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N e g a s p h ä r e B a n d 73

Nr. 2472

Michael Marcus Thurner

TRAICOON
0096
Der Duale Kapitän unter Druck –
und die Mikro-Bestien im Einsatz
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die
Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und
ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Exis­
tenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis
Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Na­
turgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensys­
tems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRA­
NOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zumindest zu stören.
Die Chancen für einen Sieg über die Mächte des Chaos werden zweifellos steigen, wenn es Perry
Rhodan gelingt, seine Dokumentation einer erfolgreichen Retroversion nach Terra zu bringen. Nun
geht es an die Umsetzung weiterführender Pläne. In einen davon ist Roi Danton verwickelt – und
TRAICOON 0096 ...
4 MICHAEL MARCUS THURNER

1. Roi nickte Senego Trainz zu und ließ


Roi Danton die Trainingshalle hinter sich. Er hielt
die tiefschwarze Schachtel fest um­
Es stank. klammert und kümmerte sich nicht um
Es roch nach geschmolzenem Plastik, fragende Blicke der Mikro-Bestien.
nach verschmortem Kabelwerk, nach Wissen war in der Milchstraße zum ge­
heiß glühendem Stahl, nach durchge­ fährlichen Gut geworden. Roi wollte
brannten Positronik-Chips, nach der seine Mitarbeiter nicht gefährden, er
Duftschwadron. wollte die Mission nicht gefährden.
Die winzigen Kunstgeschöpfe irrten, Er betrat die terranische Ausweich­
nahezu unsichtbar, durch die Räum­ zentrale und setzte sich in den proviso­
lichkeiten des Traitanks. Mit ihren Ge­ rischen Kommandantensitz, der durch
ruchtsrezeptoren nahmen sie selbst Druckpolster exakt auf die anatomi­
kleinste Duftspuren schen Verhältnisse
auf, lagerten sie auf eines Terraners zuge­
ihren Analysekarten schnitten war.
Die Hauptpersonen des Romans:
ab und zerlegten sie »Es ist so weit«,
in ihre chemischen Roi Danton – Perry Rhodans Sohn tarnt sein sagte er leise zu Go-
Schiff und begibt sich auf die Jagd.
Bestandteile. ran Frownie, dem
Zerberoff – Der Duale Kapitän wird über eine
Sobald sie ihre Ar­ merkwürdige Ortung informiert. ranghöchsten Offizier
beit erledigt hatten, Senego Trainz – Der Anführer der Mikro-Bes­ an Bord. »Hast du
riefen sie die wesent­ tien fordert mehr Trainingszeiten für seine die Mannschaftsmit­
Leute.
lich schwerfälligeren glieder alle eingesam­
Rinka Porol – Die Mikro-Bestie begreift sich
Olfodrohnen herbei. als weiblich. melt?«
Diese hatten Wirk­ Awoko – Der Kalbaron muss unter einem un­ Der Mann wirkte,
stoffe jeglicher Art in berechenbaren Kapitän dienen. als hätte er ein Stück
ihren kugelrunden Holz verschluckt. »Ja,
Körpern abgelagert Sir!«
und gaben sie auf Be- Wieso bellte der
fehl der Duftschwadron frei; nach we­ Mann bloß derart? Hatte ihn nie jemand
nigen Augenblicken eines ätzenden, darauf aufmerksam gemacht, wie das
sinnbetäubenden Durcheinanders neu­ auf andere wirkte? Oder kam es Roi nur
tralisierten die Olfodrohnen jenen Ge­ so vor?
stank, den die Mikro-Bestien während »Ist jedermann auf diese Mission vor­
einer ihrer Einsatzübungen hinterlas­ bereitet worden? Haben die Psycholo­
sen hatten. gen Einzelgespräche geführt? Ich
Roi kümmerte sich nicht weiter um möchte niemanden an Bord haben, der
das Chaos, das rings um ihn herrschte. die Belastungen unserer Mission nicht
Binnen kurzer Zeit würde dieser Teil erträgt.«
des Traitanks 1.199.188 wieder in sei­ »Ja, Sir!«
nen ursprünglichen Zustand rückver­ Schon wieder ... Seltsam, dass er es
setzt worden sein. So, dass selbst die ausgerechnet in dieser Situation be­
penibelste Kontrolle der Räumlich­ merkte. Und wie sehr es ihn störte.
keiten keinerlei Hinweise auf unge­ »Habt ihr die zusätzlichen Waren
wöhnliche Kampf- und Übungstätig­ verladen und gesichert?«
keiten geben würde. »Ja, Sir!«
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Ob Frownie wohl auch andere Ant­ lichen Angst. Sie befanden sich an Bord
worten zur Bestätigung auf Lager hat­ eines fremden, fremdartigen Raumers,
te? dessen Geheimnisse sie längst nicht alle
»Wurden unsere Masken ausgebessert entschlüsselt hatten. Das Vabanque­
und den Umständen angepasst?« spiel, das sie betrieben, barg so viele
»Ja, Sir!« Risiken, dass er nicht darüber nachden­
Roi schloss kurz die Augen. Aus­ ken wollte. Andererseits ... es bestand
sichtslos ... die Chance, die Terminale Kolonne mit­
Der Unsterbliche wandte sich dem hilfe des Traitanks zu schädigen.
zweiten Vertrauensmann dieser Mission Messgeräte zeigten die Öffnung der
zu. »Ero – sieh zu, dass wir diese Schüs­ Strukturlücke im TERRANOVA-Schirm
sel auf Kurs bekommen. Wir nehmen an, andere gaben Informationen über
MOTRANS-1.« die hypothetischen Geschwindigkeiten,
»Alles klar.« die sie entlang der Transmitterstrecke
Roi grinste. Na bitte! Es gab andere erreichten. Der Überlichtfaktor betrug
Optionen zu antworten. knapp unter einer Million.
Major Ero Ustinoth konzentrierte Roi entspannte sich. Alles war in
sich auf die Schaltpaneele vor sich und Ordnung. MOTRANS-1 funktionierte,
verständigte sich mit den anderen Ter­ wie nicht anders zu erwarten gewesen
ranern der Zentrale. Gemeinsam lösten war. Auf sie warteten zehn Stunden Un­
sie das Schiff aus dem stationären Or­ tätigkeit, bis sie mehr als 1000 Licht­
bit, den sie wenige tausend Kilometer jahre von der Erde entfernt ins Weltall
oberhalb der Mondoberfläche einge­ ausgespuckt werden würden.
nommen hatten. Er musste die Zeit nutzen. Kräfte
Der Traitank steuerte auf die Mobile sammeln, sich auf seine Mission kon­
Transmitter-Plattform zu, deren Akti­ zentrieren und fokussieren. Er würde
vierungsfeld soeben rot aufleuchtete. Im alle Energie benötigen, sobald ihre Mis­
Inneren des Rings bot sich der Blick in sion in die entscheidende Phase trat.
eine violette, heftig wabernde Tiefe, die Roi nickte Goran sowie Ero zu, packte
ins Nirgendwo zu führen schien. die Schatulle erneut unter seinen Arm
Der Traitank beschleunigte vorsich­ und verließ die Kommandozentrale.
tig, ließ sich ins Innere des 500 Kilome­
ter durchmessenden Rings ziehen. Der
Funkverkehr intensivierte sich, von 2.
mehreren Seiten kamen präzise Anwei­ Rinka Porol
sungen der Lotsendienste herein. Das
Einfädeln in MOTRANS-1 gehörte zu Sie schlug einen Haken, raste an den
einer der diffizilsten Aufgaben im Um­ Holo-Hindernissen vorbei, warf sich in
feld der belagerten Erde. den Graben, der von einer Schussgarbe
Abrupt endete alles. Das Schiff wur­ herrührte. Links von ihr blitzte es auf.
de verschluckt, in den Halbraumtunnel Ein Lichtreflex, wie der des Erfas­
gerissen. Roi hielt sich instinktiv an der sungsfeldvisiers eines Scharfschützen!
Kante seines Arbeitspaneels fest. Die Sie wälzte sich beiseite, hob kurz den
Oberfläche war rau und viel zu dick und Kopf und erfasste die Umgebung, suchte
ganz ... anders. nach dem Gegner, zog sich rasch wieder
Mit einem Mal überkam den Unsterb­ zurück.
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Mehrere Magmaströme umfassten ei­ Eine Minute blieb ihr – vielleicht;


ne Landinsel, durch die sich hordenwei­ dann würden weitere Gegner heranrü­
se behäbige Ätztaranteln schleppten. cken und das Versteck gezielt unter
Spießandroiden beschäftigten sich da­ Feuer nehmen. So lange, bis der Schutz­
mit, alte Bausubstanz auszubessern und schirm zusammenbrach, sie im Inneren
zu erneuern. ihres Schutzanzugs kochte und schluss­
Rinka hatte den Gegner in dieser endlich Bestandteil einer weiteren, von
albtraumähnlichen Umgebung ausge­ der Hitze geformten Skulptur werden
macht: Sein Gesicht war narbenzer­ würde.
fressen. Hautlappen hingen von den Sie stellte ihre Impulswaffe auf
Wangen; sie tasteten wie suchend um­ Punktfeuer. Schob den Kopf so hoch
her. wie möglich aus dem Versteck. Kon­
Rinka Porol hatte niemals zuvor ein zentrierte sich, fokussierte auf das ein­
derartiges Lebewesen gesehen. zig mögliche Ziel, das sie gefahrlos an­
Aus dem Bauch des Söldners ragte visieren konnte: den Arm eines
ein implantierter Waffenlauf; mit un­ Spießandroiden, der auf einem Hügel
glaublich schnellen Handgriffen stopfte weit hinter ihrem Gegner stand und so­
er Munitionsmagazine in sein Maul. eben ein Wehr erneuerte, das die Mag­
Eine lebende Kampfmaschine, dachte maströme steuerte.
Rinka Porol. Eine Züchtung wie ... wie Ihr Ziel, ein Fingerglied des künstli­
wir. chen Wesens, war mindestens 150 Meter
Rinka Porol ging in die Knie und entfernt und knapp so groß wie eine
überdachte die Möglichkeiten, die ihr Kopfschuppe – und es bewegte sich
zur Gegenwehr zur Verfügung standen. ruckartig.
Sie lugte neuerlich über die Kante ihrer Rinka Porol atmete tief ein, hielt die
Deckung. Augenblicklich fuhr eine lo­ Luft an, wartete so lange, bis der Druck
hende Feuergarbe über sie hinweg. Sie in ihrem Leib unerträglich zu werden
meinte, die Hitze des Geschützfeuers schien, und löste dann den Schuss aus.
trotz Schutzanzugs zu fühlen. Treffer!
Von dieser Stelle aus gab es kein Ent­ Der Finger des Spießandroiden zuck­
kommen. Rinkas Gegner besaß durch te. Die rostbesetzte Hand fuhr zusam­
seine überhöhte Position eine weitaus men, ließ das schwere Wehreisen fallen.
bessere Sicht als sie. Sobald sie die De­ Das Metall plumpste in den Magma­
ckung verließ, hatte er die Mikro-Bestie strom, leitete das flüssige Feuer in neue
im Visier; und es bestand kein Zweifel, Bahnen. Es staute sich in einem natür­
dass er feuern würde, ohne zu zögern. lich entstandenen Becken, sammelte
Was tun? scheinbar seinen Zorn, seine Energie,
Rinka Porol kroch die schmale Ge­ und spritzte dann in einem meterhohen
steinsnarbe entlang. An beiden Enden Schwall über jene erhöhte Fläche, in
des Grabens hatte der Terkonitstahl ge­ der Rinkas Gegner auf eine Bewegung
kocht und war dann wieder abgekühlt. von ihr lauerte ...
Die erstarrten Reste zeigten bizarre »Aus! Ausausaus!«, tönte das mäch­
Formen, an denen sie unmöglich vor­ tige Organ Senego Trainz’ durch die
beikam, ohne den gegnerischen Schüt­ Übungshalle.
zen auf ihren exakten Standort auf­ Die virtuelle Umgebung machte dem
merksam zu machen. öden Grau eines nackten Raumes Platz,
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durch den sich mehr als 40 ihrer Artge­ »Du willst mich also doch einset­
nossen tummelten und individuellen zen?«
Simulationen unterlagen. »Ich brauche dich, Rinka.« Senegos
Senego Trainz kam herangestürmt. blutrote Augen starrten sie unverwandt
Seine Reißzähne klapperten aggressiv an. »Und ich vertraue dir.«
aufeinander, die Brustarme drehten sich
wie Ventilatorenflügel. *
»Was war es diesmal?«, fuhr er Rinka
Porol an. »Warum triffst du punktge­ Senego war der geborene Anführer.
nau, aber jedes Mal das falsche Zielob­ Er stachelte sie tagtäglich zu Höchst­
jekt? Du bist krank, eindeutig krank! leistungen an, er gab ihnen Ziele und
Ausschussware ...« Perspektiven. Seine Trainingsmethoden
Er hielt inne, sichtbar erschrocken folgten einem ausgetüftelten Plan, um
über seine eigenen Worte. die Fähigkeiten der Mikro-Bestien zu
»Wir sind Ausschussware«, sagte verbessern, um ihren Ehrgeiz weiter an­
Rinka Porol leise, »und Legasthenie ist zutreiben. Immer wieder wurden sie
keine Krankheit.« daran erinnert, was sie waren, woher sie
Die Terraner hatten ihr gesagt, woran kamen – und was ihre Aufgabe in die­
sie litt. Warum sie von den Kolonnen-
Anatomen als lebensunwert angesehen
worden war. Rinka hatte einen schein­
bar unbedeutenden neurologischen
Schaden, der visuelle Stimuli in ihren
Hirnstrommustern falsch – seitenver­
kehrt – darstellte und sie links mit rechts
oder rechts mit links verwechseln ließ.
Immer wieder. Vor allem dann, wenn ihr
keine Zeit zum Überlegen blieb.
»Hör zu, Rinka«, sagte Senego Trainz
leise. »Du bist mein bester Scharfschüt­
ze. Du besitzt großartige Begabungen.
Ruhe, Konzentration und das Gefühl
für den richtigen Augenblick. Du ver­
einst seltene Eigenschaften in dir, die
das Team dringend benötigt.«
Er hielt kurz inne, als müsste er sich
seine nächsten Worte genau überlegen.
»Du hast eine Fehlerquote von zehn
Prozent. Du wirst bis zur Ankunft am
Zielort weiter trainieren, mit möglichst
kurzen Pausen. Bis die Mechanismen
sitzen, bis du deine Anfälligkeit im Griff
hast. Erst kurz nach der Ankunft be­
kommst du einige Stunden Schlaf, so­
dass du ausgeruht bist, wenn es darauf
ankommt.«
8 MICHAEL MARCUS THURNER

sem galaxienumspannenden Konflikt Hinsicht die Augen geöffnet – und zwar


sein würde. alle drei. Trotz Rinkas Eingeschlecht­
Die Mikro-Bestien agierten auf der lichkeit, trotz ihrer Unfruchtbarkeit
richtigen Seite, so viel stand fest. Sie fühlte sie eine seltsame Unwucht in
arbeiteten mit den Terranern zusam­ sich.
men, der treibenden Kraft des Wider­ Sie empfand sich als Frau. Nun ja –
stands gegen die Terminale Kolonne. zumindest ein wenig. Möglicherweise
Rinka Porol holte Atem und nahm hing auch diese ungewöhnliche Selbst­
Nahrung zu sich. Wohlschmeckenden sicht mit ihrer neurologischen Schädi­
Gemüsebrei, vermengt mit Marzipansi­ gung zusammen; wer wusste schon,
rup. Dazu mehrere Fingerhutbecher welche Experimente die Kolonnen-
dringend benötigter Nährflüssigkeit. Anatomen einstmals mit ihr angestellt
Sie lief heiß, so sehr setzte ihr das Trai­ hatten ...
ning zu. Aber noch waren sie und die Hastig aß sie fertig. Schließlich hatte
anderen nicht am Höhepunkt ihres sie sich einer ganz bestimmten Aufgabe
Leistungsvermögens angelangt. Sie verschrieben.
mussten perfekt werden, wollten sie das Die Armee der Mikro-Bestien war et­
leisten, wofür sie sich verpflichtet hat­ was Einzigartiges. Und sie würde diese
ten. Einzigartigkeit dokumentieren. Wenn
Rinka ließ den Brei auf ihrer Zunge ihr Abenteuer, das sich »Leben« nannte,
zergehen und genoss das Recht, daran irgendwann ein Ende fand, sollte etwas
zu denken, dass er gut schmeckte. Es von ihr zurückbleiben. Ein Stück Herz­
gab so viel zu lernen, so viel aufzuholen blut. Gedanken eines Geschöpfes, dem
in diesem neuen Leben. Alles zeigte sich man einstmals das Recht auf Leben ab­
bunt, aufregend, mehrdimensional, gesprochen hatte – und das auf wunder­
mehrseitig. Gut und Böse waren ebenso same Weise errettet worden war.
Alternativen, zwischen denen sie zu
wählen hatte, wie Schwarz und Weiß,
wie Liebe und Hass. 3.
Rinka Porol griff nach dem Schreib­ Roi Danton
gerät, das sie in einer ganschkarischen
Mannschaftskabine des Traitanks ge­ »Es ist genug!«, rief Roi. Er schwebte
funden hatte. Mit ungelenken Bewe­ hoch zu Senego Trainz, der in seinem
gungen aktivierte sie die Schreibseite variablen Prüfstand an der Decke der
und fuhr versuchshalber mit dem Io­ Zentralen Trainingshalle klebte. Der
nenstift darüber. Zeichen erschienen, Unsterbliche ließ die Holoprojektoren
verwandelten ihre Gedanken und Emp­ und die Systemlogistiken der Trainings­
findungen in Worte. halle desaktivieren.
Dies alles war neu für sie, und es war Avatare zerstoben, Kampfszenarien
aufregend. Es erweiterte ihren Hori­ vergingen im Nichts, Simulationsmann­
zont, so wie auch der Umstand, dass sie schaften wurden von den Übungsrech­
für sich selbst die Entscheidung getrof­ nern aufgelöst.
fen hatte, sich als »weiblich« zu sehen. Ein Blick auf das Multifunktions­
Lipica Atabinmek, die terranische armband zeigte Roi, dass der Energie­
Oberleutnantin, auch diesmal wieder aufwand im Traitank augenblicklich
mit auf der Reise, hatte ihr in vielerlei um mehr als 15 Prozent zurückging.
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»Was soll das?«, grollte Senego Trainz nicht natürlich wachsen. Wir müssen
und schwebte zu ihm auf Augenhöhe. sie in harten Übungseinheiten heraus­
»Meine Leute müssen lernen, lernen, arbeiten.«
lernen! Du erwartest von uns im Ein­ Roi blickte in diese winzigen, tiefro­
satz Höchstleistungen, bist aber nicht ten Augen, und er empfand einen Hauch
bereit, uns die notwendigen Trainings­ jener kreatürlichen Angst, die jeder­
zeiten zuzugestehen.« mann packte, der erstmals einem Ha­
»Wir müssen zu einem Kompromiss luter gegenüberstand.
finden«, entgegnete Roi. Bemüht rang er »Ich bitte dich«, drängte Senego
nach Worten. Die Mikro-Bestien re­ Trainz, »lass uns weitermachen! Erklär
agierten auf bestimmte Schlüsselwörter deinen Leuten, um was es uns geht. Wir
äußerst empfindlich. »So groß der Trai­ betrachten uns als Teil eines größeren
tank auch sein mag – ihr kommt den Teams, und wir sind stolz darauf, in die­
TLD-Leuten immer wieder in die Que­ sen Einsatz gehen zu dürfen, gleichbe­
re. Sei es der Energiebedarf, den ihr für rechtigt mit den besten terranischen
eure Rechnersimulationen benötigt, Agenten. Diese Anerkennung ist uns
oder dass ein paar deiner Leute kurzer­ wichtig, Roi. Aber glaub mir: Jede
hand beschließen, in der gemeinsamen Übungseinheit, die man uns wegnimmt,
Kantine einen Faustkampf unter reali­ verringert unsere Chancen im Ein­
tätsnahen Bedingungen zu beginnen. satz.«
Wir Terraner benötigen dringend Ruhe, Roi atmete tief durch. Er hatte sich
um uns auf die bevorstehenden Aufga­ die wütend vorgetragenen Argumente
ben vorbereiten zu können. In den La­ von Ero Ustinoth angehört, dem wie­
bors wird Filigranarbeit geleistet, die derum Dutzende Klagen seiner Unter­
Maskenbildner brauchen ruhige Hände, gebenen zugetragen worden waren. Die
die Entscheidungen, die minütlich in Terraner benötigten Ruhe – ebenso
der Kommandozentrale getroffen wer­ dringend, wie Senego Trainz’ Mikro-
den, verlangen eiserne Nerven.« Bestien auf weitere Trainingseinheiten
Roi deutete mit ausgestrecktem Zei­ angewiesen waren.
gefinger auf Senego Trainz. Mit der Roi dachte daran, was ihnen bevor­
Hand hätte er das klein gewachsene Ge­ stand. An den Plan, den er ausgeheckt
schöpf packen können wie eine Puppe. hatte und von dem nur die wenigsten
»Ihr habt bislang ausgezeichnete Arbeit Entscheidungsträger auf der Erde
geleistet. Aber du und deine Freunde wussten.
müsst auch lernen, Respekt für andere »Wir schließen einen Kompromiss«,
zu empfinden.« sagte er dann.
»Das tun wir«, sagte Senego be­ »Und zwar?«
stimmt. »Du bist uns stets ein Vorbild.« »Die Waffen ruhen während der
Er deutete auf sein Chronometer. »Die nächsten drei Stunden. Ich sorge dafür,
Zeit läuft ab, Roi Danton, und ich bin dass TLD-Taktiktrainer zu eurer Verfü­
mit der Leistungsbereitschaft meiner gung stehen. Ihr wisst zwar viel über
Leute noch nicht zufrieden. Sie müssen unsere Gegner und deren Beweggründe
für jeden Ernstfall bereit sein. Neben – aber dieses Wissen lässt sich weiter
der herkömmlichen Einsatzhärte benö­ ausbauen.«
tigen sie das Gefühl für Improvisation, »Ich denke, dass wir die Kolonnen-
für Eigeninitiative. Dies sind Dinge, die Völker richtig einschätzen; seien es
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Ganschkaren, Mor’Daer, Thi-Thiram- sich während der vergangenen vier Ta­


Thiramskläta oder Effremi. Immerhin ge auseinandergesetzt hatte. In ihm
hatten wir ausgezeichnete Ausbilder steckte die Psi-Kraft mehrerer zehntau­
auf Terra zur Verfügung.« send Monochrom-Mutanten. Ein Sam­
»Dennoch: Lasst euch auf den Deal melbecken unvorstellbarer Vitalität,
ein. Mehr Wissen hat selten gescha­ das im Sinne der ordnenden Kräfte des
det.« Multiversums handelte.
»Die Zeit der Belehrungen ist vor­ »Bevor der Nukleus aufbricht, müs­
bei!«, beharrte Senego Trainz auf sei­ sen wir ein Versprechen einlösen, das
nem Standpunkt. »Was uns fehlt, ist der ich dem Dunklen Ermittler G’schogun
nötige Feinschliff im Kampf.« gegeben habe: Wir werden CRULT an­
»Du gehorchst!« greifen, und zwar so rasch wie mög­
Roi verschränkte die Arme vor der lich.«
Brust. »Drei Stunden Ruhe. Danach be­ Die meisten anwesenden TLD-
kommt ihr wieder Energie, soviel ihr Agenten nickten, nur Goran Frownie
wollt. Und du, mein Lieber, begleitest blieb ruhig wie eine Statue. Sie alle hat­
mich jetzt, samt deinen Gruppenfüh­ ten ihre Dossiers durchgelesen und
rern.« kannten diese Rahmenbedingungen.
»Wohin?« »Uns bleiben drei Monate, um an An­
»Zur Einsatzbesprechung. Wollt ihr takur von Bitvelt heranzukommen.«
etwa nicht wissen, was auf uns war­ Roi runzelte die Stirn. »Hätte man mir
tet?« vor noch wenigen Wochen gesagt, was
wir vorhaben, ich hätte ihn einen Nar­
* ren geschimpft. Aber jetzt, dank der
Unterstützung durch Senego Trainz
Sechs Mikro-Bestien umschwirrten und seine Leute gibt es eine reelle
Roi. Sie standen auf diskusförmigen Chance, den Progress-Wahrer zu besie­
Antigravscheiben und zogen Schleifen gen.«
durch den Raum. Selbst jetzt konnten Eine der Mikro-Bestien zog in Hüft­
sie keine Ruhe bewahren. Sie trainierten höhe eine enge Kurve um ihn. Der
ihren Gleichgewichtssinn, und das un­ Winzling trug die schwarze Trainings­
ter verschärften Bedingungen: Unter­ uniform, hatte allerdings einen mal­
schiedliche Schwerkraftvektoren er­ venfarbigen Gürtel um die breite Hüfte
schwerten die Flugübung, während sie geschlungen. Roi meinte, dunklen Lid­
dem Unsterblichen lauschten, der sie in schatten unter den drei Augen zu er­
die Freiheit geführt hatte. kennen; doch er musste sich irren.
»Der Kampf um die Retroversion tritt »Ich habe gemeinsam mit Fawn Su­
in ein entscheidendes Stadium«, begann zuke, die mir während der letzten Tage
er die Besprechung. »Der Nukleus wird als Verbindungsglied zum Nukleus zur
die Erde binnen dreier Monate verlas­ Verfügung stand, einen Plan ausgear­
sen und nach Hangay übersiedeln. Wir beitet. Er beruht darauf, dass die Mo­
vermuten – wir hoffen! –, dass seine nochrom-Mutanten vor einigen Wochen
Kraft groß genug ist, um die Schlacht in einen winzigen Funken ihres Selbst ab­
unserem Sinne zu entscheiden.« genabelt und damit die mentalen Kom­
Roi dachte an den Kugelkörper Fun­ munikationsmöglichkeiten des Anta­
ken sprühender Energie, mit dem er kur von Bitvelt zu stören begonnen
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haben. Wir möchten den Progress-Wah­ seine Sicherheit gewährleistet zu sehen,


rer verunsichern. Er soll spüren, dass sind Duale. Duale Kapitäne und Vize­
etwas in seinem unmittelbaren Umfeld kapitäne. Wir wissen, dass diese derzeit
nicht in Ordnung ist. Umso mehr, als zuhauf in der Milchstraße unterwegs
Terraner und Verbündete immer mehr sind. Wir werden also einen dieser Herr­
und immer häufiger Aktionen gegen schaften ausfindig machen, ihn mithilfe
TRAITOR mit Erfolg zu Ende bringen. der Atrentus-Methode von den Krallen
Zwar handelt sich’s hierbei bloß um des Laboraten befreien – und ihn als
Nadelstiche – doch wenn man niemals Agenten in der Dienstburg CRULT nut­
zuvor einen Stachel in seinem Fleisch zen. Und wir werden hoffen müssen,
gespürt hat, reicht das womöglich be­ dass das Verfahren auch bei zwei Kral­
reits aus.« len gleichzeitig funktioniert. Eine leich­
Roi fühlte, wie sich die »Erinne­ te Übung, nicht wahr?«
rungen« Dantyrens in den Vordergrund
seines Denkens schoben. Er meinte,
dem riesenhaften Progress-Wahrer ge­ 4.
genüberzustehen, den Kopf weit in den Rinka Porol
Nacken geschoben, um den Koloss zu
betrachten, zu bewundern, ihn zu fürch­ Sie hatte sich ausführlich über Roi
ten. Eine Gänsehaut zog sich seinen Rü­ Danton informiert. Sie kannte seine be­
cken entlang nach unten. wegte Vorgeschichte, und sie hegte ihm
»Antakur von Bitvelt lässt die Schutz­ gegenüber größten Respekt. Seine Lei­
vorkehrungen rings um CRULT ver­ denschaft für eine etwas skurrile Selbst­
stärken. Soweit wir es anmessen und darstellung gefiel ihr. Für seine vielen
analysieren konnten, haben sich große psychischen Wunden, die er im Laufe
Mengen von Traitank-Geschwadern ins seines langen Lebens erlitten hatte, be­
Unbekannte zurückgezogen. Wohl, um dauerte sie ihn.
den Progress-Wahrer in seiner Dienst­ Während der unsterbliche Terraner
burg zu schützen.« in seiner Ansprache fortfuhr, machte sie
»Wir schmuggeln uns also dank un­ sich weitere Notizen. So, dass es Senego
seres Traitanks in die Nähe von Trainz und Doray Celvius, sein Stell­
CRULT?«, fragte Ero Ustinoth. vertreter, nicht sehen konnten. Mit kei­
»Noch nicht.« Roi lächelte grimmig. nem Wort erwähnte sie die Details der
»Das wäre zu simpel gedacht. Unsere Einsatzplanung; viel wichtiger erschien
derzeitige Tarnung würde niemals rei­ es ihr, Handlungsweisen und Stimmun­
chen, um auch nur in die Nähe der gen festzuhalten. Die seltsame Gestik
Dienstburg zu gelangen. Wir müssen Roi Dantons, das sanfte Gemüt des Me­
Traitank 1.199.188 als Katalysator nut­ dikers Khiz Turagga, die Bestimmtheit
zen, um gewisse Dinge in Bewegung zu Senego Trainz’.
setzen.« »Mein Vater hat mir während des
Die TLD-Leute beugten sich interes­ Aufenthalts der JULES VERNE im Sol­
siert vor, die Mikro-Bestien stellten die system Materialien und Unterlagen zur
Übungen ein und landeten ihre Disken Anwendung der Atrentus-Methode zu­
auf dem Arbeitsplatz vor ihm. rückgelassen«, sagte der Unsterbliche
»Das Zusatzpersonal, auf das Anta­ soeben. »Zellkulturen, Proben, bio­
kur von Bitvelt großteils vertraut, um technische Grundlagenforschung, Ver­
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gleichsdaten. Kurzum: alles, was wir fen wir es, einen Dual umzudrehen,
benötigen, um einen Dual von seinen wird er kleine Bomben zünden. Zwei
Krallen zu befreien.« Psi-Emitter, die die Verunsicherung bei
»Soviel ich weiß, zeitigt das Atren­ Antakur von Bitvelt weiter steigern sol­
tus-Verfahren nicht immer Erfolg«, len. Mit ein wenig Glück wird er un­
meldete sich der Terraner Goran Frow­ seren Mann ins Innere von CRULT ab­
nie erstmals zu Wort. berufen.«
»Dieses Risiko müssen wir eingehen«, »Und? Weiter?« Senego Trainz zeigte
bestätigte Roi Danton mit unbewegter unangemessene Respektlosigkeit und
Miene. Ungeduld.
Rinka Porol hatte gelernt, die Mimik »Ein Verbündeter im Dual-Rang, der
der Terraner zu deuten. Sie verstanden sich ungehindert in der Dienstburg be­
es, durch geringfügige Muskelkontrak­ wegt, kann vieles veranlassen. Zum
tionen ihre Emotionen zu verdeutlichen. Beispiel unseren Traitank in die unmit­
Sie trugen ihre Launen, ihre Tagesver­ telbare Umgebung CRULTS beordern,
fassung, ihren Charakter vor sich her. das Schiff der Aufmerksamkeit des Pro­
Mikro-Bestien verfügten nicht über gress-Wahrers entziehen. Wir werden
derartige Möglichkeiten, Stimmungen improvisieren müssen, ich weiß.« Roi
mitzuteilen. Stattdessen nutzten sie ihr Danton hob abwehrend beide Hände
Stimmvolumen. hoch. »Aber wir haben mit den Dunklen
»Falls es uns gelingt«, fragte Senego Ermittlern weitere Verbündete. Und
Trainz, »falls wir einen Dual in unsere wir haben dies hier.«
Hände bekommen, ihn tatsächlich ›um­ Rinka Porol blickte auf die schwarze
drehen‹ können – was soll dann weiter Schatulle, größer als sie selbst, die der
mit ihm geschehen? Wie sollen wir ihn Unsterbliche soeben auf sein Komman­
in die Dienstburg einschmuggeln? Ha­ dopult hob.
ben wir uns nicht ins eigene Fleisch ge­ »Was befindet sich darin?«, hörte sie
schnitten, indem wir dafür sorgten, dass sich fragen.
die Sicherheitsstufe rings um Antakur Roi Danton blickte sie heftig blin­
von Bitvelt erhöht wurde?« zelnd an. Er musterte ihr Gesicht ganz
»Das ist eines der vielen Probleme, genau, als sähe er etwas, was ihn ver­
mit denen wir fertig werden müssen«, wunderte.
gestand Roi Danton. »Der Nukleus ver­ »Ich werde es dir nicht sagen. Noch
sicherte mir, dass es dennoch keine bes­ nicht. Aus Sicherheitsgründen. Nur so
sere Möglichkeit gibt, unseren Plan um­ viel: Der Inhalt muss unbedingt in die
zusetzen.« Anthrazit-Sphäre des Progress-Amtes
Er drehte sich beiseite und blickte transportiert werden. Lass mir diese
auf ein Hologramm, das den verwir­ kleine Überraschung.«
renden Gesamtaufbau ihres eroberten Rinka Porol notierte ihre Gedanken,
Traitanks schematisch darstellte. Rinka ihre Mutmaßungen. Was befand sich in
Porol startete ihren Transport-Diskus dieser Kassette? Ein speziell gezüch­
und umrundete den Unsterblichen. Sie tetes Virus, eine mikrominiaturisierte
wollte seine Mimik sehen und deuten Gravitationsbombe?
können, wenn er redete. Die Terraner bestürmten Roi Danton
»Der Nukleus wird uns bei unserer mit Fragen, doch der gab sich geheim­
Aufgabe weiterhin unterstützen. Schaf­ nisvoll. Er antwortete ausweichend,
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ließ sich auf keine weiteren Diskus­ treffer. Nach Nachrichten aus dem Ko­
sionen ein. lonnen-Funk, deren Algorithmen ihren
Als die Gespräche allzu hitzig zu Suchbedingungen entsprachen.
werden drohten, sagte er kurzerhand: Sechs Tage vergingen, der Bordka­
»Schluss jetzt! Ihr wisst nun, was uns lender zeigte den 16. Juli 1346 NGZ an.
während der nächsten Stunden und Ta­ Zwischen Manövereinheiten, Scharf­
ge erwartet. Wir suchen nach den Le­ schuss- sowie Nahkampftraining arbei­
benszeichen eines Duals. Den Funkern tete Rinka Porol an ihren Berichten.
und Ortern kommt derzeit eine beson­ Waren ihr die Worte zu Beginn noch
dere Bedeutung zu. Ihre Arbeitssphären schwerfällig erschienen, so sah sie bald
dürfen unter keinen Umständen ver­ eine deutliche Verbesserung in Stil und
letzt werden. Verstanden, Senego? – Wir Ausdruck. Drolaf Kucmuc, ein stark
werden die Zeit so intensiv wie möglich behaarter Angehöriger ihrer Übungs­
nutzen, um uns auf die Begegnung mit gruppe, der in seiner Freizeit Lieder­
einem Dual vorzubereiten und mögliche texte dichtete, gab ihr weitere gute
Vorgehensweisen durchzuspielen. Ich Tipps.
habe gemeinsam mit dem Nukleus ver­ Ihre Rolle gefiel ihr. Sie beobachtete,
schiedene Szenarien ausgearbeitet. Ihr gewann ein besonderes Gefühl für Nu­
bekommt von mir schriftliches Material ancen im emotionellen Ausdruck ihrer
dazu. Ich erbitte weitere Kommentare Mitstreiter, fand zu einem immer breiter
und Vorschläge.« werdenden Horizont. Ein neuer Kosmos
Er sah sich um, blieb mit seinen Bli­ tat sich vor ihr auf. Nein; nicht vor, son­
cken wiederum irritiert an Rinka Porol dern in ihr. Die niedergeschriebenen
hängen. Hatte sie mit der dezent aufge­ Worte halfen Rinka, mit sich selbst bes­
tragenen Schminke etwa doch übertrie­ ser zurechtzukommen. Sie hatte ein
ben? Ventil gefunden, um Anspannung los­
»Unsere Chancen auf Erfolg sind ge­ zuwerden, um mit ihrer Schwäche bes­
ring«, schloss der Unsterbliche. »Dieses ser umgehen zu können.
Kommandounternehmen hat nur dann Ihre Trefferquote verbesserte sich,
Aussicht auf Erfolg, wenn alle Mann­ auch die Angst vor legasthenischen
schaftsteile perfekt zusammenspielen Drehern ließ markant nach. Selbst
und wir das nötige Glück haben. Wer an Senego Trainz, dem so gut wie nie ein
höhere Wesenheiten glaubt, sollte viel­ Lob auskam, knurrte ihr zustimmend
leicht ein Gebet sprechen.« zu, nachdem sie einen holosimulierten
Er nickte kurz in alle Richtungen und Parcours der höchstmöglichen Leis­
verließ dann die Zentrale, die geheim­ tungsklasse mit 98 Prozent Treffern ab­
nisvolle Schatulle wiederum unter den solviert hatte.
Arm geklemmt. »Wusste ich’s doch!«, sagte er und
stampfte begeistert mit einem seiner
* Säulenbeine auf. »Aus dir wird noch
mal was.«
Sie stürzten zum vorhergesehenen Khiz Turagga verklebte eine kleine
Zeitpunkt in den Normalraum zurück, Schürfwunde, die sie sich bei einem Ab­
orientierten sich, begannen, ziellos durch sturz aus mehr als 30 Metern Höhe zu­
die Westside der Milchstraße zu kreuzen, gezogen hatte. Mit einem Handscanner
stets auf der Suche nach einem Glücks­ durchleuchtete er sie routinehalber und
14 MICHAEL MARCUS THURNER

bescheinigte ihr, dass sie weiterhin ein­ »Du hast mittlerweile einen Plan, wie
satzbereit war. Der Belastungstest war wir vorgehen werden?«
noch längst nicht zu Ende. Er würde »Ich habe eine Ahnung. Mehr nicht.
einen weiteren Tag andauern. Erst dann Wir werden viel Improvisationstalent
hatte sie das Recht auf einige wenige beweisen müssen. Bereite deine Leute
Stunden Schlaf. darauf vor, dass der Einsatz in wenigen
Sofern ihre Fehlerquote zu keinem Stunden beginnt. Ich will diesen Zer­
Zeitpunkt der Übung unter 95 Prozent beroff haben.«
sank.
Ein Signal ertönte. Senego Trainz ak­
tivierte seinen Armband-Kom; ein Holo 5.
blähte sich auf. Zerberoff
»Wir haben ein Ziel«, sagte Roi Dan­
ton. Sein Raum war eine Oase der Ruhe,
Rinka Porol bemerkte, dass der Ter­ in der nicht jene hektische Betriebsam­
raner lächelte und dennoch ungewohnt keit des normalen Bordbetriebs
angespannt wirkte. herrschte, sondern in der sie beide stra­
»Und zwar?«, fragte Senego Trainz. tegische Überlegungen anstellen konn­
»Unsere Funker fanden Hinweise auf ten, derweil sich Kalbaron Awoko um
den Aufenthaltsort eines Duals, der auf das Tagesgeschäft kümmerte.
Terra nicht ganz unbekannt ist. Sein TRAICOON 0096 kam in diesen
Name lautet Zerberoff.« Zeiten besondere Bedeutung zu. Die
Rinka Porol erinnerte sich. Zerberoff Funk- und Ortungsempfänger liefen
war während der Taktikschulung auf auf Hochtouren. Sie nahmen Daten in
der Erde Gegenstand intensiver psy­ ungeheuren Mengen auf. Aus allen
chologischer Betrachtungen gewesen. Teilen der Milchstraße gelangten Infor­
Das Mischwesen, das jeweils zur Hälfte mationen hierher. Sie wurden ent­
aus einem Mor’Daer und einem Gansch­ schlüsselt, gefiltert, sortiert, unnützen
karen bestand, war erstmals im ir­ Beiwerks beraubt und schlussendlich
dischen Sonnensystem in Erscheinung in mühsamer Handarbeit klassifiziert.
getreten und hatte den derzeitigen Be­ Zerberoff erhielt aufbereitete Daten­
lagerungszustand Terras initiiert. stromanalysen ebenso in die Hand wie
»Das sind ... gute Neuigkeiten«, sagte Interpretationen der besten Fachleute
Senego Trainz unsicher. des Forts. Ihm oblag es, die Auswer­
»Wie man’s nimmt. Er befindet sich tungen zu lesen, zu deuten – und Ent­
derzeit im Kolonnen-Fort TRAICOON scheidungen zu treffen.
0096 in der Nähe des Planeten Wood­ »Das ist beunruhigend«, sagte Aroff
lark, nur knapp zweitausend Lichtjahre leise. Unentwegt irrten seine Blicke
von Sol entfernt.« Danton kratzte mit über die Datenreihen, die auf seine Bril­
einer Hand über seinen Bartschatten. le projiziert wurden. »Der Widerstand
»Das ist unangenehm nahe, und das der Milchstraßenvölker nimmt nicht ab,
kann kein Zufall sein.« sondern tendenziell zu. Nicht nur, dass
»Du vermutest, dass Zerberoff etwas uns die Terraner ein ums andere Mal
ausheckt, um Terra zu schaden?« belästigen, nein! Auch die Völker des
»Der Schluss liegt nahe. Ein Grund Neuen Galaktikums werden aktiv. Auf
mehr, so rasch wie möglich zu handeln.« unsere Versuche, Kabinette für VULTA­
TRAICOON 0096 15

PHER herzustellen, antworten sie mit das Solsystem durch eine Art ... Hinter­
Angriffen.« tür zu verlassen und in einer bestimm­
»Die Situation ist keinesfalls bedroh­ ten Entfernung wieder aufzutauchen.«
lich«, beschwichtigte Zerbone. »Die »Mag sein«, sagte Zerbone. »Aber
Aktivitäten der Milchstraßenvölker noch ist das Datenmaterial nicht reprä­
sind lästig, mehr nicht. Sie behindern sentativ. Hundert oder hundertfünfzig
den planmäßigen Fortschritt, können Messungen sind gar nichts. Man könnte
den Abschluss unserer Arbeit aber le­ auch andersrum interpretieren.«
diglich um ein paar Monate oder Jahre »Und zwar?«
hinauszögern.« »Wir haben rings um Terra einen
»Wir werden dennoch eine Entschei­ dichten Kordon gezogen. Je engma­
dung treffen müssen.« schiger das Netz ist, desto weniger ent­
»Ja.« geht uns, desto mehr Spuren können
Sie humpelten auf die Stehstütze zu wir anmessen.«
und lehnten sich dagegen. Der Schmerz Sie sahen einander an. Ohne ein wei­
vom Becken aufwärts hin zu den beiden teres Wort fanden sie zum Singulären
Wirbelsäulen ließ ein wenig nach. Intellekt. Gemeinsam begriffen sie sich
Aroff zog mit einer raschen Bewe­ als Zerberoff, der Dual, der wesentlich
gung seiner Hand einen Datenstrang mehr war als die Summe der beiden In­
aus der Brille hervor und vergrößerte dividuen. Sie untersuchten neuerlich
ihn so weit, dass auch Zerbone ihn se­ die frisch entdeckten Spuren, fügten
hen konnte. »Was hältst du davon?« ihre Theorien zu einem Ganzen zusam­
»Damit kann ich nichts anfangen«, men, suchten nach Widersprüchlich­
antwortete der Mor’Daer gereizt. »Du keiten und nach Gemeinsamkeiten.
weißt, dass mein technokratisches Vor­ »Noch wissen wir nicht genug«, war
stellungsvermögen nicht so gut ausge­ der gemeinsam gezogene Schluss, »aber
prägt ist wie deines.« wir müssen die Sache weiterverfol­
Aroff fühlte Befriedigung bei den gen.«
Worten seines Partners, obwohl er die Sie dachten an ihren Auftrag. Von ih­
Provokation genau gehört hatte. In rem Urteil hing ab, was mit dieser Bau­
mancherlei Hinsicht war er besser, und stelle namens Terra geschehen würde.
er liebte es, dies bestätigt zu bekom­ Waren sie der Meinung, dass der Auf­
men. wand, den die Terminale Kolonne be­
Mit weiteren Handgriffen ließ er die trieb, um an Terra heranzukommen, die
Datenketten in ein dreidimensionales Mittel nicht mehr rechtfertigte, würden
Bild umwandeln. Ein kugelförmiges Et­ sie die Vernichtung des Solsystems be­
was entstand. fürworten. Die Schließung der Akte
»Diese Datenpunkte markieren Be­ Menschheit war dann nur noch eine
obachtungen, die wir während der letz­ Formsache. Zusätzliche Kampftruppen
ten Monate von terranischen Schiffs­ würden in das unmittelbare Umfeld des
einheiten gemacht haben. Sie häufen terranischen Sonnensystems verlegt
sich in auffälligem Maß rings um Sol, werden und mit ihrer schieren Masse
und zwar in einer Distanz von ein- bis den umkämpften Raum überhitzen. So
zweitausend Lichtjahren. Erkennst du lange, bis dieser exotische Schutzschirm
die Kugelform? Es ist, als hätten die zusammenbrach – oder das Raum-Zeit-
Menschen eine Möglichkeit gefunden, Gefüge einen Knacks bekam. Letztend­
16 MICHAEL MARCUS THURNER

lich war es einerlei, ob ein kleiner Be­ stimmigkeiten gewohnt. Irgendwann


reich der Milchstraße implodierte. Die kehrte die Vernunft zurück. Für keinen
Ressourcengalaxis hatte weitere viel­ der beiden gab es ein Entkommen. Sie
versprechende Ziele, auf die TRAITOR waren auf Gedeih und Verderb anein­
seinen Fokus richten konnte. andergekettet.
Andererseits: Konnte oder durfte sich »Also gut«, sagte der Mor’Daer. »Wir
die Terminale Kolonne eine derartige warten noch ein wenig ab und sammeln
Handlungsweise erlauben? Gab sie da­ Informationen, bis wir eine ausreichend
mit denn nicht zu, mit ihrer Weisheit am hohe Datendichte erreicht haben. Dann
Ende zu sein und vor der Beharrlichkeit fällen wir unser Urteil.«
eines einzelnen Volks kapitulieren zu »Einverstanden!«
müssen? Aroff ließ sich sein schmerzendes
Es geschah höchst selten, dass sich Bein von mehreren winzigen Prall­
die Angehörigen eines Kabinettsystems feldern massieren. Mit einer Mischung
mit derartiger Verve wehrten. Eine My­ aus Schnabelgeklapper und leisem Ge­
thenbildung, die die unbeugsamen Ter­ kecker ordnete er die Daten auf seiner
raner zum Gegenstand hatte, mochte in Brille neu und lud weitere Informati­
anderen Brennpunkten des Gesche­ onskonvolute zu. Er zog Zerbone zu
hens zu vermehrter Aufmüpfigkeit füh­ sich in den Singulären Intellekt und be­
ren; zu Trotzreaktionen – und womög­ teiligte ihn an seinen Überlegungen.
lich zu Unsicherheiten in den eigenen Die nächsten Stunden und Tage würden
Reihen. sie sich mit den Auswertungen beschäf­
»Undenkbar!«, entfuhr es Aroff, tigen.
nachdem er sich aus dem Singulären Der Vorhang vor dem Panorama­
Intellekt gelöst hatte. schirm öffnete sich, ohne dass es Zer­
»Wir haben die Terraner bereits beroff bewusst wahrnahm. Das Bild
mehrmals unterschätzt.« Zerbone zün­ zeigte das Durcheinander andockender
gelte aggressiv über die Ränder seiner und abfliegender Traitanks rings um
Scheuklappen. »Sie hüpfen wie zari­ TRAICOON 0096. Im Hintergrund
tische Wasserflöhe über die Oberfläche stand eine rote Sonne; ihr Licht er­
eines Teichs und hinterlassen mit jedem zeugte Myriaden von irritierenden Re­
Sprung Laich. Wenn wir nicht aufpas­ flexen.
sen, ist bald die gesamte Wasserfläche Hätte Zerberoff einen Sinn für Schön­
mit schaumigem Leben bedeckt – und heit besessen, hätte er die Szenerie voll
erstickt das, was sich darunter befin­ Andacht und Freude betrachtet.
det.«
»Ich hasse deine blumigen Verglei­
che.« 6.
»Und ich hasse dich.« Roi Danton
Die Beinmuskulatur ihrer beider
Körper verkrampfte sich. Eine schau­ Traitank 1.199.188 stieß in das Sys­
rige Dissonanz entstand, die sich in Zit­ tem von Claysons Stern vor. Die terra­
tern und unkoordinierten Bewegungen nische Besatzung folgte jenem ganz be­
ihres Unterkörpers ausdrückte. Doch stimmten Ritual, das typisch für
sie beruhigten sich bald wieder. Aroff Kolonnen-Schiffe war. Kennungen
und Zerbone waren diese kleinen Un­ wurden ausgetauscht, ebenso Hyper­
TRAICOON 0096 17

funkmuster, Datenbilder und Kodewör­ ursachten Schäden, die wir nicht so


ter. Die TLD-Agenten der Kommando­ ohne Weiteres beheben können. Über
zentrale hatten längst ihre Verkleidungen die Fraktale Aufrissglocke haben sich
übergestreift. Alles war für den Ein­ Überschlagenergien ins Schiffsinnere
satzfall vorbereitet. übertragen.«
Roi sah auf das Kolonnen-Fort 0096 »Es gab Tote, lala?«
hinab. Der fast 16 Kilometer lange »Ja.«
Block in Form eines doppelten Gleispro­ »Und Verletzte, lala?«
fils, dessen Konstruktion nicht gerade, »Die Schwerverletzten wurden mitt­
sondern um einige Grad verwunden lerweile entsorgt, alle anderen befinden
war, drehte sich kaum merkbar. sich in der Medo-Abteilung.«
Mehrere rot leuchtende Alarmsignale »Also gut, soso. Ihr seid nicht die Ers­
wiesen darauf hin, dass Potenzialwerfer ten, die wir versorgen müssen, und ihr
auf die 1.199.188 ausgerichtet waren. werdet auch nicht die Letzten sein, so­
Ein falsches Wort, eine falsche Bewe­ so.« Einer seiner Ausleger bewegte sich
gung – und es war vorbei. langsam zur Seite und umfasste einen
»Zeigt kein Zögern!«, befahl Roi und Art Joystick mit unzähligen Vertie­
wühlte in den Erinnerungen Dantyrens. fungen, in die sich seine Stacheln pass­
»Folgt den Vorgaben der Lotsen, ohne genau bohrten. Zeichen in TraiCom-
darüber nachzudenken, und handelt so Schrift purzelten von der Decke herab in
rasch wie möglich.« die Flüssigkeit; sie ergaben einen Text,
Er hatte es sich in einem toten Winkel der sich binnen kurzer Zeit auflöste.
der provisorischen Kommandozentrale »Ihr habt die Registernummer
bequem gemacht, der von den Übertra­ 8.733.353, lala? Euer Geschwader gilt
gungskameras nicht erfasst wurde. Die als vermisst, soso.«
Maske Dantyrens würde ihm nicht wei­ »Möglicherweise sind wir die ein­
terhelfen. Zerberoff war über dessen Tod zigen Überlebenden. Die Terraner ha­
bestens im Bilde – und damit wohl auch ben uns überrascht. Wir übertragen
die Besatzung des Kolonnen-Forts. soeben alle Informationen, die mit der
Oberstleutnant Goran Frownie führ­ Schlacht zu tun haben.«
te die Kommunikation mit TRAICOON Roi Danton nickte unwillkürlich. Go-
0096 in seiner Maske als Mor’Daer. Lis­ ran Frownie spielte seine Rolle ausge­
pelnd unterhielt er sich mit einem Ge­ zeichnet. Die Daten, die er an TRAI­
schöpf, das einem krummen Kaktus COON 0096 übermittelte, waren kaum
ähnelte und im Sekundentakt eitrig zu falsifizieren. Der Traitank mit der
wirkende Nadeln aus seinem Körper Registernummer 8.733.353 war wenige
absonderte. Der Korpus trieb in einer Tage vor ihrer Abreise von Terra aufge­
Art Nährflüssigkeit, die Worte des Lot­ bracht worden, so wie alle Schiffe eines
sen kamen durch schwer verständliche kleineren Spähgeschwaders der Termi­
Blubbertöne zustande. nalen Kolonne.
»Ich bin Korom der Subinate, soso«, »Was benötigt ihr, lala? Unsere Res­
sagte der Kaktus. »Ihr gehört nicht zu sourcen sind derzeit begrenzt, soso.«
einem der hiesigen Geschwader, soso. »Wir sind imstande, die Reparaturar­
Was wollt ihr hier, lala?« beiten mit Bordmitteln durchzuführen.
»Wir wurden Opfer eines terrani­ Wir benötigen lediglich einen Dockhan­
schen Angriffs. VRITRA-Kanonen ver­ gar für die Dauer von ein bis zwei Wo­
18 MICHAEL MARCUS THURNER

chen. Sofern es nicht zu Störungen einmal gesagt worden waren. Gebets­


kommt; die Generatoren der Aufriss­ mühlenartig tat er es, wohl wissend,
glocke sind während der Reparaturar­ dass eine einzige falsch gesetzte Geste
beiten nicht einsetzbar.« über Gelingen oder Scheitern ihrer Mis­
»Also zwei Wochen, mit einer Option sion entscheiden mochte.
auf Verlängerung, soso.« Ero Ustinoth kratzte sich am Latex-
Korom der Subinate ließ Teile seines Abschluss seiner Maske, rückte sie zu­
Stachelkostüms mit unerwarteter Ge­ recht und schaltete dann wieder den
schwindigkeit über den Joystick glei­ Stimmsimulator zu, der ihn wie einen
ten. Nur Sekunden später trudelten Mor’Daer klingen ließ. »Also los«, sagte
Freigaben sowie Flugkurszuweisungen er, »ihr habt den Chef gehört.«
im Kommandostand des Traitanks ein. Goran Frownie warf ihm einen miss­
Die Warnungen erloschen, die auf ihr billigenden Blick zu, was angesichts
Schiff ausgerichteten Waffensysteme seiner Schlangenmaske seltsam anmu­
waren desaktiviert worden. tete. Doch er hatte sich gleich wieder
Goran Frownie verabschiedete sich gefangen, fiel in seine Rolle zurück und
mit einer mor’daertypischen Kopfbe­ übte sich in jenen Gesten, die man von
wegung vom Lotsen und unterbrach die ihm erwartete. »Kurs auf TRAICOON
Bildverbindung. Die verkleideten Ter­ nullnullneunsechs!«, befahl er.
raner warteten einige Augenblicke, bis
die kurzfristig miteinander vernetzten *
Kommunikationssysteme voneinander
abließen. Dann erst erlaubten sie sich, Roi Danton war seinen eigenen An­
tief durchzuatmen. weisungen noch nicht nachgekommen.
»Ausgezeichnet«, sagte Roi. »Das ers­ Es war nicht notwendig gewesen. Das
te Etappenziel ist erreicht. Problem­ Tragen seiner ganz besonderen Kokon­
loser, als wir es erhoffen durften.« Er maske verursachte zudem Schmerzen,
klatschte in die Hände. »Weiter geht’s. die bereits nach wenigen Minuten in
Wir müssen den Vorgaben dieses Lotsen Bereiche jenseits des Erträglichen wan­
rasch Folge leisten, damit wir keine un­ derten. Er hatte die Besprechung mit
erwünschte Zusatzaufmerksamkeit er­ den Maskenbildnern des TLD so lange
regen. Folgt den Koordinaten und wie möglich hinausgezögert. Doch nun
bringt unser Schiffchen ins Dock. Ab konnte er nicht länger zuwarten.
nun gilt in allen offiziellen Bereichen Er tastete das linke Seitenpaneel am
des Schiffs Maskenpflicht.« Ende eines Seitengangs ab und klopfte
Er sprach in seinen Armband-Kom. in einem bestimmten Rhythmus gegen
»Das Trainingsprogramm von Senego die kaum spürbare Erhebung entlang
Trainz und seinen Mitstreitern ist bis auf der Abschlussleiste. Die Deckplatte
Weiteres ausgesetzt. Wir imitieren den fuhr beiseite, machte einem Scanfeld
Traitank-Betrieb, so gut es uns möglich Platz, das er ruhig durchschritt. Ein
ist. Sicherlich werden ab sofort unsere weiteres Tor öffnete sich. Dahinter be­
Energieemissionen kontrolliert. Wir fand sich einer der gut getarnten
müssen zu Mor’Daer und Ganschkaren Schiffsbereiche, die die Terraner für ih­
werden, wir müssen uns wie sie bewe­ re Zwecke adaptiert hatten.
gen, wie sie denken, wie sie handeln.« »Ist alles für die Anprobe bereit?«,
Er wiederholte Dinge, die mehr als fragte Roi.
TRAICOON 0096 19

»Noch nicht ganz.« Eine Marsianerin Physiognomie. Die programmierten


mit ausgeprägtem Brustkorb und feuer­ Nano-Impulsgeber sind noch lange
roten Haaren umrundete ihren Arbeits­ nicht aufeinander abgestimmt.«
tisch und maß Roi mit einem prüfenden Roi nickte. Diese Maske würde nie­
Blick. »Es wird für dich nicht leicht mals jene Perfektion erreichen, wie sie
werden«, sagte sie. es vor einigen Wochen mit dem ori­
»Wie weit ist die Maske?« ginären Dantyren-Kokon geschafft hat­
»Wir hatten nur wenig Zeit ...« ten. Dementsprechend wandten die
»Ich weiß«, unterbrach Roi die Frau Künstler auch ganz andere, wesentlich
ungeduldig. Er erinnerte sich an ihren gröbere Methoden an. Karen a Onat ar­
Namen. Sie hieß Karen a Onat und war beitete sozusagen mit dem Holzhammer
eine der begabtesten Maskendesi­ – und erzielte dennoch bemerkenswerte
gnerinnen an Bord. »Aber zwei Tage Ergebnisse.
waren alles, was wir euch geben konn­ »Zu unserem Glück befindet sich die
ten. Unser Zeitfenster erlaubt nicht Mor’Daer-Hälfte sowohl bei Dantyren
mehr Spielraum.« als auch bei Zerberoff auf der rechten
Sie führte ihn in einen durch eine Seite«, sagte Karen. »Sonst würden wir
Trennwand geschützten Bereich. Der es angesichts der wenigen Zeit, die uns
Kokon eines Duals hing in einem Anti­ zur Verfügung steht, niemals schaf­
gravfeld und drehte sich langsam um fen.«
die eigene Achse. Winzige Robotdroh­ Die Robotdrohnen zogen sich vom
nen umkreisten ihn. Sie erledigten Kokon zurück, als wollten sie kritisch
Grobarbeiten, indem sie anhand der in ihr Werk betrachten, um sich gleich
ihren Positroniken gespeicherten Bilder darauf mit verstärkter Energie wieder­
Zerberoffs überschüssiges Material ab­ um darauf zu stürzen.
zwackten oder neues hinzufügten. Den »Wo ist der fehlende Ganschkaren-
Feinschliff würden die terranischen Kopf?«, fragte Roi.
Maskenbildner übernehmen. »Deine Maske wird soeben von mei­
»Das sieht ja gar nicht so schlecht nen Teamkollegen adaptiert. Willst du
aus«, sagte Roi und trat näher. Mit einer sie sehen?«
Hand tastete er über das künstliche »Gerne.«
Hautgewebe. Ihm schauderte bei dem Sie gingen einen schmalen Gang ent­
Gedanken, in den Kokon schlüpfen zu lang, der in einem von Requisiten über­
müssen. »Ihr habt einen Dantyren ver­ quellenden Raum mündete. Roi fühlte
wendet?« sich in seine Jugendzeit zurückversetzt;
»Ja. Die Zweitversion. Wir mussten gemeinsam mit Bully hatte er mehrere
mächtig improvisieren, haben sozusa­ der bedeutendsten Theater des europä­
gen mit Draht, Kaugummi und Spucke ischen Kontinents besucht. Solche, die
gearbeitet.« jahrhundertealten Traditionen nach­
»Das Gesicht des Mor’Daer ...« hingen und wie anachronistische Re­
»Ich weiß«, unterbrach ihn Karen. likte aus einer Zeit vor Beginn der be­
»Da wartet noch Arbeit auf uns. Die mannten Raumfahrt gewirkt hatten.
Konturen müssen besser herausgear­ Alles lag kreuz und quer, Regale wa­
beitet werden, die Hautfarbenabstu­ ren nach einem undurchschaubaren
fungen passen noch nicht. Die größten System mit Kleidungs- und Körpertei­
Probleme haben wir sicherlich mit der len gefüllt. Es roch merkwürdig, nach
20 MICHAEL MARCUS THURNER

Parfum und Klebstoffen, jedes Wort modellieren und den Mont Blanc daraus
wirkte angesichts der Enge ersti­ basteln.«
ckend. »Ich benötige keine Perfektion«, sagte
An zwei beweglichen Garderoben­ der Unsterbliche. »Hauptsache ist, dass
ständern vorbei erreichten sie eine of­ der Kokon einer flüchtigen Überprüfung
fene Fläche. Vier Terraner saßen rings standhält. Noch ist gar nicht gesagt,
um einen einfachen Tisch, über dem ein dass ich jemals Maske machen muss,
Ganschkaren-Kopf schwebte. und um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass
Es herrschte Totenstille. ich nicht in diese Verlegenheit gerate.
Dutzende Holos umgaben die hoch Aber wir müssen darauf vorbereitet
konzentriert arbeitenden Maskenbild­ sein. Sorgt dafür, dass die Bewegungs­
ner. Sie alle zeigten ins Riesige vergrö­ hilfen, Mimikry-Sensoren, holografisch
ßerte Teile des Kokonkopfs. Die Blicke ergänzte Augenbewegungen und so wei­
der drei Frauen und des Mannes pen­ ter halbwegs mit denen eines Gansch­
delten stets zwischen der Maske und karen übereinstimmen. Ihr habt nicht
den Holos hin und her. Mit ruhigen mehr viel Zeit.« Er sah auf die Uhr. »In
Händen trugen sie flüssiges Latex auf, drei Stunden bin ich zur Anprobe hier.«
verlegten Kunstmuskeln, veränderten »Ab und zu ein Bitte und Danke wäre
die Hautfarbe, strafften das Gewebe, ganz nett, bei all der Todesgefahr, in der
kreierten neue Faltenlinien. wir uns befinden. Und bei dem kargen
»Das sieht ja schon recht gut aus«, Lohn.«
lobte Roi. »Bittedanke«, sagte Roi und begriff
»Blödsinn!«, keifte eine der Frauen, gleich, dass sein Scherz nicht richtig
ohne ihn anzublicken. »Für einen ankam.
Ganschkaren muss dieser Kopf wie ein »Ich werde wohl zur USO gehen. Da
schlecht umgerührter Haufen Erbro­ heißt der Chef bloß Monkey und be­
chenes wirken. Wir brauchten mehr nimmt sich nicht wie einer.«
Zeit, um etwas zu erschaffen, was Zer­
beroffs Ganschkaren-Seite auch nur *
irgendwie ähnlich sähe. Sag das dem
unsterblichen Gecken – oder schickt ihn Sie näherten sich TRAICOON 0096
zu mir, damit ich Tacheles mit ihm re­ mit geringer Fahrt. Der schwarze Rico­
den kann.« din-Verbundstoff ließ die Außenwan­
»Der unsterbliche Geck ist bereits dung des Riesengebildes in der Optik
hier«, erwiderte Roi belustigt. »Also flimmern. Der Effekt kam durch den
sag, was du zu sagen hast.« verwirrenden Fraktalaufbau des myste­
Die füllige Frau blickte irritiert hoch. riösen Materials zustande.
Ein Hauch von Röte überzog ihr Ge­ Sie passierten mehrere im Orbit um
sicht; dennoch blieb sie bei ihrem rot­ das Kolonnen-Fort geparkte Traitanks,
zigen Ton. »Na schön, Roi: Ich habe glitten langsam auf eine der vielen Öff­
nichts dagegen, wenn du Wunder von nungen zu, wurden gleichsam von ihr
uns verlangst. Das sind wir gewohnt. aufgesogen. Für Sekundenbruchteile fie­
Auch der Zeitdruck macht uns nichts len alle Instrumente aus. Eine weitere
aus. Was du uns aber diesmal abfor­ automatische Überprüfung des Leis­
derst, ist Wahnsinn im Quadrat. Du tungsbildes wurde vorgenommen, die
willst, dass wir den Mount Everest um­ Daten auf ihre Plausibilität kontrolliert.
TRAICOON 0096 21

Roi wusste, dass sie nichts zu be­ 7.


fürchten hatten. Dennoch ertappte er Zerberoff
sich dabei, wie er die Sekunden bis zur
Weiterflugbestätigung zählte. Der Dual schwebte, ja, er badete
Endlich erfolgte die Freigabe. Sie nachgerade in den Datenmengen. Der
glitten den dunklen Kanal entlang. Un­ Singuläre Intellekt stellte ihm Möglich­
ten und oben, links und rechts zweigten keiten zum Sinnieren, zur logischen
Parkhangars ab. Teils mit Traitanks Analyse zur Verfügung, die kaum ein
oder kleineren Schiffseinheiten gefüllt, anderes bekanntes Lebewesen besaß.
teils leer stehend. Bits und Bytes, hyperenergetische Im­
Endlich erreichten sie ihr Parkdeck. pulse, Quanten, bionetisch-kognitive
Ein Traktorstrahl zog sie »hinab«, wei­ Strukturbilder und Fraktaleinheiten
tere Feinjustierungen erfolgten über schwirrten vor Zerberoffs vier Augen
intensiven Datenaustausch zwischen durcheinander, scheinbar ohne Plan
der DARK GHOUL und der Lotsen­ und Ziel. Dennoch waren da Struktur,
zentrale von TRAICOON 0096. Rhythmus, Muster. Die Zusammenhän­
Antigravklammern griffen zu, zogen ge erschlossen sich lediglich dem ge­
den Traitank ins Innere der semiper­ übten Analysten, und sie ergaben Bil­
meablen Energiemembranen, die den der von Schönheit und Anmut.
Hangarraum umgaben. Die Bordinstru­ Er badete darin, ließ sich treiben, gab
mente zeigten wie erwartet eine atem­ sich für kurze Zeit einem selten gefühl­
bare, jedoch dünne Sauerstoffatmosphä­ ten Genuss hin. Dies hier war sein Reich.
re an. Diese Bilder ergaben einen Bereich, ei­
Alarmlichter erloschen. Gelangweilt nen Kosmos. Allumfassend zeigten sie
wirkende Mitarbeiter, meist Gansch­ Welten, Energieströme, Konstellatio­
karen, strömten zwischen Schotten her­ nen, Taktiken. Informationen.
vor ins Innere des Hangars. Mit Scan-In­ Das Geheimnis eines erfolgreichen
strumenten nahmen sie letzte Kontrollen Duals bestand darin, die Ströme und
vor, während fliegende Robottrupps aus­ Strömungen richtig zu erkennen. Er
schwärmten, sich kleiner Schäden an der musste wissen, welcher Spur man zu
Schiffshülle annahmen und mit lächer­ folgen hatte und wie die Daten richtig
lich anmutenden Putztüchern die Flä­ zu bewerten waren. Zerberoff durfte
chen zu polieren begannen. sich der reißenden Masse des Informa­
Ein zusätzlicher Service, dachte Roi tionsflusses keinesfalls unterwerfen,
Danton belustigt, und das in einem Um­ musste sich unter allen Umständen ge­
feld, das ausschließlich auf Zweckmä­ gen die Widrigkeiten zur Wehr setzen,
ßigkeit ausgerichtet ist. Die Arbeit der die ihn in unterschiedlichste Rich­
Roboter hat eine ähnliche Funktion wie tungen zu zerren drohten. Er war auf
das Reinigen von Windschutzscheiben der Suche nach der Wahrheit. Nach sei­
bei antiken Gleitermodellen. ner Wahrheit ...
Korom der Subinate meldete sich ein Ein »kleiner Alarm« durchbrach sein
letztes Mal und gab ihr Schiff frei. Die Wohlgefühl. Widerwillig verließen Zer­
Ganschkaren verließen den Hangar. bone und Aroff den Singulären Intellekt
Unheimlich anmutende Ruhe kehrte und kehrten in die banale Realität ihrer
ein. Sie hatten das vorläufige Ziel ihrer Wohn- und Arbeitseinheit zurück.
Reise erreicht. Zerbone aktivierte die Bildübertra­
22 MICHAEL MARCUS THURNER

gung zur Zentrale von TRAICOON »Die vorgebliche Einheit 8.733.353


0096. besitzt in Wirklichkeit die Registernum­
Kalbaron Awokos Gesicht erschien. mer 1.199.188. Fast alle Kennungen und
Er war der Einzige, der das Recht be­ Erkennungsmerkmale wurden mit gro­
saß, sie in ihrer Arbeit zu unterbrechen. ßer Professionalität gefälscht. Hier wa­
Er saß auf dem Kommandostuhl, von ren wahre Könner am Werk. Im Grunde
einer Sichtblende umgeben. genommen ist es reiner Zufall ...«
»Was gibt es?«, blaffte Aroff den »Schick mir die Daten auf einer si­
Ganschkaren an. cheren Leitung. So schnell wie mög­
»Wir haben bei einem eben erst ange­ lich.« Zerberoff beendete die Bildüber­
dockten Traitank eine ungewöhnliche tragung. Kurz flammte Bedauern auf.
Entdeckung gemacht.« Er hätte Awoko nur zu gerne bestraft.
Awoko wirkte nervös und ängstlich. Doch der Ganschkare hatte recht daran
Zerberoff hatte ihm bereits mehrmals getan, ihn zu informieren.
kleine Dosen Endogener Qual verab­ Wenige Sekunden später trafen eini­
reicht. Der Ganschkare hatte dazu ge­ ge dünne Informationsregister ein. Sie
neigt, seine Kompetenzen zu über­ beinhalteten umständlich formulierte
schreiten. Nun – allem Anschein nach Beschreibungen, hastig hinzugefügte
hatte er seine Lehren daraus gezogen Vermutungen des Kalbarons und das
und reagierte vorsichtiger. Ansuchen zweier Ganschkaren-Techni­
Möglicherweise zu vorsichtig. ker, aufgrund ihrer Entdeckung beför­
Aroff und Zerbone fühlten so etwas dert zu werden.
wie Vorfreude darauf, den Kalbaron Warum, bei allen Herolden der Ko­
neuerlich dafür abzustrafen, dass er lonne, sollte ein Traitank der Kolonne
Routineangelegenheiten nicht selbst seine Kennungen verfälschen? Waren
abarbeitete. Infiltratoren in das Fort vorgedrungen?
»Sag schon!«, verlangten sie im Chor, Unrealistisch, aber nicht ganz un­
im Singulären Intellekt. möglich.
»Techniker eines Hangarteams sind Gab es andere Denkansätze, die eine
auf Unregelmäßigkeiten bei der Regis­ größere Wahrscheinlichkeit besaßen?
trierung eines Traitanks gestoßen«, has­ Testete man ihn, wollte man von hö­
pelte der Ganschkare. »Es gibt gewisse herer Stelle aus die Leistungsfähigkeit
Erkennungsmerkmale ...« seiner Besatzung und seine Kompetenz
»Weiter!« überprüfen? Oder hatte ihm ein »netter«
»Der Kapitän des Schiffs hat eine Kollege, wie beispielsweise der Vize­
falsche Registernummer angegeben!«, kapitän Malikadi, ein faules Ei ins Nest
platzte es aus dem Ganschkaren heraus. gelegt?
»Wir haben jemand an Bord, der nicht Zuzutrauen war es ihm. Intrigen wa­
ist, was er vorzugeben scheint.« ren ein fixer Bestandteil jener Spiel­
chen, die in den Führungskreisen der
* Terminalen Kolonne gepflegt wurden.
Zerberoff verlangte nach zusätzlicher
Zerberoff forderte den Kalbaron auf, bordinterner Rechenleistung und setzte
weiterzusprechen, während er anfing, sein Suchgebot auf Priorität. Augen­
eigene Gedankengänge zu entwickeln blicklich breiteten sich unsichtbare
und zu verfolgen. Fühler aus; sie wühlten und bohrten
24 MICHAEL MARCUS THURNER

sich in jede Datei jedes Rechners an »Womöglich haben die Spione an


Bord des Forts, und war er auch noch so Bord des Traitanks 1.199.188 bereits
unwichtig. Der Duale Kapitän forderte unsere Internrechner angezapft. Dann
sämtliche Informationen über Traitank kennen sie unsere Unterhaltung mit
1.199.188 an. dem Kalbaron und wissen, dass sie ent­
Sekunden später erhielt er Antwor­ tarnt sind.«
ten. Die Registernummer war bekannt Sie schwiegen lange, sprangen zwi­
– und das Schiff folgte einem bestimm­ schen Singulärem Intellekt und Indivi­
ten Auftrag. Es war im persönlichen dualität hin und her.
Auftrag von Antakur von Bitvelt unter­ Sie fühlten befremdende Unsicher­
wegs, auf einer Rundreise durch die heit, wussten nicht, wie sie weiter vor­
Milchstraße. gehen sollten. Paranoia war in den Rei­
hen der Führungskräfte der Terminalen
* Kolonne ein steter Begleiter.
Ein Dual konnte sich seiner Position
Sie lösten sich aus dem Singulären niemals sicher sein. Er durfte sein Wis­
Intellekt und überdachten getrennt sen mit möglichst wenigen Untergebe­
voneinander die Situation. nen teilen und musste den Druck auf sie
»Man traut uns noch immer nicht«, stets hochhalten. Nur dann besaß er die
sinnierte Aroff. »Die Bewährungsfrist, Chance, sich dauerhaft zu etablieren.
der wir ausgesetzt wurden, ist längst »Wir dürfen uns nichts anmerken las­
nicht beendet.« sen«, befand Zerbone schließlich. »Wir
Vor geraumer Zeit und an einem werden Awoko einen Besuch abstatten
gänzlich anderen Schauplatz hatte der und ihm unter sechs Augen sagen, dass
Duale Kapitän einen Gutteil der ihm die falsche Registernummer zu ignorie­
unterstehenden Schiffseinheiten im ren sei.«
Kampf gegen die Kosmokraten verlo­ »Einverstanden!« Aroff wuchtete den
ren. 98.000 Traitanks, Millionen von gemeinsamen Körper von der Stütz­
Lebewesen. stange weg und orderte einen Koffter,
Nichts von Bedeutung, nichts, was der sie vor ihrer Kabine abholen sollte.
sich mittelfristig nicht ersetzen ließ. Mit einem Wink aktivierte er einen Be­
Zumal die Niederlage von Anfang an gleitroboter, der über Waffensysteme
festgestanden hatte, offenbar waren er verfügte, es aber dank seiner Program­
und seine Untergebenen Kanonenfutter mierung auch verstand, ihn möglichst
gewesen. schmerzfrei im Koffter zu platzieren.
Doch die Progress-Wahrer hatten ei­ »Jene Docktechniker, die die Wahr­
nen Schuldigen gesucht und ihn in Zer­ heit über die Registernummer heraus­
beroff gefunden. Seitdem trug er das gefunden haben, müssen verschwinden.
Stigma des Verlierers. Sie dürfen mit niemandem über ihre
»Antakur von Bitvelt will uns testen«, Entdeckung plaudern. Der bordinterne
sagte Zerbone. »Ist es denn Zufall, dass Sicherheitsdienst soll sich darum küm­
dieser getarnte Traitank ausgerechnet mern.«
jetzt auftaucht, da wir eine Entschei­ »Können wir eigentlich dem Kalba­
dung über die Terraner fällen sollen? – ron über den Weg trauen?«
Nein. Der Progress-Wahrer lässt uns »Er steht ohnehin unter ständiger
überwachen.« Beobachtung, und die Agenten des Si­
TRAICOON 0096 25

cherheitsdienstes werden ebenfalls nicht an, dass wir in seine Suite spazie­
überwacht. Die Kette ist lückenlos ge­ ren und ihn mit gezielten Schlägen auf
schlossen.« die beiden Häupter unschädlich ma­
Zerbone war sich bei Weitem nicht so chen können.«
sicher wie sein Partner, und er ließ es »So ist es.« Roi nickte dem einsatzer­
ihn in der geteilten Welt des Singulären fahrenen TLD-Agenten zu. »Lass Sene­
Intellekts wissen. go Trainz und seine engsten Mitarbeiter
Doch aus diesem Dilemma gab es nach meiner letzten Kostümanprobe
kein Entkommen, wie sie beide wuss­ hierher bringen. Mittlerweile sollten
ten. Sie mussten sich darauf verlassen, wir ausreichend Informationen aus dem
dass ihre Sicherungen funktonierten. internen Kommunikationsnetz des
Mehr konnten sie nicht tun. Ihr Haupt­ TRAICOON gezogen haben, um Wege,
augenmerk galt ohnehin der Erledigung Hindernisse und Schwierigkeiten be­
ihrer eigentlichen Arbeit. stimmen zu können.«
Denn das Urteil des Antakur von Bit­ »Negativ«, mischte sich Goran Frow­
velt hing weitgehend davon ab, ob und nie in die Unterhaltung ein. »Mehr als
wann sie das Solsystem vernichten lie­ ein Drittel des Gesamtraums des Forts
ßen. unterliegt im offiziellen Datenverkehr
der Geheimhaltung. Zwar können wir
aus Unterhaltungsprotokollen indirekte
8. Rückschlüsse ziehen, aber es reicht bei
Roi Danton Weitem nicht, um ein Weg-Zeit-Dia­
gramm für einen möglichen Einsatz zu
Erste Erfolge ließen zu Rois Erleich­ erstellen. Der Kernbereich, Zone-Eins
terung nicht lange auf sich warten. Im genannt, ist terra incognita.«
internen Kom-Verkehr des Kolonnen- »Die Mikro-Bestien wurden hinläng­
Forts wurde mehrmals auf die Anwe­ lich auf diesen Auftrag vorbereitet«,
senheit Zerberoffs hingewiesen. Der sagte Roi. »Sie haben in den paar Mo­
Duale Kapitän residierte nicht in der naten, die ihnen zur Verfügung standen,
Zentrale der Fortanlage, sondern hatte mehr gelernt als mancher Mensch in
sich in einen Kabinentrakt nahe dem seinem gesamten Leben. Sie sind hell­
Stationszentrum zurückgezogen, rund wach, sie wissen, was Improvisation
fünf Kilometer von ihrem Parkdeck bedeutet, sie können die Risiken ein­
entfernt. schätzen. Wir schicken sie auf den Weg.
»Was uns die Sache hoffentlich er­ So rasch wie möglich.«
leichtert«, sagte Roi zu Ero Ustinoth, »Aber sie besitzen keinerlei Erfah­
mit dem sich die Unterhaltung ein­ rung«, beharrte der Oberstleutnant auf
facher gestaltete als mit Goran Frow­ seiner Meinung. »Warten wir noch ein
nie. »Je weniger Wesen sich im Umfeld wenig zu. Beobachten und sondieren
des Duals bewegen, desto leichter sollte wir. Vielleicht tun sich in den nächsten
es uns fallen, zu ihm vorzudringen.« Tagen weitere, bessere Optionen auf.«
»Die Sicherheitsvorkehrungen wer­ »Während wir ständig mit der Gefahr
den dennoch seiner Position angemes­ leben, hier an Bord von einer unange­
sen sein«, widersprach der Major, der kündigten Inspektionsgruppe über­
sich in seiner Maske als Ganschkare rascht zu werden? Während sich die
sichtlich unwohl fühlte. »Ich nehme Gefahr vergrößert, dass die Wahrheit
26 MICHAEL MARCUS THURNER

über Traitank 8.733.353 bekannt wird? Er nickte Lipica, Goran und Ero zu
Während der geringste Verdacht eines und verließ sinnend die Kommandozen­
einfachen Hangartechnikers zu Proble­ trale. Es war Zeit für eine weitere Mas­
men führen kann? – Nein danke!« Roi kenanprobe. Vielleicht konnte er sich
gab Ustinoth Zeichen, die Mikro-Bes­ von den zu erwartenden Schmerzen ab­
tien zu informieren. »Wir greifen nach lenken, indem er alle Eventualitäten
der erstbesten Chance, die sich eröffnet. des Einsatzes der Mikro-Bestien durch­
Ohne Wenn und Aber.« dachte.
Die Erinnerung an frühere Hasard­
spiele blitzte auf. An ein anderes, unbe­
schwerteres Leben, an die erste Tarn­ 9.
existenz in einer endlos scheinenden Rinka Porol
Reihe. Abenteuerliche Reisen als Frei­
fahrer hatten ihn mit einer bunt zusam­ Neuerlich durfte sie an der Einsatz­
mengewürfelten Truppe durch große besprechung teilnehmen. Sie würde als
Teile der Milchstraße geführt – und dar­ Gruppenleiterin fungieren, ebenso wie
über hinaus. Senego Trainz. Beide hatten jeweils vier
Um sich etwas zu beweisen. Um dem Kameraden unter ihrem Kommando.
Über-Vater Perry Rhodan etwas zu be­ Rinka hielt sich dicht neben Senego,
weisen. ohne ihm körperlich nahe zu kommen.
»Da gibt es noch etwas.« Die Ober­ Womöglich war sie die einzige Mikro-
leutnantin Lipica Atabinmek gesellte Bestie, die eine gewisse Sehnsucht nach
sich nun ebenfalls zu ihnen. Sie zog ein Nähe hatte. Alle anderen waren sich
Datenhologramm zwischen Roi und die selbst genug. Wie einsame Inseln in
beiden anderen TLD-Agenten. einem Strom.
»Was denn?«, fragte der Unsterbliche, »... ihr wisst, um was es geht«, sagte
mäßig interessiert. Roi Danton soeben. »Handelt umsich­
»Zerberoff beschäftigt sich laut Bord­ tig, nehmt stets das kleinste Risiko. Er­
kommunikation zurzeit intensiv mit wischt man euch, sind auch wir dran.«
Datenpflege beziehungsweise -analyse. Er griff nach einem miniaturisierten
Wir konnten nicht allzu viele Details Datenträger und reichte ihn an Senego
ausfiltern – aber er kümmert sich Trainz weiter. »Wenn du meinst, dass es
hauptsächlich um die Vorgänge im nicht mehr weitergeht, öffnest du diese
Großsektor Sol. Es geht um Bewegungs­ Datei. Aber nur dann ...«
diagramme, Häufigkeit von Zusammen­ »Ich habe verstanden«, sagte der
stößen zwischen terranischen Einheiten Kommandant der Mikro-Bestien und
und Kolonnen-Schiffen, um Logistik schob den fast faustgroßen Kristall in
und so weiter. Meiner Meinung nach seinen Einsatzrucksack, der an den
stellt er eine Art Kosten-Nutzen-Ana­ Originalkampfanzug angepfropft war.
lyse an.« »Wir werden euch nicht enttäuschen«,
»Soso.« Roi runzelte die Stirn. »Mag grollte er. »In spätestens sechsunddrei­
sein, dass wir gerade noch rechtzeitig ßig Stunden habt ihr alles, was ihr be­
gekommen sind. Möglicherweise steht nötigt.«
ein weiterer Großangriff auf Terra be­ Er strahlte so viel Selbstsicherheit
vor. Ein Grund mehr, rasch zu han­ und Bestimmtheit aus ... Rinka Porol
deln.« bewunderte ihn. Wie er sich im Kreise
TRAICOON 0096 27

der terranischen Riesen bewegte und Rinka Porol synchronisierte ihre Be­
ihnen dank seines erst vor Kurzem ent­ wegungen mit jenen ihrer Begleiter.
wickelten Eigenbewusstseins Respekt Disziplin war das A und O des Ein­
abverlangte, verdiente jede Anerken­ satzes, niemand durfte sich einen Aus­
nung. reißer leisten. Senego Trainz hatte nur
Sie drehte sich ein wenig zur Seite die Verlässlichsten seiner Leute für
und machte eine weitere Notiz. Ihre diese Mission herangezogen. Nüchterne,
Hand glitt wie von selbst über die Seite, selbstbeherrschte Mikro-Bestien, die
der Text war flüssig und interessant ab­ keinen Moment lang an sich und ihren
gefasst. Mit zunehmender Übung ge­ Fähigkeiten zweifelten.
wannen ihre Gedanken an Tiefe und Sie gerieten in den Lichtkegel eines
Gewicht. Bodenscheinwerfers, zwei Meter im
»Wir rücken in zehn Minuten ab«, be­ Durchmesser, der den Bugteil des Trai­
fahl Senego Trainz. »Doray Celvius, du tanks bestrahlte. Enorme Hitze ging
übernimmst das Kommando hier. Sorg von dem Leuchtkörper aus.
dafür, dass unsere Jungs beschäftigt Rinka ließ die Kühlung des Schutz­
bleiben.« anzugs ausgeschaltet. Sie vertrug die
Mithilfe des Antigravs stieg er hoch Temperatur ohne Probleme. Jede zu­
und umfasste mit beiden Händen Roi sätzlich verwendete Energie mochte
Dantons Daumen. Er schüttelte ihn, so von versteckt gehaltenen Tastern er­
fest, dass der Unsterbliche bleich wur­ kannt und als »außergewöhnlich« an
de. »Wir sehen uns wieder«, sagte Sene­ eine interne Kontroll-Instanz des Forts
go Trainz.« weitergegeben werden.
»Wir sehen uns wieder«, echote Roi Rinka konzentrierte sich auf die An­
Danton und betrachtete mit weit aufge­ zeigen, die vor ihrem Stirnauge ihre
rissenen Augen die weißen Druck­ derzeitige Position widerspiegelten. Sie
spuren, die Rinkas Vorgesetzter an sei­ lagen auf Kurs. Noch hatten sie 50 Me­
nem Finger hinterlassen hatte. ter vor sich, bis sie ihr erstes Zwischen­
ziel erreicht hatten.
* Der Treibflug dauerte mehr als drei
Minuten. Sie dockten an einer Konver­
Sie verließen Traitank 1.199.188 terklappe an und hielten sich mit Vaku­
durch eine Wartungsluke, im Schutz ih­ um-Saugnäpfen fest. Wie überdimen­
rer Dunkelfelder. Langsam, wie Blätter sionierte Fliegen saßen sie rings um den
im Wind dahintreibend, nur von ener­ schmutzstarrenden Gehäusedeckel. Ein
giearmen Antigravs in der Luft gehal­ Fauchen ertönte, hinter der Klappe zo­
ten. Wie geplant flogen sie in V-Forma­ gen Schwerkraftregler Müll aus allen
tion, den freien Raum des Docks mit Teilen des Hangars in die Tiefen eines
allen ihnen zur Verfügung stehenden zentralen Konvertermagens hinab.
Mitteln passiv überwachend. Nichts be­ Sie warteten, bis das Fauchen ein
wegte sich, niemand kümmerte sich um zweites und ein drittes Mal ertönte.
sie. Sobald sie den Hangar verlassen »Elf Sekunden zwischen den einzel­
hatten, wartete ein halber Kilometer nen Gravitationsschüben«, sagte Sene­
weitgehend ausspionierten Geländes go, »dann hast du zwei Sekunden Zeit,
auf sie. Danach würde es schwerer wer­ Rinka. Du bist dran. Viel Glück!«
den. Sie zeigte ihm einen erhobenen Greif­
28 MICHAEL MARCUS THURNER

finger, wie sie es sich von den Terranern neu, hielt ihn aufs Ziel, trotz der Ge­
abgeschaut hatte, zählte die Sekunden walten, die rings um sie tobten. Es woll­
mithilfe ihrer Stoppuhr herab. Unmit­ te ihr schier die Arme ausreißen. Mit
telbar nach dem nächsten Fauchen riss aller Kraft kämpfte sie gegen die an ihr
sie die metallene Klappe auf, schob sich zerrende Schwerkraft an, wollte abdrü­
in den dunklen Raum, schaltete die An­ cken ...
zugscheinwerfer zu, blickte kurz in die ... und ließ es dann bleiben.
endlos scheinende Tiefe hinab und rich­ Der Zug ließ abrupt nach, trügerische
tete das Licht schließlich über das Knie Ruhe kehrte ein. Neuer Abfall lag in der
des Entsorgungsschlauches hinweg auf Röhre vor ihr. Organische Abfälle,
den gegenüberliegenden Bereich aus. Bekleidungsstücke, unidentifizierbares
Zähe Flüssigkeit troff das leichte Ge­ Zeugs.
fälle des Schlauchs entlang. Dahinter »Alles in Ordnung bei dir?«, flüsterte
lagen Kartonagen, bizarr ineinander ihr Senego von draußen zu.
verdrehte Metallteile, die abgetrennte »Ja«, sagte Rinka. »Ich war mir nicht
Hand eines Ganschkaren. Der Schlauch sicher ...«
war ungefähr 30 Meter lang und etwa »Reiß dich gefälligst zusammen!«,
so breit, dass ein Terraner hindurch­ fuhr er sie an. »Es darf keinen Zweifel
passte. Dahinter befand sich Rinkas geben! Du schaffst es – hast du mich
Ziel. verstanden?«
Zwei Sekunden hatten ihr zur Orien­ »Ja.«
tierung gereicht. Sie aktivierte die mit­ Wiederum waren acht Sekunden ver­
gebrachten Supermagnete an ihrem gangen. Gleich würde der nächste Gra­
Anzug, ließ sich von ihnen an der In­ vitationsstoß einsetzen, sie in diesen
nenseite der Klappe verankern. Nur Wirbel an vorbeischießendem Gerüm­
zwei Arme und der Kopf blieben frei pel, irrwitzigen Stürmen, grässlichen
und beweglich. Geräuschen und unberechenbaren
Sechs Sekunden waren vergangen. Schwerkraftvektoren zerren.
Sie zog den Nadler, visierte mit den Elf.
Handlungsarmen das Ziel an, das sich Sie reagierte rechtzeitig, hielt die
am Ende der Röhre befand. Waffe bereits im Anschlag, als die rie­
Neun. Zehn. Elf. sige, heimtückische Bestie des Entsor­
Der Gravitationsschub setzte ein. Er gungssystems neuerlich aufbrüllte. Ir­
riss die Kartonagen mit sich, die Metall­ gendetwas platschte gegen sie, flutschte
teile, die ganschkarische Hand, ließ gleich darauf an ihr hinab in die Tiefe,
selbst die Flüssigkeit wie einen festen in den Magen der Konverterkammer.
Körper erscheinen, der sich gegen diese Die Arme schmerzten, gehorchten
unbändige Kraft nicht wehren konnte Rinka kaum mehr. Doch sie hatte ihr
und hinab in die Tiefe gezogen wurde. Ziel im Visier. Sie musste jetzt feuern.
Rinka fühlte, wie die Haftmagnete ge­ Für einen dritten Versuch fehlte ihr die
gen die Zugkraft ankämpften, wie sie Kraft, und sie musste für den Schuss
ihren Kopf kaum noch gerade halten unbedingt die abdeckenden Energien
konnte. der Gravitationsaggregate ausnutzen.
Für einen Augenblick keimte so et­ Sie wusste, dass sie treffen würde –
was wie Angst auf, doch sie ließ sich und feuerte.
nicht irritieren. Sie justierte den Nadler Ruhe. Angenehme, erleichternde Stil­
TRAICOON 0096 29

le. Sie hatte den Schuss im letzten Au­ nen Trupp schnaufte, atmete, lebte die
genblick gesetzt. Nach einem Moment Raumstation, wirkte semiorganisch. Sie
des Durchatmens löste sie die Körper­ waren auf diese und ähnliche Effekte
magnete, öffnete die Klappe und klet­ vorbereitet worden. Sie hatten sie be­
terte in den Hangar zurück, um sich reits an Bord ihres Beute-Traitanks
neben Senego Trainz zu hanteln. kennengelernt. Im Kolonnen-Fort tra­
»Blattschuss«, sagte sie nüchtern, ten sie allerdings in verstärktem Aus­
»alles erledigt. Khiz wird allerdings maß auf. Die Wände kräuselten sich,
meine Muskelzerrungen behandeln kamen näher, schienen die Eindring­
müssen.« linge umarmen und ersticken zu wol­
len.
* »Wir müssen weiter«, ordnete Senego
an, »so rasch wie möglich.«
Einer nach dem anderen raste in den Er schob sich in die Tiefe, quetschte
»stillen« Phasen des Entsorgungssys­ sich zwischen einander fast berüh­
tems den Schlauch entlang und schlüpfte renden Wandteilen hindurch und
durch das kleine Loch, das Rinka mit­ plumpste in einen weiteren Hohlraum
hilfe ihres Nadlers geschaffen hatte. Ihr hinab. Er setzte Spreizer, die den Raum
Treffer hatte punktgenau die Verbin­ vergrößerten und stabilisierten und da­
dungsmanschette zweier Schlauchstü­ mit den Rückweg erleichtern sollten.
cke getroffen. Seine Begleiter folgten ihm. Vorsichtig
Dahinter befand sich ein Nichts. Ein – oder zögerlich? Rinka bildete die
toter Winkel, wie es viele an Bord ei­ Nachhut. Sie tastete versuchsweise
nes Raumschiffs gab. Quetschräume, über das Material, beschäftigte sich be­
Toträume ohne nutzbare Funktion im wusst damit.
Gefüge eines Riesenkörpers mit zig Mil­ Es fühlte sich warm an. Für einen
liarden Kubikmetern. Bei aller bau­ Augenblick überlagerten sich ihre visu­
lichen Perfektion war es schlichtweg ellen Eindrücke mit jenen, die auf der
unmöglich, diese Toträume zu vermei­ anderen Seite dieser Wand herrschen
den. Aus Gründen der Statik durften sie mussten. Da war ein Servicegang, der
auch nicht ausgefüllt, ausgegossen wer­ von grauen, quallenförmigen Geschöp­
den. Die Gerüstung und die Hüllenform fen beansprucht wurde. Manche von
eines Raumers waren feste Größen. Die ihnen sahen wie Maden aus, andere er­
Statik durfte unter keinen Umständen innerten an Klumpen biologischen Ur­
gefährdet werden. schleims, die sich immer wieder teilten
Wismo Kantelaki, einer der geschick­ und die Verbindung mit anderen Bro­
testen Techniker ihres Trupps, schweiß­ cken anstrebten.
te eine Klappe in die Verbindungshülse, Waren sie so etwas wie die ... die Ge­
nachdem Rinka als Letzte hindurchge­ sundheitspolizei des Schiffsinneren?
schlüpft kam. Das Tor würde sich jeder­ Integre Bestandteile des Systems, Sub­
zeit wieder entfernen lassen. Nichts strate, Ergänzungsmaterial, das dann
wies mehr darauf hin, dass zehn Mikro- zum Einsatz kam, wenn die Wände aus
Bestien in die Eingeweide von TRAI­ irgendwelchen Gründen an Substanz
COON 0096 vorgedrungen waren. verloren?
Senegos Augen glühten in der Beina­ Oder aber waren die Grauen Angehö­
he-Dunkelheit auf. Rings um den klei­ rige eines weiteren Kolonnen-Volks, das
30 MICHAEL MARCUS THURNER

in Servicebereichen, weitgehend unbe­ wie Mikro-Bestien waren. Sie krab­


merkt, seiner Arbeit nachging? belten auf dürren Spinnenbeinen um­
Rinka Porol löste die Hand von der her, kratzten Schichten einer dünnen
Wandung. Augenblicklich endete die Metalllegierung ab und brachten eine
Vision. Was sie sah und was sie fühlte, Substanz zutage, die an Gelee erinnerte.
stimmte wieder überein. Die Maschinen sogen das Zeugs laut
Es blieb allerdings die Frage, ob ihr schlürfend in ihre dehnbaren Bäuche.
und allen anderen Wesen dieses Univer­ Wismo Kantelaki gab das Zeichen
sums mit dem Anblick der Kolonnen- zur Entwarnung. Nach mikrobestia­
Raumeinheiten eine Illusion vorgegau­ lischem Ermessen gab es hier weder
kelt wurde. Womöglich waren diese Scans noch Beobachtungskameras. Sie
Gebilde in Wirklichkeit etwas ganz an­ befanden sich in – vorläufiger – Sicher­
deres? heit.
Rinka schnitt den Gedanken ab. Oder »Drei Minuten Pause!«, befahl Sene­
jemand tat es für sie. Binnen Kurzem go Trainz. »Zeit zur Nahrungsaufnah­
verdrängte sie das Gesehene und Ge­ me. Wenn wir wieder rausgehen, tun
fühlte, kapselte es in den tiefsten Tiefen wir das mit desaktivierten Dunkel­
ihres Unterbewusstseins ab – um es hof­ feldern. Die Ganschkaren, Mor’Daer
fentlich niemals mehr wieder hervorho­ und all die anderen kennen unsere Spe­
len zu müssen. zies. Wir vertrauen darauf, dass irgend-
wo an Bord von Nullnullneunsechs Mi­
* kro-Bestien leben. Zudem sind wir nun
weit genug von unserem Traitank ent­
Irgendwann endete der Weg durchs fernt. Sollte man uns als Infiltratoren
Dunkel. Sie hatten große Umwege in identifizieren, zieht man hoffentlich
Kauf nehmen müssen und Zeit verloren, keine Querverbindungen zu Einheit
um ihrem Ziel gerade mal 500 Meter 8.733.353.«
näher zu kommen. Sein Stirnauge schloss sich zur Hälf­
Wie Ratten quollen sie aus den te. »Denkt daran: Man darf uns niemals
Toträumen hervor und fanden sich in lebend erwischen. Im Zweifelsfall wisst
einer Abstellkammer wieder. Diesen ihr, was ihr zu tun habt.«
Ort hatten sie noch vor Antritt ihrer Ja, Rinka Porol wusste es, und der
Reise als »Etappenziel zwei« definiert. Gedanke an den Tod widerstrebte ihr.
Jener röhrenförmige, gewundene Gang, All die Dinge, die sie in jeder freien Se­
den sie nun entlangschlichen, war eine kunde in ihrem Tagebuch festhielt, soll­
der Hauptverbindungen zwischen zwei ten irgendwann ihren Landsleuten zu­
Wartungsdecks des TRAICOON 0096. gänglich gemacht werden.
Die abzweigenden Wege führten ins Die Angehörigen der Armee der Mi­
Unbekannte. Von nun an mussten sie kro-Bestien benötigten eine Erinnerung
improvisieren, auf Verstand und Gefühl an jene Heldentaten, die sie begingen.
gleichermaßen vertrauen. Hier, im Brennpunkt des Geschehens.
Sie bogen in einen der Seitengänge, Sie, die zum Tode Verurteilten aus den
der völlig willkürlich nach etwa zehn Genküchen der Skapalm-Barken, hal­
Metern endete. Ein Haufen Maschinen­ fen mit, eine Galaxis zu retten.
reste wurde von tumb wirkenden Ro­
botern durchmessen, die etwa so groß *
TRAICOON 0096 31

Ein Personen-Koffter glitt mit ge­ ten, dann bewegte sich der Koffter in
mächlichem Tempo vorüber. Zwei einen Seitengang, der von ihrem Ziel
Ganschkaren unterhielten sich laut. Of­ wegführte. Sie sprangen ab, winkten
fenbar hatten sie soeben das Ende ihrer dem Ganschkaren fröhlich johlend zu
Arbeitsschicht erreicht und befanden und machten sich dann auf den rich­
sich nun auf dem Weg in die spärlich tigen Weg.
bemessene Frei- und Ruhezeit. Der Zentralbereich des TRAICOON
»Wir nehmen den nächsten Koffter, war nicht mehr allzu weit entfernt. Die
der sich in die entgegengesetzte Rich­ Verkehrsdichte nahm zu, Großraumka­
tung bewegt«, gab Senego Trainz die binen einfacher Mannschaftsmitglieder
Devise aus. »Wir hängen uns einfach machten peripheren Schaltzentralen,
dran. Tut so, als wäre das eure übliche mobilen Überwachungsständen und
Art zu reisen. Egal, wer in dem Gefährt gut ausgestatteten Technikbüros Platz.
sitzt: Benehmt euch wie wirkliche Mi­ Überall begegneten ihnen nun Angehö­
kro-Bestien.« rige unterschiedlicher Kolonnen-Völ­
Senego Trainz ging ein großes Risiko ker. Sie eilten geschäftig umher;
ein, und er war sich dessen sicherlich manche von ihnen wirkten ängstlich,
bewusst. Doch der Zeitfaktor spielte bei andere aggressiv und arrogant. Wach­
ihrem Einsatz eine nicht unbedeutende leute stiefelten im Gleichschritt durch
Rolle. die röhrenförmigen Gänge. Gansch­
Nach kurzer Zeit näherte sich ein karen rollten böse mit den Augen, Effre­
Koffter. Sie winkten dem Ganschkaren mi und wurmähnliche Sojati umkreisten
fröhlich zu, passten ihre Laufgeschwin­ einander eifersüchtig, ein einzelgänge­
digkeit der seines Gefährts an und rischer Joppelare wälzte seinen Leib
sprangen auf. Der Avoide schüttelte sei­ mühselig durch das Fruchtwasser, das er
nen Gefiederansatz am Hals durch, ständig vor sich hin spuckte und gleich
scheinbar aus Verblüffung, kümmerte darauf wieder einsog.
sich dann nicht weiter um die ungebe­ Rechts von ihnen zweigte der Zugang
tenen Passagiere. zu den Latrinen und Kloaken ab. Rinka
Senego behielt recht. Irgendwo an sah eine Art Stele am Ende des Ganges.
Bord von Fort TRAICOON 0096 befan­ Rinka vermochte die verwitterte und
den sich Artgenossen – gesunde Artge­ uralt wirkende Inschrift auf dem Ge­
nossen, die den chaotarchischen Befeh­ denkstein nicht zu entziffern.
len gehorchten –, und sie zeigten ähnlich »Da ist ein Einstieg«, sagte Wismo
freches Verhalten wie nun sie auch. Kantelaki und deutete in eine kleine
»Behaltet die Umgebung in den Au­ Nische. »Dahinter beginnt ein War­
gen«, wies Trainz sie an. »Denkt daran, tungsgang, der in die richtige Richtung
dass wir bereits jetzt vorbereitend für führt.«
den Rückweg arbeiten. Und dafür, dass »Wir nehmen ihn«, bestimmte Senego
wir später einmal einen ausgewach­ Trainz. »Hängt euch so eng wie möglich
senen Menschen durch das Schiff an den Joppelaren dran und nutzt sei­
schleusen müssen.« nen Schatten.«
Senego denkt vorausschauend und Joppelaren gehörten einer seltenen
konzentriert sich auf die Zusammen­ Spezies von Konterpretatoren an, die
hänge, notierte Rinka Porol hastig. im Rahmen der Terminalen Kolonne
Die Reise dauerte nur wenige Minu­ nur wenig ernst genommen wurden. Sie
32 MICHAEL MARCUS THURNER

hatten gewissermaßen Narrenfreiheit; Ihnen blieben knapp zwei Minuten,


sie philosophierten viel und gebaren um sich neu zu orientieren, die verstell­
Ideen, die oftmals entgegen der Kolon­ te und vergessene Tür zum Wartungs­
nen-Doktrin standen – und dem Füh­ gang kurzzuschließen und alles wieder
rungspersonal manchmal entscheidende so zu hinterlassen, wie sie es vorgefun­
Denkanstöße gaben. Joppelaren fun­ den hatten.
gierten darüber hinaus für Kalbarone Rinka sicherte mit der Waffe in der
und Duale als Blitzableiter. Wenn etwas Hand die Arbeit der drei Techniker ih­
nicht so klappte, wie es die Schiffs­ res Teams ab. Wenn es notwendig war,
herren gerne wollten, wurde die Schuld würde sie die Aufmerksamkeit auf sich
auf die schwermütigen Denker gescho­ lenken, ein kleines Feuerwerk veran­
ben. Und tatsächlich nahmen die Jop­ stalten, sich möglichst weit weg vom
pelaren ihre Todesurteile stets mit Er­ derzeitigen Standort hetzen lassen und
leichterung zur Kenntnis, vertraten sie dann den Tod in dem Bewusstsein hin­
doch die Ansicht, dass Leben und Tod nehmen, einen wertvollen Beitrag zum
bloß unterschiedliche Begriffe für Gelingen ihrer Mission geleistet zu ha­
denselben Daseinszustand waren. ben. Mikro-Bestien galten in den Rei­
Und vielleicht hatten sie gar nicht so hen der Kolonnen-Völker als aggressiv
unrecht: Wer sich im Schatten der Jop­ und anfällig. Immer wieder ließen sie
pelaren bewegte, wurde von seiner Um­ sich zu Wahnsinnstaten hinreißen und
gebung vergessen. Er existierte nicht mussten, um in der Terminologie TRAI­
mehr, war wie aus dem kollektiven TORS zu bleiben, entsorgt werden. Mit
Gedächtnis aller anderen Wesen ge­ ein wenig Glück übertünchte eine der­
löscht. artige Aktion die Arbeit ihrer Kolle­
Leider, dachte Rinka Porol, besteht gen.
diese seltsame Gabe – oder dieser Da­ Alles ging glatt. Nach eineinhalb Mi­
seinszustand – nicht in Gegenwart nuten schlüpfte Rinka als Letzte des
nüchterner Maschinen. Kameraaugen kleinen Stoßtrupps durch die Tür, deren
durchdringen den Schatten der Joppe­ einfach gestrickter Zugangskode ohne
laren ohne Probleme. Probleme geknackt worden war. Sie
Sie nutzten das drei Meter lange und verschloss das Tor, nicht ohne einen
eineinhalb Meter breite Geschöpf, so Marker zu hinterlassen, der ihnen den
gut es ging, um sich aus den Sinnen der Rückweg erleichtern würde.
anderen Fort-Bewohner zu stehlen. Im »Allmählich wird’s brenzlig«, sagte
richtigen Moment schlüpften sie in den Senego Trainz. Er sah sich aufmerksam
Seitengang, verbargen sich zwischen in dem nach Desinfektionsmitteln rie­
desaktivierten Reinigungsrobotern und chenden Gang um. »Wir haben noch
schlossen eine hastig errichtete Bild­ etwa fünfhundert Meter ungesicherten
barriere zwischen sich und der Haupt­ Geländes vor uns. Dann beginnt das
röhre. Sie spiegelte den Passanten Lee­ eigentlich gefährliche Terrain für uns.
re in dem kleinen Kabuff vor. Also erhöhte Vorsicht, bitte schön!«
»Wir dürfen diese Illusion nicht allzu Er lief vorneweg, leichtfüßig, etwa so
lange aufrechterhalten«, mahnte Wismo schnell wie das Marschtempo eines Ter­
Kantelaki. »Die energetischen Ken­ raners. Rinka nahm, ohne lange dar­
nungen werden von den Prüfsonden des über nachzudenken, den Platz in der
Forts als fremd erkannt.« Kampfformation ein. Sie kümmerte
TRAICOON 0096 33

sich um jenen Part in der routinemä­ nach rechts abgezweigt. Hinter dem Tor
ßigen Sicherungsarbeit, der ihr zuge­ warteten Kolonnen-Sicherheitsleute.
teilt worden war. Sie schützten einen jener wenigen Kno­
Alles lief automatisiert ab, jeder tenpunkte, an denen das Betreten der
Handgriff saß. Stunden- und tagelanges inneren Sicherheitszone des Forts mög­
Training machte sich nun bezahlt, lich war. Rinka maß die Körperwärme
Frust, Wut und Schmerz waren verges­ eines guten Dutzends Ganschkaren mit
sen. aktivierten Waffen an. Dazu kamen
Rinka fühlte sich ... glücklich. Ihr ge­ Kampfroboter, Ortungs- und Tastein­
netisches Erbe brach durch, ließ sie heiten, umherschwebende Spionsatel­
diese Minuten der Aufregung mit einer liten und rasch aktivierbare Haftbom­
Intensität genießen, die sie niemals zu­ ben, die dem genetischen Bild eines
vor gespürt hatte. Ihr Herz pumpte und jeden unerlaubten Eindringlings folgten
pumpte Blut durch den Körper. und ihn mit der Wucht mehrerer Tonnen
Die Euphorie drängte jenes Unwohl­ TNT in die Luft sprengten.
sein, das das Schiffsinnere vermittelte, »Wir müssen ein Stückchen zurück
in den Hintergrund. Die verwirrenden und den vorletzten Ausstieg nutzen!«,
Dreiecksformen, denen man selbst auf befahl Senego Trainz.
diesem kaum benutzten Weg auf Schritt »Und weiter?«, fragte Wismo Kan­
und Tritt begegnete, hatten keinerlei telaki. »Meinst du, die Wachen werden
Auswirkungen auf ihre Psyche. Endor­ uns den Zutritt gestatten, weil wir so
phine, euphorisierende Botenstoffe lie­ niedlich aussehen?«
ßen sie glauben, unbesiegbar zu sein, »Wir überprüfen jede Möglichkeit«,
von nichts und niemand am Gelingen sagte Senego unbeirrt. »Stillgelegte Ser­
dieser Mission gehindert werden zu vicegänge, Toträume, Kabelschächte,
können ... Strukturrisse – was auch immer. Ich kann
Vorsicht!, mahnte sie sich selbst. Zu und will nicht glauben, dass der Kernbe­
viel Selbstbewusstsein ist der Mikro- reich des Forts uneinnehmbar ist.«
Bestie Tod ... »Und du willst dich den Blicken der
Rinka nahm sich zurück, besann sich Wächter aussetzen?«, hakte der Techni­
auf die Rolle als Gruppenleiterin und ker nach. »Bislang sind wir ja recht gut
ermahnte ihre Leute, sich nicht verfüh­ gefahren mit offensivem Auftreten.
ren zu lassen. Noch hatten sie ihr Ziel Aber diese Wächter würden uns niemals
nicht erreicht, noch hatten sie keine Ah­ auch nur einen Schritt in die abgerie­
nung, welche weiteren Hindernisse auf gelte Zone vorlassen. Wir sind Mikro-
sie warteten. Bestien. Unzivilisierte Geschöpfe, de­
nen man lediglich Grobarbeiten
* überlässt und denen man nicht vertraut,
wenn sie nicht zumindest eine Legiti­
»Das war’s«, sagte Ladis Lavmar, der mation vorweisen können.«
durch seine außergewöhnlichen Reflexe Senego Trainz sagte nichts mehr,
bestach und ein herausragender Nah­ stand bloß da und dachte nach. Erst­
kämpfer geworden war. »Da gibt’s kein mals seitdem sie den sicheren Hafen
Durchkommen.« von Traitank 1.199.188 verlassen hat­
Der Servicegang endete einfach. Ein ten, zeigte er Unsicherheit.
letzter Weg war wenige Meter zuvor Oder?
34 MICHAEL MARCUS THURNER

»Wir gehen zurück«, bestimmte er zu Traitank 1.199.188 zurückkehren


schließlich und korrigierte sich dann: mussten.
»Wir laufen zurück.«
Er blickte auf die Uhr seines Multi­ *
funktionsarmbandes. »Wir verteilen
uns, bleiben aber in den Servicegängen. Rinka Porol hatte es als Einzige nicht
Jedermann sammelt Daten über seine geschafft, ihr Plansoll zu erfüllen. Sie
Umgebung. Ich möchte ein möglichst war in die Irre gelaufen, hatte mehrmals
detailliertes Bild des Sektors bekom­ die falsche Richtung eingeschlagen und
men, in dem wir uns bewegen. Euch sich so sehr verfranzt, dass sie nochmals
bleiben sechzig Minuten, keine Sekun­ von vorne hatte beginnen müssen. Ihre
de mehr. Danach treffen wir uns wieder Konzentration ließ spürbar nach, ihre
hier und setzen die Einzelberichte zu­ Wahrnehmungsschwäche trat stärker
sammen. Es muss irgendwo ein Schlupf­ in den Vordergrund. Sie leerte ihren
loch geben, es muss ...« Nahrungsmittelsack zur Hälfte und
Sie schlossen sich über ihre Rechen­ kaute die 20 Kaffeebohnen kräftig
einheiten kurz und orientierten sich an­ durch. Dieser Energieschub war drin­
hand von Informationen der bereits er­ gend notwendig.
schlossenen Wege. Die Rechner teilten Sooft sie die Bilder und Holos auch
ihnen Terrains zu, die vielversprechend betrachteten, so viele verschiedene Per­
aussahen. In Blitzesschnelle hatte Rin­ spektiven sie auch anwandten – jener
ka Porol jene Eckdaten, die sie benö­ Bereich in der ungefähren Form einer
tigte. Sie musste ungefähr 200 Meter Kugel mit einem Durchmesser von 400
zurück, einen Fallsteg benutzen und in Metern, den sie vermessen hatten, war
einen Bereich hinabklettern, der drei lückenlos geschlossen.
Decks unterhalb ihres derzeitigen »Nicht einmal ein Insekt würde es
Standorts lag. schaffen, unbemerkt nach Zone-Eins
Dort, so behauptete der Rechner, be­ vorzudringen«, schloss Senego Trainz.
stünden besonders große Chancen, bis­ »Wir müssen es anders versuchen.«
lang unentdeckte Schlupfwinkel zu fin- Er griff in das Holo und vergrößerte
den. Allerdings waren auch die Gefahren einen Teil des Bildes. »Es gibt fünfund­
besonders groß. Verwirrende Effekte, zwanzig Zugangsbereiche, die alle be­
die überall an Bord des Kolonnen-Forts wacht sind.«
zu beobachten waren, würden in diesen Er deutete auf ein einzelnes, etwas
Tiefen besonders stark ausgeprägt abseits gelegenes Tor. »Dieser Durch­
sein. gang wird nur wenig benutzt. Bei den
Sie überlegte nicht lange, lehnte den Wächtern handelt es sich um Kalika­
Oberkörper vornüber und beschleu­ riden. Düstere Geschöpfe, die nicht be­
nigte mit den Laufarmen, so wie ihre sonders viel Fantasie besitzen. Dort
Kollegen. Sie stieben davon, Staub auf­ sehe ich unsere besten Chancen.«
wirbelnd, wandten sich ihren neuen Zu zehnt betrachteten sie die Bilder,
Aufgaben zu. Sie waren an einem ent­ holten sich alle verfügbaren Informa­
scheidenden Punkt ihrer Mission ange­ tionen und diskutierten ihre taktischen
langt. Innerhalb der nächsten Stunde Möglichkeiten durch. Letztlich ging es
entschied sich, ob sie den Durchbruch darum, eine gangbare Route ins Innere
schafften – oder unverrichteter Dinge des abgesicherten Bereiches zu finden,
TRAICOON 0096 35

die sie mehrfach benutzen konnten. den Völkern an Bord aller Schiffsein­
Senego Trainz zog jenen Datenkris­ heiten vermittelt wird. Die Kralle des
tall hervor, den ihm Roi Danton gereicht Laboraten, Kolonnen-Motivatoren, die
hatte. »Ich habe mich mittlerweile ein­ Erinnerung an Pogrome, die aufgrund
gehend damit befasst«, sagte er. »In den des Ungehorsams einzelner Lebewesen
wichtigsten Dateien sind Unmengen gegen deren Völker verübt wurden –
von Befehlskodes abgespeichert; auch dies alles unterbindet Rebellionen. In­
solche der allergeheimsten Sorte. Roi nere Wut und Hass werden gegen die
hat sie aus dem Kopf des verstorbenen Gegner TRAITORS gerichtet. Ist doch
Dantyren gezogen.« viel einfacher, wenn ›die anderen‹ schuld
»Warum erfahren wir das erst jetzt?«, sind, nicht wahr?«
polterte Wismo Kantelaki. »Wir hätten Rinka Porol gab ihrem Anführer
uns die ganze Lauferei erspart! Mit recht. Die Erinnerung an jene Zeit, da
Prioritätsdaten in Händen wäre unser sie zu Experimentalzwecken für die
Ausflug ein Spaziergang gewesen ...« Kolonnen-Anatomen herangezogen
»Dantons Wissen ist weder vollstän­ worden waren, da man sie der Willkür
dig noch sonderlich aktuell«, unter­ dieser schrecklichen Wesen ausgesetzt
brach ihn Senego Trainz. »Auch weiß hatte, erwachte in ihr. Sie hatte nie­
er nicht bei allen Kodes, wo und wann mals ihren Folterknechten die Schuld
sie eingesetzt werden können. Wir ver­ an ihrem Schicksal gegeben – sondern
fügen über mehr als zweihundert sich selbst. Weil sie missgebildet war.
Stammdatensätze, die wir den rich­ Weil sie nicht so funktionierte, wie man
tigen Anwendungsgebieten zuordnen es erhofft hatte. Jene, die Befehle ga­
müssen. Wenn wir auch nur einen da­ ben und TRAITOR repräsentierten,
von falsch verwenden, ist es um uns hatten hingegen das Recht für sich ge­
geschehen.« pachtet.
»Dann sollten wir uns so rasch wie Hastig notierte sie ihre Ideen und
möglich darum kümmern.« Wismo speicherte sie ab. Für eine vollständige
nickte zwei seiner Kollegen zu sich und Konnotation ihrer Überlegungen blieb
kümmerte sich von da an ausschließlich keine Zeit.
um die Auswertung der Dateien. »Wir sind die Kodes durchgegangen«,
»Ich sehe trotz allem gute Chancen unterbrach Wismo ihre Gedanken, »und
auf Erfolg«, sagte Senego Trainz mit haben sie nach Wichtigkeit sortiert.
dem ihm eigenen Optimismus. »In einem Leider gibt es keinen übergeordneten
Gebilde wie TRAITOR hat es keinen Befehl, der uns einfach so Tür und Tor
Sinn, Kodes oder Sicherheitsbestim­ öffnen würde. Aber wir haben fünf Be­
mungen allzu häufig abzuändern. So fehlsketten ausgefiltert, die wir mit ho­
schwer es uns auch gemacht wird, in die her Wahrscheinlichkeit bestimmten Be­
Zone-Eins vorzudringen – die Befehls­ reichen zuordnen können ...«
haber der Terminalen Kolonne glauben »Das heißt?«, unterbrach Senego
anscheinend nicht wirklich, dass die in­ Trainz ungeduldig.
terne Sicherheit bedroht werden könnte. »Wenn diese Kalikariden tatsächlich
Revolten, Aufstände oder Attentatsver­ nicht besonders helle sind, könnten wir
suche dürften in TRAITOR so gut wie es schaffen. Allerdings ...«
nie vorkommen. Wir alle wissen um den »Ja?«
unbedingten Gehorsam Bescheid, der »Sicherheit können wir nicht bieten.
36 MICHAEL MARCUS THURNER

Es besteht ein etwa dreißigprozentiges Entfernung das Geschehen rings um


Restrisiko.« den Knotenpunkt.
Eine kleine Schlange von Wesen un­
* terschiedlicher Herkunft hatte sich vor
der energetischen Grenzlinie gebildet.
Die Kalikariden standen keinen Mo­ Nacheinander wurden sie einer Serie
ment lang ruhig. Sie wanden und von automatisierten Kontrollen unter­
drehten ihre gummiartig wirkenden zogen.
Körper, glitten hin und her, zeigten Waffenarme ragten aus den Wänden
seltsame, mitunter verwirrende Tänze. links und rechts der künstlichen Veren­
Auf Berührungen durch ihresgleichen gung des Ganges. Sie verfolgten die Be­
reagierten sie mit seltsamer Aggres­ wegungen eines jeden Passanten und
sion. schwenkten dann zurück zum nächsten,
Rinka hatte sich in der kurzen zur der eine unsichtbare Linie überschritt.
Verfügung stehenden Zeit so gut wie Die Wächter zelebrierten die abschlie­
möglich über die Kalikariden informiert. ßende Personenkontrolle, und sie über­
Eine seltsame Beharrungskraft sorgte wachten zugleich die Gerätschaften,
dafür, dass sie immer wieder zu Gemein­ die in einem Rundpult im Zentrum des
schaften fanden. Sie maßen zwischen Checkpoints verankert waren.
einem halben und zweieinhalb Metern. »Ihr wisst, was zu tun ist«, sagte
Auch wenn sie sich dabei äußerst un­ Senego Trainz. »Haltet euch ganz genau
wohl fühlten, so waren die Berührungen an den Plan.«
doch lebensnotwendig. Feinste Härchen Sie lösten die Dunkelschirme auf und
und Widerhaken waren dafür verant­ liefen auf die Kalikariden zu. Sie ver­
wortlich, dass während dieser Momente hielten sich dabei so, wie man es von
Teile des gemeinschaftlichen Genpools Mikro-Bestien erwartete: laut, aggres­
ausgetauscht und aufgefrischt wurden. siv, ungezügelt.
Sie überzeugten sich sozusagen immer »Hohoho!«, rief einer der Wächter
wieder von ihrer eigenen Existenz und und streckte seinen dürren Arm in ihre
sorgten dafür, dass Nachwuchs entstand. Richtung aus. »Stellt euch gefälligst
Mindestens 500 Körperkontakte waren hinten an!«
notwendig, um einen neuen Kalikariden Nervös hüpfte er beiseite, sprang in
zu erzeugen, der aus dem Kopf seines das Gewühl kalikaridischer Leiber zu­
Elters herauseiterte, nach geraumer Zeit rück und verschwand dort.
wie ein Stück Holz abbrach und sich »Was haben Mikro-Bestien in Zone-
dann selbstständig machte. Auf Kosten Eins zu suchen?«, fragte der nächste Ka­
des Älteren, der im wahrsten Sinne des likaride, bevor auch er sich zurückzog.
Wortes um einen Kopf kürzer gemacht »Ihr habt hier nichts verloren«, kon­
wurde. statierte der Dritte und tat dann eben­
»Sie gelten als beharrlich und zuver­ falls mehrere Schritte zurück.
lässig«, schloss Senego Trainz. »Aber in »Wir sollen zum Dual kommen«, sagte
intensiven Berührungsphasen sind sie Rinka Porol, »er benötigt uns für einen
oftmals zu sehr mit sich selbst beschäf­ Spezialeinsatz.« Sie fühlte etwas in
tigt.« sich, was die Terraner Belustigung
Sie alle hatten die Dunkelschirme nannten. Denn sie hatte nicht einmal
aktiviert und beobachteten aus sicherer gelogen.
TRAICOON 0096 37

»Wo ist eure Passiererlaubnis?« onsketten würden sich als deckungs­


Rinka reichte dem vierten Kalika­ gleich erweisen – sofern der Überrang­
riden einen Datenchip, den Wismo Kan­ befehl vom Lesegerät akzeptiert
telaki rasch aufbereitet und an die Ko­ wurde.
lonnen-Technik angepasst hatte. Rinka folgte dem Zeitplan und strahl­
Der Kalikaride übernahm überra­ te einen Störimpuls aus. Für eine Zehn­
schenderweise die Aufgabe selbst, statt telsekunde zogen sich die unsichtbaren
sie wie seine Landsleute vor ihm an ei­ Fühler aller hiesigen Kontrollinstanzen
nen anderen Umwälzler weiterzugeben. in sich selbst zurück. Fast ängstlich
Er spielte die Informationen ins Zentra­ taten sie es; wie semiorganische Lebe­
le Kontrollgerät, überprüfte deren wesen, die sich davor fürchteten, im
Wahrheitsgehalt. Datenäther zu vergehen. Doch bald
Rinko hatte ein gutes Gefühl. Der darauf funktionierte alles wieder.
Überrangkode, der in die Nachricht Ein weiterer Überrangbefehl, den
eingearbeitet war, würde ihnen wohl Rinka Porol ausstrahlte, verhinderte,
Tür und Tor öffnen. Heikler waren jene dass das Versagen der Kontrollsysteme
Blendkodes, die sie während der eigent­ an eine übergeordnete Recheneinheit
lichen Körperkontrolle anwenden weitergemeldet wurde.
mussten. Sie wusste, dass sich Senego Trainz
»Alles bestens«, sagte Kalikaride nun bereit machte. Er hatte einen ganz
Nummer sechs und händigte ihr den genau bemessenen Spielraum. Von nun
Datenchip wieder aus. »Ihr seid alle an waren es sechs Sekunden, bis die
neun legitimiert.« nächste Unterbrechung im System er­
Neun Mikro-Bestien, die die Passage folgte. Er hatte eine knappe Sekunde
offiziell nahmen; und einer, nämlich Zeit, um im Schutz des Dunkelschirms
Senego Trainz höchstselbst, der dies im eine Distanz von fünf Metern zu über­
Schutz des Dunkelschirms tat. Als winden.
Gradmesser für die möglichen Umstän­ Drei. Zwei. Eins.
de ihrer Rückkehr. Da war er, der neuerliche Ausfall.
Fühlfasern wuchsen aus einer der Die Kalikariden hielten verwirrt inne,
Extremitäten des nächsten Kalikariden. stießen vermehrt gegeneinander und
Sie fächerten auf, zeigten ein frisches verfingen sich in einem Chaos, das von
Grün, tasteten mit unendlicher Vorsicht gegenseitigen Schuldzuweisungen ge­
über Rinkas Körper. Sie zeigte ihm ih­ prägt war. Schrille Töne drangen aus
ren persönlichen Marschbefehl, so, wie ihren Zirpleisten, mit denen sie norma­
sie es bei den Kolonnen-Angehörigen lerweise gut verständliche Worte for­
vor ihr gesehen hatte. mulierten, die hölzern wirkenden Ober­
Sie wusste, was nun geschah: Ein Le­ teile ihrer Körper verfärbten sich
segerät nahm die Informationen ihres braunrot.
Chips auf und startete eine Abfrage in Die Anlagen sprangen wieder an, das
irgendeinem zentralen Speicher. Doch kurzfristige Durcheinander entwirrte
es wurde durch einen weiteren Über­ sich, und die kalikaridischen Wächter
rangbefehl gezwungen, die Informatio­ ließen voneinander ab.
nen zu spiegeln und mit einer zweiten Rinka löste den letzten Überrangbe­
auf der kopfgroßen Münze versteckten fehl aus. Er stornierte den Funkruf
Datei zu vergleichen. Beide Informati­ eines Kalikariden, der den Ausfall der
38 MICHAEL MARCUS THURNER

Kontrollanlagen höchstpersönlich an zeigten jene irritierenden Dreiecks­


eine höhere Instanz melden wollte. Eine bilder, die von den Terranern Sierpins­
automatisierte Nachricht traf wenig ki-Fraktale genannt wurden. Eine un­
später ein; sie besagte, dass es »system­ bestimmte Gier ging von den
immanente Probleme« gäbe, die wäh­ geometrischen, in sich selbst zerfal­
rend der nächsten Tage noch mehrmals lenden Scheinbildern aus. Sie vermit­
vorkommen könnten. telten Lust, Hunger, unergründliche
»Ihr dürft passieren«, sagte ein Wäch­ Tiefen.
ter zu ihr. Er winkte sie an sich vorbei, Rinka wandte ihren Blick ab. Sie hat­
so wie ihre acht Begleiter. te derzeit nicht die notwendige Kraft,
»Sie sind wirklich nicht die Hellsten«, um der Anziehungskraft der Strukturen
sagte ihr Anführer gut gelaunt, den sie Widerstand zu leisten.
hinter der nächsten Wegbiegung trafen. Nirgendwo standen Wachen.
Senego Trainz riss sein Maul auf – und Zerberoff fühlte sich offenbar sicher
tat gut daran, das Lachen, das aus sei­ in diesem Terrain. Umso mehr, als er
ner Kehle drang, durch einen Akustik­ allen Grund hatte, auf seine eigenen
schirm abzudämpfen. Kräfte mehr zu vertrauen als auf ande­
re Waffen, über die das Kolonnen-Fort
* verfügte. Wer kraft seines Geistes Lebe­
wesen vernichten konnte, brauchte
Einmal in die innerste Sicherheits­ nichts und niemand zu fürchten.
zone vorgedrungen, taten sich ihnen Sie passierten den Trakt des Duals
keine weiteren Hindernisse auf. Sie wa­ und schlüpften in den nächsten Seiten­
ren hier, weil sie das Recht dazu hatten. gang. Weit und breit war niemand zu
Und weil sie das Recht dazu hatten, wa­ sehen.
ren sie hier. Wismo Kantelaki blockierte die ein­
Das ist nun mal die Kolonnen-Logik, fachen Optiken zweier Spionsonden
dachte Rinka Porol. Kaum etwas wird und spiegelte die Bilder. Sie befanden
hinterfragt. Der Daerbar springt vor sich in – äußerst trügerischer – Sicher­
dem Morba, der Morba vor dem Kalba­ heit.
ron, der Kalbaron vor dem Dual, der »Vor zweiundzwanzig Stunden sind
Dual vor dem Progress-Wahrer, und alle wir aufgebrochen«, sagte Senego Trainz.
fürchten sich vor dem, was dahinterste­ »Der Rückweg muss deutlich rascher
cken könnte. vor sich gehen. Seht zu, dass ihr eure
Sie näherten sich dem für Zerberoff Arbeit so rasch wie möglich erle­
reservierten Kabinentrakt. Die Anzei­ digen. Wir benötigen eine Operations­
chen dafür, dass sie ihr Ziel erreichten, basis. Eine Kabine, die direkt an Zer­
mehrten sich. Kein Koffter war mehr zu beroffs Trakt angrenzt ...«
sehen; die wenigen Ganschkaren und »Ist lokalisiert«, meldete Ladis Lav­
Mor’Daer, die die Röhrengänge fre­ mar. Er blickte auf sein Armband. »Die
quentierten, sahen fast zwanghaft nicht Tür, hundertfünfzig Schritte nach
in jene Richtung, von der aus der Dual rechts. Wird wohl eine Weile dauern, bis
die Vorgänge in TRAICOON 0096 be­ wir die Sicherheit geknackt haben.«
stimmte. »Nehmt euch die Zeit. Ihr richtet euch
Eine protzige Schwingtür grenzte ein und bereitet das Gerät vor. Du über­
den Bereich ab. Die Wände ringsum nimmst das Kommando, Ladis. Senka
TRAICOON 0096 39

und ich kehren zu unserem Traitank zu­ nen Durchmesser von ungefähr eintau­
rück. Es herrscht Funkdisziplin – ver­ send Kilometern besaß. Leider gelang
standen? Wir holen Roi und schleusen uns keine weitere Ortung; so rasch das
ihn bis hierher durch. Wird wohl ein Bild entstanden war, so rasch verloren
bisschen eng für ihn werden. Wenn diese wir es auch wieder.«
Terraner bloß nicht so groß wären ...« »Es gab also keine Verifikation? Wir
haben keinerlei Sicherheit, dass dieses
riesige Objekt wirklich existiert?«
10. »So ist es.«
Zerberoff »Lass den Kapitän und den Ortungs­
chef des betreffenden Schiffs maßre­
Das persönliche Gespräch mit Kalba­ geln, damit sie lernen, ihre Aufgaben
ron Awoko erwies sich als wenig erbau­ ernst zu nehmen.«
lich. Der Ganschkare war ein Kleingeist, »Ja, Herr!«
der nach den Lektionen, die er ihm wäh­ »Stehen die beiden Sichtungen in
rend der letzten Wochen erteilt hatte, einem Zusammenhang?«
nur noch kuschte und jede seiner Anord­ »Wir vermuten es. Sie lagen nicht
nungen bedingungslos befolgte. Er bu­ mehr als fünfzig Lichtjahre und zwei
ckelte, seine Stimme klang leise und Stunden auseinander.«
kraftlos. Was Kalbaron Awoko zu sagen Zerberoff widerte die Nähe des Kalba­
hatte, besaß allerdings einige Spreng­ rons an. Er stank nach Angst und nach
kraft. Inkompetenz. »Schickt Verstärkung in
»Wir haben zwei interessante Infor­ den Sektor, meinetwegen ein halbes
mationen erhalten«, meinte er. »Sie Chaos-Geschwader. Ich wünsche lücken­
stammen aus dem Umfeld der terra­ lose Überwachung. Alle Meldungen über
nischen Kernzone.« weitere Sichtungen erfolgen direkt an
»Weiter.« mich. Du kümmerst dich persönlich um
»Die erste Meldung befasst sich mit dieses Problem – verstanden?«
dem Ortungsschatten eines Objekts, das »Ja, Herr!« Awoko senkte den Kopf,
einen Durchmesser von mindestens trat ehrerbietig ein paar Schritte zu­
hundert Kilometern aufweist ...« rück und machte Platz für ihn, sodass
»Möglicherweise eine Kolonnen-MA­ Zerberoff die volle Breite des Weges
SCHINE. Na und?« zum Ausgang der Fort-Zentrale zur
»Wir kennen die Positionen aller MA­ Verfügung stand. Der Dual humpelte
SCHINEN in der Milchstraße. Wir wis­ auf den Koffter zu. Er wünschte sich so
sen definitiv, dass sich zum Zeitpunkt sehr, dass einer der anwesenden Solda­
der Ortung in diesem Teil des Terra- ten und Offiziere ein Wort sagte oder
Sektors keine aufhielt.« auch nur eine Geste machte, die ihn
Zerberoff nahm die Information kom­ störte. Er hasste diese Geschöpfe. Wie
mentarlos hin. Analysieren würde er sie ihn ansahen, wie sie vor ihm buckel­
dann, wenn er alleine war, im Singu­ ten – und sich wahrscheinlich im Stillen
lären Intellekt. »Was ist mit der zweiten über seine Entstellungen lustig mach­
Sichtung?« ten.
»Sie ... sie erfolgte unabhängig von Zerberoff erreichte sein Gefährt. Er
der ersten, und sie hatte einen kugelför­ befahl ihm, auf direktem Weg in seine
migen Körper zum Gegenstand, der ei­ Zimmerflucht zurückzukehren. Der
40 MICHAEL MARCUS THURNER

Kampfroboter eilte neben ihm her. Sei­ rer gemeinsamen Vergeistigung. Der
ne Scherenhände, die sich in Blitzes­ Singuläre Intellekt war stets dann ein
schnelle in Waffenläufe umstrukturie­ sicherer Hafen, wenn es darum ging,
ren konnten, klapperten leise, die ihre Hinlänglichkeiten zu verdrängen.
Nahkampfspieße im Schulter- und So würde es auch diesmal sein ...
Brustbereich schmirgelten leise über Ein unangenehmes Knacksen ertönte
den glänzenden Stahl. links von Zerbone. Sie hievten den ge­
Diese Maschine war ihm als Gesell­ teilten Körper mühsam beiseite, blick­
schafter allemal lieber als jedwedes ten verwundert die Wand an, deren
denkende Wesen. prachtvolles Fraktalmuster soeben
Risse bekam.
* »Was, bei allen ...« Aroff schüttelte sei­
nen Gefiederansatz aus, schob den Hals
Ein Tag verging. Zerberoff verlor sich so weit wie möglich nach vorne. Seine
immer wieder in Datenströmen, ließ Hand tastete nach der Datenbrille.
sich treiben und suchte nach dem einen Zwei Risse bildeten sich, in einem Ab­
absoluten Beweis, der ihnen klipp und stand von etwa einem Meter, dann ein
klar sagte, dass die Terraner vernichtet dritter, der die beiden längeren an der
werden sollten. Doch die Ergebnisse oberen Querkante miteinander verband.
seiner Forschungsarbeit waren enorm Staub wirbelte hoch. Staub! Bei ihm! In
facettenreich. Immer wieder fand er Ar­ seinen intimsten Räumlichkeiten!
gumente dafür, die Angehörigen dieses Etwas oder jemand stemmte sich gegen
zukünftigen Kabinetts zu verschonen. die ausgefräste Fläche, ließ sie nach vor­
An Bord eines Chaotenders würden ne stürzen, ins Innere seines Lebens- und
Perry Rhodan und seine Spießgesellen Arbeitsraumes. Ein Geschöpf kam zum
ausgezeichnete Erfüllungsgehilfen ab­ Vorschein. Ein Terraner, der eine Waffe
geben, deren Begabungen vielseitig ge­ im Anschlag hielt. Zerberoff wusste
nutzt werden konnten. längst um die physiognomischen Beson­
»Wir dürfen die Sichtung der beiden derheiten der Menschen Bescheid. Dieses
Riesenobjekte nicht außer Acht lassen«, Wesen grinste ihn an. Weitere winzige
durchbrach Aroff die Phase der gemein­ Geschöpfe quollen in das Zimmer, ver­
samen Konzentration. »Sie hängt si­ teilten sich in Blitzeseile, folgten offenbar
cherlich mit neuen Aktivitäten der Ter­ einem genau getimten Einsatzplan. Mi­
raner zusammen.« kro-Bestien! Aber wie? Wieso ...?
»Was sollen wir tun?«, zischelte Zer­ Aroff drückte gegen den Rand seiner
bone. »Die Informationen unkommen­ Datenbrille, wollte Unterstützung her­
tiert an die Dienstburg weitergeben? beirufen. Nichts tat sich. Ein Störim­
Der Progress-Wahrer wartet nur auf ei­ puls überlagerte den Befehl.
nen Beweis für unsere Unsicherheit.« »Nett, dich zu sehen, zweiköpfiger
Sie tauschten ihre Gedanken aus und Freund«, sagte der Terraner. »Was dage­
erkannten: Es gab keine sichere Lösung. gen, wenn wir uns ein wenig zu dir ge­
Sie hatten zu wenig in den Händen, um sellen? Ich habe Tee mitgebracht und
übergeordnete Instanzen mit diesem ein paar andere nette Kleinigkeiten.«
Problem zu beschäftigen. Zerberoff zögerte nicht mehr weiter.
Die beiden Dual-Hälften flüchteten Der Mensch wollte ihn verwirren, ihn
zurück in die angenehme Sicherheit ih­ aus seiner Konzentration reißen. Der
TRAICOON 0096 41

Dual aktivierte jene empathischen Noch mehr von den kleinen Bies­
Möglichkeiten, die ihm der Singuläre tern.
Intellekt bot, griff nach dem Geist des Sie stürzten sich auf Zerberoffs Be­
Terraners, wollte ihn mit einer kräfti­ gleitroboter, machten ihm mit kreatür­
gen Dosis Endogener Qual zu Boden licher Wildheit den Garaus. Einer riss
zwingen ... ihm den metallenen Schädel vom
Der Paralysestrahl strich über ihn Rumpf, zerstörte dabei den Großteil sei­
hinweg, ließ jeglichen Gedanken an Wi­ ner artifiziellen Sinnesorgane. Zwei
derstand im geteilten Körper erlahmen. weitere turnten in atemberaubendem
Ihre Muskeln verkrampften, ihre Geis­ Tempo über den Oberkörper hinweg
ter verloren sich im Nirgendwo, in einer und richteten mit ihren winzigen Waf­
ungewollten und unerwünschten Ka­ fen so viele Schäden wie möglich an,
tharsis. Sie drohten die Haltestange ohne auch nur ein einziges Mal in Ge­
entlang zu Boden zu rutschen, um dort fahr zu geraten, von den überdimensio­
in ungewohnter Haltung furchtbare nierten Scherenhänden seines Beschüt­
Schmerzen zu erleiden ... zers gepackt zu werden. Funken stoben,
Doch es kam nicht dazu. Traktor­ mikrominiaturisierte Relais und Schalt­
strahlen fingen sie auf, hielten sie fest kreise verschmolzen, Stichflammen zo­
und fesselten sie zugleich in Untätig­ gen sich kreuz und quer über den einst­
keit. mals unbesiegbar wirkenden Korpus
Alles wurde undeutlich. Sie hatten des Maschinenwesens. Binnen weniger
den Singulären Intellekt verloren und Sekunden hatte es verloren, stellte jede
trieben nun in einem Dämmerland da­ Bewegung ein und fiel mit einem lauten
hin, das weder getrennte noch gemein­ Scheppern zu Boden.
same Betrachtung erlaubte. Die Geister Der Riese war von wenigen Zwergen
Zerbones und Aroffs ergänzten sich gefällt worden. Diese rissen ihre Mäuler
nicht mehr, sondern widersprachen ein­ weit auf, spannten die Muskeln ihrer
ander. Das, was sie an Eindrücken auf­ lächerlich kleinen Körper an. Sie lach­
nahmen, war kaum noch mit dem in ten und lachten, dröhnend, triumphie­
Zusammenhang zu bringen, was rings rend, schrien ihre Freude über ihren
um sie vorging. Sieg laut hinaus.
Da war der grinsende Mensch, der Seine, ihre Verwirrung nahm weiter
ihn mit einem Paralysator außer Ge­ zu. Wut, Enttäuschung, Unglaube – und
fecht gesetzt hatte. Danton?! Eine Hälf­ vielleicht auch ein wenig Angst – ver­
te des Dantyren-Duals? Wie kann das mengten sich, verknäulten sich, wurden
sein? zu einem alles verschlingenden Brei,
Dort drei Mikro-Bestien. Sie küm­ aus dem Zerbone und Aroff keinen Aus­
merten sich um die Recheneinheiten weg mehr fanden und Zerberoff erst
seiner Zentralen Leitstelle und blo­ recht nicht ...
ckierten sie mit einer Geschicklichkeit,
als hätten sie niemals in ihrem Leben
etwas anderes gemacht. 11.
Mikro-Bestien?! Geschöpfe, die aus Roi Danton
genetischem Urschleim gezüchtet wor­
den waren, um zu kämpfen und um zu Er trat vorsichtig über die Trümmer
vernichten?! des Kampfroboters hinweg und stellte
42 MICHAEL MARCUS THURNER

sich dicht neben den Dual. Zerberoff »Beruhigt euch!«, rief Roi seine Ver­
war bei Bewusstsein – und dann doch bündeten zur Ordnung. »Wir haben
wieder nicht. Der Paralysestrahl hatte noch ein gutes Stück Arbeit vor uns.
ganze Arbeit getan. Senego – bring deine Leute zur Rä­
So gefährlich ein Wesen dieser Art son!«
auch sein mochte, wenn es gesund war: Der Anführer der Mikro-Bestien re­
Sobald die Synchronisation und Koor­ agierte so, wie der Unsterbliche es von
dination der beiden Geister unterbro­ einem starken Partner erwartete. Kraft
chen wurde, spielten sich im Inneren seiner Autorität sorgte er binnen weni­
Dinge ab, die weit über Irrsinn und ger Augenblicke für Ruhe.
Schmerz hinausgingen. »Wir haben mindestens drei Stunden
»Der Raum ist gesichert«, meldete lang Zeit, bevor Zerberoff wieder einen
Senego Trainz. klaren Gedanken fassen kann«, sagte
»Es ist kein Alarmzeichen nach au­ Roi. »Ich möchte, dass der Dual so rasch
ßen gedrungen?«, hakte Roi nach. wie möglich behandelt wird. Senego:
»Nein. Meine Techniker haben ganze Du sorgst dafür, dass unsere drei Medi­
Arbeit geleistet. Noch bevor wir zu Zer­ ker hier so schnell wie möglich eintref­
beroffs Trakt durchbrachen, hatten wir fen. Deine Techniker sollen sich
ihn jeder Kontrollmöglichkeit beraubt.« schlaumachen, ob sich diese Aufgabe
»Und der Kampfroboter?« von hier aus erleichtern lässt. Vielleicht
»Ihn haben wir gesondert isoliert. könnt ihr Überrangbefehle Zerberoffs
Seine Funkeinheit wurde ebenfalls ausfiltern und Befehlsketten schaffen,
frühzeitig gestört.« die die Sicherheitsmaßnahmen im Fort
Roi atmete erleichtert durch. Das Ge­ schwächen.«
fühl der Befriedigung in ihm wuchs. Sie »Wir tun unser Bestes«, sagte einer
hatten einen Feind der Menschheit von Senegos Begleitern, der in jeder sei­
dingfest gemacht – und das unmittelbar ner Hände feinmechanisches Werkzeug
in dessen Machtzentrum. hielt. Er schwebte zu Rois Kopf hoch.
Die Überheblichkeit deines Feindes »Erwarte nicht allzu viel. Wir bräuch­
ist oftmals der Schlüssel zum Erfolg, ten Basisinformationen von unserem
erinnerte sich der Unsterbliche eines Freund hier, um in die internen Routi­
Dagor-Mantras. Zerberoff fühlte sich nen eingreifen zu können.«
derart sicher, dass er auf die kolonnen­ Er flog einen Looping, landete auf
üblichen, ausgeklügelten Sicherheits­ Zerbones Brust und trat gegen dessen
maßnahmen verzichtete. Wenn er all Schnauze. Eine Schuppe löste sich vom
das an technischer Überlegenheit aufge­ Kinn des Mor’Daer und flatterte wie ein
boten hätte, was wir bereits von TRAI­ Blatt im Wind zu Boden.
TOR kennengelernt haben, wären wir »Lass das sein, Wismo!«, brüllte
keinen Schritt weit in das Kolonnen- Senego Trainz seinen Kollegen an. »Wir
Fort vorgedrungen. behandeln unseren Gefangenen mit Re­
Roi nahm sich zurück. Er durfte kei­ spekt.«
nesfalls demselben Fehler wie sein Geg­ »Aber ...«
ner verfallen. Euphorie und Selbstge­ »Keine Widerrede! Mach dich an die
fälligkeit waren für ihn ebenso Gift wie Arbeit!«
für die ausgelassen feiernden Mikro- Die gedrungen wirkende Mikro-Bes­
Bestien. tie atmete tief durch, als überlegte sie,
TRAICOON 0096 43

sich gegen ihren Anführer aufzuleh­ Beide Augenpaare Zerberoffs starrten


nen. an ihm vorbei. Die Paralyse erlaubte es
Schließlich aber gehorchte der Kleine dem Dual nicht einmal, die Augäpfel zu
und steuerte mithilfe seines Antigravs bewegen. Und dennoch meinte Roi zu er­
zum Befehlspult Zerberoffs. Zwei sei­ kennen, dass Zerbone und Aroff alles un­
ner Landsleute warteten bereits auf ternahmen, um in den Singulären Intel­
ihn. lekt zu schlüpfen und ihn zu vernichten.
»Gut gemacht«, flüsterte Roi Senego Die Terraner und Mikro-Bestien
Trainz zu. »Du hast wahrlich viel ge­ mussten sich beeilen.
lernt.«
»Und dennoch wird es immer zu we­
nig bleiben«, sagte die Mikro-Bestie mit 12.
bitterem Unterton. »Wer gibt mir jene Zerberoff
Monate und Jahre zurück, die ich in der
Skapalm-Bark verloren habe?« Er verliert das Bewusstsein niemals
zur Gänze. Stets ahnt, vermutet er, was
* geschieht, was dieser Roi Danton mit
ihm anrichten will.
Roi nahm erste Untersuchungen an Danton unternimmt alles, um ihn zu
Zerberoff vor. Er entnahm Zellkulturen demütigen.
aus beiden Körperhälften und begann Die Wut frisst an und im Dual. Hätte
mit der genetischen Diagnostik. Viel er nur wenige Sekunden Zeit zur Verfü­
konnte er nicht tun. Er besaß lediglich gung, würde er das Todesurteil über das
oberflächliches medizinisches Wissen. Solsystem unterschreiben und seinen
Doch er wusste eine ganze Menge dar­ Bericht an Antakur von Bitvelt abschi­
über, wie Mor’Daer funktionierten. Im­ cken, um dann glücklich zu sterben.
merhin war eine Hälfte von Dantyren Seine eigene Existenz erscheint ihm
diesem Volk entsprungen. angesichts seines Zorns bedeutungslos.
Eine Gänsehaut zog sich seinen Rü­ Er will jede Erinnerung an diese ei­
cken entlang nach unten. Erinnerungen, gentlich so schwächlich gebauten Zwei­
die eigentlich gar keine waren, befielen beiner aus den Annalen aller Ge­
ihn allzu plötzlich, ohne dass er sich schichtsschreibungen dieses Universums
wehren konnte. Er tastete mit der lin­ tilgen, will jeden Gedanken an sie aus
ken Hand über seine rechte Seite, wie den Köpfen der Milchstraßenbewohner
um sich zu vergewissern, dass sich dort brennen.
kein ... kein anderer befand. Doch er kann nichts tun. Er liegt
»Du wirst dich wundern«, sagte er bäuchlings auf einer provisorischen
leise in Richtung Zerberoff. »Wenn du Liege. Als er wach genug ist, sich seiner
erwachst, wirst du gar nicht glauben selbst bewusst zu werden, fühlt er Be­
können, wie sehr du bevormundet und täubung und Schmerzen und Schmer­
manipuliert wurdest, mein Freund. Die zen und Betäubung. In dieser unge­
Terminale Kolonne hat dich um dein wohnten Position drücken die Wirbel
Leben betrogen.« beider Wirbelsäulen gegeneinander,
Er öffnete den schwarzen Mantel des klemmen Nervenstränge ein und erzeu­
Duals und zog die Epauletten-Aufsätze gen eine Pein, die ihn seines Verstandes
an den Schultern ab. zu berauben droht.
44 MICHAEL MARCUS THURNER

Zerberoff hat einen Aussetzer. Einen klare Gedanke. Aber warum so um­
von vielen. Als er wieder einen einiger­ ständlich? Sind sie an der Kralle inter­
maßen klaren Gedanken fassen kann, essiert und gar nicht an dir?
fühlt er das Gewicht mehrerer Mikro- Die Verschmelzung im Singulären In­
Bestien an Armen und Beinen. Sie tellekt ist ganz nahe. Eigentlich liegen
zwingen ihn in eine Streckposition, so­ die Geister von Zerbone und Aroff auf­
dass sich ihrer beider Rücken weit nach einander, ineinander, miteinander. Doch
oben wölbt und die Haut zum Zerreißen sie sind nicht deckungsgleich. Eine ge­
gespannt ist. ringfügige Unwucht in der geistigen
Danton beugt sich zu ihm herab, Perspektive verhindert, dass der Dual
blickt nacheinander in beide Augen­ seine Begabungen einsetzen kann ...
paare. Macht er sich über ihn lustig? Er will Danton ansprechen. Ihn ver­
Genießt er die Vorfreude auf die Folter, fluchen, ihm Strafen androhen, ihn
die er Zerberoff angedeihen lassen schmähen und ihn anbetteln. Nichts da­
will? von gelingt. Nicht einmal seine Münder
Schamgefühl überdeckt plötzlich al­ gehorchen ihm. Er bringt nichts hervor,
les. Zerberoff ist nackt. Niemals wieder, nur ein dumpfes, animalisches Grun­
seit er von den Kolonnen-Anatomen zu­ zen.
sammengefügt wurde, hat ihn ein ande­ Im Widerschein des blank polierten
res Wesen ohne Kleidung gesehen und Bodens sieht er einen Terraner und eine
diesen Augenblick überlebt. Mikro-Bestie, die sich gemeinsam an
Der Terraner wird dafür büßen und einem stählernen medizinischen Instru­
die Mikro-Bestien ebenso. Er braucht ment zu schaffen machen. Sie bringen
bloß ein paar Sekunden, um seine geis­ es näher an Zerberoff heran. Das Gerät
tigen Möglichkeiten zu aktivieren, um sieht wie eine Zange aus, und von den
die Endogene Qual anzusetzen, um ... Spitzen träufelt schaumige Flüssig­
Als Zerberoff allmählich in der Lage keit.
ist, klar zu denken, wird er sich der Es ist so weit.
Feuchte in seinem linken Nacken be­ Der Tod kommt.
wusst. Flüssigkeit rinnt dort entlang Und selbst wenn er die Operation
zum Hals. Blut tropft zu Boden. Platsch. überleben sollte: Ohne Kralle ist er
Platsch. Platsch. nichts.
Er spürt sonst nichts; nur ein selt­
sames Ziehen zwischen den Schulter­
blättern. Seine Sicht ist von unter­ 13.
schiedlichen Eindrücken überlagert. Er Roi Danton
sieht mit vier Augen, dann wiederum
nur mit einem. Übelkeit übermannt ihn, Beunruhigt sah er zu, wie sich der
aus Zerbones Mund dringt grünliche Dual gegen die Bewusstlosigkeit
Speichelflüssigkeit. Riecht es nach Fä­ sträubte. Immer wieder bäumte das Ge­
kalien? Nach brennend heißem Öl? Nach schöpf der Kolonnen-Anatomen sich
Zarvinenblüten? auf, wollte zu geistiger Vereinigung sei­
Die Narren, denkt er mit plötzlicher ner beiden Hälften finden.
Klarheit, sie doktern an den Krallen Eine Sekunde klaren Denkens würde
herum ... Zerberoff reichen, um die Mikro-Bes­
Sie wollen mich töten, ist der nächste tien und ihn zu töten.
TRAICOON 0096 45

Khiz Turagga kümmerte sich um ei­ wenig nach links, veränderten den An­
ne Neujustierung des Betäubungsmit­ setzwinkel des Spritzenkörpers – und
tels. Durch Kanülen tröpfelte Flüssig­ versteiften schließlich. Ein Summton
keit in beide Armbeugen des Duals. kündete davon, dass das hochintelli­
Kathetersysteme sorgten dafür, dass gente Gerät nun punktgenau saß. Der
nicht eine Seite zu viel und die andere Arzt musste nur noch den Abzug drü­
zu wenig des Präparats abbekam. Ka­ cken, und die trübe Flüssigkeit würde
theter und Stants arbeiteten wie exakt an der richtigen Stelle in den
Schleusensysteme; die behandelnden Körper des Mor’Daer vordringen.
Ärzte, zwei Terraner und Khiz Turag­ Mit der gebotenen Vorsicht drückte
ga, hielten sich so gut wie möglich an der Mediker zu. Roi sah über die gleich­
das Datenmaterial, das sie über den zeitig mit den Zellkulturen eingeführte
Metabolismus von Ganschkaren und Sondenkamera zu, wie die winzigen
Mor’Daer besaßen. Brocken ins Fleisch des Duals gelegt
»Die genetische Analyse ist abge­ wurden. Sie ähnelten Insekteneiern und
schlossen«, sagte einer der Mediker. Er sie schienen sich in dieser feuchten und
konzentrierte sich auf eine Spritze, die warmen Umgebung wohlzufühlen. Ihre
sich selbsttätig und leise summend auf­ fremdartige, klumpige Struktur war
zog. »Wir können die ersten Zellkul­ deutlich erkennbar und vom sonstigen
turen injizieren.« Körpergewebe unterscheidbar. Unter
»Wie stehen die Chancen, dass Zer­ normalen Umständen hätten die flüs­
beroff die Behandlung überlebt?«, fragte sigen Zellkulturen rasch durch das kar­
Roi. Er fühlte sich hilflos. Er konnte diovaskuläre System gepumpt werden
nichts tun außer warten. Er musste ta­ und sich im gesamten Körper verteilen
tenlos dastehen und hoffen, dass die müssen. Doch der plasmaähnliche An­
Operation erfolgreich verlief. teil krallte sich im Gewebe fest, suchte
»Statistisch gesehen ... keine Ahnung. sich einen ihm durch Lock- und Boten­
Wir haben nur die Informationen, die stoffe zugewiesenen Platz und begann
Rhodan uns gegeben hat«, antwortete augenblicklich seine Arbeit. Er roch die
der Arzt abweisend. »Es kann gut ge­ Kralle.
hen, muss aber nicht. Wir müssen beide Ein erster genetischer Zünder explo­
Krallen ausschalten, wenn wir das Ri­ dierte. Er beschleunigte das Zellwachs­
siko gering halten wollen. Steh uns ein­ tum der injizierten Kulturen um den
fach nicht im Weg herum, dann wird es Faktor 100. Binnen Kurzem bildete sich
schon gut gehen.« eine Art Schorf rings um das umkämpfte
Er setzte die Spritze an. Khiz Turag­ Gebiet.
ga stand breitbeinig auf der Schulter­ Für eine Weile beobachtete Roi die­
muskulatur Zerbones. Mit unglaub­ sen Kleinkrieg. Die Atrentus-Kulturen
licher Sorgfalt platzierte er die nicht griffen die Kralle, diesen zehn Millime­
einmal millimeterdicke Kanüle am ter langen Fremdkörper, niemals direkt
Halsansatz des Mor’Daer-Teils von Zer­ an. Sie verfingen sich im Gewebe rings­
beroff. Die Spritze fuhr acht Spreiz­ um, bildeten eine Art Schutzwand, die
beine aus, die sich unfühlbar in der Epi­ auf biomolekularer Ebene funktio­
dermis verankerten. Wie ein gelandetes nierte. Sie isolierten winzigste Nerven­
Raumschiff federten die dünnen Bein­ stränge, betäubten das Fleisch, hielten
chen ein wenig nach, krabbelten ein rote und weiße Blutkörperchen durch
46 MICHAEL MARCUS THURNER

Botenstoffe vom befallenen Gebiet fern, »Zerberoff wird es schon überleben«,


lieferten sich an Hunderten Fronten ei­ sagte Roi, wohl um sich selbst Mut zu­
nen erbarmungslosen Kampf, auch ge­ zusprechen.
gen körpereigene Abwehrmechanismen, »Er ist äußerst labil«, gab Khiz Tu­
die widersinnigerweise die Kralle ragga zu bedenken.
schützen wollten. »Wie lange wird es dauern, bis Zer­
Nach einer Weile setzten die Ärzte die beroff zur Besinnung kommt?«
zweite Spritze. Aroffs Metabolismus re­ »Drei bis vier Tage. Bis dahin müssen
agierte noch empfindlicher als der seines wir ihn in diesem Dämmerzustand hal­
Dual-Partners. Zerberoffs Körper be­ ten und darauf vertrauen, dass das
gann zu zittern. Die Augen beider Teil­ Fremdgewebe die Kralle vollends um­
wesen flackerten, die Temperatur schnell­ hüllt und beginnt, sie zu assimilieren.«
te um mehr als vier Grad in die Höhe. Drei bis vier Tage ...
Die Mediker behandelten den unge­
wöhnlichen Patienten mit der Unaufge­ *
regtheit ihres Berufsstandes. Besonders
Khiz Turagga fiel durch Besonnenheit Das Techniker-Team der Mikro-Bes­
auf. Er arbeitete präziser als seine Kol­ tien hatte sich mit wenig Erfolg in die
legen. Mit unerschütterlicher Ruhe Daten des Rechners von Zerberoff ge­
saugte er absterbendes Fremdgewebe wühlt. Die entscheidenden Befehlsrou­
ab, fügte neues hinzu, hielt den Meta­ tinen waren durch Kodewörter abgesi­
bolismus Zerberoffs mit allen zur Ver­ chert, die wohl nur dem Dual selbst
fügung stehenden Mitteln in seiner bekannt waren.
komplizierten Balance. »... auf anderem Gebiet sind wir aller­
Zwei Stunden dauerte der Kampf. dings erfolgreicher gewesen«, sagte Wis­
Mehrmals befürchtete Roi, dass Herzen mo Kantelaki mit stolz klingender Stim­
und Kreislauf des Duals nicht mehr me. »Zerberoff arbeitete an einem
länger durchhielten. Doch immer wie­ Bericht, der die Erde zum Inhalt hat.«
der holten die Mediker den scheinbar Mit einem externen Lesegerät schuf er
Todgeweihten zurück ins Leben. ein flackerndes Hologramm, in dessen
»Wir haben getan, was in unserer Zentrum Schriftstücke zu sehen waren.
Macht stand«, sagte der mikrobestia­ Roi las den Text der ersten Seite; es
lische Arzt irgendwann. »Nun können handelte sich um eine Reihe von Beob­
wir nur noch auf die Willenskraft Zer­ achtungen, die Orterresultate des Groß­
beroffs hoffen. Mag sein, dass seine ers­ raums Sol zum Thema hatten. Da waren
te selbstbestimmte Entscheidung be­ Statistiken zu Raumschiffsbewegungen,
deutet, dass er aufgibt. Ich nehme an, Analysen zur Feuerkraft terranischer
dass der Schock der Freiheit das größte Schiffe, eine Aufstellung jener tech­
Risiko bei den Atrentus-Patienten ist. nischen Fortschritte, die die Erde wäh­
Stell dir vor, wie es sein muss, wenn du rend der letzten Jahre durchgemacht
von einem Moment zum nächsten von hatte, Vergleiche zwischen Traitank-
allen Pflichten, Regeln und Aufgaben Kampfeinheiten und Menschenschiffen,
befreit bist und einer großen Leere ge­ Analysen zu den VRITRA-Kanonen ...
genüberstehst. Wenn du weißt, dass du »Sie wissen verdammt viel über uns«,
von nun an alles alleine erledigen und murmelte Roi Danton, bevor er die vir­
entscheiden musst!« tuelle Seite umblätterte.
TRAICOON 0096 47

»Es kommt noch besser«, sagte Wis­ freien, und er ist dennoch so sehr in­
mo Kantelaki. Mittlerweile hatten sich doktriniert, dass er weiterhin für TRAI­
fast alle Mikro-Bestien am Schaltpult TOR Partei ergreift.«
Zerberoffs eingefunden. Angespannt »Dann werden wir ihn töten müssen«,
betrachteten sie die holografischen sagte Senego Trainz kühl.
Schriften. »Womit wir bestenfalls ein wenig
»... empfehle ich, das Solsystem end­ Zeit gewinnen könnten.« Roi schüttelte
gültig und ohne weitere Ressourcener­ den Kopf. »Es muss funktionieren. Wir
hebung auszulöschen«, sprach Roi leise dürfen nicht versagen. Antakur von
nach, was er in dem Bericht las. »Der Bitvelt ist unser eigentliches Ziel. Wenn
Widerstand der Terraner hat ein uner­ wir es nicht über den Umweg eines Du­
trägliches Maß erreicht; umso mehr, als als schaffen, an ihn heranzukommen,
sich ihre Taten in anderen Teilen der müssen wir noch höher hasardieren.«
Ressourcengalaxis Milchstraße herum­ Der Unsterbliche wusste ganz genau,
sprechen und vielfach als vorbildhaft dass er Selbsttäuschung betrieb. Das
angesehen werden. Bereits jetzt ist die Sicherheitsnetz rings um die Dienst­
Sogwirkung eines Multiplikator-Ef­ burg CRULT war derart dicht gespannt,
fekts zu beobachten, der andere poten­ dass es ohne die Eintrittskarte Zerberoff
zielle Kabinettvölker zum Kampf gegen kein Durchkommen gab.
TRAITOR bewogen hat ...« »Wir schaffen es!«, sagte eine Mikro-
Roi Danton hielt inne und bemühte Bestie, die er anhand ihres seltsam an­
sich, die widerstreitenden Emotionen in geschmierten Gesichts als Rinka Porol
sich unter Kontrolle zu bekommen. Die identifizierte.
Terminale Kolonne begann also, die »Ja, wir schaffen es.«
Terraner ernst zu nehmen. Zerberoffs Roi blätterte weitere Seiten des holo­
Urteil wies eindeutig in diese Richtung. grafischen Protokolls um. Hatte er ge­
Und mit jener erschreckenden Konse­ glaubt, das Schlimmste bereits hinter
quenz, die den Führungskräften TRAI­ sich zu haben, sah er sich entsetzlich
TORS zu eigen war, befürwortete er die getäuscht. Denn die Späher des Kolon­
vollständige Vernichtung des Solsys­ nen-Forts hatten Ortungsspuren von
tems. CHEOS-TAI entdeckt.
»Wurde diese Nachricht bereits abge­
schickt?«, fragte er Wismo Kantelaki. *
»Nein. Es fehlen noch Verschlüsse­
lungen und die Signatur des Duals.« Die Hinweise, die Zerberoff ausge­
»Na schön.« Roi tat einen Schritt zur wertet hatte, waren vage und hätten
Seite. Er blickte auf den Panorama­ genauso gut als Ortungsfehler interpre­
schirm, der TRAICOON 0096 samt Um­ tiert werden können. Doch allein die
feld in einer Totalen zeigte. »Es gibt Tatsache, dass sich der Dual selbst um
folgende Varianten«, sagte er leise, mehr diese Informationen kümmerte, wies
zu sich selbst als zu den Mikro-Bestien. darauf hin, dass er ihnen ausreichend
»Zerberoff überlebt das Atrentus-Ver­ Bedeutung zumaß.
fahren nicht. Dann war unsere Kom­ Die Anwesenheit des GESETZ-Ge­
mandoaktion mehr oder weniger um­ bers durfte nicht publik werden. Erst
sonst. Oder aber wir können den Dual dann, wenn es sein Vater für richtig
von der Einflussnahme der Kralle be­ hielt, und keinen Augenblick früher.
48 MICHAEL MARCUS THURNER

»Wie geht es dem Dual?«, fragte er 14.


Khiz Turagga. Zerberoff
»Vorerst verläuft alles programmge­
mäß«, antwortete der Arzt der Mikro- Er dämmert dahin. Er findet nur
Bestien. »Dennoch dürfen wir ihn nie­ oberflächlichen Schlaf, schreckt immer
mals aus den Augen lassen. Das wieder hoch, versucht, sich seiner Exis­
Atrentus-Verfahren erfordert perma­ tenz bewusst zu werden und etwas ge­
nente Kontrolle; vor allem bei einem gen die Mikro-Bestien zu unternehmen,
derart seltsamen Wesen wie Zer­ die wie Kletten auf ihm hocken und ihn
beroff.« bewachen.
Das Daten-Holo war erloschen, Mikro-Bestien ...
die meisten Mikro-Bestien gingen Warum stellen sie sich gegen ihn? Was
wieder ihren Arbeiten nach. Der geht hier vor, mit welchen Mitteln hat
mithilfe von Desintegratorstrahlern Danton sie für seine sinistren Zwecke
geöffnete Durchgang wurde eben wie­ gewonnen?
der aufgerichtet, die Ränder ver­ Seltsame Träume stehlen sich in sein
schweißt, die letzten Trümmerspuren Bewusstsein. Sie stammen aus einer
beseitigt. Zeit, als die beiden Einzelkomponen­
Zwei von Rois kleinen Helfern rich­ ten noch nicht eins waren, sondern
teten sich in einem toten Winkel des voneinander getrennte Leben führten.
Raumes häuslich ein. Ruhekojen ent­ Offiziere der Terminalen Kolonne wa­
standen, selbst erhitzende Flaschen ren sie gewesen, hoffnungsvoll, voll
mit Nährbrei köchelten leise vor sich Ehrgeiz, die die Karriereleiter hoch­
hin, Ausrüstungsgegenstände wurden kletterten ...
durchsortiert und einer sorgfältigen In­ Zerbone und Aroff driften auseinan­
spektion unterzogen. der, verlieren sich in Einzelexistenzen.
Drei Tage, sagte sich der Unsterb­ Sie spielen das »Was wäre, wenn«­
liche. Ein einziger Fehler unsererseits, Spielchen, genießen die Gedanken an
und alles ist verloren. Eine unvermutete ein Leben in Freiheit.
Reaktion der Fort-Besatzung, ein miss­ In Freiheit?! Genießen?!
trauischer Untergebener, der Zerberoff Woher kommen diese seltsamen
sprechen will, ein Zufall, eine unange­ Ideen? Zerberoff ist immer frei gewesen,
kündigte Durchsuchung unseres Trai­ hat stets so gehandelt, wie er es für rich­
tanks – dies alles könnte unseren Unter­ tig erachtete. Seine Ziele sind stets de­
gang bedeuten und auch den der ckungsgleich mit jenen TRAITORS ge­
gesamten Menschheit. wesen. Was für die Terminale Kolonne
Unsterblichkeit brachte Probleme gut ist, hilft auch ihm – und umgekehrt.
mit sich, auf die ein Mensch nicht vor­ Im Grunde genommen sind alle Wesen
bereitet war, nicht vorbereitet sein in diesem unendlichen Heer- und
konnte. Ein neues Zeitgefühl entwi­ Schlachtenwurm eins. All ihre Gedan­
ckelte sich, und manche Jahre vergin­ ken und ihr Sinnen sind auf ein singu­
gen wie im Flug. Doch dass ihn die Aus­ läres Ziel ausgerichtet. Es existieren
sicht, 72 Stunden lang untätig bleiben keine Abweichungen, kein Anderssein.
zu müssen, eines Tages erschrecken Die Direktiven der Chaotarchen sind
würde – das hätte sich Roi Danton nie richtig, Punktum.
gedacht. Oder?
TRAICOON 0096 49

Woher, so fragt sich Zerberoff, kommt Und findet sich in einer Existenz wie­
dieses »Oder«? Es ist noch niemals da der, an die er nie zu glauben gewagt hät­
gewesen, besitzt keinerlei Existenzbe­ te.
rechtigung.
Zerberoff hasst dieses Wort. Der Ter­
raner hat es ihm in die Köpfe geschmug­ 15.
gelt. Es zerstört Selbstsicherheit, es Rinka Porol
schafft Zweifel. Gedankliche Abzwei­
gungen, die er niemals zuvor erkannte, Sie beäugte misstrauisch Zerbones
sind plötzlich da. allmähliches Erwachen. Sie zielte auf
Er folgt einer von ihnen. Neugierig. den linken Kopf – oder war es der rech­
Abartig neugierig. Er dürfte hier nicht te?
entlanggehen, nein, nein! Dieser Weg Drei Tage voll des Bangens und Hof­
führt in die Irre. Zu einem Ziel, das kei­ fens waren vergangen. Sie hatten Zer­
nes ist, das es nicht geben darf. beroff niemals aus den Augen gelassen
Er fühlt Schmerzen in seinem Na­ und die betäubende Medikation stets
cken. hochgehalten. Ein Moment der Unauf­
Mit ihm geschehen Dinge, die schlecht merksamkeit mochte reichen, um dem
sind. Seine Schwäche widert ihn an. Dual die Chance zu geben, sich zu weh­
Warum nur lässt er sich weitertreiben, ren.
immer tiefer hinein in einen Sumpf, aus Sie wussten nicht einmal, ob der
dem er sich niemals mehr wieder wird Doppelköpfige im Singulären Intellekt
befreien können? schwebte oder ob seine beiden Teile un­
Zerberoff sieht Wahrheiten. abhängig voneinander dachten und
Falsche Wahrheiten. träumten.
Solche, die nicht der Kolonnen-Dok­ »Er kann jede Minute aufwachen«,
trin entsprechen. Solche, die falsch sein sagte Khiz Turagga. »Seid vorbereitet.«
müssen; weil sonst sein gesamtes Welt­ Roi Danton stand auf. Er hatte auf
bild, das er seit seiner frühesten Erin­ dem Boden gesessen, mit glasigen Au­
nerung pflegt, auf den Kopf gestellt gen. Er war blass und wirkte unendlich
wird. müde. Er hatte kaum einmal geschla­
Er erlaubt sich den Gedanken: Na fen. Die Sicherheit in den Räumlich­
und? keiten Zerberoffs war trügerisch. Jeden
Er weiß, dass ihn Unglück erwartet, Moment konnte etwas Unvermutetes
wenn er jetzt weiterschwimmt, noch passieren.
tiefer in diesen Morast hineintreibt. Zerbones Kopf zitterte. Er wollte et­
Wahrscheinlich gibt es kein Entkom­ was sagen, brachte aber nur ein heiseres
men mehr, wenn er nicht augenblicklich Zischeln hervor. Seine lange Zunge hing
kehrtmacht. aus dem Maul, wie paralysiert.
Die Verlockung umfängt ihn, packt »Wie fühlst du dich?«, fragte Roi
ihn in honigsüße Flüssigkeit ein und Danton.
flüstert ihm kosmokratisch gefärbte »Chch ...«
Obszönitäten zu. »Wir haben beide Krallen in deinem
Seine Stärke schwindet. Leib isoliert, sodass ihre Wirkung nicht
Er gibt nach. mehr zu deinem Geist durchschlagen
Er öffnet die Augen. kann.«
50 MICHAEL MARCUS THURNER

»...ch weissss.« so als drehte sich alles um ein einziges


»Verstehst du, warum wir es getan Wort. Würde Zerberoff bereit sein, sich
haben?« mit ihnen zu verbünden, oder unter­
»Ja.« stützte er auch aus freiem Willen die
Zerbone hustete, verdrehte die Au­ Linie der Terminalen Kolonne?
gen. Der geteilte Körper bäumte sich Ein Summton erklang. Das erste Mal,
auf. Der halbe Mor’Daer spuckte grüne seitdem sie in die Zimmerflucht des Du­
Flüssigkeit, wand sich mit einem Mal in als eingedrungen waren.
katatonischen Zuckungen und stöhnte »Ein Anruf aus der Zentrale des
vor Schmerzen. TRAICOON«, sagte Wismo Kantelaki.
»Eine Abwehrreaktion!«, rief Khiz »Kalbaron Awoko möchte Zerberoff
Turagga. »Wir müssen ihn zur Ruhe sprechen.«
bringen!«
Er winkte Rinka Porol. Sie schob die
Waffe zurück ins Halfter und folgte ih­ 16.
rem Artgenossen. Gemeinsam erklom­ Roi Danton
men sie die Brust des Duals und stiegen
weiter zu Zerbones Kopf hoch. »Ich antworte«, sagte der Unsterb­
»Halte sein Kinn!«, befahl Khiz. liche rasch. Er tastete nach dem vorbe­
Sie gehorchte, packte Zerbones reiteten Stimmmodulator und hielt ihn
Schnauze mit allen vier Armen und fi­ vor seinen Mund. Der Techniker bestä­
xierte sie. Der Arzt schob indes seine tigte und schaltete die aktive Tonlei­
Hände zwischen die Zahnreihen und tung zu. Die Bildübertragung erfolgte
drückte die Kiefer mit aller Gewalt aus­ einseitig. Roi konnte den dürr wirken­
einander. Er bewahrte die Zunge davor, den Awoko sehen, der Kalbaron ihn al­
durchgebissen zu werden. Einer der ter­ lerdings nicht.
ranischen Ärzte verabreichte dem Dual »Was gibt’s?«, fragte Roi Danton. Er
die erhöhte Dosis eines Beruhigungs- sprach schroff und abweisend, wie es
und Entspannungsmittels, das auf die die Art des Duals war. Der Modulator
mor’daersche Konstitution abgestimmt fing die Worte auf, verschluckte sie und
war. Die Muskulatur unter Rinkas Hän­ wandelte sie mit kaum messbarer Ver­
den erschlaffte. Zerberoff glitt zurück zögerung in TraiCom um, die lingua
in die Bewusstlosigkeit. franca TRAITORS.
»Das bekommen wir wieder hin«, »Es tut mir unendlich leid, dich bei
sagte Khiz Turagga zu Roi Danton. der Arbeit zu unterbrechen, aber ...«
»Aber wir benötigen mehr Zeit als er­ »Das wird es auch, wenn du mich mit
wartet. Zerberoff ist noch nicht stabil Nebensächlichkeiten belästigst! Komm
genug. Wir müssen zusehen, beide Teil­ zur Sache!«
wesen gleichzeitig wach zu bekommen. »Der ... der angefragte Ortungsfall ist
Sie müssen sich zuallererst besprechen, eingetreten.«
sozusagen unter vier Augen, um den »Der angefragte Ortungsfall?«
Schock des selbstständigen Denkens zu »Ja.«
verarbeiten. Erst dann wissen wir, wor­ Täuschte sich Roi, oder klang da
an wir mit ihm sind. Das Risiko ist groß, Misstrauen in der Stimme des Kalba­
ich weiß, aber ...« rons durch? Hätte er nicht nachfragen
Dieses »Aber« blieb im Raum hängen, dürfen?
TRAICOON 0096 51

Roi erinnerte sich an die Protokolle reiche der Milchstraße nach poten­
der Beinahe-Ortung von CHEOS-TAI. ziellen Gegnern TRAITORS und
Hatte man eine weitere Spur des GE­ Widerstandsnestern absuchte. Roi
SETZ-Gebers entdeckt? wusste dank der Erinnerungen Danty­
»Drück dich deutlicher aus, Kerl!«, rens über dieses umfangreiche Netz Be­
verlangte Roi mit Zerbones Stimme. scheid. Es ersetzte zwar nicht die über­
»Die Leitung ist sicher.« aus effektiv arbeitenden Dunklen
»Aber das letzte Mal ... ihr wolltet die Ermittler – doch wie sich nun zeigte,
Unterlagen persönlich in Augenschein hatte auch dieses sekundäre System sei­
nehmen.« nen Sinn, zumindest in den Augen der
»Sag gefälligst, was du zu sagen hast Kolonnen-Angehörigen.
– oder du wirst es bereuen!« »Wem hast du von deiner Entdeckung
»Ja, Herr!« Der Ganschkare senkte sonst noch erzählt?«, hakte Roi nach.
unterwürfig seinen Kopf. Rings um ihn »Niemandem«, antwortete Awoko.
flammte eine silberne Wand auf. Ein Diesmal war die Verwunderung in der
Sichtschutz, der ihn gegenüber anderen Stimme des Ganschkaren nicht zu über­
Wesen in der Zentrale des Forts un­ hören. »Du selbst hast befohlen, die Su­
sichtbar machte. »Wie du befohlen hast, che ganz alleine durchzuführen ...«
habe ich mich darum bemüht, weitere »Ich weiß, was ich befohlen habe!«,
Berichte über Sichtungen von großen blaffte Roi. »Sollte ich draufkommen,
und unbekannten Objekten hereinzu­ dass du dich nicht an meine Anwei­
bekommen.« sungen gehalten hast, dann ...«
»Und?« Roi schlug das Herz bis zum Er ließ das »dann« für ein paar Se­
Hals. kunden im Raum stehen. Der Kalbaron
»Ein Passiv-Satellit hat das flüchtige wusste, was davon zu halten war.
Bild einer goldenen Kugel mit einem »Jede Weiterverarbeitung und -ver­
Durchmesser von 1126 Kilometern ein­ breitung des Bildes ist untersagt«, gab
gefangen ...« Roi dem Kalbaron weitere Anweisungen.
Ein Passiv-Satellit. Einer von mehre­ »Ich komme persönlich in die Zentrale,
ren Millionen, der Schwerpunktbe­ um mich der Sache anzunehmen.«
52 MICHAEL MARCUS THURNER

»Ja, Herr! Ich erwarte dich freudig schwindigkeit davon. Der Gang schmolz
erregt.« Der Schreck war dem Gansch­ vor seinen Augen zu einem langen, hel­
karen anzusehen. Sein Halsgefieder len Strich zusammen, den er entlang­
stellte sich auf, einzelne Federn ver­ raste. Fußgänger sprangen ängstlich
färbten sich wie als Folge einer aller­ beiseite; einen von ihnen, der zu spät
gischen Reaktion gelblich. reagierte, rempelte der Koffter, ohne
Roi gab einem mikrobestialischen das Tempo zu reduzieren, aus dem Weg.
Techniker Befehl, die Tonverbindung zu Nach nicht einmal 30 Sekunden er­
kappen. Er schloss die Augen, atmete reichte Roi sein Ziel. Das Schott der
tief durch. Dann deutete er auf den Ko­ Zentrale öffnete sich, mit Schrittge­
kon, den er unter größten Mühen durch schwindigkeit glitt sein Gefährt hin
Schächte, Kanäle, Toträume und im zum leicht überhöhten Befehlsstand,
Schutz seines Dunkelschirms an meh­ auf dem Awoko stockstarr stand und
reren Kontrollpunkten vorbeigeschleppt ihm ängstlich entgegenblickte. Roi sah
hatte. sich um, bereute die Drehbewegung
»Helft mir bitte schön beim Anzie­ »seines« Halses gleich darauf. Der
hen«, sagte der Unsterbliche. »Ich un­ Schmerz im Brustbereich wurde schier
ternehme einen kleinen Ausflug.« unerträglich.
Es war verdächtig ruhig in der Kom­
* mandozentrale. Irgendwo zischten
Luftdüsen. Sie pressten ein rauchiges
Er zwängte sich in den Kokon und Atemgemisch in eine Abteilung, die
wartete dann qualvolle Minuten, bis durch einen Energieschirm vom Rest
ihm die Mikro-Bestien die Originalklei­ der Zentrale abgetrennt war. Dort un­
dung Zerberoffs überzogen. In das tau­ ten tummelten sich fremde, fremdartige
cheranzugähnliche Gewand waren Geschöpfe in einem von gelblichen
Kodegeber eingearbeitet, die die Kon­ Schlieren durchzogenen Dampfbad.
trollabfragen auf dem Weg zur Zentrale »Sichtblende!«, zischte Roi Awoko
des TRAICOON-Forts neutralisierten. kurz angebunden zu. »Nur du und ich!«
Auf diese Weise hatte er an Bord von Der Stimmmodulator, nun Bestand­
0096 völlige Bewegungsfreiheit. teil seiner Gesichtsmaske, funktionierte
Er hegte nicht die Absicht, auch nur ausgezeichnet.
einen Schritt zu tun. Der Koffter würde Silbernes Licht fasste ihn und den
ihn zum Kalbaron bringen und wieder Kalbaron blickdicht ein. Der Lichter­
zurücktransportieren. In sitzender Hal­ schein war ungewöhnlich grell. Roi
tung ließen sich die Schmerzen, die er setzte den Koffter so, dass Awoko gegen
im Inneren des Kokons verspürte, leid­ das Licht starren musste, wollte er ihm
lich aushalten. Der Unsterbliche hatte in die Augen blicken. Er vertraute der
ein paar rasche Dehnungsübungen ge­ Gesichtsmaske des Kokons keineswegs.
macht, Khiz Turagga spritzte ihm ein Jeder Vorteil, und war er noch so klein,
lokales Betäubungsmittel in die rechte konnte mithelfen, seinen Gesprächs­
Hüfte und in den rechten Schulterbe­ partner zu täuschen.
reich. Solcherart auf seine schwierige Der Unsterbliche zog die Mundwin­
Aufgabe vorbereitet, befahl er dem kel nach oben. Die intelligente Maske
Koffter, sich auf den Weg zu machen. setzte den Befehl, den er in langen Stun­
Das Gefährt schoss mit hoher Ge­ den geübt hatte, um und verwandelte
TRAICOON 0096 53

ihn in einen ganschkarischen »bösen »Du hast etwas zu sagen?« Rois


Blick«. Sodass es für Awoko den An­ Schlangenkopf fauchte den Kalbaron
schein erwecken musste, als wäre Zer­ an. Trotz der Schmerzen richtete er sei­
beroff drauf und dran, ihn mit Endo­ nen Kokonkörper auf, schob beide Köp­
gener Qual zu bestrafen. fe ein wenig näher zusammen.
»Führ mir die Sichtung des Passiv- »Ich verstehe nicht, Herr«, sagte
Satelliten vor!«, verlangte Roi herrisch Awoko kläglich. »Warum dieser
vom Kalbaron. Suchaufwand, wenn wir ohnehin alle
Awoko aktivierte mit leicht zitternden Beweise vernichten?«
Fingern den holografischen Darstell- »Du verstehst nicht, weil du nur ein
Modus. Eine Kugel erschien, kaum als Kalbaron bist und ich ein Dualer Kapi­
solche gegen den sternengesprenkelten tän«, entgegnete Roi. »Aber um deinem
Hintergrund zu erkennen. Sie wirkte armseligen Verstand auf die Sprünge zu
semitransparent, goldene Ränder ließen helfen: Alles, was wir tun, dient der Sa­
sich erahnen. Die Bilder waren rucke­ che der Kolonne. Diese Informationen
lig. Das Objekt verschwand immer wie­ sind von allerhöchstem Wert und dürfen
der aus der Ortung. Seine Größe ließ niemals in den allgemeinen Verkehr ge­
sich mangels Vergleichsmöglichkeiten langen. Sie liefern Hinweise auf eine
nicht abschätzen; dennoch war sich Roi Intrige aus dem Innersten heraus. – Ich
sicher, dass dies CHEOS-TAI war. nehme an, dass Gerüchte darüber längst
»Hat ein Ortungsspezialist diese Auf­ im Umlauf sind?«
nahmen zu Gesicht bekommen?«, fragte »J...ja.«
er Awoko. »Es ist in der Tat etwas dran an die­
»Nein. Ich habe das Bild anlässlich sen Vermutungen. Schätze dich glück­
einer Routineabfrage empfangen. Der lich, dass ich dir nicht mehr darüber
Satellit befindet sich im Einzugsgebiet erzähle; es würde dich den Kopf kosten.
des Forts ...« Nur so viel: Außer mir darf lediglich der
»Handelte es sich um eine vollauto­ Progress-Wahrer Antakur von Bitvelt
matische Routineabfrage?« Zugriff auf diese Daten erlangen.«
»Ja, Herr!« Roi verzog neuerlich sein Maskenge­
»Gut.« sicht; sodass Awoko damit rechnen muss­
Roi setzte eine komplizierte Mimik- te, jeden Augenblick mit einer Dosis En­
Sequenz, die das Gesicht seines Kokons dogener Qual belegt zu werden. »Du
so wirken ließ, als wäre er gar nicht da­ haftest mit deinem Leben dafür, dass kei­
mit einverstanden, ein Lob auszuspre­ ne Fehler passieren. Außer einem einzigen
chen. Awokos Halsgefieder sträubte Datensatz darf nichts an Informationen
sich erneut. Die Umsetzung war also über dieses Objekt übrig bleiben.«
gelungen. »Ja, Herr!« Der Ganschkare machte
»Du kümmerst dich darum, dass die sich dienstbeflissen an die Arbeit. Seine
betreffende Sonde ferngezündet wird. Hände streichelten in aller Hast über
So rasch wie möglich. Gib mir die ori­ das Eingabepaneel. Bildgloben erschie­
ginäre Übermittlungsdatei, alle Kopien nen im Raum zwischen ihnen. Sie doku­
werden vernichtet. Selbst die gerings­ mentierten aus mehreren Blickwinkeln,
ten Spuren in den Rechnern des TRAI­ wie ein passiver Ortungssatellit implo­
COON müssen gelöscht werden.« dierte. Roi stellte zu seiner Zufrieden­
»Aber ...« heit fest, dass Awoko spurte. Er dachte
54 MICHAEL MARCUS THURNER

nicht einmal daran, seine Anweisungen 17.


zu hinterfragen. Das Druckmittel der Zerberoff
Endogenen Qual, das der Unsterbliche
in der Maske Zerberoffs anwandte, Er erwacht und versucht, die Augen
wirkte Wunder. zu öffnen. Da ist nur Schwärze, um­
»Hier, Herr«, sagte der Kalbaron nur kränzt von einem Hauch von Licht.
wenige Minuten später. Er legte ihm ei­ Er versteht: Man hat ihm, ihnen bei­
nen Datenkristall auf die Armlehne des den, die Augen verbunden. Damit er
Koffters, vermied dabei jegliche Berüh­ nicht sehen kann, was rings um ihn vor­
rung. Ein letztes Datenhologramm ras­ geht, damit er seine Konzentration
selte Informationsketten herab. Sie nicht für die Erzeugung Endogener
wurden immer weniger, verschwanden Qual aufwenden kann.
aus den Speichern der bordinternen Zerbone und Aroff lachen gemein­
Rechner. Roi beobachtete, wie jeglicher sam. Es klingt ganz anders als bisher.
Hinweis auf die verfänglichen Aufnah­ Was ist geschehen?
men des GESETZ-Gebers gelöscht Er hört die Atemgeräusche mehrerer
wurde. Lebewesen. Manche von ihnen sind un­
Schweigend öffnete der Kalbaron den regelmäßig und laut, andere flach und
Sichtschutz. fast nicht zu hören.
Roi ließ den Koffter eine Kehrtwende Er hebt beide Hände und will die
machen und steuerte sein Gefährt gruß­ Bänder von seinen Augen nehmen. Win­
los aus der Kommandozentrale. Die An­ zige, nichtsdestotrotz kräftige Finger
spannung ließ nach, der Adrenalinspie­ hindern ihn daran, fixieren ihn mit
gel sank – und die Schmerzen machten stählernem Griff.
sich immer deutlicher bemerkbar. Am »Lasst ihn!«, sagt eine Stimme, die
liebsten hätte er losgeschrien. Er bekam ihm bekannt vorkommt. Es ist jene des
kaum noch Luft, das Zwerchfell war Dualteils Danton.
eingeklemmt, jeder Atemzug war eine Seine Hände kommen frei. Er besei­
Überwindung. tigt den Stoff über den beiden Augen­
Es dauerte eine Minute, bis er die Si­ paaren. Das Licht blendet ihn, doch er
cherheit von Zerberoffs Kabinenflucht gewöhnt sich rasch daran.
erreichte und sich das Tor hinter ihm Rings um ihn sitzen und stehen
schloss. Feinde. Danton, dessen Existenz er
Mit einem Seufzer der Erleichterung nicht versteht; weitere Terraner in hel­
stieg er aus dem Koffter, riss sich die len Arbeitskitteln, die mit Blut bespritzt
Kleidung des Duals vom Leib und über­ sind – mit meinem Blut! – und mehrere
ließ es den terranischen Medikern, ihn Mikro-Bestien. Alle blicken sie ihn er­
aus der Zwangsjacke des Kokons zu be­ wartungsvoll an, erwarten eine Reakti­
freien. Irgendetwas im Bereich der Len­ on von ihm.
denwirbel knirschte, und er fühlte die Strahlerläufe sind auf ihn gerichtet.
stabilisierenden Impulse des Zellakti­ Sie fürchten ihn trotz seines geschwäch­
vator-Chips so deutlich wie selten zu­ ten Zustands, und das macht ihn ir­
vor. gendwie ... stolz.
Er hatte die große Mission der Terra­ »Denkt daran: Er benötigt Zeit«, sagt
ner vorerst gerettet, auf Kosten seiner eine der Mikro-Bestien.
Gesundheit. Zorn überkommt ihn. Wie kann es
TRAICOON 0096 55

der Kleinling wagen, über ihn zu spre­ stecken. Wenn Danton sie hätte um­
chen, als wäre er gar nicht anwesend! bringen wollen, hätte er es wohl längst
Am liebsten würde er ihm den Kopf getan.
wegsprengen, ihn wie eine reife Frucht Die Terraner wollen Zerberoff auf ih­
explodieren lassen ... re Seite ziehen. Sie wollen ihn für ihre
Er nimmt sich zurück. In gewissem Zwecke vereinnahmen. Und sie hoffen,
Sinne hat die Mikro-Bestie recht: Er be­ dass er so etwas wie Dankbarkeit dafür
nötigt Ruhe, um all das zu verarbeiten, empfindet, von der Beeinflussung durch
was ihm während des schier endlos lan­ die Kralle befreit worden zu sein.
gen Aufwachprozesses immer wieder Danton erwartet etwas ganz Be­
durch den Kopf ging. Er hatte gefühlt, stimmtes von ihm. Bloß: Was ist es?
wie der Einfluss der Krallen nachließ, Sie gleiten in den Singulären Intel­
wie sich die Schatten hoben und sich lekt. Kehren gleich darauf wieder in die
sein Horizont erweiterte. Perspektiven Zweisamkeit zurück. Im Zwiegespräch
ergaben sich, von denen Zerberoff nie­ ergeben sich hoffentlich neue Ansätze
mals geglaubt hätte, dass sie existier­ für ihre weitere Vorgehensweise.
ten. Sie erlaubten es ihm, an den Posi­ Rasch kristallisiert sich die erwartete
tionen TRAITORS zu zweifeln. Disharmonie heraus: Aroff fühlt Freude
Da ist diese schreckliche Wut, die ihn und Erleichterung. Er wähnt die Terra­
packt, jedes Mal, wenn er an die Demü­ ner als Verbündete, die ihm helfen wol­
tigungen denkt, die man ihm im Namen len, sich an den Verantwortlichen der
der Chaotarchen angedeihen ließ. Die Terminalen Kolonne für all die Demü­
Krallen haben jeden seiner Gedanken­ tigungen zu rächen, die sie durchge­
gänge gesteuert und eine unverrückba­ macht haben.
re Loyalität zu den Herren der Endlosen Zerbone jedoch sieht den Zynismus
Kolonne erschaffen. Stets meinte er, frei in Dantons Handeln: Er und seinesglei­
zu sein, seine eigenen Entscheidungen chen sind keinesfalls besser als Antakur
zu treffen und aus freiem Willen den von Bitvelt und die anderen Progress-
Wünschen der Chaotarchen nachzu­ Wahrer. Zerbone stellt sich die Frage,
kommen. wer von beiden Seiten denn das bessere
Man hat ihn angelogen. Angebot machen könnte.
Und sollen wir deswegen einen Das Schicksal sorgt dafür, dass er
Schwenk um hundertachtzig Grad voll­
führen?, fragt Zerbone, der Kritischere
der beiden. Was ist das eigentlich: Wahr­
heit? Ist dies nicht ausschließlich eine
Sache der Perspektive? Kann man denn
nicht jedes Faktum drehen und wenden,
bis man das sieht, was man sehen will?
Sind wir nun befreit von jeglichem Ein­
fluss – oder ist es nur das, was uns die
Kosmokratenbüttel glauben lassen wol­
len?
Aroff bleibt ruhig. Auch er denkt
nach. Lange und ohne Wert auf die be­
drohliche Situation zu legen, in der sie
56 MICHAEL MARCUS THURNER

rasch und ohne viel Überlegen eine Ent­ bringen und sich wieder seiner Aufga­
scheidung treffen muss. Denn die Tür­ ben zu besinnen.
signalanlage läutet. Und dennoch: Die Umstände des
Zerberoff richtet sich auf. Automatis­ letzten Zusammentreffens mit dem Du­
men greifen. Er ist der Herr des Forts. al waren merkwürdig. Warum hatte ihn
Kalbaron Awoko ist gekommen, um ihn Zerberoff gezwungen, die Daten des Or­
persönlich zu sprechen. tungssatelliten zu löschen und die An­
Danton blickt ihn, den Dual, nach­ lage zur Detonation zu bringen? Diese
denklich an. Mit einem Wink gibt er Vorgangsweise erschien ihm als nicht
ihm zu verstehen, dass er die Tür öffnen nachvollziehbar. Wenn Gefahr in Ver­
soll. zug war, galt kolonnenweit die Direkti­
Der Terraner schenkt ihm Vertrau­ ve, augenblicklich Kontakt mit einer
en. höhergestellten Instanz aufzunehmen;
Dabei vertrauen sich Aroff und Zer­ in ihrem Fall mit der Dienstburg CRULT.
bone nicht einmal gegenseitig. Doch alle Anzeichen sprachen dafür,
dass Zerberoff dieses Gespräch hinaus­
zögerte und sein eigenes Süppchen
18. kochte.
Kalbaron Awoko: kurze Zeit zuvor Steckte er gar hinter der angedeute­
ten Intrige?
Er hasste diesen Dual. Seine Präpo­ Awoko hatte befehlsgemäß alle Da­
tenz übertraf jene seiner Vorgänger bei tenkopien gelöscht. Doch das Gespräch
Weitem. Zerberoff war bereits der drit­ mit Zerberoff, das in trauter Zweisam­
te Kapitän, unter dem er diente und ei­ keit und im Schutz eines Sichtschirms
nen braven Erfüllungsgehilfen gab. Er erfolgt war, war den Sicherheitsstan­
kassierte die Ohrfeigen, wenn im Tages­ dards entsprechend in Ton und Bild
geschäft des TRAICOON-Forts etwas aufgezeichnet worden.
schiefging. In den seltenen Fällen eines Er schlug die Schnabelhälften belus­
Lobs aus der Dienstburg holte sich der tigt aufeinander. Der Dual hatte mit
Dual die Meriten ab. keiner Silbe darauf hingewiesen, dass
Schon vor vielen Jahren hatte er die auch dieser Beweis gelöscht werden
Hoffnung aufgegeben, auf der Ranglei­ sollte. Wäre Zerberoff bei klarem Ver­
ter des Erfolgs ein Stückchen höher zu stand gewesen, wäre ihm ein derartiger
klettern. Er hätte es als durchaus reiz­ Lapsus niemals unterlaufen.
voll empfunden, Teil eines Duals zu Awoko sah sich die Aufzeichnung ih­
werden. Der stetige Austausch mit res Zwiegesprächs nochmals an. Er
einem anderen, die Fähigkeit, Endogene konzentrierte sich auf das Mienenspiel
Qual zu verabreichen, die Macht – dies des Duals. Beide Gesichter wirkten wie
alles hätte ihn sicherlich die körper­ versteinert, als entbehrte sein Vorge­
lichen Hinlänglichkeiten einer derart setzter jeglicher Emotion. Wenn er et­
engen Zweierbeziehung vergessen las­ was sagte, wirkte es hölzern. Auch ließ
sen. sich eine gewisse Unsicherheit feststel­
Er sammelte sich und wiederholte len, die Awoko niemals zuvor bemerkt
mehrfach ein Mantra der Dunkelheit. hatte.
Die Exerzitien halfen ihm, unbotmä­ Zerberoff war krank. Bestenfalls litt
ßige Gedanken aus seinem Kopf zu er unter körperlichen Verfallserschei­
TRAICOON 0096 57

nungen, die in der ungewöhnlichen heit. Ein Prallfeld, von den terranischen
Paarung eines Mor’Daer mit einem Medikern zur Verfügung gestellt, um­
Ganschkaren begründet lagen. Oder packte den Dual und schob ihn hin zur
aber er hatte, um es salopp zu sagen, Tür. Die Ärzte zogen sich in den Hin­
einen Dachschaden erlitten. tergrund des Raums zurück und ver­
Besser gesagt: zwei. steckten sich. Senego Trainz gab Rinka
War dies die Chance, auf die er zeit Zeichen, als Einzige in unmittelbarer
seines Lebens gewartet hatte? Konnte Nähe des Duals zu bleiben. Er vertraute
er die Autorität des Duals infrage stel­ ihr, ihrem Geschick als Scharfschüt­
len und ihn seines Kommandos enthe­ zin.
ben, um seine Stelle anzutreten? Sie steckte ihren Notizband sorgfäl­
Nun – die Umtriebe des Antakur von tig in die Brusttasche. Mehr als 100 Ein­
Bitvelt waren und blieben rätselhaft, träge waren während der letzten drei
seine Motivation durchschaute nie­ Tage untätigen Wartens hinzugekom­
mand. Er mochte Awoko töten lassen, men. Sie erzählten von Routinearbeiten,
aus Langeweile oder aus Lust an der vom Verhältnis der Mikro-Bestien zu­
Freude, oder er mochte ihm, dem klei­ einander, von ihren Ängsten, Wünschen
nen und unbedeutenden Kalbaron, und Hoffnungen. Die eng beschriebenen
quasiewiges Leben im Leib eines Duals Blätter waren zu einfühlsamen Doku­
schenken. menten ihrer aller Leben geworden.
Der Kalbaron nahm seine Waffe zur Stolz erfasste sie, wenn sie daran dach­
Hand und sammelte jene Offiziere um te, wie rasch sie sich in ihre neue Rolle
sich, auf die er meinte, sich verlassen zu eingefunden hatte ...
können. Sie packte ihren Strahler und folgte
»Wir statten dem Dual einen Besuch dem Dual zur Eingangstür. Rinka blick­
ab«, eröffnete er ihnen. »Ich befürchte, te sich um. Alle Spuren ihrer Anwesen­
er ist nicht mehr ganz bei Sinnen.« heit waren verschwunden. Sie hatten
dieses Not-Prozedere Tag für Tag
durchgespielt, immer und immer wie­
19. der.
Rinka Porol Zerberoff aktivierte mit einem Fin­
gerdruck den Öffnungsmechanismus.
Sie verstand nicht, warum Roi ein Die Schwingtür klappte nach innen.
derart großes Risiko einging. Mit ein Rinka blieb, für die Gäste unsichtbar, in
paar harschen Worten hätten sie den deren totem Winkel verborgen. Der Du­
Kalbaron vertreiben können. Doch der al konnte sie sehr wohl sehen. Ihre er­
Unsterbliche wollte den Dual zwingen, hobene Waffe, die ihm, dem Riesen, wie
Stellung zu beziehen. Jetzt gleich. Ohne ein winziges Spielzeug vorkommen
nachzudenken, ohne allzu viel über sei­ musste und dennoch dank ihrer ultra­
ne Situation zu grübeln. verdichteten Technik den Tod bringen
Der Dual kam aus seiner seltsamen konnte.
Stützlage hoch. Der Schlangenähnliche »Du wagst es, Kalbaron?«, sagten bei­
streckte die Zunge aus dem Maul und de Seiten des Duals unisono. »Du weißt,
ächzte angestrengt, der Avoide blähte dass du mich niemals unangemeldet
sein Gefieder auf. Beides waren Anzei­ in meinem Wohnbereich besuchen
chen von Schmerz – und von Unsicher­ sollst!«
58 MICHAEL MARCUS THURNER

»Ja, Herr, aber ...« der wirst du mit diesen Würmern hier
»Was – aber?«, schrillte Zerbone. »Ist auftauchen, Kalbaron. Hast du mich
dir deine Gesundheit denn nichts verstanden?«
wert?« Es dauerte einige Sekunden, bis Awo­
»Ich machte mir Sorgen, Herr.« Die ko in der Lage war, eine Antwort zu ge­
Stimme des Kalbarons klang aufmüp­ ben. Seine Stimme klang weinerlich,
fig, herausfordernd. »Du hast während von tiefer Verzweiflung durchdrungen.
der letzten Tage nur ein einziges Mal »Niemals mehr wieder«, wiederholte er
deinen Kabinentrakt verlassen und erbärmlich leise.
kaum auf meine Anfragen reagiert.« »Gut. Du darfst dich jetzt entfernen«,
»Weil sie ohne Bedeutung waren!«, sagte Zerberoff und schloss die Tür.
zischte Zerbone. »Sag mir, dass du ei­ Der Dual drehte sich um. Zerbone
nen triftigen Grund für deinen unange­ sah Rinka mit bedeutungslosem Blick
meldeten Besuch hast; gibt es Nach­ in die Augen, Aroff widmete sich indes
richten von Antakur von Bitvelt?« Roi Danton, der sich hinter dem Ar­
»Nein ...« beitspult Zerberoffs hervorschob.
»Stehen Kosmokratentruppen vor »Es ist seltsam«, sagten die beiden so
dem Kolonnen-Fort?« unterschiedlichen Teilwesen im Duett.
»Nein ...« Ihre Stimmen klangen nachdenklich
»Sind die Terraner zum Angriff über­ und gar nicht, wie man sie nach einer
gegangen, haben sie unsere Wachflotten derartigen Tat erwarten durfte. »Ich be­
überrannt?« daure es, Awoko und seinen Leuten die­
»Nein, aber ...« sen Schmerz bereitet zu haben.«
»Genug!«
Zerbone und Aroff schoben ihre Köp­ *
fe zusammen, so nahe es ihnen möglich
war. Rinka wusste, was dies bedeutete. Roi Danton zog sich mit Zerberoff zu
Sie hob ihre Waffe an, zielte abwech­ einem Zwiegespräch zurück. Das Bild
selnd auf beide Köpfe, bereit, beim ers­ der einmütig nebeneinanderstehenden
ten Anzeichen von Schmerzimpulsen zu Wesen wirkte seltsam. Noch vor weni­
feuern. gen Tagen waren sie erbitterte Feinde
Doch diese Dosis, die Zerberoff ver­ gewesen.
abreichte, galt nicht ihr oder den Terra­ »Wir dürfen dem Dual unter keinen
nern, sondern Awoko und seinen Be­ Umständen trauen«, sagte Senego
gleitern. Rinka Porol hörte Stöhnen, Trainz zu Rinka. »Du hältst ihn, so gut
Schmerzensschreie, Bitten und Betteln. es geht, unter Beobachtung. Wer weiß:
Die Ganschkaren und Mor’Daer stürz­ Vielleicht geht er nur zum Schein auf
ten wie nasse Säcke zu Boden, stießen eine Zusammenarbeit ein. Er könnte
sich ihre Köpfe blutig. Der stechende unser Vorhaben ausspionieren und dann
Geruch nach Urin und Kot breitete sich neuerlich die Fronten wechseln.«
aus, die Intensität des Gejammers ließ Ja, das könnte er. Rinka Porol atmete
Rinka beinahe Mitleid mit den Opfern tief durch. Schon zu Beginn ihrer Exis­
Zerberoffs empfinden. tenz, in der Skapalm-Bark der Kolonn­
Beinahe. nen-Anatomen, hatten die Mikro-Bes­
Der Dual beendete die Zurschaustel­ tien gelernt, Furcht, Hass und
lung seiner Macht. »Niemals mehr wie­ Misstrauen zu pflegen. Eingesperrt in
TRAICOON 0096 59

Tanks, wie Versuchstiere für grässliche oder würde er sie ermuntern, weiterzu­
Experimente herangezogen, hatten sie machen?
dahinvegetiert. Nichts, was ihnen die »Ich möchte eine Geschichte erzäh­
Kolonnen-Anatomen weismachen woll­ len«, sagte sie. »Eine Historie der Mi­
ten, hatte jemals der Wahrheit entspro­ kro-Bestien. Ich will ihre Schlachten
chen. Versprechungen von einem schö­ beschreiben, ihre Siege, ihre Erfolge.«
neren Leben hatten sich ebenso als »So?« Senego zeigte sein prachtvolles
Lüge entpuppt wie alle Hinweise dar­ Gebiss. »Wir sollten uns aber nicht an­
auf, welch wichtige Rolle sie doch im hand dessen definieren, was wir im
endlosen Verbund der Terminalen Ko­ Kampf erreichen. Viel wichtiger ist
lonne spielten. meiner Meinung nach, festzuhalten,
Das Misstrauen war ihnen erhalten wer und was wir sind. Dass wir es ge­
geblieben, war trotz intensiver Betreu­ schafft haben, etwas aus uns zu machen.
ung durch terranische Psychothera­ Es sind nicht die lauten Kracher, über
peuten niemals verschwunden. die du schreiben solltest, sondern die
Zerberoff war ein Kind TRAITORS, leisen Zwischentöne.«
und ihm war nicht zu trauen. »Ich weiß«, sagte Rinka Porol. »Ich
»Was kritzelst du eigentlich seit Ta­ habe viel über uns gelernt, seitdem ich
gen herum? Du schreibst etwas auf?«, mit meinen Aufzeichnungen begonnen
unterbrach Senegos Stimme ihre Ge­ habe.«
danken. »Darf ich lesen, was du geschrieben
Sie drehte sich zu ihm um, zum größ­ hast?«
ten Helden ihres Volkes. Sollte sie ihm »Noch nicht. Eine gute Geschichte
die Wahrheit sagen? Würde er lachen, braucht vor allem ein gutes Ende. Ich
60 MICHAEL MARCUS THURNER

bin mir nicht sicher, ob ich mein Werk »Du kennst nun meinen Plan, Dual.«
bereits abschließen soll. Mir scheint, Der kleine, blasse Terraner beobachtete
dass unsere Reise gerade erst beginnt.« ihn weiterhin misstrauisch. »Ein ... Ver­
»Da magst du recht haben.« Senego bündeter wird Antakur von Bitvelts
Trainz drehte sich zur Seite, betrachte­ Verunsicherung während der nächsten
te sinnend die nach wie vor im Gespräch Tage weiter steigern. So sehr, dass er
vertieften Roi Danton und Zerberoff. sich gezwungen fühlen wird, weitere
»Du hast ein Auge auf unseren dualen Schutztruppen in die Dienstburg abzu­
Freund?«, fragte er nachdenklich. ziehen; darunter vermutlich so viele
»Selbstverständlich. Er spielt eine Duale wie möglich.«
ganz besondere Rolle in meiner Ge­ »Wenn dem so ist, gehöre ich sicher­
schichte. Die des Tricksters. Jenes zwei­ lich zu den Auserwählten. Ich habe in
gesichtigen Wesens, dem man nie rich­ den Augen des Progress-Wahrers zwar
tig trauen kann. Vielleicht zieht uns Fehler gemacht; dennoch legt er ganz
Zerberoff in den Abgrund, vielleicht besonderen Wert auf mein Urteilsver­
entscheidet er den Kampf gegen Anta­ mögen.«
kur von Bitvelt. Ist es nicht seltsam, wie »Das freut mich zu hören. Du wartest
gut die Rolle des Tricksters zu seinem gemeinsam mit zehn meiner Mikro-Bes­
Aussehen passt? Aroff scheint eher uns tien, die ich zu deiner Unterstützung
zugetan zu sein, während Zerbone nach hierlasse ...«
wie vor mit den Zielen TRAITORS lieb­ »... um mich zu überwachen, nicht
äugelt.« wahr?«
»Merkwürdig, in der Tat«, grollte »... die dir in jeglicher Hinsicht helfen
Senego Trainz. Doch er war mit seinen sollen, wenn du den Ruf aus der Dienst­
Gedanken bereits wieder ganz woan­ burg erhältst. Dann machst du dich oh­
ders. Jene Entscheidungen, die soeben ne weitere Umstände auf den Weg. Du
im Zwiegespräch zwischen Danton und sorgst dafür, dass jener Traitank, mit
Zerberoff getroffen wurden, bedeuteten dem wir an TRAICOON 0096 angedockt
in jedem Fall viel Arbeit für die Mikro- haben, nach CRULT eingeschleust
Bestien. wird.«
Rinka Porol behielt die Waffe in der »Und dann?«
Hand und beäugte argwöhnisch den »Weiteres erfährst du, sobald wir
Dual. CRULT erreicht haben. Wir verfügen
auch dort über zuverlässige Verbünde­
te, die uns helfen werden.«
20. »Mehr willst du mir nicht sagen?«
Zerberoff »Nein. Du verstehst sicherlich, war­
um.«
»Du willst also Rache?«, fragte ihn Ja, das tat er. Der Terraner misstrau­
Danton. te ihm. Aus gutem Grund.
»Ja.« »Ich könnte dich vernichten, Roi
Mehr gab es nicht zu sagen. Was sie Danton; ich könnte die Mikro-Bestien
eigentlich wollten, wussten sie selbst mit einem einzigen Gedanken aus ihrem
noch nicht so genau. Doch das allge­ erbärmlichen Dasein reißen, mir eine
mein gehaltene Wort »Rache« traf es Dunkelkapsel schnappen und irgend­
vorerst am besten. wohin verschwinden, wo weder Chao­
TRAICOON 0096 61

tarchen noch Kosmokraten während von CRULT weitere Verwendungen für


der nächsten Jahrtausende hinkommen dieses aus der tiefen Vergangenheit
werden. Aber ich habe mich entschlos­ stammende Verfahren zur mentalen Be­
sen, dir und den Terranern zu helfen. freiung von Kolonnen-Angehörigen.
Und ich sage dir auch, warum.« Sicher und ungeschoren erreichten
»Ja?« Roi und seine Leute »ihren« Traitank.
»In uns beiden steckt abgrundtiefer Zerberoff hatte ihnen, wie vereinbart,
Hass. Wir werden alles daransetzen, um einige Hindernisse aus dem Weg ge­
Antakur von Bitvelt zu Fall zu brin­ räumt. Der Unsterbliche ließ die Be­
gen.« geisterungsstürme und die heftigen
»Gut«, sagte Roi Danton. Gratulationen der Mitglieder der Zen­
Er schien zu wissen, was Hass war. tralebesatzung stoisch über sich erge­
hen. Sie hatten einen weiteren, kleinen
Etappensieg errungen. Doch der Weg
21. war noch weit und steinig ...
Roi Danton »Achtung!«, sagte Goran Frownie.
»Wir bekommen Besuch!«
Der Rückweg zu Traitank 1.199.188 Mehrere dickbäuchige Transportro­
war im Vergleich zu den vorangegan­ boter schwärmten im Parkhangar ihres
genen Schwierigkeiten ein besserer Traitanks aus. Sie forderten die Schiffs­
Spaziergang. Rois Müdigkeit war ver­ leitung auf, einen Lagerhangar für »ei­
flogen. Auch wenn ein Rest von Miss­ ne besondere Lieferung« vorzuberei­
trauen blieb – in dem Dual schienen sie ten.
den bestmöglichen Verbündeten im »Was tun?«, fragte Goran Frownie. Er
Kampf gegen Antakur von Bitvelt ge­ biss auf seine Unterlippe, wie er es im­
wonnen zu haben. mer tat, wenn er nervös wurde.
Mikro-Bestien, die den Weg im Zuge »Reinlassen!«, befahl Roi Danton.
der Nachschubbeschaffung bereits »Höchste Sicherheitsstufe. Lass das
mehrmals begangen hatten, lotsten ihn Hangardeck weiträumig absichern.
und die beiden terranischen Ärzte zu­ Sorge dafür, dass die Männer in ihren
rück an Bord des Traitanks. Senego Masken bleiben.«
Trainz, sein Stellvertreter Doray Celvi­ Der Oberstleutnant bestätigte. Inner­
us, der mikrobestialische Mediker Khiz halb weniger Minuten begaben sich
Turagga und jener sonderbare Vertreter mehr als 50 TLD-Agenten in ihren
dieser kleinwüchsigen Spezies, der sich Identitäten als Ganschkaren und
als Frau sah, blieben gemeinsam mit Mor’Daer und mit entsicherten Waffen
sechs weiteren Landsleuten im Kabi­ in die Nähe des Lagerhangars.
nentrakt des Duals zurück. Sie waren Was will Zerberoff von uns?, fragte sich
ihre Rückversicherung. Die beste, die Roi. Und warum hat er uns nicht vorge­
den Terranern zur Verfügung stand. warnt? Spielt er ein falsches Spiel?
Zurück blieben auch jene Materialien Die riesenhaften Roboter schleusten
und Aufzeichnungen, die zur Anwen­ ein, mit Argusaugen beobachtet. Sie
dung der Atrentus-Methode notwendig stapelten Hunderte, ja Tausende gleich
waren. Khiz Turagga wusste ausrei­ große Pakete auf eine leer geräumte
chend über deren Wirkung Bescheid. Fläche – und verließen gleich darauf
Möglicherweise ergaben sich an Bord wieder den Traitank.
62 MICHAEL MARCUS THURNER

»Öffnen!«, befahlt Roi angespannt. fingierten Offensive gegen Antakur von


Ein Agent näherte sich den Kunst­ Bitvelt loslegen kann.« Er ließ sich mü­
stoffschachteln mit aller gebotenen de in einen der unbequemen Stühle sin­
Vorsicht. Er tastete das Verschlusssys­ ken.
tem ab, schrak zurück, als das Schar­ »Unser Spiel hat begonnen.«
nier hochschnappte – und zeigte mit
völlig verblüfftem Gesichtsausdruck
den Inhalt vor die Linse einer Holo-Ka­ 22.
mera. Zerberoff
»Puppengewänder!«, sagte er heiser.
»Falsch!«, murmelte Roi Danton in Wer waren die Verbündeten in
der Zentrale. »Zerberoff hat uns noch CRULT?, fragte er sich. Wer war der ge­
ein paar wertvolle Geschenke überlas­ heimnisvolle Hintermann im Solsystem,
sen. Ich wette, es handelt sich um ins­ der imstande war, ein mächtiges Wesen
gesamt dreitausend Stück. Um Kampf­ wie den Progress-Wahrer in Aufruhr zu
anzüge für Mikro-Bestien, aus dem versetzen? So sehr, dass er sich gezwun­
Bestand des Forts.« gen sah, zusätzliches Wachpersonal zur
Goran Frownie nickte. Selbst er, der Sicherung der Dienstburg anzufordern.
so steife und beherrscht wirkende Ter­ Und: Was bezweckte Roi Danton mit
raner, zeigte Erleichterung. dieser Aktion eigentlich?
»Zerberoff hätte die Lieferung an­ Der Plan des Terraners besaß für sei­
kündigen können«, klagte er. nen Geschmack viel zu viele Unbekann­
»Ich denke, das ist seine ganz beson­ te.
dere Form von Humor.« Roi Danton Eine der Mikro-Bestien ließ ihn kaum
drehte sich zum Kommandopult und aus den Augen. Nur ab und zu hielt sie
deutete auf ein gelb blinkendes Signal­ inne und kritzelte irgendwelche Noti­
feld. »Ist das unsere Freigabe?«, fragte zen auf ein Schreibpad. Es juckte Zer­
er den TLD-Agenten.« beroff, ihr eine Lektion zu erteilen, doch
»J...ja. Wir können dank eines Über­ er beschloss, davon Abstand zu neh­
rangbefehls Zerberoffs jederzeit losflie­ men. Es war nicht in Ordnung, poten­
gen.« zielle Verbündete zu verprellen.
»Dann tun wir das, Goran. So rasch Aus reiner Neugierde sichtete er das
wie möglich. Ich denke, dass jedermann Material, das sich während der letzten
froh ist, von hier wegzukommen.« Er Tage angehäuft hatte. Großteils ging es
wandte sich einem Funkoffizier zu. »So­ um Aufzeichnungen und Daten, die das
bald wir aus dem Funk- und Ortungs­ Solsystem und die Terraner zum Inhalt
bereich von Nullnullneunsechs sind, hatten. Mittlerweile war klar geworden,
benötige ich eine Verbindung nach Ter­ dass sie ein Hintertürchen nutzten, um
ra. Ich schätze, dass Bully dringend auf ihre Schiffe unerkannt durch den
Nachricht von uns wartet. So, wie ich Schutzschirm zu schleusen und in einer
ihn kenne, stiefelt er seit Tagen von ei­ Entfernung von 1000 bis 2000 Licht­
ner Ecke der Solaren Residenz zur jahren im Normalraum zu materialisie­
nächsten und macht seine Leute kirre, ren.
weil er noch keine Nachricht von uns Der Dual Zerberoff hätte nun nicht
bekommen hat. Er muss dem Nukleus mehr weiter zögern dürfen. Er hätte die
Bescheid geben, dass dieser mit seiner endgültige Vernichtung der Ressource
TRAICOON 0096 63

Solsystem empfehlen müssen. Doch die statistische Häufungen beruhen auf


Nachricht, die er tatsächlich über die Zufall. Empfohlen wird daher die bal-
Funkrelaiskette der Kolonne an CRULT dige Reduzierung der Belagerungstrup­
hinausjagte, lautete folgendermaßen: pen. Eine Ressourcenerhebung im Sol­
»Kapitän Zerberoff findet keinerlei An- system ist bei reduziertem Aufwand
haltspunkte für besondere Vorgänge nach wie vor anzustreben.«
rings um das Solsystem. Vermeintliche Sein Spiel hatte begonnen.

ENDE

Pläne innerhalb von Plänen innerhalb von Plänen ... Der Krieg gegen TRAITOR
kann nur erfolgreich geführt werden, wenn viele Parteien gleichzeitig an unter­
schiedlichen Projekten, aber dennoch mit dem gleichen Ziel arbeiten.

Mehr über einen dieser Pläne weiß Leo Lukas in seinem Roman zu berichten. Band
2473 erscheint kommende Woche unter folgendem Titel:

VERRAT AUF CRULT

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG,
76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 34. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300,
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mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. Dezember 2008.
Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail: mail@Perry-Rhodan.net

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PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
RÜCKKEHR UND AUFBRUCH
Mit der Rückkehr der JULES VERNE ins Solsystem von Hangay zu sehen. Dieser muss unbedingt über­
kann die Operation Tempus als endgültig abgeschlos­ wunden werden, bevor man darangehen kann, die
sen betrachtet werden. Dass sich das Hantelschiff Terminale Kolonne auf dem Gebiet der entstehenden
dank der Modifikationen durch die Metaläufer von Evo­ Proto-Negasphäre zu attackieren. Der Nukleus habe
lux in der Tat als Wundertüte erweisen dürfte, wird bis deshalb einen Agenten nach Hangay geschickt, der
auf Weiteres als Nebeneffekt verbucht, mit dessen sich des Grenzwalls hoffentlich bereits angenommen
Einzelheiten MAN sich noch zu gegebener Zeit zu be­ hat: ESCHER! Ausgerechnet ...
schäftigen haben wird. Bis dahin bleibt festzuhalten, Im Gegensatz zu den Verantwortlichen im Solsystem
dass es zwar eine ganze Reihe Einbauten und Verän­ wissen wir von den Ereignissen in Hangay und auch,
derungen gegeben hat, dass es aber zweifelsohne dass die eigenwillige Parapositronik durchaus mit ei­
noch intensiver Untersuchungen und Forschungen ner gehörigen Portion Skepsis zu betrachten ist. Die
bedarf, bis tatsächlich alle Einzelheiten bekannt Hoffnung des Nukleus ist jedenfalls, dass es ESCHER
sind. gelingt, den Grenzwall zu öffnen. Wichtiger ist für den
Ob und welche Konsequenzen die Entdeckungen Nukleus ein ganz anderer Gedanke: Um wirklich die
dann für die Weiterentwicklung der terranischen Tech­ Genese der Negasphäre Hangay aufzuhalten, ist eine
nik haben werden, wird die Zukunft weisen müssen. Zusammenarbeit vieler verschiedener Instanzen und
Die Eröffnungen von Nox Hauthorn zum Trafitron-An­ Gruppen nötig. Wobei die Betonung auf Zusammenar­
trieb und den Trafitron-Wandlern hinterlassen in die­ beit liege – wenngleich die Koordination letztlich vom
ser Hinsicht durchaus einen zwiespältigen Eindruck: Nukleus besorgt werden soll. Angesichts der bishe­
Die Metaläufer haben nach bisherigen Erkenntnissen rigen Geheimniskrämerei dürfte eine gewisse Skepsis
zwar keine ausgesprochenen Kuckuckseier hinterlas­ keinesfalls falsch sein.
sen, aber ihre Hilfsbereitschaft ist offensichtlich an Rhodan und CHEOS-TAI sollen also vorausfliegen, aber
gewisse Bedingungen geknüpft. Nox Hauthorn spricht der Nukleus will ihnen spätestens binnen drei Mona­
es zwar nicht aus, aber auch so ist es ein eindeutiger ten nach Hangay folgen, sprich: spätestens etwa An­
Hinweis: Seht es als Prüfung – und beweist, dass ihr fang Oktober 1347 NGZ. Denn seine Anwesenheit sei
tatsächlich qualifiziert und somit der Ritterverehrung zum Zweck der Retroversion in Hangay erforderlich.
auf Evolux würdig seid. Bis dahin sind allerdings noch Mittel und Wege zu fin­
Die JULES VERNE ist allerdings, wie bereits gesagt, den, wie das Solsystem auch ohne Hilfe des Nukleus
keineswegs das Wichtigste. Nach dem Austausch der gegen die Belagerung der Terminalen Kolonne ge­
Informationen unter den Verantwortlichen stehen schützt werden kann. Fest steht, so die Aussage des
ganz andere Fragen im Vordergrund. Vor allem natür­ Kollektivwesens, dass der Kristallschirm dank perma­
lich jene nach dem, wie es nun weitergeht. Gibt es ei­ nenter Optimierung, dank permanenten Einsatzes
nen Plan, den der Nukleus der Monochrom-Mutanten durch die Globisten in den TANKSTELLEN mittlerweile
jetzt offenbaren könnte? Oder muss der Plan jetzt, da 95 Prozent der Zeit völlig ohne Unterstützung des Nu­
die Daten zur Retroversion vorliegen, erst noch erar­ kleus den Angriffen standhält. Selbst im Fall von Trom­
beitet werden? Die Antwort des Nukleus fällt eher er­ melfeuer-Angriffen sei die Hilfe des Nukleus seit Wo­
nüchternd aus: Exakt so ist es – ein vorgefertigter chen nicht mehr erforderlich gewesen.
Plan existiert nicht! Der Nukleus beabsichtigt, einen Splitter seiner selbst
Operation Tempus habe jedoch die Voraussetzungen abzuspalten – eine sogenannte BATTERIE. Ihre Aufga­
geliefert, die nötig seien, um die Terminale Kolonne be soll sein, die Kraftströme zwischen TANKSTELLEN
TRAITOR, KOLTOROC und die Chaostruppen in Hangay und Kristallschirm zu koordinieren – und in Krisen­
anzugreifen – wenngleich sich der Nukleus noch nicht situationen den Schirm zu stabilisieren, unter ande­
darüber im Klaren ist, wie dieser Angriff konkret aus­ rem durch weiteres Anzapfen von ARCHETIMS psima­
zusehen hat. Er bittet Rhodan deshalb, mit dem GE­ teriellem Korpus. Eine »Batterie«? Doch weitere
SETZ-Geber CHEOS-TAI so schnell wie möglich nach Erklärungen liefert der Nukleus (noch) nicht. Ein
Hangay vorauszufliegen, so, wie der Terraner es ohne­ Grund für Skepsis? Das Gefühl, dass es noch eine »di­
hin geplant hat. cke Eröffnung« geben wird, will nicht weichen ...
Das Hauptproblem ist laut dem Nukleus im Grenzwall Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,

kennt ihr eigentlich schon unsere LKS-Galerie? Dort Auf www.perry-comic.de kann man die Hefte übri­
bringen wir Storys, die für die LKS zu lang sind, Grafi­ gens auch abonnieren. Praktisch für euch – und für
ken und Cartoons in Farbe, die auf der LKS nur in Grau­ uns ein guter Schritt dahin, dass wir noch viele Perry-
stufen rüberkommen oder sich deshalb gar nicht zum Hefte rausbringen können. Wenn ihr also mögt, was
Abdruck eignen (www.perry-rhodan.net). ihr hier in den PERRY RHODAN-Romanen seht: Mit 15
Ihr findet die Galerie unter der Rubrik »Unterhaltung«. Euro im Jahr seid ihr dabei und kriegt dreimal im Jahr
Von den Grafiken und den Cartoons ist der Weg nicht Perrys neueste Comic-Abenteuer direkt in den Brief­
weit zum PERRY-Comic, das dank dem Engagement kasten.
unserer Freunde von der Alligatorfarm neu erstanden Um die Wartezeit bis zum nächsten Band zu überbrü­
ist. Seit vergangener Woche gibt es als Dankeschön cken, gibt es die nächsten sechs Wochen noch eine
an unsere Leser ein achtteiliges PERRY-Comic in den wöchentliche Dosis in den PERRY RHODAN-Romanen.
aktuellen Heften der Erstauflage. Lasst uns wissen, wie ihr den Comic findet! Ihr er­
Lassen wir einen der »Macher« zu Wort kommen. Kai reicht uns unter studio@alligatorfarm.de. Ich bin
war so nett, uns ein paar Zeilen zu diesem Comic zu gespannt.
schreiben.
2462, 2463 ...
Ein PERRY für PERRY RHODAN Sascha Schwarz, draco0@web.de
Kai Hirdt, kai.hirdt@alligatorfarm.de Gerade habe ich Heft 2462 fertig gelesen, ein super
Liebe Perry-Leser! Na, wie war Silvester? Viel Spaß mit Roman von meinem mittlerweile Lieblingsautor Leo
dem zweiten Teil unseres Fortsetzungscomics und Lukas.
frohes neues Jahr natürlich! Als ich den Kommentar »Gescheiter ...?« durchgele­
Wenn ihr diese Seite lest, ist es ziemlich genau ein sen habe, dachte ich, irgendwie wird es langsam lang­
halbes Jahr her, dass Klaus Frick und ich diesen Plan weilig. Damals im alten Kartoffelkrieg hat jedes Kom­
ausgebrütet haben. Als wir die Idee beim ColoniaCon mando noch wunderbar geklappt, aber mittlerweile
am Grillfeuer besprochen haben, schien es so harm­ sind alle Akteure auf die Nase gefallen. Langsam dürf­
los – acht Comicseiten, kein Problem. So was habe ich ten mal wieder einige Erfolge kommen.
x-mal geschrieben, seit wir die PERRY RHODAN- Für mich hörte sich Evolux (verdammt gute Hefte)
Comics rausgeben. nach einem »kabinettisierten« Planeten der Kosmo­
Mann, war ich naiv. Das Ganze wird jedenfalls ent­ kraten an, womit Chaos und Ordnung wohl die glei­
schieden schwieriger, wenn die Seiten deutlich kleiner chen Wege gehen.
sind als in unseren Perry-Comics, man nur mit Der einzige Unterschied besteht darin, dass Evolux
Schwarz-Weiß arbeiten kann und außerdem so schrei­ Blaue Walzen baut und die armen Chaotarchen sich
ben möchte, dass man auf jeder Seite neu in die Ge­ die ganze Milchstraße schnappen müssen, um ihren
schichte einsteigen kann. Und dann noch die kleinen, Tender zu bauen.
unauffälligen Seltsamkeiten einstreut, die ich so sehr Es bleibt die Frage, woher Evolux kam. Da müssten ja
schätze (Hat jemand letzte Woche bemerkt, dass das theoretisch mehrere Galaxien »umgewandelt« wor­
Piratenschiff DYRLAGOM ein Anagramm der MARY­ den sein.
GOLD ist, des ersten Schiffs aus der alten Pabel-Moe­ Oder hat es einfach nur »plopp« gemacht?
wig-Serie SEEWÖLFE?). Zum Leserbrief von Paul Pelo: Interessante Idee, aber
Aber es ist geschafft. Ich habe eine Menge neue Dinge genauso wie Perry niemals stirbt, sollte auch die Erde
übers Schreiben gelernt, und ich bin total begeistert nie sterben.
davon, wie Frank Freund mein Manuskript in Bilder
fasst. Ein besonderes Bonbon: Frank zeichnet auch Wir kennen den genauen Vorgang nicht, aber ich gehe
den nächsten Band unserer eigentlichen Serie, der mal davon aus, dass es »plopp« machte, und Evolux
»Perry – unser Mann im All«-Comics. Das Heft er­ war da.
scheint im Februar, kommt 68 Seiten dick daher und Was Terra betrifft, verweise ich auf die Seite 2 des
ist wie stets über Comicläden, Bahnhofsbuchhandel ersten Heftes aus dem Jahr 1961. Da stand was zu
und www.perry-comic.de zu bekommen. lesen von einer kahlen Erde, die um eine erloschene
Sonne kreist. Wenn das TRAITOR nicht war, dann kann mich zu einem Scherz: Hefte verschlingen muss ganz
es sich nur um den normalen Lauf der Evolution han­ schön anstrengend sein. Vergiss nicht, vorher die
deln, also in 200 Millionen Jahren ungefähr. Heftklammern rauszunehmen. Die sind lebensge­
fährlich.
Albert Mrozinski, Auski2@T-Online.de Danke für das Lob an die Autoren, wir haben es wei­
Das Titelbild von Band 2463 hat fast gar nichts mit tergeleitet.
dem Inhalt zu tun, außer dem kurzen Abschiedsge­
spräch Atlans mit Savoire. Schlecht gemacht ist es Brandon Llanque, brandon.llanque@hotmail.de
aber nicht. Schöne Grüße an das Team und besonders an Hubert
Der Roman selber ist jedoch sehr gut. Der Weltweise, Haensel, er weiß, warum.
Isokrain und ESCHER, das ist die richtige Mischung, Zur Handlungsebene um Perry Rhodan und Evolux
um GLOIN TRAITOR zu knacken. So langsam geht es brennen mir einige Fragen auf der Seele, aber vorab
voran mit der Lösung, wie man ins Zentrum kommt. erst mal das: Klasse, dass der Weltweise wiederaufge­
taucht ist. Sagt es nicht weiter, aber insgeheim habe
Robert Keller, robert.keller@va-mm.bayern.de ich mir für Perry gewünscht, dass er mit diesem We­
Hilfe! Der letzte Satz im Roman 2463 ist nicht voll­ sen »zusammenkommt«, also einen Bewusstseins­
ständig abgedruckt. Es soll wohl heißen »Sie dürfte sprung erfährt.
sehr viel schwerer zu ver- ... wirklichen sein.« Mit dem Weisen haben wir jetzt schon vier Geistes­
Oder kommt da noch mehr? Ich platze bald vor Span­ mächte auf Seiten der Terraner, zwei fest und zwei
nung. potenziell, aber mit positiven Tendenzen. ESCHER und
Wurde die letzte Passage gar aus Geheimhaltungs­ den Nukleus als feste, den Kontaktwald sowie den
gründen zensiert? Weisen als potenzielle Freunde.
Der Roman ist übrigens eine Spitzenleistung! Weiter Folglich sollte der Weltweise mit einer dieser Mächte
so! zusammengebracht werden. Vielleicht können die
ihm Antworten entlocken.
Mit deiner Textvariante liegst du völlig richtig. Aller­ Jetzt zu den Fragen: Als die JULES VERNE aufgerüstet
dings bist du nicht der Erste, der sich gemeldet hat. wurde, sagte/dachte Mondra, dass alle Prä-Hyperim­
Einen Hinweis dazu findest du auf unserer Homepage pedanz-Aggregate ausgetauscht würden. Folglich
sowie auf der LKS vom nächsten Band. kann man sich ein Bild von der Breite des Leistungs­
spektrums der Hephaistos-Aggregate machen. Die
Rund um den Weltweisen Triebwerke Überlicht/Sublicht, die Transformkanonen,
Michel Bordes, michel.bordes@web.de der Mini-ATG, die Gravitrafs, Formenergieprojektoren
Am Freitag habe ich mir das aktuelle Heft »Der Fund und die Syntronkomponente NEMOS müssten durch
von Amienolc« gekauft und es sofort verschlungen. gleichwertige oder höherwertige Evolux-Äquivalente
Ich war hocherfreut, wieder etwas von der SOL zu hö­ ersetzt worden sein. Ein Allround-Upgrade mit Kosmo­
ren und auch, dass der Weltweise von Azdun die letz­ kratentechnik sozusagen. Richtig?
ten 20 Millionen Jahre gut überstanden hat. Na ja, von
seinem Quartier mal abgesehen. Teilweise richtig. Wie aus den inzwischen erschie­
Nun wurmt mich seit Freitag die Frage, was weiter mit nenen Bänden hervorgeht, ist die ganze Angelegen­
ihm geschehen wird. Schließlich ist er der Crew der heit etwas komplizierter.
SOL sauer, weil sie ihn nicht haben sterben lassen. Die Beiboote, Roboter, SERUNS etc. wurden übrigens
Und wie wird ESCHER reagieren? Der hat ja seinen ei­ nicht modifiziert. Dass den Metaläufern eine gewisse
genen Kopf. Wird er sich mit dem Weltweisen verbün­ Werfttreue innewohnt, wurde ja erwähnt. Es ist also
den? Das wäre doch genau seine Masche, so etwas nicht denkbar, dass sie Evolux im Stich lassen und mit
zu probieren. der JULES VERNE oder CHEOS-TAI auswandern.
Der Weltweise könnte auch mit dem Kontaktwald ver­
schmelzen. Diese »Mischwesenheit« hätte dann viel­ Nächstes Thema ist ESCHER. Was macht die Parapo­
leicht die Möglichkeit, das Hangay-Geschwader und sitronik in ihrer Freizeit? Spielt sie 6-D-Pacman? War­
die SOL in die Kernzone Hangays zu bringen. um entwickelt sie keine neue Technologie? In einem
Wie auch immer, ich freue mich schon auf das nächste der Hefte, während der Geschehnisse um das HS-Ho­
Heft. walgonium auf dem Mond, wurde angedeutet, ESCHER
Ganz nebenbei möchte ich den Autoren auch mein Lob würde dies tun.
für diesen höchst gelungenen Zyklus aussprechen. WirHier, der Quartiermeister, hat im aktuellen Heft ge­
sagt, die Besatzung der SOL bestehe aus »Winzlin-
Kampf dem Altpapier! Deine Formulierung verleitet gen« mit einer einzigen Ausnahme.
Hat ESCHER sich etwa in SENECA downgeloaded? Wä­ gelaunte, geistig gesunde (Kaum zu glauben, dass es
re das nicht großartig? Die neue Parapositronik SENE­ so was bei den Terranern geben soll), fröhliche, viel­
CA. Und wenn SENECA, warum dann eigentlich nicht leicht etwas mollige, nicht gut aussehende Frau.
auch NATHAN? Völlig abgefahren, oder? So etwas gibt es nicht mal in
Ich fände diese Entwicklung nur konsequent. Es wird Science-Fiction-Romanen.
Zeit, dass die Terraner aus ihrer Ecke »alle Macht dem,
was organisch/terranisch ist« herauskommen und Du definierst da Minderheiten, die in der Handlungs­
ihre Vorurteile überwinden. zeit gar keine (mehr) sind. Und wolltest du alle heu­
Die Koexistenz mit Wesen wie ESCHER und dem Nu­ tigen Minderheiten proportional berücksichtigen,
kleus wäre ein guter Weg, die Vorteile beider Existenz­ wäre das Heft auch ohne Handlung voll.
formen zu nutzen. Und wo, bitte, sollen wir in unserem Fantasie-Univer­
Was noch? Dass der Weltweise ausgerechnet nach all sum eine nicht gut aussehende Frau hernehmen?
der Zeit und einem Dimensionssprung mit einem an­ Das liegt auch eher am Geschmack des Einzelnen.
deren Unsterblichen zusammentrifft, wie auch schon Selbst Tipa Riordan kann man nicht als hässlich be­
Perrys Fund von CHEOS-TAI, lassen die Handschrift zeichnen, obwohl Johnny Bruck ihr das Aussehen der
von ES erkennen. Hoffentlich bleiben uns beide Funde Hexe aus »Hänsel und Gretel« gab.
noch eine Weile erhalten.
Schlusswort
Zum Stardust-Extra: Trotz seines tollen Verhaltens ge­
genüber den »Eingeborenen« ist Whistler immer Michael Vorleiter, parsival1609@yahoo.de
noch kein würdiger Aktivatorträger, finde ich. Ich kann Ändert in Zukunft nicht zu viel. Ein Perry Rhodan ohne
ja mal meine Liste mit Attributen, die ich mir für »The »seine« Milchstraße taugt nichts.
Next Generation« von Unsterblichen wünsche, auf­ »Milchstraße« war das Stichwort. Es gibt eine nette
zählen: ruhig, offen, tolerant, aufgeklärt (ganz wich­ Software mit dem Namen »Where-is-M13«. Sie liefert
tig), vielleicht auch mal eher der schweigsame Typ. den Blick von außerhalb der Milchstraße auf ausge­
Vor allem sollte einer der Träger mal einer Minderheit wählte Objekte, zum Beispiel M13. Sie ist Freeware
angehören: Ob schwul, schwarz, psionisch begabt und plattformunabhängig. Voraussetzung ist eine Ja-
oder Blue, ist dabei egal. va Runtime.
Erstaunlich, wenn auch höchst unwahrscheinlich, Genaueres unter: www.thinkastronomy.com/M13/
wäre natürlich der Extremfall: eine ganz normale, gut index.html
Zu den Sternen!
Euer Arndt Ellmer
VPM
Postfach 2352
76413 Rastatt
mail@Perry-Rhodan.net

Diese Woche in der 5. Auflage: PERRY RHODAN, Heft 1370/1371,


mit den Titeln:
Band 1370 – Marianne Sydow
Amoklauf der Wissenden
Chaos in Ardustaar – die Esper versagen

Band 1371 – Arndt Ellmer


Projekt Septembermorgen
Den Hauri auf der Spur – mit Anson Argyris und Nikki Frickel

Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der E-Book-Ausgabe des Romans.


Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen oder nur ausschnittsweise zu übernehmen.
E-Mail- und Post-Adressen werden, wenn nicht ausdrücklich vom Leser anders gewünscht, mit dem Brief
veröffentlicht.
Atrentus-Methode Stoßfront aus – es handelt sich um eine relativ dünne,
Ein von den Cypron entwickeltes medotechnisches turbulente Übergangszone, in der sich Dichte, Tempe­
Verfahren, um die Kralle des Laboraten unschädlich zu ratur und Magnetfeld sprunghaft ändern.
machen, die ansonsten absolute Loyalität gegenüber Im Falle der Sonne hat diese sphärische Heliopause
TRAITOR erzwingt und ihren Träger bei Zuwiderhand­ einen Radius von rund 14 Lichtstunden mit einer leich­
lungen sogar tötet. Dazu wird eine individuell gezüch­ ten Abplattung an den Polen. Daher kommen auch die
tete Zellkultur in der Nähe der Kralle angesiedelt. Wich­ Ausmaße des TERRANOVA-Schirms.
tig ist, dass sie von den Antikörpern und den mit der Die 96 Projektorschiffe modifizieren durch multifre­
Immunabwehr betrauten zellulären Subpopulationen quente hyperenergetische Anregungsimpulse einen
nicht abgestoßen wird; daher wird die Zellmembran­ Teil der natürlichen Hyperstrahlung der Sonne, sodass
struktur mit der Oberflächensignatur der Vorlagezellen sie mit der Heliopause in Resonanz tritt. Dies bedeutet,
so weit wie möglich harmonisiert. dass sich ein Teil der Hyperstrahlung in der Stoßfront-
Die Zellkultur ist zudem mit einer diffizilen nanobiolo­ Übergangszone der Heliopause als instabile Hyperba­
gischen Maschinerie ausgerüstet und speziell pro­ rie manifestiert, jenes Hyperäquivalent, das im Stan­
grammiert: Sie sucht die nächste Nähe zur Kralle, darduniversum Masse und Gravitation ergibt. In
nimmt in Sekundenbruchteilen eine Feinabstimmung ständiger Fluktuation zwischen winzigen pseudoma­
mit dem umliegenden Gewebe vor und wird dann »ge­ teriellen Hyperkristallen und dem Hyperbarie-Zustand
zündet«. Explosives, gesteuertes Zellwachstum setzt sind diese Manifestationen nun ihrerseits multifre­
ein, das sich von einer Krebswucherung darin unter­ quente Hyperstrahler.
scheidet, dass das fragliche Zellensemble als normal Die hyperenergetische Emission der permanent ent­
arbeitende Körperzellen maskiert bleibt. Tatsächlich stehenden und wieder vergehenden Nano-Hyperkris­
aber schließt die künstliche Zellkultur die Kralle all­ talle von blauweißer Farbe überlagert nun wiederum
mählich ein und kapselt sie gegen das umliegende mit der natürlichen Hyperstrahlung der Sonne und
Gewebe ab, ohne dass die Kralle ihre Isolation bemerkt. erzeugt dadurch die eigentliche Schutzwirkung in
Am Ende des Prozesses hat das hochkomplexe Zell­ Form einer undurchdringlichen Grenzschicht dicht vor
ensemble die Kralle des Laboraten aufgenommen, gibt der Heliopause-Stoßfront (die somit innerhalb des
aber deren Kontrollsignale und Kommandoimpulse Kristallschirms liegt).
nicht mehr an den Gesamtorganismus weiter, sondern Da der Sonnenwind in Abhängigkeit von der Sonnenak­
simuliert dessen Reaktionen nur. tivität in Stärke und Geschwindigkeit variiert, ist auch
TERRANOVA-Schirm die durch Heliopause und Kristallschirm markierte
Der sogenannte TERRANOVA-Schirm, der sich um das Zone nicht statisch, sondern gleichfalls Schwankungen
Solsystem spannt, ist rein optisch eine blauweiß-kris­ unterworfen, die sich auf den Radius auswirken.
tallin funkelnde abgeplattete Sphäre von 27,966 Licht­ Bezogen auf den erzielten Effekt wird hierbei von
stunden Durchmesser – dies entspricht rund 30,2 einem pararealen Resonanz-Austausch gesprochen:
Milliarden Kilometern – auf der Ebene der Ekliptik und Sämtliche von außen eindringenden Einflüsse energe­
einer Höhe von 26,563 Lichtstunden, was rund 28,7 tischer und festmaterieller Natur werden durch die
Milliarden Kilometern entspricht. Grenzschicht in eine Pararealität umgeleitet und ver­
Der Schirm, der auf einer Weiterentwicklung des arko­ schwinden somit unwiederbringlich aus dem Stan­
nidischen Kristallschirms beruht, wird von den 96 darduniversum, was in gewisser Weise eine Umkeh­
LORETTA-Tendern der TERRANOVA-Flotte erzeugt. Die rung des Hypertrop-Zapfens darstellt.
dafür benötigte Energie beziehen diese Projektor­ Bekannte Waffensysteme erzielen keine Wirkung, sie
schiffe mit ihren Hypertron-Zapfern aus der Sonne. können den Kristallschirm nicht durchbrechen oder
Zum Prinzip: Wie jeder andere Stern verfügt auch die punktuell überlasten, da alles wie durch ein unsicht­
Sonne über eine Heliosphäre, deren Ausdehnung so bares Riesentor in der Pararealität verschwindet.
weit reicht, bis der Staudruck des Sonnenwindes gleich Da es sich um eine hyperenergetische Wirkung han­
dem Druck des interstellaren Mediums wird. Hauptbe­ delt, ist auch auf dem »Umweg« durch den Hyperraum
standteile der Korpuskularstrahlung des Sonnen­ kein Eindringen in das Solsystem möglich. Dies gilt für
windes sind Protonen und Elektronen mit Dichten von alle Arten von Raumschiffen, ebenso wie für Funksprü­
einigen Millionen Teilchen pro Kubikmeter und einer che oder Transmitterverbindungen. Selbstverständ­
mittleren Geschwindigkeit von rund 500 Kilometern lich können Strukturschleusen von beliebiger Größe
pro Sekunde. Da dieser Sonnenwind mit Überschallge­ (mikroskopische z.B. für Transmitter- und Hyperfunk­
schwindigkeit auf das interstellare Medium prallt, bil­ verkehr, ausgedehntere für Raumschiffe) geschaltet
det sich in Form der sogenannten Heliopause eine werden – dies geht aber nur von innen.

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