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einem Privatzirkel lernte ich Herrn Professor Grobleben kennen.

Ich
stenographierte ziemlich wortgetreu, was er vorrrug. Der Jupiter dreht sich in zehn Stunden um fich selbst. Das ist eine ganz
außerordentliche Leistung.
„Meine Damen und Herren!" fing er ziemlich laut an, „Da muß ich zunächst
wir müssen den Jupiter für ein sehr temperamentvolles Lebewesen halten.
gegen die Bezeichnung .Weltkrieg' recht energisch protestieren. Wenn man sich
vielleicht kam der Jupiter erst vor ca. 100000 Jahren in unser Planetensystem
als Astronom an kosmische Verhältnisse gewöhnt har, so find die Dimenfionen
— damals, als die alten Mammuts schwerfällig auf der Erde herumstapften.
auf der Erdoberfläche ziemlich minimal, was ist ein Schuß aus einem 42 Lenti-
Und vielleicht ist dem Jupiter unser kleines Planetensystem mir den vielen
metcrgcschüy gegenüber einer einzigen Sonnenprorubcranz. die in ein paar
Asteroiden, Mars, Erde, Venus, Merkur ein wenig zu ruhig vorgekommen,
Minuten gegen 10000 Meilen cmporgeschleudert wird! Lassen wir also das
vielleicht hat der Jupiter ein rascheres Lebens-Tempo einführen wollen — und
Wort .welk' aus dem Spiele. Indessen— auch unser kleiner irdischer Ranoncn-
dadurch die Sonnenfleckenperiode mit den Protuberanzen rc. hcrvorgcbrachr,
donner har Beziehungen zu dem Sonnensystem, in dem wir leben — hat Be­
die auf dem Stern Erde die erwähnten Begleiterscheinungen hcrvorrief.
ziehungen zu den größeren planeren."
Nun sprach der Herr Professor wieder, ohne seine Aphorismen zur Hand
Hier machte der Herr Professor eine kleine Pause in der er eifrig in seinen
zu nehmen:
Rocktaschen nach einem Manuskript suchte. Er fand es endlich und las daraus
„Meine Damen und Herren! Sie dürfen aber nicht glauben, daß d,c
eine kleine Serie von Aphorismen vor. Hier find sie
Heftigkeit des Lebens auf dem Jupiter und auf der Sonne kriegerischer Natur
Der Wetterprophet kann heute das werter für die nächsten 24 Stunden sein müßte. Zu einer solchen Annahme fehlt uns ,cder Anhalt.
ziemlich genau vorhersagen; wir können heute auch das politische Wetter für Daß fich diese Fleckenpcriodcn auf der Erde zumeist in kriegerischen Taten
die nächsten Jahre vorhersagen. äußern, zeigt nur, daß wir auf der Erde noch nicht sehr hoch >n Rultur
Allerdings: wir können nur im allgemeinen prophezeien; so war längst so angelegcnhciren zu bewerten find.
ziemlich allgemein bekannt, daß das politische Wetter um J9I5 herum sehr Es kann auch in Rürze anders kommen; cs kann fich auch 'mal eine neue
stürmisch sein würde. Friedcnscpochc anmelden.
Die ungefähr elfjährige Sonnenflcckcnpcriode ist seit dem Ende des acht­ Bemerken muß ich nur, daß ich die Rank La placc'sche Nebularrhcorie
zehnten Jahrhunderts genau beobachtet worden. Da har man ein Maximum einfach für dummes Zeug halte; daß Rant solch ein dummes Zeug in die Welt
der Sonncnflccke um I7S9 konstatiert. Danach waren die Maxima bis zum seyen konnte, beweist uns nur, daß fich auch große Leute 'mal recht lebhaft
Ende der dreißiger Jahre nicht sehr erheblich. Dann aber wurden fie erheb- irren können. Sprechen wir nicht mehr davon.
licber; Ende der dreißiger Jahre begann das Zeitalter der Dampfmaschinen. vergessen wir dagegen nicht, daß fich die Dampfeisenbahn durch ein Sonnen
Im Jahre IS4S war wiederum das Maximum sehr erheblich; IS70 71 war fleckcn-Maximum ankündigte. Das soll uns trösten. Das soll uns die Hoffnung
es sehr hoch. cinflößcn, daß auch andre Rulturgroßtaren 'mal durch Maxima auf der Sonne
Auch im Jahre 1904. 5 überragte das Maximum die früheren um ein Be­ heroorgehobcn werden könnten."
trächtliches. Der Herr Professor zog ein anderes Manuskript hervor und las daraus
1915 mußten wir abermals mit einer großen Steigerung rechnen. das Folgende:
Die Polarlichter häuften fich. Und die magnetischen Stürme auf der Sonne „Sie fragen nach dem Aussehen dieser Rulrurgroßtar?
seyren auch auf der Erde die Magnetnadeln in stürmische Bewegung. Ich will nicht damit hrnrerm Berge halten.
Schon Herschel behauptete, daß er die Höhe der Rornpreise vorhersagen Es muß auch mal etwas Aufbauendes und nicht blos immer wieder Zer­
könnte — nach den Sonnenflecken. störendes kommen.
Heute ist der Zusammenhang zwischen den Ereignissen auf der Sonne und vielleicht deuten die großen Maxima der Sonnenflcckc schon jetzt auf etwas
den Ereignissen auf dem Stern Erde nicht mehr zu leugnen. Aufbaucndes hin; es klingt ja sehr kühn, aber so ganz grundlos ,st die An
was die Sonnenflecken bedeuten, wissen wir auch heute noch nicht. nähme doch nicht.
wenn der Lricg sehr viel zerstört, so zwingt er doch gleichzeitig, das Zerstörte
Aber wir wissen, daß der Jupiter in ungefähr elf bis zwölf Jahren die
Sonne umkreist. wieder aufzubauen.
Hier muß ein Zusammenhang bestehen — mir der elfjährigen Sonnenflecken­ Daß man nun nicht wieder beim Aufbau so langsam bauen wird, — wie
periode. einst zur Gorenzcit, als man nur mit Backsteinen bauen konnte — das dürfte
fich ja wohl von selbst verstehen.

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Bedenken Sie nur, meine Damen und Herren, daß ein gotischer Dom ost
mehrere Jahrhunderte zu seiner Entstehung brauchte.
Heute können wir mit Eisen und Eisenbeton in einigen Monaten so weit
sein — wie damals in Jahrzehnten.
Dem Eisen und Eisenbeton wird sich sehr viel farbig ornamentiertes Glas
zugesellen, das auch sehr rasch in einigen Tagen eingesetzt werden kann.
Man wird das Glas immer in Doppelscheiben anbringen — der Wärme
und der Geräusche wegen.
Man wird sehr viel Drahtglas verwenden, das man mir Steinen nicht so
rasch durchschlagen kann, so daß man nicht mehr sagen dürfte — etwas sei so
zerbrechlich — wie Glas.
Also: gleich nach der Zerstörung neue erhöhte Bautätigkeit mir anderen
praktischen Materialien.
Und die neuen Stadtanlagen werden viel weitläufiger sein als die alten.
Vie elektrischen Verbindungen erlauben das. Es werden große planmäßig ge­
baute Kolonien entstehen, in denen die grade Linie nicht vorherrschend sein dürfte.
Vas find nicht nur müßige Zukunftsgedanken. Diese Bautätigkeit muß sich
mir Energie in der angedeuteren weise ausbreitenl es geht gar nicht anders.
So steht die Lichtseite der diesmaligen Sonncnsteckenmaximumperiode aus.
Entschuldigen Sie das schreckliche Wortmonstrum — aber ich wollte doch mir
einem Monstrum meine sehr aphoristischen Andeutungen schließen.
Denken Sie stch das Zentrum der neuen Städte mir bunt ornamentierten
Fliesen belegt — und sehr groß — viele Male größer als der Markusplay
zu Venedig."
Jetzt applaudierte das Publikum ganz stürmisch. Und der Herr Professor
sagte nur noch:
„Hoffentlich habe ich jetzt genug angedeuter — so viel, daß wir für einige
Tage wieder etwas heiterer in die Zukunft blicken können."
Der Gastgeber ließ Bier bringen, und man trank in großen Zügen auf
das Wohl des Herrn Professors und auf eine glänzende Zukunft in neuen
größeren Stadtanlagen.
Ich verließ, ohne bemerkt zu werden, hastig die Gegend, in der ein so
großer Optimismus herrschte.
Aber merkwürdig wars, daß mich auf der Straße der Optimismus nicht
verließ. Ich war bei so guter Laune, daß ich in einem größeren Bierlokal noch
e,n paar Schoppen auf das Wohl des Herrn Grobleben — und auf eine
glänzende Zukunft trank.
Paul Scheerbart

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