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Dresdner Brettl 1

Prof. Dr. Elmar D. Konrad

im Gespräch mit

Friedrich-Wilhelm Junge

DRESDNER BRETTL –

ERFOLGREICHER STAPELLAUF EINES THEATERKAHNS


Dresdner Brettl 2

Dresdner Brettl – Erfolgreicher Stapellauf eines


Theaterkahns 1

Friedrich-Wilhelm Junge & Elmar D. Konrad

1 Vorbelastung
Ob es eine künstlerische ‚Vorbelastung’ gab. Nun, genetisch sicherlich nicht. Die
Eltern besaßen eine Gaststätte – und künstlerisch vorbelastet, wenn man so will:
ja, weil es sich um die Theaterklause in Schwerin, das Stammlokal der Künstler,
handelte. Einen Großteil meiner Kindheit und Jugend habe ich daher entweder
hinter der Bühne oder sogar auf der Bühne als Statist und Kinderdarsteller ver-
bracht.
Was mir aber gerade in meiner Aufgabe als Theaterdirektor immer von Nutzen
war, wenn wir schon von Kindheit und Jugend sprechen, ist das, was mir meine
Mutter mit auf den Weg gab: Du kannst nur das von anderen verlangen, was Du
auch selbst bereit bist, zu leisten. Altmodisch gesagt: Du musst Vorbild sein. Viel-
leicht kann ich später noch genauer darauf eingehen.
Aber als leidenschaftlicher Theaterliebhaber gründete ich schon in der Oberschule
unaufgefordert eine Laienspielgruppe und dort begann, wenn man so will, meine
Karriere als Regisseur – eine Tätigkeit, die ich professionell nie ausgeübt habe.
Zwar liebte ich das Theater, aber Schauspieler – ein Beruf auf diesem unsicheren
Terrain – wollte ich eigentlich nie werden. Es sollte etwas Solides sein. Also be-
warb ich mich um ein Studium der Germanistik in Rostock. Zur Theaterausbil-
dung kam ich über Umwege. Weil eine Schulkameradin, welche in meiner Thea-
tergruppe spielte, die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule Leipzig machte,
dachte ich mir: na, das kannst Du auch. Und voilà, ich bestand und hatte einen
Studienplatz. Nun mahlten die Mühlen in der damaligen DDR, in der alles vorge-
geben und organisiert war, ja bekanntlich anders. Zwei Eisen im Feuer gab es
nicht und ich sollte nun also Schauspieler werden. Kein Germanist – welch ein
Glück!
Die Ausbildung in der DDR war sehr gut und stand fest in der Tradition eines
Max Reinhard und Konstantin Sergejewitsch Stanislawski. Man hat dieses Hand-

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Der Beitrag ist erschienen in Elmar D. Konrad (Hrsg.): Unternehmertum und Führungs-
verhalten im Kultursektor. Waxmann-Verlag: Münster (2006), S. 267 – 276. Der Text ist
die transkribierte und verkürzte Zusammenfassung eines Interviews, das Prof. Dr. Elmar
D. Konrad am 12. März 2006 mit dem Gründer und ehemaligen Intendanten des Dresd-
ner Brettls Friedrich-Wilhelm Junge in der Akademie der Künste Berlin führte.
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werk von der Pieke auf richtig lernen müssen: Tanzen, Singen, Fechten etc. Aber
was noch wichtiger ist, man lernte genau zu denken. In der DDR war Theater auch
subversiv. Die Fähigkeit, einen Subtext mitzudenken, musste gelernt sein.
Dies bedeutet eine andere Herangehensweise an Texte. Gerade diese andere Her-
angehensweise fiel mir besonders im Vergleich zu jüngeren Schauspielern bei
meinen Engagements im Westen auf. Interessanterweise hatte ich mit älteren
Schauspielern keinerlei Probleme. Ich spielte in München mit Agnes Fink, dieser
großen alten Dame des deutschen Theaters zusammen. Hier lief alles reibungslos.
Es war einfach großartig.

2 Grundvoraussetzung und Vorgeschichte


Zuerst muss man feststellen: eine Grundvoraussetzung ist wohl, man muss ein
Alpha-Tier sein. Ich hatte in meinem Leben ständig das Bestreben, Bester und
Erster zu sein und bin immer – als geborener Solist – neue Wege gegangen. Die
Lust aus der Reihe zu tanzen, Freude am Selbst-Gestalten, die Verwirklichung des
Eigenen und zwar von Anfang bis zum Ende ist ein mir eingepflanzter Wesens-
zug. Das kann man wohl nicht lernen, ist aber wichtig, um voranzugehen. Natür-
lich muss auch etwas drücken. So ein Druck können existenzielle Krisen sein.
Solche Krisen sind aber auch große Chancen. Ich hatte einige Krisen zu meistern
und immer war dies der Anstoß auch zu etwas Neuem.
Eine meiner größten persönlichen Krisen, ja fast der Tiefpunkt meines Schauspie-
lerlebens, war zu einer bestimmtem Zeit während meines Engagements am Staats-
theater Dresden. Durch unüberbrückbare Schwierigkeiten mit dem Intendanten,
und in der DDR bedeutete das auch gegen die Nomenklatura, stand ich fast vor
dem künstlerischen Aus. Daher begann ich parallel mich umzuorientieren, hin zu
Entertainment und Chansons, was mir ja auch viel Spaß macht. Erst durch einen
nachfolgend anderen Intendanten änderte sich die Situation schlagartig. Jetzt
konnte ich diese Freiheiten weiter ausbauen und es begannen die berühmten frivo-
len Nachprogramme, mit denen wir auch auf Tourneen gingen und es begann die
Zusammenarbeit z.B. mit Kai und Lore Lorentz. Zwar hatte ich für diese Pro-
gramme – der Durchbruch kam übrigens mit einem Schiller-Programm – keine
feste Spielstätte, außer für die ‚frivolen Nachtprogramme’ im Dresdner Kulturpa-
last. Aber ich sah, dass es in Dresden ein großes Potenzial und einen Bedarf an
anspruchsvoller Literaturaufbereitung gab. Nur musste man die Sache richtig ver-
kaufen!
Dafür muss einem was einfallen. Übrigens ein wunderbares Wort: ‚einfallen!’. Es
bedeutet auch, dass jemand offen sein muss, dass etwas ‚reinfallen’ kann. Durch
Lesen, Hören und Sehen fallen einem Dinge ein, welche durch die Phantasie (d.h.
die Fähigkeit diese Dinge zu verknüpfen) im Kopf so zusammengebaut werden,
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dass ein komplettes Bild assoziiert wird. Ein Beispiel hierfür war mein Programm
über den Monolog des Großinquisitors aus dem Roman ‚Die Brüder Karamasow’
von Fjodor Dostojewski. Ich hatte das Buch in meiner Jugend gelesen. Dann kam
das Jahr 1989. Da fiel es mir ein: „Das ist jetzt der Stoff – hier geht es um Freiheit
... !“ Und wenn man von dieser Idee überzeugt ist, dann muss man daran festhal-
ten – gegen alle Widerstände. Zwar sollte man sich nicht stur versteifen, jedoch
sollte man sich nicht davon abbringen lassen, wenn das Projekt auch nicht auf
Anhieb geht. Dann müssen halt Dinge geändert werden (damit man es ‚gehend-
machend’ kann).
Ohne diese Einstellung hätte ich zum Beispiel auch nicht das Cristopher-
Marlowe-Projekt in Zusammenarbeit mit der Weltausstellung Hannover stemmen
können. Die Idee kam auch spontan durch Assoziation: Goethejahr, Urfaust,
Christopher Marlowe! Rein finanziell wäre das ein Projekt gewesen, zum Schei-
tern verurteilt. Es ging bis an die Grenzen – auch gesundheitlich. Aber durch in-
tensives Bemühen um Kooperationspartner und Sponsoren hat es doch noch ge-
klappt. Am Ende besaß das Dresdner Brettl sogar zwei Bühnen: eine feste im
Theaterkahn und eine zweite mobile Bühne für Tourneen.

3 Gründungsimpuls
Der Gründungsimpuls für ein eigenes Theater kam nicht geradlinig. Es war in der
Zeit, als ich was Neues beginnen wollte. Ich wollte weg von Dresden, denn dort
fand sich kein Raum für meine Pläne. Ich folgte dem Angebot der Volksbühne
Berlin und war auch dort wieder auf der Suche nach geeigneten Spielstätten. Ein
Freund sagte mir dann, dass es keine Frage des Raumes sei. Das Zauberwort hieß:
Planstellen! Heute sagt man, etwas institutionalisieren, in der DDR eben Planstel-
len. Das leuchtete mir sofort ein.
Zudem drängten mich die Dresdner, d.h. Staatstheater und Rat des Bezirkes Abtei-
lung Kultur, dass ich doch wieder zurück kommen sollte. Nun denn, aber dann zu
meinen Bedingungen. Tja und so entstand, natürlich mit vielem Hin und Her, das
Dresdner Brettl als, wie man es offiziell bezeichnete, relativ selbständige Einrich-
tung des Staatsschauspiels Dresden – in der DDR war ja alles staatlich organisiert.
Und in dieser Form eines dran gepappten Wurmfortsatzes hatte ich alles: Planstel-
len und einen Etat – ansonsten war ich völlig autonom. Nur ein Raum fehlte noch.
Und so wurden dem Dresdner Brettl ab September 1988 zwei Tage im Dresdner
Jazz-Club, einem Tonnengewölbe unter einer Ruine, zugewiesen – und es funkti-
onierte.
Um der Zensur der Behörden zu entgehen, haben wir uns allerlei Tricks einfallen
lassen. Wenn eine Stückabnahme anstand, drehten wir zum Beispiel mal die Si-
cherung raus und täuschten einen technischen Defekt vor, um nicht spielen zu
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können. Diese Herren konnten ja nicht ewig warten. Und zur Premiere konnte die
Staatssicherheit schlecht mitten in der Vorstellung eine Aufführung abbrechen
lassen.
Natürlich war mir bewusst, und das sollte man nicht verschweigen, ging es unter
anderem auch nur deshalb, weil die Staatssicherheit das Theater quasi als ‚Flie-
genleim’ nutzen wollte. Meine kritische Einstellung zum Regime war bekannt und
man wollte einfach sehen, wer, wie mit wem etc. und was sich hier abspielte.
Und dann kam das Jahr 1989 – Chaos! Und 1990 war alles völlig anders und es
bestand auf einmal die Möglichkeit, ein wirklich – auch rechtlich – eigenständiges
Theater zu werden. Wir waren mittlerweile soweit etabliert, dass die Stadt Dres-
den und vor allem auch der Oberbürgermeister daran interessiert waren, dass die-
ses Theater erhalten blieb. Kurzum, wir wurden zu einem richtige Stadttheater,
also ein Regiebetrieb der Stadt und zogen in ein ‚demokratisiertes’ Parteihaus um.
Nun konnten wir jeden Tag spielen.

4 Beziehungsnetzwerk
In der politischen Wendezeit im Herbst 1989 war ich voll engagiert, unter ande-
rem habe ich mehrere Reden vor Tausenden Demonstranten gehalten. Im Frühjahr
1990 kam die erste demokratische Wahl und damit der Kontakt zur SPD. Dadurch
lernte ich Hans Jochen Vogel und Henning Voscherau kennen, Letzterer war als
Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg auch noch wichtig für das Theater bei der
Währungsumstellung. Ich moderierte politische Veranstaltungen, darunter unter
anderem eine mit Willy Brandt. Auch war ich Erstunterzeichner für den Wieder-
aufbau der Frauenkirche und habe unter anderem mit Ludwig Güttler den Sächsi-
schen Kunstverein neu gegründet, auch hat man mir die Gründungspräsidentschaft
des Dresdner Rotary Clubs übertragen. Es musste damals alles neu geschaffen
werden. Erst die Nazis, dann die DDR hatten alle bürgerschaftlich-
demokratischen Strukturen zerstört.
Gerade der Rotary Club war eine gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen. Überall
in Deutschland wurde ich zu Club Meetings eingeladen. Ich war ein Exot aus der
DDR, der die Westdeutschen interessierte – und so sammelte ich eben Spenden
ein. Dieses Geld machte uns unabhängiger von Tourneegästen, da jetzt unsere Ei-
genproduktionen immer mehr zunahmen.
Auch war das Dresdner Brettl eine Art Kommunikationsplattform. Wir richteten –
und da legte ich großen Wert darauf – eine Bar mit einem großen Tresen vor dem
Theaterraum ein. Und diese Bar war abends sozusagen die Heimat der Neudresd-
ner. Diese aus dem Westen importierten Menschen lebten ja alle in Hotels. Und
wo ging man abends hin: auch ins Theater. So wurde das Theater als Kommunika-
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tionsort der Politik und Wirtschaft genutzt. Das erleichterte den Aufbau eines ei-
genen Netzwerks zu wichtigen Entscheidungsträgern.
So ein Netzwerk von Beziehungen und Kontakten zu Politik und Wirtschaft ist
wichtig. Manchmal hilft einem der Zufall, aber dann muss man offen sein für sol-
che Kontakte und sie auch pflegen und nutzen können, ohne sich zu verbiegen
oder gar – nennen wir es mal ganz hart – zu prostituieren. Ich bin damit immer gut
gefahren. Ohne Kontakte und Hilfe zum Beispiel von Lothar Späth, zu dem ich
nachher noch mehr erzählen werde, zu Bernhard Freiherr von Loeffelholz, der ein
wirklich guter Freund von uns geworden ist sowie zu Kurt Biedenkopf oder Georg
Milbradt und vielen anderen wäre das Projekt Theaterkahn wohl nicht – oder nicht
so – zustande gekommen.
So ein Projekt ist nun mal kein solistischer Alleingang. Man kann nicht aus dem
Nirwana kommen und sagen: Hallo hier bin ich, nun helft mir mal schön! Gerade
wenn man so ein Projekt nicht selber finanzieren kann, sobald man davon ab-
hängt, dass andere Leute ‚Ja’ zu etwas sagen, dann bist Du darauf angewiesen,
Dich ins Rampenlicht zu stellen. Und Du musst nach außen kontrollierbar sein.
Die Menschen müssen einen über längere Zeit genau beobachten und einschätzen
können. Sie müssen wissen, was macht der, wie handelt der, wie schwatzt der,
was meint er und so weiter. Für ein Netzwerk, das einfach unabdingbar ist, müs-
sen beide Seiten, das Subjektive und das Objektive, zusammenkommen.

5 Stapellauf
Am Anfang stand ja die Frage einer freien Trägerschaft für das Dresdner Brettl.
Wie geht das eigentlich? Die einen sagten als GmbH, die anderen als Verein. Also
musste ich mir ein passendes Konstrukt basteln und ich habe einen Verein – mal
wieder – gegründet. Das bedeutete natürlich, raus aus der Verantwortung der Stadt
und erst mal eigenes Risiko auf dem freien Markt fahren. Aber es bedeutete eben
auch endlich richtige Freiheit. Es war mir klar, dass man in freier Trägerschaft
nicht mehr in der dritten Etage eines ehemaligen SED-Parteihauses spielen kann.
Jetzt musste was passieren! Mit einem neuen Spielort musste man richtig Geld
verdienen können, was bedeutete, einen Raum nicht unter 200 Plätzen zu haben.
Aber was ich auch fand und für was ich mich auch interessierte, es war wie im
Märchen von Hase und Igel: „Ick bünn all dor!“ (Ich bin schon da!) Alle attrakti-
ven möglichen Spielorte waren schon von begüterten Unternehmen bzw. Privatin-
vestoren in Beschlag genommen oder es trat der Fall von Rückgabe vor Entschä-
digung ein.
Dann passierte es, dass einige meiner Kollegen bei einer Veranstaltung den Eigen-
tümer eines verrosteten Elbkahns, der in DDR-Zeiten als Lager genutzt wurde,
kennen lernten. Mittlerweile gab es ja genug neue Lagerhallen und der Eigentü-
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mer wurde verpflichtet, den Kahn zu verschrotten, was 70.000 DM kosten würde.
Wo sollte der arme Mann das herhaben. Er war also tot-traurig. Als meine Kolle-
gen mir das erzählten, begann es bei mir im Kopf zu arbeiten: Warum nicht ein
Theaterkahn? Ich rief einen befreundeten Architekten an, um sich das Objekt an-
zuschauen. Könnte das klappen? Ist der Kahn breit und groß genug, dass dort ein
entsprechendes Theater und ein Restaurant für die Refinanzierung Platz finden
würden. Der Plan war fertig und siehe da, es passte gut. Das Ganze würde aber
vier Millionen DM kosten.
Wenn ich mit diesem Kreditanliegen zu einer Bank gehe, muss ich als Institution
gehen. Darum gründete ich juristisch vorschriftsmäßig mit Künstlerkollegen eine
GmbH. Aber wer würde uns vier Millionen DM geben? In den Banken und Kre-
ditinstituten saßen nur Wessis. Keiner kannte mich. Das lief immer etwa so:
„(Was will denn der?) Ach Schauspieler? Aha, ein Theater, soso [...] Haben Sie
Sicherheiten? Nicht! Na, das müssen Sie verstehen, das geht nicht. Wir müssen ja
mit dem uns anvertrauten Geld auch verantwortungsvoll umgehen [...] !“ Und wo
sollte ich als Ostgewächs Sicherheiten in Form von Immobilien oder Vermögen
vorweisen. Punkt um, ich habe also nix bekommen.
In diesem Moment, als ich schon alles beerdigen wollte, rief mich Lothar Späth
an. Ich lernte ihn 1989 über den Intendanten der Ludwigsburger Festspiele Wolf-
gang Gönnenwein in Dresden kennen, der Kontakt zu Ludwig Güttler hatte, mit
dem ich gerade das innovative Konzept des Neuen Sächsischen Kunstverein ent-
wickelte. Es ergaben sich daraus nicht nur Koproduktionen mit den Ludwigsbur-
ger Festspielen sondern, wie gesagt ich lernte auch den damaligen Ministerpräsi-
denten von Baden-Württemberg kennen. Ich verstand mich mit Lothar Späth gut
und der Kontakt hält bis heute.
Also Lothar Späth rief mich just in dieser Zeit an und sagte, er hätte da eine Idee
bezüglich eines Kuratoriums. Ich sagte sofort: Ich hätte auch eine Idee! Ich erläu-
terte ihm mein Projekt Theaterkahn und er meinte, er ließe sich was einfallen.
Nach einer Woche rief er zurück und sagte, so wie ich mir das gedacht hätte, funk-
tioniert das nicht. Also verband er seine mit meiner Idee. Er war Berater für Mari-
on Ermer, die nach der Wende einige Immobilien in Leipzig rückübertragen be-
kam. Lothar Späth regte an, dass Frau Ermer eine Kulturstiftung gründen solle
und es entstand die Marion-Ermer-Stiftung.
Jedenfalls am Ende kam es dann so, dass diese Stiftung eine Bürgschaft für den
Kredit von vier Millionen DM unterzeichnete und auch die anfänglichen Zinsen
übernahm, die eigentlichen Kosten waren dann am Ende natürlich um vieles hö-
her. Aber jetzt waren wir für die Sparkasse ein ernstzunehmender und vor allem
solider Kunde.
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Der Kredit wurde gewährt, die Umbauarbeiten begannen und der Theaterkahn lief
vom Stapel und legte an der wohl schönsten und denkmalgeschützt sensibelsten
Stelle in Dresden überhaupt an: am Terrassenufer an der Augustusbrücke mit
Blick auf Semperoper und Hofkirche (siehe Abb.). Dies war auch ein bürokrati-
sches Kunststück, da für diesen Liegeplatz mindestens vier Bundes-, Landes und
Kommunalämter – u.a. Bundesschifffahrtsamt, sächsisches Liegenschaftsamt,
städtisches Ordnungsamt, Amt für Denkmalschutz – ihre Genehmigung erteilen
mussten. Aber es hat geklappt, was ohne besagte Kontakte und Netzwerke wohl
auch nicht so ohne weiteres eingetreten wäre und wir konnten 1994 den Spielbe-
trieb beginnen.

Abb.: Liegeplatz des Theaterkahns am Terrassenufer an der Augustusbrücke, Dresden

6 Organisation
So, nachdem das geklärt war, möchte ich auch noch über die Rechtsform und Or-
ganisation des Ganzen sprechen – sowie noch mal über das liebe Geld. Am An-
fang war die Theaterkahn GmbH gegründet worden, welche sozusagen als Haus-
eigentümer mit zwei Wohnungen fungierte. Die eine Wohnung war an die Gast-
stätte und die andere Wohnung an das Dresdner Brettl vermietet. Mit den
Mieteinnahmen wurden Zins und Tilgung getätigt.
Mittlerweile haben wir die Rechtsformen geändert. Das Theater war ja ein einge-
tragener gemeinnütziger Verein. Und diese Rechtsform war auf Dauer, um es ge-
linde zu sagen, einfach nicht mehr tragbar. Denn ein Verein funktioniert nur so
gut, wie sein Vorstand gut arbeitet. Und das war nicht immer der Fall. So einen
Betrieb kann man nicht auf Basis von Mehrheitsverhältnissen und persönlichen
Befindlichkeiten von Vorstandsmitgliedern leiten – bzw. eben nicht mehr leiten.
Ein Theater muss nach unternehmerischen, ökonomischen Gesichtpunkten effi-
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zient und effektiv geführt werden. Und dies war auf lange Sicht nicht möglich, da
immer die Gefahr bestand, dass durch einen anderen Vorstand oder einige Vor-
standsmitglieder so ein Betrieb unprofessionell geleitet wird.
Also wurde die Theaterkahn GmbH in eine Stiftung umgewandelt, die in sich ge-
meinnützig ist. Das Stiftungsvermögen ist der Kahn selbst. Das Theater Dresdner
Brettl hat sich dann vom Verein in eine gemeinnützige GmbH umgegründet. Und
diese gGmbH ist eine hundertprozentige Tochter der Theaterkahn-Stiftung.
So und nun kommt das, was immer mein Fernziel war. Wenn der Theaterkahn
eines Tages schuldenfrei ist, was gegen Ende 2006 eintreten kann, dann brauchten
wir als Theater auch keine Miete mehr zu zahlen. (Bislang zahlen wir rund 80.000
€ im Jahr.) Wir bekämen dann auch einen Teil der Pacht des Restaurants. Die
Theaterkahn-Stiftung brauchte nur noch Rücklagen für Wartung und Reparaturen
am Schiff. Ich wusste ja auch, dass die Zuschüsse von der Stadt von Jahr zu Jahr
immer geringer ausfallen würden. Gestartet sind wir mal mit über fünfzig Prozent
Zuschussanteil an unserem Haushalt. Heute sind es noch knapp zehn Prozent. Es
ist abzusehen, dass auch dies einmal zu Ende gehen wird.
Auch die Zeit der privaten Spenden ist vorbei. Zu Beginn, als wir was Neues und
Besonderes waren, da konnte man noch genug Sponsoren finden und auch gewin-
nen. Mittlerweile knöpfen die Unternehmen ihre Portefeuilles fest zu, auch mit
dem verständlichen Argument, dass man für Kultur kein Geld ausgeben kann,
wenn das Unternehmen gezwungen ist, massive Betriebseinsparungen durchzuset-
zen.
Die Rettung aus diesem Dilemma konnte nur sein, was mir immer klar war, der
Kahn und das Theater musste uns gehören. Es musste unser Eigentum sein. Und
dies wird nun auch dieses Jahr voraussichtlich werden. Es war ein langer Weg.

7 Unternehmensführung
Für den Erfolg und die Etablierung eines solchen Betriebes spielen viele Faktoren
eine große Rolle: allen voran natürlich die Mitarbeiter. Gerade in der Mitarbeiter-
führung habe ich viel lernen müssen. Mittlerweile läuft es gut, aber der Lernpro-
zess dahin hat lange gedauert. Die richtige Leute zu finden, zu binden, zu fördern,
von ihnen was abfordern, aber nicht zu überfordern, das war wirklich kein leichtes
Brot.
Da half mir aber auch wieder, was ich eingangs erwähnte, das Lebensbild meiner
Mutter, nämlich Vorbild sein und nicht mehr zu verlangen, als man selber leisten
kann. Man muss die richtige Messlatte vorgeben. Das zeigt sich vor allem, wenn
Fehler passieren – und Fehler passieren ständig, auch mir. Aber was einfach nie
und niemals passieren darf, ist Fehler oder Schwierigkeiten zu vertuschen, zu ver-
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schwiemeln und zu verheimlichen. Das ist einfach eine Todsünde. Einen Fehler,
der jedem mal passiert, kann man vielleicht rechtzeitig noch ausbügeln oder mit
Hilfe anderer zum Positiven wenden. Aber wenn es zu spät ist, dann ist es einfach
zu spät.
Das Theater – und ich möchte betonen, dass mir das auch besonders wichtig ist –
hat auch eine soziale Verpflichtung. Es gibt immer mal schwächere Mitarbeiter
oder Kollegen, die durch irgendeine Situation gerade das nicht leisten können,
was ansteht. Dann wird eben die Arbeit anders verteilt. Jeder steht für den anderen
ein. Das ist auch der Grund, der die Leute an uns bindet, weil es diese kamerad-
schaftlich-kollegiale Atmosphäre gibt.
Daher kommen auch große Künstler zu uns als Gäste. Nicht weil wir zum Beispiel
einem Segei Leiferkus oder einem Endrik Wottrich viel Gage zahlen könnten, son-
dern weil sie sich bei uns wohlfühlen. Es macht ihnen aufgrund der Stimmung und
natürlich auch der so besonderen Programme Freude, bei uns aufzutreten.
Und was auch unabdingbar ist, wenn Du einen solchen Betrieb leitest: Du musst
radikal zurückstecken. So gesehen, war der Preis für meine Freiheit und den Er-
folg des Theaters sehr hoch. Ständig ein Zwölf- bis Vierzehnstundentag und das
sieben Tage die Woche ist gelinde gesagt eine Grundvoraussetzung.
Auch ökonomisch musste ich kürzer treten. Ich gewährte mir nur fünfzig Prozent
von dem Gehalt, das eigentlich für meine Tätigkeit und Funktion in öffentlichen
vergleichbaren Theatern üblich ist. Anders wäre es nicht möglich gewesen, denn
die Kuh, die ich melken möchte, kann ich ja nicht schlachten. Das bedeutet auch,
dass ich eine relativ kleine Rente habe. Ich habe einfach zu wenig verdient. Also
muss ich weiter Theater spielen, was ich natürlich gerne mache.
Ich habe erfahren, was mir auch bewusst war, dass mein ‚Siegeswillen’ seinen
Preis hat. Man kann auch sagen, man muss ein Alphatier sein mit einer großen
Portion Demut.

8 Produkt
Das Wichtigste und das muss jedem im Haus klar sein, ist die Zeit zwischen 20.00
und 22.00 Uhr. Da wird nämlich das Geld verdient – das ist unser Kerngeschäft.
Provokant gesagt: der ‚Lappen’ muss um zwanzig Uhr hoch und das, was auf der
Bühne passiert, ist unser Produkt, wofür das Publikum – der Kunde – zahlt. Ich
kann es mir als privates Theater nicht leisten, wenn ich zwar vom Feuilleton
hochgelobt werde, aber mir das Publikum wegläuft.
Ich muss auf die Kasse gucken. Was nicht bedeutet, dass man nur Schenkelklat-
scher produziert. Es bedeutet aber einen Spagat zwischen Thomas Mann, Fjodor
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Dostojewski, Michail Bulgakow auf der einen Seite und Wilhelm Busch, Erich
Kästner, Kurt Tucholsky auf der anderen. Ich habe schon Produktionen die Tür
gewiesen, die garantiert immer ausverkauft waren. Die sich aber zu einem Niveau
hinentwickelt haben, wo ich dachte: nein, so nicht. Man kann nämlich mit einer
falschen Produktpalette auch den Ruf des Hauses ruinieren.
Natürlich werden Mundartstücke oder das Kästner- und Tucholsky-Programm sehr
oft gespielt. Damit verdienen wir schließlich unser Geld – ja unseren Lebensun-
terhalt. Aber wir leisten uns auch mal Stücke, die rein ökonomisch nichts bringen,
wie zum Beispiel ‚Der Fall’ von Albert Camus oder einen besonderen Lieder-
abend. Manchmal gab es finanziell auch sehr, sehr riskante Projekte wie der ange-
sprochene ‚Dr. Faustus’ von Christopher Marlowe. So was ist mir schon wichtig,
geht aber auch nur gemeinsam, wenn das ganze Team bereit ist, voll dahinter zu
stehen.
Mittlerweile sind wir mit dieser Produkt- und Programmpolitik gut gefahren und
haben uns soweit etabliert, dass wir auch von Touristen nachgefragt werden. Ge-
rade Gruppenreisen nach Dresden buchen oft einen Abend auf dem Theaterkahn
und für diese sind unsere über die Grenzen bekannten ‚Klassiker’ sehr attraktiv.

9 Loslassen
Die Aufgabe und Funktion eines künstlerischen Leiters hatte ich ja eigentlich nur
angenommen, um das Kind ‚Dresdner Brettl’ in die Welt zu setzen. Im Grunde
wollte und will ich nur Schauspieler sein.
Schon im Jahr 1988, also bald nach der Gründung, wollte ich das Dresdner Brettl
an eine Kollegin übergeben. Ja und dann kam das Jahr 1989. Dann flogen wir aus
dem Tonnengewölbe raus und wir hatten keine Spielstätte mehr. An wen sollte ich
da übergeben? Dann stand die Neugründung im besagten Parteihaus an. An wen
sollte ich in dieser Situation übergeben? Darauf wurde das Theater in freie Träger-
schaft entlassen. An wen sollte ich es übergeben? Dann musste die ganze Ge-
schichte mit dem Theaterkahn umgesetzt werden. An wen sollte ich übergeben?
Es folgte die Umwandlung in eine Stiftung beziehungsweise in eine gemeinnützi-
gen GmbH. An wen sollte ich jetzt übergeben? Ich wollte immer die künstlerische
Leitung jemandem übertragen, aber ich konnte nie und so musste ich halt weiter-
machen.
Erst Mitte-Ende 2004 war abzusehen, dass alles in trockenen Tüchern ist und ich
jemandem ein, wie man so schön sagt, geordnetes Haus übergeben konnte. Und zu
dieser Zeit traf ich Detlev Rothe, der nach seiner Kabaretttätigkeit mit Wolfgang
Stumpf nach einer neuen Lebensaufgabe suchte. Detlev Rothe hatte bei uns ein
Gastspiel und ich sagte zu ihm: schau’ Dich um; schnupper’ rein; entscheide
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Dich! Als er sich für das Dresdner Brettl entschieden hatte, musste man nur noch
den Zeitpunkt festlegen.
Es gab natürlich Begehrlichkeiten, deshalb haben wir das alles sehr diskret ge-
macht. Ich glaube, wenn wir das im Vorfeld schon in die Öffentlichkeit getragen
hätten, dass am Dresdner Brettl ein Wechsel ansteht, hätte der Übergabeprozess
nicht so reibungslos und problemlos über die Bühne gebracht werden können.
Niemand, außer Stiftungsvorstand, dem langjährigen zuverlässigen Berater Mi-
chael Muster, und einem sehr wichtigen Mitarbeiter der ersten Stunde, wusste Be-
scheid, und so wurde die Entscheidung im Grunde der Öffentlichkeit Knall auf
Fall präsentiert.
Und ich muss sagen, dass es die einzig richtige Lösung war. Ich bin seit 2005
wieder ‚nur’ Schauspieler und fühle mich dabei sehr wohl. Also auf die Frage, ob
ich loslassen kann: natürlich, sehr gut – und das meine ich voll und ganz. Ich mi-
sche mich in keiner Weise in die Organisation und Belange des Theaterbetriebs
mehr ein. ‚Halbschwanger’ geht nicht! Für jede gewünschte Beratung stehe ich
natürlich zur Verfügung.

10 Rückschau
Ob ich alles noch mal so machen würde? Nun, ich muss sagen, ich hasse Wieder-
holungen – in jeder Beziehung. Jedes meiner Programme ist anders. Außerdem,
was ich jetzt weiß, habe ich 1987 ja nicht im entferntesten geahnt. Also, warum
sich jetzt im Nachhinein darüber Gedanken machen?
Und ob ich alles richtig gemacht habe? In wesentlichen Entscheidungsfragen hat
sowieso weder Erfahrung noch besondere Klugheit geholfen. Es war oft eine Art
innere Wünschelrute, eben einfach das Gespür, das Richtige zu tun und die richti-
gen Leute zu treffen – gerade in den Wirren der Wendezeit.
Der Kahn war ja auch nur das Produkt eines Zufalls, ja fast aus der Not geboren,
denn ein festes Gebäude war nicht zu haben – und ist jetzt eine eigenständige
Marke geworden. Und letztlich, ohne dass es geplant war, ist dieses Notkind The-
aterkahn viel günstiger als irgendeine andere Spielstätte wie zum Beispiel ein
ehemaliges Kino. Also ich kann gar nicht sagen, ob ich alles noch mal so machen
würde, weil viel eher etwas ‚durch’ mich und Zufälle entstanden ist.
Natürlich kann ich sagen, wenn die Zeit mit dem Theaterkahn mir keinen Spaß
und keine Freude gemacht hätte, dann hätte ich es wohl auch nicht so lange aus-
gehalten. Und es ist ja nicht vorüber, es geht ja weiter!
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Der Beitrag ist erschienen in:


Elmar D. Konrad (Hrsg.)

UNTERNEHMERTUM UND FÜHRUNGSVERHALTEN IM


KULTURBEREICH
2006, 308 Seiten, geb., 39,90 €, ISBN 978-3-8309-1710-6, WAXMANN Verlag GmbH Münster

Der Kultursektor ist ein Wachstumsmarkt. Zum einen finden


sich dort immer mehr Beschäftigte als auch freischaffend Tätige.
Zudem ist eine wachsende Bedeutung von Kunst und Kultur als
weicher Standortfaktor fest zu stellen. Gerade in Zeiten schwin-
dender Budgets und öffentlicher Finanzkrisen ist eine Beantwor-
tung der Frage nach Erreichbarkeit von erfolgreichen Tätigkeiten
im Kultursektor von großer Bedeutung. Die Autoren des vorlie-
gende Buches geben durch theoretische Betrachtung und praxis-
relevanten Erkenntnissen wichtige Impulse zur Klärung, dass
immer mehr unternehmerische Schlüsselkompetenzen für eine
erfolgreiche Kulturarbeit in allen Bereichen des Kultursektors
notwendig werden. Das Buch richtet sich daher an Professoren
und Studierende mehrerer Disziplinen, an Künstler und Kultur-
schaffende, an Gründer und Leiter von privatwirtschaftlichen
Kulturbetrieben, an Führungskräfte in öffentlichen Kulturinstitu-
tionen sowie an verantwortlich tätige Personen in der Kulturför-
derung und Kulturpolitik als auch an potenzielle Sponsoren,
Stifter und dem Mäzenatentum zugeneigte Akteure.

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