausnahme ge- Schicksalsring wohl zu rechtfertigen schienen. Bürger des Gastlandes zu werden, dem er geistig

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schon angehörte und dem er die Hut seiner Asche lichkeit. Schäfers unmittelbares Bekenntnis zum schen Gegenwart nicht zu verzweifeln. Daß Staats- »Wo in Deutschland, Frankreich oder Italien ist
anvertraute.6) eidgenössischen Staatsgedanken bergen die formen langsam wachsen und nicht ohne weiteres die deutsche, französische und italienische Natur
Kein Wunder, daß in der an innerpolitischen »Briefe aus der Schweiz« 1927. Ein Lob auf das ausgewechselt werden können, bleibt ihm nicht ungehinderter als in der Schweiz? Oder wo dort
Problemen und Spannungen reichen Zeit der schweizerische Bürgertum leitet sie ein. Er stellt verborgen. Er weiß um die aus der Gemeinde- leidet ihre Kultur am Zusammensein?« Der Ge-
deutschen Republik immer wieder die Schweiz als fest, »daß dem Deutschen aus langer Gewöhnung politik erwachsene, genossenschaftliche Struktur danke, »daß also die gesamten Deutschen, Franzo-
Erzieherin und Lehrmeisterin beschworen wurde. an die Untertanenschaft die Selbstgewißheit als des eidgenössischen Freistaats. Es gibt nicht den sen und Italiener ebenso ohne Schaden an ihrer
Der aus einer oberhessischen Bauernfamilie Bürger fehlt, die sich der Eidgenoß in einem hal- freien Schweizer an sich, sondern im Farbton sei- Kultur, also an ihrem Volkstum, auf einer verein-
stammende und im Rheinland herangewachsene ben Jahrtausend schwer genug errungen hat«, die ner engeren Heimat. »In dem, was er seine Frei- barten wirtschaftlichen Grundlage, also in einem
Wilhelm Schäfer hat der Schweiz schon früh seine ihn aber auch befähigt, selber Ordnung zu schaf- heit heißt, ist ein Stück Heimat heilig bewahrt, Rechtsverband ihrer Staaten zusammenleben
Liebe zugeschworen. Mit Fug rühmt er sich in fen, indes der Deutsche dies von seiner Regierung während in dem, was sich der deutsche Untertan könnten wie die Deutschen, Franzosen und Italie-
dem Büchlein »Wahlheimat« 1931 seiner Ver- erwartet. Die schweizerische Bürgerlichkeit kenn- im 19. Jahrhundert mühsam durch Rebellion er- ner in der Schweiz, gibt eine Perspektive, aus der
dienste um die schweizerische Malerei. Nicht als zeichnen Nüchternheit, praktischer Sinn und die ringen mußte, immer nur der Einzelne mit seinem sich eine Lösung des europäischen Problems ver-
Entdecker und Propagator einer Provinzkunst, saubere, den Geist der Reformation Zwingiis at- Wahl- und Stimmrecht ist.« Der Eidgenosse er- lockend darbietet«. Es hieße, nach Schäfer, zur
sondern des deutschen Ahnenerbes feierte er als mende Ordnung in allen öffentlichen Institutio- hebt die Schwurhand für das heilige Erbgut der Vernunft der Eidgenossenschaft kommen.7)
Leiter der »Rheinlande« und Gründer des »Ver- nen. Sie strahlt aus der blitzblanken Häuslichkeit Geschichte, indes der Deutsche beim Wort »Repu- Der eigentliche Poeta laureatus der deutschen
bands der Kunstfreunde in den Ländern am der Bauern und Bürger wie aus der »gepflegten blik« an Barrikadenkämpfe denkt und nicht weiß, Republik war Gerhart Hauptmann. Wie das Erin-
Rhein« das Werk eines Hodler, Amiet und Buri, Menschlichkeit« selbst der Industrieorte. Vor daß es eine altgermanische Daseinsform bedeutet. nerungsbuch »Das Abenteuer meiner Jugend« er-
erschienen ihm doch in der Düsseldorfer Ausstel- allem aber zeigt Schäfer das regste Augenmerk für Was den Dichter vollends zur Bewunderung hin-
zählt, war der Schlesier im April 1888 nach Zürich
lung von 1904 die Schweizer »als die eigentlichen die kulturelle und politische Eigenständigkeit der reißt, ist die Internationalität dieser eigenwillig-
gekommen, wo er an der Universität hospitierte.
Germanen, in dem Sinn der alten oberrheinischen Schweiz: »Abgesehen davon, daß sich die Schwei- sten Schicksalsgemeinschaft Europas. In ihr er-
Anders als Rilke fühlte er sich im Bereich des
Meister oder des Albrecht Dürer«. Sein Buch zer im 19. Jahrhundert mit Pestalozzi und Bitzius, blickt der dem Volkstum verschriebene Hesse
Vierwaldstättersees auf einen paradiesischen Pla-
»Die moderne Malerei der Schweiz« zeigt uns aufs mit Gottfried Keller und C. F. Meyer über Gebühr geradezu den Schlüssel zu einer Neuordnung des neten entrückt, und gar die Besteigung des Pizzo
neue den beredten Anwalt der vielfach mißver- an der Bereicherung des deutschen Sprachgutes Abendlandes. Wurzelt der Eidgenosse tiefer als
Centrale, seine erste und letzte Bergtour, schenkte
standenen Schweizer Künstler. Auch drei seiner beteiligten, mit Böcklin künstlerische Werte und sonst ein Europäer im angestammten Grund, so ist
ihm ein unvergleichliches Landschaftserlebnis.
ragendslen Dichtungen sind der Wahlheimat ge- Wirkungen in die deutsche Bildung brachten, er doch gleichzeitig der geborene Weltbürger. Die
Was ungleich schwerer wog: er lernte erstmals ein
widmet. Während »Karl Stauffers Lebensgang« ohne die wir ärmer wären, daß sie also ihre Ab- geheimnisvolle Lebenskraft dieses übervölkischen freies Volk auf freiem Grunde kennen. Mit einem
dem unglücklichen Berner galt, in dem er das Idol hängigkeit überreichlich heimzahlten: abgesehen Staates, der den Weltkrieg überstanden hat, ist der
»Nomen est omen« glossiert der greise Autobio-
seiner eigenen unterdrückten Malerträume er- von ihrer Bedeutung für das Ganze bleiben sie als eiserne Wille, ein Bollwerk der Freiheit zu blei-
graph das Faktum, daß er während seiner Zürcher
blickte, zeigte sein »Huldreich Zwingli« dem deut- Teil eine Besonderheit des deutschen Wesens, die ben. »Auch die Männer der Landsgemeinde von
Zeit in der Freiestraße wohnte. Hier wurde aus
schen Volk der Nachkriegszeit, wie der Staats- wir keinesfalls dem fatalen Nebensinn des Wortes Trogen sind 1914 für das Vaterland ausgezogen;
dem Untertan der freie Mann. Nichts kennzeich-
mann eine Gemeinschaft aus sittlichen Persönlich- Provinz auszusetzen berechtigt sind.« Der Schwei- sie waren, die Existenz der Eidgenossenschaft auf net deutlicher seinen jugendlichen Freiheits-
keiten, »also die Eidgenossenschaft als staatliche zer ist »genau so eine historischeGewordenheit wie Tod und Leben zu verteidigen, nicht weniger be- impuls als die Kranzniederlegung am Grab Georg
Fassung einer wirklichen Kultur« stiften wollte der Reichsdeutsche«, ja er ist es sogar «in einer reit als unsere Männer und Jünglinge; aber es galt
Büchners, das er mit Gleichgesinnten immer wie-
und dafür auf dem Schlachtfeld fiel, »gläubig bis wesenhafteren Entwicklung der deutschen Natur«. wirklich nur die Verteidigung, nicht Revanche
der besuchte. Büchners Geist lebte »mit uns, in
zum letzten Augenblick nicht nur seines Gottes, Die Beliachtung des deutschen Geschichtsverlaufs und Eroberungslust. Der so viel angesprochene
uns, unter uns. Und wer ihn kennt, diesen wie
sondern auch seines irdischen Dinges«. Im »Le- und der Sonderentwicklung der Eidgenossenschaft heilige Krieg sieht so aus, wie der ihrige geworden
glühende Lava aus chthonischen Tiefen empor-
benstag eines Menschenfreundes« endlich feierte beschert ihm die beglückende Erkenntnis, daß wäre.« Das vielbestaunte Phänomen, daß die
geschleuderten Dichtergeist, der darf sich vorstel-
er Pestalozzi als Herold der Freiheit und Mensch- durch den politischen Instinkt und Wagemut der Schweiz während des Völkerringens jedwedem
len, daß er, bei allem Abstand seiner Einmalig-
Eidgenossen ein Stück Deutschtum gerettet wurde, Angreifer die Stirn zu bieten bereit stand, daß
keit, ein Verwandter von uns gewesen ist«. Hut-
«) R. M. Rilke, Briefe aus Muzot. Leipzig 1936.
»das nicht durch das Joch der Untertanenschaft also »Deutsche gegen Deutsche, Franzosen gegen
mußte. In der Landsgemeinde zu Claras, Uri, Un- tens »Ich hab's gewagt« klang ihnen wie die Fan-
J.R.v.Salis, R M. Rilkes Schweizer Jahre. Fraucnfeld und Franzosen, Italiener gegen Italiener das Recht
fare einer neuen Zeit; was Wunder, daß ihnen
Leipzig 1936. E.v.Schmidt-I'auli, R.M.Rilke. Basel 1940. tcrwalden und Appenzell, auf der die Bürger mit ihres Staates mit ihrem Blut zu verteidigen gewillt
auch die Ufenau zum Wallfahrtsziel wurde. Als
M. Zermallen, Les Annees valaisannes de Rilke. Lausanne der Waffe in der Hand heute noch die Gesetze waren und damit doch nicht vor ihrem Volkstum
1941. G. Buchheit, R. M. Rilke. Stimmen der Freunde. Ein beschließen und beschwören, haben wir Deut- fortwirkende Lebensbereicherung buchte er vorab
ins Unrecht gekommen wären, stellt das Beispiel,
Gedächtnisbuch. Freiburg i. Br. 1931. In bezug auf die
schen ein Sinnbild unseres Herkommens, das wir die Kenntnis der sozialen und politischen Institu-
zuletzt zitierte Briefstelle sei einschränkend verwiesen auf das die Eidgenossenschaft dem Nationalismus gibt,
tionen des Landes. Seine weitere Entwicklung
H.Pongs, Rilkes Umschlag und das Erlebnis der Front- nur mit Ehrfurcht ansehen können, weil es die in eine noch nicht gewürdigte Beleuchtung, indem
lebendig gebliebene Gemeinde des Freienmanns zeigt denn auch deutlich, daß er sich im wilhel-
generation: Dichtung und Volkstum. Bd. 37, S. 75 ff., wo sie Deutsche, Franzosen und Italiener in einer Ge-
ein Brief aus dem Rilke-Archiv vom 12. November 1925 ist«. Der Blick auf den Landsgemeindeplatz, wo minischen Deutschland je länger je weniger hei-
meinschaft auf Tod und Leben zeigt, die stark
zitiert wird, in dem der Dichter klagt, wie sehr ihm der misch fühlte. Die Sozialkritik des Naturalisten
sich alljährlich das alte Schauspiel mit einer Hei- genug scheint, in ihrem Bereich auf jeden Fall
»Anschluß an ein angestammtes Stück Land, darin man die ligkeit erneuert, »wie sie für die Gesamtheit der
Handlung und Neigung der Vorväter, von der Natur auf-
Ordnung zu halten«. Daß durch staatlichen Zu-
Männer keine Kirche mehr hat«, bedeutet für ') W. Schäfer, Briefe aus der Schweiz und Erlebnis in
genommen und gewissermaßen anerkannt, wachsen und sammenschluß die kulturellen Physiognomien an Tirol. München 1927. Derselbe, Wahlheimat Frauenfeld
dauern fühlt«, fehle. Schäfer eines der wenigen Mittel, an der deut- Schärfe verlören, wird schlankweg geleugnet: und Leipzig 1931.

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gehört auf ein anderes Blatt. Tatsache ist, daß er Staatsgeist birgt sein »Florian Geyer«, mit dem er fahrer, Gaukler und Magier, der aus dem verlore- Schweiz — »was ich, ein freier Mann in einem
der Monarchie spinnefeind war. Er bezeichnet nach eigenem Bekenntnis »an die alte Volksseele« nen Weltkrieg den Ekel vor der sinnlosen Mensch- freien Land, empfand, war Neugeburt« — und
sich selber einmal als »Spielverderber« des wilhel- appellieren wollte. Da ruft in der Rothenburger heitstragödie mitbringt, zieht am Ende seines Le- lernte neben Dadaisten, Pazifisten und Sozialisten
minischen Deutschland, obwohl er sich mit Wil- Trinkstube der dritte Bürger beherzt: »Wir wol- bens in die Schweiz, »wo Friede und Freiheit wie unter den vielen ausländischen Intellektuellen in
helm II. erst im Nachkriegsepos »Till Eulenspie- len frei sein als die Schweizer und in der Religion nirgend geehrt wird«, um dort zu sterben. Stau- Zürich den Norddeutschen Armstrong kennen.
gel« auseinandersetzte. Eine antimonarchische mitreden als die Hussiten«. Nachdrücklicher noch nend wie weiland Simplizissimus sagt er zur Wir- Wenn ihn nicht gerade die Liebe in Atem hielt,
und adelsfeindliche Luft weht durch sein Gesamt- gemahnt das 1913 in Breslau »zur Erinnerung an tin, die ihm Fisch und Wein vorsetzt: nippte er auch am politischen Gespräch Arm-
werk. Er perhorreszierte das kaiserlich-militari- den Geist der Freiheitskriege« aufgeführte »Fest- 0
Euer Inselchen hielt sich recht gut, beste Frau, in dem strongs. »Ich lernte bei ihm, daß man den Sinn
stische Deutschland als eine »eitle, dünkelhafte, spiel in deutschen Reimen« an das eidgenössische
[Blutmeer, der Demokratie am leichtesten begriff, wenn man
herausfordernde, ganz und gar schwachköpfige, Vorbild. Das Stück, das 1913 einen unerquick-
und ein Gott muß es sein, der vor Sturmflut es wieder von den kleinen Verhältnissen einer Schweizer
säbelrasselnde Militärdiktatur«. Und er haßte den lichen Pressestreit entfesselte, verkündet Haupt- [bewahrt hat. Stadtgemeinde ausging, wo jeder jeden kannte.
Krieg aus Herzensgrund. Als Romain Rolland den manns freiheitlich-demokratisches Glaubensbe-
Es fällt auf, daß der politische Redner kaum je Noch heute stimmte der Züricher am Sonntag dar-
Verlust unersetzlicher Kunstwerke betrauerte, kenntnis. Schon der Puppenspieldirektor macht
des freien Volks auf freiem Grund gedenkt. Daß es über ab, ob im vierten Kreis ein Schulhaus gebaut
antwortete ihm der Dichter des Mitleids: »Rubens aus seiner antimonarchischen Gesinnung kein
ihm gleichwohl beispielhaft gegenwärtig war, be- und ein bestimmter Lehrer gewählt werden sollte.
in Ehren! — ich gehöre zu jenen, denen die zer- Hehl:
Nun kommt ein Artikel extra rar: zeugt die Rede zur Eröffnung der Heidelberger Die Entscheidung fiel nicht in einer fernen Stadt,
schossene Brust eines Menschenbruders einen weit ein Preußcnkönig, ein Kaiser, ein Zar. und die Bürokratie, der der Bewohner des Kan-
tieferen Schmerz abnötigt.« Jeden Schwertstreich Festspiele vom 28. Juli 1928, in der nicht nur das
Doch sind diese Püppchen höchst diffizil. tons Macht über sich gab, war nicht eine abstrakte
empfand er als eine Entehrung, jeden Spatenstich Wir lassen sie lieber aus dem Spiel.
schweizerische Schillerdenkmal auftaucht, »das
schönste Denkmal, das irgend ein Mensch je erhal- Einrichtung, sondern eine höchst konkrete, die er
als eine Bereicherung der Menschheit. Aus der Bräche sich eines von ihnen ein Bein,
meine Stellung würde erschüttert sein. ten hat«, sondern Schillers »Teil« gleichsam zum aus seiner eigenen Tasche bezahlte. In den Zei-
»höllischen Saat des Krieges« sah er nur Völker-
vorwurfsvollen Fingerzeig aufs Volk der Freiheit tungen stieß man in jedem Augenblick auf ein
haß, Raubgier und jene Verrohung des Menschen Nicht den Monarchen der Heiligen Allianz,
wird: »Warum können wir Wilhelm Teil nicht in Wort, das auch anderswo bekannt war, aber nicht
keimen, die seine »Winterballade« offenbart. Die sondern der Heraklestat des deutschen Volkes gilt
jedem Betrachte unser nennen, da das Werk doch den gleichen Sinn hatte: der Souverän. Der Sou-
Staatsform, nach der er sich sehnte, war die Repu- sein Festspiel. Die Parallelen zur eidgenössischen
in jedem Betrachte unser ist? Warum wollte Gott, verän, sagte Armstrong, ist das Volk, also der Bür-
blik. Als die Weimarer Verfassung vom 11. Au- Frühgeschichte drängen sich förmlich auf. So wie
daß wir es nach Namen und Ort seiner Handlung, ger, der bei den 20,000 Franken, die er bewilligt,
gust 1919 in ihrem ersten Artikel verkündete: Jahn, Scharnhorst, Stein, Gneisenau und Kleist
und damit seine intensivste Strahlungskraft, der noch denkt, daß sie ein gutes Stück Geld sind. Die
»Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staats- die Hände zum Schwur erheben, tönt's von der
Schweiz überlassen müssen? Würde es nicht, mit Menschen brauchen Anschauung, weil nur sie ein
gewalt geht vom Volke aus«, hatte die politische Orchestra her: »Ein Rütlischwur, eine Schil-
dem deutschen Volk als dem Helden, das alljähr- persönliches Verhältnis gewährt: in einem großen
Stunde Hauptmanns geschlagen. Jedem Wider- lersche Poesie!« Unter den Wegbereitern der Land liefert sie der König, in einem kleinen der
nationalen Erhebung sprüht keiner wildere Fun- liche Festspiel eines freien und innerlich selbst-
bold galt fortan sein Kampf. Wie seine politischen Zusammenhang. Er erzählte mir von Lands-
ken als der Dichter der »Hermannsschlacht«: bewußten Deutschland sein?« 8)
Reden von 1919 bis 1932 dartuii, traute er dem gemeinden, wo der Souverän auf dem Marktplatz
demokratischen Staatsgeist größere Leistungen zu, Wer mich auf Teilens Armbrust weist, So tapfer sich Hauptmann für die neue Staats-
stand und durch Zuruf und Aufheben der Hand
als sie die mit dem »beschränkten Untertanenver- der hat erkannt mein tiefstes Sinnen, form einsetzte, der demokratische Staatsgeist ver-
die Beamten wählte. Später, als ich in Deutsch-
stand« rechnende wilhelminische Epoche zeitigte. mein heimlich-düstres Gedankenspinnen. mochte in der zermürbenden Nachkricgsnot keine
Ich bin der Dichter Heinrich v. Kleist! land die Unlust am neuen Staat erlebte, dachte
Die rauschenden Ehrungen, die dem Dichter am Wurzeln zu schlagen. Die immense Hypothek des
Des Teilen Tat, des Geßlers Tod ich an diesen Unterricht zurück. Der deutschen
60. Geburtstag 1922 zuteil wurden, galten dem Versailler Vertrags erschwerte die Lösung der
war wohl am Ende ein Ende der Not Demokratie fehlte das Wachstum des Kristalles
Herold des Freistaates. Heinrich Mann huldigte parteipolitischen und wirtschaftlichen Irrungen
Während diese Verse auf Napoleon zielen, ver- und die Anschaulichkeit.« Daß die schweizerische
ihm: »Er waltet neben dem politischen Reichs- und Wirrungen. Immer deutlicher trat die Krise
kündet Scharnhorst, das deutsche Volk müsse erst Demokratie gegen antidemokratische Strömungen
haupt als Präsident des Herzens, das dies Reich der Republik in Sicht. Schon maß man das Me-
neu geschaffen werden, ehe es der Fremdherr- der Zeit gewappnet sei und keiner Metamorpho-
hat. Man hat desgleichen in Deutschland nicht chanisch-Künstliche des neuen Staats am Orga-
schaft wirksam begegnen könne: sen bedürfe, suchte Otto Flake, mit dem Grafen
gesehen, und in Europa nicht seit Hugo. Die nisch-Natürlichen der ältesten Republik. Der El-
Ferner sind wir drauf und dran, Keyserling duellierend, 1928 in dem Aufsatz
Republik weiß sich bestätigt und erhoben von sässer Otto Flake, der mit ungewöhnlicher Wendig-
den sogenannten beschränkten Untertan »Demokratie, Schweiz, Zukunft« darzutun. Die
ihrem erwählten Dichter«. Als er seine politischen zu schmelzen, zu läutern, umzugießen. keit heute Romane schrieb und morgen über Poli-
zeitgenössischen Fehden wider den »Demokratis-
Träume durch die nationalsozialistische Revolu- Wir wollen ihn sehen auf festen Füßen: tik, Philosophie und erotische Freiheit debat-
mus« und die Empfehlungen eines neuen »Aristo-
tion von 1933 zerstört sah, wandte er sich, wie den Bürger, den Bauern, den Arbeitsmann. tierte, brachte diesen Gegensatz in einem Passus
seines Romans »Montijo« zur Sprache. Der mon- kratismus« brauchen nach seiner Versicherung die
einst in Jugendtagen, wieder der Schweiz zu. Und »Athene Deutschland« erläßt den drei-
Schweiz nicht zu beunruhigen, denn echte Demo-
So bedeutet es denn keine Überraschung, daß fachen Imperativ: däne, kriegsscheue Held dieser »Suche nach der
kratie beeinträchtige in keiner Weise aristokra-
die Schweiz auch in seiner Dichtung beschworen Macht Deutschland von der Fremdherrschaft frei! Nation« kam während des Weltkrieges in die
Sorget, daß Deutschland einig sei!
tische Persönlichkeitsbildung, wie man in Deutsch-
wird, nicht bloß als landschaftliche Staffage wie land vorgebe: »Die Demokratie war dem Aristo-
Und seid selber frei! Seid selber frei! ») G. Hauptmann, Das Abenteuer meiner Jugend. 2. Bd.
im »Apostel«, im »Emanuel Quint«, im »Ketzer kratismus nicht unzuträglich; sie war vielmehr
von Soana«, im »Buch der Leidenschaft«, sondern Im »Till Eulenspiegel« — Epos von 1928 Berlin 1937. S. 408 ff. Derselbe, Um Volk und Geist. An-
sprachen. Berlin 1932. S. 132 f. H. Barnstorff, Die soziale, eines der Mittel, ihn zu erzeugen. Wie spöttisch
als Symbol der Volksfreiheit. Die frühesten dich- taucht aus chaotischer Nacht nochmals das reine
politische und wirtschaftliche Zeitkritik im Werke G. Haupt- man heute immer über Biederkeit, Knorrigkeit,
terischen Äußerungen über den schweizerischen Bild der Schweiz auf. Der Kampfflieger, Land- i n a i i n s : Jenaer Germanistische Forschungen. Bd. 34, S. 66 ff. Bodenständigkeit in kantonalem Ausmaß, Treu-

16 17

,
macht es schön.« 10) Mit präzeptorischer Fuchtel das deutsche Volk die politische Demokratie nie-
herzigkeit, Schwere und Abgrenzung, ja Abkaps- in der Neutralität, und nun gar in der bewaffne- lenkte und überwachte der Staat alle Bereiche der mals wird Heben können, aus dem einfachen
lung denken mag, ee ist doch wahr, daß alle diese ten, eine Nichtform zu sehen. Sie ist eine der Kultur. Während manche geschäftig gleich auch Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben
Eigenschaften bis in die letzten Jahrzehnte des möglichen Lösungen des Problems, das Volk unter dem Pegasus eine braune Schabracke umwarfen, kann.« Sieht man näher zu, so polemisiert Mann
vergangenen Jahrhunderts aristokratische Eigen- Völkern heißt, und als solche bereits Form, Wahl, schritten andere in bewährten Bahnen weiter, der gegen die Übernahme der westlichen Demokratie,
schaften waren, nämlich gute, die Rassigkeit ver- Antwort.« Allen antidemokratischen Tendenzen Kunst dienend, nicht dem Tage. Die jüdischen nicht gegen die demokratische Staatsform an sich:
bürgende, das Persönlichkeitsbewußtsein för- zum Trotz möchte Otto Flake die Schweiz getreu Dichter wurden als Volksschädlinge verfemt. Aber »Reif für die Demokratie? Reif für die Republik?
dernde.« Keyserling wisse das auch, er unter- dem Gesetz, nach dem sie angetreten, weiter auch deutschblütige Dichter von Rang, wie Ger- Welch ein Unsinn! Einem Volke ist die oder jene
scheide jedoch zwischen rustikalem und feudalem schreiten sehen. »Die Mechanisierung der Perso- hart Hauptmann, der Stimmführer der Republik, Staats- und Gesellschaftsform gemäß, oder sie ist
Aristokratismus, welch letzterem allein die lebens- nen, der Ideen, der Zustände erschöpft sich, wenn zogen enttäuscht oder verbittert ins Ausland. ihm nicht gemäß. Es ist geschaffen dafür, oder es
notwendige Geschmeidigkeit eigne, während der sie ausgeformt ist. Der Sieg der Masse über die Zu diesen Emigranten gehört Thomas Mann. ist nicht dafür geschaffen.« Noch fällt kein Blick
bäuerliche sich jeglicher Umformung entziehe Individualität desgleichen. Die Schattenseiten, die Der »heilig — phantasmagorisch sich türmenden des Kämpfers auf das Land der urtümlichen, orga-
und erstarre. Auf der politischen Ebene heiße üblen Wirkungen des Parlamentarismus sind Gipfelwelt des Hochgebirges«, in deren Bannkreis nisch gewachsenen Demokratie. Während er noch
solcher Mangel an vitalem Elan, an zielendem nicht so groß, daß Anarchie oder Diktatur, die der »Zauberberg« spielt, bekundet der Hanseat in seinem Riesenwerk die Konservierung der poli-
Wagemut, an nationaler Initiative und Expansion allein ihn ablösen könnten, sich rechtfertigen lie- lauere Liebe als dem Meer. Nie hätte er wie sein tischen Form weiterpredigte, überstürzten sich die
— Verschweizerung. »Verschweizerung, wenn man ßen unter Völkern, die als höchstes Gut ihrer Zivi- Mentor Nietzsche in Sils-Maria die Landschaft sei- Ereignisse. Die Stunde der Niederlage, der Revo-
diesen nicht sehr erfreulichen Begriff benutzen lisation die Freiheit, das Mitsprechen, die Kon- ner Seele gefunden. Er ging denn auch, als die lution, der Republik war da. Mißmutig und trot-
will, würde demnach bedeuten: Verzicht auf poli- trolle betrachten.« °) Stunde des Abschieds schlug, den schon vor dem zig wie ein Offizier des kaiserlichen Heeres stand
tische Aktivität, auf Parteinahme, auf den gefähr- Als 1933 die nationalsozialistische Revolution Krieg mehrmals betretenen Huttenweg in die Zür- er abseits und zog sich mit seinem Hexameteridyll
lichen, aber auch hochgemuten Eintritt in die den Diktaturstaat errichtete, schlug auch eine cherseegegend. Sein Gottfried Keller-Aufsatz ge- vom »Kindchen« wie weiland der »Hermann und
Händel der Großen. Weiterhin Rückzug auf sich Schicksalsstunde der Literatur. Nicht nur die all- hört zu den herrlichsten und herzlichsten deut- Dorothea« — Dichter aus dem politischen und
selbst, Zuwendung zum Prinzip des Leben und zeit bereiten Konjunkturritter, auch charakter- schen Stimmen über den Zürcher. Das Entzücken revolutionären Babel ins Allgemeinmenschliche
Lebenlassen, Geschäftemachen ohne anderes Ri- volle Persönlichkeiten der Geisteswelt begrüßten über seine späte Entdeckung der Keller'schen zurück. Die gleiche Resignation, die die großen
siko, als das merkantile, Verbourgeoisierung. Zu- den Führerstaat. Aus der Seele breiter Volks- Kunst, seine Verzauberung und Dankbarkeit über- Dinge der Welt treiben läßt, wie's Gott gefällt,
letzt geistige Erstarrung, Neutraütät auch in schichten war jener Unmut gestiegen, dem Rudolf borden schier die Grenzen der Darstellung. Auch durchweht auch das Idyll »Herr und Hund«. Und
ideenhaften Entscheidungen. Alle diese Begriffe G. Binding 1928 in seinem »Rufen und Reden« Gotthelf, Meyer und Kodier bedeuten ihm gei- schon kam der Tag, an dem sich der Dichter mit
sind eine Abwandlung, eine logisch-intellektuelle Ausdruck verliehen hatte: »Ist es nun eine Repu- stige Erlebnisse. Weit dagegen war der Weg zum dem neuen Staat versöhnte. Als die Kämpfe zwi-
Anwendung des Grundbegriffes Neutralität. Nun blik, die Deutschland hat? Ich sehe keine res politischen Genius der Schweiz. Den schweren schen Kommunisten und Sozialisten verebbt wa-
ist nichts so leicht, wie logisch-intellektuell Kon- publica, ich sehe eine res partium.« Den Hieb und zunächst siegreichen Waffengang des deut- ren, die Arbeiterschaft mit dem Bürgertum zusam-
sequenzen zu ziehen: es ist das eigentliche Romain Roilands gegen das »Dritte Reich« pa- schen Volkes begleitete Mann mit dem Essay menarbeitete und bald sogar das bürgerliche Ele-
deutsche Laster . . . Während in Wirklichkeit die rierte Binding 1933 mit dem politischen Bekennt- »Friedrich und die große Koalition«. Diesem ment vorherrschte, bejahte er die republikanische
schweizerische Charakterbildung die Neutralität nis »Ein Deutscher antwortet der Welt.« Es gelte historischen Gleichnis und Leitbild folgte 1919 Staatsform. Das Dokument dieser Bekehrung bil-
brauchte, um überhaupt zustande zu kommen, da ein Volk zu begreifen, dem von den Siegern uner- das über 600 Seiten zählende Kriegsbuch »Be- det die Rede »Von deutscher Republik« 1923, mit
Neutralität in diesem Zusammenhang nichts ande- trägliche Lasten und Leiden aufgebürdet worden trachtungen eines Unpolitischen«. Während die der er vorab um die Seele der akademischen
res bedeutete als trotzige Abwehr der ringsum seien, »das in einer Verfassung lebte, aus der Schlachten noch hin und her wogten, begann be- Jugend warb. »Vater Ebert« und der anwesende
drohenden übermächtigen Einflüsse, also nicht heraus 224,900 Menschen — Menschen, die zusam- reits das Problem der Innenpolitik akut zu wer- Gerhart Hauptmann wurden als ragende Pfeiler
nur politisch, sondern auch kulturell oder mora- men eine große Stadt bevölkern würden — seit den. Dieser Wandlung, Umschichtung, Zersetzung, republikanischen Geistes gefeiert, Novalis und
lisch betont war, wirft der Ausländer, der vom dem Frieden von Versailles sich dieses Leben ge- dieser bald untergangsdüsteren, bald zukunftver- Walt Whitman als Kronzeugen bemüht. Der Red-
Gewordenen nichts weiß, die Frage auf, ob Neu- nommen haben«. Nichts leichter, als international heißenden revolutionären Zuckungen und Zün- ner entdeckte sein repubUkanisches Herz —
tralität nicht schon Charakterlosigkeit sei. Für die zu denken, wenn man eine Nation habe. »Sie, dungen vermochte Thomas Mann betrachterisch »meine Heimat war ein republikanischer Bundes-
Vergangenheit ist diese Fragestellung unbedingt Romain Rolland, haben die nationalste aller Na- nicht Herr zu werden. Es mutet wie eine Flucht staat des Reiches« — und nahm der »Politik« und
falsch. Und für die Zukunft? Es gibt zwei Pro- tionen. Wissen Sie aber, was es heißt, keine Na- vom Heute ins Gestern an, wenn er seinem Volke »Demokratie« das Odium, mit dem der »UnpoH-
gnosen für die Zukunft. Die eine behauptet, daß tion zu haben? 14 Jahre lang haben wir uns nicht in der zwiespältigsten Schicksalsstunde in immer tische« sie behaftet hatte. Er verwies die Akade-
die Staaten sich mehr als je gegeneinander abgren- als Volk fühlen können, nicht als Volk fühlen dür- neuen und krausen Variationen die These einhäm- miker auf die demokratische Gesinnung der deut-
zen werden; die andere, daß sie in einem über- fen. Dies brachte das Diktat von Versailles zu- mert, der Deutsche sei ein »ästhetischer«, kein schen Burschenschaftsbewegung vor 100 Jahren
staatlichen, geeinten Europa aufgehen werden. stande. Unser Staat beruhte nicht auf der Verfas- politischer Mensch, Deutschtum bedeute Kultur, und fragte verwundert, wie wahre Jugend Partei-
Die Wahrheit dürfte in der Mitte Hegen. Aber sung von Weimar, noch auf irgendeiner ändern, Seelentum, Kunst, nicht Zivilisation, Stimmrecht, gängerin des Gestrigen und auf mechanische
die ganze Frage ist müßig. Denn was könnte sondern auf dem Diktat von Versailles. Noch ist Literatur. »Ich bekenne mich tief überzeugt, daß Restauration des Alten versessen sein könne im
törichter sein als einem Volk empfehlen, seine alles Beginn. Aber ein Volk glaubt an sich, das Augenblick, wo endlich das Staatswesen zur An-
innerste, einst gewählte und durch die Jahrhun- nicht mehr an sich glaubte. Und sein Glaube i») R. G. Binding, Rufe und Reden. Frankfurt a. M. 1928.
gelegenheit aller geworden. Er empfand die Re-
S. 147. Derselbe, Ein Deutscher antwortet der Welt: Dichter
derte bewährte Haltung zu ändern? Charakter ist ») O. Flake, Montijo. Berlin 1931. S. 349. Derselbe, publik nicht als Denkmal der Niederlage und
aus deutschem Volkstum. Dichtung und Dichter der Zeit,
Konsequenz, und was man geworden ist, soll man Demokratie, Schweiz, Zukunft: Annalen. Eine schweize- von A. Soergel. 3. Folge. Leipzig 1934. S. 39 ff. Schande, sondern der Erhebung und Ehre, als
bleiben, koste es was es wolle. Auch ist es Unsinn, rische Monatsschrift 1928. S. 241 ff.
19
18
etwas Deutscheres denn die »imperiale Gala- ihr auferlegten Schicksal der Demokratie auszu- denstämmiger Volksteile« möglich ist. »Das hat zugetan. In seinem Zürcher Vortrag »Homer und
Oper« von ehedem, als trautere Heimat denn söhnen. Er sieht in der Schweiz einen historisch vielleicht nichts zu bedeuten, bewahre Gott, ich der Dichter« verrät er, daß die Hansestädter sich
»irgendein strahlendes, rasselndes, fuchtelndes gesonderten Teil deutschen Volkstums, »dem
hüte mich, Folgerungen daraus zu ziehen, die mir als fast ebenso alte Republikaner fühlen wie die
Empire«. Republik ist »nur ein Name für das Demokratie in des Wortes weitläufigster Bedeu- den Vorwurf unironischer Tugendhaftigkeit von Schweizer, wenn auch innerhalb der alten Reichs-
volkstümliche Glück der Einheit von Staat und tung durchaus natürliche Lebensluft ist, ohne daß seilen des historischen Pessimismus eintragen grenzen. Was ihm besonders zu Herzen geht, ist
Kultur«. Als undiplomatischer Gesandter der Re- es darum eine einzige Eigenschaft der germani- könnten. Ich meine nur, es könnte von Nutzen, nicht so sehr der eidgenössische Freiheitsgedanke,
publik unternahm er nunmehr Reisen ins Aus- schen Art, Männlichkeit zum Beispiel, verleug- beiden schäumenden Gegnern von Nutzen sein, der von Deutschen aller Jahrhunderte so sehr um-
land, nach Madrid und Florenz, nach London, nete«. Den Volksgenossen, die an die Vereinigung den flackernden Blick zuweilen auf das Schweizer worbene, als vielmehr die ideale Lösung des Natio-
Paris und Polen, und warb allerorten um die ver- von Demokratie und Männlichkeit nicht zu glau- Faktum zu lenken.« u) nalitätenproblems. Diesem Phänomen vor allem
lorenen Sympathien. An der Wehrlosigkeit ben vermögen, erzählt er den erfrischenden Dia-
Deutschlands litt sein Pazifistenherz nicht. Als er log mit jenem Schwyzer, der ihm auf die Versiche- Unter den zeitgenössischen Deutschen hat vor gilt sein herrlicher »Gruß an die Schweiz«. Die
sah, wie eine Oberschicht der Arbeiterschaft sich rung, Deutschland habe im Weltkrieg nie an die allem Rudolf Alexander Schröder, der Schöpfer köstliche Rede beschwört zunächst die wie Lin-
allgemach bürgerlich färbte, konnte er 1930 auch Verletzung der schweizerischen Neutralität ge- würdevoller, nach antiken Stilgesetzen gemeißel- denwipfelwehn entflohenen Jugendtage am Bo-
der Sozialdemokratie Anerkennung zollen, ob- dacht, die trockene und biedere Antwort gab: ter Versbücher, der geniale Übersetzer und viel- densee, wo es ihm trotz Hohenstaufen, Hohenzol-
wohl er im Gegensatz zu Hauptmann nie poeta »Das wäre ja auch gar nicht ganz ungefährlich leicht glänzendste Essayist unserer Tage, der lern, Reichenau, Überlingen und Meersburg auf
pauperum gewesen. Erst diese große politisch- gewesen.« Er macht sich zum Anwalt der deut- Schweiz seine warme Zuneigung restlos bewahrt. die Dauer doch am meisten die Schweizer Seite
geistige Wandlung ermöglichte eine Gestalt wie schen Volksherrschaft, weil es sich für gewisse Immer schon hütete er im Banne Weimars das angetan, »die helle, grüne, breite, ungefüge Bran-
die des vormals verlästerten »Zivilisationslitera- »geistige Notwendigkeiten« einzusetzen gilt, denen gesamtdeutsche Geisteserbe. Doch der Imperativ dung gewaltiger Schollen und Geländefalten ge-
ten« und ForUchrittsenthusiasten Settembrini im der Deutsche um seiner inneren Gesundheit willen der Nation, vorab das Eigengut zu ehren und zu gen das Hochgebirge«. Hell, breit und frei wie das
»Zauberberg«. Die demokratische Welt feierte Rechnung tragen muß, und beruft sich auf Ernst mehren, ließ ihn nie vergessen, »daß über und hin- Land erschienen ihm auch die Bewohner, die sei-
den Dichter der Republik, und der Nobelpreis Troeltschs Vortrag »Naturrecht und Humanität in ter den in stolzer Notwehr sich absondernden ner Heimatgewöhnung näher kamen als die
von 1929 verbriefte ihm seine Weltgeltung. Als er der Weltpolitik«, worin nicht bloß der Gegensatz nationalen Einheiten und Eigenheiten immer — Hegauer und Vorarlberger. Mögen solche Be-
im April 1933, kurz nach der nationalsozialisti- zwischen der deutsch-romantischen, geschichts- wenigstens als Forderung — die alte Ökumene kenntnisse oder der gelegentliche Hinweis auf die
schen Revolution, seine Richard Wagner-Rede philosophischen Ideenwelt und dem naturrecht- des christlichen Europa steht«. Der heimatstolze »herrliche Volkssprache«, die auch Hanns Johst
hielt, kam es zum offenen Bruch mit dem neuen lichen, westeuropäisch — amerikanischen Denken Hanseat darf den Ruhm beanspruchen, kostbarste in »Maske und Gesicht« 1935 bezaubernd findet,
Regime. Sein Gegnertum wider den Diktaturstaat, aufgezeigt, sondern auch eine Annäherung des Geistesfracht aus vieler Herren Ländern dem eige- wie eine captatio benevolentiae klingen, so durch-
die nationale Verkrampfung, die Vermassung der deutschen Geists an den westeuropäischen propa- nen zugeführt zu haben. So überrascht denn auch pulst doch rötestes Herzblut das Kernstück der
Individuen, die Gewalt- und Machtentfaltung giert wird. Die Schweiz erscheint ihm als eine seine Vertrautheit mit dem eidgenössischen Gei- Rede, die dem eigentlichen Schweizererlebnis die-
wuchs im gleichen Maß wie die Glorifizierung der Spielart deutschen Volkstums, »die, vom Haupt- stesleben nicht. Er weiß um Bodmers erste ses auf die alte Freizügigkeit Europas erpichten
Freiheit, Geistigkeit und Kultur. Immer heißer stamm politisch frühzeitig getrennt, seine geisti- deutsche Homer-Übertragung wie um seine Herde- Vermittlergeists dichteste und rundeste Prägung
verfocht er die demokratischen Ideale. Sein im gen, sittlichen Schicksale nur bis zu einem gewis- risch anmutende Wiederbesinnung auf die im leiht. Schröder sieht in der Dreieinheit der um
Frühjahr 1938 in 15 Städten der Vereinigten Staa- sen Grade geteilt, die Fühlung mit westeuropä- Volksgrund sprudelnden Quelladem der Dich- die steilste Wasserscheide gruppierten und zusam-
ten gehaltener Vortrag »Vom zukünftigen Sieg der ischem Denken niemals verloren und die Ent- tung; er rühmt, daß so hohe Talente wie G. Keller mengeschmiedeten Nationalitäten den Begriff
Demokratie« legt davon Zeugnis ab. artung des Romantismus, die uns zu Einsamen und C. F. Meyer »die Fäden eines Schrifttums auf- eines Klein-Europa verkörpert. In einer Zeit, in
und outlaws machte, nicht miterlebt hat«. So wird nahmen und weiterspannen, die schlaffen und un- der an Stelle der internationalen Bindungen die
Als Thomas Mann seine Rede »Von deutscher auch ihm die Schweiz zum Spiegel eines erst noch berufenen Händen im engern Vaterlande entsun- nationalen Sonderungen zu blutigen Entscheidun-
Republik« hielt, vermied er jeden Hinweis auf das zu bauenden Europa, denn »zur Ideen- und Ideal- ken waren«; er findet in Robert Waisers frühen gen treiben, begrüßt er die Alpenrepublik als ein-
demokratische Staatsgebilde südlich des Rheins. welt jener naturrechtlich bestimmten europä- Gedichten eine solche Dichtigkeit und Dämonie, same Insel eines versunkenen Kontinents, der
Doch im gleichen Jahr noch erwies er dieser ischen Humanität, der das Schweizer Deutschtum Zartheit und Reinheit der Aussage, daß er ihnen »christlich-antiken Universitas und Ökumene«.
»Heimstatt würdiger Freiheit« in einem »Brief sich niemals wie wir entfremdet hat, gehört der Ebenbürtiges in deutscher Sprache nicht an die Das ökumenische Prinzip, das die Schweiz als
über die Schweiz« die Reverenz. Die Beziehungen Gedanke der Menschheitsorganisation«, dessen Seite zu setzen wüßte; er leiht Walter Wilis »Ver- europäisches Erbe hütet und durch ihr bloßes Da-
zu ihr setzt er geradezu an die erste Stelle der absoluter Verleugnung sich kein Volk ungestraft gil« seine Dolmetschkunst und deutet in einem sein verkündet, bedeutet ihm keineswegs den er-
»wohlig-positiven Posten« seiner Lebensbilanz. In schuldig machen kann. Die Eidgenossenschaft bezaubernden Exkurs die essayistische Kunst Fritz klügelten Ausgleich vielspältiger Interessen im
wacher Erinnerung leuchten das kosmopolitische erwies sich als »das antipessimistische Wunder Ernsts. Besonders herzlich und begeistert zeigt Sinne eines politischen Kipper- und Wippertums.
Zürich, das ehrbare Basel, das amtliche Bern, aber Europas in Wahrheit, ein felsig standhaftes Wun- sich Schröder dem eidgenössischen Staatswesen Er hütet sich, den bundesstaatlichen Charakter
auch Baden, Winterthur (»drei Sterne seinem Na- der Eidgenossenschaft auf die gleiche Ebene zu
der in der Tat, da es der nationalistischen Spring-
men!«), St. Gallen, Solothurn, Luzern und Davos. n) Th.Mann, Über Gottfried Keller: Rede und Ant- rücken, auf der der Kalkül des Praktikers das
flut von 1914 standgehalten hat!« Fast wie eine wort. Berlin 1922. S. 380 f.; Betrachtungen eines Unpoli- Nationalitätenamalgam der Vereinigten Staaten
Doch der Brief bedeutet kein Privatissimum, son- Widerlegung jenes »historischen Pessimismus«, tischen. Berlin 1919; Von deutscher Republik: Bemühun- zu betrachten pflegt: »Über Religions- und Bür-
dern in Wirklichkeit abermals eine Rede an die der Deutschland und Frankreich zu ewigem Krieg gen. Berlin 1925. S. 143 ff.; Brief über die Schweiz: Bemü-
gerkriege, unter schweren Hindernissen und Ge-
deutsche Nation, der ein Blick auf die eidgenös- und Haß prädestiniert erscheinen läßt, mutet ihn hungen. S. 324 ff.; Vom zukünftigen Sieg der Demokratie.
Zürich 1938; Achtung Europa! Aufsätze zur Zeit Stock- fahren hat dieser besondere Schweizer Ausgleich
sische Polis, diesen »hochmerkwürdigen Glücks- die Tatsache an, daß in unserer Welt »dieser freie
holm 1938. F.Lion, Th.Mann in seiner Zeit Zürich und und Schweizer Gedanke seinen langen und mühe-
fall der Geschichte«, helfen könnte, sich mit dem und heilige Bund verschiedensprachiger, verschie- Leipzig 1935. vollen Weg genommen und sich behauptet; bitte-
20 21
rer Erfahrungen hat es bedurft, ehe das einzig- nahme und Befruchtung selbstverständlich sind«.
artige Verhältnis von Freiheit und Bindung, von Und wie Wilhelm Schäfer zeigt sich ihm das
Stabilität und Beweglichkeit gefunden wurde, in- eigentümliche Bild, »daß es im Grunde nicht so
nerhalb dessen die einander widerstrebenden und sehr zentrifugale Bestrebungen waren, sondern
doch aufeinander angewiesenen Kräfte zur Har- recht eigentlich die Treue zu einer älteren Form
monie zu gelangen vermögen.« Der beharrsame des deutschen und des europäischen Daseins«, die
Geist des Gebirges, der Geist ständig wacher das Land sich aus dem Gesamt des sinkenden
Selbstbehauptung und Selbstverteidigung, erhielt Imperiums auf sich selbst zurückziehen ließen.
und erhält der Eidgenossenschaft jenes Wesen, Schröders »Gruß an die Schweiz« stammt aus dem
»das sich ohne Gefahr so modern, so aufgeschlos- Jahre 1931 und erschien 1939 unverändert in den
sen, so neu-europäisch geben darf, weil es ein We- »Aufsätzen und Reden«, einem rund tausendsei-
sen uralter Herkunft, uralter Verfassungen, ural- tigen und tausendstimmigen Opus, aus dem uns
ten abendländischen Ausgleichs ist.« So löst sich die Goethesche Idee einer Weltliteratur, der welt-
ihm das Rätsel, daß die Schweiz seit Huttens und umfassende Genius des Volks der Dichter und
Calvins Tagen dem Fremdling und Flüchtling Denker, die Kultur der klassischen Humanität,
nicht nur Herberge, sondern Heimat war, da jede kurz, das ewige Deutschland entgegengrüßt.12)
der drei großen Nationen, die das Schicksal des
Abendlandes geformt haben, »sich in ihr, als wäre ") R. A. Schröder, Gruß an die Schweiz: Die Aufsätze
und Reden. 2. Bd. Berlin 1939. S. 264 ff. Die Partie über
es in ihrem Eigensten, zu Hause fühlen und den Schröder erschien, leicht variiert, bereits in der »Neuen
ändern auf einem Boden begegnen darf, auf dem Zürcher Zeitung«, 25. Februar 1940, unter dem Titel
gegenseitiges Geltenlassen, gegenseitige Anteil- »R. A. Schröder und die Schweiz«.

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22

WERNER ANDERMATT »KLATSCH« (Illustration zu: Arme Leute / Dostoiewsl


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WERNER ANDERMATT
Von Max von Moos

J O D I G L I A N I hat einmal gesagt: »Jeder Maler sollte sein Lebtag


lang nur ein einziges Bild malen.« In dieser Maxime steckt zugleich
Weisheit und Gefahr. Wenn der Name Tizian fällt, steigt in. uns das
Bild einer Venus im dämmernden Räume auf. Bei Rembrandt denken
wir an Christus-, bei Delacroix an den Löwen. Sicher haben die
Olympier unter den Malern immer ein letztes Symbol im Reichtum ihrer Visionen
gespürt. Diesem Symbol ihrer tiefsten Stimme haben sie ihre letzte Kraft geliehen.
Es ist der Schlüssel zu ihrem geistigen Raum und bleibt unverlierbar auch in der
Vielfalt des Schaffens. In einem weiten Sinn verstanden haben die starken Maler-
persönlichkeiten immer ihr Selbstporträt gemalt und nichts als dieses. Aber wie ver-
derblich wäre eine solche Maxime in den Händen eines Künstlers, der nicht mehr
aus der Fülle der Tradition seine Bilder formen würde, sondern der vor dem Erlebnis
des Nichts steht. Hier würde die »Ein-Bild-Maxime« Modiglianis unweigerlich zu
einem lyrischen Narzissmus führen, der mit einer unheilvollen Verengerung des Blick-
feldes bezahlt würde. Das Abgleiten in rein private Sphären wäre unausweichlich.
Diese Gefahr genau erkennend hat sie Picasso mit einer ans Wunderbare grenzenden
Vielfalt von Formen beantwortet, den Gewitzigten und Gescheiten oft nicht geringes
Kopfzerbrechen verursachend, wenn es sich darum handelt die Einheit in der Mannig-
faltigkeit seines Oeuvres aufzuzeigen.
Bei Werner Andermatt wäre es nicht leicht sein »Selbstporträt«, sein »einziges
Bild« unter seinen sehr verschiedenartigen Schöpfungen zu entdecken. Er ist Schrift-
gestalter, Graphiker, Illustrator, Maler und Kunstgewerbler und schon diese Vielfalt
des Schaffens läßt auf eine reich fazettierte Seele schließen. Man kann auch nicht
sagen, daß eines dieser Tätigkeitsgebiete für Andermatt das unbedingt Dominierende
wäre. Sie ergänzen sich in seinem Kräftehaushalt. Immer dann, wenn er auf einem
bestimmten Gebiet sich einer Errungenschaft freut, die infolge handwerklicher Be-
herrschung Gefahr läuft in Routine auszuarten, wechselt er seine Tätigkeit. Dieser
Tätigkeitswechsel ist für ihn ein schöpferischer Prozeß, eine Anfrischung des künstler-
ischen Wachstums und eine weise Methode sich vor Manierismus zu bewahren. Seine
künstlerische Vielseitigkeit läßt oft an William Morris denken, der die vorbildliche
Fähigkeit besaß in verschiedenartigsten Betätigungen stets sich selbst treu zu bleiben.
Mit Morris teilt Andermatt auch den hohen Respekt vor der künstlerischen und hand-
werklichen Tradition, was ihn aber nicht hindert, neue Wege zu beschreiten, besonders
auf Gebieten, die durch eine gewissenlose Spekulation gänzlich verkitscht wurden.

23
Wenn man einen Blick auf Andermatts Leben wirft, so fällt vor allem seine
Geradlinigkeit auf. Sie ist beinahe ein Kontrast zur Vielfalt seiner künstlerischen
Neigungen. Er ist 1916 in Zug geboren, wo seine Familie, die ursprünglich aus dem
Wallis stammt, seit Jahrhunderten niedergelassen ist. Bin Urgroßvater von ihm war
Antiquar. Sein Vater gründete eines der ersten Schuhgeschäfte in Zug. Der Vater ist
aber nicht nur ein realistisch und nüchtern denkender Geschäftsmann, sondern ein
geheimer Künstler, der sich als Liebhaber mit Schriftkunst und Heraldik befaßt. Diese
Tätigkeit des Vaters hat zweifellos stark auf den Sohn gewirkt. Sie war sicher der
erste Anstoß zu seiner künstlerischen Laufbahn. In seiner frühesten Jugend war Werner
Andermatt oft auf sich allein angewiesen. Es war die Zeit des ersten Weltkrieges und
der unmittelbar darauf folgenden Erschütterungen. Der Vater mußte die Führung des
Geschäftes oft seiner tüchtigen Frau, einer geborenen Aargauerin, überlassen, um
Militärdienst zu leisten, wo er den Rang eines Hauptmanns innehatte. Zu den frühesten
Kindheitserinnerungen Werners gehört das gemeinsame Zeichnen mit einer kleinen
Kusine, die im elterlichen Haus wohnte. Das Zeichnen hat ihn seitdem nie verlassen.
Auch aus der Primarschulzeit ist ihm in erster Linie das Zeichnen in Erinnerung
geblieben, das er mit Eifer und Freude betrieb, währenddem er für die ändern Fächer
damals kein besonderes Interesse bekundete. Weitere Schulstudien machte er in
St.Maurice und Pruntrut. Das Wallis mit seiner ernsten und monumentalen Romanik
hat einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Seine Liebe zur klaren Stilform und
lapidaren Vereinfachung wurde vielleicht hier geboren. Ein bleibender Gewinn seiner
Mittelschulstudien war die Liebe zur deutschen Literatur, die ihn seitdem nie verlassen
hat. Nach einem kurzen Aufenthalt in Zug, in den seine ersten Plakatentwürfe fallen,
begab er sich nach Luzern, wo er während dreier Jahre die Kunstgewerbeschule
besuchte. Diese Jahre waren für seine künstlerische Entwicklung von ausschlaggeben-
der Bedeutung. In der Diskusion und der täglichen Zusammenarbeit mit Lehrern und
Schülern wurde er sich seiner Originalität bewußt. Die Schule stand damals unter
der Leitung Gebhart Utingers und die Kraft dieser mitteilsamen und vielseitigen
Künstlerpersönlichkeit strahlte befruchtend auf alle Fachabteilungen. Utinger hatte
die schöne und seltene Gabe ganz verschiedenartige Individualitäten zu ihrem Recht
kommen zu lassen, verdanken ihm doch so weit auseinanderliegende Begabungen wie
Josef von Rotz und Walter Linsenmaier in gleicher Weise Anregung und Förderung.
Andermatts Begabung trat zunächst auf dem Gebiet der Schriftgestaltung zu Tage. Für
alles was mit Zeichen und Symbol zu tun hat, bekundete er einen fast magischen
Spürsinn. Die einfachsten Buchstaben wurden unter seinen Händen zu Fanalen mit
zündender und beinahe beschwörender Kraft. Die Einfachheit der Form bedeutete
ihm immer eine Verdichtung der Substanz. Diese Vereinfachung und Verdichtung WERNER ANDERMATT
gelang ihm zuerst in der Schriftform, dann auch in der Naturstudie, in der Figur, dem
B I B E L - I L L U S T R A T I O N : DAS HAUPT DES T Ä U F E R S
Porträt und dem Akt. Graphisdi kann man sein damaliges gesamtes Schaffen insofern
Und sein Haupt ward hergetragen in einer Schüssel und dem Mägdlein übergeben.

24 (Matthäus 11)
nennen als er auch vor dem Modell in erster Linie die Konstruktion und den architek-
tonischen Aufbau betonte. Der malerische Ausdruck gelang ihm erst auf der Academie
Grand Chaumiere in Paris, die er nach bestandener Zeichenlehrerprüfung bezog. An
der Akademie war das Verhältnis vom Lehrer zum Schüler viel lockerer als an der
Kunstgewerbeschule. Der Lehrer korrigierte einmal wöchentlich oder unterhielt sich
auch nur in mehr oder weniger verbindlicher Form mit dem angehenden Maler. Er
betrachtete Andermatt als einen verkappten Dürer und auch seinen Studienkollegen
fiel die strenge, fast byzantinische Art der Gestaltung Andermatts auf, die ihnen sicher
ganz unfranzösisch erschien. Andermatt aber sog wachen Auges die Pariserluft ein.
Man sah ihn selten im Kaffeehaus, dagegen oft im Louvre und bei den Kunsthändlern.
Was an seiner Form gewaltsam stilisiert war oder sich in einer zu ausschließlich
zeichnerischen Charakteristik verlor, ließ er bald fallen. Die alten und die neuen
Meister zogen ihn gleicherweise in ihren Bann. Er ist nicht einem unbedingt gefolgt.
Seine Liebe galt weit auseinander liegenden Werten. Zu Watteau und Picasso, zu
Leonardo und Matisse ist er immer wieder zurückgekommen. Bei Picasso lag ihm
besonders die blaue Perjode. Andermatt eignete sich in Paris eine europäische Umgangs-
sprache an. Aus seinen Blättern verschwinden provinzielle Reste. Oft hat er das Gefühl
notwendiger Eile. Der Krieg liegt schon in der Luft. Man kann keine Zeit verlieren.
Im Jahre des Kriegsausbruches 1939 beteiligte sich Andermatt als Schriftgestalter am
Aufbau der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich. In der Folge trifft man ihn
häufig in der Akademie Wabel, aber gleichzeitig etabliert er sich in Zug als Graphiker
und Maler. Durch seine buchgestalterische Tätigkeit für die Verlage Rex, Räber und
Benziger, sowie als Illustrator hat er die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich gezogen,
nicht minder durch seine Beschickung der Zuger Kunstausstellungen, auf denen er
durch die Sicherheit seines Instinktes und das Temperament seiner künstlerischen
Handschrift immer wieder fesselt. Neuerdings betätigt er sich auch auf textilkünst-
lerischem Gebiet. In seinen Fahnenentwürfen wirkt sich seine angestammte Begabung
für die einfache und eindrucksvolle dekorative Form in schönster Weise aus. Eine
heraldische Klarheit und Leuchtkraft spricht aus diesen Arbeiten. In ihnen ist auch
das Figürliche mit der abstrakten Form auf einen glücklichen Generalnenner gebracht,
von dem alle Schlacken gekünstelter Stilisierung abgefallen sind.
Andermatt ist trotz der Vielfalt seiner Tätigkeitsgebiete eine selten geschlossene
Künstlerpersönlichkeit. Das Gesetz seines Schaffens ist vielleicht am klarsten aus
seinen Schriftschöpfungen ablesbar. Seine Type wirkt immer groß, klar, weitausladend
und doch gemessen und streng. Der Schriftspiegel ist satt, dunkel und saftig. Genau
so ist auch die Physis des Künstlers. Dieser große, hagere, dunkle Typ mit den ruhig-
gemessenen Bewegungen gibt schon durch seine äußere Erscheinung den besten
Kommentar zum Stilprinzip seines Werkes. Das Gestraffte und Durchgehende der
entscheidenden Kompositionslinien bleibt ihm immer treu, gleichviel ob es sich um
25
eine Landschaft, eine menschliche Physiognomie oder um einen Akt handelt. Das
saftig-sammetige Blauschwarz seiner Hintergründe mutet oft wie eine Ode anDelacroix
an. Andermatt ist in seiner Schwarzweißkunst ebenso farbig wie in seiner Malerei
graphisch. Das primär Malerische liegt ihm ferner, obwohl er dafür ein genaues Zen-
sorium besitzt. Für ihn ist Malen der Zauberbegriff der Muse, dazu angetan das
beleidigend-Nackte jeder Konstruktion ins Bereich des Humanen zu erheben. Malen
mag ihm auch Musikalität, Ausspannung und Lauschen an den tiefen Brunnen bedeuten.
Andermatt hat zu den Erschütterungen unserer Tage eine weise Distanziertheit,
die ihm nicht aus der Überlegung, sondern aus dem Instinkt zukommt. Für das Zu-

COACH
standekommen seines Werkes ist diese Distanz und diese Ruhe Voraussetzung. Sein
Glaube an die Zukunft ist unerschüttert. Seine ungebrochene Persönlichkeit ist uns
Garant für seine künstlerische Zukunft. Heute wollen wir uns am Erreichten freuen,
das uns um so viele Köstlichkeiten des Auges und der Seele bereichert hat.

fdjoatbät
Exlibris eines Natutwissenscbafters

26
100 JAHRE OFFIZIERSGESELLSCHAFT
DES KANTONS ZUG
Von Max Kamer

»Meine Herren, Sie haben nur eine Lebensberechtigung, wenn Sie als Beispiel
wirken, aber in der Weise, daß es Ihnen niemand zum Vorwurf machen kann.«
Diese Worte eines großen Soldaten möchten wir zitieren, wenn an dieser Stelle
der vor hundert Jahren erfolgten Gründung der Offiziersgesellschaft des Kantons Zug
gedacht werden soll, denn wir sehen in diesem Ausspruch eine über alle äußern Formen
hin gültige Prägung wahren Offizierstums, zu dessen tiefstem Wesen auch immer eine
aller Publizität abholde Zurückhaltung gehören wird, so weit es um Belange des
eigenen Standes geht und nicht um Verpflichtungen höherer Verantwortlichkeit gegen-
über der Armee, gegenüber dem Lande. Wenn eine dieser Einsicht gemäße Reserve
für einmal aufgegeben wird, so sei es darum, weil wir das auf den l O.März des Jahres
1844 fallende Geburtsdatum der Offiziersgesellschaft des Kantons Zug für bedeutsam
genug halten, um bei ihm für einen Augenblick Halt zu machen und wäre es nur, weil
dabei eine ganze Reihe heimatgeschichtlicher Gestalten in einem sonst wenig beach-
teten Zusammenhang eindrucksvoll in unser Blickfeld treten.
Da ist der Landeshauptmann Markus Fidel Anton Letter ! Die Gründung ist sein
Werk, und durch die Persönlichkeit und den Charakter des Urhebers war diesem Werke
eine Wirkung beschieden, die Kraft genug hatte, die Entwicklung der Gesellschaft bis
in alle Zukunft entscheidend mitzubestimmen. Wir haben uns hier nicht zum Ziel
gesetzt, der Geschichte dieser Entwicklung durch die »grandeur et decadence« von
hundert Jahren nachzuspüren. Dies geschieht auf Grund wissenschaftlicher Voraus-
setzungen mit aller gebotenen Kompetenz in der Schrift, die der Gesellschaft das
bleibende Denkmal schenkt*.) Diese Zeilen wollen nur Hinweis sein und einige
Akzente setzen.
Rufen wir die Geister derer auf, die die Fackel weiter gaben, so treten vor uns
der erste zugerische Generalstabsoffizier der eidgenössischen Armee Karl Franz Viktor
Letter, dieser Mann wahrhaftig vaterländischen Großformates. Sein jüngerer Bruder,
Oberst Michael Letter und Justizhauptmann Eduard Schwerzmann, markante Mitglieder
des Zentralkomitees, haben zusammen mit dem Obersten Franz Müller und dem
Schützenhauptmann Oswald Dossenbach das Offiziersfest von 1868 in einer Art zur
Durchführung gebracht, die für die Tagungen der eidgenössischen Gesellschaft weg-
*) 100 Jahre Offiziersgesellachaft des Kantons Zug 1844—1944 von Hauptmann i.Gat. Ed. Montalta.

27
leitend werden sollte. Da sind die Gestalten wetterfesten Bürgerholzes vom Schlage
der drei Majore Uttinger, der Hauptleute Josef Speck und Josef Moos und eines Oberst- STOFFKREISLAUF UND LEBENS-
leutnant Carl Bossard. Da stehen die Führer unseres Elitebataillons im großen Krieg
des Jahres 14, Major Stadiin und Oberstleutnant Paul Wyß, da ist der Sanitätsmajor
GEMEINSCHAFTEN IM ZUGERSEE
Max Arnold. In ihnen allen sind hoher Bürgersinn und soldatisches Manneswesen Fön Hermann Steiner.
aufgegangen in der Synthese eines vorbildlichen Eidgenossen und Schweizertums.
Viele von ihnen weilen nicht mehr unter uns, aber ihr Andenken ist gegenwärtig und »Gemeinschaft ist die Lebensform der Natur.« ruhen auf dem Prinzip, aus einer großem Wasser-
ihr Schritt hallt nach in unseren Gassen. (A. Thienemann.) menge möglichst viele Planktonformen herauszu-
I.
sieben. Dies geschieht meist im Wasserkörper
Die Offiziersgesellschaft ist geworden auf dem Boden heimatlicher Eigenständig- selbst, unter Verwendung eines kegelförmigen
Die Limnologie oder Binnengewässerkunde ist
keit und ist hineingewachsen in den weiteren Atemraum des gemeinsamen Vaterlandes. heute zu einer selbständigen und weitverzweigten Wetze« (nach BURCKHARDT) aus bester Gries-
gaze. Die Spitze des Netzes ist mit einem fein aus-
Daß die Notwendigkeiten der Verteidigung des Vaterlandes mit wachen Sinnen voraus- Wissenschaft geworden. Sie sieht ihre Aufgabe
polierten Netzhahn abgeschlossen (Abb. 1). Die
darin, alle Lebensvorgänge im Wasser und der
schauend erkannt, daß das als unerläßlich Erkannte mit Sorgfalt und Energie gegen Gewässer überhaupt zueinander in Beziehung zu Winde dient zum Versenken und Heben der Netze
oft tragische Verblendung und auch gegen bewußte auf hintergründiger Zielsetzung setzen. Zunächst sammelte man vorwiegend biolo- oder anderer Fang-, Schöpf- oder Meßgeräte. Sie
wird an der Bordwand des Schiffes angeschraubt.
beruhende Verunglimpfung realisiert wurde, daran hat die Offiziersgesellschaft unseres gische, geologische, physikalische und chemische
Die Länge des abgewickelten, aus Tigelgußstahl
Beobachtungen. Erst in neuester Zeit ging man in
Kantons immer mit vollem Einsatz und manchmal in entscheidender Weise mitge- steigendem Maße zum Experiment über, sei es im bestehenden Kabels kann jederzeit am Zählwerk
arbeitet. Diese Arbeit wurde geleistet aus innerer Überzeugung auf der Grundlage Laboratorium oder im Großversuch in natürlichen festgestellt werden. Für quantitative Arbeiten
kommen natürlich andere Apparate zur Verwen-
absoluter Freiwilligkeit. Ein Offizier wird sich ihrer nicht rühmen wollen, sie bedarf Gewässern. Hernach aufgestellte theoretische
dung.
Lehren geben immer wieder Anlaß zu neuen Aus-
aber der Erwähnung, wenn der geistige Standort der Führer aller Grade unseres einandersetzungen und Anregungen zur Lösung
Milizheeres bestimmt werden soll. alter und neuer Probleme. Ein solches sind die ZählYorriMuny
Gesetze, welche Lebensraum *) und Lebens-
In der zugerischen Winkelriedstiftung, die im ersten Kriegswinter des ersten gemeinschaft miteinander verketten. Das sind
großen Krieges ins Leben gerufen worden ist und in der kollektiven Neujahrsgratula- keine neuen Begriffe. Im Jahre 1877 prägte der
Zoologe K. MÖBIUS in seiner Schrift über »Die Kabelrolle
tion haben sich das Zugervolk und die Offiziersgesellschaft zum Wohle der Wehrmänner Auslaufrolle
Auster und die Austernwirtschaft« den Begriff Sperrklinkt verstellt), babel
und ihrer Familien die Hand gereicht. Daß dieses schöne Werk immer leuchtendes der Lebensgemeinschaft oder Biocönose zum
Symbol bleiben möge für dasVerhältnis unseresVolkes zu den Führern seiner Soldaten, ersten Male. Wir verstehen darunter eine Gemein-
Kabel
das sei der Wunsch zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Offiziersgesellschaft schaft von Organismen mit lebensnotwendigen
Beziehungen zueinander innerhalb eines bestimm-
unseres Kantons, der uns besonders am Herzen liegt. ten Lebensbezirkes. Sie ist also nicht eine Summe
von nebeneinander befindlichen, sondern ein Mit-
einander von Organismen. Die »allgemeine Bio-
Befestigung am Boot
logie« ging bis in die jüngste Zeit an diesen Pro-
fei u</4 Leinwand
blemen der Vergesellschaftung der Organismen
vorüber. Planktonnetz, unten mit
Im Nachfolgenden möchte ich als Haupt- Netzhahn u.Lotgeuicht
lebensbezirk den Zugersee wählen und aus ihm
Imprägnierte Traijschnüre
einige Lebensgemeinschaften in ihrem inneren
Zusammenhange behandeln.
n.
Methodik. Ihr Ziel ist, die in den verschie-
denen Lebensbezirken verteilten Organismen zu
erbeuten. Fast alle gebräuchlichen Methoden be-

*•.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;*#;
.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.;**;.*.>*;.*.;**;.*.;**;.*.;* *) Heute leider zu einem wirtscliafts-politischen Abb. 1.
V * * * * * * * * v * * * v * * * *• •* ** * * v '*• Schlagwort geworden. Winde mit Planktonnetz und angehängtem Lotgewicht.

28 29
"

Beim Heben des Netzes wird eine bestimmte auch eine Lebensgemeinschaft herausgebildet.
Wassersäule ausgesiebt. Der Filterrückstand wird Aus dem Wasser der oberen Schichten wandern " Dmada craaip« An der Zusammensetzung des pflanzlichen
durch den Hahn in Flaschen abgelassen und ent- Planktons (Phytoplankton) sind die verschie-
nämlich pflanzliche und tierische Mikroorganis- D clct
densten Algengruppen beteiligt. Oft kann eine
weder mit Formaldehyd fixiert oder noch besser men an die Wasserpflanzen aus. Dort bilden sie
einzige oder mehrere Arten zusammen eine Hoch-
sofort untersucht. Hiefür benötigt man aber ein an Blättern und Stengeln braune bis grüne Über-
Mikroskop, das erst den rechten Einblick in viele produktion erzeugen. Im Frühjahr und im Okto-
züge und werden als Aufwuchs bezeichnet. Die-
ber ist beispielsweise die Wasseroberfläche der
Einzelheiten ermöglicht. ser besteht im Vorfrühling aus Kieselalgen
Auf der Uferbank verwenden wir an Stelle des stillen Buchten am Nordufer von einer weinroten
Synedra, Fragilaria, Tabellaria, Gomphonema
Kahmhaut bedeckt. Diese »Wasserblüte« rührt
Netzes die Dredsche; das Bodenmaterial des Sees etc.). Im Spätfrühling treten rasch an ihre Stelle
von einer massenhaften Ansammlung von Oscilla-
aber kann mit dem Schlammbagger erfaßt wer- hellgrüne Fadenalgen und kleinste Grünalgen. Als
toria. rubescens D. C. her (Abb. 2 f.), die De CAN-
den, der nach dem Prinzip der großen Kiesbagger große Grünalgenpolster sehen wir sie während der
DOLLE 1825 zum ersten Male beschrieb. Die Rot-
gebaut ist. warmen Sommertage an der Wasseroberfläche
färbung wird vom Volke in der Gegend des Murt-
III. schwimmen. Tagsüber erreicht nämlich der Sauer- Triatnodrs-laich
fratsqängt tan Lanrn nersees als »Burgunderblut« bezeichnet in Erin-
In welcher Form wollen wir nun die Lebens- stoffgehalt des Oberflächenwassers so hohe Werte,
nerung an die in der Schlacht bei Murten 1476 ge-
gemeinschaften des Zugersees behandeln? Viel- daß die Algen ihren produzierten Sauerstoff nicht
fallenen Burgunder. Treibt ein bestimmter Wind
leicht nach der systematischen Stellung der ein- mehr an das gesättigte Wasser abgeben können.
die Fäden gegen das Ufer, so gehen sie rasch in
zelnen Individuen? Nein, ein solches Vorgehen Sie werden alsdann mit den zwischen den Fädchen
Fäulnis über und verpesten die Umgebung durch
wäre nur dann berechtigt, wenn wir gleichsam hängenden Sauerstoffblasen hochgerissen und ver-
einen deutlichen Geruch »nach Algen« oder »nach
einen zoologischen oder botanischen Katalog der fangen sich schließlich an den kühlen Tagen ohne
Fischen« (»Schlechtwetterregel« des Volkes).
seebewohnenden Organismen aufstellen wollten. Sonnenschein zwischen den Wasserpflanzen. Viele Abb. 2. THIENEMANN bezeichnete sie einst als
Uns aber interessieren nur ihre Beziehungen zum Formen dieses Aufwuchses sind auch beweglich Unterseite des Seerosenblattes. Lebensverein. »Schmutzfinken erster Ordnung«. Ob auch im
Lebensort. Dabei werden wir sehen, daß in den und kriechen oder schwimmen herum. Mit Hilfe
Zugersee ein Fischsterben auf die Verstopfung
einzelnen Lebensgemeinschaften Angehörige der von Protoplasmaströmungen gleiten die Kiesel- Triaenodes und die strichförmigen Eier vieler der Kiemen mit Oscillatoria zurückzuführen ist,
verschiedenen systematischen Stellungen mitein- algen, die schmalen Nitzschien und die schiffchen- Libellen sind in Bogen angeordnet. In größeren kann ich noch nicht sicher entscheiden. FEHL-
ander verbunden sind. In der Darstellung der förmigen Naviculeen vorwärts. Träge nur krie- Mengen finden sich die braunen Kokons des MANN (1940) *) glaubt das erstmalige Auftreten
Lebensgemeinschaften kann man verschiedener chen die »Sandhaustierchen«, Difflugien, mit Schneckenegels. dieser Alge auf das Jahr 1927 festsetzen zu müs-
Ansicht sein, aber wir wollen uns doch an die ihrem von Steinchen besetzten Gehäuse herum
Gewisse Aufwuchs-Organismen sind oft genug sen. Leider scheint er die Literatur über unseren
Terminologie der grundlegenden Literatur halten. und gewandt kreisen überall Pantoffeltierchen.
imstande, sich ins freie Wasser hinaus zu bewegen. Seen schlecht studiert zu haben. BACHMANN
Demnach unterscheiden wir in jedem See drei Neben mikroskopischen kleinen Würmern klettert
Sie sind dann zum Teil zum Plankton zu rechnen. (1904) und BRUTSCHY (1908) berichteten
Hauptlebensbezirke: das Bärtierchen (Tardigrada) mit seinen krallen-
Seit HANSEN (1887) versteht man darunter die bereits schon von einem epidemieartigen Auftre-
bewehrten Beinchen unermüdlich umher. Bei den Gesamtheit der im Wasser schwebenden Organis-
das freie Wasser (Pelagial) mit dem Plankton, ten dieser Alge. Weitere häufige Vertreter der
Landpflanzen ist ein derartiger radikaler Auf- men ohne Eigenbewegung. Die Kenntnisse dieses
die Uferzone (Litoral) mit ihrer Bewohnerschaft, Blaualgen sind Anabaena flos aquae (Abb. 3g),
wuchs unbekannt. Er erfährt auch im Schilfgürtel lehrreichen Lebensvereins von gleicher Zusam-
die Tiefenregion (Profundal) mit ihrer Besiede- Microcystis punctiformis u. a. Seltsame Gebilde
(mit Ausnahme bei der Kollermühle) keine starke mensetzung innerhalb eines Sees sind vom Meere
lung. begegnen uns unter den Flagellaten. Das »Trich-
Ausbildung, weil ja nur die senkrecht verlaufen- ausgegangen (1845). 25 Jahre später leitete der terbäumchen« (Dynobryon sociale (Abb.3 h; T.II,
Das Litoral definieren wir als jene Zone, inner- den Flächen der Schilfstengel für die Besiedelung Schweizer FOREL die Erforschung des Planktons Abb. 1) beispielsweise ist nichts anderes als eine
halb deren grüne Pflanzen leben können. Genü- zur Verfügung stehen. Reich an Aufwuchs sind der Binnengewässer ein, die dann in kurzer Zeit Kolonie von vielen einzelligen Geißelzellen, von
gen die Bedingungen dem Aufenthalt von grünen aber die Laichkräuter und Tausendblatt, die einen ungeahnten Aufschwung nahm. Immer denen jede an ihrer Oberfläche einen glasklaren
Pflanzen, so folgen sich diese in verschiedener eigentlichen Wasserpflanzen. Das Seerosenblatt, neue Beobachtungen wurden zu Tage gefördert, Kelch ausgeschieden hat, der ihr als Wohnung
räumlicher Ausdehnung und Dichte meist in be- an der Grenze zwischen Wasser und Luft lebend, aber es fehlten die leitenden Gesichtspunkte, nach dient. Je zwei goldbraune Farbstoffkörper ver-
stimmten Zonen aufeinander (STEINER, 1944). weist eine eigene interessante Assoziation auf denen das riesige Beobachtungsmaterial hätte zu- raten, daß sich diese Wesen auf pflanzliche Weise
Der Bezirk alles pflanzlichen Lebens reicht hin- (Abb. 2). Auf der Blattoberseite sitzen in Mengen sammengefaßt werden können. Hier griff vor vier von gelösten Salzen und Kohlensäure ernähren.
unter bis zum lichtlosen freien Tiefenwasser, in hellgrüne Blattläuse, frißt auch der metallisch- Jahrzehnten der 1943 verstorbene Leipziger Kol- Eine charakteristische Sommerform ist die
unserem See bis in etwa acht Meter Tiefe; denn grün glänzende Seerosen-Schilfkäfer Donacia cras- loidchemiker Wolfgang OSTWALD mit seiner »Schwalbenschwanzalge« Ceratium hirundinella
nur mit Hilfe des Sonnenlichtes sind die Blatt- sipes. Seine milchweißen Larven leben am Sten- Schwebetheorie ein. Er erkannte richtig, daß der (T. I, Abb. 3; T. II, Abb. l und 3). Zwei Geißeln,
grünkörperchen der pflanzlichen Zellen imstande, gelgrund und in einem pergamentartigen Gehäuse scheinbare Schwebezustand der Organismen im
liegen dessen Puppen. Braun gefärbte Stellen deu- eine Längs- und eine Äquatorialgeißel dienen
aus anorganischen Stoffen hochmolekulare orga- Grunde genommen ein sehr langsamer Sinkvor-
nische Nahrung aufzubauen. Die Tierwelt als Gan- ten auf Bewohner im Blattinnern hin. Auf der gang ist, dem aber die Natur mit bestimmten Mit- *) Fischerei-Gutachten über den Zugersee, verfaßt von
zes aber ist auf das Vorhandensein von grünen Blattunterseite fallen die wurstförmigen Laich- teln entgegentritt. Die Abhängigkeit der einzel- W. FEHLMANN (1940), O.FUHRMANN (1941), G.HO-
Pflanzenformen angewiesen. Mit ihrem Fehlen klupen von Limnaea, einer Wasserechnecke, auf. nen Faktoren voneinander brachte er in der be- FER (1940), LINSI (1939), W. SCHMASSMANN (1939),
würde mit einem Schlage alles tierische Leben zu Ringförmige Laichmassen stammen von Phryga- rühmten sogenannten » P l a n k t o n f o r m e l «
P. STEINMANN (1941). — Ich danke Herrn Regierungsrat
bestehen aufhören. In der Uferzone hat sich nun neen, spiralig angeordnete von der Köcherfliege K. SIGRIST herzlich für die Erlaubnis, Einsicht in diese
zum Ausdruck. Gutachten nehmen zu können.

30
31
TAFEL i

ihrer Fortbewegung. Der gedrungene Körper ist Wir lernten eine Reihe seltsamer Pflanzen ken-
durch einen Panzer geschützt, der aus kleinen nen. Pflanzenwesen sind sie alle und leben daher
Täfelchen von Zellulose besteht und im Herbste nicht anders als ihre hochentwickelten Schwestern
leicht zerfällt. BRUTSCHY (1912) unterschied der Uferzone und des Landes rund um den Zuger-
bereits schon zwei deutlich voneinander verschie- see herum. Auch sie erzeugen durch Photosyn-
dene Formentypen, die nur lose durch Übergänge these in riesigen Mengen wertvolle organische
miteinander verbunden sind. Die größere Winter- Nahrungsmittel, Nahrung für unzählbare andere
form besitzt nämlich nur drei Hörner, während- Geschöpfe. Das Heer der mikroskopisch kleinen
dem die kleinere Sommerform deren vier auf- Tierchen (Zooplankton) konsumiert in erster
weist. Linie die organischen Substanzen der Kieselalgen.
Diese spielen also die Rolle der Nahrungs p r o -
Durchmustern wir eine bestimmte Plankton- d u z e n t e n . Zu Nahrungsproduzenten werden
probe, so enthüllt uns das Mikroskop wundervolle aber auch die grünen assimilierenden Wasser-
gepanzerte Geschöpfe. Diese pflanzlichen Wesen pflanzen. Im Herbst reißen sich die absterbenden
nennen wir Kieselalgen oder Diatomeen. Ihr glas- Laichkräuter und Armleuchtergewächse los, sin-
artiges Gehäuse besteht aus Kieselerde (SiO2) und ken zu Boden, zerfallen zu Detritus und werden
übertrifft in der Feinheit seiner Struktur allen von von den Tieren gefressen. Aber nur ein Teil des
menschlicher Hand gefertigten Schmuck (T. I, alljährlich von den Uferpflanzen erzeugten Detri-
Abb. l und 2). Jede dieser Zellen besteht immer tus erfährt diese Inkarnation. Der Rest wird
aus zwei fast unendlich kleinen Schalenhälften, von r e d u z i e r e n d e n Bakterien zersetzt und
die ineinander passen, ähnlich wie die Teile einer schließlich bis zu den einfachsten anorganischen
Schuhschachtel. Jeder Teil erhält die feinsten Stoffen abgebaut, aus denen die Pflanzen ur-
Ornamente eingraphiert, eine Erscheinung der sprünglich ihren Körper aufgebaut haben
Natur, die beweist, daß sie vielmehr zu schaffen (Schema Abb. 7).
imstande ist als für den täglichen »Kampf ums Abb. 1.
IV. Abb. 2.
Dasein« notwendig ist. Bei der Zweiteilung erbt Stern- und kettenförmige Kolonien von Tabellaria fenestrata. Schalenseiten von Cyclotella bodanica und Zwischenbänder von
jede Tochterzelle die Hälfte der Wohnung und Aus einer Planktonprobe bringen wir einen Nadeiförmige Synedra. Frühjahr. Tabellaria.
Tropfen auf einen Objektträger und versenken
beginnt sogleich die zweite Schalenhälfte zu er-
uns in die wunderbare Welt der kleinsten Tiere,
gänzen, die immer kleiner als die von der Mutter
ererbten werden. So müßten notwendigerweise
immer kleinere Töchter entstehen. In dieser Lage
aber kriechen die Zellchen aus ihren zu eng ge-
wordenen Häusern und verschmelzen paarweise
auf geschlechtlichem Wege miteinander, wodurch
die normale Größe der Art wieder hergestellt
wird. Die Kieselalgen aus der Tertiärzeit werden
seit der Erfindung NOBELS mit Nitroglycerin ge-
tränkt und liefern so den hochexplosiven Spreng-
stoff Dynamit. BRUTSCHY (1912) fand Tabel-
laria fenestrata nur ganz selten. Heute aber nimmt
sie in Stern- und Kettenform eine dominierende
Stellung besonders im Frühjahrsplankton ein
(T. I, Abb. 1). Cyclotellen (T. I, Abb. 2) sind
ohne Ausnahme Herbstorganismen. Die zierlichen
Sterne von Asterionella (Abb. 3 d) sind im Früh-
ling besonders zahlreich und nicht selten von
einem Geißeltierchen besetzt. Die Kammalge, Phytoplankton aus dem Zugersee.
Fragilaria crotonensis (T. I, Abb. 3) enthält regel- a) Tabcllaria flocculosa (ROTH), b) Tabellaria fenestrata
mäßig angeordnete Öltropfen. Diese kleinen 01- (Kolonie), c) Schalenansicht von Tabellaria fen.,
fabrikanten sind an der Bildung des Petroleums d) Asterionella gracillima (HANTZSCH), e) Synedra acus
var. radiang, f) Oscillatoria rubescens D. C., g) Anabaena
beteiligt, das in unserem Zeitalter zu einem wirt- flos aquae (LYNGB.), h) Dinobryon socialc, i) Mallomonas
schaftlichen Machtfaktor geworden ist. producta. (l ^ [mü] = >/i»w mm.)

32
Abb. 3. Abb. 4.
Gehäuse von Tinlinnopsis lacustris (ENTZ). Oben Panzerreste von Bythotrephes longimanus (LEYD) Weibchen.
Ceratium, unten rechts Teile der stäbchenförmigen Fragilaria
crotonensis (KITT) (Kammalge).
der »Urtiere«. Ihr Körper besteht aus einem win- wieder »Weibchen-Weibchen« hervorgehen. Die
zigen Tropfen von eiweißartigem Protoplasma, Rotatorien können wie die Bärtierchen (über die
das all das vollbringen kann, was bei böheren ich in meiner Diplomarbeit (1943) ausführlich
Lebewesen zahlreiche Organe besorgen müssen. Es berichtete) ihre Lebensfunktionen vorübergehend
ließe sich eine große Liste der verschiedenen einstellen. In ihrer Form gleichen sie dann einem
chemischen Produkte aufstellen, welche spielend Sandkönichen, quellen aber in einem Tropfen
leicht aus diesem feinsten chemischen Laborato- Wasser plötzlich auf und lassen munter ihr Räder-
rium hervorgehen und welche der Chemiker nur organ spielen. Eine ganze Menge gepanzerter
zum Teil mit einer komplizierten Apparatur nach Lebewesen tummeln sich im Sommerplankton.
mühevollen Forschungen fertig bringt. Viele Ur- Millionen von kleinen Krebschen finden ihr Aus-
tierchen sind völlig nackt; andere bauen sich Ge- kommen in dieser Zeit und stellen anderseits die
häuse wie wir eines in Abb. 3, T. I sehen. Tintin- wichtigste Fischnahrung dar. Da sind einmal die
nopsis lacustris baut sich dieses aus einer dünnen Cladocera, deren größte Arten dem Aquarianer
cbitinarligen Substanz und bedeckt sie außen mit unter dem Namen »Wasserflöhe« bekannt sind
zahlreichen winzig kleinen Sandkörnchen. Beim
Bau werden diese Sandkörnchen einfach gefressen Komplnaayt LtbtrhSrmhtn
Naupliuia
und an der richtigen Stelle der Körperoberfläche
wieder ausgeschieden.
Reizende Lebewesen begegnen uns in einer
anderen Probe. Die Wissenschaft nennt sie Räder-
tiere oder Rotatorien. Mehr als 15 planktonisch
lebende Vertreter dieser Klasse konnte ich bereits
nachweisen. Das Wappentierchen Asplanchna
priodonta und Brachionus sind häufig. Keratella
cfjchlearis als treue Begleiterin von Ceratium
ßnitraam
hirundinella und Keratella quadrata sind gepan-
zert, Polyarthra trigla besitzt Springwerkzeuge,
die wie kleine Schwerter aussehen. Mit ihnen
springt es in einer Sekunde Strecken, die das
TOfache seiner eigenen Körperlänge ausmachen.
Trotz ihrer Kleinheit sind alle Rotatorien mit vie-
len Organen ausgerüstet. Ihren Namen verdanken
Thorakalbein
sie einem dem Nahrungserwerb dienenden Räder-
organ. Ihre Haut ist durchsichtig wie feinstes Kri- Schalt
stallglas und gestattet dem forschenden Menschen-
auge tiefen Einblick in die Zusammenarbeit und
Wirkungsweise der Organe; sie ist so zart, daß be-
sondere Atmungsorgane überflüssig sind. Ebenso
ist kein Herz erforderlich, weil die wasserklare
Blutflüssigkeit den ganzen Körper erfüllt und
durch Kontraktionen des ganzen Körpers in Be-
wegung gehalten wird. Das Tierchen besitzt einen
Zellstaat von etwa 1000 Bürgern, während sich
unser menschliche Körper aus schätzungsweise
Abb. 4.
60 Billionen Zellen zusammensetzen dürfte. Bei Das Kleinkrebschen Daphnia hyalina, im Leben gefärbt
den Rädertierchen gibt es Weibchen, »Weibchen- mit Neutralrot.
Weibchen« werden sie genannt, die aus unbefruch-
teten Eiern immer nur Weibchen erzeugen. Da- (Abb. 4). Nirgends enthüllt sich das Getriebe des
neben werden gegen Ende des Sommers die sehr Lebens so wirklich und glaubbar nahe wie gerade
seltenen »Männchen-Weibchen« beobachtet. Aus bei diesen lebenden Schaumodellen. Im Mikro-
ihrer Vereinigung mit einem Männchen entstehen skop sieht man das Herz, ein kleines Säckchen am
befruchtete Eier, aus denen nach der Winterruhe Rücken, unermüdlich arbeiten. Bei der Beobach-

33
T A F E L il

tung im Dunkelfeld blitzen die Teilchen des Blu- FEHLMANN (1940) in dessen Gutachten geta-
tes bei jeder Pulsation hellstrahlend auf, um dann delt. Während meiner eigenen regelmäßigen Un-
vorüber zu fluten zu allen inneren Organen. Fort- tersuchungen fand ich beide Arten gar nicht so
während macht das große schwarze Auge mit sei- selten. Ich besitze Proben, die auch als Material
nen leuchtenden Kristallzylindern zitternde Be- für Mikroskopierübungen in der Schule über län-
wegungen und kann doch nur Stufen von Hell und gere Zeit genügen.
Dunkel, niemals aber Formen unterscheiden. Sie In einer lebenden Planktonprobe lassen sich
sind der erste Anfang einer Entwicklungsreihe, bereits schon ohne optische Hilfsmittel die Ver-
die hinaufführt zu den vollendeten Facettenaugen treter der »Ruderfüßer«, Copepoda erkennen. Von
der Bienen oder Fliegen. Beim Auge des Glas- ihnen gibt es so viele Arten und Varitäten, daß
krebses Leptodora kindtii (FOCKE) (Tafel II, ihre Unterscheidung und Bestimmung auch für
Abb. 4) liegen gleich zwei Nervenknoten. Der den Hydrobiologen eine harte Nuß bedeuten
vordere enthält Sehzellen, der hintere Riechzel- kann. Aber das scheint diese Tierchen nicht im
len. Von diesem zweiten Knoten ziehen Nerven geringsten zu stören. Dem Systematiker zum
zu den Riechfühlern und zum Gehirn. Im Brut- Trotz legen sie, mit nur einem Auge auf der
räum der »jungfräulichen« Cladoceren-Mutter- Stirne, in hüpfenden Sprüngen durch Schlagen
tiere aber können wir das Mysterium des keimen- mit der Ruderantenne gemeinsam mit vier Paar
den Lebens verfolgen, sehen wie die Eizellen sich Schwimmfüßen relativ große Strecken zurück.
teilen, rundliche Zellhaufen bildend, wie die dun- Für die Bestimmung der Arten genügt meistens
keln Augenpunkte entstehen und wie sie schließ- das Weibchen allein. Dieses besitzt einen segmen-
lich eine zappelnde Kinderschar unter ihrem tierten Körper mit einer zweigeteilten Schwanz-
Rücken mit sich herumtragen. Ein leichter Druck gabel, an deren Seiten es die paaren oder unpaa-
auf das Deckgläschen und schon werden sie gebo- ren Eipakete mit sich herumträgt (Schemabild 6,
ren und rudern selbständig im Wassertropfen Mitte). In jedem Ei sind Dotterpfropfen als Auf-
herum. baustoffe für die heranreifenden Larven enthal- Abb. 1.
Abb. 2.
So eifrig man auch im Sommer sucht, Männ- ten. Die Entwicklung beruht nämlich auf einer Naupliuslarve. Am linken uniern Rand Dinobryon, Peridinium und
Diaptomus und Cyclops.
Microscystis aeroginosa. Rechts außen Asterionella.
chen findet man keine. Erst gegen den Herbst Metamorphose. Mehrfach nacheinander wird die
schlüpfen aus einem Teil der Sommereier die we- Cuticula abgestreift und neue Gliedmaßen spros-
sentlich kleineren Männchen. Dann findet die sen nach jeder Häutung hervor. Tafel II mit der
Vereinigung der Geschlechter statt. Die nur in Abbildung 3 zeigt eine milbenartige Nauplius-
Zweizahl erzeugten befruchteten Wintereier wer- larve, die ebenfalls einäugig ist und mit drei Bein-
den im Brutraum der Mutter von einer derben paaren durch das Wasser hüpft. Auf dem späte-
Hülle umgeben und als Dauere! (Ephippium) bei ren Metanaupliusstadium (T. II, Abb. 3) ist sie
der Häutung der Mutter zugleich mit dem Panzer wohl noch immer naupliusähnlich, geht aber bei
abgestreift. Durch die Wellenbewegung des Was- der nächsten Häutung in das copepot/ewähnliche
sers werden sie überall hin verfrachtet. Im näch- Stadium über (T. II, Abb. 2). Der durchsichtige
sten Frühling aber schlüpft wieder eine »jung- Panzer läßt keine Kiemenorgane erkennen. Der
fräulich zeugende« parthenogenetische Weibchen- Gasaustausch erfolgt in erster Linie durch den
generation. ersten freien und besonders dünnwandigen Brust-
Als unsichtbare Ungetüme und gierige Räuber ring. Die Blutflüssigkeit wird durch die peristal-
in der Welt der kleinen Planktonkrebschen sind tischen Bewegungen des Darmes an den Organen
der Glaskrebs Leptodora kindtii (FOCKE) und vorbeigefülirt. Bei den viel kleineren Männchen
Bythotrephes longimanus (LEYDIG) (Tafel I, dienen die großen Ruderarme zugleich als Greif-
Abb. 4) zu bezeichnen. Diese schlanken Tiere mit organ zum Festhalten des Weibchens. Während
ihren kräftigen Ruderarmen gehören wohl zu den der Begattung, die nur eine äußere Vereinigung
seltsamsten Erscheinungen unserer Wasserfauna. beider Geschlechter bleibt, klebt das Männchen
Sie sind als besonders wichtige Nahrungstiere der dem Weibchen eine oder mehrere Spermatopho-
Baichen bekannt. BRUTSCHY (1912) fand sie ren (Samenballen) an eine besondere Öffnung an,
sehr selten; die Experten zum Gutachten über die durch die die Samenkörperchen in eine Tasche
Fischereiverhältnisse im Zugersee (s. Anm. S. 31) übertreten können. Während des Austretens der
überhaupt nicht. SCHMASSMANN (1939) macht Eier in die sich bildenden Eiersäckchen werden
sich darüber keine Sorgen, wird aber deshalb von sie befruchtet.

34
Abb. 3.
Abb. 4.
Zwei Metanauplien, zahlreiche Fäden von Oscillaloria, helleuchtend
Auge des Glaskrebses Leptodora kindlii. Die zweiteilige Nerven-
unterhalb der Mitte Tintinnopsis lacuslris, Ceratien, oben und links
masse hinter dem Auge besteht aus Sehzellen und Riechzellen.
unten Peridinium clnctum und in der Tiefe schwach leuchtend stern-
Im Dunkelfeld pholographiert.
förmige Tabellaria-Kolonien.
In Dunkelfeldbeleuchtung photographiert.
Häufig sind die Copepoden bläulich oder gelb- cheldrüsenkernen Riesen-Chromosomen, die sich
rot gefärbt, eine Erscheinung, die durch Öltropfen 100—200 mal größer erwiesen als die der übrigen
im Körper hervorgerufen wird. Sie werden wohl Körperzellen. Das Aussehen solcher Riesen-Chro-
in erster Linie Nahrungsreserven darstellen und mosomen zi ; <;t unsere Abbildung 5. Auf den
das Schweben erleichtern. Bei den gelben Farb- ersten Blick ist eine Gliederung in zahlreiche
stoffkörperchen handelt es sich vielleicht um
einen dem Carotin nahestehenden Farbstoff. Ob
er mit den gelbroten Ölkugeln in den Augen der
Tagvögel verwandt oder sogar identisch ist, muß
noch untersucht werden. Diaptomus gracilis und
seine Begleiter sind ebenfalls einäugig und von
recht schlanker Körperform. Sie sind aber höher
?fo''- »wsslIjSw :swSiP«B
entwickelt als die Hüpferlinge. Z. B. pulsiert ein
kleines Herz unter der Rückenwandung. Ihre
waagrecht schwebende Bewegung ist rasch, aber
ruhig und gleichmäßig. Besonders lange Fühler
wirken dabei wie Schwebstangen. Fein organi-
" • • ' • • • > ; , • Svr ttVT /»«i • i •xtSPyi'
sierte Mundgliedmaßen, z. T. aus Beinpaaren ent-
wickelt, dienen als Reusen zum Erbeuten des
Zwergplanktons. Dieses enthält so kleine For-
men, daß sie mit Leichtigkeit durch die feinen
Maschen unseres Netzes schlüpfen und daher mit
anderen Apparaten der Untersuchung zugeführt Abb. 5.
Kern einer Zelle der Speicheldrüse aus einer Chironomus-
werden müssen.
larve, lebend gezeichnet Der Kernraum zeigt die vier
Die ungezählten Zweiflügler, die in Schwär- Chromosomen mit ihrem Scheibchenbau und das große
men über dem See und am Ufer spielen, die Mük- tropfenförmige Kernkörperchen.
ken, entstiegen alle dem Wasser. Als räuberische
Ungeheuer, mit komplizierten Fangwerkzeugen mehr oder weniger breite und in verschiedenen
ausgerüstet, lauern ihre Larven im Wasser auf Abständen angeordnete Scheibchen erkennbar.
Beute. Die Zuckmückenlarve Chironomus braucht Vermutlich sind die Scheibchen die Orte bestimm-
viel Faulschlamm zum Leben, kommt aber mit ter Gene (Erbanlagen), welche bei der Zeugung
wenig Sauerstoff aus. Obwohl sie mehr als einen von den Eltern auf die Nachkommen übertragen
Centimeter lang wird, bleibt sie fast unsichtbar. und in ununterbrochener Folge durch die Gene-
In ihrem Leibe liegen vorne und hinten je zwei rationen weitergegeben werden. Die Erforschung
luftgefüllte Blasen, die das waagrechte Schweben dieser Riesen-Chromosomen bietet natürlich eine
erleichtern. Die Bewegung erfolgt durch ein Fülle neuer und zum großen Teil noch ungelöster
charakteristisches Hin- und Herkrümmen der Fragen. Im richtigen Augenblick hat aber die
Körperenden, wobei oft die Gestalt einer liegen- physikalische Forschung Instrumente entwickelt,
den oo angenommen wird. Als paarige, dreilap- die es dem Biologen möglich machen, an seinen
pige Organe liegen im vordersten Körperab- Forschungsgegenständen die Grenzen zu über-
schnitte die Speicheldrüsen. Diese sind, wie auch schreiten, die dem Licht-Mikroskop gesetzt sind.
jene anderer Mücken, als Objekt der Vererbungs- Wir haben weiter oben Cyclops strenuus als
forschung berühmt geworden. Zu den gesichert- Angehöriger der Copepoden kennen gelernt. Die-
sten Ergebnissen der Vererbungs- und Zellenlehre ser Hüpferling hat nun in den letzten Jahren in-
gehört der Satz, daß die Kernschleifen oder Chro- sofern eine gewisse Berühmtheit erlangt, als er als
mosomen die stoffliche Grundlage der Erbanlagen einer der Zwischenwirte der »Feichenkrankheit«
sind und daß auf ihnen die Erbanlagen in linearer im Zugersee erkannt wurde. Die Ursache dieser
Anordnung aufgereiht sind. Auf dem Wege zu Krankheit ist ein Bandwurm mit dem wissen-
vertieften Einsichten in den Feinbau der Erb- schaftlichen Namen Triaenophorus crassus
masse schien allerdings die Verwendbarkeit des (FOREL). In der Schweiz wurde er im Jahre
Mikroskopes erschöpft. Ganz unerwartet entdeck- 1880 als seltener Parasit des Hechtes aus dem
ten aber HEITZ und BAUER (1933) in den Spei- Genfersee beschrieben. FUHRMANN in Neuen-

35
bürg fand ihn 1909 im Neuenburger- und Bieler- Dazu treten aber schließlich noch die Fische
FEICHENKRANKHEIT IM ZU6ERSEE
see. Um 1939 waren bis 90 % aller Felchen im als weitere K o n s u m e n t e n (schematische
Zugersee mehr oder weniger infiziert. Die Krank- Abb. 7). Ihnen dient weitgehend der gesamte
heit konnte aber in letzter Zeit stark eingedämmt pflanzliche und tierische Planktonverein als Nah-
werden. Die einjährige komplizierte Entwicklung rung, der damit in nutzbares Fischfleisch umge-
wurde erst durch FUHRMANNS Schüler F. RO- wandelt wird. Aber nur ein Teil der Fische wird
SEN (1917—19) aufgedeckt. Das Entwicklungs- dem See entzogen. Der Rest, wie auch der des
schema zeigt Abbildung 6. Im Darm des Hechtes Planktons stirbt eines natürlichen Todes und fällt
können sich im Frühling 100—200 geschlechtsreif allmählich auf den Seegrund. Da mag wohl das
gewordene Tiere aufhalten. Mit vier dreispitzigen, wehmutsvolle Lied des Harfenmädchens an unser
sehr charakteristisch geformten Hacken bohren Ohr klingen: »Heute, nur heute bin ich so schön,
sie sich in die Darmwand des Hechtes ein. Die aus morgen, ach morgen muß alles vergehn!«
dem Hechtdarm ausgestoßenen Eier des Band- (STORM).
wurmes fallen auf den Grund des Sees. Dort ent- V.
wickeln sie sich in kurzer Zeit zu ovalen bis rund-
Schon auf dem Wege in die Tiefe und dort
lichen Larven, die ein Wimperkleid tragen. Die
selbst warten ihrer ein riesiges Heer von Bakte-
kleinen Larven können sich aber nur in einem
rien. Diese z e r l e g e n das anfallende orga-
Copepoden oder Daphnia, im Zugersee Cyclops
nische Material (Eiweiße, Fette und Kohlen- Cgclops strenuus-1. Zw.Wirt Felchen » 2. Zvmchgnwlrt
sl.renuus, weiter entwickeln. In dessen Magensaft Hecht. Wirt
hydrate) in einfache a n o r g a n i s c h e Ver- Daphnie».). Die Laryc kommt in den Die Larve bleibt einige Tage im DarmKanal u.
löst sich ihre Hülle samt dem Wimperkleid auf. bindungen (Mineralisierung). Sie bilden die
1oo-7oo qeschlechtsreije freischwimmende Larven (Coracidien)
viird Zur Plerocercoidlarve, wandert dann in
rner im Hechtdarm. Ihre Eier mit VJirnperKleid und Sechs Haktn. . Magen, weil die Hülle im Magensajr aufgelöst wer-
Die Larven durchwandern alsdann die Darmwand Grundlage für den Aufbau der Pflanzenwelt der len au)- den Seegrund. den rpusb. Die Lartt he.ii.4t nun Procercoid , qSmm lang die Muskulatur der Leibeshöhle aus u.bildet
und gelangen in die Leibeshöhle. Die Larve heißt dort VJurmKnoton. ,.,
Uferzone wie der des freien Wassers. Die Größe
nun Procercoid. Auf diesem Entwicklungsstadium der entstehenden Pflanzenmasse richtet sich nach
wird jener Zeitpunkt abgewartet, in dem derCope- dem Stoff, der im Minimum vorhanden ist (LIE-
Abb. 6. Die »Felcbenkrankheit« im Zugersee. Vom Verfasser schematisch dargestellt nach den Untersuchungen von R O S E N und F U H R M A N N und eigenen Beobachtungen.
pode von einem Felchen, die bekannte Plankton- BIG'sches Gesetz). Nach der Ansicht MINDERS
liebhaber sind, gefressen wird. Das Procercoid spielt der Stickstoff die Rolle des Minimumfakto-
wandert durch die Darmwand in die Leibeshöhle res, der in stark reduzierter Form im Eiweißmole-
ein und erhält zwei längliche Sauggruben. Ein kül eingebaut ist. Verschiedene Bakterien besor-
hinterer Abschnitt wird mit sechs Hacken verse- gen die stufenweise Umwandlung der Aminosäu-
hen und schnürt sich vom übrigen Körper ab. Die
Larve ist damit in das Plerocercoidstadium getre-
ren in Ammoniak, in Nitrit und schließlich in die
beständigen Nitrate. Schwefelwasserstoffbakterien
[HÖHERE WASSERPFLANZEN]

STOFFKREISIAUF IM NUTZBARES F I S C H F L E I S C H

ten. Diese Felchen sehen überaus unappetitlich


aus und werden auf dem Markte beanstandet, ob-
wohl die kranken Fische für den Menschen un-
binden den Schwefel des Eiweißes an Wasserstoff.
Der entstehende Schwefelwasserstoff (H2S) ent-
weicht zum Teil, ein anderer Teil setzt sich mit
ZUGERSEE
schädlich sind. Um die Geschlechtsreife zu erlan- freiwerdenden Eisen um zu Schwefeleisen (FeS),
gen, muß die Larve nun in den eigentlichen Wirt das dem Faulschlamm eine dunkle Farbe verleiht. PRODUZENTEN
gelangen, in den Hecht. Dieser kommt oft genug Über die Schwefelbakterien werde ich an an-
in den Lebensbereich der Felchen und macht derer Stelle berichten. Unter ähnlichen Bedingun-
diese zu seiner Beute. Damit infiziert er sich aber gen wie Schwefelwasserstoff entsteht auch das iiforat
mit dem Bandwurm, der nun zur Geschlechtsreife Sumpfgas, Methan (CHJ, das im Wasser wenig [Uferzon«-. uferbank11]
kommen kann. Der einjährige Entwicklungs- löslich ist und daher in Bläschen emporsteigt. Sie Zerwtzunq der Pjlanzen und
zyklus ist damit abgeschlossen. werden im Winter leicht vom Eise eingeschlossen. des Planktom durch Batt«..
Hier werden organische Stoff«, chemisch rjen[REDUZENTEN]^-
Das Zooplankton ist die Gesamtheit der zeh- Ich habe solche im letzten Winter im See bei und physikalisch erschlossen: Tro- t) Nahrung f. Pjlanienjresser,
KONSUMENTEN
Dersbach geöffnet und entzündet. Flammen von - Schicht MinurabtoJte}. Pjlanzen
renden Organismen im Lebensverein des freien
Wassers. Es ernährt sich von dem lebenden und 20 Sekunden und längerer Brenndauer waren
absterbenden Phytoplankton oder deren Stoff- keine Seltenheit. Zufolge der hohen Ausströ-
wechselprodukten. Ein Beispiel mag dies erläu- mungsgeschwindigkeit des Gases war ein pfeifen-
tern. Nach einer Angabe NAUMANNS kann ein des Geräusch weithin hörbar. üchtarme Tie)enwne Bakterien. Borlenhcre[ln
se,kte.nlamen,e;te]finden da • •?.-WiV'> tf-BSEKK« v^-VXr -r •
einziges mittelgroßes Exemplar von Daphnia wäh- Der unendlich wichtige Mineralisierungs- her reiche Nahrung u.pflu
rend eines Tages mehrere Millionen kleiner prozeß wird durch sedimenttransportierende Bo- uen den Schlammum.
HauptstuJ'en im Bakterien brauchen vie.1 0L.
Planktonalgen verzehren. dentiere noch wesentlich unterstützt; sie bringen Allochtont Produktion (EJnqeschviemmterDetritiis—«• Inkarnation)
Autochtone Produktion (fjlonien—» Kleiotiere —» fisch«)
36
Abb. 7. Kreislauf der Stoffe im nährstoffreichen Zugersee, schematisch zusammengestellt vom Verfasser.
immer wieder neuen Schlamm an die Oberfläche Dohlen, Bächen und Flüssen eingeschwemmt und
des Seebodens und ermöglichen so erst die völlige ohne weiteres von den Kleintieren verwertet wird
Zersetzung des Schlammes. Leider bestehen heute und damit der Inkarnation (Fleischwerdung)
irn Zugersee Ablagerungen an unzersetzten, fau- unterworfen werden kann ( A l l o c h t h o n e
lenden organischen Stoffen. Doch haben jene Produktion).
Leute bestimmt maßlos übertrieben, wenn sie den Trotz der klaren Fassung der Probleme sind
Zugersee als den empfindlichsten See der Welt be- unsere Kenntnisse überall noch sehr lückenhaft.
zeichnen und von bedenklichsten Zuständen in »Zweck der reinen produktionsbiologischen For-
seiner Tiefe sprechen. schung ist es, eine restlose quantitative und kau-
Auch im besten See kehrt nie alle organische sale Übersicht über die Verhältnisse der verschie-
Substanz mineralisiert in den Kreislauf zurück; denen Produktionselemente in den einzelnen
ein Teil verläßt den See endgültig. Die Larven von Gewässertypen zu geben« (NAUMANN). Aber
Chironomus und der glasartig durchsichtigen Optimismus, ja Enthusiasmus sind notwendig, um
Sayomya, welche am Grunde des Zugersees leben, diese schwierigen Probleme in Angriff zu nehmen.
verpuppen sich und steigen an die Wasserober- Dabei darf man aber, wie sich der spanische Uni-
fläche. In riesigen Schwärmen schlüpfen sie da versitätslehrer und Forscher S. R. CAJAL in sei-
aus und treten ihre Hochzeitsflüge an. Ein Teil nem schönen Buch »Regeln und Ratschläge zur
der Bodentiere aber wird von den Tiefenfischen wissenschaftlichen Forschung« ausdrückte, nicht
verzehrt, z. B. Rötel, Weißfische. Diese werden »sofort den eventuellen Nutzen im Auge haben,
als leckeres »Endprodukt« der Stoffumwandlung der sich, wenn auch oft erst nach Jahren und
dem See entnommen. In beiden Fällen kehrt die manchmal erst nach Jahrhunderten, eines Tages
einmal in Organismen festgehaltene organische aber doch mit Sicherheit einstellt«.
Substanz nicht mehr in den Kreislauf der Stoffe Wahrlich, der Zugersee bietet hochwichtige
zurück. Arbeit genug für den begeisterungsfälligen jungen
. Naturwissenschaftler und Limnologen.
Wir haben einige Vertreter von Lebensgemein-
schaften im Zugersee kennen gelernt. Durch ihre Literatur.
gegenseitige Einwirkung haben sie ihren Charak- BRUTSCHY, A.: Arch.Hydrobiol. 8, 43 (1912).
ter erhalten; durch ihr Zusammenspiel und ihre HUBER-PESTALOZZI, G.: In: Die Binnengewässer. 16
Abhängigkeit voneinander und vom See als Le- (1942), 3 Bände.
bensraum machen sie ihn zu einer Lebenseinheit, MINDER, L.: Verh.inL Vereinig.f.Limnol. 1,23 (1923).
zu einem Organismus höherer Ordnung. NAUMANN, E.: Hauptprobl.mod.Limnologie, in: Abderh.
• In der vorliegenden Darstellung versuchte ich Hdbch. wiss. Arb. meth. IX, 2, I, 55.
die Lebensvereine als Objekte des Stoffkreislau- ROSEN, F.: Bull. Soc. Neuchät. Sc. nat. 44, 259 (1919).
fes zu behandeln. Wir stellten eine erste Produk- RYLOV, W.: In: Die Binnengewässer. 15 (1935).
tionsreihe fest, die mit den gelösten Nährsalzen STEINECKE, F.: Süßwassersee. Quelle und Meyer, Leipzig
beginnt, über die grünen Mikro- und Makropflaii- (1940).
zen und die Zwischenkonsumption (Kleintier- STEINER, H.: Bau und Leben der Tardigraden. Diplom-
welt) führt, um endlich in der Produktion von arbeit. (1943.)
Fischfleisch ihr Ende zu erreichen. Diese Reihe STEINER, H.: Zuger Neujahrsblatt (Zug). 10 (1944).
bildet sich an Ort und Stelle, verläuft also THIENEMANN, A.: Unterrichtsbl. Math. u. Naturw. 41,
337 (1935).
a u t o c h t h o n . Eine zweite Produktionsreihe
WESENBERG-LUND, C.: Biol. Süßwassertiere. Springer,
beginnt mit mehr oder weniger fein verteilten Wien (1939).
organischen Abfallstoffen, dem Detritus, der aus Zeichnungen und mikrophotographieche Aufnahmen vom Verfasser.

37
HERALDISCHES ZU ST. OSWALD Rechenbuch Einsiedeins von 1330/70 Hans Schell
auf Altiswil, 1403 Ulrich als kompetenter Kirch-
Angesichts dieser Tatsachen wird es nun doch
nicht mehr angehen, mit Dr. Bossard etwa auf die
DIE EBERHART UND SCHELL genosse von Baar, um über Gefalle der Baarer
Kirche Kundschaft zu bezeugen, 1416 die Gebrü-
Wappen einer »Korporation«, d. h. Bruderschaft,
Kapitel oder Zunft hinzuweisen, wenn auch das
der Johannes, Hänsli und Heini Schell, Knechte Großmünster das Siegel seines Chorherren-Kapi-
Von Albert Iten. der Wildenburger, die von Junker Rudolf von tels als Wappen trägt; selbst dann nicht, wenn
Hünenberg benachbarte Grundstücke erwerben, das Begleitwappen mit dem gespornten Tatzen-
1427/28 Rudolf Obervogt in Hünenberg und bald kreuze heraldisch weniger gut ausgewiesen wäre
ie genealogische Forschung ist wie weit im Dabei stützt er sich lediglich auf die Wappen der
darauf Stadtrat in Zug, sodann vor allem Johann als das Schellwappen.
Lande so auch bei den Freunden der Zuger Baarer Bossard, die mit Scheibe und Siegel des
Schell, Ammann 1468—84 mit Unterbrechungen, Zweifellos haben wir bei diesem Wappenpaare
Familienkunde Gegenstand eifriger Pflege. Hier Landvogta Leonhard Bossard erst um 1612 ein-
den der Baurodel mit der ersten Spende an zunächst heraldisch links, also an zweiter Stelle,
sind es vereinzelte Stammbäume, losgelöst aus den setzen.
St. Oswalds Bau nennt. dos Schellwappen in seiner ursprünglichen Gestalt
Fäden des Zeitgeschehens, stark und wohl einsei- Was uns hier im besondern befremdet, ist die
ablehnende Auffassung über diese beiden Stifter- Diese für den Bauherrn nennenswerte Tatsache vor uns, entnommen dem Schriftbilde, bevor die
tig gebunden an die Geschicke der einzelnen
schilder, die nach ihm und frühern Verfassern setzt ohne Zweifel eine nähere Beziehung, eine Schelle nach dem Lautbilde des Wortes dazu
Sippe, dort die neueren Ahnentafeln, Arbeiten
Ideengemeinschaft im Hinblick auf das Unterneh- kam. Handelt es sich also um das Frauenwappen
von Mitgliedern der Schweiz. Gesellschaft für entweder das Steinmetzzeichen Ulrich Rosenstains
oder das Wappen einer geistlichen Korporation men zwischen den beiden Männern voraus. Nicht einer zugerischen Allianz oder um ein anderes
Familienforschung in unsern »Heimatklängen«
sein sollen. Er greift damit auf die Ansicht Dr. Jo- nur das! Auch Ammann Johanns Oheim Ueli aus Personenpaar, dem für besondere Verdienste am
und in Zwickys Sammlung Schweiz. Ahnentafeln.
sef Scheubers (Die mittelalterlichen Chorgestühle dem Grüt tritt sogar sein auf dem Berge stehendes Kirchenbau eine Auszeichnung an dieser Stelle
Zu ihnen gesellt sich als jüngster Beitrag im Zu-
Haus ab, um es in die Stadt überführen und als zukam?
ger Neujahrsblatt 1944 die Arbeit von Dr. Ed- der Schweiz. 1910) und die kritiklose Übernahme
mund Bossard, Zürich, »Über die zugerischen Bos- durch Dr. Josef Mühle zurück, ohne sich weiter Kaplaneihaus zu St. Anna, unmittelbar neben der Man darf nicht ohne Grund nach dem Hin-
sard-Geschlechter«, der vier vorzügliche Tafeln Rechenschaft über die Zweizahl der Wappen zu aus dem Boden wachsenden Kirche wieder auf- weise Birchlers an die Bossard vom Berge denken,
geben. Nun hat Professor Dr. Linus Birchler, richten oder doch verwenden zu lassen (das heu- wo die Schell und Bossard sogar unmittelbare
von Wappenscheiben und Siegeln beigegeben sind.
Kunstdenkmäler Zug II, mit guten Gründen auf tige Eckhaus). Und des letztern Tochtermann, Nachbarn auf dem Inkenberge waren, nachdem
Für den, dem die örtlich gebundenen Quellen
eine ganz andere Bedeutung derselben hingewie- Nikolaus Letter von Zug, Landvogt im Thurgau die altern Bergsaßen Kibli und Ungerichtig ihre
nicht zunächst liegen, bedeutet es keine leichte
sen. Sie sind nach ihm Stifterwappen der Bossard und 1478—80 Ammann, 1496—1500 sogar Pfleger Namen an spätere Geschlechter verloren hatten.
Aufgabe, aus dem nicht gedruckten Bestände
und Schell ab dem Berge, deren Träger zu den zu St. Oswald, ist ausersehen, neben Dekan Hans Hier oben lag ja auch einer der vier Widumhöfe
etwas greifbar Festes über die Anfänge unserer
ersten Stiftern der St. Oswaldskirche gehörten. In Herter, Leutpriester zu Risch (nicht Herster, wie der Pfarrkirche Baar. Wären die Bossard nicht
»angestammten« Geschlechter zu sagen, wobei
einer Besprechung des Neujahrsblattes in »Neue Birchler, II, 128 schreibt), am 18. Mai 1478 den schon lange hier gesessen, so wären sie nach dama-
nachdrücklich zu unterscheiden ist zwischen den
Zürcher Nachrichten« (27. Januar 1944) nimmt Grundstein legen zu helfen — der regierende Ani- liger und heutiger Übung keineswegs in den Besitz
spärlichen urkundlichen Angaben und jenen oft
Birchler darum ein neues Mal die Gelegenheit mann also neben dem angesehenen Dekan des eines solchen Kirchenlehens gelangt. Freilich ist
verfänglichen Fingerzeigen, die mit Vorliebe aus
wahr, gegenüber Dr. Bossard diese in der Bau- Nachbarkapitels, die Häupter in Kirche und Staat aus den J ahrzeitbüchem keine solche Allianz
den heraldisch-bildlichen Stücken der Überliefe-
geschichte durchaus begründete Auffassung zu neben und miteinander, ganz im Geiste des Mittel- Bossard-Schell zu entnehmen. Zudem hält es
rung heraus gelesen werden. Sind letztere doch
unterstreichen. Was die Schell betrifft, ist seiner alters. Wenige Jahre darauf, 1485, begibt sich alt Birchler (Kunstdenkmäler Zug II, 58) mit Recht
meist Jüngern Datums, stellen leichtfertig auf den
Ansicht ohne Vorbehalt beizupflichten, nicht aber Ammann Schell sodann mit Meister Hans Eber- für ausgeschlossen, daß ein Privater sein und sei-
äußerlichen Gleichklang des Namens ab und
bezüglich der Bossard. bart, begleitet vom Schreiber und Weibel der ner Ehefrau Wappen an einem öffentlichen Bau
springen ob dieses unsachlichen Umstandes leich-
Wenn es unter den Bürgern und Nachbarn der Stadt, nach dem Stifte Weingarten, um von dort hätte anbringen dürfen, obwohl gerade der erste
terdings von einer Landschaft in eine ganz fremde
Stadt Zug eine Familie gab, die während der ein Armstück des hl. Oswald zu erhalten. All dies Teil des Eberhart'schen Baurodels einen Beitrag
hinüber!
ersten Bauperiode eine auffallende Verbunden- ging dem Bau des Portals mit den erwähnten von »des Bossards Sohn ab dem Berge« ver-
Hier sei es unternommen, im Anschlüsse an
Wappen voraus, das erst als Abschluß der ersten zeichnet.
die Arbeit Bossards zwei heraldischen Zeugnissen heit mit dem Unternehmen Magister Eberharts an
den Tag legte, dann waren es die Schell vom Grilt, Erweiterungsbaute 1494/96 noch unter dem glei- Wie steht es aber mit den heraldischen Bele-
beizukommen, die zwei alte zugerische Geschlech-
und wenn eine Familie es verdiente, auf diese chen Leutpriester ausgeführt wurde. gen der Zuger und Baarer Bossard nach der Studie
ter beschlagen und sowohl von diesem Verfasser
Weise in Stein verewigt zu werden, dann war es von Dr. Edmund Bossard im Zuger Neujahrsblatt
wie auch zum Teil von Dr. Linus Birchler unrich- Die bildhafte Verewigung der Donatoren
dieselbe Familie. — Sie zählt schon zu den älte- 1944, S. 17 ff. ? Gehen schon beide nicht vor den
tig gedeutet worden sind. Es handelt sich um das wurde übrigens beim ganzen Bau des Gottes-
sten und urkundlich meist bezeugten Bergleuten Beginn des 17. Jahrhunderts zurück, so hat über-
Wappenpaar über dem Portal der Männerseite zu hauses eingehalten: an Konsolen, Gewölbeansät-
des Grüt, die auf der Egg, auf Betzenbüel (heute dies jenes von Baar mit den beiden Kugeln auszu-
St. Oswald. zen und Schlußsteinen, an Altären und in ihren
Bitzibüel gesprochen) und auf dem verschollenen scheiden, da es vom Kreuzwappen zu St. Oswald
Bossard stellt sich die Frage nach der Her- Namensheiligen in den Fensterscheiben. Und das wesentlich abweicht. Leider blieb auch eine Nach-
kunft seines Geschlechtes, das sich zweifellos vom Altiswil in der Nähe des Schwarzenbaches saßen. Wappenzeichen der Schell brauchte nicht erst frage nach Siegeln des Martin Bossard, Landvogt
Inkenberge her nach Baar und Zug verzweigte Schon 1318 wird in einem Zinsrodel der Frau- neu geschaffen zu werden. Es lag bereits in der
münsterabtei Otto Scheli mit einem Wachszinse im Valle Maggia 1526—28, beim Kantonsarchiv
und in der Folge zwei verschiedene Wappen einfachsten Form, der Namens-initiale S vor in Bellinzona ergebnislos. Erst vom Jahre 1675 da-
führte. Er glaubt, die Herkunft aus dem Gebiete erwähnt, derselbe als Zeuge 1322. 1337 folgt den Siegeln des Obervogts Rudolf von 1427/28 tiert sodann der erste Beleg des stadtzugerischen
der alten Grafschaft Kiburg herleiten zu müssen. Etter Schelli (etwa der gleiche?), im Urbar und und des Ammanns Johann. gleichschenkligen Tatzenkreuzes im Bestellbuche
38
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einer Renovation des Jahres 1767 die Gebeine aus Zwei führende Köpfe der Stadt Zug in ihrer
des Glasmalers Michael Müller IV., zu einer Zeit das zürcherisch-österreichische Heer schlugen.
einer Truhe in der obern Sakristei in die rechte Blütezeit haben uns also in ihren Wappen das
also, wo jede Beweiskraft für einen Termin vor Vermutlich ein weiterer Bruder, wenn nicht
Chorwand zu Seiten des Hochaltares beigesetzt Denkmal ihrer edlen und großzügigen Geistes-
200 Jahren dahinfällt. Aber auch das ähnliche der Oheim, war Hans, 1404 Meier zu Cham.
wurden. Vermutlich beruhen darauf die Wider- gemeinschaft hinterlassen:
Räber-Weber erscheint an dieser Stelle unbegrün- Wohin Urkunde und Siegel jenes Jahres ge-
gaben unserer Jüngern Wappenbücher. Sicher Der Leutpriester Eberhart aus geachtetem, von
det, denn der Baurodel nennt keinen solchen Do- kommen sind, steht dahin. Abgüsse von ihm be-
standen sie auch unter dem Einflüsse der gleich- Buesingen bei Goldau zugezogenem Geschlecht,
nator, obwohl Professor Birchler in »Neue Zür- sorgte wenigstens der Antiquitätensammler Alois
lautenden Geschlechter im Lande Schwyz und in der Ammann Schell aus dem Bauerngeblüt der
cher Nachrichten« 1944 (Nr. vom 27. Januar) ge- Truttmann von Küßnacht. Der eine liegt in der
der Stadt Zürich. Grüter Gegend — Priester und Laie, Kirche und
genüber Dr. Bossard am ehesten an die Wappen Sammlung Truttmann der Bürgerbibliothek Lu-
Aber auch in zahlreichen ändern Fällen neh- Staat im. Kleinen —• im überzeitlichen Werk zu-
der Bossard oder Räber denkt. zern, ein anderer in der Sammlung des Staats-
men wir etwa in der ersten Hälfte des 16. Jahr- sammengewachsen !
Nach diesen negativen Ergebnissen muß doch archivs Basel. Sie zeigen das in Frage kommende,
hunderts eine Wendung zum redenden Wappen * * *
wohl die Tatsache auffallen, daß nicht nur das etwas hochgezogene, in den obern Enden gekerbte
oder allgemein einen Wechsel von den Zeichen
Kirchenportal, sondern auch die Chorstühle das- Tatzenkreuz mit dem ebenfalls gekerbten Sporn Die Eberhart von Zug, hier seit dem Beginne
und Gegenständen des kleinbürgerlichen Lebens
selbe Wappenzeichen tragen: das schlanke Tat- auf der (heraldisch) rechten Seite, also abwei- des 15. Jahrhunderts auftretend und 1636 erlo-
in das animalische Reich der Tier- und Menschen-
zenkreuz mit einem Schwenkel am untern Arm. chend von der Darstellung am Portal der Männer- schen, sind nach dem Zeugnisse des Jahrzeit-
figuren wahr. Die Steiner von Zug legten das
Ob darin nicht ein Fingerzeig auf eine andere füh- seite, wo der Sporn links ansetzt. Bei der Spiegel- buches Arth gleichen Ursprunges wie die Unter-
Gerbermesser ihres ehrsamen und einträglichen
rende Persönlichkeit der Kirchenbaute, am Ende stellung der beiden Tartschen war es für den Bild- ällmiger des Arther Viertels. Ihr Stammsitz ist
Handwerks abseits, ließen dafür ihren Namen
auf den Bauherrn selber, zu suchen ist? hauer durchaus gegeben, den Sporn nach der in- selbstbewußt im Zeichen des Steinbocks weiter- Buesingen am Fuße der Rigi zwischen Goldau
1492 hatte der hochverdiente Magister Johan- iicrn Seite laufen zu lassen. und Lauerz. Dieses Jahrzeitbuch enthält nämlich
klingen. Wie also das ältere und jüngere Wappen
nes Eberhart das bekannte Votivbild mit seiner Nur zeichnerisch dagegen ist das Siegel des der Eberhart, so kehren beide Wappen der Stei- Fol. CXVI zum 26. März folgenden Eintrag:
Stifterfigur vor St. Oswald und Anna malen las- Bauherrn Magister Johannes überliefert in Zur- ner in St. Oswald wieder. Die Ratsherrenfamilie »Jakob Eberhart von Zug. Ulrich Eberhart ver-
sen, das heute über derTurmtüre im Chore hängt. laubens Monumenta Helvetico-Tugiensia, Bd. II, der Frei im Sack war schon zur Bauzeit der lor sein Leben zuo Freyenbach. Herr Hans Eber-
Wohl zeigt es das unscheinbare Datum 1492 auf Fol. 12 (Aargauer Kantonsbibliothek, Mskr. Bibl. Kirche vom einfachen Siegelbild oder Hauszei- hart war kilchher zuo Zug.« Die Verwandtschaft
dem Turme des Hintergrundes. Was man aber Zurl., 7 Fol.). Zurlauben nahm auf dem Stadt- chen des Z, beseitet von zwei Sternen (so 1471) der Leutpriester-Familie läßt sich wie unten folgt
gewöhnlich hier finden könnte, der Wappenschild archiv Zug die Kopie einer Gült, die schon Diens- zum stolzen steigenden Löwen übergegangen. Sie- zusammenstellen. Außerdem werden noch Erni,
in der Nähe des Stifters, sucht man auch in der tag vor St. Martin 1406 auf Menzinger Gütern zu gelte Ulrich Edlibach 1440 und 1443 noch mit ein- verehelicht mit Anna Kleini, und ihr Sohn Ueli
dunklen Gewandpartie vergeblich. Irreführend Kleinenbumbach, in der EU und auf der Weid fachem durchgehendem Kreuz, so führte die nach genannt, die wie Jakob nicht einzureihen sind.
wäre zudem etwa eine Berufung auf das erst Rueppenzagel errichtet worden war, in der Folge Zürich übersiedelte Familie einen gestuften Wie naiv ländliche Wappen entarteten, zeigt
jüngst abgeschlossene Wappenbuch des Kantons erbweise von der Mutter Anna Amstad an ihren Schrägbalken, also stilisierten Bach mit zwei Lö- gerade das der genannten Arther Familie, deren
Zug, Nr. 55 und Tafel III, da zur Zeit seiner Abfas- Sohn Johannes überging und von diesem Donners- wen. Ähnlich Heinrich Engelhard 1467 mit zwei Nachkommen im 19. Jahrhundert sich mit dem
sung keine primäre Quelle bekannt war und aus tag nach St. Markus 1486 an alt Ammann Johan- treppenförmig verbundenen Kreuzen, die spätem Sammeln von Vogelbeeren und Herstellung von
diesem Grunde nur die jüngere Schildfigur des nes Iten verkauft wurde (über letztern Zumbach, Nachfahren in Zürich dagegen mit wahrscheinlich Tinte beschäftigten (vgl. übrigens den mit dem
redenden Wappens, der Eber, erwähnt und dar- Ammänner, Nr. 38). Die Kopie ist umso wertvol- daraus entwickelten Zickzackbalken und einem Ausdruck Vogelbeere identischen alten Familien-
gestellt ist. Seither ist es dem Schreibenden nun ler, als das Original aus dem Stadtarchiv Zug ver- Engel. namen Kergerter in Arth). Der Volksmund
gelungen, zwei Siegelabgüsse aufzufinden, deren schwunden ist. Das damals halb zerbrochene War es ein Bedürfnis, über den Gebrauch des münzte deshalb auf sie den Übernamen Beeri-
Figuren mit jenen der Tartschen zu St. Oswald Wachssiegel zeigt nach der Zeichnung des Kopi- möglichst einfach geschnittenen Siegelstempels vogel. Die Folge? Das ohnehin nur vereinzelte
sich wesentlich decken. Es sind gerade jene von sten im Schilde ein gleichschenkliges, gabelförmig hinaus ein repräsentatives Wahrzeichen im gesell- Wappen: auf dem Delphin in Arth 1618 ein ge-
Vater Erni und Sohn Johannes Eberhart. endendes Kreuz, allerdings ohne Sporn. Bei dem schaftlichen Leben zu führen? Lag es im Zuge stürztes V, bei Kommissar Faßbind der Eber, sank
Die Stadtbürger dieses Namens mußten gleich Zustande des Siegels konnte der Ansatz eines sol- jener Zeit, da die eidgenössischen Stände und zur vulgären Darstellung eines gesiegelten Briefes
mit ihrem ersten urkundlichen Auftreten eine chen Zurlauben jedoch leicht entgangen sein. durch die Magistraten und Hauptleute auch das über grünem Dreiberg inmitten dreier Sterne her-
Rolle in der Öffentlichkeit gespielt haben. Denn Aber abgesehen von dieser Variante der Überlie- untergeordnete Volk in kraftstrotzendem Selbst- unter, der nach ebenso populärer Deutung einen
Arnold siegelte im Jahre 1410, man weiß nicht bei ferung liegt die Identität der beiden Siegel zu- bewußtsein das öffentliche Leben stempelte? Ja mit »Beerivogeltinte« geschriebenen Liebesbrief
welcher Gelegenheit, und nahm im folgenden tage und damit offensichtlich auch die Identität jedem Falle mag man in dieser scheinbaren Klei- darstelle. Und dieses ist das heute im Kurse ste-
Februar an einer Tagsatzung in Luzern teil, deren mit den Wappenzeichen zu St. Oswald, sodaß hier nigkeit einen Niederschlag des herrschenden Zeit- hende Wappen. So nach Stygers Wappenbuch des
schwierige Aufgabe es war, mitten im alten Zü- weder die Bossard noch die Räber-Weber, sondern oder Staiidesgeistes erkennen! Kantons Schwyz, S. 37.
richkriege den Streit zwischen der Stadt Zürich die Eberhart, das Geschlecht des Bauherrn selber,
und den Orten Schwyz und Glarus beizulegen. verewigt sind.
Sein Vater Ueli hatte die Tochter Margreth des Daran knüpft sich freilich eine beachtenswerte
Hans Uhr, des Rats in Zug 1429 und 1435, in die wappengeschichtliche Beobachtung, in der wir
Ehe geführt, während sein Bruder Ueli, verhei- zum Jüngern redenden Wappen mit dem steigen-
ratet mit Verena Stocker, mit jenem Ueli identisch den Eber eine Brücke gewinnen.
sein dürfte, der nach dem Jahrzeitbuche Arth am Mit dieser letztern Darstellung wurde nämlich
22. Mai 1443 in Freienbach fiel, als die Schwyzer das Epitaph für Eberhart versehen, als anläßlich
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Stammbaum der Eberhart.
Nach Jahrzeitbuch St Oswald; 2. März. ST. ANDREAS IN CHAM
Älli, besser Ueli
oo Uhr Margreth von Ägeri, des Hans (des Rats in Zug 1429, 1435?) Von Linus Birchler.

Arnold, Ueli, Hana, Meier


Gesandter 15. Februar 1441
00 Amstad Anna von Beggenried
des Heinrich A. und der Richenza,
oo Stocker Verena
t 22. Mai 1443
in Freienbach
zu Cham 1404
N achdem letztes Jahr an dieser Stelle Architekt
Emil Weber einen kurzen Bericht über die
Die Eingangswand hat sich bei der Renovation
etwas verändert. Die auf der oben genannten
ihre Schwester Margreth Restaurierung des St. Andreas-Heiligtums abge- Abbildung festgehaltene gemalte Scheinarchitek-
co Sulzmatter Heinrich auf dem Hof in Buochs legt und Emil Villiger ausführlicher über seine tur rings um das Portal war nicht mehr vorhan-
archäologischen Grabungen referiert hatte, soll den, als wir die Restaurierung begannen. Die ein-
hier vom Schreibenden, als dem künstlerischen fache gemalte Quaderumrahmung wurde entfernt,
Mag. Johannes, Elisabeth, Ulrich, Oswald,
1435—1497 oo Wolfent Heini 1485 Obervogt in Cham als Vetter des Leiter der Wiederherstellung, auch noch das rein sodaß man jetzt die schlichte Werkform des Ge-
1435—1497, Mag. Johannes bezeichnet Kunstgeschichtliche gewürdigt werden, soweit es wändes sieht, an das der Verputz glatt herange-
St. Oswaldskirche
nicht schon in meinen »Kunstdenkmälern des führt wurde. Das Gleiche gilt von der Einfassung
Kantons Zug«, Bd. I, S. 332—34, erfolgt ist. der beiden Rechteckfenster, die die Türe flan-
Wolfent, Elisabeth, Wolfent, Verena, Ueli, des Rats, Das architektonisch einfache Kirchlein ent- kieren. Auf dem Türsturz ist das Datum 1676 ein-
oo Iten Andreas, SchwSndi oo Spiller Hans 1538—56 gehauen. Die neuen Türflügel der Kapelle zeigen
des Iten Johann, von Ägeri spricht in seinem klaren kubischen Aufbau dem
Ammann 1463—70 (Ammann?) Normaltypus kleiner Gotteshäuser der Gotik: ein gestemmtes Täfer in Krapfenform, mit gutem
t nach 8. August 1491 altem Profil. Unter dem linken Fenster ist die
einheitlicher steiler Giebel über Schiff und Chor,
Stammbaum der altern Schell im Grüt. im Innern flache Decken; Käsbissenturm, dessen Renovationsinschrift eingefügt, in Stein gehauen:
Nach Jahrzeitbuch St. Oswald (11., 17. Jan., 5., 7. Febr.) und St. Michael (13., 14. Nov.) und Zumbach, Ammänner. First dem des Schiffes parallel läuft.1) Die Klein- »1942 restauriert und unter den Schutz der schwei-
Jahrzeitbuch Baar (12. August). heit der Dimensionen führte dazu, daß man dem zerischen Eidgenossenschaft gestellt«.2)
Hans, Chor und dem Schiff die gleiche Breite gab. Das Innere war im letzten Jahrhundert voll-
Nach dem Urbar und Rechenbuch Einsiedeln 1330—70 auf dem Gut Altiswil im Grüt
Ungewöhnlich ist der Platz des Turmes: auf der ständig verrestauriert worden. Sogar der zu Be-
Epistelseite und ans Schiff gelehnt, während man ginn des 18. Jahrhunderts (ca. 1720) entstandene
Johannes Hänsli Heinrich ihn normalerweise auf der Evangelienseite ans Altar war ungeschickt klassizistisch vereinfacht
Knechte der Wildenburger °° Richenza? Chor fügte. Im Verhältnis zur Kleinheit der worden, wohl in den 1850er oder 1860er Jahren.
kaufen 1416 die Herrenmatt und das Mutzmos, Güter vor der Wildenburg, von Junker Rudolf VI. von Hünenberg
Kapelle ist der Turm auch ungewöhnlich groß •— Zwei einschneidende Eingriffe haben nun den
Hang? dimensioniert. Die Erklärung dafür sowie für die Gesamtcharakter des Kapellenraumes völlig ver-
1668 erfolgte Erhöhung liegt wohl darin, daß der ändert. Über Schiff und Chor spannen sich
Ruedi, Hans, aus dem Grüt Hans, 1440 Priester, Turm weithin als Wahrzeichen wirken sollte. Des- flache Holzdecken, in der ehemaligen Höhe, die
Obervogt in oo Margreth stiftet vom Kromen
Hünenberg 1427/28 in der Hueb und Betzenbüel halb wurde er auch an der Seeseite errichtet. sich leicht feststellen ließ, als die Biedermeier-
und Stadtrat? 1 Nicht unwahrscheinlich ist, daß der Turm nicht Wölbungen entfernt waren. Anstelle des Hoch-
gleichzeitig mit der Kapelle, sondern erst etwas altaraufbaues trat das ursprüngliche zweigeteilte
Birchler II, 522 Ueli, Hans, Katharina, Jenni, Margareth,
Zuger Kai. 1944, 37 aus dem Grüt tritt Baumeister oo Hans Muger, t 1444 t Heini Hutter später errichtet wurde. Er fügt sich harmonisch Maßwerkfenster, dessen intaktes Vorhandensein
Ass. Nr. 253 sein Haus im Grüt oo Margreth Wildi gen. Sur v. Oberwil St. Jakob von Wollerau an die geschlossene Masse des Schiffes, dessen auch ich nicht erwartet hatte. Für die Leisten,
ab als Pfrundhaus beim Bruggbach; a. Birg
zu St. Anna an der dessen andere Frau sehr steiler Giebel mit den darin eingemauerten die die langrechteckigen Deckenfelder teilen,
Oswaldskirche Ida Müller ebenfalls vordersten Ziegelreihen (also ohne jeden Dach- wählten wir ein ganz neutrales einfaches gotisches
oo 1. Verena Klein Stifterin
oo 2. Mechtild Ritter
vorsprung an der Frontseite) ungemein nobel und Profil, eine Leiste mit Rundstab, ähnlich wie an
knapp wirkt. Die alte einfache Vorhalle von 1676 der alten Decke der Vorhalle. Der vorher mit
ist in meinen »Kunstdenkmälern« abgebildet. Ölfarbe bemalte spitzbogige Chorbogen wurde
X. Anna, Johann Heini, Hansli,
Ammann 1468—84 t 1444 t 1444 Die jetzige, an beiden Längsseiten geschlossene gereinigt und in seiner Struktur sichtbar gemacht,
oo Nikolaus Letter oo Werni Betschger
von Zug, Landvogt, von Arth mit Unterbruch. Halle ist von Architekt Dagobert Keiser; ihre ebenso die rundbogige Sakristeitüre (der Rund-
Ammann 1478—80, oo Barb. zu Käs, hübsche einfache Felderdecke stammt noch von
legt als solcher den auch Anna Müller? bogen ist hier nicht etwa als romanisch aufzu-
Grundstein zu erster Spender an 1676. fassen, sondern ein Zeichen, daß es sich um eine
St. Oswald. St. Oswaldsbau.
Seine andere Frau Der ersteren Eltern: späte Form handelt (wie bei den Fenstern an den
Kath. Euster Hartmunn zu Käs i) Der auf romanische Formen zurückgehende Käs- Längsseiten von Chor und Schiff). Im Scheitel
vergabt 20 Gld. u. Elisabeth Lilli *) bissenturm ist bei uns bis ins späte 16. Jahrhundert hinein
bei kleinern Kirchen die Normalforra. In der Zentral- ") Die klassischen Majuskeln sind die des sogen. »Hol-
schweiz, im Luzernischen und im Aargau verläuft die Käs- beinalphabetes«; die eidgen. Kommission für historische
Jakob, Margareth bisse parallel zum First der Kirche, in ändern Gegenden Kunstdenkmäler gibt für Renovationsinschriften dieser
studiert in Heidelberg, steht sie quer dazu. Schrift den Vorzug.
immatrikuliert 1494, t daselbst
») «in Lilli besitit Reben am Mennenbach laut Jahneitbudi Zug 6. Man, ZNB, 1885, 27.
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des Chorbogens wurde das Baudatum 1488, Leuen als Attribut). Ob darüber die beiden
das tief eingehauen war, mit roter Farbe ändern Kirchenväter gemalt waren, Augustinus
herausgehoben. Am Chorbogen fanden sich fast und Gregor, ist unsicher, denn die erhaltenen
auf jeder Quader Steinmetzzeichen 3) : Ansatzstellen könnten auch auf eine auf beide
gegenüberliegenden Flächen verteilte Verkündi-

.1 gung Mariae hinweisen. — An der Altarwand er-


blickt man links oben (in etwas größern Dimen-
Zum Braun der Decke und dem Grau der sionen) in der Ecke den Evangelisten Johannes;
Fliesen (der Bodenbelag wurde in einfachem er trägt den Kelch mit der Schlange, sein in der
Sandstein ausgeführt, in großen, »gestoßen« ver- Spätgotik übliches Attribut. Dann folgt die ein-
legten Platten) paßt das neutrale Weiß der fache Nische des Sakramentshäuschen, die seit
Wände. Das vorher im Innern durch den Altar- dem Barock vermauert war. Sie besaß nie pla-
aufbau und am Äußern durch einen dicken stisch-architektonischen Schmuck. Als Ersatz war
Teppich von wilden Reben verdeckte Maßwerk- in grauer Farbe eine reiche spätgotische Schein-
fenster der Chorwand zeigt noch nicht die aus- architektur um sie herum gemalt, von der nur
schweifenden Formen der entwickelten Spätgotik, noch die obern Partien erhalten waren. Zwischen
sondern ist im Maßwerk symmetrisch angelegt, gotischen Fialen erscheint unter einem Baldachin
allerdings in Linien, die deutlich dem 15. Jahr- die kleine Figur des Schmerzenmannes, seine
hundert angehören. Bei einer ersten ganz ein- Wundmale weisend. Ganz deutlich ist also hier
fachen Ausmalung des Chors, auf die Weihe von ein Motiv des berühmten Sakramentshäuschens
1489 hin, erhielt das Fenster eine gemalte graue von St. Wolf gang bei Cham, jetzt in St. Oswald zu
Einfassung mit abschließender Bordüre allersim- Zug, in die Malerei übertragen. Der untere Ab-
pelster, aber typischer Art, einer schwarzen Linie schluß der Nische ist neu, im Stil der alten Orna- Abb. 1. Abb. 2.
mit angefügten großen Punkten, dem in der Fach- mente. Das Sakramentshäuschen wird von einem Spätgotische Malerei (St. Ambrosius) Sakramentshäuschen mit Christus als
in der Leibung des nördlichen Chorfensters Schmerzensmann,
sprache »Pollenstab« genannten Motiv. Davon qualitätsvollen schmiedeisernen Gitter der Spät- daneben der Evangelist Johannes
beließ ich einen Streifen links am Fenster- gotik abgeschlossen. Diese Arbeit eines Kunst-
gewände. Diese sehr einfache erste Ausmalung schlossers zierte einst das Sakramentshäuschen
wurde jedoch überdeckt, als man etwas später, der Pfarrkirche von Baar; Herr Oberst Vogel in
wohl zu Ende des 15. oder zu Anfang des 16. Jahr- Chain hat es nach St. Andreas geschenkt.
hunderts, die Kapelle mit figürlichen Malereien
Bei der figürlichen Ausmalung des Chors gab
auszierte. Von dieser zweiten Ausmalung sind nur
man dem Maßwerkfenster über dem Altar eine
im Chor einzelne Teile ans Licht getreten. Maler
neue gemalte Einfassung, imitierte graue Stein-
Caspar Herrmann aus Luzern hat sie unter meiner
Aufsicht sorgfältig restauriert. Ich nenne die quadern mit aufgemalten weißen Fugen. Diese
Einfassung stößt oben hart an die Chordecke resp.
Themen in der Reihenfolge von links nach rechts.
wird von ihr überschnitten. Damit verhält es sich
An der Nordwand waren beidseitig des Fen-
so: Die oben genannte ursprüngliche Einfassung
sters in zwei durch gelbe Bänder getrennten Fel-
war lange nicht so breit wie die jetzige; sie um-
dern übereinander je zwei Heiligenfiguren ge-
zog auch den Scheitel des Fensters. Für die breite
malt, ca. 60 cm hohe, typisch spätgotische Ge-
zweite Einfassung, die man über die erste malte,
stalten, rein linear, mit nur kolorierenden Farben,
war oben kein Raum mehr vorhanden; der Maler
ohne Hintergrund auf die weiße Wand gesetzt.
führte sie deshalb direkt bis an die Decke heran.
Links vom Fenster erscheint eine heilige Katha-
— Rechts vom Fenster präsentieren sich oben,
rina; von der Figur darüber sind nur noch die
wiederum in etwas größerm Maßstab, die beiden
Ansätze sichtbar. Entsprechend findet sich rechts
Apostelbrüder St. Petrus und Andreas mit ihren
vom Fenster eine weibliche Heilige, wohl Barbara
Attributen, dem Schlüssel und dem x-förmigen
oder Margaretha; auch hier ist die Figur des
Andreaskreuz. Nicht ohne Grund erblickt man Abb. 3.
obern Stockes verschwunden. Das Gewände der Abb. 4.
oben an der Altarwand Petrus, Andreas und links Berufung des hl. Andreas, V. Kreuzwegstafion, geschnitzte Holztafel
Fensternischen war ganz ausgemalt, unten mit je Kabinettscheibe von Albert Hinter, Engelberg von O. Hurler, Luzern
Johannes; denn nach dem ersten Kapitel des
zwei figürlichen Darstellungen, oben mit Ranken.
Johannes-Evangeliums waren es diese drei, die als
Erhalten sind links eine Büste von St. Ambrosius,
erste dem Herrn nachfolgten. In der Zone unter-
rechts von St. Hieronymus (mit einem winzigen
halb, die gleich den Malereien an der Nordwand
>) Siehe den Nachtrag am Ende dieser Abhandlung. durch gelbe Bänder unterteilt ist, finden wir im

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kleinern Maßstab der Figuren der Nordwand: lieh auch das ländliche Holzfigürchen einer
St. Wolfgang mit dem Kirchenmodell und einen hl. Ottilia, das links am Chorbogen auf einer
bärtigen Heiligen mit einer Lanze, wahrschein- Rokoko-Konsole steht und das daran erinnert,
lich den Apostel Thomas oder Adalbert darstel- daß früher Leute mit kranken Augen nach St. An-
lend.4) Durch die Wolfgangsfigur hindurch sieht dreas wallfahrteten.
man einen Kreis mit einem Kreuz darin. Das Und nun die Ausstattungsstücke der jüngsten
ist eines der zwölf Weihekreuze, die auf die Ka- Renovation. Der neue Altar zeigt die ganz ein-
pellenweihe von 1486 hin gemalt wurden, zusam- fache spätgotische Form eines Blockaltars mit
men mit ganz einfachen Ornamenten, wie der oben Sandsteinverkleidung. Ganz einfach ist auch der
erwähnten ersten Einfassung des Chorfensters. neue Tabernakel. Ein passendes Altarkreuz harrt
An der Südwand ist links St. Oswald in der noch des Stifters; das jetzige ist eine für den
üblichen Auffassung gemalt. Die Figur darüber ist neuen Altar zu spielerisch wirkende Arbeit von
verschwunden. In der Fensternische waren vier ca. 1820. — Ihren Akzent hat die Kapelle durch
Medaillons mit den Attributen der Evangelisten die Glasgemälde erhalten. Trotz anfänglichen Be-
zu sehen, umrahmt von reichen spätgotischen denken war die Bauherrschaft schließlich davon
Ranken. Nur die beiden untern Medaillons (Mat- überzeugt, daß man es wagen dürfe, das Fenster
thäus und Markus) samt Rankenwerk waren noch hinter dem Altar mit Glasgemälden zu versehen,
erhalten. Die obern Partien sind freie, aber im obwohl es bis fast auf den Altartisch herabreicht;
Stil genau angepaßte Erfindungen, weshalb sie schließlich erkannte man auch, daß großfigurige
nur linear gemalt sind, ohne Farben. Rechts vom Darstellungen hier nicht am Platze wären. Ein
Fenster findet sich ein mit Pollenbändern einge- kleiner Wettbewerb unter drei Glasmalern ent-
faßtes, rein ornamentales, teppichartiges Feld, in schied für Albert Hinter in Engelberg. Auf die
dem elegante schwarze Ranken gemalt sind. Es Kapellenweihe am Andreastag 1942 war das Altar-
hatte wohl einen davor aufgestellten Ehrensitz fenster vollendet. In je drei hochrechteckigen
herauszuheben. Von einer Figur, die ehemals dar- Feldern übereinander zeigt es die Geheimnisse des
über gemalt war, ist nur noch die Ansatzstelle er- freudenreichen Rosenkranzes und St. Meinrad, der
kennbar. — Alle diese in flotter Strichführung al vor dem Gnadenbilde kniet. Damit war dem
secco gemalten Wandbilder sind gute Durch- Wunsche des »Städtliherrn«, HH. Kaplan Heggli,
schnittsarbeiten der Spätgotik. Ob man den Ma- des Inspirators der Restaurierung, willfahren, der
ler in Zug, Luzern oder Zürich zu suchen hat, mag ein Marienfenster gewünscht hatte; an die Stelle
dahingestellt sein. Die Freilegung der Chorbilder des Immakulatabildes der Deschwandenschule
in St. Andreas (das Schiff wird ähnlich ausgemalt traten die Rosenkranzgeheimnisse, und St. Mein-
gewesen sein, leider war nichts mehr erhalten) be- rad erinnert an die durch die älteste Meinradsvita
deutet eine Bereicherung dee Denkmälerbestandes verbürgte Gegenwart des Heiligen in der karolin-
der Innerschweiz. gischen »Villa Chama«. Die sechs klar aufgebau-
Was von der barocken Ausstattung wertvoll ten Figurenkompositionen sind abwechselnd auf
war, ist in der Kapelle verblieben. Innen über blauen und roten Grund gesetzt. Ohne Stilimita-
dem Portal hängt noch immer das ca. 1720—30 tion und ohne falsche Patina lehnen sie sich gei-
gemalte frühere Altarbild, eine Stiftung des 1744 stig und technisch an spätgotische Glasmalerei an.
verstorbenen Bischofszeller Chorherrn Johann Oben in den Maßwerkfüllungen sieht man zwi-
Jakob Keiser; es verherrlicht die Madonna mit schen Ornamenten die Wappen von Zug, Cliam
den Katakombenheiligen Vinzenz und Benedicta, und St. Andreas. Unten ist ganz diskret das
zu deren Füßen man das »Städtli« St. Andreas mit Allianz-Stifterwappen des Donators angebracht. —
Schloß und Kapelle erblickt. Das recht frisch ge- Im Laufe des Jahres 1944 kamen in die zwei Chor-
malte Bild könnte eine Arbeit des besten aller Zu- und drei Schiffenster Kabinettscheiben Albert
ger Barockmaler sein, des Johannes Brandenberg Hinters, die in geistvoller Auffassung den Kir-
(1661—1729). Vom alten Altar stammt vermut- chenpatron St. Andreas verherrlichen. — Die an-
fänglichen Befürchtungen wegen allzustarker
«) Wäre die Figur gerüstet, so würde es eich bestimmt Blendung der Augen durch das Chorfenster sind
um St. Gangulf handeln, dessen Kult vom Finstern Walde
recht wohl ausgestrahlt haben könnte. Ganz unmöglich
längst geschwunden. Das Chorfenster strahlt bei
wäre die Deutung nicht Man bedenke, wie im Volksmund jeder Tageszeit ein mildes Licht in den sakralen
Wolfgang und Gangulf verwechselt werden. Raum.

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An den Wänden des Schiffes ist ein origineller darf wohl kein Zweifel bestehen, daß das thema-
Kreuzweg angebracht, einfach hochrechteckige
Holztafeln ohne Rahmen, auf denen Orlando Hur-
tisch erkennbare Fragment, ein von vorne gesehe-
ner Frauenkopf mit gelbem Nimbus und darüber
AUF GRENZPOSTEN IM HERBST
ter in Luzern die 14 Passionsbilder in summari-
scher Technik schnitzte: tief eingeschnittene Kon-
eine Taube, zu einer Madonnendarstellung ge-
hörte, entweder zu einer Verkündigung oder zu DES JAHRES 1944
turen, aus denen heraus die Formen entwickelt einem Pfingstbild; ich selber halte nachträglich
werden, in der Behandlung an ägyptische Reliefs das letztere für wahrscheinlicher. Der Stil weist Fragment von Max Kamer
erinnernd, im Stil jedoch zufällig merkwürdig gut unzweideutig ins 15. Jahrhundert; die weich ma-
zu den Glasgemälden Albert Hinters passend. lerische Behandlung und die zarte Modellierung
(Der gipserne St. Antonius neben dem Portal wird wären vorher kaum möglich. Da das Fragment jICHT aus eigenem Antrieb, aber nach Sinn und Folgerichtigkeit jener
hoffentlich bald durch eine bessere gestiftete Fi- leicht konkav gebogen ist und in der ausgegrabe- besonderen Lebensweisung, die mir immer tief erstaunlich bleiben
gur ersetzt.) Die ausgezeichnete bronzene Ewig- nen Apsis gefunden wurde, ist der Schluß nahe-
lichtlampe wurde aus Graubünden erworben. Die liegend, daß das Fragment zu der Ausmalung der wird, stand ich nun hier, an diesem Ort, zu dieser Stunde. In Befolgung
Wandleuchter im Schiff sind zu schwer und zu Apsis gehörte, die, wie sich noch jetzt erkennen einer Pflicht, die gänzlich außer mir lag und Entscheidungen höherer
anspruchsvoll; man sollte sie gelegentlich aus- läßt, gewölbt war. Aber hier stehen wir vor einem Ordnung gehorchte, hatten meine Augen den Linien des Horizontes
wechseln. für mich unlöslichen Dilemma. 1488 entstand die
Über die Ausgrabungen hat Emil Villiger hier jetzige Kapelle. Wie läßt sich erklären, daß tief
nachzugehen, hin und wider, unabläßig, durch den gemessenen Lauf des Tages.
und an anderer Stelle ausführlich referiert. Es unter ihrem Chor im Schutt einer Apsis des ersten In einer auf außerordentliche und subtile Art geschärften Zeichnung schwang sich
obliegt mir nicht, Gesichertes von Hypothesen zu Jahrtausends Fragmente von Wandmalereien la-
die Kurve der Hügel und Taleinschnitte durch das unbewegte Licht des Spätsommer-
trennen. Ein endgültiges Urteil läßt sich nicht gen, die nach 1400 entstanden sind? Als ausge-
leicht fällen. Hier interessieren vor allem die schlossen erscheint mir, daß man für 1488 eine tages, hingesetzt in Klarheit und schwebender Leichtigkeit: Kontur einer erinnerten
Freskenreste aus dem Schutt der Apsis, die der Kirche mit Krypta annehmen darf. Ob das Rätsel Landschaft, der meine Seele wie mit Fingerspitzen nachgetastet schon in der frühen
fleißige Ausgräber zusammenfügen konnte. Es wohl je gelöst wird?
Zeit, da sich ihr die vielfältige Form und Weise der Welt zu unterscheiden begann,
nach alten Bildern und ersten Geschichten aus dem Besitz der Vorfahren.
NACHTRAG. Wie diese Landschaft aus frühester Imagination heraufgestiegen nun vor meinen
Als kleiner Nachtrag zu meinen »Kunstdenk- Das gleiche gilt vom zweiten Meister. Sein Blicken lag, als hätte sie zu ihrer Wirklichkeit sich selber mir entäußert, das war
mälern« (Werke wie die »Kunstdenkmäler« sind Zeichen steht in St. Andreas mitten auf dem mitt- wunderlich und schwer zu fassen, wenngleich die Erwartung der gegenwärtigen Stunde
nie fertig, sondern bedürfen ständiger Nachträge) leren Fenstersprossen. Also war er ein recht kunst-
sei hier kurz ausgeführt, was sich aus den vier fertiger Mann, der mutmaßliche Schöpfer des der ersten Ein-Bildung durch all die Jahre unverlierbar eingeprägt gewesen und
Steinmetzzeichen, die in St. Andreas unter dem Maßwerkfensters. Gegen 1510 arbeitet er am zweit- seltsam sicherer Erfahrung nach sich einst ereignen mußte.
Ölfarbenanstrich ans Licht traten, folgern läßt. vordersten Pfeiler des Südschiffes von St. Oswald.
Aber auch schon am ca. 1494 errichteten zweiteili-
Da birgt der Hügelschatten bröckelndes Mauerwerk einer zerfallenden Mühle und
Der Meister, der das in St. Andreas am häufig-
sten vorkommende Zeichen l führt, war um 1480 gen Hauptportal von St. Oswald ist das Zeichen die Blätter flimmern im zierlichen Zweigwerk der Birken. Die laubigen Kronen der
in Menzingen tätig. Das Zeichen findet sich dort zu finden, allerdings unvollständig erhalten (ohne Pappeln stehen über Erlengebüsch und Gemurmel der Quellen. Und der Mensch geht
an der Sakristeitüre von 1632, auf einem damals den senkrecht aufsteigenden »Schwenkel«). Wahr-
scheinlich findet es sich auch an den Bogenein-
durch die Landschaft: ein Bauer schreitet über Feld, aufrecht zwischen dem Eichen-
versetzten Werkstück des früliern Kirchenbaues.
Später ist der Meister an der Zürcher Wasser- gängen des Michaelsbeinhauses, also um 1513, gehäge, das seine Äcker umgrenzt. Den Vogel hebt er auf aus den Furchen mit seinen
kirche beschäftigt (also unter dem gleichen Hans ebenfalls unvollständig erhalten. Der Meister ist beiden Händen, fest und zärtlich sind sie vom langen Umgang mit Tieren. In der
Felder, der St. Oswald begann), und zwar bei der somit von 1488 bis 1513 nachweisbar.
Die beiden letzten Steinmetzzeichen sind we-
Mulde zwischen Weiden und Haselgebüsch liegt die Hofstatt, liegt behütet wie in
Konstruktion des Netzgewölbes. Um 1480 in Men-
zingen, um 1482—84 in Zürich, 1488 in St. An- der im Zugerland noch in Zürich, Zofingen, Ba- einer Schale die kleine ummauerte Welt, wo die Geburt und die Liebe, wo der Tod und
dreas: das war ein Zuger oder ein in Zug ansässi- den, Schaffhausen, Stein am Rhein nachweisbar. das Leben an der Kreatur sich erfüllt nach den einfachen Gesetzen der großen Dinge,
ger Meister. eingebettet in die Dauer des Brauchtums und den Wandel der Gezeiten.
Ein Bild war das, alter Truhe enthoben, aus einer Zeit, da noch Menschen im
Frieden glückliche Felder bebauten.
Da drüben liegt Frankreich! Die Luft, die ich atme, spielt durch seine Birken-
haine. Im selben leuchtenden Lichte zittern die Kronen seiner Pappeln, die in
rhythmischen Intervallen weithin stehen: Meilenzeiger in eine Region des schönern
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Maßes und der reinem Formen. Und das Wasser zu meinen Füßen! Scheidung, Grenze
muß es sein und ist doch in seines Namens uralter Sprache Zeugnis gemeinsamer DAS ZUGERLAND IM LICHTE NEUER
Herkunft und Lebensweise so vieler Völker und Stämme.
Frauen schreiten über den Pfad am Hügelhange. Zur harten Erde neigen sie ihr
RÖMISCHER BODENFUNDE
»Könnte die Geschichte davon schweigen,
Antlitz und sie schreiten so, als hätten sie die Augen weggeworfen, und lauschend Fön Josef Speck. Tausend Steine würden redend zeugen,
gehen sie so. wie wir gehen, wenn uns ein Ton nur noch im Ohre steht, ein einziger, Die man aus dem Schoß der Erde gräht.«

der nie vergessen wird. Über Äcker müßten ihre Füße wandern. Auch ihre Hände sind sind die vorgeschichtlichen Funde, zeit war schon nachgewiesen rund um die Ufer
dazu gemacht, das Leben aus den Furchen aufzuheben und zu umspannen mit der *-^ die bis anhin zugerischer Boden hergegeben des unteren Zugersees. Der Pfahlbau Sumpf beim
festen Zartheit, die aller Menschenhände Urgebäude ist. Doch da ist weder Frucht hat. Wenn man aufmerksam durch die Räume des Koller gewährte uns Einblick in das Leben der
neuerstehenden Museums wandert, dann bekommt Bronzezeitleute, in deren Hand als neue Kultur-
noch Tier, da ist nicht Lese und nicht Heimtrag in wachsende Fülle der Speicher und man eine erste Ahnung von der Fülle buntbeweg- errungenschaft das Metall glänzte. Auch die ältere
ist kein Heimgang in den Dörferfrieden. Wo wäre da Sinn noch von Mauer und Hof- ten Lebens, das schon Jahrtausende vor unserer und jüngere Eisenzeit, welch letztere mit den Hei-
Zeitrechnung auf der heimischen Scholle zur Ent- vetiern bereits ins Frühlicht der Geschichte i. e. S.
statt? Was wäre da zu hegen, wo das Feuer nicht mehr auf dem Herde brennt? Soll
faltung kam. Und wir sehen: es ist keine gelehrte hineinragt, waren durch Bodenfunde belegt. Es
noch gehütet werden die Erinnerung an das Martervolle, das in den dämmerigen Ställen Erfindung, was uns die Vorgeschichtler über jene fehlte nur noch jenes wichtige bindende Glied,
Trauliches auf unnennbare Art geschändet ? Das Leben und die Liebe und der Tod, Zeiten zum Besten geben. Durch Urkunden aus mit dem die gesamte vorgeschichtliche Kultur-
Stein und Metall einwandfrei bezeugt, liegt der abfolge eingehängt ist in die lückenlose Kette
sie haben alle Schlösser weggerissen und sind im Ungesetz und sind so außer Maß
Höhenweg vor uns, den der rastlose Mensch im historischer Überlieferung: die römische Zeit.
und Mauer, daß nur Wegwendung bleibt und dies Sich-Neigen, das so unbeschreiblich Laufe seiner Geschichte erstiegen hat, mühsam, In einem kurzen Überblick mag versucht wer-
mit jenen Frauen geht, die dort am Hügel schreiten. Schritt für Schritt. Und es reift die Erkenntnis, den, jenes Zeitgeschehen zu skizzieren und die
wie gewaltig unser Wissen um den heimatlichen großen militärisch-politischen Zusammenhänge
Grund und Boden durch zähe, beharrliche For- aufzudecken, soweit sie für unser Land bedeu-
schung mit Spaten und Schaufel erweitert und tungsvoll sind. Damit ist dem Leser ein fester
bereichert wurde. Stellen wir uns einmal vor: Rahmen gegeben, in den er dann die speziellen
Ums Jahr 858 wird zugerisches Gebiet urkund- Ausführungen besser einfügen kann.
lich zum erstenmal erwähnt.1) Knapp über die Im Jahre 58 v. Chr. werden die Helvetier bei
Wende der Zeitrechnung hinaus führt uns in Be- ihrem Auszugsversuch nach dem südlichen Gallien
rücksichtigung gesamtschweizerischen Gebietes von Cäsar vernichtend geschlagen. Nur Trümmer
Cäsars »Gallischer Krieg«. Sechs weitere Jahr- des gewaltigen Wanderzuges sehen die Heimat
tausende menschlicher Kultur aber — und das wieder. Die Freiheit des helvetischen Stammes
auf dem bescheidenen Räume unseres kleinen aber ist damit verwirkt. Rom nimmt Besitz vom
Kantons — werden uns kundgetan durch die Ur- »barbarischen« Land und schafft sich damit in
kunden im Boden, die die schützende Mutter kluger Berechnung eine lebendige Grenzwehr
Erde, treu wie ein Archiv, bis in unsere Tage auf- gegen die gefürchteten Germanen.
bewahrt hat. Und wir greifen da nicht einmal Noch ist zwar die Ostschweiz weitgehend frei.
besonders hoch. Lassen wir dabei doch jene rät- Aber im Jahre 15 v.Chr. unterwirft Drusus das
selhaften, nach wie vor umstrittenen und in man- gesamte bayrische und österreichische Alpenvor-
cher Hinsicht doch recht primitiv anmutenden land bis an die Donau, und damit ist auch das
Funde aus dem Spiel, die 1925 unter einem Fels- Schicksal unseres Landes endgültig besiegelt.
überhang der Baarburg zum Vorschein kamen. Der Sicherung der Rheinlinie von Basel bis ans
Noch vor zwei Jahrzehnten klaffte eine Lücke Meer gelten die Feldzüge der folgenden Jahre ge-
in der Kontinuität der Besiedlung zugerischen gen das rechtsrheinische Germanien. In gewaltigen
Gebietes. Zwar kannte man bereits die Kultur des militärischen Unternehmungen soll die Reichs-
Mesolithikums mit ihrer kleingerätigen Silex- grenze bis an die Weser und Elbe vorgeschoben
industrie vom Hinterberg bei Steinhausen. Ein werden. Mit der Schlacht im Teutoburger Wald
reicher Kranz von Pfahlbauten der Jungstein- im Jahre 9 n. Chr. fällt diese großartige Konzep-
tion. Die Römer werden von der Offensive in die
') Schenkungsurkunde des Karolingerkönigs Ludwig Defensive gedrängt und Augustus läßt unter dem
.*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. .*. des Deutschen, datiert vom 16. April 858 zu Frankfurt a. M.,
*v»V*V*"v**v'S-*«v* v*V*V"v**v*V"v**v*'V**i.-**v**v**v**v"v"v**v* worin er den Königshof Cham der Fraumünsterabtei in vernichtenden Eindruck der Varusschlacht die
Zürich vermacht.
Reichsgrenze wieder an den Rhein zurücknehmen.
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Noch einmal wird von römischer Seite ver- gebiete an römischen Siedlungsfunden nicht eben dabei mit M. SPECK wohl in erster Linie an auf Baarer Boden oblag, W vom Bären eine
sucht, der germanischen Gefahr Herr zu werden. kargten.2) Wohl wußte man um die zwei großen irgendeine Beziehung mit der alten Pfarrkirche reliefierte Sigillatascherbe auf. Sie zeigt eine
Aber der Feldzug des Germanicus 14/16 n. Chr. Münzfunde von Baar und Ibikon bei Rotkreuz, St. Michael zu denken, die kaum 720 Meter N thronende Götterfigur und den Anfang eines
endet, trotz guter Anfangserfolge, zu Wasser und deren Entdeckung noch tief ins letzte Jahrhundert auf dem heutigen Friedhofgebiet stand und für Außenstempels mit den Buchstaben SA . . ., was
zu Land mit einem völligen Fehlschlag. Nun gibt zurückreicht.3) Es sind denn auch die Fundzu- die ja mehrere Bauperioden nachgewiesen sind. wir wohl mit SATURNINUS zu lesen haben.5)
Rom den Plan zur Gewinnung einer römischen sammenhänge ungenau überliefert und die Mün- Wie nicht nur Schaufel und Spaten, sondern Damit fällt auch auf die erwähnten Münz-Schatz-
Provinz Großgermanien für immer auf. Die gün- zen bis auf wenige Stücke in alle Winde zerstreut. auch Orts- und Flurnamen bei vorsichtiger Aus- funde beidseits der Kantonsstraße im Gebiet N
stige Zweistrom-Linie Rhein-Donau wird end- Wie allgemein, so konnte auch hier diesen Münz- wertung uns bedeutsame Fingerzeige zur Vor- vom Lorzenübergang neues Licht.
gültig Reichsgrenze. funden in der Frage der Besiedlung keine zwin- geschichte geben können, führt uns die Ent- Zu dieser bescheidenen Reihe römischer Funde
Zwar bleibt eine geographisch recht schwierige gende Beweiskraft zugesprochen werden. deckung der römischen Niederlassung in Heilig- kam nun im laufenden Jahre eine wertvolle Neu-
Ecke im südlichen Schwarzwald. Domitian (81 Heute, rund 25 Jahre nach dem Erscheinen kreuz bei Cham vor Augen. Aufmerksam gemacht entdeckung, nämlich
bis 98 n. Chr.) entschließt sich zu einer radikalen von SCHERERS Monographie, sehen wir nun durch den alten Flurnamen »Muracher« fand
Lösung und beginnt den Bau einer großzügigen wesentlich klarer. E. VILLIGER, Neugut (Cham), 1934 auf diesem die römische Ansiedlung von
Befestigungslinie, des 550 Kilometer langen Limes, Einen ersten Beitrag in dieser Richtung Grundstück Fragmente römischer Leistenziegel. Hagendorn.
womit dieser gefährlich einspringende Winkel lieferte das engere Stadtgebiet von Zug, wo 1931 Eine vom Kantonalen Museum für Urgeschichte
Anlaß zu ihrer Auffindung gaben umfang-
vom übrigen Germanien abgeriegelt wird. in der Loretto, unweit der alten Baarerstraße, angesetzte Grabung, wiederum unter der Leitung
reiche Entwässerungsarbeiten im Gebiet W von
Damit schläft die Weltgeschichte am Ober- zwei römische Graburnen mit Ascheninhalt und von D. FRETZ, führte zur Freilegung umfang-
rhein und im Oberdonaugebiet für zwei Jahr- Hagendorn. Fast längs des ganzen Nordrandes des
verschiedenen Beigaben zutage kamen. Eine reicher römischer Mauerzüge. Im Verlaufe der
hunderte ein. Gesichert durch ein mächtiges Rumentiker-Wäldchens kamen dabei behauene
Nachgrabung unter der Leitung von D. FRETZ, Arbeiten ergab eich mit aller Deutlichkeit, daß
Grenzbollwerk durchlebt Helvetien eine Zeit Balken und einzelne mächtige Pfähle aus Eichen-
Zollikon, ergab, daß man es weniger mit einer man auf einen römischen Gutshof gestoßen war.
friedücher Entwicklung und großer wirtschaft- holz zutage. Und als man an der NW-Ecke (direkt
Einzelbestattung als vielmehr mit einem eigent- Zwar konnte aus finanziellen Gründen nur ein
licher Blüte. Die höhere römische Gesittung und bei Pt. 399, S. A. Bl. 190) einen Graben abzutie-
lichen Brandgräberfeld zu tun hat. Seine Bele- Bruchteil der Gesamtanlage ermittelt werden, die
Kultur überlagert das einheimische keltische fen begann, fuhren Pickel und Schaufel der Ar-
gung muß nach Ausweis der Beigaben (Sigillata- aus einem stattlichen Herrenhaus und mehreren
beiter in Tonscherben. Der verständnisvollen Ein-
Volkselement und drängt es in den Hintergrund. teller mit dem Stempel BELATULLUS F) 4 ) im landwirtschaftlichen Nebengebäuden wie Scheune,
Das Ergebnis ist die provinzialrömische Kultur, sicht von Kantonsingenieur HILFIKER ist es zu
2. Jahrhundert erfolgt sein. Über die Lage der zu- Schuppen, Gesindehaus, Getreidespeicher etc. be-
wie sie allenthalben nördlich der Alpen zur Ent- verdanken, daß dem Konservator des kantonalen
gehörigen Siedlung — denn wo man verstorbene standen haben mag. Die Grabung blieb im wesent-
Museums für Urgeschichte Bericht erstattet wurde.
faltung kommt. Angehörige zur letzten Ruhe bestattet, pflegen lichen auf ein solches stallartiges Nebengebäude
Das Jahr 259/60 n. Chr. bringt für Helvetien Es wurde sofort eine Nachgrabung angesetzt, der
auch menschliche Behausungen nicht fern zu sein beschränkt und kam nicht darüber hinaus. Das
eine schicksalhafte Wendung. In ungestümem teilweise schon wieder eingefüllte Graben noch-
— können wir vorderhand nichts Sicheres aus- Herrenhaus harrt noch der Erschließung. Daß
mals ausgeworfen und das Füllmaterial genau
Anlauf wird der Limes, die große Grenzwehr sagen. Es sind kaum mehr als bloße Vermutungen, die Anlage nicht in einem Guß entstanden ist und
gegen das freie Germanien, endgültig überrannt durchsucht. Die dabei zum Vorschein kommen-
wenn wir dafür das Guggi oder das leider stark regen Um- und Anbau über sich ergehen lassen
und das rechtsrheinische Deutschland geht an die den Scherben wurden eintvandfrei als römisch
überbaute Gebiet auf der Löbern und im Dorf ins mußte, bewiesen die aufgedeckten Mauerreste,
erkannt.
kriegsgewohnten Alemannen verloren. Wieder — Auge fassen. aus denen man bis vier Bauperioden herauszu-
wie in der Frühzeit des Augustus — wird der Schon im nächsten Jahre wartete das Stadt- lesen vermochte. Einem besonderen Entwässe- Dank der Vermittlung der Gemeinderäte
Rhein Reichsgrenze und damit Helvetien neuer- gebiet mit einer weiteren Überraschung auf. Bei rungssystem fiel die Auf gäbe zu, den Boden trocken B. Baumgartner und B. Gretener, Cham, und dem
dings Grenzland. der Anlage des Spielplatzes E vom Konvikt zu legen. Die Wasserversorgung geschah mittels Entgegenkommen des Grundeigentümers konnte
Es ist der Schatten, den das umwälzende Er- St. Michael kamen ein Halsbruchstück einer grau- zweier Ziehbrunnen (Soden), die von Brunnen- die Angelegenheit weiter verfolgt und ein grö-
eignis der Völkerwanderung um ein volles Jahr- tonigen Urne, sowie ein Fragment einer römischen häusern überdacht waren. Die Zeit der Sied- ßerer Komplex abgedeckt werden.6) Dabei erga-
hundert vorauswirft. Solange nämlich läßt das Heizröhre zum Vorschein. Aus dem Fundverband lungsgründung liegt noch nicht fest, doch dürfte ben sich recht überraschende und interessante
drohende Verhängnis noch auf sich warten, bis ergab sich, daß sich diese Dinge auf sekundärer sie nach FRETZ unter Umständen ins 1. Jahr- Verhältnisse:
die Hunnen im Jahre 372 die Wolga überschreiten Lagerstätte befanden und offenbar bei Erdarbei- hundert zurückgehen. Am besten ausgewiesen ist In einer Tiefe von 90 cm kam die eigentliche
und damit die große Germanenbewegung loslösen, ten aus der Nähe verschleppt wurden. Man hat die 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts. Um die Mitte römische Kulturschicht zum Vorschein. Sie be-
unter der das morsche römische Weltreich aus des 3. Jahrhunderts bestand die Niederlassung stand vorwiegend aus grobkörnigem, sauber ge-
den Fugen geht. ") Es sei erinnert an Ottenhausen, Ebersol, Abtwil, jedenfalls noch, wie der Fund einer Silbermünze
Kleinwangen, Mühlau, Waltenswil, Muri, Maschwanden,
Mettmenstetten, Lunnern, Ottenbach, Knonau, Kappel, um (GORDIAN II., 238 n. Chr.) beweist Durch wei- «) Die langgesuchte Werkstätte dieses Töpfers (auch
Die römische Forschung der letzten als SATTO bekannt), ist erst in neuester Zeit festgestellt
nur die wichtigsten zu nennen. tere Grabungen würde sich ohne Zweifel dieses worden. Sie befand sich in Chemery-Faulquemont (Falken-
zwei Jahrzehnte. ») Eine kritische Würdigung gibt der große Bahn- Teilergebnis um neue wertvolle Erkenntnisse be- berg), SE von Metz; vgl. R. KNORR, in Festschrift für
brecher P. E. SCHERER, in seinem wertvollen Sammel- A. OXE, S. 45 ff, Darmstadt 1938.
Noch vor 20 Jahren war, wie schon angedeutet, werk: Die urgeschichtlichen und frühgeschichtlichen Alter- reichern lassen.
tümer des Kantons Zug, Anz. f. Schw. Altertumsk. NF. «) Für treue Mitarbeit sei im Namen des Konservators
diese provinzialrömische Kultur, deren politisches 22—25, 1920—23, S. 194 ff (1925).
Ein römischer Einzelfund ist in der Folgezeit des Kant Museums für Urgeschichte, M. SPECK, folgenden
Zeitbild wir eben gedrängt zu umreissen suchten, <) Ein Töpfer, der besonders bekannt ist aus dem auch aus Baar bekannt geworden. 1937 hob der Herren herzlich gedankt: Allen voran Bäckermeister
A. WEISS, Zug, der seine große praktische Erfahrung
auf zugerischem Boden nicht sicher nachgewiesen. Gebiet des obergermanisch-rätischen Limes; gearbeitet hat verstorbene KASPAR HOTZ, Obermühle, der allzeit in den Dienst der Sache stellte; dann Rektor
er in Rheinzabern in der bayr. Pfalz, später in Westerndorf
Dies war umso merkwürdiger, als die Nachbar- in Oberbayern und zwar im 2. Jahrhundert stets mit soviel Liebe der Vorgeschichtsforschung G.SPYCHER, Zug, und ing. ehem. H. KOHLER, Cham.

50 51
schlämmteni Sand, reich durchsetzt von Scherben, durchsuchen. Denn nirgends erhält er so wert- ähnlich dem heutigen Rosenthaler- und Mei- merkmal für seine Ittenweiler Spätzeit ist.8) Den-
Holzabfällen und Pflanzenhäcksel. Sie war nicht volle Aufschlüsse über Leben und Treiben der ßener Porzellan, einen Firmenstempel tragen, selben Eierstab besitzt u. a. — soweit wir aus der
gleichmäßig über das ganze Areal verbreitet, Siedlungsbewohner wie gerade hier. zum anderen, weil auch die Bildfiguren auf den Abbildung zu entnehmen vermögen — auch die
sondern beschränkte sich im wesentlichen auf Nicht anders war es in unserem Falle. Was da Reliefschüsseln individuell verschieden sind und CIBlSUS-Schüssel mit Medaillondekor von Kemp-
eine grabenartige Vertiefung, die die abgedeckte nicht alles gehoben wurde: eine Unzahl zerbro- so eine bestimmte Sigillatascherbe, fast wie eine ten.10) In mehreren dieser Medaillons finden
Fläche in fast W-E-Richtung querte. Auf beiden chener Gefäße, angefangen von der groben hand- Handschrift, anhand ihrer Bildtypen in vielen sich Abdrücke einer Marc Aurel-Münze, woraus
Flanken und teilweise sogar direkt über die Rinne geformten Gebrauchskeramik bis zum feinsten, Fällen ohne weiteres einem bestimmten Töpfer sich ergibt, daß die Schüssel frühestens 171 n. Chr.
hinweggebaut, fanden sich prachtvoll erhaltene scheibengedrehten Luxusgeschirr, Tierknochen, zugewiesen werden kann. Natürlich ist dieser entstanden ist.
Fundamentüberreste einer ausgedehnten Anlage Schlacken, Hunderte von handgeschmiedeten vier- urkundliche Wert der Sigillaten erst nach und
aus Eichenholz. Eindeutige Anzeichen fließenden kantigen Nägeln in allen Größen und Abwand- nach durch die Forschung erschlossen worden.
Wassers (Sandfahnen im Stromschatten von Pfäh- lungen, Schiebeschlüssel, zerbrochene Leisten- So sind uns die Bildtypen und Töpferstempel für
len und ähnlichen Hindernissen, verursacht durch ziegel, Schmucksachen wie Fibeln, Perlen, Gürtel- die rheinischen Sigillatamanufakturen durch um-
Wasserwalzen; festgefahrene sparrige Hölzer, Äste beschläge, ein silbernes Löffelchen, ein Messer mit fängliche Grabungen und Veröffentlichungen gut
etc.) erbrachten den bündigen Beweis, daß wir in erhaltener Zwinge aus Goldblech, eine eiserne bekannt und zeitlich ziemlich genau fixiert. Wir 3
besagter muldenartigen Vertiefung einen ehema- Schnellwaage mit drei verschiedenen Maß-Skalen, können also aus einem vorliegenden Fundmaterial
ligen Wasserlauf vor uns haben. Zu ihm müssen je nach Hebelarm, Glassachen, eine Münze, eine die aus diesen Töpfereien stammenden Sigillaten
die vorhandenen Holzgrundrisse in irgendwelcher Reihe besterhaltener, zugehauener Hölzer rätsel- meistens mit Sicherheit aussondern und die Zeit
Beziehung stehen. Welcher Art diese ist, läßt sich hafter Zweckbestimmung, ja sogar die lederne ihrer Herstellung vielfach auf Jahrzehnte genau Fig.1.
Töpfarmarken auf Slglllatascherben von Nagendem (Cham).
derzeit noch nicht abschätzen. Das bisher durch- Fersenkappe eines Schuhes und — eine Unmasse bestimmen. FEC, FE, E: Abkürzung für FECIT (= gemacht).
forschte Gebiet ist im Hinblick auf die großdi- von Pfirsichsteinen. Datierung: 2. Hälfte 2. Jh. Nat. Gr.
Versuchen wir nun die Hagendorner Sigilla-
mensionalen Holzkonstruktionen zu klein, um die Mit diesem zeitlichen Befund stimmen auch
Der Löwenanteil am gemachten Fundmaterial ten nach diesen Gesichtspunkten auszulösen, so
hiefür notwendige Übersicht zu gewährleisten.
kommt naturgemäß der Keramik zu. Für zuge- ergibt sich in großen Zügen folgendes:7) die übrigen Sigillaten überein. Die S i e d -
Wenn man die vielen Einzelbeobachtungen auszu- lung Hagendorn gehört somit in
rische Verhältnisse reich vertreten ist die Terra An Firmenstempeln konnten vorläufig — die
werten und auf einen einheitlichen Nenner zu d i e 2 .H ä l f t e b i s l e t z t e n j a h r z e h n t e
sigillata, jenes korallenrote römische Prunkge- Entzifferung verschiedener verwaschener und
bringen sucht, wird man die Vermutung nicht los, des 2. J a h r h u n d e r t s . Anzeichen, daß sie
schirr, das ob seiner Güte und Wertschätzung, schwer leserlicher Töpfermarken ist ohne einge-
daß wir es hier mit einer Art Wasserwerkanlage noch wesentlich ins 3. Jahrhundert hineinragt,
gleich unserem Porzellan, hoch über dem gewöhn- hende Vergleichsstudien nicht möglich — die
an einem künstlich angelegten Seitenkanal der liegen bis heute nicht vor.
lichen irdenen Geschirr stand und nach einem Namen nachgewiesen werden, welche in Fig. l
Lorze zu tun haben könnten, so modern der Ge- In dieselbe Zeit weist auch die einzige Münze,
heute noch nicht wieder entdeckten Geheimver- in Faksimile wiedergegeben sind. CRICIRO,
danke auch anmuten mag. Es entzieht sich unserer die bis anbin aufgefunden wurde. Ihr abgeschlif-
fahren angefertigt wurde. VICTORINUS, VENUSTUS sind Rheinzaberner
Kenntnis, ob etwas derartiges im Rahmen eines fener Zustand läßt zwar nur eine Alternativbe-
größeren Gutsbetriebes anderswo schon nachge- Die Sigillataherstellung lag vorwiegend in den Töpfer.8) CIBISUS, zweimal vertreten als Außen-
stimmung zu: entweder ein Antoninus Pius (131
wiesen ist. Ein abschließendes Urteil werden wir Händen einiger Werkstätten, die ihre Serienfabri- stempel auf Reliefsigillaten, gehört nach Itten-
bis 161) oder ein Marc Aurel (161—180 n. Chr.),
uns aber erst anhand neuer großzügiger Grabun- kate weithin vertrieben und einen ausgedehnten weiler im Unterelsaß, wo er in den letzten Jahren
was aber in unserem Fall vollkommen genügt.
gen erlauben dürfen. In der Frage, wo wir den Kundenkreis bedienten. Solche Töpferei-Groß- Hadrians (117—138 n. Chr.) sich selbständig
Mit voller Absicht wurde — soweit wir sie
vermutlichen Gutshof mitsamt dem Herrenhaus, betriebe finden sich im 2. Jahrhundert vor allem macht und bis tief in die Zeit Marc Aureis (161
nicht zur Datierung heranziehen mußten — Ab-
das ja den Mittelpunkt einer jeden villa rustica im Unterelsaß (Heiligenberg, Ittenweiler) und in bis 180 n. Chr.) produziert. Er gilt als einer der
stand genommen von einer eingehenden Bespre-
einzunehmen pflegt, zu suchen haben, enthalten der Rheinpfalz (Rheinzabern, Blickweiler, Esch- Hauptlieferanten obergermanischer Bildschüsseln
chung der mannigfaltigen Kleinfunde, den Ge-
wir uns vorläufig jeglicher Mutmaßung. weiler Hof). Sie decken zur Hauptsache den in die Schweiz.
räten häuslichen und landwirtschaftlichen Ge-
schweizerischen Bedarf sowohl an unverzierter Bei den zwei Hagendorner CIBISUS-Schüsseln brauches. Es würde dies eine Arbeit für sich
Fundmaterial und Zeitstellung. Glattsigillata, als auch an der formgepreßten (als Zierfiguren treten auf: der streitbare Putto; bedeuten.
Reliefsigillata, die mit plastischen Bildfolgen aus der nach links schauende, kauernde Hase, beide
Besagtem »Wasserkanal« kommt noch eine Doch mögen aus der für Zug so erfreulichen
der Mythologie oder dem Alltag verziert war. in Medaillons eingelegt; die Maske zwischen senk-
Nebenrolle zu, bot er doch Gelegenheit, sich der Fülle zwei einzige Kleinfunde herausgegriffen
häuslichen Abfälle auf bequeme Art und Weise Nun ist ja allgemein bekannt, daß die Keramik rechten Stäben; der Löwe in gestrecktem Lauf; werden, die dank ihrer interessanten Fernbezie-
zu entledigen. So gelangte von allem Anfang an in chronologischen Fragen eine Schlüsselstellung das »Sykomorenblatt«) ist zudem noch eine hungen und kulturellen Hintergründe nicht nur
viel Abfallmaterial auf dessen Boden. In einem innehat, vermag sie doch zu allen Zeiten die engere Datierung möglich. Beide führen nämlich dem eingefleischten Urgeschichtler, sondern auch
späteren Stadium scheint er seinen eigentlichen kulturellen und modischen Strömungen ganz be- den charakteristischen, nur von CIBISUS ver- dem der Vorzeitforschung Fernerstehenden wohl
Zweck immer mehr eingebüßt zu haben. Er ver- sonders widerzuspiegeln. Ihr unausgesetzt wech- wendeten, quer geriefelten Eierstab, der ein Leit- einiges zu sagen vermögen.
landete und wurde bis zu ebenem Boden auf- selnder Formenwandel und Typenschatz gibt, zeit-
') Dr. E. VOGT, Konservator am Schweiz. Landesmu- •) URNER-ASTHOLZ H., Die römerzeitliche Keramik
gefüllt. lich festgelegt, eines der wichtigsten Hilfsmittel von Eschenz-Tasgetium, Huber & Co., Frauenfeld 1942,
seum Zürich, ist uns bei der Bestimmung der Keramik mit
Ein Kehrichthaufen hat im alltäglichen Leben zur Datierung an die Hand. Rat und Tat zur Seite gestanden. Für das rege Interesse, S. 56. — Eierstab = Ziermotiv, welches das Dekorationsfeld
das er überhaupt der Hagendorner-Crabung entgegenge- der Bilderschüsseln nach oben abschließt und mancherlei
zwar etwas Verächtliches. Der Ausgräber vergißt Dies gilt für die Sigillaten nun in besonders bracht hat, sei ihm an dieser Stelle verbindlichst gedankt. Abwandlungen fähig ist
das, wenn ihm vergönnt ist, solche Abfälle zu hohem Maß, einmal deshalb, weil sie vielfach, M) Germania Romana V, 2. Aufl., 1924, Taf. 25, Abb. 3
») Vgl. LUDOWICI W., Katalog V, 1927, S. 213. und 4.

52 53
Das Kölner Schlangenfadenglas. einem Mittelpunkt römischer Glasindustrie, der
Unter den ersten Tonscherben, wie sie uns von vom 2. Jahrhundert an auf dem Gebiet der Glas-
den Arbeitern übergeben wurden, fanden sich erzeugung geradezu eine führende Stelle einnahm.
Tafel l
auch Bruchstücke eines dünnwandigen Glasge- Aus der unvergleichlichen Fülle kölnischer Glas-
11
fäßes. Trotz genauester Nachsuche konnten nicht funde ), die ihresgleichen N der Alpen sucht,
alle fehlenden Scherben beigebracht werden, was wird nun seit langem eine Gruppe als »Schlan-
nicht weiter Wunder nimmt, da das Glas ja nicht genfadengläser« ausgesondert. Und F. FREMERS-
erst bei seiner Auffindung zertrümmert wurde, DORF, Direktor der Römisch-Germanischen Ab-
sondern schon in römischer Zeit in Scherben ging. teilung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln,
Immerhin war es möglich, ein vollständiges hat wiederholt mit allem Nachdruck darauf hin-
Profil zusammenzubringen (Taf. I). Es ergab sich gewiesen, daß diese Gläser mit Fadenzierat, wenn
eine zierliche formschöne Glasflasche mit ausge- auch nicht gerade dem gleichen Meister (»dem
prägtem Standreif, kugeliger Wandung, langem Meister mit dem Schlangenfaden«), so doch dem
Hals und trichterförmigem Mund. Die Glasmasse gleichen Werkstattzusammenhang entstammen.
ist weißlich-durchsichtig und weitgehend entfärbt, Und zwar gehört diese Schlangenfaden-Werkstatt
bis auf einen zarten grünlichen Schimmer, der an — und das ist für uns besonders wertvoll — einer
12
den dickwandigen Partien wie Standreif und engumgrenzten Zeit an, nach FREMERSDORF )
Hals intensiver wird. Die Außenfläche ist etwas der 2. H ä l f t e des 2. J a h r h u n d e r t s . Sie
rauh anzufühlen und wie mit einem feinen Film sind denn auch mehrfach zusammen mit Münzen
belegt, der dem Glas einen eigenartigen matten von Antoninus Pius und Marc Aurel gefunden
13
Glanz verleiht. Auf der glatten Innenseite hin- worden. )
gegen fehlt diese »Patina«. Hier herrscht nor- Zwar gibt es nun auch in Syrien Schlangen-
maler Glasglanz. Die Mündung ist in Andeutung fadengläser, wo überhaupt ein weiteres Produk-
eines Ausgusses leicht eingesenkt und zusammen- tionszentrum gelegen haben muß. Ja, es deutet
gedrückt. sogar alles darauf hin, daß die Kenntnis vom
Vom Mundrand löst sich ein feiner langer Schlangenfaden erst durch Zuwanderung syri-
Glasfaden ab, mit dem der Hals in vierfacher scher Facharbeiter in den Jahrzehnten vor 200
14
Windung umsponnen ist. Ähnliche Fadenauf- n. Chr. nach Köln verpflanzt wurde. ) Für unser
lagen, nun aber in zierlichem Schnörkelwerk, Fadenglas ist nun wohl kaum an solch ferne Her-
kehren auf der rundbauchigen Wandung wieder. kunft zu denken. Rheinischer Keramikexport
Was sie vom Halsfaden weiterhin unterscheidet, nach der Schweiz ist ja, wie wir gesehen haben,
ist eine feine Querriefung, wohl von einem Räd- auf breiter Basis bezeugt. Und in dieser Gesell-
chen stammend, das über den noch zähen Glas- schaft der Rheinzaberner- und Ittenweiler Sigil-
faden gerollt wurde. laten nimmt sich ein Erzeugnis aus Kölner Glas-
Wenn wir uns nun einmal umsehen, wo Gläser manufakturen keineswegs als Fremdkörper aus.
gleicher Form und Technik der Fadenauflage Eine hundertprozentige Bestätigung, unter
bisher gefunden sind, so lassen sich — soweit wir Ausschaltung jeglicher Eventualitäten, könnte uns
das Schrifttum zu überblicken vermögen — in hier allerdings nur die Autopsie durch FREMERS-
der Schweiz keine Parallelen anführen, weder von DORF verschaffen, an die in absehbarer Zeit aber
Vindonissa, noch unter den berühmten Glasfun-
den der Gräber von Locarno. Beide Fundstellen «) Die reichen, unersetzlichen Bestände des Wallraf-
Richartz-Mueeums sind zum weitaus größten Teil »ein
sind wohl auch zu früh dafür. Ebenso scheiden Opfer von Sprengbomben und Phosphor« geworden (Brief
bei diesem Vergleich die großen Glasfabrikations- von F. FREMERSDORF). Kölner Schlangenfadenglas.
zentren des Südens und Südwestens (Aquileia in 12) Liebenswürdige briefliche Mitteilung. — Trotz der
ablenkenden Aufgaben der heutigen Kriegszeit hat Direktor 2. Hälfte bis Ende 2. Jahrhundert. Fundort: Römische Siedlung bei Hagendorn (Cham).
Oberitalien; Lyon) aus. Dr. FREMERSDORF alle unsere Anfragen ausführlich Ca. V:, not. Gr.
Um etwas Ähnliches beizubringen, müssen wir beantwortet und uns so selbstlos teilnehmen lassen an
schon nach Norden an den Niederrhein gehen, wo seinem umfassenden Wissen. Für diese Hilfe möchten wir
ihm auch an dieser Stelle den verdienten Dank abstatten.
der Boden der denkmalberühmten Stadt Köln ") Vgl. FREMERSDORF, Bonner Jahrbücher 131,
zahlreiche Glasgefäße hergegeben hat. bei denen 1926, S. 29, Abb. l, Grab VI/VII. Darin Münzen von Do-
die Technik des Glasfadens wiederkehrt. Und mitian, Hadrian, Pius, Faustina I und Marc Aurel.
zwar gleich in fabelhafter Vollendung und Mei- Anz.»)1931, FREMERSDORF, Der römische Guttrolf, Archäol.
1/2, Spalte 148 und 152. — Ders., Zum Kan-
sterschaft, befinden wir uns doch hier in Köln an tharos Disch-Sangiorgi, Archäol. Anz. 1931, 1/2, Spalte 128.

54
nicht zu denken ist. Bis dahin aber glauben wir wirft, zum anderen aber auch, weil sich einige
mit guten Gründen an der Kölner Herkunft des interessante Fragestellungen und Probleme daran
Fadenglases festhalten zu dürfen. knüpfen.
Freilich muß dabei gesagt sein, daß das Hagen- Voran einige Bemerkungen mehr technischer
dorner Glas, so wertvoll es für Schweizer Verhält- Natur zum Begriff Klappmesser.10) Wie der Name
nisse sich ausnimmt, nicht entfernt an die erste verrät, sind es Messer, die, um einen Stift drehbar,
Garnitur der Kölner Fadengläser heranreicht, die nach Art unserer Taschenmesser zusammenge-
man mit FREMERSDORF zu den »großen Mei- klappt werden konnten, wobei die Klinge in eine
sterwerken der Glasmacherkunst aller Zeiten« Kerbe auf der Schmalseite des Messergriffes ein-
zählen darf. Für unseren Fall wird man Worte schlug,17) Fig. 2 deutet dies anhand einer sche-
so hohen Lobes kaum anwenden wollen, dazu ist matischen Zeichnung an. Die Klinge ist nach gut
der Glasfaden zu wenig virtuos gehandhabt, das erhaltenen Vorlagen rekonstruiert und zur Ver-
Muster stellenweise doch etwas ungelenk und deutlichung nicht ganz eingeklappt. Weitaus die
schwerfällig. Wenn wir uns aber einmal vor- Mehrzahl der auf uns gekommenen Griffe sind
stellen, was für eine Gewandtheit das Auflegen aus Bein geschnitzt, seltener aus Elfenbein. Nur
eines zähflüssigen, rasch erkaltenden Glasfadens ganz vereinzelt kommt Gagat 18 ) oder Bronze vor.
erforderte, wobei jede Korrekturmöglichkeit zum
vornherein in Wegfall kam, ist auch hier die
Leistung noch beachtlich genug.
Zwei Momente aus diesem Zusammenhang
verdienen festgehalten zu werden: Einmal ist mit
diesem Glasfund der weltweite Export von Köl-
n e r Fadengläsern e r s t m a l i g a u c h f ü r
die S c h w e i z bewiesen.15) Es ist dies ein
kleiner Beitrag zu einem der reizvollsten Kapitel
römischer Wirtschafts- und Handelsgeschichte.
Zum anderen aber gibt uns der gute zeitliche
Leitwert einen weiteren zuverlässigen Rückhalt in
Flg. 2.
der Frage der Datierung und spricht sehr im
Klappmesser. Klinge in den Griff eingesetzt und halb geöffnet.
Sinne der bisherigen Zeitansetzung. Rekonstruktionsversuch.
Auf Grund dieser chronologischen Trilogie
(Reliefschüsseln des CIBISUS, Münze des Anto- Allgemein in Übung war zur mittleren Kaiserzeit
ninus oder des Marc Aureis, Kölner Schlangen- die figürliche Ausgestaltung des Messergriffes,
fadenglas) läßt sich erneut bekräftigen: Der wobei der unerschöpfliche Reichtum der grie-
zeitliche Schwerpunkt der Nieder- chisch-römischen Mythologie dem Künstler allzeit
lassung von Hagendorn liegt ge- willkommene Anregung bot. E. v. MERCKLIN
schlossen in der 2.Hälfte bis Ende ist diesen Dingen in einer anregenden Studie erst-
des 2. J ahr h un d e r t s. mals nachgegangen und hat den Formenreichtum
der Messergriffe anhand eines mannigfachen Ver-
Die »Guthirt«-Figur von Hagendorn. gleichsmaterials dargelegt.
Die gleiche Siedlung wartete aber noch mit Nun zurück zu unserem Stück von Hagendorn.
einem weiteren Überraschungsfund auf in Gestalt Das Motiv ist klar (vgl. Taf. II, l a und l b). Auf
eines figürlichen Klappmessergriffes aus Bein einem rillenverzierten Standsockel erhebt sich
(Taf. II, l a und I b ) . Das würde an sich noch
keine Sonderbesprechung rechtfertigen, da solche ") Vgl. E. v. MERCKLIN, Römische Klappmesser-
griffe, Serta Hoffileriana, Zagreb 1940. — Der Autor, Prof.
für die römische Periode nicht eben selten sind. E. v. MERCKLIN, Hamburg, hatte die Freundlichkeit, uns
Zwei Gründe sind es zur Hauptsache, die uns zu einen Sonderabdruck seiner an schwer zugänglicher Stelle
erschienen Arbeit zuzusenden. Es sei ihm hiemit bestens
einem besonderen Hinweis bewegen: einmal weil gedankt.
dieser Fund ein weiteres bezeichnendes Licht ») In Taf. IL, Abb. Ib, ist diese Kerbe gut sichtbar, da
auf die Handels- und Verkehrswege jener Zeit die eine Seitenwandung des Griffes beim Gebrauch weg-
gebrochen ist
FREMERSDORF, Schriftliche Mitteilungen. '••) Abart der Braunkohle.

55
Tafel II.
schlicht und einfach die Figur des lammtragenden Das Bonner Gegenstück.
Hirten. Sein einziges Gewand ist die kurze, kaum Von besonderem Reiz ist der Umstand, daß es
bis zu den Knien reichende, gegürtete Tunika. zur Hagendorner Griff-Figur eine nach Maß, Ma-
Die linke Hand stützt er auf den Hirtenstab, mit
terial und Motiv geradezu täuschende Parallele
der Rechten faßt er die Hinterbeine des auf seinen gibt. Es ist der lammtragende Hirte, der vor der
Schultern ruhenden Schäfleins und drückt sie an Jahrhundertwende in Bonn gefunden wurde
die Brust. Der bartlose, jugendliche Lockenkopf (Taf. II, Abb. 2 a und 2 b). 1B )
schaut zur Seite; vielleicht gilt der Blick dem
Schäflein. Das linke Bein ist im Ausschreiten be- Wohl handelt es sich, wie unsere Gegenüber-
griffen und deshalb leicht vorgesetzt. Wie es sich stellung zeigt, nicht um ein sklavisch getreues
für eine Rundplastik gehört, die von allen Seiten Abbild. Der Hirtenstab ist spiegelbildlich ver-
sichtbar ist und also möglichst allseitig einen tauscht, das Körpergewicht folgerichtig auf die
künstlerisch einwandfreien Anblick bieten soll, Gegenseite verlagert und das rechte Bein holt hier
ist auch die Rückseite nicht geringer behandelt. zum Schreiten aus. Die freigewordene linke
Hand hält das Schäflein fest und faßt alle vier
Im großen, ganzen zeugt die Arbeit von be- Beine auf der Brust zusammen, eine Lösung, die
achtlichem formalem Können und echter Emp- viel natürlicher und zweckmäßiger anmutet als
findung. Das Ausschreiten des Hirten ist natür- beim »ZwilUngsstück« von Hagendorn, wo das
lich und gut erfaßt, es liegt keine eckige, harte Tier die Vorderbeine über die linke Schulter
Bewegung vor. herunterhängen läßt.
Geht man aber in die Einzelheiten, so entdeckt Doch sind auch die Analogien unverkennbar.
man doch einige technische Mängel. Etwas grob Wieder ist die Griffbasis als Standsockel ausge-
geraten ist vor allem die Gesichtspartie des Hirten, bildet, wieder treten Querrillen als Verzierungen la
1b
sowie sein lockiges Haar, während im Gegensatz auf. Daß nur eine Doppelrille statt deren zwei
dazu der Kopf des Schäfleins plastisch wieder vorhanden ist, mag in der breiteren und kürzeren
hervorragend gut herausgearbeitet ist. Ein pro- Fassung des Sockels begründet sein. Doch wird
portionales Mißverhältnis liegt in der übermä- diese Einbuße an Höhe durch die etwas größere
ßigen Verkürzung des Oberkörpers im Vergleich Figur wettgemacht, sodaß, als ganzes gesehen, die
zur Gesamtfigur. Noch störender aber wirkt in Griffmaße fast auf den Millimeter genau über-
seinen Ausmaßen der linke Arm. Er ist, wie sich einstimmen. Als Tracht kehrt die kurze Tunika
besonders aus der Rückseitendarstellung ergibt, wieder, deren Gürtung nun deutlich ist. Auch
viel zu hoch geführt; eine Schulter ist kaum ange- hier erscheint der jugendliche lockige Kopf ins
deutet. Profil gedreht, der Blick nach links gewandt.
Doch wäre es vielleicht wiederum ungerecht, Aber der Übereinstimmungen sind noch mehr:
diese Schwächen allein auf künstlerisches Unver- Man nehme sich nur einmal die Mühe, die
mögen zurückzuführen. Bei der Würdigung der beiden Vorderansichten auf einige ganz unschein-
Kleinplastik wird man nicht außer Acht lassen bare Details hin zu vergleichen: beispielsweise
dürfen, daß der Werkstoff im vorliegenden Fall Ohr und Rückenpartie des Schäfchens, das lockig-
nur Zwang, nicht Hilfe wie sonst zugleich, war. strähnige Haar des Hirten, die Andeutung der
Der harte, zähe Tierknochen erlaubt nicht jene Finger bei der Hand, die sich auf den Stock stützt.
intime Charakteristik wie etwa das weiche Linden- Diese auffällige Übereinstimmung in der Art,
holz und bietet wiederum nicht die Möglichkei- solch unwesentliche Einzelheiten herauszuarbei-
ten des glänzenden Elfenbeins. Diese im Werk- ten, sie in derselben technischen Manier zu be-
stoff liegenden Klippen hat der Schnitzer nicht handeln, kann doch nicht Zufall sein. Es sind
immer glücklich umschifft. Im weiteren war der diese mannigfachen Anklänge im großen und
Künstler durch die Zweckbestimmung der Figur kleinen nur dadurch in befriedigender Weise zu
gehemmt. Er mußte auf eine bequeme, solide deuten, daß wir die beiden Kleinplastiken i n
Handhabe bedacht sein, also eine möglichst ge- den gleichen Werkstattzusammen- 2a 2b
schlossene Figur schaffen, die sich der haltenden h a n g v e r w e i s e n , trotz der großen räum-
Hand gut anschmiegt. Und vergessen wir nicht: lichen Entfernung. Auf Grund der bereits erwähn-
Der Maler vermag einen falschen Pinselzug leicht Der lammtragende Hirte von Hagendorn und das Parallelstück von Bonn.
») Für die Überlassung der beiden Photos sind wir
zu verbessern, der Plastiker ist dagegen festgelegt. Aus Bein geschnitzte Klappmessergriffe. Not. Gr. — l a und l b: Vorder- und Rück-
dem Landesmuseum Bonn zu Dank verpflichtet ansicht der Hagendorner Kleinplastik. Durch sicher datierende Begleitfunde ins s p ä t e
2. Jh. verwiesen. 2 a und 2b: Die Bonner »Guthirt.-Figur, bis anhin als christlich angesehen
und meist als spätrömisch bezeichnet. Die erstaunliche Obereinstimmung beider Griffiguren
56 deutet aber auf Abstammung aus gleicher Werkstatt hin.
ten Spezialstudie ist v. MERCKLIN zur Ansicht Hermesdarstellung, Genrebild oder
gelangt, daß die führenden Schnitzereiwerkstät- Christussymbol ?
ten für Klappmessergriffe am Niederrhein (Köln
Bevor wir dieses heikle Thema anschneiden,
oder Trier) zu suchen sind. FREMERSDORF 20)
möchten wir mit allem Nachdruck darauf hin-
möchte für den Kleinfund von Bonn sogar köl-
weisen, daß es uns nicht darum zu tun ist, den
nische Herkunft annehmen. Daraus ziehen wir
Hagendorner Fund, etwa aus lokalpatriotischen
die gesicherte Erkenntnis: der Hagendorner
Gründen, unnötig aufzubauschen. Denn wir sind
Klappmessergriff ist I m p o r t w a r e ; als Ur-
uns zu sehr bewußt, daß es nirgends so gefährlich
sprungsort kommt eine Stadt am Niederrhein, mit
ist, wie in der Vorgeschichtsforschung, den Boden
großer Wahrscheinlichkeit das Industrie- und
der realen Tatsachen unter den Füßen zu ver-
Handelszentrum Köln in Frage.
lieren und sich in phantasievoller Romantik zu
Eines ist aus der bildlichen Gegenüberstellung
ergehen. So mag denn das Folgende so gewertet
der beiden Messergriffe sofort ersichtlich: In der
werden, wie es gemeint, als ein erster Versuch,
Ausgewogenheit der Komposition, in Stil und
dieser schwierigen Frage näherzukommen und sie,
Feinheit der Durchführung steht das Bonner
wenn auch nicht zu lösen, so doch berufeneren
Fundstück an erster Stelle. Welche Leichtigkeit,
Kreisen zum weiteren Entscheide vorzulegen.
welch klassische Anmut liegt doch in dieser
schlichten Hirtenfigur, welch ein Rhythmus Von allem Anfang an war die Versuchung
spricht aus dem Zurückbiegen des knabenhaft- groß, in der Hirtenfigur von Hagendorn nicht nur
jugendlichen Körpers. Ja, man darf wohl ohne einen Hirten schlechthin zu sehen, sondern den
Übertreibung sagen: Hier lebt noch ein Funke »Guten Hirten«, wie er seine symbolische Gestal-
jenes Feuers nach, das die Werke bester helleni- tung in den Evangelien bei Mathäus (15, 24. 10, 6.
stischer Kunst durchweht. 9, 36.) und dann besonders bei Lukas (15, 4—7)
Die Fundzusammenhänge in Bonn sind nun erfahren hat. Trotzdem hätten wir diesem ver-
leider nicht derart, daß sie eine zeitliche Fixie- lockenden Gedanken kaum Raum zu geben ge-
rung des Hirtengriffes erlauben würden. Datie- wagt, wenn uns nicht durch eine Laune des Zufalls
rende Beifunde fehlen; man war bis anhin weit- jene Zwillingsfigur von Bonn zu Gesicht gekom-
gehend auf stilkritische Vergleiche angewiesen. men wäre. Damit aber wurde das Problem zwangs-
Anhand solcher Überlegungen wurde die Figur läufig aufgerollt.
meist als spätrömisch (mindestens etwa 4. bis Seit seiner Entdeckung im Jahre 1894 hat
5. Jahrhundert) angesprochen, einzig POPPEL- nämlich der Messergriff des Bonner Landes-
REUTER geht weiter und rechtfertigt mit stili- museums in zahlreichen einschlägigen Arbeiten
stischen Momenten ihre Zuweisung in die Mitte immer wieder eine c h r i s t l i c h e D e u t u n g
des 3. Jahrhunderts.21) erfahren.22) Besonderes Gewicht kommt dabei
Dank der Grabung in Hagendorn sind wir nun dem Urteil von W. NEUSS, dem hervorragenden
imstande, aus zugerischem Boden die fehlenden Kenner altchristlicher Kunst zu, wenn er schreibt:
chronologischen Fixpunkte beizubringen und die »Ich wüßte auch aus der großen Zahl gallischer
Bonner Schnitzerei ebenfalls einwandfrei zu da-
™) KOENEN C., Rheinische Geschichtsblätter, 1894,
tieren. Es ergibt sich als nettes kleines Neben- S. 32 ff. — KRAUS, Geschichte der christlichen Kunst I,
ergebnis : die Griff-Figur in Bonn ist w e s e n t - S. 229, Anm. 2. — CLAUSNITZER L., Die Hirtenbilder in
l i c h ä l t e r , als man bisher allgemein ange- der altchristlichen Kunst, Diss. Erlangen, Halle 1904, S. 44
und 109. — Bonner Jahrbücher 113, 1905, S. 64. — POP-
nommen hat. Sie ist bis in die Jahrzehnte um PELREUTER J., Die römischen Gräber Kölns, Bonner
200 herabzurücken. Jahrbücher 114/115, 1906, S. 373. — FICKER J., Altchrist-
Wenn wir auf diese Fragen der zeitlichen Zu- liche Denkmäler und Anfänge des Christentums im Rhein-
gebiet, Straßburg 1909, S. 34. Hier allerdings der leichte
weisung näher eingegangen sind, so geschah es Vorbehalt »als christlich nicht besonders gekennzeichnet«.
vornehmlich im Hinblick auf eine letzte Pro- — LEHNER H., Rheinisches Landesmuseura Bonn, Führer
blemstellung, die sich bei der Besprechung durch die antike Abteilung, 1915, S. 223. — ACHEL1S H.,
Denkmäler altchristlicher Kunst in den Rheinlanden, Bon-
dieser Hirtendarstellungen unwillkürlich auf- ner Jahrbücher 126, 1921, S. 63 und 73. — Germania Ro-
drängt, nämlich die Frage: mana V, 2. Aufl., Taf. 47, 2. — NEUSS W., Die Anfänge des
Christentums im Rheinlande, 2. Aufl., Rheinische Neujahrs-
*>) Briefliche Mitteilung. blätter 1933, S. 48/49, 86/87 und Abb. 27. — MERCK-
") Vgl. POPPELREUTER J., Die römischen Gräber LIN E. v., Römische Klappmessergriffe, Serta Hoffileriana,
Kölns. Bonner Jahrbücher 114/115, 1906, S. 373. 1940, S. 351, Anm. 82.

57
Reliefs, mit denen uns das monumentale Werk Mann, der über die kirchlichen Verhältnisse der
von Esperandieu bekannt macht, n i c h t s 2 8 ) germanischen Gebiete Bescheid wissen mußte. figürlichen Gestaltung der Messergriffe, insbe- Eine besondere Betrachtung würde noch das
anzugeben, was irgendwie eine profane Parallele War doch Lyon, sein Bischofssitz, der Ausgangs- sondere die Verwendung mythologischer und ero- Motiv des lammtragenden Hirten verdienen. Doch
zu unserer Hirtengruppe darböte.« punkt des römischen Handels, der die Rhone und tischer Motive zur Genüge bekannt geworden. So müssen wir uns hier mit ein paar Hinweisen be-
Saöne aufwärts, Maas und Mosel abwärts nach wäre es denn aus dem kindlichen Empfinden der gnügen. An sich ist natürlich die Gestalt des
Dabei darf man allerdings die Tatsache nicht
Belgien und Germanien getrieben wurde. Heidenchristen durchaus zu verstehen, wenn sie lammtragenden Hirten nicht besonders als christ-
aus dem Auge verlieren, daß damals eine engere
Eine dieser christlichen Gemeinden ist nun in ihrem Bedürfnis nach figürlicher Verzierung lich gekennzeichnet. Die Art, ein Lamm oder ein
zeitliche Zuweisung des Bonner Guthirten noch
sicherlich in Köln, dem Hafen der römischen den Wunsch empfunden hätten, nun, nachdem Kälblein über die Schultern zu tragen, war zu
nicht möglich war und die allgemeine Ansicht,
Rheinflotte und der reichsten Stadt des ganzen ihnen die Götterdarstellungen nichts mehr zu allen Zeiten üblich, sie ist im besten Sinn zeitlos.
auch wo sie nicht ausdrücklich ausgesprochen
damals bekannten Nordens, zu suchen. sagen vermochten, ein Symbol ihres neuen Glau- Schon relativ früh fand der Typus Eingang in
wird, doch dahin ging, ihn frühestens ins 4. Jahr-
Nicht minder beachtenswert in diesem Zusam- bens einzuführen. Daß man dabei auf das Symbol die griechische Kunst (Bronze, Reliefs, Vasen-
hundert zu stellen. Im Jahrhundert Konstantins
des Guten Hirten kam, wird nicht weiter verwun-
wäre dann auch das Auftreten eines christlichen menhang erscheint uns folgendes: FREMERS- bilder) durch den Mythos und den Kult des
dern, wenn man bedenkt, daß dieses Motiv neben Hermes criophoros 81), der einst die Stadt Tanagra
pastor bonus nicht weiter verwunderlich. DORF sieht sich veranlaßt, den plötzlichen Auf-
dem des Jonas in den Katakomben weitaus am von einer Pest befreite, indem er mit einem Böck-
Heute aber, nachdem wir in Anlehnung an schwung der Köhler Glasindustrie, der mit der
häufigsten zur Darstellung kommt.
Hagendorn den Bonner Fund mit guten Argumen- 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts einsetzt, mit dem lein auf der Schulter die Stadt umschritt. Bis
ten bis ans Ende des 2. Jahrhunderts herunter- Zuwandern kundiger Facharbeiter in Beziehung Und schließlich verdient in diesen Zusammen- zum Ende des 4. Jahrhunderts knüpfen alle kri-
rücken müssen — für das Christentum N der zu bringen, wobei das Auftauchen der Schlangen- hang auch ein literarisches Zeugnis gestellt zu ophoren Figuren der Antike an diese Göttersage
Alpen also unerhört früh 24) — wird man diese fadengläser und der Kenntnis der völligen Glas- werden. In seinem »Pädagogen« (3, 11) ermahnt an. In einer Notiz des Pausanias erfahren wir von
Zeitansetzung allgemein als einen gewichtigen entfärbung eindeutig nach dem Osten, nach Syrien CLEMENS v. ALEXANDRIEN seine Glaubens- der Statue des Hermes criophoros, die KALAMIS,
Einwand g e g e n die Christlichkeit anführen und Ägypten (Alexandria) verweist.25) Direkte genossen, doch keine lasziven und götzendieneri- ein Künstler aus der Zeit zwischen den Perser-
können. Verbindungen zwischen Köln und Rom sind durch schen Bilder auf ihre Siegelringe 27) eingraben zu kriegen und der perikleischen Blüte, schuf. Das
Zwar ist es nun wieder nicht so, daß sich ein das Auffinden von Gläsern kölnischen Ursprunges lassen, sondern Symbole, die ihnen als Christen Original ist nicht erhalten, sein Aussehen aber
christliches Symbol um diese Zeit in den Rhein- des 2. Jahrhunderts im Boden der Hauptstadt be- etwas besagen, wie eine Taube, einen Fisch, einen durch Nachbildungen auf Münzen uns bekannt.
landen als vollständiger Anachronismus ausneh- wiesen und manches spricht dafür, daß diese Ver- Anker oder einen Fischer.28)
Dieser in gewissem Sinne geschlossene Typus
men würde. Denn das Christentum ist für das bindungen nicht über Land, sondern vom Hafen Daß die Umstellung vom heidnischen zum der griechischen Gottheit verschwindet seit Aus-
römische Germanien schon erstaunlich früh belegt Ostia direkt über See führten. Und wenn sich in christlichen. Gedankengut nur ganz allmählich gang des 4. Jahrhunderts bis auf Münzdarstellun-
durch das Zeugnis des IRENAEUS, des Bischofs Köhi in der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts nord- vor sich ging und unter Umständen noch jahr- gen und ihr ernstes Bild geht in einer unerschöpf-
von Lyon, hochangesehen als kirchliche Persön- afrikanische Sigillaten nachweisen lassen, so ist hundertelang heidnische Gebräuche fortwucher- lichen Fülle kriophorer Figuren unter.
lichkeit und zuverlässiger Schriftsteller. Aus der dies, immer nach FREMERSDORF 26 ), kaum ten, bezeugt der Umstand, daß die Sitte der Toten- Im Rückschlag gegen die Unnatur der Groß-
Kampfstellung gegen die Gnosis, einer neu erstan- anders erklärlich, als daß die Schiffe aus dem beigaben in Köhi noch bei den Christen des städte kommt dann der Ruf »Zurück zur
denen christlichen Irrlehre, verfaßt er um 180 Süden und Osten nach dem Norden, kamen, die 4. Jahrhunderts in Übung war. Sogenannte Gor- Natur« auf und damit die Masse der Hirten- und
n. Chr. seine große Schrift »Wider die Gnostiker« Rheinmündung hinauffuhren und im Hafen von gonenhäupter, die ein beliebtes Apotropaion 2B) Landliteratur, deren bekannteste Träger ja dann
und verteidigt darin die Kirche als Bewahrerin Köhi ihre Anker warfen. Damit mag aber auch gewesen sind, Münzen im Munde der Toten als Theokrit und Vergil sind. Diese Idyllendich-
der e i n e n überlieferten Lehre. Von der Einheit die Schnelligkeit, mit der das Christentum bis an Fährgeld für Charon, der die Seelen der Abge- tungen haben die Werke der römischen Klein-
des christlichen Glaubens auf der ganzen Erde ist diese Peripherie des Weltreiches gelangte, eine storbenen über den Styx in die Unterwelt hinüber- kunst nachhaltig beeinflußt. Aber nach CLAUS-
die Rede: »Die in Germanien gegründeten Ge- ansprechende Erklärung finden. fuhr, sind für christliche Gräber mehrfach ein- NITZER 32) ist es nicht möglich, »aus dem kalei-
meinden — al £v reQftavlcus IdQVfiävai öxKÄrjalai Dem Gefühl vieler Leser mag es etwas wider- wandfrei nachgewiesen.80) doskopartigen Wechsel dieser Fülle von Hirten-
— glauben und überliefern nichts anderes als streben, daß man schon so früh von christlicher
gestalten nur eine Figur auszuscheiden, die durch
die in Spanien, oder bei den Kelten, als die im Seite eine symbolische Darstellung wie die des «) Der Siegelring spielte im antiken Leben eine ganz
andere Rolle als heute, weil das Wachssiegel nicht nur ein öftere stereotype Wiederholung Anspruch auf die
Orient, oder in Ägypten, die in Syrien oder die in Guten Hirten für profane Zwecke gebraucht hätte.
Schriftstück Vor unberufenen Blicken, sondern auch alle Bedeutung eines fest geschlossenen Typus machen
der Mitte der Welt.« Soviel läßt sich also der Aber das wäre an sich der naiv und ursprünglich möglichen Dinge, von der Vorratskammer bis zum Etui, dürfte«.
Stelle entnehmen, welche die germanischen und schaffenden christlichen Kunst jener Zeit doch vor unbefugten Händen sicherte.
wohl zuzutrauen. Umso mehr, als es sich, wie ») Daß Spangen, Armbänder, Ohrringe, Haarnadeln Etwa am Ausgang des I.Jahrhunderts n.Chr.
keltischen Gemeinden mit den alten Bischofsge-
gesagt, bei den römischen Klappmessern nicht um christliche Symbole tragen, kann uns demnach nicht wun- hat ein christlicher Künstler zum erstenmal auf
meinden der Mittelmeerländer als Zeugen für den dern. Silberlöffel mit dem Monogramm Christi oder den
ganz kommune Messer für den Allerweltsgebrauch einer Katakombenmalerei den lammtragenden
Glauben auf eine Stufe stellt: Irenäus spricht von eingravierten Namen der Apostel sind in ziemlich großer
Hirten als Symbol Christi eingeführt. Und zwar
regelrecht eingerichteten Gemeinden, d. h. nach handelt, sondern um eigentliche Taschenmesser, Zahl bekannt. Auch bei der Großzahl der christlichen Ton-
das die Besitzer stets auf sich trugen. Durch lampen und den sog. Goldgläsern liegt kein Grund vor, sie erscheint er nun immerfort in derselben charak-
altchristlicher Übung von Gemeinden mit einem als liturgische Geräte zu halten.
v. MERCKLIN ist zudem die Beliebtheit der teristischen Form: Er ist stets bekleidet, stets
Bischof. Und Irenäus war auch durchaus der I9
) dnofQtneiv = abwenden. Apotropaion = zauber-
kräftiger Gegenstand als Schutz und Abwehr gegen Dä- «) criophoros = lammtragend.
a) Im Original nicht gesperrt ») Vgl. Fußnote 14, S. 54. monen. — Gorgonen = schreckhafte, weibliche Fabelwesen, *0 Die Hirtenbilder in der altchristlichen Kunst, Diss.
'*) So stammt z. B. das erste, sicher datierbare christ- ») FREMERSDORF, Rheinischer Export nach dem deren Blick versteinerte. Deshalb als apotropäisches Motiv Erlangen, Halle 1904, S. 46 ff. — Die kriophoren Darstel-
liche Zeugnis in der Schweiz aus dem Jahre 377 (Mono- Donauraum, Dissertationes Pannonicae 1938, Series II, verbreitet.
lungen der heidnischen Antike sind hier ausführlich be-
gramm Christi auf einer Bauinschrift in Sitten). Nr. 10, S. 3. ») FREMERSDORF, Germania 13, 1929, S. 221 ff. sprochen.

58 59
jugendlich, stets von zwei Schafen begleitet und unter den heidnischen Genredarstellungen der
trägt das Schaf stets auf der Schulter. Großplastik, der Wandmalerei und der Klein-
Die Katakombenmalerei gibt dann der Skulp- kunst (Gemmen, Sigillaten, Tonlampen etc.) der
tur den Typus fertig in die Hand: Die Guthirt- lammtragende Hirt eine bedeutende Rolle spielt
Symbolik dringt in die Sarkophagplastik (Sar- und ob ein geschlossener Typus auftritt, in dem
kophag der Via Salaria!) und in die Freiplastik wir ein Vorbild für die fraglichen Schnitzfiguren
(z. B. die bekannte Guthirt-Statue im Lateran- erblicken könnten.
museum zu Rom, um 230 n. Chr. datiert) ein. NEUSS glaubt dies, wenigstens für den For-
Es entzieht sich nun unserer Kenntnis, ob der menschatz der heidnischen Sarkophage Galliens,
Kult des Hermes criophoros im 2. Jahrhundert verneinen zu dürfen (vgl. S. 57). Diesem Problem
n. Chr. in den weströmischen Provinzen noch an umfassendem Vergleichsmaterial aller Kunst-
irgend eine Rolle spielt oder ob er gar eine richtungen nachzugehen, kann nicht mehr im
gewisse Renaissance erlebt. Wenn wir für beide Aufgabenkreis der Vorgeschichte liegen. Hier
Fälle die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch ein- müßten die berufeneren Schwesterwissenschaften
schätzen, so deshalb, weil gerade um diese Zeit der klassischen und christlichen Archäologie die
eine ganze Reihe orientalischer Religionen auch Führung übernehmen. Und es wäre ein reizvolles
im Westen große Mode werden und mit ihnen ein Unterfangen, auf dem Wege des Stil- und Typen-
vergleiches dieser Frage näher zu kommen. iDürnuil und) rinrm Stirlj uon tjoljnnn Jjrinridj Jjflryrr
geheimnisvoller Schwärm neuer Götter, so der
Sonnengott Mithras, die Naturmutter Isis mit Wir haben die Lösung nicht zu bieten ver-
ihrem ganzen Gefolge (Osiris, Sarapis etc.). mocht. Was wir aber angedeutet zu haben glau-
Es verbleibt uns wohl nur noch die Alternative: ben, ist die Richtung, in der unseres Erachtens
Christussymbol oder Genrefigur im Sinne der bu- eine solche zu suchen ist.
kolischen Dichtung. So hat uns die diesjährige Grabung in Hagen-
Hier wäre es vorläufig zu gewagt, sich bestimmt dorn erstmals auf zugerischem Boden Einblick
für den einen oder anderen Fall festzulegen. Ein- gebracht in das kulturelle Leben römischer Zeit,
mal glauben wir gezeigt zu haben, daß die Christ- da die Harfe der Antikp auch in unseren Landen
lichkeit der Hirtenfigur durchaus im Bereiche der mächtig aufrauscht. Und langsam steigt das Bild,
Möglichkeit liegt, da uns weder das Zeitargument, dessen Entschleierung eines der vornehmsten
noch der Einwand wegen des Profangebrauches Ziele heimischer Bodenforschung ist und bleiben
stichhaltig und zwingend genug erscheinen. Zu- wird, aus dem Dunkel der Geschichte empor:
dem ist unverkennbar, daß gerade mit den Gut- das r ö m i s c h e Zug.
hirt-Darstellungen der frühen christlichen Sarko-
N a c h w o r t : Für Literaturhinweise und anregende
phag- und Freiplastik die Bonner-Hagendorner
Diskussion sind wir den Herren Prof. L. Birchler und Prof.
Figuren eine unbestreitbare Ähnlichkeit in Tracht, A. v. Salis, Zürich, Prof. O. Tschumi, Bern, Prof. A. Bach-
Haltung etc. auf weisen.33) mayer, Altdorf, P. Dr. R. Henggeler, Stiftsarchivar, Ein-
siedeln, Dr. E. Vogt, Schweiz. Landesmuseum, und P. Dr. BJbrnuil nnrij rinrm Stiri) uon luöiuitj Sjrfj
Umgekehrt ließe sich auch die Auffassung J. Maringer, Freiburg, zu Dank und Anerkennung ver-
vertreten, daß wir es mit einer bloßen Genrefigur pflichtet Besondere Unterstützung wurde uns, wie bereits
zu tun hätten, einer Darstellung aus dem Alltags- erwähnt, zuteil vom Landesmuseum Bonn durch Über-
lassung der Photos für Taf. II, Abb. 2a und 2b, vom Rö-
leben, wie sie uns in Gestalt des Gladiatoren, des misch-GeriTinnischcii Museum in Mainz, von Prof. Dr.
Faustkämpfers, des Rennfahrers usw. begegnen. E. v. Mercklin, Hamburg, und vor allem Dr. F. Fremersdorf,
Es wäre zu prüfen, ob in der entscheidenden Zeit Direktor der Römisch-Germanischen Abteilung des Wallraf-
Richartz-Museums in Köln. Trotz der Ungunst und Not der
Zeit sind sie uns in liebenswürdiger Weise mit Rat und Tat
>«) Auf die Christlichkeit des Besitzers wird man im beigestanden, ein Umstand, der an dieser Stelle nochmals
Fall Hagendorn, bei einem so leicht beweglichen Gegen- gesamthaft hervorgehoben zu werden verdient.
stand, wie es ein Klappmesser darstellt, noch lange nicht
schließen dürfen, wohl aber auf eine Berührung mit der Die Zeichnungen Fig. l und Fig. 2 verdanken wir der
christlichen Kultur. bewährten Hand von W. Andermatt, Graphiker, Zug.

60 Übrnuil und) riiirni Btiri) uon IJflhoü Öurrli


ALT OBERWIL
Von Gustav Matt.

T^Vie Vielfalt der Gestade unserer Schweizerseen verband es mit Zug. Der damals noch höher gele-
^-* lieferten von jeher für Maler und Zeichner gene Spiegel des Zugersees verläuft ganz unregel-
unerschöpfliche Vorlagen. Besonders die soge- mäßig und reicht bis beinahe an den Eingang der
nannten Schweizer Kleinmeister des ausgehenden Dorfkapelle.
18. und des 19. Jahrhunderts wurden nicht müde, Das zweite Bild vom Zürcher Landschaftsmaler
sie in Kupferstichen zu verherrlichen. Die präch- und Kupferstecher Ludwig Heß (1760—1800) ist
tigen, sehr oft in lebhaften Farben von Hand kolo- besonders wertvoll durch den handschriftlichen
rierten Blätter fanden unter der Bevölkerung und Vermerk auf der Unterlage zu dieser Reproduk-
den um jene Zeit in großer Zahl die Schweiz be- tion: »1804 gieng ich Felix Donat Kyd mit mei-
reisenden Fremden viele Liebhaber. Da sie nicht nem Bruder Alois zum erstenmal hierdurch, da
nur auf künstlerische Darstellung, sondern mei- war alles noch so, bey Oberwyl am Zugersee.«
stens ebensosehr auf topographische Genauigkeit Diese kleine Halbinsel hat inzwischen durch
ausgingen, können wir aus ihnen entnehmen, wie Erstellung von Stützmauern, Auffüllungen und
die Schweiz um die Wende des 18. Jahrhunderts Häuserbauten manche Veränderung erfahren.
ausgesehen hat. Den hier beigegebenen Bildern Doch dürfte der Mülilebach sein altes Bett auch
verdanken wir z. B. auch die Kenntnis von Alt heute noch innehaben und auch die heutige mo-
Oberwil vor rund 150 Jahren. Dieser reizvolle derne Sägerei steht noch dort, wo die alte Säge
Fleck Zugerboden am Gestade des lieblichen Sees oder, wie sie der Volksmund nannte, die Säge-
mag auf diese Vedutenmaler und Kupferstecher mühle gestanden hat.
eine besondere Anziehungskraft ausgeübt haben.
Seine intimen Reize erlaubten ja, forderten sogar Auf dem dritten Stich aus der Hand des
»den warmen Malton des auslebenden Rokoko Kirchberger Zeichners, Malers und Kupferstechers
und der einströmenden Naturromantik, der be- Jakob Sperli (1770—1841) weist das Seeufer vor
sonders aus den Radierungen der Zürcher Heß der Kapelle eine schon steifere Linie auf, obwohl
und Meyer jubelte« (cf. Paul Hilber, Die histo- auch damals der Fußweg noch nicht durch eine
rische Topographie der Schweiz in der künstle- Straße ersetzt war.
rischen Darstellung. Huber, Frauenfeld, 1927). Wenn diese drei Ansichten Oberwil vor 150
Der erste Stich von Johann Heinrich Meyer Jahren zeigen, ist damit doch keineswegs ausge-
von Zürich (1755—1829), einem fruchtbaren schlossen, daß es sich weit früher schon so darge-
Zeichner schweizerischer Landschaften mit war- boten hat, etwa um 1650, als die 1619 umgebaute
mem Gefühl für dekorative Baumgruppen, wird und 1621 neugeweihte Kapelle eben ihre erste
gegen Ende des Jahrhunderts entstanden sein und Patina erhalten hatte. Denn damals veränderten
versetzt uns in ein Oberwil, in dem man noch die Orte ihr Gesicht in Jahrhunderten weniger als
keine Straßen kannte. Ein schmaler Saumpfad beute in einem Jahrzehnt.

61
11. Am Zuger Gewerbetag sprach der Präsident 27. Die Bürger von Menzingen verliehen den
CHRONIK DES KANTONS ZUG des Schweizerischen Gewerbeverbandes, Na-
tionalrat Dr. Paul Gysler, über gewerbliche
wohlehrwürdigen Frauen Theresia Nägeli und
Theresita Hengartner, Generaloberinnen der
Gegenwartsfragen. Schwesternkongregation vom Hl. Kreuz, das
FÜR DAS JAHR 1943 14. Mit Direktor Oskar Sträub ging ein beliebter Menzinger Ehrenbürgerrecht.
und bekannter Industrieller aus dieser Welt. 30. In Inwil-Baar starb im Alter von 59 Jahren
Vor dreißig Jahren kam Direktor Sträub nach Verwalter Jakob Huber-Langenegger. Dreißig
Zug und gründete zusammen mit Dr. Oskar Jahre diente er der Milchverwertungsgenos-
JANUAR 10. In Neuheim starb Peter Josef Staub-Iten, am Weber die Verzinkerei A.-G. Zug. Der Ver-
Bühl, Einwohner- und Bürgerpräsident. Drei senschaft Zug und gehörte als konservativer
storbene war ein initiativer Mann, ein großer Vertreter auch dem Zuger Kantonsrate an.
10. Die überaus guten Schneeverhältnisse auf volle Jahrzehnte diente der Verstorbene seiner Schaffer und eine ausgeprägte, machtvolle
dem Zugerberg gestatten den zugerischen Bürgergemeinde und während zwanzig Jahren Während zehn Jahren war der Verstorbene als
Persönlichkeit. aufgeschlossener, initiativer Mann Mitglied
Skivereinen die Durchführung eines Zuger saß er im Einwohnerrat, um im Jahre 1937
die Leitung des ganzen Gemeinwesens zu 21. Im Alter von 76 Jahren starb Anton Landt- des Einwohnerrates Baar.
Skitages, an welchem sich über 130 Konkur-
renten beteiligten. übernehmen. wing, a. Konditor. Der Verstorbene gehörte
18. In Oberägeri starb im hohen Alter von 91 18. Die Kantonale Landwirtschaftliche Schule
zu den Initianten des Morgartenschießens und JULI
widmete seine Freizeit dem zugerischen
Jahren der Genieindesenior Josef Nußbaumer- feierte ihr 25jähriges Jubiläum. In dieser Schießwesen. 4. In Oberägeri feierte HH. P. Rainer Henggeler
Schuler, Roßboden. Im Jahre 1871 hatte der Zeit sind 349 Schüler durch diese Schule ge- ab Betenbüel seine Primiz; in Baar HH. Josef
Verstorbene den Truppenzusammenzug im gangen und haben einen ganz vorzüglichen Christian Müller; in Rotkreuz HH. Jakob
Tessin mitgemacht. theoretischen und praktischen Unterricht und MAI Haas.
21. Im nahen Zürich verschied im 79. Lebensjahr nicht zuletzt eine wertvolle Erziehung genos- 5. Im hohen Alter von 82 Jahren starb in Zug
sen. Mit der Schule konnte auch der ver- 11. In einem Wahlkampf wurden als neue Bür-
Karl Josef Schwerzmann, alt Direktor der Na- Josef Weber, Neugasse. Er führte das erste gerräte in Baar gewählt Karl Josef Herrmann,
tional-Versicherungsgesellschaft. Der Verstor- diente Direktor, Nationalrat Josef Stutz, sein Spezialgeschäft für Rauchwaren in Zug. Der
Silberjubiläum als Leiter der Schule begehen. Moos, und Rechtsanwalt Max Schmid,
bene war ein großer Wohltäter der zürche- Verstorbene war Gründer des zugerischen
rischen Diaspora und unterhielt rege Be- Unteroffiziersverein, den er mehrere Jahre als 8. Der katholische Lehrerverein des Kantons
24. Die Verwaltungsrechnung des Kantons Zug Zug konnte sein SOjähriges Vereinsjubiläum
ziehungen zu seiner Zuger Heimat. pro 1942 schloß wie folgt ab: Präsident leitete.
begehen.
1. Ordentlicher Verkehr: 9. Die Delegierten des Eidgenössischen Schützen- 19. In Ibikon-Risch starb a. Landammann Josef
FEBRUAR Einnahmen Fr. 3,619,260.— vereins versammelten sich in Zug zur Jahres- Knüsel, ein verdienter zugerischer Staatsmann.
9. In Zug versammeln sich die Zuger Bäuerinnen Ausgaben Fr. 3,600,140.— versammlung. An der Generalversammlung Von 1899 bis 1939 diente er dem Zuger Volke
zur 9. Tagung. HH. P. Sigward 0. Cap., Arth, Vorschlag Fr. 19,120.— sprach der Vorsteher des eidgenössischen Mi- als Regierungsrat. Volle dreiunddreißig Jahre
sprach über »Berufsfreude und Berufsverant- litärdepartementes, Bundesrat Karl Kobelt, leitete er das Bauwesen. Unter seiner Leitung
2. Außerordentlicher Verkehr: über die Bereitschaft des ganzen Schweizer-
wortung der Schweizerbäuerin in sorgen- Ausgaben Fr. 1,114,180.— wurden die Reußverbauung durchgeführt und
volkes zur totalen Verteidigung im Falle eines die Elektrischen Straßenbahnen gebaut. Spä-
schwerer Zeit«. Einnahmen Fr. 47o,160.— feindlichen Angriffes. ter übernahm Regierungsrat Knüsel die Direk-
9. In Cham schied mit 61 Jahren Baumeister Rückschlag Fr. 638,020.—
Vinzenz Biagi-Bucher, Kemmatten, von den 14. Im Aktivdienst verunglückte Wm. Oskar Stutz, tion für Handel, Gewerbe und Landwirtschaft.
Somit beträgt das Defizit der Staatsrech- Sohn von Nationalrat Josef Stutz, durch Un- Dreimal hatte der Verstorbene das höchste
Seinen. Der Verstorbene hatte vor Jahren die Amt eines Landammanns inne. Landammann
zugerischen Reußverbauungen durchgeführt. nung Fr. 618,900.—, was gegenüber dem Vor- glücksfall tödlich. Der 32jährige Verstorbene
anschlag eine Besserstellung von Fr. 324,900.— spielte im sportlichen Leben von Zug eine Knüsel war ein Mann voll Energie und Ar-
15. Nach einem viermonatigen Aufenthalt im ergab. führende Rolle. beitskraft, der auch in Staatsgeschäften stets-
Kanton kehren 50 Franzosenbuben und -Mäd- fort bäuerliche Einfachheit hochhielt.
chen wieder in ihre Heimat zurück. 28. Die Kirchgenossen von Steinhausen wählten 15. Die im Kanton Zug ansässigen Künstler Wer-
zum neuen Pfarrherrn HH. Jak. Nußbaumer, ner Andermatt, Eugen Hotz, Hans Potthof,
von Unterägeri, Pfarrhelfer in Bremgarten. Josef von Rotz, Christian Staub, Fritz Thal- AUGUST
M AR Z mann und Walter Wilhelm führten eine Ge-
mäldeausstellung durch. Der Plastiker Wo- 1. In Zug starb an einem Schlaganfall Hermann
3. In Cham starb Carl Ritter-Iten im 61. Alters- APRIL Kunz, Konfektionshaus. Mit dem Verstor-
jahr. Der Verstorbene war in der Nestle and truba zeigte auch einige Proben seines Schaf-
fens auf dieser Kunstschau. benen ging ein Mann des Gewerbes aus dieser
Anglo Swiss Milk Co. tätig und diente dieser 5. In Berchtwil segnete Johann Fähndrich, Welt. Als Präsident des Rabattvereins und
Weltfirma als Bureauchef und Prokurist. Sei- a. Einwohnerrat, im Alter von 71 Jahren das 23. Die Zuger Korporationsbürger wählten für Mitglied der Gewerbebibliotheks-Kommission
ner Heimatgemeinde widmete er ebenfalls Zeitliche. Der Verstorbene hatte sich große den zurückgetretenen Forstverwalter Franz leistete er wertvolle Dienste. Die Sektion Zug
seine Kraft als Mitglied und Präsident der Verdienste um die Milchverwertungsgenossen- Speck neu in den Rat Hauptmann August des A. C. S. verlor durch den frühen Tod ihren
Rechnungsprüfungskommission. schaft Risch erworben, deren Finanzgeschäfte Weber, Kürschnermeister. initiativen Obmann.
9. Am 19. Zuger Bauerntag sprach Direktor er seit 1913 umsichtig leitete.
10. Im ehrwürdigen Frauenkonvent Frauental
Schwaller aus Brugg über »Unsere viehwirt- 10. Eine von der Freisinnigen Partei einberufene JUNI schied die 35. Äbtissin aus diesem irdischen
schaftliche Aufgabe«. Volksversammlung beschäftigte sich mit dem Leben. Die ehrwürdige gnädige Frau Maria
10. Die FUGA Luzern teilte der Regierung von Problem eines schweizerischen Zentralflug- 18. Bei einer Übung des Zuger Territorialbatail- Agatha Bossard stammt aus Zug, wo sie 1868
Zug mit, daß die Ausbeutung der Braunkohle platzes. Nach einem Fachreferat von Dr. Edu- lons ereignete sich ein Unglücksfall mit Hand- geboren wurde. Seit 1917 leitete sie voll
an der Hohen Rone vorderhand eingestellt ard Schütz, Rektor der Handelsschule Luzern, granaten, welchem Wm. Paul Schoch, 1907, Klugheit und Umsicht das alte Kloster auf
werden muß, da das Flöz gegen das Berginnere wurden die Vor- und Nachteile einer solchen Senn, Niederwil-Cham, und Füsilier Anton der Lorzeninsel und hatte die Freude, das
an Mächtigkeit abnimmt und daher die Wirt- Anlage im Ried zwischen Zug, Steinhausen Moos, 1898, von Zug, in Obbürgen, zum 700jährige Jubiläum des Klosterbestandes zu
und Cham, besprochen. Opfer fielen. feiern.
schaftlichkeit in Frage gestellt ist.

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31. Der Nationalrat wurde neu bestellt/Das Zuger 26. Mit Dr. med. Gustav Bossard, Lisihus, Zug, Die Baumwollindustrie stand nach wie vor im
17. Die Zisterzienserinnen von Frauental wählten ging eine verdiente und bekannte Persönlich-
als neue Äbtissin die Chorfrau Maria Josef a Volk wählte mit 5975 Stimmen den konser- Zeichen der kriegsbedingten Mangelwirtschaft.
vativen Vertreter Josef Stutz, Direktor der keit zur ewigen Ruhe. Während mehr als Die Spinnereien hatten in der Rohstoffbeschaf-
Knüsel von Risch. vierzig Jahren hatte der Verstorbene der lei-
landwirtschaftlichen Schule Zug, und den fung große Schwierigkeiten. Man war haupt-
29. In Zug fand der Eidgenössische Schwingertag sozialdemokratischen Kandidaten Fritz Jost, denden Menschheit als Helfer gedient. Neben sächlich auf die in der Schweiz produzierte Zell-
statt. Schwingerkönig wurde Willy Lardon Stadtrat in Zug, mit 4541 Stimmen. Der bis- seiner ärztlichen Praxis widmete er sich be- wolle angewiesen. Aber selbst die Versorgung
aus Murten. herige Vertreter, Landammann Dr. Albert sonders der Zinn-Sammlung. Kurz vor seinem mit diesen Ersatzstoffen war äußerst ungenügend.
26. In einem militärischen Gebirgsausbildungs- Meyer, Zug, erzielte als Kandidat der frei- Ableben schenkte er seine Sammlung dem
kurs stürzte Sdt. Ferdinand Kürzi, Schlosser sinnig-demokratischen Partei 3275 Stimmen. Schweizerischen Landesmuseum. Über die War die Nachfrage in der Papierindustrie in
in Baar, tödlich ab. Zum ersten Mal wurde im Kanton Zug ein schweizerischen Zinngießer verfaßte er ein der ersten Jahreshälfte normal, so zeigten sich
Vertreter der Sozialdemokraten nach Bern zweibändiges Standardwerk. Weite Reisen dann in der zweiten Hälfte die Folgen der Papier-
führten ihn nach Rußland, Asien und Afrika. Rationierung. Trotz der Minderbeschäftigung ge-
SEPTEMBER gewählt. lang es der umsichtigen Geschäftsleitung im
Dr. Gustav Bossard war ein eifriger Alpinist
und verdientes Mitglied der Sektion Roßberg Interesse der Arbeiterschaft vor Entlassungen
5. Die Vereinigung deutschschweizerischer Ärzte- NOVEMBER des S. A. C. Umgang nehmen zu können. Die Pavatexfabri-
gesellschaften tagte in Zug und feierte das kation erfreute sich einer regen Nachfrage, doch
100jährige Jubiläum der zugerischen Ärzte- 6. In Menzingen starb a. Kantonsrat Johann
Zürcher-Blattmann, Karget. Fünfzehn Jahre droht dieser Industrie scharfe Konkurrenz von
gesellschaft. Schweden her.
hatte der Verstorbene dem kantonalen Parla- Die wirtschaftliche Lage des Kantons Zug hat
8.—10. Der Braunviehzuchtstiermarkt in Zug mente angehört.
nahm einen recht befriedigenden Verlauf mit sich gegenüber dem Vorjahr nicht wesentlich ge- Der Handelsmüllerei brachte das Jahr 1943
stark steigender Preistendenz. Bei 1063 auf- 14. Das traditionelle Morgartenschießen mußte ändert. Die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen keine wesentlichen Veränderungen. Die Vermah-
geführten Stieren wurden über 80 % verkauft, infolge Einschränkung des außerdienstlichen haben wiederum Handel und Industrie beein- lungsmenge erlitt eine Einbuße, so daß der Be-
wobei die vom eidgenössischen Kriegsernäh- Munitionsverbrauches ausfallen. flußt Im allgemeinen konnte keine Verschlech- schäftigungsgrad zurückging. Die vorgeschriebene
rungsamt, Sektion für Fleisch und Schlacht- terung auf dem Rohstoffmarkt festgestellt werden, Mehlausbeutung glich die reduzierte Vermah-
vieh, zum Schlachten aufgekauften 95 Tiere 16. In Zug segnete Direktor Klemens Hegglin- was aber nicht etwa auf eine Besserung in der lungsmenge aber wieder aus.
Inbegriffen sind. Der Durchschnittspreis für Hegglin, 83jährig, das Zeitliche. Der Ver- Rohstoffbeschaffung zurückzuführen ist, sondern
storbene war anfäglich im Lehramt tätig, um auf eine verstärkte Verwendung von Ersatzstoffen. Auch die wirtschaftliche Lage von Handel und
Zuchtmuni betrug Fr. 1,414.—. Ins Ausland dann die Leitung der Zuger Zigarrenfabrik zu
wurden 41 Stiere verkauft. Die verantwortungsbewußten Leiter der zugeri- Gewerbe blieb mehr oder weniger stabil. Die pri-
übernehmen. Der Öffentlichkeit diente er als schen Industrien waren mit Erfolg bestrebt, eine vate Bautätigkeit nahm etwas zu, so daß gegen-
15. In Zug tagten die schweizerischen Erziehungs- Kirchenrat und während vier Jahren als Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Über die Lage der über 48 Wohnungen im Jahre 1942 doch 143
direktoren unter ihrem Präsidenten Landam- Kantonsrat. Mit Direktor Hegglin verschwand einzelnen Industrie- und Wirtschaftszweige wer- Wohnungen im Jahre 1943 als neuerstellt gemel-
mann Dr. Emil Steimer. ein Stück Alt-Zug. den die folgenden Angaben aus den betreffen- det werden konnten.
16. In Zürich starb der Schloßherr von Buonas, 21. In Appenzell starb Dr. med. Hildebrand, ein den Industriezweigen orientieren.
Karl Abegg-Stockar, Seidenindustrieller, im Die politischen Ereignisse in Italien kamen
gebürtiger Chanier. Seit 1906 wirkte er als In der elektrischen Apparateindustrie ist ge- unserer Fremdensaison etwas zu gut, indem die
83. Lebensjahr. bekannter Arzt im Appenzellerland. Der Ver- genüber dem Vorjahr ein gewisser Rückgang der Zentralschweiz bevorzugt wurde gegenüber der
26. In Oberägeri wurde eine Volksversammlung storbene interessierte sich besonders um Ver- Beschäftigung eingetreten, was die Notwendigkeit Sonnenstube des Tessina.
wegen Anlegung eines neuen Artillerie-Waf- kehrsprobleme und gehörte 40 Jahre lang dem der zeitweisen Einführung von Kurzarbeit in den
fenplatzes im Gebiet der Biber abgehalten. Appenzeller Parlamente an. Sommermonaten bedingte. Den großen Anstren- Die bei den zugerischen Transportanstalten er-
Die Bevölkerung des Tales ist mehrheitlich 28. Die Einwohnergemeinde Zug erneuert den gungen, welche die Leitung dieser Industrie unter- zielten Höchstresultate sind kriegsbedingt.
gegen dieses Projekt. Konzessionsvertrag mit dem Wasserwerk Zug nommen hat, ist es zu verdanken, daß die Ar-
beitseinschränkungen auf ein minimales Maß Das Wetter half der zugerischen Landwirtschaft
auf dreißig Jahre. reduziert werden konnten. bei dem großen Anbauwerk wacker mit. Beson-
OKTOBER 28, Im hohen Alter von 82 Jahren starb a. Di- ders die Getreideernte war von schönem Wetter
rektor Gottlieb Frei-Schiffmann in Baar. Von Der Beschäftigungsgrad in der Metallindustrie begünstigt und brachte gute Erträge. Der Acker-
6. Im Wallis erlag einem Schlaganfall Ober- blieb normal. Der beständig schwindende Vorrat
ingenieur Fritz Wyß, Zürich. Der Verstorbene 1907 bis 1942 leitete der Verstorbene als Di- bau zeigte bei einem gesamten Kulturland von
rektor die kaufmännisch^ Abteilung der an Rohstoffen ließ es als angezeigt erscheinen, die
hat seiner Zuger Heimat viele wertvolle Pu- Arbeitszeit durchwegs auf 44 Stunden pro Woche 10 627 ha eine anbaupflichtige Fläche von 2310
blikationen geschenkt und galt als Fachmann Spinnerei a. d. Lorze. Als Vorstandsmitglied ha gegen 1522 ha im Vorjahr (Stand vor Kriegs-
diente er auch der protestantischen Kirchge- zu reduzieren. Außerdem wurden Betriebsferien
für alte Glasmalereien. Bei der Elektrifi- von zehntägiger Dauer eingeschaltet. ausbruch: 490 ha, den industriellen Anbau nicht
kation der Südostbahn wirkte er als führender meinde des Kantons Zug. Inbegriffen). Neu war die Zuteilung von Raps zur
Ingenieur der Firma Escher, Wyß & Cie. mit. Der Verzinkereiindustrie gelang es nach Ein- Ölgewinnung.
führung zusätzlicher Arbeiten, die Belegschaft
17. Mit 2058 gegen 1580 Stimmen lehnt das DEZEMBER während des ganzen Jahres voll zu beschäftigen. Die Obsternte zeigte unterschiedliche Resultate.
Zuger Volk die Gesetzesvorlage über Maß- 11. In Oberägeri starb der weltbekannte Professor Sodann war auch der Beschäftigungsgrad bei der Im Tal war die Kirschenernte gut. Der Honig-
nahmen zur Wiederherstellung des finanziel- der Augenheilkunde und Direktor der Univer- Maschinenindustrie sehr gut. Der Inlandmarkt ertrag erreichte einen in den letzten zwanzig
len Gleichgewichts im Staatshaushalt ab. Das sitätsaugenklinik Zürich, Dr. Alfred Vogt, im konnte voll versorgt werden. Jahren kaum je erreichten Tiefstand.
Gesetz sah einen kantonalen Zuschlag von
20 % zur eidgenössischen Wehrsteuer vor. 64. Altersjähr.
23. Walchwil verlor durch Tod seinen Kirchen- 25. Mit 45 Jahren schied am Weihnachtsmorgen
ratspräsidenten, Xaver Roth-Weber, Düren- Adolf Niederberger, Generalagent, Zug, von
bürg. Seit 1897 gehörte der Verstorbene dem seiner Familie und seinen Freunden. Der
Kirchenrate an und präsidierte ihn von 1906 Verstorbene hatte durch sein leutseliges We-
an. Zwei Jahrzehnte anitete er auch als Bür- sen einen über den Kanton hinausreichenden
gerrat und Bürgerpräsident. Freundeskreis.
65
64
Übertrag Fr. 90,950 — Übertrag Fr. 760.—
GOLDENES BUCH Neuheim. Landis & Gyr A.-G., Zug » 100.—
EHRENTAFEL DER VERGABUNGEN IM KANTON ZUG Bürgergemeinde. Bürgerrat der Stadt Zug
Korporationsrat der Stadt Zug . . »
» 50.—
50.—
Vom 1. Oktober 1943 bis 30. September 1944. Albert Zürcher, Spitzenbühl: Geistige Kranzspenden » 35.—
Für den Armenfonds . . . . Fr. 1,000.—
Fr. 995.—
Zug. Übertrag Fr. 49,750.— Protestant. Kirchgemeinde des Kantons Zug.
Einwohnergemeinde. Ungenannt: Fritz Oppüger, Velos Fr. 100.— Für die Tuberkulose-Fürsorgestelle des Kts. Zug:
a. Stadtrat August Wyß, Zug: Für den Armenfonds . . . . » 200.— Fr. 92,050.— Wasserwerke Zug A.-G Fr. 500.—
Für den Ferienheimfonds . . Fr. 2,500.— Schweiz. Mobiliarversicherung: Frauenliga d e s Kantons Z u g . . . » 1,000.—
Gemeinden des Kantons Zug . . . » 410.—
Für den Annenfonds . . . . » 2,500.— Für das Bürgerheim . . . . » 300.— Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Zug.
Für Reserve für künstl. und Für das Sanatorium Adelheid, Unterägeri: Fr. 1,910.—
Wissenschaft!. Bestrebungen . » 2,500.— Menzingen.
Kirchgemeinde. Frauenliga des Kantons Zug:
Für Reserve für Heimatschutz-
bestrebungen » 1,000.— Albert Zürcher, Spitzenbühl:
Für die Hausbibliothek . . . . Fr. 200.— Frauenliga des Kantons Zug.
Wasserwerke Zug A.-G » 300.— Landis & Gyr A.-G., Zug Fr. 500.—
Wasserwerke Zug A.-G.: Für die Kirchenheizung . . . Fr. 1,000.— Zuger ]£antonalbank, Zug . . . . » 150.—
Für den Wöchnerinnenfonds . » 600.— Schweiz. Kreditanstalt, Zug. . . . » 100.—
Baar. Knorr-lSährmittel A.-G., Thayngen . » 25.— Zuger Kantonalbank, Zug . . . . » 100.—
Theodor Trog, Zug:
Für den Ferienheimfonds . . » 5,000.— Bürgergemeinde. Fr. 675.— Schweiz. Mobiliar-Gesellschaft, Zug . » 300.—
Für den Fonds für Mittagssuppe Franz Hotz & Co., Baar: Für das Heimeli, Unterägeri: Nestle & Anglo-Swiss Holding Co.,
armer Schulkinder . . . . » 3,000.— Für Baureserve Krankenasyl . Fr. 1,000.— Cham » 250.—
Wasserwerke Zug A.-G Fr. 600.— Spinnereien Aegeri, Neuägeri . . . » 100.—
Für den allgemeinen Schulfonds » 2,000.— Wasserwerke Zug A.-G.: Dr. med- C. Arnold, Zug » 500.—
Für den Armenfonds . . . . » 3,000.— Für das Krankenasyl . . . . » 100.— Spinnerei a. d. Lorze, Baar . . . . » 200.—
Schweif- Mobiliar-Versicherungs- Metallwarenfabrik Zug » 100.—
Für Reserve für künstl. und Kirchenrat K. J. Binzegger: Gesellschaft, Bern » 300.—
Wissenschaft!. Bestrebungen . » 2,000.— Für das Krankenasyl . . . . » 100.— Einwohnergemeinde Zug . . . . » 200.—
Zuger iCantonalbank, Z u g . . . . » 100.— Bürgergemeinde Zug » 120.—
Kirchgemeinde. Henkel & Cie., Basel » 50.—
Ungenannt: Bürgergemeinde. 25.—
Korporation Zug » 50.—
Direktor C. Folger: Knorr-Nährmittel A.-G., Thayngen . » Verzinkerei Zug » 50.—
Für Freibettenstiftung A. H.,
Bürgerspital Fr. 10,000.— Für den Kirchenfonds ... Fr. 10,000.— Fr. 1,575.— Kistenfabrik Zug » 25.—
Weberei a. d. Lorze, Zug » 20.—
Josef Schwerzmann, Lorze, Zug: Cham. Für das Ferienheim »Horbocfo«, Zugerberg: Institut Menzingen » 50.—
Für den Bürgerspital . . . . » 5,000.— Einwohnergemeinde. Schweif- Kreditanstalt, Zug ... Fr. 100.—
Ungenannt: Frau Abegg-Stockar, Schloß Buonas . » 50.—
Albert Hildebrand, a. Kirchenratspräsident: Wasserwerke Zug A.-G 100.— Herr Müller-Mettler, Risch . . . . » 50.—
Für den Bürgerspital . . . . » 500.— Spinnerei a. d. Lorze, Baar . . . 150.—
Zugunsten des Armenfonds . . Fr. 1,000.— Diverse Kranzspenden » 62.—
Wasserwerke Zug A.-G.: Zuger jCantonalbank, Zug . . . 100.—
Für den Bürgerspital . . . . » 400.— Kirchgemeinde. Fr. 2,327.—
Ungenannt . . . . . . . 100 —
Für die Waisenanstalt . . . . » 150.— Albert Hildebrand, a. Kirchenrats- 100.—
a. Stadtrat August Wyß, Zug: präsident Fr. 2,000.—
Heß & Co., Rüti-Zürich . . . .
Ideal-Radiatoren A.-G., Zug . . 50.—
Asyl Cham.
Fonds für epileptische und Legate:
Hünenberg. Knorr-Nährmittel A.-G., Thayngen 25.— Frau Th. Gretener-Bays, Lausanne . Fr. 100.—
krankhafte Bürgerskinder . » 3,000.— Metallwarenfabrik Z u g . . . . 100.—
Für den Erholungsfds. f. Spital- Einwohnergemeinde. Herr J. H., Cham » 200.—
Geistig«? Blumenspenden . . . 150.— Herr Albert Hildebrand, a. Kirchen-
u. Waisenanstaltsschwestern. » 2,000.— Jakob Burkhardt:
Ungenannt: Für Straße Bützen—Stadelmatt Fr. 500.— Fr. 975.- ratspräsident, Cham » 1,000.—
Für arme und kranke Bürger . » 2,000.— Bürgergemeinde. Für deft- Freibettfonds »Horbach«, Zugerberg: Freiwillige Gaben:
Oberingenieur Fritz Wyß, Zürich: Ungenannt in Cham » 2,000.—
Franz Boog, Kemmatten: George0 Keller-Schucan, Zürich . . Fr. 500.—
F ü r Ordnung d e s Archiv . . . » 500.— Für die Wappentafel . . . . Fr. 500.— Nestle & Anglo-Swiss Cond. Milk Co.
Henkel & Roth, Basel: Apotheke E. Spillmann, Zug . . . » 100.—
Geistig^ Kranzspende » 20.— Ltd., Cham » 1,000.—
Für die Waisenanstalt . . . . » 30.— Walchwil. Wasserwerke Zug A-G » 200.—
Fr. 620.—
Oberägeri. Einwohnergemeinde. Frau J. W.-M., Zug » 100.—
Bürgergemeinde. Alois Müller, Eichhof: Für der» Legatenfonds des Heimeli, Unterägeri: Herr J. K.-B., Zug » 64.60
a. Kantonsingenieur Frz. Müller, Zug: Für den Einwohnerfonds . . Fr. 2,000.— George^ Keller-Schucan, Zürich . . Fr. 500.— Herr H. R.-V., Cham, pro 1943 . . » 50.—
do. pro 1944 . . » 50.—
Für das Bürger- und Altersasyl Fr. 1,170.— Bürgergemeinde. Für die Verkehrsrechnung der Gemeinnützigen Aus Friedensrichtervergleich Cham . » 50.—
Schweiz. Mobiliarversicherung, Bern-Zug a. Grundbuchverwalter Ant. Hürlimann:
Für das Bürgerheim . . . . » 500.- Gesellschaft des Kantons Zug: Landwirtschaftliche Genossenschaft
Für den Armenhausbaufonds . Fr. 20,000.— Cham » 50.—
Für das Waisenhaus . . . . » 300.- Kreditanstalt Zug Fr. 100.—
Alois Müller, Eichhof: 100.— Diverse kleinere Gaben, insgesamt . » 65.—
Für den Armenfonds . . . . » 1,000.— Zuger jCantonalbank, Z u g . . . . »
Uuterägeri. Neste & Anglo-Swiss Holding Co., Kranzenthebungskarten:
Bürgergemeinde. Kirchgemeinde. Cham » 200.— Von diversen Spendern Fr. 297.50
Wasserwerke Zug A.-G.: Alois Müller, Eichhof: Wasserwerke Zug A.-G » 150.— Fr. 5,227.10
Für den Waisenfonds . . . . Fr. 100.— Für die Pfarrkirche . . . . Fr. 1,500.— Kanton Zug, freiwilliger Beitrag . . js> 210.—
Übertrag Fr. 49,750.— Übertrag Fr. 90,950.— Übertrag Fr. 760.— Total Vergabungen Fr. 106,854.10

66 67
INHALTS-VERZEICHNIS
Seite

Hundert Jahre Menzingen. Von Bundesrat Dr. Philipp Etter, Bern 3


Die Schweiz im Urteil deutscher Dichter. Von Prof. Dr. Emil Jenal, Zug . . 7
Werner Andermatt. Von Prof. Max von Moos, Luzern 23
100 Jahre Offiziersgesellschaft des Kantons Zug. Von Max Kamer, Zug 27
Stoffkreislauf und Lebensgemeinschaften im Zugersee. Von Hermann Steiner, dipl. Gymnasiallehrer,
Hünenberg 29
Heraldisches zu St. Oswald: Die Eberhardt und Schell. Von Albert Iten, Pfarrer, Risch 38
St. Andreas in Cham. Von Prof. Dr. Linus Birchler ETH., Feldmeilen-Zürich 43
Auf Grenzposten im Herbst des Jahres 1944. Von Max Kamer, Zug 47
Das Zugerland im Lichte neuer römischer Bodenfunde. Von Josef Speck, dipl. Gymnasiallehrer, Zug . . 49
Alt Oberwil. Von Gustav Matt, Oberwil-Zug 61
Chronik des Kantons Zug für das Jahr 1943. Von Dr. phil. Hans Koch, Zug 62
Goldenes Buch. Ehrentafel der Vergabungen im Kanton Zug. Von Alois Wickart, Zug 66

Klischees t zum Blatt »Wachsendes Leben« im Artikel »Werner Andermatt« vom Rex-Verlag, Luzern;
zum Artikel »Alt-Oberwil« vom Verfasser;
zum Artikel »Das Zugerland im Lichte neuer römischer Bodenfunde« nach Zeichnung
von Werner Andermatt, Graphiker, Zug.

Photos zu den Artikeln:


»StofTkreislauf und Lebensgemeinschaften im Zugersee« vom Verfasser;
»St. Andreas in Cham« : l und 2 von Josef Grcter, Photograph, Cham
3 von S. Großmann, Photograph, Zug
4 von O. Hurter, Bildhauer, Luzern;
»Das Zugerland im Lichte neuer römischer Bodenfunde«:
Tafel I vom Schweiz. Landesmuseum, Zürich.
Tafel II, l a und Ib von F. Klaus, Studio für Foto-Grafik, Zürich.
2a und 2b vom Rhein. Landesmuseum, Bonn.

Nachdruck der Beiträge nur mit Quellenangabe gestattet

V e r a n t w o r t l i c h e r R e d a k t o r : Dr.Theodor H a f n e r , Z u g
20.
I n h a l t s = V e r z e i c h n i s zum Band; 1946 - 1950.
1

1946. Gebhard Utinger: Der verlorene Sohn. (Titelbild.


Th.Hafner:'Wir sollten stehen als seliges Land.:. S. 3.
Gebhard Utinger: Der eidgenössische Bund. Einschalttafel.
A.Bieler: Oberst Franz Anton Suter & d.Zuger-Kompagnie
im savoyisch-sardinischen Regiment Suisse-Valaisan. 5.
l Tafel.
G-.Meyer: Die Zugerische Gesetzgebung 1931 - 1938. 11
P.Stadiin: Für eine obligatorische Kinderzulage zugunsten
der Arbeitnehmer im Kanton Zug. l?.1
M.v.Moos: Erinnerungen an Gebhard Utingers Wirken in Luzern. 20.
l Tafel.
Gebhard Utinger: Aus meinem Leben. 2 Tafeln. 22.
W.Linsemaier: Die Schuler dem Meister, l Tafel. 26.
Th. Hafner: Gebhard Utinger, Maler & Architekt. 3 Tafeln. 28.
Harms in der Gand: Das Muheimsche Teilenlied. 31.
H.Steiner-Stoll: Die Lebensgeschichte des Zugerröteis
(Salmo alpinus L.). 4 Tafeln. 41.
H.Hurlimann: Die Rötelfischer erzählen. 51.
Rolf Dolder: Mein See. - Bergerwachen. 54.
H.Koch: Zugerische Neuerscheinungen 1942 - 1944. 55.
Chronik 1944. 59.
Goldenes Buch. 63.
100 Jahre Offiziersgesellschaft d.Kantons Zug.1844-1944.
Ansprachen zur Gedenkfeier v.29. £ 30.Sept.1945. 67.
1947. A.Müller: Zug unter habsburgischer Hoheit. 3.
Th.Mußbaumer: Johann Baptist Meyenberg. 4 Tafeln. 11.
P.Dändliker: Die Rolle d.Verbannten i.d.Schlacht am
Morgarten: ein Problem moderner HitomihmkTaktik? 16.
1747 - 1947. Die Blunschi von Zug. Die Grundungsgeschichte
d.graphischen Werkstätte Eberhard Kalt-Zehnder,
Zug. Einschalt=Titelblatt.
C.J.Speck: Johann Michael Blunschi. 1728-1781.
Grunder d.Buchdruckerei Blunschi in Zug. Titelbild.
A.Bieler: Die Blunschi von Zug. 4 Tafeln. S. 21.
P-rR.Henggeler: Druck & Verlag Blunschi. 2 Tafeln. 34.
E.Zumbach: Im Dienste der Heimat. l Tafel. 46.
Eberhard Kalt: Tradition £ Verpflichtung, l Tafel. 48.
W.J.Meyer: Uebe r das wertvolle Buch. 50.
Viktor Luthiger_ f führt in s.95.Jahre immer noch d.Feder...
Einschalttafel.
H.F.Schell: Ueber die Zugerische Landschaft. 53.
Dr.O.Weber: Der Stand d.Tuberkulosebekämpfung im Kt.Zug
im Jahre 1946. 55.
Th.Hafner: Eine Kreuzigung. l Tafel. 62.
P.Boesch: Zuger Glasmaler & Glasgemälde. (Nachträge). 64!
E.Villiger: Bericht über d. Ausgrabung^ d.Burgruine Hünenberg.68.
Chronik 1945. 70.
Goldenes Buch. 74.
21.
1948. E.Jenal: Der eidgenössische Staatsgedanke. S . 3.
G.Klausener: Jagob Joseph. Clausner von Zug, Feldmesser &
Kupferstecher, 1744 - 1797.z.150.Todestag. 10.
4 Tafeln.
R.Dolder: Der Saubannerzug. Einschalttafel.
G.Saladin: Das Bild der Dorfschaft Walchwil in ihren
Hof- & Hausnamen. 31.»
P.Bernhard Flüeler OSB: Fritz Kunz. 1868-1947. in memoriam,
l Tafel. 47.'
Th. Hafner: Die Madonna mit dem Kinde. (F.Kunz). 54.'
H.R.Balmer-Basilius: Linien. 56.
Einschalttafel.
J.Kopp: Der Rossberg in der Eiszeit. 57.1
K.Heid: Die Keramik der Burg Hünenberg. l Tafel. 60.
Chronik 1946. 65.
Goldenes Buch. 69.
1949, Hans Potthaof: Beim Aperitif. Titelbild,
Dr.H.Koch: Zug am Vorabend des Sonderbundkrieges, l Tafel, S 3.
J.Brunner: Zu den neuen Bildern v.Hans Potthaf. 15.
Dr.J.Kopp: Die urzeitlichen Schwankungen d.Zugersees
im Lichte seiner Strandlinien. 17.
Dr.H.Reiners: Die Altäre & die Kanzel der alten Michaels=
kirche, jetzt in Konstanz. 6 Tafeln. 21 j
Dr.E.Zumbach: Mildernde Umstände. 29.
Th.Hafner: Der Dirigent. 30.
Dr.P.Stadiin: Nachklänge zur Aktion "Zug hilft Fürstenfeld".
l Tafel. 31-
Dr.Anton Bieler: Die Zuger Glockengiesserfamilien Keiser
& Brandenberg & ihr Werk. 37 ;
Th.Hafner: Die fünfte Glocke, die dunkle, die schwere... 61
Dr.H.Koch: Zugerische Neuerscheinungen 1945-47. 62
W.F.Wilhelm: Waldschule & Ferienheim "Horbach" am Zugerberg.
2 Tafeln. 66.
Chronik -TTT. ... 1947. 69.
Goldenes Buch. 73.
1950, Hans Zürcher: Berglandschaft. Titelbild.
Dr.E.Zumbach: Das Urkundenbuch v.Stadt & Amt Zug. S. 3.'
Dr.H.Koch: Bürgerkb'nig Louis Philipp & Zug. 2 Tafeln. 9.
Dr.Th.Hafner: Künstler-Jubilaren. 3 Tafeln. 15,'
Frieda Meyer: Das Zugeralpli. 18.
Einschattafel.
Dr.H.HÜrlimann: Die Zugerische Gesetzgebung 1939-1942 im
Blickfeld des Zeitgeschehens.
Frieda Meyer: Gruss an den Zugersee. l Tafel. 30.
M.BÜtler: Der Zugersee, s.geologischen, hydrologischen &
klimatischen Verhältnisse. l Tafel. 3l.1
Frieda Meyer: Abendruh. 44.
G.Klausener: Drei Zuger Bruder-Klausen Bildnisse. 2 Tafeln. 45.'
R.Dolder: Stadt der Jugend. 53.
Frieda Meyer: Der Zugerfriedhof. 54.
Dr.H.SchneiderrD.Eisenfunde a.d.Brugruine Hünenberg. 2 Tafeln ,55.'
Dr.J.Speck:D.Zuger Löbern-Walstatt od.Friedhof? 2 Tafeln. 61.'
Chronik .... 1948. S.69. Goldenes Buch. 74.

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