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INHALT
Vorwort
Kapitel 1: Homosexuelle
Wenn alles zur Schwulensache erklärt wird
Eine Einbahnstraße?
Hardware gegen Software und die Notwendigkeit, »so geboren
worden« zu sein
Die philosophische Verwirrung
Homosexuelle gegen Queers
Gleich oder besser?
Homosexuelle Elternschaft
Ist Homosexualität politisch?
Gibt es vernünftige Gründe für »Homophobie«?
Kapitel 2: Frauen
Love you
Bring ihn zum Sabbern
Gleich oder besser?
Women mean Business
Schulungen über Vorurteile und Intersektionalität
Diese feministische Welle
Der Krieg gegen Männer
Wenn Hardware auf einmal Software sein will
Kapitel 3: Rasse
Die akademische Welt
Wie Armie Hammer problematisiert wurde
»Entkolonialisierung« im Evergreen State College
Crazy Shit
Gecastete Verleumdung
Gestern war alles noch anders
Kulturelle Aneignung
Das zentrale Problem
Ist Schwarzsein politisch? Die Rede, nicht der Redner
Der Redner, nicht die Rede
Sarah Jeong
Die neue Rhetorik
IQ
Zwischenspiel: Vergebung
Kapitel 4: Trans
Was nicht merkwürdig ist
Intersexualität
Transsexualität
Autogynophilie
Der Durchbruch der Transmenschen
Die Geschichte eines jungen Mannes
Der feministische Stolperdraht
Die Eltern
Die Geschichte einer Familie
Die Experten
Wohin führt das alles?
Zusammenfassung
Diese Behauptungen laufen nicht zusammen, sie befördern die
Divergenz
Das Problem mit der Unmöglichkeit
Was, wenn die Menschen gar nicht unterdrückt werden?
Wichtige Diskussionen, vor denen wir uns drücken
Was wirklich los ist
Lösungen
Fragen Sie doch mal nach: »Im Vergleich womit?«
Opfer haben nicht immer recht, sind nicht immer nett, verdienen
nicht immer Anerkennung und sind vielleicht nicht mal Opfer
Können wir es uns leisten, großmütig zu sein?
Uns bewusst machen, wohin wir gehen
Nicht alles politisieren
Danksagung
Anmerkungen
»Die Besonderheit der modernen Welt ist nicht, dass sie skeptisch
ist, sondern dass sie dogmatisch ist, ohne sich dessen bewusst zu
sein.«
G. K. Chesterton
Nicki Minaj
VORWORT
Ein kalter Februartag in London im Jahr 2018. Vor einem Kino in der
Nähe des Piccadilly Circus findet eine kleine Demonstration statt.
Stumm halten die warm eingepackten Teilnehmer ihre Schilder hoch,
auf denen in Großbuchstaben geschrieben steht: »zum Schweigen
gebracht«. Die meisten Londoner auf ihrem Weg zur Bushaltestelle
oder in eine der vielen Bars von Soho nehmen kaum Notiz von
ihnen. Ein vorbeischlenderndes Paar bemerkt, dass die
Protestierenden alle 50 und älter sind, weshalb einer der beiden
vermutet, dass sie bestimmt mit der UKIP in Verbindung stehen.[1]
Weit gefehlt. Ein paar Dutzend Menschen wollten sich ursprünglich
gemeinsam den Film Voices of the Silenced [Stimmen der zum
Schweigen Gebrachten] ansehen. Doch wie ihre Plakate nahelegen,
wurden die Voices of the Silenced selbst zum Schweigen gebracht.
Die Organisatoren haben das Kino schon drei Monate zuvor für
eine Privatvorführung gebucht, dabei ihrer Aussage zufolge alle
dafür geltenden Vorschriften des Kinos beachtet und auch den Film
Wochen im Voraus eingesendet. Doch einen Tag vor der Vorführung
hatte Pink News, ein Online-Relikt der britischen Schwulenpresse,
von der geplanten Veranstaltung erfahren und unverzüglich ihre
Absage gefordert – mit Erfolg. Die Kinokette Vue wollte negative
Publicity auf jeden Fall vermeiden, sagte die Vorstellung kurzfristig
ab und begründete dies damit, dass es ihr gutes Recht sei, da der
Inhalt des Films nicht ihren Werten als Kinobetreiber entspreche. Sie
teilte der Gruppe auch mit, dass sie gegen die öffentliche Ordnung
und Sicherheit verstieße, sollte sie den Film trotzdem vorführen. An
jenem Abend versuchten die Organisatoren unter der Leitung von
Dr. Michael Davidson verzweifelt, einen anderen Ort zu finden, an
dem sich die 126 Menschen, die zum Teil sogar aus den
Niederlanden angereist waren, den Film ansehen könnten. Dr.
Michael Davidson arbeitet für den Core Issues Trust, eine britische
christliche Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat,
Homosexuelle dabei zu unterstützen, ihre Sexualität »abzulegen«.
Anders, als man denken könnte, ist Davidson kein Arzt, sondern
promovierter Pädagoge. Doch wie manch andere öffentliche
Personen Wert auf ihren Doktortitel legen, hat man auch hier den
Eindruck, er wäre nicht allzu sehr verärgert, wenn sich jemand
bezüglich seiner eigentlichen beruflichen Qualifikation irrt.
Schon sechs Monate zuvor erregte Davidson beträchtliche
Aufmerksamkeit im gesamten Land, als er im Frühstücksfernsehen
Good Morning Britain mit dem Moderator Piers Morgan über
Homosexualität und die sogenannten Konversions- oder
Reparativtherapien sprach. Davidson gestand ein, dass er selbst
ehemals schwul war – oder zumindest homosexuelle Erfahrungen
gemacht hatte. Irgendwann beschloss er, dass Schwulsein nichts für
ihn sei. Mittlerweile ist er seit 35 Jahren verheiratet und hat zwei
Kinder. Er ist überzeugt, dass sein Weg auch anderen
Homosexuellen offensteht, weshalb er über seine Gruppe
Beratungen auf freiwilliger Basis für alle anbietet, die einen
Schlussstrich unter ihr Schwulsein ziehen und wie er selbst lieber
heterosexuell sein wollen, auch wenn er einräumt, dass er immer
noch ein bestimmtes »Verlangen« verspürt, dem er aber nicht
nachgibt.
Im landesweiten Fernsehen erklärt Davidson also auf Nachfrage
hin ruhig und höflich, dass er Homosexualität für eine Anomalie und
vor allem für ein erlerntes Verhalten hält. Gefragt, ob man es dann
auch wieder verlernen könne, erklärt er: »Es lässt sich in den Fällen
umkehren, in denen die Betroffenen dies zu ihrem erklärten
Lebensziel machen.« Er schafft es gerade noch, all das zu sagen,
bevor der Moderator ihn vor den Studiogästen bloßstellt. »Wissen
Sie, wie wir solche Leute wie Sie nennen, Dr. Michael?«, fiel Piers
Morgan ihm ins Wort. »Für uns aufgeschlossene Menschen sind das
komplette Ignoranten. Bloß verblendete Leute, die völligen
Schwachsinn von sich geben und in meinen Augen ein bösartiger
und gefährlicher Teil unserer Gesellschaft sind. Was ist bloß los mit
Ihnen? Wie kommen Sie auf die Idee, dass niemand homosexuell
auf die Welt kommt, dann verdorben wird, aber wieder davon geheilt
werden kann? Wer sind Sie, solchen Unsinn zu behaupten?«
Ein recht unbeeindruckter Davidson bat Morgan um Belege für
die Annahme, Homosexualität sei angeboren, und legte Wert auf die
Feststellung, dass weder die American Psychological Association
noch das Royal College of Psychiatrists die Überzeugung verträten,
Homosexualität sei angeboren und deshalb nicht zu ändern.
Daraufhin unterbrach ihn Morgan erneut und forderte ihn auf, »mal
für einen Moment aufzuhören, die Meinung hirnrissiger
Wissenschaftler aus Amerika breitzutreten«. Er fuhr seinen Gast an:
»Halten Sie den Mund, Sie engstirniger Ignorant!«, und beendete
das Gespräch mit den Worten: »Mir reicht’s. Halten Sie den Mund,
Dr. Michael!«16 Ende der Sendung. ITV lässt seinen Gast also am
Morgen in einer Limousine ins Fernsehstudio chauffieren, um ihm
wenige Stunden später mitten im Interview den Mund zu verbieten.
Sechs Monate nach dem Eklat zeigt sich Davidson immer noch völlig
unbeeindruckt von der ganzen Aufregung um seine Person. Vor dem
Kino am Piccadilly Circus spricht er in sein Handy und ist schließlich
erleichtert, den Umstehenden mitteilen zu können, doch noch einen
Ort für die Vorstellung seines Films aufgetrieben zu haben. Flugs
bricht das Grüppchen auf in Richtung Westminster’s Emmanuel
Centre, ganz in der Nähe des Parlaments. Die Türen zu dieser
Veranstaltung sind fest verschlossen, aber an einem Seiteneingang
muss man nur seinen Namen nennen, und wenn der auf der Liste
steht, hat man freien Zutritt. Ist man drinnen, wird es geradezu
gemütlich. Uns allen wird ein Glas Prosecco angeboten und eine
Tüte Popcorn, die wir mit in die Vorführung nehmen dürfen. Eine
ältere Dame tritt auf mich zu und bedankt sich für mein Kommen.
»Ich kenne Ihren Hintergrund«, fügt sie hinzu, und mir wird klar, dass
sie nicht davon spricht, wo ich aufgewachsen bin. »Schließlich reden
Sie ja oft genug davon.« Das stimmt ja auch. Sie erklärt mir noch,
dass es sie umso mehr freut, mich hier zu sehen. Ziemlich sicher bin
ich nicht der einzige Schwule bei dieser Veranstaltung zum Thema
»Heilung von Homosexuellen«, der sein Coming-out schon hinter
sich hat. Und genauso sicher bin ich nicht der einzige Schwule im
Raum.
Der Film Voices of the Silenced ist weniger schlüssig als erhofft.
Im Prinzip geht es vor allem darum (wie Davidson selbst am Anfang
des Films erläutert), dass »historische und moderne Ideologien
aufeinandertreffen«. Leider bleibt offen, wie das funktionieren soll.
Mir kommt es so vor, als hätte man zwei verschiedene Filme
ziemlich unbeholfen zusammengeschnitten. Der erste Film führt uns
in die Antike und zeigt beängstigende, apokalyptische Bilder,
während wir im zweiten Ärzte und Patienten sehen, wie sie ein
Gespräch darüber führen, wie es ist, erst homosexuell und dann
eben nicht mehr homosexuell zu sein. Zu Wort kommen neben Dr.
Davidson auch ein Dr. Stephen Baskerville und ein Experte aus
Texas namens (ich kann ein hörbares Lachen nicht unterdrücken)
David Pickup – David Aufreißer.
Jedes Mal, wenn der Film auf die Zerstörung des Jerusalemer
Tempels 70 n. Chr. oder den Titusbogen zu sprechen kommt, wird zu
Homosexuellen übergeblendet. Oder zu früheren Homosexuellen.
»Die neue Staatsorthodoxie feiert die Homosexualität«, heißt es.
Erst kommen verschiedene »Experten« – vornehmlich aus den
Vereinigten Staaten – zu Wort, dann hören wir die
Erfahrungsberichte. Wie all das mit dem Titusbogen
zusammenhängt? Das wird nicht erklärt. Führt die Homosexualität
vielleicht zum Untergang der Zivilisation? Davon ist natürlich nicht
explizit die Rede. Eine »Ex-Lesbe«, die inzwischen verheiratet ist
und fünf Kinder hat, schildert, wie sie vor zehn Jahren wieder ihre
»Verwundbarkeit« verspürte und dass sie die Hilfe eines Geistlichen
in Anspruch genommen habe. Mehrere »Betroffene« berichten von
Suizidgedanken, Alkoholmissbrauch und »Selbstbezogenheit«. Ein
gewisser John erzählt, dass seine Mutter Jüdin ist. Irgendwann
kommt ein attraktiver 29-jähriger Deutscher namens Marcel ins Bild,
der die Qualen seiner Kindheit schildert. Seine Mutter, erzählt er,
hätte ihn nackt vor den Augen seiner Schwester verprügelt, was – so
wird zumindest suggeriert – erklären könnte, weshalb er sich zu
Männern hingezogen fühlt. Manche der Befragten sind
Scheidungskinder, manche nicht. Einige von ihnen haben ein sehr
enges Verhältnis zu ihrer Mutter, andere nicht.
Dr. Joseph Nicolosi – einer der Stars des Films – vertritt die
These, dass viele seiner »Patienten« ihre Mütter hassen, nicht
wissen, wie sie sich im Umgang mit Männern verhalten sollen, und
infolgedessen bestimmte Fantasien ausbilden. Als Heilmittel
empfiehlt er jedem, der unter homoerotischen Fantasien »leidet«,
sich ein »gesundes« Hobby zuzulegen, zum Beispiel den
regelmäßigen Besuch im Fitnessstudio. Vielleicht eine kleine
Andeutung, dass Dr. Nicolosi noch nie in seinem Leben in einem
Fitnessstudio war.
Natürlich fällt es leicht, sich über solche Aussagen lustig zu
machen, und manchen Leuten fällt es leicht, sich darüber
aufzuregen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass es hier um
Menschen geht. John und Lindsay berichten, dass sie beide unter
gleichgeschlechtlicher Anziehung gelitten, sich ihr aber gemeinsam
gestellt hätten und nun eine funktionierende Partnerschaft mit
inzwischen fünf gemeinsamen Kindern führten. »Wir sind beileibe
nicht die Einzigen«, versichert Lindsay dem Zuschauer. »Wir kennen
einige Leute, die ebenfalls davon betroffen waren, inzwischen aber
glücklich verheiratet sind. Doch das bedeutet Schwerstarbeit«, fährt
sie fort, während John neben ihr irgendwie unglücklich in die Kamera
schaut. »Das ist nichts für Zartbesaitete. Man muss es knallhart
durchziehen. Vor allem in der heutigen Zeit. Die Medien und der
kulturelle Druck zielen ja in die Gegenrichtung.«
Trauriger als dieses Paar sind die Handvoll Befragten, die
ehemals schwul waren und hier mit unkenntlich gemachten
Gesichtern zu sehen sind. Vielleicht ist man ja zu nachsichtig, wenn
man sich ins Gedächtnis ruft, dass es noch gar nicht so lange her ist,
dass es sich mit der Notwendigkeit, Gesichter unkenntlich zu
machen oder nur den Hinterkopf zu zeigen, genau umgekehrt
verhielt. Jedenfalls fasst am Ende des Films ein irischer Pfarrer die
Handlung teilweise zusammen und erklärt, er habe nichts gegen
Leute, die überzeugt sind, Homosexualität sei angeboren und somit
unveränderlich. Doch er selbst sei vom Gegenteil überzeugt und
wolle nun mal gerne an dieser Meinung festhalten. Wie Dr.
Baskerville bekräftigt, wird in der akademischen Welt und in den
Medien nur noch eine Position geduldet, nämlich die der
»Förderung« von Homosexualität. »Sexualität wird politisiert«, heißt
es in den letzten Minuten des Films. Nach einem weiteren nicht
erklärten Verweis auf die Juden der Antike endet der Film mit dem
dramatischen, aber wohl bewusst gewählten Aufruf: »Es ist an der
Zeit, dass wir Unterschiede akzeptieren.«
Wenig überraschend ist das Publikum begeistert von dem Film.
Doch dann kommt es zu peinlichen Szenen. Mehrere der im Film
Befragten befinden sich unter den Zuschauern und werden auf die
Bühne gebeten, um noch mehr Applaus entgegenzunehmen.
Darunter auch ein junger Brite namens Michael. Er wirkt fahrig und
nervös und geradezu erfüllt von Leid. Für jemanden seines Alters
hat er ziemlich ausgeprägte Stirnfalten. Aus mehreren Gründen, die
er im Film bereits ausführlich dargelegt hat, will er nicht als Schwuler
leben, weshalb er für sich einen ihm an die Substanz gehenden Weg
eingeschlagen hat und versucht, als heterosexueller Mann zu leben,
sein Schwulsein (ebenso wie es Dr. Davidson gelungen ist) hinter
sich zu lassen, vielleicht irgendwann sogar zu heiraten und Kinder
zu haben. Der Abend endet mit einem gemeinsamen Gebet.
Auf dem Nachhauseweg und in den Tagen danach musste ich
immer wieder an diesen Abend mit den ehrenamtlichen
Konversionstherapeuten denken. Ich fragte mich vor allen Dingen
eines: »Weshalb hat mich diese Veranstaltung so kalt gelassen?«
Zunächst will ich klarstellen, dass ich keine Angst vor diesen Leuten
habe – und dass ich sicherlich nicht die gleiche Empörung verspüre,
auf die sich die Schwulenpresse verlegt, seit sie zunehmend ihren
ursprünglichen Zweck verliert. Wenn es einen Grund gibt, dann den,
dass ich eben nicht den Eindruck habe, als würden sich die Dinge
zugunsten der Menschen, die sich an diesem Abend im Emmanuel
Centre versammelt haben, entwickeln. Für mich zählen sie heute
und in absehbarer Zukunft zu den Verlierern. Sind sie im Fernsehen
zu sehen, schlägt ihnen Verachtung entgegen – gut möglich, dass
eine zu große Portion davon im Spiel ist. Sie tun sich schwer damit,
Dokumentationen zu produzieren, die ansehenswert sind, und noch
schwerer, geeignete Räumlichkeiten für deren Vorführung zu finden.
Sie werden gezwungen, ihre Veranstaltungsorte geheim zu halten,
und es dürfte ziemlich unwahrscheinlich sein, dass sie in absehbarer
Zeit irgendwo ihre Botschaft erfolgreich an den Mann bringen
werden.
Natürlich würde ich vielleicht anders darüber denken, wäre ich
ein junger Schwuler, der – das gilt auch heute noch – im ländlichen
Amerika oder Großbritannien aufwächst. Wäre ich im
amerikanischen Bibelgürtel groß geworden oder hätte ich mich einer
Konversionstherapie unterziehen müssen (oder wäre mir auch nur
damit gedroht worden), die dort gang und gäbe war – und es in
manchen Teilen der Welt auch heute noch ist –, sähe ich (Dr.)
Michael Davidson und seine Mitstreiter womöglich in einem anderen
Licht.
Doch jetzt und hier, an diesem Abend sind sie die Verlierer. Im
Bewusstsein, dass man durchaus einen Kick verspüren kann, wenn
es einen anderen trifft, sträubt es sich in mir, sie als solche zu
behandeln, wie sich einige ihrer Brüder im Geiste vielleicht mir
gegenüber verhalten hätten, wären wir uns früher und unter anderen
Umständen begegnet. Am stärksten offenbaren sich Menschen und
Bewegungen im Moment des Sieges. Lassen sie zu, dass
Argumente, die sich für als nutzbringend erwiesen haben, dies auch
für andere tun? Zählen Geben und Nehmen und Toleranz zu den
von ihnen vertretenen Prinzipien oder sind das für sie nur moralische
Feigenblätter und leere Worte? Zensieren vormals Zensierte, wenn
sie die Möglichkeit dazu haben? Das zur Vue-Kette gehörende Kino
hat sich eindeutig auf eine Seite geschlagen. Noch vor ein paar
Jahrzehnten hätte es die andere sein können. Und Pink News und
all die anderen, die ihren Sieg feierten, nachdem sie Voices of the
Silenced eine Meile die Straße hinuntergejagt hatten, scheinen diese
Privatveranstaltung nur allzu bereitwillig boykottiert zu haben. Für
mich ist das ein eklatanter Widerspruch zu den anfänglichen
Forderungen der Schwulenbewegung, die für gleiche Rechte von
Homosexuellen kämpfte. Sie vertrat nämlich den Standpunkt, dass
es niemanden etwas angeht, was mündige Erwachsene hinter
verschlossenen Türen tun, solange sich beide darüber einig sind,
was dort geschieht. Wenn das für Gruppen gelten soll, die sich für
Homosexuellenrechte einsetzen, dann muss es aber doch genauso
gut auch für die Rechte christlicher Fundamentalisten und anderer
Gruppierungen gelten.
Und da sind noch zwei andere Dinge. Das eine ist, dass man, um
sich vor dem, was an diesem Abend geschah, zu fürchten, zunächst
bestimmte Schlussfolgerungen daraus ziehen muss. Man muss
unterstellen, dass Davidsons Beteuerung, nur denjenigen helfen zu
wollen, die ihn von sich aus um Hilfe bitten, eine reine
Tarnbehauptung sei, hinter der mehr steckt. Man muss unterstellen,
dass diese Aussage tatsächlich nur vorgeschoben ist – der erste Teil
eines größeren Plans, der vorsieht, aus einer freiwilligen Therapie
eine Zwangstherapie und dann aus einer Zwangstherapie für eine
Handvoll Betroffener eine für alle zu machen. Damit würde man eine
der Grundlagen für politische Toleranz mit Füßen treten. Es wäre, als
ob man sich das Recht herausnehmen würde, nicht nur seine
eigenen Rückschlüsse über Menschen zu ziehen, sondern ihnen
auch bestimmte Beweggründe unterzumogeln, die man nicht
beweisen kann. Das führt uns zu dem Punkt, an dem pluralistische
Gesellschaften, die sich die Vielfalt auf die Fahne geschrieben
haben, sich eine Frage stellen müssen: »Beurteilen wir andere
Menschen nach ihrem Nennwert oder versuchen wir herauszufinden,
was hinter ihren Worten und Taten steckt? Wollen wir ihnen mitten
ins Herz blicken und dann über ihre wahren Motive spekulieren, die
wir nicht aus ihren Worten und ihrem Verhalten ablesen können?«
Angenommen, das wäre auch in Fällen wie diesen unsere erklärte
Absicht. Wie würden wir vorgehen? Der anderen Seite die
dunkelsten Motive unterschieben, bis sie uns vom Gegenteil
überzeugt hat? Oder lernen, uns in Nachsicht zu üben und auf sie zu
vertrauen? Es gibt keine allgemein gültige Antwort auf diese Frage.
Je nach Tag, Ort, Umstand oder auch zufallsbedingt fällt sie mal
so, mal so aus. Jemand in ihren oder seinen Siebzigern, die oder der
zu einer Konversionstherapie (besonders in Form einer
Aversionstherapie) gezwungen wurde, steht dem Ganzen natürlich
skeptischer gegenüber als jemand aus den nachfolgenden
Generationen, die einfach mehr Glück hatten. Die Warnsirenen
gehen früher los, wenn sie früher installiert wurden oder wenn die
Zeiten hart sind. Vielleicht lösen sich diese geografischen und
generationsbedingten Unterschiede ja mit der Zeit auf und die
glättende Wirkung der sozialen Medien stimmt alle gleich
zuversichtlich. Oder das Gegenteil ist der Fall, und ein Schwuler, der
2019 in Amsterdam lebt, ist überzeugt, dass er andauernd Gefahr
läuft, plötzlich im Alabama der 1950er-Jahre aufzuwachen. Wer weiß
das schon. Wir leben in einer Welt, in der uns jede Angst, jede
Bedrohung und auch jede Hoffnung rund um die Uhr kommuniziert
wird. Wie aber können wir die ständige Konfrontation vermeiden?
Indem wir unseren Mitmenschen zuhören und ihnen vertrauen.
Keine Frage, dass es damit in Grenzfällen nicht getan ist. Wann
immer wir das Gefühl haben, dass irgendetwas Merkwürdiges vor
sich geht, mag es nötig sein, genau hinzuschauen, was sich hinter
ihren Worten verbirgt, damit wir sicher sein können, dass nichts
weiter passiert. Doch wenn dies erfolgt ist, und zwar ergebnislos,
müssen wir ihren Worten Glauben schenken. Nirgendwo in der
Presse, die dafür sorgen wollte, dass die Voices of the Silenced zum
Schweigen gebracht werden, konnte der Beweis erbracht werden,
dass Davidson und seine Mitstreiter Menschen gegen ihren Willen
zu einer Konversionstherapie zwingen würden. Niemand hat sich
auch nur im Vorfeld über die Details des Films schlaugemacht oder
recherchiert, wie eine solche »Beratung« abläuft. Und so kam es
wegen ihres Sprechers zu Mutmaßungen über die Gruppe und zu
bestimmten Interpretationen von Begriffen. Bei dieser Kalibrierung
heißt »freiwillig« nichts anderes als »gezwungen«, »Beratung«
nichts anderes als »Schikane«, und es bedeutet außerdem, dass
jeder, der Davidson aufsuchte, unwiderruflich und unveränderbar
homosexuell sein müsse.
Die letzte Mutmaßung führt zu der einzigen großen
Herausforderung, die Davidson und seine Mitstreiter darstellen. In
seinem 1859 erschienenen Werk Über die Freiheit (On Liberty)
nennt John Stuart Mill vier Gründe, weshalb die freie
Meinungsäußerung ein Muss in einer freien Gesellschaft ist: Die
ersten beiden besagen, dass eine gegensätzliche Meinung richtig
oder teilweise richtig sein kann und allein schon deshalb gehört
werden muss, um den eigenen Irrtum berichtigen zu können. Die
anderen beiden besagen, dass, selbst wenn die gegensätzliche
Meinung ein Irrtum ist, ihre öffentliche Darlegung dazu beitragen
kann, dass eine Wahrheit nicht zu einem Dogma wird, welches
schließlich – wenn es nicht hinterfragt wird – seine Bedeutung
verliert und zu einer bloßen Formalität erstarrt.17
Sich heutzutage an Mills Prinzipien zu orientieren, dürfte für viele
Menschen gewiss kein Kinderspiel sein. Jedenfalls viel mühevoller,
als auf die Schnelle ein Dogma zu ändern. In den letzten Jahren hat
die landläufige Meinung in Amerika, Großbritannien und den meisten
anderen westlichen Demokratien über Homosexuellenrechte einen
unglaublichen Wandel erfahren – und zwar zum Besseren. Doch
dieser Wandel hat sich so schnell vollzogen, dass dabei ein Dogma
durch ein anderes ersetzt wurde. Von einer Position, in der man
selbst mit moralischen Schmähungen bedacht worden war, hat man
sich zu einer Position hinbewegt, von der aus man jeden, der es
wagt, auch nur einen winzig kleinen Blick außerhalb des Bereichs
ebendieser neu erworbenen Position zu werfen, mit Schmähungen
bedenkt. Das Problem bei dieser Haltung ist nicht nur, dass wir
riskieren, nicht von Positionen zu erfahren, die falsch sind, sondern
dass wir damit auch verhindern, uns Argumente anzuhören, die zum
Teil richtig sind.
Wie es der Zufall will, sind Davidson und seine Mitstreiter auf
etwas gestoßen, das sexuelle Anziehungskraft erklären könnte, und
das, obwohl ihr Film unter sehr chaotischen Umständen entstanden
ist und einige ihrer Ansichten mehr als zweifelhaft erscheinen. Wir
haben es hier mit tiefen und gefährlichen Gewässern zu tun. Doch
welchen Sinn hat es, solche Gewässer zu identifizieren und dann
nicht hineinzuspringen?
Wenn es um Sexualität und was immer damit zu tun hat geht,
wurde eine Reihe von Auffassungen etabliert, die sich als nicht
weniger dogmatisch erweisen als die, die sie ersetzt haben. Im Juni
2015 erklärte die damalige konservative Bildungsministerin Nicky
Morgan, dass homophobe Sichtweisen Anzeichen für potenziellen
Extremismus von britischen Schülern seien. Wie die BBC berichtete,
sagte sie, man solle alarmiert sein, wenn beispielsweise jemand
Grundwerte der britischen Gesellschaft angreift oder eine extreme
Intoleranz gegenüber Homosexualität an den Tag legt. Das wäre ein
Hinweis darauf, dass ein Schüler womöglich von »Extremisten
präpariert« worden sei. Und einen Schüler, der sage, in seinen
Augen sei Homosexualität »böse«, müsse man möglicherweise der
Polizei melden.18 Interessant in diesem Kontext ist die Tatsache,
dass Morgan im Mai 2013 gegen die gleichgeschlechtliche Ehe in
Großbritannien gestimmt hatte. Nur ein Jahr später ließ sie
verlauten, nun unterstütze sie die Homo-Ehe und würde für ihre
Einführung stimmen, wenn sie nicht schon Gesetz wäre. Ein
weiteres Jahr später bezeichnete sie Ansichten, die sie noch zwei
Jahre zuvor selbst vertreten hatte, nicht einfach nur als Beweis für
»Extremismus«, sondern als absolut »unbritisch«.
In den 1990er-Jahren unterstützte Hillary Clinton ihren Mann in
seinem Kampf für das damalige Ehegesetz, das die Einführung von
Homo-Ehen in den Vereinigten Staaten verhinderte. Sie sah zu, wie
er sich für die Praxis »Don’t Ask, Don’t Tell« aussprach, die nichts
anderes bedeutet, als dass ein schwuler Soldat, der lediglich mit
einem Kameraden über seine sexuelle Orientierung spricht,
unverzüglich entlassen werden kann. Robert Samuels schrieb dazu
in der Washington Post: »Hillary Clinton hatte die Chance,
Geschichte zu schreiben, was die Rechte von Homosexuellen
anbelangt. Sie hat sie nicht genutzt.«19 Doch 2016, als sie für das
Amt als US-Präsidentin kandidierte und sich die öffentliche Meinung
stark gewandelt hatte, war die LGBT-Community (wie Homosexuelle
inzwischen bezeichnet wurden) der Teil der amerikanischen
Gesellschaft, auf den Clintons Wahlkampf besonders abzielte. Wir
wissen alle, dass sich die Meinung von Politikern häufiger ändert als
das Wetter. Doch die Geschwindigkeit, die hier vorgelegt wurde,
sorgte für einige außergewöhnlich scharfe Umwälzungen und
Positionswechsel in der politischen Klasse.
Auch in anderen Ländern kam es zu solchen Kehrtwenden. Kurz
nachdem die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland eingeführt
wurde, wurde ihre Akzeptanz in Baden-Württemberg zu einer der
Voraussetzungen für eine Einbürgerung erklärt. Gestern galt ein
Dogma. Heute gilt ein anderes.
Es ist ja nicht so, als ob nur einige Politiker in den letzten Jahren
ein Schleudertrauma erlitten hätten. Auch solche Zeitungen, die bis
vor Kurzem noch ziemlich unfreundlich mit Homosexuellen
umgesprungen sind, berichten über gleichgeschlechtliche
Hochzeiten inzwischen ebenso wie über andere
Gesellschaftsneuigkeiten. Kolumnisten, die noch vor ein paar Jahren
die Angleichung des Schutzalters verdammt hatten, äußern sich jetzt
verächtlich über alle, die nicht voll und ganz hinter der Homo-Ehe
stehen. Die US-amerikanische Fernsehmoderatorin Joy Reid wurde
2018 für ihre kritischen Äußerungen zur gleichgeschlechtlichen Ehe
von 2008 öffentlich an den Pranger gestellt und musste sich dafür
entschuldigen – obwohl sie aus einer Zeit stammten, als praktisch
noch niemand die Forderung nach der Homo-Ehe unterstützte.
Wenn sich die Dinge so schnell ändern, wird die verlorene Zeit auf
Biegen und Brechen aufgeholt, und alle, die dieser Entwicklung
hinterherhinken, haben das Nachsehen.
EINE EINBAHNSTRASSE?
Diese Vorstellung ist eine von den Merkwürdigkeiten, die sich in
unserer Kultur ausbreiten. Gesellschaftlich ist es in der Regel so:
Wer sich als homosexuell outet, erntet Anerkennung dafür, dass er
oder sie zu sich gefunden hat. Kaum jemand und auch nicht die
Gesellschaft hat ein Problem damit, dass sie sind, wer oder was sie
sind: Sie sind an dem Punkt angekommen, der natürlich und richtig
für sie ist. Das Sonderbare daran ist jedoch, dass jedem Menschen,
der beschließt, lieber heterosexuell zu leben, mit Misstrauen
begegnet und gar ausgegrenzt wird, und obendrein wird
angezweifelt, ob er oder sie sein oder ihr wahres Ich auslebt. Ein
heterosexueller Mensch, der sich als homosexuell betrachtet, gilt als
angekommen. Ein homosexueller Mensch, der sich als heterosexuell
betrachtet, findet sich als Objekt permanenten Misstrauens wieder.
Das Herz unserer Kultur, die sich lange Zeit schwergetan hat, etwas
anderes als Heterosexualität gelten zu lassen, schlägt nun ein
bisschen schneller für die Homosexuellen.
Nach der Entwicklung der erfolgreichen Fernsehserie Queer as
Folk, die Ende der 1990er-Jahre einen Wendepunkt in der
Schilderung schwulen Lebens markierte, schrieb der Drehbuchautor
Russell T. Davies 2001 eine weitere Serie, Bob and Rose. Darin
verliebt sich ein schwuler Mann in eine Frau. Wie Davies der Presse
damals verriet, wollte er mit dieser Geschichte provozieren, da ihm
aufgefallen war, dass Schwule, die sich als heterosexuell outen, in
ihrem Freundeskreis eher Ressentiments erfahren, als wenn sich ein
Heterosexueller als Schwuler outet.23
Vielleicht ist das ein Grund, weshalb so wenig über das Thema
»Richtungswechsel« gesprochen wird. Viele homosexuelle Männer
und Frauen setzen die Vorstellung, Sexualität sei nichts Starres und
was in die eine Richtung möglich sei, müsse doch auch in die
andere möglich sein, mit einem Angriff auf ihre Person gleich. Leider
ist dieses Gefühl nicht ganz grundlos. Viele Homosexuelle, die sich
outen, bekommen in irgendeiner Form die grauenhaften Worte »Das
ist nur eine Phase, das geht wieder vorbei« zu hören. Keine Frage,
diese Reaktion ist beleidigend, herabwürdigend und erschüttert die
Beziehung zu den Eltern, zu Familie und Freundeskreis. Da wundert
es nicht, dass die Vorstellung, diese Phrase könnte auf manche
Menschen durchaus zutreffen, mit einem Tabu belegt ist.
Die Millennials und die sogenannte Generation Z haben versucht,
ihren eigenen Weg zu finden. Für sie ist Sexualität nichts Starres,
sondern etwas Fluides. Meinungsumfragen legen den Schluss nahe,
dass diese jungen Leute nichts mit der Vorstellung am Hut haben,
man lege sich auf eine bestimmte Sexualität fest und damit basta.
Eine Studie aus dem Jahr 2018 kam zu dem Ergebnis, dass die
Angehörigen der Generation Z nur zu zwei Dritteln angeben,
»ausschließlich heterosexuell« zu sein.24 Obwohl das die Mehrheit
ist, hat sich diese Generation offensichtlich ein Stück weit von der
Generation vor ihr entfernt. Für die Angehörigen voriger
Generationen bleibt das Thema »Fluidität« komplex und
schmerzbehaftet. Viele von ihnen sind überzeugt, dass alle, die dem
Club beitreten und ihn dann wieder verlassen, eher mit Verachtung
gestraft werden als die, die sich ihm niemals angeschlossen haben.
Diese Menschen mögen nicht von Umfragen erfasst werden, und sie
haben mit Sicherheit keinen nationalen Sprecher oder »Community-
Leader«, aber viele Homosexuelle sind mit solchen »Fällen«
vertraut.
Sie haben Freunde, die irgendwie nicht in die Schwulenwelt
passten, die Szene nicht mochten, aber keine Alternative fanden.
Sie kennen jemanden, der mal kurz reingeschnuppert hat, und das
war es auch schon. Oder sie kennen Menschen, die andere
Lebensziele hatten, zum Beispiel Kinder und die Sicherheit einer
Ehe, und die einen Schlussstrich unter ihr Schwulsein zogen oder es
beiseiteschoben, weil ihnen andere Dinge wichtiger waren. Oder
(und niemand kann auch nur annähernd sagen, wie vielen
Menschen es so ergangen ist) sie haben Freunde, die den Großteil
ihres Lebens eine gleichgeschlechtliche Beziehung führten und sich
plötzlich – wie der Titelheld in Bob and Rose – in jemanden vom
anderen Geschlecht verlieben.
Werden solche Verhaltensweisen zurückgehen angesichts von
Errungenschaften wie der eingetragenen Partnerschaft und der
gleichgeschlechtlichen Ehe, ganz zu schweigen vom Recht von
schwulen oder lesbischen Paaren auf Adoption und sogar die
Möglichkeit von Elternschaft? Setzt sich die etwas lockere sexuelle
Identität der Generation Z durch? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Schließlich kennt jeder Menschen, die das nicht betrifft. Jemanden
zum Beispiel, der mal mit dem komischen Schwulen rumgeknutscht
hat oder mehr, aber danach sein heterosexuelles Leben ganz
selbstverständlich fortsetzt. Dennoch bezeichnet eine solche
Küsserei, die bis vor Kurzem als Verirrung, als Abweichung von der
Norm wahrgenommen worden wäre, inzwischen die Stunde der
Wahrheit.
Heute gilt derjenige, der ein einziges Mal in die Schwulenwelt
hineingeschnuppert hat, als derjenige, der eine Lüge lebt. Offenbar
hat sich die Wahrnehmung ausgebildet, dass eine einmalige
homosexuelle Erfahrung jemanden seine wahre Natur und
Bestimmung entdecken lässt, was jedoch nicht zutrifft, wenn man
sein Leben danach als Heterosexueller fortsetzt. Das ist etwas
anderes, als Bisexualität zu reklamieren. Es handelt sich um die
Annahme, dass die Wippe der Sexualität nicht im Gleichgewicht ist,
sondern sich tatsächlich auf die Seite Homosexualität neigt. Wo
noch die vorige Generation die Wippe eher auf der Seite
Heterosexualität belastet hätte, hat diese Generation beschlossen,
sie auf der anderen Seite zu belasten.
Vielleicht soll damit ein Unrecht wiedergutgemacht werden (in der
Hoffnung, dass die Wippe irgendwann einmal ausbalanciert ist).
Doch wie wir damit zurechtkommen, wenn sich die Wippe in der
richtigen Position befindet, kann niemand wissen. Denn wie bei
allem anderen auch machen wir erst einmal und sehen dann, was
dabei herauskommt.
Im Moment halten die Generationen vor den Millennials – aber
auch eine konstante Mehrheit unter ihnen – an der Vorstellung fest,
dass sexuelle Identität sich zumindest an ein paar Punkten
festmacht. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass das Wissen, wo
andere stehen, Klarheit darüber verschafft, was
zwischenmenschliche Kontakte und potenzielle Liebesbemühungen
angeht. Doch die Tatsache, dass eine feste Identität zu einer
anderen werden und von dort »fließend« sein kann, weist darauf hin,
dass wir es mit mehr zu tun haben als nur mit dem Sprung von
einem Dogma zum nächsten. Sie offenbart eine tiefe Unsicherheit
hinsichtlich einer zugrunde liegenden Tatsache, die kaum
thematisiert wird: Im Grunde wissen wir noch immer nicht (genau),
weshalb manche Menschen homosexuell sind. Trotz
jahrzehntelanger Forschung ist diese gewaltige – und
möglicherweise gefährliche – Frage noch nicht eindeutig
beantwortet, und das, obwohl die Frage nach der eigenen Identität
inzwischen an der Spitze unserer behaupteten Werte steht.
Das Thema erfordert eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl.
Schließlich ist es gar nicht lange her – es war 1973, um genau zu
sein –, dass die APA [American Psychiatric Association], der
Fachverband der US-amerikanischen Psychiater, zu dem Ergebnis
kam, dass es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gäbe, dass
Homosexualität als Störung einzustufen sei. Erst seit diesem Jahr
taucht Homosexualität nicht mehr in dem von der APA
herausgegebenen Leitfaden psychischer Störungen auf (ein seltenes
Beispiel dafür, dass ein Begriff aus diesem Wälzer gestrichen wird).
Die Weltgesundheitsorganisation hat das Gleiche übrigens erst 1992
getan. Beides liegt also noch nicht allzu lange zurück, und das
erklärt auch, weshalb der Sprache und der Praxis der
Medikalisierung oder Psychiatrie immer noch mit Misstrauen
begegnet wird, wenn diese versuchen, sich an Diskussionen über
Homosexualität zu beteiligen.
Doch folgt aus der Anerkennung, dass Homosexualität keine
psychische Störung ist, nicht, dass sie als eine ganz und gar
integrierte und unveränderbare Seinsweise gilt. 2014 hat das RCP
[Royal College of Psychiatrists] in London eine faszinierende
»Erklärung zur sexuellen Orientierung« ihrer Mitglieder
herausgegeben. Darin verlieh die Vereinigung lobenswerterweise
ihrer Verachtung Ausdruck, die alle Versuche betreffen, einen sich
als homosexuell bezeichnenden Menschen zu stigmatisieren.
Außerdem führte sie aus, dass sie felsenfest davon überzeugt sei,
dass Therapien mit dem Ziel, die sexuelle Ausrichtung von
Menschen zu ändern, und zwar in jeder Richtung, nicht
funktionieren. Das RCP könnte einen Homosexuellen nicht
heterosexuell machen und einen Heterosexuellen nicht homosexuell.
Zudem verkündete sie: »Das Royal College of Psychiatrists ist
überzeugt, dass die sexuelle Ausrichtung bedingt ist durch eine
Kombination aus biologischen und postnatalen
Umweltbedingungen.« Sie stützt ihre Aussage mit dem Hinweis auf
mehrere wissenschaftliche Studien25 und fährt fort: »Darüber hinaus
gibt es keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass man die Wahl
hat, was seine sexuelle Orientierung anbelangt.«26
Das RCP drückt seine Besorgnis über mutmaßliche
»Konversionstherapien« aus, die ein Umfeld schafften, in dem
»Vorurteile und Diskriminierung wachsen und gedeihen«, die
»absolut unethisch« sind und vorgeben, sich etwas zu widmen, das
»keine Störung« sei, und äußert sich zugleich folgendermaßen:
Es ist nicht der Fall, dass die sexuelle Orientierung unveränderlich wäre oder beim
Einzelnen nicht bis zu einem gewissen Grad variiert. Doch für die meisten Menschen
bedeutet sexuelle Orientierung die hetero- oder homosexuelle Ausrichtung innerhalb
einer gewissen Bandbreite. Bisexuelle Menschen haben eher die Wahl, ob sie ihre
hetero- oder homosexuelle Seite ausleben.
Des Weiteren trifft es zu, dass Menschen, die mit ihrer sexuellen Orientierung – ob
nun hetero-, homo- oder bisexuell – unzufrieden sind, dies als Grund dafür ansehen,
therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um besser damit umgehen zu können,
ihre Seelenqual zu lindern und ihre sexuelle Ausrichtung akzeptieren zu lernen.27
HOMOSEXUELLE ELTERNSCHAFT
Der Erfolg der Homosexuellenbewegung mag verständlicherweise in
allen westlichen liberalen Demokratien gefeiert werden. Doch dieser
Erfolg hat auch seine Schattenseiten, nämlich die moralische
Erpressung, die andere Fragen überlagert. Auf welche Fragen und
Probleme werden wir einst voller Scham zurückblicken, so wie wir es
heute in Bezug auf die Kriminalisierung von Homosexuellen tun?
Einige Kandidaten stehen hier bereit. Doch wir haben es im
Hinblick auf andere Rechte von Homosexuellen mit einem
Dominoeffekt zu tun. Weil wir uns in puncto Kriminalisierung so
falsch verhalten haben, können, um im Bild zu bleiben, alle
möglichen Steine in diesem Feld vor unseren Augen fallen, ohne
dass wir uns intensiv oder überhaupt mit ihnen auseinandersetzen.
Die Einführung der Homo-Ehe in den Vereinigten Staaten und
Großbritannien hat zu weiterführenden Forderungen geführt wie die
nach der Homo-Elternschaft.
Und zwar nicht nur dem Recht von Homosexuellen, Kinder
adoptieren zu dürfen, sondern auch eigene Kinder zu bekommen.
Berühmte Schwulenpaare wie Elton John und David Firnis oder Tom
Daley und Dustin Lance Black tun so, als wäre das die einfachste
Sache der Welt: »Wir haben beschlossen, eine Familie zu gründen.«
Im Februar 2018 veröffentlichten Daley und Black ein gemeinsames
Foto, auf dem sie eine Ultraschallaufnahme in die Kamera halten. In
den Schlagzeilen war zu lesen, dass Tom Daley ankündigt, dass
sein Mann und er ein Baby bekommen werden.48 Wie ging noch mal
der alte Schwulenwitz? Ach ja: »Nein, wir sind noch nicht
schwanger, aber das heißt ja nicht, dass wir es nicht weiter
probieren.« War einem schwulen Paar etwa der Durchbruch
gelungen? Es dauerte nicht lange, bis jeder, der sich fragte, ob zwei
Männer wirklich ein Baby machen können, die Antwort erhielt:
»Warum denn nicht, du Ignorant?«
Natürlich trat ein Kolumnist der Daily Mail auf die Mine, die nur
darauf wartete hochzugehen. Doch die Frage »Und wie soll das
gehen?« war kaum aus der Luft gegriffen. In den Jahren zuvor hatte
sich bei Journalisten die Auffassung durchgesetzt, dass es ein
Fauxpas sei, Frauen bei welchem Thema auch immer aus einer
Geschichte »herauszuschreiben«. Nun hatte man es mit einem
schwulen Paar zu tun, das zumindest eine Frau – die zu
irgendeinem Zeitpunkt von wesentlicher Bedeutung gewesen sein
muss – aus der Geschichte herausschrieb. Tatsächlich wurde eine
Frau aus einer Geschichte herausgeschrieben, die vielleicht die
wichtigste ist für jeden Menschen, der sie schon einmal erlebt hat.
Der zweite Grund, um innezuhalten und einen Moment
nachzudenken, war, dass die rührselig aufgemachte Geschichte des
gemeinsamen Babys von Daley und Black eine Lüge war, der eine
ganze Generation von jungen Schwulen aufsaß.
Fakt ist nun einmal, dass zwei Lesben es viel leichter haben, auf
natürlichem Weg ein Kind zu bekommen, während das bei einem
schwulen Paar ganz anders aussieht (dass bei homosexuellen
Paaren das wie auch immer gezeugte Kind immer nur die Gene
eines Elternteils besitzt, was allein jede Menge Fragen aufwerfen
und zu Spannungen innerhalb der Beziehung führen kann, ist ein
anderer Punkt). Noch simpler ist ein weiterer Aspekt dieser Lüge:
Den meisten Schwulen bleibt die Möglichkeit verschlossen,
gemeinsam ein Kind mit der DNA von einem von ihnen zu
bekommen; sie ist sehr reichen Schwulen vorbehalten. Eine
künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft kosten so einiges.
Doch all das kam erst gar nicht zur Sprache und später auch nur
zögerlich, als es zu ersten Protestreaktionen kam. Eine Gruppe
namens »Stop funding Hate« (»Hört auf, Hass zu finanzieren«)
erstellte eine Liste aller Unternehmen, die in der Daily Mail Anzeigen
schalteten, mit dem Ziel, Druck auf die Firmen auszuüben, damit
diese nicht mehr in einer Zeitung, die »sich von der geltenden
Meinung der britischen Gesellschaft abgekoppelt« habe,
annoncierten.49 Und solch eine Reaktion nur, weil es hieß:
»Augenblick mal«, als behauptet wurde, zwei Männer können
einfach so ein Kind bekommen.
Doch die Haltung, »nicht nur gleich, sondern besser« behandelt
zu werden, setzt sich nicht nur in der Homo-Debatte, sondern auch
anderswo fort. 2014 veröffentlichten Wissenschaftler von der
University Melbourne eine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass
Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren gesünder und glücklicher
sind als Kinder von heterosexuellen Paaren. Der wissenschaftliche
Leiter des Projekts, Dr. Simon Crouch, vertrat die Auffassung, dass
einer der Gründe dafür die Tatsache sei, dass gleichgeschlechtliche
Paare nicht den traditionellen »geschlechtsspezifischen
Stereotypen« entsprächen, was zu einer »harmonischen
Familiengemeinschaft führe«.50 Diese Behauptung hört man
inzwischen öfter. 2010 zeigte die BBC einen Kurzfilm von Reverend
Sharon Ferguson (die zugleich CEO des LGCM [Lesbian and Gay
Christian Movement] war), in dem sie die These vertrat, dass Lesben
wie sie nicht nur genauso gute Eltern seien wie heterosexuelle
Paare, nein, sie seien sogar die besseren Eltern.51 Behauptungen
dieser Art, basierend auf gleichermaßen dubiosen Studien, die
immer eher nach Propaganda als nach Analyse klingen, tauchen mit
beachtlicher Regelmäßigkeit auf.
Im März 2018 veröffentlichten Wissenschaftler des Williams
Institute der UCLA School of Law die Ergebnisse ihrer Studie, bei
der sie 515 Paare in Vermont über einen Zeitraum von zwölf Jahren
begleitet hatten. Ihrer Untersuchung zufolge bleiben schwule Paare
eher zusammen als lesbische oder heterosexuelle.52 Prompt titelten
die Schwulenpresse, aber auch andere Magazine: »Studie enthüllt:
Homo-Ehen halten länger als die von Heteros«.53
Man könnte meinen, dass die Homo-Elternschaft nur für
homosexuelle Paare interessant wäre und eher dem
Homosexuellen-Lager zugerechnet würde statt dem Queer-Lager,
aber hinter der Berichterstattung darüber vernimmt man noch das
Echo des wohl hässlichsten Krawalls, der sich am Rande der Queer-
Bewegung abgespielt hat.
Die Rede ist von der Behauptung, dass die Gleichbehandlung
nicht genüge, da Schwule in gewisser Weise »besser« seien als
Heterosexuelle. Der radikal schwule amerikanische Aktivist Robert
Rafsky wurde gefilmt, als er bei einer Kundgebung seinen
Mitstreitern zurief: »Wir sind wichtiger als die Heteros!« Diese
Mentalität ist, wie Bruce Bawer schrieb, »mindestens genauso
hässlich wie die von Heterosexuellen, die es für selbstverständlich
halten, wichtiger zu sein als Homosexuelle«.54 Doch wie über so
viele andere Dinge herrscht auch hier eine große Verwirrung.
Unter den letzten beiden für Verwirrung sorgenden Punkten,
denen wir uns noch widmen wollen, ist einer, der vielleicht zu den
größten und bedeutendsten Fragen des ganzen Themenkomplexes
gehört. Diese Frage lautet: »Bedeutet homosexuell zu sein, sich zum
eigenen Geschlecht hingezogen zu fühlen, oder bedeutet es, Teil
eines großangelegten politischen Projekts zu sein?«
IST HOMOSEXUALITÄT POLITISCH?
Vor dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 in Großbritannien wurde
der Schauspieler Sir Ian McKellen gefragt, wie er denn abstimmen
werde. Die Schlagzeile über dem gedruckten Interview lautete:
»Brexit ergibt keinen Sinn für Schwule« In dem Artikel wurde Sir Ian
– der jahrzehntelang für grundlegende Rechte für Homosexuelle
gekämpft hat – als jemand, der die bevorstehende Abstimmung aus
homosexueller Perspektive betrachtet, mit den Worten zitiert: »Es
gibt nur einen sinnvollen Weg, nämlich, in der EU zu bleiben. Als
Schwuler ist man ohnehin internationalistisch eingestellt.«55 Folglich
waren alle, die der Meinung waren, homosexuell zu sein, und der
Meinung, für den Brexit zu stimmen, jahrelang auf dem falschen
Dampfer. Wie es oft der Fall ist, wurden über ähnliche Themen in
den Vereinigten Staaten weitaus erbittertere Kämpfe, um nicht zu
sagen Kriege ausgetragen.
Der 21. Juli 2016 hätte ein großartiger Tag für alle werden
können, die sich für Homosexuellenrechte engagieren. Damals
betrat Peter Thiel bei der Republican National Convention – die alle
vier Jahre stattfindende Versammlung, um die Kandidaten der
Republikanischen Partei für die Wahl zum Präsidenten und
Vizepräsidenten zu nominieren und das Parteiprogramm festzulegen
– in Cleveland, Ohio die Bühne.
Thiel war nicht der erste Homosexuelle, der vor den
Republikanern sprach, aber er war allein und thematisierte das
eigene Schwulsein. Der Mitgründer von PayPal und einer der ersten
Investoren in Facebook allerdings erwähnte ohne Umschweife seine
sexuelle Orientierung, nachdem er Donald Trump als
Präsidentschaftskandidaten der Republikaner empfohlen hatte: »Ich
bin stolz darauf, schwul zu sein. Ich bin stolz darauf, Republikaner
zu sein. Aber am meisten bin ich stolz darauf, Amerikaner zu sein.«
Die Delegierten brachen in Jubel aus. Noch ein paar Wahlkämpfe
zuvor wäre eine solche Reaktion undenkbar gewesen. Unter den
Mainstream-Medien, die Thiels Auftritt in einem positiven Licht
sahen, war der Fernsehsender NBC: »Peter Thiel schreibt beim
RNC Geschichte«, lautete die Schlagzeile.
Die Reaktion der Schwulenpresse fiel weit weniger positiv aus.
Das in den USA führende Schwulenblatt Advocate griff Thiel in
einem langen, kuriosen Beitrag an, der sich um dessen
Exkommunikation aus der Kirche der Schwulen drehte. Die
Überschrift lautete: »Peter Thiel macht uns den Unterschied
zwischen Schwulensex und Schwulsein klar«. Der Untertitel des von
Jim Downs, Professor für Geschichte am Connecticut College,
verfassten 1300-Wörter-Artikels stellte die Frage: »Gehört man noch
zu den LGBT, wenn man zahlreiche Aspekte der Queer-Identität
abstreift?« Downs räumte zwar ein, dass Thiel ein »Mann ist, der mit
Männern schläft«, fragte sich jedoch, ob er in jeder anderen Hinsicht
auch »schwul« sei. Weiter hieß es in dem Artikel, dass diese Frage
zugegebenermaßen Haarspalterei sei, aber: »Das ist tatsächlich ein
himmelweiter Unterschied, der sich gewaltig darauf auswirkt, was wir
über unsere Sexualität, Identität und Community denken.« Nachdem
sich der Autor über diejenigen lustig gemacht hat, die Thiels Rede
als Meilenstein der Schwulenbewegung – um nicht zu sagen als
»Fortschritt« – gefeiert hatten, kommt er zu seinem vernichtenden
Urteil: »Thiel ist ein Beispiel für Männer, die mit Männern schlafen,
aber keine Schwulen sind.
Denn er kämpft nicht Seite an Seite mit den Leuten, die ihre
Identität als einzigartig begreifen.« Als Beweisstück A für Thiels
Ketzerei führte Downs an, dass dieser in seiner Rede vor dem RNC
klargestellt hatte, sich nicht an den endlosen Debatten über Toiletten
für das dritte Geschlecht, wer welche Toiletten benutzen darf und wie
sie ausgestattet sein müssen, damit sich niemand diskriminiert fühlt,
beteiligen wolle. Auch wenn Thiel einräumte, nicht mit jedem Punkt
des republikanischen Parteiprogramms übereinzustimmen, sei er
aber der Ansicht, dass »Fake-Kulturkriege uns nur von der
wirtschaftlichen Talfahrt Amerikas ablenken«. Dann fuhr er fort: »Als
ich ein Kind war, drehte sich alles um die Frage, wie man die
Sowjetunion besiegen könnte. Und wir haben diesen Kampf
gewonnen. Jetzt heißt es, es geht dringlich darum, wer welche
Toilette benutzen darf. Doch das lenkt doch wirklich nur von unseren
eigentlichen Problemen ab. Wen juckt das schon großartig?« In
Cleveland stieß diese Aussage auf großen Zuspruch. Und wenn
man Meinungsumfragen trauen kann, dann kam sie auch im
restlichen Amerika gut an.
Es trifft definitiv zu, dass sich mehr US-Bürger Gedanken um
eine Wirtschaftsflaute machen als über Toiletten für das dritte
Geschlecht. Doch in den Augen von Advocate geht das zu weit.
Obwohl Thiel sein »Sexualverhalten« bekräftigte, wurde er doch für
schuldig gesprochen, »sich von der Identität als Homosexueller
abgespalten« zu haben. Mit seiner Meinung über die relative
Kurzlebigkeit des Themas Transgender-Toiletten »weist er das
LGBT-Konzept als eine kulturelle Identität, die durch politischen
Kampf geschützt werden muss, von sich«. Thiel wurde vorgeworfen,
er sei Teil einer Bewegung, die seit den 1970er-Jahren »nicht
annähernd so viel für die Ausbildung einer kulturellen Identität
unternommen hat, wie es ihre Vorgänger getan haben«. Der Erfolg
der Schwulenbewegung hätte sie offenbar von ihren »kulturellen
Aufgaben« abgehalten, was gefährlich sei, wie man an dem vor
Kurzem verübten Anschlag auf einen Schwulennachtclub erkennen
könne. Downs endete mit den Worten: »Die Schwulenbewegung hat
uns ein mächtiges Erbe hinterlassen, und wenn wir dieses schützen
wollen, muss uns die Bedeutung von ›homosexuell‹ bewusst sein.
Dann sollten wir wissen, dass es mehr ist als lediglich ein Synonym
für gleichgeschlechtliche Begierde und Intimität.«56
Fakt ist, das Massaker im Nightclub Pulse in Orlando im Juni
2016 wurde von einem jungen Muslim verübt, der sich zum
sogenannten Islamischen Staat (IS) bekannte. Doch dieses Detail
kümmerte weder den Advocate noch die Veranstalter des Gay-Pride-
Marsches in New York später im selben Monat. Die Parade wurde
von einem riesigen regenbogenfarbenen Banner angeführt, auf dem
in Großbuchstaben stand: »Der Hass der Republikaner tötet
Unschuldige!« Offensichtlich hatte man vergessen, dass der
Attentäter Omar Mateen kein Mitglied der Republikanischen Partei
war.
Es geht aber nicht nur darum, dass die selbsternannten
Organisatoren der »Schwulen-Community« eine bestimmte Meinung
zur Politik haben. Sie haben auch eine besondere Auffassung
darüber, was es bedeutet, schwul oder lesbisch zu sein. 2013 wurde
der Schriftsteller Bret Easton Ellis kritisiert und auf Drängen der
Schwulenorganisation GLAAD von der Veranstaltung des jährlichen
Medienpreises ausgeschlossen. Er war schuldig gesprochen
worden, sich per Twitter darüber ausgelassen zu haben, dass
Homosexuelle im Fernsehen meist als Idioten rüberkommen, was,
wie sich GLAAD ausdrückte, »von der Schwulen-Community negativ
aufgenommen wurde«.57 Dieser überkritische Tonfall – der jedem
Schulmeister zur Ehre gereicht hätte – ist der gleiche, den auch Pink
News anschlug und dabei keine Miene verzog, als das Magazin
2018 eine Liste mit zehn Regeln für Heteros aufstellte, »wie sie sich
in einer Schwulenbar verhalten sollen«.58 Die normale Reaktion auf
solche Regeln wäre: »Was zum Teufel glaubst du, wer du bist?«
Doch obwohl er so abgekanzelt worden war, weil er es gewagt hat,
das Falsche zu denken, gelang es Ellis, auf den Punkt zu bringen,
was einen Großteil des neuen Schwulenproblems ausmacht. Er
erklärte, dass es so weit gekommen sei, dass wir »unter der
Regentschaft des schwulen Mannes als magischer Elf leben, der,
wann immer er erscheint, sich uns als eine Art heiliger
Außerirdischer zeigt, und dessen einzige Aufgabe darin besteht, uns
über Toleranz und unsere eigenen Vorurteile zu belehren und uns
daran zu erinnern, dass wir uns gut fühlen sollen und ein Symbol zu
sein.«
Die Vorstellung eines magischen schwulen Elfen ist in der Tat
eine für die Gesellschaft annehmbare Möglichkeit, ihren Frieden mit
der Homosexualität zu schließen. Homosexuelle können inzwischen
ebenso heiraten wie Heterosexuelle, können vorgeben, Kinder auf
die gleiche Weise wie andere Paare zu haben, und allgemein unter
Beweis stellen – wie es Dustin Lance Black und Tom Daley auf
ihrem YouTube-Kanal tun –, dass Schwule harmlos sind und ihr
Leben damit verbringen, einfach nur nett zu sein und Cupcakes zu
backen. Wie Ellis es ausdrückte: »Der süße und sexuell harmlose
und supererfolgreiche Schwule ist anscheinend dafür bestimmt,
Heten in edelmütige Beschützer von Schwulen zu verwandeln –
solange der betreffende Schwule nicht schlampig ist oder sexuell
oder schwierig.«59 Das frühere Enfant terrible der amerikanischen
Belletristik hat seinen Finger in die Wunde gelegt.
Und weiter:
Ich hatte mit vielen Männern Sex. Vom Typ her haben sie sich nicht groß
voneinander unterschieden. Mittelgroß und eher gutaussehend. Die meisten dürften
blaue Augen haben. Aus der Distanz, von der anderen Straßenseite oder von der
anderen Seite des Raumes aus gesehen, wirken sie sehr ernst. Doch wenn ich sie in
meinen Armen halte, ist es, als ob ich durch eine Spiegelung in meine eigene
Begierde eintauche, in das, was mich ausmacht, in mich.61
Tertullian zugeschrieben
Laclau und Mouffe legten zudem dar, dass sie versuchten, eine neue
Klasse »Ausgebeuteter« zu finden oder zu schaffen. Die
Arbeiterklassen mögen zwar ausgebeutet worden sein, aber sie
waren nicht in der Lage, diese Tatsache anzuerkennen. Zudem
hatten sie ihre Theoretiker im Stich gelassen und es generell
versäumt, dem Pfad des Fortschritts zu folgen, der sich vor ihnen
aufgetan hatte. Für Laclau und Mouffe war der Fortschritt
offensichtlich und zog sich durch die Zweite Internationale, den
Bruch mit dem Leninismus, die Komintern, betraf aber auch Antonio
Gramsci, Palmiro Togliatti und die Komplexitäten des
Eurokommunismus. Doch nicht jeder teilte ihre Sicht der Dinge.
Jedenfalls konnten die Arbeiter, die Grund zur Enttäuschung
gegeben hatten, wenn nicht ersetzt, so wenigstens an Bord geholt
werden.
Als Laclau und Mouffe an ihrem Buch schrieben, war ihnen
bewusst, wie demoralisiert die Linke zum Großteil war. Budapest,
Prag, Vietnam und Kambodscha (um nur ein paar ihrer eigenen
Beispiele aufzuzählen) hatten ihre Spuren hinterlassen und brachten
so manchen Sozialisten ins Taumeln. Doch dieser »ganzen Reihe
positiver neuer Phänomene« wohnte eine neue Energie inne, die,
das war für Laclau und Mouffe offensichtlich, eine dringende
»theoretische Neubetrachtung« erforderlich machte:
Die Entstehung einer neuen Frauenbewegung, die Protestbewegungen ethnischer,
nationaler und sexueller Minderheiten, die antiinstitutionellen ökologischen Proteste,
die von Randgruppen der Bevölkerung angeführt wurden, die Anti-Atomkraft-
Bewegung, die atypischen Formen sozialer Kämpfe in Ländern der kapitalistischen
Peripherie – all diese Dinge implizieren eine Erweiterung der gesellschaftlichen
Konfliktträchtigkeit in zahlreiche Bereiche, was das Potenzial, aber nur das Potenzial,
schafft, sich in Gesellschaften zu wandeln, in denen mehr Freiheit, mehr Demokratie
und mehr Gleichheit vorherrschen.70
Der springende Punkt ist, dass diese neuen Gruppierungen nützlich
sein können. Freilich sind diejenigen, die ihrem Rat gefolgt sind und
versucht haben, all diese Gruppierungen zu einen, auf eine Reihe
von Problemen gestoßen. Abgesehen vom vermeintlichen
Rassismus der Arbeiterklasse haben die Experten für
Dekonstruktion in den 1980er- und 1990er-Jahren für neue
Spannungen gesorgt. War es, nachdem »Critical race theory«
(Kritische Rassentheorie) und »Gender studies«
(Geschlechterstudien) ihre Arbeit getan und ein Umdenken bewirkt
hatten, zum Beispiel nicht sonderlich schwer zu erklären, weshalb
Dinge, die starr und fix schienen (vor allem das Geschlecht und die
Rasse), tatsächlich soziale Konstrukte waren, während andere
Dinge, die eher als fließend gesehen wurden (wie die Sexualität),
nun als starr und eindeutig festgelegt schienen?
Sofern diese Fragen überhaupt jemanden aufgehalten haben,
dann nicht für lange Zeit. Wenn etwas typisch für marxistische
Denker war und ist, dann, dass sie Widersprüche nicht ins
Straucheln bringen oder dazu führen, dass sie sich selbst infrage
stellen, wie es jemand auf der Suche nach Wahrheit tun würde.
Marxisten haben sich schon immer auf Widersprüche gestürzt. Die
Hegel’sche Dialektik entwickelt sich allein durch
Widersprüchlichkeiten weiter, weshalb alle Komplexitäten – man
könnte auch von Absurditäten sprechen –, die sich des Weges
ergeben, voller Freude angenommen werden, sodass man den
Eindruck gewinnen könnte, sie würden der Sache dienen und sie
nicht aufhalten. Jeder, der gehofft hatte, diese Intersektionalität
würde sich inmitten der ihr innewohnenden Widersprüchlichkeiten
auflösen, muss die unzähligen Widersprüche, mit denen ein Marxist
gut und gerne leben kann, schlichtweg nicht bemerkt haben.
Ihre in der Identitätspolitik und Intersektionalität angesiedelten
ideologischen Kinder scheinen damit zufrieden zu sein, einen
ideologischen Raum für sich zu beanspruchen, der voller
Widersprüche, Absurditäten und Heucheleien steckt. Eines der
grundlegendsten Erkenntnisse aus »Women’s studies« und der
feministischen Forschung lautete, dass man den Aussagen von
Missbrauchsopfern Glauben schenken sollte. Folglich sollten
Frauenstudien und die feministische Forschung die Grundlage bilden
für Diskussionen über Vergewaltigung, Missbrauch, häusliche
Gewalt und sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen.
Doch als ein Doktorand von Avital Ronell von der NYU [New York
University] 2017 eine sogenannte Title-IX-Klage gegen sie einreichte
und sie der sexuellen Nötigung bezichtigte, standen ihr zahlreiche
Kollegen aus ihrem akademischen Umfeld zur Seite. Neben Slavoj
Žižek und anderen unterzeichnete auch Judith Butler einen Brief an
den Präsidenten der NYU, in dem sie die Nachforschungen gegen
Ronell ablehnten, auf ihren tadellosen Charakter (»ihren Anstand,
ihren scharfen Verstand«) verwiesen und versuchten, den Ruf des
männlichen Opfers in den Dreck zu ziehen. Zudem verteidigten sie
Ronells Betreuungsstil mit einem Verweis auf ihre intellektuelle
Brillanz und ihren internationalen Ruf.71
All dies legte den Schluss nahe, dass Missbrauchsvorwürfe
grundsätzlich ernst zu nehmen sind – außer das Opfer ist ein Mann
oder beim Beschuldigten handelt es sich um eine Professorin für
feministische Literaturtheorie. Keine Frage, mit solchen
Widersprüchen muss ein für alle Mal aufgeräumt werden.
Im Vergleich dazu wurde jeder mit erstaunlicher Kraft
niedergewalzt, der sich gegen eine solche Vorgehensweise stellte.
Es war nur allzu leicht, zu den Waffen (sprich den Rassismus-,
Sexismus-, Homophobie- und letzten Endes auch noch
Transphobievorwürfen) zu greifen. Und selbst wer unfairer- oder
leichtfertigerweise oder grundlos zu diesen Waffen griff, hatte nichts
zu befürchten. Kritikern, darunter auch Wissenschaftler, dieser
»Lehrmeinung« wurde vorgeworfen, sie handelten aus niedrigen
Beweggründen. Wie Steven Pinker 2002 schrieb: »Viele Autoren
sind so darauf versessen, jede Mutmaßung, es könnte eine
angeborene menschliche Konstitution geben, im Keim zu ersticken,
dass sie Logik und Anstand über Bord werfen […]. In der Regel wird
die Analyse von Ideen durch politische Unterstellungen und
persönliche Angriffe ersetzt […]. Die Verleugnung der menschlichen
Natur ist über die Grenzen der wissenschaftlichen Welt
hinausgedrungen und hat zu einer Trennung zwischen Geistesleben
und gesundem Menschenverstand geführt.«72
Ganz offensichtlich! Große Bereiche der wissenschaftlichen Welt
hatten sich von ihrem eigentlichen Zweck verabschiedet, die
Wahrheit zu erkunden, zu erforschen und zu verbreiten. Stattdessen
verfolgten sie nunmehr den Zweck, eine ganz bestimmte,
eigenartige Politik zu schaffen, zu kultivieren und zu propagieren.
Sie verschrieben sich nicht mehr dem Geistesleben, sondern dem
Aktivismus.
Diese Tatsache wurde in vielerlei Hinsicht verraten. Zu meinen,
indem so getan wurde, als wären diese akademisch-politischen
Behauptungen nichts Geringeres als eine seriöse Wissenschaft. In
all den Jahrzehnten, in denen die Sozialwissenschaften die
Grundlagen der Intersektionalität lieferten, präsentierten sie ihre
Thesen, als ob in ihrem Namen der Begriff »sozial« nicht vorkäme
und als ob es sich tatsächlich um eine »Wissenschaft« handelte.
Auch hier erlagen sie einer Verzerrung, die über Nikolai Bukharin,
Georgi Plekhanov und die Zweite Internationale direkt zu Marx
führte. In all diesen Fällen wurden ihre Theorien so dargestellt, als
ob sie wissenschaftlich fundiert wären, was sie faktisch nicht waren.
Letzten Endes waren sie nicht einmal politischer Natur, sondern fast
schon Magie. Sie machten uns etwas vor und verkauften es als
Wissenschaft.
Eine andere Seltsamkeit der Intersektionalitätsbewegung ist das
Setzen auf »Verschleierungstaktiken«. Abgesehen von McIntoshs
bekannter Arbeit weisen alle Anhänger der Ideologien über soziale
Gerechtigkeit und Intersektionalität eine Gemeinsamkeit auf: Ihre
Werke sind schwer zu lesen, um nicht zu sagen unverständlich. Ihr
Schreibstil ist bewusst sperrig und wird in der Regel von denen
eingesetzt, die entweder nichts zu sagen haben oder davon
ablenken wollen, dass das, was sie sagen wollen, nicht den
Tatsachen entspricht. Lassen Sie sich folgenden Absatz von Judith
Butler einmal auf der Zunge zergehen:
Der Schritt von einer strukturalistischen Erklärung, nach deren Verständnis das
Kapital soziale Beziehungen auf relativ homologe Weise strukturiert, zu einer
hegemonialen Ansicht, nach der Machtbeziehungen Wiederholung, Konvergenz und
Reartikulation unterworfen sind, führte die Frage der Temporalität in die
Überlegungen zur Struktur ein und markierte einen Wechsel von einer Form
Althusser’scher Theorie, die strukturelle Totalitäten als theoretische Objekte begreift,
zu einer Theorie, in der die Einsichten in die kontingente Möglichkeit von Struktur ein
erneuertes Konzept von Hegemonie erschließen, das mit den kontingenten Orten
und Strategien der Reartikulation von Macht verknüpft ist.73
Einer so schlechten Prosa bedient man sich nur, wenn man als Autor
etwas zu verbergen versucht. Ein theoretischer Physiker wie
Sheldon Lee Glashow kann sich das unverständliche Kauderwelsch
der Sozialwissenschaften nicht leisten. Er ist gefordert,
außergewöhnlich komplexe Erkenntnisse in einer möglichst
einfachen und klaren Sprache zu kommunizieren. Wenn er die
neueste Behauptung der Stringtheorie analysiert, kommt er
beispielsweise zu dem Schluss, dass sie »keine unserer Fragen
klärt, nichts Genaues aussagt, sich aber auch nicht falsifizieren
lässt«. Wie Peter Woit mit ungewohnter Schärfe bemerkte, »ist eine
Behauptung, die nichts Genaues aussagt, einfach nur falsch,
weshalb man eine andere aufstellen sollte«.74 Schon möglich, dass
es in den Naturwissenschaften eine derartige Klarheit und auch
Ehrlichkeit noch gibt. Doch in den Sozialwissenschaften sind diese
Eigenschaften – sofern es sie je gegeben hat – tot. Übrigens, hätten
Wissenschaftler, die sich mit »Women’s studies«, »Queer studies«
und »Race studies« befassen, etwas anderes ausprobiert, wenn ihre
Thesen nichts Genaues aussagten oder sich als falsch erwiesen,
wären die Universitätsgebäude der Sozialwissenschaften wie
leergefegt.
Dennoch haben die Verfechter von Theorien der sozialen
Gerechtigkeit ihren Job gemacht und ganze Bibliotheken mit (wenn
auch wenig verständlichen) Arbeiten gefüllt, die den intellektuellen
Rahmen darstellen, aus dem sich politische Positionen und
politisierte Forderungen ableiten lassen. Jeder, der die Behauptung,
Gender oder Rasse seien soziale Konstrukte, in irgendeiner Weise
für sinnvoll erachtet, kann sie mit einer ganzen Bibliothek von Zitaten
stützen und unzählige unkündbare Akademiker zitieren, die diese
These »beweisen« können. X wird zum Halbgott stilisiert, was dann
Thema einer Studie von Y wird, und dann dauert es in der Regel
nicht mehr lang, bis Z dazukommt und über die Reartikulation der
Temporalität, wie sie ein Althusser’scher Vergleich ihrer Arbeiten
demonstriert, schreibt. Einem Studenten, der sich die Frage stellt, ob
die Welt wirklich so funktioniert, werden sofort unzählige Beweise
um die Ohren geschlagen, dass er selbst schuld ist, wenn er dieses
Kauderwelsch nicht versteht, nicht der Verfasser eines solchen
Geschwafels. Fakt ist, wenn es kaum möglich ist zu verstehen, was
eigentlich ausgesagt werden soll, kann einfach alles gesagt werden.
Unter dem Deckmantel der Komplexität lassen sich auch die
verlogensten Argumente hineinschmuggeln. Das ist einer der
Gründe, weshalb Butler und andere einen so grauenhaften Stil
pflegen. Würden sie sich klar und deutlich ausdrücken, würde ihnen
mehr Empörung entgegenschlagen oder ihre Arbeiten würden ins
Lächerliche gezogen. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb es in
diesem Bereich so schwer ist, zwischen Ernst und Satire zu
unterscheiden. Die in den letzten Jahren von den
Sozialwissenschaften aufgestellten Thesen sind dermaßen
realitätsfremd, dass sie, wie sich zeigte, weder die Chance hatten,
Eindringlinge, die es über ihre Mauern hineingeschafft hatten, zu
entdecken, geschweige denn diese abzuwehren. Eine der schönsten
Geschichten der letzten Jahre war die über das Paper »The
Conceptual Penis as a Social Construct« (»Der konzeptionelle Penis
als soziales Konstrukt«). Diese wissenschaftliche Arbeit wurde 2017
veröffentlicht und empfahl:
Der Penis vis-à-vis Männlichkeit ist ein inkohärentes Konstrukt. Wir sind der
Überzeugung, der konzeptionelle Penis sollte besser nicht als anatomisches Organ,
sondern als gender-performatives, in höchstem Maße fließendes soziales Konstrukt
verstanden werden.75
Ach was. Könnten Jungen nur realisieren, dass ihr Geschlecht eher
»performativ« und nicht »natürlich« ist, könnten sie zu Männern
heranwachsen, die eine größere Rolle für die soziale Gerechtigkeit
spielen und letzten Endes genau das erreichen, wovon Laclau,
Mouffe und eine Generation anderer Fundamentalisten schon immer
geträumt haben.
KAPITEL 2
FRAUEN
***
Wir schreiben das Jahr 2011, Zeit für die alljährliche Preisverleihung
der Independent Spirit Awards in Santa Monica (AdÜ: Preise für
Hollywood-unabhängige Filmproduktionen).
Gegen Ende eines Abends endloser Selbstbeweihräucherung
kommen Paul Rudd und Eva Mendes auf die Bühne, um den
Gewinner der Auszeichnung für das beste Drehbuch bekannt zu
geben. Mendes (damals 36) erklärt dem Publikum, dass sie und
Rudd (damals 41) eigentlich einige lustige Einlagen auf der Bühne
vorführen wollten, aber leider müsste das aus Zeitgründen ausfallen.
Mendes erklärte es den Zuschauern so: »Paul sollte mir an die
Brüste fassen. Ihr wärt natürlich total schockiert, entsetzt und würdet
anfangen, hysterisch zu lachen. Doch leider schaffen wir das nicht
mehr, weil wir schon ganz schön überzogen haben. Deshalb …«
Rudd glotzt Mendes dann vielsagend auf ihren Oberkörper, legt
seine Hand um ihre rechte Brust, kneift einmal fest zu und sagt dann
mit ausdrucksloser Miene: »Nominiert für das beste Drehbuch sind
…« Das Publikum bricht in Lachen aus, schnappt nach Luft, kreischt
und klatscht begeistert. Mendes tut so, als sei sie schockiert. Rudd
hat immer noch seine Hand auf ihrer Brust, während Mendes die
Zeit nutzt, um sich ihr Haar aus dem Gesicht zu streichen.
Schließlich sollte man im Fernsehen ja immer gut aussehen.
Das ganze »Spiel« geht eine Zeit lang so weiter, bis eine Frau
die Bühne betritt. Die Schauspielerin Rosario Dawson (damals 31),
die zuvor im Publikum saß, springt auf die Bühne und greift Rudd in
den Schritt, heftig. »Oh, mein Gott, was ist denn hier los?«, sagt
Mendes mehrmals in wenig überzeugender Verwirrung ob der
Szene, in die sie involviert ist. Dann öffnet sie das Kuvert mit den
Namen der Gewinner. Die ganze Zeit über greift Dawson unbeirrt mit
der Hand in Rudds Schritt und schwingt die andere in der Luft als
Zeichen ihrer Macht oder ihres Siegs. Rudd hat Mendes’ Brust
inzwischen losgelassen, aber Dawson lässt nicht los. Dem Publikum
scheint es zu gefallen, es lacht und johlt. Schließlich schreiben wir
erst das Jahr 2011, und sexuelle Belästigung ist noch urkomisch. In
einem Interview backstage erklärte Dawson ihren Antrieb zu diesem
gleiche Verhältnisse herstellenden Grapschen.
Ich liebe Paul. Seit der Zeit als er in Clueless mitgespielt hat und all das, bin ich ein
großer Fan von ihm. Aber er drückte ihre Brust schraubstockartig zusammen, und
ich dachte mir erst: »Toll, wie witzig.« Aber nur etwa eine Sekunde lang. Und dann
hat er einfach nicht aufgehört, das Saallichtwurde heruntergedimmt, der Videoclip
wurde gezeigt, und er hatte ihre Brust noch immer fest umklammert. Ich hab mir nur
gedacht: »Okay, dann schnapp ich mir jetzt sein Gehänge.« Warum auch nicht?
Irgendwie hat es sogar Spaß gemacht. Es war nicht böse gemeint. Ich meine, er ist
eigentlich ziemlich gut ausgestattet. Das wollte ich schon wissen, seit ich ein
Teenager war und Clueless gesehen hab. Und dann hat er endlich losgelassen. Ich
meine, ich bin nur eine Frauenrechtlerin, und fand es einfach nicht gut, dass er ihre
Brust eine halbe Stunde oder so angegrapscht hat. War nicht böse gemeint, es war
lustig.
Ja, so war das damals. Das Gegrapsche bei der Verleihung der
Independent Spirit Awards war nichts Besonderes und wurde auch
nicht übermäßig beachtet. In der breiten Gesellschaft begegnete
man Leuten, die sich vor dem anderen Geschlecht entblößen, es
betatschen oder begrapschen, mit unverhohlener Verachtung. Doch
in Hollywood gehörte es einfach zum guten Ton. In einer Sparte, in
der Nacktheit etwas ganz Normales ist und in der der Begriff der
»Besetzungscouch« geprägt wurde, waren die Grenzen nie
eindeutig auszumachen. Das ist einer der Gründe, weshalb
Hollywood kein guter Ort sein dürfte, um bestimmte moralische
Werte zu etablieren, die erstrebenswert sind, oder bestimmte
moralische Werte, die als vorbildhaft für alles außerhalb der
Entertainmentbranche dienlich sein könnten.
Für und in Hollywood galten schon immer andere Standards. Es
war die einzige Branche, in der jemandem, der der Vergewaltigung
einer Minderjährigen beschuldigt wurde und deshalb auf der Flucht
war, noch immer applaudiert, der weiterhin verehrt wurde und der im
Kollegenkreis irgendwie als Opfer galt. Hätte ein Buchhalter,
Sozialarbeiter oder auch ein Priester mit 40 Jahren eine 13-Jährige
anal vergewaltigt, wären sie damit vielleicht ebenso durchgekommen
wie Roman Polanski. Vielleicht hätten ihre Freunde sie ja auch
gedeckt. Aber es wäre undenkbar gewesen– selbst für die
katholische Kirche –, dass man ihnen während der besten Sendezeit
im Fernsehen applaudiert, weil sie zu den Besten ihres Berufsstands
zählen, während sie zur gleichen Zeit auf der Flucht vor dem Gesetz
sind. Hollywood und die Kollegen und Kolleginnen von Polanski, die
bei der Oscar-Verleihung 2003 im Publikum saßen, ließen sich
dadurch nicht von ihren Begeisterungsstürmen abhalten.
Künstlerkreise und die Unterhaltungsbranche waren immer schon
eine Welt für sich, und kein anderer Ort ist daher schlechter
geeignet, gesellschaftliche Normen aufzustellen. Schon gar nicht,
wenn diese Normen so komplexe Dinge betreffen wie die Beziehung
zwischen den beiden Geschlechtern. Nur in Hollywood kann es
einen berühmten Regisseur wie Woody Allen geben, der sich von
seiner Frau trennt, weil sein Verhältnis mit deren Adoptivtochter
aufgeflogen ist. Und dann ist es die Stadt und die Branche, die
Gloria Grahame in den 1940er-Jahren zum Star machte. Sie war vier
Mal verheiratet, ihr letzter Mann (Tony Ray) war der Sohn ihres
zweiten Manns (Nicholas Ray) und dessen erster Frau. Das
Verhältnis zwischen Grahame and Tony Ray geriet in die
Schlagzeilen, weil sie zusammen im Bett erwischt wurden (Grahame
war damals Ende 20, Ray erst 13).
Hollywood oder besser seine Stars zu moralischen Vorbildern zu
erheben, war in jeder Ära ein Fehler. Doch als der Skandal um
Harvey Weinstein 2017 ins Rollen kam, war es genau das, was
versucht wurde. Die Eigentümlichkeit der Unterhaltungsbranche hält
uns immer wieder und auf ihre Weise einen Spiegel vor. Wenn auch
nicht als Muster, wie wir uns verhalten sollen, sondern als Spiegel,
der uns zeigt, wie viel Verwirrung um uns herrscht. Die Rede ist vor
allem von der Unsicherheit, welche Rolle Frauen spielen – und wie
jeder weiß, spielen können – in einer Zeit, die zwischen zügelloser
Hemmungslosigkeit und Prüderie zu pendeln scheint, ohne je die
Balance zu finden.
Bedenken Sie, mit welcher Warmherzigkeit die Menschen an
Drew Barrymores Auftritt in der David Letterman Show am 12. April
1995 zurückdenken: Es war Lettermans Geburtstag. Barrymore war
Gast in seiner Show und sprach neben anderen Dingen davon, dass
sie in letzter Zeit sehr gerne nackt tanzte. Mit ihren 20 Jahren
schlüpfte Barrymore dann abwechselnd in die Rolle einer
selbstbewussten, sexuell aktiven Frau und die eines unartigen
kleinen Schulmädchens.
Schließlich fragte sie Letterman in der Live-Show, ob er als
Geburtstagesgeschenk eine Kostprobe ihres Könnens sehen wolle
(das Publikum grölte und brüllte vor Lachen). Ohne seine Reaktion
abzuwarten, bedeutete sie der Studioband, einen Song
anzustimmen, kletterte auf Lettermans Schreibtisch und führte einen
Table-Dance vor ihm auf, einem verheirateten Mann, der damals
doppelt so alt war wie sie. Sie ließ ihre Hüften kreisen, die Arme
hoch erhoben, Bauch frei. Ihre Vorführung gipfelte darin, dass sie ihr
T-Shirt anhob und Letterman ihren blanken Busen zeigte. Der war
sichtlich entsetzt. Sie drehte dabei dem Publikum den Rücken zu,
aber eine Kamera filmte ihre Brust von der Seite, was dem Online-
Magazin Mail Online einen Eintrag in deren Rubrik »Hall of Shame«
wert war. Doch das Publikum der David Letterman Show konnte
nicht genug kriegen. Es amüsierte sich königlich, grölte und
klatschte Barrymore Beifall, während sie sich vor dem Moderator
entblößte. Unmittelbar nach ihrem Table-Dance drehte sich
Barrymore zu den Studiogästen, riss ihre Arme nach oben und nahm
den wohlwollenden Beifall entgegen. Dann krabbelte sie auf allen
vieren über den Tisch zu Letterman, drückte ihm einen Kuss auf die
Wange und tätschelte ihm den Hinterkopf. Sobald sie wieder Platz
genommen hatte, war nichts mehr von der Amazone zu sehen, sie
wurde wieder zum kleinen Mädchen, zog die Knie vor die Brust und
blickte drein, als habe sie etwas Böses angestellt.
Der Einwand, dass 1995 eine ganz andere Zeit war, klingt
plausibel. Aber dem war nicht so. Denn um genau diese Geschichte
ging es im März 2018. Sie wurde vom Publikum begeistert
aufgenommen, als Barrymore erneut Gast in der Late Show war,
dieses Mal moderiert von Stephen Colbert. Da war sie älter, aber
nicht klüger, und sprach darüber, dass sie an dem Tag eine Art
»lebende Geburtstagskarte« gewesen war. Sie erinnerte sich noch
genau daran. »In diesem Theater habe ich etwas ganz Besonderes
mit Herrn Letterman getan.« Bei diesem Satz ließ das Publikum ein
nostalgisches Lachen hören. Colbert, der während der ersten
»MeToo«-Anschuldigungen, zu denen sich täglich neue gesellten,
eine klare Linie verfolgt hatte, wollte mehr von Barrymore hören und
gab ihr das Stichwort: »An seinem Geburtstag. An seinem Ehrentag.
Bekanntermaßen.« Barrymore griff es auf:
Ich war so was von daneben. Manchmal hab ich das Gefühl, das wäre gar nicht ich
gewesen. Mir kommt es vor wie eine blasse Erinnerung, die sich irgendwie nicht
nach mir anfühlt. Aber ich war’s. Na ja, irgendwie war es auch wieder cool. Irgendwie
steh ich dazu. Ich bin zweifache Mutter. Ich bin, ach wissen Sie, ich weiß nicht. Ich
bin jetzt ein ganz anderer Mensch, und das fühlt sich echt nicht nach mir an, aber
irgendwie gefällt es mir doch.
All das wurde von den Studiogästen mit Gelächter und Applaus
aufgenommen, während Colbert sie ermutigt hatte weiterzureden.
Schließlich leitete er zu der Tatsache über, dass Barrymore eine der
ersten weiblichen Stars in Hollywood war, die eine eigene
Produktionsfirma gegründet hatte. Er nutzte diesen Augenblick für
die Frage, was wir aus dieser Emanzipation der Frauen in Hollywood
und der aktuellen Zeit lernen können.81 Zu keinem Moment dieses
Gesprächs ist im Rückblick auf den Table-Dance von 1995 etwas
anderes zu spüren als Wohlwollen.
Und weshalb hätte es anders sein sollen? Die Vorstellung von
Frauen, sich vor Männern zu entblößen, damit diese sich unwohl
fühlen, oder als Zeichen von »Feminismus« Männer anzugrapschen
oder zu belästigen, ist ein Tropus, der jahrelang unbehelligt sein
Unwesen treiben konnte. Wie Stephen Colbert aus eigener
Erfahrung wusste.
Im Mai 2007 war er als Fernsehstar noch grün hinter den Ohren
gewesen, als er Jane Fonda interviewte. Der äußerst erfolgreiche
Film Schwiegermonster, in dem Fonda ihrer Karriere als
Schauspielerin neuen Auftrieb verliehen und Jennifer Lopez’
Schwiegermutter gespielt hatte, war schon ein paar Jahre her.
Fonda war Gast in Colberts Show, um Werbung für ihren neuesten
Film Georgias Gesetz zu machen, der jedoch an den Kinokassen
floppte. Mit ihren 69 Jahren war Fonda wild entschlossen, dem
Publikum zu zeigen, dass sie »es noch immer draufhatte«. Und
deshalb machte sie während des Interviews eine Show daraus, dass
sie den Gastgeber sexuell belästigte. Es kam ihr wohl nicht in den
Sinn, dass das kein guter Zeitpunkt war, schließlich handelte der
Film von sexuellem Missbrauch.
Gleich zu Beginn des Interviews setzte sie sich auf Colberts
Schoß und blieb dort die ganze Zeit sitzen. Irgendwann gab sie ihm
einen Kuss auf den Mund und sagte ihm, dass sie wüsste, dass er
Fantasien mit ihr hätte. »So habe ich mir dieses Interview nicht
vorgestellt«, meinte der Moderator dann. Colbert versuchte
mehrmals, das Thema zu wechseln, und sprach auch die Proteste
gegen den Krieg an. Aber Hanoi-Jane ließ sich nicht ablenken. Sie
konnte ihre Finger nicht von Colbert lassen, küsste ihn auf die
Wange und streichelte ihn. Dann fing sie an, über vorzeitige
Ejakulation zu sprechen. Und so ging es endlos weiter.
Die Medien machten nicht den Eindruck, als hielten sie diese
Szene in irgendeiner Weise für anstößig oder beunruhigend. Ganz
im Gegenteil, sie konnten nicht genug davon kriegen. »Ja, Jane
Fonda hat’s immer noch drauf«, lautete die Schlagzeile in dem
Online-Magazin Huffington Post: »Ein Highlight in Colberts
Mittwochsreport war dieser ausgelassene – und wir nennen das Kind
beim Namen – wollüstige Teil, indem Jane Fonda fest entschlossen
schien, sich Stephen Colberts sinnlichem Teil (›Ist das ein sinnliches
Teil in Ihrer Hose oder freuen Sie sich, mich zu sehen?‹) widmen zu
wollen.« In der Huffington Post ging es in diesem Stil weiter, zudem
gab es einen Link zu dem Artikel des Online-Magazins Salon, das es
»auf den Kopf getroffen« habe, und »ein bisschen Kontext dazu«
gab, warum »Fonda so großartig« sei.82 Denn 2007 galten
ungewollte sexuelle Annäherungsversuche nicht nur als
ausgelassen und sinnlich, sondern sogar als großartig.
2014, also Jahre später, schilderte Colbert, wie »absolut unwohl«
er sich dabei gefühlt habe. Allerdings schob er dies – einschließlich
der Tatsache, dass seiner Frau dieses Interview offensichtlich
missbehagt hatte – darauf, dass der Saal voll war mit einem
Publikum, das immer lauter kreischte und klatschte.83 Selbst 2014
waren sexuelle Annäherungsversuche noch immer hinreißend.
Selbstverständlich änderte sich all das 2017, als die ersten
»MeToo«-Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein publik wurden.
In dieser Phase schien man schnell einen Konsens zu finden, dass
sämtliche sexuellen Annäherungsversuche untragbar wären und
dass es dafür keinerlei Entschuldigung gebe. Diese neuen Regeln
schienen sehr schnell aufgestellt und etabliert. Doch sie ließen all
die unerfreulichen Dinge unkommentiert zurück, die sich in der
jüngsten Vergangenheit zugetragen hatten. Nach der Weinstein-
Affäre wurde alles, was mit der Interaktion zwischen den
Geschlechtern in Hollywood und der restlichen Welt zu tun hatte,
von der Presse als völlig problemlos und selbstverständlich
dargestellt. Doch dem war nicht so, weder in Hollywood noch
anderswo.
Einer der wenigen Menschen in der Unterhaltungsbranche, die
sich seit Beginn der Karriere dem alten Habitus widersetzt hatten,
war die Schauspielerin Mayim Bialik. Im Oktober 2017, als die
»MeToo«-Affäre ins Rollen kam, wurde sie relativ scharf kritisiert,
weil sie gegenüber der New York Times offen über diese Branche
geredet hatte, die sie (ihre Worte) als »schwierige, unbeholfene
Elfjährige jüdischen Glaubens mit hervorstehender Nase« betreten
hatte. Sie schilderte, dass es ihr »schon immer merkwürdig vorkam,
in einer Branche zu arbeiten, die Kapital aus der sexuellen
Objektifizierung von Frauen schlägt«. Zudem erzählte sie, dass sie
als junge Schauspielerin sehr »konservative« Entscheidungen
getroffen hätte und, unterstützt von ihren amerikanischen Eltern der
ersten Generation, im Umgang mit Leuten aus der Filmbranche
immer sehr vorsichtig war. Diese Haltung und die Tatsache, dass sie
ihren Glauben praktizierte, machten sie – wie sie selbst erzählte – zu
einer Außenseiterin in Hollywood.
Bialiks Lebenslauf ist in der Tat ungewöhnlich. Immerhin legte sie
eine mehrjährige Pause von der Schauspielerei ein und machte
stattdessen ihren Doktor in Neurowissenschaften. Im Anschluss
daran spielte sie eine der Hauptrollen in der Sitcom The Big Bang
Theory. Im Jahr 2017 zieht sie Bilanz: »Auch jetzt, als 41-jährige
Schauspielerin treffe ich noch immer Entscheidungen, die ich für
klug halte und die meinem Schutz dienen. Ich habe für mich
beschlossen, dass mein Sexualleben nur die etwas angeht, mit
denen ich es hinter verschlossenen Türen teile. Ich kleide mich
betont zurückhaltend und habe es zu meinem Prinzip gemacht, mich
Männern gegenüber niemals kokett zu verhalten.«84
Daraufhin geriet Bialik in Schwierigkeiten. Es waren vor allem
Frauen, die sie beschuldigten, sie würde den Opfern die Schuld
geben und den Kleidungsstil von Frauen als Ursache für das
Fehlverhalten der Männer verantwortlich machen. Bialik musste sich
dafür entschuldigen und ihr Bedauern darüber ausdrücken, wie ihre
Äußerungen in dem Artikel interpretiert wurden. Noch merkwürdiger
als diese Sache war jedoch, dass ein Großteil von Bialiks Aussagen
in direktem Widerspruch zu dem standen, was sie ein Jahr zuvor
getan hatte.
Im Februar 2016 war Bialik neben Piers Morgan Gast in The Late
Show mit James Corden. Im Laufe der Sendung bat Corden seinen
Landsmann Morgan zu erklären, was es mit dem aktuellen Hashtag
#Cleavagegate (Dekolletégate) auf sich habe. Morgan erklärte,
Susan Sarandon und er seien sich neulich über einen Tweet von ihm
in die Haare geraten. Bei den vor Kurzem stattgefundenen Screen
Actors Guild Awards präsentierte die 69-jährige Sarandon den
Bereich »Im Gedenken« in einem Oberteil mit einem gewagten
Dekolleté. Morgan hatte in den sozialen Medien seine Meinung
geäußert, dass ein so großzügig ausgeschnittenes Oberteil nicht die
passende Kleidung sei, um verstorbenen Kolleginnen und Kollegen
Respekt zu erweisen. Als Reaktion auf diesen Tweet postete
Sarandon ein Foto von sich, wie sie im BH auf die David-Statue von
Michelangelo, der einen kleinen Penis hat, deutet. Mit dieser
Reaktion hatte Morgan unter keinen Umständen rechnen können
und auch der damit verbundene Rummel um seine Person machte
ihm schwer zu schaffen. Morgan erzählte den Studiogästen in
Cordens Show weiter, dass ihm Tausende selbsternannter
»Feministinnen« Fotos von ihren Dekolletés als Zeichen ihres
Protests geschickt hätten.
Bialik, in einem grünen, hochgeschlossenen Kleid, hatte die
ganze Zeit zwischen Corden und Morgan gesessen und zugehört.
Doch an dieser Stelle legt sie die Hand auf Morgans Arm und fällt
ihm ins Wort: »Wissen Sie, ich bin ja auch eine bekennende
Feministin! Und ich zeige es auf diese Weise.« Dann steht sie auf,
dreht dem Publikum den Rücken zu, öffnet ihr Kleid und zeigt
Morgan ihre Brüste. Die Zuhörer brechen in lautes Lachen aus und
applaudieren wie wild. Sowohl der Moderator als auch Morgan
klatschen in die Hände und scheinen sich königlich zu amüsieren.
Anscheinend nur auf den ersten Blick, denn Morgan sieht wirklich
aus, als würde er rot anlaufen und als wäre ihm das Ganze
entsetzlich peinlich. Als er betont, dass er wirklich nichts gegen
tiefausgeschnittene Dekolletés hätte, aber der Meinung ist, man
solle diese bei der Ehrung verstorbener Schauspielerkollegen nicht
so zur Schau stellen, und erneut betont, dass ihm der Anblick eines
tiefen Ausschnitts durchaus gefällt, steht Bialik mit den Worten »Sie
wollen sie nochmal sehen, oder?« erneut auf und öffnet wieder ihr
Kleid für ihn (nur dieses Mal nicht so lange).85
Die Brüste zu entblößen war 2016 also ein »feministischer« Akt.
Sie einem Mann zu zeigen, der nicht darum gebeten hatte, war ein
ganz besonders »feministischer« Akt. Und selbst eine Frau, die
vorgab, sich aus religiösen und gesellschaftlichen Gründen betont
zurückhaltend zu kleiden, konnte ganz bewusst und ohne Weiteres
ein ganzes Studio erheitern, indem sie – ungebeten –einem Mann
ihren blanken Busen zeigte.
Ich möchte damit nicht sagen, dass Frauen nicht selbst
entscheiden können und sollen, was sie mit ihrem Körper tun. Ich
will damit ebenfalls nicht sagen, dass bekannte Stars ihre Brüste
nicht zeigen sollten, um Aufmerksamkeit zu erzielen oder das
Publikum zu erheitern, und auch nicht, dass ein blanker Busen das
Gleiche ist wie ein entblößter Penis. Doch ich halte es durchaus für
vertretbar zu sagen, dass Frauen – vor allem bekannte und gefeierte
Stars – höchst verwirrende Signale aussenden. Der Begriff
»gemischte Signale« trifft es nicht einmal annähernd.
Dazu kommt, dass solche verwirrenden Signale selbst von einer
Frau wie Bialik ausgehen, die in jeder anderen Hinsicht den Eindruck
erweckt, als würde sie sich eben nicht von dem Strudel um sie
herum mitreißen lassen.
LOVE YOU
Ein Grund, weshalb uns die von der Unterhaltungsbranche in die
ganze Welt gesendeten Signale so verwirren, ist, dass die Branche
selbst nicht mehr weiß, was da abläuft. Noch vor ein paar
Jahrzehnten war quasi allgemein anerkannt, dass das Verhältnis
zwischen Mann und Frau sehr komplex ist. Es gibt da diese
berühmte Szene in Indiana Jones und der letzte Kreuzzug von 1989.
Ziemlich am Anfang des Films sieht man Indiana Jones, gespielt von
Harrison Ford, wie er im Hörsaal lauter jungen Studentinnen eine
Vorlesung in Archäologie gibt. Die überwiegende Mehrheit scheint
ihn träumerisch anzuschauen, eine aus ihrer Mitte reißt Professor
Jones aus seinem Gedankengang, da sie sich auf eines ihrer
Augenlider »Love«, auf das andere »You« geschrieben hat. Sie
zwinkert ihm zu, langsam und bedeutungsvoll, damit er den Text
lesen und ihre Botschaft verstehen kann.
Diese Szene enthält zwei Memes (zwei Text-Bild-Botschaften),
die uns unglaublich vertraut sind … bis wir vor Kurzem damit
begannen, so zu tun, als wären sie das eben nicht. Das erste Meme
besagt, dass im Verhältnis zwischen Lehrkörper und Student ein
sexueller Unterton mitschwingen kann. Das wussten schon die alten
Griechen. Damals wie heute galt die Übereinkunft, dass es besser
ist, einer solchen Anziehung grundsätzlich zu widerstehen. Dennoch
kann es sie geben. Und das zweite Meme – das im Übrigen besser
zum Inhalt dieses Buchs passt – handelt davon: Auf der einen Seite
ist die junge, lüsterne Frau – ein Vamp –, auf der anderen ihre
leichte Beute: ein älterer Mann, der sich nicht zur Wehr setzen kann.
Dieses Motiv dürfte so alt sein wie die Menschheit selbst, und
zumindest war es bis 1989 bekannt. Es geht dabei um das
Bewusstsein, dass nicht nur Männer Frauen belästigen können,
sondern dass dies auch umgekehrt möglich ist. Jeder Mann weiß
das, selbst wenn er diese Erfahrung persönlich noch nicht gemacht
hat – was aber auf die wenigsten zutreffen dürfte. Ebenfalls klar ist,
dass es das in den unterschiedlichsten Ausprägungen gibt: die
leichte Version im Stil von Drew Barrymore, die nach dem Table-
Dance auf den Schulmädchenmodus umgeschaltet hat und die
Botschaft aussendete: »Ich war albern und ungezogen.« Doch es
gibt auch eine schlimmere Variante, bei der eine Frau einem Mann
so lange nachstellt, bis sie bekommt, was immer sie von ihm will.
Selbst wenn es nicht stimmen sollte, dass Frauen ein solches
Verhalten wie aus dem Effeff beherrschen, frage ich mich aber,
weshalb es einen Markt für Frauenkleidung und Accessoires gibt,
dessen einziger Zweck es ist, Frauen für den Mann sexuell
ansprechender zu präsentieren, als sie es ohne diese wären. Man
denke zum Beispiel an den neuesten Schrei in Amerika: Fake
Nipples, also Brustwarzen zum Aufkleben. Unternehmen wie Just
Nips präsentieren diese Artikel auf ihrer Webseite, als wären sie
überwiegend für Frauen gedacht, die sich einer Mastektomie
unterziehen mussten. Doch die breit angelegte Vermarktung, aber
auch die öffentliche Meinung zu diesem Trend, legen den Schluss
nahe, dass dem Unternehmen sehr wohl bekannt ist, welche
stimulierende Wirkung dieser BH-lose Look auf Männer hat. In einer
Folge der in den 1990er-Jahren beliebten Serie Sex and the City
trug Miranda auf einer Party solche Fake Nipples und bekam genau
die Aufmerksamkeit von den Männern, auf die sie aus war,
zeichneten sich ihre Brustwarzen doch deutlich unter ihrem Oberteil
ab und zogen die Männer an wie Motten das Licht. Da Stars und
Sternchen dafür gesorgt hatten, dass auch ganz normale Frauen
diesen BH-losen Look haben wollten, sind Hersteller in die Bresche
gesprungen und haben sich daran gemacht, preisgünstigere Nippel
zum Aufkleben zu fertigen.
2017 warb Just Nips for All für Nippel in zwei Größen: zum einen
die Größe »cold«, und die »etwas kleineren«, als »perfekte
Unterstützung« für Nippel, die »ein bisschen durchhängen«. Wie es
auf der Webseite hieß: »Sie wollen das gewisse Extra? Dann setzen
Sie doch einen drauf! Unsere Cold Nips bieten alles, was Sie von
einem Fake Nipple erwarten können. Was noch? Diese Nippel sind
spitze. Sie sind sexy. Und sie sind so was von (auf-)reizend!«
Keine Frage, so etwas lässt sich auch frauenfreundlicher
formulieren. Schließlich geht es doch nur darum, dass Frauen sich
besser fühlen. Und nein, das hat rein gar nichts mit Männern zu tun.
Auch ohne sie würden Frauen diese Fake Nipples tragen, schon
klar. Doch die Marketingabteilung hat sich wirklich ins Zeug gelegt
und herausgearbeitet, wofür – und für wen – die Dinger sind. Bei der
»Freezing«-Option geraten die Hersteller ins Schwärmen:
So viel ist sicher: Diese kleinen Dinger sind viel billiger als Implantate. Wie sagen
wir’s am besten? […] Freezing Nips sind die Massenvernichtungswaffen unter den
Nippel-Aufrichtern. Sie sind potent. Sie sind tödlich. Sie schneiden durch Glas, Stahl,
Teflon, was auch immer – und sie sind der Grund, weshalb man auf jeder Party über
Sie reden wird. Freilich nur Gutes (die anderen Mädels sind ja bloß neidisch). Tragen
Sie sie unter Ihrem Lieblings-T-Shirt, denn das ist genau das, was die Models tun.
Aber mal ehrlich, was spricht dagegen, wenn Sie ganz Sie selbst sind und sie unter
Ihrem engsten Pulli tragen – für den heißesten »Cold Look« des Abends.86
Kein Witz, 2017 kam der »Push-up-BH für die Schamlippen« auf den
Markt – erhältlich in unterschiedlichen Hauttönen, »damit es so
aussieht, als würden die großen Schamlippen ihr Höschen
fressen«.87 Und noch einmal. Selbstverständlich ist es denkbar, dass
das gar nichts mit Männern zu tun hat und einfach nur genau das ist,
was Frauen unter ihrem Morgenmantel tragen, wenn sie es sich zu
Hause gemütlich machen, oder unter ihren ausgebeulten Hosen
oder dem schlabbrigen Rock im Büro. Schließlich geht es auch
dabei nur darum, dass sich Frauen wohl fühlen in ihrer Haut. Doch
ich beharre darauf, es gibt noch andere, viel offensichtlichere
Gründe, weshalb manche Frauen wollen, dass es so aussieht, als
würden ihre großen Schamlippen ihr Höschen fressen.
In den letzten Jahren hat selbst die leiseste Andeutung dieses
Sachverhalts beinahe gereicht, um Karrieren zu zerstören. Im
Februar 2018 wurde der kanadische Klinische Psychologe und Autor
Dr. Jordan Peterson von Jay Caspian Kang, Korrespondent bei VICE
News interviewt. Im Laufe dieses Gesprächs stellte Kang eine Reihe
von Behauptungen auf, auf die Peterson erwiderte, dass die wirklich
schwierigen Fragen noch nicht gestellt worden seien. Als Beispiel für
eine solche stellte er seinem Interviewer die Frage: »Können Männer
und Frauen an einem Arbeitsplatz miteinander arbeiten?« Kang
wirkte überrascht, dass eine solche Frage überhaupt gestellt werden
müsste, und entgegnete, dass er die Antwort kenne, dass sie das
nämlich durchaus könnten, weil »ich mit vielen Frauen
zusammenarbeite«. Doch Peterson verwies darauf, dass dies erst
seit etwa 40 Jahren so sei, folglich also recht neu, und dass wir noch
immer damit beschäftigt seien, die Regeln dafür aufzustellen.
»Kommt es am Arbeitsplatz zu sexueller Belästigung? Ja. Soll das
aufhören? Das wäre gut. Aber wird das wirklich eintreten? Na ja,
nicht jetzt, denn wir kennen die Regeln dafür nicht.« Und in diesem
Moment betrat Peterson wirklich gefährliches Terrain.
»Wie wäre es mit dieser Regel: Kein Make-up am Arbeitsplatz«,
schlug er vor. Jay Kang fing an zu lachen und erwiderte: »Wozu soll
das gut sein?« – »Weshalb schminken sich Frauen, wenn sie zur
Arbeit gehen? Ist das denn keine sexuelle Provokation?« Kang war
jedoch anderer Ansicht. »Aber wozu dann Make-up?«, bohrte
Peterson nach. »Manche Leute tragen eben gerne Make-up. Keine
Ahnung, warum.« Daraufhin erklärte ihm Peterson, dass Lippenstift
und Rouge nur einem Zwecke dienten, nämlich der sexuellen
Erregung. Dann machte Peterson die Sache noch schlimmer und
erklärte, dass Schuhe mit hohen Absätzen dazu dienten die sexuelle
Attraktivität zu erhöhen. Er fügte zwar noch hinzu, dass er nicht
sagen wolle, dass Frauen kein Make-up oder keine High Heels bei
der Arbeit tragen sollten. Doch er wolle zum Ausdruck bringen, dass
wir uns keinerlei Illusionen hingeben dürften, welche Reaktionen
Frauen damit bezwecken. Und dass Frauen mit Make-up und High
Heels dieses Spiel eben spielen würden.88 Während des ganzen
Interviews sah Kang manchmal verblüfft, manchmal gelangweilt
drein, ganz als ob Petersons Fragen unglaublich einfach zu
beantworten seien. Er versuchte jedoch zu keinem Zeitpunkt, etwas
gegen die Büchse der Pandora zu unternehmen, die sein Gast
geöffnet hatte.
Gut möglich, dass dies ein cleverer Schachzug des Interviewers
war. Denn dieses Mal fielen die Reaktionen sogar für Petersons
Verhältnisse wirklich heftig aus. In Online-Chat-Foren behaupteten
zahllose Leute, Peterson hätte gesagt, Frauen, die Make-up und
High Heels tragen, schrien förmlich danach, sexuell belästigt zu
werden. Manche Medien zogen nach. Solche Augenblicke sind
höchst interessant. Denn wenn jemand explizit sagt, dass er mit so
einer Diskussion keineswegs sagen will, dass Frauen nicht anziehen
dürften, was sie wollen, und ihm trotzdem anschließend sehr viele
Leute genau das vorwerfen und sogar noch einen draufsetzen und
behaupten, er würde sexuelle Belästigung als normale Reaktion auf
Schminke und Schuhe mit hohen Absätzen begreifen, dann läuft
etwas wirklich falsch.
Und nein, es geht nicht um Missverständnisse oder dass sich
jemand einfach verhört hat. Viel wahrscheinlicher zeigt uns das, wie
Aussagen stark vereinfacht und obendrein noch falsch
wiedergegeben werden, um eine schwierige Diskussion zu
vermeiden, die längst überfällig ist.
Über Themen wie dieses ließe sich wohl endlos diskutieren.
Gelangt eine Kultur zu der Überzeugung, dass Frauen unbedingt
und in jedem Fall geglaubt werden muss, wenn es um sexuelle
Belästigung, aber auch um ungewollte sexuelle
Annäherungsversuche geht, dann muss eine solche Reaktion doch
Verwirrung in der Gesellschaft stiften. Was sollen die Menschen
davon halten? Wie sollen sie in Situationen reagieren, wenn Frauen
ihre Weiblichkeit ausspielen? Wie passt es zusammen, dass
einerseits gilt, den Anschuldigungen von Frauen stets glauben zu
müssen, es aber andererseits ganze Branchen gibt, die sich darauf
spezialisiert haben, Frauen unter die Arme zu greifen, um Männer
auszutricksen?
Oder – um es etwas frauenfreundlicher zu sagen –, um Männer
anzulocken. Worum geht es bei den sommerlichen
Werbekampagnen, die Frauen auffordern, durch ihr Aussehen dafür
zu sorgen, dass man die Köpfe nach ihnen umdreht? Wer also soll
den Kopf umdrehen? Alle Frauen, die dann das gleiche Kleid, den
gleichen Bikini haben wollen? Oder etwa doch Männer?
Wenn die Grundlagen der neuen Metaphysik prekär sind, wenn die
Annahmen, die wir als wahr übernehmen sollen, auf eine subtile
Weise falsch scheinen, und wenn diese Mischung dann in die
Kommunikationsrevolution einfließt, dann sind alle Voraussetzungen
für den Wahnsinn der Massen gegeben. Laufen wir bereits in die
falsche Richtung, sorgen die neuen Technologien dafür, dass wir das
noch schneller tun, exponentiell schneller. Es sind diese
Ingredienzien, die uns das Gefühl verleihen, die Tretmühle drehe
sich schneller, als die Füße tragen können.
1933 erschien The Day the Dam Broke (Der Tag, an dem der
Damm brach) von James Thurber – seine Erinnerung an den 12.
März 1913, als sich seine ganze Heimatstadt in Ohio schlagartig in
Bewegung setzte. Thurber weiß noch genau, wie sich das Gerücht
verbreitete, der Damm sei gebrochen. Es war um die Mittagszeit,
»als plötzlich jemand anfing zu rennen. Schon möglich, dass diesem
Mann von einem Augenblick zum anderen die Verabredung mit
seiner Frau eingefallen war und er schon heillos spät dran war«.
Kurze Zeit später fing noch jemand an zu laufen, »vielleicht ein
ausgelassener Zeitungsjunge. Und dann war da noch ein stattlicher
Anzugträger, der in einen flotten Trab verfiel«.
Innerhalb von nur zehn Minuten rannte jeder Bewohner die High Street vom
Gewerkschaftshaus bis zum Gericht entlang. Aus dem lauten Gemurmel wurde ein
lautes und deutliches »Damm«. »Der Damm ist gebrochen!« Die Furcht wurde von
einer kleinen alten Dame im Rollstuhl, einem Verkehrspolizisten oder einem kleinen
Jungen in Worte gefasst: Niemand weiß genau, wer es war, aber das spielt eigentlich
auch keine Rolle. 2000 Menschen waren mit einem Mal auf der Flucht. »Wir müssen
nach Osten!«, schallte es von überall. Nach Osten, weg vom Fluss, nach Osten, in
Sicherheit. Nach Osten! Nach Osten! Nach Osten!
Als Martin Luther King Jr. am 28. August 1963 von den Stufen des
Lincoln Memorial in Washington, D. C., zu den Massen sprach,
appellierte er nicht nur an die Grundfesten der Gerechtigkeit im
Sinne der Gründungstradition und der Prinzipien Amerikas, er
formulierte auch die eloquenteste Verteidigung der richtigen Art und
Weise, mit anderen Menschen umzugehen, die je gemacht wurden.
Er sprach nicht nur vor dem Hintergrund der Jahrhunderte, in denen
Schwarze zunächst Sklaven und dann Bürger zweiter Klasse
gewesen waren, sondern in einer Ära, in der rassistische Gesetze
noch immer Teil der Gesetzesbücher US-amerikanischer
Bundesstaaten waren. Es galten noch immer Gesetze zur
Rassentrennung und ein Verbot der Rassenmischung, die es dem
Staat erlaubten, Paare unterschiedlicher Hautfarbe, die einander
liebten, zu bestrafen.
Es war Dr. Kings größte moralische Einsicht, dass in der Zukunft,
von der er träumte, Kinder »eines Tages in einer Nation leben
werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem
Charakter beurteilt werden«. Auch wenn zahlreiche Menschen
erfolgreich versucht haben, diesen Traum wahr werden zu lassen,
fand in den letzten Jahren ein schleichender Prozess statt, der
darauf abzielte, Dr. Kings Traum zu verwerfen und darauf zu
bestehen, dass Charakter nichts im Vergleich zur Hautfarbe ist. Es
wurde beschlossen, dass Hautfarbe das ist, was zählt.
Die Welt wurde sich in den letzten Jahren eine der
übriggebliebenen Kloaken bewusst, in der dieses gefährliche
Treiben stattfindet. Seit der US-amerikanischen
Präsidentschaftswahl von 2016 schenken die Medien den
Überresten der Vorherrschaft Weißer und weißem Nationalismus,
der sich in den USA und Teilen Europas ausgebreitet hat, große
Aufmerksamkeit. Im Allgemeinen ist man sich einig, was von diesen
Leuten zu halten ist. Es gibt wenig flächendeckende Unterstützung
für die »Spielchen«, die sie mit den dunkelsten Kapiteln der
Menschheitsgeschichte treiben. Sämtliche Medien und Parteien
verurteilen einstimmig den von diesen Leuten demonstrierten
Rassismus, der den Ethnonationalisten zugerechnet wird. Doch der
größte Rückschlag für Martin Luther Kings Traum kommt nicht aus
dieser Ecke. Nein, er stammt von Menschen, die überzeugt sind, sie
hätten genau den Weg eingeschlagen, den Dr. King 1963 vor dem
Lincoln Memorial skizziert hat. Diese überzeugten Nichtrassisten
haben dafür gesorgt, dass die Hautfarbe nicht mehr nur eines von
vielen großen Problemen ist, sondern das Problem, das wichtiger ist
als alle anderen unserer Zeit.
Im selben Augenblick, als das Problem der Rassen,
Rassenzugehörigkeit und Co. letzten Endes endgültig zu den Akten
hätte gelegt werden können, haben sie beschlossen, es wieder zum
Thema Nummer eins zu machen.
Ja, davon gehen sie aus, und die Verfasserin dieses Vorworts –
Barbara Applebaum von der privaten US-amerikanischen
Forschungsuniversität Syracuse – verdient, wie viele andere
Experten auch, ihren Lebensunterhalt mit dieser Annahme. In ihrem
Buch Being White, Being Good: White Complicity, White Moral
Responsibility and Social Justice Pedagogy von 2011 (Weiß sein,
gut sein: weiße Mittäterschaft, weiße moralische Verantwortung und
Pädagogik sozialer Gerechtigkeit) erklärt Applebaum, wie es sein
kann, dass selbst erklärte Antirassisten rassistisch sein können. Das
liegt ihrer Meinung nach schlicht daran, dass sie sich dessen nicht
bewusst sind. Unter anderem fordert Applebaum, weiße Studenten
zu lehren, wie man einander zuhört, sie dazu bringt, ihre
»Mittäterschaft« am Rassismus zuzugeben und dann zu lernen, wie
»Bündnisse geschaffen werden«. Anscheinend ist das für sie aber
kein reines Studienfach. In ihren Augen handelt es sich dabei – wie
sie es in der Oxford Encyclopedia formuliert hat – um einen Kampf
der Unerschrockenen mit allen Merkmalen nicht nur eines
Erziehungsprogramms, sondern eines Umerziehungsprogramms.
Das klingt nach einem Test für implizierte Verzerrung, also für
unbewusste Stereotype und Vorurteile, und zwar für Leute, die
schon für schuldig befunden wurden.
Applebaum spricht davon, dass noch mehr getan werden muss,
damit »Weiße achtsamer und sensibler werden«, dass sie lernen
müssen, was »Privilegien der Weißen« sind, und dass sie begreifen
müssen, inwieweit die »Privilegien der Weißen und rassistisch
motivierte Mittäterschaft« zusammenhängen. Schon klar, dass all
das nicht im luftleeren Raum existiert, sondern in Situationen, in
denen Rassismus um sich greift und gewaltsame Auswirkungen hat,
»[…] wie zahlreiche Ausbrüche rassistisch motivierter Gewalt, über
die in den Medien berichtet wird, zeigen«, wie sie ein bisschen
enttäuschend ausführt. Dennoch ist sich die Oxford Encyclopedia
darüber im Klaren, was mit diesem Studiengang bezweckt werden
soll. In den Black studies werden schwarze Schriftsteller und die
Geschichte der Schwarzen zelebriert, in Gay studies befasst man
sich mit bedeutsamen homosexuellen Figuren aus der Geschichte
und rückt sie in den Vordergrund, doch die Weißseinsforschung singt
beileibe kein Loblied auf Weiße – ich möchte sogar anzweifeln, ob
diese Disziplin tatsächlich den Namen Forschung verdient. Wie
Applebaum stolz verkündet, ist Sinn und Zweck der »Whiteness
studies« die »Disruption des Rassismus durch die Problematisierung
des Weißseins«. Und das soll »als Korrektur« erfolgen. Im Klartext
bedeutet das, dass bei allen anderen Studienbereichen, die sich mit
ethnischer Zugehörigkeit befassen, Stolz und eine gewisse
Fröhlichkeit mitschwingt, doch hier lautet das Ziel, Hunderte und
Aberhunderte Millionen Menschen zu problematisieren.
Nachdem sie W. E. B. Du Bois’ Beobachtung aus dem Jahr 1903
zitiert, dass die Rassengrenze das bestimmende Merkmal der
amerikanischen Gesellschaft sei, schreibt sie weiter: »Erst wenn
Weiße ihre Mittäterschaft in Sachen Rassismus anerkennen und sie
nicht mehr leugnen, erst wenn Weiße ein Bewusstsein entwickeln,
das die Grenzen der Wahrheit und das Konzept von Gut und Böse
kritisch hinterfragt, mit deren Hilfe sie ihre soziale Welt begreifen,
wird Du Bois’ Erkenntnis weiterhin glaubhaft klingen.«
Man könnte jetzt einwenden, dass es selbst von ausgeprägtem
Rassismus zeugt, wenn ein ganzer Personenkreis, samt seinen
Einstellungen, Fallstricken und moralischen Assoziationen
ausschließlich aufgrund seiner Rassenmerkmale definiert wird.
Damit »Weißsein« »problematisiert« werden kann, muss Weißen
erst einmal aufgezeigt werden, dass sie ein Problem darstellen. Und
zwar nicht nur auf einer gewissen intellektuellen abstrakten Ebene,
sondern im Alltagsgeschäft, wenn sie sich über andere Menschen
ein Urteil bilden. Wie das häufig der Fall ist, wenn ein Konzept über
die Mauern der akademischen Einrichtungen in die weite Welt
hinausdringt, kommt es in der Welt der Stars zu der
offensichtlichsten Demonstration, dass die neue Botschaft in der
Mitte der Gesellschaft angekommen ist, und dass nahtlos von der
Haltung, dass Rasse keine Rolle spielt, dazu übergegangen wurde,
dass Rasse das Einzige ist, was zählt.
»ENTKOLONIALISIERUNG« IM EVERGREEN
STATE COLLEGE
Jahrzehntelang gab es am Evergreen State College in Olympia,
Washington, den »Tag der Abwesenheit«. Die Idee dazu rührte von
einem Theaterstück gleichen Namens von Douglas Turner Ward aus
dem Jahr 1965.
Einmal im Jahr sollten alle schwarzen Schüler und Lehrkräfte
(später alle Farbigen) dem Campus einen Tag lang fernbleiben, zum
einen, um sich über relevante Themen auszutauschen, und zum
anderen, um zu zeigen, welchen Beitrag sie für ihre Community
leisten. Bis ins Jahr 2017 wurde diese Tradition fortgesetzt, doch
dann verkündeten die Organisatoren, den Spieß umdrehen zu
wollen, weshalb alle Weißen dem Campus für einen Tag fernbleiben
sollten. Einer der Lehrkräfte – der Biologielehrer Bret Weinstein –
wollte da nicht mitmachen. Mit dem üblichen Ablauf an diesem Tag
hatte er während seiner gesamten Lehrtätigkeit von 14 Jahren noch
nie ein Problem gehabt – und seine Frau, ebenfalls Lehrerin, auch
nicht. Er legte seinen Standpunkt in einer E-Mail dar, die über den
Verteiler des Colleges an alle dort Beschäftigten ging:
Es gibt einen enormen Unterschied zwischen einer Gruppe oder einem Bündnis, das
beschließt, aus freien Stücken einem gemeinsamen Ort fernzubleiben, um auf ihre
unverzichtbare und unterschätzte Rolle hinzuweisen (was im Übrigen das Thema
von Douglas Turner Wards Stück Day of Absence war, aber auch das Thema des
jüngsten Ausstandes am Frauentag), und einer Gruppe, die einer anderen erzählt,
einen Tag nicht zum College zu gehen. Bei dem ersten handelt es sich um einen
nachdrücklichen Aufruf, sich bewusst gegen jegliche Form von Unterdrückung zu
stellen. Bei dem zweiten dagegen haben wir es mit einer reinen Machtdemonstration
zu tun, was in und an sich ebenfalls auf eine Unterdrückung hinausläuft.
Weinstein sagte noch, dass er sich auf keinen Fall nötigen ließe, der
Uni einen Tag fernzubleiben. »Sein Recht auf Redefreiheit – oder
anwesend zu sein – darf niemals auf der Hautfarbe basieren.«
Wenigstens dachte er das.
Als bekennender progressiver Linker, und Anhänger von Bernie
Sanders, war Bret Weinstein auf keinen Fall jemand, dem man
einfach so das Etikett Rassist verpassen würde. Doch genau das
passierte dann. Nachdem sich die Kunde von seiner E-Mail auf dem
Universitätsgelände verbreitet hatte, versammelte sich eine Gruppe
von Schülern vor Weinsteins Klassenzimmer.
Dort versuchte er dann, vernünftig mit ihnen zu reden, eventuelle
Missverständnisse zu klären und sich auszutauschen. Mehrere
Schüler filmten mit ihren Handykameras, was dann geschah.
Weinstein wollte ihnen den Unterschied zwischen einem
»Streitgespräch und Dialektik« erklären und sagte: »Ein
Streitgespräch bedeutet, als Sieger rausgehen zu wollen. Dialektik
dagegen versucht, mithilfe von unterschiedlichen Standpunkten die
Wahrheit herauszufinden. Ich bin kein Fan von Streitgesprächen.
Ich setze ausschließlich auf Dialektik, was bedeutet, dass ich
euch zuhöre und ihr mir.« Das kam bei den anwesenden Schülern
aber nicht gut an. »Es ist uns scheißegal, was Sie zu sagen haben«,
brüllte eine junge Frau Weinstein an, dessen Gestik verriet, dass er
seinen Ohren nicht traute. »Wir reden jetzt nicht weiter über die
Bedingungen von weißen Privilegien.« Die Stimmung wurde immer
gereizter, manche buhten, andere kreischten. »Das ist keine
Diskussion«, schrie ein Schüler. »Eins zu null für uns.«
Weinstein beharrte auf seinem Standpunkt. »Ich rede von
Bedingungen, wie wir die Wahrheit herausfinden können.« Die
Reaktion der Schüler? Verächtliches Schnauben und höhnisches
Gelächter. »Das ist einfach nur rassistische Scheiße!«, brüllte dann
jemand. »Scheiß drauf, was Sie zu sagen haben.« Da inzwischen
das Geschrei im Hintergrund so laut wurde, konnte niemand mehr
hören, was dann gesagt wurde. »Möchten Sie die Antwort nun hören
oder nicht?«, wandte sich eine andere Person dann an die Schüler,
worauf ein lautstarkes »Nein!« zu hören war. Und so ging es immer
weiter. »Hört auf, Farbigen zu sagen, sie seien wertlos!«, rief eine
Schülerin und griff dann den Professor an. »Sie sind derjenige, der
wertlos ist! Hauen Sie ab. Fuck you, Sie Arschloch!«133
Auf dem ganzen Campus eskalierte die Situation, weshalb die
Polizei gerufen wurde. Als die Polizisten eintrafen, wurden sie von
den Schülern beleidigt, die sich an unterschiedlichen Stellen zu
Gruppen zusammentaten.
Eine Gruppe lief zum Büro von George Bridges, dem College-
Rektor, und stimmte Sprechchöre an. »Black power!« und »Raus mit
den Rassistenschweinen!« Ein Video zeigt einen schwarzen Schüler
mit pinkfarbenen Haaren, der den anderen Schülern erklärt, wie sie
Bridges und andere Lehrer am Verlassen des Büros des Rektors
hindern können.
Derselbe Schüler erklärte später, dass »die Redefreiheit genauso
wichtig ist wie das Leben von Schwarzen, Transmenschen, Frauen
und Schülern dieses Colleges«. Letzten Endes besetzten die
Schüler das Büro des Rektors, und was dann geschah, war für jeden
Außenstehenden surreal. Die Schüler hinderten Bridges mit aller
Macht daran, sein Büro zu verlassen. Irgendwann bat er darum, auf
die Toilette gehen zu dürfen, aber sie ließen ihn nicht. »Ich muss
aber aufs Klo, bitte lasst mich raus!«, insistierte er. Die
kaltschnäuzige Antwort lautete: »Verkneif’s dir halt!« Irgendwann
einigten sich die Schüler darauf, dass er die Toilette aufsuchen
durfte, aber nur mit zwei Mann Begleitung.134 Dafür, dass diese
Schüler so erklärte Gegner von Faschismus waren, waren sie
erstaunlich gut bewandert in den Methoden von Sturmtruppen.
Weiteres Bildmaterial, das ebenfalls von Handys stammt, zeigt
den Rektor (der sich als Sozialwissenschaftler seine ganze Karriere
lang für soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat) im Gespräch mit
Schülern auf dem Campus. Während Bridges versucht, auf sie
einzugehen, rufen sie Dinge wie »Fuck you, George, es interessiert
uns nicht, was du zu sagen hast. Halt einfach nur dein Maul!« Eine
Frau versucht, dem Rektor die Lage zu erklären: »Die Schüler hier
sind verdammt aufgebracht. Es kommt also nicht darauf an, wie Sie
etwas sagen, sondern was Sie sagen.« Man hört Rufe über die
»Privilegien der Weißen«, und als der Rektor gedankenverloren mit
dem Kopf nickt, hagelt es Beleidigungen. Eine schwarze Studentin
wirft ihm vor zu versuchen, die Dinge viel einfacher aussehen zu
lassen.
»Wir sind keine Schwachköpfe«, ruft sie. »Wir sind erwachsen.
Und ich sage Ihnen jetzt, dass Sie mit Ihren Vorfahren reden.
Genau. Wir waren vor Ihnen da. Wir haben die Städte gebaut. Wir
waren bereits zivilisiert, als Sie noch nicht mal wussten, was das
bedeutet. Erst dann sind Sie aus Ihrer Höhle gekrochen. Kapiert?«
»Sie besitzen die Frechheit, unsere Sache zu entmenschlichen«,
ruft ein anderer. Jemand anderes fällt ihm ins Wort und will die
Unterdrückung der Transsexuellen ansprechen, »weil Transsexuelle
auch eine Zielgruppe sind«. »Scheiße, stimmt ja!«, rufen ein paar
Schüler daraufhin, aber alles, was mit Rasse und Hautfarbe zu tun
hat, wird viel begeisterter aufgenommen als dieses
Transsexuellending. Allmählich löst sich die Versammlung auf, doch
mehrere Schüler stehen direkt neben Bridges und brüllen ihn an, ein
großer Mann reißt bedrohlich die Arme hoch.
Kurz danach macht der Rektor eine schwache Geste, um seinen
Standpunkt zu verdeutlichen, als er auch schon von einem Schüler
angemacht wird: »Hände runter, George!«, weist ihn ein Schüler an.
»Zeig nicht mit dem Finger auf uns!« »Lass es!«, warnt ihn ein
anderer. Dann läuft ein Schüler auf ihn zu und bedeutet ihm, dass er
seine Arme gefälligst seitlich herunterhängen lassen soll, wenn er
das Wort an sie richtet. »Schön die Arme nach unten!« »Runter
damit!«, brüllen die Leute. Als er dann genau das tut, ist lautes
Lachen zu hören.135 Dieses Gelächter hört sich nicht nach Freude
darüber an, dass die Gefahr eines bedrohlichen Fingerzeigs gebannt
ist, sondern nach hörbarem Entzücken, dass sie einen viel älteren
und erfahreneren Mann dazu gebracht haben, sich vor ihnen zu
erniedrigen.
Auch an anderer Stelle kommt es zu der Forderung, dass der
Rektor keine Gesten machen soll. »Nehmen Sie Ihre Hände
herunter, George«, fordert ihn eine junge Frau auf. »Genau damit
hab ich ein Problem, George«, sagt eine schwarze Schülerin und
steht auf. »Immer fuchteln Sie irgendwie mit Ihren Händen herum.
Aber ich werde diesen Raum hier jetzt entkolonialisieren. Ich laufe
jetzt einfach mal hier rum.« Alle Anwesenden klatschen und jubeln.
»Schon gut, ich halte die Hände nach unten«, verspricht Bridges,
legt die Hände hinter den Rücken und versucht, den Dialog wieder
aufzunehmen, während die junge Frau durch den Raum marschiert
und ihn »entkolonialisiert«.136
Die Situation auf dem Campus eskaliert immer mehr, und die
Schüler von Evergreen gelangen offenbar zu der Überzeugung, dass
sie es mit einem Professor zu tun haben, der sich offen zum
Rassismus bekennt, und dass auch die Institution an sich
unumwunden rassistisch ist. Kurze Zeit später rotten sich ein paar
Schüler zusammen, durchkämmen den Campus nach
Baseballschlägern und ähnlichen Waffen, die sie bedrohlich über
dem Kopf schwingen, und fangen an, andere Leute zu jagen,
anzugreifen und einzuschüchtern. Offensichtlich sind sie auf dem
Weg zu Professor Weinstein und seiner Familie, die damals genau
gegenüber vom College lebten, um ihr etwas anzutun. Die
Gewaltandrohung war so heftig, dass der Campus tagelang
abgeriegelt wurde. Der Polizei wurde untersagt, das Gesetz zu
vollstrecken, woraufhin sie sich in ihrer Polizeistation verschanzte.
Immerhin rief ein Polizist Weinstein an und riet ihm, sich vom
Campus fernzuhalten und sich und seine Familie in Sicherheit zu
bringen. Am Tag nach dem Vorfall vor Weinsteins Klassenzimmer
teilte die Polizei Weinstein mit, dass Demonstranten alle Autos in der
Gegend anhielten und sich die Ausweise zeigen ließen. Offenbar
waren sie auf der Suche nach ihm. Seine eigenen Schüler – und alle
anderen, denen eine abweichende Meinung unterstellt wurde –
wurden vom Mob gejagt und belästigt. Einem Schüler gelang es, die
Verbindung am Handy zu halten, während er vom Mob angegriffen
wurde. Im Anschluss an diesen Vorfall rechtfertigte sich eine junge
Frau damit, sie hätten ihn »Hassbotschaften schreiben sehen«.137
Zu behaupten, Evergreen wäre in dieser Zeit geradezu besessen
gewesen von Rasse und allem, was damit zusammenhängt, würde
die Vorgänge herunterspielen. Bei einer anschließenden Tagung des
Trägervereins des Colleges erinnerte sich ein Schüler: »Ich wurde
mehrmals aufgefordert, den Mund zu halten, weil ich weiß sei.
Dieses College übertreibt es mit diesem ganzen Rassending. So
werden sie selbst zu Rassisten, wenn auch andersherum.«138
Andere Schüler sahen das jedoch ganz anders. Ein weißes
Mädchen (ebenfalls mit pinkfarbenen Haaren) sagte in einem
Interview: »Mir ist völlig egal, was mit Bret passiert. Soll er doch
woanders den Rassisten rauskehren und sich aufführen wie das
letzte Stück Dreck, wenn er das möchte. Hoffentlich gelingt es uns
langfristig, solche Leute wie Bret auszumerzen.«139
Der Zufall wollte es, dass Weinstein nie wieder am Evergreen
College unterrichtete. Nur ein einziger Kollege von ihm oder seiner
Frau hat sich öffentlich zu ihm bekannt und gesagt, dass er jedes
Recht gehabt hätte, seinen Standpunkt zu vertreten. Nach ein paar
Monaten einigten sich Weinstein und seine Frau mit dem College auf
einen Vergleich, woraufhin sie beide ihren Posten verließen.
Man könnte eine ganze Dissertation darüber schreiben, was
damals am Evergreen College tatsächlich geschehen ist und was die
Schüler und andere dachten, was geschehen sei. Sämtliche
Merkmale eines modernen Gewaltausbruchs waren vorhanden: das
Aufbauschen harmloser Vorfälle, Behauptungen, die jeglicher
Grundlage entbehrten, die autoritäre Vorgehensweise unter dem
Deckmantel einheitlicher Bedingungen, dass aus Worten Gewalt
wurde und Gewalt zu Worten.
Schlimm nur, dass die Vorfälle am Evergreen College nicht
ungewöhnlich für ein US-amerikanisches College waren. Im Prinzip
waren sie der verlängerte Arm einer Bewegung an der Yale
University, die erst zwei Jahre zuvor in das öffentliche Bewusstsein
gerückt war. Das Stilisieren harmloser Vorfälle zu rassistischen
Verbrechen galt inzwischen als so normal, dass die Studenten in
Evergreen vielleicht dachten, sie könnten noch eins draufsetzen. Sie
machten wieder und wieder die Erfahrung, dass Erwachsene sich
dem Geschehen entweder entzogen und den Raum verließen oder
taten, was ihnen gesagt wurde.
2015 – also zwei Jahre vor den Vorfällen am Evergreen College
– hatte Erika Christakis, Dozentin an der Yale University, in einer E-
Mail die Frage aufgeworfen, ob die Verwaltung erwachsenen
Studenten vorschreiben könne, wie sie sich auf Halloween-Partys
kostümieren dürfen. Daraufhin kam es zu einer weiteren
Schlammschlacht über Halloween. Mit einem Mal drehte sich alles
um die Frage, wie sich verhindern ließe, dass unsensibel zu
Kostümen gegriffen wurde, die sich vielleicht gegen irgendwelche
kulturellen Gepflogenheiten richteten. Aufgrund von Erikas E-Mail
stellten mehrere Dutzend Studenten ihren Ehemann Nicholas
(ebenfalls Professor) im Innenhof des Internats Silliman, dessen
Leiter er war. Über mehrere Stunden hielten sie ihn gefangen,
beleidigten ihn und beschuldigten ihn und seine Frau des
Rassismus. Und wieder zückten Studenten ihre Handys und nahmen
alles auf.
Gleich zu Beginn der Auseinandersetzung sagt eine schwarze
Studentin zu Nicholas Christakis: »Ich fühle mich hier nicht mehr
sicher.« Denn was er gesagt und seine Frau in ihrer E-Mail
geschrieben hätte, seien »Gewaltakte« gewesen. Christakis blieb die
ganze Zeit über ruhig, schlug einen versöhnlichen Ton an und wollte
die Studenten beruhigen. Man sieht auf den Aufnahmen, wie sehr er
sich bemüht, zu den Studenten durchzudringen und ihnen
klarzumachen, dass es abgesehen von ihrem Standpunkt auch
einen anderen gibt. Es hat nicht funktioniert. Mitten im Gespräch
bricht eine junge Schwarze in Tränen aus. Alles was er ihnen zu
sagen versuchte, hätte er sich auch sparen können. Als er den
Anwesenden erklären wollte, dass seine Vision die von
Mitmenschlichkeit sei, brachen die Studenten – nicht anders als ihre
Zeitgenossen am Evergreen College – in verächtliches Schnauben
und höhnisches Lachen aus. Andere warteten nur darauf, auf ihn
losgehen zu können. Christakis versuchte, seinen Standpunkt zu
verdeutlichen und sagte, auch wenn zwei Menschen nicht das
Gleiche erlebt und nicht die gleiche Hautfarbe oder das gleiche
Geschlecht hätten, könnten sie einander doch verstehen.
Auch das funktionierte nicht. Irgendwann sieht man ihn lächeln,
weshalb er von den Studenten sofort beschimpft wird. »Sie kotzen
mich an«, schrie ihn eine junge Yale-Studentin an. Ein großer
Schwarzer baute sich vor Christakis auf und herrschte ihn an:
»Schauen Sie mich an. Schauen. Sie. Mich. An. Kapieren Sie das?
Sie und ich, wir sind nicht dieselbe Person. Ja, wir sind beides
Menschen, schön.
Wenigstens da sind wir uns einig. Aber Ihre und meine
Erfahrungen haben nichts miteinander zu tun.« Das war der
Augenblick, in dem die umstehenden Studenten anfingen, kurze,
klackende Geräusche von sich zu geben (die Alternative zum
weitaus aggressiveren Klatschen).
»Sie brauchen kein Mitgefühl für uns zu empfinden, aber Sie
müssen einsehen, dass Sie sich irren, okay?«, fuhr ihn einer der
Studenten an. »Auch wenn Sie nie fühlen werden, was ich fühle.
Auch wenn Sie noch nie erlebt haben, was Rassismus ist, weil man
sich Ihnen gegenüber nicht rassistisch verhalten kann, heißt das
noch lange nicht, dass Sie selbst kein Rassist sein können.«
Christakis wurde vom selben Studenten angegangen. »Wie können
Sie in dieser Situation lächeln?« Als der Professor höflich bedeutete,
dass er einer Meinung mit dem Studenten sei, fuhr ihm ein anderer
über den Mund, dass Übereinstimmung hier weder gebraucht noch
gewollt sei. »Das ist keine Diskussion. Das ist keine Diskussion«, rief
ein Student. Eine weitere schwarze Studentin fiel über den Professor
her. »Ich will, dass Sie gefeuert werden. Okay. Sie müssen das
verstehen. Schauen Sie mich an!« Sie schrie ihm ins Gesicht, was
für ein »widerlicher Kerl« er sei und dass sie die Schnauze voll habe
»von seinen kranken Überzeugungen oder was zur Hölle das auch
sein soll«.140
Zum Schluss sagte Christakis noch zu den Studenten, dass auch
andere Menschen Rechte hätten, nicht nur sie. Daraufhin hörte man
andere Studierende sagen: »Er ist es nicht wert, dass man ihm
zuhört.«
Und dann ergriff eine junge Schwarze – deren Schimpftirade sich
viral verbreitete – das Wort und beschuldigte den Professor, die Uni
zu einem »unsicheren Ort zu machen«. Er wollte etwas erwidern,
doch sie hob die Hand und brüllte: »Seien Sie ruhig!« Und fuhr dann
fort: »Sie als Rektor sollen den Studenten hier in Silliman ein
Zuhause bieten, in dem sie sich wohlfühlen können. Das haben Sie
ja wohl verbockt. Diese E-Mail hätten Sie als Rektor nie schreiben
dürfen. Verstehen Sie mich?«
Christakis versucht einzuwenden: »Nein, das sehe ich anders.«
In voller Wut kreischte sie daraufhin in höchsten Tönen: »Weshalb
haben Sie diesen Job dann angenommen? Wer hat Sie denn
eingestellt, verdammte Scheiße?« »Ich habe eine ganz andere
Vision«, versuchte der Professor es erneut, aber sie ließ sich nicht
beruhigen und schrie ihn weiter an. »Sie sollten gehen. Wenn das
Ihre Meinung als Rektor ist, sollten Sie Ihren Job hinschmeißen. Es
geht hier nicht um Intellektualität. Nein, tut es nicht. Kapieren Sie
das? Es geht darum, ein Zuhause für uns zu schaffen. Und das
machen Sie nicht!« Bevor Sie wutentbrannt abzog, brüllte sie ihn
noch an: »Ich hoffe, Sie kriegen nachts kein Auge mehr zu. Sie sind
ein widerlicher Kerl.«141
Man sollte sich nochmals vor Augen halten, worum es eigentlich
ging. Genau, um Halloween-Kostüme und um die Frage, ob die
Univerwaltung Studenten wie Kleinkinder behandeln und ihnen
vorschreiben könne, welche Kostüme sie tragen dürfen und welche
nicht. Ich vermute mal stark, dass ganz normale Amerikaner, die
nicht aufs College gegangen sind, sich nach diesen Videos ernsthaft
die Frage gestellt haben, wie diese Studenten später einmal ihr
Leben im Griff haben sollen, wenn für sie schon Halloween so ein
riesiges Problem darstellt.
Anders als damals die Weinsteins erhielten Erika und Nicholas
Christakis Unterstützung von manchen ihrer Kollegen. Doch am
Ende des Jahres dieses unglaublichen Vorfalls trat Christakis von
seinem Posten als Rektor des Internats in Yale zurück, und auch
seine Frau kündigte ihren Job.
Es ist ein wirklich starkes Stück, dass Yale-Studenten ihre
Professoren unbehelligt öffentlich beschimpfen und beleidigen und
dazu nötigen konnten, genau das zu tun, was sie von ihnen
verlangen – und sie letzten Endes dazu zu bringen, die Kündigung
einzureichen. Möglicherweise wurde auf diese Weise der Boden
bereitet für Evergreen und andere Orte. Das Auffälligste an dem
Bildmaterial dieser Ereignisse ist jedoch, dass es in beiden Fällen
um einen eindeutigen Machtkampf ging. Ganz gleich, wie aufrichtig
manche Schüler oder Studenten auch gewesen sein mögen, steht
ihnen doch ins Gesicht geschrieben, dass sie es nicht fassen
können, wie schnell sich Erwachsene in die Flucht schlagen lassen.
Das und auch eine gewisse Erleichterung, dass man auch durch das
Studium an einer Universität (die eigentlich ein Ort sein sollte, an
dem Studenten vor allem eines tun: Lernen) kommen kann, indem
man schwere Beschuldigungen erhebt und unmögliche Forderungen
stellt.
Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, versuchte Christakis,
in einem Artikel zu erklären, welche Aufgabe eine Universität habe
und dass es die Pflicht einer jeden Bildungseinrichtung sei,
»Intoleranz in all ihren Ausprägungen im Keim zu ersticken«. Weiter
schrieb er: »Mangelnde Übereinstimmung hat mit Unterdrückung
nichts zu tun, ein Streitgespräch nichts mit einem Angriff. Worte –
auch wenn sie provozieren oder dem anderen widersprechen –
haben nichts mit Gewalt gemein. Es passt uns nicht, was jemand
sagt, dann gibt es nur eine Lösung: darüber reden!«142
Doch diese Erklärung machte keine Schule. Ein Jahr später fand
an der Rutgers University eine Podiumsdiskussion über
Identitätspolitik statt, zu der auch Professor Mark Lilla und der
schwarze Unternehmer und politische Kommentator Kmele Foster
geladen waren. Foster hielt eine leidenschaftliche Ansprache für den
Schutz der Meinungsfreiheit und führte vor den dort versammelten
Studenten aus, dass sich Minderheiten in den 1960er-Jahren auf ihr
Recht auf freie Meinungsäußerung berufen hätten, um für ihre
Bürgerrechte zu kämpfen, und wie wichtig es »für sie war, dieses
Recht auf Meinungsfreiheit zu besitzen, um für ihre Sache eintreten
zu können«. Foster sprach auch über Martin Luther King, der seinen
berühmten Brief aus dem Gefängnis von Birmingham, Alabama,
geschrieben hat, da er wegen Verstoßes gegen die
Demonstrationsfreiheit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden
war. An diesem Punkt wendeten sich ein paar der Zuhörer gegen
den schwarzen Redner und riefen im Chor: »Black Lives Matter«
(»Schwarze Leben zählen«). Ein junger Schwarzer brüllte Foster an,
der ihm gelassen entgegensetzt: »Zählen Fakten?« Daraufhin der
Schwarze: »Erzählen Sie mir nichts über Fakten. Mich interessieren
Ihre Fakten nicht. Das Problem ist die Kolonialisierung […]. Fakt ist
nun einmal, dass eine Gruppe von Menschen eine andere
kontrolliert.« Währenddessen hält ein anderer Zuhörer ein Schild
hoch, auf dem geschrieben steht: »Weiße Überlegenheit ist das
Problem«.143 Zu guter Letzt durfte Foster seinen Vortrag doch noch
beenden.
Was diese und viele andere ähnliche Reaktionen enthüllten, war
Teil eines tiefer liegenden Gedankens, nämlich die Vorstellung
schwarzer Politik und schwarzer Radikaler, dass, nachdem alles auf
der Basis weißer Hegemonie aufgebaut ist, jedes einzelne Detail in
diesem System von implizitem oder explizitem Rassismus
durchwoben ist und deshalb ein für alle Mal ausgelöscht werden
muss. Wenn auch nur eines der bestehenden Systeme übrig bleibt,
kann es folglich niemals zu Rassengerechtigkeit kommen. Das ist
wohl auch der Grund, weshalb das Magazin The Root, das sich an
die schwarze Community wendet, 2018 einen Artikel von Michael
Harriot abdruckte, in dem er Weiße kritisierte, die sich »über die
mangelnde Vielfalt der Gedanken beklagten«. »Man sollte den
Weißen mal die Meinung geigen«, hieß es darin weiter, »dass sie
sich immer gleich als Opfer fühlen«. Und weiter: »Die Dreistigkeit der
Weißen liegt darin, dass sie sich gegen alles wehren, was auch nur
im Ansatz eine Bedrohung der anhaltenden Überlegenheit der
weißen Rasse darstellt.« Und dann holte er zu seinem letzten
Schlag aus: »Mangelnde Vielfalt der Gedanken ist lediglich ein
Euphemismus für die Überlegenheit der Weißen.«144
Und so geht es immer weiter. Im gleichen Jahr, als Kmele Foster
beschieden wurde, »Mich interessieren Ihre Fakten nicht«, sollte die
Essayistin Heather Mac Donald einen Vortrag am Claremont
McKenna College halten. Die Veranstaltung wurde jedoch verlegt,
die Rede war nur über einen Videolink abrufbar, da Drohungen von
Studenten eingegangen waren. Vor der Rede war bei der
Universitätsverwaltung ein Schreiben eingegangen, das so
unterzeichnet war: »Wir, einige der wenigen schwarzen Studenten
hier am Pomona College und den Claremont Colleges.« Die
Unterzeichner behaupteten, dass es dem weiblichen konservativen
Gast, sollte sie für diesen Vortrag gebucht werden, »nicht um
Meinungsverschiedenheit« gehe, »sondern um die
Existenzberechtigung von Schwarzen«. Sie beschrieben Mac
Donald als »Faschistin, Rassistin, Kriegerin, zudem als transphob,
queerphob und als eine Anhängerin der Klassengesellschaft, die
bestreitet, dass es Herrschaftssysteme gibt, die zu tödlichen
Bedingungen führen, unter denen die Unterdrückten leben müssen«.
Natürlich ist kein Wort davon wahr.
Mit Sicherheit hatten die Studenten das eine oder andere
vermeintliche Argument aus ihrem Buch The War on Cops: How the
New Attack on Law and Order Makes Everyone Less Safe (Der
Krieg gegen Polizisten: Wie der neue Angriff auf Recht und Ordnung
die Sicherheit aller einschränkt) aufgeschnappt – in der einen oder
anderen Version –, aber gelesen hatten sie es bestimmt nicht. Wie
auch immer, sie machten im gleichen Stil weiter und behaupteten,
Mac Donald zu erlauben, einen Vortrag zu halten, wäre »die
stillschweigende Duldung von Gewalt gegen Schwarze und wende
sich voll und ganz gegen Schwarze«. Doch der Höhepunkt war das
Schlusswort des Schreibens dieser Studenten, das alles über sie
aussagte. Dort hieß es:
Schon immer haben Anhänger der Überlegenheit der weißen Rasse die Idee einer
Objektivität hochgehängt und haben das Schwert der Dichotomie von Subjektivität
und Objektivität geführt, um unterdrückte Völker zum Schweigen zu bringen. Die
Vorstellung, dass es nur eine einzige Wahrheit gäbe, also die Wahrheit schlechthin,
ist ein Konstrukt des westlichen Europas, das seinen Ursprung in der Zeit der
Aufklärung hat. Damals ging man davon aus, dass schwarze und braune Menschen
Untermenschen sind und keine Schmerzen empfinden können. Dieses Konstrukt ist
ein Mythos, doch ihm entsprangen die Vorstellung von der Überlegenheit der weißen
Rasse, der Imperialismus, die Kolonisierung, der Kapitalismus sowie die Vereinigten
Staaten von Amerika. Die Vorstellung, dass es sich bei der Wahrheit um eine Einheit
handelt, nach der wir streben sollten, weil wir nicht überleben können, wenn wir
keinen festen Rahmen haben, ist ein Versuch, unterdrückte Menschen zum
Schweigen zu bringen.145
»Die absolute Wahrheit« ist nichts anderes als ein Konstrukt des
westlichen Europas. Es fällt mir schwer, mir eine Wendung
vorzustellen, die zugleich so extrem irregeleitet ist und so gefährlich
in ihrer Wirkung. Wenn »die absolute Wahrheit« (in Gänsefüßchen)
nichts anderes ist als so ein Weißending, wo sollen dann Nichtweiße
leben und wonach sollen sie streben?
Verstörend ist weniger, dass junge Menschen eine solche
Position einnehmen, sondern vielmehr, dass sie ihnen beigebracht
wurde.
Ein kurioser Aspekt der Hochschulpolitik – einschließlich des
Aktivismus auf dem Campus – ist, dass es so leichtfällt und so
verlockend ist, sich nicht mit ihr auseinanderzusetzen. Ab einem
gewissen Alter kann sich jeder zurücklehnen und sagen, dass
Studenten schon immer aufbegehrt haben, und die Tatsache
verdrängen, dass bis zu den 1960er-Jahren Universitäten nicht
bekannt dafür waren, dass dort Aktivistenkarrieren ihren Ursprung
nahmen, geschweige denn als Keimzellen regionaler, geschweige
denn weltweiter Revolutionen.
Mittlerweile steht jedoch fest, dass selbst die bizarrsten
Forderungen aus dem Universitätsgelände in die reale Welt
eindringen, und das mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ebenso
wie sich an sicheren liberalen Kunstakademien Amerikas die
Überzeugung durchsetzte – oder so getan wurde als ob –, dass
Rassismus allgegenwärtig ist, obwohl nichts für diese These spricht,
hat sich daraus in weiten Kreisen der Bevölkerung eine Art
Besessenheit entwickelt, sodass alles unter dem Aspekt der
ethnischen Zugehörigkeit betrachtet wurde. Es wurde sogar möglich,
rassistische Dinge unter dem Deckmantel des Antirassismus von
sich zu geben – doch das Schlimmste ist, dass all das inzwischen
als völlig normal gilt. Und deshalb ist es jetzt so, wie Andrew Sullivan
trefflich formuliert hat: Befassen wir uns mit dem Wahnsinn an den
Universitäten, kommen wir nicht umhin zu schlussfolgern, dass »Wir
alle auf dem Campus leben«.146
CRAZY SHIT
Wie es bei so vielen Dingen der Fall ist, geschahen sie in bester
Absicht, zum Beispiel als Wiedergutmachung von unleugbaren
Fehlern der Vergangenheit. Doch auch diese Akte der
Wiedergutmachung fühlen sich häufig weniger nach einem
Heilungsprozess an als vielmehr nach Neuinfektion. Die meisten
Leute dürften zum Beispiel die Zeitschrift National Geographic nicht
in die Nähe von Rassismus rücken.
Allen, die den Rassismus dieses Blatts nicht mitbekommen
hatten, wurden 2018 die Augen geöffnet, als sich die Herausgeber
bemüßigt fühlten, als Leitartikel eine formelle Entschuldigung
abzudrucken. In der gesamten Ausgabe ging es um die
Rassenproblematik, der Leitartikel trug die Überschrift: »Seit
Jahrzehnten ist unsere Berichterstattung rassistisch geprägt. Damit
wir unsere Vergangenheit abstreifen können, müssen wir das
akzeptieren.« In der Entschuldigung der Zeitschrift – die seit 1888
verlegt wird – wurden viele Dinge angesprochen. Die
Chefredakteurin Susan Goldberg schrieb im Editorial, dass sie
jemanden damit beauftragt habe, sich die alten Ausgaben einmal
daraufhin durchzusehen, und dass »so manches aus unserem
Archiv einen sprachlos zurücklässt«.
Die Zeitschrift habe sich vieler Dinge schuldig gemacht, befand
sie. So hätten die Redakteure und Journalisten »Farbige, die in den
Vereinigten Staaten lebten, praktisch ignoriert«. An anderen Orten
dieser Welt wurden »Einheimische« »bekanntermaßen oft nackt
abgebildet und als exotische glückliche Jäger oder edle Wilde«
dargestellt, was jedes denkbare Klischee erfüllen würde. Kurz
gesagt, das Magazin habe »wenig dafür getan, um seinen Lesern
dabei zu helfen, die Stereotype loszuwerden, die in der weißen
Kultur Amerikas fest verankert sind«.
Vor allem ein Artikel aus dem Jahr 1916, in dem es um
Aborigines in Australien ging, wurde als sehr rassistisch
empfunden.147 Als Beweis, wie sehr sich die Zeitschrift seit damals
geändert habe, verriet die Chefredakteurin den Lesern, dass sie
nicht nur jüdischen Glaubens, sondern auch eine Frau sei. Mal
abgesehen davon, dass sie mit der Anspielung auf die Ureinwohner
Australiens die Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt hat, an das sich
niemand mehr erinnert hätte, war noch etwas anderes sehr
merkwürdig an dieser Geschichte. Fast jeder Geschichtsstudent
kennt die nur allzu wahre Zeile am Anfang des Buchs Ein Sommer in
Brandham Hall von. L. P. Hartley, die da heißt: »Die Vergangenheit
ist ein fremdes Land, dort gelten andere Regeln.« Es braucht schon
eine gehörige Portion Naivität, um davon auszugehen, dass ein
Artikel von 1916 den präzisen gesellschaftlichen Anforderungen von
2018 entspricht. 1916 durften Frauen in Großbritannien und in
Amerika nicht wählen, Schwule konnten zu Zwangsarbeit in Haft
verurteilt werden, und eine ganze Generation junger Männer verlor
ihr Leben auf den Schlachtfeldern in Flandern und Frankreich durch
Senfgas, Minen, Kugeln und Granaten. Damals galten andere
Regeln.
Was wir aus der Sache jedoch lernen können, ist, dass die
Entschuldigung des National Geographic den wachsenden
Ansprüchen nicht genügte. Der Historiker David Olusoga erklärte in
The Guardian, die Entschuldigung sei »gut gemeint, aber zu
zögerlich«.148 Es dürfte nicht überraschen, dass ein solcher Umgang
mit der Vergangenheit nicht zu einer hilfreichen kritischen Haltung
führt, sondern eher zu der neurotischen Angst, was man in der
Gegenwart alles sagen und tun darf oder besser nicht. Wenn sich
die Leute früher derart getäuscht haben, wie können wir dann mit
Sicherheit wissen, dass wir heutzutage alles richtig machen?
Kurz vor der Entschuldigung des National Geographic kam der
Film Black Panther in die Kinos. Im Vorfeld wurde viel über die fast
ausschließlich schwarze Besetzung geredet und geschrieben und
über die Chance, dass dieser Film schwarzen US-Bürgern und
anderen Hoffnung geben könnte. Ein Großteil beruhte offenbar
darauf, wie der Film bei den Kritikern ankäme und ob er auch
kommerziell erfolgreich wäre. Die leitende Redakteurin Emily
Lakdawalla von The Planetary Society stellte auf Twitter die in ihren
Augen bestimmt ernst gemeinte Frage, was der richtige Moment für
eine weiße Frau sei, sich Black Panther im Kino anzusehen.
Natürlich nicht am ersten Wochenende nach dem Kinostart, aber
wann dann? Die 42-Jährige twitterte: »Ich habe mir bewusst deshalb
keine Tickets für das erste Wochenende nach Anlaufen des Films
gekauft, weil ich nicht die Weiße sein wollte, die Schwarzen ihre
Freude im Kino wegsaugt. Doch wann wäre denn ein passender
Tag, um ins Kino zu gehen? Wäre nächstes Wochenende okay?«149
In dem Ausdruck »Freude wegsaugen« klingt irgendwie an, dass
Weiße nicht nur Monster und Rassisten sind, sondern auch Bräuche
von Vampiren zu schätzen wissen.
Und wieder hört es sich ziemlich verrückt an, dass lediglich die
Anwesenheit eines Menschen einer bestimmten Hautfarbe einer
anderen Gruppe von Menschen den Tag vermiesen könnte. Auch
wenn Lakdawalla viel Spott erntete, hat sie mit ihrem Tweet doch
einen Punkt getroffen. Schließlich finden solche Bedenken
mittlerweile fast überall. Sie hatte eine gehörige Portion davon
inhaliert und lediglich wieder ausgespuckt.
Bislang war Thanksgiving in Amerika immer der Tag, der
unbekümmert mit Familie und Freunden verbracht wurde. Doch
2018 sollte sich auch das ändern – selbst Thanksgiving wurde zum
Tag der Rassenproblematik. Und so stimmte das Magazin The Root
seine Online-Leser auf Thanksgiving 2018 ein. »Liebe Weiße«,
sprach es sie an, »sollten Sie Ihr Thanksgiving mit schwarzen
Familien feiern, sollten Sie daran denken, dass unser Thanksgiving
nichts mit Kolonialisierung und Genozid an amerikanischen
Ureinwohnern zu tun hat. Wir begehen ein halbreligiöses Ritual, bei
dem sich alles um leckeres Essen, Familie und Süßkartoffelauflauf
dreht.«150 Wenige Wochen später, die Vorweihnachtssaison hatte
bereits begonnen, stellte Vice ein Video ins Netz, in dem es um eine
neue aufregende Art von Urlaub ging, genauer gesagt um eine
Gruppe von Frauen, die eine Auszeit von »Weißen« brauchte. Oder
wie Vice das Video betitelte: »Wie ein Urlaub ganz ohne Weiße
ist.«151 Über den Urlaubsort und die Idee dahinter wussten das
Magazin und die Urlauberinnen nur Gutes zu berichten.
Unumwunden machten die Urlauberinnen klar, dass es wichtig für
farbige Frauen sei, auch mal Zeit ohne Weiße ganz für sich zu
haben, dass daran nichts verkehrt sei und dass jeder ein übler
Rassist sei, der gegen eine solche Auszeit Einwände hätte.
Ein Blick über die Staatsgrenze im Norden der USA zeigt uns,
dass die Kanadier selbst davor nicht zurückschrecken, Unglücksfälle
als Zeichen von systematischem Rassismus zu werten. Im April
2018 kam es in Saskatchewan zu einem schrecklichen Busunfall, bei
dem 16 junge Menschen starben und 13 weitere verletzt wurden. Die
Tragödie sprengte den Rahmen des vorstellbaren Grauens, als
feststand, dass in dem Bus lauter Spieler der Junior-
Eishockeymannschaft Humboldt Broncos gesessen hatten. In einem
vom Eishockey besessenen Land stürzte der Tod so vieler junger
Menschen unter 20 Jahren eine ganze Nation in tiefe Trauer. Als
Zeichen ihres Respekts stellten viele Kanadier ihre Hockeyschläger
vor die Tür, und bei einem Spendenaufruf kam eine Rekordsumme
zusammen. Doch auch dieser schreckliche Unfall machte nicht Halt
vor der neuen Rassifizierung von wirklich allem. In der schweren Zeit
nach dem schrecklichen Unglück beklagte sich die Bloggerin und
selbsternannte »Aktivistin« Nora Loreto aus Quebec City in den
sozialen Medien darüber, wie viel Aufmerksamkeit der Tod der
jungen Hockeyspieler erregt hatte und behauptete: »Dass es
Männer waren, junge Männer und vor allem junge weiße Männer […]
spielte dabei eine sehr große Rolle.«152 Im Jahr 2018 war es so,
dass alles, ganz gleich, in welche Richtung man auch blickte – nach
vorn oder zurück –, ganz gleich, ob es sich um eine Komödie oder
eine Tragödie handelte, durch die Brille mit dem Aufdruck »Rasse«
betrachtet wurde. In diesem Jahr kam zum Beispiel Disneys Remake
des Klassikers Dumbo in die Kinos, in dem ein junger Elefant die
Hauptrolle spielte. In der Kritik nicht einmal des Realfilms, sondern
nur des Trailers bezog sich das Magazin Vice auf den
Originalcartoon von 1940 und schrieb über den Trickfilm »ohne
Übertreibung: Das ist eine der erschreckendsten Produktionen
Disneys«, denn gleich mehrere Charaktere sind Alkoholiker,
»gruselig« und »im Allgemeinen auch rassistisch«. Jedoch: »Trotz
alledem hat es der Film geschafft, die Herzen von Kindern seit
Generationen im Sturm zu erobern, auch wenn sie sich hin und
wieder dabei fürchten.« Zum Glück wurden diese Missstände im
Remake behoben. Nachdem sich Vice den Trailer zu diesem
Kinderfilm angesehen hatte, fühlte sich das Blatt ermächtigt, seinen
erwachsenen Lesern mitzuteilen, dass Disneys Remake von Dumbo
»ein süßer, herzerwärmender Film ist, scheinbar weder rassistisch
noch furchterregend«.153 Wieso dachten sie denn, das würde er
sein? In welcher Welt ist es denn nötig, dem Remake eines
Kinderfilms über einen fliegenden Elefanten einen solchen
Warnhinweis zu verpassen? Die Antwort lautet: In einer Welt, in der
jeder besessen ist, nicht von auf Rasse bezogener Blindheit,
sondern von auf Rasse bezogener Besessenheit. Und auch wenn
Universitätswissenschaftler, die sich mit Rasse beschäftigen, die
geheime Quelle zumindest einiger dieser Überzeugungen sein
sollten, machen sie sich doch nirgendwo anders so deutlich
bemerkbar wie in den öffentlichen Medien, wo Hunderte Millionen
Menschen die Idee verinnerlichen, dass diese wiederbelebte
Besessenheit von Rasse völlig normal wäre.
GECASTETE VERLEUMDUNG
Im Februar 2018 lief bei Netflix die Fernsehserie Das
Unsterblichkeitsprogramm (engl. Original: Altered Carbon), eine
Adaptation von Richard K. Morgans Roman. Nur die größten
Science-Fiction-Fans dürften in der Lage gewesen sein, seine
Botschaft zu entschlüsseln, wenngleich die Bilder dieser teuer
produzierten Serie beeindruckend waren. Ohne jetzt zu sehr ins
Detail gehen zu wollen: Der Film spielt im Jahr 2384 und dreht sich
um einen Charakter namens Takeshi, der ermordet wurde und
dessen Bewusstsein 250 Jahre nach seinem Tod in den Körper
(bzw. »Sleeve« – wörtlich »Hülse«) eines anderen übertragen –
etwas, was in der Zukunft allgemein üblich ist.
In dem Moment, als Netflix die Besetzung bekannt gab – lange
Zeit, bevor die Serie anlief –, hagelte es Kritik an dieser
Entscheidung. Der schwedische Schauspieler Joel Kinnaman, der
durch seine Rolle als Gegenspieler von Frank Underwood (gespielt
von Kevin Spacey) in House of Cards bekannt geworden war, sollte
den wiedergeborenen Takeshi spielen. Am Tag, als Das
Unsterblichkeitsprogramm anlief, war das Nachrichtenmagazin Time
unter den Publikationen, die beschlossen hatten, ohne Umschweife
auf den Punkt zu kommen, was schon die Überschrift des Artikels
deutlich machte: »Das Unsterblichkeitsprogramm spielt in der
Zukunft, ist aber Lichtjahre davon entfernt, progressiv zu sein.«
Vielmehr, so hieß es weiter in dem Artikel, fühle sich diese Serie
»ausgesprochen rückschrittlich« an, wenn man bedenke, wie darin
mit »Rasse, Gender und Gesellschaftsschicht umgesprungen wird«.
Das größte Problem war, dass die Wahl für die Rolle des Takeshi auf
den Schweden Kinnaman gefallen war. Der Time zufolge
(anscheinend hatten sie dort vergessen, dass es sich hier um
Science-Fiction handelt) war es falsch, die Rolle von Takeshi, der in
seinem früheren Leben ein »asiatischer Mann« gewesen war, mit
einem »weißen Kerl« zu besetzen. Auch wenn die Kritikerin der
Time einräumen musste, dass sich die Verfilmung haargenau an die
literarische Vorlage hält, findet sie das Ganze (und bedient sich
dabei des Lieblingswortschatzes der sozialen Gerechtigkeit)
nichtsdestotrotz »gerade auf der Leinwand äußerst problematisch«.
Und weiter:
Die Macher hätten gut daran getan, die Rolle des wiedergeborenen Takeshi mit
einem asiatischen Schauspieler zu besetzen und mit allen Mitteln einen ähnlich
großen Krieg zu vermeiden wie bei Scarlett Johanssons Rolle in Ghost in the Shell
von 2017, als sie das Bewusstsein einer asiatischen Frau in einem weißen
Androiden spielte.
Letzten Endes wurde die Rolle mit Mikaela Bennett neu besetzt, die
aus Ottawa, Kanada, stammt, die aber angeblich über ein
passenderes ethnisches Profil verfügt. Eine Handvoll Tweets also,
und die Entscheidung, eine Rolle mit einer bestimmten Künstlerin zu
besetzen, wurde rückgängig gemacht. Eine überaus talentierte
Sängerin wurde gemobbt, damit sie das Handtuch wirft. Und im
Namen des »Fortschritts« und der »Diversität« verbuchten
Rückschrittlichkeit und mangelnde Vielfalt unglaublicherweise einen
weiteren Sieg. In einer Zeit, in der absolut alles politisiert und
polarisiert wird, wird auch das weite Feld von Fiktion und Kunst –
eine der besten Möglichkeiten, Grenzen zu überwinden –
zunehmend zum Schlachtfeld für Exklusivität von Rasse und
Ausschluss von Rasse.
Vielleicht wachen die Leute, die auf dieses Pferd gesetzt haben,
eines Tages in dem Bewusstsein auf, dass sie auf einen logischen
Irrsinn zusteuern. Denn mit der gleichen Logik, mit der Boggess aus
der West Side Story gekickt werden konnte, könnte man
argumentieren, dass alle künftigen Schauspieler, die den Part des
jungen Königs Heinrich V. oder den der Isolde spielen, weiß sein
müssen. Die Besetzungspraxis kann entweder farbenblind oder
farbenbesessen vor sich gehen, aber beides geht nicht.
Die gleiche langweilige Fixierung wirkt sich inzwischen auch auf
jeden anderen Lebensbereich aus. Es gibt mittlerweile keine noch so
gelassene Beschäftigung und keinen belanglosen Zeitvertreib mehr,
die/der nicht jeden Moment Gegenstand einer rassenspezifischen
Auseinandersetzung werden könnte. Und jedes Mal, wenn das
eintritt, bildet diese Diskussion Tochtergeschwüre aus, indem ein
Vorfall oder eine Behauptung als Ursache für eine Menge ähnlicher
Ereignisse und Anschuldigungen angesehen wird, was das Ganze
noch befeuert und dann außer Kontrolle geraten lässt.
Nehmen wir die Kontroverse um den Tennischampion Serena
Williams im September 2018. Während des US-Open-Endspiels
legte sie sich mit dem Stuhlschiedsrichter an – was sie letzten Endes
den Sieg kostete –, nachdem sie ihren Schläger zertrümmert hatte.
Williams hatte sich einen heftigen Wortwechsel mit dem
Stuhlschiedsrichter geliefert, der zwar im Alltag verständlich und
nachvollziehbar scheint, aber nicht zur elitären Welt des Tennis
passt. Was war passiert?
Der Schiedsrichter hatte sie wegen unerlaubten Coachings ihres
Trainers regelkonform verwarnt. Daraufhin legte sie sich mit dem
Schiedsrichter an und warf ihm mehrfach vor, ein »Betrüger« zu
sein. Williams sollte zudem eine Geldstrafe in Höhe von 17 000 US-
Dollar zahlen, was angesichts des Preisgeldes von knapp 4
Millionen US-Dollar für den Sieger und immerhin noch knapp 2
Millionen US-Dollar für den Zweitplatzierten eine lächerlich geringe
Summe ist, die Williams aus der Portokasse zahlen dürfte. Doch es
ging noch weiter. Da Williams nun einmal eine Frau ist, prangerte die
Women’s Tennis Association den Schiedsrichter als »Sexisten« an.
Und da Williams auch noch eine Farbige ist, stand sofort die Frage
»Rassismus – ja oder nein?« im Raum.
Unter anderem die BBC behauptete, dass jegliche Kritik an
Williams für ihren Ausbruch auf dem Tennisplatz dem seit Urzeiten in
Umlauf befindlichen Klischee von der »wütenden Schwarzen« in die
Hände spiele.156 Niemand hatte eine Erklärung parat, wie eine
Schwarze sauer werden kann, ohne zugleich dieses Klischee zu
bedienen. Die Tageszeitung The Guardian beschloss, noch ein
Stück weiterzugehen und den Rassismusvorwurf auf die Spitze zu
treiben. Ihre Mitarbeiterin Carys Afoko interpretierte in die Kritik von
Serena Williams viel mehr hinein – nämlich, dass sie zeigt, wie
»schwer es für eine schwarze Frau ist, im Job zu bestehen«. Afoko
ist der Ansicht, dass es »schwarzen Frauen […] nicht erlaubt [ist], in
der Arbeit auch mal einen schlechten Tag zu haben. Oder anders
ausgedrückt, wir Schwarzen können es uns nicht leisten, unserer
Wut oder Traurigkeit mit einem schlechten Tag in der Arbeit
Ausdruck zu verleihen. Es gibt nicht wenige Farbige, die eine
›Arbeitspersönlichkeit‹ entwickeln, damit sie an ihrem Arbeitsplatz
inmitten von Weißen nicht anecken.« Möglicherweise sind so ja die
Arbeitsbedingungen in der Redaktion von The Guardian. Wie auch
immer, Afoko erklärte anhand eines Beispiels, worum es ihr ging und
womit sie zu kämpfen hatte. »Vor ein paar Jahren war ich anderer
Ansicht als ein Kollege von mir, der mich dann zur Seite nahm und
mir vorwarf, ich sei aggressiv.
Als ich ihm daraufhin zu erklären versuchte, dass aggressiv ein
Wort ist, das rassistisch eingefärbt ist, brach er in Tränen aus.« Wer
kann mit Sicherheit sagen, weshalb ihr Kollege geweint hat?
Vielleicht, weil er sich schon wieder rassistisch verhalten hatte?
Oder vielleicht, dass eine Anschuldigung, er hätte sich rassistisch
verhalten, ihn seinen Job kosten könnte? Oder weil er zu einer
Heulsuse degradiert wurde und ihm klar wurde, dass egal, was er
auch zu seiner Kollegin sagen würde, es wäre in ihren Augen immer
rassistisch?
Afoko hat auf jeden Fall eine andere Lehre daraus gezogen, dass
sie einen männlichen Kollegen als Kleinkind dargestellt hatte. »Diese
Geschichte hat wieder einmal bestärkt, was ich bereits in meinen
Zwanzigern wusste: Es lohnt sich im Grunde nicht, anderen zu
erklären, was Rassismus oder Sexismus auf der Arbeit ist. Deshalb
lautet mein Rat: Augen zu und durch, und gib dein Bestes im Job.«
Allen Guardian-Lesern, die noch nicht auf dem aktuellen Stand
waren, half sie mit diesem Hinweis auf die Sprünge. »Sollten Sie
weder weiblich noch schwarz sein, lege ich Ihnen dieses Video über
Intersektionalität ans Herz.«157 Dieses in der Tat äußerst hilfreiche
Video trug den Titel »Kinder erklären Intersektionalität«, und wie der
Titel vermuten lässt, erklären darin Kinder unter zehn, wie
unkompliziert Intersektionalität ist.
Hin und wieder greift ein Erwachsener ein, doch im Prinzip erklärt
das Video in einfachen Worten, die sich ein kleines bisschen nach
Singsang anhören, dass Intersektionalität schlichtweg »ein Konzept
ist, das uns dabei hilft zu begreifen, dass wir ein Leben in mehreren
Dimensionen führen«. Ein weißer, etwa fünf Jahre alter Junge
scheint nicht wirklich zu verstehen, was Intersektionalität genau ist,
obwohl es ihm von einem jungen Ureinwohner Kanadas erklärt wird.
Doch zu guter Letzt hat er es kapiert und erklärt nun seinerseits der
netten Schwarzen, die zu Beginn des Kurzfilms zu sehen war, dass
»Menschen nicht nur eine Seite haben.
Sondern dass alle Seiten die ganze Persönlichkeit eines
Menschen ausmachen.« Sie gratuliert ihm, weil er es richtig
verstanden hat, und sein anfängliches Unverständnis ist wie
weggeblasen. »Danke – das hast du toll gemacht!« Und dann wird
er noch abgeklatscht.158
KULTURELLE ANEIGNUNG
Wie könnte es aufhören, dass wir uns ständig mit Rasse und
Rassenmerkmalen befassen? Eine auf der Hand liegende Methode
wäre, immer wieder zu versuchen, die Grenzen zu verwischen, zum
Beispiel indem wir die Aspekte einer Hautfarbe oder ethnischen
Zugehörigkeit, die kommuniziert und miterlebt werden können, für
alle erfahrbar machen.
Aspekte eines Menschen oder einer Kultur, die von anderen
bewundert werden, könnten zum Beispiel geteilt werden, sodass das
Verständnis größer wird, trotz aller vorhandenen Gräben. Das wäre
doch mal ein wunderbares, wenngleich ziemlich ehrgeiziges Projekt.
Doch leider hat sich eine andere Theorie schneller verbreitet, als
dass dieses Vorhaben angegangen werden konnte. Auch diese hat
ihren Ursprung auf dem Campus und hat sich von dort aus in der
ganzen Welt verbreitet.
Die Rede ist vom Konzept der »kulturellen Aneignung«. Sie geht
zurück auf postkoloniale Studien und die Vorstellung, dass
Kolonialmächte zum einen ihre eigene Kultur fremden Ländern
übergestülpt haben; zum anderen, dass sie sich bestimmte Aspekte
dieser fremden Kulturen zu eigen gemacht und mit nach Hause
genommen haben. Eine wohlwollende Interpretation dieses
Tatbestands käme zu dem Schluss, dass es sich hier um Imitation
handelt, eine aufrichtige, dass es schmeichelhaft sei. Wofür auch
immer Professoren bekannt sein mögen, die an postkolonialen
Studien mitgewirkt haben, wohlwollende Interpretationen sind es mit
Sicherheit nicht. Das wohlwollendste, das ihnen in den Sinn kam,
war, diesen kulturellen Diebstahl als letzten Affront des
Kolonialismus zu bezeichnen. Die Kolonialmächte hätten nicht nur
die natürlichen Vorkommen eines fremden Landes ausgebeutet und
dem jeweiligen Volk eine fremde Herrschaft aufgezwungen, sondern
sie seien obendrein nicht einmal fähig gewesen, die unterdrückten
Völker wieder in ihre Freiheit zu entlassen, ohne sie ihrer eigenen
Kultur zu berauben oder sich darüber lächerlich zu machen.
Vielleicht ist es ja unvermeidbar, dass sich der größte Widerstand
gegen die »kulturelle Aneignung« in den Universitätsstädten geregt
hat, nachdem an den Universitäten die geistigen Urväter sitzen. Die
erste Welle der Anschuldigung, es sei zu einer kulturellen Aneignung
gekommen, war die Reaktion auf unangemessene Kostüme und
Masken wie zum Beispiel die, vor denen die Yale-Studenten
Halloween 2015 so viel Angst hatten. Angst explizit davor, dass es
so weit kommen könnte, dass Leute, die nicht zu den US-
amerikanischen Ureinwohnern zählen, einen für die US-
amerikanischen Ureinwohner typischen Kopfschmuck tragen. Und
das – um es mit den Worten zu sagen, die jetzt verwendet werden,
um auf einen solchen Missstand aufmerksam zu machen – ist nicht
okay.
Schon seit geraumer Zeit besitzt Portland, Oregon, ein
Alleinstellungsmerkmal: Anscheinend ist die Stadt zu dem Labor der
Vereinigten Staaten von Amerika geworden, in dem jede noch so
verrückte Idee einem Praxistest unterzogen werden kann. In den
letzten Jahren hat sich die Stadt vor allem Sorgen aufgrund
jedweder Form kultureller Aneignung gemacht. Nur so ist zu
erklären, wie aus einem »Paradies für Feinschmecker«, wie es in
den örtlichen Medien hieß, ein »Kriegsgebiet für Gourmets« werden
konnte.159 2016 eröffnete eine »Portländerin« ein Bistro namens
Saffron Colonial (Kolonialer Safran). Ein wütender Mob versammelte
sich vor ihrem Restaurant, beschuldigte sie des Rassismus und der
Glorifizierung des Kolonialismus. Auf Empfehlungsportalen wie Yelp
wimmelte es von negativen Kommentaren, bis die Inhaberin
schließlich aufgab und den Namen ihres Lokals änderte. Was wurde
ihr vorgeworfen? Dass sie mit der Eröffnung ihres Restaurants in
Portland den Imperialismus durch die Hintertür hereinlassen wolle.
Doch damit nicht genug – es gibt noch viele andere unerhörte
Vorfälle. Der Schlimmste – zumindest in den Augen der Einwohner
von Portland – war, dass ein Paar Essen zubereiten wollte, das die
beiden nicht zubereiten durften, weil ihre DNA die falsche dafür war.
2017 wollte ein Paar einen Foodtruck eröffnen, um Burritos zu
verkaufen. Aufgrund der neuen Vorschriften hatte sich dieses Paar
damit der kulturellen Aneignung schuldig gemacht – insbesondere
aber des »Diebstahls« der mexikanischen Kultur, da sie Burritos
verkauften, obwohl sie keine Mexikaner waren. Die Inhaber des
Foodtrucks erhielten Morddrohungen, und es blieb ihnen nichts
anderes übrig, als sämtliche Accounts bei sozialen Medien und ihr
Geschäft zu schließen. Zu behaupten, Siege wie diese könnten
anderen Menschen Mut machen, hieße, den Ernst der Lage zu
verkennen. In der Zeit danach brachten Aktivisten aus Oregon eine
Liste namens »Alternativen zu von Weißen geführten Restaurants,
die sich der kulturellen Aneignung schuldig gemacht haben, in
Portland« in Umlauf, in der stattdessen ausschließlich von Farbigen
geführte Lokale aufgeführt wurden.160
Man könnte meinen, alles, was in Portland passiert, bleibt auch in
Portland. Doch wie im Fall der Universitäten beschleicht einen das
Gefühl, dass es in dieser vernetzten Zeit nicht mehr lange dauert, bis
wir alle in einem Portland leben – zumindest besteht dieses Risiko.
Im Sommer 2018 kam es in Großbritannien in der Hauptferienzeit zu
einem Ausbruch des Essenskrieges wegen kultureller Aneignung,
als die schwarze Abgeordnete Dawn Butler Britanniens wohl
bekanntesten Fernsehkoch Jamie Oliver bezichtigte, ein fehlerhaftes
Rezept für »jamaikanisch gewürzten Reis« herausgebracht zu
haben. Schnell wurde Kritik laut, dass in Olivers Rezept ein paar der
traditionellen Zutaten für die Marinade fehlten. Und von einem
Moment auf den anderen wechselte die Aufregung dann von den
fehlenden Zutaten in einem Rezept zum Rassismusvorwurf. Butler
twitterte wie empört sie über den Koch sei, und stellte die Frage, ob
er denn überhaupt wisse, was »Jamaikanische Gewürzzubereitung«
wirklich sei. »Es ist nicht nur ein Wort das man auf die Speisekarte
packt, um mehr zu verkaufen.« Dann schrieb sie noch: »Ihr
jamaikanischer Reis ist nicht okay. Diese Aneignung jamaikanischer
Esskultur muss aufhören.«161 Jamie Oliver hatte wohl großes Glück,
dass ihr entgangen war, dass er unter dem Namen »Jamie’s Italian«
eine ganze Restaurantkette mit Lokalen in Dutzenden britischen
Städten betrieb.
Was einem bei solchen Massenpaniken auffällt, ist ein hoher
moralischer Anspruch, der genauso gegen einen bekannten
Prominenten wie gegen Otto Normalverbraucher geltend gemacht
wird. Zu normalen Zeiten hätte der Abschlussball einer Schule in
Utah niemals so viel Entrüstung erregt wie der Hickhack zwischen
einer Abgeordneten und einem Starkoch. Doch 2018 teilte eine 18-
Jährige namens Keziah online Fotos von dem Abendkleid, das sie
bei dem Ball getragen hatte.
Das rote Kleid war im chinesischen Stil geschneidert, und die
Trägerin erhoffte sich wohl viele »Likes«. Weit gefehlt. Anstatt
Komplimenten hagelte es weltweite Kritik. »Lautete das Motto des
Abschlussballs ›zwangloser Rassismus‹?«, wollte ein Nutzer von
Twitter wissen. Andere Nutzer mischten sich ein und beschuldigten
die Nichtchinesin der kulturellen Aneignung, weil sie ein im
chinesischen Stil designtes Kleid getragen hatte.162
In einer von Vernunft regierten Welt wären diese ganzen Vorfälle
ein hervorragender Stoff für Satiriker und andere Künstler. Doch wer
diesen Ereignissen kritisch gegenübersteht, riskiert, selbst Opfer der
übelsten Anschuldigungen zu werden, und schafft Platz für eine
weitere Eskalation verrückter Behauptungen. Im September 2016
hielt die Schriftstellerin Lionel Shriver auf dem Brisbane Writers
Festival eine Rede zum Thema »Fiktion und Identitätspolitik«.
Shriver (die unter anderem Wir müssen über Kevin reden
geschrieben hat) nutzte die Gelegenheit, um auch über »kulturelle
Aneignung« zu sprechen. In den Wochen vor diesem Termin war
dieser Begriff in unterschiedlichen Kontexten aufgetaucht, zum
Beispiel im Zusammenhang mit der Frage, ob Nichtmexikaner einen
Sombrero tragen dürfen oder nicht und ob Menschen, die nicht aus
Thailand stammen, thailändisches Essen zubereiten und verzehren
dürfen.
Da Vorstellungskraft und die Fähigkeit, sich in andere Menschen
hineinzuversetzen, gemeinhin Schriftstellern zugesprochen wird, war
Shriver der Meinung, die jüngsten Ereignisse wären gefährlich nahe
an ihr Metier herangekommen. Ihre Rede in Brisbane war ein
leidenschaftliches Plädoyer für ihre Kunst und dass Schriftsteller
völlig zu Recht über alles schreiben sollten, was ihnen in den Sinn
kommt. Shriver erklärte, wie sie vorgeht, wenn sie sich eine
Romanfigur ausdenkt. Verleiht sie dieser Kunstfigur zum Beispiel die
armenische Nationalität, dann ist das nur ein erster Gedanke. »Doch
Armenier zu sein bedeutet noch lange nicht, vom Charakter – so wie
ich diesen Begriff verstehe – festgelegt zu sein. Asiate zu sein, ist
nicht alles, was zu einer Identität gehört. Ebenso wenig, wie es
schwul zu sein ist. Oder taub oder blind zu sein oder im Rollstuhl zu
sitzen. Und auch nicht, arm zu sein.«
Die Reaktionen darauf waren vorhersehbar. Lovia Gyarkye von
dem Nachrichtenmagazin New Republic schrieb: »Lionel Shriver
sollte nicht über Minderheiten schreiben. Ihre Rede vom 8.
September anlässlich des Brisbane Writers Festival zeigt, dass sie
keinerlei Zwischentöne kennt und es einfach nicht kapiert.«
Außerdem wollte Gyarkye von der Schriftstellerin wissen: »Meine
Frage an Shriver lautet: Wenn diese Merkmale nicht die Identität
eines Menschen darstellen, wenn schwul oder behindert zu sein
nicht Teil dessen ist, wer man ist, warum werden dann genau
deswegen Hunderte von Menschen misshandelt, bloßgestellt oder
sogar umgebracht? […] Was Shriver anscheinend an kultureller
Aneignung nicht verstanden hat, ist die Tatsache, dass sie und
Macht untrennbar miteinander verknüpft sind.«163 Katastrophismus
und Foucault in einem Satz zu einer Einheit verschmolzen! Wie auch
immer, Gyarkyes Zuspitzung wurde von Yassmin Abdel-Magied
sogar noch übertroffen, die live bei dem Festival in Brisbane dabei
gewesen war. Ihre »Zeugenaussage« aus erster Hand wurde von
The Guardian aufgegriffen und abgedruckt. In Abdel-Magieds Artikel
hieß es:
Die Rede dauerte erst rund 20 Minuten, da drehte ich mich zu meiner Mutter, die
neben mir in der ersten Reihe saß, und meinte zu ihr: »Mama, ich kann hier nicht
bleiben, mir fällt die Kinnlade herunter. Ich kann das nicht legitimieren …«
Dann ließ sie sich lang und breit darüber aus, wie es sich anfühlt,
mitten in einem Vortrag aufzustehen und den Saal zu verlassen. Wie
sich zeigte, vertraten Shiver und Abdel-Magied höchst
unterschiedliche Positionen. Sie unterschieden sich sogar so stark,
dass für Abdel-Magied kaum noch die Anforderungen an einen
Vortrag erfüllt waren. Für sie war das Ganze vielmehr »ein
vergiftetes Paket, verpackt in Arroganz und mit Herablassung
überreicht«. Abdel-Magied versuchte dann noch zu erklären, wie
riskant es ist, als Schriftsteller in eine fremde Rolle zu schlüpfen. Als
Beispiel zeigte sie ihre eigenen Grenzen auf:
Ich kann nicht für die LGBTQI-Community sprechen und auch nicht für Menschen mit
einer neurologischen Abweichung, mit einer Behinderung, denn genau darum geht
es mir ja. Ich spreche nicht in ihrem Namen, möchte aber, dass sie das Recht haben,
gehört zu werden.
Dann ließ sie sich noch ein bisschen über den Kolonialismus aus
und kam zu folgendem Schluss:
Der mangelnde Respekt für ihre Mitmenschen, der sich durch Lionel Shrivers Vortrag
wie ein roter Faden zieht, ist die gleiche unheilvolle Kraft, die Menschen dazu bringt,
für Pauline Hanson zu stimmen. Und er ist der Grund, weshalb die Ureinwohner
Kanadas noch immer um Anerkennung kämpfen und wir hinnehmen, dass sich die
Gefängnisse der Einwanderungsbehörden vor unseren Küsten füllen. Diese geistige
Haltung bildet das Fundament für Vorurteile, für Hass und für Völkermord.164
SARAH JEONG
Die New York Times verkündete, dass die 30-jährige
Technikjournalistin neuestes Mitglied der Redaktionsleitung sei. Wie
das immer der Fall ist, wenn junge Menschen in verantwortungsvolle
Positionen aufsteigen, erregte auch Jeongs Beförderung erhebliches
Aufsehen. Aufmerksamkeit im Zeitalter des Internets zu erregen
heißt wohl auch, jedes einzelne Wort, das der Betreffende einmal
von sich gegeben hat, auf die Goldwaage zu legen. In Jeongs Fall
führte dieser Enthüllungsjournalismus dazu, dass uralte Tweets von
ihr ausgegraben wurden, die immer nur um ein Thema kreisten und
ziemlich derb waren. Hier eine kleine Auswahl: »Neigen Weiße
genetisch bedingt eher zu einem Sonnenbrand, was in der
Konsequenz bedeuten würde, dass sie besser wie Kobolde unter der
Erde hausen sollten?«; »Jede Wette, du traust dich nicht, auf
Wikipedia zu gehen und dort das Spiel zu spielen: Wofür Weiße
definitiv Ruhm einheimsen können? Es ist wirklich schwer …«;
»Weiße Männer sind scheiße«; #CancelWhitePeople (#Löscht
Weiße) – und in mehreren Beiträgen auf Twitter: »Habt Ihr mal
darüber nachgedacht, was Weiße tun können, ohne dass es eine
kulturelle Aneignung darstellt? Eigentlich nichts. Vielleicht Skifahren
oder Golfspielen […]. Es muss ja so was von langweilig sein, wenn
man weiß ist.«171 Es ist angemessen zu schreiben, dass ihr Twitter-
Feed zeigte, wie besessen sie von diesem Thema war. Sie hat sogar
den Kardinalfehler begangen, Menschen, die sie nicht leiden kann,
mit Tieren zu vergleichen. »Diese scheiß Vollpfosten von Weißen
markieren das Internet mit ihren Meinungen, wie Hunde Hydranten
anpissen.«172 In einem anderen Tweet heißt es: »Auweia, das ist
eigentlich schon ganz schön krank, wie viel Spaß es mir macht,
gemein zu alten weißen Männern zu sein.«173
Jeong war zudem eine eifrige Nutzerin des Spruchs »Tötet alle
Männer«. Doch unter den gegebenen Umständen fiel diese
Bemerkung unter den Tisch. Ärger zog sie sich allein wegen ihres
unaufhörlichen Rassismus gegen Weiße zu – und auch die New
York Times kassierte verbale Ohrfeigen, weil sie so jemanden
eingestellt hatte. Doch die Zeitung stand hinter ihrer neuesten
Mitarbeiterin, sie wurde nicht den Wölfen im Internet zum Fraß
vorgeworfen. Die offizielle Erklärung des renommierten Blatts
lautete, dass Jeong aufgrund »ihrer ausgezeichneten Arbeit« im
Internet eingestellt worden war. Und weiter hieß es doch tatsächlich:
»Aufgrund ihrer journalistischen Arbeit und der Tatsache, dass sie
eine junge Asiatin ist, wurde sie schon des Öfteren online attackiert.
Eine gewisse Zeit lang hat sie darauf reagiert, indem sie den Stil
dieser Angriffe imitierte. Doch inzwischen hat sie eingesehen, dass
diese Methode die Giftigkeit, die im Internet oft zu beobachten ist,
nur weiter verstärkt. Sie bedauert dies, und The Times wird so ein
Verhalten nicht billigen.« Die Erklärung endete damit, dass das Blatt
seine Lektion gelernt habe und zuversichtlich sei, dass Jeong »einen
wichtigen Beitrag für die Redaktion und die Zukunft des
Unternehmens leisten würde«.174
Tatsache ist, die »Zeit lang«, in der Jeong über Twitter mehr als
umstrittene Tweets gepostet hatte, begann 2014 und endete etwa
ein Jahr bevor sie ihren Job bei der New York Times bekam. Die
Taktik ihres neuen Arbeitgebers ging auf. Da er Jeongs Geschlecht,
Jugend und ethnische Herkunft ins Spiel gebracht und sie laut genug
»Opfer« gebrüllt hatte, ließ man sie vom Haken und räumte ihr eine
gewisse Galgenfrist ein. Hätte Jeong dagegen gesagt, dass sie noch
nie im Internet angegriffen worden sei oder dass sie nicht wisse, was
die Leute über sie sagen, da sie nicht regelmäßig twittere, oder
wenn sie (am wenigsten glaubhaft, um damit durchzukommen)
gesagt hätte, Online-Schmähungen würden ihr absolut nichts
ausmachen, wäre ihr Alibi weniger nützlich gewesen.
Diese Geschichte jedoch liefert uns eine andere faszinierende
Erkenntnis. Ein gewisser Zack Beauchamp verteidigte Jeong über
die Webseite von Vox mit diesem Tweet: »Viele Leute, die sich heute
im Internet tummeln, verwechseln aus nicht nachvollziehbaren
Gründen, wie Antirassisten und Minderheiten ausdrucksstark über
›Weiße‹ reden, mit echten rassistischen Hassparolen.«175 Leider
erklärte er nicht, was »ausdrucksstark« im Zusammenhang mit
Rassismus bedeutet und was nicht. Und er ließ offen, woran der
Nutzer den Unterschied zwischen »ausdrucksstarkem« Gerede über
Weiße und »echten rassistischen Hassparolen« erkennen kann. Ein
anderer Nutzer fand eine noch bessere Entschuldigung für Jeongs
Verhalten, das ebenfalls über Vox gepostet wurde. Gleich am
Anfang seiner Erklärung bewertete Ezra Klein die Kritik an Jeong
»als Akt von wirklich rassistischen und ultrarechten Trollen, die uralte
Tweets als Waffe dafür nutzen, dass die Asiatin Jeong gefeuert
wird«. Damit hat er nicht nur die ethnische Herkunft von Jeong ins
Spiel gebracht, was die New York Times ja auch getan hatte,
sondern unterstellte zugleich allen Leuten, die es gewagt hatten,
auch nur die geringste Kritik an ihren Tweets zu üben, eine politische
Motivation.
Wie Ezra Klein dann fortfuhr, ist allerdings höchst interessant.
Denn er führte exakt das gleiche Argument an, wie es auch Salma
El-Wardany getan hatte, als sie den Spruch »Alle Männer sind Müll«
und #KillAllMen zu verteidigen suchte, indem sie behauptete, es
wäre lediglich eine andere Art zu sagen, »Es wäre schön, wenn die
Welt für Frauen nicht ganz so zum Kotzen wäre«. Auch Klein
verteidigte Sarah Jeong, die mehrmals Weiße auf übelste und
rassistische Art und Weise angegriffen hatte, mit den Worten, wenn
Jeong in ihren »Witzen« von Weißen spräche, meine sie das nicht
so. Wörtlich schrieb er: »Auf #SocialJustice bedeutet Weiße eher
etwas wie ›dominante Machtstruktur und Kultur‹.«176
Wer sollte da nicht wahnsinnig werden? Wenn es möglich ist,
dass Benedict Cumberbatch und Sarah Jeong beide mit einem
»Streit über die Rassenfrage« in Verbindung gebracht werden
können, würde das im Normalfall bedeuten, dass sie sich beide
ähnlicher Provokationen oder Beleidigungen schuldig gemacht
haben. Aber dem war beileibe nicht so. Cumberbatch hatte lediglich
einen veralteten Ausdruck gebraucht und war in die Nähe von
Rassisten gerückt worden. Jeong dagegen hatte über Jahre hinweg
ein Rassemerkmal verächtlich und abwertend gebraucht und auch
noch ihren Spaß dabei gehabt. Schlimmer ist, dass ein und dasselbe
Motiv unterstellt werden kann, obwohl sich ihre Ausdrucksweise
deutlich voneinander unterscheidet. Eine Person (Cumberbatch)
verwendet arglos einen bestimmten Ausdruck, was sofort gegen sie
verwendet wird, während andere ganz bewusst eine bestimmte
Ausdrucksweise wählen, aber damit entschuldigt werden, sie hätten
es sicherlich nicht so gemeint. So lautete ja die Erklärung von Klein,
El-Wardany und anderen. Manche verwenden also unwissend den
falschen Ausdruck und werden dafür gezüchtigt, während andere
Begriffe verwenden, die sehr falsch und sehr drastisch sind, und
trotzdem keine Züchtigung erfahren. Etwas muss der Grund dafür
sein.
Es gibt lediglich ein paar Möglichkeiten, was dieses »etwas« sein
könnte. Die erste ist, dass es eine Art »Stimmenverzerrer« gibt, mit
dem alle öffentlichen Äußerungen über Geschlecht, Rasse und was
auch immer verzerrt werden, und es eine »Entzerrungsmaschine«
benötigt, um das Gesagte zu verstehen – aber nicht jeder hat ein
solches Gerät. Klein und El-Wardany schon, aber wer kann schon
sagen, wie viele Nutzer über die passende Entzerrungsmaschine
verfügen, um klären zu können, ob bestimmte Äußerungen auch
wirklich so gemeint waren oder eben nicht. Brauchen wir wirklich
immer Leute wie sie, die uns sagen, welche Worte meinen, was wir
hören, und welche wir falsch verstehen? Wie genau soll das
funktionieren?
Die andere Erklärung dafür ist, dass eine viel einfachere Form
der Verzerrung abläuft. Eine, die nichts mit Worten und auch nichts
mit einer bestimmten Absicht zu tun hat, sondern ausschließlich mit
dem angeborenen Charakter desjenigen, der das Wort erhebt.
Cumberbatchs Ausgangslage ist jedoch ziemlich heikel. Er ist weiß,
heterosexuell und männlich. Anscheinend war es eine gute Idee,
dass er in der Sendung von Tavis Smiley betont, dass er mit
Rassismus nichts am Hut hat. Andererseits möchte man meinen,
dass jemand in ernsten Schwierigkeiten steckt, der über Jahre
hinweg abfällige Bemerkungen über eine bestimmte ethnische
Gruppe macht. Außer natürlich sie haben die passende Identität.
Hätte Cumberbatch jahrelang getwittert, dass Asiaten besser wie
Kobolde in Höhlen hausen sollten und dass er sich köstlich amüsiert,
wenn er ältere Asiaten zum Weinen bringt, wäre er unter Garantie
nicht damit durchgekommen. Jeong schon, aber nur aufgrund ihrer
eigenen ethnischen Identität (auch wenn das Privileg von Asiaten
zurzeit wieder in die Waagschale der sozialen Gerechtigkeit
geworfen wird) und weil sie eine bestimmte Rasse angegriffen hat.
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, die unterschiedlichen
Maßstäbe, die hier angelegt werden, anhand des jeweiligen Inhalts
des Gesagten zu unterscheiden, denn was gesagt wird, spielt ja
inzwischen keine Rolle mehr. Was zählt, ist ausschließlich die
rassische oder sonstige Identität desjenigen, der etwas von sich
gegeben hat. Die Identität bestimmt also, ob man verurteilt wird oder
davonkommt. Worte und Inhalte zählen zwar noch, kommen aber
erst an zweiter Stelle. Das bedeutet aber auch, dass wir das Thema
Rasse nicht einfach ausblenden können, sondern dass wir uns in der
nahen Zukunft eingehend damit beschäftigen müssen, denn nur
wenn wir unser Augenmerk auf die jeweilige Rasse richten, können
wir herausfinden, wem wir zuhören sollten.
IQ
Von allen Grundlagen einer vielfältigen und zivilisierten Gesellschaft
muss die Gleichheit der Menschen oberste Priorität haben.
Gleichheit – dazu bekennt sich jede Regierung des Westens ebenso
wie jede politische Mainstream-Bürgerbewegungen, aber auch jeder
Bürger, der seinen Platz in einer respektvollen Gemeinschaft finden
will. Doch unter diesem gemeinsamen Anspruch, dieser Erklärung
oder Hoffnung verbirgt sich eine der schmerzhaftesten und noch
nicht detonierten Bomben – und einer der besten Gründe, warum wir
in Zukunft viel behutsamer auftreten sollten, als wir das im Zeitalter
der Twitter-Hashtaggerei tun. Ich meine die Frage, was bedeutet
Gleichheit und gibt es sie wirklich?
Gleichheit in den Augen Gottes ist ein Eckpfeiler der christlichen
Lehre. Doch in der Ära des säkularen Humanismus wurde aus
Gleichheit in den Augen Gottes Gleichheit in den Augen der
Menschen. Und genau hier ist das Problem. Viele Menschen
realisieren, befürchten oder spüren intuitiv, dass nicht alle Menschen
gleich sind. Menschen sind eben nicht alle gleich schön, gleich
talentiert, gleich stark oder gleich klug. Und mit Sicherheit auch nicht
gleich vermögend. Ja, sie sind nicht einmal gleich liebenswert.
Immer wenn die politische Linke davon spricht, dass Gleichheit
(equality) und auch Fairness (equity) unbedingt nötig sind (Eduardo
Bonilla-Silva und andere begründen diese Forderung damit, dass
eine Gleichheit im Ergebnis (Ergebnisgleichheit – equality of
outcome) nicht nur erstrebenswert, sondern auch machbar ist),
reagiert die politische Rechte darauf mit dem Ruf nach Gleichheit
der Chancen (Chancengleichheit – equality of opportunity). Fakt ist,
dass beide Ansprüche mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit weder auf lokaler noch auf nationaler,
geschweige denn auf globaler Ebene realisierbar sind.
Einem Kind wohlhabender Eltern stehen nun einmal mehr
Möglichkeiten offen als einem Kind armer Eltern, das heißt, das Kind
reicher Eltern hat gleich zu Beginn seines Lebens, wenn nicht gar für
den Rest seines Lebens, die besseren Karten. Sicher kann jeder
eine höhere Schule besuchen, aber die besten Schulen des Landes
stehen eben nicht jedem offen. Viele junge Leute würden gerne in
Harvard studieren, aber das ist bei Weitem nicht für alle machbar.
Jedes Jahr bewerben sich rund 40 000 junge Frauen und Männer
um einen Studienplatz in Harvard, aber nicht alle erhalten einen.
Tatsächlich ist das der Ort, an dem die jüngste und wohl
verheerendste aller Landminen kürzlich gesichtet wurde und wo sie
noch hochgehen könnte.
Wie erwähnt, verdanken wir Harvard den »Impliziten
Assoziationstest«. Oder wie eine Schlagzeile auf deren Webseite
lautet: »Sind Sie ein Rassist? Finden Sie es mit dem Harvard-
Rassismustest heraus.«189 Wenn das wirklich möglich ist, sollte
Amerikas älteste Universität diesen Test selbst einmal machen. Und
wenn dieser Implizite Assoziationstest tatsächlich exakte Ergebnisse
liefert, käme aller Wahrscheinlichkeit nach heraus, dass Harvard
ziemlich rassistisch ist.
2014 reichte eine Gruppe von Studenten (Students for Fair
Admissions – Studenten für faire Zulassungsbedingungen) Klage
gegen Harvard ein. Die Gruppe vertrat asiatisch-amerikanische
Studenten, die behaupteten, die Zulassungspolitik der Universität
wäre seit Jahrzehnten diskriminierend. Insbesondere mutmaßten
sie, dass im Zuge der »positiven Diskriminierung« Harvard
routinemäßig und systematisch asiatisch-amerikanische
Studienbewerber benachteiligt habe. Die Universität legte sich
mächtig ins Zeug, um die Herausgabe von Informationen über die
Einstufungskriterien von Bewerbern zu verhindern, kam aber letzten
Endes nicht mit dem Argument durch, es handele sich um
Betriebsgeheimnisse. Harvard erwiderte, keinen Bewerber, »egal,
welcher Gruppe«, bei seinen Zulassungen zu diskriminieren, musste
seine Betriebsgeheimnisse zu guter Letzt aber doch offenlegen.190
Kein Wunder, dass Harvard alles versuchte hatte, um die
Herausgabe zu verhindern.
Da Harvard jedes Jahr nur 4,6 Prozent aller Studienbewerber
annehmen kann, ist es vielleicht unvermeidbar, dass dort ausgesiebt
werden muss. Doch die Methode, die sich Harvard gestattet hat,
könnte kaum widerwärtiger sein. Wie die meisten anderen
Universitäten Amerikas (und in der Folge auch anderer Länder)
wollte auch Harvard jede Form von rassistischer
Voreingenommenheit aus seinem Auswahlverfahren beseitigen.
Doch wie sich zeigte, bleibt, wenn man jede Voreingenommenheit
ausschließen möchte, keine Hierarchie übrig, in der alle ethnischen
Gruppierungen gleichermaßen vertreten sind, sondern eine, in der
bestimmte Gruppen unverhältnismäßig bevorzugt werden. Die Leute
von Harvard – immerhin sind sie schlau – bemerkten das und
mussten daher eine Lösung für dieses Problem finden, insbesondere
um die Zahl der afroamerikanischen Studenten zu erhöhen, die die
Universität besuchten. Und so wurde beschlossen, nach Wegen zu
suchen, wie man die angeblich farbenblinden
Zugangsbeschränkungen gegen eine der Gruppen anwenden
könnte, die überrepräsentiert war. Harvard verwandelte also eine
Vorgehensweise, die nach außen hin vorgab, explizit nicht auf
Hautfarben zu achten, die in Wahrheit aber dazu diente, die
Chancen mancher Gruppen zu verbessern, in ein Verfahren, in dem
sich alles nur noch um die Rasse dreht.
Auch wenn die Universität die Beschuldigungen vor Gericht weit
von sich wies, stand aufgrund der eigenen Unterlagen zweifelsfrei
fest, dass Harvard jahrelang asiatisch-amerikanische Bewerber
heruntergestuft hatte. Sie zogen dafür Persönlichkeitsmerkmale wie
»guten Charakter«, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit heran.
Pech für Harvard, dass während der Sachverhaltsermittlung zu Tage
trat, dass die Herabstufung von asiatisch-amerikanischen Studenten
auch erfolgte, ohne dass es bei Harvard ein persönliches Gespräch
oder Treffen mit dem Bewerber gegeben hätte. Die Zulassungspolitik
bestand also allem Anschein nach in der Herabstufung der
charakterlichen Bewertung von Asia-Amerikanern, ohne sie auch nur
zu treffen.
Weshalb aber sollten so renommierte Universitäten wie Harvard
und andere Bildungsstätten so vorgehen? Aus zwei Gründen.
Erstens will Harvard wie alle anderen vergleichbaren
Eliteuniversitäten auch nicht nur einfach die besten Leute
präsentieren, sondern die besten, die ein Auswahlverfahren hinter
sich gebracht haben, das den Ansprüchen von Harvard nach
Diversität vollends genügt. Hätte Harvard zweitens – im Zuge der
positiven Diskriminierung und aus Gründen der Vielfalt – nicht
bestimmte Gruppen bewusst benachteiligt und andere ebenso
bewusst bevorzugt, wären die Harvard-Absolventen von
beunruhigender Nichtdiversität.
Konkret bedeutet das, die Studentenschaft könnte sich nicht aus
unverhältnismäßig vielen oder größtenteils weißen oder schwarzen
Amerikanern zusammensetzen, sondern aus asiatisch-
amerikanischen und aschkenasischen Juden. Und hier erhalten wir
einen Blick auf die weltweit hässlichste Landmine. Forschungen rund
um IQ und Genetik leiden nicht nur unter starker Konkurrenz,
sondern dürften zu den gefährlichsten und abgeschottetsten
Forschungsgebieten überhaupt zählen. Als Charles Murray und
Richard J. Herrnstein 1994 The Bell Curve (Die Glockenkurve)
veröffentlichten, wurden sie beschuldigt, genau diese Landmine
losgetreten zu haben. Auch wenn nur die wenigsten Rezensenten
das Buch gelesen haben dürften, häufte sich die Kritik an ihren
Forschungsmethoden. Nur wenigen Kritikern schien bewusst, dass
dieses Thema – die Beziehungen zwischen sozioökonomischer
Klasse, Intelligenz und dem Faktor Erbgut – so brisant war, dass
man zumindest darüber würde reden müssen. Doch die
überwiegende Reaktion auf The Bell Curve war der Versuch, den
Autor (den Autor, denn Herrnstein hatte das Pech, oder Glück, kurz
vor der Veröffentlichung zu versterben) zum Schweigen zu bringen.
In fast allen Kritiken war zu lesen, dass die Erkenntnisse »explosiv«
wären.191 Doch die meisten Rezensenten beschlossen, auf ganz
eigene Weise mit den brisanten Forschungsergebnissen
umzugehen. Sie bewarfen das Ganze mit so viel Dreck, wie sie nur
finden konnten, und traten ihn dann so fest als möglich.
Die Schlagzeile eines extremen, aber nicht wirklich
ungewöhnlichen Artikels eines Akademikerkollegen lautete
»Akademischer Nazismus«, im Artikel selbst ging es dann so weiter:
»Ein Mittel der Nazipropaganda, eingehüllt in
pseudowissenschaftliche Seriosität, eine akademische Version von
Adolf Hitlers Mein Kampf«.192 Nicht nur ein beliebiger alter Kampf,
sondern Adolf Hitlers. Die Kritik an The Bell Curve verdeutlichte,
weshalb sich so gut wie niemand mit dem Forschungsergebnis
auseinandersetzen wollte, dass Intelligenzpunkte verschiedener
ethnischer Gruppen variieren, und wenn eine bestimmte ethnische
Gruppe besser dabei abschneidet, eine andere zwangsläufig
schlechtere Ergebnisse erzielen muss. Das soll ja nicht heißen, dass
jeder aus der letzteren Gruppe schlecht abschneidet. Wie Murray
und Herrnstein mehrfach wiederholten, waren die Unterschiede
innerhalb einer ethnischen Gruppe größer als die Unterschiede
verschiedener ethnischer Gruppen. Diejenigen, die sich mit der
wissenschaftlichen Literatur zum Thema unterschiedliche
Intelligenzquotienten von verschiedenen ethnischen Gruppen
befasst haben, wissen besser als alle anderen, dass diese Literatur
– wie es Jordan Peterson so trefflich formuliert hat – ein »ethnischer
Albtraum« ist.193 Und diesem Albtraum wollte sich offenbar so gut
wie keiner aussetzen. Und so geschah es dann auch – auf
unterschiedliche Art und Weise. Es wurden die Autoren zum einen
als Rassisten abgestempelt, und nachdem sie mit genug Mist
beworfen worden waren, überließ man es dem Gestank, für den
Rest zu sorgen. Diese Vorgehensweise hat so gut geklappt, dass
Charles Murray 2017, als er am Middlebury College in Vermont über
sein aktuelles Buch (nicht The Bell Curve) reden sollte, von
Studenten eingekesselt und daran gehindert wurde, seine Rede zu
halten. Sie jagten ihn vom Universitätsgelände, und eine Dozentin,
die Murray zu Hilfe geeilt war, musste sich anschließend im
Krankenhaus behandeln lassen. Eine andere Methode, die
Kontroverse über The Bell Curve unter den Teppich zu kehren,
bestand darin, generelle Zweifel an Intelligenztests laut werden zu
lassen oder zu behaupten, dass diese Tests bestimmte ethnische
Gruppen aufgrund der impliziten Verzerrung favorisieren würden.
Diese Gegenbehauptungen wurden zwar mit überzeugenden
Beweisen widerlegt, aber nach einem Vierteljahrhundert der
Kontroverse über The Bell Curve steht fest, dass Fakten in dem Fall
keine Rolle spielen. Sie sind viel zu unbequem, als dass sie
ungehindert im intellektuellen Raum umherschwirren dürften. Und so
wird lieber der Rückzug angetreten, als sich mit wissenschaftlich
erwiesenen Unterschieden bezüglich der Intelligenz bestimmter
ethnischer Gruppen zu befassen. Begründet wird dies in der Regel
damit, dass, selbst wenn die Beweise dafür vorliegen und selbst
wenn sie eindeutig sind, es doch moralisch gesehen suspekt wäre,
sich damit auseinanderzusetzen, zumal sie ja in jedem Fall ethische
und moralische Fragen aufwerfen, die so gewaltig und komplex sind,
dass da nichts zu wollen ist.
Dieser Rückzieher von »die Fakten sind falsch« zu »die Fakten
sind nicht hilfreich« hat sich angesichts der wachsenden Literatur zu
diesem Thema zur Standardausrede gemausert. 2018 veröffentlichte
einer der führenden Experten auf diesem Gebiet – David Reich von
der Universität Harvard – einen Artikel, der zeitgleich mit seinem
neuen Buch über Genetik erschien. Neben vielen anderen Dingen
hat er aufgezeigt, wie es zu der Behauptung kam, dass Rasse
(ebenso wie das Geschlecht) ein »soziales Konstrukt« sei, das mit
der Genetik so gut wie nichts zu tun habe. Reich erläuterte, wie
diese These zur gängigen Lehrmeinung werden konnte und führte
aus, weshalb sie sich angesichts der unglaublichen Menge an
wissenschaftlich bewiesenen Erkenntnissen nicht lange würde
halten können. Reich wusste, dass er sich auf dünnem Eis bewegte,
und räumte in seinem Artikel ein, dass »er tiefe Sympathie hege für
alle, die befürchten, dass Erkenntnisse der Genetik als
Rechtfertigung von Rassismus missbraucht werden könnten«. Und
dann fügte er noch hinzu: »Als Genetiker weiß ich aber auch, dass
es nicht mehr möglich ist, die durchschnittlichen Unterschiede
zwischen den ›Rassen‹ zu ignorieren«.194 Doch in diesem Bereich
scheint es keine funktionierenden Schutzmaßnahmen zu geben,
sodass die Debatte über Rasse und IQ erneut aufflammte. Ein
beliebter Vorwurf lautete: »Ist sich Reich nicht darüber im Klaren,
dass Rassisten und Sexisten ihm das Wort im Mund umdrehen
können? Oder teilt er am Ende ihre Vorurteile?«195
Sogar heute reicht es aus, dabei »ertappt« zu werden, dass man
sich ganz »normal« mit Murray auseinandersetzt, damit das Spiel
von Neuem beginnt. Der Neurowissenschaftler Sam Harris hat, wie
er selbst zugegeben hat, jeden Kontakt mit Murray, auch den
entferntesten, vermieden und wollte auch nichts zu dessen Buch
sagen, da zu viel Jauche auf diesem Feld ausgekippt worden war.
Nachdem er sich die Rezensionen durchgelesen hatte, rang er sich
doch zu dem Kommentar durch: »Ich kenne keinen anderen
Akademiker, der so ungerecht behandelt wurde wie Murray.«196 Nur
weil er sich auf einen gemeinsamen Podcast mit Murray
eingelassen, einen respektvollen Umgang mit ihm gepflegt und ein
Gespräch (unter dem Titel »Verbotenes Wissen«) mit ihm geführt
hatte, mit einigen Erkenntnissen, versuchten gleich mehrere Medien,
Harris und Murray in einen Topf zu werfen. Vox hielt ihm vor, dass
eine solche Unterredung kein »Verbotenes Wissen« sei, sondern
»Amerikas älteste Rechtfertigung von Ignoranz und
Rassenungleichheit«.197 Neben anderen Dingen, die durchaus
Anlass zur Sorge geben, wird mit dieser Stellungnahme die
Möglichkeit ausgeschlossen, dass beide Optionen zutreffen könnten.
Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen Forschung und Diskurs über
Intelligenz und Genetik zu ruhen. Da die daraus gewonnenen
Erkenntnisse von bösen Menschen zweckentfremdet werden
könnten, kann die Forschung auf diesem Gebiet nicht fortgeführt
werden. Alternativ müssten diese Erkenntnisse ignoriert werden. Wie
Murray in seinem Gespräch mit Harris sagte, gibt es nur einen
offensichtlichen Grund für die ganze Wut, die dieses Thema auslöst.
Von der Staatsspitze bis zu nahezu jeder Institution unserer
Gesellschaft zieht sich flächendeckend der alles verschlingende
Anspruch nach einer bestimmten »Diversität« und »Gleichheit« wie
ein roter Faden durch. Dieser Anspruch, dass wir »oberhalb des
Halses alle gleich sind« durchdringt die Arbeitsgesetze ebenso wie
die Beschäftigungspolitik und die Sozialpolitik. Fakt ist, dass diese
Behauptung schon so etabliert ist, dass jeder Zweifel oder gar
Einspruch mit der gleichen Wucht niedergeschlagen werden muss,
wie es die Kirche auf dem Höhepunkt ihrer Macht mit jedem getan
hat, der sich gegen ihre Lehre gestellt hat. Die Lehre unserer Zeit
besagt, dass alle Menschen gleich sind und dass Rasse und
Geschlecht und vieles mehr nichts weiter seien als soziale
Konstrukte; und dass jeder werden kann, was immer er sein möchte,
vorausgesetzt, er bekommt die entsprechende Chance und die
richtige Unterstützung, und dass es im Leben um drei Dinge geht:
Umfeld, Chancen und Privilegien. Genau das ist der Grund, weshalb
es zu so großem Schmerz, Verwirrung, Leugnung und Wut kommt,
wenn auch nur das kleinste Fragment eines Arguments auftaucht,
wie das bezüglich der Zulassung von Asiaten an der Harvard
Universität. Die Leugnung ist allgemein gesehen systemimmanent,
doch gelegentlich heftet sie ihren Blick auf ein bestimmtes Objekt
oder eine bestimmte Person, und dann wird demjenigen, der die
Ketzerei angezettelt hat (oder droht, das zu tun), alles
entgegengeschleudert, was man nur schleudern kann. Die Wahrheit
ist, dass es Menschen gibt (und es können durchaus immer mehr
werden), die die Forschung in diesem Feld begrüßen, was bei
anderen blankes Entsetzen auslöst. Es fällt leicht, den Unterschied
zwischen denen, die sich dieses dunkle Gebiet mit Sorge ansehen,
und denen, die sich darüber freuen, zu erkennen.
In jedem Fall haben wir es mit der schlimmsten Hardware-
Software-Frage zu tun. Eine lange und schändliche Zeit galt Rasse
als Hardware-Sache – und daran gab es nichts zu rütteln. Und dann,
nach Ende des Zweiten Weltkrieges – und keineswegs losgelöst von
den Schrecken dieser Zeit –, änderte sich die öffentliche Meinung.
Rasse wurde, möglicherweise aus einer Notwendigkeit heraus, ein
soziales Konstrukt – also Software –, wie so vieles andere auch.
Denn wenn es doch eine Hardware-Sache wäre, steckten wir an
anderer Stelle in ernsthaften Schwierigkeiten.
Im März 2019 hielt Professorin Robin DiAngelo von der
University of Washington einen Vortrag an der Boston University.
DiAngelo hat sich auf »Weißsein-Studien« spezialisiert und darüber
auch ein Buch mit dem Titel White Fragility (Weiße Fragilität)
geschrieben. Da DiAngelo selbst weiß ist, muss sie sich erst einmal
gehörig selbst erniedrigen, um das Vertrauen ihrer Zuhörer zu
gewinnen. Das gelingt ihr auch, und zwar indem sie ihnen versichert,
dass sie allein aufgrund der Tatsache, dass sie hier auf einer Bühne
steht und zu ihnen spricht, das »Weißsein verstärkt und damit auch
die Zentralität der weißen Sichtweise«. Dann bittet sie um
Vergebung, indem sie zum Beispiel betont, dass sie gerne »ein
bisschen weniger weiß wäre, was nichts anderes heißt als weniger
unterdrückerisch, selbstvergessen, defensiv, ignorant und arrogant«.
Ihren Zuhörern in Boston verdeutlichte sie auch, dass »Weiße, die
ihre Mitmenschen eher als Individuen ansehen und sie nicht
aufgrund ihrer Hautfarbe beurteilen, wirklich gefährlich sind«.198 Und
das bedeutet, dass es nur etwa ein halbes Jahrhundert gedauert hat,
bis sich Martin Luther Kings Vision ins Gegenteil verkehrt hat.
Es macht den Eindruck, als hätte sich die Rhetorik wieder
verschärft und als gebe es ein Crescendo an Ansprüchen, wenn es
um Rassen und Rassenunterschiede geht – und das zu einer Zeit, in
der viele von uns gehofft haben, solche Unterschiede mögen einfach
keine Rolle mehr spielen. Es gibt Menschen, die hüpfen in die Höhe
– in einem Gefühl der Freude oder aus Frust; doch sie bekommen
nicht mit, dass die Erde unter ihnen schon bebt. Sie haben keine
Ahnung, was unter ihnen vorgeht.
ZWISCHENSPIEL
VERGEBUNG
Seit dem Anbruch des Zeitalters der sozialen Medien hat sich so viel
verändert, dass wir das Ausmaß dessen noch gar nicht begreifen
und uns schwertun, die damit verbundenen Probleme in den Griff zu
bekommen.
Der Zusammenbruch der Barriere zwischen privater und
öffentlicher Sprache ist eines davon. Doch das größere, am tiefsten
gehende Problem ist (auch wenn es teilweise daraus resultiert):
Dass wir uns keinen Mechanismus geleistet haben, der uns aus der
Situation befreit, in die uns die Technik gebracht hat. Sie scheint in
der Lage zu sein, Katastrophen auszulösen, aber nicht, sie zu
beseitigen, sie richtet Schaden an, aber sie heilt nicht.
Denken Sie an das als Phänomen, das heute als »Public
Shaming« bezeichnet wird. Im Februar 2018, nur wenige Monate,
bevor Sarah Jeong leitende Redakteurin bei der New York Times
wurde, berichtete das Blatt, dass die 44 Jahre alte Tech-Journalistin
Quinn Norton nun zum Team gehöre. Die Internetgang machte sich
sofort an die Arbeit – nicht anders als später dann mit Sarah Jeong –
und stöberte in ihrem Twitter-Feed. Und wieder wurden Tweets
entdeckt, die, wie sich die Befürworter der sozialen Gerechtigkeit
auszudrücken pflegten, »nicht gut« waren.
Unter anderem tauchten Tweets aus dem Jahr 2013 auf, in
denen Norton den Ausdruck »Schwuchtel« verwendet hatte. Einmal
schrieb sie: »Schau mal, Schwuchtel«, und (bei anderer
Gelegenheit, als sie sich mit einem anderen Nutzer in die Haare
geriet): »Du überhebliche, überempfindliche kleine Heulsuse und
Schwuchtel!«199 Bei einem anderen Tweet – bereits 2009 – hatte
Norton das schlimmste aller Wörter – ein absolutes No-Go! –
verwendet. Auch da lag sie im Clinch mit einem anderen Nutzer und
erdreistete sich zu schreiben: »Wenn Gott gewollt hätte, dass ein
Nigger mit unseren Schulkindern spielt, hätte er, dann hätte er [sic]
ihn zum Präsidenten gemacht. Oh, Moment mal … ähm.«200 Nur
sieben Stunden, nachdem die New York Times von der neuen
Mitarbeiterin berichtet hatte, machte das Blatt einen Rückzieher und
ließ verlauten, dass Norton doch nicht bei ihm anfangen würde. In
einem Artikel in The Atlantic erklärte Norton, was ihrer Meinung nach
passiert war. Sie gab zu, dass vieles, was sie geschrieben und
getwittert hatte, dumm und peinlich gewesen sei. Und sie erklärte,
wie es sich anfühlte, eine – wie sie es nannte – »virtuelle
Doppelgängerin« zu haben, die sich im Internet immer vordrängle.
Wie viele andere, die an den digitalen Pranger gestellt worden
waren, machte sie diese Version ihres Selbst dafür verantwortlich,
sich mit anderen anzulegen, und behauptete ebenso, dass das
»nicht sie selbst ist«, sondern ein scheußlicher, einfach gestrickter,
aus dem Zusammenhang gerissener Abklatsch von winzigen Teilen
ihres Ichs. Weiter hieß es in dem Artikel, sie halte sich für ein Opfer
des sogenannten »Context Collapse«. Ein anderer Begriff für den
Kollaps der Barriere zwischen privater und öffentlicher Sprache, bei
dem ein Gespräch, das für eine bestimmte Gruppe (in-group –
Eigengruppe) gedacht ist, einer nicht dazugehörigen Gruppe (out-
group – Fremdgruppe), ohne Wissen über den ursprünglichen
Kontext der Diskussion, zugänglich wird. Norton schrieb, dass sie
das »N-Wort« im Kontext eines Online-Streits verwendete, bei dem
sie »auf der Seite von [Präsident] Obama« gestanden hätte. Da
Norton sich sowohl respektvolle, als auch unangenehme Online-
Auseinandersetzungen mit diversen weißen Rassisten geliefert
hatte, war es denkbar, dass sie sich einer vulgären Ausdrucksweise
bedient hatte, um jemandem den Spiegel vorzuhalten, der das
bereits vor ihr getan hatte. Andernorts wurde als Grund dafür, dass
sie den Ausdruck »Schwuchtel« gebraucht hatte, ihr Streit mit den
»Anons« (Mitglieder einer Aktivistengruppe namens Anonymous) ins
Feld geführt.201 In solchen Gruppen ist eine derartige
Ausdrucksweise nicht ungewöhnlich, dennoch passt sie nicht zur
Welt der New York Times. In dem Augenblick, als diese zwei Welten
aufeinanderprallten, war Nortons Karriere bei der New York Times
beendet, und die Welt stürzte sich auf sie.
Doch diese beiden Fälle verdienen aus mehreren Gründen eine
weitere Betrachtung. Erstens werfen die Geschichten von Norton
und Jeong die Fragen auf: Wie sieht eine faire Darstellung von
Personen im Zeitalter des Internets aus? Und wie lässt sich jemand
auf faire Weise beschreiben? Es wäre ein Leichtes, zum Beispiel
Norton als »rassistische, homophobe Tech-Journalistin« zu
bezeichnen, »die von der New York Times gefeuert wurde«. Gut
möglich, dass sie sich selbst eher in der faireren Variante
»Journalistin und Mutter« wiederfinden würde. Andererseits dürfte
sich auch Jeong nicht für eine Rassistin halten. Wer also nennt das
Kind beim Namen? Wenn wir das dem Mob überlassen, stecken wir
ernsthaft in Schwierigkeiten.
Fakt ist, dass nur die schlimmste Seite eines Menschen das
Internet dazu bringt, einen Moment innezuhalten und nachzusehen,
was denn da los ist. Und das, was gefunden wird, ist für ein
Netzwerk, das süchtig nach »Shaming« und Schadenfreude ist,
pures Gold. Wir alle kennen das Gefühl der Schadenfreude, wenn
wir sehen, dass jemand in Ungnade fällt, oder das Gefühl von
Gerechtigkeit, wenn ein Übeltäter überführt und seiner gerechten
Strafe zugeführt wird. Und das gilt auch (oder vor allem), wenn es
sich um ein Vergehen handelt, das wir selbst schon mal begangen
haben. Wie wir aus den Werken des Anthropologen und
Philosophen René Girard wissen, kann ein Sündenbock eine
befreiende Wirkung auf die Gesellschaft haben. Daher gibt es eine
Tendenz, sich auf ein Leben zu stürzen, das am wenigsten zu
verstehen und am wenigsten differenziert ist: höchst erschreckend
und höchst erschreckt.
Und hier tut sich ein weiterer Sumpf auf. Trampelt ein Journalist
der alten Schule in jemandes Leben herum, kann derjenige nur
wenig dagegen unternehmen. Doch im Internet gibt es nicht einmal
eine Aufsichtsbehörde, an die man sich wenden könnte, wenn
jemandes Leben auseinandergenommen wird. Möglicherweise
waren Tausende – vielleicht Millionen – Menschen daran beteiligt,
und wir haben keine Möglichkeit, sie alle zu erreichen und dazu zu
bringen, sich dafür zu entschuldigen, dass sie uns unfair
behandelten. Keiner hat die Zeit dafür, nur wenige gelten als wichtig
genug. Außerdem gibt es im Internet kein Problem mit dem
Nachschub. Und anders als der begrenzte Kreis an Leuten, über die
die alten Medien herfallen konnten, kann mit moderner Technik so
gut wie jeder Mensch auf diesem Planeten herausgepickt und durch
die Mangel gedreht werden.
Eine weitere Sache, die im Zeitalter des Internets und in
Zusammenhang mit den Geschichten über Norton, Jeong und
andere von Bedeutung ist, ist eine Frage, mit der sich das Internet
noch nicht einmal im Ansatz beschäftigt hat: Wie sieht es in unserer
Zeit mit Vergebung aus, und sollte es sie überhaupt noch geben? Da
jeder Mensch in seinem Leben Fehler macht, muss es – für jeden
Menschen, in jeder Gesellschaft – die Option geben, dass ihm
verziehen wird. Zum Vergeben gehört auch immer Vergessen, doch
das Internet vergisst nichts. Alles kann jederzeit aus den Untiefen
des Internets geborgen werden. Ein potenzieller Arbeitgeber wird
über das Internet jederzeit herausfinden können, dass Norton das N-
Wort gebraucht hat und sich, Kontext hin oder her, fragen, ob sie
wirklich jemand ist, den er in seinem Team haben will.
Die umstrittenen Tweets von Norton und Jeong wurden zwar
gelöscht, aber unzählige Nutzer haben sie für die Nachwelt erhalten.
Wann immer sie an die Oberfläche gelangen, kann die Reaktion
darauf so heftig sein, als hätten diese Tweets nicht schon ein paar
Jahre oder ein ganzes Jahrzehnt auf dem Buckel, sondern als
stammten sie von gestern oder heute.
Bis vor Kurzem geriet ein Ausrutscher oder Fehler, selbst eines
Prominenten, über kurz oder lang in Vergessenheit. Doch manche
Vorfälle waren so schwerwiegend, dass sie nie vergessen werden.
Ist jemand einmal rechtskräftig verurteilt worden oder saß er im
Gefängnis, ist das den Behörden für immer bekannt. Doch wenn
dies auch bei Nichtverbrechen geschieht, wie das im Internet der
Fall ist, ist das der blanke Wahnsinn. Bei welchem Gericht kann man
Berufung einlegen? Vor allem wenn sich die Definition dessen, was
unter »Verbrechen« fällt, von heute auf morgen ändert. Wie soll man
jemanden politisch korrekt bezeichnen, der Transgender ist. Trans?
Ist das lächerlich oder gar beleidigend?
Und wie sieht es in 20 Jahren damit aus? Wer wird die zweite
Joy Reid, die sich für die »falsche« Sichtweise entschuldigen
musste, als alle anderen diese teilten? Kennen wir die Antworten auf
diese Fragen nicht, müssen wir zusehen, dass wir den
Gesinnungswandel der Massen nicht nur für das kommende Jahr,
sondern für den Rest unseres Lebens vorhersehen können. Viel
Erfolg dabei!
Es wundert nicht weiter, dass verschiedene Studien zeigen, dass
immer mehr junge Menschen an Angstzuständen, Depressionen und
anderen psychischen Erkrankungen leiden. In meinen Augen ist das
nicht die typische Reaktion der Generation Snowflake[3], sondern
eine im höchsten Maße nachvollziehbare Reaktion auf eine Welt,
deren Komplexitäten sich im Laufe eines Lebens quadriert haben.
Eine absolut vernünftige Reaktion auf eine Gesellschaft, die von
Technologien angetrieben wird, die endlose Probleme
heraufbeschwören können, aber keine Antworten liefern. Es gibt
dennoch Antworten.
Im November 1964 hielt Hannah Arendt an der University of
Chicago im Rahmen der Konferenz »Christentum und Homo
oeconomicus: Moralische Entscheidung in einer wohlhabenden
Gesellschaft« einen Vortrag mit dem Titel »Arbeiten, Herstellen,
Handeln«. Im Großen und Ganzen drehte sich ihre Rede um die
Frage, was ein »aktives« Leben bedeutet. Was heißt es, wenn wir
»aktiv« sind? Gegen Ende ihres Vortrages setzte sich Arendt mit der
Frage auseinander, welche Konsequenzen ein aktives Leben hat.
Jedes menschliche Leben kann als Geschichte betrachtet werden,
da es einen Anfang und ein Ende hat. Was wir zwischen diesen
beiden vorgegebenen Punkten tun – wenn wir in die Welt
hinausgehen und aktiv werden –, ist völlig offen, da uns unzählige
Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Die »Fragilität und
Unzuverlässigkeit menschlichen Handelns« bedeutet, dass wir ein
»Beziehungsnetz spinnen«, wodurch »jede Aktion nicht nur zu einer
Reaktion führt, sondern zu einer Kettenreaktion«. Das wiederum
bedeutet, dass »jeder Prozess neue unvorhersehbare Prozesse
auslöst«. Ein einziges Wort, eine einzige Handlung kann alles
verändern. Die Folge sei, so Arendt, »dass wir nie genau wissen,
was wir eigentlich alles verursachen«. Was unsere »Fragilität und
Unzuverlässigkeit« aber noch steigere, ist folgende Tatsache, wie es
Arendt formulierte:
Obwohl wir nicht wissen, was wir auslösen, wenn wir etwas tun, haben wir keine
Möglichkeit, etwas einmal Getanes ungeschehen zu machen. Handlungsabläufe sind
nicht nur unvorhersehbar, sondern auch irreversibel; es gibt keinen Urheber oder
Handelnden, der das, was er getan hat, wieder rückgängig machen kann, auch wenn
ihm das nicht behagt oder die Folgen katastrophal sind.
Das war die Wahrheit, bevor das Internet aufkam, um wie viel
wahrer ist es seitdem. Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung
entgegenzutreten, liegt im historischen, nicht im persönlichen
Vergessen. Und im historischen und nicht im persönlichen Vergeben.
Vergessen und Vergeben sind nicht dasselbe, dennoch ist beides oft
gemeinsam anzutreffen, und Vergessen hilft beim Vergeben. Es
wurden grausame Dinge getan, von einem Menschen oder einem
Volk, doch mit der Zeit verblasst die Erinnerung daran. Nach und
nach vergessen wir die exakten Details oder die Art eines Skandals.
Der Schuldige oder auch die Tat scheinen hinter einer Wolke zu
verschwinden, und allmählich lösen sich auch diese und
verschwinden hinter unzähligen neuen Erfahrungen und
Entdeckungen.
Auch im Falle größten historischen Unrechts sterben Opfer wie
Täter aus – sowohl die, welche die Taten begangen haben, als auch
die, welche sie erlitten. Einige Nachkommen dürften sich noch eine
Zeit lang erinnern. Doch da Verletzungen und Kummer von
Generation zu Generation verblassen, werden diejenigen, die den
Kummer aufrechterhalten, nicht für sensibel oder ehrenvoll gehalten,
sondern für streitsüchtig.
Das Internet kann dazu beitragen, Dinge nicht in Vergessenheit
geraten zu lassen, andererseits jedoch sorgt es dafür, dass wir uns
der Vergangenheit von einem merkwürdigen Standpunkt aus
annähern und so tun, als wüssten wir alles. Auf diese Weise wird die
Vergangenheit – ebenso wie alles andere – Geisel aller
Archäologen, die auf Blutrache aus sind. Skandale, die längst in
Vergessenheit geraten sind, tauchen wieder auf. Wie konnten wir
dieses Verbrechen, das vor über 100 Jahren geschehen ist, nur
vergessen? Sollten wir nicht alle darüber Bescheid wissen? Sollten
wir uns deshalb nicht schämen? Was sagt es über uns aus, wenn wir
davon keine Ahnung haben?
Auch Dinge, mit denen wir längst unseren Frieden gemacht
haben, können neu aufgerollt werden. In seinem berühmten Gedicht
»In Memory of W. B. Yeats« (»In Erinnerung an W. B. Yeats«) geht
es W. H. Auden um den Ruf von Literaten: »Time that with this
strange excuse/Pardoned Kipling and his views,/ And will pardon
Paul Claudel,/Pardons him for writing well.« Der Unterschied zur
heutigen Zeit ist, dass Kipling zwar vergeben wurde, er aber
jederzeit von Neuem in Ungnade fallen kann. Zugegeben, das mag
für Dichter in einem gewissen Rahmen generell gelten, aber heute
ist das möglich aus weiter Ferne, sehr schnell und auf fanatische
Weise.
Im Juli 2018 übermalten Studenten von der University
Manchester ein Wandgemälde von Kiplings »If« (»Wenn«) – ein
Gedicht, das kurz zuvor zum Lieblingsgedicht der Briten gewählt
worden war. Doch ganz gleich, wie inspirierend oder bewegend
dieses Gedicht für viele Menschen auch sein mag, diese Studenten
wollten es zerstören. Vielleicht war es irgendwie unvermeidbar, dass
sie stattdessen ein Gedicht von Maya Angelou darüberkritzelten. Die
Sprecherin des Studentenwerks Manchester begründete die Aktion
damit, dass Kipling »ein großer Befürworter des Imperialismus war,
der sich für die Kolonialisierung Indiens durch das Britische Empire
und für die Entmenschlichung farbiger Menschen aussprach«.203
Bevor sich das Internet durchsetzte, wussten nur das Umfeld
oder bestimmte Kreise eines Menschen von dessen Fehlern, und es
bestand grundsätzlich die Möglichkeit, irgendwo anders einen
Neubeginn zu wagen. Heutzutage können Menschen von ihren
virtuellen Doppelgängern überallhin verfolgt werden. Und selbst
nach ihrem Tod geht die Leichenschändung weiter, nicht aus
wissenschaftlicher Neugier oder im Zuge der Vergebung, sondern
aus Rachegelüsten oder Vergeltungssucht. Hinter all dem verbirgt
sich das merkwürdige instinktive Bedürfnis unserer Zeit, Vergeltung
für die Untaten der Vergangenheit zu üben, weil wir glauben, wir
wären besser als die Menschen der Vergangenheit, weil wir wissen,
wie sie sich verhalten haben, und glauben, es hätten besser
gemacht zu haben. Doch das ist ein großer neuzeitlicher
Trugschluss. Wir Menschen glauben nur, dass wir in der
Vergangenheit alles besser gemacht hätten, weil wir wissen, wie die
Geschichte endete.
Unsere Vorfahren hatten – und haben – diesen Luxus nicht. Sie
trafen ihre richtigen oder falschen Entscheidungen in ihrer Zeit,
ihrem Lebensraum und angesichts der damaligen Umstände und
Gepflogenheiten. Wer die Vergangenheit mit einem wohlwollenden
Blick der Vergebung betrachtet, tut dies auch, damit auch ihm
vergeben wird – oder zumindest, um verstanden zu werden. Denn
nicht alles, was wir tun oder tun wollen, übersteht zwangsläufig
diesen Wirbelwind aus Vergeltung und Verurteilung. Kann eine
solche Vergebungshaltung nur auf der persönlichen oder auch auf
der historischen Ebene angewandt werden? Und wie sieht es mit
denjenigen aus, für die wir Geschichte schreiben?
Zum Jahreswechsel 2017/2018 sickerte durch, dass die britische
Regierung den Journalisten und Schulgründer Toby Young als neues
Mitglied des Beratungsgremiums für Hochschulbildung, das dem
britischen Bildungsministerium untersteht, vorstellen würde. Young
hatte sich seit Jahren einen Namen als starker Befürworter des
staatlichen Programms »Kostenlose Schulbildung« gemacht, hatte
eine Schule in London gegründet und leitete das New Schools
Network. Bevor er diesen Weg einschlug, hatte Young unter
anderem das Buch How to Lose Friends and Alienate People (das
auch verfilmt wurde, der deutsche Titel lautet New York für Anfänger)
geschrieben, in dem er Bilanz zieht über sein gescheitertes
Vorhaben, Amerika zu knacken. Es ist ein derbes,
selbstzerfleischendes und enthüllendes Buch, das, wie viele andere
von Youngs journalistischen Arbeiten, darauf setzt, das Publikum zu
schockieren. Vielleicht hätte ein Damaskuserlebnis von einer
Lebensphase Youngs zur nächsten zur Vergebung führen können,
aber über einen bestimmten Zeitraum versuchte er sich in einem
Spagat. Auf der einen Seite der lustige, seine Leserschaft gern
schockierende Journalist und auf der anderen Seite der hilfsbereite
Schulgründer, der dafür eintrat, Kindern aus armen Familien zu einer
höheren Schulbildung zu verhelfen. Der Online-Mob erwischte ihn an
der Kreuzung beider Lebenswege.
In nur wenigen Stunden und Tagen nach seiner Ernennung zum
Berater der britischen Regierung erwies sich sein Twitter-Account –
und alte Artikel von ihm – als wahre Fundgrube für die modernen
Sittenwächter auf der Suche nach Fehlern. In der Tat, für jeden, der
mit seiner Arbeit nicht vertraut ist, musste es das »Online Shaming«-
Equivalent zur Entdeckung von Tutanchamuns Grabkammer
gewesen sein.
Man fand heraus, dass Young 2009 mehrmals sein Interesse an
der weiblichen Brust zum Ausdruck gebracht hatte und sich
gegenüber seinen Followern auf Twitter diesbezüglich äußerte, er
sprach über die »riesigen Möpse« einer Freundin. Während er sich
im Fernsehen die Prime Minister’s Questions (Fragestunde des
Premierministers) ansah, twitterte er: »Supertiefes Dekolleté hinter
Ed Milibands Kopf. Weiß jemand, zu wem es gehört?«204 Wie er
später einräumte, zählten diese Kommentare nicht unbedingt zu den
Sternstunden seines Lebens. Doch die Ausgrabungen gingen weiter.
In einem Artikel in The Spectator von 2001 schrieb er über eine neue
Fernsehserie mit dem Titel The glamour game (Das Glamour-Spiel),
die auf dem Kanal Men and Motors lief, dass es sich im Grunde um
Pornografie handle und sie ihm gefiel. Der Korrektor dieses Artikels
änderte die Überschrift in »Geständnisse eines Pornosüchtigen«.205
Knapp zwei Jahrzehnte später wurde dieser Ausdruck zum
geflügelten Wort, wenn es um die Fehltritte von Young ging.
Abgeordnete von Labour und der Konservativen Partei warfen ihm
diesen Artikel vor. The Times of London druckte die Schlagzeile:
»›Pornosüchtiger‹ Toby Young muss um seine Rolle als Aufpasser
von Schulkindern bangen«.206 Die lokale kostenlose Tageszeitung
Londons The Evening Standard wartete mit der Schlagzeile auf,
»Druck auf Theresa May wächst – sie muss den ›Pornosüchtigen‹
als Berater feuern«.207 Es wurde ausgegraben, dass er einmal einen
prominenten Schwulen als »Queer wie ein Blesshuhn« bezeichnet
hatte und bei einer Konferenz über IQ und Genetik, die an der
Universität London stattfand, hinten im Publikum gesessen hatte. Im
Prinzip war er in jeden einzelnen Stolperdraht dieser Zeit geraten.
Neun Tage nach seiner Ernennung zum Berater sah es so aus, als
würde es noch das ganze Jahr dauern, bis alle »Schätze« geborgen
wären, was letzten Endes den Anstoß zu seinem Rücktritt gab. Nur
wenige Wochen später war er auch alle anderen Jobs und
Positionen los, wogegen er sich heftig, aber vergebens, wehrte. So
wurde ihm auch sein Job beim New Schools Network gekündigt, was
nicht nur seine Haupteinnahmequelle darstellte, sondern auch die
große Leidenschaft seiner zweiten Lebenshälfte.
Niemand stellte sich schützend vor Young und versuchte, seine
Tweets über weibliche Brüste in irgendeiner Art und Weise zu
rechtfertigen. Nicht wenige dürften sich fragen, weshalb ein
Erwachsener zugegebenermaßen »unreife« Witze twittert.208 Doch
viel wichtiger ist in Youngs Fall – wie in allen anderen Fällen von
»Public Shaming« – die Frage, ob es einen Weg gibt, der zu
Vergebung führt. Könnte Youngs langjähriges ehrenamtliches
Engagement für benachteiligte Kinder seine Tweets über Brüste
denn nicht irgendwie ausgleichen? Wenn ja, wie vielen Kindern
müsste er geholfen haben, um wie viele Sprüche über Brüste
wettzumachen? Was ist eine angemessene Zeitspanne zwischen
einem Fehler und seiner Vergebung? Weiß das jemand? Will das
überhaupt jemand herausfinden?
Es ist an der Zeit, dass wir zumindest den Versuch wagen.
Immerhin haben wir inzwischen gefährlichstes Terrain betreten.
»Public Shaming« ist mittlerweile ein generationsübergreifendes
Phänomen. Im August 2018 gab das Pharmaunternehmen Lilly
Diabetes bekannt, dass es nicht länger Sponsor des 26 Jahre alten
Profirennfahrers Conor Daly sei, der kurze Zeit später zum ersten
Mal ein NASCAR-Rennen fuhr. Dieses Mal kam es nicht zum
Skandal, weil Daly irgendetwas gesagt oder getan hätte. Nein, die
Sponsoren cancelten das Sponsoring aufgrund einer Geschichte aus
den 1980er-Jahren. Damals – lange Zeit bevor Conor auf die Welt
kam – hatte sein Vater ein Interview im Radio gegeben und
Afroamerikaner mit einem verächtlichen Ausdruck belegt. Daly
senior entschuldigte sich dafür und erklärte, dass dieses Wort in
seinem Heimatland Irland eine andere Bedeutung und Konnotation
habe, und dass er erst vor Kurzem in die USA gezogen sei. Er
drückte sein Bedauern und seine Scham aus und bat um
Vergebung. Dennoch bedeutete es für seinen Sohn das Aus für das
Sponsoring durch den Pharmariesen.209
Irgendwie ist es uns gelungen, eine Welt zu schaffen, in der
Vergebung so gut wie unmöglich ist, da die Vergehen des Vaters an
den Sohn weitergereicht werden – und damit werden wir noch mehr
als genug zu kämpfen haben. Bedauerlich, dass es uns nicht einmal
etwas ausmacht, denn wir haben anscheinend kein Interesse,
irgendeinen Mechanismus zu entwickeln oder wenigstens Konsens
zu schaffen, wie wir mit diesem Problem umgehen können.
Jahrhundertelang waren wir uns einig, dass letzten Endes nur Gott
Sünden vergeben kann. Doch für das alltägliche Leben hat das
Christentum, wie andere Religionen auch, betont, wie
erstrebenswert – wenn nicht gar notwendig – es ist zu vergeben. Bis
hin zu grenzenloser Vergebung.210 Als eine Folgelast des
Gottestodes sah Nietzsche, dass sich die Menschen in einer
ausweglosen Schleife christlicher Theologie wiederfinden würden.
Insbesondere sah er voraus, dass die Konzepte von Schuld, Sünde
und Scham übernommen würden, zugleich aber die von der
christlichen Religion vorgesehene Erlösung nicht stattfinden könne.
Offenbar leben wir heute in einer Welt, in der unsere Handlungen
Konsequenzen haben, die wir uns in unseren kühnsten Träumen
nicht hätten vorstellen können, in der Schuld und Scham eine
wesentliche Rolle spielen, in der es aber keinerlei Erlösung gibt. Wer
könnte sie uns auch geben? Wer könnte sie annehmen? Und wäre
sie überhaupt eine erstrebenswerte Eigenschaft im Vergleich zu dem
endlosen Zyklus aus tödlicher Sicherheit und Denunzierung?
Und so leben wir in einer Welt, in der jeder dem Risiko
ausgesetzt ist, wie Professor Tim Hunt den Rest seines Lebens für
seinen schlechtesten Witz abgestraft zu werden. Und wir leben in
einer Welt, in der der Anreiz nicht mehr im Agieren liegt, sondern im
Reagieren auf andere Menschen: Vor allem, um für die Rolle des
Opfers oder des Richters vorzusprechen, für ein Stück der
moralischen Tugend, die das Leid fälschlicherweise mit sich bringen
soll. In einer Welt, in der niemand so recht weiß, wer uns die
Schwere unserer Sünden nehmen kann, aber jeder sich aus
Imagegründen berufen fühlt, Vergebung entgegenzunehmen und
damit zu verschwinden. In einer Welt, in der stets die größtmögliche
Macht ausgeübt wird – die Macht, über das Leben eines anderen zu
Gericht zu sitzen und es gegebenenfalls zu ruinieren, aus Gründen,
die ehrenhaft sein mögen oder auch nicht.
Bis zum heutigen Tag gibt es nur zwei sehr schwache,
vorübergehende Lösungen für dieses vertrackte Problem. Die erste
ist, wir vergeben den Menschen, die wir mögen oder deren Herkunft
oder Ansichten am besten zu unseren eigenen passen oder mit
denen wir unsere Feinde am wenigsten verärgern. Wenn Ezra Klein
Sarah Jeong gut leiden kann, wird er ihr verzeihen. Wenn Sie Toby
Young nicht mögen, werden Sie das nicht tun können. Übrigens
handelt es sich beim Nichtvergeben um eine der sichersten
Methoden, die man sich nur vorstellen kann, um jegliche
Stammesdifferenzen, die bereits bestehen, noch zu verstärken. Es
gibt noch einen zweiten Weg, damit umzugehen. Und wie es der
Zufall will, hat ihn neulich ein anderer Rennfahrer – Lewis Hamilton –
eingeschlagen. Weihnachten 2017 hat er ein Video über seinen
Instagram-Account gepostet. Darauf war Hamilton zu sehen, wie er
sagte: »Puh, ist das traurig. Schaut euch mal meinen Neffen an.«
Dann schwenkte der 32-Jährige die Kamera auf den kleinen Jungen,
der ein rosaviolettes Kleid trug und einen Zauberstab in der Hand
hielt. »Weshalb trägst du ein Prinzessinnenkleid?«, hört man
Hamilton ihn fragen. »Jungs tragen doch keine Kleider.« Der kleine
Junge lacht die ganze Zeit.
Doch es dauerte nicht lange, bis aus diesem Spaß tödlicher Ernst
für Hamilton und seine Karriere wurde. Eine Anti-Mobbing-
Organisation verurteilte ihn aufs Schärfste, weil er eine
Internetplattform dafür missbraucht hätte, »ein kleines Kind in seinen
Möglichkeiten einzuschränken«. Auf sämtlichen sozialen Medien
wurde Hamilton beschuldigt, transphob zu sein und veraltete
geschlechtsspezifische Klischees zu bedienen. Auch die
Printmedien griffen die Story auf und druckten sie auf Seite eins.
Eine wohltätige Organisation, die sich um Vergewaltigungsopfer
kümmert, forderte, dem Rennfahrer seine Auszeichnung zum MBE
[Member of the British Empire (ein britischer Ritterorden)]
abzuerkennen. Hamilton fackelte nicht lange und nutzte seinerseits
die sozialen Medien, um sich für seine »unpassenden« Kommentare
zu entschuldigen und alle Nutzer wissen zu lassen, wie sehr er
seinen Neffen liebe. »Ich finde es ganz toll, dass mein Neffe weiß,
dass er seine Persönlichkeit so ausdrücken kann, wie immer er das
will. Und so, wie wir es alle tun sollten«, hieß es in einem Post. Und
in einem anderen: »Ich war schon immer auf der Seite derjenigen,
die ihr Leben ganz nach ihrem Geschmack leben, und ich hoffe, mir
wird mein Lapsus vergeben.«211
Klar, das war nicht genug. Ein paar Monate später, im August
2018, war Lewis Hamilton auf dem Titelbild des Männermagazins
GQ zu sehen, im Innenteil des Blatts gab es ein langes Interview mit
ihm und eine Fotoserie. Auf allen Bildern – ja, auch auf dem Cover –
trug er einen Rock. Auf der Titelseite trug er ein offenes Hemd mit
Karos in verschiedenen Farben, das einen Blick auf seinen
durchtrainierten Oberkörper freigab, und dazu einen Kilt-ähnlichen
Rock, ebenfalls in unterschiedlichen Karos. Dazu die Schlagzeile:
»›Ich will eine Scharte auswetzen.‹ Lewis Hamilton geht dem
Problem nicht aus dem Weg.«212
Und damit wären wir bei der einzigen derzeit verfügbaren Form
von Vergebung angelangt. Vorausgesetzt, Sie zählen zu den
Reichen und Berühmten, dann können Sie es im Rock und mit der
tatkräftigen Unterstützung Ihrer PR-Leute aufs Cover eines
Männermagazins schaffen und vor den flüchtigen Dogmen unserer
Zeit auf die Knie fallen. Vielleicht ist es ja nicht weiter verwunderlich,
dass immer mehr Menschen zu der Überzeugung gelangen, es wäre
am besten, sich genau diesen Dogmen anzuschließen. Keine
Fragen zuzulassen. Keine Fragen zu stellen.
KAPITEL 4
TRANS
INTERSEXUALITÄT
Wenn wir unser Vertrauen Wissenschaftlern – nicht
Sozialwissenschaftlern – schenken, und wenn wir uns darauf
einigen, dass es einfacher ist, auf das zu reagieren, was Menschen
sind, anstatt auf das, was sie zu sein glauben, dann ist die
Intersexualität der Teil der Trans-Debatte, der am
unproblematischsten sein dürfte.
Bei Intersexualität handelt es sich um ein natürliches Phänomen,
das den medizinischen Berufen schon seit Jahrhunderten bekannt
ist, der Allgemeinheit jedoch nicht. Ein geringer Prozentsatz von
Säuglingen kommt entweder mit nicht eindeutigen primären
Geschlechtsmerkmalen zur Welt oder besitzt andere biologische
Eigenschaften (zum Beispiel eine ungewöhnlich große Klitoris oder
einen ungewöhnlich kleinen Penis), was vermuten lässt, dass sie
weder dem einen noch dem anderen Geschlecht angehören. Nicht
immer sind die Anzeichen der Intersexualität äußerlich zu erkennen.
In seltenen Fällen weisen sie alle primären Geschlechtsmerkmale
eines einzigen Geschlechts auf, verfügen aber auch über eindeutig
männliches als auch eindeutig weibliches Gewebe.
Bei Personen zum Beispiel, die vom PMDS [Persistent müllerian
duct syndrome – Müller-Gang-Persistenzsyndrom] betroffen sind,
sind die männlichen Geschlechtsorgane normal entwickelt, aber
diese Menschen besitzen außerdem noch weibliche
Fortpflanzungsorgane wie Eileiter und Gebärmutter. Den
medizinischen Berufen ist die Intersexualität seit Jahrhunderten
bekannt, und auch ein winziger Teil der Allgemeinheit dürfte davon
gewusst haben, obwohl Intersexuelle lange Zeit eher als »Freaks«
galten. Im Zirkus konnte man solche »Missgeburten« wie die
»bärtige Frau« bestaunen, während historische Anspielungen auf
diese Hermaphroditen beziehungsweise »Zwitter« zeigen, dass
anerkannt war, dass es Menschen gab, die keine Transvestiten,
sondern weder dem einen noch dem anderen Geschlecht
zuzurechnen waren. Auch wenn es sich lediglich an den Rändern
der Diskussionen bewegte, gab es immer ein Bewusstsein dafür,
dass das Schicksal (die Biologie), manchen Menschen ein
komplexes und oft grausames Schicksal auferlegt.
Selbst heute noch wissen die wenigsten, wie verbreitet
Intersexualität ist. Schätzungen zufolge kommt in Amerika etwa ein
Kind von 2000 mit nicht eindeutigen Geschlechtsorganen auf die
Welt, und eines von 300 muss zu einem Facharzt überwiesen
werden.219 Je mehr Wissen über das Phänomen der Intersexualität
bekannt wurde, desto heftiger wurde darüber diskutiert, wie man mit
solchen Menschen umgehen soll, die das Leben vor eine besondere
Herausforderung stellt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
entwickelte die Johns Hopkins University in Baltimore ein
Standardmodell dafür. Experten untersuchten das an sie verwiesene
Kind und legten dann fest, welches Geschlecht dominanter
vorhanden oder welches machbarer sei, behandelten es dann mit
Hormonen und nahmen operative Eingriffe vor.
Nachdem zahlreiche Fälle von fragwürdigen Anwendungen
bekannt geworden waren, wandte man sich dem Problem erneut zu.
Die amerikanische Professorin für Bioethik Alice Dreger setzt sich
seit mehr als 30 Jahren für die Rechte von Intersexuellen ein. Selbst
nicht intersexuell, zählte sie nichtsdestotrotz zu den wenigen
erbitterten Gegnern solcher »geschlechtskorrigierenden« Eingriffe im
frühen Kindesalter (die oft nur durchgeführt wurden, um die Eltern
glücklich zu machen). Sie setzte sich für eine bessere Aufklärung
der Öffentlichkeit, aber auch der medizinischen Berufe ein. Den
Betroffenen würde es sicherlich helfen, wenn etwas Licht in dieses
Dunkel fällt. In ihrem Buch zu diesem Thema – Galileo’s Middle
Finger – erinnert sich Dreger an einen Chefarzt, der ihr Ende der
1990er-Jahre vorgeworfen hatte, dass sie keine Ahnung von der
Dynamik des Ganzen hätte. In seinen Augen stünden Eltern, deren
Kind mit nicht eindeutigen Geschlechtsorganen auf die Welt kam,
vor einem Problem, mit dem sie nicht fertigwürden. »Die Mutter heult
den ganzen Tag und der Vater besäuft sich«, sagte er, »wenn so ein
Kind nicht operiert wird […], begeht es spätestens in der Pubertät
Selbstmord«.220
All das hat sich ab Mitte der 1990er-Jahre und mit dem
Aufkommen des Internets geändert. Wie Dreger schreibt, ist etwas
passiert, was sich die »Doktoren des viktorianischen Zeitalters nicht
hätten träumen lassen: Menschen, die mit den unterschiedlichsten
Anomalien der Geschlechtsorgane geboren wurden, nahmen
Kontakt zueinander auf und begannen, sich als Bewegung zu
organisieren, die für die Freiheit der Geschlechtsidentität eintrat.«221
1993 wurde die ISNA [Intersex Society of North America] gegründet,
ähnliche Gruppen bildeten sich kurze Zeit später.
Mit Jeffrey Eugenides’ Bestseller Middlesex aus dem Jahr 2002
kam das Thema endgültig in der Mitte der Gesellschaft an. Zudem
traten ein paar mutige Intersexuelle an die Öffentlichkeit und
erzählten von sich und ihrer Geschichte. Doch die Fragen, welche
medizinischen Eingriffe und Therapien passend sind und wann der
richtige Zeitpunkt für geschlechtsangleichende Operationen ist und
wie die besten Praktiken bei dieser Thematik aussehen sollen, sind
noch immer nicht restlos geklärt.
Wir haben es Gruppen wie der ISNA zu verdanken, dass bis
heute einige Dinge bekannt geworden sind. Zum einen hat sich
allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, dass es Intersexuelle gibt
und dass sie nichts für ihre Situation können. Wir sollten
Intersexuellen eine gehörige Portion Empathie und Verständnis
entgegenbringen. Was sonst sollten wir für unsere Mitmenschen
empfinden, die – gelinde gesagt – mit suboptimalen Karten auf die
Welt gekommen sind? Wenn etwas auf dieser Welt eine Frage der
Hardware ist, dann ist es die Intersexualität.
Es ist völlig legitim und sinnvoll, sich mit diesem Thema
respektvoll auseinanderzusetzen. Für jeden, der sich für
Menschenrechte einsetzt, ist es ein Muss. Doch es ist auffallend, wie
selten Einzelne, aber auch die Medien, dieses Thema aufgreifen,
wenngleich doch fast täglich über Trans berichtet wird. Vielleicht liegt
es daran, dass Intersexualität von der Öffentlichkeit erst in dem
Augenblick wahrgenommen wurde, als öffentlich über scheinbar
ähnliche, aber in Wahrheit völlig unterschiedliche Themenkomplexe
gesprochen wurde.
TRANSSEXUALITÄT
In der Nachkriegszeit gab es sowohl in Europa als auch in Amerika
einige wenige vielbeachtete Fälle, bei denen mehrere als Mann
beziehungsweise Frau zur Welt gekommene Menschen versucht
hatten, ihr Geschlecht zu ändern. Roberta (ehemals Robert) Cowell
machte in Großbritannien und Christine (ehemals George)
Jorgensen in den USA Schlagzeilen. Wer damals Kind war, kann
sich vielleicht noch daran erinnern, dass seine Eltern die Zeitung vor
ihm versteckt hatten, als über die ersten
»Geschlechtsumwandlungen« berichtet wurde. Denn die
Geschichten waren nicht nur »schlüpfrig«, sondern auch
hochsexualisiert, und sie stellten die grundlegendsten
gesellschaftlichen Normen infrage. Konnte jemand tatsächlich sein
Geschlecht ändern? Wenn ja, hieße das dann, dass das jede und
jeder tun könnte? Soll das heißen, dass es dann auch jede und jeder
tun will, wenn sie oder er dabei unterstützt wird?
Rückblickend ist nicht schwer zu verstehen, weshalb diese ersten
Fälle von Transsexualität solche Verwirrung gestiftet haben. Nach
dem Ersten Weltkrieg fiel die Vorstellung, dass es feminine Männer
und maskuline Frauen gebe, mehr in den Bereich einer fixen Idee
von Menschen, die kein Verständnis für die jüngere Generation
zeigten.
In den 1920er-Jahren gab es einen sehr beliebten Hit, in dem es
hieß, »Masculine women! Feminine men! Which is the rooster?
Which is the hen? It’s hard to tell ’em apart today«.222 Zu dieser Zeit
wurde nicht groß zwischen Homosexualität und Transvestismus
unterschieden: Es gab einfach ausgeprägte Transvestiten oder
besonders weibliche Schwule. Doch die ersten Transmenschen, die
öffentlich bekannt wurden, wollten sich keineswegs damit abfinden,
dass keine Unterschiede gemacht wurden. Zu Beginn seiner
Karriere war Cowell Jagdpilot, danach wurde er als Rennfahrer
berühmt. Angesichts dieses Totschlagarguments war es natürlich
schwer – wenngleich nicht unmöglich –, die Mär von einer
ausgeprägten Form der Weiblichkeit aufrechtzuerhalten. Außerdem
gab es ja noch die Behauptungen der Betroffenen selbst. Cowell
zum Beispiel war es wichtig, als Intersexueller anerkannt zu werden,
dessen »Geburtsfehler« durch eine Vaginoplastie und andere
operative Eingriffe ausgemerzt wurde. Je sichtbarer diese
Kategorien wurden – Homosexualität, Intersexualität,
Transvestismus, Transsexualität –, umso mehr griffen sie ineinander.
Es hat viel Zeit, den Mut Einzelner und die Fähigkeit, Dinge beim
Namen nennen zu können, gebraucht, um aus dieser Mischung das
zu extrahieren, was heutzutage als Trans bezeichnet wird. Jeder, der
skeptisch ist, ob diese Kategorie überhaupt existiert, sollte sich mit
den Arbeiten der Transmenschen auseinandersetzen, die sich nicht
nur tiefgehend damit auseinandergesetzt, sondern sich umfassend
darüber geäußert haben. Einer der erfolgreichsten Versuche, das zu
kommunizieren, was viele Transmenschen für nicht kommunizierbar
halten, stammt aus der Feder der britischen Schriftstellerin Jan
(ehemals James) Morris. Ebenso wie Roberta Cowells hat Morris’
Geschichte Verwirrung, aber auch Neugier unter den Lesern und
Interviewern ausgelöst, und das hat sich bis heute nicht geändert.
Morris wurde in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges
eingezogen und diente der britischen Armee. Anschließend war er
als Journalist für The Times und The Guardian tätig. Ebenso wie
sein Kriegsdienst war auch Morris’ Arbeit als Auslandskorrespondent
im Nahen Osten, Afrika und hinter dem Eisernen Vorhang nicht das,
was von einem Mann, der eine Frau werden sollte, erwartet wurde.
Ebenso wenig wie die Tatsache, dass er glücklich mit einer Frau
verheiratet und Vater von fünf gemeinsamen Kindern war. Die
Verwandlung von James in Jan begann in den 1960er-Jahren und
mündete 1972 in eine Geschlechtsangleichung. Schon damals hatte
sie sich einen Namen als Schriftstellerin gemacht, doch sobald die
Operation publik wurde, wurde aus ihr die wohl bekannteste
Transfrau der Welt. Morris’ Erinnerungen an diese Zeit, Conundrum
(Rätsel), erschienen 1974, ist noch heute eine der
beeindruckendsten und meisterhaft geschriebenen Schilderungen,
weshalb manche Menschen eine Geschlechtsumwandlung wollen.
Es ist so gut wie unmöglich, dieses Buch aus der Hand zu legen und
den Gedanken zu fassen, dass so etwas wie Trans gar nicht
existiert, und wenn, dann nur als »reines Fantasiegebilde«. Morris
beschreibt ihre frühesten Erinnerungen an ihre Kindheit, wie sie sich
als kleiner Junge von drei oder vier Jahren unter dem Klavier ihrer
Mutter versteckt hat und ihr schon damals dämmerte, »im falschen
Körper auf die Welt gekommen zu sein«.223 In all den Jahren danach
– Militärzeit, Ehe und Vaterschaft – blieb sie davon überzeugt. Erst
als sie den berühmten deutsch-amerikanischen Endokrinologen Dr.
Harry Benjamin in New York aufsuchte, zeichnete sich eine Lösung
ihres Dilemmas ab. Man könnte sagen, das waren die ersten
gesellschaftlichen Versuche, sich der komplexen Thematik Trans
anzunehmen. Nur wenige Ärzte wie Benjamin waren sich aufgrund
ihrer Ausbildung sicher, dass es eine kleine Gruppe von Menschen
gibt, die das Gefühl haben, im falschen Körper geboren worden zu
sein. Dennoch wusste niemand so recht, was in einem solchen Fall
zu tun war. Manche Mediziner wie Benjamin kamen zu dem Schluss,
dass man durchaus etwas tun könnte.
Er erklärte: »Ich fragte mich, ob wir denn nicht aus Gründen der
Barmherzigkeit oder weil der gesunde Menschenverstand dazu rät –
wenn wir schon nicht die Überzeugung an den Körper anpassen
können –, unter bestimmten Umständen den Körper der
Überzeugung anpassen sollten?« Den Körper anpassen, oder wie
es Morris formulierte, »ihn von allem Überflüssigen befreien […] und
den Fehler zu bereinigen und neu anzufangen«. Das war nicht nur
das, was er schon als kleiner Junge wollte, sondern wovon er
träumte und wofür er betete.224
In Conundrum beschreibt Morris, wie der Wunsch, eine Frau zu
werden, mit jedem Jahr, das vorüberging, immer stärker wurde.
»Jedes Jahr schien der Körper eines Mannes unnachgiebiger um
mich zu wachsen.« Von 1954 bis 1972 unterzog sich Morris einer
Hormontherapie. Er beschreibt die merkwürdige Auswirkung der
weiblichen Hormone, schildert im Detail, dass er sich immer jünger
und weicher fühlte. Diese Hormone führten nicht nur dazu, dass er
die männlichen Schichten abstreifen konnte, die ihn zu erdrücken
schienen, sondern auch dazu, dass »die unsichtbaren Schichten der
Belastbarkeit, die letztlich das Schutzschild für die männliche
Spezies ausmachen, zugleich aber das Körperempfinden abtöten«,
allmählich von ihm abfielen. Im Laufe der Zeit führte das dazu, dass
sich Morris zu einer »irgendwie zweideutigen« Person entwickelte.
Manche hielten ihn für einen Schwulen, andere für
zwischengeschlechtlich. Es kam aber auch vor, dass ihm Männer die
Tür aufhielten, weil sie ihn fälschlicherweise für eine Frau hielten. All
das geschah natürlich vor seiner Geschlechtsumwandlung.
Zu dieser Zeit waren nur wenige Chirurgen in Europa oder
Amerika bereit, Operationstechniken anzuwenden, die sich noch im
Versuchsstadium befanden. Doch noch immer konnte niemand mit
Gewissheit sagen, was manche Menschen veranlasste, ihr
Geschlecht wechseln zu wollen. Handelte es sich um eine
psychische Erkrankung? Wenn nicht immer, dann aber manchmal?
Wenn ja, woran konnte man das erkennen? Wie unterschied sich
das Verlangen, einen Teil seines Körpers operativ entfernen zu
lassen, von dem Wunsch eines Patienten, der seinem Arzt erzählt,
er sei Admiral Nelson und wolle deshalb seinen rechten Arm
amputieren lassen? War jemand, der davon träumte, dass sein
Penis abgeschnitten würde, wirklich geistig gesund und
zurechnungsfähig?
In den 1960er- und 1970er-Jahren waren die wenigen Chirurgen,
die bereit waren, Geschlechtsumwandlungen durchzuführen, auf
eine Reihe von Voraussetzungen angewiesen. Erstens, der Patient
durfte in keiner Weise psychotisch sein. Zweitens, es war dem
Patienten nach dem Eingriff nicht gestattet, diejenigen, die von ihm
und seinem ursprünglichen Geschlecht abhängig waren, zu
verlassen. Drittens, der Patient musste sich vorher längere Zeit einer
Hormonbehandlung unterzogen haben. Viertens, der Patient musste
das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle kontinuierlich
erprobt haben. Diese grundlegenden Anforderungen haben sich
seitdem nicht wesentlich geändert.
Letzten Endes beschloss Morris nach langjähriger
Hormontherapie, sich in Marokko von Dr. Georges Burou (der in
Conundrum als »Dr. B.« bezeichnet wird) operieren zu lassen.
Dieser Chirurg hatte bereits die geschlechtsangleichende Operation
eines anderen bekannten Briten, April Ashley, durchgeführt, und
obwohl er in der Öffentlichkeit ein unbeschriebenes Blatt war, hatten
sich seine Fähigkeiten in gewissen Kreisen bereits
herumgesprochen. Und zwar derart, dass »eine Reise nach
Casablanca« dort ein ziemlich bekannter Euphemismus für eine
Geschlechtsumwandlung war. Für seine Patienten – so schrieb
Morris – war die Reise nach Casablanca, wo Dr. Burou in einer
Seitenstraße sein OP- und Rekonvaleszenzzentrum betrieb, »wie
der Besuch bei einem Zauberer«.225
Jeder, der bezweifelt, dass es Menschen gibt, die absolut davon
überzeugt sind, eine Geschlechtsangleichung wäre in ihrem Fall
nötig, sollte einmal Morris’ Buch lesen und sich vor Augen halten,
was er bereit war durchzumachen. Zwei Krankenschwestern, eine
Araberin, die andere Französin, betreten sein Krankenzimmer in Dr.
Burous Klinik. Sie teilen James mit, dass er später operiert wird und
sie jetzt seinen Intimbereich rasieren müssten. Da er einen Rasierer
dabeihat, macht er es lieber selbst.
Die Schwestern setzen sich derweil auf den Tisch und lassen die
Beine baumeln. Er rasiert sich mit kaltem Wasser und
marokkanischer Seife den Schambereich und geht dann zurück ins
Bett, weil er eine Spritze bekommen soll. Die Schwestern sagen ihm,
er solle noch etwas schlafen, bis die Operation stattfindet. Morris
beschreibt mit sehr bewegenden Worten, was dann geschah.
Nachdem die beiden Schwestern den Raum verlassen haben, quält
sich Morris mit zittrigen Beinen aus dem Bett – die Wirkung der
Medikamente hatte bereits eingesetzt – und trat vor den
Spiegel, »weil ich mich von mir verabschieden wollte. Wir würden
uns nie mehr wiedersehen, und ich wollte dem anderen Ich zum
letzten Mal in die Augen sehen und alles Gute wünschen.«226 Morris
lag zwei Wochen, bandagiert und eingewickelt, in der Klinik und
beschrieb sein Gefühl nach dem Eingriff als »wunderbar sauber.
Diese Auswüchse, die ich mehr und mehr gehasst hatte, waren
entfernt worden. Nach meinem eigenen Maßstab war ich jetzt
normal.«227 Morris spricht davon, dass er sich die ganze Zeit nach
seiner Operation, auch nach seiner Rückkehr nach Hause,
»euphorisch« fühlte. »Und ich war mir absolut sicher, das Richtige
getan zu haben.«228 Das Gefühl, glücklich zu sein, hielt an. Während
er an Conundrum schrieb, war sich Morris bewusst, dass die
Verwandlung von James in Jan »eine der faszinierendsten
Erfahrungen eines Menschen« war. Wer wollte das anzweifeln?
Dieser Teiresias bekam am eigenen Leib zu spüren, wie
unterschiedlich Mann und Frau behandelt wurden. Der Taxifahrer,
der sich zu ihr setzt, und ihr einen nicht ungewollten Kuss auf die
Lippen drückt. Die Dinge, die man zu Männern sagt, aber nicht zu
Frauen. Die Dinge, die man zu Frauen sagt, aber nicht zu Männern.
Und sie bekam Einblick in das wohl größte Geheimnis von allen:
Nicht wie die Welt Frauen und Männer sieht, sondern wie
unterschiedlich Frauen und Männer die Welt sehen. Eine moderne
Feministin wäre davon alles andere als begeistert.
So beschreibt Morris zum Beispiel die grundverschiedenen
Ansichten und Haltungen der beiden Geschlechter. Als Mann
interessierte sich James vielmehr für die »großen Geschäfte« seiner
Zeit, während Jan ein starkes Interesse für die »kleinen Dinge des
Lebens« entwickelte.
Nachdem James zu Jan geworden war, schrieb Morris, »schien
sich mein Blickfeld zu verkleinern, ich interessierte mich weniger für
das große Ganze als vielmehr für die aufschlussreichen Details.
Beim Schreiben begann mein Interesse für Orte nachzulassen und
sich den Menschen zuzuwenden.«229
Sie ist aber auch bereit zuzugeben, dass nicht alles eitel
Sonnenschein war. Manches war tragisch, und für ihre Lieben war
es eine große Belastung. Vor ihrer Geschlechtsumwandlung 1972
musste sie sich von ihrer Frau Elizabeth scheiden lassen, doch
sobald 2008 die gleichgeschlechtliche Ehe in Großbritannien legal
war, heirateten die beiden erneut. Ihre vier zu der Zeit noch
lebenden Kinder hatten sicherlich eine schwere, obwohl sie sich
ungemein schnell an die neue Situation gewöhnt haben. Doch viele
reagierten mit Bestürzung auf den ganzen Prozess, bei dem »ein
schöner Körper mit Medikamenten verunstaltet und in einem fernen
Land mit dem Messer traktiert wurde«. All das, um, wie sie es
ausdrückt, die eigene »Identität« zu erlangen.230 Jan Morris schreibt
in ihrem Buch: »Natürlich würde das niemand einfach so zum Spaß
tun, und natürlich hätte ich mich für ein Leben ganz ohne diese
Komplikationen entschieden, wenn ich denn die Möglichkeit dazu
gehabt hätte.«231 Nichts auf dieser Welt könnte sie dazu bringen,
ihre Überzeugung zu ändern, dass die Person, die als »er« auf die
Welt kam, in Wahrheit eine »sie« war. Sie hätte alles dafür gegeben,
diese sie werden zu dürfen. Befände sie sich noch einmal in dieser
Lage, heißt es an einer Stelle ihres Buches, »könnte mich nichts von
meinem Vorhaben abbringen. […] Ich würde auf der ganzen Welt
nach einem Chirurgen suchen, ich würde Barbiere und
Engelsmacher schmieren, ich würde ein Messer zur Hand nehmen
und es selbst tun, ohne Angst, ohne Skrupel und ohne auch nur eine
Sekunde darüber nachzudenken«.232
Jeder vernünftige Mensch sollte also verstehen, dass es
intersexuelle Menschen gibt. Wer jemals ein Buch wie das von
Morris gelesen hat, dem dürfte es leichtfallen nachzuvollziehen, dass
es Menschen gibt, die als Intersexuelle auf die Welt kommen. Und
dass es Menschen gibt, die sich nichts sehnlicher wünschen, als im
Körper des anderen Geschlechts zu leben. Was jedoch
außerordentlich hart ist, ist die Frage, wie wir – mit den
bescheidenen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen – den Sprung
von der Biologie zur persönlichen Biografie schaffen. Intersexualität
ist biologisch nachweisbar. Trans wird sich in der Zukunft wohl als
psychologisch oder biologisch begründet nachweisen lassen. Doch
im Moment können wir nicht einmal einschätzen, in welchem Gebiet
Trans einmal untergebracht sein wird. Wenn es scheint, wir könnten
uns diese Art von Wortklauberei sparen, da es lediglich um die
Identität einiger weniger Menschen geht, sollten Sie bedenken, als
wie schwierig sich auch nur ein Teil dieses heiklen Terrains erweist.
AUTOGYNOPHILIE
Wenn wir als Ausgangspunkt anerkennen, dass an einem Ende des
Spektrums Menschen sind, die als Intersexuelle geboren wurden,
und dass das ohne jeden Zweifel eine Frage der Hardware ist, dann
dürfte auch klar sein, dass wir uns von diesem Punkt des Spektrums
aus nunmehr auf innere Beweggründe verlagern. Also von
Menschen, die offensichtliche, biologische Merkmale besitzen,
weshalb sie eindeutig weder dem einen noch dem anderen
Geschlecht zugeordnet werden können, zu Menschen, die sich
durch keinerlei offensichtliche Eigenschaften unterscheiden, sich
aber sicher sind, dass sie anders sind. Mit der Frage, wo der
nachweisbare Hardware-Teil von Trans endet und wo der Software-
Teil beginnt, betreten wir nicht nur gefährliches, sondern höchst
spekulatives Terrain. Lassen Sie uns also beginnen.
Irgendwo entlang des Spektrums von intersexuell geborenen
Menschen sind diejenigen, die mit einem konventionellen XX- oder
XY-Chromosomenpaar, den entsprechenden Geschlechtsorganen
und allem, was sonst noch dazugehört, auf die Welt gekommen sind,
die aber – aus Gründen, von denen wir nicht einmal im Ansatz eine
Ahnung haben – glauben, im falschen Körper zu stecken. Ihr Gehirn
sagt ihnen zwar, dass sie ein Mann sind, aber ihr Körper ist der einer
Frau. Oder umgekehrt.
Wir wissen weder, was, wenn überhaupt, die Ursache dafür ist,
noch (oder nur relativ wenig), wie verbreitet dies ist. Es konnte nicht
nachgewiesen werden, dass zwischen Transmenschen und
Nichttransmenschen deutliche physiologische Unterschiede
bestehen. Zwar wird derzeit erforscht, ob unterschiedliche
Hirnfunktionen dafür verantwortlich sein könnten, aber bislang gibt
es keine Daten, die den Schluss nahelegen, dass es eine klare
Frage der Hardware ist, weshalb manche Menschen ihr Geschlecht
ändern wollen.
Trotzdem scheint die Tendenz – ähnlich wie bei der
Homosexualität – zu bestehen, aus dieser vermeintlichen Software-
eine Hardware-Sache zu machen. In der Trans-Welt zeigt sich diese
Entwicklung gleich in mehreren Bereichen. Einer davon bezieht sich
auf einen offensichtlichen Grund, weshalb jemand sein Geschlecht
ändern möchte: sexuelle Erregung.
Einem Mann mag es gefallen, Frauenunterwäsche zu tragen
oder Frauenkleidung, weil es ihm einen sexuellen Kick bringt:
Strapse, das Gefühl von Spitze auf der Haut, die sinnliche Erfahrung
der Grenzüberschreitung und der Unartigkeit. All das galt lange Zeit
als ungewöhnliche sexuelle Vorliebe, nach der es manche
Menschen verlangt. Der unschöne Fachbegriff für diesen Trieb lautet
Autogynophilie. Es handelt sich um die paraphile Neigung eines
Mannes, sexuelle Erregung durch die Vorstellung von sich selbst als
Frau zu erlangen. Doch – und das dürfte jetzt niemanden
überraschen – auch diese »Community« ist alles andere als
homogen, und es herrscht Uneinigkeit, ob und wie viele Formen es
davon gibt. Die Bandbreite ist immens, so kann ein autogynophiler
Mann von der Vorstellung erregt werden, Damenbekleidung zu
tragen, oder davon, den Körper einer Frau zu besitzen.
Auffallend an der jüngsten Entwicklung der Trans-Debatte ist,
dass die Autogynophilie ziemlich in Ungnade gefallen ist. Oder
anders ausgedrückt, die Vorstellung, dass Menschen, die sich als
Transmenschen ansehen, dies lediglich aus Gründen des
ultimativen sexuellen Kicks tun, ist mittlerweile so verhasst bei der
Trans-Gemeinde, dass dies zu den vielen Dingen gehört, die als
Hass-Sprache (Hate Speech) abgewertet werden.
J. Michael Bailey, Professor für Psychologie an der Northwestern
University, veröffentlichte 2003 sein lange und gründlich
recherchiertes Buch The Man Who Would Be Queen: The Science
of Gender-Bending and Transsexualism (Der Mann, der Königin sein
würde: Die Wissenschaft von Geschlechtsumwandlung und
Transsexualität), in dem er sich der Transsexualität aus einer
anderen Perspektive näherte als der gängigen, bei der davon
ausgegangen wird, dass das Gehirn eines Geschlechts im Körper
des anderen Geschlechts gefangen ist. Insbesondere befasste er
sich mit der Möglichkeit, dass Transmenschen vom Objekt und von
der Natur ihrer Begierde angetrieben werden. Seine Theorie basiert
auf der Arbeit von Ray Blanchard vom CAMH [Centre for Addiction
and Mental Health (Zentrum für Sucht und psychische Gesundheit)]
und lautet, dass der Wunsch nach einer Geschlechtsangleichung vor
allem bei einem bestimmten, sehr femininen Typus Mann zu
beobachten sei. Biologisch eindeutig als Mann festgelegt, der sich
zu Männern hingezogen fühlt, ergab es für diese Homosexuellen, die
weder für andere Männer (die heterosexuell waren) als
Sexualpartner infrage kamen noch für Schwule (weil er ihnen zu
feminin war), durchaus Sinn, als Frau durchzugehen, was ihnen
mehr Möglichkeiten eröffnete, für Männer attraktiv zu sein, die das
eigentliche Objekt ihrer Begierde waren. Blanchard prägte für diese
Kategorie den Begriff »homosexuelle Transsexuelle«.
In seinem Buch erforschte Bailey noch einen weiteren Typus, der
sich als transsexuell identifizierte. Dabei handelt es sich um Männer,
die von Anfang an heterosexuell orientiert waren, vielleicht sogar
geheiratet und Kinder gezeugt hatten: Wenn diese Männer dann
verkünden, zur Frau werden zu wollen, ist das ein Schock für ihr
gesamtes Umfeld. Auch wenn sie nach außen nicht den kleinsten
Hauch von Feminität verkörpert haben, war ihnen insgeheim schon
bewusst, dass sie die Vorstellung sexuell erregt, sich als Frau zu
geben oder im Extremfall eine Frau zu werden. Bailey konnte
anhand einer Reihe von Belegen nachweisen, dass die erste der
beiden Formen von Transgeschlechtlichkeit weltweit weiter verbreitet
ist als die zweite. In vielen Kulturen gilt sie als eine mögliche
»Antwort« auf die komplexe Problematik, die sehr feminine –
meistens schwule – Männer darstellen. Und obwohl sich Bailey
ebenso wie Blanchard des Unterschieds zwischen diesen Männern
und denen, die ausschließlich von autogynophilen Impulsen geleitet
werden, bewusst sind, verurteilen oder kritisieren sie beide keine
dieser Gruppierungen. Ganz im Gegenteil, sie treten für sie ein und
fordern, dass beide die gleichen Rechte, die gleiche Unterstützung
bekommen, und man sich um sie kümmert. Trotzdem trat Bailey auf
eine gewaltige Landmine.
In den Jahren, bevor sein Buch erschien, gab es zahlreiche
Versuche der Trans-Aktivisten, den Faktor Sex aus der Gleichung zu
nehmen, was auch der Grund dafür war, dass nicht mehr die Rede
von Transsexuellen, sondern von Transgender war. Alice Dreger
schrieb in ihrem Buch zu diesem Thema: »Vor Bailey steckten
zahlreiche Trans-Aktivisten sehr viel Zeit in die Desexualisierung und
Depathologisierung ihrer Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, um
gleich mehrere Ziele zu erreichen: Wegfall der Stigmatisierung,
verbesserte medizinische und psychologische Betreuung und
grundlegende Menschenrechte für Transmenschen.«233 Dreger hat
diesen Kampf mit dem erfolgreichen Einsatz der Schwulenbewegung
verglichen, die bei ihrem Kampf um die rechtliche Gleichstellung von
Homosexuellen mit Heterosexuellen dafür sorgte, dass der Fokus
nicht mehr darauf lag, was Schwule im Schlafzimmer tun, sondern
wie sie sich in allen anderen Räumen verhalten.
Da einige Trans-Aktivisten befürchteten, Baileys Buch könnte
einen Rückschlag für ihre Bewegung bedeuten, riefen sie flugs eine
Kampagne ins Leben, die auch von einigen Akademikern unterstützt
wurde, und machten sich daran, nicht nur seine Arbeit zu kritisieren
und zu torpedieren, sondern auch seine Entlassung als Professor an
der Northwestern University zu fordern. Unter seinen heftigsten
Kritikern war auch Andrea James aus Los Angeles, die als Beraterin
für Transgender-Fragen tätig war. Ihre Rache an Bailey sah so aus,
dass sie Fotos seiner Kinder (als sie die Grund- und Mittelschule
besuchten) auf ihrer eigenen Webseite veröffentlichte und sie mit
eindeutig sexuellen Bildunterschriften versah.234 Neben anderen,
ebenso durchgeplanten Angriffen taten sich mehrere Leute
zusammen und behaupteten, sie wären in dem Buch falsch
dargestellt und wiedergegeben worden. Doch wie sich zeigte, kamen
sie darin überhaupt nicht vor. Auch die Nominierung durch LAMBDA,
eine Organisation für Schwulenliteratur, wurde rasch zurückgezogen.
Ein Freund von Bailey sagte, dass dieser durch die heftigen
Reaktionen auf sein Buch so »terrorisiert« wurde, dass es beinahe
einen anderen Menschen aus ihm gemacht hätte.235
All das geschah, obwohl Bailey nichts anderes getan hatte, als
einer bedeutenden Frage mit umfangreichen Recherchen zu Leibe
zu rücken und eine Antwort darauf zu finden, die den Leuten nicht in
den Kram passte. Denn für den größten Teil dieses Jahrhunderts
wurde die Vorstellung, dass Transgender in irgendeiner Weise mit
sexueller Lust zu tun haben könnte, mit Entrüstung – dies wäre eine
Verunglimpfung aller Betroffener – weit von sich gewiesen.
Die politisch korrekte Vorstellung lautet zurzeit, dass
Transmenschen keinerlei sexuelle Erregung aus der Tatsache
ziehen, dass sie transgender sind. Sie hassen alles Sexuelle
richtiggehend. Nichts könnte langweiliger sein. Im November 2018
verfasste Andrea Long Chu, eine selbsternannte »Essayistin und
Kritikerin« aus Brooklyn, einen Artikel in der New York Times über
die nächste Phase ihrer geschlechtsangleichenden Operation.
Schon die Schlagzeile verriet es: »Meine Neovagina macht mich
nicht glücklich. Aber das muss sie auch gar nicht.« Im Artikel selbst
geht Chu ins Detail: »Nächsten Donnerstag bekomme ich eine
Vagina. Der Eingriff dauert etwa sechs Stunden, die Genesung
mindestens drei Monate.
Bis zu meinem Todestag wird meine Vagina eine klaffende
Wunde für meinen Körper sein, was bedeutet, dass ihre Pflege sehr
schmerzhaft sein wird. Zwar will ich eine Vagina, aber es gibt keine
Garantie, dass es mich glücklicher macht. Und das erwarte ich,
ehrlich gesagt, auch gar nicht. Das hält mich nicht davon ab, eine
Vagina haben zu wollen.«236
Auch wenn die Arbeit von Anne A. Lawrence (eine selbsterklärte
Autogynophile237) und anderen zu Gegenwind führte, sorgt die
Vorstellung, dass Transsexualität und Autogynophilie eng
zusammenhängen, für ein beträchtliches Maß an Ärger unter den
Transgender-Aktivisten. Der Grund für diese Kehrtwende liegt auf
der Hand. Und es führt uns zurück zur Hardware-Software-
Problematik. Für bestimmte sexuelle Begierden ist entweder die
Soft- oder die Hardware verantwortlich. Doch es ist kein leichtes
Unterfangen, die Gesellschaft zu überzeugen, nahezu alle sozialen
und linguistischen Normen über Bord zu werfen, damit diese
sexuellen Gelüste einen Platz in ihr finden. Die Gesellschaft mag die
Betroffenen tolerieren. Und sie mag ihnen alles Gute wünschen.
Aber in dem Verlangen, Damenunterwäsche zu tragen, sieht die
Gesellschaft keinen Grund, jeden dazu zu bringen, völlig neue
Pronomen zu verwenden. Oder jede öffentliche Toilette umzubauen.
Oder Kinder in dem Glauben aufzuziehen, dass es keinen
Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt und dass Gender ein
soziales Konstrukt ist.
Wenn es Transmenschen größtenteils, hauptsächlich oder
ausschließlich um die Erotik ginge, dann sollte dieses Phänomen
genauso wenig Grund sein, die gesellschaftlichen Grundpfeiler
infrage zu stellen, wie das auch bei Menschen mit einem Faible für
Latex der Fall ist. Autogynophilie riskiert, dass Transsexualität als
Frage der Software betrachtet wird. Und genau das ist der Grund,
weshalb sich Widerstand regt. Denn – nicht anders als bei
Homosexuellen – zeichnet sich die Tendenz ab, dass bewiesen
werden soll, dass Transmenschen eben »so auf die Welt kommen«.
Was diese Sache komplexer macht als erwartet, ist die Tatsache,
dass das Verhalten vieler Transsexuellen (wie im Fall von Jan
Morris) nur einen Schluss zulässt: Der Wunsch, im Körper des
anderen Geschlechts leben zu wollen, kann keine reine Fantasie
und auch kein sexueller Kick sein.
Schließlich ist es schwer vorstellbar, dass es eine noch
weitreichendere Entscheidung geben könnte als die, eine irreversible
Operation durchführen zu lassen, die den Körper dauerhaft von
Grund auf verändert. Von keinem Mann, der sich freiwillig seinen
Penis abschneiden oder vielmehr zerlegen und dann umgestülpt in
die Neovagina einsetzen lässt, kann man behaupten, er würde dies
leichtfertig tun. Ein solches Prozedere dürfte also das krasse
Gegenteil eines Hobbys oder einer Frage des Lebensstils sein. Doch
selbst dieser Eingriff kann nicht als »Beweis« dafür herangezogen
werden, dass Transsexualität eine Frage der Hardware ist. Es gibt
Menschen, denen ist nichts zu extrem, als dass es sie abhalten
könnte, ein Bedürfnis zu stillen, das sie als authentisch empfinden.
Und damit wären wir bei der nächsten Frage angelangt: Muss das,
was ein Mensch oder auch viele Menschen für sich selbst als wahr
empfinden, auch von ihren Mitmenschen als wahr akzeptiert werden
oder nicht?
DIE ELTERN
Der verstorbene Robert Conquest skizzierte einmal drei Regeln der
Politik, von denen die erste lautete: »Jeder wird dann zum
Konservativen, wenn er sich mit etwas bestens auskennt.« Sie
stimmen mir sicherlich zu, wenn ich sage, dass Eltern ihre Kinder am
besten kennen. Eine Erklärung, weshalb sich in letzter Zeit kritische
Fragen über Transmenschen häufen, lautet, dass sich Eltern in
Ländern wie Amerika und Großbritannien fragen, was der nächsten
Generation so alles beigebracht wird und wohin das alles führen
wird. Und es beunruhigt sie, was schon alles gesagt und getan
wurde. Sie runzeln zum Beispiel die Stirn, wenn sie mitbekommen,
dass eine in San Francisco ansässige Entwicklungspsychologin,
Diane Ehrensaft, mitteilt, dass ein Einjähriger, dem »das Geschlecht
männlich zugewiesen wurde«, und der sich seinen Strampler vom
Leib reißt und damit auf bestimmte Weise spielt, in Wahrheit
»präverbal über Geschlechter kommuniziert«. Anders als manche
Medien haben Eltern keine Freude an einer neunjährigen
Dragqueen, die einen Modelvertrag von einer Modefirma für LGBT-
Kleidung erhält und die anderen Kindern in einem viralen YouTube-
Video mitteilt: »Wenn euch eure Eltern keine Dragqueen sein lassen,
braucht ihr andere Eltern.«256
Und sie machen sich große Sorgen, wenn die Schule ihres
Kindes verkündet, dass jeder, der von sich behauptet, dem anderen
Geschlecht anzugehören als dem offensichtlichen, auch so
anerkannt und behandelt werden muss. Kürzlich schilderten Eltern
aus dem Norden Englands, wie ihre 16-jährige Tochter sich ihnen
gegenüber erst als Lesbe und dann als Transsexuelle geoutet hatte.
Als die beiden dann zum Elternabend der Schule gingen, waren sie
bass erstaunt, als sie mitbekamen, dass von ihrer Tochter dort
bereits mit ihrem neuen männlichen Vornamen und mit männlichen
Personalpronomen gesprochen wurde. Die Schule »stand voll
dahinter«.257
Die schottische Regierung rät Schulen, die Eltern nicht zu
informieren, wenn das Kind äußert, sein Geschlecht ändern zu
wollen. In der ebenfalls von der schottischen Regierung
herausgegebenen Broschüre Die Unterstützung transsexueller
Jugendlicher heißt es, Schüler sollten sich aussuchen dürfen, ob sie
lieber in den Mädchen- oder den Jungensportunterricht gingen, je
nachdem, wo sie sich am wohlsten fühlen.
Möchte ein Schüler auf Klassenfahrten lieber im Schlafsaal des
anderen Geschlechts übernachten, sollte das den Eltern
verschwiegen werden. In anderen Teilen Großbritanniens wiesen
britische Eltern den Lehrer ihres Kindes darauf hin, dass er mit dem
»falschen« Geschlecht von ihm gesprochen hätte, nur um sich dann
anhören zu müssen: »Ach, Sie wissen nicht, dass Ihre Tochter/Ihr
Sohn sich als Mädchen/Junge identifiziert?«
Richtig, das ereignet sich an Schulen, in denen dem Kind nur
dann ein Aspirin verabreicht werden darf, wenn die elterliche
Genehmigung dafür vorliegt. Besorgte Eltern wissen auch, was das
als »Clustering« bezeichnete Phänomen bedeutet, nämlich einen
»Nachahmungseffekt«. Im »Gleichstellungsbericht« einer Schule in
Brighton, die bekannt ist für ihre liberale Haltung, hieß es, dass 2018
40 Schüler zwischen 11 und 16 Jahren »sich nicht mit dem
Geschlecht identifizieren konnten, das ihnen bei ihrer Geburt
zugeteilt worden war«. Weitere 36 Schüler gaben an, »genderfluid«
zu sein, das heißt, sie hätten nicht immer dasselbe Geschlecht,
sondern immer wieder ein anderes. Eine Folge von alledem ist, dass
die Anzahl an Einweisungen von Jugendlichen in Kliniken, die
geschlechtsangleichende Operationen durchführen, in nur fünf
Jahren um 700 Prozent gestiegen ist.258
Aktivisten von Transsexuellenbewegungen wie Mermaids
erklären das »Clustering« und diesen Anstieg selbstredend damit,
dass sich immer mehr Menschen der Möglichkeit bewusst seien,
dass sie auch transsexuell sein könnten, was vor ein paar Jahren
eben noch nicht der Fall gewesen sei. Andere Erklärungen sind
jedoch ebenso denkbar.
Eine davon lautet, dass Transsexualität in sozialen Medien in der
Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Eine andere sieht den
Grund in der steigenden Anzahl von Zugeständnissen der
Verantwortlichen, was die Forderungen von Transsexuellen
anbelangt.
In der Online-Welt ist es absolut nicht ungewöhnlich, dass eine
Hormonersatztherapie absurderweise als völlig normal angesehen
wird und keinerlei Konsequenzen nach sich zieht. Auf YouTube,
Instagram und anderen Webseiten tummeln sich unzählige Leute,
die von sich sagen, sie seien transsexuell, und die es durchaus für
möglich halten, dass Sie es auch sind. Ein einziges Video von Jade
Boggess (einem Transmann) namens Ein Jahr auf Testosteron
wurde auf YouTube allein über eine halbe Million Mal angeklickt, ein
anderes von Ryan Jacobs Flores zum gleichen Thema über drei
Millionen Mal. In solchen Videos werden Testosteroninjektionen als
»T« oder »Sperma Light« bezeichnet. Manche von ihnen lassen die
Nutzer quasi in Echtzeit an ihrer Geschlechtsumwandlung teilhaben
und werden dann zu Stars in eigener Sache.
Nein, keine älteren Menschen wie Caitlyn Jenner, sondern junge
brandneue YouTube-Stars wie Jazz Jennings. Jennings war 2000
als Junge auf die Welt gekommen und begann schon im Alter von
sechs Jahren, öffentlich über Transgender zu reden. Mit sieben
wurde sie von Barbara Walters interviewt, die sie unter anderem
fragte, von welchem Geschlecht sie sich angezogen fühle. Der
Aufstieg von Jennings war unaufhaltsam. Als sie elf war, strahlte der
Privatsender Oprah Winfrey Network eine Dokumentation unter dem
Titel I am Jazz aus. Als Teenager hatte Jennings schon zahlreiche
Medienpreise bekommen und zählte zu den erfolgreichsten
Influencern. Natürlich hat sie zig Werbeverträge abgeschlossen und
kam als berühmte Persönlichkeit in den Genuss weiterer Vorteile.
Die Dokumentation I am Jazz läuft nun in der fünften Staffel auf TLC
und sorgt dafür, dass sie, ihre Eltern und Geschwister (die alle an
der Show mitwirken) weiterhin zu den Berühmten und Reichen
zählen. Staffel 5 spielt nach ihrem 18. Geburtstag und ihrem
geschlechtsangleichenden Eingriff. Auf dem Trailer schnippt sie kurz
zuvor frech mit den Fingern und sagt in die Kamera: »Dann wollen
wir mal.« Allein die Ausschnitte von I am Jazz, die auf YouTube zu
sehen sind, wurden Millionen Mal angeklickt.
Doch nicht nur dieses Element der Popkultur zeigt Wirkung. Auch
Angehörige der medizinischen Berufe lassen sich nur allzu willig vor
diesen Karren spannen. Serien wie I am Jazz verdeutlichen, dass es
Ärzte und Chirurgen gibt, die sich geradezu darum reißen, alles zu
tun, damit aus einem als Jungen auf die Welt gekommenen
Jugendlichen eine Frau wird. All das gehört zu einer neuen Form
von Akzeptanz, die zum Bespiel den NHS in Großbritannien dazu
gebracht hat, vertraglich zuzusichern, dass kein Mitarbeiter des NHS
»den individuellen Ausdruck einer Geschlechtsidentität unterdrücken
wird«.259 Doch obwohl manche Ärzte und andere vor der Gefahr
einer »Überdiagnostizierung und Überbehandlung« warnen, weisen
alle Zeichen nur in eine Richtung.
DIE EXPERTEN
Sehen wir uns zum Beispiel Dr. Johanna Olson-Kennedy an. Sie gilt
als führend auf ihrem Fachgebiet und arbeitet derzeit als
Medizinische Direktorin am Center for Transyouth Health and
Development der Kinderklinik in Los Angeles. Diese Einrichtung ist
die größte Klinik für jugendliche Transgender in den USA und eine
von vier Kliniken, die über die National Institutes of Health staatliche
Fördergelder kassiert hat, um über den Zeitraum von fünf Jahren
eine Studie über die Wirkung von Pubertätsblockern und Hormonen
auf Kinder durchzuführen. Und wie es der Zufall so will, gibt es bei
dieser Studie keine Kontrollgruppe.
Wie Dr. Olson-Kennedy selbst zugibt, hat sie im Laufe ihrer
Karriere Kindern – ab zwölf! – regelmäßig Hormone verordnet. In
einem im Journal of the American Medical Association
veröffentlichten Artikel über »Brustverkleinerungen und Dysphorie
bei transmaskulinen Jugendlichen und jungen Erwachsenen:
Vergleich nichtoperativer und postoperativer Kohortenstudien«262
berichtete sie von mehreren Mädchen, die mit 13 Jahren weniger als
ein halbes Jahr lang einer Hormonersatztherapie unterzogen und
anschließend umoperiert wurden. Anders ausgedrückt, Mädchen im
zarten Alter von nur zwölf Jahren erhielten von Ärzten (!)
lebensverändernde Hormone. Fortschrittsberichten ist zu
entnehmen, dass 2017 bereits Achtjährige als dafür geeignet
eingestuft wurden.
Es ist schon bemerkenswert, wie nachdrücklich, selbstbewusst,
ja sogar dogmatisch Dr. Olson-Kennedys öffentliche Erklärungen
sind. So hat sie sich zum Beispiel öffentlich dagegen
ausgesprochen, Kinder, die von sich behaupten, ihr Geschlecht
ändern zu wollen, in eine Jugend- oder Kinderpsychiatrie
einzuweisen. Sie verglich solche Kinder mit kindlichen Diabetikern
und sagte: »Wenn ich einem Kind Insulin verordnen will, schick ich
es ja vorher auch nicht in die Psychiatrie.«263
Sie ist davon überzeugt, dass eine ablehnende Haltung
gegenüber der Entscheidung eines Kindes bezüglich einer
Geschlechtsumwandlung dem Verhältnis zwischen behandelndem
Arzt und Patient schadet. So hat sie Folgendes veröffentlicht: »Für
den Aufbau einer therapeutischen Beziehung sind Vertrauen und
das Gefühl von Sicherheit unerlässlich.
Genau das aber leidet, wenn jungen Menschen das vorenthalten
wird, was sie ihrer Meinung nach brauchen und auch verdient haben
(Pubertätsblocker, Hormone oder eine geschlechtsangleichende
Operation).264
Olson-Kennedy bezweifelt ernsthaft, dass einige Zwölf- oder 13-
Jährige nicht in der Lage sein sollen, eine fundierte und irreversible
Entscheidung zu treffen. So sagte sie: »Ich habe noch nie einen
Patienten gehabt, der seine Pubertätsblocker geschluckt, dann aber
die Hormonersatztherapie verweigert hat.« Ferner unterstreicht sie
Folgendes:
Wenn wir Ärzte uns entscheiden, eine medizinische Behandlung fortzusetzen,
entweder mithilfe von Pubertätsblockern oder Hormonen, geht es uns dabei vor
allem um das Wohl des Kindes – des jungen Menschen. Es gibt einige Kliniken, die
verstärkt auf fachliche, psychometrische Tests setzen und die unterschiedlichsten
Faktoren der psychiatrischen Entwicklung ihrer kindlichen Patienten betrachten. Wir
machen das in unserer Klinik nicht.265
An anderer Stelle räumte sie jedoch ein, dass sie ein paar Patienten
hatte, die ihre Behandlung abgebrochen oder ihre
Geschlechtsumwandlung bereut hätten, fügte jedoch gleich hinzu,
dass dies keine Wirkung auf andere Patienten habe, die eine
geschlechtsangleichende Operation wünschen. In ihren Augen ist es
problematisch, dass solche wichtigen Entscheidungen mitunter »von
Experten (üblicherweise Cisgender) gefällt wurden, die entscheiden,
ob Jugendliche so weit sind oder nicht«. Olson-Kennedy hält das für
ein »krankes Modell«.266
Trotz der Tatsache, dass es den Richtlinien der Endocrine
Society (der weltweit ältesten und führenden Einrichtung auf dem
Gebiet der Endokrinologie und des Metabolismus) zufolge »kaum
veröffentlichte Erfahrungsberichte über die Hormonbehandlung von
Jugendlichen unter 13½ bis 14 Jahren«267 gibt, sind Olson-Kennedy
und ihre Kollegen doch sehr selbstbewusst und selbstsicher – nicht
nur, wenn Olson-Kennedy sämtliche Kritiken an ihr und ihrer
Vorgehensweise ins Lächerliche zieht, sondern auch, wenn sie
Kindern zu einer irreversiblen Geschlechtsumwandlung rät. In einer
heimlich mitgefilmten Präsentation echauffierte sie sich über etwas,
das sie »einfach sagen muss«. Es handelt sich dabei um ihre
Antwort an alle Kritiker, die Kindern abspricht, eine solch
fundamentale und lebensverändernde Entscheidung zu treffen.
Sie fuchtelt mit den Armen und hat offensichtlich kein Verständnis
für solche uneinsichtigen Kollegen. Sie weist darauf hin, dass es
auch üblich sei, zu heiraten, ehe man 20 ist und das College
auszuwählen, auf das man gehen wolle und dass während der
Adoleszenz auch »lebensverändernde« Entscheidungen getroffen
werden, die sich im Nachhinein als richtig erweisen. Wir verleihen
den schlimmen Dingen zu viel Gewicht, sagte sie. »Was wir jedoch
mit Sicherheit sagen können, ist, dass Heranwachsende durchaus in
der Lage sind, vernünftige, logische Entscheidungen zu treffen.« So
weit, so gut. Doch was sie dann sagt, ist einfach unglaublich.
»Denken wir doch bloß mal an die Brustoperationen. Wer erst später
Brüste haben will, lässt sie sich halt später machen.«268
Ach ja? Wo denn? Und wie? Haben wir uns etwa schon zu einer
Art Legostein entwickelt, und die Steine lassen sich einfach so
zusammenstecken, auseinandernehmen und austauschen? Sind
Operationen inzwischen schon so schmerzfrei, unblutig, verlaufen
ohne Komplikationen und ohne Narbenbildung, dass jeder sich
einfach so neue Brüste dranmachen lassen kann und den Rest
seiner Tage glücklich damit lebt und sich seiner Anschaffung erfreut?
Bei einer geschlechtsanpassenden Operation eines Mannes zu einer
Frau werden übrigens nicht nur die Genitalien und die Brüste
operiert, sondern es wird Knochenmaterial an Kinn, Nase und Stirn
abgetragen, wobei zum Teil die Gesichtshaut entfernt werden muss.
Und dann stehen auch Haarimplantationen an, eine Sprachtherapie
und vieles mehr.269 Bei einer Frau, die ein Mann werden will, muss
etwas Ähnliches wie ein Penis aus Haut, die an anderen Stellen des
Körpers entnommen wird, konstruiert werden. Dafür werden oft Teile
des Unterarms verwendet – allerdings ohne Erfolgsgarantie. Das
alles hat auch sonst seinen Preis – mehrere Zehntausend, oft
Hunderttausende von Dollar. Man muss schon sehr verlogen sein,
um einen solch schwerwiegenden Eingriff als »erste Sahne« zu
verkaufen.
Aber es kommt noch schlimmer. Im Februar 2017 stellte sich eine
neue Organisation namens WPATH auf der USPATH-Konferenz in
Los Angeles vor. WPATH steht für World Professional Association for
Transgender Health (Weltverband für die Gesundheit von
Transgender). Und wieso heißt die Konferenz dann »Inaugural
United States Professional Association for Transgender Health
Scientific Conference« (»Wissenschaftliche Auftaktveranstaltung des
amerikanischen Verbands für die Gesundheit von Transgender«)?270
Ein Teil dieses Kongresses trug den Namen »Außerhalb des Binären
– Pflege von nichtbinären Jugendlichen und Heranwachsenden«. Dr.
Olson-Kennedy hielt dazu einen Vortrag, und es war offensichtlich,
dass die Anwesenden grundsätzlich einer Meinung mit ihr waren. Im
Laufe ihrer Rede wurde klar, wie jung die vermeintlichen
Jugendlichen und Heranwachsenden, anders als der Titel vermuten
lässt, noch waren.
Olson-Kennedy schilderte ihre Begegnung mit einem
achtjährigen Kind, dem (in ihren Augen lustigerweise) »bei seiner
Geburt das weibliche Geschlecht zugeteilt worden war. Dieses Kind
kommt also in meine Praxis und ihre Eltern sind total verwirrt.« Ihre
Tochter »gibt sich als ganzer Junge, trägt die Haare kurz geschnitten
und Jungenklamotten. Das Problem war, dass dieses Kind auf eine
religiöse Schule ging. Dort hielt man es für ein Riesenproblem, dass
sie, die aussah wie ein Junge, auf die Mädchentoilette ging. Das
Kind war davon so genervt, dass es anfing zu überlegen, ob es sich
an der Schule nicht besser als Junge ummelden sollte.« Olson-
Kennedy plappert weiter, als handele es sich um eine urkomische
Geschichte, die sie da zum Besten gibt. Sie schildert, wie verwirrt die
Eltern sind und wie verrückt das Umfeld des Kindes ist, das einfach
nicht versteht, was für sie als Ärztin und ihr Publikum sonnenklar ist.
Manche »Kids«, die in ihre Praxis kommen, besitzen ganz
offensichtlich große »Klarheit« und können »hervorragend
beschreiben«, wie sie sich mit ihrem Geschlecht fühlen, und freuen
sich auf ihre endgültige »Verwandlung«. Dieses Kind »ist jedoch
noch nicht organisiert und hat noch nicht über alle Möglichkeiten
nachgedacht«. Dann berichtet Olson-Kennedy von einem drei oder
vier Jahre alten Mädchen, das ihrer Mutter erklärt hat, weshalb sie
sich als Junge fühlt. Doch plötzlich sagt Olson-Kennedy, das habe
das Mädchen doch nicht gesagt. Trotzdem lacht das Publikum
wissend. Später dann erinnert sich Olson-Kennedy, dass sie das
Kind (von eben) gefragt hat, ob es ein Mädchen oder ein Junge sei.
Das Kind blickt verwirrt drein und antwortete: »Ich bin ein Mädchen,
weil ich doch diesen Körper habe.« Diese Aussage kommentiert
Olson-Kennedy so: »Jetzt wissen wir, wie dieses Kind gelernt hat,
über sein Geschlecht zu reden, nur wegen seines Körpers!« Sie
schildert dann, wie ihr mitten im Gespräch mit dem älteren Kind eine
brillante Idee gekommen sei. Sie fragt es, ob es Pop-Tarts mag. Die
Achtjährige bejaht diese Frage. Olson-Kennedy fragt sie daraufhin,
was sie tun würde, wenn in einer Schachtel mit Pop-Tarts, auf der
als Geschmacksrichtung Zimt angegeben wird, eines mit
Erdbeergeschmack drin wäre. »Ist es dann Erdbeergeschmack oder
Zimtgeschmack?« »Erdbeere.« »Und? Was heißt das dann …?«
Wieder lacht das Publikum wissend und beginnt zu klatschen.
Daraufhin wendet sich das Kind an seine Mutter und sagt: »Ich
glaube, ich bin ein Junge, auch wenn Mädchen draufsteht.« In dem
Augenblick flippen die Zuhörer beinahe aus und verleihen ihrer
Bewunderung Ausdruck. Und dann fasst Olson-Kennedy den
Höhepunkt ihrer Geschichte zusammen: »Auch die Mutter war total
beeindruckt, stand auf und nahm ihr Kind in die Arme. Das war eine
unglaubliche Erfahrung.« Bevor die Zuhörer die Gelegenheit nutzen
und ihre eigenen, herzerwärmenden Geschichten zum Besten geben
können, ergreift Olson-Kennedy erneut das Wort: »Es bereitet mir
Kopfschmerzen, wenn wir Dinge sagen wie ›Ich bin …‹, anstatt dass
wir sagen ›Ich wünschte, ich wäre …‹. Denn ich glaube, dass
wirklich viele Dinge aus dem Kontext heraus passieren, in dem
Leute Geschlechtszugehörigkeit verstehen und versprachlichen.
Deshalb würde ich nicht behaupten, dass ich schuld daran bin, dass
aus dem Kind ein Junge wurde.« Wieder klatscht das Publikum,
begeistert von dieser Idee. »Ich glaube, es war wichtig, dass ich
diesem Kind die Worte beigebracht habe, wie es über sein
Geschlecht reden kann.«271
Was ich unter anderem an dieser Veranstaltung merkwürdig
finde, ist, dass Olson-Kennedy nicht zu »Ärzten« spricht, sondern zu
ihrer »Gemeinde«. Im Voraus festgelegte Vorstellungen werden
diskutiert, festgelegte Tugenden zelebriert. Dann werden Vorschläge
unterbreitet, über die man sich amüsiert, und dann werden sie
fallengelassen. Die Zuhörer sitzen nicht da, hören zu und stellen
dann Fragen, wie das bei einer wissenschaftlichen Konferenz oder
Fachtagung der Fall ist. Nein, diese Zuhörer kreischen, lachen,
prusten und applaudieren in einer Art und Weise, dass es eher an
ein christliches Erweckungstreffen erinnert.
Oder an einen Comedy Club. Olson-Kennedy fragt einen Mann,
der sich das Mikrofon nehmen will: »Sind Sie ein Vertreter für
Medizinprodukte?« »Ja, bin ich.« »Okay«, antwortet sie und will ihm
das Mikrofon nicht überlassen. »Ich möchte noch von einer Sache
erzählen, die ich von meinem Mann gelernt habe, der in der
Psychiatrie arbeitet.« An der Stelle fällt ihr der Vertreter ins Wort und
sagt mit heiserer Stimme: »Das würde ich nur zu gerne wissen.«
Wieder klatschen die Zuhörer wie wild, und es ist zustimmendes
Lachen zu hören, als hätte er eine zum Brüllen komische,
zweideutige Andeutung gemacht. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt
ist, sagt der Vertreter (der aus Iowa stammt): »Ich wollte Ihnen eben
mitteilen, dass ich meine Kunden bei der ersten Begegnung immer
frage, was sie sich wünschen würden, wenn sie einen Zauberstab
hätten oder eine Fee vorbeikäme und sie sich etwas wünschen
dürften.
Was wünschen sie sich wirklich? Was kann ich tun, damit sich ihr
Wunsch erfüllt? Auf diese Weise erfahre ich, was ihr Ziel ist und mit
welchen Mitteln ich dazu beitragen kann, dass sie es erreichen.«
Normalerweise nimmt ein Kind den Zauberstab in die Hand, schließt
die Augen und wünscht sich etwas. Doch wenn es die Augen wieder
öffnet, merkt es, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist
und der Zauberstab keinerlei Wirkung gezeigt hat. Doch in der Welt
der Transideologie machen Erwachsene Kindern weis, dass der
Trick mit dem Zauberstab funktioniert, ihre Wünsche auf jeden Fall in
Erfüllung gehen, und wenn sie sich etwas nur fest genug wünschen,
stehen Erwachsene parat und lassen es geschehen.
Wie sich zeigt, ist der Witz, den dieser Dienstleister auf Kosten
von Dr. Olson-Kennedy gemacht hat, nicht halb so witzig, wie die
Teilnehmer der USPATH-Konferenz glauben mögen. Denn ihr Mann,
»der in der Psychiatrie arbeitet«, ist ein ganz besonderes Kaliber.
Aydin Olson-Kennedy arbeitet im Los Angeles Gender Center.
Unter den auf der Webseite genannten Therapeuten findet sich eine
Beschreibung seines beruflichen Werdegangs. Er ist nicht nur ein
»zugelassener klinischer Sozialarbeiter«, der in »der Psychiatrie
eingesetzt wurde«, sondern er ist auch als »anwaltschaftlicher
Berater« tätig. Außerdem wird erwähnt, dass er eine
Geschlechtsumwandung hinter sich hat. Oder wie es auf der
Webseite zu lesen ist: »Aydin Olson-Kennedy hat im Laufe seiner
Karriere von seiner einzigartigen Perspektive als Transmann
profitiert, der selbst schon psychiatrische und medizinische Hilfe in
Anspruch genommen hat.« In dem Fall bringt ihn die Frage, wo sich
Medizin, Pflege, Sozialarbeit und Coaching überschneiden, beruflich
weiter.
Zu seiner »Verwandlung« in einen Mann unterzog sich Aydin der
Amputation beider Brüste – ein Eingriff, der in der Regel Narben
hinterlässt. Doch vielleicht rät Aydin seinen Patienten ja deshalb so
gerne zu dieser Operation, weil er sie schon hinter sich hat. Zu den
bekannten Fällen gehört der einer 14-Jährigen, die eine lange
Geschichte psychischer Probleme hat. Noch schockierender ist
jedoch der Fall einer jungen Amerikanerin, die am Down-Syndrom
leidet. Das Mädchen – die als Melissa bekannt wurde – litt an
unterschiedlichen physischen und psychischen Problemen und war
Berichten zufolge an Leukämie erkrankt.
Aus unerklärlichen Gründen schien die Mutter Diagnosen ihrer
Tochter zu sammeln wie andere Leute Briefmarken. Irgendwann kam
sie – mit der Hilfe von Dritten – auf die Idee, ihr Kind wäre
transsexuell. Mit dieser Einschätzung stand sie jedoch nicht allein da
– Aydin Olson-Kennedy war an ihrer Seite und unterstützte ihren
Wunsch nach einer geschlechtsangleichenden Operation für ihre
Tochter. Und er ließ seinen Worten Taten folgen und sammelte bei
anderen Transmenschen Spenden ein, damit sich Melissa einer
Mastektomie beider Brüste unterziehen konnte.272 Und als wäre die
ganze Angelegenheit nicht schon verzwickt genug, sind beide Olson-
Kennedys Berater für Endo Pharmaceuticals, die – unter anderem –
Testosteron herstellen.
LÖSUNGEN
Viele Leute haben bereits einen Weg gefunden, wie sie mit den
Entwicklungen unserer Zeit fertigwerden und sich mehr oder weniger
geschickt hindurchmanövrieren. Uns stehen zahlreiche Optionen
offen.
Während ich an diesem Buch schrieb, erfuhr ich, dass es einen
Tintenfisch gibt, der beim Werben seine wahren Absichten
verschleiert, was das Liebesspiel noch schwieriger macht, als es
ohnehin schon ist. Dieser Tintenfisch ist ein wahrer Meister der
Täuschung. Bei der australischen Riesensepia (Sepia apama) gibt
es einen sehr hohen Überschuss an Männchen, in manchen
Gegenden sind es elfmal so viele männliche Tier wie weibliche. Da
die Weibchen zudem noch recht anspruchsvoll sind, was die Wahl
ihres Sexualpartners anbelangt, und etwa 70 Prozent aller
eindeutigen Angebote ablehnen, herrscht unter den männlichen
Exemplaren ein enormer Konkurrenzkampf. Erschwerend kommt
hinzu, dass die männlichen Partner auf die Weibchen aufpassen.
Die verpartnerten Männchen zeugen etwa 64 Prozent des
Nachwuchses.
Aus diesem Grund haben die anderen männlichen Tintenfische
eine Auswahl an Strategien zur Hand, um überhaupt eine Chance zu
erhalten, sich zu paaren. Eine davon ist, das Verhalten der
Weibchen nachzuahmen. Zunächst verbergen sie ihren
Hectocotylus, ein zum Fortpflanzungsorgan umgebildeter Arm bei
Kopffüßlern, dann nehmen sie die Farben der Weibchen an und tun
so, als ob sie Eier ablegen wollten. Diese Strategie hat sich als
äußerst erfolgreich erwiesen.
Forscher konnten beobachten, dass nur eines von fünf
Sepiamännchen, das diesen Trick eingesetzt hat, vom Weibchen
zurückgewiesen wurde. Ein anderes wurde mittendrin von einem
Aufpasser davongejagt. Doch die anderen drei hatten ihr Ziel
erreicht.306 Als ich die Geschichte der Riesensepia las, fiel es mir
wie Schuppen von den Augen, dass es sehr viele Männer gibt, die
auf ähnliche Taktiken setzen. Am Tag nach der Amtseinführung von
Donald Trump im Januar 2017 kam es in Washington und anderen
Städten zu großen Protestkundgebungen. Bei diesem »Women’s
March« ging es auch um die frauenfeindlichen Äußerungen des
frischgebackenen Präsidenten, und als Zeichen ihres Protests
trugen die Frauen pinkfarbene Strickmützen, sogenannte »Pussy
Hats«. Auf einer der anschließenden Partys in Washington fiel einem
Journalisten das Verhalten einiger der anwesenden Männer auf.
Inmitten von Bands, Bier und Bechern standen die Frauen in
Gruppen beisammen und ließen die Protestkundgebung und ihre
Rolle dabei mit geröteten Wangen und blitzenden Augen noch
einmal Revue passieren.
Die jungen Männer signalisierten Zustimmung auf der ganzen
Linie und erklärten sich selbst zu Feministen. Einer von ihnen nickte
eifrig, als eine attraktive junge Frau die politisch korrekten
Überzeugungen moderner Feministen aufzählte. Als sie kurz
woanders hinging, drehte sich der Mann zu seinem Freund und
flüsterte ihm ins Ohr: »Mann, ist das geil! So viele besoffene
emotionale Mädels auf einem Haufen!«307 Es ist nicht bekannt, ob
seine Strategie in dem Fall aufgegangen ist. Doch er ist unter
Garantie nicht der Einzige, der auf die Tintenfischmasche setzt, um
Frauen aufzureißen. Diese Taktik ist im Übrigen eine von mehreren
Möglichkeiten, in einer schrecklichen Umgebung das Überleben zu
sichern. Besser wäre es allerdings zu versuchen, etwas an dem
Umfeld zu ändern.
Das ist nun schon mein zweites Buch, das bei Bloomsbury verlegt
wird, und wieder war die Zusammenarbeit eine große Freude. Vor
allem schulde ich Robin Baird-Smith und Jamie Birkett – samt ihren
Kolleginnen und Kollegen in London – großen Dank für ihre
Unterstützung, ihren wertvollen Rat und die redaktionelle
Hilfestellung. Großer Dank geht auch an meinen Agenten Matthew
Hamilton von The Hamilton Agency.
Der Buchtitel ist eine Anlehnung an das Werk des schottischen
Journalisten Charles Mackay, Extraordinary Popular Delusions and
the Madness of Crowds. Ich hoffe sehr, er hat – angesichts der mehr
als frustrierenden Ausbreitung des von ihm bereits vor 180 Jahren
beschriebenen Phänomens – keine Einwände gegen meinen
Diebstahl.
Durch meine Arbeit als Autor habe ich gelernt, vorsichtig zu sein,
was meine Dankbarkeit einigen oder besser gesagt allen Leuten
gegenüber anbelangt, die einen Beitrag zu diesem Buch geleistet
haben. Nicht weil ich keine Dankbarkeit empfinden würde, sondern
weil ich im Grunde meines Herzens keine Liste mit mir wichtigen
Leuten zusammenstellen möchte, die dann zum Sündenbock
gemacht werden. Vor allem bei diesem Buch besteht die Gefahr.
Jedoch bin ich unendlich dankbar für die zahlreichen Gespräche, die
ich im Zuge meiner Recherchen und der Arbeit an diesem Buch mit
Leuten aus vier Kontinenten geführt habe. Herzlicher Dank geht
auch an meine wunderbare Familie und Freunde.
Einen Menschen möchte ich allerdings namentlich erwähnen,
auch wenn er des Öfteren in diesem Buch genannt wird. Zahlreiche
meiner Überlegungen hat er mit seinem messerscharfen Verstand
auf Herz und Nieren geprüft. Von allen Menschen, mit denen ich in
erhellenden und gewinnbringenden Gesprächen die Themen dieses
Buchs diskutiert habe, hat keiner meinen geistigen Horizont so oft
erweitert: Eric Weinstein. Die besseren der Gedanken und
Beobachtungen in diesem Buch gehen auf ihn zurück, die
schlechteren auf mich.
Douglas Murray
Juli 2019
ANMERKUNGEN
1
Vergleiche Jean-François Lyotard (übersetzt von Geoff Bennington und Brian Massumi),
The Postmodern Condition: A Report on Knowledge, Manchester University Press, 1984, S.
XXIV und 37.
2
Jaron Lanier, Ten Arguments for Deleting your Social Media Accounts Right Now, Henry
Holt, 2018, S. 26.
3
Coleman Hughes im Gespräch mit Dave Rubin, The Rubin Report, YouTube, 12. Oktober
2018.
4
»Hunger strikers died for gay rights, claims Sinn Fein senator Fintan Warfield«, Belfast
Telegraph, 15. August 2016.
5
Siehe Grafik auf https://twitter.com/EricRWeinstein/status/1066934424804057088.
6
Vergleiche Greg Lukianoff und Jonathan Haidt, The Coddling of the American Mind: How
Good Intentions and Bad Ideas are Setting up a Generation for Failure, Allen Lane, 2018, S.
5–7ff.
7
APA Guidelines for psychological practice with men and boys, August 2018:
https://www.apa.org/about/policy/boys-men-practice-guidelines.pdf
8
Vergleiche »Views of racism as a major problem increase sharply, especially among
Democrats«, Samantha Neal, Pew Research Center, 29. August 2017.
9
Ekow N. Yankah, The New York Times, 11. November 2017.
10
Helen Pidd, »Women shun cycling because of safety, not helmet hair«, The Guardian,
13. Juni 2018.
11
Tim Hunt im Interview mit Robin McKie, »I’ve been hung out to dry«, The Observer, 13.
Juni 2015. Und mit diesen Worten hat er sich in Schwierigkeiten gebracht: »Ich verrate
Ihnen jetzt mal, womit ich meine Schwierigkeiten mit jungen Frauen habe. Wenn sie sich im
Labor aufhalten, passieren nämlich drei Dinge. Die Männer verlieben sich in sie. Sie
verlieben sich in die Männer. Und wenn sie kritisiert werden, brechen sie in Tränen aus.«
12
Vergleiche den Schlagabtausch zwischen Senatorin Katy Gallagher und Senator Mitch
Fifield im australischen Senat am 11. Februar 2016.
13
Vergleiche zum Beispiel diesen Thread:
https://twitter.com/HarryTheOwl/status/1088144870991114241.
14
CNN-Interview mit Republikanerin Debbie Dingell, 17. November 2017.
15
Kenneth Minogue, The Liberal Mind, Liberty Fund, Indianapolis edn, 2000, S. 1.
16
Good Morning Britain, ITV, 5. September 2017.
17
John Stuart Mill, On Liberty, Penguin, 2006, S. 60f.
18
»Nicky Morgan says homophobia may be sign of extremism«, BBC News, 30. Juni 2015.
19
Robert Samuels, Washington Post, 29. August 2016.
20
Desert Island Discs: Tom Daley felt »inferior« over sexuality, Website der BBC News, 30.
September 2018.
21
»Made in Chelsea’s Ollie Locke to become Ollie Locke-Locke«, Website der BBC News,
1. Oktober 2018.
22
The New York Times (Internationale Ausgabe), 16. Oktober 2017, S. 15ff.
23
Vergleiche zum Beispiel Russell T. Davies, »A Rose by any other name«, The Observer,
2. September 2001.
24
Vergleiche »Generation Z – beyond binary: new insights into the next generation«, Ipsos
Mori, 6. Juli 2018.
25
Als da wären: B. S. Mustanski, M. G. Dupree, C. M. Nievergelt et al., »A genome-wide
scan of male sexual orientation«, Human Genetics, 116 (2005), S. 272–8; R. Blanchard, J.
M. Cantor, A. F. Bogaert et al., »Interaction of fraternal birth order and handedness in the
developmen of male homosexuality«, Hormones and Behavior, 49 (2006), S. 405–414; J.
M. Bailey, M. P. Dunne and N. G. Martin, »Genetic and environmental influences on sexual
orientation and its correlates in an Australian twin sample«, Journal of Personality and
Social Psychology, 78 (2000), S. 524–536.
26
Royal College of Psychiatrists’ statement on sexual orientation, Position Statement
PS02/2014, April 2014 (https://www.rcpsych.ac.uk/pdf/PS02_2014.pdf).
27
Ebenda.
28
Webseite der American Psychological Association, »Sexual Orientation &
Homosexuality« (http://www.apa.org/topics/lgbt/orientation.aspx) aufgerufen im August
2018.
29
Bruce Bawer, A Place at the Table: The Gay Individual in American Society, Touchstone,
1994, S. 82.
30
Seth Stephens-Davidowitz, Everybody Lies: What the Internet Can Tell Us About Who
We Really Are, Bloomsbury, 2017, S. 112–116.
31
»This is why straight men watch porn«, Pink News, 19. März 2018.
32
»Majority in U.S. Now Say Gays and Lesbians Born, Not Made«, Gallup, 20. Mai 2015.
33
Vergleiche Diskussionsrunde über diesen Vorfall bei Alice Dreger, Galileo’s Middle
Finger: Heretics, Activists, and One Scholar’s Search for Justice, Penguin, 2016, S. 182f.
34
»Attitudes towards homosexuals and evolutionary theory«, in Ethology and Sociobiology.
Eine hilfreiche Zusammenfassung des Austausches zwischen Gallup und Archer von Jesse
Bering findet sich in Scientific American, 9. März 2011.
35
Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 7, 6, übersetzt von Franz Dirlmeier, Reclam
Verlag, 1983, S. 188–191. Übrigens unterscheiden sich hier auch neuere englische
Übersetzungen: Während in der Übersetzung der Cambridge University Press (2014) von
»sodomy« die Rede ist, spricht die der Oxford University Press (2009) von »paederasty«.
36
Vergleiche zum Beispiel »What are the most cited publications in the social sciences
(according to Google Scholar)?«, Elliott Green, LSE-Blogs, 12. Mai 2016.
37
Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Band 1: Der Wille zum Wissen, übersetzt von
Ulrich Raulff und Walter Seitter, Suhrkamp, 1983, S. 58.
38
David Halperin, »Historicising the sexual body: sexual preferences and erotic identities in
the pseudo-Lucianic Erotes«, in Domna C. Stanton (ed.), Discourses of Sexuality: From
Aristotle to AIDS, University of Michigan Press, 1992, S. 261. Vergleiche auch Andrew
Sullivan, Virtually Normal: An Argument about Homosexuality, Picador, 1996.
39
Foucault, Sexualität und Wahrheit, S. 185f..
40
Hunter Madsen und Marshall Kirk, After the Ball: How America Will Conquer its Fear and
Hatred of Gays in the ’90s, Doubleday, 1989.
41
Vergleiche Paul Berman, A Tale of Two Utopias: The Political Journey of the Generation
of 1968, W. W. Norton & Company Ltd, 1996, S. 154f.
42
Bawer, A Place at the Table, S. 191.
43
Ebenda, S. 193.
44
Ebenda, S. 220f.
45
Andrew Sullivan, Virtually Normal: An Argument about Homosexuality, Picador, 1996, S.
204.
46
Berman, A Tale of Two Utopias, S. 160f.
47
@TheEllenShow, Twitter, 25. Oktober 2017, 17.53 Uhr.
48
Daily Telegraph, 14. Februar 2018.
49
Stop Funding Hate, Twitter, 16. Februar 2018.
50
Children of same-sex couples happier and healthier than peers, research shows«,
Washington Post, 7. Juli 2014.
51
Sunday Morning Live, BBC1, 27. Oktober 2010.
52
»Study identifies predictors of relationship dissolution among same-sex and heterosexual
couples«, The Williams Institute, UCLA School of Law, 1. März 2018.
53
Pink News, 25. März 2018.
54
Bawer, A Place at the Table, S. 188.
55
»Sir Ian McKellen: Brexit makes no sense if you’re gay«, Daily Telegraph,10. Juni 2016.
56
Jim Downs, »Peter Thiel shows us there’s a difference between gay sex and gay«,
Advocate, 14. Oktober 2016.
57
»Bret Easton Ellis goes on Twitter rampage after GLAAD media awards ban«,
Entertainment Weekly, 22. April 2013.
58
»How straight people should behave in gay bars«, Pink News, 30. November 2018.
59
»In the reign of the magical gay elves«, Bret Easton Ellis, Out, 13. Mai 2013.
60
Ovid, Metamorphosen übersetzt von Michael von Albrecht, Lateinisch/Deutsch, Reclam
Verlag, 1994, 3,316–338, S. 146f.
61
Daniel Mendelsohn, The Elusive Embrace: Desire and the Riddle of Identity, Alfred A.
Knopf, 1999, S.73ff.
62
»The social and political views of American professors«, ein Diskussionspapier von Neil
Gross (Harvard) und Solon Simmons (George Mason), 24. September 2007.
63
Vergleiche https://www.racialequitytools.org/resourcefiles/mcintosh.pdf.
64
Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, »Socialist strategy: Where next?«, Marxism Today,
Januar 1981.
65
Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Hegemony and Socialist Strategy (zweite Auflage),
Verso, 2001, S. 133.
66
Ebenda, S. 41.
67
Ebenda.
68
Ebenda, S. 159f.
69
Laclau und Mouffe, »Socialist strategy: Where next?«
70
Laclau und Mouffe, Hegemony and Socialist Strategy, S. 1.
71
»What happens to #MeToo when a feminist is the accused?«, The New York Times, 13.
August 2018.
72
Steven Pinker, Das unbeschriebene Blatt: Die moderne Leugnung der menschlichen
Natur, Fischerverlag, 2017, S. 12.
73
Judith Butler, Nr. 1, Frühjahr 1997, S. 13ff. | 10.1353/dia.1997.0004. Deutsche Version
nach Steven Pinker (in: Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der
menschlichen Natur. Berlin 2003, S. 154).
74
Vergleiche zum Beispiel Sheldon Lee Glashow, »The standard mode«, Inference:
International Review of Science, Band 4, Nr. 1, Frühjahr 2018.
75
https://www.skeptic.com/reading_room/conceptual-penis-socialcontruct-sokal-style-
hoaxon-gender-studies.
76
»Hoaxers slip breastaurants and dog-park sex into journals«, The New York Times, 4.
Oktober 2018.
77
»American Psychological Association guidelines for psychological practice with boys and
men«, APA, August 2018, S. 10.
78
Steven Pinker, The Blank Slate: The Modern Denial of Human Nature, Penguin, 2003, S.
346–350.
79
Ebenda, S. 350.
80
Video auf AccessOnline.com, »Rosario Dawson talks grabbing Paul Rudd’s ›package‹
onstage at the 2011 Independent Spirit Awards«, 27. Februar 2011.
81
The Late Show mit Stephen Colbert, CBS, 20. März 2018.
82
Huffington Post, 11. Mai 2007.
83
RSA Konferenz, 28. Februar 2014.
84
Mayim Bialik, »Being a feminist in Harvey Weinstein’s world«, The New York Times, 13.
Oktober 2017.
85
The Late Late Show mit James Corden, CBS, 8. Februar 2016.
86
Vergleiche »Loud and proud! Brand releases sets of $9.99 plastic stick-on NIPPLES that
are sold in two sizes – »cold« and »freezing«, Mail Online (FeMail), 4. April 2017.
87
»The hottest new trend is camel toe underwear and we’re all over it«, Metro, 24. Februar
2017.
88
VICE News Interview mit Dr. Jordan Peterson, 7. Februar 2018.
89
Christine Lagarde, »Ten years after Lehman – lessons learned and challenges ahead«,
IMF Blog, 5. September 2018.
90
BBC Question Time, 19. März 2009.
91
»When women thrive«, Untersuchung, Mercer, Oktober 2016.
92
»Wall Street rule for the MeToo era: avoid women at all costs«, Bloomberg, 3. Dezember
2018.
93
United States Office of Personnel Management, »Government-wide Inclusive Diversity
Strategic Plan«, Juli 2016.
94
Vergleiche https://implicit.harvard.edu/implicit.
95
Vergleiche »Can we really measure implicit bias? Maybe not«, Chronicle of Higher
Education, 5. Januar 2017; »Unconscious bias: what is it and can it be eliminated?«, The
Guardian, 2. Dezember 2018.
96
Vergleiche zum Beispiel, Odette Chalaby, »Your company’s plan to close the gender pay
gap probably won’t work«, Apolitical, 22. Mai 2018.
97
»Smaller firms should publish gender pay gap, say MPs«, BBC News, 2. August 2018.
98
Susan Faludi, Backlash: The Undeclared War Against Women, Vintage, 1992, S. 16f.
99
Marilyn French, The War Against Women, Hamish Hamilton, 1992, S. 1f.
100
Ebenda, S. 5f.
101
Ebenda, S. 7.
102
Ebenda, S. 9.
103
Ebenda, S. 14.
104
Ebenda, S. 121–155.
105
Ebenda, S. 159.
106
Ebenda, S. 210f. Übrigens, das Thema »Frauen als Verkörperung von Frieden« hat eine
lange Tradition. Vergleiche zum Beispiel Olive Schreiners Frau und Arbeit (1911).
107
Vergleiche zum Beispiel Christina Hoff Sommers, Who Stole Feminism? How Women
Have Betrayed Women, Simon & Schuster, 1995, S. 11f.
108
Laurie Penny (@PennyRed) auf Twitter, 6. Februar 2018:
https://twitter.com/PennyRed/status/960777342275768320.
109
Sama El-Wardany, »What women mean when we say, men are trash«, Huffington Post,
2. Mai 2018.
110
Ezra Klein, »The problem with Twitter, as shown by the Sarah Jeong fracas«, Vox, 8.
August 2018.
111
Georgia Aspinall, »Here are the countries where it’s still really difficult for women to
vote«, Grazia, 6. Februar 2018.
112
Vorwort von Dylan Jones in GQ, Dezember 2018.
113
APA issues first ever »guidelines for practice with men and boys«, American
Psychological Association, Januar 2019.
114
»We are a nation of hidden feminists«, Presseerklärung der Fawcett Society, 15. Januar
2016.
115
»Only 7 per cent of Britons consider themselves feminists«, The Telegraph, 15. January
2016.
116
YouGov/Huffington Post, Omnibus Poll, Umfrage vom 11.–12. April 2013.
117
»Men with muscles and money are more attractive to straight women and gay men –
showing gender roles aren’t progressing«, Newsweek, 20 November 2017.
118
James Thurber, My Life and Hard Times (1933), Neuauflage bei Prion Books Ltd, 2000,
S. 33–44.
119
Vergleiche den Fall der Schuljungen der Covington Catholic High School im Januar
2019.
120
Jon Ronson, So You’ve Been Publicly Shamed, Riverhead Books, 2015.
121
Barrett Wilson (Pseudonym), »I was the mob until the mob came for me«, Quillette, 14.
Juli 2018.
122
Tess Townsend, »Google is still mostly white and male«, Recode, 29. Juni 2017.
123
Private Gesprächsaufzeichnungen über ein großes Technologieunternehmen in Brüssel,
5. Februar 2019.
124
Vergleiche »Twitter bans women against trans ideology, say feminists«, BBC News, 30.
Mai 2018.
125
Meghan Murphy, »Twitter’s trans-activist decree«, Quillette, 28. November 2018.
126
»Twitter has banned misgendering or «deadnaming« transgender people«, The Verge,
27. November 2018.
127
Jack Conte im Interview mit Dave Rubin für den »The Rubin Report«, YouTube, 31. Juli
2017.
128
Google Video auf https://developers.google.com/machine-learning/fairnessoverview.
129
Anne Helen Petersen, »Ten long years of trying to make Armie Hammer happen«,
BuzzFeed, 26. November 2017.
130
»Call Me By Your Name star Armie Hammer leaves Twitter after ›bitter‹ BuzzFeed
article«, Pink News, 28. November 2017.
131
Ashley Lee, »Why Luca Guadagnino didn’t include gay actors or explicit sex scenes in
«Call Me By Your Name« (Q&A)«, The Hollywood Reporter, 8. Februar 2017.
132
»White privilege lessons for lecturers«, The Sunday Times, 11. März 2018.
133
Vergleiche Bildmaterial auf YouTube, https://www.youtube.com/watch?
v=LTnDpoQLNaY.
134
Vergleiche »Campus argument goes viral as Evergreen State is caught in racial
turmoil«, Vice News, 16. Juni 2017; https://www.youtube.com/watch?v=2cMYfxOFBBM.
135
Siehe Bildmaterial auf YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=BzrPMetGtJQ.
136
Siehe Bildmaterial auf YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=RZtuDqbfO5w.
137
Ebenda.
138
Evergreen State College, Tagung des Trägervereins, 12. Juli 2017, auf YouTube,
https://www.youtube.com/watch?v=yL54iN8dxuo.
139
Vice News, 16. Juni 2017.
140
Vergleiche Video in voller Länge auf YouTube, https://www.youtube.com/watch?
v=hiMVx2C5_Wg.
141
Vergleiche Video auf YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=V6ZVEVufWFI.
142
Nicholas A. Christakis, »Teaching inclusion in a divided world«, The New York Times,
22. Juni 2016.
143
»Identity politics: the new radicalism on campus?«, Podiumsdiskussion an der Rutgers
University, gepostet auf YouTube, 13. Oktober 2017, https://www.youtube.com/watch?
v=2ijFQFiCgoE.
144
Michael Harriot, »Diversity of thought« is just a euphemism for »white supremacy«, The
Root, 12. April 2018.
145
Das Schreiben vom 17. April 2017 kann hier eingesehen werden:
http://archive.is/Dm2DN.
146
Andrew Sullivan, »We all live on campus now«, Magazin New York, 9. Februar 2018.
147
National Geographic, April 2018.
148
David Olusoga, »National Geographic’s righting of its racist wrongs is well meant but
slow in coming«, The Guardian, 1. April 2018.
149
Emily Lakdawalla, Twitter, 13. Februar 2018.
150
The Root, Twitter-Feed, 22. November 2018.
151
Vice, Twitter, 6. Dezember 2018.
152
Mathieu Murphy-Perron, »Let Nora Loreto have her say«, National Observer, 11. April
2018.
153
Vice Filmkritik von Dumbo, 13. Juni 2018. Übrigens, die Online-Version wurde geändert,
nachdem das Blatt online mit großer Häme und Spott überschüttet worden war.
154
Eliana Dockterman, »Altered Carbon takes place in the future. But it s far from
progressive«, Time, 2. Februar 2018.
155
»Sierra Boggess pulls out of BBC West Side Story Prom over whitewashing«, BBC
News Website, 25. April 2018.
156
Ritu Prasad, »Serena Williams and the trope of the angry black woman«, BBC News
online, 11. September 2018.
157
Carys Afoko, »Serena Williams’s treatment shows how hard it is to be a black woman at
work«, The Guardian, 10. September 2018.
158
Das Video (eines einer ganzen Reihe) ist zu sehen auf YouTube, produziert von
Soyheat. (gepostet am 23. September 2016).
159
Vergleiche Andy Ngo, »Would you like some strife with your meal?«, Wall Street
Journal, 31. Mai 2018.
160
Robby Soave, »White-owned restaurants shamed for serving ethnic food: it’s cultural
appropriation«, Reason, 23. Mai 2017.
161
Dawn Butler auf Twitter, 18. August 2018.
162
»Teenager’s prom dress sparks cultural appropriation debate«, Independent, 30. April
2018.
163
»Lovia Gyarke, Lionel Shriver shouldn’t write about minorities«, New Republic Blog,
September 2016.
164
Yassmin Abdel-Magied, »As Lionel Shriver made light of identity, I had no choice but to
walk out«, The Guardian, 10. September 2016.
165
The Atlantic, 7. Mai 2018.
166
Der ursprüngliche Artikel ist online nachzulesen auf:
http://eprints.lse.ac.uk/44655/1/__Libfile_repository_Content_LSE%20Review%20of%20Bo
oks_May%202012_week%204_blogs.lse.ac.uk-
Intellectuals_versus_society_ignorance_and_wisdom.pdf.
167
Aidan Byrne, »Book Review: Intellectuals and Society by Thomas Sowell«, LSE Review
of Books, 26. Mai 2012.
168
The View, ABC, 15. Juni 2015.
169
MSNBC, 17. Juni 2015.
170
Benedict Cumberbatch apologises after calling black actors »coloured«, The Guardian,
26. Januar 2015.
171
Sarah Jeongs Tweets vom 23. Dezember 2014; 25. November 2015; 31. Dezember
2014; 18. November 2014; 1. April 2014.
172
Sarah Jeongs Tweets vom 28. November 2014.
173
Sarah Jeongs Tweets vom 24. Juli 2014.
174
Erklärung aus The New York Times, 2. August 2018.
175
Zitat aus Zack Beauchamp, »In defence of Sarah Jeong«, Vox, 3. August 2018.
176
Ezra Klein, »The problem with Twitter, as shown by the Sarah Jeong fracas«, Vox, 8.
August 2018.
177
Ta-Nehisi Coates, The Beautiful Struggle: A Memoir, Spiegel & Grau, 2008, S. 6.
178
Ebenda, S. 70.
179
Ebenda, S. 74f.
180
Ebenda, S. 168.
181
Ebenda, S. 177.
182
Ta-Nehisi Coates, Between the World and Me, The Text Publishing Company, 2015, S.
90.
183
Dr. Cornel West auf Facebook, gefunden auf
https://www.alternet.org/2017/12/cornelwestta-nehisi-coates-spat-last-thing-we-need-right-
now/.
184
Einige Verse und Kapitel wurden entnommen aus Kyle Smith, »The hard untruths of Ta-
Nehisi Coates«, Commentary, Oktober 2015.
185
»Leak: The Atlantic had a meeting about Kevin Williamson. It was a liberal
selfreckoning«, Huffington Post, 5. Juli 2018.
186
Reni Eddo-Lodge, Why I’ m no Longer Talking to White People about Race,
Bloomsbury, 2017, S. 14f.
187
Foto über Martin Daubney auf Twitter, 21. Januar 2018.
188
Der Titel dieses Artikels wurde später abgeändert in »How white women use strategic
tears to silence women of colour«, 7. Mai 2018.
189
Vergleiche The Tab, ohne Angabe des Monats, 2016.
190
Vergleiche »Asian Americans suing Harvard say admissions files show discrimination«,
The New York Times, 4. April 2018.
191
Vergleiche Malcolm W. Browne, »What is intelligence, and who has it«, The New York
Times, 16. Oktober 1994.
192
Steven J. Rosenthal Buchbesprechung von The Bell Curve auf
https://msuweb.montclair.edu/~furrg/steverbc.html.
193
Douglas Murray im Gespräch mit Jordan Peterson, UnHerd, YouTube, 4. September
2018.
194
David Reich, »How genetics is changing our understanding of race«, The New York
Times, 23. März 2018.
195
Pete Shanks, »Race and IQ yet again«, Center for Genetics and Society, 13. April 2018.
196
Sam Harris, »Waking up«, Podcast, mit Charles Murray, 23. April 2017
197
Ezra Klein, »Sam Harris, Charles Murray and the allure of race science«, Vox, 27. März
2018.
198
Diana Soriano, »White privilege lecture tells students white people are »dangerous« if
they don’t see race«, The College Fix, 6. März 2019.
199
Quinn Norton auf Twitter, 27. Juli 2013.
200
Ebenda, 4. September 2009.
201
Quinn Norton, »The New York Times fired my Doppelganger«, The Atlantic, 27. Februar
2018.
202
»Labour, Work, Action«, aus The Portable Hannah Arendt, Penguin, 2000, S. 180f.
203
»Manchester University students paint over Rudyard Kipling mural«, The Guardian, 19.
Juli 2018.
204
Vergleiche »Toby Young quotes on breasts, eugenics, and working-class people«, The
Guardian, 3. Januar 2018.
205
Toby Young, »Confessions of a porn addict«, The Spectator, 10. November 2001.
206
The Times, 6. Januar 2018.
207
The Evening Standard 5 Januar 2018.
208
Vergleiche Toby Young, »The public humiliation diet«, Quillette, 23. Juli 2018.
209
»Conor Daly loses Lilly Diabetes sponsorship over remark his father made over 30
years ago«, Associated Press, 25. August 2018.
210
Matthäus 18:21–22.
211
»Lewis Hamilton apologises for ›boys don’t wear dresses‹ remark«, BBC News, 26.
Dezember 2017.
212
GQ, August 2018.
213
»Moeder van Nathan spreekt: Zijn dood doet me niks«, Het Laatste Nieuws, 2. Oktober
2013.
214
»Mother of sex change Belgian: »I don’t care about his euthanasia death«, Daily
Telegraph, 2. Oktober 2013.
215
Vergleiche zum Beispiel The Sunday Times, 25. November 2018, S. 23.
216
Im Zusammenhang mit der öffentlichen Anhörung über das Gender Recognition Act
(Gesetz über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit) (2018).
217
Vergleiche »Schools tell pupils boys can have periods too in new guidelines on
transgender issues«, Daily Mirror, 18. Dezember 2018.
218
https://www.congress.gov/bill/115th-congress/senate-bill/1006.
219
Alice Dreger, Galileo’s Middle Finger: Heretics, Activists, and One Scholar’s Search for
Justice, Penguin, 2016, S. 21.
220
Ebenda, S. 20.
221
Ebenda, S. 6.
222
»Masculine Women, Feminine Men«, Text von Edgar Leslie, Musik von James V.
Monaco, 1926.
223
Jan Morris, Conundrum, Faber and Faber, 2002, S. 1.
224
Ebenda, S. 42.
225
Ebenda, S. 119.
226
Ebenda, S. 122.
227
Ebenda, S. 123.
228
Ebenda, S. 127.
229
Ebenda, S. 134.
230
Ebenda, S. 138.
231
Ebenda, S. 128.
232
Ebenda, S. 143.
233
Dreger, Galileo’s Middle Finger, S. 63.
234
»Criticism of a gender theory, and a scientist under siege«, The New York Times, 21.
August 2007.
235
Dreger, Galileo’s Middle Finger, S. 69.
236
Andrea Long Chu, »My new vagina won’t make me happy«, The New York Times, 24.
November 2018.
237
Vergleiche Anne A. Lawrence, Men Trapped in Men’s Bodies: Narratives of
Autogynephilic Transsexualism, Springer, 2013.
238
Schlagzeile der Time, 9. Juni 2014.
239
»Stonewall to start campaigning for trans equality«, The Guardian, 16. Februar 2015.
240
New York Post, 16. Juli 2015.
241
»When women become men at Wellesley«, The New York Times, 15. Oktober 2014.
242
Julie Bindel, »Gender benders, beware«, The Guardian, 31. Januar 2004.
243
Suzanne Moore, »Seeing red: the power of female anger«, The New Statesman, 8.
Januar 2013.
244
Vergleiche Suzanne Moore, »I don’ t care if you were born a woman or became one«,
The Guardian, 9. Januar 2013.
245
Julie Burchill, »The lost joy of swearing«, The Spectator, 3. November 2018.
246
Germaine Greer, Die ganze Frau, Doubleday, 1999, S. 66.
247
Ebenda, S. 74.
248
»Germaine Greer defends views on transgender issues amid calls for cancellation of
feminism lecture«, ABC News, 25. Oktober 2015.
249
Ebenda.
250
Eve Hodgson, »Germaine Greer can no longer be called a feminist«, Varsity, 26.
Oktober 2017.
251
»Woman billboard removed after transphobia row«, Webseite der BBC News, 26.
September 2018.
252
Diskussion zwischen Kellie-Jay Keen-Minshull und Adrian Harrop, Sky News, 26.
September 2018.
253
»Blogger accused of transphobia for erecting a billboard defining ›woman as adult
human female‹ is branded ›disgraceful‹ by This Morning viewers – as she insists trans
women do not fit the criteria«, Mail Online, 28. September 201
254
Julie Bindel, »Why woke keyboard warriors should respect their elders«, UnHerd, 24.
Oktober 2018.
255
Vergleiche »April Ashley at 80«, Homotopia Festival. Auf YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=wX-NhWb47sc.
256
Der Fall von »Lactatia« Nemis Quinn Melancon Golden wird unter anderem hier
geschildert: »Nine-year-old drag queen horrifically abused after modelling for LBGT fashion
company«, Pink News, 9. Januar 2018.
257
»The school was already calling her ›him‹«, The Sunday Times, 25. November 2018.
258
»Trans groups under fire for 700% rise in child referrals«, The Sunday Times, 25.
November 2018.
259
Ebenda.
260
Michelle Forcier im Interview auf NBC, 21. April 2015:
https://www.nbcnews.com/nightlynews/video/one-doctor-explains-the-journey-for-kidswho-
are-transitioning-431478851632?v=railb&.
261
https://vimeo.com/185183788.
262
Mai 2018.
263
Jesse Singal, »When children say they’re Trans«, The Atlantic, Juli/August 2018.
264
Johanna Olson-Kennedy, MD, »Mental health disparities among transgender youth:
rethinking the role of professional«, JAMA, Mai 2016.
265
»Deciding when to treat a youth for gender re-assignment«, Kids in the House (ohne
Datumsangabe).
266
Singal, »When children say they’re Trans«.
267
Wylie C. Hembree, Peggy T. Cohen-Kettenis, Louis Gooren, Sabine E. Hannema,
Walter J. Meyer, M. Hassan Murad, Stephen M. Rosenthal, Joshua D. Safer, Vin
Tangpricha, Guy G. T’Sjoen, »Endocrine treatment of gender-dysphoric/genderincongruent
persons: An Endocrine Society clinical practice guideline«, The Journal of Clinical
Endocrinology & Metabolism, Band 102, Nr. 11, 1. November 2017.
268
Video auf https://archive.org/details/olson-kennedy-breasts-go-and-get-them.
269
Eine genaue Beschreibung findet sich in Susan Faludi, In the Darkroom, Metropolitan
Books, 2016, S. 131.
270
Vergleiche http://uspath2017.conferencespot.org/.
271
Audio hier abrufbar: https://vimeo.com/226658454.
272
Viele der Bildschirmschnappschüsse und anderes Material dieses Falls finden sich auf:
http://dirtywhiteboi67.blogspot.com/2015/08/ftm-top-surgery-forsky-tragic-story-in.html.
273
»GP convicted of running transgender clinic for children without licence«, The
Telegraph, 3. Dezember 2018.
274
»Things not to say to a non-binary person«, BBC Three, 27. Juni 2017.
275
Zahlen vom Weltwirtschaftsforum, Juni 2018.
276
Vergleiche »Do trans kids stay trans when they grow up?«, Sexology Today
(www.sexologytoday.org), 11. Januar 2016.
277
Advocate, 16. November 2008.
278
Voddie Baucham, »Gay is not the new black«, The Gospel Coalition, 19. Juli 2012.
279
Offener Brief an Hypatia: https://archive.is/lUeR4#selection-131.725-131.731.
280
»Philosopher’s article on transracialism sparks controversy (Updated with response
from author)«, Daily Nous, 1. Mai 2017.
281
The Real, KPLR, 2. November 2015.
282
Patrick Strudwick, »The newly appointed editor of Gay Times has been fired for posting
dozens of off ensive tweets«, BuzzFeed, 16. November 2017.
283
»Gay Times fires »Jews are gross« editor who sent vile tweets«, Pink News, 16.
November 2017.
284
Erklärung von Gay Times auf Twitter, 16. November 2017.
285
Josh Rivers Interview mit Lee Gray, »The Gray Area«, YouTube, 8. Juni 2018.
286
»Transgender women in sport: Are they really a ›threat‹ to female sport?«, BBC Sport,
18. Dezember 2018.
287
Stephie Haynes, »Dr. Ramona Krutzik, M.D. discusses possible advantages Fallon Fox
may have«, Bloody Elbow, 20. März 2013.
288
Joe Rogan im Gespräch mit Maajid Nawaz und Sam Harris, Joe Rogan Experience
1107, YouTube, 18. April 2018.
289
»Business insider deletes opinion piece defending Scarlett Johansson’s role as trans
man in new film«, Pink News, 9. Juli 2018.
290
»Trans activists call for boycott of film starring Matt Bomer as transgender sex worker«,
Pink News, 15. April 2018.
291
William A. Jacobson, »Cornell Black Students group issues a 6-page list of demands«,
Legal Insurrection Blog, 27. September 2017.
292
Auf BBC: This Week, 26. Oktober 2017.
293
Laith Ashley im Interview auf Channel 4 News, 13. April 2016.
294
»Vox writer navel-gazes his way into a hole over fat-shaming«, The Daily Caller, 5.
November 2018.
295
Vergleiche zum Beispiel Marieka Klawitter, »Meta-analysis of the effects of sexual
orientation on earnings«, 19. Dezember 2014
(https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/irel.12075).
296
Vergleiche United States Department of Labor, Bureau of Labor Statistics:
https://www.bls.gov/opub/ted/2017/median-weekly-earnings-767-for-women-937-for-men-
inthirdquarter-2017.htm.
297
Von Sky in Auftrag gegebene Umfrage, die vom 14.–16. Februar 2018 durchgeführt
wurde. Ergebnisse auf: https://interactive.news.sky.com/100Women_Tabs_Feb2018.pdf.
298
Camille Paglia, Free Women, Free Men: Sex, Gender, Feminism, Canongate, 2018, S.
133.
299
Ebenda, S. 131f.
300
CNBC auf Twitter, 24. Januar 2019.
301
»Here s how much you save when you don’t have kids«, CNBC, 17. August 2017.
302
The Economist, Twitter Feed, 17. November 2018.
303
Wendell Berry, »A Few Words for Motherhood« (1980), The World-Ending Fire,
Penguin, 2018, S. 174175.
304
Vergleiche Madeleine Kearns, »The successful, dangerous child sex-change charity«,
National Review online, 23. Januar 2019.
305
House of Commons, Hansard, 21. November 2018.
306
Vergleiche »Transient sexual mimicry leads to fertilization«, Nature, 20. Januar 2005.
307
Freddy Gray, »Nigel Farage’s groupies party in DC«, The Spectator, 28. Januar 2017.
308
Jean-Jacques Rousseau, Émile oder Über Erziehung, Anaconda, 2010, S. 72.
309
L. H. Keeley, War Before Civilisation: The Myth of the Peaceful Savage, Oxford
University Press, 1996, S. 90. Siehe auch die daraus konzipierte Grafik bei Steven Pinker,
The Blank Slate: The Modern Denial of Human Nature, Penguin, 2003, S. 57.
310
H. W. Brands, Traitor to His Class: The Privileged Life and Radical Presidency of
Franklin Delano Roosevelt, Doubleday Books, 2008, S. 152.
311
Ezra Klein, »The problem with Twitter, as shown by the Sarah Jeong fracas«, Vox, 8.
August 2018.
312
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, übersetzt von Hans Zbinden,
Deutscher Taschenbuch Verlag, 1984, S. 218.
313
Martin Luther King Jr, »Where do we go from here?«, in seiner Rede anlässlich der 11.
Jahresversammlung der SCLC (Southern Christian Leadership Conference), Atlanta,
Georgia, 16. August 1967.
314
Emma Green, »Are Jews white?«, The Atlantic, 5. Dezember 2016.
315
»Anti-Semitic flyers attacking Jewish ›privilege‹ appear to UIC«, Campus Reform, 17.
März 2017.
NOTE
KAPITEL 1: HOMOSEXUELLE
[1]
AdÜ: Die UK Independence Party gilt als EU-skeptische und rechtspopulistische,
gelegentlich auch als radikalliberal bezeichnete britische Partei, deren Hauptziel der Austritt
des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union ist.
[2]
AdÜ: eine konservative christliche Organisation in den USA, die Schätzungen zufolge
mehr als 43 000 christliche Kirchen in den USA vertritt.
ZWISCHENSPIEL: VERGEBUNG
[3]
AdÜ: So wird in den USA die um 1990 geborene Generation bezeichnet, die oft als
emotional überempfindlich und wenig resilient wahrgenommen wird.