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Ulrike Röttger (Hrsg.

Theorien der Public Relations


Ulrike Röttger (Hrsg.)

Theorien der
Public Relations
Grundlagen und Perspektiven
der PR-Forschung
2., aktualisierte und
erweiterte Auflage
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2009

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© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Barbara Emig-Roller

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Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15519-7
Vorwort zur 2. Auflage

Die PR-Forschung bewegt sich in einem Spannungsfeld von Grundlagenforschung und


Anwendungsorientierung. Sehr deutlich lässt sich dies an klassischen US-ameri-
kanischen Theoriebüchern – die lange Zeit als Orientierungsmarke für den deutsch-
sprachigen Raum galten – erkennen. Empirische Fallstudien nehmen hier eine zentrale,
nicht nur illustrative Rolle ein. Häufig handelt es sich um historische oder aktuelle de-
skriptive Nach- und Aufzeichnungen, die nicht ausreichend theoretisch hergeleitet oder
systematisch überprüft wurden und durch eine starke normative Überformung geprägt
sind.
Hinsichtlich der Grundlagenforschung und Theorieentwicklung im deutschsprachi-
gen Raum ist eine positive Tendenz zu konstatieren: Es sind in den vergangenen Jah-
ren PR-Lehrbücher erschienen und zahlreiche theorieorientierte Aufsätze und Bücher
publiziert worden, die neue, viel versprechende Perspektiven aufzeigen. Ein Grund
hierfür dürfte in der stärkeren universitären Verankerung der PR samt den damit zu-
sammenhängenden Berufungen liegen.
Andererseits verdeutlichen Schwerpunktthemen auch hierzulande den Drang, pra-
xistaugliche Forschung zu leisten: Das Thema „Messbarkeit von Kommunikation“
(Kommunikationscontrolling) brennt zurzeit vor allem in vielen Wirtschaftsunterneh-
men und PR-Agenturen unter den Nägeln. Der Gegenstandsbereich ist ohne Frage be-
deutsam und die bisherigen Impulse zur Modellbildung verdienen es, seitens der
kommunikationswissenschaftlichen PR-Forschung intensiver bearbeitet zu werden. Al-
lerdings zeigen sich bei den vorliegenden Arbeiten auch Risiken einer zu stark anwen-
dungsorientierten PR-Wissenschaft: Die Mehrzahl der Ansätze zum Kommunikations-
controlling beschränkt sich auf eine praxisorientierte, endogene Weiterentwicklung
einzelner Entwürfe auf der technischen Ebene und vernachlässigt dabei die grundle-
genden Annahmen über die Wirkung und Messbarkeit von PR-Leistungen kritisch zu
hinterfragen. Das Beispiel verdeutlicht: Neben der Grundlagenforschung gilt es insbe-
sondere, das kritische Reflexionspotential anwendungsorientierter Forschung zu be-
rücksichtigen. Alles andere führt auf Dauer zu Einschränkungen der Glaubwürdigkeit
sowie der Leistungsfähigkeit der PR-Forschung.
Diese ist allerdings insgesamt auf einem sehr guten Weg. Die Dynamik zeigt sich
auch an diesem Band. Nur vier Jahre nach der ersten Ausarbeitung ist es gelungen, er-
stens die vorhandenen Beiträge überwiegend grundlegend zu überarbeiten. Zweitens
sind drei neue Autoren hinzugekommen, die weitere wichtige Impulse liefern. Und
drittens liegen hiermit einige Bausteine für originäre PR-Theorien vor, die es lohnt, in
zukünftige Überlegungen einzubeziehen: Neben aktuellen PR-Theoriesträngen fehlt es
nicht an einer Verbindung zur Praxis. Gewichtiger ist jedoch für die Fortentwicklung
der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass in diesem Buch zum einen sowohl Beispiele
aus der Wirtschaft als auch aus der Politik berücksichtigt werden. Das Zentrum der Be-
trachtung liegt also keineswegs mehr allein bei Unternehmen. Zum anderen richtet sich
der Fokus nicht allein auf die Mesoebene, auf der PR organisatorisch verortet ist, son-
dern gefordert wird insbesondere im letzten Teil des Bandes eine Erweiterung auf die
Makroebene, um die Funktionen von PR für ihre Auftraggeber in ihrer gesellschaftli-
chen Einbettung umfassend zu beschreiben und zu analysieren. So verstanden ist es
konsequent und erfreulich, dass einige Autoren explizit Öffentlichkeits- und Gesell-
schaftstheorien in ihre theoretischen Überlegungen einbeziehen.
Die präsentierten Schwerpunkte können für sich in Anspruch nehmen, die Breite
und Tiefe der derzeitigen fachlichen Diskussion im deutschsprachigen Raum wieder-
zugeben. Es wäre wünschenswert, von hier aus den Diskurs gemeinsam fortzusetzen.

Münster im Juli 2008

Ulrike Röttger
Inhalt

Einleitung
Welche Theorien für welche PR? ................................................................................. 9

Grundlagen und Systematisierungen

Otfried Jarren/Ulrike Röttger


Steuerung, Reflexierung und Interpenetration: Kernelemente
einer strukturationstheoretisch begründeten PR-Theorie............................................ 29

Klaus Merten
Zur Theorie der PR-Theorien
Oder: Kann man PR-Theorien anders als systemisch modellieren? ........................... 51

Manfred Rühl
Für Public Relations?
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet!.......................................... 71

Lars Rademacher
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft?
Plädoyer für eine medienwissenschaftliche Grundlegung
des Kommunikationsmanagements............................................................................. 87

Fokus: Organisation und Gesellschaft

Matthias Kussin
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen ...................... 117

Peter Szyszka
Organisation und Kommunikation
Integrativer Ansatz einer Theorie zu Public Relations
und Public Relations-Management ........................................................................... 135

Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier


Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement
Eine soziokybernetische Rekonstruktion .................................................................. 151

Lothar Rolke
Public Relations – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung
Umrisse einer neuen PR-Theorie ............................................................................. 173
8 Inhalt

Fokus: Dualität von Theorie und Praxis

Susanne Femers
PR-Theorie? PR-Theorie! Plädoyer für eine wissenschaftliche und fachliche
Fundierung der Public Relations durch Theoriebildung
und reflektiertes Handeln im Berufsfeld ................................................................... 201

Klaus Kocks
PR-Theorien – Vergebliche Versuche
in der Halbwelt amerikanisierter Wissenschaft......................................................... 213

Michael Kunczik
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte ..................................................... 223

Spezielle Aspekte

Mark Eisenegger/Kurt Imhof


Funktionale, soziale und expressive Reputation –
Grundzüge einer Reputationstheorie......................................................................... 243

Juliana Raupp
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie ....................................................... 265

Barbara Baerns
Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen
der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft .................................................. 285

Manfred Bruhn/Grit Mareike Ahlers


Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der
Unternehmenskommunikation
Bestandsaufnahme und Ansatzpunkte zur verstärkten Zusammenarbeit.................. 299

Autorenverzeichnis ................................................................................................... 317


Welche Theorien für welche PR?

Ulrike Röttger

Was ist PR? Wer benötigt PR? Welche Leistungen erbringt PR? Abstrakte Analysen
und Interpretationen, die diese Fragen beantworten und die die Funktionen, Potenziale
und Grenzen der Public Relations beschreiben und erklären könnten, liegen bislang nur
fragmentarisch vor. Die Quantität und Qualität der PR-Theorien hat sich zwar in den
vergangenen Jahren erheblich verbessert, kann jedoch insgesamt noch nicht zufrieden
stellen.
Das Beklagen von Defiziten soll aber in diesem Sammelband nicht im Vordergrund
stehen. Ziel ist es vielmehr, Forschungsdesiderate aufzuzeigen, neue Impulse für die
PR-Theoriebildung zu liefern und die Auseinandersetzung über die theoretischen
Grundlagen der PR neu zu beleben. Neben einer kritischen Bilanz der vorliegenden
theoretischen Beiträge und der andauernden Kontroverse zwischen system- und hand-
lungstheoretischen Ansätzen sollen zudem alternative theoretische Bezugsrahmen vor-
gestellt werden und neue Wege zu PR-Theorien aufgezeigt werden. Welche Theorien
können PR adäquat beschreiben und erklären?

Bestandsaufnahme: Sammelsurium im Warenkorb?


Zunächst ist es notwendig im Sinne einer kritischen Ist-Analyse die vorhandenen
Theoriebestände zu sichten, aktuelle Diskussionslinien und zentrale theoretische Per-
spektiven auf Public Relations zu benennen. Dass dabei auch Defizite aufgeführt wer-
den, steht nicht im Widerspruch zu den Eingangsbemerkungen, denn um neue Wege
beschreiten zu können, ist es notwendig den aktuellen Standort präzise zu bestimmen.
Wo steht die PR-Theoriebildung heute? Public Relations wurde von der deutsch-
sprachigen Kommunikationswissenschaft spät entdeckt, lange Zeit nur wenig erforscht
und bis heute in großen Teilen einseitig wahrgenommen – dieser Dreiklang prägte und
prägt die PR-Theoriebildung bis heute.
10 Ulrike Röttger

Spät entdeckt
Public Relations hat sich im deutschsprachigen Raum erst sehr spät – Ende der 1980er
Jahre – als kommunikationswissenschaftlicher Lehr- und Forschungsgegenstand eta-
bliert. Diese verzögerte fachliche Institutionalisierung ist teils auf ideologische Ab-
grenzungsprobleme zurückzuführen. Vor dem Hintergrund der NS-Propaganda be-
standen nach 1945 erhebliche normative Vorbehalte gegenüber Formen persuasiver
Kommunikation und insbesondere der Öffentlichkeitsarbeit. Daran konnten auch die
intensiven Bemühungen von PR-Praktikern, PR als amerikanische Erfindung bzw. als
Nachkriegsphänomen zu beschreiben und damit sachliche, inhaltliche oder personale
Kontinuitäten zur NS-Zeit auszublenden, nicht viel ändern (siehe u.a. Oeckl 1976;
1987)1. Typisch für die PR-(Praktiker-)Literatur der Nachkriegszeit und diese Phase
der Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses der PR-Branche ist eine systemati-
sche Ausgrenzung des Propaganda-Begriffs und eine gleichzeitig ausgeprägte Beto-
nung von gesellschaftsbezogenen Werten und Zielen: Vertrauenswerbung, Bezie-
hungspflege, Glaubwürdigkeit, Gutes tun … sind zentrale PR-Begriffe der Zeit.
Neben ideologischen Vorbehalten spielten und spielen zudem fachlich-syste-
matische Abgrenzungsprobleme eine entscheidende Rolle für die späte kommunikati-
onswissenschaftliche Institutionalisierung der PR: Der bis heute in Wissenschaft und
Praxis teils unscharfe PR-Begriff und die zuweilen sehr unterschiedlichen Verständ-
nisweisen von Public Relations spiegeln fachlich-systematische Abgrenzungsprobleme
und Zuständigkeitsansprüche unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen wider,
hier insbesondere der BWL und der Kommunikationswissenschaft. Damit gehen teils
unklare Trennungen von PR, Marketing, Werbung und auch Journalismus einher.
So stellt Public Relations aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre eine Hilfsfunktion
des Marketings dar und ist in erster Linie als ein absatzförderndes Instrument neben
anderen, wie z.B. der Mediawerbung, Verkaufsförderung, Direct Marketing und Spon-
soring (vgl. u.a. Bruhn 2003; Meffert et al. 2008). PR wird hier der Charakter einer
Sozialtechnologie, eines Tools der Kommunikationspolitik zum Aufbau positiver Pro-
dukt- und Unternehmens-Images zugewiesen. Daran ändert auch die Entwicklung des
Marketings zum Beziehungsmarketing oder auch „Community-Marketing“ nur wenig.
Während in einer betriebswirtschaftlichen Perspektive Public Relations auf markt-
liche Austauschprozesse und marktverbundene Zielgruppen fokussiert ist, wird Public
Relations und ihr Zuständigkeitsbereich in der Kommunikationswissenschaft breiter
definiert: Sie wird hier zum einen in ihrer gesellschaftlichen Funktion (vgl. insbes.
Ronneberger 1991; Ronneberger/Rühl 1992) und zum anderen als Kommunikations-
funktion von Organisationen betrachtet (vgl. u.a. Röttger 2000; Kirchner 2001), dessen
zentrale Funktion in der Legitimation der Organisationsinteressen und des Organisati-
onshandelns gegenüber allen – also auch nicht-marktverbundenen – Stakeholdern liegt.
1
Auch unter Berücksichtigung unterschiedlicher Geschichts- und PR-Verständnisse ist die Beschreibung
von PR als Nachkriegsphänomen und amerikanischen Export nicht plausibel: Bereits 1906 wurde bei-
spielsweise in Magdeburg eine erste kommunale Pressestelle eingerichtet und die Firma Krupp verfüg-
te seit 1893 über ein eigenes „Nachrichtenbüro“ (vgl. Binder 1983: 75). Siehe hierzu auch den Beitrag
von Kunczik in diesem Band.
Einleitung: Welche Theorien für welche PR? 11

Kommunikationswissenschaftliche PR-Ansätze berücksichtigen damit stärker den or-


ganisatorischen Gesamtkontext, zugleich wird von ihnen jedoch die ökonomische Di-
mension des strategischen Kommunikationsmanagements und das Verhältnis von Un-
ternehmenskommunikation und Unternehmenswert in der Regel wenig berücksichtigt.
Allerdings hat sich in den letzten Jahren in der PR-Praxis wie auch Forschung unter
dem Label „Kommunikationscontrolling“ eine Debatte entwickelt, die nicht mehr nur
die klassische Evaluation von PR-Maßnahmen und -Programmen diskutiert, sondern
die Anbindung des Kommunikationsmanagements an strategische und operative Un-
ternehmensziele in den Mittelpunkt rückt („Wertschöpfung durch Kommunikation“).
Damit verbunden sind Fragen nach den Möglichkeiten der betriebswirtschaftlich effi-
zienten Plan- und Steuerbarkeit sowie der Messbarmachung des (monetären) Wert-
schöpfungsbeitrages von PR (vgl. u.a. Zerfaß 2006). Im Schnittfeld kommunikations-
wissenschaftlicher PR-Forschung und betriebswirtschaftlicher Management- und Con-
trollingforschung sind derzeit vor allem Verfahren bedeutsam, die eine Berücksichti-
gung des Kommunikationsmanagements im Rahmen der Balanced Scorecard bzw. die
Ausbildung einer Corporate Communications Scorecard vorschlagen.2 Im Zentrum
dieser Ansätze steht der Versuch, den Zusammenhang zwischen Kommunikationsma-
nagement und übergeordneten Unternehmenszielen (1) nachvollziehbar sowie damit
(2) an Hand von Zielvorgaben steuerbar und (3) über eine Messung der Zielerreichung
evaluierbar zu machen.
Eine kritische Reflexion der bisherigen Debatte über das Kommunikations-Con-
trolling macht allerdings deutlich, dass die bislang sehr euphorisch geführte Fachdis-
kussion insbesondere die Potenziale eines an betriebswirtschaftlichen Parametern ori-
entierten Kommunikations-Controllings fokussiert hat, dessen Grenzen und Restriktio-
nen aber nicht ausreichend mit in den Blick genommen hat. Aus kommunikationswis-
senschaftlicher Blickrichtung gilt es daher, die bisher in der Regel nicht thematisierten
grundlegenden Annahmen über die Wirkung und Messbarkeit von PR-Kommunikation
zu systematisieren und einzelfallartig zu hinterfragen. Dazu bedarf es sowohl des theo-
retisch-begrifflichen Beitrages der kommunikationswissenschaftlichen PR-Forschung
als auch der Expertise kommunikationswissenschaftlicher Methodiker. Erst im intensi-
vierten Austausch zwischen Kommunikationspraxis, PR- und Rezeptionsforschern,
Methodikern sowie der Controllingforschung lassen sich praktikable und zugleich be-
griffliche Unterkomplexität vermeidende Verfahren entwickeln und konsensfähige
Kennzahlen entwickeln.

2
Derzeit werden unter dem Begriff „Kommunikations-Controlling“ in vielen Details variierende Verfah-
ren und Modelle zusammengefasst. Ausgehend von der von Porter (1986) in der Managementfor-
schung eingeführten Unterscheidung kann grundsätzlich zwischen einer marktorientierten und eine res-
sourcenorientierten Perspektive unterschieden werden. Am weitesten fortgeschritten ist die Debatte
derzeit in Bezug auf die marktorientierte Sichtweise; hier finden sich zum einen Adaptionen der Balan-
ced Scorecard (vgl. grundlegend Kaplan / Norton 1997), die Communication Scorecard (vgl. Hering /
Schuppener / Sommerhalder 2004), die Corporate Communication Scorecard (vgl. u.a. Zerfaß 2006)
sowie das Communications Value System der GPRA (vgl. Lange 2005). Ferner zählen zu den markt-
orientierten Ansätzen Modelle auf Basis des Value Based Management (vgl. Pfannenberg 2005) und
das CommunicationControlCockpit als Kennzahlensystem i.e.S. (vgl. u.a. Rolke 2005).
12 Ulrike Röttger

Nicht nur mit Blick auf die jeweiligen Referenzpunkte unterscheiden sich die Perspek-
tiven von BWL und Kommunikationswissenschaft auf Public Relations: Wesentlicher
Unterschied ist zudem der gehaltvollere und differenziertere Kommunikationsbegriff
der Kommunikationswissenschaft. In zahlreichen betriebswirtschaftlichen Ansätzen
findet sich bis heute ein unterkomplexes Verständnis von Kommunikation im Sinne
eines Input-Output-Modells bzw. als Encoding-Decoding-Prozess (Shannon/Weaver
1976; exemplarisch für die Marketing-Literatur Kotler/Bliemel 1999). Eine fast schon
mechanistische Sichtweise auf das dynamische Geschehen kommunikativer Prozesse
offenbart sich beispielsweise in der Bezugnahme auf die 1948 formulierte so genannte
„Lasswell-Formel“ „Who says what in wich channel to whom and with what effect?“,
die immer wieder in Marketing-Lehrbüchern anzutreffen ist. Diese einseitige Kommu-
nikatororientierung schließt Feedback der Rezipienten ebenso aus, wie generell Wech-
selwirkungen zwischen den einzelnen Elementen des Kommunikationsprozesses unbe-
rücksichtigt bleiben. Kommunikation wird in erster Linie unter der Perspektive der in-
tendierten Wirkungen thematisiert; Fragen des gegenseitigen Verstehens und des glei-
chen Meinens, der Akzeptanz oder etwa der nicht-intendierten Wirkung von Kommu-
nikation werden in betriebswirtschaftlichen Überlegungen in der Regel nicht oder nur
am Rande berücksichtigt.
Unterschiedliche Kommunikationsverständnisse und -begriffe ebenso wie ein un-
terschiedliches Theorieverständnis führen zu erheblichen Verständigungsproblemen
zwischen kommunikationswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Fachvertre-
tern. Die strukturellen Differenzen führen auch dazu, dass bis heute wenig integrative
Theorieangebote vorliegen, die kommunikationswissenschaftliche und betriebswirt-
schaftliche Überlegungen des Kommunikationsmanagements sinnvoll miteinander
verbinden (vgl. Zerfaß 2004; Herger 2004).

Wenig erforscht
Folgen der späten Institutionalisierung der kommunikationswissenschaftlichen PR-
Forschung zeigen sich auch heute noch im Hinblick auf den Stand der theoretischen
und empirischen Forschung. Da die Kritik weitgehend bekannt ist, sollen hier einige
wenige Stichworte genügen (vgl. u.a. Dernbach 1998; Bentele 1997a; b; 2003; Jar-
ren/Röttger 2008):
• Der (deutschsprachigen) PR mangelt es bislang an Grundlagenforschung und theo-
retisch-wissenschaftlichen Basisarbeiten; meta-orientierte Forschung, z.B. zur Ge-
schichte der PR existiert nur bruchstückhaft.
• Bislang liegen nur wenig allgemein organisations- und gesellschaftsorientierte PR-
Theorien vor, deren Erklärungskraft sich nicht nur auf spezielle Einzelaspekte der
PR beschränkt.
• Es fehlt der Anschluss von PR-Theorien an allgemeine Öffentlichkeits- und Ge-
sellschaftstheorien oder an im deutschsprachigen Raum vorliegende Akteurstheo-
rien.
Einleitung: Welche Theorien für welche PR? 13

• Theoretische Beschreibungen der Public Relations sind in der Regel system-


theoretische Betrachtungen von Öffentlichkeitsarbeit, damit geht Hand in Hand,
dass die Dualität von Struktur und Handlung, die Verbindung von System- und
Handlungstheorie in der PR-Theoriebildung – von einigen wenigen Ausnahmen
abgesehen (Röttger 2000; Zühlsdorf 2002; Zerfaß 2004) – bislang nicht berück-
sichtigt wurde.3
Als Chance, aber auch als Risiko für die PR-Theoriebildung erweist sich dabei der
stark ausgeprägte interdisziplinäre Charakter der PR, der weit über kommunikations-
und betriebswirtschaftliche Fachaspekte hinausreicht (siehe hierzu auch: Ihlen/van Ru-
ler 2007). So stellt Raupp auf Basis einer inhaltsanalytischen Auswertung von PR-
spezifischen Dissertationen, die zwischen 1995 und 2000 an deutschen Universitäten
eingereicht wurden, fest:
„Public Relations und Öffentlichkeitsarbeit werden als interdisziplinärer Forschungsgegen-
stand auf der Grundlage verschiedener Theorien, aus unterschiedlichen Erkenntnisinteressen
und mit verschiedenen Methoden bearbeitet. Ein dominantes Forschungsparadigma ist nicht
erkennbar; die Pluralität an Zugriffen und die mangelnde Kohärenz an theoretischen Ansät-
zen verhindert eine Kumulation des PR-Wissens.“ (Raupp 2006: 33f.)
Für eine langsam voranschreitende Kumulation von PR-Wissen – allerdings in erster
Linie im Sinne einer Bestandsaufnahme und weniger im Sinne der Forcierung und
Weiterentwicklung von PR-Theorie – sprechen u.a. die Hand- und Lehrbücher, die in
den vergangenen Jahren publiziert wurden (Bentele et al. 2008; Piwinger/Zerfaß
2007).

PR-Forschung basiert heute vor allem auf Theorien mittlerer Reichweite, d.h. empi-
risch überprüfbaren Aussagenzusammenhängen. Diese Ansätze stehen jedoch meist
unverbunden nebeneinander und begründen jeweils – mit Ausnahme der Forschung im
Kontext der so genannten Determinierungshypothese (siehe hierzu u.a. Baerns 1985,
1987; für einen Überblick siehe Schantel 2000) – keine Forschungstradition im eigent-
lichen Sinne. Die empirische PR-Forschung ist in erster Linie als beschreibende Be-
rufsforschung zu charakterisieren, die stark mikroorientiert und eher deskriptiv orien-
tiert ist. Organisatorische Zusammenhänge des PR-Berufshandelns, die Produktions-
bedingungen für die Herstellung und Vermittlung von PR-Mitteilungen und -Leistun-
gen werden bislang im Rahmen der PR-Kommunikatorforschung nur begrenzt berück-
sichtigt (vgl. Röttger 2000).
Wenig beachtet werden von der PR-Forschung und PR-Theoriebildung beispiels-
weise auch die Rezipienten von PR-Mitteilungen. So existieren innerhalb der deutsch-
sprachigen PR-Forschung bislang keine systematischen wissenschaftlichen Studien

3 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der PR-Theorie als Systemtheorie findet sich in diesem
Band in den Beiträgen von Merten, der die Systemtheorie als derzeit beste mögliche Theorie für eine
einheitliche Theorie der PR beschreibt und von Jarren/Röttger, die für eine strukturationstheoretisch
begründete PR-Theorie plädieren. Die Verbindung von handlungs- und systemtheoretischer Perspekti-
ve steht ebenfalls im Mittelpunkt des Aufsatzes von Rolke, der PR als gesellschaftlich lizenzierte Mög-
lichkeit zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung beschreibt. Siehe hierzu auch Rademachers Vorschlag,
PR als „Literatur der Gesellschaft“ zu konzipieren.
14 Ulrike Röttger

über die Rezeption von PR-Produkten, die Wahrnehmung der ‚PR-Beziehungsarbeit‘


durch einzelne Bezugsgruppen und den Nutzen von PR-Mitteilungen und -Maßnahmen
(PR-Usability Zerfaß 2004) für die Rezipienten.4 Dies verwundert angesichts der Tat-
sache, dass Stakeholder ein zentraler Bezugspunkt des Managements der kommunika-
tiven Umfeldbeziehungen von Organisationen durch Public Relations sind. Zahlreiche
theoretische Ansätze – so auch die „Excellence-Studie“ (Grunig 1992; Grunig/Grunig/
Dozier 2002) – sehen Anspruchsgruppen als zentralen Referenzpunkt des PR-Manage-
ments, wobei jedoch in der Regel deren Interessen und Bedürfnisse nicht empirisch
analysiert werden, sondern auf der Basis von normativ unterlegten Vorannahmen un-
terstellt werden. Dies zeigt sich beispielsweise hinsichtlich des vermeintlichen oder
tatsächlichen Dialoganspruchs von Anspruchsgruppen, der in der Literatur häufig un-
terstellt, für den ‚PR-Normalfall‘ allerdings nicht systematisch untersucht und nach-
gewiesen wurde.

Einseitig wahrgenommen
Die kommunikationswissenschaftliche Beschäftigung mit Public Relations ist stark
durch die zeitungs- und publizistikwissenschaftliche Tradition des Faches geprägt. Die
PR-Forschung hat ihren Ausgangspunkt in der klassischen Kommunikatorforschung,
in deren Mittelpunkt traditionell die Journalismusforschung steht. Aus dieser historisch
erklärbaren journalismuszentrierten Perspektive ergeben sich Pfadabhängigkeiten, die
sich bis heute fortsetzen und zu einem verkürzten und einseitigen Verständnis der PR
und ihrer Funktionen führen (vgl. hierzu ausführlich Bentele 2003; Jarren/Röttger
2008).
So wurde und wird PR im Fach vor allem in ihrer Rolle als (gefährliche) Quelle des
Journalismus gesehen und thematisiert. Öffentlichkeitsarbeit wird auf Medienarbeit als
einen – wenn auch gewichtigen – Teilbereich ihres Leistungsspektrums reduziert und
ausschließlich in ihrer Rolle als Input-Funktion des Journalismus analysiert. Gleichzei-
tig werden damit die Kommunikationsleistungen von Unternehmen, Behörden und
Verbänden systematisch ausgeblendet, die ohne journalistische Vermittlungsleistung
die jeweiligen Bezugsgruppen oder Teilöffentlichkeiten erreichen. In dieser Sichtweise
erscheint Public Relations entsprechend als „subsidiärer Journalismus“ (Kunczik 1988:
240ff.). Dieses Verständnis hat jedoch mit der Realität eines professionellen Kommu-
nikationsmanagements und seinem vielfältigen und komplexen Leistungsspektrum
wenig – um nicht zu sagen nichts – zu tun. PR ist kein subsidiärer Journalismus und
PR-Forschung kann nicht allein auf Kommunikatorforschung reduziert werden.
Mit der Reduktion der PR als Quelle des Journalismus ist zugleich die Bewertung
von PR als Gefährdung des Journalismus verbunden. Insbesondere die bereits erwähn-

4 Das Defizit aufgreifend tagte die Fachgruppe PR / Organisationskommunikation der Deutschen Gesell-
schaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft im Oktober 2007 in Berlin unter dem Titel
„Wer kommuniziert, wer rezipiert? Die Organisationskommunikation und ihre Rezipienten in Zeiten
strukturellen und medialen Wandels“. Einen rezipientenorientierten Ansatz der Krisen-PR hat Schwarz
(2008) vorgeschlagen.
Einleitung: Welche Theorien für welche PR? 15

te „Determinierungshypothese“5 und die unter diesem Stichwort erfolgte Forschung


betont die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Journalismus bzw. der Medien
durch Public Relations (siehe für einen Überblick zum Forschungstand Altmep-
pen/Röttger/Bentele 2004). Die Sichtweise von PR als Quelle und als Gefährdung des
Journalismus stand und steht im Hintergrund der überwiegend normativ geprägten
Auseinandersetzung um die Beziehungen von PR und Journalismus. Kennzeichnend
für diese Debatte ist, dass sie fast ausschließlich einseitig aus der Perspektive des Jour-
nalismus geführt wurde – im Mittelpunkt stehen Effekte auf Seiten des Journalismus –,
während Einflüsse des Journalismus auf die Öffentlichkeitsarbeit weitgehend ausge-
blendet werden. Erst seit Mitte der 1990er Jahre ist eine Verschiebung der Diskussi-
onslinie und Beobachtungsperspektiven hin zur Analyse wechselseitiger Beziehungen
(so das Intereffikationsmodell Bentele/Seeling /Liebert 1997; siehe auch Bentele 2008)
beobachtbar.

Die zögerliche und erst spät einsetzende kommunikationswissenschaftliche Beschäf-


tigung mit PR-Fragestellungen geht Hand in Hand mit einer Dominanz normativer, be-
rufspraktischer Positionen und Perspektiven in der PR-Literatur, die bis weit in die
1970er Jahre hinein anhielt. Charakteristisch für diesen Literaturtypus (von Rühl in
seinem Beitrag in diesem Band als Rechtfertigungsliteratur bezeichnet) hierfür sind
stark wertgeladene Positionen und Definitionen („PR ist Dialog“) und ihr Ratgebercha-
rakter („das 1x1 des PR-Erfolgs“) mit geringem wissenschaftlichem Erklärungspoten-
zial (siehe auch Fröhlich 2008).
In Deutschland wurden das PR-Verständnis und die Sichtweise auf Öffentlich-
keitsarbeit über lange Zeit von einzelnen reflektierenden PR-Praktikern und weniger
von Wissenschaftlern geprägt. Zu nennen sind hier beispielsweise Namen wie Albert
Oeckl, Carl Hundhausen, Friedrich Korte, Hans Domizlaff, Hanns W. Brose, Gernot
Brauer und Horst Avenarius.6 Welchen Beitrag PR-Praktiker an der Theoriebildung
hatten, zeichnet Michael Kunczik in diesem Sammelband nach. Deutlich wird dabei ei-
nerseits, dass schon früh zahlreiche Themen in der Praxis eine Rolle spielten, die auch
heute von großer Aktualität sind (z.B. Fragen der Integrierten Kommunikation oder der
Marken-PR), zugleich wird aber auch deutlich, dass diese Praktiker-Theorien häufig

5
Die „Determinierungshypothese“ ist untrennbar verbunden mit dem Namen Barbara Baerns (siehe für
einen Überblick Raupp 2008). Ihre wegweisende Studie zur landespolitischen Berichterstattung in
NRW und die nachfolgenden Publikationen insbesondere aus den 1980er Jahren (Baerns 1987; 1985)
sind nach wie vor zentraler Referenzpunkt der Forschung zum Thema PR und Journalismus. Wie
Baerns in ihrem Beitrag in diesem Band systematisch aufarbeitet, ist die Rezeption ihrer Arbeit jedoch
von zahlreichen Über- und Fehlinterpretationen gekennzeichnet. Dies betrifft beispielsweise die nach-
trägliche Unterstellung einer falsifizierbaren Hypothese in Form der Determinationshypothese oder die
Uminterpretation der festgestellten Kontrolle von Thema und Timing der Medienberichterstattung in
die Aussage, dass Öffentlichkeitsarbeit den Journalismus determiniere.
6
Es waren offensichtlich ausschließlich Männer, die die frühe Entwicklung des PR-Berufsfeldes und der
PR-Forschung in Deutschland geprägt haben. Über die Rolle von Frauen – als Forscherinnen und/oder
als Praktikerinnen – in den Anfängen der Öffentlichkeitsarbeit liegen keine Informationen vor.
16 Ulrike Röttger

nicht explizit ausformuliert waren, Wissen nicht systematisch bündelten und damit
nicht auf Dauer stellten.
Praktiker-Ansätze bzw. normative Praktikertheorien haben nachhaltig Spuren in der
wissenschaftlichen Reflexion hinterlassen und beeinflussen die PR-Theoriebildung bis
heute (siehe auch Kunczik/Szyszka 2008). Insgesamt ist auf dem Deutungsmarkt ein
Überschuss an Praktiker-Modellen oder ‚Theorien‘ zu konstatieren, die sich überwie-
gend aus einer Marktlogik ergeben und Teil der professionellen Inszenierung von PR-
Akteuren sind. Die Gründe für diese unkritische Adaptionspraxis sind vielfältig. Sie
wurde durch die lange andauernde (kommunikations-)wissenschaftliche Abstinenz ge-
genüber der Öffentlichkeitsarbeit befördert. Bedeutsam ist zudem die Tatsache, dass
die wissenschaftliche und wissenschaftsnahe PR-Community relativ klein und über-
schaubar ist: Diese sozialen Bedingungen fördern nur bedingt einen öffentlichen, kriti-
schen Diskurs und eine lebendige Auseinandersetzung um wissenschaftliche Positio-
nen und Perspektiven auf den Gegenstand Public Relations.

Für die Kommunikationswissenschaft zeigt sich damit zusammenfassend, dass der


Journalismus als relativ stabiles Feld, das gut vermessen und bekannt ist, sehr häufig
als Ausgangspunkt für den Blick auf andere Felder gewählt wird – wie z.B. die PR
oder aber auch die Werbung. Der Journalismus wird damit zum Referenzpunkt und
Maßstab der Bewertung anderer Kommunikationsfelder, ohne dass die Angemessen-
heit des Maßstabs reflektiert und kritisch überprüft würde. Mit dem Journalismus als
Ausgangspunkt der Beobachtung ist in der Regel eine normative Perspektive verbun-
den, die aus Sicht der PR-Forschung zu unzulässigen/inadäquaten Verkürzungen/
funktionalen Reduktionen führt, indem beispielsweise die eigenständigen Kommunika-
tionsleistungen nicht-medialer Organisationen nicht ausreichend und nicht angemessen
von der Forschung wahrgenommen werden.

Zwischenbilanz: Aufräumarbeiten und Entdeckungsbedarf


1992 bilanzierte Ulrich Saxer, der sich bereits früh aus publizistikwissenschaftlicher
Perspektive dem Feld der Öffentlichkeitsarbeit systematisch und vorurteilsfrei genä-
hert hat: „Die Verwissenschaftlichung des Gegenstands Public Relations hat insgesamt
erst eine bescheidene Qualität erreicht“ (Saxer 1992: 75). PR-Forschung und PR-
Theoriebildung haben in den letzten 15 Jahren im deutschsprachigen Raum zwar quan-
titativ und qualitativ erheblich an Bedeutung gewonnen, die kurze Bilanz des aktuellen
Forschungsstandes hat jedoch den nach wie vor vorhandenen Entdeckungs- und Hand-
lungsbedarf deutlich gemacht. Zentral ist die Frage, ob es der kommunikationswissen-
schaftlichen PR-Forschung gelingt, den verengten – auf Journalismus und klassische
öffentliche Kommunikation fokussierten – Blick der Kommunikationswissenschaft zu
öffnen, hin zu einer umfassenden Betrachtung von PR in ihren gesellschaftlichen, aber
auch ihren organisationalen Funktionen. Dazu bedarf es einer Integration bzw. der An-
schlussfähigkeit an allgemeine Gesellschafts- und Öffentlichkeitstheorien ebenso wie
Einleitung: Welche Theorien für welche PR? 17

an Überlegungen aus dem Bereich der Organisationsforschung bzw. der Organisati-


onskommunikation (siehe Theis 1994; Theis-Berglmair 2003).
Die Konsequenzen von veränderten Formen öffentlicher Kommunikation durch die
Ausdifferenzierung eines eigenlogisch funktionierenden Mediensystems auf die Kom-
munikation von Organisationen thematisieren sowohl Eisenegger/Imhof als auch
Raupp in ihren Beiträgen. Mark Eisenegger und Kurt Imhof beschreiben in ihrem Bei-
trag die Veränderungen der Organisationskommunikation auf der Basis der fundamen-
talen Veränderung medienvermittelter Kommunikation und der moralischen Aufla-
dung ökonomischen Handelns und konzipieren Reputation in diesem Zusammenhang
als Kernbegriff der Public Relations. Und Juliana Raupp entwickelt in ihrem Beitrag
am Beispiel der politischen PR und politischer Organisationen ein theoretisches Kon-
zept von Public Relations, welches die PR-induzierte Orientierung organisationalen
Handelns an der Medienlogik in den Blick nimmt.
Während die frühe deutschsprachige PR-Forschung insbesondere nach der „Sinn-
stiftung und Funktion von Public Relations im Reproduktionsprozess moderner Gesell-
schaften“ (Zerfaß 2004: 47) gefragt hat, d.h. nach den Funktionen und Leistungen, die
PR im Kontext demokratischer Gesellschaften erbringt, hat die jüngere PR-Forschung
verstärkt den organisatorischen Entstehungskontext von Public Relations ins Visier
genommen. Dies schließt die Analyse der organisationspolitischen Funktion der PR
ebenso ein wie der organisationalen Bedingungen, unter denen PR-Mitteilungen pro-
duziert werden (siehe hierzu auch die Beiträge von Szyszka und Kussin in diesem
Band).
Die Fokussierung der Meso-Perspektive im Rahmen der PR-Forschung beinhaltet
den Versuch einer stärkeren Verknüpfung von Managementforschung und kommuni-
kationswissenschaftlicher PR-Forschung und zielt entsprechend insbesondere auf
Aspekte des Kommunikationsmanagements und der Steuerung und Planung von Kom-
munikation im organisationalen Kontext ab. Allgemeinere Aspekte der Organisations-
kommunikation, die alle Formen der Kommunikation, die von Organisationen beein-
flusst wird, umfasst (Kommunikation in und von Organisationen, Theis-Berglmair
2003) wurden demgegenüber von der PR-Forschung bislang nur am Rande bearbeitet.
So sind beispielsweise organisationssoziologische Ansätze in der PR-Forschung
nur wenig und eher nur oberflächlich berücksichtigt worden. Sie können der PR-
Forschung aber einen theoretischen Rahmen für die Analyse komplexer Prozesse der
Integration von Kommunikation auf Mikro- und Meso-Ebene bieten ebenso wie für die
generelle Thematisierung von wechselseitigen Konstitutionsbeziehungen zwischen
Struktur und Handlung im organisationalen Kontext. Insbesondere strukturationstheo-
retisch fundierte Analysen von Organisationen und des Managements von Organisa-
tionen (vgl. Zimmer/Ortmann 2001) sind bislang noch nicht hinreichend von der PR-
Forschung berücksichtigt worden. Dies gilt beispielsweise auch für den Ansatz der
strategischen Organisationsanalyse (vgl. u.a. Crozier/Friedberg 1993; Ortmann/ Sy-
dow/Windeler 2000). Es ließen sich viele konkrete Themenbereiche anführen – etwa
Fragen von Machtstrukturen und -potenzialen der Unternehmenskommunikation, Fra-
18 Ulrike Röttger

gen des Zusammenhangs von Unternehmenskultur und -kommunikation ebenso wie


Analysen von organisationsinternen Netzwerken bzw. der internen Kommunikation
unter Bedingungen der Globalisierung oder aber in Veränderungsprozessen –, die zei-
gen, welchen wertvollen und letztlich unverzichtbaren Beitrag Organisationstheorien
und -forschung für das theoretische Verständnis von PR als Organisationsfunktion lei-
sten können. Die Integration von Erkenntnissen der Organisationstheorie in die PR-
Forschung ist zukünftig gerade auch mit Blick auf zahlreiche Schnittstellenthemen, die
im Kontext der PR an Bedeutung gewinnen – Change Management, Wissensmanage-
ment oder auch der Rolle von PR im Rahmen der Personal- und Organisationsentwick-
lung –, zentral.
Das Plädoyer für Theorien mittlerer Reichweite, vor allem mit Fokussierung auf die
Meso-Ebene ist auch verbunden mit der Forderung nach einer stärkeren wechselseiti-
gen Orientierung von PR-Theorie und PR-Praxis: Aktuelle Problemdimensionen der
Praxis werden immer noch zu selten und in der Regel viel zu spät zum Gegenstand der
PR-Forschung und Theoriebildung. Deutlich wird dies beispielsweise mit Blick auf
vorliegende Ansätze zur Integrierten Unternehmenskommunikation, die fast aus-
nahmslos aus der Betriebswirtschaftslehre stammen. Kommunikationswissenschaftli-
che Beiträge liegen nach wie vor nur vereinzelt vor (Zerfaß 2004; Kirchner 2001),
gleichwohl die Auseinandersetzung um die Notwendigkeit, die Bedingungen, Mög-
lichkeiten und Grenzen einer Integration der Kommunikation von Unternehmen auch
im deutschsprachigen Raum seit Anfang der 1990er Jahre intensiv geführt wird. Dabei
hätte die kommunikationswissenschaftliche PR-Forschung prinzipiell gehaltvolle Bei-
träge zur Debatte zu bieten: zum Beispiel hinsichtlich der Wahrnehmung und Wirkung
von Integrierter oder Nicht-Integrierter Kommunikation oder etwa zu den notwendigen
kommunikativen Voraussetzungen (Verstehen und Verständigung) in Organisationen,
die eine gelungene Integration erst möglich machen. Dem lang anhaltenden Disput um
die Vormachtstellung in der Unternehmenskommunikation zwischen Marketing und
Public Relations sowohl auf der Ebene von Wissenschaft wie auch der Praxis gehen
Manfred Bruhn und Grit Mareike Ahlers in ihrem Beitrag auf den Grund. Sie plädieren
für eine stärker prozessorientierte Betrachtung der Unternehmenskommunikation, die
sich beispielsweise in der Einrichtung cross-funktionaler Teams ausdrückt.
Gerade das Beispiel der Integrierten Kommunikation macht aber noch eine weitere
Dimension des Verhältnisses von Theorie und Praxis deutlich: Theoretisch hoch plau-
sibel und durch zahlreiche ausdifferenzierte Integrationsmodelle fundiert (vgl. u.a.
Duncan/Caywood 1996; Bruhn 2003), aber in der Praxis nur selten realisiert – die Dis-
krepanzen zwischen Theorie und Praxis könnten größer nicht sein.

Benötigt PR(-Praxis) Theorien?


„Meine Erfahrung ist, dass die Praktiker ganz einfach Rezepte wollen; Rezepte und
sonst nichts.“ (Ronneberger 1995) Die Beziehungen von PR-Theorie bzw. Wissen-
schaft und Praxis sind nicht ohne Spannungen, wobei dies weniger ein typisches Pro-
blem der PR darstellt, sondern für zahlreiche andere, kommunikations- bzw. sozialwis-
Einleitung: Welche Theorien für welche PR? 19

senschaftlich fundierte Berufe gilt – u.a. für den Journalismus und seine Beziehungen
zur Journalistik. Es verwundert also nicht, dass Theorie-Praxis-Beziehungen Gegen-
stand zahlreicher Beiträge in diesem Reader sind. Manfred Rühl, Klaus Kocks und Su-
sanne Femers analysieren – mit teils sehr unterschiedlichen Ergebnissen – die ver-
schiedenen Perspektiven von PR-Forschern und PR-Berufsinhabern auf das Phänomen
Public Relations und die sich daraus ableitenden unterschiedlichen Anforderungen an
PR-Theorien. Und Michael Kunczik beschreibt den Beitrag von PR-Praktikern zur
Theoriebildung in historischer Perspektive.
Das Verhältnis von PR-Praxis und -Wissenschaft wird häufig als Frontstellung be-
schrieben bzw. von beteiligten Akteuren so erlebt: Die Grenzlinien sind dabei recht
klar umrissen: „Das ist doch alles graue Theorie und ohne Nutzen für die Praxis“ lautet
zusammengefasst die Kritik an der Wissenschaft und den von ihr offerierten Theorien
(vgl. hierzu beispielhaft die Debatte um den Theorieentwurf von Ronneberger und
Rühl 1992: Barthenheier 1992; Kleindieck 1992; Rühl 1992). Und: PR-Forschung und
Forscher beziehen sich auf eine Praxis, die sich nicht kennen. Sie sind daher zu einem
fundierten Urteil über PR-Praxis nicht berechtigt und nicht in der Lage.7 Auf der ande-
ren Seite ist eine gewisse Hierarchisierungstendenz der Wissenschaft zu beobachten,
die für sich teils in Anspruch nimmt, besser als die Praxis zu wissen, was gut und rich-
tig ist. Dabei wird oft vergessen, dass jede Seite die andere und deren Wissensbestände
benötigt: PR-Forschung ist auf die Praxis nicht nur angewiesen, weil sie den Zugang
zu „ihrem“ Forschungsfeld benötigt, sondern PR-Forscher benötigen Wissen aus der
und über die Praxis (Feldkompetenz), um relevante und richtige Forschungsfragen
formulieren und untersuchen zu können (vgl. Raupp 2002; Cornelissen 2000).
Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die Erkenntnisinteressen und die Fragen
von PR-Forschung und PR-Praxis ebenso systematisch unterscheiden wie die struktu-
rierenden Regeln beider Handlungsfelder. Während Beschreibung und Erklärung im
Zentrum des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses stehen, orientiert sich berufs-
praktisches Wissen stärker an Kriterien der Angemessenheit und Entscheidung. Dies
führt in der Konsequenz dazu, dass sich Wissenschaft und Praxis allzu oft verständnis-
los gegenüberstehen und ein einfacher Transfer wissenschaftlichen Wissens in die Be-
rufspraxis in der Regel scheitert.
Insbesondere mit Blick auf eine Professionalisierung der PR und die damit gefor-
derte Verwissenschaftlichung des PR-Professionswissens stellt sich vor diesem Hin-
tergrund die Frage nach einer möglichen Vermittlung zwischen beiden Wissenstypen
und Handlungsfeldern. Dazu gilt es zunächst, die Vorstellung einer Dichotomie von
wissenschaftlichem Erklärungswissen einerseits und berufspraktischem Handlungswis-
sen andererseits aufzugeben. Die Differenzen zwischen Wissenschaft und Praxis, zwi-
schen wissenschaftlichem und berufspraktischem Wissen sind in diesem Verständnis

7
Rolke fordert daher in seinem Beitrag in diesem Band, dass PR-Forschung in Zukunft häufiger einen
Platz auf dem „Beifahrersitz der Praxis“ einnehmen müsse. Dazu gehöre auch, „dass die Wissenschaft-
ler ihre Schreibtische und Lehrstühle regelmäßiger verlassen sollten, um als Teilnehmer des Gesche-
hens Erfahrungen aus erster Hand zu sammeln“.
20 Ulrike Röttger

nicht ein Problem, sondern unabdingbare Voraussetzung für die Existenz beider Wis-
sensformen.
„In der konstruktivistischen Perspektive kann Wissenschaft weder neues, gegen-
standsbezogenes Wissen in die Praxis einführen, noch bedient sich die Praxis selektiv aus der
Wissenschaft. Allenfalls kommt es zu wechselseitiger Resonanz (vgl. Luhmann 1987). Wis-
senschaftliches Wissen und Handlungswissen stehen im Verhältnis der Komplementarität.“
(Dewe/Ferchhoff /Radtke 1992: 80f.)
Professionelles Wissen ist nicht lediglich um wissenschaftliches Wissen angereichertes
und optimiertes berufspraktisches Wissen, sondern es ist als spezifischer Wissenstyp
mit eigenständiger Strukturlogik anzusehen, der sowohl Bezüge zur Wissenschaft als
auch zur Praxis aufweist, Begründungs- und Handlungswissen integriert. Ein derarti-
ges Verständnis von professionellem Wissen und den Beziehungen zwischen wissen-
schaftlichem und berufspraktischem Wissen impliziert Konsequenzen für die PR-
Theoriebildung und für die Theorie-Praxis-Beziehungen:
• Die Berücksichtigung und die Akzeptanz der unterschiedlichen Regeln und Logi-
ken von Wissenschaft und Praxis sind Voraussetzung für eine wechselseitige pro-
duktive Anregung beider Wissensbereiche.
• Es existiert keine direkte, lineare Beziehung zwischen dem Stand der PR-Theorie-
bildung und der Professionalität der PR-Praxis.
• Wissenschaftliche PR-Theorien können keine unmittelbaren Lösungen für Praxis-
probleme liefern.
• Nicht jedes Phänomen der PR-Praxis ist theoriefähig und PR-Theoriebildung muss
sich nicht mit jedem Phänomen der Praxis beschäftigen.

Der mögliche Beitrag von (PR-)Theorien für die Praxis der Public Relations kann über
den eher abstrakten Hinweis auf den hohen Stellenwert wissenschaftlichen Wissens im
Professionalisierungskontext hinaus beispielhaft anhand der Problematik des PR-Bera-
tungswissen deutlich gemacht werden. Das PR-Berufsfeld und das Kommunikations-
management sind stark beratungsorientiert: Beratungswissen und -kompetenzen kenn-
zeichnen das Funktions- und Leistungsprofil der Öffentlichkeitsarbeit und betonen ihre
strategische Dimension. Beratung zählt unter anderem neben Analyse, Strategie, Kon-
zeption, Evaluation als den Kernbereichen strategischer PR zu den zentralen Aufgaben
von Public Relations. Der Blick auf die Praxis der PR- bzw. Kommunikationsberatung
zeigt, dass ein Großteil der (externen) Berater ohne theoriegeleitete Arbeitsgrundlagen
operiert. Erfahrungswissen, Alltagstheorien und best practice-Wissen bilden in der Re-
gel die Grundlage des Beratungshandelns. Helmut Willke (1999: 123) bezeichnet dies
als „... paradoxe Konstitution von Beratungswissen, weil Berater sich von der Praxis
beraten lassen, welche sie belehren sollten.“ Die ist durchaus heikel, denn „[d]en Bera-
tern bleibt nur die Hoffnung, dass die Klienten nicht wissen, was sie wissen oder mit
dem Wissen nicht optimal umgehen, das sie selbst generieren – und mit diesen Lücken
Raum für Beratung geben.“ (Willke 1999: 124) Der Verzicht auf theoriegeleitete An-
nahmen ist zugleich ein Verzicht auf die Generierung klientenunabhängigen Wissens,
das als zentrale Voraussetzung für die beraterische Eigenständigkeit und für das Er-
Einleitung: Welche Theorien für welche PR? 21

folgspotenzial beraterischer Intervention anzusehen ist. Zudem ermöglichen wissen-


schaftliches Erklärungswissen und eine theoriegeleitete Grundhaltung des Beraters ei-
ne begründete Fokussierung der Problemanalyse und der Interventionen sowie eine
Unterscheidung von wesentlichen und unwesentlichen Informationen im Beratungs-
kontext. Die kontinuierliche Wissensgenerierung ist eine der zentralen strategischen
Herausforderungen der PR-Beratung bzw. des Kommunikationsmanagements, die auf
den Beitrag der PR-Forschung und Theoriebildung nicht verzichten kann. Denn Bera-
terwissen, das sich allein aus Erfahrungswissen speist und damit auf einfachen Prüf-
operationen basiert, wird der steigenden Beratungskomplexität immer weniger gerecht.

Perspektiven der PR-Theoriebildung


Gerade der letztgenannte Bereich der (externen) Kommunikationsberatung verweist
exemplarisch auf eine zentrale Anforderung an zukünftige PR-Theoriebildung: Wir
benötigen differenziertere theoretische Analysen, die die Spezifika unterschiedlicher
Kontextbedingungen der PR und einzelner Bereiche des Kommunikationsmanage-
ments erfassen. So ist beispielsweise die externe PR-Beratung bislang von der Theo-
riebildung nicht erfasst worden und auch empirisch kaum bearbeitet. Es existiert weder
eine „Theorie der Kommunikationsberatung“, noch liegen kommunikationswissen-
schaftliche Konzepte vor, die Einzelaspekte der Kommunikationsberatung theoretisch
fassen. Organisationsbezogene PR-Theorien nehmen in der Regel, allerdings ohne dies
zu explizieren, interne PR-Funktionsträger als Ausgangspunkt ihrer Beschreibung. Die
Implikationen der unterschiedlichen PR-Auftraggeber-Beziehungen – Inter-Organisati-
onsbeziehungen im Fall externer PR-Funktionsträger und Intra-Organisationsbe-
ziehungen im Fall interner PR-Funktionsträger – sind bislang in der PR-Theorie-
bildung entsprechend nicht berücksichtigt worden. Die unterschiedlichen Grundkon-
stellationen haben aber erwartbar Konsequenzen z.B. hinsichtlich der Voraussetzungen
und Bedingungen von beraterischer Intervention.
Differenzierte theoretische Perspektiven sind ebenfalls mit Blick auf die or-
ganisationalen und handlungsfeldspezifischen Rahmenbedingungen der PR nötig. Vie-
le theoretische Ansätze betrachten PR im Kontext von Organisationen und meinen da-
bei doch allzu oft ausschließlich ökonomische Organisationen. PR-Theorien sind
mehrheitlich Theorien der Wirtschafts-PR. Welche Effekte teilsystemspezifische
Strukturen, Normen und Regeln für die (internen und externen) Kommunikationsbe-
ziehungen von Organisationen und damit für Public Relations haben, ist theoretisch
nicht befriedigend aufgearbeitet. Wie und in welchem Ausmaß unterscheiden sich bei-
spielsweise die Regeln, Ressourcen und Steuerungsstrategien der PR in den Bereichen
Politik, Kultur, Wissenschaft? Derartige Fragen sind nur vor dem Hintergrund eines
elaborierten Organisationsbegriffs und eines gehaltvollen Verständnisses von Organi-
sation-Umwelt-Beziehungen zu beantworten. Matthias Kussin beschreibt in seinem
Beitrag PR als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen, deren besondere
Leistung darin besteht, Divergenzen zwischen Selbst- und Fremdbeschreibungen für
die Organisation beobachtbar machen und damit Orientierungspunkte für die Modifi-
22 Ulrike Röttger

kation von Entscheidungen und Selbstbeschreibungen zur Verfügung stellen (siehe


ähnlich auch Jarren/Röttger in diesem Band). Ausgehend von der Feststellung, dass
Organisationen und ihre Umwelten als komplexe soziale Systeme zu begreifen sind,
die nicht im engeren Sinn „kontrollierbar“ und durch Kommunikation „steuerbar“ sind,
beschreiben Howard Nothhaft und Stefan Wehmeier unter Rückgriff auf soziokyberne-
tische Überlegungen den Modus Operandi des Kommunikationsmanagements als Kon-
textkontrolle.
Gefordert ist – wie dies zahlreiche in diesem Sammelband vertretene Ansätze be-
reits umsetzen – eine stärkere Perspektivierung der organisationsbezogenen PR-For-
schung und Theoriebildung auf die rekursive Verbindung von Organisation und Um-
welt (Meso-Makro), die sich nicht auf einen Organisationstyp bzw. ein gesellschaftli-
ches Teilsystem beschränkt. Eine derartige auf Meso-Makro-Verbindungen ausgerich-
tete Forschung bietet zudem Ansätze für organisationsbezogene PR-Theorien, die die
gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten der PR nicht aus den Augen verliert.
Denn das erkennbare PR-Forschungsprimat auf die Meso-Perspektive, d.h. die
Funktionen und Leistungen der PR für unterschiedliche Organisationen birgt jedoch
zugleich auch die Gefahr, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die gesell-
schaftlichen Funktionen der PR aus den Blick zu verlieren. Denn Public Relations,
auch im Sinne einer Organisationsinteressen verfolgenden Auftragskommunikation, ist
gesellschaftlich nicht neutral und ihre gesellschaftliche Bedeutung z.B. mit Blick auf
Integrations- und Transparenzleistungen sowie Aspekte des Interessenausgleichs
kommt zumindest als sekundäre Folgewirkung zum Tragen (vgl. Wiek 1996: 35).
Wünschenswert bzw. notwendig ist folglich einer PR-Theorie, die den Meso-Makro-
Link herstellt, die die Organisations- und Interessengebundenheit der PR einerseits und
ihre gesellschaftliche Dimension andererseits analytisch gehaltvoll zu erfassen ver-
sucht.

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Kernelemente einer strukturationstheoretisch
begründeten PR-Theorie

Otfried Jarren / Ulrike Röttger

Im nachfolgenden Beitrag wird Public Relations aus einer strukturationstheoretischen


Perspektive entwickelt und es werden Kernelemente einer PR-Theorie eingeführt und
begründet. Öffentlichkeitsarbeit wird dabei als Organisationsfunktion beschrieben, die
je nach gesellschaftlichem Teilsystem und Organisationstyp variiert, sodass von kei-
nem ‚System PR‘ ausgegangen werden kann. PR als Organisationsfunktion ermöglicht
durch die Etablierung von Handlungssystemen zwischen Organisationen und ihren
Umwelten Formen der Interpenetration und Steuerung vor allem, aber nicht nur, durch
Kommunikation. Im Rahmen dieser von der PR konstituierten Handlungssysteme fin-
den wechselseitige Austausch- und Beeinflussungsversuche statt, wobei PR bestrebt
ist, durch Regel- und Normensetzung die Bedingungen zur Durchsetzung von Partial-
zielen ihrer jeweiligen Organisation zu verbessern. Zugleich leistet PR damit einen
Beitrag zur Reflexierung der eigenen Organisation.

1 Bestandsaufnahme: PR-Theorie als Systemtheorie?


Die PR-Theoriebildung ist bis heute von der Frontstellung der beiden großen Pa-
radigmen der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung geprägt und in ihr gefangen:
System oder Akteur lautet die Grundsatzfrage des theoretischen Zugangs zum Gegen-
stand Public Relations. Für einige Autoren scheint sich selbst diese Frage nicht mehr
zu stellen: „Kann man PR-Theorien anders als systemisch modellieren?”, lautete der –
sicherlich provokativ gewählte – Titel des Vortrags, den Klaus Merten im Rahmen der
Ringvorlesung (vgl. seinen Beitrag in diesem Band) in Zürich hielt. Konzepte zur Inte-
gration von Handlungs- und Systemtheorie bzw. zur Lösung des „Mikro-Makro-Pro-
30 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

blems“ liegen, von wenigen ersten Ansätzen einmal abgesehen (siehe Zerfaß 1996;
Röttger 2000; Zühlsdorf 2002; Falkheimer 2007), für das Themenfeld Public Relations
nicht vor. Andererseits fehlt es für die Behauptung, PR sei als Teilsystem der Gesell-
schaft zu fassen, an überzeugend argumentierenden theoretischen Arbeiten – trotz des
ständigen Gebrauchs der Systemmetapher im Zusammenhang mit PR. Eine naiv zu
nennende Rezeption systemtheoretischen Denkens (vor allem orientiert an Niklas
Luhmann) dominiert in Teilen der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ent-
sprechend ist die Berücksichtigung von anderen sozialwissenschaftlichen Ansätzen,
die eine Integration der Dualismen von System und Handlung verfolgen (siehe u.a.
Giddens 1997; Schimank 2000; 1996; Münch 1987), bislang (auch) in der PR-For-
schung sehr schwach ausgeprägt.
Die Systemtheorie prägte und prägt, parallel zu ihrer Expansion in der deutschspra-
chigen Sozial- und Kommunikationswissenschaft in den 1980er und 1990er Jahren, die
theoretische Analyse der Public Relations nachhaltig. Inzwischen liegen zahlreiche sy-
stemtheoretisch argumentierende PR-Forschungsarbeiten zu unterschiedlichen thema-
tischen Aspekten vor (vgl. u.a. Dernbach 1998; Hoffjann 2001; Kückelhaus 1998; De-
rieth 1995; Seeling 1996; Arlt 1998; Saxer 1991; Kussin 2006). Nicht zu vergessen
den prominentesten, und immer noch am stärksten theoretisch ausgearbeiteten, system-
theoretischen Ansatz im deutschsprachigen Raum von Ronneberger und Rühl (1992):
bis heute ein bedeutsamer Meilenstein in der deutschsprachigen PR-Theoriebildung.
Kaum eine der neueren systemtheoretischen Erörterungen von Public Relations im
Fach verzichtet auf eine Bezugnahme auf Ronneberger und Rühl.
Im Mittelpunkt der systemtheoretischen Auseinandersetzung mit Public Relations –
wie auch beim Journalismus – steht die Frage nach der Systemhaftigkeit von Öffent-
lichkeitsarbeit. Im Wesentlichen lassen sich drei unterschiedliche systemtheoretische
Positionen zum Status Quo von PR erkennen: PR als gesellschaftliches Funktionssy-
stem bzw. als Teil des gesellschaftlichen Funktionssystems Publizistik (siehe z.B.
Ronneberger/Rühl 1992), als System-Umwelt-Interaktion (Faulstich 2000; Knorr
1984) oder als Organisationsfunktion und Teil von Organisationssystemen (u.a. Hoff-
jann 2001).
Während Ronneberger und Rühl von einem eigenständigen PR-System ausgehen,
setzt sich in der jüngsten wissenschaftlichen Debatte zunehmend die Position durch,
PR aufgrund ihrer Abhängigkeit von anderen Systemen als Subsystem in unterschied-
lichen Funktions- und Organisationssystemen zu beschreiben. Public Relations hat bis-
lang keine eigene, unverwechselbare und unabhängige Spezialsemantik und darin ein-
gebettete Regeln ausgebildet, die interne selbstreferenzielle und rekursive Operations-
weisen der PR-Reproduktion definieren. PR ist in erster Linie geprägt von den jeweili-
gen Spezialsemantiken ihrer „Muttersysteme“, d.h. gesellschaftlichen Teilsystemen
wie Politik oder Wirtschaft, und operiert als organisationales Subsystem primär gemäß
der Leitdifferenz des Organisationssystems.
Public Relations bestimmt ihre Ziele und Zwecke nicht autonom, sondern sie ist be-
einflusst von den teilsystemischen Normen und Regeln, und diese stehen vor allem in
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 31

Abhängigkeit von Organisations(leitungs)vorgaben, d.h. den Handlungs- und Entschei-


dungsprogrammen der Organisation. PR ist also normativ an Organisationsvorgaben
gebunden, erhält dementsprechend personelle und materielle Ressourcen zugeteilt und
wird entsprechend den Organisationszielen institutionalisiert und geführt. Dies betrifft
zum Beispiel die Organisation der PR als Stabs- oder Linienfunktion oder Fragen des
Verhältnisses der PR zum Marketing-Bereich. Ein gewisses Maß an Autonomie ist
empirisch lediglich im operativen Bereich, also in der konkreten Wahl der Mittel und
Maßnahmen auszumachen (vgl. Löffelholz 1997: 188). Zusammenfassend bleibt fest-
zuhalten: Die Annahme eines eigenständigen PR-Systems kann bislang nicht plausibel
theoretisch begründet werden. Alle vorliegenden empirischen Befunde weisen keine
Evidenz für einen möglichen eigenständigen Systemcharakter von PR auf (vgl. u.a.
Röttger 2000; Röttger/Hoffmann/Jarren 2003). Ausgangspunkt der folgenden Überle-
gungen ist daher die Annahme von PR als Organisationsfunktion, deren Ausgestaltung
sich je nach organisationalen Relevanzkriterien bzw. primärer Leitifferenz unterschei-
det. Aus organisationaler Perspektive ermöglicht PR intersystemische Beziehungen
wie auch interorganisatorische und dient der Legitimation von Organisationsinteressen
gegenüber relevanten Personen, Organisationen und Akteuren in der Organisations-
umwelt.
Die hier vorgeschlagene Lösung der ‚Systemfrage‘ klärt allerdings nur eines der
Grundprobleme systemtheoretischer Konzeptionen der Öffentlichkeitsarbeit. Davon
unberührt bleibt die grundlegende Kritik an systemtheoretischen Theorieangeboten, die
sich aufgrund der Aufhebung des handelnden Subjekts einer empirischen Überprüfbar-
keit weitgehend entziehen. Systemtheoretische Annahmen sind weder falsifizierbar
noch verifizierbar und daher mit Blick auf die Anforderungen einer (empirischen) PR-
Forschung nicht hinreichend. Unser Ansatzpunkt ist es daher, Öffentlichkeitsarbeit
theoretisch unter Hinzuziehung von Ansätzen zu fassen, die eine Brücke zwischen den
scheinbar unversöhnlichen Polen der Theoriebildung schlagen und eine Verknüpfung
von System- und Handlungstheorie ermöglichen. Das entsprechende Stichwort lautet
hier Strukturationstheorie (Giddens 1997).1 Damit verbunden ist zugleich ein Plädoyer
für Theorien mittlerer Reichweite, vor allem mit einer Fokussierung auf die Meso-
Ebene: Organisations-, Akteurstheorien und die Steuerungstheorie als Rahmentheorien
für die PR-Theoriebildung.
Im Folgenden wird Public Relations als Organisationsfunktion, d.h. als Element
von Organisationen beschrieben, und es werden die zentralen Funktionen benannt, die
PR für Organisationen erfüllt. Diese eher allgemeinen Überlegungen zur PR werden
im weiteren Verlauf dieses Beitrags anhand der drei zentralen Aspekte Interpenetrati-
on, Steuerung und Reflexierung vertieft und konkretisiert.

1
Für publizistik- und kommunikationswissenschaftliche Analysen bieten sich auch der von Uwe Schi-
mank (vgl. zusammenfassend: Schimank 2000) entwickelte und begründete Ansatz einer Verknüpfung
von System und Akteur an.
32 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

2 PR im Organisationskontext
Um die Funktionen der Öffentlichkeitsarbeit als Bestandteil von Organisationen um-
fassend beschreiben zu können, ist es sinnvoll, sich die Charakteristika des sozialen
Gebildes Organisation vor Augen zu führen. Organisationen werden in klassischen so-
ziologischen Beschreibungen durch eine dominante Ziel- und Zweckorientierung ge-
kennzeichnet: Organisationen werden bewusst und planvoll auf einen bestimmten
Zweck hin gebildet und bestehen, um Ziele zu erreichen, die einzelne Handelnde nicht
oder nur schwer verwirklichen könnten.2 Organisationen zeichnen sich durch ein be-
deutsames Maß an reflexiver Steuerung der sozialen Reproduktion aus, z.B. in Form
rekursiv organisierter Regeln und Ressourcen und spezifischer, meist impliziter Orien-
tierungsmuster (u.a. Normen, Rollengefüge, Wertvorstellungen, internen Kommunika-
tionsstrukturen) (Giddens 1997: 278; vgl. auch Schneidewind 1998: 42f.). Diese spe-
zifischen Strukturmomente und Orientierungsmuster existieren übergreifend, d.h. sie
sind mehr als die reine Aggregation individuellen Handelns und verleihen der Organi-
sation eine eigene „Identität“ (vgl. Zerfaß 1996: 94f.). Aufgrund ihrer spezifischen
Ziele, ihrer eigenen Organisationsstrukturen und -kultur sowie organisationstypischen
Interaktions- und Kommunikationsformen verfügen Organisationen über Eigenkom-
plexität und grenzen sich dadurch gegenüber anderen Handlungszusammenhängen ab.
Je nach theoretischem Hintergrund sind in der einschlägigen Forschung die Per-
spektiven auf Organisationen sehr unterschiedlich ausgeprägt: Teils steht die Frage der
Sicherstellung der Zielerreichung durch formale Strukturen im Vordergrund oder es
wird zudem auch die Relevanz informeller Strukturen betont, die Beziehungen und
Austauschprozesse innerhalb von Organisationen, zwischen Organisationen oder zwi-
schen Organisation und Gesellschaft. Bei aller Unterschiedlichkeit der existierenden
theoretischen Zugriffe können jedoch zwei grundlegende Problemdimensionen im
Kontext von Organisationen beschrieben werden:
(1) Binnenperspektive: Zum einen stellt sich die Frage nach den Modi und Prozes-
sen der organisationsinternen Kooperation, Koordination und Steuerung zahlreicher
beteiligter Individuen und Rollenträger (Organisationsmitglieder) – und damit letztlich
die Frage des Verhältnisses von Handlung und Struktur. In Organisationen agieren und
kooperieren zahlreiche Organisationsmitglieder, die nicht nur die Ziele der Organisati-
on, sondern auch jeweils eigene Ziele verfolgen. Dies macht für die Organisationslei-
tung eine dauerhafte Sicherstellung eines einheitlichen, zielgerichteten Handelns nötig.
Zur Steuerung der organisationsinternen Interaktionen verfügen Organisationen daher
über eine verbindliche Ordnung und eine – in der Regel hierarchisch gegliederte –

2
Dies bedeutet aber zum einen nicht, dass Organisation hier ausschließlich als effizientes Instrument zur
Erreichung spezifischer Organisationsziele angesehen wird und damit die Eigensinnigkeit und Eigen-
willigkeit des Handlungssystems ignoriert wird. Zum anderen impliziert der Verweis auf die Zweckra-
tionalität von Organisationen nicht, dass diese in besonderem Maße rational agieren. Kennzeichnend
für Organisationen ist vielmehr, dass sie ihre Legitimation aus dem Rekurs auf Rationalität beziehen
(Ortmann 2001; vgl. auch Kieserling 2005).
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 33

Struktur (Formalisierung). Schließlich sind sie zentral auf die koordinierenden und in-
tegrierenden Funktionen von Kommunikation angewiesen.
(2) Außenperspektive: Von besonderem Interesse und tendenziell problembeladen
ist zum anderen das Verhältnis von Organisation und Umwelt: Wie grenzen sich Orga-
nisationen gegenüber ihrer Umwelt ab, welchen Einfluss hat die Organisationsumwelt
auf sie, und wie können Austauschprozesse zwischen beiden beschrieben werden? Die
Koordination der Umweltbeziehungen erfolgt dabei über zahlreiche organisationale
Grenzstellen, von denen Public Relations (nur) eine ist.
Zweierlei ist deutlich geworden: Organisationen haben intern wie extern einen er-
heblichen Koordinations- und Steuerungsbedarf. Und Organisationen müssen, wenn
sie als handlungsfähige soziale Akteure betrachtet und anerkannt werden wollen, spe-
zifische Ziele verfolgen und strategisch – und somit erkennbar – agieren.3 Im Rahmen
ihrer Strategieverfolgung greifen Organisationen auch auf Public Relations, und damit
auf die Steuerungsressource Kommunikation, zurück (vgl. dazu Abschnitt 3.2).
Primärer Orientierungspunkt der PR ist – dies legt schon die Beschreibung der PR
als Organisationsfunktion nahe – die jeweils Auftrag gebende Organisation bzw. Or-
ganisationsleitung, deren Ziele und Strategie (Binnenperspektive). Die dominante
Funktion von PR für Organisationen (Außenperspektive) liegt in der Legitimation der
Organisation und der Durchsetzung ihrer Interessen. Das bedeutet, dass Öffentlich-
keitsarbeit primär unter Bezugnahme auf die Spezialsemantik der Organisation, reprä-
sentiert durch die Leitung, agiert und erst in zweiter Linie anhand der Leitdifferenz le-
gitimierend/nicht-legitimierend (vgl. Hoffjann 2001: 138).4
PR strebt an, dass die Ziele und Interessen der Organisation als legitim angesehen
werden und bestenfalls als gemeinsames bzw. gesellschaftliches Interesse, als „aus
übergeordneten gemeinsamen Zielen folgend“ wahrgenommen werden (Fuchs-
Heinritz 1994: 395). Für Organisationen, deren Existenz und deren Interessen von der
Umwelt als legitim angesehen werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ihre
Entscheidungen akzeptiert werden und dies auch, wenn diese im Konflikt mit anderen
Interessen stehen (vgl. Hoffjann 2001: 128). Über die Herstellung und Sicherung von
Legitimation erhält bzw. erhöht Public Relations damit die Freiheitsgrade von Ent-
scheidungen für Organisationen und schafft so die kommunikativen Voraussetzungen
für den Organisationserfolg. Letztlich geht es dabei um die Existenzsicherung der Or-
ganisation.

3
Genau genommen steht allerdings hinter dem „Handeln von Organisationen“ immer das Handeln indi-
vidueller Akteure (vgl. Schneidewind 1998: 42f.; Giddens 1997: 278f.). Organisationen können sich al-
lerdings von den Interessen ihrer individuellen Mitglieder entkoppeln, gleichwohl es die Mitglieder
sind, die die Organisation bilden. Aufgrund der reflexiven Steuerung der sozialen Reproduktion von
Organisationen, die organisationstypische Strukturmuster hervorbringt, die über eine Aggregation indi-
viduellen Handelns hinausgehen, ist es daher gerechtfertigt, von Organisationen als Akteuren zu spre-
chen.
4
In einer Fußnote führt Hoffjann weiter aus: „Es ist nicht denkbar, dass ein System primär mit dem PR-
Code legitimierend versus nicht-legitimierend operiert. Selbst PR-Agenturen übernehmen die Leitdiffe-
renz ihrer Auftraggeber (z.B. Wirtschaft und Politik) und operieren erst unterhalb dieser Ebene mit
dem PR-Code.“ (Hoffjann 2001: 130, Fn. 75)
34 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

Bevor die Legitimationsfunktion der PR detaillierter beschrieben wird, ist eine wei-
tere Differenzierung der PR in Hinblick auf den jeweils fokussierten Systemtypus not-
wendig (vgl. Löffelholz 2000: 187): Der Typ des Funktionssystems wurde mit Blick
auf die PR bereits zu Beginn thematisiert und soll hier, da für die Beschreibung der PR
als Organisationsfunktion nur von geringer Erklärungskraft, nicht weiter verfolgt wer-
den. Bedeutsam ist im Folgenden die generelle Unterscheidung von Public Relations
als Teil einer Organisation (Meso-Ebene) einerseits und als Teil von Handlungs- bzw.
Interaktionssystemen (Mikro-Ebene) andererseits (siehe dazu Abschnitt 3.1). Meso-
und Mikroebene beeinflussen sich dabei wechselseitig und sind miteinander ver-
schränkt – PR kann daher strukturationstheoretisch gefasst werden (vgl. Zerfaß 1996;
Röttger 2000; Theis 1992; Zühlsdorf 2002; siehe hierzu allgemein u.a. Giddens 1997;
Ortmann 1995; Ortmann/Sydow/Windeler 2000). PR-Akteure sind gekoppelt an lei-
tende Positionsinhaber innerhalb der Organisation und an das jeweilige Organisations-
programm. Organisationale Strukturen bilden den Korridor, innerhalb dessen PR-
Rollenträger handeln. PR muss deshalb auch in einer handlungstheoretischen Perspek-
tive gesehen werden, wobei allerdings die Einbindung in Struktur- oder Systemzu-
sammenhänge (Teilsystem sowie Organisationstypus) immer gegeben ist. Organisati-
onsspezifische und teilsystemische Strukturen ermöglichen (und begrenzen) das Han-
deln der PR-Akteure, zugleich werden aber die Strukturen durch eben dieses Handeln,
durch die Anwendung von Regeln und Ressourcen im Handeln, re-produziert (vgl.
Giddens 1997: 81; Neuberger 1995: 291).
Aufgabe der PR ist es, die Koorientierung zwischen der Organisation und Perso-
nen, Akteuren oder Organisationen in der Organisationsumwelt zu fördern und zu sta-
bilisieren. Koorientierung meint die „gemeinsame und koordinierte gedankliche Orien-
tierung an dem gleichen vorgestellten Modell des Handelns“ (Esser 2002: 229). Han-
deln, das aus der jeweiligen Organisationssicht definiert wird und erfolgt, soll so auf-
einander bezogen werden. Mit wem eine Koorientierung angestrebt wird, richtet sich
insbesondere nach dem Grad des Einflusses, den diese Anspruchsgruppen direkt oder
indirekt auf die Organisation und deren Zielerreichung ausüben können (vgl. Freeman
1984). Journalisten sind dabei eine der zentralen Anspruchsgruppen der PR. Ziel der
Koorientierung ist es, intern wie extern die Beobachtungen und anhaltende Interaktio-
nen zu ermöglichen und vor allem zu lenken und zu ‚harmonisieren‘, um so der Orga-
nisation Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen bzw. diese zu erweitern. Die Beein-
flussung der Beobachter und ihrer Beobachtungen basiert dabei auf bereits zuvor ver-
mittelten und verfestigten Deutungsmustern und Werten (Image). PR schafft damit
über eine breit angelegte Imagekreation und Normsetzung den Rahmen, innerhalb des-
sen die Organisation ihre Partialziele durchsetzen soll.
Bislang wurde mit der externen Umweltbeeinflussung – Steuerung von Beo-
bachtung und Interaktion – nur eine Dimension der PR als Organisationsfunktion an-
gesprochen. Eine zweite, ebenso bedeutsame Dimension betrifft die interne Informati-
ons- und Vermittlungsleistung der PR, die Voraussetzung für Selbstbeobachtung und
Reflexierung seitens der Organisation ist (siehe dazu Abschnitt 3.3). Als legitimations-
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 35

fördernde Grenzstelle ist PR durch eine doppelte Wirkungsrichtung gekennzeichnet:


Organisationsextern greift Public Relations auf unterschiedliche Verfahren der Um-
weltbeeinflussung und -kontrolle zurück, die in den folgenden Abschnitten detaillierter
beschrieben werden. Organisationsintern nimmt PR Einfluss auf die Organisationspoli-
tik, um Legitimationspotenziale optimal zu nutzen bzw. insbesondere eine Infragestel-
lung der Legitimität der Organisation zu verhindern. Sie regt damit die Organisation
zur Reflexion an.

3 PR als Organisationsfunktion:
Interpenetration, Steuerung und Reflexierung
PR dient Organisationen nicht nur zur Umweltkontrolle und -beeinflussung mittels der
Ressource Kommunikation, sondern zudem auch zu ihrer Selbstbeobachtung und so-
mit zur Reflexierung der Organisation. Steuerung wie auch Reflexierung setzen die
Existenz von Interpenetrationszonen, also Zonen der wechselseitigen Durchdringung
von Organisationen mit anderen (Organisations)Systemen innerhalb der eigenen Orga-
nisation wie in der Umwelt voraus (vgl. Westerbarkey 1995: 154). PR als Organisati-
onsfunktion kann – wie im Folgenden dargelegt wird – mittels der drei Aspekte Inter-
penetration, Steuerung und Reflexierung umfassend im Hinblick auf ihre Funktionen
und Leistungen für Organisationen beschrieben werden.

3.1 Interpenetration
In Anlehnung an Weber (2004) unterscheiden wir zwischen dem abstrakt-analytischen
Begriff der Interpenetration und dem empirisch angelegten Konzept der Interpenetrati-
onszonen. Organisationen etablieren mittels Public Relations, aber auch mittels anderer
organisationaler Grenzstellenfunktionen, Interpenetrationszonen innerhalb der eigenen
Organisation wie mit anderen Systemen in ihrer Umwelt. In Interpenetrationszonen
stellen Sozialsysteme sich – ohne ihre eigene Identität preiszugeben – ihre Strukturen
wechselseitig zur Verfügung, um die eigene Effektivität zu optimieren bzw. sich ge-
genseitig beeinflussen zu können. Der hier verwendete Interpenetrationsbegriff wird
damit nicht im Sinne der orthodoxen Systemtheorie verstanden und verwendet (vgl.
Münch 1987). Westerbarkey beschreibt Interpenetration als
„wechselseitige Durchdringung von Systemen mit fremden Leistungsanforderungen […]: Sy-
steme übernehmen Leistungen anderer zwecks Erhöhung eigener Effizienz, etwa durch Im-
port von Operationsmustern. Damit entlasten sie diese zugleich von Komplexität und funk-
tionalen Problemen, was zu beiderseitiger Leistungssteigerung führen kann. Leistungstransfer
von Systemen läßt sich gewöhnlich in Interpenetrationszonen lokalisieren, wo Operationen
des „Muttersystems“ denen des Partners angepaßt oder sogar partiell vom Partner kontrolliert
und gesteuert werden. Insofern folgen Interpenetrationen letztlich dem dialektischen Prinzip,
Getrenntes und Gegensätzliches zu vereinen.“ (Westerbarkey 1995: 154f., H.i.O.)
Organisationen etablieren durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Maßnahmen, und
partiell mit Unterstützung ihrer jeweiligen PR-Organisationseinheiten, diese nötigen
gemeinsam geteilten Bereiche mit bedeutsamen Gruppen, Organisationen oder Akteu-
36 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

ren in ihrer Umwelt wie aber auch organisationsintern. Interpenetrationszonen sind ei-
nerseits eine Voraussetzung für Reflexierung und Steuerung, andererseits stellen sie
aber auch ein Risiko dar, das darin besteht, durch diese externen Steuerungseinflüssen
ausgesetzt zu sein. An einzelnen Beispielen, hier nur bezogen auf Versuche zur Um-
weltbeeinflussung, soll dies knapp illustriert werden.

Medien: Medienfinanzierung
Organisationen aus dem Teilsystem Wirtschaft wirken vollständig (Kundenzeit-
schriften) oder partiell an der Finanzierung von Medien(-organisationen) und Medien-
produkten mit. Dies geschieht offen und verdeckt. ‚Verdeckt‘ ist eine Praxis zu nen-
nen, bei der ein Unternehmen (Fach-)Zeitschriften auf den allgemein zugänglichen
Markt bringt, sich dazu eines Verlages bedient, ohne aber für den Rezipienten die Ei-
gentumsverhältnisse oder die Zugehörigkeit zu einem Unternehmen oder Dienstleister
offenzulegen. Eine Praxis, die zum Beispiel im Bereich der Computer- oder Life Style-
Produkte zu beobachten ist: Im Gewand publizistischer Produkte wird versucht, Mar-
keting- und PR-Ziele unmittelbar und direkt umzusetzen. Zudem ist es Akteuren der
Wirtschaft möglich, durch die Verteilung von Werbemitteln oder Sponsoringgeldern
strukturell wie auch fallweise auf Medienunternehmen, Produkte wie auch einzelne re-
daktionelle Medienangebote Einfluss zu nehmen (vgl. hierzu auch Szyszka 1997).
Durch Einflussmöglichkeiten – vorrangig mittels der Ressource Geld – auf die Medi-
enstruktur werden Interpenetrationszonen konstituiert, auf eine gewisse Dauer gestellt,
und es werden zugleich die Voraussetzungen für Interaktionen geschaffen. Maßnah-
men beispielsweise von Wirtschaftsorganisationen, die auf den Journalismus abzielen,
wie z.B. Formen der Thematisierung, Dethematisierung, Framing und gezieltem Pri-
ming (siehe hierzu Hallahan 1999), sind einerseits durch den Typus der jeweiligen
Medienorganisation und andererseits durch die vorhandenen Formen der Beeinflus-
sung der Medien, in diesem Fall durch die Wirtschaft, präformiert. Den Rezipienten ist
dies nur in den Fällen bekannt, wo dies offensichtlich ist, so beispielsweise bei Kun-
denzeitschriften (vgl. hierzu auch Röttger 2002).
Das Einflusspotenzial der PR ist dabei wesentlich vom Ressourcenpotenzial ihrer
jeweiligen Organisation abhängig: Organisationen, die beispielsweise Medien finan-
zieren oder wesentlich zur Medienfinanzierung beitragen (so über Zahlungen für Wer-
beleistungen), verfügen über einen strukturellen Machtvorteil gegenüber den Medien,
der auch – gleichsam als Folge – für die Öffentlichkeitsarbeit gilt. Die PR solcher Or-
ganisationen ist zumeist ‚mächtiger‘ als die anderer Organisationen, weil für die be-
zahlten Werbeleistungen auch (kostenlos) zu erbringende redaktionelle Leistungen ge-
fordert werden können. Bestimmte Branchen oder Akteure bspw. aus dem Wirtschafts-
system strukturieren durch Werbezahlungen – zumindest Teile – des Medienmarkts
vor, um dann auf dieser Folie bspw. durch PR-Maßnahmen zusätzlich agieren zu kön-
nen. Als Beispiel dafür können – vorsichtig formuliert – die allgemein PR-nahe Auto-
Berichterstattung und die gleichzeitig hohen Werbeausgaben der Automobilindustrie
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 37

genannt werden. So war die Automobilindustrie im Jahr 2007 auf Platz 2 der werbe-
stärksten Branchen (vgl. ZAW 2008).

Journalismus: Pressearbeit und Beziehungsmanagement


Wie PR-Stellen in Bezug auf den Journalismus agieren, ist – wie bereits angesprochen
– auch vom strukturellen ökonomischen Einflusspotenzial der Organisation abhängig,
für die die PR-Rollenträger dann tätig werden. Denn die Bedingungen in den Redak-
tionen und allgemein in Medienorganisationen, auf die Organisationen aus anderen
Teilsystemen einwirken (u.a. durch Formen des Sponsorings und der Werbung), prä-
formieren journalistische Entscheidungs- und Handlungsprogramme und auch das
journalistische Selbstverständnis. PR-Akteure wissen um diese – von ihnen mit ge-
schaffenen Strukturbedingungen –, und sie wirken vor diesem Hintergrund auf Journa-
listen und deren Auswahlprogramme ein.
PR-Akteure bauen im Auftrag der Organisation systematisch Beziehungen zu Jour-
nalisten auf, um sich damit – jenseits der Bemühungen um strukturelle ‚Beziehungs-
pflege‘ durch Geldzahlungen (Werbung, Sponsoring) – prozessuale Einflussmöglich-
keiten zu sichern. Diese Form der Einflussgewinnung ist auch deshalb nötig, weil di-
verse Organisationen allein eines Teilsystems in Konkurrenz untereinander und zu-
gleich auch miteinander in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Journalisten bzw.
der Medien stehen. PR-Akteure sind aufgrund dieser bestehenden Konkurrenzverhält-
nisse bestrebt, mit Journalisten spezifische, auf Dauer gestellte Handlungssysteme zu
konstituieren (vgl. Jarren/Röttger 1999). Diese Handlungssysteme können anhand
räumlicher, sozialer, sachlicher und zeitlicher Kriterien unterschieden werden. So un-
terscheiden sich beispielsweise die Regeln und Interaktionen zwischen PR und Journa-
lismus in den Teilsystemen Politik oder Wirtschaft voneinander, und es können Kri-
sensituationen vom Routinefall unterschieden werden.
Die Bildung dieser Handlungssysteme, die als Sozialsysteme aufgefasst werden
können, geht von PR-Akteuren und deren Organisationen aus. Denn PR-Akteure
möchten sicherstellen, dass sie ihren Zielen entsprechend Themen in den Medien un-
terbringen können, Thematisierungen durch Medien verhindern oder beeinflussen kön-
nen (Themen- und Terminkontrolle) oder im Fall von Thematisierungen durch Kon-
kurrenten oder kritische Anspruchsgruppen angehört werden bzw. Berücksichtigung
mit ihren Positionen finden.
Journalisten profitieren von den Handlungssystemen, weil so für sie Informations-
märkte konstituiert und ‚übersichtlich‘ gestaltet werden. Durch Pressekonferenzen,
Hintergrundgespräche, Pressegespräche, Jour-Fixe-Angebote u.ä. wird der Informati-
onsmarkt konstituiert, und es werden zugleich Interaktionsmöglichkeiten geschaffen
(vgl. Theis 1992). Dadurch verringert sich für Journalisten der Aufwand für die Nach-
richtenbeschaffung und Vorselektion. Journalisten sind an guten Kontakten zu Infor-
mationsquellen und damit auch zu PR-Akteuren interessiert, um mit exklusiven und
aktuellen Informationen ihren Wert beim Publikum und auch innerhalb der Redaktion
zu steigern. Sie möchten im Routinefall möglichst Ressourcen sparend (Zeit und Ko-
38 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

sten), rasch, zuverlässig und bestenfalls exklusiv Informationen erhalten – dies auch,
um sich dann entscheiden zu können, für welches Thema sie mehr Zeit aufwenden und
eigene Recherchen durchführen.
Handlungssysteme basieren auf konstitutiven Regeln, die von den beteiligten Ak-
teuren ausgehandelt werden, wobei die PR-Akteure durch ihre Initiative im „Vorteil“
gegenüber den Journalisten sind: Sie bestimme das soziale Setting. Natürlich: Der Ein-
fluss der PR-Akteure variiert organisations- und teilsystemspezifisch und unterscheidet
sich zudem fallweise: So ist beispielsweise bei Pressekonferenzen im Normalfall der
Einfluss der PR-Akteure auf konstitutive Regeln sehr hoch, während in Krisensituatio-
nen der Einfluss der PR deutlich niedriger ausfällt (vgl. dazu bspw. Barth/Donsbach
1992). Wichtig ist, dass die PR-Akteure strukturierend agieren und insoweit stark re-
gel- und normsetzend zu wirken vermögen (Konstitutionsphase). Zudem werden im
Rahmen der Interaktion regulative Regeln aufgestellt, die zukünftige Interaktionen
zwischen Journalisten und PR-Akteuren beeinflussen. So entsteht bzw. stabilisiert sich
ein gemeinsamer Bereich zwischen Journalisten und PR-Akteuren mit eigenen konsti-
tutiven und regulativen Regeln (vgl. Jarren/Donges 2006).5
Durch anhaltende Interaktionen wird nicht nur das soziale Beziehungsnetz auf-
rechterhalten, also das Handlungssystem auf eine gewisse Dauer gestellt, sondern zu-
gleich wird seitens der PR durch eben diese anhaltende Interaktion eine Angleichung
von Sichtweisen, Deutungen, Regeln und Normen mit Journalisten angestrebt (Koo-
rientierung). Und schließlich wird vor allem durch die Interaktionen die Beobachtung
gelenkt, um eine bestimmte – der Organisation nützliche – Sichtweise auf Sachverhalte
zu ermöglichen und zu erzielen. Alle drei genannten Punkte – Beziehungsnetz, Nor-
men- und Regelbildung sowie Steuerung der Beobachtung – sind bedeutsam für die
Frage, ob und inwieweit PR auch unter spezifischen situativen Bedingungen, also zum
Beispiel in Krisensituationen, ihren Einflussgrad auf Journalisten erhalten kann.

3.2 Steuerung
Der Begriff der Steuerung wird im Zusammenhang mit Public Relations nur selten
verwendet, wohl vor allem deshalb, weil Steuerung assoziative Bezüge zu Manipulati-
on, Propaganda und anderen als unzulässig angesehenen Formen der (Massen-) Beein-
flussung nahelegt. Der hier verwendete Steuerungsbegriff bezieht sich aber nicht bzw.
nicht primär auf manipulative Formen, sondern bezeichnet im Sinne einer sozialwis-
senschaftlichen Steuerungstheorie ganz allgemein das „Einwirken eines Systems auf
ein anderes, wodurch dessen Verhalten, Struktur, Funktion oder Eigenschaften ent-
sprechend dem Programm oder Algorithmus des steuernden Systems festgelegt oder
verändert werden“ (Haufe 1989: 993). Steuerung ist damit allgemein und auch im
Kontext der Public Relations weder per se gut oder schlecht, legitim oder illegitim.
Vielmehr bietet der Steuerungsbegriff ein großes heuristisches Potenzial, denn er er-
möglicht die Beschreibung von Public Relations unter Rückgriff auf den Steuerungs-
5
Empirisch wäre zu untersuchen, ob durch konstitutive Regeln auch das strukturelle Machtverhältnis
zwischen PR und Journalismus bestimmt wird.
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 39

begriff als eine systematische Analyse der Steuerungsziele und -modi, der Akteure,
Ressourcen und Instrumente der PR (vgl. Willke 1995).
Steuerung wird je nach theoretischer Einbettung in System- oder Handlungs-
theorien sehr unterschiedlich definiert (einen Überblick liefern Jarren/Donges 2000:
29ff.): Zentral ist dabei, und zwar unabhängig vom jeweiligen theoretischen Hinter-
grund der Perspektive auf Steuerung, die Frage, unter welchen Bedingungen Steue-
rung, d.h. intendierte, also zustandsverändernde Interventionen, möglich ist. Willke be-
schreibt Interventionen als „[....] das Bewirken eines bedeutsamen Unterschieds in der
Operationsweise eines Systems.“ (Willke 1999: 125). Die Wirkungen von externen In-
terventionen, d.h. von Steuerung sind vom internen Operationsmodus des jeweiligen
Systems, das Gegenstand von Steuerung ist, abhängig (vgl. Willke 1999: 109). Nach
Willke ist Steuerung im Fall nicht-trivialer Systeme damit ausschließlich denkbar in
Form von interner Selbststeuerung und externer Kontextsteuerung (vgl. Willke 1998:
VII). So kann die Finanzierung von einzelnen Medien oder Medienangeboten durch
Werbung und Sponsoring als Versuche einer Kontextsteuerung aufgefasst werden: Es
soll eine bestimmte Ausrichtung des Medienangebots erreicht werden. Zwar finden
Versuche der Kontextsteuerung ihre Grenzen aufgrund der Konkurrenzsituation zwi-
schen den werbetreibenden Medienunternehmungen, aber strukturell werden damit in-
nerhalb eines bestimmten Mediensegments, beispielsweise bei bestimmten Medienty-
pen (Kundenzeitschrift) oder Formaten (Wettersendungen), Voraussetzungen für spe-
zifische PR-Aktivitäten geschaffen.
Wir betrachten die hier eingeführten Interpenetrationszonen, im Sinne von gemein-
sam geteilten Bereichen, die den Rahmen für Steuerung schaffen, ebenfalls als eine
Form der externen Kontextsteuerung. Interpretationszonen werden vor allem durch
PR-Organisationseinheiten geschaffen und auf Dauer gestellt, um einen Austausch mit
der Umwelt zu erreichen, natürlich entsprechend den eigenen Organisationszielen. In-
terpretationszonen ermöglichen der PR-Organisationseinheit aber zugleich auch, In-
formationen aus der Umwelt zu erhalten. Durch Handlungssysteme werden die Inter-
pretationszonen konstituiert, die alle Beteiligten auch zur Durchsetzung ihrer jeweili-
gen Ziele und Interessen nutzen (wechselseitige Information; Aushandlungen).
Steuerung unterstellt damit gerade nicht – wie teils innerhalb der Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft kritisiert – eine unilineare Kausalität von Ursache und
Wirkung in den Beziehungen von Organisation und Umwelt, sondern es kommt zur
Herausbildung einer Interaktionsstruktur, die auf einer gewissen Wechselseitigkeit be-
ruht. Wechselseitigkeit trifft selbst auf Formen der hierarchischen Steuerung bspw.
durch den Staat zu: Auch bei rechtlich-politischen Steuerungsprogrammen wird mehr
und mehr auf Partnerschaftlichkeit, Aushandlung und wechselseitige Berücksichtigung
von Interessen geachtet. Hierarchische Steuerung ist zwar dem politischen System mit-
tels der Steuerungsressource Recht prinzipiell möglich, aber es wird aufgrund von
möglichen Fehlentscheidungen und negativen Auswirkungen (‚Bürokratisierung‘,
‚Fehlsteuerung‘) mehr und mehr auch davon abgegangen bzw. nach neuen Formen ge-
sucht. Das ist auch der Grund dafür, dass politisch-rechtliche Steuerung verstärkt ei-
40 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

genständigen Organisationen wie Regulierungsbehörden übertragen wird, statt die


Aufgabe direkt durch staatliche Instanzen hoheitlich (und damit ausschließlich hierar-
chisch) bearbeiten zu lassen. Die Annahme einer simplen Input-Output-Kausal-
mechanik, die vielfach noch mit älteren Steuerungskonzepten verbunden ist, mag viel-
leicht trivialen Systemen gerecht werden, nicht aber hochkomplexen Systemen mit au-
tonomer Steuerungslogik und zirkulären Operationsweisen (vgl. Foerster 1993; Willke
1999: 30ff.). Also: governance statt government.
Die Überlegungen zu den Bedingungen und Möglichkeiten von Interventionen
bzw. Steuerung von Prozessen in wie auch zwischen komplexen Systemen machen
deutlich, dass mit Fragen der Steuerung System-Umweltbeziehungen und interrelatio-
nale Aspekte zwischen Steuerungssubjekt und -objekt in den Mittelpunkt der Analyse
geraten. Denn der Prozess der Steuerung ist nur zu verstehen, wenn interrelationale
Aspekte berücksichtigt werden.
PR ist Steuerung vorrangig mittels Kommunikation. In der Steuerungstheorie wird
allerdings Information – neben Recht bzw. Regeln und Normen, Geld und Wissen – als
eine Steuerungsressource angesehen. Hier wird von Kommunikation gesprochen, weil
es nicht allein Informationen sind, die PR einsetzt, sondern sie verknüpft Informatio-
nen vielfach mit spezifischen Formen der Interaktion. Um diesen Handlungsbezug
deutlich zu machen, wird im Folgenden von „Kommunikation“ als Steuerungsressour-
ce gesprochen. Die kommunikative Steuerung erfolgt aus organisationaler Perspektive,
d.h. sie ist intentional, strategisch, persuasiv und interessengeleitet, und dies sowohl
organisationsintern wie auch organisationsextern. PR strebt dabei – über die Vermitt-
lung von Informationen hinaus – Regelsetzung und Normenbildung an, um Partialziele
im Kontext des so erzeugten Rahmens (Image) durchsetzen zu können. Damit zielt PR
darauf ab, den Freiheitsgrad von Entscheidungen für eine Organisation – in einem wei-
ten Sinne – zu erhalten bzw. zu erhöhen (Legitimation). Dies geschieht nicht zuletzt
durch die gezielte und wiederholte Beeinflussung von als relevant angesehenen Um-
welten und Gruppen in der Organisationsumwelt.
Damit sind auch die Steuerungsobjekte bzw. Zielgruppen prinzipiell benannt: Be-
sonders relevant sind in diesem Zusammenhang Multiplikatoren, Opinion Leader,
Journalisten und eben Medien, weil sie für gesellschaftliche bzw. teilsystemische Wil-
lensbildungs-, Entscheidungs- und Deutungsprozesse bedeutsamer sind als andere Ak-
teure. Journalisten und allgemeine publizistische Medien sind von besonderer Rele-
vanz, weil sie teilsystemübergreifende Kommunikation sichtbar machen und ermögli-
chen, und weil sie sich zudem vergleichsweise ressourcengünstig erreichen lassen.
Opinion Leader wie auch Journalisten sind schließlich aufgrund ihrer Kenntnisse über
andere Organisationen wie Personen von zentraler Bedeutung: Sie sind nämlich nicht
nur Steuerungsobjekte der PR, sondern sie sind zugleich auch Informanten für die PR.
Deshalb wird der Austausch mit diesen Akteuren systematisch gepflegt und durch die
Etablierung von – unterschiedlichen – Handlungssystemen auf Dauer gestellt.
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 41

Organisationstyp- und handlungsfeldspezifische


Unterschiede der Steuerung durch PR
Steuerungstheoretisch gesehen ist Kommunikation aber nur eine Steuerungsressource
für Organisationen und damit auch für die PR: Geld, die Fähigkeit zur Norm- und Re-
gelsetzung oder Wissen sind beispielsweise weitere wichtige Steuerungsressourcen.6
Welche Ressourcen vorrangig zur Verfügung stehen und eingesetzt werden können, ist
nicht nur teilsystemisch geprägt, sondern differiert zudem in Abhängigkeit vom Orga-
nisationstypus wie dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Ressourcen. Or-
ganisationen werden zur Lösung spezifischer Probleme gebildet und Organisations-
zweck und -ziele definieren das Grundproblem, welches die Organisationen mit ihren
Leistungen prozessiert. Sie prägen damit auch die Unterscheidung, die der Beobach-
tung der Umwelt durch die Organisation und den Organisations-Umwelt-Beziehungen
zugrunde liegt.
Im Hinblick auf die Frage des Verhältnisses von Organisation und Gesellschaft
bzw. präziser von Organisation und gesellschaftlichen Funktionssystemen herrschte
über lange Zeit die Auffassung vor, dass Organisationen einzelnen Funktionssystemen
eindeutig zugeordnet werden können und diese die Codes und Programme „ihrer“
Funktionssysteme im Sinne einer dominanten Leistungsorientierung übernehmen. Ent-
sprechend treten Organisationen z.B. als politische, wirtschaftliche oder wissenschaft-
liche Organisationen auf und gelten dann jeweils als Teil des Politik-, Wirtschafts-
oder Wissenschaftssystems. Unter anderem mit Blick auf Organisationen, die sich
nicht eindeutig einer Systemlogik und einem gesellschaftlichen Funktionssystem zu-
ordnen lassen – z.B. öffentliche Verwaltungen mit Referenzen sowohl zu Recht wie
auch Politik (vgl. Bora 2001) – ist die mehr oder weniger feste Zuordnung von Organi-
sationen zu gesellschaftlichen Funktionssystemen jedoch zunehmend in Frage gestellt
(vgl. Kneer 2001; Hasse/Krücken 2005; siehe auch Kussin in diesem Band).
Kneer weist darauf hin, dass Organisationen mit einer Vielzahl von Funktionssy-
stemen operativ und strukturell gekoppelt sind (vgl. Kneer 2001: 416f.) Damit wird
auch die bislang implizit vorhandene Beziehungsarchitektur von Funktionssystemen,
denen einzelne Organisationen nicht mehr als Subsysteme unter- bzw. zugeordnet sind,
in Frage gestellt:
„Organisationen lassen sich nicht, so haben die vorhergehenden Überlegungen gezeigt, ge-
sellschaftlichen Subsystemen eindeutig zuordnen, auch bilden sie keine Teilsysteme von
Funktionssystemen. [...] Aus dem Gesagten ziehe ich die Schlussfolgerung, dass Organisatio-
nen nicht innerhalb, sondern außerhalb von Funktionssystemen, also in deren Umwelt operie-
ren.“ (Kneer 2001: 415)
Mit Christof Wehrsig und Veronika Tacke (1992) können Organisationen als „multire-
ferentielle“ Sozialsysteme bezeichnet werden, die Referenzen zu verschiedenen Funk-
tionssystemen aufweisen. Unmittelbar einleuchtend ist diese Multireferentialität z.B.
bei Universitäten, für die sich nicht klar entscheiden lässt, ob sie sich primär an Ge-

6
Willke (1995) unterscheidet die drei zentralen Steuerungsmedien Macht, Geld und Wissen, die gesell-
schaftlichen Teilsystemen zur Verfügung stehen.
42 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

sichtspunkten der Forschung (Wissenschaft) oder der Lehre (Erziehung) orientieren


(vgl. Schimank 1993: 41).
Die Überlegung der Multireferentialität gilt grundsätzlich für alle Organisationen,
allerdings schließt sie nicht zugleich aus, dass einzelnen Organisationen eine primäre
Leitdifferenz gemäß eines gesellschaftlichen Funktionssystem zugewiesen werden
kann: So agieren politische Parteien in erster Linie gemäß einer politischen Rationali-
tät, während Unternehmen in erster Linie einer ökonomischen Logik verpflichtet sind
(vgl. hierzu ausführlicher Kussin in diesem Band). Und so sehr zum Beispiel städtische
Theater heute am Markt zum Zuschauer konkurrieren und sich um die ökonomische
Absicherung ihrer Arbeit kümmern müssen – leitend für die Arbeit sind aber in der
Regel doch künstlerische Maßstäbe.
Für Public Relations bedeutet dies schließlich, dass ihre Funktionen und Leistungen
vorrangig von den Bedingungen ihrer Organisation abhängig sind. In dem Maße, in
dem Organisationen zudem eine Leitdifferenz zu einem Funktionssystem zugestanden
werden kann, ist PR zudem teilsystemisch geprägt. Die Existenz teilsystemischer Prä-
gung der PR wird durch PR-Studien bestätigt: Mit empirischem Blick (Röttger/Hoff-
mann/Jarren 2003; Röttger 2000) lassen sich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten
zwischen PR-Einheiten aus wirtschaftlichen oder bspw. staatlichen Organisationen
ausmachen. Während sich die Öffentlichkeitsarbeit von staatlichen Verwaltungen er-
wartungsgemäß durch eine starke Gesellschaftsorientierung und eine dominante In-
formationsfunktion auszeichnet, ist bei ökonomischen Organisationen ein stärker
marktbezogenes Verständnis von PR auszumachen – Interessenausgleich, Dialog und
Legitimation sind zentrale Stichworte der Selbstbeschreibung des unternehmerischen
PR-Verständnisses (vgl. Röttger/Hoffmann/Jarren 2003). Auch auf der Ebene von
Handlungs- bzw. Interaktionssystemen ist der Grad an Unterschiedlichkeit markant.
Allerdings zeigt sich, dass ein übergreifendes, von PR und Journalismus gebildetes
Handlungsfeld, mit eigenen Regeln und Strukturen existiert.
Die organisationstyp- bzw. teilsyststemspezifischen Unterschiede hinsichtlich der
PR-Verständnisse, PR-Praktiken und der relevanten Steuerungsressourcen sollen im
Folgenden exemplarisch anhand wirtschaftlicher und politischer Organisationen skiz-
ziert werden.
a) Kennzeichnend für das Teilsystem Wirtschaft ist die geldwerte Befriedigung von
Bedürfnissen im Rahmen von Marktbeziehungen. Im Mittelpunkt steht die Sicherstel-
lung von Zahlungsbeziehungen: Zahlung/Nichtzahlung ist der primäre Code und Geld
die zentrale Steuerungsressource. Die Bearbeitung des Marktes und eine entsprechende
Kommunikation, die primär zur Erreichung von Gewinnzielen eingesetzt werden –
Transaktionen schaffen, erhalten und effizient gestalten –, sind daher für ökonomische
Organisation von zentraler Bedeutung (vgl. dazu zusammenfassend Herger 2004). Dies
erklärt, weshalb bei Unternehmen vorrangig solche Organisationseinheiten von Bedeu-
tung sind, die entsprechend der dort gebräuchlichen Steuerungsressource agieren – also
beispielsweise die Bereiche Werbung und Marketing. Die Relevanz von Kommunika-
tion, die sich in erster Linie auf nichtökonomische Handlungsfelder und nicht markt-
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 43

verbundene Zielgruppen bezieht – u.a. Public Relations – misst sich in erster Linie
daran, inwieweit sie geeignet ist, die Bedingungen für den Organisationserfolg zu ge-
stalten, d.h. die Voraussetzungen für optimale Transaktionsprozesse herzustellen. In-
nerhalb der Marktkommunikation kommt PR eine subsidiäre Bedeutung zu, da sie in
der Regel keinen unmittelbaren Beitrag zur Sicherstellung und Optimierung von Zah-
lungsbeziehungen leistet.
b) Im Mittelpunkt des Systems Politik steht die Produktion und Durchsetzung all-
gemeinverbindlicher Entscheidungen insbesondere mittels der Ressource Recht: Durch
Gesetze und Verordnungen regelt das politische System Beziehungen innerhalb von
und zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen. Innerhalb des politischen Systems kön-
nen unterschiedliche Akteure – der Interessenartikulation, -aggregation und –durch-
setzung – unterschieden werden, die jeweils unterschiedlichen Regeln und Normen
(vgl. Jarren/Donges 2006) und damit auch (rechtlich) unterschiedlichen Kommunikati-
onsanforderungen unterliegen. So sind beispielsweise Regierung und Verwaltung in
ihrem Informations- und Kommunikationshandeln zu Angemessenheit, Wahrheit und
Wahrhaftigkeit verpflichtet, und ihnen sind bestimmte Formen der persuasiven Kom-
munikation, z.B. in Form von hochselektiven Informationsangeboten, wie auch be-
stimmte werbliche Formen untersagt.

Organisationen greifen im Zuge ihrer Strategieverfolgung und der Gestaltung von un-
terschiedlichen Umfeldbeziehungen auf alle Ressourcen zurück, die ihnen zur Verfü-
gung stehen. Es ist deutlich geworden, dass Organisationen je nach primären Leitdiffe-
renzen und der Art und Ausprägung ihrer Multireferentialität unterschiedliche Steue-
rungsressourcen zur Verfügung stehen – und Kommunikation ist nur eine davon. Es
kommt ein weiterer Aspekt hinzu, der die Relevanz von PR bestimmt bzw. begrenzt:
Kommunikation ist, das sei abermals betont, zwar eine vielseitig einsetzbare, aber in
ihren Wirkungen relativ schlecht – zumal vorab – einschätzbare und somit „riskante“
Ressource. Ihre Wirkung ist und bleibt zudem immer nur partiell evaluierbar. Und da
Kommunikation nur begrenzt als ein hierarchisches und wirkungssicheres Steue-
rungsmittel geeignet ist, wird sie in der Regel in Verbindung mit anderen Steuerungs-
ressourcen durch die Organisation(sleitung) eingesetzt. So können Organisationen aus
dem Teilsystem Wirtschaft mittels Geld beispielsweise eigene Medien herausgeben,
sich an Medienunternehmen wirtschaftlich beteiligen oder in Redaktionen tätige Jour-
nalisten für Leistungen direkt bezahlen. Ein anderes Beispiel: Organisationen aus dem
Teilsystem Politik können als Steuerungsressource zur Erreichung ihrer Ziele vor al-
lem das Mittel Recht einsetzen, sie verfügen zum Teil allerdings auch über die Mög-
lichkeit, Geld für bestimmte Leistungen zu bieten (z.B. in Form von Subventionszah-
lungen oder der Gewährung von Steuervorteilen).
Deshalb unterscheidet sich die Bedeutung von PR-Instrumenten und -Techniken
und ihre Einsatzhäufigkeit je nach Teilsystem, und – noch weiter differenziert betrach-
tet – nach Organisationstypus – also nach strukturellen Faktoren – und schließlich
dann auch noch nach situativen Bedingungen (bspw. Akteurskonstellationen). PR-
44 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

Formen wie das Sponsoring, die im Wirtschaftssystem eingesetzt werden, sind im


Teilsystem Politik nicht vorstellbar. Sponsoring gehört genuin zum Wirtschaftssystem;
mittels der Ressource Geld wird auf die Umwelt eingewirkt, um optimale Marktbedin-
gungen zu erreichen. Zur Frage der teilsystemischen Formation und Relevanz einzel-
ner PR-Instrumente fehlen allerdings noch weiterführende empirische Studien.
Organisationen bedienen sich in Verfolgung ihrer Ziele also nie allein der PR und
Öffentlichkeitsarbeit nicht allein der Ressource Kommunikation, eben weil mittels
Kommunikation nicht zielgenau und wirkungssicher gearbeitet werden kann. PR wird
daher im Rahmen der teilsystemischen wie auch organisationalen Möglichkeiten mit
unterschiedlichen Steuerungsressourcen kombiniert. Wie wir empirisch beobachten
können, setzt sie Geld ein (‚Bestechung‘, ‚Kauf von Leistungen‘ u.a.m.) und sie greift
auch auf andere Machtmittel (Ermöglichung und Entzug von Ressourcen u.a.m.) zu-
rück. PR agiert dabei offen wie aber auch verdeckt, so bei der Beteiligung an politi-
schen Willenbildungs- und Entscheidungsprozessen durch Formen des Lobbyings.

3.3 Reflexierung
Imagekreation, Steuerung, ‚Harmonisierung‘ von Beobachtung und Regelsetzung
durch anhaltende Interaktionen – diese Beschreibungen machen deutlich, dass PR als
Grenzstelle durch einen systeminternen und -externen Umweltbezug gekennzeichnet
ist: PR agiert unter primärer Bezugnahme auf die organisationale Leitdifferenz, sie ist
aber zugleich darauf angewiesen, die spezifische Semantik bzw. eigene Systemlogik
der jeweiligen Umweltsysteme (bzw. Stakeholder) zu kennen und zu berücksichtigen,
denn eine nachhaltige Beeinflussung von Beobachtung bedarf der Bezugnahme auf
den Beobachter und dessen Beobachtungskriterien. Im Sinne des Managements von
Kommunikationsbeziehungen vermittelt PR vorrangig zwischen den unterschiedlichen
Spezialsemantiken von Organisation und Umwelt und nimmt damit eine zentrale
Übersetzungs- und Vermittlungsstelle ein. PR obliegt damit – neben der Mitwirkung
an der Steuerung von Organisationsumwelten im Interesse der Organisation – die an-
haltende Reflexierung der systemeigenen Bedingungen der Organisation, die für das
Entscheidungsprogramm und die Entscheidungsträger der Organisation relevant sind
bzw. sein können. Es ist Aufgabe der PR, auf der Basis systematischer Umweltbeob-
achtung legitimations- bzw. organisationsrelevante Informationen aus der Organisati-
onsumwelt in die organisationale Systemreproduktion einzuspeisen. Beobachtungen
der PR erfolgen dabei – im Unterschied zum Journalismus – immer aus der strategi-
schen und normativen Orientierung einer Organisation heraus, d.h. selektiv bezogen
auf deren Ziele und Strategie und verfolgen stets explizite Wirkungsabsichten. PR
muss Umweltinformationen so ‚übersetzen‘, dass sie von der Organisation als ent-
scheidungsrelevante Informationen erkannt und dann verarbeitet werden können. Über
die Einspeisung von Fremdbeobachtungen in die organisationale Systemreproduktion
ermöglicht PR zugleich die Reflexierung der Organisation.
PR schafft den Rahmen für Reflexion und Selbstbeobachtung durch Infor-
mationsbeschaffung, durch die Ermöglichung von Beobachtung und Interaktion und
Steuerung, Reflexierung und Interpenetration 45

dies sowohl organisationsintern wie auch -extern, innerhalb des organisationsspe-


zifischen Teilsystems und auch teilsystemübergreifend (Monitoring, Medienreso-
nanzanalysen u.a.m.). Ziel ist es, eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Selbst-
und Fremdbeschreibung zu erzielen, um damit eigene Interessen (besser und ‚begrün-
deter‘) durchsetzen zu können.
Insbesondere mit Blick auf externe aber auch interne Umwelten wird die Orga-
nisation von der PR als Ziel- und Wertegemeinschaft beschrieben (Imagekreation), um
die Organisation zu einem eineindeutig erkennbaren Akteur werden zu lassen. Dabei
soll nicht Aufmerksamkeit in einem allgemeinen Verständnis erzielt und erreicht wer-
den, sondern es sollen nur jene Formen von Aufmerksamkeit erreicht werden, die nötig
sind, um die Beobachtung durch als relevant angesehene Dritte zu lenken.
Die Beobachtung wird durch das von der PR vorrangig entwickelte und be-
reitgestellte kommunikative Angebot gelenkt. Dieses Angebot ist zweckorientiert und
soll das notwendige Maß an Koorientierung innerhalb einer Organisation (interne PR)
wie auch zwischen Organisation und (Umwelt-)Akteuren (externe PR) erreichen.
Durch Formen der Interaktion wird versucht, die Beobachtung und damit auch die Se-
lektion zu lenken. Interaktionen sind vor allem dort nötig, wo Beobachtung aufgrund
organisations- bzw. teilsystemfremder Kriterien erfolgt und wo der mögliche Beitrag
einer Fremdbeschreibung besondere Bedeutung besitzt (Journalisten, Medien).

4 Fazit
Ob Organisationen es wollen oder nicht: Beobachtung und Interaktion finden anhal-
tend statt. Die Steuerung dieser Prozesse ist die zentrale Aufgabe der Public Relations.
Dies versucht sie situativ, aber auch prospektiv, indem sie eine Verstetigung anstrebt
(strategische PR). Dazu schafft sie die entsprechenden Voraussetzungen: Beobachtung
versucht sie durch Formen der unmittelbaren Teilhabe (z.B. ‚Tag der Offenen Tür‘)
und durch Formen der mittelbaren Teilhabe (z.B. Medienkonferenzen, Medienmittei-
lungen) zu lenken. Die Selektionsentscheidungen der Teilhabenden wie der Beobach-
ter versucht sie auf der Basis von bereits vermittelten Zielen und Werten (Image) zu
beeinflussen. Jede Organisation ist daran interessiert, auch durch kommunikative
Maßnahmen und Imagekreation den eigenen Handlungsspielraum zu erhöhen oder
zumindest zu erhalten, aber zugleich darf aus dieser ‚Selbstbindung‘, die freiwillig er-
folgt, keine ‚Selbstfesslung‘ entstehen: Imagekreation ja, aber nur in dem Maße, dass
gewisse Imageverluste eingegangen werden können, ohne dass die Organisation in ih-
rem Überleben behindert wird.
Über die unterschiedlichen Formen von Interaktionen werden nicht nur kurzfristig
oder punktuell Beobachtung und Selektion zu lenken versucht, sondern es werden zu-
dem Regeln und Normen für zukünftige Beobachtungen, Selektionen und Interaktio-
nen entwickelt und durchzusetzen versucht. Interaktion ist also nicht nur situatives
Mittel zum Zweck, also zur Bewältigung einer konkreten Aufgabe in einer konkreten
Situation, sondern zugleich auch ein zentrales soziales Strukturierungselement im Hin-
46 Otfried Jarren / Ulrike Röttger

blick auf zukünftige Interaktionen. Es werden die sozialen Beziehungen strukturiert


und nach Möglichkeit stabilisiert. Sehr deutlich wird dies im Falle der Interaktionen
von PR und Journalismus: PR bildet zusammen mit dem Journalismus ein auf Dauer
gestelltes Handlungssystem mit eigenen Regeln.
Strategische PR ist darauf aus, Regeln, Normen und Deutungsmuster einer Organi-
sation allgemein durchzusetzen. PR ist also die Steuerung von Beobachtungs- und Se-
lektionsprozessen durch Interaktionen auf der Grundlage von Regeln und Normen, die
auf vormaligen Interaktionsprozessen basieren.
Bei der Gestaltung und Stabilisierung von Austauschprozessen mit der Umwelt
(Legitimation) kann sich aber keine Organisation allein auf PR stützen der gar dauer-
haft verlassen. Denn die Wirkungen von Kommunikation allgemein und PR speziell
sind nur vage prognostizierbar – beide können daher nur vergleichsweise unspezifisch
und wirkungsunsicher eingesetzt werden. Mit Blick auf alle verfügbaren Steuerungs-
ressourcen von Organisationen relativiert sich damit die Bedeutung der Ressource
Kommunikation und von PR für Organisationen in allen gesellschaftlichen Teilberei-
chen. Ein theoretisches – wie aber auch empirisches – Argument dafür, weshalb nicht
von einem „System PR“ ausgegangen werden kann.
Nicht zuletzt aufgrund der Wirkungsunsicherheit von Kommunikation kombiniert
PR in der Praxis unterschiedliche Steuerungsressourcen (neben Kommunikation u.a.
Geld, Wissen). Sehr deutlich wird dies am Beispiel des Sponsoring und des Lobbying.
Da PR nicht auf Kommunikation beschränkt ist bzw. sich nicht auf Kommunikation
beschränken lässt, kann sie empirisch nicht immer eindeutig von anderen Organisati-
onsfunktionen bzw. -bereichen abgegrenzt werden. Es ist daher erklärlich und ver-
ständlich, dass PR aus der Sicht von Organisationen – wie aber auch aus der Perspekti-
ve anderer Beobachter – zusammen mit Marketing, Werbung, Human Relations, Pro-
dukt- und Dienstleistungsverkaufsbemühungen, Public-Policy-Instrumenten etc. als
variabel einsetzbare Sozial- und Manipulationstechnik gesehen werden kann.
Hinsichtlich des Einsatzes und der Kombinierbarkeit unterschiedlicher Steu-
erungsressourcen sind unterschiedliche teilsystemspezifische Regeln und Ver-
fügbarkeiten zu beachten. Die Ziele und die ‚Grenzen‘ von PR setzt also die – zu ei-
nem bestimmten Teilsystem der Gesellschaft mit ihren spezifischen Regeln und Nor-
men gehörende – Organisation, so dass es nicht zur Bildung eines „Systems PR“
kommen kann, einmal abgesehen vom Nichtvorhandensein externer Normen.

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Oder: Kann man PR-Theorien


anders als systemisch modellieren?

Klaus Merten

1 Funktionen von Theorien


Theorien sind nichtbeliebige Instrumente zur Ordnung von Erkenntnis. Sie können die-
se Funktion erfüllen, weil sie a) selektiv fungieren, also eine Funktion der Ausschei-
dung (via Falsifikation, im Sinne von Popper) erfüllen, b) weil sie abstrahieren und auf
diese Weise die Fülle der Erscheinungen auf eine überschaubare Menge von Klassen
oder Kategorien reduzieren und dann c) durch differenztheoretische Operationen, näm-
lich durch den Vergleich (der zugleich die einfachste Form der Messung darstellt), ge-
trennt Erscheinendes ähnlich oder sogar gleich machen können und dadurch ebenfalls
Ordnungsleistungen erbringen. Wie immer auch das methodische Procedere, in allen
Fällen vergrößert dies den Bereich der Ordnung der Erscheinungen, die Systematisie-
rung von Wissen, die nichtbeliebige Entscheidung über richtig oder falsch bzw. über
viabel/nicht viabel.
Welcher Theorietyp anderen Theorietypen1 überlegen ist, weil er das größere Ord-
nungspotenzial (Erklärungspotenzial) besitzt, ist nicht einfach zu entscheiden und im
Zweifelsfall nicht nur zu behaupten, sondern zu beweisen. Hierzu stehen prinzipiell
vier Möglichkeiten zur Verfügung:
1. Man sammelt alle möglichen Fälle, in denen PR zur Anwendung kommt (etwa:
Pressearbeit, Krisen-PR, Aktions-PR, „Freundlichkeit“, Sponsoring etc.) und ver-

1
Nur zur Illustration: Als theoretische Ansätze für PR sind neben der Systemtheorie (die wiederum meh-
rere Spielarten aufweist) zumindest Handlungstheorie, Konflikttheorie, Chaostheorie, Konsenstheorie,
Normative Theorie, Diskurstheorie/Dialog, Bargaining, Marketingtheorie, Konstruktivismus und Ma-
nagementtheorie(n) sowie die Determinationshypothese und das Intereffikationsmodell zu unterschei-
den.
52 Klaus Merten

sucht sodann eine Klassifikation nach sich anbietenden Dimensionen.2 Klassifikati-


onsprinzip könnte hier etwa die segmentäre Differenzierung (Political Relations,
Medical Relations, Customer Relations etc.) oder nach binären Schemata (etwa: in-
terne PR/ externe PR bzw. langfristige PR versus kurzfristige PR (also: Kampag-
nen-PR, Krisen-PR) sein. Sodann wäre zu prüfen, ob bestimmte Typen von PR
mehrheitlich resp. „in der Regel“ bestimmten, voneinander zu unterscheidenden
Typen von Theorie genügen. Ich nenne dieses Vorgehen – in Anlehnung an Zetter-
berg (1973: 124 ff.) – Dimensionale Analyse.
2. Man sucht die kleinsten Einheiten, aus denen PR besteht, und prüft, ob es dafür ein
einheitliches Zuordnungskriterium gibt, das dann den Zugriff einer einzigen Theo-
rie erlaubt. Ist dies der Fall, wäre zu entscheiden und zu begründen, warum dann
eine bestimmte Theorie zur Anwendung kommt. Diese Vorgehensweise nenne ich
mikroanlytischer Zugriff.
3. Man setzt an der Definition von PR an – im klassischen Sinn: Man fragt nach dem
„Wesen“ von PR – und versucht, daraus Hinweise auf eine geeignete Theorie zu
ziehen. Diese Vorgehensweise nenne ich makroanalytischer Zugriff.
4. Man prüft unterhalb des hierarchisch nächsthöheren Teilsegments von Gesellschaft,
das sich hier als Medien- oder Kommunikationssystem orten ließe, welche theoreti-
schen Bestände dort vorherrschend sind. Beispielsweise wäre hier zu fragen, wie
Werbung, wie Journalismus fruchtbar modelliert sind oder modelliert werden kön-
nen oder wie das Verhältnis von Journalismus und PR, das sicher ein Herzstück ei-
ner Theorie der PR darstellt, modelliert ist.
Die Evidenz für die Präferenz einer bestimmten Theorie wächst natürlich dabei umso
mehr, je mehr alle der hier skizzierten vier Vorgehensweisen zum gleichen oder doch
zu einem konvergenten Ergebnis führen – ich komme auf diesen Punkt zurück.

2 Geltungsbereich von Theorien


Theorien haben einen definitiven Geltungsbereich, der sich aus einem expliziten In-
halts- bzw. Reichweitenkriterium herleiten lässt. In dem hier in Rede stehenden Fall ist
also zunächst nach dem Geltungsbereich zu fragen. Und es wird sich zeigen, dass diese
Frage gleich mehrfach – sowohl für die Mikro- als für die Makroebene – zu stellen ist.

2.1 Dimensionale Analyse

Man kann zunächst auf der Dimensions-Ebene beginnen. Dann erhält man einen Kata-
log von PR-Aktivitäten bzw. PR-Prozessen, denen sodann bestimmte Typen von Theo-
rie zuzuordnen wären. Der Versuch, so vorzugehen, führt sehr schnell auf Grenzen von
Beliebigkeit, will heißen: Die Unterscheidung der einzelnen Typen ist allenfalls an-
hand formaler Merkmale möglich, sie verweigert sich jedoch – typisch für empirische

2
Dieses Vorgehen ist aus der Inhaltsanalyse etwa als „Empirische Liste“ bekannt (vgl. Merten 1995: 339
ff.).
Zur Theorie der PR-Theorien 53

Listen – einem klaren und eindeutigen theoretischen Zugriff mit entsprechend klarer
theoretischer Differenzierung. Als Beispiel: Krisen-PR könnte man von ihrem Ablauf
her konflikttheoretisch analysieren (WER agiert wegen WAS mit WEM?), aber natür-
lich auch handlungstheoretisch (rollentheoretisch) und natürlich auch systemtheore-
tisch (prozessanalytisch). Eine verbindliche Feststellung, welche Theorie hierfür am
besten geeignet wäre, bzw. die Definition eines Fruchtbarkeitskriteriums, das eine prä-
zise Bewertung erlauben würde, ist allerdings (noch) nicht möglich. Gleiches gilt für
weitere Anwendungsfälle von PR: Eine Pressekonferenz kann man von ihrem Ablauf
her, von ihren Inhalten, aber auch rollentheoretisch und schließlich noch von ihren In-
tentionen her analysieren. Die Feststellung einer gemeinsamen maximal sinnvollen
(fruchtbaren) theoretischen Basis für alle möglichen Fälle von PR erscheint daher we-
nig sinnvoll.

2.2 Mikroebene: Instrumente von PR


Auf der Mikro-Ebene fragen wir nach den kleinsten Einheiten, aus denen PR besteht.
Diese Vorgehensweise ist in den Naturwissenschaften zu hohen Ehren gekommen: Wir
wissen heute definitiv, dass es kleinste Bausteine gibt (etwa: Atome, Elektronen etc.),
aus denen allein alle komplexeren materiellen Erscheinungen dieser Welt zusammen-
gesetzt sind. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Kommunikationswissenschaften
anwenden, z.B. wenn man differenztheoretisch vorgeht (so Luhmann 2003: 66ff.) und
dann darauf stößt, dass alle Sozialsysteme durch Kommunikation – also ebenfalls
durch Sozialsysteme – zusammengehalten werden.
Wendet man diese Perspektive auf Public Relations an, so fallen sofort die Instru-
mente der PR als kleinste Einheiten ins Auge: Events, Pressekonferenzen etc. sind In-
strumente, die wiederum aus kleineren Instrumenten – etwa: Gespräche, Telefonate,
Lächeln – zusammengesetzt sind. Die kleinsten Einheiten sind, wie man schnell fest-
stellen kann, nonverbale und/oder verbale Kommunikationsprozesse.3 Modelliert man
diese systemisch, so kann man einen entscheidenden Vorteil nutzen: Die Entstehung
größerer Systeme kann durch das Wirken kleinerer Systeme erklärt werden. Oder in
den Worten von Norbert Wiener (1968: 191): „Die Vorstellung einer Organisation, de-
ren Elemente selbst kleine Organisationen sind, ist weder neu noch ungewöhnlich“.
Also ergibt sich der Geltungsbereich von PR – wie immer man auch definieren mag
– durch den Bezug auf Kommunikation: PR stellt eine Anwendung von Kommunikati-
on und nur von Kommunikation dar und daraus folgt logisch bindend, dass eine Theo-
rie der PR allemal den Kriterien einer Theorie der Kommunikation (zuzüglich weite-
rer, spezifischer Kriterien) zu genügen hat.

3
Selbst das Sponsoring ist nichts anderes als das gegen Bezahlung abgenommene Versprechen, Kom-
munikationsprozesse in vorgegebener Form und Dauer zu initiieren und durchzuhalten. Albert Oeckl
war hier noch puristischer und sah Sponsoring als nicht zu PR zugehörig an. Aber auch die von der
Ethik der PR stigmatisierten Prozesse wie Gerücht, Lüge, Täuschung, Fälschung etc. sind Kommunika-
tionsprozesse bzw. basieren auf solchen.
54 Klaus Merten

Eine Theorie über die Anwendung von X muss nicht logisch bindend selbst etwas
mit X zu tun haben. Also: Wenn man eine Theorie des Transports zwischen den Orten
A und B entwickelt, dann ist dies keine Theorie der Bundesbahn, des Straßenverkehrs
oder der Schneckenbewegung, sondern eine Theorie der Bewegung von berechenbaren
Massen über berechenbare Entfernungen zu zu verortenden Zielen in bestimmbaren
Zeiten. Gesucht würde also eine Theorie, die die Dimensionen cm, Gramm, Sekunde
besitzen müsste. Aber damit ließen sich Bahnverkehr, Straßenverkehr oder Schnec-
kengang gleicherweise modellieren.
Bezogen auf das oben definierte Ziel ist also zu fragen, welcher Theorietyp für die
Analyse von Kommunikation als fruchtbarster Typ gelten kann, denn dieser wäre
dann, weil Public Relations als Sonderfall von Kommunikation gelten, auch als frucht-
barster Typ für eine Theorie der PR anzusehen. Die Antwort ist: Die theoretische Mo-
dellierung von Kommunikation gelingt bevorzugt durch die Systemtheorie, weil diese
nicht auf binäre Kausalstrukturen (Ursache – Wirkung) verwiesen ist (vgl. Merten
1999: 82ff.) und zudem genetisches Potenzial besitzt. Die Systemtheorie modelliert
Kommunikation als kleinstes soziales System (vgl. Luhmann 1972).

2.3 Makrobereich: Definitionen von PR


Schon Scharf (1971:166) unterstellt, dass es mehr als 2000 Definitionen von PR gibt.
Daraus kann man schließen, dass die Disziplin Public Relations sich noch in einem
wenig reifen Stadium befindet: Je größer die Zahl umlaufender Definitionen, desto
weniger ist der Erkenntnisgegenstand von Public Relations konsentiert. Direkt aus den
Definitionen selbst lassen sich daher keine gesicherten Erkenntnisse ableiten. Die ge-
genwärtig am ehesten akzeptierte Definition stammt von Grunig/Hunt (1984: 6), die
Public Relations in Anlehnung an Harlow (1976) und Bernays (1947) als „manage-
ment of communication between an organization and its publics“ bezeichnen und dabei
vier theoretische Begriffe benutzen: Management, Kommunikation, Organisation und
Öffentlichkeit.
Doch bei der systematischen Durchsicht von einschlägigen PR-Definitionen oder
dem erklärenden Kontext, in dem diese Definitionen stehen, lassen sich wiederkehren-
de Merkmale bzw. Assoziationen orten, die relevante theoretische Verweise liefern.
Das gilt bei PR-Definitionen insbesondere für zwei Merkmale: 1) Den auffälligen Be-
zug auf fiktionale Strukturen und b) die stets auf positiv wertende Positionierung zie-
lende Leistung aller PR. Der Bezug auf Fiktionen findet sich in vielen Begriffen (etwa:
Image, Event, Vision) und dies verstärkt in der Epoche der Mediengesellschaft.4 Zu

4
Wie bekannt wurde der Begriff des Images erst 1962 durch die Arbeit von Boorstin populär. Von „Me-
diengesellschaft“ kann man sprechen, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: 1) das Auftreten von Me-
tamedien (etwa: Programmzeitschriften, Suchmaschinen etc.) zur Raffung von Medieninhalten im gro-
ßen Stil und 2) das Anwachsen von Fiktionen, die massive faktische Wirkungen entfalten und nun
gleichberechtigt neben den Fakten stehen können. Für den Beginn der Epoche der Mediengesellschaft
in der Bundesrepublik Deutschland kann man hilfsweise das Jahr 1984 ansetzen – das Jahr also, in dem
das Duale Rundfunksystem implementiert wird (vgl. dazu Merten 2004).
Zur Theorie der PR-Theorien 55

vielen realen Positionen lassen sich nun fiktionale Pendants resp. fiktionale Stellvertreter
formulieren (Tabelle 1).
Tab. 1: Typen von Fiktion als generalisierte Stellvertreter in der
Mediengesellschaft
Frühere Gesellschaften Mediengesellschaft

FAKT  FIKTION
Objektive Wirklichkeit („Realität“) Medialer Wirklichkeitsentwurf
Ereignis Event, Bericht über Ereignis (Text)
Sachverhalt Inszenierung
Person Image
Zu lösendes Problem Zu diskutierendes Thema
Wahrheit Öffentliche Meinung
Autoptische Beobachtung Beobachtung der Beobachtung

Der große Vorteil fiktionaler Konstrukte liegt in ihrer einfachen, schnellen und kosten-
günstigen Erzeugung und Veränderung, deren jeweilig wünschenswerte Modifikation
von einer neuen, sich konkordant ausdifferenzierenden Profession wahrgenommen
wird: Public Relations.
Benutzt man hier hilfsweise den Oberbegriff „Wirklichkeit“, so heißt das nichts an-
deres, als dass neben die objektive („reale“) Wirklichkeit nun jeweils eine weitere me-
diale und damit fiktionale Wirklichkeit getreten ist. Logisch bedeutet dies eine ver-
stärkt einsetzende Differenzbildung, deren Beginn schon Jahrhunderte zurückliegt: Sie
setzt einen Typ von Negation voraus und wird umgangssprachlich mit „Täuschung“
bezeichnet. Ausschlaggebend dabei ist, dass Sachverhalte aller Art jetzt, in der Medien-
gesellschaft, durch ihre mediale „Behandlung“ eine massive Aufwertung an Relevanz er-
fahren, so dass ein völlig neues Relevanzmodell entsteht: Was nicht in den Medien ist, ist
nicht relevant. Damit wächst der Druck, in den Medien vertreten zu sein, denn nur wer
dort sichtbar (beobachtbar) ist und souverän auftritt, gilt auch de facto als „wirklich“ exi-
stent, als „wirklich“ wahrnehmbar, als „wirklich“ souverän. Die Verhältnisse drehen sich
geradezu um: Nicht der ist gut aufgestellt, der wirklich gut aufgestellt ist, sondern der,
der in den Medien wirklich gut aufgestellt erscheint: Der Anschein, nicht die realen Fak-
ten erzeugen jetzt die relevanten Fakten.
Die angemerkte tendenziell positive Tönung aller Public Relations verweist ebenfalls
auf die zugrunde liegende Kategorie der Täuschung: Die an sich negative Assoziation,
die mit „Täuschung“ verbunden wird, muss kompensiert werden durch positive Bezüge.
Und wenn man schon nichts Gutes tun kann, um darüber zu reden (vgl. Zedtwitz-Arnim
1961), dann muss im Zweifelsfall so getan werden als ob: „Tue nur so und rede darüber“
(Ivory 1992). Bei Oeckl (1964: 31) ist analog von „dauerndem Bemühen“ die Rede und
in viele Definitionen von PR ist – sicher kein Zufall – eine positive Wertung des PR-
Handelns wie eine ethische Zierleiste eingearbeitet. Auch die seinerzeit im Kontext kon-
struktivistischer Überlegungen in einem ersten Zugriff formulierte Definition von Pub-
lic Relations als „Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten“ verweist auf das be-
56 Klaus Merten

sondere Verhältnis von Fakt und Fiktion, von realer und fiktionaler Wirklichkeit (vgl.
Merten 1992).
Wir folgern daraus zunächst, dass Public Relations einen Prozess strategisch do-
sierter Täuschung in bestimmten Bandbreiten darstellen, der letztlich gesellschaftlich
wenn nicht erwünscht so doch als notwendig angesehen wird. Eine Theorie der PR
muss daher, sofern die hier referierten Überlegungen valide sind, ein Element der Täu-
schung mitführen können. Im einfachsten Fall heißt das in der PR Impression Mana-
gement und es ist bezeichnend, dass dieser Begriff von Erving Goffman, dem unbe-
strittenen Großmeister für die Analyse öffentlichen Auftretens unter spezifischen
Randbedingungen, stammt (vgl. vor allem Goffman 1961, 1980, 2008). Täuschung ist
nicht nur notwendig für den, der in der Öffentlichkeit Eindrucksmanagement betreiben
muss, sondern auch für anwesende Personen, die das Impression Management als so-
zial geachtete Kompetenz ansehen und enttäuscht sind, wenn jemand nicht glaubhaft
zu täuschen versteht. Die beim Impression Management laufend zu leistende Täu-
schung einer Person oder Organisation besteht letztlich darin, Einfluss darauf zu neh-
men, wie die Öffentlichkeit Person oder Organisation wahrnimmt. Oder in der Logik
systemischer Beobachtung: „Führer kann nur jemand sein, der manipulieren kann, wie
er beobachtet wird“ (Luhmann 2003: 166). Goffman (1980: 98-224) liefert dazu einen
umfassenden Katalog von Täuschungsvarianten und eine Fülle frappierender Beispie-
le: Täuschung ist überall.
Täuschung in der PR ist natürlich nicht auf Impression Management beschränkt,
sondern findet sich überall und hat nur dann Grenzen, wenn bestehende Vertrauens-
verhältnisse zwischen dem Täuschenden und dem/den Getäuschten bzw. der getäusch-
ten Öffentlichkeit umgehend beschädigt werden. Es gibt viele Situationen, in denen ei-
ne Täuschung sich schon dann auszahlt, wenn sie nur geringe Zeiträume heil übersteht
– etwa vor Entscheidungen, Abstimmungen etc., deren Wert dann ungleich gewichti-
ger sein kann.
Dabei fällt auf, dass gesellschaftlich eindeutig positive Täuschungsprozesse – etwa
Höflichkeit, Freundlichkeit, Verbreiten von Hoffnung und Visionen etc. – gar nicht als
Täuschung bezeichnet werden, sondern selbst weggetäuscht werden durch eine positiv
getönte Semantik. Die Geheimhaltung der Geheimhaltung (vgl. Westerbarkey 1991)
zeigt sich hier in der Reflexivisierung von Täuschung. Dahinter steht der kontinu-
ierliche gesellschaftliche Bedarf für Täuschung, der bei der elementaren Höflichkeit
beginnt und nicht bei der Lüge endet (vgl. Merten 2008b).
Strukturell bedeutet dies, dass Täuschung stets auf Kommunikation basiert, die so
zugerichtet wird, dass sie neben eine vorhandene „reale“ Wirklichkeit eine weitere fik-
tionale Wirklichkeit setzt und diese für relevant erklärt. Es ist die maximal zulässige
Differenz zwischen beiden Wirklichkeiten, die das Ausmaß möglicher und vertretbarer
Täuschung bestimmt. Es ist daher sinnvoll, den Begriff der Täuschung in eine Defini-
tion von Public Relations hineinzuziehen. Denn die Eigentlichkeit von „Etwas“ muss
sich in der Definition dieses „Etwas“ wiederfinden. Es reicht nicht, bei Public Relati-
ons hilfsweise oder ausweichend von „gutem Tun“ oder „dauerhaftem Bemühen“ zu
Zur Theorie der PR-Theorien 57

sprechen. Auf der anderen Seite muss eine solche Definition semantisch neutral formu-
liert sein und dies aus zwei Gründen: Zum einen möchte sich niemand mit einem Tun
gemein machen, das Schatten auf seine Person wirft. Zum anderen aber verlangt eine
wissenschaftliche Definition eine strikt neutrale Semantik. Von daher definieren wir
nun wie folgt: Public Relations sind das Differenzmanagement zwischen Fakt und Fik-
tion durch Kommunikation über Kommunikation in zeitlicher, sachlicher und sozialer
Perspektive (Merten 2008: 57). Goffman (2008) beschreibt dieses Differenzmanage-
ment geradezu frappierend offen als Differenz zwischen „Vorderbühne“ (die für die
Öffentlichkeit agiert) und „Hinterbühne“, die alles, was auf der Vorderbühne ge-
schieht, jederzeit diskreditieren darf (vgl. Goffman 2008: 104ff.).
Als Zwischenbefund ist festzuhalten: Sowohl eine mikroanalytische als auch ein
makroanalytische Betrachtung verweisen eine Theorie der PR bindend auf eine Theo-
rie der Kommunikation. Beschränken wir uns hier auf Definitionen, die makroanaly-
tisch etwas über das Wesen von PR aussagen, so ist die Situation nun folgende: Es ist
eine Theorie zu suchen, die zumindest mit drei Elementen, nämlich 1) Kommunikati-
on, 2) Organisation und 3) Öffentlichkeit sinnvoll umgehen kann. Hinzu kommt ein
viertes Prozesselement, das wahlweise als „Engineering of Consent“ (Bernays 1947)
resp. als Management (von Kommunikation) zu bezeichnen wäre – was in der Sache
ersichtlich das Gleiche ausmacht: Den strategischen Einsatz von Kommunikationspro-
zessen.

2.4 Theoretische Ansätze im Medien- respektive Kommunikationssystem


Es ist, vor allem bedingt durch die späten Arbeiten von Niklas Luhmann (vgl. Luh-
mann 1996, 2003), Konsens, dass das Mediensystem von Gesellschaften spätestens in
der Epoche der Mediengesellschaft den Rang eines funktionalen Teilsystems der Ge-
sellschaft mit eigenem Code besitzt, der, noch nicht bindend konsentiert, als In-
formation/Nichtinformation (Luhmann 1996: 36), als Aktualität/Nichtaktualität oder
als Relevanz/Nichtrelevanz zu beschreiben wäre. Unterhalb dieses Systems sind Lite-
ratur, Werbung, Journalismus und PR zu verorten, die, im Rahmen der Binnendiffe-
5
renzierung des Mediensystems, eigene Teilbereiche verkörpern.
Zu fragen wäre auch hier, ob es auf dieser internen Ebene theoretische Ansätze
gibt, mit denen diese Teilbereiche theoretisch modelliert werden. Gleiches gilt, noch-
mals aufwendiger, für die Analyse der Beziehungen zwischen diesen Subsystemen,
insbesondere für das Verhältnis von Journalismus und PR, das sicherlich zum Herz-
stück einer Theorie der PR zählt. Tentativ sind in Tabelle 2 zehn relevante theoretische
Ansätze der PR synoptisch aufgeführt und nach mehreren Kriterien geordnet, nämlich
1) nach dem Typ der Theorie, 2) nach der theoretischen Reichweite, 3) nach der mög-
lichen/erfolgten Überprüfung und auch danach, ob 4) eine affine Definition existiert.

5
Luhmann (1996: 24) spricht hier davon, dass „die Differenz von System und Umwelt in das System hi-
neincopiert wird“ und genau dadurch eine Binnendifferenzierung nach identischem Muster der System-
Umwelt-Differenzierung entsteht.
58 Klaus Merten

Tab. 2: Matrix PR-theoretischer Ansätze


Merkmale Reich- Bezug Emp. Defini- Anwendung
weite Prüfung tion
Bezeichnung
[Theorietyp]
PR-Theorie Makro Gesamtgesell- - - Ronneberger/
[Systemtheorie] schaft Rühl (1992)
Konstruktivismus Makro Mediengesell- +- + Merten (2004)
[Systemtheorie] schaft
Evolution der PR Meso Organisation + + Grunig/Hunt
[?] (1984)
Determination Meso Journalismus/ + Baerns 1985
[Kausalhypothese] PR
Intereffikation Meso Journalismus/ + Bentele (1999)
[Systemtheorie] PR
Bez. zwischen Meso Journalismus/ +- + Merten (2004)
Teilsystemen PR
[Systemtheorie]
Exzellente PR Mikro Organisation/ + + Grunig (1992)
[Entscheidungstheorie] Umwelt
Verständigungsorien- Mikro Organisation/ - - Burkart (1996)
tierte PR Umwelt
[Handlungstheorie]
Organisationstheorie Mikro Organisation/ +- - Zerfaß (2004)
[Strukturationstheorie] Umwelt
Organisationstheorie Mikro Organisation/ + - Jarren/Röttger
[Strukturationstheorie] Umwelt (2004)

Es zeigt sich: Überwiegend basieren diese Ansätze auf Systemtheorie und Handlungs-
theorie, wobei die systemische Modellierung sowohl auf der Makro- als auch auf der
Meso-Ebene erfolgt. Alle anderen Ansätze bestreichen nur eine von drei möglichen
Ebenen.6

3 Der theoretische Diskurs


Der Untertitel dieses Beitrags enthält die Verpflichtung, zu zeigen, dass die System-
theorie nicht nur geeignet ist, hier eine befriedigende Lösung anzubieten, sondern dass
sie im Vergleich mit anderen Theorien dafür ganz besonders geeignet ist. Diese Ver-
pflichtung gilt es nun einzulösen. Ich beginne mit dem ersten und anscheinend einfach-
sten der vorweg genannten vier Elemente, also mit Kommunikation.

6
Würde man die Strukturationstheorie von Giddens als systemische Theorie verstehen wollen – wofür
einiges sprechen könnte – wäre die Systemtheorie auf allen Ebenen vertreten.
Zur Theorie der PR-Theorien 59

3.1 Kommunikation als System

Der Aufsatz von Niklas Luhmann (1970) über öffentliche Meinung gilt als einer der
meistzitierten Aufsätze in der Kommunikationswissenschaft. Gleichwohl unterstelle
ich, dass, ein späterer Beitrag mit dem Titel „Einfache Sozialsysteme“ viel wichtiger
für die Kommunikationswissenschaft ist. Luhmann (1972) skizziert hier, mit hoher
Evidenz und unter Rückgriff auf die mikrosoziologischen Arbeiten von Goffman,
Kommunikation als kleinstes soziales System. Wenn Talcott Parsons der für die Ent-
wicklung der Systemtheorie wichtigste amerikanische Makro-Soziologe war, so war
Erving Goffman der wichtigste amerikanische Mikrosoziologe, der nicht nur durch ei-
ne Fülle von frappierenden Beobachtungen und durch deren scharfsinnige, theoretisch
7
zupackende Deutung internationalen Rang erlangt hat, sondern bahnbrechende Vorar-
beiten für ein anspruchsvolles Verständnis von Kommunikation, insbesondere für Pub-
lic Relations, geleistet hat. Luhmann (1972) abstrahiert noch weiter und verknüpft die
Mikro-Analysen von Goffman mit den functional prerequisites von Parsons. Damit
sind vier Basisfunktionen sozialer Systeme gemeint, die als AGIL-Schema bezeichnet
werden (vgl. Abb.1):
Abb. 1: Das AGIL-Schema von Parsons (1959: 7)
G A

Goal attainment Adaptation


L I
Latent Pattern
maintenance Integration

Jedes soziale System, so Parsons, muss vier Grundfunktionen erfüllen können.8 Die
Bedeutung dieses Aufsatzes (Luhmann 1972) steigert sich noch, wenn man in Rech-
nung stellt, dass die Katalyse von Kommunikation eine doppeltkontingente, reflexive
Struktur, nämlich Wahrnehmung von Wahrnehmung, voraussetzt, denn gerade dies ist
der untrügliche Hinweis dafür, dass Systembildung stattfindet. Die Analogie etwa zwi-
schen biologischen und sozialen Systemen, bezogen auf diese Grundfunktionen, ist
ausgesprochen frappierend (Abb. 2), denn sie zeigt, was „General Systems Theory“
leisten kann: Vergleich und Vergleichbarmachung von Erscheinungen auf völlig di-
stinkten Ebenen.
7
Mit der Erkenntnis “Ein Mensch kann aufhören zu sprechen, er kann aber nicht aufhören mit seinem
Körper zu kommunizieren; er muss damit entweder das Richtige oder das Falsche sagen, aber er kann
nicht gar nichts sagen“ (dt.: Goffman 1971: 43) nimmt er vorweg, was Watzlawick erst Jahre später als
metakommunikatives Axiom formuliert hat, demzufolge man „nicht nicht kommunizieren“ könne
(Watzlawick et al. 1971: 53).
8
Dabei ist die latent pattern maintenance von besonderem Interesse: Analog zu biologischen Systemen,
die diese Funktion als Fortpflanzung, als Erhaltung der Art, erfüllen, gilt das Gleiche auch für Kom-
muikation – sichtbar etwa in der Vermeidung von Schweigen oder in Formulierungen wie „Auf Wie-
dersehen“, wenn zwei Personen sich voneinander verabschieden und dadurch ihre Kommunikation
„pro forma“ zu unterbrechen genötigt sind.
60 Klaus Merten

Abb. 2: Vergleich von biologischem System und Kommunikationssystem


Funktionen Biologisches System Kommunikationssystem
Adaptation Anpassung an Umwelt Themenwahl
Goal Attainment Zielgerichtetes Handeln Zielgerichtete Kommunikation
Integration Integration aller Handlungen Integration aller Kommunikation
Latent pattern maintenance Erhaltung der Art Vermeidung von Unterbrechung

3.2 Organisation als System

Die zweite Ebene stellt die Ebene der Organisation dar: Auch Organisationen lassen
sich als soziale Systeme definieren, wobei erneut ein selbstreferentes Prinzip hoher
Tragweite ins Spiel kommt, nämlich selbstbezügliche Struktur (Reflexivität): „Es
scheint sich bei den reflexiven Mechanismen gerade um den Prozess zu handeln, mit
9
dem aus kleinen Systemen große gebildet werden“ (Luhmann 1970a: 101). Damit ist
ein zweiter Vorteil systemtheoretischen Denkens artikuliert, der, wie noch zu zeigen
sein wird, gerade für Kommunikation zum Tragen kommt, nämlich ein Prinzip hierar-
chischer Genese von Struktur, das eine Transzendenz der Ebenen erlaubt.
Gerade Organisationen waren von Anfang an und insbesondere unter funktionali-
stischer Perspektive ein bevorzugtes Studienobjekt der Systemtheorie, weil deren
Kennzeichen nicht die Mitgliedschaft vieler Personen, sondern nur deren Handeln, so-
weit es im Sinne der Organisation erfolgt und wie es durch die am Rollenbegriff fest-
zumachenden Muss-, Kann- und Soll-Erwartungen (vgl. Dahrendorf 1967) gedeckt ist,
war. Gerade an der Struktur von Handlungen wird der systemische Zugriff evident,
denn die Systemtheorie abstrahiert notwendig das Handeln einer Person von der Per-
son selbst. Diese durch den Rollenbegriff mögliche Abstraktion ist ja die Vorausset-
zung dafür, dass der Anspruch der Systemtheorie, nur sinnvoll aufeinanderbezogene
Handlungen als System anzuerkennen, überhaupt erfüllt werden kann. Organisationen
sind demgemäß zweckrational gebildete Systeme auf der Meso-Ebene. Gerade aus
Sicht der Kommunikationstheorie hat das Handeln von Organisationen als System viel
Aufmerksamkeit erfahren – erinnert sei beispielsweise an die strategische Rolle der in-
ternen Kommunikation, deren Stellenwert Bernays mit dem geflügelten Satz „PR be-
gins at home“ markiert hat oder aber an die Dissertation von Manfred Rühl, die – eben
nicht zufällig – unter dem Titel „die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales Sy-
stem“ erschienen ist (Rühl 1969).

3.3 Öffentlichkeit als soziales System

Die dritte Ebene stellt die Ebene der Öffentlichkeit dar: Auch der Begriff der Öffent-
lichkeit lässt sich zwangsfrei systemisch als virtuelles soziales System modellieren,
analog zur Massenkommunikation, die in Bezug zur face-to-face-Kommunikation als
9
Genauer gesagt: Systembildung erfolgt durch schon vorhandene Systeme geringerer Komplexität. Bei
Luhmann (2003: 78ff.) wird diese Struktur als grundlegende Bedingung der Möglichkeit für Autopoie-
se gesehen.
Zur Theorie der PR-Theorien 61

virtuelle Kommunikation anzusprechen ist: Wir nehmen nicht wahr, wie unser Gegen-
über denkt, meint, argumentiert, sondern wir abstrahieren und stellen uns vor, wir mei-
nen zu wissen, wie er denkt, meint, argumentiert, d.h. wir ziehen hilfsweise eine virtu-
elle Struktur ein, die gleichwohl faktische Wirkungen entfaltet10 (vgl. Merten 1999a).
Konstituiert sich also Massenkommunikation über das Reflexivwerden von Vor-
stellungen bzw. Erwartungen, so konstituiert sich Öffentlichkeit als Wissen um das
Wissen anderer. Folglich wird das System immer dann aktiv, wenn der Konsens von
Wissen gefährdet ist, nämlich bei der Zufuhr neuen Wissens. Journalistisch gespro-
chen: bei der Zufuhr von Aktualität – und genau dann aktiviert „Öffentlichkeit“ alle
greifbaren Kommunikationsprozesse, um den Wissenskonsens wiederherzustellen. In-
sofern muss man das Ingenium von Bernays noch im Nachhinein bewundern, PR als
Management von Konsens zu modellieren, denn dies schließt Kommunikation not-
wendig ein. Zusätzlich besitzt Öffentlichkeit eine weitere Struktur sozialer Reflexivität
mit durchgreifender Bindewirkung, die für die eigentliche Konsensbildung verantwort-
lich ist.

3.4 Management als Kommunikation


Schließlich ist der Begriff des Managements noch aufzuhellen bzw. die synonym ge-
brauchten Begriffe „Engineering“ und „Konstruktion“. Offensichtlich sind damit Stra-
tegien angesprochen, nach denen Kommunikation passgenau zugerichtet und sinnvoll
eingesetzt wird. Das Besondere daran aber ist, dass diese Strategien – unausweichlich
– kommunikativ artikuliert und umgesetzt werden müssen: Management, Engineering
oder Konstruktion sind mithin ebenfalls Prozesse der Kommunikation, mit der die ei-
gentliche Kommunikation gemanagt wird: So ist beispielsweise das Verfassen einer
Pressemitteilung nicht schon PR, denn dazu gehören weitere kommunikative Anstren-
gungen, um diese „an den Mann“ zu bringen und genau deswegen operieren PR unein-
holbar auf einer hierarchisch höher angesiedelten Meta-Ebene, die von den eigentli-
chen Kommunikatoren gar nicht eingeholt werden kann (vgl. Merten 1992: 42f.).
Dass dies so ist, ist natürlich nicht zufällig, sondern es ist gerade das Besondere von
Kommunikation, es ist das, was sie auszeichnet, was sie leistungsfähig macht.11 Das
erkennt man dann, wenn man nach einer Theorie von Kommunikation fragt. Denn eine
Theorie der Kommunikation setzt die Selbstreferenz von Kommunikation schon vor-
aus, da sie auch den Fall von Metakommunikation schon mitberücksichtigen muss, oh-

10
Diese Vorgehensweise hat, differenztheoretisch gesprochen, natürlich genetische Wirkungen, weil die
Vorstellung von Wirklichkeit allemal die Differenz zur „realen“ Wirklichkeit aufmacht und damit au-
topoietische Strukturen in Gang setzt.
11
Dass dies keinesfalls selbstverständlich ist, ist noch sehr einfach zu sehen. Denn man wäscht Autos
nicht mit Autos, sondern mit Wasser, man verdient Geld nicht mit Geld, sondern mit Arbeit, man isst
Essen nicht mit Essen, sondern mit Messer und Gabel – aber man kann Kommunikation durch Kom-
munikation managen. Auch auf diese Weise zeigt sich die Besonderheit aller Kommunikation.
62 Klaus Merten

ne den sie Kommunikation gar nicht erklären kann, weil sie gar nicht über Kommuni-
kation sprechen kann.12

3.5 Theoretische Modellierungen innerhalb des Kommunikationssystems


Eine zusätzliche Möglichkeit, die Anwendung von Theorietypen zu beobachten, ergibt
sich aus der Binnendifferenzierung des Medien- resp. Kommunikationssystems, das als
funktionales Teilsystem der Gesellschaft spätestens in der Epoche der Mediengesell-
schaft als wichtigstes Teilsystem der Gesellschaft gelten muss und wegen der von ihm
zu erbringenden gesellschaftlichen Integrationsleistung stets schneller wächst als an-
dere gesellschaftliche Teilsysteme (vgl. Merten 1999: 188). Wie sind Literatur, Wer-
bung, Journalismus modelliert und welche Erkenntnis lässt sich ggf. daraus für die
theoretische Modellierung von Public Relations gewinnen? Und: Wie wäre sinnvoll-
erweise die Beziehung zwischen Journalismus und PR zu modellieren?
Zunächst ist evident, dass die Binnendifferenzierung des Kommunikationssystems
Sub-Aggregate hervorbringt, die fast durchgängig als Subsysteme bezeichnet werden
und als solche auch systemisch strukturiert sind bzw. analysiert werden: Literatur wird
als soziales System konzipiert, das sich im 18. Jahrhundert ausdifferenziert (vgl.
Schmidt 1989); Werbung wird ebenfalls als soziales System definiert (vgl. Schmidt/
Spieß 1996). Gleiches gilt für den Journalismus, der als Teilsystem der Gesellschaft
verstanden wird (Weischenberg 1994). Schon diese Aufzählung suggeriert, dass auch
PR als Subsystem des Mediensystems modelliert werden kann.
Doch die oben skizzierte Definition von PR als Differenzmanagement eröffnet eine
weiter reichende Perspektive auf die benachbarten Berufsfelder des Journalismus und
der Werbung. Üblicherweise gilt als gesichert, dass der Journalismus auf Objektivität
und Wahrheit seiner Inhalte abonniert ist und dies offen für sich reklamiert. Nicht um-
sonst lautet das Credo des anglikanischen Journalismus „comments are free but facts
are sacred“. Auf der anderen Seite steht die Werbung, die keinerlei Wahrheitsansprü-
che für sich reklamiert, sondern ganz im Gegenteil deren Absenz offen zugibt. Hin-
sichtlich des Wahrheitsanspruchs bewegen sich Public Relations genau dazwischen:
Sie fordern für bestimmte Situationen, z.B. in Fällen von Krisen-PR, die Beachtung
uneingeschränkter Wahrhaftigkeit und sie fordern in anderen Konstellationen, z.B. bei
Skandalen aller Art, notfalls auch die perfekte Unwahrheit (vgl. Abb. 3).

12
Dazu in anderer Perspektive, aber gleicher Begründung Luhmann (2003: 78): „Ein Sozialsystem ent-
steht, wenn sich Kommunikation aus Kommunikation entwickelt. Die Frage der ersten Kommunikation
brauchen wir nicht zu erläutern, denn die Frage ‚Was war die erste Kommunikation?‘ ist schon eine
Frage in einem kommunizierenden System.“
Zur Theorie der PR-Theorien 63

Abb. 3: Schnittmengenmodell von Journalismus, Public Relations


und Werbung

Denn die Leistung von Public Relations besteht genau darin, Wirklichkeiten (Sach-
verhalte) fallbezogen so oder auch anders, also: kontingent darzustellen. Ihre Aufgabe
liegt nicht in der strikt wahrheitsbezogenen Darstellung von Sachverhalten, sondern in
deren situational bedingter Anpassung. PR-Manager müssen dabei diese Elastizitäten
bis zu deren Grenzen nutzen, um die geplante Wirkung ihrer Kommunikation bei den
jeweiligen Zielgruppen zu erreichen ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Fachleute
für PR sind, so gesehen, nichts anderes als professionelle Konstrukteure fiktionaler
Wirklichkeiten, sind Experten darin, die Semantik einer Sache zu der Sache selbst in
kontingenter Distanz zu verhandeln (vgl. Merten 2007: 27).
Es ist richtig, dass Public Relations bzw. das Kommunikationsmanagement täu-
schen können müssen. Unglücklicherweise unterstellt die Öffentlichkeit – wie in allen
solchen Fällen – aber stets den krassesten Fall („Wer einmal lügt …“) und generalisiert
daher eine Täuschungsvermutung für alles Tun von PR: Das chronisch schlechte
Image der PR rührt genau aus dieser Konstellation her und verweist damit implizit
nochmals auf die Eigentlichkeit aller PR.
Zur Vergewisserung: Public Relations gelten als Überzeugungstätigkeit und gren-
zen sich gegen Werbung, die im herkömmlichen Verständnis auf Überredung zielt, und
gegen den Journalismus, der auf Wahrheit basiert ist, ab. Bei genauerer Hinsicht aber
umgreift PR beide Modi: Sie kann mit Wahrheiten, aber ebenso auch mit Unwahrhei-
ten hantieren, sie muss das gesamte Spektrum abdecken können und dies im Zweifels-
fall simultan und invers: Auch mit Wahrheiten lässt sich bei Bedarf lügen, wenn man
sie nur als Täuschung darstellen kann und auch Täuschung kann Wahrheitscharakter
erlangen. Von daher ist die herkömmliche Trennung zwischen Journalismus, Werbung
und PR so nicht mehr haltbar und markiert nicht den Wesensanspruch von PR. Aus
diesem Befund könnte man mit einiger Berechtigung schließen, dass Public Relations
64 Klaus Merten

der Normalfall aller Kommunikation sind13 und nur im Extremfall eine Bindung an
Wahrheit (Journalismus) oder Unwahrheit (Werbung) zulassen (vgl. dazu in anderer
Begründung Avenarius 1995: 2ff.).
Der Wesensanspruch von PR beruht dabei jedoch nicht auf Täuschung als perma-
nentem Prinzip, sondern nur auf Täuschung bei Bedarf – wie man eben auch eine Not-
bremse nur bei Bedarf zieht, eine Notlüge nur bei Bedarf riskiert und dies auch nur
dann, wenn eine Begründung vorliegt, die die dafür bestehende Sanktion zu neutrali-
sieren imstande ist. Oder abstrakter: PR sind ein Typ von Differenzbildung, der Diffe-
renzen zwischen zwei Wirklichkeiten erzeugen und nutzen kann. Diese Differenz kann
gleich Null sein – das wäre der Fall von Wahrheit! – und sie kann sich von Null massiv
unterscheiden. Das Prinzip der Differenzbildung wird dabei, genau besehen, aber nicht
nur auf den Vergleich zweier Wirklichkeiten (von denen die eine durch PR konstruiert
wird) gewendet, sondern auch auf die Kriterien für den dafür zu definierenden frei
schwebenden Ermessensspielraum. All das verweist klar auf einen systemisch-dif-
ferentialistischen Theorieansatz für Public Relations.
Noch deutlicher wird der Primat der Systemtheorie, wenn das Verhältnis von Jour-
nalismus und PR, ein Herzstück einer Theorie der PR, Gegenstand des Interesses wird:
Hierzu finden sich gleich mehrere, distinkte Ansätze, deren Gemeinsamkeit in der sy-
stemtheoretischen Modellierung sowohl auf einer Mikro-Ebene der Interaktion (Bar-
gaining) als auch auf der Meso-Ebene (strukturelle Kopplung) als auch auf der Makro-
Ebene liegen (vgl. Altmeppen/Röttger/ Bentele 2004).
Gerade die Analyse auf der Makro-Ebene erlaubt eine systemische Modellierung,
die zudem durch Einbezug einer Temporalstruktur eine historische Perspektive eröff-
net: Der durch die Jahrhunderte akzelerierende Bedarf an Information erzeugt einen
konkordanten evolutionären Druck nach Leistungssteigerung, der durch Reflexivisie-
rung der Informationsbeschaffung gelöst wird: Die Informationsbeschaffung, die zuvor
eingliedrig erfolgte, wird zweigliedrig, indem nun zwischen Ereignis und Journalist
weitere Informationsbeschaffer – PR – dazwischengeschaltet werden: Der (klassische)
Journalist wird sich mehr auf die Redaktion von Information konzentrieren, indem er
nun aus bereits ausgewählten Informationsbeständen weiter auswählt: Die Reflexivisie-
rung von Selektivität ist es, die den evolutionären Schub für das Kommunikationssy-
stem erzeugt. Aber auch der PR-Schaffende, der immer ausschließlicher die Informati-
onsbeschaffung übernimmt, spezialisiert sich thematisch und gewinnt damit das, was
bereits den klassischen Meinungsführer auszeichnete: Funktionale Autorität.
Zu weiteren Befunden gelangt man, wenn man von der Makro-Ebene des Kommu-
nikationssystems aus und also aus genügend großer Distanz die interne Ausdifferenzie-
rung betrachtet und dabei hilfsweise eine temporale Perspektive mitlaufen lässt: Sie
führt auf ein Dreiphasenmodell der Entwicklung des Kommunikationssystems. In Abb.

13
Anthropologisch wäre zu fragen, wann sich erstmals der Idealtypus der Wahrheit durchgesetzt hat. Im-
merhin wird die erste Lüge bereits aus dem Paradies berichtet. Das legt es nahe, einen weiteren und ei-
nen engeren Begriff von Public Relations zu unterscheiden, wobei letzterer die mediale Täuschung er-
fordern würde.
Zur Theorie der PR-Theorien 65

4 ist zunächst der Typus des archaischen Kommunikationssystems skizziert, das noch
nicht über Medien verfügt. Die für den Rezipienten R gültige Wirklichkeit setzt sich in
dieser Phase ausschließlich aus unvermittelt beobachtbaren Ereignissen E zusammen,
von denen der Rezipient stets nur einige, aber nicht alle wahrnehmen kann.14
Abb. 4: Archaisches Kommunikationssystem

Das ändert sich in der Industriegesellschaft, die nicht zufällig in dieser Phase auch die
Medien hervorbringt: Der Radius wahrnehmbarer Ereignisse E für den Rezipienten R
wird durch die Tätigkeit der Journalisten J und das jeweils von diesem bediente Medi-
um in einem nie gekannten Ausmaß erweitert. Gleichwohl bleibt es dem Rezipienten
möglich, in bestimmten Bereichen, die seinen alltäglichen Nahraum ausmachen, neben
die mediale die eigene Beobachtung zu setzen, so dass seine Abhängigkeit von den
Medien nicht total ausfällt (Abb. 5).
Abb. 5: Kommunikationssystem der Industriegesellschaft

In der Epoche der Mediengesellschaft differenziert sich die Rolle des Journalisten wei-
ter aus in die der Informationsbeschaffung (die nun den PR-Fachleuten angesonnen
wird) und in redaktionelles Handeln: Der Journalist selbst nimmt immer weniger die
Rolle der Recherche vor Ort wahr und statt dessen immer mehr die Rolle dessen, der

14
Da Rezipienten sich a priori selektiv verhalten, kann man Ereignisse natürlich niemals „objektiv“ beo-
bachten oder feststellen, denn bereits die Wahrnehmung eines Ereignisses E verfährt, wie alle Wahr-
nehmung, selektiv.
66 Klaus Merten

vor dem Bildschirm nurmehr aus Fremdangeboten – die von PR immer erwartbarer,
immer kostengünstiger und immer professioneller bereitgestellt werden – auswählt.15
Das laufend zu beschaffende tägliche Volumen redaktioneller Berichterstattung über
Ereignisse E kann durch den Zugriff von PR nun erheblich gesteigert werden (Abb. 6).
Zugleich gewinnen PR-Fachleute die Möglichkeit, bei Bedarf über einen neuen, nicht
naturwüchsigen Ereignistypus É zu berichten, der als synthetisches Ereignis16 (etwa:
als Pressekonferenz, Event) oder gar als schier fiktionales Konstrukt mit bis hin zur
perfekten Unwahrheit reichenden Bezügen in den laufenden Strom der Information
nicht nur eingefädelt werden, sondern auf Grund der spezifischen Person-to-Person-
Interaction mit den Journalisten vergleichsweise durchsetzungsfähig gestaltet und stra-
tegisch genutzt werden kann.
Abb. 6: Kommunikationssystem der Mediengesellschaft

Noch immer können die Journalisten selbst vor Ort, in Tuchfühlung zum Ereignis re-
cherchieren; aber das gilt nurmehr für den Ausnahmefall, dessen Wahrscheinlichkeit
stetig abnimmt. Und das heißt tendenziell: Nur das, was die PR-Fachleute und Journa-
listen als informativ, als relevant selegieren, wird in der Berichterstattung zu finden
sein. Und: In dem Maß, wie der Journalist nunmehr Selektionen aus Selektionen vor-
nimmt, schirmt ihn dies zugleich von der Wahrnehmung von Authentizität, vom
"Atem des Geschehens" ab, was ebenfalls dazu beitragen dürfte, dass der Anteil fiktio-
naler Ereignisse É zunehmen wird. Theoretisch bedeutet dieses Reflexivwerden der In-
formationsbeschaffung (der Selektion aus Selektion) eine geradezu strategische Zäsur:
Informanten (Journalisten) werden nun selbst durch andere Informanten (PR-

15
Diese Arbeitsteilung besitzt zudem einen wichtigen weiteren Vorteil: Die Kosten der Informations-
beschaffung trägt nun nicht mehr das Kommunikationssystem, sondern das System, über welches be-
richtet wird, d.h. vor allem das System der Wirtschaft und das System der Politik.
16
Der Begriff des Ereignisses ist in diesem Zusammenhang relational zu definieren als erwartungsun-
treue Veränderung mit Folgen für soziale Relevanzbestände. Ein Pseudoereignis bzw. ein synthetisches
Ereignis wäre demgemäß als Meta-Ereignis zu definieren, nämlich als Ereignis, was auf ein anderes
Ereignis aufmerksam macht.
Zur Theorie der PR-Theorien 67

Fachleute) informiert. Systemisch gesehen zählt dabei nur, dass Information genügend
schnell und in genügendem Umfang vom Kommunikationssystem erzeugt wird.
Die hier beschriebene Reflexivisierung von Selektivität im Mediensystem erfolgt
nicht abrupt und wird zudem durch externe Randbedingungen beeinflusst, vor allem
durch a) die Ausdehnung der Relevanzradien der Mediengesellschaft auf Weltgesell-
schaft hin (Stichwort: Globalisierung), b) durch Verknappung der Ressourcen in den
Redaktionen und c) durch die größere Geschwindigkeit der Nachrichtenübertragung
bei d) gleichzeitig kürzerer Taktung von Information.
Das Differenzmanagement (die Täuschung) erfolgt hier in dreierlei Hinsicht: Durch
Herstellung a) vertrauensbildender informeller Kommunikation zu dem/ den Journali-
sten, der/die seine Pressemitteilungen verbreiten sollen (Modus: Metakommunikation).
Sodann b) durch die attraktive Verfassung der Pressemitteilung, die den Botschaften
der PR-Schaffenden, die nur eine partikuläre Relevanz besitzen, durch Publikation in
den Medien eine generalisierte Relevanz beschaffen soll (Modus: schriftliche Kommu-
nikation) und c) durch Konstruktion von fiktionalen Ereignissen É.
Aus der postulierten Reflexivisierung von Selektivität ist abzuleiten, dass die Zahl
der PR-Schaffenden in the long run die der Journalisten übersteigen wird. Denkbar ist
aber auch, dass in näherer Zukunft die Zweigliedrigkeit der Informationsbeschaffung
nochmals reflexivisiert wird, wie dies im Wirtschaftssystem ja längst passiert ist.17
Letztlich folgt daraus auch, dass der Einfluss von PR noch immer zunehmen wird –
insbesondere, wenn man in Rechnung stellt, dass PR-Schaffende ihr Instrumenten-
besteck mit immer größerer Konstruktivität zu handhaben wissen.
Eine letzte Betrachtung gilt der Frage, wie die Rollenausstattung geregelt sein wird.
Ich vermute, dass der soziale Status des Journalisten, der zumindest bislang höher ein-
geschätzt wird, an Rang verlieren, der des PR-Schaffenden dagegen an Rang gewinnen
wird, sozusagen ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit, der von den einen mit Freude,
von den anderen aber mit Bedauern zur Kenntnis genommen wird: Täuschung wird
unverzichtbarer, ist immer einfacher zu bewerkstelligen und entwickelt einen besseren
Pay-Off. Gleichwohl ist andererseits anzunehmen, dass die Rollenschottung zwischen
beiden Typen von Informationsbeschaffern weiter zunehmen wird.
Systemisch gesehen zählt dabei aber nur, dass Information genügend schnell und in
genügendem Umfang vom Kommunikationssystem erzeugt werden kann. Das System
ist dabei indifferent gegen die Frage, ob der Journalismus nun von PR determiniert
wird, ob dieses Verhältnis intereffikativ ist, ob es möglicherweise ethische Codes des
Journalismus tangiert. Das Kommunikationssystem kann nicht wählerisch sein, denn
Systeme bestehen aus Handlungen, nicht aus Personen und schon gar nicht aus ethi-
schen Richtlinien. Was zählt ist einzig, ob das System seine Funktion der Informati-
onsbeschaffung und Informationsverbreitung erfüllt. Das mag herzlos und inhuman
klingen, aber es ist nur logisch – systemlogisch.

17
Der Geldmechanismus ist als Tausch von Tauschmitteln längst reflexivisiert. Durch Erfindung von
Zins wurde diese Reflexivisierung fortgesetzt und der Zins hat eine weitere Reflexivisierung im Zinses-
zins erfahren.
68 Klaus Merten

4 Resümee
Die systemtheoretische Modellierung von Kommunikation hat gegenüber allen ande-
ren bekannten Theorien vier genuine Vorteile: 1) Sie macht den Kausalitätsbegriff ent-
behrlich, der bislang ein angemessenes Verständnis von Kommunikation massiv be-
hindert hat, 2) sie kann die Entstehung von Systemen über das Reflexivwerden von
Prozessen beschreiben, 3) sie kann sowohl für Systeme auf der Mikro-Ebene, auf der
kleine Systeme wie Kommunikation agieren, als auch solche auf der Meso-Ebene, auf
der z.B. Organisationen agieren als auch für Systeme auf der Makro-Ebene der Gesell-
schaft und ihrer Teilsysteme in Anspruch genommen werden und sie kann 4) Bezie-
hungen zwischen diesen Systemebenen herstellen. Für eine Theorie der PR kann sie in
mehrfacher Hinsicht fruchtbar gemacht werden:
a. Da sie Kommunikation, den basalen Prozess aller PR, erklären und modellieren
kann, kann sie für die gesamte PR auf der Ebene der Instrumente fruchtbar in An-
spruch genommen werden.
b. Für die genuinen Elemente resp. Kategorien der PR, nämlich Organisation und Öf-
fentlichkeit haben sich systemtheoretische Modellierungen längst als dominanter
Theorietyp ausgebildet.
c. Auch das strategische Prozesselement aller PR, nämlich das Management (Engi-
neering, Konstruktion) lässt sich als Kommunikation identifizieren und folglich sy-
stemisch modellieren.
d. PR wird, analog zu anderen Subsystemen des Medien- resp. Kommunikationssy-
stems, als Subsystem angesehen und entsprechend modelliert.
e. Kernbereiche einer Theorie der PR, vor allem das Verhältnis von Journalismus und
PR, lassen sich bevorzugt systemisch erklären.
Dass die Funktion der Täuschung als allgemeine Funktion aller PR durch Kom-
munikation (und nur durch Kommunikation) erfüllt werden kann, lässt sich differenz-
theoretisch modellieren, denn es gilt: Die Systemtheorie ist ein Sonderfall der Diffe-
renztheorie. Gemäß dem eingangs getroffenen Prüfungskriterium gilt also: Alle für die
Prüfung auf Anwendung einer fruchtbaren, flächendeckend sinnvollen Theorie der PR
verweisen auf die Systemtheorie als aussichtsreichsten Theorietypus. Die Eingangsfra-
ge, ob man PR-Theorie fruchtbarer anders als systemisch modellieren kann, muss in
Ansehung der hier geführten Argumentation beim derzeitigen Stand der Forschung mit
einem klaren „NEIN“ beantwortet werden.
Kurt Lewin, einer der vier Väter der Kommunikationswissenschaft, war der einzige
Sozialwissenschaftler, der von Anfang an an den Sitzungen des Kreises um Norbert
Wiener, den Vater der Kybernetik, am M.I.T. teilgenommen hat. Hätte er länger ge-
lebt, hätte er seine Feldtheorie vermutlich nicht Feldtheorie, sondern Systemtheorie
genannt, denn seine Feldtheorie ist bereits im Ansatz als System-Umwelttheorie ange-
legt. Doch für die Mühen theoretischer Arbeit hat er einen ermutigenden Satz großer
Tragweite hinterlassen: „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“ (vgl. Marrow
1977: 145). Die Theorie sozialer Systeme schickt sich an, davon guten Gebrauch zu
machen.
Zur Theorie der PR-Theorien 69

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Für Public Relations?
Ein kommunikationswissenschaftliches
Theorienbouquet!

Manfred Rühl

1 Vorbemerkungen
Die Einladung zur Ringvorlesung Welche Theorien für welche Public Relations? (Zü-
rich, Wintersemester 2002/2003) weckte Erinnerungen an die Pionierzeiten für wissen-
schaftliche Public Relations. Sie liegen noch gar nicht so weit zurück. Es war im
Sommersemester 1980, als wir in einem publizistikwissenschaftlichen Seminar an die-
ser Universität erstmalig Public Relations als Wissenschaft problematisierten. Ulrich
Saxer hatte ein Forschungsfreisemester‚ ich war eingeladen worden, seine Professur zu
vertreten, und das Seminar hieß Public Relations als gesellschaftliche Funktion und
Beruf. Die Erfindung einer Rezeptologie für eine unmittelbar anzuwendende Public
Relations war nicht vorgesehen. Was vorlag war eine üppige Rechtfertigungsliteratur,
in der eine PR-Praxis ihr Selbstbild bespiegelte – ohne beispielsweise ein empirisch-
vergleichendes PR-Fremdbild zu wagen (Rühl 1986). Public Relations hielt man für
eine publizistische Geschicklichkeit, betrieben von Günstlingen der Natur. Wissen-
schaftliche Bemühungen um PR galten als Einmischung in innere Angelegenheiten. In
den Zeitungsredaktionen standen die PR-Leute unter dem Generalverdacht, lediglich
kostenlose Werbung platzieren zu wollen. Und die kommunikationswissenschaftlichen
Fachkollegen verhielten sich gegenüber einer universitären Public Relations sehr re-
serviert.
Im deutschen Sprachraum war Franz Ronneberger (Universität Erlangen-Nürnberg)
seit Mitte der 1970er-Jahre dabei, eine sozialwissenschaftliche Public Relations zu
strukturieren und zu organisieren. Public Relations gehörte – zusammen mit Human-
kommunikation, Organisationskommunikation und Kommunikationspolitik – zu den
‚Formaten‘, die ich seit 1976 in den Aufbaustudiengang Journalistik an der Universität
72 Manfred Rühl

Hohenheim zu integrieren versuchte. Einige der Zürcher Studenten hatten PR-


Arbeitsmöglichkeiten durch Praktika kennen gelernt und waren mit Eifer dabei, Public
Relations anhand von Fallstudien zu studieren. Das am Semesterende erstellte Thesen-
papier dokumentiert, dass das Seminar mit dem damaligen sozialwissenschaftlichen
Wissen über Kommunikation, Organisationen, Berufe und Gesellschaft – mit der Sy-
stem/Umwelt-Theorie als Erkenntnishilfe und der Methode des Funktionalismus als
Testverfahren – ein Theorienbouquet gefunden hatte, das die PR-Fallstudien zusam-
menhielt.

2 Wieso keine universalistische Public-Relations-Theorie?


Was wir damals noch nicht wissen konnten: Für eine wissenschaftliche Public Relati-
ons kann keine universalistische Theorie entwickelt werden. Zu unterschiedlich sind
die Bedingungen und Prämissen, die Laien, Experten (Praktiker) und Wissenschaftler
aktivieren, wenn sie PR-Normaltheorien bearbeiten. Diese These wird im nachstehen-
den Schema im Überblick zusammengefasst, um anschließend diskutiert zu werden.
Abb. 1: Schema möglicher Theorien zur Bearbeitung von PR-Normaltheorien
Begriffstheorien Reflexionstheorien Methodentheorien
(Terminologie) (Epistemologie) (Methodologie)

Laien-PR Alltagsbegriffe Theorien über den ge- Versuch-und-Irrtum-


meinen Menschenvers- Theorien (trial-and-
tand (common-sense- error-theories)
theories)
Experten-PR Expertenbegriffe Theorien über Erfah- Arbeitstheorien
rungswissen (working theories)
(knowhow theories)

Wissenschafts- Wissenschafts- Erkenntnistheorien Erfahrenstheorien


PR begriffe (Empirik, Historik,
Funktionalismus)

2.1 Laientheorien
PR-Laien argumentieren vorzugsweise mit Begriffen des Alltags und der Umgangs-
sprache. Ihre reflexionstheoretische Instanz ist der gemeine Menschenverstand (com-
mon sense), eine wissenschaftlich unkontrollierte Rationalität, die Laien mit der Me-
thode Versuch und Irrtum (trial and error) handhaben: „Probier’n mas halt!“ oder
„Schau’n ma mal“. PR-Laien beobachten alltagsvernünftig, und zwar sensuell direkt
‚mit eigenen Augen und Ohren‘, und sie urteilen überwiegend emotional und morali-
sierend. Wir alle kommunizieren in einer differenzierten Weltgesellschaft (Luhmann
1997; Stichweh 2000) überwiegend als Laien. Wenige sind operative PR-Experten,
und ein wachsender Teil des kleinen Faches Kommunikationswissenschaft ist seit ei-
nem Vierteljahrhundert dabei, Public Relations nach den begrifflichen, methodischen
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet! 73

und theoretischen Regeln der Sozialwissenschaften zu etablieren. Werden Public Rela-


tions, Journalismus, Werbung und Propaganda als Persuasionssysteme der Alltagspu-
blizistik typisiert (Rühl 2001), dann ist für Kommunikationslaien charakteristisch, dass
sie Public Relations von den anderen, allgemein interessierenden Persuasionssystemen,
kaum unterscheiden. Zunehmend viele werden von Arbeits und Berufs wegen in Spe-
zialbereichen zu Kommunikationsexperten – auch und gerade zu solchen der PR. Dar-
an ist nicht zuletzt die PR distanziert untersuchende und lehrende Kommunikations-
wissenschaft ‚Schuld‘. Es wird immer so sein, dass Kommunikationsexperten und
Kommunikationswissenschaftler über das Wetter und das Kinderkriegen, über Politik,
Wirtschaft, Religion und Ethik, über Liebe, Krieg, Krankheit und Tod, überwiegend
laienhaft kommunizieren. Umso wichtiger ist es, dass im Zeitalter typografischer und
elektronografischer Kommunikation alle Menschen Public Relations, Journalismus,
Werbung und Propaganda auf eine besondere Weise zu lesen lernen (Rühl 2002) – ein
Sachverhalt, der die kommunikationswissenschaftliche Forschung erstaunlicherweise
wenig interessiert.

2.2 Expertentheorien
PR-Experten kommunizieren ausdrücklich mit Begriffen, Ideen und Vorstellungen aus
ihren Berufen und ihrem Arbeitsalltag. Sie reden und schreiben bevorzugt im Fachjar-
gon (‚PR-Pidgin‘), beziehen sich auf eigenes Erfahrungswissen (Know-how), das sie
in der beruflichen Arbeit erwerben und ständig erneuern. Die Arbeitstheorien (working
theories) der Experten umschreiben die Zwecke der Praktikerarbeit, mit der sie Wir-
kungen erzielen wollen (McQuail 1983; Rühl 1987). Methodisch bevorzugen Experten
die Anschaulichkeit gegenüber der Testfähigkeit. PR-Expertentheorien können wissen-
schaftliche PR-Forschungen anregen, während Praktikerfragen von der Wissenschaft
nicht unmittelbar zu beantworten sind. Bis heute bemüht man sich in der Praxis, Public
Relations als persuadierende Kunstlehre (vergleichbar der antiken Rhetorik) zu verste-
hen und zu betreiben. Erfahrungstheorien und Arbeitstheorien der Experten können
keine Substitute für wissenschaftliche PR-Theorien sein. PR-Praktiker analysieren sel-
ten. Sie formulieren lieber Ratschläge für ein unmittelbares Anschlusshandeln. Klas-
sisch die Formel: „Tu(e) Gutes und rede darüber“ (Zedtwitz-Arnim 1981). Dieser Ge-
meinspruch strapaziert ein PR-Sonderbewusstsein für PR-Praktiker, das sie befähigen
soll, ‚das Gute‘ zu erkennen und ein ‚richtiges Tun‘ auszulösen. PR-Expertentheorien
kennen offenkundig eine ‚natürliche‘ PR, Public Relations als Gegebenheit, noch vor
aller theoretischen Reflexion. Diese Annahme wird immunisiert, weil PR-
Expertenwissen sich von wissenschaftlichem PR-Wissen erst gar nicht verunsichern
lässt. Dieses radikal vereinfachende Verhalten gegenüber Wirklichkeiten scheint Heinz
von Foersters Verdacht zu bestätigen: „Je tiefer das Problem, das ignoriert wird, desto
größer sind die Chancen, Ruhm und Erfolg einzuheimsen“ (Foerster 1985: 17).
74 Manfred Rühl

3 Anforderungen an die wissenschaftliche PR-Theoriebildung


Da Public Relations als kommunikationswissenschaftliche Normaltheorie nicht in je-
dem Einzelfall erkenntnis- und methodentheoretisch in Frage zu stellen ist, wird erwar-
tet, dass PR-Theorien hinreichend abstrakt konzipiert, gleichwohl testfähig formuliert
werden. Alltagsvernünftige Zweckfragen sind keine wissenschaftlichen Leitfragen.
Den Alchemisten wurde von hochherrschaftlichen Laien die zweckhafte Aufgabe ge-
stellt, Gold zu produzieren. Aus Vorgaben dieser Art sind keine hypothetischen Pro-
blemstellungen für chemische Analysen und Synthesen herzuleiten. Auch die kommu-
nikationswissenschaftliche Public Relations kann keine laienhaft vorformulierten PR-
Probleme untersuchen. Sie muss sich allerdings selbstkritisch fragen, ob sie als wissen-
schaftliche Disziplin schon ihre ‚alchemistische‘ Phase hinter sich gelassen hat.
Wer im deutschsprachigen Raum vor rund dreißig Jahren Sozialwissenschaften
studierte, der konnte den Eindruck gewinnen, in eine Kolonie der Statistik und empiri-
schen Methode geraten zu sein. Wissenschaftstheoretisch wurde zu jener Zeit den Stu-
dierenden angemutet, sich entweder für den Kritischen Rationalismus Karl Poppers
oder für die Kritische Theorie der Frankfurter Schule zu entscheiden (Adorno et al.
1972). Von bekennenden Kritischen Rationalisten wurde erwartet, dass sie empirisch
gehaltvolle, (tierisch) erprobte Verhaltenstheorien informativ konstruierten, sie mit
quantitativen Begriffen definierten, um sie erneut streng zu testen (Opp 1970). Wer
sich als Sozialwissenschaftler für Probleme menschlicher Kommunikation (human
communication), vor allem für Probleme der Publizistik interessierte, der musste zwei-
erlei einsehen:
(1) Mit Verhaltenstheorien sind keine Kommunikationsprobleme zu studieren.
Zwar sagen auch Verhaltensforscher „Kommunikation“, doch sie meinen körperliche
Aktivitäten und biochemisches Wissen, die in Humankommunikation (Sprechen, Hö-
ren) als Ursache der Beeinflussung anderer Menschen hineinkopiert werden (Wuketits
1995: 135-160). Definieren Ingenieurwissenschaftler ‚Kommunikation‘, dann halten
sie deren semantische Dimension für irrelevant (Shannon & Weaver 1976: 31). Diese
beiden Positionen waren und sind für eine emergierende Kommunikationswissen-
schaft, und somit für Public Relations, untragbar.
(2) Wer vermutet, PR könnte in den Formen singulärer Schöpfungsakte genialen
Köpfen entspringen – per „name-dropping“ werden Alexander der Große, Julius Cae-
sar, der Apostel Paulus oder Martin Luther genannt – der verkennt, dass wissenschaft-
liches PR-Wissen in Auseinandersetzung mit bewahrten (preserved), das sind die nicht
vergessenen wissenschaftlichen Normaltheorien, und die konsentierten Methoden, in
erster Linie erneuert wird – und zwar durch eine Kommunikationskommunität (com-
munications community).
Anders als die Nationalökonomie verfügt Public Relations über keine Dogmenge-
schichte, das ist eine Geschichte epochalisierter Fachtheorien. Anzunehmen ist, dass es
verschiedene theoriehistorische PR-Ansätze für Vorformen der Public Relations gibt.
Eine Mutmaßung richtet sich auf die absolutistisch-merkantilistische Persuasions- und
Manipulationspublizistik des frühen 17. Jahrhunderts. Damals verfolgte Théophraste
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet! 75

Renaudot die Idee, mit der staatlich privilegierten Gazette und anderen Pariser Zeitun-
gen, in Verbindung mit dem Bureau d’Adresse et de Rencontre und dem Feuille du
Bureau d’Adresse (einer Angebots- und Nachfrageliste), den Elendskreislauf aus Ar-
mut, Unterernährung, Krankheit, Nicht-Bildung und Dauerarbeitslosigkeit durch eine
Wohlfahrtspolitik des Tauschens, Vermittelns, Beratens, Diagnostizierens und Thera-
pierens zu durchbrechen (Solomon 1972; Rühl 1999: 82-90). Eine andere geschichts-
theoretische Hypothese nimmt für PR die Wende zum 20. Jahrhundert in den Blick.
Aktivitäten, die den heutigen Public Relations funktional vergleichbar sind, hießen
seinerzeit Publicity, und waren beispielsweise auf das organisierte Helfen gerichtet
(Rühl/Dernbach 1996), die, neben Journalismus, Werbung und (Kriegs-)Propaganda,
als Systeme öffentlicher Kommunikation ‚entstanden‘. Die öffentliche Kommunikati-
on (public communication) Europas wurde im 19. Jahrhundert nachhaltig vom Ideolo-
gienwettstreit zwischen Liberalismus und Sozialismus sowie von den Folgeproblemen
der Industrialisierung, Elektrifizierung, Urbanisierung, Alphabetisierung, Demokrati-
sierung, insbesondere von Technisierung und Medialisierung geprägt (Rühl 1999,
2000b).
In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wird erstmals eine begrifflich und
theoretisch durchstrukturierte PR-Theorie entworfen, eingebettet in den sozialwissen-
schaftlichen Theorienpluralismus der Zeit, mit einer kybernetisch-autopoietischen Sy-
stem/Mitwelt-Theorie als Erkenntnishilfe, gesteuert von der funktional vergleichenden
Methode (Ronneberger/Rühl 1992). Werden heute Public Relations, Journalismus,
Werbung und Propaganda als funktional-strukturelle Teilsysteme der Alltagspublizi-
stik problematisiert (Rühl 2001), dann treffen auf sie einige Verallgemeinerungen zu:
Alltagspublizistische Probleme sind komplexe Beziehungsverhältnisse, die insofern
kontingent bleiben, als für ihre Lösung immer mehrere Möglichkeiten zur Auswahl
stehen, und getroffene Entscheidungen immer anders ausfallen können, als erwartet
wird. Ihre sachlichen, sozialen und zeitlichen Probleme sind lösungsbedürftig, aber
nicht bündig zu erledigen. Alltagspublizistik kommt nicht ganz bestimmt zustande,
sondern birgt Risiken der Enttäuschung. Die Vor- und Nachteile, die sich beim Kom-
munizieren situativ für die Beteiligten ergeben, werden während des Kommunikati-
onsprozesses phasenverschieden abgewogen und neu festgelegt, und sie bilden eine –
wenn auch keine besonders feste – neue Ausgangslage. Zum vorläufigen Festlegen
schlägt die strukurell-funktionale Handlungstheorie Talcott Parsons gemeinsame
Wertprämissen als Orientierungen vor, während die funktional-strukturelle Kommuni-
kationstheorie Niklas Luhmanns in dem Ausdifferenzieren neuer Kommunikationssy-
steme Stabilität vermutet.
Das System Alltagspublizistik wird problematisch als strukturiertes Innen gegen-
über dem unkontrollierbaren Außen der Weltgesellschaft. Beide, Alltagspublizistik
und Weltgesellschaft, sind Kommunikationssysteme, die eine Einheit in Differenz bil-
den. Der Modus Kommunikation setzt Leben und Bewusstsein voraus, ohne durch Le-
ben und Bewusstsein ersetzt werden zu können. Damit die Fülle hergebrachter und
künftiger Alltagspublizistik geordnet und vergleichbar werden kann, sind alltagspubli-
76 Manfred Rühl

zistische Systeme, auch Public Relations, durch eine Funktion zu definieren und zu
identifizieren.
Erwecken Wissenschaftler den Eindruck, epistemisch und methodisch ‚neutral‘ ar-
beiten zu können, indem sie wissenschaftliche Wahrheit ‚rein faktisch‘ feststellen wol-
len, dann operieren sie nicht theorielos. Sie unterlassen es lediglich, ihre Methoden und
Erkenntnistheorien offenzulegen, um sie selbstkritisch zu diskutieren. Faktizität ist ei-
ne Wissenschaftsdimension, aber Fakten können bekanntlich nicht für sich selbst spre-
chen.

4 Zum kommunikationswissenschaftlichen
PR-Forschungsprogramm
Public Relations kann als wissenschaftliche Disziplin verwirklicht werden, wenn eine
(zeitlich vorab konstituierte) PR-Wissenschaftskommunität (public relations communi-
ty) wissenschaftsfähige Theorien (researchable theories) mit strukturellen Einheiten
(Begriffen) und operativen Einheiten (Methoden, Modellen, Metaphern) bearbeitet. Al-
le Aussagen über Public Relations werden im PR-System gemacht, bezogen auf Orga-
nisationen, Haushalte, Märkte und weitere Gesellschaftsformen. Public Relations und
Weltgesellschaft bilden eine System/Mitwelt-Einheit in kommunikativer Dauerzirkula-
tion, in der sich das PR-System selbst emergiert und sich selbst diskriminiert. Die
Funktion – eingeschlossen die Leistungs- und Aufgabenbereiche –, weshalb Public Re-
lations weltgesellschaftlich ausdifferenziert wurde, kann – in Anlehnung an Ronneber-
ger/Rühl (1992) – wie folgt beschrieben werden: Public Relations ist als alltagspublizi-
stisches Persuasionssystem auf Überreden und Überzeugen weltgesellschaftlicher Öf-
fentlichkeiten ausgerichtet. Mithilfe heterarchisch vernetzter Haushalte, Organisatio-
nen und Märkte bearbeitet das PR-Gesamtsystem, anhand vorprogrammierter Ent-
scheidungsprogramme, eine zirkuläre Re-Produktion und Re-Rezeption öffentlicher
Kommunikation, mit der spezifischen Absicht, öffentliche Interessen (public interests)
und öffentliches Vertrauen (public trust) auf dem Niveau des Bescheidwissens zu ver-
stärken und zu pflegen.
Um Eigenstabilität und Selbststeuerung zu erreichen, strukturiert sich das PR-
Gesamtsystem selbst durch das Ausbilden von Rollen, Stellen, Normen, Werten und
Entscheidungsprogrammen – sowohl auf der PR-Produktionsseite, als auch auf der PR-
Rezeptionsseite (Ronneberger/Rühl 1992). Das PR-Lehr- und Forschungssystem kann
als ‚Überschneidungssystem‘ zwischen dem PR-Gesamtsystem und dem Wissen-
schafts-Gesamtsystem beobachtet werden. Dieselben Personen kommunizieren durch
verschieden kombinierte Rollen- und Stellenstrukturen als Public Relations-
Produzenten oder PR-Rezipienten. Erwerbsberuflich produzierende PR-Experten kön-
nen somit in den Rollen Leser, Hörer und Zuschauer Public Relations rezipieren. Mit
ihrem PR-Erfahrungswissen (Know-how) können sie – ohne Stellen – in den Rollen
von Lehrbeauftragten in Hochschulen praktische Public Relations lehren. Wenn sie
über wissenschaftsfähiges PR-Wissen (researchable knowledge) verfügen, dann kön-
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet! 77

nen PR-Experten im PR-Wissenschaftssystem wissenschaftsfähig forschen. Die funk-


tional-vergleichende Methode versetzt die wissenschaftliche PR-Kommunität in die
Lage, Begriffe, Modelle und Theorien der Public Relations aus psychischen und sozia-
len Gedächtnissen verfügbar zu machen (Retention), sie auszuwählen (Selektion), ab-
zuwandeln (Variation) und umzubauen (Rekonstruktion).

5 Wissenschaftsbegriffliche Probleme
Vor einhundert Jahren hieß Public Relations in den USA noch Publicity, vor etwa
fünfzig Jahren erfand man den deutschen Begriffstitel Öffentlichkeitsarbeit. Begriffsti-
tel sind keine Begriffe. Wissenschaftliche Begriffe sind vorläufig konstant gesetzte
Struktureinheiten zum Sondieren wissenschaftsfähiger Probleme. Mit wissenschaftli-
chen PR-Begriffen wird in Forschung und Lehre Anschluss gesucht an vorhandenes,
wissenschaftlich produziertes PR-Wissen, um es zu erneuern. Dabei fungieren Metho-
den, Modelle, Metaphern als operative Elemente, das sind Anweisungen für die Bil-
dung von Erwartungen in konkreten Situationen. Begriffe, Modelle, Methoden, vor al-
lem PR-wissenschaftliche Theorien, so genannte Normaltheorien, werden Studieren-
den als Denkzeug und Werkzeug an die Hand gegeben, damit sie lernen, PR-Probleme
wissenschaftlich zu bearbeiten.
Den Zürcher PR-Seminarteilnehmern stand 1980 wenig wissenschaftliches PR-
Wissen zur Verfügung. Es existierten mehrere hundert fantastischer, wenn auch infor-
mationsarmer, ‚Schaubegriffe‘. „Concepts are made for use, not for show“ (Marshall
1963: 14). Deshalb unterwarfen wir die PR-Begriffsfülle einer Begriffsanalyse (Ron-
neberger/Rühl 1992: 19-37), die ergab, dass allzu viele PR-Definitionen a-historisch
und a-sozial, das heißt ohne theoretische Abhängigkeit von Geschichte und Gesell-
schaft formuliert werden. Die Urheber von PR-Bestimmungen verhalten sich allzu oft
wie mittelmäßige Fußballstürmer: Sie spielen flach, passen gut, bedienen die Mitspie-
ler, setzen sich selbst in Szene – aber sie vergessen zu treffen. Sprachlich elegant for-
mulierte, sachlich plausibel beschriebene, idealtypisierte PR-Definitionen reichen nicht
aus, komplexe PR-Wirklichkeiten zu analysieren, um sie PR-politisch zu synthetisie-
ren.

5.1 Nominalistische PR-Begriffe


Nominalistische Begriffe sind sprachliche Festsetzungen. Mit ihnen werden auf Etiket-
ten die Inhalte von Marmeladengläsern angegeben, ohne dass nominalistische Begriffe
der Analyse dienen könnten. Nominalistische Begriffe erfüllen in diesem Falle ihre
Aufgaben umso besser, je plausibler der Inhalt umgangssprachlich (und werbesprach-
lich) umschrieben wird. Getrennt davon werden auf dem Etikett mit analytischen Be-
griffen die Ergebnisse der lebensmittelchemischen Kontrolle fachsprachlich präzisiert.
Wählen Praktiker(lehr)bücher und die einschlägige Fachpresse (trade press) nominali-
stische Begriffe (PR-Profis, PR-Gags, Medienresonanz usw.), dann favorisieren sie
damit Einzelheiten, mit denen bei Auskunftssuchenden vorwissenschaftliche PR-Erin-
78 Manfred Rühl

nerungen geweckt werden. Aus wissenschaftlich ungeprüften Termini sind keine wis-
senschaftlichen Verallgemeinerungen abzuleiten. Werden mit nominalistischen Begrif-
fen ‚Was-ist-Fragen‘ beantwortet, dann werden ‚natürliche‘ PR-Bedeutungen voraus-
gesetzt, die auch dann empirisch-analytisch unzugänglich bleiben, wenn sie aus dem
Mund und der Feder von PR-Prominenz stammen.

5.2 PR-Realdefinitionen
Unter Realdefinitionen versteht die klassische Wissenschaftslehre die Beschreibung
des ‚Wesens‘ (‚the nature of‘) irgendwelcher Tatbestände. Wesensbestimmungen ha-
ben in der geisteswissenschaftlichen Zeitungswissenschaft und in der Praktiker-PR
Tradition. Fragt Otto Groth (1960) nach den Wesensmerkmalen der Zeitung, dann
wiederbelebt er Platons Ideenvorstellungen, der ideale Begriffe zu realen Wirklichkei-
ten ins Verhältnis setzen wollte (Rühl 1969a). Schreibt Albert Oeckl (1976) über den
‚Wesensverband‘ zwischen Public Relations und Umwelt, und definiert er „Öffent-
lichkeitsarbeit = Information + Anpassung + Integration“, dann haben wir es mit einer
wesensontologischen Leerformel zu tun, ohne Bezugnahme auf eine soziohistorische
Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit (Ronneberger/Rühl 1992). Realdefinitionen ope-
rieren – seit der mittelalterlichen Scholastik – mit der Gegenüberstellung idealer For-
malobjekte und realer Materialobjekte. Formalobjekte sind ideale Vor-Bilder, in die al-
le im Laufe der Geschichte auftretenden, als Realitäten vorab bestimmte Materialob-
jekte als Forschungsgegenstände hineinverlagert werden. Die begriffsrealistische PR-
Lehre definiert ihren Gegenstand zeitlos und sozial unabhängig, und erwartet, dass De-
finitionen die Wirklichkeit unmittelbar widerspiegeln. Als Idealobjekt wird PR zu ei-
ner realdefinitorischen Kategorie, die nach Gattungen, Arten, Unterarten, nach wesent-
lichen und unwesentlichen Eigenschaften und Merkmalen untergliedert werden kann.
Als reine Sprachlichkeiten sind Realdefinitionen empirisch unzugänglich, eignen sich
also nicht zum Sondieren von PR-Forschungsproblemen.

5.3 Funktional-vergleichende PR-Begriffe


Werden kommunikationswissenschaftliche PR-Arbeiten mit funktional-vergleichenden
Begriffen markiert, dann in der Absicht, Leistungen und Aufgaben zwischen Public
Relations als Bezugssystem und Weltgesellschaft als Referenzsystem aufzuweisen und
auseinanderzulegen. Die oben beschriebene Funktionalität der Public Relations liegt in
der Verstärkung und Pflege öffentlicher Interessen (public interests) und öffentlichen
Vertrauens (public trust) – nicht von Partikularinteressen und persönlichem Vertrauen.
Der klassische Funktionalismus ist der teleologische Funktionalismus. Ihm liegt ei-
ne, für Public Relations untypische Zweck/Mittel-Beziehung zugrunde. Die funktiona-
listische Soziologie Talcott Parsons und Robert K. Mertons operiert teleologisch. Sie
ist auf finale Zwecke ausgerichtet, die positive Wirkungen (Eufunktionen) oder negati-
ve Wirkungen (Dysfunktionen) haben können. Auch die traditionelle Betriebswirt-
schaftslehre konzipiert Unternehmensleistungen teleologisch, als marktförmig wirksa-
me Möglichkeiten zum Messen gesetzter Zwecke (Effektivität), deren Ergebnisse Effi-
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet! 79

zienz ausdrücken (Rühl 1980: 122ff.). Dem teleologischen Funktionalismus geht es um


bestandswirksame Leistungen für Sozialsysteme; äquivalenzfunktionalistische Interes-
sen sind dagegen auf Probleme und deren Lösungen ausgerichtet (Görke 1999: 155ff.
u. 272ff.). Die Semantik einer äquivalenten Funktion meint das Sinnmachen eines zen-
tralen Gesichtspunkts zwischen den System/Mitwelt-Beziehungen von PR-System und
Gesellschaftsordnung. Eine gesellschaftlich-vergleichende PR-Funktion ist in jedem
Fall auf innerorganisatorische Aufgaben und marktbezogene Leistungen und Gegenlei-
stungen kleinzuarbeiten. Operiert und kooperiert die Public Relations der hyperkom-
plexen Weltgesellschaft, dann kann sie keine punktuellen Ziele oder Zwecke festlegen
und erwarten, jemals ins Schwarze zu treffen. Mit funktionalen Begriffen werden
Vermutungen über Zusammenhänge, Abhängigkeiten oder Beeinflussungsverhältnisse
eingegrenzt, die gleichbedeutend sind mit Hypothesen über ausgewählte Beziehungen
persuadierender Kommunikationssysteme. Funktional-vergleichend konzipierte PR-
Systeme entwickeln autonome Entscheidungsstandards, um zur Weiterkommunikation
anzuregen. Eine vergleichende PR-Funktion verzichtet auf exaktes Messen. Mehr als
die Faktizität aggregierter Daten interessiert die funktionale PR-Forschung, ob und wie
die PR-Funktion in PR-Leistungen und PR-Aufgaben ausdifferenziert werden kann,
um Unterschiede zu Werbung, Propaganda, Journalismus und anderen Kommunikati-
onssystemen herauszuarbeiten.

6 Systemtheoretisches Erkenntniswissen
und die Tücke des Subjekts
Systeme dienen seit der Antike der Reduktion von Beziehungskomplexitäten. Klas-
sisch die Systemkonzeption des Kosmos, wenn von der Erde aus der gestirnte Himmel
beobachtet wird, um bestimmte Beziehungen zwischen Sternen, Menschen, Göttern,
Mythen und Naturereignissen herzustellen. Der klassische Systembegriff ist innenge-
richtet und kennzeichnet umweltlose Ganzes/Teile-Beziehungen. Dem setzt Immanuel
Kant (1787/1968: B 92, 93) eine Systemarchitektur entgegen, die durch eine Funktion
zusammengehalten wird. Und Georg F. W. Hegel (1807/1986: 12) konzipiert ein (or-
ganisches) System, in dem ‚das Neue im Alten‘ aufgehoben ist: die Blüte in der Knos-
pe, die Frucht in der Blüte usw.
Wichtige Erkenntnishilfen findet die Kommunikationswissenschaft in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts in diversen Systemvorstellungen (Rühl 1969b; Saxer
1992). Die Systemtheorie der Kybernetik erster Ordnung, eine im Ansatz planende
Theorie beobachteter Systeme (observed systems), wird an Maschinen und Organis-
men exemplifiziert, und verspricht der Reduktion von Umweltkomplexität zu dienen
(Ashby 1974). Wegen ihrer organischen und mechanischen Erblasten wird die Altky-
bernetik selten zur Erklärung sozialer Kommunikationssysteme herangezogen (Rei-
mann 1974). Mit der Kybernetik zweiter Ordnung als der Theorie sich selbst beobach-
tender Systeme (theory of observing systems) (Foerster 1982; Maturana 1985), operiert
80 Manfred Rühl

eine Theorie der Kommunikations-Weltgesellschaft (Luhmann 1997), und unsere Pub-


lic Relations-Theorie (Ronneberger/Rühl 1992).
Als Gegenstück zur System/Umwelt-Theorie wird seit einigen Jahren die Sub-
jekt/Objekt-Unterscheidung wieder nachdrücklich ins Feld geführt (Rühl 1997). Das
Subjekt (Akteur, Individuum, Mensch) wird als Bezugseinheit für alles Menschliche
im 18. Jahrhundert von der Philosophie des Deutschen Idealismus und der Ideologie
des Altliberalismus eingeführt. Akteure können handeln, aber sie können nicht kom-
munizieren. Schon der Frühaufklärer Christian Thomasius (1692/1995: 89) erkennt
ausgangs des 17. Jahrhunderts Wechselbeziehungen zwischen dem Einzelmenschen,
der Kommunikation und der Gesellschaft: Der Mensch wird erst durch die Gesellschaft
zum Menschen, da menschliche Gedanken nur dann zu kommunizieren sind, wenn es
andere Menschen als Gesellschaft gibt. Zur Kommunikation gehören mindestens zwei.
Und die Kommunikation ist, im Unterschied zum Handeln, das raffiniertere Äuße-
rungsvermögen – auch vermenschlichter Fabeltiere: „Der Igel und seine Frau besaßen
als soziales System prudentia (Klugheit, M.R.) im Verhältnis zum Hasen: Sie konnten
schnell hochselektiv kommunizieren, während der Hase nur schnell laufen konnte“
(Luhmann 1984: 76).
Wird beansprucht, Public Relations sei eine Profession, die sich anhand bestimmter
Eigenschaften und Merkmale von ‚PR-Profis‘ darstellen ließe, dann vermeidet diese
sprachliche Mutmaßung die Ergebnisse der empirischen Arbeits-, Berufs- und Profes-
sionsforschung eines halben Jahrhunderts. Werden kontingent kommunizierende Or-
ganisationen (Jablin et al. 1987; Luhmann 2000) ‚Akteure‘ genannt, dann vernebelt
dieser Begriffstitel die innerorganisatorischen Strukturen und Managementaufgaben
aller Organisation ebenso wie deren marktorientierte Leistungswettbewerbe. Und wird
versucht, Joseph A. Schumpeters idealtypischen Unternehmer als homo oeconomicus
zur Lösung organisationsförmiger Journalismus- und Public Relations-Probleme wie-
derzubeleben (Ruß-Mohl 1997), dann ist nach den Erkenntnisversprechungen für die
Kommunikationswissenschaft zu fragen, nachdem die Wirtschaftswissenschaften diese
Individualmodelle – wegen empirischer Unbrauchbarkeit – nur noch dogmenge-
schichtlich diskutieren.
Als zirkelförmiges Vorgehen muss jede PR-Theoriebildung immer wieder nach er-
klärungskräftigeren (Komparativ!) Erkenntnistheorien Ausschau halten. Die seit fünf-
zig und mehr Jahren intensivierte System/Umwelt-Theorie hat, soweit zu sehen ist,
keine erkenntnistheoretische Konkurrenz erhalten. Mit der System/Umwelt-Theorie
können heutzutage PR-Probleme hinreichend abstrakt formuliert werden, um damit
kontingente PR-Realitäten einer hyperkomplexen Weltgesellschaft als Systeme geord-
neter Beziehungen zu rekonstruieren.
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet! 81

7 PR-Theorien als
kommunikationswissenschaftliche Normaltheorien
Mit Paradigmen, Images, Schematisierungen oder Supertheorien wird versucht, nor-
maltheoretische Probleme zu vereinfachen, zumal solche, die einzelne Disziplinen
übergreifen. Die hier bevorzugten Supertheorien sind in der Lage, sich bei der Analyse
selbst mit einzubeziehen (Luhmann 1984: 19). Für Public Relations scheinen als Su-
pertheorien in Frage zu kommen: System-, Emergenz-, Kommunikations-, Öffentlich-
keits-, Kreislauf-, Organisations-, Markt- und Entscheidungstheorien. Die für diesen
Beitrag gebotene Kürze veranlasst, nur drei zentrale Supertheorien auszuwählen und
knapp zu charakterisieren: Kommunikations-, Öffentlichkeits- und Kreislauftheorien.

7.1 Kommunikationstheorien

Das Wissen über Kommunikationssysteme wird in Theorien „aufgehoben“. Wir wis-


sen nicht, welcher Teil der wissenschaftlichen Kommunikationstheorien, die im Laufe
der Geschichte produziert wurden, auch erinnert wird. Die nicht vergessenen bewahren
die mit Kommunikation in Lehre und Forschung befassten in ihren Köpfen (psychische
Gedächtnisse), und in den Fachbüchern, Fachzeitschriften, Akten und weiteren Schrif-
ten der Bibliotheken und Archive (soziale Gedächtnisse). Zur Wiederbearbeitung wer-
den Kommunikationstheorien aus psychischen und sozialen Gedächtnissen retentiert,
das heißt verfügbar gemacht (Weick, 1985: 293-305).
Die Kommunikationskommunität (communications community) bearbeitet Kom-
munikationstheorien in drei Dimensionen. (1) In der Sachdimension kann Kommuni-
kation gelingen, wenn Sinn, Thema, Information, Mitteilung, Gedächtnis und Verste-
hen aufeinander zugeordnet werden. Sinn steht für das Gemeinte, das Gewusste, In-
formation für das Neue, das Überraschende, Thema operiert als das Eingrenzende und
Mitteilung meint Anregung zu weiteren Kommunikationen. Gelingt die Synthese der
sachlichen Kommunikationskomponenten, dann können Menschen verstehen. Sie wäh-
len zwischen verbaler und nonverbaler, oraler und literaler Kommunikation, sie kom-
munizieren durch symbolisierte Modi (Worte, Gebärden, Bilder, Musik), durch verein-
fachende Technisierungen und durch Medialisierung programmierter Entscheidungs-
programme. Dabei kommt der Sprache eine Zusatzfunktion insofern zu, als mit Spra-
che über die Sprache und somit durch Kommunikation über Kommunikation kommu-
niziert werden kann (Luhmann 1996: 171f.).
(2) In der Sozialdimension orientieren sich Kommunikationssysteme an vorausge-
dachten Strukturen (Familien, Haushalte, Organisationen, Märkte), die in weltgesell-
schaftlichen Teilsystemen (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Religion) immer
wieder ihre Kommunikationsstrukturen umbauen. Sozialstrukturen werden gewöhnlich
viel zu fest vorgestellt. Sozialstrukturen sollen das Prozessieren von Kommunikationen
stabilisieren, damit sie nicht bei jeder Enttäuschung, bei jedem Widerspruch, und bei
jeder Zustimmungsverweigerung aufgegeben oder angepasst werden müssen. Sozial-
strukturell interessiert sich die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft über-
82 Manfred Rühl

wiegend für spezielle Kommunikationssysteme (Buchpublizistik, Alltagspublizistik,


Presse, Rundfunk, Public Relations, Journalismus). In Nordamerika werden außerdem
einfache Kommunikationssysteme (Konversationen, Dialoge, Telefonate, Mutter/
Kind-Beziehungen) und organisatorische Kommunikationssysteme (Unternehmen,
Parteien, Verbände, vor allem Krankenhäuser) intensiv erforscht. Diesseits und jenseits
des Atlantiks ist es noch nicht gelungen, Technik und Medien aus dem Zustand ihrer
Dinghaftigkeit in die Dynamik technisierter und medialisierter Kommunikation über-
zuführen (Rühl 2000a; 2000b).
(3) Die Zeitdimension bringt das Komplexitätsgefälle zwischen Kommunikationsy-
stemen und gesellschaftlicher Mitwelt zum Ausdruck. „Zeit wird erst dann zum For-
schungsproblem, wenn sie in Relation gesetzt wird zwischen einer als System verstan-
denen Untersuchungsproblematik und deren Umwelt.“ (Rühl 1992: 177). Kommunika-
tionssysteme profilieren sich beispielsweise als Lesesituationen, durch Redaktionszei-
ten, oder als historisch periodizierte Public Relations-Theorien. Anders als die klassi-
schen Gleichgewichtstheorien der Wirtschaftswissenschaften kennt die Kommunikati-
onswissenschaft keine Kommunikationstheorien in stabilen Ruhelagen, auch solche
nicht, in die Kommunikationssysteme, nach Turbulenzen, zurückkehren können. Alle
kommunikationstheoretisch beschriebenen Kommunikationssysteme erneuern ihre ge-
sellschaftliche Lage ständig, indem sie eine dynamische Stabilität suchen – wie ein
Schiff auf hoher See.

7.2 Theorien der Öffentlichkeiten (und der öffentlichen Meinungen)


Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist auch im englischen Sprachraum eine
Wiederbeschreibung (redescription) der Publizistik (public communication) als empiri-
sche Kommunikationswissenschaft zu beobachten – unter ausdrücklicher Bezugnahme
auf das Gemeinwohl (public interest) (Ferguson 1990; McQuail 1992; Rühl 1993a).
Publizistik (Marcinkowski 1993), Public Relations (Ronneberger/Rühl 1992) und
Journalismus (Blöbaum 1994; Scholl/Weischenberg 1998) werden als autopoietische
Kommunikationssysteme analysiert, und gesellschafts-, organisations- und marktför-
mig unterschieden (Rühl 1993b, 1993c). Öffentlichkeit(en) des Journalismus (Rühl
1980: 228-250; Kohring/Hug 1997; Görke 2002) und der Public Relations (Szyszka
1999) kommen wieder vermehrt in die Diskussion. Ob Öffentlichkeit als Funktionssy-
stem der Gesellschaft gelten kann, oder ob sie als ‚dritter‘ Kommunikationsbereich
zwischen Produktion und Rezeption zur Beschaffung und Verbreitung zu begreifen ist,
diese Debatte steht noch aus. Das wachsende Interesse für Öffentlichkeiten in der PR-
Forschung legt nahe, ungelöste PR-Probleme in Beziehungen zu öffentlichen Meinun-
gen anzugehen. Öffentlichkeiten und öffentliche Meinungen (Plural!) fungieren in Ge-
sellschaften mit den Grundrechten Kommunikationsfreiheit, Markt- und Wettbewerbs-
verhältnisse, sodass zu fragen ist, ob Public Relations auch in monozentrierten Gesell-
schaftssystemen (absoluten Monarchien, Ein-Parteien-Diktaturen) nicht nur als Voka-
bel vorkommt.
Ein kommunikationswissenschaftliches Theoriebouquet! 83

7.3 Kreislauftheorien

Kommunikation hat weder einen feststellbaren Anfang noch ein absehbares Ende. Sie
wird kreislaufförmig vollzogen. Werden PR-Kreisläufe vorgeschlagen (Ronneber-
ger/Rühl 1992: 279f.; Dernbach 1998), dann anhand von Modellen des Wasserkreis-
laufs, Blutkreislaufs, Wirtschaftskreislaufs und ‚re-cycling‘ im Umweltschutz. Wird
PR-Wissen aus psychischen und sozialen Gedächtnissen verfügbar gemacht, ausge-
wählt, abgewandelt und umgebaut, dann vollziehen sich Kommunikationsprozesse als
Zirkel über Märkte der Beschaffung und des Vertriebs. Beschafft werden PR-
Ressourcen (gültiges Geld, Sinn machende Informationen, berufliche Arbeit, einschlä-
gige Kenntnisse und Wissen, öffentliche Aufmerksamkeit, verbindliches Recht, mit-
menschliche Achtung, Moralgrundsätze und knappe Zeit), ohne die keine PR-
Produktion und PR-Rezeption wirklich wird.

8 Abschließende Bemerkungen
Wird versucht, viele Teilstücke bisheriger wissenschaftlicher PR-Forschung zusam-
menzuschließen (Ronneberger/Rühl 1992; Röttger 2000), dann wird erkennbar, dass
viele ihrer Teilstücke aus einem umfangreichen Begriffs- und Theorienpluralismus der
Sozialwissenschaften stammen. Dieser Beitrag beabsichtigt zunächst, die vorwissen-
schaftlichen PR-Theoriebildungen der Laien und der Experten zu charakterisieren, um
mögliche, aber vor allem unmögliche Beziehungen zur wissenschaftlichen PR zu un-
terscheiden. Zu zeigen ist, dass die kommunikaionswissenschaftliche PR-Forschung
eigene Erkenntnisabsichten hat. Wissenschaftliche Theorien der Public Relations kön-
nen nicht unmittelbar für ‚die Praxis‘ leisten. Wissenschaftliche PR-Theorien sind
grundlagentheoretisch orientiert. Sie sind auf Vorrat zu produzieren und zu studieren,
damit sie von Fall zu Fall, in unterschiedlichen Kombinationen, als innovativ, planend
und vorsorgend für das Wissen des Public Relations-Gesamtsystems der Weltgesell-
schaft fungieren können.

Literatur
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PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft?

Plädoyer für eine medienwissenschaftliche


Grundlegung des Kommunikationsmanagements

Lars Rademacher

Im vorliegenden Beitrag wird ein alternativer theoretischer Zugang zu Public Relations


entworfen, der versucht, die bekannten disziplinären theoretischen Verortungen aus
Sicht der Kommunikationswissenschaft (vgl. Baerns 1991; Bentele 2003; Bentele u.a.
1997; Bentele/Nothaft 2004; Burkart 1995; Eisenegger/Imhof 2004; Hoffjann 2001;
Merten 1992, 1999; Ronneberger/Rühl 1992; Jarren/Röttger 2004), der Organisations-
theorie (v.a. Grunig/Hunt 1984; Hahne 1997/98; Herger 2004; Theis 1994) und der
Wirtschaftswissenschaften (vgl. Bruhn/Ahlers 2004; Hillebrecht/Schlaus 2005; Szysz-
ka 2005; Wiedmann 1986; Zerfaß 2004) um eine eigenständige medienwissenschaftli-
che Perspektive zu erweitern. Theoretische Ausgangspunkte sind dabei Theorien des
Medien- und Kulturwandels (vgl. Albrecht 2002; Hejl 1999, 2005; Hügel 2007; Maase
2002), makrotheoretische Grundpostulate des konstruktivistischen Denkens (vgl. Mer-
ten/Westerbarkey 1994; Schmidt 1994, 2000; Westerbarkey 1995), medienökonomi-
sche Einordnungen der Medienproduktion und des Kommunikationsmanagements
(vgl. Hosp 2005; Kiefer 2005; Gläser 2008) und eine kulturwissenschaftliche Grundie-
rung der Public Relations, wie sie in Ansätzen als „Interaktion in Gesellschaft“ (vgl.
Faulstich 2000) sowie als „Lizenz zur Mitgestaltung der öffentlichen Meinung“ (Rolke
1999, 2004) formuliert wurden. Die kulturwissenschaftlichen Grundüberlegungen
werden im vorliegenden Text erweitert um eine medienwissenschaftliche Perspektive,
die als per se interdisziplinäre Forschungstradition dazu geeignet scheint, einige Defi-
zite der bisherigen PR-Forschung (PRF) auszugleichen.
88 Lars Rademacher

1 Defizite der bisherigen Forschung


Die aus den jeweiligen Disziplinen heraus geführte Diskussion hat einige Defizite auf-
geworfen, die sich mal aufgrund der gewählten Theorieoption, mal aufgrund der man-
gelnden Realitätsnähe zum Erkenntnisgegenstand „Public Relations“ bisher nicht auf-
lösen ließen. Als solche, für die PRF charakteristisch gewordene Defizite sehe ich v.a.
die folgenden sieben:
• eine disziplinäre Beschränkung der gängigen Theoriebildung, die immer nur ihre
disziplineigenen Anteile der PRF fokussiert, für weitere Probleme aber nahezu
‚blind‘ bleibt,
• ein implizites Festhalten an veralteten Beispielen der PR-Praxis in der Theoriebil-
dung,
• eine verkürzte Theoriebildung, die ihre Theorieproduktion nur auf Teilgebiete der
PR stützt (z.B. die Medienarbeit),
• eine implizite Behandlung von PR als Sonderfall der medialen Produktion,
• eine unzureichende Berücksichtigung von PR als ökonomischem Faktor der Medi-
enwirtschaft,
• eine unzureichende Bezugnahme der PRF auf den sozialen und medialen Wandel,
• eine unzureichende Berücksichtigung der veränderten Produktionsbedingungen
und Rezeptionsgewohnheiten.
Mangelnde Berücksichtigung der PR als ökonomischem Faktor: In den letzten Jahren
hat zwar der Wertbeitrag, den das unternehmerische Kommunikationsmanagement im
Sinne von Corporate Communications zur Wertsteigerung des Unternehmens leistet,
eine intensive Beachtung erfahren (vgl. Pfannenberg/Zerfaß 2005; Zerfaß 2005). Umso
erstaunlicher ist die Tatsache, dass sich für den Wertbeitrag, den die PR bei der Pro-
duktion von Medienbetrieben erbringen, niemand zu interessieren scheint. Denn fak-
tisch tragen sie nicht nur dazu bei, Transaktions- und Suchkosten in Medienunterneh-
men zu reduzieren, sondern sie leisten z.B. mit ihren Corporate Publishing-Aktivitäten,
internen Kommunikationsmaßnahmen und Vorprodukten der Medienarbeit (wie
Imagevideos) u.a. über die Auslastung der Druck- und Verlagshäuser, der freien Jour-
nalisten und PR-Dienstleister, der Produktionsgesellschaften und Mediendienstleister
einen signifikanten Beitrag für eine funktionierende Medienökonomie. Sie schaffen
damit langfristige Abhängigkeiten und verändern die ökonomischen Grundlagen des
Mediensystems. Doch für solche Konvergenzüberlegungen existiert bisher allenfalls
im Rahmen der Medienökonomie verhaltenes Interesse, nicht aber im Rahmen der
PRF.
Mangelnde Berücksichtigung des sozialen und medialen Wandels: Die Modelle der
PRF stehen in ihrem Ursprung Theorien der Massenkommunikation nahe. Entspre-
chend schwer fällt es ihnen, den Schwenk zur „Massenindividualkommunikation“
(Manfred Faßler) nachzuvollziehen, den die digitale Ökonomie in immer rascherer
Folge befeuert (z.B. Blogs, Social Networks etc.). Die historischen Gründe liegen si-
cher in technikkritischen Diskursen, die sich am Aufkommen der medienkritischen
Tradition seit Max Weber und Walter Benjamin bis Jeremy Rifkin (2000) entfacht ha-
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 89

ben. Die aktuelle Begründung liegt in der hohen Dynamik des medialen Wandels und
seinen technologisch induzierten Veränderungen, deren Konsequenzen nur teilweise
einzuschätzen sind. Dennoch scheint es angebracht, wenigstens einen Versuch der In-
tegration in die theoretische Modellbildung zu unternehmen.
Mangelnde Berücksichtigung der veränderten Produktsbedingungen und Rezepti-
onsgewohnheiten: Neue Medientechnologien und ihre Produktionslogiken haben vor
dem Hintergrund der sich verstärkenden Ökonomisierung und Konvergenz auch zu
neuen Rezeptionsgewohnheiten und Nutzererwartungen geführt. Die Mehrfachverwer-
tung von medialem Content und die Umstellung auf die verstärkte Nutzung von einmal
geschaffenen „Assets“ der Medienproduktion hat die qualitative Nivellierung vieler
Medienprodukte verstärkt. Als Folge hat sich die mediale Produktion im Segment der
Unterhaltung stark ausgeweitet. Auch Informationssendungen präsentieren sich immer
stärker im Gewand der Unterhaltung (vgl. Hejl 1999). Der zugrunde liegende Code der
Rezeption hat sich dementsprechend auch in Bezug auf Informationsangebote gewan-
delt: von „± Aktualität“ (vgl. Görke 2002) zur anthropologischen Grundkategorie „±
interessant“ (vgl. Hejl 2005). Doch wie und in welchem Ausmaß wirkt sich dieser
Schwenk zur Unterhaltung im journalistischen System auf die PR und die PRF aus?
Der vorliegende Text nimmt sich nun nicht das nur schwer zu leistende Ziel vor, al-
le benannten Defizite im Einzelnen auszuarbeiten. Der Nutzen einer eigenständigen
medienwissenschaftlichen Rekonstruktion der PRF soll aber darin bestehen, eine alter-
native Herangehensweise vorzuschlagen, die das Kommunikationsmanagement so of-
fen und zugleich so umfassend konzipiert, dass zumindest einige der genannten Defizi-
te behoben oder umgangen werden können.

2 Befund: Funktionsausweitung
Am Anfang steht die Beobachtung, dass sich Aufgabenspektrum und Funktion von
Public Relations als wesentlichem Leistungssystem des Kommunikationsmanagements
enorm ausgeweitet haben. Wenn ich von „PR als Leistungssystem des Kommunikati-
onsmanagements“ spreche, wird damit (1) hervorgehoben, dass PR-Arbeit eine dienst-
leistende Funktion innerhalb eines Funktionssystems wie etwa dem organisationalen
Kommunikationsmanagement erbringt und daher (2) auf einer gegenüber dem Kom-
munikationsmanagement logisch nachgeordneten Ebene angesiedelt ist. Die Auswei-
tung, die teilweise sogar als Funktionsverschiebung interpretiert werden kann, hat
stattgefunden
• aufgrund des sozialen und medialen Wandels,
• aufgrund der veränderten (ökonomischen) Marktbedingungen, unter denen in öf-
fentlichen Arenen Aufmerksamkeit produziert wird (v.a. durch eine Verschiebung
des Machtgefüges zu Ungunsten des Journalismus),
• aufgrund des Bedeutungszuwachses des organisatorischen Kommunikationsmana-
gements für die Wertschöpfung der Organisation sowie
90 Lars Rademacher

• aufgrund der enorm erweiterten technologischen Realisierungs- und Modularisie-


rungsbedingungen der Medienproduktion.
Von dieser Beobachtung ausgehend ist zu zeigen, warum sich PR immer deutlicher
und immer weiter von ihrer historisch gewachsenen Aufgabe – der Darstellung und
Durchsetzung von partikularen Interessen gegenüber definierten Publika primär mit
den Mitteln der Massenkommunikation – abheben.1 Die vertretene Hypothese dazu
lautet: Aus dem Werben um Vertrauen und Verständnis wurde ein Managementpro-
zess mit einer Vielzahl Beteiligter in der Organisation, aus der Selbstdarstellung von
Organisationen mit Hilfe der Medien wurde die Übernahme der Medienproduktion,
aus der öffentlichen Wahrnehmung als Transformator oder Intermediär wurde die
Wahrnehmung als originäre Quelle – und aus dem PR-Aktanten klassischer Prägung
wurde ein voll verantwortlicher Autor.
Diese Verschiebungen führten zu einem neuen Verständnis von PR, das ich zu-
sammenfassend „PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft“ nenne und in den Kontext einer
medienwissenschaftlichen Herangehensweise stelle. Literatur hat einen Autor, Litera-
tur wird an Leser distribuiert über einen Markt, Literatur gehorcht bestimmten Kon-
ventionen der Ästhetizität und Polyvalenz – all das, so meine ich – finden wir bei den
Public Relations wieder. PR werden mittlerweile ähnlich produziert, distribuiert und
rezipiert wie einst Literatur. Sie lösen damit nicht Literatur im eigentlichen, literari-
schen Sinne ab, aber in der früheren Funktion für die gesellschaftliche wie individuelle
Selbstverständigung. Diese bestand in der Unterstützung von individuellen und kollek-
tiven Konstruktionsprozessen von sozialen Gefügen und ihren Regularien, von Welt-
und Wirklichkeitsmodellen und ihren Alternativen. Die neuen Autoren der PR fungie-
ren als eigenständige und autarke Quellen. Sie liefern ihr Material über die dem Lesern
bekannten Medien; mal als Teil des vorliegenden Programmspektrums, mal erweitert
um eigene Zugangswege wie Corporate Publishing-Produkte oder Blogs. Gesellschaf-
ten informieren, amüsieren und konstruieren sich in zunehmendem Maße über die Pro-
duktion und Rezeption von Public Relations-Produkten.
Unter ‚Literatur‘ verstehe ich in diesem Zusammenhang aber nicht nur die materia-
len Kommunikate von PR, sondern auch alle auf sie bezogenen Handlungen, die den
gesellschaftlichen Umgang mit der PR-Kommunikation bestimmen – also nicht nur ein
„Symbolsystem ‚Literatur‘ “, sondern auch ein „Sozialsystem ‚Literatur‘“. Literatur
besitzt diese Produktionslogik bereits seit dem 18. Jahrhundert (vgl. Schmidt 1989).
Nachfolgend werden die einzelnen Bausteine der theoretischen Entwicklung darge-
stellt, die mich bis zum Ausdruck von „PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft“ führen.

1
Eine ausführliche Darstellung habe ich in meiner Dissertationsschrift PR als Literatur der Gesellschaft.
Kommunikationsmanagement – Wissensmanagement – Poesie. Universität Siegen: FB Sprach-, Litera-
tur- und Medienwissenschaften 2006 vorgelegt, die 2008 in einer überarbeiteten Fassung erscheint.
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 91

3 Kultureller und medialer Wandel


In einer erweiterten Ausgangsbasis werden die wissenschaftlichen Befunde zum me-
dialen Wandel berücksichtigt, die insbesondere durch die so genannten Cultural Stu-
dies zusammengetragen wurden. Zwei Befunde sind hier besonders hervorzuheben, die
sich mit Maase (2002) als Wandlung der populären Kultur zur repräsentativen Kultur
beschreiben lassen und bei Hügel (2007) in einem „Lob des Mainstreams“ gipfeln.
Laut Maase sind es oft genug marginale Gruppen, die heute hohe Aufmerksamkeit auf
sich ziehen und durch diesen Aufmerksamkeitsüberhang eben auch den Status der Re-
präsentativität beanspruchen. Prominenz wird hier als Verfahren eingesetzt, um margi-
nalen und überraschenden Positionen nicht lediglich den Status der originellen Devi-
anz zu sichern, sondern ihre Vergesellschaftung als legitimes Verhalten zu unterstüt-
zen. Dabei stützt sich das Prominenz-Schema wesentlich auf anthropologische Kons-
tanten; denn schon früh hat es in kleinen Gruppen einzelne Mitglieder gegeben, deren
Verhalten für die gesamte Gruppe von Bedeutung war – und die deshalb unter beson-
derer Beobachtung standen (vgl. Hejl 1999: 118).
Das Ziel der als deviant bestimmten Gruppe ist die Anerkennung der subkulturellen
Haltung als legitimes Verfahren. Die Methode ist die Nutzung bekannter und populäre-
rer Botschafter. Dieser kulturelle Prozess liegt den Verfahren der PR häufig zugrunde,
er liefert die Folie, vor deren Hintergrund die Instanzen der PR ihre Deutungsangebote
entwickeln. Sie versuchen an mancher Stelle, die Intellektuellen der bürgerlichen Si-
tuation zu ersetzen und ihre Texte den kulturell dominierenden Texten einzuschreiben.
Der damit skizzierte Prozess ist freilich alles andere als neu. Er setzt letztlich beim
„Strukturwandel der Öffentlichkeit“ an, den Habermas (1990) diagnostizierte: Aus
dem Kultur räsonierenden Publikum wird ein Kultur konsumierendes, die massenme-
dial manipulative Öffentlichkeit tritt vor die kritische, horizontal vernetzte Öffentlich-
keit (vgl. Drepper 2005: 14). Doch neu ist der repräsentative Gestus, der sich bis zu ei-
nem „Lob des Mainstream“ steigert. Hügel (2007) beteiligt sich nicht an einem blinden
Lob des Populären, sondern unterstreicht die Möglichkeit, das Populäre als Selbständi-
ges neben der „ernsten“ Kunst und der viel reizvolleren Subkultur zu behaupten. Dies
könne nur gelingen, wenn dem Populären eine eigene Ästhetik zugesprochen werde.
Dabei fällt natürlich auf, dass auch die Subkultur heute eher als industriell fabriziertes
Produkt vorkommt und als solches einen Teilbereich des Populären darstellt – und
nicht sein Gegenteil (vgl. Hügel 2007: 8). Das kommt einer Umarmungstaktik gleich,
die der Logik der PR entspricht: Statt die gegnerische Position auszugrenzen, wird sie
mitgedacht und einbezogen (vgl. Jullien 1999). So werden heute in kritischen Verbrau-
cherforen im Internet immer wieder kritische Beiträge von Unternehmensscouts ge-
schrieben, die hier Themen „testen“ und kritische Potenziale ausloten. Sie nehmen Kri-
tik vorweg, bevor sie als unkontrollierbare Welle entsteht.
Unterhaltung, die den wichtigsten Modus des Populären darstellt, lässt sich in ih-
rem Verfahren und im Blick auf ihre Relevanz wesentlich genauer bestimmen, als dies
die vortheoretische Betrachtung unterstellt. Hügel versteht Unterhaltung nicht als „jede
92 Lars Rademacher

Art von Vergnügen mit massenmedialen Artefakten“, sondern als „spezifische kultu-
relle Praxis“ (Hügel 2007: 48f.):
„Die Funktion der Teilnahme am Unterhaltungsprozess erschöpft sich weder gänzlich darin,
Zeit totzuschlagen, noch ist sie reflexhaft einem Ziel zuzuordnen. Unterhaltung erlaubt es,
‚Erfahrungen auf Vorrat‘ zu machen. Im Unterhaltungsprozess produzieren wir Bedeutungen
und wie das Wort es sagt, bedeuten diese etwas, sind also zu irgend etwas gut; aber ohne dass
wir den Rahmen, in dem sie bedeutsam werden könnten, schon während der Rezeption im
Auge haben. Hierin liegt auch der ästhetische Charakter der Unterhaltung wesentlich begrün-
det; denn neben der Bildhaftigkeit, der – wenn man so sagen darf – diskursiven Undeutlich-
keit und mit dieser verbunden, ist die funktionale Unklarheit zentrales Kennzeichen des Äs-
thetischen. Weil wir bei Unterhaltung die auf Vorrat gemachten Erfahrungen weder ‚aktuell
pragmatisch nutzen (umsetzen), noch sofort intellektuell oder psychisch Konsequenzen aus
dem Erfahrenen ziehen, werden wir von der Unterhaltung nicht bedrängt. Daher unterhalten
wir uns auch so leicht und so gut durch die Werbung, die uns etwas anbietet, und zum Kauf,
zu einer Haltung auffordert, uns jedoch nicht bedrängt, das Angebot wahrzunehmen. Zu-
gleich aber sind wir nicht teilnahmslos, wenn wir uns unterhalten. Wir verschwenden nicht
einfach Zeit und Aufmerksamkeit, wie die kulturkritische Rede von der time killing industry
es behauptet, sondern nehmen eine Haltung ein, die zwischen umfassender Konzentration und
völliger Teilnahmslosigkeit liegt.“
Dieser Modus der Rezeption als aktiver Haltung zu den medialen Artefakten kenn-
zeichnet den Umgang mit Medienangeboten – vor allem solchen, die sich immer stär-
ker auf den Unterhaltungsmodus einlassen. Eine entsprechende Entwicklung ist in al-
len medialen Genres nachzuweisen. Sie ist wesentlich ökonomisch induziert. Die Me-
dienindustrie wird generell zur Unterhaltungsindustrie. Michael J. Wolf (1999) hat
darüber hinaus die allgemeine Unterhaltungsausrichtung der gesamten Wirtschaft dia-
gnostiziert. Produkte jeglicher Art – von Autos und Haushaltsgeräten über Dienstlei-
stungen und Versicherungen bis zu Kleidern, Lebensmitteln und Finanzangeboten –
werden, so seine These, in einen Unterhaltungskontext gerückt und erhalten beim Ein-
kaufen ihre Wertschätzung durch den Konsumenten immer stärker durch den Unterhal-
tungsfaktor. Um die beschriebenen medialen Makrotrends auch auf die PR-Forschung
beziehen zu können, wird der medienwissenschaftliche Zugang gefordert. Denn die
Medienwissenschaften haben sich von vornherein mit einem breiteren Fokus positio-
niert; sie gehen am Gegenstand der Medien entlang der denkbaren Bezüge. Sie können
daher mal sozialwissenschaftlich und mal hermeneutisch argumentieren, mal philoso-
phisch und mal juristisch. Medienwissenschaften stellen eine Querschnittwissenschaft
dar, wie sie die Kommunikationswissenschaft oder BWL gar nicht sein möchten, letzt-
lich aber auch sind (vgl. Ludes/Schütte 1997: 44). Doch auf manche Fragen z.B. zum
Praxisfeld PR findet die Kommunikationswissenschaft keine Artworten – weil sie an
den Gegenstand PR nicht alle relevanten Fragen stellt. Zum Beispiel kann die Erleb-
nisqualität eines Events, die Inszenierung einer Pressekonferenz, die Positionierung ei-
nes Unternehmenschefs oder die Analyse von Pressemitteilungen mit einem rein
kommunikationswissenschaftlichen Instrumentarium nur zum Teil erforscht werden.
Eine medienwissenschaftliche Perspektive auf die PR kann diese hingegen als multi-
perspektivisches und -valentes Phänomen sowohl auf einer Systemebene, auf einer Or-
ganisationsebene, auf einer Handlungsebene wie auch in den einzelnen Kommunikaten
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 93

nach Äußerungszusammenhang, Genres, Illokution, Perlokution, ästhetischer Valenz


etc. aufgreifen (vgl. exemplarisch Biehl 2007).
Welche Konsequenzen hat die veränderte kulturelle Position des Populären und
insbesondere der Unterhaltung für die PR im Rahmen eines medienwissenschaftlichen
Zusammenhangs?
• In der Produktpolitik wird das Unterhaltungselement stark an Bedeutung gewin-
nen. Das betrifft insbesondere die Kommunikationspolitik – auch bei Organisatio-
nen, die nicht primär an der Produktion von Medienangeboten beteiligt sind.
• Auch die Produkte der PR müssen diese grundsätzliche Rezeptionserwartung nach
mehr Unterhaltung erfüllen können, wenn diese gewünscht ist. Um die Annehm-
barkeit der PR-Produkte zu erhöhen, muss der Stil der Kommunikation teilweise
boulevardesker werden. Eine zu starke Einbindung von Unterhaltungselementen
mag allerdings auch die Glaubwürdigkeit der Produkte oder des gesamten Kom-
munikationsprogramms gefährden.
• Die Klaviatur der PR muss in den Formen und Formaten flexibler werden, um
immer dort präsent zu sein und Angebote unterbreiten zu können, wo die mediale
Aufmerksamkeit neue Sammelpunkte bildet (z.B. Blogs, soziale Netzwerke etc.).
Im Rahmen der Darstellung des medialen Wandels muss noch gezeigt werden, wieso
die von Wolf konstatierte „entertainmentization of the economy“ derart Raum gegrif-
fen hat. Dafür gibt es neben der kulturtheoretischen auch eine ökonomische Begrün-
dung. Charakteristisch für Medienprodukte mit hohem Unterhaltungsanteil ist die ge-
ringere Entwertungsgeschwindigkeit als bei (reinen) Informationsprodukten. Das er-
höht die Möglichkeit der Mehrfachverwertung in unterschiedlichen Verwertungsfen-
stern und Formaten und erlaubt eine Versionierung des einmal produzierten Contents
(vgl. Hess/Schulze 2004: 51, 58). So lange sich PR darauf konzentrieren – über wel-
ches Format oder welchen Kanal auch immer – Publika via Media zu adressieren, wer-
den sie ein hohes Interesse an der so möglichen sprunghaften Ausweitung der zu errei-
chenden Publika besitzen. Die Mehrfachverwertung findet allerdings auch vor dem
Hintergrund der Konzentration vieler Medienanbieter beispielsweise zu Senderketten
oder von journalistischen Einheiten zu Produktionsgemeinschaften wie etwa News-
rooms statt. Daraus ergeben sich für die PR Vor- und Nachteile. Zum einen muss sich
die PR-Abteilung einer Organisation im Idealfall nur noch mit der im Einzelfall ver-
antwortlichen Redaktion eines Anbieters auseinandersetzen, die das Originalprodukt
für mehrere Abnehmer der Senderkette erstellt. Allerdings können sich hier erhöhte
Suchkosten ergeben, bis dieser Produzent gefunden ist. Und: Scheitert eine Kooperati-
on mit ihm, so ist der Kontakt mit hoher Wahrscheinlichkeit – zumindest für den kon-
kreten Themenanlass – auch ausschlaggebend für die gesamte Senderkette (soweit tat-
sächlich eine Produktionsverantwortung bei nur einem Produzenten innerhalb des kor-
porativen Zusammenhangs liegt).
Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen mediensystemisch induzierten Ver-
änderungen für die PR?
94 Lars Rademacher

• Die PR müssen auf die veränderten technischen Standards der Medienproduktion


Rücksicht nehmen und ihr vorproduziertes Material in den digitalen Standards ih-
rer Abnehmer und möglichst medienneutral anbieten, damit eine Mehrfachverwer-
tung begünstigt wird.
• Dieses PR-Material muss sich auch in der journalistischen Aufbereitung an einer
Mehrfachverwertung orientieren, d.h., es muss die sequentielle Produktion von
Beiträgen unterstützen.
• Die Produktion von PR-Material muss künftig nicht nur in ihrem Wertbeitrag für
die Unternehmung, sondern auch in ihrem Wertbeitrag für das Medienunterneh-
men betrachtet werden.
• Die reine journalistische Vorproduktion von PR-Material wird an Bedeutung ab-
nehmen, die informelle Kommunikation zu Informationsproduzenten, die Funktion
von Produktionsgemeinschaften, die Co-Produktion/Finanzierung mit Organisa-
tionen sowie die Bedeutung der Public Affairs zu großen Informationsanbietern
(etwa Senderketten) werden an Bedeutung zunehmen.
Schließlich haben die medienkulturellen Veränderungen der letzten Jahre die klassi-
schen Medientrennungen und Genres fragwürdig werden lassen. Wo vorher nur der
Journalismus oder das ästhetische Produkt als Quelle standen, da existiert spätestens
seit dem Aufkommen des Internets als Massenindividualmedium eine neue Medien-
produktkategorie, die tief im Corporate Publishing verwurzelt ist. Dieses neue Genre
tritt mal in etablierten Medien auf (etwa den Servicerubriken überregionaler Tageszei-
tungen), mal in eigenständigen Produkten der Unternehmen, Gruppen, Institutionen.
Ich folgere daraus, dass die Medienevolution uns neue Produkte aufzwingt, die sich in
unsere klassischen Schemata wie „Werbung“ oder „Programm“ nicht mehr einordnen
lassen. Es fällt beispielsweise schwer zu kategorisieren, was genau die Produktshow
„Brandneu“ auf N24 letztlich ist, die neue elektronische Produkte vorführt. Ist sie
Werbung? Dafür wird eigentlich zu viel journalistisch berichtet; es erfolgen zum Teil
sogar distanzierte Bewertungen. Doch wie frei sind diese, wie unabhängig? Und wie
steht es um die Finanzierung? Kann das kein Journalismus mehr sein, nur weil Media-
Markt die ‚Zeche‘ bezahlt?
Wir kommen mit der Aufteilung in Werbung oder Programm an dieser Stelle nicht
recht weiter. Und das ist von den Beteiligten bewusst so gewollt. Wo die Kriterien ver-
schwimmen, fällt es den (jungen) Zuschauern schon heute schwer, zwischen entspre-
chenden Darstellungsmustern noch zu unterscheiden. Also können wir nur noch darauf
reagieren, indem wir zur Bewertung auch die Achse der Unterhaltung und der Ästhetik
und Ästhetisierung der Produkte mit hinzunehmen. Damit komme ich aber endgültig
zu einem Punkt, an dem die landläufige Berichterstattung an ihr Ende gekommen ist.
Vor allem dort, wo das Populäre herrscht, das zum Repräsentativen geworden ist, dort
fügen sich Fiktionen zu Fakten, die im Unterhaltenden aufgehoben werden. Botho
Strauss (2004) spricht von einem Systembruch zwischen Demokratie und Massende-
mokratie, der im Kulturellen verlaufen soll: Das Tonangebende ziehe mit dem Populä-
ren gleich; das Populäre pflegt ein konfektioniertes Außenseitertum, das jedoch nur als
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 95

Projektionsoberfläche existiert – wie die Darstellungswelt, in der wir leben. Das hat di-
rekten Bezug zum politisch-literarischen Zeitdiskurs, der vom Populären ebenso in
seinen Bann gezogen wird. Hier übernehmen – wie schon in der Organisation – die PR
tatsächlich Autorenfunktion. Es wird geschrieben und geschaffen und markiert. Die
Markierungen, die in diesem Prozess kreiert werden – literarisch auch Setzungen ge-
nannt – funktionieren über das Fiktionale, das nicht identisch ist mit dem Fiktiven. Es
lohnt sich zu zeigen wie, da dies auch dazu beitragen kann, den empfundenen Subjek-
tivismus der konstruktivistischen Position zu mildern.

Ich fasse in einem Zwischenfazit zusammen:


• PR erfahren heute ein Maß an Aufmerksamkeit, das einst nur journalistischen oder
ästhetischen Produkten zuteil wurde. Das zeigt bereits, dass sich Nutzererwartun-
gen an Medienprodukte deutlich verändert haben.
• Die deutlichste Veränderung im Mediensystem besteht in der Umstellung auf Un-
terhaltung als dem wesentlichen Modus der medialen Darstellung. PR als strategi-
sche Kommunikation, die Organisationen bei der Erreichung ihrer Ziele unter-
stützt, müssen darauf in Zukunft stärker Rücksicht nehmen.
• Zudem haben die technisch und die ökonomische Evolution der Medienwirtschaft
dazu geführt, dass die Produkte der PR sich den neuen (z.B. medienneutralen)
Produktionsbedingungen unterwerfen müssen und andere Instrumente (etwa die
Medienkooperation) in Zukunft stärkere Bedeutung erlangen. Die zu erwartende
Aufmerksamkeitsrente des Mediums ist entscheidend für die Produktion von PR-
Material.
• Die veränderten Nutzererwartungen treffen zunehmend auf Medienprodukte, die
sich nicht mehr innerhalb der Grenzen bekannter Genres bewegen. Hinzu kommt
die Konvergenz der Medientechnik, die das Aufkommen neuer Berichterstat-
tungsmuster und Genres befördert. Neue Produkte bewegen sich schon jetzt in ei-
nem Niemandsland zwischen Werbung und Programm. Diese traditionelle Grenze
wird damit sukzessive unbrauchbar.

4 Public Relations: vom heterogenen


Maßnahmenbündel zum Kompaktbegriff
Eingangs wurde als Defizit herausgestellt, dass es praktisch keine Definition von PR
gibt, die den Umgang der unter diesem Rubrum zusammengefassten Handlungen ab-
zudecken vermag. Viele Beschreibungen sind daher nicht gegenstandsadäquat. Es wird
hier zunächst die Behauptung vertreten, dass PR nicht ein bestimmtes sozialtechni-
sches Verfahren oder ein eingrenzbares Interaktionsverhalten der Systeme Journalis-
mus und Wirtschaft meint, sondern ein stark heterogenes Maßnahmenbündel. Dem-
nach haben PR auch keinerlei Ziele (im emphatischen Sinn) wie etwa Verständigung,
Verständnis, Vertrauen (wie vielfach behauptet; vgl. Szyszka 2004) oder den Aus-
gleich von Interpretationsgefällen, sondern nur Leistungen – primär die der Interessen-
96 Lars Rademacher

durchsetzung im Sinne einer Organisation. Ich unterscheide also nicht zwischen Funk-
tionen, Zielen (in einem nicht emphatischen, operativen Sinn), Aufgaben oder Leistun-
gen der Public Relations. Public Relations ist der Sammelbegriff für ein heterogenes
Bündel von Handlungen/Maßnahmen im (oder in Bezug auf ein) System der Massen-
medien (oder ein soziales Orientierungssystem). Ronneberger/Rühl (1992: 252) sehen
die Funktion auf der Makro-Ebene in der Fähigkeit zur Produktion und Distribution
„effektiver Themen“, die im Wettbewerb zu anderen Themen öffentlicher Kommuni-
kation stünden.
Diese Maßnahmenbündel werden erst in der Selbstbeschreibung der Aktanten oder
in Fremdbeschreibungen professioneller Beobachter (z.B. Experten, Journalisten) zu
Public Relations. Zuvor besteht die Maßnahme im Definieren von kontextorientierten
Themen, im Schreiben von Texten, im Vereinbaren von Interviews, im Vorbereiten
von Statements, im Knüpfen von Kontakten, im Planen einer Vortragsveranstaltung
etc. Jede dieser Handlungen hat konkrete (operative) Ziele im Rahmen ihres Aufga-
benzusammengangs; sie hat möglicherweise konkrete Funktionen im Rahmen einer
Kommunikationsstrategie (z.B. Sensibilisierung, Aufmerksamkeits- oder Zustim-
mungskommunikation etc.). Doch auf der Makroebene der aggregierten funktionalen
Beschreibung einer Handlungsrolle im Orientierungssystem (oder im System der Mas-
senmedien) fallen die Zielsetzungen und Funktionen schon deshalb in eins, weil sol-
chermaßen abstrakte Beschreibungen und theoretische Positionen ein Zustandsbild re-
flektieren, also die Zielsetzung als Funktion beschreiben, ihr Faktizität unterstellen.
Das ist ein kompositorischer intellektueller Akt, der so lange Geltung beansprucht, so
lange er nicht durch eine bessere (i.S. von durchsetzungsfähigere) Beschreibung ersetzt
wird.
Für eine adäquatere Beschreibung von PR erläutere ich zunächst den Zusammen-
hang, in dem ich PR eingebettet sehe. Dazu müssen zunächst einige Begriffe und Kon-
zepte erläutert werden, die Voraussetzungen meiner eigenen Konzeption darstellen.
Dies gilt vor allem für die Konzepte Reputation und Frame sowie für den Zusammen-
hang von Organisationskommunikation, Kommunikationsmanagement und PR.

Reputation Management und Frame Management


Wer von Reputation nur als neuzeitlichem Phänomen ausgehen wollte, würde überse-
hen, dass schon in unserer Stammesgeschichte Reputation und Reputationsüberschüsse
eine Rolle gespielt haben. Reputation ist dabei zunächst als Orientierungsgröße für Se-
lektionen zu betrachten. Sie kann ihre Begründung in körperlicher oder intellektueller
Attraktivität, in besonderer Leistungsfähigkeit oder hoher Erfolgsbilanz haben. Repu-
tation ist gegenüber diesen evident messbaren Kategorien aber als grundsätzlich sozia-
les Phänomen zu betrachten, über das unter Dritten ein minimaler Konsens herrschen
muss. Reputation in diesem Sinn ist beeinflussbar, aber nicht unmittelbar, sondern al-
lenfalls (wenn überhaupt) auf Umwegen. Sie ist ein akzeptierter Richtwert, ein „Er-
satzcode für Richtigkeit“, wie dies Luhmann (1990: 245 ff.) interpretierte.
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 97

In modernen Gesellschaften existieren differenzierte Formen (Codierungen) der


Reputation, die auf jeweils bestimmte Eigenschaften und Qualitäten der spezifischen
Reputationsart hinweisen. Charakteristisch sind die Kategorien Status, Prestige, Rang
oder Ehre. Status ist dabei freilich kein ontologisches Phänomen, keine Eigenschaft,
kein Zustand, der Faktizität oder uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann. Er be-
nötigt eine Vielzahl von Rahmenbedingungen, um zu funktionieren. Rahmen ist dabei
fast wörtlich zu verstehen: Nur in einem Rahmen der Akzeptanz ist es möglich, die
Geltung von Status oder Rang einzufordern. Damit ist bereits negativ angezeigt, was
auch positiv beschrieben werden kann: Rang und Status müssen über aktive Anerken-
nung prozessiert werden. Sie sind abhängig vom Rezipienten, sie stellen einen kon-
struktiven Akt auf seiner Seite dar – nicht auf der Seite desjenigen, der sich auf seinen
Status verlässt, ihn anwendet. Wer sich außerhalb der eigenen Anerkennungssphäre
bewegt, büßt schnell den Rang, die herausgehobene Position ein.
Beim Wechsel in eine neue Sphäre muss daher auf Leistungsmerkmalen aufgebaut
werden. Ab einem bestimmten Statusniveau emanzipiert sich Status schließlich von
der Leistungsanerkennung und pflanzt sich von da an nur noch über reine Statusaner-
kennung fort: Status gebiert Status, genährt allein durch die Aktualisierung von Status-
elementen, öffentlicher Präsenz und Statusverweisen. Ein weiteres notwendiges Ele-
ment ist bereits in den Begriffen Status und Rang enthalten. Die damit ausgedrückte
Fokussierung einer hierarchischen Ordnung halte ich für relevant. Was wir sozial als
so genannte „natürliche Autorität“ codieren – im Gegensatz zu sozialer Autorität, die
sich ähnlich generiert wie Status oder Prestige – fußt auf sozialer Dominanz, die sich
in jeder sozialen Gruppe schon nach kurzer Zeit einstellt (vgl. Buss 1999: 345).
Reputation wird hier verstanden als eine sozial expandierte Variante der Kombina-
tion von Status und Leistungsmerkmalen. Als solche haben Reputationen eine höhere
Verbindlichkeit als Images. Sie sind konkreten Personen oder Dingen zugeordnet und
können nicht ohne Weiteres von diesen gelöst oder über sie hinaus erstreckt werden.
Anders als Images, die diffus aus dem gesamten Weltwissen und arrondierenden Be-
wertungsversatzstücken zusammengesetzt werden (und zuweilen ein entsprechend un-
scharfes ‚Bild‘ zeichnen), treten Reputationen häufig als sich selbst bestätigende und
in sich geschlossene Verweissysteme auf, für deren Überzeugungskraft es oft nicht
wichtig ist, dass die Reputationslieferanten von unabhängigen Quellen gespeist würden
oder Zugang zu Informationen aus erster Hand hätten (vgl. Bromley 1993: 12).
Damit schließt sich der Kreis des Reputation Management: Reputation ist eben
nicht nur auf der Basis von Leistungen (oder deren Relikten) gebaut, sondern auch auf
Status – und beide sind durch den medialen Prozess automatisch dynamisiert und sozi-
al expandiert, was ihr Abstraktwerden fördert und sie mit fiktionalen Elementen anrei-
chert. Der Status fungiert als Eintrittsbarriere in den politisch-intellektuellen oder lite-
rarisch-intellektuellen Diskurs, in das aktuelle Zeitgespräch. Damit sind wir bei der
personalisierten Variante von Reputation angelangt. Festzuhalten bleibt, dass Reputa-
tionen sich ständig herausbilden, stets neu aktualisiert und verknüpft werden. Wesent-
liches Ziel der unternehmerischen Kommunikationsarbeit ist es daher, auf diese Ver-
98 Lars Rademacher

knüpfungen und aktive Reputationszuweisungen (die poietischen Prozesse der Reputa-


tionsbildung) Einfluss auszuüben.
Images sind institutionalisierte Fremdbeschreibungen im Ex-Post-Modus. Frames
möchte ich dazu komplementär als institutionalisierte Selbstbeschreibungen konzipie-
ren, die mal als Frame für Personen (Personal Frames), mal als Frame für Organisatio-
nen aller Art (Organizational Frames), aber natürlich auch bezogen auf den Spezialfall
einzelner Unternehmen (Corporate Frames) existieren können.
Was zeichnet diese Frames aus – und wie werden sie gebildet? Frames sind Ergeb-
nisse eines Prozesses, der i.d.R. ungeplant verläuft. Im Rahmen einer Strategie geziel-
ter Frame-Veränderung – wie bei Corporate Frames – lassen sich allerdings vier
Schritte nennen: (1) Medien-Analyse zeigt einen Thematisierungsframe zum Zeitpunkt
t0 auf. Diese Erkenntnisse werden als Ausgangsbasis überarbeitet mit Hilfe von Bau-
steinen aus (2) der Corporate Philosophy (Unternehmensleitsätze, Leitbild), mit Ele-
menten (3) der Corporate Identity (aktuelle Unternehmensidentität und -kultur) und (4)
der Corporate Strategy (Zukunftsstrategie, Unternehmensplanung). Diese Bausteine
werden im Frame Management zu einem Regelungsframe (vgl. Fröhlich/Rüdiger
2004) verknüpft, der als Vorbewertung in die Berichterstattung eingehen soll. Diese
Vorbewertungen können nur rudimentär sein, also nur bestimmte Tendenzen liefern:
traditionell, innovationsfreudig, theorielastig, kompliziert, weltoffen, methodisch,
chaotisch, glücklos, spontan etc. Die Erwartung ist, dass sich der Frame als Corporate
Frame in den Medien wiederfindet und so eine Interpretationshilfe für die einzelnen
Unternehmensbotschaften ist, dass diese auf einen vorbereiteten Grund fallen mögen.
Die Erwartung ist, dass das Frame Management in der Lage sein sollte, die aktuell
verwendeten Frames im Zeitverlauf zu korrigieren und beispielsweise einen innovati-
onsfreudigen Frame zu kreieren, innerhalb dessen dann einzelne Aussagen (z.B. eine
Investition in einen neuen Standort) stärkere Fokussierung erfahren.
Als Komplementär zum Reputation Management erstreckt sich das Frame Mana-
gement auf Gegenstände der Berichterstattung, die nach dem hier besprochenen Öf-
fentlichkeitsverständnis verhandelt werden. Relevant werden nun die Intersystembe-
ziehungen zwischen Journalismus und PR, die als Akkumulation von Bewertungsan-
sätzen und Interpretationsvorlagen zu begreifen sind. Die Frage muss lauten, ob das
journalistische System unter Normalbedingungen in der Lage ist, akkumulierte Bewer-
tungsvorschläge, die durch Reputationsmanagement und Frame Management entstan-
den sind, noch als konstruktive Elemente zu erkennen und parallel zu analysieren, um
diese bewusst anteilig fiktionalen Bewertungsangeboten noch mit Transformationslei-
stungen zu parieren. Fröhlich/Rüdiger (2004: 137) können dies für die von ihnen un-
tersuchte politische Berichterstattung noch bejahen. Meine Interpretation ist die, dass
sich die journalistische Autonomie nur noch in der Konfliktsituation tatsächlich halten
lässt. Ein Fehler der meisten Untersuchungen ist es daher, Beispiele auszusuchen, in
denen Themen besonders umstritten sind. Bei expressiven Diskussionen kann die je-
weilige Deutungsmacht nur so weit ausgespielt werden, so weit keine oppositionelle
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 99

Deutung in argumentative oder rhetorische Überlegenheit tritt. Das ist das Wesen der
demokratischen Öffentlichkeit.
Sprechen wir hingegen vom Kommunikationsmanagement in Normalsituationen,
dann ist eine ganz andere Deutungsmacht spürbar. Hier kann schon aus Gründen der
journalistischen Aufmerksamkeitsknappheit keine Frameüberprüfung erfolgen. Und
passen Frame und Reputation zusammen, stellen sie einen gelungenen Verweiszu-
sammenhang dar, kommt der Journalist in der betrachteten Normalsituation auch nicht
in die Verlegenheit, Prüfoperationen einzuleiten. Um seiner Berichterstattung im Zwei-
fel noch die Aura der Neuigkeit, der Eigenleistung anzufügen, wird er bereit sein, die
Reputation auf der Basis des vorgefundenen Frames noch ein Stück zu expandieren –
und damit einen weiteren kleinen Fiktionalisierungsschub anzustoßen.
Was für die journalistische Seite der Bewertung funktioniert, funktioniert natürlich
auch organisationsintern. In Mitarbeiterworkshops z.B. werden gemeinsame Werte er-
arbeitet, werden Mission Statements vorgelegt etc. Hier ist der Weg schon das Ziel.
Eine Reihe von Mitarbeitern wird zu einer ähnlichen Sicht des Unternehmens, zu ei-
nem bestimmten Internal Frame bereits über diese Arbeitsgruppen gelangen. Die Bei-
spiele zeigen: Dem Kommunikationsmanagement wird immer stärker die Autorschaft
für Selbstdefinitionen, aber auch für Programme übertragen. Diese Autorschaft ist da-
bei ein verteilter Prozess, da Kommunikationsmanagement nicht nur an einer Stelle im
Unternehmen lokalisiert werden kann.

Kommunikationsmanagement in der Organisationskommunikation


Im Folgenden gehe ich davon aus, dass mit Organisationskommunikation sowohl
Kommunikationsbeziehungen zur Organisationsumwelt (z.B. anderen Organisationen)
als auch innerhalb von Organisationen gemeint sind. Wenn ich darunter auf der Innen-
seite der Organisation sowohl die formalen kommunikativen Operationen (z.B. Regel-
korrespondenz, Warenbestellungen etc.) erfasse, ferner die Fachkommunikation (z.B.
Besprechungen) und die Beziehungskommunikation (z.B. Kollegengespräche, Kanti-
nengespräche) sowie die Reflexionskommunikation (z.B. Gerüchte, Unmutsäußerun-
gen, Konfliktbewältigungen, aber auch Mitarbeitergespräche und interne Unterneh-
mens-Kommunikation) einbeziehe, dann wird damit eine möglichst vollständige Dar-
stellung der Organisationskommunikation angestrebt. Auf der Außenseite der Organi-
sation gehören dazu noch alle Kommunikationen, die über die Märkte, die Produkte,
Finanzmittel und Meinungen der Organisation handeln (vgl. Szyszka 2004: 208f.).
Ausgehend von einem derart umfassenden Verständnis der Organisationskommu-
nikation wird folgende Aufteilung des Aufgabenspektrums vorgenommen: Organisati-
onskommunikation ist eine Sammelbezeichnung für Mitarbeiterkommunikation, Kom-
100 Lars Rademacher

munikationspolitik und Kommunikationsmanagement.2 Zentraler Bestandteil ist die


Kommunikationspolitik, aus der sich ein konkretes Kommunikationsprogramm ablei-
tet, das an den Organisationszielen orientiert ist. Zur Mitarbeiterkommunikation gehö-
ren alle formalen Kommunikationsakte (Arbeitsanweisungen) ebenso wie die interne
Kommunikation sowie die Aufbauorganisation der internen Kommunikationsstruktur.
Das Kommunikationsmanagement schließlich steuert das Kommunikationsprogramm
der Organisation. In der Ausübung dieser Aufgabe bedient sich das Kommunikations-
management eines starken Leistungssystems: der Public Relations, die die einzelnen
Programmbestandteile des Kommunikationsprogramms bearbeiten. Wird Kommunika-
tionsmanagement als „integrative Regelungsinstanz aller zentralen kommunikativen
Einflüsse“ (Szyszka 2004: 213) des Unternehmens verstanden, bedeutet dies, dass sich
Kommunikationsmanagement als unternehmerische Aufgabe nicht mehr auf eine or-
ganisatorische Einheit (etwa die Abteilung Unternehmenskommunikation) zurechnen
lässt, sondern sich als Kernfunktion der Kommunikationspolitik und des von ihr ent-
wickelten Kommunikationsprogramms auf allen Ebenen der unternehmerischen Hand-
lungsfähigkeit bewegt. Wie ist dies zu strukturieren?
Im Mittelpunkt des Interesses steht zunächst die Unternehmensleitung. Sie gibt
über strategische Entscheide die Unternehmenspolitik vor, die den Rahmen der Kom-
munikationspolitik steckt. Kommunikationspolitik in diesem Sinne ist die „operative
Dimension der Unternehmenspolitik“ (Szyszka 2004: 211). Erstes Element ist das
kommunikative Management von Entscheidungsprozessen. Das Kommunikationsma-
nagement muss dafür Sorge tragen, dass Entscheidungen top down kommuniziert wer-
den. Diese Aufgabe ist auf die Interne Kommunikation (als Teil der Abteilung Unter-
nehmenskommunikation) und die unterschiedlichen Managementebenen paritätisch
verteilt. Dabei stellt die Interne Kommunikation den allgemeinen Bezugsrahmen her
und zeigt auf, welche Auswirkungen die Entscheidung generell hat; das jeweilige Ma-
nagement muss die Konkretion auf Abteilungs- oder Hauptabteilungsebene leisten und
die durch die Erstinformation der Internen Kommunikation aufgeworfenen Fragen ab-
arbeiten (soweit dies zum Zeitpunkt der Entscheidungsveröffentlichung möglich und
gewollt ist). Entscheidungskommunikation in diesem Sinn spielt sich wesentlich im
Unternehmen ab und überschreitet dessen Grenzen nur selten. Ist dies jedoch der Fall,
tritt die Entscheidungskommunikation nahtlos in die Akzeptanzkommunikation (Legi-
timation) über. Intern wie extern ist Entscheidungskommunikation nicht bloße Akkla-
mation, sondern als operative Seite der Unternehmenspolitik vor allem Durchsetzungs-
kommunikation. Denn wie sollten Programme sonst durchgesetzt werden abseits der
Methoden der Organisationskommunikation.

2
Eine alternative Bestimmung legt Herger (2004: 125-145), vor, dem an einer Unterscheidung von
transaktionsorientierter Marktkommunikation und interaktionsorientierten Public Relations liegt. Die-
sem gut ausgearbeiteten Vorschlag und der Vier-Felder-Matrix der Organisationskommunikation (S.
127) folge ich nur deshalb nicht, weil das komplexe Begriffssystem von Herger den Begriff der PR auf
mehreren Ebenen verwendet, was m.E. zu logischen Problemen führt. Inhaltlich kann ich Herger aber
weitgehend zustimmen.
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 101

Zweites Element ist das Management der Wissenskommunikation. Dazu hat Gerd
Würzberg (2003) einen Vorschlag gemacht. Er konzipiert Unternehmenskommunika-
tion aus Imagekommunikation und Wissenskommunikation. Letztere wiederum setzt
sich bei ihm aus Mitarbeiter-Kommunikation und Wissensmanagement zusammen.
Diese Aufteilung ist für ihn sinnvoll innerhalb eines Value Based Management. Würz-
berg zeigt, dass an Status und Stil der Unternehmenskommunikation abzulesen ist, wie
es um die Nachhaltigkeit des Managements der Unternehmung bestellt ist. D.h. Wis-
sensmanagement ist unabhängig vom Kommunikationsmanagement nicht zu denken.
Dabei ist weniger die Hierarchisierung relevant, die Würzberg bietet (denn was ist sie
anderes als eine alternative Optik). Die Verknüpfung zur Wertorientierung und zur
Nachhaltigkeitsdebatte ist hier zu beachten: Nachhaltigkeit sollte als die Fähigkeit des
Managements verstanden werden, Umweltänderungen konstruktiv als Irritationen zu
verarbeiten, die im Kontext eines Wissensmanagements zu evolutionären Sprüngen
führen, also das Lernen fördern. Damit ist Wissensmanagement als Ausweis von
Nachhaltigkeit einer der zentralen Werttreiber der Unternehmung. Wie die Kopplung
von Kommunikations- und Wissensmanagement konstruiert werden kann, stelle ich im
nächsten Teilkapitel vor.
Der dritte Baustein, das Management von Unsicherheitspotenzialen, ist in meiner
Auslegung stark an Baecker (2003: 169 ff.) orientiert. Er versteht Macht als Attributi-
onsphänomen, das daraus lebt, „dass die Machthaber auch die Attribution zur Bewälti-
gung einer Unsicherheitslage nahe zu legen verstehen.“ (S. 170) Macht muss also an-
erkannt werden. Man kann sehr leicht die Analogie zur Reputation erkennen: Es
braucht zum einen Insignien (also Statussignale), aber auch initial ein bestimmtes Maß
an verliehener Macht. Von da an kann sich der Prozess eigenständig dynamisieren:
Macht führt zu Problemlösungen, die eine Machterweiterung zur Folge haben. Wer
Macht hat, dem wird die Fähigkeit zur Bewältigung von Unsicherheitslagen unterstellt.
Die Entstehung von Macht ist laut Baecker nicht zu verhindern; denn sie entstehe im-
mer aus der Wahrnehmung von Irritationen, die von der Organisation in Form von
Chancen und Risiken verarbeitet würden. Die Unsicherheitskommunikation ist also ei-
ne spezielle Form der Entscheidungskommunikation, nämlich eine entscheidungsvor-
bereitende (oder -nachbereitende) Kommunikation. Das Unternehmen muss sicherstel-
len, dass die Unsicherheit als Chance oder Risiko prozessiert wird. Dabei ist die tat-
sächliche Bewertung abhängig von der Fähigkeit, die Irritation (die als solche neutral
ist) sinngebend (bzw. wertsteigernd) zu verarbeiten. Ob sich eine Irritation als Chance
oder als Risiko herausstellt, entscheidet sich also anhand der Prozessfähigkeit der Or-
ganisation, mit ihr umzugehen, nicht an der Irritation selbst. Also muss die Unsicher-
heitskommunikation nur dafür sorgen, dass die Irritation mindestens als Risiko, am be-
sten aber als Risiko und Chance begriffen wird. Dann bleibt stets die Möglichkeit, die
Folgen eines Risikos auch im Fall eines Misserfolgs (der sich freilich nur auf die o.g.
Fähigkeit bezieht und keinen anderen Kontext hat) im Licht der Chancen zu interpre-
tieren und die Organisation in einer nächsten Entscheidungssituation wieder zu einer
Entscheidung der Einteilung einer Irritation als Chance und Risiko zu drängen. Unsi-
102 Lars Rademacher

cherheitskommunikation stellt also nur eines sicher: dass Irritationen die Unterneh-
mung nicht daran hindern, (weitere) Entscheidungen zu treffen.
Das Management von kulturellen Prozessen stellt mittlerweile eine Kernfunktion
insbesondere in Großorganisationen dar und steht dem Kommunikationsmanagement
als Teil des Wissensmanagements schon sehr nahe. Ich meine damit einerseits die
Selbstbeschreibungsdiskurse, die Unternehmen im zeitlichen Rhythmus immer dann
einziehen, wenn Identitätsaufrufe fragwürdiger werden. Solche Thematisierungen, die
Metakommunikationen darstellen, weil sie die Unternehmung selbst zum Thema ma-
chen, sind eigentlich an der Tagesordnung. Es steht zu vermuten, dass in Großorgani-
sationen sogar bis zu 50 Prozent der Kommunikation in Reflexionen über die Organi-
sation besteht. Das kann einerseits notwendig sein, ist aber bei der eingespielten Orga-
nisation mehr als hinderlich. Hier drückt sich ein Konfliktpotenzial aus, das langfristig
erhebliche Effizienzschwankungen zur Folge haben dürfte.
Also reserviert die Unternehmung eigens Zeit und Raum, um offiziell geduldet und
gewünscht über die Unternehmung zu diskutieren. Die Differenz ist also, dass diese
Metakommunikation temporär gewünscht wird. Damit wird nicht nur eine Ventilfunk-
tion ermöglicht, sondern auch immer wieder neu die Grundlage für eine Zusammenar-
beit von Menschen in Organisationen gelegt. Die erwünschte Selbstthematisierung, die
dann in der Unternehmung expandiert wird, liefert Kontextualisierungsansätze. Denn
Kultur hat nicht nur die Funktion, den Mitarbeitern in Zeiten der Reorganisation Mut
zuzusprechen (vgl. Baecker 2003), sondern auch die Funktion, einen gemeinsamen
Bezugsrahmen für die Zusammenarbeit zu kreieren. Unternehmen arbeiten nach ihrer
eigenen Rationalität. Sie verfolgen ihr Unternehmensziel oft jenseits des Referenziali-
sierungsrahmens ihrer Mitarbeiter. Also muss die Unternehmung parallel stets einen
kollektiven Bezugsrahmen aufrechterhalten. Denn erst dieser versetzt sie in die Lage,
ihrem Organisationsziel gemäß erfolgreich zu handeln. Das Ergebnis dieser Bemühun-
gen ist ein eigenständiges Kulturprogramm der Organisation, das selbst immer wieder
Themen der Kommunikation liefert:
„Unternehmen entstehen und bestehen möglicherweise durch das gleichzeitige Entstehen und
Bestehen des Wirklichkeitszusammenhangs von Wirklichkeitsmodell und Kulturprogramm.
Dieser Wirklichkeitszusammenhang ordnet und gewichtet die Voraussetzungen, die Aktanten
bei jeder Operation bzw. bei jeder Setzung in einem der drei Prozess-Systeme (Beobachten,
Kommunizieren, Entscheiden) in Anspruch nehmen. Die Inanspruchnahme dieser Vorausset-
zungen, auf die sich alle Aktanten als kollektives Wissen beziehen, sorgt dafür, dass trotz der
kognitiven Autonomie der Aktanten erfolgreiches gemeinsames Handeln und Verstehen mög-
lich werden.“ (Schmidt 2004: 6)
Schmidt weist Unternehmenskultur zudem als einen Faktor der Wertorientierung aus,
was letztlich den umfassenden Beitrag des Kommunikationsmanagements zur Wert-
steigerung auch über das Feld der Kulturkommunikation noch einmal belegt. Für die
gut ausgearbeitete Darstellung von Aufmerksamkeits- und Akzeptanzmanagement als
(ehemalige) Kernfunktionen des als Public Relations verstandenen Kommunikations-
managements verweise ich auf Szyszka (2004).
Was sich aus dem Geschilderten ergibt, will ich der Klarheit halber hier noch ein-
mal zusammenfassen. Kommunikationsmanagement ist nicht identisch mit Public Re-
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 103

lations. PR, verstanden als Organisationsfunktion, erfüllt wesentliche Aufgaben in al-


len genannten Bereichen des Kommunikationsmanagements: bei der Entscheidungs-,
Wissens-, Unsicherheits- und Kulturkommunikation, bei Aufmerksamkeits- und Ak-
zeptanzkommunikation. Doch sie tragen diese Prozesse nie allein. Den größten Anteil
haben sie bei der Aufmerksamkeitskommunikation, den (im Verhältnis) geringsten
möglicherweise bei der Unsicherheits- und Kulturkommunikation. Immer aber sind sie
wesentlich beteiligt. Wenn man dieses Verständnis zugrunde legt, dann kann PR natür-
lich niemals „auf dem Weg zum Kommunikationsmanagement sein“, wie Raupp und
Klewes (2004) meinen. PR sind schon immer am Kommunikationsmanagement betei-
ligt, können dieses aber niemals ‚einholen‘, weil hier zwei unterschiedliche Beschrei-
bungsebenen miteinander verglichen werden. Als Nobilitierungsvokabel für PR fällt
Kommunikationsmanagement damit letztlich aus.

Kompaktbegriff PR
Aus dem bisherigen Prozess ergibt sich, dass unter PR durchaus Unterschiedliches ver-
standen wurde: Während der normale Leser zwischen Werbung und PR kaum unter-
scheidet (und diese Position findet sich auch im Marketing wieder, wenn von PR als
kostenloser Werbung gesprochen wird), findet sich gewöhnlich die Position, PR trage
dazu bei, Vertrauen und Verständnis für die Organisation zu befördern. Manche Theo-
rie sieht PR damit als Legitimationskommunikation, andere Theorien sprechen von PR
als Werteharmonisierer, wieder andere sehen PR als Werttreiber, als Kommunikati-
onskatalysator, als handwerkliche journalistische Komponente, als Grundform der Ge-
sellschaftskommunikation etc. Die Liste ließe sich fortsetzen. Mindestens lassen sich
im Aktionsradius unter Berücksichtigung des aufgestellten Konsolidierungskreises der
PR aber Strategien, Aktionen, Organisationsformen und Instrumente unterscheiden.
Als (1) Strategien gelten mir alle Vorgehensmodelle der Aufmerksamkeitssteuerung
(also Aufmerksamkeitserzeugung, -verhinderung und -dosierung), der Legitimation
(gesellschaftliche Integration) und der Performanzkontrolle (Selbst-/Fremdbeschrei-
bung, Themenkontrolle, Frames); als (2) Aktionen Kommunikationsplanung, Kommu-
nikationsgestaltung, Kommunikationsberatung und Kommunikationsevaluation; als (3)
Organisationsformen etwa die organisatorische Einbettung in Großunternehmen,
Agenturen, Beratungskontexte, Planungsgruppen etc.; Instrumente (4) schließlich rei-
chen von der Pressemitteilung über das Redemanuskript, den parlamentarischen
Abend, die Adhoc-Mitteilung oder das Mitarbeitermagazin bis zum Geschäftsbericht,
zur Nachhaltigkeits-PK, den Redaktionsbesuch oder das Hintergrundgespräch. All das
wird situativ immer wieder – verkürzt – PR genannt.
Unter Public Relations verstehe ich – im Sinne einer Definition als Kompaktbegriff
(vgl. Schmidt/Zurstiege 2000: 170) – vier Komponentenbereiche, die miteinander ver-
woben und im Idealfall integriert sind: Strategien der PR, Aktionen der PR, Organisa-
tionsformen der PR und Instrumente der PR. Die Instrumente dominieren unsere PR-
Begriffe für gewöhnlich; dabei sind sie nur die äußere Hülle eines Mechanismus, der
104 Lars Rademacher

von Strategien und Aktionen lebt, die in variierenden Organisationsformen aufeinander


bezogen werden.
Die Resultate der PR sind in jedem Komponentenbereich unterschiedlich und ein
Erfolg nicht immer sogleich ersichtlich. Grundsätzlich unterliegt PR in allen vier
Komponentenbereichen aber immer ein Resonanzkalkül im Sinne der Organisation.
Um eine Resonanz zu gewährleisten, muss PR die spezifischen Semantiken „der jewei-
ligen Umweltsysteme (bzw. Stakeholder)“ kennen und berücksichtigen; denn „eine
nachhaltige Beeinflussung von Beobachtung bedarf der Bezugnahme auf den Beobach-
ter und dessen Beobachtungskriterien.“ (Jarren/Röttger 2004: 37) Es sei Aufgabe der
PR, auf der Basis systematischer Umweltbeobachtungen legitimations- und organisati-
onsrelevante Informationen aus der Organisationsumwelt in die organisationale Sy-
stemreproduktion einzuspeisen. Beobachtungen der PR erfolgten dabei – im Unter-
schied zum Journalismus – immer aus der strategischen und normativen Orientierung
einer Organisation heraus. „PR muss Umweltinformationen so übersetzen, dass sie von
der Organisation als entscheidungsrelevante Informationen verarbeitet werden können.
Über die Einspeisung von Fremdbeobachtung in die organisationale Systemreproduk-
tion ermöglicht PR zugleich die Reflexierung der Organisation.“ (Ebd.) Über diese
strukturationstheoretischen Überlegungen hinaus kann gesagt werden: PR führt nicht
nur die Fremdbeobachtung ein, sie greift auch auf diese aus; sie will auch der Fremd-
beobachtung Beobachtungsvorschläge unterbreiten, die ihre Sicht stützen. Wie geht sie
dabei vor?

5 PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft


In diesem abschließenden Teil wird nun die Redeweise von der PR als ‚Literatur‘ plau-
sibilisiert. Mehrfach ist oben bereits betont worden, dass die konstruktivistische Aus-
gangsbasis stark individualistisch wirkt. Im Rahmen des Reputation und Frame Mana-
gement ist zudem mehrfach angeklungen, dass diese Verfahren mit Fiktionalisierungen
arbeiten. Gegen dieses Denken formierte sich Widerstand, weil unter Fiktionen vor-
schnell etwas allzu Beliebiges verstanden wird. Das Fiktionale, von dem hier die Rede
ist, ist allerdings keineswegs so beliebig wie weithin angenommen. Vermutlich ist die
konstruktivistische Position auch wegen der unterstellten Wahllosigkeit des Fiktiven
derart in die Kritik geraten. Nach den klassischen Funktionen des Fiktiven zu fragen,
kann der Diskussion an dieser Stelle neue Perspektiven eröffnen. Das Fiktive gilt im
Allgemeinen als nicht real (vgl. Henrich /Iser 1983: 9). Doch fiktiv ist nicht das bloße
Gegenteil von real; denn verglichen mit dem Imaginären erweist sich das Fiktive als
„ein in hohem Maße ‘Fixiertes‘“ (ebd.). Die Bestimmtheit des Fiktiven geht für Dieter
Henrich und Wolfgang Iser aus ihrem Gebrauchszusammenhang hervor: „Eine Fiktion
erfolgt um eines Gebrauches willen, der von ihr zu machen ist, und dieser bestimmt ih-
re Funktion.“ (ebd.) Das Fiktive bezieht sich als Wiederholung direkt auf ein Reales,
ohne mit diesem identisch zu sein, sondern es „überschießt“ dieses, geht über das Rea-
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 105

le hinaus, ohne gleich zu einem Imaginären (vgl. Iser 1991) zu werden. Eine Fiktion
soll als solche erkennbar sein.
„Wo Fiktion nicht als solche verstanden werden kann, liegt sie nicht vor. Man könnte das
verstärken, indem man sagt, sie ist immer schon als solche verstanden, wenngleich dieses
Verständnis nicht immer durch ein bestimmtes Repertoire von Fiktionssignalen artikuliert
sein muß. Es ist dieses Gewußtsein – wie immer es auch zustande kommen mag – durch das
Fiktion vom Imaginären wesentlich unterscheidbar bleibt - und zwar immer für denjenigen,
für den sie in Gebrauch gesetzt ist.“ (Henrich/Iser 1983: 10; Hervorhebung vom Autor)
Wie kann das konkret aussehen? Odo Marquard (1983) gibt ein Beispiel anhand der
„Theorie des kommunikativen Handelns“ von Jürgen Habermas (1981), der Aussagen
über den unverzerrten, idealen Diskurs selbst schon als „irrationale Konditionalsätze“
aufgefasst habe. Damit ist die Theorie des kommunikativen Handelns eigentlich ein
zwar viables, aber letztlich heuristisches und in sich abgeschlossenes (autopoieti-
sches?) Handlungsmodell. Fiktion ist also ein extrem starker ‚Haken‘, an dem große
Referenzialisierungsprojekte sicher ‚aufgehängt‘, verankert werden können. Wenn das
sogar für die Idee des Menschlichen gelingen kann, dann geht das sicherlich auch für
einen zu erwartenden Börsenkurs oder ein Unternehmensimage.
Literatur ist nun der vornehmste Ort der Narration, die primär mit Fiktionen arbei-
tet. Doch was ist Literatur? Man kann keinen genauen Maßstab angeben außer den,
dass als Literatur gilt, was so genannt wird (vgl. Brenner 1996). „Die Philosophie, die
Poetik, die Literaturwissenschaft reden seit je von Literatur so, als ob es sie gäbe“
(Brenner 1996: 12). Doch das qualifiziert Literatur noch nicht inhaltlich. Zumeist wird
Literatur aber eine Qualität des Ästhetischen zugeordnet: Sie soll schön sein, fiktional
und vieldeutig (vgl. ebd 14ff.). Was schöne Literatur ist, darüber gibt es vielfältige,
zeitgebundene Ansichten, die hier nicht referiert werden müssen. Zentrale Erkenntnis
aber ist: Über einen normativen Inhalt des Schönen ist man sich nie einig geworden –
und das generell in den Künsten. Später hat man z.B. auch eine Ästhetik des Hässli-
chen postuliert. Auch das Kriterium der Fiktionalität will nicht durchgängig auf Litera-
tur passen. Zum Beispiel ist diese Unterscheidung in der Poetik des Aristoteles nicht
gemacht worden (vgl. Schmitt 2004) – und sie ist, wie oben gezeigt werden sollte,
auch mit Blick auf den „New Jounalism“ nicht sinnvoll. Bleibt noch das Argument der
Vieldeutigkeit: Es hat in den Diskussionen der letzten Jahre eher zu- als abgenommen.
Wenn sich ein Kunstwerk ohne Rest auflösen und zuteilen lässt, wenn es einem keine
weiteren Gedanken aufgibt und sich spontan erschließt, so z.B. die Position Adornos,
dann ist es keines. Egal wen man fragt – ob Rezeptionsästhetiker, Konstruktivisten
oder Dekonstruktivisten –, man erhält eigentlich immer in der einen oder anderen
Form einen Hinweis auf die Überzeugung, dass Polyvalenz wesentliches Unterschei-
dungsmerkmal literarischer Produkte ist.
Worin besteht nun die Funktion von Literatur – verstanden als Literatursystem – in
der Gesellschaft? Das Literatursystem eröffnet Handlungsmöglichkeiten, die kein an-
deres System eröffnen kann. Für Schmidt (1989: 20f.) ist das ein subjektiver, metho-
disch nicht geregelter lebensweltlicher Wissensgewinn:
106 Lars Rademacher

„Das Literatursystem übernimmt die kommunikative Bearbeitung dieser Dimension subjekti-


ven Wissensgewinns, der Vervielfältigung von Wirklichkeitsmodellen in der Phantasie und
der innovativen Vorwegnahme sozialer Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten in Utopie
und Kritik und bieten damit – zumindest in der Theorie – die Möglichkeit der Wiederherstel-
lung eines Kontinuums von Alltag und Kultur.“ (Ebd., 21)
Public Relations sind in diese Kontinuität eingetreten, indem sie im Rahmen mimeti-
scher Wiederholung der Realität durch die Modulation der vorgefundenen Wirklich-
keitsentwürfe gradualisiert abweichende „Modelle“ der Wirklichkeit entwerfen. Ich
spreche in diesem Zusammenhang von einer Autonomisierung der PR. Das bedeutet,
durch neue Formen der PR (also der autoinitiativen und unwidersprochenen Selbstbe-
schreibung) lösen sich diese prinzipiell von ihrem journalistischen Komplementärsy-
stem ab – und das umso mehr, je mehr dieses sich in Richtung Unterhaltung wandelt.
Beispiele hierfür sind die immer stärker Verbreitung findenden Corporate-Publishing-
Produkte, aber auch die großen Portale der Provider (wie etwa T-Online) genießen die
Reputation der Unabhängigkeit. Weitere Esklationsstufen sind die neuen Formen der
Interaktivität im Fernsehen wie im Internet, die sich als Entwicklungsstufen auf dem
Weg zu den seit vielen Jahren verkündeten, aber erst jetzt realistisch werdenden Multi-
Medien ausnehmen. Viele dieser Produkte, z.B. auch Weblogs (die zudem eine völlig
neue Mediengattung darstellen), treten in direkte Konkurrenz zu journalistischen Pro-
dukten, andere verändern bzw. transzendieren das klassische Denken in journalisti-
schen Produkten und Produktionen so weit, dass wohl nur noch ästhetische Kategorien
greifen. Und selbst im Raum des Ästhetischen wird man sich kaum auf altbekannte
Genrebezeichnungen mehr verlassen können. Denn mit den Veränderungen des media-
len Umgangs ändern sich auch tradierte Vorstellungen von Autor/Künstler und Werk.
Es kommt zum Oszillieren der Handlungsrollen, das ehedem nur die neuere Literatur-
theorie beschrieben hatte (vgl. Rademacher 2005).
Wenn wir auf die Handlungsrollen der Produzenten, Distribuenten und Rezipienten
schauen, dann wird die strukturelle Ähnlichkeit deutlich. Aus dem PR-Schreiber, PR-
Berater und PR-Konzeptioner im Hintergrund werden voll verantwortliche Rollenbil-
der. Der PR-Redakteur wird zum vollwertigen, satisfaktionsfähigen Autor, der direkt
mit diversen Publika kommuniziert. Seine Rolle als stummer Repräsentant und Ghost-
writer hat er verlassen und schwingt sich zu eigenständigen Positionsbestimmungen
auf. Diese Autorenrolle wird auch (und dort besonders) in Segmenten der politischen
PR deutlich spürbar (vgl. Rademacher 2005). Der PR-Berater löst sich aus der Um-
klammerung des Rollenbildes als Hinterzimmer-Stratege und tritt als „Spin Doctor“
und notorischer Besserversteher in die Mitte der medialen Diskussion. Wo er über aus-
reichende Kontakte, Netzwerke und Abhängigkeitssysteme verfügt, greift er in diese
Diskussion ein und steuert sie zu seinem eigenen Vorteil und dem seiner Kunden.
Auch der Profiler und Konzeptioner löst sich aus dem Schatten seiner Produkte und
betont den kreativen Anteil der eigenen Produktion, der zunehmend die Aufgabe zu-
fällt, die Leistungsversprechen von Organisationen, Unternehmen und Produkten an-
hand des Medienkonzerts zu strukturieren und Differenzkriterien zu entwickeln, die
Aufmerksamkeitsüberschüsse („Aufmerksamkeitsrenten“) garantieren. Erst im zweiten
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 107

Schritt erfolgt die eigentliche Produktion und mit ihr die Positionierung in einem
Marktumfeld, dem unter dem Eindruck weitgehend gesättigter Märkte noch die größt-
möglichen Differenzmerkmale zugetraut werden. Hier werden PR vor allem in ihrer
Funktion als Distinktionsmechanismus eingesetzt (vgl. Rademacher 2005b).
Die Polyvalenz der PR haftet schließlich nicht den Symbolen an, sondern dem Um-
gang mit ihnen. Polyvalenz stellt sich in der Wahrnehmung der Betrachter ein. Die PR-
Medienangebote müssen also auf vielfältige Weise auf Polyvalenz orientiert sein. Ein
Zusammenhang der PR (z.B. bezogen auf ein Produkt, einen Sachverhalt) muss in
möglichst vielen Kontexten und Mediengattungen funktionieren, um den medialen
Durchsatz zu erhöhen. Wenn der Anspruch darin besteht, mit PR herkömmliche
Kommunikationsmaßnahmen (z.B. der klassischen Werbung) zu vernetzen oder diese
zu steuern, dann ist die PR treibende Organisation darauf angewiesen, dass das durch
die PR-Maßnahmen ventilierte Thesensystem flexibel verarbeitet wird und dass die
dort ausformulierten und von zentralen Leitmotiven abgeleiteten Einzelbotschaften
sowohl den Kriterien einer Integrationsfähigkeit (im Sinne der widerspruchsfreien,
konsistenten Kommunikationsarbeit) entsprechen als auch diese dort durchbrechen, wo
es nötig ist, um auf aktuelle Diskussionszusammenhänge oder besondere Informati-
onsbedürfnisse einzugehen. Das begründet in der PR-Praxis ein Primat der Taktik vor
der Strategie: Im Bild gesprochen ist damit die Taktik der Fixpunkt, von dem aus im-
mer wieder Verknüpfungen zum theoretischen Überbau anvisiert werden müssen. In
diesem Sinne sind PR hoch ästhetisch und stark polyvalent. Sie stellen die Kunst dar,
das singuläre Ereignis, die einzelne Aussage, den jeweiligen Anlass konsistent zu ver-
arbeiten und im Zielsystem der Organisation den Anknüpfungspunkt zu finden, der
noch am organischsten als potenzielle Kopplungsstelle dienen kann. Im Extremfall
kommt es zu einen „Rewriting“ der „Organizational Scripts“ an dieser Stelle. Diese
Funktion kann auch als eine Bemühung beschrieben werden, durch ständige Überar-
beitungen und Neubeschreibung der Organisation und ihrer kritischen Stellen zu
verhindern, dass der Eindruck des Disparaten entsteht. PR sind dabei, die Organisation
und ihr Handeln fortwährend neu zu beschreiben, neue Differenzierungen und Distink-
tionen einzuführen, die den Eindruck des „semper reformanda“ unterstützen – und oft
genug gerade dadurch den Effekt der Stabilität hervorrufen, weil die Beschreibungen
stets aktuell bleiben, also dem Umfeld der sonstigen Medienangebote und deren Fra-
mes angepasst sind.
Weiten wir die Rede von der PR als Literatur der Gesellschaft schließlich auf den
Kompaktbegriff von PR aus, den ich vorgeschlagen habe, dann wird deutlich, dass auf
der Systemebene Strategien, Aktionen, Organisationsformen und Instrumente zusam-
menwirken. Erst dieses Zusammenspiel, das wesentlich mehrdimensionaler „gebaut“
ist als vergleichbare Systeme zur Herstellung von Medienangeboten, verleiht den PR
ihre poietische Potenz.
PR sind dann ‚Literatur‘ der Gesellschaft – auch in dem Sinne, dass nur ein um die
Leistungsfähigkeit und poietische Potenz der PR angereichertes Mediensystem noch in
der Lage ist, die Wünsche der Medienkonsumenten zu befriedigen. Der Druck seitens
108 Lars Rademacher

der Abnehmer, der ständige Hunger nach neuen Medienangeboten und die immer kür-
zer werdende Halbwertzeit der Begeisterung für mediale Angebote fordert das medial
gefütterte Aufmerksamkeitssystem bis an seine Belastungsgrenzen. Hinzu kommen
hier die neuen Wahrnehmungsmodi: Statt „Verstehen“, „Sinnzuschreibungen“ oder
„Lernen“ geht es gleichberechtigt um „Erleben“, „Simulieren“, „Genießen“ oder „Zer-
streuen“ (Schmidt 2000: 358). Ohne die steigende Leistungsbereitschaft der PR, die
zunehmend – wie gezeigt wurde – auch die ökonomische Basis im Mediensektor und
die thematische Variationsbreite durch die Produktion von PR-Medienangeboten si-
chern hilft, wäre eine Orientierungsleistung durch mediale Kommunikationsangebote
nicht mehr leistbar.
Diese Gestaltungsverantwortung geht bei weitem über die bislang diskutierten Be-
festigungen von „wünschenswerten Wirklichkeiten“ (Merten/Westerbarkey 1994) hin-
aus und stellt ganz neue Bedingungen für eine Ethik der Public Relations, die als poie-
tischer und damit als politischer Prozess zu begreifen sind. Die wünschenswerten
Wirklichkeiten werden durch PR nicht mehr nur zur Sprache gebracht; sie werden
durchgesetzt, in kompositorischen Akten gestaltet. Dabei wird mit medialen Betriebs-
logiken in großer Freiheit der Verfügung über Ressourcen, Techniken, Methoden und
Kontaktnetzwerken gespielt. Langfristig, so will ich mein Votum zusammenfassen,
dürfte dies zu einer vollständigen Ablösung der Rollen und Medienprodukte der PR
führen, die – egal ob unter den bekannten Begriffen oder unter neuen, die die Tatsa-
chen verschleiern – eine Autonomisierung der Public Relations auch auf der Makro-
ebene bedeuten.
Diese Verschiebungen führten zu einem neuen Verständnis von PR, das ich zu-
sammenfassend PR als Literatur der Gesellschaft nenne. Wenn gesagt wird, PR werde
wie Literatur rezipiert, dann muss noch einmal kurz geklärt werden, wozu Literatur ge-
sellschaftlich dient. Ich hatte ausgeführt, dass Literatur dazu da ist, Dispositionsräume
zu eröffnen bzw. offen zu halten, Entscheidungsräume zu eröffnen, Reflexionsspiel-
räume wach zu halten, kulturelles Gedächtnis zu stützen, kulturelle Erprobungsfelder
zu liefern – und das Bestehende produktiv in Frage zu stellen. Der anthropologische
Grund für Literaturproduktion ist nach Karl Eibl (1995) die Urerfahrung des Men-
schen, dass ein „anders“ immer mitthematisiert ist, dass eine Nichtwelt existiert, dass
die aktuelle Wirklichkeit immer auch anders hätte sein können (wenn man sich anders
entschieden hätte). Von diesem Potentialis aus hat sich die Literatur entwickelt – histo-
risch über Zwischenstufen im Kultus und unter Nutzung des Mythos.
Der Mensch ist kognitiv immer wieder dazu gezwungen, sich selbst zu überzeugen:
von seiner Existenz, von der Welt, deren Sosein – wir nennen diesen Vorgang auch
immer wieder ›Orientierung‹. Zerlegt ist ein Orientierungsprozess nichts anderes als
ein Bewohnen von Wirklichkeitsentwürfen, ein ständiges Sich-Überzeugen, das der
permanenten Erneuerung und Aktualisierung bedarf. Die, wie Eibl (1995: 31) schreibt,
„Selektivität der Überzeugungs-Horizonte, die Entdeckung der Nichtwelt“ ist ein Be-
zugsproblem, das gelöst wird „durch eine Simultanthematisierung von Welt und
Nichtwelt, die auf ungebannte Nichtwelt oder zumindest auf einen ungebannten Rest
PR als ‚Literatur‘ der Gesellschaft? 109

von Nichtwelt verweist. Die Bestimmung [lautet/Verf.] ‚verfremdende Wiederholung


von Wirklichkeitselementen‘“ (ebd.).
Nichts anderes leisten Public Relations heute: Sie bieten alternative Möglichkeiten
des Beobachtens, differenzieren durch die Wiederholung von Wirklichkeitselementen
dieselben jeweils um ein paar Grad. In ihrem Interesse liegt, das Bestehende so weit zu
variieren, dass es als ‚neu‘ durchgehen kann. In der Umarbeitung von Journalismus,
Unternehmensöffentlichkeit, Organisationsstrukturen und Kommunikationsprogram-
men zu alternativen Strukturen finden PR bereits ihre Bestimmung. Sie haben kein Ziel
im emphatischen Sinn, nur Funktionen. Das hatte ich oben schon einmal betont.
Was heißt es nun, wenn PR als Literatur rezipiert wird, in einer auf Unterhaltung
abgestellten Gesellschaft? Denn PR hat keine stabile Autorposition, sie muss vielmehr
„sich selbst kontinuierlich legitimieren und autorisieren; sie muss ihre eigene Autorität
wenn nicht selbst herstellen, so doch die Existenz einer solchen (mit mehr oder weni-
ger Erfolg) simulieren.“ (Berensmeyer 2003: 105) Mit dieser Autorität ausgestattet ge-
lingt es den Public Relations, sich an Diskursen zu beteiligen, zu denen sie eigentlich
keinen Zugang hätten. In der medienkulturellen Veränderung, in der das Populäre und
das Repräsentative zusammenfallen, sind dies beispielsweise politisch-kulturelle Dis-
kurse, moralische Diskurse, ästhetische Diskurse. Es geht nicht (nur) um die Frage, ob
eine Pressemitteilung in den Wirtschaftsteil einer regionalen Tageszeitung übernom-
men wird oder nicht. Es geht vielmehr darum, ob die Konfektionierung der populären
Diskurse so akzeptabel ausgestattet ist, dass wir dem nichts mehr entgegenzusetzen
haben. Es geht streng genommen noch immer um Prozesse der Ästhetisierung des All-
tags und der Lebenswelt. In einer Zeit, in der authentisches Erleben vor allem als Kon-
sum begriffen wird, in der rezeptives Erleben als Handlungsziel durchgeht, erhält eine
Erlebnisarchitektur rationale Bedingungen. Eine Erlebnislogistik führt dazu, dass vor
allem die Eigenwahrnehmung in den Mittelpunkt rückt.
PR als Quelle neuer Sicherheit verbinden sich mit den Zeitströmungen des Unver-
bindlichen und Autoritätskritischen (bei gleich bleibender Autoritätshörigkeit) zu ei-
nem partiellen Rückzug ins Private. Aus einer solchen, im Laufschritt des Teilrückzugs
geformten Position liefern PR einen ebenso guten Anlass zur Anschlusskommunikati-
on wie jede andere kommunikative Modulation. Dass ich nach langen Literaturrund-
gängen letztlich bei diesen Befunden von Klassikern der modernen Sozialtheorie lan-
de, spricht nicht nur für die Hellsichtigkeit dieser frühen Texte, sondern vor allem da-
für, dass sie jetzt eingeholt scheinen. Was vom Ende des 19. Jahrhunderts an bis zum
Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts als dräuende Gefahr skizziert wurde, ist
heute ins Werk gesetzt: Wir haben die Mittel, kennen die Methode und handeln. Die
Ästhetisierung des Alltags ist kein bloßer Topos skeptischer Wissenschaften mehr. Im
Gegenteil: Manche nennen das ihr Leben.
Allerdings ist ein Autor, der Variationen anbietet, immer noch besser als kein Au-
tor. Die Autoren der PR schaffen es vielleicht am besten (vgl. Rademacher 2005), in
einem Orientierungssystem Markierungen zu setzen und Zäsuren anzubieten. Damit
schaffen PR noch immer mehr als manch anderer sozialer Mechanismus der Gegen-
110 Lars Rademacher

wart – und sind dadurch in gewisser Hinsicht auch erwünscht (vgl. Rolke 1999). Dass
die Zäsuren der PR um konkreter Ziele willen ‚gesetzt‘ werden, braucht nicht weiter
betont zu werden. Ich habe zu zeigen versucht, dass die Potenz der PR in den letzten
Jahren tendenziell stark gestiegen ist, dass sie in mehrfachem Sinne ‚Literatur‘ der Ge-
sellschaft geworden sind. Das begründet letztlich auch eine Ästhetik der PR, die noch
zu schreiben wäre. Immer dann, wenn PR Strategien prozessiert, die sich durch hohe
Stimmigkeit, durch Konsonanz und Anschlussfähigkeit auszeichnen – dann sind sie
besonders „schön“. Und wenn sie so schön sind, nimmt man sie fast gar nicht mehr
wahr.

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Zerfaß, Ansgar (22004): Unternehmensführung und Öffentlichkeitsarbeit. Grundlegung einer Theorie
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Zerfaß, Ansgar (2005): Rituale der Verifikation? Grundlagen und Grenzen des Kommunikations-
Controlling. In: Lars Rademacher (Hg.): Distinktion und Deutungsmacht. Studien zur Theorie
und Pragmatik der Public Relations. Wiesbaden: 181-220.
Fokus: Organisation und Gesellschaft
PR-Stellen als Reflexionszentren
multireferentieller Organisationen

Matthias Kussin

1 Einleitung
Die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit für Organisationen wird in der Literatur der
PR-Forschung, aber auch in der Praktiker-Literatur überwiegend unter dem Gesichts-
punkt einer Darstellung in bzw. Kommunikation mit ihrer Umwelt gedacht. Es geht um
ein Vertreten von oder auch ein Werben für Interessen der Organisation in der Gesell-
schaft (siehe u.a. Cottle 2003: 3; Herbst 1997; Rolke 2004: 130ff.). Der Erfolg von PR
wird dann üblicherweise „als der Erfolg einer geplanten Kommunikation“ betrachtet
(Merten 2005: 201).
Eine solche Perspektive kann mit Bezug auf bestimmte theoretische Grundannah-
men ein hohes Maß an Plausibilität für sich beanspruchen, und sie stellt vermutlich
auch einen Standpunkt dar, der mit der Selbstbeschreibung der meisten PR-Praktiker
korreliert. Zugleich jedoch zeigen sich in der PR-Forschung Ansätze, die nicht allein
auf die Möglichkeit einer Darstellung und Kommunikation der Organisation verwei-
sen, sondern darüber hinaus die Potenziale der Selbstbeobachtung und Reflexion durch
Öffentlichkeitsarbeit betonen. So sieht Olaf Hoffjann in der systemeigenen Beschrei-
bung der Organisationsumwelt durch Public Relations Potenziale der Reflexion (vgl.
Hoffjann 2004: 44), Peter Szyszka schreibt den Public Relations Analyseleistungen zu,
denen die Gewinnung von Informationen über die öffentliche Meinung und deren Re-
levanz vorausgeht (Szyszka 2004). Otfried Jarren und Ulrike Röttger sehen schließlich
in Public Relations Möglichkeiten der Selbstbeobachtung und damit einer „Reflexie-
rung der Organisation“ (Jarren/Röttger 2004: 31). Das dahinter liegende Ziel wird vor
allem darin gesehen, eine „Übereinstimmung zwischen Fremd- und Selbstbeschrei-
bung“ zu erzielen, um auf dieser Basis eigene Interessen (besser oder ‚begründeter‘)
durchsetzen zu können (Jarren/Röttger 2004: 41).
118 Matthias Kussin

An diese Überlegungen der Selbstbeobachtung und Reflexion durch Public Relati-


ons wollen wir im Folgenden anschließen. Dabei soll gezeigt werden, dass sich die
Idee einer Selbstbeobachtung und Reflexion der Organisation über Public Relations
noch deutlich ausbauen lässt, wenn von einem handlungstheoretischen/zweck-
rationalen Ansatz auf ein systemtheoretisches Verständnis umgestellt wird. Deutlich
wird dann, dass bereits die Konstruktion eines konsistenten Selbstbildes und die For-
mulierung und Stabilisierung von Interessen voraussetzungsvolle Operationen darstel-
len, an denen PR-Stellen potenziell ihren Anteil haben. Was damit zwar aus dem Blick
gerät, ist die Frage, ob sich über Public Relations mittelbar ökonomischer Gewinn, ge-
steigerter politischer Einfluss bzw. wissenschaftliche Reputation erreichen lassen. Da-
für aber kann etwas darüber ausgesagt werden, in welcher Weise Public Relations et-
was zur Identitätsbildung und -anpassung (an Umweltvoraussetzungen) und damit zur
Selbststeuerung und Zweckformulierung in formalen Organisationen beitragen.
Der Beitrag versteht sich damit nicht zuletzt als Angebot an die PR-Forschung, sy-
stemtheoretische Forschungsperspektiven einer gesellschaftstheoretisch informierten
Organisationstheorie für das eigene Arbeitsfeld zu nutzen. Die Entfaltung unseres Ar-
guments bedarf dabei zunächst einiger organisations- und gesellschaftstheoretischer
Erläuterungen. So werden wir zuerst darstellen, warum die Produktion und Reproduk-
tion von Identität sich für viele Organisationen als notwendig, aber zugleich auch als
problematisch darstellt. Es wird aufgezeigt: Insbesondere Organisationen, die ein ho-
hes Maß an Binnendifferenzierung aufweisen, benötigen Bezugspunkte wie Identität
und (Organisations-)Kultur zur Selbststeuerung und Sicherung ihrer eigenen System-
grenzen. Die Erzeugung und Reproduktion anschlussfähiger Einheitskonstruktionen
muss vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Differenzierung und Polykontexturalität
als höchst voraussetzungsvoll betrachtet werden.
In diesem Kontext erbringen Public Relations in besonderer Weise Beobachtungs-
leistungen für die Organisation, in dem sie Divergenzen zwischen Selbst- und Fremd-
beschreibungen für die Organisation beobachtbar machen und damit Orientierungs-
punkte für die Modifikation von Entscheidungen und Selbstbeschreibungen zur Verfü-
gung stellen. Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit übernehmen somit nicht allein Dar-
stellung- und Kommunikationsfunktionen. Sie fungieren – um ihre eigene Arbeit eva-
luieren und fortsetzen zu können – unweigerlich als „Reflexionszentren“ (Kieserling
2004: 241), die sich insbesondere in komplexen und ausdifferenzierten Organisationen
für die Konstruktion und Reproduktion konsistenter Einheitsbeschreibungen als unver-
zichtbar erweisen können.

2 Organisation – zur Funktion von Selbstbeschreibung


Die Literatur sowie die Debatte zur Schaffung einer gemeinsamen Kultur oder einem
Leitbild in Organisationen (siehe u.a. Simoes/Dibb/Fisk 2005; Beyer 1996: 917) sind
vielleicht die auffälligsten Anzeichen dafür, dass die Vorstellung von Organisationen
als einheitlich homogene Akteure empirisch auf Probleme stoßen kann. „Kein PR Ex-
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 119

perte“ – so formulieren es Norbert Gelse und Jeanette Weisschuh – „mag heute noch
ernsthaft den besonderen Stellenwert der internen Kommunikation für die Corporate
Identity und die Corporate Culture eines Unternehmens bestreiten“ (Gelse/Weisschuh
2005: 111). Identität ist Organisationen diesem Verständnis nach nicht sui generis ge-
geben. Stattdessen bedarf es fortwährend expliziter Anstrengungen, damit sich ihre
„Rituale, Klima, Werte und Verhaltensweisen zu einem einheitlichen Ganzen fügen“
(Schein 1992: 22).
Bereits an dieser Stelle wird das klassische handlungstheoretisch/zweckrationale
Verständnis von Organisationen in seinen Grundannahmen herausgefordert. Denn von
seiner Perspektive her ist die fortlaufende Konstitution und Reproduktion organisatio-
naler Identität kaum als Problem zu identifizieren. Die Einheit der Organisationsein-
heiten lässt sich – folgt man Max Weber – in ein Zweck-Mittel-Schema überführen.
Dabei ist ‚Hierarchie‘ der Mechanismus, der die Einheit des Systems mit Blick auf
seine Spitze hin im Sinne einer vertikalen Integration sichert (vgl. Weber 1972: 562).
Die Zwecke stabilisieren dann die Einheit der Mittel. Über Bürokratie lässt sich die
Organisation schließlich wie eine Maschine steuern, die in der zentralen Entschei-
dungsinstanz ihre Einheit findet (vgl. Weber 1971; klassisch dazu auch Fayol 1971).
Die Organisationsforschung der 1960er Jahre meldete dann jedoch – auch in Aus-
einandersetzung mit Weber – grundsätzliche Zweifel an, ob die Betrachtung der Orga-
nisation als eine kontextfrei operierende Maschine den empirischen Gegebenheiten
entspricht. Ausgangspunkt ist dabei eine Einsicht, die heute ebenfalls zum Kernbe-
stand wirtschaftswissenschaftlichen Wissens (siehe u.a. Picot 1977; Schreyögg 2003:
Kapitel 5), aber auch der PR-Forschung1 zählt. Es geht um die Einsicht, dass Organisa-
tionen es mit einer heterogenen und inkonsistenten Umwelt, bzw. Öffentlichkeit zu tun
haben und sich damit unterschiedlichen, inkommensurablen Erwartungen gegenüber-
sehen.
Eine Einbeziehung dieser Umweltanforderungen in die Organisationsanalyse er-
klärt dabei nicht allein die besonderen Kommunikationserfordernisse mit der Umwelt.
Sie sensibilisiert zugleich auch für interne Problemlagen. Zwei Arbeiten seien an die-
ser Stelle angeführt, die mit ihren Analysen den Zusammenhang zwischen Umwelter-
wartungen und interner Strukturbildung exemplarisch deutlich machen: Paul Lawrence
und William Lorsch zeigen beispielsweise mit ihrem so genannten kontingenztheoreti-
schen Ansatz auf, dass die verschiedenen Anforderungen aus der Umwelt Integrations-
probleme für die Organisation mit sich bringen können (Lawrence/Lorsch 1967). Für
Lawrence und Lorsch lässt sich dieses Differenzierungsproblem aufgrund inkonsisten-
ter Umwelterwartungen über Integrationsmaßnahmen zwischen den Bereichen der Or-
ganisation und einem Austausch ihrer Mitglieder lösen (Lawrence/Lorsch 1967). Ja-
mes Thompson weist in seiner klassischen Einführung in die Organisationswissen-
schaft darauf hin, dass Organisationen sich in einer turbulenten Umwelt bewegen, die
sie vor technische, aber auch institutionelle Herausforderungen stellt (Thompson

1
Siehe dazu beispielsweise in dem Beitrag von Peter Szyszka in diesem Band.
120 Matthias Kussin

1967). Thompson sieht die Lösung in einer Installation von „Pufferzonen“, mit denen
es Organisationen gelingt, den technologischen Kern der Organisation gegenüber sehr
unterschiedlichen Umwelterwartungen abzuschirmen und damit seine Einheit zu si-
chern (vgl. Thompson 1967: 20-24).
Der Problemdiagnose dieser Betrachtungen lässt sich auch aus Sicht jüngerer und
gesellschaftstheoretisch reflektierter Ansätze der Organisationsforschung zustimmen.
Die moderne Gesellschaft – so lautet das Argument in systemtheoretischer Terminolo-
gie – ist differenziert in autonome Teilsysteme wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft
oder auch Massenmedien, die jeweils eine bestimmte Funktion für die Gesellschaft er-
füllen (vgl. Luhmann 1998: 743ff.). Elemente dieser Teilsysteme sind allein bestimmte
Formen von Kommunikation, die sich entsprechend bestimmter Systemrationalitäten
unterscheiden lassen. Entscheidend ist dabei, dass diese Perspektiven strukturell ‚un-
versöhnlich‘ nebeneinander stehen und nicht in eine Metaperspektive integriert werden
können. Peter Fuchs spricht in diesem Zusammenhang von einer Polykontexturalität
der modernen Gesellschaft (vgl. Fuchs 1992: 43ff). Auf dieser Basis werden Realitäts-
definitionen in den Funktionssystemen erzeugt, die wechselseitig für sich unvereinbar
bleiben. Organisationen haben es so – gemäß ihres Typus in unterschiedlicher Gewich-
tung – in ihrer Umwelt unter anderem mit wirtschaftlicher, politischer, wissenschaftli-
cher und massenmedialer Kommunikation zu tun.
Auch wenn die Problemdiagnosen überzeugen, lassen sich theoretische Argumente
dafür finden, dass die von Lawrence/Lorsch und Thompson genannten Lösungsvor-
schläge zum Umgang mit gesellschaftlicher Differenzierung zu einfach ‚gebaut‘ sind.
Im Rahmen ihrer eigenen Operationen sind Organisationen schließlich vor die Aufga-
be gestellt, ihre Entscheidungen vor dem Hintergrund verschiedener sozialer Rationali-
täten zu treffen, ohne diese in ihrem „Kern“ über eine übergeordnete Rationalität ‚ab-
sichern‘ zu können. Organisationen – so lässt sich im Anschluss an Christof Wehrsig
und Veronika Tacke sagen – müssen als „multireferentielle“ Sozialsysteme betrachtet
werden (Wehrsig/Tacke 1992), in denen Referenzen an verschiedenen Funktionssy-
stemen zu beobachten sind. Dies betrifft zunächst vor allem Organisationstypen, die
keinem Gesellschaftsbereich eindeutig zugeordnet werden können. Ein bekanntes Bei-
spiel dafür ist die Universität, für die sich nicht entscheiden lässt, ob sie sich primär an
Gesichtspunkten der Forschung (Wissenschaft) oder der Lehre (Erziehung) zu orientie-
ren hat (vgl. Schimank 1993: 41). Ähnliches gilt für öffentliche Verwaltungen, die
zwischen Recht und Politik anzusiedeln sind und bei denen sich deshalb auf der Ebene
der Kommunikation fortwährend unterschiedliche Systemreferenzen zeigen (Bora
2001).
Das Charakteristikum der Multireferenz trifft aber zugleich auch auf Organisatio-
nen zu, denen eine Leitdifferenz (vgl. Jarren/Röttger 2004: 40) zu einem Funktionssy-
stem zugestanden wird. Einerseits lässt sich zwar davon ausgehen, dass Unternehmen
beispielsweise primär einer wirtschaftlichen und Parteien primär einer politischen Ra-
tionalität folgen. Andererseits jedoch sind auch diese Organisationstypen von den Lo-
giken anderer Gesellschaftsbereiche geprägt. Nicht selten verfügen Unternehmen über
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 121

Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, in denen nach technisch/wissenschaft-


lichen Aspekten entschieden wird. Sie unterhalten zudem Rechtsabteilungen, in denen
rechtliche Gesichtspunkte eine Entscheidungsgrundlage bedeuten und sie besitzen
möglicherweise auch PR-Abteilungen, in denen die Leitdifferenz der Massenmedien
eine tragende Rolle spielt. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Parteien, die neben Wahler-
folgen beispielsweise auch auf monetäre Mittel angewiesen sind und ihre Entschei-
dungen an den Beschränkungen des Rechts auszurichten haben. Die Integrationskraft
von Primärdifferenzierungen schwindet vor allem auf so genannten Grenzstellen, auf
denen es aufgrund von Umwelterwartungen zu Rollenverflechten der Organisations-
mitglieder kommen kann (vgl. Luhmann 1964: 225f.). Besonders in diesen Kontexten
muss die (konstruierte) Primärorientierung der Organisation und damit die (entschie-
denen) Ziel- und Zweckorientierungen fortwährend explizit gemacht werden.
Multireferentialität zeigt sich somit vor allem in den jeweiligen Fachabteilungen
mit Umweltkontakt.2 Sie spiegelt aber auch bis in die Spitzen der Organisation zurück.
Dort muss dann beispielsweise entschieden werden, ob man in langfristige Entwick-
lungsprojekte investiert, oder Kosten einspart, damit beispielsweise die Börse die
‚richtigen‘ Signale aussendet und primär der Rationalität des Finanzsystems (vgl.
Willke 2007: 53f.) folgt. Auf Basis dieser Oszillation zwischen verschiedenen System-
rationalitäten und einer Vielfalt der Beobachtungsperspektiven stellt sich die Frage
nach der Stabilisierung von Zielen und Zwecken und damit auch nach Einheit der Or-
ganisation. Wie bringt sie diese unterschiedlichen Realitätskonstruktionen in einen
konsistenten Sinn- und Beobachtungszusammenhang? Und auf welcher Maßgabe las-
sen sich im Kontext dieser heterogenen System- und Umweltverhältnisse konsistente
Entscheidungszusammenhänge für Organisationen herstellen? Abstrakter gefragt: Wie
zieht und stabilisiert die Organisation ihre Systemgrenzen?3 Vor allem in komplexeren
Organisationen scheint dies über eine eindeutige Ziel- und Zweckbestimmung allein
schwerlich möglich zu sein. Sie sind zu allgemein, um alle Entscheidungen auf allen
Organisationsebenen erklären zu können. Und sie sind zugleich zu spezifisch, um die
Stabilität der Organisation auf Dauer stellen zu können. Schließlich bleibt offen, wo,
wann und nach welchen Kriterien diese Ziele und Zwecke formuliert werden.
Keine Frage: Organisationen sind potenziell in der Lage, auf Hierarchie umzuschal-
ten, die Arbeitsteilung unter sachlichen Gesichtspunkten zurückzunehmen und auf
Machtkommunikation zu setzen. Aber ebenso steht außer Zweifel, dass dies ab einer

2
Das daraus resultierende Konfliktpotenzial wird bereits auf viel kleinteiligerer Ebene ersichtlich. Be-
reits die Konflikte zwischen verschiedenen Abteilungen, wie denen zwischen PR und Marketing zeigen
auf (siehe u.a. Bruhn/Ahlers 2004), dass eine Wohlgeordnetheit der Organisation und ein mechanisches
Zusammenspiel über Zweckprogramme und Hierarchie vielleicht zu inszenieren, jedoch nicht struktu-
rell zu realisieren ist.
3
Wenn wir von Systemgrenzen sprechen, so sind damit keine territorialen, sondern soziale Grenzen und
damit Erwartungsgrenzen gemeint. Es geht darum, welche Operationen als sozial erwartbar angesehen
werden können (vgl. Tacke 1997: 5f.). Über die Prozesse der Erwartungsbildung konstituieren sich
dann (Erwartungs-)Strukturen, die sich innerhalb der Organisation manifestieren und damit nicht zu-
letzt die Abgrenzung von der Umwelt markieren, wo die organisationsinternen Erwartungsstrukturen
nicht in dieser Form Anschlussfähigkeit genießen.
122 Matthias Kussin

bestimmten Größe nur unter Inkaufnahme einer Überlastung der Spitze und letztlich
eines Verlusts an Systemkomplexität und Leistungsfähigkeit möglich ist. Je komplexer
Organisationen aufgestellt sind und je größer ihre interne Binnendifferenzierung unter
sachlichen, sozialen aber auch räumlichen Gesichtspunkten ausprägt ist, desto drän-
gender stellt sich die Frage nach ihrer Einheit. Was letztlich immer wieder geschehen
muss, ist die Ziehung und Reproduktion der eigenen Systemgrenzen. Und es müssen –
über formale Entscheidungsprämissen hinaus – Kriterien zur Verfügung stehen, die zu
dieser Grenzziehung beitragen.
An dieser Stelle zeigt sich, auf welches strukturelle Problem textförmige Substan-
tialisierungen einer Organisationsidentität reagieren. Sie reduzieren als Formen der
Selbstbeschreibung (vgl. Luhmann 2000: 417ff.) die interne Komplexität, aber auch
die (beobachtete) Umweltkomplexität von Organisationen und führen zu Selbstfestle-
gungen der Organisation (vgl. Martens 2000: 296f.). Sie dienen damit als kommunika-
tive Schemata,4 die die „Koordination hochkomplexer und fluider Mengen von Aktua-
lisierungen“ (Luhmann 2000: 420) ermöglichen. Mit anderen Worten: Texte zur Expli-
zierung einer Organisationsidentität schaffen die Voraussetzungen für die Beobach-
tung der Organisation als (imaginierte) Einheit trotz polykontexturaler Beobachtungs-
verhältnisse. Sie sind Teil des Organisationsgedächtnisses, auf dessen Basis die Orga-
nisation dann weitere Festlegungen in Form von Entscheidungsprogrammen vor-
nimmt.5 Auf diese Weise eröffnet sich die Möglichkeit, potenzielle Inkonsistenzen, die
sich auf struktureller Basis innerhalb von Organisationen aber auch im Organisati-
on/Umwelt-Verhältnis ergeben, zu überlagern. In der Folge manifestieren sich Sy-
stemgrenzen als Erwartungsgrenzen, die weitere Formen der Strukturbildung nach sich
ziehen. Organisationen gewinnen in der Folge an kommunikativem Halt. Sie können
auf Basis dieser Schemata weitere interne Komplexität aufbauen und die Leistungsfä-
higkeit verschiedener Organisationsbereiche ‚ausreizen‘. Nur auf ihrer Basis lässt sich
schließlich klären, wie die Organisation ihre eigenen Systemgrenzen zieht, sich damit
als System eigener Ordnung selbst steuert und reproduziert.
Formen der Selbstbeschreibungen bieten somit einerseits Lösungen an, um trotz der
internen Turbulenz von Organisationen in turbulenten Umwelten Möglichkeiten der
Einheitsfiktionen, Interessenartikulation und Selbstfestlegungen zu erzeugen. Ander-
seits führt dies zu einer weiteren Frage: Auf welcher Maßgabe kommt es zur Heraus-
bildung und Reproduktion von Selbstbeschreibungen in der Organisation, wenn ein-
deutige Zweckbestimmungen und Zielsetzungen nicht a priori gegeben sind? Zu den-

4
Im Falle von Schemata handelt es sich (ungeschriebene) kommunikative ‚Regeln’, die den fortlaufen-
den Vollzug sozialer Operationen ermöglichen. Erst mit Hilfe derartiger Schemata ist die Bildung, Sta-
bilisierung und Modifikation sozialer Strukturen möglich – ein Gesichtspunkt, der beispielsweise in
Arbeiten zum sozialen Gedächtnis herausgestellt wurde (vgl. Esposito 2002: 32f.).
5
Es versteht sich von selbst, dass die oftmals allgemein gehaltenen Formulierungen derartiger Selbst-
festlegungen in der konkreten Operation des Entscheidens nur bedingt zum Ausdruck kommen. Dafür
aber flankieren Texte, die sich beispielsweise an Ideen zur Corporate Governance oder aber zur Corpo-
rate Social Responsibility orientieren, einen kommunikativen ‚Spielraum’, dessen Überschreitung vor
allem nachträglich mit Diskreditierung rechnen muss. Wer sozial verantwortliches Wirtschaften für
sich proklamiert, sollte beispielsweise auf Kinderarbeit in Indien als Unternehmensstrategie verzichten.
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 123

ken wäre an mimetische Vorgänge, wie sie Günther Ortmann als Formen der Ord-
nungsbildung innerhalb von Organisationen vorgestellt hat (vgl. Ortmann 2003:
132ff.). Krankenhäuser orientieren sich dann beispielsweise an der Selbstbeschreibung
anderer Krankenhäuser, und Protestparteien benutzen die Terminologie anderer Pro-
testparteien. Aber auch diese Lösung mag für sich genommen nicht vollends überzeu-
gen, stellt man in Rechnung, dass Identität zugleich das Besondere und vielleicht gar
die Einzigartigkeit einer einzelnen Organisation herauszustellen hat (vgl. Luhmann
2000: 438).
Es ist damit davon auszugehen, dass auch weitere Formen der Selbst- und Fremd-
beobachtung ablaufen, vor deren Hintergrund sich Formen der Selbstbeschreibung erst
herausbilden (können). Organisationen sind – um sich kommunikativ von ihrer Um-
welt abzugrenzen – auf systematische Umweltbeobachtungen angewiesen, um ‚Skrip-
te‘ der Selbstbeschreibung und Identitätsbildung zu erzeugen (vgl. Schreyögg 2003:
452). Sie befinden sich damit fortwährend in einem Moment der Oszillation zwischen
Stabilisierung und Wandel, zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz, auf deren Ba-
sis sie Erwartungsstrukturen (re-)produzieren und damit ihre Selbststeuerung realisie-
ren. Dies führt zu der Frage, auf welche Weise diese Umweltbeobachtungen vorge-
nommen und in Informationen transformiert werden, die für entsprechende Entschei-
dungszusammenhänge, aber auch für die Konstruktion von Schemata des Systemge-
dächtnisses von Bedeutung sind?

3 Öffentlichkeit – zum Mechanismus der Kontingenzsetzung


Zunächst können Organisationen auf die Beobachtungs- und Wahrnehmungspotenziale
ihrer Mitglieder zurückgreifen. Besonders auf den bereits angesprochenen Grenzstellen
sind Organisationsmitglieder anzutreffen, die üblicherweise Interaktion mit Nichtmit-
gliedern der Organisation betreiben und damit Umweltkontakte pflegen (vgl. Luhmann
1964: 220ff.). Über diese sehr selektiven und situativen Umweltkontakte hinaus, die an
den Grenzen der jeweiligen Interaktionssystemen enden, stehen der Organisation au-
ßerdem spezifische Beobachtungsmedien zur Verfügung, die sich im Kontext der funk-
tionalen Differenzierung auf der Ebene der Funktionssysteme herausgebildet haben.
Mit Blick auf die Wirtschaft ist es der ‚Markt‘, der die Selbstbeobachtung der Ökono-
mie ermöglicht. In der Politik ist es die öffentliche Meinung, und in der Wissenschaft
sind es beispielsweise Publikationen, über die sich eine Selbstbeobachtung des jeweili-
gen Systems einstellt.6
Organisationen partizipieren an diesen privilegierten gesellschaftlichen Beobach-
tungspositionen gemäß ihrer Primärorientierung und bilden individuelle Aufmerksam-
keitsschwerpunkte heraus. So können Wirtschaftsorganisationen über den Markt ihren
Produktabsatz beobachten und dort ihre Position mit der von anderen Mitbewerbern

6
Zum Vergleich der verschiedenen Beobachtungsmedien der Funktionssysteme siehe bei Niklas Luh-
mann (vgl. Luhmann 1992: 81).
124 Matthias Kussin

vergleichend in Beziehung setzen. Unternehmen können auf diese Weise die unfassba-
re Komplexität des Wirtschaftssystems nach systemeigenen Gesichtspunkten ordnen
und die durch sie ausgelösten Irritationen in für das System anschlussfähige Informa-
tionen transformieren. Die Organisation erfährt dann beispielsweise etwas darüber, zu
welchen Preisen welche Verkaufs- und Einkaufspotenziale zu erwarten sind. In der Po-
litik geschieht Vergleichbares: Hier ist es Parteien möglich, über das Medium der öf-
fentlichen Meinung beobachten, zu welchen Positionen welche Potenziale der Zu-
stimmung zu erwarten sind und welche Wahl- und Machtchancen sich daraus für sie
ergeben. Auf diese Weise eröffnen sich zugleich auch Möglichkeiten der Selbstbe-
schreibung. (Selbst-)Bezeichnungen wie die des ‚Marktführers‘, ‚Hidden Champions‘
oder auch ‚Volkspartei‘ erweisen sich dann als Bezugspunkte, über die die Identität der
jeweiligen Organisation zum Ausdruck kommt und auf die auch in weiteren Entschei-
dungen Bezug genommen werden kann.
Diese Medien der Selbstbeobachtung stellen dabei jedoch nur eine Kategorie dar,
über die Organisationen ihre eigenen Operationen vor dem Hintergrund gesellschaftli-
cher Entwicklungen zu spiegeln in der Lage sind. Stellen wir wiederholt in Rechnung,
dass Organisationen multireferentielle Sozialsysteme sind, so zeigt sich, dass sie sich
über diese Medien nur sehr selektiv beobachten können. Unternehmen erfahren am
Markt etwas über Preise und mögliche Absatzchancen ihrer Produkte. Ob sich ihre
Produktionsbedingungen jedoch unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten als an-
schluss- und annahmefähig erweisen, bleibt im Dunkeln. Sie erfahren somit nicht, auf
welche Resonanz ihre Wirtschaftskommunikation in der Politik stößt. Für die Beob-
achtung dieser Beobachtungen hat sich ein anderes gesellschaftliches Beobachtungs-
medium herausgebildet, das in der Systemtheorie mit dem Begriff der ‚Öffentlichkeit‘
gefasst wird.
Diese Aussage bedarf zunächst einer terminologischen Erläuterung. Mit dem hier
verwendeten Begriff des Mediums wird schließlich deutlich, dass „Öffentlichkeit“ an
dieser Stelle anders verstanden wird, als dies im alltagweltlichen Sinne, aber auch in
vielen kommunikations- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten der Fall ist. So stellt
Öffentlichkeit keine „Sphäre“ der Kommunikation (Habermas 1999), oder gar ein ei-
genes Funktionssystem (vgl. Simsa 2003: 121) dar, sondern wird im Anschluss an
Überlegungen von Dirk Baecker und Niklas Luhmann als Beobachtungsmedium ver-
standen (Baecker 1996; Luhmann 1996: 183-189).7 Diese Einordnung bringt uns damit
in Sichtweite zum Typus der „virtuellen Öffentlichkeit“, wie ihn Klaus Merten und

7
Diese Theorieentscheidung weicht damit zugleich auch ab von systemtheoretischen Ansätzen wie dem
von Alexander Görke, in welchem ‚Öffentlichkeit’ ebenfalls der Status eines Funktionssystems zuge-
standen wird (Görke 1999: 291ff.). Eine solche Positionierung erscheint aus verschiedenen theorieim-
manenten Gründen problematisch, zwei davon seien exemplarisch genannt: Zum einen lässt sich auf
die Frage nach der binären Codierung eines solchen Funktionssystems keine überzeugende Antwort
geben. Zum zweiten wird die in diesem Zusammenhang zugeschriebene Funktion einer Synchronisati-
on der Funktionssysteme bereits – wie im Folgenden noch deutlich gemacht wird – durch ein anderes
Funktionssystem, die Massenmedien, mittels der Bereitstellung einer gesellschaftlichen Hintergrund-
realität erfüllt. Auch deshalb erscheint der Begriff des Mediums, der ein relationales Verhältnis zwi-
schen Organisation und (ihrer) Öffentlichkeit aufzeigt, überzeugender.
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 125

Joachim Westerbarkey als „virtuelle Öffentlichkeit“ herausgearbeitet haben (Mer-


ten/Westerbarkey 1994: 198f.). Sie ist dabei nicht allein den theoriearchitektonischen
Prämissen der Systemtheorie geschuldet, wonach eine gemeinsame, objektive Öffent-
lichkeit in einer funktional differenzierten Gesellschaft nicht möglich ist. Zugleich er-
öffnet sie darüber hinaus auch neue analytisch/heuristische Möglichkeiten. So lässt
sich in einer solchen Betrachtung nachvollziehen, dass jedes System eine eigene Öf-
fentlichkeit produziert. Die Öffentlichkeit der Wirtschaft ist dann eine andere als bei-
spielsweise die der Politik. Jeder Beobachter hat es, gemäß seines Standpunktes, mit
einer anderen Form von Öffentlichkeit zu tun. Nur: Was bekommt er in der Öffent-
lichkeit zu sehen?
Es ist die Thematisierung der eigenen Grenzziehung, die – so definiert es Dirk
Baecker abstrakt – im Medium der Öffentlichkeit beobachtet werden kann (vgl. Baec-
ker 1996: 95). Durch ‚Öffentlichkeit‘ kann ein System nun beobachten, wie seine ei-
gene Produktion und Reproduktion von Grenzen durch andere Systeme kontingent ge-
setzt wird. Es kann beobachten, wie in der Umwelt gegen bestimmte Operationen bzw.
Entscheidungen protestiert wird, beziehungsweise Alternativen aufgezeigt werden, die
mit den systeminternen Erwartungsstrukturen und Formen der Selbstbeschreibung kol-
lidieren. Dies gilt zunächst auch für Funktionssysteme: So kann im Wirtschaftssystem
beobachtet werden, wie die Politik bestimmte Entwicklungen thematisiert und kontin-
gent setzt. Eine solche Operation ist beispielsweise dann zu beobachten, wenn in der
Politik die schlichte Orientierung an einer ökonomischen Rationalität kritisiert wird.
Die systematische Umwandlung fester Stellen in Zeitarbeitsplätze oder das Unterlau-
fen des Tariflohns sind Themen, bei denen sich Formen der Kontingenzsetzung finden
lassen. In diesen Kontexten finden sich Argumentationsmuster, wonach sich eine sol-
che Entwicklung langfristig nicht auszahle. Oder es wird an die Moral der Wirtschaft
bzw. an die gesellschaftspolitische Verantwortung appelliert. Auf der anderen Seite
können auch Vertreter in der Politik beobachten, wie bestimmte Entscheidungen von
der Wirtschaft diskreditiert werden. Die Politik bekommt so beispielsweise zu sehen,
wie eine Entscheidung für die Einführung eines Mindestlohns als standortfeindlich und
wirtschaftsschädigend markiert wird.
Die Beobachtung der Kontingenzsetzung der Systemgrenzen im Medium der Öf-
fentlichkeit erscheint im besonderen Maße folgenreich, wenn wir auf die Ebene der
Organisation zurückkehren. Denn auch Organisationen produzieren als soziale Syste-
me ihre jeweils eigene Öffentlichkeit. Unternehmen bekommen dann zu sehen, ob und
wie Entscheidungen und ihre Begründungszusammenhänge kontingent gesetzt werden.
Der Abbau von Arbeitsplätzen mag dann von einem Unternehmen gemäß einer fi-
nanzwirtschaftlichen Primärorientierung den Gesetzen des Finanzmarktes und einer
„Logik des Investments“ (Willke 2007: 46) als alternativlos dargestellt werden. Zu-
gleich kann das Unternehmen beobachten, dass die vorgenommene Orientierung am
(Aktien-)Wert einer Kapitalgesellschaft nicht geteilt wird. Sie kann beobachten, wie
sich so genannte Wirtschaftsexperten um langfristige Personalplanungen in Unterneh-
men sorgen und andere wiederum soziale Verantwortung einfordern bzw. den Gang
126 Matthias Kussin

vor das Arbeitsgericht in Aussicht stellen. Die Organisation bekommt so zu sehen,


dass mit Rekurs auf andere Systemrationalitäten oder generalisierte Wertmuster anders
hätte entschieden werden können, und dass diese Möglichkeit anderer Entscheidungs-
präferenzen sozial beobachtet wird.
Im Gegensatz zu Funktionssystemen, die mit fortwährenden Bezug auf ihre Sy-
stemrationalität eine Distanzierung von ‚Öffentlichkeit‘ vornehmen können, besitzt
‚Öffentlichkeit‘ für Organisationen eine andere Qualität. Schließlich lassen sich ihre
Entscheidungen nicht durch die Bezugnahme auf einen Code gegenüber der öffentli-
chen Kontingenzsetzung in vergleichbarer Weise immunisieren. Zwar finden sich in
vielen Fällen Primärorientierungen an Funktionssystemen, die über Entscheidungs-
prämissen und – wie vorne beschrieben – Formen der Selbstbeschreibung abgestützt
werden. Unternehmen werden sich bei der Entscheidung eines Arbeitsplatzabbaus vor-
aussichtlich zunächst primär an Informationen des Marktes und – besonders im Falle
von Kapitalgesellschaften – auch des Finanzmarktes orientieren. Es ist dann die Ver-
antwortung gegenüber den Aktionären, die dann als Begründung für eine Entscheidung
kommuniziert wird. Zugleich aber sind auch Unternehmen mit dem Code der (Finanz-)
Wirtschaft nur lose gekoppelt. Sie sind offen für die Frage, wie eine solche Entschei-
dung von der Politik bzw. bestimmten Adressen in der Politik beobachtet wird. Man
erwartet vielleicht weitere Beihilfen oder die Unterstützung für bestimmte Gesetzesän-
derungen. Öffentlichkeit stößt dann auf Organisationsstrukturen, für die die alternati-
ven Möglichkeiten der Grenzziehung nicht allein anschluss-, sondern auch annahme-
fähig sind.
Die Lage spitzt sich zu, wenn Entscheidungen nun vor dem Hintergrund von Un-
ternehmensleitbildern oder anderen Formen der Selbstbeschreibung diskreditiert wer-
den. Die Organisation kann dann beobachten, wie sie mit dem Vorwurf der ‚Heuche-
lei‘ konfrontiert wird – zum Beispiel dann, wenn sie einerseits in einem Leitbild ihre
Verantwortung für den Standort hervorhebt, zugleich aber Arbeitsplätze abbaut. Oder
sich in einem anderen Fall als unternehmerfreundliche Partei begreift, zugleich aber
für die Einführung eines Mindestlohns eintritt. So bekommen Organisationen zu sehen,
dass aufgrund bestimmter Selbstbeschreibungen andere Entscheidungen erwartet wur-
den, und in der Folge nun die lose Kopplung zwischen „talk“ und „action“ (Brunsson
1989: 25ff.), zwischen Semantik und Struktur markiert und diskreditiert wird. Mit
Blick auf die Folgen in der Umwelt lässt sich dann von Erwartungsenttäuschungen
sprechen, die Akzeptanz- und Vertrauensverluste in die Organisation zur Folge haben
können.8 Zugleich aber darf auch erwartet werden, dass derartige Formen zugleich in-
nerhalb von Organisationen ihre Spuren hinterlassen. Es ist deshalb kein Zufall, dass
die Multireferentialität von Organisationen – wie Dirk Baecker hervorhebt – vor allem
dann offensichtlich wird, wenn Reformprozesse und damit eine deutliche Verschie-
bung von Systemgrenzen zur Diskussion steht (vgl. Baecker 2005: 74). Was sich dann

8
In der PR-Forschung werden diese Prozesse vor allem unter dem Begriff des Verlusts von Glaubwür-
digkeit problematisiert. Siehe exemplarisch mit Blick auf Risikokontexte bei Lucie Hribal (vgl. Hribal
1999: 195ff.).
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 127

beobachten lässt, sind Erwartungsenttäuschungen, die innerhalb der Organisation vor-


zufinden sind. Die Kontingenzsetzung von Organisationsentscheidungen muss sich da-
bei nicht auf die Sachdimension beschränken. Sie kann zugleich auch Bezüge und
Markierungen in der Zeit- und Sozialdimension herstellen.9 Dann wird bestritten, dass
der Arbeitsplatzabbau gerade zum gegebenen Zeitpunkt eine richtige Entscheidung
darstellt, das Unternehmen schreibe schließlich schwarze Zahlen. Oder es wird bestrit-
ten, dass die entsprechenden Verantwortlichen überhaupt dazu in der Lage sind, die
Perspektiven des Unternehmens zu verbessern.
Fragt man nach dem gesellschaftlichen ‚Ort‘, an dem derartige Kontingenzsetzun-
gen für Organisationen, aber auch die Gesellschaft beobachtbar werden, so lässt sich
an dieser Stelle Verschiedenes denken. Öffentlichkeit kann sich vor dem Werktor, vor
einer Parteizentrale oder auf den Gleisen einer Eisenbahnstrecke bemerkbar machen.
Eine Beobachtung von Öffentlichkeit über die Nahwelt hinaus und eine gesellschaftli-
che Beobachtung dieser Beobachtung stellt in der modernen Gesellschaft jedoch ein
Problem dar; ein Problem, dem sich die Massenmedien angenommen haben. Die Mas-
senmedien fungieren nach systemtheoretischer Betrachtung als Hintergrundrealität der
modernen Gesellschaft. Sie ermöglichen die wechselseitige Beobachtung der Funkti-
onssysteme, sowie schließlich auch die Beobachtung dieser Beobachtung (vgl. Mar-
cinkowski 2002: 117). Vor den Massenmedien gibt es kein Entrinnen. Sie besitzen – so
formuliert es Frank Marcinkowski – wie kein anderes Sozialsystem die Möglichkeit,
„vermittels [einer, Erg. M.K.] Ausdifferenzierung ihrer internen Programmstrukturen
Sachverhalte und Ereignisse bis in alle Nischen der Gesellschaft zu beobachten“ (Mar-
cinkowski 2002: 115). Es darf damit nicht überraschen, dass auch Kontingenzsetzun-
gen von Grenzziehungen sozialer Systeme, wie sie im Medium der Öffentlichkeit beo-
bachtet werden können, von den Massenmedien aufgegriffen werden. Themen der Öf-
fentlichkeit finden auf diese Weise ihre „Repräsentation“ in den Massenmedien (Luh-
mann 1996: 188).
Die Beobachtung von Öffentlichkeit in den Massenmedien ermöglicht einer Orga-
nisation dabei nicht allein eine Reflexion ihrer Entscheidungen vor dem Hintergrund
alternativer Möglichkeiten der Entscheidungs- und Identitätsproduktion. Sie stellt der
Organisation zugleich auch eine Beobachtung der Beobachtung dieser öffentlichen
Kontingenzsetzung durch andere Beobachter zur Verfügung. Die Organisation kann
also davon ausgehen, dass die Diskreditierung ihrer Entscheidungen von anderen beo-
bachtet wird und dass zugleich ihre Reaktionen auf diese wechselseitigen Beobach-
tungsverhältnisse ebenfalls registriert werden.

9
Dieser Mechanismus wurde in einer früheren Arbeit ausgeführt (vgl. Kussin 2006: 110-117).
128 Matthias Kussin

4 Öffentlichkeitsarbeit – zur Reflexion von organisationaler


Selbststeuerung und öffentlicher Kontingenzsetzung
Organisationen sehen sich somit einer fortwährenden Reflexion ihrer eigenen Ent-
scheidungen sowie ihrer Selbstbeschreibung vor dem Hintergrund einer öffentlichen
Kontingenzsetzung und ihrer massenmedialen Repräsentation ausgesetzt. Dies mag für
wenig komplexe und ausdifferenzierte Organisationen – man denke an kleine Famili-
enunternehmen oder gemeinnützige Vereine auf lokaler Ebene – faktisch keine Rolle
spielen. Dass, was im örtlichen Anzeigenblatt möglicherweise über sie berichtet wird,
spielt sich in der Nahwelt ab und ist damit in der durch Interaktion geprägten Erfah-
rungswelt beobachtbar. Für größere Organisationen aber, die über verschiedene Stand-
orte verfügen und möglicherweise sogar multinational aufgestellt sind, stellt sich die
Lage anders dar. Hier ergeben sich komplexe Beobachtungskontexte, sowohl innerhalb
der Organisation, aber auch in ihrer Umwelt. Eine systematische Beobachtung der
massenmedialen Umwelt, auf deren Basis sich Aussagen über Resonanz, aber auch
Nicht-Resonanz auf Entscheidungen der Organisation formulieren lassen, erscheint
voraussetzungsvoll, zumal in einer multireferentiellen Organisation die Aufmerksam-
keitsschwerpunkte deutlich divergieren. In der Forschungsabteilung wird auch die
massenmediale Resonanz anders beobachtet, als im Vertrieb. Hier stehen vielleicht
neue technische Entwicklungen, dort dagegen veränderte Absatzchancen im Zentrum.
Sucht man nach einem Stellentypus in der Organisation, für den sich die gesamte
Medienberichterstattung und damit auch alle Formen der Kontingenzsetzung von Öf-
fentlichkeit in besonderer Weise als informativ erweisen, so stößt man – falls als eige-
ne Stelle ausdifferenziert – allen voran auf einen Stellentypus: den für Öffentlichkeits-
arbeit. PR-Stellen sind schließlich darauf ausgerichtet, die Organisation, aber auch die
Umwelt unter dem massenmedialen Code der Information/Nichtinformation zu beo-
bachten. Eine fortlaufende Spiegelung der Medienberichterstattung, wie sie unter dem
Begriff des Medienmonitorings ihre Entsprechung findet, erweist sich für Stellen der
Öffentlichkeitsarbeit bereits als unverzichtbar, um ihre eigene Arbeit evaluieren, aber
auch fortsetzen zu können.10 Sie beobachten intern, welche Entscheidungen und Pro-
zesse sich als Themen für die Medien anbieten. Und sie beobachten extern, in welcher
Weise die Organisation in den Medien zum Thema wird. Auf Stellen für Öffentlich-
keitsarbeit kann dann im Unternehmen beobachtet werden, wie der Arbeitsplatzabbau
in der Öffentlichkeit kritisiert oder eben auch nicht kritisiert wird. Zugleich kann dort
aber beispielsweise auch gesehen werden, wie bestimmte Formen des Sponsorings im
Radsport als imageschädlich diskreditiert werden. Oder es wird beobachtet, in welcher
Weise der Widerstand bestimmter Investitionsvorhaben aufgrund ökologischer Ge-
sichtspunkte in den Medien thematisiert wird.

10
Auf diesen Umstand weisen auch Howarth Nothhaft und Stefan Wehmeier in ihrem Beitrag in diesem
Band hin, wenn sie von einer „Dualität von Kontrolle und Informationen“ sprechen (siehe in Abschnitt
2.2).
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 129

Die Beobachtung von ‚Öffentlichkeit‘ in den Medien dient als Voraussetzung, um


Konvergenzen und Divergenzen zwischen Selbst- und Fremdbild der Organisation zu
spiegeln und daraus die entsprechenden Entscheidungen für die nächsten Schritte ab-
zuleiten. Für PR-Stellen geht es dann – wie in der PR-Forschung wiederholt beschrie-
ben – darum, mit der Umwelt in einen Dialog zu treten, um Verständnis zu werben und
die Beweggründe für Entscheidungen noch transparenter zu machen. Im Zentrum kann
dabei das Bemühen stehen, die in der Öffentlichkeit beobachtete Kontingenzsetzung
zurückzuweisen und dadurch das öffentlich erzeugte Fremdbild dem intern konstruier-
ten Selbstbild anzupassen.
Unsere theoretischen Beschreibungen zur internen Ausgestaltung von Organisatio-
nen und ihrem Verhältnis zur massenmedialen Öffentlichkeit lassen zugleich jedoch
den Schluss zu, dass die Beobachtungsleistungen der Stellen für Öffentlichkeitsarbeit
noch weiter gehen. Die „Reflexierung der Organisation“ beschränkt sich dann nicht al-
lein auf die Stellen für Öffentlichkeitsarbeit, sondern besitzt zugleich auch Ausstrah-
lungseffekte in weitere Organisationsbereiche. Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit
erweisen sich demnach als Grenzstellen, die nicht allein Aufgaben der Repräsentation,
sondern auch in besonderer Weise der Informationsverarbeitung, oder – anders formu-
liert – das Gatekeepings leisten.11 Sie beobachten systematisch, welche Entscheidun-
gen der Organisation kontingent gesetzt werden und stellen diese Beobachtungsformen
der Organisation zur Verfügung. PR-Abteilungen erzeugen damit organisationsinterne
Äquivalente zur gesellschaftlichen Realitätskonstruktion der Massenmedien. Komple-
mentär zu den Massenmedien haben sie an der Erzeugung und fortwährenden Rekon-
struktion der innerorganisationalen Realität ihren Anteil. Dies kann zum einen im Zuge
eines gezielten „Issues Managements“ (Röttger 2001: 16) geschehen, das bestimmte
Themen und zugleich auch kontroverse Ansichten und Wertvorstellungen, die für die
Organisation von Relevanz sind, aufspürt und intern zur Verfügung stellt. Auch in die-
sem Zusammenhang ist bereits – wie Kurt Imhof und Mark Eisenegger deutlich ma-
chen – eine „systematische organisationsinterne Reflexion über organisationsexterne
Vorgänge“ zu beobachten (Imhof/Eisenegger 2001: 274). Zu denken ist ebenfalls an
die Verfassung organisationsinterner Publikationen wie Mitarbeiterzeitungen, an deren
Anfertigung nicht selten PR-Abteilungen beteiligt sind. Vor allem aber über die Distri-
bution von Pressespiegeln kann organisationsintern beobachtet werden, wie die Orga-
nisation in der Umwelt beobachtet wird und wie sie sich in der Folge selbst beobachtet.
Diese Mechanismen dienen damit als Reflexionsmechanismen der Organisation
und eröffnen Orientierungsgesichtspunkte für die fortlaufende Entscheidungsprodukti-
on. Schließlich ermöglichen sie eine Spiegelung vorangegangener Entscheidungen vor
dem Hintergrund der öffentlichen Resonanz. Im Zusammenspiel von Selbst- und
Fremdbeschreibung, von bisherigen Entscheidungsgrundlagen und der Beobachtung

11
Zur Unterscheidung von Repräsentation und Informationsverarbeitung bei den Funktionen von Grenz-
stellen siehe bei Howard Aldrich und Diane Herker (Aldrich/Herker 1987). Die Unterscheidung von
Repräsentation und Gatekeeping findet sich im gleichen Kontext bei Raymond Friedmann und Joel Po-
dolny (Friedman/Podolny 1992).
130 Matthias Kussin

ihrer Kontingenzsetzung ist so auch eine Verschiebung der Referenzen gegenüber


Funktionssystemen und damit auch der eigenen Systemgrenzen möglich. Diese Ver-
schiebungen sind dann an einer Modifikation von Zweck- und Zielsetzungen, aber bei-
spielsweise auch internen Strukturänderungen durch die Einrichtung neuer Stellen oder
die Verschiebung von Verantwortungsbereichen nachzuvollziehen. Sie können sich
aber zudem auch in veränderten Selbstbeschreibungen und Identitätskonstruktionen
der Organisation äußern.
PR-Stellen – so lässt sich auf Basis der theoretischen Annahmen folgern – leisten
somit einen hervorgehobenen Beitrag zur Irritation und (Re-)Konstruktion von Selbst-
beschreibungen und anderen sozialen Schemata, auf deren Basis ausdifferenzierte und
multireferentielle Organisationen ihre (imaginierte) Einheit zu modifizieren, aber auch
zu sichern in der Lage sind. Erst auf dieser Basis sind fortan Interessen und Primärori-
entierungen entscheidbar. Es geht zum einen um die Reflexion von Öffentlichkeit als
Thema der Massenmedien, das damit auch als gesellschaftliches Thema beobachtbar
wird. Gleichzeitig reflektieren PR-Stellen, welche Entscheidungen nicht kontingent
gesetzt werden. So kann beispielsweise in einem Unternehmen gesehen werden, ob die
Politik (bzw. wer in der Politik) trotz Stellenabbaus (massenmedial) schweigt. Public
Relations fungieren damit als Sensoren für das System, mit dem sich die Resonanz,
aber auch die (Nicht-)Resonanz auf Entscheidungen der Organisation intern verarbei-
ten lassen. Auf diese Weise ermöglichen PR-Stellen eine fortlaufende Konsistenzkon-
trolle ihrer Entscheidungskommunikation sowie der organisationsexternen Reflexion
ihrer Entscheidungskommunikation und entlasten auf diese Weise andere Bereiche der
Organisation. Sofern keine Diskreditierung von Entscheidungen und Selbstbeschrei-
bungen stattfindet, ist ein „Weiter-So“, zumindest unter Gesichtspunkten von Öffent-
lichkeit möglich. Damit wird deutlich, in welcher Weise Öffentlichkeitsarbeit für die
Selbststeuerung multireferentieller Organisationen auch in dieser Hinsicht einen nicht
unerheblichen Beitrag erbringen, indem sie extern, aber auch intern zu beobachtende
Formen von Unsicherheit absorbieren und damit die Bedingungen der Möglichkeit für
die Reproduktion des Systems sichern.

5 Schluss
Ziel dieses Beitrags war es, mögliche Leistungspotenziale von Öffentlichkeitsarbeit
aufzuzeigen, die auf Basis handlungstheoretisch orientierter Konzeptionen schwer zu
identifizieren sind. In einem ersten Schritt haben wir deshalb aufgezeigt, dass die Sta-
bilisierung organisationaler Einheit keineswegs als gegeben betrachtet werden kann,
sondern immer wieder über Entscheidungen, aber auch die Konstruktion von Selbstbe-
schreibungen reproduziert werden muss. Organisationen gewinnen erst auf diese Wei-
se an kommunikativem Halt und können auf diese Weise weitere Ziel- und Zweckprä-
ferenzen herausbilden. Dies warf zugleich die Frage auf, anhand welcher Orientie-
rungspunkte die Konstruktion von Selbstbeschreibungen vor dem Hintergrund organi-
sationaler sowie gesellschaftlicher Erwartungsstrukturen realisiert wird.
PR-Stellen als Reflexionszentren multireferentieller Organisationen 131

Einer Antwort auf diese Frage näherten wir uns, indem wir ‚Öffentlichkeit‘ als Re-
flexionsmechanismus einführten, der Organisationen potenziell mit der Kontingenz ih-
rer eigenen Entscheidungen, aber auch ihrer Selbstbeschreibung konfrontiert. In der
durch die Massenmedien repräsentierten Öffentlichkeit eröffnen sich Beobachtungspo-
tenziale für Organisationen, um die gesellschaftliche Reflexion ihrer eigenen Grenz-
ziehungen sowohl auf der operativen Ebene (Entscheidungen), aber auch der Erwar-
tungsebene (Selbstbeschreibungen) organisationsintern zu reflektieren. Dabei ist davon
auszugehen, dass insbesondere PR-Stellen sowohl die Kontingenzsetzung, aber eben
auch eine ausbleibende Kontingenzsetzung in hervorgehobene Weise beobachten. Zum
einen geschieht dies, da sie aufgrund ihres Leistungsbereiches in besonderer Weise am
massenmedialen Code von Information/Nichtinformation ausgerichtet sind. Zum zwei-
ten erscheint eine systematische Betrachtung der Massenmedien für die Evaluation
aber auch Fortsetzung der eigenen Arbeit auf PR-Stellen alternativlos. Der Text skiz-
zierte damit nicht zuletzt einen Zusammenhang zwischen Organisationsidentität und
-kultur sowie Öffentlichkeitsarbeit, der auch aus Sicht der PR-Forschung noch nicht
hinreichend untersucht wurde (vgl. Andres 2004: 128). Und er lieferte Argumente da-
für, dass sich eine enge Verzahnung zwischen externer und interner Kommunikation –
wie Klaus Kocks sie beispielsweise fordert – in der Organisation als funktional erwei-
sen kann (Kocks 2001).
Es zeigte sich schließlich: Stellen der Öffentlichkeitsarbeit fungieren nicht allein als
Grenzstellen, an denen die Darstellung des Systems für Nichtmitglieder angesiedelt ist
(vgl. Luhmann 1964: 108). Sie sind darüber hinaus auch als „Reflexionszentren“ for-
maler Organisationen zu betrachten (Kieserling 2004), deren Informationspotenziale
auf die Selbststeuerung multireferentieller Organisationen und damit schließlich auf
die Herausbildung und Artikulation von Selbstbeschreibungen, Interessen und Ent-
scheidungen einen bedeutsamen Einfluss nehmen (können).

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Organisation und Kommunikation:
Integrativer Ansatz einer Theorie zu
Public Relations und Public Relations-Management1

Peter Szyszka

Der Beitrag skizziert einen organisationalen Theorieansatz (Meso-Perspektive) auf sy-


stemtheoretischer Basis. Er schreibt frühere Arbeiten des Verfassers fort (Szyszka
1999; 2004; 2008). Public Relations werden dabei als das Netzwerk öffentlicher Bezie-
hungen einer Organisation zu ihrer Umwelt aufgefasst. Um ihren Bestand zu erhalten
und sich weiterzuentwickeln, ist eine Organisation gezwungen, sich mit den kommu-
nikativen (Aus-)Wirkungen der eigenen Existenz auf ihre Umwelt auseinanderzusetzen
und bei Bedarf zu intervenieren (Kommunikationsmanagement). Die Beziehungsquali-
tät von Public Relations schlägt sich im Sozialkapital einer Organisation (Reputation,
Image) nieder. Sozialkapital kommt im sozialen Vertrauen zum Ausdruck, mit dem ei-
ner Organisation umweltseitig von Bezugsgruppen bzw. Stakeholdern begegnet wird.
Wird Kommunikation als Prinzip dreifacher Selektion (Mitteilung, Information,
Verstehen) verstanden (Luhmann 1984: 203), muss eine Organisation aus existenziel-
len Gründen ein Interesse daran haben, mit Hilfe spezifischer Kommunikationsopera-
tionen funktionale Transparenz zu schaffen, um Einfluss auf Sinn-Verstehen und Ak-
zeptanz in ihrer Umwelt zu nehmen. Ziel dieser Operationen ist die Bildung und Bin-
dung von Sozialkapital (Reputation, soziales Vertrauen), das im Sinne des Stakehol-
der-Ansatzes als wesentliche Voraussetzung für den Erhalt wie Erwerb von Realkapi-
tal angesehen wird. Der Theorieansatz macht es erforderlich, Public Relations begriff-
lich zu differenzieren, um das Phänomen auf drei Ebenen untersuchen zu können:
• Public Relations als Netzwerk der Beziehungen zwischen einer Organisation und
ihrem sozialen Umfeld,

1
Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung eines englisch-
sprachigen Beitrags des Verfassers (Szyszka 2008).
136 Peter Szyszka

• Public Relations-Management als organisationale Managementfunktion zum Um-


gang mit diesem Beziehungsnetz und
• Public Relations-Operationen als spezifische, auf ausgewählte Teile des Bezie-
hungsnetzes ausgerichtete Aktivitäten mit funktionalen Wirkungszielen.
Es handelt sich um einen integrativen Theorieansatz, da er über Anschlussfähigkeit zu
bestehenden PR-Theorieansätzen und -Modellen verfügt, welche hier allerdings nur
angedeutet werden kann.

1 Verknüpfung: Organisationen als Teile von Gesellschaft


Das System Gesellschaft basiert auf Organisationen, denn Gesellschaft ist nicht als
solche, sondern erst auf der Meso-Ebene von Organisationen beobachtbar und durch
Kommunikation adressierbar (vgl. Fuchs 2004: 129 f). Organisationen als autopoeti-
sche Einheiten sind Sinn-Systeme, d. h. Sinnproduktion ist die spezifische Basis der
Operationen ihrer Selbstreproduktion, um stabile Grenzen zur Umwelt aufrechtzuer-
halten. Erst Organisationssystemen ist es möglich, mit Hilfe kontingenter Entschei-
dungen Unsicherheit in Sicherheit zu überführen und sich so mittels systemeigener
Operationen zu reproduzieren und weiterzuentwickeln (vgl. Luhmann 2000: 9). Der
damit verbundene Selektionszwang macht Entscheidungen zu riskanten Prozessen
(vgl. Luhmann 1984: 47). In Entscheidungen finden organisationale Sinndispositionen
ihren Ausdruck. Weil nur Organisationssysteme die Möglichkeit zur Entscheidung ha-
ben, konstituieren und formen sie durch Entscheidungen und Verhalten gemeinsam ge-
sellschaftliche Realität. Die Organisationssoziologie bezeichnet die moderne Gesell-
schaft daher als Organisationsgesellschaft (vgl. Perrow 1996; Schimank 2005).
Gesellschaft differenziert sich in ebenfalls abstrakte Funktionssysteme (Politik,
Ökonomie, Wissenschaft usw.), deren Differenz in einem jeweils eigenen spezifischen
Leitcode besteht. Als Angehörige eines Funktionssystems entscheiden und operieren
Organisationen entsprechend dem Leitcode ‚ihres’ Funktionssystems. Organisationen
sind damit die Operatoren eines Funktionssystems, die systemspezifische Kommunika-
tion produzieren. Da Organisationen als soziale Systeme gleichzeitig über ein eigenes
Bestandsinteresse verfügen, sind ihre Entscheidungen immer doppelt kodiert. Sie fol-
gen
• dem Leitcode des funktionalen Subsystems, dem eine Organisation als Operator
angehört, und
• dem organisationseigenen, egozentrischen Code, der darauf ausgerichtet ist, die
eigene Organisationsexistenz möglichst optimal zu realisieren.2

2
Als egozentrischer Kode soll hier kein ICH im Sinne psychischer Systeme verstanden werden, sondern
die einer Organisation zugrundeliegende Verfassung, basierend auf in deren Vergangenheit kontinuier-
lich fortgeschriebenen Selbstbeschreibungen, in denen Funktionen und Erfahrungen reflektiert und
Strukturen festgelegt wurden, die Kommunikations- und Entscheidungsspielräume vorstrukturieren.
Organisation und Kommunikation 137

Organisationen sind funktional binnendifferenziert. Organisationsentscheidungen sind


strategische Operationen des organisationalen Managements als zentralem organisa-
tionalem Funktionssystem. In organisationalem Verhalten finden Entscheidungen
zugrunde liegende Haltungen und Intentionen und damit die doppelte Codierung von
Sinndispositionen implizit einen Ausdruck (strategische Sinnbindung). Das Problem:
Weil Sinn eine implizite Information ist, die Beobachter in der Umwelt rekonstruieren
müssen, können durch Fremdbeobachtungen immer nur Sinnunterstellungen entstehen.
Reputation und Images einer Organisation in der Gesellschaft basieren damit immer
auf Annahmen und Interpretationen von Beobachtern. Als kontingente Entscheidung
für eine als wahrscheinlich angenommene Vorstellung sind diese dabei nicht nur Er-
gebnisse von Fremdbeobachtung, sondern ebenso Ausdruck von Erwartungen und
Wünschen der Beobachter. Die doppelte Kontingenz dieser Prozesse macht eine Kon-
gruenz von Sinn-Disposition und Sinn-Rekonstruktion unmöglich. Doppelte Kontin-
genz bedeutet für Organisationen damit doppeltes Risiko: nicht nur ein Kontingenzrisi-
ko eigener Entscheidung, sondern auch ein Differenzrisiko aufgrund der immer beste-
henden Differenz zwischen organisationaler Sinndisposition und den in System-
Umwelt-Beziehungen unterstellten Sinndispositionen.
Das autopoetische Interesse einer Organisation, organisationseigene Ziele für den
eigenen erfolgreichen Weiterbestand zu realisieren, findet seine Grenzen in den gesell-
schaftlichen Parametern Legalität und Legitimität. Bei der Verfolgung ihrer Interessen
stehen Organisationen im Wettbewerb mit anderen Organisationen, die dem gleichen
oder einem anderen gesellschaftlichen Funktionssystem angehören. Aufgrund der Sy-
stem-Umwelt-Differenz führt dies zu permanenten, mehr oder weniger ausgeprägten
Konflikten. Analog zur doppelten Codierung von Organisationen sind diese Konflikte
Ergebnisse von Wettbewerb, der auf zwei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein
kann:
• Wettbewerb mit Organisationen oder sozialen Gruppen, die Operatoren unter-
schiedlicher Funktionssysteme sind, als Wettbewerb zwischen deren unterschiedli-
chen Werten und Zielen (Leitkodierungen), oder
• Wettbewerb zwischen Operatoren des gleichen funktionalen Subsystems als Wett-
bewerb um eine bessere Wettbewerbsposition gegenüber rivalisierenden Wettbe-
werbern.
Diese Konflikte, die auf unterschiedlichen Interessen und Zielen, unterschiedlichen
Erwartungen und auf den unterschiedlichen Interpretationen gesellschaftlicher Werte
und Regeln basieren, werden teilweise in öffentlicher Kommunikation ausgetragen und
beeinflussen auf diesem Weg öffentliche Meinungsbildungs- und Sinnbildungsprozes-
se.
Öffentliche Kommunikation rückt eine Organisation in den Fokus öffentlicher In-
terpretation und Meinungsbildung. In Fremdbeobachtung werden hier Differenzen
zwischen organisationaler Selbstdarstellung und Fremdbeobachtungen rekonstruiert
und hinterfragt. Öffentliche Kommunikation fordert einer Organisation Erklärung von
Sinndispositionen und damit ein teils organisational gewünschtes, teils aber auch un-
138 Peter Szyszka

erwünschtes Mehr an Transparenz von Sinndispositionen und damit von Entscheidun-


gen ab (Chance oder Risiko). Sie wird zum Risiko, wenn aufgrund zunehmender
Transparenz organisationaler Haltungen, Ziele usw. auch Beobachtung intensiviert
wird, was wiederum Informationsnachfrage schafft. Je intensiver Beobachtung und je
konkreter erklärte Sinndispositionen sind, desto größer werden analoge Konsistenzer-
wartungen und damit der Erwartungsdruck der Beobachter. Gleichzeitig werden orga-
nisationale Entscheidungs- und Handlungsspielräume beschnitten, da mit steigenden
Erwartungen die Grenzen enger gezogen werden, innerhalb derer ein eintretendes Er-
eignis auf eine Ereigniserwartung hin zurückinterpretiert wird. Zudem bindet der Um-
gang mit Konflikten in öffentlicher Kommunikation organisationale Ressourcen. Or-
ganisationen müssen deshalb ein Eigeninteresse daran haben, das Potenzial problema-
tischer Haltungen, Ziele und Verhaltensweisen einzugrenzen und sich der Umwelt in
einem bestimmten Maße anzupassen.
Öffentliche Kommunikation und damit öffentliche Aufmerksamkeit werden zur
Chance, wenn ein bestimmtes Maß an öffentlicher Präsenz zur Realisation organisa-
tionaler Ziele benötigt wird. In öffentlicher Akzeptanz und Zustimmung spiegelt sich
die Qualität öffentlicher Beziehungen. Entsprechend müssen öffentliche Beziehungen
als Bestandteil organisationalen Sozialkapitals bewirtschaftet werden. Sie stellen eine
besondere Organisationsproblematik dar, für die Organisationen im Bedarfsfall mit
Public Relations-Management ein spezielles Funktionssystem ausprägen. Public Rela-
tions-Management setzt sich dazu als ein Beobachter zweiter Ordnung mit der Selbst-
darstellung und Fremdbeobachtung von Sinndispositionen auseinander, um
• die mit organisationaler Existenz, Haltung und Entscheidung verbundenen realen
wie potenziellen Thematisierungsrisiken und -chancen in Bezug auf öffentliche
Kommunikation zu erkennen und zu bewerten,
• mittels fachlicher Expertise in Fragen öffentlicher Interpretation organisationaler
Haltungen und Entscheidungen beratend Einfluss auf Entscheidungsprozesse des
Organisationsmanagements zu nehmen, und
• durch strategische Selbstdarstellungsoperationen (gezieltes Ein- und Ausblenden
organisationaler Themen) die organisationale Präsenz in öffentlicher Kommunika-
tion zu erhöhen und organisationale Mehrwerte zu erwirtschaften.

2 Ansatz: Public Relations und Public Relations-Management


Der Begriff Public Relations wird mit Grunig/Hunt oft als „das Management von
Kommunikation zwischen einer Organisation und deren Bezugsgruppen“ definiert
(1984: 6). Er steht dort für das vorstehend skizzierte organisationale Funktionssystem.
Long/Hazelton definieren konkreter, wenn sie von einer „Kommunikationsfunktion der
Organisationsführung mit der Aufgabe, Organisationen an deren Umwelt anzupassen
bzw. auf diese Umwelt verändernd oder stabilisierend einzuwirken, um Organisations-
ziele zu erreichen“, sprechen (1987: 12f.; vgl. auch Griswold/Griswold 1948: 4 oder
Cutlip/Center/Broom 1994: 2). Harlow hat demgegenüber schon früh vorgeschlagen,
Organisation und Kommunikation 139

den Begriff Public Relations vorrangig für das Beziehungsfeld einer Organisation und
deren Umwelt (Teilöffentlichkeiten, Bezugsgruppen, Stakeholder, Zielgruppen) statt
für deren Management zu verwenden (1957: xi). Der vorliegende Ansatz schließt sich
Harlows Vorschlag an und operiert mit einer dreifachen Differenzierung:
• Public Relations als Bezeichnung für das organisationale Beziehungsfeld (öffent-
liche Beziehungen),
• Public Relations-Management als organisationale Regelungsfunktion mit einem
speziellen Problemlösungsauftrag (Typ von Kommunikationsmanagement) und
• Public Relations-Aktivitäten als deren spezifische Operationen.
Diese Differenzierung macht es möglich, drei im Zusammenhang mit Public Relations
zwar verknüpfte, aber dennoch unterschiedliche Untersuchungsobjekte auf theoreti-
schem Weg zu erkunden.

2.1 Public Relations und soziales Vertrauen


In derartiger Differenzierung können Public Relations als das auf Kommunikation und
Beobachtung beruhende und wechselseitig adressierbare Netzwerk der Relationen zwi-
schen einer Organisation zu den verschiedenen Teilen ihrer Umwelt (Meso-Makro-
Schnittstelle) definiert werden, das sich in der Regel auf einen Ausschnitt von Gesell-
schaft erstreckt. Einzelne Relationen basieren als Beziehungsstränge auf ein- oder
wechselseitigen Beobachtungsinteressen in sachlicher, zeitlicher und sozialer Dimen-
sion. Sie sind auf formaler Ebene in der Regel asymmetrisch ausgeprägt, weil sich In-
teresse und Einfluss nicht in einer Balance befinden. Ihre inhaltliche Qualität ist Resul-
tat mehr oder weniger stark ausgeprägter Beobachtungs-, Interpretations-, Bewertungs-
und Meinungsbildungsprozesse sowie der diesen Prozessen zugrunde liegenden Erfah-
rungen und Erwartungen. Umweltseitig zugewiesene Sinndispositionen können als
Meinung und Verhalten auf das Spektrum organisationaler Entscheidungsoptionen und
Handlungsspielräume zurückwirken. An die daraus resultierende Differenz von Akzep-
tanz/Nicht-Akzeptanz knüpfen sich aus organisationaler Perspektive erneut Chancen
und Risiken. Relationen werden zu öffentlichen Beziehungen, wenn die Beobachtung
relationaler Differenzen in öffentlicher Kommunikation ausgetragen wird. Der Begriff
öffentliche Beziehungen meint weiter, dass organisationale Existenz prinzipiell und
permanent ein potenzielles Beobachtungsobjekt sein kann („3 P-Prinzip“ der Zugäng-
lichkeit für öffentliche Beobachtung).
Die Bezugsgruppen einer Organisation bilden ein Netzwerk mit zwei Merkmalen:3
Alle Bezugsgruppen haben (1) dasselbe Referenzobjekt, aufgrund ihrer unterschiedli-
chen Interessen aber (2) unterschiedliche Referenzpunkte, an denen sich Beobachtung
und Meinungsbildung ausrichtet. Public Relations gehen deshalb immer von einem Re-
ferenzobjekt aus und bilden aufgefächert ein Netzwerk zu teilweise sehr unterschiedli-

3
Der Begriff Netzwerk wird hier bewusst gewählt, weil dem diesem Ansatz zugrunde liegenden Ver-
ständnis nach Bezugsgruppen nicht nur in Beziehung zu einer Organisation stehen, sondern auch unter-
einander in bestimmten Beziehungsverhältnissen stehen (können), die wiederum Gegenstand organisa-
tionsseitiger Beobachtung sein können.
140 Peter Szyszka

chen Beobachtern. Unter ihnen spielen Massenmedien in vielen Fällen eine zentrale
Rolle, weil sie als gesellschaftlich autorisierte Fremdbeobachter in der Lage sind,
nicht nur zu beobachten, sondern auch auf breiter gesellschaftlicher Ebene Öffentlich-
keit für die von ihnen beobachteten Probleme oder Themen herzustellen. Sie sind dabei
Multiplikator, Resonanzboden und Meinungsführer in einem. Durch das Herstellen
von Öffentlichkeit können sie direkt – durch Reaktion der thematisierten Organisation
– wie indirekt – über die Reaktionen organisationaler Stakeholder auf öffentliche
Kommunikation – auf eine Organisation einwirken.
Grunig/Hunt haben die verschiedenen Teile der organisationalen Umwelt als pub-
lics bezeichnet (vgl. 1984: passim). Dass die deutsche Übersetzung Teilöffentlichkeiten
„holprig“ ist, hat Signitzer schon bei ihrer Einführung angemerkt (1988: 101). Der Be-
griff verweist lediglich auf eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Gruppen. Da
sich die unterschiedlichen Gruppen der Organisationsumwelt am jeweils eigenen Refe-
renzpunkt als Beziehungsmerkmal orientieren, erscheint der Begriff Bezugsgruppe hier
eindeutiger. Aus Organisationsperspektive verfügen Bezugsgruppen in sachlicher, zeit-
licher und sozialer Dimension über unterschiedliche Relevanz: Zentrale Relevanzkrite-
rien sind zum einen das organisationale Interesse an einer Bezugsgruppe (Chance) und
zum anderen die mit dem Interesse einer Bezugsgruppe an einer Organisation verbun-
dene Gefahr, einschränkenden Einfluss auf organisationale Existenz- und Entwick-
lungsbedingungen zu nehmen (Risiko).
Über Beobachtung entscheiden nicht nur die Zugänglichkeit eines Objekts und das
Interesse eines Subjekts, sondern auch die Verfügbarkeit von Aufmerksamkeit als be-
schränkte Beobachtungsressource (vgl. Franck 1998). Das Kriterium der Relevanz als
Nutzenerwägungen (Chancen, Risiken) ist dabei für den Einsatz dieser Ressource ent-
scheidend. Dies macht den ökonomischen Terminus Stakeholder als Bezeichnung für
ausgeprägt relevante organisationale Bezugsgruppen interessant. Mit Stakeholdern ist
eine Organisation über existenzielle Beziehungen verbunden. Der Stakeholder-Ansatz
unterscheidet zwei Typen: (1) primäre Stakeholder, die direkten Einfluss auf Prozesse
und Leistungen (Waren und Dienstleistungen) einer Organisation nehmen, und (2) se-
kundäre Stakeholder mit indirektem Einfluss, die über den Umweg öffentlicher Kom-
munikation Einfluss auf primäre Stakeholder nehmen (vgl. Karmasin 2007: 74; auch
Post u. a. 2002: 17ff.). Die organisationale Einstufung einer Bezugsgruppe als Stake-
holder trifft damit eine Aussage über die formale Qualität dieser Beziehung (existenzi-
elle Beziehung). Inhaltliche Qualität findet demgegenüber in Image und Reputation als
auf wenige Beobachtungsmerkmale verkürzte Bewertung oder Wertschätzung ihren
Ausdruck. Sie hat bezugsgruppenseitig Einfluss auf Haltungen, Entscheidungen und
Verhalten – auch Beobachtungsverhalten – der Bezugsgruppen gegenüber einer Orga-
nisation.
Wenn bislang nach den Bedingungen für Beobachtung und den Konsequenzen von
Beobachtung gefragt worden ist, muss nun in gleicher Weise nach Nicht-Beobachtung
gefragt werden. Die inhaltliche Beziehungsqualität spiegelt sich in der Konstitution
bzw. im Grad des sozialen Vertrauens wider, das eine Organisation bei Bezugsgruppen
Organisation und Kommunikation 141

genießt und umgekehrt. Nicht zufällig gehört der Begriff Vertrauen zu den klassischen
Begriffen im Public Relations-Diskurs (vgl. z. B. Hundhausen 1951). Vertrauen kann –
verkürzt – als eine auf Erfahrungen basierende Kontinuitätserwartung zur Reduktion
sozialer Komplexität definiert werden (Luhmann 1968: 20). Als soziales Vertrauen ist
es die Erwartung in die Kontinuität von Haltungen, Entscheidungen und Verhalten ei-
ner Organisation bzw. einer Bezugsgruppe in sachlicher, zeitlicher und sozialer Di-
mension. Vertrauen basiert auf doppelter Kontingenz, denn um Vertrauen zu gewinnen
oder aufrechtzuerhalten, kann sich ein Vertrauensobjekt nur innerhalb bestimmter Er-
wartungsgrenzen des Vertrauenssubjekts verhalten (vgl. Luhmann 1984: 179f.). Sozia-
les Vertrauen entlastet von Beobachtungsdruck, indem ein Vertrauensobjekt aus kon-
kreter Beobachtung ausgeblendet wird, ohne dass dies Einfluss auf die formale Quali-
tät dieser Beziehungen hat: Entscheidungsprozesse werden zu Routinen. Soziales Ver-
trauen als Nicht-Beobachtung kann damit als Win-Win-Situation und angestrebte Qua-
lität von Public Relations aufgefasst werden, weil
• sich das Vertrauenssubjekt von Beobachtungs-, Interpretations- und Entschei-
dungsoperationen entlastet und Ressourcen einspart, und
• dem Vertrauensobjekt mit weniger konkreten Vertrauenserwartungen begegnet
wird, was dessen Entscheidungs- und Handlungsoptionen erweitert.

In diesem Kontext ist öffentliches Vertrauen eine generalisierte Form von sozialem
Vertrauen. Öffentliches Vertrauen besteht, wenn soziales Vertrauen, das eine Organi-
sation bei unterschiedlichen Bezugsgruppen genießt, in der öffentlichen Meinung eine
ähnliche Ausrichtung hat (vgl. Bentele 1994). Es kann unterstellt werden, dass öffent-
liches Vertrauen soziales Vertrauen innerhalb des Netzwerks öffentlicher Beziehungen
befördert oder zumindest beeinflusst, weil öffentliches Vertrauen in Meinungsbil-
dungsprozessen als generalisierte Orientierungshilfe dient. Weiter kann vermutet wer-
den, dass der Einfluss öffentlichen Vertrauens auf das soziale Vertrauen einer Bezugs-
gruppe in dem Maße wächst, in dem die Prägung der Relation zwischen Organisation
und Bezugsgruppe durch direkte Erfahrungen abnimmt. Stakeholder-Beziehungen wä-
ren also folglich eher von sozialem Vertrauen geprägt, während die Beziehungen zu
anderen Bezugsgruppen eher dem Einfluss öffentlichen Vertrauens unterliegen.

2.2 Public Relations-Management und Meinungsmärkte


Public Relations und soziales Vertrauen als deren Beziehungsqualität (Sozialkapital)
basieren auf Kommunikation. Damit ist das zentrale Problem von Kommunikation
(vgl. Luhmann 1984: 191ff.) auch Basisproblem von Public Relations-Prozessen: die
Unmöglichkeit eines gemeinsamen Verstehens von Haltungen, Entscheidungen und
Verhalten, weil immer eine Differenz zwischen organisationaler Selbstbeschreibung
und -beobachtung (Sinndisposition) und einer in selektiver Fremdbeobachtung ent-
standenen Fremdbeschreibung (unterstellte Sinndisposition) als Relation besteht. Die
Relation zwischen einer Organisation und einer Bezugsgruppe ist also immer Träger
einer Differenz der Sinndispositionen zu einem gemeinsamen Referenzobjekt (vgl.
142 Peter Szyszka

auch Merten 2008). Jede Relation ist dabei Träger einer eigenen Differenz. Je größer
im Einzelfall der involvierte Teil des organisationalen Netzwerks öffentlicher Bezie-
hungen ist, desto größer ist auch die Zahl relationaler Differenzen, zwischen denen
Differenz-Differenzen bestehen, die im Weiteren als Diskrepanzen bezeichnet werden.
Öffentliche Kommunikation – wie auch nicht-öffentliche Kommunikation – lässt
sich anhand unterschiedlicher Beobachtungsinteressen in unterscheidbare Meinungs-
märkte ausdifferenzieren. Meinungsmärkte sind thematisch gebundene Systeme der
Fremdbeobachtung. Sie thematisieren marktspezifische relationale Differenzen und
Diskrepanzen. Aus organisationaler Perspektive kann zur Ausdifferenzierung auf ein
im PR-Diskurs gängiges Modell zurückgegriffen werden, das im Kontext des Stake-
holder-Ansatzes entstanden ist (vgl. z.B. Szyszka 2004: 161ff.). Es unterscheidet einen
allgemeinen öffentlichen Meinungsmarkt, der sich an grundlegenden gesellschaftlichen
Informationsinteressen ausrichtet, von vier spezifischen Meinungsmärkten (Mitglieder,
Finanzen, Politik, Leistungsabnehmer) mit fokussierten Beobachtungsinteressen, ana-
loger Themenstruktur, marktspezifischen Werten und Interpretationsprogrammen
(Abb. 1). Zentraler Unterschied beider Typen:
• Auf dem allgemeinen öffentliche Meinungsmarkt besteht ein breites Themeninter-
esse bei eingeschränkter Beobachtungstiefe,
• während spezifische Meinungsmärkte über ein enger fokussiertes Themeninteresse
und größere Beobachtungstiefe verfügen.

Abb. 1: Öffentliche Kommunikation als System von Meinungsmärkten

Da der allgemeine öffentliche Meinungsmarkt über ein Beobachtungsinteresse an


Themen spezifischer Meinungsmärkte verfügt und sich Beobachter spezifischer Mei-
Organisation und Kommunikation 143

nungsmärkte auch am allgemeinen öffentlichen Meinungsmarkt orientieren, sind spezi-


fische Meinungsmärkte in den allgemeinen öffentlichen Meinungsmarkt eingebunden.
Auf Meinungsmärkten finden sich typische Marktprinzipien: Angebot und Nach-
frage, Wettbewerb, unterschiedliche Marktsituationen und -positionen sowie der
Tausch von Leistungen. Aufmerksamkeit als Vorbedingung für Beobachtung und
Engpassressource steht in öffentlicher Kommunikation immer ein Überangebot an
Themen als Möglichkeiten zu Beobachtung und Anschlusskommunikation gegenüber
(vgl. im jüngeren PR-Diskurs Fengler/Russ-Mohl 2005). Themen werden jedoch nur
dann und dort zu Informationen, wo Beobachtung und Auseinandersetzung als An-
schlusskommunikation erfolgt. In ihrer Breite sind Meinungsmärkte immer Angebots-
märkte, die ein Überangebot an Themen zur Beobachtung anbieten. Wird organisatio-
nale Präsenz in öffentlicher Kommunikation angestrebt, geschieht dies immer im
Wettbewerb um Aufmerksamkeit mit anderen Marktteilnehmern. Werden dagegen
Themen als Angebotsausschnitte in ihrer Tiefe betrachtet, entsteht bei Beobachtern mit
zunehmender Intensität von Aufmerksamkeit Nachfrage (z. B. in Konflikt- und Kri-
sensituationen von Organisationen), auf die Organisationen mit Selbstdarstellung rea-
gieren müssen. Sind Organisation-Umwelt-Differenzen über einen längeren Zeitraum
Thema oder Teil der narrativen Struktur von Themen (z. B. bei Skandalisierung), wird
Beobachtung zum Risiko für bestehendes organisationales Sozialkapital, weil An-
schlusskommunikation Beobachtung in Tiefe und Breite intensiviert und dabei soziales
Vertrauen entzieht.
Aus organisationaler Perspektive entsteht damit ein Regelungsproblem, zu dessen
Bearbeitung Organisationen das Funktionssystem Kommunikationsmanagement nut-
zen. Kommunikationsmanagement ist ein organisationales Beobachtungs- und Rege-
lungssystem, das aus der Beobachtung relationaler Differenzen zwischen einer Organi-
sation und deren Bezugsgruppen sowie der Beobachtung von Diskrepanzen zwischen
unterschiedlichen relationalen Differenzen organisational entscheidungsrelevante In-
formationen gewinnt. Diese stellt es dem Führungssystem als Expertise für Entschei-
dungsprozesse zur Verfügung. Auf Basis organisationaler Entscheidungen trifft Kom-
munikationsmanagement systemeigene Anschlussentscheidungen zur Koordination
und Integration organisationaler Kommunikation und überträgt die Weiterbearbeitung
dieser Probleme an eigene, zur spezifischen Marktbearbeitung ausdifferenzierte Funk-
tionssysteme, darunter Public Relations-Management.
Koordination und Integration stellen dabei ein besonderes Regelungs- und Ent-
scheidungsproblem dar. Unterschiedliche Meinungsmärkte thematisieren nicht nur un-
terschiedliche Themen, sondern auch gleiche Themen, die sie in ihrem jeweils spezifi-
schen Beobachtungsmodus behandeln. Durch Fremdbeschreibung entstehen dabei dis-
krepante Unterstellungen und Bewertungen von Sinndispositionen entlang der unter-
schiedlichen Werte und Regeln der Meinungsmärkte. Diese Diskrepanzen sind in
zweifacher Hinsicht problematisch:
• Meinungsmärkte sind für Organisationen unterschiedlich relevant, so dass in be-
stimmten Meinungsmärkten positive Bewertung als Akzeptanz über den Abbau
144 Peter Szyszka

von Differenzen (Anpassung) nachgesucht, negative Bewertung in anderen Mei-


nungsmärkten als Fortbestehen von Differenzen in Kauf genommen wird. Diffe-
renzen sind damit immer Ausdruck von Präferenzentscheidungen.
• Der allgemeine öffentliche Meinungsmarkt thematisiert derartige Präferenzent-
scheidungen als meinungsmarktübergreifende Diskrepanzen. Er spiegelt dabei
Meinungen und Positionen zu einer Organisation in der Gesellschaft als öffentli-
che Akzeptanz wider und wirkt als Resonanzboden auf spezifische Meinungs-
märkte zurück.
Um die spezifische Akzeptanzproblematik des allgemeinen öffentlichen Meinungs-
marktes bearbeiten zu können, bedienen sich Organisationen des Funktionssystems
Public Relations-Management (PR-Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit). Es ist damit ein
nachgeordnetes Funktionssystem des Kommunikationsmanagements, das sich mit den
Fremdbeobachtungen des allgemeinen öffentlichen Meinungsmarkt und den dort ver-
handelten Differenzen und Diskrepanzen auseinandersetzt.4 Wenn in diesem Kontext
von der Legitimation organisationaler Sinndispositionen durch Information gesprochen
wird (vgl. Ronneberger 1977; auch Ronneberger/Rühl 1992: 252), dann ist damit eine
spezifische Leistung von Kommunikationsmanagement gemeint, nämlich Nachvoll-
ziehbarkeit organisationaler Standpunkte und Positionen zu ermöglichen und hierfür
bei Beobachtern um Akzeptanz nachzusuchen. Im Falle von Public Relations-
Managements ist dies eine aufgrund der dargestellten Merkmale des allgemeinen öf-
fentlichen Meinungsmarktes besonders komplexe Regelungsproblematik. Ob Public
Relations-Management deshalb innerhalb des Kommunikationsmanagement eine
Schlüsselrolle zukommt, wie dies die Praxisliteratur gerne darstellt, soll an dieser Stel-
le nicht näher diskutiert werden.
Reputation und Images – und auch Markenwerte – sind jeweils der kondensierte
Ausdruck von Meinungen über eine Organisation und ihre Leistungen, die sich auf ei-
ner Skala von Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz als Qualität gewährten sozialen Ver-
trauens niederschlagen. Da organisationales Sozialkapital Einfluss auf die Möglichkei-
ten der Erwirtschaftung von Realkapital nimmt, haben Organisationen ein Interesse
daran, Einfluss auf die relationale Qualität ihrer Public Relations zu nehmen, um die-
ses Sozialkapital zu erwirtschaften. Klassische PR-Definitionen sprechen – wie ein-
gangs gezeigt – bei Public Relations-Management von einer Regelungsfunktion, deren
Leistung darin besteht, wechselseitig vorteilhafte Beziehungen zwischen einer Organi-
sation und deren Stakeholdern aufzubauen und aufrechtzuerhalten, weil von diesen or-
ganisationaler Erfolg oder Misserfolg abhänge (vgl. Cutlip u. a. 1994: 6). Verkürzt,
aber dennoch prägnant ausgedrückt, findet sich dies in den Grundbegriffen früher
deutscher PR-Ansätze, die von „Vertrauenswerbung“ (Hundhausen 1951) und „Mei-
nungspflege“ (Gross 1951) sprachen.
4
Kommunikationsmanagement wird hier als Dachbegriff und Kennzeichnung des entsprechenden orga-
nisationalen Funktionssystems verwendet, der alle Prozesse organisationaler Kommunikation umfasst.
Public Relations-Management als Subfunktion des Kommunikationsmanagements ist demgegenüber
auf den Umgang mit öffentlicher Kommunikation und Bearbeitung diesbezüglicher Schnittstellen aus-
gerichtet.
Organisation und Kommunikation 145

2.3 Public Relations-Operationen und funktionale Transparenz

Wie jedes organisationale Funktionssystem hat Public Relations-Management das Ziel,


den Handlungsspielraum der vertretenen Organisation zu optimieren und zur Effizienz
organisationaler Prozesse beizutragen. Die Bindung an organisationale Codierung gibt
über organisationale Ziele, Entscheidungen und Verhalten den Entscheidungs- und
Handlungsspielraum von Public Relations-Management vor. Da soziales Vertrauen
immer eine System-Umwelt-Relation zwischen Vertrauensobjekt und Vertrauenssub-
jekt ist, bilden die Codierung von Bezugsgruppen, deren Relevanz im Kontext allge-
meiner organisationaler Operationen und deren allgemeine und organisationsbezogene
Befindlichkeit weitere Bezugsgrößen für Operationen des Public Relations-Manage-
ments.
Als Beobachter zweiter Ordnung setzt sich Public Relations-Management mit den
aus Prozessen der Selbst- und Fremdbeobachtung und -beschreibung resultierenden
Differenzen und Diskrepanzen sowie den daraus ableitbaren organisationalen Konse-
quenzen auseinander. Es prüft dabei den Status gewährten sozialen Vertrauens sowie
Optionen für Aufmerksamkeit und Nicht-Aufmerksamkeit. Mittels Selbstdarstellung
interveniert Public Relations-Management immer dann, wenn organisationsseitig
Handlungsbedarf (Chancen, Risiken) geboten erscheint. Über Selbstdarstellung werden
organisationale Selbstbeschreibungen für Fremdbeobachter bis zu einem gewissen
Grad transparent. Die in der PR-Literatur vielfach vertretene Forderung nach Offenheit
und Transparenz unterliegt dabei einschränkenden Bedingungen:
• Konsistenz-Problem: Je transparenter und damit konkreter die Selbstdarstellung
von Entscheidungen und Absichten ist, desto konkreter werden auch die sich daran
knüpfenden Kontinuitätserwartungen, was der Interpretation von Beobachtung als
Kontinuität in Vertrauensprozessen engere Grenzen setzt.
• Kontingenz-Problem: Wird Transparenz für Entscheidungsmotive geschaffen,
kann dies die mit Kontinuitätserwartungen unterstellten Sinndispositionen der
Fremdbeobachter in Frage stellen und zur Rücknahme sozialen Vertrauens führen.
• Konkurrenz-Problem: Wird Transparenz für Entscheidungsinhalte (Ziele und We-
ge) geschaffen, sind dies Wettbewerbsinformationen für andere Organisationen,
die hieraus wettbewerbsstrategische Vorteile ziehen können.
Die mittels Public Relations-Operationen zu schaffende Transparenz muss daher in
Breite und Tiefe immer eine funktionale Transparenz sein (vgl. Szyszka 2004: 156),
die funktionalen und nicht dysfunktionalen Einfluss auf die Existenz- und Entwick-
lungsbedingungen der vertretenen Organisation hat.
Im Kontext funktionaler Transparenz verfolgt Public Relations-Management mit
seinen Operationen verschiedene operative Ziele:
• Adressierbarkeit: Grundlegende Selbstdarstellungsoperationen, um über Basisbe-
kanntheit einer Organisation eine einfache Verknüpfung von Selbstdarstellung und
Fremdbeobachtung zu Anschlusskommunikation zu ermöglichen.
• Aufmerksamkeit: Strategische Selbstdarstellungsoperationen im Umgang mit den
Aufmerksamkeitsregeln der Prozesse öffentlicher Kommunikation, um organisa-
146 Peter Szyszka

tionale Themen (Organisation und deren Leistungen) gezielt ein-, ggf. aber auch
auszublenden.
• Bekanntheit: Positionierende Selbstdarstellungsoperationen, um Einfluss auf die
selektive Beobachtung und Behandlung organisationsbezogener Themen zu neh-
men und bei Beobachtern gewünschte, positiv beurteilte Positionierungen von Or-
ganisation und Leistungen zu verankern.
• Verstehen: Gezielte Selbstdarstellungsoperationen zur Reduktion relationaler Dif-
ferenzen, um durch vertiefte Bekanntheit und Wissen ein gemeinsames Verstehen
wechselseitiger Positionen und Sinndispositionen zu Themen und Problemen zu
ermöglichen.
• Akzeptanz, Zustimmung, Präsenz: Auf Glaub- und Vertrauenswürdigkeit ausge-
richtete Selbstdarstellungsoperationen, um über gewährtes soziales Vertrauen die
Wahrscheinlichkeit gewünschter Anschlusskommunikation bzw. gewünschten
Anschlussverhaltens von Bezugsgruppen/Stakeholdern zu erhöhen.

2.4 Public Relations-Modell


Die theoretischen Überlegungen lassen sich zu einem Public Relations-Modell zu-
sammenführen (Abb. 2). Aus Organisationsperspektive beschreiben Public Relations
das Netzwerk der System-Umwelt-Beziehungen einer Organisation (Meso/Makro-
Schnittstelle). Sie entstehen in der sozialen Umwelt einer Organisation, wenn eine Be-
zugsgruppe als Beobachter einer Organisation Relevanz im Kontext ihrer eigenen Exi-
stenzbedingungen unterstellt. Die Public Relations einer Organisation sind entspre-
chend ein Produkt aus der prinzipiellen Möglichkeit von Fremdbeobachtung und der
tatsächlichen Beobachtung und Bewertung, die eine Organisation in der sozialen Um-
welt erfährt.5 Für die Quantität öffentlicher Beziehungen einer Organisation bedeutet
dies: Je größer und bekannter eine Organisation in der Gesellschaft ist und je höher der
Stellenwert und Einfluss ist, der dieser Organisation dort unterstellt wird, desto größer
und ausgeprägter ist auch deren Public Relations-Netzwerk. Die Public Relations einer
Organisation beziehen sich i. d. R. nur auf einen Teil von Gesellschaft. Als Operatoren
gesellschaftlicher Funktionssysteme nehmen Organisationen Einfluss auf die Existenz-
bedingungen anderer Organisationen und Gruppen in der Gesellschaft, damit aber auch
auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse an sich. Als offene Systeme und Teile von
Gesellschaft stehen sie gleichzeitig unter dem Einfluss gesellschaftlicher Entwick-
lungsprozesse, sind also zugleich Beteiligte wie Betroffene.

5
Deutlich wird dies an der „Situativen Theorie der Teilöffentlichkeiten“ (vgl. Grunig/Hunt 1984: 147ff).
Organisation und Kommunikation 147

Abb. 2: Allgemeines Public Relations-Modell

Organisationales Beziehungsfeld
Da Organisationen ihre Entscheidungen und Operationen immer auf die Reproduktion
des eigenen Systems ausrichten, ist weniger die gesellschaftliche Reichweite des
Netzwerkes ihrer Public Relations, sondern die Qualität der Relationen zu Bezugs-
gruppen und hier insbesondere die zu Stakeholdern von Bedeutung. Genießt eine Or-
ganisation soziales Vertrauen, dann minimiert dies das Risiko der doppelten Kontin-
genz organisationaler Entscheidungsprozesse und erhöht das Potenzial ihrer Entschei-
dungsoptionen. Sie kann ihre Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen, solange sie sich
im Rahmen der Vertrauenserwartungen ihrer sozialen Umwelt bewegt. Quantität und
Qualität der Public Relations einer Organisation als organisationaler Funktionalisie-
rungsbedarf entscheiden darüber, in welcher Weise eine Organisation Public Relati-
ons-Management funktionalisiert. Abhängig von diesen Parametern finden sich in der
Praxis sehr große, aber auch kleinste Organisationseinheiten für Public Relations-
Management; sieht eine Organisation im Einzelfall keinen Handlungsbedarf, kann die-
ses Funktionssystem nur implizit verankert sein oder ganz fehlen.
Quantität und Qualität von Public Relations sind dynamische Größen, die konti-
nuierlich Veränderung erfahren und dabei in negativer wie positiver Weise Einfluss
auf organisationale Entscheidungsoptionen nehmen können. Um die Entwicklung der
Public Relations einer Organisation nicht der Beliebigkeit zu überlassen, sind prinzipi-
ell drei Arten von Public Relations-Operationen notwendig:
• Beobachtung der Differenzen und Diskrepanzen sowie Differenz- und Diskrepanz-
veränderungen, um Risiken oder Chancen für organisationale Entwicklung und
möglichen diesbezüglichen Entscheidungsbedarf zu ermitteln,
148 Peter Szyszka

• Analyse der Public Relations-Probleme und Entwicklung von Interventionspro-


grammen (ggf. als Entscheidungsvorschläge für organisationale Entscheidungs-
prozesse, sofern hier keine anschlussfähigen Entscheidungen vorliegen),
• Intervention als mit Wirkungsabsicht geplante Selbstdarstellungsoperation, mit de-
ren Hilfe gezielt Einfluss auf die inhaltliche Qualität der bearbeiteten Relationen –
ggf. auch auf die Quantität durch Aktivierung von Relationen – zugunsten einer
gewünschten Veränderung relationaler Differenzen und Diskrepanzen im Public
Relations-Netzwerk genommen werden soll.
Beobachtungsoperationen des Public Relations-Managements bearbeiten Differenzen
und Diskrepanzen als thematisch fassbare relationale Probleme an der Meso/Makro-
Schnittstelle einer Organisation. Analyseoperationen sind funktionssystemeigene Ent-
scheidungen zur Bewertung beobachteter Probleme und Themen und zur Entwicklung
adäquater Interventionsprogramme. Diese müssen über unmittelbare Anschlussfähig-
keit zu bestehenden organisationalen Entscheidungen verfügen. Fehlen entsprechende
Entscheidungen oder sind bestehende Entscheidungen zu nivellieren, interveniert das
Funktionssystem mittels fachlich-funktionaler Expertise zunächst im Organisationssy-
stem, um eine anschlussfähige Entscheidung herbeizuführen. Bei Interventionsopera-
tionen geht es zunächst nicht um die Einflussnahme auf eine Relation als solche, son-
dern um die strategisch geplante Bearbeitung eines bestimmten Problems einer oder
verschiedener Relationen mittels eines Interventionsprogramms. Dabei wird eine Be-
zugsgruppe zur Zielgruppe der auf sie gerichteten Public Relations-Aktivitäten. Da
Einflussnahme immer nur auf einen ausgewählten Teil einer oder verschiedener Rela-
tionen erster Ordnung gesucht werden kann, entsteht in sachlicher, zeitlicher und so-
zialer Dimension an der Meso/Mikro-Schnittstelle eine funktionale Relation zweiter
Ordnung, welche die betroffenen Bezugsgruppen für die Dauer des Interventionspro-
gramms zu Zielgruppen macht.
Interventionsoperationen sind Selbstdarstellungsoperationen, die zielgerichtet
funktionale Transparenz schaffen sollen. Nur wenn Selbstdarstellungsoperationen die
angestrebte Beobachtung erfahren, kann diese Transparenz entstehen und Wirkung
entfalten. Schon die Operation an sich und die damit verbundene Möglichkeit einer
Beobachtung bindet eine Organisation an sich an die Mitteilungen ihrer Selbstdarstel-
lung, da die Auswahl eines Transparenzausschnitts jeweils eine kontingente An-
schlussentscheidung an übergeordnete Entscheidungen ist. Presse-/Medienmitteilungen
beispielsweise wirken damit immer auf das Ganze rückbezogen und nehmen über ihre
Beobachtbarkeit und Interpretierbarkeit bindenden Einfluss auf künftige organisationa-
le Entscheidungsoptionen.

3 Konsequenzen: Kommunikationsmanagement und Mehrwert


Im Rahmen des Kommunikationsmanagements einer Organisation ist Public Relati-
ons-Management darauf ausgerichtet, sich mit Public Relations als Bestandteil und
Gegenstand der Prozesse öffentlicher Kommunikation auseinanderzusetzen und auf
Organisation und Kommunikation 149

der Basis von Beobachtung, Analyse und Intervention Einfluss auf Qualität und ggf.
auch Quantität von Relationen zu nehmen, die als organisationspolitisch relevant ein-
gestuft werden. Merten hat diesen Prozess als einen „Prozess intentionaler und kontin-
genter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Erzeugung und Befesti-
gung von Images in der Öffentlichkeit“ definiert (1992: 44). Public Relations-
Management ist dabei sowohl Differenz-, als auch Diskrepanzmanagement zwischen
dem beobachteten Status relevanter Relationen und einem als organisational vorteil-
haft eingestuften und damit angestrebten Status dieser Relationen. Übergeordnetes
Ziel ist die Erwirtschaftung organisationalen Sozialkapitals als Basis für die Erwirt-
schaftung von Realkapital. Als organisationale Sekundärfunktion nimmt Public Relati-
ons-Management damit indirekt Einfluss auf die Wertschöpfung der vertretenen Orga-
nisation.
Innerhalb von Organisationsstrukturen ist Public Relations-Management ein Typus
von Kommunikationsmanagement. Es wirkt immer im Verbund mit anderen organisa-
tionalen Funktionen, deren Kommunikationsoperationen ebenfalls der Fremdbeobach-
tung unterliegen und Einfluss auf die Möglichkeiten organisationaler Wertschöpfung
nehmen. Da Kommunikationsoperationen bei Fremdbeobachtung nicht einer bestimm-
ten organisationalen Funktion, sondern immer einer Organisation als solcher zugeord-
net werden, gehören kommunikative Diskrepanzen zum Alltag von Organisationen.
Führen diese bei Fremdbeobachtern zu Irritationen, können diese Vertrauensverluste
zur Folge haben (vgl. Bentele 1994: 147ff.). Je breiter deshalb das Spektrum funktional
unterschiedlicher Selbstdarstellungsoperationen einer Organisation ist, desto größer ist
auch der damit organisational verbundene Koordinations- und Integrationsbedarf, den
Kommunikationsmanagement zu erbringen hat, um das Wertschöpfungspotenzial or-
ganisationalen Sozialkapitals adäquat ausschöpfen zu können und damit Mehrwerte zu
erwirtschaften, die eine Funktionalisierung rechtfertigen.

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Vom Umgang mit Komplexität im
Kommunikationsmanagement.

Eine soziokybernetische Rekonstruktion.1

Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

„Es gibt keine anerkannte Theorie der Intervention oder des Managements komplexer Systeme.
Und es kann sie wohl auch nicht geben, solange nicht die besondere Dynamik und die Verhal-
tensmuster komplexer dynamischer Systeme besser verstanden werden. Dies ist für solche Inter-
venierende, vor allem Berater, ein misslicher und oft verleugneter Zustand, die gerne auf Rezepte
und schnelle Erfolge zielen.“
(Willke 1999: 69)

In der Lehre strategischen Kommunikationsmanagements, besser bekannt als Konzep-


tionslehre, dominieren kybernetische Vorstellungen und Modelle, die in Bezug auf ih-
ren Gegenstand – das Management, die Planung und Steuerung sozial-kommunikativer
Prozesse – unterkomplex sind. Häufig wird entweder auf die Thermostat-Metapher
verwiesen, wenn es darum geht, PR-Prozesse zu veranschaulichen (Leipziger 2004)
oder aber Kommunikation in Form offener Kreislaufsysteme dargestellt, in die das
Kommunikationsmanagement auf Basis erhobener Daten steuernd eingreift und so ihre
kommunikativen Ziele erreicht (Cutlip/Center/Broom 2006; Long/Hazleton 1987).
Den meisten kybernetischen PR-Konzepten liegt somit ein technomorpher Ansatz
zugrunde, der auf linearem Denken beruht und die Steuerbarkeit von Kommunikation
voraussetzt. Wir nennen dieses Verständnis Technokybernetik. Bei der Übertragung
technokybernetischer Denkweisen auf soziale Prozesse werden Kommunikationsma-
nager ganz im Sinne des Verständnisses von Edward L. Bernays aus den 1940er Jahren
1
Bei dem Aufsatz handelt es sich um eine leicht geänderte und deutschsprachige Version von: Nothhaft,
Howard / Stefan Wehmeier (2007): Coping with Complexity. Sociocybernetics as a framework for
communication management. In: International Journal of Strategic Communication, 1(3), 151-168. Al-
le englischsprachigen Zitate wurden von den Autoren übersetzt.
152 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

des vergangenen Jahrhunderts zu Sozialingenieuren (Bernays 1947). Dieses Denken


manifestiert sich nicht nur in der PR-Lehre, sondern prägte lange auch die Betriebs-
wirtschaftslehre (z.B. Grochla/Fuchs/Lehmann 1974) und die Sozialwissenschaft
(Friedrich/Sens 1976). Kritisch an der Übertragung technokybernetischen Denkens auf
das Soziale und Kommunikative ist vor allem der Begriff der Kontrolle. Während der
Kontrollbegriff bei der Analyse technischer Regelkreise unproblematisch ist und sich
auch in den Wirtschaftswissenschaften im Begriff Controlling widerspiegelt2, gerät er
im sozialen und kommunikativen Raum zum Politikum. Nach den Erfahrungen in tota-
litären Systemen ist er in den anderen Sozialwissenschaften desavouriert. Diese ideo-
logische Geladenheit erschwert die Akzeptanz moderner kybernetischer Ansätze. Doch
schon bei den Gründervätern der Kybernetik (u.a. Ashby 1956; Wiener 1948), die ihre
Disziplin ausdrücklich nicht nur auf technische Zusammenhänge reduziert sahen, ist
der Kontrollbegriff immer schon ein abstrakter und kein politischer gewesen. Hieran
anschließend wollen wir ihn im Folgenden ebenfalls entideologisiert gebrauchen: Mit
Kontrolle sind weder Manipulationsversuche noch Aussagen über Machtverhältnisse
gemeint. Vielmehr umfasst Kontrolle sowohl Regulierung als auch Selbst-Regulierung
und Selbst-Steuerung dynamischer Systeme. So verstanden meint der Begriff lediglich
ein Spiel zu spielen ohne komplette Informationen über die Spielsituation und nur we-
nige Grundregeln zur Verfügung zu haben (Beer 1966: 279). Er ist neutral und drückt
aus, dass geplante Operationen in unsicheren Kontexten stattfinden. Damit lehnt er
sich an eine ähnliche Interpretation an, die jüngst in der Organisationsforschung Ein-
zug gefunden hat (Barker 2005).
Wir argumentieren, dass kybernetische Begrifflichkeiten und Prinzipien eine
brauchbare Metatheorie für die Einordnung und Analyse von Kommunikationsmana-
gement bieten. Diese Metatheorie soll im Folgenden entfaltet werden. Zunächst wird
eine knappe Skizze unterschiedlicher Kybernetiktypen präsentiert. Danach wird in die
Soziokybernetik als eine Theorie komplexer, dynamischer sozialer Systeme eingeführt.
Anschließend werden Prinzipien eines soziokybernetischen Kommunikationsmanage-
ments umrissen. Am Schluss argumentieren wir, dass der Begriff der Kontextkontrolle
oder der ökologischen Kontrolle und nicht der der direkten Kontrolle der Modus Ope-
randi von Kommunikationsmanagement sein sollte.

1 Von der Techno- zur Soziokybernetik


Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen argumentieren schon länger, dass tech-
nokybernetische Konzepte der Steuerung im biologischen und vor allem im sozial-
kommunikativen Raum mit großer Vorsicht zu genießen sind (Bühl 1989, 1990; Busch
1979; Busch/Busch 1984, 1992; Malik 2003; Taschdjian 1976). Menschen sind keine
trivialen Maschinen, die einen bestimmten Input X immer zu einem bestimmten Out-
put Y verarbeiten (von Foerster 1993: 244-252). Menschen sind sinnverarbeitende, in-

2
Zu den kybernetischen Grundlagen des Controllings vgl. Schwarz 2002.
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 153

terpretierende Wesen, die den Input X kontext- und erfahrungsbezogen verarbeiten.


Die Interpretationen des Inputs werden von Mensch zu Mensch und von Situation zu
Situation verschieden sein. Es ist diese situations- und erfahrungsbezogene Verarbei-
tung von mitgeteilten Informationen, die für eine hohe Komplexität und unklare Kau-
salketten in sozialen Systemen verantwortlich sind. Komplexität meint dabei nicht nur
die strukturelle Dimension als große Anzahl von möglichen Verknüpfungen zwischen
Systemelementen, sondern auch die temporale Dimension, die auf die nichtlineare und
irreversible Entwicklung von Systemen hinweist (Flood 1987; Degele 1997).
Wir unterscheiden im Folgenden drei Komplexitätsstufen von Systemen: Triviale
Systeme wie etwa Maschinen sind charakterisiert durch Linearität, Reversibilität und
nur wenige involvierte Variablen. Frühe Kommunikationsmodelle wie das Informati-
onsübertragungssystem (Eisenberg/Goodall 2004) rekonstruieren Kommunikation als
triviales System. Sprache wird hier als Übermittler von Gedanken und Gefühlen von
einer sprechenden Person zu einer zuhörenden gesehen, die zuhörende Person wird als
in der Lage betrachtet, die Bedeutung der Worte 1:1 zu verstehen. Auch das in den
Bell Laboratories entwickelte mathematische Kommunikationsmodell von Shannon
und Weaver (1949) gilt in seinen Grundzügen als triviales technisches Kommunikati-
onsmodell.
Komplizierte Systeme haben eine Vielzahl von Elementen sowie eine große Band-
breite potenzieller Relationen. Die Systeme können in bestimmte und gegeneinander
abgrenzbare Subsysteme aufgeteilt werden, wodurch die Eigenschaften des Gesamtsy-
stems beschreibbar sind (Simon 1978). Dies macht die Systeme trotz der möglichen
Vielzahl von Relationen potenziell reversibel und dekomponierbar. Der Ansatz, PR
mittels eines Modells offener Systeme zu beschreiben, kann in diese Kategorie gerech-
net werden. PR wird als Subsystem des Managementsystems beschrieben, das seiner-
seits wiederum ein Subsystem der Organisation darstellt (Grunig/Hunt 1984).
Komplexe Systeme unterscheiden sich von komplizierten genau hier: Ihre Elemen-
te sind nicht nur in der Strukturdimension, sondern auch in der Zeitdimension aufein-
ander bezogen: Es ist nicht oder nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorher-
sagbar, wie sich das System im Zeitverlauf t1 bis t2 entwickelt. Andersherum kann von
t2 nicht komplett auf t1 rückgeschlossen werden. In diese Kategorie fallen u.a. alle
Verhandlungssysteme (Busch/Busch 1992). Kommunikation, öffentliche Kommunika-
tion zumal, repräsentiert ein spezielles kommunikatives Verhandlungssystem: Kom-
munikationsmanager wissen niemals exakt, was sie mit ihren Versuchen, externe und
interne Kommunikationsprozesse zu managen, bewirken – ja, häufig kennen sie auch
nicht die Ursachen für eine bestimmte kommunikative Situation. Sie können nur Ursa-
chenpartikel ausmachen, die zu einer bestimmten kommunikativen Ist-Situation ge-
führt haben und müssen auf der Basis unvollständiger Information Entscheidungen für
zukünftige Kommunikation treffen.
154 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

Tab. 1: Typen von Systemen


Merkmal triviale Systeme komplizierte komplexe Systeme
Systeme
Variablen wenige gerichtet mittel bis viele mittel bis viele unterschiedli-
gleicher Art cher Art
Wissensbereich klassische organisierte Systeme Wahrscheinlichkeits-
Naturwissenschaften berechnungen,
komplexe Prozesse in Ver-
handlungssystemen
Zeitdimension / linear, reversibel linear, nicht-linear,
Reversibilität potenziell reversibel, irreversibel,
dekomponierbar nicht dekomponierbar
Prognosen sehr genau Mustervoraussage wenn überhaupt statistische
Wahrscheinlichkeit
Quelle: eigene Abb. (Weiterentwicklung von Weaver 1978)

Forrester (1971: 85ff.) zufolge verhalten sich komplexe Systeme ungewohnt, sie sind
weniger intuitiv als vielmehr kontra-intuitiv zu erfassen, denn Ursache und Wirkung
sind nicht mehr eng miteinander verknüpft. Symptome können auf Ursachen zurück-
gehen, die auf den ersten Blick nichts mit ihnen zu tun zu haben scheinen. Ein (semi-
)fiktives Beispiel: Unternehmen X, beheimatet in einer ländlichen Region, stellt ein
Imageproblem im lokalen Raum fest. Bei einer Umfrage relevanter Teilöffentlichkei-
ten findet man heraus, dass eine Mehrzahl der Befragten die Firma als unsozial ein-
stuft. Um das zu ändern, führt das Unternehmen Kinderbetreuung ein und unterstützt
Pflegedienste in der Region. Die Imagewerte verändern sich darauf hin jedoch nur ge-
ringfügig. Unternehmensleitung und PR-Abteilung wissen keinen Rat und vermögen
nichts anderes zu tun, als zunächst mit diesen Werten zu leben. Wenige Monate später
tritt der Unternehmenschef, wie schon länger geplant, ab. Nicht viel später ergibt eine
neue Umfrage, dass das Unternehmen plötzlich eine bessere Reputation hat, obwohl
der ehemalige Unternehmenschef hemdsärmelig und bodenständig und damit als Re-
präsentant auch des ländlichen Raums gegolten hat. Das Problem der Firma war der
Sohn des Firmenchefs, der sich durch ausgelassene Parties, Drogenkonsum und stän-
dig wechselnde Partnerinnen in der Region extrem unbeliebt gemacht hatte. Obwohl
die Geschichte fiktiv ist, illustriert sie, dass Interventionen in komplexe und dynami-
sche Systeme keine einfache mathematische Gleichung sind, die nach dem Schema
funktioniert, dass ein besseres Image in der Region bekommt, wer sich im lokalen
Raum sozial engagiert. Erfolgreiche Intervention muss an den neuralgischen Punkten
ansetzen – und die müssen erkannt werden. In dem fiktiven Fall war der neuralgische
Punkt das Fehlverhalten des Sohnes des Firmenchefs. Alle sozialen Bemühungen der
Firma verpufften vor dem Hintergrund dieses nicht als (Firmen-)Problem erkannten
Themas.
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 155

2 Grundprinzipien eines
soziokybernetischen Kommunikationsmanagements
Nachdem skizziert worden ist, dass Kommunikationsmanagement in komplexen sozia-
len Systemen agiert und die Ergebnisse von Steuerungs- und Interventionsversuchen
nicht exakt voraussagbar sind, sollen nun Grundprinzipien eines soziokybernetisch in-
spirierten Kommunikationsmanagements aufgezeigt werden. Dabei ist zu bedenken,
dass es sich bei Soziokybernetik weder um eine Kommunikations- noch um eine PR-
Theorie handelt, sondern um ein Mindset oder eine Metatheorie.
Verstanden als Metatheorie, beschäftigt sie sich mit den grundlegenden Annahmen
von Theorien (Littlejohn 1992) und analysiert, reflektiert, integriert oder separiert
Theorien (Ritzer 1992). Als Mindset gibt sie Wissenschaftlern und Praktikern eine
Denkart oder eine Praxisphilosophie mit auf den Weg. Wir benutzen die Soziokyber-
netik, um allgemeine und kommunikationsbezogene Managementprobleme zu be-
schreiben und zu verstehen. Wir gehen dabei davon aus, dass sich Kommunikations-
management zwar nicht fundamental von allgemeinen Managementpraktiken unter-
scheidet, doch bestimmte Spezifika aufweist. Kommunikationsmanager sind etwa ver-
antwortlich für symbolische Ressourcen. Wenn sie Personal und Geld als Ressource
nutzen, so tun sie dies, um intangible Werte wie Reputation, Image, Glaubwürdigkeit
und Vertrauenswürdigkeit zu managen. Insofern werden wir bei der Darstellung der
Grundprinzipien eines soziokybernetischen Kommunikationsmanagements versuchen,
Beispiele in Bezug auf das Phänomen Kommunikationsmanagement zu suchen.

2.1 Ökologische Kontrolle

Ökologische Kontrolle bedeutet den Versuch, indirekt zu steuern. Es sind unterschied-


liche Erkenntnisse, die dazu geführt haben, in vielen Fällen von direkten Kontrollver-
suchen abzusehen. Für unseren Kontext mag am zwingendsten die Erkenntnis sein,
dass direkte Kontrollversuche häufig scheitern, weil sie als Kontrollversuche bzw.
Aufforderung bemerkt und verstanden und dadurch abgelehnt werden. Ökologische
Kontrolle meint damit zunächst, auf Situationen und Regeln Einfluss zu nehmen, um
Kontexte so zu ändern, dass bestimmte Ergebnisse ohne direktes Zutun mehr oder we-
niger zwangsläufig geschehen. Ein beliebtes Beispiel für ökologische Kontrolle ist die
Party-Situation: Eine steife Party, auf der die Gäste im Anzug herumlaufen und sich an
ihrem Sektglas festhalten, wird nicht lockerer, weil die Gastgeberin laut ruft: „Hey,
seid locker und legt eure Krawatten ab!“ Dreht die Gastgeberin aber die Heizung auf,
geschieht das gewünschte Ergebnis eher, weil den Gästen warm wird, sie Krawatte und
Sakko ausziehen und ungezwungener erscheinen (Saam 2002: 157).
Es sind mithin häufig äußere Rahmenbedingungen, die bestimmte Situationen
und deren Fortentwicklung beeinflussen (vgl. Meyer/Rowan 1977). Nicht immer ist es
aber so leicht, diese Rahmenbedingungen so zu manipulieren wie im Beispiel der
Gastgeberin. Denn Organisationen müssen unterschiedlichsten externen Ansprüchen
gerecht werden (Brunsson 2002). Und wenn sie versuchen, die situativen Rahmenbe-
156 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

dingungen zu verändern, dann tun sie das nicht alleine, denn zig andere Organisationen
drehen auch an den Stellrädern. Machteinschränkung dieser Art erfährt jede National-
regierung, die in Zeiten globaler Märkte mit Konjunktur- und Investitionsprogrammen
keine durchschlagende Wirkung mehr auf dem Arbeitsmarkt erzielt, wie etwa Renate
Mayntz (2006) am Beispiel Hartz IV ausführt. In pluralistischen Systemen ist der Kor-
ridor für erfolgreiche Interventionen sehr eng, da Pluralismus bedeutet, dass viele wi-
dersprüchliche Interessen potenziell gleichberechtigt aufeinandertreffen. Direkte
Steuerung der Organisationsumwelt oder auch von Kontextbedingungen ist somit nicht
unmöglich, aber ihr Erfolg unwahrscheinlich. Insofern ist ökologische Kontrolle mög-
licherweise ein überlegeneres Prinzip, da es abgestimmt ist auf die Umweltbedingun-
gen einer Organisation. Es zeigt sich sehr schnell, dass ökologische Kontrolle speziell
für Kommunikationsmanagement Anknüpfungspunkte bietet, da direkte Kontrolle über
Personen wie Journalisten oder öffentliche Themen weder möglich noch gesellschaft-
lich erwünscht ist. Wer Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Loyalität oder Mitarbeiteridenti-
fikation erreichen möchte, muss sich diese verdienen – kommandieren lässt sich so et-
was nicht. Häufig dürfte selbst dort das Prinzip der ökologischen Kontrolle greifen, wo
man gemeinhin von einer Determinierung (= hoher direkter Steuerungserfolg) von
Journalismus durch PR spricht (Baerns 1991), wenn also ein hoher Anteil des journali-
stischen Outputs dem Input von PR-Seite entspricht. Journalisten, so die Annahme
hier, sind nicht in besonderem Maße überzeugt von der Botschaft, die sie aufnehmen
und verbreiten, sie sehen lediglich in vielen Fällen keinen Grund, intensive Recherchen
zu betreiben und so der ihnen präsentierten Geschichte andere Drehs und Wendungen
hinzuzufügen. In normalen Zeiten handeln Journalisten nach dem Prinzip des Chroni-
sten, PR-treibende Organisationen nutzen so das Prinzip der ökologischen Kontrolle,
weil sie dem Journalismus keinen Anlass bieten, anders als gewünscht, über sie zu be-
richten. Dass das nicht bedeutet, dass PR-Schaffende per se eine Themenhoheit haben
und diese durch Adaption an bestimmte journalistische Regeln absichern, zeigt sich
immer wieder in Krisensituationen. Dort offenbart sich, wie wenig sich Themen hier-
archisch kontrollieren lassen. So sind in Krisensituationen Journalisten besonders inve-
stigativ, sie recherchieren mehr, sie glauben der PR-Kommunikation in der Regel we-
niger als in „Normal“-Situationen. Das Krisenthema lässt sich von PR-treibenden Or-
ganisationen in vielen Fällen weder direkt noch ökologisch kontrollieren. Häufig läuft
es eigendynamisch aus dem Ruder. Journalisten, PR-Kommunikatoren, Experten und
andere üben gewichtigen Einfluss auf den Verlauf des Themas aus (Barth/Donsbach
1992). Häufig haben in solchen Situationen die hierarchisch kontrollierten Organisa-
tionen nicht einmal ihre eigene Organisation unter Kontrolle, denn es passiert nicht sel-
ten, dass in Krisenzeiten Mitglieder der Organisation die hierarchische Kontrolle un-
terminieren und zu Top-Informanten der Journalisten werden.
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 157

2.2 Dualität von Kontrolle und Information

Information und Kontrolle sind unauflöslich miteinander verwoben, sie sind zwei Sei-
ten einer Medaille. Information kann nur durch Kontrollversuche gewonnen werden,
zugleich wird die Information dadurch auch nur auf diese Kontrollversuche bezogen
und kann kaum besser sein als diese. Bühl nennt dieses Prinzip „duale Kontrolle“
(1990: 54f.). Wir halten Bühls Erkenntnis für wichtig, fassen das Prinzip allerdings un-
ter der unserer Meinung nach präziseren Bezeichnung "Dualität von Kontrolle und In-
formation". Um das Prinzip zu verstehen, muss man sich klar machen, dass Steue-
rungs- respektive Kontrollversuche Information über das zu steuernde System voraus-
setzen. Steuerungsrelevante Informationen bezüglich komplexer sozialer Systeme sind
jedoch nicht – wie Telefonnummern aus einem Telefonbuch – aus einer neutralen
Quelle zu beziehen, sondern erst durch tatsächliche Einflussnahme zu gewinnen. Dua-
lität von Kontrolle und Information bedeutet also, dass erst Steuerungsversuche steue-
rungsrelevante Information generieren, durch die Grenzen und Möglichkeiten fakti-
scher Steuerung aufscheinen. Konkret und praktisch: Beabsichtigt ein Steuerungsak-
teur, ein symbolverarbeitendes System (Busch 1979), in ein anderes System einzugrei-
fen, muss er zunächst die Rahmenbedingungen der Steuerung ausmachen, die Struktu-
ren und Interaktionen verstehen. Zunächst präsentiert sich ihm das zu steuernde Sy-
stem entweder als ein diffuses System vieler unbestimmter Akteure oder als ein kollek-
tiver Akteur mit einer Oberfläche, welche die Strukturen verbirgt. Nehmen wir an, eine
Organisation möchte bei einem öffentlichen Thema mitreden, es also mit-steuern. Die
Fragen, die sich der verantwortliche PR-Akteur zu stellen hat, werden sein: Wer hat
bisher öffentlich zu diesem Thema Stellung bezogen? Welche Akteure sind konkurrie-
rende oder kooperierende Steuerungsakteure? Welche Akteure und Interaktionen ver-
dichten sich zu einem Subsystem, das ich versuche, en bloc für meine Sache zu gewin-
nen? Erst wenn genügend vorläufige Informationen vorliegen, kann der Steuerungsak-
teur überhaupt mit Steuerungsversuchen beginnen, geeignete Kommunikationsinstru-
mente kreieren, geeignete Steuerungspunkte – etwa Meinungsführer – identifizieren.
Er wird dann feststellen, dass seine Steuerungsversuche weitere, andere Information
generieren, anhand der die Ausgangsinformation zu revidieren ist. Möglicherweise
muss dann mit genauerer Kenntnis der Strukturen und Interaktionen das ursprüngliche
Steuerungsziel variiert werden, da die gewonnene Information das ursprüngliche Ziel
entweder als unerreichbar oder gar nicht mehr wünschenswert ausweist. Jeder Steue-
rungsversuch selbst bleibt also, ähnlich wie bei Heisenbergs Unschärferelation, nicht
ohne Einfluss auf den Zustand des Systems.

2.3 Reflexive Steuerung

Steuerung setzt nicht nur ein durch Ressourcenaufwand zu generierendes Mindestmaß


an Information über das zu beeinflussende System voraus, sondern es kommt hinzu,
dass Menschen im Regelfall wahrnehmen, dass Informationssammlung Steuerungs-
zwecken dient. Da Menschen eben gerade nicht ‚blind‘, sondern sich ihrer selbst be-
wusst sind und stets und notwendig ihre eigenen Interessen verfolgen, werden sie des-
158 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

halb die Informationssuche einer steuernden Entität dazu benutzen, diese steuernde En-
tität selbst wiederum zu steuern. Das ist ein völlig alltäglicher Vorgang. So wird sich
der Leiter einer Abteilung selten darauf verlassen, seine Mitarbeiter schlichtweg zu
fragen, ob sie mit Arbeit ausgelastet sind bzw. inwiefern sie noch über freie Ressour-
cen verfügen. Er weiß sehr genau, dass derartige Rechercheaktivitäten als Vorboten ei-
ner Intervention ausgemacht werden – mit dem Ergebnis, dass jeder einzelne Mitarbei-
ter sein Feedback dergestalt wählt, dass es die Abteilungsleitung im eigenen Interesse
beeinflusst. In sozialen Systemen ist es also nicht nur so, dass Steuerung einen verzer-
renden Eingriff in das System darstellt. Die mit Steuerungsversuchen notwendigerwei-
se Hand in Hand gehende Suche nach Information gibt den zu steuernden Systemen
vielmehr die Möglichkeit, die Steuerungsinstanz im Eigeninteresse mit Daten zu ver-
sorgen. Dadurch kommt es im schlimmsten Fall zu einem gegenseitigen In-die-Irre-
Führen, zu einer systematischen Desinformation.
Wo Steuerungsakteur und zu steuernder Akteur in einer übergeordneten Struktur
gekoppelt sind, wie z.B. in einer Organisation, ist das Problem von begrenzter Bedeu-
tung. Das Beispiel der New Economy-Blase zeigt aber, zu welchen weit reichenden
Konsequenzen Steuerungsreflexivität führt, wenn andere Bedingungen – die das Phä-
nomen begrenzen – temporär ausgehebelt werden.
Das Verhältnis zwischen PR und Wirtschaftsjournalismus stellt unserer Interpreta-
tion nach ein locker gekoppeltes Interaktionssystem dar, in welchem einzelne journali-
stische Akteure andere Ziele verfolgen als die PR-Abteilungen der Unternehmen. Das
Interaktionssystem ist asymmetrisch insofern, als dass das Unternehmen ein primäres
Interesse hat, die Medienakteure zu steuern, während Medienakteure ein primäres In-
teresse haben, sich selbst, nicht aber das Unternehmen zu steuern – wobei sie zugleich
wissen, dass die Unternehmen wiederum sie steuern wollen. Journalistische Akteure
sind jedoch in ein System journalistischer Akteure eingebunden, an welchen sie sich,
bei so genannten „Leitmedien“ sehr ausgeprägt, orientieren. Von entscheidender Be-
deutung ist, dass nicht nur die Wirtschaftspresse die Steuerungsversuche der Unter-
nehmen beobachtet, sondern auch die Unternehmen die Selbststeuerung der Wirt-
schaftspresse. Das Ergebnis ist ein etabliertes Interaktionssystem: Beide Seiten verfü-
gen über in etwa deckungsgleiche Regeln, anhand derer zwischen erfolgreichen und
nicht-erfolgreichen, zukunftsträchtigen und nicht-zukunftsträchtigen Unternehmen un-
terschieden wird.
Was die New Economy anbelangt, galt das Phänomen der gegenseitigen Beobach-
tung auch. Es kam aber eine Entwicklung hinzu, die das etablierte System zeitweilig
auflöste: nämlich, dass Wirtschaftsmedien begannen – vermutlich auch in Koorientie-
rung aufeinander, und beeinflusst von Meinungsführern aus der Wirtschaft – die alten
Regeln über Bord zu werfen. In der New Economy hätten die Regeln der Old Econo-
my ihre Gültigkeit verloren, hieß es. Die Börsen- und Wirtschaftspresse begann, Akti-
enempfehlungen nahezu ausschließlich auf Grund von Zukunftsprognosen zu geben.
Soziokybernetisch interpretiert bedeutet das, dass sich das Selbst-Steuerungs-
instrumentarium von Wirtschaftsjournalisten verschob. Es verschob sich weg von rela-
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 159

tiv reliablen Feedback-Indikatoren wie bisherigen Umsätzen und Gewinnen zu heiklen


Feedforward-Prädiktoren, zu Wechseln auf die Zukunft, die, um es harsch zu sagen,
leicht zu „faken“ waren. Das wiederum entfesselte das dysfunktionale, irreführende
Potenzial der Steuerungsreflexivität. New Economy-Unternehmer beobachteten, dass
die Wirtschaftsjournalisten das Vertrauen in die alten Regeln verloren hatten und nach
neuen suchten. Die „Gründer“ verfolgten sehr genau, welche „Knöpfe gedrückt“ wer-
den mussten, um von Wirtschaftsjournalisten als brandheißer Börsentipp gehandelt zu
werden. Die dotcoms wussten, was die Wirtschaftspresse hören wollte, und das erzähl-
ten sie. Wer kreative PR-Manager hatte, der sah sich in seiner Zukunftsinterpretation
via equity story kaum eingeengt durch gegenwärtige Realitäten wie derzeitige Umsatz-
oder Gewinnzahlen. Die Kombination aus Regelunsicherheit bzw. zukunftsbezogenen
Regeln einerseits sowie der kontinuierlichen Beobachtung der Beobachter andererseits
führte – neben weiteren Faktoren – zu ebenjener gigantischen Blase, die Milliarden an
Vermögen vernichtete und das Vertrauen in die Finanzmärkte erschütterte.3

2.4 Bifurkationen
Soziale Systeme steuern immer wieder auf so genannte Bifurkationspunkte (Bühl
1990: 174f.) zu. Dies sind Verzweigungen, an denen Systeme entscheiden können oder
müssen, welcher Weg künftig eingeschlagen wird. Derartige Punkte sind hochgradig
steuerungsrelevant – vor allem deswegen, da Steuerungsversuche in ihrem Umfeld be-
sonders Erfolg versprechend sind.
Ein einfaches Beispiel für einen Bifurkationspunkt sind Wahlen. Wahlen werden in
demokratischen Gesellschaften absichtlich herbeigeführt: Die Bürgerinnen und Bürger
sind gezwungen, sich für eine neue Regierung zu entscheiden. Aus soziokyberneti-
scher Perspektive ist vor allem die Art und Weise von Bedeutung, wie verschiedene
gesellschaftliche Kräfte vor, während und nach Wahlen Anstrengungen unternehmen,
die Gesellschaft in eine ihren Interessen entsprechende Richtung zu lenken. Aus All-
tagssicht erscheint es als geradezu selbstverständlich, dass Parteien vor der Wahl
„Wahlgeschenke“ verabschieden, sich mit unangenehmen Reformprojekten aber bis
nach der Wahl Zeit lassen. Eine statische Theorie sozialer Systeme vermöchte hinge-
gen nicht zu begründen, weswegen Regierungen gravierende Richtungswechsel nicht
auch während der Legislaturperiode durchführen sollten. Erst mit Blick auf Zeitabhän-
gigkeit und Bifurkationspunkte werden Phänomene, die ein Spin Doctor wohl als Ti-
ming bezeichnen würde, systematischer theoretischer Analyse zugänglich.

3
Vorangetrieben wurde die Entwicklung auf gesamtmarktlicher Ebene auch durch eine übergeordnete
positive Feedback-Schleife, einen „bandwaggon-effect“: Auf weiteres Wachstum reagierten Medien
und Konsumenten mit weiteren Kaufhandlungen, wobei sich der spekulative, zukunftsgerichtete Bör-
senwert und der tatsächlich vorhandene Wert (Umsatz, Gewinn) immer weiter voneinander entfernten
– was letztlich zu einer Katastrophendynamik führte. Vgl. zu einer ähnlichen Argumentation auch die
Podiumsdisskussion um die New Economy 2.0 unter http://de.sevenload.com/videos/1nPHomB/Panel-
Was-ist-dran-an-der-New-Economy-2-0. Insbesondere hier die Beiträge des Fachjournalisten Rainer
Meyer (Blogname: Don Alphonso). Zitiert als Podiumsdiskussion New Economy 2007.
160 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

Die wenigsten Bifurkationspunkte sind allerdings extern gesetzt und damit quasi-
objektiv für alle Beobachter gleichermaßen gegeben. Bifurkationspunkte sind grund-
sätzlich in der Wahrnehmung der Angehörigen eines Systems zu verorten: Nicht jede
Abzweigung stellt einen Bifurkationspunkt dar, wohl aber diejenigen Abzweigungen,
die das Steuerungssubjekt als Scheidewege identifiziert und als Alternativen erwägt.
Wir vermuten, dass es unterschiedliche Typen von Bifurkationspunkten gibt. Die fol-
gende Typologie ist sicherlich ebenso erweiterbar wie sie auch mögliche Typen-
Überschneidungen nicht ausschließt. Unter (1) extern gesetzten Bifurkationspunkten
sind die oben als Beispiel genommenen Wahlen zu verstehen. Ein weiteres Beispiel für
extern gesetzte Bifurkationspunkte sind Jahresbilanzen börsennotierter Unternehmen,
die zumeist auf einer Pressekonferenz öffentlich gemacht werden. Der Gesetzgeber
verpflichtet die Unternehmen dazu, ihre Bilanzen offenzulegen.
Gleichzeitig ist dieses Beispiel schon der Übergang zu (2) intern gesetzten Bifurka-
tionspunkten, denn die Unternehmen müssen den externen Bifurkationspunkt nicht da-
zu nutzen, über das Nötigste hinaus weitere Informationen preiszugeben. Dementspre-
chend verstehen wir unter intern gesetzten Bifurkationspunkten Momente, die Organi-
sationen suchen, um Entscheidungen nicht nur zu fällen, sondern zu kommunizieren
und in Handlung zu überführen. Solche Bifurkationspunkte können Pressekonferenzen
sein, auf denen gefällte Entscheidungen öffentlich gemacht und damit prozessiert wer-
den.
Ad-hoc-Bifurkationspunkte (3) können sich z.B. in Krisensituationen ergeben,
wenn etwa der Parteivorsitzende unerwartet abtritt und mit der Person auch ein strate-
gisches Konzept kippt. Um kein Vakuum entstehen zu lassen, muss Ad-hoc entschie-
den werden, wer das Ruder übernehmen soll. Ad-hoc-Bifurkationspunkte können sich
aber auch bei Pressekonferenzen ergeben, wenn etwa ein intern schlecht informierter
Abteilungsleiter auf eine unerwartete Frage von Projekten redet, die noch nicht be-
schlossen worden sind. Der Druck, den diese Kommunikation anschließend erzeugt,
lässt kaum eine andere Wahl als das noch nicht beschlossene Projekt als beschlossen
anzusehen und zu kommunizieren, dass der Beschluss natürlich schon länger feststand.
Schließlich dürfte ein häufig auftretender Typ (4) der nachträglich erkannte Bifur-
kationspunkt sein. Wenn man mit Weick (1995) davon ausgeht, dass Manager häufiger
ihre der Gunst situativer Umstände erzielten Erfolge im Nachhinein als strategisch ge-
plant darstellen, dann dürften sich viele Bifurkationspunkte auch erst im Nachhinein
als solche erkennen lassen. Entscheidungen also, die in der Situation der Entscheidung
eher als wenig bedeutend erscheinen, werden später als richtungsweisend rekonstruiert.

2.5 (Eigen-)Dynamiken
Realiter gibt es wohl sehr wenige Akteure, die über die Macht verfügen, komplexe Sy-
steme quasi beliebig zu gestalten und zu verändern – Unternehmenslenker oder Kom-
munikationsmanager gehören nicht dazu. Wo Systeme de facto kontrolliert werden, sei
es von anderen Systemen oder Einzelakteuren, geschieht das gewöhnlich dadurch, dass
Systemdynamiken beherrschbar gemacht werden. In kriegerischen Auseinandersetzun-
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 161

gen geschieht es kaum, dass Siege mit der völligen physischen Zerstörung der gegneri-
schen Streitkräfte erzielt werden. Häufiger geschieht es, dass die unterlegene Armee
zerfällt und deshalb die Kampfhandlungen nicht fortsetzen kann. Plötzliche System-
schocks – etwa die vernichtende Niederlage in einem Gefecht – lösen destruktive Dy-
namiken aus, die das System als System, nicht zwangsläufig seine Bestandteile, zerstö-
ren. Man muss sich lediglich vor Augen führen, dass die Koppelungen, welche eine
militärische Einheit zusammenhalten, größtenteils Überzeugungen über die Erfolgs-
chancen der Kampfhandlungen, die eigenen Überlebenschancen sowie die diesbezügli-
chen Einstellungen der Kameraden sind. Verändern sich die genannten Einstellungen
dahingehend, dass die eigenen Überlebenschancen durch Abbruch der Kampfhandlun-
gen steigen – wobei die anderen Soldaten das auch so sehen – gerät ein dynamischer
Prozess in Gang: Was einmal eine zu koordinierten Aktionen fähige Streitkraft war,
zerfällt zu einer Aggregation von Individuen. Auf öffentliche Kommunikation gewen-
det: Wenn etwa die Brauerei Krombacher versucht, den Verkauf von Bier mit dem
Schutz des Regenwaldes in Afrika zu koppeln (Luchtefeld et al. 2006), so hat das of-
fensichtlich erst einmal nichts miteinander zu tun. Dabei versucht Krombacher einer-
seits auf ein positiv besetztes Thema (Umweltschutz, ökologische Verantwortung) auf-
zusetzen, also auf eine Dynamik aufzuspringen. Andererseits versucht das Unterneh-
men dadurch, diese Dynamik beherrschbar zu machen. Bevor also das Unternehmen
von dem Mega-Trend „ökologische Verantwortung“ eingeholt wird und nur noch rea-
gieren kann, packt es das Thema selbstständig an, koppelt es an prominente Sympa-
thieträger (Günter Jauch, Steffi Graf) und gibt es – möglichst mit Krombacher als posi-
tiv mit dem Thema verbundenen Akteur – zurück in die eigendynamische Zyklik öf-
fentlicher Themenbildungsprozesse (Kolb 2005). So zumindest die Idealvorstellung –
bissige Kommentare wie „Saufen für den Regenwald“ (Ganslmeyer 2002) drücken da-
gegen aus, dass es gerade keine Interpretationshoheit bei eigendynamischen Prozessen
gibt und Eigendynamik immer kontingente Entwicklungen bereitstellt.
Dynamische, turbulente Umwelten vorausgesetzt, kann man nicht erwarten, ein be-
stimmtes System über einen Zeitraum hinweg in einem bestimmten Zustand zu belas-
sen. Kontrolle lässt sich dementsprechend nur dynamisch interpretieren (Bühl 1990:
179-181). Die Eigendynamik sozialer Prozesse zu betonen, stellt einen Gegenentwurf
zu Konzepten linearer Plan- und Steuerbarkeit dar. Wenn, wie Mayntz/Nedelmann
(1987: 651) definieren, eigendynamische soziale Prozesse solche sind, „die sich politi-
scher Kontrolle entziehen […] und sich gegen den Willen handelnder Akteure entfal-
ten“, dann gilt dies wohl auch für die Kommunikation. Wie Gerhard Vowe (2001) ein-
drucksvoll am Beispiel des öffentlichen Kampfes zwischen Shell und Greenpeace um
die Versenkung der Bohrinsel Brent Spar gezeigt hat, werden eigendynamische Pro-
zesse durch „Aktions-Reaktions-Sequenzen“ (Mayntz/Nedelmann 1987: 656) erzeugt.
Jede Entscheidung, die in Kommunikation und Handlung überführt wird, „[...] führt zu
einer Handlungssequenz, die den Zustand des umliegenden Systems verändert, damit
neue Informationen hervorruft, auf denen weitere Entscheidungen aufbauen.“ (Forre-
ster 1971: 83)
162 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

3 Perspektiven: Kontextsteuerung und „Kultivierung“ als Modus


Operandi des Kommunikationsmanagements
Aus soziokybernetischer Perspektive ist zu diagnostizieren, dass viele der existieren-
den PR-Theorien noch immer direkte, persuasive Kommunikation als das Wirkungs-
prinzip von Public Relations identifizieren. Krude interpretiert, gehen sie implizit oder
explizit davon aus, dass der modus operandi der Öffentlichkeitsarbeit der ist, mit ver-
schiedenen Gruppen zu „kommunizieren“ – und zwar insofern, als dass man Kunden,
Mitarbeiter, Aktionäre, Anrainer und andere Stakeholder dazu bringt, etwas zu denken,
sagen oder zu tun, was dem PR-Manager in seiner Kommunikationsplanung vor-
schwebt. Die Wirkung wird dabei manchmal indirekt, vermittels Journalisten, manch-
mal aber auch direkt und ohne Umwege angestrebt. Sie basiert manchmal auf ge-
schickter Rhetorik (Überredung), manchmal auf der Kraft des einleuchtenden Argu-
ments (Überzeugung) – immer verbindet aber ein Pfeil den Kommunikator mit dem
Rezipienten, und der Pfeil bedeutet: Wirkung.
Freilich gibt es auch andere Ansätze, insbesondere die systemtheoretisch inspirier-
ten, welche hier sehr viel vorsichtiger und trennschärfer argumentieren. Gleichwohl
sind wir der Überzeugung, dass ein substanzieller Anteil des heutigen PR-Denkens,
insbesondere des praktischen PR-Denkens noch immer versucht, den Modus Operandi
direkter persuasiver Kommunikation zwischen Individuen im Mikrobereich mehr oder
weniger 1:1 auf entsprechende Zusammenhänge in der öffentlichen Kommunikation,
auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu übertragen. Von einem soziokybernetischen
Theoriestandpunkt ausgehend, bezweifeln wir die Tragfähigkeit dieses Konzepts. Wie
systemtheoretisch argumentierende Autoren auch, gehen wir davon aus, dass die Rede
von direkter und unmittelbarer Persuasion auf der Meso- und Makroebene lediglich
begrenzte Erklärungskraft entfaltet. Was in kleinen überschaubaren Gruppen womög-
lich funktioniert, muss nicht zwangsläufig in analoger Art und Weise in größeren Zu-
sammenhängen funktionieren. Der Grund: Mit zunehmender Größe und mit lockerer
werdender Koppelung werden soziale Systeme nicht nur schlicht komplizierter, son-
dern komplex: Sie entwickeln Eigendynamiken und andere Eigenschaften komplexer
sozialer Systeme.
Wir postulieren keineswegs – wie das manche systemisch argumentierende Mana-
gementkritiker tun –, dass Public Relations keine oder allenfalls erratische Wirkungen
zeitigt, dass Kommunikationsmanagement nichts anderes generiert als die Illusion von
Kontrolle. Aber wir postulieren, dass die Art und Weise, wie das Wirkungsprinzip von
Public Relations gemeinhin theoretisch gefasst und erklärt wird, mehr Kontrolle sugge-
riert als wir seriös annehmen dürfen – oder, anders ausgedrückt, der Modus Operandi
ist ein anderer als es die Metaphorik suggeriert.
Unser Gegenentwurf lautet, die Wirkungsweise von Public Relations weniger über
direkte persuasive Kommunikation, als mehr über Kontextkontrolle zu erklären. Ein
Beispiel: Die niederländische Stadt Drachten setzt seit Jahren an neuralgischen Ver-
kehrspunkten nicht mehr auf direkte, sondern auf Kontext- oder ökologische Kontrolle.
Ampeln und Schilder wurden demontiert. Alle Verkehrsteilnehmer sind prinzipiell
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 163

gleichberechtigt und müssen aufeinander Rücksicht nehmen. Die Folge: Das auf den
ersten Blick zunehmende Verkehrsrisiko führt zu einem sichereren Verkehr. Jeder
Verkehrsteilnehmer ist aufmerksamer, was a) zu einer Risikominimierung, b) zu einer
Geschwindigkeitsminimierung und c) zu einem besseren Verkehrsfluss führt. Fazit:
Kontextkontrolle bewirkt weniger Verkehrsunfälle bei gleichzeitiger Geschwindig-
keitsverringerung und besserem Verkehrsfluss und führt daher zu Zeitersparnis
(Deutschlandfunk 2008). Mit dem Begriff der Kontextkontrolle versuchen wir, ebenje-
nen Gedanken zu fassen, welchen von Hayek bereits vor über dreißig Jahren formulier-
te:
„Wenn der Mensch in seinem Bemühen, die Gesellschaftsordnung zu verbessern, nicht mehr
Schaden stiften soll als Nutzen, wird er lernen müssen, dass er in diesem wie in anderen Ge-
bieten, in denen inhärente Komplexität von organisierter Art besteht, nicht volles Wissen er-
werben kann, das die Beherrschung des Geschehens möglich machen würde. Er wird daher,
was immer er an Wissen erwerben kann, nicht dazu verwenden dürfen, um die Ergebnisse zu
formen wie der Handwerker sein Werk formt, sondern ein Wachsen zu kultivieren, indem er
die geeignete Umgebung schafft, wie es der Gärtner für seine Pflanzen macht.“ (Hayek 1975:
21)
Von Hayek sprach freilich nicht über Kommunikationsmanagement. Aber sein Ver-
gleich ist als Versuch zu lesen, die Metaphorik zu verabschieden, welche das Mana-
gementdenken bis heute dominiert: jene, welche Malik (2003) als „technomorphes“
Managementdenken etikettiert. In der PR-Lehre spiegelt es sich in der Rede von
Imagekonstruktion, dem bereits erwähnten Bernay’schen „engineering of consent“
(Bernays 1947), der Rede von Markenarchitekturen oder der von Vertrauensaufbau
wider.
Für von Hayek sind derartige technische Metaphern irreführend, sie sind Hybris.
Als Alternative schlägt er eine Metaphorik vor, die nicht an das technische Konstruie-
ren, sondern an das ökologische Kultivieren andockt. Unsere Überzeugung ist, dass
von Hayeks alternatives „mindset“ sehr viel besser geeignet ist, die Phänomene zu er-
klären, welche gemeinhin als die Kernaufgaben von Public Relations angesehen wer-
den: Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Loyalität oder Legitimität lassen sich nicht herstel-
len, sondern lediglich verdienen und erwerben – wir bauen es nicht, es wächst.
Das Konzept der Kontextkontrolle erklärt demnach, wie und weshalb Kommunika-
tionsmanagement in komplexen sozialen Systemen wirkt und auch „Resultate“ erzielt.
Das Konzept ist jedoch keinesfalls zu verwechseln mit laissez-faire. Schon das Bild
des Gärtners vergegenwärtigt, dass Kontextkontrolle durchaus harte Arbeit bedeutet.
Unter Kontextkontrolle ist kontinuierliches, kreatives Arbeiten an Bedingungen zu
verstehen, die dazu zu führen, dass sich günstige, im besten Fall sogar die gewünsch-
ten Resultate nach und nach von selbst, auf Grund der Eigendynamiken des Systems
einstellen. Das heißt zum einen, dass der Kommunikationsmanager, wie der Gärtner,
die Eigengesetzlichkeiten des Systems bis zu einem Grad kennen, ja kontinuierlich
beobachten, lernen und wieder-erlernen muss. Es heißt zum anderen aber auch, dass er
sich von der Vorstellung vollständiger Kontrolle verabschieden muss. De facto dürfte
es so sein, dass viele PR-Praktiker sich der Grenzen direkter, unmittelbarer Beeinflus-
sung ganz und gar bewusst sind. Viele PR-Praktiker, so unsere Vermutung, praktizie-
164 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

ren seit Jahr und Tag, was wir theoretisch beschreiben – einige, ohne jemals darüber
nachgedacht zu haben; andere ohne über den wissenschaftlichen Jargon zu verfügen,
aber eingedenk der Tatsache, dass ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen Kon-
struktion und Kultivierung.
Die theoretische Diskussion begann mit der Frage des Systemtheoretikers Willke
(vgl. Eingangszitat), wie Akteure in komplexen sozialen Systemen intervenieren kön-
nen, ohne erratische, kontraproduktive oder disruptive Effekte zu verursachen. Sie en-
det mit einer vorläufigen Antwort: jedenfalls sehr viel weniger so wie der Ingenieur ei-
ne Brücke konstruiert, und sehr viel mehr so wie der Gärtner auf das Wachstum und
Gedeihen seiner Pflanzen Einfluss nimmt.
Die Rede von der Kultivierung bleibt freilich metaphorisch. Und auch wir sehen
nach wie vor die Herausforderung, den soziokybernetischen Ansatz auszubuchstabie-
ren. Es gilt zu einer Theorie zu gelangen, die nicht bloß qua wissenschaftlichem Jargon
einen diffusen Hintergrund bildet, sondern faktische und konkrete PR-Taktiken, Stra-
tegeme und Strategien soziokybernetisch beschreibt, erklärt, ja unter Umständen sogar
Vorhersagen möglicher Entwicklungspfade gestattet.
Eine vollumfängliche soziokybernetisch inspirierte PR-Theorie ist demnach der
nächste Schritt – er ist hier nicht leistbar. Gleichwohl wollen wir aufzeigen, wie einige
der angesprochenen Grundbegriffe – Komplexität, Kontextkontrolle, Regeln – dazu
geeignet sind, gängige und allseits bekannte PR-praktische Probleme als Steuerungs-
und Kontrollprobleme zu formulieren, auf allgemeinere Prinzipien zurückzuführen.

3.1 Die Strukturdimension: Komplexität erfordert Komplexität

Im gängigen Managementverständnis wird Komplexität als ein Problem gesehen, wel-


chem durch Reduktion zu begegnen ist. Das ist auch das, was Managementsysteme
wie etwa die Balanced Scorecard versuchen: die Komplexität der Organisation und ih-
rer Geschäfte zu komprimieren auf einige wenige Kennzahlen – „the handful of mea-
sures that are most critical“, wie Kaplan und Norton es ausdrücken (1992: 73).
Komplexitätsreduktion bis zu einem Grad ist freilich immer notwendig, und Ka-
plan/Norton zeichnen ein plausibles, attraktives Bild von der Art und Weise, wie Ba-
lanced Scorecards Komplexität reduzieren – übrigens ein technomorph geprägtes. Je-
doch gilt es zu sehen, dass Komplexitätsreduktion durchaus Gefahren birgt (Wehmeier
2006). Baecker weist beispielsweise darauf hin, dass die kurzfristige Reduktion von
Komplexität längerfristig genau das Gegenteil bewirkt: Es kommt zu einer Komplexi-
tätssteigerung (Baecker 1999). Denn die Kennzahlen, die heute wichtig sind, sind
morgen schon weniger wichtig, übermorgen ganz und gar unwichtig. Die Konsequenz
ist, dass auch das Managementsystem des Managements bedarf – entweder man hält es
up-to-date oder akzeptiert, dass es sich nach und nach von den relevanten Steuerungs-
größen entfernt.
Aus soziokybernetischer Perspektive lässt sich sagen, dass es hinsichtlich Komple-
xität keinen billigen Ausweg gibt. Komplexität ist nicht nur das Problem, sondern auch
die Lösung. Ebenjene Gesetzmäßigkeit ist es, welche Ashby bereits 1956 als „Law of
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 165

Requisite Variety“ formulierte: Varietät, also Komplexität, lässt sich nur mit entspre-
chender Varietät beherrschen. Ashbys Gesetz ist von entscheidender Bedeutung, wenn
man sich beispielsweise die Frage stellt, über welchen „Apparat“ eine Kommunikati-
onsmanagerin verfügen muss, um sinnvoll und zielgerichtet in der Organisation und
ihrer Umwelt intervenieren zu können. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass
Ashbys abstraktes Gesetz das Prinzip ist, welches hinter vielen Praktikerregeln und
Berufserfahrungen steckt.
Jeder Praktiker wird beispielsweise bestätigen, dass Kommunikationsmanager ein
ausgedehntes Netz von Kontakten innerhalb und außerhalb der Organisation benöti-
gen. Um die Organisation und ihre Umwelt zu verstehen, genügt es nicht, diese aus ei-
ner einzelnen, festen Perspektive zu sehen. Es bedarf einer Vielzahl von Perspektiven,
um die vielen Aspekte und Positionen zu berücksichtigen, welche Kommunikations-
entscheidungen treiben.
Nicht nur das Netzwerk des Kommunikationsverantwortlichen sollte die Komplexi-
tät der Umwelt widerspiegeln, auch die Struktur und Organisation der Abteilung sollte
eine Isomorphie zur Umwelt aufweisen. Anders ausgedrückt: Die Grenzen von Teams
sollten in erster Linie in der Umwelt, nicht primär in der Organisation relevante Gren-
zen reflektieren: also etwa Themen oder Teilöffentlichkeiten. Denn wo der PR-
Verantwortliche für eine spezifische Teilöffentlichkeit die „Sprache“ ebenjener spricht,
generiert die Interaktion zwischen Organisation und Umwelt sehr wenig zusätzliche
Komplexität – wo die Organisationssprache aber unvermittelt und unübersetzt auf die
Sprache der Teilöffentlichkeit prallt, entsteht komplexes Kauderwelsch.
Übrigens ist es gerade das Komplexitätsargument, welches dazu führt, dass sozio-
kybernetische Theorie skeptisch bleibt gegenüber Versuchen, Kommunikationsmana-
gement einen monetären Wert beizumessen. Zwar erkennen wir an, dass es Bereiche
gibt, wo das möglich und sinnvoll ist. Hier handelt es sich aber um Zusammenhänge,
wo Umwelt und Organisationen auf vergleichbarem Komplexitätsniveau miteinander
interagieren: also z.B. im Bereich der Produkt-PR, wo sich die Frage stellt, wie viel
mehr Produkte durch PR verkauft, oder welcher höhere Preis durch PR gerechtfertigt
wurde.
Ganz anders sieht es aus, wo Kommunikationsmanagement die „licence to operate“
eines Unternehmens gegenüber Einflüssen aus der Umwelt schützt, die nicht, wie Pro-
duktabsatz, von vornherein in betriebswirtschaftlicher Logik erfass- und darstellbar
sind. Niemand dürfte ernsthaft in Abrede stellen, dass Kommunikation einen wertvol-
len, mitunter überlebensnotwendigen Beitrag leistet, wenn aufgebrachte Verbraucher
das Unternehmen boykottieren oder Umweltschützer die Werkstore belagern. Die
niedrigkomplexere betriebswirtschaftliche Unternehmenslogik ist aber nicht in der La-
ge, die höherkomplexe Gesellschaftslogik 1:1 widerzuspiegeln. Das zeigt sich beson-
ders eindrücklich, wo der Wert verhinderter, sozusagen „abgewehrter“ gesellschaftli-
cher Durchgriffe auf die Organisation monetär nachgewiesen werden soll. Selbst neue-
re betriebswirtschaftliche Ansätze wie Stakeholder-Management verstricken sich hier
in Schwierigkeiten, weil sie in letzter Konsequenz nichts anderes versuchen, als die
166 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

Komplexität der betriebswirtschaftlichen Logik auf ein höheres Niveau zu heben. Das
führt entweder zum Aufgeben genuin betriebswirtschaftlicher Logik oder es ist zum
Scheitern verurteilt: Die Komplexität der Gesellschaft ist niemals ganz und gar be-
triebswirtschaftlich abbildbar, denn sie ist nicht betriebswirtschaftlicher Natur.

3.2 Die Informationsdimension


Für PR-Praktiker sind „Kontakte“ von allergrößter Bedeutung. Soweit wir das über-
blicken, gelingt es kaum einer PR-Theorie, die enorme Bedeutung von Kontakten ad-
äquat widerzuspiegeln. Für die soziokybernetische Theorie repräsentieren Kontakte je-
doch Information. Information dient zum einen der Komplexitätssteigerung. Hier han-
delt es sich um den Zusammenhang, der bereits an anderer Stelle besprochen wurde:
Der Kommunikationsmanager spricht mit vielen Personen und verfügt dadurch über
ein vielfältigeres, also komplexeres Bild der Organisation und ihrer Umwelt. Es ließe
sich auch sagen: Der Kommunikationsmanager steigert seine eigene Komplexität. Zum
anderen dient Information aber auch der Komplexitätsverringerung. Nehmen wir einen
Kommunikationsmanager, der sich einer mächtigen, großen Behörde, der Europäi-
schen Kommission etwa, gegenübersieht. Zunächst weiß der Manager nur, dass er es
mit einer Institution zu tun hat, die sich zwar aus individuellen Akteuren zusammen-
setzt, ihm gegenüber jedoch als kollektiver Akteur auftritt. Je mehr er mit der Behörde
interagiert, desto mehr Informationen sammelt der Manager aber. Sein Bild von der
Behörde wird komplexer im ersteren Sinne: präziser. Es wird jedoch auch weniger
komplex: einfacher. Was vorher die Europäische Kommission in einem vagen, diffu-
sen Sinne war, reduziert sich jetzt auf ein Dutzend Key Player, die für das spezifische
Anliegen unseres Akteurs von entscheidendem Interesse sind. Es ließe sich auch sa-
gen: Der Kommunikationsmanager hat Informationen genutzt, um die Komplexität der
Umwelt für sich zu reduzieren. Komplexitätssteigerung des Akteurs, Komplexitätsver-
ringerung der Umwelt sind also Kehrseiten ein- und derselben Medaille. Verknüpft
man dies mit den Ausführungen, welche zur Dualität von Kontrolle und Information
gemacht wurden, versteht man die zentrale Rolle der Information bei der Ausarbeitung
und Durchführung von Kommunikationsstrategien.

3.3 Die Regeldimension


Bedingungen zu schaffen, welche die eigendynamische Entwicklung gewünschter Re-
sultate begünstigen, setzt eine Kenntnis der Eigengesetzlichkeiten voraus, entlang de-
rer die Entwicklung verläuft.
Eigengesetzlichkeiten stellen in letzter Konsequenz nichts anderes dar als Regeln.
Von Regeln ist auf verschiedenen Ebenen zu sprechen. In der Presse- und Medienar-
beit ist es beispielsweise von Vorteil, die Regeln des journalistischen Handwerks zu
beherrschen: Wie schreibt man eine Nachricht, was erwarten Journalisten in einem In-
terview, wann hat eine Zeitung Redaktionsschluss etc. Die handwerklichen Regeln
journalistischen Arbeitens stellen freilich die grundlegende Ebene dar. Fortgeschrittene
PR-Praktiker entwickeln darüber hinaus ein Gefühl für die Gesetzmäßigkeiten journa-
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 167

listischer Ko-Orientierung und die Dynamiken der Interaktion zwischen Journalismus


und PR – mit anderen Worten, sie lernen die Regeln. Sie wissen z.B., dass eine Story
nur halb so viel wert ist, wenn sie das Konkurrenzblatt einen Tag früher „bringt“.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Wo von Regeln die Rede ist, geht es uns
um Gesetzmäßigkeiten der tagtäglichen, konkreten Interaktion, nicht um journalisti-
sche Standesregeln. PR-Manager interessiert es herzlich wenig, ob und unter welchen
Bedingungen sich Journalisten an „off-the-record“-Vereinbarungen halten sollten –
PR-Manager interessiert, auf Basis welcher Überlegungen sie vorhersagen können, ob
der spezifische Journalist dies im spezifischen Fall tut oder nicht. Und hier, so unsere
These, gelten für verschiedene journalistische Felder verschiedene Regeln. Im hoch-
kompetitiven Boulevardjournalismus haben aggressive Journalisten wenig Interesse
daran, langfristige freundschaftliche Beziehungen zu ihren Äquivalenten auf der ande-
ren Seite des Schreibtisches aufzubauen. Boulevardjournalisten suchen nicht die akku-
rate, plausible Geschichte hinter der Geschichte, sondern die Sensation. Auf der ande-
ren Seite sind Publikationsfelder zu sehen, welche sich als quasi-journalistisch be-
zeichnen ließen: Anzeigenblätter etwa, die ökonomisch von Anzeigenkunden abhängig
sind; oder Fachzeitschriften in Segmenten, wo lediglich zwei, drei Anzeigenkunden in
Frage kommen. Hier gelten völlig andere Regeln der Interaktion zwischen Public Rela-
tions und Journalismus.

3.4 Die Dimension der „Accountability“


Das Prinzip der ökologischen Kontrolle verweist darauf, dass Organisationen sich in
Milieus bewegen, wo sie den Einflüssen verschiedener Gruppierungen und Teilöffent-
lichkeiten ausgesetzt sind. Organisationen sind darauf angewiesen, als glaub- und ver-
trauenswürdig zu gelten, ihnen muss Legitimität zugesprochen werden. Falconer
(2002) bezeichnet dies als externe Accountability, als Verantwortung, als „Zurech-
nungsfähigkeit“ also. Ebenjene ist aber nicht Eigentum des Unternehmens, nicht Kapi-
tal, sondern ein von außen, durch Dritte zugebilligter Status. Folgt man Falconer, so
sind zwei Konzepte von entscheidender Bedeutung. Das erste Konzept ist Transparenz.
Unternehmen werden zu Transparenz gezwungen. Sie versuchen diesem Anspruch
durch Veröffentlichung von Daten, wie etwa durch Social Reporting oder Sustainabili-
ty Reporting, gerecht zu werden. Das zweite Konzept ist Verantwortung. Nur Organi-
sationen, die verantwortlich agieren, wird Accountability zugesprochen werden. Ac-
countability ist also nicht etwas, was sich wie ein Industrieprodukt am Fließband her-
stellen lässt, sondern das Resultat einer Interessen- und Machtkonstellation sowie des
Geltens verschiedener Regeln, welche Erwartungen und Erwartungserwartungen steu-
ern.
„Accountability in komplexen Systems ist nichts Konsistentes, sondern ein Konstrukt, das
vielen ‚Realitäten‘ unterliegt. Es ist subjektiv (jeder Stakeholder hat seine eigene Sicht der
Dinge) und oftmals stillschweigend (eine Verbalisierung ist oft schwierig oder sinnlos). Ac-
countability entzieht sich der seriösen Modellierung oder gar Quantifizierung auf konventio-
nellem Wege. […] Die Grenzen der Accountability sind vage und werden selten, und dann al-
lenfalls oberflächlich ausgetestet.“ (Falconer 2002: 31).
168 Howard Nothhaft / Stefan Wehmeier

Dass Vertrauen und Legitimität kritische Faktoren für Unternehmen sind, ist keines-
wegs neu. Es bedarf keiner betriebswirtschaftlichen Komplexitätstheorie (Allison/ Kel-
ly/Cook 1999) um das zu sehen. De facto sind Vertrauenstheorien und Ansätze, welche
die Wichtigkeit von Legitimität betonen (Dowling/Pfeffer 1975), sehr viel älter als die
Karriere der Komplexitätstheorie in den Sozialwissenschaften.
Die Bedingungen zu schaffen, welche ein positives Medienimage begünstigen,
setzt voraus, dass die Kommunikation eines Unternehmens kongruent ist mit seinem
Handeln – und das dauerhaft. In einer globalen Weltwirtschaft, die mehr und mehr von
der kurzfristigen Börsen- und Shareholder-Value-Logik bestimmt ist, fällt es Unter-
nehmen jedoch schwer und schwerer, diesem Anspruch gerecht zu werden. Wo Unter-
nehmen sich konfligierenden Anspruchshaltungen in einer schnelllebigen, turbulenten
Umwelt ausgesetzt sehen, wird es unter Umständen geradezu unmöglich, längerfristige
Pläne zu verfolgen – und damit auch, dauerhaft zu sagen was man tut, und zu tun was
man sagt.
Das heißt nicht, dass Pläne, insbesondere aber Planung nicht immer noch von Be-
deutung wären. Aber Programme und Aktionen sollten aus strategischer Flexibilität
heraus erwachsen: komplexe soziale Systeme verändern sich nicht nur sporadisch, sie
sind in ständiger Veränderung begriffen. Strategische Flexibilität bedeutet also nicht
nur, Strategien von Zeit zu Zeit zu überprüfen, sondern Veränderung als Konstante zu
begreifen. Das Grundverständnis von Strategie ist demnach nicht sture Planerfüllung,
sondern ein geradezu hartnäckiges Beharren auf Anpassung (Weber 2007). Strategi-
sche und operative Flexibilität sind „fundamental, wo es darum geht, eine organisatori-
sche Landschaft zu schaffen, in der aufkommende Themen schnell aufgegriffen und
die Unternehmensstrategie flexibel angepasst werden kann, um ihnen zu begegnen und
sie zu gestalten.“ (Falconer 2002: 36)

4 Fazit
Ziel des vorliegenden Beitrags war es, das grundlagentheoretische Fundament für eine
fortgeschrittene Theorie des Kommunikationsmanagement vorzuzeichnen. Wir argu-
mentieren, dass die Kybernetik in ihrer ambitionierten Ausprägung als Soziokyberne-
tik besonders gut geeignet ist, als ein derartiges Fundament zu dienen. Als metatheore-
tische Basis gestattet sie es, Organisationen und ihre Umwelten als komplexe soziale
Systeme zu begreifen. Aus Sicht der Soziokybernetik sind derartige Systeme nicht
„kontrollierbar“ in der Art und Weise, die Unternehmens- oder Kommunikationsbera-
tungen propagieren. Sie sind nicht durch Kommunikation „steuerbar“, auch wenn
manche PR-Theorie dies suggeriert. Simplifizierende Ansätze führen deshalb in die Ir-
re, zu falscher, sogar schädlicher Kommunikation.
Als einen Gegenentwurf schlagen wir das Konzept der Kontextkontrolle vor, wel-
ches unserer Meinung nach den Modus Operandi von Kommunikationsmanagement
sehr viel plausibler beschreibt. Kontextkontrolle heißt Bedingungen zu schaffen und zu
erhalten, welche es gestatten, dass sich günstige oder sogar gewünschte „Resultate“
Vom Umgang mit Komplexität im Kommunikationsmanagement 169

gemäß ihrer Eigengesetzlichkeiten, entlang der Systemdynamiken entwickeln. Ein


Image zu kultivieren anstatt es zu konstruieren; Vertrauen fördern statt es zu bauen.

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Public Relations – die Lizenz zur Mitgestaltung
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Umrisse einer neuen PR-Theorie

Lothar Rolke

1 Die Praxis funktioniert auch ohne Theorie


Nichts ist praktischer als eine gute Theorie, hat sich als geflügeltes Wort bei denjeni-
gen eingebürgert, die sich ihrer Erkenntnisgrundlagen auf wissenschaft-lichem Weg
vergewissern möchten.1 Und zugleich den Anspruch auf Nutzwert für die Praxis nicht
aufgeben wollen. Auch in der eher sporadisch geführten Diskussion um eine Theorie
der Public Relations lässt sich dieser Anspruch entdecken (vgl. Merten 1993: 55).
Doch Hand auf Herz und Stirn: Wie viel ist tatsächlich von dem zu gebrauchen, was da
durch Nachdenken und vor allem Nachlesen entstanden ist (vgl. dazu kritisch Avenari-
us 2000: 37ff.)? Vor allem für wen und wofür? Gerade mit Blick auf das Missverhält-
nis von blanker Reproduktion (Stand der Forschung wiedergeben), endloser Beschrei-
bung des Sachverhalts (Gegenstand definieren und abgrenzen) und Methodendiskussi-
on (Qualitätsanspruch beweisen) einerseits und dem wirklich Neuen einer Arbeit ande-
rerseits mag schon unter zeitökonomischen Aspekten Zweifel angebracht sein. Was al-
so bringt die PR-Theorie und Theorie-Diskussion dem praktisch Orientierten wirklich?

1
Wer bei Google dieses Zitat eingibt, dem werden über 900 Einträge angezeigt. Allerdings verbindet der
gedankliche Urheber Plato mit diesem Anspruch einer praxis-nützlichen Theorie eher die Vorstellung
einer (quasi-religiösen) Lebensweise: „Die Theorie verspricht einen Bildungsprozess, der Erkenntnis-
und Heilsweg in einem ist. Sie löst eine Katharsis aus, die zur Umkehr des Gemüts, zu einer heilsamen
Konversion des Geistes führt“ (Habermas 1999: 319f). In einer heutigen säkularen Form kann dieser
Anspruch nur noch erfüllt werden, wenn wir bereit sind, Erkenntnisse dem praktischen Scheitern in
konkreten Anwendungssituationen auszusetzen. Beispielsweise, wenn sich Beraterwissen in der Praxis
bewähren muss. Dann gilt: „Wir lernen aus Enttäuschungen, indem wir Überraschungen mit abduktiver
Urteilskraft verarbeiten und das problematisch gewordene Wissen revidieren“ (ebd. 108). Und zwar
meistens in handlichen Dimensionen, weil es nur so verhaltenswirksam werden kann.
174 Lothar Rolke

Bekanntlich stellt eine Theorie nichts anderes als ein wissenschaftliches Deutungs-
angebot dar, auf das keiner zwingend zurückgreifen muss: „Wissenschaftler mögen
zwar durchaus der Meinung sein, dass sie die Realität besser erkennen, als sie (bei-
spielsweise, L.R.) in den auf ‚Popularisierung’ verpflichteten Massenmedien darge-
stellt wird. Aber das kann nur heißen: die eigene Konstruktion mit einer anderen zu
vergleichen“ (Luhmann 1996: 20). Auch das Management in den Unternehmen deutet
und konstruiert sich „seine“ Realität nach eigenen (bewährten?!) Erfolgsregeln, was
nichts anderes heißt, als dass es sich unter dem Gesichtpunkt der Zweckmäßigkeit eine
eigene „Vorstellung über die Umwelt aufbaut“ (Hinterhuber 1996: 8). Ob dann das
daraus abgeleitete Handeln im Sinne der Organisation tatsächlich erfolgreich ist oder
nicht, hängt nicht von einem explizierten Theoriebezug ab. Wirtschaftlicher, politi-
scher oder auch kommunikativer Erfolg kann sich bekanntlich auch ohne theoretische
Reflexion einstellen. Insofern ist Wissenschaft gut beraten, die Praxis als Kunden mit
seinen spezifischen Nutzen-Erwartungen zu akzeptieren, wenn sie ihre gesellschaftli-
che Relevanz behaupten will.
Nutzen oder neue verwertbare Erkenntnis schafft Theorie doch nur dann, wenn sie
dort ansetzt, wo die Praxis nicht mehr weiterkommt: Bei Problemen, widersprüchli-
chen Daten und Orientierungslosigkeit. Und dabei neue, erfolgswahrscheinliche Wege
aufzeigt. Wer auf diese Weise den Anspruch ernsthaft einlösen will, dass Theorie der
Praxis von Nutzen ist, der muss zunächst einmal Feldkompetenz besitzen. Also den
Gegenstand, den er untersuchen will, aus der Praxisperspektive verstehen. Er muss
ferner fähig sein, gedanklich das angestammte Handlungsfeld auf unterschiedlichen
Abstraktionshöhen zu verlassen und nach einer (möglicherweise auch sehr weiten)
Wegstrecke mit einem neuen Blick und neuen Ideen zurückzukehren. Und er muss
schließlich darauf achten, dass er auf dieser Reise all jene Rezipienten nicht verliert,
die wegen der erwarteten neuen Erkenntnisse für das eigene Handeln die Beschwer-
lichkeit der Gedankenreise auf sich genommen haben. Denn mit seinen Lesern ist auch
der wissenschaftliche Autor eine Art Vertrag eingegangen (vgl. Franzen 2002).
Franz Ronneberger und Manfred Rühl haben durchaus Recht mit ihrem Hinweis:
Von all denjenigen, die Theorie-Diskussionen mitverfolgen, „muss erwartet werden,
dass sie die vertrauten Denkbahnen verlassen und bereit sind, sich dem Problemfeld
Public Relations einmal anders als gewohnt zu nähern“ (dies. 1992: 14). Doch – diese
Frage muss hier auch zugelassen werden – wie groß ist der Gegenwert, den der Leser
für all die verlangten Mühen und Anstrengungen erhält. Am ehesten scheint ein ange-
messener Lesegewinn dann in Aussicht zu stehen, wenn das angebotene Theoriemate-
rial gleichermaßen von Feldkompetenz, Abstraktionsvermögen und Rezipientenfreund-
lichkeit durchformt wird.
Dieser sicherlich auf Erfahrung und Reflexion basierende, aber doch vortheoretisch
bleibende Dreiklang der Erwartungen lässt sich übrigens auch als Qualitätsprofil für
eine Theorie der Public Relations reformulieren. Und damit an die für den wissen-
schaftlichen Diskurs institutionell vorgegebene Kleiderordnung anpassen. Ich will
deswegen ganz im Sinne wissenschaftlicher Qualitätssicherung zunächst die wesentli-
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 175

chen Anforderungen an eine Theorie der Public Relations systematisch entwickeln und
sie auf diesem Weg dem diskursiven Härtetest der wissenschaftlichen Kritik aussetzen
(vgl. Abschnitt 2). Erst dann will ich wenigsten in Umrissen den Ansatz einer neuen
Theorie der Public Relations skizzieren (vgl. Abschnitt 3). Die wesentlichen Einsich-
ten werde ich in Hinblick auf die PR von Unternehmen spezifizieren (vgl. Abschnitt 4)
und mit der Frage nach der Wirkungskontrolle verbinden (vgl. Abschnitt 5), bevor die
wichtigsten Ergebnisse noch einmal zusammengefasst werden (vgl. Abschnitt 6).

2 Anforderungen an die Theoriebildung


PR-Theorie teilt mit aller anderen sozialwissenschaftlichen Theoriebildung bekanntlich
das Problem der „doppelten Hermeneutik“: Nicht nur die Datenbeschreibung ist theo-
rieabhängig, sondern die Gegenstände der Beschreibung entziehen sich durch ihre
symbolische Vorbelastung der „bloßen Beobachtung“ (Habermas 1981: 162). Insofern
ist eine PR-Theorie auch vor dem Hintergrund der generellen Anforderungen an sozi-
alwissenschaftliche Theoriebildung zu reflektieren und zu konkretisieren.
Die Qualitätsanforderungen an eine Theorie der PR können dann als gewährleistet
gelten, wenn die folgenden vier Kriterien erfüllt sind:
1. Die Beachtung der Innenansicht von Wirklichkeit, die gegeben ist, wenn eine hin-
reichende Nähe zu der sich fortwährend selbst interpretierenden Wirklichkeit be-
steht.
2. Die Beachtung der gesellschaftlichen Komplexität, wodurch berücksichtigt wird,
dass PR nur im Kontext einer modernen hochdifferenzierten Gesell-schaft, die in-
dividuelles Handeln immer schon präjudiziert, funktionieren kann
3. Die Beachtung von Theorien kleinerer Reichweite, deren gelungene Integration in
größere Theoriezusammenhänge die Wahrheitswahr-scheinlichkeit beider hebt, was
im Übrigen auch für die Übernahme von Erkenntnissen aus benachbarten Diszipli-
nen gilt.
4. Die Beachtung der Zeit, womit der Anspruch verbunden ist, die Dynamik realer
Veränderungen durch methodische Innovationen antizipierend zu berücksichtigen.

Ad 1: Die Beachtung der Innenansicht von Wirklichkeit. Sich Public Relations vorzu-
stellen, heißt, zunächst einmal sich konkrete Handlungen vorzustellen: Pressemittei-
lungen verfassen, mit Journalisten oder anderen Meinungsmachern sprechen, Image-
anzeigen veröffentlichen oder einen „Tag der offenen Tür“ organisieren u.v.m. Alles
mit dem generellen Ziel, die Reputation einer Organisation und die Beurteilung ihrer
Leistungen in der Öffentlichkeit zu verbessern, um vielleicht an Einfluss zu gewinnen
oder zumindest (potenzielle) Kritik zurückzudrängen.
Wenn über solche Handlungen dann methodisch nachgedacht wird, kann (wissen-
schaftliche) Erkenntnis entstehen. Aber am Ende steht immer die Frage der Praxistaug-
lichkeit: „Als empirischer Prozess hat Denken ein konkreten Zweck zu erfüllen“ beton-
176 Lothar Rolke

ten schon die Gründungsväter des Pragmatismus, Charles S. Peirce und William Ja-
mes: „Es soll den Zweifel zur Ruhe bringen und uns zum Handeln befähigen, indem es
zu einer Überzeugung führt […] Eine Überzeugung (wiederum, L.R.) ist […] eine
Gewohnheit des Verhaltens, die in der Bereitschaft besteht, unter bestimmten Umstän-
den auf bestimmte Weise zu handeln“ paraphrasiert Pape (2002: 61) diesen philosophi-
schen Ansatz. Solange unser Handeln erfolgreich ist, haben wir aus pragmatischer
Sicht wenig Grund nachzudenken. Wir handeln wie immer: Veranstalten als PR-
Manager Pressekonferenzen, publizieren Geschäftsberichte und diskutieren vielleicht
mit Greenpeace. Und wir sind überzeugt, dass damit das Image des Unternehmens
verbessert wird. „Aus der Perspektive lebensweltlicher Routinen wird die Wahrheit
von Aussagen als solche erst zum Thema gemacht, wenn gescheiterte Praktiken und
auftretende Widersprüche die bis dahin geltenden Selbstverständlichkeiten als bloß ‚in
Anspruch genommene Wahrheiten‘, d.h. als grundsätzlich problematische Wahrheits-
ansprüche zu Bewusstsein bringen.“ (Habermas 1999: 52).
Nur weil (PR)-Handeln scheitern kann, provoziert es die Chance zum Nachdenken.
Und wissenschaftliche Reflexion wird daraus, wenn das eigene Tun explizit durch
vermeintlich gültiges Wissen begründet, der Realität dann ausgesetzt und – soweit Dif-
ferenzen auftreten – mit anderen reflektiert wird. Das erfordert zwingend sprachliche
Verständigung, die sich aber immer wieder der Veto-Autorität der Wirklichkeit stellen
muss: „Erst die sprachliche Darstellung des Gewussten und die Konfrontation des
Wissens mit einer Realität, an der eine begründete Erwartung scheitern kann, ermögli-
chen einen rationalen Umgang mit Wissen“ (ebd. 108). Damit ist auch in der wissens-
theoretischen Perspektive der entscheidende Bezugspunkt aller Reflexionen noch ein-
mal bekräftigt: das Handeln in der Praxis. Konsequent haben sich daher die Pragmati-
ker von Anfang an gegen die Vorstellung gewandt, „dass irgendeine Art von Erkennt-
nis, ob in der Philosophie oder in den Wissenschaften, imstande sei, ohne Bezug auf
Handeln oder Praxis eine in sich abgeschlossene Theorie zu formulieren“ (Pape 2002:
23).
Diese Rückbesinnung auf die Praxis ist erkenntnistheoretisch keineswegs unpro-
blematisch, weil letztere weder selbstevident noch selbstredend ist, sondern sich fort-
während verändert und selbst interpretiert. Demnach gilt: Wer die Praxis verstehen
will, muss erfahrungsgemäß über eine Binnenperspektive als Teilnehmer verfügen.
Wenn sich nun also ein Dritter – sei er ein Wissenschaftler oder nicht – ein Bild von
der PR-Praxis macht, sogar beschreibt, ist immer erst einmal zu prüfen, inwieweit sich
ihm die Realität tatsächlich erschlossen hat oder nicht. Ohne dem geht es nicht: Denn
„das Verstehen einer symbolischen Äußerung erfordert grundsätzlich die Teilnahme an
einem Prozess der Verständigung. Bedeutungen, ob sie nun in Handlungen, Institutio-
nen, Arbeitsprodukten, Worten, Kooperationszusammenhängen oder Dokumenten ver-
körpert sind, können nur von innen erschlossen werden.“ (Habermas 1981: 165
H.i.O.).
Wer sich also nur auf das Beobachten beschränkt (ohne Teilnahme), dem droht die
auch im wissenschaftlichen Zusammenhang unverzichtbare Verständnisfähigkeit ver-
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 177

loren zu gehen. Auch die PR-Wissenschaft ist nicht davor gefeit, auf bestimmte
Aspekte der Praxis mit Unverständnis zu reagieren. Jedenfalls dann, wenn sie auf eine
übermäßige Distanz setzt. Von einem Übermaß an Distanz muss gesprochen werden,
wenn sich der Prozess des Vorstellens von Realität nicht nur vom praktischen Handeln
(zeitweilig) entkoppelt (das kann durchaus erwünscht sein), sondern dann, wenn er an-
schließend nicht mehr die Rückverbindung zum praktischen Handeln schafft.
Je mehr sich (PR-)Wissenschaft ungeprüft und ausschließlich auf ihr eigenes Kate-
goriensystem verlässt – also ihre Theoriesprache mit der Realität verwechselt –, desto
mehr wird ihr das aus dem Blick geraten, was sie vorgibt zu untersuchen. Nicht etwa
die Sprache ist dabei das Problem, sondern der Verstehensprozess, also das Einlassen
auf explizite wie implizite Bedeutungen bzw. die Selbstinterpretation der Handelnden,
die durch Handlungserfolg immer auch ein Deutungsrecht erwerben.
Allerdings ist auch die umgekehrte Akzentuierung kritisch zu bewerten: Denn die
(PR-)Wirklichkeit ist keine „nackte Wirklichkeit“, sondern selber immer schon
„sprachlich imprägniert“ und damit vorinterpretiert (vgl. Habermas 1999: 48). Deswe-
gen muss sich eine Theorie der Public Relations immer wieder kritisch die Bedeutung
der konkreten Handlungen, Dokumente, etc. von innen her erschließen, ohne dabei auf
den epistemischen added value von Abstraktion zu verzichten. Das bedeutet, dass das
Verhältnis von Theorie und Praxis gerade keinen prinzipiellen Gegensatz bilden darf.
Denn wenn beide – über welche Zwischenschritte auch immer – nicht kompatibel wä-
ren, müsste auf Dauer von einer Erkenntnisstörung ausgegangen werden.
Der Praktiker muss die Wirkungen von PR managen können, egal wie er sich das
Zusammenspiel der einzelnen Faktoren und Sachverhalte denkt. Erfolg ist für ihn
wichtiger als Recht zu behalten. Demgegenüber muss der Theoretiker die Sachverhalte
verstehen. Die Sichtweisen und Sprachen beider mögen also verschieden sein. Den-
noch muss es immer um ungefähr die gleichen Sachverhalte und Wirkungszusammen-
hänge gehen. Denn nur wenn eine gewisse Kompatibilität zwischen Erkennen und
Handeln besteht, können Erkenntnisse überhaupt sichtbar scheitern. Wären Handlung
und Denken vollständig entkoppelt, gäbe es auch kein Scheitern. Und Theoretiker wie
Praktiker könnten getrost ihre eigenen Wege gehen. Auf der Strecke bliebe allerdings
die Generierung neuer Erkenntnisse.

Ad 2: Die Beachtung der Komplexität von Gesellschaft. PR-Handeln zielt aus Sicht der
Akteure immer auf konkrete Wirkungen wie die Veränderung von Meinungen, das
Auslösen eines bestimmten Verhaltens oder einfach nur auf die Steigerung des Wis-
sens bei den Zielgruppen. Dabei kommunizieren die Akteure nicht ohne Beeinflussung
durch die Hintergrundbedingungen, die präjudizierend wirken. Manchmal sind die Ak-
teure sich dessen bewusst, manchmal nicht.
Unabhängig davon vollzieht sich PR-Kommunikation im Kontext von Organisatio-
nen wie Unternehmen oder Parteien, die ihrerseits wieder gesell-schaftlichen Imperati-
ven unterworfen sind. Wer diese Hintergrundbedingungen verstehen will, muss das
Phänomen PR auf unterschiedliche Abstraktionshöhen analysieren. Wodurch aller-
178 Lothar Rolke

dings die Wahrnehmungsperspektive wechselt: An die Stelle der Akteurssicht tritt mit
zunehmender Abstraktionshöhe die Systemperspektive. Statt die Handlungslogik zu
verstehen, gilt es die Systemlogik zu rekonstruieren, die als stumme Struktur Kontin-
genzspielräume des Handelns definiert.
Zur Abgrenzung von handlungsbezogenen, institutionellen und gesellschaft-lichen
Fragestellungen hat sich auch in der PR-Theorie die Unterscheidung von Mikro-, Me-
so- und Makroebene etabliert (vgl. Ronneberger/Rühl 1992: 249). Spannend ist die
Frage, welche Beziehungen diese Ebenen zueinander haben.
Erkenntnistheoretisch muss der Makroebene eine vorentscheidende Rolle zugewie-
sen werden, weil sie für die anderen Ebenen den Reflexionshintergrund abgibt, viel-
leicht sogar den kategorialen Rahmen schafft, mindestens aber die Erkenntnisreichwei-
te bestimmt. Der Grund dafür ist selbstevident: Weder Parteien oder Unternehmen
noch Individuen können außerhalb der Kommunikationslogik der Gesellschaft kom-
munizieren, zu der sie gehören.
Wer von der Makroebene spricht, kann nur Gesellschaft meinen und muss damit
das „Problem der Komplexität“ akzeptieren, das sich nicht mehr mit Kategorien der
Kausallogik erfassen lässt. Und wer dieses einmal (an)erkannt hat, kann kaum auf die
Systemtheorie mit ihrer Universalität und der damit verbundenen Erkenntnisreichweite
verzichten (vgl. Willke 1996) – auch nicht eine Theorie der Public Relations.
Vielmehr hat sie vor dem Hintergrund eines systemtheoretisch rekonstruierten Ge-
sellschaftsbegriffs die Grundfrage zu klären, welche Funktion in modernen Gesell-
schaften der PR zukommt oder zugespitzt formuliert: warum Public Relations in den
modernen Gesellschaften längst erfunden worden wäre, wenn es sie nicht bereits gäbe.
Die Antwort kann übrigens nicht in der „Herstellung und Bereitstellung durchset-
zungsfähiger Themen“ (Ronneberger/Rühl 1992: 297) liegen. Denn damit würde sie
ununterscheidbar zum Journalismus, wie Ulrike Röttger (2000: 33) zutreffend heraus-
gearbeitet hat. Auch der ursprünglich eher für die Meso-Ebene entwickelte Vorschlag,
PR „als Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten“ (Merten/Westerbarkey 1994)
zu verstehen und für die gesellschaftstheoretische Folierung weiterzuentwickeln, ver-
fängt nicht, weil jegliche Form gesellschaftlicher Kommunikation unvermeidlich kon-
struktiv und interessengeleitet ist, also die erwünschte Wirklichkeit herstellen will.
Und worin bestünde beispielsweise der Unterschied von PR zur Werbung?
Vorschläge nun, PR als System/Umwelt-Interaktion zu begreifen (vgl. exempla-
risch Faulstich 2000: 45), bleiben in dieser Form viel zu unspezifisch. Denn gesell-
schaftliche Subsysteme befinden sich fortwährend in den unterschiedlichsten Aus-
tauschbeziehungen mit ihrer Umwelt (vgl. Röttger 2000: 35) und kommunizieren dabei
über unterschiedliche Steuerungsmedien, beispielsweise auch über Macht und Geld
(Habermas 1981), die Luhmann bezeichnenderweise „symbolisch generalisierte Kom-
munikationsmedien“ oder neuerdings auch „Erfolgsmedien“ (ders. 1997) nennt. Doch
mit dem Gedanken, dass die System/Umwelt-Beziehungen bzw. die Inter-System-
Beziehungen funktional vorstrukturiert sind, lässt sich weiterarbeiten, wenn man den
Blickwinkel verändert: also die Umwelt/System-Prozesse genauer untersucht werden.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 179

Public Relations ist dann weder als selbständiges System wie etwa das Mediensy-
stem, das nach eigenen Regeln funktioniert, aber auch nicht allein über eine konkrete
Leistung wie die „Bereitstellung durchsetzungsfähiger Themen“ zu begreifen. Viel-
mehr schafft sie die Voraussetzung für eine Leistung, die eine sehr spezifische Um-
welt-System-Interaktion darstellt und für die modernen (Medien-)Gesellschaften un-
verzichtbar ist, weil angesichts sehr begrenzter Ressourcen nur so der große Bedarf an
Informationen sichergestellt werden kann. Im Gegensatz zur handlungsbezogenen
Wahrnehmung der Journalisten stellt PR aus gesellschaftstheoretischer Sicht ein An-
gebot des Mediensystems (bzw. in der erweiterten Fassung: des Orientierungssystems)
an die Umwelt (z.B. das politische oder ökonomische System) dar, systemkonform
Einfluss zu nehmen. Medien evozieren also zwangsläufig PR. Insofern sehe ich die ge-
sellschaftliche Funktion von PR – aus der Makroperspektive formuliert – „in der Be-
reitstellung eines funktionalen intersystemischen Interventionsprogramms zur Mitge-
staltung der öffentlichen Informations- und Interpretationsprozesse, vornehmlich im
Mediensystem. Dieses Interventionsprogramm unterwirft die Akteure systemkompati-
blen Handlungsmustern“ (Rolke 1999: 441). PR ist systemtheoretisch betrachtet also
kein Interventionsprogramm für das Mediensystem (vgl. Wehmeier 2003: 295f.), das
andere System instrumentell nutzen (das entspräche einer handlungstheoretischen
Sichtweise), sondern vom Mediensystem, um funktionskompatibel den Inputprozess
vorzustrukturieren.2
Habermas würde hier mit Blick auf den Anpassungszwang der Akteure vermutlich
einen weiteren Beleg für die „Kolonialisierung der Lebenswelt“ durch das System se-
hen. Doch diese kraftvolle Metapher verleitet zu einem Fehlschluss. Denn auch wenn
PR in der Akteurssicht mitunter wie ein „billiger“ Beeinflussungsversuch aussehen
mag, ist zunächst einmal die mit Public Relations verbundene „wertvolle“ Systemlei-
stung herauszustellen: Gesellschaften, die sich mit den unabhängigen Medien profes-
sionelle Beobachtungssysteme zur täglichen, aber gerade nicht an Wahrheitsansprü-
chen orientierten Selbstbeschreibung schaffen (Luhmann 1996), eröffnen den Beo-
bachteten mittels PR zugleich die Möglichkeit zur Intervention, Reklamation und Mit-

2
In Anlehnung an Norbert Elias (1983), der drei Grundfunktionen zur Überlebenssicherung von Gesell-
schaften identifiziert hat, lassen sich das ökonomische, das politisch-administrative und das Orientie-
rungssystem als die drei wichtigsten ausdifferenzierten (Sub-)Systeme begreifen (vgl. Rolke 1999). In-
nerhalb dieser Systeme haben sich weitere (Teil-)Systeme herausgebildet: innerhalb des Orientierungs-
systems z.B. das Mediensystem, das evolutionär dort in Führung gegangen ist. Alle Systeme (unabhän-
gig von Ebene und Komplexität) müssen ihre Interaktionen zur Umwelt organisieren, d.h. in Form von
Input- und Output-Programmen vorstrukturieren. PR lässt sich vor diesem Hintergrund als ein Input-
Programm des Mediensystems verstehen, das eine systemadäquate Intervention der Umwelt (also ande-
rer Systeme) ermöglicht. Je dominanter das Mediensystem im Orientierungssystem wird, desto stärker
mutiert PR zum Interventionen ermöglichenden Input-Programm des gesamten Orientierungssystems.
D.h. auch Wissenschaft und Kunst, Bildung und Religion müssen ihre Medientauglichkeit verbessern
und/oder erschlaffen in ihrer Orientierungsleistung. Während sich das Mediensystem über den Code
„Nachricht/Nicht-Nachricht“ steuert, unterscheidet das Orientierungssystem viel gröber zwischen „In-
formation“ und „Nicht-Information“. Wie sich beide zueinander verhalten ist selbstevident: Eine Nach-
richt ist immer eine Information, aber nicht jede Information ist eine Nachricht. Zu beobachten ist heu-
te, dass die Nachrichtentauglichkeit immer häufiger den Informationsgehalt „aussticht“.
180 Lothar Rolke

steuerung, um am Ende die Akzeptanz und Realiendeckung (vgl. dazu Rolke 1999a)
der publizierten Beobachtungsergebnisse zu verbessern. „Denn wie sollten die Medien
für ihre Berichte Glaubwürdigkeit und Authentizität gewinnen können, wenn sie die
Information nicht aus der gesellschaftlichen Kommunikation bezögen – mögen diese
recherchierte Sachverhalte, Indiskretionen, offizielle Pressemitteilungen oder was
sonst sein“ (Luhmann 1997: 1103).
Bereits auf der Makroebene ergeben sich daraus eine ganze Reihe spannender Fra-
gen, die nur im Rahmen einer leistungsfähigen Gesellschaftstheorie geklärt werden
können: Wie konstituiert sich dieses Interventionsprogramm in unterschiedlichen Ge-
sellschaften? Mit welchen anderen Interventionsprogrammen ist es vergleichbar? Wel-
chen Einfluss können dabei das politische und das ökonomische System in Hinblick
auf die Gesamtgesellschaft nehmen? In welchem Umfang ist diese PR-Funktion substi-
tuierbar bzw. welches sind die Bedingungen ihrer Emergenz? Etc. Viele weitere span-
nende Fragen ergeben sich auch unterhalb der Makroebene, die hier allerdings aus
Platzgründen nicht einmal formuliert werden können.
Theorie-konzeptionell ist allerdings davor zu warnen, die Systemtheorie zu totali-
sieren (vgl. bspw. Ronneberger/Rühl 1992). Denn sie unterstellt, dass sich aller persön-
licher Intentionen zum Trotz die Systemlogik gewissermaßen hinter dem Rücken der
Subjekte durchsetzt, die kategorial gar nicht mehr vorkommen. Wie sich System- und
Handlungstheorie ergiebig zusammenbringen lassen, hat Jürgen Habermas in seiner
„Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981) eindrucksvoll vorgeführt. Der theore-
tisch-konzeptionelle Trick besteht darin, zwei Perspektiven aufrechtzuerhalten und die
gleichen Phänomene von unterschiedlichen Standpunkten her zu denken. Im Vergleich
dazu zeigen sich bei all den Autoren Probleme, die eine Perspektive aufgeben und sich
mit einer eindimensionalen Erklärungslogik begnügen. Sei es, dass sie auch das Ak-
teurshandeln mit der Sprache der Systemtheorie beschreiben (vgl. dazu kritisch Röttger
2000: 34), was häufig so klingt, als würden Liebesbeziehungen in der Sprache von
Neurologen beschrieben, oder sei es, dass sie wie im Falle Burkarts (1996) darauf ver-
zichten, die an sich sehr interessanten handlungstheoretischen Betrachtungen mit der
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 181

Systemperspektive abzugleichen und deswegen mitunter in Erklärungsnotstand geraten


bzw. zu idealistischen Schlussfolgerungen neigen. 3

Ad 3: Die Beachtung von Theorien kleinerer Reichweite. Also von Theoremen, Model-
len und empirisch getesteten Thesenbündeln. Gegen diese so genannten Theorien klei-
nerer Reichweite, die traditionell mit Definitionen beginnen, ohne ihre erkenntnistheo-
retischen Grundlagen zu reflektieren und mehr oder minder stark auf Selbstevidenz
setzen, ist überhaupt nichts einzuwenden. Im Gegenteil, sie sind zunächst einmal sehr
hilfreich, um bestimmte Problemstellungen klarer herauszuarbeiten. Beispielhaft sei
auf das „Intereffikationsmodell“ (Bentele u.a. 1997; Bentele 1999) oder die „vier PR-
Modelle“ (Grunig/Hunt 1984) hingewiesen. Doch die entscheidende erkenntnistheore-
tische Frage lautet: Sind sie – in welcher Form auch immer – anschlussfähig an bzw.
kompatibel mit Theorien größerer Reichweite? Wenn nicht, bleiben sie zufällige Mo-
mentaufnahmen oder werden zu Auslösern, die eine Theorie größerer Reichweite
durchaus ins Wanken bringen können.
Denn die Frage der Anschlussfähigkeit bzw. Kompatibilität ist zugleich auch der
Prüfstein für die so genannten Theorien großer Reichweite. Um ihre Plausibilität zu
begründen, sind sie zwingend darauf angewiesen, eine hinreichend kritische Menge an
wichtigen Modellen bzw. Theoremen zu adaptieren und zu reformulieren, um sie dann
in den eigenen Theorieansatz integrieren zu können. Mindestens, indem sie die Pro-
blemstellungen aufnehmen. Allen Vorurteilen der Skeptiker zum Trotz liegt also gera-
de darin eine wichtige Möglichkeit, Supertheorien zu überprüfen, worauf Habermas
deutlich hingewiesen hat. Der Wahrheitsanspruch solcher Theorien größerer Reichwei-
te, betont er, „kann nur an der Evidenz von Gegenbeispielen geprüft und am Ende da-
durch gestützt werden, dass sich die rekonstruktive Theorie als fähig erweist, interne
Aspekte der Wissenschaftsgeschichte (also offene Forschungsfragen und funktionie-
rende Modelle, Einf. durch L.R.) herauszupräparieren und, in Verbindung mit empiri-

3
Habermas hat in seinem Theoriekonzept herausgearbeitet, wie durch Systembildung verständigungsab-
hängige Koordinationsformen (Gespräche, Normen, Traditionen etc.) überformt werden. Steuerungs-
medien wie „Geld“ und „Macht“ der selbstreferentiell organisierten Systeme Wirtschaft und Politik er-
setzen partiell oder ganz die Verständigung. Preise werden in der Regel nicht diskutiert, sondern akzep-
tiert; Verträge vielleicht kritisiert, aber sind sie einmal geschlossen, können sie nicht einfach eliminiert
werden. Diese kommunikative Entlastung der Gesellschaft ist die Voraussetzung für ihre Komplexi-
täts- und Leistungssteigerung in allen Bereichen. Im Orientierungssystem ist die Information, in der
Wissen und Erfahrung entkoppelt sind, das Steuerungsmedium. Aber was machen die Akteure? Sie be-
handeln Geld und Macht wie Tatsachen und verhalten sich verständigungs- und vor allem kausalorien-
tiert. Dass die Systeme nach einer anderen Logik funktionieren als ihre Handlungspläne, erfahren sie
auf indirektem Weg: Handlungsziele und -ergebnisse sind in komplexen Zusammenhängen nie dec-
kungsgleich. Anders formuliert: Die Differenz von Geldwert und Nutzwert, Recht und Gerechtigkeit,
Information und Erfahrung gehört für den Menschen in den komplexen Gesellschaften zu den konstitu-
tiven Lebenseindrücken. Das bedeutet für die Sozialwissenschaften: Die unterschiedlichen Logiken
von Systemfunktionalität und Handlungsrationalität müssen zwar zunächst situativ getrennt rekonstru-
iert, aber im zweiten Schritt aufeinander bezogen werden. Insofern muss PR sowohl aus der System-
wie auch aus der Handlungsperspektive verstanden werden. Also als ausdifferenziertes Input-
Programm des Mediensystems (und in Erweiterung des Orientierungssystems) und als professionelle
Handlungsoption der gesellschaftlichen Akteure, die die öffentliche Meinung mitgestalten wollen.
182 Lothar Rolke

schen Analysen, die tatsächlich narrativ belegte Wissenschaftsgeschichte im Kontext


gesellschaftlicher Entwicklungen systematisch zu erklären“ (Habermas 1981: 17)4.
PR-Theorien unterschiedlicher Reichweite, die kategorial gar nicht miteinander
konkurrieren können, bilden also keine Alternative, sondern bleiben aufeinander an-
gewiesen. Denn gerade am Beispiel von Luhmanns totalisierender Systemtheorie, aber
auch der gesellschaftstheoretischen Abstraktionen eines Jürgen Habermas, ließe sich
zeigen, dass sie – trotz aller unbestreitbarer Erkenntniskraft – strukturell der Gefahr
unterliegen, sich blickverstellend gegenüber dem zu verselbständigen, das sie vorgeben
zu erklären. Wenn sie sich nicht Korrektiven aussetzen. Theorien großer und kleiner
Reichweite bilden auf diese Weise zusammen eine Art Korrekturpartnerschaft: Gesell-
schaftstheorien müssen eine hinreichende Anzahl von Einzelerkenntnissen reformulie-
ren können; theoretische Modelle müssen umgekehrt auf ihre Anschlussfähigkeit an
größere Theoriezusammenhänge achten.
Die PR-Wissenschaft leidet derzeit allerdings eher daran, dass es ihr bisher nicht
gelungen ist, eine anspruchsvollere gesellschaftstheoretische Sichtweise zu entwickeln,
wenn man von dem Impuls gebenden, aber eben doch eindimensional bleibenden und
falsch pointierten Vorschlag von Ronneberger/Rühl absieht. Eine solche übergreifende
Sichtweise könnte viele Einzelerkenntnisse in Beziehung zueinander setzen. Das wür-
de den Stellenwert mancher singulären Untersuchung verbessern, anderen mehr oder
eine neue Bedeutung geben. Und vor allem würde es interessante neue Forschungsar-
beiten provozieren.

Ad 4: Die Beachtung der Zeit. Nur was sich nicht verändert und übersichtlich bleibt,
kann in Ruhe und störungsfrei beobachtet werden. Die äußerst dynamischen Hochlei-
stungsgesellschaften bilden dazu einen Gegensatz. Die Globalisierung, die heute Un-
ternehmen wie auch politische Organisationen zu einer 24-stündigen Kommunikati-
onsbereitschaft zwingt und damit eine höhere öffentliche Konfliktfähigkeit verlangt
(vgl. Rolke 2001), und das Internet (Rolke/Wolff 2002), das den einzelnen wie nie zu-
vor in der Menschheitsgeschichte empowert hat, haben eine Grundtendenz moderner
Gesellschaften nachhaltig verstärkt: „die Beschleunigung“ (Glotz 2001: 93). Die damit
verbundene Institutionalisierung von Dynamik und offener Veränderung kann nicht
ohne Auswirkungen auf die wissenschaftliche Beobachtung von Gesellschaft und ihren
Kommunikationsbeziehungen bleiben. Sowohl das Prinzip diskursiver Teilbarkeit als
auch das der erfahrungswissenschaftlichen Prüfung sind in Veränderungsprozessen
und unter Zeitdruck im traditionellen Sinne nur schwer einlösbar.
Gerade die Kommunikationswissenschaften (einschließlich der PR-Disziplin) sind
davon folgenreich betroffen, weil der Wahrheitsbegriff davon berührt ist, wie Klaus
Merten in einem stilisierten Gespräch mit dem Agenturholding-Chef Rainer Zimmer-

4
Das ist übrigens auch der Grund gewesen, warum ich in meinem vorbereitenden Beitrag (Rolke 1999)
die oben genannten Modelle und einige weitere Basisannahmen genutzt habe, um zu zeigen, dass die
von mir beschriebene Funktion von PR als systemisch zur Verfügung gestelltes Interventionsprogramm
eben mit diesen kompatibel ist.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 183

mann bereits vor einiger Zeit zutreffend herausarbeitet: „Die Kompliziertheit von
Kommunikation nimmt rasant zu, sodass auch die Forschung aufwendiger wird; zu-
gleich verändern sich die kommunikativen Rahmenbedingungen insgesamt. Das hat
die langfristig bedrohliche Folge, dass der Kumulus gesicherten Wissens und gesicher-
ter Erfahrung immer schneller überholt wird und auf einmal mit einer Halbwertzeit be-
lastet erscheint, die geradezu bedrohlich sinkt“ (Merten/Zimmermann 1998: 356;
schon Merten 1994: 328). Mehr noch, Wissenschaft, die sich auf die traditionelle Er-
zeugung analytischer Momentaufnahmen beschränkt, historisiert sie im Moment des
Entstehens (vgl. den vorsichtigen Hinweis von Bentele 2003: 71) und macht sie damit
für die Gegenwart nicht selten wertlos. Wissenschaft muss daher heute als praxisbe-
gleitender Lernprozess konzipiert werden – unter antizipativer Einbeziehung mögli-
cher Zukünfte.
Der Bedrohung, im Moment gesicherter Erkenntnis bereits ein historisches Doku-
ment vor Augen zu haben, ist nur dann halbwegs zu entkommen, wenn sich die (PR-)
Wissenschaft selber mitverändert: Beobachtung, Prüfung, Handeln und Erfolgskontrol-
le müssen stärker vernetzt und um die Dimension des Erwartbaren erweitert werden.
Denn das zu Beobachtende verändert sich nicht nur rasant und unberechenbar, sondern
es zeigt sich auch in unterschiedlichen Aggregatzuständen.
Public Relations und die Wissenschaft von ihr haben sich in den vergangenen Jah-
ren besonders rasant entwickelt. Damit die (PR-)Wissenschaft beim Lauf um die Zu-
kunft mithalten kann, wird es nicht ausreichen, sich – um im Bild zu sprechen – damit
zu begnügen, die Rolle des Streckenpostens zu übernehmen. So jemand mag dann
zwar in seinem Blickfeld das Geschehen valide prüfen können, aber weder die Ge-
samtübersicht haben noch über eine erfahrungsgestützte Vorstellung darüber verfügen,
mit welchen Problemen die Fahrer tatsächlich kämpfen müssen. Er wird vielleicht ge-
rade deswegen bestimmte Vorkommnisse missdeuten, weil ihm der Sinn verborgen
bleibt. Im Rennen um die Zukunft gehört die PR-Wissenschaft häufiger auf den Bei-
fahrersitz der Praxis, um – wie jeder Rallyepilot weiß – den Fahrer auf die nächsten
Streckenabschnitte vorzubereiten, mitunter zu warnen und in einem umfassenden Sin-
ne des Wortes wach zu halten. Auf diesem Weg lassen sich zweifelsohne auch neuarti-
ge Erkenntnisse gewinnen. Es bedeutet aber auch, dass die (PR-)Wissenschaft an ihrer
eigenen Kondition arbeiten muss, um fit für die Praxis zu werden.
Die führenden Unternehmensberatungen, die bis zu 10 Prozent ihres Jahres-
umsatzes in Branchenforschung stecken, wissen um die Erkenntnismög-lichkeiten der
Beifahrer-Perspektive. Wichtige induktiv entwickelte Modelle, die heute zum Basis-
wissen der Betriebswirtschaftslehre gehören, wie die „Lernkurve“, die „Portfolioanaly-
se“ oder auch das Konzept der „Balance Scorecard“ sind auf diese Weise entstanden.
Closer to consultancy kann das Credo eines modernen Wissenschaftsverständnisses
nur lauten, wobei Grundlagenforschung nicht zurückgedrängt, sondern anschlussfähig
gemacht werden soll. In diesem Sinne sind auch die nachfolgenden Überlegungen zu
verstehen.
184 Lothar Rolke

Den vorstehenden Anforderungskatalog zusammengefasst, spricht also einiges da-


für, dass eine Theorie der Public Relations erst dann – erkenntis-erweiternd und nut-
zensteigernd – Ordnung in die komplexen Beobachtungen bringen kann, wenn sie
gleichzeitig die Voraussetzungen ihres Beobachtens mitzureflektieren vermag und ih-
ren Platz als „beratender Teilnehmer“ im Geschehen findet. Nur so wäre im emphati-
schen Sinne des Wortes „Rationalität“ (Rolke 1992a) herstellbar. So wie Ronnebur-
ger/Rühl vom Leser einfordern, er solle „vertraute Wege verlassen“ und zu neuen Ge-
dankenwegen bereit sein (s.o.), so fordert der Leser aus der Praxis längst, dass die
Wissenschaftler ihre Schreibtische und Lehrstühle regelmäßiger verlassen sollten, um
als Teilnehmer des Geschehens Erfahrungen aus erster Hand zu sammeln. Und dabei
möglicherweise zu erleben, wie Erkenntnisse/ Empfehlungen realtime scheitern oder
eben auch nicht. Lehnstuhl-Forscher jedenfalls verpassen die Wirklichkeit – mit oder
ohne Vorsatz.

3 Umrisse einer neuen Theorie der Public Relations


Wenn Public Relations also nur aus der Handlungspraxis heraus zu verstehen ist
(handlungstheoretische Perspektive), aber die damit verbundenen Wirkungs-
möglichkeiten nur im Rahmen der Gesellschaftstheorie (systemtheoretische Perspekti-
ve) rekonstruierbar sind, dann muss die Basisdefinition von PR bereits beide Dimen-
sionen enthalten. Erst dann können ihre verschiedenen Bestandteile semantisch ausge-
wickelt werden. Mit einer solchen komplexen Definition will ich starten, um die damit
verbundenen Implikationen dann anschließend schrittweise offenzulegen. Wie so oft
klingt auch hier Komplexes zunächst einmal sehr einfach.

3.1 Die Definition

Public Relations ist – im Verständnis des hier vorbereiteten Theorieansatzes – die ge-
sellschaftlich lizenzierte Möglichkeit5 zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung(sbil-
dung) – unter Nutzung des Mediensystems oder an ihm vorbei. Doch erstens, was be-
deutet Mitgestaltung öffentlicher Meinung? Und zweitens, was ist mit einer gesell-
schaftlichen Lizenzierung gemeint. Beides ist im vorliegenden Aufsatz noch genauer
zu klären. An dieser Stelle kann aber schon unter Rückverweis auf das oben entwickel-
te Anforderungsprofil an (PR-)Theorien angegeben werden, wo die jeweiligen theore-

5
Diese Formulierung mag die Fragen provozieren: Wer ist der Lizenzgeber? Was sind die vertraglichen
Grundlagen? Wer wird ausgeschlossen? Gibt es Kontrollen? Solche Fragen sind berechtigt, aber führen
nicht weiter, weil sie einem handlungsrationalen Fragehorizont entnommen sind. In der systemtheoreti-
schen Perspektive ist mit Luhmann (1997: 866) daran zu erinnern, dass die Gesellschaft „keine Adres-
se“ hat: „Sie ist auch keine Organisation, mit der man kommunizieren könnte“. Sie muss als Totalität
immer schon „vorausgesetzt“ werden. Insofern besteht nur die Möglichkeit, „in der Gesellschaft zwar
nicht mit der Gesellschaft, aber über die Gesellschaft zu kommunizieren“ (ebd. 867; Hervorhebung
durch N.L.). Folglich können wir auch nicht mit der Gesellschaft über Regeln und Lizenzen verhan-
deln; wir können sie erleben, rekonstruieren und beschreiben. Rekonstruktion, Beschreibung und Re-
Designing für die Praxis sind daher wesentliche Aufgaben der (PR-)Wissenschaft.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 185

tischen Fundamente liegen: Nun, die mit dem Begriff der Mitgestaltung verbundenen
Implikationen lassen sich nur über eine handlungstheoretische Perspektive forschungs-
konzeptionell konkretisieren, und die mit dem Begriff der gesellschaftlichen Lizenzie-
rung verknüpften Aspekte können wir uns nur über die Systemtheorie (re-)konstruktiv
erschließen. In beiden theoretischen Sichtweisen lässt sich unsere Eingangsdefinition
weiter präzisieren. Doch jeweils mit einem klar unterscheidbaren epistemologischen
Focalpoint.
Eine solche duale Betrachtung hat enorme forschungsstrategische Vorteile: Einer-
seits können wir aus der reflexiven Teilnehmerperspektive fragen, wie sich die kom-
munikativen Handlungschancen konkret darstellen, mit welchen Mitteln sie sich nut-
zen lassen und welche Ertragserwartungen die Handelnden damit verbinden können.
Andererseits können wir – nun theoretisch adäquat foliert – kontextbezogene Fragen
beantworten. Beispielsweise, warum moderne Gesellschaften ihre Mitglieder bzw. den
sich herausbildenden Organisationen die Chance eröffnen, Meinungen mitzugestalten,
und wo möglicherweise die Handlungsgrenzen liegen. Aber auch, worin die Vorteile
gegenüber Gesellschaften bestehen, die diese Funktion nicht ausdifferenziert haben,
wo die Voraussetzungen dafür liegen und wo die Belastungsgrenzen des Mediensy-
stems in demokratischen Gesellschaften zu vermuten sind. Schließlich wirken beide
Perspektiven füreinander anregend.

3.2 Das funktionale Interesse der Gesellschaft


Warum erteilen Gesellschaften beliebigen Organisationen oder auch einzelnen Perso-
nen die Lizenz, öffentliche Meinung aktiv mitzugestalten, obwohl es sich nicht um
Journalisten oder Medien handelt?6 Abstrakt lautet die Antwort auf all diese Fragen:
Weil es der Gesellschaft mehr Nutzen bringt, als wenn sie diese Möglichkeit aus-
schließen würde. Doch was heißt Nutzen für die Gesellschaft?
Diese Frage lässt sich sehr viel ergiebiger dann beantworten, wenn wir einen Per-
spektivenwechsel vornehmen. Wenn wir also Gesellschaft nicht aus der Binnenansicht
der Handelnden zu erfassen versuchen, sondern aus dem systemischen Eigeninteresse
der Gesellschaft begreifen. In dieser Sichtweise nutzt einer Gesellschaft und ihrer Teil-
systeme, was die Überlebensfähigkeit sichert und deren Komplexität erhöht. Was das
im Einzelnen bedeutet, darüber hat uns die Systemtheorie hinreichend aufgeklärt: Sy-
stem-/Umwelt-Abgrenzung, Differenzierung, Referenz, Autopoiesis, Selbstbeschrei-
bung, Entwicklung von spezifischen Steuerungs- bzw. Kommunikationsmedien etc.
(vgl. Luhmann 1997). Am Beispiel der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung von
Teilsystemen lässt sich der Erkenntnisnutzen für die PR-Theorie verdeutlichen.

6
Übrigens lässt sich derzeit sehr gut beobachten, wie sich die Lizenzbedingungen mit der Entwicklung
des Internets zum Universalmedium verändern (Vgl. Alby 2007; Pleil 2007), ohne dass sich die Grund-
logik verändert: Jeder kann sich heute jeder für jeden sichtbar machen, alles bewerten und kommentie-
ren. Aber massenhaft wahrgenommen wird es nur, wenn es über einen hinreichenden Nachrichtenwert
verfügt. Blogger und Bürgerjournalisten können so zu Wettbewerbern im etablierten Meinungsmarkt
werden.
186 Lothar Rolke

Zu den Erfolgskonstituenten von modernen Gesellschaftssystemen gehört also die


Binnendifferenzierung – wie ich in Anlehnung an Norbert Elias (1983) vorgeschlagen
habe – in drei untereinander ausbalancierte Teilsysteme, die für folgende Basisfunktio-
nen zuständig sind: materielle Versorgung der Gesellschaftsmitglieder (Wirtschaftssy-
stem), die Kontrolle der Gewaltpotenziale (politisch-administratives System) und die
Weitergabe von Wissen und Erfahrung (Orientierungssystem). Ich hatte bereits vor ei-
niger Zeit tentativ begründet, warum es für die Entwicklung einer Theorie der Public
Relations hilfreich ist, zunächst von diesen drei Basissystemen auszugehen, wobei das
Orientierungssystem die Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen ebenso umfasst wie
die Medien (vgl. Rolke 1999). Denn bereits auf dieser ersten Differenzierungsstufe
lässt sich – wie wir sehen werden – die Funktion von PR sichtbar machen.
Teilsysteme einer Gesellschaft, so vermittelt uns die Systemtheorie, entwickeln
sich dann erfolgreich, wenn sie ihre Funktion selbstreferentiell erfüllen und die Impul-
se aus ihrer Umwelt in die systemeigene Logik übersetzen und dann weiterverarbeiten
können. Insofern müssen Systeme bei Strafe ihrer Existenz funktionslogisch mit sich
selbst identisch bleiben, ohne durch eine hundertprozentige Immunisierung sich ge-
genüber ihrer Umwelt abzuschotten. Die Politik kann sich also nicht total gegenüber
den Ansprüchen aus der Wirtschaft verschließen und umgekehrt. Aber jedes System
kann die externen Ansprüche immer nur in der eigenen Logik (weiter-)verarbeiten: Po-
litik muss normieren und entscheiden, Wirtschaft muss Chancen für Geschäfte erken-
nen und generieren. Und die Medien als Teil des Orientierungssystems müssen Nach-
richten identifizieren und entsprechend vermitteln.
Damit allerdings der systemadäquate Transfer von außen nach innen funktionieren
kann, benötigen die gesellschaftlichen Teilsysteme kompatible Input-Programme zum
Beeinflusstwerden durch die Umwelt: Public Relations ist ein solches Input-Pro-
gramm, das in das Orientierungssystem mit all seinen Öffentlichkeiten und Plattformen
veröffentlichter Meinung hineinwirkt. Im Klartext: Das Mediensystem (als wesentli-
cher Teil des Orientierungssystem) generiert unter entwickelten Bedingungen nicht nur
Journalismus, sondern immer auch ihren Gegenpart: die Public Relations, um eine pro-
fessionelle Zulieferung zu ermöglichen. In diesem Sinne habe ich vorgeschlagen, PR
aus dem Blickwinkel der Gesellschaftstheorie als ein funktionales Interventionspro-
gramm zur Mitgestaltung der öffentlichen Informations- und Interpretationsprozesse,
vornehmlich im Mediensystem, zu definieren. Etwas anschaulicher formuliert lässt sich
die Bedeutung noch leichter abschätzen: Über PR als Interventionsprogramm erhalten
Politik und Wirtschaft die Möglichkeit, Medieninhalte und öffentliche Wahrnehmun-
gen nach den Lizenzbedingungen der Gesellschaft zu beeinflussen, an denen sie sich
wiederum orientieren. Im Akzeptieren der Lizenzbedingungen liegt allerdings der
Kaufpreis. Er besteht darin, dass sich die beiden anderen grundlegenden Funktionssy-
steme (also Politik und Wirtschaft) der Logik des Orientierungssystems – heute domi-
niert vom Mediensystem – unterwerfen müssen, wenn sie öffentliche Meinung mitge-
stalten wollen.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 187

Das bedeutet: Der nicht verhandelbare Zwang zur Unterwerfung unter die Regeln
des Mediensystems sind Teil des impliziten Lizenzvertrags, den jeder eingeht, der in
den modernen Gesellschaften PR betreibt. Insofern kommt es einem Kategorienfehler
gleich, wenn sich unerfahrene Unternehmensvertreter darüber beschweren, dass die
Medien nicht genau das drucken oder senden, was die PR-Abteilungen ihnen zur Ver-
fügung gestellt haben. Trotz relativer Offenheit gegenüber PR-Material reagieren Me-
dien nun einmal – wie alle anderen Systeme auch - im Interesse an sich selbst. PR kann
die Systemlogik der Medien nutzen, aber nicht verändern.
Warum, so lässt sich weiter fragen, überlässt die Gesellschaft nicht monopolhaft
ausschließlich den Journalisten diese mediale Orientierungsaufgabe: Warum bei-
spielsweise werden sie nicht fürstlich aus Steuergeldern bezahlt und behalten doch ge-
genüber dem Staat ihre vollständige Unabhängigkeit? Oder anders herum gefragt:
Warum liegt es im Interesse des Systems – entgegen dem persönlichen Interesse des
Journalisten –, dass dieser weiterhin Beeinflussungsversuchen ausgesetzt bleibt? Die
Antwort ist im Grunde naheliegend: Weil der „Gegenstand“, über den tagtäglich be-
richtet wird, eine Art öffentlichkeitswirksames Vetorecht benötigt, damit die Bericht-
erstattung eine hinreichende, wenn auch nicht vollständige Adäquatheit zum „Gegen-
stand“ behält. Luhmann hat völlig Recht, wenn er sagt: „Es hat [...] wenig Sinn, zu fra-
gen, ob und wie die Massenmedien eine vorhandene Realität verzerrt wiedergeben; sie
erzeugen eine Beschreibung der Realität, die eine Weltkonstruktion und das ist die
Realität, an der die Gesellschaft sich orientiert“ (Luhmann 1997: 1102; H.i.O.). Doch
gerade weil die Medien Realität schaffen, ist es für die Gesellschaft insgesamt überle-
benssichernd, dass auch die anderen Basissysteme an der Generierung dieser Wirk-
lichkeit beteiligt werden. Denn sie orientieren sich ja an eben diesem Wirklichkeit de-
finierenden Output. Allerdings kann diese Mitgestaltung nur in der Logik des Medien-
systems selbst erfolgen, das funktional die Aufgabe übernommen hat, Wirklich-
keit(sbilder) zur Orientierung zur Verfügung zu stellen.
Verzerrungen kommen bekanntlich schon allein durch die Art und Weise zustande,
wie Medien Informationen verarbeiten. Doch es macht einen großen Unterschied, wel-
chen informationell vorgeformten Input die Medien erhalten und über welche Begleit-
programme die Öffentlichkeit zusätzlich informiert wird. Public Relations als kompa-
tibles Interventionsprogramm übernimmt genau diese Aufgabe: den Realitätsgehalt
von (medial vermittelter) Wirklichkeit zu verbessern. Deswegen sind moderne Gesell-
schaften an PR funktional interessiert. Dysfunktionale Selbstbeschreibungen – zu
schön oder zu schlecht, zu panisch oder im Gegenteil zu verdrängend – führen zur Irri-
tation der anderen Systeme, die diese Leistung für sich selber benötigen, und am Ende
zur Selbstgefährdung der ganzen Gesellschaft, wie „sterbende Diktaturen“ immer wie-
der eindrucksvoll veranschaulicht haben.
Ich habe an anderer Stelle mit Bezug auf Luhmann den Begriff der „Realiendec-
kung“ in der Mediengesellschaft eingeführt (vgl. Rolke 1999a: 87). Hierbei geht es
nicht um „wahr“ oder „falsch“, sondern darum, ob die von den Medien immer auch
mitgelieferten Realitätsannahmen funktionieren oder nicht. Produzieren die Massen-
188 Lothar Rolke

medien zu viel Symbolik, die in der subjektiv erfahrenen und gedeuteten Welt nicht
gedeckt werden kann, entsteht kommunikative Inflation. Sie wird erlebbar, „wenn die
Kommunikation ihr Vertrauenspotential überzieht, d.h. mehr Vertrauen voraussetzt, als
sie erzeugen kann“ (Luhmann 1997: 383).7 Durch die antagonistische Kooperation von
Journalismus und PR wird dieses Risiko gebändigt.
Wie durch die vorhergehenden Ausführungen illustriert werden konnte, lässt sich
mit Hilfe der Systemtheorie vor allem der gesellschaftliche Funktionskontext rekon-
struieren, vor deren Hintergrund Menschen handeln. Die handelnden Akteure erleben
diesen Handlungsrahmen als (soziale) Tatsachen, die als Selbstverständlichkeit in der
Regel unhinterfragt akzeptiert werden. Die wirtschaftlichen Imperative bei der Ver-
mittlung von Medienangeboten beispielsweise, die journalistischen Freiheiten und die
Rezeptionsgewohnheiten von Lesern, Hörern und Zuschauern, um nur einige solcher
sozialen Tatsachen zu nennen. PR-Praktiker fragen nicht, warum die Verhältnisse so
sind, wie sie sind. Sie nutzen sie einfach und lernen durch Versuch und Irrtum.

3.3 Die Sichtweise des Unternehmens


Die praktischen Ansatzpunkte, um öffentliche Meinung mitzugestalten, lassen sich am
einfachsten in einer handlungstheoretischen Perspektive identifizieren. Das Mediensy-
stem erscheint in dieser lebensweltlichen Sichtweise nicht als ausdifferenzierte Funkti-
on der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung und aktuellen Selbstbeschreibung, son-
dern als ein handlungslenkender Meinungs- und Deutungsproduzent. Konkret als eine
Ansammlung von Institutionen, die über öffentliche Aufmerksamkeit und Meinungs-
bilder entscheiden. Und die eben deswegen ständigen Beeinflussungsversuchen von
außen unterliegen. Weil Unternehmen und Parteien, Greenpeace ebenso wie der
ADAC oder die Gewerkschaften von all dem erfolgswirksam betroffen sind, beginnen
sie, eine Beziehung zu dieser Institution aufzubauen und sie mit solchen Inhalten zu
versorgen, die dort ankommen und in etwa so weiterverarbeitet werden, wie es den In-
teressen der PR-treibenden Organisation (gerade so) entspricht. Das lässt sich durchaus
als Lernprozess begreifen.
Organisationen wie Parteien oder Unternehmen – auf letztere will ich mich im Fol-
genden beschränken – verhalten sich dabei unilateral. Ausgangspunkt aller Wahrneh-
mung sind sie selbst. Sie bauen Beziehungen zu anderen Organisationen bzw. zu den

7
Gesellschaften, mit denen man – wie wir gesehen haben (vgl. Anm. 7) – nicht kommunizieren kann
(nur über sie), generieren tagtäglich eine ganze Reihe von Selbstbeschreibungen: wissenschaftliche,
journalistische, religiös motivierte, künstlerische etc. (vgl. Luhmann 1997: 866ff.) – übrigens allesamt
Leistungen des Orientierungssystems. Doch welche spielt die größte Rolle? Unverkennbar in der Be-
deutung wachsend ist die Selektionsleistung des Mediensystems (ebd. 1096ff.). Angesichts seiner Be-
schreibungsmacht wäre es aus Sicht der Gesellschaft insgesamt dysfunktional, wenn nicht gar überle-
bensgefährdend, wenn das Mediensystem gegenüber dem Einfluss von außen immunisiert wäre. Es er-
höht die Akzeptanz und vor allem die Realiendeckung seines Outputs, wenn prinzipiell alle Systeme,
alle Organisationen, alle Personen einer Gesellschaft als Inputgeber akzeptiert werden. Allerdings nach
den Regeln des Mediensystems. Das zu ermöglichen – darin liegt die Kernleistung von PR. Da sich mit
dem Internet das Mediensystem verändert, verändern sich auch die Möglichkeiten (Systemvariationen)
und damit die spezifischen Leistungen von PR.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 189

von ihnen definierten Institutionen und Personengruppen (Zielgruppen) auf (vgl. aus-
führlich das Konzept des Stakeholder-Kompasses: Rolke 2002; zur Empirie: Rolke
2003) und organisieren dann eine erfahrungsgemäß eher restringierte Kommunikation
(einseitig; asymmetrisch, diskontinuierlich) zu diesen: Soviel wie möglich, aber nicht
mehr als nötig: Doch welches sind die wesentlichen Zielgruppen? Warum ist die
Kommunikation mit diesen so wichtig? Und was sind die Mittel?
Zielgruppen sind dann wichtig, wenn sie in der Lage sind, den Erfolg einer Organi-
sation zu mindern oder zu steigern: Kunden haben für Unternehmen Relevanz, Mitar-
beiter, Aktionäre, und auch Journalisten. Kindergärtnerinnen, Briefmarkensammler
oder Obstpflücker hingegen, sofern sie nicht zu einer der vorgenannten Gruppen gehö-
ren, eben nicht. Warum? Was unterscheidet die erste Gruppe von der zweiten? Kun-
den, Mitarbeiter, Aktionäre und Journalisten repräsentieren für Unternehmen die rele-
vanten Märkte: den Absatz-, Personal-, Finanz- und Akzeptanzmarkt, von denen die
Unternehmen abhängig sind. All diese Zielgruppen lassen sich auch kommunikativ er-
reichen. Es gibt jeweils spezielle Abteilungen, die für sie zuständig sind. Doch ihren
besonderen Status für Unternehmen erlangen sie dadurch, dass ihr Verhalten marktre-
levant ist. Kunden kaufen oder kaufen nicht. Mitarbeiter bleiben im Unternehmen und
sind produktiv oder eben nicht. Aktionäre bleiben Shareholder oder eben nicht. Journa-
listen berichten positiv, neutral oder negativ über ein Unternehmen und beeinflussen
damit die öffentliche Akzeptanz, die jederzeit entzogen werden kann und so oder so
die anderen Märkte beeinflusst.
Im Management dieses Doppelcharakters von Kommunikation und Leistungsaus-
tausch liegt der Erfolgsschlüssel für Unternehmenskommunikation: also die genannten
Zielgruppen zugleich als Marktteilnehmer und Kommu-nikationspartner zu behandeln.
Interessanterweise können Unternehmen durch Kommunikation (z.B. Werbung und
PR) monetär wirksames Verhalten auslösen bzw. entsprechende Widerstände frühzei-
tig wahrnehmen, bevor sie monetär sichtbar werden. Deswegen haben Unternehmen in
den vergangenen Jahren ihre öffentliche Kommunikationsfähigkeit so enorm erhöht.
Allerdings bleibt ihr basaler Orientierungscode – organisationsgenetisch bedingt – das
Geld. Dieser Code ist nicht verhandelbar, sondern systemisch vorgegeben. Und inso-
fern aus Sicht der Akteure eine Tatsache.
Unternehmen sind im gegeben Systemkontext keine Beschäftigungs-anstalten, son-
dern Leistungsanbieter mit der Absicht der Gewinnrealisierung. Gerade dadurch wird
der systemisch eingebrannte Code sichtbar, der alle in Marktwirtschaften agierende
Unternehmen – unabhängig vom Willen der Handelnden – vorjustiert. Ob das Unter-
nehmen kostendeckend arbeitet oder nicht, Überschüsse realisiert oder nicht, ist kein
verhandelbares Ziel, über das das Management entscheiden können. Das Streben, die-
ses Ziel zu erreichen, ist aufgrund des systemischen Hintergrunds organisationsgene-
tisch vorgegeben.
Deswegen sind Unternehmen primär auf das Steuerungs- oder, wie Luhmann sagen
würde, Kommunikationsmedium Geld justiert. Die Botschaften, die es am leichtesten
versteht, drücken sich in Gewinn und Verlust, Cashflow und Return on Invest, Mar-
190 Lothar Rolke

ken- und Unternehmenswerten aus. Erst sekundär hören Unternehmen auf die Bot-
schaften aus der verständigungsbasierten Kommunikation, wie sie beispielsweise von
den Massenmedien übermittelt werden: auf Informationen also, die allerdings in einem
entscheidenden Punkt den monetären Signalen überlegen sind. Informationsbasierte
Kommunikation signalisiert frühzeitiger, was auf das Unternehmen zukommt, also zu
einem Zeitpunkt, wo das Management noch intervenieren kann. Der Blick in die Bi-
lanz oder Gewinn- und Verlustrechnung ist der Blick in den Rückspiegel, in dem nur
die Entwicklung der Vergangenheit sichtbar wird. Die Beteiligung an Kommunikation
ist wie der Blick durch die Frontscheibe. Man sieht, was vor einem passiert, und kann
reagieren. Und genau das haben Unternehmen intuitiv gelernt. Darin liegt zugleich die
betriebswirtschaftliche Begründung der Unternehmenskommunikation. Zeit ist Geld.
Das ist längst bekannt. Hier wird diese Grundeinsicht sehr anschaulich. Weil sich
durch Rechtzeitigkeit Krisen verhindern und Chancen nutzen lassen.
Übrigens ließe sich auch für andere Organisationen wie Parteien, die primär in ei-
nem anderen Systemkontext operieren, ein ähnlich unilateral organisiertes Bezie-
hungsgeflecht rekonstruieren (Stakeholder-Kompass). Auch hier würde sich die Rele-
vanz der Zielgruppen nach der Stärke des Einflusses auf den Organisationserfolg erge-
ben.
Was die Frage anbetrifft, welche Mittel wie eingesetzt werden und auf welche Wei-
se sich der Erfolg nachweisen lässt, so ist dies in jedem besseren How-to-do-Buch
nachzulesen. Problematisch an all diesen Handreichungen ist nur, dass sie im profes-
sionellen Eifer um die medienbasierte und zielgruppengerechte Kommunikation häufig
den organisationsgenetischen Code der Unternehmung vergessen: die monetäre Wert-
schöpfung, die mitunter Entscheidungen hervorbringt und rechtfertigt, die aus der rei-
nen Perspektive verständigungsorientierter Kommunikation (vgl. Burkhart 1996) kri-
tisch beurteilt würde. Tatsächlich aber können sie höchst rational sein, wie die jüngere
Diskussion um die Wertschöpfung durch Kommunikation zu erhellen vermag (vgl.
Pfannenberg/Zerfaß 2005; Piwinger/Porák 2005; Rolke/Koss 2005).

4 Beobachtung und Erfahrungswert


Wer Beziehungen zu Öffentlichkeiten alias Anspruchsgruppen alias Märkten8 aufbaut,
muss diese Beziehungen managen, und zwar mittels Informationsaustausch. Aus der
Satellitenperspektive der Luhmannschen Systemtheorie mag im Umfeld des Unter-
nehmens lediglich das Mediensystem und ein übriger „diffuser Kommunikationsfluss“
(ders. 1997: 1103), gegen den sich ersteres abgrenzt, erkennbar sein. Doch aus der Per-
spektive der agierenden Manager wird das unilateral organisierte Beziehungsgeflecht
der Unternehmen sichtbar (für Parteien und andere Organisationen gilt Ähnliches, was

8
Die unterschiedliche Begrifflichkeit ist den jeweiligen Theoriesprachen geschuldet. Aber trotzdem geht
es um das gleiche komplexe Phänomen, das eben nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrge-
nommen wird: mal als Öffentlichkeit, mal als Anspruchsgruppe, mal als Repräsentanten eines Marktes.
Kunden, Mitarbeiter, Aktionäre und Journalisten sind jeweils alles drei zugleich.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 191

hier jedoch nicht weiter verfolgt wird). Für Unternehmen sind das primär, wie wir ge-
sehen haben:
• die Kunden (Absatzmarkt)
• die Mitarbeiter (Beschaffungsmarkt)
• Aktionäre (Finanzmarkt)
• Journalisten (Akzeptanzmarkt)

Mit Blick vor allem auf diese Anspruchsgruppen gilt: Unternehmenskommunikation


ist das Management der Kommunikationsbeziehung eines Unternehmens zu seinen
Anspruchsgruppen, um mit diesen (monetär bewertbare) Kooperationsvorteile zu er-
zielen bzw. um kostenwirksame Störungen zu vermeiden. Hier gibt es erheblichen For-
schungsbedarf (vgl. Rolke 2003). Denn die Kommunikationsbeziehungen zu diesen
Anspruchsgruppen sind schon aus ökonomischen Gründen restringiert, informationsa-
symmetrisch und wahrnehmungsdifferent. Je mehr wir darüber wissen, desto erfolgrei-
cher und kostenangemessener lassen sich die Kommunikationsbeziehungen organisie-
ren. Allerdings hilft dabei weniger die Retrospektive traditioneller Sozialwissenschaf-
ten als vielmehr eine abduktive, also von der überraschenden Beobachtung ausgehen-
den Vorgehensweise bzw. die perspektivische Analyse, wie Bentele (2003: 71) es
nennt. Dazu einige Erläuterungen.
Restringierte Kommunikation: Kommunikation kostet Zeit und Geld. Kein Unter-
nehmen ist auf Dauer finanziell in der Lage, mit allen möglichen Anspruchsgruppen
zeitlich unbefristete Diskursgemeinschaften zu bilden. Im Gegenteil: Solange einseiti-
ge, einfache massenmediale Kommunikation funktioniert, wird sie auch favorisiert
(vgl. die empirische Bewertung der Kommunikationsmodelle bei Avenarius 2000: 87).
Nur bei ausgewählten Zielgruppen und in Krisen ist eine höhere Dialogbereitschaft
feststellbar. Doch auch umgekehrt gilt: Der Kommunikationspartner (beispielsweise
ein Kunde oder Journalist) will nicht unbedingt wegen einer einzelnen Information in
ein umfassendes Dialogprogramm eingebunden werden. Zwischen einem Unterneh-
men und seinen Anspruchsgruppen bleibt immer ein Beziehungsgap, das auch ein
kommunikatives Restrisiko impliziert. Es muss beobachtet, aber nicht aus prinzipiellen
Gründen zum Verschwinden gebracht werden. Die Art der Kommunikation kann nur
situativ, nicht prinzipiell richtig oder falsch sein.
Informationsasymmetrien: Die Beziehungen von Kunden und Unternehmen und
auch von Unternehmen und Mitarbeitern unterliegen dem Problem der ungleichen Ver-
teilung von Information. Die Prinzipal-Agent-Theorie kann diesen Sachverhalt aufhel-
len (vgl. Pico 2001 et al.: 56f.). Das Problem, um das es dabei geht: Der Auftragneh-
mer (zum Beispiel das Unternehmen) trifft Entscheidungen, die der Auftraggeber (zum
Beispiel der Kunde) nicht kennt, von dem dieser aber betroffen ist. Zum Beispiel im
Bereich der Produktentwicklung oder der Serviceentscheidungen. Dadurch entsteht ei-
ne für den Kunden (strukturell) unübersichtliche Situation. Er misstraut dem Unter-
nehmen (in diesem Fall Agent) weil er befürchtet, das dessen Entscheidungen zu sei-
nen Ungunsten ausfallen, ohne dass er es bemerken würde (zum Beispiel schlechteres
192 Lothar Rolke

Material, Verzögerung beim Service). Dieses Problem ist für die Kommunikation ge-
rade dort interessant, wo sich Erwartungen nicht vertraglich regeln lassen. Zum Bei-
spiel die Frage, wie umweltfreundlich ein Produkt hergestellt wird oder wann die neue
Produktgeneration auf den Markt kommt, welchen Wertzuwachs ein Fonds realisieren
wird oder welche Versicherungsleistung am Ende erbracht wird (vgl. dazu Bittle
1997).
In der Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern sind beide sowohl Auf-
traggeber als auch Auftragnehmer. Im betriebswirtschaftlichen Prozess der Leistungs-
erstellung ist der Mitarbeiter Agent: Er übernimmt Aufgaben und entscheidet in einem
bestimmten Rahmen selbständig, sammelt sogar Know-how, was dem Unternehmen
verloren geht, wenn er nicht mehr dort beschäftigt ist. Beim Verkauf seiner Arbeits-
kraft ist der Mitarbeiter Prinzipal. Er stellt dem Unternehmen seine Arbeitskraft zur
Verfügung, damit dieses sie optimal weiterverwertet. Der Mitarbeiter weiß aber nicht,
welche Entscheidungen das Unternehmen zukünftig trifft und ob er nicht nach einer
gewissen Zeit wegrationalisiert wird. In solchen Kommunikationsbeziehungen spielen
Transparenz und Commitments eine große Rolle. Zugleich entstehen Überwachungs-
und Garantiekosten. Insofern kann Vertrauen kein kostenloses Gut sein, sondern muss
immer wieder neu hergestellt werden. Vertrauen ist aber preiswerter als der Versuch,
alle erdenklichen Aspekte vertraglich zu fixieren. Die Herstellung von Vertrauen wie-
derum ist nur mit Kommunikation möglich.
Wahrnehmungsdifferenz: Dieses Problem lässt sich leicht anhand der Beziehung
des Unternehmens, vertreten durch die PR-Manager, zu den Journalisten illustrieren,
gilt aber auch für andere Beziehungen: Nach einer breit angelegten Studie von Sieg-
fried Weischenberg (1997: 6ff.) sehen 75 Prozent der Journalisten keinen Bedarf für
PR-Angebote, sei es, weil sie diese für überflüssig, gefährlich oder eben nicht nutzbar
halten. Eine Befragung der PR-Manager wiederum zeigt ein ganz anderes Bild. Nach
ihrer Erfahrung sind über 50 Prozent der Journalisten an PR-Angeboten interessiert
und nutzen sie auch (vgl. Rolke 2003). Der Grund für dieses Wahrnehmungsparadoxon
liegt in den ritualisierten Beziehungen zwischen Journalisten und PR-Managern, für
die eine aufgeklärte Selbsttäuschung konstitutiv ist: Wenn PR-Informationen von Me-
dien genutzt werden, wird das Medium (mitunter explizit durch den angegebenen Na-
men eines Journalisten) zum Absender des Beitrags – auch wenn der Text oder das
Bild materiell zu 100 Prozent übernommen wird.
Insgesamt betrachtet wird aus diesen wenigen Hinweisen bereits deutlich: Unter-
nehmen sind gezwungen, eine Reihe hochkomplexer Beziehungen zu organisieren, die
sich immer wieder als störanfällig erweisen, aber dennoch nicht völlig kontingent sind.
Um kommunikative Verhaltensmuster und Interventionserfolge gleichermaßen sicht-
bar machen zu können, gibt es nur eine Möglichkeit: die Evaluation von PR-Wir-
kungen.
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 193

5 PR-Theorie braucht Wirkungsmodelle


PR ist nun mal – wie jegliche Form der Kommunikation – auf Wirkung angelegt. Wir-
kungen wiederum sind entweder prozessual oder formativ, also vom Ergebnis her eva-
luierbar. Da Prozesse als Abfolge von Zwischenergebnissen gedacht werden können,
und Ergebnisse im sozialen Kontext nicht stabil sind, also zeitlich gesehen selber nur
Zwischenergebnisse darstellen, ist jede Kommunikationswirkung vom Ergebnis her zu
denken – als ein veränderter Zustand mit begrenzter Haltbarkeitsdauer.9 Im hier ausge-
führten Theoriekonzept, was die Dualität von Systemfunktionalität und handlungsra-
tionaler Perspektive ausdrücklich fordert, lassen sich PR-Wirkungen aus beiden Per-
spektiven beleuchten:
• In der funktionalen Perspektive (vgl. 5.1) können Wirkungsmuster sichtbar ge-
macht werden, die nicht aufgrund, sondern trotz intentionalem Handeln entstehen
und am einfachsten über Benchmarkinganalysen zu erkennen sind: Diese Muster
markieren Grenzen.
• In der handlungsrationalen Perspektive (vgl. 5.2) lassen sich die singulären, inten-
tionsausgelösten Wirkungsketten sichtbar machen, deren Ergebnisse mit den ur-
sprünglichen Zielen verglichen werden: Die Abweichungen zeigen den Optimie-
rungsbedarf.
Was das für die Unternehmenskommunikation heißt, will ich zumindest andeuten.

5.1 Wirkungsmuster durch Benchmarkanalysen erkennen


Die Beziehungen zwischen den Unternehmen oder anderer Organisationen (wie Partei-
en, Verbände oder Bürgerinitiativen, worauf hier nicht eingegangen wird) zu ihren je-
weiligen Stakeholdern ist keineswegs völlig kontingent. Dies lässt sich am Beispiel der
Kommunikationsbeziehungen zu den Medien gut illustrieren. Auch in dieser Hinsicht
gibt es einerseits Regelmäßigkeiten, also Interaktions- und Wirkungsmuster, und ande-
rerseits Variationsspielräume. Beides lässt sich durch die Setzung von Benchmarks
und die Beobachtung von Abweichungen genauer ermitteln.
Dazu zwei Beispiele. Bereits vor zehn Jahren – nach Durchführung einer Reihe von
Medienresonanzanalysen für Unternehmen – konnten wir im Auswertungsteam so et-
was wie ein Muster erkennen: Wir sahen eine Optimalrelation – so habe ich das da-
mals genannt – zwischen selbstinitiierter und fremdinitiierter Berichterstattung (vgl.
Rolke 1992). Sie beträgt 70 zu 30. Inzwischen konnten diese Werte nicht nur in vielen
weiteren Medienresonanzanalysen, sondern auch in einer breit angelegten Untersu-
chung unter den 1200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland bestätigt werden

9
Für die Theoriebildung in der PR könnte der philosophische Pragmatismus, der Phänomene über ihre
Wirkungen zu bestimmen sucht („pragmatische Maxime), sehr anregend sein. Interessanterweise ist er
in Deutschland in dieser Hinsicht kaum rezipiert worden. „Die pragmatische Maxime fordert dazu auf,
eine Beziehung zu Begriffen herzustellen: Der Begriff des Gegenstandes soll durch den Begriff seiner
praktischen Wirkungen erklärt werden: Durch die Beziehung auf mögliches Handeln öffnet sich die
Entwicklung der Theorie gegenüber der Umwelt, in der diese Handlungen möglich sind oder scheitern
können“ (Pape 2002: 21).
194 Lothar Rolke

(Rolke 2003). Dieser Wert ist leicht plausibel zu machen: 100 Prozent selbstinitiierte
Berichterstattung hieße, das Unternehmen hat künstlich öffentliche Aufmerksamkeit
geschaffen, wie das manchmal bei substanzlosen Produktlaunches zu beobachten ist.
Sinkt der Wert der selbstinitiierten Berichterstattung aber deutlich unter 70 Prozent,
dominiert möglicherweise sogar der Anteil der fremdausgelösten Medienbeiträge, dann
haben wir es in der Regel mit einer kritischen Situation für Unternehmen zu tun. Sie
sind nicht mehr Herr der eigenen Kommunikationssituation.
Medien können gar nicht alles selbst beobachten und recherchieren (das ist journa-
listische Fiktion), sondern müssen unter dem Imperativ der Wirtschaftlichkeit dorthin
ihre Ressourcen für die Recherche lenken, wo Konflikte, Krisen und Skandale vermu-
tet werden können. Journalisten müssen auch gar nicht alles selbst recherchieren, um
zu akzeptablen Ergebnissen zu kommen. Die Fähigkeit, es zu können, wenn man woll-
te, reicht als Drohkulisse aus, um zu verhindern, von Unternehmen und anderen Orga-
nisationen allzu sehr getäuscht zu werden. Dennoch mag die 70:30-Relation den Einen
oder Anderen irritieren, weil er glaubt, die Unabhängigkeit der Medien sei in Gefahr.
Aber das ist nicht der Fall. Vielmehr signalisiert dieser Wert, das publizistische Unab-
hängigkeit und der Zwang zur Kooperation keinen prinzipiellen Widerspruch bilden.
Aus der Perspektive der beteiligten Akteure mag es anders aussehen. Hier scheint
es darum zu gehen, den eigenen Einfluss zu maximieren. Journalisten wollen mög-
lichst exklusive und nach journalistischen Standards selbst aufbereitete und geprüfte
Nachrichten absetzen. PR-Manager hingegen wollen möglichst häufig ihre Sprachrege-
lungen und implizierten Sichtweisen durchsetzen. Sie wollen Zeitpunkte bestimmen
und vielleicht den Vorstandsvorsitzenden als Spokesman positionieren. Doch aus der
Distanz, also der funktionalen Perspektive der Gesellschaft, wird deutlich, dass in der
antagonistischen Kooperation zwischen PR und Journalismus beide unter einem Opti-
mierungsimperativ agieren, der in der 70:30-Regel sichtbar und zur Benchmark wird.
Die Entwicklung solch praxisnaher Benchmarks hilft, die sich andeutenden Verände-
rungen frühzeitig wahrzunehmen. Vergleichswerte ermöglichen es dem zukunftsorien-
tierten Management, Veränderungsdynamiken zeitnah sichtbar zu machen und damit
das eigene Entscheidungs-handeln auf (wissenschafts-)rationale Grundlagen zu stellen.
Erfolgskriterium hierbei ist allerdings nicht ein abstrakter Wahrheitsbegriff, sondern
kann immer nur Wirksamkeit sein, die mitunter allerdings viel Forschungsaufwand er-
fordert.

5.2 Wirkungssteuerung durch Erfolgskontrolle

Während sich mit Hilfe von Wirkungsmustern Handlungsspielräume ausloten lassen,


dienen die Modelle der Erfolgskontrolle bzw. des Kommunikations-Controllings (zur
Übersicht vgl. Rolke 2006; Rolke/Jäger 2008) dazu, die von einer Organisation gene-
rierten Kommunikationseffekte mit den zuvor gesetzten Zielen abzugleichen und durch
Abweichungsanalysen die eigene Steuerungsfähigkeit zu erhöhen. Unabhängig davon,
ob es sich dabei um Ansätze aus der Marketing- oder PR-Kommunikation handelt,
PR – die Lizenz zur Mitgestaltung öffentlicher Meinung 195

geht es immer um ähnliche psychologische Kausalketten, die stufenweise – dabei


Streuverluste in Kauf nehmend – ihre Wirkungen entfalten sollen:
• In der PR orientieren sich Wissenschaftler wie Berater überwiegend an den vier
Stufen Output (erzeugte Kontaktchancen), Outhgrowth (Wahrnehmung; Verständ-
nis), Outcome (Wissen; Meinung) und Outflow (geldwertes Verhalten).
• Im Marketing hat sich das psychologische Zielsystem mit den Dimensionen kogni-
tiv (Wahrnehmung; Bekanntheit; Wissen), affektiv (Interesse; Vertrauen; Einstel-
lungen) und konativ (Kauf oder Kaufabsicht; Weiterempfehlung) durchgesetzt.
Wenn man Stilisierung nicht scheut, dann lassen sich hier starke strukturelle Überein-
stimmungen erkennen, die implizit von folgendem – hier sehr stark idealisiertem –
Wirkungsbild ausgehen: Qualifizierte Kontaktangebote, über die der Adressat etwas
über das Unternehmen bzw. seinen Produkten erfährt, sorgen bei der Zielgruppe für
Beachtung und lösen positive Vorstellungen wie etwa Zustimmung oder Begeisterung
aus, was in Folge dann zu einem geldwerten Verhaltenseffekt führt. Konzeptionell aus-
formuliert oder nicht orientieren sich Unternehmen idealtypisch an solchen handlungs-
logischen Wirkungsbildern, um ihren kommunikativen Erfolg zu planen. Damit ist
veranschaulicht, was sich theoretisch wie folgt zusammenfassen lässt: Während die
Gesellschaft ihren Mitgliedern – organisiert oder nicht – die Lizenz zur Mitgestaltung
öffentlicher Meinungsbildung zur Verfügung stellt, nutzen die Akteure diese im Inter-
esse an sich selbst. Am Ende dient alles der Orientierungsfähigkeit der Gesellschaft.

6 Summary: Perspektiven für die


unternehmensbezogene PR-Forschung
Public Relations ist im Verständnis des hier skizzierten Theorieansatzes die gesell-
schaftlich lizenzierte Möglichkeit, öffentliche Meinung mitzugestalten – mit und mit-
unter versuchsweise auch gegen die Medien als die Hauptverantwortlichen für die täg-
liche Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Auch unter Nutzung des erweiterten Kom-
munikationsnetzes der Gesellschaft, das auf Erleben, Dialog und Empfehlung basiert.
In der Systemperspektive lässt sich die PR-Funktion bereits in der ersten Differenzie-
rungsstufe sichtbar machen. Dort, wo sich das ökonomische System, das politisch-
administrative und das Orientierungssystem funktional von einander abgrenzen. In der
Inter-System-Beziehung zwischen dem Orientierungssystem und den beiden anderen
Teilsystemen erscheint PR als Interventionsprogramm (= Inputprogramm des vom
Mediensystem dominierten Orientierungssystems), um den beiden Fremdsystemen die
Möglichkeit zu geben, die öffentlichen Informations- und Interpretationsprozesse nach
nicht verhandelbaren, aber historisch sich verändernder Lizenzregeln mitzugestalten.
Diese aktive Mitgestaltung ist funktional erwünscht, weil sie die Qualität der täglichen
Selbstbeschreibung der Gesellschaft erhöht. Insofern lässt sich zugespitzt sagen, dass
PR in der Mediengesellschaft zu einer Art „fünften Gewalt“ geworden ist. Das bedeu-
tet aber auch, dass Parteien, Unternehmen und andere gesellschaftliche Organisationen
eine Mitwirkungspflicht haben. Wer sich vor der Mitgestaltung öffentlicher Meinung
196 Lothar Rolke

drückt, wird bestraft: in der Regel durch ein öffentlichkeitswirksames Image, das ihm
nicht gefällt.
Unternehmen (auch andere Organisationen wie Parteien, auf die hier nur am Rande
eingegangen wurde) nutzen heute überwiegend diese Möglichkeiten zur Mitgestaltung
öffentlicher Meinung, indem sie Beziehungen zu deren wichtigsten Repräsentanten ih-
res Umfeldes entwickeln. Diese sind Teil eines Netzes multilateraler Kommunikati-
onsbeziehungen, die sie zu stabilisieren und zielführend zu nutzen suchen: Kunden sol-
len wiederholt kaufen; Mitarbeiter kontinuierlich die Produktivität steigern; Aktionäre
Aktien halten und welche dazu kaufen; die Öffentlichkeit, vertreten durch die Medien,
soll für dies alles verstärkende Zustimmung signalisieren und positiv darüber sprechen.
Diese Art von Kommunikationsbeziehungen sind aus ökonomischen Gründen prinzi-
piell restringiert, asymmetrisch und wahrnehmungsdifferent – also in hohem Maße er-
folgsgefährdet. Und dennoch haben alle Beteiligten daran ein Interesse, weil sie sich
darüber verteilbare Kooperationsgewinne erarbeiten bzw. sich Kosten durch Nicht-
Kooperation vermeiden lassen.
Unternehmen versuchen diese Kommunikationsbeziehungen in ihrem Sinne zu op-
timieren, um möglichst nachhaltig von den Kooperationsgewinnen zu profitieren. Inso-
fern muss Unternehmenskommunikation als Investition verstanden werden, die einen
angemessenen Return on Invest zu realisieren sucht. Die Qualität dieser Investition
hängt allerdings nicht allein von der Größe des finanziellen Mitteleinsatzes ab, sondern
vor allem von der Qualität des Kommunikationsmanagements. Da hier Muster und
Regelmäßigkeiten zu beobachten sind, lassen sich auch Benchmarks entwickeln, die
der Profession zur weiteren Professionalisierung dienen.

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Fokus: Dualität von Theorie und Praxis
PR-Theorie? PR-Theorie!

Plädoyer für eine wissenschaftliche und fachliche Fundierung


der Public Relations durch Theoriebildung und reflektiertes
Handeln im Berufsfeld

Susanne Femers

Sie ist es. Sie ist es nicht. Sie ist es. Ja, sie ist es. Eine Wissenschaft! Schluss - aus!
Keine Diskussion mehr! Public Relations ist eine angewandte Wissenschaft. Dennoch
kann und muss Theoriebedarf und -notwendigkeit vernehmlich und kritisch hinterfragt
werden. Dies gerade macht die Wissenschaftlichkeit einer Disziplin aus und stellt sie
nicht etwa in Frage. Die systematische (Selbst-) Reflexion vorhandener theoretischer
Ansätze und die Identifikation der Defizite von PR-Theoriebildung sind eine zwingen-
de Notwendigkeit auf dem Weg zur Bildung einer konsistenten Theorie. Dieser Hin-
tergrund rechtfertigt es allerdings keineswegs, Public Relations heute noch als „unrei-
fe“1 Wissenschaft zu verstehen. Und wenn man denn meint, sie immer noch als „un-
reif“ bezeichnen zu müssen, so ist doch zu bedenken, dass das Kokettieren mit der Un-
reife umso weniger Erfolg versprechend wird, desto mehr Altersflecken sich zu den
Sorgenfalten der Selbstreflexion gesellen.
Die gegenwärtige Reife bzw. der aktuelle wissenschaftliche Status der PR kann mit
Bentele/Will (2006: 153 f.) wie folgt skizziert werden: „In dem Maße, in dem dieser
Gegenstand als einheitlich untersucht wird, kann von einer ´PR-Wissenschaft´ bzw. ei-
ner wissenschaftlichen Disziplin ´Kommunikationsmanagement´ gesprochen werden.
Diese im Entstehen befindliche Disziplin beschäftigt sich mit der Geschichte und Ent-

1
Vgl. hierzu die Bilanzierung zum Wissenschaftsstatus der PR Anfang der 1990er Jahre bei Avenarius
(2000: 36): „Trotz aller akademischer Emsigkeit gelang es kaum, die Public Relations von dem Makel
zu befreien, eine ´immature science´ zu sein.“
202 Susanne Femers

wicklung des Gegenstands PR, entwickelt Theorien, beschreibt und analysiert das Be-
rufsfeld PR und dessen Teilfelder (…) empirisch, diskutiert ethische Probleme etc.“
Wenn PR eine Wissenschaft ist, so braucht sie auch Theorie(n). Dies ist aus wis-
senschaftlicher Sicht kaum eine Erklärung wert. Aber wie stellt sich dies aus der Per-
spektive der Praxis dar? Die Theorie ist kein Identitätsmerkmal der Praxis, gleichwohl
kann sie aber für die Praxis Identifikationsmöglichkeiten schaffen. Vor den Begrün-
dungszwang gestellt, die Frage „Wozu PR-Theorie?“ beantworten zu müssen, sollen
im Folgenden Antworten aus verschiedenen Perspektiven gegeben werden: der Per-
spektive der Wissenschaftstheorie, der Perspektive der Theoriekritik und der Perspek-
tive der Praxis der Public Relations.

1 Die Perspektive der Wissenschaftstheorie


Erinnert werden muss hier, was an Theoriezweckbestimmung dazu gehört, will man
von wissenschaftlichem Status sprechen, sei er auch ein angewandter und noch dazu
ein „unreifer“. Wie andere moderne Wissenschaften auch ist die Lehre der Public Re-
lations da entstanden, wo konkrete Praxiserfordernisse Spezialwissen und Perspektiven
der gemanagten Auftragskommunikation zur Beziehungspflege moderner Organisatio-
nen verlangten2, die „gegenstandsungebundene“ Wissenschaften im Sinne ihrer An-
wendungsneutralität nicht leisten konnten und mussten. Die Praxisorientierung einer
anwendungsorientierten Disziplin darf selbstverständlich nicht zum puren Pragmatis-
mus verkommen. Vielmehr bedarf es der sukzessiven Theorie-Praxis-Integration, der
Integration unterschiedlicher, auf das Anwendungsfeld bezogener Wissens-Disziplinen
und konsistenter, konsensfähiger Theoriebildung bei gleichzeitiger Spezifizierung von
Gegenständen für spezifische PR-Theorien aus als brauchbar herausgefilterten beste-
henden wissenschaftlichen Theoriegebäuden und empirischen Erfahrungsschätzen
(z.B. der Kommunikationswissenschaft oder der Psychologie). Zum Überblick über
entsprechende Theorieansätze siehe z. B. die Übersicht bei Kunczik (2002).
Da eine Verwissenschaftlichung der Fortschreibung von Professionalisierung zu-
träglich ist, liegt den Protagonisten der Public Relations unter den Kommunikation-

2
An dieser Stelle soll die historische bzw. gesellschaftspolitische Einordnung und Vorbedingung der PR
nur mit einem Hinweis auf die Grundlegung von Ronneberger/Rühl erfolgen (1992: 9): „Wir optieren
(...) für die Auffassung, daß Public Relations im engen Verbund industriegesellschaftlicher Prozesse
und deren öffentlicher Kommunikation (Publizistik) etwas Neues ist, das als Kommunikationsform erst
´erfunden´ werden mußte. Wir behaupten und versuchen zu belegen, dass Public Relations nur in mo-
dernen Gesellschaftsformationen zu beobachten ist, in denen die Motive und Lebensweisen der Men-
schen durch Freiheit und Frieden, durch Arbeit und Beruf, durch Sicherheit und Chancengleichheit,
durch soziales Vertrauen, soziale Verantwortung sowie durch weitere Lebensgrundlagen von bisher
ungeahnter Komplexität ermöglicht werden.“
PR-Theorie? PR-Theorie! 203

Schaffenden – in der Praxis wie in der Theorie – auch daran, an diesem Prozess der
Verwissenschaftlichung aktiv mitzuwirken. Ziele der Theoriebildung in der PR sind3:
• Begründung des Bedarfs und Abgrenzung des Bereichs der Public Relations,
• Erarbeitung eines Inventars von Grund- und Spezialbegriffen der Public Relations
zur möglichst widerspruchsfreien Verständigung über den Gegenstandsbereich in
Form eines theoretischen Kategoriensystems bzw. mehrerer Systeme,
• sukzessive Modellbildung, um kommunikative Ereignisse bzw. Prozesse abbilden
zu können, verstehbar, erklärbar und bestenfalls vorhersagbar zu machen sowie
• Fokussierung der theoretischen Modellbildung insbesondere in dem Gegenstands-
bereich der Public Relations, in dem ein hohes und originäres Problemlösungs-
potenzial dieser anwendungsbezogenen Wissenschaft gesehen wird (damit einher-
gehend: Identitätsstiftung und Abgrenzung zu anderen Kommunikationsdiszipli-
nen).
Aufbauend auf der Gegenstandsbestimmung und -klärung stellen Theorien bekanntlich
ein System von Begriffen, Definitionen und Sätzen dar: „Unter Theorie versteht man
ganz allgemein Sätze oder Gesetze mit gewissen Eigenschaften und Inhalten. Theorien
dienen vor allem der Zusammenfassung, Koordination, Reproduktion, Erklärung und
Voraussage von Phänomenen.“ (Götschl in Speck 1980: 636). Theorien sollen also ei-
ne Gegenstandswelt wie die Public Relations ordnen und die sich im Wechselspiel mit
der während der empirischen Prüfung der Theorie sukzessive entwickelnde Erkenntnis
über den Gegenstandsbereich strukturieren und den Erkenntnisprozess lenken. Theori-
en sind folglich an der Wirklichkeit zu überprüfende und prüfbare wissenschaftliche
Behauptungen (vgl. Mast 2006: 29). Sie stellen die relevanten Beobachtungskategorien
für den Kommunikationsalltag dar, den es angemessen zu erfassen gilt. Für den Be-
reich der Kommunikations- und Sozialwissenschaften gelten dabei Theorien von nur
„mittlerer Reichweite“ (vgl. Scheufele 2006: 186) (des Vorhersage-, Erklärungs- und
Bedeutungshorizonts) als typisch bzw. üblich.
Ob sich aufgestellte Theorien der Public Relations aus wissenschaftstheoretischer
Perspektive als sinnvoll erweisen, hängt davon ab, ob sie die ihnen grundsätzlich zuge-
sprochenen Funktionen erfüllen (vgl. Merten 2000a: 319 f. bzw. auch Kunczik 2002:
70 in Anlehnung an Hazleton/Botan 1989: 11 f.):
• Sie sollen die soziale Wirklichkeit von „Kommunikation“ ordnen, d.h. sie haben
eine Ordnungsfunktion.
• Sie sollen Vorhersagen über kommunikatives Geschehen erlauben, d.h. sie haben
eine Prognosefunktion.
• Sie sollen uns die Welt der Kommunikation erklären, d.h. sie haben eine Erklä-
rungsfunktion.

3
Die nachfolgende Aufzählung orientiert sich an den Ausführungen von Szyszka, dargelegt im Vortrag
„Standortbestimmung: Public Relations als Angewandte Wissenschaft. Ein Werkstattbericht.“ auf der
Fachtagung „Public Relations als Angewandte Wissenschaft“ am 4./5. Oktober 2001 am Institut für
Kommunikationsmanagement der Fachhochschule Osnabrück, Standort Lingen.
204 Susanne Femers

• Und sie sollen schließlich auch noch helfen, neue Zusammenhänge über Kommu-
nikation zu entdecken, d.h. sie haben schlussendlich eine heuristische, eine Ent-
deckungsfunktion.
Bezogen auf die Begriffsklärung und ihre Ordnungsfunktion gibt die PR bis heute ein
ambivalentes Ergebnis ab: In der Definitionsarbeit sind die Hausaufgaben gemacht, ja,
es ist hier vielleicht auch zu viel des Guten getan worden. Hunderte von Definitionen
sind von verschiedenen Forschern im In- und Ausland erarbeitet und zusammengetra-
gen worden (vgl. hierzu z. B. Kunczik 2002: 23f sowie Mast 2006: 11). Aber noch gibt
es kein gefestigtes Selbstverständnis, der Begriff der PR ist vielmehr unklar, umstritten
und wird mit wildem Eifer auch gerne widersprüchlich oder zumindest multi-
perspektiv und facettenreich definiert (Merten 1999: 256f.; Bentele/Will 2006: 151;
Fröhlich 2008: 95f.). Dies steht allerdings in der guten alten Tradition akademischer
Selbstveredelung durch Vernebelung. „Welche Wissenschaft weiß schon sicher, wor-
über sie redet?“ möchte der Zyniker fragen.
In diesem Zusammenhang ist auf einen selbst verursachten Teufelskreis der (PR-)
Wissenschaft für die Theoriebildung zu verweisen: „Solange das Erkenntnisobjekt
nicht präzise definiert ist, ist es schlechterdings nicht möglich, Theorien über PR als
brauchbar oder weniger brauchbar einzustufen.“ (Merten 1999: 278). Wer sich selbst
ein Bein stellt, darf nicht klagen, wenn er stolpert. Kunczik (2002: 51) identifiziert al-
lerdings das Klagen über den Mangel an Theorie bzw. die Unzulänglichkeiten der bis-
herigen Theoriebildung als charakteristisch für die sozialwissenschaftliche Theoriedis-
kussion.
Als ein praktisches wie wissenschaftstheoretisches Kernproblem der Theorieschaf-
fenden in den Public Relations auf dem Wege der wissenschaftlichen Fundierung er-
weist sich vor dem Hintergrund der oben geschilderten funktionalen Anforderungen
der Gegenstand der „Beziehungspflege“ einerseits wie die Komplexität des damit ein-
hergehenden Kommunikationsgeschehens andererseits. Was macht es so schwer, Erei-
gnisse in dieser Kommunikationsform vorherzusagen und zu erklären? Erfahrene PR-
Leute lehren, dass „Beziehungskisten“ (Avenarius 2000: 49) nicht immer voraussehbar
und planbar sind. Mehr noch möchte der im Leben weise und in seinen wissenschaftli-
chen Bemühungen noch immer nicht klug Gewordene hinzufügen: Beziehungen haben
eine Eigendynamik, die sich rationalen Erwägungen entzieht. Außerdem gibt es so un-
terschiedliche Beziehungstypen: Hier sind sowohl geordnete als auch ungeordnete
Verhältnisse zu betrachten, Zweierbeziehungen mit Vertragscharakter stehen neben
solchen, die man als „wild“ klassifizieren muss und einige sind so flüchtig, dass kaum
Zeit für die wissenschaftliche Anschauung des Erkenntnisobjektes bleibt.
Nun zur Komplexität des Gegenstandes der Wissenschaft Public Relations: Gerne
wird diese argumentativ bemüht, wenn es Kritik an einer Theorie zu entkräften gilt, die
nicht leistet, was sie leisten soll. Hierzu ist anzumerken, dass das Schicksal der Gegen-
standskomplexität schon andere Wissenschaften getroffen hat – und: Sie haben es er-
lebt, sie haben es erlitten und sie haben es gemeistert (vgl. die Wirtschaftswissenschaf-
ten oder die Psychologie als die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Men-
PR-Theorie? PR-Theorie! 205

schen). Eine große Menge an bzw. ein hoher Grad von Komplexität wissenschaftlicher
Inhalte sind quasi als Normalzustand einer Wissenschaft – auch einer recht unreifen –
aufzufassen. Wess (2005: 10) bezeichnet den daraus resultierenden Zustand auch als
„informationelle Hyperventilation“ – und dies ist nicht als „Krankheitssymptom“, son-
dern wie gesagt als Normalbefund zu verstehen.
Die Komplexität der Inhalte von Wissenschaft war bislang kein Grund am eigenen
Selbstverständnis einer Disziplin permanent zu zweifeln, statt dessen wurden Theorien
mit hohem Detaillierungsgrad, wenn auch nicht breiter Funktionalität hervorgebracht.
Auch in den Nachbarwissenschaften stünde es den Skeptikern an zu resümieren: „Aber
die letzte Verallgemeinerung des Wissens zur einzig richtigen Theorie über einen For-
schungsgegenstand bleibt nur ein fernes Ideal.“ (Avenarius 2000: 44). „Aber natür-
lich!“ ist darauf zu entgegnen und das ist auch völlig in Ordnung und dem Gegenstand
angemessen. Man kann sich – wenn man will – auch mit der Einsicht James Grunigs
(zit, n. Leeper 2001: 93) trösten, der befand, dass „... many theories apply to public re-
lations but there is no public relations theory.“ „So what?“ – möchte man hinzufügen:
Das ist eben die viel beschworene gegenstandsgebundene Interdisziplinarität.
Bezogen auf die oben genannten Ansprüche an Theoriebildung aus der Metaper-
spektive der Wissenschaftstheorie bleibt festzuhalten, dass die Public Relations im
Vergleich zu anderen „Novizinnen“ so schlecht gar nicht abschneiden. Aber: „Bis zu
einem gewissen Grade scheint es chic zu sein, diesen jungen Wissenschaftszweig mit
einer ähnlichen Häme zu besprechen wie den Berufsstand selbst.“ (Avenarius 2000:
36). Das Jammern anderer junger, wissenschaftlicher Disziplinen könnte durchaus
größer sein. Aber sie jammern nicht. Vielleicht wissen sie vielmehr: Nicht Selbstan-
klage, sondern Klappern gehört zum Handwerk. Und darin, im Klappern, in der Image-
Politur an der eignen Haustür, sind PR-Leute von Hause aus einfach schlecht. Das trifft
wohl auf die Wissenschaftler wie die Praktiker in gleicher Weise zu.

2 Die Perspektive der Theoriekritik


Der Ruf nach einer „ganz eigene(n), aus dem Fach selbst erarbeitete(n) und an seinen
Gegebenheiten geprüften Theorie der PR“ (Avenarius 2000: 36), den haben wohl
schon viele gehört, aber haben sie ihn auch verstanden? Glaubt man den unermüdli-
chen und harten Kritikern der PR-Theorieansätze, dann gab es trotz redlichem Bemü-
hen bislang so manches Scheitern. Im grundsätzlichen Glauben, dass man aus Fehlern
lernen kann und Kritik konstruktiv sein kann, sollen hier die Grundsatz-Kritiken an
PR-Theorien daraufhin geprüft werden, ob und wenn ja, welche Antworten sie auf die
Kernfragen erlauben: Was soll eine PR-Theorie leisten? Und was leistet sie nicht?
Welche der als grundlegend herausgearbeiteten wissenschaftstheoretischen Grund-
funktionen erfüllt die Theorie? Es gilt also die wissenschaftstheoretische Grundfunk-
tionalität der bestehenden Ansätze zu hinterfragen, um eine Bilanz der wissenschaftli-
chen Fundierung zu ziehen. Das Ergebnis stellt dann die Antwort auf die Frage dar, ob
eine Theorie oder Theoriegruppe die ihr abverlangte Ordnungsfunktion, Prognosefunk-
206 Susanne Femers

tion, Erklärungsfunktion und Entdeckungsfunktion erfüllt. Dabei sind unterschiedliche


Typen von Theorien auf ihre Funktionalität hin zu unterscheiden (vgl. Bentele/Will
2006: 152).
Alltags- und Anwendungstheorien der PR-Praktiker, auch „How-to-do-Theorien“
genannt, sind u.a. dafür kritisiert worden, dass sie keine Denkprämissen haben bzw.
diese nicht explizit machen und auch ihr Reflexionswissen der empirischen Prüfung
entbehrt, dafür aber vorschnelle Generalisierungen in Gang setzen, die in ihren Konse-
quenzen mehr dem Ruf der PR schaden als nützen können (vgl. zusammenfassend z.B.
Ronneberger/Rühl 1992: 25ff; Avenarius 2000: 54f. sowie Bentele/Will 2006: 152).
Die Fehlertoleranz in der Wissenschaft ist gemeinhin gering. Es gilt, besser nichts zu
wissen, als etwas Falsches gesagt zu haben, und etwas Genaues weiß man sowieso nie.
Diese Vorsicht ist sicher in begrenztem Maße sinnvoll. Doch sollte sie mehr als An-
sporn begriffen werden, dort die empirische Bestätigung des Wissenschaftlers für
kommunikative Sachverhalte nachzutragen, wo sie im Einzelfall dem Praktiker als
Lehre aus dem Berufsleben schon sinnfällig geworden ist.
Ein weiterer Vorwurf ist dieser Theoriegruppe insofern zu machen, als dass sie
schon der Definitions- und Ordnungsfunktion von Theorien nicht ganz gerecht wird, in
dem sie stark erklärungsbedürftige Begriffe (wie z.B. Vertrauen) zur Klärung des Ge-
genstandsbereiches von PR nutzt und auch eine Interessenidentität verschiedener
Kommunikatoren in und außerhalb der Unternehmenswelt unterstellt – und somit also
dem inhärenten Spannungsfeld der Öffentlichkeitsarbeit nicht gerecht werden kann
(vgl. Mast 2006: 31). Hier wäre zur Gewährung der Funktionalität zu fordern, dass die
Wissenschaft sich nicht im Nörgeln an der Praxis und ihren Theorieversuchen verliert,
sondern sich als eine Art „Technischer Überwachungs-Verein“ der PR-Praxis enga-
giert und überprüft, ob das, was nach Aussage des Praktikers funktioniert, auch wirk-
lich funktioniert, wie es funktionieren soll.
In diesem Zusammenhang gibt es sicher viel Neues zu finden, so dass die Entdec-
kungsfunktion einen hohen Stellenwert hat. Abstrahierte Gesetzmäßigkeiten über das
beschriebene Funktionieren sind Praktikern wie Theoretikern sicher am Ende herzlich
willkommen. Aber vorher ist zu fragen: Wie könnte der TÜV funktionieren? Kriterien
für die technische Überprüfung sind dort zu finden, wo konsistente Theoriebildung
schon stattgefunden hat und empirisches Wissen (so weit möglich) als gesichert ange-
sehen werden kann. Selbstverständlich haben sich die Kontrolleure des „Theorie-
TÜVs“ in ihrer Scientific-Community der Peer-Review zu stellen, um sich selbst so als
tauglich und tüchtig unter Beweis zu stellen. Eine TÜV-Pflicht ist selbstverständlich in
diesem Szenario nur als Selbstverpflichtung denkbar. Mit Blick auf die so genannten
„Praktikertheorien“ ist allerdings in Anlehnung an den Überblick und die Analyse von
Kunzcik/Szyszka (2008: 110f.) zu sagen, dass diese Theorien als „reflektierende Aus-
einandersetzung“ mit der praktischen PR-Arbeit formuliert für sich in Anspruch neh-
men können, in der Berufsfeldgeschichte lange Zeit den fehlenden wissenschaftlichen
Begleitdiskurs ersetzt zu haben und wesentliche Begriffe und Aspekte der PR – wenn
auch zwangsläufig oberflächlich – erfasst zu haben.
PR-Theorie? PR-Theorie! 207

Im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den kommunikativen


Wirklichkeiten der PR-Welt wurden dann eine ganze Reihe von Ansätzen entwickelt,
die auf reges Interesse und dann auf Kritik stießen. Eine sehr gute Übersicht zu wis-
senschaftlichen Theorien, Ansätzen und Modellen findet sich im Handbuch der Public
Relations von Bentele/Fröhlich/Szyszka (2008). Nur einige dieser Ansätze sollen hier
exemplarisch aufgegriffen werden.
An der definitorisch reifen systemtheoretischen Perspektive mit ausgeprägter Ord-
nungsfunktion für die Public Relations beispielsweise wurden folgende Aspekte kri-
tisch betrachtet: Der systemtheoretisch beschworene (vermeintlich) zu starke Einfluss
der Umwelt auf die Organisation konnte empirisch nicht so weit erhärtet werden, als
dass hier ein genuines Erklärungs- und Vorhersagepotenzial für Public Relations
ernsthaft weiter unterstellt werden konnte und sie daher auch für die Organisationspra-
xis unattraktiv erscheinen ließ (vgl. Avenarius 2000: 56; Theis-Berglmair 2003: 201).
Die amerikanische „Ehrenrettung“ der organisationalen Freiheit und kommunikativen
Selbstbestimmtheit fand deutliche deutsche Erwiderungen bzw. Relativierungen (vgl.
z.B. Ronneberger/Rühl 1992), die mit „Systemausdifferenzierungen“ und „Systemra-
tionalitäten“ Organisationen nicht mehr als reaktiv und überdeterminierte „Umfeldop-
fer“ begreifen, sondern der Gestaltbarkeit und damit dem Management von Kommuni-
kation, eben dem der Public Relations zugesprochenen Wesen, wieder mehr Raum ge-
ben. Heuristisch hat sich der Ansatz daher ausdrücklich bewährt. Allerdings ist er blind
für einige unschöne Grundwahrheiten der Kommunikationswirklichkeit: Es können
(und sollen) nun mal nicht alle wichtigen Interessen in dem durch Medien hergestellten
öffentlich Raum artikuliert werden und die Kommunikationschancen sind in unserer
Gesellschaft ja durchaus asymmetrisch verteilt (Bentele/Haller 1997, zitiert nach Mast
2006: 33). Auch der Mensch als handelndes Subjekt findet hier nicht die angemessene
Beachtung, die die Kommunikationswirklichkeit hingegen aber zeigt (vgl. Femers
2005: 91).
Was muss PR-Theorie vor dem Hintergrund dieser Kritik leisten? Sie muss dem
Gegenstand der intendierten Kommunikation in der Organisation Raum geben, d.h.
ihm theoretisch angemessen gerecht werden. PR-Theorie muss ihren Gegenstand ernst
nehmen, sonst kann sie ihn auch nicht erklären. Nicht nur zweckgerichtete, intendierte
Kommunikation mit Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist schematisch abzubilden, son-
dern auch nicht zweckgerichtete Kommunikation bzw. solche, deren Intention sich zu-
nächst dem Blick verstellt, ist in die Untersuchung einzubeziehen4.
Nicht als genuine PR-Theorie, sondern auch als allgemeiner Ansatz zur Kommuni-
kation PR aufgreifend und im disziplinären Zusammenhang sehr gut einordnend, ver-
steht der Konstruktivismus diese allgemein als „Prozeß zur Konstruktion wünschens-
werter Wirklichkeiten“ (Merten 1999: 260-261) und kann damit gerade das intendierte,
das strategische Moment dieses Kommunikationsprozesses und vor allem auch die
pointierte Fokussierung der Nutzenkommunikation in der Praxis der PR besonders gut

4
Zur methodischen Erfassung derartiger Phänomene und Prozesse stehen in den Sozialwissenschaften
genügend Instrumente bereit.
208 Susanne Femers

fassen und so zumindest teilweise Verstehen und Erklären mit der Fokussierung auf
mediale Kommunikation möglich machen (vgl. Mast 2006: 33). Allerdings gibt es ja
hier so viele Wirklichkeiten wie es Menschen gibt (vgl. Merten 1999: 283), was den
Konstruktivismus aufgrund des hohen Stellenwertes der Subjektivität wissenschafts-
theoretisch zumindest im nomothetischen Sinne so verdächtig wie das Unbewusste der
Psychoanalyse macht (vgl. im Überblick Femers 2005: 90 f.), da dort das Ausmaß des
intersubjektiv geteilten Wissens durchaus als begrenzt erscheinen muss bzw. mit un-
übersehbarem Aufwand der Erkenntnissicherung verbunden ist. Heuristisch betrachtet
bleiben hier allerdings keine Wünsche offen.
Das Konzept der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit von Burkart (1993)
erinnert auf wunderbare Weise an die Dialog- und Verständigungseuphorie der 1980er
Jahre, doch vermag das Konzept nur Teilbereiche des Gegenstandes der Public Relati-
ons zu fassen (vgl. Mast 2006: 32) – die Ordnungsfunktion ist also nur unzureichend
erfüllt. Und: Das Ideal erweist sich als ungeeignet, Normalität zu verstehen und zu er-
klären: „Die wissenschaftliche Verwendung des Dialogbegriffs folgt einer kommuni-
kationswissenschaftlichen Spur robusten Irrtums.“ (Merten 2000a: 336). Dieser Ansatz
leistet im Hinblick auf die Abbildfunktion und die Abstraktion von der Realität leider
nur wenig und kann auch nur bedingt die Suche nach Neuem in der Kommunikation
inspirieren.
Organisationstheoretische Ansätze schließlich begreifen Public Relations bekannt-
lich als Kommunikationsfunktion der Organisation mit der Fokussierung auf die Ma-
nagementfunktion, die sicher gewünscht und doch nicht immer verwirklicht ist (vgl.
hierzu die Grundmodelle nach Grunig/Hunt 1984). Auch als normatives Modell der
exzellenten PR-Praxis (Mast 2006: 37) die reale Asymmetrie kommunikativer Akte
eingestehend, kann der Ansatz doch nicht als rationales Entscheidungsmodell des
Handels in der Öffentlichkeitsarbeit überzeugen, da solche Entscheidungen oftmals
nicht bewusst, nicht rational sind und schon gar nicht in der Hand des „Kommunikati-
onsmanagers“ liegen müssen. Das organisationstheoretische Modell hat aber einen ho-
hen heuristischen Wert und in dieser Funktion durch spätere „Win-Win-Visionen“
immer wieder die Debatte über die ideale PR angeregt (vgl. hierzu Mast 2006: 38 f.).
Aber: Fairness in der Kommunikation kann es sicher nicht durch die blinde Vorhersa-
ge der Gewinne aller thematischen Anspruchsgruppen geben, sondern maximal durch
die Fairness, die im Prozess von allen Beteiligten einem Konsensfindungsverfahren
zugesprochen wird. In der nachfolgenden Tabelle 1 werden, wenn auch nur in Grob-
skizzierung und Unschärfen im Detail durchaus eingestehend, zusammenfassend die
zur Illustration ausgewählten PR-Theorieansätze einer Prüfung im Hinblick auf die Er-
füllung wissenschaftstheoretischer Grundfunktionen einer Theorie unterzogen:
PR-Theorie? PR-Theorie! 209

Tab. 1: Grundlegende Theoriefunktionen und ihre Erfüllung durch


ausgewählte Theorien der Public Relations
Theoriefunktion Ordnungs- Prognose- Erklärungs- Entdec-
funktion funktion funktion kungs-
funktion
Theorieansatz
Alltags- und Anwendungs- Teilweise Nein Nein Ja
theorien
Systemtheorie Ja Teilweise Teilweise Ja
Konstruktivismus Ja Teilweise Teilweise Ja
Verständigungsorientierte Teilweise Nein Nein Teilweise
Öffentlichkeitsarbeit
Organisationstheoretische Ja Teilweise Teilweise Ja
Ansätze

Selbstverständlich kann man das zu betrachtende Funktionsspektrum noch ausweiten


(vgl. Merten 2000b: 266) und PR-spezifischere Theorienfunktionen einbeziehen (wie
etwa die Betrachtung unterschiedlicher Teilbereiche der PR, verschiedener Gegenstän-
de und Anlässe der Beziehungspflege sowie den Instrumenteneinsatz und seine Wir-
kung (vgl. hierzu im Überblick wiederum Bentele/Fröhlich/Szyszka 2008). Aber es
würde nichts an der Gesamtaussage ändern, die als Resümee der untersuchten Theo-
rieperspektive steht: PR-Theorien können nur teilweise die ihnen wissenschaftstheore-
tisch abverlangten Funktionen erfüllen und stellen daher auf die Frage „Wozu PR-
Theorie?“ noch eine unbefriedigende Antwort dar5. Das positiv formulierte Ergebnis
der obigen Untersuchung lautet daher: PR-Theorien leisten viel, noch nicht alles, was
man ihnen abverlangen müsste, aber sie befinden sich auf einem spannenden Weg.
Denn in Bezug auf die Entdeckungsfunktion bestechen sie durch ein großes heuristi-
sches Spektrum. Dieser „heuristische Hype“ darf allerdings nicht durch übertriebene
Ansprüche an die „Machbarkeit“ von Theoriearbeit erstickt werden.

3 Die Perspektive der Public Relations-Praxis


Nun zur fachlichen Fundierung und dem, was die Praxis an dieser Bilanzierung an Bei-
trägen zu verzeichnen hat: Dass Theorien unglaublich praktisch sind6, hat sich unter
Theoretikern weithin herumgesprochen, für Praktiker sind sie aber unglaublich theore-

5
Dies trifft beispielsweise auf die Determinierungsthese (vgl. Raupp 2008: 192ff.) und das Intereffikati-
onsmodell (vgl. Bentele 2008: 209ff.) zu. Zur Rehabilitierung der Ansätze bzw. zur Vorbeugung von
Missverständnissen ist allerdings anzumerken, dass hiermit PR-Teiltheorien vorliegen, die vom An-
spruch her nicht den gesamten Gegenstandsbereich und das riesige Instrumentarium der modernen PR
abdecken wollen (vgl. Merten 2000b: 267f.). Ähnlich kann man auch die Ansätze von Grunig und Hunt
(1984: 22f.) bezüglich der Entwicklung von PR würdigen, aber muss auch die begrenzte Aussagekraft
für den Gesamtfunktionsbereich reklamieren (vgl. Merten 1999: 278; Röttger 2000: 45).
6
Dem Feldforscher Kurt Lewin wird bekanntlich der populäre Satz zugeschrieben „Nichts ist in der Pra-
xis brauchbarer als eine richtige Theorie.“ (vgl. Kunczik 2002: 70)
210 Susanne Femers

tisch. Über die Theoriefeindlichkeit von Praktikern ist an anderer Stelle genug gesagt
worden und der Theorie-Praxis-Antagonismus ist ausreichend reanimiert worden. Zu-
gegeben – es gibt sie durchaus: Die in Theoriefreiheit unbekümmert handwerkelnden
PR-ler, die mit der begrenzten Sicht des Pragmatismus auf ihr Tun blicken und zufrie-
den sind. Doch dies ist nur eine immer geringer werdende Teilpopulation einer immer
stärker akademisierten Berufsgruppe, die des Denkens über sich und ihr Tun durchaus
mächtig ist.
Tatsächlich sollte man davon ausgehen, dass kaum Praktiker so beschränkt sind in
ihrem Reflexionsvermögen, dass sie das Reflektieren über sich und ihr Tun tatsächlich
für überflüssig halten. Nur ist es nicht ihre originäre Aufgabe und sie finden sich nicht
so unterstützt wie die Wissenschaft Public Relations mit ihrem Anwendungsbezug im
Anspruch hier Unterstützung leisten müsste. Daher ist zu fragen: Was muss PR-
Theorie für den PR-Praktiker leisten?
Vielen PR-Praktikern ist im Verkaufsgespräch der unerschütterliche Glaube an den
Sinn und die Wirkung ihrer kommunikativen Bemühungen für den Kunden deutlich
anzumerken. Zu fragen ist doch hier: Woher nehmen sie diesen Glauben, ja die Ge-
wissheit, dass das Ganze, die Kampagne, das Event funktioniert? Aus der Theorie –
auch wenn es bei vielen „nur“ eine Praktiker-Theorie im Sinne der „PR-Alltags-
theorien“ bzw. der „Anwendungstheorien“ (vgl. Avenarius 2000: 54ff.) ist.
Neben dieser „Sinngebung“ und dem „Funktionsglauben“ durch Theoriebildung
muss die Wissenschaftlichkeit der Disziplin vor allem in solchen Situationen für den
Praktiker sinnfällig werden, wenn er vor Erklärungsnotstände gestellt ist. Diese erge-
ben sich immer dann, wenn es Etats zu verteilen, vom Kommunikationskuchen ein
Stück abzuschneiden oder die Fahne der PR im Wettkampf gegen andere kommunika-
tive Instrumente bzw. Disziplinen hochzuhalten gilt. Die gesamte Diskussion um die
Notwendigkeit der Evaluation in den Public Relations ist mit der theoretischen Kern-
frage des „Warum-funktioniert-das?“ (bzw. im Problemfall auch der Negation: „War-
um funktioniert das nicht?“) verknüpft.
Neben dem Anspruch erklären zu können, warum etwas funktioniert und erklären
zu können, warum etwas besser funktioniert als etwas anderes, bleiben einem Theore-
tiker auch nicht die anspruchsvollen Fragen aus der Anwendungserfahrung mit dem
Kommunikationstypus PR zu den misslichen Situationen erspart, wenn etwas einmal
nicht ganz oder überhaupt nicht funktioniert. Weil Wissenschaft hierzu Defizite auf-
weist, mag mancher Praktiker zur Frage „Wozu-PR-Theorie?“ nur noch müde lächeln
und abwinken. Aber Wissenschaftsverdrossenheit muss, um ernst genommen zu wer-
den, schon auf dem Boden eines angemessenen Verständnisses, von dem was Wissen-
schaft ist und tun kann, bleiben. Alles hat man eben noch nicht erforscht und situative,
spezifische Theorien zu jedwedem „Wie und Warum“ der Public Relations stehen eben
noch aus. Hier kann dann der kollegiale Schulterschluss zwischen Wissenschafter und
Praktiker gewagt werden, damit der Anwender von Theorien auch zu deren fachlichen
Fundierung seinen Beitrag leistet.
PR-Theorie? PR-Theorie! 211

Die Theorie braucht die Praxis, um eine „mature science“ der Public Relations zu
erarbeiten. Warum? Wozu PR-Praxis? Welche Funktionen hat diese zur Theoriebil-
dung? Sie muss Transparenz über ihr Tun schaffen, Einblicke in Tätigkeiten gewähren,
die aus Gründen der Qualitätsherstellung und der Professionalisierung nachvollziehbar
zu machen sind. Sie muss sich offen erweisen für Reflexion und Kritik, sie muss sich
darüber hinaus auch zum Nichtwissen des „Wie“ und „Warum“ ihres Alltagsgeschäfts
„Kommunikation“ sowie des resultierenden Erfolgs und Misserfolgs der kreierten
Konzeptionen und gestalteten Kampagnen stellen. Denn nur mit diesem Wissen um die
Details und Tücken des kommunikativen Gestaltungsauftrags können Theorien mit der
abstrahierenden und reflektierenden Abbildfunktion für die Realität sowie mit Vorher-
sage- und Erklärungskraft entstehen.
Vor dem Hintergrund der „integralen Bedeutung“ von Kommunikation in der un-
ternehmerischen Wertschöpfung (Schmid/Lyczek 2006: 129) ist dieses Wissen unab-
dingbar. Und alle Anstrengungen, diesen wert schöpfenden Beitrag nachzuweisen,
würden ansonsten gegenstandslos (vgl. hierzu im Überblick Zerfaß 2006: 430ff sowie
Pfannenberg/Zerfaß 2005). Zu fordern und zu fördern sind daher auch insbesondere
anwendungsorientierte Ansätze der Evaluationsforschungen wie der von Bonfadel-
li/Friemel (2006), die zeigen, wie gut von einer systematischen Meta-Analyse Theorie-
entwicklung durch Praxis-Theorie-Transfer profitieren kann. Erst dann, wenn die Pra-
xis allgemein reif genug ist, dies selbstbewusst (mit) zu leisten, würden sich auch lange
theoretische Abhandlungen zur unreifen PR-Theorie erübrigen.

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212 Susanne Femers

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PR-Theorien – Vergebliche Versuche
in der Halbwelt amerikanisierter Wissenschaft

Klaus Kocks

„We know that the tail must wag the dog, for the horse is drawn by the cart; But the
Devil whoops, as he whooped of old: It`s clever, but is it Art?“
(Rudyard Kipling, The Conundrum of the Workshops, 1890)

Nicht jeder mitteilsame Volkswirt, der sich in Investor Relations versucht, gehört zum
Fach – auch dann nicht, wenn er sein gehobenes Laienverständnis von Kommunikation
in Aufsätzen und Büchern formuliert, die vor Amerikanismen überlaufen; vor diese
bittere Wahrheit wird die Wissenschaft die Branche der Do-it-yourself-PR-Manager
stellen müssen. Dies ist kein Beitrag zum Antiamerikanismus, wenngleich der Termi-
nus der Amerikanisierung in der Theoriebildung verwendet wird; es geht um den deut-
schen Wissenschaftsbetrieb. Großen Mythen und Marken geschieht mit dem Ruhm,
den ihre bloße Bekanntheit bringt, auch das Unrecht, das man erfährt, wenn man zum
Symbol wird: Es werden unter dem Markenimage auch fremde Inhalte und Bezüge ge-
sehen. Man könnte dies semantische Piraterie nennen. So geht es sicher der Fast-Food-
Kette McDonalds, deren ‚brand‘ in der Kritik der Globalisierungsgegner nun als Na-
mensgeber für die Gefahr der ‚McDonaldisierung‘ herhalten muss. Die Kritik an der
McDonaldisierung der Welt ist Teil einer Kritik an Phänomenen der Amerikanisie-
rung, die ein kulturelles Paradigma postmoderner Dienstleistungsindustrie meinen, das
als amerikanisch wahrgenommen wird, ungeachtet der Frage, ob dies faktisch zutrifft
(wie bei der ‚Starbuckisierung‘ der Kaffeehauskultur) oder eben nicht (wie bei der in
Schweden ersonnenen Konfektionierung der Wohnkultur namens IKEA). Dies ge-
schieht vor einem kulturellen Horizont, den der Calvinismus geprägt hat, in dem man
sich also vor einem großen wissenschaftlichen Werk mit derselben Ehrfurcht verneigt
wie vor einem großen Vermögen, das jemand angehäuft hat (Letzteres ist zweifelsfrei
214 Klaus Kocks

der Ausweis göttlicher Gnade, Ersteres nur, wenn es die Indizierung Darwins beach-
tet). Wenn hier also von Amerikanisierung der Wissenschaft gesprochen wird, so ist
dies als ein solcher symbolischer Topos gemeint; man wird passim erinnert sein müs-
sen, dass es in den USA sehr europäische Orte gibt und in Europa sehr amerikanische.
Gemeint ist der Wandel des erwägenden ‚philosophischen‘ Diskurses der europäischen
Geisteswissenschaften in die pragmatisch determinierten ‚how to do in ten days‘-
Rezepte der ‚news to use‘-Kultur. Der Duktus aus Großmutters Kochbuch („Man
nehme…“) mischt sich in diesen PR-Theorien mit einer Kompilation angelesenen
Halbwissens und einem englischen Managementjargon, der der internationalen See-
fahrt unter Billigflagge eher entstammt als abendländischer Konversation (‚meet the
press‘/‚press the meat‘). Es gibt, so wird hier angenommen, keine originären PR-
Theorien, weil es keine originäre PR-Wissenschaft gibt, es sei denn, sie ist Publizistik,
die sich ebenso Journalismus, Lobbying, Propaganda oder Werbung widmen kann. Da
PR keine eigenständige oder gar eigengesetzliche gesellschaftliche Praxis ist, jeden-
falls nicht im Unterschied zum Journalismus, kann sie auch keine originäre Theorie
hervorbringen oder ihrer bedürfen. Mit der wissenschaftlichen Diskussion der Hypo-
thesen des Radikalen Konstruktivismus entwickelt sich in der deutschen Publizistik ei-
ne systematische und kybernetische Annäherung an die Phänomene der Massenkom-
munikation, die die alten Sortierkästchen beiseite fegt; die tragfähigsten Beiträge
kommen aus dem Westfälischen. Dem stehen als Managementlehren, insbesondere aus
den Federn ambitionierter Praktiker, aber viele rezeptologische Publikationen gegen-
über, die handwerklichen Ausbildungszwecken dienen sollen oder der Eigen-PR der
halbgebildeten Autoren nützlich sind oder bloße legitimatorische Funktion haben; die
Potsdamer Behandlung der so genannten Hunzinger-Affäre durch den Verband seiner
Berufskollegen, die scheinheilig bereit sind, den biblischen ersten Stein zu werfen, und
etwas, das typischerweise ‚media mind‘ heißt, stehen dafür als Beispiel.
Der Präsident des Berufsverbandes der Öffentlichkeitsarbeiter, der DPRG, hat sich
passim damit zitieren lassen, dass die Ausübung der Public Relations der wissenschaft-
lichen Vorbildung nicht so sehr bedürfe, eher schon einiger Practica. Dies legt die
Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei den Public Relations um eine Profession han-
delt, die in erster Linie auf Erfahrungswissen und einer gewissen handwerklichen Ge-
schicklichkeit beruht. Das Entsetzen der Hochschullehrer, jedenfalls in Münster und
München, über die Einlassung des Berufsverbandes ist verständlich, aber vielleicht an-
gesichts der Maßstäbe, die der Verband an seine Mitglieder stellt, gar nicht berechtigt.
Pädagogen wissen, dass eine ganz verhängnisvolle Ungerechtigkeit darin bestehen
kann, dass man sein Gegenüber vorsätzlich überschätzt und so die mittlere Begabung
unter den Anforderungen leiden lässt, die nur dem oberen Drittel gerecht würden. So
mag der Präsident der DPRG nicht nur die mittlere Qualität der Mitgliedschaft seines
Verbandes gerechtfertigt haben (wofür diese ja Beiträge bezahlen), sondern auch eine
Lebensweisheit bedient haben, die jeder kennt, der einmal unter einem vermaledeiten
Hexenschuss gelitten hat. Während vor dem gemeinen Bandscheibenvorfall ganze Ge-
schlechter von Professoren und Doktoren ratlos bleiben, also vorschnell zum Rezept-
Vergebliche Versuche in der Halbwelt amerikanisierter Wissenschaft 215

block oder Skalpell greifen, gibt es einige Chiropraktiker, die mittels weniger geheim-
nisvoller Verrenkungen das Problem im Handumdrehen lösen. An der Wand eines sol-
chen Wunderheilers hängt keine Promotionsurkunde einer gestandenen Alma Mater,
sondern ein exotisch wirkendes Blatt einer amerikanischen ‚university‘ im Mittleren
Westen, an der man das segensreiche Knocheneinrenken zu lehren vermag. Weitere
Geschichten von den Heilerfolgen ungenannter Heilpraktiker sind bekannt, die die
Schulmedizin gleichwohl mit Verachtung und wohl auch mit Neid ignoriert.
Die Theorien, derer sich beide Berufe, der des Mediziners und der des Heilprakti-
kers, bedienen, sind gänzlich unterschiedlicher Perspektive: Die eine öffnet sich wie
ein Trichter in immer weitere Verzweigungen immer speziellerer Teilwissenschaften,
die nur noch von den jeweiligen Fachwissenschaftlern beherrscht oder auch nur ver-
standen werden, die andere besteht aus einer überschaubaren Anzahl von Regeln, die
den Trichter intellektuellen Zweifelns schließen auf das Weltbild weniger Mythen.
Man nehme, just for the sake of the argument, an, dass der Schulmediziner viel weiß,
bis in Teilgebiete der neuesten Grundlagenforschung kundig ist, aber dem von der He-
xe geschossenen Zeitgenossen nicht helfen kann, und der Heilpraktiker zwar akade-
misch unbeleuchtet blieb und wohl auch gefährliche Wissenslücken hat, aber eben
auch glückliche, jedenfalls schmerzfreie Patienten. Wen gilt es nun zu loben und wen
zu tadeln? Die Frage beantwortet sich für denjenigen, den ein Problem plagt, von
selbst. Der Präsident der DPRG lobte also mit einem gewissen Recht seine amerikani-
sierten Heilpraktiker der PR, die mit wenigen Handgriffen das Unmögliche zu voll-
bringen vermögen – sich jedenfalls dessen rühmen.
Kein anderer Wissenschaftsbetrieb hat dem Prinzip der Ökonomie so sehr zur Gel-
tung verholfen wie der amerikanisierte. Damit ist hier nicht so sehr die wirtschaftliche
Verfassung der akademischen Landschaft insgesamt und einzelner Institute in den
USA gemeint, also das Verhältnis von staatlicher Förderung oder der Trägerschaft und
den Sponsorships aus der Privatwirtschaft; dies ist, wie Kipling sagt, eine andere Ge-
schichte. Besonders beeindruckend unter gehaltlichem Gesichtspunkt ist das Verhältnis
von intellektuellem Aufwand und Ertrag. Es kann nicht bestritten werden, dass die
erdrückende Mehrzahl von Nobelpreisen in den Vereinigten Staaten landen und das
Gros der Patente und Lizenzen amerikanischen Ursprungs ist. Gleichzeitig gibt es kei-
ne so genannte Kulturnation, in der ein vergleichbar hoher Prozentsatz von Schulab-
gängern Analphabeten sind oder mit Besinnungsaufsätzen im Realschulniveau akade-
mische Abschlüsse erzielt werden können. Selbst in der Spitze der Universitäten sind
Legionen von Dissertationen zu finden, die eine Mischung aus Besinnungsaufsatz,
Proseminararbeit und Gebrauchsanleitung charakterisiert. Vor Jahren wurde mir von
einer Arbeit ‚summa cum laude‘ berichtet, die die Goethe-Forschung mit der Frage
aufhellen wollte „How good is Faust?“ und zu dem mit acht Literaturangaben bewehr-
ten Ergebnis kam, dass er ziemlich gut sei. Dies erschien meinem Zeugen als Exempel
eines recht ökonomisch erworbenen Doktortitels, worauf sein Träger mit einigem Stolz
verwiesen habe.
216 Klaus Kocks

Wir wissen, dass das ökonomische Prinzip immer und überall das des Mangels und
seiner zielorientierten Bewältigung ist. Im Garten Eden bedarf es nicht der ökonomi-
schen Sachwaltung, aber im irdischen Jammertal, wo die Mittel karg und die Men-
schen roh sind. Das Effizienzprinzip sucht aus möglichst geringem Mitteleinsatz einen
möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Das heißt freilich, dass dem derart ökonomischen
Prozess eine Vorstellung dessen vorausgeht, was sein Ziel sein soll. Wenn man so will,
unterscheidet dies einen Arbeitsprozess von dem der künstlerischen Schöpfung. Im
Entstehen eines Kunstwerkes entwickelt sich dieses durch eine hochkomplexe Ausein-
andersetzung des künstlerischen Handwerks und der intellektuellen Intention mit dem
zu gestaltenden Gegenstand: Am Ende darf die Überraschung ruhig allseitig sein. An-
ders in unserem philosophischen Verständnis die Arbeit, die eben kein Spiel (im Schil-
ler’schen Sinne) ist, die eine zweckdienliche Vorstellung zu einer eben diesem Zweck
dienenden Realität gestaltet. Der Bildhauer Rodin hat seinen „Denkenden“ einem ge-
waltigen Stein abgerungen; ein Stuhl bedarf des Tischlers und des Holzes, aber nicht
jener Genialität, die drei Beine nach unten und eines nach oben weisen lässt; was man
allenfalls einem Beuys hätte durchgehen lassen. Im alten Europa ist Wissenschaft eine
Ambition in einem großen und tiefen Mythos, der Religion nicht unähnlich und zu-
gleich ihr eigentlicher Feind, allenfalls noch im Schiller’schen Sinne Spiel (also
Kunst), jedenfalls nie und nimmer irgendeinem Zweck verpflichtet, eine schnöde Ab-
sicht verfolgend. Im neuen Amerika ist Wissenschaft Arbeit, wenn nicht gar ein ‚job‘.
Die ‚get it done‘-Kultur misst auch ihre wissenschaftlichen Angänge am ökonomi-
schen Prinzip des möglichst geringen intellektuellen Aufwandes, um ein Problem ‚in
den Griff zu kriegen‘, also eine pragmatische Perspektive aufzuweisen. Das hat nichts
mit der auch in Europa geläufigen Unterscheidung von Anwendungsforschung und
Grundlagenforschung zu tun, also grosso modo den Aufgabenbereichen von Fach-
hochschulen und Universitäten; es geht um ein ‚cultural gap‘. Dem Stellenwert des
Ökonomischen im Intellektuellen entspricht ein anderer kultureller Stellenwert von
Wissen einerseits und Pragmatismus andererseits, den man in traditioneller europäi-
scher Sprache vielleicht mit Bauernschläue hier und Bildung dort umschreiben könnte.
Die Bauernschläue, auch die der rauchenden Colts, stilisiert in hunderten von Fil-
men durch vagabundierende Viehtreiber, vulgo Cowboys, sollte, obwohl uns die
Sprachgeschichte ein solches Wort nicht geschenkt hat, Handwerkerschläue, im Engli-
schen viel treffender ‚craftmanship‘, heißen. Der Handwerker, wollen wir ihn vom
Künstler unterscheiden, setzt sehr großes Geschick auf die Herstellung eines Ge-
brauchsgegenstandes, der seinen Wert in eben dieser Gebräuchlichkeit findet. Dabei
wird man mit Achtung bemerken, dass der Gebrauchsgegenstand seine eigene Ästhetik
hat, eben das, was man heute Design nennt und so treffend definiert mit ‚form follows
function‘. Die künstlerische Form, also die eines Kunstwerkes, mag vielem folgen oder
niemandem, jedenfalls nicht einer Funktion des sie tragenden Gegenstandes. Die ame-
rikanische Soziokultur findet aber ein so vorwiegendes Interesse an der Funktionalität,
an dem, was irgendetwas macht oder nicht macht, dass es als Pendant dazu die schier
ungebrochene Bereitschaft gibt, das Ding selbst als Black Box zu akzeptieren.
Vergebliche Versuche in der Halbwelt amerikanisierter Wissenschaft 217

Die Kybernetik bezeichnet als Black Box ein System, dessen Struktur man nicht
kennt und nicht kennen muss, weil man es über seine Funktionen ‚definiert‘ (niemals
lassen sich die Strukturen aus den Funktionen deduzieren – man weiß aus Erfahrungs-
wissen, was es voraussichtlich tut, aber nicht, was es ist, aber das ist eben auch nicht
die Frage). In diesem Horizont stellt man erstaunt und mit Erheiterung fest, dass der
Zitronenfalter gar keine Zitronen faltet, obwohl er so heißt; ein europäisches Parado-
xon, das der Neuen Welt fremd ist. Der Umgang mit Computern lässt vielleicht der ge-
samten Menschheit keine andere Chance, als sich demütig gegenüber den überhand
nehmenden Black Boxes zu verhalten, aber auch das ist eine andere Geschichte. Boris
Groys (2000) erhellt sie in ‚Unter Verdacht‘, seiner ‚Phänomenologie der Medien‘,
mittels der Annahme eines ontologischen Verdachtes: „Für Marx offenbart sich das
Innere der sozialen Welt als die verborgenen ökonomischen Kräfte und Verhältnisse,
die die Realität des menschlichen Lebens zwar innerlich bestimmen, aber sich dem
menschlichen Bewusstsein üblicherweise in entstellter ‚unwahrer‘ unaufrichtiger Form
zeigen. Für Freud manifestiert sich das Innere als libidinöses Unterbewusstsein, das
seine eigentliche Beschaffenheit und Dynamik hinter seinen äußerlichen Symptomen
verbirgt. Und für Nietzsche offenbart sich als Weltinneres der Wille zur Macht, der,
um seine Lebensziele zu erreichen, notwendigerweise mit Lügen und Illusionen ope-
rieren muss, die somit die Oberfläche des Bewusstseins vollständig besetzen. Die Din-
ge präsentieren sich dem Weltbetrachter demnach notwendigerweise falsch. Nur in
wenigen Ausnahmefällen wie in sozialen Revolutionen, Träumen von Neurotikern
oder Willensausbrüchen von blonden Bestien offenbart sich das Innere der Welt so,
wie es in Wahrheit ist – und bestätigt damit den anfänglichen Verdacht.“ Von solchen
Hintergründigkeiten eines quasi-ontologischen Verdachtes sind die amerikanisierten
Wissenschaften frei. Hier wird nicht räsonniert, sondern repariert.
Der Tempel jenes menschlichen Typus, den die Philosophie schon vor der Entdec-
kung, die Christopher Kolumbus zugeschrieben wird, ‚homo faber‘ genannt hat, um
ihn vom ‚homo ludens‘, dem spielenden, kreativen Menschen, oder dem ‚homo politi-
cus‘ zu unterscheiden, ist der DIY (‚do it yourself‘), auch Baumarkt genannt. Es
herrscht der Gestus des Reparierens in jenem Halbwissen und Halbkönnen, das den
Heimwerker auszeichnet, eine Semiprofessionalität, die auch die herrschende PR-
Praxis leider bis heute kennzeichnet. Die Verschiebung der Frage, was ein bestimmtes
Ding ist, zu der Frage, was es mache (Funktion statt Identität), feiert hier Triumphe bis
in die Sprache hinein. Der klassische Expositharzkleber („Woraus besteht er?“) hieß
eine Zeit lang Zweikomponentenkleber („Wie wende ich ihn an?“), bis er ein amerika-
nisches Rebranding erfahren hat und nun stolz als Markennamen führt: „Fix-it-all“
(„Was macht er?“ – „Er macht alles wieder heil!“). Das ist der Diskurs der ‚hidden
persuaders‘ der Werbung: die Auslobung eines Gebrauchswertversprechens, das nicht
mehr den eigentlichen Gebrauchswert als Eigenschaft des Produktes beschreibt, son-
dern ein Glücksversprechen, das an seiner Funktion hängt. Marlboro ist Freiheit und
Abenteuer – kein kleines Versprechen. Der Kleber heilt alles, ein messianischer An-
spruch. Dabei kann auch eine Nebennutzung zur Auslobung kommen; wer als Heim-
218 Klaus Kocks

werker (‚do it yourself‘) mit dem Hammer auch schon mal den Daumen getroffen hat
statt des Nagels, dem braucht man nicht zu erläutern, warum ein Montagekleber, mit
dem Deckenleisten und Rahmen geklebt werden können, jetzt als Produktnamen führt:
„No more nails“. Man muss neidlos zugeben, dass die Homonymie der ‚nails‘ vom
vertrackten Metallstift einerseits und dem blauen Daumennagel andererseits durchaus
literarische Qualität hat. Eine Analyse der Erfolgstitel von Sachbüchern in den ameri-
kanischen Charts würde zeigen, dass die vorherrschenden Diskurse, die die Titel der
Bücher formulieren, die der Funktion und des Aufwandes sind. So werden in Deutsch-
land die Titel des Magazins Focus („… und immer an die Leser denken!“) gemacht.
Eine möglichst weitgehende Funktion wird mit einem möglichst überschaubaren Auf-
wand versprochen; es herrscht die Stilistik der Rezeptologie, die Paul Simon bereits
vor Jahrzehnten in ‚Fifty ways to leave your lover‘ charakterisiert hat. Deshalb liegen
amerikanische Dissertationen vor uns, die sich lesen wie der Packungsaufdruck einer
Fertigsuppe. Der größte Teil der PR-Literatur der 1960er, 1970er und 1980er Jahre hat
den Charakter eben dieses prätentiösen Pragmatismus; in der Sprache der 1950er Jahre
handelt es sich um Handreichungsliteratur: „Hop on the bus, Gus. Just drop the key,
Lee.“
Eine Theorie, die diesen Namen verdient, also zumindest den ohnehin bescheide-
nen Ansprüchen des Positivismus entspricht, liefert eine einheitliche Erklärung von
Phänomenen auf der Basis eines gesicherten induktiven Zugangs, die in einem System
eineindeutiger Begriffe zwischen gesicherter Erfahrung, abgeleiteten Hypothesen und
vermuteten Gesetzlichkeiten präzise unterscheiden lässt. Es ginge um eine erste Ky-
bernetik, wenn man das Niveau des Konstruktivismus, wie es Niklas Luhmann mit Be-
zug auf Heinz von Foerster tut, Kybernetik zweiter Ordnung nennt. Wenn man zur Be-
ruhigung der Gemüter einräumt, dass es sich bei der Systemtheorie nicht um eine
Glaubensbewegung handelt und Luhmann so viel und so gelegentlich Verstiegenes ge-
schrieben hat, dass es also reicht, seinen Ansatz verstanden zu haben, wird man doch
sagen dürfen: Nicht einmal die Kybernetik erster Ordnung ist den hier inkriminierten
PR-Theorien gemein. Es wird so nonchalant gegen das Induktivitätsgebot verstoßen,
dass man von ideologischen Texten sprechen muss, die aus einer weltanschaulichen
Voreingenommenheit deduzieren. Der unglückselige Terminus aus der marxistisch-
leninistischen Literatur von der „Einheit von Theorie und Praxis“ tut als Gespenst sein
Übriges. Ein wissenschaftlicher Anspruch beginnt aber nicht mit einer hübschen Lö-
sung eines hässlichen Problems, sondern mit einer ganzen Reihe von radikal ‚unprakti-
schen‘ Verweisungen. Es gibt keine Erkenntnis ohne Erkenntnistheorie. Es gibt keine
Wissenschaft ohne Wissenschaftsgeschichte. Es gibt keine Theorie ohne Begriffe (das
meint Kategorien, nicht Deskriptionen!). Es gibt keine Begriffe ohne Systeme. Wer bei
einem System nicht zwischen Struktur und Funktion unterscheiden kann, sollte für den
wissenschaftlichen Verkehr die allgemeine Fahrerlaubnis verlieren …
Mit alldem sind die wissenschaftlich wirklich relevanten Fragen, die Luhmann
(1996) am Ende seiner ‚Realität der Massenmedien‘ verklausuliert „Beobachtungsky-
bernetik zweiter Ordnung“ genannt hat, noch nicht berührt. Da es um die Frage gehe,
Vergebliche Versuche in der Halbwelt amerikanisierter Wissenschaft 219

was das wissenschaftliche Beobachten beobachte, gerate man in der „Technik der Er-
schütterung des festgefahrenen Glaubens“, des common sense, in die Figur der Para-
doxie. Gerade die Publizistik sei hier aufgerufen, sagt Luhmann; und man kann in sei-
nem Sinne hinzufügen, die PR allemal. „Der krasse Widerspruch zwischen den Selek-
tionsverfahren der Massenmedien und ihrem Erfolg im Konstruieren der Realität, nach
der die Gesellschaft sich richtet, mag dazu ein besonderer Anlaß sein.“ (Luhmann
1996) Es gehe nicht darum, was der Fall sei, was uns als Welt und Gesellschaft umge-
be. Die wirklich intellektuelle Frage laute: „Wie ist es möglich, Informationen über die
Realität zu akzeptieren, wenn man weiß, wie sie produziert werden?“ (Luhmann 1996)
Die von Luhmann gefundene und mit großem intellektuellen Vergnügen ertragene Pa-
radoxie mag man in einer Episode um den eingangs zitierten Kipling wiederfinden. Als
ein Magazin, etwas voreilig, seinen Tod meldete, schrieb er an den Verlag: „I`ve just
read that I am dead. Don`t forget to delete me from your list of subscribers.“
Nun mag man, ganz beseelt durch den im Anspruchsniveau schlichteren Pop-
per’schen Positivismus, einwenden, dass die Praxis doch hinlänglich beweise, ob eine
Theorie richtig oder falsch gewesen sei. „The proof of the pudding is in the eating.“
Das ist natürlich dummes Zeug. Dass etwas in der Praxis ‚geklappt‘ hat, hat keinerlei
Aussagewert darüber, ob das, was man für die Theorie dieser Praxis hält, wahr oder
unwahr ist. Zunächst einmal liegt zwischen dem Attribut ‚richtig‘ und der Kategorie
‚Wahrheit‘ eine Welt. Dann ist völlig ungesichert, ob das, was ein Akteur vor seiner
Tat als Theorie auffasst, überhaupt sein Handeln bestimmt hat. Die Eigeninterpretation
eines Handlungswilligen und die seiner Handlung implizit zugrunde liegende Auffas-
sung vom Handlungsgegenstand sind zunächst einmal getrennte Welten. Natürlich
kann man eine Vaterschaft auch dann auslösen, wenn man meint, dass der Klapper-
storch die kleinen Kinder bringt. Oder einen Völkermord unter Berufung auf die christ-
lichen Tugenden begehen.
Marx hat im ersten Band des Kapitals das Mysterium zu untersuchen gesucht, das
man kurz als Wertermittlung im Warentausch bezeichnen könnte. Dabei fällt der Satz
zur impliziten Logik des Warenverkehrs, die herrscht, auch wenn sie den einzelnen
Händlern nicht bewusst ist: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es!“ Der Satz hat Wissen-
schaftsgeschichte gemacht: Georg Lukacs macht ihn später zum Motto seiner Ästhetik
(er stammt ursprünglich aus Goethes Faust). Es geht um nicht mehr als die Erkenntnis,
dass die Elemente eines Systems zwar sich selbst als Elemente wahrnehmen, da ihnen
ein Ausschnitt des funktionalen Wirkens deutlich ist, aus diesen Funktionen aber nicht
die Struktur deduziert werden kann, die die eigentliche Identität des Systems bestimmt
– ob die Elemente ‚subjektiv‘ nun über dieses Wissen verfügen oder nicht. Es ist halt,
da hat Georg Büchner eben leider Recht, nicht jeder frei, der seinen Ketten spottet.
Die Selbstinterpretation des eigenen Handelns unterliegt neben der Wahrheitsfunk-
tion mindestens ebenso stark der Darstellungsfunktion des Akteurs. Wenn es sich dann
auch noch um eine gesellschaftliche Tätigkeit handelt, die eine okkulte Dimension hat,
zumindest aber eine gewisse Diskretion pflegt, wie es bei PR ja ganz zweifellos der
Fall ist, so ist nicht zu erwarten, dass die öffentliche Eigeninterpretation auf wissen-
220 Klaus Kocks

schaftliche Transparenz zielt. Gerade kommunikative Prozesse sind so hochkomplex,


dass die Komplexitätsreduktion, die die Akteure im Sinne ihrer Eigeninterpretation
vornehmen, nicht nur ausschnitthaft sind und auf Eigenlegitimation perspektiviert,
sondern kontrafaktisch sein können. PR ist also nicht das, was die PR-Praktiker als ihre
Praxis wähnen oder als solche darstellen. PR ist auch nicht, was die akademischen Be-
obachter der PR-Praxis mittels Zeitungslektüre als Theorie der PR wähnen. Es nicht
mal sicher, dass das, was die Beobachter für die Praxis halten, wirklich die Praxis ist.
Möglicherweise handelt es sich nicht nur um einen Ausschnitt, sondern um jenen Teil
der PR, der der Selbstdarstellung der PR dient. Oder es handelt sich um so genannte
‚case studies‘, ‚Störfälle‘ der PR, deren Aussagekraft von der Kenntnis des Normalbe-
triebes abhängt, die wiederum nicht gegeben ist.
Der erste Schopf, um sich aus diesem Sumpf der Selbstbezüglichkeit und Refe-
renzunsicherheit zu ziehen, ist die empirische Sozialforschung, also eine Kybernetik
der ersten Ordnung, die sich auf eine zweite Ordnung öffnen lässt. Sie ist in der Lage,
das Induktivitätsgebot einzulösen. Man wird an die PR herangehen müssen, wie Marie
Jahoda an die Arbeitslosigkeit in Marienthal (Jahoda 1933). Eine neue Generation der
Wissenschaftler geht seit einigen Jahren diesen Weg: Ulrike Röttger (2000) und Edith
Wienand (2003) seien genannt, weil sie nicht mit beiden Beinen im Himmel ihres
ideologischen Vorsatzes stehen, sondern sich der Realität versichern. Dass die empiri-
sche Sozialforschung wie jede Soziologie der philosophischen Fundierung bedarf, wis-
sen wir. Natürlich wird hier keinem naiven ‚Fliegenbeinzählen‘ das Wort geredet. Man
könnte vorschlagen, PR-Theorien, die sich nicht durch Befunde der empirischen Sozi-
alforschung ausweisen, die Zumessung der kommunikativen Kompetenz zu verwei-
gern. Wenn nur aus einem ideologischen Vorverständnis deduziert wird, das meist
auch noch unhinterfragt bleibt, dann sollte man vielleicht doch lieber über Fußball, Sex
oder das Wetter reden.
Wenn der Anspruch einer Bildung, die als Voraussetzung kommunikativer Kompe-
tenz in der Publizistik gesehen wird, berechtigt ist, so könnte man einen Streit um den
Kanon beginnen, der dazu als ‚Eintrittskarte‘ rezipiert sein muss. Es ist schwer vor-
stellbar, dass es dabei abgeht ohne Kants Kritiken, Hegels Phänomenologie und das
Marx’sche Kapital, Freuds Psychoanalyse und den französischen Strukturalismus, La-
zarsfeld und Jahoda, Habermas und Luhmann, S. J. Schmidt und Merten … eigentlich
eben all jene Werke, die zum Philosophicum gehören und darüber hinaus von Holtz-
Bacha und Kutsch dankenswerterweise in dem leicht zugänglichen Band ‚Schlüssel-
werke für die Kommunikationswissenschaft‘ (Holtz-Bacha/Kutsch 2002) versammelt
sind. Die der akademischen Lehre ernsthaft verpflichteten Publizisten sollten dazu und
darüber hinaus ein Kompendium planen, in dem im Sinne der kommunikativen Kom-
petenz für PR jene Studientexte versammelt werden, die man idealtypisch als Bil-
dungsstrecke verstehen möchte, die rezipiert und diskutiert sein sollte. Man sähe, nur
um dem Gedanken eine äußere Form zu geben, ein fünfbändiges Werk mit gut zwei-
tausend Seiten vor sich, eine Quellensammlung, die als intellektuelles Archiv dieser
Publizistik verstanden würde. Bei allem berechtigten Widerwillen gegen eine Verschu-
Vergebliche Versuche in der Halbwelt amerikanisierter Wissenschaft 221

lung der akademischen Lehre hätte das Kompendium den Vorteil zu definieren, von
welchem Grad der Ignoranz an die Gesellschaftsfähigkeit für einen PR-Theoretiker
nachhaltig gefährdet wäre. Wie bei den Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts wäre ein
Regulativum der innerakademischen Diskussion der Streit darum, was in das Kompen-
dium endlich aufgenommen werden sollte oder nicht mehr dazugehört. Natürlich ist
dem Autor dieser Zeilen klar, dass es sich bei diesem Gedanken um eine Provokation
handelt, die ein postpubertäres Moment hat. Es wird hier und jetzt gleichwohl vorge-
schlagen, mit überhaupt niemandem mehr über ‚PR-Theorie‘ zu diskutieren, der nicht
mindestens die ‚Arbeitslosen von Marienthal‘ gelesen hat, die achte Feuerbach-These
aufsagen kann und erinnert, wer wo aus der Eröffnungsszene des Hamlet den guten
Horatio („So have I heard, and do in part believe it.“) zitiert.
Dass die Definition des Mindestmaßes an Belesenheit eben nur eine notwendige
und noch keine hinreichende Voraussetzung des Wissenschaftsbetriebes bildet, ver-
steht sich von selbst. Nur ein Beispiel sei genannt, das in die wissenschaftliche Diskus-
sion eingegangen ist, weil sich die Redaktion der anspruchsvollen Fachzeitschrift „Pu-
blizistik“ entschlossen hat, einen überaus polemischen Angriff des Mainzer Publizi-
stikprofessors Michael Kunczik (2001) auf seinen Kollegen Rolke abzudrucken. Lo-
thar Rolke zeigt sich in seinen Aufsätzen als gnadenloser Eklektiker, der alles zusam-
menrafft, was es zusammenzuraffen gibt. Er weiß in dem angesprochenen Kanon
Theorieansätze zu verbinden (Rolke 2002), die wissenschaftsgeschichtlich und syste-
matisch schlicht nicht zu verbinden sind; so kompiliert er etwa Habermas und Luh-
mann, als seien sie Pat und Patachon aus dem Harvard-Baumarkt. Er kann dies, weil
er, das muss man unterstellen, Adorno nicht kennt. Ein wenig peinlich ist das schon.
Norbert Bolz bringt es so auf den Punkt: „Nach Adornos Tod gab es nur die Alternati-
ve zwischen Paradigmenwechsel und Theoriesanierung. Für das neue Paradigma steht
Luhmanns Systemtheorie, für die sanierte Kritische Theorie steht Habermasens Projekt
der Moderne … Was viele Anhänger von Jürgen Habermas an seinem großen Gegen-
spieler Niklas Luhmann geärgert hat, ist, dass dieser es scheinbar bei einer Beschrei-
bung der modernen Gesellschaft beließ, statt sie zu ermahnen und zu kritisieren. Das
ganze Leben lang von der Gesellschaft lernen – das soll Soziologie sein? Ganz anders
Habermas. Er will die Gesellschaft belehren, statt von ihr zu lernen … Dafür gibt es
ein für uns unüberbietbares Paradigma: die Reeducation, das Besatzungsregime in den
Köpfen.“ (Tagesspiegel vom 3. Mai 2003) Auf die Luhmann’schen Korpuskel in Rol-
kes Kompilationen hat Michael Kunczik, dem selten allzu große theoretische Belesen-
heit nachgesagt wird, dramatisch reagiert (Kunczik 2001): mit der Forderung eines
Lehrverbotes für seinen Kollegen; das dürfe man nicht an Studenten Ohren gelangen
lassen! Dass die Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift ‚Publizistik‘ einem
solchen Unterfangen, das mindestens grundgesetzwidrig ist, wie einleitend angespro-
chen, die Ehre der Publikation gaben, ist ein weiterer Skandal. Die ‚Publizistik‘ mag
als Organ einer demokratischen Wissenschaftsgemeinde damit diskreditiert sein; das
ist eine Frage des Geschmacks oder der ‚political correctness‘, also keine wissen-
schaftlich relevante. Eigentlich sind viele solcher Skandale zu wünschen, wenn sie auf
222 Klaus Kocks

dem Boden des Kanons wissenschaftliche Disputation und damit Fortschreiten der Er-
kenntnis sind. Es gilt, was Umberto Eco in seiner Analyse der ‚Kraft des Falschen‘
(Eco 2003) gesagt hat: „Wenn man bedenkt, dass jemandem der Verdacht, die Sonne
drehe sich um die Erde, in einem bestimmten Moment der Geschichte ebenso verrückt
und verwerflich erschienen war wie uns heute der Verdacht, das Universum existiere
womöglich gar nicht, dann ist es gut, sich den Kopf frei und kühl zu halten für den
Moment, in dem die Gemeinschaft der Wissenschaftler dekretieren könnte, dass die
Idee des Universums eine Illusion war, so wie die der Erde als flacher Scheibe und die
der Rosenkreuzer. Im Grunde ist es die erste Pflicht des gebildeten Menschen, sich be-
reit zu halten, die Enzyklopädie jeden Tag neu zu schreiben.“
Die Kanonisierung fachlicher Mindeststandards und der ständige akademische
Streit um den Kanon ist nicht so elitär, wie es der Begriff vielleicht nahelegt; mit allen
anderen Kolleginnen und Kollegen, die sich vorsätzlich außerhalb der Kenntnis des
Kanons (nicht Befürwortung einzelner Elemente! Kenntnis!) bewegen, kann man ja
über die Praxis reden oder das Wetter oder Fußball oder über ‚Fifty ways to leave your
lover‘, wo es ganz konstruktivistisch heißt: „The problem is all inside your head …“
und dann ganz praktisch wird: „Just slip out the back, Jack. Make a new plan, Stan.
Don`t need to be coy, Roy. Hop on the bus, Gus. Just drop off the kee, Lee, and get
yourself free.“

Literatur
Eco, Umberto (2003): Die Bücher und das Paradies. München
Groys, Boris (2000): Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien. München
Holtz-Bacha, Christina / Arnulf Kutsch (Hg.) (2002): Schlüsselwerke für die Kommunikationswis-
senschaft. Wiesbaden
Jahoda, Marie (1933): Die Arbeitlosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wir-
kungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Leipzig
Kocks, Klaus (2001): Glanz und Elend der PR. Zur praktischen Philosophie der Öffentlichkeitsarbeit.
Wiesbaden
Kocks, Klaus (2002): Journalismus und PR: Yin und Yang. In: PR-Magazin, 33. Jg. / Heft 4: 43 ff.
Kunczik, Michael (2001): Dr. Fox lebt oder warum laut Lothar Rolke Public Relations gesellschaft-
lich erwünscht sind: „If you can’t convince them, confuse them“. In: Publizistik, 46. Jg. /
Heft 4: 425-437
Luhmann, Niklas (1996): Die Realität der Massenmedien. 2. erw. Aufl. Opladen
Rolke, Lothar (2002): „Don Quichote never dies!“ Auf dem gefährlichen Weg zu einer Theorie der
Public Relations. In: Publizistik, 47. Jg. / Heft 1: 83-89
Röttger, Ulrike (2000): Public Relations – Organisation und Profession. Eine Berufsfeldstudie. Wies-
baden
Wienand, Edith (2003): Public Relations als Beruf. Kritische Analyse eines aufstrebenden Kommu-
nikationsberufes. Wiesbaden
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte

Michael Kunczik

Vorbemerkungen und Begriffsklärung


Das Verhältnis von Theorie und Praxis stand im Zentrum des Wissenschafts-
verständnisses von Kurt Lewin, dem der Satz zugeschrieben wird, dass nichts so prak-
tisch sei wie eine gute Theorie (Marrow 1969: VIII). Lewin war einer der Begründer
der Aktionsforschung, der es um die Lösung praktischer Probleme in Organisationen
ging, die aber ohne Theorie nicht möglich sei (z.B. Marrow 1969: 153ff.). Aktionsfor-
schung verbindet die Analyse eines zumeist als unerwünscht eingestuften Zustandes
mit einem Programm der Änderung. Eine Theorie hat für Lewin zwei Funktionen zu
erfüllen, nämlich das vorhandene Wissen zu systematisieren und Wege zu neuem Wis-
sen aufzuzeigen (Marrow 1969: 30).
Der Theoriebegriff wird allerdings in der Literatur oft sehr unscharf gebraucht. Paul
F. Lazarsfeld (1973: 63) zählt z.B. folgende Beispiele für „soziale Theorien“ auf:
„Sorgfältige Klassifikationsschemata; komplexe Begriffe, die den Beobachter zu inter-
essanten Fakten führen; die Formulierung von Forschungsproblemen hoher sozialer
Signifikanz; allgemeine Ideen über den Weg, auf dem sozialer Wandel stattfindet oder
herbeigeführt werden könnte; Erwartungen von empirischen Ergebnissen, die noch
nicht bestätigt worden sind (Hypothesen); die Verbindung von empirischen Ergebnis-
sen mit anderen, entweder bestätigten oder hypothetischen (Interpretation).“ Ange-
sichts dieser begrifflichen Unklarheit schlägt Lazarsfeld vor, statt von „Theorie“ von
„analytischer Reflexion“ zu sprechen. Hypothesen können als Annahmen über die Be-
ziehungen zwischen Ereignis und Ursache(n) angesehen werden. Theorien sind dann
nach Hans Albert (1973: 74) durch Prüfung (noch) nicht verworfene Hypothesensy-
steme, „die die Erklärung größerer Komplexe sozialer Tatbestände ermöglichen.“ An-
ders formuliert ist eine Theorie eine Gesamtheit logisch zusammenhängender Urteile
über Teile der Realität. Als Theorien werden in Abwandlung einer Formulierung von
Hans Albert (1973: 82) allerdings vielfach auch empirisch gehaltlose Sprachsysteme
bezeichnet, die keinerlei Erklärungswert besitzen und den Bezug zur Realität verloren
224 Michael Kunczik

haben. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass sozialwissenschaftliche Theorien


empirisch überprüfbar sein müssen. Gerade in Bezug auf kommunikationswissen-
schaftliche Theorien zur Massenkommunikation gilt, dass diese im Rahmen soziologi-
scher Theorien häufig so behandelt werden, „als ob die Massenmedien außerhalb der
Gesellschaft angesiedelt wären, obgleich Kommunikationsprozesse von vielen Autoren
als zentrale gesellschaftliche Strukturmerkmale angesehen werden“ (Kunczik 1984:
235).
Dabei sind die Sozialwissenschaften ein integraler Bestandteil der jeweiligen Ge-
sellschaft. Deren Probleme bestimmen, wie z.B. Gunnar Myrdal in Objektivität in der
Sozialforschung (1971) betont, die jeweiligen Fragestellungen. Hier soll untersucht
werden, inwieweit Menschen, die Öffentlichkeitsarbeit/Public Relations als Beruf aus-
geübt haben, Konzepte und theoretische Erklärungen für PR entwickelt haben. Zwi-
schen ,Theorie‘ und ‚Praxis‘ ist dabei nicht klar zu trennen, da die vielen ,PR-
Aktionen‘ zugrunde liegenden Theorien nicht explizit ausformuliert wurden. Deshalb
wird hier auch auf PR-Aktionen eingegangen. Festzuhalten ist, dass die ,klassischen‘
Texte zur PR von Autoren verfasst worden sind, die zumeist keine Wissenschaftler wa-
ren und die relevante sozialwissenschaftliche Literatur oftmals nicht kannten. Das
Schwergewicht wird auf die deutsche Literatur gelegt.

Entwicklungen in den USA


Ivy Ledbetter Lee (1877-1934), Sohn eines Methodistenpredigers aus Georgia, gilt als
einer der Begründer der amerikanischen PR. Er studierte in Princeton und war danach
als Reporter in New York tätig. 1904 gründete der „Minnesinger to Millionaires“1
(Cutlip 1994: 40) mit George Parker das PR-Büro Parker & Lee. Lee bezeichnete sich
bereits 1916 sowohl als Adviser in Public Relations als auch als Publicity and Adverti-
sing Counsel (Raucher 1968: 121). Bereits 1906 veröffentlichte Lee seine berühmt
gewordene Declaration of Principles (z.B. Kunczik 2002: 152). Darin wurde darauf
verwiesen, dass man kein geheimes Pressebüro betreibe, sondern in aller Offenheit
agiere. Das Ziel sei, die Presse mit korrekten Informationen zu versorgen: Die Declara-
tion of Principles enthält grundsätzliche Vorstellungen von PR-Arbeit und beeinflusste
die weitere Entwicklung der PR nachhaltig. Albert Oeckl (1987: 23) schreibt: „Dies
war die Geburtsstunde der Public Relations.“ PR hat demnach vorrangig die Aufgabe,
die Öffentlichkeit schnell, genau und gründlich zu informieren. Lee begnügte sich
nicht damit, als Sprachrohr der von ihm betreuten Unternehmen zu fungieren, sondern
legte seinen Kunden nahe, ihre Geschäftspolitik zu überprüfen und Fehlverhalten zu
korrigieren, um so ein günstiges Klima in der Öffentlichkeit und ein vorteilhafteres
Presseecho zu schaffen. In einer Zeit, da das Motto der Unternehmen war „the public
be damned“ (so angeblich William Henry Vanderbilt (1821-1885); Präsident der New

1
TIME schrieb am 7. August 1933 (Cutlip 1994: 126): „No competitor can approach Ivy Lee in wealth
and social stature. His friends are the Rockefellers, Mackays, Guggenheims (...). He lives magnifi-
cently in swank East 66th Street.“
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 225

York Central Railroad), betonte die Declaration das Recht der Öffentlichkeit auf an-
gemessene Information (Cutlip 1994: 45).
Edward L. Bernays (1891-1995) veröffentlichte 1923 mit Crystallizing Public Opi-
nion das erfolgreichste Buch zur PR (Kunczik/Zipfel 2002). Bernays war ein (doppel-
ter) Neffe von Sigmund Freud und u.a. Mitarbeiter des Committee on Public Informa-
tion (,Creel-Committee‘), das im 1. Weltkrieg (ab 1917) für die amerikanische Propa-
ganda verantwortlich zeichnete. Crystallizing Public Opinion beginnt mit dem Satz: „A
new phrase has come into language – counsel on public relations.“ Die Berufsrolle des
PR-Beraters charakterisierte Bernays als Vermittler (1923: 57): „He acts [...] as a con-
sultant both in interpreting the public to his client and in helping to interpret his client
to the public. He helps to mould the action of his client as well as to mould public
opinion.“ Damit wird PR als Zweiwege-Kommunikation verstanden. Die Diskussion
darüber, ob PR und Propaganda unterschiedliche Phänomene sind, hat Bernays prag-
matisch gelöst (1923: 212): „The only difference between ,propaganda‘ and ,edu-
cation‘, really, is the point of view. The advocacy of what we believe in is education.
The advocacy of what we don’t believe in is propaganda.“ Bernays argumentierte in
Crystallizing Public Opinion, dass die Macht der öffentlichen Meinung immer weiter
zunehmen werde (1923: 217). Der Einfluss von Bernays auf die deutsche PR ist un-
bestritten.
In Propaganda (1928: 47f.) wird die These vertreten, die Menschheit könne mit
Hilfe der Erkenntnisse der Massenpsychologie manipuliert werden. Wenn die Mecha-
nismen und Motive des Gruppenbewusstseins verstanden würden, wäre es möglich, die
Massen zu kontrollieren und zu steuern, ohne dass sich die betroffenen Menschen des-
sen bewusst seien. Diejenigen, die diese unsichtbaren Steuerungsmechanismen der Ge-
sellschaft beherrschten, seien die unsichtbare Regierung, in deren Händen die wahre
Macht liege. Da er die bewusste Manipulation der öffentlichen Meinung als wichtiges
Element einer Massendemokratie sah, steht Bernays in der Tradition der ,Sozial-
ingenieure‘, d.h. jener Autoren, die glaubten, dass es möglich sei, die Gesellschaft
durch Experten bzw. Expertengremien zum Wohle aller steuern zu können. Bernays
(1928: 11f.) argumentierte: „It might be better to have, instead of propaganda and spe-
cial pleading, committees of wise men who would choose our rulers, dictate our con-
duct, private and public, and decide upon the best types of clothes for us to wear and
the best kind of food for us to eat.“
In Propaganda argumentiert Bernays (1928: 52) in Anlehnung an Freud, dass viele
Gedanken und Bedürfnisse des Menschen kompensatorische Substitute für jene Be-
dürfnisse darstellten, die der Mensch zu unterdrücken gezwungen sei. Erfolgreiche PR-
Berater müssten die wahren, den Menschen selbst nicht bewussten Bedürfnisse kennen
und dieses Wissen instrumental nutzen. Dies ist nach Bernays auch für die Manipulier-
ten von Vorteil, da ihnen dadurch das ansonsten ausbrechende Chaos erspart bliebe:
Nur durch PR könne die Ordnung der Gesellschaft erhalten werden. Das Individuum
wird dabei als Zelle im Organismus der menschlichen Gesellschaft gesehen. Es kom-
me darauf an, die Nerven des sozialen Körpers an der richtigen Stelle zu treffen; dann
226 Michael Kunczik

erhalte man, wie beim Pawlow’schen Hund, die richtige Reaktion. Wenn es gelinge,
die Anführer zu beeinflussen, dann habe man automatisch auch die ihnen zugehörige
Gruppe beeinflusst (1928: 37).2 In Crystallizing Public Opinion wurde auch die Frage
der Ethik der PR diskutiert. Bernays (1923: 215) forderte, PR-Berater sollten nicht die
Interessen von Klienten vertreten, deren Anliegen von moralisch zweifelhafter Qualität
sei. Kriterien zur Festlegung dieser moralischen Qualität fehlen allerdings, obwohl die
besondere Verpflichtung von PR gegenüber der Öffentlichkeit betont und auf die Be-
deutung der Wahrheit verwiesen wird (1923: 218): „It is the creation of a public cons-
cience that the counsel on public relations is destined [...] to fulfill his highest useful-
ness to the society in which he lives.“
In der PR-Theorie von Bernays findet eine Synthese der beiden großen Denk-
richtungen der Soziologie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts statt. Auf der einen
Seite wird Gesellschaft als quasi-biologischer Organismus verstanden, als stabile Ord-
nung, die sich immer weiter ausdifferenziert. Auf der anderen Seite steht die Massen-
psychologie, die den Menschen in der Mehrzahl als triebgeleitet und irrational auffasst,
aber den Einzelnen als durchaus rational und schöpferisch akzeptiert. PR ist das In-
strument, das die Synthese beider Modelle ermöglicht: Intelligente Individuen erhalten
die Stabilität der Gesellschaft und verhindern zum Vorteile aller das Chaos.

Entwicklungen in Deutschland bis zum Zweiten Weltkrieg


Obwohl Bernays ohne Zweifel die einflussreichste PR-Theorie entwickelt hat, ist PR
keine amerikanische Erfindung, sondern hat auch in Deutschland eine eigenständige
Entwicklung genommen (Kunczik 1997). Die im September 1807 verfasste Rigaer
Denkschrift stellt einen Markstein in der Geschichte der deutschen PR dar. Die Auto-
ren, Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) und sein ,intimer Freund‘ (Ranke
1881: 362), der Geh. Oberfinanzrat Karl Freiherr von Stein zum Altenstein (1770-
1840), die bereits bei der Verwaltung der fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bay-
reuth zusammengearbeitet hatten, sind durchaus als Praktiker und Theoretiker der PR
anzusehen. Hardenberg hat in seiner Ansbach-Bayreuther Zeit (1791-1800) erkannt,
wie wichtig es war, die öffentliche Meinung in den außerhalb des Preußischen Kern-
landes liegenden Gebieten zugunsten Preußens zu steuern und für die Durchführung
von Reformmaßnahmen zu gewinnen. Die Erfahrungen in Ansbach-Bayreuth zeichne-
ten ohne Zweifel für die Ideen verantwortlich, die in der Rigaer Denkschrift ihren Nie-
derschlag fanden. Darin wird ein Programm für staatliche PR entworfen. Großzügiges
Auftreten des Staates sei wichtig, weil dies Kredit gebe und Vertrauen erzeuge. Emp-
fohlen wird die Benutzung von Reisenden und Schriftstellern („Hauptmänner der Lite-
ratur“). Auch Lobbying im Ausland (ehrlich als Bestechung bezeichnet) wird angera-
ten. Hardenberg konstatierte (von Ranke 1881: 373): „Die Opinion zu gewinnen, ist
höchst wichtig, und doch vernachlässigt man dieses im In- und Ausland viel zu sehr.
Ebensowenig sollte man versäumen, durch gute Schriftsteller auf sie zu wirken [...].“

2
Damit wird das Konzept des Zwei-Stufen-Flusses der Massenkommunikation vorweggenommen (vgl.
Kunczik/Zipfel 2001: 322ff.).
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 227

Betont wird auch die Bedeutung von Symbolen und geschickt inszenierten Feierlich-
keiten für die Herausbildung einer preußischen Identität. Nach Andrea Hofmeister-
Hunger (1994: 372) ist unter Hardenberg bereits 1816 ein ,Literarisches Büro‘ nach-
weisbar. Wie modern Hardenbergs Vorstellung von PR war, zeigt sich auch an der
Terminologie. Selbst das Konzept Vertrauen, zentrales Element vieler moderner PR-
Definitionen, wurde verwandt. 1810 argumentierte Hardenberg (Hofmeister-Hunger
1994: 216): „Durch zweckmäßige Publikationen sind die notwendigen Einrichtungen
bekanntzumachen und eine allgemeine Einleitung dazu, so daß Vertrauen zur Verwal-
tung erregt und bestärkt werde.“
Friedrich List (1789-1846), Nationalökonom und Vertreter des Schutzzollgedan-
kens sowie bedeutendster politischer Publizist des Vormärz, forderte als einer der er-
sten PR im wirtschaftlichen Bereich. List gründete Verbände, die als Vorläufer der
späteren Zentral- und Spitzenverbände von Handel und Industrie angesehen werden
können. Das Ziel war, im öffentlichen Leben Gehör zu finden und Sachverstand der
Unternehmer einzubringen. List erkannte bereits das Problem der internen Öffentlich-
keitsarbeit. 1834 schlug er sächsischen Fabrikanten vor, ein Illustriertes Journal für
Fabrikarbeiter zu begründen, das durch Massenabonnements der Fabrikanten eine
Auflage von 50.000 bis 100.000 Stück erreichen könnte (Lenz 1956: 240). Mitte des
19. Jahrhunderts plädierte der rheinische Industrielle Gustav von Mevissen (1815-
1899), ein Anhänger der Ideen von List, dafür, die Kritik an Aktiengesellschaften
durch größtmögliche Öffentlichkeit zu entkräften (Hansen 1906; 1906a). Durch Publi-
zität sollte Vertrauen aufgebaut werden. Mevissen entwickelte die Idee, Jahresberichte
zu verfassen, um – modern ausgedrückt – in der Finanzwelt ein positives Image zu er-
zeugen.
In der Industrie kommt ohne Zweifel der Firma Krupp Führungsrolle bei der Ent-
wicklung der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland zu, wobei von Anfang an die Idee
vorherrschend war, ein positives Image dauerhaft aufzubauen und zu pflegen, um das
Wohlergehen der Firma zu sichern. PR sollte nicht erst im Krisenfall betrieben werden.
Dieser Gedanke wird deutlich in einem Brief, den Alfred Krupp am 27. November
1866 an seinen Prokuristen Albert Pieper schrieb (Krupp 1928: 225f.). Darin wird ge-
fordert, „daß regelmäßig wiederholt aus der Feder von Autoritaeten wahrheitsgetreue
Berichte über die Fabrik durch Zeitungen, welche die ganze Welt erleuchten, verbreitet
werden. Wir können das Material dazu liefern und sofern wir nicht die geeigneten Au-
toritaeten dazu bereit finden, möchten wir uns selbst mit den entsprechenden respecta-
blen Zeitungs-Redactionen in Verbindung setzen.“ Auch Überlegungen zur internen
Öffentlichkeitsarbeit sind bei Krupp früh aufzufinden. 1872 wurde das Generalregula-
tiv der Firma Fried. Krupp verfasst. Nach Ernst Schröder (1956: 37) spürt man bei des-
sen Lektüre „sofort die Atmosphäre, in der sie gewachsen ist. Krupp spricht als der
Herr im Hause, der pater familias, der die Verantwortung für das Ganze und für jeden
einzelnen trägt, der seine eigene Familie und die große Werksgemeinschaft als zwei
konzentrische Kreise ansieht und gerecht und bestimmt Rechte und Pflichten festlegt.“
Richard Ehrenberg (1911: 128f.) argumentiert in Die Frühzeit der Kruppschen Arbei-
228 Michael Kunczik

terschaft, dass die Arbeitsgemeinschaft in der Firma „in erster Linie auf gegenseitiger
Treue, auf gegenseitigem Vertrauen (beruht).“
1893 erfolgte die Einrichtung eines Nachrichtenbüros, das zum ersten Mal im Jahre
1901 auf dem Organigramm der Firma erschien (Guratzsch 1974: 197). Nach Hans Ot-
to Kirchner (1984: 14) betrieb das Haus Krupp eine sehr differenzierte PR und achtete
darauf, dass wesentliche Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit (im Sinne der Umweltkon-
trolle) der Öffentlichkeit verborgen blieben, „denn die Herren Krupp waren immer
darauf bedacht, nicht persönlich in den Industrieverband-Vorständen vertreten zu sein
und möglichst sogar die Mitgliedschaft geheim zu halten.“ Das Nachrichtenbüro hatte
Input- und Outputfunktionen zu erfüllen. Neben der Beschaffung und Aufarbeitung
von Zeitungsausschnitten wurde Informationspolitik betrieben, deren „zweifelhafte
Methoden eher die Regel als die Ausnahme zu bilden schienen“ (Benz 1976: 202).
Gemeint sind u.a. geheime Zahlungen an Fachautoren, ehemalige Militärs als Mitar-
beiter, die verdeckt Informationen sammelten, usw. Wilhelm Muehlon, stellvertreten-
der Direktor bei Krupp, berichtet, dass das Nachrichtenbureau die gesamte artilleristi-
sche Fachpresse im Krupp’schen Sinne beeinflusst habe (Benz 1976: 202). Vertraglich
abgesicherte Kontakte zum Wolff’schen Telegraphenbureau hatte Krupp seit 1904.
Carl Hundhausen, der im Jahre 1937 den Begriff Public Relations in einem Sonderbe-
richt für die Deutsche Werbung mit dem Titel Public Relations. Ein Reklamekongreß
für Werbefachleute der Banken in den USA in den deutschen Sprachraum einführte,
antwortete auf die selbst gestellte Frage, ob denn dieser Begriff neu sei (1937: 1054):
„Der alte Krupp hat das unvergängliche Wort geprägt: Der Zweck der Arbeit soll das
Gemeinwohl sein. Eine solche Losung für Werk und Arbeit ist praktische Public Rela-
tions Policy.“
Der erste ,große‘ deutsche Theoretiker der PR war Ludwig Roselius (1874-1943),
dessen Aktivitäten von der Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt über Sponso-
ring bis hin zum Markenartikel-Marketing reichten. 1906 gründete Roselius die Kaffee
Handels-Aktien-Gesellschaft (Kaffee HAG) und machte in der Folgezeit Kaffee HAG
zu einem der ersten deutschen und internationalen Markenartikel. Wichtig für das Ver-
ständnis von Roselius ist, dass der Soziologe Johann Plenge (1874-1963) ein Jugend-
freund war, dessen Organisations- und Propagandalehre, die Deutsche Propaganda,
1922 im Roselius gehörenden Bremer Angelsachsenverlag erschienen ist. Plenge und
Roselius sahen die Ursache der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg in der Über-
legenheit der gegnerischen Propaganda (Kerssen 1967: 45). Plenge verstand Propa-
ganda als das zentrale Element der Gesellschaftssteuerung – ein Gedankengang, der
auch von Bernays vertreten worden ist. Nicola Vetter (1995: 28) fasst das Organisati-
onsprinzip von Roselius zusammen: „Das Wesentliche bei jeder Unternehmung, bei
jeder Organisation ist im Sinne von Roselius der Geist und der Wille der sie erfüllt.
Das bezeichnete er [...] als energetischen Imperativ, der für ihn zum feststehenden Be-
griff wurde (und Symbol für den ,Willen zur Tat‘, für die ,dauernd tätige Offensive‘
war).“ Der energetische Imperativ lautete in den Worten von Roselius (Vetter 1995:
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 229

28f.): „Handle so, daß mit dem geringsten Aufwand die höchste Leistung erreicht
wird.“
Politik und Propaganda waren für Roselius untrennbar miteinander verbunden.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges forderte er die Errichtung eines Hilfskomi-
tee für Propagandazwecke während des Krieges als Einleitung zur Organisation einer
nationalen Propaganda. Dieses sollte „ohne Lüge und Unwahrheit Volksaufklärung
[...] betreiben“ (Oeckl 1987: 26). In diesem Hilfskomitee sollten „Herren aus der Wirt-
schaft, die bei ihren Bemühungen um die internationale und nationale öffentliche Mei-
nung Erfahrungen sammeln konnten“ (Binder 1983: 74) mitarbeiten. Roselius führte
die überwiegend anti-deutsche Stimmung im neutralen Ausland bei Kriegsausbruch
auf fehlende deutsche Propaganda zurück und forderte (Vetter 1995: 69f.): „Ein Aus-
landsnachrichtendienst muß in ruhigen Zeiten sorgsam vorbereitet werden.“ Roselius
entwickelte eine detaillierte Liste der Aufgaben einer Auslands-Propaganda, d.h. für
PR im Ausland (Kunczik 1997: 223ff.).
Roselius nahm bereits die zur Zeit aktuelle Diskussion um integrierte Unterneh-
menskommunikation vorweg. Er analysierte nicht nur die Problematik erfolgreichen
Markenaufbaus3, sondern betonte auch die ,Corporate Identity‘. Er vertrat die These,
die jetzt wieder als integrierte Kommunikation ,neu‘ erfunden wird, dass „[...] eine gu-
te Organisation [...] nur geschaffen werden (kann) durch die Gruppierung dieser Orga-
nisation um einen einheitlichen Gedanken. Diesem einheitlichen Gedanken muß nach
außen hin Ausdruck verliehen werden, denn die Propaganda braucht ein Symbol, eine
Fahne, einen Kristallisationspunkt, um den sich alles gruppiert [...] für die kaufmänni-
schen Geschäfte ist es die Marke“ (Vetter 1995: 91, Fn. 567).
Der Aspekt der ,Corporate Identity‘ wurde auch bei Siemens früh beachtet. Werner
von Siemens (1816-1892) erkannte die Bedeutung der Firmengeschichte und schätzte
einen Prestigeverlust – also einen Vertrauensverlust – als schwer wiegender ein als ei-
nen kurzfristigen finanziellen Schaden: Ein langfristig gesichertes positives Image
wurde als entscheidend für den Firmenerfolg angesehen. So wurde im Geschäftsbericht
1898/99 ausgeführt, man habe die Propaganda in Wort und Schrift wesentlich vermeh-
ren müssen. Im August 1901 wurden die Vertriebsabteilungen aufgefordert (Zipfel
1997: 35), „sich einer äußerst rührigen Propaganda zu befleißigen, sowie ferner die
von der Konkurrenz ausgeübte beständig zu verfolgen.“ Werner von Siemens wusste
um die Bedeutung von PR. Seine Lebenserinnerungen und seine Briefe sind eine
Fundgrube für Praktiker und Theoretiker der PR. Besonders die Beeinflussung von
Zeitungen wurde als wichtig angesehen. In der Firma gab es bereits recht früh Spezia-
listen für PR, denn Siemens schrieb am 15. November 1877 an General von Lüders in
Petersburg, er sende ihm ein paar Telefone „[...] und ich erlaube mir, die von unserem
Geschäftspoeten verfaßte Einführung des Telephons gleichfalls – nebst den andern

3
Roselius betonte vier Punkte (Kunczik 1997: 226ff.): 1. Marktanalyse, d.h. Konkurrenzprodukte und
Lebensgewohnheiten der Zielgruppe(n) müssen bekannt sein. 2. Der Werbeetat und die zu verwenden-
den Medien sind festzulegen. 3. Marktprägnanz ist zu schaffen (durch Qualität, Vertrieb, Propaganda
etc.). 4. Die Gestaltung der Anzeigen durch Fachleute ist zu arrangieren.
230 Michael Kunczik

poetischen Ergüssen, der Sendung beizufügen [...]“ (Zipfel 1997: 56). 1899 stellte
Siemens einen eigenen Pressereferenten ein. 1902 wurde die Centralstelle für das
Pressewesen gegründet.
Die Firma Siemens (und die AEG) standen vor dem Problem, Bedürfnisse für ihre
neuen Produkte schaffen zu müssen. Dazu hatten Karl Marx und Friedrich Engels in
der Deutschen Ideologie (1960: 25) bemerkt: „[...] die Erzeugung neuer Bedürfnisse ist
die erste geschichtliche Tat.“ Werner von Siemens versuchte, gezielt Entscheidungs-
träger zu beeinflussen, indem er bei von ihm veranstalteten Festlichkeiten elektrische
Beleuchtungsanlagen vorführte. Der Umgang mit Journalisten wurde gepflegt, denen
gezielt Unterlagen (auch Hintergrundinformationen) zur Verfügung gestellt wurden.
Ein wichtiger Aspekt für die Herausbildung einer Corporate Identity war bei Siemens
(wie auch bei Roselius, der in Bremen die Böttcherstraße als ,Propagandastraße‘ für
Kaffee HAG erbauen ließ) die Architektur. Bereits der Unternehmensstandort Sie-
mensstadt (der Name existiert seit 1914) in Berlin mit eigenem S-Bahn-Anschluss
stellte einen eindeutigen Bezug zur Firma her. Ein einheitliches Firmenlogo wurde be-
reits 1914 eingeführt. Werner Siemens wusste auch um die Bedeutung von Weltaus-
stellungen für das Firmenimage. Dabei spielte das Motiv eines ,Wettbewerbs der Na-
tionen‘ und damit der Gedanke der nationalen Repräsentation eine wichtige Rolle, wie
ein Brief vom 20. Februar 1881 verdeutlicht (Zipfel 1997: 48): „Wir müssen hier sogar
sehr vollständig ausstellen, denn alle Welt rechnet auf uns, daß Deutschland sich nicht
blamiert, wie es ohne uns unzweifelhaft der Fall wäre.“
Die für die Entwicklung der AEG und auch deren PR entscheidende Person war
Emil Rathenau (1838-1915). Sein Sohn und Nachfolger Walther Rathenau (1867-
1922), der spätere Reichsaußenminister, argumentierte 1902 (Zipfel 1997: 143, Fn. 9):
„Bedürfnisse erkennen und Bedürfnisse schaffen, ist das Geheimnis allen ökonomi-
schen Handelns.“ Rathenau richtete in Berlin 1886 in Berlin eine Musterwohnung ein,
um die Vorzüge der elektrischen Beleuchtung anzupreisen. 1899 wurde ein Literari-
sches Büro gegründet, das die in- und ausländische Tages- und Fachpresse über techni-
sche Erfolge und Neuerungen, die wirtschaftliche Entwicklung des Konzerns sowie
über Vorgänge auf sozialem Gebiet informieren sollte. Ferner wurde die Tages- und
Fachpresse auf Beiträge über die AEG durchgesehen, d.h. es wurde ,Clipping‘ betrie-
ben. Auch um die Schaffung einer Corporate Identity war man bei der AEG schon früh
bemüht. Bekannte Künstler und Architekten erhielten Aufträge: So erfolgte 1907 die
Berufung von Peter Behrens, einem Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, zum
Künstlerischen Beirat der AEG. Das erste Firmenlogo wurde bei der AEG 1894 einge-
führt. Ein zentrales publizistisches Instrument der internen und später auch externen
PR stellte die AEG-Zeitung dar, die es seit 1898 gab. Seine theoretischen Überlegun-
gen zur PR veröffentlichte Emil Rathenau am 17. Dezember 1907 in der National-
Zeitung, wo er die Frage untersuchte: „Welche Bedeutung kommt der Presse im öffent-
lichen Leben zu?“ Er verwies nicht nur darauf, dass wohl jeder Geschäftsmann den
Wert der Presse anerkenne, insofern sie ihn schnell über Vorgänge unterrichte, die für
seine Entschlüsse von Wichtigkeit sind. Rathenau konzedierte auch, dass die Presse
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 231

andere Ansichten als die wirtschaftliche Richtung vertreten könne, ohne dass sich je-
mand beklage, denn die Objekte stellten sich nun einmal verschieden dar, je nach dem
Blickwinkel, unter dem man sie betrachte. Hinsichtlich des Geschäftslebens aber for-
derte Rathenau in moderner Terminologie ausgedrückt, dass die Presse der PR Rech-
nung tragen müsse.
Ein weiterer wichtiger Theoretiker und Praktiker der PR des frühen 20. Jahrhun-
derts war Gustav Stresemann (1878-1929), der um die Macht der öffentlichen Mei-
nung wusste. Er war ab 1902 Syndikus des Verbandes Sächsischer Industrieller. Die
öffentliche Meinung wurde von ihm als Treibholz verstanden, das sich von der Strö-
mung treiben lässt, aber durch Aufklärung im Sinne der Interessen der Industrie beein-
flusst werden kann (Faller 1995: 81). Bereits 1902 führte er aus (Ullmann 1976: 138f.):
„Das Wort Interessenvertretung und die Tatsache des allgemeinen Interessenkampfes
hat etwas Unangenehmes an sich, aber man muß nun einmal mit ihr rechnen.“ Es ging
darum, „die Hand an die Klinke der Gesetzgebung zu legen und zu versuchen, an den-
jenigen Stellen zur Geltung zu kommen, wo die letzte Entscheidung über neue Rechts-
vorschriften [...] fällt“ (Faller 1995: 128). Zum Instrumentarium der PR Stresemanns
gehörte die Schaffung von berichtenswerten Ereignissen (z.B. ein im Zusammenhang
mit der geplanten Reform der Gewerbesteuer 1904 ausgelöster ,Petitionssturm‘). Stre-
semann verstand das politische Leben als Kampf um die Futterkrippe (z.B. Ullmann
1976: 139). Eine volkswirtschaftlich so bedeutende Gruppe wie die deutsche Industrie
müsse sich bemühen, durch machtvolle Organisation Einfluss auf diese Verhältnisse zu
gewinnen. Stresemann wusste um die Bedeutung der Massen für die Durchsetzung der
Interessen der Industrie und argumentierte 1913 (Ullmann 1976: 139f.): „Ich meine,
wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind, und uns sagen: Wir leben im Zeitalter der
Massenwirkung, deshalb muß auch die Industrie Massen um sich sammeln und versu-
chen, durch diese Massen auf die öffentliche Meinung und auf die Gesetzgebung und
auf die nach diesen Ziffern mitschauenden politischen Parteien zu wirken.“ Strese-
mann wollte mit seiner PR Arbeiter, Angestellte und Bauern als Machtbasis gewinnen.
Als gemeinsamen Nenner, der alle drei Zielgruppen ansprach, benutzte Stresemann die
Propagierung einer deutschen Weltpolitik, d.h. eine verstärkte Flotten-, Wehr- und Ko-
lonialpolitik wurde gefordert.
Eine erste theoretische Analyse des neuen Berufsstandes Öffentlichkeitsarbeiter
(den Begriff gab es noch nicht) nahm ein Praktiker vor. Oeckl (1994: 13) berichtet: „In
der Nachkriegszeit errichtete die 1925 gegründete Interessengemeinschaft der Farben-
industrie (I.G. Farben) sehr bald eine Pressestelle. Ihr erster Leiter, Dr. Hans Brettner,
hat sich bemüht, Verständnis zu schaffen und Vertrauen aufzubauen, ohne das Wort
Public Relations zu kennen.“ Brettner, unter dem Oeckl ab dem 1. März 1936 arbeite-
te, sollte dafür sorgen, „daß sich die Menschen beim Stichwort I.G. Farben ebensoviel
vorstellen können wie bei der Nennung einer großen Benzinfirma“ (Oeckl 1987: 26f.).
Brettner hat 1935 Die Organisation der industriellen Interessen in Deutschland unter
besonderer Berücksichtigung des „Reichsverband der deutschen Industrie“ veröffent-
licht und darin auch die Thematik Der Interessenvertreter als Beruf (1935: 25ff.) be-
232 Michael Kunczik

handelt. Dieser neue Beruf wurde als ein Ergebnis der in den vorangegangenen zwan-
zig Jahren erfolgten Arbeitsteilung angesehen. Auch das Verhältnis zwischen Interes-
senvertretung und Presse wurde untersucht (ebd.: 30ff.). Die einfache Übermittlung der
Nachrichten sei nicht ausreichend, denn „die industrielle Interessenvertretung muß die
Verbindung mit der Presse suchen“ (ebd.: 31). Brettner ging von folgender Annahme
aus (1935: 32): „Eine industrielle I.V. (Interessenvertretung, M.K.) muss die journali-
stischen Usancen, die sich mit der Zeit zu einem wichtigen und ,peinlichen Ehrenko-
dex‘ des Redakteursstandes herausgebildet haben, kennen, um in der Wahl der Mittel
sich keinen Rückschlägen auszusetzen.“ Anders formuliert: PR muss wissen, anhand
welcher Kriterien Nachrichten selektiert werden und sich dieses Wissen zunutze ma-
chen, um die Medien zu instrumentalisieren.4 Dazu gehöre auch eine geschickte Pres-
seregie bei großen öffentlichen Tagungen. Der Fachjournalist wurde als Wirtschafts-
vertreter angesehen (ebd.: 32), „dessen Mitarbeit die Industrie nicht entbehren kann.“
Deshalb forderte Brettner, durch engste persönliche Verbindungen ein Vertrauensver-
hältnis zu Journalisten herzustellen und kontinuierlich zu pflegen (ebd.: 33): „Ist die
Presse erst mißtrauisch gegen das Pressgebahren einer Fachvertretung geworden, so ist
das verlorene Vertrauen zum Nachteil der öffentlichen Wirkung der betreffenden I.V.
(Interessenvertretung; MK) nur schwer wieder herzustellen.“

Entwicklungen in der Nachkriegszeit


Hans Domizlaff (1892-1971) stellt den Übergang von der Zeit der Weimarer Republik
zum Nachkriegsdeutschland für die PR nachgeradezu idealtypisch dar. Carl Friedrich
von Siemens verpflichtete 1933 Domizlaff, der für eine Vereinheitlichung des Erschei-
nungsbildes der Produkte sowie das Entstehen eines eigenen Firmenstils – also einer
Corporate Identity – sorgte. Dem Zeitgeist entsprechend war Domizlaff Anhänger ei-
ner Massenpsychologie und unterstellte die Existenz eines ,Massengehirns‘ (1951:
131): „Ebenso wie der Mensch als eine Zusammensetzung von Zellen ein zentrales
Zellenmassengehirn aufweist, ebenso beweist die Masse als Zusammensetzung von
einzelnen Menschen durch viele Besonderheiten ihres Verhaltens ganz deutlich das
Dasein eines Massengehirns.“ Dieses Gehirn zeichne sich allerdings nicht durch erhöh-
te Intelligenz aus, weshalb Propaganda dementsprechend gestaltet werden müsse. In
Die Propagandamittel der Staatsidee wird bei der Diskussion der ,geistigen Rüstungs-
industrie‘ ausgeführt (Domizlaff 1932: 89): „Das Volk begreift nur ganz einfache,
möglichst gegenständliche Dinge. [...] Ganz einfache Ideen, die durchaus nicht ver-
nünftig zu sein brauchen, die aber der Psyche der Masse so entsprechen, daß sie Psy-
chosen auszulösen vermögen, werden immer die klügsten und ehrlichsten Regierungs-
erklärungen wirkungslos machen.“ Ferner meinte er (ebd.: 26): „Das Volk will geführt
werden, aber es sucht sich seinen Führer, der den Eigenarten der Masse entspricht. Das
Volk will vergöttern und einen Repräsentanten gewinnen, dem es blindlings folgen
kann, ohne sich selbst mit Verantwortung und Denkarbeit belasten zu müssen.“ Hier

4
Ähnlich argumentierte Bernays in Crystallizing Public Opinion (1923: 197), der PR-Berater wisse, was
Nachrichtenwerte sind und sei damit in der Lage, Ereignisse mit Nachrichtenwert zu inszenieren.
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 233

sind starke Ähnlichkeiten zu Bernays festzustellen, der ebenfalls davon ausging, dass
die Aufnahmefähigkeit der Masse beschränkt ist und durch intelligente PR, die künst-
liche Gottheiten schafft, manipuliert werden muss, um die Gesellschaft nicht im Chaos
versinken zu lassen (Kunczik 2002: 132ff.). Auch im Lehrbuch Die Gewinnung des öf-
fentlichen Vertrauens wird die Masse von Domizlaff als weitgehend denkunfähig cha-
rakterisiert (1951: 141): „Eine Masse gehorcht fundamentalen Gesetzen, von denen sie
nicht abgebracht werden kann. Erziehung der Masse bedeutet nicht Überwindung be-
stehender Triebe, sondern nur Richtungsänderung durch gedanklichen Nahrungswech-
sel im Sinne einer Dressur.“ Als Individuum hingegen vermöge der Mensch durchaus
selbständig Schlüsse zu ziehen (Domizlaff 1932: 20): „Jeder Mensch ist einmal Indivi-
duum, einmal Teil einer Masse, und somit wechselt seine Psyche und sein geistiges
Niveau.“
Markentechnik ist für Domizlaff (1951, Vorwort) die „Schaffung und Handhabung
von massenpsychologischen Hilfsmitteln für den Geltungskampf ehrlicher Leistungen
oder produktiver Ideen, und zwar letztlich mit dem Ziel der Gewinnung des öffentli-
chen Vertrauens.“ Für die Entstehung eines Markenprodukts sei die Qualität der Ware
(deren Gesicht) und deren optimale Markteinführung durch Gewinnung des Vertrauens
und nicht durch Kunstgriffe der Anpreiser entscheidend (ebd.: 97). Domizlaffs Mar-
kentechnik war nichts anderes als ,Vertrauenswerbung‘, wobei es auch um die Schaf-
fung einer Corporate Identity ging, d.h. das Erscheinungsbild sollte typisch und ein-
heitlich sein. Bereits der äußere Eindruck eines Produkts sollte Vertrauen vermitteln
und Qualität garantieren.
Ein für lange Zeit vergessener ,Klassiker‘ der deutschen PR ist Hanns W. Brose
(1899-1971), der als Theoretiker und Praktiker die deutsche PR der Nachkriegszeit
entscheidend beeinflusst hat (Kunczik/Schweitzer 2003). Brose ging von einem umfas-
senden Modernisierungsprozess aus, der sich seiner Einschätzung nach etwa bis 1918
vollzogen hatte. Mit der Einführung arbeitsteiliger, hoch technisierter Massenproduk-
tion setzte sich ein neuer Unternehmertypus durch, der ,kostenwirtschaftlich‘ dachte.
Dieser bemühte sich als ,Erbe‘ vor allem um die Bewahrung der Firma, nicht aber um
Innovationen (Brose 1937: 14). Die Möglichkeiten kostengünstiger Serienfertigung
hatten zu einer Vielzahl gleicher und damit austauschbarer Produkte geführt, d.h. es
kam zum Verdrängungswettbewerb, wobei der frei wählende Konsument von ent-
scheidender Bedeutung war. Durch gestiegene Kaufkraft war auch der Erwerb von Lu-
xuswaren möglich geworden, wobei aber zugleich durch die Warenvielfalt der Pro-
duktvergleich erschwert wurde. Brose (1938: 320) schreibt: „Die Warenkenntnis des
Verbrauchers hat mit der Vermehrung des Angebots nicht mehr Schritt halten kön-
nen.“ Auch habe sich durch die Massenproduktion die ehemals persönliche Bindung
zwischen Produzent und Konsument aufgelöst. Damit rückt nach Brose (1937: 39) der
Markenname eines Produktes ins Zentrum des Konsumentenbewusstseins. PR bzw.
Werbung für Marken wird damit zentral. Massenabsatz und Massenverbrauch ist für
Brose (1958: 256) ohne leistungsfähige moderne Werbe-Agenturen nicht möglich.
Markenwerbung wird als Vorstufe der PR angesehen, dem bewussten Bemühen um öf-
234 Michael Kunczik

fentliches Vertrauen. Die Marke ist für Brose ein Sinnbild für ein Garantieversprechen.
Brose entwickelt für die Praxis der Marken-PR einen dreistufigen Arbeitsprozess, der
aus den Schritten Analyse, Beratung und Interpretation besteht (Kunczik und Schweit-
zer 2003: 48f.).
In der ersten Hälfte der 1950er Jahre erschienen die ersten Bücher zur PR wie z.B.
die Arbeiten von Hans Domizlaff Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens. Ein
Lehrbuch der Markentechnik (2. Aufl., Hamburg 1951; zuerst 1939), Carl Hundhausen
Werbung um öffentliches Vertrauen (Public Relations) (Essen 1951), Herbert Gross5
Moderne Meinungspflege (Düsseldorf 1951), Ernst Vogel Public Relations (Frankfurt
a.M. 1952), Hans Edgar Jahn Vertrauen – Verantwortung – Mitarbeit (Oberlahnstein
1953), Friedrich H. Korte6 Über den Umgang mit der Öffentlichkeit (Public Relations)
(Berlin 1955), Friedrich Mörtzsch Offenheit macht sich bezahlt. Die Kunst der Mei-
nungspflege in der amerikanischen Industrie (Düsseldorf 1956), Adalbert Schmidt
Public Relations als unternehmerische Aufgabe in der Neuen und Alten Welt (Heidel-
berg 1959). Oeckl, veröffentlichte seine wichtigsten Publikationen erst ab Mitte der
1960er Jahre: Handbuch der Public Relations (Hamburg 1964); PR-Praxis. Der
Schlüssel zur Öffentlichkeitsarbeit (Düsseldorf und Wien 1976).
Diese Autoren glaubten, die Gesellschaft mit Hilfe der PR konfliktfrei und optimal
steuern zu können, wobei der Harmoniegedanke im Zentrum stand. So wollte Gross
(1951: 22, 83) durch Meinungspflege „[...] in der Öffentlichkeit das Bewußtsein einer
allgemeinen Interessenidentität mit der Marktwirtschaft erzeugen.“ Die Aufgabe inter-
ner PR wurde im sozialen Ausgleich zwischen Unternehmer und Belegschaft gesehen;
es gehe darum, die „Partnerschaft des gesunden Menschenverstandes“ zu schaffen
(Gross 1951: 83). Nach Mörtzsch (1956: 15f.) war das Motto der PR: „Wir sitzen alle
in einem Boot.“ Angemessen angewandte PR bedeute, dass es keine Streiks mehr ge-
ben würde, denn Streiks hätten ihre Ursache im mangelnden Verständnis unternehme-
rischer Aufgaben und Verantwortung. Vogel (1952: 103ff.) meinte, der Gedanke des
Klassenkampfes habe nur deshalb bei den Gewerkschaften dominieren können, weil es
an betrieblicher PR mangelte. Der Sinn des gewerkschaftlichen Kampfes aber sei ein
anderer. Er liege in der Mitverantwortung im Rahmen der gegebenen Ordnung.
Hans Edgar Jahn (1956: 65) gab in Lebendige Demokratie. Die Praxis der politi-
schen Meinungspflege in Deutschland eine erste umfassende Übersicht über die Praxis
der politischen Meinungspflege in Deutschland und definierte (1956: 65): „Public rela-
tions bedeutet in einfacher Übersetzung >Vertrauenswerbung<.“ 1961 schließlich er-
schien Tu Gutes und rede darüber von Georg-Volkmar Graf Zedtwitz-Arnim, wobei
dieser Titel „sprichwörtlich für die PR dieser Zeit“ wurde (Brauer 1993: 45). Aufgabe
der PR war für Zedtwitz-Arnim (1961: 41), „das Bild, das Image des Unternehmens,

5
Jahn (1956: 64) bezeichnet es als Verdienst von Gross, „die Methoden der public relations-Arbeit auf
wirtschaftlichem Gebiet in Deutschland bekannt gemacht zu haben.“
6
Korte (1955: 11ff.) vergleicht Adolf Freiherr von Knigges Über den Umgang mit Menschen mit mo-
dernen PR-Autoren und stellt die Ähnlichkeiten der Prinzipien heraus. Zu Korte ist zu ergänzen, dass er
von 1958 bis 1987 Leiter der Ausbildungsprogramme für PR an der Akademie für Führungskräfte der
Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung in Bad Harzburg war.
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 235

so zu formen, daß es für die Öffentlichkeit akzeptabel, daß es sympathiefähig wird und
bleibt.“ Über die hier angeführten ,Klassiker‘ gibt es mit der Ausnahme von Hundhau-
sen (Lehming 1996) noch keine Aufarbeitung ihres Lebenswerkes.
Hundhausen (1893-1977) behauptete (1969: 61) aufgrund einer Literaturdurchsicht:
„Jedenfalls ist soviel auch aus deutschsprachigen Publikationen zu erkennen, daß Pub-
lic Relations ein selbständiger und eigener Wissenschaftsbereich im Gesamtgebiet der
Sozialwissenschaften sind.“ Hundhausen, der eine Zuordnung der PR zu den ,großen
Wissenschaftsbereichen‘ zu finden suchte, wählte die Bezeichnung gesellschaftsethi-
sche Therapeutik (1969: 61). Bei Hundhausen sind keine ausgearbeiteten Ansätze zu
einer Theorie der PR zu erkennen. In Public Relations. Theorie und Systematik (1969:
128f.) verweist er lediglich auf die Komplexität der pluralistischen Gesellschaft, die
mit andauernden Spannungen und Konflikten zwischen den Teilinteressen einzelner
Gesellschaftsgruppen und den Gesamtinteressen der Gesellschaft verbunden sei. Aus
diesen Spannungen heraus sei PR zu erklären und zu begreifen. PR habe die primäre
Aufgabe eines adjustment, d.h. einer Angleichung oder Anpassung dieser unterschied-
lichen Interessen durch ein engineering of consent, ein Herbeiführen von Überein-
stimmung. Hundhausen verwendet nicht nur die Terminologie von Bernays, sondern er
bezieht sich explizit auf diesen Autor, wenn er versucht, weitere Funktionen der PR zu
bestimmen, und zu dem Resümee gelangt, dass PR ein sozialer Prozess gegenseitiger
Kommunikation sei (1969: 129), „in dem das play-back- oder feed-back-Prinzip, das
Prinzip des Echos oder der Rückkopplung, besonders wichtig ist.“ Ebenfalls in der
Tradition von Bernays wird auf den Vorrang des öffentlichen Interesses vor privaten
Interessen verwiesen.
Albert Oeckl (1909-2001) ist m.E. der wichtigste Praktiker und Theoretiker der PR
der Nachkriegszeit.7 Er unterstellt wie Bernays, unter dessen theoretischem Einfluss er
steht, die Existenz einer Massengesellschaft. Im Handbuch der Public Relations (1964:
22) heißt es: „Die Bindung an die bisherigen Primärgruppen ist weitgehend verloren
gegangen [...].“ Die Folge sei eine für die Gesellschaft gefährliche Entfremdung, die
nur durch verbesserte Kommunikation zu kompensieren wäre. Die Aufgabe der PR be-
stehe darin, die Informationslage der Gesellschaft zu verbessern. Sie solle dem einzel-
nen Orientierungshilfen in der ,hoch differenzierten, modernen Gesellschaft‘ geben
und den für das Funktionieren von Demokratie nötigen politischen und sozialen Kon-
sens herstellen. Oeckl (1976: 15, 19, 52) formuliert in PR-Praxis:

„Öffentlichkeitsarbeit = Information + Anpassung + Integration.“

Damit soll ausgedrückt werden, dass mit Hilfe von Öffentlichkeitsarbeit durch ständi-
gen Dialog das für ein friedliches Miteinanderleben erforderliche Minimum an Über-
einstimmung erreicht werden kann, obwohl es in einer pluralistischen Gesellschaft
zwangsläufig Interessengegensätze geben muss (ebd.: 15). Oeckl (1977: 190) versteht

7
Demgegenüber war Franz Ronneberger, der mit Legitimation durch Information (1977) die wichtigste
deutschsprachige Publikation zur PR-Theorie der Nachkriegszeit verfasste, nicht als PR-Praktiker tätig.
236 Michael Kunczik

unter Öffentlichkeitsarbeit das bewusste, geplante und dauernde Bemühen um gegen-


seitiges Verständnis und Vertrauen. Das Ziel bestehe im „Einfügen des Eigeninteresses
in das Gesamtinteresse im Rahmen des Möglichen“. Oeckl behauptete (1988: 13):
„Angst ist eines der beherrschenden Themen unserer Tage.“ Daraus wurde geschlossen
(ebd.: 16): „Die Früchte der Angst sind Mißtrauen, daraus hervorgehend Vertrauens-
verlust und schließlich Vertrauenskrise. Angst und Mißtrauen sind bedauerlicherweise
allgegenwärtige Faktoren des öffentlichen Lebens geworden. [...] Wenn der ethische
Begriff Vertrauen weitgehend verlorengegangen oder gar zerstört ist, entsteht daraus
als Gegenwirkung allmählich ein Bedürfnis nach Glaubwürdigkeit.“ Im Umgang mit
den Journalisten tritt nach Oeckl der von Außenstehenden oft verkannte Management-
Charakter von PR hervor. Der durch sachliche Zwänge (Zeitdruck) eingeschränkten
Chance der Journalisten zur eigenständigen Recherche stellt Oeckl die Planungsfrei-
räume des PR-Praktikers gegenüber. Dieser sitze häufig an der Informationsquelle,
könne gründlich nachforschen und sich seine Zeit einteilen. Deshalb sei, so die reich-
lich naive Formulierung, ein „freund-nachbarschaftliches Verhältnis“ von „PR-
Leuten“ und Journalisten wünschenswert.8 Die ,klassische‘ Vorstellung vom Beruf des
Journalisten, der aufgrund eigener Initiative Informationen zu den Themen sammelt,
die er weitgehend selbst bestimmt hat, wobei den Informanten im Zuge der Recherche
eine weitgehend passive Rolle zukommt, sei realitätsfremde Ideologie (vgl. Kunc-
zik/Zipfel 2001: 187ff.). Oeckl (1988: 23) folgert aus dieser Situationsdiagnose als
Grundregel der PR: „Agieren, nicht reagieren. [...] Nicht abwarten, bis etwas passiert
ist; sich das Gesetz des Handelns nicht von einer anderen Seite aufdrängen lassen,
sondern dynamisch und kreativ aus eigenem Entschluß Ort und Zeit der PR-Aktion
bestimmen. [...] Öffentlichkeitsarbeiter sollten Trendsetter sein.“ Die zentrale Aufgabe
der PR wird folgendermaßen charakterisiert (1988: 24): „International gesprochen hat
Öffentlichkeitsarbeit heute auch die function of issues management. Dazu meine Über-
setzung: heikle Themen voraussehen, vorbereiten, durchdenken, planen und schließlich
der Öffentlichkeit richtig antworten! Sie können es auch Krisen-Management nennen!“

Schlussbemerkungen
Seit eine Initiative der Herbert-Quandt-Stiftung ab 1990 durch Tagungen das Interesse
der Wissenschaft an der PR sowie die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis
gefördert hat (Avenarius/Armbrecht 1992), ist in der deutschen PR-Forschung eine Art
,Quantensprung‘ eingetreten. Ferner sind seit diesem Zeitpunkt vor allem an PR-
Praktiker gerichtete Bücher vorgelegt worden, auf die der Vorwurf der fehlenden wis-
senschaftlich-kritischen Reflexion nicht zutrifft. Es sei rein willkürlich auf die Arbeit
von Horst Avenarius Public Relations. Die Grundform der gesellschaftlichen Kommu-
nikation (1995) sowie das ECON Handbuch Öffentlichkeitsarbeit von Gernot Brauer
(1993) und Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit. Eingrenzung für die Aus- und Weiterbil-

8
Vgl. Albert Oeckl: Antwort an Dr. Manfred Buchwald und Jochen Meyn, in: DPRG (Hrsg.), Partner
Journalist? Öffentlichkeitsarbeit und Medien, DPRG – Jahrestagung 1986, Bonn 1986: 65.
PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 237

dung von Christa Hategan (1991) verwiesen. Insgesamt gesehen hat sich die Diskussi-
on um die PR-Theorie, was auch der hier vorgelegte Reader verdeutlicht, im deutschen
Sprachraum intensiviert und dabei durchaus auch polemischen Charakter angenom-
men, was aber m.E. durchaus kein Nachteil ist, sondern die Diskussion eher zu beleben
scheint.9

Literatur
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handlungen, Denkschriften, Reden und Briefe. Berlin
Hategan, Christa (1991): Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit. Eingrenzung für die Aus- und Weiterbil-
dung. Hamburg

9
Vgl. zur Theoriediskussion im deutschen Sprachraum etwa die Diskussion zwischen Michael Kunczik
(2001) und Lothar Rolke (2002).
238 Michael Kunczik

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PR-Theorie und PR-Praxis: Historische Aspekte 239

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1939. Köln / Weimar / Wien
Spezielle Aspekte
Funktionale, soziale und expressive Reputation –
Grundzüge einer Reputationstheorie

Mark Eisenegger / Kurt Imhof

1 Einführung
Der Reputationsbegriff hat in den letzten Jahren sowohl in der Praxis als auch in der
Kommunikationswissenschaft eine bemerkenswerte Karriere angetreten. Der Fachdis-
kurs über das Phänomen Reputation weist allerdings erhebliche Mängel und Blindstel-
len auf. So wird die Thematik insbesondere in der PR-Forschung bislang zu aus-
schließlich nur in Bezug auf privatwirtschaftliche Unternehmen reflektiert, d.h. die
fachbezogene Debatte über Reputation leidet unter einem Corporate Bias. Vor allem
aber ist bisher eine handlungs- und gesellschaftstheoretische Fundierung des Reputati-
onsbegriffs ausgeblieben.
An diesen Schwachstellen setzt dieser Beitrag an. Der Reputationsbegriff wird
kommunikationstheoretisch so hergeleitet, dass er auf beliebige Personen, Institutionen
und Organisationen anwendbar wird. Dafür werden wir Reputation als Evolutionspro-
dukt des Modernisierungsprozesses darstellen, was uns zur Unterscheidung von drei
basalen Reputationstypen führt, an denen Individual- und Kollektivakteure beliebiger
Handlungsfelder (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft etc.) bemessen werden. Es wird
gezeigt, dass Reputation in unserer Gesellschaft im Allgemeinen wie für Organisatio-
nen im Speziellen fundamentale Funktionen übernimmt. Dies erlaubt es, Reputation
als zentrale Steuerungsgröße organisationalen Handelns und der Public Relations ein-
zuführen. Abschließend werden die zwei makrosozialen Determinanten benannt, wel-
che die Logik der Reputationskonstitution am meisten bedingen: Es sind dies die neu-
en Selektions- und Interpretationslogiken gegenwärtiger Mediengesellschaften sowie
die im sozialen (Werte-)Wandel entstehenden und zerfallenden Leitbilder und Erwar-
tungsstrukturen im Kontext epochaler Gesellschaftsmodelle.
244 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

2 Literatur-Übersicht: Der Reputationsbegriff im Fachdiskurs


Im wissenschaftlichen Fachdiskurs lässt sich seit 1981 eine kontinuierliche Zunahme
wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema Reputation feststellen
(Barnett/Jermier/Lafferty 2006: 27). Allerdings fehlt dem Reputationsbegriff bis heute
eine interdisziplinär anerkannte theoretische Basis und Definition (Bromley 2002: 35).
Überblickt man den entsprechenden Fachdiskurs, so fällt auf, dass die vorliegenden
Definitionen des Reputationsbegriffs entweder sehr allgemein gehalten sind oder aber
so spezifisch formuliert sind, dass sie nur auf ökonomische Organisationen anwendbar
sind.
Die Vertreter mit einem soziologischen Hintergrund tendieren zu eher weit gefass-
ten Definitionen. In dieser Perspektive wird Reputation als eine kommunikativ vermit-
telte Form der Anerkennung oder Geringschätzung begriffen, die eine Person, Organi-
sation oder Institution langfristig und überindividuell bei relevanten Bezugsgruppen
genießt (vgl. beispielsweise: Rao 1994: 29f.; Shrum/Wuthnow 1988: 882f.). Derart
weit gefasste Definitionen haben den Nachteil, dass sie kaum in operationalisierbare
Unterkategorien überführt werden können, d.h. sie geben keine Antwort darauf, an
welchen Beurteilungskriterien der Ruf einer Organisation, Person oder Institution kon-
kret festgemacht werden kann.
Konkreter und somit besser operationalisierbar sind die Definitionen aus dem Be-
reich der PR- und der Marketing-Forschung (Eberl/Schwaiger 2005; Fombrun 1996;
Fombrun/Gardberg 2000; Fombrun/Gardberg/Server 2000; Fombrun/Riel 2003;
Schwaiger 2004). Besonders große Beachtung hat dabei der Reputations-Ansatz von
Charles Fombrun bzw. des Reputation Institutes gefunden (Fombrun 1996; Fom-
brun/Gardberg/Server 2000; Fombrun/Riel 2003). Der überwältigende Anteil der ver-
fügbaren Reputationsstudien operiert mit dem Reputations-Ansatz dieser Denkschule
oder ist zumindest stark von diesem Modell beeinflusst (vgl. Gotsi/Wilson 2001). Re-
putation wird von Fombrun et al. definiert als „overall estimation of a firm by its sta-
keholders, which is expressed by the net affective reactions of customers, investors,
employees, and the general public.“ (Fombrun 1996: 78-79) Das Reputationskonzept
wird dann weiter in sechs Dimensionen aufgeschlüsselt, nämlich 1. Products and
Services; 2. Financial Performance; 3. Vision and Leadership; 4. Workplace Environ-
ment; 5. Social Responsibility; 6. Emotional Appeal (Fombrun/Riel 2003: 243f.). Die-
ses sechsdimensionale Reputationskonzept macht den eingangs erwähnten Bias ver-
fügbarer Reputationsansätze besonders deutlich, zielt der Ansatz doch ausschließlich
auf ökonomische Organisationen. Die Übertragbarkeit des Ansatzes auf nicht-öko-
nomische Organisationen respektive Akteure ist dadurch stark limitiert.
Eine interessante Weiterentwicklung des Reputationskonzepts hat Schwaiger vor-
gelegt (Eberl/Schwaiger 2005; Schwaiger 2004). Diesem Konzept liegt eine theoriege-
leitete Definition zugrunde, welche eine kognitive und eine affektive Reputationsdi-
mension unterscheidet. Die kognitive Dimension bezieht sich auf die wahrgenommene
Kompetenz, während die affektive Dimension die dem Unternehmen entgegengebrach-
te Sympathie umfasst. Reputation wird also als zweidimensionales Konstrukt gefasst.
Funktionale, soziale und expressive Reputation 245

Zudem werden auf der unabhängigen Seite verschiedene Treibervariablen unterschie-


den, welche die kognitive bzw. affektive Reputationsdimension beeinflussen. Schwai-
ger et al. konnten empirisch nachweisen, dass die unabhängigen Variablen ‚Qualität
der Produkte und Dienstleistungen‘ und ‚ökonomische Performanz‘ hauptsächlich auf
die kognitive Kompetenz-Dimension einwirken, während die unabhängigen Variablen
‚Corporate Social Responsibility‘ und ‚Attraktivität‘ stärker die affektive Reputations-
dimension der untersuchten Unternehmen beeinflussen (Schwaiger 2004: 63ff.). Ob-
wohl auch dieses Reputationskonzept ausschließlich am Gegenstand ökonomischer
Organisationen entwickelt wurde, ist der Ansatz dennoch interessant, weil das zweidi-
mensionale Reputationskonstrukt grundsätzlich auch auf nicht-ökonomische Reputati-
onsträger übertragbar wäre. Ein Unterschied zu dem hier vorgestellten Reputations-
Ansatz besteht jedoch darin, dass die normative Dimension von Reputation – neben
der kognitiven und der affektiven – nicht in das Reputations-Konstrukt eingeht, son-
dern lediglich auf der unabhängigen Seite als reputations-beeinflussende Variable be-
rücksichtigt wird.
Gesamthaft fehlt dem Reputationsbegriff bislang eine interdisziplinär anerkannte
theoretische Basis und Definition. Insbesondere ist eine handlungs- und gesellschafts-
theoretische Fundierung des Reputationsbegriffs bis heute ausgeblieben. Im Folgenden
geht es deshalb darum, eine dreidimensionale Reputationstheorie zu entwickeln, die
eine kognitive, eine affektive und eine normative Reputationsdimension umfasst.

3 Funktionale, soziale und expressive Reputation


Reputation ist in unserem Verständnis ein Phänomen, das mit seinen charakteristischen
Merkmalen ausschließlich in modernen Leistungsgesellschaften beobachtet werden
kann. Dieser sozialevolutionäre Blick erlaubt moderne Reputation als eine Größe zu
entwickeln, die in ausdifferenzierten modernen Gesellschaften in sämtlichen Funkti-
onssystemen gemäß derselben Grundlogik zugesprochen oder entzogen wird
(Eisenegger 2004, 2005).
Zentral für unseren Ansatz ist die Beobachtung, dass die Rationalisierung des mo-
dernen Denkens zu einer Differenzierung von drei Welten geführt hat, in denen sich al-
le Akteure bewähren müssen: Es sind dies die objektive, die soziale und die subjektive
Welt (Habermas 1984: 75ff.; Imhof 2006: 185ff.). Diese drei Welten sind durch eine je
spezifische Handlungs- und Beurteilungsrationalität charakterisiert, welche die Logik
der Reputationskonstitution determiniert. In der objektiven Welt werden die Akteure
danach beurteilt, ob sie in kognitiver Hinsicht den Zwecken ihres Handlungsfeldes
dienen. In der sozialen Welt wird die normativ-moralische Korrektheit zum Beurtei-
lungsmaßstab. Und in der subjektiven Welt schließlich gilt das Interesse der Frage,
welche emotionale Wirkung vom je individuellen Wesen eines Akteurs ausgeht. Ent-
sprechend gehorchen diese drei Welten den Geltungsansprüchen der kognitiven Wahr-
heit, der normativen Korrektheit und der expressiven Attraktivität und Authentizität.
Was als objektiv wahr, als normativ gut und als subjektiv attraktiv und authentisch gilt,
246 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

ist in der Moderne Gegenstand fortwährender Aushandlung und Bewertung.1 In nicht


mehr und nicht weniger als genau diesen drei Welten haben sich sämtliche Akteure
moderner Gesellschaften zu bewähren, die nach Reputation streben und zwar unab-
hängig davon, aus welchem Handlungskontext – z.B. Politik oder Wirtschaft – sie ent-
stammen (vgl. Abbildung 1). Wir nutzen dieses von Jürgen Habermas im Anschluss an
Max Weber entwickelte Drei-Welten-Konzept (Habermas 1984: 84ff.), um es auf den
Gegenstand moderner Reputationskonstitution zu übertragen. Wir entwickeln daraus
einen dreidimensionalen Reputationsansatz mit universellem Geltungsanspruch, der
auf beliebige Akteure und somit auch auf beliebige Institutions- und Organisationsty-
pen übertragbar ist (Eisenegger 2004, 2005).

1. Objektive Welt des ‚Wahren‘: Funktionale Reputation


Erstens müssen sich die Akteure moderner Gesellschaften in einer Welt des Wahren,
d.h. sachlogisch überprüfbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge bewähren. Das
Prüfkriterium in der objektiven Welt ist die Zweckrationalität (Weber 1980: 13). Die
Akteure werden danach beurteilt, ob sie in der Erreichung bestimmter Zwecke erfolg-
reich sind bzw. ob sie zur Zweckerreichung die adäquaten Mittel ergreifen. Die objek-
tive Welt umfasst damit insbesondere den Bereich der zweckgebundenen und „Ent-
scheidungen fällenden Systeme“ (Habermas 1984: 88), d.h. das Handeln eines Reputa-
tionsträgers wird in der objektiven Welt an Leistungszielen der Funktionssysteme Poli-
tik, Wirtschaft, Wissenschaft etc. bemessen. Sofern die Leistungsziele der Funktions-
systeme (z.B. Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft etc.) zum Maßstab für die
Bewertung von Akteuren werden, sprechen wir von funktionaler Reputation. Funktio-
nale Reputation ist ein Indikator für teilsystem-spezifischen Erfolg und Fachkompetenz
und wird daran festgemacht, wie gut eine Person die ihr zugewiesene Leistungsrolle
ausfüllt oder wie gut eine Organisation oder Institution dem Zweck dient, für den sie
geschaffen wurde. Im Prozess der Reputationskonstitution folgt die objektive Welt ei-
ner streng kognitiven Logik: Funktionaler Erfolg oder Misserfolg wird an Kennzahlen
festgemacht, die einer empirischen Validierung in Form von Wahr-/Falsch-Aussagen
zugänglich sind. Dementsprechend erhalten politische Parteien funktionale Reputation
dafür, wenn sie messbar Wähleranteile erhöhen. Journalisten erscheinen anerken-
nungswürdig, wenn sie Einschaltquoten oder Auflagezahlen in die Höhe treiben. Oder
Manager und Unternehmen mehren ihre funktionale Reputation, wenn sie Gewinne
oder Börsenkurse steigern. In der objektiven Welt treten Akteure mit einem streng ko-
gnitiven Weltbezug als Reputationsinstanzen auf: Wissenschaftler, Experten, Analy-
sten und Journalisten von Fachmedien sind die treibenden Instanzen, welche über die
funktionale Reputation der Reputationsträger urteilen und die maßgebenden ‚Ratings‘
abgeben.

1
Im Gegensatz zu modernen Gesellschaften ist die Vormoderne dadurch gekennzeichnet, dass das ko-
gnitiv Wahre (objektive Welt), das normativ Gute (soziale Welt) und das ästhetisch Schöne (subjektive
Welt) noch vereint aus einem göttlichen Prinzip ableitbar waren. Im Prozess der modernen Säkularisie-
rung wird das Wahre, das Gute und das Schöne fragiler, weil diese Weltsichten Objekte öffentlicher
Begründungen und Kontroversen werden (Imhof 2006: 160ff.)
Funktionale, soziale und expressive Reputation 247

2. Normative Welt des ‚Guten‘: Soziale Reputation


Zweitens müssen sich die Akteure in einer Welt sozialer Normen und Werte bewähren.
Das Beurteilungskriterium in der sozialen Welt ist die Wertrationalität (Weber 1980:
12), d.h. die soziale Welt wird konstituiert durch einen normativen Kontext, der fest-
legt, inwieweit das Handeln der Reputationsträger legitim erscheint. In der sozialen
Welt regiert die Sozialreputation. Dieser Reputationstyp hält sich nicht an die Logik
der verschiedenen Funktionssysteme, sondern beansprucht auch gesamtgesellschaftli-
che Geltung. Die soziale Reputation bewertet die Legitimität und Integrität und wird
daran festgemacht, inwieweit kodifizierte wie nicht-kodifizierte gesellschaftliche
Normen befolgt werden. Die Sozialreputation eines Akteurs ist solange intakt, wie das
Streben nach funktionalem Erfolg nicht mit gesellschaftlichen Normen und Werten in
Konflikt gerät. So erwarten wir, dass Politiker keine unlauteren Methoden anwenden
und wir erwarten, dass Manager soziale und ökologische Standards in ihr Kalkül ein-
beziehen. In der sozialen Welt herrscht ein streng normativer Weltbezug. Dementspre-
chend werden die Akteure gemäß dem Kriterium ethischer Korrektheit/Inkorrektheit
sortiert. Dabei wiegen Reputationsverluste in der sozialen Welt durchs Band schwerer
als Reputationseinbußen in der objektiven Welt: In Frage gestellte funktionale Kompe-
tenz lässt sich korrigieren, sofern sich entsprechende Erfolge wieder einstellen. Wahr-
genommene moralische Defizite prägen den Ruf nachhaltiger und lassen sich meist nur
unter Anwendung radikaler Maßnahmen – z.B. Schuldeingeständnisse – ausgleichen.2
Weil im Unterschied zu kognitiven Diskursen, die handlungsbereichsspezifisches
Wissen erfordern, alle Akteure in der Lage sind, sich an ethischen Auseinandersetzun-
gen zur Frage des Guten und Bösen, des Gerechten und Ungerechten zu beteiligen, in-
kludiert die soziale Welt im Gegensatz zur objektiven Welt ein viel breiteres Spektrum
an Akteuren, welche als Reputationsinstanzen auftreten können. Religiöse Gruppie-
rungen, Intellektuelle, moralische Unternehmer, Politiker, zivilgesellschaftliche Akteu-
re, NGOs, insbesondere aber auch die Journalisten und Redakteure massenmedialer
Organisationen urteilen darüber, inwieweit sich die Reputationsträger in der sozialen
Welt als ‚good‘ oder ‚bad citizens‘ erweisen.

3. Subjektive Welt des ‚Schönen‘: Expressive Reputation


Die objektive wie die soziale Welt treten einem Reputationsträger als Außenwelten ge-
genüber, die ihn entweder mit kognitiv-funktionalen Leistungserwartungen oder aber
mit moralisch-normativen Ansprüchen konfrontieren. In der expressiven Dimension
wird die individuelle Welt des Akteurs selbst Gegenstand der Reputationszuweisung.
Im Zentrum steht die Frage, welche emotionale Attraktivität und Authentizität vom
charakteristischen Wesen des Akteurs ausgeht. Während in der objektiven Welt eine
kognitive und in der sozialen Welt eine normative Bewertungsrationalität vorherrscht,
dominieren in der subjektiven Welt emotionale ‚Geschmacksurteile‘ (Kant 1995).3
2
Die Alltagssprache belegt dieses Gesetz in Bezug auf den Normverstoß der Lüge mit folgendem Satz:
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“
3
‚Geschmacksurteile‘ sind nach Kant subjektive Urteile über das ‚Schöne‘, die nur „durch das Gefühl“
zustande kommen können, sich also einem logischen Urteilsschluss entziehen (Kant 1995: 115).
248 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

Diese begründen die expressive Reputation: Der Reputationsträger entäußert Expres-


sionen aus seiner subjektiven Welt in der Absicht, positive Affekte bei Dritten zu be-
wirken, d.h. attraktiv zu erscheinen. Umgekehrt wird der Reputationsträger von außen-
stehenden Dritten danach beurteilt, welche emotionale Anziehungs- respektive Absto-
ßungskraft von seinem Wesen ausgeht. Die expressive Reputation manifestiert sich in
einer positiv bzw. negativ besetzten affektuellen Einstellung dem Reputationsträger
gegenüber und lässt sich u.a. an Indikatoren zugestandener bzw. abgesprochener Fas-
zination, Attraktivität, Sympathie, Authentizität und Einzigartigkeit ablesen. Zielt die
expressive Reputation in stark überhöhter Form auf eine Person, dann steigert sich die
expressive zur charismatischen Reputation. Solche charismatische Reputation basiert
auf dem Glauben an die außeralltäglichen Gnadengaben der jeweiligen Person (Weber
1980: 124).
Die expressive Reputation eines Akteurs entwickelt sich nicht losgelöst von den
Reputationswerten in der objektiven und der sozialen Welt. Sie ist davon abhängig,
wie sich der Akteur auf seine spezifische und unverwechselbare Weise in der kogniti-
ven Welt der Zwecksysteme und der sozialen Welt der Normen und Werte bewährt. So
kann es sein, dass uns eine Firma deshalb emotional anspricht, weil sie uns in der funk-
tionalen Dimension als besonders innovative Kraft mit faszinierenden und einzigarti-
gen Produkten erscheint. Oder ein Unternehmen mag uns deshalb sympathisch er-
scheinen, weil es ethische Prinzipien über unmittelbare Profitinteressen stellt. Die ex-
pressive Reputation, welche sich im Ausmaß zugestandener emotionaler Attraktivität
niederschlägt, kann in unserer Wahrnehmung also sowohl funktional (Innovativität,
Faszinationskraft) wie sozial (moralische Überzeugungskraft) beeinflusst sein.
Aus der subjektiven Welt nehmen Akteure mit einem ästhetischen Weltbezug die
Rolle als Reputationsinstanzen ein. Dazu zählen alle Akteure, die sich auf Fragen indi-
vidualisierter Wirkung spezialisieren, also z.B. Kommunikations-, PR- und Modebera-
ter, Marketingspezialisten, Designer oder etwa Kunstschaffende. Weil die expressive
Reputation aber auch Ausdruck dessen ist, was ein Akteur aus der objektiven und der
sozialen Außenwelt in seine Identität integriert, inkludiert die subjektive Welt daneben
auch Reputationsinstanzen aus der objektiven und der sozialen Welt: Experten, Analy-
sten und Wissenschaftler gleichermaßen wie auch moralische Unternehmer, zivilge-
sellschaftliche Akteure, Politiker und Medienschaffende können einem Reputations-
träger emotionale Anziehungs- oder Abstoßungskraft attestieren. Dabei werden sich
die Reputationsinstanzen mit einem kognitiven Weltbezug (z.B. Experten und Analy-
sten) darauf konzentrieren, die funktionale Faszinationskraft des Reputationsträgers
herauszustreichen. Reputationsinstanzen mit einem normativen Weltbezug (z.B. mora-
lische Unternehmer) werden hingegen in ihren emotionalen Urteilen mehr auf die mo-
ralische Überzeugungskraft des Reputationsträgers abheben. In jedem Fall werden die
Reputationsträger in der subjektiven Welt aber immer auch daraufhin geprüft, ob das,
was der subjektiven Innenwelt entstammt, authentisch ist oder allenfalls bloß in strate-
gischer Absicht inszeniert wird (Goffman 1986).
Funktionale, soziale und expressive Reputation 249

Nachfolgende Übersicht fasst unseren Ansatz dreidimensionaler Reputationskonsti-


tution zusammen:

Abb. 1: Funktionale, soziale und expressive Reputation


Funktionale Soziale Expressive
Reputation Reputation Reputation
Reputationsbezug Objektive Welt Soziale Welt Subjektive Welt
(Bezugswelt) leistungsbasierter moralischer und individueller
Funktionssysteme; normativer Standards Wesenheit und
Welt kognitiv be- Identität
schreibbarer Ursache-
Wirkungs-Relationen
Reputations- Kompetenz, Integrität, Attraktivität,
Indikatoren Erfolg Sozialverantwortlich- Einzigartigkeit,
keit, Authentizität
Legalität und Legitimität
Bewertungsstil Kognitiv-rational Normativ-moralisierend Emotional-
(Kennzahlen) ästhetisierend
Reputations- Akteure mit einem Akteure mit einem nor- Akteure mit einem äs-
Instanzen kognitiven Weltbezug: mativen Weltbezug: thetischen Weltbezug:

Experten, Wissen- Moralische Kommunikations-,


schaftler, Analysten, Unternehmer, Marketing-,
Fachmedien Intellektuelle, Stilberater,
politische + religiöse Kunstschaffende,
Gruppierungen, Designer,
Kontrollbehörden Spin Doctors,
NGOs, Massenmedien
Massenmedien

Weitere definitionsrelevante Merkmale des Reputationsbegriffs in Form seiner hand-


lungstheoretischen Implikationen lassen sich gewinnen, wenn das Konzept mit seinem
Gegenstück – dem Begriff des Vertrauens – in Beziehung gesetzt wird. Bereits ein
kurzer Blick auf die Semantik des Diskurses über Reputationsträger lässt die Interde-
pendenz zwischen Reputation und Vertrauen hervortreten: So erscheint ein Reputati-
onsträger „vertrauenswürdig“, er „verdient unser Vertrauen“ oder besitzt gar einen
„Vertrauensvorschuss“. Die Alltagssprache belegt damit ein soziales Gesetz: Die Re-
putation des Empfängers korrespondiert mit dem Vertrauen des Gebers. Mit anderen
Worten: Reputation und Vertrauen sind beiden Seiten einer Medaille bzw. eines Aner-
kennungsprozesses. Reputation kann man somit als Ruf der Vertrauenswürdigkeit be-
zeichnen.
Wie aber lässt sich das für die Reputationsbildung elementare Vertrauen gewinnen?
Die Antwort lautet: Indem Akteure verlässlich Erwartungen wichtiger Bezugsgruppen
erfüllen (Bentele 1994: 131f.; Bentele/Seeling 1996: 155ff.). Vertrauenswürdigkeit
gründet auf der Erfahrung erwartungskonformen Handelns bei gleichzeitiger Erwar-
tung weiterhin erwartungskonformen Handelns. Wenn wir heute vertrauen, gehen wir
davon aus, dass ein Reputationsträger auch morgen unsere Erwartungen erfüllt. Des-
250 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

halb eilt Akteuren mit intakter Reputation der gute Ruf im sprichwörtlichen Sinne vor-
aus. Das Kapital Reputation ist also dadurch gekennzeichnet, dass es besonders dort
gedeiht und wächst, wo es schon vorhanden ist.
Erfüllte Erwartungen produzieren Vertrauen, Vertrauen produziert Reputation. Hier
lässt sich der Begriff der Reputation in die Handlungstheorie einbringen: Wenn Institu-
tionen, Organisationen oder Personen in der Fremdwahrnehmung über Reputation ver-
fügen, dann gehen die Anerkennung zusprechenden Individuen von erwartbaren
Handlungen in funktionaler und sozialer Hinsicht aus. In funktionaler Hinsicht wird
erwartet, dass Reputationsträger kompetent und erfolgreich ihren Leistungsauftrag er-
füllen und in sozialer Hinsicht geht man davon aus, dass die Reputationsträger gesamt-
gesellschaftliche Normen und Werte berücksichtigen.
Damit ist das Geheimnis des guten Rufs allerdings erst zur Hälfte gelüftet. Es ge-
nügt nicht, sich nur an die Erwartungen der sozialen und funktionalen Außenwelten
anzupassen. Wer nur blind Erwartungen der objektiven und sozialen Welt erfüllt, dem
droht bald einmal das Stigma des Konformisten oder gar des Opportunisten. Deshalb
wird in der expressiven Reputationsdimension Abgrenzung zur Pflicht. Wer Reputation
aufbauen und erhalten will, muss sich trennscharf von seinen Konkurrenten abheben
und eine unverwechselbare, emotional attraktive Identität aufrechterhalten. Diese Di-
stinktionsbetonung ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass sich relevante Be-
zugsgruppen gerade auf diesen und nicht auf einen anderen Reputationsträger emotio-
nal einlassen. Entsprechend basiert erfolgreiche Reputationspflege auf dem schwieri-
gen Balanceakt zwischen funktionaler/sozialer Anpassung und expressiver Abgren-
zung, auf Erwartungs- und Identitätsmanagement (vgl. Abbildung 2).
In Termini der Habermas’schen Sprechakttheorie können wir die Voraussetzungen
eines guten Rufes somit wie folgt zusammenfassen: In kognitiver Hinsicht setzt Repu-
tation die kompetente Erfüllung funktionaler Leistungsanforderungen voraus. In nor-
mativer Hinsicht wird die Befolgung moralischer Ansprüche zur Pflicht. Und in ex-
pressiver Hinsicht schließlich basiert eine positive Reputation auf der Pflege einer
emotional attraktiven, unverwechselbaren Identität. Vorbildliches Reputationsmana-
gement bedeutet also, funktionale und soziale Erwartungen zentraler Anspruchsgrup-
pen zu erfüllen, ohne dabei der eigenen Identität untreu zu werden – und dies relativ
besser als die direkten Konkurrenten (Eisenegger 2005: 32).
Funktionale, soziale und expressive Reputation 251

Abb. 2: Reputationsmanagement im Spannungsfeld


von Anpassung und Abgrenzung

4 Funktionen von Reputation


Reputation verschafft also Vertrauen in funktionsgerechtes und moralisch korrektes
Handeln und steigert die expressive Auffälligkeit und Besonderheit ihrer Träger. Dies
verweist auf die Funktionen, die der Größe Reputation zuzurechnen sind. Bereits gut
erforscht ist der betriebswirtschaftliche Nutzen von Reputation für ökonomische Orga-
nisationen. So stärkt eine intakte Reputation das Kundenvertrauen, erleichtert die Ak-
quisition und Bindung fähiger Mitarbeiter, verbessert den Zugang zum Kapitalmarkt,
senkt die Kapitalbeschaffungskosten, sorgt für niedrige Beschaffungspreise und redu-
ziert den behördlichen Kontroll- und Regulationsdruck. Insgesamt errichten Unter-
nehmen durch den Aufbau einer hohen Reputation eine Barriere, die Kundenabwande-
rungen verhindert und Markteindringlinge abschreckt (Eberl/Schwaiger 2005; Einwil-
ler 2003; Schwaiger 2004). Mit diesen ohne Zweifel essenziellen ökonomischen Funk-
tionen ist die Bedeutung von Reputation aber keineswegs erschöpfend beschrieben.
Denn Reputation erbringt für die Gesellschaft insgesamt fundamentale Steuerungs-
funktionen.
Eine gesamtgesellschaftlich elementare Funktion von Reputation besteht darin,
Macht-Unterschiede zu legitimieren. Dieser Zusammenhang ist allerdings keine Erfin-
dung moderner Gesellschaften, sondern lässt sich weit zurück bis in die Zeit des römi-
schen Kaisers Augustus zurückverfolgen. Augustus (64 v.Chr. bis 14 n.Chr.) wird in
den Geschichtsbüchern als eine Person dargestellt, die eine bisher unerreichte Macht-
fülle auf sich vereinte: So eliminierte Augustus die römische Adelsdemokratie und ließ
sich zum römischen Alleinherrscher (Princeps) ernennen. Er übertrug sich den Ober-
befehl über die römischen Streitkräfte und kürte sich zum Pontifex maximus, ein Amt,
das ihm durch Entscheidungsgewalt über alle religiösen Fragen ein zusätzliches
Machtinstrument in die Hand gab. Somit sah sich Kaiser Augustus nun vor das Pro-
blem gestellt, diese erdrückende Machtfülle legitimieren zu müssen. Die Lösung für
dieses Problem fand Kaiser Augustus in einer Formel, die bis heute Bestand hat. Im
„Tatenverzeichnis“ (res gestae), das er kurz vor seinem Tod verfasste, hielt der Impe-
rator fest: Seine Macht, die potestas, sei gerechtfertigt, weil er auch über den entspre-
252 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

chenden Respekt des Volkes, die auctoritas, verfüge. Während ihm die Macht (pote-
stas) ‚von oben‘, d.h. vom römischen Senat verliehen worden sei, werde ihm ‚von un-
ten‘, dem römischen Volk Respekt (auctoritas) gezollt. Und zwar dafür, dass er dem
römischen Reich eine lange währende Zeit von innerem Frieden, Stabilität, Sicherheit
und Wohlstand gebracht habe.
Was können wir aus diesem historischen Exkurs ableiten? Nichts weniger als die
bis heute wirkmächtige Regel, dass „von oben‘ verliehene Macht ‚von unten‘ aner-
kannt sein muss, um legitim zu erscheinen. Macht, die sich nicht mit Mitteln der Ge-
walt und Repression absichern kann oder will, muss also durch eine adäquate Reputa-
tion verdient sein. Damit vollbringt Reputation ein soziales Wunder: Sie rechtfertigt
gesellschaftliche Ungleichheit. Dass die einen viel und die anderen wenig Macht und
Einfluss besitzen, wird gesellschaftlich so lange akzeptiert, wie die Bessergestellten
über eine intakte Reputation verfügen.4 Deshalb erlaubt Reputation die friktionslose
Aufrechterhaltung von Hierarchien und Macht-Differentialen. Auf Reputation basie-
rende gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse markieren eine symbolische Welt, in
der soziale Hierarchien alltagsweltlich verankert und rechtfertigt sind.
Die Legitimationsfunktion von Reputation für soziale Macht ist denkbar folgen-
reich. So beginnt jede Karriere mit der Mehrung von Reputation. Denn Reputation ist
das Eintrittsticket in die Teppichetagen der Macht- und Schaltzentralen. Umgekehrt
werden Machtpositionen fragil, sobald die Reputation gravierenden Schaden nimmt.
Nicht zufällig werden wir tagtäglich Zeitzeugen davon, dass ranghohe Politiker oder
CEOs ihren Hut nehmen müssen, weil ihr ramponierter Ruf es nicht mehr zulässt, ein
hohes Amt zu bekleiden. Und weil die modernen Massenmedien sehr erfolgreich darin
sind, die Reputation von ranghohen Statusträgern kritisch zu hinterfragen oder gar zu
skandalisieren, bestimmen sie mehr und mehr mit, welche ‚Top Shots‘ bleiben dürfen
und welche gehen müssen.
Reputation erbringt allerdings noch weitere fundamentale Funktionen für die Ge-
samtgesellschaft. Denn das Streben nach Reputation ist auch der wichtigste Mecha-
nismus sozialer Integration. Reputation kann nur derjenige erwerben, der die gesell-
schaftlich gesetzten Ziele und Werte berücksichtigt. Deshalb bezeichnete Hegel den
„Kampf um Anerkennung“ als die „Bewegungskraft“, die den „Vergesellschaftungs-
prozess durch alle Stufen hindurch vorantreibt“ (Honneth 1994: 104). Verbreitetes Re-
putationsstreben sichert die Grundwerte der zivilisierten Gesellschaft und verhindert
den Rückfall in die Barbarei.
Weitere Reputationsfunktionen lassen sich unter dem Aspekt der Komplexitäts-
reduktion zusammenfassen, und zwar in mindestens dreifacher Hinsicht:
Erstens erlaubt Reputation die erleichterte Selektion derjenigen Organisationen, In-
stitutionen oder Personen, mit denen wir unsere Handlungspläne realisieren wollen. In-
takte Reputation steigert die Auffälligkeit und Besonderheit der Akteure und bietet
Anknüpfungspunkte für zielgerichtete und effiziente Interaktionen. So versetzt hohes

4
Dabei ist für die Intaktheit des Rufs der Bessergestellten entscheidend, ob sie ihre Macht sorgsam zum
Wohle der Untergebenen einsetzen, also dem Allgemeinwohl dienen.
Funktionale, soziale und expressive Reputation 253

Ansehen die Menschen beispielsweise in die Lage, ein bestimmtes Unternehmen bzw.
dessen Produkte mit einem Minimum an Wissen, gewissermaßen ‚aus dem Bauch her-
aus‘, auszuwählen. Denn wir folgen Akteuren mit intaktem Ansehen unbefangener,
weil wir gelernt haben, fast schon ‚blind‘ in deren Leistungsfähigkeit, Kompetenz und
Integrität zu vertrauen.
Zweitens minimiert intakte Reputation die soziale Kontrolle. Der gute Ruf entlastet
vom Zwang, die Handlungen der Reputationsträger beständig überprüfen zu müssen.
Intakte Reputation erweitert dadurch Freiheits- und Handlungsspielräume. Je geringer
umgekehrt das Vertrauen in die Reputation von Institutionen, Organisationen und Füh-
rungseliten ist, desto mehr müssen rechtlich einklagbare, also formalisierte Regelungen
mit Sanktionspotenzial dieses Reputationsvakuum ersetzen und desto mehr müssen
staatliche Organe Kontroll- und Überwachungsfunktionen mit Sanktionsgewalt über-
nehmen.
Drittens verschafft Reputation seinen Trägern Definitions- und Überzeugungs-
macht. Reputation ist verbunden mit der Macht, gesellschaftliche Realität zu formen
und kreativ zu wirken. Nur wer über eine intakte Reputation und den entsprechenden
Vertrauensvorschuss verfügt, stößt selbst dann auf Unterstützung, wenn sein Handeln
und seine Ansichten den Erwartungen der Außenstehenden nicht auf Anhieb entspre-
chen.
Reputation ist damit ein Gut von unschätzbarem Wert: Sie bündelt vertrauensvolles
und kontinuierliches Handeln mit Bezug auf die Reputationsträger, sie reduziert die
Komplexität hinsichtlich deren Auswahl, sie befreit von Kontrolle und lässt allfällige
Machtpositionen als legitim erscheinen. Das Umgekehrte gilt freilich ebenso: Reputa-
tionsverlust destabilisiert durch Vertrauenszerfall das Handeln, erhöht dessen Komple-
xität und delegitimiert hierarchische Strukturen.

5 Reputation als Kernbegriff der Public Relations


Bereits die oben ausgeführte Interdependenz zwischen Reputation und Vertrauen ver-
weist auf die zentrale Bedeutung von Reputation für Theorie und Praxis der Public Re-
lations (PR). So wird die Funktion von PR in der kommunikationswissenschaftlichen
Fachdiskussion prominent daran festgemacht, durch Planung und Umsetzung geeigne-
ter Kommunikationsmaßnahmen das Vertrauen der Öffentlichkeit und/oder spezifi-
scher Bezugsgruppen zu stärken bzw. die Entstehung von Misstrauen zu verhindern
(Bentele 1994: 131ff.; Bentele/Seeling 1996: 155ff.; Ronneberger/Rühl 1992: 252f.;
Szyszka 1992: 104ff.). Exakt diese Vertrauen sichernde Funktion übernimmt Reputati-
on. Sie fungiert als soziales Kapital und ermöglicht den Erhalt und die Akkumulation
weiteren Vertrauens. Die Zentrierung von PR auf Reputationspflege ist aber auch da-
durch angezeigt, weil die Funktion von Öffentlichkeitsarbeit an anderen Orten der PR-
Fachdiskussion an der Konstruktion von Images festgemacht wird (Faulstich 1992:
72f.; Merten 1992: 43f.; Merten/Westerbarkey 1994: 188f.). Dabei bleibt jedoch un-
klar, in welcher Beziehung die Termini Image und Reputation zueinander stehen, in-
254 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

wieweit Image- und Reputationspflege also verschiedene Begriffe für dasselbe Phä-
nomen darstellen oder aber verschiedene Bedeutungsgehalte implizieren.
Der Zusammenhang von Reputation und Image ergibt sich in der hier verfolgten
Begriffsbestimmung zunächst dadurch, dass in Prozessen gesellschaftlicher Anerken-
nung die verschiedenen Images eines Akteurs gegeneinander abgewogen und zu einer
(Gesamt-)Reputation saldiert werden. Während der Imagebegriff zudem von seinem
Bedeutungsgehalt her neutral konnotiert ist und offen lässt, ob damit neutrale oder po-
sitive bzw. negative Bewertungsmuster verbunden sind, entfaltet Reputation stets eine
Rangordnung zwischen evaluierten Akteuren und impliziert höhere oder geringere
Wertschätzung, größere oder geringere Akzeptanz. Dies betont Bromley: „The main
difference is that reputation usually implies an evaluation, wheras public image is a
fairly neutral term. In general reputation is highly valued. Its main function, however,
is to maintain social order” (Bromley 1993: 6). Aufgrund dieser evaluativen Funktion
nimmt Reputation in der Organisationskommunikation eine herausragende Stellung
ein. Denn die Gewährleistung der langfristigen Überlebensfähigkeit setzt zwingend die
Kenntlichmachung des je besonderen Wertes der Organisation in Absetzung von ande-
ren Organisationen voraus. Entsprechend zielt Public Relations auf die möglichst posi-
tive Positionierung einer Organisation und deren Leistungen im jeweiligen Handlungs-
feld wie auch im gesellschaftlichen Bereich. Exakt diese Funktion übernimmt Reputa-
tion. Sie ist integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Prozesses, Akteuren ihren
Rang und ihre Position in der Gesellschaft zuzuweisen. Sie ist das Resultat der Diffe-
renzbetonung der je besonderen Leistungsfähigkeit einer Organisation zur Realisierung
von kollektiv geteilten Zielen und Werten im jeweiligen Handlungsfeld. Deshalb ist
PR mit Reputationsmanagement gleichzusetzen.

6 Determinanten des Reputationswandels


Gemäß welcher Logik wird die Größe Reputation in modernen Gesellschaften zuge-
wiesen oder entzogen? Die Beantwortung dieser Frage erfordert es, die zwei aus-
schlaggebenden, makrosozialen Determinanten der Reputationskonstitution in den
Blick zu nehmen. Es sind dies erstens die neuen Selektions- und Interpretationslogiken
gegenwärtiger Mediengesellschaften. Zweitens von Bedeutung ist der soziale Wandel,
d.h. Aufbau und Erosion wirkmächtiger Gesellschaftsmodelle mitsamt ihren Erwar-
tungsstrukturen und Leitbildern, welche die Reputationsdynamik essenziell determi-
nieren.

6.1 Neue Aufmerksamkeitsregimes der Mediengesellschaft


Organisationskommunikation – d.h. Kommunikation in, über und von Organisationen
(Szyszka 2006: 210) – ist heute essenziell medialisierte Kommunikation. Dies gilt so-
wohl für politische, staatliche, ökonomische als auch für andere Organisationstypen.
Die Aufmerksamkeit und die Akzeptanz, die das Publikum und auch die Mitglieder
spezifischen Organisationen zukommen lassen, die Profilierung von Organisationen in
Funktionale, soziale und expressive Reputation 255

Absetzung von anderen Organisationen, ja sogar die Motivation und Integration von
Mitgliedern und Mitarbeitern vollzieht sich in öffentlich exponierten Organisationen in
zunehmendem Maße über medial vermittelte Kommunikation.5 Beobachtbar sind also
weitreichende Medialisierungseffekte, denen Organisationen durch die neuen Auf-
merksamkeitsregimes gegenwärtiger Mediengesellschaften ausgesetzt sind (Donges
2008; Imhof/Blum/Bonfadelli/Jarren 2004; Jarren 2001; Saxer 1998a).
Die neuere sozialwissenschaftliche Forschung hat sich stark mit den Medialisie-
rungsfolgen für das politische System und dessen Organisationen beschäftigt. Sie
zeigt, dass sich die Politik in diesem Prozess kommunikativ neu konstituiert (Donges
2008; Jarren 2001; Kaase 1998; Sarcinelli 1997; Saxer 1998b). Solche Medialisie-
rungseffekte sind jedoch keineswegs auf die Organisationen des politischen Systems
beschränkt. Kein Teilsystem kann sich der skizzierten Neuallokation der Aufmerk-
samkeit in der medienvermittelten Kommunikation entziehen. Von unabsehbarer Be-
deutung – wenn auch noch kaum beachtet – ist auch die massenkommunikative Neu-
konstitution der Ökonomie (Eisenegger 2005; Eisenegger/Vonwil 2004: 80ff.; Schranz
2007). Folgendes lässt sich beobachten:
In sozialer Hinsicht zeigt sich eine intensivierte Personalisierung ökonomischer
Organisationen mit der Konsequenz, dass die Reputation des Unternehmens immer
ausschließlicher an das flüchtige und verletzliche Ansehen des Führungspersonals ge-
knüpft wird. Durch die sich stetig verkürzende Amtsdauer der CEOs und anderer Füh-
rungseliten wird der langfristige Aufbau einer stabilen Unternehmensreputation er-
schwert.6 Die extensive Personalisierung führt insgesamt zu einer stärker schwanken-
den (volatilen) Reputationsentwicklung. Lob und Tadel liegen bei Personen näher bei-
einander als bei den Organisationen insgesamt (Eisenegger/Wehmeier 2008). Die Me-
dien bauen Hoffnungsträger auf, können sie aber auch ebenso schnell und äußerst pu-
blizitätsträchtig wieder vom Thron stürzen. Personalisierung erleichtert zudem die
Darstellung in rollen-fernen Zusammenhängen (z.B. Home-Stories), was einer skanda-
lisierenden Berichterstattung in Form thematisierbarer Diskrepanzen zwischen Funkti-
onsrolle (funktionale Reputation) und unstatthaftem Lebensvollzug (soziale Reputati-
on) Vorschub leistet. Und schließlich vergrößert sich der Widerspruch zwischen der
stärker personalisierten Außenkommunikation der Unternehmen und ihrer nach wie
vor ‚wir-orientierten‘ Binnenkommunikation. Durch diesen Widerspruch ist die Bin-
nenkommunikation einem Glaubwürdigkeitszerfall ausgesetzt.
In sachlicher Hinsicht werden die Unternehmen mit einer divergierenden Selekti-
ons- und Interpretationslogik der Medien konfrontiert. Die Medienlogik lenkt den Fo-

5
So ergab beispielsweise eine vom «fög - Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft
(SUZ/IPMZ)» der Universität Zürich 1999 durchgeführte Panelbefragung über die Motivation und Ar-
beitszufriedenheit bei einer schweizerischen Kantonalbank, dass die Mitarbeitenden über die Massen-
medien mehr Information über die Organisationsspitze und die Gesamtorganisation rezipieren, als
durch die Binnenkommunikation in der Unternehmung (Vgl. Imhof 2002b: 78-80).
6
Studien belegen eindrücklich, dass die Fluktuation an der Organisationsspitze in den letzten Jahren ge-
stiegen ist und die durchschnittliche Organisationsfluktuation bei weitem übertrifft (Weckherlin 2003:
16).
256 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

kus verstärkt auch auf unökonomische Sachverhalte und die Schwerpunkte der Be-
richterstattung verlagern sich vom informierenden zum interpretierenden und mei-
nungsbezogenen Journalismus (Mast 2003: 308). Dabei ist eine weitgehende Anglei-
chung der Selektions- und Interpretationslogik der Wirtschaftsberichterstattung an die-
jenige der politischen Berichterstattung zu konstatieren. Die neuen, auf die Maximie-
rung der Aufmerksamkeit der Medienkonsumenten ausgerichteten Kommunikations-
logiken konstruieren den Lauf der Dinge wie die alte Geschichtsschreibung als Produkt
von Helden und Bösewichten. Die moralisierende und skandalisierende Empörungs-
bewirtschaftung wird zum dominanten Muster des medialen Aufmerksamkeitswettbe-
werbs.7 Die Unternehmen antworten auf diesen Trend mit einer intensivierten Pflege
ihrer Sozialreputation (Röttger 2006; Schlichting/Röttger 2006). Allerdings wird das
Skandalisierungsrisiko durch solche Moralprogramme eher vergrößert als gemindert,
denn sozialmoralische Bekenntnisse haben einen außerordentlich hohen Selbstver-
pflichtungscharakter und animieren die Medien, kleinste Verstöße gegen selbst aufer-
legte ethische Prinzipien umgehend zu brandmarken, d.h. die Moralfalle zu aktivieren
(Eisenegger/Imhof 2007: 14f.)
In zeitlicher Hinsicht schließlich setzt der mediale Wettstreit um Primeur-Raten
und die mediale Aktualitätszentrierung auch die Unternehmen unter erhöhten Reakti-
onsdruck. Die ökonomischen Organisationen sehen sich einer öffentlichen Umwelt ge-
genüber, die sie zwingt, sich laufend neuen – auch unökonomischen – brisanten The-
men anzunehmen, sich in diesen zu positionieren und entsprechende Maßnahmen zu
kommunizieren.
Die Unternehmenskommunikation unterliegt aufgrund dieser insgesamt massiv
vergrößerten Reputationsgefährdungen heute einem nie gesehenen Professionalisie-
rungsschub, der sich u.a. mit den Stichworten ‚Krisenkommunikation‘, ‚Krisenmana-
gement‘, ‚Issues Management‘ und ‚Issues Monitoring‘ beschreiben lässt (Ingenhoff
2004; Röttger 2001). Aber auch am Aufschwung spezialisierter Beratungsfirmen, am
Auf- und Ausbau von ‚Corporate Communications‘-Abteilungen, am Abwerben von
Journalisten für PR-Tätigkeiten bis hin zur Personalselektion des Spitzenmanagements
unter dem Gesichtspunkt der Medientauglichkeit lassen sich die Medialisierungseffek-
te bei ökonomischen Organisationen ablesen (Zerfass 2004).
Sowohl für politische, staatliche wie für ökonomische Organisationen hat die Aus-
differenzierung eines eigenlogischen Mediensystems im neuen Strukturwandel der Öf-
fentlichkeit eine massive Bedeutungssteigerung der medienvermittelten Kommunikati-
on im Prozess der Reputationskonstitution zur Folge (Carroll/Combs 2003; Eisenegger
2004: 58ff.; Imhof 2005: 203ff.; Meijer/Kleinnijenhuis 2006a; Meijer/Kleinnijenhuis

7
Dabei werden auch in der Wirtschaftsberichterstattung die traditionellen Skandalisierer zunehmend
durch die Medien ersetzt. Sie konkurrenzieren als ‚Enthüller‘ die sozialen Bewegungen und Protestpar-
teien, die diese Funktion einst innehatten.
Funktionale, soziale und expressive Reputation 257

2006b; Schranz 2007: 121ff.).8 Die wesentlichen Gründe für diese Medialisierung der
Reputationskonstitution sind die folgenden:
Erstens adaptieren sich die Akteure verschiedener Funktionssysteme verstärkt an
die Logik medialer Reputationskonstitution, weil deren Bezugs- und Zielgruppen sie
im Prozess steigender Mediennutzungs- und -beachtungswerte immer ausschließlicher
und folgenreicher via medienvermittelte Kommunikation wahrnehmen. Gleichzeitig
versuchen die Stakeholder immer häufiger direkt via Medien auf die Organisations-
Reputation einzuwirken.
Zweitens zeigt sich eine wachsende Expertisierung der medienvermittelten Kom-
munikation mit dem Effekt, dass definitionsmächtige Reputationsautoritäten (Exper-
ten, Analysten, Rating-Agenturen etc.) immer häufiger via Medien ihre reputations-
prägenden ‚Ratings‘ abgeben. Diese Expertisierung ist zum einen eine Folge der the-
matischen Entgrenzung des modernen Journalismus im Wettbewerb um die Gunst viel-
fältiger Zielpublika. Daraus resultiert eine Komplexitätszunahme journalistischen Ar-
beitens, zu deren Bewältigung die Journalisten externe Experten beiziehen müssen.
Zum anderen ist die Expertisierung der Medienberichterstattung aber auch ein Mittel
der Medienkonzerne, ihre Reputation und Glaubwürdigkeit zu befestigen.
Drittens führt die intensivierte Skandalisierungsrate im Mediensystem zu einer
Aufwertung der Medienarena als primärer Reputationsarena (Imhof 2002a: 73ff.;
Kepplinger/Ehmig/Hartung 2002: 11ff.). Weil medieninduzierte Reputationsschäden
außerhalb der Medien nicht korrigiert werden können, müssen die Akteure ihre Au-
ßenkommunikation auf die Medienarena konzentrieren. In dem Maße, wie Medien die
Reputation der Organisationen erhöhten Skandalisierungsrisiken aussetzen, wächst al-
so die Bedeutung der Medienarena als primäre Adressatin reputationserhaltender und
-bildender Maßnahmen.
Darüber hinaus ist die medienvermittelte Kommunikation für die Reputationskon-
stitution auch aufgrund folgender Faktoren von elementarer Bedeutung:
Verschaffen von Bekanntheit/Beachtung: Wer nach Reputation strebt, muss erst Be-
achtung finden. Anerkennen kann man nur denjenigen, den man erkennt, achten kann
man nur denjenigen, den man beachtet. Reputation ist also an öffentliche Bekanntheit
gebunden. Erst wenn sich unbekannte Dritte ein Bild über den Prestigeträger machen,
kann Reputation entstehen. Und genau solche Bekanntheit verschaffen Medien wie
keine andere Instanz. Dabei mag die Präsenz eines Akteurs in medialen Diskursen in-
tendiert sein oder nicht, in beiden Fällen kann sich der jeweilige Akteur den Prozessen
und der Logik medialer Reputationskonstitution nicht entziehen. Die Medien-
Öffentlichkeit produziert Reputation (gute wie schlechte) unabhängig davon, ob die
Objekte ihrer Beobachtung etwas dafür, dagegen oder gar nichts tun.
Themensetzungsfunktion: Für den Prozess der Reputationskonstitution ist sodann
die Themensetzungsfunktion der Medien-Öffentlichkeit elementar. Indem die Medien

8
Münch 1997: 696ff. Zur Bedeutung der Massenmedien im Prozess der Reputations- oder Imagekonsti-
tution vgl.: Bentele 1992: 152ff.; Bentele 1997: 169ff.; Buss/Fink-Heuberger 2000: 19ff.; Merten/ We-
sterbarkey 1994: 188ff.; Röttger 2000: 27ff.; Szyszka 1999: 146.
258 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

denjenigen Kommunikationsereignissen (Issues) gesamtgesellschaftliche Beachtung


verschaffen, in denen sich die Reputationsträger der Gesellschaft zu bewähren haben,
determinieren sie den Prozess der Reputationskonstitution entscheidend mit. Die
Waldsterbensdebatte der 1980er Jahre illustriert dies beispielhaft: Damals entwarf die
europäische Medienöffentlichkeit ein düsteres Zukunftsszenario, das u. a. zu unzähli-
gen Umweltschutzverordnungen, zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs und zu Öko-
bilanzen in den Unternehmen führte. Auch der amerikanische ‚Sarbanes-Oxley-Act‘ –
ein Gesetz, das alle in den USA börsenkotierten Unternehmen unter Strafandrohung zu
‚Good Corporate Governance‘ verpflichtet – ist ohne den Einfluss der internationalen
Medien im Kontext der großen Bilanzfälschungsskandale nicht zu erklären.
Insgesamt kommt der medienvermittelten Kommunikation die wichtige Funktion
zu, reputationsbezogene Entdifferenzierung zu leisten, indem sie die auf den Geltungs-
bereich der verschiedenen Funktionssysteme beschränkten, partikulären Reputationen
in solche gesamtgesellschaftlicher Geltung transformiert. Im Reputations-Konsti-
tutionsprozess moderner Gesellschaften bildet die Medien-Öffentlichkeit die dominie-
rende, übergeordnete Reputationsarena. Sie überdacht die internen Reputationsarenen
der Funktionssysteme und bewertet die Reputationsträger für ein breites Publikum hin-
sichtlich funktionaler, sozialer und expressiver Bewertungskriterien.

6.2 Sozialer (Werte-)Wandel


Die traditionell in den Nachrichtenwert-Ansätzen der Kommunikationswissenschaft
beschriebenen Selektions- und Interpretationslogiken gegenwärtiger Mediengesell-
schaften herrschen also wesentlich über die moderne Dramaturgie des Reputationsauf-
baus und -verlusts (vgl. Kapitel 6.1). Allerdings muss diese Perspektive erweitert wer-
den, um die Logik der Reputationskonstitution erschöpfend zu erfassen. So lässt sich
aus den medialen ‚Nachrichtenwerten‘ zwar beispielsweise eine erhöhte Skandalisie-
rungstendenz ableiten. Welche konkreten und historisch variablen Verstöße gegen das
moralische Empfinden Vieler zu unterschiedlichen Zeitpunkten der gesellschaftlichen
Entwicklung besonders skandalträchtig erscheinen, lässt sich mit diesen Ansätzen je-
doch nicht erfassen. Diese Lücke schließen Theorien des sozialen Wandels (Imhof
2006). Diese erklären Aufbau und Erosion sozial wirkmächtiger Erwartungsstrukturen,
die bestimmten Gesellschaftsmodellen inhärent sind und die jene Bewertungskriterien
vorgeben, an denen das Handeln der Reputationsträger in bestimmten Epochen der ge-
sellschaftlichen Entwicklung bemessen wird.
Beispielhaft lassen sich die Konsequenzen des sozialen Wandels für die Reputati-
ons-Konstitution am neoliberalen Gesellschaftsmodell zeigen, das in den westlichen
Zentrumsnationen anfangs der 1990er Jahre in die Blüte kam und das seit der Jahrtau-
sendwende in die Krise geraten ist:
Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 setzt sich in allen westlichen Zentrumsna-
tionen die Erwartungshaltung einer grundsätzlichen Überlegenheit der freien, kapitali-
stischen Marktwirtschaft durch und das ökonomische System und dessen Logik rücken
ins Zentrum westlicher Gesellschaftskonzeption. Neoliberale Leitbilder werden im um-
Funktionale, soziale und expressive Reputation 259

fassenden Sinne salonfähig und auch in nicht-ökonomischen Handlungssystemen wie


der Politik steuerungswirksam. Es wird eine weitreichende Deregulation der Wirt-
schafts- und Sozialordnung umgesetzt: Minimal-Staatskonzept, Standort- und Steuer-
wettbewerb, Liberalisierung der Märkte national wie global und Privatisierung öffent-
lich-rechtlicher Organisationen sind die wichtigsten Reformschritte dieser Programma-
tik. Die neoliberalen Leitbilder begründen eine rund zehnjährige Phase, in der staatli-
che Institutionen Reputationseinbußen hinnehmen müssen, sofern sie nicht neolibera-
len Rezepturen huldigen und sich nach den Vorgaben des New Public Management re-
formieren. Umgekehrt können die privatwirtschaftlichen Unternehmen Reputations-
gewinne einfahren, wenn sie sich im Shareholder Value-Wettbewerb bewähren. Mana-
ger erhalten mit ‚Weißbüchern‘ öffentlichen Zuspruch und propagieren die Reform des
Staates nach dem Vorbild der Wirtschaft. Die den asiatischen oder lateinamerikani-
schen Schwellenländern verordneten Deregulationstherapien werden als Beitrag zur
Entschärfung des internationalen Entwicklungsgefälles gelobt und verschaffen den fe-
derführenden Institutionen (IWF, Weltbank) Reputationsvorteile. Den vorläufigen Hö-
hepunkt der neoliberalen Ära markiert die einsetzende Popularisierung des Aktienspa-
rens und die daraus folgende Internet-Euphorie. Damit wird das Denken in neolibera-
len Kategorien auch beim einfachen Bürger salonfähig. Der Erwerb von Aktien ver-
schafft für kurze Zeit breiten Massen Anschluss an die neoliberalen Verheißungen und
der Nachweis ökonomischen Erfolgs wird zu einer zentralen Reputationsressource
auch in den Binnenräumen privater Alltagswelten.
Ende der 1990er Jahre machen sich allerdings zunehmend nicht-intendierte Folge-
effekte der politökonomischen Deregulierung im neoliberalen Gesellschaftsmodell
bemerkbar und die skizzierte gesellschaftliche Reputationsdynamik beginnen in ihr
Gegenteil zu drehen. Da im neoliberalen Gesellschaftsmodell die Lösung des gesell-
schaftlichen Grundproblems (Fortschritt und Wohlstand) in radikaler Weise an das
Wirtschaftssystem delegiert wurde, erleiden nun auch die Vertreter des Wirtschaftssy-
stems und der neoliberalen Marktordnung die größten Reputationsverluste. In der öf-
fentlichen Kommunikation setzt sich die Wahrnehmung fest, dass das Gesellschafts-
modell an seinen eigenen Zielen und Rezepten scheitert. Statt einer generellen
Wohlstandmehrung werden Wirtschaftsexzesse und eine Umverteilung zugunsten be-
reits vermögender Eliten wahrgenommen. Mit dem Platzen der New Economy-Blase,
der sich entfachenden Debatte über die ‚Vertrauenskrise der Wirtschaft‘ als Folge der
Bilanzierungsfälschungsskandale und der Management-Lohn-Debatten ist der einst-
weilige Höhepunkt der Krise erreicht. Skandalisierungswellen durchfluten die öffentli-
che Kommunikation und stigmatisieren die Wirtschaftseliten als ‚Abzocker‘, ‚Bilanz-
fälscher‘ und als ‚Neoliberale‘. Auf die wirtschaftspolitische Deregulierung der neun-
ziger Jahre folgt die moralische Re-Regulierung der Privatwirtschaft (Imhof 2002b).
Während in den 1980er Jahren hauptsächlich ökologische Vergehen Anlass zur
Skandalisierung unternehmerischen Handelns boten, rückt nun ab Ende der 1990er
Jahre das Thema Wirtschaftsethik ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Die massive
Anprangerung moralischer Fehltritte ökonomischer Organisationen im Abschwung des
260 Mark Eisenegger / Kurt Imhof

neoliberalen Gesellschaftsmodells erklärt, warum sich die Unternehmen in ihrer Repu-


tationspflege seither verstärkt an Grundsätzen der ‚Corporate Social Responsibility‘
(CSR), ‚Good Governance‘,‚Corporate Good Citizenship‘ etc. orientieren. Die mora-
lisch definierte Sozialreputation ist zu einem zentralen Bestandteil des Reputations-
wettbewerbs geworden. Das geht so weit, dass sich die Unternehmen heute ihre Sozi-
alverträglichkeit zertifizieren lassen.
In Form solcher Reputationsdynamiken greifen der soziale Wandel und die Auf-
merksamkeitsregimes der Mediengesellschaft ineinander: Negative Reputationsdyna-
miken benötigen erstens eine als moralisch defizitär thematisierbare Spezies, wie sie
die Wirtschaftseliten im Zerfallsprozess neoliberaler Erwartungsstrukturen zunehmend
darstellen. Zweitens setzen sie Medien voraus, die vor dem Hintergrund entsprechen-
der Aufmerksamkeitsregimes eine Empörungsbewirtschaftung betreiben und drittens
müssen jene Moralvorstellungen auf Seiten des Publikums aktualisiert werden können,
die sich aus der Kluft zwischen Anspruch und Ertrag einst propagierter Versprechun-
gen auf mehr Wohlstand und Fortschritt abschöpfen lassen.

7 Fazit
In diesem Beitrag wurde in Auseinandersetzung mit dem Drei-Welten-Konzept von
Jürgen Habermas eine allgemeine Reputationstheorie entwickelt. Reputation wurde als
dreidimensionales Konstrukt eingeführt, das sich stets aus einer funktionalen, einer so-
zialen und einer expressiven Reputationsdimension zusammensetzt, gleichgültig aus
welchem Handlungskontext (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft etc.) der jeweilige Re-
putationsträger stammt. Der Beitrag antwortet damit auf ein Defizit bisheriger Ansätze,
die den Reputationsbegriff einseitig nur am Gegenstand ökonomischer Organisationen
entwickelten. Gemäß unserem Ansatz bedeutet ‚Reputations-Management‘ die Bewirt-
schaftung stets aller drei Reputationsdimensionen. Es geht darum, sich im jeweiligen
Funktionssystem als kompetenter und erfolgreicher Akteur zu erweisen (funktionale
Reputation), gesamtgesellschaftliche Normen und Werte einzuhalten (soziale Reputa-
tion) und sich eine emotional attraktive, unverwechselbare Identität zu bewahren (ex-
pressive Reputation).
Mit unserer Reputationstheorie lassen sich verschiedene Phänomene präziser fas-
sen, für die sich die PR-Forschung immer schon interessiert hat. So ist es beispielswei-
se möglich, den Begriff der ‚Organisationskrise‘ genauer zu charakterisieren. Diese
lässt sich dadurch kennzeichnen, dass in der funktionalen Reputationsdimension die
Wahrnehmung krasser Inkompetenz bzw. eklatanten Misserfolgs vorherrscht, dass in
der sozialen Dimension gravierende Verstöße gegen kodifizierte und/oder nicht kodifi-
zierte Normen (Recht und/oder Moral) angeklagt werden und dass in der expressiven
Dimension die wahrgenommene Identität der Organisation vollständig auf die Krise
reduziert wird, also nur noch die Krisenwahrnehmung negativ besetzte, emotionale
Wirkung entfaltet. Ein solcher ‚Reputations-Gau‘ ließ sich beispielsweise bei den hi-
storischen Krisen der Unternehmen Enron und Worldcom beobachten. Die entwickelte
Funktionale, soziale und expressive Reputation 261

Reputations-Trias hilft auch dabei, verschiedene Ausprägungen, Taktiken und Instru-


mente der Organisationskommunikation besser zu klassifizieren. So lässt sich bei-
spielsweise danach fragen, ob eine bestimmte Werbekampagne auf die Bewirtschaf-
tung der funktionalen, der sozialen oder der expressiven Reputation abzielt. In diesem
Zusammenhang wird sich zeigen, dass viele Werbekampagnen auf die Bewirtschaf-
tung einer diffusen, positiven Emotionalität der Organisation gegenüber ausgerichtet
sind und dafür nicht selten auf das Mittel radikaler Abgrenzung gegenüber den Mit-
konkurrenten setzen. Der Werbeslogan von Apple Macintosh „Think different!“ ist ein
Musterbeispiel für diese Form expressiver Reputationspflege.
Insgesamt verweist der Beitrag die PR-Disziplin auf eine komparative Forschung,
die über den Tellerrand der Wirtschaftswelt hinausblickt und auch andere Organisati-
onstypen – z.B. aus der Politik – systematisch in den Blick nimmt. Der Beitrag ver-
weist die PR-Forschung zudem auf einen Pfad, der die allzu dominante Meso-
Perspektive der Fachdisziplin überwindet und sich stärker für die makrosozialen De-
terminanten des Organisationswandels interessiert. Sowohl die historisch variable Lo-
gik der Reputationskonstitution wie auch die Antworten der Organisationen darauf
sind das Produkt wirkmächtiger Veränderungen im öffentlichen und gesamtgesell-
schaftlichen Umfeld der Organisationen. Makrosozial von Bedeutung sind hier zum
einen die neuen Aufmerksamkeitsregimes gegenwärtiger Mediensysteme. Bedeutsam
ist zum anderen der soziale Wandel, der jene epochalen Leitbilder und Erwartungs-
strukturen vorgibt, denen sich die Organisationen, Institutionen und deren Vertreter im
Kampf um Anerkennung immer wieder aufs Neue zu unterwerfen haben. Beides muss
die PR-Forschung systematischer in den Blick nehmen, um die Veränderung ihres Ge-
genstandes ertragreicher erfassen zu können.

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Juliana Raupp

Seit geraumer Zeit hat sich in der Kommunikationswissenschaft ein neuer Begriff eta-
bliert: Medialisierung. Medialisierung bezeichnet ganz allgemein das Vordringen der
Medienlogik in verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche. Medialisierungsforscher
fragen danach, welche medieninduzierten Veränderungen im Alltag (Altheide/Snow
1988; Krotz 2002), in der Politik (Mazzoleni/Schulz 1999; Kepplinger 2002; Donges
2005, 2008; Marcinkowski 2005; Schulz 2006), in der Wirtschaft (Eisenegger 2004;
Tobler 2004), in der Wissenschaft (Weingart 2001; Dahinden 2004; Peters et al. 2008)
oder im Sport (Schwier/Schauerte 2006; Vowe 2006; Stiehler 2003) zu verzeichnen
sind und welche Folgen das für den jeweiligen gesellschaftlichen Teilbereich hat. Die
Medialisierungsforschung richtet ihr Augenmerk auf das Spannungsfeld zwischen Me-
diensystem und gesellschaftlichem Teilsystem und damit auf jenen Bereich, an dem
auch Public Relations anzusiedeln sind. Insbesondere an Organisationen lassen sich die
Folgen der Medialisierung studieren. Unternehmen, Verbände und politische Parteien
passen sich den Anforderungen der Massenmedien an und richten spezialisierte Kom-
munikationsabteilungen ein. Die unter dem Begriff der Medialisierung thematisierten
Beziehungen zwischen Organisationen und Medien manifestieren sich an den Grenz-
stellen der Organisationen, dort, wo zwischen dem inneren Organisationsgeschehen
und dem Außen, der organisationalen Umwelt, vermittelt wird. Und genau hier ist auch
die Funktion von PR zu verorten: als organisationale „boundary spanning role“ (Gru-
nig/Grunig/Ehling 1992: 67).
Das wirft die Frage auf, welche Rolle Public Relations für die Medialisierung von
Organisationen spielen. Die PR-Theoriebildung hat die Funktion von PR als möglicher
Treiber für Medialisierungsprozesse bislang kaum berücksichtigt. Was auf den ersten
Blick erstaunt, verwundert bei genauem Hinsehen jedoch nicht. Denn ein Großteil der
PR-Literatur fokussiert primär auf die Rolle von PR als Kommunikator. Zentral steht
die Frage, wie und unter welchen Bedingungen PR am besten nach außen „wirkt“. Die
Tatsache, dass sich Organisationen aufgrund ihrer PR-Aktivitäten den Anforderungen
266 Juliana Raupp

der Medien anpassen und sich damit einer Medialisierung öffnen, gerät dagegen nicht
in den Blick.
Ausgehend vom Phänomen der Medialisierung wird im Folgenden ein theoretisches
Konzept von Public Relations1 entwickelt, das es ermöglicht, die PR-induzierte Orien-
tierung organisationalen Handelns an der Medienlogik in den Blick zu nehmen. Um
das tun zu können, ist die vorherrschende Sicht auf PR als Kommunikator aufzubre-
chen und die Wechselseitigkeit von Kommunikationsbeziehungen in den Mittelpunkt
zu stellen. Aus einer interaktionstheoretischen Perspektive werden nicht nur die kom-
munikativen Einflussnahmen der PR auf die Medien sichtbar, sondern darüber hinaus
die Rückwirkungen der Orientierung an der Medienlogik auf Organisationen. Die The-
se, für die im Folgenden ein theoretische Fundierung erarbeitet werden soll, lautet: Je
strategischer das PR-Handeln ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Organi-
sationen PR-induzierten Medialisierungseffekten ausgesetzt sind.
Um diese Annahme auszuarbeiten, sind – bezogen auf eine PR-Theoriebildung –
mehrere Fragen zu beantworten: Welche Erkenntnisse hält die Medialisierungsfor-
schung in Bezug auf PR bereit? Inwiefern trägt PR dazu bei, dass in Organisationen
Medialisierungseffekte auftreten? Diese Fragen verweisen auf die Funktion von PR für
Organisationen. Welche strukturellen Bedingungen müssen gegeben sein, damit PR-
induzierte Medialisierungseffekte auftreten? Mit dieser Frage rückt der strukturelle
Wandel öffentlicher Kommunikation als Bezugsrahmen für PR in den Blick. Und
schließlich: Gilt das Konzept der Medialisierung zuvörderst für politische Organisatio-
nen und damit für politische PR oder lässt sich die These der Medialisierung durch PR
auch für andere Organisationen, beispielsweise für Unternehmen, fruchtbar machen?
Die Gliederung des Beitrags orientiert sich an diesen Fragestellungen. Zunächst er-
folgt eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Medialisierung. Medialisierung
wird in der Literatur vor allem als Chiffre zur Beschreibung des Verhältnisses zwi-
schen Medien und Politik verwendet. Vor diesem Hintergrund wird hier ein Verständ-
nis von Medialisierung als Interdependenzbeziehung zwischen Medien und (politi-
schen) Organisationen herausgearbeitet (1). Anschließend erfolgt eine kommunikati-
onstheoretische Grundlegung von PR-Handeln in Bezug auf die Funktion von PR für
Organisationen. PR wird hierbei aus einer interaktionstheoretischen und funktionalen
Perspektive betrachtet; eine primäre Funktion von PR wird darin gesehen, Erwartungen
der Medien zu antizipieren und die Organisation entsprechend darauf vorzubereiten
(2). Die spezifischen Merkmale massenmedial verfasster Öffentlichkeit geben den
strukturellen Rahmen für die Beziehungen zwischen PR-Akteuren und Medien ab. Sie
werden in einem nächsten Schritt erörtert (3). Auf dieser Grundlage können die Vor-
aussetzungen für PR-induzierte Medialisierungsprozesse angegeben (4) und abschlie-
ßend mögliche Formen und Folgen der PR-induzierten Medialisierung von Organisa-
tionen diskutiert werden (5).

1
Die Begriffe Public Relations, PR und Öffentlichkeitsarbeit werden im Weiteren entsprechend der gän-
gigen Sprachregelung in der Forschungsliteratur synonym verwendet.
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 267

1 Zum Begriff Medialisierung


In seiner gegenwärtigen Verwendung wird mit dem Begriff Medialisierung (mitunter
wird auch von Mediatisierung gesprochen) meist die Annahme umschrieben, dass die
Logik der Massenmedien verschiedene gesellschaftliche Bereiche bereits überformt hat
oder zu überformen droht. Die Medialisierungsthese wird insbesondere in Bezug auf
das politische System intensiv diskutiert. Im folgenden Abschnitt wird das diesem Bei-
trag zugrunde liegende Verständnis von Medialisierung erläutert. Ausgangspunkt ist
entsprechend des Forschungsstandes vor allem Literatur zum Verhältnis von Massen-
medien und Politik.
Der Medialisierungsthese von Politik liegt zunächst die Beobachtung zugrunde,
dass die Wahrnehmung von Politik primär auf dem Wege medienvermittelter Erfah-
rung erfolgt (vgl. Sarcinelli 1998: 678f.). Politik ist auf die Vermittlung durch die Mas-
senmedien angewiesen, denn in Mediengesellschaften ist für die meisten Menschen die
politische „Primärerfahrung“, etwa der Besuch von politischen Veranstaltungen oder
das direkte Gespräch mit Politikern, längst von Erfahrungen aus zweiter Hand abgelöst
worden. So wird Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu einem überwiegend mas-
senmedial vermittelten Geschehen. Die Politik reagiert auf diese Entwicklung, indem
sie sich zunehmend mediengerecht präsentiert (vgl. zuerst Altheide/Snow 1988, Maz-
zoleni/Schulz 1999). Dabei treffen zwei unterschiedliche Handlungsrationalitäten auf-
einander: Der Medienlogik mit ihrer Ausrichtung an Aktualität, an Personen und Kon-
flikten steht die Logik eines politischen Systems gegenüber, das Entscheidungen pro-
zessiert, die langfristig wirken, die unter Sachzwängen getroffen werden und die Koali-
tionsbildungen erfordern. Zur in der Politik üblichen „Legitimation durch Verfahren“
(Luhmann 1978) ist die (massenmedial vermittelte) „Legitimation durch Information“
(Ronneberger 1977) getreten. Und nicht nur die informationsbezogene Politikvermitt-
lung, sondern auch die Inszenierung von Politik unter dem Aspekt der Medienwirk-
samkeit ist eine unvermeidliche Reaktion der Politik auf die Anpassungszwänge der
Massenmedien.
Aus normativ-demokratietheoretischer Perspektive wird diese Form von Mediali-
sierung als einseitige Anpassung der Politik an die massenmedialen Erfordernisse ge-
deutet und zumeist negativ bewertet: Die Rationalität politischer Entscheidungen kön-
ne durch die Auslieferung der Politik an eine flüchtige „Stimmungsdemokratie“ (Ober-
reuter 1987) geschwächt werden; wenn die Politik politisches Handeln durch symboli-
sche Politik (Edelman 1976) ersetzt und statt Entscheidungen inszenierte Ereignisse
(Kepplinger 1992) produziert, kann dies den politischen Prozess aushöhlen. Meyer
(2001) spricht gar von der „Kolonisierung der Politik durch die Medien“. Die Befürch-
tungen vor einer Überformung der Politik durch die Medien fußt auf der Annahme,
(zu) mächtige Medien übten auf Dauer einen demokratieschädlichen Einfluss aus.
Doch das Verhältnis zwischen Politik und Medien lässt sich auch aus der entgegen-
gesetzten Richtung betrachten. Die Forschung zum Verhältnis von PR und Journalis-
mus etwa macht darauf aufmerksam, dass sich auch die Medien in einer (nicht nur
kommunikationspolitischen) Abhängigkeit von Politik befinden. Die Politik kann die
268 Juliana Raupp

Funktion eines Informationslieferanten für die Medien übernehmen, die PR wird dann
zum Dienstleister für die Journalisten. Auf diese Weise kann die Politik, über ihre Öf-
fentlichkeitsarbeit, die Medienberichterstattung aber auch beeinflussen. Unter be-
stimmten Voraussetzungen hat die PR Themen und Timing der Berichterstattung sogar
unter Kontrolle, so das inhaltsanalytisch fundierte Ergebnis der Arbeiten, die die so ge-
nannte „Determination“ der Medienberichterstattung durch PR untersuchen (vgl. insb.
Baerns 1985).
Angesichts der begründeten Annahmen und empirischen Befunde, die – je nach
Forschungsperspektive – eine Beeinflussung in der einen wie auch in der anderen
Richtung nahelegen, ist es plausibel, aus einer integrierenden Perspektive von einem
Interdependenzverhältnis zwischen Medien und Politik auszugehen. Der Prozess der
Medialisierung von Politik bezeichnet dann – in Abgrenzung zu einseitigen Depen-
denzmodellen – das Phänomen, dass sich Politik und Medien zunehmend durchdrin-
gen. Diese Perspektive wird in der Literatur mit Begriffen wie „Symbiose” (Sarcinelli
1987: 213), „Interdependenz“ (Sarcinelli 2006), „reflexive Verschränkung“ (Kaase
1986: 168) oder „wechselseitige Durchdringung“ (Jarren 1988: 629) umschrieben (vgl.
zusammenfassend Hoffmann 2003: 17-39).
Folgt man dem Interdependenzgedanken, dann führt das zu der weiteren Frage, ob
die Interaktions- und Wechselbeziehungen zwischen Medien und Politik genauer zu
spezifizieren sind. Lassen sich Bereiche ausmachen, in denen die Logik der einen Seite
vorherrscht, und andere Bereiche, wo das Umgekehrte gilt – sodass Interdependenz zu
einem Überbegriff würde, um das komplexe Verhältnis von Politik und Medien zu cha-
rakterisieren? Nimmt man etwa eine Unterteilung in die drei Politik-Dimensionen poli-
ty, politics und policy vor, dann geraten je Dimension andere Gesichtspunkte und
(Macht-)konstellationen im Verhältnis zwischen Politik und Medien in den Blick (vgl.
Jarren/Grothe/Rybarczyk 1994: 11-28). Eine Differenzierung des politischen Prozesses
nach den Phasen Problemartikulation, Problemdefinition, Politikdefinition, Programm-
entwicklung, Implementation und Evaluation führt zu der Annahme, der Einfluss der
Medien auf Politik sei in den beiden erstgenannten Phasen größer als in den übrigen
Phasen (Jarren/Donges/Weßler 1996: 12ff.). Das Intereffikationsmodell, welches das
Verhältnis zwischen PR und Journalismus als das einer gegenseitigen Abhängigkeit
begreift, sieht eine Differenzierung nach einer zeitlichen und einer sozial-psychischen
Dimension vor, innerhalb derer jeweils unterschiedliche Induktions- bzw. Adaptions-
leistungen ausgemacht werden (Bentele/Liebert/Seeling 1997: 242). Schicha und Bros-
da (2002: 47ff.) schließlich unterscheiden nach Analyseebenen und gehen auf der Ma-
kroebene von einer strukturellen Kopplung der Systeme Medien und Politik aus, auf
der Ebene der Organisationsbeziehungen nehmen sie ein antagonistisches Verhältnis
zwischen Redaktionen und PR-Akteuren an, und auf der Mikroebene umschreiben sie
das Verhältnis zwischen PR-Akteuren und Journalisten als überwiegend kooperativ.
Die hier exemplarisch dargestellten Interdependenzmodelle (weitere Beispiele wä-
ren hinzuzufügen) überwinden einseitige Betrachtungsweisen des Verhältnisses zwi-
schen Politik und Medien und versuchen überdies, das komplexe Verhältnis zwischen
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 269

Politik und Medien bzw. zwischen (politischer) PR und Journalismus unter verschie-
denen Ordnungsgesichtspunkten genauer zu fassen. Dabei wird zum einen deutlich,
dass Symbiose nicht mit Harmonie zu verwechseln ist. Denn die unterschiedlichen
Funktionslogiken der Systeme Politik und Medien führen sowohl zu Kooperationen,
die von einem ‚Geben und Nehmen‘ geprägt sind, als auch zu konflikthaften Interak-
tionen. Medialisierung wird im Folgenden als wechselseitige Orientierung von korpo-
rativen Organisationen und Medien aneinander verstanden. Dieses Verständnis von
Medialisierung schließt sowohl ein kooperatives als auch ein antagonistisches Verhält-
nis auf der Ebene von Organisationen wie auf der Akteursebene ein (vgl. zum Letzte-
ren auch Rolke 1999). Die Interdependenzannahme impliziert darüber hinaus, dass der
Schnittstelle zwischen Organisationen und Medien, und damit der PR – die an eben
dieser Schnittstelle angesiedelt ist – eine besondere Bedeutung für Prozesse der Media-
lisierung zukommt.
Was bei der hier entwickelten Interdependenzannahme bislang nicht berücksichtigt
wurde, ist die Frage danach, auf welcher Theoriegrundlage der Prozess der wechselsei-
tigen Orientierung von Organisationen und Medien aneinander angemessen beschrie-
ben werden kann. Systemtheoretisch ausgerichtete Interdependenzansätze versuchen
hierauf eine Antwort zu geben. So sind etwa die Vorstellungen der strukturellen Kopp-
lung (u.a. Löffelholz 1997; Hoffjann 2001) oder der Interpenetration als Spezialfall der
strukturellen Kopplung (u.a. Choi 1995; Westerbarkey 1995) fruchtbar gemacht wor-
den, um intersystemische Beziehungen zwischen PR und Journalismus zu beschreiben.
Allerdings sind die meisten systemtheoretischen Ansätze, zumindest in der deutsch-
sprachigen Literatur, auf der Makro-Ebene anzusiedeln und eignen sich nur bedingt für
empirische Untersuchungen. Dem Gewinn an Abstraktion, den diese Ansätze für sich
verbuchen können, steht zudem häufig die Problematik der praktischen Un-
Operationalisierbarkeit der Grundannahme selbstreferenzieller Systeme gegenüber. Öf-
fentliche Kommunikationsprozesse, und damit auch PR als Teilbereich öffentlicher
Kommunikation, können im ausschließlich systemtheoretischen Zugriff zwar aus einer
integrierenden Perspektive theoretisch reflektiert, nicht aber empirisch-analytisch
schlüssig untersucht werden (vgl. hierzu auch Saxer 1998: 24).
Deshalb wird im Folgenden eine theoretische Fundierung von PR erarbeitet, die als
heuristische Grundlage auch für empirische Untersuchungen herangezogen werden
kann. Im Mittelpunkt steht dabei die Funktion von PR im Hinblick auf Massenmedien
als einer der wichtigsten Bezugsgruppen von PR. Ausgehend von der (Kommunikati-
ons-)Theorie des Symbolischen Interaktionismus wird eine akteurs- und organisations-
bezogene Sichtweise auf PR-Handeln entfaltet: Auf dieser Grundlage lässt sich der
Prozess der wechselseitigen Orientierung von PR-treibenden Organisationen und Me-
dienorganisationen aneinander ebenso erfassen wie die strategische Dimension, die das
Verhältnis von PR und Journalismus prägt.
270 Juliana Raupp

2 Kommunikationstheoretische Fundierung von PR-Handeln


Kommunikation, verstanden als symbolisch vermittelte Interaktion, ist ebenso wie so-
ziales Handeln generell an anderen ausgerichtet; d.h. an einem Kommunikationsvor-
gang müssen mindestens zwei Kommunikanten – Ego und Alter – beteiligt sein. Die
Theorie der symbolisch vermittelten Interaktion macht darauf aufmerksam, dass sich
ein Kommunikant immer an anderen Kommunikanten ausrichtet – erst diese Orientie-
rung an anderen macht ihn zum Kommunikanten. Der Kommunikationsprozess erfolgt
über die Vermittlung von Bedeutungsinhalten. Diese sind eine Abfolge sprachlicher
und nichtsprachlicher Zeichen, die von den Kommunikationsteilnehmern als signifi-
kante Symbole gedeutet werden können. Signifikante Symbole zeichnen sich nach
Mead (1995) dadurch aus, dass sie eine bestimmte Idee ausdrücken und diese Idee im-
plizit auch im anderen Menschen auslösen. Das bedeutet für denjenigen, der einen be-
stimmten Bedeutungsinhalt übermitteln will, dass er die Haltung des anderen gegen-
über seinen eigenen Mitteilungen einnehmen muss (vgl. ebd.: 86). Der Kommunikati-
onsprozess ist reziprok: Ego erwartet von seinem Gegenüber Alter eine bestimmte Re-
zeption. Darüber hinaus hegt Ego – das macht das Soziale an Kommunikation aus –
Erwartungen hinsichtlich der Erwartungen, die Alter an ihn selbst stellen kann. Diese
Erwartungs-Erwartungen strukturieren den Kommunikationsprozess (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Erwartungs-Erwartungen strukturieren Kommunikation

Ego Alter

Doppelte Kontingenz

Mit dem in der Theorie des Symbolischen Interaktionismus angelegten Erwartungs-


konzept hat Mead eine Richtung eingeschlagen, die auf die Ausprägung von Strukturen
verweist. Die Ausrichtung am jeweils anderen setzt bestimmte Regulierungsmecha-
nismen in Gang: Es sind die Erwartungshaltungen, welche die Varietät der Hand-
lungsmöglichkeiten faktisch begrenzen. Da Kommunikation wechselseitig aufeinander
bezogenes Handeln ist, existieren Erwartungshaltungen bei beiden (bzw. allen) Kom-
munikanten hinsichtlich der Erwartungen des jeweiligen Gegenübers, welche die
Kommunikation regulieren. Die Steuerung eines Kommunikationsprozesses geschieht
also nicht nur durch die wahrnehmbaren Handlungen, sondern durch die Antizipation
der Erwartungen des Gegenübers. Würden die Erwartungen der Kommunikationsteil-
nehmer einander immer entsprechen, wäre Kommunikation vorhersehbar und strategi-
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 271

sche Kommunikation überflüssig. Im Normalfall aber entsprechen Erwartungen einan-


der längst nicht immer, sie können enttäuscht werden oder miteinander konfligieren.
Aber nicht nur Erwartungsinkonsistenz als Folge einander widersprechender Erwar-
tungen ist zu berücksichtigen, sondern auch die Abwesenheit von Erwartungen: eine,
wie Bretscher (1974: 90) es ausdrückt, „Erwartungsleere“. Die interaktionistische
Grundannahme, wie sie bisher kurz dargestellt wurde, bezieht diesen Umstand zu we-
nig ein. Die Möglichkeiten von Kommunikation unter den Bedingungen einander nicht
entsprechender Erwartungen bzw. bei Abwesenheit von Erwartungen sollen deshalb im
Folgenden diskutiert werden.
Bei Erwartungs-Erwartungen handelt es sich um Antizipationen, mithin um An-
nahmen und Unterstellungen. Die Erwartungen eines Kommunikanten bezüglich der
Erwartungen des anderen Kommunikanten sind somit kontingent: Sie sind bedingt
durch die Beziehung der Kommunikanten zueinander. Die Unterstellungen bezüglich
der Erwartungen des anderen können sich bewahrheiten, und zwar dann, wenn der Fall
eintritt, dass die Erwartungen des anderen wie erwartet ausfallen; sie können aber auch
anders ausfallen als erwartet. Diese Kontingenz gilt für beide Seiten. Parsons hat dieses
Phänomen „doppelte Kontingenz“ genannt. Doppelte Kontingenz kann als Ausarbei-
tung der wechselseitigen Orientierung der Kommunikationsteilnehmer aufgefasst wer-
den: „This fundamental phenomenon may be called the complementarity of expectati-
ons, not in the sense that the expectations of the two actors with regard to each other’s
actions are identical, but in the sense that the action of each is oriented to the expectati-
ons of the other. Hence, the system of the interaction may be analyzed in terms of the
extent of conformity of ego’s actions with alter’s expectations and vice versa“ (Par-
sons/Shils 1959: 15). Parsons beschreibt damit die Möglichkeit der Erwartungsenttäu-
schung auf der Ebene von (sozialen) Interaktionen.
Das Theorem der doppelten Kontingenz hat Luhmann aufgegriffen und ihm eine
zentrale Bedeutung beigemessen. Diente das Theorem bei Parsons zunächst dazu, In-
teraktionsprozesse zu beschreiben, so hat es durch Luhmanns Weiterentwicklung eine
Bedeutungsverschiebung erfahren. Für Luhmann liegt die Erklärungskraft der doppel-
ten Kontingenz nunmehr in der Möglichkeit, verschiedene Emergenzebenen der Sy-
stembildung zu unterscheiden. Psychische und soziale Systeme können in einen Zu-
stand doppelter Kontingenz treten, um damit Systembildung in Gang zu setzen (Luh-
mann 1994: 170). Der doppelten Kontingenz ist dabei ein selbstreferenzieller System-
bezug eigen. Dieser Sichtweise schließen sich Ronneberger und Rühl an, wenn sie
doppelte Kontingenz als „Grundlage für den Aufbau und für die Emergenz aller Kom-
munikationsordnungen“ sehen (Ronneberger/Rühl 1992: 65). Die Überführung der
doppelten Kontingenz von der Handlungstheorie in die Theorie autopoietischer Syste-
me soll eine Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit sozialer Ordnung bzw.
Kommunikationsordnung durch Systembildung geben. Das „Emergieren“ von Syste-
men impliziert, Kommunikation würde sich selbst hervorbringen. An „Emergenz“ zu
glauben heißt allerdings auch, die Vorstellung von handlungsmächtigen Akteuren auf-
zugeben. Statt von Handlungen ist dann nur noch von „Operationen“ die Rede. Dieser
272 Juliana Raupp

Auffassung wird hier nicht gefolgt. Stattdessen wird das Zustandekommen von Kom-
munikationsprozessen nach wie vor auf konkrete Handlungen sozialer Akteure zurück-
geführt.
Doppelte Kontingenz ist die logische Konsequenz der wechselseitigen Orientierung
der Kommunikationsteilnehmer am jeweiligen Gegenüber. Die Unsicherheit auf beiden
Seiten kann man sich als eine „unsichtbare Wand des Nicht-Wissens“ vorstellen. Die
dem Handeln oder auch Nicht-Handeln der Akteure zugrunde liegenden Motive und
Intentionen sind für die Kommunikationsteilnehmer prinzipiell unzugänglich. Auf bei-
den Seiten besteht also Erwartungsunsicherheit (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Erwartungsunsicherheiten auf beiden Seiten

Erwartungen an Alter

Ego Alter

Antizipation der
Erwartungen an Alter

Kommunikationsbeziehungen herzustellen und aufrechtzuerhalten, indem die Erwar-


tungen (oder die „Nicht-Erwartungen“) des kommunikativen Gegenübers vorwegge-
nommen und in der Ausgestaltung der Kommunikationsbeziehung berücksichtigt wer-
den. Für das PR-Handeln stellt sich somit als zentrale Aufgabe, durch Antizipation der
Erwartungen des Gegenübers Erwartungsunsicherheiten zu minimieren, um die eigene
Steuerungsfähigkeit des Kommunikationsprozesses zu erhöhen. Darüber hinaus sollen
Erwartungsinkonsistenzen vermieden werden.
Betrachtet man die Beziehung zwischen Organisationen und den Medien als einer
der wichtigsten Bezugsgruppen von PR aus der hier enfalteten interaktionstheoreti-
schen Perspektive, so ergibt sich daraus als eine zentrale Funktion der PR die Vorweg-
nahme der Erwartungen des Journalismus als wichtigstem Gegenpart von PR. Die da-
mit verbundene Orientierung an der Medienlogik geschieht aus Eigeninteresse, um die
öffentliche Wahrnehmung im Sinne der Organisation beeinflussen zu können.
Nun unterliegt das Verhältnis zwischen PR und Journalismus bestimmten struktu-
rellen Rahmenbedingungen. Es handelt sich nicht um flüchtige Interaktionsbeziehun-
gen, die jedes Mal aufs Neue austariert werden müssen. Sondern die Beziehungen zwi-
schen Medien und PR-treibenden Organisationen sind in der Regel auf Dauer gestellte,
routinisierte Beziehungen, bei denen beiden Seiten bestimmten Regeln folgen. Diese
Regeln ergeben sich aus der Spezifik einer massenmedial verfassten Öffentlichkeit, die
im Folgenden näher erläutert wird.
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 273

3 Öffentlichkeit als Strukturbedingung für PR-Handeln


Die Beziehungen zwischen Organisationen und Massenmedien sind in mehrfacher
Hinsicht besondere Beziehungen. Sie sind erstens eingespielte, zu einem gewissen
Grad regulierte Beziehungen und es tritt zweitens ein weiterer Kommunikationsteil-
nehmer hinzu, der allerdings keinen Akteursstatus im engeren Sinn besitzt: das Medi-
enpublikum. Das Medienpublikum ist ein soziales Kollektiv, das aber nicht über auto-
nome Handlungsfähigkeit verfügt (vgl. Jarren/Donges 2002: 63). Im Hinblick auf die
Kommunikationsbeziehung zwischen PR-treibenden Organisationen und Medien
nimmt es die Rolle des „Generalisierten Anderen“ (Mead 1995) ein. Erst das Medien-
publikum gibt der Beziehung zwischen PR-treibenden Organisationen und Massenme-
dien einen Sinn.
Das Verständnis von Kommunikation als symbolisch vermittelter Interaktion, wie
es oben entfaltet wurde, bezieht sich auf dyadische Kommunikationssituationen. In der
dyadischen Kommunikation geschieht die Ausrichtung am anderen im Rahmen direk-
ter, nur schwach strukturierter Interaktion. Die Kommunikationsbeziehungen zwischen
PR-treibenden Organisationen und Massenmedien sind jedoch durch bereits gefestigte
Erwartungen vorstrukturiert und größtenteils routinisiert: Es handelt sich auf der Mi-
kro-Ebene um Beziehungen zwischen individuellen Akteuren, PR-Leuten und Journa-
listen, die durch Selbst- und Fremdbilder der jeweiligen Berufsrollen geprägt sind. Auf
der Meso-Ebene handelt es sich um Beziehungen zwischen korporativen Akteuren.
Korporative Akteure sind formalisierte Zusammenschlüsse von individuellen Akteu-
ren, die über bestimmte Handlungsressourcen verfügen und bestimmte Interessen ver-
folgen (vgl. etwa Scharpf 2000: 101; Jarren/Donges 2002: 64). Diese Kommunikati-
onsbeziehungen finden in der Öffentlichkeit – und zwar maßgeblich in der massenme-
dial verfassten Öffentlichkeit – statt. Das macht die Probleme, die mit der Reduktion
von Erwartungsunsicherheit verbunden sind, komplexer. Die Antizipation von Erwar-
tungen ist unter den Bedingungen der massenmedialen Öffentlichkeit schwieriger und
einfacher zugleich. In Anlehnung an das Öffentlichkeitsmodell von Gerhards und
Neidhardt (1991) und eigenen öffentlichkeitstheoretischen Überlegungen (Raupp
2004) werden im Folgenden die Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung der Kom-
munikationsbeziehungen zwischen PR-treibenden Organisationen und Medien aufge-
zeigt.
Öffentlichkeit hat sich – entsprechend der funktionalen Differenzierung moderner
Gesellschaften – in mehrere Teilöffentlichkeiten ausdifferenziert. Analog der gesell-
schaftlichen Funktionssysteme können themenspezifische Öffentlichkeiten unterschie-
den werden, beispielsweise die politische Öffentlichkeit, die wissenschaftliche Öffent-
lichkeit, die Wirtschaftsöffentlichkeit oder die Kunstöffentlichkeit. Zusätzlich zu dieser
themenbezogenen Unterscheidung lassen sich Formen von Öffentlichkeit auch nach
Reichweite unterscheiden, nämlich nach Öffentlichkeitsebenen und -arenen. Gerhards
und Neidhardt (1991) schlagen vor, je nach Anzahl der Kommunikationsteilnehmer
und dem Grad der strukturellen Verankerung der Kommunikation, drei verschiedene
Öffentlichkeitsebenen zu unterscheiden. Die elementare Ebene von Öffentlichkeit stel-
274 Juliana Raupp

len so genannte Encounters dar. Damit sind einfache, schwach strukturierte Interakti-
onssysteme gemeint, alltägliche Begegnungen „au trottoir“ (ebd.: 51). Veranstaltungen
siedeln die Autoren auf der zweiten Öffentlichkeitsebene an. Als thematisch ausgerich-
tete Interaktionssysteme mit bereits unterscheidbaren Kommunikationsrollen spielte
die Versammlungsöffentlichkeit historisch eine wichtige Rolle bei der Ausdifferenzie-
rung von Öffentlichkeit. Massenmedienkommunikation ist schließlich die dritte und für
moderne Gesellschaften folgenreichste Form von Öffentlichkeit, in der alle in der In-
formationsgesellschaft wichtigen und weniger wichtigen Themen verhandelt werden.
Die Arenen der öffentlichen Kommunikation sind analytische Kategorien; in der
beobachtbaren Praxis überlappen sie einander. Es existieren vielfältige Mischformen,
beispielsweise wenn eine Diskussion zwischen Politikern (bei der Encounter-Öf-
fentlichkeit simuliert wird) vor anwesendem Publikum (Versammlungs-Öffentlichkeit)
im Fernsehen (massenmediale Öffentlichkeit) übertragen wird. In solchen Fällen wir-
ken sich die Strukturmerkmale der massenmedialen Öffentlichkeit als der übergeordne-
ten Form von Öffentlichkeit auch auf die anderen Kommunikationssituationen aus.
Öffentlichkeit wird hier als ein in sich ausdifferenzierter Kommunikationsraum ver-
standen, der durch formale und sachliche Strukturen gekennzeichnet ist. Formale
Strukturen werden durch Rechtsnormen ausgebildet, die sich auf Öffentlichkeit bezie-
hen: Das sind zum einen die verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Rede-, Meinungs-
und Pressefreiheit, und zum anderen die medienpolitische Rechtssprechung im Hin-
blick auf u.a. Medienkonzentration, Werbefinanzierung, Auskunftsrechte und Publizi-
tätspflichten. Sachlich bilden sich Strukturen durch die Funktionslogik der Öffentlich-
keit aus. Diese Strukturen und die Funktionsweise der massenmedialen Öffentlichkeit
geben den Rahmen für die Medialisierung von Politik ab, und sie wirken sich auf die
Beziehungen zwischen PR und Journalismus aus.
Betrachtet man die Beziehungen zwischen PR-treibenden Organisationen und Me-
dien als symbolisch vermittelte Interaktion, so ist zu fragen, wie sich die Strukturen
und Funktionsweisen der massenmedialen Öffentlichkeit auf die Artikulations- und
Antizipationsmöglichkeiten von Erwartungen auswirken. Folgende Strukturmerkmale
der massenmedialen Öffentlichkeit beeinflussen die Beziehungen zwischen PR-
treibenden Akteuren und Medien:
Auseinanderfallen von Mitteilungs- und Rezeptionshandlung: In der massenmedial
vermittelten Kommunikation findet ein direktes Feed-back nur noch in Ausnahmefäl-
len statt; ein ständiger Rollentausch zwischen Kommunikator und Rezipient ist so gut
wie ausgeschlossen. Die Mitteilungs- und Rezeptionshandlungen (die beide erfolgen
müssen, damit von Kommunikationsprozessen die Rede sein kann), sind zeitlich und
räumlich auseinandergefallen. Das macht eine explizite Artikulation von Erwartungen
des jeweiligen Kommunikationsteilnehmers höchst unwahrscheinlich. Stattdessen bil-
den sich bei korporativen Akteuren bestimmte Kommunikationsroutinen aus, mit deren
Hilfe Erwartungsunsicherheiten reduziert werden. Das Publikum, das keinen Akteurs-
status besitzt, kommt in der Regel nur indirekt zu Wort – etwa in Form von verkaufter
Auflage oder Einschaltquoten.
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 275

Rollenvielfalt und Rollenpersistenz: Die Vielfalt an Kommunikationsrollen nimmt


in der massenmedialen Öffentlichkeit zu. Neben der Kommunikator- oder Sprecherrol-
le und der Rezipientenrolle, die das Publikum einnimmt, hat sich eine professionali-
sierte Vermittlerrolle herausgebildet, die von Journalisten wahrgenommen wird. Ver-
mittler nehmen unter bestimmten Bedingungen die Mitteilungen von Kommunikatoren
– die so zu Primärkommunikatoren werden – zum Anlass, um sie im Rahmen von An-
schlusskommunikation durch massenmediale Berichterstattung (Fremddarstellung) zu
bearbeiten und weiterzuverbreiten. Journalisten agieren dabei auf der Grundlage von
unterstellten Erwartungen des Medienpublikums. Durch die Ausbildung von Kommu-
nikationsroutinen werden die Kommunikationsrollen der Sprecher und der Vermittler
auf Dauer gestellt, wogegen sich das Publikum immer wieder neu konstituiert.
Pluralität korporativer Akteure: Die Arena der massenmedial vermittelten Kom-
munikation steht prinzipiell allen gesellschaftlichen Akteuren offen. Als Sprecher tre-
ten hauptsächlich korporative Akteure (Organisationen) auf, die miteinander um Deu-
tungsmacht konkurrieren. Publizitätschancen bestehen nicht nur für etablierte Akteure
wie etwa Regierungsorganisationen, sondern auch für neue zivilgesellschaftliche Ak-
teure wie z.B. Protestgruppen. Die Publizitätschancen für korporative Akteure sind al-
lerdings aufgrund der Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie und aufgrund unter-
schiedlicher Ressourcen ungleich verteilt.
Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie: Die gesellschaftlichen Akteure, die als
Sprecher auftreten, unterliegen ebenso wie die Journalisten den Regeln der Aufmerk-
samkeitsökonomie (Franck 1998). Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut, und die Chan-
cen, Aufmerksamkeit zu erlangen, hängen davon ab, welche Ressourcen die Akteure,
die in der Öffentlichkeit kommunizieren, einsetzen können. Die Konkurrenz um Auf-
merksamkeit hat zur Professionalisierung der Sprecher geführt. Korporative Akteure
wie politische Parteien, Verbände, Gewerkschaften usw., die möchten, dass ihre Stim-
me in der massenmedialen Öffentlichkeit gehört wird, sind darauf angewiesen, die Lo-
gik des Mediensystems vorwegzunehmen. Denn nur indem ein korporativer Akteur
seine Mitteilungen so aufbereitet, dass sie von den Journalisten als professionellen
Vermittlern weiterverarbeitet werden, hat er eine Chance, in der Arena der massenme-
dialen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen. Das hat zur Ausbildung von PR als
ausdifferenzierter Berufsrolle geführt. PR-treibende Organisationen setzen zum Teil
erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen ein, um unter den Bedingungen der
Mediengesellschaft ihr Mitteilungshandeln zu steuern und zu kontrollieren. Die Teil-
nahmechancen an der massenmedialen Öffentlichkeit hängen also in hohem Maße da-
von ab, welche materiellen und personellen Ressourcen Akteure einsetzen können, um
durch professionelle Öffentlichkeitsarbeit Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu wec-
ken. Neben dem Einsatz materieller Ressourcen spielen in der Medienöffentlichkeit
auch symbolische Ressourcen eine große Rolle
Bedeutung symbolischer Ressourcen: Neben materiellen und personellen Ressour-
cen gehört der Einsatz symbolischer Ressourcen zu den Strategien, die korporative Ak-
teure anwenden, um Aufmerksamkeit in der massenmedialen Öffentlichkeit zu erregen
276 Juliana Raupp

(vgl. Peters 1996). Eine der wichtigsten symbolischen Ressourcen ist Prominenz. Dem
gezielten Einsatz von Prominenz als symbolischer Ressource entspricht die Strategie
der Personalisierung. Personalisierung, verstanden als Strategie, beruht auf der Vor-
wegnahme eines journalistischen Nachrichtenfaktors (vgl. auch Hoffmann/Raupp
2006). Prominenz ist eine Ressource, die selbstverstärkend wirkt: Je prominenter eine
Person oder Sache, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr in der Öffentlich-
keit Aufmerksamkeit zuteil wird, wodurch der Grad an Prominenz steigt. Dieser Um-
stand verweist gleichzeitig auf die Schwierigkeiten für unbekannte Personen oder
Sachverhalte, die erste Aufmerksamkeitsschwelle zu überwinden. Mit dem Grad an
Prominenz steigt jedoch nicht nur die Chance, öffentlich wahrgenommen zu werden.
Auch das Risiko, einen öffentlichen Reputationsverlust zu erleiden, nimmt zu (vgl. Ei-
senegger 2005).
Inszenierung von Ereignissen: Eine weitere Aufmerksamkeitsstrategie besteht in
der Inszenierung von Ereignissen. Zahlreiche Beispiele für die Inszenierung von Poli-
tik finden sich im Wahlkampf. Inszenierungsstrategien wenden darüber hinaus vor al-
lem Akteure an, die über keine politische Entscheidungsmacht verfügen, und denen der
Weg des Lobbying als traditioneller Form der Einflussnahme verwehrt ist. Vor allem
Neue Soziale Bewegungen und Protestakteure sind auf die Aufmerksamkeit der Mas-
senmedien angewiesen, um ihre Themen in die Öffentlichkeit zu bringen (vgl. u.a.
Schmitt-Beck 1990; Rucht 1994). Die Inszenierung von Events gehört längst zu den er-
folgreichen Mitteln der Politikdarstellung (vgl. Imhof/Eisenegger 1999).
Eigendynamik von Thematisierungsprozessen: In der massenmedial verfassten Öf-
fentlichkeit werden wichtige und weniger wichtige Themen verhandelt. Die einzelnen
Mitteilungen der korporativen Akteure verdichten sich im Zuge der Verarbeitung und
Verbreitung durch die Massenmedien zu Themen. Einzelne Mitteilungen können nur
dann zu einem Thema werden, wenn sie von den Medien aufgegriffen werden. Dabei
entstehen bestimmte Zyklen oder Themenkarrieren (vgl. Luhmann 1983: 18f.). Mit
Hilfe von verschiedenen Methoden wie Issues Monitoring und Umfragen beobachten
Organisationen öffentliche Thematisierungsprozesse und versuchen, diese durch aktive
Themensetzung, aber auch durch gezielte De-Thematisierung zu beeinflussen. Den
Einflussmöglichkeiten sind aber Grenzen gesetzt: Im Prozess der medialen Weiterver-
arbeitung unterliegen Themen vielfachen Modifikationen, z.B. Umdeutungen und neu-
en Rahmungen. Der Thematisierungsprozess entwickelt in der massenmedialen Arena
eine Eigendynamik, die von einzelnen Akteuren nicht mehr unmittelbar gesteuert wer-
den kann.
Aus der hier beschriebenen Mehrstufigkeit und Akteursvielfalt der massenmedialen
Öffentlichkeit ergeben sich für die beteiligten PR-Akteure bestimmte Beziehungs- und
Konfliktkonstellationen, von denen abhängt, inwieweit PR-vermittelte Medialisie-
rungseffekte auftreten können. Im Folgenden werden über eine zweistufige Argumen-
tation die Voraussetzungen aufgezeigt, die eine PR-induzierte Orientierung organisa-
tionalen Handelns an der Medienlogik wahrscheinlich machen.
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 277

4 Voraussetzungen für PR-induzierte Medialisierungseffekte


Die Beziehungen zwischen PR und Journalismus sind aufgrund der unterschiedlichen
Funktionslogiken von Medienorganisationen und von PR-treibenden Organisationen
strukturell konflikthaft. In einem ersten Schritt wird dargelegt, dass die potenziell kon-
flikthaften Beziehungen durch institutionelle Arrangements, die der Reduktion von
Erwartungsunsicherheit dienen, neutralisiert werden. Die Pluralität an konkurrierenden
gesellschaftlichen Akteuren, die Medien dazu nutzen, ihre divergierenden Positionen
öffentlich zu vertreten, führt zweitens zur neuerlichen Steigerung von Komplexität und
damit zu neuem Konfliktpotenzial. Von diesen Beziehungs- und Konfliktkonstellatio-
nen hängt es ab, inwieweit PR-induzierte Medialisierungseffekte eintreten.
Die Beziehung zwischen PR-Akteuren und Journalisten ist eine professionalisierte
Beziehung in dem Sinn, dass es sich hierbei um die Beziehung von Berufsrollenträgern
handelt. Personale Akteure handeln nicht im eigenen Interesse, sondern stellvertretend
für eine größere Organisation (vgl. Scharpf 2000: 111f.). Dabei unterliegen sie ver-
schiedenen organisatorischen constraints. Das verweist auf die Notwendigkeit, sowohl
die Mikro- als auch die Meso-Ebene, d.h. die Ebene der personalen wie der korporati-
ven Akteure, in den Blick zu nehmen.
Zwischen den Berufsrollen PR und Journalismus bestehen strukturelle Konflikte,
die sich aus den unterschiedlichen Handlungslogiken der jeweiligen Organisationen
ergeben. Während Journalismus die Auswahl und Aufbereitung von Medieninhalten
zum Ziel hat, ist die Funktion von PR an den jeweiligen Zweck der PR-treibenden Or-
ganisation gebunden; es handelt sich um eine (nachgeordnete) Organisationsfunktion
(Röttger 2000). PR unterliegt – bei aller Medienorientierung – prinzipiell der Hand-
lungsrationalität der jeweiligen Organisation und erst in zweiter Linie der Handlungs-
rationalität des Mediensystems.
Dennoch haben PR-treibende Organisationen und Medienorganisationen ein ge-
meinsames Ziel: nämlich Publizität. PR und Journalismus sind – auf jeweils unter-
schiedliche Weise: indirekt und direkt – auf einen „Generalisierten Anderen“ (Mead
1995) ausgerichtet, nämlich auf das Medienpublikum, dessen Aufmerksamkeit gewon-
nen werden soll. Um dieses Ziel zu erreichen und die strukturellen Konflikte zu neutra-
lisieren bzw. die mit der Konfliktaustragung verbundenen Transaktionskosten gering
zu halten, ist es aus Sicht der professionellen Akteure rational, Ressourcen so aufein-
ander abzustimmen, dass möglichst hohe Synergieeffekte erzielt werden. Auf der Mi-
kroebene der personalen Akteure werden deshalb im Rahmen von Produktionsgemein-
schaften (Jarren/Röttger 1999) institutionelle Arrangements geschaffen (z.B. bei Pres-
sekonferenzen, Hintergrundgesprächen etc.), die allen Beteiligten einen möglichst ho-
hen Ertrag bei möglichst geringem Ressourceneinsatz versprechen (vgl. Abb. 3). Insti-
tutionelle Arrangements schaffen so die Voraussetzung für eine gelingende Interaktion,
die einen generalisierten Tausch, nämlich die Bereitstellung von Informationen gegen
Publizität, zum Ziel hat (vgl. Sarcinelli 1992: 46).
278 Juliana Raupp

Abb: 3: Beziehungen zwischen Organisationen und Medien

PR-treibende Struktureller Medien- Ebene der kor-


Organisationen Konflikt organisationen porativen Akteure

constraints
PR-Akteure Journalisten
Bereitstellung Institutionelle Herstellung von Ebene der
personalen Akteure
von Arrangements Publizität
Information

Vorwegnahme von Erwartungen

Medienpublikum als
Generalisierter Anderer

Nun sind in der massenmedialen Öffentlichkeit jedoch nicht nur Medienpublika die
Adressaten der öffentlichen Überzeugungskommunikation, sondern auch andere gesell-
schaftliche Akteure. Konkurrierende gesellschaftliche Akteure versuchen ihrerseits,
durch Thematisierungs- und Deutungsleistungen relevante Medienpublika zu erreichen
und ihre jeweiligen Problemdefinitionen gegenüber anderen gesellschaftlichen Akteu-
ren durchzusetzen. Korporative Akteure werten die Medienberichterstattung nicht nur
aus um herauszufinden, wie über sie berichtet wird, sondern auch, um die Konkurrenz
zu beobachten. Auf die Berichterstattung über konkurrierende Akteure reagieren sie
wiederum mit entsprechenden Problem(um)deutungen. Insofern bieten die Massen-
medien einen Resonanzraum für verschiedene Positionen in der öffentlichen Diskus-
sion und fungieren als Austragungsort für Konflikte.
Durch die Selektion der Themen, durch Framing und Priming nehmen die Medien
aber auch eine eigenständige Rolle bei der Herstellung von Publizität ein; sie sind
keine neutralen Vermittler, sondern interessengeleitete politische Akteure (Patterson
1997). Kontroversen und Konflikte sind dabei zentrale journalistische Selektions-
kriterien (vgl. für viele Hug 1997: 28). Durch die Orientierung an Kontroversen und
Konflikten, die aus der Konkurrenz um Aufmerksamkeit hervorgeht, können Anta-
gonismen zwischen verschiedenen Akteuren medial überhöht werden, während gleich-
zeitig konsensorientierte Aushandlungsprozesse hinter verschlossenen Türen statt-
finden. Doch unabhängig davon, ob die Darstellung von Konflikten in den Medien
inszenierte Auseinandersetzungen sind oder tatsächliche Gegensätze zum Ausdruck
bringen: Im Ergebnis führt die mediale Konfliktdarstellung zu einer vermehrten
Publizität divergierender Standpunkte und damit zu vermehrtem Diskussionspotenzial
in der Arena der massenmedialen Öffentlichkeit.
Unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft und einer Konkurrenz-
demokratie erhöht das die Erwartungsunsicherheit der einzelnen Akteure und gleich-
zeitig den Druck zur strategischen Koalitionsbildung – in der Arkanpolitik, aber u.U.
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 279

auch in der öffentlichen Darstellung. Die Beziehungskomplexität hat sich erhöht: An


die Stelle der triadischen Kommunikationsbeziehung zwischen PR, Journalismus und
Medienpublikum sind plurale Kommunikationsbeziehungen getreten, wobei miteinan-
der konkurrierende Akteure einem ebenfalls auf dem Konkurrenzprinzip basierenden
Mediensystem und fragmentierten Medienpublika gegenüberstehen.
Das hier beschriebene Konkurrenzmodell um Deutungsmacht und Aufmerksamkeit
hat eine Entsprechung in der ökonomischen Konkurrenz: „Ökonomisch betrachtet,
wird man die Beziehung von PR und Journalismus (...) als Business-to-business-
relation zu begreifen haben. Deren ‚Erfolg‘ wird letztlich von dritter Seite mitdetermi-
niert – vom Publikum, aber auch von Anzeigenkunden (...)“ (Ruß-Mohl 2004: 58). Da-
bei konfligiert die Ökonomisierung des Mediensystems und die damit einhergehende
Orientierung am Werbemarkt mit der Orientierung auf gesellschaftliche Akteure und
deren Vermittlungsbedarf (vgl. Jarren 1988: 16).
Die konkurrenten und kooperativen Beziehungskonstellationen zwischen einerseits
PR und Journalismus und andererseits zwischen den konkurrierenden Akteuren unter-
einander und zu den Medien sind Voraussetzungen dafür, dass PR-vermittelte Mediali-
sierungseffekte auftreten. Die Tatsache, dass Themen in den Massenmedien konflikt-
haft aufbereitet werden, zwingt Organisationen zum ‚going public‘ und erhöht gleich-
zeitig die Anforderungen an das Kommunikationsmanagement. In dieser Konfliktkon-
stellation fällt PR die Funktion zu, durch Antizipation der Erwartungen der unter-
schiedlichen Gegenüber, d.h. der Strategien und der Interessen von konkurrierenden
Akteuren und der Selektionslogik der Massenmedien, die eigenen Chancen auf die
Durchsetzung bestimmter Deutungsmuster in der massenmedial vermittelten Kommu-
nikation zu erhöhen.

5 Formen und Folgen PR-induzierter Medialisierung


Das hier entfaltete theoretische Verständnis von PR setzt bei dem Konzept der Media-
lisierung an. Im Unterschied zu makro- und systemtheoretischen Ansätzen wird dabei
eine organisations- und akteursbezogene Perspektive eingenommen. Im Zentrum der
Betrachtungen stehen die Wechselbeziehungen zwischen PR-treibenden Organisatio-
nen und Medien. Die Kommunikationstheorie des Symbolischen Interaktionismus ver-
bunden mit öffentlichkeitstheoretischen Überlegungen ermöglicht es, eine empirisch
anschlussfähige Heuristik für die Untersuchung von PR-Prozessen zu entwickeln. Auf
diese Weise kann die PR-induzierte Orientierung organisationalen Handelns an der
Medienlogik beschrieben und analysiert werden.
PR wird als Funktion von Organisationen begriffen, die in der massenmedialen Öf-
fentlichkeit als Kommunikatoren auftreten. Zur Kommunikatoren-Rolle gehört aus
Sicht des Symbolischen Interaktionismus zwangsläufig auch das Rezipieren von In-
formation, soll ein Kommunikationsprozess in Gang gebracht und aufrecht erhalten
werden. Was für die interpersonale Kommunikation selbstverständlich scheint, ist für
die interorganisationale, und erst recht für massenmedial vermittelte Kommunikation,
280 Juliana Raupp

hingegen höchst voraussetzungsvoll. Der Blick auf PR-Akteure in ihrer Funktion als
Kommunikatoren und gleichzeitig als Rezipienten zu richten, ermöglicht es, strategi-
sche Kommunikationsprozesse sowie die Grenzen der Steuerung davon zu beschrei-
ben. Die organisationsbezogene Funktion von PR besteht in der Antizipation von Er-
wartungen, die an die PR-treibende Organisation gerichtet werden: PR muss rezipieren,
um kommunizieren zu können, und je besser ihr dies gelingt, desto größer ist die
Wahrscheinlichkeit, Aufmerksamkeit für die eigenen Themen zu erlangen und die ei-
genen Problemdeutungen gegenüber konkurrierenden Akteuren durchzusetzen. Das
schließt auch die Möglichkeit der De-Thematisierung mit ein. Die medienorientierte
Darstellung von Organisationen wird durch eine PR befördert, welche zum einen die
Medienlogik antizipiert. Zum anderen geht es unter den Bedingungen der Pluralität von
Kommunikationsbeziehungen in der Arena der Massenmedien für korporative Akteure
auch um die Antizipation der Erwartungen konkurrierender Akteure, und zwar vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass sich diese ebenfalls an der Medienlogik orientieren.
PR-induzierte Medialisierungseffekte treten dann ein, wenn die antizipierte Rezeption
der PR-Aktivitäten Rückwirkungen auf die PR-treibende Organisation hat. Von Media-
lisierung durch PR kann gesprochen werden, wenn das Handeln der Organisation be-
reits in Vorwegnahme der Funktionslogik massenmedialer Kommunikation geschieht.
Nun wurde in diesem Beitrag bislang nicht zwischen verschiedenen Typen PR-
treibender Organisationen – Unternehmen, Parteien, öffentlichen Einrichtungen – un-
terschieden. Inwieweit ist der hier gemachte Vorschlag, Medialisierung als Parameter
für eine PR-Theorie zu sehen, plausibel für verschiedene Arten von Organisationen?
Bezogen auf die Anforderungen an eine allgemeingültige PR-Theorie lautet die An-
nahme: Je höher der Stellenwert, welcher der PR in Organisationen zugewiesen wird,
und je höher der Professionalisierungsgrad von PR, desto größer ist die Wahrschein-
lichkeit, dass sich organisationale Routinen und Strukturen im Hinblick auf ihre Medi-
enwirksamkeit ändern.
Dies ist vor allem in kompetetiven Kommunikationssituationen der Fall. Das klassi-
sche Beispiel für eine hochgradig kompetitive Kommunikationssituation ist die Wahl-
kampfkommunikation. In der Wahlabstimmung erreicht der politische Wettbewerb um
Machtgewinn und Machterhalt einen regelmäßig wiederkehrenden Höhepunkt. In
Wahlkampfzeiten erlebt die externe Kommunikation von politischen Parteien einen vo-
rübergehenden Professionalisierungsschub. Der parteiinterne Sachverstand wird um
externe, der Parteispitze zuarbeitende Expertenteams aus Meinungsforschern, Medien-
beratern und Werbespezialisten verstärkt (vgl. für viele Holtz-Bacha 2002). Im Wahl-
kampf gelangen die systematischen Verfahren, die zur Antizipation von Erwartungen
zur Verfügung stehen, am häufigsten zum Einsatz; zur üblichen Medienbeobachtung
kommen die intensive Medienauswertung und die strategische „Feindbeobachtung“
hinzu (vgl. für aktuelle Praxisbeispiele etwa Althaus/Cecere 2003).
Im Unterschied dazu ist im Fall von Routinekommunikation von Regierungs-
organisationen, Unternehmen oder Kultureinrichtungen der Prozess der Medialisierung
im Sinne einer Vorwegnahme massenmedialer Handlungslogiken durch die Organisa-
Medialisierung als Parameter einer PR-Theorie 281

tionen vergleichsweise wenig vorangeschritten. Sind keine Konkurrenten, Skandale


oder Krisen auszumachen, genügt es den Organisationen, ihrer eigenen Organisations-
logik zu folgen und die Medien über ihre Produkte, Neuerungen und Ergebnisse zu in-
formieren. Deshalb wird beispielsweise die Regierungskommunikation in der Bundes-
republik als überwiegend politikzentriert und nicht als medienzentriert beschrieben
(vgl. Pfetsch 1999). Erst in Situationen, in denen Organisationen unter Druck stehen,
sich gegen Angriffe anderer Organisationen in der Öffentlichkeit wehren müssen oder
eigene Interessen mittels Medien verfolgen wollen, treten PR-induzierte Medialisie-
rungseffekte im beschriebenen Sinn ein. Solche Situationen können bei Unternehmen
von Fall zu Fall eintreten, bei politischen Organisationen sind sie der Regelfall.
Wenn solche Effekte eintreten, d.h. wenn Organisationen ihr Handeln auf die Medi-
enlogik abstellen, droht dann den Organisationen ein Verlust ihrer Identität? Ein paar
Gedanken zu den Folgen PR-induzierter Medialisierungseffekte sollen diesen Beitrag
abschließen. Zu den Voraussetzungen für die hier beschriebene Medialisierung von
Organisationen gehören ein konkurrierendes, pluralistisches Mediensystem ebenso wie
politische, ökonomische und kulturelle Wettbewerbs- und Konfliktsituationen. Diese
Faktoren ermöglichen PR-induzierte Medialisierungseffekte; gleichzeitig begrenzen sie
sie. Jede Organisation würde sich ihrer eigenen Existenz berauben, wenn sie Medien-
statt Organisationsziele verfolgte. Solange das Verhältnis zwischen PR und Medien
von der Spannung unterschiedlicher Handlungslogiken lebt, sind Medialisierungseffek-
te auf Organisationen nicht pauschal als dysfunktional zu bewerten. Sie sind vielmehr
einer offenen Gesellschaft angemessen. Allerdings bedarf dieses immer wieder neu
auszutarierende Spannungsverhältnis eines rechtlichen Rahmens, der das Funktionieren
eines medialen, politischen und ökonomischen Wettbewerbs sicherstellt.

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Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen
der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

Barbara Baerns

Kepplingers Dateninterpretation zur Untersuchung ‚Am Pranger: Der Fall Späth und
der Fall Stolpe‘ mündet, unter Berufung auf Goffman, in der Metapher von ‚zwei Büh-
nen‘, auf denen Politiker und Journalisten unterschiedlich interagieren, weil jeweils
andere Regeln gelten: „Nach außen, auf der Vorderbühne, gelten für Journalisten, Poli-
tiker und Dritte die normativen Erwartungen der reinen Lehre. Sie werden in den
Schulen vermittelt, sie leiten die Selbstdarstellung der Beteiligten, und sie werden bei
öffentlichen Anlässen beschworen. Der Glaube an die Richtigkeit dieser Regeln und an
die Regeltreue der Akteure ist eine Legitimationsgrundlage des Staates und seiner In-
stitutionen. Nach innen, auf der Hinterbühne, gelten andere Regeln. Unter Journalisten,
unter Politikern und unter Dritten [...] bestehen engere persönliche Beziehungen, als
nach außen sichtbar wird, und es finden mehr und intensivere Absprachen statt, als die
Öffentlichkeit weiß. [...] Auch auf der Hinterbühne gelten Regeln, allerdings sind sie
nicht kommunizierbar, weil die Kommunikation über die Regeln der Hinterbühne die
Abweichungen zu den Regeln der Vorderbühne offenlegen und damit die Hinterbühne
zur Vorderbühne machen würde. Die Akteure bewegen sich deshalb auf der Hinter-
bühne in einer Grauzone, deren tatsächliche Grenzen sie nur ungefähr abschätzen kön-
nen“ (Kepplinger 1993: 214).
Hoffmann weist der Metapher von den zwei Bühnen sogar paradigmatischen Wert
bei der Untersuchung der Vermutung zu, dass das spezifische Beziehungsgeflecht von
Politikern und Journalisten im Ausdruck zwar antagonistischen, aber im Handeln ko-
operativen Charakter habe (Hoffmann 1999: 175). Operationalisierungsprobleme wer-
den eingeräumt (ebd.: 173).
Das Lehrbuch ‚Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft‘ modelliert
die Beziehungen zwischen Politik, PR-Sprechern und Journalisten als auf Dauer ge-
stellte, labile Produktionsgemeinschaft um der gegenseitigen Vorteilsgewinnung wil-
286 Barbara Baerns

len und so als ein eigenständiges Handlungssystem. Es erinnert an Goffmans Bühnen-


metapher, und es hält anschließend fest: „Nur die empirische Analyse der Produkti-
onsgemeinschaften aus Politik, Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit kann zeigen,
wie es um diese Handlungssysteme bestellt ist und welche Einfluss- oder Machtver-
hältnisse existieren. Erst dann sind Aussagen über den geringen oder nicht geringen
Einfluss der Medien bzw. der politischen PR plausibel möglich“ (Jarren/Donges 2006:
326f.; sinngemäß schon Jarren/Röttger 1999: 219).
Als Grundlage und Voraussetzung von Interpretation und Bewertung geht es also
(nach wie vor) um die Notation und Interpunktion nicht augenfällig dargebotener, son-
dern latenter Beziehungen von – hier politischer – Öffentlichkeitsarbeit und Journa-
lismus: Als Text festhalten, das heißt, ans Licht holen oder offenlegen, und den richti-
gen Rhythmus erkennen, also angemessen gliedern. Das ist aus meiner Sicht das Kern-
problem. Und das zentrale publizistik- und kommunikationswissenschaftliche Erkennt-
nisinteresse.
An meinen Beiträgen (1) Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? Zum Einfluss im
Mediensystem (1985 und 1991), (2) Macht der Öffentlichkeitsarbeit und Macht der
Medien (1987) und (3) Vielfalt und Vervielfältigung. Befunde aus der Region – eine
Herausforderung für die Praxis (1983), die ein und denselben Datensatz bearbeiten,
und der Kritik daran, versuche ich zu skizzieren, welche Lösungen mit welchen Folgen
welche Einsichten versperren oder versprechen.1

1 Problemlagen und Problemlösungen


Auf der Suche nach Regelmäßigkeiten und Besonderheiten der Informationsverarbei-
tung durch das Mediensystem treffen wir in der Publizistik- und Kommunikationswis-
senschaft auch heute auf verschiedene Forschungsansätze. Die einen litten und leiden
an der medienzentrierten Betrachtungsweise (Stichworte: Nachrichtenfaktoren und
Nachrichtenwerte). Die anderen lösten und lösen Grundfragen des referenziellen Be-
zugs, der Beziehung zwischen Ereignis und Darstellung (Stichworte: Intra- und Extra-
Media-Daten, ‚Realität‘ und Medienrealität) unzureichend und unbefriedigend. Die er-
kenntnistheoretisch fortschrittlichsten Ansätze halten schon die Annahme referenziel-
ler Bezüge für unbegründbar und unzulässig simpel (Stichwort: Konstruktivismus),
und sie schließen sie aus. Folge: Eine praktisch durchaus nicht irrelevante Frage ist als
Forschungsproblem wieder vom Tisch.
Vor diesem Hintergrund hatte ich vorgeschlagen, die erkenntnistheoretisch formu-
lierte Frage handlungstheoretisch ‚zu umschiffen‘, indem zunächst in größerem Um-
fang ermittelt wird, wie Informationen in Agenturdienste, Hörfunksendungen, Fernseh-
sendungen, Tageszeitungen gelangen und so zu Nachrichten werden. Daran anschlie-
ßend war demnach zu untersuchen, auf welche Art und Weise die Informationen in den

1
Der Text basiert auf einem Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung 'Welche Theorien für welche PR?'
im Wintersemester 2002/2003 am IPMZ - Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der
Universität Zürich.
Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen der Kommunikationswissenschaft 287

Medien präsent sind. Das heißt, der Analysevorschlag folgte der chronologischen Ord-
nung der zu analysierenden Vorgänge. Informationssuche und -beschaffung geht der
Informationsbearbeitung (jedenfalls auf den ersten Blick) voraus: also erstens Thema-
tisierung und zweitens Transformation.
Aus der Alltagserfahrung praktischen Handelns heraus hatte ich gleichzeitig ange-
regt, nicht nur das Tätigkeitsfeld Medienjournalismus, sondern auch das interagierende
Tätigkeitsfeld Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen und zu beobachten, obgleich
Public Relations – wie der PR-Fachmann Kocks ebenfalls aus der Praxis heraus an-
merkt – „eine tendenziell latente Tätigkeit (ist), die ihre gesellschaftliche Evidenz mit-
organisiert, [...] also per definitionem immer die intendierte Darstellung ihrer Praxis
simultan mit der eigentlichen Praxis zu inszenieren bestrebt ist“ (Kocks 2002: 45).
Wenn PR als PR entdeckt werde, sei dies ohnehin schon der nicht repräsentative Fall,
dem gerade das fehle, was die normale Praxis auszeichnet (ebd.).
Eine Untersuchung von Beziehungen, die normalerweise verborgen bleiben und
die, wie vermutet, auch Auswirkungen haben, die nicht durchschaubar sind, bedingt al-
lerdings eine (irgendeine) Interpretationsfolie sinnvoller Abgrenzung. Mein Vorschlag
damals lautete: Öffentlichkeitsarbeit ist im Gegensatz zum Journalismus als Selbstdar-
stellung partikularer Interessen und speziellen Wissens durch Information definiert.
Journalismus kann demgegenüber als Fremddarstellung sowie als Funktion des Ge-
samtinteresses und allgemeinen Wissens gelten. Beide Tätigkeiten zielen auf das Me-
diensystem und schlagen sich dort nieder. Ihr Zweck ist Erschließung von Wirklichkeit
durch Selektion, das heißt Information (Baerns 1991/1985: 16).
Die Ausgangsfrage (nach dem referenziellen Bezug) ist damit umformuliert. Aber
sie ist nicht verloren gegangen: Wer selektiert aus dem theoretisch unendlichen Spek-
trum der Ereignisse (Westley/MacLean 1957), Spektrum der Begebenheiten (Reimann
1968), Spektrum der Interessen (Ronneberger 1973), die unter bestimmten Kontextbe-
dingungen wahrscheinlich beobachtbar sind? Und wer setzt um? Wer also definiert
Medienrealität und Nachrichten? Beobachtbarkeit ist, historisch kontingent, von den
jeweils konkreten Rahmenbedingungen abhängig, die beim Zugang zur Information
verschiedenartig Spielräume eröffnen oder verschließen. Daraus ergab und ergibt sich
folgende Skizze des Forschungsprogramms: Unsere Untersuchungen zur Informati-
onsverarbeitung durch das Mediensystem unter bestimmbaren historischen Bedingun-
gen klassifizieren nicht nur Medienprogramme.
• Im Rahmen dieser Untersuchungen unterscheiden wir ‚Journalismus‘ und ‚Öffent-
lichkeitsarbeit‘.
• Im Rahmen der Untersuchungen beobachten wir Prozesse der Informationsbe-
schaffung (Thematisierung) und Informationsbearbeitung (Transformation) durch
Journalismus.
• Wir beobachten Prozesse der Bereitstellung und Verbreitung von Informationen
durch Öffentlichkeitsarbeit (Thematisierung und Diffusion).
• Wir betrachten das kontinuierliche, auf Dauer gestellte Zusammenspiel von Öf-
fentlichkeitsarbeit und Journalismus (Interaktion).
288 Barbara Baerns

• Und wir betrachten die Ergebnisse dieses Zusammenspiels in Form tagesbezoge-


ner Informationsangebote öffentlicher Medien, die Leser, Hörer und Zuschauer
dann wahrnehmen können.
Das Forschungsdesign der hier infrage stehenden Arbeiten ist (im Gegensatz zu vielen
Fremdwahrnehmungen und -darstellungen2) wie folgt angelegt:
• Geltungsbereich: das Feld politischer Öffentlichkeit im Bundesland Nordrhein-
Westfalen.
• Zugang zur Hinterbühne u.a. durch Akkreditierung als Gast der Landespressekon-
ferenz.
• Keine Gatekeeperforschung, die Abdruckquoten ermittelt, sondern Analyse der
Gesamtberichterstattung aller Primär- und Sekundärmedien zur nordrhein-west-
fälischen Landespolitik.
• Kumulation, Vergleich und Interpretation der erhobenen Daten auf der Mikroebe-
ne, auf der Mesoebene und auf der Makroebene des gesamten Mediensystems.
• Zwei Untersuchungszeiträume im Zentrum der Legislaturperiode.

Die Rezipientenperspektive wird keineswegs ausgeblendet.3 Doch die Untersuchung


beabsichtigt nicht, beispielsweise im Auftrag von Kommunikatoren, klassisch Wir-
kungen auf Rezipienten zu thematisieren. Die Rezipientenperspektive ist dennoch zen-
tral, weil sie Orientierungsmöglichkeit und Orientierungswissen fokussiert.4 Die Rezi-
pientenperspektive ist zentral, weil die Chance eingeräumt wird, latente Definitions-
macht der Öffentlichkeitsarbeit, des Journalismus und – so haben wir später gesehen –
auch der Medien und des Mediensystems zu bezeichnen und öffentlich zu machen.5
Die Rezipientenperspektive ist zentral, weil sie Öffentlichkeit als Prinzip und Methode,
das heißt Zugänglichkeit, Transparenz und Überprüfbarkeit der Verfahren im Blick
behält.

2 Der Ausgangspunkt
Statt der erneuten Wiedergabe von Befunden und Einsichten, die dieses Foschungsde-
sign ermöglicht, ziehe ich es hier vor, zugunsten einer verständlichen Klärung der an-
stehenden methodologischen Probleme und der aus Rezeption und Kritik idealtypisch
erwachsenden neuen Forschungsstrategien, die Forschungssituation Ende der 1970er
Jahre noch einmal zu vergegenwärtigen: Die These selbst, Öffentlichkeitsarbeit sei
beim Entstehen und Zustandekommen publizistischer Aussagen einflussreich beteiligt,
lag ja keineswegs gleichsam offensichtlich auf der Hand. Sie wurde aus der Praxis he-

2
Beispielsweise Schulz 2002: 531.
3
Im Widerspruch zu insbesondere Schantels Kritik (vgl. Schantel 2000: 86).
4
Die Herkunft des Dargebotenen erkennen zu können, gilt als minimaler Informationsanspruch, der aus
der derzeitigen Kommunikationsordnung der Bundesrepublik abzuleiten ist.
5
Wie Verbraucherinformationen, die Zusammensetzungen von Lebensmitteln deklarieren und offen-
legen sollen, damit sie beim alltäglichen Verbrauch berücksichtigt werden können.
Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen der Kommunikationswissenschaft 289

rangetragen an das Wissenschaftssystem. Das herrschende Paradigma hätte sie nicht


nahegelegt. Aber nicht Öffentlichkeitsarbeit war unentwickelt, wie Wilke und Müller
konstatieren (Wilke/Müller 1979: 118), sondern die Erkenntnisinteressen der Publizi-
stik- und Kommunikationswissenschaft. Auch der Politikwissenschaft, das lässt sich an
den verschiedenen Auflagen der Grundlagenwerke eindrucksvoll nachweisen. In die-
sem Kontext war Öffentlichkeitsarbeit zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen und
dann in ihren Auswirkungen – hier auf das Mediensystem – kenntlich zu machen.
Das Forschungsdefizit entsprach den Defiziten gerade der entwickelten Theorien,
die an Gegenseitigkeitsrelationen interessiert sind. Die originellen und einfachen Lö-
sungen der aus Naturwissenschaft und Technik entlehnten Interaktionsmodelle, die
dort häufig ‚Kommunikations‘-Modelle heißen, und ihrer Weiterentwicklungen (deren
stimulierende Wirkung bei der Überwindung ontologischer und monokausaler Be-
trachtungsweisen nicht bestritten werden soll) provozierten Analogieschlüsse, die
mangels empirischer Falsifikationsmöglichkeiten oder -ambitionen dann doch als Er-
kenntnisersatz akzeptiert worden sind. Eine Verselbständigung der Denkmittel, die in
der praktischen Bewährung häufiger zur Verschleierung als zur analytischen Entfal-
tung der Untersuchungsobjekte führte. Darüber hinaus schienen sie dafür zu sorgen,
dass eine Reihe von Problemen im Vorfeld als erledigt betrachtet werden konnten und
gar nicht bearbeitet werden mussten.
Zum Beispiel: In der Funktionalen Publizistik bzw. in Maletzkes Modell der Mas-
senkommunikation, die Publizistik und Kommunikation auf ein und derselben Grund-
struktur abbilden, trifft das Bezugsproblem, Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus,
das zwei Informationsfunktionen zu diskutieren hätte, auf einen Kommunikatorbegriff,
der alle Tätigkeiten der Herstellung und Bereitstellung publizistischer Aussagen bereits
integriert und so Übereinstimmungen voraussetzt, wo es einer analytischen Trennung
als Ausgangspunkt wirklichkeitsnaher Erhellung möglicher Übereinstimmungen erst
bedürfte. Das ist eine Beschränkung, die weniger stark hervortritt, solange die Vorstel-
lung vorherrscht, Medieninhalte seien individuelle oder Gruppenleistungen von Tages-
zeitungs-, Hörfunk-, Fernseh- und Agenturjournalisten. Zudem konfrontieren die an
Regelung durch Erwartung interessierten Ansätze den auf Analyse bedachten Beob-
achter mit einem als Gegenpol konzipierten, durch Perspektivwechsel als Kommunika-
tor vorstellbaren Rezipienten, was eine Ableitungskette nach sich zieht, die das aus der
Alltagserfahrung gewonnene Problem nicht nur nicht adäquat abzubilden vermag, son-
dern als irrelevant beiseite oder auf ein, nicht näher spezifiziertes, soziokulturelles
Subsystem abschiebt.
Diese Beobachtungen erleichterten die Entscheidung, Ronnebergers Anregung auf-
zunehmen und die Suche nach einer „‚Weltformel‘ für alle Arten von Kommunikati-
onsbeziehungen“, die die Konturen verwischte, zugunsten der Besinnung auf „Proble-
me bei der Entstehung publizistischer Aussagen, ihrer Bereitstellung und Verbreitung
und den Bedingungen ihrer Aufnahme durch das Publikum“, das heißt auf Herkunft,
Ausgangslage und Ausgangsfragen der „Publizistikwissenschaft“, aufzugeben (Ronne-
berger 1978: 16ff.). Allerdings trifft eine solche Rückbesinnung zugleich auf einen
290 Barbara Baerns

Schlüsselbegriff, Öffentlichkeit, der den hier besonders interessierenden Aspekt der


Entstehung publizistischer Aussagen im Unterschied zu Bereitstellung, Verbreitung
und Publikum unzureichend reflektiert und selten erfasst (vgl. Baerns 1991/1985:
18f.).
Der Bruch mit dem herrschenden Paradigma implizierte konsequenterweise den
bewussten Rückschritt vom deduktiven zum induktiv deskriptiven Nachweis der Zu-
sammenhänge. Die infrage stehenden Studien versuchten infolgedessen eine Zustands-
beschreibung der Bedingungen und Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Öffent-
lichkeitsarbeit und Journalismus und der Resultate im Mediensystem. Sie begaben sich
so auf den Weg einer analytischen Annäherung, die die Strategie verfolgt, durch suk-
zessive Eliminierung gängiger Interpretationsmöglichkeiten zu neuen Erkenntnissen zu
gelangen.
Die nachträgliche Unterstellung einer falsifizierbaren Hypothese wie der Determi-
nationshypothese ist auf dieser Grundlage unangebracht, ja absurd (vgl. Bentele u.a.
1997: 236ff. unter Berufung auf Burkart 1995: 282ff. und Weischenberg 1995:
207ff.).6 Allerdings ist nicht zu übersehen: Meine Arbeiten wurden von Anfang an be-
fundorientiert rezipiert, die sog. Determinationshypothese insoweit eingeschlossen.
Die Konzeption und das Forschungsdesign sind, soweit ich sehe, in Forschung und
Praxis selten diskutiert (zuerst Löffelholz 2000: 189-191).

3 Rezeption und Kritik


Ich will mich mit Rezeption und Kritik in aller Kürze unter folgenden drei – de facto
ineinandergreifenden – Gesichtspunkten konstruktiv auseinandersetzen: (1) Interaktion
und Einfluss, (2) Thematisierung und Transformation, (3) Begründung und Legitimati-
on der Differenzierung von Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus.

3.1 Interaktion und Einfluss


Beispielsweise Schantel interessiert sich für „die Gültigkeit oder Nichtgültigkeit der so
genannten Determinationshypothese“ (Schantel 2000: 70). Sie schließt aus „der be-
kannten Kurzform“, das ist meine Aussage, „Öffentlichkeitsarbeit hat Themen und
Timing der Medienberichterstattung unter Kontrolle“, auf die eigene, andere Frage,
„wie Öffentlichkeitsarbeit den Journalismus determiniert“ (ebd.). Also auf Probleme
der Interaktion. Diese Fehlinterpretation lehnt sich (wörtlich gekürzt) an Bentele, Lie-
bert und Seeling (1997: 237) an. Sie wird durch deren Rhetorik, „von der Determinati-
on zur Intereffikation“, auch nahegelegt. Eine genaue Unterscheidung von Journalis-
mus und Massenmedien fehlt dort ebenfalls. Doch kann sich Schantel nicht grundsätz-
lich auf Bentele u.a. berufen und stützen. In deren Beitrag ist das Zitierte im Grunde
6
Aber Burkart spricht in der zitierten zweiten wie in den beiden nachfolgenden überarbeiteten und ak-
tualisierten Auflagen seines Werks von „Determinierungsthese“ bzw. „Determinationsthese“. Und auch
Weischenberg bedient sich einer anderen Terminologie. Er spricht vom „dysfunktionalen Einfluß von
PR auf Journalismus“.
Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen der Kommunikationswissenschaft 291

genommen zunächst einmal nur der Aufhänger, um das Intereffikationsmodell einzu-


führen, das versuche, „die wechselseitigen Beziehungen der beiden publizistischen Sy-
steme [...] neutral zu formulieren“ (ebd.: 240): „In unserem Kontext interessiert die
Frage nach dem Verhältnis von Massenmedien (als sozialem System) bzw. deren Ak-
teuren (den Journalisten) einerseits und Public Relations – ebenfalls verstanden als so-
ziales System – und dessen Akteuren (den PR-Praktikern) andererseits“ (ebd.: 225).
Die Beziehungen werden als kommunikative Induktionen (intendierte Kommunikati-
onsanregungen) und Adaptionen (Anpassungshandeln) auf System-, Organisations-
und Personalebene in psychisch-sozialer, sachlicher und zeitlicher Dimension konzi-
piert. Auf der kategorialen Ebene entsprechen Induktionen den bisher genannten Aus-
wirkungen, Einflüssen. Adaption wurde später präziser als „Orientierung an Gegeben-
heiten, Zwängen oder Regelmäßigkeiten des Komplementärsystems [...], um die Chan-
ce auf erfolgreiche Induktion zu steigern“, definiert (vgl. Bentele/Nothhaft 2004: 94f.).
Adaption zielt letztlich auf Zusammenspiel, Interaktion.
Abb. 1: Ein Forschungsdesign für zwei divergierende Ansätze

Anteil der Be- Anteil der in der in der Berichter-


richterstattung Berichterstattung stattung nicht
ohne PR-Material verwendeten PR- verwendete PR-
Mitteilungen Mitteilungen

Donsbach/Wenzel: Donsbach/Wenzel:
Gesamtberichterstattung Pressemitteilungen der
von 6 Tageszeitungen Fraktionen im sächsischen
über die Fraktionen im Landtag
sächsischen Landtag

Baerns: Baerns:
Gesamtberichterstattung Pressemitteilungen und
über NRW-Landespolitik im -konferenzen sämtlicher
NRW-Mediensystem Informatoren in der
NRW-Landespolitik

Neben den bisher vorliegenden empirischen Untersuchungen des Leipziger Arbeitsbe-


reichs Bentele, die das Intereffikationsmodell aus meiner Sicht unzureichend umsetzen
(vgl. Bentele/Junghänel 2002; Rinck 2001; Bentele/Liebert/Reinemann 1998), und der
Präsentationen von Einzelbefunden (vgl. Bentele/Nothhaft 2004; Seidenglanz/Bentele
2004) erwies sich dieser Ansatz bei einer der jüngeren empirischen Untersuchungen,
‚Aktivität und Passivität von Journalisten gegenüber parlamentarischer Pressearbeit.
Inhaltsanalyse von Pressemitteilungen und Presseberichterstattung am Beispiel der
Fraktionen des Sächsischen Landtags‘, „insgesamt als brauchbare Heuristik für die Be-
ziehung zwischen PR und Journalismus" (Donsbach/Wenzel 2002: 505). Die Analyse
konzentriert sich allerdings auf die so genannten Induktionsleistungen. Die an die Re-
292 Barbara Baerns

daktion verschickten PR-Mitteilungen werden als „Induktionsleistungen der PR-


Urheber“, die redaktionelle Bearbeitung dieser Informationen als „Induktionsleistung
der Journalisten“ bezeichnet und dabei neben der einfachen Selektion von PR-
Mitteilungen auch Bedeutungszuweisungen, Veränderungen und Bewertungen des PR-
Materials durch den Journalisten berücksichtigt (ebd.: 376). Schiebt man die Argumen-
tation, auch hier Zurückweisung der so genannten Determinationsannahme, beiseite
und konzentriert man sich auf Modell und Umsetzung der empirischen Untersuchung,
dann zeigt sich, dass die Untersuchungsanlagen Baerns 1991/1985 und Dons-
bach/Wenzel 2002 kompatibel sind.7 Mit Blick auf die Datenbasis erweist sich die
Dresdener Studie der nordrhein-westfälischen jedoch folgenreich unterlegen (vgl. Abb.
1). Sieht man einmal von den Untersuchungsgegenständen und den Erhebungszeiträu-
men8 ab, lassen sich die Befunde insbesondere deshalb nicht miteinander vergleichen,
weil die Dresdener Untersuchung den mit Blick auf Öffentlichkeitsarbeit nachweislich
wichtigsten Akteur, die Landesregierung, ausblendet.
Vorläufiges Fazit: Die Rezeption der so genannten Determinationshypothese pro-
voziert Verwechslungen von Zusammenspiel (Interaktion) und Auswirkungen (Ein-
fluss). In der kritisierten Arbeit ist das nicht der Fall. Die vorliegenden empirischen
Untersuchungen Donsbach/Wenzel und Baerns fokussieren Auswirkungen.

3.2 Thematisierung und Transformation


Schantel, aber sinngemäß auch Bentele u.a. (Bentele/Liebert/Seeling 1997: 239) und
früher schon Fröhlich (1992: 37) laufen offene Türen ein, wenn sie beklagen, dass die
Studien von Baerns letztlich nur beweisen, „dass die Journalisten häufig – wissentlich
oder unwissentlich (z.B. wenn sie über Nachrichtenagenturen ungekennzeichnete PR-
Botschaften erhalten) – PR-Material benutzen, nicht aber, wie sie daraus öffentliche
Themen konstruieren – im Sinne der Presseunterlagen oder (etwa durch bewusste Aus-
lassungen, Hinzufügungen oder spezifische Kontextualisierung) in einem nach journa-
listischen Kriterien gestalteten Sinne“ (Schantel 2000: 75). Denn der Text ,Macht der
Öffentlichkeitsarbeit und Macht der Medien‘ (Baerns 1987) wendet sich eben diesem
Problem ausdrücklich zu. Die, wie schon der Titel anzeigt, gegenläufige Argumentati-
on entfaltet am ‚relevanten‘ Einzelfall (es geht um die Pressekonferenz, auf die in den
Untersuchungszeiträumen am häufigsten zugegriffen worden ist), was erstens das Cli-
max-First-Prinzip, zweitens die Selektionsleistung der Nachrichtenagenturen und drit-
tens die Zirkulation durch das Mediensystem aus dem vorgegebenen Thema, die erste
Ausländerstatistik, 'machen'. An dieser Fallstudie wird nachvollziehbar, wie Arbeits-
routinen und Medienstrukturen, dies unabhängig von persönlichen Einstellungen und

7
Vertreter des Intereffikationsansatzes schlossen sich dieser Auffassung inzwischen an (Bente-
le/Nothhaft 2004: 98).
8
Untersuchungsgegenstände und Erhebungszeitraum Donsbach/Wenzel: 6 Tageszeitungen: 28. Februar
bis 23. Juli 2000, am Beginn der Legislaturperiode. Untersuchungsgegenstände und Erhebungszeiträu-
me Baerns: Agenturen, Hörfunk, Fernsehen: 2 x 1 Monat 1978, im Zentrum der Legislaturperiode;
Presse: 2 x 2 Wochen 1978, im Zentrum der Legislaturperiode.
Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen der Kommunikationswissenschaft 293

redaktionellen Linien, Einfluss auf Bedeutungen gewinnen und dass bedeutungsän-


dernde Bearbeitungen bereits mit dem Eintritt ins Mediensystem, durch Agenturbe-
richterstattung, geschehen. Im Übrigen öffnet sie ganz nebenbei erneut den Blick da-
für, dass Zirkulation und Vervielfältigung im Mediensystem erstens die kommunikati-
onspolitisch erwartete Orientierungsleistung (Kontrolle durch Vergleich) unterlaufen
und zweitens selbst Bedeutung (,Aktualität‘, ,Relevanz‘) zuweisen können (vgl. schon
Baerns 1983: passim). Diese Untersuchung wurde allerdings selten gelesen (offen-
sichtlich auch von Schantel nicht, obwohl sie sie im Literaturverzeichnis aufführt). Die
tatsächliche Rezeption von Anlage und Befunden hätte – und das ist mein zweites vor-
läufiges Fazit – einen unbequemen, aber produktiven Widerspruch zur so genannten
Determinationshypothese geschaffen.

3.3 Zur Differenzierung von Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus


Die Begründung und Legitimation der Differenzierung von Öffentlichkeitsarbeit und
Journalismus führt zurück zum Ausgangspunkt der diskutierten Untersuchung. Eine
funktionale Differenzierung entspricht den Befragungsergebnissen, Berufsbildern,
Selbstverständnissen, die in einem ersten Arbeitsschritt erhoben wurden. Sie ließ sich
in einem zweiten Arbeitsschritt durch Ermittlung der Möglichkeiten und Grenzen des
journalistischen und des PR-Handelns auf der Basis der Kommunikationsordnung in
der Bundesrepublik Deutschland stützen. Einschließlich der dort artikulierten Erwar-
tungen, die aus der Struktur des Mediensystems erwachsen. Die Befunde zur Medien-
berichterstattung als Ergebnis interaktiven journalistischen und PR-Handelns, dritter
Arbeitsschritt, waren nicht (!) kompatibel. Eine Interpretation, die an der Bruchstelle
zwischen Befragungsergebnissen sowie normativen Erwartungen, einerseits, und
Handlungsergebnissen, andererseits, ansetzt, legt den Schluss nahe: Die Normen-, Re-
gel- und Erwartungsstrukturen, die auch die funktionale Differenzierung rechtfertigten,
sind wenig einflussreich. Sie werden als Auswirkungen, Medienberichterstattung, nicht
reproduziert. Die funktionale Differenzierung hätte sich nach Lage der Dinge nicht
bewährt. Folgte man Modellen, die eine Wechselwirkung von Handlung und Hand-
lungsbedingungen konzipieren, dann würde des Weiteren fraglich, inwieweit speziell
journalistisches Handeln fähig ist, ‚gegebene’ Erwartungsstrukturen und Freiräume
dauerhaft zu aktualisieren, was einer Differenzierung wiederum entgegenkäme.
Eine solche Konstellation kann den Blick vor Theorieansätzen nicht verschließen,
die angesichts der zu beobachtenden empirischen Entdifferenzierungstendenzen zwi-
schen Journalismus und PR, wie Stefan Weber, die Idee verfolgen, den Forschungsfo-
kus von der Untersuchung der Unterschiede weg und von vornherein auf die Untersu-
chung der Gemeinsamkeiten hin zu lenken: „Eine alternative Sichtweise würde nicht
hier Journalismus und dort PR wahrnehmen [...], sondern PR und Journalismus als
Formen im graduellen Kontinuum textueller Wirklichkeitskonstruktion begreifen“
(Weber 2002: 15; vgl. auch Weber 2005: passim). Der Gedanke, auf eine Differenzie-
rung zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus zu verzichten, ist nicht neu.
Manfred Rühl, einer der ersten deutschsprachigen Kommunikationswissenschaftler,
294 Barbara Baerns

die systemtheoretisch argumentierten, entfaltet ihn schon 1980 als Theorie des Journa-
lismus. Dort wird „die Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen
Kommunikation“ als Primärfunktion des modernen Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit
ist eingeschlossen, identifiziert (Rühl 1980: 319). Der vorher lokalisierte Beobachter-
standpunkt ist so (wieder) aufgegeben.
Klaus Kocks hat sich in seiner Teufelsaustreibung ‚Journalismus und PR: Yin und
Yang. Prolegomena einer Systemtheorie publizistischer Praxis‘ zugunsten einer das
Ganze fokussierenden Theorie besonders ins Zeug gelegt: „Die Fragestellung ‚Öffent-
lichkeitsarbeit oder Journalismus?‘ ist normativ ideologisch, sie gründet auf einer
Konzeption bürgerlicher Öffentlichkeit aus dem 18. Jahrhundert, die heute noch als
Berufsideologie von der Autonomie des Journalisten nachwirkt [...]“ (Kocks 2002: 43).
Die jüngsten Thesen Klaus Mertens hätten die Baerns’sche Dichotomie und die ihr
folgenden Scheindebatten im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts an den Ab-
grund gerückt; es gelte nun einen weiteren Schritt nach vorn zu tun ... „PR und Journa-
lismus handeln in einer strukturell integrierenden (gemeinsamen) Praxis in einem Sy-
stem, das zwar heterogen und polyvalent ist, aber eben ein (!) System, das seine Sub-
systeme nachdrücklich überdeterminiert. Hieraus wäre eine Systemtheorie der publizi-
stischen Praxis zu entwickeln, jenes sozialen Systems, an dem Journalismus und PR
seit jeher mit unterschiedlichen Funktionen gemeinsam wirken“ (ebd.: 44).
Kocks übersieht, nein, das kann ich nach seinen einleitend zitierten Bemerkungen
zur strategischen Latenz der Öffentlichkeitsarbeit wohl nicht so formulieren, also
Kocks hebt nicht hervor, was Merten in der Weiterentwicklung seines Theorieentwurfs
in der Makroperspektive und in Abgrenzung zu anderen Ansätzen, die auf anderen Be-
obachtungsebenen operieren, herausstellt. Das sind die Konsequenzen der gewählten
Perspektive: „Systemisch gesehen zählt [...] nur, dass (!) Information genügend schnell
und in genügendem Umfang vom Kommunikationssystem erzeugt wird. [...] Das Sy-
stem ist dabei indifferent [...] gegen die Frage, ob der Journalismus nun von PR deter-
miniert wird, ob dieses Verhältnis intereffikativ ist, ob es möglicherweise ethische Co-
des des Journalismus tangieren könnte“ (Merten 2002: 7; siehe auch Merten 2004: 34).
Im Übrigen setzt das Intereffikationsmodell die Differenzierung von Journalismus
und Öffentlichkeitsarbeit ohne eigene Begründung – und das ist der zweite, folgenrei-
chere Anschluss an die Baerns’sche so genannte Determinationshypothese – voraus.
Die Explikation der Systemebene, das moniert Schantel (2000: 78f.), bzw. die Diskus-
sion der Machtfrage, das moniert Ruß-Mohl (beispielsweise 1999: 163), wird offen-
gehalten und vertagt. Damit ist auch der, zugegeben, tradierte Anspruch auf Beobach-
tung der Beziehungen von Vorder- und Hinterbühne, davon waren wir ausgegangen,
(noch) nicht aufgegeben. Wir behalten sozusagen einen Fuß in der Tür.
Öffentlichkeitsarbeit und Erkenntnisinteressen der Kommunikationswissenschaft 295

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Zur Rolle von Marketing und Public Relations
in der Unternehmenskommunikation

Bestandsaufnahme und Ansatzpunkte zur


verstärkten Zusammenarbeit

Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

1 Zur Rolle von Marketing und Public Relations


Der Disput zwischen den Fachdisziplinen Marketing und Public Relations hat eine
lange Tradition (vgl. ausführlich Bruhn/Ahlers 2004 sowie die dort angegebene weiter-
führende Literatur). Fast könnte man sagen, dass Konflikte zwischen den Vertretern
beider Disziplinen bereits solange auftauchen, wie Unternehmen ein professionelles
Marketing und eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Im Kern geht es um
die Frage, welche Rolle Marketing und Public Relations im Kommunikationsmix von
Unternehmen spielen – aber ganz zugespitzt auch und insbesondere um die Frage, wel-
che der beiden Disziplinen eine Vormachtstellung (im Sinne einer Führungsrolle) für
die Unternehmenskommunikation beanspruchen will und durchsetzen kann.

1.1 Problemdimensionen der Auseinandersetzung


Die Problemdimensionen der Auseinandersetzung zwischen Marketing und Public Re-
lations sind vielschichtig und unternehmensindividuell zu bewerten und zu gewichten.
Grob lassen sich die Hierarchie-, Akzeptanz-, Strategie- und Ressourcendimension un-
terscheiden.
Hierarchiedimension: Ein zentrales Problemfeld bildet die organisatorische Ein-
bindung sowie das hierarchische Verhältnis von Public Relations und Marketing in der
Organisationsstruktur. Sowohl Marketing als auch Public Relations sind inzwischen
bei einem Großteil der Unternehmen als Abteilungen oder (Stabs-)Stellen institutiona-
300 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

lisiert. In Abhängigkeit von der Branche können dabei entweder Marketing (vor allem
im Konsumgüterbereich) oder Public Relations (vor allem im Industriegüterbereich)
eine bedeutendere Stellung einnehmen. In der Literatur wird jedoch häufig beklagt,
dass Public Relations nicht in gleicher Weise wie Marketing als Managementfunktion
im Unternehmen anerkannt sei. Während es heute kaum Unternehmen gibt, bei denen
Marketing nicht auf hoher wenn nicht gar höchster Unternehmensebene vertreten sei,
so ist dies bei Public Relations selten der Fall (Kitchen/Papasolomou 1997: 71). Auch
würde Public Relations im Gegensatz zum Marketing nur selten direkt an die Ge-
schäftsleitung berichten (Haywood 1998: 32). Für eine Ansiedelung von Public Relati-
ons auf höchster Unternehmensebene und eine konsequente Einbindung in die Füh-
rungsgremien plädieren eine Vielzahl von Autoren (z.B. Schulz 1991: 50; Gru-
nig/Grunig 1998; Müller/Kreis-Muzzolini 2003: 31; Zerfaß 2004: 18; Grunig 2006:
160, 164; Weill 2007: 69). Als Gründe nennen sie die Ziele und Funktionen von Public
Relations (Reputation des Unternehmens in der Öffentlichkeit, Schaffung von Vertrau-
en und Sympathie, Entwicklung von Beziehungen zu relevanten Anspruchsgruppen
u.a.), die nur bei einer Einbeziehung von Public Relations in zentrale Entscheidungs-
prozesse zu realisieren seien. Jedoch entwickelte sich auch die moderne Marketingab-
teilung aus bescheidenen Anfängen zu einem Vorstandsressort und einer integrieren-
den Funktion im Unternehmen: Bis sie den heutigen organisatorischen Stellenwert er-
reichen konnte, wurde Marketing oftmals als Aufgabe der Verkaufsleitung angesehen,
als Unterabteilung im Verkauf und schließlich als Hauptabteilung neben dem Verkauf
(Kotler/Bliemel 2001: 1236ff.; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2007: 1066f.).
Akzeptanzdimension: Im Zusammenhang mit der organisatorischen Eingliederung
in das Unternehmen kann auch das Ansehen und die Akzeptanz gesehen werden, die
Marketing und Public Relations im Vergleich genießen. Vielfach ist die Ansicht ver-
breitet, Public Relations erfahre nicht eine dem Marketing entsprechende unterneh-
mensinterne Akzeptanz (z.B. Beger/Gärtner/Mathes 1989: 27; Haywood 1998: 23;
Avenarius 2000: 17ff.; Cornelissen/Lock 2000: 234f.). Damit in Verbindung stehen
auch Befürchtungen, Public Relations würde nur als ‚Anhängsel‘ des Marketing dienen
(dies zeigt sich bereits in der Marketingausbildung, in der Public Relations vielfach als
eine Art ‚Restgröße‘ behandelt wird), anstatt eigene originäre Aufgaben zu erfüllen
(Nusch 1995: 171; Kitchen/Papasolomou 1997: 71; Haywood 1998: 17, 32; Daub
2000: 88ff.). Avenarius weist zudem darauf hin, dass das Verhältnis von Public Relati-
ons sowohl zu Journalisten, Politikern als auch zur eigenen Unternehmensleitung häu-
fig durch Misstrauen gekennzeichnet ist, was sich wiederum negativ auf das Ansehen
auswirken könne (Avenarius 2000: 11ff.).
Strategiedimension: Das Ansehen eines Kommunikationsinstrumentes steht häufig
in Zusammenhang damit, ob ihm eher eine strategische oder taktische Bedeutung zu-
gesprochen wird. So ist in der Marketingliteratur weitgehend unbestritten, dass Marke-
ting zu den strategischen Unternehmensfunktionen zählt (z.B. Meffert 1994; Becker
2001; Mansaray 2001; Benkenstein 2002; Uhe 2002; Bentele/Hoepfner 2004). Für
Public Relations indessen gehen die Meinungen auseinander. So schreiben zahlreiche
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 301

PR-Wissenschaftler Public Relations eine strategische Bedeutung innerhalb des Unter-


nehmens zu (z.B. Gronstedt 1996; Grunig/Grunig 1998; Avenarius 2000; Daub 2000;
Bentele/Hoepfner 2004; Zerfaß 2004; Grunig 2006), die von Marketingwissenschaft-
lern jedoch nicht uneingeschränkt bestätigt wird. Becker beispielsweise vertritt die An-
sicht, dass Public Relations eine komplementäre Aufgabe zur produktorientierten
Werbung und Verkaufsförderung erfülle und ordnet die PR-Ziele auf unterster Ebene
der unternehmerischen Zielhierarchie bei den Instrumentalzielen ein (Becker 2001:
600). Auch Grunig und Szyszka stellen (immerhin über zehn Jahre auseinander lie-
gend) fest, dass die meisten Theorien über Strategisches Management die Präsenz von
Public Relations verneinten und Public Relations eher Instrumentalcharakter bzw. die
Realisierung mikroökonomischer Ziele zugebilligt würde (Grunig 1992: 49; Szyszka
2005: 87f.). Bei einer Berücksichtigung der informationstechnischen Entwicklungen
der letzten Jahre darf die Rolle der Public Relations zur Wettbewerbsprofilierung, für
den Aufbau von Marken und den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen jedoch
keineswegs unterschätzt werden (Bentele/Hoepfner 2004: 1538). Vielmehr ist es not-
wendig, ein erweitertes Verständnis zugrunde zu legen, demzufolge Public Relations
nicht auf eine Art „Instrumentebaukasten“ (Pressearbeit, Vorträge, Soziosponsoring
u.Ä.) reduziert wird, sondern der Öffentlichkeitsarbeit die Verantwortung für das Ma-
nagement der Beziehungen zu sämtlichen relevanten Anspruchsgruppen obliegt (z.B.
aktuell auch der Umgang mit so genannten „Bloggern“, vgl. Bloom 2007: 18). Nicht
zuletzt die Anfälligkeit vieler Unternehmen gegenüber Angriffen der Presse bei
schlecht geführter Public Relations zeigt das Bedrohungspotenzial, das diesen Unter-
nehmen bei Skandalen, Konflikten usw. entgegenschlägt (vgl. am Beispiel Hoechst
AG, Zerfaß 2004: 26ff.). Insbesondere hinsichtlich der Beziehungspflege zu kritischen
und wichtigen Anspruchsgruppen ist Public Relations somit ein hoher Anteil an strate-
gischer Bedeutung für ein Unternehmen zuzusprechen (Bruhn 2006a: 107; ähnlich
Grunig 2006: 158f.). Unterstrichen wird diese Sichtweise nicht zuletzt vor dem Hinter-
grund, dass sich nur durch eine integrierte „Marken-PR“ kommunikative Widersprü-
che im Rahmen der Markenkommunikation vermeiden lassen und eine langfristig er-
folgreiche Markenpolitik gesichert werden kann (Bentele/Hoepfner 2004: 1551).
Ressourcendimension: Die Bedeutung, die eine Funktion im Unternehmen genießt,
entscheidet in vielen Fällen über die Ressourcenzuteilung für die entsprechenden Ab-
teilungen. Häufig konkretisieren sich gerade in der Zuteilung von Budgets, personellen
Kräften oder auch Räumlichkeiten die Auseinandersetzungen zwischen Marketing und
Public Relations (Dick 1997: 79; Haywood 1998: 19).

1.2 Anlässe der Auseinandersetzung


Deutlich wird der Konflikt zwischen Marketing und Public Relations in der Kommu-
nikationsarbeit in vielen Fällen bei einer ungenauen Abgrenzung von Aufgaben- und
Verantwortungsbereichen. Zwar existieren einzelne Bereiche der Kommunikationspo-
litik, die mehrheitlich entweder Marketing (z.B. Mediawerbung) oder Public Relations
(z.B. Government Relations) zugeordnet werden. Bei einer tiefer gehenden Betrach-
302 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

tung ergeben sich bei einer Vielzahl von Kommunikationsinstrumenten jedoch Über-
schneidungen bei Zielen, Funktionen und Zielgruppen, die eine eindeutige Zuordnung
oftmals erschweren (vgl. Bruhn 2005: 729 und 2007: 400 sowie bereits schon Kot-
ler/Mindak 1978).
Dies bezieht sich beispielsweise auf die Abgrenzungen zwischen Sponsoring und
Unternehmensförderung in den Bereichen Sport, Kultur und Umwelt. Die Grenzen
können hier in der Realität fließend sein, sodass eine genaue Zuweisung von Verant-
wortlichkeiten Probleme bereitet und sowohl Marketing als auch Public Relations die
Instrumente für sich beanspruchen (s. für Marketing z.B. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen
2002: 1116ff.; Bruhn 2003; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2007: 729ff. sowie für Pub-
lic Relations Bogner 1999: 279ff.; Avenarius 2000: 264ff.). Probleme bei der Bestim-
mung von Zuständigkeiten ergeben sich auch in anderen Bereichen wie dem Product
Placement, das von einigen Autoren als Erscheinungsform des Marketing bzw. der
Kommunikationspolitik klassifiziert wird (z.B. Unger/Fuchs 1999: 257ff.; Nieschlag/
Dichtl/Hörschgen 2002: 1120ff.). Avenarius weist aber darauf hin, dass ebenso Public
Relations dazu genutzt werden könne, Produkte bewusst in Szene zu setzen (Avenarius
2000: 350). Des Weiteren bleibt innerhalb der Unternehmen häufig die Frage offen,
wer für die Publicity zuständig ist. Zum einen enthält diese wesentliche Elemente der
Öffentlichkeitsarbeit – insbesondere, wenn es um die Popularität von Personen geht –,
zum anderen sind jedoch auch – vorwiegend im Rahmen der Product Publicity – werb-
liche Elemente von Bedeutung (Dick 1997: 75; Avenarius 2000: 333). Abgrenzungs-
probleme sind darüber hinaus bei den Instrumenten Event Marketing, Online-
Kommunikation, Interne Kommunikation und Messen zu erwarten, die sich sowohl als
Marketing- wie auch PR-Instrumente charakterisieren lassen (z.B. Merten 2000; Mef-
fert/Burmann/Kirchgeorg 2007). Diskussionen um den Begriff und das Konzept der
„Marketing Public Relations“ (z.B. Kitchen/Papasolomou 1997) sind somit eine Folge.
Die unklare Abgrenzung von Verantwortungsbereichen kann bereits Konflikte pro-
vozieren, wenn jeweils nur einzelne Abteilungen, wie Sponsoring und Public Relati-
ons, betroffen sind. Die Planung und Umsetzung der Gesamtkommunikation be-
schränkt sich jedoch in der Regel nicht auf einzelne Kommunikationsinstrumente, son-
dern betrifft eine Vielzahl von Abteilungen gleichermaßen; insbesondere wenn es um
die Entwicklung inhaltlich, formal und zeitlich abgestimmter Kommunikationsstrate-
gien im Sinne einer Integrierten Kommunikation geht (Bruhn 2006a). Zentrale Frage-
stellungen, die zu Auseinandersetzungen zwischen Marketing und Public Relations
führen können, sind in diesem Kontext die Entwicklung einer integrationsfördernden
Organisationsstruktur oder die Benennung eines für die Integration verantwortlichen
Kommunikationsmanagers.
Insgesamt betrachtet bilden oftmals unterschiedliche fachliche oder persönliche
Vorstellungen der Entscheidungsträger über die Rolle von Marketing und Public Rela-
tions in der Gesamtkommunikation des Unternehmens den Hintergrund für die be-
schriebenen Auseinandersetzungen. Inwieweit diese Differenzen auch von Vertretern
der unternehmerischen Praxis bestätigt werden, zeigen unterschiedliche empirische
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 303

Untersuchungen, die im Folgenden vorgestellt werden. Da die meisten Untersuchun-


gen im deutschsprachigen Raum bzw. in den Vereinigten Staaten durchgeführt wur-
den, liegt der Fokus im Folgenden auf Studien, die ausschließlich in diesen Ländern
durchgeführt wurden. Die empirischen Befunde werden dabei ihrer Herkunft nach ge-
trennt behandelt, wobei zugleich Hinweise auf Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede
gegeben werden.

2 Empirische Befunde zur Rolle von Marketing und


Public Relations in der Unternehmenskommunikation

2.1 Empirische Befunde im deutschsprachigen Raum


Aufschluss über die Rolle von Marketing und Public Relations im Rahmen der Ge-
samtkommunikation geben in erster Linie fünf Befragungen, die in den letzten 15 Jah-
ren im deutschsprachigen Raum durchgeführt wurden: eine Befragung von Rolke
(2003) aus dem Jahr 2002 unter Marketing- und PR-Leitern in 388 der größten deut-
schen Unternehmen, die sich mit den Zukunftserwartungen in der Produkt- und Unter-
nehmenskommunikation beschäftigt; eine Studie von Bruhn/Boenigk (1999) aus dem
Jahr 1997, in der Verantwortliche für die Marketingkommunikation in 800 deutschen
Unternehmen (ausgewertete Fragebögen 62) zum Entwicklungsstand der Integrierten
Kommunikation in ihren Unternehmen befragt wurden; eine Studie von Hae-
drich/Jenner/Olavarria/Possekel (1995) zur Situation der Öffentlichkeitsarbeit im Jahre
1993 unter den Inhabern leitender PR-Stellen in 600 deutschen Industrieunternehmen
(Rücklaufquote 53,6 Prozent), eine Studie unter rund 1.000 Unternehmen der Ferti-
gungsindustrie und des Maschinen- und Anlagenbaus zur Bedeutung von Public Rela-
tions in mittelständischen Unternehmen (Initiative IndustrieKultur 2005) sowie eine
Studie von Bruhn (2006b) in Deutschland, Österreich und der Schweiz (insgesamt 429
ausgewertete Fragebögen), die die Studie von Bruhn/Boenigk aus dem Jahr 1997 fort-
führt. Von besonderem Interesse sind in den Studien sowohl inhaltliche, ressourcenbe-
zogene als auch organisationsbezogene Aspekte, die einen Rückschluss auf die Bedeu-
tung der Kommunikationsinstrumente zulassen.
Inhaltliche Aspekte: Die Bedeutung der Kommunikationsinstrumente betreffend
kommen die Studien von Rolke und Bruhn zu einem ähnlichen Ergebnis. Sowohl Me-
diawerbung als auch Public Relations (wobei in der Studie von Rolke die Unterneh-
men nach Produkt-PR befragt wurden) werden als erst-, zweit- oder drittbedeutendste
Instrumente für den Kommunikationserfolg eingestuft, und die Befragten dokumentie-
ren ihnen eine hohe strategische Bedeutung (Bruhn/Boenigk 1999: 68; Rolke 2003: 16;
Bruhn 2006b: 70). Ähnlich werden Mediawerbung und Public Relations auch bei einer
Bewertung der Kommunikationsinstrumente nach ihrer Einflussnahme und Beein-
flussbarkeit beurteilt (Bruhn 2006b: 73). Beide Instrumente werden bei dieser Struktu-
rierung als Leitinstrument klassifiziert, die andere Instrumente stark beeinflussen,
304 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

selbst jedoch kaum beeinflussbar sind (Abb. 1). Interessant ist in diesem Zusammen-
hang insbesondere die Einschätzung der Öffentlichkeitsarbeit, die knapp zehn Jahre
zuvor noch als Kristallisationsinstrument, d.h. als stark beeinflussbar, bewertet wurde
(Bruhn/Boenigk 1999: 72).
Abb. 1: Kategorisierung von Kommunikationsinstrumenten nach
Einflussnahme und Beeinflussbarkeit
Einflussnahme
Hohe Einflussnahme Niedrige Einflussnahme
Beeinflussbarkeit
Leitinstrumente Integrationsinstrumente
• Mediawerbung • Messen/Ausstellungen
Niedrige Beeinflussbarkeit • PR/Öffentlichkeitsarbeit • Event Marketing
• Multimedia- • Sponsoring
kommunikation • Verpackung
Kristallisationsinstrumente Folgeinstrumente
• Mitarbeiterkommunika- • Direct Marketing
tion
Hohe Beeinflussbarkeit • Persönlicher
Verkauf/Vertrieb
• Kundenbindung/CRM
• Verkaufsförderung
(Quelle: Bruhn 2006b: 74; Bruhn 2007: 119)

Auf eine klare Aufgabenteilung zwischen Marketing und Public Relations weist die
Studie von Haedrich et al. (1995: 619) hin. Demnach setzen Unternehmen Public Rela-
tions in erster Linie mit dem Ziel ein, ein positives Unternehmensimage aufzubauen
und zu erhalten sowie weitere unternehmensbezogene Zielsetzungen zu realisieren
(z.B. Förderung des unternehmerischen Ansehens bei relevanten gesellschaftspoliti-
schen Institutionen). Marketing wird indessen primär mit kunden- und produktbezoge-
nen Zielsetzungen verbunden, etwa der Kundenpflege bzw. Neukundengewinnung
oder der Bekanntmachung von Produkten. Unterschiedliche Schwerpunkte bei den
Zielen werden auch in der Unternehmensbefragung von Rolke deutlich, laut der im
Zielsystem des Marketing die Erzielung von Gewinn, Kundenzufriedenheit, Umsatz
und Image auf den vordersten Rängen auftauchen, bei Public Relations sind es indes-
sen Unternehmens- und Produktimage sowie die Erreichung eines positiven Ansehens
bei Institutionen (Rolke 2003: 20).
Ressourcenbezogene Aspekte: Wie die Unternehmensbefragungen andeuten, lässt
sich in der Praxis von der Bedeutung der Kommunikationsinstrumente nicht direkt auf
die Ressourcenverteilung schließen. So nimmt die Mediawerbung in der Studie von
Bruhn bei der Budgetzuteilung mit Abstand den ersten Rang ein, Public Relations folgt
trotz seiner strategischen Bedeutung erst auf Rang vier (Bruhn 2006b: 76; im Jahre
1997 noch auf Rang sechs, vgl. Bruhn/Boenigk 1997: 75). Dieselbe Tendenz weisen
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 305

auch die Befunde von Rolke auf. Während Marketing und Public Relations fast gleich
stark verantwortlich für das Image eines Unternehmens eingeschätzt werden (33 Pro-
zent bzw. 29 Prozent), empfehlen die befragten Experten eine Budgetverteilung von
2:1 (Rolke 2003: 23). Bei einer Prognose der zukünftigen Bedeutung der Kommunika-
tionsinstrumente werden allerdings für die klassische Werbung starke Verluste vorher-
gesagt, für die Produkt-PR hingegen eine Bedeutungszunahme.
Organisationsbezogene Aspekte: Aus den organisatorischen Befunden der Befra-
gung von Bruhn lässt sich darauf schließen, dass die Abteilungen Marketing und Pub-
lic Relations bei einer Vielzahl von Unternehmen den gleichen oder einen ähnlichen
Stellenwert genießen. So werden beispielsweise beide Abteilungen relativ ausgegli-
chen in strategische und operative Maßnahmen der Integrierten Kommunikation einbe-
zogen (Bruhn/Boenigk 1999: 29; Bruhn 2006b: 65). Dies spiegelt sich auch in ähnli-
cher Weise in den Ergebnissen von Haedrich et al. wider, nach denen bei 87 Prozent
der befragten Unternehmen Public Relations auf der ersten oder zweiten Hierarchie-
ebene angesiedelt ist (Haedrich et al. 1995: 623). Allerdings werden bei drei von vier
Unternehmen die PR-Aufgaben von einer Stabstelle übernommen, die in der Regel
nicht über Weisungsbefugnisse verfügt. Die Studie der Initiative IndustrieKultur unter
1.000 mittelständischen Industrieunternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass in mehr
als einem Drittel der befragten Unternehmen die Öffentlichkeitsarbeit der Marketing-
leitung untersteht, in gut 14 Prozent der Fälle der Vertriebsleitung und bei rund 7 Pro-
zent der Unternehmen der Werbeleitung. Weniger als ein Drittel der Unternehmen
können hingegen eine spezielle Stelle für Public Relations vorweisen (Initiative Indu-
strieKultur 2005). Die Zusammenarbeit von Marketing und Public Relations betreffend
kommen die Studien zu einem eher enttäuschenden Ergebnis. Zwar bewerten die von
Bruhn befragten Unternehmen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ab-
teilungen in beiden Fällen mehrheitlich positiv (Bruhn 2006b: 61), sowohl Haedrich et
al. (1995: 624) als auch Rolke (2003: 16) stellen jedoch wesentliche Defizite bei der
Koordination und Abstimmung der Bereiche fest. Insbesondere bei großen Unterneh-
men sind Marketing und Public Relations inhaltlich und organisatorisch getrennt, bei
kleinen Unternehmen erfolgt indessen die Verknüpfung dadurch, dass Public Relations
oftmals einen Teilbereich des Marketing darstellt.

2.2 Empirische Befunde aus den Vereinigten Staaten


Empirische Untersuchungen in den USA, die sich in den letzten Jahren mit dem Ver-
hältnis von Marketing und Public Relations auseinandersetzen, sind die Befragung von
Kirchner (2001) zur Überprüfung eines Stufenmodells der Integrierten Kommunikati-
on, bei der Kommunikationsverantwortliche (größtenteils Marketingverantwortliche)
in 789 amerikanischen Unternehmen im Jahr 1997 (Rücklaufquote 16 Prozent) befragt
wurden; das langfristige Projekt der IABC-Excellence-Study von Grunig/Grunig
(1998) zur Analyse der Erfolgsfaktoren von Public Relations, in dessen Rahmen vor-
nehmlich Vertreter der Geschäftsleitung sowie die PR-Verantwortlichen von 323 ame-
rikanischen Organisationen (Unternehmen, Non-Profit-Unternehmen, Regierungsbe-
306 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

hörden) befragt wurden sowie die Befragung von Hunter (1997) zum Verhältnis von
Marketing und Public Relations in Unternehmen, die an die Marketing- und PR-Abtei-
lungen von 300 der größten Unternehmen in den USA im Jahr 1996 gerichtet war
(Rücklaufquote 25 Prozent).
Inhaltliche Aspekte: Innerhalb eines Rankings der Bedeutung einzelner Kommuni-
kationsinstrumente aus Perspektive des Managements kommt Kirchner zu ähnlichen
Ergebnissen wie Bruhn: Auch bei den US-amerikanischen Unternehmen wird der Me-
diawerbung der höchste Stellenwert von den Befragten bescheinigt, Corporate- und
Produkt-PR folgen auf den Rängen drei und sechs (Kirchner 2001: 259). Intensiver mit
der Stellung von Public Relations setzen sich Grunig/Grunig auseinander. Ihre Studie
zeigt zum einen, dass aus Perspektive der Unternehmensleitung Public Relations von
großem Wert für den Unternehmenserfolg ist und ihre Bedeutung im Abteilungsver-
gleich als überdurchschnittlich eingeschätzt wird (Grunig/Grunig 1998: 149). Zum an-
deren wurde bei der Befragung aber auch deutlich, dass die PR-Fachleute bislang in
erster Linie routinemäßige Aufgaben erhalten, selten jedoch größere Projekte und Auf-
gaben im Rahmen des Strategischen Managements. Zur Steigerung der Bedeutung von
Public Relations ist es nach Ansicht der befragten Manager wichtig, Public Relations
stärker in die strategische Planung einzubeziehen und PR-Verantwortliche mit Füh-
rungspositionen im Unternehmen zu versehen. Darüber hinaus kommt die Auswertung
der Studie zu dem Ergebnis, dass die PR-Funktion im Unternehmen ihre Aufgaben am
erfolgreichsten wahrnehmen kann, wenn Marketing und Public Relations die gleiche
Unterstützung durch das Management erfahren (Grunig/Grunig 1998: 154). Wird Mar-
keting bevorzugt, so sind die Ergebnisse unterdurchschnittlich, bei einer Bevorzugung
von Public Relations durchschnittlich.
Ressourcenbezogene Aspekte: Anders als bei Bruhn/Boenigk und Rolke spiegelt
sich die Bedeutung der Kommunikationsinstrumente bei Kirchner unmittelbar in der
Budgetzuteilung wider. Der größte Anteil wird dabei der Mediawerbung zugewiesen,
gefolgt von Corporate- und Produkt-PR auf den Rängen zwei und sieben (Kirchner
2001: 259). Über personelle Ressourcen der Marketing- und PR-Abteilungen gibt die
Befragung von Hunter Aufschluss (Hunter 1997: 204f.). Hier zeigt sich, dass bei knapp
zwei Drittel der Unternehmen zwischen einem und 20 Mitarbeitern in den PR-
Abteilungen arbeiten. In den Marketingabteilungen sind es bei über 40 Prozent der Un-
ternehmen indessen mehr als 50 Mitarbeiter. Die ‚durchschnittliche‘ Marketingabtei-
lung mit 66 Mitarbeitern ist laut dieser Ergebnisse um 40 Mitarbeiter größer als die
‚durchschnittliche‘ PR-Abteilung.
Organisationsbezogene Aspekte: Die gleichwertige Anerkennung von Marketing
und Public Relations drückt sich in den Ergebnissen von Hunter u.a. darin aus, dass die
Funktionen bei zwei Drittel der befragten Unternehmen auf derselben Hierarchieebene
angesiedelt sind und bei den verbleibenden Unternehmen die Vorrangstellung mehr
oder weniger gleich verteilt ist (Hunter 1997: 200). Dies ist kongruent mit den bereits
aufgezeigten Befunden aus dem deutschsprachigen Raum. Darüber hinaus berichten
Marketing und Public Relations bei zwei Drittel der Unternehmen entweder direkt an
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 307

den CEO oder einen Vice President für Corporate Communications bzw. Marketing
(Hunter 1997: 201f.). Bezüglich der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit sind
die Ergebnisse bei Kirchner, ähnlich wie bei Rolke, kritisch zu bewerten. 17,5 Prozent
der Unternehmen gaben an, überhaupt keine Sitzungen mit Mitgliedern aller Kommu-
nikationsfunktionen abzuhalten, bei der Hälfte der Unternehmen wird dies nur selten
praktiziert (Kirchner 2001: 260; ähnlich auch die Ergebnisse bei Bloom 2007: 18). Die
Aufbauorganisation betreffend zeigt sich in der Studie, dass kommunikative Funktio-
nen sowohl in den Dachabteilungen Marketing, Unternehmenskommunikation, Perso-
nal oder Verkauf gebündelt werden, nicht jedoch in einer übergeordneten PR-
Abteilung (Kirchner 2001: 249ff.). Sowohl Corporate- als auch Produkt-PR berichten
bei einem Großteil der von Kirchner befragten Unternehmen statt dessen an die Unter-
nehmenskommunikation oder das Marketing. Organisationsbezogen ziehen Gru-
nig/Grunig in ihrer Studie die Schlussfolgerung, dass die PR-Aufgaben am erfolgreich-
sten zu erfüllen seien, wenn alle bestehenden Kommunikationsabteilungen in die PR-
Abteilung integriert oder zumindest alle Kommunikationsabteilungen durch die PR-
Abteilung koordiniert würden (Grunig/Grunig 1998: 146). Des Weiteren müsse Public
Relations Zugang zu allen wichtigen Entscheidungsträgern im Unternehmen erhalten,
in strategische Managemententscheidungen einbezogen und keiner anderen Abteilung,
wie Marketing oder Personal, untergeordnet werden.

2.3 Hauptergebnisse und Relativierungen der empirischen Befunde


Bei einer Interpretation der empirischen Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die
aufgeführten Studien auf unterschiedlichen methodischen Untersuchungsdesigns basie-
ren, verschiedenartige Schwerpunkte legen und unterschiedliche Funktionsträger be-
fragt wurden, sodass eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse nur begrenzt gegeben ist.
Einige wesentliche Tendenzen, die sich aus den Studien ablesen lassen, werden hier re-
lativiert zusammengefasst.
Insgesamt geht aus den Studien hervor, dass der Konflikt zwischen Marketing und
Public Relations von den Verantwortlichen in der unternehmerischen Praxis als weni-
ger gravierend wahrgenommen wird als es die Protagonisten in der Literatur häufig
darstellen. Bezogen auf die Rolle der Kommunikationsinstrumente geben die empiri-
schen Studien sowohl in den inhaltlichen als auch organisatorischen Aspekten oftmals
eher einen wünschenswerten Idealzustand wieder. Allerdings verdeutlichen die Studien
auch organisatorische Defizite, die sich vornehmlich auf die abteilungsübergreifende
Zusammenarbeit beziehen. Als Hauptergebnisse der empirischen Studien lassen sich
die folgenden fünf Punkte anführen:
1. Strategische Bedeutung für den Unternehmenserfolg haben aus Sicht der Befragten
beide Kommunikationsinstrumente, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Gewich-
tungen.
2. Die Bedeutung der Instrumente lässt nicht immer auf die Ressourcenzuteilung
schließen. So werden Marketing und Public Relations häufig gleichbedeutend für
308 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

den Unternehmenserfolg bewertet, dem Marketing werden aber in der Regel größe-
re Budgets und mehr Personal zugewiesen.
3. Die Aufgabenbereiche und Ziele von Marketing und Public Relations unterschei-
den sich wesentlich, woraus sich jedoch per se keine Vorrangstellung für eines der
Instrumente ableiten lässt.
4. Organisatorisch sind Marketing und Public Relations zumeist in separaten Abtei-
lungen strukturiert. Eine eindeutige Rangordnung lässt sich allerdings weder aus ih-
rer hierarchischen Ansiedelung noch aus den Berichtswegen ableiten.
5. Verbesserungspotenziale bestehen aus Sicht der Befragten vornehmlich in der in-
terdisziplinären Kooperation und Koordination beider Abteilungen.
Die Ergebnisse dürfen jedoch nicht zu dem Schluss verleiten, dass es sich zwischen
Marketing und Public Relations um ein ‚Scheingefecht‘ handelt. Hier liegt eine starke
Diskrepanz zwischen den Antworten in den empirischen Studien (sie unterliegen zum
Teil Verzerrungen aufgrund der Vorstellungen der Befragten, wie es sein sollte) und
der tatsächlichen Praxis vor. Das Problem der ‚sozial erwünschten Antworten‘ scheint
auch bei diesen Studien ein typischer Befragungseffekt zu sein. In der Realität handelt
es sich um Interessenkonflikte in Bezug auf Ressourcen (Budgets, Mitarbeitende), Ein-
fluss und Macht, die letztlich auf die Stellenbildung und das Agieren nach dem Profit-
Center-Prinzip zurückzuführen sind. Hinzu kommen ausgeprägte kulturelle Unter-
schiede zwischen beiden Abteilungen, die sich in einer eher offensiven Ausrichtung
von Marketingspezialisten und einer mehrheitlich defensiven, reaktiven Haltung von
PR-Managern ausdrücken (Bloom 2007: 18).
Insgesamt betrachtet lässt sich der Disput zwischen Marketing und Public Relations
auf das Kernproblem zurückführen, dass in der Kommunikation immer noch eine sehr
starke Funktionsbetrachtung erfolgt. Mit dieser funktionalen Sichtweise sind oftmals
verbunden:
• funktionale Abgrenzungs- und Abschottungstendenzen sowie die Provokation von
Ressortegoismen durch organisatorische Stellen- und Abteilungsbildungen,
• abteilungsbezogene Budgetierung, Kontrolle und Ergebniszuweisungen,
• Informationsverluste zwischen Kommunikationsabteilungen durch die Filterung
auf unterschiedlichen Hierarchieebenen,
• die Gefahr, dass sich viele Stellen für übergeordnete Aufgaben nicht zuständig
fühlen,
• Zeitverluste durch lange und formalisierte Kommunikationswege,
• Kreativitätsverluste und Demotivation bei den Mitarbeitern durch zu starke For-
malisierung der Informations- und Kommunikationsprozesse.
Zur Überwindung dieser Barrieren ist ein Übergang von einer Funktions- zu einer Pro-
zessbetrachtung notwendig, bei der nicht die funktional ausgerichteten Kommunikati-
onsinstrumente den Ausgangspunkt bilden, sondern die auf Zielgruppen ausgerichteten
Kommunikationsprozesse. Mit anderen Worten: Es gilt, die funktionale Sichtweise mit
einer prozessualen Ausrichtung zu verbinden, wobei die Prozessorientierung der Aus-
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 309

gangspunkt ist (vgl. ausführlich zur Prozessorientierung in der Kommunikation Ahlers


2006).

3 Planung und Abstimmung von Kommunikationsprozessen

3.1 Managementebenen der Unternehmenskommunikation


Den Ausgangspunkt für eine prozessuale Ausrichtung in der Unternehmenskommuni-
kation bildet ein Modell für die Unternehmenskommunikation mit drei Management-
ebenen (siehe Abb. 2).
Abb. 2: Managementebenen der Unternehmenskommunikation

Auf fachlicher Ebene bildet im Rahmen des Kommunikationsmanagements die Pla-


nung und Abstimmung der vielfältigen internen und externen Kommunikations-
instrumente den Ausgangspunkt. Dies erfordert eine Prozessanalyse, die die Kommu-
nikationsplanung in einzelne kommunikative – instrumenteneutrale – Teilprozesse zer-
legt. Auf organisatorischer Ebene erfolgt eine Auseinandersetzung mit der internen
Gestaltung der Koordination und Kooperation zwischen Kommunikationsfachabtei-
lungen (cross-funktionales Management) sowie die Zusammenarbeit mit den Agentu-
ren. Die personelle Ebene umfasst den Aufbau und Einsatz von Anreizsystemen für die
Verantwortlichen der Kommunikation (Unternehmen und Agenturen). Die einzelnen
Kommunikationsinstrumente haben sich diesem Prozess der Unternehmenskommuni-
kation konsequent unterzuordnen. Sowohl die Gestaltung der Organisationsstruktur als
auch die Entwicklung der Anreizsysteme hat mit dem Ziel zu erfolgen, durch eine
harmonische Zusammenarbeit der Kommunikationsinstrumente den Prozess der Un-
ternehmenskommunikation insgesamt zu fördern.

3.2 Fachliche Ebene (Prozessanalyse)

Bei einer prozessorientierten Betrachtung wird der klassische Planungsprozess der


Kommunikation (Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle) in instrumenteneutrale
310 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

kommunikative Teilprozesse zerlegt (Abb. 3; ähnlich Ahlers 2006: 136ff.). Im Gegen-


satz zur Funktionsbetrachtung erfolgt die Analyse der Anforderungen und Kommuni-
kationsbedürfnisse der Zielgruppen sowie die Strukturierung der Kommunikationsin-
strumente dabei nicht isoliert in den jeweiligen Abteilungen, sondern abteilungsüber-
greifend für die Gesamtkommunikation. Als Input-Variablen dienen neben Zielgrup-
peninformationen auch die übergeordneten Unternehmensziele. Im Verlauf der Pla-
nung und Umsetzung werden die Kommunikationsziele und -botschaften ebenfalls
nicht für einzelne Instrumente, sondern für die Gesamtkommunikation definiert. Erst
in einem folgenden Schritt werden die Kommunikationsinstrumente ausgewählt, die
quasi in einem großen ‚Werkzeugkasten‘ zur Verfügung stehen, aus dem situationsbe-
zogen solche Instrumente ausgewählt werden, die vor dem Hintergrund der Bedürfnis-
se der Zielgruppen sowie der definierten Kommunikationsziele und -botschaften am
besten zur Realisierung des Kommunikationserfolges geeignet erscheinen (s.a. Hunter
2000: 3). Die Integration von Zielen, Botschaften und Kommunikationsinstrumenten
gewährleistet, dass in der externen Kommunikation keine Widersprüche auftreten und
die Aussagen des Unternehmens durch inhaltliche, formale und zeitliche Einheitlich-
keit geprägt sind. Auch die Erfolgskontrolle der Integrierten Kommunikation wird bei
der Prozessbetrachtung nicht isoliert für einzelne Kommunikationsinstrumente durch-
geführt, sondern es werden übergeordnete Marken-, Kunden- und Imagewerte erfasst
(Output-Variablen). Entsprechend der instrumenteübergreifenden Durchführung von
Kontroll- und Ergebniszuweisungen erfolgt auch die Ressourcenverteilung nicht abtei-
lungsbezogen. Stattdessen werden Budgets, Personal und Zeit einem speziellen Kom-
munikationsmix entsprechend den erwarteten Output-Variablen zugewiesen (s.a. einen
ähnlichen Ansatz zur finanziellen Integration bei Schultz/Schultz 1998: 24f.). Letztlich
geht es darum, den Erfolgsbeitrag der einzelnen Kommunikationsinstrumente auf
Werttreiber der Kommunikation (Marken, Image, Kundenbeziehungen) zu identifizie-
ren. Dies erfordert allerdings auch die Messbarkeit und damit die Nachweisbarkeit die-
ser Wirkungseffekte durch die Vertreter der Kommunikationsinstrumente.
Die Prozessbetrachtung verdeutlicht, dass im Rahmen der Analyse, Planung, Um-
setzung und Kontrolle der Gesamtkommunikation die Zusammenarbeit einer Vielzahl
von Abteilungen erforderlich ist. Hierzu zählen neben den klassischen Kommunikati-
onsabteilungen auch ‚kommunikationsfremde‘ Abteilungen (z.B. Database Manage-
ment, Kundendienst), die spezielle kommunikationsbezogene Aufgaben übernehmen.
Darüber hinaus ist an unternehmensexterne Agenturen zu denken, die an der Entwick-
lung der Kommunikationsstrategie beteiligt werden. Auf organisatorischer Ebene steht
infolgedessen die Frage im Mittelpunkt, wie eine effiziente und zugleich harmonische
Kooperation der Abteilungen realisiert werden kann.
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 311

Abb. 3: Prozessbetrachtung der Unternehmenskommunikation

3.3 Organisatorische Ebene (Cross-funktionale Teams)

Der Einsatz cross-funktionaler Teams wurde bislang in Zusammenhang mit einer Viel-
zahl von Problemstellungen diskutiert, insbesondere mit der Neuproduktplanung (z.B.
Kahn 1996; Menon/Jaworski/Kohli 1997; Kahn/Mentzer 1998), dem Total Quality
Management (z.B. Powell 1995; Evans/Anderson/Sweeny 1997), der Marketingpla-
nung (z.B. Shipley 1994; Lane/Clewes 2000; Krohmer/Homburg/Workman 2002) so-
wie der Integrierten Kommunikation (Steinmann/Zerfaß 1995; Duncan/Moriarty 1997;
Schultz/ Schultz 1998; Zerfaß 2004; Ahlers 2006; Bruhn 2006a). Im Kern geht es da-
bei um eine Aufhebung der Starrheit der Aufbauorganisation von Unternehmen. Ziel
ist es, die Effektivität und Effizienz von Prozessen im Unternehmen zu optimieren so-
wie langfristig die Performance einzelner Geschäftsbereiche und die Kundenzufrie-
denheit zu erhöhen. Erreicht wird dies durch eine Optimierung der Kooperation und
Koordination verantwortlicher Abteilungen sowie durch eine bessere Ausnutzung von
Synergieeffekten. Darüber hinaus können cross-funktionale Teams dazu dienen, Kon-
flikte zwischen Abteilungen, die mit einer funktionalen Sichtweise verbunden sind
(z.B. ‚Ressortdenken‘), zu lösen und das Spezialwissen von Abteilungen in die Prozes-
se einfließen zu lassen. Da die Aufbauorganisation des Unternehmens in den Hinter-
grund rückt, lassen sich Widerstände beseitigen, die in der Hierarchisierung der Unter-
nehmensorganisation liegen. In der Folge können Entscheidungen im Unternehmen
glaubwürdiger kommuniziert werden und auf mehr Unterstützung in allen Abteilungen
sowie auf allen Hierarchieebenen hoffen.
Eine wesentliche Voraussetzung zur Realisierung der Ziele cross-funktionaler Zu-
sammenarbeit besteht in der Zusammensetzung der Teams. Zur Vermeidung von Kon-
flikten bei einer ungleichen Repräsentation von Abteilungen haben sich die Teams so-
wohl aus Fachexperten der Linie und den Stäben sowie aus Mitgliedern der verschie-
denen Kommunikationsabteilungen und Stelleninhabern unterschiedlicher Instanzen zu
312 Manfred Bruhn / Grit Mareike Ahlers

bilden. Wie stark welche Kommunikationsabteilungen repräsentiert sind und wer den
Vorsitz eines Teams übernimmt, ist situationsspezifisch in Abhängigkeit von der
kommunikativen Problemstellung zu entscheiden. Für den Vorsitz infrage kommen
Vertreter aus der Unternehmens- oder Marketingleitung, PR-Verantwortliche, Kom-
munikationsmanager u.a.m. In der Gestaltung der teaminternen Zusammenarbeit gilt es
zudem deutlich zu machen, dass – anders als bei der Funktionsbetrachtung – nicht von
Bedeutung ist, ob Marketing oder Public Relations als strategische oder taktische In-
strumente im Unternehmen betrachtet werden. Die Vertreter aller Kommunikationsin-
strumente haben die gleiche Unterstützung zu erfahren und sind gemeinsam sowohl für
taktische als auch strategische Aufgaben einzusetzen.

3.4 Personelle Ebene (Anreizsysteme)


Die Entwicklung von Anreizsystemen im Rahmen der Prozessbetrachtung dreht sich
um die Fragestellung, wie die Arbeit innerhalb der cross-funktionalen Teams durch die
Gestaltung materieller und immaterieller Anreize gefördert werden kann. Die Anreiz-
systeme übernehmen dabei eine Mittlerfunktion zwischen dem übergeordneten Mana-
gementmodell der Kommunikation, der Prozessbetrachtung sowie der Führung der
Mitarbeitenden. Ihr Ziel liegt darin, zum einen erwünschte Verhaltensweisen der Ver-
antwortlichen durch die Schaffung positiver Anreize zu fördern und zum anderen un-
gewollte Verhaltensweisen durch die Einführung von Sanktionen zu unterbinden. Auf
diese Weise wird erreicht, dass die Verantwortlichen für die Kommunikation die Ei-
geninteressen ihrer Abteilungen in den Hintergrund stellen und sich auf die Realisie-
rung der Ziele der Gesamtkommunikation konzentrieren. Darüber hinaus kann durch
die Entwicklung spezieller Anreizsysteme eine angestrebte Unternehmenskultur geför-
dert werden, die auch eine gegenseitige Akzeptanz der Mitarbeitenden unterschiedli-
cher Kommunikationsabteilungen beinhaltet. In der konkreten Ausgestaltung der An-
reizsysteme sind sowohl materielle als auch immaterielle Anreize denkbar. Materielle
Anreize können beispielsweise als variable Entgeltzulagen in Abhängigkeit der Erfolge
eines Kommunikationsprojektes vergeben werden. Immaterielle Anreize sind möglich
in Form der Gestaltung von Arbeitsinhalten der Mitarbeitenden, der Zubilligung ge-
wisser Autonomie im Handeln oder der Partizipation an speziellen Kommunikations-
projekten.

4 Zusammenfassung
Den Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag lieferte das Verhältnis zwischen
Marketing und Public Relations, das sowohl in Wissenschaft als auch Praxis wieder-
kehrende Diskussionen provoziert. Bei einer Betrachtung der unterschiedlichen Kon-
flikte lassen sich eine Hierarchie-, Akzeptanz-, Strategie-, und Ressourcendimension
identifizieren, die im Rahmen konkreter Anlässe im Unternehmen (z.B. der Verant-
wortungszuweisung) zum Vorschein treten. Insgesamt lässt sich der Disput in weiten
Teilen auf eine funktionale Betrachtung der Kommunikation zurückführen, wie sie
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 313

heute in der Praxis stark verbreitet ist. Eine Prozessbetrachtung bietet vor diesem Hin-
tergrund die Möglichkeit einer Beseitigung (oder zumindest Abschwächung) bestimm-
ter Konflikte zwischen Marketing und Public Relations, womit letztlich auch der Ge-
samtkommunikation geholfen ist. Die Prozessanalyse der Unternehmenskommunikati-
on fügt sich dabei in das übergeordnete Managementmodell der Unternehmenskom-
munikation ein und wird durch cross-funktionale Teams und entsprechende Anreizsy-
steme umgesetzt. Für Unternehmen sind mit dieser Betrachtungsweise eine Vielzahl
neuer Herausforderungen sowohl auf inhaltlich-konzeptioneller (Analyse und Gestal-
tung des Prozesses der Unternehmenskommunikation), organisatorisch-struktureller
(Implementierung cross-funktionaler Teams) als auch personell-kultureller (Schaffung
von Anreizsystemen) Ebene verbunden. Eine Reaktion auf diese Herausforderungen
kann nicht kurzfristig erfolgen, sondern ist mit einem langfristigen Lernprozess ver-
bunden, in den auch die Kommunikationsagenturen zu integrieren sind. Am Ende der
Bemühungen ist jedoch zu erwarten, dass bestehende Konflikte zwischen Kommunika-
tionsabteilungen überwunden sind und die strategische Bedeutung der Gesamtkommu-
nikation für das Unternehmen an Gewicht gewonnen hat.

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Autorenverzeichnis

GRIT MAREIKE AHLERS, Jahrgang 1975, Dr. Dipl-Kffr., Studium der Betriebswirtschaftslehre in Bay-
reuth und Madrid; Auslandsaufenthalte in Spanien, Australien, USA; div. praktische Erfah-
rungen in Industrie und Beratung; seit 2006 Teamleiterin Brand Development BOSS Oran-
ge & BOSS Green, zuvor wiss. Assistentin am Lehrstuhl von Prof. Bruhn in Basel.

BARBARA BAERNS, Prof. Dr., 1989 bis 2004 Professorin für Theorie und Praxis des Journalismus und
der Öffentlichkeitsarbeit im Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, der
Freien Universität Berlin. Aufbau und Leitung des Studienschwerpunkts Öffentlichkeitsar-
beit und des postgradualen integrierten Studiengangs European Master’s Degree in Public
Relations (Communication Management). 1982 bis 1989 Professorin für Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Habilitation und Venia le-
gendi 1982 (Ruhr-Universität Bochum). Promotion 1967 (FU Berlin). Vorher sieben Jahre
lang praktische Tätigkeit, einerseits als politische Redakteurin und andererseits in der Öf-
fentlichkeitsarbeit.

MANFRED BRUHN, Prof. Dr., Ordinarius für Betriebswirtschaftlehre, insbesondere Marketing und Un-
ternehmensführung am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel. Aka-
demische Ausbildung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 1983 bis
1995 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Handel an der European Business School,
Private Wissenschaftliche Hochschule Oestrich-Winkel. Seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls
für Marketing und Unternehmensführung der Universität Basel; seit 2005 Honorarprofessor
an der Technischen Universität Münschen. Zahlreiche Publikationen zu den Schwerpunkten
Strategische Unternehmensführung, Dienstleistungsmanagement, Relationship Marketing,
Kommunikationspolitik, Markenpolitik, Qualitätsmanagement, Internes Marketing.

MARK EISENEGGER, Jahrgang 1965, Dr. phil., Studium der Soziologie, Publizistikwissenschaft und
Informatik an der Universität Zürich; seit 1998 Leitungsmitglied des fög – „Forschungsbe-
reichs Öffentlichkeit und Gesellschaft“ der Universität Zürich; seit 2005 Vorstand des „Eu-
ropean Centre for Reputation Studies“ (ECRS) mit Sitz in Zürich und München; 2003 Dis-
sertation mit dem Titel „Reputation in der Mediengesellschaft“, erschienen im VS Verlag;
Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre: Reputationsforschung, Wandel der Wirt-
schaftskommunikation, Öffentlichkeitssoziologie.

SUSANNE FEMERS, Jahrgang 1962, Prof. Dr. phil., studierte Psychologie an der TU-Berlin und pro-
movierte am Forschungszentrum Jülich zum Thema Risikokommunikation. Nach acht Jah-
ren PR-Beratung bei Kohtes & Klewes, Bonn, sowie Medical Relations, Langenfeld, trat
sie 1998 eine Professur in „Kommunikation und Wirtschaftspsychologie“ an der Fachhoch-
schule Bonn-Rhein-Sieg an. 2001 folgte sie einem Ruf an die FHTW Berlin, wo sie im Stu-
diengang Wirtschaftskommunikation die Professur „Text, Rhetorik und das Management
internationaler Kommunikationsprozesse“ innehat.

KURT IMHOF, Jahrgang 1956, Prof. Dr. phil., Studium der Geschichte, Soziologie und Philosophie an
der Universität Zürich; seit 1997 Leiter des fög – „Forschungsbereich Öffentlichkeit und
Gesellschaft“ der Universität Zürich; seit 2000 ordentlicher Professor für Publizistikwissen-
schaft und Soziologie an der Universität Zürich; Arbeitsschwerpunkte: Öffentlichkeits- und
Mediensoziologie, Soziologie sozialen Wandels, Minderheitensoziologie.
318 Autorenverzeichnis

OTFRIED JARREN, Jahrgang 1953, Prof. Dr. phil., Professor für Publizistikwissenschaft am IPMZ –
Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Von
1989-1997 Professor für Journalistik mit dem Schwerpunkt Kommunikations- und Medien-
wissenschaft an der Universität Hamburg. Arbeitsgebiete: Medien und gesellschaftlicher
Wandel, Mediensystem und Medienstrukturen, Medien und politische Kultur, politische
Kommunikation, Kommunikations- und Medienpolitik.

KLAUS KOCKS, Jahrgang 1952, Prof. Dr., studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Germani-
stik und Philosophie an der Ruhr Universität Bochum, promovierte summa cum laude über
Bertolt Brecht, legte das Assessorenexamen mit Auszeichnung ab und war nach beamteter
Lehrtätigkeit zwanzig Jahre als PR-Manager in internationalen Konzernen tätig, zuletzt als
Kommunikationsvorstand bei VW. Er ist heute selbständiger Kommunikationsberater
(CATO) und Meinungsforscher (VOX POPULI). Gast- und Honorarprofessuren an ver-
schiedenen Hochschulen. Publizist, Kolumnist.

MICHAEL KUNCZIK, Prof. Dr., Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. For-
schungsschwerpunkte: Medien und Gewalt, Public Relations; internationale Kom-
munikation (insb. Nationenimages); Ethik des Journalismus. Letzte Buchpublikationen:
Publizistik (mit A. Zipfel); Public Relations Konzepte und Theorien (4. Aufl.); Images of
Nations and International Public Relations; Ethics in Journalism (Hrsg.), Kriegsberichter-
stattung (in rumänischer Sprache); Medien und Gewalt.

MATTHIAS KUSSIN, Dipl.-Soz., studierte und promovierte an der Fakultät für Soziologie der Universi-
tät Bielefeld und war zudem dort mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Weltgesellschaft. Zuvor war er studienbegleitend als Projektleiter in einer Unterneh-
mensberatung für Kommunikation tätig. Derzeit arbeitet er als Referent in der Abteilung für
Public Affairs/Energiepolitik eines deutschen Energieversorgungsunternehmens.

KLAUS MERTEN, Prof. Dr., Studium der Mathematik und Informatik an der TH Aachen, der Ge-
schichte, Publizistik und Soziologie an der Universität Münster, der Soziologie und Ma-
thematik an der Universität Bielefeld. 1972 Wiss. Assistent an der Fakultät für Soziologie,
1975 Promotion bei N. Luhmann über den Kommunikationsbegriff, 1979 Professor für em-
pirische Sozialforschung an der Universität Gießen, 1984 Professor für empirische Kom-
munikationsforschung an der Universität Münster. Arbeitsgebiete: Theorie und Methoden
der Kommunikationsforschung, Wirkungsforschung, PR. Gründer von COMDAT Medien-
forschung GmbH, PR+plus GmbH und und com+plus GmbH. Top Award International
Communiation Association (ICA, 1976) und Thyssenstiftung (1991).

HOWARD NOTHHAFT, M.A., Jahrgang 1973, Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft,
Anglistik und Philosophie an der Universität Leipzig. Seit 2003 wissenschaftlicher Mitar-
beiter in der Abteilung Public Relations/Kommunikationsmanagement der Universität
Leipzig. 2004 mit dem Albert-Oeckl-Preis der DPRG ausgezeichnet; von 2004 bis 2006
Stipendiat der HERINGSCHUPPENER Unternehmensberatung für Kommunikation
GmbH. Nothhaft schließt derzeit sein Dissertationsprojekt ab, in welchem er Kommunikati-
onsdirektoren im Rahmen einer Beobachtungsstudie begleitete. Daneben ist er als Senior
Consultant in der strategischen Kommunikationsberatung tätig. Interessensgebiete: Kom-
munikationsmanagement, Strategie- und Konzeptionslehre, Lobbying/Public Affairs.
Zur Rolle von Marketing und Public Relations in der Unternehmenskommunikation 319

LARS RADEMACHER, Prof. Dr. phil., Jahrgang 1972, Studium der Literatur- und Medienwissenschaf-
ten, Wirtschaftswissenschaften, Kath. Theologie und Philosophie in Siegen und Hagen;
Promotion in Medienwissenschaften und Volontariat. Sechs Jahre Berater und stellv. Ge-
schäftsführer in PR-Agenturen (Touristik, Finanzdienstleistungen, IT, Automotive, Food);
anschließend Leiter Kommunikation des preisgekrönten Wissenschaftsmuseums Phaeno in
Wolfsburg; zuletzt Pressesprecher in der Konzernkommunikation der BASF SE in Lud-
wigshafen. Daneben diverse Lehraufträge und Gastprofessuren. Seit 2008 Professur für
PR/Kommunikationsmanagement an der Macromedia Hochschule für Medien und Kom-
munikation (MHMK) in München und Leiter der Fachrichtung PR im Studiengang Medi-
enmanagement.

JULIANA RAUPP, Prof. Dr. phil., seit April 2006 Professorin für Publizistik- und Kommunikationswis-
senschaft mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation an der FU Berlin. Studium
der Kommunikationswissenschaft und der Politikwissenschaft an der Universität von Am-
sterdam. Mehrjährige Berufspraxis in der Öffentlichkeitsarbeit. Promotion im Jahr 2000
(FU Berlin), Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leitung eines DFG-
Projekts zur Rolle der Meinungsforschung in der Politikvermittlung. Arbeitsschwerpunkte:
Organisationskommunikation, Öffentlichkeitsarbeit/PR, Politische Kommunikation.

LOTHAR ROLKE, Jahrgang 1954, Prof. Dr., lehrt Betriebswirtschaftslehre und Unternehmens-
kommunikation an der Fachhochschule Mainz, University of Applied Sciences. Er ist dort
Sprecher des Studienschwerpunktes Kommunikationsmanagement. Von 1989 bis 1996 war
Rolke Geschäftsführender Gesellschafter der Reporter PR GmbH und Sprecher der Ge-
schäftsführung. Für zwei Jahre gehörte er dem Präsidium der Gesellschaft der Public Rela-
tions Agenturen (GPRA) an. Von 2000 bis zur Übernahme durch den AWD 2002 war er
Mitglied des Aufsichtsrats der Tecis AG. Rolke studierte Politologie, Politische Ökonomie,
Psychologie, Empirische Sozialforschung und Germanistik. Rolke hat zahlreiche Aufsätze
und Bücher zur Unternehmenskommunikation veröffentlicht.

ULRIKE RÖTTGER, Jahrgang 1966, Prof. Dr. phil., Dipl.-Journ., seit 2003 Professorin für Public Rela-
tions am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster; Studium der Journalistik in Dortmund; 1994-1998 wiss. Mitarbeiterin am Institut
für Journalistik der Universität Hamburg; 1998-2002 Oberassistentin am IPMZ – Institut
für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich; seit Mai 2008
Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft.
Arbeitsschwerpunkte im Themenfeld Public Relations/Organisationskommunikation u.a.:
Kampagnenkommunikation, Issues Management, CSR-Kommunikation, PR-Beratung, PR-
Berufsfeldforschung, PR-Evaluation.

MANFRED RÜHL, Univ.-Prof. em., Dr. habil., Dr. rer. pol., Dipl.- Volksw., geb. 1933. Bis 1999 Inha-
ber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität
Bamberg. Arbeitsgebiete: Allgemeine Kommunikationswissenschaft, Kommunikationspoli-
tik, Journalistik, Public Relations.

PETER SZYSZKA, Jahrgang 1957, Prof. Dr., seit April 2004 Professor für Organisationskommunikation
am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften, Winterthur; zuvor Leiter des Instituts für Kommunikationsmanagement
der Fachhochschule Osnabrück/Lingen. Mehrjährige Beratungstätigkeit in den Bereichen
320 Autorenverzeichnis

Unternehmen und öffentliche Verwaltung. Vorsitzender der Jury des Deutschen PR-Preises.
Seit 1990 nebenberuflich Trainer und Berater in der PR-Erwachsenenbildung in Deutsch-
land und der Schweiz. Zahlreiche Publikationen zu Fragen von Theorie und Praxis des
Kommunikationsmanagements. Mitherausgeber des „Handbuchs der Public Relations“,
Wiesbaden 2005.

STEFAN WEHMEIER, Jahrgang 1968, Dr. Phil, seit September 2008 Assistant Professor im Department
of Marketing und Management der University of Southern Denmark in Odense. Zuvor
Lehrstuhlvertretung Kommunikationswissenschaft und Juniorprofessur für Kommunikati-
onswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation an der Universität
Greifswald. Davor wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Öffentlichkeitsarbeit/PR der
Universität Leipzig. Außeruniversitäre Berufspraxis als PR-Referent und Redakteur. Publi-
kationen/Interessen: u.a. PR-Theorie, Online-PR, CSR, PR-Geschichte, PR und Journalis-
mus.

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