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Eine Stadt, gemacht für Frauen?


Von Michael Schmölzer
5 Min 31.10.2023

Frauen wünschen sich breite Gehsteige, Parks, Orte zum Ausruhen, statt Straßen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images, Unsplash
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#Gesellschaft #Demokratie
Die Stadt ist für Männer geplant, die Bedürfnisse der Frauen werden nicht
berücksichtigt. Wiens Stadtplanung denkt um.

Extrabreite Straßen, damit ein Schwerlaster mit 700 PS um die Kurve kommt? Oder doch
lieber großzügige Gehsteige, die einer jungen Mutter beim Schieben ihres Kinderwagens
genug Freiraum lassen? „Frauen und Männer haben im öffentlichen Raum
unterschiedliche Bedürfnisse", sagt Eva Kail, zuständige Beamtin für gendergerechte
Verkehrsplanung in Wien. Das liegt an den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft,
in denen es nahezu ausschließlich immer noch Frauen sind, die sich um die Kinder
kümmern. „Verkehrsplaner können sich für die Straße oder für den Gehsteig
entscheiden“, sagt Kail. Und deshalb könne auch von „feministischer“ Stadt- und
Verkehrsplanung gesprochen werden − weil diese durchaus einen
gesellschaftsverändernden „transformatorischen“ Anspruch habe.
Die „sakrosankte Lkw-Kurve“ sei jedenfalls das männliche „Killer-Argument“ schlechthin,
sagt Kail − und es ist klar, dass älteren, gesunden und wohlhabenden Männern, die
traditionell über die Widmung von Verkehrsflächen bestimmen, die Sache mit dem
Kinderwagen weniger und die mit der Bewegungsfreiheit für schwere Boliden besser
gefällt.

Andere Bedürfnisse
Studien besagen, dass Frauen zumeist auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad
angewiesen sind und viel mehr Wege zu Fuß zurücklegen als Männer. Letztere machen
konkret doppelt so viele Kilometer mit dem Auto wie Frauen. Frauen müssen öfter kurze
Strecken bewältigen, ihnen kommt entgegen, wenn Wohnort, Schule, Kindergarten, Arzt,
Apotheke und Einkaufsmöglichkeiten möglichst nahe beieinander liegen und rasch
erreichbar sind. Es ist immer noch vor allem unbezahlte Versorgungsarbeit, die von
Frauen geschultert wird und die die Schaffung sogenannter kompakter Stadtviertel mit
einer fußgängerzentrierten Straßengestaltung notwendig macht.
Eine Frage des Alters Infos &
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Was aber wünschen sich Frauen in Wien, wenn sie konkret darauf angesprochen
werden? Stimmen die oben angeführten Feststellungen? Rasch wird klar, dass die
Kategorie „Generation“ auch eine bedeutende Rolle spielt: Drei ältere Damen etwa, die
über den Wiener Praterstern flanieren, sind der Ansicht, dass es „viel zu viele Radwege“
gibt und den Autofahrern durch den Zwang zum Ausweichen unnötige Probleme
entstünden. Und eine der drei traut sich am Abend nicht mehr allein von der Oper nach
Hause, „weil die Kriminalität so hoch“ ist.
Maria, Mitte 40, ist Mutter zweier Kinder, wohnt in der Leopoldstadt und denkt anders.
Sie findet gut, dass es bei ihr im „Grätzl“ viele Lokale mit Schanigärten gibt; das erhöht
ihr Sicherheitsgefühl am Abend und sei besser als „leere Geisterviertel“: „Dort kann dir
im Ernstfall keiner helfen.“ Abseits davon wünscht sie sich, dass es im Stadtbild
Sitzplätze gibt, wo man sich „speziell mit Kindern“ niederlassen und Pause machen kann.
Sie will viel Platz und verkehrsberuhigte Flächen. „Mehr Hindernisse auf den Straßen, nur
so bekommst du die Autofahrer aus der Stadt.“ Und Nora, Studentin, Anfang 20, will
mehr „grüne Alleen und Ruhe-Oasen“ zum Verweilen.

Gehen − „von Frauen entdeckt“


„In Wien wurde das Gehen von Frauen entdeckt“, bringt es Verkehrsplanerin Eva Kail auf
den Punkt. Ihrer Ansicht nach ist die Stadt in puncto feministischer Stadtplanung
international Vorreiter, was die „inhaltliche Breite“ und die „Tiefe der Bearbeitung“
betrifft. Und: „Die Frauenbewegung ist wieder schick“, freut sich Kail, die sich gut an den
angefeindeten „Latzhosen-Feminismus“ der 70er-Jahre erinnert. 2002 wurde Mariahilf
jedenfalls Pilotbezirk und es wurden viele Maßnahmen zur Verbesserung des
Zufußgehens gesetzt – wie der Einbau von Rampen und Liften, um den
Höhenunterschied auszugleichen. Schon 1997 errichtete die Gemeinde eine
frauengerechte Mustersiedlung in Floridsdorf, die Frauen-Werk-Stadt. Dort gibt es
Abstellplätze für Kinderwägen in jedem Stock, geräumige Stiegenhäuser und
Waschräume im lichten Obergeschoß. Sämtliche für die Bewältigung des Alltags
wichtigen Einrichtungen sind in unmittelbarer Nähe. Seit 2005 ist „Gender Budgeting“
Bestandteil des Budgetprozesses der Stadt Wien.

„Hätten wir auf die Feministinnen gehört“


Was die Bekämpfung des Klimawandels betrifft, sieht Kail große Synergieeffekte.
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„Hätten wir alle mehr auf die Feministinnen gehört, wären wir jetzt bei den Maßnahmen
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gegen die Erderwärmung besser aufgestellt“, sagt sie im Hinblick auf das Bedürfnis von
Frauen nach Verkehrsberuhigung.
Als einen großen Erfolg ihrer Tätigkeit sieht die Diplomingenieurin die
geschlechterneutrale Parkgestaltung in Wien − die relevanten Kriterien würden
automatisch bei der Errichtung jedes neuen Parks angewandt. Nachdem
Untersuchungen in den 90ern gezeigt hatten, dass sich Mädchen zwischen dem
zehnten und 13. Lebensjahr oft aus den Parks zurückziehen, weil sie dort keine
ansprechenden Angebote vorfinden, wurden ab 1999 Umgestaltungen im Bruno-
Kreisky-Park und im Einsiedlerpark im 5. Bezirk erprobt. Ballspielkäfige, bisher
überwiegend von Buben genutzt, wurden offener gestaltet, mittlerweile gibt es dort
Volleyball- und Badminton-Plätze, Hängematten und viele unterschiedliche
Sitzmöglichkeiten. Büsche wurden gestutzt oder überhaupt entfernt.
Das mögen nicht nur junge Mädchen. Und so weist Eva Kail darauf hin, dass
feministische Ansätze im Bereich der Stadtplanung oft allen zugutekommen.

Eine Frage der Rolle


Auch Männer können von feministischen Planungsansätzen profitieren, wenn sie ihre
traditionellen Rollen verlassen, betont Ursula Spannberger, Architektin und Mediatorin
für Planungs- und Baufragen in Salzburg. „Es geht nicht nur um Frauen und Männer und
ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, sondern auch um Rollen“, sagte sie kürzlich bei einer
Diskussion aus der Reihe „Wissen schafft Diskurs“ der WZ im Rahmen des Programms
„University Meets Industry“ der Universität Wien. Das heißt: „Ein junger Vater oder
Student, der morgens mit seiner Tochter auf dem Fahrrad seine Wege macht, hat sicher
andere Bedürfnisse als eine Universitätsprofessorin mittleren Alters, die aus einem
Vorort kommt und mit dem Auto in die Tiefgarage der Uni fährt“, führte Spannberger aus.
Allerdings stecken wir immer noch in tradierten und herkömmlichen Rollen.

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