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N e g a s p h ä r e B a n d 6 6

Nr. 2465

Hubert Haensel

Nach
der Stasis
Ihr Schlaf währte Äonen –
die neue Zeit nach der Mentalen Revision
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die
Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und
ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Exis­
tenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis
Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Na­
turgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensys­
tems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRA­
NOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zumindest zu stören.
Währenddessen halten sich die SOL, die RICHARD BURTON und ihr Raumschiffsgeschwader in der
Galaxis Hangay auf, um vor Ort gegen TRAITOR vorzugehen. Für Perry Rhodan und die Besatzung
der JULES VERNE, die unterwegs in Richtung Milchstraße sind, tauchen allerdings grundlegende
Probleme auf: Uralte Wesen erwachen infolge einer irrtümlichen Bitte um Hilfe, werfen die Terraner
aus dem GESETZ-Geber und beginnen ihr neues Leben und Wirken NACH DER STASIS ...
4 HUBERT HAENSEL

1. gelegenen Zwischenlager. Bis auf knapp


sechzig Kilometer waren sie diesem ers­
Ein goldfarbener Reflex huschte über ten Ziel schon nahe gekommen.
die Seitenwand des Korridors. Mondra Das weitere Vorgehen hing davon ab,
Diamond blieb abrupt stehen und hob was sie vorfinden würden. Vier Men­
den kurzläufigen Kombistrahler. schen und drei Laosoor – in der gigan­
Totenstille herrschte, als sei die Zeit tischen Weite des GESETZ-Gebers
in diesem TAI-Kubus angehalten wor­ CHEOS-TAI waren sie nicht mehr als
den. Vielleicht war an diesem Ort seit Mikroben, über deren Erfolgsaussichten
Hunderttausenden Jahren kein lebendes man besser nicht nachdachte. Aber den­
Wesen mehr gewesen. noch ...
Sie glaubte geradezu, die Nähe des Mondras Finger schlossen sich fester
gegnerischen Kampfroboters zu spüren. um den Strahler. Wenn ihr der Kampf
Das war eine zufällige Begegnung, mehr aufgezwungen wurde, würde sie ihn mit
nicht, aber dennoch aller Härte führen.
das Schlimmste, was Vielleicht sind wir
in den Stunden nach sieben die letzte Hoff­
dem Verschwinden Die Hauptpersonen des Romans: nung der Milchstraße
der JULES VERNE und der Lokalen Ga­
Inkh Selexon – Der Tibirian Melech erwacht
geschehen konnte. aus einer Jahrmillionen währenden Stasis. laxiengruppe.
Von ihren Beglei- Das war ein ver­
tern, die ihr mit weni- Mondra Diamond – Perry Rhodans Gefährtin rückter Gedanke. Vor
agiert nur noch mit einer kleinen Truppe an
gen Metern Abstand Bord von CHEOS-TAI.
allem, weil ihm ein
folgten, war ebenfalls Ausdruck von Grö­
kein Laut zu hören. Taffanaro – Der TAI-Servo aus dem Volk der ßenwahn und Über-
Lediglich indem sie Heromet dient den Herren von CHEOS­ heblichkeit anhafte­
TAI.
den rechten Ellenbo- te.
gen abspreizte, gab Trotzdem, sagte
Mondra den Gefähr­ sich die Terranerin,
ten ein Zeichen. war diese Feststellung
Kilometerweit führte der Korridor korrekt. CHEOS-TAI bot die bislang
völlig geradlinig durch den GESETZ- einzige Möglichkeit, in die Heimat zu­
Geber. Unmittelbar vor dem kleinen rückzukehren und in die Schlacht gegen
Stoßtrupp bildete er offenbar zum ers­ die entstehende Negasphäre einzugrei­
ten Mal eine Nische aus. Vielleicht gab fen. Aber die JULES VERNE und ihre
es sogar eine Einmündung. Mondra Besatzung waren wie ungebetenes Ge­
konnte den Bereich noch nicht einsehen, sindel aus dem Hangar des GESETZ-
weil sie zu nahe an der rechten Wand Gebers hinausgeworfen worden.
stand, und der Deck-Plan zeigte solche Und danach?
Details nicht. Mondra weigerte sich, das Geschehen
Aber der flüchtige Reflex auf der ge­ in letzter Konsequenz zu Ende zu den­
genüberliegenden Seite, davon war sie ken. Nur kurz dachte sie daran, ob die
überzeugt, konnte nur das vage Spiegel­ JULES VERNE wirklich noch existier­
bild eines der reptiloid geformten te. Vielleicht waren Perry Rhodan und
Kampfroboter gewesen sein. alle anderen an Bord des Hantelraum­
Ein Wachtposten? schiffs schon seit Stunden tot – keines­
Sie presste die Lippen aufeinander. wegs von Häschern der Terminalen Ko­
Bislang ohne nennenswerten Zwischen­ lonne TRAITOR vernichtet, sondern von
fall näherte ihr Trupp sich dem nächst­ einer Macht, die zu den Verbündeten im
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Kampf gegen die Mächte des Chaos ebenso erfolgreich gewesen wäre, im
zählte. Schutz der Unsichtbarkeit an dem Gol­
Zählen sollte. denen vorbeizukommen, vermochte
Wer solche Freunde hat, der braucht Mondra nicht zu sagen. Zuletzt hatten
keine Gegner mehr. die Deflektoren jedenfalls versagt. Sie
Diese Feststellung schmeckte galle­ bezweifelte nicht, dass der Gegner die
bitter. Für Mondra Diamond war sie ein Klaviatur des GESETZ-Gebers bald
Zwang, die Dinge noch kritischer zu virtuos spielen würde.
hinterfragen. Noch schien die Gegenseite nicht er­
Später, befahl sie sich dennoch. So­ kannt zu haben, dass ein versprengtes
bald das alles hinter uns liegt und wenn Grüppchen aus der JULES VERNE an
wir dann noch existieren. Wir Menschen Bord des goldfarbenen Gigantraumers
haben bislang nicht die technischen Mit­ zurückgeblieben war. CHEOS-TAI war
tel, um gegen den Strom anzukämpfen. groß wie ein Mond und bot unzählige
Wir können nur als Verbündete der Kos­ Verstecke. Aber es ging nicht darum,
mokraten überleben, und den entstehen­ sich zu verbergen und auf ein Wunder zu
den Schaden ... warten. Mondra musste die Befehlsge­
Ihre Überlegung brach ab. Vor ihr, we­ walt wiederherstellen. Erst danach
nig mehr als dreißig Meter entfernt, er­ konnte und wollte sie über das Schicksal
schienen soeben zwei Gestalten aus dem der JULES VERNE nachdenken.
Nichts, verschwanden ebenso gedan­ Pothawk materialisierte neben ihr
kenschnell wieder und materialisierten und drängte sich an ihre Seite. Mit bei­
weitere dreißig Meter tiefer in dem Kor­ den Ohrenhänden griff er zu ...
ridor. Mondra erkannte Commander ... und Mondra Diamond unterdrückte
Pothawk und Master-Sergeant Ardibi. gerade noch einen Aufschrei, als sie ge­
Eine Sekunde später stand da nur noch meinsam in der Einmündung des Seiten­
Ardibi. Er hob die Hand zum Zeichen, korridors materialisierten. Es war nur
dass alles in Ordnung sei, und als die eine schmale Abzweigung, die zudem
Terranerin sich daraufhin zu ihren Ge­ schon nach knapp hundert Metern blind
fährten umwandte, sah sie Pothawk ge­ endete.
meinsam mit Leutnant Tlacomal entma­ Mondras Anspannung entlud sich in
terialisieren. einem tiefen Aufatmen. Der Seitengang
Keine halbe Minute war zwischen war leer, es gab dort keinen goldenen
dem Anhalten und diesem Moment ver­ Roboter.
gangen. Mondra nickte Captain Telar Ihr Blick huschte die Wände entlang,
Ipthaal zu. Vizquegatomi stellte mit der glitt in die Höhe. Jeden Moment erwar­
fülligen Frau soeben den für eine Tele­ tete sie, aus dem Schutz eines Deflektor­
portation erforderlichen Körperkontakt schirms heraus unter Feuer genommen,
her. Gleich darauf waren beide ver­ zumindest mit einer Paralysedosis nie­
schwunden. dergestreckt zu werden. Aber nichts ge­
Limbox, der jüngste der Laosoor, ent­ schah.
blößte seine Reißzähne. Mondra glaubte, »Ich messe eine nahezu verwehte
das Äquivalent eines triumphierenden Energiefahne an«, sagte Pothawk.
Grinsens zu erkennen. Sie wusste, dass »Und ...?«
die pantherartigen Hightech-Diebe Der Laosoor schaute sie durchdrin­
nichts unversucht lassen würden, gend an, als wisse er längst, was die na­
CHEOS-TAI zurückzugewinnen. he Zukunft bringen würde. Sein Mus­
Der Kampfroboter reagierte nicht auf kelspiel ließ das dichte schwarze Fell in
die Teleportationen. Ob der Versuch seidigem Glanz schimmern. Er zog die
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Lippen auseinander und entblößte die Déjà-vu ... Da war wieder dieses un­
fingerlangen Reißzähne. glaubliche Gefühl, klein und bedeu­
»Nur ein einziger Roboter«, sagte der tungslos zu sein wie eine Ameise, die
Commander mit Nachdruck und schob ihren Bau verlassen und sich verirrt hat­
das Messgerät in das Futteral an seinem te.
Schultergurt zurück. »Er muss ungefähr Der Maschinensaal vor der Terranerin
in dem Moment verschwunden sein, als und ihren Begleitern war in dem Deck-
wir angehalten haben.« Plan eingezeichnet, wenngleich nur als
Die Bewegung der echsenähnlichen Symbol, das sie leicht mit dem Daumen
Kampfmaschine hatte demnach den va­ abdecken konnte. Zweifellos gab es in
gen goldenen Reflex hervorgerufen. CHEOS-TAI Hunderte solcher Anlagen,
Mondra nickte. Noch einmal taxierte sie die einander glichen wie ein Ei dem an­
den Seitenstollen. Es schien keine ab­ deren, und jede von ihnen war riesig.
zweigenden Durchgänge zu geben, zu­ Einige hatte Mondra mittlerweile betre­
mindest keine, die ihr schnell aufgefal­ ten, dennoch konnte sie gar nicht anders,
len wären. Andererseits bestand die als erneut den Kopf weit in den Nacken
Gefahr, dass der Goldene zurückkam. zu legen und an den bizarren Maschi­
Oder dass er an anderer Stelle den nenblöcken suchend in die Höhe zu
Hauptkorridor betrat. schauen.
Diese Roboter waren mit Punktbe­ Etliche hundert Meter schienen allein
schuss zu besiegen, solange sie nicht die kleinsten Aggregate aufzuragen.
massiert angriffen. Aber darum ging es Darüber spannten sich, teils filigran an­
Mondra gar nicht. Wichtig war ihr al­ mutend, aber auch erdrückend wuchtig
lein, dass sie und ihre Begleiter als letz­ und jeder Schwerkraft Hohn sprechend,
te Einsatzgruppe vorerst unbemerkt fächerartig große Anlagen. Weiter hin­
blieben. auf reichte der Blick nicht mehr, er ver­
Das Zwischenziel würde bald erreicht lor sich in dem verfilzten Dickicht aus
sein: eine der Hallen, in denen für die fremder Technologie. Diese Maschinen
Erforschung des GESETZ-Gebers wich­ hatten in zwanzig Jahrmillionen keine
tige Ausrüstungsgegenstände zwischen­ Patina angesetzt, sie würden weitere
gelagert worden waren. Von den Trup­ zwanzig Millionen Jahre und länger ih­
pen der JULES VERNE waren mehrere ren Dienst versehen.
solcher Depots angelegt worden, doch Mondra empfand immer noch ein Ge­
nur eines davon befand sich in schnell fühl des Staunens angesichts der Tatsa­
erreichbarer Nähe; die anderen waren che, dass sie ausgerechnet CHEOS-TAI
weit über CHEOS-TAI verstreut. wiedergefunden hatten, jenen GESETZ-
Möglich, dass zu der Ausrüstung noch Geber, den sie besser kannten als jeden
einige TARA-V-UH-Kampfroboter ge­ anderen. Aber sollte sie deshalb so etwas
hörten, die in den Kämpfen gegen die wie Ehrfurcht empfinden?
Goldenen nicht eingesetzt worden wa­ Vielleicht, sobald der GESETZ-Geber
ren. Mondra wusste das nicht, sie hatte hilft, die in Hangay wachsende Nega­
auch keine andere Möglichkeit, das her­ sphäre auszulöschen. Aber auch dann
auszufinden, als sich an Ort und Stelle keine Ehrfurcht. Respekt – ja, Respekt
umzusehen. vor der Technik, die unseren menschli­
Einige der schlagkräftigen TARAS chen Errungenschaften so weit voraus
waren genau jene Art Verstärkung, auf ist. Doch das werden wir eines Tages
die ihr Trupp angewiesen war. aufholen ... wir müssen bis dahin nur
überleben.
* »Der kürzeste Weg führt durch die
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Maschinenhalle«, hörte sie sich sagen sehr wenig, auf das sie aufbauen konnte.
und schreckte aus ihren Überlegungen Ob die JULES VERNE nach dem er­
auf. »Wenn wir sie umgehen wollten, zwungenen Verlassen des GESETZ-Ge­
wäre das ein Zeitverlust von mehreren bers vernichtet worden war, entzog sich
Stunden.« ihrer Kenntnis.
»Es gibt hier Transportsphären!« Vorerst blieb ihr nur die Hoffnung,
Leutnant Tlacomal zeigte hinüber zu ei­ dass Rhodan und die Besatzung des
nem Komplex, der den Anschein er­ Hantelraumers noch lebten und dass die
weckte, jemand habe mehrere Korvetten Ziele der Operation Tempus weiter be­
von Pol zu Pol durchgeschnitten und die standen. Sie hatten die Gefahren ihrer
Hälften jeweils zu einem Drittel gegen­ Mission zwanzig Millionen Jahre in der
einander verschoben. Die unteren Run­ Vergangenheit überlebt – und sollten
dungen wirkten wie im Boden verankert, nun ausgerechnet an CHEOS-TAI schei­
in den dennoch verbliebenen Zwischen­ tern, dem GESETZ-Geber, dem wäh­
räumen schwebten flirrende Kugeln. Al­ rend der Retroversion von Tare-Scharm
lem Anschein nach handelte es sich tat­ entscheidende Bedeutung zugekommen
sächlich um energetische Sphären. war?
CHEOS-TAI durchmaß 1126 Kilome­ Was konnte das anderes sein als eine
ter. Angesichts dieser Dimensionen wa­ bitterböse Ironie des Schicksals?
ren schnelle Transportsysteme unver­ Das Schlimme daran war, dass Mon­
zichtbar. dra keine Ahnung hatte, wer den GE­
»Wir gehen das Risiko nicht ein!«, SETZ-Geber gerade beherrschte und für
wehrte Mondra ab. »Eine einzige routi­ den Einsatz der goldenen Roboter gegen
nemäßige Statusmeldung an die Lenk­ die Terraner verantwortlich war. Vor al­
zentrale genügt, um unsere Anwesenheit lem fragte sie sich, warum der Angriff
zu verraten.« erfolgt war.
»Zu viel Sicherheitsdenken macht uns Überleben und die Handlungsfreiheit
langsam«, wandte Ardibi ein. Unruhig behalten waren die wichtigsten Forde­
massierte der Master-Sergeant sein rungen. Ihr kleines Erkundungsteam
Kinn. »Wir verlieren unnötig Zeit.« war das einzige, das es nicht mehr ge­
Mondra hatte sich ihm schon nach schafft hatte, die JULES VERNE recht­
dem ersten Satz zugewandt und bedach­ zeitig zu erreichen. Erst war Mondra
te ihn mit einem durchdringenden Blick. deshalb schockiert gewesen. Mittlerwei­
»Keineswegs unnötig!«, sagte sie scharf. le fühlte sie jedoch Dankbarkeit dafür,
»Mit allem anderen hast du aber recht. dass sie diese Chance erhalten hatte.
Wir nutzen unsere Gravo-Paks, um die Mit wachsender Geschwindigkeit
Maschinenhalle zu durchqueren.« durchquerte sie die Halle, permanent
Sie musterte die wechselnden Holo­ darauf gefasst, von goldenen Robotern
anzeigen, die ihr Kombiarmband über angegriffen zu werden. Aber nichts ge­
ihrem Handrücken projizierte. schah.
»Streustrahlung in weiten Bereichen. Sie musste die Befehlsgewalt über
CHEOS-TAI erscheint mir wie ein Ur­ CHEOS-TAI zurückgewinnen. Danach
zeitgigant, der aus einem Äonen wäh­ die JULES VERNE wiederfinden oder
renden Schlaf erwacht und erst langsam zumindest Kenntnis über das Schicksal
zu sich selbst findet. Die Emissionen un­ des Schiffes und seiner Besatzung erlan­
serer Triebwerke und der Deflektoren gen. Anschließend galt es, mit CHEOS­
werden in der Halle kaum auffallen.« TAI Kurs auf die Milchstraße zu neh­
Mondra gab sich zuversichtlicher, als men!
sie es wirklich war. Eigentlich hatte sie Nie hatte Mondra Diamond sich so
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zerrissen gefühlt wie jetzt. Grimmige tägliches zum unüberwindbaren Hin­


Entschlossenheit beherrschte ihr Den­ dernis geworden war. Trotzdem hatte
ken. das winzige Insekt alle Schwierigkeiten
gemeistert.
* Wahrscheinlich stammte der Amei­
senvergleich, der durch ihre Gedanken
Etwas veränderte sich vor ihnen. Die spukte, aus dieser Trivid-Serie. Ärger­
Passivanzeige der SERUN-Ortung er­ lich auf sich selbst, wischte Mondra die
schien mit einem Mal diffus. Mondra ris­ Erinnerungsfetzen beiseite. Die kleine
kierte dennoch nicht, auf aktive Ortung Agalija, die auf ihrem Heimatplaneten
umzuschalten. Nur wegen einer unkla­ Horrikos noch eine heile Welt erlebt hat­
ren Messung wollte sie keinesfalls die te, gab es schon lange nicht mehr.
Aufmerksamkeit der Gegner wecken. Als Zirkusartistin Mondra Diamond
Zu viel hängt davon ab, mich lange war sie im Einflussbereich der Liga Frei­
frei bewegen und umsehen zu können ... er Terraner aufgetreten, hatte sich
Dieser Satz stieg ohne Mondras Zutun schließlich beim Terranischen Liga-
in ihr auf. Das waren nicht ihre Worte, Dienst beworben und war zur Agentin
nicht einmal ihre eigenen Gedanken. Sie ausgebildet worden. Währenddessen
glaubte, eine fremde Stimme reden zu von einer unruhigen Sehnsucht getrie­
hören – eine helle, leicht heiser klingen­ ben, dem Drang nach der Ferne, nach
de Stimme, die ihr dennoch seltsam ver­ dem Neuen und Unbekannten. Irritiert
traut erschien. Zumal der akustische fragte sie sich, ob sie das von Hank ge­
Part untrennbar mit dem Bild einer lernt hatte.
Ameise verbunden war. Vor ihrem inne­ Unwillig wischte Mondra diese Über­
ren Auge sah Mondra das winzige Tier legungen beiseite. Die Ortungsdaten lie­
aus der Vogelperspektive, gerade so weit ßen auf energetische Verwerfungen
entfernt, dass sie es erkennen konnte. Im schließen, die sich nur wenige Kilometer
Hintergrund wurden monströse Baum­ voraus aufbauten. Sie fürchtete plötz­
stämme von Antigravtraktoren an Bord lich, zu spät zu kommen. Im schlimms­
eines Standardcontainers verladen. Die­ ten Fall war das Ausrüstungsdepot auf­
se Szene brachte einen Hauch von Un­ gespürt worden.
beschwertheit, zugleich aber atemlose Wer hatte das Kommando in CHEOS­
Anspannung. TAI übernommen? Mondra glaubte nicht,
Mondra wusste sofort, was da an die dass sie es ausschließlich mit den golde­
Oberfläche ihrer Erinnerung gespült nen Kampfrobotern zu tun hatte. Maschi­
wurde: Szenen einer Trivid-Serie für nen wie diese führten Befehle aus, doch
Kinder, ihre erste faszinierende Begeg­ ihnen fehlte in aller Regel die Kapazität
nung mit Raumschiffen und fremden für einen umfassenden Überblick.
Völkern. Hank, die Ameise – mit Tropen­ Wie auch immer, Perrys Versuch, die
hölzern aus dem terranischen Regen­ bestehenden Befehlsrechte zu verän­
wald nach Olymp verschleppt und von dern, hatte möglicherweise das Desaster
dort aus weiter in die Galaxis. Knapp ausgelöst.
drei Jahre alt, hatte Agalija Teekate je­ Im Nachhinein, fand Mondra, war die
der neuen Folge entgegengefiebert, den Ursache leicht zuzuordnen. Vielleicht
Geheimnissen des Raumflugs und der ein Fehler der Algorrian, die Aktivie­
Milchstraße aus der Perspektive eines rung eines Notfallprogramms ...
winzigen Insekts. Sie dachte an die »Schlafsäle« mit den
Seit Tagen befand sie sich nun in der konservierten humanoiden Wesen. Tau­
Situation jenes Hank, für den sogar All­ sende von ihnen ruhten in den oberen
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Bereichen des GESETZ-Gebers, und der Ein muffiger Geruch hing in der Luft.
Erkundungstrupp hatte nur einige we­ Schnell argwöhnte jeder, dass sie weite­
nige dieser Räume betreten. Womöglich ren Schlafsälen nahe kamen. Der Ge­
ging die Zahl der Schläfer in die Millio­ stank wurde jedenfalls intensiver und
nen. Alle, die sie in diesen Räumen an­ legte sich erstickend auf die Atemwege.
getroffen hatten, waren tot gewesen – Wieder Tote, deren Körper in Verwesung
aber einige hatten offenbar auch übergingen, kaum dass der Erweckungs­
überlebt. Nur konnte niemand bislang vorgang eingeleitet wurde?
sagen, wie viele ... Wie groß mochte die Besatzung des
Mondra biss sich auf die Unterlippe. GESETZ-Gebers einst gewesen sein?
Vermutungen ohne jede Grundlage hal­ Die Zahl konnte leicht in die Millio­
fen in keiner Weise weiter. nen gehen, vermutete Mondra, als sie vor
Vor wenigen Minuten hatte der Trupp den aufklaffenden breiten Lamellen ei­
eine leere, etliche Decks durchstoßende nes schweren Schottes stand. Sie
Halle betreten. Umlaufende Galerien er­ schwang sich hindurch.
schienen wie Wartungsplattformen. In Keine kreisrunden Hightech-Liegen,
die Tiefe setzte sich der röhrenartige in endlos anmutender Monotonie anein­
Ausschnitt über mehrere hundert Meter andergereiht. Keine reglosen Körper, die
fort. Projektorköpfe übersäten die Wän­ zu schlafen schienen, aber dennoch seit
de. Formenergiebrücken, Zapfpole, Ver­ unbestimmter Zeit tote, von einer stupi­
sorgungs- oder Messstationen – was im­ den Maschinerie konservierte Hüllen
mer in einer bestimmten Betriebsphase waren.
entstehen mochte, CHEOS-TAI barg oh­ Die Halle war nicht sonderlich groß.
nehin Tausende Überraschungen. Eine der vielen Biosphären – vielleicht
In der Mitte der Galerie hielt Mondra ein Freizeitbereich für die Besatzung,
Diamond inne. Sie zeigte auf die nächste wie er sich auch auf terranischen Raum­
in die Höhe führende Rampe. »Mir er­ schiffen fand. Überwuchert von üppiger
scheint es sinnvoll, die Ebene zu wech­ Flora, die sich bis in den letzten Winkel
seln.« ausgebreitet hatte, jedoch mittlerweile
»Du fürchtest, wir könnten den Robo­ in Fäulnis übergegangen war.
tern in die Arme laufen?«, fragte Captain Mit berstendem Geräusch neigte sich
Ipthaal. eine der mehrfach mannshohen Pflanzen
»Zumindest sollten wir auf das zur Seite, riss im Stürzen andere mit sich
Schlimmste vorbereitet sein.« und klatschte inmitten aufstiebender
»Ich habe keinen Einwand gegen ei­ Sporenwolken zu Boden. Instinktiv zog
nen Umweg, solange wir nicht unnötig die Terranerin den Helm ihres SERUNS
lange irgendwo herumstehen.« Telar Ip­ nach vorne und ließ ihn einrasten.
thaal lächelte. Hinter ihr betraten die anderen eben­
Ausgerechnet um dieses Materialde­ falls die verfallende Biosphäre.
pot, das vergleichsweise nahe bei der »Helmfunk auf Minimaldistanz und
JULES VERNE eingerichtet worden das nur, bis wir hier wieder raus sind!«,
war, hatte Mondra sich nicht geküm­ ordnete Mondra an.
mert. Sie und ihre Gruppe waren mehr Den vermodernden Dschungel zu
als siebenhundert Kilometer entfernt im durchqueren nahm zehn Minuten in
oberen Bereich des GESETZ-Gebers tä­ Anspruch. In jeder Richtung schien es
tig gewesen. mehrere halb geöffnete Schotten zu ge­
Ungehindert stiegen sie drei Etagen in ben.
die Höhe, bevor sie die Nähe des Schach­ »Schwache Energiefelder liegen vor
tes verließen. den Durchgängen. Sie halten die Pflan­
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zen zurück, behindern uns aber in keiner Terranerin blinzelte gegen die Blendung
Weise ...« an, die sie kaum erkennen ließ, was vor­
In dem Moment zeigte die Ortung hef­ ging. Sie verwünschte die Tatsache, dass
tige energetische Entladungen. Mondra sie ihren Helm nicht geschlossen hatte.
brauchte nur Sekunden, um zu erken­ Im selben Moment spürte sie eine heftige
nen, dass in unmittelbarer Nähe ein er­ Berührung ...
bitterter Kampf ausgebrochen war. ... und schon veränderte sich ihre Um­
»Pothawk!« Sie streckte dem Laosoor gebung erneut. Der Laosoor hatte sie aus
ihre Hand entgegen. »Wir müssen uns der unmittelbaren Gefahrenzone tele­
beeilen!« portiert.
Mondra griff endlich in den Nacken
und zog den Helm nach vorne. Pothawk
2. hatte sie beide auf einen zerklüfteten
Aggregatblock gebracht. Ein Konglome­
Ein Konglomerat von Eindrücken, die rat sechskantiger Säulen erhob sich wie
an einen reißerisch geschnittenen Tri­ ein Berg aus Basalt. Mit einigen Dutzend
vid-Film erinnerten ... Metern Abstand ragte die nächste Ma­
Mondra kniff die Augen zusammen. schine auf.
Sie sah eine Szene, erhielt aber nicht Mondra schob sich bis unmittelbar an
die Gelegenheit, sich darin zurechtzufin- die Abbruchkante nach vorne. Die Helm­
den, weil der Eindruck innerhalb eines sensoren registrierten ihre Pupillenbe­
Sekundenbruchteils wieder wechselte. wegung und schalteten die optische Er­
Obwohl sie diese hektische Abfolge fassung in den Zoombereich. Sie sah
mittlerweile kannte und sich intensiv einen grell lodernden Energieschirm, der
konzentrierte, wurde ein verwirrend bereits deutliche Überlastungserschei­
ruckartiger Ablauf daraus. nungen erkennen ließ. Obwohl der Robo­
Pothawk teleportierte in hastiger Fol­ ter sich jäh vom Boden löste und in die
ge. Wiederverstofflichung und erneute Höhe stieg, konnte er den nächsten
Entmaterialisation schienen ineinander Strahltreffern nicht entgehen. Sein für
überzugehen, zu schnell jedenfalls, als Kosmokraten-Technik offenbar erstaun­
dass es Mondra möglich gewesen wäre, lich schwacher Schutzschirm brach auf.
auch nur die Anzahl der Sprünge mitzu­ Für den Bruchteil eines Augenblicks
zählen. Diese Art der Fortbewegung hatte die Terranerin den Kampfroboter
kostete den Laosoor enorme Kraft. Aber deutlich im Blick, seinen mehr als zwei
der Commander wusste, wie weit er sich Meter hohen glänzenden Rumpf mit dem
verausgaben durfte ... echsenartig vorspringenden Schädelseg­
Die Wahrnehmung blieb stabil. ment. Dazu die kräftigen Beine, die
Mondra Diamond registrierte, dass Schnelligkeit und Ausdauer erkennen
der Druck von Pothawks bebender Flan­ ließen und das Bild einer Raubechse
ke an ihrer Hüfte wich. Er atmete heftig, perfektionierten. Anstelle kurzer Stum­
beinahe fauchend. melarme, die in klauenbewehrte Pran­
In unmittelbarer Nähe tobte ein erbit­ ken ausliefen, ragten schwere Strahl­
tertes Gefecht. Mondra glaubte, mehrere projektoren aus dem geschmeidig
goldene Roboter unter heftigem Strahl­ gebogenen Körper hervor.
feuer zu sehen. Ein sonnenheller Glut­ Der Goldene verglühte in der Ketten­
ball loderte auf, und dem Dröhnen einer reaktion mehrerer Explosionen.
überaus heftigen Explosion folgte ein Vier TARA-V-UH gerieten in Mondras
wahrer Trümmerregen. Sichtfeld. Die terranischen Kampfrobo­
Tränen schossen ihr in die Augen. Die ter waren kleiner als ihre Gegner, und
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mit ihrem kegelförmigen Rumpf wirkten ner und Laosoor in der Nähe warteten?
sie geradezu plump und konservativ. Im Die Funksignale auf der Standfrequenz
Sperrfeuer der Gegner fächerten sie auf, waren jedenfalls jäh verstummt.
als wollten sie sich zurückziehen. Schwe­ Mondra bedeutete dem Laosoor, noch
re Treffer ließen düstere Strukturrisse in nicht mit ihr zurückzuspringen. Vier
ihren Paratronschirmen aufbrechen. Kampfroboter der JULES VERNE wa­
Mondra empfing in dem Moment deut­ ren innerhalb weniger Minuten vernich­
liche Funksignale. Die TARAS forderten tet worden. Gerade weil die TARAS
Unterstützung an. dank ihres Waffenparks ihrerseits eine
Schon verglühte der erste von ihnen größere Zahl der Goldenen zerstört hat­
im Feuer der Angreifer. Auch die Golde­ ten, wog ihr Verlust schwer.
nen setzten auf Punktbeschuss, um die Zudem zweifelte die Terranerin nicht
Schirmfelder zu überlasten. daran, dass zur selben Zeit auch die an­
In wildem Zickzackflug versuchten deren Materialdepots angegriffen wur­
zwei TARA-V-UH der Vernichtung zu den. Sie war zu spät gekommen, konnte
entgehen. Sekundenlang schien ihr Ma­ aber trotzdem noch von Glück sagen,
növer die Kampfroboter des GESETZ- dass sie und ihre Leute den Goldenen
Gebers tatsächlich in Bedrängnis zu nicht in die Arme gelaufen waren.
bringen, dann vereinte sich gut ein Dut­ Weit verstreut brannten die Wracktei­
zend glosender Strahlschüsse auf ihnen. le der Roboter. Reinigungsmaschinen
Einer der TARAS wurde auseinander­ erstickten die letzten Glutnester. Dich­
gerissen. Die Unterstützung, auf die ter Qualm breitete sich aus. Indessen
Mondra gehofft hatte, verglühte vor ih­ verschwanden gut ein Dutzend Goldene
ren Augen. aus Mondras Sichtfeld. Sie nahm an,
Zwei der Goldenen, die ihrem Opfer dass die Roboter die Halle inspizierten
gefolgt waren, drehten sofort wieder ab und sicherten.
– gerade rechtzeitig, ehe die Terranerin Endlich nickte sie Pothawk zu. Es
und der Laosoor in ihren optischen Er­ wurde Zeit, zu den anderen zurückzu­
fassungsbereich gerieten. Mondra spürte springen. Hier hatten sie jedenfalls
Pothawks Ohrenhände wieder an ihren nichts mehr zu erwarten.
Schultern. Der Commander war bereit, In dem Moment erschien Terenako
erneut mit ihr zu teleportieren. Ardibi neben ihnen.
Ein weiterer terranischer Roboter
verglühte, der nächste taumelte den An­ *
greifern entgegen. Als Mondra erkannte,
dass diese Einheit irreparabel geschä­ Der Master-Sergeant war mit seinen
digt war, brodelten bereits Energiewol­ einunddreißig Jahren der Benjamin der
ken an den Aggregatsäulen in die Höhe. Gruppe, gab sich aber manchmal, als
Alles sah danach aus, als hätte der TA­ hätte er schon während des Krisenfalls
RA sich selbst zerstört und in der hefti­ Karthago mit der Waffe in der Hand das
gen Entladung mehrere Angreifer mit Solsystem verteidigt. Allerdings war er
ins Verderben gerissen. im Jahr 1304 NGZ noch gar nicht gebo­
Das entsprechende Asimovsche Robo­ ren gewesen.
tergesetz – die eigene Existenz zu schüt­ Ardibi lächelte jovial. »Wir haben
zen – galt selbstverständlich auch für schon befürchtet, ihr könntet Unterstüt­
Kampfmaschinen dieses Typs. Es sei zung nötig haben«, flüsterte er und reck­
denn, der Opfergang bewahrte Men­ te den Hals, um einen Blick in die Tiefe
schen vor schweren Schäden. zu erhaschen. »Das Feuerwerk war
Hatte der TARA erkannt, dass Terra­ schwer zu übersehen.«
12 HUBERT HAENSEL

»Es ist vorbei«, erwiderte Mondra und reich, in dem sich die Roboter bekämpft
löste den Helmverschluss. hatten, sehr hohe Temperaturen. Mon­
»Dann haben wir Zeit, uns endlich um dra brauchte nur auf ihr Kombiarmband
die Lenkzentrale zu kümmern ... Ich zu sehen, um festzustellen, dass sogar in
meine, Captain Ipthaal dürfte dieser ihrer Höhe gut und gerne fünfzig Grad
Meinung sein.« Ardibi korrigierte sich Celsius gemessen wurden.
sofort, als er Mondras Blick bemerkte. Die Helme spiegelten leicht. Trotzdem
»Wir werden darüber reden. Aber konnte sie nicht nur einen blaugrünen
nicht hier«, sagte sie. »Sind die ande­ Schimmer von Haut oder Fell erkennen,
ren auch ...?« sondern ebenso die spitz zulaufende
Die Frage war überflüssig. Mondra Kopfform. Als eines dieser Wesen den
Diamond entdeckte Vizquegatomi und Kopf hob, sah sie zwei kräftige, über­
Limbox auf dem nächsten Maschinen­ groß wirkende Nagezähne. Der Vergleich
block. Ipthaal war bei den beiden Lao­ mit Gucky lag auf der Hand.
soor, während Leutnant Tlacomal nicht Biberartige ...
einmal vier Meter hinter Pothawk kau­ Sie verfügten über einen großen, gut
erte. Er wurde sichtbar, als er seinen De­ körperlangen Schwanz, mit dem sie ih­
flektor abschaltete. ren schnellen Lauf geschickt ausbalan­
Immerhin. Mondra nahm zur Kennt­ cierten.
nis, dass die Deflektorfelder zumindest »Sie wurden aufgeweckt«, murmelte
in diesem Bereich des Raumers funktio­ Ardibi verblüfft. »Und es kommen im­
nierten. CHEOS-TAI war riesig. Sie mer mehr von ihnen. Ich frage mich,
durfte nicht erwarten, in allen Kuben welche Aufgaben sie einst an Bord hat­
gleiche Verhältnisse anzutreffen. Viel­ ten.«
leicht waren nur während des Angriffs Mondra nickte. Der Master-Sergeant
auf die JULES VERNE Störfelder ein­ hatte recht: Das waren biberartige We­
gesetzt worden. sen wie jene, die sie in dem letzten
»Runter mit den Köpfen!«, rief Ardibi. Schlafsaal entdeckt hatten. Einen Ver­
»Trotzdem solltet ihr euch das anse­ such, diese pelzigen Geschöpfe aus ih­
hen!« rem Konservierungsschlaf aufzuwecken,
Mondra folgte seiner Blickrichtung hatten sie aber schon nicht mehr ge­
und suchte prompt neue Deckung, die es wagt.
ihr erlaubte, in die Halle hinabzu­ Jemand konnte es besser, und dieser
schauen und einigermaßen gut das Ge­ Jemand hatte keineswegs nur zu Staub
schehen dort zu überblicken. zerfallende Körper produziert, sondern
Mindestens dreißig vermummte Ge­ sehr lebendige Helfer. Die Biberartigen
stalten traten aus einem Seitenbereich waren offenbar gekommen, um das De­
hervor. Sie waren merklich kleiner als pot auszuräumen.
die Roboter, Mondra schätzte sie auf et­ Mondra sah einige von ihnen halb ge­
wa einen Meter fünfzig. schmolzene Gegenstände untersuchen,
Lebewesen! Also hatte sie recht ge­ die sie selbst kaum zuzuordnen ver­
habt, von Anfang an! Es gab lebende mochte. Andere befassten sich mit Frag­
Geschöpfe an Bord des so antiseptisch menten der TARA-V-UH. Nennenswer­
wirkenden Schiffes! Und endlich sahen ten Erfolg würde wohl niemand haben.
sie sie leibhaftig vor sich. Nur für einen Moment fragte sich
Die Fremden bewegten sich aufrecht Mondra, was aus den Ausrüstungsgü­
auf zwei Beinen. Sie trugen Schutzanzü­ tern der JULES VERNE herauszulesen
ge mit geschlossenen eiförmigen Hel­ sein konnte. Bestimmt nicht, dass das
men. Zweifellos herrschten in dem Be­ Schiff sich zwanzig Millionen Jahre tief
Nach der Stasis 13

in der Vergangenheit aufgehalten und genblick später berührten sich ihre Hel­
die Retroversion der Negasphäre von me.
Tare-Scharm beobachtet hatte. Die mit »Funkempfang läuft«, stellte der Lao­
der Rückkehr verbundenen Strangeness­ soor fest. »Translatormodul ist akti­
erscheinungen waren längst verflogen. viert.«
Zumindest die für terranische Geräte
anmessbaren ... *
Wie immer das Ergebnis ausfallen
würde, Mondra erwartete keineswegs, »Wir werden Vorgesetzte finden, die
dass die Hohen Mächte plötzlich Unter­ uns sagen, was in CHEOS-TAI gesche­
stützung anbieten würden, sobald offen­ hen ist. Ich glaube, dass Selexon selbst
bar wurde, woher die JULES VERNE nichts weiß. Diese Fragmente hier lassen
gekommen war. sich jedenfalls nicht zuordnen, zumin­
Eine undeutliche Stimme im Helm­ dest fehlt uns das entsprechende Wis­
empfang ließ Mondra aufmerken. Die sen.«
pelzigen kleinen Wesen in der Halle un­ »Minderwertiges Material«, erwiderte
terhielten sich über Funk. Die Mikro- eine zweite Stimme. »Niedriger Schmelz­
Positronik ihres SERUNS suchte auto­ punkt. Das ist nichts Vertrautes. Oder
matisch alle Frequenzbänder ab und bist du immer noch anderer Ansicht,
analysierte nach Prioritätsmerkmalen. Taffanaro?«
Bislang war jedoch nur das Hilfeersu­ »... die Überreste gehören zu den
chen der TARAS empfangen worden. Fremden, nicht zu uns. Du hast es selbst
Die Stimme wurde klarer. Mondra zu verstehen gegeben, Kafarain: Sie ha­
glaubte, einige Satzfetzen halbwegs ver­ ben den GESETZ-Geber in Aufruhr ver­
stehen zu können. Was das Wesen von setzt!«
sich gab, klang enttäuscht. Offensicht­ Mondra Diamond schluckte schwer.
lich fühlte sich der Sprecher nicht aus­ Inzwischen waren an die hundert dieser
reichend gefordert. Wesen – »Heromet« nannten sie sich –
»Die Auswertung ergibt eine schwer damit beschäftigt, das Materiallager zu
verständliche Abart der Sprache der sichten.
Mächtigen«, wisperte der Servo. »Trans­ Welche von ihnen mochten Taffanaro
lator steht zur Verfügung. Zuschaltung und Kafarain sein? Mondra verlangte
kann sofort erfolgen.« von der Positronik eine Identifikation.
»Translator stumm schalten, nur Sekunden später verriet ihr die Markie­
Sprachdechiffrierung.« Mondra wollte rung im Helmdisplay, dass sie das Ge­
die Stimmen im Original hören und spräch jener zwei verfolgte, die mit ei­
nicht in Überblendung. »Aufzeichnung nem von Strahlschüssen zerstörten
des Gesamtempfangs für spätere Analy­ Paratronprojektor hantierten.
se.« »Wie viele Servos werden die Ewig­
Sie schaltete nicht zu den anderen keit des Schlafes überlebt haben?«
durch, machte allerdings mit der linken Schweigen.
Hand die Geste für Funkempfang. Cap­ »Du weißt es nicht?« Kafarains Stim­
tain Ipthaal antwortete mit »Verstan­ me klang mittlerweile heiser. Er stieß
den«; Ardibi grinste breit und klopfte hustende Geräusche aus. »Mir dreht sich
sich mit zwei Fingern an den Helm. der Magen um, wenn ich daran denke,
Die Laosoor waren mit den terrani­ dass wir vielleicht nie geweckt werden
schen Gepflogenheiten mittlerweile gut sollten. Ist das zu fassen? Für die Ewig­
vertraut. Pothawk streckte sich jeden­ keit zu schlafen ... Das kann nicht bloß
falls der Terranerin entgegen, einen Au­ mit der Umstrukturierung zu tun haben.
14 HUBERT HAENSEL

Nicht mehr gebraucht ... vergessen ... Im Funkempfang blieb es still.


Hätten wir so das Ende des Universums Inkh Selexon. Den Namen hörte
miterleben sollen?« Mondra Diamond zum ersten Mal. Aber
»Wann?« schon der Tonfall der Meldung ließ dar­
Ein Stöhnen antwortete. »Was weiß auf schließen, dass Selexon eine hochge­
ich? Vielleicht in weiteren neunund­ stellte Person sein musste. Möglicher­
zwanzig Millionen Jahren.« weise der Befehlshaber, der für den
Taffanaro stieß keckernde Laute aus. Angriff auf die JULES VERNE verant­
Neunundzwanzig Millionen Jahre ... wortlich war? Und er nahm offenbar ei­
Wenn Mondra das richtig interpretierte, nen höheren Rang als Taffanaro ein, der
hatten die Heromet so lange in Stasis ihr bislang als ranghöchster Heromet
gelegen. Sie und wohl auch die hageren erschienen war. Gehörte er also einer an­
Humanoiden, deren Äußeres eine Ver­ deren Spezies an?
wandtschaft mit den Thermodyn-Inge­ Sie wartete gespannt.
nieure nahelegte. Sie hatten demnach Neuer Dunst waberte über den Hal­
schon geschlafen, als der GESETZ-Ge­ lenboden, eine Wolke winzigster flirren-
ber von Perry Rhodan und den Laosoor der Entladungen breitete sich aus. Ob­
entführt und in der LAOMARK ver­ wohl Mondras Armbandortung keinerlei
steckt worden war. Und in der Stasis energetische Effekte anzeigte, ging diese
hatten sie die Todesimpulse überlebt, die eigenwillige Erscheinung mit den Repa­
jedes andere Geschöpf an Bord aus­ raturarbeiten einher. Die Heromet
löschten ... Was wäre geschehen, hätte schickten sich an, Schäden an einzelnen
man sie bereits damals erwecken kön­ Aggregatkomplexen zu beseitigen.
nen? Urplötzlich richteten sich einige von
»Bestenfalls in neunundzwanzig mal ihnen auf. Eine hochgewachsene Gestalt
neunundzwanzig Millionen Jahren!«, betrat soeben die Halle.
sprudelte Taffanaro hervor. »Was weißt Mondra fixierte die auf ihrer Helm­
du schon vom Universum? Einige Jahr­ scheibe eingespiegelte optische Vergrö­
hunderte länger, und wir wären im ßerung. Der Neuankömmling war tat­
Schlaf gestorben wie alle anderen.« sächlich kein Heromet.
»Ach ja? Dir hat die Mentale Revision Größe knapp über zwei Meter, ent­
mehr Wissen gelassen? Dann sag schon, nahm sie den Anzeigen ihrer Mikroposi­
was wir wissen müssen. Du bist der ein­ tronik. Wie die Humanoiden in den
zige verbliebene TAI-Servo. Kein ande­ Schlafsälen, wenngleich er zu den kräf­
rer deines Ranges hat überlebt. Du musst tigeren Exemplaren seiner Gattung zu
uns sagen, was zu tun ist.« zählen schien.
»Es ist wichtig, dass wir unsere Arbeit Mit unwillig anmutenden Gesten
tun ...« Ein bebender Ausruf ließ ihn im scheuchte der Näherkommende mehrere
Ansatz verstummen. Heromet zur Seite.
»Inkh Selexon befindet sich auf dem Das musste Inkh Selexon sein. Er äh­
Weg zum Schauplatz der Auseinander­ nelte den Thermodyn-Ingenieuren auf
setzung. Er wird sehr schnell eintref­ den ersten Blick ungefähr so wie Terra­
fen.« ner den Tefrodern. Mondra konnte sei­
Schweigen. nen kahlen Schädel unter dem volltrans­
Mondra glaubte, ein besorgtes Atem­ parenten Helm erkennen. Die bleiche
holen zu vernehmen. Als sie wieder in Haut war ihr schon bei den Stasisschlä­
die Tiefe blickte, wuselten die Heromet fern wie eine dicke Gummischicht er­
durch die verqualmte Halle. Sie arbeite­ schienen.
ten schneller als zuvor. Anstelle von Augen zog sich in Stirn­
Nach der Stasis 15

höhe ein breites Organband rund um fassende Informationen, welche Besat­


den Kopf. Es bestand aus mindestens zungsmitglieder noch im Konservie­
zwei Dutzend ohrmuschelförmiger Aus­ rungsschlaf liegen. Vor allem lege ich
wüchse. Bei den Thermodyn-Ingenieu­ größten Wert auf verlässliche Zahlenan­
ren, zwanzig Millionen Jahre in der Ver­ gaben.«
gangenheit, war jedes dieser Organe für »In der Lenkzentrale ...«
sich beweglich gewesen. Mondra Dia­ »Sei still! Das Problem der Eindring­
mond wusste, dass die Ingenieure sich linge ist gelöst, damit haben die Servos
mithilfe von Schallwellen orientiert hat­ ungehinderte Bewegungsfreiheit. Ich
ten. Offensichtlich traf dies auf Selexon will jetzt schnellstens über die Versor­
ebenso zu. gungslage informiert werden. – Inzwi­
Mehrmals hielt der Hagere jäh inne schen leite ich mit den anderen Tibirian
und stand dann für wenige Sekunden Melech alle erforderlichen Maßnahmen
völlig steif. Wahrscheinlich »betrachte­ ein, damit wir den GESETZ-Geber end­
te« er den Raum. Sein Helm musste lich besser unter Kontrolle bringen.«
schalldurchlässig sein, bestand vielleicht
aus Formenergie, die bestimmte Fre­ *
quenzen nicht beeinträchtigte.
Auf Mondra wirkte Selexon roboter­ Wie Schuppen fiel es Mondra Dia­
haft. Als stehe er über den Dingen. Da­ mond von den Augen. Auch die Gegen­
bei schien es vor allem sein düster wir­ seite beherrschte CHEOS-TAI nicht
kendes Organband zu sein, das in ihr vollständig. Das erklärte die eher schwa­
diesen Eindruck hervorrief. Doch seit chen Angriffe auf die Erkundungstrupps
wann ließ sie sich von Äußerlichkeiten der JULES VERNE ebenso wie die Tat­
beeinflussen? Instinktiv schrieb die Ter­ sache, dass die VERNE nicht im Hand­
ranerin diesem Wesen die Verantwor­ streich erobert worden war. Sogar, dass
tung für den Angriff auf die JULES sie und ihr Trupp sich noch ungehindert
VERNE zu. bewegen konnten.
Der Hagere schien sich umzusehen. Mondra duckte sich, als Selexon den
Das spürte sie, auch ohne dass er sich Kopf hob. Bange Sekunden lang fürch­
bewegte. tete sie, der Hagere habe sie bemerkt.
»Beendet die Arbeiten!« Als sie vorsichtig wieder nach unten
Seine Stimme hatte einen sonoren, blickte, sah sie jedoch die letzten Kampf­
leicht hallenden Klang. Selexon bedien­ roboter davonschweben.
te sich wie die Heromet der Sprache der Mit herrischen Gesten scheuchte Se­
Mächtigen, nur war er besser verständ­ lexon etliche Heromet vor sich her.
lich. Mondra nahm jedenfalls an, dass Mondra blickte ihnen nach, bis alle ver­
sie Selexons Stimme hörte. schwunden waren.
»Was hier geschehen ist, bleibt ohne »Tibirian Melech ...« Lautlos formten
Bedeutung. Es gibt Wichtigeres zu tun.« ihre Lippen den Namen, der eine ganz
Nahezu alle Heromet stellten ihre Ar­ bestimmte Saite in ihr zum Schwingen
beit ein. Einige duckten sich, als Selexon gebracht hatte.
auf sie zuschritt. Sah Selexon nicht beinahe aus wie ein
»Wo ist der TAI-Servo?« Thermodyn-Ingenieur? Die Ingenieure,
»Hier«, erklang es zögernd. das wusste sie, führten ihre Abstam­
Selexon wandte sich langsam um. mung auf ein legendäres Urvolk zurück.
»Kümmert euch ab sofort um die Stasis­ Melech hatten sie jenes Volk genannt,
säle! Du bist verantwortlich für den über das ihnen wenig bekannt gewesen
reibungslosen Ablauf. Ich verlange um­ zu sein schien.
16 HUBERT HAENSEL

Mondra zögerte keine Sekunde län­ Fröstelnd scheuchte er zwei Servos


ger. zurück, die ihm viel zu nahe kamen.
»Wir folgen Selexon und den Hero­ Selexon atmete auf, als die Sphäre
met!« sich endlich hinter ihm schloss und be­
Pothawk antwortete mit einer Geste schleunigte.
der Zustimmung, und Master-Sergeant Sein Körper rumorte, die Haut brann­
Ardibi nickte zufrieden. te. Nicht lange, dann würde er schreiend
zusammenbrechen. Die Frage, wie das
enden sollte, schob er allerdings in dem
3. Moment weit von sich.
Er dachte kurz an die fremden Robo­
Die Heromet waren Servos, Befehls­ ter. Selexon glaubte nicht, dass die ke­
empfänger der untersten Stufe, die be­ gelförmigen Maschinen eine ernsthafte
nötigt wurden, um das ganz normale Bedrohung dargestellt hatten. Die Be­
Leben in CHEOS-TAI aufrechtzuerhal­ seitigung aller Hinterlassenschaften der
ten. Mehr stand ihnen nicht zu. Eindringlinge in CHEOS-TAI ging gut
Inkh Selexon erwartete, dass Servos voran. Was fehlte, war eine ausreichende
funktionierten. Das war alles. Darüber Desinfektion.
hinaus mochte er diese Geschöpfe nicht. Der Tibirian Melech streckte sich. Nur
Sie waren zu viele, zu laut und oben­ noch kurze Zeit, dann konnte er die
drein lästig. Weil sie nicht daran dach­ Strahlendusche durchschreiten und den
ten, achtungsvollen Abstand zu halten. Schutzanzug ablegen. Die Dinge wür­
Er fühlte sich von ihnen geradezu be­ den sich normalisieren.
drohlich eingeengt, so war es schon im­ Er versuchte, die vorbeihuschenden
mer gewesen. Räumlichkeiten genauer in Augenschein
»Viele von uns haben den Stasisschlaf zu nehmen. Aber das war ihm so gut wie
nicht überstanden ...« unmöglich, denn seine Sinne wurden
Es interessierte ihn nicht. von der Sphäre reflektiert.
»Wir müssen alle Wohnbiotope über­ Inkh Selexons Gedanken schweiften
prüfen. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar zurück, während er sich der Lenkzen­
gering, dass dort Informationen über trale näherte.
die Rekonstruktion zusammengetragen
wurden, aber vielleicht wurden nicht al­ Eineinhalb Tage zuvor
le von uns in Stasis geschickt. Wir wis­
sen es noch nicht ...« Sein Erwachen geschah übergangslos.
»Hört auf damit! Ich ertrage euer Ge­ Von allen Seiten brandeten Schallwellen
schwätz nicht!« heran, die ihn den Raum spüren ließen
Diese Pelzkreaturen waren so uner­ – und ergaben ein Bild, das ihn zutiefst
hört lästig! Ihr Geschwätz schwirrte verunsicherte. Er registrierte Tod und
umher und konnte einem ausgewachse­ Leben so nahe zusammen, wie er es nie
nen Tibirian Melech jede Orientierung zuvor wahrgenommen hatte.
rauben. Übelkeit tobte in seinen Eingeweiden.
Selexon wählte eine Energiesphäre als Sie verdichtete sich zu dem entsetzli­
Transportmittel, zumal die ersten Servos chen Gefühl, den eigenen Körper nicht
schon ihre Anzüge öffneten. Er wollte kontrollieren zu können. In seiner Ma­
nicht sehen, wie der Speichel von ihren gengegend breitete sich ein unheimli­
großen Zähnen tropfte und sie beim ches Ziehen aus, als erwachten die Or­
schnellen Reden infektiöse Tröpfchen gane zu rebellischem Eigenleben.
verschleuderten. Das widerte ihn an. Inkh Selexon fragte sich, ob das im­
Nach der Stasis 17

mer schon so gewesen war. Aber seine auf, höhlte ihn aus, würde eines Tages
Erinnerung blieb leer. nur eine leblose Hülle übrig lassen ...
Er starrte zur Decke hinauf. Der Als Inkh Selexon Minuten später zum
Schall flutete von dort zurück und ver­ zweiten Mal aus der Wahrnehmungslo­
mischte sich mit dem, was von den Sei­ sigkeit des Nichts emportauchte, lagen
ten herandrang, lauter werdend, eine seine Hände schwer auf dem Organband
schreckliche Unruhe, die sich aufschau­ und erstickten nahezu jede äußere Wahr­
kelte und zur erstickenden Woge an­ nehmung.
wuchs ... Seine Wut über das Geschehene wur­
Er riss die Hände hoch, verkrampfte de zu Zorn ... schwoll an zu Hass auf al­
die Finger über dem Organband und les, was für seinen Zustand verantwort­
versuchte auf diese Weise, den Schall lich war ... und verwehte in dem Moment,
fernzuhalten. als ihm klar wurde, dass ihn die Hinter­
Das Abbild seiner näheren Umgebung gründe der Mentalen Revision nicht in­
verwischte sofort. Selexon starrte in eine teressieren durften. Die Revision konnte
eigentümliche Leere, die nur an wenigen nur von einem Thermodyn-Ingenieur
Stellen verzerrte Konturen generierte, angeordnet worden sein, und die Inge­
genau dort, wo der Schall zwischen sei­ nieure waren die obersten Befehlshaber
nen Fingern hindurchschlüpfte. jedes GESETZ-Gebers. Ihre Entschei­
Übrig blieb eine brennende Übelkeit. dungen, wie immer sie ausfallen moch­
Die furchtbare Empfindung, krank zu ten, unterlagen keinesfalls der kritischen
sein, etwas Unheimliches in sich zu tra­ Bewertung durch die Tibirian Melech.
gen, das seinem Leben jäh ein Ende set­ Quirlende Bewegung lenkte ihn ab.
zen konnte. Rings um seine Stasisliege registrierte
Selexon krümmte sich zur Seite. Eine er mehrere Wesen. Sie schienen un­
unbändige, brennende Wut wuchs in schlüssig zu sein; ihre Haltung und ihr
ihm. Wer immer für seinen Zustand ver­ Flüstern drückten das deutlich aus.
antwortlich war, musste sich vorsehen. Dennoch kamen sie zögernd näher.
Allzu schnell konnte derjenige sich auf Heromet?
einer unbelebten Welt wiederfinden, Selexon reagierte erneut mit Zorn.
denn was der Fiktiv-Ankläger ringsum Hatten ausgerechnet Heromet den Weck­
wahrnahm, waren nicht die Maßstäbe, vorgang eingeleitet? Aber warum nicht?
die in CHEOS-TAI galten. Was war daran falsch? Er fragte sich,
Namen waren plötzlich wieder da. wer sonst die Tibirian Melech hätte auf­
Bilder. Nicht viele. Nicht zusammen­ wecken sollen – und entsann sich nicht.
hängend. Darüber hinaus kaum etwas. Wenn er dieses Wissen jemals besessen
Den Rest an Wissen hatte ihm die Men­ hatte, war es ihm von der Revision ge­
tale Revision genommen. nommen worden.
Warum? Doch die Heromet, das Millionenheer
Inkh Selexon atmete hastiger. Er hy­ der dienstbaren Servos? Sicherlich hat­
perventilierte. Wehrte sich mit aller ten sie mit dem Erweckungsvorgang
Kraft gegen den nahenden Tod, weil er nichts zu tun. Sie waren keine Spezialis­
doch eben erst ins Leben zurückgerufen ten, die das Überleben aller im Stasis­
worden war. Das Pochen verlagerte sich schlaf Liegenden garantieren konnten.
in seinen Brustkorb, ein Rumoren, als Und gerade deshalb bereitete ihm ihre
hätten Sehnen, Muskeln und Knochen Nähe quälendes Unbehagen. Neugierig
einen unverständlichen Wachstumspro­ drängten sie heran, als hätten sie nie ei­
zess begonnen. Etwas Unheimliches nen Fiktiv-Ankläger gesehen.
hatte sich in ihm eingenistet. Es fraß ihn Inkh Selexon würgte. Das Pochen war
18 HUBERT HAENSEL

in seinen Hals weitergewandert und Taffanaro und der Kleinere, der sich
schnürte ihm die Luft ab. Er rang nach schräg hinter ihm hielt, bedachten sich
Atem, drückte beide Hände auf seinen gegenseitig mit einem verwirrten Blick.
Hals und richtete sich ruckartig auf. »Von ...« Taffanaro schloss eine Hand
»Ich bin Inkh Selexon«, brachte er um seine beiden riesengroßen Zähne.
heiser über die Lippen. »Was geht hier Kein Zweifel, dass er davor zurück­
vor?« schreckte, die Verfehlung einzugestehen.
Mehrere Servos wichen zurück, als er Dass er wusste, welchen Vertrauens­
sich ihnen zuwandte. Selexon grub die bruch er begangen hatte, wog umso
Finger in seinen Hals und in die untere schwerer.
Gesichtshälfte. Das lenkte ihn ein wenig »Servo-Unterstützung wurde ange­
von dem tobenden Schmerz ab. Seine fordert. Aber das Problem ist, Fremde
Kehle schien der Länge nach aufzurei­ haben das verlangt. Sie gehören nicht zu
ßen, obwohl er kein Blut schmeckte. CHEOS-TAI. Sie sind in den GESETZ-
Vielleicht waren auch nur die Schleim­ Geber eingedrungen und versuchen, sich
häute ausgetrocknet. Die Stasis schien in seiner Bedienung zurechtzufinden.«
jedenfalls einige Wochen länger gedau­ Die Mentale Revision war mit einer
ert zu haben, als es seinem Organismus Umstrukturierung einhergegangen. Das
wirklich zuträglich gewesen wäre. war Selexon plötzlich wieder bewusst.
Selexon bemerkte zwei Servos, die ihn »Diese Fremden sind vielleicht die
anstarrten. Er setzte gerade zu einer neuen Herren des GESETZ-Gebers«,
scharfen Rüge für dieses Verhalten an, vermutete er. »Sie brauchen mehr Zeit
als es aus dem etwas Größeren der bei­ als nur wenige Wochen ...«
den hervorsprudelte. »Nein, nein!« Heftig mit einer Hand
»Ich bin Taffanaro. Wenn es das wedelnd, fiel der Servo dem Tibirian
Schicksal nicht mehr anders bestimmt, Melech ins Wort, aber Selexon ignorier­
bin ich der einzige TAI-Servo, der den te den Vorfall. »Das sind Fremde! Sie
langen Stasisschlaf überlebt hat. Viele gehören nicht hierher! Sie haben die
von uns sind tot. Aber wir haben gesucht Servo-Unterstützung irrtümlich ange­
und diesen Saal mit den Tibirian Melech fordert. Weil sie nicht einmal wissen,
entdeckt – und euch aufgeweckt.« was das bedeutet, und schon gar nicht,
Die letzten Worte kamen hastiger als dass wir Heromet aus der Stasis aufge­
alles vorher. Als fürchte sich der TAI- weckt werden. Ein Teil des Problems ist
Servo vor dem eigenen Fehlverhalten. Es die Zeit, die wir im Konservierungs­
war nicht richtig, dass Servos im Stasis­ schlaf verbracht haben: neunundzwan­
schlaf Liegende weckten, davon war Se­ zig Millionen Jahre!«
lexon nun endgültig überzeugt. Neunundzwanzig ... Inkh Selexon
»Wer hat euch die Befugnis erteilt?«, brachte den Gedanken nicht zu Ende.
fragte er lauernd. Absurd, sagte er sich. Die Servos hatten
Ein solches Fehlverhalten musste un­ den Verstand verloren – ein Grund mehr,
weigerlich zur Anklage führen. Hatte es gegen sie Fiktiv-Anklage zu erheben.
das jemals gegeben, dass einfache Ser­ Andererseits: Deshalb spürte er Tod und
vos einen Thermodyn-Ingenieur über­ Leben so nahe beieinander. Und dass er
gingen? Das Urteil konnte nur auf Ver­ sich schwach fühlte, krank geradezu,
bannung aus CHEOS-TAI lauten. erklärte sich aus dieser unglaublichen
Taffanaro schwieg. Zeitspanne. Mehrere galaktische Zeital­
»Warum antwortest du nicht?«, herrsch­ ter waren vergangen. Für einen solchen
te Selexon den Pelzigen an. »Ich will wis­ Zeitraum waren die Stasisliegen ver­
sen, von wem die Befugnis stammt!« mutlich nie gedacht gewesen.
Nach der Stasis 19

»Ist das alles?«, hörte Selexon sich fra­ desto mehr Anlass sah Selexon, sich nä­
gen. Jedes Wort stieß er wie eine wüten­ her mit ihnen zu befassen.
de Anklage hervor. Er konnte nicht an­ Der TAI-Servo neben der Stasisliege
ders, musste das tun, was er stets getan redete so hastig wie jemand, der sich al­
hatte, nämlich Schaden von CHEOS­ le Mühe gab, unlautere Machenschaften
TAI abwenden. Keine Mentale Revision zu verbergen.
würde es jemals schaffen, ihn seine Auf­ Inkh Selexon unterbrach ihn schließ­
gabe vergessen zu lassen. lich mit einem harschen Ausruf: »Sei
Bebend hörte er zu, was Taffanaro ihm endlich still, du Schwätzer! Oder ist dir
berichtete. egal, was ringsum vor sich geht?«
Vergeblich hatten die Servos versucht, Das Schallbild des Saales hatte sich
kompetente Hilfe gegen die fremden deutlich verändert. Überall waren die
Eindringlinge zu mobilisieren. Doch of­ weichen Schwingungen des Todes, aber
fensichtlich war die gesamte ursprüng­ dazwischen Wellen wachsender Unru­
liche Besatzung in den Stasisschlaf ver­ he.
setzt worden. Ungezählte Tote, nach all Der TAI-Servo und der andere, sein
den Jahrmillionen zu Staub zerfallene Stellvertreter, starrten ihn mit einem
Körper – mehr hatten die Servos nicht Mal seltsam unbewegt an. Für einen
vorgefunden. Erst zuletzt den Schlafsaal flüchtigen Moment fragte sich Selexon,
der Tibirian Melech. wie diese Wesen mit nur zwei optisch
»Ich habe angeordnet, die Schläfer in wirkenden Organen diffizile Details
diesem Saal aufzuwecken«, gestand Taf­ wahrnehmen wollten. Doch offenbar
fanaro. »Die Tibirian Melech sind schafften sie es, denn sie schienen sein
höchstwahrscheinlich die Einzigen, die Organband zu mustern, als könnten sie
Klarheit in das Geschehen an Bord brin­ tatsächlich das leichte Muskelspiel er­
gen können.« fassen, mit dem Selexon sich einpegelte.
»Was ist mit den Fremden?«, herrsch­ Seine Sinne suchten nach der idealen
te Selexon den TAI-Servo an. Wahrnehmung.
Furchtsam schaute das pelzige Wesen Schräg hinter ihm richtete sich einer
zur Seite. »Ich ... wir ... wir hoffen, dass der anderen Schläfer auf. Während Se­
die Tibirian Melech wissen, was zu tun lexon festzustellen versuchte, wie viele
ist.« Fiktiv-Ankläger die Stasis wirklich
überstanden hatten, fixierte er den
* Mann, der sich schon von der Liege
schwang.
Inkh Selexon war entsetzt. Was bilde­ Er war gut eine Handspanne größer
te sich der TAI-Servo eigentlich ein? Die als Selexon und wirkte ungewöhnlich
Tibirian Melech waren keine Techniker, hager. So überaus zerbrechlich, wie sei­
und sie würden es schon gar nicht wa­ ne Gliedmaßen erschienen, konnte jeder
gen, sich mit den Thermodyn-Ingenieu­ nur Mitleid mit ihm empfinden.
ren auf eine Stufe zu stellen. Nie hatten Mirscon? Der Name tauchte ohne Se­
sie gelernt, den GESETZ-Geber zu be­ lexons Zutun in seinen Gedanken auf.
herrschen; ihre Aufgabe war einzig und Struul Mirscon, einer der rührigsten An­
allein, die Gesinnung der Besatzungen kläger überhaupt.
zu analysieren und Fehlentwicklungen Sogar so kurz nach dem Erwachen
zu verhindern. Und je mehr einfache glaubte Inkh, Struuls bedrückend schwe­
ausführende Organe wie die Servos ihre re Ausstrahlung zu spüren. Kein Wunder,
Zuverlässigkeit betonten und zugleich dass der Mann die zahlenmäßig größten
Sorgen über andere Dinge äußerten, Erfolge aufzuweisen hatte, vor allem
20 HUBERT HAENSEL

sehr viele frühzeitig aufgespürte Verwir­ und entsann sich entsetzt des Pochens,
rungen, die noch eine schnelle Behand­ das er selbst vor wenigen Augenblicken
lung erlaubt hatten. Ungewöhnlich viele in sich gespürt hatte.
seiner Fänge hatte deshalb auch weiter­ Dass Mirscon kein Einzelfall war, er­
hin an Bord bleiben können. kannte Inkh Selexon erst jetzt. Ein un­
Selexon setzte sich am Rand seiner heilvolles Stöhnen und Wimmern erfüll­
Liege auf. Wenig später stand er sogar te den Saal.
schon wieder auf den Beinen, wenn­ Er presste seine Arme an den Ober­
gleich er noch einen Halt brauchte, an körper, als könne er auf diese Weise das
dem er sich abstützen konnte. Die Ser­ Unheil abwehren. Mirscon wälzte sich
vos beachtete er schon nicht mehr, denn am Boden. Seine Beine zuckten, als müs­
er brauchte sie jetzt nicht. se er sich eines unsichtbaren Gegners
Mirscon hob den Kopf, neigte ihn ein erwehren, und für einen Moment war
Stück weit zur Seite. Ja, das war wirk­ Selexon tatsächlich versucht zu glau­
lich Mirscon. Die verquollene Narbe ben, dass die Fremden angriffen.
quer über dem Organband, die einen Was wollten sie in CHEOS-TAI?
schmalen Teil seines Gesichtsbereichs Mirscon lag endlich still. Sein Gesicht
für immer geblendet hatte, war unver­ entspannte sich. Inkh Selexon konnte
kennbar. jenen zufriedenen Ausdruck darin er­
Selexon lachte heiser. »Freund!«, rief kennen, als habe der Freund Abwei­
er. »Du weißt gar nicht, wie gut es tut, chungen aufgespürt.
dich zu sehen.« Immer mehr Erinnerungsfetzen bra­
Er wollte auf Mirscon zueilen, der zö­ chen in ihm auf. Er entsann sich, dass sie
gernd einen Arm hob, wollte ihn unmit­ beide in perfekter Zusammenarbeit das
telbar vor sich sehen, obwohl ihm solch Volk der Khormuren von Bord entfernt
intensive Nähe sonst den Schweiß aus hatten, mehr als drei Millionen Indivi­
allen Poren trieb, doch er verharrte duen, die in der Lage gewesen waren, so­
schon nach wenigen Schritten. gar die Ingenieure über ihre Absichten zu
Mirscons Arm entsetzte ihn. Die Haut täuschen. Sie würden wieder so erfolg­
hatte sich in einem begrenzten Bereich reich zusammenwirken wie damals ...
dunkel verfärbt, und daran änderte sich Mirscons Schwingungen erloschen in
auch nichts, als Mirscon die Pigmentstö­ dem Moment. Der Ankläger, einer der
rung hastig mit der anderen Hand ver­ besten auf CHEOS-TAI, war tot.
decken wollte. Der gesamte Unterarm Selexon warf den Kopf in den Na­
schien mit einem Mal zu pulsieren, cken.
Handballen und Finger schwollen zu ei­ »Mörder!«, gellte sein heiserer Auf­
nem unförmigen Fleischklumpen an. schrei durch den Saal, und er sah einige
Der Vorgang erfasste Augenblicke spä­ Servos furchtsam zurückweichen. Sie
ter auch den Oberarm. interessierten ihn nicht.
Mirscon taumelte. Er schaffte es nicht Was hatte sich an Bord abgespielt?
mehr, sich zu artikulieren. Nur ein un­ Selexon registrierte den beißenden,
verständliches Wimmern quoll aus sei­ süßen Gestank, der sich langsam aus­
nem Mund. Langsam sackte er in sich breitete und intensiver wurde. Es roch
zusammen. Sein Gesicht spiegelte Ent­ nach Moder und Verwesung, und beides
setzen und Panik. bereitete ihm Übelkeit. Seine rechte
Wir gelähmt wartete Selexon darauf, Hand fuhr hoch zur Kehle, einen Atem­
dass die Schwellung auf den ganzen zug später presste er sie auf seine Nasen­
Körper übersprang. Er starrte den öffnung. Nichts wurde davon besser.
Freund an, sah dessen Arm pulsieren Schier unüberschaubar reihten sich
Nach der Stasis 21

die Stasisliegen aneinander. Jede war lexons Gedanken. Mit vor das Gesicht
dafür geschaffen, einen Tibirian Melech gepressten Händen torkelte er weiter.
am Leben zu erhalten. Entsetzt regis­ Aber schon nach wenigen hastigen, von
trierte Selexon die vielen regungslos da­ Furcht getriebenen Schritten wurde der
liegenden Körper, die ihm so unverän­ Drang einzuatmen unerträglich. Als er
dert steif erschienen wie noch vor weni­ keuchend die Luft zwischen den Fingern
gen Minuten, als er selbst erwacht war. hindurchsog, brannte der Moder ekeler­
Weit mehr als die Hälfte aller Schläfer regend auf seiner Zunge und in der Keh­
lebten nicht mehr. Diese Körper verfie­ le. Selexon kippte einfach nach vorne, er
len zusehends, und der Gestank, den sie stützte sich an der Liege ab und übergab
verbreiteten, wurde unerträglich. sich.
»Unternehmt doch etwas dagegen!«, Winzige Schleimfetzen brachen wür­
herrschte Selexon die Servos an. »Schafft gend aus ihm hervor, doch er fühlte sich
die Leichen fort! Raus damit!« danach keinen Deut besser. Der Mann,
Der Gestank würgte ihn. der den Staub aufgewirbelt hatte, lag
Alle diese Tibirian Melech konnten schlaff und eigenartig verdreht wenige
nur während der Stasis gestorben sein. Schritte neben ihm.
Die Konservierungsfelder hatten Tote Selexon schaffte es nicht, sich abzu­
erhalten, verwesende Hüllen, die nun wenden. Er wollte davonlaufen, aus dem
schlagartig verfielen. Saal fliehen, in dem längst alles vom Tod
Hatte es schwere Kämpfe gegeben, in infiziert war – er konnte es nicht.
die CHEOS-TAI verwickelt worden war? Voll Abscheu und Faszination zu­
Dann waren möglicherweise Energie­ gleich starrte er den Sterbenden an, des­
ausfälle für den Tod so vieler Schläfer sen aufgeblähten Schädel, den ein unbe­
verantwortlich. greiflicher Vorgang auseinandertrieb.
Selexon fragte sich nicht, wann das Was immer die Knochenstruktur zu die­
geschehen sein mochte, sondern warum sem Riesenwuchs veranlasste, das Or­
er zu jener Zeit nicht geweckt worden ganband war bereits in unzählige Fetzen
war. Welche Besatzung trug die Verant­ zerrissen. Selexon vermochte nicht zu
wortung für all das, und wohin mochte erkennen, ob dieser geradezu explosive
sie verschwunden sein? Wachstumsprozess nur noch totes Ge­
Das waren Fragen, auf die es keine webe erfasste. Auch der Oberkörper des
Antwort gab. So weit reichte Selexons Tibirian Melech blähte sich nun auf; die
Erinnerung, dass ihm bewusst wurde, er Haut wurde spröde und rissig.
würde von CHEOS-TAI direkt keine In­ Selexon hastete weiter. Einen Servo,
formationen über die Vergangenheit er­ der urplötzlich vor ihm stand und auf
halten. Aber diese Fragen lenkten ihn ihn einredete, stieß er schroff zur Seite.
ab, während er zwischen den Liegen Erst kurz darauf wurde ihm bewusst,
hindurchtaumelte. dass der Servo Hilfe angeboten hatte. Es
Andere Tibirian Melech erhoben sich. war ihm egal, er hatte keine Unterstüt­
Überall registrierte er nun Bewegung; zung angefordert.
mehrere hundert waren wach. Selexon Inkh Selexon hielt inne, um sich zu
glaubte zu spüren, dass viele von ihnen orientieren. Wenn er überleben wollte,
den Tod dennoch in sich trugen. Er wich musste er den Saal schnellstens verlas­
ihnen aus. sen. Versiegeln. Desinfizieren. Er wusste
Vor ihm zerfielen die Überreste eines nur nicht, wie er das bewerkstelligen
Körpers. Einer der Überlebenden torkel­ sollte, solange die Fremden die Lenk­
te heran und wirbelte den Staub auf. zentrale besetzt hielten.
Nicht einatmen!, dröhnte es durch Se­ Weiter!
22 HUBERT HAENSEL

Seine Aufmerksamkeit streifte eine Irgendetwas wuchs in Lindbaks Ge­


der Liegen dicht vor ihm. Der Tibirian sicht. Die entstehende Geschwulst war
Melech, der dort die Ewigkeit überdau­ schon so groß wie eine Faust. Muskel­
ert hatte, war wach. Allerdings schien er stränge zuckten Tentakeln gleich ab­
sich noch nicht zurechtzufinden. Viel­ wärts, traten fingerdick an Lindbaks
leicht war er als einer Letzten aufge­ Hals hervor und durchbrachen die Haut
wacht. von innen. Lindbak schien gar nicht
Selexon kannte ihn. mehr wahrzunehmen, dass sich sein
Körper derart verselbstständigte.
* Auf der anderen Schädelseite begann
die Veränderung ebenfalls.
»Kalitt Lindbak!«, brachte Inkh Sele­ »Kalitt, komm zu dir!«, schrie Selexon
xon stockend hervor. »Wie fühlst du auf. »Es wird dich umbringen, wenn du
dich?« dich nicht zur Wehr setzt!«
Er stellte die Frage bewusst. Immer­ Er warf sich förmlich nach vorne. Sei­
hin hatte die Mentale Revision ihm nicht ne Hände schlossen sich mit unnachgie­
alles genommen. Soweit es sein Wissen biger Härte um Lindbaks Arme. Er rüt­
über die anderen Tibirian Melech betraf, telte sein Gegenüber, als müsse er es aus
schien seine Erinnerung heute genauso einer tiefen Trance herausreißen.
gut zu funktionieren wie vor einer Ewig­ Für einen kurzen Moment erstarrte
keit. Selexon. Ein widerlich zwanghaftes Ge­
Lindbak hatte in demselben TAI-Ku­ fühl sprang auf ihn über, er glaubte sich
bus gearbeitet wie Selexon. Er war jün­ Lindbak dabei so nahe, wie er nie zuvor
ger, lächerliche dreißig Jahre, und hatte einem Wesen nahe gewesen war.
erst kurz vor der Stasis von der zwei­ Abscheu erfüllte ihn, zudem spürte er
hundertsten Wiederkehr seines Geburts­ die mit Lindbak vorgehende Verände­
termins gesprochen. Geraume Zeit rung unglaublich intensiv.
hatten sie zusammengearbeitet, aber Mit aller Kraft sträubte er sich dage­
dennoch nicht solch durchschlagende gen. Er keuchte, schrie, wurde sich des­
Erfolge erzielt wie Mirscon, der oft ein sen aber erst bewusst, als ihn etwas Un­
wenig schneller gewesen war mit seinen sichtbares heftig zurückschleuderte.
Erkenntnissen. Lindbak sackte reglos in sich zusam­
Lindbak stemmte sich auf den Unter­ men. Er hatte das Bewusstsein verloren.
armen hoch. Sein Gesicht verzerrte sich Doch seine geschwürartige Veränderung
in einer stummen Frage, aber dann bildete sich zurück.
schien er Selexon zu erkennen. Er woll­ Gesicht, Hals und die Schulter waren
te etwas sagen, doch nur ein gequältes schon Minuten später wieder glatt und
Stöhnen kam über seine Lippen. ließen nicht einmal eine Narbenbildung
Ein Zucken durchlief den gedrungen erkennen, als der Tibirian Melech lang­
wirkenden Körper. Das Gesicht verzerr­ sam wieder zu sich kam. Es kostete ihn
te sich. Es begann in den Mundwinkeln einige Mühe, auf die Beine zu kommen,
und griff gedankenschnell auf die Wan­ aber dann griff er völlig überraschend
gen über, sprang bis zum Organband nach Selexons Händen und umklam­
hoch, und schon quoll das halbe Gesicht merte dankbar seine Handgelenke.
auf. Die bleiche Haut wurde vollends Inkh Selexon starrte den anderen ent­
farblos, platzte auf, und die Verände­ geistert an. Spontan riss er sich los.
rung zog sich den Hals entlang abwärts, »Ich weiß nicht, wie krank du bist«,
griff auf die Schulter über und den lin­ stieß er heftig hervor. »Also rühr mich
ken Arm. nicht an!«
Nach der Stasis 23

4. Sie erweckten den Anschein, als wäre er


nicht einmal einen Tag lang fort gewe­
Der Anblick der zerfallenden Toten sen.
verfolgte Selexon; er schaffte es nicht, Was spielte es auch für eine Rolle, wie
sich davon zu lösen. Diese Bilder klebten sich die Universen außerhalb von
unglaublich hartnäckig an ihm. CHEOS-TAI veränderten, ob hochste­
Dabei war es keineswegs so, dass ihn hende Völker untergingen oder andere
das Ende so vieler Stasisschläfer über­ mit unverdorbener Neugierde in den
mäßig bewegt hätte. Die beeinträchtigte Raum hinausdrängten? Illusionen hat­
Erinnerung ließ gar nicht erst das Emp­ ten anfangs alle. Und irgendwann kam
finden von Vertrautheit mit all diesen die Ernüchterung.
Tibirian Melech aufkommen. Jene, die es Die Auseinandersetzung zwischen
nicht geschafft hatten, blieben Fremde Kosmokraten und Chaotarchen war
für ihn. So wie die meisten Überleben­ noch lange nicht an ihrem Höhepunkt
den. angelangt. Darüber brauchte Inkh Sele­
Er weigerte sich, länger darüber nach­ xon nicht eine Sekunde lang nachzuden­
zudenken. Was in den Sälen geschehen ken. Er kannte TRAITOR, wusste um die
war, blieb irreversibel. Es wäre unver­ Schauplätze aberwitziger Schlachten ...
zeihlich gewesen, seine Kräfte damit zu Er hatte das gewusst, stellte er irritiert
vergeuden. fest. Geblieben waren nur wenige
Der Fiktiv-Ankläger wusste nicht, Schlagworte wie die ungenießbare Scha­
wie viele Erinnerungen ihm die Mentale le einer Frucht, während ihr Inneres sich
Revision genommen hatte. Sie tauchten aufgelöst hatte.
auf, wenn er sie brauchte, und da er na­ Selexons Hauch von Bedauern ver­
türlich nicht wusste, was er vergessen wehte träge, als er die Hygienezelle be­
hatte, vermisste er kaum etwas. Das un­ trat. Knapp artikulierte er Steuerbefeh­
ter einem irisierenden Energiefeld lie­ le, die ihm in dem Moment auf den
gende Ankläger-Dorf war ihm auf An­ Lippen lagen, als er sie brauchte.
hieb vertraut. Flirrend hatte sich die Heiße Wasserstrahlen peitschten sei­
Konservierung aufgelöst und die Ge­ nen Körper. Nur so konnte er sicher sein,
bäude aus Metall und Kunststoff freige­ den Staub der Toten aus seinen Poren
geben. herauszuwaschen. Im Stasissaal hatte er
Die Zeit mochte an der Technik der sich dem nicht entziehen können, doch
Kosmokraten spurlos vorübergegangen mittlerweile würgte ihn schon der Ge­
sein, nicht aber an den Besatzungen und danke an den Schmutz und die vielfälti­
den Ingenieuren, die seit der Umstruk­ gen mikrobiologischen Verunreinigun­
turierung die Verantwortung für den gen, denen er ausgesetzt gewesen war.
GESETZ-Geber getragen hatten. Immer Langsam nahm seine Haut eine satte
drängender fragte sich Selexon, ob es rote Färbung an. Selexon aktivierte die
wirklich keiner Fiktiv-Ankläger mehr Unterdruckabsaugung.
bedurft hatte, um die Funktionsfähig­ Wirklich wohl war ihm danach trotz­
keit von CHEOS-TAI zu gewährleisten. dem nicht zumute. Er war nicht mehr
Waren die Veränderungen fehlge­ Nährboden für Sporen und Pilze, aber
schlagen? krank blieb er dennoch. Auch ohne neue
Später, gab der Fiktiv-Ankläger sich Kontaminationen fühlte er sich schwach
selbst zur Antwort. Vorerst ist nicht die und elend.
Zeit, mich damit zu befassen. Im grellen Fluoreszenzlicht spuckte
Er hatte jene Räume wieder bezogen, der Generator neue Kleidung aus. Sele­
in denen er immer schon gelebt hatte. xon streifte sich den Hüftschutz über
24 HUBERT HAENSEL

und schloss die Wulstkombi um seinen Einer der Pelzigen hatte ein Steuerge­
Oberkörper. Ein rascher Test der in den rät von seinem Gürtel gelöst. Mehrere
Wülsten untergebrachten Energiespei­ kleine Holos leuchteten auf. Das Käst­
cher und Projektoren verlief für ihn zu­ chen entglitt ihm, als Selexon auf ihn
friedenstellend. zukam, und rutschte ein Stück weit über
Mit einigem Unbehagen widmete er das nasse Gras.
sich schließlich der angesetzten Kultur. Bis der Servo sich bückte, stand der
Die Nachweisschale entstammte dem Fiktiv-Ankläger schon vor ihm und
medizinischen Notfallsatz der Wohnein­ stellte seinen Fuß auf das Steuergerät.
heit. Obwohl Selexon den Nährboden »Ich zweifle an deiner Zuverlässig­
nur mit zwei Fingern berührt hatte, wa­ keit«, herrschte Selexon den Kleinen
ren in kürzester Zeit flaumartige Struk­ an.
turen gewachsen. »Herr, das war keine Absicht, ich ...«
Selbst wenn die Filtersysteme der At­ Ein leises Knirschen erklang, als Se­
mosphäreumwälzung alle pathogenen lexon heftig zutrat. Er drehte den Fuß­
Erreger abtöteten, überall da, wo sich ballen mehrmals, und als er sein Bein
die Eindringlinge aufhielten, musste die zurückzog, war das Steuergerät in eine
Belastung deutlich erhöht sein. Vielzahl von Splittern zerborsten.
Selexon unterzog sich nicht der Mühe, »Wenn ich umgehend sage, meine ich
länger darüber nachzudenken. Die Be­ umgehend. Also sieh dich vor, Servo!
schreibung der vielgestaltigen Fremden, Fall mir nicht noch einmal unangenehm
die ihm der TAI-Servo gegeben hatte, auf.«
sagte wenig aus. Möglicherweise gehör­ Selexon ging weiter. Mit einer unwil­
ten sie nicht nur einem, sondern mehre­ ligen Bewegung rückte er seinen leicht
ren Völkern an. verrutschten Mundschutz zurecht. Der
Viele Völker, viele Keime. Das war die TAI-Servo hatte das blaue antiseptische
erste Folgerung, die der Ankläger dar­ Material nach seinen Anweisungen erst
aus zog. vor wenigen Minuten verarbeitet.
Es war nicht einfach gewesen, den
* Produktionsautomaten so zu program­
mieren, dass er die Filterfunktion des
»Ich habe diesen grässlichen Regen Mundschutzes ebenso generierte wie die
nicht angeordnet!«, herrschte Inkh Sele­ Passgenauigkeit der Handschuhe, die an
xon die beiden Servos an, die stehen ge­ Selexons Armmanschetten hermetisch
blieben waren, um ihn vorbeizulassen. abschlossen. Taffanaro hatte Blut und
»Sorgt dafür, dass der Niederschlag um­ Wasser geschwitzt und sich alle Mühe
gehend aufhört!« gegeben, zur Zufriedenheit seines Vor­
Unwillig schaute er zu dem kuppel­ gesetzten zu arbeiten. Aber dafür war
förmig gewölbten grauen Himmel hoch, ein Servo schließlich da.
der nicht einmal einen Hauch des sonst Zu locker, konstatierte Selexon, als
üblichen Goldtons erahnen ließ. Nebel der Mundschutz sich erneut verschob.
waberte bereits über den Boden. Blieb zu hoffen, dass der TAI-Servo die
»Soll ich mir in diesem nassen Klima Passform nicht absichtlich falsch zuge­
den Tod holen?« schnitten hatte. Aber nachbessern muss­
Für einen Moment sah es so aus, als te er ohnehin.
wolle der Tibirian Melech nach den bei­ Inkh Selexon fühlte sich gereizt. Der
den Heromet greifen. Sie entblößten ihre Gedanke an die Fremden beunruhigte
Schneidezähne, was Selexon nur noch ihn. Doch das war es nicht allein. Mit
mehr aufbrachte. den Eindringlingen fertig zu werden
26 HUBERT HAENSEL

würde vermutlich nicht schwerfallen. Selexon erstarrte beinahe. Zögernd


Dass etwas mit seinem Körper geschah, machte er schließlich eine Geste der Be­
über das er keine Kontrolle hatte, ent­ stätigung.
setzte ihn weit mehr. Es machte ihm so­ »Ich kenne das«, behauptete Lindbak.
gar Angst, und die Handschuhe und der »Du hast mir das Leben gerettet, als
Mundschutz waren nur ein Versuch, die­ mein Schädel bersten wollte. Unmittel­
ses lähmende Gefühl zu unterdrücken. bar davor habe ich mich schon nicht
In ihm rumorte es. Das dumpfe Zucken mehr wie ich selbst gefühlt. Ich hätte
war wieder da, es hatte seine linke Kör­ mir die Haut in Fetzen vom Körper rei­
perhälfte befallen. Als formte sich etwas ßen können. Ohne dich, mein Freund,
in ihm um. wäre ich vielleicht schon tot.«
Selexon hatte den Versammlungs­ Selexon schwieg dazu. Ihm war nicht
raum fast erreicht. Der Regen wurde klar, ob er überhaupt wieder einen Fik­
schwächer, aber das änderte nichts mehr tiv-Ankläger brauchte, der ihn als
daran, dass er sich klamm und unpäss­ Freund bezeichnete. Auf Mirscon hatte
lich fühlte. das zugetroffen. Aber Struul Mirscon
Mehrere Tibirian Melech richteten ihr hatte das Erwachen aus der Stasis nur
Organband so unmissverständlich pro­ für wenige Minuten überlebt.
vozierend auf ihn, als wollten sie ihn Als er schon weitergehen wollte, be­
selbst einer Anklage unterwerfen. Sie merkte Selexon, dass sein Gegenüber
fixierten seinen Mundschutz ebenso wie inzwischen eine Waffe trug. Damit
die Handschuhe. schmückten sich Tibirian Melech für ge­
»Zu viele von uns sind gestorben«, wöhnlich nicht. Ihre beste Waffe war das
sagte Selexon betont. »Wisst ihr, welche Wort, die offene Anklage und die Kon­
Krankheitserreger mit dem Staub ver­ frontation der Übeltäter mit den nie auf­
breitet wurden? Welche Seuchen die geschriebenen fiktiven Gesetzen.
Fremden eingeschleppt haben? Ich habe Eines derart schweren Kombistrah­
meine Sicherheitsvorkehrungen im In­ lers, wie Lindbak ihn mit sich schleppte,
teresse aller getroffen.« bedurfte es gewiss nicht, um sich an
»Du bist krank, Inkh«, erwiderte Tor­ Bord Respekt zu verschaffen. Waffen
desfar, und nur der spöttische Unterton mordeten – das Wort verletzte nur und
in seiner Stimme hielt Selexon davon ab, ließ den Verurteilten eine Chance, ihr
das zu bestätigen. »Was willst du mit dem Leben frei zu führen, außerhalb der Be­
Fetzen Stoff vor dem Mund erreichen? reiche, in denen sie Schaden anrichten
Die Servos werden über dich spotten.« konnten.
Fassungslos starrte er der Gruppe Lindbak schien die Veränderung in
hinterher, die nun rasch der Versamm­ Selexons Haltung sehr wohl zu bemer­
lungshalle zustrebte. Ihn derart zu miss­ ken. Er lachte heiser und wuchtete die
achten, hatte bislang niemand gewagt. Waffe mit beiden Händen hoch.
Oder erinnerte er sich nur nicht daran? »Du verteidigst dich mit einem blauen
Heftig zuckte er zusammen, als sich Mundschutz und mit undurchlässigen
eine Hand auf seinen Rücken legte. Er Handschuhen gegen Organismen, von
fuhr herum und sah Lindbak vor sich. denen du nicht wissen kannst, wo sie dir
»Du solltest mich besser nicht an­ auflauern«, stellte Kalitt anzüglich fest.
fassen«, sagte er mühsam beherrscht. »Ich verstehe das. Aber gefährlicher als
»Ich ...« Mikroben scheinen mir die Eindringlin­
»Weil du dann das Gefühl hast, dich ge zu sein. Wissen wir, wo sie jetzt gera­
häuten zu müssen? Dein Körper wird dir de sind? In der Lenkzentrale. Wo außer­
zu eng?« dem? Ich will mich verteidigen, falls sie
Nach der Stasis 27

im nächsten Moment angreifen. Viel­ gibt es an Bord keine aktive Besatzung


leicht ...«, er fiel in einen verschwöreri­ mehr. Damit fällt das Kommando der
schen Tonfall, »… vielleicht sind sie ranghöchsten Person zu. Das bin ich.«
Handlanger der Chaosmächte.« Niemand widersprach. Kalitt Lind­
bak breitete sogar freudig die Arme aus.
* Als Selexon ihn musterte, spürte er
deutlich Lindbaks nervöse Erregung.
Die Halle war für mehr als tausend Der Mann drängte nach vorne, um sich
Zuhörer ausgelegt, aber nicht einmal die zu profilieren.
Hälfte der Plätze war besetzt. Selexon Warum nicht? Selexon hatte wenig ge­
hoffte in dem Moment, dass dieses Bild gen einen Stellvertreter einzuwenden,
keinesfalls symptomatisch war für den der ihm Dankbarkeit entgegenbrachte.
Zustand von CHEOS-TAI. Kalitt Lindbak war alles andere als ein
Vielleicht, sagte er sich zögernd, wa­ einfacher Charakter, aber gerade des­
ren die glanzvollen Zeiten längst vorbei, halb wohl derjenige, der Unannehmlich­
und Tibirian Melech, Servos und allen keiten fernhalten konnte.
anderen kam nur mehr der Status von Es blieb die Frage, was Selexon mit
Fossilien zu. Eine Befürchtung, die ihm der Übernahme der Kommandogewalt
begründeter erschien, je länger er dar­ zu erreichen vermochte.
über nachdachte. Immer wieder fragte »Wir alle wurden der Mentalen Revi­
er sich, warum sie nicht sehr viel früher sion unterzogen«, fuhr er ruhig fort.
aus der Stasis geweckt worden waren. »Keiner von uns verfügt demnach über
Gab es an Bord des GESETZ-Gebers seine gesamten Erinnerungen. Wir wis­
wirklich keine Thermodyn-Ingenieure sen nicht mehr, was damals geschehen
mehr, die das Eindringen der Unbekann­ ist.«
ten hätten verhindern können? »Ich erhebe schwere Anklage gegen
Eine verlorene Entscheidungs­ die Besatzungen, die CHEOS-TAI seit­
schlacht, und seitdem lagen die Truppen dem geführt haben«, erklang eine Stim­
der Kosmokraten in Agonie und leckten me im Hintergrund. »Sie haben sich
ihre Wunden? War das wirklich so schwer ihrer Pflicht entzogen, für den GESETZ-
vorstellbar? Geber einzustehen.«
Es bedurfte nur einiger prägnanter »Wir dürfen keine Verurteilung aus­
Sätze, um die Situation, wie sie sich seit sprechen, solange nicht alle Fakten be­
dem Erwachen darstellte, für alle zu­ kannt sind!«, rief ein anderer.
sammenzufassen. Selexon sorgte mit einer heftigen Ges­
»Ich bedauere zutiefst, dass so wenige te für neue Aufmerksamkeit.
Schläfer überlebt haben«, sagte Selexon. »Die Fremden versuchen, in der Lenk­
»Obwohl sich bislang nicht feststellen zentrale das Kommando über CHEOS­
lässt, wie viele Besatzungsmitglieder TAI zu übernehmen. Offensichtlich sind
wegen der Umstrukturierung tatsäch­ sie erst vor Kurzem an Bord gelangt; ich
lich in Stasis versetzt wurden. Wir ken­ entnehme das dem Zeitpunkt der ange­
nen unsere eigenen personellen Verluste forderten Servo-Unterstützung. Der
und haben erfahren, dass ebenfalls sehr TAI-Servo sprach davon, dass sie mit
viele Servos ausgefallen sind.« den Anlagen der Lenkzentrale experi­
Wieder war er gezwungen, den Mund­ mentieren. Offensichtlich wurde die Un­
schutz zurechtzurücken. Der TAI-Servo terstützung unwissentlich angefordert.
würde ihm eine zweite, passgenaue Ver­ Dafür spricht, dass keine Reaktion er­
sion anfertigen müssen. folgt, obwohl die Servos sich verwei­
»Nach allem, was wir erfahren haben, gern.«
28 HUBERT HAENSEL

»Woher kommen die Eindringlinge?« Kombination vom Leib. Für einen Mo­
»Das ist unbekannt«, antwortete Se­ ment starrte er auf das Zucken unter der
lexon. Haut, die sich aufwölbte und wie spröde
»Könnte ihre Absicht sein, den GE­ Folie einriss ...
SETZ-Geber zu entführen?«, wollte Sogleich war Lindbak neben ihm. Se­
Lindbak wissen. »Wir müssen in Erwä­ lexon verstand nicht die Hälfte dessen,
gung ziehen, dass sie für die Chaosmäch­ was der andere rief, wenngleich er be­
te agieren.« griff, dass Kalitt ihm helfen wollte.
Das wäre der schlimmste aller denk­ Lindbak griff nach seinen Handgelen­
baren Fälle gewesen! Einen Moment ken.
lang fühlte Selexon sich wie paraly­ Selexon verkrallte die Finger über
siert. seiner Brust, als könne er auf diese Wei­
»Ich habe das ebenfalls in meine se verhindern, dass sein Körper auf­
Überlegungen einbezogen«, antwortete brach. Er spürte Lindbaks Atem, sah
er. »Nachdem mir offiziell das Komman­ dessen verzerrte Miene, den Schweiß,
do übertragen wurde, werde ich deshalb der über seine Wangen rann, und in dem
die nächstgelegene Kontrollstation auf­ Moment explodierte alles in ihm, was er
suchen.« eben noch mühsam zurückgehalten hat­
Inkh Selexon unterbrach sich. Für al­ te. Mit aller Kraft riss er die Arme aus­
le sichtbar, rang er nach Atem. einander. Lindbak wurde davon völlig
Zwar redete er gleich darauf weiter, überrascht und taumelte ihm entgegen.
aber seiner schwächer gewordenen Selexon wich aus und rammte Kalitt
Stimme war anzumerken, dass er mit beide Ellenbogen in die Seite. Der tor­
Problemen kämpfte. kelte noch mehrere Schritte weit, dann
»Mehrere Tibirian Melech sollten mich stürzte er.
in die Station begleiten. Ich entscheide »... brauche ... keine Hilfe«, keuchte
mich für Kalitt Lindbak an erster Stelle. Selexon. Und von Lindbak, der be­
Die anderen ...« stimmt noch den Staub und die Erreger
Seine Hände zuckten hoch. Er drück­ aus dem Saal an sich trug, würde er sich
te sie auf den Oberkörper, dessen Mus­ ohnehin nicht anfassen lassen.
kelstränge zu zucken begonnen hatten. Der Schmerz wurde schlimmer. Sein
Erst kaum merklich, und das hatte er Brustkorb war jetzt schon prall aufge­
noch ignoriert, dann aber sehr schnell wölbt und konnte jederzeit aufbrechen.
mit einer Heftigkeit, die ihm Schmerzen Hatte er wirklich eine Ewigkeit über­
bereitete. dauert, nur um auf diese Weise zu ster­
Selexon brachte nur noch ein Gurgeln ben? Selexons Panik wuchs. Alles in ihm
über die Lippen. Keuchend rang er nach schrie danach, davonzustürmen, einfach
Atem. Was immer sich in seinem Brust­ nur wegzulaufen, vor sich selbst und
korb veränderte, es schnürte ihm die dem Schmutz, der ihm überall entgegen­
Luft ab. Mit jedem Herzschlag schien starrte; nur weg, so weit ihn die Füße
das Unheimliche in ihm zu wachsen; es trugen ...
blähte ihn auf, verformte ihn, würde ihn Trotzdem kämpfte er dagegen an.
von innen heraus zerreißen, wie er es bei Zwang sich zur Ruhe. Wenn er schon
etlichen Tibirian Melech im Stasissaal starb, wollte er wenigstens erfahren,
gesehen hatte. Der Anblick würgte ihn warum das so war, wollte bis zur letzten
auch jetzt noch, nach Stunden, in denen Sekunde spüren, was mit ihm geschah.
er es geschafft hatte, Abstand zu gewin­ Er sank auf die Knie, kippte zur Seite
nen ... und rollte sich zusammen. Auf die Weise
Taumelnd riss er sich das Oberteil der fiel es ihm wieder leichter, Luft zu be­
Nach der Stasis 29

kommen. Das merkte er schon nach dem einer heftigen Armbewegung zurück.
ersten gierigen Atemzug, der kühle Luft Jetzt kniete er auf dem Boden, richtete
in seine Lungen pumpte. sich vollends wieder auf ...
Von allen Seiten erklangen Stimmen. ... und fühlte sich, als wäre nichts ge­
Etliche Tibirian Melech umringten ihn. wesen.
Selexon fürchtete den Moment, in dem Einige der Umstehenden hatten genau
sie sich über ihn beugten, ihn anfassten, diese Veränderungen schon am eigenen
mit ihren kontaminierten Händen betas­ Leib verspürt. Selexon erkannte das an
teten. Er war erleichtert, dass sie nicht der Art, wie sie ihn anstarrten, fragend
näher kamen. und hoffnungsvoll zugleich. Alle hatten
Er atmete wieder ruhiger und gleich­ die schrecklichen Bilder der Sterbenden
mäßig und wälzte sich auf den Rücken. gesehen, und zweifellos hatte ihr leeres
Das Pochen in seinem Brustkorb wurde Gedächtnis diese Szenen gierig aufgeso­
schwächer, eigentlich spürte er es kaum gen.
noch. Mit einiger Anstrengung hob er Was waren das für körperliche Verän­
beide Hände. Die Handschuhe schienen derungen, warum überfielen sie viele
unbeschädigt zu sein. Zögernd tastete er Tibirian Melech wie aus heiterem Him­
über den aufgequollenen Brustkorb. mel? Inkh Selexon hatte keine Antwort
Täuschte er sich, oder war die Wuche­ darauf. Vielleicht, sagte er sich, war die­
rung nicht mehr so extrem wie noch vor se Erscheinung früher gar nicht so ab­
wenigen Augenblicken? Konzentriert sonderlich gewesen.
stellte er sich vor, dass die Schwellung Er verfluchte die Mentale Revision,
zurückging. Er musste es schaffen, woll­ die ihm dieses Wissen genommen hatte.
te er nicht selbst zu stinkendem Staub Ihm und allen anderen.
zerfallen.
Beinahe ungläubig registrierte er, dass *
die Schmerzen vollends verschwunden
waren. Eine kaum faustgroße Schwel­ Die Kontrollstation befand sich am
lung auf der linken Brustseite, mehr war Rand einer brachliegenden Biosphäre,
nicht geblieben, und auch diese Verän­ nur wenige Kilometer abseits des An­
derung bildete sich weiter zurück. kläger-Dorfes. Wie die ausgedehnte Hü­
Inkh Selexon lachte leise. O ja, er gellandschaft nicht mehr genutzt wurde,
lachte, über seine Furcht und seine Stär­ war auch die Station offensichtlich seit
ke zugleich. Er spürte, dass der Tod ihm langer Zeit von niemandem betreten
unglaublich nahe gewesen war und dass worden.
er dem Ende vielleicht nur um die Span­ »Vielleicht waren sämtliche Korridore
ne eines Atemzugs entgangen war. Die­ in diesem Abschnitt von Pflanzen ver­
ses Mal. Und beim nächsten Mal? Wann stopft.« Lindbaks Feststellung kam zö­
würde sein Körper wieder anfangen, gerlich, entsprach aber dem, was sie vor
sich zu verändern? Morgen oder erst in sich sahen.
einer Woche? Dann würde er vielleicht Bizarre, geometrisch exakte Skelette
nicht mehr widerstehen können. Es sei füllten weite Gangbereiche und türmten
denn, er fand eine Möglichkeit, die Ur­ sich an den Übergängen zu der verlasse­
sache dieser seltsamen Veränderung nen Biosphäre auf. Kaum eines der röh­
herauszufinden. renförmigen Gebilde, die teils mehrere
Immerhin war er nicht der Einzige. Mannslängen durchmaßen und Hunder­
Noch standen etliche Tibirian Melech te Meter lang waren, glich dem anderen.
um ihn herum. Der eine oder andere kam Stilisierte Sterne, die sich in vielfältiger
näher, aber Selexon scheuchte alle mit Wiederholung fortsetzten, klebten gera­
30 HUBERT HAENSEL

dezu unlösbar an den Wänden, als wären ten. Dementsprechend wurde mir das
sie im Begriff gewesen, diese aufzu­ Kommando übertragen.«
sprengen. »Identifikation akzeptiert«, antworte­
An anderen Stellen waren die Struk­ te der Rechner. »Du wirst als sekundär
turen zusammengebrochen und muteten Befehlsberechtigter mit entsprechenden
an wie Halden langsam zerfallender Zugriffsmöglichkeiten anerkannt. Zu­
Knochen. In diesen Bereichen forcierte gleich informiere ich dich, dass die pro­
Selexon nicht nur das Tempo, sondern grammierte Befehlsstruktur pauschal
presste permanent eine Hand auf seinen außer Kraft gesetzt wurde.«
Mundschutz. Die glosende Lichtsäule erlosch.
Als er schon im Begriff war, den Zu­ »Und nun?«, fragte Taffanaro schrill.
gang zur Station zu öffnen, sah er in Ge­ »Was bedeutet das? Natürlich wurde die
danken immer noch die zerborstenen Struktur verändert. Die Fremden haben
Reste mehrerer gläserner Kuppelbauten schließlich Servo-Unterstützung ange­
vor sich. Die Biosphäre schien das Refu­ fordert.«
gium für eine sehr fremde Flora und Üblicherweise erfolgte von einer Kon­
Fauna gewesen zu sein. trollstation aus die Überwachung je­
Knirschend öffnete sich das Lamel­ weils mehrerer TAI-Kuben. Sie waren
lenschott. Knotenpunkte, an denen Informationen
Selexon wusste, dass er sich identifi­ zusammenliefen und untergeordnete
zieren musste und dass ihn und seine Entscheidungsprozesse erfolgten, und
Begleiter eine dicht gepackte Anlage er­ boten schon deshalb keineswegs die um­
wartete, deren Freiräume keineswegs fassenden schalttechnischen Möglich­
üppig bemessen waren. Das gehörte wie keiten der Lenkzentrale. Möglich war
manches andere zum Grundwissen über ausschließlich ein passiver Zugriff auf
den GESETZ-Geber, das durch die Men­ die Lenkzentrale.
tale Revision nicht beeinträchtigt wor­ »Wenn keine klare Befehlsstruktur
den war. Wegen der geringen Stations­ definiert ist, gewinnt derjenige Priorität,
größe hatte Selexon außer Lindbak der sich in den Funktionsabläufen von
lediglich zwei weitere Tibirian Melech CHEOS-TAI am besten zurechtfindet«,
mitgenommen. Den TAI-Servo hatte er stellte Selexon unumwunden fest. »Ak­
außerdem zu sich befohlen, um auf des­ tuell dürften das wir Fiktiv-Ankläger
sen bislang noch größeren neuen Erfah­ sein. Weder die Mentale Revision noch
rungsschatz zurückgreifen zu können. neunundzwanzig Millionen Jahre Sta­
Eine Säule aus gleißendem Licht hüll­ sisschlaf werden dieses grundlegende
te Selexon ein. Er nahm die Photonen- Rangfolgeprinzip verändert haben.«
Schwingungen wahr, und in seinem »Das heißt, wir blockieren die Frem­
Bewusstsein entstand daraus die Auf­ den?«, wollte Lindbak wissen.
forderung zur Identifikation. Der Sta­ Selexon reagierte mit einer heftig ab­
tionsrechner hatte erkannt, dass ein wehrenden Bewegung. »Ich denke nicht
Tibirian Melech vor ihm stand, und rea­ daran, den Eindringlingen damit Hin­
gierte mit einer akustischen Manipula­ weise auf unser Wirken zu geben. Jetzt
tion. noch nicht. Wahrscheinlich wird es uns
»Inkh Selexon«, wies sich der Fiktiv- in dem Sinn auch nicht möglich sein.«
Ankläger aus. »Ich wurde mit mehreren Langsam wandte er sich um und ver­
hundert Angehörigen meines Volkes aus suchte, die Stationsarchitektur einzu­
dem Stasisschlaf geweckt. Einweisun­ schätzen. Einbuchtungen stellten indi­
gen durch einen Thermodyn-Ingenieur viduell generierbare Abfrageplätze dar.
liegen nicht vor und sind nicht zu erwar­ Es gab keine Einrichtungsgegenstände,
Nach der Stasis 31

die Rückschlüsse auf die letzten Benut­ ter Impuls, der in den Zentrumskern von
zer erlaubt hätten. CHEOS-TAI einschlug. Er tauchte ein in
»Wie ist deine Bezeichnung, Rech­ ein Universum brodelnder Energie, das
ner?« ihn jeder Orientierung beraubte. In das
»Kontrolleinheit 178-K-13.« Nichts ... den Raum vor der Zeit ...
»Ich benötige Informationszugriff auf Diese Wahrnehmung erlosch. Der
alle TAI-Kuben, für die bestimmte Kri­ Tunneleffekt eines Energiequants? Sele­
terien erfüllt werden.« xon verstand nichts von mehrdimensio­
»Kontrollstation 178-K-13 unterliegt naler Physik, zumindest glaubte er,
einer räumlichen Beschränkung.« nichts davon zu verstehen. Es war nur
»Unsinn!«, fuhr Selexon auf. »Daten­ das überraschende Gefühl, für einen
abfragen Befehlsberechtigter sind gene­ Augenblick hier wie da existiert zu ha­
rell möglich. Gleiches gilt für den Kon­ ben, das diese Frage entstehen ließ.
takt mit übergeordneten Einheiten. Ich »Was ist mit mir, Inkh Selexon?« Taf­
erwarte jedoch, dass die Lenkzentrale fanaros Stimme schlug über dem Tibiri­
nicht über unsere Aktivitäten in Kennt­ an Melech zusammen. »Soll ich hier un­
nis gesetzt wird.« tätig herumstehen?«
»Das Belegungsprotokoll muss über­ »Ich habe dir nicht erlaubt, dich ein­
mittelt werden. Ausnahmen ...« zumischen!«, herrschte Selexon den
»Ausnahmen sind möglich!«, unter­ TAI-Servo an. »Ich brauche vielleicht
brach Selexon den mechanischen Rede­ Informationen von dir. Alles andere geht
fluss. »Ich bestätige die Fiktive Anklage dich nichts an!«
gegen Personen, die sich derzeit in der »Wir haben euch aus der Stasis ge­
Lenkzentrale aufhalten.« weckt«, protestierte der Heromet. »Des­
Nur wenige Sekunden vergingen. Der halb ...«
Tibirian Melech empfand die Spanne als »Kontrolleinheit 178-K-13, setz den
ungewöhnlich lang. Aber das war ein Servo mit Sperrfeldern fest!«, fauchte
Gefühl, das jeder nachweisbaren Grund­ Selexon zornig.
lage entbehrte. Taffanaros Aufbegehren verstummte.
»Ich erwarte deine zielführenden An­ Der Pelzige versuchte sich herumzuwer­
weisungen«, sagte 178-K-13 endlich. fen, doch sein Körper wurde von einer
Augenblicke später entstanden aus irrlichternden goldenen Aureole einge­
dem Nichts heraus in vier Nischen Sitz­ hüllt. Diese konnte über mehrere Stun­
gelegenheiten für die Tibirian Melech. den hinweg aufrechterhalten werden,
Selexon nahm Platz. Sofort baute sich ohne den Metabolismus des Betroffenen
um ihn eine energetische Datenwand zu schädigen.
auf. Eine Serie kurzer Impulse überflu­ Selexon ließ die Datenwand zum
tete sein Organband, dann war die Jus­ zweiten Mal entstehen. Diesmal tauchte
tierung optimal auf sein Wahrneh­ er ungehindert in die vielfältigen Infor­
mungsvermögen eingestellt. mationsflüsse ein, die eine Momentauf­
Eine erschreckende Datenfülle schlug nahme mehrerer TAI-Kuben darstell­
über ihm zusammen ... ten.
... und ein wütender Aufschrei riss ihn Er koordinierte seine Nachforschun­
zurück. Inkh Selexon stürzte ab; ein gen mit Lindbak, Asmuel und Zevin.
stärker werdender Sog wirbelte ihn quer Gemeinsam durchforschten sie die üppi­
durch den GESETZ-Geber. Er stieß ge Weite des GESETZ-Gebers, die ihnen
nicht auf Widerstand, hatte keine mate­ fremd war, aber dennoch zugleich ver­
rielle Struktur. In diesem Moment war traut. Kubus um Kubus ließen sie von
Selexon nicht mehr als ein komprimier­ den Datenströmen prüfen, ignorierten
32 HUBERT HAENSEL

die ungeheure Vielfalt, die selbst in dem fand Selexon heraus, dass die Terraner
kleinen Kontrollbereich von 178-K-13 mit einem kleinen Fahrzeug an Bord ge­
zum Ausdruck kam. Nach kurzer Zeit langt waren. In einem der Außenhangars
weiteten sie die Verbindungen zu den stand ein hantelförmiges Raumschiff.
Nachbarkuben aus. »Wir haben keine andere Wahl«, sagte
Zum ersten Mal sah Inkh Selexon die Inkh Selexon, nachdem die Bildwände
Fremden. Sie waren wirklich so vielge­ wieder erloschen waren. »Wir müssen
staltig, wie die Servos sie beschrieben sie angreifen und vernichten.«
hatten. Humanoide Zweibeiner, die, ab­ Nachdenklich widmete er sich für we­
gesehen von dem fehlenden Organband nige Augenblicke dem TAI-Servo, den
und ihrem massigen Körperbau, durch­ die irrlichternde Aureole von allen
aus den Tibirian Melech ähnelten. Sie Wahrnehmungen abschnitt. Er fragte
nannten sich Terraner – ein Name, der sich, was Taffanaro in diesen Stunden
Selexon nichts sagte, ihm aber zweifel­ völliger Isolation fühlen mochte. Wahr­
los auch nichts sagen musste. scheinlich nicht viel. Servos lebten für
Andere der Eindringlinge hießen Al­ den Moment, in dem sie gebraucht wur­
gorrian. Selexon stutzte, als er die rup­ den. Das war ihre Aufgabe, und das
pigen Vierbeiner sah. Trotzdem: Auch Warten darauf unterschied sie kaum von
sie kannte er nicht. Ebenso wenig wie Maschinen.
die geschmeidigen Laosoor. »Wie sollen wir die Terraner vertrei­
Es waren nur wenige Individuen, die ben?«, fragte Lindbak irritiert. »Wenn
in der Lenkzentrale versuchten, auf den ich es richtig erkannt habe, erhalten wir
GESETZ-Geber Einfluss zu nehmen. Zugriff auf die Bordwaffen ausschließ­
Dabei gingen sie alles andere als sachge­ lich in der Lenkzentrale. Wir können
recht vor, das vermochte sogar Selexon keine Schirmfelder aktivieren, uns ist es
zu erkennen. Offensichtlich waren die nicht einmal möglich, in die Triebwerks­
Eindringlinge mit einer ihnen weitge­ kontrollen einzugreifen.«
hend unverständlichen Technologie »Die Systeme zeigen mir: CHEOS-TAI
konfrontiert. bewegt sich mit Überlichtgeschwindig­
Konnte es einen deutlicheren Beweis keit«, wandte Zevin ein.
dafür geben, dass sie CHEOS-TAI nicht »Umso schneller müssen wir den
offiziell in Besitz nahmen, sondern ille­ Fremden Einhalt gebieten! Bevor sie den
gal eingedrungen waren? Was sie taten, GESETZ-Geber an einen Ort versetzen,
geschah keinesfalls im Sinne der Kos­ an dem wir nicht mehr eingreifen kön­
mokraten. nen. Wir ...« Selexon versteifte sich.
Sehr schnell stießen Selexon und Zögernd hob er seine linke Hand. Un­
seine Begleiter auf den verzweigten ter dem dünnen Handschuh zeichnete
Funkverkehr der Terraner. Die ersten sich ein stärker werdendes Pulsieren ab.
Übersetzungen bestätigten Selexons Für einen Moment verzerrte sich sein
Annahme, dass die Eindringlinge mit Gesicht in ungläubigem Erstaunen,
allen Mitteln versuchten, CHEOS-TAI dann packte er mit der rechten Hand zu.
in ihre Gewalt zu bringen. Kleine Ein­ Er krümmte sich vornüber und presste
satzgruppen operierten bereits an weit den linken Arm an seine Wulstkombi.
auseinanderliegenden Positionen. Of­ Minutenlang stand er beinahe regungs­
fensichtlich liefen alle Bemühungen los, mit der Schulter an die Wand ge­
darauf hinaus, CHEOS-TAI zu entfüh­ lehnt.
ren. Er schien nicht zu bemerken, dass die
Etliche Stunden nachdem sie sich in anderen ihn angespannt taxierten.
die Datenströme eingeschaltet hatten, Urplötzlich stieß er sich ab. Den lin­
Nach der Stasis 37

ken Arm hielt er noch angewinkelt, un­ fiel ihm schwer. Der einzige plausible
ter dem Handschuh war jedoch keine Grund war für ihn ein von den Terra­
sich ausweitende Geschwulst zu erken­ nern befürchteter vernichtender Gegen­
nen. schlag des GESETZ-Gebers. Hatten sie
»Du hast es besiegt?«, fragte Zevin nicht erkannt, dass die Waffensysteme
stockend, doch Selexon ging nicht dar­ von CHEOS-TAI blockiert waren?
auf ein. Mittlerweile stellte sich das Problem
»Die TAI-Bewahrer wurden in Bereit­ nicht mehr. Die schweren Traktorfelder
schaft versetzt«, sagte er stattdessen und hatten das Schiff der Fremden mitsamt
stellte zugleich fest, dass sein Mund­ seiner Besatzung aus dem Hangar gesto­
schutz verrutscht war. Mit einem ra­ ßen. Da nicht einmal ein massierter An­
schen Griff rückte er den blauen Filter­ griff der TAI-Bewahrer den Schutz­
stoff zurecht. »Wir alle haben erkannt, schirm des Hantelraumers hatte
dass sie in der Lenkzentrale stehen, und durchbrechen können, war das für Inkh
das gilt ebenso für sämtliche neuralgi­ Selexon die letzte tragbare Lösung ge­
schen Positionen. Die Kampfroboter wesen.
sind eine Armee, der die Terraner wei­ Bedauerlich nur, dass die Herkunft
chen müssen. Sie warten nur auf Befeh­ der Terraner im Dunkeln bleiben würde.
le von jemandem, der sie auszusprechen Vielleicht, sagte sich Selexon, hätten
weiß.« entsprechende Erkenntnisse den überle­
»Eine Kleinigkeit!«, platzte Lindbak benden Tibirian Melech geholfen, mehr
heraus. über die neue Zeit zu erfahren. Im
»Du sprichst von den Befehlen für die schlimmsten Fall existierten keine Ther­
TAI-Bewahrer?«, fragte Asmuel. modyn-Ingenieure mehr. Waren die aus
»Von was sonst?«, erwiderte Lindbak der Stasis geweckten Fiktiv-Ankläger
hörbar aggressiv. demnach die ranghöchsten Überleben­
»Ich kann mich nicht entsinnen ...« den einer Katastrophe?
Kalitt Lindbak lachte schallend. »Mag Er streckte sich. Seine über Stunden
sein, dass du ein zu empfindsames Ge­ hinweg angespannte Körperhaltung
müt hast«, spottete er. »Ich werde den machte ihm schon mehr zu schaffen als
Befehl geben. Wer weiß, ob sich mir je­ der Jahrmillionen währende Schlaf.
mals wieder eine solche Gelegenheit bie­ Dass die Sensoren der Lenkzentrale jede
tet.« Reaktion seines Körpers registrierten
und ihn durch formenergetische Sitz­
projektionen stützten, dämpfte den
5. Schmerz nur, beseitigte aber keineswegs
die Ursache.
Inkh Selexon fröstelte. Er zog die Selexon entsann sich nicht, jemals zu­
Wulstkombi enger um seinen Oberkör­ vor die Kuppelhalle der Zentrale betre­
per. Das Gefühl eisiger Kälte tief in sei­ ten zu haben. An diesem Ort schlug das
nem Innern ließ sich nicht verdrängen. Herz des GESETZ-Gebers, dort sollten
Selexon hielt es für Furcht. stets Thermodyn-Ingenieure anzutreffen
Für kurze Zeit hatte er wirklich Angst, sein und das Schicksal des Schiffes be­
die an den Hangar angrenzenden TAI- stimmen. Aber es waren keine da. Nur
Kuben könnten von den Terranern in Tibirian Melech und Servos. Es gab kei­
einem Feuerorkan verwüstet werden. Zu ne Lebenszeichen von anderen Völkern.
verstehen, warum die Eindringlinge Die Wände spiegelten in mattem
letztlich nicht das Wirkungsfeuer aus Goldton. Für Bedienelemente und Sitz­
ihren Bordgeschützen eröffnet hatten, gelegenheiten galt dasselbe wie in der
38 HUBERT HAENSEL

Kontrollstation, von der aus der Angriff Schiff hatte den Halo einer kleinen kom­
auf die Terraner eingeleitet worden war: pakten Galaxis erreicht. Mit nur zehntau­
Sie entstanden unmittelbar bei Bedarf send Lichtjahren Durchmesser gehörte
aus Formenergie. die elliptische Sterneninsel zu den unbe­
Natürlich war die Lenkzentrale das deutenden Objekten des Universums.
erste und wichtigste Angriffsziel der CHEOS-TAI beschleunigte wieder.
TAI-Bewahrer gewesen. Inzwischen ar­ Zufrieden nahm Inkh Selexon diese
beiteten dort einige hundert Servos. Se­ Information zur Kenntnis. Andere Funk­
lexon wollte, dass sie schnell herausfan­ tionen würden folgen und den GESETZ-
den, wie sich die von den Terranern Geber über kurz oder lang zu voller Ein­
manipulierten Schaltungen in den kor­ satzfähigkeit zurückkehren lassen.
rekten Status zurückversetzen ließen. Einiges Wissen über die technischen Ab­
Er widmete sich wieder den Ortungen. läufe war also da. Nicht unmittelbar ab­
Das Hantelraumschiff entfernte sich aus rufbar, dafür hatten die Mentale Revisi­
eigener Kraft und würde in Kürze au­ on und zweifellos auch die ewig lange
ßerhalb der Waffenreichweite sein. Stasis gesorgt, aber keineswegs völlig
Wider besseres Wissen erteilte Sele­ ausgelöscht.
xon den Feuerbefehl. Für diejenigen, die sich hartnäckig
Nichts geschah. Die Waffenbänke des darum bemühten, wurde dieses Wissen
GESETZ-Gebers versagten weiterhin wenigstens bruchstückhaft greifbar.
den Dienst. Selexon hätte die Hantel zu Vielleicht war es einmal sogar Routine
diesem Zeitpunkt, da sie schon etliche gewesen; angeeignet in vielen Jahrtau­
Millionen Kilometer entfernt war, kom­ senden, die längst im Meer der Geschich­
promisslos vernichtet. Aber nicht ein te versunken waren.
einziger Geschützprojektor jagte seine Selexon wusste nicht mehr, was er
tödliche Energie in den Raum hinaus. wirklich glauben sollte. Das Beste war,
Noch für eine kurze Spanne beobach­ er suchte nach verschütteten Erinnerun­
tete Inkh Selexon die Terraner. Er konn­ gen, die ihm helfen konnten ...
te sich kein abschließendes Urteil bil­
den. Jenes Schiff war aller Dreistigkeit *
seiner Besatzung zum Trotz nicht mehr
als ein Staubkorn im Universum, so un­ Die Sternenfülle der kleinen Galaxis
bedeutend und vergänglich wie alles, tauchte das Rund der Lenkzentrale in
was nicht unmittelbar von den Hohen kaltes Licht. Nach einer kurzen Hyper­
Mächten kam. raumetappe trennten dreieinhalbtau­
Jedes Leben außerhalb des GESETZ- send Lichtjahre CHEOS-TAI von dem
Gebers erinnerte an ein Staubkorn, das Hantelraumschiff der Terraner.
in den wirbelnden Sog einer offenen Mit halber Lichtgeschwindigkeit trieb
Flamme geriet. Es kam aus dem Nichts, der GESETZ-Geber durch den Randbe­
loderte für den Bruchteil eines Augen­ reich eines Spiralarms, etliche Lichtmo­
blicks grell auf – und war danach für nate von der nächsten Sonne entfernt.
alle Zeit verschwunden. Nur wer genau Selexon war diese Position so recht wie
hinzusehen verstand, entdeckte vielleicht jede andere.
eine zerfallende winzige Ascheflocke: Er fragte sich irritiert, weshalb seine
ausgebrannte tote Materie, unbedeutend Gedanken wieder zu den Fremden wan­
und dem Vergessen preisgegeben. derten. Sie hatten es einmal geschafft, in
Erst kurz vor dem Einsatz der Trak­ den GESETZ-Geber einzudringen, eine
torstrahler war der Überlichtflug des zweite Möglichkeit würde sich ihnen
GESETZ-Gebers beendet worden. Das nicht bieten. Ohnehin konnten ihnen
Nach der Stasis 39

nur die ungewöhnlichen Verhältnisse an dann untergeordnete Befehlsstrukturen


Bord zugutegekommen sein. aufzeigen und die eine oder andere viel­
»Wir müssen herausfinden, was seit leicht sogar umgehen.
der Umstrukturierung geschehen ist«, »Schafft den Kerl hier weg!«, fauchte
sagte Selexon. »Ohne diese Informatio­ Lindbak. »Er begreift nicht, um was es
nen werden wir auf Dauer scheitern. wirklich geht.«
Zugleich sind wir verpflichtet, CHEOS­ »Doch, das tut Ybhugra, sehr gut so­
TAI in einen kampffähigen Zustand zu gar«, wandte jemand ein. Selexon er­
versetzen ...« kannte die Stimme sofort. Taffanaro.
Er verstummte, denn ein Gefühl sagte »Halt dich da raus, Servo!« Lindbak
ihm, dass er nur noch für sich selbst re­ wurde lauter und aggressiver.
dete. Wortlos war Lindbak aus seiner »Du sprichst mit dem TAI-Servo!«
Nähe verschwunden. »Ein Rang, zu niedrig für den Unbe­
In dem Moment erklang ein gurgeln- gabtesten unter den Tibirian Melech. Es
der Aufschrei. Einer der Servos hatte ihn liegt an uns, Anordnungen zu treffen –
ausgestoßen. Das Geräusch eines fallen­ zum Glück ist das so.«
den Körpers folgte. »Bewahre den Frieden, Kalitt Lind­
Selexon hatte nicht auf seine nähere bak«, versuchte Taffanaro einzulenken.
Umgebung geachtet, sondern sich aus­ »Keiner von uns weiß, wie es weiterge­
schließlich auf die Ortung konzentriert. hen soll.«
Im ersten Moment registrierte er deshalb »Ich muss mir von dir keine Vorschrif­
nur verschwommene Schemen. Der ten gefallen lassen, Servo!«
Schrei war direkt hinter ihm erklungen, »Der Herr hat recht.« Kafarain war
und mehrere Schallquellen vermischten plötzlich da und griff nach Taffanaros
sich. Sein Organband empfing die Echos Arm. »Komm schon, wir folgen besser
nahezu gleichwertig, die Überlagerung seinen Anweisungen.«
aufzulösen war entsprechend schwierig. Lindbak lachte schallend – und brach
Das Schallbild wurde erst plastischer, als übergangslos ab. »Du willst dich über
die Muskeln reagierten und zwei weitere mich lustig machen?«, fragte er bebend.
Organbereiche auf die Quelle justierten. »Der lange Schlaf muss eure Gehirne
Kalitt Lindbak stand exakt zweiund­ verwirrt haben, sonst würde das keiner
dreißig Schritte hinter Selexon. Aufge­ von euch wagen.«
bracht redete er auf zwei Servos ein. Er machte zwei schnelle Schritte vor­
Inkh Selexon wandte sich um und wärts, packte zu und zerrte den völlig
ging auf die Gruppe zu. überraschten Kafarain zu sich heran.
Der am Boden liegende Heromet ver­ Sein Versuch, Taffanaros zappelnden
suchte schwerfällig, wieder auf die Bei- Stellvertreter mit beiden Händen hoch­
ne zu kommen. Erst als andere Servos zuheben, scheiterte nicht nur am Wider­
ihn stützten, schaffte er es. stand des Servos, sondern zudem an
Anklagend deutete er auf Lindbak: Lindbaks fehlender Kraft. Im nächsten
»Er hat mich niedergeschlagen.« Moment riss er sein Knie hoch und
»Und wennschon«, sagte der Tibirian rammte es Kafarain in den Leib.
Melech spöttisch. »Du arbeitest zu lang­ Der Servo rang nach Luft. Er torkelte,
sam, also hast du Strafe verdient.« stürzte der Länge nach zu Boden und
»Nur weil der Verknüpfungsplan noch blieb reglos liegen. Einige Heromet, die
nicht vollständig vorliegt ...« Kafarain beistehen wollten, ließen sich
Erst sobald die letzten leeren Stellen jedoch von der drohenden Haltung des
aufgefüllt waren, konnte der Plan umge­ Tibirian Melech einschüchtern.
setzt werden. Fragmentweise ließen sich »Genug!«, befahl Selexon. »Geht wie­
40 HUBERT HAENSEL

der an die Arbeit! Du, Kalitt, begleitest Und dann?, fragte sich Selexon. Wo­
mich. Und von den Servos will ich kein her soll ich wissen, dass uns die Antwort
Murren hören. Ich bin ebenfalls der Mei­ tatsächlich gefallen wird?
nung, dass alles zu langsam voranschrei­ Da war es plötzlich wieder, dieses un­
tet.« heilvolle Ziehen und Drücken in seinem
Leib. Er hatte geglaubt, die Anfälle
* überstanden zu haben, aber nun rebel­
lierte sein Körper erneut. Tief atmete er
Unbehelligt zog der GESETZ-Geber durch und presste eine Hand auf die zu­
seine Bahn. ckende linke Seite. Zugleich versuchte
Niemand nahm Notiz von dem mond­ er, sich zu entspannen, sich nicht anmer­
großen Objekt, das vor etlichen Stunden ken zu lassen, was mit ihm geschah.
aus dem Nichts erschienen war und des­ »Wir beherrschen CHEOS-TAI nicht«,
sen Kurs dergestalt war, dass es dicht am sagte einer aus der Menge. »Jede andere
galaktischen Zentrumsgebiet vorbeiflie­ Behauptung wäre eine Lüge. Warum ge­
gen würde. stehen wir uns nicht ein, dass wir am
Es hätte schon eines Zufalls bedurft, Ende angelangt sind?«
wäre CHEOS-TAI in dieser kurzen Zeit­ »Weil ...« Selexon schwieg sofort wie­
spanne von fremden Raumfahrern auf­ der. Das Ding in ihm raubte ihm den
gespürt worden. Ein GESETZ-Geber Atem. Wenn es wollte, konnte es ihn um­
war keineswegs leicht zu orten, solange bringen, darüber war er sich im Klaren,
seine Position unbekannt war. und niemand wäre in der Lage, ihm zu
Inkh Selexon fragte sich immer noch, helfen.
wie es die Terraner geschafft haben Dieses Ding, das war vielleicht er
mochten, an Bord zu gelangen. Er blieb selbst, sein Geist, sein Körper, wie auch
sich die Antwort weiterhin schuldig. immer.
Dabei hatte er sich mit den Eindringlin­ Dann bring mich doch um, wenn du
gen nicht länger befassen wollen. Sie willst! Für einen entsetzten Moment
interessierten ihn nicht mehr. Vor allem glaubte er, den Satz laut hinausgeschrien
gab es Wichtigeres. zu haben. Aber keiner der anderen re­
Dreihunderteinundzwanzig Tibirian agierte darauf.
Melech hatten die Zeit der Stasis über­ »Auf gewisse Weise haben wir Zeit«,
lebt. Eine erschreckend geringe Zahl. wandte Lindbak ein. »Was vielleicht
Er hatte alle in der Lenkzentrale zu­ neunundzwanzig Millionen Jahre ge­
sammengerufen, und da standen sie nun, braucht hat, um CHEOS-TAI zu dem zu
als erwarteten sie von ihm oder Lindbak machen, was wir heute sehen, werden
Wunder. wir niemals innerhalb von einem oder
Selexon glaubte, ihre Anspannung zu zwei Tagen nachvollziehen können.«
spüren, ebenso ihre Enttäuschung, weil »Uns bleibt keine Zeit«, erklang es aus
sie nicht verstanden, was geschehen war. der Menge.
Zweifellos würden sich nicht alle wie Lindbak streckte sich. »Wer ist der
Lindbak in Zornausbrüche hineinstei­ Verrückte?«, fuhr er auf. »Komm schon!
gern. Aber sie brauchten eine Beschäfti­ Fürchtest du, dass ich dich anklage? Du
gung, und in der Hinsicht glichen sie den zweifelst daran, dass wir in der Lage
Servos stärker, als sie selbst wahrhaben sind, CHEOS-TAI zu führen. Also werde
wollten. Sie verstanden die Welt nicht ich dafür sorgen, dass du den GESETZ-
mehr, in der sie erwacht waren, und Geber verlässt, hier, zwischen den Ster­
suchten nach einem Sinn und einer Ant­ nen.«
wort auf ihr »Warum?«. »Das war keine Provokation«, be­
Nach der Stasis 41

schwichtigte Selexon. »Ich glaube auch Selexon spürte den wachsenden Zorn
nicht, dass wir in der momentanen Si­ und die Verzweiflung, doch ebenso Ver­
tuation jedes Wort abwägen müssen. bitterung und Entschlossenheit. Viel­
Unser Freund wollte nur andeuten, dass leicht erging es vielen wie ihm. Er fragte
unsere Lebensdauer begrenzt ist.« nicht danach, weil es nichts an ihrer Si­
Er registrierte, dass Lindbak die tuation geändert hätte.
Arme verschränkte. Das war eine un­ Bislang hatten sie überlebt. Ob aus
missverständliche Geste der Unterord­ eigener Stärke oder nur durch eine Will­
nung. kür des Universums, niemand vermoch­
»Wir werden bald vor wirklich erns­ te darauf eine Antwort zu geben.
ten Problemen stehen«, fuhr er fort. »Die Sie wussten nicht einmal, was sie zu
ersten Schaltungen sind entschlüsselt, dem gemacht hatte, was sie waren. Ihre
aber das bedeutet nicht, dass es in dieser Geschichte, ihre Biografien ... nichts war
Geschwindigkeit weitergehen kann. Die mehr da, was nicht mit dem GESETZ-
Servos wissen nicht mehr weiter. Völlig Geber und ihrem Beruf zu tun hatte.
unabhängig davon, wie viele Schaltun­ Die Fiktiv-Ankläger von CHEOS­
gen identifiziert werden können und frei TAI.
ansprechbar sind, wir werden stets nur Ja, dieses Wissen war ihnen geblieben:
Fragmente des Gesamten aktivieren die unerbittlichen Inquisitoren, deren
können. Uns fehlt der Zusammenhang; Pflicht und Leben es war, die Gesinnung
mit unserem Verständnis von Logik er­ zu den Kosmokraten zu überprüfen.
halten wir keinen Überblick.« Aber war das die ganze Wahrheit?
»Selbst dann nicht, wenn wir uns aus­ Oder nur ein Teil davon? So, wie nur ein
führlich damit befassen?«, fragte Grud Teil der Erinnerung geblieben war?
Zevin. Immer verzweifelter fragte er sich,
»Es ist aussichtslos!«, behauptete wer er selbst wirklich war. Inkh Selexon
Lindbak schrill. »Wir verfügen nicht – ein Name, mehr nicht. Aber das Wesen,
einmal ansatzweise über das Wissen, das als das er sich fühlte? Sosehr er einer
die Thermodyn-Ingenieure anwenden verborgenen Erinnerung nachspürte, es
konnten.« gab eine Grenze, die er nicht zu über­
»Nach allem, was die Servos bisher schreiten vermochte.
herausgefunden haben, wurden von den Inkh Selexon, Fiktiv-Ankläger auf
Terranern sämtliche Schalt- und Zu­ CHEOS-TAI.
griffsstrukturen außer Kraft gesetzt. Ge­ Und davor? Wie oft war sein Gedächt­
blieben ist dabei eine Grundprogram­ nis gelöscht worden? Nur einmal? Oder
mierung, die fremdartigen Kriterien lagen längst zehn, fünfzehn oder zwan­
folgt. Wir haben bislang keine Möglich­ zig ähnlich qualvolle Vorgänge des Er­
keit gefunden, diese Programmierung zu wachens hinter ihm?
verstehen.« Und was wuchs in ihm und in vielen
»Das heißt?« anderen Tibirian Melech heran? Ein Pa­
»Jeder von uns wird eine Menge zu rasit, eine fremde Kreatur, die jeden von
lernen haben, und niemand kann vor­ ihnen steuerte? Eher erschien es ihm, als
hersagen, ob wir am Ende CHEOS-TAI sei das alles Teil ihrer selbst ...
wirklich beherrschen werden. Falls das Wenn sie wissen wollten, was mit
überhaupt je möglich sein wird.« CHEOS-TAI geschehen war, und das
»Was müssen wir tun?« wollten sie alle, half es wenig, nur die
»Wir müssen dort weitermachen, wo gerade benötigten Funktionen zu akti­
unsere Untersuchungen ins Stocken ge­ vieren. Auf diese Weise wurden weit
raten sind.« eher Spuren verwischt.
42 HUBERT HAENSEL

Also mussten sie systematisch vorge­ ander. Wieder und wieder, als müsse er
hen. Nach dem, was den Tibirian Melech sich selbst Schmerz zufügen. Dann, von
logisch erschien, auch wenn die Grund­ einem Moment zum nächsten, kratzte er
lagen des GESETZ-Gebers anders auf­ sich mit den Fingern durchs Gesicht. Die
gebaut waren. Vielleicht reichte die Haut blutete sofort.
Grundprogrammierung sehr viel weiter »Hör auf damit!«, herrschte Selexon
zurück, in eine Zeit, als weder Thermo­ ihn an.
dyn-Ingenieure noch Tibirian Melech »Aufhören?« Lindbak lachte schrill.
oder Heromet an Bord gewesen waren. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Hast du
Inkh Selexon verteilte seine Leute dich noch nicht gefragt, wieso die Terra­
und einige Servos auf die Kontrollsta­ ner in der Lage waren, CHEOS-TAI zu
tionen. Sie sollten ein Statusbild zeich­ steuern?«
nen, eine Momentaufnahme, auf der »Sie haben Fehler gemacht. Sonst wä­
man aufbauen und Vergangenem nach­ re nicht alles durcheinandergeraten.«
spüren konnte. Wo mochte das über­ »Und wennschon. Sie haben den GE­
schäumende Leben von einst geblieben SETZ-Geber in den Hyperraum ge­
sein, das immer wieder in Selexons Er­ bracht. Benötigt man nicht schon dazu
innerung durchschimmerte? Tausende einen Status höherer Ordnung? Wenn sie
Völker und viele Millionen Individuen diesen Status hatten ...«
hatten CHEOS-TAI in ihrem Pulsschlag »Das mag vor Jahrmillionen so gewe­
mitschwingen lassen. sen sein«, unterbrach Selexon. »Wir
War wirklich von Anfang an vorgese­ kennen die Erfordernisse heute nicht.
hen gewesen, die Stasisschläfer niemals Vielleicht gibt es keine mehr.«
aufzuwecken? In dem Moment spürte er, was Lind­
Hatten wir eine Bestimmung, die wir bak bewegte. Es musste die Empfindung
niemals erfahren durften?, fragte sich sein, gegen Mauern anzurennen. Weil sie
Selexon düster. Sollten wir tatsächlich alles verloren hatten, was sie jemals be­
das Ende dieses Universums erreichen? sessen zu haben glaubten. Aufzeichnun­
Aber wahrscheinlich hatte einfach gen, die geholfen hätten, ihr Schicksal
nur ein Unfall verhindert, dass die zu klären, schien es nicht zu geben. Und
Schläfer rechtzeitig geweckt worden falls doch, waren sie zu gut verborgen
waren. oder nicht mehr zugänglich. Ihre Aufga­
be als Wächter hatten die Tibirian
* Melech verloren, und von der gegenwär­
tigen Mission CHEOS-TAIS wussten sie
Stunden vergingen ... nichts.
Inkh Selexon erschrak, als er das Ge­ Falls es eine gab.
sicht seines Stellvertreters vor sich sah. Ein nachgerade blasphemischer Ge­
Lindbaks Haut hatte nahezu jede Pig­ danke stieg in Inkh Selexon empor:
mentierung verloren und wirkte un­ Was, wenn die Kosmokraten gar nicht
glaublich straff. wussten, dass CHEOS-TAI überhaupt
»Du bist krank!« Instinktiv griff Sele­ noch existierte?
xon nach seinem Mundschutz.
»Unsinn«, wehrte Lindbak ab. »Ich
habe nur nachgedacht, während alle an­ 6.
deren sich in wirren Spekulationen er­
gingen.« »Was ist das?«, fragte Selexon schroff,
Und?, fragte Selexons Blick. als Taffanaro zu ihm aufschaute und of­
Lindbak schlug die Hände gegenein­ fensichtlich mit einem zufriedenen
Nach der Stasis 43

Grinsen seine beiden überdimensionier­ Grinsen erkannte. Hin und wieder, wenn
ten Nagezähne zeigte. »Und geh gefäl­ ein Servo glaubte, sich überlegen zu füh­
ligst einen Schritt zurück!« len, zeigte er dieses schreckliche Grin­
»Natürlich«, plapperte der TAI-Servo sen. Taffanaro stützte sich zudem auf die
drauflos. »Ich wusste, dass du mit mir Nackthand am Ende seines struppigen
zufrieden sein würdest, Inkh Selexon. Schwanzes.
Hier, in diesem Holokristall, ist alles »Wo bleibt das Hologramm?« Vergeb­
verzeichnet, was du sehen willst.« lich drehte Selexon den Splitter zwi­
Der Heromet hielt den funkelnden schen den Fingern.
Kristallsplitter zwischen zwei Fingern. »Hautkontakt aktiviert die Wiederga­
Selexon nahm die Schwingungen deut­ be«, behauptete der Servo. »Die Kristal-
lich wahr; offensichtlich handelte es sich le sind unterschiedlich justiert.«
um einen der besonders seltenen Hyper­ »Woher hast du den Splitter?«
kristalle. Wegen Verunreinigungen in Taffanaros große Augen blickten zu
der Kristallstruktur taugte der Splitter Boden. Zögernd zeichnete er mit einer
nur als Holospeicher. Fußspitze imaginäre Linien.
Woher bezog er dieses Wissen? Inkh »Woher?«, bellte Selexon heiser.
Selexon hätte schwören können, dass es »Von einem der Toten«, antwortete der
ihm noch vor wenigen Augenblicken un­ Heromet leise. »Eine Handvoll Kristalle
möglich gewesen wäre, einen Kristall lagen im Staub auf der Stasisliege. Nein,
vom anderen zu unterscheiden. Viel­ keine Sorge, Herr, der Tote war ein
leicht, weil er die Schwingungen so Heromet.«
deutlich wahrnahm, dass sie in seinem Mit einer ausholenden Bewegung
Kopf ein überaus präzises Abbild erga­ schleuderte Selexon den Kristall von
ben? sich.
»Leg ihn auf die Konsole!«, herrschte »Lass ihn liegen, wo er liegt!«, herrsch­
er Taffanaro an, als der schon wieder auf te er den TAI-Servo an, als der sich bü­
ihn zuschritt. cken wollte. »Bring mir einen neuen
Der TAI-Servo machte eine blitz­ Kristall, sofort!«
schnelle Drehung zur Seite. Selexon »Einen, der nicht auf Hautkontakt
fröstelte, als er im Gegenlicht der be­ reagiert?«
leuchteten Wand Staub aus dem Fell des »Und der nicht von einem Toten
Heromet aufsteigen sah. Unwillkürlich stammt!«
hielt er den Atem an und zog den Mund­ »Ich weiß nicht, Herr, aber ... die ein­
schutz ein wenig fester. zigen Kristalle, die wir bislang aufge­
Endlich entsann er sich. spürt haben, sind die von ...«
»Das sind die Daten, die ich vor einer »Verschwinde!«, brüllte Inkh Selexon
Schlafperiode von dir verlangt habe?« außer sich. In dem Moment war er nahe
»Nachdem wir das zerstörte Lager der daran, sich auf den Servo zu stürzen.
Terraner untersucht hatten«, bestätigte Egal, ob er sich dabei mit irgendwelchen
Taffanaro. »Du wirst zufrieden sein.« Erregern infizierte. Die Servos durften
»Ich hoffe es!« gar nicht erst auf den Gedanken kom­
Mit zwei Fingern griff Selexon zu. Für men, sie seien unentbehrlich.
einen Moment fürchtete er, der Kristall­ Es dauerte geraume Zeit, bis Taffana­
splitter könnte seine Handschuhe durch­ ro mit einem neuen Speicherkristall zu­
schneiden. Der Heromet entblößte schon rückkam.
wieder seine beiden Zähne. Dabei ver­ Selexon schwieg, als sich die Projek­
zog er das spitze Gesicht zu einer Gri­ tion vor ihm aufbaute. Eine Zeit lang
masse, die Selexon mittlerweile als blätterte er durch die holografischen
44 HUBERT HAENSEL

Pläne, die er nur über den akustischen Hüllblättern umgebene Gewächse. Ihr
Umweg umsetzen konnte. Die vielfälti­ Äußeres, das spürte er an den feinsten
gen Details erstaunten ihn. Schallreflexionen, war von dünnen Seg­
»Es sind alle Stasissäle eingezeich­ mentierungen umgeben, die ihm wie
net«, behauptete Taffanaro. »Auch die Netzgitter erschienen, zugleich gab es
versteckt angelegten. Ich habe den Plan aber eine schwere, reflektierende Ober­
aus einem Nebenrechner gezogen ...« fläche.
Selexon schwieg dazu. Diese Dateien, Kalitt Lindbak wandte sich um, ehe
stellte er fest, waren weit mehr, als er Selexon ihm allzu nahe gekommen war.
sich erhofft hatte. Eine erschreckend ho­ »Ich frage mich, ob diese Pflanzen Ge­
he Zahl von Sälen war markiert. Falls wächse sind, die von unserer Heimatwelt
wirklich alle genutzt worden waren, stammen«, sagte Lindbak nachdenk­
schliefen in CHEOS-TAI ungezählte lich.
Millionen der unterschiedlichsten Indi­ »Unserer Heimatwelt?«, wiederholte
viduen, womöglich gar mehrere Besat­ Selexon. »Hatten wir denn je eine?«
zungen des GESETZ-Gebers. »Ich weiß es nicht. Aber welchen Sinn
Sie schliefen ... sollten diese Pflanzen sonst haben? Sie
... oder sie waren im Schlaf gestor­ wachsen so nahe an dem Dorf.«
ben. »Ist es nicht egal ...?«
Inkh Selexon würgte. Schon der Ge­ »Nein!«, fuhr Lindbak heftig auf.
danke an Millionen Tote, deren Körper Aber sofort besann er sich und bedachte
zu Staub zerfielen, ließ ihm die Kehle Selexon mit einer beschwichtigenden
anschwellen. Am liebsten hätte er sich Geste. »Ich versuche, auf diese Weise
herumgeworfen und wäre davonge­ vielleicht ein Stück Erinnerung wieder­
stürmt. Aber wohin? Er wusste, dass es zufinden. Die Gewächse sind äußerst
kein Entkommen gab. robust. Wenn ich recht vermute, stam­
Auch wenn nicht verzeichnet war, men sie von einer jungen und heißen
welche Völker wo der Ewigkeit entge­ Welt. Die Sonne überschüttet den Plane­
gendämmerten, eröffnete sich dank des ten mit starker Strahlung. Extrem grel­
Planes die Möglichkeit, gezielt nach les Licht. Die Pflanzen können nur einen
weiteren Überlebenden zu suchen. Bruchteil des Lichts nutzen und sind ge­
»Kümmere dich darum!«, herrschte er zwungen, den Rest zu reflektieren.«
Taffanaro an. »Nimm dir hundert Servos »Eine Welt, die im Licht erstickt«,
oder meinetwegen auch zweihundert. überlegte Selexon. »Es bedarf besonde­
Ich erwarte, dass ihr herausfindet, wo rer Sinne, sich auf ihr zurechtzufinden.
Stasisschläfer geweckt werden können. Wesen, die auf optische Wahrnehmung
Ich will keine Toten – ich will lebende angewiesen sind, würden wohl sehr
Helfer, die den GESETZ-Geber wieder schnell erblinden.«
zu dem machen können, was er einmal »Dieser Planet könnte in einer dichten
gewesen ist. Und jetzt verschwinde! Den Sternballung stehen.« Lindbak führte
Kristall behalte ich.« den Gedanken eifrig weiter. »Dutzende
Sonnen, die womöglich nur Lichtstun­
* den weit auseinander stehen ...«
»Du suchst Informationen«, sagte Se­
Inkh Selexon fand seinen Stellvertre­ lexon. »Mag sein, dass wir die Möglich­
ter einige Zeit später am Rand des An­ keit haben, einiges zu erfahren.«
kläger-Dorfs. Pflanzen wucherten dort, »Was müssen wir dafür tun? Hängt es
die ihm wie massige Skulpturen erschie­ mit den Terranern zusammen?«
nen. Halbkugelförmige, von dicken »Mit einer Karte, die alle Stasissäle
Nach der Stasis 45

aufzeigt. Und dazu den Standort des Abständen kleine technische Betriebs­
Rechners, in dem die Karte gespeichert räume. Auch sie Standard, genormt da­
wurde.« für, die Lebensbedingungen innerhalb
»Woher stammt die Karte?« eines abgeschirmten TAI-Kubus zu ga­
»Der TAI-Servo hat sie aufgespürt.« rantieren. Die beiden Tibirian Melech
Lindbak ließ ein heiseres Lachen ver­ stießen auf Anlagen für Druck- und At­
nehmen. »Sind diese Kerle doch zu et­ mosphäreüberwachung, für Wasserver­
was zu gebrauchen? Ich habe schon ge­ sorgung und -wiederaufbereitung. Da­
glaubt, wir müssten alles aus ihnen neben Energiespeicher und ebenso
herausprügeln ...« Projektoren für die Errichtung starker
»Vielleicht brauchen wir sie bald nicht Schirmfelder. Das alles ausgelegt für das
mehr. Ich nehme an, es muss ein Ther­ räumlich begrenzte Areal des Wohnbe­
modyn-Ingenieur gewesen sein, der für reichs.
die Stasis verantwortlich war. Wahr­ Immer wieder hielten die beiden Tibi­
scheinlich wurde auch der Plan von ihm rian Melech kurz inne und lauschten.
gespeichert.« Nichts war zu hören. Es gab kein Leben
»Du glaubst, dass wir über den Rech­ in diesem Bereich. Vielleicht war der
ner weitere Informationen erhalten?« Kubus konserviert gewesen wie das Dorf
»Ich hoffe es«, schwächte Selexon ab. der Ankläger. So lange, bis sie eingetrof­
»Du hoffst ... Ist das alles? Nicht mehr? fen waren; Selexon vermutete, dass der
Nicht noch einen Anhaltspunkt? Etwas, Schutz mit Taffanaros Eindringen erlo­
für das es sich lohnt loszugehen?« schen war. Immerhin arbeiteten Sauer­
»Ich hoffe, dass wir eine Spur des stoffversorgung und Temperaturrege­
Thermodyn-Ingenieurs finden können.« lung.
Nahezu im Zentrum der Anlage stie­
* ßen Selexon und Lindbak auf einen
Raum, der sich bei flüchtiger Betrach­
In einem Konglomerat türmten sich tung zwar in nichts von allen anderen
die Wohnelemente übereinander. Große, unterschied, aus der Nähe aber seine Be­
zweckmäßige Blöcke, zwischen denen sonderheit erkennen ließ.
sich Korridore, Treppen und Antigrav­ Ein angehefteter Schallsensor wies
schächte in Nischen quetschten und die den Wohnwürfel unmissverständlich als
in großer Höhe mit dem goldschimmern- den Ruheraum eines Thermodyn-Inge­
den Himmel verschmolzen. nieurs aus.
Wohnbereiche wie diese fanden sich »Die Koordinaten der Karte sind ein­
überall in CHEOS-TAI. deutig«, stellte Selexon fest. »Der Rech­
»Nichts Besonderes«, stellte Lindbak ner steht im Innern dieses Raums. Das
fest, nachdem Selexon und er den drit­ Problem ist, dass wir nicht einfach ein­
ten leeren Raum betreten hatten. dringen dürfen.«
Es gab keine Hinweise auf die frühe­ »Wer will uns das streitig machen?«,
ren Bewohner dieser kompakten Sied­ fragte Lindbak.
lung. Vielleicht hatten sie den GESETZ- »Die Thermodyn-Ingenieure sind die
Geber vor ewiger Zeit verlassen oder diesseitigen Stellvertreter der Kosmo­
waren am Ende ihrer Existenz ange­ kraten«, antwortete Selexon.
kommen. Vielleicht lagen sie aber auch »Und?« Lindbak reagierte gereizt.
in einem der nur wenige Dutzend Kilo­ »Siehst du einen davon hier und jetzt?
meter entfernten Stasissäle. Taffanaro hat die Räume schon vor uns
Weit verstreut in dem Labyrinth der betreten.«
Gebäude fanden sich in regelmäßigen Entschlossen ging Selexon weiter. Der
46 HUBERT HAENSEL

Zugangsbereich löste sich vor den bei­ des GESETZ-Gebers hätte es gewagt, in
den auf und stabilisierte sich hinter ih­ die privaten Dateien eines Thermodyn-
nen wieder. Ingenieurs einzudringen?
Die Unterkunft war leer – und den­ Und nun? Ausgerechnet ein Fiktiv-
noch erweckte sie den Eindruck, als Ankläger war im Begriff, das zu tun,
müsse ihr Bewohner schon in der nächs­ wofür er andere einer eingehenden Prü­
ten Sekunde zurückkehren. Einzelne fung unterzogen hätte.
Einrichtungsgegenstände aus Form­ »Ich kann es nicht tun«, sagte Inkh
energie stabilisierten sich vor den Ein­ Selexon schwer. »Das ist ein Ding der
dringlingen, sobald sie in den Grenzbe­ Unmöglichkeit.«
reich eindrangen. Aber auch hier nichts, »Dann werden wir nie erfahren, was
was Rückschlüsse erlaubt hätte. geschehen ist. Willst du es wirklich nicht
»Gut möglich, dass der Thermodyn- wissen?«
Ingenieur vor neunundzwanzig Millio­ Selexon zuckte zusammen, als er mit
nen Jahren zum letzten Mal hier war«, einem Mal Lindbaks Hände an seinen
sagte Selexon nachdenklich. Oberarmen spürte. Im ersten Erschre­
»Ebenso kann es gestern gewesen cken wollte er hochfahren und Lindbak
sein«, wandte Lindbak ein. »Sie können abschütteln. Er war sich seiner Gefühle
nicht alle gegangen sein. Oder?« für den Untergebenen nicht sicher. Ei­
Den Rechner fanden sie in einer Sei­ gentlich verachtete er Lindbak wegen
tennische. Selexon reagierte enttäuscht. seiner nervösen und oft genug unbe­
Obwohl er ohnehin nur eine Nebenanla­ herrschten Art. Andererseits hatte er, so­
ge erwartet hatte, irritierte ihn der klei­ lange die Bedrohung durch die Terraner
ne und unscheinbare Rechner. Solche noch bestanden hatte, einen Leibwächter
Geräte gab es zu Millionen in CHEOS­ zu schätzen gewusst. Und vielleicht lern­
TAI. Das einzig Interessante war, dass te Lindbak auch dazu. Immerhin schlepp­
dieser Rechner nachweisbar von einem te er diesmal seinen wuchtigen Strahler
Thermodyn-Ingenieur genutzt worden nicht mit sich herum.
war. Selexon fröstelte. Die Berührung ließ
Eine Sitzgelegenheit stabilisierte sich, ihn selbst gereizt reagieren.
als der Tibirian Melech den Rechner ak­ »Du hast recht!«, stieß er hervor. »Ich
tivierte. Selexon fand sofort die Spuren, bringe das zu Ende.«
die der TAI-Servo hinterlassen hatte. Augenblicke später holte ihn die Ver­
Unmittelbar danach baute sich ein gangenheit ein.
raumfüllendes Schallholo auf. Er er­
kannte die Wiedergabe der Stasissäle. *
Wie von selbst griffen seine Finger in
die permanent variablen Lichtfelder der Die Speicherdaten waren die Auf­
Steuerung. Inkh Selexon brauchte nicht zeichnungen eines Thermodyn-Inge­
darüber nachzudenken, das war ein Vor­ nieurs namens Eregitha Math Gaum.
gang, der tief in seinem Unterbewusst­ Offfensichtlich waren sie wirklich vor
sein verankert zu sein schien. Nur zwei- neunundzwanzig Jahrmillionen aufge­
oder dreimal zögerte er kurz, als sich sprochen worden.
umfangreiche Verzeichnisstrukturen Selexon spürte erneut einen Schauder
öffneten. im Nacken, als die Stimme des Thermo­
Dann stockte Selexon der Atem. dyn-Ingenieurs den Raum füllte. Ihm
Es gab in der Tat private Aufzeich­ schien es in dem Moment, als stünde
nungen. Sie waren nicht gesichert. Das Eregitha Math Gaum zum Greifen neben
war auch völlig unnötig. Wer an Bord ihm.
Nach der Stasis 47

»... ich werde die Umstrukturierung Momentan gehe ich davon aus, dass
für CHEOS-TAI vollziehen, wie es von dies meine letzte und einzige Aufzeich­
mir verlangt wird. Die Kosmokraten ha­ nung sein wird. Wegen der erforderli­
ben für alle GESETZ-Geber angeordnet, chen Umstrukturierung nehme ich alle
dass sie vollständig neu bemannt wer­ weiteren Erinnerungen aus den Spei­
den. chern.«
Dies sind nicht nur kleine Umwälzun­ Die Stimme des Thermodyn-Inge­
gen innerhalb eines überschaubaren Be­ nieurs verstummte.
reichs und eines geschlossenen Systems, Erst nach einer Weile, als wirklich al­
wie sie in der Vergangenheit immer wie­ les still blieb, löste sich Inkh Selexon aus
der vollzogen wurden. Diese Umstruktu­ seiner Nachdenklichkeit.
rierung wird umfassend sein und alle »Ich denke, Eregitha Math Gaum hat
Besatzungen betreffen. Ich glaube, dass die Besatzungen noch in die Stasissäle
es sich um die Vorzeichen kommender geschickt und die Übersicht von diesem
großer Veränderungen handelt. Andere Rechner aus gespeichert. Danach hat er
meines Volkes sprechen sogar schon von CHEOS-TAI für immer verlassen. Es ist
dem Beginn eines neuen Zeitalters. Ich anzunehmen, dass ihm selbst eine neue
kann mich dieser Ansicht noch nicht an­ Aufgabe zugewiesen wurde.«
schließen, wenngleich ich es bemerkens­ »Seine Verwirrung schwang in diesen
wert finde, dass der Anordnung eine Be­ wenigen Sätzen deutlich mit«, sagte
gründung beigefügt wurde. Demnach Lindbak zögernd.
soll die Maßnahme vorgenommen wer­ »Ich weiß nicht. Ich frage mich, wie
den, um größere Zuverlässigkeit, bessere ich an seiner Stelle reagiert hätte. Es
Berechenbarkeit und eine verringerte so­ muss wehtun, den GESETZ-Geber zu
ziale Komplexität an Bord zu erreichen. verlassen.«
Natürlich werde ich den Anordnun­ »Besonders für jemanden, der den Kos­
gen der Kosmokraten nachkommen. Die mokraten immer treu ergeben gedient
Zukunft muss dann erweisen, wie schnell hat«, stieß Lindbak spöttisch hervor.
sich alle neu festgelegten Abläufe stabi­ Andere mussten gehen, weil wir Fik­
lisieren können. tiv-Ankläger sie für unzuverlässig be­
Für den Fall, dass die Umstrukturie­ funden haben. Genau das meinte sein
rung nicht wie vorgesehen gelingt, wer­ Begleiter. Selexon fühlte sich davon ei­
den die alten Besatzungen in den Stasis­ genartig betroffen.
schlaf versetzt. Vielleicht geht es auch »Die Erweckung, die Eregitha Math
darum, viele Milliarden hoch qualifizier­ Gaum zumindest angedeutet hat, ist nie
te Intelligenzen nicht irgendwo im Uni­ erfolgt«, sagte er zögernd. »Das heißt,
versum auszusetzen, wo sie zur leichten die Umstrukturierung an Bord muss sich
Beute der Chaosmächte werden können. als wirksam erwiesen haben, und für
Damit wird zweifellos möglichen Stör­ CHEOS-TAI brach tatsächlich ein neues
faktoren Rechenschaft getragen. Und Zeitalter an.«
die Schläfer können jederzeit erweckt »Das traf offenbar auf alle GESETZ-
und in ihre angestammten Funktionen Geber zu!«, erinnerte Lindbak.
zurückversetzt werden. Selexon erhob sich ruckartig. Er tau­
Allerdings sind Veränderungen uner­ melte und presste seine Hände an den
lässlich. Eine Mentale Revision mit par­ Kopf. Ein gequältes Gurgeln drang un­
tieller Gedächtnislöschung muss vorge­ ter dem Mundschutz hervor.
nommen werden. Nur dadurch kann im »Ich frage mich, ob ich dieses neue
Bedarfsfall ein Neuanfang mit der alten Zeitalter verfluchen soll. Es kann nicht
Besatzung gemacht werden. gut geworden sein. Wer immer das Kom­
48 HUBERT HAENSEL

mando über CHEOS-TAI übernahm, hat Kleine wich dem Tritt aus und hetzte
unser Volk verrotten lassen. Und die He­ davon.
romet und alle anderen Besatzungen Selexon bemerkte etliche fragende,
wohl ebenso. Ich möchte nur noch da­ verwirrte Blicke. Aber die Heromet ge­
vonlaufen.« horchten. Sie waren Diener, waren nie
»Warum tust du es nicht?« etwas anderes gewesen. Ihre große Zahl
Lindbaks Frage traf Selexon bis ins erlaubte es, sie überall dort einzusetzen,
Mark. Entsetzt hob er den Kopf und wo schnelle und gefährliche Arbeiten
nahm die Schallwellen des anderen auf. auszuführen waren. Ansonsten hatten
Sein Stellvertreter meinte die Frage in sie nie Bedeutung erlangt. Teil einer kos­
der Tat so, wie er sie ausgesprochen hat­ misch bedeutungsvollen Maschinerie zu
te. sein genügte ihnen, das war mehr, als sie
Warum laufe ich nicht davon?, wie­ erwarten durften.
derholte Inkh Selexon in Gedanken. Er Die Servos waren ebenso schuld wie
wusste es nicht. Aus Gewohnheit? Weil die Terraner. Sie hatten die Tibirian
tief in ihm das Gefühl verwurzelt war, Melech aus dem Schlaf zurückgeholt.
mit CHEOS-TAI für immer verbunden Niemand hat euch den Befehl dazu
zu sein – verbunden bis in den Tod? Ir­ gegeben. Solche Eigenmächtigkeiten
gendetwas hielt ihn zurück. Es lähmte stehen euch nicht zu.
ihn. Er konnte nicht fort, nicht aus der Immer noch fühlte Inkh Selexon die
Nähe der anderen Tibirian Melech flie­ Bitterkeit, die Eregitha Math Gaums
hen. Worte aus tiefer Vergangenheit in ihm
»Wir müssen den Terranern dankbar ausgelöst hatten. Einiges in ihm war in
sein.« Mit eisiger Kälte fraßen sich Lind­ jenem Moment zerbrochen. Er hatte sei­
baks Worte in seine Gedanken vor. »Nur ne Vorstellung von der Welt gehabt, in
weil sie die Servo-Unterstützung ange­ der er lebte, und diese Szenerie war
fordert haben, wurden wir geweckt.« durchaus angenehm gewesen. Mit einem
Dankbar? Bitterkeit stieg in Selexon ehrenvollen Platz für die Tibirian
auf. Melech. Aber dieses Bild hatte Risse be­
Ohne die Eindringlinge wäre der ewi­ kommen. Es wankte und bedurfte wohl
ge Schlaf wunderbar geworden. Aber nur noch eines schwachen Anstoßes, um
jetzt? Er drängte seine aufwallenden es endgültig auseinanderreißen zu las­
Gefühle zurück. Doch sein Zorn wuchs. sen.
Die letzten Servos verließen die Lenk­
zentrale. Ihre Erregung schien noch eine
7. Weile in der Luft nachzuschwingen.
Überhaupt, fand Selexon, herrschte eine
»Verschwindet aus der Lenkzentrale! fürchterliche Atmosphäre.
Sofort!« Die wachsende Unruhe war deutlich.
Inkh Selexon war wütend. Ihm war Nur zum Teil öffnete er sich den Schall­
nicht sofort aufgefallen, dass die Servos wellen, die ihm mehr als zuvor mit dem
mit einem Mal ihre Arbeit vernachläs­ Makel des Verfalls behaftet schienen.
sigt und offenbar angespannt zugehört Was er vor wenigen Wachperioden für
hatten, wie aufgebracht er über den eine Folge der Stasis gehalten hatte,
Thermodyn-Ingenieur geredet hatte, der kam aus jedem von ihnen. Als spürten
für den Stasisschlaf verantwortlich war. sie den Tod, der ihnen zugedacht worden
Es ging die Servos nichts an. war, auch ohne davon gewusst zu ha­
Er trat nach einem der Pelzwesen, das ben.
unmittelbar vor ihm stehen blieb. Der Alle 321 überlebenden Tibirian Me­
Nach der Stasis 49

lech ... Vergessen. Gezeichnet wie Aus­ cken. Vielleicht qualifizieren wir uns für
sätzige, weil sie weder ihr Gedächtnis neue Aufgaben, wenn wir den GESETZ-
beherrschten noch das, was in ihren Geber an die Ordnungsmächte zurück­
Körpern heranwuchs. geben.«
»Wir haben unser spätes Erwachen »Wir laufen dabei Gefahr, erst recht
mit einem Unfall zu erklären versucht«, als Bedrohung eingestuft zu werden«,
hörte Inkh Selexon sich urplötzlich sa­ wandte Lindbak ein. »Ich weiß nicht,
gen und wurde sich erst in dem Moment was ich noch glauben soll.«
der atemlosen Stille ringsum bewusst. »Vor allem stellt sich die Frage, ob wir
»Wir waren sicher, gewichtiger Gründe wirklich ein zweites Mal unser Leben
wegen vergessen worden zu sein und und unsere Zukunft den Ordnungs­
niemandem dafür die Verantwortung mächten anvertrauen dürfen.« Beschwö­
zuschreiben zu können. Die Umstruktu­ rend streckte Selexon beide Arme aus.
rierung, von der wir nur wussten, dass »Ich sage, dass die Antwort nur ›Nein!‹
sie erfolgt sein muss, schien nichts gewe­ lauten kann. Dass wir noch hier stehen,
sen zu sein, was sich gegen unser Volk ist nichts anderes als eine Verquickung
gerichtet hat ... Offensichtlich haben wir von Glück und Zufall. Weil wir erst ein­
uns geirrt. Hört her!« mal für eine mögliche spätere Verwen­
Er spielte den Bericht des Thermo­ dung im Notfall gut genug waren. Aber
dyn-Ingenieurs vor. diese Verwendung sehe ich nicht mehr.
Als Eregitha Math Gaum geendet hat­ CHEOS-TAI scheint kein Ziel und keine
te, war die Stille vollkommen und hielt Aufgabe mehr zu haben. Wahrscheinlich
an. So lange, dass sie beinahe schmerz­ wurde der GESETZ-Geber von allen
te. vergessen, gilt als vernichtet ... Wir wer­
Schließlich brach Inkh Selexon das den das nicht so schnell herausfinden.
Schweigen. Was spricht unter diesen Vorausset­
»Wir sind nicht die Opfer eines Un­ zungen dagegen, dass nicht mehr wir
falls geworden! Wir wurden von der CHEOS-TAI dienen, sondern umge­
Umstrukturierung beiseitegedrängt und kehrt – CHEOS-TAI uns?«
vergessen. Ich glaube, dass nicht einmal Er hatte etwas ausgesprochen, was
der Thermodyn-Ingenieur die Wahrheit vielen Tibirian Melech wie Rebellion er­
kannte. Natürlich waren wir als Reserve scheinen musste. Wie eine Umkehr all
vorgesehen. Für den Fall, dass CHEOS­ dessen, für das sie jemals eingetreten
TAI außer Kontrolle geraten würde. waren. Die Reaktion fiel entsprechend
Aber das ist nicht geschehen. Und da­ laut und heftig aus.
nach wurden wir vergessen. Alle Völker, Es berührte ihn nicht. Die Argumente,
die der alten Besatzung angehörten, die er zu hören bekam, hatte er sich
wurden vergessen. Ich sage, das ist ab­ selbst schon vorgehalten und ebenso
sichtlich geschehen. Weil es leichter war, wieder verworfen.
die Stasis für alle Ewigkeit aufrechtzu­ »Wir werden den GESETZ-Geber be­
erhalten, als das Risiko einzugehen, uns nutzen, um ein neues Leben zu begin­
neues Leben außerhalb von CHEOS-TAI nen, über das wir selbst bestimmen!«,
zu geben. sagte er schließlich. »Die Galaxis, in der
Aus den von allen respektierten Fik­ wir uns befinden, könnte bereits der ide­
tiv-Anklägern sind Sicherheitsrisiken ale Ort für uns sein. Wir verbergen uns
geworden.« zwischen den Sternen, bis wir herausge­
»CHEOS-TAI ist heute verlassen!«, funden haben, wer wir wirklich sind.
rief jemand. »Wir sollten gar nicht erst Oder wer wir sein wollen und wo unser
versuchen, andere Schläfer aufzuwe­ Ziel liegt.«
50 HUBERT HAENSEL

»Wenn wir diese Gelegenheit nicht er­ Knie, suchten vergeblich nach einem
greifen, werden wir es nie verdienen, in Halt ...
Freiheit zu leben«, bemerkte Lindbak. Ein gurgelnder Aufschrei. Im ersten
»Die Heromet werden uns dienen, bis Moment glaubte Inkh Selexon, dass er
wir die eigene Entscheidung getroffen selbst diesen Schrei ausgestoßen habe,
haben. Danach, wenn wir sie nicht mehr doch er bekam nicht genügend Luft da­
brauchen, können sie für sich selbst für. Seine Kehle schien ein dicker, un­
sprechen. Und falls es sich als nötig er­ durchlässiger Klumpen zu sein, und aus
weist, können wir jederzeit einige Völ­ seinen Mundwinkeln sickerte Speichel
ker dieser Galaxis in unseren Dienst und verwandelte die Gesichtsmaske in
nehmen. CHEOS-TAI gibt uns die Macht ein eklig klebriges Ding.
dazu – wir müssen nur lernen, den GE­ Mit aller Kraft kämpfte Selexon da­
SETZ-Geber zu beherrschen.« gegen an, versuchte, sich auf den Beinen
»Wir Tibirian Melech können die Her­ zu halten, obwohl er spürte, dass er es
ren dieser Galaxis werden!« Inkh Sele­ nicht schaffen konnte.
xon führte den Gedanken zu Ende. »Wir Immer mehr Tibirian Melech wurden
können aber auch eine endlose Wander­ von der Qual erfasst. Einige suchten ihr
schaft antreten, die uns durch alle Gala­ Heil in der Flucht, aber sie kamen nicht
xien des Universums führen wird. Die weit, brachen schon nach wenigen
Entscheidung liegt einzig und allein bei Schritten zusammen, als greife das Un­
uns.« heil umso schneller nach ihnen.
Nur verschwommen nahm Selexon
* wahr, dass keiner seiner Artgenossen
verschont blieb. Was immer in ihren
Niemand redete. Inkh Selexon regis­ Körpern schlummerte, es brach auf.
trierte die Betroffenheit, die in vielen Jetzt.
wühlte und sie bis tief in ihr Innerstes Es wird verhindern ... dass wir uns ...
erschütterte. von den Kosmokraten lösen.
Zu viel war geschehen und hatte das Inkh Selexon hatte keine Gefühle
ohnehin brüchige Selbstverständnis der mehr. Er spürte nur noch diesen zucken­
Tibirian Melech bis in die Grundfesten den, reißenden Reflex in sich, der ihn
erschüttert. Sie brauchten Zeit, um sich diesmal töten würde. Ihn und alle ande­
der Folgen vollends bewusst zu werden. ren, deren Qual er ebenfalls wahrnahm,
Selexon spürte die Anspannung. Sie ihr Unvermögen, der Veränderung in ih­
wurde rasch intensiver, ein Hauch von ren Körpern zu entgehen.
Bedrohung. Sein instinktiver Versuch, Er sah Zevin am Boden liegen und sich
zu erkennen, woher diese Veränderung zusammenkrümmen. Grud Zevin, bei
kam, endete schon im Ansatz. Ein wi­ dem die Veränderung begonnen hatte,
derlich zwanghaftes Gefühl sprang auf denn sein Körper war bereits schrecklich
ihn über. entstellt. Teile des Schädels schienen
Inkh Selexon kannte diese Empfin­ aufgebrochen zu sein, und das wuchern-
dung, die ihm Übelkeit verursachte. de Gewebe zwängte sich zwischen den
Doch so intensiv, wie sie diesmal von au­ Knochen hindurch und weitete sich aus.
ßen auf ihn eindrang, hatte er die Verän­ Zevins Brustkorb pulsierte, hatte beide
derung nie zuvor wahrgenommen. Arme schon unter seiner Last begraben
Mehrere Tibirian Melech in seiner Nä­ und dehnte sich weiter aus ...
he krümmten sich bereits zusammen. Ein zarter Hauch streifte Selexon in
Ihre Arme zuckten unkontrolliert, sie dem Moment, ein Gefühl von Freiheit.
taumelten, die Ersten brachen in die Fast als platze eine harte, vertrocknete
Nach der Stasis 51

Schale auf, um neuem Leben den Weg zu zu blockieren. Zevin sah aus, als hätte
öffnen. sich sein Körper von innen nach außen
Und da waren die anderen. Er spürte gedreht, als hätte er versucht, sich in et­
sie so nahe, als wollten sie ihn erdrü­ was anderes zu verwandeln. Eine Meta­
cken. Ihre Schmerzen, ihre Kraft, alles morphose, der Schritt hin zu neuem Le­
das vereinte sich in einem einzigen to­ ben. War es das, was er in seinem Schmerz
senden Aufschrei, in dem etwas Neues noch wahrgenommen hatte? Dass sich
entstehen sollte – doch ein greller, glü­ einer aus ihrer Mitte zu etwas Neuem
hend heißer Schmerz raubte ihm die Be­ entwickelte, so, wie manches Leben zwei
sinnung. oder drei Stufen unterschiedlicher Exis­
Jede Zelle seines Körpers bebte. Das tenz durchlief, bis es seine wahre Be­
war der Eindruck, der Inkh Selexons Er­ stimmung fand?
wachen begleitete. Die Schmerzen wa­ Und sie alle, er eingeschlossen, hatten
ren verflogen. ihre Kraft gegeben, um dem einen aus
Einer jähen Eingebung folgend, tastete ihrer Mitte den Weg zu erleichtern.
er über seinen Leib. Kein Geschwür, kei­ Es hat nicht gereicht, erkannte Sele­
ne unförmigen Schwellungen. Für einen xon. Vielleicht, weil wir nicht wussten,
Moment versuchte er, sich auf sich selbst was geschehen würde. Oder wir sind zu
zu konzentrieren, aber er schaffte es wenige.
nicht. Sie alle hatten instinktiv versucht, ei­
Immer noch spürte er die Nähe der nem aus ihrer Mitte zur Metamorphose
anderen. Einige von ihnen versuchten zu verhelfen. Daran zweifelte Selexon
sich aufzurichten. Auch er stemmte sich nicht einen Moment. Auch nicht daran,
langsam in die Höhe, gab vorübergehend dass es wieder geschehen würde.
der Schwäche nach, die ihn erfüllte, und Aber warum?
stand endlich, wenn auch unsicher, wie­ Die Mentale Revision hatte ihnen die­
der auf den Beinen. ses Wissen genommen. Dabei konnte die
Nur einen Moment später sah er Zevin. Antwort entscheidend sein für das Über­
Grud Zevin war tot. Auf so entsetzli­ leben der Tibirian Melech. Selexon war
che Weise verändert, dass Selexon gar geradezu davon überzeugt.
nicht anders konnte, als sich abzuwen­
den und einen Teil seines Organbandes *
52 HUBERT HAENSEL

Tausende Stasissäle waren über ganz farbige Blüten hervorwachsen ließen.


CHEOS-TAI verstreut. Besonders dicht Ein Raunen und Singen erfüllte den
erstreckten sie sich jedoch in den Sekto­ Saal, und Taffanaro empfand unglaub­
ren oberhalb der Lenkzentrale. Nur lichen Triumph darüber, dass alle diese
dreihundert Heromet hatte Taffanaro prächtigen Geschöpfe überlebt hatten.
deshalb in die Peripherie des GESETZ- Augenblicke später erschreckten ihn
Gebers geschickt; sie sollten sich dort die ersten Schreie. Der Gesang verhallte,
umsehen, aber keinen Erweckungsvor­ wich einem knarrenden Stöhnen. Beide
gang einleiten, sondern ausschließlich Hände auf die Ohren gepresst, sah Taf­
inspizieren und Bericht erstatten. fanaro die Blüten welken und ihre Far­
Er selbst durchschritt seit Stunden ben verstreuen, und schon zerbrachen
einen Saal nach dem anderen. Sein die ersten Äste, als explodierten sie von
Stellvertreter Kafarain und einige Dut­ innen heraus.
zend Servos folgten ihm, alle anderen Das lauter werdende Bersten und
waren ausgeschwärmt und stießen von Krachen verfolgte den Heromet, als er
den Seiten aus langsam in Richtung geradezu aus der Halle floh, und ließ ihn
Zentrum vor. auch in den Stunden danach nicht zur
Endlos reihten sich die Liegen hinter­ Ruhe kommen. Immer wieder hallte es
einander. Alle waren belegt. Mit Wesen, urplötzlich in ihm nach, eine nicht en­
die aussahen, als könnten sie schon im den wollende Anklage.
nächsten Moment aufstehen und davon­ Durch manche Säle hastete er nur
gehen. noch hindurch. Getrieben von der
Nicht alle Geschöpfe auf den Liegen Furcht, wieder dem Tod gegenüberzu­
erinnerten den Servo tatsächlich an Le­ stehen. Dann wollte er aufhören, sich
bensformen. Mehr als einmal war Taffa­ zurückziehen, aber er brachte den Mut
naro ratlos stehen geblieben und hatte dazu nicht auf. Weil er die Tibirian
versucht zu erkennen, was er da über­ Melech fürchtete.
haupt vor sich sah. Unvermittelt packte Kafarain zu und
Ein Saal voll dürrer, vertrockneter Äs­ zog ihn am Arm herum.
te, die aussahen, als wären sie von längst »Sieh dir das hier an, Taffanaro, bevor
abgestorbenen Bäumen abgeschlagen du blind daran vorbeistürmst.«
worden. Ein wenig helle Borke, aber kei­ Der TAI-Servo blinzelte. Dann trat er
ne Wurzeln, keine Knospen. Vielleicht näher. Sein Herz raste in dem Moment,
hatten diese Wesen vor geraumer Zeit und er schimpfte sich einen Idioten, dass
noch ganz anders ausgesehen. Während er das beinahe übersehen hätte. Er hatte
viele tote Schläfer im Stasisfeld ihr Aus­ es übersehen. Ein energetisches Siegel
sehen behielten und erst während des klebte über dem Zentrum eines Lamel­
Erweckungsvorgangs, dann aber er­ lenschotts.
schreckend schnell verwesten, mochten »Irgendetwas Wichtiges«, vermutete
diese Äste nur noch eine Art Skelett Kafarain.
sein. Taffanaro leckte sich mit der Zunge
Der TAI-Servo leitete selbst den Er­ über beide Zähne.
weckungsvorgang in der Halle ein. Etwas verdammt Wichtiges, argwöhn­
Aus weit aufgerissenen Augen blickte te er und tippte mit einem Finger auf das
er fasziniert auf die dürren Äste, deren Siegel. Es fühlte sich warm an, beinahe
Borke jäh aufplatzte. Winzige grüne lebendig. Er verstärkte den Druck. Im
Triebe entwickelten sich, quollen zu nächsten Moment splitterte das Siegel,
faustgroßen Büscheln auf, die sich eben­ und das Schott setzte sich lautlos in Be­
so schnell öffneten und langstielige viel­ wegung.
Nach der Stasis 53

Ein Saal lag dahinter. Er war viel­ dich, Taffanaro. Wir sind nur Servos; es
leicht nicht ganz so groß wie alle ande­ steht uns nicht zu, in andere Geschicke
ren, aber das war es nicht, was Taffana­ einzugreifen.«
ro sofort ins Auge stach. Er vermisste die Taffanaro klopfte mit der Nackthand
Reihen von Liegen, die sonst dicht an auf den Boden. »Du widersprichst dem
dicht standen. Nur zehn Stasisliegen TAI-Servo«, stellte er gereizt fest. »Was
gab es in diesem Saal, sie standen weit ist das anderes?«
auseinander, und nur eine einzige war Kafarain schwieg betreten. Der An­
belegt. flug von Mut schien seinen Stellvertreter
Taffanaro trat vorsichtig näher. Er schon wieder verlassen zu haben.
blickte auf ein feingliedriges, sehr groß »Wir wissen doch inzwischen, wie die
gewachsenes Wesen mit blassblauer Fiktiv-Ankläger zu den Thermodyn-In­
Haut. Der Schädel wirkte ein wenig lang genieuren stehen, seit sie wissen, wer
gestreckt, wie überhaupt alles an dieser den Stasisschlaf eingeleitet hat«, fuhr
Gestalt. Anstelle von Augen zog sich ein der TAI-Servo fort. »Ich glaube nicht,
düsteres Band rund um den Kopf, es be­ dass sie sich freuen würden, einen leben­
stand aus einer Vielzahl weicher, mu­ digen Ingenieur zu sehen.«
schelförmiger Auswüchse. Schon wieder hob Kafarain abweh­
»Ein Thermodyn-Ingenieur«, mur­ rend die Hände. Herausfordernd ent­
melte Taffanaro entgeistert, und schon blößte Taffanaro seine Zähne zur Hälfte.
kam es lauter über seine Lippen: »Ein Kafarain ließ sich nicht beirren.
Thermodyn-Ingenieur. Wir haben einen »Du glaubst tatsächlich, die Ankläger
der Herren von CHEOS-TAI gefun­ könnten darauf aus sein, dem Thermo­
den!« dyn-Ingenieur Leid zuzufügen?«
Für einen Moment stand er nur da und »Sie könnten die Absicht haben, ihn
beobachtete, wie die anderen von allen zu töten!«
Seiten auf die Liege schauten. Das klang ungeheuerlich. Taffanaro
Kafarain und einige andere machten war dennoch davon überzeugt, dass es
sich an dem Kontrollrechner neben der sich so und nicht anders verhielt.
Liege zu schaffen. Es war verständlich, dass ihnen die
»Sein Name ist Eregitha Math Gaum«, Entscheidung schwerfiel. Weil sie immer
sagte Kafarain zögernd. »Mehr ist nicht schon Diener gewesen waren und nie je­
verzeichnet.« mand, der aus eigener Kraft heraus die
Taffanaro fasste mit beiden Händen Dinge bestimmte. Vorauszusehen, wie
nach seinen Zähnen und klopfte mit den sich das Leben in CHEOS-TAI entwi­
Fingerspitzen darauf. Er war auf einmal ckeln würde, sobald wieder ein Thermo­
ungeheuer nervös. dyn-Ingenieur das Kommando innehat­
»Wir müssen ihn nur lebendig we­ te, vermochten sie nicht abzuschätzen.
cken, dann werden uns die Tibirian Vielleicht würde Eregitha Math Gaum
Melech nicht mehr herumstoßen, als wä­ nicht einen Augenblick lang zögern, sie
ren wir nichts anderes als Maschinen«, alle wieder in den Stasisschlaf zu verset­
flüsterte er. »Dann wird CHEOS-TAI zen.
wieder den Hohen Mächten dienen und Vielleicht, sagte sich Taffanaro, wäre
nicht nur den Anklägern, was immer sie das die Lösung aller Probleme gewesen.
damit vorhaben mögen.« Aber irgendwie fürchtete er sich zu­
»Nein!«, keuchte Kafarain. »Tu das gleich davor, nie wieder aufzuwachen.
nicht! Ohne Rücksprache mit den Tibi­ »Wir werden die Existenz des Inge­
rian Melech dürfen wir es nicht wagen, nieurs den Tibirian Melech nicht preis­
den Ingenieur zu wecken. Du vergisst geben!«, sagte er mit einer Entschlossen­
54 HUBERT HAENSEL

heit, die ihn selbst verblüffte. »Nicht rückgängig zu machen, bevor dauerhaf­
bevor es uns gelungen ist, ihn aufzuwe­ te Schäden angerichtet waren.
cken.« Andere waren ähnlich qualvoll ge­
Kafarain schaute ihn nur noch stumm storben wie Zevin.
an. Inkh Selexon drängte seine düsteren
»Wir machen das, was wir verantwor­ Überlegungen beiseite, als er das medi­
ten können«, fuhr Taffanaro fort. »In den zinische Zentrum betrat. In den automa­
nächsten Tagen prüfen wir alle techni­ tischen Medokammern wurden mittler­
schen Einrichtungen im Kontrollraum weile drei Männer behandelt, die sich
und in der Peripherie des Saales. Wir selbst schwere Verstümmelungen zuge­
wollen, dass der Ingenieur am Leben fügt hatten.
bleibt, also dürfen wir uns nicht den ge­ Kalitt Lindbak war einer von ihnen.
ringsten Fehler erlauben.« Selexon versuchte, durch die trübe
»Du willst das«, hauchte Kafarain er­ semitransparente Abdeckung der Kam­
geben. mer zu erfassen, wie es um Lindbak
»Ja.« Es fiel Taffanaro unglaublich stand. Sein Stellvertreter wirkte, als
schwer, aber er rang sich dazu durch. schliefe er.
»Ich will das! Weil es mir nicht gefällt, Beide Arme hatten sich allerdings er­
herumgestoßen zu werden.« schreckend verändert. Lindbak hatte sie
zu kurzen fleischigen Stummeln werden
lassen, aus denen geschuppte Tentakel
8. hervorwuchsen. Zwei dieser Tentakel
zuckten ruckartig aus der Nährlösung
Seit zwei Wachperioden lebte er mit hervor und pendelten Selexon entgegen.
der Furcht vor der Verwandlung, und er Er hatte Mühe, sich nicht angewidert
registrierte jeden noch so kurzen herumzuwerfen. Nur indem er für einen
Schmerz als plötzliches Alarmsignal. Moment seine Wahrnehmung blockierte,
Aber er blieb verschont. schaffte er es überhaupt.
Andere Tibirian Melech waren schon Selexon flüchtete sich in das Studium
zum zweiten oder dritten Mal davon be­ der angezeigten Biodaten. Sein Stellver­
troffen worden. Sie sprachen von einem treter hatte es gerade noch geschafft,
Zwang, der in Schüben auftrat. Davon, dem Tod zu entkommen. Der Kreislauf
dass sie urplötzlich davon überrascht war inzwischen wieder einigermaßen
wurden und dann gar nicht anders konn­ stabil, über die Nährlösung wurden ihm
ten, als Veränderungen am eigenen Kör­ Aufbaustoffe verabreicht. Mit dem Ver­
per vorzunehmen. such der Metamorphose hatte er sich
Es schien, als hätte Zevins schreckli­ stark verausgabt. Nun kam es darauf an,
cher Tod ein anderes Verständnis für die ihm so schnell wie möglich neue Kräfte
Vorgänge in ihren Körpern ausgelöst. zuzuführen, damit er die Veränderungen
Keiner wurde mehr von jähen Wuche­ rückgängig machen konnte.
rungen seines Körpers überrascht – sie »Du schaffst es«, murmelte Selexon.
hatten sich weiterentwickelt, hatten auf Täuschte er sich, oder huschte tatsäch­
gewisse Weise gelernt, dass sie in der La­ lich ein zufriedenes Zucken über Lind­
ge waren, diese unheimliche Metamor­ baks Gesicht?
phose zu steuern. Die Tibirian Melech Lärm brandete auf.
veränderten sich selbst. Jemand schrie. Andere Stimmen fie­
Immer mehr schafften es, diesen Vor­ len ein. Offenbar wurde soeben ein wei­
gang unter Kontrolle zu bringen und die teres Opfer zu den Medokammern ge­
Veränderungen innerhalb kürzester Zeit bracht.
Nach der Stasis 55

Inkh Selexon musterte die sterile Um­ Als Inkh Selexon zu sich kam, wusste
gebung. Verwirrt fragte er sich, wo er er, dass es nun auch ihn erwischt hatte.
sich befand. Irgendetwas musste gesche­ »Du hattest großes Glück«, sagte je­
hen sein ... aber er entsann sich nicht. Er mand neben ihm. »Die Veränderungen
wusste nicht ... Unwichtig. haben sich bereits zurückgebildet. Wie
Zögernd hob er seine Hand, spreizte alle, die es überkommt, hast du versucht,
die Finger. Er hörte sich klagende Töne möglichst viele von uns mitzureißen.«
ausstoßen, achtete aber kaum darauf. »Ich entsinne mich kaum. Wie viele
Dieses seltsame Gewebe, das seine Fin­ habe ich geschädigt?«
ger und die Hand bedeckte, gefiel ihm »Nur einen der Helfer, aber er erholt
nicht. Es war ... fremd, hatte nichts mit sich bereits wieder. Wir waren zum
ihm zu tun, mit seinem Körper. Aber Glück genug, um dich aufzuhalten. Das
vielleicht konnte er es loswerden. Betäubungsmittel hat dich drei Stunden
Es fiel ihm leicht, sich zu konzentrie­ schlafen lassen.«
ren. Er starrte seine Finger an und fühl­ »Was noch?« Selexon glaubte, das Zö­
te ein warmes Prickeln, ein angenehmes gern seines Gegenübers zu spüren.
Gefühl, das sich schnell auch auf die »Es gab drei weitere Tote. Wir sind
Hand erstreckte und den Arm hinauflief. nur noch dreihundertundneun, und das
Diese Wärme machte es einfach, die bestimmt nicht mehr lange.«
Finger zurückzuziehen. Nacheinander Kurze Zeit später verließ Inkh Sele­
kippten zwei der Stoffstreifen nach un­ xon das medizinische Zentrum. Ihm war
ten. Er lachte leise, es war ein wunder­ erschreckend deutlich geworden, dass
bares, verlockendes Gefühl, den eigenen die wenigen Überlebenden seines Volkes
Körper so zu beherrschen. Er konzen­ der Situation nicht mehr allein Herr
trierte sich jetzt auf den Daumen, zog werden konnten. Was immer diese
ihn zurück, versuchte, auch die Hand zwanghaften metamorphischen Verän­
schrumpfen zu lassen ... derungen auslöste, sie waren auf Hilfe
Stimmen erklangen in unmittelbarer angewiesen. Aber CHEOS-TAI war der
Nähe. falsche Ort. Am schnellsten war Unter­
Er spürte mehrere, die so waren wie er. stützung vielleicht noch aus der Galaxis
Er musste ihnen zeigen, was alles mög­ zu bekommen, in die der GESETZ-Ge­
lich war, wie sie es schaffen konnten, ber eingedrungen war.
ihren Körper zu verändern. Er konzen­ Selexon eilte in die Lenkzentrale zu­
trierte sich auf sie ... rück. Bislang hatten sich die Tibirian
Aus den Stimmen wurden Schreie. Melech nicht mit ihrer kosmischen Um­
Dann trampelten Schritte heran, alles
um ihn herum geriet in Aufruhr.
Irgendetwas Schweres senkte sich auf
sein Gesicht. Er atmete heftiger, sträub­
te sich gegen den unbarmherzigen Griff,
der seinen Kopf festhielt.
»Lasst mich!«, wollte er schreien, er
konnte es nicht, denn da war ein kurzer
stechender Schmerz, und von seinem
Hals aus tobte Eiseskälte durch die
Adern.
Dann kam die Müdigkeit.

*
56 HUBERT HAENSEL

gebung befasst und die Außenbeobach­ Er spürte eine Bewegung in unmittel­


tung den Heromet überlassen. Über de­ barer Nähe. Als er den Kopf hob, regis­
ren Kom-Kanal rief er nach Taffanaro. trierte er, dass Kafarain zurückgekom­
»Ich brauche alles verfügbare Wissen men war.
über die kleine Galaxis! Ich erwarte, »Herr ...« Die Stimme des Servos zit­
dass du mir sämtliche Informationen terte. Es war unverkennbar, dass er
persönlich umgehend in die Lenkzentra­ Angst hatte.
le bringst!« »Was willst du von mir?«, herrschte
Viel zu viel Zeit verstrich sinnlos, bis Selexon den Diener an.
endlich mehrere Servos kamen. Lindbak Kafarain hatte Mühe, sich zu artiku­
kannte Taffanaro und dessen Stellver­ lieren. Immer wieder versagte seine
treter Kafarain, die anderen hatte er Stimme und wurde zum kaum noch ver­
vielleicht schon einmal zu Gesicht be­ ständlichen Flüstern.
kommen, aber das interessierte ihn Aber Inkh Selexon unterbrach den
nicht. Ebenso wenig wie ihre Namen. Heromet nicht ein einziges Mal.
»... beide haben sich mit den Ortungen Was der Pelzige zu sagen hatte, klang
und den optischen Aufnahmen befasst«, ebenso unglaublich wie bedrohlich.
sagte Taffanaro.
Selexon reagierte mit einer gering­ *
schätzigen Handbewegung.
»Gibt es raumfahrende Völker in die­ Inkh Selexon konnte es noch immer
ser Galaxis?« nicht glauben. Aber wenn er seine Wahr­
»Einige«, antwortete Kafarain. nehmung auf den zitternden Servo rich­
»Die Insel wird von ihren Bewohnern tete, der kaum mehr in der Lage war,
Barmand-Sternborn genannt«, tat sich sich auf den Beinen zu halten, und den
einer der beiden anderen hervor. »Es gibt man förmlich zum Weitergehen zwingen
einige kleinere Machtblöcke und den so­ musste, wusste er, dass Kafarain die
genannten Antikrieger-Bund.« Wahrheit berichtet hatte.
»Ist das alles? Wie weit ist ihre Tech­ Kalitt Lindbak war beinahe in letzter
nik vorangeschritten? Was ist mit dem Minute zu ihm und den anderen gesto­
medizinischen Sektor?« ßen. Er hatte sich in der Medokammer
»Wir wissen es nicht, Herr. Bislang be­ schnell regeneriert. Von den körperli­
stand kein Anlass ...« chen Veränderungen konnte Selexon
»Jetzt verlange ich, dass ihr euch dar­ nichts mehr erkennen, sooft er seinen
um kümmert. Umgehend und in aller Stellvertreter auch unbemerkt taxierte.
Gründlichkeit. Aufgabe aller Servos ist Sie erreichten die ersten Stasissäle.
es ab sofort, den aufgefangenen Funk­ Kafarain stürzte und blieb wimmernd lie­
verkehr eingehend zu analysieren. Wir gen. Selexon bedachte einen seiner Tibi­
brauchen fähige Exo-Genetiker! – Das rian Melech mit einem fordernden Wink.
ist alles. Verschwindet! Und bringt mir Der Mann zerrte den Servo vom Boden
die Ergebnisse schnell! Andernfalls ...« hoch und schleifte ihn hinter sich her.
Er brauchte die Drohung nicht auszu­ Sie kamen schnell voran, ohne auf He­
sprechen. Die Servos hatten es unheim­ romet zu stoßen. Offensichtlich hatte Taf­
lich eilig, die Lenkzentrale wieder zu fanaro keine Wachen aufgestellt. Selexon
verlassen. nahm an, dass der TAI-Servo alles daran­
Selexon fragte sich, wie lange es dau­ setzte, keinen Verdacht zu erregen.
ern würde, ein geeignetes Volk aufzu­ Kafarains Wimmern wurde lauter.
spüren. Eigentlich konnte es nicht so Möglicherweise versuchte er nun doch,
schwer sein. seinesgleichen zu warnen.
Nach der Stasis 57

»Lass ihn hier zurück!«, wandte Sele­ »Es ist zu spät ...«, sagte Taffanaro
xon sich an den Tibirian Melech, der den verhalten.
Pelzigen mit sich zog. »Aber nimm ihm In dem Moment verlor Selexon jede
das Armband ab.« Beherrschung. Gurgelnd stürmte er wei­
Als er sich vor dem nächsten Saal ter, stieß rechts und links Servos zur Sei­
noch einmal auf den Servo konzentrier­ te und warf sich auf Taffanaro. Selexons
te, hatte Kafarain sich zu einem zucken­ wütender Hieb erwischte ihn während
den Bündel zusammengerollt. Sein einer Fluchtbewegung und schmetterte
Schluchzen verklang allmählich. ihn gegen die Sensortafel.
Kurze Zeit später stürmten sie den Wieder schlug Selexon zu. Mit beiden
Kontrollraum, von dem aus der Erwe­ Fäusten prügelte er auf den Servo ein,
ckungsvorgang für den Thermodyn-In­ der nicht einmal die Arme hob, um die
genieur gesteuert wurde. Schläge abzuwehren.
Sie kamen zu spät. Selexon erkannte Inkh Selexon war wie von Sinnen. Er
das auf den ersten Blick. Er sah Taffana­ hörte erst auf, als der Heromet lautlos in
ro an der Sensortafel stehen, und offen­ sich zusammensackte.
sichtlich hatte der Heromet soeben die Selexon wandte sich den Kontrollen
entscheidende Schaltung vorgenommen. zu. Die Bioanzeigen pulsierten bereits.
Aus weit aufgerissenen Augen starrte Die Erweckung hatte nicht nur begon­
der TAI-Servo den hereinstürmenden nen, vielmehr waren das schon die ers­
Tibirian Melech entgegen. ten Zeichen erwachenden Lebens.
Auch die anderen Servos standen da Kein Zeifel: Der Thermodyn-Inge­
wie gelähmt. Offensichtlich hatten sie in nieur würde aus der Stasis aufwachen.
keinem Moment damit gerechnet, über­ Ob wirklich lebensfähig oder nur für
rascht zu werden. Schuldbewusst blick­ wenige Atemzüge, um dann ebenso zu
ten sie zu Boden. Ihnen musste klar sein, sterben wie viele Tibirian Melech, hätte
dass sie ihre Herren verraten hatten.
58 HUBERT HAENSEL

in dem Moment noch niemand zu sagen für alle Zeit. Eregitha Math Gaum lebte
vermocht. Aber wenn Eregitha Math nicht mehr.
Gaum zäh genug war, um am Leben zu Du wirst nie wieder Tibirian Melech
bleiben ... Inkh Selexon musste sich in den Tod treiben! Inkh Selexon schau­
nicht erst die Frage stellen, wie die Kon­ derte. Aber nicht der Anblick des Toten
sequenzen aussehen würden. Er wusste verursachte dieses Schaudern. Es be­
es. Die Tibirian Melech hatten CHEOS­ gleitete jenes unheilvolle Ziehen und
TAI an sich gebracht, und das würde der Zerren in seiner Magengegend, das ihn
Ingenieur sehr schnell herausfinden. Das erschreckend intensiv daran erinnerte,
war gleichbedeutend mit einem Todes­ dass er selbst den Thermodyn-Ingenieur
urteil. vielleicht nur um kurze Zeit überleben
Inkh Selexon zögerte nur einen flüch­ würde ...
tigen Moment. Er hatte sich längst zu
weit vorgewagt, er durfte nicht zulassen, *
dass der Erweckungsvorgang abge­
schlossen wurde. Seit zehn Stunden herrschte Ruhe in
Ruhig, als wäre nichts geschehen, ließ CHEOS-TAI.
er das Zugangsschott des Saales aufglei­ Inkh Selexon hatte den Stasissaal
ten. Noch war Zeit, nichts zu überstür­ schnell verlassen, die Lenkzentrale auf­
zen. gesucht und sich seither nicht mehr fort­
Er kam rechtzeitig, um die ersten bewegt. Er beobachtete die Hologram­
Zuckungen des erwachenden Ingenieurs me, die in üppiger Fülle die fremden
zu beobachten. Prüfend sog er den Atem Sterne zeigten, und wartete.
ein, verharrte vorübergehend in leicht Erst als sich die Servos meldeten, die
gebeugter Haltung. Es roch nicht nach in Barmand-Sternborn Ausschau hiel­
verdorbenem Gewebe, sondern nach Le­ ten, kam wieder Leben in seinen ausge­
bendigkeit. mergelt wirkenden Leib.
Nachdenklich taxierte Selexon das »Wir haben dem Funkverkehr des An­
Gesicht des Ingenieurs, den bläulichen, tikrieger-Bundes die Koordinaten eines
muskulösen Oberkörper. Das also war Sonnensystems entnommen. Im Vaka­
Eregitha Math Gaum, der Mann, der das cool-System, heißt es, seien besonders
Schicksal der ungezählten Toten in den fähige Genetiker zu finden.«
Stasissälen verantworten musste. Der Selexon gab den Befehl, genau jenes
Millionen Besatzungsmitglieder in den Sonnensystem anzufliegen.
Stasisschlaf geschickt hatte, aus dem sie
nie wieder erwacht waren.
Rein mechanisch machte Selexon ei­ Epilog
nen Schritt nach vorne. Seine Hüfte
stieß gegen die Liege, und als wäre dies »Wir folgen Selexon und den Hero­
der letzte entscheidende Impuls gewe­ met!« Oft hatte dieser so leicht dahinge­
sen, streckte er beide Arme aus. sagte Satz in den letzten Tagen in ihr
Seine Finger tasteten nach dem Hals nachgeklungen und Mondra Diamond
des Erwachenden, und dann schlossen mit Nachdruck daran erinnert, wie gi­
sie sich mit unwiderstehlicher Gewalt. gantisch der GESETZ-Geber wirklich
In dem Moment reduzierte sich Inkh war. Nicht einmal die Teleporter hatten
Selexons Wahrnehmung nur noch auf es fertiggebracht, den Gegnern über
seine Hände. Da war ein Aufbäumen, mehr als einen oder zwei Kilometer hin­
ein schwaches, kaum wahrnehmbares weg zu folgen.
Zucken, dann war es vorbei. Dieses Mal Mondra blickte aus dem Schutz zwei­
Nach der Stasis 59

er hoch aufragender Pflanzen über das harrte. »Wir brauchen Zugang zu den
weitläufige Biotop hinweg, das sich vor wichtigsten Antigravschächten und zu-
ihr öffnete. Eine kleine Stadt der Hero- gleich die Nähe zu Selexon und den an­
met erstreckte sich über mehrere Säle, deren.«
und sie lag bereits im inneren Kernbe- »Nichts hat sich verändert«, antwor­
reich von CHEOS-TAI, kaum mehr als tete Pothawk leise. »Unser Ziel ist es,
achtzehn Kilometer über der Zentrale- CHEOS-TAI unter unsere Kontrolle zu
sektion. bringen.«
»Machen wir uns auf die Suche nach »Und wir werden das schaffen«, be­
einem brauchbaren Unterschlupf.« stätigte die Terranerin. »Außerdem will
Mondra wandte sich an den Laosoor, der ich endlich wissen, was mit der JULES
mit bebenden Flanken neben ihr ver- VERNE geschehen ist – und mit Perry.«

ENDE

Die Lage an Bord von CHEOS-TAI entwickelt sich für keine der Parteien gut: Die
Terraner und Laosoor müssen fürchten, bald entdeckt zu werden, und den Tibiri­
an Melech droht ein qualvoller Tod.

Mondra Diamond sorgt sich zudem um Perry Rhodan. Was der unsterbliche Ter­
raner erlebt, schildert in der kommenden Woche Michael Marcus Thurner in Band
2466, der unter folgendem Titel im Zeitschriftenhandel erscheint:

GALAXIS DER ANTIKRIEGER

PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Swen Papenbrock. Innenillustration:
Swen Papenbrock. Druck: VPM Druck KG, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG, 65396 Walluf,
Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moewig Verlag KG,
76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 33. Unsere Romanserien
dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf
ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300,
A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustim­
mung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. Oktober 2008.
Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail: mail@Perry-Rhodan.net

Einzelheft-Nachbestellungen richten Sie bitte an:TRANSGALAXIS-Buchversand, Postfach 1127, 61362 Friedrichsdorf/


Taunus. Lieferung erfolgt gegen Vorauskasse (zuzügl. € 3,50 Versandkosten, Ausland € 6,50) oder per Nachnahme
(zuzügl. € 6,50 Versandkosten). Bestellungen auch per Internet: http://www.Transgalaxis.de oder per E-Mail:
Info@Transgalaxis.de
Abonnement: PMS GmbH & Co. KG, Aboservice PERRY RHODAN, Adlerstr. 22, 40211 Düsseldorf, Telefon 02 11/
690 789 941. Jahrespreis (52 Ausgaben) inkl. Porto- und Zustellkosten € 109,20 / Österreich: € 122,20 / Schweiz: sfr 213,20.
PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
ERRANTEN, PADDLER, METALÄUFER (I)
Als Anfang Januar 2404 mit der neuen CREST III, dem epoche gab es erfolgreiche Versuche einer Rekons­
ersten Ultraschlachtschiff der Galaxisklasse mit 2500 truktion. Das war, als unsere Vorfahren, gefördert und
Metern Durchmesser, vom Stützpunkt Gleam in An­ unterstützt von den Hathor, zu den Kosmischen Inge­
dro-Beta aus der Sprung nach Andromeda selbst ge­ nieuren von Hathorjan geworden waren. Wir erfuhren
wagt wurde, wurde im Randgebiet der Sterneninsel im von der letzten Großtat der legendären Porleyter. Ih­
Orbit einer kleinen roten Sonne ein riesiges metal­ nen gelang es zwar, das fürchterliche Wüten des
lisches Objekt geortet. Es erwies sich als eine Platt­ Frostrubins zu bändigen, indem sie ihn mit einem An­
form, die bei einer Dicke von 32 Kilometern 96 Kilome­ ker versahen. Aber sie erschöpften sich dabei so, dass
ter Durchmesser erreichte. Auf der »Oberseite« sie sich von der kosmischen Bühne zurückzogen.
umgab ein 30 Kilometer breiter Ringgürtel aus Bau­ Dieses geschah angeblich unmittelbar nach einer
werken aller Art eine 36 Kilometer durchmessende Heimsuchung Hathorjans, deren Sterne von einer Ex­
freie Fläche, welche Icho Tolot dazu veranlasste, die plosion erschüttert wurden, welche die Leuchtkraft
Plattform als »Werftinsel« einzustufen (PR 250). von mehreren Milliarden Sonnen entwickelte – ein für
Wie sich herausstellte, handelte es sich um die KA- die Hathor traumatisches Ereignis. Es muss eine Zeit
preiswert des Kosmischen Ingenieurs Kalak. Sein Volk des Umbruchs und der gewaltigen Veränderungen
war auch Paddler genannt worden, weil seine Angehö­ gewesen sein, in vielfacher Hinsicht: Noch während
rigen einst mit ihren Plattformen auf der Suche nach die Porleyter spurlos verschwanden, übernahm der
Aufträgen beständig das All durchstreiften. Anfäng­ Hathor Terak Terakdschan von ihnen den Grundge­
liche Missverständnisse wurden ausgeräumt, Kalak danken eines Wächterordens. Er trat quasi ihr Erbe an
zu einem Freund und Mitstreiter im Kampf gegen die und gründete im Auftrag der Hohen Mächte des Kos­
Meister der Insel. mos auf der Welt Khrat in der fernen Galaxis Norgan-
Die besondere Fähigkeit der Paddler, die ihrem Job Tur den Orden der Ritter der Tiefe.
natürlich sehr zugutekam, war die des Strukturlau­ Es gab etliche Hathor, die sich von dieser neuen Auf­
fens. Die hierzu paranormal erzeugten und stabilisier­ gabe angesprochen fühlten. Das Gros ihres Volkes
ten Mikrostrukturfelder verwandelten ihre Körper­ dagegen besiedelte weiterhin mit seinen riesigen
substanz in eine strukturfeldgestützte Masse, die auf Silberkugeln Abertausende Sauerstoffwelten und
Menschen gasähnlich wirkte. Gleichzeitig schwächten versuchte in Harmonie mit der Umwelt zu leben.
sie vorübergehend den molekularen Zusammenhalt Von den hathorischen Rittern der Tiefe erhielt später
des zu durchdringenden Hindernisses, sodass das unser Volk erste Aufträge, mehr als eine unserer
Diffundieren der gasähnlichen Körperkonfiguration Werftinseln gelangte schließlich nach Norgan-Tur.
erleichtert wurde. Andererseits fungierten sie als Da­ Unsere Dienste waren geschätzt und gefragt, denn
tenspeicher, der das Informationsmuster der festen unsere technologischen Fähigkeiten und Kenntnisse
Strukturform des Körpers bewahrte. Somit war ge­ standen bald denen der Porleyter wenig nach. Doch
währleistet, dass aus dem strukturfeldgestützten wen wollte das verwundern? Es glich einem Schock,
Konglomerat wieder der Originalkörper entstand. als unsere Vorfahren erstmals in die Gewölbe unter
Erst sehr viel später kam es an Bord der Kosmischen dem Dom Kesdschan vordrangen und unter anderem
Fabrik MATERIA zur Begegnung mit den Erranten, die Steinerne Charta von Moragan-Pordh fanden.
durch die bemerkenswerte Zusammenhänge offen­ Sie mussten erkennen, dass die geistigen Ursprünge
bart wurden – zusammengefasst in der Langen Über­ unseres Volkes bei ebenjenen Porleytern lagen, die
lieferung des Errantischen Almanach, aus dem nach­ unter anderem in Hathorjan den Frostrubin beobach­
folgend zitiert wird. tet hatten, um seinen Kurs zu bestimmen. Diese Be­
Die Anfänge: Fern und vage blieben die ersten Be­ obachter wurden von der Explosion förmlich zerfetzt,
richte; es wurde von einer gewaltigen Katastrophe und aus ihren Bewusstseinsfragmenten, die mit pri­
gesprochen, der unser Volk seine Entstehung verdan­ mitiven hominiden Lebewesen verschmolzen, ent­
ke. Was genau geschah, ließ sich zunächst nicht standen dann wir, die Erranten, bekannt als die Kos­
nachvollziehen, sogar die späteren Kontakte mit den mischen Ingenieure ... (PR 1973)
Hathor halfen kaum weiter. Erst nach der Aufstiegs­ Rainer Castor
Liebe Perry Rhodan-Freunde,

seit neuestem gibt es PERRY RHODAN auch wieder auf Mein Tipp wäre, dass ARCHETIMS Korpus in der Sonne
Italienisch. Bereits in den späten 70er Jahren er­ eine Rolle spielt, und zwar mit Hilfe von Myles Kantor.
schien die Serie in einer italienischen Ausgabe. Leider Liebe Grüße an das ganze Autorenteam, es soll nur
war sie damals nicht sehr erfolgreich und wurde bald so weitermachen (ungefähr die nächsten 70 bis 90
wieder eingestellt. Jahre).
Einen erneuten Versuch unternimmt jetzt der italie­
nische Verlag »Armenia«. Das in Mailand ansässige Dem Wunsch nach den nächsten 70 bis 90 Jahren
Unternehmen startet allerdings nicht mit den Heftro­ entsprechen wir gern, sofern es sich personell ma­
manen, sondern bringt die Taschenbuch-Reihe »Le­ chen lässt. Es bleibt zu hoffen, dass weder die Auto­
muria« in großformatigen Paperbacks heraus. ren noch die Leser aussterben.
Als erstes Paperback wurde dieser Tage Frank Borschs Die Grüße haben wir ausgerichtet.
Roman »Die Sternenarche« publiziert. Der italienische
Titel lautet: »L’arca delle stelle«; bestellt werden Jürgen Friedrich, hjfriedrich@freenet.de
kann übrigens direkt beim Verlag »Gruppo Editoriale Nach meinem ersten Leserbrief vor zirka sechs Mona­
Armenia«, Via Valtellina, 63, 20159 Milano, Telefon: ten muss ich mich als Altleser der Serie erneut zu Wort
0039 (0)2 683911 – Fax: 0039 (0)2 6684884, Inter­ melden. Zunächst einmal ein Dank an euch. Die Serie
net-Seite: www.armenia.it. (Stand: Band Nummer 2457) ist super, zu jeder Zeit
spannend.
In der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wol­ Nach den Ereignissen auf Evolux nun meine Spekula­
fenbüttel findet im Dezember wieder ein Schreibsemi­ tionen zum weiteren Verlauf des Zyklus: Terraner und
nar statt, diesmal zum Thema »SF-Kurzgeschichten«. Verbündete lernen, die in der JULES VERNE durch die
Mehr dazu findet ihr am Ende dieser LKS. Metaläufer und Yakonto durchgeführten technischen
Den Reigen eurer Zuschriften beginne ich diesmal mit Veränderungen zu verstehen, anzuwenden und auch
einem Tauschgesuch. nachzubauen. Diese technischen Erkenntnisse
schwächen die Auswirkungen der erhöhten Hyperim­
Klaus Liebenau, Clara-Zetkin-Weg 67, 16225 Ebers­ pedanz ab. Außerdem werden die Waffen der Terraner
walde effizienter und somit für TRAITOR gefährlicher.
Mir fehlen die Hefte 1700 bis 1799. Als Rentner würde Mit Hilfe einer großen Anzahl von auf die neue Technik
ich diese Romane gern noch lesen. umgerüsteten Raumschiffen sowie der JULES VERNE,
Welcher Leser bietet diese Bände im Tausch gegen die dem GESETZ-Geber CHEOS-TAI, dem Nukleus und dem
Hefte 1000 bis 1199? in der Sonne versteckten n-dimensionale strahlenden
Korpus der toten Superintelligenz ARCHETIM gelingt
Aus nah und fern
es, die Galaxis Hangay zu erreichen.
Gerti Führer, City-Hall-LD@GMX.at Dank der in Hangay operierenden Raumschiffe SOL
Seit über 20 Jahren bin ich eine mehr oder manchmal und JULES VERNE mit dem Rechner ESCHER an Bord
auch etwas weniger begeisterte Leserin von PERRY kann für die Flotte der Galaktiker der äußere Grenzwall
RHODAN. Es gab auch schon mal den einen oder ande­ geöffnet werden und somit auch der Zugang für die
ren Zyklus, der mir nicht so gut gefallen hat, aber Kosmischen Messenger.
trotzdem hat mich PR immer begleitet. Es gelingt auch, den inneren Grenzwall zu destabili­
Der aktuelle Zyklus übertrifft meine größten Erwar­ sieren. Damit wird das Entstehen einer Negasphäre in
tungen bei weitem. Super! Oder wie Mister Spock sa­ letzter Sekunde verhindert, und das nächste Abenteu­
gen würde: Faszinierend! er kann kommen.
Da ihr uns bis zum letzten Roman des Zyklus im Dun­
keln tappen lasst, wer oder wie die Negasphäre be­ In der aktuellen Handlung geht es unter anderem um
siegt wird, ist eine Spekulation schon beinahe hinfäl­ die Frage, wie die neue Technik in der JULES VERNE
lig. Es kommt immer anders, als wir denken. Und das funktioniert und wie man sie beherrschen kann. Bis­
ist auch ganz gut so. Wo bliebe denn sonst die Span­ her fehlt noch jede praktische Erfahrung damit.
nung? Andeutungen zur Handlung mache ich besser keine.
Dass es nicht einfach seinn wird, in die Milchstraße Die beiden Romantitel in Gelb: Dadurch wird auch op­
zu fliegen, das ist inzwischen klar. tisch dokumentiert, dass die beiden Romane zusam­
mengehören (Doppelband). Gelb ist zudem ein bes­
Uwe Hammerschmidt serer Blickfang als Rot oder Grün. Davon abgesehen
Da ich seit dem 1. April 2008 in Shanghai tätig bin, lag hätte sich Rot aber auch gutgemacht.
es nahe, meinen Urlaub diesmal mit meinen Töchtern
zusammen entlang des chinesischen Teils der Sei­ Gerhard Schäffer, gecko1@web.de
denstraße zu verbringen (mit PERRY RHODAN-Action Meine Freude über den Roman 2458 von Leo habe ich
2 bis 5 im Reisegepäck). schon im Forum ausgedrückt; ich fand ihn spitze.
Unser Weg führte uns an den Südrand der Gobi. Rate Früher hatte ich öfter Schwierigkeiten mit dem Humor
mal, welche Fantasien das in mir weckte? Und zwi­ von Leo, aber nachdem ich verschiedene Sachen auf
schen Kashgar und Tashjurkan kam mir immer mal »Youtube« und auf der »Schwinge-von-Raffat«, dem
wieder der Versprecher »Taschkar« über die Lippen »Lausigen Historiker« etc. gehört habe, bin ich vollauf
(bin damals bei Band 427 in die Erstauflage eingestie­ begeistert.
gen). Was anderes: Viele können sich im Forum nicht mit
der Konzeption des Duals anfreunden, besonders der
Dir und deiner Familie alles Gute in Asien und ein Dan­ Dual Dantyren regt auf. Ich hingegen finde gerade die
keschön für die schöne Ansichtskarte. Solltest du in Konzeption der Duale eines der gelungensten Ele­
der Gobi mal einen Kugelraumer landen sehen, dann mente seit dem Simusense und halte sie auch für
denke dir nichts dabei. Die üben noch. ausbaufähig.
Von daher nimm es mir nicht übel, wenn ich zu dem
Benjamin Krause, benny0908@web.de Gedankengang kam, wie ein Dual Leo/Jürgen Becker
Nach neun Jahren Abstinenz habe ich mich nach lan­ oder Leo/Schmickler oder Leo/Georg Schramm PERRY
gem Hin und Her dazu entschlossen, erneut in die RHODAN-Romane schreiben würde.
Erstauflage einzusteigen. Damals war ich 13. Mein Schade nur, dass Leo in dem Hörbuch nicht die Zwie­
erster Roman war Band 1914 »Schmelztiegel Kris­ gespräche des Duals spricht. Vielleicht gibt es ja dazu
tan«, mein letzter der Band 1953 »Kampf um Zoh­ mal eine Sonderedition. Schon im Roman kommt der
phengorn«. Humor von Leo gut rüber. Wie lustig muss es erst sein,
Seither habe ich mich PR aber nie so richtig entfrem­ wenn er mit seinem Akzent den Dual gibt.
det. So las ich die »Odyssee« und »Andromeda«-Ta­ Mein Weihnachtswunsch wäre jedenfalls so eine Edi­
schenbücher sowie die Planetenromane 1 bis 30. tion.
Jedenfalls packte mich das PR-Fieber wieder, und ich
stieg mit »Operation Kobaltblau« wieder ein, bestellte Für diese Weihnachten kommt der Wunsch vermut­
die vorhergehenden Hefte zurück bis »Evolux«, damit lich zu spät. Eine solche Produktion muss vorbereitet
ich bei einer runden Zahl anfange. sein und dauert Monate. Die Tonstudios sind meist
Ohne große Probleme habe ich mich in die Story rein­ lange im Voraus ausgebucht.
gefunden und muss sagen, es fasziniert mich wie eh Duale: Ihre wichtigste Funktion wird oft übersehen.
und je. Großes Lob dafür! Ich bin auf jeden neuen Ro­ Neben den Kolonnen-Motivatoren ist es die Aufgabe
man gespannt wie ein Flitzebogen. der Duale, an vorderster Front ihre Truppen zusam­
Doch ich muss auch ein wenig Kritik üben, was die menzuhalten. Die Ganschkaren, Mor’Daer und andere
Gestaltung des Covers angeht. Wo sind die Untertitel laufen ja nicht alle mit einer Kralle des Laboraten her­
geblieben, die jeden Romantitel normalerweise um.
zierten? Man kann auch nicht wahllos zwei halbe Wesen zu­
Des Weiteren fällt mir auf, dass Gelb anscheinend die sammenkleben. Bei dieser Synthese muss Endogene
beliebteste Farbe zu sein scheint, die für den Schrift­ Qual dabei herauskommen.
zug des Titels gewählt wird. Auf dem Cover zu »Dan­
tyrens Rückkehr« hätte es zur Abwechslung auch ein Peter Scharle
schönes Feuerrot getan. Die aktuelle Handlung gefällt mir sehr gut, und ich bin
gespannt, wie ihr den Bogen bekommen wollt, aus der
Welcome back! Die Untertitel sind in der Zwischen­ Vergangenheit zurückzukommen und diese »ewige«
zeit von der Titelseite auf die Seite 3 gewandert. Seit Gefahr durch TRAITOR auszuschalten.
auf den Umschlägen auch noch der Barkode mit Dass TRAITOR ausgeschaltet wird, davon gehe ich mal
drauf muss, waren die Titelbilder mit Textblöcken aus. Vielleicht könnt ihr ES gleich mit entsorgen und so
deutlich überfrachtet. Daher die Verlagerung der Un­ Platz für eine neue Superintelligenz (Nukleus) machen.
tertitel. ES zu entsorgen, wäre doch mal ein Knaller, oder?
Was den Bogen aus der Vergangenheit angeht, so Kurzgeschichte. Es findet vom 12. bis 14. Dezember
weißt du inzwischen, wie wir das geschafft haben. 2008 statt; die Dozenten sind der Schriftsteller Hans-
Was TRAITOR angeht, vertrösten wir dich noch min­ Joachim Alpers und der PERRY RHODAN-Chefredak­
destens 30 Bände. Ob nach ES was Besseres nach­ teur Klaus N. Frick.
kommt? Ich weiß nicht ... Das Seminar kostet 160 Euro, in denen die Gebühren
für Übernachtung und Verpflegung enthalten sind;
Gregor Lorkowski hinzu kommen fünf Euro für einen Reader. Informati­
Der neue Zyklus seit Band 2400 ist weiterhin besser onen zum Thema:
als der vorherige. Vor allem Band Nummer 2437 war Auch wenn im Begriff »Science Fiction« die »Sci­
herausragend gut. Die beiden Romane 2438 und 2439 ence«, also die Wissenschaft, enthalten ist, handelt
fand ich nicht so interessant, vor allem die Idee mit es sich doch nicht um wissenschaftliche Lektüre. Es
der Evakuierung der Menschheit. Allerdings bieten die ist keine besondere Spielart der Soziologie oder der
ausgewanderten Terraner einen neuen Schauplatz für Physik, in der es darum geht, eine möglichst korrekte
die Handlung. Voraussicht auf die Zukunft zu geben. Wissenschaft­
ESCHER erinnert mich immer an den Bordcomputer liche Grundlagen sollten stimmen, sind aber beispiels­
HAL in dem Film »Odyssee 2001 im Weltraum«. weise bei einer Science-Fiction-Kurzgeschichte nicht
Mondra Diamond und Perry solltet ihr nicht wieder zu das Maß aller Dinge: Wo in den 50er Jahren originelle
einem Liebespaar machen. Das würde nur die Span­ Erfindungen im Zentrum standen, sind es heute fan­
nung, die derzeit in der Beziehung liegt, töten. tasiereiche Einzelideen.
Moderne Science Fiction ist häufig ein Spiel mit den
Da ist was dran. Möglichkeiten, bei dem visionäre Entwürfe oder weit
Stardust-System: Abwarten! Inzwischen ist ja ein PER­ gespannte Gedanken sehr wohl enthalten sein
RY RHODAN-Extra zum Thema erschienen. können. Texte dieser Art haben aber nicht vor, eine
Weltsicht par excellence zu liefern. Vor allem in der
PERRY RHODAN meets »Mark Brandis«
Kurzgeschichte können Autoren stattdessen ihre
Stellt euch folgende Szenerie vor: Shyreen McLane Fähigkeiten erproben und fantastische Welten in we­
schaltet aus Versehen den Pralitz’schen Wandeltaster nigen Zügen skizzieren; der »fantastische« Aspekt
ein, Mark Brandis fällt durch einen Raum-/Zeittunnel spielt eine Rolle, kann aber nicht ohne den litera­
und landet in einer Bar, dem »Old Rocketman« un­ rischen Anteil existieren.
seres Rasenden Reporters Robert Vogel alias Trebor In diesem Seminar sollen Autorinnen und Autoren
Legov. Dort trifft Brandis den ebenso überraschten anhand eigener und fremder Texte erkennen, wie
Perry Rhodan, und für einen kurzen Moment haben sich fantastische Szenerien erbauen lassen, die auch
diese beiden Helden des Universums die Möglichkeit, einer kritischen Lektüre standhalten. Die Autorinnen
sich bei einem Drink kennen zu lernen und Erinne­ und Autoren erhalten Einblicke in das Geschäft der
rungen an vergangene Abenteuer und Mitstreiter aus­ Science-Fiction-Verlage und wertvolle Hinweise dar­
zutauschen. auf, wo sie ihre Texte anbieten können. In Schreib­
Möglich wird dieses knapp zehnminütige Hörspiel übungen und Workshops werden bereits vorhandene
durch die Kooperation aller Beteiligten, insbesondere Kenntnisse vertieft sowie Arbeitstechniken er­
die der beiden Sprecher Volker Lechtenbrink und Mi­ probt.
chael Lott, des Pabel-Moewig Verlags, der beiden Hör­
Schlusswort
buchverlage »Lübbe Audio« und »steinbach spre­
chende bücher« sowie der Hörspielproduzenten Andreas Walczynski-Behns
»STIL« und »Interplanar«, die ihren Teil zu diesem Seit den 500er-Bänden bin ich begeisterter Leser der
überirdischen Treffen der beiden Weltraumveteranen PERRY RHODAN-Serie. Natürlich habe ich im Lauf der
beigetragen haben. Jahre auch die Bände davor genossen. Außerdem lese
Erscheinen soll das Ganze im Frühjahr 2009. Über das ich die Silberbände, um so wieder in die früheren
Wie und Wo halten wir euch auf dem Laufenden. Zeiten des PR-Kosmos eintauchen zu können. Ein Lob
für die großartige Arbeit, die vom Autorenteam über
Science-Fiction-Seminar in Wolfenbüttel
Jahre hinweg erbracht wurde, erübrigt sich. Allein
Unter dem Titel »Alles ganz fantastisch!« veranstaltet meine Lesertreue soll dafür sprechen. Kritik negativer
die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfen­ Art würde ich mir niemals erlauben, denn ich weiß, wie
büttel wieder einmal ein Seminar zur Science-Fiction hart die Arbeit an einem Werk ist.
Die Grafik der Woche
STARDUST I und GOOD HOPE
Modell mit Landschaft und See
von Marco Scheloske, Technomania@gmx.de

Zu den Sternen!
Euer Arndt Ellmer
VPM
Postfach 2352
76413 Rastatt
mail@Perry-Rhodan.net

Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der ebook-Ausgabe des Romans.


Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen oder nur ausschnittsweise zu übernehmen.
E-Mail- und Post-Adressen werden, wenn nicht ausdrücklich vom Leser anders gewünscht, mit dem Brief
veröffentlicht.
Einsatzgruppe Mondra Diamond Schmutz oder bakteriellen Verunreinigungen in Kon­
Die an Bord von CHEOS-TAI verbliebene Einsatzgruppe takt zu kommen. Er meidet die Berührung von Artge­
besteht neben Mondra Diamond selbst aus den drei nossen oder Heromet aus der Furcht heraus, andere
Laosoor Pothawk, Limbox und Vizquegatomi sowie könnten krank oder verseucht sein. Selexon trägt des­
aus drei Missionsspezialisten der JULES VERNE: Cap­ halb hauchdünne blaue Handschuhe sowie einen
tain Telar Ipthaal (Terranerin, 45 Jahre alt, 1,71 Meter ebenso hauchdünnen blauen Mundschutz mit Filter­
groß, kräftig-korpulent, hellbraunes Haar), Leutnant funktion.
Xiphoc Tlacomal (Terraner, 43 Jahre alt, 2,03 Meter Kalitt Lindbak
groß, schwerknochiger Hüne mit wirrem Blondschopf) Der 1,95 Meter große Tibirian Melech ist zweihundert
und Master-Sergeant Terenako Ardibi (Terraner, 31 Jahre alt und hat einen gedrungenen Körperbau. Lind­
Jahre alt, 1,87 Meter groß). bak ist ein sehr nervöser, jähzorniger, grausamer Typ
Heromet und besitzt einen finsteren Charakter. Er bedient sich
Heromet – auch Servos genannt – sind die dienstba­ der Sprache der Mächtigen in einem permanent ge­
ren Geister von CHEOS-TAI, die zwar jeden Winkel des pressten Ton.
GESETZ-Gebers kennen und eine Vielzahl meist tri­ Mentale Revision
vialer, arbeitsintensiver Aufgaben erfüllen – jedoch Über die Mentale Revision, der zumindest Tibirian
mit dem aktiven Treffen von Entscheidungen nie be­ Melech und Heromet unterzogen worden sein müs­
fasst sind, ebenso wenig wie mit der Steuertechnik sen, sind bisher nicht viele Informationen bekannt.
oder gar den Einrichtungen in der Zentrale. Die Revision ist eine gezielte, partielle Löschung des
Heromet sind biberartige Geschöpfe von ca. 1,50 Me­ Gedächtnisses, die mit einer teilweisen mentalen Pro­
tern Größe, mit blaugrünem, glänzendem Fell, großen grammierung verbunden sein kann.
dunkelgrünen Augen und zwei das Gesicht dominie­ Taffanaro
renden überdimensionierten Nagezähnen. Der Aus­ Für Heromet ist der stämmig gebaute Taffanaro eine
druck in den großen Augen der Heromet wirkt auf durchaus stattliche Erscheinung und durch den
Terraner permanent schuldbewusst, unterwürfig oder leichten Grauschimmer seines Fells auch gut zu
Mitleid heischend. identifizieren. Von allen lebendig erweckten Heromet
Ihre durchaus humanoid wirkenden Hände sind in CHEOS-TAI hat Taffanaro den höchsten Rang inne:
sechsfingrig, mit je zwei Daumen. Die Füße wirken Er ist ein »TAI-Servo« und übernimmt daher die Füh­
plump, platt und sind mit großer Auflagefläche ausge­ rung »unter den Führungslosen«. Im Gesamtgefüge
stattet; dennoch sind Heromet durchaus flinke, be­ des GESETZ-Gebers bedeutet sein Rang allerdings
wegliche Wesen. Der struppige, bis zu 1,5 Meter lange nicht allzu viel; er bezeichnet eine Art Organisator
Schwanz, der am Ende in eine extrem bewegliche, oder Ansprechpartner für tatsächlich Höhergestell­
»nackte Schaufel« von doppelter Handtellergröße te.
ausläuft, wird Nackthand genannt und kann Lasten Thermodyn-Ingenieure
tragen und sich fast beliebig verformen, von der Faust Die Thermodyn-Ingenieure bezeichnen sich selbst als
bis zum »Tablett«, sodass der Heromet damit durch­ Ahomelech (»Kinder der Melech«). Sie sind humano­
aus filigrane Arbeiten verrichten kann. id, über zwei Meter groß und haben eine blassblaue
Die einzige Bekleidung der Heromet besteht aus einer Hautfarbe. Sie verfügen über keinen echten optischen
Art Overall in Dunkelbraun oder Schwarz und Kommu­ Sinn, sondern nutzen Geräusche zur Wahrnehmung
nikationsarmbändern (Servo-Bänder), die auf einer ihrer näheren Umgebung. Zu diesem Zweck haben sie
reservierten Frequenz eine herometinterne Kommu­ mehrere rund um den Kopf angeordnete Hörorgane
nikation sicherstellen. (»Ohrenband«). Außerdem besitzen sie mit dem In­
Inkh Selexon tra-Auge ein Sinnesorgan, das ihnen die fünfdimen­
Für einen Tibirian Melech ist Inkh Selexon breit und sionale Wahrnehmung des Raumes ermöglicht. Ein
kräftig gebaut. Seine Körpergröße misst 2,02 Meter. Thermodyn-Ingenieur ist in der Lage, quasi in tech­
Der 230 Jahre alte Selexon spricht die Sprache der nische Anlagen »hineinzusehen«.
Mächtigen in einem sonoren, klingenden Ton. Der Tibi­ Die Lebenserwartung eines Thermodyn-Ingenieurs
rian Melech besitz Führungsqualitäten und ist ein beträgt rund 30.000 Jahre. Sie stehen im Dienst der
Querdenker, der seine Artgenossen zuweilen mit un­ Kosmokraten, angeblich schon ehe die Sporenschiffe
gewöhnlichen Folgerungen überrascht. mit ihrer Aussaat begannen. Ihre Diener und Techniker
Inkh Selexon hegt eine permanente Furcht, mit wiederum sind die Tefta-Raga.

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