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Theon ist 1915 und Solon 1922 geboren und griechisch-orthodox getauft
worden. Ihre Eltern waren der Kinderarzt George Spanoudis und seine Frau
Clio, geborene Vulgaris.2 Der Vater stammte aus einer einfachen Familie von
Gemüsehändlern. Auf Grund eines Lottogewinns konnte ihm die Familie ein
Medizinstudium in Paris finanzieren. Der damit verbundene soziale Aufstieg
ermöglichte es ihm, Clio Vulgaris zu heiraten.3 Diese stammte aus einer
wohlhabenden Familie. Theon war sieben Jahre und Solon erst drei Monate
alt, als die Familie im griechisch-türkischen Krieg, wie mehr als 100000
andere Griechen und Armenier, Hals über Kopf vor den Türken aus dem
brennenden Smyrna fliehen mußte. Der Vater ließ sich in Athen nieder. Dort
sind die Kinder aufgewachsen und zur Schule gegangen. Theon legte dort am
Athener College, einem amerikanischen klassischen Gymnasium, im Jahre
1932 sein Abitur mit der Note sehr gut ab.4 Im selben Jahr begann er zu
studieren.
1
Diese Arbeit hätte ich nicht schreiben können ohne die großzügige Hilfe von Barbara
Spanoudis, Karl Fallend und Thomas Aichhorn. Sie haben mir zahlreiche Dokumente
zugänglich gemacht. Frau Spanudis danke ich auch für mehrere Emails und zwei lange
Interviews (am 04.03.2005 und 19.03.2006 in São Paulo), in denen sie mir vertrauensvoll
eine Fülle von Informationen gegeben hat. Soweit ich mich in der Folge auf die Interviews
beziehe, gebe ich nur das Kürzel B.S. an.
2
Ich benütze hier die Schreibweise des Familiennamens, die auch auf der Todesurkunde des
Vaters steht. Theon Spanudis hat in seinen Dokumenten den Familiennamen des Vaters
jeweils in der von ihm bevorzugten Schreibweise angegeben. Der Mädchenname der Mutter
findet sich auch in der Schreibweise Bulgaris.
3
Biographie Solon Spanoudis . Associação Brasileira de Daseinsanalyse (ABD) Homepage.
4
Abgangszeugnis vom 27.06.1932
2
Eigentlich hätte Theon gerne klassische Philologie studiert. Als Kind wollte er
Priester, Tänzer, Theaterschauspieler, Dichter, Komponist oder Musiker
werden. Alles, bloß nicht Arzt, wie der Vater, oder Techniker oder
Wissenschaftler. Auch darin stand er der Mutter besonders nahe. Sie war eine
hochgebildete, literarisch interessierte Frau, die selbst auch dichtete. Sie
sprach fünf Sprachen fließend. Nach dem Willen ihres Mannes war sie
Hausfrau und sollte keinen regulären bezahlten Beruf ausüben. Sie hat aber
Französisch unterrichtet, organisierte literarische Kreise u.a.. Sie legte immer
auf eine sehr enge Beziehung zu ihren Kindern Wert.5 Theon, ihren
erstgeborenen Sohn, vergötterte sie.(B.S.) Beide hatten viele gemeinsame
Interessen. Der Vater drängte Theon mit einem politischen Argument zum
Medizinstudium. Würde Theon Philologie studieren, könnte er allenfalls
Gymnasiallehrer werden und als solcher sei er abhängig. In politisch
unruhigen Zeiten könne jeder Regierungswechsel bedeuten, daß er arbeitslos
werde. Als Arzt sei er jedoch unabhängig. Das war in der gegebenen
politischen Situation eine durchaus plausible, aber nur pragmatische
Argumentation. Theon und bald auch schon Solon sympathisierten mit den
Kommunisten. Solon wollte schon mit 15 Jahren im spanischen Bürgerkrieg
gegen die Nationalisten kämpfen.(B.S.)
Theon gab schließlich dem Drängen des Vaters nach, der sich, wie es der
Sohn wahrnahm, sein ganzes Leben lang für die ganze Familie aufopferte.
Ausschlaggebend für Theons Entscheidung waren Schuldgefühle, „auch aus
ödipalen Gründen“, denn er verstand sich sehr gut mit seiner literarisch sehr
gebildeten Mutter. Auch in späteren Jahren stand er stets in „einem engen
literarischen Kontakt“ mit ihr. (Spanudis, 1976 )Manchmal verwendeten sie
mehrere Sprachen in ein und demselben Brief, meistens aber die deutsche
Sprache.6 Auch die beiden Brüder verständigten sich untereinander auf
Deutsch.
Theon immatrikulierte sich im November 1932 an der Athener Universität als
Medizinstudent.7 Schon kurze Zeit später nützte er aber den Umstand, daß in
Wien zwei Schwestern seiner Mutter lebten, die mit Österreichern verheiratet
waren, und setzte dort im Herbst 1933 sein Medizinstudium fort.8 Er beendete
es am 09.02.1940 mit seiner Promotion. Bis dahin hat sein Vater sein Studium
finanziert. Ab Januar bekam er auch ein Stipendium der Humboldtstiftung.9
Nach der Promotion arbeitete er in der medizinischen Abteilung des
Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Im Sommer und Herbst 1940 war er in
einem psychiatrischen Privatsanatorium in Inzersdorf tätig. Im Januar 1941
wurde er dann als Assistent im Institut für Geschichte der Medizin der
Universität angestellt.
5
Sie fühlte sich ihren Kindern untrennbar verbunden. In Brasilien wohnten sowohl Theon, als
auch Solon und seine Frau mehrere Jahre im selben Haus wie die Mutter. (B.S.)
6
Clio Spanoudis hatte eine österreichische Großmutter. Außerdem hatte sie die deutsche
Schule in Athen besucht. (B.S.)
7
Immatrikulationsbescheinigung vom 28.06.1933
8
Lili Vulgaris-Battliner und Olimpia Vulgaris. (siehe Fußnote 17). In seinem Lebenslauf von
1945 gibt er an, er habe sein Medizinstudium in Wien begonnen. Die Immatrikulation in Athen
erwähnt er nicht.
9
Vermögenserklärung von Theon Spanudis vom 15.02.1941
3
Den Unterlagen von August Aichhorn zufolge begann Theon im Mai 1939
seine Analyse.11 Im ersten Jahr sechs Stunden pro Woche, im zweiten Jahr
dreimal pro Woche. Auch in den folgenden beiden Jahren war er von Januar
bis Dezember in Analyse. Für die folgenden Jahre sind keine genauen
Angaben zu bekommen. Im März 1941 wurde er als Ausbildungskandidat in
der ärztlichen Abteilung der Filiale des „Deutschen Instituts für
Psychologische Forschung und Psychotherapie“ in Wien zugelassen.12 Im Juli
des folgenden Jahres wurde er auf Vorschlag von Aichhorn als Praktikant in
der Abteilung Ärztliche Psychotherapeuten angenommen.13 Von nun an durfte
er unter der Kontrolle von Aichhorn selbst psychotherapeutisch arbeiten. Er
hat in diesen Jahren gelegentlich auch Vorträge im Institut gehalten: Über
„Die Schwalbe als Heilmittel in der Antike“. Über einen neurotisch
verwahrlosten Jugendlichen und an zwei Abenden gemeinsam mit Aichhorn
über „Die Bedeutung der Mutter in der Entwicklung der Persönlichkeit, Kultur
und Neurose“.14 Im Laufe seiner psychoanalytischen Ausbildung hat er nach
1945 auch einige Zeit bei Otto Fleischmann Analyse gemacht. Im Jahre 1947
bescheinigte ihm Aichhorn, als Obmann der Wiener Psychoanalytischen
Vereinigung, daß er nach einem fünfjährigen Lehrgang ordentliches Mitglied
geworden ist.15
Seinen Lebensunterhalt verdiente Theon weiterhin, bis Ende 1945, als
Assistent am Institut für Geschichte der Medizin. Anfang 1945 stellte er einen
10
Frau Dworschak war wie Spanudis vielseitig interessiert. Sie studierte bei den
Schönbergschülern Paul Pisk und Ferdinand Rebay Komposition. Sie hinterließ zahlreiche
Kompositionen, Lieder, Kammermusik und Werke für Orchester und erste Skizzen für eine
Märchenoper nach einem Libretto von Spanudis. (Aichhorn; Mühlleitner, 2003)
11
Diese und mehrere andere Daten hat Thomas Aichhorn für mich im Nachlaß seines
Großvaters verifiziert. Siehe dazu auch Fallend, 2003. Die Angabe in der bei Nosek (1994)
abgebildeten Kopie einer von Fleischmann unterzeichnete Bestätigung vom 08.11.1949,
Spanudis habe seine Analyse 1933 begonnen, ist zweifellos falsch. Es handelt sich
offensichtlich um einen Schreibfehler.
12
Von I.H. Schultz unterzeichnete Bescheinigung vom 23.03.1941 seiner Annahme als
Kandidat am Deutschen Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie e.V.
13
Bescheinigung des Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie
e.V. vom 01.07.1942.
14
Tätigkeitsbericht Aichhorns vom 03.06.1944 über die Zeit Mai 1938 bis Juni 1944 an den
Direktor des Reichsinstituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie, Prof. Dr. M.H.
Göring.
15
Mir liegt dazu eine nicht unterzeichnete Bescheinigung Aichhorns vom 10.09.1947 vor.
4
Antrag auf Zulassung zur Habilitation, der von seinem Vorgesetzten im Institut
nachdrücklich unterstützt wurde. Theon beabsichtigte, über „bisher
unbearbeitete Abschnitte der galenischen Werke“ zu forschen.16 Seine
Assistentenstelle war jedoch keine Dauerstelle und der Arbeitsvertrag mußte
immer wieder neu genehmigt werden. Zum Jahresbeginn 1946 wurde die
Stelle dann jedoch wieder regulär besetzt und Theon suchte nach anderen
Arbeitsmöglichkeiten.
In dieser Zeit engagierte sich Theon auch politisch. Im Januar 1946 gründete
er mit Gleichgesinnten ein „Griechisch-antifaschistisches Komitee Wien“,
dessen Sekretär er wurde. Im September des Jahres erschien das erste Heft
des Organs des Komitees, „Die Freie Stimme“. Darin wurden die Ziele der
Gruppe formuliert. Die griechischen Landsleute in Österreich sollten vor allem
detailliert und objektiv über die griechische Wirklichkeit informiert werden und
die politische Lage erklärt bekommen. Es sollten auch die Schwierigkeiten der
Griechen in Österreich aufgezeigt werden und ihre Rechte dem
österreichischen Volk und den Behörden verständlich gemacht werden. Damit
war konkret vor allem die Unterstützung der durch den Krieg geschädigten
Griechen, insbesondere der im K.Z. gefangenen, gemeint, sowie Hilfe in
Repatriierungsangelegenheiten und Unterstützung der in Wien lebenden
Griechen.17
In diesen Jahren arbeitete Theon ganztägig im Institut der Wiener
Psychoanalytischen Vereinigung und war da auch mit der Leitung der
wissenschaftlichen Abteilung beauftragt.18 Nach dem Tod von Aichhorn
realisierte Otto Fleischmann seinen bis dahin zurückgestellten Wunsch zu
emigrieren. Damit waren die beiden Analytiker weg, denen Theon besonders
eng verbunden war. Auch er wollte auswandern, wobei er allerdings zunächst
an Nordamerika dachte.19
16
Gesuch von Professor F. Lejeune an den Dekan der Universität Wien vom 16.01.1945 um
Zulassung von Spanudis zur Habilitation
17
Wie Karl Fallend in einem kurzen unveröffentlichten Artikel über Spanudis erläutert.
18
Siehe Anmerkung 15 und die in Nosek abgebildete Kopie von Fleischmanns Bescheinigung
aus dem Jahre 1949.
19
Anmerkung von Thomas Aichhorn zu einem Brief von August Aichhorn an Anna Freud vom
17.03.1946
20
Amtsärztliches Zeugnis vom 15.02.1941
5
Solon ein Chemiestudium begonnen. Gegen Ende des Krieges, als er damit
schon fast fertig war, hat er jedoch umgesattelt und angefangen Medizin zu
studieren.21 Auch er machte dann während drei Jahren Analyse bei Aichhorn.
Einem Lebenslauf Solons zufolge, den er nicht selbst verfaßt hat, hat ihm
Aichhorn abgeraten, Psychiater zu werden.22 In einem anderen kurzen,
undatierten Lebenslauf, der nach 1970 entstanden sein muß, gibt Solon
allerdings an, er habe 1950 eine praktische und theoretische Ausbildung an
der psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik Wien gemacht. Eine
vollständige psychiatrische und psychoanalytische Ausbildung absolvierte er
aber erst in Brasilien. (Dazu unten.)
Spanudis kam am 07.Juli 1950 in São Paulo an. Er hat sich dort und in der
Psychoanalytischen Gruppe, die ein Jahr später als IPA-Gesellschaft (SBPSP)
anerkannt wurde, rasch eingelebt. Adelheid Koch berichtete in einem Brief an
Grete Bibring (11.12.50), er habe sich bereits gut installiert. Er wohne in einer
attraktiven Wohnung, habe bereits sieben Patienten, teils Kandidaten, teils
private Patienten und werde im Januar mit weiteren vier Kandidaten anfangen
zu arbeiten. Außerdem halte er ein Fallseminar und ein Theorieseminar über
Freud ab und supervidiere mehrere Kandidaten und ein Mitglied. Er vermisse
wohl sein familiäres und Freundesmilieu. Man sehe sich aber trotz vieler
21
Seine spätere Frau Barbara Spanudis erklärt den Fachwechsel so: gegen Ende des
Krieges sei es klar geworden, daß die Russen kommen. „Und da haben alle gesagt, wer hier
Wissenschaftler ist, den nehmen die gleich mit und benutzen ihn. Da ist man lieber
Mediziner.“ (B.S.)
22
siehe Fußnote 3
23
Es gibt noch mehrere andere Belege dafür, daß Spanudis als äußerst freundlicher und
liebenswürdiger Mensch wahrgenommen wurde.
24
Brief Bibring an Anna Freud vom 17.11.1949
6
Arbeit manchmal und er habe bereits Freunde seines Alters gefunden. Auf
jeden Fall sei er eine sehr freundliche Persönlichkeit.
Das Kommen von Spanudis hat der definitiven Anerkennung der SBPSP als
Gesellschaft der IPA zweifellos sehr genützt.25 Vermutlich spielte eine Rolle,
daß die Leitung der IPA der theoretischen Orientierung von Adelheid Koch
und ihrer Schüler, vor allem ihrer kleinianischen Orientierung, mißtraute.26
Spanudis dagegen beurteilte Melanie Kleins Auffassungen kritisch
distanziert.27 So war er neben Adelheid Koch und deren Schülern Darcy M.
Uchoa und Virginia Bicudo, als Lehranalytiker eine Alternative für die
Ausbildungskandidaten. Mit seiner Sicht der Psychoanalyse als einer
„biopsychologischen Wissenschaft“28 war er wohl besonders für
psychoanalytisch interessierte Ärzte attraktiv.29
Spanudis fand die Arbeit als Analytiker äußerst anstrengend. Für kreative
literarische oder sonstige künstlerische Tätigkeit ließ sie ihm nicht genug Zeit.
Er hätte nie beides gleichzeitig machen können. Beidem konnte er sich nur
mit absoluter Hingabe widmen.30 Seine Patienten laugten ihn völlig aus und
mit seiner schriftstellerischen Arbeit war es ebenso.(Spanudis, 1976) Aber
man konnte in São Paulo schon Anfang der 50er Jahre als Psychoanalytiker
sehr gut verdienen. Spanudis hat dies dazu genützt, Bilder von wenig oder
noch unbekannten Künstlern zu kaufen, an denen er ästhetisches Gefallen
fand. Dank seines ausgeprägten Kunstverständnisses hat er auf diese Weise
im Laufe der Jahre eine Sammlung von Bildern zusammengekauft, die sehr
rasch enorm an Wert gewannen. Zu den Malern, deren Bedeutung er früh
erkannte, gehörten vor allem der konstruktivistische Maler Alfredo Volpi, von
dem er viele Bilder erwarb, sowie der primitivistische Maler José Antonio da
Silva. Daneben unter anderen auch Mira Schendel, Luiz Sacilotto, Almir
Mavignier, Rubem Valentim, José Antonio da Silva und Arnaldo Ferrari. Er hat
seine Sammlung im Jahre 1979 der Universität von São Paulo geschenkt, in
deren Museum für zeitgenössische Kunst sie sich heute befindet.31
Spanudis hat sein Geld aber auch für ganz andere Zwecke ausgegeben. Er
empfahl seinem Bruder Solon, ebenfalls nach Brasilien zu kommen und
unterstütze ihn, als dieser 1952 seinem Rat folgte. Zwei-drei Jahre später ließ
er auch seine Eltern nachkommen. Der Umzug nach Brasilien wurde für Solon
insofern zu einer sehr anstrengenden Angelegenheit, als er, um in seinem
Beruf arbeiten zu können, nach brasilianischem Gesetz seine gesamte
25
Sagawa, 2002. Sagawa gibt allerdings keine Gründe an.
26
Brief G. Bibring an L. Bartemeier vom 05.01.1950
27
vergl. Spanudis, 1954.
28
vergl. Spanudis, 1952)(1992.
29
In der SBPSP wurden immer auch Laien zur Ausbildung zugelassen.
30
Dafür daß Spanudis als guter Analytiker eingeschätzt wurde, gibt es nicht nur die
Stellungnahmen von Bibring und Fleischmann. Auch Robert Hans Jokl hat ihn als exzellenten
Analytiker charakterisiert. Jokl war das einzige Mitglied der "alten" WPV, das aus der
Emigration nach Wien zurückgekommen ist. Er hat vom Frühjahr 1946 an in der WPV
mitgearbeitet, im Winter 1948 ist er dann nach Topeka und später nach Los
Angeles gegangen. Seine Einschätzung ist bemerkenswert, weil er im Allgemeinen ein
überaus kritischer und eher unfreundlicher Mensch gewesen zu sein scheint. (Persönliche
Mitteilung von Thomas Aichhorn.)
31
Ein Teil der Sammlung wurde zuletzt von Dezember 2005 bis Ende Januar 2006
ausgestellt.
7
32
Theon blieb dies erspart, da er nur als Psychoanalytiker arbeitete, was nicht als ärztliche
Tätigkeit im engeren Sinne galt.
33
Ich lasse dahingestellt, inwieweit diese Art von Analyse noch als ein Variante von
Tiefenpsychologie gelten kann.
34
Lebenslauf (undatiert).
35
Im Jahre 1985 wurde die Vereinigung umbenannt. Sie heißt seitdem „Associacão Brasileira
de Daseinsanalyse“ (ABD)
36
Schreiben von M. Boss an Spanoudis vom 05.Mai 1974
37
Das mir vorliegende Dokument der Ernennung ist auf den 28. Mai 1982 datiert. Es ist
unklar, ob es falsch datiert oder verspätet ausgestellt wurde, oder ob es sich um eine
postume Ehrung handelte.
8
Wenige Monate nach dem Tod von Martin Heidegger veröffentlichte Solon
einen Nachruf. Darin vertrat er die These, Heidegger sei ein Philosoph,
dessen Zeit erst noch kommen werde.(Spanoudis, 1976) Heidegger habe
durch seine Warnungen vor den Gefahren von Technokratie und Vermassung
„Wege für eine neue Existenzart“ eröffnet, „die viel ursprünglicher und reicher
ist, und weit über die Barriere des lediglich Berechenbaren hinausgeht.“ In
seiner Begeisterung für Heidegger meint er sogar, Heidegger habe in seinem
SPIEGEL-Gespräch mit Augstein (31.05.1976) „ohne Ausflüchte und
Entschuldigungen menschliches Fehlen und Irren“ zugegeben. Nach
Binswanger sei es vor allem Medard Boss gewesen, dem es Dank seiner
Freundschaft mit Heidegger gelungen sei, Heideggers Gedanken auf dem
Gebiet der Psychiatrie und Psychologie weiterzuentwickeln. „Die neue Sicht
der Daseinsanalyse führte zu einem viel weiteren Verständnis des Mysteriums
der menschlichen Existenz, indem sie die Objektivierung und die
Vergegenständlichung des Menschen überwindet, die unser technisches und
rationalistisches Zeitalter beherrschen.“ (Spanoudis, 1976)
nur zwei Publikationen finden können. Die erste ist ein Vortrag über die
„Psychoanalyse als Wissenschaft“, den er 1952 vor Psychiatern gehalten
hat.(Spanudis, 1952)(1992) Darin beschränkt er sich im wesentlichen darauf,
hervorzuheben, worin sich Psychoanalyse bzw. psychoanalytische
Psychotherapie von anderen Psychotherapien unterscheidet. Er hebt hervor,
daß es in Psychoanalysen nicht primär um die rasche Beseitigung von
Symptomen gehe, daß der Psychoanalytiker dem Patienten gegenüber keine
Position der Überlegenheit einnehme, daß er die Persönlichkeit des Patienten
völlig respektiere. Er erläutert das Phänomen der Übertragungsprozesse u.a..
Auf psychoanalytisches Interpretieren, den Umgang mit Traummaterial und
Varianten psychoanalytischer Technik geht er nicht ein. Auch nicht auf die
psychoanalytische Theorie. Er beschränkt sich darauf hervorzuheben, daß es
in der Psychoanalyse vor allem um unbewußte Phänomene geht, daß sie die
psychologischen Phänomene untersucht, in denen sich die Kräfte biologischer
Prozesse äußern. Psychoanalyse vergesse nie den biologischen Ursprung
unserer psychologischen Organisation, auch wenn für diesen Aspekt eher
Biologie und Physiologie zuständig seien. Der Vortrag ist in seiner
Beschränkung auf einige Aspekte der Anwendung der Psychoanalyse als
Therapie ganz auf sein psychiatrisches Fachpublikum zugeschnitten. Er
erlaubt wenige Aufschlüsse hinsichtlich der psychoanalytischen Auffassungen
von Spanudis und seines Könnens als psychoanalytischer Theoretiker
Das ist jedoch anders bei seiner Vortragsreihe über „Delinquenz und
Psychoanalyse“ aus dem Jahre 1953, die auch als Buch veröffentlicht wurde.
(Spanudis, 1954) Das ist eine vorzügliche, didaktisch klar angelegte
Einführung in diesen Bereich psychoanalytischer Theorie und Praxis.
Selbstverständlich knüpft hier Spanudis vor allem an Aichhorns
bahnbrechenden Arbeiten an, aber nicht ausschließlich. Er legt an Hand von
Arbeiten von Freud, Abraham, Eissler, Ferenczi, Reik und anderen in
kritischer Sichtung dar, inwiefern Delinquenz keine Neurose ist, daß primär
präödipale Konstellationen ausschlaggebend sind, daß sie um narzißtische
Selbstbehauptung zentriert ist und daß das Sexuelle dementsprechend von
untergeordneter Bedeutung ist. Er präzisiert die Unterschiede zwischen
manifester und latenter Delinquenz und zwischen neurotischer Delinquenz
und Delinquenz im engeren Sinne. In seinen Ausführungen zeigt er dann
auch im Anschluß an Aichhorn, daß und wie Delinquente erst als „sekundäre
Neurotiker“ behandelbar werden. Seine Ausführungen stellen eine souveräne
und eigenständige kritische Auseinandersetzung mit diesem Bereich der
Psychoanalyse dar. Sie sind eines von mehreren Indizien dafür, daß der
spätere Berufswechsel von Theon und sein damit verbundener Austritt aus
der Psychoanalytischen Gesellschaft von São Paulo für diese und die
brasilianische Psychoanalyse allgemein einen erheblichen Verlust bedeuteten.
und künstlerischen Interessen widmen. Das war jetzt der Fall. Die Arbeit als
Psychoanalytiker hatte ihm inzwischen genug eingebracht und seine
Kunstsammlung stellte bereits ein kleines Vermögen dar. Von da an brauchte
er sich auch nicht mehr darum zu kümmern, ob seine Homosexualität bekannt
würde.38
Tatsächlich wäre damals für jede der Internationalen Psychoanalytischen
Vereinigung angehörende psychoanalytische Gesellschaft ein homosexueller
Lehranalytiker nicht akzeptabel gewesen. Für die Behauptung, Spanudis sei
wegen seiner Homosexualität gezwungen worden, seine Gesellschaft zu
verlassen39, findet sich jedoch keinerlei Beleg.40 In Wirklichkeit hat sich Theon
seinen lange gehegten Wunsch erfüllt, sich ganz der Kunst und Literatur zu
widmen. Für die Wahl des Zeitpunkts für diese Entscheidung dürfte
ausschlaggebend gewesen sein, daß sein Vater am 02. Juni 1957 gestorben
ist. Damit fühlte sich Theon frei, seine ärztliche Tätigkeit aufzugeben und zu
tun und zu lassen, was er wollte.41
Von dieser Entwicklung her stellte Spanudis die Qualität seiner Lehranalyse in
Frage. Die Psychoanalytiker in Wien waren seiner Erinnerung nach zu
ausschließlich auf Freuds Theorie fixiert.42 Alles was Freud gesehen hat sei
zwar wahr, aber Freud habe nicht alles gesehen. Er selbst sei in Wien der
einzige gewesen, der sich auch für Jung interessierte, der ästhetische und
religiöse Interessen gehabt habe. Jung habe zwar kein Gespür für Kunst
gehabt, aber für Religion. Er habe über Picasso, einem der größten kreativen
Genies unserer Zeit, fürchterlichen Blödsinn von sich gegeben. Dem
Jungianer Neumann jedoch verdanke man wunderschöne Arbeiten über
Kreativität und Religiosität. Seine Psychoanalytikerkollegen in Wien seien
dagegen nur an Freuds Theorie interessiert gewesen, an Sexualität,
Perversionen, Normalität und sonst nichts. Er habe dort keinen Kollegen
38
Die Familie, Freunde und Bekannte wußten Bescheid. Ob sich Theon schon vor dem
Interview von 1976 dazu öffentlich geäußert hat, konnte ich nicht feststellen.
39
„Spanudis“ in Roudinesco; Plon, 1997 / 2000.
40
Dr. Roberto Azevedo, ein ehemaliger Analysand von Spanudis, der ihn gut kannte, hat mir
bestätigt, daß Spanudis die SPSP nur deswegen verlassen hat, weil er einen Berufswechsel
vornehmen wollte. (Telefonat am 10.05.06)
41
Frau Barbara Spanoudis hält diese Annahme für zutreffend.
42
Zum Folgenden siehe Spanudis, 1976. Ich gehe nicht darauf ein, daß sein literarisches
Werk auch kritische Bemerkungen zum Verhältnis (orthodoxer) Marxisten zur Kunst enthält.
Siehe Spanudis, 1975.
11
getroffen, der kreativ gewesen sei, in dem Sinne, daß er etwas Neues
geschaffen hätte. Anstatt den Klienten zu helfen, sich umfassend zu
verwirklichen und die Theorie dem Wohl der Patienten anzupassen, hätten sie
die Klienten dem Wohl der Theorie angepaßt. Auf seine beiden Lehranalytiker
bezogen stellte er fest, sie hätten geglaubt, er werde immer Psychoanalytiker
bleiben. Sie hätten das kreative Feuer in ihm nicht erkannt.
Es gibt eine öffentliche Äußerung von Spanudis aus der Zeit, in der er noch
als Psychoanalytiker gearbeitet hat, die in diesem Zusammenhang von
Interesse ist. Die Vorlesungen über „Delinquenz und
Psychoanalyse“ enthalten eine kurze Passage, in der er auf homosexuelle
Manifestationen bei potentiellen Delinquenten zu sprechen kommt. Bei ihnen
sei die Sexualität den narzißtischen Konflikten untergeordnet und wenn sie
über Sexuelles redeten, müsse dies oft als eine Abwehr durchschaut werden,
in bezug auf die eigentlichen narzißtischen Konflikte. Und Spanudis fährt fort:
„In gleicher Weise brauchen uns auch die perversen Manifestationen der potentiellen
Delinquenten nicht zu beunruhigen, wie z.B. eine Rückkehr zur passiven Homosexualität, als
einer systematischen Antwort, bei Frustrationen seitens des Vaters, als einziger Form
affektiver Bindung an den Vater, im Fall eines männlichen Delinquenten, und vice versa im
Fall einer weiblichen Patientin. Diese Hinwendung zur Homosexualität hat nichts gemeinsam
mit einer echten neurotischen Homosexualität, der ödipalen Phase, mit Objektbeziehungen
etc.. Es handelt sich um eine einfache Abwehrmaßnahme, um eine Mobilisierung primitiver
Vorstellungen, jedesmal wenn er sich vom Vater bei der Identifizierung mit ihm abgelehnt
fühlt. Mit der Angst die Liebe des Vaters endgültig zu verlieren (erneut diese abhängige,
passive, infantil-rezeptive Beziehung) wird die homosexuelle Vorstellung und der irrige und
primitive Gedanke mobilisiert, daß „wenn ich eine Frau wäre, würde er mich akzeptieren und
würde mich nicht erneut ablehnen“. Wenn erst einmal die grundlegenden Konflikte des
potentiellen Delinquenten erledigt sind, die, wie wir schon gesagt haben, präödipaler Art und
um die narzißtische Selbstbehauptung zentriert sind, normalisiert sich die Sexualität „per
se“ und integriert sich.“
43
Das Material, das mir Thomas Aichhorn zur Verfügung gestellt hat, enthält mehrere Indizien
dafür, daß August Aichhorn Spanudis sehr geschätzt hat. Thomas Aichhorn ist
dementsprechend, und auch auf Grund anderer Kenntnisse über seinen Großvater,
überzeugt, daß auf ihn die Kritik von Spanudis nicht zutrifft. Ich danke ihm für nützliche
Hinweise in bezug auf diese Frage.
44
Als Spanudis bei Fleischmann in Analyse war, gab es die nazistische
Homosexuellenverfolgung zwar nicht mehr, aber Homosexualität war noch verboten. Siehe
dazu auch Fallend, 2003.
12
Es gibt einen, auch in São Paulo kaum bekannten, Tatbestand, der als Indiz
dafür interpretiert werden könnte, daß Theon einen Versuch gemacht hat,
eine Fassade sexueller „Normalität“ herzustellen. Im Dezember 1950, also
wenige Monate nach seiner Ankunft in Brasilien, stellte er im österreichischen
Konsulat in São Paulo einen Antrag auf Ferntrauung mit der Wiener
Kunsthandwerkerin und Zeichnerin Sieglinde Justine Hödl.45 Die Ferntrauung
ist am 14.03.51 auf dem Standesamt Wien-Ottakring vollzogen worden.46
Theon kannte seine Braut wohl schon einige Jahre. Sie ist 1922 in
Klagenfurth geboren und dort katholisch getauft worden.47 Ein knappes Jahr
nach Spanudis kam sie am 18.Juni 1951 in São Paulo an. Weniger als ein
halbes Jahr später war die Scheidung des Paares bereits rechtskräftig.48Der
Grund dafür war, daß nur kurze Zeit nach Theons Frau auch Solon nach
Brasilien kam. Er hatte in Wien erfahren, daß die Frau seines Bruders auch
nach der Eheschließung mit einem anderen Mann sexuelle Beziehungen
unterhielt.49Als er sie deswegen zur Rede stellte, hat sie dies nicht
abgestritten. Angesichts einer Zeugenaussage auch später nicht vor Gericht.
Sie wurde schuldig geschieden.
Für Solon war die Angelegenheit sehr unangenehm. Er hat sich noch nach
Jahren gefragt, ob es richtig war, seinen Bruder über die Untreue seiner Frau
zu informieren. Diese Frage quälte ihn um so mehr, als ihn die
Homosexualität des ansonsten bewunderten Bruders störte. Der
Einschätzung von Theons Schwägerin Barbara zufolge, hätte aber diese
heterosexuelle Beziehung, unabhängig von den charakterlichen Qualitäten
der Ehefrau, ohnehin nicht sehr lange gedauert. Allerdings war diese Ehe
nicht die einzige heterosexuelle Beziehung von Theon in Brasilien.50 Auch in
Wien soll Theon mit einer Frau, der bildenden Künstlerin Susanne Wenger,
liiert gewesen sein. In einem Interview hat sie erzählt, sie habe in Wien mit
Theon gegen Ende der 30er Jahre einige Zeit zusammengelebt. Die
beabsichtigte Heirat sei daran gescheitert, daß sie sich weigerte, eine Analyse
zu machen. Da Spanudis aus einer griechisch-jüdischen Familie stammte, die
in Syrien lebte, sei ihre Situation nach der Machtergreifung der
Nationalsozialisten prekär gewesen. Als sie mit ihm nachts ausging, sei er von
SS-Männern zusammengeschlagen worden. Für die Rassisten sei eben eine
Liaison einer deutschen Frau mit einem nicht arisch aussehenden Ausländer
nicht akzeptabel gewesen. Spanudis habe sich auch während des Krieges
zeitweilig in einer getarnten Kammer in ihrem Atelier versteckt. 51 Inwieweit
diese Angaben zuverlässig sind, erscheint zweifelhaft. Falsch ist jedenfalls die
45
Nachdem er ihr im Oktober einen Heiratsantrag gemacht hat, den sie sofort angenommen
hat.
46
Heiratsurkunde Nr. 214 / 51 Standesamt Wien-Ottakring
47
Geburts- und Taufschein, ausgestellt von der Seelsorge der Kärtnerischen Landes-
Wohltätigkeitsanstalten, Klagenfurt. Im Jahre 1947 ist sie der griechisch-orthodoxen Kirche
beigetreten.
48
Scheidungsurkunde vom 3. November des Landesgerichts für ZRS in Wien.
49
In einem Schreiben, in dem Spanudis beantragt, daß seiner geschiedenen Frau der Name
Spanudis aberkannt wird, ist von intimen Beziehungen zu mehreren Männern die Rede.
50
So ist z.B. eine Affäre mit einer prominenten Architektin verbürgt. (B.S.)
51
Eisenhut, G. (2001)
13
52
Es liegt nahe zu vermuten, daß Frau Wenger Syrien mit Smyrna verwechselt. Aber zu der
Zeit als Theon in Wien war, lebte seine Familie längst auch nicht mehr in Smyrna.
53
So z.B. eine Anfrage des Kurators der wissenschaftlichen Hochschulen vom 03.03.43 bei
der Polizei und eine Bescheinigung der Gestapo vom 19.03.43.
54
Schreiben von Professor Lejeune vom 23.01.1945 an den Kurator der wissenschaftlichen
Hochschulen.
55
Zum Folgenden Spanudis, 1976.
14
Den Psychoanalytikern fehle die größere Offenheit, hin zum Kosmischen und
Religiösen.
Kreativität ist, so legte Spanudis dar, ein Mysterium. Sie sei, man wisse nicht
warum, ein Opfer. Freud habe nie das Element des Opfers bedacht. Eine der
tiefgründigsten menschlichen Äußerungen sei das Opfer: sich für das Ganze
opfern. Dies gelte vielleicht sogar nicht nur für die Menschen, sondern auch
für die Tiere, für alles Existierende, für den ganzen Kosmos. Er empfand sehr
stark, daß er, seit er zum kreativen Künstler geworden ist, sich „permanent
dem Wohle der Menschheit opfere“. Er identifiziere sich nicht mit Christus,
weil er anti-christlich sei. Aber er „identifiziere sich mit der untergehenden
Sonne, der Sonne die fällt, die sich opfert.“
Literatur