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N e g a s p h ä r e B a n d 81

Nr. 2480

Uwe Anton

Die
Prognostiker
In der Kernzone von Hangay –
ESCHER erkennt seine Grenzen
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die
Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und
ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Exis­
tenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis
Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche
Naturgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnen­
systems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem
TERRANOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören.
Nachdem es gelang, den Progresswahrer der Milchstraße samt seiner Dienstburg auszuschalten,
geht der galaktische Widerstand nunmehr in die Offensive und drängt gen Hangay – das aller­
dings für normale Raumschiffe faktisch nicht zugänglich ist. Diesen Zugang zu schaffen, dafür
ist unter anderem die Parapositronik ESCHER vor Ort. Womit niemand rechnet, sind allerdings
DIE PROGNOSTIKER ...
4 UWE ANTON

Prolog stramm. Die vier Ganschkaren in ihrer


Hangay Mitte steckten die Vogelköpfe zusam­
3. Mai 1347 NGZ men und schnatterten aufgeregt mit­
einander.
Noch zwanzig Meter, dann ist es vor­ Von ihnen ging die eigentliche Ge­
bei, dachte Isokrain. Dann werden sie fahr aus. Sie als Wissenschaftler wür­
die ersten Komponenten ESCHERS den am schnellsten erkennen, dass et­
entdecken. Und das wäre gleichbedeu­ was nicht stimmte. Die hier vorhandenen
tend mit dem Ende der Mission. Komponenten ESCHERS entsprachen
Er ließ die Mor’Daer und Gansch­ nicht im Geringsten irgendeiner Ko­
karen nicht aus den Augen. Angeführt lonnen-Technik, nicht einmal einer, die
wurden sie von einem Kalbaron, einem Millionen von Jahren alt und entspre­
nicht gerade undeutendenden Offizier chend andersartig war. Die Soldaten
der Kolonne. Es war würden vielleicht die
zugleich der höchst­ fremde Technik zur
mögliche Rang für Die Hauptpersonen des Romans: Kenntnis nehmen und
einen Schlangenkopf, es dabei bewenden
ESCHER – Die Parapositronik rechnet und
der aber immer­ rechnet und rechnet ...
lassen, die Gansch­
hin ausreichte, Kom­ karen jedoch nicht.
Dr. Laurence Savoire – Der Erste Kyberneti­
mandant sogar eines ker fürchtet eine frühzeitige Entdeckung. Sorgen bereiteten
Kolonnen-Forts zu Isokrain – Der Kosmitter muss sich als Pro­
dem Kosmitter auch
werden. Wahrschein­ blemlöser betätigen. die Roboter, die die
lich wartete der Sol­ Pal Astuin und Merlin Myhr – Zwei Avatare Nachhut des Inspek­
dat darauf, von machen sich rar. tionskommandos bil­
der Kolonnen-Fähre Warding Atarin – Ein Mann in geheimer Mis­ deten. Es waren zwar
sion in zweifacher weiblicher Begleitung.
AGYYRE durch den zum Kampf geeignete
Kernwall Hangay ge­ Maschinen, aber ihre
bracht zu werden, um eigentliche Aufgabe
dahinter ein Kommando zu überneh­ bestand darin, Aufzeichnungen für eine
men, und wollte sich bis dahin die Zeit weitere Datenauswertung zu machen.
vertreiben oder besonderen Diensteifer Wie hatten wir nur glauben können,
an den Tag legen. es würde so einfach werden?, dachte
Der Mor’Daer blieb stehen und hob Isokrain.
eine Hand. Die Kolonnen-Fähre AGYYRE, die
Die Bewegung wirkte schwerfällig. die Weltkugel des Weltweisen von Az­
Seine martialische Uniform war mit dun und – ohne das Wissen der Besat­
dermaßen vielen Zusatzpanzerungen zung – die Parapositronik ESCHER
versehen, dass sie ihn stark behinderte, beförderte, wartete seit einigen Stun­
und Isokrain wunderte sich, was er mit den vor dem Kernwall Hangay auf die
der überschweren Bewaffnung, die er Passage ins Innere. Aus irgendeinem
trug, im Versorgerbereich unterhalb Grund, der dem Kosmitter nicht be­
der Weltkugel des Weltweisen anfangen kannt war, verzögerte sie sich jedoch.
wollte. Ein paar Salven mit diesen Waf­ Und das begriff die Mannschaft der
fen würden genügen, um die Hülle des Fähre, vor allem jener Kalbaron, als
Unterbaus zu durchschlagen. Gelegenheit, die Weltkugel als just auf­
Die sechs Mor’Daer, die dem Kalba­ gesammelten exotischen Neuankömm­
ron folgten, standen auf sein Zeichen ling unter die Lupe zu nehmen.
Die Prognostiker 5

Wenn sie die Parapositronik entdeck­ Aufgerüstet sozusagen.


ten und den Fund meldeten, würden Er befand sich jetzt vor den Mor’Daer
ESCHER und der Weltweise von Azdun und Ganschkaren, die immer tiefer in
niemals die Kernzone Hangay errei­ die Korridore eindrangen. Das Licht
chen. Dann würde es ihnen nicht mög­ war trüb und trügerisch, doch das be­
lich sein, dort GLOIN TRAITOR zu hinderte ihn nicht.
infiltrieren, die Steuerzentrale für den Völlig sicher bewegte er sich durch
Grenzwall und den Kernwall Hangay. die engen Gänge des würfelförmigen
Dann war ihre Mission gescheitert, Versorgungsbereichs mit etwa 120 Me­
bevor sie eigentlich richtig begonnen tern Kantenlänge, vorbei an zahl­
hatte. reichen Maschinenkomplexen, die fast
Isokrain blieb keine Wahl mehr. Er alle inaktiv waren. Hinter Türen ver­
musste eingreifen. bargen sich Unterkünfte. Er passierte
Der Kalbaron erteilte einen Befehl, kleine Reaktoren, dann einen Komplex
senkte die Hand, und die Ganschkaren mit Funk- und Ortergeräten, schließ­
und Mor’Daer schwärmten in Zweier­ lich ein Aggregat, das den gesamten
gruppen aus. Schon nach wenigen Bereich mit einem Prallschirm umge­
Schritten verloren sie einander aus den ben konnte.
Augen. Fehlt nur noch ein Antrieb, und man
Sehr schön, dachte der Kosmitter. hätte ein kleines Raumschiff vor sich,
Das kam ihm entgegen. dachte er mit einem Anflug von Ironie.
Er teleportierte. Aber er durfte sich nicht ablenken
lassen. Die Zeit drängte. Ein Gedanke,
* und sein Körper wurde wieder stofflich.
Auch diese Fähigkeit hatte die Macht
Er materialisierte in den Tiefen des des Weltweisen ihm verliehen.
Versorgertrakts und wechselte augen­ Die beiden Ganschkaren, die er sich
blicklich auf eine zwischengeordnete als Erste vornehmen wollte, waren
Existenzebene. In diesem Zustand er­ knapp zehn, fünfzehn Meter entfernt.
schien er einem zufälligen Beobachter Doch noch konnte er sich ihnen nicht
allenfalls als halb transparente, schim­ widmen.
mernde Gestalt und konnte überdies Eins nach dem anderen ...
von keinerlei Überwachungseinrich­ Er schied einige Nano-Kolonnen aus,
tungen wahrgenommen werden. Im Re­ die er in seinem Körper auf Vorrat ge­
gelfall wurde er von »Normalsterb­ bildet hatte, und lenkte sie an ihre
lichen« überhaupt nicht bemerkt. Ziele. Dieser Vorgang erforderte kaum
In diesem Augenblick war Isokrain eine bewusste Anstrengung.
dankbarer denn je, dass der Weltweise Er war ein Nano-Brüter. Dabei han­
ihn mit einem Aktionskörper ausge­ delte es sich um eine möglicherweise
stattet hatte und er in Form eines Ava­ paranormale Fähigkeit der Insk-Ka­
tars handeln konnte. Seine Gestalt wies rew, über deren Natur er selbst sich
alle Eigenschaften eines normalen ma­ nicht im Klaren war: Sein Körper
teriellen Körpers auf, doch der Un­ konnte größere Mengen von Nano-Ko­
sterbliche, mit dem er die letzten 20 lonnen erzeugen, die sich zur Manipu­
Millionen Jahre verbracht hatte, hatte lation beliebiger Rechnersysteme oder
sie darüber hinaus beträchtlich verbes­ Schaltanlagen eigneten. Dazu benö­
sert. tigte er allerdings Grundstoffe in Form
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von Nano-Breitband-Delikatessen, wie Isokrain atmete auf.


er sie nannte. Die gab es zum Glück in Doch seine Erleichterung wich, als er
hoch technisierten Umgebungen im neben sich ein lautes Klacken hörte,
Überfluss. dann einen überraschten Schrei. Er
Wahrscheinlich war er, vor Millionen wirbelte herum. Zwei Mor’Daer waren
von Jahren, nur wegen dieser Fähigkeit den Wissenschaftlern in einigem Ab­
vom Bruderstand der Kosmitter akzep­ stand gefolgt, um sie vor möglichen Ge­
tiert und aufgenommen worden. Nur fahren zu schützen, und hatten ihn ent­
wegen einer Laune der Natur hatte er deckt.
sich als Streiter für die Mächte der Sie richteten ihre Waffen auf ihn,
Ordnung etabliert, als Helfer der Ritter und bevor er sie mit seinen suggestiven
der Tiefe: eine Rolle, die ihn schließlich Fähigkeiten erreichen konnte, schossen
in die Negane Stadt geführt hatte, wo sie gleichzeitig.
er in Gefangenschaft geraten war und
dann Kontakt mit dem Weltweisen auf­ *
nehmen konnte.
Isokrain trat aus dem Schatten eines Isokrain spürte den Schmerz, als die
Reaktors in den Weg der beiden Gansch­ Strahlen auf seinen Körper trafen, doch
karen. Wie angewurzelt blieben die or­ sonst geschah nichts.
nithoiden Wesen stehen und starrten Paralysatoren!, dachte er. Die Mor’-
ihn an. Auf den großen, gekrümmten Daer waren so vernünftig gewesen, auf
Schnäbeln trugen die dürren, hochge­ den Einsatz von Energiewaffen zu ver­
wachsenen Vogelähnlichen überdimen­ zichten.
sional große, randlose Datenbrillen, die Ob sie keine Kollateralschäden an­
nun hektische Farbenspiele zeigten. richten oder das Leben des Unbe­
Die grauen Federkleider ihrer Köpfe kannten verschonen wollten, damit er
sträubten sich. später verhört werden konnte, wusste
Bevor sie reagieren konnten, setzte der Kosmitter nicht zu sagen. Es inter­
der Kosmitter seine Paragabe der Sug­ essierte ihn in diesem Augenblick auch
gestion ein – neben der Teleportation nicht besonders.
eine zweite Fähigkeit, mit der der Welt­ Er nutzte die Chance, die sich ihm
weise seinen Aktionskörper ausgestat­ trotz seiner unverzeihlichen Nachläs­
tet hatte. Seine alte Persönlichkeit war sigkeit bot. Der Weltweise von Azdun
Isokrain zwar geblieben, doch er hatte hatte seinen Aktionskörper gegen Waf­
schnell gelernt, seine neuen Gaben zu fen wie Paralysatoren unempfindlich
schätzen. gemacht, doch damit hatten die Mor’-
Alles ist in Ordnung, richtete er seine Daer natürlich nicht rechnen können.
Gedanken auf die Eindringlinge. Es Alles ist in Ordnung, richtete er seine
gibt hier nichts zu entdecken. Alles ist Gedanken auf die schlangenköpfigen
in Ordnung. Soldaten. Es gibt hier nichts zu entde­
Einen Moment lang schienen ihn die cken. Alles ist in Ordnung ... Eigens für
Ornithoiden unschlüssig zu mustern, die Mor’Daer fügte er noch hinzu: Alles
dann wirkte die Beeinflussung. Die ist sicher. Schließlich waren sie für die
Ganschkaren entspannten sich sicht­ Sicherheit an Bord zuständig und nah­
lich. »Alles ist in Ordnung«, wiederhol­ men ihre Aufgabe sehr ernst.
ten sie synchron im Einklang mit seinen Er spürte, wie die Mor’Daer aufbe­
Gedanken. gehrten, sich gegen den suggestiven
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Einfluss wehrten, doch bevor sie ihn Waffenarme und richteten sie auf ihn.
endgültig abschütteln konnten, hatte er Der Kalbaron stieß unverständliche
die tiefenhypnotischen Befehle in den Laute aus. Er hatte die Gefahr erkannt
Schlangenköpfen verankert. Sie senkten und wollte den Befehl erteilen, den
ihre Waffen, und er konnte sich wieder Eindringling festzunehmen, doch
den Vogelwesen widmen. Nach wenigen Isokrains Einfluss arbeitete dagegen.
Sekunden drehten sie sich gefügsam um Die Roboter zögerten, verharrten in ih­
und folgten den Mor’Daer den Weg zu­ ren Bewegungen. Sie interpretierten
rück, den sie gekommen waren. das Verhalten ihres Vorgesetzten als
Der Kosmitter teleportierte erneut. Angriff und versuchten, dem entgegen­
Diesmal war er vorsichtiger, wechselte zuwirken.
auf die zwischengeordnete Existenz­ Die Abstrahlfelder der Waffen leuch­
ebene und überzeugte sich, dass keine teten auf.
Mor’Daer in der Nähe waren, bevor er Im nächsten Augenblick erloschen
die beiden anderen Ganschkaren sug­ sie wieder, und die beiden Roboter
gestiv beeinflusste. Dann nahm er sich drehten sich jeweils einmal um ihre ei­
die restlichen Schlangenköpfe vor, lau­ gene Achse.
erte ihnen jeweils allein auf, sodass er Isokrain stieß Luft aus seinem rudi­
seine Fähigkeiten einsetzen konnte, oh­ mentären Ur-Tracheensystem aus. Die
ne Gefahr zu laufen, noch einmal über­
rascht zu werden.
Immer wieder dieselbe Botschaft: Al­
les ist in Ordnung. Alles ist sicher. Es
gibt hier nichts zu entdecken.
Den Kalbaron sparte er sich bis zum
Schluss auf, denn dieser wurde von den
beiden Robotern begleitet. Und die wür­
den sich wohl kaum von suggestiven
Para-Fähigkeiten beeinflussen lassen.
Isokrain musste ein gewisses Risiko
eingehen.

Er materialisierte vor dem Trio und


versuchte, mehrere Dinge gleichzeitig
zu tun. Zum einen überschüttete er den
Mor’Daer mit suggestiven Impulsen
und veranlasste ihn, den Robotern zu
befehlen, das Feuer nicht zu eröffnen.
Die beiden Kampf-Überwachungs-
Einheiten reagierten jedoch schneller
als ein organisches Wesen und gemäß
ihrer Programmierung: Ein Unbe­
kannter, der überraschend aus dem
Nichts vor ihnen auftauchte, war als
Bedrohung einzustufen. Sie hoben die
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befohlene Reaktion ... Die Gefahr war Ein Gefühl fiebriger Erregung über­
vorbei. kam ihn, wurde aber sofort verdrängt
Die Nano-Kolonnen, die er ausge­ von entsetzlicher Besorgnis. Er wusste,
schickt hatte, hatten ihr Ziel gefunden. was ihn hinter dieser Tür erwartete. Er
Sie hatten die Roboter erreicht und die hoffte inbrünstig, dass er falschlag oder
Kontrolle über die Maschinen über­ sich irrte, glaubte jedoch selbst nicht
nommen. Nun sendeten sie dieselbe daran.
Botschaft, die er den Ganschkaren und Konnte nicht daran glauben.
Mor’Daer eingepflanzt hatte: Alles ist in »Verstanden«, bestätigten Arna und
Ordnung. Es gibt hier nichts zu entde­ Oksa Chakilian gleichzeitig. Die beiden
cken. Ekhonidinnen standen rechts und links
Er verstärkte den suggestiven Ein­ dicht hinter ihm.
fluss auf den Kalbaron und unterwarf Er konnte ihren Atem an seinem
ihn nun ohne Schwierigkeiten. Gleich­ Haaransatz spüren, ihn sogar riechen.
zeitig empfing er über die in seinem Arnas duftete nach Blumen, Oksas kam
Körper verbliebenen Nano-Elemente ihm leicht säuerlich vor, wie immer bei
die Informationen, die die externen Ko­ Einsätzen. Ihre Magensäfte spielten
lonnen an ihn übermittelten, und erteil­ verrückt.
te ihnen Anweisungen. Sie manipulier­ Täuschte er sich, oder hörte er das
ten die Kurzzeit-Speicher der Roboter, synchrone Klicken, mit dem zwei
verweilten aber in den Maschinen, um schwere Kombistrahler entsichert wur­
mit aller gebotenen Sorgfalt jede mög­ den?
liche Erinnerung an die Ereignisse, etwa »Auf mein Zeichen«, sagte er. »Bei
in anderen Speichern, auszumerzen. drei. Alle Defensivsysteme aktiviert.
Der Kalbaron drehte sich um und Vergesst nicht, wir haben nur zwei Mi­
kehrte zum Eingang des Versorgungs­ nuten, höchstens, dann müssen wir
trakts zurück, um sich dort mit seinen raus.«
Untergebenen zu treffen. Sie befanden sich zwar in einer un­
Isokrain hatte es geschafft. Er hatte terirdischen Arbeitersiedlung, in der
seine Manipulation vollendet, bevor die man es mit der Sicherheit ziemlich lo­
Inspekteure an den ersten kritischen cker nahm, doch die Tu-Ra-Cel, der
Punkt gelangt waren. Er musste sich Geheimdienst des Imperiums, war auf
nur umdrehen, um das erste Gebäude­ Arkon III nie weit. »Eins.«
teil ESCHERS zu sehen, das in den Ver­ Tark, dachte er, während die Zeit
sorgertrakt integriert war. sich schier endlos dahinzog.
Doch wen interessierte das schon? Es war sein Fehler gewesen.
Die Mor’Daer, Ganschkaren und Robo­ Er hätte niemals zulassen dürfen,
ter jedenfalls nicht mehr. freundschaftliche Gefühle zu seinem
Alles ist in Ordnung. Es gibt hier Einsatzleiter zu entwickeln. Nicht in
nichts zu entdecken. Alles ist sicher. ihrem Gewerbe. Nicht, wenn der Tod
jederzeit zuschlagen konnte und der
Feind genauso grausam war wie ein
1. Ushiran und nicht minder schlau und
Atarin listig.
»Zwei.«
»Wir gehen rein!«, befahl Warding Und doch, in den sechs Jahren, die
Atarin. sie sich nun kannten, hatte sich etwas
Die Prognostiker 9

zwischen ihnen entwickelt, was weit Person ist hier! Wahrscheinlich die, die
über eine berufliche Beziehung hinaus­ Tark angegriffen hat!
ging. Er hatte sich nicht nur an Tark Er sicherte mit dem Kombistrahler,
Kluf gewöhnt; der »alte Mann«, wie er deckte mit einer fächernden Bewegung
von den meisten der ihm unterstellten den gesamten Raum ab, von der rechten
Agenten des Terranischen Liga-Diens­ bis zur linken Wand.
tes genannt wurde, war wichtig für ihn Keine unmittelbare Gefahr. Aber wo
geworden, fast zu so etwas wie einem ist der Unsichtbare? Allerdings handel­
Vater, der ihm mit der Zeit vielleicht te es sich bei dem Appartement kaum
sogar enger ans Herz gewachsen war um das normale Quartier eines Koloni­
als sein biologischer Erzeuger. alarkoniden aus der Arbeiterschaft der
Er hatte gewusst, worauf er sich ein­ Industrie- und Rüstungswelt.
gelassen hatte, als er Gefühle zuließ, Atarin erkannte auf den ersten ge­
und nun würde er es bedauern. Der schulten Blick, dass die gängigen Ge­
Schmerz würde sich wie ein Mühlstein brauchsgegenstände nur Fassade und
um seinen Hals legen und ihn nach un­ wohl kaum als das funktionsfähig wa­
ten ziehen und nie wieder loslassen. ren, was sie darstellen sollten. Hinter
Aber vielleicht ... vielleicht gab es ja den Servoautomaten der Küchenzeile
doch noch eine Spur Hoffnung. Viel­ verbargen sich Kodierpositroniken,
leicht hatte er sich ja geirrt, und ... hinter den Trivid- und Holo-Projek­
Unsinn, dachte er. Sosehr er es auch toren Rechner oder Terminals zu exter­
hoffte, er war Realist. nen Datenbänken.
»Drei«, sagte er, um die quälenden Aber das alles interessierte ihn in
Gedanken endgültig zu unterdrücken, diesem Augenblick nicht.
und schoss. Auf den Sekundenbruch­ Tark Kluf lag vor ihm auf dem Bo­
teil genau vereinigte sich der Desinte­ den, auf dem Rücken, äußerlich unver­
gratorstrahl seiner Kombiwaffe mit letzt, die Augen geschlossen, aber den
zwei weiteren, und die Tür des Appar­ Mund weit geöffnet, als würde ein letz­
tements verwandelte sich in grüne ter Atemzug auf ewig entweichen. Er
Schwaden, die an Ort und Stelle wall­ trug eine gängige Montur der Arbeiter­
ten und ihm einen Moment lang die schaft.
Sicht nahmen, und ebenso grünem ato­ Unauffälligkeit, lautete die Devise,
marem Feinstaub, der zu Boden riesel­ doch Atarin verfluchte ihn nun wegen
te. seiner Unvorsichtigkeit und über­
Wo sich gerade noch eine Tür befun­ schätzten Selbstsicherheit, die ihn das
den hatte, bot sich ihnen nun kein Hin­ Leben gekostet hatten. Er fragte sich, ob
dernis mehr. und welche verborgenen Ausrüstungs­
Ehe das Gas tiefer sinken konnte, gegenstände die Kleidung enthielt.
machte Warding einen Satz durch den Er vertraute auf die Rückendeckung,
Dunst. ignorierte jegliche Vorsicht, kniete ne­
Auf seinem Holo-Visier wurde eine ben seinem Vorgesetzten nieder und
Vielzahl von Ortungen eingespielt, die untersuchte ihn noch einmal flüchtig
wichtigsten leuchtend rot hervorgeho­ mit seinen eigenen Geräten.
ben. Am Ergebnis änderte sich nichts.
Keine Lebenszeichen, eine nicht spe­ Tark war tot.
zifizierte energetische Anomalie. Man sah ihm seine 84 Jahre nicht an,
Vorsicht!, dachte er. Eine getarnte seine Haut war straff, sein Haar voll,
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der Körper schlank und sehnig. Und Eine Gestalt wurde umrisshaft sicht­
trotzdem war das Leben aus ihm gewi­ bar; er konnte keine Einzelheiten aus­
chen, plötzlich, unvermittelt, ohne Vor­ machen, sah nur, dass sie sich mit einer
warnung. geschmeidigen Bewegung über ein
In ihrem Beruf musste man damit Sitzmöbel hechtete und dahinter ab­
rechnen. rollte.
Warding Atarin hob den Kopf, um Im Kreuzfeuer der drei Energiestrah­
sich erneut in dem Wohnraum umzubli­ len war der Schutzschirm von Tarks
cken, als ihn scheinbar aus dem Nichts Mörder zusammengebrochen und mit
ein Energiestrahl traf. ihm die Deflektoreinheit. Sie mussten
Er kam nicht einmal mehr dazu, ei­ ihn quasi auf frischer Tat ertappt ha­
nen Schrei auszustoßen. ben, waren nur wenige Sekunden zu
spät gekommen.
* Wenn wir vor der Tür nicht so lange
gezögert hätten, hätten wir ihn viel­
Die Positronik seines getarnten Ein­ leicht noch retten können, dachte War­
satzanzugs reagierte gedankenschnell ding, und der Schmerz breitete sich mit
und baute den Energieschirm auf. Na­ einer kaum erträglichen Intensität in
türlich konnte er auf Arkon III nicht in ihm aus.
einem vollwertigen Kampfanzug her­ Er zwang sich, ihn zu unterdrücken.
umlaufen, aber seine Ausrüstung bot Die Lage war prekär. Sein Deflektor­
einen gewissen Minimalschutz, sonst schirm und die seiner Agentinnen funk­
hätte er den getarnten Mörder nicht tionierten zwar, aber auf so engem
einfach ignoriert. Zwei, vielleicht drei Raum bot dies keinen wesentlichen
Schüsse aus einer Energiewaffe würde Vorteil. Der feindliche Agent würde
der Schirm verkraften, mehr aber ebenfalls Energiemessungen vorge­
nicht. nommen haben und wissen, dass sie
Der Strahl wurde zerfächert, und ihn hier und zu dritt waren. Außerdem hat­
umgab kurz gleißende Helligkeit. te er die Strahlen aus ihren Waffen ge­
Atarin warf sich zur Seite und robbte sehen. Er brauchte bloß auf Dauerfeuer
in die fadenscheinige Deckung eines zu schalten, um ihre Position zu erken­
Allzwecktisches, ohne diese jedoch zu nen.
erreichen. Aber das konnte er nicht tun. Ein
Arna und Oksa hatten das Ziel er­ Sperrfeuer in diesen beengten Räum­
fasst und schossen gleichzeitig. Sie hat­ lichkeiten bedeutete das Todesurteil
ten die Deflektorschirme aktiviert, und für sie alle.
der Effekt war genauso bizarr wie der, Im nächsten Augenblick wurde Ata­
dem er fast zum Opfer gefallen wäre: rin eines Besseren belehrt. Sein Gegen­
Mitten aus der Luft schienen sich zwei spieler schoss tatsächlich, zielte aber
Energiestrahlen zu lösen und ein un­ nicht auf ihn oder die beiden Agen­
sichtbares Ziel zu erfassen. tinnen, sondern auf den Tisch in der
Einen Moment lang flackerte es Mitte des Wohnraums.
strahlend hell vor ihm, keine fünf Me­ Das Möbelstück ging sofort in Flam­
ter entfernt. men auf. Atarin glaubte zu spüren, wie
Im Kriechen warf Atarin sich herum eine Hitzewelle auf ihn einschlug, aber
und schoss ebenfalls. Er hörte einen ho­ das war natürlich Unsinn; der Schutz­
hen, gellenden Schrei. schirm bewahrte ihn davor. Beißender
Die Prognostiker 11

Rauch breitete sich in dem nicht beson­ Streitigkeiten unter den ethnischen
ders großen Raum aus. Der TLD-Agent Gruppierungen der Arbeiterschaft wa­
fluchte lauthals; jetzt hätte er etwas für ren gang und gäbe, doch der Einsatz
einen echten Kampfanzug mit funkti­ von Schusswaffen war selten; schon ihr
onsfähigen Systemen gegeben. Besitz wurde schwer geahndet.
Durch die fetten schwarzen Schwa­ Atarin gab seinen beiden Kolle­
den sah er die Umrisse einer Gestalt, ginnen ein Zeichen. Sie mischten sich
die jegliche Gefahr zu ignorieren unter die Schaulustigen, stießen und
schien und zur Tür des Quartiers rempelten besonders Aufdringliche
stürmte. Bevor die beiden Ekhoni­ beiseite und wichen langsam zurück.
dinnen reagieren konnten, hatte der Der TLD-Agent sah sich unauffällig
Mörder unter dem Deflektorschirm sie nach einer verdächtigen Person um, die
zur Seite gestoßen und war an ihnen sich untypisch verhielt, vielleicht mit
vorbei. Atarin riss den Arm mit dem unziemlicher Geschwindigkeit das
Kombistrahler hoch und schoss, doch Weite suchte, aber sein Gegenspieler
es war zu spät. Der Energiestrahl war zu erfahren, um sich solch eine
schlug lediglich in die Wand ein und Blöße zu geben. Wahrscheinlich war er
schmolz sie wie Butter. einer von jenen, die sich am Rand des
Spätestens jetzt wurde dem TLD- Gedränges herumdrückten und ver­
Agenten klar, dass es hier für sie nichts suchten, einen Blick auf die Türöffnung
mehr zu gewinnen gab. zu werfen.
»Maurits!«, rief er das vereinbarte In der Ferne erklangen barsche Schreie.
Kodewort. Sicherheitspersonal näherte sich.
Er zögerte kurz. Wie würde die Tu- Atarin zögerte. Konnte er irgendwie
Ra-Cel mit Tarks Leichnam verfahren? den Wohnblock absperren lassen? Viel­
Würden die Geheimdienstler ihm den leicht, indem er die Gebäudesicherheit
Respekt erweisen, den er verdient hat­ informierte, eine verdächtige Gestalt
te? Und welche Ausrüstung trug der gesehen zu haben?
Sektionsleiter bei sich? Würde eine ge­ Nein, bis er den Sicherheitschef der
naue Untersuchung vielleicht die ge­ Wohnsektion erreicht und ihm seine
samte TLD-Zelle in Gefahr bringen? Lügengeschichte erzählt, vielleicht so­
Die Dienstvorschriften waren ein­ gar eine gefälschte Vollmacht gezeigt
deutig. Atarin bedauerte, was er nun hatte, wäre das Zielobjekt schon längst
tun musste, verabscheute es sogar, doch hinaus und hätte das Gebäude verlas­
ihm blieb keine andere Wahl. Er stellte sen. Genau das tat es im Augenblick
den Zeitzünder der Desintegratorbom­ wahrscheinlich sowieso schon.
be ein und schob sie in eine Tasche der Sie hatten erneut zu lange herumge­
Montur des Toten. Dann stürmte er los, trödelt. Der kurze Vorsprung beim Ver­
zur Tür, hinaus aus dem Chaos. lassen des Appartements würde Tarks
Arna und Oksa erreichten den Aus­ Mörder wahrscheinlich reichen, um un­
gang vor ihm. Atarin folgte ihnen über erkannt zu entkommen.
die Schwelle und musste alle Energie Er schaute zu den beiden Agentinnen
aufbringen, sich zu beherrschen und hinüber und nickte ihnen zu. Vor Ort
nicht weiterzulaufen. konnten sie nichts mehr bewirken. Und
Dutzende von Kolonialarkoniden wenn die arkonidischen Sicherheits­
strömten zur Quelle des Aufruhrs, um kräfte auftauchten, liefen sie sogar Ge­
herauszufinden, was dort vor sich ging. fahr, endgültig aufzufliegen.
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So unauffällig wie möglich ent­ bestätigte Arna. »Oksa hat recht, wir
fernten sie sich von dem Quartier, lie­ müssten da nachhaken.«
ßen Schaulustige an ihnen vorbei, die Atarin musterte die beiden ekhoni­
sich durch den Gang drängten, näher dischen Zwillinge kurz. Wer nicht mit
zur Tür, um einen Blick in den Wohn­ ihnen vertraut war, konnte sie kaum
raum werfen zu können. voneinander unterscheiden. Beide wa­
Als Atarin sich umdrehte und sich ren schlank und hochgewachsen und
langsam vom Ort des Geschehens ent­ trugen das silberne Haar nach einer ak­
fernte, hörte er den dumpfen Knall, mit tuellen Modeströmung zu kurzen, wu­
dem die Sprengladung der Desintegra­ scheligen Pagenfrisuren geschnitten,
torbombe zündete. Von Tark Kluf war und ihre schmalen, scharf geschnitte­
nun nichts mehr übrig. nen Gesichter mit den kleinen Nasen
Ihm blieben nur quälende Erinne­ waren nahezu identisch. Sogar das Rot
rungen an seinen Vorgesetzten. ihrer Augen war gleich. Man musste
schon ihre Eigenarten kennen, um auf
* Anhieb sagen zu können, wer Arna und
wer Oksa war.
Das Quartier, das Warding Atarin be­ »Mal sehen, ob ich mehr Erfolg hat­
zogen hatte, unterschied sich gar nicht te«, sagte er und kniete vor dem Scan­
so sehr von dem, in dem er den toten ner nieder, den Oksa aktiviert und auf
Sektionsleiter gefunden hatte. den Vorgang programmiert hatte. Er
Die meisten Einrichtungsgegenstän­ zuckte kurz zusammen, als der grü­
de waren nur Fassade und verbargen ne Lichtstrahl auf die künstlichen
TLD-Geräte. Vor dem Hyperimpedanz- Fotorezeptoren in seinem linken Auge
Schock hätten er und seine Agenten fiel.
umgehend ein Ausweichquartier bezo­ Die Datenübertragung dauerte nur
gen, doch nun waren die Ressourcen wenige Sekunden. Das Licht erlosch,
knapp, selbst für den TLD. Dennoch und Atarin richtete sich wieder auf.
war Atarin klar, dass sie dieses Versteck Arna arbeitete bereits an der holo­
bald aufgeben mussten, wollten sie grafischen Darstellung der extrahierten
nicht Gefahr laufen, von der TRC aus­ Daten. Eine umrisshafte Gestalt bildete
gehoben zu werden. sich in der Luft zwischen den Agenten,
Arna und Oksa Chakilian hatten be­ Einzelheiten waren allerdings nicht zu
reits die Tarnverteidigung aktiviert und erkennen. Der TLD-Agent erkannte
fuhren die Terminals hoch. nur eine schlecht sitzende Arbeiter­
»Habt ihr den Mörder erkannt?«, montur unter einem flimmernden Ver­
fragte Atarin. zerrungsfeld.
Arna drehte sich zu ihm um. »Er ist auf der Hut«, erkannte er wi­
»Es ging zu schnell«, sagte sie. »Sein derwillig die Leistung seines Gegners
Deflektorfeld ist zwar zusammenge­ an. »Will eine Identifizierung unbedingt
brochen, aber ich konnte nur eine Sil­ verhindern.«
houette sehen.« »Was hat Tark überhaupt in diesem
»Er trug eine Arbeitermontur, genau Wohnquartier gewollt?«, fragte Arna
wie wir«, ergänzte Oksa. »Irgendetwas geistesabwesend, während sie manuel­
kam mir daran komisch vor. Vielleicht le Justierungen vornahm.
der Schnitt ...« Atarin zuckte ausweichend die Ach­
»Sie kam mir unnatürlich weit vor«, seln. »Er hat es mir nicht gesagt; du
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kennst ihn ja. Manchmal hat er sein ei­ Als am 26. Dezember 1303 NGZ Im­
genes Süppchen gekocht.« perator Bostich I. das Huhany’Tussan,
»Diese alte Schauergeschichte? Die das Göttliche Imperium, ausrief, wurde
Etset Secinda?« anlässlich dieses Ereignisses ein jahre­
Der TLD-Agent schwieg. Die Etset lang vorbereiteter Plan umgesetzt:
Secinda, die Stadt der Sieben, war Subtor, der bis dahin zwanzigste Planet
Tarks persönliches Steckenpferd gewe­ des Systems, wurde mittels eines Situ­
sen, praktisch schon eine fixe Idee. An­ ationstransmitters an die Position des
geblich hatten die akonischen Abtrün­ ehemaligen Kriegsplaneten gesetzt.
nigen, die vor fast 20.000 Jahren Ar­ Und nur wenige Jahre später kamen
kon III besiedelt hatten, Überreste einer Gerüchte auf, auch auf der neuen
in sieben Bereiche gegliederten Stadt Kriegs- und Rüstungswelt habe man
entdeckt, aus deren Mauerruinen eine bei Minenarbeiten Relikte gefunden,
bröselige Metallmasse hervortrat und die weit über 100.000 Jahre alt seien,
Rostspuren auf die Wände zeichnete. Überreste von Städten und unterir­
Und sie sollten auch unterirdische Stol­ dischen Kavernen künstlichen Ur­
len- und Höhlensysteme entdeckt ha­ sprungs.
ben, die eindeutig künstlichen Ur­ Warding Atarin glaubte nicht daran.
sprungs waren. Vielleicht betrieben die Arkoniden eine
Ob jemals arkonidische Forscher gezielte Legendenbildung oder Desin­
herausgefunden hatten, wer diese Stadt formation, oder ein paar Spinner streu­
erbaut und wer vor ihnen auf diesem ten sinnlose Lügen aus. Subtor war
Planeten gelebt hatte, war unbekannt. ursprünglich über zehn Milliarden Ki­
Die alten Arkoniden hatten jegliches lometer von der Sonne entfernt gewe­
Wissen darüber unterdrückt und even­ sen, ein vereister Gesteinsklumpen, so
tuell sogar Spuren gezielt vernichtet. lebensfeindlich wie die anderen acht
Sie hatten nach dem Ende ihrer Unab­ äußeren Welten des 27 Planeten umfas­
hängigkeitskriege genug damit zu tun, senden Systems. Weshalb hätten die
ihre Existenz zu sichern und sich als Ureinwohner von Arkon III ausgerech­
galaktische Macht zu etablieren, als net auf diesem gottverlassenen Brocken
dass sie ihre neue Heimatwelt auch nur eine Station errichten sollen, wenn es
gedanklich mit einer untergegangenen doch in der Nähe viel lohnendere Ziele
und vielleicht mächtigeren Zivilisation gab?
teilen wollten. Schon damals waren sie Aber Tark hatte sich von den Ge­
dünkelhaft gewesen. rüchten fasziniert gezeigt und insge­
Als sicher galt hingegen, dass spätere heim Nachforschungen angestellt. Er
archäologische Untersuchungen ergeb­ hatte gelegentlich mit Atarin darüber
nislos verlaufen waren. Jede mögliche gesprochen, mitunter sogar gebeten,
Spur schien im Zuge des Ausbaus des ihn bei seinen Nachforschungen zu un­
Planeten vernichtet worden zu sein. terstützen. Herausgekommen war da­
Und mit der Zerstörung des Planeten bei nie etwas.
im Jahr 2329 alter Zeitrechnung war Und jetzt war er tot.
jede Hoffnung, das Rätsel doch noch zu Das gab der ganzen Angelegenheit
klären, hinfällig geworden. Die ur­ eine unerklärliche Wendung. Tark hat­
sprünglichen Bewohner der arkoni­ te wieder auf eigene Faust gearbeitet,
dischen Zentralwelt würden also unbe­ »eine heiße Spur« verfolgt, wie er sich
kannt bleiben. ausgedrückt hatte. Immerhin war sie so
14 UWE ANTON

heiß gewesen, dass er jemandem zu nah fährlich. Während Stunde um Stunde


auf den Pelz gerückt war. verging, die er zur Untätigkeit ver­
Und dieser Jemand hatte ihn besei­ dammt war, konnte draußen irgendet­
tigt. was geschehen, was ihre gesamte Mis­
Oksas leises Räuspern riss ihn aus sion gefährdete.
seinen Überlegungen. »Wir haben et­ Draußen ... das bedeutete außerhalb
was«, sagte sie. »Jetzt weiß ich auch, jenes ausgedehnten technischen Ver­
wieso die Gestalt mir so ... falsch vor­ sorgertrakts unter der Weltkugel des
gekommen ist.« Weltweisen von Azdun, in dem die Pa­
Atarin schaute zu dem Holo. Die Po­ rapositronik ESCHER versteckt war.
sitronik hatte die Umrisse von Tarks Seit zwei Tagen wartete die Kolon­
Mörder mithilfe von Extrapolationen nen-Fähre AGYYRE, die die Weltkugel
und Vergleichsunterlagen der Daten­ beförderte, bereits vor dem Kernwall
bänke deutlicher herausgearbeitet. Hangay auf die Passage ins Innere. Aus
Die Figur des Täters war knabenhaft ihm nicht bekannten Gründen verzö­
schlank, wies aber eine beträchtliche gerte sich der Abflug jedoch noch im­
Oberweite auf, und die getreue Darstel­ mer.
lung des Kopfs ließ keinen Zweifel Die Wartezeit bot der Mannschaft
mehr übrig. der Fähre die Gelegenheit, die Weltku­
Es handelte sich um eine Frau. gel als just aufgesammelten Neuan­
Mehr noch. Um ein Gerücht. Eines kömmling unter die Lupe zu nehmen.
jener Gerüchte, die Tark so unwider­ Eine erste Inspektion hatte bereits vor
stehlich gefunden hatte. zwei Tagen stattgefunden.
Er betrachtete das ovale Gesicht, die Isokrain hatte in letzter Sekunde
ursprünglich schulterlangen schwar­ Schlimmeres verhindern können, aber
zen Haare, die sie hier auf Arkon III wenn die Besatzung auf die Idee einer
angeblich zu einer kurzen Glitzerfrisur zweiten Untersuchung kam ... wer
gestylt trug, und die grünen Augen. weiß?
»Das ist Da’inta Sparks«, sagte er Dr. Savoire lehnte sich in seinem Ses­
tonlos. sel zurück und betrachtete – zum wie­
»Mit einer Wahrscheinlichkeit von vielten Male in den letzten beiden Ta­
zweiundfünfzig Prozent«, bestätigte gen? – ein Holo, das die Kernzone
Arna. Hangay zeigte. Viel ließ sich daraus
Atarin schüttelte den Kopf. »Angeb­ nicht entnehmen. Die Form der Zone
lich Rutmer Vitkineffs rechte Hand«, entsprach einer gewaltigen, vermutlich
sagte er und stellte fest, dass seine Stim­ unregelmäßigen Linse. Ihr größter
me zitterte. »Aber Rutmer Vitkineff ist Durchmesser lag, einschließlich des
eine Legende. Es gibt keinen Rutmer Kernwalls, bei maximal 900 Licht­
Vitkineff, hat ihn nie gegeben.« jahren, die größte Dicke bei etwa 300,
wie Datenanzeigen ihm verrieten.
Sollte die Entstehung der Negasphä­
2. re Hangay noch verhindert werden,
Hangay sollte die Lokale Gruppe der Galaxien
5. Mai 1347 NGZ eine Chance aufs Überleben haben,
mussten sie dort hinein, in die Kernzo­
Das Warten ging Dr. Laurence Sa­ ne.
voire auf die Nerven. Und es war ge­ Savoire seufzte leise. Es war sinnlos,
Die Prognostiker 15

immer wieder beschwörend diese Linse wirkte. Darunter befand sich der Ver­
anzustarren und das, wofür sie stand: sorgertrakt, ein annähend würfelför­
einen für die Galaktiker undurchdring­ miges Gebilde mit etwa 120 Metern
lichen Wall. Er wählte ein anderes Ho­ Kantenlänge.
lo: einen Teilbereich der Ladefläche der Dr. Savoire wusste mittlerweile aus
Fähre. eigener Erfahrung, dass von ihm eine
Das Bild schwenkte vorbei an einem starke mentale Aura von Wissen aus­
Traitank. Eingeblendete Daten verrie­ ging.
ten, dass dieser noch von schwächer Der Weltweise von Azdun.
werdenden Strangeness-Effekten um­ Nur ihm hatten sie es zu verdanken,
geben war. Die Ankunft des Raum­ dass sich ESCHER an Bord einer
schiffs in diesem Universum konnte Kolonnen-Fähre hatte einschleichen
also noch nicht allzu lange zurücklie­ können, die die Parapositronik durch
gen. den Kernwall Hangay und, wenn alles
Vielleicht ist mit ihm jener Mor’Daer- klappte, nach GLOIN TRAITOR brin­
Kalbaron eingetroffen, den Isokrain in gen würde.
letzter Sekunde im Versorgungstrakt Der Weltweise verfügte über die not­
suggestiv beeinflusst hat, dachte er. wendige Identifikation. Er konnte sich
Er musste lächeln, als das dreidimen­ mit Spezialkodes als Bestandteil der
sionale Bild ein Gebilde erfasste, wie Neganen Stadt ausweisen, und ein Zu­
man es aufseiten der TRAITOR-Gegner satzkode stellte ihn sogar unter den be­
noch nie gesehen hatte: die Weltkugel sonderen Schutz des Chaotarchen
des Weltweisen von Azdun, die ganz in Xrayn, mit dem er »befreundet« war,
der Nähe des Traitanks auf einer der auch wenn schon seit Jahrmillionen
Ladeflächen der Kolonnen-Fähre ver­ kein Kontakt mehr zwischen den bei­
ankert war. den bestand.
Sie durchmaß etwa 70 Meter, und in Aber das konnte die Besatzung der
der herangezoomten dreidimensionalen AGYYRE nicht wissen. Für sie war die
Darstellung erinnerte ihre Form Sa­ Weltkugel ein wichtiges Element der
voire nicht mehr an eine Kugel, sondern Terminalen Kolonne, das bis zur An­
an ein leicht deformiertes, riesenhaft kunft der Neganen Stadt in Hangay
vergrößertes Goldfischglas. Eine Art unbedingt geschützt werden musste.
Schneegestöber-Effekt erfüllte ihr In­ Bis zu jenem Augenblick, da die Proto-
neres, die optisch sichtbare Nebenwir­ Negasphäre zur echten wurde. Damit
kung eines unbekannten hyperphysi­ waren der Weltweise und seine Weltku­
kalischen Effekts, wie sie mittlerweile gel quasi unantastbar.
herausgefunden hatten. Bei dem Und was niemand an Bord der Fähre
»Schnee« handelte es sich um die Dar­ wissen konnte: In den Versorgerkom­
stellungen von Galaxien, die unabläs­ plex der Weltkugel waren die Elemente
sig ihre Position veränderten, und die der Parapositronik ESCHER integriert.
Hülle des Bassins bestand keineswegs ESCHER und der Weltweise waren ein
aus Glas, Kunststoff oder etwas Ähn­ verdecktes Angriffskommando, das
lichem, sondern aus einer rätselhaften GLOIN TRAITOR zum Ziel genommen
Energieform. Durch das Medium, das hatte.
sich dahinter befand, trieb ein Wesen, ESCHER war vom Nukleus der Mo­
das auf den ersten Blick wie eine über­ nochrom-Mutanten in den Einsatz ge­
dimensionale, zehn Meter große Qualle schickt worden. Ziel der angehenden
16 UWE ANTON

Superintelligenz war es, den Grenzwall keine Rückschlüsse ziehen, ob er eine


und den Kernwall Hangay abzuschal­ gute oder eine schlechte Nachricht
ten. Das war jedoch nur über den Um­ überbrachte. »Und?«
weg der Nadel des Chaos möglich, die »Er hat sich als Kalbaron Parukir
beide Wälle kontrollierte. GLOIN identifiziert. Es handelt sich übrigens
TRAITOR musste manipuliert – oder nicht um den Kalbaron, den Isokrain
vielleicht sogar besser vernichtet – wer­ schon kennengelernt hat.«
den. Savoire nickte. Die Weltkugel ver­
Der Weltweise war in der Tat ein An­ fügte über eine Funkanlage, mit deren
gehöriger der Kolonne, ein ehemaliger Hilfe das seltsame Geschöpf mit Ko­
Vertrauter des Chaotarchen Xrayn, ein lonnen-Angehörigen kommunizieren
Wesen, das eigentlich den Schritt zur konnte. »Und was hat er gesagt?«
höheren Wesenheit vollziehen wollte, Merlin Myhr war einer der beiden
zum körperlosen WELTWEISEN. Zu Avatare ESCHERS, die ursprünglich
diesem Zweck – so glaubte er selbst – für die Rekrutierung neuer Prozessoren
musste er sterben, um die Fessel seines zuständig gewesen waren. Vielleicht
Körpers in der Weltkugel abzustrei­ hatte der ehemalige TLD-Agent sich
fen. dabei angewöhnt, mit Vorliebe um den
Nach der Begegnung mit ESCHER heißen Brei herumzureden.
und den Terranern hatte der Weltweise »Er hat Kursanweisungen empfan­
seine Pläne aufgeschoben. Nun plante gen, und das Eindringen in die Kernzo­
er seinen Tod beim Angriff auf GLOIN ne Hangay steht unmittelbar bevor.«
TRAITOR, um zuvor der Terminalen »Also endlich gute Nachrichten«,
Kolonne TRAITOR maximalen Scha­ sagte der Erste Kybernetiker.
den zuzufügen. »In der Tat. Willst du die Aufzeich­
Der Weltweise hatte zugestimmt, nung hören?«
ESCHER in seinen Versorgertrakt zu Savoire nickte, und Merlin Myhr we­
integrieren und sich gemeinsam mit delte mit der Hand. Eine tiefe Stimme
seinem Passagier von einer Kolonnen- durchdrang den Raum. Sie sprach be­
Fähre aufnehmen zu lassen, um auf fehlsgewohnt, doch auch mit einer ge­
diese Weise ins Innere des Kernwalls hörigen Ehrfurcht.
Hangay zu gelangen, wo sich GLOIN Der Weltweise hatte schon zuvor klar­
TRAITOR befand. gestellt, wie wichtig er innerhalb des
Merlin Myhr erschien aus dem Nichts Gefüges der Terminalen Kolonne war.
neben Dr. Laurence Savoires Sessel. »Welches Ziel genau hast du? Wohin
Der kleine, stämmige Mann – falls man möchtest du mit deiner Weltkugel ge­
diese Bezeichnung verwenden wollte – bracht werden?«
trug aus Macht der Gewohnheit einen Eine andere, völlig unpersönliche,
schwarzen Anzug. künstlich klingende Stimme antwor­
»Der Kommandant der Kolonnen- tete. Die des Weltweisen, der über die
Fähre hat sich soeben beim Weltweisen Funkanlage sprach. »Mein Ziel ist
gemeldet«, sagte er mit finsterer Mie­ selbstverständlich GLOIN TRAITOR.
ne. Die Nadel des Chaos bedeutet für mich
Savoire reagierte gelassen. Der Ava­ bis zum Eintreffen Xrayns maximale
tar ESCHERS setzte permanent ein Sicherheit.«
düsteres Gesicht auf, genau wie sein »GLOIN TRAITOR«, echote Kalba­
Kollege Pal Astuin. Daraus konnte man ron Parukir. »Leider kann ich dir dieses
Die Prognostiker 17

Flugziel nicht bestätigen. Die AGYYRE Savoire lächelte schwach. Und an


hat keine Berechtigung, bis GLOIN Bord befanden sich, wie er in den letz­
TRAITOR durchzufliegen.« ten zwei Tagen erfahren hatte, zahl­
»Was schlägst du vor?« reiche kleine und große Objekte der
»Wir werden dich an einem anderen Terminalen Kolonne, die in die Kernzo­
Ort absetzen, von dem jedoch die Mög­ ne Hangay transportiert werden soll­
lichkeit besteht, nach GLOIN TRAI­ ten.
TOR weiterzureisen.« Aber dieses Mal brachte die AGYYRE
Savoire schluckte. Eine weitere Ver­ nicht nur gewöhnliches Frachtgut ...
zögerung ... Aber damit war zu rechnen »Ob TRAITOR etwas mit dem Begriff
gewesen. Nur ein naiver Tropf konnte Trojanisches Pferd anfangen kann?«,
davon ausgehen, dass die Nadel des fragte er sich laut.
Chaos so einfach zu erreichen war. »Wie bitte?«
Auch in dem aufgezeichneten Ge­ »Eine Bezeichnung aus der terra­
spräch ergab sich eine Verzögerung. nischen Antike«, erklärte er. »Nur, dass
Savoire konnte sich vorstellen, was sich unser Pferd nicht aus Holz ist und in
in diesem Augenblick abgespielt hatte. seinem Bauch keine Soldaten in die
Offensichtlich dachte der Weltweise Stadt Troja trägt, sondern eine Reihe
darüber nach, ob seine Befugnisse aus­ unerbittlicher Feinde TRAITORS in die
reichten, dem Kalbaron zu befehlen, Kernzone der entstehenden Negasphä­
GLOIN TRAITOR direkt anzufliegen. re, die das Ziel haben, GLOIN TRAI­
Aber damit hätte er nur unnötiges TOR, die Nadel des Chaos, zu infiltrie­
Aufsehen erregt. Die Kodes mochten ren.«
solch eine Anweisung rechtfertigen, »Wie theatralisch«, sagte der Avatar.
doch wenn die verantwortlichen Stel­ »Und eine merkwürdige Metapher –
len misstrauisch wurden, würden sie Soldaten in einem Holzpferd?«
vielleicht anordnen, den Weltweisen Dr. Savoire zuckte die Achseln und
noch einmal auf Herz und Nieren zu rief ein weiteres Holo auf.
überprüfen. Und das sollten sie nach Anhand der scheinbaren Bewe­
Möglichkeit vermeiden. gungen der Sterne erkannte er, dass die
»Gut«, sagte der Kalbaron schließ­ Kolonnen-Fähre beschleunigt hatte.
lich, um das Schweigen zu beenden. Dann veränderte sich die Darstellung
»Wir werden mit deinem Einverständ­ abrupt und zeigte nur noch dunkelrote
nis so vorgehen, wie ich es vorgeschla­ Schlieren.
gen habe. Unsere Kolonnen-Fähre hat Die AGYYRE vollzog ein erstes
soeben Kursanweisungen eines Raum- Überlichtmanöver durch den Kernwall.
Zeit-Routers empfangen. Wir werden Offensichtlich exakt nach den Kursan­
in acht Minuten aufbrechen.« weisungen der Raum-Zeit-Router
Merlin Myhr machte wieder eine drang sie in den für die Galaktiker ab­
Handbewegung und beendete damit solut nicht zu durchbrechenden Kern­
das Abspielen der Aufzeichnung. wall ein.
»Endlich«, sagte Savoire. »Die War­ Ein weiterer Schritt auf meinem Weg,
tezeit ist damit vorbei.« dachte Dr. Laurence Savoire. Und ich
»Den Anschein hat es«, bestätigte der werde nicht mehr viele davon tun kön­
Avatar. »Dieses Gespräch fand vor zehn nen.
Minuten statt. Die Fähre hat sich be­ Er war als einziger wirklich lebender
reits in Bewegung gesetzt.« Terraner Teil des Systems ESCHER.
18 UWE ANTON

Als er sich bereit erklärt hatte, den Flug gen. Die Bewusstseine behielten ihre
mitzumachen, hatte er gewusst, was Erinnerungen und konnten sich in Kör­
ihn an dessen Ende erwartete. perprojektionen manifestieren, die
Der Tod. ESCHER für sie herstellte.
Es gab nach menschlichem Ermessen Kurz gesagt: Unsterblichkeit.
keine Möglichkeit, diese Mission zu Ein körperloses Dasein in einem Su­
überleben. Jeder Schritt, der ihn näher perrechner, herbeigeführt durch eine
zu GLOIN TRAITOR brachte, war ein angehende Superintelligenz. Ein Da­
Schritt zu seinem Tod. sein, das sogar wieder körperlich wer­
Natürlich hatte er schon seit Langem den konnte, wenn sich der Bedarf dafür
seinen Eintritt als Prozessor in die Pa­ ergab. Das Beste von zwei Welten.
rapositronik geplant, damals aber noch Aber der Nukleus war weit entfernt
unter anderen Voraussetzungen. und das Schicksal ESCHERS besiegelt.
Damals war ESCHER gleichbedeu­ Keine Unsterblichkeit, nur der Tod
tend mit der Verheißung auf eine Art wartete.
Unsterblichkeit gewesen. Der Prozes­ Sollte es der Parapositronik gelin­
sor einer Parapositronik ... gen, GLOIN TRAITOR zu erreichen,
Das ursprüngliche Ziel des Projekts würde sie sich opfern, um den Kernwall
ESCHER war die Vernetzung von niederzureißen und den Galaktikern
menschlichen Gehirnen mit einer Po­ den Einflug in die Kernzone zu ermög­
sitronik mittels SERT-ähnlicher Tech­ lichen, damit sie die Entstehung der
nik gewesen. Auf diese Weise sollte ein Negasphäre verhindern konnten.
paramechanischer Mensch-Maschine- Der Weltweise wollte sterben, um
Verbund entstehen, der Rechenleistun­ den Schritt zu vollziehen, zu einer
gen erzielen konnte, die denen einer übergeordneten Entität zu werden, und
Syntronik nahekamen oder sie sogar ESCHER wollte sich opfern, um den
übertrafen. Es war eine der vielen Ideen Bewohnern der Lokalen Gruppe eine
gewesen, auf einen technologischen Zukunft zu geben.
Stand wie vor der Erhöhung der Hy­ Savoire würde keinen Rückzieher
perimpedanz zu gelangen. machen. Er hatte sich aller Optionen
Er sah es vor sich, das Gittermuster beraubt, als er sich bereit erklärt hatte,
energetischer Knotenpunkte, die die Parapositronik und den Weltweisen
ESCHER selbst als Hyperdim-Matrix zu begleiten.
bezeichnete. In diese Matrix nahm Er würde mit ihnen sterben, und je­
ESCHER die Bewusstseine all seiner der kleine Erfolg der Mission brachte
Prozessoren auf. Im Moment ihres ihn dem Tod einen Schritt näher.
Todes kam es zu einer kurzen Entmate­ Er gab den Gedankengang auf, als
rialisierung des Körpers, bei der das eine weitere Gestalt vor ihm materiali­
Bewusstsein vom Körper getrennt sierte, die an eine irdische Fangschre­
wurde. Ein Splitter des Nukleus der cke erinnerte. Ein zweieinhalb Meter
Monochrom-Mutanten band dieses großer Insektoide mit einem Arm- und
Bewusstsein und überführte es in die zwei Beinpaaren. Die Arme hatten
Hyperdim-Matrix. Scheren wie ein Krebs und zusätzlich
Jeder Knotenpunkt der Matrix wur­ einige kleine Pseudofingerchen. Das
de von einem Bewusstsein besetzt. hintere Beinpaar war nach hinten ge­
Hunderte von Bewusstseinen waren dreht und riesig; das Geschöpf konnte
nötig, um alle Knotenpunkte zu bele­ damit, wenn es sein musste, buchstäb­
Die Prognostiker 19

lich große Sprünge machen. Es trug Und er spürte unvermittelt eine Last
eine Robe, die seitlich geschlitzt war, auf seinen Schultern, einen unbekannten
damit das hintere Beinpaar Bewe­ Einfluss, der seine Gedanken lähmte, sie
gungsfreiheit hatte. ganz zäh fließen ließ, ihm sogar körper­
Isokrain der Kosmitter! liche Schmerzen bereitete.
Die letzten Tage hatte er ausschließ­ Was war geschehen? Was war an die­
lich stofflich verbracht und dabei unter sem Ort los? Waren das die Auswir­
anderem eine Inspektion des Versorger­ kungen der Entropie, des für Men­
trakts der Weltkugel des Weltweisen schenabkömmlinge nicht fassbaren
verhindert. Nun suchte es die Gesell­ Chaos, das sich im Kernbereich Hangay
schaft des einzigen anderen stofflichen gebildet hatte?
Wesens, vermutete Savoire. Würde er, wenn er nur genau genug
»Es geht los!«, sagte der Insk-Karew. hinschaute, die Prinzipien von Ord­
»Endlich geht es los!« nung und Chaos zu begreifen lernen?
»Wie theatralisch«, sagte Dr. Savoire Jene Mechanismen, die den Kosmos be­
mit einem angespannten Lächeln. stimmten? Würde er Sinn und Zweck
des Kampfs der Hohen Mächte durch­
schauen?
3. Oder wäre er bloß ein weiteres na­
Hangay men- und gedenkenloses Opfer im Cha­
os, in einer Region, die ihm so fremd
Savoire hatte nie gewusst, wie quä­ war, dass er sie einfach nicht verstehen
lend bloßes Warten sein konnte. Auch konnte?
wenn es diesmal keine zwei Tage wa­ Denn es war in der Tat eine andere
ren, sondern lediglich zwei Stunden. Region, die er erreicht hatte.
Eben besagte zwei Stunden dauerte Die Sterne standen bereits extrem
der Flug in den Kernwall Hangay be­ dicht, mit mittleren Abständen von
reits, und der Erste Kybernetiker rich­ deutlich weniger als einem Lichtjahr,
tete sich auf einige weitere Stunden wie die Daten des Holos ihm verrieten.
Wartezeit ein. Zwischen ihnen tobten zahlreiche
Zumindest war bislang alles glattge­ schwere Hyperstürme.
laufen. Die Holos zeigten, unbeein­ Die Fähre befand sich in der ty­
druckt von der Nervosität des »Zyklo­ pischen Kernregion einer Galaxis.
pen«, die Schlieren des Hyperraums. Fieberhaft rief er weitere Einstellun­
Die undurchdringliche Barriere stellte gen auf. Und tatsächlich, Athaniyyon,
für die Kolonnen-Fähre kein Hindernis das riesige Schwarze Loch im Zentrum
dar. Hangays mit etwa 16,2 Millionen Son­
Als das Holo schließlich ein anderes nenmassen, war von ihrem neuen
Bild zeigte, glaubte Savoire im ersten Standort aus nur noch rund 175 Licht­
Moment an eine optische Täuschung, jahre entfernt.
an eine Art seltsame Rückkopplung, Sie hatten es geschafft! Sie befanden
eine Wiederholung dessen, was er be­ hatten den Kernwall durchdrungen!
reits vor Stunden beobachtet hatte. Er Der lichtschluckende Moloch weit vor
sah die dreidimensionale Darstellung ihnen war der Beweis. Sie hatten voll­
einer Sternregion, die sich durch nichts bracht, was vor wenigen Wochen noch
von der zu unterscheiden schien, die sie alle für unmöglich befunden hatten,
beim Start verlassen hatten. sogar und vor allem Atlan.
20 UWE ANTON

Sie waren ihrem Ziel einen weiteren Nukleus der Monochrom-Mutanten


Schritt näher gekommen. den Weg nach Hangay, und der Körper
Und damit auch seinem Tod. des Weltweisen würde sterben und es
Sie hatten den Standort GLOIN dem Wesen ermöglichen, sich von die­
TRAITORS fast erreicht, denn bei sen Fesseln zu lösen und als vergeistig­
Athaniyyon vermuteten die Galaktiker te Lebensform in den Kosmos zu rei­
die Nadel des Chaos. sen.
»Vibra-Psi«, flüsterte Isokrain. »Es Will ich auch sterben?, dachte Sa­
ist hier intensiver denn je.« voire. Habe ich mir das wirklich über­
»Vibra-Psi?«, echote Dr. Savoire. legt? Ist mir eigentlich bewusst, was ich
»Ich kenne das Gefühl«, erklärte der hier tue?
Kosmitter, »ich war Ewigkeiten unter Er verdrängte den Gedanken und
Vibra-Psi-Einfluss in Gefangenschaft. rief neue Holos auf. Sowohl ESCHER
Für dich ist es in dieser Intensität na­ als auch der Weltweise in seinem Ver­
türlich neu, da es so stark außerhalb sorgertrakt setzten ihre Sensoren recht
der Kernzone Hangay noch nicht wahr­ ungehemmt ein. Dass der Weltweise
zunehmen ist.« über aktive Tastung verfügte und sie
»Vibra-Psi«, wiederholte der Erste auch benutzte, würde niemanden in der
Kybernetiker. Was auch immer mit die­ Kolonnen-Fähre wundern, und die Pa­
sem Begriff gemeint war, er nahm wahr, rapositronik hatte sich einfach an ihn
dass er sich an einem ungewöhnlichen angehängt. Niemand würde Verdacht
Ort des Universums befand und dass schöpfen.
etwas sehr, sehr intensiv nicht in Ord­ Im ersten Moment hatte Savoire
nung war. Schwierigkeiten, genau einzuschätzen,
»Du wirst dich daran gewöhnen müs­ was er da sah. Er konnte noch immer
sen«, sagte der Insk-Karew. »Aber im­ nicht klar denken. Er erblickte ein un­
merhin haben wir die erste Etappe an­ beschreibliches Chaos, aber anders, als
scheinend bewältigt.« er es sich vorgestellt hatte.
Das Denken fiel Savoire noch immer Vor ihm wimmelte es in einem ver­
schwer. »Und die nächste heißt GLOIN hältnismäßig kleinen Raumabschnitt
TAITOR, und die dürfte nicht so leicht von ... von Fahrzeugen, Raumschiffen,
zu erreichen sein.« Raumstationen, was auch immer. Es
Von dort wollte ESCHER versuchen, mochten Zehntausende sein, viel zu
die Wälle auszuschalten oder zumin­ viele, als dass sie sich problemlos in
dest die Nadel des Chaos zu sabotieren. einem Holo zeigen ließen. Auf einer Ge­
Was am Ende natürlich mit der Ver­ samtdarstellung waren sie so winzig,
nichtung ESCHERS enden musste – dass er praktisch gar nichts erkennen
und der des Weltweisen. konnte, und bei Detailaufnahmen blieb
Und meinem Tod, dachte Savoire. ihm der Gesamteindruck verborgen.
Denn sobald ESCHER als Saboteur Scheinbar wahllos sprang die Posi­
identifiziert wurde, würde auch der tronik bei der Bildauswahl von einem
Weltweise sterben. Dann würde näm­ Objekt zum anderen, und allmählich
lich gefeuert werden. wurde Savoire klar, was ihn dermaßen
Und alle sind glücklich, dachte der verwirrte. Die meisten der Gebilde wa­
Diakater. Denn auf diese Weise bekam ren irgendwie ... unfertig.
jeder, was er wollte. ESCHER öffnete Vor ihm lag eine Art Baustelle im
für Perry Rhodans Truppen und den Weltraum.
Die Prognostiker 21

Die Holos füllten sich mit ersten Da­ Und Schwärme aus Tausenden von
ten, und endlich verstand er. Er erkann­ Traitanks, die die Baustelle absicher­
te Kolonnen-Forts, immer wieder ver­ ten, gegen wen oder was auch immer.
schiedene: gigantische Konstruktionen, Savoire identifizierte einige Skapalm-
in vollständigem Zustand geformt wie Barken, die vordergründig als Medo­
ein doppeltes T, mit einer Länge von schiffe der Kolonne bezeichnet wurden,
sechzehn, einer Breite von elf und einer in denen aber auch genetische Experi­
Höhe von neun Kilometern. mente stattfanden.
Savoire rief sich in Erinnerung, was Prospektoren-Kreuzer lieferten Roh­
er über diese Einheiten wusste. Be­ stoffe aus, TRAI-Versorger pendelten
kannt war unter anderem, dass sie in zwischen einzelnen Einheiten.
zerlegtem Zustand von Kolonnen-Fäh­ Unglaublich! Der Diakater rieb sein
ren an ihren Einsatzort gebracht und einziges, rötlich gefärbtes rechtes Auge
dort montiert wurden. Die Stationen und tastete in seiner Montur nach den
dienten als Operationsbasis für die Jonglierbällen, die er stets mit sich
Einsatzkräfte der Chaosmächte, und führte. Dieser unerträgliche Gigantis­
mit aneinandergekoppelten Kolonnen- mus!
Forts konnte die Entstehung Chao­ Die Terminale Kolonne schien hier
tischer Zellen und Geflechte beschleu­ alles an verschiedenen Einheiten zu­
nigt werden. sammenzuziehen, was sie aufbringen
Natürlich!, dachte er. Aus diesem konnte. Und dabei war dies nur eine
Grund wurden sie hierher gebracht. Galaxis in einem Feldzug in einem Uni­
Die Positronik brachte zusehends et­ versum. TRAITOR trieb zeitgleich viele
was Ordnung in das Chaos der Darstel­ Feldzüge voran ...
lung. Sie zeigte ihm, dass dort vor ihnen Die Bilder stabilisierten sich, ein An­
insgesamt 24 Kolonnen-Forts in sämt­ zeichen dafür, dass die Fähre an der
lichen Stadien der Zerlegung und des Baustelle gestoppt oder aber die Posi­
Zusammenbaus von einer Unmenge tronik die Informationen nun endlich
von Montagebooten umschwirrt wur­ verarbeitet und aufbereitet hatte.
den. Im nächsten Augenblick kam die
Es folgten Einblendungen mehrerer AGYYRE selbst ins Blickfeld, die Be­
anderer Objekte, Bilder, die Savoire stätigung, dass Savoires erste Vermu­
schaudern ließen. Er sah ringförmige tung zumindest ebenfalls zutraf. Die
Gebilde, jeweils acht Kilometer hoch, Kolonnen-Einheit hatte den Weltwei­
mit einem Außendurchmesser von un­ sen mitsamt dem angeflanschten Ver­
glaublichen 40 Kilometern, die einen sorgertrakt ausgeschleust.
freien Raum von immerhin noch 25 Ki­ »Der Kalbaron meldet sich wieder«,
lometern Durchmesser umschlossen, sagte Merlin Myhr, der den Flug durch
schwarz schimmernde Riesen vor dem den Kernwall mit Savoire und Isokrain
noch schwärzeren All – Kolonnen-Fa­ in der Kontrollzentrale ESCHERS ver­
briken der TRAIGOT- und TRAICAH- bracht hatte, während Pal Astuin es
Bauweise, in denen Endprodukte für offensichtlich vorzog, in der Paraposi­
Kolonnen-Einheiten hergestellt wur­ tronik zu verbleiben.
den. Der Avatar machte eine Handbewe­
Weiterhin entdeckte er die Ringe von gung, und Parukirs tiefe Stimme er­
Kolonnen-Docks, von denen einige die klang.
TRAICOON-Forts umgaben. »Das ist Portivabschnitt 3h3h2«, teil­
22 UWE ANTON

te der Kommandant der Fähre mit, »das Weltkugel umgehend einem Kolonnen-
Ziel unsere Fluges. Von hier aus wird Fort zuordnen, das zur Integration in
eine andere Einheit den Weitertrans­ GLOIN TRAITOR vorgesehen ist. Ich
port übernehmen. Einzelheiten wirst hoffe, deinen Wünschen damit zu ent­
du zu gegebener Zeit erfahren.« sprechen.«
Der Kalbaron unterbrach die Verbin­ Der Vertraute des Chaotarchen sagte
dung. Offenbar war er froh, den hoch­ noch immer nichts.
rangigen Gast aus seiner Obhut entlas­ »GLOIN TRAITOR ist zu einem so
sen zu können. frühen Zeitpunkt im Hangay-Feldzug
»Was soll das heißen?«, fragte Sa­ natürlich noch nicht fertiggestellt, son­
voire. »Müssen wir von nun an etwa dern wächst noch«, fuhr Kalbaron Ka­
selbst sehen, wie wir nach GLOIN ruff nach einer Weile fort.
TRAITOR weiterkommen?« Offensichtlich hörte er sich selbst
gern reden, oder er hoffte darauf, sich
* die Gunst einer so wichtigen Persön­
lichkeit der Terminalen Kolonne er­
Seine Befürchtung war unbegründet. schleichen zu können. Es konnte nicht
Schon wenige Minuten später meldete schaden, wenn sich in höchsten Kreisen
sich ein anderer Kalbaron, der als sei­ jemand mit Wohlwollen an einen erin­
nen Namen Karuff angab. nerte.
»Ein Ganschkare«, erklärte Merlin »Portivabschnitt 3h3h2 ist, wie du
Myhr. dir denken kannst, Weltweiser, einer
»Das ist doch nur logisch«, sagte der von vielen, wie sie derzeit in der Kern­
Erste Kybernetiker. »Auf so einer Bau­ zone Hangay von unseren Truppen
stelle sollte ein Wissenschaftler die montiert werden. Nach der Fertigstel­
Aufsicht führen, kein Soldat. Hier geht lung werden wir das Objekt als Ganzes
es nicht um Krieg, sondern um Kon­ zur Akkretionsscheibe des Schwarzen
struktionsarbeiten.« Lochs Athaniyyon im Zentrum der Ga­
Der Weltweise ergriff das Wort, und laxis Hangay schleppen. Der gesamte
Savoire verstummte. »Die Weltkugel Portivabschnitt wird sodann der per­
gehört zur Neganen Stadt, und ich bin manent wachsenden Nadel des Chaos
eng mit Xrayn verbunden. Der Chao­ hinzugefügt. Darunter dann auch deine
tarch legt Wert auf meine Anwesen­ Weltkugel. Wir haben schon eine Ein­
heit.« heit ausgesucht. Du wirst als Gast an
»Natürlich, ich weiß, geehrter Welt­ Bord des Forts TRAICOON 0X-9952
weiser von Azdun«, erwiderte der den Flug absolvieren.«
Ganschkare mit absoluter Unterwür­ »Danke, ich bin einverstanden«,
figkeit. Offensichtlich hatte sein Kolle­ sagte der Weltweise und unterbrach die
ge ihn bereits gebührend instruiert. Verbindung.
»Wir haben die Berechtigungskodes »Ausgezeichnet«, sagte Savoire. »Für
überprüft, sie lassen keinen Zweifel an den Weltweisen und für ESCHER läuft
deiner Identität. Und mir ist auch be­ es gut ... könnte man meinen«, fügte er
kannt, dass du so schnell wie möglich hinzu.
nach GLOIN TRAITOR weiterreisen Isokrain sah ihn fragend aus seinen
willst.« großen Facettenaugen an.
Der Weltweise schwieg. Der Erste Kybernetiker rief einige
»Selbstverständlich werde ich die Holos auf, bis er schließlich das Ge­
Die Prognostiker 23

suchte fand. Es zeigte die Weltraum- nach GLOIN TRAITOR weiterbeför­


Baustelle mit allen TRAICOON-Forts dert zu werden. Mit jeder überhasteten
in ihren unterschiedlichen Fertigungs­ Aktion würden wir nur unnötig das
stadien. Schicksal herausfordern.«
»Wissen wir überhaupt, wovon wir Savoire gab sich geschlagen. »Wir
hier sprechen?«, fuhr er fort. »Vierund­ werden warten. Uns bleibt wirklich
zwanzig TRAICOON-Forts ergeben nichts anderes übrig. Aber es schmeckt
übereinandergestapelt eine Windung mir nicht. Und diese Untätigkeit bringt
von einhundertundachtzig Grad mit mich irgendwann noch mal um.«
einer Gesamthöhe von zweihundert­ Oder verlängert mein Leben, fügte er
sechzehn Kilometern! Stellt euch das in Gedanken hinzu.
nur mal vor!«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte *
der Kosmitter.
Savoire deutete auf das scheinbare Als Dr. Savoire das winzige Beobach­
Chaos auf dem Holo. »Wie lange wird tungszimmer der Gedankenkammer
es wohl dauern, bis der Portivabschnitt betrat, fragte er sich, warum es ihn im­
3h3h2 endgültig fertiggestellt ist? Wo­ mer wieder an diesen Ort zog. Sicher,
chen? Oder gar Monate? So viel Zeit die Weltkugel des Weltweisen schwebte
haben wir nicht! Vielleicht warten relativ unbewegt zu ihr in der Nähe der
Rhodan und Atlan mit Verstärkung Baustelle im Weltraum, und sie muss­
schon vor dem Grenzwall Hangay dar­ ten sich auf eine lange Zeit absoluter
auf, dass er endlich zusammenbricht!« Tatenlosigkeit gefasst machen, doch
»Aber wir können nicht auf einen diese Affinität hatte er auch schon vor­
früheren Termin drängen«, hielt Iso­ her gespürt, schon als ESCHER noch auf
krain dagegen, »oder gar verlangen, zu der Erde, in Terrania, angesiedelt war.
einem anderen Portivabschnitt ver­ Er trat an die vollverglaste Vorder­
schifft zu werden, der vor der Fertig­ seite des Raums. Sie war nur einseitig
stellung steht, oder direkt nach GLOIN transparent und bot, da das Zimmer
TRAITOR! Jegliches Insistieren auf ei­ etwas erhöht angebracht war, einen gu­
ner sofortigen Beförderung würde Ver­ ten Blick auf das gesamte Herzstück
dacht erregen.« der Parapositronik.
Savoire rieb sich nachdenklich das Der 50 mal 50 Meter große Raum
Gesicht, die Stelle, an der sich bei sei­ wurde von einem weißblauen Licht er­
nen Vorfahren einmal das zweite Auge hellt. In seiner Mitte befand sich ein
befunden hatte. »Du hast natürlich etwa 20 Meter langes Kommunikati­
recht. Welchen Grund zur Eile sollte es onspult mit zahlreichen Zugangstermi­
für den Weltweisen geben?« nals und Bildschirmen. Es war die zen­
»Und wenn sie Verdacht schöpfen, trale Schnittstelle der Kreuzkokons,
werden sie möglicherweise die Weltku­ die in vier Gruppen zu je 16 Einheiten
gel und den Versorgertrakt erneut an den Wänden der Gedankenkammer
durchsuchen ... und uns vielleicht ent­ angeordnet waren.
decken. Ich kann nicht unendlich viele Diese 64 Kreuzkokons waren die
Inspekteure suggestiv beeinflussen. Vernetzungsstellen der Prozessoren von
Nein, uns bleibt nichts anderes übrig, ESCHER gewesen. Sie alle waren mit­
als zu warten. Wir können froh sein, so einander und mit der zentralen Posi­
problemlos und praktisch automatisch tronik verbunden. Die Probanden hat­
24 UWE ANTON

ten in einem schlafähnlichen Zustand Alarmton ihn überrascht zusammenzu­


nackt auf einem massigen, schmucklo­ cken ließ.
sen metallenen Unterbau geruht, mit Im nächsten Augenblick summte sein
ausgebreiteten Armen, der gesamte Armband-Allzweckgerät.
Körper von einer transparenten Kup­ Er aktivierte es.
pel überspannt. Über der Leibesmitte »Für die gesamte Baustelle wurde
war eine Querstrebe verlaufen, die die Alarm gegeben!«, vernahm er Isokrains
Verkabelung enthalten hatte. Stirn und Stimme. »Komm sofort in die Kontroll­
Hinterkopf des Prozessors waren mit zentrale!«
einer modifizierten SERT-Haube be­
deckt gewesen.
Nach der Beeinflussung durch den 4.
Nukleus war in der ESCHER-Positro­ Hangay
nik dann das Gittermuster energe­
tischer Knotenpunkte entstanden, das Ein Blick auf die Ortungsholos in der
ESCHER selbst als Hyperdim-Matrix Zentrale verriet ihm den Grund der
bezeichnete. Sie ersetzte die Vernet­ Aufregung. Nicht weit entfernt von der
zung der Prozessoren in den Kreuzko­ Baustelle war ein Hypersturm losge­
kons. Heute lagen keine Körper mehr brochen.
an Ort und Stelle. Savoire wurde blass. Was er da sah,
Als hätten die Prozessoren damals war beileibe kein Sturm mehr, es war
schwerelos in der Luft geschwebt, ein Orkan. Und zwar ein gewaltiger. In
dachte Savoire. Diesen Eindruck hatte dieser zentrumsnahen Region waren
er damals mitunter zumindest gehabt. permanente Hyperorkane die Regel,
Nur gehalten von den Kabeln der Stre­ und sie hatten in einigen hundert Licht­
be und der SERT-Haube. Unwirkliche jahren schon einige bemerkt, aber was
Gestalten in einer unwirklichen Umge­ sich dort zusammenbraute ...
bung. »Stärke achtzig Meg«, sagte Pal As­
Er fragte sich, warum ausgerechnet tuin. »Steigend. Jetzt einhundert, ein­
die Gedankenkammer solch eine An­ hundertzwanzig ...«
ziehung auf ihn ausübte, ein hoch tech­ Geistesabwesend stellte Savoire fest,
nisierter Raum, der nicht minder kalt dass auch dieser Avatar ESCHERS sich
war als das Licht, das ihn erhellte. Viel­ nun zu ihnen gesellt hatte, dann richte­
leicht, weil er sich selbst schon als Pro­ te er seine Aufmerksamkeit wieder auf
zessor gesehen hatte, als körperloses die dreidimensionale Darstellung.
Bewusstsein, das durch die Verschmel­ Der Raum selbst drohte in sich zu­
zung mit anderen Geistesinhalten und sammenzubrechen. Überschlagblitze
der Positronik selbst über alle Maßen rissen das Kontinuum auf und durch­
erhöht wurde? Sah er diese Verschmel­ zogen die Schwärze des Alls mit ge­
zung als ersten Schritt vom Menschen zackten Linien, aus denen es rot und
hin zur Superintelligenz? War er des­ blau hervorquoll, wahrscheinlich Hy­
halb bereit, sein Leben für ESCHER zu perstrahlung, die die Positronik auf
opfern? diese Weise darstellte.
Gedankenverloren tastete er nach Einen Moment lang erlosch das Holo,
den Jonglierbällen, um sich mit ihrer dann bildete es sich zitternd und un­
Hilfe zu entspannen, den Einfluss des scharf neu.
Vibra-Psi zurückzudrängen, als ein »Eine Raum-Zeit-Verzerrung, ge­
Die Prognostiker 25

folgt von einem Weltraumbeben«, stell­ angesteuert, die sie per Traktorstrahl
te Astuin lapidar fest. »Kurzfristiger zum bereits fertiggestellten Kolonnen-
Ausfall sämtlicher hyperphysikalischer Fort TRAICOON 06-202a schleppen
Geräte. Kein Hyperfunk mehr, die auf werden.«
fünfdimensionaler Basis arbeitenden Wie zur Bestätigung seiner Worte
Orter funktionieren nur noch einge­ ging ein spürbarer Ruck durch den Ver­
schränkt, wenn überhaupt ...« sorgerbereich.
Savoire spürte, dass sein Magen sich Abrupt wechselte die Holodarstel­
zu einem kleinen Klumpen zusammen­ lung, zeigte nun den Ausschnitt einer
zog. Standardaussagen ... hundertmal Außenseite des Forts, in der eine Öff­
gelesen, aber es ist eben doch ein Un­ nung von 840 mal 840 Metern zu klaf­
terschied zwischen Kennen und Er­ fen schien.
leben. Ein Hangar, wurde Savoire klar, nicht
Die Weltkugel war trotz ihres Versor­ von Außenschotten verschlossen, son­
gertraktes nicht überlichtflugtauglich dern mit abriegelnden, transparenten
und konnte nicht aus eigener Kraft vor semipermeablen Energiemembranen
diesen unvorstellbaren Gewalten flie­ auf Prallfeldbasis.
hen. Wenn sich der Sturm zu ihnen hin Feste Körper konnten sie durchdrin­
verlagerte oder gar ein ... gen, die Atmosphäregase nicht.
Er verdrängte den Gedanken und Das Bild wechselte erneut, während
versuchte, eine Holoeinblendung der die Weltkugel in den Hangar schwebte,
Baustelle aufzurufen, doch die Positro­ dessen Tiefe mit 1200 Metern angege­
nik spielte ein anderes Bild ein: Ein rot­ ben wurde, und dort sanft aufsetzte. Es
schwarzes Wirbeln entstand in einer zeigte wieder die Baustelle, der sich
Randzone des Hyperorkans, dehnte Dutzende von Kolonnen-Fähren nä­
sich aus und zog langsam vom Zentrum herten.
des Sturms fort, in Richtung der Bau­ »ESCHER hat soeben Kontakt mit
stelle. Aus seinem Inneren schien Dun­ dem Rechnersystem des Forts aufge­
kelheit zu quellen, als wäre es eine Öff­ nommen«, informierte Astuin.
nung ins Nichts. »Was?« Savoire fuhr zu dem Avatar
»Tryortan-Schlund«, murmelte Sa­ herum.
voire rau. »Natürlich nicht auf direktem Weg,
»Wir mussten früher oder später da­ sondern unter Nutzung jener Anlagen,
mit rechnen«, sagte Pal Astuin emoti­ die im Versorgertrakt der Weltkugel
onslos. »Ein bekanntes Phänomen. vorhanden sind. Sollte jemand an Bord
Seine Entstehung wird in dieser zen­ des Forts herausfinden, dass ein Kon­
trumsnahen Region durch die perma­ takt zustande gekommen ist, wird er
nenten Hyperorkane begünstigt.« sich nicht daran stören, dass sich der
Der Diakater warf dem Avatar einen Weltweise Zugang zu Informationen
befremdeten Blick zu. »Wenn der verschafft. Das ist doch ganz natürlich,
Schlund hierher zieht, droht uns höchs­ oder? Ich könnte mir sogar vorstellen,
te Gefahr, und du redest, als ...« dass die verantwortlichen Instanzen
»Der Schlund wird hierher ziehen«, sogar ganz im Gegenteil die genutzten
bestätigte Astuin. »ESCHER hat seine Leitungen stets offen halten. Schließ­
Bahn bereits berechnet. Aber Kalbaron lich haben sie nicht jeden Tag ein ge­
Karuff hat schon reagiert. Die Weltku­ heimnisvolles Wesen aus dem direkten
gel wird bereits von Montagebooten Umfeld Xrayns als Gast an Bord. So
26 UWE ANTON

etwas stellt selbst in der Terminalen ihr eigenes Spiel getrieben hatte – wo­
Kolonne etwas Besonderes dar.« möglich unter Ägide des Nukleus –, und
»Ich würde es vorziehen, wenn du der Weltweise, den in Savoires Auge
dich nicht stets in Andeutungen ver­ nichts so sehr auszeichnete wie ein
lierst, sondern klipp und klar sagst, starker Todesdrang ... für Normalsterb­
was Sache ist.« Vorwurfsvoll sah er den liche blieben sie alle einfach unbegreif­
Avatar an. lich.
Pal Astuin zuckte gleichmütig die Aber TRAITOR verfügte ebenfalls
Achseln. über hochwertige Rechner und erwies
»Was hat ESCHER denn herausge­ sich als perfekt vorbereitet. Dutzende
funden?«, fuhr Savoire schließlich et­ Kolonnen-Fähren erschienen in kurzer
was besänftigt fort. Zeit vor Ort, und die Logistiker der
»Der Alarm gilt nach wie vor«, ant­ Terminalen Kolonne zeigten, dass sie
wortete der Avatar. »Sollte sich der im Ernstfall zu beeindruckenden Leis­
Tryortan-Schlund weiter nähern, wird tungen imstande waren. Über die
Kalbaron Karuff die gesamte Baustelle Orterkanäle des Forts TRAICOON
auflösen. Portivabschnitt 3h3h2 muss 06-202a verfolgte Savoire, wie die Fäh­
dann an einem anderen Ort fertigge­ ren sich mit riskant wirkenden, aber
stellt werden.« völlig sicheren Manövern ihren Zielen
Savoire nickte zögernd. Das klang näherten.
nachvollziehbar. Ein Tryortan-Schlund Auch das Kolonnen-Fort hatte mitt­
stellte auch für Kolonnen-Einheiten lerweile Fahrt aufgenommen und etwa
der TRAICOON-Größe eine konkrete 20 Prozent Lichtgeschwindigkeit er­
Gefahr dar. reicht, als es an dem berechneten Treff­
Er fragte sich allerdings, wieso TRAI­ punkt mit der Fähre eintraf. Im Flug
TOR die Baustelle ausgerechnet hier wurde das Fort in Windeseile an die
angelegt hatte, in solch einem von vorn­ Kolonnen-Fähre gekoppelt, die schon
herein stark gefährdeten Gebiet und wieder beschleunigte, bevor die Han­
nicht weiter entfernt vom Zentrum der garschotten sich geschlossen hatten.
Galaxis, wo mit weniger derartigen Wenig später erlosch das Holo und
Störungen zu rechnen war. wurde von einem ersetzt, dass nur noch
die Schlieren des Hyperraums zeigte.
* Die Fähre hatte mitsamt dem Fort den
Rückzug angetreten.
ESCHER behielt selbstverständlich Schneller als gedacht endete der Flug
recht. Kurz darauf setzte tatsächlich wieder.
der von der Parapositronik berechnete Die Orterholos zeigten einen Bereich
Ernstfall ein. des Zentrums von Hangay, in dem die
Der Schlund rückte näher! Sterne zwar unverändert dicht stan­
Savoire verspürte ein bedrückendes, den, aber alles ruhig war. Der Hyperor­
fast schon lähmendes Gefühl der Hilf­ kan wurde in der Falschfarbendarstel­
losigkeit, während er auf den Holos lung als roter Punkt in geraumer
verfolgte, was im Weltraum vor sich Entfernung hervorgehoben.
ging. Er konnte nichts ausrichten, »ESCHER hat ermittelt, dass die
nichts tun, musste abwarten und hin­ Fähren sechzig Lichtjahre von der al-
nehmen, was ESCHER in die Wege lei­ ten Position entfernt in den Normal­
tete, eine Parapositronik, die jahrelang raum zurückgefallen sind«, sagte Mer­
Die Prognostiker 27

lin Myhr. »Die Positronik hat den 5.


Weltweisen gebeten, unverzüglich Kon­ Atarin
takt mit dem ganschkarischen Kalba­
ron aufzunehmen.« »Ich vermisse ihn jetzt schon«, sagte
Savoire konnte sich denken, worum Warding Atarin in die Dunkelheit.
es bei diesem Gespräch gehen würde. Er fragte sich, ob er schon die ganze
Während er wartete, beobachtete er auf Nacht wach gelegen hatte, nicht hatte
den Holos, wie die Fähren entladen einschlafen können oder gerade aus
wurden und die gesamte Baustelle in einem unruhigen, traumgeplagten
kürzester Zeit aus den abtranspor­ Halbschlaf erwacht war, der ihn er­
tierten Elementen neu entstand. schöpfter zurückließ, als er zu Bett ge­
Seltsam, dachte der Kybernetiker. gangen war.
TRAITOR hatte zwar einen Orts­ Er konnte es nicht genau sagen.
wechsel vorgenommen, doch die Mon­ In solchen Nächten verwischten
tage von Portivabschnitt 3h3h2 wurde Schlaf und Wachsein zu einem trüge­
immer noch in der Kernzone Hangay rischen Halbzustand.
fortgesetzt. Wäre es nicht sinnvoller, sie »Ist es so schlimm?«, hörte er ein
an einem anderen, nicht so gefährdeten Murmeln rechts neben seinem Kopf.
Ort zu betreiben? Oder war die Termi­ Er spürte die Wärme der beiden Kör­
nale Kolonne überzeugt, problemlos per rechts und links neben sich und war
auf plötzlich auftretende Hyperorkane dankbar, in dieser toten Stunde des Ar­
reagieren zu können? kon-Tages nicht allein zu sein. Und er
»Kalbaron Karuff hat das Gespräch spürte die leichten Atemzüge. Rechts
entgegengenommen«, meldete Myhr. der süße Duft von Blumen, links der
Savoire nickte erleichtert. Immerhin alles übertünchende von Minze.
hält der Ganschkare seinen Gast für so »Ja«, antwortete er genauso leise.
wichtig, dass er ihn auch in so einer »Mir ist etwas klar geworden. Ich habe
hektischen Phase nicht warten lässt. mich in den sechs Jahren, die ich Tark
»Um in Zukunft nicht unnötigen Ri­ kannte, kein einziges Mal über ihn ge­
siken ausgesetzt zu sein, bitte ich dar­ ärgert.«
um, an Bord von TRAICOON 06-202a »Und du ärgerst dich schnell«, kam
verbleiben zu dürfen«, erklang die es nun von links, nicht mehr säuerlich,
künstlich generierte Stimme der qual­ sondern begleitet von der üblichen
lenartigen Wesenheit. scharfen Frische. Oksa. Sie schlief also
»Selbstverständlich«, antwortete Ka­ genauso wenig wie ihre Schwester und
ruff beflissen. »Ich verstehe den Grund er. »Über ein unbedachtes Wort, über
für deine Forderung. Sieh mir bitte eigensinnige Kollegen ...«
nach, dass ich nicht selbst auf solch ei­ »Oder über jene, für die Zuverlässig­
ne Lösung gekommen bin. Denn für die keit ein Fremdwort und Einsatz eine
Sicherheit eines so wichtigen Gastes, andere Welt ist, so fern wie Ekhas«, fiel
wie du einen darstellst, kann ich ange­ Arna ein. Sie klang schläfriger als ihre
sichts der wild bewegten Hyperphysik Schwester.
am Zentrumskern in der Tat sonst nicht »Über die Nachbarn unserer Tarn­
garantieren.« existenz, über die mangelnden Flug­
»Ausgezeichnet.« Savoire lächelte künste von achtzig Prozent aller Pi­
zufrieden. Auch diese Runde war an sie loten, über diesen und jenen. Du ärgerst
gegangen. dich mit Inbrunst und Ausdauer.«
28 UWE ANTON

»Aber über Tark habe ich mich kein »Ja. Und du fragst dich, welchen
einziges Mal geärgert. Das sagt viel über Sinn das alles hat«, gab Arna ihrer
einen Menschen aus. Das allein gibt schon Schwester recht.
mehr als genug Zeugnis über ihn.« »Mehr noch«, sagte Oksa. »Die Ant­
»Du mochtest ihn«, sagte Oksa. »Du wort auf das Geheimnis der Existenz,
hast nur verdrängt, dass du dich über des Sinns des Lebens, ist vielleicht die
ihn geärgert hast. Genau wie du ver­ Liebe zu anderen Menschen, die man
drängst, dass du auch kein Vorzeige- manchmal so unvollkommen gehegt
Agent bist. Wenn Noviel Residor wüss­ hat. Wenn der Verlust einen dann weckt
te, dass wir uns zu dritt Tisch und Bett und man die tiefere Schönheit davon
teilen ...« erkennt, wird man in die Knie gezwun­
Atarin räusperte sich unbehaglich. gen und kann sich lange nicht mehr
»Unser Leben ist gefährlich genug. Da erheben.«
muss man jede kleine Annehmlichkeit »Man wird aber nicht in die Knie ge­
und Freude nutzen.« zwungen von dem Gewicht des Ver­
»Beklagen wir uns?«, fragte Arna. lusts, sondern von der Dankbarkeit
»Nein«, sagte Oksa. dafür, was diesem Verlust vorausgegan­
Er schwieg. gen ist. Und der Schmerz wird immer
»Ich vermisse ihn fürchterlich«, sagte da sein, aber eines Tages nicht mehr die
er nach einer Weile. »Ich schaue auf, Leere, denn die Leere zu hegen, in ihr
wenn eine kodierte Nachricht eintrifft, Trost zu finden hieße, das Geschenk des
hoffe, dass sie von ihm ist. Mir fehlen Lebens zu missachten.«
seine üblichen Kommentare, der lapi­ Er seufzte.
dare Satz: ›Bist du dir sicher?‹ Die kri­ »Ich wusste gar nicht, dass ihr unter
tischen, aber niemals zynischen Kom­ die Philosophen gegangen seid.«
mentare zu meinen Vorschlägen. Es ist »Denk drüber nach«, empfahl Oksa.
einfach nicht mehr dasselbe ...« Er schwieg erneut. Lange.
»Aber uns bleibt nichts anderes üb­ »Ich bin jedenfalls dankbar, dass ich
rig, als den Verlust zu akzeptieren«, mich in all den Jahren, die ich Tark
sagte Arna. kannte, kein einziges Mal über ihn ge­
»Die Leere ist schrecklich. Jetzt ärgert habe«, wiederholte er schließ­
schon. Wie soll es erst werden, wenn lich. »Aber ich empfinde keine Dank­
mir richtig klar geworden ist, dass er barkeit, sondern ... Hass. Keine Liebe
tot ist?« zu den Arkoniden, sondern den Wunsch
»Man fragt sich nach dem Sinn ...« nach Rache. Ich möchte Tarks Mörder
Scharfe Minze. Oksa legte Wert auf töten. Erst dann wird in meinem Her­
Mundhygiene, doch bei Einsätzen zen vielleicht etwas Platz für Dankbar­
schien sie regelmäßig zu versagen. Die keit frei.«
Aufregung, die ihr auf den Magen Arna seufzte. »Licht«, sagte sie, »tag­
schlug ... hell«, und der Quartier-Servo aktivierte
»Eines musst du begreifen.« Der Duft sämtliche Leuchtkörper.
von Blumen. »Dass du kein Glück mehr Atarin schloss geblendet die Augen.
finden kannst, bis du den Verlust ak­ Er spürte eine Bewegung neben sich
zeptieren kannst.« und öffnete sie wieder einen Spalt­
»Doch gerade solch ein Verlust breit.
schmerzt mehr als alles andere, mehr Oksa hatte sich erhoben und ging
als körperlicher Schmerz.« nackt zu dem Terminal der TLD-Posi­
Die Prognostiker 29

tronik. Einen Moment lang lenkten ihn sich alle auf der Umlaufbahn des ehe­
ihre langen Beine, der kleine, feste Hin­ mals dritten Planeten befanden und die
tern, der geschwungene Rücken von Sonne in Form eines gleichseitigen
der Leere in ihm ab. Aber nur einen Dreiecks umkreisten.
Moment lang. Seine Begierde war rest­ Das Leben auf Arkon III war hart,
los gestillt. vor allem für die Kolonialarkoniden,
»Dann wollen wir mal feststellen, die auf der Raumflotten- und Kriegs­
was die Datenbänke, die wir anzapfen welt die niederen Arbeiten erledigen
können, über Da’inta Sparks herausge­ mussten. Mivado bot ihnen, geduldet
funden haben.« von Imperator Bostich, die Möglich­
keit, für eine Nacht die Unbilden des
* Alltags zu vergessen und sich sämt­
lichen nur denkbaren illegalen Aktivi­
»Da’inta Sparks«, sagte Arna. »Ei­ täten hinzugeben. Moral war in Mivado
gentlicher vollständiger Name Darasa­ ein Fremdwort.
laanaghinta Mitchu, wobei der Vorna­ Siebzehn Prozent, dachte Atarin.
me generell mit Da’inta abgekürzt wird. Das war nicht viel, aber das Beste, was
In der Szene bekannt als Sparks. Gebo­ sie hatten.
ren 1292 NGZ. Angeblich Stellvertre­ »Haben wir eine Matrix?«, fragte er.
terin von Rutmer Vitkineff, Kopf der Oksa warf ihm einen spöttischen Blick
interstellaren Verbrecherorganisation zu. »Atarin meint es ernst. Er redet
Sha’dow, die den Hyperimpedanz- Agentenslang. Ja, wir haben eine.« Sie
Schock im Großen und Ganzen unbe­ suchte und fand die Matrix und las den
schadet überstanden haben soll.« Titel vor: »Garrabo, Plaza Mivado«.
»Wobei wir uns hier tatsächlich in den »Hör auf ...«
Bereich der Gerüchte und Legenden be­ »Hauptsächlich Drogenhandel, Pros­
geben«, ergänzte Oksa. »Es gibt keiner­ titution, Glücksspiel, Investmentban­
lei gesicherte Beweise für das Vorhan­ king. Des Weiteren Auftragsmörder,
densein von Sha’dow oder Rutmer Industriespione, Schmuggler. Dort ist
Vitkineff. Die Organisation ist tatsäch­ alles zu haben, was das arkonidische
lich ein Schatten, absolut nicht fassbar. Gesetz verbietet.«
Die Tu-Ra-Cel streitet ihre Existenz ve­ »Das weiß ich auch«, sagte Atarin
hement ab, obwohl sie hauptsächlich im gespielt vorwurfsvoll. »Ich bin schon
Huhany’Tussan aktiv sein soll.« seit einigen Jahren im Geschäft. Ich
»Es liegen dreihundertzwölf kolpor­ meinte natürlich Darasalaanaghinta
tierte Sichtungen von ihr vor. Die meis­ Mitchu.«
ten davon – knapp über siebzehn Pro­ Arna hob ratlos die nackten Schul­
zent – konzentrieren sich auf das tern. »Nein, da haben wir keine. Sparks
Garrabo, einen Nachtclub im Bezirk ist ein Gerücht, genau wie Vitkineff.
Mivado.« Keine gesicherten Daten.«
Atarin seufzte. Der Mivado-Ring war »Dann bleibt uns nur die Flucht nach
eine arkonidische Verbrecherorganisa­ vorn. Wir haben ein paar Stunden Zeit,
tion, die vor allem auf Arkon II aktiv um einen Plan zu schmieden. Unter die
war. Nach der Versetzung Subtors hat­ Ultraschalldusche, Mädchen, und dann
te er die Fühler nach dem dritten Pla­ wird gearbeitet.«
neten Tiga Rantons ausgestreckt, der
neuen der drei Synchronwelten, die *
30 UWE ANTON

Der Plan war bescheiden. fällig, »aber keiner weiß, wo man sie
Als Atarin den Gleiterbus verließ, finden kann. Tut mir leid, keine Ah­
drehte sich eine Gruppe grölender Mi­ nung. Frag woanders, wenn du sie
nenarbeiter neugierig und erstaunt zu suchst.«
ihm um, als hätte sich das Fahrzeug »Aber du ...«
hinter ihm in einen Vulkan verwandelt. »Zieh Leine, oder ...«, befahl der
Er konnte sich denken, was sie dachten: Mann und warf ihm einen düsteren
Was geht hier vor? Was will dieser Blick zu.
Fremde hier? »Sie ist öfter im Garrabo, nicht
Trotzdem ging er zu ihnen. wahr?«
Es waren allesamt Kolonialarkoni­ »Bestimmt nicht in dieser Kneipe!«
den; die hochherrschaftlichen Rotau­ Der Zekone tat so, als wolle er ihn
gen waren sich zu fein, niedere Arbei­ schlagen, drehte sich dann aber um und
ten zu erledigen, andererseits aber auch ging zu seinen Kumpels zurück. Er
zu paranoid, um Gastarbeiter ohne wusste, was für Folgen es haben würde,
Bindung ans Imperium in ihr Heilig­ einen Arkoniden anzugreifen.
tum der Drei Welten zu lassen. Auch Atarin lächelte. Nur gut, dass er die
wenn sie draußen arbeiten mussten, Maske gewechselt hatte. Bei seinen
unter freiem Himmel, umschlossen von normalen Aktivitäten gewährte die
Energiezäunen ... schon der Anblick Tarnung als Kolonialarkonide ihm eine
von Fremdwesen bereitete ihnen kör­ gewisse Unauffälligkeit, doch im Be­
perliches Unbehagen. Uneheliche zirk Mivado war ein geborener Arkoni­
Bastarde konnten sie gerade eben noch de praktisch unangreifbar. Selbst ein
ertragen. billiger Taschendieb würde sich scheu­
Er zeigte einem Zekonen das vorbe­ en, die Aufmerksamkeit der Behörden
reitete Datenholo. »Kennst du diese auf diesen Freiraum zu lenken.
Frau? Ich ... äh ... muss sie unbedingt Er sah sich um.
wiedersehen, du verstehst schon.« Die Plaza war das Zentrum eines gi­
Der Minenarbeiter betrachtete ihn gantischen Kuppelbaus von vielleicht
verdrossen. Offensichtlich brachte er einhundert Metern Höhe. Obwohl sie
den echten Arkoniden – und als solcher unterirdisch angelegt war, ließen die
ging Atarin aufgrund seiner Tarnung schieren Ausmaße – und geschickt an­
durch – keine große Zuneigung entge­ gebrachte Monumental-Holos – den
gen. Eindruck entstehen, sich unter freiem
Falls es wirklich eine Widerstandsbe­ Himmel aufzuhalten. Der gut einen Ki­
wegung unter der Arbeiterschaft geben lometer durchmessende Zentralplatz
sollte, hat sie meine volle Sympathie, beherbergte eine Unzahl kleiner Im­
dachte er. biss-Stände und Schenken.
»Sparks«, sagte der Koloniale. Dichtes Gedränge herrschte unter
Atarin sah ihn fragend an. Er hatte Dutzenden großer und Tausenden
diesen Namen nicht genannt! Also kleinerer Propaganda- und Werbeho­
kannte der Zekone sie. Der uninteres­ los, die mehr oder weniger hoch über
sierte Eindruck, den er machte, war nur den Buden die Vorzüge der arkoni­
gespielt. dischen Kultur und der exquisiten Wa­
Der Arbeiter bemerkte seinen fra­ ren des Imperiums priesen. Eine gewal­
genden Blick. tige Bühne in der Mitte des Platzes war
»Die kennt hier jeder«, sagte er ab­ zurzeit leer.
Die Prognostiker 31

Die Plaza wurde gesäumt von Hun­ dinnen, die sonst für Kolonialvölker
derten Vergnügungs-Etablissements, unantastbar waren und deshalb einen
deren Fassaden komplette, nur von besonderen Reiz ausstrahlten. An sämt­
Stichstraßen unterbrochene Gebäude­ lichen Tischen und auf dem langen
fronten bildeten. Natürlich erstreckten Bartresen, der den Raum beherrschte,
sich die Gebäude bis zur Decke der Pla­ waren kleine Holoprojektoren ange­
za, doch durch eine geschickte Bauwei­ bracht, mit deren Hilfe man ihre Dar­
se erweckten die Konstrukteure den bietungen gegen einen kleinen Obolus
Eindruck, nur die untersten dreistöcki­ praktisch hautnah verfolgen konnte.
gen Gebäude seien künstlichen Ur­ Er ging zur Bar und bestellte einen
sprungs; die bis zur Spitze der Kuppel Lassarp. Das Getränk hatte zwar eine
reichenden Wohn- und Geschäftssek­ unnatürliche, giftgrüne Farbe, aber ei­
tionen dahinter und darüber schienen nen Alkoholgehalt von nur drei Prozent
unter nacktem Fels zu liegen, der den und würde ihn nicht so schnell beein­
gesamten riesigen Platz in einen Tal­ trächtigen wie ein Managara, der Mo­
kessel verwandelte. decocktail der Saison.
Atarin bahnte sich den Weg durch Unauffällig sah er sich nach Arna
die Menge, hielt auf das Garrabo zu. und Oksa um, konnte aber keine von
Nach ein paar Schritten blieb er stehen, ihnen entdecken. Vielleicht warteten
ließ eine Datenkarte fallen und ging sie noch eine Weile, um keinen Verdacht
weiter. Als er sich umdrehte, sah er, zu erregen, wenn sie den Schuppen so
dass eine Frau die Karte aufhob und kurz hinter ihm betraten.
davonging. Täuschte er sich, oder bedachte der
Beruhigt schritt er weiter aus. Er Barkeeper ihn mit seltsamen, for­
hatte nicht erkennen können, ob es Ar- schenden Blicken? Der Nachtclub war
na oder Oksa gewesen war, doch die gut besucht, die meisten Tische und
beiden achteten genau auf ihn und ga­ fast jeder zweite Platz an der Bar wa­
ben ihm Rückendeckung. ren besetzt, aber trotzdem sah der
Das Garrabo lockte potenzielle Kun­ Bras’cooi immer wieder zu ihm her­
den mit Holo-Tänzerinnen in grellen über.
Neonfarben, die wenig sittliche Verhei­ Einmal tuschelte er kurz mit einem
ßungen flüsterten – mit einer Lautstär­ Kellner und nickte dabei – unauffällig,
ke, dass sie noch vier Etablissements wie er sicher glaubte – zu Atarin her­
weiter zu vernehmen waren. über. Der Helfer verschwand in den
Warding Atarin betrat den Laden. dunklen hinteren Gefilden des Etablis­
Der Hauptraum war bewusst mit sements, und der Bartender widmete
schummrigem Licht und rauchverhan­ sich wieder seiner Arbeit.
gener Luft gestaltet; Atarin fragte sich Atarin hielt noch einmal nach seinen
unwillkürlich, welche das Bewusstsein Agentinnen Ausschau, konnte sie aber
manipulierenden und gewisse Bedürf­ noch immer nicht entdecken. Ver­
nisse verstärkenden Substanzen beige­ dammt, wo blieben sie? Wenn er hier
mischt waren. Den Besitzern kam es die falschen Fragen stellte oder sonst
wohl kaum nur auf eine gewisse Atmo­ wie in Verdacht geriet, konnte er sich
sphäre an. Schwierigkeiten einbrocken, aus denen
Auf mehreren Bühnen gingen Tänze­ er ohne Hilfe nicht so einfach heraus­
rinnen ihrem Beruf nach, die meisten kommen würde.
davon offensichtlich echte Arkoni­ Der Barkeeper beugte sich zu ihm
32 UWE ANTON

vor und stellte ihm noch einen Lassarp de, den verborgenen Zugang zu entde­
hin. cken, doch das schien nicht das Pro­
»Der geht aufs Haus«, sagte er. »Und blem zu sein. An diesem Ort herrschten
sie will dich sprechen.« ureigene Spielregeln; die Behörden
»Sie?«, fragte Atarin. »Wer?« wussten, was im Bezirk Mivado vor
Der Kolonialarkonide deutete auf sich ging, und duldeten es, um die an­
den Kellner, mit dem er getuschelt hat­ gespannte Lage unter der Arbeiter­
te und der mittlerweile zurückgekehrt schaft nicht zusätzlich anzuheizen.
war. »Folge ihm einfach.« Vielleicht betrieben sie einige Etablis­
Zögernd erhob Atarin sich von sei­ sements in diesem Sündenpfuhl sogar
nem Hocker. Er sah sich noch einmal selbst, um zusätzliche Einnahmen her­
nach den beiden Agentinnen um, doch einzuholen.
sie schienen das Garrabo noch immer Der Tordove war ihnen gefolgt. »Dei­
nicht betreten zu haben. ne Waffen«, sagte er zu Atarin.
Wohl oder übel folgte er dem Barkee­ Zähneknirschend händigte der TLD-
per. Agent ihm den kleinen Strahler und
Dieser führte ihn durch den Gang zu das Vibratormesser aus, die er einge­
den Toiletten, aber daran vorbei und steckt hatte. Der Kolonialarkonide zog
öffnete mit einem Kodegeber eine Tür einen Handscanner aus einer Tasche
mit der Aufschrift Privat. Ein Tordove seiner Montur, warf einen kurzen Blick
wartete dahinter; der Kolonialarkonide darauf und nickte zufrieden. »Danke.«
war bewaffnet und beäugte die Neuan­ Atarin folgte dem Kellner die Treppe
kömmlinge misstrauisch. hinab, die in einen Gang führte, der tat­
Atarin konnte sich denken, wieso der sächlich aus dem ursprünglichen Ge­
Besitzer des Garrabo einen Wachtpos­ stein Subtors geschlagen worden war.
ten hier aufstellte; wahrscheinlich be­ Ihm wurde immer unbehaglicher zu­
fanden sich darüber hinaus in den mute. Er hatte das Heft des Handelns
Wänden verborgene Sensoren, die je- aus der Hand gegeben; statt Erkundi­
den Fremden auf Herz und Nieren gungen einzuziehen, tapste er nun
überprüften. Hier begann der Bereich, einem Fremden hinterher, der ihn viel­
in dem die eigentlichen Geschäfte ge­ leicht geradewegs in eine Falle führte.
macht wurden. Hier wurden Drogen Wie hatte er nur so unvorsichtig sein
und andere verbotene Substanzen ge­ können? Hatte er denn alles vergessen,
lagert, hier befanden sich die Zimmer, was er während seiner Ausbildung ge­
die die Tänzerinnen benutzten, wenn lernt hatte? Plötzlich kam ihm die Si­
sie den Gästen des Clubs weitergehende tuation völlig unwirklich vor.
Gefälligkeiten erwiesen. Das Gefühl steigerte sich noch, als
Doch Atarin sah nichts davon. Wäh­ der angebliche Kellner ihn durch eine
rend er glaubte, hinter der nächsten Biegung des Ganges führte und sich zu
Tür mehrere Stimmen zu vernehmen, ihm umdrehte. Durch ein weiteres
führte der Kellner ihn zu einer Treppe, Tarn-Holo, das festes Gestein vorgau­
die durch ein Holo getarnt wurde. Die kelte, trat eine zweite Gestalt.
weiß getünchte Wand löste sich einfach Atarin erkannte sie sofort. Schlanke,
auf, als der Mann hindurchtrat. weitgehend knabenhafte Figur, aller­
Keine narrensichere Tarnung, die gut dings mit beträchtlicher Oberweite,
ausgerüstete Ordnungskräfte auch nur kurz geschnittene Glitzerfrisur.
für zehn Sekunden daran hindern wür­ In der Tat, er hatte sich wie ein blu­
Die Prognostiker 33

tiger Anfänger in eine Falle führen las­ rücht. Es hat nie einen Vitkineff gege­
sen. ben. Er ist eine Legende.«
»Was hast du hier zu suchen?«, frag­ »O nein«, sagte sie. »Es hat einen Vit­
te Darasalaanaghinta Mitchu alias kineff gegeben. Und es gibt ihn wie­
Sparks. der.«
»Was?«, sagte er. »Was soll das hei­
* ßen? Was redest du da für einen Unsinn?
Dann arbeitest du also doch für Vitki­
Einen Moment lang brandete heiße neff?«
Wut in ihm empor. Am liebsten hätte er Sie kniff die Augen zusammen. »Was
sich auf die Frau gestürzt und sie mit denn nun? Hat es ihn nie gegeben, oder
bloßen Händen getötet, doch sie richte­ arbeite ich für ihn? So langsam musst
te einen Kombistrahler auf ihn. du dich mal entscheiden. Oder ... bist
Denselben, mit dem sie Tark Kluf ge­ du wirklich nicht mehr bei Trost?«
tötet hatte? Sie musterte ihn noch immer, und in
Er spürte, dass er heftig zitterte, ihrem Blick flackerte etwas auf. Miss­
sagte jedoch nichts. trauen? Zweifel? Oder tatsächlich ...
»Was willst du hier?«, wandelte sie Besorgnis?
schließlich ihre erste Frage ab. »Haben »Das ist mir zu brisant«, sagte sie
den TLD jetzt alle guten Geister verlas­ schließlich. »Ich bringe dich zu meinem
sen? Du spazierst hier herein, in die Chef. Soll er entscheiden, ob es noch
Höhle des Löwen, und erwartest tat­ sinnvoll ist, mit dir zusammenzuarbei­
sächlich, ungeschoren wieder hinaus­ ten, oder ob du einfach nur verrückt
zukommen?« bist und erschossen gehörst wie ein
So war das nicht geplant gewesen. tollwütiger Booboo.«
Wo blieben Arna und Oksa? Warum »Und wer ist dein Chef«, fragte er,
waren sie ihm nicht in das Garrabo ge­ »wenn es nicht Vitkineff ist?«
folgt? Sie schüttelte den Kopf, verdrehte
Und warum bin ich einfach in die die Augen und traf ihre Entscheidung.
Falle gelaufen?, dachte er. Für sie war er tatsächlich verrückt.
»Du bist nur aus einem Grund so »Was treibst du für ein Spiel? Was soll
weit gekommen«, fuhr Sparks fort. das alles? Was willst du damit errei­
»Weil ich dich brauche.« chen?«
»Du ... brauchst mich?« Er antwortete nicht. Was hätte er
Sie nickte knapp. »Wir müssen zu­ auch sagen sollen? Er verstand einfach
sammenarbeiten, sonst fangen unsere nicht, worum es hier ging.
Schwierigkeiten erst an.« Tolle Leistung für einen TLD-
»Wir ... zusammenarbeiten? Wobei?« Agenten ...
»Wir müssen unbedingt verhindern, Ein Wink mit dem Kombistrahler be­
dass Rutmer Vitkineff sämtliche Kari­ deutete ihm, sich umzudrehen. Er ge­
kin-Vorräte in die Hand bekommt.« horchte, und im nächsten Augenblick
»Karikin?«, fragte er. »Was ist das?« spürte er ein Prickeln in seinem Na­
Sie warf ihm einen Blick zu, als sei er cken, das sich in ein heißes Brennen
nicht bei Sinnen. »Das weißt du nicht? verwandelte und ihm das Rückenmark
Erledigt der TLD seine Hausaufgaben und schließlich auch das Gehirn ver­
nicht mehr?« sengte.
»Und Rutmer Vitkineff ist ein Ge­ Das Letzte, was er hörte, war Sparks’
34 UWE ANTON

frustrierte Stimme: »Noch immer Sa­ es auch nicht Isokrain sein, der mit sei­
voire, du Narr.« nen Gaben die Nadel des Chaos an­
Savoire!, dachte er noch, dann wurde griff.
es schwarz um ihn. Sondern ESCHER, die Parapositro­
nik.
So schmerzlich die Wartezeit bei
6. Portivabschnitt 3h3h2 sein mochte, sie
Hangay stellte möglicherweise eine Testphase
von entscheidender Bedeutung dar.
Dr. Laurence Savoire beugte sich in­ Vielleicht lernte die Parapositronik just
teressiert in seinem Sessel vor. Etwas in diesen auf den ersten Blick ver­
hatte seine Aufmerksamkeit erregt. schwendeten Tagen, wie sie die Rech­
Er beobachtete unablässig Holos, ner von GLOIN TRAITOR unterwerfen
eines nach dem anderen, versuchte, die oder zumindest manipulieren konnte.
Wartezeit irgendwie sinnvoll zu nutzen. Als wir einwilligten, diese Mission
Wiederum war Ruhe eingekehrt. durchzuführen, haben wir alle nicht ge­
Er brannte darauf, nachdem sie end­ wusst, worauf wir uns einließen, er­
lich hinter dem Kernwall Hangay an­ kannte Savoire. Wir alle haben die Grö­
gelangt waren, auch tatsächlich aktiv ße der Aufgabe – und der Terminalen
zu werden. Zumindest wollte er verfol­ Kolonne – unterschätzt, sogar ESCHER
gen, wie ESCHER und der Weltweise und der Weltweise. Und das wird uns in
etwas unternahmen, doch bislang blieb einem normal kleinen Bauabschnitt
der Wunsch der Vater des Gedanken. klar ...
Die Arbeiten auf der Baustelle wür­ Bedeutete das nicht, dass sie jeden
den noch Wochen, ach was, Monate, in Versuch vergessen konnten, GLOIN
Anspruch nehmen. TRAITOR in seiner Gesamtheit zu be­
Je länger das Warten dauerte, desto greifen?
differenzierter sah er die Sache aller­ Er verdrängte den Gedanken. Die
dings: Die lange Wartezeit bei Portiv­ Mission musste gelingen. Und er wollte
abschnitt 3h3h2 war auf der einen dazu beitragen, was er konnte. Dazu
Seite eine schmerzliche Zeitverschwen­ gehörte auch die Beobachtung der per­
dung, wurde auf der anderen jedoch manent aktualisierten Holos, die in der
von ESCHER vielleicht sogar in einen Kontrollzentrale eingespielt wurden.
Vorteil verwandelt. Die Parapositronik Beschäftigungstherapie, dachte Sa­
verfügte nun über einen offiziell legiti­ voire und verwarf den Gedanken sofort
mierten Zugang zu den Rechnersyste­ wieder, um sich nicht unnötig zu quä­
men eines Kolonnen-Forts. len. Und irgendwann vor hilflosem
Mithin zur gesamten Baustelle, dach­ Zorn die Wände hochzugehen, wie man
te Savoire. Und bei Fertigstellung von so schön sagte.
Portivabschnitt 3h3h2 auch dorthin. Er rief eine Vergrößerung des Holos
ESCHER würde die Zeit nützen, um auf. Ein linsenförmiger Gleiter fesselte
sich mit der Rechnerarchitektur der seine Aufmerksamkeit, ganz einfach,
Terminalen Kolonne, den Befehlskodes weil er diese Bauart nicht kannte.
und Artverwandtem auseinanderzu­ Wahrscheinlich ein Koffter, zumindest
setzen. Denn wenn sie GLOIN TRAI­ erinnerte er Savoire stark an diese Ko­
TOR erreichten, würden sie nicht mit lonnen-Fahrzeuge, doch es handelte
Geschützen kämpfen, und dann würde sich um eine Modellreihe, die bislang
Die Prognostiker 35

vor terranischen Ortungsgeräten noch unbegrenzten Möglichkeiten der Para­


nicht in Erscheinung getreten war ... positronik hier auf eine zu harte Her­
Aber auch wenn es sich nur um einen ausforderung stoßen? Das würde ein
verhältnismäßig winzigen Gleiter han­ deutliches Licht auf die Rechenleistung
delte ... der Parapositronik werfen.
Vielleicht täuschte er sich ja, hing Bestand in dieser Hinsicht etwa An­
nur einer schlichten Wunschvorstel­ lass zur Sorge? War ESCHER etwa an
lung nach. Vielleicht wurden in diesem die Grenzen seiner Kapazität gesto­
unbekannten Koffter nur spezielle ßen?
Rohstoffbehälter oder Aggregate trans­ Ach was, versuchte er sich zu beru­
portiert, die eine besondere äußere higen. Wahrscheinlich machte er sich
Form verlangten ... nur überflüssige Gedanken, weil er und
Trotzdem, die Sache war ungewöhn­ Isokrain im Augenblick nichts zu tun
lich, und deshalb speicherte er die Auf­ hatten.
nahme, um sie später analysieren zu Das elende Warten machte ihm zu
können. Farbe, Form, Größe des Ge­ schaffen. Er wurde mit dieser Untätig­
fährts ... vielleicht lagen Absonderlich­ keit ganz einfach nicht fertig.
keiten vor, die sie irgendwann einmal Und der Kosmitter – so sehr er ihn als
zu ihrem Vorteil verwenden konnten. Gesellschaft schätzte, so fraglich war
Der Linsenkoffter verkehrte zwi­ es doch, ob man ihn als Lebewesen se­
schen zwei bereits fertiggestellten hen konnte.
TRAICOON-Forts. Doch was transpor­ Nur allmählich wurde Savoire klar,
tierte er? worauf er sich wirklich eingelassen
Übergangslos materialisierte Iso­ hatte. Die Vorstellung, Wochen oder
krain neben ihm. Monate als einziger Mensch in dem
»ESCHER schleicht sich ab sofort, in Versorgertrakt zu verbringen, umgeben
stündlich steigendem Maß, in die Rech­ von Millionen von Feinden, stets in der
nersysteme des Portivabschnitts ein.« Gefahr lebend, entdeckt und getötet zu
Savoire gestand sich ein, dass er über werden, kam ihm immer bedrückender
die Anwesenheit des Kosmitters erfreut vor.
war. Lediglich der Insk-Karew infor­ Er fragte sich, ob er diese Zeit bei
mierte ihn noch über das Geschehen. klarem Verstand überstehen würde.
Pal Astuin und Merlin Myhr, die Ava­ Wann würde er anfangen, Selbstge­
tare ESCHERS, traten immer seltener spräche zu führen?
in Erscheinung und ließen sich seit ge­ Von der Bedeutung ihrer Mission ein­
raumer Zeit gar nicht mehr sehen. Sa­ mal ganz abgesehen. Von ihnen hing
voire nahm an, dass dieser Prozess mit womöglich das Schicksal der Lokalen
den zunehmenden Anstrengungen Galaxiengruppe ab. Wenn sie versag­
ESCHERS einherging, die Rechnersys­ ten ...
teme TRAITORS zu verstehen und zu Oder versuchte er, sich mit diesen
infiltrieren. Neben ihrer Tätigkeit als Gedanken nur zu beruhigen? Machte er
Avatare waren sie ja auch Prozessoren sich nur etwas vor? Als Erster Kyber­
der Parapositronik, und von denen gab netiker war er mit ESCHER vertraut,
es lediglich 139. und er spürte deutlich, dass mit der Pa­
Nur 139! War es in der Tat so, dass rapositronik etwas nicht in Ordnung
ESCHER derzeit wirklich jeden Pro­ war. Der Auslastungsgrad der Parapo­
zessor brauchte? Sollten die scheinbar sitronik schien wesentlich höher zu
36 UWE ANTON

sein, als er erwartet hatte, und ihm war »ESCHER hat Probleme«, vermutete
nicht klar, wieso die Rechnerkapazität er.
eines einzigen TRAICOON-Forts die »Die Parapositronik meldet eine
Parapositronik vor solche Schwierig­ vollständige Rechenlast«, bestätigte
keiten stellte. Isokrain. »Schon seit Tagen hat sie kei­
Denn wenn ESCHER nicht einmal nerlei Kapazitäten für andere Aufga­
TRAICOON 06-202a gewachsen war – ben mehr frei.«
wie sollte sie dann erst mit GLOIN »Das ist mir aufgefallen«, versetzte
TRAITOR fertig werden? Savoire. »Ich habe so gut wie keinen
Natürlich mangelte es ihm an Infor­ Kontakt mehr mit ESCHER.«
mationen. Die Parapositronik erteilte Er verspürte einen leisen Schmerz;
über die Natur ihrer Probleme, falls es irgendwie kam er sich vor, als habe die
denn überhaupt welche gab, keine Aus­ Parapositronik ihn fallen lassen.
kunft. »ESCHER kommt nicht mehr umhin,
Kann es sein, dass ESCHER die Lage eine unangenehme Feststellung zu ma­
nicht verlässlich einzuschätzen weiß?, chen«, ignorierte der Kosmitter seine
fragte sich Dr. Laurence Savoire. Bemerkung. »Die Manipulation von
Er fühlte sich an einen überforderten Kolonnen-Rechnern verlangt ihm mehr
Experten erinnert. An einen absoluten ab, als er selbst und der Nukleus im
Fachmann, der nicht zugeben wollte, Vorfeld von ihm erwartet haben.«
dass er mit seinen Analysen und Vor­ »Ich habe mich bereits gefragt, ob
schlägen zum weiteren Vorgehen ein­ wir wirklich wussten, was auf uns zu­
fach nicht weiterkam. kommt. Ob wir uns wirklich gründlich
»Warten wir einfach ab«, murmelte genug vorbereitet haben ...«
er. »Mal sehen, was noch geschieht.« Obwohl man von einer wirklichen
Unwillkürlich musste er lächeln. Er Vorbereitung kaum sprechen konnte.
hatte sich soeben bei einem Selbstge­ Durch den Kontakt mit dem Weltwei­
spräch ertappt. sen hatte die Gelegenheit sich ergeben,
Kopfschüttelnd widmete er sich wie­ und Atlan hatte sie ergriffen.
der dem linsenförmigen Koffter, aber er »Daran liegt es nicht«, widersprach
war nicht ganz bei der Sache. Isokrain. »Der Vorgang ist absolut er­
Er konnte die selbstquälerischen Ge­ staunlich. Wir sind davon ausgegangen,
danken einfach nicht abschütteln. dass wir uns mit der Rechnerarchitek­
tur TRAITORS angemessen ausken­
* nen.«
»Aber das sieht nun anders aus.«
Als Isokrain einige Tage später er­ »Ja. Aber an unserer Auffassung hat
neut neben ihm in der Kontrollzentrale sich nichts geändert. ESCHER hat viel­
materialisierte, wusste Savoire sofort, mehr den Eindruck, als sei ein neuer,
dass etwas nicht in Ordnung war. Der bislang unbekannter Faktor hinzuge­
Kosmitter wirkte seltsam fahrig und kommen.«
nervös. Savoire runzelte die Stirn.
Der Erste Kybernetiker kannte den »Einer, mit dem wir nicht rechnen
Insk-Karew mittlerweile gut genug, um konnten. Jedenfalls steht nun fest, dass
selbst winzige Nuancen an seinem Ge­ ESCHERS kalkulatorische Kapazi­
sichtsausdruck und Verhalten deuten täten zu gering bemessen sind. Außer­
zu können. dem besteht die Gefahr, dass es zu Stö­
Die Prognostiker 37

rungen in der Hyperdim-Matrix kommt. Das ist eine Katastrophe, dachte der
Aufgrund der starken Belastung Erste Kybernetiker verzweifelt.
könnten bei einigen Prozessoren ge­
wisse ... Zerrüttungen auftreten.« *
»Was genau soll das heißen?«
»Das weiß die Parapositronik nicht »Beschäftigungstherapie«, murrte
genau. Sie ist derzeit mit der Analyse Savoire. »Reine Beschäftigungsthera­
der neuen Situation beschäftigt, zweigt pie.«
dafür etwas Kapazität ab.« Er störte sich schon längst nicht mehr
Der Erste Kybernetiker schwieg. daran, dass er Selbstgespräche führte.
»Es führt kein Weg daran vorbei«, Immerhin war es besser, seine eigene
fuhr der Kosmitter nach einem Augen­ Stimme zu hören als gar keine.
blick fort, »ESCHER braucht zusätz­ Er studierte wieder Holos. Draußen
liche Prozessoren. Entweder sehr viele auf der Baustelle ging der Betrieb wei­
oder aber solche von besonderer Quali­ ter wie zuvor.
tät.« Tausende von Montagebooten und
»Und woher wollen wir die nehmen?« Kofftern waren im Dauereinsatz, und
In Dr. Savoire brandete Erregung auf den Letzteren galt sein Interesse. Im­
und Sehnsucht. Der nächste Schritt – mer wieder waren ihm diese seltsamen
endlich erleben, wie es ist, Bestandteil linsenförmigen Modelle aufgefallen.
der Hyperdim-Matrix zu sein, eins mit Sie verkehrten hauptsächlich zwischen
ESCHER und den anderen ... Selbst bereits fertiggestellten TRAICOON-
wenn ich das Gefühl nur kurze Zeit Forts, so wie Einheit 06-202a, und zwar
auskosten kann, bis zu ESCHERS un­ meistens dann, wenn diese gestapelt
ausweichlichem Ende ... oder in den wachsenden DNS-Strang
»Selbstverständlich erkläre ich mich integriert wurden, der bei der Baustel­
bereit, als neuer Prozessor in ESCHER le entstand. Inmitten der TRAIGOT-
aufzugehen. Das war ja früher oder Fabriken oder Kolonnen-Docks, die
später ohnehin geplant. Ziehen wir den dabei Hilfestellung gaben, waren sie
Zeitpunkt einfach etwas vor.« geradezu winzig, und man bemerkte
Isokrain stieß deutlich hörbar Luft die Linsenkoffter praktisch nur, wenn
aus seinen Ur-Tracheen aus. »Bei aller sie zufällig einmal in eine Vergrößerung
Wertschätzung für dich, dein Opfer gerieten.
würde ESCHER gar nichts bringen. Du Nachdem sie allerdings einmal Sa­
bist nur ein einzelner Terraner. Dein voires Aufmerksamkeit erregt hatten,
Aufgehen in der Parapositronik würde ließ er die Positronik des Versorger­
der Natur des Problems nicht gerecht. trakts gezielt nach ihnen suchen und
Du könntest damit nichts grundlegend sämtliche Sichtungen dieser TRAI­
verändern.« TOR-Fahrzeuge speichern.
»Was sollen wir also tun?« Das war natürlich bloß ein Detail
»Das ist eine hervorragende Frage«, unter ungezählten anderen, die an der
sagte Isokrain leise. Baustelle von Portivabschnitt 3h3h2
Savoire atmete tief ein. Im Klartext aufgezeichnet und ausgewertet wur­
hieß das: ESCHER selbst war ratlos den, doch der Erste Kybernetiker rief
und hatte nicht die geringste Ahnung, die gespeicherten Sichtungen regelmä­
was er unternehmen konnte, um das ßig ab.
Problem zu lösen. Er wollte die Positronik gerade an­
38 UWE ANTON

weisen, eine Liste der einzelnen Sich­ verändert werden müssen. Die Hard­
tungen zu erstellen, als Isokrain nach ware-Manipulationen, die ESCHER
längerer Abwesenheit wieder in der anfordert, müssen von uns beiden aus­
Kontrollzentrale materialisierte. Sa­ geführt werden ... genauer gesagt: von
voire hatte sich keineswegs daran ge­ dir.«
wöhnt, dass ESCHER anscheinend den »Wir sollen also die relative Sicher­
Avatar des Weltweisen als seinen Spre­ heit des Versorgertrakts aufgeben und
cher bevorzugte, während Merlin Myhr uns in das Fort wagen?«
oder Pal Astuin immer seltener dazu »ESCHER hält das für den letzten
ausgewählt wurden. Zudem wollte er es Ausweg. Außerdem bist du ja nicht al­
sich nicht mit den Kapazitätsproble­ lein. Wir gehen gemeinsam. Ich kann
men der Parapositronik erklären, da uns mit meiner Teleporterfähigkeit an
die Tendenz bereits vorher zu erkennen fast jeden gewünschten Ort bringen
gewesen war. und uns im Notfall auf eine andere
Er ging vorläufig davon aus, dass Existenzebene versetzen, auf der wir
ESCHER in ständigem Kontakt mit unangreifbar und nicht aufzuspüren
dem Weltweisen stand und sich mit der sind. Außerdem soll ich mithilfe meiner
uralten Wesenheit beratschlagte. Und Nano-Kolonnen einen weiteren Teil der
wer war besser geeignet, zwischen die­ Manipulationen vornehmen.«
sen beiden so verschiedenen Entitäten »ESCHER hält das Unterfangen für
zu vermitteln, als der Kosmitter, selbst aussichtsreich?«
ein Avatar, eins mit dem unsterblichen »Wenn alles gut geht, wird nach un­
Kolonnen-Geschöpf und von derselben serem Einsatz die Anbindung ESCHERS
Art wie zum Beispiel Myhr oder Astu­ an das Rechnernetz deutlich verbessert
in? sein. Und hoffentlich tragfähig genug,
»ESCHER hat einen Auftrag für auch noch im Innern von GLOIN TRAI­
uns«, kam der Insektoide direkt zur Sa­ TOR als Zugriffsknoten zu fungieren.
che. »Es kann gefährlich werden. Doch Dem Problem der Prozessoren kann die
wenn die kalkulatorische Kapazität Parapositronik sich dann noch immer
der Parapositronik schon zu gering ist, widmen.«
müssen wir als lindernde Maßnahme Savoire fragte nicht, welches Pro­
den erforderlichen Aufwand für Mani­ blem der Kosmitter meinte – dass es
pulationen von TRAICOON 06-202a wegen der Verwirrung einiger Prozes­
reduzieren.« soren zu Störungen in der Hyper­
»Und das heißt im Klartext?« dim-Matrix kommen konnte oder dass
»Die Integration des Weltweisen in ESCHER über zu wenige von ihnen
die Schaltsysteme des Kolonnen-Forts verfügte.
muss verbessert werden.« »Und wann soll es losgehen?«
Laurence Savoire dachte kurz nach. »Mach dich mit den Unterlagen ver­
»Was nicht das grundlegende Pro­ traut, die ESCHER zusammengestellt
blem löst«, gestand er dann ein, »aber hat, und leg deinen SERUN an, dann
immerhin einen gewissen Vorteil bräch­ können wir jederzeit teleportieren.«
te.«
»So sieht ESCHER es zumindest. Er *
hat eine Liste diverser Rechnerknoten
aufgestellt, deren Schaltungen sowohl Als Isokrain von der zwischengeord­
software- als auch hardwaretechnisch neten Existenzebene auf die gewohnte
Die Prognostiker 39

wechselte, meldeten sich Dr. Savoires Andererseits war es natürlich ihr


Kopfschmerzen mit einem heftigen Po­ Glück, dass das Innere eines Kolonnen-
chen zurück, das sich binnen weniger Forts weitgehend aus leeren Räumen
Sekunden zu einem wahren Hämmern bestand, deren Grundrisse in Form von
steigerte. Vielleicht bot der Versorger­ fraktalen Dreiecken angeordnet waren.
trakt ein wenig Abschirmung; vielleicht Das verringerte die Gefahr, zufällig von
lag es auch daran, dass er im Fort nicht Besatzungsmitgliedern entdeckt zu
nur das Vibra-Psi, sondern auch das werden.
Flüstern der Wände ertragen musste, Die erachtete Savoire aber als sowie­
das in dem Schaltraum, in den ESCHER so nicht sehr groß. Er wusste nicht ge­
sie geschickt hatte, besonders laut zu nau, wie groß die Besatzung eines Ko­
sein schien. lonnen-Forts war, doch die Gebilde
Er konnte dem Wispern des Ricodin- waren so riesig, dass man vielleicht ta­
Verbundstoffes keine Worte, nicht ein­ gelang durch eins streifen konnte, ohne
mal Stimmungen entnehmen, aber es einem einzigen Ganschkaren oder
war da, unzweifelhaft. Mor’Daer, einem Yong-Dreq oder
Und es wollte einfach nicht enden, Awour oder sogar einer Mikro-Bestie
wie fest der Erste Kybernetiker auch zu begegnen.
die Hände auf die Ohren drückte. Wenn man sich jedoch an einen –
Doch offensichtlich war es möglich, wenn auch nicht gerade sehr bedeu­
sich daran zu gewöhnen, denn nach ei­ tenden – Schaltknoten begab, wie sie es
ner Weile ließ der Schmerz etwas nach, nun wohl oder übel tun mussten, moch­
und er konnte wieder klarer denken. te die Sache schon wieder ganz anders
»Wir haben unser Ziel erreicht«, aussehen.
sagte Isokrain. Der Erste Kybernetiker schüttelte
Savoire nickte und sah sich vorsich­ sich, kämpfte gegen den Druck auf sei­
tig um, bemüht, jede schnelle, ruckhaf­ nen Kopf an, versuchte sich zu kon­
te Bewegung zu vermeiden. Trotzdem zentrieren. Der Hardware-Austausch,
verschwamm die Umgebung vor sei­ den er vornehmen sollte, war zumin­
nem Auge. dest in diesem Fall nicht kompliziert;
Wie sind wir hierhergekommen?, eigentlich hätte Isokrain ihn auch al­
fragte er sich. lein vornehmen können.
Nur zögernd fiel es ihm wieder ein. Er fragte sich, warum ESCHER ihn
Sie hatten äußerste Vorsicht walten ebenfalls auf diese Mission geschickt
lassen. Isokrain war jeweils allein vor­ hatte.
austeleportiert und hatte sich auf die Beschäftigungstherapie?, dachte er
andere Existenzebene versetzt und erneut.
überzeugt, dass sie allein und keine Er orientierte sich, ging zu einem Su­
Überwachungsgeräte in der Nähe wa­ pratronik-Terminal, während Isokrain
ren. Erst dann hatte er Savoire geholt. Stellung neben der verschlossenen Tür
Wie viele dieser Sprünge hatten sie des Schaltraums bezog, um mit seinen
hinter sich? Dr. Savoire konnte es nicht paranormalen Fähigkeiten Wache zu
sagen. Von dem Inneren des Forts selbst halten.
hatte er nicht viel gesehen, immer nur Savoire öffnete die Abdeckung des
leere Räume. Neue Erkenntnisse über Terminals und schaltete den kleinen
TRAITOR hatte er auf diese Weise je­ Projektor ein, den ESCHER ihm mitge­
denfalls nicht gewinnen können. geben hatte. Er verglich dessen Dar­
40 UWE ANTON

stellung mit dem Innenleben des Termi­ war, wollte er ihn auf die zwischenge­
nals und stellte eine hundertprozentige ordnete Existenzebene mitnehmen oder
Übereinstimmung fest. Die Paraposi­ im Notfall einfach mit ihm teleportie­
tronik hatte ihre Hausaufgaben also ren. Aber es käme schon einem Fiasko
gemacht. gleich, wenn sie bei ihrem ersten Hard­
Er konzentrierte sich auf das obere ware-Austausch überrascht würden
Drittel des Terminals, in dem in Zeh­ und Spuren hinterlassen würden, die
nerreihen mindestens einhundert klei­ das Misstrauen der Besatzung er­
ne dreieckige Kolonnen-Datenträger regten.
eingelassen waren, und holte einen äu­ Vielleicht forderten sie damit eine
ßerlich identischen Datenträger, der im neuerliche Durchsuchung des Versor­
Versorgertrakt nach ESCHERS Anwei­ gertrakts heraus und gefährdeten die
sungen hergestellt worden war, aus ei­ gesamte Mission.
ner Tasche seiner Montur. Er zwang sich zur Ruhe, steckte den
Er warf einen Blick auf die Projekti­ Projektor und den ausgetauschten Chip
on: Den siebenten Speicher in der drit­ ein, griff nach der Abdeckung und
ten Reihe sollte er austauschen. Er wollte sie wieder am Terminal befesti­
zählte die kleinen Dreiecke ab, schloss gen.
ein Überbrückungskabel – ebenfalls Irgendetwas klemmte. Sie rastete
aus den Beständen der Parapositronik nicht ein.
– an den siebenten und achten Chip an »Mach schnell«, sagte Isokrain. »Sie
und entfernte den siebenten. stehen vor der Tür.«
»Es kommt jemand«, sagte Isokrain. Der Erste Kybernetiker zerrte an der
»Was?« Zuerst wurde ihm gar nicht Abdeckung, konnte sie endlich vom
klar, was der Kosmitter gesagt hatte. Er Terminal lösen und versuchte es er­
setzte den Austausch-Chip ein und ließ neut.
ihn mit einem leichten Druck des Zei­ Zischend öffnete sich die Tür des
gefingers einrasten. »Hierher?«, fragte Schaltraums.
er dann. Die Abdeckung rastete ein.
»Anzunehmen.« Der Insk-Karew Die Umgebung verschwamm kurz,
verließ seinen Posten an der Tür und während Isokrain mit ihm die Ebenen
trat neben ihn. »Draußen nähern sich wechselte.
Lebewesen dem Schaltraum. Da es der
einzige Raum von Bedeutung in diesem *
Gang ist, halte ich das für logisch.«
Dr. Savoire fluchte leise und ent­ Erstaunt betrachtete Savoire die ...
fernte das Überbrückungskabel wie­ die Gebilde, die den Raum betraten.
der. Das sollten Lebewesen sein? Wieso
»Keine Mor’Daer oder Ganschkaren«, hatte der Kosmitter sie als solche be­
fuhr Isokrain fort, »sondern Wesen mit zeichnet? Nun ja, Posbis waren durch
völlig unbekanntem Individualmus­ ihren Plasmazusatz auch in gewisser
ter!« Hinsicht lebendig.
»Wie viel Zeit bleibt uns?« Zwei Objekte rollten in den Raum,
»Nur noch ein paar Sekunden.« die den Terranerabkömmling an primi­
Savoire fühlte, wie Isokrain ihm eine tive Industriezahnräder erinnerten; ei­
Hand auf die Schulter legte, um den nen besseren Vergleich fand er nicht.
Körperkontakt herzustellen, der nötig Die Räder, wenn man sie denn so be­
Die Prognostiker 41

zeichnen wollte, hatten einen Durch­ »Auf jeden Fall komplizierte, hoch­
messer von etwa zwei Metern und acht­ wertige Hightech«, bestätigte Isokrain.
zig, an den Naben durchmaßen sie etwa »Das sind keine einfachen ...« Er ver­
einen Meter und sechzig. Die äußere stummte mitten im Satz.
Struktur erinnerte Savoire an einen »Was ist los?« Besorgt drehte Savoire
fein gewobenen Käfig, in dessen Inne­ sich zu dem Insk-Karew um.
res er jedoch keinen Einblick hatte. Das Die Fühler des Insektoiden hatten
Material der Umhüllung hatte die Far­ sich auf die Neuankömmlinge gerichtet
be von Zink. und zitterten schwach.
Die Breite der gezahnten Lauffläche »Ich nehme eine um Potenzen gestei­
betrug etwa 80 Zentimeter; die Na- gerte geistige Aktivität in den beiden
bendicke einen Meter und zwanzig. Rollkäfigen wahr! In dem Augenblick,
Links und rechts an den Nabenzentren in dem sich die Kupplungen mit dem
sah Savoire zwei von Kunststoffkappen Terminal der Supratronik verban­
bedeckte Auswüchse, die jeweils etwa den ...« Erneut hielt er inne.
die Größe des Kopfs eines Terraners »Isokrain?«, fragte Savoire besorgt.
hatten. »Alles in Ordnung. Ich habe gerade
Er atmete auf, als die Räder an ihnen zwei Nano-Kolonnen ausgeschieden
vorbeirollten, ohne sie zu bemerken oder und sie ans Ziel gesteuert. Der Vorgang
zumindest zur Kenntnis zu nehmen. hat mich kurz abgelenkt.«
»Sind das wirklich Lebewesen?«, »Zu den beiden Neuankömmlingen?«,
flüsterte er, obwohl die Gebilde ihn of­ vermutete Savoire.
fensichtlich weder sehen noch hören »Richtig.«
konnten. Der Erste Kybernetiker beobachtete
»Ich täusche mich nicht. Ich erkenne die Räder, aber nichts Auffälliges ge­
deutliche mentale Ausstrahlungen.« schah. Sie standen einfach da und
»Dann scheinen die Räder in ihrem schienen mit der Supratronik zu kom­
Inneren die Wesen zu befördern, die du munizieren.
wahrnimmst.« Der Vorgang erinnerte Dr. Savoire an
»Denkbar«, gestand der Kosmitter die Tätigkeit von terranischen Emotio­
ein. nauten, die sich ebenfalls in gewissem
Beide Räder rollten ins Zentrum der Sinn in Schaltsysteme einbanden, um
Schaltzentrale und hielten vor einem sie dann zu steuern. Aber was taten die
Terminal an, das beträchtlich größer Wesen in den Rollkäfigen da?
als die anderen im Raum war. Die »Die Nano-Kolonnen sind zurückge­
Kunststoffkappen der Naben entriegel­ kehrt«, sagte der Kosmitter unvermit­
ten sich, und darunter kamen Gebilde telt. »Ich habe sie zurückgezogen, bevor
zum Vorschein, die Dr. Savoire auf den sie entdeckt werden konnten, und weiß
ersten Blick für Stecker hielt. jetzt, was es mit den Wesen auf sich hat.
»Elektronisch-mechanische Kupp­ Mein erster Eindruck entsprach der
lungen«, korrigierte der Erste Kyber­ Wahrheit.«
netiker sich im nächsten Augenblick, »Was meinst du?«
als sie sich als die Spitzen langer, »Im Inneren der Rollkäfige befinden
schlanker Kabel entpuppten, die aus­ sich keine Wesen. Vielmehr sind die
gefahren wurden und sich dann mit den Käfige selbst die Lebensform bezie­
passenden Dockingelementen des Ter­ hungsweise ein Teil davon. Wir haben
minals verbanden. es mit Cyborgs zu tun!«
42 UWE ANTON

Savoire nickte. »So etwas habe ich einem Fort mit zigtausend Schaltstel­
mir gedacht.« len? Selbst als Mensch müsstest du ein­
sehen, dass das eine völlig unrealisti­
sche Annahme ist.«
7. »Das ist meine feste Meinung!«
Hangay Sie hatten gewartet, bis die beiden
Cyborgs den Schaltraum wieder ver­
»Ich lege meine Hand dafür ins Feu­ lassen hatten. Dann war Isokrain mit
er!«, sagte Dr. Laurence Savoire aufge­ ihm auf die »normale« Existenzebene
regt. »Zähl doch nur mal eins und eins zurückgekehrt und umgehend in die
zusammen! Es passt alles!« Weltkugel teleportiert, um ESCHER
Er sah zwar Isokrain an, aber eigent­ und dem Weltweisen von ihrer Entde­
lich sprach er zu ESCHER. Er war ckung zu berichten.
überzeugt davon, dass die Parapositro­ Doch die Parapositronik schwieg da­
nik ihn hier in der Kontrollzentrale hö­ zu, und ob das Millionen Jahre alte
ren konnte, auch wenn sie lange nicht quallenähnliche Geschöpf ihre Äuße­
mehr mit ihm kommuniziert hatte. rungen überhaupt zur Kenntnis ge­
Aber diese Entdeckung war so wichtig, nommen hatte, war mehr als fraglich.
dass sie seinen Worten selbst bei gra­ »ESCHER ist der Meinung, dass wir
vierenden Kapazitätsproblemen Be­ diese Spur durchaus verfolgen sollten,
achtung schenken musste. wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt«,
»ESCHER selbst hat das Wirken ei­ teilte Isokrain ihm schließlich mit. »Die
ner unbekannten Komponente vermu­ Veränderungen, die wir mit dem Aus­
tet, die die Rechenleistung in Portivab­ tausch des Datenspeichers bewirkt ha­
schnitt 3h3h2 erhöht«, fuhr er fort, als ben, zeigt schon Wirkung. Wir haben
der Kosmitter ihm nicht antwortete. den ersten Auftrag der Parapositronik
»Einer Komponente, von der wir nichts zur Zufriedenheit erfüllt.«
gewusst haben und die ESCHER bis »Und wie soll es nun weitergehen?«,
zur Kapazitätsgrenze beansprucht. fragte Savoire.
Dann haben wir im Bereich der Bau­ »Wir sind auf einem richtigen Weg
stelle immer wieder Koffter einer unbe­ und werden weitere solcher Speicher
kannten Bauart geortet. Ich habe die austauschen und andere Hardware-
Positronik angewiesen, gezielt danach Manipulationen vornehmen. Nachdem
zu suchen und eine Aufstellung der Er­ wir unsere Aufgabe beendet haben,
gebnisse vorzubereiten.« müsste ESCHERS Rechenleistung den
Isokrain sagte noch immer nichts. Anforderungen genügen. Sollte Portiv­
»Und nun binden sich Cyborgs in ei­ abschnitt 3h3h2 GLOIN TRAITOR
ne Schaltstelle ein, deren Rechnerakti­ plangemäß erreichen und in die Nadel
vität kurz darauf um Potenzen steigt! des Chaos eingebunden werden, befin-
Das kann doch kein Zufall sein!« den sich der Weltweise und ESCHER
»Du behauptest also, dass wir die un­ dann dank unserer Hilfe in einer güns­
bekannte Komponente, von deren Exis­ tigen Angriffsposition.«
tenz ESCHER ausgeht und die ihre Re­
chenkapazität einschränkt oder sogar *
völlig bindet, hiermit gefunden ha­
ben?«, fragte der Kosmitter endlich. Wiederum begann ESCHER zu rech­
»Gleich bei unserem ersten Ausflug? In nen, und Dr. Laurence Savoire und
Die Prognostiker 43

Isokrain tauschten im Fort Hardware GLOIN TRAITOR rückte damit immer


aus. näher, würde nicht mehr lange auf sich
Tagelang, wochenlang. Der SERUN warten lassen.
war für den Ersten Kybernetiker fast Savoires Eindruck, dass etwas nicht
zur zweiten Haut geworden. in Ordnung war, blieb indessen beste­
In den beiden Querbalken des Dop­ hen. ESCHER sprach noch immer nicht
pel-T, in dem verbindenden Mittelteil, zu ihm, und die Kommunikation über
an den Längsseiten, bei den 1200 Meter den Kosmitter beschränkte sich prak­
tiefen Schächten, die die Landebuch­ tisch auf die Erteilung neuer Anwei­
ten für die Kolonnen-Geschwader dar­ sungen. Der Erste Kybernetiker be­
stellten. In den Sektionen im Inneren, fürchtete, dass die Parapositronik wie
bei den »Straßen« des Forts, die schnel­ zuvor am Rand ihrer Kapazität arbei­
le Verbindungen zu sämtlichen Sek­ tete und nicht einmal zu einem Ge­
toren bereitstellten. Sie sahen die grell­ spräch mit ihm imstande war.
grün oder schmutzig gelb lackierten Als ESCHER sich endlich bei ihm
Koffter, die mit Geschwindigkeiten von meldete, sah er sich unwillkürlich nach
bis zu 1000 Stundenkilometern Passa­ Isokrain um, weil er annahm, der Kos­
giere und Fracht beförderten, die Zen­ mitter sei hinter ihm materialisiert und
trale Antigravstraße in der Mitte des habe zu ihm gesprochen.
Forts, die Bogentransmitter-Stationen, Aber da war niemand; es handelte
die nur privilegierten Personen zur Ver­ sich tatsächlich um die Parapositronik,
fügung standen, ohne auch nur eins von die sich nach mehreren Monaten zum
alledem benutzen zu können; sie waren ersten Mal wieder direkt an ihn wand­
weiterhin auf Isokrains Fähigkeit der te.
Teleportation angewiesen. »Die technischen Manipulationen sind
Sie hörten das Wispern und Flüstern positiv verlaufen«, bekannte ESCHER
in den Gängen und Räumen, erlebten, ohne jedes Vorgeplänkel, »doch sie rei­
wie sich Gänge weiteten und wieder chen bei Weitem nicht aus.«
verengten wie Adern in einem lebenden
Körper. Sie ertasteten die Kälte der *
Wände und sahen manchmal sogar das
Pulsieren hinter ihnen. Bevor Dr. Savoire antworten konnte,
Sie bekamen Eindrücke von der un­ materialisierten Isokrain und Merlin
fassbaren Größe des Forts, ohne es als Myhr und Pal Astuin, die beiden Ava­
Ganzes erfassen zu können, da sie im tare ESCHERS.
Verborgenen arbeiten mussten, immer Eine Krisensitzung, dachte der Erste
nur winzige, eher unbedeutende Aus­ Kybernetiker. Die Parapositronik muss
schnitte erfassten, nicht an die wahren wirklich am Ende ihrer Weisheit ange­
Schnittstellen der Macht herankamen. langt sein.
Doch wenn ein einziges Kolonnen-Fort Er war tiefer besorgt, als er zeigte.
schon so gewaltig war, was würde sie Was war geschehen, dass ESCHER zu
dann erst in GLOIN TRAITOR erwar­ diesem Schritt griff? Eine aktuelle Ent­
ten? wicklung? Oder würde die Parapositro­
Der Portivabschnitt wuchs unabläs­ nik eingestehen müssen, dass sie sich
sig weiter. Die Zahl der fertiggestellten überschätzt hatte und ihrer selbst ge­
Forts kletterte auf zwölf, dann 18, drei wählten Aufgabe nicht gewachsen
Viertel der Vorgabe. Die Verlegung nach war?
44 UWE ANTON

»Etwas blockiert weiterhin meine »Du hast also so gut wie nichts über
Versuche, die Rechnersysteme des Ko­ sie in Erfahrung bringen können?«,
lonnen-Forts zu infiltrieren«, fuhr fragte der Erste Kybernetiker.
ESCHER fort. »Ein unbekannter Fak­ »Immerhin lässt sich nicht überse­
tor, von dem wir bei der Planung der hen, dass die T-Prognostiker im Zu­
Mission nichts wussten und den wir sammenbau des Portivabschnitts eine
deshalb nicht berücksichtigen konn­ wichtige Rolle spielen.«
ten.« »Fragt sich nur, welche genau.«
»Das Problem sind die Cyborgs in »Das konnte ich noch nicht heraus­
den Rollkäfigen«, sagte Savoire. »Ich finden. Wie gesagt, den meisten Kolon­
habe schon vor geraumer Weile darauf nen-Angehörigen ist die Existenz der
hingewiesen. Sie verhindern, dass du T-Prognostiker nicht einmal bekannt,
deine Position ausbauen kannst!« und ihre Daten sind so stark gesichert,
»Nach gründlicher Analyse der Situ­ dass ich auch in absehbarer Zukunft
ation bin ich zu dem Schluss gekom­ nicht an sie herankommen werde.«
men, dass deine Vermutung zutreffen Klauen wir die Daten doch einfach,
könnte, auch wenn deine Indizienkette dachte Savoire spontan. Mit der uns
keineswegs lückenlos und nicht völlig Terranern eigenen Chuzpe. Brechen
überzeugend ist.« wir in einen Datenknotenpunkt erster
Und dafür hast du ein Vierteljahr be­ Kategorie ein und lesen die Supratro­
nötigt? nik des Forts aus!
»Nenn es meinetwegen menschliche Er sprach den Gedanken nicht aus.
Intuition.« Laut sagte er: »Ein erster Ansatzpunkt
Er war zwar keineswegs dieser An­ könnten diese mysteriösen Linsenkoff­
sicht, sondern hielt seine Argumentati­ ter sein, deren Einsatz im Bereich der
on für schlüssig, doch eine Diskussion Baustelle mir schon zuvor aufgefallen
darüber brachte sie nicht weiter. »Kann ist. Sie sind alle mehr als groß genug, um
der Weltweise vielleicht helfen?« mindestens einen jener Cyborgs aufzu­
»Nein, nicht bei solchen Fragestel­ nehmen und zu transportieren. Und es
lungen. Von diesen Cyborgs hat der handelt sich um uns bislang unbekann­
Weltweise noch nie gehört, und er war te Modelle, genau wie die T-Prognosti­
auch nie weit genug in die Detailange­ ker uns bislang unbekannt waren. Mir
legenheiten der Kolonne involviert, um liegt eine Aufstellung über ihre Bewe­
sich mit Angelegenheiten dieser Art gungen auf der Baustelle vor.«
auszukennen.« »Dann werdet ihr die relative Sicher­
»Was schlägst du also vor?« heit des Versorgertrakts erneut verlas­
»In den letzten Wochen habe ich im­ sen müssen«, beschied ESCHER.
mer mehr Hinweise auf die Cyborgs »Findet heraus, wann solch ein Lin­
gesammelt. Im internen Jargon werden senkoffter an Bord von TRAICOON
sie als ›T-Prognostiker‹ der Terminalen 06-202a kommt, und seht ihn euch an.
Kolonne bezeichnet. Präzise Hinter­ Aber seid vorsichtig. Sollte etwas
gründe konnte ich allerdings nicht re­ schiefgehen, haben wir sämtliche pein­
cherchieren. T-Prognostiker sind alles lichen Untersuchungen an Bord, und
andere als öffentliche Personen, son­ der Weltweise gerät sofort in Verdacht.
dern wirken, an TRAITORS Maßstäben Vielleicht solltet ihr auch warten, bis so
gemessen, aus einer stark zurückgezo­ ein Gefährt eins der benachbarten
genen Position.« Schiffe anfliegt!«
Die Prognostiker 45

Sie warteten natürlich nicht. Viel­ ohne weitere Aktivität zu viele Koffter
leicht hatten ihre bisherigen Erfolge sie überprüfen.
ein wenig leichtsinnig gemacht. Andererseits war es bei den bishe­
rigen Aktionen nie zu einem Zwischen­
* fall gekommen. Diese Linsenkoffter
schienen außerhalb des Kontrollsys­
Der linsenförmige Koffter stand tems der Terminalen Kolonne zu ste­
nicht an einer der gewundenen Röhren hen.
des Forts, die als Verbindungsstraßen Er warf einen Blick in das Innere des
in dem gewaltigen Gebilde dienten, Gefährts. Es war leer, wie bei allen an­
sondern in einem kleinen Hangar ab­ deren auch, die sie bislang überprüft
seits der Hauptverkehrsstraßen. Seinen hatten. Dieser Koffter war der fünfte,
Passagieren musste eine gewisse Be­ den sie sich ansahen, und in keinem
deutung beigemessen werden, wenn sie hatten sie einen Passagier angetrof­
nicht auf die üblichen Verkehrswege fen.
angewiesen waren, sondern ihre Ziele Welchem Zweck diese Leerflüge
direkt anfliegen konnten. dienten, konnten sie nicht einmal erah­
Wie üblich hatte Isokrain sich verge­ nen.
wissert, dass der Hangar leer war, be­ Doch mit einer Höhe und Breite von
vor er Dr. Savoire mit einer Teleporta­ jeweils über drei Metern boten die
tion holte. Niemand bewachte die Koffter ausreichend Raum, und über­
Mischung aus Mini-Traktor und Glei­ dies war das Innere des Gleiters so ge­
ter. Dennoch hatten der Erste Kyberne­ staltet, dass zwei T-Prognostiker darin
tiker und der Kosmitter die Deflektor­ maßgeschneidert Platz finden würden.
schirme aktiviert. Alles war auf Wesen mit den Körpern
Savoire ging zu dem Koffter und von Zahnrädern ausgelegt, von einem
berührte den Öffnungsmechanismus. rutschfesten Riffelboden bis hin zur
Eine bis zum Boden reichende Tür Bedienung, an der Schnittstellen für
klappte hoch, und eine Rampe fuhr elektronisch-mechanische Kupplungen
aus. eingebaut waren. Keine Möbelstücke
Der Erste Kybernetiker fragte sich, wie Sessel, keine manuell bedienbaren
ob es wirklich eine gute Idee war, dass Kontrollpulte, nichts von alledem – das
Unsichtbare in einem kritischen Be­ Gefährt schien nichts anderes zu sein
reich diese Spezialkoffter öffneten. Er als die Ausweitung eines künstlichen
nahm sich vor, ein wenig Maske ma­ Körpers, eine Aufrüstung, die einzig
chen zu lassen, sodass er bei einer rein und allein den Zweck hatte, ein Ziel
visuellen oberflächlichen Beobachtung schneller zu erreichen, als die eigent­
als Ganschkare durchging. Alle wei­ liche Hülle es ermöglichte. Für »nor­
teren Nachforschungen konnte dann male« Lebewesen waren diese Koffter
Isokrain mit seiner Suggestionsfähig­ wahrlich nicht geschaffen.
keit vermeiden. Nur ... die Cyborgs schienen die Koff­
Maskiert als Kolonnen-Angehöriger, ter nicht zu benutzen.
zudem noch als Techniker, würden we­ Dr. Savoire hatte nach den bisherigen
der die Überwachungsalgorithmen des Erfahrungen mit diesem Ergebnis ge­
Koffters noch die des Kolonnen-Forts rechnet, drehte sich aber trotzdem ent­
greifen, denn Techniker gehörten zum täuscht zu Isokrain um.
Alltagsbild. Sie durften dann nur nicht Wie bei den bisherigen Erkundungen
46 UWE ANTON

schleuste der Kosmitter eine seiner Na- tiker der Kolonne mächtig eigenbrötle­
no-Kolonnen aus, die in den Steuer­ risch veranlagt. Kannst du solch eine
rechner der Einheit eindrang, um sie Dockingstelle ausfindig machen?«
auszuforschen. Der Vorgang war mit »Schon geschehen«, antwortete der
bloßem Auge nicht zu bemerken; Sa­ Kosmitter. »Teleportieren wir?«
voire stellte bei dem Avatar lediglich
eine gewisse Starre und Geistesabwe­ *
senheit fest, die von der Kommunikati­
on mit den ausgeschickten Einheiten Der Kybernetiker zuckte hilflos die
herrührte. Achseln.
»Diesmal ist es anders«, sagte der »Nichts«, sagte er. »Hier kommen wir
Insk-Karew schließlich. »Diesmal ist nicht weiter.«
der Rechner noch aktiv.« Die Dockingstelle war ein einziges
Dr. Savoire atmete tief durch. Terminal in einem winzigen, ansonsten
Bislang waren sie immer zu spät ge­ völlig leeren Raum, der kaum Bewe­
kommen; wenn sie die Koffter erreicht gungsfreiheit für zwei Personen bot.
hatten, waren die Speicher der Steuer­ Savoire hatte mittlerweile einige
rechner vollständig gelöscht gewesen. Übung im Umgang mit Supratronik-
Eigentlich kein Wunder, vermuteten sie Terminals und war von ESCHER mit
als Benutzer der Gefährte doch Cy­ hinreichend Werkzeug ausgerüstet
borgs, in deren künstlichen Körpertei­ worden, um auch kompliziertere Mani­
len genug Platz für Speichermedien pulationen als den reinen Austausch
vorhanden sein sollte. von Datenträgern vornehmen zu kön­
Dem widersprach hingegen der Um­ nen.
stand, dass Savoire und Isokrain noch »Ich habe das Terminal ausgelesen.
nie einen Passagier an Bord der Koffter Hier werden die Informationen ledig­
gefunden hatten. Rätselhaft, einfach lich gesammelt und dann übermittelt,
rätselhaft. Was geschah also mit den aber nicht gespeichert.«
Daten, die sich auch während des »Wohin übermittelt?«
kürzesten Flugs ansammelten, und Der Erste Kybernetiker machte eine
warum geschah es mit ihnen? Warum Geste der Ratlosigkeit. »Dieses geson­
wurden die Speicher gelöscht? derte Netz ist stark gesichert. Es war
»Die Einheit hat während ihres Flugs schon riskant genug, das Terminal an­
Informationen über die Baustelle auf­ zuzapfen. Ich bezweifle, dass wir un­
genommen und gesammelt«, erklärte entdeckt bleiben, wenn wir in das Netz
der Kosmitter. »Diese Daten sendet sie selbst eindringen.«
nun, allerdings nicht über das allge­ »Weshalb dieser Aufwand? Weshalb
meine Netz des Forts, sondern auf spe­ verwischen die T-Prognostiker sämt­
ziellem Weg, für alle anderen in der liche Spuren ihrer Tätigkeit?«
Baustelle unsichtbar.« »Vielleicht geht diese Geheimnistue­
»Über ein eigenes Netz?« rei gar nicht von ihnen selbst aus. Viel­
»Genau. Die gesammelten Informa­ leicht versucht die Terminale Kolonne,
tionen werden schließlich an speziellen ihre Existenz zu verbergen. Aber war­
Dockingstellen eingespeist, die nur für um? Wie dem auch sei, es ist nachgera­
die T-Prognostiker auslesbar sind.« de zum Verzweifeln. Hätten wir beide
Rätsel über Rätsel, dachte Savoire. nicht schon mit eigenen Augen zwei
»Sieht so aus, als wären die Prognos­ T-Prognostiker erblickt, könnte man
Die Prognostiker 47

beinahe glauben, es handele sich bei Sechs Tage waren verstrichen, seit er
ihnen nur um eine Fiktion.« zum letzten Mal mit ESCHER gespro­
chen hatte.
* Sechs Tage, während deren die Para­
positronik sich wieder in Schweigen
Völlig sinnlos war ihr Einsatz nicht gehüllt hatte.
gewesen. Als das Spähkommando zu Nach Milchstraßen-Zeitrechnung,
ESCHER und zum Weltweisen zurück­ die allerdings für Hangay, eine Galaxis
kehrte, präsentierte die Parapositronik aus einem anderen Universum, völlig
gute Nachrichten. bedeutungslos war, schrieb man den
»Dank eurer Hinweise auf ein zweites 8. Oktober 1347 NGZ.
Netz habe ich eine Spur der T-Prognos­ »Gerade in der Ruhe liegt die Ge­
tiker entdeckt. Indem ich den spurlos fahr«, sagte der Erste Kybernetiker zu
versickernden Daten nachgeforscht ha­ dem Kosmitter. »Die Besatzungsmit­
be, bin ich auf die Information gesto­ glieder der Kolonnen-Forts haben ihre
ßen, dass in sechs Tagen mindestens Posten bezogen und kaum noch etwas
zwei Cyborgs in einer Schaltzentrale zu tun, werden gleichzeitig aber wegen
des benachbarten, an TRAICOON 06­ des bevorstehenden Ereignisses noch
202a angeflanschten Kolonnen-Forts wachsamer und nervöser als zuvor sein.
06-202b erwartet werden.« Nicht die besten Voraussetzungen, um
Dr. Savoire sah Isokrain an. In sechs auf eine Erkundungstour zu gehen.«
Tagen ... das bedeutete: nur einen Tag »Wir haben nicht die Möglichkeit,
vor Fertigstellung von Portivabschnitt wählerisch zu sein.« Isokrain reichte
3h3h2 und dem Transport des Gesamt­ Savoire die Hand und sprang.
komplexes zum Schwarzen Loch Atha­
niyyon, zu GLOIN TRAITOR. *

Der Lagerraum, in dem sie eine Stun­


8. de und ein halbes Dutzend Teleportati­
Hangay onen später materialisierten, war ver­
lassen.
Dr. Laurence Savoire betrachtete die Er lag nicht weit von dem Schalt­
Holos voller Anspannung, obwohl sie raum entfernt, den ESCHER ihnen be­
eigentlich keinen Anlass dazu gaben. zeichnet hatte. Isokrain wechselte mit
Sämtliche 24 TRAICOON-Forts wa­ Dr. Savoire auf die zwischengeordnete
ren zu einem 216 Kilometer hohen Existenzebene.
»DNS-Abschnitt« gestapelt worden Den Rest des Weges legten sie zu Fuß
und damit bereit zur Integration in die zurück, immaterielle Schemen, die von
Nadel des Chaos. den Besatzungsmitgliedern oder Über­
Im Inneren des Portivabschnitts war wachungssystemen des Forts nicht
weitestgehend Ruhe eingekehrt. Der wahrgenommen werden konnten. Sie
Verkehr an der Baustelle im Weltraum warteten, bis sich ein Schott des
war so gut wie eingestellt, die TRAI­ Schaltraums öffnete. Es dauerte nicht
GOT-Fabriken und Kolonnen-Docks lange, die untergeordnete Zentrale war
hatten sich zurückgezogen oder wur­ stark frequentiert, Ganschkaren gingen
den gerade von Kolonnen-Fähren ab­ pausenlos aus und ein.
transportiert. Zur Sicherheit wählte der Kosmitter
48 UWE ANTON

einen Beobachtungsposten hinter einer Hat ESCHER sich getäuscht, oder


abgeschirmten Galerie, hinter der man haben die T-Prognostiker ihre Pläne
die Eindringlinge auch nicht entdeckt geändert?, fragte Dr. Savoire sich nicht
hätte, wenn sie sichtbar gewesen wä­ zum ersten Mal, als die Ganschkaren
ren. plötzlich geschlossen von ihren Termi­
Dort legten sie sich auf die Lauer. nals zurücktraten.
Savoire wunderte sich wieder ein­ Es dauerte keine zwei Minuten, bis
mal, wie wenig sich Chaos und Ord­ die Vogelwesen die Schaltzentrale ge­
nung im Prinzip voneinander unter­ räumt hatten. Selbst Karuff verließ sie,
schieden. Der Schaltraum war völlig trat als Letzter hinaus, nachdem er sich
funktionell eingerichtet und mutete ge­ überzeugt hatte, dass die Räumlichkeit
radezu penibel ordentlich an, wie ja wie leer gefegt war.
überhaupt die penible Ordnungsver­ Ein Vorwurf war ihm nicht zu ma­
liebtheit das markanteste Kennzeichen chen. Er konnte Savoire und Isokrain
der Chaosmächte war: mehrere erhöhte, einfach nicht bemerken, nicht, solange
halbkreisförmige Galerien, auf der sie auf der zwischengeordneten Ebene
Hauptebene drei ineinander liegende weilten.
Kreise aus Terminals, der äußere mit Die beiden sahen einander an.
dreißig, der innere mit zehn Stationen. Was hatte das zu bedeuten? Wieso
In diesem Kreis dann ein Podest mit diese Geheimnistuerei?
vier Terminals, eins in der Mitte, das Die natürlich völlig dem bisher be­
noch einmal erhöht war, umgeben von kannten Verhaltensmuster der Cyborgs
drei weiteren. entsprach.
Hinter dieser Station im Mittelpunkt Sie warteten.
des Raums stand, wie Savoire sofort
erkannte, Kalbaron Karuff, der Be­ *
fehlshaber im Portivabschnitt 3h3h2.
Dem Ersten Kybernetiker fiel auf, dass Doch sie mußten nicht lange warten.
auch alle anderen Terminals von ESCHER behielt recht. Keine drei
Ganschkaren besetzt waren. Minuten nachdem die Ganschkaren
Immerhin, dachte er. Wenn Karuff den Schaltraum verlassen hatten, öff­
persönlich anwesend ist, muss es sich nete sich ein Schott, und zwei T-Pro­
um einen Schaltraum von einiger Be­ gnostiker rollten herein. Savoire konn­
deutung handeln. te nicht sagen, ob es sich um dieselben
Vielleicht hatte aber auch das, was handelte, denen sie bereits begegnet
hier geschehen würde, eine noch größe­ waren, oder um andere Vertreter ihrer
re Bedeutung. Zunft.
Der angekündigte Besuch der T-Pro­ Sie fuhren zu dem Podest in der Mit­
gnostiker. te der Terminalkreise.
Savoire und Isokrain warteten. Wiederum entriegelten sich die
Kunststoffkappen an den Naben der
* Laufräder, und die Cyborgs fuhren die
elektronisch-mechanischen Kupplun­
Sie warteten Stunde um Stunde, gen aus. Zielsicher fanden sie die ent­
während die Ganschkaren ihrer Arbeit sprechenden Schnittstellen an den Ter­
nachgingen und Kalbaron Karuff im­ minals.
mer wieder Anweisungen gab. »Sie binden sich in die Schaltstellen
Die Prognostiker 49

des Saals ein«, sagte Savoire. »Was trei­ zum Boden reichende Tür senkte sich.
ben sie dort?« Beim hinteren tat sich nichts.
»Sie übermitteln oder empfangen Da­ Savoire beruhigte sich ein wenig. Mit
ten oder nehmen Schaltungen vor. Die seinen paranormalen Fähigkeiten hatte
Bedeutung dieser Tätigkeit dürfte ange­ der Kosmitter sich natürlich vergewis­
sichts der Tatsache, dass alle Gansch­ sert, dass sie nicht Gefahr liefen, ent­
karen ihre Plätze räumen mussten, Ka­ deckt zu werden, wenn sie die Zentrale
ruff eingeschlossen, eminent sein. Ich auf der gewöhnlichen Existenzebene
sende jetzt Nano-Kolonnen aus ...« Der verließen.
Kosmitter verstummte schlagartig und Beide Koffter setzten sich gleichzei­
erstarrte. tig in Bewegung.
Savoire stieß einen leisen Fluch aus: Isokrain berührte ihn und telepor­
Die T-Prognostiker koppelten sich be­ tierte erneut.
reits wieder ab und rollten in Richtung
Ausgang. *
Die Operation, die da unten stattge­
funden hatte, war bereits abgeschlos­ In den zweiten Koffter, wurde Sa­
sen! voire klar, nachdem er auch diesen
Ortswechsel verkraftet hatte. Das Ge­
* fährt war leer. Sicher hatte Isokrain
sich davon überzeugt, bevor er den
Verdammt!, dachte Savoire erneut. Sprung gewagt hatte.
Es war vorbei. Jeden Augenblick wür­ Hoffte Savoire zumindest.
den wieder die Ganschkaren erschei­ Der Koffter beschleunigte, folgte
nen, um ihre Posten hinter den Termi­ dem vorderen Fahrzeug, raste schließ­
nals einzunehmen. lich durch die Gänge des Forts. Savoire
»Wollen wir noch einmal Wochen war­ sah auf dem Holo, das sich bei Fahrt­
ten, bis ESCHER wieder eine Spur der antritt gebildet hatte und die unmittel­
Cyborgs entdeckt?«, fragte Isokrain. bare Umgebung zeigte, kein einziges
»Ganz sicher nicht!« Besatzungsmitglied des Forts. Die
»Dann müssen wir jetzt ein gewisses Mission der T-Prognostiker schien so
Risiko eingehen«, fuhr der Kosmitter bedeutend zu sein, dass man für sie so­
fort, legte eine Hand auf Savoires gar sämtliche Wege, die sie benutzten,
Schulter, wechselte die Existenzebene geräumt hatte.
und teleportierte. Schließlich bog das Gefährt ab, in
eine der Schnellstraßen, der gewunde­
* nen Röhren, die das gesamte Fort
durchzogen. Auch in dieser konnte Sa­
»Das ist Wahnsinn!«, flüsterte Dr. Sa­ voire nicht den geringsten Verkehr aus­
voire. »Jetzt kann uns jeder sehen!« machen.
Isokrain achtete nicht auf ihn. Durch den halben Portivabschnitt
Der Gang vor dem Schott des ging die Fahrt, durch die schier end­
Schaltraums war leer, jedenfalls was losen, teils noch im Bau befindlichen
Lebewesen oder Cyborgs betraf. Einige Verkehrswege des Kolonnen-Forts.
Meter entfernt warteten zwei Linsen­ »Warum zwei Koffter?«, fragte Sa­
koffter. Beim vorderen wurde gerade voire.
eine Rampe eingefahren, und die bis »Wie bitte?«
50 UWE ANTON

»Warum befanden sich zwei Koffter der ein Risiko eingehen und teleportie­
vor dem Schaltraum? Das kommt mir ren müssen.«
fast wie eine ... Einladung vor.« »Moment noch.« Savoire rief auf dem
»Ich habe keine Ahnung. Wir wissen Projektor, den er seit Wochen ständig
jedoch, dass solche Leerfahrten eher mit sich führte, wenn er den Versorger­
die Regel als die Ausnahme sind. Ich trakt verließ, einen Lageplan auf. »Der
kümmere mich später darum. Ein paar Bereich der Cyborgs wird als blinder
Nano-Kolonnen als Beobachter oder Fleck dargestellt, aber ganz in der Nä­
eine Abfrage im Kolonnen-Rechner he befindet sich eine nicht besetzte
sollte diese Frage eigentlich klären, Schaltstelle. Teleportieren wir zuerst
aber dazu bleibt jetzt keine Zeit. Viel­ dorthin.«
leicht sind die beiden Cyborgs jeweils Isokrain warf einen Blick auf den
mit einem Koffter von verschiedenen Plan und nickte. »Natürlich.«
Orten gekommen, haben sich in dem
Schaltraum getroffen und sind dann *
gemeinsam in einem weitergefahren,
um schon die Ergebnisse ihrer Arbeit Jeder Handgriff saß. Savoire hätte
besprechen zu können.« das Supratronik-Terminal auch im
»Vielleicht«, sagte Savoire. »Gibt es Schlaf öffnen können.
keinen Funk in den Fahrzeugen?« Er legte die Abdeckung auf den Bo­
»Vielleicht suchen sie ganz einfach den, studierte kurz das Innenleben des
nur körperliche Nähe.« Kastens, öffnete das Netzwerk und
»Vielleicht«, wiederholte Savoire. wählte einen jener Kommunikations­
In diesem Augenblick verließen die kanäle an, die ESCHER in den zurück­
Koffter die Röhre in einem unschein­ liegenden Wochen undercover geschaf­
baren Abschnitt in der Mitte des Forts. fen hatte.
Dann lieferte er einen kurzen Abriss
* dessen, was geschehen war, und gab ih­
re Position durch.
Die Fahrt ging weiter, aber nur noch Er befestigte die Abdeckung wieder
wenige hundert Meter. Dann stoppten und nickte.
die Koffter. Savoire beobachtete, wie »Fertig. Wir können.«
sich die Tür des vorderen Gefährts öff­ Isokrain berührte ihn und telepor­
nete und die beiden T-Prognostiker ins tierte.
Freie rollten.
Ihr Ziel lag unmittelbar vor ihnen: *
eine tiefschwarze Wand aus Ricodin,
ohne Fenster, ohne Türen, vom Boden Sie materialisierten im Inneren eines
bis zur Decke reichend. Übergangslos schmucklosen, bläulich gekachelten
öffnete sich ein Schott von drei Metern Raums. Falls es sich tatsächlich um ein
Höhe, und die »Laufräder« fuhren Wohnquartier handelte, wie der Kos­
durch die Öffnung. mitter vermutete, war er nicht für ge­
Das Schott schloss sich hinter ihnen wöhnliche Lebewesen entworfen wor­
wieder. den. Hier gab es keinerlei Möbel,
»Ein hermetisch isolierter Bereich. vielmehr waren an den Wänden Dut­
Vielleicht Wohn- oder Arbeitsräume«, zende Schnittstellen angebracht, wie
vermutete Isokrain. »Wir werden wie­ die T-Prognostiker sie benötigten.
Die Prognostiker 51

Isokrain wechselte augenblicklich ge, und auch die beiden T-Prognostiker


die Ebene. reagierten nicht.
Savoire sah sich um. Der Raum war »Sie sind anscheinend ... weggetre­
verlassen. Einerseits ihr Glück, ande­ ten«, sagte Savoire nach einigen Se­
rerseits ... »Wo sind die beiden Prognos­ kunden, »oder aber sie verfügen nicht
tiker, die wir verfolgt haben?« über Beobachtungsmöglichkeiten im
Noch während der Kosmitter die menschlichen Sinn.«
Fühler auf eine Türöffnung richtete, »Was meinst du mit ›weggetreten‹?«
sah er es selbst. Sie hielten sich in einem »Vielleicht so tief in virtuelle Welten
Nebenraum auf. Die Laufräder hingen versunken, dass sie die Umwelt nicht
an ihren Naben an der Wand, mit einer mehr wahrnehmen. Wie die alten Arko­
Schaltstelle verkoppelt. niden bei ihren Fiktiv-Spielen oder wie
Savoire und Isokrain betraten den menschliche Kinder der postatomaren
Raum im Schutz ihrer Nicht-Wahr­ Epoche bei Computer-Simulationen. Man
nehmbarkeit. musste ihnen Getränke und Nahrung rei­
»Ich möchte Nano-Kolonnen zu den chen, sonst wären sie elend gestorben.«
Cyborgs ausschleusen. Dazu müssten »Interessant«, sagte Isokrain und er­
wir aber die Ebene wechseln.« starrte. Savoire war klar, dass er, wie
»Haben wir eine Wahl?«, fragte Sa­ angekündigt, wieder zwei Nano-Ko­
voire. »Tu’s einfach.« lonnen ausschickte und zu den T-Pro­
Abrupt wurden die beiden Kund­ gnostikern an der Wand dirigierte.
schafter wieder für jedermann sicht­ Dann geschah alles fast gleichzeitig.
bar. Zuerst schoben sich jedoch die me­
Auch für Cyborgs. tallisch schimmernden Geschützmün­
dungen aus der Wand.
*
*
»Hättest du das nicht im Nebenraum
tun können, als wir noch gegen direkte Nur einen Sekundenbruchteil später
Beobachtung geschützt waren?« bildeten sich ringsum schwach flim­
Isokrain reagierte nicht auf die Fra­ mernde Schutzschirme.
52 UWE ANTON

Isokrain berührte Savoire und tele­ Absolute Ruhe kehrte ein.


portierte. Wollte teleportieren. Nichts Zuerst glaubte Dr. Savoire, tot zu
geschah. sein. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar
»Fünfdimensionale Felder!«, rief der wurde, dass er noch lebte.
Kosmitter. »Sie unterdrücken jegliche Wieso?, fragte er sich.
parapsychischen Fähigkeiten!« Was war geschehen?
Halbkugelförmige Schilde wahr­ Er atmete tief durch, sah sich um, er­
scheinlich derselben Art bauten sich wartete fast, dass Dutzende von
um die beiden Cyborgs auf, schirmten Mor’Daer in den Raum stürmten, um
ihre Leiber ab. ihn festzunehmen, doch nichts derglei­
Als die Geschützmündungen voll­ chen geschah.
ständig ausgefahren waren, eröffneten Isokrain setzte sich in Bewegung,
sie das Feuer auf die Eindringlinge. ging zu den beiden T-Prognostikern,
Das war’s, dachte Savoire. Vielleicht die noch immer an ihren Naben an der
hat Isokrain ja noch eine Chance, aber Wand hingen.
ich werde jetzt nie erfahren, was es Savoire folgte ihm. Zuerst fiel ihm an
heißt, Bestandteil der Hyperdim-Ma­ den Cyborgs nichts auf. Er musste ge­
trix zu sein. nau hinschauen, um festzustellen, dass
Die ersten Schüsse trafen ihn. ihre Hüllen in Mitleidenschaft gezogen
waren. Sie wiesen nur winzige Schäden
* auf, die offensichtlich jedoch funkti­
onsentscheidende Areale außer Kraft
Helligkeit umfloss ihn, strahlend gesetzt hatten.
weißes, alles versengendes Licht, doch »Was ist soeben hier passiert?«, fragte
Savoire spürte dessen Hitze nicht. Es er laut.
wechselte die Farbe, leuchtete in allen
Schattierungen des Regenbogens. *
Und blieb kalt.
Der Erste Kybernetiker begriff. Der »Meine Nano-Kolonnen hatten zu
SERUN, der ihm zur zweiten Haut ge­ dem Zeitpunkt, als der Feuerschlag be­
worden war, hatte automatisch, schnel­ gann, bereits die Laufrad-Körper der
ler, als jeder Mensch reagieren konnte, Cyborgs erreicht«, lieferte Isokrain fast
die Schutzschirme aktiviert. gleichmütig die Aufklärung. »Sie ha­
Aber das verschaffte ihm nur eine ben die Situation erkannt und selbst­
unbedeutende Gnadenfrist. Er war im ständig die Cyborgs getötet.«
Vergleich mit den fünfdimensionalen Savoire musterte den Insk-Karew.
Schilden der Cyborgs so gut wie macht­ Den ehemaligen Angehörigen des Bru­
los. Lange würden die Schirme dem derstands der Kosmitter, einer Organi­
Feuer nicht standhalten können. In we­ sation, die lange in vielen Galaxien im
nigen Sekunden würde es endgültig Auftrag von Mächtigen oder Rittern
vorbei sein. der Tiefe als Kundschafter tätig gewe­
sen war.
* Die sich der Sache der Ordnung ver­
schrieben hatte.
Das Feuer der Geschützmündungen Der Sache des Guten.
erlosch. Die fünfdimensionalen Felder Wieso sprach der Insektoide so unbe­
brachen in sich zusammen. teiligt? War es möglich, dass er nicht die
54 UWE ANTON

Wahrheit sagte, zumindest nicht die ers halten oder vielleicht gar nicht
ganze Wahrheit? Dass er den Nano-Ko­ bemerken. Sieht es nicht ganz so aus,
lonnen bewusst befohlen hatte, durch als habe hier irgendeine Fehlschaltung
Sabotage ihrer Lebenserhaltungssyste­ die Katastrophe ausgelöst? Oder sogar
me die Cyborgs zu töten? die Cyborgs selbst? Was wissen wir
Wenn, hätte er in Notwehr gehandelt, schon über sie? Vielleicht waren sie ih­
dachte Savoire. Er hat sein und mein rer Existenz ja schon seit Langem über­
Leben gerettet. drüssig?«
Dabei wollte er es bewenden lassen. Savoire schluckte. Isokrain schien
»Was nun?«, fragte er. sich verändert zu haben; solch einen
Zynismus war er von dem Avatar nicht
* gewohnt.
Vielleicht versuchte er auch nur,
»Ich glaube nicht, dass von dem Ge­ Schuldgefühle zu überspielen.
fecht und dem Tod der T-Prognostiker
bereits eine Meldung an den Portivab­ *
schnitt hinausgegangen ist«, sagte
Isokrain. »Zu abgeschottet haben sich »Überwachungsgeräte?«
die Prognostiker bisher verhalten, zu »Ich habe keine bemerkt und meine
viel Geheimniskrämerei betrieben. Nein, Nano-Kolonnen auch nicht. Ich habe
draußen in den Forts weiß man wahr­ sie eigens danach suchen lassen.«
scheinlich nichts von dem Gefecht.« »Wir dürfen auf keinen Fall weitere
»Bist du dir sicher?« Spuren hinterlassen.«
»Ich kann es überprüfen.« Der Kos­ »Du hast selbstverständlich recht.
mitter erstarrte. Egal was geschieht, wir dürfen die Kör­
Savoire atmete tief durch. pergehäuse der Cyborgs nicht öffnen.
Natürlich, Isokrain schleuste weitere Außerdem würde es zu lange dauern,
Nano-Kolonnen aus, unterzog die die Hüllen der Cyborgs zu manipulie­
Schaltstellen einer genauen Untersu­ ren und sie dann zu untersuchen. Der
chung! interne Aufbau ist zu komplex für mei­
»Ich habe keinerlei Hinweise darauf ne Nano-Kolonnen, als dass sie zu
gefunden, dass irgendeine Meldung ge­ schnellen Ergebnissen kommen kön­
macht wurde«, sagte der Kosmitter nen, und ich kann das Risiko einer voll­
kurz darauf. ständigen Zerstörung oder eines Alarms
»Angenommen, die Ganschkaren nicht in ausreichendem Maß ausschlie­
werden irgendwann misstrauisch, öff­ ßen. Obwohl es mich natürlich bren­
nen die Unterkunft ...« nend interessieren würde, wie es in ih­
»Was finden sie dann hier vor? Un­ rem Inneren aussieht. Ich sammle die
versehrte Schotten, eine hermetisch Nano-Kolonnen wieder ein, und dann
abgeriegelte Sektion, die nicht beschä­ verschwinden wir.«
digt ist. Anzeichen eines Feuergefechts, Der Kosmitter verharrte kurz, rich­
in dem jedoch ausschließlich automa­ tete dann die Fühler auf. »Eine meiner
tische Geschütze gefeuert haben ... und Nano-Kolonnen hat den Fund eines
die Leichen zweier Cyborgs, die keine Speicherkristalls in einem Außenfach
äußeren Anzeichen von Gewalt aufwei­ eines der Cyborgs gemeldet.«
sen. Die winzigen Beschädigungen ih­ Savoire sah den Insk-Karew an. »Ist
rer Hülle wird man für Folgen des Feu­ das Risiko tragbar?«
Die Prognostiker 55

»Ja, das ist es.« Isokrain prüfte den ihn aus. Ein energetisches Fesselfeld
Verschluss des Fachs. »Keine Siche­ schränkte ihn in seiner Bewegungsfrei­
rungen anzumessen. Es scheint sich um heit stark ein, zudem hatte man ihm
ein ganz gewöhnliches Fach zur Aufbe­ mechanische Handfesseln angelegt.
wahrung verschiedener Dinge zu han­ Er fragte sich, worauf er sich einge­
deln. Der Magnetverschluss ist nicht lassen hatte. Er und zuvor Tark Kluf.
einmal kodiert.« Wenn tatsächlich Savoire mitmischte,
Er öffnete die Klappe und entnahm zog er den TLD in ein Spiel, in dem der
dem Fach einen Speicherkristall. »Ich Geheimdienst nichts verloren hatte.
weiß nicht, warum der Cyborg ihn hier Langsam öffnete er die Augen.
verwahrt hat, aber wenn er ihn am Leib Er versuchte nicht, seinen Häschern
trägt, hat er vielleicht eine gewisse Be­ vorzuspielen, er würde noch schlafen,
deutung.« um sie dann überraschend anzugreifen;
»Vielleicht«, sagte Savoire. sie würden Geräte mitführen, mit de­
»Sei beruhigt, ich habe keine Spuren nen sie zweifelsfrei feststellen konnten,
hinterlassen. Aber nun müssen wir we­ ob er wach war oder nicht. Vielmehr
nigstens nicht mit ganz leeren Händen fürchtete er sich ein wenig vor dem,
verschwinden.« was er nun sehen würde.
»Nein, das müssen wir nicht.« Sa­ Ein schwaches Vibrieren unter sei­
voire atmete tief durch, als Isokrain nem Körper hatte ihn schon darauf
ihm die Hand reichte und er sie ergriff. vorbereitet. Man hatte ihn in einen
Dann teleportierte der Kosmitter. Gleiter gebracht, der, wie er nun sah,
über eine unwirtliche Landschaft flog.
Davon gab es auf dem »neuen« Ar­
9. kon III noch mehr als genug, während
Atarin auf der alten Kriegs- und Rüstungswelt
schon Jahrtausende vor ihrer Zerstö­
Das Miststück hat mich paralysiert!, rung kein natürlich entstandener Fleck
war sein erster Gedanke, als er wieder Oberfläche mehr vorhanden gewesen
zu sich kam. war.
Auf diese Schnepfe hätte er gern die Irgendwie kam die Gegend ihm be­
Hunde gehetzt! Zuerst brachte sie Tark kannt vor, auch wenn er davon über­
um, und dann ... zeugt war, noch nie hier gewesen zu
Er bedauerte, sie nicht angesprungen sein. Unter ihm dehnte sich eine ge­
zu haben, obwohl sie den Kombistrah­ waltige Steinwüste aus; hier hatte das
ler auf ihn gerichtet hatte. Arkonforming, das irgendwann ein­
Vielleicht hätte er ihr die Waffe ent­ mal den ganzen Planeten in eine Welt
winden können, vielleicht wäre ihm die verwandeln sollte, die – abgesehen von
Flucht gelungen, raus aus dem Garra­ der Größe – kaum von ihrem Vorgän­
bo, zu einem Gleiter auf der Plaza ... ger zu unterscheiden war, noch nicht
Hör auf!, mahnte er sich. Er machte gegriffen. Vor allem nach dem Hy­
sich etwas vor. Er hatte nicht die ge­ perimpedanz-Schock waren diese
ringste Chance gehabt, sie zu überwäl­ Umwandlungsprozesse stark verzögert
tigen. Beim geringsten Angriffsversuch worden.
hätte sie ihn gelähmt, wenn nicht sogar Unter dem Licht des großen, heißen
getötet. Zentralgestirns wirkten die Konturen
Aber es sah so oder so nicht gut für der Ebene und die Schatten, die einzel­
56 UWE ANTON

ne Gesteinsbrocken warfen, unnatür­ wolle sämtliche Karikin-Vorräte in die


lich hart und scharf. In einiger Entfer­ Hand bekommen? Er hatte von solch
nung konnte er eine riesige Grube mit einer Substanz noch nie gehört, aber
einem Durchmesser von mehreren Ki­ wurde hier vielleicht nach Karikin ge­
lometern erkennen; dahinter erhoben graben?
sich abrupt und schroff Ausläufer eines Am Rand der Grube hielt der Gleiter
Gebirges. an. Atarin schaute hinab, in tiefe Dun­
Atarin drehte den Kopf, so weit es kelheit, wie es ihm vorkam. Scheinwer­
ihm möglich war. fer erzeugten ein schwaches Licht, das
Er saß auf der Hinterbank des Perso­ aber nur den oberen Teil erhellte. Er
nengleiters, den Rücken gegen das hatte den Eindruck, in einen dunklen,
Polster gelehnt; vorn konnte er in dem bodenlosen Abgrund zu sehen, einen
schwachen Licht zwei weitere Passa­ Vorhof der Hölle.
giere erkennen. Eine kurz geschnittene Er spürte, wie das Fesselfeld plötz­
Glitzerfrisur verriet ihm, dass eine da­ lich erlosch, doch bevor er reagieren
von Sparks war; bei der anderen han­ konnte, packten ihn starke Hände und
delte es sich um einen Mann, den er zerrten ihn hoch. Es befanden sich
aber lediglich anhand des Hinterkopfs nicht nur zwei Entführer in dem Glei­
und der Frisur nicht identifizieren ter, sondern mindestens vier, wie er nun
konnte. sah; zwei Aufpasser hatten noch eine
Der Gleiter wurde langsamer und Reihe hinter ihm gesessen. Sparks ging
kreiste einmal über der Grube. Atarin nicht das geringste Risiko ein.
sah an ihrem Rand ein Kraftwerk, da­ Wortlos schoben sie ihn aus dem
vor Tausende von Containern und eini­ Gleiter. Er taumelte unsicher und wäre
ge offene Abfalldeponien. Hier wurden fast gestürzt, doch die Wächter hielten
offensichtlich industrielle Überreste ihn fest und zerrten ihn weiter, hin zu
der Entsorgung und Umwandlung in dem abgetragenen Teil des Gebirges,
Energie zugeführt. das den Bauarbeitern als Ladefläche
Plötzlich fiel ihm wieder ein, wieso diente. Es herrschte beträchtlicher Ver­
ihm dieser Anblick so bekannt vorge­ kehr; zahlreiche Menschen, aber auch
kommen war. Der TLD versuchte auf Fahrzeuge betraten oder verließen die
Arkon III mit seinen beschränkten Mit­ Tunnel, die er nun ausmachen konnte
teln, so viele Informationen wie mög­ und die in den Berg führten. Die Mi­
lich über relevante Vorgänge zu sam­ nenarbeiter ignorierten die Neuan­
meln, hielt aber auf alles ein Auge, was kömmlinge; sie hatten offensichtlich
als einigermaßen absonderlich und un­ auf die harte Tour gelernt, dass es am
gewöhnlich eingestuft werden konnte. besten war, sich nur um die eigenen An­
Und genau an diesem Ort hatten die gelegenheiten zu kümmern.
Arkoniden bei Minenarbeiten angeb­ Sparks und der Pilot blieben hinter
lich jene zweite Etset Secinda, jene ihm; die beiden Aufpasser führten ihn
Stadt der Sieben, mitsamt weitläufigen in einen schmalen Tunneleingang.
unterirdischen Gangsystemen entdeckt, Anfangs waren die Wände glatt, wie
von der gerüchteweise immer wieder zu mit dem Desintegrator in das Gestein
hören war. geschnitten, doch schon nach wenigen
Hing diese ganze undurchsichtige Metern wirkten sie wie von primitiven
Sache etwa damit zusammen? Was hat­ Werkzeugen gehauen.
te Sparks behauptet? Rutmer Vitkineff War das wirklich eine archäologische
Die Prognostiker 57

Entdeckung? Ein unterirdischer Gang, Falls er sich wirklich auf Arkon III
den die Ureinwohner des ursprüng­ aufhielt, was Atarin bezweifelte. Viel­
lichen Planeten Arkon III geschaffen mehr vermutete er ihn auf der Regie­
hatten? rungswelt.
Aber noch viel wichtiger war ... Was Aber das würde er ja bald herausfin-
sollte nun aus ihm werden? Arna und den. Falls die geheimnisvolle Frau
Oksa hatten seine Spur verloren, er war wirklich wusste, wo er zu finden war,
auf sich allein gestellt. Seine Aus­ was er ebenfalls bezweifelte.
sichten, diese Sache zu überleben, wa­ »Geh weiter!«, befahl Da’inta Sparks.
ren wirklich nicht sehr gut. Anderer­ Er gehorchte.
seits hatte Sparks gesagt, sie brauche Nach einigen Minuten führte sie ihn
ihn, also würde sie ihn jetzt nicht ein­ in einen kleinen, völlig leeren Raum. Er
fach so liquidieren. Das hätte sie wirk­ kniff die Augen zusammen. Etwas an
lich einfacher haben können ... der rechten Wand kam ihm merkwür­
Er wurde in seinem Gedankengang dig vor. Das Gestein, aus dem sie be­
grob unterbrochen, als die mit einem stand, kam ihm viel glatter vor als das
leichten Schutzanzug bekleidete Sparks der drei anderen, als wäre es ...
ihm eine Hand auf die Schulter legte. Unvermittelt wurde es völlig dunkel.
»Überzeugt dich das?«, fragte sie. Atarin hörte ein leises Knistern, dann
Er verstand nicht. »Was meinst du?« ein hohes Surren. Was wird hier ge­
Sie musterte ihn wieder mit diesem spielt?, dachte er mit aufkommender
nachdenklichen, leicht verwirrten Panik, dann spürte er einen heftigen
Blick. Stoß zwischen den Schulterblättern.
»Wohin bringt ihr mich, Sparks?«, Er taumelte vorwärts, und im nächs­
fragte er, als sie nicht antwortete. ten Augenblick erfasste ein brennender
»Zu Savoire, das habe ich dir bereits Schmerz seinen gesamten Körper.
gesagt.«
Atarin glaubte ihr plötzlich. *
Er war überrascht und beeindruckt.
Warum hätte sie solch einen Aufwand Ein Entzerrungsschmerz!, dachte er,
betreiben sollen, wenn es ihr nur darum während er in gleißende Helligkeit tau­
ging, ihn zu beseitigen? Das hätte sie melte. Das verdammte Weib hat mich
viel einfacher haben können; dazu hät­ durch einen Transmitter geschickt!
te sie ihn nicht hierher führen müssen. Man erwartete ihn bereits. Zwei Ar­
Er wusste nur wenig über die krimi­ koniden fingen ihn auf und hielten ihn
nellen Organisationen des Arkon-Sys­ fest. Seine Hände waren noch immer
tems, die es der Informationspolitik der gefesselt; ohne Hilfestellung wäre er
Regierung zufolge gar nicht gab, sein gestürzt. Sie drehten ihn um, sodass er
Tätigkeitsbereich war ein anderer, doch zu der Empfangsstation sah.
von diesem geheimnisvollen Unterwelt- Zwei weitere Personen traten aus
Führer hatte auch der letzte Tellerwä­ dem Transmitter, Sparks und – Atarin
scher in der Botschaft der Blues gehört. glaubte seinen Augen nicht zu trauen
Der Zyklop, wie man ihn nannte, ein – der Kellner, der ihn im Garrabo in die
mächtiges Mitglied der Sentenza, der Kellerräume geführt hatte. Dieser
arkonidischen »Mafia«, die angeblich Wicht, den er für einen beschränkten
über ausgezeichnete Verbindungen zu Handlanger gehalten hatte, was hatte
höchsten Regierungskreisen verfügte. der denn hier zu suchen?
58 UWE ANTON

Wortlos ergriffen sie ihn an den Ar­ Reste der Maske von seinem Gesicht,
men und führten ihn aus dem großen, und darunter kam ein anderes zum Vor­
hellen Saal in einen kleinen Neben­ schein, eins, das alles andere als normal
raum. Er war wie ein Besucherzimmer arkonoid war. Mund und Nase waren
eingerichtet, mit einem kleinen Tisch, verhältnismäßig klein, und darüber saß
einigen Sesseln und einem Servoauto­ in der hohen Stirn ein einziges, faust­
maten. großes Auge, in dem es orangegelb zu
Was hat das zu bedeuten?, fragte er flackern schien.
sich. Es wird immer undurchsichtiger ... So etwas hatte Atarin noch nie gese­
Die beiden Wachen drückten ihn in hen, bei keinem arkonidischen Koloni­
einen Sessel und verließen den Raum. alvolk.
Wieder wurde es dunkel. »Laurence Savoire«, stellte der Mann
Ein uralter Trick zur psychologischen sich vor, »Spezialist der USO vom Pla­
Verunsicherung. Sie wollen mich weich­ neten Diakat.«
kochen, werden mich stundenlang war­
ten lassen ... *
Das Licht flammte wieder auf.
Sparks und der Kellner standen vor Atarin schluckte. Die Sache wurde
ihm. Aus zusammengekniffenen Augen immer rätselhafter.
musterte er sie. »USO-Spezialist?«, echote er. »Was
»Ich möchte mit dir reden«, sagte der soll das? Was wird hier gespielt?«
Kellner. »Dir wird nichts geschehen. »Ich hätte mich nicht zu diesem
Wenn wir zu keiner Übereinkunft kom­ Schritt hinreißen lassen, wäre die Lage
men, werden wir dein Kurzzeit-Ge­ nicht so prekär«, sagte Savoire. »Doch
dächtnis löschen und dich unversehrt falls es Rutmer Vitkineff gelingen soll­
wieder in Mivado absetzen.« te, den Export von Karikin zu unter­
Nun verstand er gar nichts mehr. binden, werden wir gewaltige Schwie­
Fragend betrachtete er den Mann. rigkeiten bekommen.«
»Das ist Savoire.« »Warum sollte er das vorhaben?«,
Atarin lachte leise auf. fragte Atarin.
»Zeige es ihm«, fuhr Da’inta Sparks »Das wissen wir noch nicht. Die Da­
an den Kellner gewandt fort, »sonst ten unserer Aufklärung sind wider­
wird er uns niemals glauben.« sprüchlich. Uns genügt allerdings der
Der Mann legte die linke auf die Umstand, dass er genau das versucht.«
rechte Hand und zog daran. Es klickte; Atarin erhob sich aus dem Sessel. Zu
dann löste sich die rechte Hand, als seiner Überraschung gelang es ihm.
handele es sich bei ihr um das Glied­ Keine Fesselfelder, keine anderen Vor­
maß einer Puppe. Sie war künstlich. kehrungen. »Immer der Reihe nach. Ich
Darunter steckten kleine, verkümmerte verstehe so einiges nicht.«
Klauen. »Hat der TLD etwa seine Hausaufga­
Mit ihren scharfen Spitzen fuhr er ben nicht gemacht?«
sich über das Gesicht. Die Haut riss wie Er schluckte. Sparks hatte so etwas
von Skalpellen durchtrennt auf, doch Ähnliches zu ihm gesagt. »Es gibt kei­
kein Tropfen Blut quoll hervor. nen Rutmer Vitkineff, hat ihn nie gege­
Eine Bioplast-Maske!, dachte Ata­ ben, er ist eine Legende ...«
rin. »Es gibt ihn«, sagte Savoire nach­
Der vermeintliche Kellner zog die drücklich.
Die Prognostiker 59

»Dann ist Darasalaanaghinta Mitchu »Im Gegensatz zum TLD«, warf


seine rechte Hand.« Sparks ein.
Sparks lachte. »Gezielte Desinfor­ »Das ist doch verrückt«, sagte Ata­
mation, über Monate, sogar Jahre hin­ rin. »Das entbehrt jeglicher Logik. Was
weg. Wir versuchen damit, die anderen will die USO damit erreichen? Welche
kriminellen Organisationen des arko­ Widersprüchlichkeiten haben wir nicht
nidischen Imperiums zu verwirren. erkannt?«
Dass sogar der TLD diese Geschichte »Es hat keinen Sinn«, sagte Sparks.
glaubt, beweist, dass wir gute Arbeit »Löschen wir sein Gedächtnis und
geleistet haben.« schicken ihn zurück.«
»Oder dass der TLD seine Hausauf­ »Du weißt also nichts?«, fragte Sa­
gaben nicht gemacht hat und sich hin­ voire.
ters Licht führen ließ«, folgerte Atarin. »Was?«, fragte Atarin. »Was soll ich
Die Scham sickerte tief in ihn ein und wissen?«
breitete sich langsam in ihm aus. Er »Die Terminale Kolonne?«
hätte nie gedacht, dass sie ihn derma­ Verständnislos sah Atarin ihn an.
ßen beeinträchtigen, sein Denken läh­ »Was meinst du damit?«
men könnte, aber so war es. »Sie zerlegt Planeten, um sie in Pro-
Der Zyklop nickte nachdenklich. »So to-Kabinette für VULTAPHER umzu­
ist es. Aber die gesamte Lage ist auch für wandeln.«
die Spezialisten der USO undurchsich­ »Was redest du da?«
tig, wenn nicht sogar widersprüchlich, Laurence Savoire warf Sparks einen
genau wie die vorliegenden Daten.« fragenden Blick zu. Die Agentin zuckte
»Fangen wir von vorn an«, sagte Ata­ ratlos die Achseln und schüttelte den
rin. »Was ist dieses Karikin?« Kopf.
Und wer hat Tark Kluf umgebracht?, »Die Kabinettisierung. Deine Frau
dachte er. Aber dazu kommen wir später. war gerade auf Drorah, als die Termi­
»Und wieso ist es für Rutmer Vitki­ nale Kolonne die TRAITOR-Direktive
neff so gefährlich, dass er eine ganze verkündete.«
Karikin-Mine lahmlegen oder schlie­ »Meine Frau? Ich war niemals ver­
ßen will?«, fuhr er fort. »Und warum heiratet!«
spielt das Imperium bei der Vertu­ Savoire sah erneut Sparks an. »Was
schung dieser Sache mit?« hat das zu bedeuten?«
Savoire schüttelte den Kopf. »Wenn
wir das nur wüssten! Aber ohne Kari­
kin wird ESCHER nicht zustande kom­
men, und ohne ESCHER ist die Milch­
straße verloren.«
»Oh«, sagte Atarin. Er verstand kein
Wort. Wer oder was war ESCHER?
»Jetzt geht es nicht nur um Spionage
und Gegenspionage, jetzt geht es um
das Schicksal der Milchstraße?«
»Es gibt Widersprüchlichkeiten«, ge­
stand Savoire zum dritten Mal ein. »Wir
können sie noch nicht auflösen, aber
wir haben sie zumindest erkannt.«
60 UWE ANTON

»Ich weiß es nicht, und ich will es gar zuverlässigen USO-Dateien zufolge
nicht wissen«, sagte sie. »Er ist ver­ bist du selbst auch tot.«
rückt. Von ihm können wir keine Hilfe »Was?« Atarin verging das Lachen.
erwarten. Geben wir es auf und sehen »Was soll das? Ich glaube, du bist nicht
uns nach einem anderen TLD-Agenten mehr ganz bei Trost. Deshalb habt ihr
um, mit dem wir vielleicht reden kön­ mich auch entführt! Deshalb sitze ich
nen.« hier und spreche mit euch! Weil ich tot
»Bis dahin ist es zu spät!« bin. Ihr seid doch verrückt!«
»Aber mit diesem Vollidioten können »Bring ihn um«, warf Sparks ein.
wir nichts anfangen.« »Oder lösch sein Gedächtnis!«
Savoire sah ihn an. »Weißt du wirk­ »Wir wollen nichts überstürzen«,
lich nicht, was es mit Rutmer Vitkineff sagte Savoire.
auf sich hat?« »Was soll das heißen?«, fragte Atarin.
Atarin sah ihn fragend an. »Er ist ein »Was hat das alles zu bedeuten?«
Gerücht, eine Legende ...« »Wir durchschauen es selbst nicht in
»Er hat existiert. Er ist gestorben, allen Einzelheiten«, erklärte der Zy­
wiedererwacht und ein zweites Mal ge­ klop. »Unseren Unterlagen zufolge bist
storben.« du jedenfalls am 12. April 1345 NGZ in
»Bring ihn um«, sagte Sparks, »oder Terrania gestorben, in der Thora Road
lösch sein Gedächtnis und schicke ihn 2216. Das ist unser Problem, Warding
nach Gatas.« Atarin. Du bist seit zwei Jahren tot!«
Atarin hob beide Hände. »Augen­
blick mal«, sagte er. »Selbstverständ­
lich wird der TLD die USO unterstüt­ Epilog
zen. Aber ihr habt mir bislang noch Hangay
nicht erklären können, was der nicht 9. Oktober 1347 NGZ
existente Rutmer Vitkineff damit zu
tun hat. Gibt es ihn nun oder gibt es ihn Jetzt, da wieder Warten angesagt
nicht? Was wird hier gespielt?« war, machte Dr. Laurence Savoire die
»Du hast ihn selbst getötet«, sagte Anspannung wesentlich stärker zu
Savoire. »In dieser Hinsicht sind unse­ schaffen als zu der Zeit, da er aktiv in
re Berichte eindeutig. Und zwar am das Geschehen hatte eingreifen kön­
15. Juni 1346 NGZ, 16:51:24 Uhr Stan­ nen. Als er hautnah involviert gewesen
dardzeit.« war, hatte sie eine starke Belastung für
»Aber jetzt gibt es ihn erneut«, fügte ihn dargestellt, doch nun vermisste er
Sparks hinzu. sie fast.
Atarin sah sie entgeistert an. Quälende Gedanken waren an ihre
»Was?«, sagte er. »Ich soll Vitkineff Stelle getreten. Sollte nun, in letzter
getötet haben?« Er lachte heiser auf. Sekunde, am Tag des Transports des
»Eine Legende, die es gar nicht gibt? Portivabschnitts nach GLOIN TRAI­
Wieso weiß ich dann nichts davon?« TOR, noch etwas schiefgehen?
»Du warst es nicht allein«, sagte Sa­ Er fragte sich, ob das die Hölle war:
voire. »Du hast dich mit einigen ande­ Zur Untätigkeit verdammt in der Kon­
ren zusammengetan. Aber damit kom­ trollzentrale ESCHERS zu sitzen, nicht
men wir zum Kern unseres Problems. einmal mehr Hardware in mehr oder
Um diese Frage zu klären, haben wir weniger unbedeutenden Schaltknoten
dich eigentlich hierher geholt. Denn austauschen zu können, lediglich über
Die Prognostiker 61

die Holos das Geschehen verfolgen zu doch Ermittlungen aufgenommen hat­


müssen. ten, allerdings unter höchster Geheim­
Genau das, was er im letzten halben haltung? Dann würden sie hier im Ver­
Jahr viel zu oft getan hatte ... sorgertrakt nichts davon mitbekommen.
Der Alarm, mit dem er halbwegs ge­ Vielleicht würde nicht einmal ESCHER
rechnet hatte, blieb aus. Nichts deutete davon erfahren.
auf etwas hin, was den Anschein er­ T-Prognostiker sind alles andere als
weckte, in den zusammengekoppelten öffentliche Personen, und sie wirken
TRAICOON-Forts habe man einen aus einer stark zurückgezogenen Posi­
Mord oder gar Eindringlinge entdeckt. tion, erinnerte er sich an die Worte der
Es kam zu keinerlei Maßnahmen der Parapositronik.
Besatzung, die für einen solchen Vor­ »Ich mache mir ebenfalls Sorgen«, sagte
gang sprachen. Isokrain neben ihm, »doch uns bleibt
Haben wir noch einmal Glück ge­ nichts anderes übrig, als zu warten.«
habt?, fragte er sich. Können wir wirk­ »Zu warten«, echote der Erste Ky­
lich darauf hoffen, dass der Zwischen­ bernetiker. »Zu warten ...«
fall, der eigentlich unerklärliche Tod »Für ESCHER hat der Tod der Cy­
der T-Prognostiker, als Unfall gewertet borgs jedenfalls ungeahnte Konse­
worden ist? quenzen«, fuhr der Kosmitter fort. »Die
Dann würde er denselben Bestim­ Lage scheint sich normalisiert zu ha­
mungen zur Geheimhaltung unterlie­ ben, und die Parapositronik kann die
gen wie die Einsätze der T-Prognostiker endgültige Verankerung ihrer Befehls­
zu deren Lebzeiten. Geheimniskräme­ wege im Netzwerk des Portivabschnitts
rei hoch drei. einleiten.«
Aber was, wenn die Verantwortlichen Savoire nickte knapp. Es freute ihn,
62 UWE ANTON

etwas Positives über ESCHER zu hö­ »Ja«, sagte Savoire leise, noch immer
ren; andererseits war die Parapositro­ bemüht, seine Stimme unter Kontrolle
nik seit geraumer Zeit für ihn der Inbe­ zu bekommen. »ESCHER kann ein sehr,
griff all dessen, was ihn aufbrachte und sehr unauffälliger, aber auch sehr, sehr
verzweifeln ließ. ESCHER verdammte mächtiger Schädling sein!«
ihn zur Untätigkeit, ESCHER erweckte »Schädling?«, fragte Isokrain.
in ihm das Gefühl, hilflos und einer hö­ »So habe ich es nicht gemeint. Ver­
heren Instanz ausgeliefert zu sein. zeih mir bitte. Ich bin ... nicht ganz bei
Und gleichzeitig war ESCHER Kul­ mir. Die Anspannung der letzten Ta­
minationspunkt seiner Sehnsucht. In ge ... das Vibra-Psi ...«
der Parapositronik aufzugehen ... »Ich verstehe«, sagte der Kosmitter.
»Hörst du mir zu?«, riss Isokrain ihn Aber es klang irgendwie falsch. »Ich
aus seinen Gedanken. leide auch darunter.«
Der Erste Kybernetiker schreckte Um das Thema endgültig zu wech­
hoch. Einen Moment lang wusste er seln, stand Savoire auf und ging zu dem
nicht, wo er war. Terminal, in dessen Lesegerät er den
Und der Kosmitter ... er sah keinen Datenkristall geschoben hatte, den er
zweieinhalb Meter großen Insektoiden in der Unterkunft gestohlen hatte. Er
vor sich, sondern eine Gestalt aus harrte noch immer seiner Auslesung.
Staub, die unter der seitlich geschlitzten Die nicht so einfach gelingen würde.
Robe unablässig rieselte, ohne an Sub­ Weder Isokrain noch er waren mit ihren
stanz zu verlieren. Was sie aus dem Ge­ Mitteln dazu imstande, den benutzten
sicht verlor, sammelte sich wieder an Informationskode zu entschlüsseln. Und
der Robe, wurde von ihr aufgefangen ESCHER benötigte derzeit seine ge­
und zurückgeleitet, floss hoch und er­ samte Kapazität, um sich eine möglichst
setzte, was sich gelöst hatte. große Machtbasis im Portivabschnitt zu
Ich werde seine Leiche tragen, dach­ verschaffen. Deshalb sprach er zurzeit
te er. erneut nicht direkt zu ihnen.
Dann war der Spuk vorbei. Isokrain Nicht einmal seine Avatare Merlin
sah wieder aus wie eine riesige irdische Myhr und Pal Astuin materialisierten,
Fangschrecke mit einem Arm- und zwei um Isokrain und ihn über die neuesten
Beinpaaren. Entwicklungen auf dem Laufenden zu
Eine Vision, dachte Savoire. Und halten.
korrigierte sich sofort: Nein, ein Trug­ Einzig die Benennung des Kristalls
bild, hervorgerufen durch meine An­ war in TraiCom-Klartext gehalten: Die
spannung und Gereiztheit. Periodische Chronik des Latifalk-Acht-
»Ja, ich höre dir zu.« Seine Stimme Acht.
zitterte, und er hoffte, dass der Insk- Was immer das bedeuten sollte – Sa­
Karew es nicht bemerken würde. voire vermochte sich keinen Reim dar­
»Unbemerkt macht sich ESCHER auf zu machen.
nun, da der unbekannte Faktor weg­ Übergangslos bildete sich vor ihm
fällt, den halben Portivabschnitt 3h3h2 ein Holo. Zumindest ESCHERS Allge­
untertan«, fuhr der Kosmitter fort. mein-Positronik hatte nicht vergessen,
»Aus dem Verborgenen heraus. Ich dass sich im Versorgertrakt noch zwei
muss schon sagen, er demonstriert ein­ Normalsterbliche aufhielten, die auch
drucksvoll die Leistungsfähigkeit einer gern gewusst hätten, was außerhalb ih­
Parapositronik.« res Verstecks geschah.
Die Prognostiker 63

Die dreidimensionale Darstellung sich Fesselfelder von ungeheurer Kraft


zeigte eine Großaufnahme der Baustel­ bildeten und das vor Kurzem fertigge­
le und hob an ihrem Rand 15 Objekte stellte Objekt ergriffen.
in Falschfarben hervor. Dann wurde sie Werden wir Terraner so etwas jemals
von Vergrößerungen ersetzt, die rasch zustande bringen?, fragte sich Savoire.
wechselten, im Prinzip aber immer Wollen wir es überhaupt?
dasselbe zeigten. Der gewaltige Verbund begann mit
15 Kolonnen-Fähren glitten nahe dem geringen Werten zu beschleunigen. Die
Portivabschnitt in den Normalraum. Datenholos extrapolierten die Rich­
Beeindruckend, dachte Savoire wi­ tung der Bewegung und ermittelten als
der seinen Willen. Durchaus beeindru­ Ziel das absolute Zentrum der Galaxis
ckend. Hangay.
Die Fähren gaben ihre Verband-For­ Bis die Einheiten in den Hyperraum
mation auf und schwärmten aus, um­ wechseln konnten, würden einige Stun­
schlossen das Gebilde aus 24 gestapelt den vergehen.
montierten Kolonnen-Forts, nahmen es Dr. Savoire hoffte, dass ESCHER nun
in ihre Mitte. Datenholos leuchteten Zeit finden würde, sich mit der Perio­
auf, informierten die Betrachter, dass dischen Chronik zu befassen.

ENDE

Die Parapositronik ESCHER hat die Kernzone Hangay erreicht, um GLOIN TRAITOR
zu infiltrieren. Doch die T-Prognostiker erschweren den Erfolg sehr und zeigen ESCHER
seine Grenzen auf.
Im kommenden Roman erzählt der Autor Wim Vandemaan, wie sich ESCHER und
seine Helfer dem Ziel der Expedition nähern: dem Zentrum Hangays. PR 2481 er­
scheint nächste Woche überall im Zeitschriftenhandel unter dem Titel:

GÜNSTLINGE DES HYPERRAUMS

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
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76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 34. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
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mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. Februar 2009.
Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail: mail@Perry-Rhodan.net

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DIE »NEUE« JULES VERNE (I)
Während der GESETZ-Geber CHEOS-TAI, das Einsatzge­ der von den Metaläufer-Hyperzapfern gelieferten
schwader ARCHETIM sowie die JULES VERNE im Um­ Energie zwischenpuffern.
feld von Hangay aktiv werden, ist es an der Zeit, sich Parallel zu diesem Zapfvorgang erfolgt jener auf UHF-
einmal etwas genauer mit der »neuen« Version des und SHF-Ebene zur Versorgung der Trafitron-Wandler,
Hantelraumers zu beschäftigen. Immerhin unter­ auf die wir noch an anderer Stelle eingehen werden.
scheidet sich das jetzige Schiff beachtlich von jenem, Eine permanente Aufladung mit sehr geringer Ge­
das zur Operation Tempus in die Vergangenheit auf­ schwindigkeit aus dem natürlichen Psionischen Netz
brach. kann hier als Standard angesehen werden. Unter die­
Nach den diversen Umrüstungen und Ergänzungen, sen Bedingungen beansprucht die Komplettaufladung
die von den Metaläufern auf der Weißen Welt Evolux aber 5350 Tage oder 14,64 Jahre. Für eine beschleu­
vorgenommen wurden und wohl noch eine Weile Rät­ nigte Zapfung ist ein Riesenstern mit ausreichender
sel aufgeben werden, kam es auch durch die Terraner UHF- und SHF-Emission erforderlich.
selbst zu Umbauten und Nachrüstungen. Zuerst zu Als maximale Zapfleistung sind – umgerechnet in
jenen, die unter großem Zeitdruck auf der Posy-Poos- konventionelle Einheiten – rund 1 mal 1033 Joule pro
Service-Werft begonnen wurden, dann zu jenen, die Sekunde möglich. Für eine komplette Füllung der ins­
durch den PONTON-Tender ALPHA ZENTRA erfolgten. gesamt 144 Trafitron-Wandler mit insgesamt 300
Vormalige Prä-HI-Technik ist nun – sofern es keine Gramm Psi-Materie beträgt die Zapfzeit dann (trotz­
Modifikationen oder einen Austausch gegen neue und dem noch!) etwa 1283 Stunden oder 53,5 Tage. Bei
leistungsfähige Aggregate durch die Metaläufer kam geringerer Füllung geht es natürlich schneller: ein
– komplett beseitigt. Sämtliche Geräte und Maschi­ Gramm in 4,28 Stunden ...
nen funktionieren unter den Bedingungen der erhöh­ Anstelle der ausgebauten Grigoroff-Triebwerke wurden
ten Hyperimpedanz. Inzwischen gibt es dank der in die Modulschächte VRITRA-Kanonen eingelassen,
forcierten Forschung nicht zuletzt rings um HS-Ho­ inzwischen verkleinert und dank Howalkrit und Salkrit
walgonium, Howalkrit und Salkrit etliche positive Ent­ dennoch leistungsstärker. Bei einem Durchmesser
wicklungen. Von einem entscheidenden Durchbruch von 90 Metern und ebensolcher Höhe liegt die Kern­
kann zwar nicht gesprochen werden, doch auf vielen schussweite der insgesamt vier VRITRA-Kanonen bei
Gebieten ist längst die Entwicklung von Prototypen rund 1,8 Millionen Kilometern.
angelaufen, die längerfristig gesehen durchaus zu Im JV-Mittelteil bieten die nun leeren Hallen von Meiler­
Optimismus Anlass geben. 1 und -2 viel Platz – immerhin ist jede bei einem
Bei der Energieversorgung wird auf das bewährte Sys­ Durchmesser von 275 Metern 300 Meter hoch. Die
tem von Fusions- und Nugas-Schwarzschild-Reak­ tragende Deckstruktur wurde aufgrund der schweren
toren gesetzt, hinzu kommen die drei Hyperzapfer der Schäden nach dem letzten Kontextsprung in der Po­
Metaläufer, die fortan zweifellos als Primärerzeuger sy-Poos-Service-Werft vollständig ersetzt und durch
zum Einsatz kommen werden – immerhin liefern sie Halterungen und Fundamente ergänzt, die dem Ein­
bei permanenter Hyperzapfung eine Gesamtleistung bau von neuen Großaggregaten dienten. Die Pläne
von 9,13 mal 1018 Watt. Die Hyperzapfer haben sich sahen vor, an dieser Stelle »kräftig zu klotzen« – ent­
automatisch in die Steuerungsroutinen der JULES sprechendes Material für den Ausbau der Hallen im
VERNE eingebunden und können anstandslos von JV-Mittelteil war im Tender ALPHA ZENTRA eingelagert,
NEMO angesteuert werden. Die Energieübertragung denn der eigentliche Einbau der entsprechenden
an Endverbraucher erfolgt »drahtlos per Isolations- Großaggregate wurde mangels Zeit auf Luna noch
Hyperröhre«; es genügt hierzu, dass von NEMO das nicht vollendet.
»Ziel genannt« wird. Wie das genau funktioniert, ist In der unteren Halle befindet sich ein überdimensio­
allerdings ebenso wie das eigentliche Zapfprinzip un­ nierter Paratron-Konverter, in der oberen Halle der
bekannt. Prototyp eines Hawk III, der aber intern noch nicht als
Anstelle der ausgebauten Haupt- sowie Sekundär-Gra­ ausgereift, sondern als eine Art »technologischer
vitrafs wurden bereits im Solsystem Sphärotraf-Spei­ Hoffnungsträger« gehandelt wird.
cher in der VERNE verbaut. Sie sollen fortan das Gros Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,
viele erfreuliche Nachrichten tummeln sich auf Oberfläche durchzieht und der in ferner Vergangenheit
meinem Bildschirm. eine intelligente Symbiose mit den Ur-Marsianern ein­
PERRY RHODAN-Action geht in die dritte Staffel. Ein ging. Und sie finden Hinweise auf die Herkunft der
paar Appetithäppchen zum neuen »Wega-Zyklus« Menschheit ...
gibt es auf der rechten Textspalte, eine Leseprobe von
Autoren-Geburtstage im März
Band 25 findet ihr in der Heftmitte.
PERRY RHODAN-Action gibt es auch bald als Taschen­ 21. März: Horst Hoffmann (59)
buch. Im März 2009 wird der Demetria-Zyklus (die
PR-Action: Wega-Zyklus
Hefte 1 bis 12) in drei Taschenbüchern veröffentlicht.
Publiziert werden sie von Moewig, mittlerweile ein Am 6. März 2009 erscheint Band 25 unter dem Titel
Tochterverlag der Edel-Gruppe. Alle drei Taschenbü­ »Mutantensterben«, verfasst von Michael Marcus
cher kommen auf einmal auf den Markt; sie kosten Thurner. Das Titelbild steuert Arndt Drechsler bei.
jeweils 7,95 Euro. Der Roman spielt größtenteils auf der Erde, die Hand­
Band 1 mit dem Titel »Trafalgars Killer« trägt die ISBN lung ist im Jahr 2169 christlicher Zeitrechnung ange­
978-3-86803-385-4. Band 2 kommt unter dem Titel siedelt. Neben Perry Rhodan selbst spielen einige
»Regenten der Energie« und ist mit Hilfe der ISBN terranische Mutanten eine wichtige Rolle; man kann
978-3-86803-386-1 zu bestellen. Der abschließende aber jetzt schon verraten, dass auch Ferronen auftau­
Band 3 wird unter dem Titel »Die Robotgarde« und mit chen werden. Kein Wunder, denn die dritte Staffel wird
der ISBN 978-3-86803-387-8 veröffentlicht. unter dem Namen Wega-Zyklus veröffentlicht.
Mit der jeweiligen ISBN können die Taschenbücher Die Ferronen sind die humanoiden Bewohner des Pla­
überall im Buchhandel bestellt werden, aber auch neten Ferrol, der die Sonne Wega umkreist – seit den
über Versender wie amazon.de, transgalaxis.de oder frühen Tagen der Dritten Macht gehören sie zu den
direkt beim PERRY RHODAN-Shop im Internet. ältesten Freunden der Terraner.
Das Wega-System ist im weiteren Verlauf des Zyklus
Neues gibt es auch vom Mars zu berichten. Wenn das einer der wichtigsten Schauplätze der zwölf Romane;
Stichwort »Roter Planet« fällt, denkt ihr zu Recht so­ die Weinberge der Welt Ferrol spielen dabei ebenso
fort an den Spezialisten schlechthin, nämlich H. G. eine Rolle wie eine seltsame Raumstation mit töd­
Ewers. Mit Romanen wie »Die Festung der Marsianer« lichen Geheimnissen. Und neben den Ferronen und
sowie seinem unsterblichen Duo Tatcher a Hainu, ein diversen Mutanten geben sich darüber hinaus be­
Marsianer der A-Klasse, und dessen Einsatzpartner kannte Fremdwesen des Perryversums sowie ein
Dalaimoc Rorvic, ein Halbcyno, schrieb der Autor sich fremdartiges Alien ein Stelldichein ...
in die Herzen aller PERRY RHODAN-Leser. Übrigens, auf der LKS der nächsten Woche findet ihr
Inzwischen genießt H. G. Ewers längst seinen Ruhe­ ein paar Zeilen von Exposéautor Christian Montillon zu
stand, hat sich aber noch lange nicht zur Ruhe ge­ diesem 25. Roman von PR-A.
setzt. Der Mars steht weiterhin im Mittelpunkt seines
Feedback
Schaffens. Auf der Homepage der Marssociety veröf­
fentlicht der Autor einen Roman. Den Anfang des Tomas Kaube, tomas.kaube@googlemail.com
neunten Kapitels findet ihr am Schluss dieser LKS. Schon seit längerer Zeit hatte ich vor, diesen Leser­
Den kompletten bisherigen Roman findet ihr auf www. brief zu schreiben. Allerdings wusste ich, dass er recht
marssociety.de. Das Thema: umfangreich würde. Im Weihnachtsurlaub habe ich
Im Jahr 2018 schickt die Menschheit ihre erste be­ dafür endlich die Zeit gefunden.
mannte Expedition zum Mars. Der Asteroid Thors An erster Stelle möchte ich euch ein ganz großes Lob
Hammer droht die gesamte Erdbevölkerung zu ver­ für die aktuelle Handlung aussprechen. Für mich ist
nichten. Durch die Installation eines menschlichen es das Beste, was ihr je gemacht habt. Da kann auch
Genpools auf dem Mars soll die Menschheit eine Über­ der viel gepriesene MdI-Zyklus nicht mithalten.
lebenschance erhalten. Auf dem Roten Planeten ent­ Aber irgendwann wird auch dieser Großzyklus vorbei
decken die zehn Marsionauten intelligentes Leben – sein, und der nächste Handlungsschauplatz liegt be­
einen Pilz, dessen Myzel die Feuchtgebiete unter der kanntlich in der Ferne des Stardust-Systems.
Was wird aber in der Milchstraße passieren? Wird sie nachtszeit; ich gehe davon aus, dass das nicht beab­
im neuen Zyklus völlig außer Acht gelassen? sichtigt war, oder?
Leider musste wieder ein gut eingeführter Handlungs­
Stardust wird eine Handlungsebene sein. Was weiter träger am Ende ins Gras beißen. Schade. Mit seinen
geschieht und mit welcher Intensität wir uns um die Macken wurde mir Pan Greystat beim Lesen immer
Menschheit in der Milchstraße und die anderen Völker sympathischer. Die Paddler haben mir bereits beim
dort kümmern, da lass dich überraschen. ersten Auftritt in Band 250 gefallen. Die Begrüßung
der Terraner auf KA-preiswert mit der Dixieland-Band
Heiner Wittenberg, Heiner.Wittenberg@web.de war schon klasse.
Das dritte Mal bekommst du jetzt Post von mir. Die Pan Greystat beziehungsweise sein Schöpfer M. M.
ersten beiden Male hast du mir nett und ausführlich Thurner schaffte es, auch bei Ekatus Atimoss unbe­
geantwortet. Das erste Mal war es noch auf dem Post­ kannte Emotionen herauszukitzeln. Beide zusammen
weg per Brief. wären sicherlich ein interessantes Team geworden. Es
Leser bin ich seit Band Nummer 610 der Erstauflage sollte leider nicht sein. Als der kleine Metaläufer starb,
mit einer zirka zweijährigen Pause. Meinen Wiederein­ fühlte ich mit beiden und wünschte dem Dual die Trä­
stieg damals vergesse ich nie. Ich hatte einfach so bei nen, über die er leider nur nachdachte.
»meinem« Kiosk Halt gemacht und mir aus Interesse Ekatus Atimoss gefällt mir übrigens von Mal zu Mal
das aktuelle PR-Heft gegriffen. Der Schock war groß. mehr. Er entdeckt immer mehr Seiten und Emotionen
Gerade in diesem Heft wurde das Ableben meines da­ in sich, die ihn immer sympathischer werden lassen.
mals beliebtesten Autors, Willi Voltz, bekanntgegeben. Aber bitte vermenschlicht ihn im weiteren Verlauf sei­
Ausgerechnet in diesem Heft! Ich werde ihn nie ver­ ner Auftritte nicht. Das hat er nicht verdient.
gessen. Seine Geschichten haben mich zu dem Men­ Dem ganzen Autorenteam wünsche ich weiterhin viel
schen gemacht, der ich heute bin. Erfolg und Spaß beim Schreiben und bin gespannt auf
Die heutigen Autoren treffen aber auch meinen Ge­ das, was es uns im Jubiläumsband 2500 beschert.
schmack. Danke euch allen!
Ein Leserbrief von Manfred Herbst auf der LKS von Die fliegenden Weihnachtsbäume auf den Titelbildern
Band 2470 regt mich zu dieser Mail an. Ihm ist aufge­ waren beabsichtigt. In den Romanen kommt das
fallen, dass sehr wenige Antworten, Reflexionen, auf Weihnachtsfeeling ja nicht so rüber, denn die wurden
Leserbriefe veröffentlicht werden. Du schreibst rich­ ein Vierteljahr vorher geschrieben. Grins, vielleicht
tig, dass die Vorlaufszeit von zirka acht Wochen dieses klappt es ja in den Bänden, die an Fasching erschei­
erschwert. Für eine schnellere Kommunikation eig­ nen.
nen sich heute Internet-Foren und Mails direkt an den Bei Ekatus Atimoss passen wir auf.
jeweiligen Leserbriefschreiber besser. Wer sich jedoch
nicht in den Foren umsieht wie ich, ist von dieser Kom­ Detlef Kramczynski, uvun@stud.uni-karlsruhe.de
munikation ausgeschlossen. Den Langzeitplan der Expokraten habe ich voll durch­
Vielleicht kann man an diesem Thema arbeiten. Mich schaut. Aber was ist ein Langzeitplan? Wenn (schein­
interessiert oft, was andere Leser zu einem bestimm­ bare?) Probleme auftauchen, für deren Lösung schon
ten Brief oder einer Mail meinen. Zu wichtigen Themen lange vorgesorgt wurde.
startest du ja manchmal Umfragen. Es gibt vier zentrale Motive, die derzeit die PERRY
Ansonsten macht weiter so, die Handlung ist mal wie­ RHODAN-Serie dominieren.
der sehr interessant. 1. Perry Rhodan und die Menschheit gegen alle
Schwierigkeiten und Bösewichte. Dieses Motiv ent­
Ich gebe deine Anregung hiermit an unsere Lese­ stand mit der Geburt der Serie (zwei Ausnahmen,
rinnen und Leser weiter. Dank E-Mail ist die Postzu­ wo diese Regel gelockert wurde: Carsualscher Bund
stellung um ein Vielfaches leichter und schneller ge­ + Imperium Dabrifa + ZGU und die Aphiliker).
worden. Den Produktionsvorlauf können wir allerdings 2. Extragalaktische Invasion. Seit Band 1800 wird die
nicht abschaffen. Es wird also immer ein paar Wochen Milchstraße/Menschheit regelmäßig überfallen.
dauern, bis die Antworten zu abgedruckten Leserbrie­ Zuerst die Tolkander, dann die AGLAZARE, dann die
fen auf der LKS stehen. Kybb-Titanen und jetzt Traitanks.
3. Der Endgegner, der »Capo di tutti capi«. Es gibt
Peter Büttner, peter.buettner@germanynet.de einen einzigen Oberbösewicht, dem die ganze Mi­
Gerade habe ich Band 2466 zu Ende gebracht. Vor mir sere eines Zyklus angelastet werden kann: Sha­
liegen unter anderem noch die beiden Hefte mit den bazza, MATERIA, SEELENQUELL, THOREGON, Gon-
Weihnachtsbaumschiffen. Eine nette Idee zur Weih­ Orbhon und jetzt Xrayn.
4. Die Gigantomanie. In jedem Zyklus ist der Gegner len des Universums anlockt und das Solsystem und
anfangs unbesiegbar. Ungefähr mit Heft 20 bis 30 die Milchstraße daher in den Brennpunkt des Gesche­
wird eine Technologie entwickelt, mit der man ihm hens rücken.
Paroli bieten kann. Und ab Heft 50 wird er reihen­ Die Punkte 2 bis 4 deiner Zeilen ergeben sich daraus.
weise abgeschossen. Punkt 1 ist serienimmanent. Wer das Universum er­
Damit ist der militärische Aspekt des Zyklus geklärt, ben will, muss da durch.
und die Aktivatorträger können sich dem Sense of Dein Vorschlag bezüglich der Nachfolgezyklen ist
Wonder widmen. schlüssig. Es würde sich also durchaus anbieten, so
Und aktuell? TRAITOR ist ein Gegner, der nicht mehr was zu machen. Allerdings gebe ich zu bedenken,
überboten werden kann. Was sollte schon danach dass die Menschheit und die Galaktiker ja vorwärts­
kommen? Ein Chaotender mit Nekrophore? Xrayn kommen sollen und wollen – und das ganz im Sinn der
persönlich? einst von ES aufgezeigten Ziele. Terraner gegen Galak­
Kommen wir zurück zum Anfang meines Briefes. Ich tiker wäre dann doch eher ein Rückschritt für die
glaube, ihr habt diese literarische Sackgasse bewusst Menschheit.
erzeugt, um sie nachher wieder auflösen zu können.
Takeouts
Und wenn das Maximum an Vorhersehbarkeit erreicht
ist, wechselt ihr die Richtung. Martin Korsch, MKorsch@gmx.de
Wie könnte so ein Richtungswechsel aussehen? Wenn ich euch schreibe, habe ich wie immer Unge­
Zyklus Band 2500 bis 2599. wöhnliches.
Handlungsebene 1: Friede, Freude, Eierkuchen. Alle in PR 2465, Seite 14: »Größe knapp über zwei Meter,
der Milchstraße haben sich lieb. Keine Kriege, keine entnahm sie den Anzeigen ihrer Mikropositronik.«
Invasoren, keine abgefahrenen Waffensysteme. Als Na, das ist doch mal eine präzise, mikropositronische
Handlung ein paar Siedler- und Agentenromane. Ansage. Mich hätte die wirkliche Größe in dieser Situ­
Handlungsebene 2: Es gibt Ärger im Stardust-System, ation mehr interessiert.
alle Aktivatorträger müssen hin. Gewalt, Liebe, Intri­ PR 2468, Seite 59: »... und ließ sie darauf basieren-
gen, Betrug, das volle Programm. Weil in der Milchstra­ de Berechnungen und Extrapolarisationen vorneh­
ße alles friedlich ist, haben die Aktivatorträger kein men ...«
Problem damit, mal kurz auszuhelfen. Man wollte gar nicht glauben, wie viel freiwillige und
Zyklus Band 2600 bis 2699. unfreiwillige Komik manchmal in den Romanen
Das Aushelfen hat doch etwas länger gedauert, viel­ steckt. Besonders die extra Portion Polarisationen. Da
leicht 200 Jahre. In der Zwischenzeit hat mit dem werden sich die Filter aber gefreut haben.
Frieden die Dekadenz bei den Terranern eingesetzt.
Mit der Dekadenz der Dünkel. Mit dem Dünkel Rassis­ ASYLWELT ROTER PLANET
mus und Nationalismus. Die LFT wurde in »Terra­ Science-Fiction-Roman in Fortsetzungen
nisches Imperium« umbenannt und hat einen Krieg von H. G. EWERS
gegen alle anderen Milchstraßenvölker vom Zaun ge­ Kapitel 9
brochen. SPHÄRENKLÄNGE IM ALL
Wer hat die Milchstraße immer wieder gerettet? Die Sie suchen die Festung der Eroberer –
Terraner. Wer sollte sie regieren? Die Terraner. und treffen auf die Kosmische Kathedrale und den
Die Aktivatorträger kommen zurück und müssen das Partisan
wieder geradebiegen.
Damit wären drei Grundsätze der Serie auf den Kopf Die für uns heutige Menschen nur in unserer Fanta­
gestellt: sie sichtbare Vorzeit hält ein Geheimnis aus unend­
1. Die Invasoren wären diesmal die Guten, die Terra­ lich tiefer Vergangenheit verborgen – das sich nur
ner die Bösen. denen erschließt, die das unheimliche Fremdartige
2. Perry Rhodan kämpft gegen die Menschheit. und erschreckend Verwandte nicht fürchten und ihr
3. Es gibt keinen zentralen Schuldigen, den man zur Herz so fest in beide Hände nehmen, dass die Erbar­
Strecke bringen kann, um den Zyklus mit einem mungslosigkeit des Universums es nicht verzagen
Happy End enden zu lassen. lässt ...

Wir haben von Anfang an gesagt, dass der Hase im Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
Jahrtausend der Kriege genau so oder ähnlich läuft. Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Und wir haben ab Band 2000 geschrieben, dass das Versuch ich wohl euch diesmal fest zu halten?
6D-Juwel Sol höhere Mächte aus allen möglichen Tei­ Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
Ihr drängt euch zu! Nun gut, so mögt ihr walten, sapiens nennt, der Herrschaft über die Völker der Erde
wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; bemächtigt hatte und in blinder Machtgier und rassis­
mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert tischem Dünkel nach einer Beherrschung des Weltalls
vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert. strebte statt nach einer friedlichen wissenschaft­
Goethe, Faust I: »Zueignung« lichen Erforschung.
Zwar regte sich in den kontrollierten, unterdrückten
* und systematisch verdummten Völkern der Erde Auf­
begehren und Widerstand, weil das in allen Menschen
Planet Mars, vierter Planet der Sonne Sol, auf einer nur schlummernde Gute mehr und mehr erwachte, in
schwach elliptischen Umlaufbahn um sein Mutterge­ einem Prozess, der von Verzweiflung über die eigene
stirn, zu einer Zeit, in der es weder Menschen noch Machtlosigkeit und vom Zorn über die Vorherrschaft
Marsianer gibt und die zirka drei Milliarden Jahre vor einer vom Kapitalfaschismus beherrschten Ober­
unserem 21. Jahrhundert existiert ... schicht ausgelöst worden war, doch wurden diese
... und an einem Ort, an dem zehn Astronauten von der positiven Bestrebungen wie eh und je mittels fast ab­
Erde des 21. Jahrhunderts in ihren beiden Mars-Ro­ soluter Kontrolle und Gewalt und auch durch Folter
vern durch Höhen und Tiefen von Raum und Zeit ge­ und Mord unterdrückt. Ein Irrweg, wie leider schon zu
schleudert wurden, um hier nach etwas zu suchen, oft in der Geschichte der aufrecht gehenden Affen –
das ihnen dabei helfen soll, die Menschheit des und wie so oft würde er in eine Katastrophe münden,
21. Jahrhunderts von einem verhängnisvollen Irrweg in eine atomare Katastrophe, die – wenn man es zy­
abzubringen. nisch sagen will – den Irrweg einer Fehlentwicklung
Dem Irrweg, den sie auf der Erde schon oft beschritten beendete.
hatte: unter anderem, als sie den Indianern des nord­ An diesem Punkt der Eskalation erwachte auf dem
amerikanischen Kontinents ihr Land raubte und sie Mars das Relikt einer uralten Macht aus ihrem Halb­
demütigte und durch einen ungezügelten, von Raff­ schlaf und erteilte den zehn dort forschenden Astro­
gier ausgelösten Genozid dezimierte. nauten den Auftrag, alles zur Rettung von Marskind,
Alle Menschen werden Brüder – und Mensch ist nur der naiv-intelligenten Lebensform und zur Bewahrung
ein anderes Wort für intelligente Lebewesen jeglicher seiner Besitzrechte über den vierten Planeten zu tun
Art und jeglichen Aussehens ... und die Katastrophe von der irdischen Menschheit
Auf dem Mars war die irdische Menschheit dabei, die abzuwenden. Diese Macht versetzte sie über den Um­
Erbsünde von Kain und Abel zu wiederholen und das weg durch Raum und Zeit in die Lage, Hilfe zu suchen
intelligente Leben, dem der vierte Planet gehörte, zu bei etwas, das seit Äonen tief unter dem späteren
entrechten und auszulöschen, weil sich eine gewis­ Standort des Marsgesichts schlummerte.
senlose egozentrische Schicht ihrer Gattung, der Gat­ Bei der Festung der Eroberer ...
tung, die sich in anmaßender Überheblichkeit Homo
Zu den Sternen! • Euer Arndt Ellmer • VPM • Postfach 2352 • 76413 Rastatt • mail@Perry-Rhodan.net

Diese Woche in der 5. Auflage: PERRY RHODAN, Heft 1378/1379,


mit den Titeln:
Band 1378 – Peter Griese
Geheimniswelt Cheobad
Der Terraner in der Rolle eines anderen – er erkundet die Station der Materiewippe
Band 1379 – Arndt Ellmer
Zielstern Anklam
Die Begegnung mit einem Boten – Atlans Flotte im sterbenden Universum

Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der E-Book-Ausgabe des Romans.


Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen oder nur ausschnittsweise zu übernehmen.
E-Mail- und Post-Adressen werden, wenn nicht ausdrücklich vom Leser anders gewünscht, mit dem Brief
veröffentlicht.
Isokrain Kosmitter
Isokrain entstammt dem Volk der Insk-Karew und Eine Bruderschaft, die vor mehreren Millionen Jahren
gehörte vor etwa zwei Millionen Jahren zum Bruder­ in vielen Galaxien im Auftrag von Mächtigen oder Rit­
stand der Kosmitter. Körperlich erinnert er an eine tern der Tiefe als Kundschafter tätig war. Inwiefern
irdische Fangschrecke, wenn auch mit einer Größe außer Isokrain noch weitere Vertreter dieser Organisa­
von 2,50 Metern; er verfügt über ein Armpaar und tion am Leben und tätig sind, ist unbekannt.
zwei Beinpaare. Die Arme haben Scheren wie beim
Krebs und zusätzlich einige kleine Pseudofinger­ Meg
chen. Das hintere Beinpaar ist nach hinten gedreht Das in der Milchstraße gebräuchliche Maß der Hyper­
und riesig, und wenn es sein muss, kann er damit sturmstärke. 250 Meg entsprechen hierbei der stärks­
große Sprünge machen. Isokrain trägt eine Robe, die ten bekannten Manifestation, einem verwüstenden
seitlich geschlitzt ist, damit das hintere Beinpaar Hyperorkan der Kategorie zwölf. Hierbei gelten Hyper­
Bewegungsfreiheit hat. Das vordere Beinpaar dient funk und -ortung als unmöglich, Unterlichttriebwerke
vor allem als Stütze und ist größtenteils von der Ro­ funktionieren praktisch nicht mehr, an die Verwen­
be bedeckt. dung von Überlichttriebwerken ist gar nicht erst zu
Die Insk-Karew haben ein Lungenatmungssystem denken (bei bereits erfolgtem Eintritt in Linear- oder
(mit Blutfluss) entwickelt, verfügen aber noch über Hyperraum erfolgt der Rücksturz ins Standarduniver­
rudimentäre Ur-Tracheen, in denen sie auch Sauerstoff sum). Beim Aufenthalt im Standarduniversum bieten
speichern können, und Vormägen. Ihre bevorzugte durch Individualaufladung verstärkte Paratron-
Nahrung ist Blütenstaub, der natürlich auch künstlich Schirme nur bedingt Schutz bei 90 Prozent Belastung.
hergestellt werden kann. Es liegen extrem starke Störungen im Bereich der kon­
Isokrains ehemaliges Raumschiff trug den Eigenna­ ventionellen Physik vor, darunter enorme EMP, mas­
men EBENE VON ERRANTERNOHRE VII. sive Raum-Zeit-Verzerrungen (bis zehn Lichtjahre
Durchmesser), willkürliche extrem großräumige Ent­
Isokrain und der Weltweise stofflichungseffekte (bis zehn Lichtjahre Durchmes­
Isokrain geriet während eines Kundschafter-Ein­ ser), zudem sind Tryortan-Schlünde extrem häufig.
satzes in der Neganen Stadt in Haft. Durch die Sym­ Letztere erreichen einen Aufrissdurchmesser bis 250
biose mit dem Weltweisen von Azdun vermochte Millionen Kilometer bei Ausläuferlängen bis zu 25 Mil­
Isokrain bis in die Handlungsgegenwart zu überleben. liarden Kilometern; daher ist ein Sicherheitsabstand
Er ist ein Bestandteil des Weltweisen und existiert in von mindestens 100 Lichtjahren angeraten; wirk­
dessen Weltkugel; verfügt aber noch immer über eine samer Schutz erfordert Dakkar- oder Sextadimtechno­
eigene Persönlichkeit. Isokrains Körper kann durch logie.
die Macht des Weltweisen wieder stofflich werden und
in Form eines Avatars in Aktion treten. Dieser Aktions­ Nano-Brüter
körper entspricht völlig dem früheren Körper Iso­ Isokrain ist ein »Nano-Brüter«, wobei nicht klar ist, ob
krains und weist alle Eigenschaften eines normalen es sich um eine paranormale oder natürliche Fähig­
materiellen Körpers auf, wurde aber vom Weltweisen keit handelt. Auch Isokrain selbst ist sich darüber
darüber hinaus verbessert. Er ist gegen Waffen wie nicht im Klaren: Sein Körper kann größere Mengen
Paralysatoren unempfindlich, und verfügt über Para­ von Nano-Kolonnen erzeugen, die sich zur Manipula­
gaben wie Teleportation und Suggestion. Zudem kann tion beliebiger Rechnersysteme oder Schaltanlagen
Isokrain auf eine zwischengeordnete Existenzebene eignen. Dazu benötigt er Grundstoffe in Form von Na-
wechseln, wobei er einem zufälligen Beobachter no-Breitband-Delikatessen, wie er selbst sie nennt.
höchstens als halb transparente, schimmernde Ge­ Über die in seinem Körper verbliebenen Nano-Ele­
stalt vorkommt, die überwies von keinerlei Überwa­ mente hält Isokrain bei Bedarf Kontakt zu den ausge­
chungseinrichtungen wahrgenommen werden kann. streuten Nano-Kolonnen und übermittelt diesen An­
Wie ein immaterieller Schemen also. weisungen oder empfängt Informationen.

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