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N e g a s p h ä r e B a n d 7 6

Nr. 2475

Hubert Haensel

Opfergang
Ein Schlag gegen die Kolonne –
CRULT wird zum Schlachtfeld
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale
Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kom­
promisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz
einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein
Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems,
dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm
und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören.
Die Chancen für einen Sieg über die Mächte des Chaos sind dadurch gestiegen, dass Perry Rhodan seine
Dokumentation einer erfolgreichen Retroversion nach Terra bringen konnte. Zudem gelang es, den Kolon­
nen-Kapitän Zerberoff »umzudrehen«. Aber zuvorderst muss der Befehlshaber TRAITORS in der Milch­
straße getötet werden. Um Antakur von Bitvelt auszuschalten, begibt sich Perry Rhodans Sohn auf einen
OPFERGANG ...
4 HUBERT HAENSEL

1. Dorgyrs Schuppenhaut raschelte, als


er sich wieder den Kontrollen zuwandte.
Auf CRULT zu landen, im Zentrum Die trockene Haut war der Beweis für
der Macht, war für Dorgyr ein erheben- ihn, dass nicht einmal sein Unterbe­
des Gefühl. Er konnte es kaum erwarten, wusstsein Probleme auf ihn zukommen
das Shuttle am Silberturm aufzusetzen. sah.
Sein Auftrag war einfach, nicht mehr als Ohne jede Vorankündigung löste sich
Routine. Der Traitank hatte drei Gefan­ das große Hangartor aus Formenergie
gene gebracht. Kalmor Dorgyr musste auf.
sie dem Progress-Amt überstellen. Dorgyrs Blick huschte über das Lan­
Eine problemlose Abwicklung inner­ defeld der Dienstburg hinweg. Hunderte
halb weniger Minuten. Traitanks standen dicht an dicht, alle
Was Dorgyr aufwühlte, war die Ge­ waren sie Teil einer unschlagbaren Ar­
wissheit, Antakur von Bitvelt dadurch mee.
unglaublich nahe zu Er ließ das Shuttle
sein. Vielleicht gelang aufsteigen. An seinem
es ihm sogar, mit den Die Hauptpersonen des Romans:
rechten Handgelenk
Gefangenen den Zen­ funkelte der dunkle
ter-Kreis zu betreten. Jothadún – Der Effremi rettet die Bewohner Schmuckstein, die
CRULTS vor einer großen Gefahr.
In diesem Fall würde erst vor wenigen Mo­
Rinka Porol – Die Mikro-Bestie schreibt Roi
er alles daransetzen, Dantons Geschichte für die Nachwelt auf.
naten erworbene Aus­
wenigstens einen kur­ Roi Danton – Perry Rhodans Sohn weiß,
zeichnung für ein
zen Blick auf den dass er sein Leben opfern muss, um den siegreiches Gefecht
Obersten Befehlsha­ Progress-Wahrer auszuschalten. gegen aufständische
ber zu erhaschen. Senego Trainz – Der Anführer der Mikro-Bes­ Galaktiker. Nicht,
Angespannt stand tien tut alles, um Roi Dantons Erfolg zu er­ dass es eine andere
möglichen.
der Mor’Daer hinter Option als den Sieg
Zerberoff – Der Duale Kapitän erfüllt seine
den Kontrollen des Pflicht und tötet das Geschöpf, das ihn ver­ hätte geben können ...
Landungsbootes. Er sklavte. Der Traitank fiel
leckte sich über die zurück. Vor dem Shut­
verhornten Lippen, tle öffnete sich der
als die Wachen end- stufenförmig abfal­
lich den Arkoniden und die beiden lende Innenbereich der Dienstburg. Ein
Springer brachten. Als Soldat im Rang prachtvoller Anblick, das pulsierende
eines Kalmor war er keineswegs über al­ Leben von CRULT ...
le wichtigen Entscheidungen informiert. ... bis ein eigentümlich dumpfes Ge­
Doch es lag auf der Hand, dass die Ge­ räusch den Kalmor aus seinen Betrach­
fangenen dem galaktischen Widerstand tungen aufschreckte und er sich um­
angehörten. wandte.
Sie verfügen über brisante Informatio­ Der Tritt in den Unterleib kam unver­
nen, sagte sich der Mor’Daer. Andernfalls mittelt, greller Schmerz durchzuckte
hätten wir CRULT nicht mit ihnen ange­ ihn. Seine Schuppenhaut riss auf. Dor­
flogen. gyr wich fauchend zurück.
Die Wachen betraten den Passagier­ Er sah die gefesselten Hände des weiß­
raum. Dorgyr taxierte die Gefangenen. haarigen Arkoniden, dann bohrten sich
Alle drei waren groß, doch nur die beiden auch schon dessen Finger in Dorgyrs
Rothaarigen konnten sich in der Hinsicht Leib. Nacheinander trafen sie die Ma­
mit ihm messen. Ihre Handgelenke wa­ gengrube des Mor’Daer, seinen empfind­
ren mit energetischen Fesseln über­ samen Hals und den vorspringenden Un­
kreuzt. terkiefer. Dorgyr schaffte es nicht, den
Opfergang 5

Angreifer auf Distanz zu halten. Er fen. Bebend zog er die Arme an seinen
schmeckte Blut zwischen den Zähnen Leib, als könne er auf diese Weise alles
und registrierte zugleich, dass ein eigen­ Fremdartige abwehren.
tümlich fahles Leuchten aus CRULTS Ein halb ersticktes Gurgeln quoll über
Tiefe emporstieg. die Lippen des Mor’Daer. Er sah, dass die
Schwankend sackte das Shuttle durch, anderen Gefangenen noch auf ihre Be­
die Automatik stabilisierte aber umge­ wacher eindroschen.
hend die Fluglage. Dorgyr achtete kaum Sie können uns ... nicht entkommen ...
darauf, denn er ging mit gesenktem Kopf Dorgyr hatte Mühe, seine Gedanken zu­
zum Gegenangriff über. sammenzuhalten. Schwerfällig entsann
Abermals glaubte er, den Boden unter er sich, dass die Automatik des Shuttles
den Füßen zu verlieren. Diesmal wurde auf den Zenter-Kreis justiert war. Selbst
das Gefühl daraus, er stürze in endlose wenn die Galaktiker es schafften, das
Tiefe. Dorgyr taumelte. Er verlor beina­ Boot zu übernehmen, wohin hätten sie
he die Orientierung und fürchtete, dass fliehen sollen?
der Arkonide ihn doch schwerer getrof­ Ihre Wildheit war die von Tieren. Die
fen hatte. Kolonne würde härter durchgreifen müs­
Der nächste harte Schlag fegte eine sen.
seiner Panoramaklappen beiseite, die Es konnte ...
ihm wie jedem Mor’Daer einen großen … nicht angehen ...
Sichtbereich verschafften. Die verboge­ Seine Überlegungen wurden träge. Sie
ne Halterung riss eine tiefe Wunde in versackten einfach. Erst der Distanz­
seine Schläfe. Blut rann über Dorgyrs alarm schreckte ihn aus der beginnenden
Hals und versickerte unter dem Uni­ Lethargie auf.
formkragen. Dorgyr blinzelte verwirrt. Die Holo­
Der Kalmor rang nach Atem, sein Un­ schirme zeigten ihm einen Hauch Welt­
terkiefer und der Hals schwollen zu. raumschwärze hoch über dem Shuttle
Mühsam hob er die Arme, um den nächs­ und den zerklüfteten Gebäudedschungel
ten Hieb abzuwehren. Doch statt aber­ auf den drei Terrassen der Dienstburg.
mals anzugreifen, sprang der Gefangene Nahezu gleichzeitig spürte der Kalmor
vor ihm in die Höhe und ließ sich mit an­ eine heftige Erschütterung. Er hörte das
gewinkelten Armen rückwärts fallen. Kreischen der aufbrechenden Ricodin­
Eine solche Art zu kämpfen kannte hülle und wurde durch den Passagier­
der Mor’Daer nicht. Deshalb reagierte er raum gewirbelt. Das Shuttle schmierte
einen Hauch zu langsam. Die Stiefel des ab. So viel erkannte Dorgyr, ehe das
Gegners trafen seinen Oberkörper und Fahrzeug aufschlug.
den Schädel. Dorgyr wurde gegen die Er sah die Wand hinter dem Arkoni­
Konsole geschleudert. Wie durch einen den bersten. Sekundenbruchteile später
blutigen Schleier sah er, dass der Arko­ wurde der Weißhaarige von scharfkanti­
nide seinen Überschlag in der Luft voll­ gen Ricodinsplittern gespickt.
endete und federnd wieder aufkam. Dorgyrs Aufschrei verklang im Dröh­
Dorgyr rutschte an der Wand entlang nen einer heftigen Explosion. Sengende
zu Boden. Hitze flutete über ihn hinweg. Sie ver­
Eine unheimliche Kraft zerrte an sei­ brannte sein Gesicht und fraß sich tief
nem Geist. Die seltsam fahle Helligkeit ins Fleisch hinein. Mit letzter Kraft woll­
über der Dienstburg flutete in diesem te der Mor’Daer sich aufraffen und der
Moment in die Tiefe der Metropole zu­ tödlichen Glut entfliehen ...
rück. Dorgyr spürte den Vorgang wie ei­ ... er schaffte es nicht mehr, auf die
nen quälenden, Übelkeit erregenden Sog. Beine zu kommen. Irgendwie spürte er
Er schaffte es nicht, dagegen anzukämp­ noch, dass er der Länge nach hinschlug,
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und nahm mit erlöschendem Augenlicht erschien der Progress-Wahrer wohl allen
wahr, dass die beiden Rothaarigen als auf den ersten Blick. Dennoch spürte je­
lodernde Flammenbündel zusammen­ der, der Antakur nahe kam, das bedroh­
brachen ... liche Leben in ihm. Eine beklemmende
Für Dorgyr wurde alles bedeutungs­ Ausstrahlung umgab dieses Geschöpf:
los. CRULT ... die Ressourcengalaxis düster, gefahrvoll und unheilschwanger.
Milchstraße ... die Terminale Kolonne In kauernder Haltung hatte sich das
TRAITOR ... doppelköpfige Geschöpf in der Anthra­
Der Kalmor begriff nicht einmal mehr, zit-Sphäre niedergelassen – vor einer
dass er in den Trümmern des abgestürz­ Zeitspanne, die Danton nicht ermessen
ten Shuttles starb. konnte. Nicht einmal als Dualer Kapitän
Dantyren hatte Perry Rhodans Sohn ent­
* sprechende Informationen erhalten.
Aus Antakurs breiten Schultern rag­
Das Abbild des Antakur von Bitvelt ten vier Arme, die beiden äußeren dro­
über dem Silberturm im Zentrum der hend erhoben, die inneren im Schoß der
Dienstburg war verweht. Nur der lautlo­ sitzenden Gestalt liegend. So unsagbar
se Schrei unbändiger Qual klang noch in langsam, wie Antakur von Bitvelt sich
Roi Danton nach. Nicht das Abbild hat­ bewegte, waren möglicherweise Jahr­
te diesen Schrei ausgestoßen, dessen war hunderttausende vergangen, seit er den
sich der Terraner bewusst, sondern der Zenter-Kreis von CRULT betreten hatte.
Progress-Wahrer selbst. Vielleicht sogar Jahrmillionen.
Danton stand auf der Dachplattform Der Progress-Wahrer redete nicht.
des Effremi-Horstes Affkaru, und über Niemand sah ihn jemals atmen oder das
seiner geöffneten Handfläche flirrten die Zucken eines Pulsschlags seine kristalli­
letzten erlöschenden Stäubchen des ver­ nen Adern durchlaufen.
glühten Psi-Emitters. Die beiden extrem schmalen, humano­
In diesem Moment glaubte der Terra­ id wirkenden Köpfe bewegten sich den­
ner, den Gegner erschreckend deutlich noch. Hoch über jedem ehrfürchtigen
vor sich zu sehen. Antakur von Bitvelt, Diener waren sie voneinander abgewen­
ein massiges Geschöpf aus hell leuchten- det und blickten jeder auf seine Seite.
der kristalliner Substanz. Nahezu zur Wer die kugelförmige Sphäre betrat,
Bewegungslosigkeit erstarrt im Innern konnte keine Regung erkennen – auch
der Anthrazit-Sphäre. Ein Gigant im dann nicht, wenn er stundenlang in der
wahrsten Sinn des Wortes. Ein Wesen Nähe des Progress-Wahrers blieb, um
aus einer anderen Welt mit seiner Größe Befehle entgegenzunehmen. Kam derje­
von sechsundzwanzig Metern, und wer nige nach Wochen oder Monaten wieder,
zu den beiden Köpfen aufschaute, muss­ fiel ihm vielleicht auf, dass die Köpfe ih­
te sich zwangsläufig klein und unbedeu­ ren Winkel zueinander verändert hatten,
tend fühlen. Der war ein armseliger krie­ als bewegten sie sich aufeinander zu.
chender Wurm im Schatten eines der Als lebe Antakur von Bitvelt auf meh­
wirklich Mächtigen und jenem auf Ge­ reren Existenzebenen gleichzeitig, ging
deih und Verderb ausgeliefert. es Roi Danton durch den Sinn. Er ist eine
Mit einer ärgerlichen Kopfbewegung kristalline Kreatur, deren Stoffwechsel
wischte Danton diese Gedanken beiseite. unbekannten Gesetzmäßigkeiten folgt.
Antakur von Bitvelt war keineswegs un­ Ein Atemzug von der Dauer eines Men­
besiegbar, das hatte die mentale Schock­ schenlebens ...
welle nach der Zündung des Psi-Emit­ Antakurs Augen wirkten starr. Den­
ters deutlich bewiesen. noch waren sie aus der Nähe gesehen von
Ein lebloses kristallines Standbild – so beklemmender Lebendigkeit. Und seine
Opfergang 7

Gedanken liefen in der Schnelligkeit belnden Fragmente stürzten in die um­


dieses Universums ab. liegenden Straßen.
Was ist wirklich mit ihm? Ein Shuttle im Landeanflug auf die
Vielleicht, sagte sich Danton, würde unterste Ebene der Dienstburg wich den
er die Wahrheit nie erfahren. Und viel­ glühenden Trümmern aus. Zu einer der­
leicht war es sogar besser, nichts davon art schnellen Reaktion, erkannte Dan­
zu wissen, weil die Antwort seinen ton, war nur ein Autopilot fähig.
Schlaf kosten und ihn innerlich zerfres­ Doch ein zweiter Frachtgleiter sank
sen würde. gleichzeitig aus der Höhe herab. Der Zu­
Und die Ungewissheit? Die typisch sammenstoß war unvermeidbar.
menschliche, bohrende Neugierde, was Das dumpfe Dröhnen des Aufpralls
sein könnte ...? hörte der Terraner über vier oder fünf
Keuchend atmete Danton ein. Für ihn Kilometer hinweg. Die Teleoptik hatte er
war es, als schrecke er in dieser Sekunde immer noch vor den Augen. Sie reagierte
aus einer eigenartigen Trance auf. auf seine veränderte Blickweite und
Wie viel Zeit war vergangen, seit er zeigte ihm die beiden Maschinen, als
den Psi-Emitter mit einem zornigen Ge­ schwebten sie nur wenige Dutzend Meter
danken gezündet hatte? Eine Minute? vor ihm.
Zwei? Mit Sicherheit nicht mehr, denn er Der Frachter riss die Flanke des Shut­
spürte noch das Toben in seinem Schädel tles der Länge nach auf. Von kleineren
und das taube Prickeln in den Adern, das Explosionen eingehüllt, schmierten beide
ihn fürchten ließ, die Besinnung zu ver­ Maschinen ab. Sie stürzten an der ersten
lieren. Verbissen kämpfte er dagegen Terrassenstufe vorbei und schlugen im
an. Randbereich der unteren Ebene auf. Bro­
Neben ihm war das Geräusch eines delnd wuchs ein Rauchpilz in die Höhe.
Körpers, der zu Boden fiel. Etwas Schwe­ »Roi, hilf mir!«
res schlug gegen Dantons Beine und ließ Danton wollte aufbrausen. Frownies
ihn bis an die Balustrade taumeln. Er Leichtsinn, ihn so anzusprechen, war
stellte fest, dass Zerberoff zusammenge­ unverzeihlich. Er besann sich gerade
brochen war. noch rechtzeitig, dass der Oberstleutnant
»Der Dual muss handlungsfähig blei­ keinen Fehler mehr begangen hatte. Die
ben ...« Maskerade war mit der Zündung des
Das war Frownies Stimme. Der Feld-Emitters weitgehend überflüssig
Oberstleutnant in der Maske eines geworden. Ohnehin hing die Yrendir-
Mor’Daer redete mit den Mikro-Bes­ Maske als schlaffe Hülle an seiner rech­
tien. ten Seite.
Danton wollte sich umwenden. Er Die Schockwelle des Psi-Emitters
musste wissen, ob Zerberoff nur be­ machte selbst Danton als Mentalstabili­
wusstlos geworden war oder den menta­ siertem zu schaffen. Er spürte Verwir­
len Schock womöglich nicht überstanden rung und Zögern und musste sich zum
hatte. Trotzdem schaffte er es nicht, sich Handeln zwingen. Obwohl er den Effekt
dem Dual zu widmen. zweifellos wesentlich besser verarbeitete
Wenige hundert Meter vor dem Ef­ als der psi-begabte Zerberoff.
fremi-Horst stürzte ein Lastengleiter ab. Frownie versuchte vergeblich, den Du­
Danton sah die schwere Maschine tru­ alen Kapitän wieder auf die Beine zu
deln. Sie prallte gegen eine Gebäude­ bringen. Zerberoffs Köpfe stießen haltlos
kuppel und schrammte darüber hinweg. aneinander. Wie bei einer Marionette, de­
Ein Feuerball loderte auf, zerplatzte wie ren Fäden zerschnitten worden waren.
ein Asteroid in der tieferen Atmosphäre Danton hätte nicht zu sagen vermocht,
eines Planeten, und die auseinanderwir­ ob er Bedauern fühlte. Zerberoff war
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sein größter Feind gewesen. Seit der Sinnend hielt Rinka Porol inne. Der
Neutralisierung seiner »Krallen des La­ Blick ihrer drei Augen taxierte Danton
boraten« agierte er als Freund. Was zähl­ nachdenklich, als könne sie allein auf
te mehr? Zerberoff hatte ermöglicht, dass diese Weise in Erfahrung bringen, was
sie ungehindert auf CRULT weilten und der Terraner dachte. Den Ionenstift hielt
die Führung der Terminalen Kolonne in sie fest mit allen sieben Fingern um­
der Milchstraße angriffen. schlossen.
Der Echsenschädel kippte Danton Nur sekundenlang verharrte die Mi­
entgegen, als er Zerberoff an der rechten kro-Bestie derart angespannt. Sie emp­
Schulter packte. Die Panoramaklappen, fand sich selbst als weiblich. Alle ande­
die dem Mor’Daer einen Blickwinkel von ren Chaos-Assassinen, denen Roi Danton
270 Grad ermöglichten, hatten sich ver­ in der Skapalm-Bark DERUFUS zur
schoben. Freiheit verholfen hatte, wären nie auf
Gemeinsam wuchteten Frownie und die Idee einer speziellen geschlechtlichen
Danton den Dual hoch. Während der Zuordnung gekommen.
Terraner und die schlangengesichtige Rinka führte den Ionenstift hastiger
Hälfte des Kapitäns einander fast be­ als zuvor über ihr Schreibpad. So vieles
rührten, öffnete Zerbone für wenige Se­ kam ihr in dem Moment in den Sinn, dass
kunden die Augen. sie Mühe hatte, ihre Überlegungen rasch
»Ich lebe noch«, zischelte der Mor’Daer genug zu notieren. Sie fürchtete, nur
kaum verständlich. »Ärgert dich das, Fragmente zu hinterlassen. Dabei war
Dantyren? Du bist das Problem nicht los­ eine große und epochale Zeitenwende
gewor...« Gurgelnd kippte der Echsen­ angebrochen. Jede für die Zukunft über­
kopf zur Seite. lieferte Darstellung eines Augenzeugen
»Er ist wieder bewusstlos«, vermutete erschien Rinka unbezahlbar.
Frownie. Wie er so dasteht und sich konzen­
Danton nickte schwach. Ihm war kei­ triert, ist er ein unvergänglicher Held.
neswegs entgangen, dass die Aroff-Hälf­ In ihrer Erregung vergaß Rinka sogar
te die Besinnung noch gar nicht zurück­ zu atmen. Permanente Anspannung
erlangt hatte; in der Hinsicht schien der steckte in ihren Gliedern.
Mor’Daer stabiler zu sein. Roi Danton hat das Zeug, den Pro­
Was Zerbone gesagt hatte, ging dem gress-Wahrer zu vernichten. Ich darf ihn
Terraner allerdings nicht mehr aus dem schon deshalb nicht aus den Augen las­
Sinn. Irritiert fragte er sich, ob der sen. Es ist ein überwältigender Anblick,
Mor’Daer recht hatte. War der Duale Ka­ diesen Mann zu sehen und an seiner Sei­
pitän für ihn wirklich nur Mittel zum te die schlaffe Hülle der Yrendir-Maske.
Zweck? Als hätte er seine zweite Dualhälfte mit
Perry Rhodan hätte dem Dual sofort bloßen Händen erwürgt und überlebt. Ob
die Hand zur Versöhnung gereicht. Na­ Danton sich selbst darüber im Klaren ist,
türlich, wie konnte es auch anders sein? welch tiefen Eindruck er auf andere hin­
Aber Roi Danton war nicht wie sein Va­ terlässt?
ter. Ihn hatte das Leben keineswegs nur Rinka löschte mehrere Sätze, die ihr
beschenkt, es hatte ihn hoch emporgeho­ zu pathetisch klangen.
ben und ebenso schnell in die Tiefen des Mit der Zündung des Psi-Emitters hat
Daseins abstürzen lassen. Er war verbit­ Danton den Progress-Wahrer herausge­
tert geworden. Jemand, der nicht mehr fordert, fuhr sie hastig fort. Die Auswir­
schnell vergab, der hart gegen sich und kungen des entfesselten Psi-Schocks sind
andere reagierte. nicht zu übersehen. Der dichte Verkehrs­
fluss in der Dienstburg gerät ins Stocken.
* Es gibt erste Unfälle ... Das Chaos bricht
Opfergang 9

über das Chaos herein. Wie eigenartig Aber schon verblasste die gigantische
schön das klingt. Das Chaos wird der Un­ Erscheinung wieder, als verflüchtige sie
tergang des Chaos sein ... sich im Raum. Abermals dröhnte ein
Der Satz gefiel ihr. Rinka Porol zerbiss mentaler Aufschrei heran. Unbändige
ihn geradezu zwischen den nadelspitzen Qual drückte sich darin aus.
Zähnen. Für Danton war dieser gellende Schrei
endgültig der Beweis, dass schon die
* Freisetzung der im Feld-Emitter kom­
primierten Energie Antakur schwer ge­
»Sieh dir das an!« troffen hatte. Die Waffe des Nukleus
Mit beiden rechten Armen deutete zeigte durchschlagenden Erfolg. Um wie
Senego Trainz unter der Balustrade viel heftiger musste erst die Zündung des
hindurch in Richtung des Zenter-Krei­ Stoß-Emitters ausfallen!
ses. Mit dem linken Handlungsarm Zerberoff war wieder bei Besinnung.
schlug er gegen Dantons Schienbein, Er hatte sich von Frownie losgerissen
als müsse er sich auf die Weise Gehör und torkelte über die Terrasse. Ob der
verschaffen. Duale Kapitän überhaupt etwas von dem
Der Schmerz jagte dem Terraner Trä­ wahrnahm, was um ihn herum geschah?
nen in die Augen. Danton verzichtete Es sah nicht so aus, fand Danton.
dennoch darauf, die Mikro-Bestie zu­ »Er verliert den Verstand!«, keuchte
rechtzuweisen. Trainz war vermutlich Frownie, und sein falsches Mor’Daer-
ebenso von der Wirkung des Psi-Emit­ Gesicht wirkte dabei schrecklich ver­
ters betroffen wie viele in CRULT. zerrt. Danton verstand, dass der Dual
Dantons Aufmerksamkeit galt schon auf den Oberstleutnant eingeschlagen
wieder dem Geschehen im Mittelpunkt haben musste.
der Dienstburg. Zum zweiten Mal schien Khiz Turagga, der Bestien-Mediker,
Antakur von Bitvelt aus dem Silberturm versuchte als Einziger, Zerberoff aufzu­
aufzusteigen. Wieder war es nur eine Er­ halten. Sonderlich verblüffend war es
scheinung wie ein permanent wachsen- für Danton nicht, zu sehen, dass Turagga
des Hologramm. Doch diesmal ... nicht einmal wankte, Zerberoff aber den
Der Terraner glaubte, seinen Augen Halt verlor. Der Duale Kapitän stürzte
nicht mehr trauen zu dürfen. Antakurs und versuchte anschließend vergeblich,
illuminierte kristalline Gestalt wuchs wieder auf die Beine zu kommen. Die
nicht nur sehr schnell – der Progress- Muskeln gehorchten ihm nur mehr un­
Wahrer löste sich aus seiner mit ange­ vollkommen.
winkelten Beinen kauernden Haltung. In dem Moment war Danton heran. Er
Antakur von Bitvelt erhob sich! Und das griff den Kapitän unter der linken Schul­
keineswegs in quälender Langsamkeit, ter und zerrte ihn mit sich, zurück in den
sondern mit demselben Tempo, mit dem Horst.
ein Mensch aufgestanden wäre. Die Effremi sangen nicht mehr. Ihre
Danton glaubte zu sehen, dass der fürchterlich dissonanten Lieder waren
monströse Leib wankte. Als habe der verstummt. Vorübergehend hielt der Ter­
Progress-Wahrer zu lange in seiner un­ raner inne und lauschte in die Tiefe des
bequemen Haltung verharrt, die das Blut Turmes. Diese ungewohnte Stille, fand
in den Adern stocken und die Muskeln er, konnte nur eine Auswirkung des Psi-
verkrampfen ließ. Schocks sein.
Schnell wuchs Antakurs Abbild über Ein Beben durchlief den Turm, beglei­
den Landefeld-Ring hinaus, seine beiden tet von einem dumpfen Rumoren. Doch
kantigen Schädel blickten in beinahe die Erscheinung ebbte schnell wieder
entgegengesetzten Richtungen ins All. ab.
10 HUBERT HAENSEL

»Danton!« Rinka Porol rief nach ihm. haupt anstellen wollte: Wie malt man
»Sieh dir das an, aber beeil dich!« Schwärze vor schwarzem Hintergrund?
Mehrere Ganschkaren und Mor’Daer Ein Blick auf ihr Schreibpad hätte ihn
kamen in dem Moment die Rampe zur gereizt, doch das war so unwichtig wie
Dachplattform herauf. Sie stutzten, als nur irgendwas.
sie Danton und Frownie mit dem Dual Die Hände geballt, den Atem angehal­
sahen. ten, blickte Roi Danton hinüber zur
»Schafft Zerberoff nach unten und Heimstatt der Dunklen Ermittler.
seht zu, dass ihr ihn wieder auf die Beine Eine unirdische Finsternis breitete sich
bekommt!«, rief Rhodans Sohn den TLD- dort aus. Für gewöhnliche Wesen war sie
Agenten zu. »Aber Vorsicht – seine Reak­ nicht verständlich, vor allem entstand
tionen könnten unberechenbar sein!« der Anschein, als verschwinde alles, was
Er lief die wenigen Meter bis zum obe­ diese Finsternis berührte, im Nichts.
ren Ausgang zurück. Rinkas Stimme Danton wusste, dass dem nicht so sein
hatte nicht geklungen, als wollte sie sich konnte. Er war vor wenig mehr als einer
nur wegen einer Lappalie wichtig ma­ Stunde aus dem Dunklen Distrikt zu­
chen. rückgekehrt. Was diese Finsternis wirk­
Die Mikro-Bestie stand neben dem lich darstellte, hatte er dennoch nicht
Ausgang zur Dachterrasse – und zeich­ erkannt. Vielleicht eine bislang unbe­
nete. Zumindest hatte es für Roi Danton kannte Existenzebene oder doch ein Rest
den Anschein, als skizziere sie, was sie aus den Anfängen des Universums. Was
vor sich sah. genau es war, blieb eine Frage akademi­
»Zweite Ebene, Dunkler Distrikt!«, schen Interesses.
rief sie dem Terraner zu. Seit ihm klar geworden war, dass er
Der Aktivatorträger sah sofort, was sie Antakur von Bitvelt angreifen und ver­
meinte, als er noch einen Schritt weiter nichten musste, fragte er nicht mehr
nach vorne trat. nach Wann und Wo. Ihn interessierte nur
Die Finsternis breitete sich aus. noch, ob ...
Aus der Höhe des Turms bot sich ein Es sah ganz danach aus, als hielten die
einigermaßen guter Blick über die Ter­ Ermittler-Rebellen Wort.
rassen-Distrikte. Zwar gab es vielfältige Der Terraner fragte sich, ob er daran
Bauten, die Affkaru deutlich überragten, gezweifelt hatte.
doch die Sicht bis zum Dunklen Distrikt Nicht an den Rebellen. G’schogun und
und darüber hinaus war weitgehend un­ seinesgleichen verschwendeten tatsäch­
behindert. lich keine Zeit.
»Mir erschien der Vorgang wie ein irr­ »Was hältst du davon, Danton?«, rief
lichternder Effekt!«, rief Rinka dem Ter­ Rinka zu ihm herüber. »Wird diese
raner hinterher. »Schwer zu beschreiben. Schwärze ganz CRULT verschlingen?
Aufwallende, brodelnde Schwärze, ir­ Und den Kristallriesen Antakur dazu?«
gendwie eine Eruption aus Nicht- Rhodans Sohn lachte, verstummte
Licht.« aber sofort wieder.
Schwer zu beschreiben ... Danton »Antakur müssen wir selbst erledi­
nickte verstehend. Ihm erging es kaum gen«, erwiderte er. »Das ist meine Be­
anders, wenn er versuchte, Einzelheiten stimmung!«
über dem Dunklen Distrikt auszuma­ Er fühlte sich zutiefst aufgewühlt. Ob­
chen. Dass Rinka die Worte fehlten, ver­ wohl er geglaubt hatte, ruhig zu sein,
stand er nur zu gut. Deshalb, glaubte er, hämmerte sein Herz gegen die Rippen.
war sie darauf verfallen, das eben Gese­ Jeder hastige Pulsschlag durchlief seinen
hene zu skizzieren. Wenngleich er sich Körper wie ein stärker werdendes Vi­
fragte, wie die Mikro-Bestie das über­ brieren.
Opfergang 11

War es das wirklich – seine Bestim­ dämpfte seine Verwirrung ein wenig.
mung? »Zum ersten Mal seit zwei Jahren habe
Nein, wenn er ehrlich war, handelte es ich wieder von Khuromi geträumt ... Als
sich bei diesem Begriff um eine Lüge, hätte ich vergessen, dass sie tot ist, an
weil sie jede maßgebliche Freiheit des Bord von Registernummer 18.101.399
Menschen verneinte. Und genau für die­ ums Leben gekommen.«
se Freiheit stand er ein, solange er den­ Jothadún hatte sich nie auf eine ande­
ken konnte. re Beziehung eingelassen, obwohl es
Es ist ein Job wie jeder andere, dachte Dutzende fülliger Frauen auf CRULT
Danton und straffte sich. gab, die nur auf seine Aufforderung war­
Gleich darauf kämpfte er um sein teten. Für sie war er stark und begeh­
Gleichgewicht: Der Effremi-Horst renswert. Weil etwas von dem Laboraten
schwankte, ganz CRULT schien von Er­ auf ihn abfärbte? Er selbst zweifelte
schütterungen heimgesucht zu werden. nicht daran.
Für Danton war es Zeit, dass er das Waren es die Stärke und unbändige
Begonnene in jeder Hinsicht zu Ende Kraft dieses unsterblichen Wesens? Oder
brachte. Das war er schon den Menschen der bittere Geruch, den der Laborat um
im Solsystem schuldig. sich verbreitete?
Wahrscheinlich von allem ein wenig,
sagte sich Jothadún. Ihm haftete längst
2. ein Hauch des Fremden und Andersar­
tigen an. Und das nicht nur, weil er zu
Verwirrt schlug Jothadún die Augen den Auserwählten des Progress-Wah­
auf. Im ersten Moment hätte er nicht zu rers gehörte, zu den wenigen Effremi,
sagen vermocht, wo er sich befand und die sich besonderes Ansehen erarbeitet
was ihn geweckt hatte. Er wühlte seine hatten.
kalte Nasenspitze tiefer in die Bettspäne Jothadún wischte alle Überlegungen
hinein ... mit einem ärgerlichen Kopfschütteln
... und zuckte erschreckt hoch. beiseite. Er konnte die Bedrohung
Khuromi war nicht da. Eben noch hat­ förmlich wittern. Einen Atemzug lang
te er sie neben sich gespürt, ihre Wärme, verharrte er noch angespannt in der
das leicht kratzige Bauchfell, dessen Ma­ Schlafecke, dann wuchtete er sein
serung ihn heute ebenso faszinierte wie fülliges Hinterteil herum und fegte mit
vor vielen Jahren, den süßen Duft ihres einer kräftigen Schwanzbewegung
Körpers ... die Bettspäne zur Wand hin zusam­
Der Duft, stellte Jothadún verwirrt men.
fest, war verflogen. Und überhaupt: Er taumelte, als er sich aufrichtete, in
Khuromi konnte gar nicht neben ihm ge­ seinem Schädel schien ein Nest sum­
legen haben, sein Lager war zu eng für mender Aphorie-Mücken aufgebrochen
zwei. Die Späne hatte er schon lange zu sein. Gurgelnd verkrampfte Jothadún
nicht mehr ausgetauscht, und das war die Hände um seine Schläfen, aber das
etwas, was seine Gefährtin mehr gehasst Gefühl der Übelkeit ließ sich nicht be­
hatte als jede andere Unaufmerksam­ sänftigen. Unter seinen Füßen schien
keit. der Boden Wellen zu schlagen. Da half
Der Effremi richtete sich ruckartig es ihm auch nicht, dass er hektisch mit
auf. Seine Tasthaare zitterten, als er mit dem Schwanz das Gleichgewicht aus­
den Zähnen und einer gehörigen Portion balancierte. Er torkelte vorwärts, schlug
Speichel sein Armfell glatt zog. sich den Kopf an der Wand an und
»Ich habe geträumt«, murmelte Jo­ sackte quietschend auf die Späne zu­
thadún. Der Klang der eigenen Stimme rück.
12 HUBERT HAENSEL

Keuchend lag er auf dem Bauch, beide lungsvermögens in fremde Wesen hatte
Arme abgespreizt, und von seiner Stär­ es ihm Schwierigkeiten bereitet, die
ke, auf die er sich eben so viel eingebildet Danton-Hälfte einzuschätzen. Furcht,
hatte, war gar nichts mehr zu spüren. Verwirrung, Rachegelüste – vor allem
Übelkeit durchpulste seinen Körper. In diese Gefühle hatten Danton als Dual
dem Moment erschien sie dem Effremi beherrscht; er war nicht zufrieden gewe­
schlimmer als der Strangeness-Einfluss sen. Jothadún entsann sich auch der
im Chaosschacht, wenn er den Labora­ rechten Hälfte, ein Kalbaron der
ten aufsuchte. Daran war er gewöhnt. Mor’Daer, wenngleich ihm dessen Name
Aber das hier ...? entfallen war.
In der Stille erschien ihm sein Leid be­ Egal, tat er die Überlegung ab. Er hat­
sonders drückend. te keine Ahnung, was aus dem Terraner-
Stille? Erst jetzt begriff Jothadún, was Mor’Daer-Dual geworden war. Irgend-
er unbewusst vermisste. Vielleicht war es wann hatte dieser die Dienstburg
diese grauenvolle Stille, die ihn aus dem verlassen. Ebenso wie Zerberoff. Jo­
Schlaf gerissen hatte. thadún hatte Zerberoff nicht gemocht,
Die Effremi im Horst sangen nicht das war sein erster Eindruck gewesen,
mehr. und dieses Gefühl hatte sich für ihn in
Jothadún war schockiert. Schwerfäl­ der Folge bestätigt. Zerberoff weilte nun
lig rollte er sich auf die Seite, lag dann wieder auf CRULT. Er war mit mehreren
keuchend da, den Kopf halb in den Spä­ Dualen Vizekapitänen und Kapitänen
nen vergraben, und lauschte. vom Amt des Progress-Wahrers angefor­
Nichts. Es war absolut still. Und doch, dert worden. Die eigenartigen mentalen
wenn er sich konzentrierte ... Rollte Angriffe auf Antakur von Bitvelt hatten
da Explosionsdonner aus der Ferne her­ diese Anordnung erforderlich gemacht.
an? Seit geraumer Zeit hielten sie nun schon
Jothadún stieß ein Fiepen aus. Der Ton an, ließen aber keine Rückschlüsse auf
war kläglich, fand er, und hatte absolut ihre Verursacher zu.
nichts von mitreißendem Gesang. Die Terraner ...? Schrill quiekend roll­
Er versuchte es noch einmal. Das Ge­ te sich Jothadún herum. Die anhaltende
räusch eines rostigen Schottes hatte Gleichgewichtsstörung ließ ihn beinahe
mehr Melodie als dieses Quietschen. glauben, der Boden schwanke unter ihm.
Jothadún verstand nicht, was mit ihm Er glich die Bewegung aus, indem er sich
los war. Der unerklärliche Druck auf breitbeinig hinkniete und sich mit der
seinen Schädel musste daran schuld rechten Hand an der Wand abstützte. Mit
sein. der Linken wischte er sich die Späne aus
Immer besorgter fragte er sich, was dem Fell.
auf CRULT vorging. Für die Dienstburg Vielleicht war der mentale Angriff
war kein Universenwechsel vorgesehen, stärker geworden.
denn das hätte er als Angehöriger der Der Effremi erschrak über diesen Ge­
Chaos-Phalanx frühzeitig erfahren. danken. Taumelnd und ohne auf die
Schon, weil es dann wichtig wurde, den letzten Späneflocken zu achten, richtete
Laboraten ruhigzustellen. er sich wieder auf. Schwerfällig tappte
Ein Angriff? er hinüber zu dem Regal, in dem seine
Das war lächerlich. Obwohl – den Völ­ Uniformjacke lag. Er hatte einige Mühe,
kern dieser Ressourcengalaxis traute Jo­ nachdem er sich die Jacke halb überge­
thadún mittlerweile viele Gemeinheiten streift hatte, in den zweiten Ärmel
zu. Allen voran den Terranern. Dabei hineinzuschlüpfen. Seine motorischen
war er sich bei Danton durchaus im Bewegungen ließen zu wünschen üb­
Zwiespalt gewesen. Trotz seines Einfüh­ rig.
Opfergang 13

Ich werde alt. Das war eine entsetzli­ mochte, für Jothadún war es ein Maßstab
che Vorstellung. Vor ihm lagen noch etli­ seiner eigenen Stärke. Viele Schachtstei­
che Jahre, bis sein Fell die ersten grauen ger hatte der Laborat schon getötet. Jo­
Spitzen aufweisen würde. Oder war es thadún war nur mehrmals verletzt wor­
die Beschäftigung mit dem Laboraten, den; die Narben unter seinem Fell spürte
die ihn schneller altern ließ? Nicht zum er aber immer noch.
ersten Mal hegte er diese Befürchtung. Der Rauch stieg von der untersten
Aber eigentlich dachte er nicht darüber Plattform auf. Jothadún glaubte zu er­
nach, weil er seine Erfüllung gefunden kennen, dass die Wracks zweier ineinan­
hatte. Er mochte diese Arbeit. Vor allem der verkeilter Fahrzeuge ausbrannten.
wusste er, dass er etwas Sinnvolles tat. Der Gestank war erbärmlich und löste
Die Krallen des Laboraten, die alle einen fürchterlichen Niesreiz aus. Mehr­
Schachtsteiger einsammelten, wurden mals hintereinander platzte Jothadún
dringend gebraucht. Sie halfen vielen heraus – und hielt dann abrupt inne. Er
Kolonnen-Angehörigen, ihre Gesundheit glaubte kaum, was er sah.
zu erhalten. Antakur von Bitvelt verließ soeben die
Witternd hob Jothadún den Kopf, Anthrazit-Sphäre. Scheinbar ins Riesige
dann lief er los. Einige Effremi, denen er aufgebläht, stieg er aus dem Silberturm
begegnete, blickten ihn seltsam aus­ auf.
druckslos an, reagierten aber in keiner Das war nicht Antakur, erkannte der
Weise. Effremi verwirrt. Das war eine hologra­
Mehr als zuvor vermisste Jothadún fische Wiedergabe. Jothadún wich den­
den Gesang. Eine Welt ohne die Lieder noch zurück. Einen Schritt erst, dann
der Effremiten-Völker war keine Welt, in einen zweiten, ohne seinen Blick dabei
der man gut leben konnte. von der Erscheinung abzuwenden, die
sich langsam über CRULT hinaus erhob
* und schließlich mit einem gellenden und
lang anhaltenden Schrei verblasste.
Er fühlte sich äußerst unbehaglich. Jothadún hob seinen linken Arm.
Eine fremde Macht griff nach CRULT, »Einschalten!«, quietschte er. »Amt des
das spürte Jothadún deutlich, als er Mi­ Progress-Wahrers!«
nuten später den Horst verließ. Er sang. Die zustande kommende Verbindung
Nicht laut, aber gerade so, dass ihn die war von Störungen überlagert. Jothadún
wahllose Tonfolge beruhigte. verstand nicht, was der Effremi am an­
Dann stand er draußen am Rand der deren Ende zu ihm sagte. Er war sich
Terrasse, und er roch nicht nur Feuer nicht einmal sicher, ob der andere ihn
und Rauch. Auch der Tod war da, er war überhaupt erkannte. Gleich darauf brach
überall. der Kontakt ohnehin zusammen. Ein
Quiekend endete Jothadúns Gesang. neuerliches Abbild des Progress-Wah­
Ohne sich dessen bewusst zu werden, rers wuchs aus der glatten Wand des Sil­
griff der Effremi mit beiden Händen zu berturms heraus.
und zog die Jacke enger um seinen Leib. Etliche Gleiter mit Mor’Daer jagten
Sein Nackenfell sträubte sich, bis in die tief über die Terrassen hinweg. Jothadún
Schwanzspitze richteten sich die Haare gurgelte entsetzt, als zwei der schweren
borstig auf. Truppentransporter mit hoher Geschwin­
Das war Furcht. Zuletzt hatte sein digkeit aus der abschwenkenden Forma­
Körper nach Khuromis Verlust so re­ tion ausbrachen und geradlinig auf eine
agiert. Aber diesmal? Er dachte an den der Terrassenstufen zurasten. Im letzten
Laboraten. So groß und hässlich das bes­ Moment versuchten beide Piloten noch,
tenfalls halbintelligente Tier auch sein ihre Maschinen hochzuziehen.
14 HUBERT HAENSEL

Sie schafften es nicht und rasten in die dass die Antworten auf seine Fragen
Gebäudefront hinein. Zwei Glutwolken schlimmer sein konnten, als er es sich
breiteten sich aus, verschmolzen mitein­ vorzustellen vermochte.
ander und leckten über die Terrasse hin­ Er würde Antworten ohnehin nie er­
weg. Jothadún wusste, dass es sich nur halten. Deshalb dachte er darüber nach.
um einen Fertigungs- und Lagerdistrikt Nur deshalb. Es war eine Gratwande­
handelte, dennoch schlug er sich entsetzt rung zwischen seinem Gewissen und der
beide Hände vor die Augen. Notwendigkeit des eigenen Überlebens,
Nach einigen bebenden Atemzügen vielleicht sogar das Eingeständnis seiner
blinzelte der Effremi zwischen den Fin­ Kapitulation.
gern hindurch. Die Flammenwand fiel Vergeblich wartete er auf die Robot-
bereits wieder in sich zusammen, aber Löschtrupps. Zitternd die Finger um sei­
das Feuer breitete sich dennoch aus. ne Schläfen verkrallt, als könne er den
Jothadún fragte sich, was geschehen anhaltenden Kopfschmerz dadurch lin­
wäre, wenn die beiden Transporter in ei­ dern, starrte Jothadún zu dem um sich
nen der Wohnbezirke abgestürzt wären. greifenden Feuer hinüber. Kleinere Ex­
Allerdings wollte er die Antwort gar plosionen fachten die Flammen an, und
nicht wissen. Auch wenn sich weder An­ wie ein lodernder Wasserfall ergossen sie
takur von Bitvelt selbst noch die Termi­ sich über die Terrassenstufe in die Tiefe.
nalen Herolde oder andere der großen Dichter Qualm breitete sich dort aus, wo
Tiere TRAITORS um Verluste kümmer­ die Glut neue Nahrung fand.
ten, für ihn, den kleinen Effremi, der es Endlich erschienen die ersten Lösch­
bis zum Schachtsteiger und Angehörigen gleiter. Zu wenige, fand Jothadún. Sie
der Chaos-Phalanx gebracht hatte, wa­ würden die Brände kaum sehr schnell
ren Leben stets wertvoll. Nicht nur Ma­ eindämmen können.
növriermasse wie die Figuren in einem Der Effremi versuchte noch einmal,
Spiel, die man nach Belieben über das das Amt des Progress-Wahrers über sein
Brett schob und, wenn alles verloren Komm-Armband zu erreichen. Von ver­
schien, mit einem Fingerschnippen vom zerrenden Störungen durchzogen, ent­
Tisch warf. stand über seiner Hand völlig unerwartet
Manchmal grübelte Jothadún darüber das Konterfei eines Dualen Kapitäns.
nach, warum das Leben so kompliziert Im ersten Erschrecken glaubte Jo­
sein musste. Dann erschien es ihm, als sei thadún, Zerberoff zu sehen. Aber diese
er der Einzige im Umfeld des Laboraten, Gestalt war nicht Zerberoff, wenngleich
der über ein Gewissen verfügte. Von zwei der Dual einen Mor’Daer und einen
oder drei anderen Effremi wusste er in­ Ganschkaren in sich vereinte. Jothadún
zwischen allerdings, dass auch sie mit musste umdenken. Der Ganschkaren-
dem Vorgehen der Kolonne haderten. Kopf saß rechts auf den wuchtigen
Warum hinterließ TRAITOR auf der Su­ Schultern, der Mor’Daer war links. Also
che nach Rohstoffen ausgeplünderte und hatten die Kolonnen-Anatomen diesen
verwüstete Welten? Selbst wenn diese Kapitän entgegengesetzt zu Zerberoffs
intelligentes Leben getragen hatten, wa­ Erscheinung zusammengefügt.
ren sie danach nicht mehr bewohnbar. Das räumliche Denken war ihm
Was für ein Krieg war das wirklich, schwergefallen. Bislang hatte Jothadún
den TRAITOR gegen die Ordnungsmäch­ damit nie Probleme gehabt. Ohnehin
te führte? Welche Verbitterung und wel­ quälte ihn der anhaltende Druck unter
cher Hass mochten die Triebfeder für der Schädeldecke – das war etwas, das er
dieses ewige Morden sein? so gut wie gar nicht kannte.
Jothadún würde nie aufhören, darüber Der Dual redete mit beiden Köpfen
nachzudenken. Ihm war aber auch klar, gleichzeitig. Jothadún verstand nicht,
Opfergang 15

was dieses Geschöpf offenbar im Zu­ Doch CRULT war auf diese Weise ge­
stand höchster Erregung hervorsprudel­ wiss nicht zu besiegen. Beinahe hätte der
te. Vergeblich bemühte er sich, die akus­ Effremi schrill gelacht und seinen Spott
tische Wiedergabe zu stabilisieren. Mit auf die Angreifer hinausgeschrien. Er
dem Ergebnis, dass die Übertragung zu­ dachte gerade noch rechtzeitig daran,
sammenbrach. dass schon solche unbedeutenden Nadel­
Dass alles, was sich ringsum ereignete, stiche viele Tote forderten.
keineswegs einem Zufall zuzuschreiben Und der wirklich massive Angriff
war, wurde dem Effremi erst in diesem stand zweifellos erst bevor.
Moment richtig bewusst. Er entsann sich Jothadún sah in dem Moment nichts
nicht, jemals den Beinahezusammen­ Dringenderes, als in den Schacht hinab­
bruch des Funkverkehrs bemerkt zu ha­ zusteigen und die Kaverne aufzusuchen.
ben. Vom Absturz mehrerer Transport­ Er glaubte zu spüren, dass der Laborat
gleiter gar nicht erst zu reden. unruhig wurde. Jetzt konnte er das Tier
Auch wenn es unbegreiflich klang, Jo­ vielleicht noch beruhigen, später würde
thadún zweifelte nicht mehr daran, dass ihm das unmöglich sein.
CRULT angegriffen wurde. Seit Wochen
herrschte Alarm, von dem aber nur die *
wenigsten wussten. Über den Zenter-
Kreis, die Kalbarone der Mor’Daer und Der Transmitterverkehr war zusam­
die Chaos-Phalanx hinaus war kaum je­ mengebrochen. Die Holoskalen verrieten
mand informiert. Die Schachtsteiger wa­ Jothadún, dass die Systeme nur mehr
ren nur deshalb unterrichtet, weil die sporadisch arbeiteten. Allein Lebensmü­
mentalen Attacken eine latente Bedro­ de vertrauten sich unter solchen Um­
hung für den Laboraten bedeuteten. ständen einem Transmitter an. Er spürte
Mental ... Jothadún fragte sich, warum kein Interesse daran, herauszufinden,
er diesen Schluss nicht sofort gezogen was geschah, sobald ein Transmitter­
hatte. Offenbar stand er ebenfalls unter sprung im Hyperraum endete.
fremdem Einfluss. Sein schwerer Kopf Ein Gleitertaxi war ebenso wenig auf­
und die würgende Übelkeit waren der zutreiben. Der Verkehr über den Terras­
beste Beweis dafür. Wahrscheinlich litt sen war überaus dicht geworden. Viele
jeder auf CRULT unter ähnlichen Aus­ Gleiter schwebten zum Landefeld-Ring
wirkungen. hinauf.
Dann waren die Truppentransporter Wer kann, verlässt die Dienstburg,
keineswegs wegen eines gleichzeitigen argwöhnte Jothadún. Er selbst konnte
Versagens der Piloten und der Automat­ nicht; er dachte gar nicht daran, den La­
systeme abgestürzt, die ausglühenden boraten unbeaufsichtigt zurückzulas­
Maschinen auf der unteren Ebene wohl sen.
ebenso wenig. Zu Fuß hastete der Effremi weiter. Das
Ein durchdringendes Kreischen hing schien ihm in dem Moment die beste
in der Luft. Im ersten Erschrecken konn­ Möglichkeit, schnell voranzukommen.
te der Effremi nicht einmal erkennen, Zumal wenn er sich auf alle viere nieder­
woher es kam. Erst als er den Himmel ließ.
absuchte, bemerkte er den fernen Glut­ Er wich Ganschkaren aus, denen er
schimmer. Das war kein Stern. Jothadún noch nie gern begegnet war.
schluckte krampfhaft, als er erkannte, Eine Rampe brachte ihn auf halbe Ge­
dass eine der großen Transportröhren bäudehöhe, aber auf einer Plattform en­
aufgebrochen sein musste, wahrschein­ dete sein Weg jäh.
lich sogar einer der dicht frequentierten Jothadún gab sich keinen Illusionen
Knotenpunkte. hin. Die Gleiter, die bis vor Kurzem hier
16 HUBERT HAENSEL

gestanden hatten, würden so schnell Sie verstanden ihn nicht. Doch einer
nicht wieder landen, er wartete besser der Ganschkaren zog ein stabförmiges
nicht darauf. Also zurück, den Distrikt Etwas unter seiner Kleidung hervor. Ei­
umgehen und ... ne Waffe. Das bestätigte Jothadúns Ab­
Sein Blick fiel auf die Schwärze, die neigung. Mit einer hastigen Drehung
nicht mehr weit entfernt brodelte. wich er zurück und wartete angespannt
Im ersten Moment erschien es dem Ef­ auf den tödlichen Glutstrahl. Vielleicht
fremi, als lösten sich mehrere Lagerhal­ würde ihn auch nur ein Paralyseschuss
len in nichts auf. Er rieb sich mit beiden treffen.
Händen die Augen. Der Dunkle Distrikt In Momenten wie diesen verwünschte
begann erst einen Kilometer entfernt. er jene Kolonnena-Angehörigen, die
Den Kreis aus Warnmarkierungen würde glaubten, über alles und jeden bestimmen
niemand je betreten. zu können. Zum Glück waren keineswegs
Wie ausgestanzt wirkte jenes Areal. alle wie Mor’Daer und Ganschkaren. Das
Dort die undurchdringliche und unheim­ machte das Leben erträglicher.
liche Schwärze – hier CRULT. Jothadún Wenn er den Kopf hob, würde der Kerl
kannte es nicht anders. da unten schießen. Jothadún zweifelte
Aber jetzt breitete sich diese Schwärze nicht daran. Trotzdem brannte er vor
aus. Wie ein zähflüssiger Lavastrom, der Neugierde. Bäuchlings schob er sich ein
alles unter sich begrub, was der heran­ Stück weit nach vorne. Immer wenn er
brandenden Gewalt nicht rechtzeitig sich so bewegte, pflegten die anderen
ausweichen konnte. Schachtsteiger schallend über ihn zu la­
Von der Plattform aus sah Jothadún chen. Mehrmals hatten sie ihn schon mit
die Schwärze zwischen mehreren Ge­ Tricks dazu gebracht, sich so hinzule­
bäuden hindurchquellen. An den Fassa­ gen.
den brandete sie in die Höhe wie eine Anfangs hatte er nicht verstanden,
Sturmflut. Diese Schwärze fraß die Ge­ worüber sich die halbe Chaos-Phalanx
bäude von unter her auf. Aber sie ström­ amüsierte. Bis einer der Kollegen ihm
te zugleich weiter und kam näher. zwei Holoaufnahmen gegeben hatte. Die
Jothadún stand höchstens achtzig Me­ eine hatte ihn, bäuchlings liegend, von
ter über dem Geschehen und kaum mehr hinten gezeigt. Die andere zwei echsen­
als sechshundert Meter davon entfernt. artige Schachtsteiger beim gemeinsamen
Er sah, wie die Schwärze um eine Lager­ Essen. Der pralle Klumpen Fleisch, den
halle herumschwappte, sah mehrere sie mit Klauen und Zähnen, einem ural­
Ganschkaren, die offensichtlich ah­ ten Ritual folgend, zerfetzten ... Jothadún
nungslos waren, was sich hinter ihnen schauderte immer noch bei dem Gedan­
zusammenbraute, und er schrie ihnen ken daran, dass dieses Fleisch nicht von
eine Warnung hinab. seinem Bild zu unterscheiden gewesen
Obwohl er Ganschkaren nicht mochte war.
und sein Nackenfell sich schon sträubte, Effremifresser. Seitdem achtete er dar­
sobald er einem dieser Vogelartigen nur auf, nicht mehr mit den Kruuhm-Echsen
nahe kam. in die Katakomben hinabzusteigen.
Suchend schauten sich die Ganschka­ Zögernd hob Jothadún den Kopf. Kein
ren um. Erst nach einigen Augenblicken Schuss fiel.
entdeckten sie den Effremi und starrten Er wagte sich ein Stück weiter nach
zu ihm herauf. vorne – und erstarrte! In der kurzen Zeit­
»Verschwindet!« Kreischend über­ spanne war die Schwärze bedrohlich na­
schlug sich Jothadúns Stimme. »Haut ab he herangekommen.
da unten, wenn euch euer Leben lieb Von den Ganschkaren war nichts mehr
ist!« zu sehen. Jothadún empfand kein Be­
Opfergang 17

dauern, er hatte die Kolonnen-Techniker machte. Bald würde nichts mehr so sein,
gewarnt, mehr konnte er wirklich nicht wie es einmal gewesen war.
tun. Aber die Finsternis machte ihm Bebend lauschte er der unheimlichen
Angst. Sie hatte drei oder vier kleinere Geräuschkulisse.
Gebäude verschluckt und zog sich schon Verschwinde!, schrien Jothadúns Ge­
an dem Sockel empor, von dem eine danken. Lass mich in Ruhe! Ich habe nie­
Transparentfassade zur Plattform hin­ mandem ein Leid zugefügt, ich ...
aufführte. Jothadúns Kehle war wie zu­ Er fragte sich, wer für den Angriff auf
geschnürt. Das ist Angst, gestand er sich die Dienstburg verantwortlich war. Na­
ein. türlich die Galaktiker. Er hatte Danton
In dem Moment schnellte sich die kennengelernt, den Terraner, der auf
Finsternis gut zehn Effremi-Längen an Zerberoffs Betreiben zum Dual gemacht
der Wand empor. Jothadún war sicher: worden war. Wenn alle Terraner wie
Die unheimliche Schwärze hatte ihn ent­ Danton waren, wunderte ihn nicht, dass
deckt. CRULT in Bedrängnis geriet. Dann war
Das hatte kaum noch mit den Dunk­ es wahrscheinlich sogar höchst interes­
len Ermittlern zu tun, die in diesem Di­ sant, ihre Gründe für diesen Angriff zu
strikt lebten. Jothadún hatte nie eines erfahren.
dieser Wesen gesehen, aber er war über­ Natürlich: Die Terminale Kolonne war
zeugt davon, dass die Schwärze etwas in ihre Galaxis eingefallen. TRAITOR
anderes sein musste. Ein schreckliches suchte nach Ressourcen und schützte ei­
Schmatzen und Schaben drang aus der ne im Werden begriffene Negasphäre.
Tiefe zu ihm herauf, und das erinnerte Außerdem befanden sich die Milchstraße
ihn an seine erste Begegnung mit dem und die angrenzenden Sterneninseln im
Laboraten. bisherigen Einflussbereich einer kosmo­
So neugierig wie damals war der Ef­ kratenfreundlichen Superintelligenz.
fremi nicht mehr. In aller Eile raffte er Etwas stieß ihn an. Der Effremi glaub­
sich auf, er stolperte und schaffte es ge­ te, eine raue, haarige Berührung zu spü­
rade noch, einen Sturz zu vermeiden. Er ren, aber er reagierte nicht darauf.
hetzte die gewendelte Rampe hinunter, Er fragte sich, wo Danton wohl sein
benutzte seinen Stummelschwanz als mochte. Jothadún wäre brennend daran
ausgleichendes Moment und ahnte doch, interessiert gewesen, die Sichtweise des
dass er nicht schnell genug sein würde. Duals zu hören. Auch wenn der Terraner
Von allen Seiten vernahm er die scha­ zwangsläufig den Standpunkt der Ord­
benden, schleifenden, würgenden Ge­ nungsmächte vertreten hatte, weil er nie
räusche. Sie kamen näher. in der Lage gewesen war, sich mit einer
Jothadún schrie gellend auf, als er die anderen Position vertraut zu machen ...
Schwärze vor sich sah. Im schnellen Lauf Wieder diese Berührung. Heftiger als
sein Gewicht so zu verlagern, dass er sich zuvor und irgendwie ungeduldig.
herumwerfen konnte, gelang ihm nicht. Du bist nicht unser Gegner! Deutlich
Er stürzte, überschlug sich und blieb zit­ vernahm der Effremi die Feststellung.
ternd und nach Atem ringend an der Au­ Sie entstand unter seiner Schädeldecke.
ßenwand der Rampe liegen. Trotzdem können wir dir nicht länger
beistehen, wenn du nicht sofort hier ver­
* schwindest.
»Warum sollte ich ...?« Einem inneren
Das Schlürfen und Schmatzen verun­ Zwang folgend, riss Jothadún die Augen
sicherte ihn. Jothadún gab die Schuld an auf. Er wollte schreien, aber er konnte es
seiner Furcht der beklemmenden Atmo­ nicht. Mit überquellenden Augen mus­
sphäre, die aus CRULT ein Tollhaus terte er das Ding, das vor ihm wuchs. Das
18 HUBERT HAENSEL

war kein Effremi, obwohl es auf den ers­ an seiner Seite gesträubt. Wahrschein­
ten Blick diesen Anschein erweckte, lich gegen sein ganzes Schicksal.
sondern ein Monstrum. Eine Missgeburt Er gehörte nicht zur Kolonne, sagte
mit Jothadúns Gesichtszügen. Und die­ sich der Effremi. Folglich kann er einem
ses »Wesen« schien jede seiner Regungen Leben als Dual nichts abgewinnen. Zer­
zu beobachten und in sich aufzunehmen, beroff hätte das berücksichtigen müs­
wie ein Schwamm Wasser aufsaugte. Es sen.
war klein und hässlich, hatte verdrehte Flieh! Der lautlose Aufschrei brachte
Gliedmaßen und ein räudiges Fell. ihn wieder auf die Beine. Nach unten!
Jothadún starrte die Kreatur an. Sie Die Rebellen helfen dir!
starrte zurück, als sei sie ebenso entsetzt Schwärze erfüllte die Rampe. Lauern-
über ihn wie er über das Zerrbild. de Düsternis. Für Sekunden glaubte Jo­
»Wer bist du?«, brachte der Effremi thadún, Dutzende Augen zu sehen, die
keuchend hervor. ihn gierig anstarrten. Aber das war un­
Das hässliche kriechende Etwas öffne­ möglich, das konnte nur ein Trugbild
te den Mund, als wolle es tatsächlich ant­ seiner überreizten Nerven sein.
worten. Doch mehr als ein heiseres Fau­ Er hastete los. Einfach nur abwärts.
chen kam nicht über seine Lippen. Der Die Schwärze wich vor ihm zurück, und
geschundene Körper zuckte und krümm­ wo das nicht der Fall war, aus welchen
te sich und schien sich in Finsternis auf­ Gründen immer, da spürte er, dass sie
lösen zu wollen. ihm nichts anhaben würde.
Das war der Moment, in dem Jothadún Bring dich in Sicherheit, Jothadún!
sein Entsetzen überwand, sich nach vor­ CRULT wird untergehen!
ne warf und mit beiden Händen zupack­ »Und wie?«, keuchte der Effremi, als
te. Lautlos zappelte sein entstelltes er das Ende der Rampe erreichte. Nie­
Ebenbild in seinem Griff. Jothadún mand antwortete ihm mehr.
dachte nicht daran, loszulassen. Jothadún hastete weiter, hielt erst
Ein wehmütiger Gedanke traf ihn: Hunderte Meter entfernt wieder inne
Danton soll seine Freunde zurückhalten! und schaute zurück.
Weiß er nicht, wie bedrohlich die Ausein­ Er sah brodelnde Finsternis die Platt­
andersetzung werden kann? form und die Rampe verschlucken, und
Danton! Der Mensch-Mor’Daer-Dual für einen Moment glaubte er zu spüren,
weilte wieder auf CRULT? Jothadún dass in der Schwärze ein mörderischer
fragte sich, warum er davon nichts mit­ Kampf tobte. Als er sich darauf konzen­
bekommen hatte. Oder war die Bemer­ trierte, war da nur noch lichtloses
kung anders gemeint gewesen? Gehörte Nichts.
der Terraner zu den Angreifern? Jothadún hastete weiter.
Unmöglich. Der Effremi wusste, dass Er wollte endlich zu den Katakomben
der Danton-Hälfte des Duals zwei Kral­ hinab.
len des Laboraten eingesetzt worden wa­
ren. Die erste dieser Maden hatte er ab­
gestoßen. 3.
Jothadún fragte sich, ob das auch mit
dem zweiten Exemplar geschehen sein Ein neues Beben durchlief den Horst
mochte. Dann allerdings bestand die Affkaru. Es wurde von einem leisen
Möglichkeit, dass sich der Terraner ge­ Grollen begleitet. Zwei leichtere Stöße
gen die Kolonne gewandt hatte. Danton folgten, danach herrschte wieder Ruhe.
war von der Arbeit der Kolonnen-Ana­ Roi Danton behagten diese Erschütte­
tomen wenig erbaut gewesen und hatte rungen nicht. CRULT war keine Welt mit
sich mit aller Kraft gegen den Mor’Daer brodelndem Untergrund und unruhiger
Opfergang 19

Plattentektonik, sondern ein technisch Turm zu verlassen!«, rief der Terraner. Er


hochstehendes Raumfahrzeug. Eine flie­ schaute einige der TLD-Agenten an,
gende Stadt und vor allem das Befehls­ suchte nach den Merkmalen ihrer Mas­
zentrum der Terminalen Kolonne im Be­ ken, die es ihm ermöglichten, sie zu un­
reich der Milchstraße. terscheiden. »Björk, Hendriks, Aschweil
Vibrationen im Untergrund dieses Un­ – jeder weiß, wo sein Platz ist und was er
getüms entstanden nicht einmal bei ho­ zu tun hat. Die Ermittler-Rebellen haben
hen Beschleunigungswerten, weil Absor­ eingegriffen. Jetzt kommt es darauf an,
ber für eine stabile Statik sorgten. Und schnell zu sein und Antakur auszuschal­
CRULT beschleunigte derzeit ohnehin ten, bevor er womöglich Unterstützung
nicht. von außen erhält. Die Kolonnen-Solda­
Waren also Explosionen im Unter­ ten werden zögern, solange kein entspre­
grund die Ursache? Hatte die Zündung chender Befehl aus dem Progress-Amt
des Feld-Emitters nicht nur eine menta­ ergeht ...«
le Schockwelle hervorgerufen, sondern Er wandte sich wieder um, blickte
auch eine Rückkopplung zu der gewalti­ über den brodelnden Staub hinweg zum
gen Maschinerie, die CRULT stabil und Dunklen Distrikt.
funktionsfähig erhielt? Die Schwärze war umfassender ge­
Aus der Tiefe des weitgehend leer ge­ worden. Sie wuchs wie ein Geschwür
räumten Turmes erklang ein anhaltendes nach allen Seiten und schickte sogar Ab­
Knistern und Knacken. In Sekunden­ leger über größere Distanzen hinweg.
schnelle steigerte es sich zum berstenden Etliche Kilometer jenseits des Dunklen
Dröhnen, bis irgendwo Tonnen von Ma­ Distrikts breitete sich ebenfalls Finster­
terial abbrachen und in die Tiefe stürz­ nis aus.
ten. Ohrenbetäubender Lärm fing sich in Dantons Blick glitt zurück. Etwas ir­
den umliegenden Straßen und wurde in ritierte ihn. Wenige Minuten waren ver­
dumpfem Echo zurückgeworfen. Der gangen, seit die ersten Ermittler-Rebel­
Turm dröhnte wie eine angeschlagene len aus ihrer Heimstatt ausgebrochen
Glocke, doch das war eine andere Er­ waren. Kurzfristig mochten sie ihre Um­
schütterung als wenige Minuten zuvor. gebung damit überrascht haben, aber sie
Danton schaute über die Balustrade in hatten ihre Identität aufgedeckt und
die Tiefe. Wie eine Flutwelle wälzten machten sich zur Zielscheibe für jene
sich Staub und Dreck durch die Straßen. Quanten der Finsternis, die weiterhin
Kein Zweifel: Die ohnehin schon an ei­ TRAITORS Zielen folgten.
nigen Stellen abgerutschte Außenfassa­ Der Terraner hatte mit G’schogun
de war vollends weggebrochen. Immer nicht über das Vorgehen der Rebellen ge­
noch stürzten Reste der Verkleidung sprochen. Er war sicher, dass er ohnehin
donnernd in die Tiefe. keine Auskunft erhalten hätte. Wichtig
Der Terraner hob abwehrend die Hän­ war für ihn das Eingreifen der Ermittler-
de, als etliche seiner Begleiter auf der Rebellen, der Schock, den sie auf CRULT
Dachterrasse erschienen. Zwischen ih­ auslösten, wenn sie sich unmissverständ­
nen huschten Mikro-Bestien umher. Eine lich gegen die Kolonne stellten.
schrille Stimme prophezeite den Unter­ Danton konzentrierte sich wieder auf
gang der Terminalen Kolonne. Das konn­ den Dunklen Distrikt. Die Teleoptik
te nur Ultrecht sein. Niemand hörte ihm zeigte ihm undurchdringliche Schwärze.
zu außer vielleicht Rinka Porol. Danton Verglichen mit diesem Bereich war sogar
sah, dass sie den Kleinen mit einem for­ der intergalaktische Weltraum weit jen­
schenden Blick taxierte und hastig etwas seits der großen Galaxienstrukturen im­
notierte. mer noch ein hell illuminierter Festsaal.
»Alle sollen sich fertig machen, den Und doch glaubte Roi Danton in dem
20 HUBERT HAENSEL

Moment mehr zu sehen als nur Lichtlo­ statisch, wie es dem unbeeinflussten Be­
sigkeit. obachter erschien.
Diese Schwärze war zugleich Bewe­ Die Schwärze dehnte sich aus und
gung, ein tödlicher, wirbelnder Sog. griff weit über die Distrikte von CRULT
Schattenhafte Umrisse erschienen und hinweg. Doch ebenso schnell wichen Au­
verwischten ebenso schnell wieder, als reolen der Finsternis wieder dem Stadt-
würden sie mit ihrer Umgebung ver­ Tag. In solchen Bereichen, schien es Dan­
schmelzen. An anderer Stelle nahmen sie ton, fraßen sich die Quanten der
von Neuem undefinierbare Formen an. Finsternis gegenseitig auf. Nicht einmal
Danton fühlte, dass er in das Gesche­ die Teleoptik zeigte ihm mehr als die zu­
hen hineingezogen wurde. Im ersten Er­ rückbleibenden Spuren der Verwüstung.
schrecken sträubte er sich dagegen, und Wankende Gebäude, in Panik fliehende
die Finsternis verlor zugleich jede Kon­ Kolonnen-Angehörige ...
tur.
Sie wurde für ihn wieder, was sie zu­ *
vor gewesen war: Schwärze, die wie der
länger werdende Schattenwurf am ... urplötzlich ein gleißend schwarzes
Abend wuchs, die sich lähmend über ih­ Licht. Ein Fremdkörper, sogar auf
re Umgebung legte und alles mit der be­ CRULT, der sich permanent zu verän­
ginnenden Nacht verschmelzen ließ. dern schien. Das Adjektiv groß – an die
Diese Schwärze übte dennoch einen zweihundert Meter durchmessend –
ungeheuren Reiz auf Rhodans Sohn aus. mochte neben seiner strahlenden
Wenigstens für kurze Zeit wollte er dem Schwärze die einzige Konstante sein. Ei­
Geschehen nachspüren, dem zweifellos ne äußere Form zu erkennen, die nicht im
in aller Heftigkeit entbrannten Kampf nächsten Moment schon wieder zerfloss,
zwischen den Ermittlern. war dem Terraner unmöglich.
Für die Kolonne musste das ein unvor­ Dieses Objekt schien aus der Tiefe des
stellbares Ereignis sein. Ein Aufstand in Dunklen Distrikts aufgestiegen zu sein.
den eigenen Reihen, Ableger des Ele­ Drohend hing es gut eine halbe Minute
ments der Finsternis, das noch jener Zeit lang wenige hundert Meter hoch über
entstammte, in der dieses Universum ge­ der Terrassenstufe, dann nahm es lang­
boren worden war. sam Fahrt auf.
Da waren die Schemen wieder. Roi Roi Danton wusste, dass er einen
Danton vermochte nicht zu sagen, ob er Dunklen Ermittler sah. Eigentlich die
sie wirklich sehen konnte oder ob die As­ symbiotische Vereinigung aus einem
soziation lediglich in seinem Sehzentrum Quant der Finsternis und einem Quell­
entstand. Vielleicht sogar nur in seinem klipper.
Bewusstsein, und er sah allein das, was Das leuchtend schwarze Schiff kam
er tatsächlich sehen wollte. So, wie ihm näher. Es hatte tatsächlich Kurs auf Aff­
G’schogun als kriechendes, entstelltes karu, und wenn es nicht rasch abdrehte,
Ebenbild seiner selbst erschienen war. würde es den Horst in geringer Höhe
Eine für Menschen unbegreifliche überfliegen.
Auseinandersetzung tobte. Wogende Danton stockte schier der Atem, als er
Schatten kämpften gegeneinander. Sie sah, was dieses Schiff anrichtete. Mit un­
schienen ineinanderzufließen, lösten sich glaublicher Gewalt schien es alles unter
sofort wieder voneinander und strebten sich in die Höhe zu reißen. Wenige Meter
in entgegengesetzte Richtungen ausein­ nur, doch der Eindruck entstand, als zie­
ander. he diese Schwärze eine gigantische Flut­
Alles war in Bewegung. Nichts in die­ welle unter sich her.
sem lichtlosen Bereich blieb wirklich so Schwere Beben durchliefen in diesem
Opfergang 21

Distrikt den Untergrund der Dienstburg. und merkte im allerletzten Moment, dass
Sogar Affkaru war davon schon betrof­ sie im Begriff war, darauf herumzukau­
fen. en. Genau so, wie sie das bei einem Ter­
Dantons einzige Frage war in dem Mo­ raner gesehen hatte.
ment, ob der Dunkle Ermittler zu den Die Menschen aus dem Solsystem wa­
Rebellen gehörte. Ein Schiff der konser­ ren für sie ein schlechtes Vorbild. Beina­
vativen Kräfte konnte alles zunichtema­ he hätte die Mikro-Bestie den Stift zer­
chen. bissen, und das war der Einzige, den sie
Für Flucht war es zu spät. Schon gar bei sich trug. An Bord ihres gekaperten
nicht im Schutz des Dunkelfelds. Danton Raumschiffes zurückzukehren, um einen
dachte nicht daran, die Ermittler auf neuen Ionenstift zu holen, und während­
sich aufmerksam zu machen. Ohnehin dessen das Wichtigste zu verpassen – un­
wäre ihm nicht einmal mehr die Zeit ge­ möglich. Andererseits: Wie hätte sie
blieben, die Yrendir-Maske wieder zu später alles aus dem Gedächtnis proto­
schließen. In diesem Moment war er als kollieren sollen?
Dual Dantyren weder Fisch noch Fleisch, Rinka warf einen Blick auf ihr Chro­
und der Dunkle Ermittler schwebte un­ nometer. Das Armband trug sie am rech­
aufhaltsam näher. ten Laufarm, nur fand sie es dort nicht
Die Erschütterungen wurden hefti­ auf Anhieb. Dantons Nähe verwirrte sie.
ger. Allerdings hütete sie sich davor, das zu
Der Boden bäumte sich auf. Der her­ notieren.
anbrandende Lärm war wie ein einziger Dieser Gedanke war und blieb ihr Ge­
lang anhaltender Aufschrei der Dienst­ heimnis. Es gefiel ihr, ein Geheimnis zu
burg. Ein Todesschrei. haben, das mit diesem großen und statt­
Glutende Energiefahnen brachen aus lichen Mann zusammenhing.
dem Boden, und es schien, als würden sie Seit sieben Minuten und dreißig Se­
von der Schwärze aufgesaugt. kunden steht er unbeweglich da und
Augenblicke später zog der Dunkle schaut hinüber zur Heimstatt der Dunk­
Ermittler über Affkaru hinweg. len Ermittler. Sieht er wirklich mehr als
Begleitet von ohrenbetäubendem diese undurchdringliche Schwärze?
Lärm, bäumte sich der Effremi-Horst Sonst ist er nie so geduldig, ist immer in
auf. Und dieses Beben schien nicht mehr Bewegung.
enden zu wollen. Rinka beobachtete den Mann. Das be­
reitete ihr Vergnügen und war fast so
* angenehm wie der Zweikampf mit ande­
ren Bestien. Aber nur, weil es sich um
Roi Danton ist einer von uns, notierte Danton handelte. Sie beschloss, für im­
Rinka Porol schwungvoll mit weit aus­ mer in seiner Nähe zu bleiben. Er brauch­
holender Schrift. Sie fügte ein fettes te eine fähige Leibwächterin ebenso wie
Ausrufezeichen hinzu. jemanden, der seine Biografie schrieb.
Der Blick ihrer beiden Schläfenaugen Er hat seine Zellstruktur verhärtet.
hatte den Terraner eingefangen und ließ Ganz sicher. Er ist wirklich einer von
ihn nicht mehr los. Nur mit dem Stirn­ uns.
auge schaute Rinka auf das Schreibpad. Ob sie es darauf ankommen ließ und
Was sie da las, gefiel ihr jedoch nicht einen Test versuchte? Sie musste Danton
mehr. Zu wenig aussagekräftig, fand nur anspringen, dann würde sie sehen,
sie. was seine Struktur aushielt. Rinka
Seit fünf Minuten ... schreckte allerdings vor dem Moment
Rinka stutzte. Sie schob sich den Io­ zurück, in dem sie womöglich erkennen
nenstift zwischen die schmalen Lippen musste, dass sie sich geirrt hatte. Eigent­
22 HUBERT HAENSEL

lich, sagte sie sich, wollte sie den Terra­ Fingern. Er wurde erst darauf aufmerk­
ner nicht verletzen. sam, als sein Assistent ihn fragend mus­
Das täte mir leid. terte.
Rinka Porol erschrak, weil sie plötz­ Tapas verzog das Gesicht zu einem
lich mehr als ihre Beobachtungen auf­ vielsagenden Grinsen. »Es gibt keine
schrieb. Ihre intimsten Gefühle hatten Abenteuer mehr«, stellte er fest.
nichts in der Speicherung des Schreib­ »Und was ist CRULT?«, fragte Sürius
pads verloren. anzüglich. »Ein Erholungspark?«
Sie schaffte es nicht mehr, den letzten Tapas schwieg. Der Holoempfänger,
Satz zu löschen, denn in dem Moment den einer seiner Leute halb unter Schutt
wurde der Effremi-Horst von einem sehr begraben aufgespürt hatte, ärgerte ihn.
starken Beben erschüttert. Der Ionen­ Mehr als zerfledderte Bildfetzen, die von
stift, den Rinka über das Pad führte, irgendwo auf CRULT stammten, hatte
machte in ihrer Hand wilde Sprünge. das Ding bislang nicht ausgespuckt.
Neben ihr brach die Wand auf. Der Da es sich nicht um verplombte Tech­
Spalt war auf Anhieb so groß, dass sie nik handelte, rückte Tapas dem Gerät
mühelos hindurchgepasst hätte. mit schwerem Geschütz zu Leibe. Werk­
zeug dieser Art trug er immer bei sich,
* und die mikrometerfeine Sonde proji­
zierte ihr eigenes Display. Sie offenbarte
Julian Tapas galt längst als Spezialist einen Einblick in kompakte Schaltun­
für Kolonnen-Funk und alles, was damit gen, die sich gar nicht übermäßig von
zusammenhing. Zwei eigentlich selbst­ terranischen Fertigungen unterschieden.
mörderische Kommandounternehmen Minderwertige Ware, gerade gut genug
gegen die Kolonne hatte er heil über­ für die Effremi.
standen, und es gab wohl niemanden, der Tapas ärgerte sich darüber, dass er da­
sich mehr darüber gewundert hätte als mit seine Zeit vergeudete. Was er tat, war
ausgerechnet Tapas selbst. Routine, nicht mehr.
Für den Einsatz gegen CRULT war er Seine Gedanken schweiften zurück.
sogar von mehreren Stellen vorgeschla­ Falls ihn die Kolonne erwischte, sagte er
gen worden, und er hatte nicht eine Se­ sich, wollte er mit einem weiblichen We­
kunde lang mit seiner Zusage gezögert. sen zusammengesetzt werden. Wenn­
Er sah den Einsatz pragmatisch und hielt schon, dennschon. Und bitte keine hoch­
auch mit seinem Hang zum Makabren näsige Ganschkarin. Die Vogelabkömm­
nicht hinter dem Berg. linge mochten noch so begnadete Tech­
»Das Schlimmste, was uns passieren niker sein, Tapas war es lieber, wenn er
kann: Wenn uns die Kolonne schnappt, sich sein Können aus eigener Kraft an­
werden wir zu Dualen verwurstet.« eignete. Das hatte er nie anders gehal­
Jeder, dem er das gesagt hatte, wurde ten.
erst blass und anschließend sehr schweig­ Er übersah geflissentlich, dass das
sam. Tapas fragte sich, ob wirklich nie­ Original eines Dualkörpers auf einer
mand wusste, dass keineswegs das Ori­ Skapalm-Bark dahindämmerte. Für Ta-
ginal auseinandergeschnitten und mit pas waren das ohnehin nur Nebensäch­
einem anderen Wesen zusammengesetzt lichkeiten.
wurde, sondern eine Kopie. Das war also »Warum hantierst du überhaupt mit
nichts, was den Originalkörper selbst be­ diesem einfachen Gerät, Julian?«
traf. Und irgendwann würde die LFT Tapas brauchte eine halbe Minute, bis
anrücken und die Gefangenen aus dem er endlich aufschaute. Vor seinen Augen
Stasis-Tresor befreien. baumelte einer der Empfänger von Bord
Unbewusst schnippte Tapas mit den des Traitanks. Trogheim hielt ihm das
Opfergang 23

Gerät hin. Empfänger wie dieser brach­ Augenblicke später brach dort, wo sie
ten seit der Zündung des Psi-Emitters eben noch gestanden hatten, ein Teil der
nicht einmal mehr ein vernünftiges Bild. Decke herab.
Mit dem verzerrten Ton war ebenso we­ »Nach oben!« Tapas schaltete sein
nig anzufangen. Flugaggregat hoch. In dem Moment hat­
»Lasst mich mit dem Schrott in Ru­ te er das ungute Gefühl, der Turm sacke
he!«, schimpfte Tapas. »Wenn ich das unter ihm weg.
hier in Ordnung habe, kriegen wir be­ Zerberoff und einige Dutzend
deutend mehr mit.« Mor’Daer und Ganschkaren hatten sich
Von irgendwoher erklang ein dumpfes im oberen Bereich aufgehalten. Tapas
Rumoren. Es steigerte sich rasch. Der registrierte, dass der Duale Kapitän kei­
Boden bebte, aber diesmal flauten die neswegs schon wieder voll handlungsfä­
Erschütterungen nicht sofort wieder ab. hig war. Die Mor’Daer-Seite schien ihn
Sie schwollen vielmehr an. zwar anzublicken, aber der Blick ging
Mit einem berstenden Knall brach die durch Tapas hindurch. Der Ganschkare
gewölbte Decke auf. Faustgroße Putz­ Aroff stieß ein heiseres Krächzen aus.
brocken prasselten herab. Der Turm neigte sich weiter. Explosi­
Das Beben wurde heftiger. onsartig aufplatzende Wände zeigten an,
Jemand gab Roi Dantons Anordnung dass der Punkt erreicht war, an dem alles
weiter, den Turm umgehend zu verlas­ zusammenbrach.
sen. Tapas hatte das Gefühl, jäh in die Tie­
Tapas verlor den Boden unter den Fü­ fe gerissen zu werden. Ein ohrenbetäu­
ßen. Für ihn war es, als hebe sich der bendes Dröhnen, Kreischen und Prasseln
Untergrund jäh an, und das nicht nur um umgab ihn, und der Lärm übertönte so­
wenige Zentimeter, sondern möglicher­ gar die Befehle im Helmempfang. Inner­
weise um einen Meter und mehr. Augen­ halb weniger Sekunden verlor er die Ori­
blicke danach fiel alles wieder zurück. entierung. Er schlug irgendwo auf,
Wie eine Flutwelle, die vorbeizog und wurde herumgewirbelt, rutschte inmit­
Schlick vom Boden aufgewirbelt hatte. ten von Schutt und anderen Körpern ei­
»Der Turm stürzt ein!«, brüllte Tapas ne Schräge hinab ...
in jäher Erkenntnis, dass das Beben dies­ ... und stellte fest, dass es zu Ende war.
mal um eine Potenz intensiver ausfiel. Die Außensensoren des Anzugs übertru­
»Schutzschirme ein und raus hier!« gen zwar ein anhaltendes Krachen und
Armdicke Risse durchzogen die Wän­ Dröhnen, vereinzelte Erschütterungen
de. Staub hing in der Luft wie dichter waren immer noch deutlich zu spüren,
Nebel und reizte zum Husten. Tapas aber der Effremi-Horst schien nicht gänz­
schloss seinen Helm. lich eingestürzt zu sein. Möglicherweise
Alle drängten dem Ausgang zu, und hatten Sicherheitsbereiche den vollstän­
der Funker nahm an, dass es in den üb­ digen Zusammenbruch abgefangen.
rigen Räumen kaum anders aussah. Der Tapas entsann sich, dass terranische
Turm neigte sich, erst nur wenige Zenti­ Bauten über Pufferzonen verfügten: An­
meter, dann schneller. Ganze Wandseg­ tigravaggregate, die sich ab einer noch
mente platzten auf, begleitet von ohren­ unbedenklichen Bebenstärke aktivier­
betäubendem Dröhnen. Ein greller ten; Querverstrebungen, die in der Bau­
Lichtbogen entstand und schlug in eine phase leicht und verformbar waren, doch
Gruppe Mikro-Bestien ein. Die Kleinen ab einer bestimmten Menge auf sie ein­
wurden von der Entladung wie von der wirkender kinetischer Energie wider­
Faust eines Riesen beiseitegewischt, ka­ standsfähig wie der beste Raumschiffs­
men jedoch sofort wieder auf die Beine stahl wurden.
und hetzten weiter. Der Turm mochte einige Etagen einge­
24 HUBERT HAENSEL

büßt haben, war vielleicht auf zwei Drit­ Die Außenwand war weitgehend ver­
tel seiner ursprünglichen Höhe zusam­ schwunden. Tapas bot sich ein erschre­
mengestaucht worden, aber immer noch ckender Anblick. Benachbarte Gebäude
stand der obere Teil einigermaßen aufge­ waren ebenfalls schwer beschädigt wor­
richtet da. Wie es in den übrigen Berei­ den. Tiefe Risse ließen ihr Innenleben
chen des Horstes aussah, wagte Tapas nach außen quellen, und in den Straßen
nicht abzuschätzen. Affkaru war zur rings um Affkaru lag der Schutt meter­
Ruine geworden, kein Zweifel. Aber im­ hoch. Zwei Straßenzüge entfernt färbte
merhin eine Ruine, in der es noch Leben sich der Himmel blutig rot. Flammen lo­
gab. derten hoch auf.
Die Trennung der Einsatzgruppen war Es war Zeit, sich Richtung Zenter-
durchaus sinnvoll. Wer möglicherweise Kreis abzusetzen, fand Tapas. Nicht nur,
daran gezweifelt hatte, musste spätes­ weil vielleicht bald Rettungskräfte er­
tens jetzt eines Besseren belehrt sein. scheinen würden.
Tapas hatte nie bezweifelt, dass Danton
die richtigen Entscheidungen traf.
An Bord des erbeuteten Traitanks war 4.
nur ein kleines Team zurückgeblieben,
gerade genug Leute, um den Diskus Fassungslos blickte Roi Danton auf
einsatzbereit zu halten. Auch das Zwi­ die Spur der Verwüstung, die der Dunk­
schenquartier auf dem Landefeld wurde le Ermittler zurückgelassen hatte. Hefti­
mittlerweile nur noch von wenigen TLD- ge Explosionen rissen den Untergrund
Agenten und Mikro-Bestien als Anlauf­ auf und ließen weitere Gebäude in sich
stelle offen gehalten. Alle anderen, die zusammensinken. Lodernde Energie­
nicht zu der ersten Gruppe gehörten, die schwaden huschten durch die Straßen,
den Transmitter benutzt hatte, waren verwehten wie Polarlichter entlang un­
nach der Zündung des Feld-Emitters in sichtbarer Magnetfelder und entstanden
den Einsatz gegangen. Ihr Auftrag laute­ schon Augenblicke später neu.
te, noch mehr Verwirrung zu stiften. Im Die Finsternis breitete sich aus wie ein
Schutz der Dunkelfelder sollte ihnen das alles verschlingendes Ungeheuer. Immer
nicht allzu schwerfallen. noch trugen die Quanten einen unerbitt­
Wenn es überall so aussieht wie hier in lichen Kampf aus. Danton konnte nur
Affkaru, ist das Ziel erreicht, erkannte hoffen, dass die Rebellen letztlich den
Tapas. Er wühlte sich unter locker ange­ Sieg davontrugen. Mehrmals war die un­
häuftem Schutt hervor. durchdringlich scheinende Schwärze in
Der Boden stand schräg. In einem gewaltigen Eruptionen aufgebrochen.
Ausmaß, dass es fraglich erschien, ob der Ein unüberschaubarer Strom von
Turm noch lange stehen würde. Schon Flüchtlingen wälzte sich wie eine zweite
das nächste Beben konnte ihn vollends Finsternis über CRULT. Massiert im Be­
in sich zusammenbrechen lassen. reich der mittleren Terrasse, aber im
Trümmer lagen überall. Größere Grunde überall hingen Wolken von Fahr­
Wand- oder Deckensegmente hatten sich zeugen wie Schwärme aufgebrachter In­
mitunter verkeilt und so noch das sekten.
Schlimmste verhindert. Danton fragte sich, wie viele Tote und
Ein schenkeldicker Wasserstrahl Verletzte zu beklagen sein mochten. Al­
fauchte aus einer Trennwand in die Hö­ lein unter den Gebäudetrümmern konn­
he, klatschte gegen die Reste der De­ ten Tausende begraben liegen. Und die
ckenkonstruktion und regnete weitflä­ Zahl der Opfer würde weiter steigen.
chig ab. Hier und da standen schon Er hatte Verluste akzeptiert. Ein chir­
zentimeterhohe Pfützen. urgisch sauberer Anschlag auf Antakur
Opfergang 25

war bereits in den ersten Situations­ ren und Jahrzehnten gewünscht, wieder
analysen als illusorisch erkannt wor­ dort zu sein, wo er glücklich gewesen
den. war und mit Illusionen und dem uner­
Danton verschanzte sich nicht hinter schütterlichen Glauben an das Gute sein
den Simulationsberechnungen. Er stand Leben als Michael Reginald Rhodan ab­
dazu, dass sein Einsatz gegen CRULT gestreift und ein neues begonnen hatte.
auf beiden Seiten nicht ohne Verluste ab­ Wie leicht war das Leben gewesen in
gehen würde. Ihm war ebenso klar, dass Kniehosen, Rüschenhemd und mit
es wie stets die Unbeteiligten zuerst tref­ Schnallenschuhen an den Füßen.
fen würde, die Techniker, Wissenschaft­ Aber dann hatte er den Degen jener
ler, all jene, die mit der Versorgung einer besseren Zeit und die Manieren des fran­
Metropole wie CRULT zu tun hatten, oh­ zösischen Höflings aus dem zu Ende ge­
ne selbst jemals eine Waffe in die Hand henden 18. Jahrhundert eingetauscht
genommen zu haben. gegen Massenvernichtungswaffen und
Aber ihrem Tod gegenüber standen die Erkenntnis, dass man der Stärkere
Milliarden Menschen und Galaktiker, die sein musste, um zu überleben. Er wollte
seit Jahren allein im Solsystem in perma­ nicht länger der Amboss sein, sondern
nenter Furcht lebten. Antakur von Bit­ der Hammer. Dieses französische Sprich­
velt würde über den Fall des Solsystems wort war ihm eben in den Sinn gekom­
mit einer geringschätzigen Handbewe­ men.
gung hinweggehen wie jemand, der ein »Danton!«
lästiges Insekt verscheuchte. Und gewiss Da war ein Wispern an seinem Ohr.
würde er nicht einen Gedanken darauf »He, Roi – bist du hin?«
verschwenden, wie viele intelligente Le­ Die Stimme klang zunehmend aggres­
bewesen während eines Angriffs seiner siv. Rhodans Sohn glaubte, Rinka Porol
Chaos-Geschwader umgekommen wa­ zu hören.
ren. »Ich weigere mich aufzuschreiben,
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Genau dass der Dunkle Ermittler dich plattge­
diese abgedroschene Phrase hatte Dan­ macht hat. Sag schon was, Mann!«
ton nicht als Rechtfertigung sehen wol­ »Rinka ...?«
len. Letztlich blieb ihm nichts anderes. Die Mikro-Bestie schwebte wenige
Er hatte seine Entscheidung getroffen. Meter unter ihm, aber immer noch hoch
Und wer, wenn nicht er selbst, hatte über dem Trümmerfeld. Danton ent­
schon so oft am eigenen Leib erfahren deckte sie schnell, als er sich umsah. Er
müssen, wie grausam das Leben sein stellte fest, dass Rinka Porol ihn offenbar
konnte. eindringlich musterte.
Es galt, Zeit zu gewinnen für die »Ich hab wirklich schon befürchtet, du
Menschheit und die Galaktiker. Für alle wärst hinüber.«
Völker im Umkreis der entstehenden Ne­ »Ce n’est pas la mer à boire.« Der Ter­
gasphäre von Hangay. raner schüttelte den Hauch von Nach­
Und dafür musste beinahe jedes Mittel denklichkeit ab. Vielleicht, sagte er sich,
recht sein. Danton konnte nicht anders. würde in Kürze sein ganzes Leben wie
Die Zeit der Nadelstiche war vorbei. ein Film an ihm vorüberziehen.
Danton biss die Zähne zusammen, bis »Hä?«, machte Rinka.
die Kiefergelenke schmerzten. Das ver­ »Es ist nicht so schlimm, wie du
trieb den Anfall von Schuldgefühl. denkst«, übersetzte Danton.
»C’est mon jeu«, murmelte er fast laut­ Jetzt galt es, den Zenter-Kreis aufzu­
los vor sich hin. »Il faut être enclume ou suchen und zu Antakur von Bitvelt in die
marteau.« Anthrazit-Sphäre vorzudringen. Wenn
Wie oft hatte er sich in den letzten Jah­ er länger wartete, lief er Gefahr, dass die
26 HUBERT HAENSEL

Truppen eingriffen, die CRULT bislang davongekommen war. In einigen Berei­


gegen einen Angriff von außen absicher­ chen wirkte die Terrasse, als wäre sie
ten. umgepflügt worden. Affkaru war wie ein
Roi Danton durfte nicht damit rech­ Kartenhaus in sich zusammengebrochen,
nen, den Anschlag zu überleben. Nicht, nachdem es bange Momente lang ausge­
seit die Zündung des Feld-Emitters ihm sehen hatte, als könne der Horst der Be­
gezeigt hatte, welch ungeheuerliche Psi- benwelle trotzen. Zwei der kleineren
Kraft der Nukleus in den so unscheinba­ Türme waren seitlich weggebrochen, sie
ren Waffen komprimiert hatte. Der Stoß- hatten einen Teil des Fundaments zer­
Emitter, der Antakurs Ende herbeiführen schmettert. Der Hauptturm, in dem sich
sollte, war von ungleich stärkerer Bri­ das Einsatzkommando aufgehalten hat­
sanz. te, schien einfach in den Boden gerammt
Wahrscheinlich würde die Zündung worden zu sein. Schräg ragte er aus ei­
des Emitters Dantons letzte bewusste nem Wall von Schutt auf, nicht mehr als
Handlung sein. ein Skelett, das bislang von seinen tra­
Und dann? genden Teilen zusammengehalten wur­
Irgendwo, tief in seinem Unterbe­ de. Wie lange noch, vermochte niemand
wusstsein verankert, hoffte er auf ein zu sagen.
Weiterleben, in welcher Form auch im­ Danton ließ sich an der aufgebroche­
mer. Die terranische Geschichte kannte nen Fassade entlang in die Tiefe sinken.
unzählige Beispiele. Die Bewusstseine Rinka folgte ihm dichtauf.
der Altmutanten hatten letztlich in ei­ Düsternis bestimmte das Bild. Dichter
nem Block aus PEW-Metall existiert. Qualm breitete sich über dem Distrikt
Ernst Ellert, quasi durch einen Unfall aus; dem Terraner erschien er wie ein
ums Leben gekommen, lange bevor Mi­ Leichentuch. Stille hing über den Stra­
chael Reginald Rhodan überhaupt gebo­ ßen und Plätzen, in denen noch vor Mi­
ren worden war, hatte in seinem körper­ nuten das Leben pulsierte.
losen Dasein Raum und Zeit durchstreift. Es war die Stille des Todes.
Längst war Ellert ein Teil von ES.
Eine Existenz wie die von Ellert – als *
bloßes Bewusstsein die Ewigkeit zu
durchstreifen, das konnte Roi Danton Nur wenige Sekunden schwebte Dan­
gefallen. Eine rastlose Ader hatte er nie ton neben der aufgebrochenen Fassade
abstreiten können. und blickte hinab zum Zenter-Kreis. Ein
Ein Leben von der Geburt des Univer­ neues Abbild des Progress-Wahrers
sums bis zu dessen Ende; verweilen, wo schob sich soeben aus dem Silberturm
es ihm gefiel; in die Entwicklung von In­ hervor. Wahrscheinlich würde auch die­
dividuen und Völkern eingreifen, sie för­ ses wieder bis über CRULT hinaus an­
dern, ihre Aufbruchsstimmung miterle­ schwellen und im Raum verwehen, be­
ben ... Danton geriet ins Schwärmen, gleitet von einem markerschütternden
sobald er daran dachte. mentalen Aufschrei. Ein Zeichen für An­
Will ich das wirklich? In ebensolcher takurs hilflose Qual?
Regelmäßigkeit brach auch diese Frage Danton schwang sich über die Mauer­
in ihm auf. reste hinweg, die auf ihn keinen sonder­
Bislang blieb war er sich die Antwort lich stabilen Eindruck mehr machten.
schuldig geblieben. Affkaru war weitgehend in archaisch an­
Wie in diesem Moment. mutender Bauweise errichtet worden.
Danton blickte in die Tiefe. Angesichts Offensichtlich dienten zumindest der
der Verwüstung erschien es ihm wie ein Stabilisierung einzelner Segmente hoch
Wunder, dass er selbst mit dem Leben technisierte Baustoffe, andernfalls wäre
Opfergang 27

der Horst längst vollends in sich zusam­ »Wo ist Zerberoff?«, unterbrach Dan­
mengesunken. ton den Redeschwall. Sein Gegenüber,
Nur für einen Moment hatte der Ter­ dessen Halsgefieder sichtlich gelitten
raner mit dem Gedanken gespielt, allein hatte, erinnerte ihn eher an einen der aus
im Schutz seines Dunkelfelds loszuflie­ Genmaterial wiedererweckten irdischen
gen. Ein solches Hasardspiel verbot sich Geier als an einen Ganschkaren.
aber von selbst. Dass im Bereich des »Wir sind dabei, den Kapitän unter
Zenter-Kreises gegnerische Truppen zu­ den Trümmern hervorzuholen.«
sammengezogen wurden, lag auf der Danton stieß eine Verwünschung her­
Hand. Ohne Begleiter hatte Danton vor. Ausgerechnet Zerberoff, der sich na­
kaum eine Chance, zu Antakur vorzu­ hezu überall ungehindert bewegen konn­
dringen. te. Andererseits hatte der Dual seine
Die Ersten seiner Leute kamen ihm Aufgabe erfüllt, Registereinheit 1.199.188
entgegen. Ihre Masken als Mor’Daer oder auf CRULT einzuschleusen. Falls er jetzt
Ganschkaren ließen sie seltsam aus­ ausfiel, brachte das kaum noch nennens­
druckslos erscheinen. Danton hätte viel werte Probleme.
dafür gegeben, in ihren Gesichtern zu Auch die Mikro-Bestien um Senego
sehen, wie es um sie stand. Etliche hatten Trainz und seinen Stellvertreter Celvius
bereits Einsätze gegen die Kolonne hin­ hatten eine Chance, als Kolonnen-Ange­
ter sich, ihnen war von Anfang an be­ hörige durchzugehen und weit genug
wusst gewesen, worauf sie sich einlie­ vorzudringen. So wie Danton selbst.
ßen. Kaum jemand würde in der herrschen­
Aber dennoch: CRULT war anders als den Verwirrung wagen, sich einem Du­
die Jagd auf versprengte Traitanks, alen Kapitän entgegenzustellen.
TRAI-Versorger oder der Versuch, ein­ Der Terraner spielte mit dem Gedan­
zelne Gruppen von Kolonnen-Ángehöri­ ken, die Yrendir-Maske wieder zu schlie­
gen aufzuspüren. ßen. Er entschied sich dagegen, denn die
CRULT, das hieß zumindest für Dan­ unnatürlich verkrümmte Haltung würde
ton, alles auf eine Karte zu setzen. Der er noch lange genug ertragen müssen.
Hydra den Kopf abzuschlagen, damit »Ich will mit Zerberoff reden!«, unter­
andere die Zeit nutzen konnten, bevor brach er den Ganschkaren. Der Mann
dem Ungeheuer zwei neue Köpfe nach­ hatte eben etwas von Mikro-Bestien und
wuchsen. Während dieser Frist galt es, TLD-Leuten gesagt, die alle Räume nach
dem Monstrum schwerste Verletzungen Verschütteten durchsuchten. Danton
beizubringen. hatte aber nicht einmal mit halbem Ohr
Wenn er nur gewusst hätte, wie er den zugehört.
Halsstumpf der Hydra TRAITOR aus­ »Ich bringe dich zu ihm.«
brennen könnte ... Der Turm war keineswegs schon zur
»Ausfälle?«, fragte Danton knapp. Ihm Ruhe gekommen, aber das würde er wohl
behagten die eigenen Gedanken nicht. auch nicht mehr.
Wehmut schwang in ihnen mit und eine Danton blieb abrupt stehen, als er vor
Portion Fatalismus. sich nachrutschendes Geröll bemerkte.
Einer der Männer versuchte zu salu­ Sekunden später brach der Boden auf.
tieren. Ein breiter Riss sprang von einer Seite
Rhodans Sohn winkte schroff ab. »Es des Raumes zur anderen, und fast hatte
gibt Wichtigeres«, sagte er ungehalten. es den Anschein, als breche der halbe
»Also ...?« Raum nach außen weg.
»Einige Verletzte, nichts Gravierendes. Aber letztlich verschwanden nur etli­
Zum Glück hatten die meisten ihre Schir­ che Kubikmeter Schutt polternd und
me aktiviert, als der Turm absackte ...« dröhnend in den unteren Etagen.
28 HUBERT HAENSEL

»Sobald alle Verletzten versorgt sind, auf die psionische Ladung, das haben
verziehen wir uns!«, sagte Danton. wir beide deutlich bemerkt. – Ich will
Der Ganschkare machte ein Zeichen nicht, dass du stirbst!«
der Zustimmung. Beide Köpfe wandten sich Danton zu.
Die ersten Gruppen sammelten sich Ihre Mimik drückte Verblüffung aus.
bereits. Danton sah zwei verletzte Män­ »Du meinst das ernst, wie?« Der Dual
ner, deren Mor’Daer-Masken unbrauch­ wälzte sich auf seine Mor’Daer-Seite und
bar geworden waren. Sie selbst hatten stemmte sich mit dem kräftigen Schup­
tiefe Fleischwunden davongetragen. Mit penarm in die Höhe. »Wie kannst du so
dem Plasmaspray aus ihrer Ausrüstung schnell vergessen, dass wir bis vor Kur­
stoppten sie die Blutungen. zem Todfeinde waren?«
»Tut mir leid, aber beim Zenter-Kreis »Du sagst es: Wir waren Feinde, aber
könnt ihr nicht dabei sein«, sagte Dan­ das waren mein Vater und Atlan auch
ton. »Ihr bleibt als Beobachter hier in der einmal. Es liegt wohl in der Familie,
Nähe. Inmitten der Verwüstungen wird Feinde zu Freunden zu machen«, sagte
kaum jemand nach aktivierten Dunkel­ Danton leichthin. »Jetzt streiten wir je­
schirmen suchen.« denfalls gemeinsam.«
Im Kernbereich des Turms lag der Er stutzte. Etwas an Zerbones und
Schutt höher. Hier war die Decke über Aroffs Blicken irritierte ihn.
mehrere Stockwerke herabgebrochen »Oder?«, fragte der Terraner zögernd.
und hatte sich verkeilt. Wasser gischtete »Wir kämpfen gemeinsam«, bestätigte
in die Tiefe, ergoss sich aber auch in die Aroff.
angrenzenden Räume. Wenige Meter »Aber nicht in erster Linie für die Kos­
hinter Danton rutschte eine der großen mokraten«, fügte Zerbone mit Nach­
Platten ab und schlug gut zwanzig Meter druck hinzu. »Wir stehen auf der Seite
tiefer auf. Die Erschütterungen ließen des Zorns, des Hasses ...«
neue Risse entstehen. »... und der Rache?«
Dann sah Danton den Dualen Kapi­ »So ist es, Dantyren! Uns verbindet
tän. die Rache mehr als alles andere.«
Mehrere Terraner trugen Zerberoff
zwischen sich und ließen ihn auf ein frei *
geräumtes Stück Boden sinken. Der Du­
al bewegte sich nicht. Erst als jemand Roi Danton fühlte sich mit einem Mal
versuchte, seine Schutzmontur zu öff­ äußerst unbehaglich. Nachdenklich
nen, hob er die Arme und schob den musterte er sein Gegenüber, aber er
Mann zur Seite. Mit einiger Mühe öffne­ schob den Verdacht weit von sich, der
te er selbst beide Helme. Duale Kapitän könne ihn durchschaut
»Wie fühlst du dich?« Danton kniete haben. Eher hatte Zerberoff Rück­
neben dem Kapitän nieder. schlüsse aus seinen eigenen Beweggrün­
»Gut«, log Aroff. den gezogen.
»Du hast deinen Anteil am Abenteuer »Wichtig ist nur, dass wir unser Ziel
gehabt. Ich werde dich mit den anderen erreichen«, sagte Aroff heiser.
Verwundeten ins Schiff zurückschicken. Danton schwieg dazu.
Hier bist du ohnehin zu nahe am Gesche­ »Der Weg bis zum Ergebnis ist zweit­
hen. Die Zündung des zweiten Emitters rangig«, fuhr Zerbone fort. »Er richtet
könnte dich töten.« sich nach den jeweiligen Gegebenheiten.
»Oben am Landefeld auch!«, zischte Einzig und allein die Effizienz zählt.«
Zerbone. Schwankend versuchte Zerberoff,
»Darüber reden wir später«, sagte wieder auf die Beine zu kommen. Dass
Danton abwehrend. »Du reagierst stark ihm die Bewegung schwerfiel, sah Dan­
Opfergang 29

ton am schmerzvollen Zusammenzucken und sprangen es an. Der Effremi über­


des Duals. schlug sich im schnellen Lauf und ver­
»Das ist Kolonnen-Philosophie«, wi­ schwand aus Dantons Blickfeld.
dersprach der Terraner. »Ich glaube Ohnehin achtete der Terraner in dem
nicht, dass wir sie uns aneignen soll­ Moment nur auf Zerberoff. Der Dual
ten.« hatte den Aroff-Kopf weit in den Nacken
»Wennschon. Wir wissen beide, was geworfen, der Schnabel öffnete sich zu
wir erreichen wollen. Wir ...« Zerberoff einem lautlosen Schrei. Stockend mach­
schwieg jäh. Seine Köpfe blickten an te der Kapitän zwei Schritte, dann
Danton vorbei. krümmte er sich vornüber und sackte auf
Aus den Augenwinkeln hatte der Ter­ die Knie. Als Danton ihn erreichte, kipp­
raner ebenfalls eine Bewegung wahrge­ te Zerberoffs schon schwer atmend zur
nommen. Als Zerberoff so offensichtlich Seite.
zur Außenwand schaute, wandte Danton Mit einem raschen Blick überzeugte
sich halb um. sich der Terraner, dass von den Angrei­
Drei Effremi waren an der Fassade fern keine Gefahr mehr drohte. Die Mi­
nach oben geklettert. Sie schwangen sich kro-Bestien hatten kompromisslos re­
soeben nach innen – und erstarrten gera­ agiert. Weitere Effremi schienen nicht an
dezu, als sie den Dual sahen. Ihre großen der Fassade emporzuklettern. Jedenfalls
dunklen Augen richteten sich für einen standen schon mehrere Terraner an der
Moment auf Zerberoff. Außenwand und blickten suchend nach
»Herr, wir wussten nicht ...« unten. Ihre Gesten waren eindeutig.
Unruhig huschten ihre Blicke weiter, Blut quoll zwischen Aroffs Schnabel­
erfassten Mor’Daer und Ganschkaren hälften hervor und rann über sein Gefie-
und zweifellos auch die Mikro-Bestien der. Mehrmals versuchte der Ganschkare
im Hintergrund. Dann hatte Danton den zu reden, brachte aber nicht mehr als ein
Eindruck, dass sich die Blicke an ihm unverständliches Krächzen hervor.
festfraßen und ihn geradezu sezierten. »Mich hat ein Streifschuss erwischt«,
Seine Yrendir-Maske! Sie war nach murmelte Zerbone.
wie vor nur eine schlaffe Hülle an seiner »Was war das für eine Waffe?« Danton
rechten Seite. Unschwer zu erkennen, hatte zwar die Desintegratorschüsse re­
dass er als Dual ein Betrüger war. gistriert, doch Zerberoffs Schutzanzug
Instinktiv begriffen die Effremi. Sie ließ keine Auflösungserscheinungen er­
huschten auseinander, und zumindest kennen.
zwei von ihnen waren bewaffnet. »Wechselnde kinetische Felder.« Zer­
Um Haaresbreite entging Danton ei­ bone sprach leise und abgehackt. »Sie
nem Desintegratorschuss. Er rollte sich wirken nur ... auf organische Materie.
herum, während neben ihm der nächste Eine alte Effremiten-Waffe. Nichts ...
Schuss den Boden auflöste. was für die Kolonne interessant ...« Hus­
Zerberoff stand da wie erstarrt. Dan­ tend brach er ab. Danton entging nicht,
ton gewann den Eindruck, dass sich der dass sich seine Schuppenhand ver­
Dual in den Singulären Intellekt versetzt krampfte. Beide Körperhälften, auch
hatte und die Effremi mit Endogener wenn sie über ihre eigenständigen Ner­
Qual angriff. vensysteme verfügten, empfanden den
Weitere Schüsse fauchten. Der Auf­ Schmerz.
schrei eines Effremi brach jäh ab. Ein Khiz Turagga drängte sich an dem
anderer hetzte mit wilden Sprüngen Terraner vorbei. Der Bestien-Mediker
durch den Raum. Er wurde von Mikro- widmete sich dem zur Seite gesunkenen
Bestien verfolgt. Wie jagende Raubkat­ Ganschkaren-Kopf und schob die Da­
zen schnitten sie ihrem Opfer den Weg ab tenbrille zur Seite. Aroffs Nickhäute wa­
30 HUBERT HAENSEL

ren halb geschlossen, sein Blick, als er »Eine Skapalm-Bark müsste über dei­
aufschaute, wirkt unendlich müde. Im­ ne vollständige Bio-Bibliothek verfü­
merhin war der aus seinem Schnabel gen«, bemerkte der Terraner. »Wenn das
hervorsickernde Blutfaden dünner ge­ hier vorbei ist ...«
worden. Das blieb auch so, als Aroff ein »Dafür ist keine Zeit!«, fuhr Zerbone
schwaches Ächzen ausstieß. auf. »Ich vertrage die Wahrheit, also lass
In einer hilflos anmutenden Geste diese armseligen Almosen ... Wenn deine
breitete Turagga beide Armpaare aus. Berichte stimmen, dann bin ich ... sind
»Innere Verletzungen«, sagte er Aroff und Zerbone ... nur Kopien. Unse­
schwach. »Ich sehe keine Möglichkeit für re Originale liegen in einem Tresor ...«
eine sinnvolle Behandlung. Nicht hier »Darüber werde ich jetzt nicht disku­
jedenfalls.« tieren!«, wehrte Danton heftig ab. »Ent­
Ein Hustenanfall schüttelte Zerbone. scheide dich: zu unserem Traitank zu­
Keuchend rang der Mor’Daer nach Atem. rück oder hierbleiben?«
Auch Aroff stieß heisere Geräusche aus. »Du vergisst ... die dritte Wahl.«
»Der Assassine hat recht«, brachte Zerberoffs massiger Körper bebte, als
Zerbone schließlich hervor. »Die Schutt­ er sich in die Höhe stemmte. Schwer at­
brocken haben mir schon zugesetzt ... mend verharrte er auf den Knien, dann
aber die kinetischen Felder haben einige erst traf er Anstalten, sich vollends auf­
Organe wohl vollends gequetscht.« Ein zurichten. Dass Danton ihm eine Hand
Zittern durchlief den massigen Körper. entgegenstreckte, ignorierte er.
Als Zerbone wieder hustete, spuckte »Lass mich!«, zischte Zerbone wütend.
auch er Blut. »Ich weiß, dass es mit mir zu Ende geht.
»Ich lasse dich zum Traitank bringen«, Aber ich will Antakur sterben sehen. Al­
sagte Danton. so bleibe ich bei dir.«
»Unsinn!«, wehrte Zerbone ab. »In den »Zerberoff wird uns in Gefahr brin­
Medo-Komplexen der Kolonnen-Anato­ gen«, wandte einer der Terraner ein.
men auf CRULT ... wäre ich besser un­ Ruckartig wandte sich der Dual dem
tergebracht.« Sprecher zu. Beide Köpfe funkelten den
Die Stimme wurde fast unhörbar. Zer­ Mann zornig an.
bone schien selbst darüber zu erschre­ »Vielleicht muss ich euch helfen, den
cken. »Jetzt wohl ... nicht mehr«, brachte Stoß-Emitter in die Anthrazit-Sphäre zu
er im dritten Anlauf einsichtig hervor. bringen«, sagte Zerbone überraschend
»Nur eine Skapalm-Bark könnte mir ruhig. »Übernimmst du die Verantwor­
helfen ...« tung, wenn ich dann nicht in eurer Nähe
Als ahnte er Dantons Gedanken in bin?«
dem Moment, hob Zerberoff abwehrend »Wir brechen auf!«, entschied Danton.
beide Arme. Seine Hände zitterten, er »Und Zerberoff begleitet uns, solange er
ließ sie deshalb schnell wieder sinken. durchhält.«
»Da draußen ist keine Skapalm-Bark. Mit hastigen Bewegungen rückte er
Mich an Bord zu schaffen wäre ohnehin die Yrendir-Maske zurecht und befestig­
euer Ende. Und Antakur ...« te sie. Kalbaron Frownie half ihm da­
»Ich bin nicht verwegen genug, an so bei.
etwas überhaupt zu denken«, unterbrach
Danton schroff. Das war nicht ganz die
Wahrheit. Ein flüchtiger Gedanke hatte 5.
ihn schon bewegt.
»Zerberoff ist nicht mehr wichtig!«, »Verfluchte hochnäsige Ignoranten!«
sagte Aroff hastig. »Das Ziel ist Anta­ Keuchend blieb Taress stehen. Er sah
kur ... vergiss das nicht, Danton!« ein, dass es sinnlos geworden war, hinter
Opfergang 31

den Ganschkaren herzurennen. Trotz ih­ kroch schon jetzt an den Steilwänden
rer lächerlichen alten Lastenplattform empor.
waren sie schneller als er. Vielleicht blieben nur noch Stunden,
Den Verzweiflungstränen nahe, raffte bis CRULT in Schutt und Asche versank,
der Kas’h zwei faustgroße Geröllbrocken im günstigsten Fall ein oder zwei Tage.
auf. Mit aller Kraft schleuderte er den Taress war überzeugt davon, dass er
ersten Stein den Fliehenden hinterher. sich nicht täuschte. Ein Dimensionstheo­
Aber er hatte schlecht gezielt. Das kan­ retiker seines Kalibers irrte sich nie. Er
tige Geschoss verfehlte die Antigravplat­ war der Beste der fünf Kas’h auf CRULT,
te um gut eineinhalb Mannslängen. abgesehen von seiner Frau und den Kin­
Taress hastete ein paar Schritte weiter dern. Aber das änderte nichts daran,
und warf den zweiten Brocken. Er sah, dass er bald tot sein würde.
dass der Stein einen der Ganschkaren an Wieder raffte er sich auf. Die Hornze­
der Schulter traf, und trotz des allgegen­ hen gruben sich in den Untergrund ein
wärtigen Lärms glaubte er sogar, den und gaben ihm Halt. Aber seine Beine
Aufschrei des Avoiden zu hören. Schlaff schmerzten. Er hatte sich bei der Flucht
wie ein Sack rutschte der Kerl von der aus dem einstürzenden Gebäude die
Sitzplatte. schützende Hornschicht abgerissen, und
In der nächsten Sekunde lag Taress Knochen und Sehnen lagen bloß.
bäuchlings im Geröll und schluckte den Ringsum gab es nur noch Ruinen. Der
aufwirbelnden Staub. Nur eine Hand­ Wohndistrikt war zum Trümmerfeld ge­
breit neben ihm fraß sich die Glutspur worden, unter dem der Boden aufbrach.
eines Strahlschusses durch den Dreck. Taress spürte die steten Erschütterun­
Er spürte die sengende Hitze und die glü­ gen. Sein feiner Gleichgewichtssinn ver­
henden Gesteinssplitter, die sich in sein riet ihm, dass in der Nähe eine neue Ver­
Gesicht brannten. werfung entstand. Unmengen Schutt
Die Ganschkaren dachten gar nicht wurden vom Untergrund verschluckt.
daran, ihn und Molon und die Kinder Der Lärm war ohrenbetäubend.
mitzunehmen. Obwohl ihre Antigrav­ Wie ... auf einem ... Planeten, dachte er.
platte noch ausreichend Platz geboten Das hier dürfte gar nicht passieren.
hätte. Vier Personen mehr, was spielte Taress blieb stehen, um aufzuspüren,
das für eine Rolle? in welche Richtung die neue Verwerfung
Ein zweiter Schuss fauchte dicht über lief. Sie entfernte sich. Als er sich wieder
Taress hinweg. Er hörte Molon gellend umwandte, kamen Tao und Gui auf ihn
schreien und wälzte sich herum. Für ei­ zu. Molon folgte ihnen mit einigem Ab­
nen Moment vergaß er die Gefahr, in der stand. Vergeblich rief sie die Kinder zur
er immer noch schwebte. Er glaubte, sein Ordnung.
Herz müsse stehen bleiben, als er Molon Gui sprang ihn an, Taress fing sie mit
auf den Knien sah und neben ihr die leb­ beiden Armen auf. Sofort plapperte die
losen Kinder. Kleine drauflos. Tao, ihr Bruder, war wie
Auf allen vieren raffte er sich auf. Er stets schweigsamer. Er stand nur da, um­
taumelte – und stürzte, als ein neuer hef­ klammerte Taress’ Beine und schaute
tiger Stoß den Untergrund erschütterte. sich um.
Hoch über ihm zogen Gleiterpulks vor­ Gui schimpfte auf die Ganschkaren.
über. Es sah aus, als wollten die schwe­ Auf gewisse Weise, dachte Taress, trug
ren Maschinen auf der nächsten Platt­ sie viel von seinen Genen in sich. Auch
form landen. Taress glaubte nicht, dass mit den Dimensionstheorien wusste sie
es dort oben besser war. Vielleicht für schon überraschend viel anzufangen.
kurze Zeit. Aber die Erschütterungen »... sie müssen nicht auf uns schießen,
würden zunehmen, und die Schwärze oder? Aber wir haben uns einfach tot ge­
32 HUBERT HAENSEL

stellt. Das ist doch richtig, Taress, nicht »Sag mir, wie ich das machen soll!«
wahr? Tot stellen hilft immer.« Taress zeigte zurück in die Richtung, in
Ein angeborener Reflex. Er stammte der ihre Wohnung gewesen war. Eine Ge­
aus der Zeit, als die Kas’h noch die Gras­ röllwüste, Rauch und hoch lodernde
steppen ihres Planeten beherrscht hat­ Flammen, mehr war nicht geblieben. Das
ten. Als es nur einen einzigen Gegner Feuer hatte einen Sturm entfacht, der
gegeben hatte, die räuberischen Greif­ immer heftiger Dreck und Staub heran­
segler. Taress wusste nicht einmal, ob peitschte.
diese Welt noch existierte. Die Kas’h leb­ »Was ist mit deinem Armband?«
ten längst in alle Dimensionen ver­ Taress lachte heiser. »Wenn du willst,
streut. versuch’s damit. Die Frequenzen sind
»Ihr beide habt mir schreckliche Angst lahmgelegt.«
eingejagt, Kleines«, wollte Taress erwi­ Das Rumoren im Untergrund wurde
dern, doch er brachte den Satz nicht über heftiger. Taress sah, wie sich Molons Ge­
die Lippen. Stattdessen nickte er nur. sicht vor Furcht verzerrte. Die Erschüt­
»Tot stellen ist gut«, sagte er. terungen schienen diesmal nicht enden
Zögernd streckte Molon die Hand nach zu wollen.
ihm aus. Mit allen drei Fingern tastete Molon konnte sich schon kurz darauf
sie über Taress’ Gesicht. nicht mehr auf den Beinen halten. Taress
Der Dimensionstheoretiker spürte ih­ strauchelte ebenfalls. Er hörte Gui wim­
re Berührung als tobenden Schmerz. An mern und presste sie fest an sich.
Stahlträgern hatte er sich die Haut ab­ Explosionen rissen den Boden auf.
geschürft, das dünne Fleisch lag bloß, Energiewolken trieben in die Höhe und
und Molons Finger klebten von seinem verflüchtigten sich. Dann brach die Ter­
Blut. Taress sah, dass seine Frau weinte. rasse großflächig ein. Aufsteigende dich­
Sie hatte den Schock noch nicht über­ te Wolken verhüllten die Sicht. Ein
wunden, den erst die Erschütterungen fürchterlicher Gestank nach Ozon und
in ihr ausgelöst hatten und dann der metallischen Legierungen breitete sich
Einsturz aller Gebäude in diesem aus. Dämpfe fauchten unter Druck aus
Distrikt. schmalen Spalten, sie verbreiteten ein
Die panische Flucht hatte Molon mehr bitteres Aroma.
in Trance überstanden. Taress war froh, Zu glauben, dass ein Dunkler Ermitt­
dass sie die erbitterten Kämpfe um die ler diese unglaublichen Verwüstungen
letzten Fahrzeuge nicht mehr bewusst angerichtet hatte, fiel Taress nach wie
wahrgenommen hatte. Die Schnellsten vor schwer. Dabei hatte er die leuchtende
und die Stärksten hatten sich durchge­ Schwärze deutlich gesehen, die in gerin­
setzt. ger Höhe über den Distrikt hinweggezo­
Kas’h waren schnell, die Natur hatte gen war.
es so eingerichtet, auch wenn sie ihre In­ Niemals hätte er geglaubt, dass sich
stinkte längst nicht mehr brauchten, seit Dunkle Ermittler gegen CRULT stellen
sie dem Planeten entwachsen waren. könnten oder dass sie zu solchen Verhee­
Wir wären ohne die Kinder schnell ge­ rungen imstande waren. Ermittler waren
wesen, ging es Taress durch den Sinn. Kundschafter, nicht mehr. Keine ...
Aber stark? Nein, die Kraft fehlte ihnen. Kämpfer.
Sie kompensierten das mit ihrem Wissen Er gab dem Schwall Psionischer Ener­
über Dimensionseinflüsse. gie die Schuld an der verheerenden Ent­
»Warum rufst du keinen Terminalen wicklung.
Herold zu Hilfe?« Molons Stimme klang Taress hatte die ungewöhnliche Flut
plötzlich unglaublich wütend. »Sie sind im Schlaf wahrgenommen, und Molon
uns verpflichtet.« war ebenfalls davon aufgeschreckt. Sie
Opfergang 33

hatte sogar vorübergehend die Orientie­ Der große Einbruch der Terrasse war
rung verloren. bis auf wenige hundert Schritt nahe.
Als Ausgangspunkt hatte der Dimen­ Taress versuchte, mehr zu erkennen, aber
sionstheoretiker einen Bereich zwischen der aufsteigende Dunst machte den Tag
dem Dunklen Distrikt und den Wohnge­ zur Nacht. Einer Nacht allerdings, der
bäuden erkannt. Deshalb hatte er an­ das quirlende Leben fehlte.
fangs die Dunklen Ermittler als Urheber Molon stand ebenfalls schon wieder
angesehen und auf eine Meldung ver­ auf den Beinen. Sie streckte eine Hand
zichtet. aus, völlig unmotiviert, wie es Taress er­
»Das war ein Fehler«, murmelte er. schien. »Wir sollten in die Richtung ge­
»Was?« Molon hob den Kopf. Ihr Blick hen. Ich denke, dort erreichen wir den
war ein einziger stummer Vorwurf. »Was nächsten Distrikt am schnellsten.«
war ein Fehler?«, drängte sie. Und falls nicht? Wenn es dort nicht
»Seit diesem Psionischen Schwall anders aussah, weil mittlerweile die gan­
spielt CRULT verrückt.« ze Dienstburg verwüstet war? Ein ent­
Taress war sich seiner falschen Reakti­ setzlicher Gedanke war das, der sich
on bewusst. Statt immer noch ein wenig Taress aufdrängte. Vielleicht erlebten sie
mehr herausfinden zu wollen, hätte er den Anfang vom Ende der Terminalen
sich sofort an das Progress-Amt wenden Kolonne.
sollen. Vielleicht wären die unglaublichen »TRAITOR ist immer gewesen und
Zerstörungen zu verhindern gewesen. wird immer sein«, hörte er sich sagen. So
»Ich glaube immer noch nicht, dass hatte er es gelernt.
ausgerechnet die Quanten der Finsternis Er ignorierte Molons erschütterten
CRULT angreifen«, sagte er leise. Gui Blick und ging weiter. Durch eine Welt,
zitterte in seinen Armen, aber sie schien die nicht mehr die seine war. Die Zerstö­
kurz davor, einzuschlafen. »Vielleicht rungen waren allgegenwärtig. Ausge­
galt der Angriff des Dunklen Ermittlers schlossen, dass dafür die Dunklen Er­
dem wahren Gegner. Die psionischen mittler verantwortlich sein sollten.
Kräfte, die seit Wochen über die Dienst­ Taress hielt verwirrt inne. Er fragte
burg hereinbrechen, weisen durchaus sich, ob er noch in die richtige Richtung
ähnliche Strukturen auf.« ging. Als er zurückschaute, sah er einzel-
»Aber sie kommen aus größerer Ent­ ne Spuren im Dreck. Teils zwei oder drei
fernung.« Fußabdrücke nebeneinander und nicht
»... und von wechselnden Positionen. irgendwelche Stiefel, sondern Hornze­
Vielleicht hat sich der Feind inzwischen hen. Offensichtlich war er im Kreis ge­
auf CRULT eingeschlichen.« laufen.
Es tat gut, Molon wieder lachen zu hö­ Ihm war übel. Noch wollte er es nicht
ren, obwohl sie sich über ihn lustig wahrhaben, doch das Gefühl, auf
machte. Taress wusste, dass sie die schwankendem Boden zu stehen, kam
Dienstburg als uneinnehmbare Festung tief aus ihm selbst.
ansah. Erst recht, seit nicht nur etliche »Das ist Strangeness!«, hörte er Molon
Chaos-Geschwader, sondern sogar zwei sagen. »Spürst du deine Unsicherheit?«
Kolonnen-MASCHINEN in unmittelba­ Eine Spur zu hastig fuhr Taress her­
rer Nähe standen. um. Er schaffte es gerade noch, das
Irritiert richtete sich der Kas’h auf. Gleichgewicht zu halten und nicht mit
Die Beben verliefen sich allmählich. Was Gui im Arm in den Abgrund zu stürzen,
er noch wahrnahm, waren lediglich der sich neben ihm auftat.
schwache Erschütterungen unter der Kopfschüttelnd starrte er seine Frau
Oberfläche, die durch weitere Massever­ an. Ihr schlanker Körper erschien ihm
lagerungen ausgelöst wurden. mit einem Mal seltsam verzerrt, fast
Opfergang 37

schon, als wolle sie auseinanderbre­ hinab, aber er konnte nicht viel erken­
chen. nen. Eine große Bodenplatte war abge­
Strangeness ... Taress kannte die Er­ brochen. Von Trümmern übersät, führte
scheinungen zur Genüge, die mit nahezu sie schräg abwärts.
jedem Dimensionsübertritt einhergin­ Auch im Untergrund hatten die schwe­
gen. Die psychischen und physischen ren Erschütterungen Verwüstungen hin­
Auswirkungen reichten von allen Sta­ terlassen. Der Kas’h glaubte, geborstene
dien der Desorientierung über Bewusst­ Wände und abgeknickte Pfeiler zu sehen
losigkeit bis hin zur völligen Vernichtung – und dazwischen etwas riesig Großes,
des Individuums. das sich zuckend bewegte. Ihm war, als
Er spürte die Verwirrung. Allerdings streiche der Wind über die endlosen
war sie noch nicht so stark, dass es ihm Grassteppen des Heimatplaneten. Taress
schwergefallen wäre, darüber nachzu­ hatte diese Welt nie gesehen, aber den­
denken. noch war ihr Bild unauslöschlich in der
CRULT stand nach wie vor in der Res­ Kollektiverinnerung verankert.
sourcengalaxis, ein Dimensionswechsel Er setzte seinen Fuß auf die Schräge.
war nicht geplant. Zumindest im Mo­ Zögernd erst, dann schneller, und alles
ment hatte Taress also keine Erklärung um ihn herum versank in Bedeutungslo­
für das Phänomen. sigkeit.
»Die Strangeness kriecht aus den Dort unten war ein Stück seiner Hei­
Spalten im Untergrund empor«, behaup­ mat. Er hatte es nicht gewusst, obwohl
tete Molon. »Sie ist nicht besonders er schon so lange auf CRULT lebte.
stark. Wir müssen uns von den Aufbrü­ Taress ging weiter. Lockeres Geröll ge­
chen entfernen, dann wird die Unsicher­ riet unter ihm ins Rutschen. Er stürzte,
heit schwächer.« hörte Molon hinter ihm schreien und die
Taress lachte verhalten. Er ignorierte Stimmen der Kinder und rollte sich ein­
Molons Drängen. Nur die seit wenigen fach ab.
Augenblicken aus der Tiefe zu ihm her­ Auf dem Rücken blieb er liegen.
aufdringenden Geräusche interessierten Taress roch den betörenden Duft der
ihn, alles andere war nebensächlich ge­ blühenden Gräser und das feuchtschwe­
worden. re Aroma regennassen Bodens. Sanfter
Ein lang anhaltendes Stöhnen hing in Wind strich über ihn hinweg, und als er
der Luft. Es vermischte sich mit einem die Augen aufschlug, sah er hoch über
eigentümlichen Schleifen. Taress hatte sich einen riesigen orangefarbenen Glut­
das nie zuvor gehört. Er war geradezu ball, die Sonne MorKas’h.
fasziniert davon. Erst in dem Moment wusste Taress
Ein paar Schritte noch, dann stand er wirklich, dass er zu Hause angekommen
wieder am Rand der Abbruchkante. Weit war.
beugte Taress sich nach vorn, aber schon
schloss sich eine Hand um seinen Arm *
und zerrte ihn heftig zurück.
Ungläubig blickte er Molon an. Er ver­ Zum ersten Mal, seit er diesen Weg
stand nicht, was sie von ihm wollte und nahm, empfand der Effremi Jothadún
warum sich ihr Gesicht vor Erregung den Abstieg im Chaosschacht als bedrü­
blutrot verfärbte. Er ging einfach weiter. ckend.
Dass Molon ihm das Mädchen aus dem Wie immer hatte er sich den Tornister
Arm zerrte, interessierte ihn schon nicht des Flugaggregats auf den Rücken ge­
mehr. schnallt, und in der Hand hielt er den
Die Geräusche wurden lauter. Su­ armdicken, glatten Kollektorstab, der so
chend blickte Taress in die Düsternis lang war wie er selbst und ihm schon
38 HUBERT HAENSEL

mehrmals das Leben gerettet hatte. Ei­ gen weit von den verstümmelten Kör­
nes war heute anders: Er hielt den Stab pern entfernt, sogar die Kollektorstäbe
nicht, er verkrampfte die Finger gerade­ waren beschädigt.
zu um das Metall. Auch wenn er das Einem tobenden Laboraten ging man
nicht zugegeben hätte: Jothadún fürch­ besser weiträumig aus dem Weg. Die Be­
tete sich. ben hatten das Tier aufgescheucht, ver­
Nach einer Zeitspanne, die ihm wie mutete Jothadún. Er sah jetzt häufiger
eine Ewigkeit erschien, stand er endlich Risse in den Wänden. Geröll bedeckte
auf dem Boden des Chaosschachts. Eine den Boden. An größeren, kantigen Bro­
unheimliche Stille umfing ihn. Kein lang cken hatte der Laborat Schleim und
gezogenes Stöhnen hing in der Luft, von Hautfetzen hinterlassen, als er sich dar­
den vielfältigen Geräuschen, die der über hinweggeschoben hatte.
massige Leib des Laboraten bei jeder Der beißende Geruch wurde intensi­
Kontraktion verursachte, ganz zu ver. Jothadún spürte deutlich, dass er
schweigen. sich dem Laboraten näherte. Er griff
Witternd hob Jothadún die Nase. Er den Stab mit beiden Händen. Diesmal
nahm den gewohnt beißenden Geruch brauchte er das Metall nicht, um Krallen
wahr, diese Mischung aus Körperaus­ einzusammeln, sondern um die Tentakel
dünstungen und verwesendem Fleisch. abzuwehren.
Aber dieses Aroma erschien ihm heute Stimmen hallten heran. Jothadún ver­
nicht so drückend wie sonst. Andere Ge­ stand nicht, was sie riefen, aber er iden­
rüche mischten sich hinein. Jothadún tifizierte mehrere Schachtsteiger. Offen­
schmeckte schweren, fetten Qualm und bar setzten sie alles daran, den Laboraten
einen Hauch von Tod. zurückzudrängen.
Suchend blickte der Effremi um sich. Die schlimmsten Befürchtungen des
Er reagierte entsetzt, als er den finger­ Effremi wurden zur Gewissheit, als er
breiten Riss in der Schachtwand be­ die letzte der großen Höhlen erreichte.
merkte. Oben war ihm das nicht aufge­ Mehrere Steiger waren von dem toben­
fallen. Aber wer aus der Chaos-Phalanx den Tier an der Wand zerquetscht wor­
unterzog schon den Schacht einer Über­ den.
prüfung? Der rückwärtige Bereich der Höhle
Jothadún hatte sich nur gewundert, war eingestürzt. Das massige Tier hatte
warum er in den Vorbereitungsräumen den Geröllwall durchbrochen und zu
keinen der Schachtsteiger angetroffen beiden Seiten seines Körpers eine deut­
hatte. Sie waren hier unten. Durchaus liche Spur aus Gesteinsbrocken hinter­
möglich, dass die Beben auch im Reich lassen. Immerhin war es gut sechsmal so
des Laboraten Verwüstungen hinterlas­ lang wie ein ausgewachsener Effremi
sen hatten. und bestand fast nur aus Muskelmasse.
Im Laufschritt drang der Effremi in Trotz seiner kriechenden Fortbewegung
die Katakomben ein. Nur hin und wieder konnte der Laborat unglaublich schnell
blieb er stehen und schaute sich um. Die sein.
Schleimspuren an den Wänden stamm­ Jothadún schickte ein Stoßgebet zu
ten von dem Tier. Doch sie waren schon seinen Göttern. Es war lange her, dass er
angetrocknet und damit mindestens ei­ das zum letzten Mal getan hatte, wäh­
nen Tag alt. rend der Schlacht um das Kosmonu­
Hinter einer Biegung stieß Jothadún kleotid TRYCLAU-3. Er hatte damals
auf zwei Tote. Sie gehörten seit knapp nicht erwartet, dass ein Gebet allein hel­
einem Jahr zu den Steigern. Wahrschein­ fen würde, aber er hatte die alten Phra­
lich, sagte er sich, waren sie unvorsichtig sen in Gedanken zitiert, weil sie gutta­
geworden. Ihre zerfetzten Rucksäcke la­ ten. Nun erging es ihm wieder so.
Opfergang 39

Während seine Lippen in lautloser Der Laborat erreichte das Ende der
Zwiesprache bebten, erfasste er die be­ abgeknickten Bodenplatte. Mit hefti­
drückende Szenerie. gen Kontraktionen seines massigen
Vergeblich waren die Bemühungen Körpers schob er sich vollends in die
zweier Steiger, den Laboraten abzudrän­ Höhe.
gen. Zwei andere aus der Chaos-Phalanx Jothadún sah, dass jemand mit Stei­
lagen mit verdrehten Körpern am Boden; nen nach dem Tier warf. Ebenso gut hät­
ihre Kleidung war von den peitschenden te der Betreffende versuchen können,
Tentakeln des Untiers zerfetzt worden. einen Lastengleiter mit Pfeil und Bogen
Jothadún nahm an, dass der Geruch der abzuschießen.
Freiheit den Laboraten in einen wahren Laut rufend und mit den Händen win­
Rausch getrieben hatte. kend, um den Lebensmüden auf sich auf­
»Lasst ihn in Ruhe!«, brüllte er nach merksam zu machen, stürmte der Effre­
oben. »Er wird ruhiger werden, sobald er mi die Schräge hinauf.
sich ausgetobt hat.«
Der Lärm verschluckte den Ruf. Jo­ *
thadún erkannte, dass die Gefährten ihn
nicht einmal bemerkten. Lange Zeit blieb Taress einfach liegen.
Noch während er nach oben schaute, Er schaute dem Spiel der wachsenden
bäumte sich das Tier auf. Der breite Wolken zu, während die Sonne am Him­
Schädel mit den mannsdicken Anten­ mel weiterwanderte und sich ihre Farbe
nenfühlern stieg jäh in die Höhe und ins Bläuliche veränderte.
klatschte schon einen Atemzug später Es regnete sanft.
auf die Schräge zurück. Der Laborat be­ Taress genoss die prickelnde Nässe auf
grub dabei einen der Steiger unter sich. seiner dick verhornten Haut. Der Säure­
Der andere warf sich zurück. Er stolper­ regen löste die abgestorbenen Zellen auf,
te, versuchte noch, mit beiden Armen und ein leicht bitterer Geruch breitete
rudernd, das Gleichgewicht zu halten, sich aus.
schaffte es aber nicht. Jothadún vermu­ Von irgendwoher erklangen Stimmen.
tete, dass der dröhnende Aufprall des Das waren Kas’h, die wie er den Regen
Laboraten den Mann von den Füßen ge­ für ihre Körperpflege nutzten. Taress
rissen hatte. Erst jetzt erkannte er Mu­ stützte sich auf den Unterarmen auf,
roic, der es beinahe ebenso lange wie aber selbst jetzt sah er nur das wogende
Jothadún selbst fertiggebracht hatte, am hohe Gras, eine endlose Ebene, die sich
Leben zu bleiben. von den fernen Bergen bis zum Meer er­
Muroic war schnell. Mit beiden Hän­ streckte. Hingestreut wie winzige Farb­
den wirbelte er abwehrend den Kollek­ tupfer lagen dazwischen die Siedlungen
torstab hoch, als ihm die Tentakel des der Kas’h, ausgerichtet nach dem Muster
Laboraten entgegenpeitschten. Um Haa­ der nächsten Dimensionen.
resbreite entging er dem qualvollen Die Stimmen kamen näher. Taress
Schicksal, von den Maden des Laboraten glaubte, jemanden seinen Namen rufen
langsam aufgefressen zu werden. Die zu hören. Doch erst als sich der Ruf wie­
Tentakel mit ihren Nesselkapseln trieben derholte, drängender und beinahe
die Eier des Laboraten tief ins Fleisch furchtsam klang, kam Taress vollends
seiner Opfer, und aus diesen Krallen ent­ auf die Beine.
wickelten sich schnell die parasitären Ein Schatten fiel auf das Land, glitt
Maden. über ihn hinweg und kehrte schnell zu­
Jothadún verdrängte den Gedanken an rück. Ein dumpfer, weithin hallender
die bedauernswerten Steiger, denen die­ Schrei zerriss die trügerische Stille. Der
ses Schicksal den Tod gebracht hatte. Schatten stieß auf ihn herab. Taress be­
40 HUBERT HAENSEL

griff beinahe zu spät, dass der Greifseg­ sich vom schnellen Traum der Heimat
ler ihn als Beute auserwählt hatte. übertölpeln lassen.
Als er sich zu Boden warf, peitschten Ein gellender Aufschrei ließ den Kas’h
die Fänge des Raubtieres schon über ihn zusammenfahren. Molon brach nur we­
hinweg. Nur um Haaresbreite verfehlten nige Schritte von ihm entfernt zusam­
sie seine Schultern. men. Ihre Hände verkrallten sich in den
Der Greifsegler kehrte zurück, und Tentakeln, die sich um ihren Leib ge­
seine mächtigen Schwingen verdunkel­ schlungen hatten. Taress sah das un­
ten die Sonne. Taress sprang auf. In wil­ gläubige Erstaunen in ihrem Gesicht,
dem Zickzack hetzte er über die Ebene. die Todesfurcht, aber da schob sich der
Eine Schwinge des Greifseglers riss ihn Laborat bereits ruckartig nach vorne
von den Beinen. Taress ignorierte den und erstickte Molons hilfloses Gur­
tobenden Schmerz, er kroch weiter ... geln.
»Hierher, Taress!« Taress hörte die warnenden Rufe nicht,
Er versuchte zu erkennen, von wo die die ihn zurückhalten wollten, er achtete
Stimme erklang. Das Gras war plötzlich nicht auf den Effremi, der schrill singend
nicht mehr da, stattdessen blickte er auf auf ihn zukam. Taress sah nur noch die
Stahl und Geröll und spürte, dass er sich schwere Metallstange, die neben einem
längst Arme und Beine aufgerissen hat­ toten Steiger lag, riss sie vom Boden
te. hoch und drang mit ungestümer Wut auf
Wieder der Ruf. Erst jetzt bemerkte den Laboraten ein.
Taress die Gestalt. Keine zehn Schritt Mit aller Kraft schlug er zu. Aber
von ihm entfernt stand Molon und schon nach dem zweiten Hieb klatschte
schleuderte Geröll auf den Angreifer, ein Tentakel heran und wickelte sich um
und dabei brüllte sie sich die Kehle hei­ die Stange. Augenblicke später wurde
ser. sie ihm aus den Händen gerissen.
Taress begriff in dem Moment, als sich Ein brennender Peitschenhieb traf
ein monströser Schemen fast schon ne­ Taress’ Oberkörper. Ein zweiter wickelte
ben ihm aufbäumte und dumpf dröhnend sich um seine Hüfte, und der tobende
zurückfiel. Der Aufprall wirbelte ihn Schmerz ließ ihn nach Atem ringen. Er
herum. Er lag wieder auf dem Rücken, stürzte, als ein dritter Tentakel seinen
sah den mächtigen Leib neben sich und Rücken traf.
verstand, dass der Laborat an die Ober­ Ihm schwanden die Sinne. Das Letzte,
fläche gekommen war. was der Kas’h wahrnahm, war der uner­
Schwankend erhob sich Taress. Neben träglich schrille Effremi-Gesang.
ihm klatschten mehrere Tentakel des Sein Leib schien eine einzige offene
Monstrums auf den Boden, und ein faust­ Wunde zu sein, als er die Besinnung wie­
großer Stein verfehlte ihn nur knapp. dererlangte. Taress’ erster entsetzter
Molon bewarf das Raubtier mit einer Blick galt dem Laboraten, aber das
Verbissenheit, die Taress ihr nie zuge­ Raubtier war verschwunden.
traut hätte. »Ich konnte ihn nicht richtig besänfti­
Er fragte sich, warum sie der Sugges­ gen«, sagte der Effremi neben ihm leise.
tivkraft des Laboraten nicht verfallen Er hatte Taress’ suchenden Blick richtig
war. Er wusste einiges über den Labora­ gedeutet. »Ich konnte auch nicht eher
ten, nur nahe gekommen war er dem Tier eingreifen.«
bisher nie. Die wenigen Informationen »Du musst Jothadún sein. Ich habe nur
verdankte er seiner Position als Dimen­ von einem Effremi gehört, der den Labo­
sionstheoretiker. Es war verrückt, dass raten allein mit seiner Stimme ruhigstel­
er nicht sofort erkannt hatte, welche Ge­ len kann.«
fahr sich anbahnte. Stattdessen hatte er Taress vermied es, sich weiter umzuse­
Opfergang 41

hen. Für einen Moment schloss er die ging und die wussten, dass ihnen keine
Augen. »Ich werde sterben?«, fragte er Zukunft vergönnt war.
tonlos. Wie lange noch?
»Der Laborat braucht zum Überleben Marc London sprach die Frage nicht
die Bedingungen einer Negasphäre«, er­ aus, die ihn mehr als alles andere beweg­
widerte der Effremi. »Er kann außerhalb te.
der Katakomben nicht existieren. Wenn Schweigend stand er am Rand der gro­
es uns nicht möglich ist, ihn zurückzuho­ ßen Bucht, fixierte die heranschwappen­
len, wird er sein Leben verlieren. Im Mo­ den kleinen Wellen und zog mit den Ze­
ment kriecht er senkrecht nach unten, er hen unerbittlich einen Strich nach dem
zieht sich in eine Senke zurück.« anderen in den feinen Sand. Trennlinien
»Wie viel Zeit bleibt mir?«, drängte der waren das. Jeder Strich ein Tag, eine Wo­
Kas’h. che, ein Monat. Was machte das jetzt
»Zwei Wochen, vielleicht sogar drei«, noch aus?
antwortete Jothadún zögernd. Trotzig hatte Marc die Hände in die
»Ich werde froh sein, wenn es vorbei Hosentaschen gerammt.
ist. Ich habe alles verloren, und wenn ich Er fühlte sich leer und ausgebrannt.
wüsste, wer uns das angetan hat ...« Was hatte er alles tun wollen, um Fawn
Was immer Taress noch hatte sagen bei sich zu behalten. Und was tat er –
wollen, er brachte nur mehr ein Wim­ jetzt, da der Abschied wirklich nur mehr
mern über die Lippen. Denn in dem Mo­ eine Frage von Stunden war, bestenfalls
ment kamen Tao und Gui auf ihn zu. von einem oder zwei Tagen? Rückbli­
Dass der Effremi wissend lächelte, sah ckend war die Zeit mit Fawn rasend
Taress schon nicht mehr. Weinend schnell vergangen.
schloss er seine Kinder in die Arme. Nichts tat er. Er stand da wie ein dum­
Nicht einmal Gui redete in dem Mo­ mer pubertierender Jüngling und ver­
ment viel. geudete die letzten kostbaren Minuten.
»Wir haben uns tot gestellt, als das Sie hätten für Fawn und ihn unvergess­
Monstrum kam«, sagte das Mädchen lich werden können. Stattdessen gerie­
ernst. »Das war doch richtig, oder?« ten sie zur Bühne öden Selbstmitleids.
Die Dämmerung in diesen Breiten war
kurz. Übers Meer kroch die Nacht heran;
6. vielleicht würde es wirklich die letzte
Zwischenspiel auf Terra gemeinsame Nacht sein.
Neben ihm klatschte eine Welle hefti­
Blutrot war die Sonne hinter der Insel ger auf den Strand. Marc zuckte in dem
Santiago untergegangen. Ein letzter Moment zusammen, weil er glaubte,
Hauch der verwehenden Farbenpracht Fawn hätte sich endlich aus ihrer Nach­
hing noch über dem Horizont, während denklichkeit gelöst und käme zu ihm. Er
über dem offenen Meer längst mit Rie­ hatte sich getäuscht. Sie saß immer noch
senschritten die Nacht heraufzog. in sich versunken auf dem verwitternden
Es gab keine echten Sterne mehr über Lavabrocken und beobachtete das krab­
Terra, seit die Terminale Kolonne das belnde und huschende Leben zwischen
Solsystem okkupierte und der TERRA­ Mangroven und Dornenbüschen. Als
NOVA-Schirm als undurchdringliche müsse sie von all dem Grünzeug, den La­
Barriere permanent Bestand hatte. Die vaechsen, Geckos und sogar den Amei­
zweitausend Kunstsonnen der Laternen- sen Abschied nehmen.
Matrix waren kein Ersatz. Nicht für Ro­ Wieder wanderte Marcs Blick in die
mantiker und schon gar nicht für Ver­ Höhe. Die Laternen-Matrix leuchtete
liebte, deren gemeinsame Zeit zu Ende bereits heller. Zweitausend Kunstsonnen
42 HUBERT HAENSEL

in Höhe der Uranusbahn – sie waren ein schränkten sich ineinander, und Fawn
schlechter Tausch gegen den weichen legte ihren Kopf an seine Schulter.
Schimmer der Milchstraße, gegen Nebel Minutenlang standen sie so aneinan­
und fernste Galaxien ... Auf Anhieb fand dergelehnt und schweigend da. Marc
Marc das aus dreißig Kunstsonnen nach­ dachte an gar nichts, er ließ sich einfach
gebildete Signet der Liga Freier Terra­ treiben und konnte spüren, dass es Fawn
ner. Für ihn war das Werk eines abgeho­ genauso ging. Er roch ihr Haar, den Duft
benen Lichtdesigners einfach nur ihrer Haut; er spürte die Wärme ihres
indiskutabel. Körpers und war glücklich über Fawns
»Mich kotzt diese falsche Pracht ...« Nähe, dass er sie einfach nur in den Ar­
Er biss sich auf die Zunge. Fawn saß men halten durfte. Diesen einen Augen­
noch auf dem Lavabrocken, keine zehn blick wollte er für immer in seiner Erin­
Schritte hinter ihm. Aber sie starrte nicht nerung speichern.
auf die Luftwurzeln der Mangroven. Nach einer Weile zog Fawn ihn mit
Marc sah erst jetzt, dass sie ihn beobach­ sich.
tet hatte. Der goldene Widerschein des aufge­
Ein bitteres Lächeln grub sich um ihre henden Mondes tanzte auf den Wellen.
Mundwinkel ein. Weiter draußen waren leichte Schaum­
»Ja? Was wolltest du sagen, Marc?« kronen zu erkennen.
Er kratzte sich an der Schläfe. »Früher Hand in Hand liefen Marc und Fawn
waren wenigstens die Sterne echt.« Tief durchs Wasser. Sie tollten umher wie
atmete er ein. »Entschuldige, Fawn. Was übermütige Kinder. Ein Schwarm Fal­
bin ich doch für ein Idiot.« kennachtschwalben, die sich in den
Ihre Augen lächelten, während ihr Mangroven niedergelassen hatten, stieg
Mund schmal und klein und ernst blieb. erschreckt auf. Sie lachten beide dar­
Fast schien es ihm, als spiegelte sich ein über, als gäbe es nichts anderes auf die­
letzter Widerschein des Abendrots in ih­ ser Welt, als sei die Zeit endlich stehen
nen. geblieben und der Schrecken der Ter­
»Ich weiß, wie dir zumute ist, Marc.« minalen Kolonne unendlich weit ent­
»Nein!«, wollte er sagen. »Nein, Fawn, fernt.
das weißt du eben nicht. Wir haben so Fawn küsste den jungen Mann lange
oft darüber gesprochen, aber dabei ha­ und fordernd. Marcs Hände glitten über
ben wir nur alles zerredet. Die Wirklich­ ihre Brüste. Er spürte ihr Herz schneller
keit ist anders, ist Schmerz und Sehn­ schlagen und war einfach nur glück­
sucht ...« Nicht ein Wort davon kam über lich.
seine Lippen. Weil es unfair gewesen Der Mond stand inzwischen mehrere
wäre, eine Schuldzuweisung, die ihre Handbreit über dem Horizont. Sein Wi­
Trennung nur noch unerträglicher ge­ derschein war heller geworden.
macht hätte. Krabben huschten über den Strand.
»Warum machen wir es uns unnötig Vergeblich bemühte sich Marc, we­
schwer, Marc? Warum vergessen wir nigstens eines dieser flinken Tiere zu fan­
nicht einfach alles?« gen. Als er vor einer der Höhlen kauerte
Er lachte, verstummte mittendrin, und Fawn ihn mit zwei Fingern antippte,
nickte. Es war ein beinahe trotziges Ni­ kippte er der Länge nach in den feuchten
cken, und er hoffte, dass Fawn das nicht Sand.
auffiel. Lachend streckte sie ihm ihre Hand
Mit wenigen Schritten war er bei ihr, entgegen, um ihm wieder aufzuhelfen,
streckte ihr seine Hände entgegen, und aber er zog Fawn ruckartig zu sich hin­
sie griff zu und ließ sich von ihm in die unter. Einander eng umschlungen wälz­
Höhe ziehen. Ihre und seine Finger ver­ ten sie sich über den Strand. Ihr Lachen
Opfergang 43

mochte weithin zu hören sein, aber das einer Kontrollstelle übernommen wer­
störte beide herzlich wenig. den können? Sofern die Verbindungen
Klatschnass waren sie, als Marc – end­ Befehlswege offen lassen. Aber das wis­
lich – Fawns Oberteil abstreifte und es sen wir nicht. Abgesehen davon dürften
achtlos zur Seite warf. Wie Ertrinkende wir Mühe haben, überhaupt einen leeren
klammerten sie sich aneinander fest, als Gleiter zu finden.«
wolle einer den anderen nie wieder los­ Er hatte recht. Von vornherein war je-
lassen. dem bewusst gewesen, dass die Aktion
Bald würden sie nur noch in Gedan­ gegen Antakur von Bitvelt eine Abfolge
ken vereint sein. In der Erinnerung an von Improvisationen sein musste, abhän­
wenige schöne Jahre und eine Stunde am gig von der Entwicklung auf CRULT
Strand von Bartolomé, von der sie ein nach der Zündung des ersten Emitters.
Leben lang zehren konnten. Die Rechnersimulationen hatten eine
Vielleicht, befürchtete Marc London, große Palette möglicher Szenarien erge­
hatte Fawn nur noch wenige Monate zu ben. Angefangen mit »Die Zündung des
leben. Fawn Suzuke wusste das ebenso ersten Psi-Emitters bleibt weitgehend
gut wie er, aber sie schwiegen beide. unbemerkt, und nur Antakur ist davon
betroffen« bis hin zu »Die Chaos-Ge­
schwader im Umfeld der Dienstburg
7. greifen ein und setzen ihre Kampftrup­
pen ab«.
Zerberoff hatte den rechten Arm aus­ Ein Teil des Vorgehens basierte von
gestreckt. Über der Handfläche proji­ Anfang an darauf, dass die Ermittler-Re­
zierte er ein stilisiertes Hologramm der bellen für Unruhe sorgen würden. Das
Dienstburg. Es war nicht allzu groß, hatten sie getan.
zeigte aber dennoch sehr viele Einzelhei­ Aber dass ein einziger Ermittler weit­
ten. Aroff dirigierte die Ausschnittver­ räumige Verwüstungen auslösen könnte,
größerung, indem er mehrmals in die war nicht in die Szenarien eingeflossen.
Darstellung hineingriff. Letztlich wur­ Ebenso wenig die deshalb frühzeitig in
den die angrenzenden Distrikte der mitt­ Gang gesetzten und offensichtlich kaum
leren Terrassenebene mit den wichtigs­ koordinierten Evakuierungen. Das war
ten Versorgungspunkten dargestellt. eine Entwicklung, die in Danton extrem
Zerberoff schloss alle vier Finger der zwiespältige Empfindungen ausgelöst
Mor’Daer-Hand um den Datenkristall. hatte.
»Die Sequenzen sind nicht aktuali­ Zerstörungen in vielen Distrikten.
siert«, stellte er unumwunden fest. »Ich Dichter Qualm hing über weiten Terras­
gehe davon aus, dass sämtliche Trans­ senabschnitten. Feuersbrünste tobten.
mitterknoten ausgefallen sind oder von Dazu die wuchernde Dunkelheit, ein un­
Mor’Daer-Truppen bewacht werden. In­ heimlicher Moloch, der unaufhaltsam
wieweit die Rohrbahnen noch Kapazität um sich griff. Tief in Danton war das
haben oder wegen der Attacken der Misstrauen erwacht. Es redete ihm ein,
Dunklen Ermittler überfrequentiert ...« dass er sich den Teufel selbst als Verbün­
Das Sprechen bereitete dem Dual Mü­ deten geholt hatte. Noch schaffte es der
he. Zerberoff zitterte. Nach Atem rin­ Terraner, diese Einflüsterungen zu igno­
gend, hörte er im Satz auf, fuhr aber rieren, aber der Gedanke an steigende
gleich darauf fort: »Ich schlage vor ... wir Opferzahlen bereitete ihm Unbehagen.
suchen einen der nächstgelegenen Glei­ »Der kürzeste Weg führt geradlinig
terverteiler auf.« hinunter zum Silberturm.« Zerberoff
»Ist das alles, was du zu bieten hast?«, brachte seinen Einwand mit der enervie­
fragte Danton. »Gleiter, die jederzeit von renden Langsamkeit des Ganschkaren
44 HUBERT HAENSEL

hervor. »Aber das Risiko, dass wir im satzteams standen bereit. Zu ihnen
Flug aufgespürt werden ...« gehörten jeweils mehrere hundert Mi­
»Das Risiko steigt, sobald wir die Flug­ kro-Bestien. Sie hatten die Rückendek­
aggregate ohne ausreichende Deckung kung übernommen. Vor allem würden sie
einsetzen.« Danton fiel dem Dual ins darauf achten, dass Roi Danton nicht
Wort. »Wir nehmen den normalen Weg aufgehalten wurde. Egal wie, er musste
über die beiden Terrassen, wie vorgese­ die Möglichkeit erhalten, bis ins Herz
hen in getrennten Gruppen und etappen­ der Dienstburg vorzudringen, in die An­
weise. Funkkontakt auf unserer eigenen thrazit-Sphäre des Progress-Wahrers.
Frequenz bleibt auf den Notfall be­ Vom Boden aus, stellte Danton fest,
schränkt.« wirkten die Zerstörungen in diesem Di­
Die ersten fünfzehn Männer und Frau- strikt noch beklemmender als aus der
en unter dem Kommando von Oberst­ Höhe gesehen. Eine breite Schneise der
leutnant Frownie und an die hundert Verwüstung klaffte quer über die Terras­
Mikro-Bestien verließen den Turm. Im se hinweg. Teils gewaltige Trümmer­
Schutz ihrer Dunkelfelder schwebten sie brocken häuften sich in den Straßen und
in die Tiefe. Die Dunkelfilter erlaubten machten sie für bodengebundene Fahr­
ihnen den Sichtkontakt untereinander zeuge unpassierbar.
ebenso wie zwischen den einzelnen Schwerer Dunst hing immer noch in
Gruppen. der Luft. Inzwischen war jedoch ersicht­
Danton ließ die Filter-Funktion seines lich, dass atmosphärische Reinigungs­
Anzugs nicht aus den Augen, bis die prozesse angelaufen sein mussten. Roi
Gruppe zwischen den Ruinen ver­ Danton bemerkte deutliche Verwirbe­
schwand. Von Störungen abgesehen, ar­ lungen hin zum äußeren Terrassenrand,
beitete die Erkennung zufriedenstellend. als würde die verschmutzte Atmosphäre
Danton hoffte, dass es zumindest auf bereits abgesaugt.
kurze Distanz so bleiben würde. Die An­ Hunderte Effremi wühlten mit bloßen
zugrechner arbeiteten mit Peilsignalen Händen in den Trümmern ihres Horstes.
im Frequenzbereich des Kolonnen- Von überall her schienen die flinken We­
Funks, dessen Beeinträchtigung zumin­ sen zusammenzuströmen, um nach Über­
dest im Innenbereich von CRULT schon lebenden zu graben. Mit aufsteigender
offenbar geworden war. Verbitterung fragte sich Danton, wie vie-
Die zweite Gruppe führte Danton le Opfer der Angriff schon gekostet ha­
selbst an. Zerberoff war bei ihm, ebenso ben mochte.
die neun Mikro-Bestien unter dem Kom­ Einen Straßenzug weiter arbeiteten
mando von Senego Trainz, die schon mit insektoide Wesen mit Traktorstrahlern
dem Dual auf die Dienstburg gekommen und Antigravunterstützung. Lasten­
waren. schweber hingen summend zwischen den
Danton sah, dass Rinka Porol erneut zerstörten Gebäuden und stabilisierten
Notizen machte und ihn dabei nicht aus einsturzgefährdete Wandsegmente.
den Augen ließ. Rinka schrieb immer Dantons Gruppe kam ungehindert
mehr. Dass ihr die Anzugfunktionen voran. Mit mäßiger Geschwindigkeit und
komfortable Dokumentationsmöglich­ nur knapp über dem Boden fliegend, er­
keiten boten, ignorierte sie. reichten sie schon nach wenigen Minuten
Als Rinka bemerkte, dass der Terraner das Ende der Terrasse. Der Dunkelfilter
sie beobachtete, hielt sie inne und presste zeigte Danton gerade noch, dass Frownie
das Schreibpad mit zwei Händen an und seine Leute einige hundert Meter
sich. nach links ausgewichen waren und dort
Danton gab das Zeichen zum Auf­ in die Tiefe schwebten.
bruch für seine Gruppe. Noch zwei Ein­ Die Sicht reichte nicht mehr so weit
Opfergang 45

wie sonst. Trotz der Teleoptik konnte der das ... Dad. Ich wünsche dir die Kraft
Terraner keineswegs bis zur gegenüber­ dafür.
liegenden Seite der Dienstburg sehen. Zu Wer weiß, vielleicht sehen wir uns so­
viel Dunst hing in der Luft. Auch wenn gar eines Tages wieder. Selbst wenn es
die Verwirbelungen in der Höhe inzwi­ am Ende unseres Universums sein
schen ausgeprägter waren, schien die wird.
Kapazität der Umwälzanlagen nicht Danton kannte den Text auswendig.
auszureichen. Von mehreren Brandher- Was er nicht erwähnt hatte, war, dass es
den stiegen weiterhin gewaltige Rauch­ ihm weiß Gott nicht leichtfiel, einfach zu
wolken auf. gehen.
Eigentlich konnte Danton mit der Ge­ Mehrere grelle Explosionsblitze
samtsituation zufrieden sein. Er durfte schreckten ihn aus seinen Gedanken auf.
nur nicht den Fehler begehen, angesichts Nur wenige Kilometer entfernt wurde
des herrschenden Durcheinanders un­ die untere Terrasse aufgerissen. Danton
vorsichtig zu werden. Obwohl der Sil­ glaubte erkennen zu können, dass die
berturm des Progress-Amts inzwischen Zerstörungen von im Untergrund liegen­
im Dunst verschwunden war, lag das Ziel de Maschinenparks ausgegangen waren.
zum Greifen nahe vor ihm. Vermutlich hatten eher die Ermittler-Re­
Für Terra würde sein Erfolg eine wich­ bellen damit zu tun als eine seiner Ein­
tige Atempause bedeuten. satzgruppen.
Aber für ihn selbst? Die Silhouetten zweier Traitanks
Danton tastete nach dem Kästchen zeichneten sich über ihm ab. Beide
mit dem zweiten Psi-Emitter. Wenn er Kampfraumschiffe verharrten nur weni­
die Waffe zündete, musste er dem Pro­ ge hundert Meter hoch über der Terrasse,
gress-Wahrer gegenüberstehen. Er hatte dann schwebten sie lautlos weiter.
nur diesen einen Versuch, einen zweiten Roi Danton zweifelte nicht daran, dass
würde es nicht geben. ihre Besatzungen sich ein Bild von den
Auf Terra hatte er eine Nachricht hin­ entstandenen Verwüstungen machten.
terlassen und sichergestellt, dass Perry Er erlaubte sich ein erleichtertes Aufat­
Rhodan sie erhalten würde. men. Wenn er sich nicht täuschte, liefen
Wir stehen im Krieg, Perry. Gegen jetzt Rettungsmaßnahmen in größerem
Mächte, denen wir technisch nicht ge­ Umfang an. Verluste waren unvermeid­
wachsen sind. Aber wem sage ich das? bar, aber dennoch tat ihm jedes unschul­
Du weißt es selbst. Wenn wir nicht unter­ dige Opfer weh.
gehen wollen, müssen wir Technik durch Für ihn ging es einzig und allein dar­
Mut kompensieren und fehlende durch­ um, Antakur von Bitvelt auszuschalten
schlagskräftige Waffen durch Opferbe­ und damit die Terminale Kolonne in der
reitschaft. Ich bin bereit, meinen Beitrag Milchstraße ihres führenden Kopfes zu
für das Wohl nicht nur der Menschheit zu berauben. Weil geraume Zeit vergehen
leisten, sondern für alle Völker, die in würde, bis ein solcher Moloch wie TRAI­
Frieden leben wollen. TOR darauf reagierte und einen neuen
Es gab eine Zeit, da haben wir uns Progress-Wahrer in die Milchstraße
nicht gut verstanden. Vielleicht, weil wir schickte. Vielleicht würde Antakurs
uns zu ähnlich waren. Heute hoffe ich Nachfolger aus einem anderen Univer­
darauf, dass du mich verstehst – und dass sum abkommandiert werden müssen,
du akzeptierst, was ich tun musste. was eine zusätzliche zeitliche Verzöge­
Ich weiß, dass mein Opfer nicht um­ rung bedeutete.
sonst sein wird. Und ich weiß vor allem: Bis ein neuer Progress-Wahrer die
Wenn jemand die Menschheit in eine gu­ Macht übernahm, gab es niemanden, der
te Zukunft führen kann, dann bist du Entscheidungen von größerer Tragweite
46 HUBERT HAENSEL

treffen konnte. Das war gleichbedeutend mit energetischen Sperrfeldern gearbei­


mit einer deutlichen Atempause für das tet wurde.
Solsystem! Mor’Daer waren plötzlich überall. Sie
Zudem würde Antakurs Nachfolger nahmen Messungen vor, bewegten sich
eine eindeutig formulierte Empfehlung langsam und in breiter Front.
des Dualen Kapitäns Zerberoff vorfin- Danton ließ seine Gruppe anhalten.
den, die auch in seine Entscheidungen Sie zogen sich zu einer Halle zurück, die
Eingang finden musste: ... keinerlei An­ sie erst vor wenigen Augenblicken pas­
haltspunkt für besondere Vorgänge rings siert hatten.
um das Solsystem. Vermeintliche statis­ Auch hier erschienen Mor’Daer. In ih­
tische Häufungen beruhen auf Zufall. rer Begleitung etliche Ganschkaren und
Empfohlen wird daher die baldige Redu­ Mikro-Bestien.
zierung der Belagerungstruppen. Eine Danton verwünschte die Tatsache,
Ressourcenerhebung im Solsystem ist bei dass er jetzt nicht mit Zerberoff reden
reduziertem Aufwand nach wie vor an­ konnte, ohne die Gefahr einer Entde­
zustreben. ckung heraufzubeschwören. Aber sein
Die Menschheit bekam eine neue Verdacht verhärtete sich, dass die Solda­
Chance. Und die war auch bitter nötig, ten und Techniker gezielt nach Spuren
zumal der Nukleus der Monochrom-Mu­ suchten.
tanten Terra verlassen und nach Hangay Vielleicht waren die Ermittler-Rebel­
wechseln würde. len im Untergrund dieses Terrassenab­
Für einen Moment schloss Roi Danton schnitts tätig gewesen. Oder die nicht
die Augen. In seiner Erinnerung sah er sehr weit entfernten letzten Explosionen
die Erde vor sich, diesen wunderschönen hatten eine Kettenreaktion heraufbe­
blauen Edelstein im All. Er sah Terrania, schworen.
die Bungalows am Goshun-See. Dort Es gab viele Gründe, die dem Terraner
war er glücklich gewesen, auch wenn das plausibel erschienen.
sehr lange Zeit zurücklag. Fast hätte er den Atem angehalten, als
»Wir gehen weiter!«, ordnete er an. zwei Mor’Daer keine fünf Meter vor ihm
stehen blieben und sich umsahen. Jeden
* Moment musste ihnen die Verzerrung
auffallen, die sein Dunkelfeld hervorrief
Die untere Terrasse, zwei Kilometer – ein Eindruck, als würde in der Umge­
breit, einen Kilometer über dem »Grund« bung optisch etwas fehlen. Wer sich dar­
der Dienstburg gelegen ... auf konzentrierte, nahm schließlich so­
CRULT mochte bei allen Bewohnern gar eine Art tanzenden Schatten wahr.
als unüberwindbar gegolten haben, doch Die Soldaten hantierten mit einem
diese überhebliche Gelassenheit brö­ Messgerät, das Danton an einen überdi­
ckelte. Bodengleiter der Mor’Daer pa­ mensionierten Korkenzieher erinnerte.
trouillierten. Die Kolonnen-Soldaten Allerdings hatte dieses Gerät zwei
lenkten die Flüchtlingsströme. Über den »Drehgriffe«, und beide projizierten Ho-
Wohndistrikten herrschte dichter Glei­ los, die sich langsam zur Deckungsglei­
terverkehr; schwere Transportmaschinen che überlagerten.
starteten und landeten in nahezu unun­ Endlos lange Minuten vergingen. Die
terbrochener Folge. Es hatte weitere Ex­ Mor’Daer zogen einen der Techniker zu­
plosionen in einem Bereich der Energie­ rate. Schließlich gingen sie weiter.
versorgung gegeben. Über dem in Ein erleichtertes Aufatmen blieb Rho­
Flammen stehenden Gelände schwebte dans Sohn dennoch verwehrt. Der
bereits ein Traitank. Danton konnte er­ Ganschkare hatte das Messgerät über­
kennen, dass von dem Kampfschiff aus nommen. Er blieb abrupt stehen und
Opfergang 47

wandte sich um. Er rief etwas, das Dan­ rasse und ließ sich in die Tiefe sinken.
ton nicht verstand, eine Warnung oder Wie ein monströser fahler Schatten rag­
einen Befehl, der den Assassinen galt. te wenige Kilometer vor ihm der Silber­
Jedenfalls ging alles sehr schnell. turm im Mittelpunkt der Dienstburg auf.
Die Assassinen fuhren herum. Zwei Auch dort wogten längst Dunstschleier.
von ihnen rissen ihre Waffen hoch und Der Helmfunk blieb stumm. Nur für
feuerten. Die nur nadeldicken Glutstrah­ einen Moment fragte sich Roi Danton,
len vereinten sich im Ziel und flossen an wie es hinter ihm aussehen mochte. Das
einem Dunkelfeld auseinander, das zwar war die Bewährungsprobe für seine Leu­
die auftreffende Energie absorbierte, den te. Er war sicher, dass sie sich behaupten
Träger aber dadurch sichtbar machte. konnten, und vor allem, dass die Mikro-
Eine der Mikro-Bestien war entdeckt. Bestien der Rückendeckung sehr schnell
Rinka Porol! Danton hörte ihren eingegriffen hatten.
dumpfen Wutschrei über das Außenmi­ Wenn er mit hoher Beschleunigung
kro. Rinka schnellte sich auf die beiden weiterflog ... Danton entschied sich spon­
Angreifer. Danton sah noch, dass etwas tan dagegen und landete. Wie hoch sollte
aus ihrem Dunkelschirm fiel, aber da er das Risiko einschätzen, dass ein
reagierten bereits die anderen. Mor’Daer oder einer der Assassinen die
Von mehreren Schüssen getroffen, Information weitergeben konnte, dass
brach der Ganschkare zusammen. Die Gegner im Schutz von Dunkelfeldern er­
beiden Mor’Daer hatten ebenfalls keine schienen waren? Bestand die Gefahr,
Chance. Vielleicht sahen sie noch winzi­ dass dann Traitanks in die Suche eingrif­
ge zuckende Schatten auf sich zusprin­ fen? Er wusste es nicht.
gen. Roi Danton konnte es jedenfalls Danton schaltete sein Dunkelfeld ab.
vermuten. Mehr davon bekam er selbst Niemand würde einen Dual verdächti­
nicht mehr mit, weil er sein Flugaggregat gen, der das Progress-Amt aufsuchte. Er
hochschaltete und beschleunigte. war wieder Dantyren.
Ein Strahltreffer entriss ihn für weni­ »Ich hätte mich ebenso entschieden«,
ge Sekunden der Unsichtbarkeit, doch er sagte eine zischelnde Stimme aus dem
ließ sich da schon wieder absinken und Nichts.
jagte dicht über dem Boden weiter. Danton schaute suchend um sich.
Stetig war Danton auf einen Zwi­ Nein, er war nicht überrascht, er hatte
schenfall gefasst gewesen, der ihn zwin­ das sogar erwartet. In dem Moment, als
gen würde, alles auf eine Karte zu setzen. er glaubte, einen vagen tanzenden Schat­
Seine Leute brauchten ihn nicht. Und ten wahrzunehmen, wurde Zerberoff
die Mikro-Bestien würden alles daran­ ebenfalls sichtbar.
setzen, Verfolger aufzuhalten. »Wir beide haben mehr gemeinsam,
Er, Danton, trug den Stoß-Emitter bei als wir uns eingestehen wollen«, stellte
sich. Er musste bis zu Antakur von Bit­ der Duale Kapitän fest. In seiner Stimme
velt vordringen, das war das Einzige, schwang ein Hauch von Spott mit.
was zählte. »Glaubst du, Dantyren, ich würde wirk­
Ein großer Platz öffnete sich vor ihm. lich nur aus der Ferne zusehen, wie du
Etliche Gleiter standen dort, eingekeilt unsere Aufgabe zu Ende bringst?«
inmitten eines Heeres der unterschied­ »Dein Hirn wird geschädigt werden,
lichsten Wesen, die nicht mehr an die sobald ich den Emitter zünde. Noch ist
Allmacht der Kolonne glaubten. Der Zeit ...«
Mob überrannte die wenigen Mor’Daer In einer durchaus menschlich anmu­
geradezu, die sich ihm entgegenstellten. tenden Geste hob Zerberoff die rechte
Niemand bemerkte Danton. Kur dar­ Schulter. »Ich weiß, dass du Unterstüt­
auf erreichte er schon das Ende der Ter­ zung brauchst, Dantyren. Und wenn ich
48 HUBERT HAENSEL

Kalbaron Trainz und seine Assassinen »Ich verstehe dich. Sehr gut sogar«,
richtig einschätze, sind sie schon ziem­ murmelte Danton.
lich dicht hinter uns.« »Terraner ...!«, rief der Dual Augen­
blicke später.
* Danton reagierte nicht. Er wartete
darauf, dass Zerberoff weiterredete. Sie
Knapp vier Kilometer bis an den Prall­ würden den Prallfeldzaun in Kürze er­
feldzaun, der den Zenter-Kreis abriegel­ reichen. Irgendwo in dem wogenden
te. Dunst glaubte Danton, huschende Licht­
Das bedeutete rund vier Minuten reflexe zu sehen.
Flugzeit durch eine langsam aufbrechen- »Terraner!«, wiederholte Zerberoff.
de Hölle. Sogar auf der Hauptebene der »Ich will, dass du ... mir einen Wunsch
Dienstburg wurde der Boden unsicher. erfüllst. Wenn ich ... es nicht mehr kann,
Inmitten von Dunst und zunehmender suche du nach meinen Originalkör­
Düsternis zeichneten sich glutende Risse pern!«
ab. Eine Serie schwerer Explosionen in Im ersten Moment glaubte Danton,
geringer Entfernung ließ Dantons Be­ sich verhört zu haben. Er entsann sich,
fürchtung wachsen, er könne trotz allem was er Zerberoff über seine Kopien er­
zu spät kommen. zählt hatte; es war die Wahrheit gewesen
Für einen Moment starrte er in die Hö­ über das, was sich in den Skapalm-Bar­
he. Irgendwo über ihm glaubte er, pulsie­ ken abspielte. Unwillkürlich bremste er
rende, leuchtende Schwärze bemerkt zu den Flug ein wenig ab. Zerberoff reagier­
haben. Ein Dunkler Ermittler? Er hätte te prompt und verharrte dicht neben
es in dem Moment nicht beschwören ihm.
wollen, vor allem hätte er nicht zu sagen Danton vermied es, den Dualen Kapi­
vermocht, ob Freund oder Feind. Aber tän anzusehen. Er hatte nicht vor, von
die Schwärze blieb verschwunden. Zerberoff Abschied zu nehmen. Aber er
»Er war da!«, brachte Zerberoff ge­ wollte ihn auch nicht mit einer Lüge zu­
presst hervor und fügte nach einem be­ rücklassen.
benden Atemzug hinzu: »Dein Verbün­ »Ich weiß nicht, ob ich das kann«, er­
deter?« widerte er zögernd.
»Ich weiß nicht«, antwortete Danton »Wenn du es kannst, erwarte ich, dass
zögernd. »Immerhin hat er uns nicht an­ du ... Aroff und Zerbone zur Freiheit ver­
gegriffen.« hilfst.«
Er bedachte den Dual mit einem for­ Roi Danton wurde einer Antwort ent­
schenden Blick. hoben. Aus dem Dunst schälten sich
»Ich will es gar nicht wissen. Jetzt Dutzende kleiner kompakter Gestalten
nicht mehr.« Zerberoff fasste sich mit hervor. Obwohl sie alle identische
beiden Händen an die Brust. Er stöhnte Kampfanzüge trugen, glaubte Roi, Trainz
gequält. und Turagga zu erkennen. Es war Trainz,
»Du hättest zurückgehen sollen, so­ der ihm mit beiden Handlungsarmen zu­
lange die Zeit dafür war«, sagte Danton winkte.
hart. Weitere Mikro-Bestien schlossen auf.
Der Dual ließ ein bitteres Lachen ver­ Es mussten einige hundert sein, die in
nehmen. »Hätte das ... irgendwas geän­ schnellem Lauf herankamen.
dert?«, brachte er dumpf hervor. »Ich »Danke«, murmelte der Terraner na­
weiß, dass ich sterbe ... Ich spüre es. – hezu lautlos. »Ich danke euch für die Hil­
Aber der Tod ... muss warten. Bis ich ... fe, Freunde.«
erfahren habe, dass Antakur vernichtet Vor ihnen lag das Gebiet, das der
ist.« Prallfeldzaun abgeriegelt hatte. Jetzt
Opfergang 49

war es ungehindert zugänglich. Vom Trainz hatte seine eigenen Rückschlüsse


Zaun ragten nur noch einzelne Segmen­ aus den Ereignissen gezogen.
te in die Höhe. Ihr pulsierendes Flackern »Ich muss den Weg bis zum Ende ge­
verriet, dass auch diese Elemente dem hen«, erwiderte Danton im Flüsterton.
Zusammenbruch nahe waren. »Selbst wenn CRULT explodiert, bedeu­
Riesig wuchs vor Danton und seinen tet das noch lange nicht Antakurs Ende.
Begleitern der Silberturm in die Höhe. Meine Waffe habe ich von einem Freund
Ein gewaltiger, tausendzweihundert erhalten, der besser informiert ist als wir
Meter hoher Kegelstumpf, ein Berg für alle. Er sagte mir, dass Antakur nicht
sich, der mehr denn je erdrückend sterben wird, solange sich das paraphy­
wirkte. sikalische Hüllfeld seines Körper rege­
Nicht einmal vor diesem Monument nerieren lässt. Es gibt keinen anderen
der Ewigkeit hatte der Verfall haltge­ Weg, als den psionischen Stoß-Emitter
macht. Aufgebrochene, meterhoch ver­ zu zünden.«
schobene Bodenplatten ließen die Ge­ Er stutzte und wurde unwillkürlich
walten erahnen, die sich im Untergrund langsamer. Nun, da er das Ziel in greif­
der Dienstburg ausgetobt hatten. Wenn barer Nähe vor sich hatte, aber für einen
Roi Danton daran gezweifelt hätte, spä­ wirkungsvollen Einsatz des Psi-Emitters
testens hier wäre ihm klar geworden, immer noch zu weit entfernt war, kamen
dass der Vorgang längst unumkehrbar Soldaten auf ihn zu. Auch von den Sei­
war. ten, sah er, näherten sich Mor’Daer. Es
CRULT, das Refugium des Progress- mussten einige hundert sein, wenn er je­
Wahrers in der Milchstraße, war dem ne mit einbezog, die unmittelbar vor dem
Untergang geweiht. Silberturm Posten bezogen hatten.
Ein Psi-Emitter ist ein solch kleines »Das kann nur eine Elite-Einheit
Ding ..., dachte er. sein«, raunte Zerberoff. »Sie wurden zu
Erdrückend ragte vor ihm der fenster­ Antakurs Schutz hier zusammengezo­
lose, am Boden mehr als eineinhalb Ki­ gen.«
lometer durchmessende Turm auf. Dan­ Unbewegt blickte Danton den
ton ließ sich, nachdem er im Zaunbereich Mor’Daer entgegen. Noch hatte er als
schon die Fluggeschwindigkeit reduziert Dualer Kapitän Befehlsgewalt. Und Zer­
hatte, zu Boden sinken. beroff war erst vor Kurzem wegen der
Überall huschten Effremi umher. Er Krise nach CRULT beordert worden.
sah Mor’Daer und Ganschkaren. Zweifellos hatte sein Wort noch etwas
Bodengleiter verließen den Silberturm mehr Gewicht. Danton war in dem Mo­
und jagten hinaus über die Ebene, aber ment froh, dass Zerberoff darauf bestan­
kaum jemand schien Notiz zu nehmen den hatte, ihn zu begleiten.
von den beiden Dualen Kapitänen und Seine Erleichterung hielt nur wenige
dem Heer der sie begleitenden Chaos- Sekunden an. Bis sich der Terminale He­
Assassinen. rold in den Vordergrund schob.
»Danton!« Senego Trainz war plötz­ Roi Danton nahm auch jetzt weder die
lich neben ihm. »Siehst du überall die drückende Ausstrahlung des Herolds
Spuren der Verwüstung? Die Dienstburg noch dessen Eiseskälte wahr. Er konnte
wird auseinanderbrechen und in den nur vermuten, dass der Schutzanzug da­
freigesetzten energetischen Gewalten für verantwortlich war, den der Geflü-
verglühen. Warum ziehen wir uns nicht gelte trug.
einfach in unser Schiff zurück? Du musst Aber er sah den Terminalen Herold
dein Leben nicht opfern.« und konnte im selben Moment spüren,
Danton blickte den Kleinen ernst an. dass sein Gegenüber verstand.
Die Mikro-Bestien waren nicht dumm. Dieses Geschöpf erkannte Dantyren.
50 HUBERT HAENSEL

Aber Dantyren war tot. Und der Ori­ Lebende Kampfmaschinen, gezüchtet
ginalkörper des Terraners Roi Danton dafür, mit unglaublicher Präzision zu
hatte eine Skapalm-Bark zerstört und morden, stürmten vorwärts.
war den Häschern der Terminalen Ko­ Die Mor’Daer wurden von dem Feuer­
lonne entkommen. Gemeinsam mit einer schlag überrascht. Nicht einmal der Ter­
wahrscheinlich unbekannten Zahl minale Herold entkam der Wut der Bes­
missgestalteter Assassinen. tien. Danton sah den Geflügelten im
Dauerfeuer zusammenbrechen. Der
* Punktbeschuss aus einigen Dutzend As­
sassinen-Waffen hatte seinen Schutz­
Heftige Erschütterungen durchliefen schirm innerhalb weniger Augenblicke
den Boden, begleitet vom Stakkato durchbrochen.
dröhnender Explosionen. Am Rand des Dann erst setzten sich die Soldaten
Zenter-Kreises brach der Untergrund zur Wehr. Doch die Mikro-Bestien mit
auf. ihren geradezu absurd großen Waffen
In den Lärm mischte sich ein dumpfes waren zu dem Zeitpunkt schon mitten
Brüllen. Danton hatte den Eindruck, unter ihnen.
dass es aus größerer Nähe erklang. Für Mit ohrenbetäubendem Brüllen warf
einen Moment wandte er sich von den sich der Laborat auf die Kämpfenden,
Mor’Daer und dem Terminalen Herold begrub Mor’Daer und Bestien gleicher­
ab. maßen unter sich. Aber sofort ruckte er
Er sah eine monströse Kreatur, so dick wieder herum, als spürte er den unerbitt­
wie ein Shift, aber deutlich länger, die lichen Feind in seiner Nähe.
sich mit heftigen Kontraktionen ihres Roi Danton sah das Raubtier für ei­
Körpers heranschob. Der Vergleich mit nen Moment innehalten, er registrierte
einer überdimensionalen Nacktschnecke die Muskelkontraktionen, die ihm ver­
drängte sich ihm geradezu auf. rieten, dass sich der Laborat erneut vor­
»Der Laborat!«, stieß Zerberoff un­ wärts schnellen würde – und er sah den
gläubig hervor. »Das ist eines dieser ver­ Dualen Kapitän Zerberoff, der in seiner
dammten Biester, deren Krallen mich zur verkrümmten Haltung verharrte. Zer­
dummen Puppe gemacht haben.« beroff hielt den schweren Strahler in
Brüllend stürmte das Tier heran. Es beiden Händen. Er stand da wie verstei­
war schnell, weitaus schneller, als sein nert.
plumper Leib vermuten ließ. Für einen Als der Laborat ihn angriff, löste der
Moment schrammte es an der Wand des Dual die Waffe aus. Salve um Salve jagte
Silberturms entlang und bäumte sich er dem Tier entgegen, dessen dröhnendes
auf, als mehrere Mor’Daer entsetzt zu­ Gebrüll schon nach wenigen Sekunden
rückwichen. Obwohl die Soldaten ihre verstummte. Der Kapitän senkte den
schweren Waffen im Anschlag hielten, Strahler erst, als das Tier reglos vor ihm
hatten sie keine Chance, dem zupacken­ lag.
den Biest zu entkommen. Zerberoff schwieg. Doch der Blick sei­
Sie hätten schießen können. Dass sie ner beiden Köpfe verriet Danton deut­
lieber ihr Leben opferten, zeigte ihren lich, welch tiefe innere Befriedigung er
Respekt vor dem einer Negasphäre ent­ in dem Moment empfand.
stammenden Tier. Und dessen Wert für Zerberoff schien zu merken, dass er
die Kolonne. beobachtet wurde. Ruckartig wandte er
Trainz und seine Mikro-Bestien ver­ sich Rhodans Sohn zu.
standen das im selben Moment wie Dan­ »Das ist erst der Anfang«, sagte er
ton. Sie sahen, dass sogar der Terminale hart. »Jetzt brauche ich dich, Terraner ...
Herold zögerte, und nutzten ihre Chance. Du musst mich stützen.«
Opfergang 51

8. kaum dass sie vor der Barriere standen.


Der Dual taumelte weiter, krümmte sich
Nichts konnte sie mehr aufhalten. unter einem Hustenanfall, blieb aber auf
Es war Danton, als trage ihn eine Wo­ den Beinen.
ge der Euphorie vorwärts. Rache für »Haltet mir ... Gegner vom Leib!«
Dantyren ... Hoffnung für die Milchstra­ Kaum verständlich, was der Dual den
ße ... Nichts anderes hatte in seinen Ge­ Bestien zurief. Zumindest Aroff blutete
danken noch Platz. wieder. Eine glänzende rote Spur zog
Er stützte Zerberoff, dessen Zustand sich von seinem Schnabel aus über das
mit jeder Sekunde schlechter wurde. Da­ Halsgefieder.
bei schaffte er es ebenfalls nicht mehr, Zwei Effremi, die aus einem Seiten­
aufrecht zu gehen. Die verkrümmte Hal­ korridor kamen, erkannten die Situation
tung in der Maske lähmte seine Hüfte. Er zu spät. Bevor sie sich herumwerfen und
hatte angefangen, wie Zerberoff ein Bein fliehen konnten, waren mehrere Mikro-
nachzuziehen. Eigentlich brauchte er Bestien über ihnen.
Yrendir nun nicht mehr, er war am Ziel. Augenblicke später erreichte Zerberoff
Trotzdem zerrte er sich die Maske nicht die Schaltstelle. Einen bangen Moment
vom Leib. Er wollte, dass Antakur von lang fürchtete Danton, die Kodes des
Bitvelt sah, wer ihn tötete: Dantyren, Dualen Kapitäns könnten annulliert
halb Mensch, halb Mor’Daer, eine ge­ worden sein, aber schon öffnete sich der
quälte Kreatur. Zugang.
Danton spürte, dass seine Augen trän­ Zerberoff selbst eröffnete das Feuer
ten. Es erfüllte ihn mit Zorn. Voll Ver­ auf die Bedienungsmannschaft.
achtung wollte er dem Progress-Wahrer Der Weg ins Zentrum des Silberturms
gegenübertreten, nicht von seinen Ge­ war frei.
fühlen übermannt.
Die Mikro-Bestien, die quer durch das *
Progress-Amt vorausgeeilt waren und
alle Hindernisse beseitigt hatten, schei­ Schon seit einer Weile spürte Roi Dan­
terten an einer Energiebarriere. Danton ton die wachsende Verwirrung, die von
argwöhnte, dass sie schon einige Verluste ihm Besitz ergriff. Erst hatte er versucht,
erlitten hatten. das damit einhergehende Schwindel­
Zerberoff löste sich aus seinem Griff, gefühl zu ignorieren, dann hatte er es
52 HUBERT HAENSEL

seiner tobenden Hüfte und der schmer­ Schon hatte er den Eindruck, dass alles
zenden, von der Maske verkrümmten um ihn herum rotierte. Er musste die Au­
Wirbelsäule zugeschrieben. gen schließen, wenigstens für ein paar
Jetzt stand er im Herzen des Progress- Sekunden.
Amtes, im geometrischen Mittelpunkt Als er wieder in die Höhe schaute, ach­
des Silberturms. Vor ihm wölbte sich die tete er nur auf die Skulptur aus hell illu­
Anthrazit-Sphäre. miniertem Kristall, die scheinbar über
Senego Trainz und seine Leute waren ihm an der Decke klebte. Vielleicht war
ausgeschwärmt und sicherten den Zu­ Antakur das Urbild eines Duals. Danton
gang zur Sphäre. wusste es nicht, als er die beiden kanti­
Roi Danton zog die Schatulle mit dem gen, voneinander abgewandten großen
Stoß-Emitter unter der Maske hervor. Köpfe taxierte. Sie saßen auf breiten
»Antakur von Bitvelt kann uns nicht Schultern, aus denen vier Arme ragten,
mehr entkommen!« Abgehackt und jedes zwei vom Körper abgespreizt, die ande­
Wort wie eine Verwünschung brachte ren beiden im Schoß liegend. Mit ange­
Aroff den Satz hervor. »Er ist nicht in der winkelten Beinen kauerte der Progress-
Lage zu fliehen. Wir gehen beide. – Ich Wahrer in der Sphäre.
will ihn sehen!« Dantons Kiefer knackten, so heftig
Danton öffnete den Zugang zu der ein­ biss er die Zähne zusammen. Die rechte
hundertzwanzig Meter durchmessenden Hand geballt, mit der Linken die Scha­
Hohlkugel. tulle umklammert, stand er selbst wie
Das Schott lag am tiefsten Punkt eines versteinert da. Er spürte, dass Antakur
düsteren Saales. Von diesem Punkt aus von Bitvelt die Quelle der verwirrenden
konnte der Blick nur aufwärtsgehen. Der Strahlung sein musste. In der Sphäre
Boden der Sphäre schimmerte wie po­ war sie um einiges intensiver als außer­
liert, er bestand aus einem basaltartigen, halb in den Korridoren des Progress-
anthrazitfarbenen Material. Amts. Antakur befand sich nach wie vor
Über die Kugelinnenseite verteilt rag­ im Bann der Wellenfronten, die der Psio­
ten Schaltpulte und Terminals auf, von nische Feld-Emitter freigesetzt hatte.
denen aber keines besetzt war. Danton Danton machte den ersten Schritt.
sah hier und da Effremi oder Mor’Daer Das Schwindelgefühl wurde stärker, weil
umherirren. Einige hingen kopfüber aus sich alles über ihm zu verschieben schien.
der Höhe herab, doch für jeden von ih­ Der nächste Schritt. Der Terraner schau­
nen war der Platz, an dem sie sich befan­ te nicht mehr in die Höhe.
den, als unten definiert. Erst nach mehreren Metern entsann er
Der Terraner stellte fest, dass die sich, dass Zerberoff noch am Schott
Schwerkraft im gesamten Kugelbereich stand. Danton wandte sich um. Über­
nach außen wirkte. Ihm schwindelte, so­ rascht stellte er fest, dass der Dual ihm
bald er in die Höhe blickte, und er hatte gefolgt war.
zugleich das Gefühl, in eine unendliche »Geh jetzt!«, fuhr Danton sein Gegen­
Tiefe zu stürzen. über an. »Dir bleibt nicht mehr viel Zeit.
»Die Effremi und die Soldaten ... be­ Sag Senego, ich will, dass er und seine
wachen Antakur ...«, hörte Danton Zer­ Leute dich begleiten. Nutzt die Verwir­
beroff sagen. »Aber sie erliegen ... der rung aus, die bald entstehen wird, und
Strangeness-Verwirrung.« versucht zu entkommen.«
Danton nickte zögernd. Die Wächter Zerberoff griff zu, bevor Danton rea­
taumelten; keiner von ihnen schaffte es, gieren konnte. Seine Mor’Daer-Hand
nur einige Schritte geradeaus zu gehen. schloss sich um Dantons Oberarm.
Einen Hauch zu lange hatte sich der »Gib mir den Psi-Emitter!«, verlangte
Terraner auf einen Effremi konzentriert. er heftig, und er schien seine letzte Kraft
54 HUBERT HAENSEL

dafür zu mobilisieren. »Es ist unnötig, die Danton und seine Leute fürchten
Roi Danton, dass du das Risiko eingehst. mussten. Zerberoff war überzeugt da­
Ich werde Antakur von Bitvelt vernich­ von, dass die Waffe keinesfalls nur den
ten, denn mein Weg ist hier ohnehin zu Progress-Wahrer vernichten würde.
Ende. Aber du und deine Terraner, ge­ CRULT war angeschlagen. Die Dienst­
meinsam könnt ihr der Kolonne in Zu­ burg würde nur wenig länger als Anta­
kunft noch großen Schaden zufügen.« kur existieren.
Zögernd schüttelte Danton den Kopf. Mit letzter Kraft humpelte Zerberoff
»Ich muss blind gewesen sein – oder zu weiter. Jeder Schritt wurde zur neuen
vertrauensselig«, sagte er leise. »Seit du Qual. Sein zerschundener Körper war
von den Krallen befreit bist, suchst du am Ende.
nur nach einer Möglichkeit, den Pro­ Langsam, viel zu langsam kam er An­
gress-Wahrer zu vernichten. Dir ging es takur näher. Wenn er einen seiner Köpfe
nicht um die Freiheit, auch nicht um die hob, glaubte er zu erkennen, dass der
Zusammenarbeit mit uns ... Du hast le­ Progress-Wahrer spöttisch auf ihn her­
diglich auf den Moment gewartet, an abschaute.
dem mir keine andere Wahl bleibt, als dir Weiter!
zuzustimmen. Ist es so?« Und wenn er gezwungen war, zu An­
»Gib mir die Schatulle!« takur zu kriechen, er würde nicht aufge­
»Das werde ich nicht tun, Zerberoff.« ben. Das war Zerberoff nicht nur sich
»Du nimmst mir alles, Terraner, sogar selbst schuldig, denn mittlerweile stand
meine Rache. Ist das deine Moral? Du er auch in Dantons Schuld.
bist nicht besser als Antakur, merkst es Endlich taumelte er gegen den hellen
aber nicht einmal.« Kristall der angewinkelten Beine. Einen
Danton riss sich los. Er ging weiter, Moment lang hielt Zerberoff sich noch
wütend auf Zerberoff, auf sich selbst, auf aufrecht, dann rutschte er langsam an
den Zwang, den er sich auferlegt hatte. dem Kristall entlang zu Boden.
Jäh wandte er sich noch einmal um. Wie fühlst du dich, Antakur?, spotte­
Er sah den Feind, der keiner mehr ten seine Gedanken. Hängst du am Le­
war. ben? Ich würde es gerne wissen. Hast du
Und er sah den Freund, den er nicht die Freiheit, zu entscheiden, ob du ster­
mehr gewinnen würde. ben willst? Ich habe sie.
»Du hast recht!«, sagte er. »Ich werde Mit zitternden Fingern öffnete er die
weiter gegen TRAITOR kämpfen.« Schatulle. Vor ihm lag das verschwom­
Er gab Zerberoff die Schatulle. »Um men wirkende eiförmige Objekt.
den Stoß-Emitter zu zünden, musst du Kein schlechter Tod für einen Dual.
dich intensiv darauf konzentrieren. Die Tausendmal besser als ein sinnloses Ende
Waffe spürt, was du von ihr erwartest.« in einem namenlosen Traitank im Kampf
Roi Danton wandte sich um und ging. gegen unbekannte Gegner.
Kein Wort des Dankes fiel, nichts. Seine vier Augen richteten sich auf
»Terraner!«, rief Zerberoff hinter ihm den Psi-Emitter. Beide Gehirne stellten
her. »Vergiss nicht Aroff und Zerbone!« sich intensiv vor, wie es sein würde, so­
bald die Waffe zündete.
* Zerberoff glaubte zu sehen, dass der
leuchtende Kristall von einer Sekunde
Zerberoff wartete, bis Danton die An­ zur nächsten matt wurde. Risse entstan­
thrazit-Sphäre verlassen hatte. Er wollte den, weiteten sich gedankenschnell aus,
sicher sein, dass der Terraner wenigstens und dann platzte der Kristall in einem
eine Chance hatte, dem Tod zu entgehen. Splitterregen auseinander.
Es war nicht die Psionische Stoßfront, Das war der Moment, in dem der Stoß­
Opfergang 55

Emitter die komprimierte Energie frei­ Geschöpf noch lebte. Augenblicke später
setzte. Der Duale Kapitän spürte noch, geriet der Schatten in die glühenden
dass seine beiden Leben im Bruchteil ei­ Ausläufer einer Explosion und wurde
nes Augenblicks aus dem Körper entwi­ auseinandergerissen.
chen ... Immer lauter rief Danton nach Trainz
... und er erkannte, dass sich in schier und den anderen Mikro-Bestien. Aber
unendlicher Überraschung die Köpfe des der Helmfunk blieb stumm.
Progress-Wahrers auf ihn richteten. Es gab kein Entkommen, sagte er sich.
Dann war nichts mehr. Zerberoffs Opfergang hatte ihm einen
kurzen Aufschub verschafft, die Illusion,
* seinem Schicksal entgehen zu können,
mehr nicht. Der Untergang der Anthra­
Roi Danton und die Mikro-Bestien zit-Sphäre bedeutete zugleich das Ende
waren nur wenige hundert Meter vom der Dienstburg und seinen Tod.
Silberturm entfernt, als der Terraner ei­ Immer schneller wirbelte er herum.
nen grellen Blitz wahrzunehmen glaub­ Ein Sog entstand, der ihn unaufhaltsam
te. Eine mentale Sturmflut fegte über ihn in die Tiefe zog. Nach einer Weile fragte
hinweg und brandete an den Terrassen sich der Terraner, ob ihn der Wirbel je­
der Dienstburg empor. mals wieder ausspucken würde.
Unmittelbar darauf folgte eine zweite Ein Schatten glitt vorbei. Dunkel wie
heftige Erschütterung, ein gellender die Nacht und riesig. Danton sah ihn da­
lautloser Aufschrei am Ende eines ver­ vontreiben – und ebenso schnell umkeh­
zweifelten Todeskampfs. ren. Ein diskusförmiger Umriss bildete
Antakur von Bitvelt existierte nicht sich heraus ... ein Traitank.
mehr. »Traitank 1.199.188 ruft das Einsatz­
Nahezu gleichzeitig bemerkte Danton kommando!«
den beginnenden Zerfall. Der Silber­ Kaum verständlich die Stimme in sei­
turm, die umliegenden kleineren Gebäu­ nem Helmempfang. Aber sie war real
de, sogar der längst schon aufgebrochene und entsprang keineswegs nur seiner
Boden, das alles wurde von einer eigen­ überreizten Fantasie.
artigen Vibration erfasst, die feinste Ris­ »Major Ustinoth ruft das Einsatzkom­
se entstehen ließ. mando! Meldet euch!«
In einem Meer aus Explosionen brach »Hier!«, brüllte Roi Danton aus Lei­
der Silberturm auseinander. beskraft. »Major, hier sind wir!«
Eine unheimliche Gewalt fegte über Wir? Er wusste nicht einmal, ob außer
die Ebene hinweg. Danton sah die ersten
Mikro-Bestien davonwirbeln wie welke
Blätter im Herbststurm. Im nächsten
Moment wurde er selbst von einer un­
sichtbaren Faust gepackt.
Innerhalb weniger Augenblicke verlor
er jede Orientierung. Gefangen in einem
wirbelnden Kaleidoskop, hätte er nicht
zu sagen vermocht, ob ihn der Sturm
noch über den Boden trieb oder ihn
längst schon zu den Terrassen emporge­
hoben hatte.
Ein geflügelter Schemen trieb heran.
Es war ein Terminaler Herold. Der Ter­
raner konnte nicht erkennen, ob dieses
56 HUBERT HAENSEL

ihm überhaupt jemand überlebt hatte. sehen. Die Dienstburg war in mehrere
Der Traitank kam näher. Nach einer große Fragmente auseinandergebrochen,
Weile glaubte Danton zu spüren, dass ei­ die sich zögernd voneinander lösten.
ne unsichtbare Faust nach ihm griff. Der Kurz bevor ihr Traitank in den Hyper­
Abstand zwischen ihm und dem Kampf­ raum entkam, verging CRULT in einer
raumschiff der Kolonne schrumpfte nun gewaltigen Explosion.
schnell zusammen. Roi Danton warf einen kurzen Blick
Der Traktorstrahl zog Danton ins In­ auf die Zeitanzeige.
nere einer Schleusenkammer. Einige Es war der 17. August 1347 NGZ, mor­
Dutzend Mikro-Bestien blickten ihm er­ gens um 1.12 Uhr Terrania-Standard­
wartungsvoll entgegen. zeit.
»Hallo«, krächzte der Terraner, dann Die Dienstburg CRULT existierte
wurde ihm schwarz vor Augen. nicht mehr, und der Progress-Wahrer
Antakur von Bitvelt war tot.
* Niemand in der Terminalen Kolonne
konnte jetzt noch wissen, wer hinter die­
Er konnte nur wenige Sekunden lang sem Anschlag steckte.
bewusstlos gewesen sein. Als Roi Danton »Wie viele Leute haben wir verloren?«,
die Augen aufschlug, sah er die Mikro- fragte Danton endlich.
Bestien vor sich. Sie hatten ihm den Trainz bedachte ihn mit einem nach­
Helm abgenommen, und er atmete die denklichen Blick. »Alle Terraner sind
Schiffsluft. rechtzeitig an Bord zurückgekehrt.«
Alles, was er hörte, klang dumpf und »Und wie viele von euch?«
wurde vom Rauschen des Blutes in sei­ »Wir wissen es bislang nicht genau. An
nen Ohren überlagert. Trotzdem erkann­ die zweihundertfünfzig werden ver­
te er Senego Trainz’ Stimme. misst.«
»Ja, wir haben ihn!«, sagte Trainz. »Was ist mit Rinka?«
»Abflug, und zwar sofort, bevor es uns Trainz machte eine etwas hilflos an­
erwischt!« mutende Geste. »Sie ist tot«, sagte er.
Danton fragte nicht, warum sie sich »Die Assassinen haben sie vor unseren
noch in der Schleusenkammer aufhiel­ Augen umgebracht.«
ten. Ihm war klar, dass die zahlenmäßig Er stutzte, dann griff er in eine Außen­
kleine Standardbesatzung des Traitanks tasche seines Anzugs und zog ein
jetzt anderes zu tun hatte, als sich ablen­ Schreibpad hervor. »Das hier hat sie ver­
ken zu lassen. loren, bevor sie starb. Ich denke, es ist
Wenigstens hatten die Mikro-Bestien bei dir am besten aufgehoben.«
das Display in der Schleuse in Betrieb »Rinkas Aufzeichnungen?«, fragte Roi
genommen. Angespannt registrierte Danton irritiert.
Danton, dass der Traitank mit nahezu »Sieh sie dir an, dann weißt du Be­
Höchstwert beschleunigte. Jeden Mo­ scheid.«
ment konnten andere Schiffe auf Ab­ Danton hatte Mühe, die Funktionen
fangkurs gehen, aber nichts geschah. Die des kleinen Pads zu aktivieren. Mit dem
1.199.188 blieb in der herrschenden Ver­ Fingernagel schaffte er es, die vergrö­
wirrung rings um CRULT unbehelligt. ßernde Wiedergabefunktion zu aktivie­
Dunkle Ermittler zogen vorbei. Für ren. Er überflog die ersten Zeilen. Seine
Danton hatte es den Anschein, als seien Augen verengten sich.
sie nach wie vor in ihrer unbegreiflichen »Was soll das?«, wollte er wissen. »Al­
Schlacht gefangen. Augenblicke später les unleserlich, bis auf einzelne Wort­
wechselte die Bildwiedergabe. Für nahe­ fragmente.«
zu eine Minute war CRULT erneut zu Er wollte die Wiedergabe löschen.
Opfergang 57

»Blätter weiter!«, forderte Trainz ihn weniger hastig. Die Nachricht war eben
auf. »Bitte!« erst über die MOTRANS-Verbindung
Danton tat dem Anführer der Mikro- hereingekommen. Sie hatte eine kleine
Bestien den Gefallen. Sein Blick wurde Odyssee über verschiedene Funkbrücken
starr, dann wischte er sich mit zwei Fin­ hinter sich.
gern die Augenwinkel aus. DARK GHOUL an Heimat, lautete der
»Nun weißt du es«, sagte Senego entschlüsselte Wortlaut. Die Burg und
Trainz. ihr Herr sind nicht mehr. Der König hat
Reuh, stand da. überlebt und befindet sich wohlbehalten
Auf der nächsten Seite, in kräftig ge­ an Bord. 1550 unserer kleinen Freunde
malten Buchstaben: Hroy. ebenfalls. Kalbaron Ustinoth.
Und das ging so weiter, Blatt für Blatt. »Kalbaron«, murmelte Bully. »Den
Irgendwo entdeckte Danton sogar ein Unsinn hätte er sich sparen können. Aber
richtig geschriebenes Roi. König Roi ... wenn das ausnahmsweise
Rinka Porol, so schien es, hatte ihn zu­ keine gute Nachricht ist. Die Frage ist
tiefst verehrt. nur, ob Freund Antakur wirklich den
Löffel abgegeben hat.«
Er nahm Verbindung mit dem Gala­
Epilog pagos-Stützpunkt auf.
Der Nukleus der Monochrom-Mutan­
»Verdammt!«, sagte Reginald Bull im ten zeigte sich überzeugt davon, dass
Selbstgespräch. »Er ist schon ein Teu­ Antakur von Bitvelt in der Tat nicht
felskerl.« mehr existierte.
Die Druckfolie in seiner Hand zitterte Für den Nukleus war diese Nachricht
leicht. Dennoch legte er sie nicht zur Sei­ zugleich das Signal zum Aufbruch.
te. Er überflog den Text erneut, diesmal
58 HUBERT HAENSEL

Nichts hielt ihn nun noch im Solsystem, vergraben, fanden keinen Widerstand
zumal rings um die entstehende Nega­ mehr.
sphäre Hangay jederzeit mit neuen Ent­ Fawn Suzuke verschwand. Ihr Körper
wicklungen zu rechnen war, die seine löste sich auf, war nur noch ein Hauch
Anwesenheit erforderten. ihrer selbst. Ihr Sommersprossengesicht,
Ab sofort mussten die TANKSTEL­ die schlanke, knabenhafte Figur, nicht
LEN und die abgenabelte BATTERIE mehr als eine verwehende Ahnung.
den Schutz des Solsystems alleine ge­ Dann hingen nur noch ihre Augen in
währleisten. der Luft. Ihr Silberblick taxierte Marc
Schon eine halbe Stunde später senkte und schien zugleich an ihm vorbeizu­
sich die LEIF ERIKSSON II auf die Isla schauen.
Bartolomé hinab. Der Nukleus schwebte »Lebe wohl!« Fawns leises Flüstern,
in einen Hangar ein. Aus eigener Kraft der letzte Gruß ihrer Stimme, verwehte
war es ihm unmöglich, den Kristall­ mit dem Wind.
schirm zu durchdringen. Das Ultra­ Marc London war sich dessen bewusst,
schlachtschiff übernahm den Transport dass die LEIF ERIKSSON II in der Se­
durch die gegnerischen Linien. kunde in den Situationstransmitter im
Luna-Orbit eingeflogen war. Der Nukle­
* us der Monochrom-Mutanten, der über
viele Monate hinweg die Menschen im
»Komm zurück!«, sagte Marc London Solsystem beschützt hatte, war gegan­
mit fürchterlich belegter Stimme. »Wenn gen. Er hatte Fawn für immer mitgenom­
es irgendwie möglich ist, komm zurück, men.
Fawn! Ich warte auf dich.« Mit dem Nukleus war das strahlende
Er hatte sich vorgenommen, stark zu Leuchten am Pinnacle Rock verschwun­
sein, weil er mit Wehmut weder Fawn den. Dunkelheit breitete sich um den
noch sich selbst den Abschied leichter Felsen aus.
machte. Aber jetzt konnte er nicht an­ Trotzdem war es nicht völlig finster
ders. Die LEIF ERIKSSON II ver­ geworden. Marc brauchte eine Weile, bis
schwand bereits als kleiner werdender sich seine Augen umgewöhnt hatten,
strahlender Stern im düsteren Nacht­ aber dann entdeckte er das schwache
himmel. Licht zwischen den Felsen. Die leuch­
Fawn legte ihm zwei Finger auf die tende Erscheinung war nicht größer als
Lippen. Marc zog ihre Hand zur Seite, sechzig Zentimeter und durchmaß nur
und dann riss er Fawn heftig an sich und eine Handspanne. Marc hatte die BAT­
löste seinen Griff erst, als sie verhalten TERIE in den letzten Wochen wachsen
stöhnte. sehen, und nun war sie zurückgeblieben.
»Wolltest du mich umbringen, Marc?« Zu glauben, dass dieses unscheinbare
Das war ein schlechter Witz, aus der Leuchten die Menschen gegen TRAITOR
Erregung heraus ausgesprochen und so­ verteidigen sollte, fiel ihm immer noch
fort bereut. Fawn merkte es schnell. Trä­ schwer. Die Hauptlast der Verteidigung
nen rannen über ihre Wangen, als sie würde künftig wohl bei den Terranern
Marcs Gesicht mit beiden Händen um­ selbst liegen.
fasste und ihn küsste. Trotz des warmen Nachtwinds fröstel­
Es wurde ein inniger Kuss, voll Ver­ te Marc.
langen und Trauer, dennoch hätte Marc Er ging zurück in die Unterkunft.
die Frau ewig so festhalten wollen. Fawn hatte das Zimmer neben seinem
Er war nahe daran, aufzuschreien, als bewohnt. Die Tür zu ihrem Raum stand
ihre Lippen plötzlich weicher wurden. offen. Im ersten Moment scheute sich
Marcs Hände, eben noch in Fawns Haar Marc, auch nur einen Blick hineinzuwer­
Opfergang 59

fen. Er hatte Angst davor, allein zu sein. artig um und ging noch einmal zum
Aber dann gab er sich einen Ruck und Strand. Die Wellen plätscherten so leise
trat ein. wie in der vorletzten Nacht.
Fawns Parfum hing noch in der Luft. Weit ging Marc ins Wasser hinaus, bis
Auf dem Tisch stand die Vase mit der er fast den Grund unter den Füßen ver-
Orchidee, die Marc für sie gepflückt lor. Er legte die Orchidee auf die Wellen
hatte. und sah zu, wie der kühle Humboldt-
Er zog den Stiel heraus, drückte die strom sie davontrug. Schon nach weni-
Blüten für einen Moment sinnend auf gen Augenblicken verschwanden die
seine Lippen. Dann wandte er sich ruck- Blüten in der Dunkelheit.

ENDE

CRULT existiert nicht mehr! Diese Nachricht mag den einen oder anderen
freuen, aber es steht bereits fest, dass die Terminale Kolonne sich von diesem
Rückschlag erholen wird. Von alles entscheidender Bedeutung wird allerdings
die Zeit sein, die sie benötigt ...
Zeit, die für weitere Aktionen, die sich gegen die Negasphäre richten, von
Terra und seinen Verbündeten dringend benötigt wird.
Mehr darüber berichtet Horst Hoffmann in Band 2476, der kommende Woche
unter folgendem Titel im Zeitschriftenhandel sein wird:

KOMMANDO DER FRIEDENSFAHRER

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Dirk Schulz. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG,
76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 34. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300,
A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustim­
mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. Januar 2009.
Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail: mail@Perry-Rhodan.net

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Taunus. Lieferung erfolgt gegen Vorauskasse (zuzügl. € 3,50 Versandkosten, Ausland € 6,50) oder per Nachnahme
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PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
WIEDER MAL: PSI-MATERIE (III)
Ein Beispiel für Hypermaterie war das Molkex (»mole­ Psi-Materie als »dickliche, blaue Flüssigkeit« ange­
kular-katalytischer Extrakt«), PR 160: Durch die Ab­ troffen, von den Läandern alias Prä-Zwottern der Prov­
sorption genügender Energiemengen wird aus nor­ con-Faust sind psimaterielle Schöpfungen in Gestalt
maler Materie diese ... Hypermaterie gebildet. (...) war der »paraplasmatischen« Psychode bekannt. Die als
Molkex eine neue Art von Materie, die gegenüber der »versteinerte« Obelisken umschriebene schatten­
normalen Materie dadurch ausgezeichnet war, dass lose Säulen-Endform von Cynos, Josminen und Ya­
sie einen weitaus höheren Grundenergiegehalt be­ konto wiederum wird als »materieller Schatten einer
saß, als die Einsteinsche Beziehung vorschrieb. (...) psimateriellen Form« angesehen.
Ein winziges Stück dieser Hypermaterie, in normale In Form von Paratau trat Psi-Materie als Tropfen in
Materie zurückverwandelt, konnte somit eine unge­ pseudostabiler halbmaterieller Gestalt auf, die die Ei­
heure Energie freisetzen. genschaft der langsamen Verpuffung hatte: Normale
Etwa um 1,8 Millionen Jahre vor Christus wurde der Deflagration führte zur zeitlich begrenzten Ausbildung
instabile, halbintelligent gewordene Rest einer Ener­ von Parakräften, spontane Deflagration bei großen
giewolke aus einem Antimaterieuniversum in das Parataukonzentrationen dagegen zur explosionsar­
Standarduniversum geschleudert, entwickelte sich tigen kompletten Freisetzung der im Paratau gespei­
hier zu einem »Sternenfresser«, der ganze Sternen­ cherten Energie, meist verbunden mit starken Psi-
ballungen vernichtete – später umschrieben als »su­ Stürmen.
praheterodynamische Existenz«, kurz Suprahet –, Beim Tymcal (Para-Staub) schließlich, den die Qeva­
und bewegte sich auf die Milchstraße zu. Um 1,18 yaan und Guyaam in Tradom benutzten, handelte es
Millionen Jahre vor Christus versuchten Barkoniden sich um staubförmige Psi-Materie mit extrem kurzer
und Petronier (auch Oldtimer genannt) im Auftrag der Lebensdauer, deren »Aggregatzustand« ständig zwi­
Sieben Mächtigen durch Fallensysteme das Suprahet schen Normal- und Hyperraum wechselte; genügend
zu bändigen, um eine Schädigung des sich der Milch­ große Mengen Tymcal konnten fast schon als lebendig
straße nähernden Schwarms zu verhindern. bezeichnet werden.
Das Molkex entstand, als im Jahr 1.115.674 vor Chris­ Die bislang größte Menge festkristallisierter Psi-Mate­
tus der größte Teil des Suprahets in materieller Form rie wurde beim »Backup-System« des Urschwarms
»gebändigt« und festgesetzt wurde. Es entstand der Litrakduurn in Gestalt des Kristallmonds von Vinara
riesige Pseudoplanet Herkules im System EX-2115­ angetroffen – der Durchmesser von 1126 Kilometern
485, der rasch die 17 Planeten des Wallsystems ein­ entsprach dem eines Sporenschiffs. Vergleichbares
fing und zu seinen Satelliten machte. Aus Absplitte­ galt für die QUELLTRÄGER der Wasserstoffatmer-Mäch­
rungen bildeten sich darüber hinaus das Kugelwesen tigen vor rund 60 Millionen Jahren.
Harno, die Dancers auf Pulsa im Whilor-System und Auch beim natürlichen Psionischen Netz des Multiver­
der Planet Tombstone, aus dessen Molkex die Schreck­ sums muss – abhängig von der Konzentration – mit
würmer entstanden. Fortan bildete es den dritten und »Teilverstofflichungen« gerechnet werden, sprich der
vorletzten Abschnitt der Schreckwurmgenese. Im Ur­ Bildung von Hyper- oder Psi-Materie. Gesichert ist in­
zustand war Molkex transparent und flexibel; es ver­ zwischen, dass es Verbindungen zwischen Psi-Mate­
härtete sich durch Absorption von Energie und wech­ rie und Eiris gibt – laut der Superintelligenz ES die
selte die Farbe nach Braun bis Schwarzbraun. Zur Bezeichnung für »raumzeitliche Stabilisierungsener­
weiteren Veränderung waren beachtliche Energie­ gie« (PR 69), mit der auch »positive energetische
mengen notwendig. Hierbei wurde das Molkex noch Substanz paranormaler Natur« verbunden wird. Hinzu
härter und widerstandsfähiger und wurde deshalb kommen die Verbindungen zwischen Psi-Materie und
von den Jülziish/Blues zur Panzerung ihrer Raum­ Vitalenergie – der »lebensspendenden« Energieform
schiffe verwendet. im ultrahochfrequenten Bereich des hyperenerge­
Von Mutanten erzeugte Psi-Materie begegnete uns in tischen Spektrums – sowie, daraus folgend, zu den
der Second-Genesis-Krise und spielt auch im Zusam­ On-Biophore(n) allgemein und ihren »Oberschwin­
menhang mit den Omir-Gos (Omirgos) der Zhy-Famii gungen«. Aber in dieser Hinsicht steht die Forschung
als ein »aus dem Zhy Bewussten Seins materialisier­ erst am Anfang ...
ter Kristall« eine Rolle. Im Baolin-Deltaraum wurde Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,
die LKS dieser Woche hält wieder Spannendes und Kaiserreiches (1898 bis 1914 – aber das ist eine an­
Interessantes für euch bereit: einen Wettbewerb, ein dere Geschichte).«
paar Merkwürdigkeiten, jede Menge Spekulationen Die Tätigkeit als Archivar scheint ihm zu liegen, wie
und eine Ankündigung gleich zu Anfang, die mir viel mir scheint. Spontan fällt mir ein, dass Uni-Bibliothe­
Vergnügen bereitet. kar wohl der beste Beruf für ihn gewesen wäre, aber
das Schicksal hat anders entschieden. Einzelheiten
PR-Action Band 22 könnt ihr auf unserer Rhodan-Homepage nachlesen.
Ein Ritter gegen die »Feinde des Lebens« Dort schreibt Hermann unter anderem: »Obwohl mei­
»Auch die Jungspunde werden langsam alt.« Der Satz ne erste verkaufte Kurzgeschichte in einem ›Ren
fiel mir ein, als ich Hermann Ritters Geburtsjahr las. Dhark‹ erschien und mein erster SF-Roman zur Serie
1965. Elf Jahre jünger als ich und doch schon im ge­ ›BattleTech‹ rauskam, bin ich erträglich Rhodan-treu
setzten Alter. Aber wir wollen das jetzt nicht weiter (wie man an diversen Beiträgen ersehen kann). Au­
vertiefen. ßerdem bin ich Mitherausgeber des Fantasy-Jahr­
Hermann kenne ich seit eben diesen 30 Jahren, in buchs ›Magira‹ und immer mal wieder Leser von Ber­
denen er nun schon im Fandom tätig ist, mit Magazin­ gen von Science Fiction und Fantasy. Ich lebe in
artikeln, Kurzgeschichten, Buchbeiträgen, Büchern, Darmstadt, umgeben von Papier (wie man mir immer
aber auch als Ex-Vorstandsmitglied des SFCD, Ex-Vor­ nachsagt) ...«
standsmitglied des (damals) größten deutschen Rol­ Wieso fällt mir da Roland Emmerichs Eiszeitfilm ein,
lenspielvereins, 1. Vorsitzender des Fantasy Clubs in dem die Überlebenden in der Universitätsbibliothek
e.V., Ex-Vorstandsmitglied der PRFZ e.V. und als Be­ die Bücher verheizen, um nicht zu erfrieren, und ein
treuer der Clubnachrichten, die vierwöchentlich in heftiger Streit entbrennt, welche Bücher nun schüt­
PERRY RHODAN erscheinen. zenswertes Kulturgut sind und welche nicht?
Nach seinem Studium der Sozialarbeit (samt Diplom Egal. Langer Rede kurzer Sinn: Nach etlichen Jahren,
über Fantasy-Rollenspiel), Studium der Geschichte in denen Hermann Ritter immer wieder an Projekten
und Politik (samt Magister über alternative Welten) um und für PERRY RHODAN beteiligt war, hat es ihn
arbeitete er als Geschäftsführer in einem Rollen­ jetzt kalt erwischt. Der Freund jeden Lebens hat den
spielladen, war »European Sales Manager« für eine PR-Action-Roman Nummer 22 geschrieben. Er trägt
amerikanische Spielefirma und ist jetzt wieder den Titel »Feinde des Lebens« und erscheint zeit­
als Sozialarbeiter für benachteiligte Jugendliche gleich mit dem vorliegenden PR-Band 2475.
tätig. Viel Spaß beim Lesen!
Über sich selbst sagt er: »Schon als Kind hatte ich
Kleine Merkwürdigkeiten
einen Drang dazu, Dinge aufzuräumen und wegzuräu­
men. Einer meiner ersten Sätze soll angeblich ›Mollein Udo Classen, udosschmoekerkiste.de
meißen‹ gewesen sein, was so viel wie ›In den Müllei­ Hab ich wieder was verpasst? Wann war die SOL auf
mer schmeißen!‹ heißen soll. Leider waren nicht alle Evolux, oder gibt es die Kugeln auch in Hangay?
Dinge, die ich in den Mülleimer transportiert habe, für Ist ja merkwürdig.
den Müll gedacht ... Auch wir haben unsere Geheimnisse. Aber im Ernst,
Später führte das dazu, dass ich gern Dinge aufräum­ geht es uns nicht allen so? Wenn wir Hantel lesen
te und sortierte. Ich habe mehrere Jahre in Berufen oder sehen, denken wir unwillkürlich an die SOL. Ich
gearbeitet, wo ein richtig großes Lager dazugehört. mache mich nach einem Roman mit der JULES VERNE
Und wer einmal über 1.000.000 Würfel verwaltet hat, an den Suchdurchlauf, ob ich nicht aus Versehen ir­
der ist nur unter Schwierigkeiten mit größeren Aufga­ gendwo »SOL« geschrieben habe.
ben zu betrauen. Im Glossar von Band 2467 ist es übersehen worden.
Auch im Studium der Geschichte hatte ich Gelegen­
heit, meinen Fähigkeiten nachzugeben. Aber hier wa­ Jürgen Feige, juergen.feige@web.de
ren die Aufgaben wesentlich sinnvoller: Einmal habe Nachdem ich mich gestern in meiner E-Mail begeistert
ich mehrere Tage lang Opferkarteikarten in einem Kon­ über die Zeichenkünste von Swen Papenbrock gezeigt
zentrationslager bei Danzig sortiert, dann war ich habe, möchte ich mich heute voll hinter den Leserbrief
einmal für ein paar Tage auf der Suche nach Unterla­ meines »Kollegen Altleser« Gerhard Uklei stellen.
gen der Rheinschifffahrtsdirektion des deutschen Mehr könnte ich dazu auch nicht sagen.
Zum Zweiten nervt mich eure Werbung für den Roman versum« zu schaffen und am Laufen zu halten. Ein­
»Das Rote Universum« auf der PR-Homepage. Man ist fach genial.
beinahe gezwungen, diese Werbung zu öffnen, wenn Ich bin erst spät zu euch gekommen, so um Band
man weiter vorankommen will. Unmöglich! 1800, und war gleich infiziert. Da mir sehr viel Wissen
um Perry fehlte, war ich froh, dass ein guter Kumpel
Die Einblendung zu »Das Rote Universum« wurde (er sei hier gegrüßt) mir seine Hefte und Bücher zum
nach wenigen Tagen auf Grund eurer Hinweise wieder Verschlingen geliehen hat.
entfernt, da man die dahinterliegenden Funktionen Nun bin auch ich jede Woche am Kiosk.
»Updates« und »News« nicht mehr direkt erreichen Schade ist, dass es – von ein paar guten Ansätzen
konnte. abgesehen – in der Realität nicht so viel Toleranz und
Voraussicht gibt. Nun ja, es wird vielleicht noch.
Oliver Schwarz, oliver.schwarz@hispeed.ch
Im Glossar beschreibt ihr die Metaläufer mit sechs­ Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn die Menschen un­
gliedrigen Händen und Füßen, davon vier Greiffinger serer Welt wenigstens so viel Toleranz üben würden,
und zwei Daumen. Auf dem Titelbild hat aber der abge­ wie das die Helden in unseren Romanen tun, wäre die
bildete Metaläufer fünf Finger. Welt schon um ein Tausendfaches besser.
Ansonsten freue ich mich auf jeden einzelnen Band,
jeweils mit der Garantie auf eine zweistündige Abwe­ Mehr Tempo – weniger Gigantomanie
senheit aus unserer Zeit. Frank Schöttke,
Frank.Schoettke.Sued-Wester@t-online.de
Abgesehen davon, dass man sich Humanoiden mit Der erste Grund, weshalb ich nach langer Zeit mal wie­
zwei Daumen und sechs, sieben Fingern nur sehr der einen Leserbrief schreibe, ist Band 2466 »Galaxis
schwer vorstellen kann – die Hände wären ungefähr der Antikrieger« von Michael Marcus Thurner. Für mich
so groß wie ein Tischtennisschläger (siehe Blues) –, ist der Roman eines der Highlights in diesem Zyklus.
gibt es in diesem Fall nur eine Erklärung. (Grins) Es Der so einfühlsam beschriebene Metaläufer Pan Greys­
passen beide Daumen in einen Handschuhfinger. tat war mir innerhalb der 63 Seiten so ans Herz gewach­
Wir haben dem Zeichner eine Kopie deiner Mail sen, dass ich ein, zwei Tränchen vergossen habe.
zukommen lassen. Vermutlich wird er sich gerade Der zweite Grund ist der laufende Zyklus. Er ist mir zu
am Kopf kratzen und sich fragen, wie das kam. lang und damit auch zu unübersichtlich. Es geht ir­
gendwie nicht richtig voran, und ich habe das Gefühl,
Ein bisschen Lob
dass zu viele Lückenfüller-Romane dabei sind. Seit
Volker Ziegler, volkerziegler@web.de zirka 20 Jahren muss ich mich jetzt schon mal zwin­
Als 47-jähriger »Altleser« der Serie möchte ich zum gen, das eine oder andere Heft zu lesen.
ersten Mal ein großes Lob an einen PR-Autor verge­ Auch halte ich euren eingeschlagenen Kurs für falsch.
ben. Ihr wolltet ursprünglich mit der Hyperimpedanz vom
Michael Marcus Thurner hat es mit seiner humanisti­ Gigantismus weg und habt aber mit dem laufenden
schen und tief bewegenden Geschichte um die Zyklus damit weitergemacht. Wie wollt ihr bloß da­
Freundschaft zwischen dem Dual Ekatus Atimoss und nach die Handlung weiterführen?
dem kleinen Metaläufer Pan Greystat geschafft, dass Ich glaube, dass viele Leser meiner Meinung sind und
ich mir ein paar Tränen verdrücken musste. Das kam ihr deshalb als Alternative »Perry Rhodan-Action«
in meinen langen Lesejahren nicht oft vor. entwickelt habt. Ich habe kein Interesse daran
Solche Romane, die einen begeistern und tief bewegen, und bleibe bei der Erstauflage und den Silberbänden.
wünsche ich mir öfter von den Autoren, besonders von Egal, wie es mit Perry weitergeht, ich bleibe auf jeden
Michael Marcus. Er erinnert mich mit seinem hervorra­ Fall dabei.
genden Stil, eine Person positiv in die Handlung einzu­
führen und dann – leider – wieder sterben zu lassen, Die Konfrontation mit den Chaosmächten war seit
an William Voltz und seine tragischen Helden. ungefähr tausend Bänden überfällig. Als Thema vor
Von solchen Autoren und Romanen lebt eure Serie! einem Jubiläumsband wie dem 2500 ist es her­
vorragend geeignet. Ein Zyklus wie »Der Sternenoze­
Wir haben das Lob an Michael M. Thurner weitergelei­ an« hätte an dieser Stelle überhaupt nicht gepasst.
tet, der sich sehr darüber gefreut hat. Dir wünschen Das impliziert, dass die Terraner im Kampf gegen
wir alles Gute und weiterhin viele bewegende Mo- TRAITOR gerade im technischen Bereich Fortschritte
mente in unseren Romanen. erzielen. Sonst gäbe es inzwischen kein Terra mehr
oder nur in VULTAPHER, und die Lokale Gruppe wäre
Alexander Schröder, jappy1979@live.de kein Schauplatz mehr für eine Serie wie PR.
Erst mal ein dickes Lob vorneweg, ein solches »Uni­ PR-Action haben wir nicht deswegen gemacht, son­
dern allgemein aus dem Gedanken, dass die Komple­ München der JubiläumsCon zum PERRY RHODAN-Ju­
xität der Hauptserie unseren Neulesern ab und zu biläumsband 2500 statt. Aus diesem Anlass schreibt
Probleme bereitet. Wir haben nach einer Alternative der PERRY RHODAN-Stammtisch »Ernst Ellert« Mün­
gesucht und mit PR-Action eine sehr gute Lösung ge­ chen einen Storywettbewerb aus. Das Thema hat es
funden. PR-A spielt zwischen Band 149 und 150, in sich.
schließt also eine zeitliche Lücke und ist somit eine Die Kurzgeschichte soll ein möglicher Romananfang
inhaltliche Ergänzung der Hauptserie, geschrieben von Band 2500 sein. Den Autoren ist es dabei völlig
von Autoren der heutigen Zeit. Die meisten ihrer Leser freigestellt, wie sie sich den Beginn des neuen Zyklus
sehen PR-A nicht als Alternative, sondern als zusätz­ vorstellen. Einzige Bedingung dabei ist, dass es sich
liches Lesefutter aus dem Kosmos der Hauptserie. um eine abgeschlossene Einzelszene im Perryver­
sum handelt.
Mega Nega-Täuscher Teilnehmen können deutschsprachige Autoren, die
Marko Frommer, frommer@gmx.de bislang noch keinen Roman in einem professionellen
Korrigiert mich, wenn ich mich irre, aber ich glaube Verlag veröffentlicht haben. Die Beiträge müssen bis­
nicht, dass wir gesehen haben, wie die Galaxien­ lang unveröffentlicht sein. Jeder Autor darf nur eine
zünder abgezogen wurden. Zwei Negasphären entste­ Story zur Bewertung einsenden.
hen in unserem Universum zur selben Zeit. TRAITOR Die Länge der Beiträge darf maximal 6000 Zeichen
täuscht vor, sich auf die größere Galaxis zu konzent­ nach Word-Zählung (inklusive Leerzeichen) betragen.
rieren, will aber in Wirklichkeit die kleinere (Hangay). Die Storys bitte als .doc- oder .rtf-Datei per E-Mail an
Die Kosmokraten tun dasselbe, weil sie sich nicht um Stories@garching-con.net einsenden.
die Lokale Gruppe kümmern müssen. Der Einsendeschluss ist der 31. März 2009.
Wenn die eine Negasphäre verhindert wird, vernichtet Die besten Geschichten werden im ConBuch zum Ju­
man mit den Galaxienzündern eben die zweite, näm­ biläums-Con veröffentlicht, das im Juli 2009 er­
lich die Lokale Gruppe zusammen mit den gesamten scheint.
Streitkräften TRAITORS, die dort stationiert sind. Viel­
leicht wartet man auch, bis Xrayn erscheint, um ihn Die Preise winken jetzt schon:
eventuell mitsamt der Negasphäre zu erwischen. 1. Preis: STERNENSTAUB. Philatelistische Sammlung
TRAITOR gingen die Besatzungstruppen für die Lokale mit Stempeln und Briefmarken rund um das PR-Uni­
Gruppe plus alles, was von der verhinderten Nega­ versum (Wert ca. 200,– Euro)
sphäre hinzugezogen wurde, verloren. Das dürfte so­ 2. Preis: PERRY RHODAN-Tischuhr (nicht im Handel
gar eine Flotte von TRAITORS Ausmaßen spüren. erhältlich)
Zumindest würde es den Kosmokraten die Initiative 3.Preis: PERRY RHODAN-Computerspiel
zurückgeben. 4. Preis: PERRY RHODAN-Postermappe
Sollten Perry und seine Kollegen Erfolg haben, wird 5. Preis: Splitter-Verlag, Comicalben-Paket
man sich an »höherer« Stelle wieder mit ihm befas­ 6. Preis: Splitter-Verlag, Comicalben-Paket
sen müssen. 7. Preis: Splitter-Verlag, Comicalben-Paket
Als Teilzeitleser (Silberbände 1 bis 10, die Zyklen »Tra­ 8. Preis: Fabylon-Verlag, Buchpaket SUNQUEST + Tasse
dom« und »Negasphäre«) muss ich sagen: sehr 9. Preis: Fabylon-Verlag, Buchpaket
schön eingefädelt.
Letzte Meldung
Nein, gesehen haben wir es nicht, wie die Galaxien­ DRAGON jetzt als E-Book:
zünder abgezogen wurden. Aber es gab ja Unser E-Book-Partner »readersplanet« bietet auf sei­
KRO’GOM’ATHO im Zentrum der Milchstraße, den Gala­ ner Homepage ein 20 Bände umfassendes Buchpaket
xienzünder, dessen Position auf Terra bekannt ist. Ich des Fantasy-Klassikers DRAGON zum Download an,
gehe mal davon aus, dass es eine Station in der Nähe das neben der kompletten Serie auch die Abschluss­
von Dromp gibt, mit der man den Sektor unter Beob­ bände »Krieger der Namenlosen« und »Das Geister­
achtung hält oder hielt, wo der Zünder zu einem Groß­ meer von Oros« enthält.
teil schon im Hyperraum verankert war. Das Gesamtpaket kostet 56,90 Euro und steht im
Interessante Idee: Rhodan verhindert die Negasphäre PDF-Format auf www.readersplanet.de zur Verfü­
Hangay, und die eigentliche Großbaustelle erweist gung.
sich nur als Ablenkungsmanöver. Zwei nicht stattfin­ Für schnell Entschlossene hält »readersplanet«
dende Negasphären wären ein dicker Brocken für die ein besonderes Schmankerl bereit: Die ersten 30
Chaosmächte. Käufer des DRAGON-Buchpakets erhalten zusätzlich
das 115 Seiten umfassende Taschenbuch »Dragons
Schreibtalente gesucht! Welt – Hintergründe, Inhalte, Lexikon« frei Haus per
Vom 17. bis zum 19. Juli 2009 findet in Garching bei Post.

Zu den Sternen! • Euer Arndt Ellmer • VPM • Postfach 2352 • 76413 Rastatt • mail@Perry-Rhodan.net
Altmutanten zu entgehen, einer Art genetischen Programmierung
Während der sogenannten Second-Genesis-Krise ka­ ihres frühzeitigen Todes. Die Monochrom-Mutanten,
men unter anderem acht Mutanten ums Leben: Kitai sämtlichst Terraner oder Kolonialterraner, waren ein
Ishibashi, Tako Kakuta, Ralf Marten, André Noir, Son sehr langfristig angelegtes und erst weit nach seinem
Okura, Wuriu Sengu, Betty Toufry und Tama Yokida. In Tod wirksam werdendes Geheimprogramm des Tyran­
höchster Not gelang es den Sterbenden jedoch, ihre nen Monos; sie verfügten über unterschiedlichste Psi-
Bewusstseinsinhalte im Hyperraum aufzufangen und Fähigkeiten und hatten als Gemeinsamkeit zunächst
zu konservieren. Erst im Jahr 3444 gelang den Altmu­ nur die angeborene Schwarz-Weiß-Sichtigkeit; das
tanten wieder der Kontakt zur Menschheit – in diesem Geheimnis des Gen-Todes erwies sich erst im Lauf der
Fall über das PEW-Metall auf dem Planeten Asporc. Jahre. Mit dem Tod SEELENQUELLS wird die gebündel­
Ihre Aktivitäten lösten zahlreiche Krisen aus, unter te Psi-Energie der Monochrom-Mutanten als eigen­
anderem übernahmen sie den Supermutanten Ribald ständiges Geistwesen freigesetzt.
Corello und zwangen den Transmittergeschädigten Seitdem fungiert der Nukleus als »Helfer« oder Stell­
Alaska Saedelaere in ihre Dienste. Erst nach zahl­ vertreter der Superintelligenz ES. Seit dem 14. Oktober
reichen Problemen fanden die Altmutanten im PEW- 1344 NGZ hält sich der Nukleus permanent auf der
Block von Wabe 1000 eine neue Heimat. Später wur­ Isla Bartolomé auf Terra auf, um die Terraner im Ab­
den die Altmutanten mit Wabe 1000 nach Gäa wehrkampf gegen die Terminale Kolonne zu unter­
transportiert, um sie dem Zugriff der Laren zu entzie­ stützen; seine Hauptaufgabe schien sich lange Zeit in
hen. Im Jahr 3587 gingen sie dann in ES auf. der Verstärkung des TERRANOVA-Schirms zu erschöp­
Kas’h fen, tatsächlich hat er vielfältige Pläne in die Wege
Das System MorKas’h hat eine dominierende Spezies geleitet: die Alarmierung der Friedensfahrer, die Gene­
hervorgebracht, die wegen ihrer angeborenen und se ESCHERS, ein geheimes Forschungsprojekt der Al­
durch Training und Studium unerhört verfeinerbaren gorrian usw. Seine wahre Aufgabe wird allerdings die
Fähigkeit als Dimensionstheoretiker von TRAITOR Retroversion der Negasphäre Hangay sein, wobei
»angeworben« und über die gesamte Kolonne ver­ er – bzw. ES als eigentlicher Initiator – sein Erlöschen
teilt wurde: die Kas’h. Kas’h sind selten in den Ein­ während dieses Prozesses bereits als wahrscheinlich
heiten TRAITORS, und man trifft sie eigentlich nur an akzeptiert hat.
Stellen besonders herausgehobener Funktion, in Pla­ Der Nukleus ist eine körperlose Wesenheit, die sich
nungsstäben und spezialisierten Forschungszentren, das äußere Erscheinungsbild einer großen, beweg­
und nur im Extremfall mehr als ein Dutzend im Um­ lichen, Funken sprühenden Kugel aus gelblich weißem
kreis mehrerer Lichtjahre. Lediglich an Bord einer Licht gegeben hat. Er kann auf mentalem Weg direkt
Dienstburg kann man davon ausgehen, einen Kas’h mit seiner Umwelt kommunizieren oder materielle
anzutreffen – wenn er dies wünscht. Projektionen erschaffen, wie dies Fawn Suzuke ist.
Kas’h ähneln auf den ersten Blick aufrecht gehenden, PEW-Metall
schwanzlosen, dreifingrigen Lemuren mit übergroßen Die Abkürzung steht für Parabio-Emotionaler Wandel­
Augen. Allerdings haben die nur knapp einen Meter stoff. Von Wissenschaftlern wird das Metall als Howal­
großen Affenähnlichen kein Fell, sondern eine feste, gonium-Sextagonium-Zwitter bezeichnet; es handelt
wenn auch dünne Hornschicht, die ihren Körper sich um einen 5-D-Strahler mit sechsdimensionaler
schützt und ihm die Farbe trockenen Savannengrases Tastresonanz. Ursprünglich weich und biegsam und
gibt. Dies ist ein selbst nach Jahrtausenden im Welt­ von stumpfgrauer Farbe, wandelt sich das Material
raum zugebrachter Generationen verbliebener Hin­ unter dem Einfluss von Hyperstrahlung zu einem ex­
weis auf ihren ursprünglichen Lebensraum, die wei­ trem harten, türkis schimmernden Metall.
ten Savannen, in denen diese Färbung ihnen einen Bei Entwicklung größerer Mengen atomarer Energie in
gewissen Schutz gegenüber der einzigen Spezies ih­ der Nähe von PEW-Metall beginnt es sich zu zersetzen
rer Heimat bot, die ihnen gefährlich werden konnte: und gleichsam in den Hyperraum zu verdunsten. Im
den Greifseglern. Kas’h sind sehr schnell und wendig, Jahr 3444 fanden die sogenannten Altmutanten Zu­
sowohl gedanklich als auch physisch, und lieben ihre flucht in WABE 1000, einem PEW-haltigen Planetoi­
Arbeit beinahe ebenso wie ihre Familie. den. Nach dem Verlassen von WABE 1000 wurde auf
Nukleus (der Monochrom-Mutanten) Gäa das für die Altmutanten nötige PEW-Metall künst­
Der Nukleus (»Kern«, »Verdichtung«) ist ein Geist­ lich erschaffen und anschließend durch die Individu­
wesen, das sich aus den 34.000 Monochrom-Mutan­ alstrahlung der Mutantengehirne zur Substanzreakti­
ten bildete, die ursprünglich in der negativen Superin­ on gezwungen. Dadurch entstand ein türkisfarbener
telligenz SEELENQUELL aufgingen, um dem »Gen-Tod« PEW-Block.

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