Sie sind auf Seite 1von 88

SPK

— Dossier »Stiftung Preußischer Kulturbesitz«


Streifzug
In diesem Dossier laden
nicht nur die Texte zu
einer Auseinandersetzung
mit der Stiftung Preuß-
ischer Kulturbesitz ein.
Auch die Bilder bieten eine
zusätzliche Möglichkeit
zu einem ortsunabhängigen
visuellen Streifzug durch
Standorte und Sammlun-
gen der SPK, der über die
Worte hinausgeht.

Titel:
Büste der Nofretete →
Medinet el-Ghurob,
Ägypten, 1388 –1345 v. Chr.;
Ägyptisches Museum und
Papyrussammlung, Staatliche
Museen zu Berlin

links:
Der Große Tresor →
die Schatzkammer des
Münzkabinetts im Bode-
Museum der Staatlichen
Museen zu Berlin.
Erneuern
Die Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatsbibliothek zu Berlin,
das Geheime Staatsarchiv, das Ibero-Amerikanische Institut
und das Staatliche Institut für Musikforschung gehören zur Stif-
tung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Außerdem betreibt die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Koordinierungsstelle für
die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes, die Deutsche Digi-
tale Bibliothek und das Institut für Museumsforschung. Ein riesiger,
wunderbarer kultureller Schatz, alles unter einem großen Dach.
Doch um im Bild zu bleiben, das gemeinsame Dach ist renovierungs-
bedürftig, der Zahn der Zeit hat Spuren hinterlassen und die gesell-
schaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte verlangen vielfach
neue Antworten von den Kultureinrichtungen. Die internationale
Konkurrenz ist stärker geworden. Die Stiftung Preußischer Kultur­-
besitz muss und will sich erneuern.
Der Deutsche Kulturrat begleitet die Auf‌frischung der Stiftung
­Preußischer Kulturbesitz schon seit Langem. In dem vorliegenden
Dossier von Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kultur-

Editorial
rates, wird ein Überblick über die Zukunftsaufgaben der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz gegeben. Es wird versucht, die Fragen
zu beantworten, wie weit der Erneuerungsprozess bereits gediehen
ist und was noch zu tun ist. Was will der Bund, was wollen die Län-
der, was wollen die Einrichtungen? Wie viel Autonomie brauchen die
Museen, wie viel Selbstständigkeit verträgt der Stiftungsverbund?
Wie steht es mit der Digitalisierung? Und vieles mehr.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist der größte Kulturverbund
in Deutschland. Die Erneuerung der Stiftung Preußischer Kulturbe-
sitz ist keine Angelegenheit der Bundes­kulturpolitik oder des Landes
Berlin allein. Das Fitmachen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
für die Zukunft ist eine nationale Aufgabe. Sie geht die Menschen in
Bayern ebenso etwas an wie in Schleswig-Holstein. Und natürlich
ist die Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein Thema für
Kulturschaffende und -interessierte im Land und darüber hinaus.
Dieses Dossier will die Debatte um die Zukunft der Stiftung Preußi-
scher Kulturbesitz öffnen, will informieren, problematisieren und zum
Mitdiskutieren ermutigen.

Olaf Zimmermann ist Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur
und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.

3
Erneuern Engführung am

Inhalt Kulturforum
Olaf Zimmermann → 3

Stadtgespräch sein! Rebecca Wolf → 34

Hermann Parzinger → 6
Kompetenz-
Hürden wurden zentrum für das
Meilensteine Museumswesen
Dorothea Kathmann → 10 Patricia Rahemipour
und Kathrin Grotz → 36

Die Zusammen- Weiter so —


führung der geht nicht mehr
Staatlichen Museen Stefan Simon → 39

zu Berlin Alles ist


Günther Schauerte → 12

Wechselwirkung
Masterplan Barbara Göbel → 40
Inhalt

Museumsinsel Schlagwort
Klaus-Dieter Lehmann → 17

Resilienz
Gefesselter Riese Stefan Simon → 41
Johann Michael Möller → 20

Wandelt sich die


Schnittstelle Gesellschaft,
von Wissenschaft wandeln sich auch
und Kultur Kultur­einrichtungen?
Achim Bonte, Barbara Göbel
und Matthias Wemhoff → 24 Carola Thielecke → 44

Aus Preußen Raubgut in


in die digitale Welt den Depots?
Ulrike Höroldt → 32 Patrick Bahners → 48

4
Die Tür öffnen CO2-Bilanz
Ralf Beste und Andreas Görgen → 52 Daniel Naumann → 72

Wie kamen die Wir müssen


Objekte ins Museum? die Zukunft bauen
Petra Winter → 56 Klaus Biesenbach → 74

Die Wege der Bücher Der Kalte Krieg


Michaela Scheibe → 58
ist zurück
Kernaufgabe Manfred Nawroth → 77

Vermittlung Zeugnisse produktiver


David Vuillaume → 60
Partnerschaften
museum 4 punkt 0 Friederike Seyfried → 78

Werner Mezger → 62
Strahlende Kulturschätze
Dialog mit dem Claudia Roth → 80

Inhalt
Publikum Semper Reformanda
Claudia Ehgartner → 64 Rainer Robra → 81

Digital heißt Vom schwerfälligen


neu gedacht Tanker zur modernen
Gero Dimter → 67
Flotte?
10 produktive Jahre Carsten Brosda → 82

Julia Spohr → 69
Chancen erkennen
Digitale Kulturerbe- Joe Chialo → 84

daten für alle! Zukunftsfähig machen


Felix F. Schäfer → 70 Katrin Budde → 85

Konglomerat
Olaf Zimmermann → 86

5
Einleitung

Stadtgespräch sein!
→ Hermann Parzinger

6
Ischtar-Tor → 7.-6. Jahrhundert v. Chr.,
Periode: Neubabylonisch; Keramik glasiert;
14,75 × 26,41 × 4,38 m; Pergamonmuseum

E
in Wort wie Stadtgespräch fällt mir beim Schreiben Pergamonmuseum oder Neue Nationalgalerie, die ein-
dieses Textes ein. Wir wollen wieder Stadtgespräch zelnen Häuser sind es doch, die die Millionen von Besu-
sein. Und: Wir sind Stadtgespräch! Das klingt sim- cherinnen und Besuchern aus der ganzen Welt im Sinn
pel, ist aber für uns die schönste Anerkennung unse- haben, wenn sie an Museen in Berlin denken. Sichtba-
rer Arbeit. Man hört im Bus von den Schlangen vor der res Zeichen der SPK-Reform ist aber auch ein neues
Alten Nationalgalerie, die zur fulminanten »Sezessio- kollegiales Vorstandsmodell, das die zentralen Belange
nen«-Ausstellung führen. Man wird anderswo auf die der Stiftung strategisch steuern wird. Es ist nicht mehr
30.000 Besucherinnen und Besucher beim »Tag im Grü- die SPK der fünf – Staatliche Museen zu Berlin (SMB),
nen« am Kulturforum angesprochen. Oder auf die junge Staatsbibliothek zu Berlin (SBB), Geheimes Staatsarchiv
Lebendigkeit im Hamburger Bahnhof, auf all die neu- Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), Ibero-Amerikani-
en Willkommensgesten in der Staatsbibliothek oder sches Institut (IAI) und Staatliches Institut für Musik-
auf die großartigen Vermittlungsprogramme zur mu- forschung (SIM) –, sondern die SPK der 25, das heißt ne-
sikalischen Bildung im Musikinstrumenten-Museum. ben SBB, GStA PK, IAI und SIM treten nun die 21 Muse-
Diese Beispiele zeigen, dass wir die vergangenen en und Institute der SMB als eigenständige Einrichtun-
Jahre genutzt haben, viel Neues auf den Weg zu brin- gen hinzu, bilden aber weiterhin den Verbund der SMB.
gen und uns zu modernisieren. Die Reform ist noch im Also mehr Autonomie und mehr Eigenständigkeit ei-
Fluss, aber wir haben Stärken und Schwächen identifi- nerseits, aber auch mehr Austausch und Zusammenar-
ziert. Neue Köpfe kamen mit neuen Ideen. Die Stiftung beit andererseits, um den Verbund der Stiftung zu stär-
wirkt lebendiger als im Sommer vor drei Jahren, als auf ken und seine Mehrwerte für Kultur und Wissenschaft,
offener Bühne ihre Abschaffung diskutiert wurde. Der national wie international, besser zur Wirkung zu brin-
Wissenschaftsrat hatte der SPK attestiert, überkomplex gen. Dazu entwerfen wir derzeit eine Vision »SPK 2030«,

Einleitung
und dysfunktional zu sein. Vieles, was im Gutachten die festhält, was die SPK als Verbund im Jahr 2030 aus-
steht, war berechtigt, aber eines wollten wir ebenso wie zeichnen wird. Hier werden konkrete Schwerpunkte für
die Kulturpolitik in Bund und Ländern nicht so ohne den Verbund festgelegt, denn wir müssen mit Blick auf
Weiteres hinnehmen: die Auflösung dieses einzigar- die Zukunft festlegen, welche Zielgruppen wir auf wel-
tigen Verbundes aus Geistes-, Kultur- und Sozialwis- che Weise erreichen wollen.
senschaften, der die unterschiedlichsten Sparten der Spätestens an dieser Stelle kommen Politik und Trä-
kulturellen Überlieferung verbindet und damit wich- ger ins Spiel. Mehr Autonomie für die Einrichtungen der
tige Brücken von der Vergangenheit in die Zukunft zu SPK und mehr Wirkkraft für den Verbund lassen sich
schlagen vermag. Gerade in einer vernetzten Welt wie nicht allein durch organisatorische Veränderungen er-
heute braucht es ein Modell wie das unsere, das die reichen. Bund und Länder wissen, wie strukturell un-
historisch gewachsenen, aber heute immer obsoleter terfinanziert und personell ausgedünnt die SPK inzwi-
werdenden Trennlinien zwischen Museen, Bibliothe- schen ist. Der Wissenschaftsrat sprach in seinem Gut-
ken, Archiven und Forschungsinstituten nicht verfes- achten von »erheblichen finanziellen Mitteln«, die nö-
tigt, sondern eben gerade überwindet. tig seien, um die Stiftung international konkurrenzfähig
Und doch muss man sich die selbstkritische Frage zu machen. Wir hoffen deshalb sehr, dass sich Bund und
stellen, was geschehen muss, damit sich dieses enor- Länder auf ein neues Finanzierungsmodell für Deutsch-
me Potenzial endlich besser entfalten kann. Im Inne- lands mit Abstand größte Kultureinrichtung einigen,
ren gab es bei Führungskräften wie in der übrigen Mit- das für die nächsten Jahrzehnte trägt.
arbeiterschaft aller Einrichtungen der SPK eine große Eine Zuschusserhöhung für die SPK muss aber auch
Bereitschaft, nicht auf bessere Tage zu warten, sondern in den Ländern vermittelbar sein, deren Kulturhaus-
den Umbau selbst in die Hand zu nehmen und sofort halte ebenfalls angespannt sind. Kritiker sehen in der
zu beginnen, wissend, dass es ein langer Weg werden historischen Bund-Länder-Struktur immer nur Belas-
würde. Wir erarbeiten Modelle für mehr Autonomie tungen und Abstimmungsdauerschleifen. Die SPK als
und Eigenverantwortung der Einrichtungen, treiben Kind des Kulturföderalismus hat die Länderbeteiligung
neue Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität, digitale jedoch immer als Gewinn wahrgenommen. Für Kul-
Transformation oder mobiles Arbeiten voran und erpro- tureinrichtungen in den Ländern ist die SPK eine ers-
ben mehr Miteinander. Am wichtigsten, zugleich aber te Adresse für Verbund- und Forschungsprojekte. Er-
auch am herausforderndsten ist die Umstrukturierung innert sei hier an die Erfolgsgeschichte der Deutschen
der Staatlichen Museen zu Berlin, deren einzelne Mu- Digitalen Bibliothek, an das Projekt museum4punkt0,
seen und Institute künftig nicht mehr von einer Gene- das digitale und nachnutzbare Vermittlungstools für
raldirektion zentral gesteuert werden, sondern viel ei- das Museum der Zukunft entwickelt hat, oder an Aus-
genständiger agieren und auch wirtschaften sollen. Ob stellungen wie »Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerin-

7
nen der Nationalgalerie«, die im Rahmen des Föde- quasi bei laufendem Betrieb und während eines gigan-
ralen Programms der Stiftung an vielen Orten in den tischen Umzugs von Tausenden von Objekten kolos-
Ländern gezeigt wurde. sal verändert. Die öffentliche Debatte um den Umgang
Die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria hat ge- mit dem Kolonialismus war überfällig. Die Museen der
zeigt, wie wichtig es ist, einen solchen Weg gemeinsam Stiftung bekennen sich heute zur Rückgabe von Objek-
zu gehen, teilen wir doch viele Herausforderungen. Die ten aus Gewaltkontexten und illegalem Erwerb, oder
SPK will dabei den Austausch mit den Ländern und ih- wenn sie für die Ursprungsgesellschaften von zent-
ren Einrichtungen noch verstärken, um zu einem kul- raler Bedeutung für deren Identität sind. Die SPK hat
turpolitischen Think Tank zu werden und eine für alle deshalb Arbeitsbereiche für postkoloniale Provenienz-
Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit entfalten forschung und transkulturelle Zusammenarbeit auf-
zu können. Die außenkulturpolitische Rolle der SPK, gebaut. Vertrauensvolle Kooperationen, gemeinsame
die wir weiter stärken werden, kann dabei eine wichti- Koproduktionen und der Einbezug anderer, indigener
ge Rolle spielen. Ob Restitutionen, internationale Aus- Wissenskategorien sind heute grundlegend, wenn es
stellungskooperationen, Capacity-Building-Program- darum geht, ethnologischen Museen eine andere Zu-
me, Unterstützung bei Museumsentwicklungen oder kunft zu geben und dadurch ein neues Verhältnis zum
Hilfe beim Kulturerhalt; die Stiftung als gesamtstaatli- »Globalen Süden« zu entwickeln. Dies muss die kriti-
che Einrichtung will auch in globaler Hinsicht ein star- sche Auseinandersetzung mit unserer eigenen Insti-
ker und verlässlicher Partner sein. tutionengeschichte einschließen.
Die Veränderungen innerhalb der SPK sind da- Wichtig wird dabei sein, dass unsere Gäste Muse-
bei nicht nur ein Museumsthema. Es gibt viele Orte, umsinsel und Humboldt Forum als eine Einheit verste-
Einleitung

die den begonnenen Wandel sichtbar machen. In der hen, die eine Begegnung mit allen Kulturen dieser Welt
Staatsbibliothek zu Berlin laufen Projekte zum Einsatz ermöglicht, die kulturvergleichende Perspektiven eröff-
von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen, net, Querverbindungen vermittelt, historische Lang-
davon wie auch von dem dort bereits im Einsatz befind- zeitperspektiven aufzeigt, Triebkräfte menschlichen
lichen Social Intranet wird die ganze Stiftung profitie- Handelns unabhängig von Zeit und Raum verständli-
ren. Ferner hat die SBB einen Nutzendenrat gegründet, cher macht und zugleich aber auch zur Dekolonisierung
um zu erfahren, was für ihr Publikum wirklich wichtig unseres Denkens und Handelns beiträgt. Mehr Wissen
ist: Lesesaal oder Studierlounge, Elfenbeinturm oder über die Welt ist eine Grundvoraussetzung für eine to-
lebendiges Lernzentrum? Das Geheime Staatsarchiv lerante Gesellschaft.
Preußischer Kulturbesitz in Dahlem ist viel digitaler Herkunftsforschung wird die Arbeit der Stiftung
geworden. Etwa ein Viertel der im Archiv verwahrten auch in den kommenden Jahren in vielen verschiede-
Bestände können Nutzerinnen und Nutzer schon jetzt nen Bereichen bestimmen. Die SPK ergreift dabei auch
durch Online-Findmittel recherchieren, langfristig sol- selbst die Initiative, etwa im Hinblick auf die archäo-
len sie vollständig im Internet verfügbar sein. Das Ibe- logischen Sammlungen. So haben die Staatlichen Mu-
ro-Amerikanische Institut stärkt seine Rolle als Brü- seen zu Berlin ein Positionspapier erarbeitet, das sich
ckeninstitution nach Südamerika durch neue Verbund- mit Themenfeldern wie Provenienzforschung, Fragen
projekte wie etwa das Merian-Center Mecila, »Convi- von Rechtmäßigkeit und der ethischen Bewertung der
vality – Inequality in Latin America«. Das Staatliche früheren Sammlungstätigkeit befasst und dabei aktu-
Institut für Musikforschung widmet sich vermehrt Fra- elle und zukünftige Perspektiven aufzeigt.
gen von sinnlicher und sensorischer Erfahrung sowie Vor 25 Jahren fand in Washington eine Konferenz
sozialer Interaktion beim Hören und Präsentieren von statt, die die Grundlagen dafür legte, wie mit dem nati-
Musik. Solche und ähnliche Fragen bewegen natür- onalsozialistischen Kunstraub umzugehen sei. Der von
lich auch die Staatlichen Museen zu Berlin: Was wün- den Nazis betriebene Raub von jüdischem Kulturgut ist
schen sich unsere Besucherinnen und Besucher? Wie auch über 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs
können wir für sie attraktive Orte schaffen, mehr Teil- noch lange nicht bewältigt, obwohl sich viele Museen,
habe ermöglichen, den Austausch mit der Zivilgesell- Bibliotheken und Archive intensiv mit der Erforschung
schaft ausbauen und aus Tempeln der Kontemplation dieses Unrechts beschäftigen. Für die SPK sind die Wa-
lebendige soziale Orte machen? shingtoner Prinzipien und die darauf basierende »Ge-
Wenn wir über das Museum der Zukunft sprechen, meinsame Erklärung« von Bund, Ländern und Kom-
dann sind dabei auch die im Humboldt Forum gemach- munen seit Jahren Leitlinie für den Umgang mit nati-
ten Erfahrungen bedeutsam. Das Ethnologische Muse- onalsozialistischem Raubgut. Die Stiftung hat in den
um und das Museum für Asiatische Kunst haben sich vergangenen Jahrzehnten über 350 Kunstwerke und

8
mehr als 1.000 Bücher restituiert. Doch dabei soll es
nicht bleiben. Gemeinsam mit den Bayerischen Staats-
gemäldesammlungen, dem Bayerischen Rundfunk und
dem rbb haben wir das Projekt »Kunst, Raub, Rückga-
be – Vergessene Lebensgeschichten« initiiert. Wir wol-
len in einer »Mediathek der Erinnerung« die Lebens-
wege der vielen Opfer rekonstruieren, die mit diesen
»Fällen« verbunden sind. Und wir wollen zeigen, wie
sehr diese jüdischen Menschen das kulturelle Leben
Deutschlands einst bereichert haben.
Doch der Erfolg der SPK und ihrer Einrichtungen be-
misst sich nicht nur in der Arbeit in nationalen und in-
ternationalen Netzwerken, sondern ganz konkret auch
an den Museumskassen, in der Zufriedenheit von Nut-
zenden unserer Archive und Bibliotheken, am perfek-
ten Service für Forscherinnen und Forscher. Wir wol-
len noch attraktiver für unser Publikum werden. Die
heutige diverse Stadtgesellschaft will anders angespro-
chen werden. Die Menschen, die zu uns kommen, kon-
frontieren uns mit ganz anderen Fragen als noch vor

Einleitung
zehn Jahren, und sie erwarten Antworten darauf. Darin
liegt auch eine ganz besondere Chance für die Stiftung.
In Zeiten, die von Krieg, Krisen, tiefen Erschütte-
rungen und Verunsicherungen geprägt sind, können
Einrichtungen wie unsere auch Orientierungswissen
bieten, indem wir vergleichende Perspektiven auf die
Menschheitsgeschichte eröffnen und zunehmendem
Populismus und Verschwörungserzählungen wissen-
schaftliche Fakten und Erkenntnisse entgegensetzen.
Wir können aufzeigen, wie divers die Welt schon im-
mer war und wie wichtig es ist, voneinander zu lernen,
Erfahrungen zu teilen und Brücken zwischen Gesell-
schaften zu bauen. Es gibt keine nachhaltige und ge-
winnbringende Gestaltung von Gegenwart und Zukunft
ohne Bewusstsein für die Vergangenheit. Dazu können
wir beitragen mit dem vielfältigen Wissen unserer Ex-
pertinnen und Experten, die in den verschiedensten
Fächern zu Hause sind. Entscheidend ist jedoch, dass
wir darüber auch in den Austausch mit unseren Besu-
cherinnen und Besuchern, unseren Nutzerinnen und
Nutzern eintreten, deren Fragen, Ideen und Wissen zu-
künftig einbezogen werden muss. Ob Citizen Science
oder zivilgesellschaftliche Beiräte, Kultureinrichtun-
gen können nur dann wirklich zu sozialen Orten und
Pultschreibschrank »Neuwieder Kabinett« → Werkstätten von David
Roentgen und Peter Kinzing; Neuwied, 1777–1779; Riegel- und Maserahorn, Plattformen des gesellschaftlichen Austausches wer-
Mahagoni; Marketerie mit Rosenholz, Palisander, Apfelbaum und Maul- den, wenn sie echte Teilhabe ermöglichen. Und wenn
beere; Konstruktionshölzer: Eiche, Kiefer, Kirsche, Zeder; vergoldete das richtig gut läuft, dann sind wir eben Stadtgespräch.
Bronzen, Email, Messing, Stahl; 359 × 152 × 88 cm; Kunstgewerbemuseum,
Staatliche Museen zu Berlin
Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz.

9
Hürden wurden
Meilensteine
→ Dorothea Kathmann

A
m Anfang war das Ende: Anlass und Hintergrund seit 1961 wirken. Entscheidend bei der Grundsteinle-
für die Errichtung der Stiftung Preußischer Kul- gung war die Gründung der SPK in der Rechtsform ei-
turbesitz (SPK) durch Bundesgesetz im Jahr 1957 ner Stiftung des öffentlichen Rechts im Kulturbereich –
war der Untergang des Staates Preußen nach dem der grundgesetzlich zur Länderhoheit zählt – durch ein
Zweiten Weltkrieg und die Teilung Deutschlands und Bundesgesetz und unter Beteiligung aller Bundeslän-
Berlins in der Folge. Schließlich galt es, für die weltbe- der bei der Verwaltung wie der Finanzierung. Wenn
rühmten und immens wertvollen preußischen Kunst- auch zu Beginn und vor der Aufnahme der Arbeit der
Geschichte

und Kulturschätze eine dauerhafte und die gesamt- SPK im Jahr 1961 umstritten, gilt diese Institution heu-
staatliche Bedeutung widerspiegelnde Trägerschaft zu te als größte deutsche Kultureinrichtung mit interna-
finden – laut Errichtungsgesetz von 1957 zunächst »bis tionaler Ausstrahlung.
zu einer Neuregelung nach der Wiedervereinigung«. Neben vielen organisationsrechtlichen Fragestel-
Zur Gründungsgeschichte der SPK ist viel publiziert lungen in der Anfangszeit der SPK – es gab für diese
worden, und dennoch kann man es besser als das Bun- besondere Institutionsform einer Bund-Länder-Ein-
desverfassungsgericht in einigen Leitsätzen seines Ur- richtung mit eigener Rechtspersönlichkeit im Kultur-
teils vom 14. Juli 1959 zur Vereinbarkeit des Gesetzes bereich keine Blaupause – war das erstmals 1974 ge-
zur Errichtung einer Stiftung »Preußischer Kulturbe- schlossene Abkommen über die gemeinsame Finanzie-
sitz« mit dem Grundgesetz nicht formulieren: rung der SPK ein weiterer entscheidender Schritt, zu
»Der preußische Kulturbesitz diente, soweit er vom dem sich der Bund und alle alten Bundesländer als Trä-
Stiftungsgesetz erfasst und auf die Stiftung übertragen ger entschlossen hatten. Weitere Meilensteine folgten:
wird, zumindest seit der Reichsgründung, einer Aufga- Bedeutendster politischer Markstein in der Geschichte
be, die weit über den Bereich des ehemaligen Landes der SPK war wohl die Wiedervereinigung beider deut-
Preußen hinauswies und den preußischen Sammlun- scher Staaten 1990. Der Einigungsvertrag regelte die
gen in der Reichshauptstadt einen gesamtdeutschen, künftige, wenn auch immer noch als »vorläufig« be-
national-repräsentativen Charakter verlieh. zeichnete Trägerschaft für die ehemals preußischen
Die im Laufe des Krieges und des Zusammenbruchs staatlichen Sammlungen ebenfalls unter dem Dach der
verstreuten Bestände wieder zusammenzuführen, sie SPK in Berlin. Die personelle und organisatorische Zu-
zu ergänzen und zu pflegen sowie die Tradition der sammenführung aller Sammlungen und Einrichtungen,
ehemals preußischen Sammlungen fortzuführen, ist die sich in beiden Teilen Berlins entwickelt hatten, war
darum eine gesamtdeutsche Aufgabe. Ziel ist es, die eine Herkulesaufgabe. Sie war von vielen faktischen
national-repräsentative Funktion der ehemals preu- und rechtlichen Bedingungen begleitet, aber auch von
ßischen Sammlungen über die gegenwärtige Spaltung einer großen Herausforderung auf der menschlichen
Deutschlands hinaus dem gesamtdeutschen Kulturle- Seite, die es galt, mit Offenheit und Einfühlungsver-
ben zu erhalten. Die Kulturhoheit der Länder hat der mögen für alle Beteiligten zu meistern.
Bundesgesetzgeber mit diesem Gesetz auch deshalb Mit der Wiedervereinigung ging die Erweiterung
nicht beschränkt, weil er sich beim Erlass des Stiftungs- der Verwaltung und Finanzierung durch den Bund und
gesetzes noch im Rahmen der ihm vom Grundgesetz alle 16 Bundesländer einher, was durch eine Ergänzung
eingeräumten Freiheit gehalten hat.« und Änderung des Finanzierungsabkommens im Janu-
Damit war der bis heute fundamentale Grundstein ar 1993 besiegelt wurde. Nun war die SPK eine gesamt-
für die fünf SPK-Einrichtungen gelegt, die in dieser Or- deutsche Institution und hat diese umfassende Träger-
ganisationsform einer Stiftung des öffentlichen Rechts schaft bis heute bewahrt.

10
Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin
Kapuzinermönch → Oberammergau, Mitte 19. Jahrhundert;

Von Beginn an hatte die SPK herausfordernde und um- Leitung – in den zurückliegenden Jahren in die Zone
Lackiertes Holz; Höhe 14,5 cm, Durchmesser 4 cm;

fangreiche Bauaufgaben zu stemmen. Die Anfangsjahre der strukturellen Unterfinanzierung gebracht. Kurz ge-
ab 1961 waren geprägt durch große Neubauvorhaben im sagt: Es fehlt immer Geld und vielmehr noch an Stel-
Westteil von Berlin, um die notwendigen Raumbedarfe len für das notwendige Personal. Hier gilt es für die Zu-
für die Sammlungen aller Sparten zu schaffen, da vie- kunft – auch angesichts der in der Umsetzung befind-
le Museen im westlichen Berlin nach Kriegsende und lichen Reformansätze für eine moderne SPK – eine gut
der Teilung Berlins keine historische Heimstatt hatten. austarierte Balance zu finden.
Der Museumskomplex in Dahlem, die Staatsbibliothek Das Zusammenspiel der drei Sparten – Museen, Bi-
an der Potsdamer Straße, der Mies-van-der-Rohe-Neu- bliotheken, Archive – unter einer Dachorganisation ist
bau für die Nationalgalerie sowie das Kulturforum am seit der Arbeitsaufnahme 1961 Segen und Herausforde-
Kemperplatz sind hier exemplarisch zu nennen. Nach rung zugleich. Bei funktionierender Kooperation führt
der Wiedervereinigung wurde die Rettung und der Er- diese Konstellation zu einem kaum messbaren Mehr-
halt von wichtigen denkmalgeschützten Bauensemb- wert und hat in den letzten beiden Jahrzehnten auch
les im bisherigen Ostteil Berlins zur Hauptbauaufgabe die Entwicklung der SPK zu einer starken außeruni-
der SPK. Schnell wurde deutlich, dass die Museumsin- versitären Forschungseinrichtung beeinflusst. Neben
sel in Berlin Mitte nur anhand eines Masterplans sys- vielen herausragenden Forschungsaktivitäten der ein-
tematisch saniert werden konnte. Eine Jahrhundert- zelnen Einrichtungen war insbesondere im Jahr 2011
aufgabe, wie wir heute wissen. Zugleich gelang es mit die Vollmitgliedschaft der SPK in der Deutschen For-
Unterstützung des Landes Berlin und des Bundes, das schungsgemeinschaft (DFG) ein weiterer Meilenstein
Gesamtensemble Museumsinsel Berlin als UNESCO- in der SPK-Geschichte.
Weltkulturerbe eintragen zu lassen. Auch die Internationalisierung der SPK und ihrer
Gleichfalls herausfordernd war die Organisation der Einrichtungen durch die engagierte Mitarbeit in diver-
Staatsbibliothek zu Berlin nach der Wiedervereinigung sen Forschungsverbünden und die stetig wachsenden
an zwei Standorten – im Mutterhaus der ehemals Preu- Kooperationen mit Kunst- und Kultureinrichtungen

Geschichte
ßischen Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin im europäischen und internationalen Rahmen haben
Mitte wie in dem bekannten Nachkriegsneubau von die Entwicklung der SPK zu einem kulturpolitischen
Hans Scharoun und Edgar Wisniewski am Potsdamer Schwergewicht unterstützt.
Platz. Neben den bibliotheksfachlichen Diskussionen Bei kulturpolitischen Fragestellungen wie zu kriegs-
um den Zeitschnitt der Bestände waren vor allem zeit- bedingt verlagerten deutschen Kulturgütern, zu Fra-
intensive Sanierungsaufgaben zu lösen, die erst in 2021 gen der Restitution von ehemals jüdischem Eigentum,
zum Abschluss gekommen sind. das durch verschiedenste Umstände in die Sammlun-
Auch die drei anderen Einrichtungen, das Geheime gen der Einrichtungen der SPK gekommen war, und
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, das Staatliche ganz aktuell durch die Kolonialismus-Debatte hat die
Institut für Musikforschung mit dem Musikinstrumen- SPK aufgrund der Größe ihrer Sammlungen immer ei-
tenmuseum am Kulturforum und das Ibero-Amerika- nen großen Anteil. Da wundert es nicht, dass die SPK
nische Institut haben nicht nur immer wieder bauli- hier oftmals Neuland zu betreten hat und auch Frage-
che Anforderungen an ihren Standorten zu bestehen. stellungen zu klären und Lösungen zu entwickeln hat-
Die drei sogenannten »kleinen Einrichtungen« der SPK te, die für andere Kultureinrichtungen in Deutschland
sind geprägt von deutlichen Benutzungs- und Besu- dann häufig Vorbildcharakter einnehmen. Oftmals ha-
cherzuwächsen und einem hohen Grad an Spezialisie- ben die Einrichtungen der SPK hier auch eine Multi-
rung, die nach der Wiedervereinigung erheblich zuge- plikatorenfunktion übernommen, um diesen wichtigen
nommen haben. Fragestellungen flächendeckend zur wissenschaftli-
Trotz jahrzehntelanger Erfahrungen mit Neubau- chen Aufarbeitung zu verhelfen. Das neue Forschungs-
ten wie mit der Sanierung von denkmalgeschützten feld der Provenienzforschung in der Kunstgeschich-
Bestandsbauten waren und sind die Bauvorhaben der te geht auch auf das Engagement der SPK zurück im
SPK immer vergleichbar geblieben mit Hochleistungs- Kontext der umfangreichen Aufarbeitung ihrer Samm-
sport – es galt ebenso Budgetgrenzen einzuhalten wie lungsbestände und deren Herkunft.
mit widrigen Baugründen umzugehen, für die es oft Spannend bleibt, wohin die laufende Strukturreform
wenig gesicherte Bauverfahren gab. Ohne Frage sollen nach der Evaluierung durch den Wissenschaftsrat 2020
die umfassenden Finanzierungsbedarfe der SPK nicht und dessen Strukturempfehlungen die SPK führt. Auf
ausgespart bleiben. Die Geltung der Bundeshaushalts- jeden Fall wird dies der nächste Meilenstein in der Ge-
ordnung war gesetzlich im Errichtungsgesetz festgelegt schichte der SPK werden.
und lässt bis heute wenig Spielräume für eine moder-
ne Haushaltsführung. Insbesondere aber der Zuwachs Dorothea Kathmann war von 1990 bis
der Einrichtungen in der SPK nach der Wiedervereini- 2021 als Juristin bei der SPK tätig und
gung sowie die Erweiterung von zu bespielenden Flä- leitete die Präsidialabteilung.
chen haben alle Akteure – Zuschussgeber wie die SPK-

11
Die Zusammen-
→ Günther Schauerte

führung der
Staatlichen Museen
zu Berlin
Geschichte

12
Blick auf das Alte Museum (Karl Friedrich Schinkel, 1830)
und den Lustgarten – vom Humboldt Forum aus.

D
ie Berliner Staatlichen Museen sind das Ergeb- portiert und später an die Museen in Ost-Berlin zu-
nis einer jahrhundertelangen Sammeltätigkeit rückgegeben – wenn auch nicht alle, wie die jüngere
des preußischen Königshauses. Der Beginn der Geschichte gezeigt hat. Hierzu sei auf die Publikation
Sammlung ist schon auf die »Kunstkabinette« der Ho- Klaus-Dieter Lehmann und Günther Schauerte »Kul-
henzollern zurückzuführen. Dank des tatkräftigen Ein- turschätze– verlagert und vermisst« (Berlin 2004) ver-
flusses von Wilhelm von Humboldt und Barthold Georg wiesen. Die von den westlichen Alliierten sichergestell-
Niebuhr begannen sich die königlichen Sammlungen ten Kunstwerke kehrten im Verlauf der 1950er Jahre in
im 19. Jahrhundert in systematisch-musealer Organi- den Westteil der Stadt zurück, sobald nach gemeinsa-
sation zusammenzuschließen. Mit der Eröffnung des mer Einschätzung es die Sicherheitslage zuließ. Es sei
von Schinkel erbauten Alten Museums am Lustgarten nur an die Berlin-Blockade von Juni 1948 bis Mai 1949
im Jahre 1830 waren die öffentlichen Sammlungen be- erinnert. Die politischen Verhältnisse der Nachkriegs-
gründet. Dieses lag als Keimzelle des daraus erwach- ordnung bis 1990 zementierten damit eine rein zufäl-
senden Museumsensembles im Berliner Zentrum nörd- lige Teilung des Museumsgutes. Vor allem im Westen
lich des königlich preußischen Stadtschlosses auf ei- versuchte eine gezielte Ankaufspolitik, die daraus re-
ner Insel in der Spree; daher der Name Museumsinsel. sultierenden Nachteile auszugleichen.

Geschichte
Die folgenden hundert Jahre brachten den Berli- Während die Staatlichen Museen zu Berlin im Ost-
ner Staatlichen Museen – im alten Preußen Königliche teil der Stadt direkt dem DDR-Kulturministerium un-
Museen – in folgerichtigem stufenweisem Aufbau eine terstellt wurden, musste im Westteil ein Kompromiss
Entwicklung, die auch 1918, als der Erste Weltkrieg ver- bei der Trägerschaft gefunden werden, weil nach Auf-
loren war und die Staatsform wechselte, nicht unter- lösung des Staates Preußen durch alliierten Kontroll-
brochen wurde. Hierbei war man bemüht, den Ausbau ratsbeschluss des Jahres 1947 aufgrund der föderalen
der jeweiligen Museumssammlungen mit der komple- Strukturen der Bundesrepublik Deutschland die Kul-
xen Bestandsstruktur der Gesamtheit der Königlichen turhoheit nach 1949 bei den (damals) elf Bundeslän-
respektive Staatlichen Museen abzustimmen. Erst die dern lag: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)
mit der Aktion »Entartete Kunst« verbundenen Eingrif- wurde im Jahre 1957 durch ein Bundesgesetz ins Leben
fe des nationalsozialistischen Regimes brachten be- gerufen und übernahm 1961/62 ihre Aufgaben vom Ber-
achtliche und zum Teil irreversible Einbußen und be- liner Senator für Volksbildung nach erfolgter Prüfung
endeten diese Entwicklung, die die Staatlichen Museen, ihrer Legitimität durch das Bundesverfassungsgericht.
insbesondere unter dem Generaldirektor Wilhelm von Den Staatlichen Museen zu Berlin (Ost) standen für
Bode, zu einer der fünf bis sechs umfänglichsten und ihre 14 Abteilungen im Wesentlichen die Gebäude an
einflussreichsten Museumsinstitutionen hatte gedei- historischer Stelle auf der Museumsinsel zur Verfü-
hen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Kon- gung, wenn auch in unterschiedlichem Erhaltungszu-
text der Erwerbungszusammenhänge jedweder archäo- stand: Als letztes der fünf Gebäude Altes Museum (fer-
logischer und ethnologischer Objekte und Konvolute tiggestellt 1828), Neues Museum (1855), Nationalgale-
bis hin zu künstlerisch bedeutendsten Werken andere rie (1876), Kaiser-Friedrich-Museum, heute Bode-Mu-
Maßstäbe herangezogen wurden als heute üblich, man seum (1904), und Pergamonmuseum (1930) steht bis
unterschied sich dabei aber nicht von seinen Mitbewer- zum heutigen Tage die Generalsanierung des Alten
bern aus Europa und Nordamerika. Museums weiterhin aus und auch das Pergamonmuse-
Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schlossen um befindet sich noch mitten in den Baumaßnahmen,
die Berliner Museen ihre Pforten. Die wichtigsten Be- die in Gänze nicht vor 2037 abgeschlossen sein dürften.
stände wurden an verschiedene Punkte in näherer und Ganz anders in Westberlin: Als die Stiftung Preu-
weiterer Entfernung von Berlin verlagert und teilweise ßischer Kulturbesitz 1961 ihre Arbeit aufnahm, galt es
auch in den Berliner Flakbunkern untergebracht. Trotz zuallererst, die Raumnot zu beseitigen: Denn für ihre
dieser Sicherheitsvorkehrungen sind schwere Verlus- 14 Museen – wie für ihre anderen Einrichtungen ähn-
te eingetreten. lich – verfügte sie gerade über 11.000 Quadratmeter
Die in Berlin verbliebenen Teile wurden von Mai Ausstellungsfläche. Bei der Planung für die Neubauten
1945 bis Mai 1946 in großem Umfang von sowjetischen entschloss man sich angesichts der Ausdehnung Ber-
Streitkräften und Trophäenkommissionen abtrans- lins für drei Schwerpunkte: Dabei handelt es sich um

13
den Museumskomplex Dahlem, der seit dem frühen 20. Avantgarde und der Entwicklung ein gutes halbes Jahr
Jahrhundert für die Museen außereuropäischer Kunst voraus. Der Einigungsvertrag schreibt ausdrücklich vor,
vorgesehen war, jedoch schwerpunktmäßig für die Eth- dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Auftrag
nologischen Sammlungen und als Übergangsquartier erhält, ab dem 3. Oktober 1990 die »vorläufige Träger-
bis spätestens Ende der 1990er Jahre für die Gemälde- schaft« für die im Ostteil Deutschlands befindlichen
galerie, Skulpturengalerie und das Kupferstichkabi- Teile der ehemals staatlich preußischen Sammlungen
nett genutzt wurde. In den Seitenflügeln des Schlosses zu übernehmen. Nach einer mehr als 40-jährigen ge-
Charlottenburg und den zugehörigen klassizistischen trennten Entwicklung bedeutete dies eine grundlegen-
Kasernenbauten fanden das Ägyptische Museum, das de Neuordnung der Sammlungen, die aus ihrer Tradi-
Antikenmuseum, das Museum für Vor- und Frühge- tion und ihrem gegenwärtigen Stand entwickelt wer-
schichte und die Sammlung des 19. Jahrhunderts der den musste.
Nationalgalerie eine vorläufige Bleibe. An der Nahtstel- Für die erste Hälfte der 1990er Jahre schien die or-
le zwischen Ost- und Westberlin, nahe dem Potsdamer ganisatorische und personelle Zusammenführung der
Platz, wurde schon seit den 1960er Jahren ein Muse- Staatlichen Museen von insgesamt 29 musealen und
umszentrum für alle Museen der Europäischen Kunst weiteren 9 technischen, administrativen und pädago-
der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz ge- gischen Abteilungen bei nur geringfügigen Stellenkür-
plant, von denen um die politische Wende 1989/90 die zungen zu einem akzeptablen Schluss zu führen. Dabei
Neue Nationalgalerie und das Kunstgewerbemuseum ergaben sich im Haushaltsplan der Stiftung laut Stel-
realisiert waren, der Neubau für Kupferstichkabinett lenstände der Staatlichen Museen (West) und Staatli-
und Kunstbibliothek ca. zwei Jahre später bezogen wer- chen Museen (Ost) für ca. 1.150 Mitarbeiter (Beamte nur
den konnte und vorbereitende Baumaßnahmen für die in West, Angestellte und Arbeiter in Ost und West) in
Gemäldegalerie bereits begonnen worden waren – die den Haushaltskapiteln 2 und 7, darunter über 160 Wis-
Eröffnung fand bekanntermaßen 1998 statt. senschaftlerinnen und Wissenschaftler und 90 Res-
An Ausstellungsfläche standen im Spätsommer des tauratorinnen und Restauratoren, feste Anstellungs-
Jahres 1989 den Staatlichen Museen zu Berlin (Ost) ca. verhältnisse. Was beim ersten Hinsehen stimmig er-
22.000 Quadratmeter zur Verfügung, den Staatlichen schien, stellte sich in der Realität als höchst komplexe
Museen Preußischer Kulturbesitz (West) ca. 40.000 m2. Problemlage mit dem Potenzial zu ernsten innerbe-
Dieses ist bezüglich der gesamten vorhandenen Fläche trieblichen Auseinandersetzungen heraus. Denn der
nur unwesentlich mehr, als was die Staatlichen Muse- Personalstand der beiden noch nicht vereinten Mu-
en vor dem Zweiten Weltkrieg einschließlich des Ber- seumskombinate – eine herrliche, absolut zutreffen-
liner Stadtschlosses nutzen konnten. de Wortschöpfung von Günter Schade – umfasste 628
Geschichte

Schon bald nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. Mitarbeitende in Westberlin und 627 Mitarbeitende
November 1989 und den folgenden politischen Umwäl- in Ostberlin: Macht zusammen deutlich mehr, näm-
zungen erfolgten erste Kontakte. Im September 1990 lich 1255 Planstellen und Stellen. Wie erklärt sich diese
hatten der Generaldirektor der Staatlichen Museen Diskrepanz? Eine Arbeitsgruppe des Bundesministeri-
Preußischer Kulturbesitz, Wolf-Dieter Dube, und sein ums der Finanzen und Bundesministeriums des Innern
Kollege Günter Schade, Generaldirektor der Staatlichen hatte alle Stellen, deren Stelleninhaber binnen drei-
Museen zu Berlin (Ost), nach eingehender Beratung er Jahre theoretisch altersbedingt hätten ausscheiden
mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Staat- können, im Stellenplan gar nicht erst berücksichtigt –
lichen Museen eine »Denkschrift zu den zukünftigen eine Fehleinschätzung auf der Grundlage der Annah-
Standorten und zur Struktur der Staatlichen Museen me, alle Frauen im Beitrittsgebiet würden mit Vollen-
zu Berlin« vorgelegt. Die Diskussion ergab unter an- dung des 60. Lebensjahres nichts lieber tun, als aus
derem, dass für die künftige Präsentation der vereinig- dem aktiven Dienst ausscheiden. Ganz im Gegenteil
ten Sammlungen der Staatlichen Museen ein Flächen- verhielt es sich aber: Alle blieben, da sie sich auf diese
bedarf von ca. 110.000 m2 bestand. Im Oktober 1990 Weise ihre sonst so karge Rente aufstocken konnten.
von einer international besetzten Expertenkommis- Blieb eine zusätzliche Unterbringungsnotwendig-
sion gutgeheißen, ist die Denkschrift in ihren Grund- keit von über 100 Bediensteten. Da sich SPK-Präsident
Auch vereinigt –
zügen vom Stiftungsrat am 4. Februar 1991 akzeptiert Werner Knopp öffentlich zu dem Grundsatz verpflich- eine Bibliothek in
worden. Konkret hat der Stiftungsrat die Ausführung tet hatte, auf Entlassungen, wenn irgend möglich, zu zwei Häusern: Die
des Neubaus für die Gemäldegalerie am Kulturforum verzichten, führte dies dazu, dass über mehrere Jahre Staatsbibliothek
und die Fortsetzung des Wiederaufbaus des Neuen Mu- keine Stelle mehr disponibel war – und zwar einrich- zu Berlin ist eine der
Architekturikonen
seums auf der Museumsinsel beschlossen. Diese Ent- tungsübergreifend. Der aus dieser Gemengelage aus- am Berliner Kultur-
scheidungen beinhalten als gewollte Konsequenz die gelöste Stellenabbau belief sich letztlich bei den Mu- forum.
vollständige Sanierung und Ergänzung der Museums- seen auf rund 29 Prozent.
insel wie auch die Komplettierung des Neubaukomple- Zurück zur politischen Großwetterlage vom Früh-
xes am Kulturforum. jahr 1990. Langsam setzte sich die Einsicht durch, dass
Damit war für die nächste Dekade das Bauprogramm das Nebeneinander zweier deutscher Staaten weder po-
der Staatlichen Museen sichergestellt, sodass sich die litisch noch gesellschaftlich noch wirtschaftlich auch
weiteren Planungen für die drei Hauptstandorte der nur über den Jahreswechsel 1990/91 zu halten war. Da-
Staatlichen Museen Museumsinsel, Kulturforum und ran änderten auch nichts die zum ersten und gleich-
Dahlem auf einer gesicherten Basis vorantreiben ließen. zeitig zum letzten Mal abgehaltenen freien Wahlen in
Diese Aktivitäten in der Zusammenarbeit und Pla- der DDR. Man erinnere sich an die Montagsdemos mit
nungen für den Tag X schritten der allgemeinen po- den Losungen »Deutschland, einig Vaterland«. Daraus
litischen Entwicklung weit voran. Wir waren absolute resultierte ein Staatsvertrag zwischen Bundesrepub-

14
lik und Deutscher Demokratischer Republik, der »Ei- im Hamburger Bahnhof und im Erweiterungsbau der
nigungsvertrag«, und im Vollzug die Vereinigung zum Neuen Nationalgalerie am Kulturforum. All dies ein
3. Oktober 1990. Die Staatlichen Museen Preußischer Resultat auf Grundlage des Bedeutungszuwachses der
Kulturbesitz waren neben dem Deutschen Historischen Staatlichen Museen nach der Wiedervereinigung.
Museum als einzige Kulturinstitution explizit im Eini- Zur Begründung der Integration der Gemälde bis
gungsvertrag Paragraf 47 genannt mit der Ansage ei- 1800 n. Chr. in das Bode-Museum und damit gegen das
ner Neuordnung. Fiskalisch bedeutete Kulturforum als den aus Leitungssicht einzig vertretba-
dies für die Staatsverwaltung und die ren Standort, beriefen sich die Verfechter der traditio-
Staatlichen Museen Preußischer Kul- nellen Linie auf Äußerungen des Generaldirektors der
turbesitz als nachgeordnete »bundes- Königlichen (Staatlichen) Museen zu Berlin der Jahre
unmittelbare Stiftung«, ab dem Tag der 1905 bis 1920, Wilhelm von Bode. Die Gegenargumen-
Wiedervereinigung in 1990 und 1991 te beriefen sich darauf, dass man schon 1877–1881 das
sollte es getrennte Haushalte der noch Gebäude für das Kunstgewerbemuseum in der südli-
getrennten Kultureinrichtungen unter chen Innenstadt, den Martin-Gropius-Bau, errichtete.
dem Dach der Stiftung geben, ab 1992 An seine eine Seite wurde bis 1886 das Völkerkunde-
sollten die Spiegeleinrichtungen zu- museum gestellt, an die andere bis 1905 die Kunstbib-
sammengeführt sein. liothek. So entstand schon früh ein zweites Museums-
Weil dies Problem geklärt schien, zentrum, das schon 1900 wegen der enormen Grund-
hat sich die öffentlich geführte Dis- stückskosten in dieser Citylage nicht erweiterungsfä-
kussion im Wesentlichen auf die räum- hig war. So war man gezwungen, ein drittes Zentrum
liche Unterbringung der Museen der in Dahlem in Angriff zu nehmen.
europäischen Kunst konzentriert, wo- Die von Richard Schöne, Generaldirektor der König-
bei eine Gruppe Kunsthistoriker unbe- lich Preußischen Museen von 1879 bis 1905, propagier-
irrbar den Verbleib der gesamten Ge- te Konzentration der »großen Kunst« auf der Museums-
mälde- und Skulpturensammlungen insel erwies sich angesichts der schnell wachsenden
auf der Museumsinsel bzw. Neubauten Sammlungen als verhängnisvoll. Schon 1907 publizier-
in deren unmittelbarer Nähe forderte, te sein Nachfolger, Wilhelm von Bode, seine negative
während die Generaldirektoren genau- Meinung zu diesem Konzept. Was von Bode tatsächlich
so unbeirrbar am Neubau der Gemäl- als geboten erschien, benannte er 1910 deutlicher: »Als
degalerie am Kulturforum festhielten. die Entwicklung der Sammlungen unserer königlichen
Hier stach das Argument der Leitung, Museen vor etwa 20 Jahren eine wesentliche Erweite-

Geschichte
dass das ganze Konzept der Zusam- rung der Bauten notwendig machte, war von verschie-
menführung der Sammlungen nur denen Seiten der Vorschlag gemacht worden, eine örtli-
dann funktioniere, wenn qualifizierte che Trennung der Museumsbauten in der Weise vorzu-
Gebäude durchaus im Sinne eines Ver- nehmen, daß den Sammlungen der antiken Kunst die
schiebebahnhofs bereitstanden. Will ganze Museumsinsel eingeräumt wird, für die Samm-
sagen: Die Gemälde mussten sowohl lungen aus christlichen Epochen dagegen ein zweites
von der Museumsinsel als auch aus Zentrum im Südwesten der Stadt um das damals weni-
Dahlem auf das Kulturforum zusam- ge Jahre vorher eröffnete Kunstgewerbemuseum gebil-
mengeführt werden, um die »Denk- det würde. Dieser Vorschlag fand schließlich keine Bil-
schrift zu den zukünftigen Standorten ligung; es wurde vielmehr entschieden, daß die Samm-
und zur Struktur der Staatlichen Mu- lungen der hohen Kunst auf der Museumsinsel verei-
seen zu Berlin« von 1990 überhaupt in nigt bleiben sollten.« Und 1923 vor einem preußischen
Gang setzen zu können. Dies alles ist Parlamentsausschuss: »Ich mußte mich für diesen ein-
sehr offen und sehr ausführlich nach- zig noch übrigen Platz entscheiden, obwohl es der un-
zulesen im »Jahrbuch Preußischer Kul- glücklichste Platz in der ganzen Welt ist … Gegen mei-
turbesitz Bd. 27« (1990). In erster Linie, nen Rat war das Kaiser-Friedrich-Museum an die Spit-
allein schon deshalb, weil die Museumsinsel zu einer ze der Insel gebaut worden, auf Wunsch des General-
Weltkulturerbestätte erklärt worden war, hieß das, die- direktors Schöne, der alle Museen für hohe Kunst an
se für eine zeitgemäße Nutzung umzugestalten und derselben Stelle ver­einigen wollte.«
gleichsam ihren einzigartigen Charakter aus der Kom- Zukunftweisend blieb dagegen die Grundidee Wil-
bination von Architektur und Sammlungen zu erhalten. helm von Bodes, die wir auch für uns als verbindlich
Dafür wurde der »Masterplan Museumsinsel« ent- übernommen haben: Die Gliederung an drei Haupt-
wickelt. Dieser umfassende Sanierungs- und Moderni- standorten, nämlich Sammlungen der Antike auf der
sierungsplan wurde 1999 vom Stiftungsrat beschlossen. Museumsinsel, Sammlungen der christlichen Epo-
Er ist die Grundlage für sämtliche Baumaßnahmen auf chen im Südwesten der Stadt und außereuropäische
der Museumsinsel, einschließlich der dann doch mög- Sammlungen an dem von ihm dafür bestimmten Platz
lichen Erweiterung auf die Museumshöfe. Auch gehört in Dahlem. Als die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
der Hamburger Bahnhof als Museum für Gegenwart in zu Beginn der 1960er Jahre vor der Frage stand, eine
diesen Kontext. Ebenso verdanken wir dem Master- zukunftssichere Struktur zu entwerfen, die auch nach
plan die erforderlichen Raumreserven für die Museen der Wiedervereinigung gültig sein musste, griff sie die
Sammlung Heinz Berggruen, Sammlung Scharf-Gers- Ideen von Bodes auf. Um ausreichend großen Baugrund
tenberg und Museum Helmut Newton. Dazu kommen zur Verfügung zu haben, wurde das Museumszentrum
die Sammlungen von Erich Marx und Heiner Pietzsch für die Sammlungen europäischer Kunst um einiges

15
nach Westen, eben an das Kulturforum verschoben. In Und weiter heißt es in der Ausschreibung: »Der Schwer-
der Ausschreibung für den 1966 durchgeführten Archi- punkt der vorhandenen kulturellen Einrichtungen Ber-
tektenwettbewerb für die Museen der europäischen lins liegt in den Innenstadtbezirken ›Mitte‹ und ›Tier-
Kunst am Kulturforum, formuliert durch den Gene- garten‹. Die Bauleitplanung Berlins steht unter dem
raldirektor Stephan Waetzoldt, wurde zu Anlass, Sinn Aspekt der wiedervereinigten Stadt. Hierbei kommt
und Zweck ausgeführt: »1955–1958 wurden die Bestän- dem Tiergarten mit hervorragenden Einrichtungen der
de der Staatl. Museen, die in den Nachkriegsjahren in Hauptstadt als Verbindung des historischen Zentrums
Wiesbaden und Celle provisorische Unterkünfte gefun- im Bereich ›Unter den Linden‹ mit der neuen ›City am
den hatten, nach (West-)Berlin zurückgeführt. Muse- Zoo‹ eine besondere Bedeutung zu.«
umsneubauten (scil: Gemäldegalerie, Skulpturenab- Kamen wir vor nunmehr 33 Jahren zu der Einsicht,
teilung, Kupferstichkabinett, Kunstgewerbemuseum, es seien keine Gründe erkennbar, die gegen die Fort-
Kunstbibliothek), die auch in einem wiedervereinig- führung der Planungen sprechen, so lehrt uns die Ge-
ten Berlin und Deutschland ihre Gültigkeit behalten, schichte: Manche Fragen sollten wir bewusst offen-
sind zu einer nicht mehr aufschiebbaren Notwendig- halten, da wir wissen, dass die Realisierung aller Bau-
keit geworden. Die Wahl dieses Standortes entspricht maßnahmen Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird und
aber auch dem Wunsch, diese neuen Museen zu dem garantiert deutlich länger dauert als prognostiziert.
alten Museumszentrum jenseits des Brandenburger Halten wir uns da an Wilhelm von Bode, der 1904 zur
Tors in eine organische Verbindung zu bringen, die in Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums über zukünf-
einer glücklicheren Zukunft selbst dem Fußgänger die tige Konzepte schrieb: »Doch das sind Zukunftsträu-
leichte und schnellste Erreichbarkeit der Museen un- me, die vielleicht wie Seifenblasen zerplatzen werden,
tereinander ermöglicht.« wenn später unsere Nachfolger den Bau und die Auf-
stellung darin ihren eigenen Ideen anpassen werden.
Auch ihnen müssen noch Aufgaben bleiben, und wenn
sie unter günstigeren Verhältnissen das ausführen kön-
nen, was wir uns noch versagen müssen, lassen wir uns
gern ihren Tadel gefallen.«

Günther Schauerte war 1989 Planungsreferent


in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu
Berlin sowie von 2011 bis 2019 Vizepräsident der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Geschichte

Blick an die Kuppel des


Bode-Museums auf
der Museumsinsel Berlin.

16
→ Klaus-Dieter Lehmann

Masterplan
Museumsinsel
A
uf weniger als einem Quadratkilometer ist auf der Standorte Museumsinsel, Kulturforum und Dahlem
Spreeinsel innerhalb von 100 Jahren – von 1830 zu unterschiedlichen Belegungsüberlegungen führte
bis 1930 – eine Tempelstadt der Künste und der und nicht nur isoliert für die Museumsinsel betrach-
Kultur entstanden, die mit ihren fünf Museen 6.000 tet werden konnte.
Jahre Menschheitsgeschichte repräsentiert. Karl Fried- Zudem war die bauliche Gestaltung der Museums-
rich Schinkel schuf mit dem Alten Museum den ersten insel untrennbar mit der Funktion des Neuen Muse-
Bau. Im Jahr 1859 wurde das Königlich-preußische Mu- ums verbunden. Es schien in seinem ruinösen Zustand
seum, heute Neues Museum, eröffnet. 1876 folgte die die Chance zu bieten, ein funktionales Verbindungs-
Nationalgalerie, heute Alte Nationalgalerie, 1904 das glied zwischen den nördlichen und südlichen Bauten

Geschichte
Kaiser-Friedrich-Museum, heute Bode-Museum, und zu sein. Man sah aber auch die Gefahr, dass das Neue
schließlich 1930 das Pergamonmuseum Museum dann zu einer Art Eingangsgebäude der Mu-
Die Museen auf der Museumsinsel wurden wäh- seumsinsel verkommen könnte und in der Substanz
rend des Zweiten Weltkrieges zu über 70 Prozent zer- gefährdet würde. So war es naheliegend, 1993/94 ei-
stört, die Sammlungen waren teils ausgelagert, wur- nen Wettbewerb auszuschreiben, der das Neue Mu-
den teilweise zerstört oder als Kriegsbeute verschleppt. seum in den Mittelpunkt rückte und sowohl die bau-
Ab 1950 begann schrittweise der Wiederaufbau durch liche Ausformung als auch die funktionale Bedeutung
die DDR, beschränkte sich aber wegen der enormen für die Museumsinsel klären sollte. Die Jury entschied
Kosten nur auf eine Grundsanierung. Das am schwers- sich für den Entwurf von Giorgio Grassi. Es kam zu ei-
ten beschädigte Neue Museum blieb als Ruine beste- nem nicht zu lösenden Konflikt der Auffassungen der
hen, sollte zeitweilig sogar abgerissen werden. 1958 Museumsvertreter und der Denkmalpfleger und His-
erfolgte überraschend die teilweise Rückführung der toriker. Die Museumsseite favorisierte wiederum den
in die Sowjetunion verbrachten Beutekunst aus den Entwurf von Frank O. Gehry. Dieser Vorschlag nutzte
Sammlungsbeständen der Museen auf der Museums- dekonstruktivistische, teilweise aufgeständerte Ele-
insel. Damit konnte wieder der kulturelle Weltrang er- mente und stand im Gegensatz zu dem vorhandenen
reicht werden. ästhetischen Duktus. Auch er war nicht erfolgreich. In
Erst mit der Wiedervereinigung konnte an die For- der folgenden Überarbeitungsphase wurde Grassi auf-
mulierung eines umfassenden Masterplans für die Mu- gefordert, Änderungen zu entwickeln. Auch diese Pha-
seumsinsel gedacht werden, der sowohl die architekto- se endete wiederum ohne Ergebnis. Man trennte sich
nische, städtebauliche und technische Bedeutung als von Grassi. Es war ein heftiger Lernprozess, der aber
auch die Zusammenführung der Sammlungsbestän- auch viel Gedankenschutt wegräumte und die Zielset-
de aus Ost- und Westberlin, die über 45 Jahre getrennt zungen klarer machte.
waren, umfasste. Die Wiedergeburt der Museumsinsel Es wurde dann aufgrund dieser Erfahrungen ent-
und ihre Transformation ins 21. Jahrhundert stand auf schieden, einen Masterplan zu entwickeln, der die Mu-
der Tagesordnung. seumsinsel als Gesamtkomplex und nicht die Häuser
Die Denkschrift zu den zukünftigen Standorten und getrennt betrachtet, der den Originalcharakter der Ge-
Struktur der Staatlichen Museen zu Berlin von 1990 bil- bäude unterstreicht und eine leistungsfähige Infra-
dete den Anfang. Es war der erste Schritt des gemeinsa- struktur mit Eingangsgebäude und verbindender Pro-
men Nachdenkens der bislang getrennten Einrichtun- menade vorsieht. Beauftragt wurde damit eine Pla-
gen. Aber die Denkschrift löste ebenso intensive und nungsgruppe, in der die Architekten der einzelnen
kontroverse Debatten aus. Es sollte trotz aller Eupho- Häuser vertreten waren: David Chipperfield (Neues
rie und fachlicher Kompetenz ein schwieriger und lang- Museum und Zusatzbau), Hilmer+Sattler (Altes Muse-
wieriger Weg werden, der insbesondere durch die drei um), Tesar (Bode-Museum) und ab 2000 O. M. Ungers

17
(Pergamon-Museum). Dieser Prozess mündete 1997 in von einem eiszeitlichen Urstromtal durchzogen mit
ein Gutachterverfahren. 1998 fiel die Entscheidung für Rinnen, die von nicht tragfähigen organisch durchsetz-
David Chipperfield und seinen eng an die Typologie des ten Sanden, Schlamm und Kolksituationen geprägt sind
Neuen Museums bezogenen Entwurf. Er hatte die Fe- und für die Gebäude jeweils eigene Stabilisierungs-
derführung und übernahm die Gesamtleitung inner- maßnahmen verlangten. Es wurden damals Pfahlgrün-
halb der Planungsgruppe. Damit waren die entschei- dungen aus bis zu 20 Meter tief reichenden Holzpfäh-
denden Voraussetzungen für den Masterplan geschaf- len eingebracht, Mischgründungen aus Betonbrücken,
fen, der die Ausgestaltung der Museumsinsel baulich schwimmende Pfahlgründungen und Holzroste. Set-
und inhaltlich bestimmen sollte: zungsschäden, Fäulniserscheinungen und Abbrüche
erfordern heute neue Gründungsmaßnahmen. Bei aller
Ԃ Die denkmalgeschützte Grundinstand- Verbindlichkeit des Masterplans für die Museumsinsel
setzung der fünf Gebäude und die räumliche als kulturelles Erbe sind diese realistischen Bedingun-
Verbindung durch eine Archäologische gen zur Wiedergewinnung der großartigen Freistätte
Promenade für Kunst und Wissenschaft deshalb nicht ohne bau-
Ԃ Ein effizientes Erschließungskonzept liches Risiko und erfordern ein sorgfältiges und teil-
innerhalb der einzelnen Häuser und Zugang weise aufwändiges Vorgehen in jedem Einzelprojekt.
durch die jeweiligen Gebäudeeingänge Am 2. Dezember 2001 wurde die Alte Nationalgalerie
Ԃ Errichtung eines neuen Eingangsgebäudes als erstes Gebäude der Museumsinsel wiedereröffnet,
und Besucherzentrums die zwischen Ost und West aufgeteilten Sammlungen
Ԃ Ergänzung des Pergamonmuseums durch des 19. und frühen 20. Jahrhundert wieder zusammen-
einen vierten Flügel am Kupfergraben geführt, der Einbau zweier Säle für die Werke von Cas-
zur Schließung des Rundgangs auf der Haupt­ par David Friedrich und Karl Friedrich Schinkel neuge-
geschossebene staltet und die modernste technische Ausstattung in-
Ԃ Die Verlagerung von museumsinternen stalliert. Es war ein begeisternder Aufbruch, der zu ei-
Funk­tionen auf die dem Bode-Museum gegen- ner spürbaren öffentlichen Unterstützung führte und
überliegenden Museumshöfe das Gesamtunternehmen Museumsinsel beförderte.
Ԃ Herrichten der Freiflächen auf der Museums- Das Bode-Museum war das nächste Einzelprojekt.
insel für Museumsbesucher Der 100 Jahre alte Museumsbau in neubarocker Archi-
tektur wurde in fünfeinhalb Jahren komplett renoviert,
In intensiven Planungsgesprächen wurden das Konzept der Stilräume offen und lebendig gestal-
auf dieser Bau- und Infrastruktur die folgende tet. Im Oktober 2006 konnte das fertig eingerichtete
Geschichte

Belegung festgelegt: Museum eröffnet werden. Es gab vorher noch heftige


Debatten um die Verlagerung der Gemäldegalerie am
Ԃ Altes Museum: Klassische Antike Kulturforum ins Bode-Museum, um sie wieder mit der
Ԃ Neues Museum: Ägyptisches Museum, Skulpturensammlung zu vereinen. Das war vom Flä-
Museum für Vor- und Frühgeschichte chenbedarf nicht möglich. Es wurde dann vorgeschla-
Ԃ Alte Nationalgalerie: Kunst des 19. Jahr- gen, auf dem gegenüber dem Bode-Museum liegenden
hunderts und frühen 20. Jahrhunderts Kasernengelände einen Erweiterungsbau vorzusehen.
Ԃ Bode-Museum: Skulpturensammlung Diese Modifikation des Masterplan fand bei den Gre-
vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert mien der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) aus
(Renaissance und Gotik), Museum für Kostengründen keine Zustimmung. Es kam lediglich zu
Byzantinische Kunst, Münzkabinett einer Ergänzung von etwa 100 Tafelbildern aus der Ge-
Ԃ Pergamonmuseum: Antikensammlung, mäldegalerie. Das Thema Gemäldegalerie auf die Mu-
Vorderasiatisches Museum, Museum für seumsinsel blieb aber bis heute auf der Tagesordnung.
Islamische Kunst. Das Neue Museum wurde im Rahmen des Master-
Ԃ James-Simon-Galerie (Eingangsgebäude): plan 2008 baulich fertiggestellt und 2009 eröffnet. Die
Besucherzentrum, Veranstaltungs- und Wiederherstellung des über 60 Jahre lang als Kriegsru-
Informationszentrum, Restaurant und ine bestehenden Gebäudes erfolgte nach dem Konzept
Museumsshop des behutsamen Weiterbauens. Originalsubstanz wur-
de sorgfältig erhalten und restauriert, zerstörte Gebäu-
Im Juni 1999 wurde der von den beteiligten Interessen- deteile in moderner Formensprache ergänzt, wie etwa
vertretern einvernehmlich entwickelte Masterplan vom der Nordwestflügel oder die Treppenhalle, eine beein-
Stiftungsrat beschlossen und zur Realisierung der ein- druckende Raumskulptur. Wir bauen historisch ehr-
zelnen Phasen zugrunde gelegt. Damit war eine gesi- lich, war das Leitmotiv. Über diese Form des Wieder-
cherte Gesamtplanung gegeben. Im Dezember 1999 fiel aufbaus ist heftig gestritten worden, vor allem über die
noch eine weitere wichtige Entscheidung. Die Muse- monumentale Treppenhalle und die Rohziegelwände.
umsinsel wurde in die Liste des UNESCO-Weltkulturer- Doch wenige Tage nach Eröffnung gab es keine Zweif-
bes aufgenommen. Das war eine große Auszeichnung, ler und Gegner mehr, helle Begeisterung war die Reak-
zugleich aber auch eine deutliche Verpflichtung zur tion des Publikums. Diese Art der Restaurierung wur-
Berücksichtigung des geforderten Denkmalschutzes. de beispielhaft und inzwischen mit vielen internatio-
Der Masterplan musste nicht nur die Gebäude und nalen Preisen geehrt.
die Sammlungen im Sanierungs- und Modernisierungs- Zugleich mit dem Neuen Museum waren auch die
prozess betrachten, sondern auch den Baugrund und Planungen für das neue Eingangsgebäude begonnen
die Gründungsverhältnisse. Die Museumsinsel wird worden. Die vorgezogene Freigabe entsprechender

18
Finanzmittel 2006 ermöglichte den Baubeginn der
James-Simon-Galerie 2009. Wegen der erheblichen
Probleme mit der Gründung kam es dann zu großen
Verzögerungen. Erst 2014 konnte mit dem Rohbau be-
gonnen werden. Die feierliche Eröffnung des 6. Gebäu-
des auf der Museumsinsel erfolgte schließlich 2019. Der
Neubau überzeugt sowohl in seiner Ästhetik als auch
mit seinen Funktionen. Seine großzügige Freitreppe
hat einen neuen Stadtraum geschaffen, die Großzü-
gigkeit im Innern überrascht, die direkte Anbindung
ins Pergamonmuseum und ins Neue Museum löst ele-
gant größeren Publikumsansturm. Das Haus steht in
der Tradition der Museumsinsel.
Das Pergamonmuseum scheint aus der Zeit gefal-
len zu sein. 24 Jahre nach Verabschiedung des Master-
plans wird es jetzt erst in Angriff genommen. Mit jähr-
lich mehr als einer Million Besuchern gehört es zu den
beliebtesten Museen in Deutschland. Alle bis jetzt ge-
troffenen Maßnahmen dienten im Wesentlichen der
Gefahrenabwehr. Die Tageslichtdecken gehören zu den
größten Schwachstellen, die Gründung des schweren
Gebäudes ist ein einziger Problemfall. Ende Oktober
2023 wurde es komplett geschlossen. Der Nordflügel
mit dem Pergamonaltar und der dann umgesetzten
Mschatta-Fassade soll 2027 wieder geöffnet werden.
Der Südflügel mit dem Ischtar-Tor und der Prozessions-
straße von Babylon wird voraussichtlich 2037 zugäng-
lich sein. Dann wird auch der im Masterplan vorgesehe-
ne vierte Flügel als Verbindung des Nord- und Südflü-
gels den Rundgang entlang der antiken Großarchitek-
turen ermöglichen. Ursprünglich sollten während der

Geschichte
Sanierungsarbeiten immer einige Museumsteile zu-
gänglich bleiben. Diese Pläne wurden jetzt verworfen.
Das Alte Museum am Lustgarten hat durch die bis
1966 erfolgte weitgehend originalgetreue Wiederher-
stellung mit der Antikensammlung eine bauliche Qua-
lität, die zumindest die Bespielbarkeit ermöglicht. Im
Zuge des Masterplans wurden kleinere Baumaßnahmen
durchgeführt, die Grundsanierung und Modernisierung
soll aber erst nach der Fertigstellung des Pergamonmu-
seums nach den Plänen von Hilmer und Sattler erfolgen.
Wenn die Ingenieure und Bauleute die Museumsin-
sel verlassen haben, dann wird das eindrucksvolle kul-
turelle Ensemble nicht nur über die modernste Muse-
umstechnik verfügen, die Freiflächen für die Besucher
offen sein und die sechs meisterhaften Gebäude im
Grüner Kopf →
neuen Glanz erstrahlen, dann werden auch die Samm- späte Ptolemäerzeit, 180–30 v. Chr.;
lungen neue Zusammenhänge, überraschende Blick- Grauwacke (Siltstein); 23 × 14 × 20 cm;
achsen und Zugänge eröffnen. Jede Zeit muss sich die Ägyptisches Museum und Papyrus-
Zeugnisse der Vergangenheit neu aneignen und die sammlung, Staatliche Museen zu Berlin
Erwartungen unserer Gesellschaft vermitteln, neben
Neugier und Staunen auch Offenheit und Muße. Es ist
ein wahrhaft urbaner Ort, keine Instanz und kein Na-
tionaldenkmal, sondern eine persönliche Entdeckung
für jeden, in der Mitte Berlins. Die Humboldt-Schin-
kel’sche Museumsmaxime »Erst erfreuen, dann beleh-
ren« behält auch heute ihre Gültigkeit.

Klaus-Dieter Lehmann ist Kulturmanager. Er war


von 1998 bis 2008 Präsident der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz und anschließend bis
2020 Präsident des Goethe-Instituts.

19
Geschichte

20
Gefesselter Riese

In der Alten Nationalgalerie trifft Adolf von Hildebrandts »Stehender junger Mann« auf
Giovanni Segantinis impressionistisches Monumentalwerk »Rückkehr zur Heimat«.
→ Johann Michael Möller

W
er sich in diesen Tagen auf den Fluren der Stif- nen gesperrt. Durch eine effizientere Governance, wie
tung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in Berlin das heute heißt, könne man sich diese Gelder ja wie-
umhört und nach dem Stand des vieldiskutierten der verdienen. Was ein Grundproblem dieses Reform-
Reformprozesses fragt, bekommt zwei einander wider- vorhabens sichtbar macht: Es reden zu viele mit und
sprechende Antworten: Die Neuorganisation der Stif- zu viele rein. Über die vielen Kommissionen, Arbeits-
tung komme tatsächlich voran, aber eigentlich kön- gruppen und Entscheidungsebenen, die mit dem The-
ne man sie sich gar nicht mehr leisten. Das Geld, das ma bisher befasst waren, kann man den Überblick oh-
der Stiftung dafür zur Verfügung stehe, reiche hinten nehin schnell verlieren. Doch während die frühere Bun-
und vorne nicht aus. Für den notwendigen Umbau der deskulturministerin Monika Grütters eine bemerkens-
Strukturen nicht; aber auch nicht für den künftigen werte Ungeduld gegenüber der Stiftung zeigte, scheint
Betrieb. Die seit Jahren beklagte chronische Unterfi- für ihre Nachfolgerin Claudia Roth das Thema bislang
nanzierung der Stiftung beginnt sich jetzt offenkundig nur eine überkommene Erblast zu sein. Der Wechsel
zu rächen. Wir müssen dringend dezentralisieren, sagt im Amt habe dem Reformprozess ein Jahr Stillstand
einer der Direktoren, der zur Reformergruppe gehört, gebracht. Das pfeifen die Spatzen von allen Dächern.
aber wir wissen nicht, wie wir das finanzieren sollen. Man fragt sich allerdings schon, warum es eines
In diesen Zeiten sei eher die umgekehrte Richtung ge- Paukenschlags vom Wissenschaftsrat brauchte, um
fragt: Konzentrieren und Zusammenlegen, wo es nur die Stiftung aufzuschrecken. Denn über die schwer-
geht. Aber ein solcher Kurswechsel käme überhaupt fälligen Strukturen und intransparenten Abläufe wur-
nicht in Frage; man spricht darüber auch nur hinter de intern ja schon lange geklagt. Wer die Präsentation
vorgehaltener Hand, zumal sich die Stiftung längt auf- des Gutachtens damals miterlebt hat, denkt noch mit
gemacht hat, die politischen Forderungen nach einer Schaudern daran zurück. Es war ein eisig höfliches Tri-
grundlegenden Reform zu erfüllen. Vor allem die Staat- bunal über eine Institution, die ihre Mängel nicht län-
lichen Museen Berlin, der mit seinen 15 Sammlungen ger verbergen konnte. Und ihr Präsident musste sich

Geschichte
an 19 Standorten größte und populärste Bereich, drän- mit guter Miene anhören, was für einen sanierungs-
gen schon lange auf Beinfreiheit und größere Autono- bedürftigen Laden er hat. Zukunftsideen waren frei-
mie. Die Häuser haben das gemeinsame Dach ihrer Ge- lich auch vom Wissenschaftsrat nicht zu hören. Man
neraldirektion immer wie einen Betondeckel empfun- wurde damals eher Zeuge eines lustvollen Bohrens im
den. Den ist man jetzt wohl als Erstes schon los. Von morschen Gebälk.
der Dysfunktionalität der Verwaltung in der Preußen- Monika Grütters ist trotzdem zugutezuhalten, dass
stiftung hatte das Gutachten des Wissenschaftsrats sie den Prozess überhaupt angestoßen hat. Die Lorbee-
vor mehr als drei Jahren geschrieben. Aber das war ein ren hätte sie ohnehin nicht mehr ernten können. Und
technokratischer Verlegenheitsbegriff für ein Klima, ihre Nachfolgerin Roth hatte sehr bald schon ganz an-
das belastender nicht hätte sein können. dere Sorgen. Der Schatten der Kasseler Documenta war
Will man den Kern der geforderten Reformen be- lang. Trotzdem sind die diskreten Gespräche zwischen
schreiben, dann geht es also vor allem um den großen dem Bund und den Ländern offenbar weitergegangen,
Museumsbereich, um Sammlungen von Weltrang, de- in denen es auch um die finanziellen Spielräume für
nen doch Publikum und die nötige Strahlkraft fehlt. In eine Stiftungsreform ging. Dabei ist es dann fürs Ers-
der Stiftung selbst vergleicht man sie gerne mit dem te geblieben.
Louvre, dem British Museum oder der Tate Gallery. Doch in der so heftig gescholtenen Stiftung war der
Aber diese Häuser haben ein Mehrfaches an Etat, an Selbstbehauptungswille erwacht. Man wollte sich nicht
Personal und Besuchern. Daran können sich die Berli- widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen. Die Di-
ner Staatlichen Museen nicht im Entferntesten messen. rektoren und Direktorinnen der einzelnen Häuser mel-
Deren Schätze wieder zum Leuchten zu bringen, ist deten sich in einem dringenden Appell zu Wort und
aber nicht nur die Aufgabe einer klugen Ausstellungs- forderten ihre Mitwirkung am Reformprozess selbst-
politik. Die Häuser bräuchten längst auch ein moder- bewusst ein. Die Stiftung, schrieb Thomas Schmidt da-
nes Erscheinungsbild, eine eigene Kommunikations-, mals ungläubig in der »Zeit«, nehme ihre Erneuerung
aber auch Bildungskompetenz; und über den dürftigen jetzt in die eigene Hand. Im politischen Berlin stritt
Onlineauftritt macht man sich sogar lustig. Besonders man derweil mit Hingabe über den Namen »Preußen«.
über Personalfragen und die Verwendung des eigenen Um die nationale Bedeutung der Stiftung ging es je-
Etats möchte man endlich selbst entscheiden können. denfalls nicht.
Moderne Globalhaushalte geben das vor. Derweil hatte man dort mit den Hausaufgaben be-
Eine solche Dezentralisierung bindet zumindest am gonnen; gab ein Zweitgutachten bei der Münchner Kul-
Anfang zusätzliche Mittel, das ist eine Binsenweisheit turberatungsagentur Actori in Auftrag, das die Mängel-
fast aller Reformen. Doch der Haushaltsausschuss des liste des Wissenschaftsrats im großen Ganzen bestätigt
Bundestags hat als erste Reaktion auf das Wissen- hat. Man hat sich dann im Sommer auch Berater von
schaftsratsgutachten damals gleich ein paar Millio- der bundeseigenen Agentur »Partner Deutschland« mit

21
ins Boot geholt und schließlich die Aufgaben bei die-
sem gewaltigen Transformationsprozess kollegial auf-
geteilt. In vier Teilprojekten will man jetzt vorgehen,
die sich um die Reorganisation der Staatlichen Museen
kümmern werden, um die Aufteilung des Personals der
früheren Hauptverwaltung ebenso wie um die neuen
Haushaltsstrukturen; und schließlich soll es eine Ge-
samtstrategie für die Stiftung geben. Das ist viel mehr,
als manche Skeptiker erwartet haben.
Das gerne verbreitete Bild eines viel zu groß gewor-
denen Ladens, wo der Staub rieselt und die Abläufe
mühsam sind, will zu solchen Aktivitäten nicht mehr
passen. Auch dass der als machtbewusst beschriebe-
ne Präsident Parzinger eine solche Graswurzelrevolu-
tion im eigenen Haus überhaupt zulassen könnte, ha-
ben seine Kritiker lange bezweifelt. Aber Parzinger, so
hört man in Gesprächen immer wieder, habe die Stif-
tung in der Krise zusammengehalten. Ohne seine po-
litische Präsenz, sein taktisches Geschick und seine –
wie man bei Boxern sagen würde – fast unbegrenz-
ten Nehmerqualitäten, hätten die Fliehkräfte wahr-
scheinlich obsiegt.
Auch die Bund-Länder-Kommission hatte während-
dessen geräuschlos weiterarbeiten können, und der
Stiftungsrat konnte schließlich im Dezember letzten
Jahres ein Eckpunktepapier verabschieden, das dem
Reformprozess seinen verbindlichen Rahmen gibt.
Ob dieses Papier zur »Luftnummer« wird, wie man-
che Kommentare schon fürchten, oder ob die nächste
»Sandbank« in Sichtweite liegt, wird sich in den kom-
menden Monaten weisen. Die Stiftung jedenfalls hat
Geschichte

einen Teil ihrer Hausaufgaben gemacht. Von der Po-


litik lässt sich das nicht uneingeschränkt sagen. Die
Zerschlagung der Stiftung ist zwar politisch vom Tisch,
und auch über Preußen wird nicht mehr offen gestrit-
ten, aber dafür ist ein anderes, viel gravierenderes Pro-
blem aufgetaucht: die leidige Finanzierung. Für den
Reformprozess fehlt schlicht das Geld. Und mit einem
nennenswerten Aufwuchs der Etats ist auch für das
nächste Jahr kaum zu rechnen. Wir planen, so heißt
es lakonisch, mit dem, was wir haben. Aber das reicht
natürlich hinten und vorne nicht aus.
Die Stiftung braucht mindestens einen Aufwuchs
von 31 Millionen Euro, wie ihr Finanzchef veranschlagt.
Das wäre weniger als die Hälfte dessen, was Actori mit
66 Millionen als Kosten für die Reformen berechnet hat.
Die veranschlagten auch 400 zusätzliche Stellen; uto-
pische Zahlen angesichts der gegenwärtigen Finanz-
situation. Jetzt werden es womöglich nicht einmal die
dringendst benötigten 150 Planstellen sein. Zehn Pro-
zent der benötigten Mittel, also drei Millionen zusätz-
lich, wollen die Länder tragen. Ihr Anteil war lange ge-
deckelt. Der Rest wäre Sache des Bundes. Nach dem
Kofinanzierungsschlüssel käme man dann auf zwölf
Millionen; was fehlt, müsste durch Effizienzgewinne
erwirtschaftet werden. Milchmädchenrechnung wäre
dafür ein viel zu harmloses Wort.
Denn der Stiftung fehlen im nächsten Jahr auch für
den laufenden Betrieb noch weitere 28 Millionen. Al-
Der Amtssitz des Präsidenten
lein die Kosten im Energie- und Personalbereich sind und seiner Hauptverwaltung:
so dramatisch gestiegen, dass man sogar befürchtet, ei- Die Villa von der Heydt in Berlin
nige der Museen womöglich gar schließen zu müssen. Tiergarten.
Aber dann fehlen auch wieder die Einnahmen. Die sa-
nierungsbedingte Schließung des Pergamonmuseums

22
reißt allein schon ein gigantisches Loch. »Wir blicken ter Widerstand. Wenn es diese ungewöhnliche Kons-
in den finanziellen Abgrund«, sagt einer der überzeug- truktion nicht schon gäbe, man müsste sie eigens er-
ten Reformer. Und die Reform? Die stünde dann wohl finden. An der jüngsten Schliemann-Ausstellung, um
in den Sternen. nur ein Beispiel für die Synergien zu nennen, waren
Im Bundeskulturministerium weiß man sehr genau fast alle Häuser der Stiftung beteiligt.
um dieses Problem; bei den Ländern erntet man hinge- Aber diese Stiftung Preußischer Kulturbesitz h ­ atte
gen Erstaunen. Die Reform sei doch beschlossen, heißt von jeher beide Gesichter: Heimat zu sein für ein her-
es dort, an den nötigen Geldern könne es doch nicht renlos gewordenes preußisches Erbe; und dieses dann
fehlen. Was nach der alten Militärweisheit klingt: Der mit neuem Leben zu füllen. Mit der Deutschen Ein-
Krieg muss sich selber ernähren. Aber selbst vom Sitz- heit war auch ihre große Stunde gekommen. Man fragt
land Berlin wird man nicht viel erwarten können. Der sich nur, was davon noch geblieben ist? Warum man
neue Kultursenator Chialo, der noch über eine Milliar- in Berlin zwar gerne vom Louvre, der Tate Gallery oder
de im Haushalt verfügt, turnt ebenfalls schon durch die der Smithsonian Institution redet, der eigenen Stif-
Hauptstadt und schwört seine Kultur auf bittere Zei- tung aber die nationale Rolle erschwert. Dass die Stif-
ten ein. Von Resilienz spricht er gerne, was nicht viel tung jetzt eine Generalüberholung braucht, ist jedoch
mehr heißt als: Leute, zieht euch warm an! Die man- keine Aufgabe der Hauptstadt allein. In anderen Län-
gelnde Kofinanzierung mit Berlin war schon immer ein dern wäre eine solche Reform zur nationalen Sache ge-
Albtraum der Stiftung. Die finanzielle Entkopplung ein worden. Am Wiederaufbau von Notre-Dame hat ganz
dringender Wunsch. Frankreich Anteil genommen.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da war die Im deutschen Föderalismus tut man sich dagegen
Hauptstadt mächtig stolz auf die neu gewonnene Mit- schwer mit solchen Ideen. Aber man sollte darüber
te; auf die Museumsinsel vor allem, aber auch auf die auch nicht vergessen, dass es die Bundesländer in den
doppelt strahlende Staatsbibliothek; auf den Hambur- fünfziger Jahren waren, die als Erste die Initiative zur
ger Bahnhof oder die Neue Nationalgalerie. Allein das Stiftungsgründung ergriffen. Damals wusste man eben
Bauprogramm an den Standorten war gewaltig. Wenn noch, dass die preußischen Sammlungen einen »ge-
man der Preußenstiftung heute den Vorwurf macht, die samtdeutschen national-repräsentativen Charakter«
Zeichen der Zeit verschlafen zu haben, dann belehrt besitzen, wie es der frühere Stiftungspräsident Klaus-
dieser Rückblick eines viel Besseren. Während die Mu- Dieter Lehmann wiederholt klargemacht hat. Dass sich
seen überall auf der Welt über ihre Zukunft nachden- die Bundesländer jetzt nicht aus der gemeinsamen Ver-
ken konnten, dann war man in Berlin mit der Repara- antwortung haben hinausdrängen lassen, obwohl das
tur der Teilungsfolgen beschäftigt und fügte alte Steine die erklärte Absicht von Monika Grütters war, ist ein

Geschichte
wieder zusammen. Dass das auf beeindruckende Wei- Signal, das man nicht übersehen darf. Nur, wenn die
se gelungen ist, kann heute jeder sehen. Wer die Stu- Länder künftig wieder mitzahlen sollen, dann wollen
fen zur James-Simon-Galerie hinaufgeht, auf die Alte sie künftig auch mehr davon haben.
Nationalgalerie blickt oder das Neue Museum, möch- Allein die Erfahrungen und die Expertise, die in Ber-
te nicht an den früheren Zustand erinnert werden. Die lin versammelt sind, könnten beispielsweise vielen
Ideale der deutschen Kulturnation haben auf der Mu- kleineren Kulturinstitutionen draußen im Land hel-
seumsinsel wieder zu leuchten begonnen. Der einstige fen, ihren Weg in die Zukunft zu finden. Die Stiftung als
Generaldirektor der Staatlichen Museen, Peter-Klaus nationales Zentrum für Wissenstransfer? Es schwirren
Schuster, hat es uns allen ins Stammbuch geschrie- derzeit viele Ideen durch die einzelnen Häuser. Die be-
ben. In seinem Reich ging die Sonne damals nicht un- reits etablierte Deutsche Digitale Bibliothek könnte für
ter. Aber die Zeiten sind andere geworden. Eine neue eine solche Entwicklung das Vorbild sein. Noch wirkt
Generation will selber entscheiden können. Das prunk- die Stiftung wie ein gefesselter Riese. Aber der Selbst-
volle Amt hat sich in ihren Augen überlebt. entfesselungsprozess kommt ganz offenkundig voran.
Doch wichtige Fragen sind noch längst nicht geklärt. Ja, und das alte, leidige Thema, das fehlende Geld?
Wo soll die Autonomie der Häuser enden, und wie stärkt Das wird Frau Roth wohl auftreiben müssen. Mitte No-
man den Stiftungsverbund. Zwei Fragen, die sich wohl vember stand die Bereinigungssitzung im Haushalts-
nur dialektisch beantworten lassen. Soll es weiterhin ausschuss an. Doch seit dem Karlsruher Urteil liegt
Dachmarken geben oder treten nur die Produktmarken ohnehin alles in Scherben. Am 8. Dezember tagt der
noch in Erscheinung. Wird man sich an den jeweiligen Stiftungsrat wieder. Spätestens die Planungen für den
Sammlungen orientieren? Oder an den Hauptstandor- Haushalt 2026 werden über Wohl oder Wehe der Re-
ten, wie es das Clustermodell will. Fragt man in der Stif- formen entscheiden. Nicht viel Zeit für die Bundeskul-
tung danach, spürt man das Zögern. Im Kulturministe- turministerin also, die Dinge zum Guten zu wenden.
rium schmunzelt man schon: zwei Schritte vor und ei- Die Probleme sind ihr bekannt, die Lösungen alle noch
nen wieder zurück. Erneuerungsprozesse sind mühsam. strittig. Liebe Frau Roth: Die Neuordnung der Preußen-
Natürlich gehen die Besucher in die Neue National- stiftung allen Widrigkeiten zum Trotz müsste Ihnen zur
galerie; sie nutzen die »Stabi« oder forschen im Gehei- Herzensangelegenheit werden. An deren Finanzierung
men Preußischen Staatsarchiv. Ob auch die großen wird man Sie messen. Am Scheitern der Reformen auch.
Standorte, wie das Kulturforum oder die Museumsin- Über Nacht ist daraus eine Überlebensfrage geworden.
sel das Nutzerverhalten prägen können, wird eine der
spannenden Fragen auch künftig sein. Was aber wird Johann Michael Möller ist freier Publizist.
schließlich aus der Dachmarke selbst? Was aus dem
preußischen Adler? Als man allen Ernstes dran dachte,
die Stiftung zerschlagen zu wollen, regte sich heftigs-

23
→ Achim Bonte, Barbara Göbel
und Matthias Wemhoff
im Gespräch mit Hans Jessen

Schnittstelle
von Wissenschaft
und Kultur­
Vor einem Jahr hat der Stiftungsrat der Stif- Bonte – Die Verbindung zum Bund, wie sie in der
tung Preußischer Kulturbesitz (SPK) noch Stiftung zum Ausdruck kommt, macht uns zum inter-
einmal bekräftigt, die Stiftung nicht aufzulösen, nationalen kulturpolitischen Akteur, in einer Art und
Geschichte

wie vom Wissenschaftsrat vorgeschlagen, son- Weise, wie dies die Bundesländer gar nicht sein könn-
dern als tragende Organisation beizubehal- ten. Vor allem aber sehe ich die riesigen Synergieeffek-
ten, bei stärkerer Selbstständigkeit der einzel- te, die wir unter den Bedingungen voranschreitender
nen Einrichtungen. Dafür hatten auch Sie sich Digitalisierung nutzen können, um die Verbindungen
ausgesprochen. Warum eigentlich, eine Auf- zwischen unterschiedlichen Kultursparten herzustel-
lösung der Stiftung hätte maximale Autonomie len. Am Ende landen wir bei Bits und Bytes. Das, was
auch der Einrichtungen bedeutet, denen Sie andere als Struktur erst mühsam herstellen müssen,
vorstehen? haben wir bereits – wir müssen nur lernen, es zu nut-
Göbel – Die SPK ist eine einmalige Konfiguration an zen. Ein leichter Weg wird das nicht, das Gutachten
der Schnittstelle von Wissenschaft und Kultur, die Ein- des Wissenschaftsrats hat beschrieben, wo die bishe-
richtungen unterschiedlichen Typs unter einem Dach rige Funktionsweise der Stiftung ihre Schwächen hat.
vereint. Wir haben hier einen Verbund von Sammlun-
gen in einmaliger kultureller Vielfalt, geografischer Ziel der Reform bei Erhalt der Stiftung sei, so
Breite und historischer Tiefe. Wenn man den auflösen hat es Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der
würde, gäbe es zwar gute einzelne Museen und Insti- Vorstellung des Eckpunktepapiers bildhaft dar­
tute, aber das Gesamtpotenzial würde nicht wirklich gestellt, »die Schätze der Stiftung zum Leuchten
gehoben. zu bringen«. Wie weit sind Sie diesem Ziel im ver-
Wemhoff – Eine zu weitgehende Einzelstellung der gangenen Jahr nähergekommen?
Einrichtungen würde verhindern, dass wir die Kom- Bonte – Die Ressourcen sind nicht mitgewachsen.
petenzen bekommen, die wir brauchen, um die nati- Wenn man aus einem Verbund 20 Abteilungen mit stär-
onalen und internationalen Herausforderungen, vor kerer Autonomie macht, dann ist das vor dem Hinter-
denen wir stehen, bewältigen zu können. Wir wollen grund keine leichte Aufgabe. Aber das, was hinter der
als ein großer, internationaler Player der Kulturpolitik Reform steckt, nämlich aus einer Kulturbürokratie ei-
wahrgenommen werden, auch im Bereich der samm- nen Kulturbetrieb zu machen – Betrieb in der Defini-
lungsbasierten Forschung. Das ist deutlich besser zu tion, Stätten zu schaffen, in denen unternehmerisch
erreichen, wenn wir mit der Vielfalt agieren können, gedacht und gehandelt wird – ist richtig. Die Kennt-
die in der Stiftung vorhanden ist. Wenn es diesen Ver- nisse und Ideen entstehen auf der kleinsten Ebene, in
bund nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Die Ten- den einzelnen Museen und Teams. Auch die »Marken«
denz geht eindeutig dahin, die unterschiedlichen kul- werden in den einzelnen Häusern gebaut. Es geht nicht
turellen Zeugnisse miteinander in Beziehung zu set- darum, die »SPK« in den Vordergrund zu schieben – den
zen: Archäologie und Kunst, Bücher und Archivalien, Versuch hatte es gegeben, er ist gescheitert.
Musik- und Tondokumente.

24
Die Menschen gehen in die einzelnen Museen oder Herr Wemhoff, was hat sich für die staatlichen
in die Staatsbibliothek, sie gehen nicht zur SPK. Ich Museen im Prozess verändert, die konnten
möchte das mal mit einem großen privatwirtschaft- nie so autonom handeln wie ihre »Konkurrenten«
lichen Unternehmen vergleichen: Wenn Sie »Henkel« andernorts?
nehmen, die produzieren Persil, Pattex, Shampoos und Wemhoff – Zunächst mal ist die streng hierarchische
mehr. Die Kunden kennen die Einzelmarken, die Dach- Struktur aufgebrochen worden. Es gibt jetzt über dem
marke schafft vielleicht noch zusätzliches Vertrauen. einzelnen Museumsdirektor nicht noch einen Gene-
Ein solches Verhältnis zwischen der SPK und den raldirektor aller Staatlichen Museen. Wir behandeln
einzelnen Einrichtungen halte ich für den richtigen die Museen jetzt als weitgehend eigenständige Ein-
Weg. Man hat die Nationalgalerie, das Alte Museum, richtungen, die selbstständig entscheiden. Wir star-
die Staatsbibliothek – alle »powered by SPK«, aber es ten im nächsten Jahr mit eigenen Budgets für jedes
sind die Einzelmarken, die Sichtbarkeit bringen. Haus. Das gab es bislang nicht. Man war Museumsdi-
rektor, hatte aber keinen Haushalt, über den man ent-
Bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers sagte scheiden konnte, sondern stand immer vor der Frage:
Claudia Roth, schon in der Diskussion des Gut­ »Was kriege ich zugeteilt, komme ich noch irgendwo
achtens und des Reformprozesses habe es Fort- rein?« Damit ist jetzt Schluss. Die Haushalte sind im-
schritte in die gewünschte Richtung gegeben. mer noch viel zu gering, aber wir entscheiden selbst,
Können Sie das aus Ihrer Erfahrung bestätigen? wofür wir das Geld ausgeben. Der Schritt zur Unabhän-
Göbel – In der höchsten Leitungsebene der SPK bin gigkeit ermöglicht Vielfalt.
ich zusammen mit Hermann Parzinger am längsten da-
bei. Der »Schuss vor den Bug« war wichtig. Es war auch Stichwort Geld: Das wurde auch vor einem Jahr
richtig, die Existenz der Stiftung infrage zu stellen. Erst bei der Vorstellung des Eckpunkte-Papiers ge-
das hat uns in Bewegung gesetzt, darüber nachzuden- fordert. Claudia Roth, sozusagen als schwäbische
ken, wie wir die Grundvoraussetzungen der Konfigura- Hausfrau 2.0, konterte: Über mehr Geld werde
tion SPK stärker entwickeln. Ich kann aus meiner Lang- im kommenden Sommer geredet, aber es ­müsse
zeitbeobachtung sagen, dass wir durch diese Krise – die auch Fortschritt jenseits dessen geben. Der
ich auch positiv sehe, weil die Notwendigkeit, Neues »kommende Sommer« war dieses Jahr. Vom Bund
zu schaffen, deutlich wird – etwas erreicht haben, was wurden 4 Millionen Euro zusätzlich in Aussicht
man für selbstverständlich halten könnte, was es aber ­gestellt. Das ist, je nach Rechnung, ein bis zwei
vorher so nicht gab: eine Dialogfähigkeit innerhalb Prozent des SPK-Budgets. Damit können Sie keine
der SPK, um gemeinsam um eine bessere Zukunft zu großen Sprünge machen.

Geschichte
ringen. Wir hatten wenig Räume des Austausches und Wemhoff – Völlig richtig. Es wird nicht ohne mehr
des produktiven, kreativen Streits. Das ist aber die Vo- Geld gehen. Das Gutachten des Wissenschaftsrates ist
raussetzung für einen zukünftigen gemeinsamen Weg. sorgfältig ausgearbeitet. Es kommt zu dem Schluss, dass
Wichtig ist auch, dass es mittlerweile seitens der Lei- in vielen Bereichen unsere Aufgaben gewachsen sind,
tung eine andere Kommunikationsstrategie gibt. In der aber die Mittel sind nicht mitgewachsen. Wir sind in-
Vergangenheit hatten wir das nie so als Team gemacht. ternational meilenweit davon entfernt, im Bereich »Bil-
Bonte – Wir streifen Teile der alten, durch viel Hier- dung und Vermittlung«, der in der Kulturarbeit immer
archie geprägten Entscheidungskultur ab: Wenn Ideen wichtiger wird, auch nur ansatzweise mithalten zu kön-
so viele Instanzen durchlaufen müssen und mit dem nen. Das riesige Neue Museum, mit 800.000 Besuchern,
Kriterium »Rechtssicherheit« ein Mechanismus der hat eine Stelle dafür – vergleichbare Museen verfügen
Selbstblockade gegeben ist, der verhindert, dass man über ganze Abteilungen, die diese Arbeit angehen. Wir
dort Avantgarde ist, wo man es von der Idee her sein haben drei Stellen für Öffentlichkeitsarbeit – bei 19 Mu-
könnte, wird das »Leuchten der Schätze« gedämpft. seen. Das sind krasse Missverhältnisse.
Streng hierarchische Strukturen sind unvermeidbar Göbel – Wir haben eine strukturelle Unterfinanzie-
in einer Behördenwelt, damit können Sie ein Finanz- rung in der SPK. Selbst eine jetzt schon relativ auto-
amt oder Gericht leiten – wir sind aber Einrichtungen, nome Einrichtung wie das Ibero-Amerikanische Insti-
in denen kreative Menschen arbeiten, die versuchen, tut, mit eigenem Sachhaushalt, hat im internationa-
Antworten auf sich verändernde Weltlagen zu finden. len Vergleich eine Mangelökonomie. Wir kommen in
Da kann eine coole Idee auch aus der Poststelle kom- den nächsten Jahren in schwierige Fahrwasser der öf-
men. Dann ist die Frage: Gibt es eine Struktur, die die- fentlichen Haushalte. Umso wichtiger ist es, zu zeigen,
ser Idee zum Durchbruch verhilft? Ich glaube, dass al- dass wir bereit sind, uns gemeinsam neue Ziele zu set-
len klar ist: Wir müssen raus aus den alten, pyramida- zen und diese auch zu erreichen. Es nutzt nichts, ange-
len Strukturen, um das zu leisten. sichts der Rahmenbedingungen zu sagen: »Wir brau-
chen mehr Geld, und dann erst laufen wir los.« Wir ma-
chen es andersherum: »Wir entwickeln eine Strate-
gie im Laufen.« Wir versuchen, Fortschritte unter den
gegebenen herausfordernden Bedingungen zu errei-
chen. Gleichzeitig muss die Politik wissen: Wenn kei-
ne Verbesserung der Grundausstattung erfolgt, wer-
den wir manche Dinge, die sie von uns fordert, nicht
liefern können. →

25
Bonte – Allein die Kostensteigerungen, z. B. für Ener- Sie drei gehören dem Interimsvorstand der SPK
gie liegen höher als die genannte Summe. Die Zeiten an, der den Reformprozess weiter steuern soll.
sind nicht günstig für Budgetsteigerungen. Wir wer- Nach den Erfahrungen der bisherigen Arbeit: Wo
den Entscheidungen treffen müssen: Wo streben wir liegen die wichtigen nächsten Aufgaben?
internationale Exzellenz an, wo sind wir mit regiona- Göbel – Ein wichtiger Schritt ist ein Visionsprozess
ler oder lokaler Exzellenz zufrieden? Wir müssen auch mit einem Zielsystem: Wo wollen wir 2030 als Ver-
schauen, wie wir in ein neues Verhältnis zu unseren bund stehen? Immer unter der Prämisse, die Vielfalt
Besucherinnen und Besuchern sowie Nutzerinnen und zu stärken bei gleichzeitiger Förderung des gemeinsa-
Nutzern kommen. Wir müssen Kreisläufe schaffen, die men Mehrwerts. Im Personalbereich, wo wir vor großen
zum Beispiel Ehrenamt von außen in die Stiftung hin- Kapazitätsengpässen stehen, geht es darum, Verfah-
einziehen. Die Philharmonie in Berlin setzt da ein klas- ren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Generell:
se Beispiel: Kaum geht man da rein, sind sofort ehren- Prozesse schneller machen, d.h. historisch gewachse-
amtliche Menschen da, die freundlich Hilfe und Unter- ne behäbige Strukturen »entrümpeln«.
stützung anbieten – eine solche Willkommenskultur Bonte – Sicherlich werden wir auch noch versuchen
müssen wir vielerorts entwickeln. müssen, die Beschäftigten stärker in den Reformpro-
Göbel – Bei der Frage nach Prioritäten stehen wir zess einzubeziehen. Der Wegfall von Strukturen mag
vor einer besonderen Herausforderung: Die spezielle manchen mit Sorge erfüllen, gewohnte Strukturen
Struktur der SPK zwischen Kultur und Wissenschaft be- und Abläufe bedeuten auch Sicherheit. Partizipation
deutet, dass wir stärker Indikatoren entwickeln müssen, braucht Überzeugungsarbeit. Auf der Habenseite wür-
die uns gerecht werden und an denen wir gemessen de ich jetzt schon sehen, dass wir z. B. ein gemeinsa-
werden wollen. Sonst laufen die Ziele wie das »Game of mes Rechenzentrum für die Stiftung beschlossen ha-
Chicken« in »Rebel Without a Cause« mit James Dean – ben, das bei uns in der Staatsbibliothek angesiedelt
nicht miteinander, sondern gegeneinander. Ich leite ist. Die Hardware und Dienstleistung für die gesam-
eine Einrichtung mit starkem Forschungsfokus. Für die te Stiftung wird von dort zur Verfügung gestellt, das
Forschung gibt es etablierte Indikatoren. Für wichtige ist ein Fortschritt.
Arbeitsbereiche der SPK wie Vermittlungsarbeit oder Wemhoff – Nicht zu vergessen: Die Umwandlung der
Internationalisierung ist dies schwieriger. Wir müs- bisherigen »Hauptverwaltung« zur »Zentralen Service-
sen diese Indikatoren in unserem Interesse präzisieren. einheit«. Das ist mehr als eine Umetikettierung. Eine
Wemhoff – Es geht auch um: »Stärken stärken«. Wenn »Hauptverwaltung« kann sich als wirkmächtiger Akteur
ich mir anschaue, wie z. B. Leibnitz- Forschungsmuseen eines Systems verstehen, das aktiv Prozesse beschleu-
in den letzten Jahren auf den Stand gebracht wurden: nigt oder bremst. »Serviceeinheit« drückt eine ande-
Geschichte

Zu solchen Förderrichtlinien müssen wir auch kommen. re Rolle aus: Sie besteht darin, die Anforderungen der
Auch das Bundesforschungsministerium soll erken- einzelnen Einrichtungen unterstützend umzusetzen.
nen, welche Potenziale bei uns schlummern In man- Eine solche »Dienstleistung« würde dem kooperativen
chen Bereichen sind wir fast die einzigen noch exis- Gedanken der neuen SPK-Struktur gut entsprechen.
tenten sammlungsbasierten Forschungseinrichtun-
gen, die das für heute so wichtige Wissen der „kleinen Zu den wichtigen, noch ungeklärten Fragen
Fächer“ nicht nur bewahren, sondern auch vermitteln. der Kulturpolitik gehört das Humboldt Forum.
An den Universitäten sind zahlreiche Professuren nicht Sollte es Ihrer Auf‌fassung nach in die SPK
nachbesetzt worden Auch das sind »Schätze«, die zum integriert werden?
Leuchten gebracht werden können. Wemhoff – Es gibt einen Stiftungsratsbeschluss, der
in diese Richtung zielt, und auch der Deutsche Kulturrat
In der öffentlichen Diskussion liegt der Fokus vor hat sich entsprechend geäußert. Das geht sicher nicht
allem auf den Museen. Die Berliner Museen wer- von heute auf morgen, aber das entwickelte Standort-
den verglichen mit dem Louvre, dem MoMA, der modell für die Zusammenarbeit der Museen ließe sich
National Gallery. Sie haben aber nicht mal die auch auf das Humboldt Forum anwenden und könnte
Hälfte der Personal- und Sachausstattung dieser die Besonderheiten dieses Hauses bewahren. Ich hal-
Häuser – ist das nicht ein falscher Maßstab? te es für eine spannende Idee. Wenn man sich das Zu-
Wemhoff – Ich denke nicht. In der Öffentlichkeit wer- sammenspiel der verschiedenen Standorte in Berlin an-
den wir an diesen Museen gemessen. Wir sind die gro- schaut: Museumsinsel und Kulturforum – dann könn-
ßen nationalen Museen in Deutschland, die mit den te das Humboldt Forum zusammen mit den in Dahlem
anderen nationalen Playern verglichen werden und verbliebenen Einrichtungen eine wichtige Rolle spielen.
mit denen mithalten müssen, um international wett- Göbel – Aus lateinamerikanischer Perspektive, ich
bewerbsfähig zu sein. Übrigens sollten wir deutlich ma- bin jetzt seit mehreren Wochen in Brasilien: Hier wür-
chen, dass wir insgesamt viel größer sind als der Lou- de es niemand verstehen, wenn das Humboldt-Forum
vre oder das British Museum – sowohl was die Gebäu- nicht in irgendeiner Form eine engere Bindung mit der
defläche als auch die Vielfalt der Sammlungen angeht. SPK bekäme. Aber das ist erst ein späterer Schritt. Im
Moment haben wir eine Reform zu machen, im laufen-
den Betrieb, mit denselben Menschen. Das ist kein ein-
faches Unterfangen.

26
Bonte – Als im letzten Jahr der Vorschlag aufkam, im
Rahmen der SPK-Reform das Humboldt Forum gleich
mitzuintegrieren, habe ich mich dagegen ausgespro-
chen. Wir sollten erst mal schauen, dass wir mit der
Stiftung, wie wir sie haben, ein Stück weiterkommen.
Auf dem Reißbrett sieht der Vorschlag toll aus: Man
wächst und hat mehr Budget. Aber aus meiner per-
sönlichen Sicht fehlen noch Voraussetzungen, um er-
folgreich sein zu können: Wir brauchen eine überzeu-
gende gemeinsame Erzählung. Die Stiftung hätte ak-
tuell eine zusätzliche Kommunikations- und Verant-
wortungslast zu einer Zeit, in der sie selbst dabei ist,
sich neu zu erfinden. Ich habe die Anschlussidee für
eine Überforderung gehalten und würde dazu raten,
zunächst die »Stiftung neuen Typs« zu manifestieren.

Achim Bonte ist Generaldirektor der Staatsbiblio-


thek zu Berlin. Barbara Göbel ist Direktorin des Ibero-
Amerikanischen Instituts. Matthias Wemhoff ist
Direktor des Museums für Vor- und ­Frühgeschichte.
Hans Jessen ist ehemaliger ARD-Hauptstadt­
korrespondent und freier Journalist.

Geschichte

Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus


Potsdamer Straße – errichtet von 1967 bis 1978
nach dem Entwurf von Hans Scharoun.

27
1-34 - 20 -16 - 4
400.904.092 Euro
Stiftung Standorte Museen Sammlungen Institute

12,189
betrug der Etat im Jahr 2022.

Millionen Bücher,
Zeitungen und
Druckschriften be-
finden sich zurzeit
im Bestand der
Zahlen, Daten & Fakten

Staatsbibliothek
zu Berlin – dazu
kommen ca. 1,9
Millionen sonstige
Druckwerke, wie

72
Karten und Pläne,
Noten oder Ein-
blattmaterialien
und rund 450.000
Handschriften
und Autografe.

2019 1677—1690

35.000 37
wurde das neueste Gebäude, wurde Schloss Köpenick, das älteste
die James-Simon-Galerie, eröffnet. Gebäude der Stiftung, erbaut.

Sanierungszeit
des Pergamon-
museums in Jahren:

Gastwissenschaftler­innen
und Gastwissenschaftler
laufende Meter Archivgut finden sich im Geheimen arbeiten am Ibero-Amerika-
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. nischen Institut.

28
3,6 514
2099
Benin-Bronzen wurden im Jahr 2022
an Nigeria rückübertragen.

Zahlen, Daten & Fakten


Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

5.389.648
Millionen Besucherinnen
und Besucher in den Museen

700.000 Jahre
Objekte umfassen die
im Jahr 2022 Sammlungen der Staatlichen
Museen zu Berlin

66
4
40.210
ist das ältestes Objekt: ein Faustkeil.

Jahre
gibt es
Tontafeln und andere Schriftträger lagert die SPK

1999
das Vorderasiatische Museum. bereits.
Präsidenten
entstand aus der Zusammenlegung der europäischen leiteten die
Sammlung des Museums für Völkerkunde mit den Stiftung seit der
Beständen des Museums für Volkskunde das Museum Gründung am
Europäischer Kulturen (MEK). 25. Juli 1957.

Alle Angaben entsprechend dem Stand 2022. 29


Geschichte

30
Der Mönch am Meer → Caspar David Friedrich;
1808–1810; Öl auf Leinwand; 110 × 171,5 cm;
Alte Nationalgalerie, Staatlichen Museen zu Berlin

Geschichte

31
Aus Preußen
in die digitale Welt
Forschung

→ Ulrike Höroldt

D
as Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbe- onalsozialistischen »Gleichschaltung der Länder mit
sitz (GStA PK) ist ein vielfältiges, lebendiges öf- dem Reich« im Jahr 1933. Das Geheime Staatsarchiv ist
fentliches Archiv, das seit 1924 in einem eigenen daher ein »Staatsarchiv ohne Staat«, also das weitge-
Archivzweckbau im Herzen von Berlin-Dahlem unter- hend historische Archiv des aufgelösten Staates Preu-
gebracht ist. Es ist keinesfalls geheim, wie sein Name ßens und damit etwas Besonderes in der deutschen Ar-
vermuten lässt. Das »Geheime« stammt aus der jahr- chivlandschaft. Zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz
hundertealten Vergangenheit des Archivs und verweist (SPK) gehört es seit 1963. Es verwahrt aber auch zahl-
auf seinen zentralstaatlichen Charakter und seine frü- reiche andere Bestände und Sammlungen: das Bran-
here Nähe zu den preußischen Herrschern. Als ehema- denburg-Preußische-Hausarchiv aus der Zeit der Herr-
liges »Preußisches Geheimes Staatsarchiv« – so steht schaft der Hohenzollern, vielfältige Familienarchive
es in Stein gemeißelt bis heute auf seinem großen Por- und Nachlässe von Persönlichkeiten aus preußischer
tal – verwahrt das GStA PK noch heute vor allem das Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft, um-
Verwaltungsschriftgut der zentralstaatlichen Behör- fangreiche Freimaurerüberlieferungen sowie Bestände,
den Preußens sowie ihrer Vorläufer. Das GStA PK er- die aus den früheren »Ostprovinzen« Preußens stam-
füllt dabei die Funktionen eines öffentlichen Archivs, men. Diese sind in Folge der Ereignisse des Zweiten
wie sie allgemein in der deutschen Archivgesetzgebung Weltkriegs und auf Grundlage des Gesetzes zur »Errich-
vorgesehen sind: Es bewahrt und sichert sein vorwie- tung einer Stiftung Preußischer Kulturbesitz« über Zwi-
gend schriftliches Kulturgut, macht es für alle Interes- schenstationen nach Berlin gelangt und stehen hier der
sierten analog und digital zugänglich und fördert ak- Forschung zur Verfügung, so z. B. die besonders reich-
tiv die Auswertung seiner Bestände. haltigen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Über-
Auf insgesamt 35.000 Regalmetern bewahrt das GStA lieferungen des Deutschen Ordens aus dem Staatsar-
PK schriftliches Kulturgut, das sind vor allem histo- chiv Königsberg.
rische Akten, Urkunden, Karten, Pläne und Amtsbü- Jenseits seiner historischen Bestände ist das GStA PK
cher. Die ältesten Urkunden stammen aus dem späten als Stiftungsarchiv auch der aktuelle »Dokumentenspei-
12. Jahrhundert; der Großteil der Überlieferung ist seit cher« der SPK selbst. Das bedeutet, dass es zum einen
der frühen Neuzeit entstanden, besonders im 18. und die Unterlagen der Stiftungsleitung, seiner Hauptver-
19. sowie dem frühen 20. Jahrhundert – bis zur nati- waltung sowie der nicht-musealen Einrichtungen in der

32
Der Zugang zum Archivgut steht allen offen, entwe-
der im Forschungssaal in Berlin-Dahlem oder digital.
Das Geheime Staatsarchiv hat in den letzten Jahren die
Rahmenbedingungen für eine kostenfreie, offene und
zeitgemäße Nutzung zielstrebig ausgebaut. Durch eine
vorab Online-Recherche über den Webauftritt des Ar-
chivs können Nutzerinnen und Nutzer ihren Besuch im
Verschiedene Tonträger des 20. Jahrhunderts

Forschungssaal einfach vorbereiten und immer mehr


Archivalien auch direkt in digitalisierter Form ortun-
abhängig und dabei kostenfrei nutzen. Dort, wo dies
noch nicht möglich ist, erfolgt die Direktbenutzung in
im Ibero-Amerikanischen Institut.

Berlin-Dahlem – entweder am Original oder in Aus-


nahmen (aus Schutzgründen) an digitalen oder ana-
logen Reproduktionen.
Die Auswertung des Archivgutes steht nicht im Zen-
trum der eigenen archivischen Aufgaben, sondern viel-
mehr die Schaffung der Rahmenbedingungen, sodass
die Nutzenden – das sind im Geheimen Staatsarchiv
bisher überwiegend deutsche und internationale His-
torikerinnen und Historiker, aber auch Familien- und
Ortsforscherinnen und -forscher – die bestmöglichen
Bedingungen für ihre Forschungsarbeit vorfinden. Das
Archiv bietet ein internationales Stipendienprogramm

Forschung
für Forschende und steht als viel nachgefragter Koope-
rationspartner für gemeinsame (Drittmittel)-Projekte
mit Universitäten und anderen wissenschaftlichen Ein-
richtungen bereit. Besonders wichtig ist den Archiv-
mitarbeitenden auch der Nutzungsservice: schnelle
Bereitstellungszeiten, zielgerichtete Beratungen, Fo-
Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) archiviert – die tografieren der Archivalien durch die Nutzerinnen und
Museen betreut das dort angesiedelte Zentralarchiv – Nutzer selbst oder bei Bedarf in hochwertiger Ausfüh-
und diese gemäß Bundesarchivgesetz zugänglich macht. rung durch das Digitalisierungszentrum des Archivs
Außerdem berät das Archiv die Stiftungseinrichtungen sowie, besonders zentral, die stetige Verbesserung der
zur Schriftgutverwaltung und führt die elektronische Erschließungsdaten zu den Archivalien.
Akte für den gesamten Verbund der SPK ein. Das GStA Mit den Archivalien des GStA PK lassen sich nicht
PK organisiert damit das zentrale Change-Projekt zur nur Fragen zur preußischen Geschichte beantworten –
Verwaltungsdigitalisierung in der SPK! auch gesamtdeutsche, europäische und globale Kon-
Das Sichern des anvertrauten Kulturgutes stellt eine texte spiegeln sich in der Überlieferung des Archivs,
der größten derzeitigen Herausforderungen für das Ar- ebenso sind engere Perspektiven möglich – wie Lan-
chiv dar: Auf Basis eines umfassenden Bestandserhal- desgeschichte auch der früheren Provinzen, Ortsge-
tungskonzeptes werden die Archivalien zwar für die schichte oder Familiengeschichte, aber auch Technik-
dauerhafte Erhaltung ertüchtigt – vor allem gereinigt geschichte. Es kommt auf die Fragestellung an – und
und fachgerecht verpackt –, sie können zurzeit aber ggf. darauf, ob die Thematik auch die preußischen Ein-
noch nicht angemessen gelagert werden: Drei Viertel richtungen, vor allem Behörden, oder Personen befasst
seiner Bestände liegen in Folge von Kriegsauslagerun- oder betroffen hat. Die Anreicherung und Verbesserung
gen noch immer in einem rund 10 Kilometer entfern- der beschreibenden Metadaten zu den Archivalien oder
ten Außenmagazin und müssen bei Nutzungswunsch auch die Verbesserung des digitalen Nutzungskomforts
täglich herantransportiert werden, wohingegen das auf und die verbesserte Gestaltung der internen Prozes-
der Archivfläche in Dahlem befindliche Magazin zum se in Vorbereitung einer Direktbenutzung sind Auf-
Großteil durch museales Sammlungsgut der Staatli- gaben, die durch die derzeitige Einführung eines neu-
chen Museen zu Berlin belegt ist. Es bleibt das Ziel en »Archivinformationssystems« einen neuen Schub
des Geheimen Staatsarchivs, seine gesamten Bestän- erhalten werden. Preußen digital – immer mehr und
de wieder am Standort Berlin-Dahlem zusammenzu- immer besser!
führen – unter archivfachlich geeigneten Bedingun-
gen, die auch den aktuellen Herausforderungen von Ulrike Höroldt ist Direktorin des Geheimen Staats-
Energiesicherheit und Nachhaltigkeit gerecht werden. archivs Preußischer Kulturbesitz.

33
A
ußeruniversitäres Forschungsinstitut, Musikins- Wissensvermittlung
trumenten-Museum, Bibliothek, akustisches La- Mit der Frage nach dem aktuellen und künftigen Pu-
bor, Werkstatt und Konzertbühne: All das vereint blikum sowie der nach der Balance zwischen digita-
das Staatliche Institut für Musikforschung (SIM) un- ler und persönlicher Vermittlung befasst sich ein neu-
ter seinem Dach. Das SIM lädt ein, die Breite des Fachs es Projekt: »sense:ability – musikbezogener Wissens-
praxisorientiert und quellenbasiert zu erforschen. Die transfer zwischen Materialität und Virtualität« stärkt
Forschungsschwerpunkte liegen in der Instrumen- den Fokus auf die Sinne zur Wissensvermittlung ge-
tenkunde, der jüngeren Musikgeschichte und Auffüh- meinsam mit Kooperationspartnern wie dem Institut
rungspraxis sowie im Bereich der Akustik, Musiktech- für Musikforschung und dem Research-Lab »Materia-
nologie und -wahrnehmung. Weiteres Potenzial liegt lität und Medialität« des Leibniz-Forschungsverbunds
in der Restaurierungsforschung zu Musikinstrumen- »Wert der Vergangenheit«. Finanziert wird das Projekt
ten, zu Audiomedien und zu Aufnahme- und Wieder- von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur
gabegeräten. und Medien (BKM).
Zentral für alle Forschungsschwerpunkte des SIM Wie kann die Vermittlung von musikwissenschaftli-
sind die öffentliche Forschungsbibliothek und die Ar- chen Themen im öffentlichen Raum gelingen und da-
beit des Referats Musikwissenschaftliche Dokumen- mit auf generelle Themen unserer menschlichen Wahr-
tation. Die vom SIM produzierte Bibliografie des Mu- nehmung und Kreativität aufmerksam machen? Mit
sikschrifttums ist mit aktuell über 460.000 Einträgen diesen Fragen beschäftigt sich eine Gruppe mit Mit-
die umfangreichste Open-Access-Bibliografie zur Mu- gliedern aus Frankreich, Italien, den Niederlanden, Bel-
sik weltweit. Neben seiner Grundlagenarbeit steht das gien und Großbritannien. Für Deutschland ist das SIM
SIM für zwei Bereiche in besonderem Maße: Dies ist dabei. Ziel ist es, Musikforschung, Performance und
zum einen eine Fokussierung auf die Sammlungen als Medienlabs zusammenzubringen, um neue Orte der
Ausgangspunkt der Forschungsthemen und zum an- Musikwissenschaftsvermittlung zu schaffen, Partizi-
deren die Musikwissensvermittlung, die Theorie und pation umzusetzen und dabei die eigenen Methoden
Praxis eng aufeinander bezieht und für deren Umset- zu schärfen. Das SIM fungiert hierin als ein Ort des
zung der Standort am Kulturforum sowie die Räum- Experimentierens. Seine Lage am Kulturforum macht
lichkeiten des SIM ideal sind. Das SIM ist ein Ort des auch das Außengelände des SIM zu einem attraktiven
Austauschs für alle Musikaffinen, Forschende und Stu- Ort: Hier soll ein öffentliches Pendant zum Sound and
dierende der Musik und Musikwissenschaft. Vision Experience Lab im Innern kreiert werden, das
wechselnde Themen der eigenen Forschung präsen-
tiert und zur Diskussion stellt sowie das Netzwerk der
Forschung

Partner sicht- und hörbar macht. Flexible, temporäre


und mobile Präsentationen sind das Ziel, die den Mu-
sikschwerpunkt des Kulturforums ausbauen und in die

Engführung am
Stadt hineinwirken.

Kulturforum
→ Rebecca Wolf

34
Auf‌führungsräume der Musik Ressourcen im Verbund
Das SIM eröffnet besondere Möglichkeiten, eine Band- Das SIM liegt im Zentrum Berlins, ist ein wichtiger Be-
breite an Methoden und Themen der Musikforschung standteil des Kulturforums und verfügt über Räum-
produktiv zu verbinden. Beispielsweise können Fragen lichkeiten für kontemplatives Arbeiten und Forschen
der Medienästhetik und Wiedergabephilologie unter ebenso wie für Konzerte, Symposien, Podiumsdiskus-
Einbeziehung systematischer und audiotechnischer sionen, Experimente und Führungen. Hieraus ergeben
Methoden, technikhistorischer Erkenntnisse, diskogra- sich zahlreiche Möglichkeiten der fachlich-inhaltli-
fischer Forschung und vorhandener Objekte angegan- chen Arbeit, der Vernetzung sowie der Vermittlung. Im
gen werden. Aktuell wird als abteilungsverbindendes Verbund der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)
Thema das der »Aufführungsräume der Musik« entwi- ist das SIM aktiv und beteiligt sich an der Verwaltungs-
ckelt, das bewusst groß angelegt ist und dazu einlädt, reform, setzt die Open Science Strategie der SPK um,
Aufführungspraxis, Konzertsaalakustik und Instrumen- trägt zu den Querschnittsthemen Nachhaltigkeit, In-
tenkunde, sowie neu auch die Musikarchäologie, auf- klusion und Diversität bei und diskutiert diese auf ihr
einander zu beziehen. inhaltliches Potenzial für Ausstellungen und Veran-
Im kommenden Jahr jähren sich die Gründungen staltungsmotive.
der BRD und der DDR zum 75. Mal. Mit Fokus auf den
Berliner Raum in Ost und West wird zu erkunden sein, Rebecca Wolf ist Direktorin des Staatlichen
ob Musik Konkurrenz verstärkte oder ob sie auch ko- Instituts für Musikforschung.
operative Brücken schlug.
Mittlerweile sind Kooperationen mit Berliner Or-
chestern gut etabliert. Die räumliche Nähe zur Phil-
harmonie ist ideal. Gemeinsam werden mit den Ber-
liner Philharmonikern Gedenkjahre wie der 100. Ge-
burtstag György Ligetis und 2024 der 150. Geburtstag
Arnold Schönbergs in Symposien, Masterclasses mit
den Berliner Musikhochschulen, Vorträgen oder Aus-
stellungen gefeiert. Gemeinsam mit dem Deutschen
Symphonie-Orchester (DSO) wird 2024 eine neue fe-
ministische Programmpolitik diskutiert, nachdem im
aktuellen Jahr das Festival Music & Healing auch im
SIM eine Bühne als Diskussionsplattform fand.

Forschung

Hiermit forscht das Staatliche


Institut für Musikforschung:
praxisorientiert und quellenbasiert.

35
Forschung

36
wesen
zentrum für
Kompetenz-

das Museums-

Mixtur Trautonium → nach Oskar Sala (1988);


Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen
Instituts für Musikforschung
und Kathrin Grotz
→ Patricia Rahemipour
W
ir forschen mit und über Museen! Damit ist eigentlich alles Museen als historisch gewachsene Räume und Strukturen in Ver-
über das Institut für Museumsforschung (IfM) gesagt. Doch gangenheit, Gegenwart und Zukunft zu untersuchen, aber auch
was heißt das konkret? Das IfM ist Teil der Stiftung Preußi- hinsichtlich ihrer Akteurinnen und Akteure, Strukturen, (Objekt-)
scher Kulturbesitz (SPK) und das einzige außeruniversitäre For- Konzepte und Interaktionen in zeitliche und vergleichende Per-
schungsinstitut seiner Art in Deutschland. Es konzentriert sich spektiven zu setzen, gehört zu den klassischen Fragestellungen
auf anwendungsorientierte Forschung, die die Nähe zu den Mu- des Instituts.
seen wirklich zulässt. International gibt es nur wenige vergleich- Ein weiterer thematischer Strang, der in Dahlem seit vielen
bare Einrichtungen mit ähnlichen, aber nicht identischen institu- Jahrzehnten bearbeitet wird, ist die Verbindung zwischen Museen
tionellen Einbindungen und Profilen. Dazu gehören das Research mit ihren jeweiligen »Communities«, diversen Publika und unter-
Center for Material Culture (RCMC) in Leiden, das Institute of Mu- schiedlichsten zivilgesellschaftlichen Akteuren. Methodisch wird
seum and Library Services in Washington oder das Getty Research dieses Themenfeld vor allem aus der empirischen Besuchs- und
Institute in Los Angeles. Bildungsforschung gespeist.
Das 1979 gegründete IfM mit Sitz in Berlin-Dahlem ist als Kom- Das IfM hat darüber hinaus umfassende und langfristige Er-
petenzzentrum dem nationalen und internationalen Museumswe- fahrung mit der Aggregierung, Anreicherung und Normierung
sen verpflichtet. Im Fokus steht die mittel- und langfristige empi- von digitalen Sammlungs- und Objektdaten und den damit ver-
rische Erforschung der Museumslandschaft unter Einbeziehung al- bundenen Anforderungen an Infrastruktur und Langzeitarchivie-
ler Akteurinnen und Akteure. Dabei werden alle Sparten und Auf- rung. Das Institut hat es sich zur Aufgabe gemacht, ganzheitliche
gabenfelder von Museen in den Blick genommen, neue Formate Standards im Hinblick auf die gesamte Bandbreite der Museums-
der Kommunikation und des Transfers von Wissen entwickelt und landschaft mit strategischen Partnern zu entwickeln, offen bereit-
Strukturdaten über die Museumslandschaft in Deutschland erho- zustellen und über verschiedene Plattformen zu vernetzen. Das
ben. Auf einzigartige Weise greifen dabei die zahlreichen natio- schlägt sich nieder in zahlreichen mittel- und langfristigen Pro-
nalen und internationalen Kooperationen, Aktivitäten, wissen- jekten, unter anderem im Rahmen der nationalen Forschungsda-
schaftlichen Ressourcen und Kompetenzen des Instituts für Muse- teninfrastruktur (NFDI), aber auch in der Etablierung und Weiter-
umsforschung mit den Ressourcen und Sammlungen der Stiftung entwicklung von Datenstandards (z. B. LIDO, Spectrum) und The-
Preußischer Kulturbesitz ineinander. Eine exzellent ausgestattete sauri (z. B. AAT deutsch) sowie im langjährigen Engagement bei
Forschungsbibliothek, die in Fachkreisen als umfangreichste ih- der Fachgruppe Dokumentation des Deutschen Museumsbundes
rer Art im deutschsprachigen Raum bekannt ist, mehrere eigene und bei ICOM-CIDOC.
Publikationsreihen sowie ein produktives Arbeitsklima am Stand- Am bekanntesten ist das Institut für seine regelmäßige Erhe-

Forschung
ort mit kollaborativen Arbeitsprozessen und kurzen Wegen bie- bung und Interpretation von Daten. In erster Linie ist hier die seit
ten optimale Bedingungen für vernetztes Arbeiten, kritische Re- mehr als vier Jahrzehnten jährlich durchgeführte statistische Ge-
flexion und wissenschaftlichen Austausch. samterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland
Die Kernkompetenz des Instituts für Museumsforschung liegt in zu nennen. Aber auch Erhebungen im Rahmen von Einzelstudien
der kreativen Verbindung von anwendungsorientierter Forschung machen das Institut zu einem wertvollen Informationslieferanten
und Entwicklung mit dem spezifischen Praxiswissen von Muse- für die Museen. So läuft aktuell eine bevölkerungsrepräsentative
en. Dabei wirkt das Institut seit Jahrzehnten als Inkubator für die Umfrage zum Vertrauen in Museen, die einen Beitrag zur Evalu-
Entwicklung innovativer Forschungsthemen und treibt die Vernet- ierung und Diskussion der gesellschaftlichen Relevanz von Mu-
zung verschiedener Museums- und Forschungscommunities voran. seen leisten soll. Im europäischen Kontext setzt sich das Institut
So war ein Vorläufer des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste – zudem seit Jahren für die Harmonisierung von Erhebungsdaten zu
die Arbeitsstelle für Provenienzforschung – am Institut für Mu- Museen in den verschiedenen europäischen Kulturstatistiken ein.
seumsforschung angesiedelt, und auch die ersten Ideen zur Deut- Das »Museumswesen« als solches in seiner Gesamtheit zu er-
schen Digitalen Bibliothek (DDB) wurden am Institut formuliert, fassen, ist seit mehr als vier Jahrzehnten das stabile Standbein des
das bis heute die Fachstelle Museen der DDB beherbergt. Derzeit Instituts für Museumsforschung. Erst diese Betrachtung ermög-
gilt das besondere Engagement des IfM der Weiterentwicklung licht, dass wir unser Augenmerk stets auch flexibel auf die Debat-
und Vernetzung von Publikumsforschung in die Breite der deut- ten zur Zukunft der Museumsarbeit richten und als Kompetenz-
schen Museumslandschaft. Entsprechend ist für den Aufbau des zentrum ansprechbar sind. Dazu gehören aus unserer Perspektive
frisch gegründeten Netzwerks Besucher*innenforschung e.V. der- neben Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Diversität auch der Um-
zeit eine Geschäftsstelle in Berlin-Dahlem aktiv. gang der Museen mit Künstlicher Intelligenz, Partizipation und
Wenn wir über die inhaltliche Spannbreite des Instituts spre- Inklusion sowie die politisch-moralischen Herausforderungen, mit
chen, beziehen wir uns ganz selbstbewusst auf das »Museumswe- denen Kulturschaffende konfrontiert sind.
sen«. Denn mit diesem auf den ersten Blick etwas antiquiert an-
mutenden Begriff lässt sich der komplexe und heterogene We- Patricia Rahemipour leitet das Institut für Museumsforschung.
senskern am besten fassen, mit dem sich das Dahlemer Institut Kathrin Grotz ist ihre Stellvertreterin.
forschend auseinandersetzt. Die Themenschwerpunkte, die da-
bei abgedeckt werden, reichen von der historischen Museums-
forschung über Besuchsforschung und Audience Development,
Sammlungen und Objekten im digitalen Raum bis hin zur statis-
tischen Erhebung von Strukturdaten der Museumslandschaft in
Deutschland. Das Institut ist darüber hinaus bundesweit und in-
ternational aktiv auf dem Gebiet der strategischen Museumsent-
wicklung und Beratung für Museumsleitungen, Politik sowie Trä-
gerinnen und Träger.

37
D
er Klimawandel ist endgültig in unseren Museen, In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
Archiven und Bibliotheken angekommen. Er ma- (DBU) geförderten Projekt »Grünes Museum und kli-
nifestiert sich in zunehmenden Risikoszenarien magerechte Kultur. Umweltmanagement klimabezo-
wie Starkwetterereignissen, der ihre ureigene Mission – gener Risiken in Museen« sollen Museen in Koopera-
die nachhaltige Bewahrung des kulturellen Erbes – zu tion mit der Forschungsstätte der Evangelischen Stu-
unterlaufen droht. Gerade wegen ihres beträchtlichen diengemeinschaft (FEST) Heidelberg besser auf den
Energieverbrauchs und den damit verbundenen Treib- Klimawandel und die damit verbundene Anpassung
hausgasemissionen müssen sich auch die Kulturerbe- vorbereitet werden. Dabei soll eine Sammlung von
einrichtungen grundsätzlich umorientieren. Ein »wei- Best-Practice-Beispielen zusammengestellt werden,
ter so«, wie wir es seit Jahrzehnten in eklatantem Wi- die sich bereits auf den Weg zum »Grünen Museum«
derspruch zu allen Erkenntnissen der Wissenschaft er- gemacht haben.
leben, geht nicht mehr. Die globale Erwärmung dürfte auch die Entwicklung
Wir haben nur noch dieses Jahrzehnt, um im Bezug diverser sammlungsschädlicher Insekten oder Pilze in
auf die bröckelnden »planetary boundaries« eine ra- Gebäuden beeinflussen. In einem Projekt im Rahmen
dikale Wende herbeizuführen. Die Frage, an der sich von Heritage Science Austria wird am Forschungslabor
die Forschung des Rathgen-Forschungslabors also pri- der Einfluss des Klimawandels auf Museumsschädlin-
mär ausrichtet, lautet: Wie können wir diese wenigen ge (Insekten und Pilze) untersucht.
Jahre nutzen? Ein wichtiger Dienstleistungsschwerpunkt am Rath-
Bei komplexen Zusammenhängen wie in der Klima- gen-Forschungslabor ist die Entwicklung von Leis-
krise helfen Werkzeuge eines »ganzheitlichen Risiko- tungskennzahlen wie Energieverbrauch und Realkli-
managements«. Sie erleichtern den Umgang mit Ziel- mata, die für Zuwendungsempfänger der BKM und da-
Forschung

konflikten und sind seit 2023 Gegenstand eines durch rüber hinaus kostenfrei angeboten werden. Die Einstu-
die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Me- fung der realen Feuchte- und Temperaturbedingungen
dien (BKM) geförderten Forschungsprojekts, das muse- in standardisierte Klimaklassen ist insbesondere für die
ale Sammlungen, Bibliotheken und Archive besser auf Ermittlung von Energieeinsparoptionen hilfreich. Die
aktuelle und künftige Risikoszenarien vorbereiten soll. inzwischen über 150 Kultureinrichtungen umfassende
Bereits seit Oktober 2020 kümmert sich eine einrich- Benchmarking-Datenbank des Instituts hilft Kulturein-
tungsübergreifende Taskforce Risikomanagement unter richtungen ihren Energieverbrauch zu erkennen und
der Leitung des Rathgen-Forschungslabors um die Ver- im internationalen Vergleich zu bewerten.
besserung der Krisenresilienz der Häuser der Stiftung. Seit seiner Gründung arbeitet das Forschungslabor
Ein Verständnis der potenziellen Auswirkungen auch jenseits von Museumsmauern, z. B. in der Denk-
komplexer und dynamischer Situationen, der profes- malpflege. So geht es im EU-Forschungsprojekt »Stone
sionelle Umgang mit Risiken und eine skalierbare Be- monument ensembles and the climate change impact«
drohungsabwehr sind allesamt notwendige Schritte für (STECCI) um die Erarbeitung nachhaltiger Strategien
einen erfolgreichen Schutz unseres Kulturerbes. Alles zur Erhaltung der dem UNESCO-Welterbe zugeordne-
Dinge, die Kultureinrichtungen auf sich allein gestellt ten »Stecci«, Grabdenkmälern in mehreren Ländern des
nicht bewältigen können. Im April 2023 war das Insti- Balkans. Als Vergleichsstudien werden jüdische Fried-
tut daher Mitausrichter eines Workshops in Georgien höfe in Nordbayern herangezogen.
in der Konferenzserie »Culture in Crisis«, die der In- Daneben sind die Forscherinnen und Forscher des
stitutsleiter 2015 gemeinsam mit dem Victoria & Al- Labors auch in Projekten der Kunsttechnologie und Ar-
bert Museum ins Leben gerufen hat. Der Workshop hat chäometrie aktiv. Die Beweisführung im Fälschungs-
sich besonders mit der zivilgesellschaftlichen Rolle skandal um Wolfgang Beltracchi oder die Authentifi-
von Kultureinrichtungen vor, während und nach Kri- zierung der nach 40 Jahren wieder aufgetauchten Ge-
senzeiten befasst. mälde aus dem Kunstraub von Gotha waren Beispiele
Ende 2022 startete im Institut das Projekt »Ressour- unserer Arbeit von hoher öffentlicher Wirksamkeit. In
cen-optimierte Kulturerbebauten (Memory Instituti- einem aktuellen Projekt der Ernst von Siemens Kunst-
ons) – ReKult«, das vom Bundesministerium für Woh- stiftung zur berühmten Wiener Reichskrone beschäf-
nen, Stadtentwicklung und Bauwesen durch das Bun- tigen wir uns derzeit mit der Charakterisierung der in
desamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) als der Reichskrone verwendeten Materialien.
Forschungsträger gefördert wird. Dabei soll, gemein- Schließlich wird auch auf der forschungspolitischen
sam mit drei Hochschulpartnern, das deutsche »Be- Ebene die Arbeit des Forschungslabors immer wichti-
wertungssystem Nachhaltiges Bauen« (BNB) analy- ger. Im europäischen Rahmen wurde die Allianz für die
siert und seine Übertragbarkeit auf Kulturerbebauten Erforschung des Kulturerbes in Europa (ARCHE) ge-
geprüft werden. gründet, ein Koordinationsnetzwerk, dessen Ziel darin

38
Weiter so —
geht nicht mehr → Stefan Simon

Forschung
besteht, die Akteure in den Mitgliedstaaten in die ge-
meinsame Gestaltung von F&I-Strategien und Road-
maps für eine strategische Forschungs- und Innova-
tionsagenda (SRIA) zum Erhalt des kulturellen Erbes
einzubeziehen. ARCHE soll zu einer starken Basis für
eine europäische Partnerschaft in der Kulturerbefor-
schung werden, in der transnationale Projekte gebün-
delt und werden. Eng mit EU-ARCHE verbunden sind
die Joint Programming Initiatives on Cultural Heritage
(JPI CH), denen Deutschland 2022 beigetreten ist. Für
JPI CH fungiert der Direktor des Rathgen-Forschungs-
labors der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als
Delegierter der BKM.
Mittelfristige Zielsetzung dieser im Rahmen von
EU-Horizon 2020 aufeinander aufbauenden EU-Pro-
jekte ist die Schaffung einer vernetzten europäischen
Forschungslandschaft (ERIC), um in internationaler
und transdisziplinärer Arbeit die forschungsrelevan-
ten Herausforderungen eines nachhaltigen Schutzes
des kulturellen Erbes zu meistern.
Der Weg dahin aber ist noch weit. Durch die genann-
ten Projekte ist der Mitarbeitendenstand des Rathgen-
Forschungslabors inzwischen auf über 20 Personen an-
gewachsen – eine unumgängliche Aufstockung, han-
delt es sich hier schließlich um neue Daueraufgaben
in sowohl Forschung als auch Dienstleistung, ohne die
Großes Kreuz mit Inschrift →
Assur, 13./12. Jahrhundert v. Chr.; wir unsere Sammlungen nicht unbeschadet durch die
Bronze; Vorderasiatisches Museum, sich verschärfende Klimakrise im 21. Jahrhundert brin-
Staatliche Museen zu Berlin gen werden.

Stefan Simon ist Direktor des


Rathgen-Forschungslabors.

39
Alles ist
Wechselwirkung
→ Barbara Göbel

E
ine multidisziplinär orientierte außeruniversitäre Einrich- Was sind einige Prioritäten aus den Arbeitsbereichen des IAI? Ein
tung der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften – das ist Schwerpunkt im Veranstaltungsbereich ist der Ausbau der Zusam-
das Ibero-Amerikanische Institut (IAI). Als sogenannte Area menarbeit mit sogenannten »Diaspora-Netzwerken« aus Latein-
Studies-Institution nimmt es bestimmte Regionen in den Fokus – amerika, der Karibik, Spanien und Portugal, die sich künstlerisch
Lateinamerika, die Karibik, Spanien, Portugal – und berücksichtigt und politisch mit ihren Migrationserfahrungen in Deutschland
hierbei auch transregionale Verflechtungen. Damit orientiert sich auseinandersetzen. Hierfür probieren wir gemeinsam neue Wege
das IAI seit seiner Gründung vor mehr als 93 Jahren konsequent in- aus, die auch die Perspektiven jüngerer Generationen stärker in
ternational – nicht verwunderlich also, dass das Institut außerhalb die Kulturarbeit des Instituts einbinden.
Deutschlands weitaus bekannter ist als jenseits der regionalspezifi- Für die strategische Weiterentwicklung der Bibliothek und Son-
schen wissenschaftlichen und kulturellen Fachkreise hier im Land. dersammlungen des IAI spielt der von der Deutschen Forschungs-
Forschung

Was macht das Profil des Instituts aus? Was unterscheidet es gemeinschaft (DFG) geförderte Fachinformationsdienst »Latein-
z. B. von Lateinamerika-Instituten an europäischen Universitäten? amerika, Karibik und Latino Studies« eine wichtige Rolle. Er er-
Es ist die gleichberechtigte Verknüpfung von Informations-, For- möglicht es, die Literaturversorgung der mehr als 16 Disziplinen,
schungs- und Kulturzentrum unter einem Dach, die das IAI zu et- die sich in Deutschland mit Lateinamerika und der Karibik und ih-
was Besonderem machen und die Arbeit in ihm so spannend. Das ren transregionalen Verflechtungen auseinandersetzen, bedarfs-
Ibero-Amerikanische Institut verkörpert in innovativer Weise, was orientiert zu verbessern. Wir etablieren nicht nur neue Services,
den Verbund Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als Ganzes sondern auch neue Formate und Instrumente des Austausches
ausmacht: die Verknüpfung von Wissenschaft, Kultur, Forschungs- zwischen Bibliothek und wissenschaftlichen Communities, was
und Wissensinfrastrukturen. angesichts der digitalen Transformation sehr wichtig ist.
Die Bibliothek und die Sondersammlungen des IAI haben welt- Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
weit herausragende Bestände zum ibero-amerikanischen Kultur- geförderte internationale Forschungskolleg Mecila – Maria S ­ ibylla
raum. Das Institut entwickelt eigene Forschungsaktivitäten, en- Merian International Centre for Advanced Studies in the Huma-
gagiert sich in Verbundprojekten mit Universitäten, ist Gastgeber nities and Social Sciences Conviviality-Inequality in Latin Ame-
für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und rica (2017–2026) leistet einen Beitrag für ein besseres Verständ-
realisiert ein mehrsprachiges Publikationsprogramm mit Fachzeit- nis des Zusammenlebens in sozialen Kontexten, die durch Diffe-
schriften und Buchreihen. Auch führt es ein breites Spektrum an renz und Ungleichheit geprägt sind. Es ist Teil einer Förderlinie,
wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen durch; nicht die die Wissensproduktionen des sogenannten »Globalen Südens«
allein in Berlin, sondern auch mit Kooperationspartnern in ande- umfassender mit denen des sogenannten »Globalen Nordens« ver-
ren Bundesländern. Damit beherbergt das IAI nicht nur ein gro- knüpfen will. In dem Konsortium arbeitet das IAI mit der Freien
ßes und vielfältiges Wissensarchiv, sondern ist auch ein etablier- Universität Berlin (Hauptkoordination), der Universität zu Köln,
ter Ort der Wissensproduktion, der Wissensvermittlung und der der Universidade de São Paulo, dem Centro Brasileiro de Análise e
kulturellen Übersetzungen. Dank dieses Profils nimmt das IAI eine ­Planejamento, dem Instituto de Investigaciones en Humanidades
ausgeprägte Brückenfunktion zwischen unterschiedlichen Akteu- y Ciencias Sociales (IdIHCS) (CONICET/Universidad Nacional de
ren, Institutionen, Wissensfeldern und Regionen wahr. Netzwer- La Plata) und El Colegio de México zusammen. Hauptsitz von Me-
ke, Kooperationen, Mehrsprachigkeit und die Einbeziehung diver- cila ist São Paulo. Für das IAI ist Mecila nicht allein ein wichtiger
ser kultureller Perspektiven sind grundlegende Bestandteile der Forschungsraum, sondern auch ein Lernraum der vielfältigen In-
Arbeit des IAI. »Alles ist Wechselwirkung« schrieb Alexander von ternationalisierungs- und kulturellen Dezentrierungserfahrungen.
Humboldt während seiner amerikanischen Forschungsreise in sein
Tagebuch. Dieses Leitmotiv steht in ganz besonderem Maße für Barbara Göbel ist Direktorin
das grenzüberschreitende und vernetzte Arbeiten des IAI. Gera- des Ibero-Amerikanischen Instituts.
de in Zeiten multipler globaler Krisen sind stabile Knotenpunk-
te des wissenschaftlichen und kulturellen Austausches und star-
ke Netzwerke des Vertrauens von großer Bedeutung.

40
Urkunde mit dem Siegel von
Kaiser Karl IV. → 14. Jahrhundert;
Geheimes Staatsarchiv
Preußischer Kulturbesitz

Herr Simon, wie resilient ist die Stiftung


Preußischer Kulturbesitz (SPK) im
Krisenfall – sei es eine Havarie, ein Kriegs-
fall, eine Naturkatastrophe?
Das ist eine schwierige Frage. Resilienz ist zunächst
mal ein Schlagwort … Projekte mit diesem Wort im Ti-
tel schießen gerade überall wie Pilze aus dem Boden.
Die EU plant eine »Partnership for Resilient Cultural
Heritage«. Da geht es zum einen um eine Stärkung der
Forschung zur Erhaltung des Kulturerbes auf dem Weg
zur Klimaneutralität und zum anderen um Resilienz-
steigerung durch Rückgriff auf Erkenntnisse aus dem
Kulturerbe, um Tradition und Innovation zu verbinden.
Beim Thema Resilienz stellt sich zum einen die Fra-

Forschung
ge, was bedroht das Kulturerbe und in welchem Maße?
Zum anderen, welchen Beitrag kann das Kulturerbe
selbst leisten, um sich auf die Krise vorzubereiten? Die
Antwort hängt davon ab, von welcher Krise wir genau
sprechen – und von der Dynamik ihrer jeweiligen Ent-
wicklung.

Schlagwort
Inzwischen ist der Klimawandel – langsam zwar,
aber immerhin – auch in den Kultureinrichtungen an-
gekommen: Wie bereiten wir uns auf Starkwetterer-
eignisse vor? Wie auf wachsende soziale Spannungen?
Warum und wofür verbrauchen wir so viel Energie bei
Bau und Betrieb unserer Museen und in ihren Program-
men? Gefährdet diese Verschwendung von Ressourcen

Resilienz
nicht unsere ureigene Mission, nämlich Kulturgut für
nachfolgende Generationen nachhaltig zu bewahren?
Wie schaut unsere CO₂-Bilanz aus, warum übertrifft
fast jeder Neubau die Klimafeindlichkeit seines Vor-
gängers? Das ist keineswegs nur ein deutsches Problem.
Die Herausforderungen sind enorm. Neben der Kli-
makrise verändern weitere wie Kriege, soziale Span-
nungen und Energiekrisen den öffentlichen Raum. Wir
reagieren darauf, indem wir ein innovatives, holisti-
sches Risikomanagement für den Stiftungsverbund
→S
 tefan Simon im Gespräch aufbauen. Viel zu lange Zeit spielte Risikomanage-
mit Theresa Brüheim ment in der SPK keine Rolle. Aber seitdem am 3. Ok-
tober 2020 unbekannte Täter zahlreiche Kunstwerke
auf der Museumsinsel mit einer öligen Flüssigkeit be-
schmutzt haben, hat die Stiftungsleitung es zu einer
Priorität gemacht, und das ist sehr gut.
Ist das Krisenbewusstsein schon überall angekom-
men? Nein, das glaube ich nicht – auch nicht in der Po-
litik. Das sieht man daran, dass wir neue Museen bauen,
die wir in wenigen Jahrzehnten nicht mehr so wie ge-

41
plant werden nutzen können. Dass Kulturerbeeinrich-
tungen nach Instandsetzungen mehr Energie als davor
verbrauchen, ist absurd. In wenigen Jahren, mit der fort-
schreitenden Klimakrise, werden wir über diese Prozes-
se ganz anders sprechen. Vieles wird uns noch unver-
ständlicher als heute erscheinen. Habe ich die Entschei-
der davon überzeugt? Nein. Aber wir haben, und das ist
die wichtigste Antwort auf die Frage nach der Resilienz
in der SPK, an der Stiftungsspitze inzwischen ein Ver-
ständnis dafür, dass wir all diesen Risiken nur mit den
Werkzeugen eines holistischen Risikomanagements be-
gegnen können. Das könnte zu einem »game changer«
werden. Dieses Gespräch hätten wir so vor zehn Jahren
in der SPK nicht führen können. Sind wir schnell genug?
Nein, aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Welche Vorsorgemaßnahmen wurden konkret


­getroffen? Wo sehen Sie noch Bedarf?
Vor knapp drei Jahren hat die SPK eine Taskforce Ri-
sikomanagement etabliert und mich mit der Leitung
betraut. Im August dieses Jahres haben wir mit Almut
Siegel und Alke Dohrmann zwei erfahrene Kollegin-
nen einstellen können. Sie haben den bekannten Si-
cherheitsleitfaden Kulturgut SILK aufgebaut und wer-
den das Risikomanagement der SPK professionalisie-
ren. Wir haben zudem eine Taskforce Green Culture, Das Münzkabinett im Bode-
die die Stiftungsleitung zu einem Bekenntnis zur Kli- Museum betreibt sowohl Material-
als auch Herkunftsforschung.
maneutralität der SPK vor 2035 geführt hat.
Wenn ich es kritisch sagen darf: Wir arbeiten in der
Museumsklimatisierung mit Standards, die anachro-
nistisch und nicht wissenschaftlich fundiert sind. Die
Kunstsammlung NRW hat vor Jahren damit angefan-
Bestände

gen, ihre Klimakorridore aufzuweiten. Damit könnten


auch wir viel Energie einsparen. Wir könnten da schon
viel weiter sein. Aber wir müssen auch alle mitnehmen.
Das trifft auch auf das Risikomanagement zu. Es ist ein
für zwei Jahre durch die BKM gefördertes Projekt. Un-
ser Träger muss verstehen, dass das eine Daueraufga-
be ist. Ähnlich wie die Bereiche »Integrated Pest Ma-
nagement« (IPM) und »Biozid-Kontamination«. An-
fangs ebenfalls Projekte, sind mittlerweile die Stel-
len an meinem Institut verstetigt worden. Auf beiden
Gebieten hat die SPK dadurch eine große Strahlkraft
entwickelt.
Die Fragen – Wie gehe ich mit den sich wandelnden
Risiken um? Wie mache ich meine Einrichtung resili-
enter? – sind keine, die wir in einem befristeten Pro-
jekt beantworten können. Da wir kaum zusätzliche
Ressourcen bekommen werden, braucht es eine Auf-
gabenrevision. Das birgt Konfliktpotenzial, weil diese
vielleicht mit weniger Ausstellungen, weniger Baupro-
jekten einhergehen wird. Unsere Welt aber ist damit
konfrontiert, dass wir uns insbesondere in den Län-
dern des »Globalen Nordens« auf ein Weniger hin um-
orientieren müssen. Auch die Museen müssen erken-
nen, dass der Klimawandel nicht vor ihren Türen halt-
machen wird.

Was kann die SPK in der internationalen


Zusammenarbeit beim Thema Resilienz lernen?
Welche Länder gehen beispielhaft voran?
Es gibt viel zu lernen, z. B. beim Thema Neubau und In-
standsetzung. In Dänemark und Polen werden Muse-
umsdepots mit weniger als 10 Kilowattstunden pro Qua-

42
dratmeter und Jahr (kWh/m²a) betrieben. Auch in den sparen. Da hat die Taskforce Risikomanagement bei
Niederlanden wurde Anfang letzten Jahres in Amers- den Sammlungen nachgefragt, welche Objekte ein
foort eines eröffnet, das CollectieCentrum Nederland, »schlechteres Klima« aushalten können, wenn Klima-
welches sogar den nationalen Preis für das nachhal- anlagen und Energieversorgung ausfallen. So ändern
tigste öffentliche Gebäude gewonnen hat. Da sind wir sich Prioritäten. Risikomanagement ist ein Prozess,
in Deutschland weit davon entfernt – unsere Museen kein Protokoll!
zählen zu den größten Energieverbrauchern im städ- Die klimabedingten Wetterereignisse, wie die Stark-
tischen Umfeld, mitunter mit höheren Verbräuchen als regen Ende Juni in Berlin, stellen uns vor immer größe-
ein Krankenhaus. re Herausforderungen. Von unseren 17 Museen war fast
Klimaneutrale Museen, und so müssen wir spätes- ein Dutzend betroffen. Auch das Rathgen-Forschungs-
tens 2035 operieren, dürfen nicht mehr als ca. 30 bis 40 labor war darunter, das Wasser lief durch geschlossene
kWh/m²a verbrauchen. Der Median in unserem Bench- Fenster. Was machen wir, wenn das schlimmer wird?
marking für Energieverbräuche von 150 Museen und Insgesamt lässt sich sagen: Wir haben Notfallplä-
Archiven liegt derzeit knapp unter 300 kWh/m²a. Da- ne und Evakuationslisten. Gemeinsam mit den Refe-
ran erkennt man welche Wegstrecke noch vor uns liegt. raten Sicherheit und Technik, den Museumsleitungen,
Aber es gibt auch positive Entwicklungen: Die BKM Kuratorinnen und Kuratoren sowie Sammlungsverwal-
hat im April eine Konferenz zum Thema »Culture in terinnen und -verwaltern arbeiten wir kontinuierlich
Crisis« in Georgien unterstützt, unter anderem mit an einer Verbesserung. Dieser Prozess hat inzwischen
großzügigen Reisestipendien für Referentinnen und Früchte getragen. Bei Havarien und Notfällen sind wir
Referenten aus den Philippinen, Namibia, Kenia, Me- besser als vor zwei Jahren aufgestellt. Wir sind dem
xiko, dem Irak und Syrien. Es sind viele Synergien Notfallverbund der Berliner Museen beigetreten. Aber
durch Networking und »community-based approa- die Dynamik der Klimakrise wird noch höhere Anfor-
ches« entstanden. Traditionelle Autoritäten stoßen derungen an uns stellen. Wie bereiten wir uns am bes-
heute an ihre Grenzen. Das unbefriedigende Wirken ten auf Tornados, ein sich im Klimawandel für Berlin
der UNESCO während des russischen Angriffskriegs verschärfendes Risiko, vor?
in der Ukraine ist ein Beispiel. Also haben wir ein Fo-
rum geschaffen, in dem wir uns speziell mit Kollegin- Welches Fazit lässt sich ziehen?
nen und Kollegen aus der Ukraine über das Potenzial Die SPK wurde 2020 durch den Wissenschaftsrat als
zivilgesellschaftlichen Engagements ausgetauscht ha- dysfunktional bewertet. Aber nennen Sie mir eine Kul-
ben. Gleiches gilt nach dem Erdbeben vom 6. Febru- turerbeeinrichtung, die eine Taskforce Risikomanage-
ar analog für unsere türkischen Kolleginnen und Kol- ment eingerichtet hat? Wo forschen hauptberuflich
legen. Das ist eine Stärke der SPK: ihre Einbindung in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im »Integ-

Bestände
internationale Forschungsnetzwerke. Das ist ein Plus- rated Pest Mangement« (IPM) und über die »Biozid-
punkt für unsere Resilienz. Bei aller Skepsis, die Sie aus Kontamination«?
meinen Worten raushören, in diesem Punkt hat die Gerade im IPM haben wir im Sommer einen Erfolg
SPK eine großes Potenzial. Damit müssen wir arbeiten. in Deutschland gefeiert: Der Einsatz von in situ gene-
riertem Stickstoff wurde für die Schädlingsbekämpfung
Im Falle einer Havarie, was würde gerettet wieder legalisiert und damit eine kafkaeske Situation
­werden? Gibt es eine Liste mit priorisierten in der EU überwunden. Die EU hatte 2012 Stickstoff, der
­Sammlungsstücken? immerhin ca. 78 Prozent unserer Umgebungsluft aus-
Natürlich. Im Risikomanagement ist es wichtig zu wis- macht, als Biozid eingestuft und ihn damit krebserre-
sen, welche Werte verloren gehen können, wenn etwas genden Organochlorverbindungen wie DDT gleichge-
passiert. Dafür muss man zunächst diese Werte ermit- stellt. In Deutschland gibt es mehr als 30 Anlagen in
teln. Dabei gibt es nicht nur den Geldwert, es gibt eine Museen, die Insektenbefall mit Stickstoff, einem für
kaleidoskopische Landschaft von Werten: historische, Mensch und Kulturgut nachhaltigen Verfahren be-
wissenschaftliche, soziale oder ästhetische, die den Ob- kämpfen. 2017 wurde dieser EU-Beschluss nationa-
jekten von verschiedenen »Stakeholdern« unterschied- les Recht, und auf einmal war der Betrieb dieser Kam-
lich zugeschrieben werden können. Also fragen wir bei mern in Deutschland illegal. Mit Unterstützung der
den Einrichtungen nach einer Priorisierung ihrer wich- BKM konnten wir die nationale Relegalisierung von in
tigsten Objekte. Manche Archive in Deutschland ma- situ generiertem Stickstoff erreichen. Es hat drei Jah-
chen das nicht gern und verweisen auf das Archivgesetz, re gedauert, aber es hat geklappt, weil die SPK Exper-
nach dem alles gleich viel wert sei. Im Endeffekt ist das tise und Schlagkraft zusammenführt. Das hat auch mit
aber nicht hilfreich. Bei einer Evakuierung im Notfall Resilienz zu tun, für deren Aufbau Forschung und Wis-
muss mit einem Objekt angefangen werden. Zu sagen, senschaft die wichtigste Grundlage sind.
wir priorisieren nicht, macht diese Aufgabe schwierig.
Die Herausforderung hat sich am 24. Februar letzten Stefan Simon ist Direktor des Rathgen-
Jahres verschärft, als der russische Angriffskrieg gegen Forschungs­labors. Theresa Brüheim ist Chefin
die Ukraine begann. Was ist im Kriegsfall zu evakuie- vom Dienst von Politik & Kultur.
ren? Und wohin? Diese Frage stellt sich für die Büste
der Nofretete anders als für das Ischtar-Tor.
Zu Beginn stand die Frage nach den wertvollsten Ob-
jekten für eine mögliche Evakuierung im Kriegsfall.
Keine drei Monate später beginnt der Gasnotstand,
und wir waren gefordert, 20 Prozent Energie einzu-

43
Aufbau einer Aus-
stellung in der Gemälde-
galerie am Kulturforum.

→ Carola Thielecke

Wandelt sich die


Gesellschaft,
wandeln sich auch
Provenienzforschung – Beutekunst

Kultur­einrichtungen?
K
ultureinrichtungen sollen und wollen ein Spie- sis darf es daher betrachtet werden, wenn bestimmte
gel der Gesellschaft sein. Wenn man diesen Auf- Debattenteilnehmerinnen und -teilnehmer behaupten,
trag übersetzt, dann bedeutet das auch, dass sich schon immer bestimmte derzeit als korrekt empfunde-
Gesellschaften verändern – und mit ihnen die Kultur- ne Haltungen vertreten zu haben. Das stimmt ebenso
einrichtungen. Museen, Bibliotheken und Archive sind wenig wie die Behauptung, Kultureinrichtungen hin-
Orte gesicherten Wissens, aber sie organisieren Erwer- gen stets rückständigen Sichtweisen an.
bungen oder veranstalten Ausstellungen immer in ei- Die beiden Epochen der Geschichte, die uns in die-
ner gewissen Zeit. Und die ist geprägt von Wertevor- sem Zusammenhang heute besonders beschäftigen,
stellungen, von einem gewissen Wissenshorizont oder sind der Nationalsozialismus und die Kolonialzeit. Da-
einem gesellschaftlichen Konsens. An den Sammlun- bei war die Aufarbeitung der Verbrechen der national-
gen können wir gesellschaftliche Entwicklungen oder sozialistischen Diktatur lange bestimmend in der ge-
Moralvorstellungen der Gesellschaft ablesen. Man er- sellschaftlichen Debatte und damit auch in der Kul-
kennt, wie sich der Geschmack, wie sich soziale Struk- turpolitik. Der monströse NS-Kunstraub ist mit dem
turen, aktuelle Themen und vieles mehr entwickelt ha- Fall des Eisernen Vorhangs wieder ins Blickfeld gerückt.
ben. Aber leider heißt das auch, dass die Sammlun- Während es in den Ländern Westeuropas in den 1950er
gen Aspekte widerspiegeln, die wir heute ethisch nicht und 1960er Jahren eine erste, wenn auch unzureichen-
mehr nachvollziehen können, die uns befremden, die de Befassung mit diesem Thema gegeben hatte, war
uns in Teilen sogar entsetzen. das in den Ländern im Einflussbereich der Sowjetuni-
Vor diesem Hintergrund betrachten wir es als beson- on nicht der Fall. Bei der Stiftung Preußischer Kultur-
dere Verpflichtung, unsere Sammlungen immer wieder besitz (SPK), in der nach 1990 die jahrzehntelang ge-
kritisch zu hinterfragen. Es gilt, sensibel zu sein für teilten preußischen Sammlungen aus Ost und West zu-
öffentliche Debatten. Nicht immer können wir proak- sammengeführt wurden, stellten sich Fragen nach dem
tiv agieren, aber wir können in Einzelfällen Anstöße Umgang mit NS-Raubgut daher mit besonderer Vehe-
liefern. Der Blick auf Geschichte verändert sich, er ist menz. Noch bevor sich die Träger der deutschen öffent-
aber nie schwarz oder weiß. Wir befinden uns als Ge- lichen Kultureinrichtungen mit der sogenannten »Ge-
sellschaft in einem Lern- und Entwicklungsprozess, der meinsamen Erklärung« zur Umsetzung der Washington
unglaublich dynamisch ist. Mit einer gewissen Skep- Principles in Deutschland bekannt hatten, ermächtig-

44
Provenienzforschung – Beutekunst

45
te der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbe- Ein weiteres Beispiel aus dem kolonialen Kontext: Für
sitz am 4. Juni 1999 den Präsidenten mit Rechtsnach- Kriegsbeute aus dem Maji-Maji-Krieg, einem der gro-
folgern von Opfern des NS-Kunstraubes Vereinbarun- ßen Widerstandskriege gegen die deutsche Kolonial-
gen über einvernehmliche Lösungen zu suchen. herrschaft im östlichen Afrika, der Hunderttausende
In den vergangenen zehn Jahren ist nun eine brei- Menschen das Leben kostete, kann nur eine Repatriie-
te Diskussion über die Rolle Deutschlands insgesamt, rung infrage kommen. Deshalb hat der Stiftungsrat im
und insbesondere der Museen, in der Kolonialzeit in Juni 2022 den Präsidenten ermächtigt, mit den zustän-
Gang gekommen. Unsere außereuropäischen Samm- digen Stellen in Tansania entsprechende Vereinbarun-
lungen werden seitdem auch unter diesem Aspekt neu gen zu treffen. Keine Zweifel kann es auch bei mensch-
beleuchtet. Am Beispiel des Kolonialismus lässt sich lichen Überresten geben, die in der Kolonialzeit nach
gut erkennen, dass es nicht nur gesellschaftliche De- Deutschland gelangt sind. Hier handeln wir nach der
batten sind, die für die Neubetrachtung von Samm- Maßgabe: Wenn geklärt ist, woher sie kommen und die
lungen entscheidend sind, sondern genauso Entwick- Herkunftsländer dies wünschen – was im Übrigen nicht
lungen in den öffentlichen Kultureinrichtungen The- immer der Fall ist! – werden sie repatriiert.
men in die Öffentlichkeit bringen können. Der Bau des Leider ist es mit den Rückgaben nicht immer so ein-
Humboldt Forums war ein ganz wesentlicher Anstoß fach. Zunächst gibt es das ganz praktische Problem,
dazu, dass in Deutschland die koloniale Vergangenheit dass die Provenienzforschung trotz aller wissenschaft-
überhaupt in den Blick gerückt ist. Gerade bei diesem licher Genauigkeit vielfach nicht die genauen Erwer-
Thema gibt es derzeit eine sehr rasante Entwicklung bungsumstände aufklären kann. Selbst wenn das aber
der öffentlichen Wahrnehmung. Das kann man daran der Fall ist, stellen sich oft schwierige Fragen.
ablesen, dass die Grundhaltungen, die sich die Stif- Im Fall der NS-Raubkunst ist immerhin der rechtli-
tung vor wenigen Jahren zu den Themen »menschli- che Rahmen klar: Die Opfer des Kunstraubes waren Eu-
che Überreste« und »Kulturgut aus kolonialen Kon- ropäer, mit europäischen Vorstellungen von Eigentum
texten« gegeben hat, inzwischen dringend der Über- und Erbrecht. Es ist deshalb, an die Erbinnen und Er-
arbeitung bedürfen. ben zu restituieren. Diese zu ermitteln, ist zwar manch-
Was kann man nun tun, wenn man feststellt, dass mal schwierig – aber das sind eher praktische Prob-
Provenienzforschung – Beutekunst

Sammlungsgut oder die Umstände, unter denen es er- leme. Schwieriger zu beantworten ist aber bisweilen
worben worden ist, nicht mehr unseren heutigen recht- die Frage, ob ein verfolgungsbedingter Verlust vorliegt.
lichen oder ethischen Maßstäben entspricht? Ist es das Den sehr weitgehenden Ansatz, wonach prinzipiell jede
Sammlungsgut selbst, dass problematisch ist, hat die Veräußerung durch einen Verfolgten ab dem 31. Janu-
SPK ganz unterschiedliche Wege beschritten: Wir ha- ar 1933 ein verfolgungsbedingter Verlust ist, würden
ben z. B. Objekte, die nachweislich rassistische Motive wir – in Übereinstimmung mit der Handreichung zur
transportieren, kontextualisiert. Ein Beispiel ist hier Li- Gemeinsamen Erklärung – nicht teilen. Damit stellt
teratur aus dem Nationalsozialismus. Aber es gibt auch sich also die Frage: Wann hat die Verfolgung eine so
Dinge, die man nicht mehr einer breiten Öffentlichkeit große Rolle gespielt, dass nur eine Restitution in Fra-
zeigen kann oder möchte. Solches Sammlungsgut ver- ge kommt? In etwa 60 Fällen sind wir bis heute zu die-
bleibt in der Sammlung – als Dokument seiner Zeit und sem Ergebnis gekommen und haben bislang etwa 350
Arbeitsgrundlage für die Wissenschaft. Objekte und 2.000 Bücher an die Erben jüdischer Ei-
Oftmals geht es aber um die Erwerbungsumstän- gentümer und anderer Verfolgter zurückgegeben.
de, die aus heutiger Sicht nicht mehr zu rechtfertigen Noch komplexer wird es im Bereich des Kulturgu-
sind. Was tun? Behalten? Zurückgeben? Mit dieser Fra- tes aus kolonialen Kontexten. Hier ist bereits häufig
ge geraten die öffentlichen Sammlungen in ein Dilem- nicht klar, an wen zurückzugeben wäre. In den seltens-
ma, denn sie sind ja einem Bewahrensauftrag verpflich- ten Fällen kommen Einzelpersonen als Empfänger bei
tet, sollen die Sammlungen für die Nachwelt erhal- Rückgaben infrage, meist sind es Communities, bei de-
ten. Sie kommen aber auch in Konflikt mit dem Haus- nen aber nicht immer geklärt ist, wer für sie handlungs-
haltsrecht, das vorgibt, dass staatliche Einrichtungen befugt ist. Hinzu kommt, dass diese Fälle nie nur als
Eigentum nur in engen Grenzen abgeben dürfen. Für Privatangelegenheiten der früheren Besitzer betrachtet
Sammlungsgut, das NS-verfolgungsbedingt entzogen werden können, sondern außenpolitische Fragen be-
wurde oder aus kolonialen Kontexten stammt, gibt es rühren. Das bedeutet, dass neben der Community im-
im Haushaltsrecht inzwischen Öffnungsklauseln, die mer staatliche Stellen zu beteiligen sind, die biswei-
aber eng gefasst sind. len diametral andere Interessen vertreten.
Nun gibt es Fälle, die sehr leicht zu entscheiden sind: Im Bereich der Rückgaben aus kolonialen Kontexten
Wenn bei der Erwerbung von Sammlungsgut Gewalt wird es sicher auch weitere Diskussionen über die Fra-
und Unrecht im Spiel war, ist für uns klar: Diese Dinge ge geben (müssen), warum zurückgegeben wird. Denn
sind selbstverständlich zurückzugeben. Im Bereich der die Erfahrung zeigt, dass die Partnerinnen und Part-
NS-Raubkunst sind solche eindeutigen Fälle z. B. die- ner Rückgaben nicht immer nur dann fordern, wenn
jenigen, bei denen Kulturgut im Rahmen der Emigra- ein Unrechtskontext vorliegt. Für sie steht viel mehr
tion aus Deutschland beschlagnahmt wurde. Ein Bei- die Bedeutung des Objektes im Vordergrund. Zum Teil
spiel hierfür ist die mittelalterliche Alabastertafel, die gelingt es uns, hier Lösungen zu finden: Bei der kürz-
der jüdische Sammler Harry Fuld vor seiner Auswan- lich erfolgten Rückgabe der Kogui-Masken an Kolum-
derung 1936 bei einer Spedition eingelagert hatte, wo bien gab es durchaus Aspekte, die die Erwerbung als
sie von staatlichen Stellen entschädigungslos beschlag- ethisch nicht ganz unzweifelhaft erscheinen ließen,
nahmt wurde. Diese wurde 2009 an die Erbin von ­Harry sodass ein Unrechtskontext bejaht werden konnte. Für
Fuld restituiert. die Kogui war aber, ganz im Sinne der UN-Erklärung

46
über die Rechte der Indigenen Völker, die sakrale Be-
deutung der Masken essenziell. Hinzu kommt, dass
sich die Communities und Herkunftsländer oft mehr
wünschen als nur die Rückgabe von Objekten: Sie wün-
schen sich Erfahrungs- und Wissensaustausch, Unter-
stützung bei Projekten in ihren Ländern, eine eige-
ne Stimme, wenn es darum geht, über die Objekte zu
sprechen. Sie fordern aber auch finanzielle Entschädi-
gungsleistungen und Entschuldigungen, nicht nur von
den Kultureinrichtungen, sondern von den Regierun-
gen! Und damit schließt sich der Kreis. Museen sind
hier eben Teil der Gesellschaften, in und für die sie ar-
beiten. Als solche können sie einen Beitrag dazu leis-
ten, das Unrecht der Vergangenheit aufzuarbeiten, an
dem sie auch ihren Anteil haben. Dies kann aber nicht
die Aufgabe der Kultureinrichtungen allein sein, son-
dern es sind gesamtgesellschaftliche Themen, für die
auch gesamtgesellschaftliche Antworten und Beiträ-
ge notwendig sind, die sicher über Rückgaben hinaus-
gehen werden.

Carola Thielecke ist Leiterin des


Zentralen Justiziariats der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz.

Provenienzforschung – Beutekunst

Im Bestand des Ibero-


Amerikanischen Instituts
befinden sich zahlreiche
wertvolle Handschriften.

47
A
m 4. Juni 1999 beschloss der Stiftungsrat der Stif-
tung Preußischer Kulturbesitz (SPK) den Master-
plan für die Berliner Museumsinsel. Der Grund-
gedanke des Plans besteht in der Vereinigung der Häu-
ser zu einem geschlossenen, durchgehenden Kultur-
erfahrungsraum, den der Besucher sich bei einem
einzigen Rundgang erschließen kann. Die An- und Um-
bauten, für die der Londoner Architekt David Chipper-
field verantwortlich zeichnete, waren 20 Jahre nach
dem Masterplanbeschluss vollendet, als das neue Ein-
gangsgebäude des Gesamtkomplexes eingeweiht wur-
de. Es erhielt den Namen James-Simon-Galerie.
Im Protokoll der Sitzung vom 4. Juni 1999 steht ein
weiterer wichtiger Beschluss. »Der Stiftungsrat begrüßt
alle Bemühungen des Präsidenten, im Zusammenhang
mit Kunstwerken aus ehemals jüdischem Eigentum,
welche den Eigentümern verfolgungsbedingt entzo-
gen worden sind und sich heute in Einrichtungen der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden, zur Aufklä-
rung der Sachverhalte beizutragen und Dokumentati-
onen der Stiftung auch Dritten zugänglich zu machen.
Er ermächtigt den Präsidenten, im Verhandlungsweg
mit den Berechtigten, Erben oder sonstigen Rechts-
nachfolgern nach einvernehmlichen Lösungen zu su-
chen, und akzeptiert hierbei auch eine Herausgabe der
Liegender Löwe → August Gaul;
Kunstwerke unabhängig davon, ob dies zwingende Fol-
Provenienzforschung – Beutekunst

1903; Kalkstein; James-Simon-Galerie


ge einer gesetzlichen Regelung ist.«
Ein halbes Jahr zuvor, am 3. Dezember 1998, hatten
sich 43 Staaten in Washington auf Prinzipien verpflich-
tet, die es möglich machen sollen, in der »Holocaust-
Ära« geraubte Kunstwerke zu restituieren. Die SPK ging
bei der Übersetzung der Prinzipien in Handlungsma-
ximen voran. Das Raubgut muss zunächst identifiziert
werden, daher die Hervorhebung von Dokumentati-
on und Kooperation; bei begründetem Raubkunstver-
dacht soll dann eine einvernehmliche Lösung durch
Verhandlungen gefunden werden. Im Wortlaut ging

Raubgut
der Stiftungsrat eigentlich nicht über eine Paraphra-
se der wichtigsten Grundsätze von Washington hinaus;
es kam darauf an, dass die Stiftung die Initiative ergriff.
Bund und Länder in ihrer Eigenschaft als Träger der
Stiftung kamen sich sozusagen selbst zuvor, denn erst
weitere sechs Monate nach dem Berliner Beschluss er-

in den
folgte die Veröffentlichung der »Erklärung der Bundes-
regierung, der Länder und der kommunalen Spitzen-
verbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfol-
gungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere
aus jüdischem Besitz«. Im ersten Kapitel dieses Doku-
ments wurde dann der Stiftungsratsbeschluss der SPK
vom 4. Juni 1999 »begrüßt«.

Depots? → Patrick Bahners

48
Bemerkenswert ist die Form des Beschlusses: eine Er- Wie entschieden die 1999 beschlossenen Grundsätze
mächtigung des Präsidenten. Er soll handeln und hat der Berliner Restitutionspolitik in administrative Praxis
schon gehandelt – denn seine Bemühungen trugen ihm umgesetzt wurden, wird die Forschung über die Prove-
bereits im Juni 1999 offizielles Lob seiner politischen nienzforschung untersuchen müssen, deren Zeit kom-
Vorgesetzten ein. Klaus-Dieter Lehmann war damals men wird. Der Stiftungsratsbeschluss ist zu allgemein,
gerade einmal vier Monate im Amt. Seit 1999 ist NS- als dass man ihn einen Masterplan nennen könnte, aber
Raubkunst bei der SPK im förmlichen Sinne Chefsa- die Grundsätze sind klar und eindeutig. In der Politik
che. Das entspricht nicht bloß der Wichtigkeit des The- und in der Presse fand Anerkennung, dass die SPK auch
mas, sondern auch dem Charakter der Pflichten, welche in der Praxis zum Vorreiter wurde. 2008, zum zehnten
die Unterzeichnerstaaten der Washingtoner Erklärung Jahrestag der Washingtoner Konferenz, forderte Kultur-
übernommen haben. Gespräche darüber, ob ein Muse- staatsminister Bernd Neumann die deutschen Museen
um freiwillig ein Stück seiner Sammlung abgeben soll, auf, sich an der SPK ein Beispiel zu nehmen und in den
um einer unabhängig vom positiven Recht bestehen- Depots nach Raubgut zu suchen. Und als die SPK 2009
den Forderung der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muss die Begründung für ihre Position vorlegte, dass der Wel-
der Inhaber der Gesamtverantwortung der Institution fenschatz des Kunstgewerbemuseums 1935 nicht durch
autorisieren und in den entscheidenden Phasen auch einen Zwangsverkauf in Staatsbesitz gelangt sei, hielt
selbst führen. Wenn vom Grundsatz der Grundsätze des Brigitte Werneburg ihr in der »taz« zugute, dass sie sich
Museumsrechts und der Museumsethik, den Gesamt- »überaus konsequent für die Umsetzung der Washing-
bestand der Sammlung unvermindert für die Nachwelt toner Erklärung eingesetzt« habe. Von 29 Rückgabeer-
zu erhalten, eine Ausnahme gemacht werden soll, hat suchen hatte sie 22 positiv beschieden.
das bei einem öffentlichen Museum der Direktor ge- Hans-Jürgen Papier, der Vorsitzende der Beraten-
genüber dem Publikum als dem eigentlichen Eigentü- den Kommission im Zusammenhang mit der Rückga-
mer zu vertreten. be NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, ins-
Die SPK nimmt beim Thema der Verfolgung durch besondere aus jüdischem Besitz, hat jüngst das nied-
Enteignung ihre historische Verantwortung wahr, und rige Fallaufkommen seiner Kommission zum Skandal
zwar nicht nur in dem abstrakten Sinne, dass sie als Teil ausgerufen und mit einem stillen Boykott der Museen

Provenienzforschung – Beutekunst
der deutschen Staatsgewalt das in ihrer Macht Stehen- erklären wollen. Seine Vorgängerin Jutta Limbach sah
de zur Korrektur des Unrechts tut, sondern im konkre- das noch anders und stellte 2014 in einem Interview
ten Sinne der Verantwortung für das, was der Verbund fest: »In der größten Zahl der Fälle nehmen die Mu-
der vormals preußischen Sammlungen in der Geschich- seen uns gar nicht in Anspruch, sondern restituieren
te gewesen ist und in der Zukunft sein soll. Historische selbstständig Werke aus jüdischem Besitz. Die Stiftung
Gerechtigkeit hat eine lokale Innenseite, auch bei ei- Preußischer Kulturbesitz beispielsweise handhabt es
nem Universalmuseum, und Klaus-Dieter Lehmann im Allgemeinen in dieser Weise.« Lehmanns Nachfol-
machte dieses Interesse seiner Institution namhaft, ger Hermann Parzinger setzte sich 2015 an die Spitze
als er sich 2007 gegenüber dem Kulturausschuss des der Reformer der Limbach-Kommission, als er forder-
Deutschen Bundestages als Sachverständiger zu den te, die Museen zur Teilnahme an den Schiedsverfah-
Erfahrungen mit Restitution und Provenienzforschung ren zu verpflichten.
äußerte: »Die Staatlichen Museen zu Berlin – Preußi- Wenn es so weit sein wird, dass man alle fünf Mu-
scher Kulturbesitz sind im Laufe ihrer Entstehung und seen der Museumsinsel dank der unterirdischen Pro-
Entwicklung in besonderer Weise gerade von jüdischen menade in einem Zug durchwandern kann, soll man
Mäzenen erheblich gefördert worden.« nicht nur die dort zusammengetragene und ausgestell-
Kritiker des normativen Regimes von Washington te Weltkultur als ein Ganzes erleben, das in jeder Ein-
halten es für eine Schwäche, dass moralische Plausibi- zelheit gleichzeitig gegenwärtig ist, sondern auch die
lität statt rechtlichem Zwang die Lösungsfindung leitet. Geschichte der Museen selbst. Deshalb heißt Chipper-
Aber bei der Suche nach dem, was in einem Einzelfall fields Säulenhalle nach James Simon, und deshalb er-
als fair und gerecht gelten soll und akzeptiert werden gibt es Sinn, dass diese Galerie fast leer ist. Als Wäch-
kann, schließt der moralische Sinn der Begriffe Fair- ter fungiert dort der »Liegende Löwe« von August Gaul,
ness und Gerechtigkeit möglicherweise auch Gesichts- der 2015 an die Erben des Verlegers Rudolf Mosse über-
punkte ein, die im Recht kein Gewicht haben. So kam eignet und ein Jahr später zurückgekauft wurde.
die Einigung der SPK mit den Erben von Curt Glaser,
dem 1933 zwangspensionierten Direktor der Kunstbi- Patrick Bahners ist Korrespondent
bliothek, der den Grundstein für die Munch-Samm- des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen
lung des Kupferstichkabinetts gelegt hatte, 2012 in Zeitung in Nordrhein-Westfalen.
ausdrücklicher »Würdigung seiner großen Verdiens-
te für die Berliner Museen« zustande. Glaser ließ im
Mai 1933 vor seiner Emigration seine Sammlung und
Bibliothek versteigern. Von den neun im Kupferstich-
kabinett nachgewiesenen Grafiken aus diesen Aukti-
onen wurden vier den Erben übergeben; fünf verblei-
ben im Museum.

49
Provenienzforschung – Beutekunst

Blick in eine Werkstatt der Gipsformerei


der Staatlichen Museen zu Berlin.
50
Provenienzforschung – Beutekunst

51
Die Tür öffnen → Ralf Beste und Andreas Görgen im
Gespräch mit Ludwig Greven
Die Bundesregierung will eine Internationale Was sind die Gründe, dass die deutschen Museen
­Museumsagentur gründen. Was soll sie leisten? international nicht mithalten? Liegt das vor
Beste – Sie soll als Serviceagentur den deutschen allem am Föderalismus? Tun sich zentralistische
Museen helfen, weltweit zu operieren. Sie soll unter- Länder wie Frankreich da leichter?
stützen bei internationalen Ausstellungen, beim Bau Görgen – Deutschland hat die reichste Museums-
und Betrieb von Museen im Ausland, bei der Restitu- landschaft mit etwa 6.600 Museen. Wenn wir davon
tion von Kulturgütern und – ganz wichtig – beim ge- die Häuser der SPK und noch ein paar andere Museen
genseitigen Lernen und der Ausbildung von Museums- in der Trägerschaft des Bundes abziehen, sind über 99
personal. Dafür gibt es schon das Museums-Lab, das Prozent in Trägerschaft der Länder und der kommuna-
künftig von der Agentur getragen werden soll. Gesell- len Gebietskörperschaften. Für eine Kommune oder ein
schafter der Agentur wird das Auswärtige Amt sein, zu- Land stellt sich die Frage, ob und wieweit können sie
sammen mit der Beauftragten für Kultur und Medien. Gelder bereitstellen, damit ein Museum international
Beteiligt ist auch das Ministerium für Entwicklungszu- arbeiten kann, oder ob das nicht Aufgabe der Bundesre-
Provenienzforschung – Beutekunst

sammenarbeit. Im Aufsichtsrat sitzen außerdem Ver- publik insgesamt ist. Das ist in Frankreich anders. Dort
treterinnen und Vertreter der Länder, denn die Agen- wird vom Zentrum aus gedacht, sozusagen vom Louv-
tur soll auch die Museen unterstützen, die sich in der re und Centre Pompidou in die Peripherie, ob die Metz
Trägerschaft der Länder und Kommunen befinden. Es oder Shanghai heißt. Wir dagegen müssen umgekehrt
ist wichtig, dass alle Akteure mit an Bord sind. von der Peripherie ins Zentrum denken, in Richtung
Berlin – zu der neuen Agentur und von da ins Ausland.
Sind denn die deutschen Museen im internatio­ Beste – Ziel ist, den Museen die Tür nach außen zu
nalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und öffnen, damit sie einen Weg einschlagen können, den
­spektakuläre Ausstellungen so im Hintertreffen, sie aus eigener Kraft womöglich nicht gehen würden.
dass sie Hilfe des Bundes benötigen? Das ist für eine Bundeseinrichtung leichter als für eine
Görgen – Für das, was die deutschen Museen können, kommunale oder eine Länderinstitution.
sind wir im Ausland zu schwach unterwegs. Das Gug-
genheim-Museum hat Dependancen im Ausland, der Was wäre daran so schlimm, in der internationalen
Louvre hat einen Ableger in Abu Dhabi gegründet. Von Konkurrenz nicht mitzuspielen? Es gibt ja schon
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und ande- jetzt Kooperationen mit Museen im Ausland, und
ren großen Museen gab es vor 20 Jahren Versuche, ge- viele Gäste kommen nach Deutschland, um sich
meinsam etwas auf den Weg zu bringen. Das ist damals hier die reichhaltigen Museen anzuschauen.
aber gescheitert. Deshalb war Deutschland bei der ers- Görgen – Umgekehrt gefragt: Können wir nicht sagen,
ten Welle der Erweiterungen ins Ausland nicht dabei. wir bauen nicht nur gute Autos und Windräder, wir ha-
Seit etwa 2010 gibt es eine zweite Welle. Das Centre ben auch hervorragende kulturelle Werke und Erzäh-
Pompidou hat 2019 eine Dependance in China eröffnet. lungen anzubieten? Warum ist ein Land, das so stark
In Saudi-Arabien hat Frankreich mit Al-Ula eine gan- vom globalen Markt abhängt, in der globalen Zusam-
ze Region einschließlich mehr als einem Dutzend Mu- menarbeit von Museen so wenig sichtbar? Dabei gibt
seen erschlossen. Eine Reihe von Museumsneubauten es eine enorme internationale Nachfrage nach einer
in Afrika werden von Frankreich, Südkorea oder China Kooperation mit uns.
unterstützt. Wir wollen hier einen eigenen, konzepti- Beste – Das British Museum oder Guggenheim sind
onell-kooperativen Ansatz entwickeln. starke Marken auch im Ausland, während der Zugang
für viele größere, aber eben nicht riesige deutsche Mu-
seen schwieriger ist. Deren Chancen wollen wir mit
Unterstützung der Museumsagentur verbessern. Zu-
mal der große Bereich der Museen international ein
Wachstumsmarkt ist.

52
Wenn das Auswärtige Amt die Federführung Weshalb wird die Agentur eine GmbH und
­übernimmt, bedeutet das, dass die internati- nicht eine Abteilung im Auswärtigen Amt?
onale Vermarktung der deutschen Museen ein Görgen – Nach Abwägung aller Fragen scheint uns
Teil der Außenpolitik wird, in Konkurrenz zu das die effektivste Form. Wir haben uns daran gewöhnt,
autoritären Mächten wie China, aber auch zu dass wir eine föderale Ausdifferenzierung mit unter-
befreun­deten Ländern? schiedlichen Entscheidungsstrukturen haben. Das ist
Beste – Die Agentur wird ein Bestandteil der aus- gut für unser Land, aber nicht für Partner im Ausland,
wärtigen Kultur- und Bildungspolitik, mit der wir un- weil die sich manchmal verlieren können zwischen
sere außen- und sicherheitspolitischen Ziele verfol- 16 Bundesressorts und 16 Bundesländern. Das macht
gen: nämlich Partner zu erschließen, Austauschgele- uns langsamer in der globalen Zusammenarbeit. Die
genheiten zu schaffen und Verständigungsmöglichkei- Agentur hat den Vorteil, dass das Kulturressort und die
ten zu suchen. Und mit der Agentur nutzen wir dafür beiden Ministerien, die sich um Außen- und Entwick-
eine der wertvollsten Möglichkeiten, die wir haben: lungspolitik kümmern, mit den Ländern und Kommu-

Provenienzforschung – Beutekunst
unsere Museen. nen in einer Agentur kooperieren und so die Komple-
xität von Bürokratien reduzieren. Die Agentur kann
Warum setzen Sie nicht auf europäische Koopera- selbstständiger agieren.
tion statt auf eine eigene nationale Agentur?
Beste – Das ist eine Frage der Praktikabilität. Wir Tragen die Bundesländer das mit?
wollen ja einzelnen Museen bei der internationalen Oder gibt es da Widerstände?
Vermarktung helfen, und da ist man auf nationaler Ebe- Görgen – In mehreren kulturpolitischen Spitzentref-
ne näher dran. Wir haben, wie gesagt, ein föderales fen und verschiedenen Runden ist das alles seit 2019
System mit verschiedenen Akteuren, Frankreich hat vorbereitet worden. Wir haben 50 Museen befragt, wo
da eine andere Tradition. Da könnten wir zehn Jahre sie Bedarf sehen, wir haben die Länder um ihre Ein-
damit verbringen, einen Mechanismus zu finden, der schätzung und Mitwirkung gebeten und uns mit den
allen passt. Damit wäre aber noch kein Bild ins Aus- bestehenden Institutionen wie dem Goethe-Institut,
land bewegt. der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder auch der
Görgen – Warum trauen wir uns nicht zu sagen, wir Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und vielen an-
haben ein eigenes deutsches Angebot, das sich unter- deren abgestimmt.
scheidet von einem britischen, französischen oder bel- Beste – Es bedarf für die Kooperation mit ausländi-
gischen? Wir leben doch in einer Welt, in der die kul- schen Museen viel Know-how, von Zollfragen bis dazu,
turellen Narrative eine große Rolle spielen. Ich hal- welche Rahmenvereinbarungen es braucht. Selbst gro-
te es für völlig legitim zu sagen, es gibt eine spezifi- ße Museen sind damit oft überfordert, sie haben nicht
sche deutsche kulturelle Erzählung und Erzählweise, die Fachleute dafür. Die Agentur soll daher auch ein
die europäisch ist, aber eben nicht allein. Zweitens: Kompetenzzentrum sein, das ihnen diese Expertise zur
Wir wollen von anderen lernen, um dadurch interna- Verfügung stellt.
tional besser zu werden. Manche Museen in anderen
Ländern sind moderner als deutsche, in der Technik, Welche Museen haben Sie vor allem im Fokus?
in der Erzählweise, im internationalen Austausch. In Görgen – Wir reden von etwa zwei Dutzend, die da-
dieser Kooperation und in diesem Wettbewerb können für besonders infrage kommen. Dazu gehören natür-
wir selbst besser werden für die Arbeit hier in Deutsch- lich die Sammlungen der SPK. Sie ist eine der zentralen
land. Und in einem weiteren Schritt überlegen, ob und Institutionen, die wir von Anfang an eingebunden ha-
wo es auch ein gemeinsames europäisches kulturel- ben, und hoffentlich sehen wir im Caspar-David-Fried-
les Angebot gibt, wie z. B. beim europäisch-afrikani- rich-Jahr schon in Hamburg und Dresden erste Früchte.
schen MuseumsLab. Beste – Die anderen Mittler der auswärtigen Kultur-
politik wie das Goethe-Institut sind ebenfalls mit an
Bord. Allein auch dafür, um Bedarfe zu ermitteln und
Orte zu finden, an denen deutsche Museen mit Hilfe
der Agentur tätig werden sollten. →

53
In welchen Weltregionen sehen Sie
den größten Nachholbedarf?
Beste – Wir erleben in der internationalen Politik
gerade eine große langfristige Machtverschiebung. In
den alten Machtzentren wie Nordamerika und West-
europa sind wir traditionell stark vertreten. Aber die
Gewichte verschieben sich in Regionen wie Südostasi-
en, Afrika und Teile der arabischen Welt. Und wir se-
hen zugleich, dass sich auch die Praktiken der kultu-
rellen Zusammenarbeit verändern. Ein Museum in den
Ländern Afrikas beispielsweise ist anders als eines in
Deutschland. Da lernen wir auch dazu, was eigentlich
die Funktion eines Museums ist. Nämlich z. B. ein Ort
des gesellschaftlichen Miteinanders – anders als bei
uns, wo Einzelne ins Museum gehen und sich erbau-
en. Das heißt, mit der Arbeit der Agentur wollen wir
nicht nur unsere Wert vermitteln, sondern auch von
Ländern wie Nigeria lernen, wie man dort heute Mu-
seen baut und betreibt.

In der Auswärtigen Kulturpolitik wird wegen


Provenienzforschung – Beutekunst

der Zeitenwende und anderer dringender


Aufgaben kräftig gespart. Verträgt sich damit,
eine neue Institution zu schaffen, die ja einiges
kosten wird?
Beste – Wir sprechen von einer kleinen Agentur mit
etwa zwei Dutzend Leuten, die weniger durch große
Subventionen als durch konkrete Hilfen unterstützen
sollen. Das Budget beschränkt sich auf einen einstel-
ligen Millionenbetrag. Es soll genug sein, um in eini-
gen Bereichen entscheidende Akzente zu setzen. Die
Agentur soll perspektivisch profitabel arbeiten und da-
für sorgen, dass es nicht nur für die Museen, sondern
auch für sie selbst auf dem globalen Museumsmarkt
auskömmlich ist. Dieses Geld kann dann wiederum den
Radius erweitern.

Ein Museum im Ausland zu bauen,


kostet aber eine Menge Geld.
Görgen – China hat vor einigen Jahren einen Plan für
den Neubau von 3.500 Museen vorgestellt und baut ca.
40 Museen pro Jahr. Oder schauen Sie auf die arabische
Halbinsel, auf die Türkei und andere Länder. Die fragen
nicht um mitgebrachtes Geld, sondern die fragen nach
Angeboten für ihre Investition in die kulturelle Infra-
struktur. Bislang können wir dafür jedoch kein gebün-
deltes Angebot machen. Das würden wir gerne ändern.

Andreas Görgen ist Amtschef von Kulturstaats­


ministerin Claudia Roth. Ralf Beste ist Leiter
der Abteilung für Auswärtige Kultur- und Gesell-
schaftspolitik im Auswärtigen Amt. Ludwig
Greven ist freier Publizist.

54
Provenienzforschung – Beutekunst
Seit fast 200 Jahren werden in der Gipsformerei der Staatlichen
Museen zu Berlin hochwertige Kunstrepliken aus Berliner, aber auch
europäischen Museen gefertigt.

55
Provenienzforschung – Beutekunst

Wie kamen
die Objekte ins
Museum? W
→ Petra Winter
ie wurden die Objekte eigentlich gesammelt, er-
worben und mitunter angeeignet? Und auf wel-
chen oft verschlungenen Pfaden sind sie ins Mu-
seum gelangt? Das sind die Grundfragen der Proveni-
enzforschung an den Staatlichen Museen zu Berlin, die
sich mit den Kontexten von Besitz- und Eigentums-
wechseln von der Entstehung eines Objekts bis hin zu
seiner Aufnahme in die Sammlungen beschäftigt.
Die systematische und proaktive Provenienzfor-
schung ist in den Staatlichen Museen zu Berlin eine
wichtige Kernaufgabe, die seit 2008 vom Zentralarchiv
aus koordiniert und geleitet wird. Hier ist ein profes-
sionelles Team aus Forscherinnen und Forschern so-
wie Archivarinnen und Archivaren an einem Institut
vereint, das in der deutschen Museumslandschaft ein-
malig ist. Das Zentralarchiv versteht sich als »histori-
sches Gedächtnis« der Museen, seine Aktenbestände
bilden den Ausgangspunkt jeder Provenienzrecher-
che zu den Objekten in den Sammlungen der Museen.

56
betreffenden Archivalien erleichtert und der zeitliche
Aufwand der Recherchen sowohl für die eigene samm-
lungsbezogene Provenienzforschung an den Staatli-
chen Museen zu Berlin als auch für externe Forsche-
rinnen und Forscher erheblich reduziert.
Aber wie geht die Provenienzforschung vor? Objek-
te und Teilbestände werden nach bestimmten Kriteri-
en ausgewählt und im Rahmen von Forschungsprojek-
ten untersucht. Dabei folgt die Provenienzforschung
den Erwerbungskontexten und -zeiträumen, einge-
rahmt von historischen Zäsuren. Geprüft werden An-
käufe, Schenkungen, Vermächtnisse sowie von Behör-
den überwiesene Werke. Gemäß den oben skizzierten
politisch-historischen, aber auch ethisch-moralischen
Ansprüchen, denen sich die Museen heute stellen müs-
sen, begann um die Jahrtausendwende zunächst die in-
tensive Untersuchung der Erwerbungen der Museen
zwischen 1933 und 1945, um Objekte zu identifizieren,
die ihren Besitzern in der Zeit des Nationalsozialismus
entzogen worden sind, insbesondere aus jüdischem
Besitz. Die Suche nach diesen Objekten dauert an und
Der Lesesaal im Ibero-Amerikanischen

konzentriert sich mittlerweile auch auf nach 1945 von


den Museen erworbene Werke, denen ein Entzug in der
NS-Zeit vorausgegangen sein kann. Diese Recherchen
gestalten sich wesentlich aufwendiger. Eine besondere
Institut am Kulturforum.

Herausforderung sind die Untersuchungen zu mögli-

Provenienzforschung – Beutekunst
chem Entzug in der SBZ/DDR, die für nahezu alle Mu-
seen zu leisten sind. Die Staatlichen Museen zu Berlin
waren von 1948 bis 1990 unmittelbar von der Teilung
Berlins und Deutschlands betroffen, die Museumsin-
sel lag im Ostteil Berlins.
Seit einigen Jahren wächst außerdem das Bewusst-
sein für die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft,
und der Aufarbeitung von Sammlungen aus kolonia-
len Kontexten kommt daher eine besondere Bedeu-
tung zu. Auch im Bereich der postkolonialen Proveni-
Am Zentralarchiv widmet sich ein interdisziplinäres enzforschung bestimmen vielfältige Themen und Fra-
Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- gestellungen den Forschungsalltag: Diplomatische Ge-
lern den komplexen Aufgaben und Fragestellungen, die schenke, schwer nachvollziehbare Ankäufe, Kriegszüge
in den durchaus sehr unterschiedlichen Sammlungen und Situationen, in denen Machtverhältnisse höchst
der Staatlichen Museen zu Berlin auftreten. Beispiels- ungleich verteilt waren, sind nur einige Beispiele für
weise, ob sich in den Sammlungen NS-verfolgungsbe- die Bandbreite, in der Kulturgut in Afrika, Asien, dem
dingt entzogenes Kulturgut befindet oder ob histori- Pazifik, den beiden Amerikas und in Europa angeeig-
sche Erwerbungen im Kontext europäischer Koloni- net und nach Berlin gebracht wurde. Die Provenienz-
alherrschaft stehen. Darüber hinaus werden Erwer- forschung am Ethnologischen Museum und dem Mu-
bungen von archäologischen Objekten nach 1970 auf seum für Asiatische Kunst versteht sich als koopera-
Verstöße gegen die UNESCO-Konvention gegen illega- tive Forschung zur Herkunft und zu den Beziehungs-
len Handel mit Kulturgut untersucht, um die rechtmä- geschichten von Objekten und bildet so eine wichtige
ßige Ausfuhr aus den Herkunftsländern gewährleistet Grundlage in der Zusammenarbeit mit Kooperations-
zu wissen. Auch in der sowjetischen Besatzungszone partnerinnen und -partnern aus aller Welt, um mög-
und in der DDR wurden Kulturgüter ihren Eigentüme- liche Zukunftsszenarien für die Objekte zu entwerfen.
rinnen und Eigentümern entschädigungslos entzogen, Die spannenden Forschungsergebnisse einem brei-
etwa im Kontext der Bodenreform oder im Zuge poli- ten Publikum zu vermitteln und mit Besucherinnen
tischer Verfolgung. Die Erforschung von Fremdbesitz und Besucher zu diskutieren ist dem Team der Prove-
und der Umstände der eigenen Kriegsverluste der Mu- nienzforschung der SMB ein großes Anliegen. Dafür
seen gehört ebenso zu den Aufgaben der Provenienz- werden verschiedene Formate entwickelt und auspro-
forschung wie die Durchführung von »Erstchecks« bei biert, wie z. B. Begleithefte zur Provenienzforschung
der heutigen Erwerbung von Werken oder die Prüfung in den Ausstellungen, eine Gesprächsreihe »Wie ka-
der Provenienzen von Dauerleihgaben. Diese Beispiele men die Objekte ins Museum« sowie Führungen und
zeigen die ganze Vielfalt dieser noch jungen Disziplin. Blog-Beiträge.
Ein wichtiger Baustein dabei ist die Arbeit der Ar-
chivarinnen und Archivare des Zentralarchivs, die aus- Petra Winter ist Direktorin des Zentral-
gewählte Aktenbestände, z. B. von Erwerbungsakten archivs und Leiterin der Provenienzforschung
sehr tief erschließen. Damit wird der Zugang zu den der Staatlichen Museen zu Berlin.

57
Provenienzforschung – Beutekunst

58
Nahezu 7.000 Abformungen von Kunstwerken
aller Epochen zählen zum Bestand Gipsformerei
Die Wege

der Staatlichen Museen zu Berlin.


→ Michaela Scheibe

der Bücher
W
as macht gerade Bücher zu interessanten Objek- mal- und Inhaltserschließung in die bibliothekarische
ten für die Provenienzforschung? Ein Buch for- Routine aufgenommen und blieb nicht mehr auf Son-
dert Besitzerinnen und Besitzer sowie Leserin- dermaterialien wie Handschriften und Inkunabeln be-
nen und Leser geradezu auf, Spuren zu hinterlassen. schränkt. Seitdem werden Provenienzdaten auch in die
Spiegel und Vorsatz bieten ideale Flächen, um Noti- elektronischen Kataloge und Verbundsysteme integ-
zen oder wenigstens den eigenen Namen anzubringen. riert. Etwa gleichzeitig begann die von den »Washing-
Texte wollen kommentiert und durchgearbeitet wer- ton Principles« und der Gemeinsamen Erklärung ange-
den. Die individuelle Gestaltung von Bucheinbänden stoßene systematische Suche nach NS-Raubgut in den
ist ein probates Mittel zur Repräsentation, und schließ- Beständen der Staatsbibliothek. Seit 2007 beschäftigt
lich sollen Besitzkennzeichnungen die Rückkehr ent- sich damit ein hochspezialisiertes Team aus Bibliothe-
nommener Bände garantieren. Dies gilt für mittelal- karinnen und Bibliothekaren sowie seit 2020 eine Pro-
terliche Codizes bis hin zu billigen Massenprodukten venienzforscherin, unterstützt durch vom Deutschen
wie dem modernen Taschenbuch. Das Spektrum der Zentrum Kulturgutverluste geförderte Projekte. Die Su-
Besitzkennzeichen ist ebenfalls groß: Vom einfachen che nach unrechtmäßigen Erwerbungen betrifft neben
Namenseintrag bis hin zum individuell beauftragten, dem rund drei Millionen Bände umfassenden Bestand
künstlerisch gestalteten Exlibris, vom auffällig plat- der bis 1945 erschienenen Drucke weitere Sammlun-
zierten Besitzstempel bis zur fast unsichtbaren An- gen wie Handschriften, Musikalien, Karten und Nach-
streichung reichen die Provenienzspuren. Auch he- lassmaterialien. Auch Sammlungsgut mit anderen Un-
rausragende Unikate wie eine in der Cranach-Werk- rechtskontexten wie durch die Bodenreform in der So-
statt kolorierte und mit Familienporträts und Wap- wjetischen Besatzungszone enteignete Gutsbibliothe-
pendarstellungen versehene Bibel können dabei sein. ken, Bibliotheken sogenannter »Republikflüchtiger«
Anders ausgedrückt: Der Personenkreis, der über sol- und zunehmend die Frage nach kolonialen Kontexten
che Spuren sichtbar wird, reicht vom mit einem Buch beschäftigen das Team in der Abteilung Handschrif-
beschenkten Konfirmand oder einer prämierten Schü- ten und Historische Drucke.
lerin über kleine Gewerkschaften und Vereine bis hin Angesichts der führenden Rolle der Staatsbibliothek
zum international vernetzten Intellektuellen oder zur und ihrer Vorgängerinstitutionen im Bibliothekswe-

Provenienzforschung – Beutekunst
adligen Sammlerin mit bibliophilen Neigungen. sen des Nationalsozialismus und der SBZ/DDR wur-
Die spezifische Qualität des Buches als Überliefe- den neben der Provenienzprüfung in den Sammlun-
rungsträger bietet der bibliothekarischen Provenienz- gen auch umfangreiche Projekte zur Grundlagenfor-
forschung eine Fülle an Informationen, auch wenn die- schung durchgeführt. Intensiv untersucht wurden die
se oft nicht unmittelbar zu entschlüsseln sind. Neben Rolle der Preußischen Staatsbibliothek und der hier an-
vielfältigen, buch- und sammlungsgeschichtlichen bis gesiedelten Reichstauschstelle als zentrale Verteiler-
hin zu heraldischen Kenntnissen ist das Wissen um bi- stellen von NS-Raubgut und anschließend die Tätigkeit
bliothekarische Abläufe und Arbeitsweisen ein wichti- der 1959 der Deutschen Staatsbibliothek angeglieder-
ger Schlüssel zur Interpretation. Bibliotheken haben ten Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände in
meist ähnliche, genau festgelegte Abläufe der Buch- der DDR. Derzeit läuft an der Staatsbibliothek ein For-
bearbeitung von der Akzession bis zum Signaturen- schungsprojekt zum Zentralantiquariat der DDR und
druck, die zusammen mit den dabei zur Dokumenta- den auf diesem Wege verkauften Buchbeständen, dar-
tion genutzten Unterlagen und Katalogen über kleine unter weiterhin auch geraubte und enteignete Bücher.
Kürzel, Vermerke und Nummern wertvolle Hinweise Was sind die Herausforderungen? Wie könnten die
zur Exemplargeschichte geben. Sogar bei heute verlo- nächsten Schritte aussehen? Bislang sind nur etwa
renen Exemplaren können so teilweise Aussagen über sechs Prozent des Druckschriftenbestandes der Staats-
ihre Provenienz gemacht werden. bibliothek mit Provenienzdaten versehen, eine syste-
Überwiegend beschäftigt sich die bibliothekarische matische Prüfung der Handschriften und Nachlassma-
Provenienzforschung mit gedruckten Ausgaben, die in terialien steht noch am Anfang. Transparenz und Zu-
unterschiedlich hohen Auflagen erschienen sind. Bis gang zu Informationen kann durch die Digitalisierung
zur Erfindung des industriell hergestellten Verlagsein- und KI-gestützte Verfahren zur Texterkennung, etwa
bandes werden Bücher aber immer individuell gebun- bei den Erwerbungsunterlagen und Zugangsbüchern,
den und dabei oft ebenso individuell zusammenge- geschaffen werden. Die standardisierte Erfassung von
stellt; auch danach bleibt der Einband häufig ein exem- Provenienzen muss im Sinne der Interoperabilität der
plarspezifisches Merkmal – sei es auch der Bibliotheks- Daten weiter verbessert werden, um Recherchen und
einband. Der spezielle Charakter des Buches bewirkt, damit auch ggf. Restitutionsverfahren zu beschleuni-
dass seriell hergestellte Drucke fast immer auch ex- gen. Die intensive nationale und internationale Ko-
emplarspezifische Merkmale aufweisen. Der »materi- operation ist gerade mit Blick auf das noch neue The-
al turn« in der Forschung führt seit einiger Zeit dazu, ma der kolonialen Kontexte in Bibliotheken vielleicht
dass gerade nach diesen Merkmalen zunehmend ge- die wichtigste Aufgabe der Zukunft.
fragt wird. Der gedruckte Text allein kann diese Fragen
nach Gestaltung, Rezeption, Lesegewohnheiten und Michaela Scheibe ist stellvertretende Leiterin
Sammlungsintentionen nicht beantworten. der Abteilung Handschriften und Historische Drucke
Seit über 20 Jahren beschäftigen sich die Expertin- der Staatsbibliothek zu Berlin.
nen und Experten für Alte Drucke an der Staatsbiblio-
thek zu Berlin mit der Erforschung und Erschließung
der Provenienzen von Druckschriften. Damit wurde
die exemplarspezifische Erschließung neben der For-

59
Kernaufgabe
→ David Vuillaume

Vermittlung
I
n einfachen Darstellungen, sei es in Icons und Logos, »Bildungs- und Vermittlungsarbeit schafft Zugänge zu
wird das Museum oft als Tempel vorgestellt, mit ei- den Kulturgütern der Gesellschaft und trägt dazu bei,
nem massiven Unterbau, starken Säulen und stolzen Museen und ihre Sammlungen zu demokratisieren.«
Tympana. An manchen Orten, wie z. B. auf der Berli- Dieser Satz aus dem Leitfaden »Bildung und Vermitt-
ner Museumsinsel, verschmelzt sich diese Vorstellung lung im Museum« des Deutschen Museumsbundes be-
mit der architektonischen Realität. Statt eine gewichti- tont die demokratisierende Funktion der Vermittlung.
ge Institution, die für die Ewigkeit hier und jetzt steht, Die Vermittlungsperson lehrt den Besuchenden näm-
sehe ich im Museum lieber eine viel leichtere Erschei- lich nicht direkt etwas, sondern versucht beizubringen,
nung: eine Figur der Akrobatik. Das Museum ist ständig wie man lernt. Eine gute Vermittlung macht Bürgerin-
bestrebt, ein gewisses Gleichgewicht aufrechtzuerhal- nen und Bürger mündig und kann somit dazu beitra-
ten. Auf der einen Seite steht das Objektbezogene, das gen, dass Museen für Demokratie und gesellschaftli-
Sammeln, das Erforschen und das Bewahren. Hinge- che Stabilität eine wichtige Rolle spielen.
Vermittlung

gen auf der anderen Seite die Publikumsorientierung, Die Vermittlung als Verhandlungs- und Verbindungs-
das Ausstellen, die Kommunikation und die Bildungs- element steht omnipräsent aber auch nie allein im Mu-
angebote. Zwischen einer Öffnungsbestrebung einer- seum. In der gängigen Museumssprache wird fast aus-
seits und andererseits Bestrebungen, die gesammelten schließlich die Bezeichnung »Bildung und Vermittlung«
Schätze vor externen Einflüssen zu schützen, muss das verwendet. Sie sind in der Tat fast untrennbar. Dabei
Museum ständig verhandeln und austarieren, um die ist die Vermittlung nicht nur Produzent und Türöffner
beste Position einnehmen zu können. Dabei stellt das im Bildungsbereich. Im Ausstellungswesen sorgt die
wichtigste Verbindungselement die Vermittlung dar. Vermittlung dafür, dass die Objekte multiperspektivis-
Gerne beziehe ich mich diesbezüglich auf die franzö- tisch und interdisziplinär beleuchtet werden, und dass
sische Tradition der Museumswissenschaft, die die Ver- ihre Präsentation in den Augen der Besucherinnen und
mittlungsarbeit »Médiation culturelle« nennt. Die Ver- Besucher gegenwarts- und lebensrelevant erscheinen.
mittlung versucht in diesem Sinne, einen Kompromiss Vermittlungskompetenzen helfen Kuratorinnen und
zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen zu schaf- Kuratoren auch erheblich dabei, die Gestaltung und
fen, nämlich genau der des Museums und der der Be- Dramaturgie publikumsorientierter zu machen. Parti-
suchenden. Die allzu binäre Spannung zwischen unter- zipative Elemente können und werden dabei sinnvoll
schiedlichen Wertesystemen hat den Vorteil, die Ver- eingesetzt. Die Aktivierung aller Sinne soll dabei nicht
mittlungsarbeit als aktiven Dialog darzustellen. Dank blenden. Sie erfolgt im Gleichgewicht mit dem Ange-
der Vermittlung werden die Besucherinnen und Besu- bot von Grundsatzinformationen, wie z. B. die Angaben
cher mit ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen in zur Provenienz und Fragen dazu. Transparenz schafft
der musealen Institution anerkannt. Sie zielt darauf ab, an dieser Stelle nämlich auch Vertrauen.
sie in der eigenen, individuellen Erfahrung zu begleiten, Vermittlerinnen und Vermittler, die in ständiger
ausgehend von ihren persönlichen Referenzen. Die Ver- Interaktion mit Besucherinnen und Besuchern sowie
mittlung als Mediation drängt keine Realität auf, son- Nutzerinnen und Nutzern stehen, sind eine wertvolle
dern begleitet die Besucherinnen und Besucher dabei, Ressource für alle Mitarbeitenden, die mit Publikum
Sinn für sie zu produzieren. Dabei negiert die Vermitt- zu tun haben, und zwar vom Aufsichtspersonal bis zu
lung nicht, dass das Museum auch sein eigenes Werte- den Besucherforscherinnen und -forschern. Erfolgrei-
system unterhält, das die Tendenz hat, bestimmte Wer- che Partizipation und Outreach ist nur mit professio-
te, oft die einer erklärten oder anerkannten Elite, zu le- neller und systematischer Erfahrung durch und mit
gitimieren. Es wird verhandelt, ausgetauscht und idea- dem Publikum möglich.
lerweise viel diskutiert. Das Museum als Parlament, als Vermittlung ist zwar überall im Museumswesen prä-
Ort, wo unterschiedliche Standpunkte ausgedrückt und sent, jedoch nicht immer als solche sichtbar. Vermittle-
wertgeschätzt werden können, wo die beste Lösung für rinnen und Vermittler hingegen sind vor allem in den
jede und jeden gesucht wird. Ausstellungs- und ggf. Vermittlungsräumen in ihrer In-

60
teraktion mit dem Publikum wahrnehm-
bar, als ob sie erst am Ende des Ausstel-
lungsprozesses stehen würden und ggf.
auch noch optional. Vielleicht könnte
dies ein Grund für die noch teils ungenü-
gende Anerkennung der Vermittlungsar-
beit im Museumswesen sein. Vermitt-
lerinnen und Vermittler sind der ideale
Garant der Publikumsorientierung, aber
nur, wenn die Museen ihnen diese Rolle
zugestehen. Ein publikumsorientiertes,
zukunftsfähiges Museum beschäftigt im

Vermittlung
Idealfall genauso viele Vermittlerinnen
und Vermittler wie Sammlungskurato-
rinnen und -kuratoren. Und dieser ein-
fache Schlüssel gilt nicht nur für die An-
zahl an Personen, sondern auch für die
Gesamtlohnsumme und ihre Stellung im
Organigramm.
Die Hierarchie zwischen dem Was
und dem Wie wurde in der aktuellen
Museumsdefinition vom Internationa-
len Museumsrat (ICOM) weitestgehend
aufgehoben. Die Umsetzung der for-
mulierten Wünsche nach Zugänglich-
keit, vielfältigen Erfahrungen, Diversi-
tät, Partizipation und Wissensaustausch
geht nur mit der Stärkung der Vermitt-
lungsarbeit einher.
Kleider von Dior, Schiaparelli
Die Institution Museum sammelt nicht nur Objek- und Cardin in der Modegalerie
te des Kulturerbes, sondern bereichert sich auch an je- des Kunstgewerbemuseums.
der neuen Bedeutung, die ihr gegeben oder zugespro-
chen wird. Dabei lernen nicht nur die Besucherinnen
und Besucher, sondern auch das Museum von seinen
Nutzerinnen und Nutzern. Die Figur der Vermittlung
ist in dieser Hinsicht unverzichtbar und emblematisch
für das Museum.

David Vuillaume ist Geschäftsführer


des Deutschen Museumsbunds.

61
museum4punkt0
→ Werner Mezger
Vermittlung

62
D
as Museum »Narrenschopf« in Bad Dürrheim, 1973 Ein weiterer Projektbereich war der Aufbau einer Web-
als Zentralmuseum der Schwäbisch-alemanni- seite mit dem Titel »Virtuelles Fastnachtsmuseum«,
schen Fastnacht gegründet, fand zwar von Anfang über die das physische Museum auch unter virtuelles-
an großes Besucherinteresse, blieb jedoch in analogen fastnachtsmusem.de online präsent ist, was sich nicht
Zeiten ein letztlich paradoxes Unterfangen. Museali- zuletzt während der Coronapandemie als großer Ge-
sierbar waren nämlich allenfalls die materiellen Ob- winn erwies. Inhaltlich geht die Website weit über das
jektivationen der Fastnacht wie etwa Kostüme, Mas- physische Museum hinaus und bietet einen erhebli-
ken, Requisiten, Schriftzeugnisse oder Ähnliches mehr. chen Mehrwert an Informationen zur Kulturgeschichte
Das Eigentliche des Festes aber, sein Erlebniswert, sei- der Fastnacht, indem sie hochwertige Quellen aus aller
ne Vollzugsformen, seine Emotionalität und seine per- Welt zeigt und aufschlüsselt. Da die Webseite zudem
formative Dynamik konnte ein herkömmliches Muse- in Englisch zur Verfügung steht, findet sie auch inter-
um nur unzulänglich vermitteln. national viel Beachtung. Und dass das virtuelle Fast-
Dies änderte sich mit der Verfügbarkeit digita- nachtsmuseum 2020 mit dem World Media Award in
ler Strategien grundlegend. Durch die Aufnahme des Silber ausgezeichnet wurde, war ebenfalls eine erfreu-
Fastnachtsmuseums in das Verbundprojekt museum- liche Bestätigung der Projektarbeit.
4punkt0 wurde es möglich, immaterielles Kulturerbe Dem virtuellen Fastnachtsmuseum ist inzwischen
auf eine bis vor Kurzem noch kaum vorstellbare Wei- noch die Datenbank »Folklore Europaea« angegliedert,
se hautnah erfahrbar zu machen. Von 2017 bis 2022 er- in der über 5.000 Feste und Bräuche Europas nach ver-
weiterte das siebenköpfige Projektteam, geleitet von schiedensten Kriterien abgerufen und miteinander ver-
zwei Hochschullehrern aus den Bereichen Digitale Me- glichen werden können. »Folklore Europaea« war ur-
dien und Kulturanthropologie, die bisherigen Inhalte sprünglich ein ethnologisches Projekt der Universität
des konventionellen Museums um eine völlig neue Di- Freiburg und erhielt im Rahmen des Umzugs zu muse-
mension. Die Entwicklung der Innovationen und ihre um4punkt0 einen grundlegenden Relaunch.
Umsetzung erfolgten in mehreren Schritten, und zwar Weiter wurden mit digitalen Strategien zwei pro-
stets mit dem Bestreben einer nachhaltigen Nutzung minente historische Bildquellen zur Ideengeschichte
der Ergebnisse im späteren Museumsalltag. der Fastnacht, nämlich Pieter Bruegels d. Ä. »Kampf
Zunächst wurden die spektakulärsten Bräuche der zwischen Fastnacht und Fasten« von 1559 und der so-
Schwäbisch-alemannischen Fastnacht in 360-Grad- genannte »Ambraser Narrenteller« aus dem Jahr 1528
Technik filmisch dokumentiert. Das dabei gewonne- in einer für Museumsbesucher ganz neuen Weise er-
ne und entsprechend aufbereitete Material, das selbst schlossen: Filmische Detailaufnahmen mit dezenten
für Ethnologen so nie verfügbar war, können die Mu- Animationen erlauben dem Betrachter eine förmliche

Vermittlung
seumsbesucher heute an speziellen Medienstationen Exkursion in die Welt dieser Werke. Die fotografischen
mit Virtual-Reality-Brillen in einer Unmittelbarkeit er- Grundlagen hierfür entstanden in enger Zusammenar-
leben, die den Eindruck erweckt, als würde man mitten beit mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Die-
im Geschehen stehen. Der grundlegende Unterschied se Art der Kunstvermittlung wurde auch von anderen
des VR-Erlebnisses zum analogen Film besteht darin, am Verbundprojekt beteiligten Museen sehr aufmerk-
dass die Betrachter nicht durch bestimmte Bildaus- sam verfolgt. Mittlerweile interessiert sich sogar das
schnitte und Kamerabewegungen optisch gegängelt Musée du Louvre in Paris dafür, wo von Oktober 2024
werden, sondern dass sie sich völlig frei im Brauchab- bis Februar 2025 eine große Ausstellung mit dem Titel
lauf umsehen und dadurch letztlich ihr Narrativ selbst »Figures du Fou« stattfinden wird.
wählen können. Dies geht weit über die Möglichkei- Schließlich entstand im Teilprojekt »Schwäbisch-
ten des konventionellen ethnologischen Films hinaus. alemannische Fastnacht digital« auch noch eine in-
Neben dem Präsentationsangebot in VR-Brillen teraktive Präsentationsversion des Ambraser Tellers,
werden die 360-Grad-Filme auch noch, ähnlich wie in die es den Betrachtern erlaubt, mit dem Kunstwerk zu
einem Planetarium, in eine Kuppel projiziert, wo die kommunizieren, die dort abgebildeten Figuren zu be-
Betrachter nicht den Isolationseffekt der VR-Brille ha- fragen und mit ihnen in einen Dialog zu treten, aus
ben, sondern die Ereignisabläufe gemeinsam mit ande- dem sich der Sinn des Werks erschließt – ebenfalls eine
ren wahrnehmen und dementsprechend kollektiv dar- völlig neue, nur mit digitalen Strategien zu realisieren-
auf reagieren können. Damit wird Fastnacht noch rea- de Form des Zugangs zu Museumsstücken.
litätsnäher abgebildet und zudem als Gemeinschafts- Dies sind nur einige wenige Streiflichter aus den Er-
erlebnis erfahrbar. gebnissen des Teilprojekts »Fastnacht« im Gesamtpro-
jekt museum4punkt0. Der Aufbruch in die Digitalität
durch das BKM-Projekt hat dem Fastnachtsmuseum
in Bad Dürrheim eine völlig neue Qualität verliehen:
Derzeit gilt es bundesweit als Vorzeigebeispiel für die
museale Präsentation von Immateriellem Kulturerbe.

Werner Mezger war von 1996 bis 2020 Professor


für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie
an der Universität Freiburg im Breisgau.

Blick in das Haupt-


magazin des Kupfer-
stichkabinetts.

63
Dialog mit
dem Publikum
→ Claudia Ehgartner
Vermittlung

Ausstellungsraum in der Alten Nationalgalerie –


rechts im Bild Arnold Böcklins »Die Toteninsel«

D
(Dritte Version) von 1883.
er Dialog mit dem Publikum in seiner gesamten
gesellschaftlichen Diversität ist der Ausgangs-
punkt wirkungsvoller Kunst- und Kulturvermitt-
lung. Und Vermittlung ist eine Kernaufgabe des Mu-
seums. Ziel ist es, Beziehungen zwischen den unter-
schiedlichen Lebenswelten des Publikums und den Er-
zählungen und Objekten des Museums herzustellen.
Dabei gilt es, das Museum neu und anders zu denken –
und zwar als Versammlungsraum und Kontaktzone, als
Ort der Kritik, der Vielstimmigkeit und der Verhand-
lung. Das Museum als gesellschaftlich relevanter Ort.
Der Hamburger Bahnhof versteht sich nicht nur als Ort
der Aufstellung von wertvollen Objekten. Der Fokus

64
liegt auf der Herstellung von Möglichkeitsräumen, auf die eine besondere Beziehung zum Hamburger Bahn-
sozialen wie körperlichen Erfahrungen, unerwarteten hof haben. Was ist ihre Geschichte? Diese Frage richtet
Begegnungen und verändernden Auseinandersetzun- sich auch an die Besuchenden. Sie sind eingeladen, ihre
gen. Wir verstehen Ausstellungen als Handlungsräu- Geschichten auf eine Karte zu schreiben und in einen
me, und vor dieser Prämisse verschränken sich Kura- Briefkasten im letzten Raum des Forums einzuwerfen.
tieren und Vermitteln unweigerlich. Vermittlung wird Eine neu eingebaute Wand aus Glas gibt den Blick
nicht von bestimmten Formaten, sondern wird von den frei auf einen mit wilden Sträuchern und Bäumen ver-
Besuchenden aus gedacht. wachsenen Bereich außerhalb des Museums, mit teil-
Allem voraus stellt sich die Frage: Wer sind die Besu- weise frei gelegten Bahnschienen, die auf die Geschich-
chenden? Wer lebt und arbeitet in der Nachbarschaft? te des Ortes verweisen. Liegestühle laden im Innen-
Wer kommt und wer kommt nicht? Wie wollen wir zu- und Außenbereich die Besuchenden zum Verweilen ein.
künftig einladen? Der Hamburger Bahnhof möchte als An den Open Days folgten mehr als 30.000 Berlinerin-
Museum seine Bereitschaft signalisieren, mit der Stadt- nen und Berliner der Einladung, einen Blick hinter die
bevölkerung – einem großen Teil seines Publikums – in Kulissen des Museums zu werfen, die Mitarbeitenden
einen intensiveren Dialog zu kommen. Dafür wurden kennenzulernen und den Tag mit der Familie im und
folgende erste Maßnahmen getroffen: rund um das Museum zu verbringen. Dafür wurden bei-
An vielen Stellen des Gebäudes wurden die über vie- spielsweise die Ausstellungsräume der Rieckhallen in
le Jahre hinweg vor die Fenster gebauten Wände abge- ein großes Atelier mit einen Raum für Talks und einem
baut und vor Licht schützenden Stoffbahnen abgenom- Bereich für Kleinkinder umgebaut. Aber bereits in der
men. Licht soll ins Gebäude kommen, ein Blick nach historischen Halle hinter dem Kassenbereich wurden
außen zur Stadt und damit die Verortung des Hauses alle Besuchenden eingeladen, an einer Skulptur mitzu-
in seiner Umgebung sichtbar werden. Die ursprüngli- arbeiten oder an einem Tangoworkshop teilzunehmen.
che Struktur des Gebäudes lässt sich besser erkennen Der erste Abend der Open Days bildete auch den
und damit auch die Orientierung im Gebäude verbes- Auftakt für die Konzertreihe »Berlin Beats«. Kosten-
sern. Einige Pflanzen im Gebäude sollen die Raumat- los, ohne Türsteher und unter freiem Himmel feier-
mosphäre positiv beeinflussen. Die Texte an den Wän- te der Hamburger Bahnhof als Programmpartner des
den wurden ganz bewusst in einer leicht verständli- Kultursommerfestivals Berlin 2023 an zwölf Sommer-

Vermittlung
chen Sprache verfasst, ohne die Inhalte zu verkürzen. abenden vom 16. Juni bis 31. August Berlins elektroni-
Die Auswahl der Werke für die neue Sammlungsprä- sche Musikkultur. Die Musik der Berliner Künstlerin-
sentation erfolgte mit der Intention, ein vielstimmi- nen und Künstler reichte von experimentellen Sound
ges Panorama der Berliner Kunstszene und der Stadt bis harten Beats und spiegelte die Lebendigkeit der
an sich von der Schwelle zur Maueröffnung bis in die Stadt wider. Das Restaurant des Hauses bot ein wech-
Gegenwart abzubilden. In der Neupräsentation der selndes Street Food- und Getränkeangebot im Garten.
Sammlung im Westflügel lädt der Hamburger Bahn- Bis zu den nächsten Open Days und Berlin-Beats-
hof das Publikum ein, gemeinsam über die Rolle von Konzerten finden viele Führungen, Workshops, Talks
Kunst- und Kulturinstitutionen für Inklusion, Engage- mit Künstlerinnen und Künstlern sowie öffentliche Ge-
ment und Wandel nachzudenken. In rund 80 Kunst- spräche statt. So wird beispielsweise monatlich die Fra-
werken, darunter Gemälde, Arbeiten auf Papier, Skulp- ge »Was heißt hier?« gestellt. Jedes Gespräch im Forum
turen, Fotografien und Videos, spiegeln sich die ge- dreht sich um ein bestimmtes Wort, das als Ausgangs-
sellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Faktoren, punkt für eine Reihe von Themen und Ideen dient. Auf
welche die Stadt und die in ihr entstandenen künstle- »Was heißt hier Nationalgalerie?« folgte »Was heißt
rischen Praktiken geprägt haben. Vor dem Eingang in hier Nachbarschaft?« und »Was heißt hier Bahnhof?«.
die Ausstellung wurde ein Raum für die Besuchenden Die Reihe wird mit weiteren Begriffen fortgeführt, um
geschaffen, der zum Verweilen einlädt und Gruppen mit dem Publikum die grundsätzlichen Fragen des Mu-
ermöglicht, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. seums zu verhandeln. Dies ist wichtig, denn nur in Zu-
Er wird rege von Schulgruppen oder Studierenden im sammenarbeit mit seinen Besuchenden wird das Muse-
Rahmen von Lehrveranstaltungen genutzt. um fit für die Zukunft. Und nur wenn es den Mitarbei-
Es wurden Kooperationen mit unterschiedlichen In- tenden gelingt, die Sprache des Publikums zu verste-
stitutionen der Stadt begonnen, die Nachbarschaft zu hen und zu sprechen, wird es gelingen, auch in Zukunft
Voreröffnungen eingeladen und jeder Sonntag mit ei- Besuchende für Ausstellungen und weitere kulturelle
nem umfangreichen Programm den Familien gewid- Bildungsangebote zu begeistern.
met. Die Institutionen der Nachbarschaft finden sich
auch auf einem Stadtplan eingetragen, die nähere Um- Claudia Ehgartner ist Leiterin für Bildung
gebung des Museums groß geplottet an einer Wand des und Vermittlung im Hamburger Bahnhof –
neu eingerichteten Forums des Hamburger Bahnhofs. Nationalgalerie der Gegenwart.
Dieser kostenlos zu besuchende Raum zeigt die Ge-
schichte des Ortes anhand von Dokumenten und Bil-
dern, lädt zum Verweilen ein und dient als Veranstal-
tungsort vieler Talks und Diskussionsveranstaltungen.
Auf Monitoren sind Interviews mit Menschen zu sehen,

65
Das Kapital Raum 1970–1977 → Joseph Beuys,
1980; Nationalgalerie, Staatlichen Museen zu Berlin
Digitalisierung

66
Digital heißt
neu gedacht → Gero Dimter

D
ie Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) wird plett als Digitalisate vorliegen. Der Priorisierung der
nicht nur reformiert, sondern auch digital trans- Digitalisierungsvorhaben liegen dabei unter anderem
formiert – mit Auswirkungen auf die verschie- folgende Fragen zugrunde: Welche Objekte sind von
densten Arbeitsbereiche der Stiftung und ihrer Ein- nationaler und internationaler Bedeutung und sollten
richtungen: von Erschließung der Sammlungen und deshalb öffentlich zugänglich gemacht werden? Wel-
Bestände über den Aufbau digitaler Forschungsinfra- che Objekte oder Sammlungen sind herausragend oder
strukturen, digitale Kommunikation zu digitalen Ar- einmalig? Wo droht der Verlust von Inhalten? Welche
beitsabläufen. Objekte sind für die Forschung und Wissenschaft von
besonderem Interesse?
Vom Objekt zum Digitalisat Dabei sind für die SPK insbesondere solche Digita-

Digitalisierung
Die Einrichtungen der SPK bewahren insgesamt über lisierungsvorhaben von Bedeutung, bei denen es um
5 Millionen Objekte, über 25 Millionen Bücher, Nach- Sammlungskonvolute oder einzelne Objekte geht, die
lässe, Autografen und über 35.000 laufende Meter Ar- aus kolonialen Kontexten stammen oder die im Zusam-
chivgut. Die Digitalisierung – vereinfacht verstanden menhang mit der Erforschung und Restitution NS-ver-
als digitale Replikation physischer Vorlagen – hat sich folgungsbedingt entzogener Kulturgüter wichtig wa-
für die SPK daher in den letzten Jahren zu einem Hand- ren und sind. Indem diese Objekte digitalisiert und zu-
lungsfeld von hoher strategischer Bedeutung entwi- gänglich gemacht werden, können sie auch von Her-
ckelt. Denn um die Sammlungen und Bestände in ih- kunftsgesellschaften und den Nachfahren früherer
rer Vielfalt vollständig, multimedial und umfassend Eigentümer überhaupt gefunden werden. Vor diesem
zugänglich zu machen und recherchierbar nachzuwei- Hintergrund und weil nicht alle Objekte zur gleichen
sen, müssen diese zunächst digital erschlossen werden. Zeit digitalisiert werden können, ist es umso wichtiger,
Die SPK betreibt in ihren Einrichtungen verschie- auch die Bestandskataloge, Erwerbungsbücher und Zu-
dene Digitalisierungsinfrastrukturen – darunter auch gangsverzeichnisse digital zugänglich zu machen. Die
zur 3D-Digitalisierung von Objekten sowie zur Visuali- Erwerbungsbücher der Staatlichen Museen zu Berlin
sierung digitaler Kulturgutreplikate unter Einsatz von bilden bis heute den Bestandsnachweis der Museums-
Augmented- und Virtual-Reality-Technologie. Zusätz- sammlungen und spiegeln die wechselvolle Geschich-
lich werden in Forschungsprojekten intelligente Verfah- te des Sammlungsaufbaus und der Provenienz der Be-
ren für die Dokumentanalyse entwickelt, die dabei hel- stände. Der historische Gesamtbestand von mehr als
fen, Digitalisate, die z. B. im Bibliotheks- und Archiv- 1.000 Bänden ist online abrufbar.
kontext zumeist als Scans vorliegen, mithilfe Künstli-
cher Intelligenz nutzbar zu machen, wie etwa im Projekt Digitales zugänglich machen
»Mensch.Maschine.Kultur« in der Staatsbibliothek. Die Digitalisate werden in Online-Portalen zur Verfü-
Vor dem Hintergrund des fundamentalen Struktur- gung gestellt, die in der Regel das Ergebnis von lang-
wandels der Wissenschaftskommunikation unter dem fristigen wissenschaftlichen Kooperationen sind. Die
Leitbild der Open Science ist es vordringlich, die in der Portale sind dabei so vielfältig wie die in der Stiftung
SPK erzeugten Digitalisate, Volltexte und Forschungs- vertretenen Disziplinen und reichen thematisch von
daten in hoher Qualität sowie unter einer möglichst li- Islamic Art zu lateinamerikanischen Kulturzeitschrif-
beralen Lizenz über zeitgemäße Repositorien- und Prä- ten, von den Schatullrechnungen Friedrich des Großen
sentationsinfrastrukturen online zugänglich und nach- zu einer der größten Münzsammlungen, von Liedflug-
nutzbar zu machen. Angesichts der Fülle von Objekten schriften zum Archiv des Konzertlebens, von histori-
in den Sammlungen ist es jedoch im Hinblick auf be- schen Kinderbüchern zu Funeralschriften, von der Pa-
grenzte Ressourcen kaum denkbar, dass sämtliche Ob- pyrusdatenbank zur modernen Wegwerfgesellschaft –
jekte, Bücher und Archivalien aller Sammlungen kom- um nur wenige Beispiele zu nennen.

67
Die SPK nimmt derzeit mit Blick auf das historisch ge- Prozent der 2.100 Beschäftigten der Stiftung arbeiten.
wachsene und für die SPK konstitutive Gesamtgefü- Für eine Kultureinrichtung ist das letztere Vorhaben
ge ihrer Sammlungen und Bestände die beträchtliche ein Kulturwandel in zweierlei Hinsicht: Einerseits wer-
technische wie organisatorische Herausforderung an, den die Abläufe nun digital abgebildet, andererseits
die digitalen und digitalisierten Objekte im virtuel- wird ein wilder Dschungel verschiedener Ablagesys-
len Raum zusammenzuführen und miteinander in Be- teme standardisiert, egal, ob in Bibliotheken, Muse-
ziehung zu setzen. Mit Blick auf den Bereich Wissen- en, Archiven, Instituten oder in Verwaltungsbereichen.
schaft und Forschung bietet ein übergreifendes Portal Das erleichtert die Zusammenarbeit und das Wieder-
z. B. Erkenntnisse bei der Rekonstruktion von Objekt- auffinden von wichtigen Informationen ganz erheblich.
biografien unter Einbeziehung von Archivalien, Nach- Gerade hier zeigt sich auch deutlich, dass Digitalisie-
lässen, historischen Fotografien, Restaurierungsdoku- rung mehr ist und sein muss, als Abläufe aus der ana-
mentationen und Forschungsliteratur. Auch die von logen in die digitale Welt 1:1 zu überführen. Um wirk-
einer systematischen Digitalisierung und Vernetzung lichen Mehrwert zu generieren, müssen die Prozesse
aller Sammlungen der SPK zu erwartenden Stimulati- vielmehr digital teilweise völlig neu gedacht und auf-
onseffekte für die eigenen spartenübergreifenden For- gesetzt werden.
schungsaktivitäten dürften kaum zu überschätzen sein.
Mit dem SPK Lab bietet die SPK einen offenen Zugang Gero Dimter ist Vizepräsident der Stiftung
zu den digitalen Sammlungen und Datenbeständen ih- Preußischer Kulturbesitz.
rer Einrichtungen. Informationen aus Museen, Biblio-
theken und Archiven können hier unterschiedslos auf-
einander bezogen werden und präsentieren den Reich-
tum des Kulturerbes mit überraschenden Kontextuali-
sierungen und neuen Erfahrungshorizonten. Zusätzlich
lädt das SPK Lab ein, mit den Ressourcen, Dokumen-
tationen, Daten und Webseiten zu experimentieren,
zu forschen, kreativ zu werden, Neues zu erschaffen – Bestände im Geheimen
oder einfach zu stöbern. Staatsarchiv Preußischer
Kulturbesitz.

Intensiver Museumsbesuch
dank digitaler Formate
In dem von der Beauftragten für Kultur und Medien ge-
Digitalisierung

förderten Projekt museum4punkt0 hat in den letzten


sechs Jahren die SPK im Verbund mit 27 Museen digi-
tale Vermittlungsformate entwickelt. Im Projekt wur-
de eine große Bandbreite technischer Ansätze von der
Online-Präsentation großer Objektbestände über Aug-
mented-Reality- und Virtual-Reality-Anwendungen bis
hin zu 3D-Druck entwickelt. Wichtig dabei war: Es ging
nicht um digitale Angebote um ihrer selbst willen, son-
dern um das Zusammenspiel von analogen und digita-
len Räumen, Objekten und Medien – und darum, dabei
immer die Bedürfnisse der Besuchenden ins Zentrum
zu rücken. Die Anwendungen sollen den klassischen
Museumsbesuch vor Ort nicht ersetzen, sondern viel-
mehr begleitend intensivieren. Viele der entwickel-
ten Anwendungen stehen zur technischen Nachnut-
zung auf der Entwicklerplattform GitHub bereit. Und:
Die Erkenntnisse und Erfahrungen sind zudem in ein
180 Seiten starkes »Workbook« eingeflossen, das viele
Vorgehensweisen, Checklisten, Tipps und Methoden
enthält, die anderen Kultureinrichtungen beim Nach-
und Selbermachen helfen sollen.

Digitale Workflows
In den letzten drei Jahren hat sich auch für die SPK viel
verändert. Den Schub, den die digitale Zusammenar-
beit in der Pandemie gezwungenermaßen erhalten hat,
nimmt die SPK mit. Den Mitarbeitenden bietet die SPK
etwa flexibles mobiles Arbeiten mit Ein-Geräte-Strate-
gie und einer Tool-Suite zum kollaborativen Arbeiten.
Daneben werden sukzessive auch die internen Work-
flows und Aufgaben digitalisiert. Das Geheime Staats-
archiv koordiniert die stiftungsweite Einführung der
E-Akte, mit der zum derzeitigen Stand bereits etwa 50

68
10 produktive Jahre
→ Julia Spohr

A
lle Kulturerbeinstitutionen in Deutschland sind Relaunch 2023 – alles neu!
eingeladen und aufgefordert, ihre digitalen Kul- Seit Mai 2023 ist das neu gestaltete und funktional er-
turerbedaten und Digitalisate vernetzt mit den weiterte Portal der Deutschen Digitalen Bibliothek on-
Beständen anderer Einrichtungen einem breiten Publi- line – ein großer Schritt für die Weiterentwicklung der
kum über die Deutsche Digitale Bibliothek zugänglich Deutschen Digitalen Bibliothek als zentralem Zugang
zu machen. Nach dem Launch einer Beta-Version 2012 zu digitalem Kulturerbe in Deutschland. Ermöglicht
wurde 2014 die Deutsche Digitale Bibliothek vollfunk- wurde die Neugestaltung der Deutschen Digitalen Bi-
tional online gestellt – wir blicken also auf »im Schnitt«
bliothek durch das Programm Neustart Kultur.
zehn produktive Jahre zurück. In dieser Zeit haben sich Recherchefunktion und Design des Portals wurden
die zugänglichen Kulturerbedaten in ihrem Umfang überarbeitet, um die Suche nach Kulturgut zu optimie-
von rund fünf auf nahezu 50 Millionen potenziert. ren. Mit dem Relaunch wurden über 500.000 hochwer-
Von Anfang an ist die Stiftung Preußischer Kultur- tige Digitalisate von Kulturobjekten in der Deutschen
besitz (SPK) von besonderer Bedeutung für die Deut- Digitalen Bibliothek neu zugänglich gemacht. Auch die
sche Digitale Bibliothek. Hier ist die Geschäftsstelle Präsentation von 3D-Objekten in der Deutschen Digi-
angesiedelt, die deren administrative Geschäfte führt, talen Bibliothek ist nun möglich.
rechtliche Angelegenheiten regelt und die Öffentlich- Themendossiers als wichtige Neuerung präsentie-

Digitalisierung
keitsarbeit verantwortet. ren Artikel, Bildergalerien, virtuelle Ausstellungen und
interaktive Elemente attraktiv und veranschaulichen
Portale, Portale, Portale die Vielfalt an Beständen. So eröffnet sich den Nutze-
Einen weiteren zentralen Pfeiler der Deutschen Digi- rinnen und Nutzern ein niederschwelliger Überblick
talen Bibliothek bilden ihre material- und themenspe- über die breitgefächerten Kulturgüter, die in der Deut-
zifischen Sub-Portale, die Nutzenden vertiefte Fach- schen Digitalen Bibliothek verfügbar und erlebbar sind.
informationen bieten.
2014 wurde das »Archivportal-D« freigeschaltet, das Vernetzung, Vermittlung und kulturelle
eine für Archivnutzende und die Archiv-Community Bildung als Zukunftsaufgabe
optimierte Sicht auf digitalisierte Archivgutbestände Mit ihrem Relaunch wurden Funktionalitäten erwei-
und Findmitteleinträge deutscher Archive in der Deut- tert und neue Kooperationen und Perspektiven für eine
schen Digitalen Bibliothek bietet. breite Nutzung der aggregierten Kulturdaten eröffnet.
Im Oktober 2021 wurde das »Deutsche Zeitungs- Nutzerinnen und Nutzer erwarten Informationen zu
portal« gelauncht. Es bietet Zugang zu digitalisierten den in der Deutschen Digitalen Bibliothek auffindbaren
Zeitungen in Deutschland und umfasst Zeitungsaus- Objekten und den sie beschreibenden Angaben – Hin-
gaben aus dem 17. bis ins 20. Jahrhundert. Innerhalb tergründe, Geschichte(n), Fakten, Überraschendes. Will
kürzester Zeit ist der online verfügbare Zeitungsbe- die Deutsche Digitale Bibliothek neue Zielgruppen jen-
stand im Deutschen Zeitungsportal auf mittlerweile seits von Professionals erschließen, braucht es immer
mehr als drei Millionen digitalisierte Zeitungsausga- neue Angebote zur inklusiven, diversitätsorientierten
ben angestiegen. Kulturvermittlung. Und dies dauerhaft, nicht allein im
Im November 2021 wurde der Portal-Prototyp Ergebnis punktueller und zielgerichteter Förderung.
»Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten« freige- Rund 50 Millionen digitale Kulturobjektdaten – Ten-
schaltet. Aktuell wird am Ausbau zu einem vollfunk- denz erfreulicherweise steigend – müssen in themen-
tionalen Portal gearbeitet. spezifische Angebote und Narrative übersetzt werden,
um ihre Reichweite lebensnah entfalten zu können.
Was braucht es dafür? Eine langfristige Stärkung der
Deutschen Digitalen Bibliothek!

Julia Spohr leitet die Geschäftsstelle der


Deutschen Digitalen Bibliothek in Berlin.

69
Digitale Kulturerbe­-
→ Felix F. Schäfer

daten für alle!


S
eit vielen Jahren nutzt natürlich auch die Stiftung gen Raum als experimentelle Datenlaboren entwickelt
Preußischer Kulturbesitz (SPK) digitale Technolo- haben. Als direktes Vorbild innerhalb der SPK und en-
gien und Strategien, um ihre vielfältigen Schätze ger Partner fungiert dabei das seit 2019 bestehende Da-
und Sammlungen aus Kunstobjekten, Druckwerken, Ar- tenlabor an der Staatsbibliothek – das Stabi Lab. Ge-
chivalien und weiteren Kulturgütern der interessierten meinsam ist allen Akteuren die Förderung von offener
Digitalisierung

Öffentlichkeit und Wissenschaft auch digital zugäng- Kultur- und Wissensvermittlung, um neue Ideen für ei-
lich zu machen. Gleichzeitig geht es darum, innovative nen breiteren Zugang zu kulturellem Erbe zu ermög-
Forschungsprojekte zu fördern. Die Digitalisierung der lichen und experimentelle Wege zur Arbeit mit den
Objekte erfolgt dabei sowohl in Eigenregie der einzel- Daten zu eröffnen. Daher werden insbesondere krea-
nen SPK-Einrichtungen nach ausgewählten Kriterien – tive, explorative und ergebnisoffene Veranstaltungs-
beispielsweise zur Schonung der Originale, zur virtu- formate auf Grundlage der digitalen Daten entwickelt,
ellen Ergänzung von Ausstellungen, aufgrund des de- häufig zusammen mit externen digitalaffinen Exper-
zidierten Interesses der Forschung oder anlässlich von tinnen und Experten. Für das SPK Lab bedeutete dies
Jahrestagen und Jubiläen – als auch kooperativ in Pro- zunächst einmal, sich einen möglichst umfassenden
jekten zum Aufbau umfassender materialspezifischer Überblick über die heterogen verteilten digitalen Be-
Online-Corpora, etwa für mittelalterliche Handschrif- stände und Angebote aus den verschiedenen Einrich-
ten oder vorderasiatische Rollsiegel. Über die Jahre hin- tungen und Abteilungen der SPK zu verschaffen und
weg sind dadurch vielfältige digitale Reproduktionen, diese einheitlich zu erfassen. Dabei zeigte sich, dass in
3D-Scans, Audio- bzw. Video-Medien, AR/VR-Anwen- über 200 Internet-Plattformen entweder von der SPK
dungen, kurz Daten aller Art, aber auch Zugangssys- selbst oder von Kooperationspartnern digitale Inhalte
teme wie Fachportale, Nachweissysteme und einiges aus dem physischen Bestand der Sammlungen gesucht
mehr entstanden, die rege von der (Fach-)Öffentlich- und gefunden und manchmal auch für eigene wissen-
keit genutzt werden. schaftliche, künstlerische oder anderweitige Projek-
Aber wie können diese digitalen Schätze bzw. die te nachgenutzt werden können. Um angesichts dieser
entsprechenden Daten über Nutzende und Besuche- Vielfalt für das breite Publikum eine gewisse Orientie-
rinnen und Besucher der Einrichtungen und wissen- rung und Hilfestellung zu bieten, sammelt und klassi-
schaftliche, (inter-)nationale, oft hochspezialisierte fiziert das SPK Lab auf seiner Website sogenannte di-
Fachcommunities hinaus gefunden, genutzt und wei- gitale Visitenkarten zu den individuellen Online-An-
terbearbeitet oder -gegeben werden? Antworten sucht geboten, Fachsystemen, spezialisierten Datenbanken,
das SPK Lab. Dieses wird seit Ende 2020 aus der Initi- Nachweiskatalogen, virtuellen Anwendungen und Re-
ative »Digitale Transformation« heraus vom Kuratori- positorien – eine Aufgabe, die kontinuierlich weiterge-
um Preußischer Kulturbesitz gefördert und ist als di- pflegt und aktuell durch die Einbindung des SPK Lab in
gitales Querschnittsprojekt an der Hauptverwaltung die Lehre an der FH Potsdam unterstützt wird.
in der Abteilung des Chief Information Officer (CIO) Für frische Impulse zu der Frage, wie die digitalen
angesiedelt. Das SPK Lab steht in der Tradition soge- Datensammlungen der SPK breiter und offener genutzt
nannter Open GLAM Labs, die sich seit einigen Jahren werden können, wurde in den letzten beiden Jahren pa-
an öffentlichen Sammlungen, Bibliotheken, Archiven rallel ein Netzwerk mit externen datenaffinen Nutze-
und Museen im internationalen und deutschsprachi- rinnen und Nutzern aufgebaut. Diese SPK-Lab-Part-

70
Digitalisierung
Blick in Foyer und Treppenhaus
des Kunstgewerbemuseums
nerinnen und -Partner vertreten ganz unterschiedli- der Staatlichen Museen zu Berlin.
che, bislang kaum berücksichtigte Perspektiven aus
Gruppen, die künstlerisch, grafisch, spielend, didak-
tisch oder experimentell mit Kulturdaten arbeiten und
umgehen. In verschiedene Workshops konnten so SPK-
interne und -externe Erfahrungen vernetzt werden, z. B.
zur Umsetzung von partizipativen Formaten, Ausspie-
lung von Digitalisaten in den Wikimedia-Kosmos, ge-
zielten Adressierung von Lernenden und Lehrenden
oder Verbesserung technischer Schnittstellen. Dieser
direkte Austausch zeigt, dass es unter anderem ein ho-
hes Interesse an und ein großes Potenzial für das The-
ma Citizen Science gibt, sodass weitere Ideen für stif-
tungsweite Citizen-Science-Aktivitäten in Vorberei-
tung sind. All diese und die künftigen Ideen des SPK
Lab sind dabei stark verschränkt mit anderen digita-
len Entwicklungen in der SPK, wie etwa den Projekten
besagter Stabi Labs, der seit 2021 existierenden Grup-
pe der Open-Science-Verantwortlichen oder der Kon-
sortien NFDI4Culture und NFDI4Objects innerhalb
der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI).

Felix F. Schäfer ist Spezialist für Forschungsfragen.


Er betreut seit Sommer 2021 das SPK Lab.

71
CO2-Bilanz → Daniel Naumann im Gespräch
mit Sandra Winzer

Herr Naumann, die Stiftung Preußischer Kultur- Durch die Nachhaltigkeitsbeauftragten


besitz (SPK), als eine der größten Wissenschafts- wurde die Nachhaltigkeitsbörse umgesetzt.
und Kultur­ein­richtungen Deutschlands, hat eine Was genau ist das?
gesell­schaftliche Verantwortung. Bis 2035 wollen Materialien oder Möbel, die nicht mehr gebraucht wer-
Sie klimaneutral sein. Wie soll das aussehen? den, werden innerhalb der gesamten SPK angeboten.
Das ist der gesellschaftliche Anspruch und auch unser Das wird gut genutzt, der Bedarf war offenbar groß. In
eigener. Zum einen wollen wir den vorhandenen CO₂- der Börse gibt es aktuell 40 Angebote, dazu kommen
Ausstoß reduzieren. Dafür brauchen wir eine Bilanz: Gesuche, die man aufgeben kann. Hier geht es darum,
Nachhaltigkeit

Wie groß ist unser CO₂-Fußabdruck? Darauf folgt ein dass Dinge nicht neu beschafft oder entsorgt werden.
Plan, wie dieser reduziert werden kann. Und im letz- Die Produkte sollen möglichst langlebig und nachhal-
ten Schritt kompensieren wir das, was übrig bleibt. Um tig genutzt werden.
so viel CO₂ wie möglich einzusparen, arbeiten wir in-
terdisziplinär. Bauplanung ist Ihr Fachgebiet, die Maßnahmen
werden aus dem Bauhaushalt finanziert. Welche
Wie groß ist Ihr CO₂-Fußabdruck aktuell? Chancen sehen Sie beim Thema Photovoltaik?
Wir sind noch in der Bearbeitung der Bilanz. Sie soll- Sehr große. Bei verschiedenen mittel- bis langfristi-
te aber in den kommenden Wochen vorliegen, damit gen Bauprojekten forcieren wir das Thema Photovol-
wir einen Überblick haben. Bei der SPK ist eine solche taik (PV). Zumal sich in den letzten Jahren ein Paradig-
Bilanz eine große Aufgabe. Wir betreiben mehr als 60 menwechsel abgezeichnet hat: Auch unser Denkmal-
Liegenschaften. Deren Daten müssen wir für die Bilanz bestand kann mittlerweile mit PV ausgestattet werden.
alle erfassen und zusammenführen. Zuvor war das nahezu undenkbar. Wir wollen den nicht
vermeidbaren Energieverbrauch anteilig mit regenera-
Sie wollen »interdisziplinär« und »partizipativ« tiver Energie kompensieren. Pilotstudien zeigen, etwa
arbeiten. Was genau meinen Sie damit? beim Alten Museum, dass wir zusammen mit anderen
Wir arbeiten in einem interdisziplinären Team, sind Maßnahmen den CO₂-Fußabdruck um bis zu 60 Pro-
eine große Einrichtung mit verschiedenen Fachkom- zent reduzieren könnten. Das muss ausgebaut werden.
petenzen und Standorten. Diese Expertise muss zu- Hier liegt großes Potenzial. Zwar haben wir noch kei-
sammengebracht werden, damit wir zu einem guten ne PV-Anlagen installiert. Es gibt aber Projekte, die in
Ergebnis kommen. Wenn wir unseren Stromverbrauch nicht allzu ferner Zukunft umgesetzt werden.
reduzieren wollen, müssen wir nicht nur die Menschen
im Gebäudebetrieb an einen Tisch bringen. Auch die Welche Flächen stehen zur Verfügung?
Restauratorinnen und Restauratoren sowie Kurato- Aktuell bauen wir einen Depot-Neubau in Friedrichs­
rinnen und Kuratoren kommen hinzu. Gegenseitiges hagen für die Museen. Dort wird die gesamte verfüg-
Verständnis und viel Austausch sind wichtig, um das bare Dachfläche für PV genutzt. Als Kultureinrichtung
beste Ergebnis zu erzielen. Wir haben uns für das Um- haben wir den Vorteil, dass wir wenig Strom speichern
weltmanagementsystem EMAS entschieden, das wir in müssen. Bei einem Wohnhaus braucht man den Strom
der Stiftung einführen. Damit gehen wir in einen stän- meist erst, wenn es draußen dunkel ist und die Sonne
digen Verbesserungsprozess und tragen den Nachhal- nicht mehr scheint. Kultureinrichtungen sind tagsüber
tigkeitsgedanken in die gesamte Breite der Stiftung. geöffnet. Sie haben bei Sonnenschein den höchsten
»Peak« – insofern kann PV hier besonders gut genutzt
werden. Wir planen das aktuell unter anderem auch
beim Museum Berggruen und der Staatsbibliothek.

72
Welche Ziele setzen Sie beim Thema »Grüne
Mobilität« und »Ressourcenschonung«?
Wir bauen die Fahrrad-Infrastruktur aus. Unter ande-
rem sind das Abstellmöglichkeiten, aber auch Fahrrad-
boxen, die man für Werkzeug nutzen kann. Außerdem
gibt es das Deutschlandticket als Firmenticket, das wir
bezuschusst anbieten. Das sorgt für nachhaltige Mobi-
lität. Den Fuhrpark wollen wir außerdem in Richtung
CO₂-Neutralität verbessern.
Sowohl beim Energieverbrauch als auch beim CO₂-
Abdruck stellen wir außerdem fest, dass der Gebäude-
betrieb eine große Stellschraube mit viel Hebelwirkung
ist. Bei den steigenden Energiepreisen müssen auch wir
fragen: Was können wir uns noch leisten? Hier gibt es
viel Potenzial für Einsparungen im Sinne von kompen-
sierten Teuerungsraten. Unabhängig davon sorgen wir
mit der Materialbörse für weniger Neuanschaffungen.
Der Papierverbrauch wird reduziert und auf Recycling-
papier umgestellt.

Wie nachhaltig gestalten Sie


Ihren eigenen Berufsalltag?
Ich bewege mich nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln
und besitze kein Auto. Ich fahre viel Fahrrad im Ar-
beitsalltag. Vorbildhaft versuche ich die Dinge zu leben,
die wir auch für die SPK umsetzen. Wollen wir Ener-
gie einsparen, sorge ich selbst dafür, dass die Heizung
runtergedreht wird. Ich schalte die Geräte im Stand-
by-Modus aus und versuche alles so effizient wie mög-
lich zu gestalten.

Nachhaltigkeit
Es ist das Jahr 2035. Nehmen wir an, Sie
arbeiten immer noch in Ihrer Position
als Nach­haltigkeitsbeauftragter. Worauf
möchten Sie zurückblicken können?
Mein Wunsch ist, dass wir unser Ziel, 2035 klimaneut-
ral zu sein, tatsächlich erreichen. Dass wir alle Mitar-
beitenden mitgenommen haben im Prozess und nach
innen und außen eine Nachahm-Wirkung hatten. Dass
wir Vorbild waren. Ich möchte, dass hängen bleibt: Es
hat eine positive Wirkung, wenn man solche – auch
manchmal »nervigen« Prozesse – anrollt und durch-
zieht. Wenn die Menschen, die heute noch mit den Au-
gen rollen, merken, welch positive Veränderung Nach-
haltigkeit auch auf ihr eigenes Leben hat.

Daniel Naumann ist der Nachhaltigkeitsbeauftragte


der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sandra Winzer
ist ARD-Journalistin beim Hessischen Rundfunk.

Dangolsheimer Muttergottes → Nikolaus Gerhaert von


Leyden; um 1460/1465; Walnussholz mit Resten der ursprüng-
lichen Fassung; 102 × 37 × 33 cm; Skulpturensammlung und
Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin

73
Neue Nationalgalerie →
Ludwig Mies van der Rohe;
1965–1968
Nachhaltigkeit

Wir müssen die


Zukunft bauen
→ Klaus Biesenbach im Gespräch
mit Sandra Winzer

74
Herr Biesenbach, Sie haben das Programm der »berlin modern« wird auch auf Ihrer Webseite
Neuen Nationalgalerie und den vorhandenen als Wurzel des grünen Kulturforums bezeich-
Entwurf des Museums der Moderne am Kultur­ net, als das nachhaltige Haus. Welche sind die
forum entscheidend geprägt und nach einem konkreten zentralen Neuerungen?
intensiven Architekturstreit für eine Überarbei- Das Haus hat viel mehr offene, auch ohne Tickets zu-
tung gesorgt. Der von Herzog & de Meuron als gängliche Flächen. Ein Haus, das auf die Besuchenden
»Scheune« bezeichnete Entwurf wurde damals in ihrer Erfahrung zugeschnitten ist. Es gibt einen Bier-
auch wegen seines Hangs zur Verschwendung garten, in den man sein eigenes Essen mitbringen kann.
­kritisiert. Was fiel Ihnen damals besonders auf – Räume, in denen eigene Bücher erlaubt sind und Stif-
und wo steuerten Sie direkt nach? te, um etwas zu malen. Es ist viel »poröser«, zugängli-
Ich glaube, es war wichtig, die schon vorhandenen Ge- cher. Auch haben wir »Kunst am Bau« – das sind Pro-
danken der Architekten fortzusetzen und nicht, wie das jekte, die wir jetzt im Winter publizieren werden. Das
ganz oft in Deutschland der Fall ist, alles für unmöglich »berlin modern« gibt es schon für uns. Insofern muss
zu halten, sondern zu versuchen, vorhandene Ideen po- man jetzt sowohl bei der Baustelle als auch in den Bau-
sitiver anzugehen. Herausforderungen als Gelegenhei- prozess immer mehr Kunstschaffende involvieren. Eine
ten umzudeuten und Dinge zu ermöglichen. Die neue ganz wichtige Strategie – rein in die Öffentlichkeit. Das
Kulturstaatsministerin, die ja auch mehr oder weniger Museum soll in ein paar Jahren nicht plötzlich fertig
zeitgleich mit mir angefangen hat, Dirk Messner als sein. Es bleibt ein öffentlicher Vorgang, an dem viele
Präsident des Bundesumweltamtes, aber auch die Dis- mitarbeiten können und sollen.
kussion im Umfeld des »berlin modern« im Kulturfo-
rum haben eine große Synergie gebildet. Man sieht jetzt Bis 2027 soll das Ganze umgesetzt werden.
nicht mehr das Gebäude als Solitär, sondern als Teil Wie stark kann die Ökobilanz bis dahin ver-
des Kulturforums. Es ist wichtig, dass hier eine höhe- bessert werden? Haben Sie konkrete Zahlen?
re Aufenthaltsqualität für die Stadt und die Besuchen- Ich würde denken, die entwickeln sich täglich. Diese
den hergestellt wird. Insgesamt sind viele Dinge ver- Herausforderungen sind nach oben immer ergebnisof-
bunden worden. Das war eine wesentliche Veränderung. fen. Man kann es immer noch optimieren. Letzte Wo-
che haben wir uns bestimmte Materialien angeschaut.
Warum war das für Sie als Aufgabe Ich habe gefragt: Können wir noch einen Schritt weiter
reizvoll? Sicher gab es Punkte, gegen die gehen? Gibt es diese Materialien noch nachhaltiger und
Sie erst einmal ankämpfen mussten … als recycelten Stoff? Können wir schauen, ob es diese

Nachhaltigkeit
Es ist reizvoll, ein Museum der Moderne, ein »MoMA« Technik nicht noch fortschrittlicher gibt? Täglich arbei-
für Berlin, auf den Weg zu bringen. Es ist eine gestal- ten Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Produktent-
terische Aufgabe und eine große Verantwortung. Auch wicklerinnen und -entwickler an den gleichen Heraus-
die Verantwortung, das 20. Jahrhundert in seinen Ge- forderungen, dadurch entwickelt sich vieles schnell. Da
schichten und künstlerischen Disziplinen – Film, Ton, ist täglich Verbesserungspotenzial. Man darf sich jetzt
Digitales etc. – darzustellen. Das ist sehr spannend. Es nicht zurücklehnen, dann baut man die Vergangenheit.
ist ein Privileg, mit den Spezialistenteams arbeiten Wir müssen die Zukunft bauen. Das Gebäude muss sehr
zu dürfen. flexibel in diesem ganzen Prozess bleiben – und offen!
Ich war vor Kurzem im Nationalmuseum in Norwe-
»Die Planungen haben Realitätssinn bekommen, gen. Die stellvertretende Direktorin begrüßte mich und
in denen Begriffe wie ›Haustechnik und Energie­ sagte: »Dieses Gebäude ist für eine mittlere Lebens-
bilanz‹ Berücksichtigung gefunden haben.« dauer für 300 Jahre angelegt. Und außerdem ist es der
So formulierte es die »Frankfurter Rundschau«. ›Shelter‹ für die Innenstadt von Oslo.« Das fand ich be-
Würden Sie dem zustimmen? eindruckend. Man hatte sowohl die Nachhaltigkeit im
Ich würde dem sehr zustimmen. Wir haben auch mit Sinne der Lebensdauer als wichtigen Faktor. Bei vie-
der Künstlerin Haley Mellin gearbeitet. Sie begreift len Neubauten liegt die berechnete Lebensdauer von
»environmental practice« als eine ihrer künstleri- Architektur gerade mal bei rund 50 Jahren oder weni-
schen Ausdrucksformen und ist eine Spezialistin im ger. Aber es gab in Oslo auch die Komponente: Im Win-
Sinne von Nachhaltigkeit. Mit ihr haben wir alle Funk- ter werden Museen zu Wärmestuben und im Sommer
tionen eines Museums durchdekliniert. Brauchen wir werden sie zu Räumen für Leute, die keine Klimakon-
noch Papier? Wenn ja, welches? Brauchen wir noch trolle mehr haben.
Verschiffung per Luftfracht? Oder kann man das via Das wird eine weitere Aufgabe für Museen bleiben.
Land oder Wasser machen? Diese ganzen Differenzie- Schon in Los Angeles haben wir das Museum im Som-
rungen sind wichtig. mer für die eher älteren Einwohner von Little Tokyo
Wir hatten zwei Workshops mit Haley Mellin und geöffnet. Die haben im Museum Thai Chi machen kön-
Dirk Messner – also mit Spezialistinnen und Spezia- nen, wenn es draußen 40 Grad waren. Das sind stän-
listen, aber auch mit Künstlern, die dazu beigetragen dig sich ändernde Herausforderungen, denen sich ein
haben, nachzudenken: Was ist eigentlich die Zukunft Museum stellen muss. →
des Museums? Das, was die »Frankfurter Rundschau«
formulierte, ist, dass man Dinge konkret sehen muss:
etwas wie das Solardach. Wie kann ein Solardach auch
mit der Ästhetik eines Museumsgebäudes kombiniert
werden? Ich glaube, dass wir da eine schöne Lösung
gefunden haben.

75
Glauben Sie daran, dass sich Form und An welcher Stelle haben Sie gemerkt, dass
Nachhaltigkeit vereinen lassen? der Erweiterungsbau des Museums nicht
Ich glaube, dass sie sich vereinen lassen müssen. Dass einfach ein weiteres »Stück« Gebäude sein wird,
es ein Teil der Herausforderungen ist. Dass man nicht sondern mehr in Bezug auf das Kulturforum?
nur den Elfenbeinturm baut, sondern dass dieser Ver- Wenn man im Sommer auf dem Kulturforum stand, war
antwortung zu tragen hat. Dass er eben auch kein es heiß und öde. In diesem Sommer gab es schon viel
»Turm«, sondern zugänglich ist – mit nützlichen, nach- mehr Grünes und mehr Sitzgelegenheiten. Das schafft
haltigen Funktionen. Am Beispiel Kulturforum: Wir Aufenthaltsqualität. Es stehen großartige Einrichtun-
helfen, das gesamte Kulturforum zu begrünen. Schon gen um das Kulturforum herum: das Kupferstichkabi-
im Mai ist es hier an einem sonnigen Tag zu heiß, um nett, das Kunstgewerbemuseum, die Kunstbibliothek,
draußen zu sitzen bei der versiegelten Betonfläche. Wir Gemäldegalerie … weltbekannte, wichtige Institutio-
haben schon mehr als 200 Bäume im Sinne der »Stadt- nen, die sich aber in einer städtebaulich noch nicht zu
verwaldung« in Kübeln gepflanzt. Wir hoffen, dass wir Ende gedachten Situation befinden. Da haben wir uns
sie langfristig einpflanzen dürfen. So etwas sind Bil- als Nachbarn zusammengetan und überlegt: Wie kön-
der mit zukunftsprägender Wirkung. Hier können wir nen wir das verbessern? Jeden Tag in kleinen Schritten.
Interventionen im Sinne der Landschaftsarchitektur Hauptsache, es bewegt sich. Ich bin meinen Kollegin-
liefern. Bilder, ohne die man sich das Leben hier nicht nen und Kollegen sehr dankbar, dass wir gemeinsam
mehr vorstellen kann. Das ist etwas sehr Positives. etwas ändern können.

Welchen Einfluss hat das »Greening« auf Blicken wir auf das Jahr 2027. Was haben
das Image von »berlin modern«? Sie bis dahin im besten Falle erreicht?
Ich glaube nicht, dass es mir hier um das Image geht. Dass »berlin modern« ein Ort ist, von dem man sich gar
Für mich ist es eine schöne Situation, in Berlin zu sein. nicht mehr vorstellen kann, wie man ohne ihn über-
In den 1990er Jahren haben wir hier das Café Bravo als haupt ausgekommen ist. Dass »berlin modern« ein Teil
grüne Klimaoase geschaffen. Nicht wegen des Images, des Lebens für die Stadt im Sinne von Selbstverständ-
sondern weil es etwas ist, das Haltung zeigt. Ich finde lichkeit ist. Aber auch, dass es ein Ort ist, der ein Teil
es wichtig, dass man nicht überlegt: Welches ist heute des Lebens vieler Menschen ist.
die opportune Haltung? Sondern es gibt Themen, die
ziehen sich konstant durch künstlerische Praktiken. Klaus Biesenbach ist Direktor der Neuen National­
Bestimmte Werte. Mir war es immer wichtig, Kunst- galerie und des im Bau befindlichen »berlin modern«.
Nachhaltigkeit

schaffende zu begleiten, die sich auch in der sozialen Er hat seit seinem Amtsantritt 2022 neue Akzente
Umwelt reflektieren. Die Räume öffnen und dadurch für den Neubau der Nationalgalerie am Kulturforum
möglich machen. gesetzt. Sandra Winzer ist ARD-Journalistin beim
Hessischen Rundfunk.
Eine »offene Mitte für alle« – so formulierten
Sie es einst in einem Interview. Sie wollen
deswegen vermehrt Kunstschaffende in den
Nachhaltigkeitsprozess einbeziehen. Wie
konkret kann das aussehen? Setzt man Inge-
nieure mit den Kreativen an einen Tisch?
Wir hatten schon zweimal Lunches bei mir im Büro, bei
denen Klimaforschende, Technikerinnen und Techni-
ker, Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Kunstschaf-
fende gemeinsam brainstormten. Wir machen auch
Führungen in die 16 Meter tiefe Baugrube. Auch dort
entstehen Ideen. Das gehört zu unserem täglichen Le-
ben: diese Baustelle mit Menschen zu teilen und auch
deren Impulse aufzunehmen.

Pazzi-Madonna → Donatello; um 1422;


Marmor; Skulpturensammlung und
Museum für Byzantinische Kunstm,
Staatliche Museen zu Berlin

76
Der Kalte Krieg
ist zurück → Manfred Nawroth

D
ie Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat seit den frü- sich der Restaurierung und wissenschaftlichen Erforschung von
hen 1990er Jahren wie keine andere deutsche Kulturinstituti- mehr als 60 in Moskau verwahrter Gegenstände aus den ehema-
on engste Beziehungen zu russischen Partnern aufgebaut, vor ligen Beständen des Bode-Museums, darunter Meisterwerke der
allem in den Staatlichen Museen zu Berlin. Diese Zusammenarbeit Renaissance, widmete. Ähnlich spektakulär war eine Zusammen-
fand seither auf vielen Ebenen mit einhergehenden Ausstellungen, arbeit mit der Eremitage in St. Petersburg, wo eher zufällig in der
Publikationen und Restaurierungsprojekten statt. Ein Schwerpunkt Abteilung Westeuropäischer Skulptur des 18./19. Jahrhunderts ei-

Internationaler Akteur
lag dabei von Beginn an auf der Wiederentdeckung von Kulturgü- nes der Highlights aus dem ehemaligen Bestand der Antikensamm-
tern, die infolge des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland in die lung entdeckt wurde. Die »Victoria von Calvatone« wurde in ei-
Sowjetunion gelangt waren. Ein Höhepunkt gleich zu Beginn war nem gemeinsamen Forschungs- und Restaurierungsprojekt un-
1994 die Präsentation des als verschollen geltenden Goldschatzes tersucht und bearbeitet, die Ergebnisse Ende 2019 in einer Pe-
von Troja im Moskauer Puschkin-Museum. Erstmals war es Ver- tersburger Ausstellung präsentiert. Diese Beispiele zeigen, dass
tretern der Berliner Museen möglich, den Schatz zu sehen. Vor al- sich die Zusammenarbeit mit russischen Museen über Jahre eng,
lem das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Mu- partnerschaftlich und fruchtbar weiterentwickelt hatte. Diese be-
seen zu Berlin brachte mit der Ausstellungsreihe »Europa ohne schränkte sich nicht nur auf die Erforschung kriegsbedingt ver-
Grenzen« und den in der Eremitage St. Petersburg, dem Puschkin- lagerter Kulturgüter, sondern zeigte sich auch in gemeinsamen
Museum und dem Staatlichen Historischen Museum Moskau eine Forschungen, Tagungen und Ausstellungen unterschiedlichster
neue Dynamik in die Zusammenarbeit. Nach intensiven Vorberei- Art. Als Beispiel kann die 2012/13 in Moskau und Berlin präsen-
tungen, bei denen die deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tierte Ausstellung »Russen und Deutsche. 1.000 Jahre Kunst, Ge-
eng mit der russischen Seite an der Umsetzung der viel beachteten schichte und Kultur« genannt werden, die unter der Schirmherr-
Ausstellungen »Merowingerzeit« (2007–2008), »Bronzezeit« (2013) schaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des Bun-
und »Eisenzeit« (2020–2021) zusammenarbeiteten, gelang es, lan- despräsidenten Joachim Gauck stand.
ge vermisste Objekte wieder aufzufinden, neu zu erforschen, aus- Von dieser Gemeinsamkeit und dem Aufbau einer engen Koope-
zustellen und in umfangreichen Katalogen der Öffentlichkeit und ration seit Beginn der 1990er Jahre sind wir heute ähnlich weit ent-
Wissenschaft zugänglich zu machen. Viele Sammlungsgegenstän- fernt wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Nur einen Tag nach dem Be-
de konnten so erstmals nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder ginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine am 24. Februar
gemeinsam aus ihren aktuellen Standorten in Berlin, Moskau und 2022 stoppte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz alle laufenden
St. Petersburg zusammengeführt und nach Jahrzehnten der Tren- Projekte und Planungen für zukünftige Kooperationen als Reakti-
nung vereint gezeigt werden. Viele Tausende nach dem Zweiten on der Missbilligung dieses völkerrechtswidrigen Aktes. Konkret
Weltkrieg als verschollen geltende Objekte konnten wieder in das bedeutete das, dass seit Jahren laufende gemeinsame Forschun-
öffentliche Bewusstsein zurückgebracht werden. Abseits der von gen, wie jenen zu Donatello und zu bedeutsamen antiken Vasen
Beginn der Zusammenarbeit an unterschiedlichen politischen und im Staatlichen Historischen Museum Moskau, sofort eingestellt
völkerrechtlichen Auffassungen in Deutschland und Russland, war wurden, unabhängig davon, wie aufwendig und weit fortgeschrit-
die Strategie der gewählten Zusammenarbeit am Ende eine Win- ten diese Projekte bereits entwickelt waren, von den geplanten Ab-
win-Situation für beide Seiten. schlussausstellungen ganz zu schweigen. Für die deutsch-russi-
Eine weitere spektakuläre Kooperation startete 2015, nachdem sche Zusammenarbeit bedeutet das einen Rückfall in längst ver-
im Rahmen des in Berlin veranstalteten Symposiums »Donatello gangene und überwunden geglaubte Zeiten. Wann und in welcher
und das verschwundene Museum« ein Mitarbeiter des Puschkin- Form eine Zusammenarbeit wieder möglich sein wird, ist völlig of-
Museums fünf verloren geglaubte und in Moskau befindliche Wer- fen. Der brutale Krieg macht diese Zusammenarbeit unmöglich.
ke präsentierte, die dem Künstler zugeschrieben werden konnten.
Daraus sollte sich zwischen dem Bode-Museum und dem Pusch- Manfred Nawroth ist Oberkustos am Museum für Vor- und
kin-Museum eine mehrjährige Zusammenarbeit entwickeln, die Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin.

77
Zeugnisse pro-
duktiver Partner­
schaften
→ Friederike Seyfried

D
as Ägyptische Museum und Papyrussammlung hat in den letz- Auch andere Projekte des Ägyptischen Museums und der Papyrus-
ten zehn Jahren ein enges Netzwerk der Zusammenarbeit mit sammlung haben in den letzten Jahren zur Konsolidierung der Be-
dem Ägyptischen Ministerium für Tourismus und Antiken ge- ziehungen mit dem Partnerland Ägypten geführt. Zu nennen wäre
schaffen sowie zahlreichen jungen Wissenschaftlerinnen und Wis- hier unter anderem die Kooperation zur Vorbereitung eines Aus-
senschaftlern über Stipendien Forschungs- und Weiterbildungsauf- stellungskonzeptes für das geplante »Echnaton-Museum« in El-
enthalte gewährt. Basierend auf einem im Februar 2013 unterzeich- Minya, welches inhaltlich erfolgreich abgeschlossen werden konn-
neten »Memorandum of Understanding« mit dem damaligen Mi- te, das aber aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Gesamtsitu-
nister für Antiken, Ibrahim Ali, und dem Präsidenten der Stiftung ation nicht im gewünschten Rahmen implementiert werden kann.
Preußischer Kulturbesitz (SPK), Hermann Parzinger, nahmen im Erfolgreich abgeschlossen wurde im Jahr 2022 auch ein über vier
Internationaler Akteur

Laufe der Jahre zahlreiche Kooperationen Gestalt an. Jahre von der EU-Delegation-Kairo gefördertes Projekt mit dem
Ein Beispiel hierfür bietet das Ausgrabungs- und Dokumenta- Titel »Transforming the Egyptian Museum Cairo«, das in partner-
tionsprojekt des Ägyptischen Museums Berlin mit dem Titel »Die schaftlicher Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen des
Felsgräber der Qubbet el-Hawa-Nord: Oberägypten und Unter- ägyptischen Nationalmuseums am Tahrir-Platz und einem Kon-
nubien im Spiegel einer neuen Nekropole«, welches seit 2015 als sortium unter Leitung des Museo Egizio in Turin, dem British Mu-
Langzeitprojekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seum in London, dem Louvre in Paris, dem Rijksmuseum van Ou-
gefördert wird und vertraglich als partnerschaftliches Gemein- deheden in Leiden und dem Ägyptischen Museum und Papyrus-
schaftsprojekt mit dem lokalen Inspektorat von Assuan und dem sammlung in Berlin Konzepte und Szenarien entwickelte, um den
ägyptischen Antikendienst verankert ist und explizit von ägypti- Fortbestand dieses denkmalgeschützten Gebäudes zu sichern und
scher Seite gewünscht wurde. Dieses Projekt präsentiert sich der- seiner weltweit einzigartigen Sammlung ägyptischer Antiken im
zeit in einer Art »Halbzeitbilanz« mit einer Dokumentationsaus- 21. Jahrhundert neue Perspektiven zu eröffnen. Unter maßgebli-
stellung im Neuen Museum vom 15. September 2023 bis zum 10. cher Mithilfe des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung
März 2024 unter dem Motto »Geplündert, Geschunden, Geret- (BBR) entstand ein umfassender, in gedruckter Form vorliegender
tet (?)«, womit bereits die Herausforderungen dieser Unterneh- »Masterplan« für das Museum, welcher den ägyptischen Kollegin-
mung deutlich adressiert werden. Ägyptens archäologische Stät- nen und Kollegen als Handbuch möglicher Optionen für die Zu-
ten sind nach wie vor massiven grabräuberischen Aktivitäten aus- kunft dienen soll. Des Weiteren ist derzeit eine direkte Ko-Kura-
geliefert, und so gebietet es sich, den ägyptischen Kolleginnen und tierung der für 2024 geplanten Elephantine-Ausstellung mit dem
Kollegen bei der wissenschaftlichen Dokumentation, Publikati- Antikenministerium vereinbart, um alle wichtigen Ausstellungs-
on und Sicherung des Antikengeländes zur Seite zu stehen. Die- inhalte mit den ägyptischen Kolleginnen und Kollegen abzustim-
se Zusammenarbeit ist von großem gegenseitigen Vertrauen und men. Auf der Basis einer solch engen musealen Zusammenarbeit
Wertschätzung geprägt und wird in den folgenden drei Jahren – kann die in drei Sprachen (Deutsch/Englisch/Arabisch) geplante
zusätzlich zu der wissenschaftlichen Förderung durch die Deut- Ausstellung zu einem weiteren Erfolgserlebnis unserer bilatera-
sche Forschungsgemeinschaft – von einem umfassenden »Site- len Beziehungen werden.
Management-Projekt« begleitet werden, das mit Mitteln der Euro- Diese auf Langzeitperspektiven angelegten Projekte des Ägyp-
päischen Delegation Kairo und dem Auswärtigen Amt im Rahmen tischen Museums und der Papyrussammlung unterstreichen deut-
des »Ta’ziz-Förderprogramms« von der Gesellschaft für Internati- lich, dass jenseits aller aktuellen Kolonialismus- und notwendi-
onale Zusammenarbeit (GIZ) geleitet werden wird. Dieses Projekt gen Provenienzdebatten nicht nur ein reger Austausch mit dem
wird es erlauben, ein nachhaltiges Site-Management-Programm Partnerland besteht, sondern dass auch die Tradition der archäo-
zu entwickeln und insbesondere die lokale Bevölkerung für die logischen Feldforschung der Staatlichen Museen zu Berlin eine
Chancen zu sensibilisieren, welche in der Pflege des antiken kul- nicht zu unterschätzende Rolle für die guten Beziehungen zu den
turellen Erbes liegt. Dabei ist es von essenzieller Bedeutung, dass Herkunftsländer spielt und entsprechend erfolgreich fortgesetzt
eng mit allen lokalen Dorfgemeinschaften, Schulen, Bildungsein- werden kann.
richtungen und der Antikenbehörde sowie dem Gouvernement-As-
suan zusammengearbeitet wird und Interessenkonflikte gemein- Friederike Seyfried ist Direktorin des Ägyptischen Museums
schaftlich diskutiert und in produktive Lösungen überführt werden. und Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.

78
Victoria von Calvatone → römische Statue,
2. Jahrhundert n. Chr.; vergoldeter Gips
abguss; Antikensammlung der Staatlichen
Museen zu Berlin

Internationaler Akteur

79
Strahlende
Kulturschätze → Claudia Roth

D
ie Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) steht für einen un- Dieser Grundgedanke spiegelt sich auch im Bereich Personal wider.
vergleichlichen kulturellen Reichtum. Zu ihren Sammlungen So wird die sogenannte Generaldirektion mit Hunderten Mitarbei-
gehören bedeutende Kulturgüter der Menschheitsgeschich- tenden fast komplett aufgelöst und in neue, dezentrale Strukturen
te sowie zahlreiche weltbekannte Kunstwerke von Künstlern wie überführt. Viele Aufgaben sollen zukünftig nahe an den Museen
Botticelli, Caspar David Friedrich, Andy Warhol, Gerhard Richter und Einrichtungen von Teams bearbeitet werden, die jeweils einer
und Rebecca Horn. Dazu kommen Bibliotheken, Archive und For- Gruppe von Einrichtungen bzw. Standorten zugeordnet sind. Diese
schungseinrichtungen. In den vielfältigen Sammlungen der SPK dezentrale Bündelung von Aufgaben zur Unterstützung der Einrich-
dokumentiert sich nicht weniger als die kulturelle Entwicklung der tungen vor Ort ist eine zentrale Neuerung im Rahmen der Reform,
Menschheit von den Anfängen bis in die Gegenwart. um Entscheidungswege kürzer und Verfahren schneller zu machen.
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die SPK hinter ihren Mög- Am Ende des Reformprozesses müssen sich alle Maßnahmen
lichkeiten zurückbleibt. Ihre Kunstschätze können mit Paris mit- auch in einem neuen Stiftungsgesetz widerspiegeln. Obwohl die
halten, dann sollte es auch die Zahl von Besucherinnen und Besu- Federführung für das Gesetzgebungsverfahren beim Bund liegt,
chern tun. Wie bereits der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten wollen wir das neue Gesetz in enger Abstimmung mit den Bun-
Politik

vom Juli 2020 feststellte, sind es nicht zuletzt komplizierte und desländern erarbeiten. Deshalb haben wir zusammen mit den Län-
nicht effiziente Strukturen, die verhindern, dass die SPK ihr vol- dern eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die ihre Arbeit bereits
les Potenzial entfalten kann. aufgenommen hat. Unser Ziel ist es, das Gesetz im Frühjahr 2025
Und genau hier setzt die SPK-Reform, hier setzt der Grundsatz- in den Bundestag einzubringen.
beschluss zur Reform aus dem Dezember 2022 an. Unser Ziel ist es, Bei alldem gilt: Auch die besten Strukturen werden den erhoff-
diesen einzigartigen kulturellen Schatz in Zukunft noch mehr zur ten Mehrwert für das Publikum nicht bringen, wenn die inhaltli-
Geltung zu bringen mit einer auch inhaltlich besser aufgestellten chen Ziele unklar sind. Wir müssen also jetzt klären, was die »neue
Stiftung, die für ein breites Publikum aus dem Inland und Ausland SPK« eigentlich sein soll und wo die Stiftung in 10 oder 20 Jahren
ein noch attraktiveres Angebot bereithält. stehen soll. Der Anfang 2023 gebildete Interimsvorstand arbeitet
Um das zu erreichen, wollen wir den Einrichtungen mehr Auto- deshalb derzeit intensiv an einer Vision »SPK 2030«. Die Ergebnis-
nomie, Gestaltungsfreiheit und Eigenverantwortung geben. Dafür se sollen dem Stiftungsrat im Dezember 2023 vorgestellt werden.
müssen die Strukturen insgesamt schlanker, flacher und flexibler Die Reform der SPK ist ein langer und herausfordernder Pro-
werden. Dementsprechend soll die SPK zukünftig nicht mehr von zess für alle Beteiligte. Aber der Prozess ist wichtig. Denn wir re-
einer Präsidentin oder einem Präsidenten allein geleitet werden, den nicht über Strukturen als Selbstzweck, sondern wollen am
sondern von einem kollegial agierenden Vorstand, in dem auch Ende, dass die größte Kulturorganisation Deutschlands mit in
die Einrichtungen vertreten sind. Der Vorstand trägt Verantwor- Jahrzehnten gewachsenen Strukturen ihr gigantisches Potenzi-
tung für die Stiftung als Ganzes und für das Erreichen ihrer Ziele. al endlich entfalten kann. Und wir reden über die Zukunft von
Außerdem wollen wir vor allem bei den Staatlichen Museen 1.800 Beschäftigten. Lösungen können und müssen daher gerade
in Berlin größeren Handlungsspielraum und mehr Autonomie mit einem Fokus auf die Mitarbeitenden gut abgewogen werden.
in Budget- und Personalangelegenheiten erreichen. Hier müssen Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Reform der SPK
neue Strukturen und Verfahren aufgebaut werden, die langfristig ist auf einem guten Weg. Seit dem Grundsatzbeschluss vor einem
funktionieren – auch in Zeiten knapperer Mittel. Daran wird mit Jahr hat sich viel bewegt, es wurden schon wichtige Schritte nach
großem Einsatz in meinem Haus, bei der Stiftung und den Staat- vorne erzielt. Die Stiftung und mein Haus treiben diesen Prozess
lichen Museen gearbeitet. weiterhin mit Nachdruck voran. Denn wir alle wissen, es besteht
Mehr Autonomie bedeutet dabei jedoch nicht, dass nun alle jetzt die einmalige Chance, die SPK nicht nur für den Moment,
als Einzelkämpfer nebeneinanderstehen. Im Gegenteil: Ziel der sondern langfristig für die Zukunft gut aufzustellen, und so das
Reform ist eine stärkere Vernetzung der Einrichtungen und da- eigentliche Ziel der Reform zu erreichen: Die kostbaren Schätze
mit eine intensivere interdisziplinäre Zusammenarbeit unterei- der Stiftung, ein unvergleichliches Kulturgut noch mehr als bis-
nander. Dafür sollen die Einrichtungen administrativ und fach- her strahlen zu lassen, und dafür ein breites und vielfältiges Pu-
lich zusammenarbeiten und Aufgaben so weit sinnvoll bündeln, blikum zu gewinnen.
insbesondere an den drei großen Standorten Dahlem, Museums-
insel und Kulturforum. Claudia Roth ist Staatsministerin für Kultur und Medien.

80
Semper
Reformanda → Rainer Robra

M
it Errichtungsgesetz vom 25. Juli 1957 gründete der Bund die gende Stellung erhalten soll wie der Regierungschef eines Landes
Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Zweck der Stiftung mit verfassungsrechtlich abgesicherten Ressortkompetenzen. Der
war es, »bis zu einer Neuregelung nach der Wiedervereini- Vorstand soll personell die Einrichtungen der SPK abbilden. Seine
gung die ihr übertragenen preußischen Kulturgüter für das deut- Mitglieder sind auf Zeit bestellt und sollen sowohl Verantwortung
sche Volk zu bewahren, zu pflegen und zu ergänzen, unter Beach- für die einzelnen Einrichtungen der SPK, die eine größere Auto-
tung der Tradition den sinnvollen Zusammenhang der Sammlun- nomie erhalten, als auch für übergreifende Querschnittsaufgaben
gen zu erhalten und eine Auswertung dieses Kulturbesitzes für die tragen. Ferner soll eine Zentrale Serviceeinheit als Dienstleister
Interessen der Allgemeinheit in Wissenschaft und Bildung und Synergieeffekte generieren und ein einheitliches sowie wirtschaft-
für den Kulturaustausch zwischen den Völkern zu gewährleisten«. liches Handeln sicherstellen. Zudem sollen die Verwaltungsabläu-
Heute ist die interdisziplinär ausgerichtete SPK ein Global Play- fe durch den dezentralen Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mit-
er und zählt weltweit zu den bedeutendsten Kultureinrichtungen. arbeitern vereinfacht werden und die Zusammenarbeit mit dem
Mit dem Einigungsvertrag übernahm die Stiftung im Jahre 1990 Ethnologischen Museum, dem Museum für Asiatische Kunst und
die vorläufige Trägerschaft über die vormals preußischen Bestän- der Stiftung Humboldt Forum verbessert werden.

Politik
de an Standorten der ehemaligen DDR. In Art. 35 Abs. 5 des Eini- Die Arbeit der Reformkommission endete im Dezember 2022.
gungsvertrages wurde verbindlich vereinbart, dass »auch für die Anschließend wurden die Beratungen von der Beauftragten der
künftige Regelung (…) eine umfassende Trägerschaft für die ehe- Bundesregierung für Kultur und Medien gemeinsam mit den Kul-
mals staatlichen preußischen Sammlungen in Berlin zu finden« turministerinnen und -ministern der Länder weitergeführt und
ist. Nach dem gültigen Finanzierungsabkommen von 1996 wird die insbesondere die künftige Zusammensetzung des Stiftungsrates
SPK von Bund und Ländern gemeinschaftlich finanziert. sowie die Finanzierung der SPK erörtert. Die Kulturministerkon-
Ihr herausragendes Potenzial für Kunst und Wissenschaft ist ferenz der Länder konnte sich inzwischen auf eine deutliche Ver-
unumstritten. Aber auch für eine so renommierte Kultureinrich- kleinerung des Stiftungsrates auf sieben Sitze einigen.
tung wie die SPK gilt: Semper reformanda! Institutionen müssen Die Frage der Finanzierung und einer möglichen Beitragser-
sich anpassen und verändern. Um für die Zukunft gut aufgestellt höhung muss von den Finanzministerinnen und -ministern res-
zu sein, bedarf es grundlegender Reformen und Anpassungen. Die- pektive den Regierungschefinnen und -chefs der Länder abschlie-
se Diskussion wird seit vielen Jahren geführt. Der Wissenschafts- ßend abgestimmt werden. Sie unterliegt dem Haushaltsvorbehalt.
rat hat in seinem 2020 veröffentlichten Gutachten empfohlen, das Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Beauftragten der Bundes-
Dach der Stiftung aufzulösen und vier von fünf Einrichtungen der regierung für Kultur und Medien und der Länder Berlin, Hamburg,
SPK organisatorisch zu verselbstständigen. Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt erarbeitet derzeit Ent-
Eine daraufhin vom Stiftungsrat eingesetzte Reformkommis- würfe für ein neues Stiftungsgesetz, eine neue Satzung und ein
sion, der ich angehörte, hat sich in neun Sitzungen umfassend Finanzierungsabkommen. Der Gesetzentwurf soll 2024 dem Bun-
mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates befasst. Es wur- desrat und 2025 dem Bundestag vorgelegt werden. Ich denke: Wir
den Vertreterinnen und Vertreter der Einrichtungen der SPK an- sind auf einem guten Weg.
gehört, Stellungnahmen des Bundesrechnungshofs berücksichtigt
und Papiere sowie Gutachten von zwei Beratungsunternehmen in Rainer Robra ist Staatsminister und Chef
den Meinungsbildungsprozess einbezogen. Die von der Kommis- der Staatskanzlei sowie Europaminister
sion erarbeiteten Strukturempfehlungen sahen – statt einer ver- und Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt.
fassungsrechtlich nicht umsetzbaren Auflösung – in nuce vor, die
Strukturen der Stiftung effizienter zu gestalten und die SPK durch
entsprechende Veränderungen besser und nachhaltiger aufzustel-
len. Damit waren und sind klare Erwartungen für die zukünftige
Positionierung der SPK verbunden.
Der Stiftungsrat der SPK hat vor diesem Hintergrund im Dezember
2022 Eckpunkte für die Reform der Stiftung beschlossen. Künftig
soll es einen Vorstand als Kollegialorgan geben, in dem allerdings
der Präsident mit Richtlinienkompetenz eine ähnlich herausra-

81
Vom
→ Carsten Brosda

schwerfälligen
Tanker zur
modernen
Flotte?
Politik

Drei Jahre nach dem aufwendigen – und noch immer


nicht ganz abgeschlossenen – Reformprozess, den die
größte bundesdeutsche Kultureinrichtung in ihrer Ge-
schichte erlebt hat, wissen wir, dass wir gut daran ge-
tan haben, den umfassenden Empfehlungen des Wis-

I
senschaftsrats nicht in allen Punkten zu folgen. In der
n einem Artikel der FAZ vom 14. Juli 2020 zur Struk- Tat gab es viele gute Gründe, der SPK als Verbund keine
turreform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz großen Entwicklungschancen einzuräumen, vor allem
(SPK) steckt ein starkes Bild, das den Kultursenator im Bereich der Stiftung Museen zu Berlin (SMB). Nach
der maritimsten deutschen Metropole eigentlich freu- der Wiedervereinigung wurde deren Verwaltungsstruk-
en müsste: Hier die Gegenwart der Stiftung als manö- tur überdehnt, die Steuerungsprozesse verkompliziert,
vrierunfähiger maroder Kahn, dort die hoffnungsvolle die personellen und finanziellen Ressourcen teilweise
Zukunft in Form innovativer beweglicher Einzelschif- ineffizient eingesetzt. Es lag daher nahe, eine Aufspal-
fe, die gemeinsam eine starke Flotte bilden. Diese Zu- tung der Stiftung in kleinere, funktionsfähigere Ein-
spitzung, die eine »Zerschlagung« der SPK in ihre Ein- heiten zu fordern. Etwas wurde aber dabei übersehen:
zelteile vorsah, hat, wie wir heute wissen, nicht statt- Die SPK war und ist deutlich mehr als die Summe ih-
gefunden. Und: Das ist gut so. rer einzelnen Teile – vorausgesetzt, dass ein synerge-
Neben etlichen anderen hat sich auch der Gesamt- tisches Miteinander der unterschiedlichen Institutio-
beirat der SPK, besetzt mit renommierten Wissen- nen entwickelt und aktuelle Themen, wie Barrierefrei-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern, Museumsdirek- heit, Diversität und Nachhaltigkeit, gemeinsam voran-
torinnen und -direktoren, Bibliotheksexpertinnen und gebracht werden.
-experten, Politikerinnen und Politikern, früh, am 20. Ein entscheidender Schritt im Reformprozess war
August 2020, gegen eine Aufteilung in drei Sparten aus- daher, die Einrichtungen zu ermächtigen, autonom und
gesprochen: Die Stiftung sei eine auf historischen Zu- dezentral ihre eigenen Haushalts- und Personalent-
sammenhängen aufbauende Gesamtorganisation, die scheidungen zu treffen, die Verwaltung zu verschlan-
gerade durch ihre Gesamtheit und Vielfalt national wie ken und dennoch eine effiziente zentrale Serviceeinheit
international von großem wissenschaftlichen und kul- zu installieren, die den einzelnen Einrichtungen dient.
turellen Interesse sei. Insbesondere die Durchlässigkeit Zudem brauchte es eine starke und entscheidungsfä-
der Sparten und die Stärkung von inhaltlichen Verknüp- hige Vorstandsstruktur, die nach innen, aber vor allem
fungen entspräche modernen, durch digitale Prozes- nach außen geeint agieren kann. Die Reform ist da-
se und Entwicklungen unterstützte Vorstellungen von durch nicht halbherzig oder in sich widersprüchlich,
wissenschaftlicher und kultureller Arbeit. sondern versucht zum einen, so viel Autonomie für

82
gleichrangig nebeneinander ausgestellt.
1904 wurden erstmals Skulpturen und Malerei
Bei der Eröffnung des Bode-Museums

Politik
die einzelnen Einrichtungen wie möglich zu schaffen, der Länder sind auch die Vernetzungsprojekte, wie z. B.
und gleichzeitig die Strahlkraft und das internationale museum4punkt0, außerordentlich hilfreich, da sie viel
Renommee der SPK mit ihren weltberühmten Samm- Know-how geben, z. B. zum Einsatz digitaler Medien in
lungen und ihrem Vorbildcharakter für viele Museen den Museen der Zukunft.
und Bibliotheken in der föderalen Kulturlandschaft Ein Blick auf den größten Kulturverbund der USA,
der Bundesrepublik stärker zur Entfaltung zu bringen. das »Smithsonian«, lohnt. Es führt unter seinem Dach
Dass Bund und Länder dafür auch ihre Finanzie- 19 Museen und Galerien und einen Nationalzoo. In sei-
rungsanteile erhöhen müssten, war Teil der Reform- ner Obhut befinden sich 142 Millionen Objekte. Er ist
anstrengungen, stand aber nicht am Anfang, sondern zugleich bedeutendes Forschungszentrum, führt Ex-
fast am Ende, nachdem die strukturellen Weichenstel- peditionen und Ausgrabungen durch und vergibt Sti-
lungen getroffen waren. pendien an junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-
Aus Sicht der Länder bot der Prozess zudem die Chan- schaftler. Die Frage muss erlaubt sein, ob diese wirt-
ce, aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Kultureinrich- schaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Bedeu-
tungen auf die Reform zu schauen. Für sie kann eine tung je erreicht worden wäre, wenn das Smithsonian
reformierte SPK Inspiration und Vorbild sein. Hierbei nicht als Verbund agiert hätte. Ob ein für die Gegenwart
ist insbesondere auf die Entwicklung im Bereich der und Zukunft so bedeutendes großes Museum wie das
kulturellen Bildung hinzuweisen, wo die SPK mit dem »National Museum of African American History and
»Haus Bastian« ein herausragendes Kompetenzzentrum Culture«, das 2020 in Washington seine Pforten öff-
für kulturelle Bildung in unmittelbarer Nachbarschaft nete, ohne den starken Verbund im Rücken überhaupt
zum Weltkulturerbe Museumsinsel errichtet hat. Es setzt hätte errichtet werden können, ist zumindest fraglich.
Maßstäbe für eine zukunftsweisende Bildungs- und Ver- Um zum maritimen Bild zurückzukehren: Wer
mittlungsarbeit, nicht nur für Schülerinnen, Schüler und glaubt, dass große Schiffe nicht innovativ sein und
Studierende, sondern auch für Familien sowie Besuche- die Herausforderungen globalisierten Handels auf den
rinnen und Besucher jeden Alters. Auch in der Proveni- Weltmeeren nicht bestehen können, irrt. Aber sie brau-
enzforschung, und hier insbesondere in der Zusammen- chen einen klaren Kurs, sehr gut ausgebildetes Perso-
arbeit mit Herkunftsgesellschaften, hat die SPK in den nal und hochkomplexe vernetzte Technik.
vergangenen Jahren neue Standards gesetzt. Unter dem
gemeinsamen Dach wurde in den vergangenen Jahren Carsten Brosda ist Senator für Kultur
die Öffnung und digitale Weiterentwicklung der Staats- und Medien in Hamburg.
bibliothek zu Berlin (SBB) vollzogen, wurden die klei-
neren Institute, teilweise unter neuen Leitungen, neu
positioniert und dadurch deutlich sichtbarer. Aus Sicht

83
S
eit Ende April bin ich Senator für Kultur und Ge- Ich hoffe für alle Beteiligten, insbesondere für die vie-
sellschaftlichen Zusammenhalt im Sitzland der len hart arbeitenden Beschäftigten in den Häusern,
Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), in Ber- dass erwartbare Störgeräusche, die mit großen Ver-
lin. Und ich bin es gern. Oft konnte ich mich bislang auf änderungen einhergehen, gering bleiben. Wir alle in
Erfahrungen stützen, die ich in meinem »früheren Le- dem angeschobenen Prozess und den bisher getroffe-
ben« als Musikmanager gesammelt habe. Um zur SPK nen Festlegungen eine riesige Chance sehen, die weit
zu kommen: Auch mit Prozessanalysen und Restruk- größere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, beispiels-
turierungen kenne ich mich aus, weiß, dass dies hilf- weise durch mehr Autonomie und verstärkte Zusam-
reiche Instrumente sind, um Knoten zu lösen, Dinge menarbeit. Ich wünsche mir und hoffe sehr, dass nie-
zu beschleunigen oder dringend notwendige Moder- mandem zwischendurch der Atem ausgeht, da die Re-
nisierungen anzugehen. form sich nur in einem gemeinsamen Kraftakt bewäl-
Das »Vorher-Bild« kenne ich nur von außen, mit je- tigen lässt. Und es ist eben keine Kurzstrecke.
nem Abstand, den man als kunstbegeisterter Berliner Als Neu-Mitglied im Stiftungsrat möchte ich an alle
und Besucher der Einrichtungen eben hat. Ich bin dann appellieren, die wir innerhalb der Stiftung an der Re-
sehr rasch »Ins-Bild« gesetzt worden und es dürfte kei- form arbeiten, um wirksamer und guter Ergebnisse wil-
ne Überraschung sein, wenn ich mir erlaube festzustel- len, eine echte und ernsthafte Zukunftsorientierung
len, dass die eingeleitete Strukturreform notwendig war an den Tag zu legen. Ich weiß, dass dies im Einzelfall
und ist. Die Evaluierung durch den Wissenschaftsrat im auch bedeuten kann, eigene Privilegien und Sicherhei-
Jahr 2020 hat eine ganze Reihe von Defiziten festge- ten aufgeben zu müssen. Im Interesse des Großen und
stellt. Das verwundert nicht, denn die Strukturen und Ganzen ein nicht unwichtiger Hinweis.
Problemlagen der SPK sind durch ihre Geschichte be- Die Bundesländer bitte ich, die Reform weiter ent-
sonders komplex. Kritisiert wurde 2020 die schlechte schlossen zu unterstützen und bei den Finanzierungs-
finanzielle und personelle Ausstattung der Einrich- zusagen zu bleiben. Dies gilt auch für den Bund: Er
tungen. Die Forderungen nach einer deutlich besseren muss der Bundesstiftung besondere Aufmerksamkeit
strukturellen und finanziellen Ausstattung für die Be- widmen und sie endlich auch finanziell langfristig aus
reiche Personal, Bauunterhalt, Forschung, Digitalisie- der strukturellen Unterfinanzierung herausholen! Die
rung, Besucher- und Nutzerorientierung, Bildung und Landeshaushalte sind schlicht überfordert!
Vermittlung, Öffentlichkeitsarbeit sind für mich alle Wir haben jetzt die Chance, uns ganz konsequent
nachvollziehbar und schlüssig. auch von untauglichen Strukturen zu verabschieden,
Manches von dem, was versäumt wurde, was liegen den Tanker SPK moderner, beweglicher zu machen.
blieb, ist aus Berliner Sicht verständlich: Der Vereini- Wenn bei dieser Reform zu kurz gesprungen wird, ist
gungsprozess der Ost- und West-Berliner Sammlungen auf absehbare Zeit die Chance vertan, eine der wich-
Politik

und Häuser nach 1989 sowie ein sehr großer Investiti- tigsten Kultureinrichtungen unseres Landes adäquat
onsstau haben dazu geführt, dass einige Dysfunktiona- aufzustellen. Ich bin jedoch optimistisch und freue
litäten entstanden sind und auch die SPK mit notwen- mich auf das »Nachher-Bild«.
digen Entwicklungen nicht ganz Schritt halten konnte.
Aber nun geht es voran – und wie immer, wenn man Joe Chialo ist Senator für Kultur und
gründlich die Leviten gelesen bekommt – wird a) Bes- Gesellschaftlichen Zusammenhalt in Berlin.
serung gelobt und b) die Chance erkannt, in einem neu-
en Anlauf alles besser oder mindestens vieles besser
zu machen. Die SPK trägt Verantwortung für heraus-
ragende Sammlungen, die wir richtig erschließen, er-
forschen und zugänglich machen müssen. Die Samm-
lungen sind von nationaler und internationaler Bedeu-
tung, und es ist auch für Besucherinnen und Besucher
wie Partnerinnen und Partner aus dem In- und Aus-
land wichtig, dass der gesamte Betrieb »state of the
art« ist. Wir haben eine Verantwortung vor der Stadt,
dem Land und der Welt. Vor allem aber gegenüber Be-
sucherinnen und Besuchern. Daher ist es begrüßens-
wert, dass Bund und Länder sich gemeinsam auf den
Weg gemacht haben.

Chancen erkennen
→ Joe Chialo

84
→ Katrin Budde

Zukunftsfähig
machen
D
ie Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) ist eine Eine solche große Aufgabe gelingt nur, wenn Mitarbei-
der größten Kultureinrichtungen weltweit und ein terinnen und Mitarbeiter eng einbezogen werden. Fla-
kulturelles Aushängeschild Deutschlands. Ihre chere Hierarchien, das Nutzen externer und internatio-
Aufgabe war, die Kulturgüter des ehemaligen Preußen naler Expertise und auch das Einbeziehen der Expertise
bis zur Wiedervereinigung Deutschlands zu bewahren, von uns Nutzerinnen und Nutzern werden gebraucht.
zu pflegen und zu ergänzen. Mit Wirkung vom 3. Okto- Ich wünsche mir, dass noch mehr Menschen die
ber 1990 wurden die Staatlichen Museen, die Deutsche Möglichkeit haben, die Kulturschätze der SPK zu se-
Staatsbibliothek und das Zentrale Staatsarchiv in Mer- hen, gleich ob analog oder digital. Deshalb sollte auch
seburg Teil der SPK. Die SPK ist allerdings heute weit darüber nachgedacht werden, wie neue Publikums-
mehr als die Kulturgüter Preußens. gruppen angesprochen, die junge Generation begeis-
Die Zusammenführungen der Kulturgüter und Ein- tert werden kann.

Politik
richtungen war und ist eine Herausforderung. Mehr Kunst und Kultur der Vergangenheit und Gegenwart
wichtiges Kulturgut heißt eben auch mehr Arbeit. Wie gehören zu uns, gehören in die Mitte der Gesellschaft.
bei allen Organisationen und Stiftungen muss ständig Sie sind Erinnerung und Verstehen, sie sind Diskus-
modernisiert werden. Die Ansprüche und Erwartungen sion und Debatte, sie sind ein Teil von uns allen. Sie
der Menschen, die Kultur »sehen und genießen« wollen, sind Orte des Wissens, der Begegnung, der Unterhal-
ändern sich. Strukturen müssen modernisiert werden. tung. Sie sind sogenannte Dritte Orte, Kulturorte. An
Deshalb gibt es ein von der damaligen Kulturstaats- ihnen kann mehr stattfinden als »nur« Ausstellungen.
ministerin 2020 beauftragtes Gutachten zur Struktur- Und das ist ja auch schon gelebte Realität in den Häu-
reform der SPK. Eine vom Wissenschaftsrat eingesetzte sern der SPK. Ich bin mir sicher, dass die einzelnen Ein-
Kommission empfahl die Zerschlagung der SPK. richtungen der SPK hier zusätzliche, großartige neue
Gut, dass es dazu nicht gekommen ist. Das sieht und kreative Ideen entwickeln werden.
auch der Ausschuss Kultur und Medien des Bundesta- Letztlich steht die SPK vor zwei großen Aufgaben:
ges in seiner Mehrheit so. Wir haben uns in mehreren Zum einen ist es die Strukturreform, die die Häuser für
Sitzungen damit beschäftigt. Positiv unterstützt wer- die Zukunft gut aufstellen soll, mit mehr Autonomie
den allerdings einige Vorschläge, die der Stiftungsrat und eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Zum anderen
im Dezember 2022 vorgelegt hat. So z. B., dass die ein- geht es um immer modernere Ausstellungskonzep-
zelnen Häuser mehr Autonomie und Individualität be- te, vielleicht mit mehr interaktiver Teilhabe, die Men-
kommen, dass die administrativen Strukturen refor- schen nicht nur zum Schauen bewegt, sondern zum
miert und Synergieeffekte durch eine zentrale Service- Mitmachen und Wiederkommen.
einheit geschaffen werden. Um all dies umsetzen zu können, braucht es sowohl
Die SPK ist bildlich gesprochen ein großer Ozean- das notwendige Personal als auch die dazu notwen-
dampfer. Ihn neu aufzustellen, dauert. Ich bin mir aber dige finanzielle Ausstattung. Wir erwarten, dass dies
sehr sicher, dass es funktionieren wird und die SPK für nicht über die Bereinigungssitzungen des Haushalts-
die Zukunft gut aufgestellt wird. Der Kulturausschuss ausschusses gesichert werden muss, sondern von der
wird die SPK auf diesem Weg begleiten. Dass es ge- BKM in der Aufstellung der Haushalte berücksichtigt
lingt, ist uns wichtig. Denn die Schätze und Kulturgü- wird. Aber natürlich stehen wir auch als Parlament zu
ter, die unter dem Dach der SPK vereint sind, sind ein- unserer Verantwortung, wenn dies nicht im Aufstel-
malig. Die museale Präsentation und Vermittlung sind lungsverfahren gelingt.
genauso wichtig, wie Forschung und Provenienzfor-
schung, das Thema Restitution, Internationale Zusam- Katrin Budde ist Vorsitzende des
menarbeit, föderale Projekte, die Digitalisierung, Nach- Ausschusses für Kultur und Medien
haltigkeit und vieles mehr. des Deutschen Bundestages.

85
Konglomerat → Olaf Zimmermann

A
ls im Sommer 2020 der Wissenschaftsrat sein scher Kulturbesitz geht. Nach dem Gutachten des Wis-
Gutachten zur Stiftung Preußischer Kulturbe- senschaftsrats stand die Frage im Raum, ob angesichts
sitz (SPK) vorlegte, schien das Totenglöckchen der vornehmlichen Finanzierung durch den Bund die
der Stiftung zu läuten. Zu schwerfällig, dysfunktional, Länder ihre Beteiligung aufgeben und nur das Land Ber-
behäbig, unterfinanziert, durch Interessenkollisionen lin zusammen mit dem Bund im Stiftungsrat verbleibt.
geprägt und von anderem mehr war im Gutachten zu Dieser Vorschlag, der unter anderem auch vom Deut-
lesen. Der »Goldstandard«, also in einer Liga wie das schen Kulturrat in seiner Stellungnahme zur Reform der
Smithsonian in Washington, D. C. zu spielen, schien in Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom 4. Januar 2021
weiter Ferne zu sein. Als Befreiungsschlag schlug der angeführt wurde, wirkte gleichfalls wie ein Weckruf. Auf
Wissenschaftsrat die Zerschlagung der Stiftung Preu- einmal erwachte das etwas eingeschlafene Interesse der
ßischer Kulturbesitz vor. Länder wieder, und keines der 16 Länder will den Stif-
Nun war nicht alles neu, was die Mitglieder des Wis- tungsrat verlassen und damit seine Stimme bei der Zu-
senschaftsrates benannten. Diejenigen, die in der Stif- kunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufgeben.
tung Preußischer Kulturbesitz arbeiten, aber auch jene, Ein Kernproblem der Stiftung Preußischer Kulturbe-
die eng mit ihr verbunden sind, kannten einige Kern- sitz ist ihre chronische Unterfinanzierung durch Bund
probleme genau. Sie wussten um die Stärken der größ- und Länder. Damit Totgesagte tatsächlich länger leben,
Politik

ten Kultureinrichtung Deutschlands und genauso um damit die ersten Öffnungsschritte der Stiftung wirk-
ihre Schwächen. Vor allem wussten und wissen sie, dass lich in einer großen Reform münden können, ist eine
die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mehr ist als die den Aufgaben entsprechende solide Finanzierung un-
Sammlungen auf der Museumsinsel, im Humboldt Fo- erlässlich.
rum, am Kulturforum und in Berlin-Dahlem. Sie ist ein Positiv ist, dass Verantwortliche der Stiftung stär-
Konglomerat besonderer Menschen, die besondere Kul- ker den Kontakt zu anderen Akteuren und insbeson-
turgüter erforschen und präsentieren. dere zur Zivilgesellschaft suchen. Die Einrichtung ei-
Nach der Vorlage des Gutachtens schien für einen nes Beirats aus Akteurinnen und Akteuren der organi-
kurzen Moment die Zeit stillzustehen. Wie gebannt sierten Zivilgesellschaft wäre ein nächster wichtiger
schauten viele, was denn nun passieren würde, ob die Schritt auf dem Reformweg. Der zivilgesellschaftliche
Politik die Initiative ergreift und anhand konkreter Vor- Beirat könnte die Aufgabe übernehmen, die Stiftung
gaben den Umbau vorantreibt. noch stärker in der breiten Gesellschaft zu verankern
Was passierte, war so ziemlich genau das Gegenteil. und über die wissenschaftliche Community hinaus für
Nicht nur Politik und Verwaltung nahmen das Heft des mehr Austausch und lebendige Diskussionen sorgen.
Handelns in die Hand, sondern vor allem die Stiftung Ein solcher Beirat sollte in der Stiftungssatzung veran-
selbst. Bestehende Strukturen wurden aufgebrochen kert werden, damit seine Einberufung nicht in das Be-
und verändert. Verantwortlichkeiten wurden neu sor- lieben des oder der Stiftungsratsvorsitzenden bzw. Prä-
tiert. Die Direktorinnen und Direktoren der verschie- sidenten gestellt ist. Seine Aufgabe wäre eine kritische
denen Einrichtungen fühlen sich stärker für das große Reflexion der vielfältigen Aufgaben und Vorhaben der
Ganze verantwortlich, und die Chancen des Verbun- Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er könnte ein guter
des der einzelnen Einrichtungen werden seither wirk- Ratgeber sein und die Breite an zivilgesellschaftlichen
samer in den Mittelpunkt gerückt. Dies alles vor dem Diskurs in die Stiftung tragen.
Hintergrund, dass gleichwohl auch die einzelnen Ein- Eines ist aber klar, bessere innere Strukturen, mehr
richtungen an Spielräumen und an Kompetenzen ge- Kommunikation nach innen und außen, mehr Inter-
wonnen haben. Die Beinfreiheit erlaubt mehr Zusam- esse der Länder und hoffentlich bald auch ein zivilge-
menarbeit und Zusammendenken. sellschaftlicher Beirat werden das Konglomerat Stif-
Interessant war auch die Reaktion der Länder. Seit tung Preußischer Kulturbesitz nicht zu einem homo-
ihrer Gründung besteht die Stiftung Preußischer Kul- genen Etwas machen. Die Stiftung bleibt ein Konglo-
turbesitz als föderale Stiftung. Die Länder finanzieren, merat, das ist ihre Stärke!
wenn auch auf geringem Niveau, die Stiftung mit, und
vor allem haben sie im Stiftungsrat ein Wörtchen mitzu- Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer
reden, wenn es um die Ausrichtung der Stiftung Preußi- des Deutschen Kulturrates.

86
Treppenhaus in dem von David Chipperfield Architects
sanierten Neuen Museum, errichtet zwischen 1843 und 1855
nach Plänen Friedrich August Stülers.

Impressum
Politik & Kultur Dossiers erscheinen als Redaktion Bilder
Beilage zu Politik & Kultur, der Zeitung Olaf Zimmermann (Chefredakteur, V.i.S.d.P.), Die Bildrechte liegen bei der Stiftung
des Deutschen Kulturrates, herausgegeben Gabriele Schulz (Stv. ­Chefredakteurin), Preußischer Kulturbesitz.
von Olaf Zimmermann und Theo Geißler. Theresa Brüheim (CvD), Lisa Weber
Kooperation
Erscheinungsort: Berlin Verlag Dieses Dossier ist eine Kooperation zwischen
Redaktionsschluss: 20. November 2023 ConBrio Verlagsgesellschaft mbH dem Deutschen Kulturrat und der Stiftung
Brunnstraße 23, 93053 Regensburg Preußischer Kulturbesitz.
ISBN: 978-3-947308-60-6
Telefon: 0941 . 945 93 - 0, Fax: - 50
ISSN: 1865-2689 Hinweise
info@conbrio.de, www.conbrio.de
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben
Kontakt
Gestaltung nicht unbedingt die Meinung des Deutschen
Deutscher Kulturrat e. V.
4S Design, Berlin Kulturrates wieder. Alle ver­öffentlichten Beiträge
Chausseestraße 10, 10115 Berlin
sind urheberrechtlich geschützt.
Telefon: 030 . 226 05 28 - 0, Fax: - 11 Druck
post@kulturrat.de, www.kulturrat.de Freiburger Druck, Freiburg

Das könnte Ihnen auch gefallen