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Band 23
Jochen Koch • Jörg Sydow (Hrsg.)
ISSN 1615-6005
ISBN 978-3-658-02997-5 ISBN 978-3-658-02998-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-658-02998-2
Springer Gabler
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Zur Managementforschung
Ziel der „Managementforschung“ ist es, einen Überblick über den aktuellen Stand und
Ergebnisse der Forschung zu Managementproblemen zu geben; zugleich soll sie ein Dis-
kussionsforum für neue Trends und Strömungen sein. Die „Managementforschung“ richtet
sich an Forscher und Studierende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie an wis-
senschaftlich interessierte Praktiker und Managementtrainer.
Die „Managementforschung“ ist am Institut für Management der Freien Universität Berlin
entstanden und erscheint seit 1991 jährlich. Sie wurde zusammen mit Wolfgang H. Staehle (†)
gegründet und viele Jahre von Georg Schreyögg zusammen mit Peter Conrad und Jörg
Sydow herausgegeben. Als neuer Mitherausgeber konnte Jochen Koch gewonnen werden,
der ab Band 22 an die Stelle von Georg Schreyögg tritt. Der Schwerpunkt liegt nach wie vor
auf innovativen Forschungsbeiträgen zu zentralen Gebieten des Managements. Neben
anerkannten Fachvertretern haben auch qualifizierte Nachwuchswissenschaftler die Gele-
genheit, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen. Disziplinäre Offenheit ist Programm. Die
Herausgeber werden bei der Akquisition, Begutachtung und Auswahl geeigneter Beiträge
durch einen Beirat unterstützt. Dem Herausgeberbeirat gehören zurzeit an:
aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre
Prof. Dr. Albrecht Becker, Universität Innsbruck
Prof. Dr. Peter Eberl, Universität Kassel
Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Oskar Grün, Wirtschaftsuniversität Wien
Prof. Dr. Axel Haunschild, Leibniz-Universität Hannover
Prof. Dr. Werner Hoffmann, Wirtschaftsuniversität Wien
Prof. Dr. Dirk Holtbrügge, Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Helmut Kasper, Wirtschaftsuniversität Wien
Prof. Dr. Dieter Sadowski, Universität Trier
Prof. Dr. Bernd Schauenberg, Universität Freiburg
Prof. Dr. Frank Schirmer, Technische Universität Dresden
Prof. Dr. Antoinette Weibel, Universität Konstanz
Prof. Dr. Jürgen Weibler, FernUniversität in Hagen
Prof. Dr. Uta Wilkens, Universität Bochum
aus dem Bereich der Arbeits- und Organisationssoziologie bzw. -psychologie
und der Politologie
Prof. Dr. Christoph Deutschmann, Universität Tübingen
Prof. Dr. Ulrich Jürgens, Wissenschaftszentrum und Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Peter Kappelhoff, Bergische Universität Wuppertal
Prof. Dr. Friedemann Nerdinger, Universität Rostock
Prof. Dr. Sigrid Quack, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln
Die Manuskripte werden einem anonymen „doppelt blinden“ Begutachtungsprozess un-
terzogen. Regelmäßig sind an der Begutachtung eines Beitrages Vertreter unterschiedlicher
Disziplinen beteiligt. Auf der Grundlage der Gutachten wird über die Akzeptanz sowie
über Art und Umfang der gewünschten Überarbeitung des Manuskriptes entschieden.
Jeder Band der „Managementforschung“ ist somit das Ergebnis einer engen Kooperation
zwischen Autoren, Beiräten und Herausgebern.
Vorwort
Temporalität und Temporäres prägen Management und Organisation in fundamentaler
Weise. Gleichwohl wird die Dimension der Zeit in der Managementforschung jenseits des
in der Praxis so beliebten „Zeitmanagements“ konzeptionell wie empirisch noch immer
stiefmütterlich behandelt; und dies, obwohl Zeit – zum Beispiel als Rhythmisierung oder
Terminierung einer Aufgabe – eine wichtige Bedingung des Managements darstellt oder –
etwa als Fristeinhaltung oder Fristüberschreitung – das Ergebnis von Managementhandeln
in einer für den wirtschaftlichen Erfolg von Organisationen oftmals zentralen Art und Wei-
se beeinflusst. Dieses Forschungsdefizit wird nicht zuletzt angesichts der jüngsten, immer
stärkeren Verbreitung von Projekten und anderen temporären Organisationsformen wie
geplanten Events, befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder Projektnetzwerken unmit-
telbar virulent.
Befasst man sich von Forschungsseite mit Temporalität und Temporärem, so fällt einerseits
jedoch schnell auf, dass die dringend gebotene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
dem Themenbereich theoretisch und auch methodisch ein extrem anspruchsvolles Unter-
fangen ist. Dies liegt zum einen an der jahrelangen Vernachlässigung der Zeitdimension,
die selbst einer Reihe von Prozesstheorien zu attestieren ist. Zum anderen ist die Theoreti-
sierung von Zeit auch in benachbarten Disziplinen wie Philosophie, Psychologie und Sozio-
logie unzulänglich, oder wird nicht hinreichend von der Managementforschung rezipiert.
Darüber hinaus sind mit Dauer, Tempo, Beschleunigung und Timing (Grzymala-Busse)
zwar neben der Sequenzialität die wohl wichtigen Aspekte von Temporalität benannt; die
Notwendigkeit einer konzeptionellen Erfassung der Bezogenheit der Gegenwart auf bzw.
Verschränkung mit Vergangenheit und Zukunft droht sogar schon wieder zu einem Ge-
meinplatz zu degenerieren. Nicht zuletzt diese Gemengelage hat uns veranlasst, diesen
Band 23 der Managementforschung dem Thema Zeit und der Frage nach der Bedeutung von
zunächst Temporalität und sodann Temporärem zu widmen.
Im Auftaktbeitrag befasst sich Günther Ortmann mit der Temporalform von organisationa-
len Paradoxien, d.h. Konstellationen, in denen die Bedingungen der Möglichkeit einer Ope-
ration zugleich die Bedingungen ihrer Unmöglichkeit implizieren. Er unterscheidet dabei
fünf konzeptionell differenzierbare Unterfälle und zeigt jeweils anhand einer Reihe von
theoretischen wie praktischen Beispielen, dass es für den organisationalen Umgang mit
Noch nicht/nicht mehr-Konstellationen keine wirklichen Lösungen, sondern nur Paradoxie-
entfaltungen und somit Problemverschiebungen gibt. In diesem Sinne kann der Beitrag
auch dahin gelesen werden, wie in Organisation und Management Zeit sichtbar gemacht
werden kann und welche Bedeutung Zeit jenseits aller chronologischen Vorstellungen für
Organisationen besitzt.
Im zweiten Beitrag von Stephanie Duchek und Stefan Klaußner geht es um die Analyse des
Umgangs mit Unerwartetem durch eine dafür ad-hoc eingerichtete, temporäre Organisa-
tionseinheit (Team). Vor dem Hintergrund des Sensemaking-Ansatzes von Weick zeigen
die Autoren in einer explorativ angelegten Einzelfallstudie, wie die Bundesanstalt für Ma-
VIII Vorwort
terialforschung und -prüfung mit einer sich ihr plötzlich gestellten Sonderaufgabe („großer
Schadensfall“) umgeht und wie sie diese Aufgabe organisational be- und verarbeitet hat.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Verhältnis von die Organisation stabilisieren-
den und flexibilisierenden Elementen. Der Beitrag eröffnet insgesamt einen interessanten
Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen, Unerwartbares durch eine Balance aus organi-
sationalen Routinen und Einzelfallentscheidungen in (schnell) zu Bearbeitendes zu über-
führen. Darüber hinaus werden auch die motivationalen Implikationen, die eine solche
Organisationsform für die einzelnen Organisationsmitglieder hat, reflektiert.
Im dritten Beitrag untersucht Christian Noss die Möglichkeit, im Rahmen eines strategi-
schen Managements zeitinduzierte Wettbewerbsvorteile zu generieren. Beginnend mit
einem Überblick über die umfassende Forschung zu Strategieinhalt und Strategieprozess
und einer Kritik genau dieser Unterscheidung aus einer zeittheoretischen Betrachtung trägt
der Verfasser dieses Beitrags das bislang fragmentierte Wissen aus dem Strategischen Ma-
nagement zusammen und integriert es in eine eigene Konzeption temporaler strategischer
Wettbewerbsvorteile. Die Sinnhaftigkeit dieser Konzeption wird am Beispiel von Apple mit
Blick auf wichtige zeittheoretische Unterscheidungen (Tempo, Sequenz, Periodizität, Dauer
und Tempo) illustriert.
Die auf diese drei Beiträge folgenden widmen sich allesamt temporären Organisationsfor-
men. Dennis Schoeneborn geht in seinem Beitrag der Frage nach den Möglichkeiten und
Grenzen von projektübergreifendem Lernen nach und adressiert damit ein für temporäre
Organisationsformen zentrales Problem. Er untersucht dies auf der Basis eines sowohl kon-
zeptionell wie empirisch sehr speziellen Zugriffs: einer kommunikationszentrierten Analy-
se von Projektabschlussberichten von Beratungsprojekten bzw. der konkreten Form ihrer
Dokumentation. Der Autor argumentiert, dass eine zentrale Voraussetzung, Wissen pro-
jektübergreifend verfügbar zu machen, darin liegt, Verknüpfungen zwischen Kommunika-
tionsereignissen in der Zeit rekonstruierbar zu halten. Die zunehmende Tendenz, Projekte
im Wesentlichen auf der Basis der Präsentationssoftware PowerPoint zu dokumentieren,
erweist sich diesbezüglich als erwartungsgemäß wenig geeignet. Damit stellt sich unter
anderem die Frage, ob den mit solchen oder ähnlichen Formen der Projektdokumentation
in Kauf genommenen Möglichkeiten des organisationalen Vergessens nicht eine eigene
Funktionalität im Rahmen temporärer Organisationen zukommt.
Der anschließende Beitrag von Simon Dischner, Jost Sieweke und Stefan Süß basiert empirisch
ebenfalls auf dem Bereich der Unternehmensberatung und befasst sich mit Beratung im
Lichte temporärer interorganisationaler Projekte. Vor dem Hintergrund einer explorativen
Studie interessieren sich die Autoren insbesondere für die Fragen der Konstitution, Genese
und Folgen von Regeln in interorganisationalen Projekten, und zwar sowohl von formalen
als auch informalen Regeln. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht u.a. die Idee, Regeln in
ihrer ambivalenten Rolle als Problemlösung und zugleich Problemverstärker zu verstehen.
Die Autoren verdeutlichen dies insbesondere mit Blick auf Projekte als temporäre Systeme
hinsichtlich der Zeitdimension und dem Effekt, dass Regeln die Folgen von Temporalität
im Sinne von zeitlichen Limitationen zugleich abmildern aber auch verstärken können.
Vorwort IX
Der diesen Band beschließende Beitrag ist dem Thema des Event-Managements im weite-
ren Sinne gewidmet. Elke Schüßler und Gordon Müller-Seitz entwickeln ihre Überlegungen
dabei aus einer neuen Perspektive, indem sie zwei bisher praktisch getrennte Forschungs-
bereiche konzeptionell miteinander in Beziehung setzen. Dies ist zum einen der For-
schungsbereich, der sich mit organisierten, sogenannten „Field-Configuring Events“ aus-
einandersetzt. Zum anderen handelt es sich um Forschungsarbeiten, die mit dem organisa-
tionalen Umgang mit unerwarteten Ereignissen wie Krisen und Katastrophen befasst sind.
Die Autoren argumentieren für einen aus einer Prozessperspektive heraus entwickelten
Vergleich und zeigen systematisch auf, wie sich beide Theoriebereiche wechselseitig be-
fruchten können.
Insgesamt dokumentiert der vorliegenden Band der Managementforschung nicht nur den
Stand der Forschung zur Temporalität sowie zum Temporären. Vielmehr weist jeder Bei-
trag über den derzeitigen Stand hinaus, indem entweder originelle konzeptionelle Ideen
oder überraschende empirische Einsichten präsentiert bzw. entsprechende Wissenslücken
und damit zukünftiger Forschungsbedarf aufgezeigt werden.
Frankfurt (Oder) und Berlin-Dahlem im Mai 2013 Jochen Koch und Jörg Sydow
Inhaltsverzeichnis
Strategisches Management und Zeit – Auf dem Weg zu einem integrativen Konzept
zeitinduzierter Wettbewerbsvorteile
Christian Noss ........................................................................................................................... 83
Zusammenfassung
Wenn man darauf achtet, dass operative Paradoxien eine zeitliche Dimension haben und
wie sie sich im Laufe der Zeit verhalten, dann imponiert eine Noch-nicht/nicht-mehr-
Struktur: Erst „ging es“ noch nicht, dann aber, unmittelbar, soll heißen: ohne dass es zu
einem Nun-aber gekommen wäre, geht es unweigerlich nicht mehr. Diese Konstellation wird
an einer Fülle organisationstheoretisch und -praktisch relevanter Fälle ausgemacht – zum
Beispiel am Fall von Zuständen, die wesentlich Nebenprodukt sind (Jon Elster), an den
Paradoxien der Wiederholung und des Entscheidens, am Fall des crowding out bei extrinsi-
scher Motivation u.a. Zwar werden „Lösungswege“ angeführt, unter anderem Selbstbin-
dung, aber eine Botschaft des Beitrags lautet: Es gibt auch Unmöglichkeiten und daher
Grenzen der Machbarkeit, die nicht (leicht) zu vermeiden sind. Daher folgen Überlegungen
zur Paradoxieentfaltung, näherhin zu „Problemverschiebung mit eingebauten Folgeprob-
lemen“, die dann an die Stelle echter Problemlösung treten kann.
Abstract
If one pays attention to the temporal dimension of operative paradoxes, a not yet/no longer-
structure catches one’s eye: first, “it” is not yet (it doesn’t yet work), then, necessarily and
immediately, without a “but now” having happened, it doesn’t and cannot come into being
(it doesn’t work) any longer. This constellation is made out under consideration of many
cases within organization theory and practice – e.g. states that are essentially by-products
(Jon Elster), paradoxes of iteration and of decision-making, “crowding out” by extrinsic
motivation, and others. Ways to resolve these problems are discussed (self-binding, among
others), but one of the article’s messages is: there are impossibilities and, therefore, re-
strictions of manageability not easy to evade. Because genuine solutions are not always
within reach, a concept of “unfolding paradoxes” is taken into consideration, namely
“problem displacement followed by resulting problems”.
Inhaltsübersicht
Was zu Grunde liegt: Paradoxien, temporal
1 Inhärente Paradoxien
1.1 Elster-Zustände; intrinsische Motivation
1.2 Das Gleiten der Zukunft
1.3 Reorganisation: Permanente Verspätung
1.4 Paradoxie der Kommunikation
1.5 Die Berührung des Unberührten
1.6 Die Paradoxie der Wiederholung
1.7 Entscheidung, Voreiligkeit und Nachträglichkeit
1.8 Das Noch nicht/nicht mehr der Gabe
7 Resümee; Weiterungen
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 3
Nicht geht es mir um das bloße Problem der Zeitnot. Das schon ist zwar von einigem Inte-
resse für Organisationsmitglieder und Organisationen: Noch ist der Karrieresprung nicht
geschafft, noch kein tenure, aber das Fenster schließt sich. Noch ist das Hochregallager, die
Elbphilharmonie, der Berliner Großflughafen nicht fertig, der eilige Großauftrag des wich-
tigen Kunden nicht ausgeführt. Dass die Zeit knapp ist, zumal „im Zeitalter großer Organi-
sationen ... knapp geworden“ ist (Luhmann 1994, S. 143; Hervorh. G.O.); dass Entscheidun-
gen Zeit brauchen, aber unter Zeitdruck fallen müssen, also: ohne die Zeit und Ruhe, die sie
eigentlich benötigen; dass es in Organisationen gibt, was Niklas Luhmann in dem zitierten
Beitrag „die Vordringlichkeit des Befristeten“ genannt hat, also die Neigung, dem durch
Fristen, Termine und deadlines Bedrohten zeitlichen Vorrang auch gegenüber dem womög-
lich Wichtigeren einzuräumen: Das alles verdient – und erfährt – Aufmerksamkeit, ist aber
nicht mein Thema. „Windows of opportunity“ wollen als solche erkannt, Gelegenheiten,
die sich nur für kurze Zeit bieten, geistesgegenwärtig und reaktionsschnell wahrgenommen
werden, was in dynamischen oder gar turbulenten Umwelten eine besondere Responsivität
und Flexibilität der Organisation verlangt.
Auch das bloße Versäumen des rechten Augenblicks oder einer Gelegenheit – ein Autofah-
rer verpasst die Autobahnabfahrt, ein Unternehmen den günstigen Zeitpunkt, an die Börse
zu gehen – ist nicht Gegenstand der folgenden Überlegungen. Mich interessiert hier eine
besondere Konstellation, die dadurch ausgezeichnet ist, dass das „Nicht mehr“ dem „Noch
nicht“ mit einer konstitutiven Zwangsläufigkeit und unmittelbar folgt. Wovon ich hier handele,
das ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Temporalform von Paradoxien. Ich um-
schiffe allerlei Vertracktheiten logischer Paradoxien (s. nur Sainsbury 1993 und, mit Blick auf
das Management, Müller-Stewens/Fontin 1997; Neuberger 2000), indem ich mich auf opera-
4 Günther Ortmann
tive beschränke. Damit rückt die Dimension der Zeit in den Blick. Mit Niklas Luhmann
(1989, S. 8 f.) sage ich: „Da jede Operation Zeit braucht“, handelt es sich „um die Problema-
tisierung der Organisation von Zeit“. Eine operative Paradoxie liegt genau dann vor, wenn
die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation die Bedingungen ihrer Unmöglichkeit
implizieren (s. dazu ausführlicher Ortmann 2004a). In zeitliche Form gebracht heißt das:
Wenn während des Bemühens, oft sogar durch das Bemühen, werden zu lassen/geschehen
zu machen/zu bewirken, was noch nicht ist, Bedingungen seiner Unmöglichkeit gelten oder
nolens volens erzeugt werden oder unvermeidlich eintreten, dann haben wir es mit einer
Noch-nicht/nicht-mehr-Konstellation zu tun. Es lohnt sich, die statische Betrachtung der
Logik von Paradoxien um eine dynamische zu ergänzen, in der zu sehen ist, wie solche
Konstellationen in der Zeit entstehen, sich entwickeln und oft erst durch das Handeln von
Akteuren hervorgebracht werden – wie es zu dem „Nicht mehr“ kommt, dem das „Noch
nicht“ vorausging.
„Noch“ ist ein Umstandswort der Zeit, und ein erster Aspekt der Zeitlichkeit, um die es mir
hier zu tun ist, liegt darin, dass in dem „Noch“ – im „Noch nicht“ – eine Erwartung zum
Ausdruck kommt: die Erwartung, dass bald oder später das „Nun aber“ eintreten wird.
Dass diese Erwartung mit, wie ich gesagt habe, konstitutiver Zwangsläufigkeit enttäuscht
wird, erläutere ich für den Anfang an einem Beispiel, in dem diese Zwangsläufigkeit in
Technik eingebaut ist.
Versiegendes Wasser. Ein Bistro in Paris, ein heißer Tag, ein winziges Waschbecken, gerade groß
genug, um ein wenig Wasser mit den Händen zu schöpfen, und ein paradoxaler Wasserhahn:
Das Wasser kommt auf Knopfdruck, ich lasse den Knopf los, und augenblicklich versiegt der
Strom. Meine Hand, mein Unterarm, die irgendwie wissen, dass nun das Wasser eine, wenn
auch stets zu knapp bemessene, Weile fließen wird und Eile daher ohnehin geboten ist, stop-
pen jäh in ihrer Vorwärtsbewegung, da sie ins Leere vorzustoßen drohen, kleines Indiz, dass es
nicht einfach ein „Nicht“ ist, das ich beklage. Auch nicht das „Noch nicht“, sondern das „Noch
nicht“, dem das „Nicht mehr“ unmittelbar folgt, ein „Nicht mehr“, dem das doch immerhin
verheißungsvolle „Noch nicht“ vorausging. Erst dieses Dürsten, dann das Versiegen und Ver-
schmachten; der Aufschub der Begierde, und augenblicklich der Verzicht; die Vertröstung, die
doch eine Verheißung enthält, gefolgt von einer Leere anstelle der Erfüllung.
Dieses Versiegen nehme ich als Metapher für das Versiegen von Möglichkeiten – für die
mitlaufende Produktion von Unmöglichkeit. Der Pariser Wasserhahn ist nun allerdings ein
technologischer, kein organisatorischer Fall von Noch nicht/nicht mehr, und im Übrigen ein
harmloser Fall, einfach eine Fehlkonstruktion. Kann er etwas für das Geschehen in Organi-
sationen lehren? Nun, in Organisationen ähnelt, so lässt sich zum Beispiel sagen, der zu
aufdringlich kontrollierende Blick des Meisters jenem Knopfdruck insofern, als er hinder-
lich auf dem Arbeiter lastet und Eigeninitiative vereitelt. Kaum lässt der Meister los, ver-
siegt jedoch vielleicht erst recht – jedenfalls bei hinlänglicher Neigung zum shirking, die ja
in der ökonomischen Theorie oft unterstellt wird – der Arbeitsfluss. Dieser Fall ist schon
etwas weniger harmlos. Zwar kann man auch hier vielleicht von einer Fehlkonstruktion
(nämlich des Kontrollsystems) sprechen, Abhilfe jedoch ist schon schwieriger.
Paradoxien, darüber soll man sich nicht hinwegtäuschen, bedeuten Unmöglichkeit. An dem
Pariser Wasserhahn kann man Wasser mit Händen nicht schöpfen. Allerdings ist Paradoxa-
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 5
lität eine graduelle Angelegenheit (so auch Sainsbury 1993), wie man sich an dem Wasser-
hahn und auch am Fall der Kontrolle durch den Meister klarmachen kann: Wenn der Was-
serhahn nach Knopfdruck ein paar Sekunden Wasser spendet, wenn die Kontrolle weniger
aufdringlich ist und der Arbeiter trotz und auch ohne Kontrolle leidlich intensiv arbeitet,
sind wir schon diesseits der Unmöglichkeit.
Ich biete nun, in den Abschnitten 1 bis 5, eine ganze Fülle m.E. für Organisationen und die
Organisationstheorie besonders wichtiger Beispiele für Noch-nicht/nicht-mehr-Konstella-
tionen auf, die ich in fünf Gruppen eingeteilt habe: Die Paradoxalität ist der Konstellation
entweder als Logik der Sache inhärent (Abschnitt 1) oder vom respektiven Denken und
Handeln eines fokalen Akteurs (Abschnitte 2 und 5) oder aber anderer Akteure (Abschnitte
3 und 4) abhängig. Auch in den vier letzteren Fällen hat man es, wie man sehen wird, mit
Paradoxien oder paradoxienahen Konstellationen zu tun, aber „kontingenteren“, eben
denk- und handlungsabhängigen Fällen. Das legt die Vermutung nahe, dass eine Remedur
in diesen Fällen leichter fällt als in den Fällen inhärenter Paradoxalität. Obwohl das in ge-
wisser Weise zutrifft und der Fall des Abschnitts 5, Selbstbindung, sogar selbst eine Reme-
dur sein kann, wird sich zeigen, dass die Dinge in praxi doch komplizierter liegen. Am Fall
des shirking und seiner Vermeidung schon lässt sich ja sehen, dass „handlungsabhängig“
nicht mit „leicht behebbar“ in eins fällt. Die Sache hängt in diesem Fall im Übrigen nicht
nur vom Kontroll- und Motivationshandeln eines Managements ab, sondern selbstver-
ständlich auch vom Handeln der Beschäftigten, und sie ist außerdem wegen der Problema-
tik intrinsischer Motivation ein Fall inhärenter Paradoxalität (s.u. 1.1). Sie ließe sich also
sowohl dem Abschnitt 1 als auch Abschnitt 2 als auch Abschnitt 3 zuordnen. Diese drei
Konstellationsgruppen basieren, wie man daran sieht, auf einer analytischen Unterschei-
dung. In praxi gibt es Kombinationen (und außerdem unscharfe Ränder) dieser drei Fall-
gruppen. Das gilt auch für eine vierte Fallgruppe (Abschnitt 4), die sich von den übrigen
durch von anderen intendierte Herbeiführung jener Unmöglichkeiten unterscheidet, die mit
dem Noch nicht/nicht mehr impliziert sind: Fälle, in denen es gerade die Absicht anderer
Akteure ist, den fokalen – damit ist hier immer gemeint: vom Noch nicht/nicht mehr be-
troffenen – Akteuren die in Rede stehende Möglichkeit zu nehmen; in denen irgendwie „auf
Zeit gespielt“ wird und Mit- oder Gegenspieler überlistet und in eine Zeitfalle gelockt wer-
den – sei es aus guten, sei es aus schlechten Gründen. Schließlich ist auch die fünfte Fall-
gruppe, intendierte Selbstbindung, nicht immer säuberlich von Fremdbindung zu trennen
(Abschnitt 5).
6 Günther Ortmann
Die Produktions- und Zeitverhältnisse dieser fünf Fallgruppen lassen sich also nach drei
Gesichtspunkten unterscheiden: Das Noch nicht/nicht mehr ist
In den Fällen der Fallgruppen 2 bis 5 dagegen hat man es jeweils mit vermeidbaren, kontin-
genten Denk- und Handlungsweisen zu tun, die erst die implizierte Unmöglichkeit generie-
ren, deren destruktive Seite aber (außer bei Selbstbindung) für die fokalen Akteure nicht
oder schlecht wahrnehmbar ist und/oder ihren Intentionen zuwiderläuft. In vielen Fällen
wirken dabei zwei distinkte Handlungen zusammen (wie im Falle der zu aufdringlichen
Kontrolle, welche erst das ungestörte Arbeiten unmöglich macht). Die Vereitelung der
Möglichkeit kann durch das eigene Denken und Handeln des fokalen Akteurs (Fallgruppen
2 und 5) oder durch fremdes Handelns (Fallgruppen 3 und 4) besorgt werden.
All diese Fälle lassen sich schematisch in folgende allgemeine Form bringen (Abb. 1):
t0 t1
(grau unterlegt: in den Fällen 1-4 für den fokalen Akteur unsichtbar oder nicht durchsichtig)
In den Fällen der Fallgruppe 1, bei inhärenten Paradoxien, fallen Möglichkeits- und Unmög-
lichkeitskonstitution in eins. Ich ziehe sie gleichsam vor die Klammer, weil diese Fälle we-
der als selbst- noch als fremdgemacht aufgefasst werden können. Sie sind eben überhaupt
nicht „gemacht“ im hier gemeinten Sinne, also auch nicht intendiert, sondern der Logik der
Sache geschuldet. Dann bleiben vier weitere Fallgruppen (2 bis 5), die sich aus den Distink-
tionen intendiert/unintendiert und selbst-/fremdinduziert ergeben. Es versteht sich wohl
von selbst, dass die Unterscheidungen intendiert/unintendiert sowie inhärent/selbstge-
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 7
Es mag zum Verständnis beitragen, wenn man sich nach Art einer Liste klarmacht, worin
(a) die erwünschte (Fallgruppe 5: die befürchtete), aber vereitelte Möglichkeit – nennen wir
sie MNnnm (für: Noch nicht und nicht mehr realisierbare Möglichkeit) – und (b) die parado-
xe Operation besteht, die für die Vereitelung „verantwortlich“ ist. Für die beiden bisher als
Beispiele angeführten Fälle sieht eine solche Liste so aus (Abb. 2):
Abb. 2: Erst noch nicht, dann nicht mehr realisierbare Möglichkeiten (MNnnm)
und paradoxe Operationen
Es geht mir in diesem Beitrag vor allem darum, die Figur des Noch nicht/nicht mehr plau-
sibel zu machen. Daher erlaube ich mir eine unkonventionelle, teils stark verknappte, teils
auch anekdotische Form der Darstellung. Ich beziehe mich, um der Figur (die weit über
organisationstheoretische und -praktische Zusammenhänge hinaus von Bewandtnis ist; vgl.
dazu Ortmann 2006 und unten, Abschnitt 7, 12. bis 14.) Plausibilität und Anschlussfähigkeit
im ökonomischen und organisationstheoretischen Fachdiskurs zu verschaffen, weitgehend
auf dort bekannte Konstellationen und Problemlagen, die in diesen Fächern aber üblicher-
weise eher als logische, sachliche oder soziale, nicht so sehr als temporale Paradoxien be-
trachtet werden.
In Abschnitt 6 erläutere ich die Figur der Paradoxienentfaltung am zughörigen Konzept der
„Problemverschiebung mit eingebauten Folgeproblemen“. „Positiver“ im Sinne der Frage
„Was tun?“ werde ich – mit Ausnahme allerdings regelmäßig eingestreuter Hinweise auf
mögliche Remeduren und besonders auf Wege der Selbstbindung (zu Letzterer s. Abschnitt
5) – nicht. Das liegt in der Natur der Sache. Ich reklamiere damit aber auch die Berechti-
gung, ja: die Notwendigkeit, negativ zu bleiben, wo die Sache es erfordert, hier also: Un-
möglichkeiten zu identifizieren, die daran hindern, etwas – ein „Nun aber“ – ins Werk zu
setzen. Die Identifizierung von Irreversibilitäten und von temporalen Paradoxien betrachte
ich als Gegengift gegen allfällige, trotz aller Kritik immer noch weit verbreitete Machbar-
keitsillusionen.
8 Günther Ortmann
Der Abschnitt 7 bietet ein Resümee und einige Hinweise auf Weiterungen, die sich eröff-
nen, wenn man die Denkfigur des Noch nicht/nicht mehr auf andere Aspekte und Gegen-
stände bezieht.
1 Inhärente Paradoxien
„Inhärent“ soll hier also heißen: Die Paradoxie ist der Logik der Sache geschuldet, ist ihr
inhärent und hängt insofern nicht von einem vermeidbaren Denken und Handeln intentio-
naler Akteure ab (die gleichwohl einen klügeren oder weniger klugen Umgang damit pfle-
gen können).
Inhärent paradoxal sind diese Zustände insofern, als schon das bloße Beabsichtigen die
resultierende Unmöglichkeit (oder doch Gefährdung einer Möglichkeit) bewirkt. In Orga-
nisationen aber geht es (nicht nur, aber doch weithin) um intendierte Ordnung, Wiederho-
lung (s.u. 1.6), Verlässlichkeit, Erwartbarkeit etc. Nicht-Intendierbarkeit, so sie besteht, setzt
jedem Organisieren und jedem Management Grenzen.
Wichtige Fallbeispiele sind erstens emotionale Spontaneität und echte Freundlichkeit (im
Unterschied zu Höflichkeit), zweitens Authentizität, drittens Anerkennung. Sie werden
unmöglich oder leiden jedenfalls in dem Maße, wie sich Absichten auf sie richten. Ein-
schlägige Bemühungen darum machen sie zunichte. Dem bemühten Lächeln der Flugbeglei-
terin, des Verkäufers, der Politikerin merkt man die Bemühung an. Man merkt die Absicht,
und man ist verstimmt. Arlie Hochschild (1983) hat dargetan, dass Emotionsarbeit unter
anderem deshalb harte Arbeit ist. Authentizität gewinnt nur der, der nicht danach strebt.
Wer nach Anerkennung – durch Vorgesetzte, Untergebene, Kollegen und Partner – lechzt,
gilt als beflissen oder anbiedernd – und wird gerade nicht anerkannt. (Dem Protagonisten
in Charles Dickens’ Great Expectations, Pip, ist es ein großes Anliegen, ein Gentleman zu
werden, und er verfehlt es, weil und solange er es intendiert.)
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 9
In vielen Organisationen – und, wie Jon Elster (1987, S. 187 ff.) gezeigt hat, innerhalb von
nicht-demokratischen Staatswesen – resultiert eine eigentümliche „Machtlosigkeit der
Macht“ daraus, dass sie den Legitimitätsglauben der Mitglieder/Untertanen im Maße dro-
hungs- und machtbewehrter Bemühungen darum verfehlen müssen, ihn also, da und so-
fern ihnen andere Mittel nicht zu Gebote stehen, nicht absichtlich herbeiführen können.
Auch die Loyalität der Untertanen oder der Beschäftigten kann daher nicht, genauer ge-
sagt: nicht direkt, intendiert – etwa: befohlen, vom Regelwerk gefordert oder gekauft –
werden, eine notwendige Ergänzung zu Hirschmans (1974) Lob der Loyalität. Auch Eigen-
initiative würde dadurch ihres wesentlichen Charakters, Eigeninitiative zu sein, beraubt.
Beide müssen sich als Nebenprodukt eines Handelns ergeben, das wesentlich anderen Inten-
tionen folgt, etwa der Intention der Fairness, die sodann (vielleicht) mit Loyalität und Initi-
ative erwidert wird.
Allerdings liegt die Betonung auf dem Wörtchen „direkt“, das ich jetzt schon einige Male in
den Text eingeschmuggelt habe. Was direkt nicht möglich ist, das mag indirekt möglich
werden. Darin liegen in diesen Fällen Möglichkeiten der Remedur. Organisationen, sofern
sie auf emotionale Spontaneität und Freundlichkeit ihrer Beschäftigten, auf Authentizität
ihres Führungspersonals und auf Anerkennung ihrer Mitglieder – genitivus subiectivus und
obiectivus – Wert legen, müssen, allgemein gesprochen, den dafür nötigen Raum gewähren.
Sie müssen, schärfer formuliert, das (direkte) Intendieren lassen. Sie müssen sich insoweit
im Lassen üben2 – im Geschehenlassen, im Zulassen, im Bleibenlassen. Sie müssen die
Dinge den Mitgliedern und einer Evolution oder Entwicklung überlassen. Sie müssen da-
von absehen, etwas durch direktes organisationales, organisierendes Bemühen sicherzustel-
len. Sie müssen sich darauf verlassen, dass es sich einstellen wird, wenn nur jener Raum
und die nötige Zeit gegeben werden. Diesen Raum kann man aus gutem Grund ‚Organisa-
tionskultur’ nennen. Nicht zufällig sagt Niklas Luhmann (2000, S. 145, 240) zur Organisati-
onskultur: „nicht-entscheidbare Entscheidungsprämissen“. Darin kommt, in meiner Lesart,
die Unintendierbarkeit ganz gut zum Ausdruck, die herauszustellen mein Anliegen ist.3
10 Günther Ortmann
Der Blick auf den Zeitablauf nun und die Frage: „Was produziert hier, nach und nach oder
auch von Anfang an, die Bedingungen der Unmöglichkeit?“ erweist sich als lohnend auch
im Falle inhärenter Paradoxalität. Inwiefern?
Insofern, als das Erfordernis der Indirektheit eine zeitliche Dimension hat. Ein zeitlicher
Gesichtspunkt ist es ja schon, dass im Falle eines inhärenten Noch nicht/nicht mehr den
Dingen von Anfang an eine (a priori-)Vergeblichkeit innewohnt, der man daher auch von
Anfang an Rechnung tragen muss. Das kann vor unliebsamen Überraschungen bewahren.
Es kann davor bewahren, von solcher Vergeblichkeit erst Notiz zu nehmen, wenn das Kind
schon im Brunnen ist. (Es könnte Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber davor bewah-
ren, ihrem Personal jene künstliche Freundlichkeit anzutrainieren, die umso mehr auf die
Nerven geht, je gleichmäßiger sie bei sich steigendem Ärger über Verspätungen, Überbu-
chungen e tutti quanti aufrecht erhalten wird.) Besser wäre ein Organisationsklima, das den
Beschäftigten erlaubt, von sich aus freundlich zu sein.
Eine enge zeitliche Kopplung aber zwischen der Entwicklung einer geeigneten Organisati-
onskultur und erwünschten – intendierten – Ergebnissen (etwa in puncto Spontaneität,
Freundlichkeit, Authentizität, Anerkennung) ist ausgeschlossen. Diese Entwicklung braucht
Zeit. Warum eigentlich geht das nicht von heute auf morgen? Weil eine Kultur zu ihrer
Entwicklung des Durchlaufens rekursiver Schleifen sozialer und kultureller Praxis und der
darin – allmählich! – gewonnenen Erfahrungen bedarf und Beschlüsse – Schnellschüsse –
mangels Intendierbarkeit nichts ausrichten. Organisationen müssen Zeit – und auch Geld –
in den Aufbau einer solchen Organisationskultur investieren, in der solche Werte wie Loya-
lität, Fairness, appreciativeness und Eigeninitiative Geltung haben. Dafür gibt es eben gute
Gründe, weil nur auf diese indirekte Weise eine organisationale Intentionalität doch noch
zum Tragen kommen kann.
An dieser Stelle auf extrinsische Motivation zu setzen, ist für Luhmann die historische Um-
stellung, derer sich moderne Organisationen bedienen.4 Dann aber gerät man in den Fall
eines gemachten, und zwar fremdinduzierten, aber auch von dem „fremden“ Akteur nicht
intendierten, gerade aus seiner Sicht kontraproduktiven Noch nicht/nicht mehr. Denn es
geht hier ja um vermeidbares (fremdes) Handeln, eben das Setzen extrinsischer Anreize –
und daraus resultierende Verdrängung der intrinsischen Motivation. Dieser Fall gehört
insofern der dritten Fallgruppe an und wird in Abschnitt 3.1 behandelt. Dort werden auch
Möglichkeiten indirekter Herbeiführung intrinsischer Motivation diskutiert.
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 11
Das unentwegte Gleiten der Zukunft ist auch sonst keine akademische Spitzfindigkeit.
Charles Perrow (1987, S. 257) hat beschrieben, dass es zu Kollisionen zweier Schiffe meist
kommt, weil „mindestens einer der Kapitäne das andere Schiff entdeckt und daraufhin sei-
nen Kurs geändert hatte“ (Hervorh. G.O.): vertrackte Zeitverhältnisse. Auch die sündhaft
teure Entwicklung des Eurofighter, vormals Jäger 90, der zum Zeitpunkt seiner ersten
Indienststellung 2006 nicht mehr so recht gebraucht wurde, weil er für den Kalten Krieg
konzipiert und der Eiserne Vorhang aber inzwischen gefallen war, ist ein schönes Beispiel.
ferner an die Probleme einer nomadisierenden business migration und die Dekonstruktion
von Wertschöpfungsketten und Geschäftsfeldern im Gefolge dessen (s. dazu das Programm
der Boston Consulting Group, z.B. Evans/Wurster 2000; ferner Khurana 2002).
In Ortmann (2009) habe ich eine Reihe möglicher Antworten auf solche Problemlagen dis-
kutiert, u.a. Portfolio- und Optionenmanagement, Reversibilitätsvorkehrungen und, allge-
mein gesprochen, Responsivität der Organisation. Das sind sämtlich Antworten auf zeitli-
che Probleme: Vor-Sorge angesichts drohender Irreversibilitäten, absehbarer oder nicht
absehbarer Dringlichkeiten, Wahrung von Kontingenzen, die mit der Zeit verloren zu gehen
drohen etc.
Auch intern aber, bei der dann umso dringlicher gebotenen Anpassung der Organisations-
struktur, macht das Gleiten der Zukunft den Organisationen zu schaffen: bei der Reorgani-
sation.
Eine praktische Konsequenz – ein Versuch der Remedur – besteht in permanenter Reform,
ein anderer, damit zusammenhängend, in der Umstellung auf Projekt- und Netzwerk-
organisation. Das indes erweist sich auf den zweiten Blick nicht als Problemlösung, son-
dern, siehe unten, Abschnitt 6, als Problemverschiebung mit eingebauten Folgeproblemen.
Einander jagende, überstürzende Innovations- und Reorganisationsprojekte werfen Folge-
probleme auf, weil sie kaum noch die Reife- und Nutzungszeit für das jeweils Neue lassen.
Unternehmungsnetzwerke wiederum können Filz und Marktversagen implizieren. Eine
andere Konsequenz wäre: Reformen nicht in der Krise, ausgelöst durch die Krise, zu begin-
nen, sondern „in guten Zeiten“. Da gibt es weniger Zeitdruck, und man vermeidet das
Folgeparadox, dass in der Krise gerade diejenigen abzuwandern und diejenigen Ressour-
cen zu fehlen pflegen, derer man zu ihrer Bewältigung bedarf. (In guten Zeiten fehlt es
allerdings oft an Einsicht in die Notwendigkeit ...)
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 13
„Stille Post“ ist für dieses Kommunikationsproblem die geläufige Metapher. In Organisati-
onen, wo die Implikationen dieser Differenz zwischen dem gemeinten und dem rezipierten
Sinn eines Leitbildes, einer Strategieformulierung, einer Anweisung, eines instruction
manual (dazu: Orr 1996), einer Regelformulierung, einer Bitte etc. sich über viele Stationen
entwickeln können und oft müssen und durch Einrückung in immer neue Kontexte der
Arbeitsteilung und lokaler Rationalitäten verstärkt werden, kann das erfreuliche, aber auch
fatale Folgen haben: erfreuliche insofern, als Spielräume bleiben für die verständige, erfah-
rungsgesättigte und kontextsensible Interpretation seitens des Rezipienten; fatale, wenn
diese Spielräume missbräuchlich genutzt oder Interpretationsdifferenzen sich ohne böse
Absicht in Fehlern, Scheitern oder gar Desastern niederschlagen. Für die DDR als System
war bekanntlich die berühmt gewordene Fehlinterpretation der Zeit des Inkrafttretens des
neuen DDR-Reisegesetzes durch Günter Schabowski am 9. November 1989 – „Das trifft
nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich“ – desaströs. Dass dies gemeint war,
das war erst noch nicht klar, es war sogar eher abwegig, in den nächsten (historischen)
Minuten aber schon nicht mehr rückgängig zu machen. Auch das Noch nicht/nicht mehr
der Kommunikation von Sinn ist keine akademische Spitzfindigkeit, sondern ein handfes-
tes Problem. Das Beispiel verweist nachdrücklich auf die Zeitdimension. Missverständnisse
aufzuklären – oder Missbrauch von Interpretationsspielräumen abzustellen –, das braucht
ebenso Zeit wie die notwendigen Bemühungen um eine hinreichende Eindämmung von
Mehrdeutigkeiten.
14 Günther Ortmann
Abhilfe bietet sich an in Form von Redundanz, möglichst „klarer“ Kommunikation, der
Standardisierung von Wortbedeutungen („Organisationsvokabular“) und Kommunikati-
onswegen, in Form von Routinisierung, in Form kollektiver Interpretationsschemata, in
Form iterativer, rekursiver – daher: zeitraubender – Vergewisserung bei bemerkten Ver-
ständigungsproblemen („Metakommunikation“) und in vielen anderen Formen (für Nähe-
res s. Hahne 1997, S. 46 ff., 398 f.). Immer jedoch bleibt da ein Rest an Unerfülltheit, Unab-
geschlossenheit, Unabschließbarkeit, Differenz und Nachträglichkeit.
Karl Weick (1985, S. 45) hat es so formuliert: „Die Organisation in zähl- und messbare Form
zu bringen heißt, sie dessen zu berauben, was sie des Zählens ursprünglich wert gemacht
hatte.“ (Ich ziehe vor zu sagen: Sie auf Zähl- und Messbares zu reduzieren, heißt …)
Das Noch nicht/nicht mehr der wissenschaftlichen Forschung, auch der Organisationsfor-
schung, besteht, allgemeiner formuliert, darin, dass sie ihren Gegenstand unverfälscht, ja:
unberührt erforschen will, ihn aber durch seine Erforschung unvermeidlich berührt und
womöglich (wenn schon nicht, wie bei Kafka, zerfallen macht, so doch) verändert – oder
eben verscheucht wie Dorothy Sayers’ Kühe. Nicht zu reden von jener notwendigen Zu-
richtung ihres Gegenstandes durch Fokussierung, Selektion, Ausschnittbildung, Perspekti-
vierung, Modellierung, Interpretation, Typisierung, analytischer Zerlegung usf., nach der
er nicht mehr derselbe ist.
Das aber gilt auch in praxi. Es gilt für Evaluationen, Rankings, Leistungsmessungen und
daran geknüpfte Gratifikationen in Organisationen. Sie müssen sich irgendwelcher Indika-
toren – proxies – bedienen. Dass sie das tun (müssen), zeigt ja schon an, dass sie nicht ihren
Gegenstand selbst – die Leistung, die Qualität, die Zufriedenheit – zu fassen bekommen,
sondern eben nur einen Indikator. Das runaway des Gegenstandes aber nimmt dann zum
Beispiel die Form an, dass man schließlich nicht mehr weiß, was man da eigentlich misst,6
und sich daraufhin als Notlösung mit der Tautologie behilft: Leistung/Qualität/Zufrieden-
heit sei ex definitione das, was wir mittels unserer Leistungs-/Qualitäts-/Zufriedenheitsmes-
sung messen.
Die fehlsteuernden organisatorischen Folgen sind bekannt. Eine davon pflegen wir Indika-
torenverhalten zu nennen – die Jagd nach Indikatorpunkten. Schon die Messung tangiert
den Gegenstand, erst recht aber die Messung-plus-davon-abhängige-Gratifikation. Was als
Leistung/Qualität/Zufriedenheit zählt, ist danach nicht mehr dasselbe, und das Verhalten
der Akteure fällt erst noch nicht, dann aber nicht mehr wie gewünscht aus. (Wissenschaftli-
che Mitarbeiter etwa gehen auf „schnelle Punkte“; Kieser 1998; Franck/Opitz 1999.)
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 15
Ein anderes Beispiel ist ferner die selbstnegatorische Tendenz des Tourismus: „Berühren
Sie unberührte Natur!“ Das ist, entgegen erstem Anschein, keine Besonderheit dieser Bran-
che. Autobahnen, die den Verkehr erzeugen, den sie bewältigen sollen; Bürokratie, die uns
die Arbeit macht, die sie doch effizient ordnen soll; der oben erwähnte kontrollierende Blick
des Meisters, der die Arbeit hemmt, die er überwachen soll: Sie alle sind infiziert von der
inhärenten Paradoxie der Berührung des Unberührten (auch wenn sie schon den Übergang
zu selbst- oder fremdinduziertem Noch nicht/nicht mehr markieren).
Zwar hat Heraklits „Man steigt niemals zwei Mal in denselben Fluß“ es fast zum Gemein-
platz gebracht (und ist dabei zu der zitierten Form verkürzt worden; zur Kritik Ortmann
2003, S. 50). Wo genau darin das Noch nicht/nicht mehr liegt, lässt sich aber vielleicht am
besten unter Rekurs auf das dänische Wort erläutern, das bei Sören Kierkegaard, nach
Heraklit einem der ganz großen Denker der Wiederholung, dafür steht: gjentagelse. Es ist,
darauf hat Samuel Weber (2001, S. 246 f.) aufmerksam gemacht, zusammengesetzt aus zwei
Wörtern, die ihre englischen Entsprechungen haben: gjen entspricht dem englischen again,
tagelse dem Verb take. „The promise of repetition is that through it the subject will to be able to
‚take again‘, to recover, to reappropriate what is lost through the passage of time …“ (Weber
2001, S. 247; Hervorh. G.O.). Im Deutschen kommen wir dieser Bedeutungsfacette am
nächsten, wenn wir die Wortbetonung wechseln: von Wiederholen zu Wiederholen. „Lost
through the passage of time.“ Das Unwiederbringliche wieder- oder zurückzuholen, das
macht die temporale Paradoxie der Wiederholung aus. Man denke nur an die deutsche
„Wiedergutmachtung“.
Ist das vielleicht nur der Verschiebung vom Wiederholen zum Wiederholen geschuldet?
Nein. So sehr Wiederholung conditio humana ist – schon die Stabilisierung der Bedeutung
von Wörtern durch Wiederholung, ohne die wir nicht sprechen und nicht kommunizieren
könnten –, und so sehr wir zumal in der Moderne, dem Zeitalter technischer Reproduzier-
barkeit, und in modernen Organisationen, den Stätten der Routine und repetitiver Teilar-
beit, auf sie angewiesen sind, so unweigerlich entzieht sich das, was wiederholt werden
soll, dem wiederholenden Zugriff. Es ist nicht mehr, ist „lost through the passage of time“,
soll aber wieder sein. Das ist es vor der Wiederholung noch nicht, aber als Produkt der
16 Günther Ortmann
Wiederholung nicht mehr, nämlich, fast schon trivial, nicht mehr das Vergangene, sondern
ein (damit nicht identisches) Gegenwärtiges. Das gilt zunächst für das Resultat – die Repro-
duktion, das Nachgeahmte, die Kopie anstelle des Originals –, dann aber auch und erst
recht für den Vorgang und das Erlebnis des Wiederholens. Ein guter Witz, zum wiederhol-
ten Mal erzählt, wird eben deshalb öde (oder, als running gag, besonders witzig). Ein Hand-
griff, oft genug wiederholt, gewinnt an Routiniertheit – und/oder beschert das Problem der
Monotonie. Dass die Struktur der Iteration, wie es Jacques Derrida (2001, S. 89) formuliert
hat, „gleichzeitig Identität und Differenz“ impliziert, das gewinnt schon mit diesem letzteren
Beispiel handfeste organisationstheoretische und -praktische Bewandtnis – im Positiven
wie im Negativen.
Da diese, wie Derrida es nannte, différance, diese verschiebende und verändernde Kraft, die
in jeder Wiederholung wirksam wird, unhintergehbar ist, muss sie von der Organisations-
praxis akzeptiert, anerkannt und in ihren positiven wie negativen (erwünschten wie uner-
wünschten) Effekten gewürdigt und berücksichtigt werden. Das kann durch Vermeidung,
Reduktion oder Anreicherung repetitiver Tätigkeiten geschehen, wie bei job enlargement/
enrichment/rotation, bei der Rücknahme hochrepetitiver Teilarbeit, integrierter Sachbearbei-
tung, abwechslungsreichem Training u.Ä. Oder es kann, auf einer abstrakteren Ebene, ge-
schehen, indem in jener différance sogar von Routinen – mit anderen Worten: darin, dass
jeder, auch der routinierten Praxis ein Moment der Improvisation inhärent ist – ein Innova-
tionspotenzial erblickt und das organisationale Sensorium dafür geschärft wird, wie es
Martha Feldman (z.B. 2000; s.a. Feldman/Pentland 2003) anempfohlen hat. Dann kann aus
Routine-plus-Abweichung Innovation resultieren. Schließlich kann und muss in vielen
Fällen die Responsivität der Organisation – im Sinne von Wahrnehmungs- und Reaktions-
fähigkeit – angesichts unerwünschter, womöglich gefährlicher Verschiebungen von Regeln
und Routinen erhöht werden, die ich (Ortmann 2010a) unter dem Titel „Driften“ behandelt
habe (s.u. 2.1). Das mit der Wiederholung implizierte Noch nicht/nicht mehr wird mit die-
sen Umgangsweisen nicht überwunden, wohl aber bedacht und mehr oder minder ge-
schickt genutzt oder jedenfalls berücksichtigt.
Ich habe eben als Beispiele längst praktizierte, arbeitsorganisatorische Formen des Um-
gangs mit der Paradoxie der Wiederholung und der Zwieschlächtigkeit der unvermeidli-
chen Differenz innerhalb jeder Wiederholung gewählt. Auf anderen Feldern ist die Prob-
lemerfassung und -bearbeitung sehr viel weniger weit gediehen. Man denke nur an die
langweilende Wiederholung einzelner Werbespots oder überhaupt des Formats der Fern-
sehwerbung, an die weltweite Monotonie der Ladenketten in den Innenstädten oder an die
kontraproduktiven Effekte uniformierender Evaluationen, Akkreditierungen und Standar-
disierungen. Und man denke, ein wiederum anders gelagerter Fall, an das Irakus-Paradox
sensu Danny Miller (1990), das ja in dem irgendwann zum Scheitern verurteilten Versuch
sich Geltung verschafft, Erfolge und Erfolgsrezepte zu wiederholen (und zu übertreiben).
Miller hat zeitliche Dimension dessen – und entsprechender Gegenmaßnahmen – durch die
Wahl der Metapher der Trajektorie deutlich gemacht, die ja im Kern auf die Unintendiert-
heit der in Rede stehenden Entwicklung aufmerksam macht. „Managing the trajectories“ ist
dann Millers Remedur (ebd., S. 221 ff.), mit Vorschlägen wie zum Beispiel Trajektoriever-
meidung, kulturelle Öffnung der Organisation, Diversität u.v.a.
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 17
Neben der Routine ist ein weiterer extrem wichtiger Fall der Wiederholung in Organisatio-
nen derjenige der Nachahmung – man denke an DiMaggio/Powells (1983) mimetischen
Isomorphismus oder an den Herdentrieb von Finanzmarktakteuren (Shiller 2000, S. 173 ff.).
Dafür gilt das Gesagte ganz entsprechend, und offen bleibt zunächst, ob der Nachahmer –
auch, ein weiteres Beispiel, der Stratege eines fast following („wer zuletzt kopiert, kopiert am
besten“) – für die zeitliche und/oder sachliche Differenz zum Original belohnt oder bestraft
wird.
Nimmt man Hans Alberts „Lösung“ des Münchhausen-Trilemmas – trial and error plus
kritische Prüfung –, dann sieht man leicht die zeitliche und näherhin die Noch-nicht/nicht-
mehr-Struktur des Problems: Ein Versuch hat es an sich, dass man zunächst noch nicht
weiß, ob er gelingt, sondern erst – frühestens! –, wenn er gemacht und die kritische Prüfung
erfolgt ist. Sobald jedoch so etwas in der Praxis statthat (und nicht, worauf Albert kon-
zentriert ist, in der Theorie resp. Erkenntnistheorie), ist das Kind womöglich schon in den
Brunnen gefallen. In Sachen ‚Erkenntnis‘ droht die Gefahr, dass sie „als Ganzes ins Gleiten
geraten“ könnte (Albert 1991, S. 72). Dem will Albert bekanntlich durch die „Idee der Kri-
tik“ steuern. Gleiten aber birgt – wie das Driften (s.u. 2.1) – immer die Gefahr, es erst noch
nicht zu bemerken und dann den Sturz nicht mehr vermeiden zu können.
Die Entscheidung kommt einerseits, so gesehen, immer zu früh, ist immer voreilig.7 Der
Augenblick der Entscheidung ist, in der zuspitzenden Formulierung Jacques Derridas
(1991, S. 54), „stets ein endlicher Augenblick der Dringlichkeit und der Überstürzung“.
Derrida (ebd., S. 53) spricht gar von einer „Aporie der Dringlichkeit“ (ähnlich Lübbe 1971,
S. 19 ff.). Andererseits läuft sie immer Gefahr, die Stalltür der Kontingenz erst zu verschlie-
ßen, wenn die Pferde durchgegangen sind. Der time lag aber zwischen Entscheidung und
(dem Vollzug) kritischer Prüfung ist, trivial genug, alles andere als harmlos, und ob eine
solche Prüfung (a) möglich und (b) erwünscht ist oder keine Lobby findet und womöglich
gar nachträglich sabotiert wird oder sich jedenfalls im Ungefähren verliert – genauer: in
„the uncertainty of the past“ (March/Olsen 1976) –, das steht in jedem Falle dahin. Dazu
muss man nicht erst an strategische Entscheidungen mit langfristiger Bindewirkung den-
ken – etwa an Edzard Reuters Strategie, aus Daimler Benz einen integrierten/diversifizier-
ten High-Tech-Konzern zu machen oder Jürgen Schrempps entgegengerichtete Strategie
18 Günther Ortmann
der Konzentration auf das Kerngeschäft und der Zukäufe innerhalb der Automobilbranche
(Chrysler, Mitsubishi, Smart). Es genügt schon, an die Probleme einer vorwärts gerichteten,
mit langen Rückkopplungsschleifen operierenden Kontrolle bei herkömmlicher Massen-
produktion und das alternative Konzept einer rückwärts gerichteten, aber kurzzyklischen
Kontrolle à la lean production zu denken. Letztere mildert erheblich die Probleme jener
Nachträglichkeit (Coleman 1992, S. 134 ff., 142 f.) und mag hier als weiteres Beispiel für den
zeitlichen Umgang mit der Paradoxie des Entscheidens genügen.
Entscheidungen haben im Übrigen, das wird oft übersehen, den Charakter mehr oder min-
der starker Selbstbindungen. Insofern implizieren sie nicht nur Voreiligkeit und Nachträg-
lichkeit, sondern auch einen (entschiedenen) Umgang damit: „Ich habe zwar im Augen-
blick der Entscheidung noch nicht genügend Informationen, lege mich aber trotzdem jetzt
fest, um morgen nicht mehr von der Überfülle an Möglichkeiten (à la Kierkegaard oder
Luhmann) überflutet, von Kontingenz und Hin- und Herschwanken geplagt und schließ-
lich handlungsunfähig zu werden“ (s. auch Abschnitt 5).
Für solches Festlegen spricht am ehesten Albert Hirschmans (1967) Idee, dass die „hiding
hand“ einer schützenden Unwissenheit – und gar „ignorance of ignorance“ – zwar in uner-
wartetes Ungemach führen kann, das aber durch eine ebenfalls unerwartete Kreativität
unterwegs behoben werden kann und oft wird.
In Organisationen nun geht es öfter als man denkt um solche „großzügigen“ Gaben – so,
wenn man Kollegen Tipps und Hilfe gibt, in der Kooperation, im Aus“tausch“ von Infor-
mationen (Göbel et al. 2007). Das können Tauschobjekte sein, sie werden aber umso mehr
geschätzt, je eher sie freigebig, als Gaben, gewährt werden. Dann knüpft sich daran zwar
normalerweise die Erwartung, dass sie (eines Tages) erwidert werden, aber diese Erwartung
ist nicht das Motiv des Gebens.
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 19
Für Derrida ist, wie man sieht, der Gabe als solcher eine Noch-nicht/nicht-mehr-Struktur
unabwendbar inhärent. So eng muss man es nicht sehen, aber die Gefahr, dass die Gabe
durch das Schielen auf eine Gegengabe entwertet wird, kennt jeder, der einmal geglaubt
hat, beschenkt worden zu sein, wo er in Wirklichkeit gekauft werden sollte.
Es kann zunächst unmerklich und in abgefeimter Absicht geschehen: wenn nämlich ver-
meintliche Gaben gegeben werden, um ein Gefühl der Verpflichtung beim Empfänger
auszulösen, das sodann ausgebeutet werden soll – ein Fall eines intendierten Noch nicht/
nicht mehr (s.u. Abschnitt 4). Gabe oder Tausch, das ist nicht immer leicht zu unterschei-
den, wie man etwa an dem schwierigen Unterschied zwischen Guanxi und Korruption
sehen kann.
Ursprung, reines Prinzip des Handelns sind. Insofern haben wir es zunächst mit einer inhä-
renten Paradoxalität zu tun: Sie liegt in der Logik der Sache jedweder Regelbefolgung.
Das wiederum zieht die Chance, aber auch die Gefahr nach sich, dass Regeln – und Routi-
nen (Feldman/Pentland 2003; s. oben 1.6) – einer Drift unter dem Sog lokaler Rationalitäten
und situativer Anforderungen der Aufgabenerfüllung ausgesetzt sind. Routinen und in
ihrem Gefolge Regeln können sich dann – zunächst unmerklich – ändern. Diese Unmerk-
lichkeit gehört zum Charakteristikum dieser Art des Driftens (Ortmann 2010a). An Diane
Vaughans (1996) Studie des Challenger-Unglücks und an Scott Snooks (2000) Analyse eines
Falls von „friendly fire“, des Abschusses zweier US-Helikopter durch die eigene Air Force
über dem Nord-Irak 1991, lässt sich sehen, dass dieses Driften von Regeln – betreffend etwa
erodierende Standards der Akzeptabilität von Risiken oder ordnungsgemäßer Meldung
von Flügen – gefährlich werden kann. Das eintretende Desaster wird dann zum Augenblick
des Noch nicht/nicht mehr: Erst war die Drift noch nicht wahrzunehmen, nun ist alles zu
spät. Denn inzwischen hatte sich eine Spirale fortgesetzt: Die lokale Rationalität der „prac-
tical action“ vor Ort hat längst für andauernde, selbsttragende, weil durch Erfolg be- und
womöglich verstärkte „recursive loops“ der Abweichung vom ursprünglichen Regel-De-
sign gesorgt.
Ohne Weiteres lässt sich in diesem Lichte organizational slack, wie Albert Hirschman (1974,
S. 9 ff.) ihn im Anschluss an Cyert und March (1963) erklärt hat, als ein Fall des Driftens –
des Schleifenlassens – von Regeln und Routinen der Ressourcennutzung auffassen. Bei
Hirschman ist es, als ob Organisationen sich jederzeit in einer Lage befinden, die in Philo-
sophie, Logik, Ethik und Recht – allerdings überwiegend mit Blick auf argumentatives Ab-
rutschen – unter dem Namen „slippery slope“ diskutiert wird (s. nur Volokh 2003), hier
nun mit der Neigung zum Schlendrian als „Schwerkraft“. Dann lassen sich allfällige Bemü-
hungen um Rationalisierung, Intensivierung der Arbeit etc. als die Sisyphos-Arbeit verste-
hen, vom Noch-nicht optimaler Ressourcennutzung in ein Nun-aber zu kommen – ein Nun-
aber, das jedoch immer vom Nicht-mehr namens organizational slack bedroht ist. Und ein-
mal mehr lohnt sich die mikrologische Analyse der Zeit- und Produktionsverhältnisse, also
der Ansatz, nicht nur Schlaffheit als Resultat, sondern Erschlaffung als Prozess zu analysie-
ren (dazu erhellend schon Hirschman, ebd., u.a. mit der Empfehlung, „versteckte, verstreut
liegende oder schlecht genutzte Ressourcen und Fähigkeiten für … Entwicklungszwecke“
heranzuziehen, ebd. S. 10; s. dazu auch Staehle 1991).
„Slippery slope“ bezeichnet in der Argumentationstheorie die Gefahr oder den Fehler, dass
ein Argument oder eine Entscheidung A ungewollt und zu Anfang nicht recht absehbar
weitere Argumente B, C, D etc. auslöst und auf diese Weise „gleitend“ zu ganz uner-
wünschten oder absurden Konsequenzen führt. Das betrifft zum Beispiel, ein wichtiger
Fall, Argumente und Entscheidungen über Gesetze oder auch organisatorische Regeln. Ein
wirksames Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung ist im Deutschen Bundestag noch stets
mit einem slippery-slope-Argument abgewehrt worden: Wenn wir so ein Gesetz einführten,
beschränkten wir ungewollt die Freiheit der Abgeordneten, als Interessenvertreter des
(oder von Teilen des) Volkes zu wirken. Das ist ersichtlich eine argumentative Falle (und
dann meist ein Fall intendierten Noch nicht/nicht mehr, s.u. Abschnitt 4). Aber die Sache hat
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 21
eine Entsprechung auf Seiten der Praxis, und oft ist nicht leicht zu entscheiden, ob ein Ar-
gumentationsfehler vorliegt oder diese Praxis tatsächlich zum „Abrutschen“ neigt: Bedient
sich die „broken windows“-Polizeistrategie eines Argumentationstricks oder ist es wirklich
so, dass das eine zerbrochene Fenster weitere Zerstörungen und sodann hohe Kriminali-
tätsraten nach sich zieht (Wilson/Kelling 1982), sodass bald „alles zu spät“ ist? Eine Reme-
dur gegen praktisches slippery slope lautet (einmal zu Recht, ein andermal zu Unrecht):
„Wehret den Anfängen“, sonst droht dieses: Erst hielten wir Abhilfe noch nicht für nötig,
aber bald ist sie nicht mehr möglich. Dass die Kriminalitätsrate New Yorks wegen der
dadurch nahegelegten Polizeistrategie der „zero tolerance“ gesunken wäre, ist allerdings
unter Kriminalsoziologen höchst umstritten. Ein wichtiger Fall in Organisationen (und
anderswo): Lassen wir Ausnahmen (z.B. betreffend Sicherheitsvorschriften oder das Verbot
von Hausberufungen) zu oder „schaffen wir damit Präzedenzfälle“ (instruktiv zu Präze-
denzfällen: Elster 2000, S. 97 f.)? Wie man sehen kann, gibt es eine Nähe des Driftens und
der slippery-slope-Figur zur Figur der Pfadabhängigkeit (so auch Volokh 2003). Mehr noch:
Jedwedes organisationale Momentum kann im Lichte der Metapher gesehen werden. Auch
Gregory Batesons (1987, S. 122) Frosch, der im allmählich zum Kochen gebrachten Wasser zu
Grunde geht, ist eine sprechende Metapher für Gefahren eines Noch nicht/nicht mehr.
Das Driften von Regeln kann also organisationsinterne Verhältnisse weit überschreiten, und
es kann sich sogar auf die Metaebene der Regeln für die Regelproduktion erstrecken – so,
wenn die Moderne, wie Michael Power (1994, 1997) zu bedenken gibt, in eine „audit
society“ driftet, in der „rituals of verification“ und gar Standards der Standardisierung zu
befolgen sind. Auch das ist ein Resultat, das in dieser Pertinenz, Allgemeinheit und Penet-
ranz niemand intendiert hatte, dessen wir uns aber nicht mehr – jedenfalls nicht mehr leicht
– entledigen können, selbst wenn es die von Power analysierten Folgeprobleme – Stich-
wort: Entfremdung von den ursprünglich motivierenden Problemen – zeitigt. (Man darf
dabei durchaus auch an jene gleitende Bewegung denken, in der inzwischen der Wissen-
schaftsbetrieb in Standards für die Standardisierung – Standards für Evaluation, Akkredi-
tierung, Rankings, nicht zuletzt via Standardisierungsmacht von Journalen, Zeitungen und
einschlägigen Agenturen – geraten ist.)
In der Politologie und der politischen Soziologie hat seit einiger Zeit das Phänomen des
Driftens von Institutionen Beachtung gefunden: Institutionen drohen im Laufe der Zeit zu
verfallen, wenn sie nicht beständig in ihrer Geltung neu bestätigt, bekräftigt, „reimpräg-
niert“ und auf diese Weise reproduziert werden (Streeck/Thelen 2005; Mahoney/Thelen
2010; Dank an Renate Mayntz für diesen Hinweis). Das Argument ähnelt, wie man sieht,
Hirschmans Begründung für „organizational slack“. Man könnte – mit Blick etwa auf
Wahlbeteiligungen, sorgfältige Rechtsproduktion durch den Gesetzgeber oder die Geldab-
hängigkeit des US-amerikanischen Kongress‘ – nachgerade von einem „institutional slack“
sprechen.
Die Gefahr des Verfalls von Instutionen wird forciert, das war eine beständige Sorge
Arnold Gehlens (jetzt 2004), durch das, was er „Hintergrunderfüllung“ genannt hat: Alle
Institutionen haben es an sich, allmählich den Schein ihrer eigenen Entbehrlichkeit zu er-
zeugen. Sie rücken nämlich zugehörige Bedürfnisse dadurch in den Hintergrund, dass ihre
22 Günther Ortmann
Erfüllung zur Selbstverständlichkeit wird – eine Erfolgsfalle für Institutionen: Ihr Erfolg
scheint sie zu erübrigen, daher verfallen sie, aber das ist erst noch nicht abzusehen und
dann nicht mehr (leicht) zu ändern.
Gehlens Remedur lautete: Lassen wir die Institutionen nach Möglichkeit unangetastet. Das
lässt sich als ein Fall eines argumentativen slippery slope auffassen (obwohl ein praktischer
Institutionenverfall eine tatsächliche Gefahr darstellt). Diesen Konservatismus können sich
Organisationen typischerweise nicht erlauben. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als das
Regelwerk jeweils zu verbessern – und das organisationale Sensorium für jedwedes – aber:
welches? – Driften zu schärfen.
Daher ist man besser beraten, sich Scott Snooks problembewusste Erörterung der Frage zu
Herzen zu nehmen: Was tun, da und sofern „mehr Regeln“ und „engmaschigere Kontrolle“
nicht die Mittel der Wahl sind, wenn man es mit der beschriebenen Regeldrift zu tun hat?
Snook (2000, S. 232 ff.) bietet keine fertige Antwort. Er hält es für fundamental, Antworten
auf eine entscheidende Frage zu finden, allgemein und für jeden Einzelfall: „What are the
critical design features of a hyper-complex, multilevel, multi-task, organizational system
that will increase the likelihood of accomplishing the ‚total task‘ consistently?“ (ebd., S.
235). In der Identifikation der (zyklischen, spiral- oder besser helixförmigen) Systemeigen-
schaften des fraglichen Interaktionssystems im Wege eines holistischen Ansatzes sieht er
den ersten Schritt, soweit hier das Systemdesign zur Debatte steht. Im Übrigen bedürfe es
zunächst einer Bibliothek einschlägiger Fälle und Studien, um zu Verallgemeinerungen zu
kommen. Ich ergänze diese Hinweise mit Blick nicht auf ein besseres Systemdesign, son-
dern auf eine unvermeidlich verbleibende Neigung zum Driften von Regeln: Wenn man
damit ernstlich rechnen muss, dann müssen in Organisationen Wahrnehmungs- und Reak-
tionsfähigkeiten, also: Responsivitäten für diese ja durchaus typischen Formen von Regel-
abweichungen im Dienste lokaler Rationalitäten eingebaut werden, einschließlich Kompe-
tenzen und Achtsamkeit der Beteiligten à la „Managing the Unexpected“ (Weick/Sutcliffe
2001), mit der Stoßrichtung der Vermeidung von Pannen und Desastern und gegebenen-
falls der Rücknahme des Driftens oder im Dienste responsiver, die lokalen Rationalitäten
transzendierenden Adaptationen des Regelwerks.
2.2 Lock-ins
Die berühmte QWERTY-Tastatur für Schreibmaschinen (David 1985) und Computer; die
Stromversorgung mittels zentraler Kraftwerke statt dezentraler Generatoren in jedem
Haushalt (Granovetter 1985); die Spurbreite der englischen Eisenbahn; überholte Compu-
tersprachen wie FORTRAN; das Videorecordersystem VHS; das Microsoft-Betriebssystem
oder auch Atomkraftwerke: Das sind Beispiele für pfadabhängige Entwicklungen und
Verriegelungen – Lock-ins –, die ihrerseits ein Noch-nicht/nicht-mehr-Problem konstituie-
ren: Erst mussten wir sie noch nicht loswerden, dann konnten wir es nicht mehr, auch dann
nicht, wenn ihre Ineffizienz inzwischen anerkannt wurde.
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 23
In vielen Fällen nimmt dieses Dilemma eine auf die Zukunft bezogene Form an: Zunächst
kann man noch nicht wissen, welcher technologische Standard, welche technische Lösung,
welches Produkt sich durchsetzen und die Vorteile von increasing returns auf sich vereini-
gen wird, muss sich aber jetzt, allzu früh, entscheiden, denn bald wird ist es zu spät sein,
um noch auf den abfahrenden Zug zu springen (für ein Fallbeispiel aus der Chipprodukti-
on s. Windeler 2003; zur prinzipiellen Voreiligkeit des Entscheidens s.o. 1.7). Insofern hier
das Handeln Anderer und Netzeffekte eine Rolle spielen, muss man Lock-ins als Fälle
fremdinduzierter Unmöglichkeit auffassen. Eine Form der Remedur mag dann in der Bil-
dung von Allianzen bestehen, an denen viele oder gar alle wichtigen Player beteiligt sind.
Auf diese Weise kann frühzeitig verhindert werden, dass jene Anderen dem fokalen Unter-
nehmen davonziehen und es im Zustand des „zu spät“ zurücklassen. Dabei ist der Zeitab-
lauf schon deshalb wichtig, weil die Partner – Gegner? – im Laufe der Zeit, im Maße inten-
sivierter Kooperation, Wissen abschöpfen und opportunistisch nutzen können, wogegen es
zeitlich genau differenzierter Vorkehrungen bedarf (s. etwa die Fallstudie von Gerybadze
2008 zur Durchsetzung von Standards am Beispiel eines Bussystems zur Datenübertragung
in Autos [Controller Area Network, CAN]; für weitere Abhilfen in Gestalt von Pfadver-
meidung, Pfadbrechung und Kreation neuer Pfade s. Schreyögg et al. 2003).
Viele Ökonomen neigen dazu, Probleme wie diese mittels scheinbar plausibler Gedanken-
experimente vom Sudden-Closure-Typ anzugehen (McCloskey 1990, S. 88 ff.): Was wäre
geschehen, wenn die Eisenbahnen in den USA 1890 stillgelegt worden wären? Was, wenn
wir heute den Flugverkehr verbieten würden? Was, wenn wir die Mineralölsteuer auf ei-
nen Schlag um 300% erhöhen würden? Im Lichte von Sudden-Closure-Modellen erscheinen
die Effekte der Realisierung von Alternativen dramatisch, das je Gegebene als unverzicht-
bar: Es geht nicht mehr ohne Eisenbahnen, Flugzeuge und billiges Benzin. Aber ohne Eisen-
bahnen, Flugzeuge und billiges Benzin lebten wir in einer anderen Welt, in einer Welt, in
der es sich ohne Eisenbahnen, Flugzeuge und billiges Benzin womöglich ganz gut leben
ließe. Der Trick liegt in der Plötzlichkeit. Plötzlich geht es tatsächlich heute noch nicht und
24 Günther Ortmann
eben deshalb morgen nicht mehr – morgen erst recht nicht mehr, weil unsere Abhängigkeit
von Eisenbahnen, Flugzeugen und billigem Benzin noch gestiegen sein wird. „Ex abrupto“
heißt ein kleiner Text von Jacques Derrida (2012, S. 143 f.), der – in ganz anderem Zusam-
menhang – dem gewidmet ist, was „abrupt“ eigentlich heißen kann: „der Bruch (rupture)
für einen Abstieg, der keine Zeit mehr lässt … mit dem letztendlichen Wunsch …, dass das
fällt wie es fällt, gut und mit einem Schlag Platz und ein Ende nimmt …“ (Hervorh. G.O.).
Wenn Manager oder auch Bankberater oder überhaupt Verkäufer durch Anreize und Kar-
rierelockungen und -bedrohungen auf allzu kurzfristige Zielerreichung orientiert oder gar
festgelegt werden (das wäre dann fremdinduziert), droht eine graduell abgestufte Variante
des sudden-closure-Problems. Solchen Akteuren müssen langen Atem erfordernde Lösungs-
wege als unmöglich erscheinen. Längerfristig wirkende Praktiken des Managements, der
Beratung, des Verkaufens kommen für sie daher nicht in Frage – heute noch nicht und
morgen nicht mehr, weil inzwischen die derart bescherte Kurzatmigkeit und Kurzsichtig-
keit zum Standard geworden ist und die Gratifikations- und Karrierechancen von dessen
Erfüllung abhängen.
Allmählichkeit ist das Heilmittel wider diese vorauseilende gedankliche Versenkung unse-
rer Möglichkeiten in den Spalten zwischen Noch-nicht und Nun-aber – statt sudden closure
die allmähliche Eröffnung möglicher Welten. Aber: Wie oft ist, zumal in Zeiten einer sich
überstürzenden Moderne (Ortmann 2009), Allmählichkeit in Gefahr, der Lächerlichkeit
preisgegeben zu werden?
Ein geläufigeres Gegenstück zu dem Wunsch nach unverzüglicher Verbesserung der Ver-
hältnisse ist die Idee langfristiger Planung. Sie indes ist, wie es heute die Spatzen von den
Dächern pfeifen, in großer Gefahr, sich der Unerträglichkeit des Noch-nicht nur auf inverse
Weise zu entwinden: statt im sudden-closure-Modus, also durch Verleugnung der Beharr-
lichkeit des status quo, diesmal durch Verleugnung der Unerkennbarkeit der Zukunft. Auch
Masterpläne haben es an sich, erst noch nicht und dann nicht mehr zu funktionieren und
die Fenster derjenigen Möglichkeiten, die sich erst unterwegs auftun, zu früh zu verschlie-
ßen und zu lange verschlossen zu halten. Auch dafür ist die Remedur Allmählichkeit: die
allmähliche Verfertigung der Ideen im Handeln – und, was in zeitlicher Hinsicht auf das-
selbe hinausläuft, Vorsorge für Rekursivität, Reversibilität, Responsivität, Flexibilität und
die Wahrung von Optionen und Kontingenz (dazu Ortmann 2009, 2010b).
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 25
verbleibende
intrinsische
intrinsische
Motivation
Motivation verdrängte
intrinsische
Motivation
t0 t1
Motivation
insgesamt
intrinsisch
extrinsisch
t0 t1
Was die „näher anzugebenden Umstände“ angeht, so lohnt sich ein Blick auf die zeitlichen
Verhältnisse.
Zwei einfache zeitliche Umstände sind wohlbekannt. Erstens: „The most important condi-
tion for this trade-off (between in- and extrinsic motivation, G.O.) is the existence of intrin-
sic motivation in the first place” (Osterloh/Frey 2000, S. 541; Hervorh. G.O.). Zweitens:
„changing intrinsic motivation is more difficult … than relying on extrinsic motivation …“
(ebd., S. 549) und beansprucht in der Regel mehr Zeit. Dieser zweite Gesichtspunkt lässt
sich bestärken, wenn man intrinsische Motivation als Elster-Zustand auffasst, denn das
impliziert, dass er nur als Nebenprodukt eines anderen Verhaltens/Handelns erreicht wer-
den kann. In der Literatur werden genannt: die Eröffnung von Partizipationsmöglichkeiten,
persönliche Beziehungen, „gemeinsame Zielvereinbarungen“ (ein verräterischer Pleonas-
mus, der auf oktroyierte Ziel“vereinbarungen“ verweist), konstruktives Feedback, eine for-
dernde und fördernde Arbeitsorganisation mit anspruchsvollen Aufgaben („interesting
tasks“) u.a.m. Derlei herbeizuführen, kostet Zeit (und ist in seinen Erfolgen unsicher, wie
auch Osterloh/Frey 2000, S. 540 betonen). Wenn wir also den Fall betrachten, dass intrinsi-
sche Motivation aufgebaut, aber zugleich vom Verdrängungseffekt bedroht wird, dann
können wir die Dinge wie in Abbildung 4 darstellen:
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 27
t1
t0
Es ist ja offenkundig, dass die hier einschlägigen Begriffe wie Aufbau, Motivation, Ver-
drängung, crowding-out, Korruption, Verschiebung des locus of causality respektive locus of
control von Fremd- zu Selbstbestimmung oder umgekehrt, de- oder evaluation of self-deter-
mination (Osterloh/Frey 2000, S. 541) oder perception of fairness (ebd.) eine Doppelbedeutung
haben: Gemeint sein kann der Prozess oder sein Resultat. In der Literatur wird meist auf das
Resultat abgestellt. Der Prozess, und das heißt: die Zeit – die Dauer, die Geschwindigkeit
und die zeitliche Reihenfolge und deren Effekte – spielen eine lediglich untergeordnete,
implizit bleibende Rolle.
nicht mehr (leicht) möglich sind, wenn nämlich Defektion, Überweidung, Unterproduktion
und Trittbrettfahrerei eine kritische Schwelle überschritten haben. Die Gefangenen im ein-
maligen Gefangenendilemma zum Beispiel können erst noch nicht darauf vertrauen, dass
der Andere kooperieren wird, und danach ist es zu spät. Auch im iterierten Gefangenendi-
lemma drohen jederzeit Defektion und Defektionsketten – mit der Gefahr, dass „der Ehrli-
che der Dumme ist“, der davon überrascht wird, dass auf Kooperation nicht mehr vertraut
werden kann. Bekanntlich wurden für die Steuerung in Richtung auf effiziente Lösungen
zumal der Allmendeprobleme, mit denen Elinor Ostrom (dt. 1999) befasst ist, lange Zeit nur
der Markt oder der Staat als Kandidaten ins Auge gefasst. Ostrom aber, die demgegenüber
vielfältige Lösungswege und insbesondere Selbstverwaltung als Alternative postuliert, hat
m.E. das stärkste Argument für die Ergänzung einer statischen durch eine dynamische, die
Zeitbedarfe und -abläufe in Rechnung stellende Betrachtung solcher Dilemmata geliefert.
Sie hat gezeigt, dass die scheinbare Unausweichlichkeit der genannten sozialen Dilemmata
Resultat einer Dramatisierung ist, die sich, wie ich es sehe, nicht zuletzt der Statik der ein-
schlägigen Modelle verdankt. Die Tragik der Allmende (Hardin 1968), das Gefangenen-
Dilemma, die Logik kollektiven Handelns (Olson 1965) und allfällige Bedrohungen durch
Andere – Defektoren und Trittbrettfahrer – lassen sich entschärfen, wenn nur gefragt wird,
was da die Bedingungen der Unmöglichkeit in der Zeit produziert, wie deren Produktion
vonstatten geht und wie umgekehrt Akteure unter notwendiger, ausgiebiger Inanspruch-
nahme von Zeit für die Entwicklung – und spätere Modifikation! – geeigneter institutionel-
ler Arrangements sehr wohl Bedingungen der Möglichkeit selbstverwalteter Kooperation
schaffen können. Es geht da um Zeit „raubende“ Prozesse der Kreation, Bereitstellung,
Vollstreckung, Durchsetzung, Überwachung und Anpassung von Institutionen, um Selbst-
verpflichtung (dazu Abschnitt 5) und Vertrauensbildung (und dabei um das Nach-und-
Nach rekursiver Konstitution von Selbstverpflichtung und Überwachung; Ostrom 1999,
S. 54 ff. und passim). Es geht um Zeit beanspruchendes Experimentieren mit institutionellen
Arrangements, und es geht um langwierige Institutionentransformation, und immer droht
der Einbruch des Nicht-mehr der Kooperation – der Defektion und Ausbeutung. Dafür
verweise ich hier kursorisch auf die einschlägigen Arbeiten zu common-pool resources. Dar-
über hinaus biete ich nun nur noch zwei Beispiele für fremdinduzierte Unmöglichkeit auf,
die für das Handeln in Organisationen besonders aufschlussreich sind.
Arbeitsmarktchancen steigern sollen, die aber nur relativ zum Niveau der anderen besser
ist et cetera. Auch am Arbeitsmarkt aber gilt: Wenn alle auf den Zehenspitzen stehen, kann
niemand besser sehen. Die Bildungs- und Arbeitsanstrengungen der Einzelnen produzieren
und destruieren zugleich die besseren Arbeitsmarktchancen, wenn sich alle danach stre-
cken. Das verleugnen die meisten Arbeitsmarktpolitiker. Das alte Bildungsniveau beschert
dann den Arbeitsplatz noch nicht, das neue nicht mehr.
Der erste Theoretiker der positionalen Güter war Georg Christoph Lichtenberg. „Wo alle
Leute so früh als möglich kommen wollen“, schreibt er in den Sudelbüchern (1968, Heft L,
S. 913), „da muß notwendig bei weitem der größere Teil zu spät kommen.“ Das gilt, wie
man wohl sieht, auch für Wettbewerbspositionen zwischen und auch innerhalb von Orga-
nisationen.
Das lässt sich sogar evolutionstheoretisch fassen, und zwar auch mit Blick auf die Evolution
von Organisationen: als Red-Queen-Effekt. Die Rote Königin, noch einmal, sagt zu Alice in
Alice hinter den Spiegeln: „... it takes all the running you can do to keep in the same place.“
Die Evolutionsbiologen (dazu noch einmal Kauffman 1996) denken etwa an Kaninchen und
Füchse, die einander gegenseitig zur evolutionären Steigerung ihrer Schnelligkeit nötigen,
oder an Bäume, die im Wald um Sonnenlicht konkurrieren und dafür höher und höher
wachsen müssen. Organisationen – und Mitglieder in Organisationen mit ihren Positions-
kämpfen – können einem vergleichbaren Selektionsdruck unterliegen.
Ich gebe hier mit Blick auf das Innere von Organisationen nur noch das Beispiel der Zufrie-
denheit der Organisationsmitglieder, von der Oswald Neuberger (1997, S. 222) gezeigt hat:
Sie „ist ein bewegliches Ziel, das sich bei Annäherung immer ein Stück weiter entfernt“,
weil und soweit es dabei um positionale Güter geht und „der Selbstwert an die Wertschät-
zung durch andere gekoppelt ist“ (ebd., S. 223). Ein Management, das versucht, die Ar-
beitszufriedenheit zu erhöhen, läuft daher Gefahr zu erleben, dass die Leute erst (mit dem
alten Zustand) noch nicht und dann (nach zufriedenheitserhöhenden Maßnahmen) mit
dem neuen nicht mehr zufrieden sind: Die Referenzgruppe, von der man Standards der
Zufriedenheit ableitet, konnte inzwischen ihrerseits ein höheres Vergleichsniveau realisie-
ren. Man sieht daran, dass demonstrativem Konsum à la Veblen (1981) insofern mehr als
ein Hauch von Vergeblichkeit zukommt. Eine Remedur besteht dann darin, Abstand von
solchen – extrinsischen (s.o.)! – Anreizen zu nehmen, sofern sie ihren Wert aus der Position
in einer sozialen Rangordnung beziehen.
Die Metapher der Falle – eine Falle ist, zeitlich gesehen, immer eine Noch-nicht/nicht-mehr-
Konstellation – erlaubt nun zu sehen, dass man derlei auch intendieren und Fallen auch
stellen kann. Immer noch bleibt es dann bei Akteuren, die hineingeraten (und irgendwann
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 31
Ich kann hier nur in aller Kürze eine Reihe weiterer bekannter Konstellationen anführen,
die in oder zwischen Organisationen erhebliche Relevanz haben:
Über beabsichtigte (Folgen von) Reorganisationen wird oft nicht oder schlecht infor-
miert, um keine „schlafenden Hunde“ zu wecken. Wenn die schlafenden Hunde erwa-
chen, können sie oft nichts mehr machen, und das ist ja meist der Sinn dieser Taktik.
Budgetanträge (auch: Bauvorhaben im öffentlichen Raum) werden bekanntlich oft mit
(zu) geringen Investitionssummen begründet, in hie bekannter, da dann doch überra-
schender Antizipation nachträglicher Korrekturen nach oben. (Die veranschlagten Kos-
ten für die Elbphilharmonie in Hamburg haben sich Ende 2012 von anfangs 77 Millio-
nen Euro auf nunmehr 575, nach neuesten Meldungen vom Mai 2013 auf 789 Millionen
erhöht.)
Gaben erzeugen beim Empfänger die mehr oder minder stark empfundene Verpflich-
tung zur Erwiderung. Sie eignen sich daher zur Fallenstellerei via Moralität des Emp-
fängers. Kaffeefahrten, das „Anfüttern“ von Betriebsräten, das erst später in flagrante
Korruption ausartet, Spendenaufforderungen, denen kleine „Geschenke“ beigegeben
werden, und so manche Maßnahmen der Kundenbindung sind Beispiele.
Schließen wir mit dem Hinweis, dass beabsichtigtes Noch nicht/nicht mehr nicht immer
den Titel ‚Fallenstellerei‘ verdient. So manche selbsterfüllende und erst recht so manche
selbstzerstörende Prophezeiung (dazu Schelling 1978, S. 115 ff.) soll schützen oder retten,
nicht Andere in eine Falle locken. Das Versprechen blühender Landschaften in den neuen
Bundesländern war vielleicht keine Lüge und keine Fallenstellerei, sondern der Versuch,
auf Selbsterfüllung zu setzen, und die Warnung vor einer Krise mag sich – hoffentlich – erst
noch nicht, dann nicht mehr erfüllen. Ferner gibt es auch den Fall eines intendierten Noch
nicht/nicht mehr, das selbst- und nicht, wie in den eben angeführten Fällen, fremdinduziert
ist. Das ist ein mögliches Gegengift gegen viele der hier diskutierten Probleme: Selbstbin-
dung.
nicht-mehr-Konstellationen haben es an sich, dass wir in sie hineingeraten. Das kann man
nicht immer, aber in vielen Fällen frühzeitig absehen und sich mittels Selbstbindung davor
schützen. Sich selbst heute zu binden, heißt zu sagen: Heute, da ich der Verführung noch
nicht erliege, will ich dafür sorgen, dass ich es morgen, da ich vielleicht schwach werde,
nicht mehr (leicht) kann. Der in unserem Zusammenhang einschlägigste Komplex von
Beispielen sind: Verfassungen, der Gebrauch von Recht, besonders vertraglichen (Selbst-
)Verpflichtungen und organisationale Regelwerke. Vorgesetzte etwa können sich selbst
durch Regeln – etwa der Vorgesetztenbeurteilung – binden, um befürchteten eigenen
Machtgelüsten zu steuern. Vieles, was in der neuen Institutionenökonomik als Arsenal
wider den Opportunismus der Akteure mobilisiert wird, credible commitments, hands-tying,
bonding, Garantieerklärungen, Zertifizierungen u.v.a. gehört zu den Fällen der Selbstbin-
dung (s. z.B. Picot et al. 1997, S. 86 ff.). Auch moralische Selbstverpflichtungen etwa auf
Fairness können in diesem Licht gesehen werden. In Abschnitt 1.7 habe ich ferner erwähnt,
dass jede Entscheidung als Fall von Selbstbindung aufgefasst werden kann – nicht erst, wie
bei Elster, die Entscheidung zur Einschränkung von Entscheidungen. Paradigmatische
Beispiele bei Elster (2000, S. 88 ff.) sind (Staats-)Verfassungen. Sie sind ein Fall von Selbst-
bindung in zweierlei Hinsicht: zum einen, insofern der Staat sich damit selbst bindet und so
den Bürger vor unzulässiger Staatsgewalt schützt; zum anderen als Selbstbindung der
Verfassung durch die Verfassung, die nämlich selbst die Konditionen ihrer Veränderung,
Ergänzung und/oder Suspension regelt. Verfassungen sagen zu alledem: Heute ist es noch
nicht beabsichtigt; aber die Gefahr ist absehbar, daher stellt die Verfassung sicher, dass es
morgen nicht mehr (uneingeschränkt) möglich ist. Nicht zuletzt gilt das den Gefahren des
Hineinschlitterns – des Gleitens oder Driftens (s.o. 2.1). Beispiel: „There can be a primrose
path [ein Rosenpfad] to addiction“ (Elster 2000, S. 271). Selbstbeschränkungen gegen die
eigene Alkoholabhängigkeit (dazu Elster 2000, S. 63 ff.), zum Beispiel via Mitgliedschaft bei
den Anonymen Alkoholikern, bieten dann ein Noch nicht/nicht mehr (nämlich das des
Trinkens) gegen ein gegenläufiges Noch nicht/nicht mehr (nämlich das der Abstinenz) auf.
Den Zusammenhang dieses Beispiels zu Verfassungen hat Elster (2000, S. 97) mit einer bei
von Hayek geborgten Formulierung hergestellt – „a constitution is a tie imposed by Peter
when sober on Peter when drunk.“ Das dürfen wir auf Organisationen und ihre Regeln
übertragen. Das Regelwerk (einschließlich der Standardisierung) ist eine (Fremd- und)
Selbstbindung, auferlegt, solange man „nüchtern“ ist, gegen allerlei (Selbst-)Gefährdungen:
u.a. gegen Machtexzesse, Willkür, Bequemlichkeit, shirking, Opportunismus und Abhängig-
keiten – oder Schuldenmacherei des Staates, die in den USA der Budget Control Act von
2011 eindämmen soll. Regeln „enabling limits“ zu nennen (Ortmann 2012b), findet nicht
zuletzt darin seine Berechtigung, dass man selbst seine Freiheit einschränkt, um neue Frei-
heit zu gewinnen.
***
Ich stelle nun, in Abbildung 5, die Fälle der Fallgruppen 1.1 bis 3.4 sowie 4 und 5 noch
einmal in einer Liste zusammen, wie ich sie in der Einleitung als Abbildung 2 gewählt
habe. Darin bezeichnet MNnnm die erwünschten (in Fallgruppe 5: befürchteten), aber verei-
telten Möglichkeiten.
34 Günther Ortmann
Abb. 5: Erst noch nicht, dann nicht mehr realisierbare Möglichkeiten (MNnnm)
und paradoxe Operationen der Fallgruppen 1-5
1.8 Die reine Gabe Geben, das als freigebig anerkannt sein will
3.3 Bessere Position Alle „stellen sich auf die Zehenspitzen, und
niemand kann besser sehen“
3.4 Sieg im Rattenrennen Alle rennen schneller „and the winner takes it all“
4. Wahrnehmung von/Schutz vor/Auswege aus Fallen stellen (Andere mit Zuckerbrot zur Peitsche
Fallen locken)
6 Paradoxieentfaltung; Problem-
verschiebung mit eingebauten
Folgeproblemen
Dort, wo wir es ernstlich mit Paradoxien zu tun haben, sind wir mit Unmöglichkeit kon-
frontiert. Dann bleibt, was Niklas Luhmann (z.B. 2000, S. 41 ff.) Paradoxieentfaltung genannt
hat, insbesondere: Problemverschiebung.
Schon 1963 haben Richard Cyert und James March die Hoffnungen auf fix und fertige Prob-
lemlösungen – Lösungen, die das Problem zum Verschwinden brächten – enttäuscht und
ihnen die Idee der Quasi-Lösung von Konflikten entgegengestellt. Der Begrenztheit
menschlicher Rationalität entspreche die Begrenztheit – die Vorläufigkeit und Endlichkeit –
von Problem„lösungen“. Entscheidungsprobleme würden faktorisiert, in Subprobleme
zerlegt, lokalen Rationalitäten überantwortet und mit sequentieller Aufmerksamkeit be-
dacht. Ein attention focus mechanism sorge für ein Nacheinander der Konzentration auf
(Teil-)Probleme und Ziele. „Resolving“ setzen die Autoren in Anführungszeichen, wenn sie
von Konflikt- und Problemlösung sprechen (Cyert/March 1963, S. 35, 117 f.). Entscheidun-
gen, so sehr sie dem Zweifeln und Schwanken ein Ende bereiten sollen, bleiben Pro-viso-
rien. Ihre Vorläufigkeit ist die Kehrseite ihrer Voreiligkeit (s. Abschnitt 1.7).
Diese Figur lässt sich beträchtlich präzisieren und ausarbeiten durch den von Luhmann
inspirierten Gedanken der Problemverschiebung mit eingebauten Folgeproblemen (Chris-
tof Wehrsig, mündliche Mitteilung). Organisationen lösen nicht, sie verschieben Probleme.
Cyert und March betonen die Verschiebung auf Teilprobleme und lokale Rationalitäten
sowie das Eins-nach-dem-anderen sequentieller Fokussierung der Aufmerksamkeit. An
anderer Stelle (Ortmann 2004a, S. 25) habe ich eine Liste weiterer möglicher Arten der Prob-
lemverschiebung angesichts von Entscheidungsparadoxien aufgestellt, die ich später (in
Ortmann 2009, S. 166 f.) noch etwas verlängert habe und hier unter Bezugnahme auf das
bisher Erläuterte noch weiter ausbaue (für weitere Vorschläge s. Müller-Stewens/Fontin
1997; Neuberger 2000, S. 202 ff.):
Verzicht auf Konsens zugunsten von Zeitgewinn (Luhmann 1994, S. 146) – man denke nur
an Tarifverhandlungen oder die Euro-„Rettung“;
Verschiebung des Anspruchsniveaus: „es verkürzt die Entscheidungszeit, wenn man aus
vielen brauchbaren Lösungen die ‚erste beste‘ wählen kann …“ (ebd.). Man verschiebt
also das Problem der knappen Zeit auf das Konsensproblem oder das des (zu?) hohen
Anspruchsniveaus, mit absehbaren Folgeproblemen (zur Theorie der Anspruchsanpas-
sung s. Lewin et al. 1944);
Verfolgung direkt nicht-intendierbarer Zustände auf indirektem Wege (s.o. 1.1);
36 Günther Ortmann
Temporalisierung: wir schieben die Paradoxie vor uns her wie die Beule unter dem
Teppich, schieben auf, sitzen aus, spielen auf Zeit, vertrösten uns mit zukünftigen Lö-
sungen; positiv formuliert: Wir setzen auf Lösungen, von denen man weiß oder wissen
kann oder später lernt, dass sie provisorisch, vorläufig, Zwischenlösungen sind und be-
schäftigt sich mit deren Folgeproblemen später (wie im oben erwähnten Fall der Pro-
jekt- und Netzwerk-Organisation);
Verräumlichung: die Problemverschiebung findet im Raum statt wie die buchstäbliche
Beule: Was hier unbewältigbar scheint, muss es ja nicht auch dort (am anderen Stand-
ort, im anderen Land etc.) sein;
sachliche Verschiebung: durch Fortbewegung zu je neuen sachlichen Aspekten oder Ge-
bieten (Rankings etwa verschieben das Problem der Leistungs- oder Qualitätsbeurtei-
lung auf die Messung messbarer Indikatoren und bedienen sich ferner vieler anderer
Modi der Problemverschiebung; s. Kieser 2012);
Prozeduralisierung: durch Verschiebung der Entscheidung über Inhalte auf die Regeln,
Formen oder Prozeduren der Entscheidung, von denen dann die Gewährleistung rich-
tigen Entscheidens erwartet wird (das ist der Michael-Power-Fall aus Abschnitt 2.1);
soziale Verschiebung: auf immer andere Personen, Personenkreise (zum Beispiel höherer
oder niedrigerer hierarchischer Ebenen) oder auch korporative Akteure; Arbeitsteilung
hilft bei allen Weisen der Verschiebung;
Problemverdrängung/Invisibilisierung: auch hier hilft Arbeitsteilung; die Paradoxie fällt
durch die Gitter der Zuständigkeiten und Kompetenzen, wird tabuisiert, aus dem orga-
nisationalen Gedächtnis und dem Organisationsvokabular entfernt;
Relativierung: was für den einen/in einem Kontext/aus einer Perspektive paradoxal an-
mutet, muss es aus anderer Sicht nicht sein; Perspektivenwechsel und Pluralismus
avancieren zu Heilmitteln (Atomstromerzeuger können zum Beispiel ihre Argumenta-
tion von „preiswert“ auf „CO2-frei“ umstellen);
Zuflucht zu Scheinobjektivität etwa eines Organisationsberaters, eines neutralen Gutach-
ters, eines unanfechtbaren Verfahrens, eines unvoreingenommenen Beobachters (Kieser
1998);
Scheinheiligkeit: man begnügt sich wider besseres Wissen mit Begründungs- und Legiti-
mationsfassaden (Meyer/Rowan 1977; Brunsson 1989);
Oszillation: man oszilliert zwischen den Hörnern eines Dilemmas (Luhmann 2000, S. 128
und passim), etwa zwischen Humanisierung und Rationalisierung, Größenwachstum
und „small is beautiful“, Zentralisierung und Dezentralisierung, Diversifikation und
Konzentration aufs Kerngeschäft;
Versuch und Irrtum plus kritische Prüfung: das ist der Vorschlag Hans Alberts (1991) –
eine weise Konsequenz aus der Ernstlichkeit des von ihm etablierten Begründungsprob-
lems („Münchhausen-Trilemma“), die aber ihrerseits die Frage nach den Kriterien der
kritischen Prüfung, der Begründung dieser Kriterien und ihrer Anwendung in situ auf-
wirft;
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 37
7 Resümee; Weiterungen
Ich fasse zusammen, was mir an Noch-nicht/nicht-mehr-Konstellationen wichtig erscheint,
und deute einige Weiterungen an.
1. Paradoxien genießen in weiten Kreisen keinen guten Ruf. Ich habe sie einmal „die
Schmuddelkinder der Logik“ genannt (Ortmann 2004a). In der Philosophie werden sie
trotzdem, oder gerade deshalb, sehr ernst genommen (s. nur Sainsbury 1993). Vielen Be-
triebswirten zumal, mit ihrem praxeologischen Erkenntnisinteresse, sind sie jedoch ein
Dorn im Auge, weil und insofern sie Unmöglichkeit implizieren, statt Handlungsmöglich-
keiten zu eröffnen (s. aber die bereits zitierten Arbeiten von Müller-Stewens/Fontin 1997
und Neuberger 2000). Sie jedoch nur oder zu schnell unter dem Gesichtspunkt ihrer Über-
windbarkeit zu betrachten – „Was kann man tun?“ –, ist geeignet, den verweilenden Blick
auf die Grenzen der Machbarkeit zu trüben oder eilig abzuwenden.
38 Günther Ortmann
2. Operative Paradoxien haben eine zeitliche Ausdehnung, und in den hier interessierenden
Fällen sind die Zeitverhältnisse ausschlaggebend. Wenn eine operative Paradoxie dadurch
definiert werden kann, dass die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation die Bedin-
gungen ihrer Unmöglichkeit implizieren, dann lässt sich mit Gewinn nach den empirischen
Zeit- und Produktionsverhältnissen solcher Unmöglichkeiten und Implikationen fragen,
die ja im Falle operativer Paradoxien über bloße Logik hinausgehen.
3. Im Noch-nicht kommt, implizit oder explizit, eine Erwartung zum Ausdruck – noch nicht,
aber bald –, die nicht einfach nur enttäuscht wird, sondern deren Enttäuschung auf eine für
den fokalen Akteur unsichtbare oder undurchsichtige, am Ende womöglich überraschende
oder jedenfalls irritierende Weise in den Zeit- und Produktionsverhältnissen impliziert ist
(Ausnahme: Selbstbindung). Solche Erwartungen aber sind es gerade, die ins Noch nicht/
nicht mehr locken. Wenn man der ganz überragenden Rolle von Erwartungen und Erwar-
tungserwartungen zur Ermöglichung und Stabilisierung von Interaktion und Kommunika-
tion eingedenk ist – auch und zumal in Organisationen, wo organisatorische Regelwerke
Erwartungssicherheit stiften sollen –, dann wird man die Relevanz von Erwartungsstörun-
gen nach dem Muster Noch nicht/nicht mehr kaum gering schätzen.
4. Manchmal muss man implizierte Unmöglichkeiten (erst einmal) einfach akzeptieren, sich
ihnen beugen. Das klingt trivial, aber das Beispiel des crowding out durch extrinsische Moti-
vation macht anschaulich, wie überaus schwer das in praxi – und auch in der Theorie – bis
heute fällt: Nach wie vor wird der mögliche Verdrängungs- und/oder Fehlsteuerungseffekt
von Prämien, Boni und jedweder leistungsabhängigen Entlohnung meist verdrängt.
5. Gleiten, Driften, schleichende Entwicklungen und alles, was in der Philosophie unter
dem Titel „slippery slope“ behandelt wird (Volokh 2003), beabsichtigt oder nicht, birgt die
Gefahr, erst noch nicht wahrnehmbar, dann nicht mehr reversibel zu sein.
6. Oft, versteht sich, tun sich sodann Umgangsweisen jenseits des ursprünglich Intendierten,
jenseits jener Möglichkeiten auf, die dem Noch nicht/nicht mehr zum Opfer gefallen sind
(so zum Beispiel, wenn von der fixen Idee einer sudden closure abgelassen wird).
7. Remeduren werden erleichtert durch einen mikrologischen Blick auf die Zeit- und Pro-
duktionsverhältnisse: Was genau produziert hier eigentlich die Unmöglichkeit? (Im Falle
von Elster-Zuständen: das bloße – direkte – Intendieren; im Falle der Regeldrift: die not-
wendige Differenz zwischen Auferlegung und Anwendung einer Regel im Verein mit loka-
len Rationalitäten; im Falle von Lock-ins: positive Rückkopplungen – increasing returns –
und externe Effekte einzelrational handelnder Akteure etc.) In welcher Zeit? Mit welcher
Geschwindigkeit? In welcher Reihenfolge? Mit welchem Grad an Irreversibilität? Man
denke für all diese Fragen nur an die erwähnten Fallstudien von Windeler zur Chipproduk-
tion und von Gerybadze zu Datenbussystemen in Autos.
8. Oft besteht die Remedur nicht in Problemlösungen, sondern in Problemverschiebungen mit
eingebauten Folgeproblemen.
9. Die Konstellationen des Noch nicht/nicht mehr können in vielen Fällen reflektiert, abge-
sehen und zum Aufbau von Zeitfallen genutzt werden, wie nicht selten in Fällen der fun-
damentalen Transformation à la Williamson.
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 39
10. Selbstbindung ist ein Weg, so manchem Noch nicht/nicht mehr zu begegnen, indem sie
gegen erwartbare Überraschungen (fast ein Oxymoron) wappnet. Dabei ist sie selbst ein
Noch nicht/nicht mehr, insofern sie dafür sorgt, dass jenes Selbst morgen nicht mehr (leicht)
kann, was es heute noch nicht will.
11. Dass das Nicht-mehr, außer im Falle der Selbstbindung, als Erwartungsenttäuschung –
als Überraschung oder Irritation – kommt, erfordert zweierlei: einerseits ein management by
exception, ein suprise management, ein managing the unexpected u.Ä., andererseits das Design
von Interaktionssystemen (etwa im Sinne des zitierten Scott Snook), in die Robustheiten
etwa gegen ein allfälliges praktisches Driften von Regeln, gegen zu kurzfristige Orientie-
rungen im Sinne einer sudden closure oder gegen intra- und interorganisationale Lock-ins
eingebaut sind.
12. Mit irritierenden Störungen hat es aber eine noch darüber hinausgehende Bewandtnis.
Sie stören Selbstverständlichkeiten auf, und indem sie das tun, eröffnen sie uns Weisen der
Welterschließung, die uns vorher nicht zugänglich, weil von Selbstverständlichkeiten ver-
stellt waren. Das hat Martin Heidegger (1984, S. 52 ff., bes. 66 ff. und 72 ff.) in Sein und Zeit
am Beispiel des von ihm so genannten Zeugs (Werkzeug, Schreibzeug, Fahrzeug etc. –
alles, was zuhanden ist) analysiert. Heidegger will sagen: In unserer Praxis, im praktischen
Umgang mit den Dingen, nicht in der Theorie, nicht in bloßer Kontemplation und Wahr-
nehmung, erschließt sich uns die Welt. (Seine Zeuganalyse müssen wir daher heute praxis-
theoretisch nennen.) Dabei spielen (Erwartungs-)Störungen eine besondere Rolle. Man
denke in diesem Zusammenhang zunächst noch einmal an den Pariser Wasserhahn, mit
dem ich den Auftakt gemacht habe.
„In den Stör- und Unfällen des alltäglichen Zeuggebrauchs,“ so haben Iris Därmann und Anna
Echterhölter (2013, S. 18 f.) Heideggers Überlegungen erläutert, „in denen sich das Zeug indes
als beschädigt, unbrauchbar, unhandlich, undienlich oder fehlend erweist, leistet es einer wich-
tigen Entdeckung Vorschub. Für Heidegger steht mit der Störung eine unerschütterliche Ver-
trautheit mit der Welt in Frage, die sich in und mit der Störung überhaupt erst bemerkbar
macht: In dem Moment, da die alltägliche Umsicht auf ein defektes Werkzeug trifft, rückt mit
ihm der Werkzusammenhang, die ganze >Werkstatt< in den Blick. Sobald sich ein Zuhandenes
als unbrauchbar oder fehlend erweist, ‚[stößt] die Umsicht […] ins Leere und sieht erst jetzt,
womit und wofür das Fehlende zuhanden war‘. Mit diesen Stößen in die Leere ... ‚meldet sich
die Welt‘“ (in einfachen Anführungszeichen wird hier Heidegger 1984, S. 75 zitiert).
Das alles dürfen wir getrost auf jedwedes „organisationale Zeug“ und den organisationalen
Zeugzusammenhang übertragen. Erst in den Anomalien und Brüchen leuchtet die Welt so
recht auf, und wir Selbstverständlichkeitsgeblendeten lernen erst daran, „womit und wofür
das Fehlende zuhanden war“ und, besonders wichtig, in welchem „Verweisungszusam-
menhang“, Zeug- und Werkzusammenhang, die Dinge gesehen werden müssen (s. Snooks
Verweis auf „hyper-complex, multilevel, multi-task, organizational systems“ und seine
Empfehlung eines holistischen Ansatzes) – und auch, wie ich nun ergänze, womit die Un-
möglichkeitsproduktion operiert hat und was sie anzurichten vermag. Die Analyse von
Entscheidungsanomalien, von organisationalen Fehlern, von Desastern, von gescheiterten
Projekten, Mergers & Acquisitions und Reorganisationen (und in der Theorie: von „Aus-
nahmefällen“) ist genau deshalb so wichtig.
40 Günther Ortmann
An dem defekten Wasserhahn in jenem Pariser Bistro leuchtete – jedenfalls für mich –,
wenn schon nicht „die Welt“, so doch eine merkwürdige Eigenschaft der Welt auf: Wie
viele ihrer Möglichkeiten in der Spalte zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr verschwin-
den, hinter dem Rücken der doch so möglichkeitserpichten, machbarkeitsversessenen Ak-
teure.9
13. Eine vertiefende Analyse müsste, auch diesen Gedanken steuert Iris Därmann bei, die
Figur des Noch nicht/nicht mehr in eine allgemeine Struktur von Zeitlichkeit einfügen. In
seinen Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins geht Edmund Husserl in
augustinischer Tradition den Konstitutionsbedingungen von Zeit nach, die er zu einer
Angelegenheit des Inneren macht. Zeit ist da nicht zuerst eine messbare Größe, sondern
„die ursprüngliche Temporalform der Empfindung“ (1928, S. 423), die Husserl am Beispiel
der Tonempfindung erläutert. Was ist ein Augenblick? Nicht ein Moment in der bloßen
Abfolge von Jetzt-Punkten. Husserl fächert die Struktur des Jetzt-Punktes zu der Dreifal-
tigkeit von Urimpression, Retention und Protention auf. Die Urimpression des Jetzt-seins
muss, um eine minimale Bleibe in der immanenten Zeit des Bewusstseins zu erhalten, sich
in einer, wie Husserl sagt, „primären Erinnerung“ (ebd., S. 418) retentional niederschlagen
– in einem Kometenschweif von Retentionen (ebd., S. 395). Beispiel: der soeben gehörte
Ton. Sie muss ferner via Protention einen Erwartungsanhalt an der Zukunft finden. Das
Jetzt ist nur jetzt, wenn es sich in ein Soeben-gewesen-Sein und in ein Noch-nicht-Sein
modifiziert, das heißt, abwandelt. In einer Generalisierung der Figur des Noch nicht/nicht
mehr wird das Jetzt zu dem, was niemals Gegenwart war, sondern sich in dem Anderen
seiner selbst, in dem Soeben-gewesen-Sein und dem leer Kommenden verliert. Als bloßes
Jetzt ist das Jetzt Nichts – noch Nichts. Als retentionales ist es aber bereits kein Ursprüngli-
ches mehr, sondern ein Modifiziertes, ein Vergegenwärtigtes, das sich zugleich protentional
auf die Zukunft – auf ein Noch-nicht – richtet. Das Jetzt ereignet sich demnach als ursprüng-
liches Jetzt niemals, sondern nur, insofern es einen retentionalen und protentionalen Anhalt
findet. Das ur-impressionale Jetzt ist ein stets versäumtes Jetzt. Das ist eine unvermerkte,
implizite Struktur aller phänomenaler Zeitlichkeit.
Das wirft ein neues Licht auf den terminus ad quem des Organisierens, die Wiederholung,
die ja gespeist wird aus Erinnerung („Wie war es?“) und Erwartung („Es kann und wird
wieder sein – wieder und wieder“).10 Dieses Wieder-und-wieder ist die Antwort der Orga-
nisation auf die Tücken, die in dem Satz stecken, der schon in „Casablanca“ von Wehmut
erfüllt ist: „As time goes by“. (Michael Curtiz‘ Film handelt vom Noch nicht/nicht mehr der
Liebe. Aber das ist eine andere Geschichte, und sie soll ein ander Mal erzählt werden.)
Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 41
Anmerkungen
* Ich danke zwei anonymen Gutachtern einer früheren Fassung, die ich – schon stark überarbeitet –
auf dem Workshop der Wissenschaftlichen Kommission Organisation am 2.3.2012 in Berlin vorge-
tragen habe, und zwei anonymen Gutachtern der Managementforschung, die alle vier durchaus ge-
mischte Gefühle und Gedanken geäußert und mich zu weiteren erheblichen Um- und Ausarbei-
tungen bewogen haben; ferner Alfred Kieser und Margit Osterloh, die auf jenem Workshop wich-
tige Ergänzungen, betreffend Rankings sowie in- und extrinsische Motivation, beigesteuert haben;
schließlich meiner Frau, Iris Därmann, für Rat und Anregungen zu Husserls Zeit- und Heideggers
Zeuganalyse und für entschiedene Ermutigung.
1 Es kann auch eine Drohung sein – wenn nämlich das noch nicht Realisierte unerwünscht oder gar
gefährlich ist. Strategischen oder taktischen Drohungen ist, anders als Verheißungen, eine Noch-
nicht/nicht-mehr-Struktur von Haus aus inhärent, weil und insofern sie ihrer Operationslogik nach
darauf setzen, nicht wahrgemacht werden zu müssen – erst noch nicht, weil sie nur Drohungen
sind, und dann nicht mehr, weil und wenn sie wirken. Damit eröffnet sich ein zweites, riesiges
Feld von Noch-nicht/nicht-mehr-Konstellationen, das ich hier trotz seiner enormen Praxisrelevanz
nicht auch noch bearbeiten kann. Man denke nur an das Paradoxon der Abschreckung, das darin
liegt, dass Abschreckung funktioniert, obwohl es für den Drohenden gerade vernünftig ist, seine
Drohung nicht wahrzumachen, was die nötige Glaubwürdigkeit von Drohungen doch untergraben
müsste (s. Dupuy 1991, S. 94 ff. mit Rekurs auf spieltheoretische Überlegungen von Kreps/Wilson
1982 und Kreps et al. 1982). Nicht zuletzt die Reputation des „tough guy“ – im Krieg oder im wirt-
schaftlichen Wettbewerb – kann so gleichwohl aufgebaut werden und sogar von solchem Noch
nicht/nicht mehr zehren.
Eine Sorte von Gefährdungen allerdings werde ich diskutieren: Selbstgefährdungen, soweit sie
möglicher Gegenstand von Bemühungen um Selbstbindung sind (s.u. Abschnitt 5).
2 S. zu solchem Lassen Waldenfels (1990, S. 101 f.): „So wie es ein Schweigen gibt, das mehr ist als
ein Nichtreden, ... so müßte es auch ein Nichttun geben, das mehr ist als ein bloßes Nichttun, weil
es das ist, was auf ähnliche Weise das Tun selber in Gang hält.“ Beredtes Schweigen, beredtes Las-
sen.
3 S. auch Elster (2000, S. 97): „One difference between written constitutions and unwritten ones is
that the former are made, whereas the latter emerge or evolve” (Hervorh. i. Orig.).
4 Die Abkopplung der Mitgliedermotivation von den Systemzwecken via Entgelt hat Luhmann
(1973) zur evolutionären Errungenschaft erklärt, die den Organisationen einen enormen Mobili-
tätsschub verliehen hätte.
5 Dieser Abschnitt entspricht weitgehend dem Auftakt in Ortmann (2011a). Dort Näheres zum Prob-
lem des Bezugs auf die Zukunft.
6 „Man hat sich also bei Rankings ernsthaft die Frage zu stellen, ob das, was gezählt wird (etwa:
Publikationen, G.O.), auch das ist, was gemessen werden soll“ (Gischer/Spengler 2012, S. 904).
7 Die avancierte Entscheidungsforschung ist – unter dem Titel „intertemporal choice“ – bemüht,
über das Konzept der Standardökonomik zur Behandlung der zeitlichen Differenz zwischen Ent-
scheidung und künftigen Resultaten, nämlich das Konzept der exponentiellen Diskontierung des
Nutzens, hinauszukommen. Ainslie hat dieses Konzept schon 1975 in Frage gestellt. Heute geht
man von hyperbolischer Diskontierung aus (s. etwa Elster 2000, S. 24 ff., 34 ff.; Berns et al. 2007) –
vorbehaltlich weiterer Forschung. Daran stört nicht dieser Vorbehalt, wohl aber die unveränderte
Reduktion der ganzen Frage der Intertemporalität auf eine Sache der Diskontierung.
8 Frey und Osterloh (2000, S. 31 ff.) bieten an dieser Stelle eine komparativ-statische Darstellung.
42 Günther Ortmann
9 Der folgende Absatz ist weitgehend übernommen aus Ortmann (2006, S. 310 f.).
10 „Solange die Weltstruktur als konstant hingenommen werden kann, solange meine Vorerfahrung
gilt, bleibt mein Vermögen, auf die Welt in dieser und jener Weise zu wirken, prinzipiell erhalten.
… [Es] bildet sich, wie Husserl gezeigt hat, die … Idealität des ‚Ich-kann-immer wieder‘“
(Schütz/Luckmann 1979, S. 29, unter Rekurs u.a. auf Husserl 1939). Organisation kann insofern als
die Sisyphos-Arbeit an solcher Idealität und an der Konstanz der Weltstruktur verstanden werden.
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Noch nicht/nicht mehr ࡳZur Temporalform von Paradoxien des Organisierens 47
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem organisationalen Umgang mit unerwarte-
ten Ereignissen. Dazu bedarf es ein hohes Maß an organisationaler Flexibilität, ohne dass
dabei die Stabilität der Organisation aufgegeben werden kann. Im Design einer explorati-
ven Fallstudie wird untersucht, wie die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung
(kurz: BAM) mit unerwarteten Ereignissen umgeht, mit denen sie ihrem öffentlichen Auf-
trag nach immer wieder konfrontiert wird. Konkret wird mit dem Fall einer gebrochenen
ICE-Radsatzwelle im Jahre 2008 die Analyse eines sehr komplexen und im Vorfeld völlig
unbekannten Schadens untersucht. Im Zentrum der Untersuchung steht ein temporäres
Ad-hoc-Team, welches speziell für den (Sensemaking-)Prozess dieser Schadensanalyse
aktiviert wurde. Das Team bildete sich aus einem etablierten Expertennetzwerk heraus und
wurde durch das Präsidium der BAM sowie die individuelle Motivation der Beteiligten
unterstützt. Es wird auf systemtheoretischer Ebene diskutiert, wie es der BAM gelang, die
notwendige Flexibilität mit diesem Team temporär zu realisieren und die bestehende Stabi-
lität mit der realisierten Flexibilität zu balancieren. Die Diskussion mündet schließlich in
theoretische Überlegungen zum organisationalen Umgang mit Unerwartetem sowie Pers-
pektiven zukünftiger Forschung.
Abstract
Handling the unexpected demands high levels of organizational flexibility, while stability
must be maintained as well. This article addresses the question of how organizations deal
with these conflicting priorities. An explorative case-study approach was chosen to study
how the German Federal Institute for Materials Research and Testing (BAM) deals with the
unexpected in terms of the organization’s tasks that revolve around safety in technology
and chemistry. Specifically, the case study focuses on how the BAM performed a multidis-
ciplinary and complex damage analysis of the unexpectedly defective wheel axle set of the
ICE train accident in 2008. The (sensemaking) process was performed by an ad hoc team,
which was put together by and recruited from a network of experts. The team was sup-
ported by the BAM’s presidium as well as by the individual efforts and commitment of the
team members. Referring to systems theory, we discuss on the one hand how the BAM
succeeded in realizing temporal flexibility with the ad hoc team, and on the other hand
how stability was maintained and balanced in light of the flexibility realized. The discus-
sion leads to some theoretical considerations as well as implications for future research.
Inhaltsübersicht
1 Einleitung
4 Diskussion
4.1 Das Verhältnis der drei Rahmenfaktoren des Sensemakings
4.2 Die Balancierung von Flexibilität und Stabilität
1 Einleitung
Angesichts der Tatsache, dass sich Organisationen zunehmend turbulenten Umwelten und
unerwarteten Ereignissen gegenübersehen, hat die Organisationsforschung in den letzten
Jahren damit begonnen, das Unerwartete sowie den organisationalen Umgang mit uner-
warteten Ereignissen immer stärker zu thematisieren (Weick/Sutcliffe 2007; Weick 1995).
Der abstrakte Begriff des Unerwarteten wird dabei in unterschiedlichen Konzepten konkre-
tisiert: Mal geht es um „Rare Events“ (Marcus/Nichols 1999; Lampel et al. 2009; Starbuck
2009), dann wieder um „Surprises“ (Lampel/Shapira 2001; Bechky/Okhuysen 2011), um
Katastrophen (Weick/Roberts 1993; Madsen 2009; Majchrzak et al. 2007) oder um Krisen
(Weick 1988; Pearson/Clair 1998; Rerup 2009). Das Attribut des Unerwarteten kann sich auf
verschiedene Dimensionen beziehungsweise Aspekte beziehen: Es können die Art eines
Ereignisses, der konkrete Zeitpunkt des Eintretens sowie die Dauer des Ereignisses uner-
wartet sein. Auch die Bedeutung beziehungsweise das Ausmaß der Auswirkung auf die
Organisation kann überraschend sein. Kurzum: Das Unerwartete unterbricht das Konstante
und Stabile in Gestalt des Besonderen und ist damit ein temporales Phänomen, mit dem
umgegangen werden muss.
Die empirische Forschung hat unabhängig von konkreten Bezeichnungen bereits verschie-
dene Perspektiven auf den Umgang mit Unerwartetem eingenommen. Einige Studien fo-
kussieren auf organisationale Reaktionen auf einzelne unerwartete und dabei höchst (über-
lebens)relevante Situationen. Beispielsweise zeigt Weick (1993) in seiner zwischenzeitlich
zum Klassiker avancierten Re-Analyse des tragischen „Mann Gulch fire disasters“, wie die
extreme Realisation des Unerwarteten – hier das gänzlich unterschätzte Ausmaß und die-
Ausbreitung des Feuers – zum Zusammenbruch jeglicher organisationaler Abstimmung
führen kann. Die von den „Smokejumpers“ (zu) spät realisierte Fehleinschätzung des Feu-
ers führte – katalysiert durch die feuerbedingte Unterbindung jeglicher Kommunikation
der Organisationsmitglieder – zur Auflösung der Organisation und zum Tod von 13 der 16
Feuerwehrleute. Mit dem theoretischen Fokus auf organisationales Lernen durch Unerwar-
tetes betrachten Christianson et al. (2009) ebenfalls ein einzelnes „Rare Event“: den schnee-
lastbedingten Einsturz eines Museumsdachs. Ein solches, die Organisation in ihrer Existenz
zwar bedrohendes, aber nicht auflösendes Ereignis eröffnet dieser Studie nach ungeahnte
Möglichkeitsräume des organisationalen Wandels.
Während der erste Strang auf den organisationalen Umgang mit dem bereits realisierten
und dabei existenzbedrohlichen Unerwarteten fokussiert, wird im zweiten die für die all-
gegenwärtige Möglichkeit der Realisation unerwarteter Ereignisse notwendige Achtsam-
keit thematisiert (Weick/Sutcliffe 2007). Beiden Perspektiven gemein ist die Betonung der
Notwendigkeit von organisationaler Flexibilität im Umgang mit Unerwartetem; und zwar
vor, während und nach dessen Realisation. Eben diese Flexibilitätsanforderung ist auch
Anknüpfungspunkt eines weiteren organisationstheoretischen Diskurses, der sich mit tem-
porären bzw. projektbasierten Organisationen und Organisationsformen beschäftigt (Good-
man 1981; Lundin/Söderholm 1995; Hobday 2000). Temporäre Organisation(sform)en sind
auf konkrete, zeitlich begrenzte Aufgaben beschränkt – beispielsweise die Produktion eines
Films (Bechky 2006) – und lösen sich mit deren Erfüllung wieder auf.
Das Resümee dieser Stränge zeigt, dass Organisationen angesichts stetig wachsender Um-
weltkomplexität und -turbulenz gefordert sind, immer anpassungsfähiger und damit flui-
der zu werden (Kellog et al. 2006). Schreyögg und Sydow (2010, S. 1251) decken das dieser
Forderung inhärente Paradox auf: „the idea of promoting organizational fluidity would
imply losing the very essence of organizing”. Die Autoren argumentieren auf konzeptionel-
ler Ebene, dass der Konflikt zwischen Stabilität und Flexibilität zwar nicht zugunsten einer
der beiden Seiten gelöst werden könne, er aber dennoch bearbeitet werden müsse. Der
Schlüssel dazu liege in der balancierten Dualität der gegenläufigen Anforderungen.
Der vorliegende Beitrag setzt nun an genau dieser Stelle mit der empirischen Fragestellung
an, wie Organisationen angesichts dieser Dualitätsanforderung mit unerwarteten Ereignis-
sen umgehen, also den Bedarf an organisationaler Flexibilität realisieren und dabei ihre
identitätsstiftende Stabilität aufrechterhalten. Dazu betrachten wir die Bundesanstalt für
Materialforschung und -prüfung (kurz: BAM). Obwohl die BAM als öffentliche Behörde
traditionell eher feste formale Strukturen mit klar definierten Abstimmungswegen besitzt
und daher durch Stabilität gekennzeichnet ist, stellt sie im Rahmen einer ihrer zentralen
Aufgaben – der Schadensanalyse – immer dann ein außerordentlich hohes Maß an organi-
sationaler Flexibilität unter Beweis, wenn besonders komplexe Schadensfälle eine interdis-
ziplinäre Bearbeitung verlangen und zeitnah unter besonderem Druck aufzuklären sind.
Solche Schäden sind aus Sicht der BAM unerwartete Ereignisse, da sie weder ihres zeitli-
chen Eingangs noch ihres Inhalts nach antizipierbar sind. Ihre Bearbeitung erfolgt in spon-
tan gebildeten Ad-hoc-Teams, bestehend aus Experten jeweils relevanter Disziplinen.
Im Design einer explorativen Fallstudie untersuchen wir, wie es einem solchen Ad-hoc-
Team (und damit der BAM) gelang, den unerwarteten Bruch der Radsatzwelle eines ICE-3
im Jahre 2008 (Wüpper 2008) mit der dazu notwendigen organisationalen Flexibilität zu
analysieren. Die leitenden Forschungsfragen lassen sich folgendermaßen konkretisieren:
(1) Der Umgang mit Unerwartetem: Wie verlief und funktionierte der Prozess der Scha-
densanalyse durch das Ad-hoc-Team im Fall der gebrochenen Radsatzwelle?
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 53
(2) Der organisationale Rahmen: Welche Faktoren trugen dazu bei, die Flexibilität des
gebildeten Ad-hoc-Teams innerhalb fester formaler Strukturen zu realisieren?
Während die erste Frage stärker auf den konkreten Umgang mit Unerwartetem und dem
damit verbundenen Sensemaking-Prozess (Weick 1995) des analysierenden Ad-hoc-Teams
fokussiert, bezieht sich die zweite Frage auf jene organisationalen Faktoren, die der konkre-
ten Realisation der notwendigen Flexibilität gedient haben, ohne dabei organisationale
Stabilität aufzugeben. Die Struktur des Beitrags ergibt sich aus eben diesen Fragestellun-
gen: In einem einführenden, theoretischen Rahmen schärfen wir zunächst das Konzept des
Unerwarteten und diskutieren die daraus resultierende Notwendigkeit organisationaler
Flexibilität aus systemtheoretischer Perspektive. Diese zunächst abstrakten Überlegungen
werden dann in eine Perspektive organisationalen Sensemakings überführt, da diese es als
konzeptionelle Folie erlaubt, den Blick auf den tatsächlichen Prozess des Umgangs mit dem
unerwarteten Ereignis der gebrochenen Radsatzwelle zu richten. Die Fallstudie wird im
dritten Abschnitt mit Blick auf Methode, Datenbasis und nach Forschungsfragen differen-
zierten Ergebnissen vorgestellt. Die theoretische Reflexion und Diskussion der Ergebnisse
erfolgt im vierten Abschnitt, bevor abschließend theoretische Implikationen und zukünfti-
ger Forschungsbedarf adressiert werden.
Zugespitzt kann das Unerwartete als eine zwingende Konsequenz der System/Umwelt-
Unterscheidung verstanden werden: Um sich zu konstituieren, muss ein System Umwelt-
komplexität reduzieren und damit eine Differenz zur Umwelt aufbauen. Das daraus
zwangsläufig resultierende Komplexitätsgefälle impliziert, dass das System Umweltzu-
54 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
stände immer nur in begrenztem Maße verarbeiten kann. Es ist zur Selektion relevanter
Zustände und Ausschnitte gezwungen, wobei die Unterscheidung relevant/irrelevant ein-
zig von der Binnenkomplexität, also den Strukturen, genauer gesagt den Erwartungen des
Systems (und seiner Akteure), selbst abhängt. Das Unerwartete ist daher ein unausweichli-
ches (und insofern erwartbares) Faktum, dem sich Organisationen als soziale Systeme
zwangsläufig gegenübersehen.
Dem Begriff des Unerwarteten lässt sich zusätzliche Schärfe verleihen, wenn er aus Sicht
der Organisation anhand der beiden Aspekte Systembezug und Dimensionen weiter aus-
differenziert wird.
Die vorliegende Fallstudie fokussiert mit der BAM auf eine Organisation, die mit der Scha-
densanalyse regelmäßigen Aufgabenbezug zu unerwarteten Ereignissen besitzt. Wie dieser
Bezug konkret aussieht, wird im dritten Abschnitt des Beitrags näher ausgeführt.
Umgang mit rein zeitlich Unerwartetem ist also aus organisatorischer Sicht unproblema-
tisch, da bereits adäquate Reaktionsmuster im Sinne organisationaler Routinen (Geiger/
Koch 2008) abrufbereit zur Verfügung stehen. Neben der zeitlichen Dimension auch inhalt-
lich unerwartet wäre der Fall eines Patienten, dessen Symptome keiner bisher bekannten
Diagnose zugeordnet werden können. In einem solchen Fall wäre keine unmittelbare, stan-
dardisierte Behandlung möglich. Hier müssen in einem – im nächsten Abschnitt näher zu
erläuternden – Sensemaking-Prozess erst Diagnose und adäquater Umgang gefunden wer-
den. Rein inhaltliche Unsicherheit läge schließlich vor, nachdem die Notaufnahme die
Benachrichtigung erhalten hat, dass ein Patient mit ungeklärter Diagnose auf dem Weg der
Einlieferung sei. Die vorliegende Fallstudie fokussiert auf den organisationalen Umgang
mit zeitlich und inhaltlich Unerwartetem.
„If the first question of sensemaking is ‚what's going on here?’ the second, equally important
question is ‚what do I do next?’” (Weick et al. 2005, S. 412).
Sensemaking beinhaltet also nicht nur den rein kognitiven Prozess der Interpretation, es ist
vielmehr ein iterativer Prozess, in dem sich Interpretation und Handeln immer wieder
abwechseln und miteinander verwoben sind. Mit Blick auf das genannte Beispiel eines
Patienten mit nicht eindeutig zuordenbaren Krankheitssymptomen werden Ärzte Untersu-
chungen durchführen (Handeln), Ergebnisse diskutieren (Interpretation), daraufhin weitere
Untersuchungen ansetzen (Handeln), die neue Rückschlüsse erlauben (Interpretation), etc.,
bis die inhaltliche Unsicherheit soweit reduziert ist, dass eine Diagnose gestellt werden
kann. Sensemaking ist also – darauf liegt hier die Betonung – ein aktiver Prozess, der immer
dann stattfinden wird, wenn aus Sicht eines Akteurs bzw. einer Organisation „the current
state of the world is perceived to be different from the expected state of the world” (Weick
et al. 2005, S. 409). Im Ergebnis des Sensemaking-Prozesses wird das ursprünglich Uner-
wartete bearbeitbar und damit in etwas zukünftig Erwartbares transformiert. Aus system-
theoretischer Perspektive bedeutet dies, dass die Erwartungsstrukturen des Systems ent-
lang des Sensemaking-Prozesses derart verändert werden, dass ein erneutes Auftreten des
Ereignisses nicht mehr inhaltlich sondern nur noch zeitlich unerwartet ist.
Sensemaking kann nach Weick (1995, S. 91 ff.) ausgelöst werden durch ein Zuviel an mögli-
chen Erklärungen (Ambiguität) oder aber durch das Fehlen von möglichen Erklärungen
(Unsicherheit) für das Unerwartete. Ausgangspunkt ist dabei jeweils die Wahrnehmung des
56 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
Abb. 1: Sensemaking als aktiver Prozess (in Anlehnung an Weick et al. 2005, S. 414)
An dieser Stelle ebenfalls wichtig zu betonen ist, dass Sensemaking immer ein sozialer Pro-
zess ist (Weick 1995, S. 38 ff.). Selbst wenn ein einzelnes Individuum einem Ereignis aktiv
Sinn zuzuschreiben versucht, ist dieses Individuum in einen sozialen Kontext eingebettet,
der wiederum beeinflusst, welche Schritte gegangen werden und welche Interpretationen
möglich sind. Es findet sozusagen ein imaginierter Austausch mit anderen statt. Sensema-
king kann aber auch – wie in der vorliegenden Fallstudie zu sehen sein wird – in Gruppen
und damit im tatsächlichen Austausch mehrerer Individuen stattfinden. Es ist ein kommu-
nikativer Prozess: Individuen artikulieren ihre je eigenen (und in sozialen Prozessen entwi-
ckelten) Perspektiven, indem sie ihre Erfahrungen explizieren und mit dem aktuellen Pro-
zess in Verbindung bringen. Im gegenseitigen Austausch werden diese Perspektiven wei-
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 57
terentwickelt und ein gemeinsames Bild konstruiert: „a situation is talked into existence
and the basis is laid for action to deal with it“ (Taylor/Van Every 2000, S. 58). Abbildung 1
visualisiert die hier referierte Perspektive organisationalen Sensemakings.
Zu den wichtigsten Aufgaben der BAM gehört die technische Schadensanalyse, oft im
Auftrag von Gerichten und Staatsanwaltschaften infolge von Unfällen, aber auch für ande-
re öffentliche Auftraggeber und privatwirtschaftliche Unternehmen. Als unabhängige
Behörde begutachtet die BAM Schadensfälle, indem sie Schädigungsmechanismen unter-
sucht und wissenschaftlich nachweist. Wie einleitend bereits angemerkt, stellen eingehende
Schadensfälle aus Sicht der BAM grundsätzlich unerwartete Ereignisse dar, mit denen sie
ihrem öffentlichen Auftrag nach umgehen muss, ohne dabei selbst als Organisation von
den jeweiligen Ereignissen in ihrer Existenz bedroht zu sein. Eingehende Schadensfälle
sind demnach wahrgenommene Realisationen des aufgabenbezogenen Unerwarteten. Ausge-
hend von den oben dargestellten Arten unerwarteter Ereignisse grenzen wir Schadensfälle,
mit denen sich die BAM beschäftigt, anhand dreier Dimensionen voneinander ab (s. Abb.
2).
Erstens können Schadensfälle danach differenziert werden, ob es zur Klärung der Ursache
nur der Arbeit eines einzelnen Fachbereichs oder aber der Verknüpfung mehrerer Fachbe-
reiche beziehungsweise Disziplinen bedarf. Zweitens sind Schadensfälle danach zu unter-
scheiden, in welcher der oben dargestellten Hinsicht sie als unerwartet einzustufen sind.
Viele der Fälle sind bezüglich des Schädigungsmechanismus‘ und daher auch der zu betei-
ligenden Fachdisziplinen aufgrund bestehender Erfahrungen eindeutig zuordenbar. In
solchen Fällen erfolgt eine in weiten Teilen routinierte Bearbeitung der Fälle, denn das
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 59
Unerwartete liegt dort lediglich im zeitlichen Auftreten. Für diesen Beitrag relevanter sind
jedoch zeitlich und inhaltlich unerwartete Schadensfälle, die zudem eine größere Zahl, im
Vorfeld nicht eindeutig zu bestimmender Fachbereiche tangieren. Drittens können Scha-
densfälle dahingehend differenziert werden, ob ein besonders hoher öffentlicher Druck in
der Aufklärung liegt.
Sind zur Aufklärung eines Schadensfalls mehrere Disziplinen notwendig, ist er inhaltlich
und zeitlich unerwartet und unterliegt seine Aufklärung einem hohen öffentlichen Druck,
so handelt es sich um einen „großen“ Schadensfall. Solche Schadensfälle treten eher selten
auf, ihre Aufklärung steht dann jedoch unter einem besonderen Zeitdruck. Hinzu kommt,
dass die BAM in „großen“ Schadensfällen oft keine oder nur wenige Erfahrungen mit ähn-
lichen Schadensobjekten besitzt. Dies unterscheidet die BAM klar von Industrieunterneh-
men, die zwar auch mit unerwarteten Schadensfällen konfrontiert werden, in aller Regel
jedoch das Schadensobjekt sehr gut kennen, da es aus dem eigenen Produktspektrum oder
Anlagenbestand stammt.
60 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
Die Analyse „großer“ Schadensfälle stellt vor diesem Hintergrund eine Aufgabe dar, die
ein hohes Maß an organisationaler Flexibilität erfordert. Daher werden für entsprechende
Schadensanalysen in der BAM sogenannte Ad-hoc-Teams aktiviert, die losgelöst von der
Hierarchie weitgehend autonom agieren können. Bei diesen interdisziplinär besetzten
Teams handelt es sich um temporäre Projektgruppen: Sie werden mit Eintreffen eines neu-
en Schadensfalls spontan gebildet und lösen sich nach Klärung der Schadensursache wie-
der auf. Wie noch im Detail gezeigt wird, weisen die Teams sowohl in ihrer Besetzung als
auch in ihrer Arbeitsweise eine besonders hohe Flexibilität auf und ermöglichen somit eine
schnelle und valide Aufklärung „großer“ Schadensfälle.
Die vorliegende Fallstudie befasst sich nun mit der Aufklärung eines „großen“ Schadens-
falls, der die BAM im Jahr 2008 erreichte, über mehrerer Monate hinweg beschäftigte und
in der Öffentlichkeit für enorme Aufregung sorgte. Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Köln
entgleiste am 09. Juli 2008 ein ICE-3 kurz vor der Kölner Hohenzollernbrücke. Eine Treib-
radsatzwelle war gebrochen und nur durch die Tatsache, dass der ICE mit Schritttempo
fuhr, kam es nicht zu einer Katastrophe, wie etwa in Eschede im Jahr 1998 (Wüpper 2008).
Da die Ursache des Bruchs unklar war – und somit auch das Gefahrenpotenzial weiterer im
Einsatz befindlicher Radsatzwellen gleicher Bauart und -reihe –, galt es möglichst schnell
zu klären, ob ein Weiterbetrieb der Hochgeschwindigkeitszüge überhaupt vertretbar sei
und wenn ja unter welchen Bedingungen (z.B. Art der regelmäßigen Prüfung, Länge der
Prüfintervalle, etc.). In den ersten Tagen nach dem Unfall war nicht klar, ob der Schaden
von der Welle selbst herrührte oder stattdessen Folge besonderer externer Einflüsse – wie
etwa die Beschaffenheit der Strecke – war. Daher beauftragte die Staatsanwaltschaft Köln
die BAM mit der schnellstmöglichen, unabhängigen Klärung der Unfallursache. Innerhalb
der BAM bildete sich unmittelbar ein Ad-hoc-Team, welches die Schadensanalyse durch-
führte und dabei Fragen zu Werkstoff- oder Fertigungsmängeln, zu Mängeln am Fahrzeug,
zur Einhaltung von Normvorschriften und zu eventuellen Wartungsmängeln beantworten
sollte.
Bevor der Prozess der Schadensanalyse durch das Ad-hoc-Team sowie die organisationalen
Rahmenbedingungen im Detail dargestellt und diskutiert werden, soll zunächst dargelegt
werden, welche Methoden der Datenerhebung und -analyse genutzt wurden, um die lei-
tenden Forschungsfragen zu adressieren.
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine explorative Einzelfallstudie (Eisen-
hardt 1989), die zur Gewinnung neuer Erkenntnisse bezüglich des bisher immer noch nicht
hinreichend verstandenen Umgangs mit Unerwartetem genutzt wird. Konkret leistet die
Untersuchung einen Beitrag zum Theorieaufbau, indem sie anhand eines empirischen
Falles der Frage nachgeht, wie Organisationen die notwendige Flexibilität für den Umgang
mit Unerwartetem herstellen und wie sie diese mit ihrer bestehenden Stabilität balancieren.
Die Fallauswahl erfolgte dabei nicht zufällig, sondern folgte der Idee des sogenannten
„Purposeful Sampling“ (Patton 1990; Creswell 1998). Mit der BAM wurde zielgerichtet eine
Organisation ausgewählt, die immer wieder mit unerwarteten Ereignissen umgehen muss
und somit ein Maximum an Erkenntnissen im Hinblick auf die Forschungsfragen ver-
sprach. Zusätzlich wurde mit dem Bruch der ICE-Radsatzwelle im Jahr 2008 ein „großer“
Schadensfall fokussiert, dessen Aufklärung ein sehr hohes Maß an Flexibilität von der BAM
forderte.
Als wichtigste Quelle der Datenerhebung diente die qualitative Befragung, die in Form
halbstandardisierter, retrospektiver Experteninterviews durchgeführt wurde. Anders als
bei anderen Formen des qualitativen Interviews interessiert im Experteninterview weniger
der Befragte als Person, sondern seine Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf ein be-
stimmtes Handlungsfeld (hier also die Schadensanalyse). Zur Strukturierung der Experten-
interviews wurde ein Interviewleitfaden erstellt. Dieser diente vor allem der inhaltlichen
Orientierung, wurde jedoch nicht als chronologischer und deterministischer Ablaufplan
verwendet; vielmehr wurden der Fokus des Gesprächs sowie die Reihenfolge der Fragen
flexibel gehandhabt. Für die insgesamt 13 Interviews wurden Mitarbeiter ausgewählt, die
direkt oder indirekt an der Analyse der gebrochenen Radsatzwelle beteiligt waren. Es wur-
de zudem darauf geachtet, dass sich diese hinsichtlich ihrer hierarchischen Position sowie
ihrer funktionalen Zugehörigkeit und Expertise unterscheiden, um ein möglichst breites
Spektrum unterschiedlicher und sich ergänzender Sichtweisen abbilden zu können. Kon-
kret handelte es sich bei den Interviewpartnern um den Koordinator sowie weitere feste
Mitglieder des zur Schadensanalyse gebildeten Ad-hoc-Teams. Befragt wurden zudem
Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Expertise im Laufe des Analyseprozesses zeitweise zum
Ad-hoc-Team hinzugezogen wurden. Darüber hinaus wurden Leiter beteiligter Fachberei-
che und Abteilungen interviewt (zweite und dritte Hierarchieebene der BAM). Die Inter-
views dauerten zwischen 40 und 105 Minuten, wurden nach vorheriger Einwilligung der
Interviewpartner elektronisch aufgezeichnet und im Anschluss für die weitere Analyse
transkribiert.
3.3 Ergebnisse
Korrespondierend mit den oben aufgeworfenen Forschungsfragen wird zunächst darge-
stellt, wie der Sensemaking-Prozess des Ad-hoc-Teams im Fall der gebrochenen Radsatz-
welle ablief. Im Anschluss wird der Blick auf jene Bedingungen gelenkt, die diesen Prozess
und die dazu notwendige Flexibilität ermöglicht haben.
Nachdem die Radsatzwelle bei der BAM eingetroffen war, erfolgten die Eingangsdoku-
mentation und die Demontage der Welle durch das Ad-hoc-Team. Zunächst galt es zu
prüfen, ob der Werkstoff der Welle möglicherweise von den zum Herstellungszeitpunkt
geltenden Normen abwich. Auch sollte geklärt werden, ob sich in der Welle mit von der
Bahn üblicherweise verwendeten, zerstörungsfreien Prüftechniken (Ultraschall) Unregel-
mäßigkeiten nachweisen ließen, die ihrerseits den trotz erheblicher Beschädigungen der
Bruchflächen fraktographisch eindeutig identifizierten Schwingriss hätten herbeiführen
können. Man entschied sich im Laufe der ersten Woche außerdem, das zugehörige Drehge-
stell zu untersuchen, um zu prüfen, ob davon ausgehende, mechanische, dynamische Ein-
flüsse auf die Welle den Bruch hätten verursachen können. Diese anfänglichen Hypothesen
konnten durch die Ergebnisse der Metallographie und der Fraktographie widerlegt wer-
den, sodass im nächsten Schritt die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, dass Besonder-
64 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
heiten der Fahrstrecke zu dem Bruch der Welle geführt haben könnten. Der Flug einiger
Experten in einem Hubschrauber der Bundespolizei entlang der Strecke konnte diese Hy-
pothese jedoch ebenfalls widerlegen. Daher konzentrierte man sich im Anschluss wieder
auf die Welle selbst und begann die Materialbeschaffenheit noch genauer als mit den be-
reits durchgeführten Ultraschallprüfungen zu untersuchen. Nach einer ganzen Reihe zer-
störender Prüfungen wurden schließlich mit der Methode der Computertomographie
nichtmetallische Materialeinschlüsse unzulässiger Größe in unmittelbarer Umgebung der
Rissstartstelle gefunden und durch metallographische Zielpräparation nachgewiesen. Man
kam daraufhin zu der wahrscheinlichsten Hypothese, dass diese Einschlüsse im Zuge der
betriebsbedingten Nutzung der Welle einen stetig wachsenden und von regulären, be-
triebsbedingten Prüfungen unentdeckten Schwingriss gebildet hatten, der schließlich zum
Bruch der Radsatzwelle führte.
„Das ist ja nichts, was wir hier standardmäßig bei uns haben. Ich musste das Material erst be-
sorgen, sprich borgen bei Dienstleistern. Weil ein Nachfertigen oder ein Kaufen dieser Techno-
logie wäre zwar möglich gewesen, aber das hätte natürlich zu lange gedauert. Und da habe ich
über meine Beziehungen entsprechende Gerätschaften mir besorgt, um dann mit unseren Me-
thoden das zu überprüfen“ (Mitglied Ad-hoc-Team, weiterer Kreis).
„Wir machen alles Mögliche, nur nicht so etwas Spezielles. Das war das erste Mal. Und
dadurch sind wir natürlich nicht in der Gemeinschaft derjenigen, die bauen, bewerten, ausle-
gen, betreiben oder prüfen. […] wir waren völlig unabhängig davon und haben uns dann da
ran tasten müssen“ (Mitglied des Ad-hoc-Teams, engerer Kreis).
Ein weiterer Beleg für das häufige Wechseln zwischen Interpretieren und Handeln findet
sich in der Entwicklung des Prüfplans. Dieser wurde im Anschluss an die erste Besichti-
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 65
fung wurde immer wieder ad hoc hinzugezogen, um seine Einschätzungen mit einfließen
zu lassen. Die Zusammensetzung des Teams änderte sich also mit dem Prüfplan, wobei das
oben genannte Kernteam um den Koordinator erhalten blieb.
Zudem ermöglichten die häufigen Treffen und Diskussionen der Experten erst den tatsäch-
lichen Austausch und die Entstehung eines gemeinsamen Schadensbildes, da in den ein-
zelnen Disziplinen ganz unterschiedliche Fachsprachen verwendet werden.
„Also beispielsweise Risstiefe von 2mm ist für die Bruchmechaniker eine völlig andere Angabe
als für uns Ultraschaller. Obwohl wir natürlich über einen Riss reden, aber die Details die wir
damit meinen, sind von der Fachsprache her sehr unterschiedlich“ (Mitglied des Ad-hoc-
Teams, weiterer Kreis).
Nachdem die BAM den Auftrag erhielt, setzte sich jener Abteilungsleiter, der in direktem
Kontakt zum ermittelnden Staatsanwalt stand, für eine Priorisierung dieser konkreten
Schadensanalyse innerhalb der BAM ein. Daraufhin erhielt das Ad-hoc-Team die offizielle
Unterstützung des Präsidiums und damit unverzüglichen Zugriff auf alle notwendigen
Ressourcen, um einen möglichst reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Ermöglicht wurde
die präsidiale Unterstützung insbesondere durch den öffentlichen Druck, der mit der Scha-
densanalyse einherging und sich aus der besonders hohen Bedeutung des Schadens für die
öffentlich-technische Sicherheit sowie der Notwendigkeit einer schnellen und validen Klä-
rung der Schadensursache speiste.
Das Präsidium versendete unverzüglich – noch bevor die Radsatzwelle bei der BAM eintraf
– eine elektronische Mitteilung an alle Abteilungsleiter der BAM, die zur unverzüglichen
Bereitstellung sämtlicher notwendiger Ressourcen und Kapazitäten für die Analyse des
Schadens aufforderte. Im Zuge dessen wurden – wenn nötig – laufende Forschungsprojekte
und Aufträge zunächst zurückgestellt, um entsprechende Ressourcen freizumachen. Der
Koordinator des Ad-hoc-Teams verdeutlicht dazu:
„[…] dann war sehr hoher Zeitdruck, aber der Präsident hat alle Ampeln auf Grün geschaltet,
d.h. wenn dann irgendwas zu tun war, dann wurde das sofort gemacht und nicht irgendwie
was anderes“ (Koordinator des Ad-hoc-Teams).
Durch die Unterstützung von oberster Hierarchieebene wurde folglich die Flexibilität er-
möglicht, die zur unverzüglichen und effektiven Analyse des Schadensfalls notwendig
war. Es musste nicht mit jedem Fachbereich bzw. jedem Abteilungsleiter um benötigte
Ressourcen und Kapazitäten verhandelt werden. Allen war gegenwärtig, dass der Fall der
gebrochenen Radsatzwelle vorrangig zu behandeln ist. Der Koordinator des Ad-hoc-Teams
hebt hervor, dass die präsidiale Unterstützung den dargestellten Sensemaking-Prozess
beschleunigt hat. Man hätte die Radsatzwelle zwar auch ohne den gewährten Freiraum
analysieren können, nur hätte dies deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen:
„[…] dieses spontane reagieren können fällt dann aus. […] Dann hätte das mit dem ICE dop-
pelt so lange gedauert. Der Unterschied ist die Reibung, denn ich kann die Leute nicht formal
anweisen. […] Deswegen brauche ich die grüne Ampel“ (Koordinator des Ad-hoc-Teams).
In der Gruppe wurden sodann erste Besichtigungen durchgeführt und Überlegungen ange-
stellt, welche weiteren Kompetenzen zur Bearbeitung des Schadensfalls hinzugezogen
werden müssen. Die „Rekrutierung“ dieser zusätzlichen Experten – wie beispielsweise
einem Ultraschallexperten aus der Abteilung der zerstörungsfreien Prüfung – konnte durch
das Expertennetzwerk ohne Rückgriff auf die formale Hierarchie erfolgen. Das bedeutet,
dass nicht nur die ursprüngliche Formierung des Ad-hoc-Teams durch das Netzwerk
überhaupt ermöglicht wurde, sondern auch die zügige, bedarfsabhängige Anpassung sei-
ner Zusammensetzung an den sich fortlaufend verändernden Prüfplan sowie die Konsulta-
tion von kurzzeitig hinzugezogenen Mitgliedern.
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 69
„Also für uns war es was Besonderes, etwas Aufregendes. Wir haben da auch einen Ehrgeiz
gehabt. […] Jetzt können wir mal zeigen, was wir wirklich können an der Stelle. Also ich fand
das sehr spannend und hab mich da mit meinen Kollegen auch stark eingebracht“ (Mitglied
des Ad-hoc-Teams, weiterer Kreis).
Die Neugier und das Interesse an der „Detektivarbeit“ motivierten die Mitglieder auch
dann zur Weiterarbeit, wenn die tariflich vereinbarte Wochenarbeitszeitgrenze bereits
erreicht war. Überstunden, Nacht- und Wochenendarbeit wurden zur Klärung der Scha-
densursache bereitwillig akzeptiert, um den Aufklärungsprozess sowohl zeitlich als auch
inhaltlich voranzutreiben:
„Und wir haben das innerhalb von zwei Tagen organisiert und wir haben dann auch spontan
beschlossen, das nicht tagsüber sondern außerhalb der normalen Arbeitszeiten in Nachtschicht
zu machen. Das ist auch ein recht untypisches Verhalten. Da haben wir versucht, sehr schnell
zu reagieren, weil die Ergebnisse dringend benötigt wurden“ (Mitglied des Ad-hoc-Teams,
engerer Kreis).
Eine wichtige Rolle für die hohe Motivation und das Engagement spielte auch die herr-
schende Kollegialität unter den Teammitgliedern. Sie akzeptierten die Grenzen ihres eige-
nen Wissens und tauschten sich auf dieser Basis gleichberechtigt aus, unabhängig von der
jeweiligen hierarchischen Position des Einzelnen. Im Rahmen der häufigen, spontanen
Treffen herrschte eine vertrauensvolle Atmosphäre, die es dem einzelnen Mitglied erlaubte,
scheinbar abwegige Ideen und Hypothesen frei zu äußern und zur Diskussion zu stellen.
Diese kollegiale Atmosphäre wurde über den speziellen Schadensfall hinaus von sämtli-
chen Interviewpartnern beschrieben und kam im Zuge der teilnehmenden Beobachtungen
ebenfalls klar zum Ausdruck.
„Das funktioniert gut. Insbesondere deshalb, weil alle offen sind und alle wissen, dass es im-
mer wieder auch eine Veränderung geben kann. Das irgendwo bei jedem das Fachwissen end-
lich ist und das eben nur im Zusammenspiel gut geht“ (Mitglied des Ad-hoc-Teams, weiterer
Kreis).
70 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
4 Diskussion
4.1 Das Verhältnis der drei Rahmenfaktoren
des Sensemakings
Der vorangestellte Ergebnisteil hat gezeigt, dass Faktoren der präsidialen Unterstützung,
des Expertennetzwerks und der individuellen Motivation es dem Ad-hoc-Team ermöglicht
haben, den Bruch der Radsatzwelle sehr zügig und erfolgreich zu analysieren. An dieser
Stelle soll nun daran anknüpfend diskutiert werden, in welchem Verhältnis die drei Rah-
menfaktoren stehen und wie sie in ihrem Zusammenspiel die besondere Flexibilität im
Umgang mit dem unerwarteten Ereignis ermöglicht haben. Die Ergebnisse der Fallstudie
lassen vermuten, dass die drei Faktoren in einem komplementären Zusammenhang stan-
den: Es waren nicht nur alle drei für den erfolgreichen Umgang mit dem unerwarteten
Ereignis notwendig, sondern sie bedingten sich auch gegenseitig.
Auf zeitlicher Ebene wirkte die präsidiale Unterstützung, indem sie den Sensemaking-
Prozess beschleunigte. Hätte die Unterstützung durch die Organisationsspitze gefehlt,
wäre die von formalen Abstimmungswegen ausgehende zeitliche Limitation durch ein
Mehr an individueller Motivation der beteiligten Experten oder ein besseres Expertennetz-
werk nicht zu kompensieren gewesen, da die Unterstützung in erster Linie zu viel schnelle-
rer Bereitstellung und auch „unbürokratischer“ Beschaffung notwendiger organisationaler
Ressourcen (Prüfanlagen, -technologien und -personal) führte. Umgekehrt hätte jedoch
auch die präsidiale Unterstützung allein den Prozess nicht beschleunigen können, wenn
die beteiligten Experten den zur Verfügung gestellten Raum nicht mit ihrer Motivation und
ihrem Engagement gefüllt hätten.
Auf inhaltlicher Ebene wirkte dagegen das beschriebene Expertennetzwerk, indem es die
Verknüpfung der relevanten Expertisen innerhalb der BAM ermöglichte. Das Experten-
netzwerk hätte seine inhaltliche Wirkung aber nicht in der realisierten Effizienz entfalten
können, wenn die Unterstützung des Präsidiums die Abstimmung zwischen den beteilig-
ten Experten und Fachbereichen nicht hinreichend entformalisiert hätte und wenn die
einzelnen Experten nicht hinreichend motiviert gewesen wären, im Ad-hoc-Team zusam-
menzuarbeiten.
Schließlich wirkte die individuelle Motivation der Experten auf zeitlicher und inhaltlicher
Ebene. Hätte diese gefehlt, so wären die Abstimmungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten,
die ja gerade ohne formale Anweisung stattfanden, nicht im realisierten Maße genutzt
worden (Kreativität lässt sich bekanntlich nicht befehlen). Außerdem wäre auch der Be-
schleunigungseffekt durch die präsidiale Unterstützung ausgeblieben.
Theoretisch diskutieren lässt sich das zeitliche und inhaltliche Zusammenwirken der Fakto-
ren auf der Folie der eingangs bereits herangezogenen Systemtheorie (Luhmann 1984).
Oben wurde dargestellt, dass der Umgang mit einem unerwarteten Ereignis für eine Orga-
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 71
nisation als soziales System bedeutet, dass sie ihre eigene Struktur derartig verändern
muss, dass das im Moment seiner Realisation unerwartete Ereignis zu einem (zukünftig)
erwartbaren Ereignis wird. Diese Transformation leistet der Sensemaking-Prozess und
dient damit – abstrakt ausgedrückt – dem Systemzweck der Komplexitätsverarbeitung. Für
den Umgang mit Unerwartetem ist also eine hohe organisationale Flexibilität nötig
(Schreyögg/Sydow 2010). Nun ist seit Längerem bekannt, dass die auf generelle Regelung
ausgerichteten Erwartungsstrukturen der Organisation diesem Anspruch wenn überhaupt
nur in sehr begrenztem Maße gerecht werden können (Luhmann 1999; Schreyögg 2008).
Bereits Gutenberg wies – wenn auch unter anderen Prämissen – im Umkehrschluss seines
Substitutionsprinzips der Organisation darauf hin, dass die Interaktion (fallweise Rege-
lung) immer dann Steuerungsaufgaben der Organisation (generelle Regelungen) überneh-
men muss, wenn die zu verarbeitenden Tatbestände variabel (also im Sinne dieses Beitrags
unerwartet) sind (Gutenberg 1983; Schreyögg 2008). Während Gutenberg mit der fallweisen
Regelung die „individuelle Anordnung“ (S. 239) im Blick hatte, bezieht sich die Interaktion
in diesem Beitrag auf die interaktiven Verknüpfungsprozesse des Ad-hoc-Teams. System-
theoretisch bedeutet dieser Prozess nämlich, dass die Interaktion – die in struktureller
Kopplung mit der Organisation steht (Seidl 2005; Luhmann 1984) – einen größeren Teil der
Komplexitätsverarbeitung für die Organisation übernimmt. Der Faktor der präsidialen
Unterstützung hat also zu einer temporären Verschiebung des Schwerpunktes der Komple-
xitätsverarbeitung von der Organisation zur Interaktion geführt, weil dort ein deutlich
höheres Maß an Abstimmungsflexibilität realisierbar ist (Luhmann 1999). In der systemthe-
oretischen Sprache heißt das, dass die Interaktion der Organisation im zeitlich begrenzten
Sensemaking-Prozess Komplexität in besonderem Umfang zur Verfügung gestellt hat.
Praxisnäher: Die präsidiale Unterstützung hat dem Ad-hoc-Team einen besonderen Entfal-
tungs- und Entscheidungsspielraum für schnelle und aformale Abstimmungsprozesse
zwischen und innerhalb der Fachbereiche gegeben. Die mit dem Ad-hoc-Team ins Leben
gerufene Interaktion übernahm damit für die zeitlich begrenzte Aufgabe der Schadensana-
lyse einen großen Teil der Koordinationsfunktion der Organisation.
Die Interaktion wiederum ist als eigenständige Art sozialer Systeme (s. Luhmann 1984,
S. 16) von der Beteiligung psychischer Systeme (Experten) abhängig: Psychische Systeme
und Interaktion sind zwar füreinander Umwelt, dabei aber notwendigerweise strukturell
aneinander gekoppelt, denn ohne Bewusstseinssysteme gäbe es keine Kommunikation als
Operation des sozialen Systems (Kieserling 1999). Das dargestellte Expertennetzwerk er-
möglichte nun, dass die entlang des Sensemaking-Prozesses relevanten Disziplinen und
Expertisen einfließen konnten, denn es ebnete die Teilnahme der entsprechenden psychi-
schen Systeme an der Kommunikation des Ad-hoc-Teams. Konkreter: das Netzwerk er-
möglichte, dass relevante psychische Systeme der Interaktion ihrerseits Komplexität zur
Verfügung stellen konnten (im Grunde in gleicher Weise wie die Interaktion wiederum der
Organisation Komplexität zur Verfügung stellte). Insofern kann das Expertennetzwerk als
notwendige Bedingung dafür markiert werden, dass die Interaktion der von der Organisation
ausgegangenen Aufforderung zur Komplexitätsverarbeitung (der Umgang mit dem Uner-
warteten) Folge leisten konnte.
72 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
Dass die Experten tatsächlich ihre Expertise und Abstimmungsbereitschaft zur Verfügung
gestellt haben, resultierte schließlich aus dem dritten der geschilderten Faktoren: der Moti-
vation und dem Engagement des einzelnen Experten. Systemtheoretisch formuliert, ent-
scheiden die psychischen Systeme selbst, inwieweit sie der Interaktion Komplexität zur
Verfügung stellen. Die Motivation der Experten kann damit in zweifacher Hinsicht als die
hinreichende Bedingung dafür verstanden werden, dass die Interaktion die Komplexitäts-
verarbeitung für die Organisation übernehmen konnte.
Damit wird nun deutlich, dass der Umgang mit Unerwartetem im Fall der gebrochenen
Radsatzwelle ein Zusammenspiel auf drei Ebenen darstellte: Auf organisationaler Ebene
fand durch die präsidiale Unterstützung eine Verlagerung der Komplexitätsverarbeitung in
Richtung Interaktion des Ad-hoc-Teams statt. Auf der Ebene dieser Interaktion ermöglichte
das Expertennetzwerk die Beteiligung bzw. Verknüpfung relevanter Expertisen. Auf Ebene
des Individuums wiederum ermöglichte die Motivation den Erfolg auf der Interaktions-
ebene in sowohl zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht. Dem Expertennetzwerk kommt
hier eine besondere Rolle zu (s. dazu auch Abschnitt 4.2), da es einerseits durch die be-
schriebene kollegiale Atmosphäre ebenfalls einen positiven Einfluss auf die individuelle
Motivation hatte und sich andererseits im Zuge vergangener Schadensanalysen als Platt-
form bewähren konnte. Daraus resultierte ein positiver Einfluss auf die präsidiale Unter-
stützung, da innerhalb des Präsidiums Vertrauen in das Expertennetzwerk und daraus
gebildete Ad-hoc-Teams bestand.
Dass das komplementäre Zusammenspiel der drei Faktoren zu einer schnellen und effekti-
ven Schadensanalyse geführt hat, zeigte sich insbesondere auch daran, dass keiner der
Interviewpartner von Friktionen und den Sensemaking-Prozess behindernden Faktoren
innerhalb der BAM berichten konnte. Zwar gab es vereinzelt interessenbedingte Reibungs-
verluste im Informationsaustausch mit externen Akteuren (etwa der Herstellerkette der
Radsatzwelle); die internen Abstimmungsprozesse wurden jedoch durchweg als sehr er-
folgreich und reibungsarm wahrgenommen.
An dieser Stelle sollen vor dem Hintergrund der systemtheoretisch begründeten Komple-
mentaritätsvermutung aber dennoch Überlegungen darüber angestellt werden, unter wel-
chen Bedingungen Friktionen zu erwarten gewesen wären. Ein Fehlen mindestens eines
der drei dargestellten Faktoren hätte zu Friktionen geführt, denn die notwendige Flexibili-
tät wäre nicht zu realisieren gewesen, zumindest nicht in der von der Umwelt (dem Staats-
anwalt) erwarteten Geschwindigkeit. Zwei Faktoren – präsidiale Unterstützung und indi-
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 73
viduelle Motivation – waren im konkreten Fall maßgeblich beeinflusst durch die öffentliche
Bedeutung des Schadensfalls. Und genau darin lassen sich Vermutungen über Friktionen
zuspitzen: Ohne den äußeren Druck wäre das Präsidium der BAM wahrscheinlich nicht
bereit gewesen, derartig Freiräume zu eröffnen und die Abstimmungsprozesse des Ad-hoc-
Teams im realisierten Ausmaß zu entformalisieren.
Die retrospektiven Interviews haben gezeigt, dass die Kompetenzen zwischen einzelnen
Abteilungen und Fachbereichen üblicherweise sehr klar abgegrenzt sind, was interdiszipli-
näre Zusammenarbeit erschwert, zumal diese zum Teil auch unerwünscht ist. Dementge-
gen wirkt das etablierte Expertennetzwerk, da es basierend auf der Eigeninitiative der
Beteiligten einen interdisziplinären Austausch ermöglicht. Im Fall eines „großen“ Schadens
entstehen nun zwangsläufig kapazitäre Friktionen, wenn einzelne Experten versuchen, die
Analyse neben ihren sonstigen Aufgaben durchzuführen. Das Problem ist nun, dass die
inhaltliche Komplexität des Schadens nicht das zentrale Kriterium zu sein scheint, nach
welchem die Analyse innerhalb der BAM priorisiert wird. Das entscheidende Kriterium
74 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
scheint vielmehr auf der öffentlichen Bedeutung des Auftrages zu liegen. So gab es eine
ähnliche Unterstützung lediglich im Rahmen der Analyse der Unfallursache des Fährschiffs
„Estonia“ (Ulrich/Thielke 2001). Damit könnte – rein hypothetisch – also ein in seiner Ent-
stehungsursache ähnlich komplexer Schaden bei einer geringeren öffentlichen Resonanz
deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil es an präsidialer Unterstützung und ggf.
auch an individueller Motivation fehlen würde. Da im Rahmen der Interviews und Be-
obachtungen solche Vergleichsfälle jedoch nicht erhoben wurden, kann an dieser Stelle
keine tiefer gehende Diskussion von möglichen Friktionen erfolgen. Im nachfolgenden
Abschnitt soll es vielmehr darum gehen, wie der BAM die Balancierung zwischen Stabilität
und Flexibilität gelang.
Nun hat die BAM als Bundesoberbehörde neben der Analyse „großer“ Schäden eine ganze
Reihe weiterer Aufgaben, wie die Prüfung und Bewertung von (gefährlichen) Materialei-
genschaften oder die Entwicklung und Validierung von Prüf- und Bewertungsverfahren.
Zur Erfüllung dieser Aufgaben hat die BAM spezialisierte Abteilungen bzw. Kompetenzbe-
reiche (z.B. Werkstofftechnik, Bauwerksicherheit und Zerstörungsfreie Prüfung, etc.) ge-
schaffen, die mit ihren untergeordneten Fachbereichen eine stabile Struktur aufweisen und
in sich weitgehend geschlossen agieren. Die Bereiche beschränken sich also weitestgehend
auf Tätigkeiten ihres spezifischen Aufgabenfeldes in Korrespondenz mit den jeweils spezi-
fischen Umweltsegmenten. Die permanente Organisation der BAM ist folglich gekenn-
zeichnet durch eine hohe Spezialisierung und formale Abstimmungsroutinen, woraus ihre
identitätsstiftende Stabilität resultiert.
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 75
Ermöglicht wird die Balance zwischen den beiden Extremen insbesondere durch das for-
malisierte Expertennetzwerk, welches zwischen temporärer und permanenter Organisation
angesiedelt ist. In diesem Expertennetzwerk treffen Stabilität und Flexibilität aufeinander:
Auf der einen Seite bildet das Netzwerk selbst eine stabile Plattform, die sich aus Mitarbei-
tern der permanenten Organisation zusammensetzt. Auf der anderen Seite werden aus
dem Netzwerk heraus temporäre (ad hoc) Teams gebildet, die sodann ihre unterschiedli-
chen Wissensbasen und Perspektiven kombinieren, um zügig „große“ Schadensfälle zu
analysieren. Folglich dient das Netzwerk dazu, die differenzierte Entwicklung dezentraler
Wissensbasen für die flexible Analyse komplexer Schadensfälle nutzbar zu machen. Der
entscheidende Faktor dabei ist, dass diese Wissensbasen mit den Positionen der einzelnen
Mitglieder innerhalb der formalen Organisationsstruktur korrespondieren und sich dort
auch weiterentwickeln. Würde man die Mitglieder des quer zur Hierarchie liegenden
Netzwerks zu einer eigenständigen organisationalen Einheit „Schadensanalyse“ zusam-
menfassen und damit im Grunde versuchen, die Flexibilität dauerhaft bereitzustellen, so
wären sie von den Wissensentwicklungen ihrer eigentlichen Fach- und Wissenschaftsberei-
che zu weit abgeschnitten. Die interdisziplinäre Schadensanalyse lebt jedoch gerade von
der Integration und der situationsangepassten Verknüpfung jeweils aktuellen Fachwissens.
Die Herstellung der Balance zwischen Flexibilität und Stabilität ist jedoch neben der reinen
Existenz dieser zwischengelagerten Plattform an weitere Voraussetzungen geknüpft. Zu-
nächst müssen die einzelnen Fachbereiche ihre Experten für die regelmäßigen Plattformak-
tivitäten freistellen. Dies setzt wiederum die Bereitschaft der gesamten Organisation vo-
raus, die notwendigen Freiräume zu schaffen. Mit anderen Worten muss „Organizational
Slack“ (Staehle 1991; Cyert/March 1963) in gewissem Umfang gegeben sein, damit regel-
mäßige Netzwerktreffen stattfinden können und das Netzwerk selbst als Plattform für die
Bildung von Ad-hoc-Teams dienen kann. Zudem werden Mitarbeiter benötigt, die diese
Freiräume nutzen können und wollen, denn diese Räume erlauben nicht nur den an-
spruchsvollen Umgang mit Unerwartetem, sondern verlangen auch den Umgang mit den
gegenläufigen Zielsetzungen ihrer Arbeitsbereiche und daraus entstehenden Konflikten.
Die komplexen und intensiven Arbeitsanforderungen erfordern somit auch eine hohe (psy-
chische) Belastbarkeit der Mitarbeiter, ähnlich wie es im Rahmen der Matrixorganisation
76 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
diskutiert wird (Schreyögg 2008). Schließlich ist es für die Balancierung von Stabilität und
Flexibilität hilfreich – das hat die Fallanalyse gezeigt –, die Stelle eines Koordinators zu
schaffen, der sich „hauptamtlich“ den Netzwerkaktivitäten und der Bildung und Steuerung
von Ad-hoc-Teams widmet. Dieser Koordinator bildet eine Instanz, die die Belange des
Netzwerkes und seiner Mitglieder gegenüber der permanenten Organisation vertritt und
entstehende Konflikte zu lösen versucht. Zusammenfassend kann festgehalten werden,
dass die Existenz einer Ebene zwischen temporärer und permanenter Organisation die
Balancierung von Flexibilität und Stabilität ermöglicht, die konkrete Realisation der Balance
ist jedoch mit besonderen Anforderungen an die Organisation und ihre individuellen Mit-
glieder verbunden.
5 Theoretische Implikationen
und Fazit
Die im vergangenen Abschnitt diskutierten Ergebnisse der Fallstudie münden an dieser
Stelle in einige theoretische Überlegungen zum organisationalen Umgang mit zeitlich und
inhaltlich Unerwartetem sowie Perspektiven zukünftiger Forschung. Dabei darf eine zent-
rale Limitation nicht übersehen werden: Es liegt in der Natur der explorativen Einzelfall-
studie, dass ihre Ergebnisse nur in sehr begrenztem Maße generalisierbar sind (Eisenhardt
1989). Demzufolge sind die folgenden Überlegungen in großen Teilen hypothetischer Natur
und sollen als eine Anregung zu künftiger konzeptioneller und empirischer Forschung
verstanden werden.
Der organisationale Umgang mit einem unerwarteten Ereignis ist ein zeitlich begrenzter
und damit temporärer Prozess, der sich aus drei Elementen zusammensetzt: (1) Erkennen,
(2) Bewerten und (3) Verarbeiten. Zunächst müssen unerwartete Ereignisse als solche er-
kannt werden. Der systemtheoretische Rahmen der Fallstudie implizierte, dass die Wahr-
nehmung unerwarteter Ereignisse von der Struktur der Organisation selbst abhängt. Im
Falle der gebrochenen Radsatzwelle war das Erkennen für die BAM unproblematisch, weil
es sich um ein aufgabenbezogenes Ereignis handelte und die BAM vom Kölner Staatsan-
walt direkt angesprochen wurde. Im Falle existenzbezogener Ereignisse kann das Erkennen
als Voraussetzung jeden Umgangs problematischer sein, wenn nämlich das Ereignis im
Moment seiner Realisation unscheinbar und unklar ist. So werden viele Schreibmaschinen-
hersteller sogenannte „small events“ (Schreyögg et al. 2003) im Bereich der Entwicklung
der Personal Computer schlichtweg in ihrem Existenzbezug übersehen haben. Damit konn-
te weder eine Bewertung noch eine Verarbeitung stattfinden, zumindest nicht rechtzeitig.
Erkennen („noticing“) ist also der Beginn und eine wesentliche Voraussetzung für den
Umgang mit Unerwartetem. Es erfordert eine hinreichende Achtsamkeit (Weick/Sutcliffe
2007), die durch entsprechende Monitoring-Strukturen ermöglicht werden kann (Schrey-
ögg/Steinmann 1987).
Temporärer Umgang mit Unerwartetem 77
Eng mit dem Erkennen verbunden und in der Realität wohl nicht in der hier vorgenomme-
nen, analytischen Trennung abzugrenzen, ist das Bewerten der Relevanz des Ereignisses. Je
relevanter ein unerwartetes Ereignis eingeschätzt wird, desto intensiver werden die Verar-
beitungsbemühungen ausfallen. Systemtheoretisch ist die Bewertung genau wie das Er-
kennen nur vor dem Hintergrund der Systemstrukturen möglich. Im Falle der gebrochenen
Radsatzwelle ergab sich die Bewertung ebenfalls aus dem klaren Aufgabenbezug und aus
der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Bewertung kann aber auch problematischer
sein, wenn sich nämlich die Wirkungen auf die fokale Organisation nicht unmittelbar ab-
schätzen lassen. So werden einige Schreibmaschinenhersteller zentrale Entwicklungen des
frühen PC-Marktes zwar erkannt, in ihrer Relevanz aber deutlich unterbewertet haben. Es
ist im Falle existenzbezogener Ereignisse also nötig, die zukünftige Bedeutung zu antizipie-
ren und mit in die Bewertung einfließen zu lassen, beispielsweise mithilfe von Instrumen-
ten der Szenarioplanung (Schoemaker 1995).
Das dritte Element bezieht sich schließlich auf die tatsächliche Verarbeitung des Unerwar-
teten. Hier ist eine besondere Flexibilität nötig, die von der permanenten Organisation nicht
realisiert werden kann (Schreyögg/Sydow 2010; Luhmann 1999). Die Ergebnisse der Fall-
studie legen nun die Überlegung nahe, dass die Flexibilität dadurch erreicht werden kann,
dass die permanente Organisation einen hinreichenden Teil ihrer Komplexitätsverarbei-
tungskompetenz für einen zeitlich begrenzten Zeitraum auf die Ebene der Interaktion über-
trägt. Im Fall der gebrochenen Radsatzwelle geschah dies durch die Unterstützung des
Präsidiums für das Ad-hoc-Team. Die Interaktion erhält dadurch einen besonderen Hand-
lungsspielraum und kann befreit von formalen Abstimmungszwängen situationsangepass-
te Verknüpfungsleistungen erbringen. Dieser Handlungsspielraum geht dabei über den
herkömmlicher Projektgruppen hinaus. Letztere sind zwar in gruppeninternen Abstim-
mungsprozessen ähnlich flexibel, im Austausch mit der organisationsinternen Umwelt –
also der permanenten Organisation – aber deutlich beschränkter.
Die temporären Teilnehmer der Interaktion besitzen eine Doppelrolle: Sie sind einerseits als
Stelleninhaber Teil der stabilen, formalen Struktur der Organisation und andererseits der
sich selbst steuernden Interaktion. Innerhalb der BAM wird die individuelle Teilnahme an
der Interaktion und damit auch die Übernahme der Doppelrolle durch das beschriebene
Expertennetzwerk ermöglicht. Ihm kommt damit zentrale Bedeutung für die Balancierung
von Stabilität und Flexibilität zu. Erst dieser Pool von potenziellen Interaktionsteilnehmern
ermöglicht es der Organisation, der Interaktion tatsächlich Komplexitätsverarbeitungskom-
petenz zu übertragen, denn würde die permanente Organisation selbst die Interaktionsteil-
nehmer bestimmen, so wären die Verknüpfungsmöglichkeiten streng genommen auf jene
begrenzt, die von der permanenten Organisation vorgedacht wären. Ihren Abschluss findet
die Verarbeitung des Unerwarteten schließlich darin, dass die Interaktion den zugestande-
nen Handlungsspielraum wieder aufgibt, die Teilnehmer also wieder auf ihre Rollen in der
formalen Struktur beschränkt sind und die Ergebnisse der Verarbeitung in die permanente
Organisation einfließen, sich dort also in Veränderungen der Erwartungsstrukturen als
Ausdruck organisationalen Lernens niederschlagen (Lampel et al. 2009).
78 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
Die drei Elemente sind nicht voneinander unabhängig, stehen aber auch nicht in einem
linearen Zusammenhang. Erkennen und Bewerten liegen sehr nah beisammen, denn jene
Strukturen, die ein Erkennen ermöglichen sind auch an der Bewertung beteiligt. Die Verar-
beitung schloss sich in der hier modellhaft vorgetragenen Konzeption zwar an, wird selbst
aber auch zur Bewertung des Ereignisses beitragen, schließlich ergibt sich die Bedeutung ja
erst entlang des Sensemaking-Prozesses; wäre sie im Vorfeld klar, so handelte es sich nicht
um ein inhaltlich unerwartetes Ereignis. Damit wird auch deutlich, dass die drei Elemente
ein aktives Management erfordern, denn eine jeweilige Maximierung kann aus ökonomi-
scher Sicht nicht realisierbar sein. Zudem würde die vollkommene Übertragung der Kom-
plexitätsverarbeitungskompetenz an die Interaktion zur Auflösung der Organisation als
System führen (Schreyögg/Noss 2000). Es muss also eine optimale, dem jeweiligen Ereignis
angepasste Kombination der drei Elemente realisiert werden. Das wiederum bedeutet, dass
die Kombination nicht im Vorfeld im Sinne eines plandeterminierten Prozesses bestimmt
werden kann, sondern im Laufe des Prozesses immer wieder nachjustiert werden muss
(Schreyögg/Steinmann 1987).
Hier liegt auch ein Anknüpfungspunkt für zukünftige Forschung: Es sollte der Frage nach-
gegangen werden, wie in Organisationen – beispielsweise auf der Ebene des tatsächlichen
Handelns – die drei Elemente (Erkennen, Bewerten, Verarbeiten) kombiniert und im Pro-
zess des Umgangs mit Unerwartetem gesteuert werden. Im hier vorgetragenen Fall der
BAM lag der Fokus auf der Verarbeitung des Unerwarteten; Wechselwirkungen zwischen
Erkennen, Bewerten und Verarbeiten wurden also nicht untersucht, sollten aber Gegen-
stand zukünftiger Forschung sein. Darüber hinaus könnte es von großem Interesse sein, ob
und inwieweit sich im Zuge des wiederholten Umgangs mit unerwarteten Ereignissen eine
Art Meta-Kompetenz entwickelt, die sich auf die jeweils situationsangepasste Kombination
der drei Elemente bezieht.
Neben der Erforschung des Verhältnisses der drei Elemente sollte insbesondere die Verar-
beitung des Unerwarteten vertiefend untersucht werden. Im Zuge der Analyse der gebro-
chenen Radsatzwelle durch die BAM gelang dies durch das Ad-hoc-Team und die drei
Faktoren der präsidialen Unterstützung, des Expertennetzwerks und der individuellen
Motivation der Teammitglieder. In zukünftigen Studien könnte untersucht werden, inwie-
weit diese Faktoren generalisierbar bzw. abstrahierbar sind. Hier könnte es sich anbieten,
Faktoren nach den Ebenen Organisation (präsidiale Unterstützung), Interaktion (Experten-
netzwerk) und Individuum (Motivation und Engagement) zu differenzieren und dort nach
weiteren Faktoren zu suchen. Methodisch sollte der Versuch unternommen werden, den
Umgang mit Unerwartetem im tatsächlichen Vollzug zu erfassen (z.B. durch den Einsatz
ethnographischer Methoden), um so einen unmittelbareren Zugang zum Untersuchungs-
gegenstand zu erhalten. Der vorliegende Beitrag stützte sich in erster Linie auf retrospekti-
ve Interviews, was eine weitere Limitation darstellt.
und die daraus abgeleiteten Überlegungen sollen Impulse für die weitere empirische und
konzeptionelle Forschung zum organisationalen Umgang mit Unerwartetem sowie der
daraus resultierenden Notwendigkeit der Balancierung von Flexibilität und Stabilität set-
zen.
Anmerkung
Die Autoren dieses Beitrags sind in alphabetischer Reihenfolge angegeben.
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82 Stephanie Duchek/Stefan Klaußner
Zusammenfassung
Die Zeit stellt einen elementaren Faktor des strategischen Managements dar. Der gegen-
wärtige strategische Diskurs ist gekennzeichnet durch eine dynamische Basisorientierung
gegenüber jeglichen Unternehmens-, Umwelt- und Wettbewerbsphänomenen. Die Zeit
liefert hierzu die logische Grundlage. Der Beitrag zeigt zunächst, dass die Zeit als strategi-
scher Wettbewerbsfaktor bislang nicht schlüssig konzipiert ist. Neben einzelnen Kritik-
punkten liegt ein Manko darin, dass eine an sich notwendige konzeptionelle Integration
bislang nicht vorliegt. Das ist erstaunlich, da im gegenwärtigen strategischen Management
die Fundamente hierfür bereits angelegt sind. Der vorliegende Beitrag plädiert für eine
integrative Perspektive der Zeit als strategische Handlungsdimension und illustriert am
Beispiel der Firma Apple Inc., wie ein spezifisch gebildetes und im Wettbewerbsprozess
aktiv eingesetztes strategisches Zeitkonzept ursächlich am Erfolg eines Unternehmens
beteiligt sein kann.
Abstract
Time is a one of the ultimate basic features of strategic management. The present strategy
discourse reveals a strong orientation towards dynamics in all corporate, environmental
and competitive phenomena. Time delivers the logical background. This contribution ar-
gues that in terms of a strategic success factor, time is not conceptualized in a sound way.
Besides singe critical aspects, one major deficit is its conceptual integration, which has been
missing so far. This is astonishing because contemporary strategic management already
delivers a great deal of the necessary theoretical perspectives. The paper advocates an inte-
grative view of time as a strategic dimension for action. With the illustration of Apple Inc. it
provides an example of how a company has developed a specific strategic time reckoning
system over time, and how it uses it fruitfully in competition to gain strategic success.
Inhaltsübersicht
1 Einführung: Strategisches Management, Zeit und Erfolg ‒ Eine Gemengelage
6 Abschließende Bemerkungen
Strategisches Management und Zeit 85
1 Einführung: Strategisches
Management, Zeit und Erfolg ‒
Eine Gemengelage
Strategisches Management ist in heutiger Sicht ein zentraler – wenn nicht der zentrale –
Ansatz für Unternehmen, mit Unsicherheit, Turbulenz und Komplexität umzugehen. Zeit
spielt hierbei eine zentrale Rolle. Ohne sie würden Unsicherheit, Turbulenz und Komplexi-
tät nicht dynamisch in Erscheinung treten (können) – die Zeit liefert für ihre Existenz die
eigentliche Begründung. Seit jeher ist daher die Idee des strategischen Managements mit
dem Faktor Zeit verknüpft. Strategie ist ohne Zeit nicht denkbar und ein „zeitloses” strate-
gisches Management macht bei genauerem Hinsehen keinen Sinn.
Darüber hinaus ist die Zeit eine der grundlegenden Wettbewerbs- bzw. Erfolgsfaktoren von
Unternehmen. Strategischer Erfolg ist immer mit einer Zeitimplikation verbunden. Er stellt
sich in einem bestimmten Zeitpunkt bzw. Zeitraum ein, währt nicht ewig – ist also selbst
dynamisch – und basiert meist auf einer bestimmten Art der (Aus-)Nutzung von Zeit. Im
Rahmen des strategischen Managements, verstanden als einer Disziplin zur Systematisie-
rung nachhaltigen Unternehmenserfolgs, sind bis heute vielfältige Vorschläge unterbreitet
worden, wie strategische Zeit verstanden und auf welche Weise ein zeitbasierter strategi-
scher Erfolg bewirkt werden kann.
Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre ist eine Dynamisierung des strategischen Diskurses
auf breiter Front feststellbar (Mosakowski/Earley 2000). Neben der bis dahin (fast) exklusiv
vorherrschenden Idee, Wettbewerbsvorteile verdanken sich einer rationalen Gestaltung der
Unternehmenszukunft über ein umfassendes strategisches Planungssystem (Schendel/Hofer
1979), hat sich die Vorstellung verfestigt, strategischer Erfolg sei primär das Resultat unter-
nehmensspezifisch gebildeter Ressourcen und Kompetenzen (Barney 1991). Diese erwach-
sen aus der Entwicklung eines Unternehmens, sodass mit dem ressourcenbasierten Ansatz
weitaus stärker als (je) zuvor die Unternehmenshistorie als Generator des strategischen Un-
ternehmenserfolgs in das Zentrum der Betrachtungen rückt. Neben diesen eher grundsätz-
lichen Überlegungen zu den die strategischen Erfolge induzierenden Zeithorizonten (Zu-
kunft vs. Vergangenheit) ist der strategische Zeit-Diskurs seit jeher durch eine Fülle von
Einzelaspekten gekennzeichnet. Klassischer Ausgangspunkt ist die Frage des Timings von
strategischen Aktivitäten („First-Mover” vs. „Follower”, Porter 1980). Weitere Erfolgsfakto-
ren, wie z.B. die besondere Bedeutung der Wettbewerbs-Geschwindigkeit („Time-based
Competition”, Stalk/Hout 1990) oder das Einschwingen von Unternehmens- und Umwelt-
zeit(en) („Entrainment”, Shi/Prescott 2012) reichern den strategischen Diskurs zusätzlich
an. So sieht man sich im gegenwärtigen Stadium mit einer ganzen Bandbreite von zeitindu-
zierten Wettbewerbsvorteilen, dynamischen Erfolgskonzepten und diesbezüglichen Dis-
kursen konfrontiert.
86 Christian Noss
So reichhaltig die Rezeption der Zeit als Erfolgsfaktor im strategischen Management zu-
nächst auch erscheint, erweist sie sich bei genauerem Hinsehen doch als partiell bzw. sepa-
riert, relativ unsystematisch und nicht immer frei von Widersprüchen. Statt einer konzepti-
onellen Zeitperspektive findet man eine Gemengelage vor. Die Gründe hierfür werden in
zwei Defiziten ausgemacht:
1. Dem Fehlen eines integrativen Konzepts der Erfolgsdimension strategischer Zeit. Zeit als
strategischer Erfolgs- bzw. Wettbewerbsfaktor wird in Diskursen behandelt, die in aller
Regel voneinander isoliert geführt werden. Es kann daher nicht überraschen, dass wesentli-
che Ergebnisse nicht ohne weiteres in eine gemeinsame Perspektive gebracht werden kön-
nen bzw. untereinander (oftmals) nicht anschlussfähig sind.
2. Dem Fehlen einer – zumindest groben – Vorstellung davon, wie Zeit als eine ganzheitli-
che Grundlagendimension der strategischen Unternehmensführung beschaffen sein könnte.
Ohne diese Vorstellung gelingt es nur unzureichend, die konzeptionelle Verbindung von
strategischen Handlungen und Zeit herzustellen. Erst im Anschluss hieran lässt sich das
gesuchte Konzept zeitinduzierter Wettbewerbsvorteile inhaltlich genauer ausformulieren.
Der vorliegende Beitrag ist der Bearbeitung bzw. Abmilderung der beiden konstatierten
Defizite gewidmet. Da insgesamt eine Basisproblematik des strategischen Managements
angesprochen ist, starten die weiteren Ausführungen bei der für das strategische Denken
konstitutiven Grundlagendifferenzierung in Strategieinhalts- vs. Strategieprozessforschung
und den dort jeweils verankerten Zeitvorstellungen.
Erstens sind im Zuge der allgemeinen und geradezu paradigmatischen Dynamisierung der
gesamten Disziplin des strategischen Managements (spätestens seit Beginn der 1990er Jah-
88 Christian Noss
re) statische Betrachtungen mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Porter (1991)
beispielsweise reinterpretiert bzw. konkretisiert – als klassischer Vertreter der Strategie-
inhaltsforschung – seine Vorstellungen zur Branchenattraktivität („Five Forces“) und zur
Unternehmenspositionierung (als Resultat des Wertkettenmanagements), indem er zwi-
schen einem Querschnitts- und einem Längsschnittproblem in der Erfassung des Unter-
nehmenserfolgs differenziert. Seiner Auffassung nach kann Unternehmenserfolg nur in
einer Querschnittsperspektive zu einem bestimmten Zeitpunkt erfasst werden, benötigt
aber zu seiner Erklärung eine erweiterte Perspektive auf die Ausgangsbedingungen (z.B.
bestehende Reputation, Fähigkeiten etc. des Unternehmens) und die Entscheidungen des
Managements. Angereichert durch letztere Betrachtungen lassen sich in einer Längs-
schnittperspektive erst die Gründe für z.B. eine erreichte attraktive Positionierung in einer
Branche herleiten. Spätestens seit diesen Überlegungen interpretiert Porter seine bis dahin
entwickelten Konzepte als Bausteine auf dem Weg zu einer „dynamic theory of strategy“
und konstatiert (1991, S. 105): „The effort by some to dichotomize process and substance is
simply incorrect.“
Zweitens sind Prozesse gemeinhin längst nicht in allen Fällen so dynamisch wie es die Be-
zeichnung eigentlich vermuten lässt. Paradoxerweise existieren auch mannigfache „undy-
namische“ Prozesse. Und dies gerade auch im strategischen Management bzw. genauer im
Rahmen der Strategieprozessforschung. Entscheidend ist, ob man einen Prozess primär von
seiner sachlichen oder von seiner zeitlichen Dimension aus begreift und konzeptioniert.
Im ersteren Fall startet man bei sachlichen Gegebenheiten des strategischen Kontexts, bei-
spielsweise bestimmten inhaltlichen Entwicklungen eines Unternehmens (z.B. Phasen, wie
Geburt, Wachstum, Reife, strategische Erneuerung etc., Miller/Friesen 1984) und muss,
damit die Phasen einen Verlauf aufweisen können, Zeit hinzudenken. Im Zentrum stehen
sachliche Veränderungen (Primat des Sachlichen). Die Zeit erscheint als reines Hinter-
grundphänomen, sie verbleibt implizit und neutral, ohne eigene Problem-Beiträge (z.B.
Gründe) für den spezifischen Verlauf des Prozesses. Die sachlichen Inhalte, z.B. wie genau
das Wachstum oder ein strategischer Turnaround erfolgt, bleibt in dieser Perspektive vari-
abel, die zeitliche Logik hingegen ist fixiert und bekannt. Zeit selber erscheint als funktionale
Zeit; funktional deshalb, weil die neutral unterstellte Zeit als Funktionsvoraussetzung für
Strategisches Management und Zeit 89
(sachlichen) Wandel notwendig hinzugedacht bzw. dem Ansatz unterlegt werden muss.
Funktionale Zeit findet man recht häufig in Konzepten des strategischen Managements:
Neben dem angeführten Beispiel des strategischen (bzw. organisatorischen) Lebenszyklus
und der strategischen Erneuerung findet sich diese Zeitperspektive z.B. bei der Erfah-
rungskurve oder in Ansätzen des sogenannten „unterbrochenen Gleichgewichts“ (punctu-
atd equilibrium, Romanelli/Tushman 1994). Wenn auch sachlich kontingent sind schließlich
auch evolutionstheoretische Konzepte, die an der strengen Folge der Entwicklungsphasen
Variation, Selektion und Retention anschließen (Nelson/Winter 1982), recht nah an einem
funktionalen Zeitverständnis.
Wie gesagt stellt die funktionale Zeit ein breites Phänomen in der strategischen Prozessfor-
schung und damit im gesamten strategischen Management dar. Weitere für das strategi-
sche Denken konstitutive Prozessansätze seien daher beispielhaft benannt: Gewissermaßen
als Klassiker ist die sachlich-inhaltlich bemerkenswerte Prozessforschung um Bower, Bur-
gelman und Kollegen hier anzuführen. In seiner vielbeachteten Untersuchung zu den stra-
tegischen Investitionsprozessen in Großunternehmen zielt Bower (1970) nicht auf die situa-
tiven Ereignisse, sondern auf den unternehmensstrukturellen Rahmen und die dort agie-
renden Akteure ab. Das Rational-Aktor-Paradigma des strategischen Managements zu
kritisieren, ist hierbei eine der zentralen Absichten; die Zeit in ihrer Prozessqualität zu
erfassen, steht nicht im Zentrum seines Forschungsinteresses. Ähnlich ist die bekannte
Nachfolgestudie von Noda und Bower (1996) zur Strategiefindung zu beurteilen. Zwar sind
als Datenbasis die historischen strategischen Aktivitäten von zwei US-amerikanischen
Firmen aus der Zeit von 1983 bis 1993/94 unterlegt, aber als Intention resümieren beide
Forscher: „It is hoped that this study will spur interests of strategy researchers in the itera-
tive approach and move the field of strategy closer to the establishment of a formal process
theory of strategy making“ (1996, S. 190). D.h., eine formale Prozesstheorie der Strategie-
entwicklung steht im Mittelpunkt; die Zeit bildet hierbei den rahmenartigen (neutralen)
Hintergrund.
Schließlich ist der analytisch normative Prozessansatz der Strategieformulierung der funk-
tionalen Zeit verpflichtet. Auch hier steht die sachlich-logische Phasenabfolge von strategi-
scher Zielbildung, Analyse, Entscheidung, Implementation und Kontrolle, gepaart mit der
Entscheidungslogik als dem Garanten für die Rationalität der gewählten Strategie im Mit-
telpunkt. Eine als linear verlaufend angenommene Zeit bildet hierbei den notwendigen
Hintergrund, auf dessen (gedachter) Zeitachse sich der gesamte rationale Prozess über-
haupt erst vollziehen kann (Weihrich/Koontz 1993, S. 133 ff.).
90 Christian Noss
Man kann insgesamt aber auch umgekehrt herangehen: Man startet auf der Basis einer
emergenzoffenen Zeitperspektive und beobachtet dann, wie sachliche Gegebenheiten sich
darin entwickeln. Diese nehmen erst in einer erweiterten Zeitperspektive eine spezifische
Ausprägung und Identität an. Hierbei ist Zeit selbst ein Grund für Veränderung (z.B. als
Zeitsprung, Diskontinuität, Zeitkomprimierung, Beschleunigung, Verlangsamung etc.).
Zwei gleich lange Zeitintervalle können dann qualitativ völlig unterschiedlich sein. Analog
zu oben Gesagtem sind auch hier die sachlichen Entwicklungen variabel, die zeitliche Ent-
wicklung ist aber auch variabel und ungewiss. D.h., es herrscht basale Emergenz, der ge-
samte Prozess ist historisch (Emirbayer 1997). Zeit erscheint hier als empirische Zeit, weil
historische Prozesse sich nicht an bestimmte Zeit-Verlaufsmuster oder Phasen halten; im
Gegenteil, es ist zu jedem Zeitpunkt Neues möglich.
Insofern wird im vorliegenden Beitrag, da hier nicht Substanz vs. Prozess oder Statik vs.
Dynamik im Zentrum steht, von der sonst üblichen Dichotomie in Strategieinhalts- und
Strategieprozessforschung abgesehen. Hier interessiert allein die empirische Zeit und diese
ist in Ansätzen in der weit entwickelten dynamischen Inhalts- und der Prozessforschung
gleichermaßen enthalten. Entscheidend ist, ob die Zeit als eine explizite, maßgebliche und
gehaltvolle Größe in einem jeweiligen Strategiekonzept integriert ist. Nur als eine explizite
Strategisches Management und Zeit 91
Größe ist die Zeit als strategische Zeit sicht- und erfassbar und damit auch kritisierbar. Zeit
als funktionale Zeit ist bei genauem Hinsehen nicht problematisierbar, sie tritt nicht in
Erscheinung, man kann nur Vermutungen anstellen. Sie verbleibt ein implizites Konzept-
phänomen, ein neutraler Hintergrund, gewissermaßen der logische „Ermöglicher“ für
ansonsten in ihrer primären Sachlichkeit interessierende Verläufe und Entwicklungen. Aus
diesem Grund werden im vorliegenden Beitrag alle Prozessansätze mit einem funktionalen
Zeithintergrund nicht weiter berücksichtigt.
Das Embeddedness Theorem ist konstitutiv für den hier interessierenden temporalisierten
strategischen Kontext (Pettigrew 1992; Emirbayer/Mische 1998). Es besagt, dass der soziale
Kontext, zu dem auch der strategische zu rechnen ist, kein stabiler Zustand ist, sondern ein
dynamisches Werden, welches sich – über die permanenten Operationen der Akteure –
laufend aus sich selbst heraus entfaltet. Der strategische Prozess wird als ein Zusammen-
spiel von – individuellen oder kollektiven – Handlungen begriffen, die eingebettet sind in
ein Netzwerk von natürlichen (ökologischen), kulturellen, technologischen, ökonomischen,
kompetitiven, sozio-strukturellen und politisch-rechtlichen Relationen. Eine dynamisch
angelegte, strategische Umweltanalyse kann einen Eindruck von der Komplexität vermit-
teln, die das laufende „Eingebettet-sein“ in diesen sich bewegenden Kontext bedeutet (Por-
ter 2008). Die nie zu beendende Spannung zwischen den Handlungen und Strukturen (Re-
lationen) ist die Triebkraft des gesamten Prozesses, insofern als die strukturellen Relationen
konkrete Handlungen nahelegen bzw. ausformen und andererseits durch konkrete Ak-
teurshandlungen geformt, verfestigt oder modifiziert werden (Sztompka 1991; Ortmann
2010). In dieser Perspektive sind nicht nur die Handlungen, sondern auch die Strukturen,
die den Handlungen zu einem erheblichen Ausmaß Gestalt und Richtung verleihen, in
einem permanenten zeitlichen Fluss.
In diesem (operativ) temporalisierten Kontext lassen sich nun die Akteure mit ihren Hand-
lungen, eingebettet in besagte Relationen, laufend beobachten und hierüber lassen sich
Aussagen zur (empirischen) Handlungszeit machen. Mindestens zwei Aussagenkategorien
können unterschieden bzw. zwei Grundfragen beantwortet werden. Erstens: Wie handeln
Unternehmen als strategische Akteure in der Zeit? Hierbei erscheint die Zeit als operative
Sinndimension des Handelns. Konkretes Handeln orientiert sich an unterschiedlichen
92 Christian Noss
(externen) Kontextregeln und -restriktionen, wie es ebenso auf einer intern jeweils aktuellen
Interpretation der Kontextrelationen bzw. Umweltkonstellationen basiert. Was nach und
nach erscheint und rekonstruierbar wird sind die Sinnstrukturen des (strategischen) Han-
delns (Schwemmer 1987, S. 62 ff.), wie z.B. Prozesse der Strategieformierung, das Timing
eines Markteintritts etc. Zeitlich gesehen erscheinen konkrete Ereignisse und ihre Verknüp-
fungen als Prozesse in ihrem historischen zeit-operativen Zusammenhang.
Die zweite Kategorie berührt die Grundfrage: Wie sollen Unternehmen als strategische
Akteure in der Zeit handeln? Hier wird die normative Seite des zeitlichen Operierens ange-
sprochen. Unternehmen entwickeln bzw. verfolgen Strategien mit der ganz zentralen Ab-
sicht, Wettbewerbsvorteile zu erringen und Markterfolg zu realisieren. Dieser gesamte,
vom strategischen Management seit jeher thematisierte Fragenkomplex ist nun aber selbst
ein wesentlicher Bestandteil des bis hierher dargelegten temporalisierten Kontexts und
damit selbst ein Phänomen in der Zeit. Zeit ist so gesehen auch eine operative Erfolgsdi-
mension des Handelns, denn Erfolge sind auch (nur) temporärer Natur; Wettbewerbsvor-
teile bestehen nicht ewig (Sirmon et al. 2010), sondern sind eingebettet in eine bewegliche
Branchenstruktur etc. (Porter 1991).
Gemäß der Absicht des Beitrags gilt es nunmehr, an der zuletzt verdeutlichten Einsicht
anzusetzen und diejenigen Ansätze des strategischen Managements einer genaueren Un-
tersuchung zu unterziehen, die strategischen Erfolg in einer empirischen Zeit zum Thema ma-
chen. Dabei muss auf die (notwendige) Selektivität des weiteren Vorgehens verwiesen
werden, würde doch eine lückenlose Gesamtbetrachtung dieses breiten Strategiefeldes den
vorliegenden Beitrag unweigerlich sprengen. Auch kommt es nicht darauf an, die Fülle der
Konzepte zu präsentieren, sondern hier geht es darum, zentrale Sinnstrukturen des strate-
gischen Managements (verstanden als wissenschaftliche Disziplin) in Bezug auf die Dyna-
mik des strategischen Erfolgs herauszuarbeiten.
werden. Der first mover advantage wird von einer strategischen Option (Porter 1980) zum
Programm. Mit einer verkürzten „time to market“, so die Idee, ist der Zeitwettbewerber in
der Lage, beständig mehr neue Produkte oder eine größere Anzahl an Produktinnovatio-
nen bzw. -variationen einzuführen. Die Schnelligkeit kann und soll auch dazu genutzt
werden, um neue Kundenbedürfnisse frühzeitig zu detektieren und recht zügig in den
Strom der nie versiegenden Produkt- bzw. Verfahrensinnovationen zu integrieren (Stalk/
Hout 1990, S. 253 ff.).
Gemäß D’Avenis (1994, 1998) Konzept des Hyperwettbewerbs gehören Branchen mit einer
sich eher langsam und stetig entwickelnden Oligopolstruktur der Vergangenheit an. In der
Gegenwart vollziehen sich demgegenüber intensive und schnelle Wettbewerbsinitiativen,
die die Konkurrenten mit unerwarteten und z.T. unkonventionellen Mitteln betreiben. In
Anlehnung an zentrale Vorstellungen Schumpeters (1934) seien diese neuen Branchen-
strukturen gekennzeichnet durch „... hypercompetitors who continuously generate new
competitive advantages that destroy, make obsolete, or neutralize the industry leader's
advantages, leaving the industry in disequilibrium and disarray“ (D’Aveni 1998, S. 183).
Gemäß den Grundeinsichten des Hyperwettbewerbs sollen Wettbewerber gar nicht erst
versuchen, ihre Wettbewerbsvorteile zu halten und zu verteidigen, da sie sich bei diesem
Vorhaben unweigerlich in einer selbst gebauten Falle verfangen und es versäumen, das
nächste Set an Vorteilen zu identifizieren und zu errichten.
In beiden Konzepten, sowohl im Zeit- als auch im Hyperwettbewerb, wird die Zeit selbst
grundlegend mit Geschwindigkeit gleichgesetzt. Insgesamt gilt es, einen raschen Vorteil
gegenüber der Konkurrenz zu erzielen und ihr somit bestenfalls zuvorzukommen. Darüber
hinaus wird von einer allgemein hohen oder gar sich verschärfenden Wettbewerbsintensi-
tät – mit zunehmender Geschwindigkeit – ausgegangen (Pasmore 1994). Dies kann sogar
soweit führen, eigene Wettbewerbsvorteile rechtzeitig proaktiv zu eliminieren, um den
Weg für neue zu bereiten. Insbesondere im Hyperwettbewerb befinden sich die Unterneh-
men auf der Eskalationsleiter einer steigenden Wettbewerbsbrisanz (D’Aveni 1994, S. 25
ff.). Der Grund hierfür besteht laut D’Aveni in der drastischen Herabsenkung der Haltbar-
keit der als klassisch erachteten Wettbewerbsvorteile in vier entscheidenden Wettbewerbs-
arenen hyperkompetitiv angelegter Branchen. In seinen Ausführungen (S. 39 ff.) beschreibt
er sehr detailliert die über die Zeit eskalierenden Wettbewerbsmanöver, die dazu führen,
dass 1. Kosten-/Qualitätsvorteile, 2. Timing und Wissensvorteile, 3. Vorteile aufgrund der
Schaffung von hohen Markteintrittsbarrieren und schließlich 4. Vorteile durch finanzielle
Stärke notwendig in einem Prozess der irreversiblen Erosion verfallen (müssen).
dungsteams dadurch aus, dass sie nicht einzelne, in die Tiefe analysierte Pläne verfolgen,
sondern zur gleichen Zeit eine ganze Reihe alternativer Optionen auf der Basis von hand-
lungsnahen „Echtzeitinformationen“ aktuell (vor-)halten. Darüber hinaus schaffen sie es,
Konflikte über eingeführte Konsensverfahren zügig zu lösen bzw. bei Bedarf erfahrenen
Senior Executives kurzfristig die Entscheidungsvollmacht zu übergeben.
Aus der Perspektive des Time Pacing steht – zugegeben unschön übersetzt – die „Schritt-
folge“ bzw. das Voranschreiten („pacing“) der Unternehmen im Mittelpunkt, wobei der
Temporalisierungsaspekt im Substantiv „pace“ bereits angelegt ist, da pace ja einerseits
Schritt, andererseits aber auch Tempo bedeuten kann. Den Grundsatz des Time Pacing brin-
gen Eisenhardt und Brown (1998, S. 60) auf den Punkt, wenn sie konstatieren: „Like a met-
ronome, time pacing creates a predictable rhythm for change in a company.“ D.h., im Time
Pacing sind wesentliche Veränderungen zeitlich und nicht sachlich begründet.
Strategisches Management und Zeit 95
Entscheidend ist, dass diese Schrittfolge nun nicht mehr – wie noch in der herkömmlichen
strategischen Planung vorgesehen – nach bestimmten formalen Temporalkriterien festge-
legt angenommen wird (eben Jahres- oder Fünfjahresplanung), sondern Aktivitäten und
„ihre“ relevante Zeit im Grunde frei verknüpfbar vorgestellt werden. Dabei entstehen Kon-
strukte wie z.B. bestimmte Aktivitätszyklen oder Aktivitätsrhythmen, die nach ganz unter-
schiedlichen (z.B. branchenspezifischen) Kriterien eingerichtet werden (können). Das klas-
sische Beispiel, auf welches Eisenhardt und Brown (1998) gerne verweisen, ist das soge-
nannte Moore’sche Gesetz von 1965, nach dem sich die Firma Intel verpflichtet hat, in ei-
nem relativ festen Zeittakt von ca. 18 Monaten die Leistungsfähigkeit ihrer Mikroprozessor-
Chips zu verdoppeln. Dieses Vorgehen führte in der Folge zur Etablierung eines neuen
Rhythmus, wonach Intel ca. alle 9 Monate eine neue Chip-Fabrikationsanlage in Betrieb
nahm. Diese wird zu einer Zeit errichtet, (lange) bevor ein neuer Bedarf an Mikro-Chips
faktisch besteht. Der Grund für diese – recht kostspielige – Vorgehensweise ergibt sich aus
der Intel-Logik: Die hohe Innovationsrate der Chips führt in der Summe zu einer (zunächst
lediglich unterstellten) Nachfrageerhöhung und Intel hat sich das Ziel gesetzt, jede Steige-
rung der Nachfrage mit eigenen Chips zu befriedigen und auf diese Weise Substitutanbie-
ter bzw. Nachahmer nicht in das eigene Segment eindringen zu lassen – eine im Prinzip
dynamische Markteintrittsbarriere.
Die Vorstellung des Entrainment stammt ursprünglich aus der Biologie. Sie startet mit der
Erkenntnis, dass Zyklen unterschiedlichen Ursprungs rhythmisch ineinandergreifen, z.B.
Wachstumsprozesse in Abhängigkeit zu Tag/Nacht-Zyklen und dem Jahreszeitenwechsel
(McGrath/Rotchford 1983, S. 62 ff.). Bezogen auf Organisationen bzw. Unternehmen wird
vom Begriff des „social entrainment“ ausgegangen (McGrath/Kelly 1986, S. 83 f.; Ancona/
Chong 1996). Im Fall von Organisationen lassen sich „gewachsene“ Rhythmen beobachten,
die in der Auseinandersetzung mit wiederkehrenden Zyklen und Rhythmen der Umwelt
einen gemeinsamen Rhythmus formen. Ein Beispiel sind die Wechsel von Saison zu Saison
für Unternehmen der Mode- oder Touristikbranche, die mit dem Geschäftsjahr als allge-
meinem Unternehmenszyklus in wiederkehrenden Rhythmen verknüpft sind.
Shi und Prescott (2012) stellen in einer empirischen Studie zu strategischen Allianzen von
(kleineren) Herstellern von Spezialpharmazeutika fest, dass ein positiver Zusammenhang
zwischen Unternehmenserfolg und der Abstimmung von Aktivitätsrhythmen bei der Alli-
anzbildung besteht. Erfolgreiche Pharmaproduzenten synchronisieren einerseits ihre Mar-
keting-, Lizenzierungs- und Fertigungsprozesse mit denjenigen großer Pharmafirmen.
96 Christian Noss
Andererseits verzahnen sie ihre Prozesse der Arzneimittelprüfung und des Vertriebs mit
Kernprozessen von Forschungsinstituten und Krankenhäusern. Erfolgreiche strategische
Allianzen zeichnen sich durch ein hohes Maß an temporaler Synchronisation und Integrati-
on aus. Damit verbunden ist schließlich auch die stimmige Synchronisation unternehmens-
interner Prozesse (sog. Intra-Entrainment), z.B. zur Wissensgenerierung oder zur Steuerung
der Informationsflüsse. Unter Bezug auf McGrath und Kelly (1986) verweisen Shi und
Prescott (S. 1290) auf den Umstand, dass durch Intra-Entrainment ein internes dynamisches
Gleichgewicht eingerichtet wird, welches über die Zeit zu einem „balanced“ bzw. „steady
state change“ führt. Der Kreis zum Time Pacing schließt sich.
Zum Bestreiten des Wettbewerbs und zur Generierung dieser Rente werden strategierele-
vante dynamische Fähigkeiten („dynamic capabilities“) besonders akzentuiert. Sie verdan-
ken sich organisatorischen Prozessen, spezifischen Aktiva („positions“) und den Entwick-
lungspfaden, die jede Unternehmung im Verlauf der Zeit vollzieht (Teece et al. 1997). Un-
ternehmen sind damit nicht mehr völlig ungebunden bzw. disponibel. Das Management ist
mit deutlichen Entwicklungsrestriktionen konfrontiert. Ob sich diese allerdings als fest
eingetretene Pfade mit der Gefahr der Pfadabhängigkeit erweisen, hängt gemäß Teece et al.
(1997) erstens von der Güte der Organisations- und Managementprozesse, genauer von
Transformations- und Umwelt-Beobachtungsprozessen, ab (S. 520) und zweitens von der
Fähigkeit, sich ergebende technologische Optionen proaktiv nutzen zu können (S. 523).
Perteraf 2003; Helfat et al. 2007). Dynamische Fähigkeiten sind so gesehen ein Spiegel der
Unternehmensgeschichte, sie sind aus der Unternehmensgeschichte heraus entstanden und
ohne diese nicht rekonstruierbar. Ferner ist – qua Konzeptanlage – ohne den Rekurs auf die
historisch gewachsenen dynamischen Fähigkeiten keine Aussage zur Adaptionskompetenz
und damit zu denkbaren strategischen Handlungsoptionen von Unternehmen möglich.
Dynamische Fähigkeiten werden damit als Voraussetzung von Unternehmen betrachtet, die
Erstellung, den Ausbau bzw. die Modifikation der Ressourcenbasis absichtsvoll zu gestalten
und hierdurch neue Wettbewerbsvorteile zu kreieren (Helfat et al. 2007, S. 5). Hierbei nä-
hern sich die Vorstellungen denjenigen der Zeit-Wettbewerbs-Konzepte durchaus an, da
die dynamischen Fähigkeiten als notwendig und hinreichend erachtet werden, neue Wett-
bewerbsvorteile insbesondere in sich rapide ändernden Umwelten („rapidly changing
environments“) zu ermöglichen (Teece et al. 1997, S. 516). D.h., aus einer endogenen Per-
spektive wird der Fall turbulenter und diskontinuierlicher Märkte ebenso zum konzeptio-
nellen Fixpunkt wie in den Ansätzen des Zeit- oder Hyperwettbewerbs auch. Indem aber
hier die unternehmensindividuellen Entwicklungen hin zu den dynamischen Kompetenzen
im Kern der Überlegungen stehen, wird die Unternehmensvergangenheit zum strategisch
relevanten Zeitphänomen bzw. zum Erfolg verbürgenden Zeithorizont.
Der Bezug zur Zeit wird gleich in mehreren Aspekten deutlich: Erstens an der zeitlichen
Irreversibilität. Im Voranschreiten mit der Zeit ergeben sich Ereignisse und Weichenstel-
lungen, die eine Rückkehr zum Ausgangszustand der strategischen Entscheidung unmög-
lich machen. Es wird ein linearer Zeitverlauf unterstellt, in dem die Ausübung von Optio-
98 Christian Noss
nen in jedem Fall Kosten (mindestens Opportunitätskosten) verursacht. Die Kosten sind in
Abhängigkeit von der ausgeübten Option unterschiedlich hoch. Zweitens bemisst sich der
Wert einer strategischen Entscheidung nicht daran, welchen Barwert sie zum Entschei-
dungszeitpunkt aufweist, sondern welche Optionen bzw. Chancen sie in der Zukunft er-
öffnet (Amram/Kulatilaka 1999). D.h., gegenüber anderen mathematischen Verfahren zur
Strategiebewertung (z.B. Discounted Cash Flow) unterstellt der Realoptionsansatz eine als
flexibel und ereignishaft gedachte Zukunft. Auch ist ein Wandel der strategischen Intentio-
nen impliziert, da sich in Abhängigkeit von den eintretenden Ereignissen bzw. Umwelt-
konstellationen sowohl die Optionen als auch die Bereitschaft, diese auszuüben, verändern
können.
Drittens weisen einige wichtige Optionen selbst deutliche Zeitbezüge auf (Amram/Kulati-
laka 1999): Grundlegend sind die Optionen des Abbruchs bzw. des Weitermachens (d.h.
Nichtausübung der Abbruchsoption). Die Abbruchsoption kommt in Betracht, wenn sich
zu einem bestimmten Meilenstein erste Erfolge einer Strategieinitiative nicht eingestellt
haben (z.B. ein Mindest-Umsatzzuwachs). Ferner bestehen Timing-Optionen. Hier kann
z.B. ein unbestimmtes Abwarten oder bewusstes Verzögern angezeigt sein, um mehr In-
formationen zu sammeln und Unsicherheit abzubauen. Ähnliches kann man sich für Stu-
fen-Optionen vorstellen, bei denen eine Investition nicht auf einmal, sondern in Form von
fest vorgesehenen Stufen erfolgt. Diese sind beispielsweise sinnvoll, wenn eine schrittweise
Klärung von Umweltambiguität notwendig wird (indem z.B. behördliche Auflagen bei
einem Genehmigungsverfahren nach und nach erfüllt werden). Wachstums- und Flexibili-
tätsoptionen eröffnen unter Umständen neue strategische Alternativen in der Zukunft. Bei
Ersterer kann durch die Investition in ein bestimmtes Geschäftsfeld (z.B. Logistik) die Mög-
lichkeit für weitere Investitionen in ein verwandtes Geschäftsfeld (z.B. Verpackung) beste-
hen. Im zweiten Fall wird eine Investition zwischen Geschäftsfeldern aufgeteilt, um später
einen flexiblen Austausch zwischen beiden zu ermöglichen (z.B. man verstärkt die Aktivi-
täten im Geschäftsfeld Internetdienstleistungen bei einem gleichzeitigen Nachfragerück-
gang im Geschäftsfeld Touristik und umgekehrt).
Wichtig ist es zu sehen, dass die Optionen in einer komplexen Welt nicht isoliert auftreten,
sondern sich in einer Mehrzahl überlagern bzw. sequenzieren können. Der Aufbau einer
neuen Auslandsniederlassung kann neben Timing- und Stufenoptionen in einer späteren
Zeit die Notwendigkeit zur Ausübung von Wachstums- und/oder Ausstiegsoptionen nach
sich ziehen usw. „Much of the challenge in taking an options approach to strategy lies in
identifying the full set of options you have, disentangling them from one another, and de-
ciding which are the most valuable” (Amram/Kulatilaka 1999, S. 98). Hierbei gilt es, die
Zukunft als im Ganzen optional zu begreifen und die Optionen auszuüben, wenn sie sich
ergeben.
Strategisches Management und Zeit 99
Ein tieferer Grund für die universelle Empfehlung beschleunigter Prozesse ist in der
Grundthese der immerwährenden Beschleunigung der Umwelt zu sehen (Vinton 1992;
Pasmore 1994; D’Aveni et al. 2010). Hier deutet sich aus zeitlicher Sicht eine – für das stra-
tegische Denken – problematische Ko-Konzipierung von Unternehmen und Umwelt an, die
klar in die Richtung der Kontingenztheorie weist.
Dabei verdankt der zuletzt benannte Umstand seine Plausibilität nicht ausschließlich empi-
rischen Beobachtungen, sondern auch logischen Erwägungen: Soll die Zeit überhaupt eine
strategische Relevanz haben, so ist ihre potenzielle Gestaltbarkeit eine notwendige Voraus-
setzung, das Vorliegen eines zeitlichen Handlungsspielraums unabdingbar. In dieser Hin-
sicht ist es geradezu unverzichtbar, von der Möglichkeit der unternehmensspezifischen
Eigenzeitbildung für strategische Aktionen auszugehen. Gerade aus einer strategischen
Perspektive müssen sich Unternehmensprozesse nicht notwendig in Konsonanz mit der
Umweltzeit vollziehen – im Gegenteil, wenn strategisches Handeln ein „Brechen von Inva-
rianzen“ impliziert (Schreyögg 1984, S. 6 ff.), so besteht kein Grund, warum dies ausschließ-
lich sachlich und nicht auch zeitlich begründet sein soll.
4. Der dynamische Ressourcenansatz fokussiert aus zeitlicher Sicht auf zwei bedeutende
Grundtatbestände: Die Unternehmensgeschichte und die langfristige Wirksamkeit der
historisch begründeten Kernkompetenzen. Unklar bzw. mehrdeutig bleibt die Frage, wie
die historisch gewachsenen dynamischen Fähigkeiten in der Zeit generiert werden. Hier
eröffnet sich mittlerweile eine ganze Bandbreite an Interpretationen. So erscheint die Ent-
wicklungsdynamik der strategischen Fähigkeiten z.B. als Phasen eines Evolutionsprozesses
(Barney 2003), als Stufen- bzw. Phasenmodell des Herauskristallisierens neuer dynamischer
Fähigkeiten (Sirmon et al. 2007), als „Capability“-Lebenszyklus (Helfat/Peteraf 2003) oder
als (am Modell des unterbrochenen Gleichgewichts orientierte) Antwort auf die grundle-
gende Ambidextrie zwischen evolutionären und revolutionären Wandelphasen (O’Reilly/
Tushman 2008). Das Problem mit derartigen Interpretationen ist die primär sachliche und
nicht genuin zeitliche Erklärungsbasis, deren Logik eher an sachlichen Phasenverläufen
und damit a-historisch ausgerichtet ist und eine höchstens funktionale Zeit integriert. Das ist
verwunderlich, denn der Basisansatz der Dynamic Capabilities basiert auf einer histori-
schen (empirischen bzw. emergenten) Zeitperspektive. Andere Erklärungsansätze fundie-
ren dynamische Fähigkeiten als Antwort auf Umweltanforderungen in der Weise, dass nur
Strategisches Management und Zeit 103
5. Ist auch das Denken in alternativen und flexiblen Zukünften ein unbedingter Vorteil des
Realoptionsansatzes, so weist dieser doch unübersehbare methodische Probleme auf. Es
muss bezweifelt werden, ob es unter allen Umständen möglich sein wird, strategische Op-
tionen tatsächlich (in etwa) analog zu Finanzoptionen berechnen zu können. Strategische
Optionen sind im Grundsatz individuelle und historische Projekte. Das Entscheiden über
das Relevantsetzen bzw. Ausblenden von Optionen ist ein selektiver und damit risikorei-
cher Prozess, der sich in einer komplexen Umwelt nur unvollständig mathematisch exakt
abbilden bzw. risikotechnisch berechnen lässt (Schreyögg/Noss 2000, S. 50).
Diesem Umstand sind sich offensichtlich auch die Vertreter des Realoptionsansatzes be-
wusst, wenn sie auf die sogenannte „Realoptionsgrenze” verweisen. Diese umreißt, ab wel-
chem Zeitpunkt das finanzmathematische Instrumentarium prinzipiell nicht mehr zum
Einsatz gelangen kann. „At some point – which we call the real-options-frontier – decisions
become so complex and so distant (in time - Ch. Noss) that valuation becomes impractica-
ble with existing tools” (Amram/Kulatilaka 1999, S. 99). Aus zeitlicher Sicht ist die Realop-
tionsgrenze eine dynamische Barriere, die in die Zukunft hineinreicht. Innerhalb des Zeitin-
tervalls vom Entscheidungszeitpunkt bis zu dieser (gedachten) Barriere lassen sich die
realen Optionen in dem Maße exakter berechnen, wie sie sich auf den Entscheidungszeit-
punkt hin konkreter offenbaren. Zuunterst liegt die Einsicht, dass (Umwelt-)Komplexität
durch den Verlauf der Zeit selbst reduziert wird, indem die immer bestehende Mehrdeu-
tigkeit nach und nach in Eindeutigkeit transformiert wird (Luhmann 1978). Jenseits der
Realoptionsgrenze in die Zukunft gedacht wird daher ein anders geartetes Instrumentari-
um zum Einsatz gelangen müssen, welches dem Realoptionsansatz zunächst einmal struk-
turell fremd ist. Qualitative Methoden, wie sie beispielsweise im Rahmen der strategischen
Kontrolle diskutiert werden (Schreyögg/Steinmann 1987), stellen dann eine notwendige
Erweiterung des flexiblen Umgangs mit der Unternehmenszukunft dar.
104 Christian Noss
Resümee: Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, welche Zeitaspekte und -perspek-
tiven im Zentrum des strategischen Managements stehen, wenn es um die Erreichung zeit-
bedingter Wettbewerbsvorteile geht. Neben sicherlich interessanten Anknüpfungspunkten
sind existierende Defizite und Widersprüche unübersehbar. Ein systematisches Bild der
strategischen Zeit und möglicher Wettbewerbserfolge in der Zeit entsteht insgesamt nicht.
Um eine konsistentere strategische Zeitperspektive zu entwickeln gilt es daher, an den
bisher herausgearbeiteten Einsichten anzusetzen und zunächst einmal konzeptionelle Klä-
rungen und Komplettierungen der einzelnen Befunde und Bausteine zueinander zu leisten.
Gemäß der oben eingeführten Unterscheidung von Sinndimension vs. Erfolgsdimension
der Zeit soll deshalb nachfolgend als erster Schritt ein Vorschlag erarbeitet werden, wie
Unternehmen als in der Zeit operierend verstanden werden können (Sinndimension). In
einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, wie sich strategische Wettbewerbsvor-
teile vor diesem Hintergrund begründen lassen (Erfolgsdimension).
Handlungen (und anderweitige Ereignisse) sind aus dieser Sicht nicht lediglich eingefloch-
ten in einen ansonsten gleichförmigen Verlauf der Zeit, sondern ihre Konstitutionsweise
hat Einfluss auf die Schrittfolge und Geschwindigkeit des Zeitverlaufs selbst. Daraus folgt,
dass die hierbei relevante – man kann auch sagen: die empirische – Zeit nunmehr in den
entitätsspezifischen Ereignissen bzw. Handlungen selbst in Erscheinung tritt (Noss 2002).
Die ansonsten so geläufige universale Zeit (Chronologie) hat die Funktion der Messung
Strategisches Management und Zeit 105
und Datierung von Ereignissen, bildet aber nicht deren zeitliche Sinnstrukturen ab. In der
empirischen Zeit erscheinen die Handlungen bzw. Ereignisse emergent, d.h., sie sind nicht
durch historische Prozesse völlig prä-determiniert. Andererseits leiten sie über zu unter-
determinierten Folgeereignissen. Der Grund liegt in der Komplexität sozialer Situationen
begründet, was bedeutet, dass zu einem (eigentlich: jedem) gegebenen Augenblick ein
Überschuss an Handlungsmöglichkeiten seitens der Akteure besteht (Luhmann 1995, S. 278
ff.). Schließlich lässt sich aus dieser historischen Perspektive nicht von „der“ (einzigen)
Vergangenheit sprechen, da mit jedem neuen Ereignis die Vergangenheit angereichert wird
bzw. diese von einem neuen Ereignis aus unter Umständen gänzlich neu in Erscheinung
treten kann oder neu zu bewerten ist. Analoges gilt spiegelverkehrt für „die“ Zukunft.
Für die Akteure bedeuten diese Grundzusammenhänge eine spezifische Relation zur Zeit,
gewissermaßen eine zeitliche Einbettung in die jeweiligen Handlungssituationen. In dieser
Einbettung (bzw. Relationierung) bilden sie im Wege des aktuellen Operierens in der Ge-
genwart laufend weiterführende Zeitorientierungen hinsichtlich Zukunft (Antizipation)
und Vergangenheit (Reflexion) aus (Mead 1980). Darüber hinaus besteht das grundlegende
Potenzial permanent möglicher Restrukturierungen (Re-Orientierungen) der Zeitperspekti-
ven in der Zeit (Emirbayer/Mische 1998).
Was, so muss anschließend gefragt werden, bedeuten diese – bislang noch eher schemen-
haft gebliebenen – Grundzusammenhänge für das strategische Management von Unterneh-
men? Wie kann dieses als zeitlich operierend, mit wechselnden Grundorientierungen hin-
sichtlich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verstanden werden? Zur weiteren Aus-
arbeitung dieser Grundgedanken der dynamischen Handlungstheorie lassen sich frucht-
bare Querbezüge zur Strategy-as-Practice-Forschung bzw. zum Strategischen Interaktions-
ansatz als Illustration heranziehen. Weitere Hinweise folgen aus der bislang vergleichs-
weise unbeachtet gebliebenen Vorstellung des „Strategic Time Reckoning“. Diese Konzept-
bausteine bilden schließlich auch das Grundgerüst zur Systematisierung dynamischer stra-
tegischer Wettbewerbsvorteile (Erfolgsdimension).
Übertragen auf den strategischen Kontext findet eine Verschiebung der maßgeblichen stra-
tegischen Zeit in Richtung der operativern Gegenwart statt. Im Rahmen der laufenden
Konstitution der Gegenwart werden strategische Verweise hinsichtlich Zukunft und Ver-
gangenheit generiert. Die (Handlungs-)Gegenwart wird zum neuen konzeptionellen Dreh-
und Angelpunkt der strategischen Zeit (Gegenwartstheorem).
Strategisches Management und Zeit 107
Zum einen überschreiten strategische Entwürfe die jeweilige Gegenwart mit Blick auf eine
– über Unternehmensvision, -mission und -ziele, strategische Ausrichtung etc. zum Aus-
druck gebrachte – angestrebte Zukunft. An dieser Stelle lassen sich nun zentrale Einsichten
des Realoptionsansatzes in die Betrachtung einbringen: Angesichts einer emergenten Ge-
genwart entsteht die Zukunft bzw. mögliche Zukünfte als Horizont immer wieder neu. Die
Zukunft erscheint als ein beweglicher Horizont, der sich weiter entfernt, je mehr sich ein
Unternehmen daraufzu bewegt (Taschdjian 1977). Dies ist – weniger quantitativ interpre-
tiert – eine wesentliche Einsicht des Realoptionsansatzes und der dort thematisierten Rea-
loptionsgrenze. Aus dieser Sicht bewegt sich das Unternehmen permanent „in seine Zu-
kunft“ hinein und entschlüsselt oder konstruiert laufend die sich ergebenden strategischen
Optionen. Die Optionen sind ebenfalls in Bewegung, konkretisieren sich (werden gar bere-
chenbar), formieren sich neu oder fallen gänzlich fort, da die Gründe hierfür obsolet ge-
worden sind. Die Zukunft ist damit eine unternehmensspezifische, flexible Größe, die einen
Erwartungsraum für immer wieder neue strategische Optionen entfaltet.
Bildlich gesprochen ist hier die Realoptionsgrenze von zentraler Bedeutung. Jenseits dieser
– im Prinzip metaphorisch zu denkenden – Grenze ist auch die Grenze dessen, was konkret
erwartbar ist, überschritten. Erwartungen können dann höchstens qualitativ interpretiert
werden. Mit zunehmender Konkretisierung wird die Zukunft besser und klarer erwartbar,
bis zu dem Punkt, an dem reale Optionen aufscheinen, die einer Planung und/oder quanti-
fizierenden Bewertung (als strategische Verfahren) zugänglich werden (Amram/Kulatilaka
1999). Entscheidend ist, dass dieses Prozessieren ein in der Gegenwart permanent verlau-
fender (operativer) Sinnzusammenhang ist, in dem die strategischen Inhalte immer wieder
neu reformuliert bzw. terminiert werden (können).
Die gegenwärtigen Prozesse der laufenden Strategieformierung sind ferner ohne einen
basalen Vergangenheitsbezug nicht rekonstruier- und beschreibbar. Insofern gilt auch an
dieser Stelle „history matters“ – ganz analog zur Grundprämisse des ressourcenbasierten
Ansatzes (Teece et al. 1997). Die Verzeitlichung der Unternehmensoperationen lässt sich
ohne einen Vergangenheitsbezug nicht begründen. Für die gegenwärtigen strategischen
Unternehmensoperationen liefert die Vergangenheit grundsätzliche Orientierungen; die
Unternehmensgeschichte verleiht den Rahmen, der jeweils neu und gegenwärtig aktuell
mit Sinn zu füllen ist. Vergangenheit ist hierbei nicht als linearer Verlauf zu denken. Im
Gegenteil, die Unternehmenshistorie erschließt sich als ein Reservoir vergangener Gegen-
warten (Kosseleck 1989). Entwicklungstrends und -brüche lassen sich ebenso auffinden wie
so manche vergangene Zukunft, die als (reale) Option nicht verwirklicht wurde oder –
angesichts z.B. harter Wettbewerbsauseinandersetzungen – nicht umgesetzt werden konn-
te.
Insgesamt entsteht das Bild von Unternehmen, die sich in einem fortlaufenden, gegen-
wartsbasierten Strategieprozess befinden. Das Resultat sind strategische Aktionen (Ereig-
nisse bzw. strategische Handlungen) und ihre über die Zeit entstehende Verknüpfung zu
Handlungs- oder Ereignisketten (Ramaprasad/Stone 1992). Die Perspektive spiegelt sehr
deutlich Meads (1980) pragmatische Vorstellung von sozialer „Verzeitlichung“ wider:
„Meads view of temporality is that both the past and the future are in the actions of the
present” (Simpson 2009, S. 1337). In diesem Sinne liegt der temporale Korridor zur Restruk-
turierung von Unternehmensvergangenheit und -zukunft in den gegenwartsbasierten stra-
tegischen Aktionen und hierin entsteht und entwickelt sich – laufend (!) – die unterneh-
mensspezifische strategische Zeit. Damit kommen die Ausführungen der Frage „Wie ope-
rieren Unternehmen in der Zeit?“ ein erhebliches Stück näher. Sie adressieren in grundle-
gender Weise die operative Sinndimension der Zeit. Die wesentlichen Implikationen für die
Zeit als Erfolgsdimension des strategischen Handelns sollen nachfolgend zum Thema wer-
den.
Strategisches Management und Zeit 109
Die erste Möglichkeit besteht in der spezifischen Art und Weise, wie ein Unternehmen in der
laufenden Strategiefindung „seine“ interne Zeit (zeitliche Rahmen, Intervalle, Rhythmen
etc.) erschafft, d.h., ob es z.B. eher darin verhaftet ist, relativ lineare und gleichförmige
Abläufe und strategische Entwürfe zu gestalten oder aber ob es z.B. fähig ist, Zeit insge-
samt flexibel zu kreieren und umzusetzen. Clark (1985, 1990) hat in seinen Untersuchungen
eine derartige Perspektive zugrunde gelegt und spricht Unternehmen einen je spezifischen
Modus des „strategic time reckoning“, also eine bestimmte Form der strategischen „Zeit-
rechnung“ bzw. Zeitauffassung zu (1990, S. 154). Aus der Sicht des dynamischen Ressour-
cenansatzes kann Time Reckoning im Grunde als eine dynamische idiosynkratische strategi-
sche Kompetenz verstanden werden, die ein Unternehmen im Verlauf seiner Historie ge-
bildet, gelernt und verfestigt hat und die sich in Form eines bestimmten Zeit/Bewegungs-
Repertoires äußert. Clark differenziert in ein eher homogenes, eng angelegtes, „mageres“
Zeitrepertoire („lean repertoire“) vs. ein heterogenes, breit bzw. robust angelegtes Zeitre-
pertoire („robust repertoire“).
Um die Unterschiede zu verdeutlichen wird hier (im Sinne von Clark, aber über seine Vor-
stellungen hinaus) an einen Katalog von Zeitphänomenen angeschlossen, der in der zeit-
theoretischen Forschung üblicherweise im Zentrum von klassifizierenden Untersuchungen
steht. In diesem Sinne werden regelmäßig die zeitlichen Eigenschaften von Handlungen
bzw. Prozessen in Form der Kriterien 1. Sequenz, 2. Dauer, 3. Synchronizität, 4. Periodizität
und 5. Tempo thematisiert (Lauer 1981; McGrath/Kelly 1986; Moore 1990; Noss 1997; Adam
et al. 2002). Derartige Temporalkriterien sind auch dem Strategischen Management nicht
fremd: Mit dem Aspekt des Tempos (i.S.v. Schnelligkeit bzw. Beschleunigung) setzen sich
z.B. die Konzepte des Zeit- und Hyperwettbewerbs schwerpunktmäßig auseinander. Syn-
chronizität, Periodizität gemeinsam mit Tempo sind zentrale Themen der strategischen
Betrachtungen zu Unternehmensrhythmen und Entrainment usw. Stellt man die Zeitphä-
nomene dichotomisiert, als Ausdrucksformen eines engen vs. robusten bzw. homogenen
vs. heterogenen strategischen Zeitrepertoires gegenüber, ergibt sich das in Abbildung 2
dargestellte Bild:
110 Christian Noss
Schließlich lässt sich an diesem Punkt eine Parallele zu zentralen Implikationen des Realop-
tionsansatzes auffinden. Die Idee, ein breit angelegtes temporales Repertoire sei für Wett-
bewerbsvorteile förderlich, wird auch durch den Realoptionsansatz unterstützt. Dort gilt es
als ein (erstrebenswerter) Vorteil an sich, einen eher breiteren Kranz an Zukunftsoptionen
zu generieren – im Vergleich zu einer eher schmalen Bandbreite oder gar einer einzigen
Option in der Zeit (Kogut/Kulatilaka 2001). Hierzu ist die Kompetenz, Zukunft als flexible
Handlungs-Projektions-Dimension zu verstehen und zu bearbeiten, von zentraler Bedeu-
tung. Und genau das ist auf der Basis eines robusten, heterogenen Zeit-/Bewegungs-Reper-
toires weitaus wahrscheinlicher bzw. besser begründbar als auf der Basis eines eng gefass-
ten, homogenen Repertoires.
Die zweite Möglichkeit besteht in der Art und Weise, wie ein Unternehmen auf der Basis
seines Zeitrepertoires in der Zeit agiert und z.B. seine realen Optionen erkennt, ausformu-
liert und umsetzt – mit anderen Worten, wie ein Unternehmen seine Zeit(en) nutzt. Der
strategische Erfolg macht sich dann vor allem in den Eigen-Bewegungen und Gegenbewe-
gungen der Konkurrenten, d.h. Zeit/Aktions-Mustern bzw. strategischen Interaktionen, am
Markt bemerkbar. Grimm et al. (2006, S. 86) bringen den Basisansatz der strategischen In-
teraktionsperspektive folgendermaßen auf den Punkt: „Firms act, and rivals react, and it is
in the context of action and reaction that competitive advantages are created and eroded
over time.”
Die Autoren konzentrieren sich in ihren Ausführungen auf vier generische strategische
Aktionstypen, die in Abhängigkeit von der Wettbewerbssituation initiiert werden, in der
sich eine Unternehmung befindet. 1. Entrepreneurische Aktionen sind an Schumpeters Idee
der kreativen Zerstörung (Innovation) orientiert, 2. ricardische Aktionen nutzen firmenspezi-
fische, seltene, nicht-imitierbare Ressourcen, 3. abschreckende Aktionen werden durch Unter-
nehmen aus einer Situation der Reife und relativen Ressourcenstärke heraus initiiert und
4. kooperative Aktionen aus einer Situation der Schwäche und insgesamt ungünstiger Res-
sourcenausstattung (S. 88 ff.).
Aus zeitlicher Sicht ist entscheidend, dass den Wettbewerbern durch die ersten drei Akti-
onstypen Reaktionen nahegelegt werden, die erst mit einer unterschiedlich langen Verzö-
gerung zur Wirkung gelangen können (Smith et al. 1992). Agierende Unternehmen sind in
dieser Auffassung im Vorteil, da sie – jedenfalls in Grenzen – die Reaktionszeit ihrer Wett-
bewerber aktiv beeinflussen. Beispielsweise sind Schumperter’sche Innovationen für die
Wettbewerber anfänglich unsicher und opak und müssen daher erst einmal in ihrer Trag-
weite für den Markt entschlüsselt werden. Ricardische Aktionen verbleiben zunächst nicht-
imitierbar, da sie auf endogenen, mitunter komplexen Kernkompetenzen beruhen. Hierbei
benötigen die Wettbewerber eine unbestimmte Antwortzeit, da nicht sicher ist, wann und
ob sie überhaupt kontern können. Abschreckende Aktionen werden unter Einsatz relativ
mächtiger (z.B. finanzieller) Ressourcen unternommen (z.B. ein dauerhafter Preis an der
Preisuntergrenze) und es wird zu einer Frage der zeitlichen Durchhaltekraft, ob und wie
lange (insbesondere schwächere) Wettbewerber eine derartige „Durststrecke” werden
durchstehen können. Einzig die kooperativen Aktionen zielen darauf ab, sich mit den Wett-
bewerbern zu arrangieren und das kann zeitlich vor allem ein synchronisiertes Verhalten
112 Christian Noss
In der nun folgenden Zeit entwickelte Jobs (und seine Führungsmannschaft) die Firma
Apple aus der Ecke eines kleinen Computerherstellers zu einem multimedialen und multi-
dimensionalen Kommunikationsunternehmen mit den wichtigsten Produktlinien: Compu-
ter (iMac, MacBook, seit 1998), iPod (digitaler Mediaplayer, seit 2001) und iTunes (digitaler
Medienservice, seit 2003), iPhone (multifunktionelles Smartphone zusammen mit dem App
Store, seit 2007) und iPad (Tablet-Rechner, seit 2010). Hinzu kommen diverse Betriebssys-
teme und die gesamte Palette der Anwendungssoftware (z.B. iWork, iPhoto, iMovie etc.). In
sachlich inhaltlicher Hinsicht sucht Apple seinen Erfolg in technisch und designerisch ex-
zellenten Produkten, die – vor dem Hintergrund ihres höheren Preises – in Richtung einer
Differenzierungsstrategie einzustufen sind. Im Sinne der aktiven Erschaffung realer strate-
gischer Optionen vernetzt Apple seit 2007 seine Produkte zunehmend auf der Basis des
Strategisches Management und Zeit 113
Im Jahr 2011 hatten die Computer nur noch einen Umsatzanteil von ca. 20 %; ca. 70 % ent-
fielen auf iPhones (44 %), iPads (19 %) und iPods (7 %). Hinsichtlich der Börsenkapitalisie-
rung als Erfolgsindikator überholte Apple im Jahr 2011 erstmals ExxonMobile, den bis
dahin wertvollsten Konzern der Welt. Im August 2012 erreichte Apples Börsenwert die
Höchstmarke von ca. 600 Mrd. $, was in etwa der Summe der Börsenwerte der 10 besten
deutschen Dax-30-Unternehmen entspricht. Im Vergleich dazu waren zur gleichen Zeit die
Firmen Exxon ca. 400 Mrd. $, Microsoft ca. 260 Mrd. $ und Google ca. 220 Mrd. $ wert.
Nachfolgend sollen beispielhaft Schlaglichter auf das Zeitoperieren und die in der Zeit
begründeten Wettbewerbsvorteile von Apple geworfen werden. Hierbei wird Apple zu-
nächst aus der Perspektive der strategischen Interaktionen und anschließend vor dem Hinter-
grund des unternehmensspezifisch entwickelten strategischen Zeitrepertoires rekonstruiert.
Als Beispiel für strategische Interaktionen wird auf den Smartphonemarkt abgehoben und
Apples strategische Aktions-Reaktionsmuster gegenüber seinem schärfsten Mitwettbewer-
ber, der Firma Samsung. Zur Historie muss angemerkt werden, dass zum Zeitpunkt von
Apples Markteintritt im Jahre 2007 der Markt für Smartphones seit ca. acht Jahren durch
eine zunehmend stürmische Entwicklungsdynamik unter den bis dahin wichtigsten Anbie-
tern Toshiba, HTC, Nokia, RIM (BlackBerry), LG, Palm, Motorola und Samsung gekenn-
zeichnet ist. Alle Hersteller sind zu diesem Zeitpunkt bereits mit mehreren Smartphone-
Modellen erfolgreich auf dem Markt. Die Modellzyklen sind sehr kurz; nicht selten werden
pro Jahr und Hersteller drei oder mehr Produkte in den Wettbewerb eingeführt. Aus zeitli-
cher Sicht wird der Markteintritt des (bis dato) Computerherstellers Apple durchaus kri-
tisch gesehen. Es wird bezweifelt, dass Apple der zeitlichen Wettbewerbslogik der Smart-
phone-Industrie entsprechen kann:
„The problem here is that while Apple can play the fashion game as well as any company,
there is no evidence that it can play it fast enough. These phones go in and out of style so fast
that unless Apple has half a dozen variants in the pipeline, its phone, even if immediately suc-
cessful, will be passé within 3 months. There is no likelihood that Apple can be successful in a
business this competitive. Even in the business where it is a clear pioneer, the personal com-
puter, it had to compete with Microsoft and can only sustain a 5 % market share” (Dvorak
2007).
Apple löst das Problem des Eintritts in den schillernden und schnellen Smartphonemarkt
mit seinen vielen Anbietern und der (fast) unüberschaubaren Modellflut in sachlicher Hin-
sicht dadurch, dass ein (einziges) Produkt, das iPhone – gewissermaßen als „Leuchtturm“ –
eingeführt wird. Auf parallele Produkte bzw. Produktlinien verzichtet Apple. In der hier
interessierenden zeitlichen Hinsicht überarbeitet Apple das iPhone in relativ konstanten
Zyklen zum jeweils neuen Modell. Fand die Markteinführung des Ur-iPhone im Januar
2007 statt, so sind die Nachfolgemodelle wie folgt terminiert: das iPhone 3G im Juli 2008,
iPhone 3GS im Juni 2009, iPhone 4 im Juni 2010, iPhone 4S im Oktober 2011 und das iPhone
114 Christian Noss
5 im September 2012. Im Herbst des Jahres 2013 rechnen Branchenbeobachter mit der Ein-
führung des iPhone 5S bzw. iPhone 6.
In der Folgezeit wird das iPhone relativ schnell zu einem Meilenstein in der Entwicklungs-
geschichte der Smartphones. Dieser Umstand ist neben dem Produktdesign in dem multi-
funktionellen und überaus anwenderfreundlichen Betriebssystem iOS begründet. Apples
unmittelbarer Konkurrent Samsung kontert zwar sehr zügig, bereits im Jahr 2008 die
Markteinführung des iPhone – allerdings eher unkonzentriert: Bis zum Jahr 2010 werden
mehrere Smartphonemodelle auf der Basis der Betriebssysteme „Windows Mobile“ und
„Windows Phone“ eingeführt. Parallel dazu entwickelt Samsung sogar ein eigenes Be-
triebssystem namens „bada“ und führt dieses im Juni 2010 in den Markt ein.
Aus einer Perspektive der strategischen Interaktion kann die Einführung des iPhones als eine
entrepreneurische Aktion bezeichnet werden. Apples Wettbewerbsvorteil besteht darin,
dass die Mitbewerber, allen voran Samsung, in der Folge in einen Suchprozess einsteigen
mussten, um ein vergleichbar erfolgreiches Smartphone-Format nach und nach für sich erst
zu (er-)finden. Im Fall von Samsung hat dieser (kostspielige) Prozess bis in das Jahr 2010 ca.
drei Jahre gedauert. Erst in diesem Jahr führt Samsung das erste Galaxy Smartphone mit
dem von Google auf Linux (Open-Source) Basis entwickelten Betriebssystem „Android“
ein. Mit dem „Galaxy S“ erfolgt der Start der Galaxy-Modellserie, womit Samsung erstmals
ein dem iPhone ähnlich erfolgreiches Produkt zur Verfügung steht. Die Smarthphones auf
der Basis von Windows Betriebssystemen spielen bei Samsung mittlerweile keine große
Rolle mehr; das Betriebssystem „bada“ konnte sich nicht durchsetzen.
Nach der Einführung des iPhones hat Apple durch die Etablierung eines eigenen (ca. jährli-
chen) Innovationsrhythmus die Branche erfolgreich irritiert und sich dadurch einen weite-
ren zeitbedingten Wettbewerbsvorteil, im Sinne eines Aufmerksamkeitsvorteils, erschaffen.
Aus der Sicht der Kunden setzt Apple in die unaufhörliche, relativ indifferente Flut an
Produktneuerungen klare Orientierungs-(zeit-)punkte. Konkurrenten passen sich bisweilen
Apples Jahresrhythmus an. So hat z.B. Samsung mit den Galaxy-Modellen Apples Jahres-
rhythmus im Prinzip kopiert. Bleibt Samsung auch der Modellflut treu, so erfolgte im Jahr
2011 die Einführung des Galaxy S II (mit fünf Modelvarianten), im Jahr 2012 gleich mehrere
Versionen des Galaxy S III. Im März 2013 erscheint schließlich das Galaxy S IV.
Der Markterfolg spricht nicht unwesentlich für Apples Vorgehensweise: Wurde anfänglich
die Überlebensfähigkeit im rasanten Smartphonemarkt grundsätzlich infrage gestellt (s.o.),
so hält Apple seit dem Jahr 2011 einen weltweiten Marktanteil von ca. 21 %. Zwar steigt der
weltweite Marktanteil von Smartphones mit Android-Betriebssystemen bis in das Jahr 2012
auf ca. 69 %, wobei jedoch berücksichtigt werden muss, dass dieses Google-Betriebssystem
neben Samsung auch von anderen Herstellern, wie z.B. Alcatel, HTC, Sony, LG und Mo-
torola etc. verwendet wird (Gartner 2013). In dem überaus wichtigen Heimatmarkt USA
hält Apple im November 2012 erstmals einen Marktanteil von über 50 % (Friedrich 2012).
Der zweite, hier zu beleuchtende Zusammenhang ist das strategische Zeitrepertoire von
Apple. Durch die für Apple typische enorme Geheimhaltung von allen strategischen Akti-
vitäten ist es nicht ganz einfach, über die unternehmensspezifische, endogen gebildete Zeit
Strategisches Management und Zeit 115
Tempo. In der hier interessierenden zeitlichen Dimension erscheint Apple zunächst einmal –
wie erwartet – als das agile, schnelle, internetbasierte Unternehmen, welches in den ge-
schwinden elektronischen Zeittakt der weltweiten Vernetzung eingebunden ist. In Anleh-
nung an die Eisenhardt’schen Untersuchungen eine high-velocity Company, vernetzt in
einer high-velocity Umwelt. Von den fünf wichtigsten Werten bei Apple, d.h. clear direction,
individual accountability, a sense of urgency, constant feedback und clarity of mission stehen zwei
(urgency, constant feedback) ganz offensichtlich für eine an Geschwindigkeit orientierte
Unternehmenskultur (Lashinsky 2012). Mitarbeiter arbeiten deutlich „Deadline“-orientiert.
Deadlines ergeben sich oft, da das die wesentlichen Projekte steuernde „Executive Team“
(kurz: ET, bestehend aus dem CEO und den neun wichtigsten Executive Officers) sich wö-
chentlich zwei Mal trifft. Da Apple nur wenige Produkte bzw. -linien produziert, hält das
ET einen unmittelbaren Kontakt zu allen maßgeblichen Projekten bzw. Projektteams, die
damit ständig in Bewegung bleiben. „You are never out of a two week decision loop“
beschreibt ein Hardwaremanager die Situation(zit. nach Lashinsky 2012, S. 72).
Sequenz. Die strikte Projektorientierung lässt auf eher reguläre Ereigniszyklen, mit genau
vorgeschriebener Vorgangsdauer („bis zum nächsten Meilenstein“) schließen, die überdies
eher rekurrent und stetig als irregulär ineinandergreifen. Erhöht wird die Arbeitsaufladung
für gewöhnlich dadurch, dass die Teams zahlenmäßig relativ klein gehalten werden. Insge-
samt soll die Mentalität und Arbeitsweise einer Start-up-Unternehmung erhalten bleiben.
Ein Mitarbeiter des Personalwesens, der sich lange um Neueinstellungen gekümmert hat,
bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Apple runs so fast and so lean, it requires people
to really work hard and take on a lot of tasks and do them in a short period of time“ (zit.
nach Lashinsky 2012, S. 78).
Periodizität. In den Jahren 1998 bis 2011 erfolgen grundlegende Produktinventionen (i.S.v.
iPod, iPhone, iPad) eher irregulär. Bei Produktinnovationen dagegen, dies wird im Fall der
jährlichen Überarbeitung des iPhones deutlich, setzt Apple auf ein eher konstant rhythmi-
sches Entrainment. Hier wird jedes Jahr die nächste Generation vorgestellt. Unter Jobs
berühmt und zeitlich ebenfalls sehr konstant wird auch die Macworld Trade Show veran-
staltet, auf der die neuesten Perspektiven von Apple jeweils Anfang Januar für das laufen-
de Jahr der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Bis hierher erscheint Apple eine High-tech-Unternehmung zu sein, die, in Konsonanz mit
der schnellen Taktung der Elektronikbranche, sich einer besonderen strategischen Ge-
schwindigkeit, aber auch relativ konstanten Handlungssequenzen verschrieben hat. All
dies deutet auf ein eher homogenes („lean“) Zeit-/Bewegungs-Repertoire. Das ist jedoch
nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte zeigt Apple als ein Unternehmen, das eigene
Zeitmodulationen, z.B. Dehnungen, vornimmt und sogar ganz aus dem beschleunigten
Zeittakt der Mikroelektronik aussteigt und strategische Geschäftsprozesse bewusst ver-
langsamt.
116 Christian Noss
Dauer. Eine Zeitdehnung setzt Apple bei der Einführung von gänzlich neuen Produkten
bzw. wichtigen neuen Produktgenerationen ein. Die konkrete Produkteinführung wird
bewusst „in der Schwebe“ gehalten und zwar in sachlicher („Was leistet das Produkt ge-
nau?“) als auch in zeitlicher Hinsicht („Wann exakt kommt das Produkt zur Ausliefe-
rung?“). Dazu muss angemerkt werden, dass es Apple in den Jahren seit 1997 erfolgreich
geschafft hat, eine extreme Kundenbindung aufzubauen. Apples Kunden sind über 80 %
Privatkunden, institutionelle Kunden sind eher die Ausnahme. Der Zustand der Schwebe
wird durch Apples typische Geheimhaltung ermöglicht bzw. unterstützt. Da – mangels
Vorabinformationen – in Nutzerforen aber auch in der Presse viele Mutmaßungen über das
neue Produkt angestellt werden, erfreut sich dieses bereits lange vor der Einführung einer
hohen Aufmerksamkeit. Hierbei ist ein stark qualitatives Moment der Zeit gegeben. Der
Zeitsoziologe Gurvitch (1964) nennt eine derartige Zeit „retardiert“, womit er zum Aus-
druck bringen will, dass in einer solchen Zeit die Zukunft die Gegenwart in ihren relevan-
ten Sinnbezügen bereits ausfüllt. Der subjektive Verlauf der Zeit ist verzögert, die Akteure
projizieren ihre Erwartungen in die Zukunft und warten, bis sich diese (endlich) entfaltet.
Diese qualitative Zeit der schwebenden Andauer ermöglicht Apple mehrere Wettbewerbs-
vorteile. Aus sachlich-inhaltlicher Perspektive ist sie mächtiger und wirkungsvoller als jede
Marketingkampagne. Aus zeitlicher Sicht verschafft sie neben der hohen Erwartungsbil-
dung auf Seiten der Kunden, die mit fortdauernder Ankündigungszeit größer wird, ein
ganz entscheidendes zeitliches Puffer. In der Zeit der Schwebe können die – bei einer Pro-
dukteinführung immer bestehenden – (letzten) Schwachstellen am Produkt, Unkoordi-
niertheiten mit Zulieferern etc. nach und nach vermindert bzw. abgestellt werden. Die
Schwebe lässt sich zwar nicht allzu lange vorhalten, aber es ist Apple schon häufig gelun-
gen, ein relativ fehlerfreies Produkt auf den Markt zu bringen – wenn es denn soweit ist.
Technische Fehlerfreiheit und designerische Perfektion sind hohe Güter bei Apple
(Lashinsky 2012, S. 49 ff.), die helfen, eine (zu frühe) Einführung von unreifen Produkten zu
vermeiden. Letzteres ist Microsoft bereits mehrfach unterlaufen und führte z.B. bei der
Einführung von Windows Vista (2005 bis 2007) zu einer erheblichen Kundenunzufrieden-
heit. Darüber hinaus nehmen Apple-Kunden es der Firma nicht übel, einen gewissen Zeit-
raum (in erregter Vorerwartung) abzuwarten, bis das Produkt zur Auslieferung gelangt.
Wenn der Zeitpunkt der Einführung gekommen ist („the Day One burst of activity“), wird
die laufende Zeitorientierung blitzschnell restrukturiert. Jetzt findet ein fundamentaler
Tempowechsel statt und die gesamte Apple-Logistik schaltet auf schnelle Lieferfähigkeit und
Verfügbarkeit um. Die Kunden sollen dann zügig zu „ihrem“ Produkt gelangen, die Erwar-
tungen sollen endlich erfüllt werden!
Dieses stark qualitative Zeitmoment hat Apple – wie gesagt – bis heute schon häufiger zur
Produkteinführung (z.B. bei den iPhones) mit großem Erfolg angewendet. Die Zeit ist nicht
unwesentlich emotional aufgeladen; das jeweilige Produkt wird durch Geheimhaltung
gepaart mit zeitlicher Dehnung im Vorfeld der Markteinführung bereits so etwas wie ein
Mythos. Da sich hinsichtlich der Regelmäßigkeit aber auch in der Art der vagen Ankündi-
gung, der gesamten Inszenierung etc. ein Muster ablesen lässt, ist davon auszugehen, dass
Apple die retardierte Zeit als temporales strategisches Instrument bewusst einsetzt.
Strategisches Management und Zeit 117
Tempo. Apple geht sogar noch einen Schritt weiter, indem innerhalb eines Subsystems des
Unternehmens eine ganz eigene Zeitkultur, man ist fast geneigt zu sagen, eine Gegenkultur
zur Firmenzentrale in Cupertino gelebt wird. Gemeint sind die Apple Stores, in denen eine
ausgesprochene Kultur der Langsamkeit vorherrscht. Apple betreibt seit 2001 bis zum Ende
des Jahres 2012 weltweit 394 Apple Stores (davon 269 in den USA, 10 in Deutschland), in
denen alle Produkte und Produktlinien an private Endkunden verkauft werden – eine
insgesamt für ein High-tech-Unternehmen, dessen Produkte internetbasiert sind, unortho-
doxe Vertriebsmethode. Gemeinhin sollte man meinen, internetfähige Produkte verlangen
nach einem schnellen Vertrieb und das Internet selbst ist hierfür die schnellste und effizien-
teste Vertriebsplattform.
Der Hintergrund der Apple-Stores ist ein firmenspezifischer: In der Prägung durch Steve
Jobs steht bei Apple zunächst die Perfektionierung des Produkts im Zentrum aller Bestre-
bungen. Das führt in der Folge häufig dazu, dass das Produkt revolutionär erscheint und
den Kunden gegenüber erklärungsbedürftig ist. Apple eröffnet daraufhin einen strukturel-
len „Schonraum“, exklusiv eingerichtet zur Kommunikation mit den Kunden. In den Apple
Stores soll sich der Kunde Zeit nehmen für Apple und Apple gibt dem Kunden Zeit, sich
mit den Produkten auseinanderzusetzen. Entsprechend ist der Verkauf der Produkte nicht
das vorrangige Ziel der Stores. Sie arbeiten mit einem vom herkömmlichen Standard der
Mikroelektronikbranche, bei dem die Anzahl der verkauften Geräte pro Zeiteinheit (Wo-
che, Monat etc.) als das Maß aller Dinge gilt, völlig abweichendem Retail-Konzept (Johnson
2011).
In den Apple-Stores wird für die Kunden eine spezielle stressfreie Atmosphäre erzeugt:
„Visiting an Apple Store is like few other retail experiences. Clear, sparse tables hold Apple’s
products, which are touchable and usable. Up the elegant staircase, often a glass spiral, resides
the Genius Bar, a help desk where blue-shirted employees dole out special hand-holding.
Elsewhere ‘sales specialists’ hover to answer questions, demonstrate features, and never, ever
push for a sale“ (Lashinsky 2012, S. 149 f.).
Kundenberater sind hierzu speziell ausgebildet. Stress- und Frustrationsabbau gerade auch
an offenen Einkaufstagen und Wochenenden stehen im Mittelpunkt. Selbstverständlich
lassen sich alle Apple-Produkte über das Internet beziehen, aber die Apple-Stores sind
mittlerweile für viele Kunden mehr als ein Geschäft. Dort werden Seminare veranstaltet,
man trifft sich privat usw.; viele Kunden ziehen den realen Treffpunkt dem virtuellen
Treffpunkt im Internet vor.
Die Apple-Stores sind kein bloßer Vertriebsweg. Sie stellen im Gegenteil eine ganz wesent-
liche strategische Ressource in der Wertschöpfungskette von Apple dar. Dies wird dadurch
deutlich, dass von den insgesamt 72 800 Mitarbeitern im Jahr 2012 ca. 42 400 Mitarbeiter im
Retail-Bereich beschäftigt sind. D.h., neben der Bedeutung als strategischer Ressource stel-
len die Stores auch einen Kostentreiber dar, dessen strategischer Wertbeitrag aber offen-
sichtlich die Kosten übersteigt. Der Umsatz der Retail-Stores betrug im Jahr 2011 weltweit
ca. 16 Mrd. $; der Gewinn beläuft sich im Geschäftsjahr 2012 auf rund 4,7 Mrd. $. Die Apple
Stores stehen insgesamt für einen strategischen Differenzierungsvorteil im Vertrieb, deren
118 Christian Noss
konkreter Wettbewerbsvorteil ganz wesentlich auf der Entschleunigung der Vertriebs- und
Kundenberatungsprozesse beruht.
In der Summe verfügt Apple über einen spezifischen Verschnitt aus homogenen und hete-
rogenen generischen (strategischen) Zeitelementen. Eine exaktere und umfassendere Ana-
lyse ist sicher nötig, würde aber den Rahmen dieser Illustration sprengen. Neben den an
sich erwartbaren Kompetenzen zu zügigen („schnellen“) und konstanten Prozessen (ho-
mogenes Zeitrepertoire) zeichnet sich Apple auch durch die strategische Kompetenz zu
Elementen eines robusten, heterogenen strategischen Zeit/Bewegungs-Repertoires aus. Hier
stehen ein elastischer Umgang mit der Zeit, die Fähigkeit zu Tempo-Änderungen wie auch
das Initiieren von endogenen Zeitrhythmen und -zyklen, die in dieser Form in der Umwelt
nicht existieren, im Mittelpunkt. Insgesamt gelingt es Apple, sehr unterschiedliche strategi-
sche Zeiten zu vereinen und erfolgreich zu nutzen. Die Zeitkonstitution stellt ein Gesamt-
systemphänomen dar, welches durch die beiden wesentlichen Zeit-Subsysteme (Zentrale
vs. Retail-Stores), die verschiedenen Rhythmen und Intervalle, quantitative und qualitative
Zeitmomente etc. zum Ausdruck gebracht wird. Im Ergebnis führt das zu einer insgesamt
paradoxen, mehrdimensionalen strategischen Zeitaufladung (z.B. Gleichzeitigkeit von
schnellen und langsamen Prozessen). Apples temporaler Wettbewerbsvorteil liegt in der
Synchronisation derart divergierender Zeitmuster zu einer komplexen Zeitgestalt, die es
erlaubt, eine Bandbreite zeitlicher strategischer Optionen zu eröffnen, offen zu halten und
im Verlauf der Zeit variabel zu nutzen.
6 Abschließende Bemerkungen
Aus der im vorliegenden Beitrag entworfenen Perspektive wird die Zeit zu einem Medium,
welches einen unmittelbaren Beitrag zum strategischen Erfolg eines Unternehmens beizu-
steuern vermag. Dazu ist die Zeit aus der kontingenztheoretischen Einklammerung gelöst
und in einen strategischen Gestaltungsansatz überführt worden. Die in der Gegenwart
eines Unternehmens permanent stattfindende strategische Praxis ist der konzeptionelle
Verknüpfungshorizont der Zukunfts- und Vergangenheitsperspektiven. In der aktuell fort-
laufenden Gegenwart eröffnen und bewerten Unternehmen ihre jeweiligen strategischen
(Zukunfts-)Optionen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Historie.
strategischen Kontext überdacht werden sollten. Es wäre zu wünschen, dass in der Zukunft
eine mehrdimensionale Perspektive der Zeit als Quelle von Wettbewerbsvorteilen (jenseits
von Einzelaspekten wie Beschleunigung etc.) stärker noch in die Aufmerksamkeit des stra-
tegischen Diskurses rückt. Die vorliegenden Ausführungen wollen hierzu Grundlagen
aufzeigen und einen Beitrag leisten.
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Zusammenfassung
Die bestehende Literatur zum „projektübergreifenden Lernen“ kann bislang nur unzu-
reichend erklären, was den Austausch von Erfahrungswissen in projektbasierten Organisa-
tionen erschwert. In diesem Beitrag schlage ich daher eine Neubetrachtung des projekt-
übergreifenden Lernens vor. Eine kommunikationszentrierte Perspektive erlaubt es, beste-
hende Herausforderungen des projektübergreifenden Lernens als Problem der Verknüp-
fung zwischen Kommunikationsereignissen zu rekonstruieren. In einer empirischen Fall-
studie bei einer multinationalen Unternehmensberatung habe ich untersucht, inwieweit die
Anschlussfähigkeit an vergangene Projekte durch Praktiken der Projektdokumentierung
ermöglicht wird. Die Untersuchung zeigt zum einen die Dominanz der Präsentations-
software PowerPoint im Anwendungskontext der Projektdokumentation. Zum anderen
schränkt die Verknappung von Inhalten in PowerPoint-Dokumenten die Möglichkeiten zur
Rekontextualisierung durch Mitarbeiter ein, die nicht direkt am Projekt beteiligt waren. Die
Studie trägt zur bestehenden Forschung bei, indem sie aufzeigt, wie PowerPoint im alterna-
tiven Anwendungskontext der Projektdokumentation eingesetzt wird, hierbei die Prozess-
haftigkeit vergangener Projekte tendenziell „einkapselt“ und damit das projektübergrei-
fende Lernen erschwert.
Abstract
The existing literature on “cross-project learning” can only insufficiently explain what im-
pedes the exchange of knowledge within project-based organizations. Hence, in this article,
I aim to shed light on cross-project learning from a communication-centered perspective.
This view allows for reconstructing existing challenges in cross-project learning as prob-
lems of connectivity between communication events. In line with this view, I have conduct-
ed an empirical case study at a multinational business consulting firm. This study examines
to what extent existing practices of project documentation facilitate the visibility of past
project processes and thus any connectivity to future projects. The study shows the pre-
dominance of the presentation software Microsoft PowerPoint in the project documentation
practices at the case firm. Furthermore, the established practices of reducing the content of
PowerPoint slides (e.g. in the form of bullet point lists) constrained the possibilities for
recontextualization by organizational members that were not directly involved in the pro-
ject process. Taken together, the study contributes to the existing literature by showing how
a medium and genre of organizational communication (i.e. PowerPoint) becomes establish-
ed in the alternate application context of project documentation but tends to “encapsulate”
the processual nature of projects, which, in effect, can impede cross-project learning.
Inhaltsübersicht
1 Einleitung und Problemstellung
2 Theoretische Darlegungen
2.1 PBOs und das projektübergreifende Lernen
2.2 Ein kommunikationszentrierter Blick auf projektübergreifendes Lernen
2.3 Die Rolle von PowerPoint im projektübergreifenden Lernen
3 Empirische Untersuchung
3.1 Methodisches Vorgehen
3.2 Ergebnisse der Dokumentenanalysen: Die Sichtbarmachung von
Projektprozessen mittels PowerPoint
3.3 Ergänzende Kontextualisierung durch die qualitativen Interviews
Zur Weiterentwicklung der Forschung zum projektübergreifenden Lernen schlage ich da-
her vor, sich aktuellen Arbeiten aus dem Forschungsgebiet Organisationskommunikation
zuzuwenden, die der Komplexität von Kommunikationsprozessen besser gerecht werden.
Beispielsweise wird ein erweiterter und prozesshafter Kommunikationsbegriff in Studien
zur „Wissenskommunikation“ vertreten (z.B. Mengis/Eppler 2008; Reinhardt/Eppler 2004;
Schoeneborn 2006). Diese Forschungsarbeiten betonen insbesondere die Wichtigkeit inter-
aktiver (Face-to-Face-)Kommunikation zur Ermöglichung des Wissensaustauschs in Orga-
nisationen. In diesem Beitrag möchte ich diese wichtigen Vorarbeiten ergänzen und weiter-
entwickeln, indem ich auf jüngste Arbeiten aus der Organisationskommunikationsfor-
schung zurückgreife, die von einer fundamentalen kommunikativen Konstituierung bzw.
Verfasstheit von Organisationen ausgehen. Diese Theorieperspektive unter dem Namen
„communication as constitutive of organizations“ (CCO) bekannt geworden und erfreut
sich zunehmender Aufmerksamkeit auch in den Organisations- und Managementwissen-
schaften (für einen aktuellen Überblick siehe z.B. Ashcraft et al. 2009; Brummans et al. im
Druck; Cooren et al. 2011).
Der weitere Gang des Beitrags gliedert sich wie folgt: Der nachfolgende, zweite Abschnitt
gibt zunächst einen kurzen Überblick über die bestehende Literatur zu PBOs und speziell
zum projektübergreifenden Lernen. Hieran anknüpfend schlage ich vor, die bestehende
Literatur auf Basis einer kommunikationszentrierten Perspektive neu zu betrachten. Bei-
spielartig wird diese Perspektive anhand der Präsentationssoftware PowerPoint als beson-
ders häufig eingesetztem Kommunikationsmedium und -genre im Kontext des projekt-
übergreifenden Lernens veranschaulicht. Der dritte Abschnitt legt die Methodologie und
wesentlichen Ergebnisse der empirischen Untersuchung dar. Diese Befunde werden ab-
schließend vor dem Hintergrund der bestehenden Literatur diskutiert.
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 131
2 Theoretische Darlegungen
2.1 PBOs und das projektübergreifende Lernen
Das Forschungsgebiet zu projektbasierten Organisationen (PBOs) hat in den letzten Jahren
zunehmende Aufmerksamkeit in den internationalen Organisations- und Management-
wissenschaften erfahren (z.B. Hobday 2000; Hodgson 2004; Shenhar 2001; Lindgren/
Packendorff 2006). Ein wesentliches Charakteristikum von PBOs ist die zeitliche Begrenzt-
heit ihrer Kernelemente den Projekten. Ferner sind Projekte dadurch gekennzeichnet,
dass sie ihre Mitglieder typischerweise immer wieder aufs Neue gruppieren, indem sie aus
verschiedenen Teilen der PBO zusammengezogen werden (Shenhar/Dvir 1996). In den
vergangenen Jahren haben sich PBOs vielfach als flexibel und effizient erwiesen und er-
freuen sich daher zunehmender Beliebtheit in diversen Branchen (Sydow et al. 2004). Dabei
repräsentieren PBOs jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten temporären Organisierens in
einem weiteren Verständnis (z.B. Bakker 2010; Kenis et al. 2009).
In der bestehenden Literatur zu PBOs wurden bislang vor allem drei wesentliche Aspekte
in den Blick genommen: Ein erster, praxisnaher Forschungszweig interessiert sich vor allem
für die Entwicklung von Gestaltungsempfehlungen, d.h. wie Manager die Effizienz-
wirkung von PBOs als flexible bzw. post-bürokratische Organisationsform am besten zur
Entfaltung bringen können (z.B. Hobday 2000; Shenhar 2001; Shenhar/Dvir 1996). Hierbei
werden insbesondere Fragen der Steuerung und des Managements von Projekten virulent
(für einen aktuellen Überblick siehe Söderlund 2011). Ein zweiter Forschungszweig be-
trachtet PBOs dagegen aus kritischer Perspektive, indem die politische Dimension der
Projektarbeit in ihren spezifischen Machtstrukturen aufgedeckt wird (z.B. Clegg/Courpas-
son 2004; Hodgson 2004; Hodgson/Cicmil 2007; Lindgren/Packendorff 2006). Ein dritter
Forschungszweig untersucht darüber hinaus, wie einzelne Projekte in die übergreifende
PBO integriert bzw. „kontextuell eingebettet“ werden (Grabher 2004; Lampel et al. 2008;
Sydow et al. 2004). Entsprechend interessieren sich diese Autoren primär für Fragen des
Wissensmanagements und projektübergreifenden Lernens (z.B. Ayas/Zeniuk 2001; Keegan/
Turner 2001; Newell et al. 2006; Swan et al. 2010), d.h. ob und inwieweit in PBOs ein Aus-
tausch von Erfahrungswissen über Projekte hinweg stattfindet und wie dies allenfalls be-
günstigt werden kann.
In diesem Abschnitt möchte ich speziell zum letztgenannten Literaturzweig des „projekt-
übergreifenden Lernens“ beitragen. Ayas und Zeniuk (2001, S. 64) definieren den Begriff
wie folgt: „Project-based learning […] aims to contribute to the evolution of a culture where
project members engage in understanding the underlying system dynamics and unintend-
ed consequences of fire fighting that project work may require.” Empirische Untersuchun-
gen der organisationalen Praxis des projektübergreifenden Lernens zeigen jedoch auch,
dass das hehre Ziel einer Wissensvermittlung über Projekte hinweg in vielen PBOs u.a.
durch eine Organisationskultur des Zeitdrucks und kurzfristigen Denkens, durch eine
übermäßige Fokussierung auf IT-basierten Lösungen wie auch durch Kommunikations-
132 Dennis Schoeneborn
schwierigkeiten innerhalb und zwischen Projektteams erschwert werden kann (z.B. Kee-
gan/Turner 2001; Newell et al. 2006; Swan et al. 2010).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Literatur zum projektübergreifenden Ler-
nen mit PBOs eine zunehmend bedeutsame Organisationsform in den Blick nimmt und
zugleich wichtige empirische Befunde zu den Schwierigkeiten des projektübergreifenden
Lernens in der Unternehmenspraxis zutage gefördert hat. Nichtdestotrotz lässt sich dieser
Literaturzweig jedoch in zweierlei Hinsicht kritisieren: Erstens sind die genannten Arbeiten
durch einen vergleichsweise geringen Grad an Theorieentwicklung gekennzeichnet. Es
dominieren fallbasierte Vergleichsstudien (z.B. Keegan/Turner 2001; Newell et al. 2006), in
denen jeweils eine Liste von Problemlagen zutage gefördert wird, die das projektüber-
greifende Lernen in der organisationalen Praxis erschweren (z.B. „short-termism“ Garrick/
Clegg 2001; Keegan/Turner 2001). Was dagegen weitgehend unterbleibt, ist eine Einbettung
dieser Erkenntnisse in einen umfassenden Theorierahmen, der eine Systematisierung und
tiefer gehende Erklärung der identifizierten Problemlagen erlaubt.
Zur Weiterentwicklung der Forschung zum projektübergreifenden Lernen schlage ich da-
her vor, die bestehende Literatur zum projektübergreifen Lernen auf Grundlage eines
komplexeren Kommunikationsverständnisses anzureichern. Beispielsweise wird ein sol-
cher erweiterter und prozesshafter Kommunikationsbegriff in jüngeren Arbeiten zur „Wis-
senskommunikation“ vertreten (z.B. Mengis/Eppler 2008; Reinhardt/Eppler 2004). Diese
Arbeiten betonen die Wichtigkeit interaktiver Kommunikationsprozesse zur Ermöglichung
des Wissensaustauschs in Organisationen. In meinem Beitrag möchte ich diese wichtigen
Vorarbeiten ergänzen, indem ich auf jüngste Arbeiten aus der Organisationskommuni-
kationsforschung zurückgreife, die von einer grundsätzlichen kommunikativen Konstituie-
rung von Organisationen ausgehen.
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 133
Ich wähle die CCO-Perspektive als theoretischen Rahmen für eine Neubetrachtung pro-
jektübergreifenden Lernens aus drei wesentlichen Gründen: Erstens verstehen Autoren der
CCO-Perspektive Kommunikation als Prozess wechselseitiger Sinnverhandlung (z.B. Coo-
ren 2012). Diese Arbeiten vermögen daher den emergenten und komplexen Charakter von
Kommunikation besser zu erfassen – im Vergleich zum Transmissionsmodell der Kommu-
nikation (Axley 1984), das in der Literatur zum projektübergreifenden Lernen (mindestens
implizit) vorherrschend ist, wie oben bereits dargelegt.
134 Dennis Schoeneborn
Zweitens begreift die CCO-Perspektive Organisationen – dank ihres Fokus auf Kommuni-
kationsereignisse als deren Kernelemente (Ashcraft et al. 2009, S. 7) – als inhärent prekäre
Phänomene. Dieser Sichtweise zufolge bestehen Organisationen mit Kommunikationser-
eignissen letztlich als aus etwas sehr Flüchtigem. Sprachäußerungen verschwinden unmit-
telbar nach deren Ausführung (Hernes/Bakken 2003), es sei denn sie gewinnen eine Verste-
tigung durch Aufzeichnung oder Verschriftlichung oder aber in der Erinnerung der an der
Kommunikation beteiligten Individuen (Kuhn 2008). Dieses prozesshafte Bild von Organi-
sationen (Cooren et al. 2011, S. 1150) erlaubt es zugleich, bestehende Probleme des projekt-
übergreifenden Lernens (z.B. bei Keegan/Turner 2001; Newell et al. 2006) vor allem als
Problem der Verknüpfung bzw. Anschlussfähigkeit zwischen Kommunikationsereignissen
zu fassen.
Drittens lenkt die CCO-Perspektive den Blick nicht allein auf einen Problembereich, son-
dern zugleich auch auf dementsprechende Erklärungsansätze (vgl. Kuhn 1962, der dies als
eine wesentliche Eigenschaft wissenschaftlicher Paradigmen beschreibt). Aus der CCO-
Perspektive können zwei wichtige Voraussetzungen für die Ermöglichung von Anschluss-
fähigkeit abgeleitet werden: Zum einen erfordert dies, dass diese vergangenen Kommuni-
kationsereignisse als solche sichtbar werden. Mit anderen Worten: Es kann nur dann an
vergangene Episoden (z.B. Projekte und die darin getroffenen Entscheidungen) angeschlos-
sen werden, wenn diese zuvor in ihrer Temporalität, Prozesshaftigkeit und innewohnenden
Alternativität („Kontingenz“) aufgefächert wurden (vgl. Luhmann 2000; Nassehi 2005;
Seidl 2005). Dieser Befund weist interessante Parallelen zu Arbeiten aus dem projektüber-
greifenden Lernen auf, welche die Wichtigkeit von Prozess- gegenüber Ergebnislernen
unterstreicht (z.B. Newell et al. 2006). Zum anderen betonen Cooren und Fairhurst (2009) in
Antwort auf die Frage nach der Verstetigung und Stabilisierung von Organisationen als
Kommunikationsphänomene die Wichtigkeit materieller Entitäten wie z.B. Texte, Tools
und weitere Artefakte. So ist es gerade die Kommunikationsmodalität des „Texts“ (im
Kontrast zu eher flüchtigen „Konversationen“, Taylor/van Every 2000), die es Kommunika-
tionsereignissen erlaubt, über ihren konkreten zeitlichen und örtlichen Entstehungskontext
hinaus Wirkung zu entfalten (vgl. Ricœur 1981). In dieser Hinsicht ähnelt die CCO-
Perspektive allgemeineren Theorien sozialer Praktiken (z.B. Reckwitz 2002; Schatzki 2006;
hierbei insbesondere Arbeiten zu „soziomateriellen“ Praktiken, z.B. Barad 2007; Orlikowski
2007).
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 135
Anwendungspraktiken des Mediums in Betracht gezogen werden müssen (d.h. dem „Gen-
re“ Yates/Orlikowski 1992). Mehrere Studien (z.B. Kaplan 2011; Stark/Paravel 2008; Yates/
Orlikowski 2007) heben beispielsweise hervor, dass PowerPoint nicht allein zur Unterstüt-
zung von Face-to-Face-Präsentationen eingesetzt wird, sondern zunehmend auch zu Do-
kumentationszwecken. So zeigen Stark und Paravel (2008) auf, dass PowerPoint-Präsenta-
tionen oftmals als digitale Dokumente zirkulieren. Yates und Orlikowski (2007) betonen
darüber hinaus, dass PowerPoint-Präsentationen in PBOs zunehmend das klassische Pro-
jektbericht-Genre verdrängen, dies insbesondere in Beratungsunternehmen: „We have […]
found that in many consulting firms, the written report that traditionally served as a final
deliverable to the client (sometimes in conjunction with an oral presentation) has been
replaced with a PowerPoint deck” (Yates/Orlikowski 2007, S. 79).
Wenn jedoch PowerPoint-Präsentation zunehmend auch als (digital verteilte oder ausge-
druckte) Projektberichte Einsatz finden, kann es zu einem Konflikt zweier Genre-Funk-
tionen kommen: Während im Anwendungskontext der Face-to-Face-Präsentation (z.B. von
Unternehmensberatern gegenüber ihren Klienten) PowerPoint primär zur Unterstützung
der mündlichen Rede dient, stellen sich unterschiedliche Anforderungen im Anwendungs-
kontext des schriftlichen Projektberichts, d.h. sobald PowerPoint als hauptsächliche schrift-
liche Quelle dessen dient, wie ein Projekt abgelaufen ist und was seine wesentlichen Ergeb-
nisse waren. Yates und Orlikowski führen hierzu aus:
„[The] deck of PowerPoint slides is expected to serve two different purposes: first, to function
as a visual aid supporting an oral (informal) presentation; and second, to perform as a stand-
alone deliverable (in many cases the only deliverable) reporting the results and conclusions of
a project. PowerPoint texts created with this dual purpose typically have too much content to
be effective presentation aids […] and too little content and context […] to fulfill expectations
for the report genre“ (Yates/Orlikowski 2007, S. 79).
Für die weitere Untersuchung soll PowerPoint im Spannungsfeld ebendieser beiden An-
wendungskontexte und ihren jeweiligen Anforderungen betrachtet werden, d.h. in seinem
Einsatz entweder als unterstützendes Tool für Face-to-Face-Präsentationen oder als „stand-
alone deliverable“ bzw. Projektbericht. Wenden wir uns zunächst dem Anwendungskon-
text der Projektdokumentation zu: Aus der Literatur zum organisationalen Lernen lassen sich
bestimmte Anforderungen an Medien und Genres der Organisationskommunikation ablei-
ten, wenn sie zum projektübergreifenden Lernen eingesetzt werden. Newell und ihre Kol-
legen (2006) betonen beispielsweise die Wichtigkeit einer Sichtbarmachung und Reflexion
des Projektablaufs, um neben dem reinen Ergebnislernen auch das Prozesslernen in PBOs
zu begünstigen. In dieser Hinsicht ähnelt der Ansatz dem „Learning from mistakes“-
Prinzip (z.B. nach Edmondson 1996; Zhao/Olivera 2006). Hierbei ist die zentrale Annahme,
dass der Lernwert aus Projekten nicht alleine in der Vermittlung von „Best Practices” und
„Success Stories” liegt, sondern gerade auch aus der Reflexion vergangener Fehler sowie
ungenutzter Alternativen. Kurzum: Dieser Ansatz impliziert, den Projektprozess gerade
auch hinsichtlich alternativer Entscheidungsmöglichkeiten kritisch zu beleuchten (vgl.
Schoeneborn 2008).
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 137
3 Empirische Untersuchung
3.1 Methodisches Vorgehen
Um zu ergründen, inwieweit das in Projekten generierte Wissen innerhalb von PBOs über
die Projektgrenzen hinweg tatsächlich sichtbar und anschlussfähig wird, habe ich die Prak-
tiken des projektübergreifenden Lernens bei einer multinationalen Unternehmensberatung
im Rahmen einer mehrmethodischen Fallstudie empirisch untersucht (hierzu ausführlicher
Schoeneborn 2008). Das Fallunternehmen gehört zu den weltweit größten Vertretern seiner
Branche und setzt einen besonderen Schwerpunkt auf IT-basierten Beratungslösungen. Wie
gerade bei Beratungsunternehmen üblich, weist das Unternehmen ausgeprägte Praktiken
des Wissensmanagements und projektübergreifenden Lernens auf (vgl. Werr/Stjernberg
2003). Die Wahl des Fallunternehmens folgte dabei dem Ziel, ein vergleichsweise typisches
Exemplar für die Branche der Unternehmensberatungen wie auch für PBOs im weiteren
Sinne zur Untersuchung heranzuziehen.
Die Fallstudie umfasste zwei wesentliche Formen der Datenerhebung: Erstens wurde mir
im Rahmen einer dreimonatigen Hospitanz Zugang zur Wissensmanagement-Abteilung
des Unternehmens gewährt. Dies beinhaltete u.a. den Zugriff auf zwei unternehmenswei-
ten elektronischen Datenbanken, die zum Zwecke des projektübergreifenden Lernens ein-
gerichtet worden waren und die allen Beratungsmitarbeitern des Unternehmens weltweit
zur Verfügung standen. Die Beraterinnen und Berater waren dazu angehalten, für jedes
abgeschlossene Projekt einen Datenbankeintrag mit wichtigen Eckdaten anzulegen (z.B.
Kunde, Auftrag, Projektzeitraum, beteiligte Berater, etc.) sowie weitere wesentliche Infor-
mationen beizufügen (z.B. in Form angehängter Projektdokumente wie PowerPoint-basier-
138 Dennis Schoeneborn
Die Auswertung der Projektdokumente folgte der Methodik der Inhaltsanalyse (Krippen-
dorff 1980; Mayring 2000). Die Methodik erlaubt die longitudinal-vergleichende Untersu-
chung von wiederkehrenden Inhalten oder Textstrukturen in schriftlich niedergelegten
Dokumenten. Im konkreten Forschungszusammenhang stellte sich jedoch die methodolo-
gische Herausforderung, dass sich weder eine rein quantitative Inhaltsanalyse (z.B. Früh
2007) noch eine rein offen codierende, qualitative Textauswertung (gemäß der „Grounded
Theory“ nach Glaser/Strauss 1967) als gegenstandsadäquat erwies. Denn einerseits war eine
Erfassung von (qualitativem) Kontextwissen erforderlich, um die Sichtbarmachung von
Entscheidungskontingenzen in den Projektdokumenten identifizieren zu können, was
gegen eine rein quantitativ-auszählende Herangehensweise sprach. Andererseits verhin-
derte die theoriegeleitete Anlage der Untersuchung eine rein qualitativ-induktive Vorge-
hensweise.
Folglich kam in meiner Studie eine Mischform aus deduktivem und induktivem Vorgehen
zum Einsatz. Um möglichst nah an den Anwendungspraktiken des Fallunternehmens zu
sein, nahm der Autor dabei im Rahmen einer dreimonatigen Hospitanz am Arbeits-
geschehen der Unternehmensberatung teil. Die Auswertung der Dokumente erfolgte dabei
in der Rolle eines „expertise-seeking novice“ (Markus 2001), d.h. als sei ein Neueinsteiger
im Unternehmen (z.B. ein Praktikant oder Junior Consultant) vor die Herausforderung
gestellt worden, zunächst anhand der reinen Dokumentenschau vergangene Projekte ähnli-
cher Art zu identifizieren und deren Herangehensweise nachzuvollziehen (wie die qualita-
tiven Interviews mit den Beratern bestätigten, sei dies in der Praxis eine sehr übliche Vor-
gehensweise gerade in der Anbahnungs- bzw. Anfangsphase eines Projekts; vgl. nähere
Ausführungen unten). Die Auswertung der Dokumente diente insbesondere dazu nachzu-
vollziehen, wie ein Projekt abgelaufen war und wie es zu ebenjenen Entscheidungen im
Projektprozess kam, die zu den dargestellten Projektergebnissen geführt hatten. Auf Basis
der Literatur zum organisationalen Lernen lassen sich drei Stufen der Sichtbarmachung
von Projektprozessen unterscheiden und zur vergleichenden Analyse der Projektdokumen-
te heranziehen.
Die Erfüllung der ersten Stufe der Sichtbarmachung des Projektprozesses entscheidet sich
an der Frage, ob und inwieweit das Projektdokument überhaupt den Projektablauf selbst
thematisierten und damit zum potenziellen Gegenstand von Reflexion und Hinterfragung
machten (vgl. die grundlegenden Praktiken zur Ermöglichung von „double-loop learning“
nach Argyris/Schön 1978 bzw. „second order learning“ nach Bateson 1972). Für den Kodie-
rungsprozess der Inhaltsanalyse bedeutete dies, all jene Inhalte der ersten Stufe zuzuord-
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 139
nen, die nicht allein die Klientensituation, sondern auch den Projektablauf in selbst-
reflexiver Form thematisierten. Die zweite Stufe der Sichtbarmachung des Projektprozesses
setzt eine Erfüllung der ersten Stufe voraus: Hierbei wurden all jene Projektdokumente
einbezogen, die den Projektprozess nicht allein thematisierten, sondern darüber hinaus
auch kritisch reflektierten, d.h. z.B. auf Schwierigkeiten, Hindernisse oder Fehler hinwiesen.
Diese Stufe gründet im „Learning from mistakes“-Prinzip (z.B. Edmondson 1996; Zhao/
Olivera 2006), demnach der Lernwert aus vergangenen Fehlern höher ist als aus einem
reinen Fokus auf „Best Practices“ oder „Success Stories“ (vgl. obige Darlegungen). Die
dritte Stufe der Sichtbarmachung des Projektprozesses baut auf einer Erfüllung der ersten
Stufe auf, nicht aber zwingend der zweiten: Hierbei wurde kodiert, inwieweit über die
reine Thematisierung des Projektablaufs hinaus eine explizite Auffächerung von Entschei-
dungsalternativen gegeben war (vgl. Luhmann 2000; Seidl 2005), da dies nachfolgenden
Mitarbeitern am ehesten ermöglicht, an Einzelentscheidungen aus vergangenen Projekt-
prozessen (incl. allenfalls ausgeschlossener Alternativen) anschließen zu können. Typische
Indikatoren für diese Stufe im Datensatz waren Formulierungen wie z.B. „alternatives
considered but not pursued“ oder „what aspects of the process could/should we have done
differently“.
Zur ergänzenden Untersuchung der Dokumente habe ich eine sogenannte Genreanalyse
angewandt – eine Methodik, die auf die Sprachwissenschaften zurückgeht (z.B. Bhatia
1993, 2004) und in der Organisations- und Managementforschung insbesondere durch die
Arbeiten von Yates und Orlikowski (1992) zunehmende Bekanntheit erlangte. Diese Analy-
se diente dem Ziel, anhand von wiederkehrenden sprachlichen und formalen Elementen
typische Unterformen des PowerPoint-Genres zu identifizieren, die sich hinsichtlich der
Sichtbarmachung des Projektprozesses unterscheiden lassen. Die Identifikation von Genres
erfolgte in einem iterativen, qualitativ-verstehenden Prozess der Zuordnung von ähnlichen
PowerPoint-Dokumenten (z.B. gemäß wiederkehrenden Elementen wie einheitlicher Struk-
tur oder Layout oder wesensähnliche Inhalte wie „Lessons Learned“) sowie der anschlie-
ßenden Verdichtung zu Subgenres. Die Benennung der Subgenres erfolgte durch soge-
nannte „in-vivo codes“ (Strauss/Corbin 1990), d.h. anhand von Begriffen, welche den
Handlungskontexten der Untersuchten selbst entstammten.
den Prozess vergangener Projekte nachvollziehen zu können. Diese Methode weist eine
starke Passung zu unserer theoriegeleiteten Herangehensweise auf: Im Kontrast zu rein
induktiven „Grounded Theory“-Ansätzen geht Witzel (2000) in seinem Ansatz davon aus,
dass der Forscher den theoretischen Überbau weder bewusst ausschalten kann noch dies
tun sollte. Die Auswertung der Interviews erfolgte mittels „axialem Kodieren“ (Strauss/
Corbin 1990), um wiederkehrende Themen über die Interviews hinweg zu identifizieren
und zu vergleichen.
In einem zweiten Schritt wurden diese Befunde durch die Anwendung der Genreanalyse
weiter detailliert (Bhatia 1993, 2004; Orlikowski/Yates 1994). Auf Basis der Analyse ließen
sich drei wesentliche Subgenres von PowerPoint in der Projektdokumentation identifizie-
ren, die so auch dem Erfahrungshorizont der Praktiker im Feld entsprachen: Das erste
Subgenre, das am ehesten den offiziellen Zweck der unternehmensweiten Projektdaten-
banken bediente, d.h. die Förderung des Austauschs von Lernwerten aus vergangenen
Projekten, waren die sogenannten „Lessons-Learned“-Dokumente. Jedoch entsprachen
insgesamt lediglich drei Prozent der Dokumente im Datensatz diesem Subgenre (n = 16).
Die PowerPoint-Präsentationen dieser Art beinhalteten eine explizite Reflexion des Pro-
jektprozesses und waren hierbei eindeutig an eine unternehmensinterne Leserschaft gerich-
tet. Weitere typische Merkmale waren die Verwendung von Stichpunktlisten, um Erfah-
rungswerte aus vergangenen Projekten mit den Beraterkollegen in verdichteter Form aus-
zutauschen. Interessanterweise waren die Dokumente jedoch nahezu ausschließlich in
einem positiven Grundtonus gehalten, d.h. nur in wenigen Fällen enthielten sie kritische
oder negative Einschätzungen. Oder aber es wurden potenziell kritische Punkte in positive
Floskeln verpackt – z.B. „create a good atmosphere” oder „change management is critical“.
Abbildung 1 zeigt ein typisches Beispiel des „Lessons-Learned“-Subgenres.
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 141
Das zweite Subgenre, die „Finalen Kundenpräsentationen“ macht bereits einen wesentlich
größeren Anteil des Datensatzes aus, d.h. 35 Prozent (n = 172). Dabei handelte es sich um
Dokumente, die in dieser Form auch gegenüber dem Kunden präsentiert und/oder diesem
ausgehändigt wurden. Typische Indikatoren hierfür waren die explizite Nennung eines
Präsentationsdatums und -orts, die Verwendung von Animationseffekten oder der Einbe-
zug sogenannter „Action Titles“ auf jeder Folie. Kennzeichnend für dieses Genre ist also,
dass sie primär für die (externe) Kommunikation gegenüber dem Kunden, nicht aber für
den (internen) Wissensaustausch mit Kollegen erstellt worden sind. Die Praxis der Zweit-
verwertung derselben Dokumente auch für den internen Gebrauch wurde von den Inter-
viewten durch den starken Zeitdruck im Beratungsgeschäft gerechtfertigt: „Essentially, we
are rushing from one project to the next“, wie es einer der Berater formulierte (vgl. Keegan/
Turner 2001). Zugleich aber kritisierten Interviewte den Nutzwert der Dokumente für den
Zweck des projektübergreifenden Lernens, da die Dokumente zumeist „blankpolierte”
Ergebnispräsentationen darboten, die jedoch den Entstehungskontext und -prozess weitge-
hend ausblendeten. Abbildung 2 zeigt ein prägnantes Beispiel des Subgenres der „Finalen
Kundenpräsentation“.
142 Dennis Schoeneborn
Das dritte und bei weitem häufigste Subgenre waren allerdings die sogenannten „Zitatio-
nen“, die 62 Prozent des Datensatzes ausmachten (n = 304). Diese Dokumente bestanden
durchschnittlich aus nur einer bis maximal zwei Folien und enthielten teilstandardisierte
Elemente wie Informationen über den Klienten bzw. dessen Branche, die Problemstellung
sowie die entwickelte Lösung und die dadurch erzielten Erfolge. Der Zweck dieser stark
verdichteten Dokumente war primär die Wiederverwendung als Referenzen für die künfti-
ge Klienten- bzw. Projektgewinnung. Wie die Interviews mit den Beratern bestätigten,
konnten Folien wie diese hilfreich verwendet werden, z.B. indem sie via „Copy-and-paste“
in den Anhangsteil von Präsentationen zur Gewinnung von Klienten eingebaut werden,
um die Erfahrung des Unternehmens in bestimmten Branchen oder Themen durch Bei-
spielreferenzen zu belegen. Abbildung 3 zeigt ein typisches Beispiel des Subgenres der
„Zitationen“.
Interessanterweise wurden die Datenbanken, die zum Zwecke des Erfahrungsaustauschs
über vergangene Projekte eingerichtet worden waren, also von einem Subgenre dominiert,
das primär auf die Gewinnung künftiger Projekte ausgerichtet ist (also eher prospektiven
denn retrospektiv-reflektierenden Zwecken diente). Die drei Subgenres von PowerPoint in
der Projektdokumentation können nun verglichen werden anhand der Frage, inwieweit sie
zur Sichtbarmachung des Projektprozesses und dessen Alternativität über den konkreten
Projektkontext hinweg beitragen (vgl. Abb. 4).
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 143
Abbildung 4 zeigt auf der vertikalen Achse die proportionale Verteilung der drei Subgenres
im Datensatz (Teilstichprobe der PowerPoint-Dokumente; n = 492). Die horizontale Achse
bildet dagegen die drei Stufen der Sichtbarmachung des Projektprozesses ab. Auf der ersten
Stufe zeigt sich, dass nur die beiden Subgenres „Lessons Learned“ sowie „Finale Kunden-
präsentationen“ überhaupt den Projektablauf thematisierten, was ich als kennzeichnend für
die erste Stufe definiert hatte (siehe oben). Das dritte Subgenre, die „Zitationen“, gaben
stattdessen in sehr verdichteter Form die Ergebnisse vergangener Projekte wider, ohne
jedoch den dahinterliegenden Projektprozess sichtbar zu machen. Auf der zweiten Stufe
ergibt sich ein weiter differenziertes Bild: Obschon die beiden ersten Subgenres Elemente
der ersten Stufe aufwiesen, enthielten nur ein Bruchteil dieser auch kritische bzw. negative
Reflexionen des Projektprozesses (8 Prozent; n = 39). Die dritte Stufe der expliziten Sicht-
barmachung von Alternativen im Entscheidungsprozess wird dagegen insgesamt nur von
einem sehr geringen Anteil der Dokumente im Datensatz erreicht (1 Prozent; n = 7).
Diese relativ freie Interpretation der Dokumentationspflichten seitens der Berater wurde
von den Interviewten ferner dadurch erklärt, dass im Fallunternehmen ein nur geringer
Grad an Standardisierung und Durchsetzung der Dokumentierungspraktiken vorherrsche.
Wie ein Mitarbeiter der Wissensmanagement-Abteilung hervorhebt, ist dieser geringe
Standardisierungsgrad darauf zurückzuführen, dass das Beratungsunternehmen aus einer
Unternehmensübernahme entstanden war: „Es gibt definitiv viel Unsicherheit, was [in die
Datenbanken] eingestellt werden darf und was nicht. All das war viel besser geregelt bei
[Unternehmen, das im Zuge des Mergers übernommen wurde], als wir noch einen festen
Dokumentierungsprozess hatten.” Eine weitere Kollegin der Wissensmanagement-Abtei-
lung pflichtet bei und führt die Praxis einer sehr knapp gehaltenen Projektdokumentation
(z.B. mittels PowerPoint) ebenfalls auf das starke Wachstum des Unternehmens im Zuge
des Mergers zurück: „Back then [i.e. before the merger], we had a clear ‚end-of-project
knowledge capture‘ process that usually involved some form of ‚lessons learned‘ work-
shops, either in personal meetings or online. […] But after the mergers […], the group grew
from 300 to about 3,000 people. So the demands [regarding knowledge management] chan-
ged a lot.“ Diese Einschätzung der Interviewten richtet den Blick zugleich weg von den
Bereitstellungs- und hin zu den Nutzungspraktiken der projektübergreifenden Datenban-
ken. Die Nutzungsseite soll daher im Folgenden näher betrachtet werden.
Die Interviews lieferten jedoch ebenfalls Indikationen, dass solche Möglichkeiten zur direk-
ten Interaktion auf Basis der Projektdokumente im Fallunternehmen nur in sehr einge-
schränktem Maße gegeben waren. Die Befragten führten dies wiederum auf die hohe Per-
sonalfluktuation im Beratungsgeschäft zurück, was die Wiederauffindbarkeit der am Pro-
jekt Beteiligten erschwerte, dies vor allem bei weit zurückliegenden Projekteinsätzen. Oft-
mals hatten die involvierten Berater das Unternehmen also bereits verlassen und waren
somit kaum mehr greifbar. Einzig waren meistens noch die Partner im Unternehmen ver-
blieben, unter deren Führung das Projekt durchgeführt worden war. Jedoch seien diese zu
weit vom operativen Tagesgeschäft entfernt, um den Projektprozess retrospektiv nachvoll-
ziehbar zu machen.
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 147
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Richtet man den Blick über die unternehmenswei-
ten Projektdatenbanken hinaus, so bestehen im Fallunternehmen durchaus lokale Inseln, in
denen projektübergreifendes Lernen stattfindet, sei es in Form von persönlichen, informel-
len Netzwerken oder durch Gewährung des ansonsten restriktiv gehandhabten Zugriffs
auf Projektlaufwerke. Interessanterweise erlauben diese alternativen Kommunikationswege
jedoch gerade nicht eine unternehmensweite Sichtbarkeit vergangener Projekte, die vom
Unternehmen durch die Einrichtung der projektübergreifenden Datenbanken angestrebt
war. Wie sich an der Genreanalyse zeigte, wurden diese unternehmensweiten Datenbanken
– in Unterwanderung ihrer eigentlichen Primärfunktion und -widmung (vgl. Corbett-
Etchevers/Mounoud 2011) – weniger zum Projektlernen als vielmehr zur Unterstützung der
Gewinnung neuer Projekte genutzt (was sich insbesondere im „Zitationen“-Subgenre
manifestierte). Angesichts der nur lokalen Sichtbarkeit von Projektprozessen und -wissen
verblieb die PBO hierbei jedoch zerklüftet – aller Anstrengungen der Wissensmanagement-
Abteilung zum Trotz.
Die empirische Untersuchung hat gezeigt, dass diese Sichtbarkeit von Projektprozessen
(über den Projektkontext hinaus) nur in den seltensten Fällen gegeben war. Die Prozesshaf-
tigkeit blieb somit quasi eingeschlossen im Projekt als temporärem Organisationszusam-
menhang und ging nach dessen Beendigung gleichsam mit diesem unter. Diese Praxis der
Unsichtbarmachung des Projektprozesses korrelierte im Fallunternehmen mit der Allge-
genwart des PowerPoint-Genres in der Projektdokumentation (vgl. Yates/Orlikowski 2007).
So fand ein Medium der externen Kommunikation (d.h. primär genutzt zur Erstellung von
Präsentationen gegenüber Klienten) auch Anwendung im internen Kommunikationszu-
sammenhang des projektübergreifenden Lernens. Wie die Interviews zeigten, wirkte
PowerPoint dabei ermöglichend und einschränkend zugleich: Die eingeschliffene Praktik
der Verknappung von Inhalten (z.B. in Stichpunktlisten) erleichterte den Beratern zwar
einerseits die Erfüllung der Dokumentationspflichten im zeitintensiven Alltagsgeschäft
(u.a. durch die Synergien mit Präsentationen, die ohnehin für den Kunden erstellt wurden),
andererseits erschwerte jedoch die damit einhergehende Dekontextualisierung (vgl. Spee/
Jarzabkowski 2011) zugleich die Nachvollziehbarkeit des Projektprozesses durch nachfol-
gende Beratergenerationen.
Die Genreanalyse fördert dabei den überraschenden Befund zutage, dass der offizielle
Zweck der unternehmensweiten Projektdatenbanken, d.h. die Förderung des Wissens-
austauchs und der Reflexion über die Projekte hinweg, stark abwich von den tatsächlichen
Praktiken ihrer Nutzung. Die Dominanz des „Zitationen“-Subgenres im Datensatz zeigt,
dass die Anforderungen der Datenbanken von den Beratern vielfach eher zeremoniell be-
folgt wurden (vgl. Corbett-Etchevers/Mounoud 2011). Stattdessen überwog mit dem „Zita-
tionen“-Subgenre eine Anwendungspraktik, die vor allem auf die Gewinnung zukünftiger
Projekte ausgerichtet war statt auf die Nachbereitung und Verständlichmachung vergange-
ner Projekte. Ähnlich wie dies Yates und Orlikowski (2007) oder auch Kaplan (2011) diag-
nostizieren, ist der Einsatz von PowerPoint hierbei jedoch eher als symptomatisch denn als
ursächlich anzusehen. Auffällig ist jedoch, dass in den Subgenres der „Finalen Kundenprä-
sentation“ und „Zitationen“ das PowerPoint-Genre seine Primärfunktion der Unterstüt-
zung von (Face-to-Face-)Präsentationen beibehält, obschon die Software hier zum abwei-
chenden Zweck der Projektdokumentierung eingesetzt wurde.
Beziehen wir diese Ergebnisse zurück auf die CCO-Perspektive als einem möglichen theo-
retischen Interpretationsrahmen, kann die Genre-Robustheit von PowerPoint als Indiz für
eine weitgehende Verselbststständigung textbasierter Praktiken der Organisationskom-
munikation gedeutet werden (Konzept der „non-human agency“; vgl. Cooren 2004; Kuhn
2008). Am Fallbeispiel PowerPoint ließ sich zeigen, dass mit dieser Kommunikationspraktik
bestimmte Formen der Ausübung einhergehen (z.B. die Verknappung von Inhalten in
Form von Stichpunktlisten). Das Genre gewinnt damit eine eigene Wirkmacht, selbst wenn
sie ihren ursprünglichen Entstehungskontext verlässt und zu abweichenden Zwecken ein-
gesetzt wird (z.B. die Dokumentierung von Projekten). Jedoch demonstriert die Untersu-
chung zugleich, dass die CCO-Perspektive einer weiteren Spezifizierung bedarf, um das
Zusammenwirken verschiedener Kommunikationspraktiken und Anwendungskontexte
besser verstehbar zu machen.
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 149
Zugleich bietet die Studie durch die Anwendung einer kommunikationszentrierten Pers-
pektive (Ashcraft et al. 2009; Brummans et al. im Druck) alternative Erklärungsansätze für
typische Hindernisse des projektübergreifenden Lernens (z.B. Newell et al. 2006; Corbett-
Etchevers/Monoud 2011); denn die CCO-Perspektive verdeutlicht, dass die Prozessualität
von Projekten durch etablierte Praktiken der Wissenskommunikation quasi „eingekapselt“
wird (v.a. in Form von PowerPoint-Präsentationen als einzigem textlichem Überbleibsel in
der Projektdokumentation) und somit von Mitarbeitern, die nicht direkt am Projekt betei-
ligt waren, kaum noch reaktiviert werden kann. Auf diese Weise geht PBOs ein wesentli-
cher Quell des projektübergreifenden Lernens verloren, d.h. die Möglichkeit zum Prozess-
lernen anstatt eines reinen Ergebnislernens (vgl. Newell et al. 2006). Insofern kann schluss-
gefolgert werden, dass im projektübergreifenden Lernen und Wissensmanagement vor
allem Schwierigkeiten der De- und Rekontextualisierung (vgl. Spee/Jarzabkowski 2011)
überwunden werden müssen, um eine bessere Anschlussfähigkeit zwischen Projekten zu
erzeugen. Die Literatur zur Wissenskommunikation, die Wissensmanagement primär als
Prozess der Sinnverhandlung rekonzipiert, bietet hierbei fruchtbare erste Ansätze (z.B.
Mengis/Eppler 2008; Schoeneborn 2006).
Zweitens trägt die Untersuchung im Speziellen zum wachsenden Literaturzweig über die
Rolle von PowerPoint in der Organisationskommunikation bei (z.B. Gabriel 2008; Kaplan
150 Dennis Schoeneborn
2011; Yates/Orlikowski 2007). Während sich die vormaligen Studien vor allem die Rolle von
PowerPoint in Strategiefindungsprozessen (z.B. Kaplan 2011; Spee/Jarzabkowski 2011)
sowie in der Unterstützung von Präsentationen (z.B. Gabriel 2008; Stark/Paravel 2008; Tufte
2003) in den Blick genommen haben, ergänzt meine Studie diesen Literaturzweig um die
Erforschung der Rolle von PowerPoint in Praktiken des projektübergreifenden Lernens. In
diesem Zusammenhang ließ sich empirisch zeigen, wie das PowerPoint-Genre in der be-
nachbarten Domäne der Projektdokumentation zum Einsatz kommt und dabei seine Genre-
Charakteristiken (d.h. ein primärer Fokus auf die Präsentations- anstatt der Dokumenta-
tionsfunktion) trotz geänderter Anforderungen selbst im neuen Anwendungskontext bei-
behält. Hiermit weist die Studie über den Spezialfall PowerPoint hinaus auf die generelle
Wichtigkeit der Erforschung des Zusammenspiels soziomaterieller Praktiken in organisa-
tionalen Kontexten (vgl. Faulkner/Runde 2009; Leonardi 2011; Schoeneborn im Druck).
Abschließend möchte ich ferner einen kurzen Ausblick auf potenziell fruchtbare Anschluss-
forschung geben: Da in der empirischen Studie nur ein einzelnes Fallunternehmen unter-
sucht werden konnte, liegt es nahe, die Rahmenbedingungen der Sichtbarmachung von
Prozessualität im projektübergreifenden Lernen auch anhand weiterer PBOs zu untersu-
chen, um durch vergleichende Analysen sowohl die Theoriebildung als auch die Generali-
sierbarkeit von Befunden weiter voranzutreiben. Ein besonders interessanter Organisati-
onskontext zur Untersuchung der Sichtbarkeit von Prozessualität im projektübergreifenden
Lernen wären das Extrembeispiel einer PBO, die von einer noch höheren Personalfluktua-
PowerPoint und die Einkapselung von Prozessualität im projektübergreifenden Lernen 151
tion geprägt ist und daher vermutlich ganz besonders auf die Nachvollziehbarkeit vergan-
gener Projekte in schriftlicher Dokumentierung angewiesen ist. Ein passendes Beispiel
hierfür wären z.B. studentische Unternehmensberatungen, die durch eine besonders gerin-
ge Verweildauer ihrer Mitarbeiter gekennzeichnet sind. Darüber hinaus wäre es wichtig,
ein besseres Verständnis jener organisationalen und medialen Rahmenbedingungen zu
erzielen, die eine Sichtbarmachung von Prozessualität in PBOs eher verhindern oder be-
günstigen. Während sich meine Untersuchung allein auf PowerPoint fokussierte, erachte
ich es für fruchtbar, in nachfolgenden empirischen Studien gerade auch das Zusammen-
spiel verschiedener Medien und Genres der Organisationskommunikation näher zu er-
gründen (vgl. Bhatia 2004).
Anmerkung
* Dieser Beitrag ist eine Weiterentwicklung der Forschungen, die der Autor im Rahmen seiner Pro-
motion an der Bauhaus-Universität Weimar durchführte (Schoeneborn 2008). Der Autor ist der
Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw; Berlin) zu besonderem Dank verpflichtet, welche die Stu-
die durch ein Promotionsstipendium unterstützt hat. Weiterer spezieller Dank gebührt Steffen
Blaschke, Alexander T. Nicolai, Anna Maria Theis-Berglmair, Managementforschungs-Mitheraus-
geber Jörg Sydow sowie den anonymen Gutachtern für ihre wertvollen Kommentare zu vorheri-
gen Fassungen des Beitrags.
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156 Dennis Schoeneborn
Regeln in interorganisationalen
Projekten: Eine qualitative Studie
Interorganisationale Projekte; qualitative Studie; Regeln in Organisationen; Temporalität;
Unternehmensberatung
Zusammenfassung
Trotz der zunehmenden Relevanz interorganisationaler Projekte in der Praxis und der
Bedeutung von Regeln für Organisationen hat sich die Forschung nur ansatzweise mit
Regeln in interorganisationalen Projekten auseinandergesetzt. So ist unklar, wie und durch
welche(n) Akteur(e) Regeln in solchen Projekten gesetzt werden. Darüber hinaus ist der
Einfluss von Temporalität auf Regeln in interorganisationalen Projekten wissenschaftlich
kaum untersucht, obwohl Temporalität ein konstitutives Merkmal von Projekten ist. Vor
diesem Hintergrund hat der Beitrag das Ziel, Regeln in interorganisationalen Projekten zu
erforschen. Im Rahmen einer qualitativen Studie wurden Interviews mit Mitgliedern von
Unternehmensberatungsprojekten geführt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass interor-
ganisationale Projekte und permanente Organisationen Ähnlichkeiten hinsichtlich der
Regelsetzung und der Koordinationsfunktion von Regeln aufweisen. Sie zeigen, dass die
Folgen von Temporalität in Projekten – begrenztes Zeitkontingent zur Zielerreichung sowie
limitierte Verfügbarkeit von gewonnenem Wissen und aufgebauten Erfahrungen – durch
Regeln sowohl reduziert als auch zum Teil verstärkt werden. Mit kooperativer Regelset-
zung offenbart sich zudem ein in der Regelforschung bislang kaum diskutierter Regelset-
zungstyp. Die auftretenden Regelsetzungsarten werden in einem beispielhaften Prozess-
modell der Regelsetzung in interorganisationalen Projekten dargestellt.
Abstract
Despite the increasing relevance of inter-organizational projects in practice and the im-
portance of rules for organizations, research has analyzed rules in inter-organizational
projects only in a rudimentary way. Little is known about how rules in such projects are set
and by which actor(s). Furthermore, research has rarely focused on the influence of tempo-
rality on rules in inter-organizational projects, though temporality is a constitutive charac-
teristic of projects. Against this background, this article aims to analyze rules in inter-
organizational projects. We present the findings of an explorative study for which we inter-
viewed members of consulting projects. The results indicate that inter-organizational pro-
jects and permanent organizations share similarities regarding rule-setting and the coordi-
nating function of rules. They reveal that the consequences of temporality in projects – a
limited time quota to achieve goals as well as the limited availability of acquired
knowledge and experiences – are reduced as well as partially fostered by rules. Further-
more, we identified cooperative rule-setting as an important type of rule-setting in inter-
organizational projects, which has been rather neglected in research on rules so far. Based
on our findings about rule-setting types, we develop an exemplary process model of rule-
setting for inter-organizational projects.
Inhaltsübersicht
1 Einleitung
4 Schlussfolgerungen
4.1 Beiträge zur Erforschung interorganisationaler Projekte
4.2 Beiträge zur Regelforschung
4.3 Grenzen und Forschungsbedarf
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 159
1 Einleitung
In den vergangenen Jahren ist ein zunehmender Einsatz von Organisationsformen zu be-
obachten, die durch Fluidität und Instabilität gekennzeichnet sind (Bakker 2010; Schreyögg/
Sydow 2010). Aufgrund der dynamischer und komplexer werdenden Umwelt von Unter-
nehmen werden Aufgaben zunehmend im Rahmen flexibler Organisationsformen wie z.B.
Projekten (Grabher 2002), virtuellen Organisationen (Davidow/Malone 1992) und latenten
Organisationen (Starkey et al. 2000) bearbeitet. Konstitutives Merkmal dieser Organisati-
onsformen ist ihr zeitlich begrenztes Bestehen. Sie werden gegründet, um vorab definierte
Aufgaben zu bearbeiten oder Ziele zu erreichen; anschließend lösen sie sich wieder auf
(Lundin/Söderholm 1995).
Im Gegensatz dazu steht das klassische Verständnis von Organisationen (z.B. Weber 2005),
das Stabilität betont. In dieser Sichtweise gelten insbesondere Regeln als grundlegende
Elemente von Organisationen, die konstitutiver Bestandteil anderer Elemente wie z.B. Rou-
tinen oder Strukturen sind (Reynaud 2005). Sie werden als eine wesentliche Voraussetzung
für das Funktionieren von Organisationen erachtet (Zhou 1993, S. 1134 f.; March et al. 2000,
S. 9; Tyler/Blader 2005, S. 1143). Seit Weber (2005) gelten Regeln, z.B. der Arbeitsteilung
und Amtshierarchie, als Kennzeichen einer effektiven und effizienten bürokratischen Or-
ganisation. Damit bürokratisches Handeln und Entscheiden kalkulierbar und verlässlich
wird, muss aber eine relative Stabilität der Organisationsstruktur vorliegen (Schreyögg/
Koch 2010, S. 297). Die Forschung zeigt, dass die Existenzdauer einer Organisation einen
wesentlichen Einfluss auf ihre Regeln hat (March et al. 2000; Youn/Price 2009). Mit zuneh-
mender Existenz nimmt die Anzahl der Regeln bzw. der Regelmodifikationen zu (Schulz/
Beck 2002), da neue Regeln geschaffen bzw. revidiert werden müssen, beispielsweise um
Arbeitsabläufe an neue Anforderungen anzupassen (Burr 1998, S. 315 ff.). Allerdings ver-
läuft die Setzung neuer Regeln degressiv, d.h. die Anzahl neuer Regeln nimmt im Laufe der
Zeit ab. Grund dafür ist, dass neu auftretende Probleme teilweise mittels bestehender Re-
geln gelöst werden können (Schulz 1998).
Die Fragen nach dem Entstehen und der Existenz von Regeln in temporären Organisatio-
nen stellen sich insbesondere in interorganisationalen Projekten, mit denen sich die Organi-
sationsforschung bisher vergleichsweise wenig beschäftigt hat (Janowicz-Panjaitan et al.
2009a, S. 61; Bakker et al. 2011). Da in interorganisationalen Projekten Mitarbeiter aus ver-
schiedenen Organisationen in der Regel erstmalig zusammenarbeiten (Meyerson et al.
1996), können Probleme hinsichtlich der Regulierung solcher Projekte auftreten: Beispiels-
weise kann es zu Konflikten zwischen den Projektmitgliedern im Rahmen der Ausgestal-
tung von Regeln kommen, wenn die Mitglieder die in ihren Organisationen geltenden
Regelwerke in das Projekt übertragen. Darüber hinaus ist es möglich, dass die Projektmit-
glieder weiterhin den Regeln ihrer Mutterorganisation folgen, was zu Problemen in der
Zusammenarbeit führen kann. Offen ist, welche Rollen die beteiligten Organisationen und
Mitarbeiter bei der Entwicklung eines neuen Regelwerks spielen, denn es ist anzunehmen,
dass Faktoren wie z.B. die Beziehung der beteiligten Organisationen zueinander, der
Zweck des Projekts oder die Entscheidungsbefugnisse der Akteure Einfluss auf Regeln
haben.
(1) Temporäre Organisationen bestehen nur eine begrenzte Zeit, d.h. es gibt einen vorab
definierten Startpunkt, zu dem die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, Auf-
gaben definiert, Rahmenbedingungen geschaffen und Ziele festgelegt werden. Außerdem
wird ein Endzeitpunkt festgelegt; ist dieser erreicht, löst sich die Organisation wieder auf.
(2) Aufgaben, die innerhalb einer temporären Organisation bearbeitet werden, können wie-
derkehrend oder singulär sein (Lundin/Söderholm 1995, S. 441). Dementsprechend kann
zwischen zwei Typen temporärer Organisationen unterschieden werden: Erstens finden
sich temporäre Organisationen, die nur für eine bestimmte Situation gebildet werden, und
zweitens solche, die ähnliche Vorhaben zukünftig erneut ausführen. (3) Das Team einer
temporären Organisation organisiert sich um die zu bearbeitende Aufgabe. Im Zentrum
steht hierbei die Frage, wie die Mitglieder untereinander kooperieren. Da die Zusammen-
arbeit zeitlich limitiert ist, verorten die Mitglieder ihr (berufliches) „Zuhause“ (Lundin/
Söderholm 1995, S. 442) auch während ihrer Mitgliedschaft in der temporären Organisation
in ihrer Ursprungsorganisation, was zur Folge hat, dass das Team auch von Rahmenbedin-
gungen außerhalb der temporären Organisation beeinflusst wird. (4) Übergang bezeichnet
die Transformation der temporären Organisation in einen neuen Zustand, der dem ange-
strebten Zielzustand näherkommt.
In der Literatur werden Projekte als eine Form temporärer Organisationen genannt (Turner/
Müller 2003, S. 7; Nausner 2006, S. 62). Beispielsweise rekurrieren Lundin und Söderholm
(1995, S. 445) an mehreren Stellen auf Projekte und setzen temporäre Organisationen mit
Projekten gleich. Projekte haben aufgrund ihrer Verbreitung in der Praxis eine hohe Bedeu-
tung (Sydow et al. 2004). Sie können in zwei Typen unterschieden werden (Janowicz-
Panjaitan et al. 2009a): Zum einen existieren intraorganisationale Projekte, wobei es sich um
interne Projekte innerhalb von permanenten Organisationen handelt (Shenhar 2001). Zum
anderen finden sich interorganisationale Projekte, d.h. Kooperationen zwischen zwei oder
mehr permanenten Organisationen. Interorganisationale Projekte weisen im Vergleich zu
162 Simon Dischner/Jost Sieweke/Stefan Süß
Einige Ansätze der Organisations- und Regelforschung haben sich explizit mit der Tempo-
ralität bzw. der zeitlichen Entwicklung von Regeln befasst. Beispielsweise geht der Ansatz
des Routinen-basierten Lernens (u.a. Zhou 1993; Schulz 1998; March et al. 2000; Schulz/Beck
2002) davon aus, dass organisationale Erfahrungen in Regeln kodiert werden und dass sich
mit der Zeit die Anzahl und Zusammensetzung von „rule regimes“ (March et al. 2000, S.
91) verändert. Darüber hinaus hat sich auch die neuere Forschung zu organisationalen
Routinen (Feldman 2000; Feldman/Pentland 2003) mit der zeitlichen Entwicklung von Re-
geln befasst. In dieser Sichtweise sind Routinen sich wiederholende, erkennbare Muster
von interdependenten Handlungen mehrerer Akteure. Regeln stellen dabei ein konstituti-
ves, strukturelles Element von Routinen dar. Im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise
(z.B. Hannan/Freeman 1984) wird Routinen (und Regeln) die Fähigkeit des Wandels zuge-
schrieben. Mit der temporalen Strukturierung in Organisationen befasst sich eine weitere
Forschungsrichtung (z.B. Orlikowski/Yates 2002). In dieser Sichtweise (re-)produzieren
Organisationsmitglieder für einen bestimmten Zeitraum Regeln, um ihre Handlungen zu
koordinieren. Dabei greifen sie auf temporäre Strukturen zurück, die bereits in vorange-
gangenen Situationen erzeugt worden sind, um darauf aufbauend die Regelstruktur (modi-
fiziert) zu reproduzieren.
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 163
Nachfolgend wird ein breiter Regelbegriff verwendet, der unterschiedlich formalisierte und
kodifizierte Regeln beinhaltet und der Regeln allgemein als an Akteure gerichtete Verhal-
tenserwartungen definiert. Regeln unterscheiden sich in der Art der Kodifizierung in
schriftliche, mündliche und implizite Regeln. Weiterhin wird zwischen formalen und in-
formalen Regeln differenziert: Zu den formalen Regeln zählen insbesondere Regeln der
Arbeitsteilung und der Koordination, die wiederum jeweils in weitere Regeltypen wie z.B.
Aufgaben-, Stellen-, Hierarchie- oder Verfahrensregeln unterteilt werden können. Daneben
bilden sich auch informale Regeln heraus, die im Zeitablauf entstehen, von informalen
Gruppen festgelegt werden und Verhaltenserwartungen beinhalten, die sich neben bzw.
außerhalb der formalen Erwartungen bewegen (Ortmann 2003). Formale und informale
Regeln bilden zusammen die Struktur einer Organisation. Innerhalb dieser Struktur wer-
den einerseits organisationale Entscheidungen getroffen, andererseits prägen die getroffe-
nen Entscheidungen die zukünftige Struktur der Organisation. So gibt die Struktur vor, wer
in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt über Regelsetzung, -änderung und -löschung
entscheiden darf. Sie stellt somit die Rahmenbedingungen von (Regel-)Entscheidungen dar
und die zeitlichen, räumlichen und sachlichen Aspekte der Struktur werden dauerhaft in
Anspruch genommen, um zu einer Entscheidung über Regeln zu gelangen. Dieser Prozess
der Regelsetzung impliziert, dass am Ende des Prozesses die Regelsetzung, -änderung bzw.
-löschung steht. Das Ergebnis des Regelsetzungsprozesses – also die Regel – findet sich im
Anschluss im strukturellen Kontext wieder.
lenregeln koordiniert (Jones/Lichtenstein 2008), die sich im Laufe der Zeit verändern kön-
nen und in zukünftige Projekte mit wechselnden Akteuren hineingetragen werden (Bechky
2006). Zudem spielt Vertrauen zwischen den Projektmitgliedern, welches sich in informalen
(Verhaltens-)Regeln widerspiegelt, eine zentrale Rolle bei der informalen Koordination von
Projekten. In Gruppen, in denen die Mitglieder erstmals zusammenarbeiten, bildet sich
bereits nach kurzer Zeit ein sogenannter „swift trust“ (Meyerson et al. 1996). Dieses Ver-
trauen basiert auf gemeinsamen Verhaltenserwartungen, die bei Projektmitgliedern unter
Zeitdruck aktiviert werden und eine effektive Zusammenarbeit dieser ermöglichen.
Obwohl beide Forschungsansätze wichtige Einblicke in die Struktur und Bedeutung von
Regeln in interorganisationalen Projekten geliefert haben, lassen sich Forschungsdefizite
identifizieren. Ein Charakteristikum interorganisationaler Projekte ist ihre strukturelle
Einbettung in ihren organisationalen Kontext (Davies/Brady 2000; Manning 2008). Projekte
befinden sich in einem Dilemma zwischen Autonomie und Abhängigkeit von den Mutter-
organisationen (Sydow et al. 2004), was sich auch auf Regeln in diesen Projekten auswirken
kann. Je geringer die Autonomie eines Projekts ist bzw. je stärker eine Mutterorganisation
in ein Projekt involviert ist, desto mehr Routinen und Regeln werden von der Mutterorga-
nisation vorgegeben (Modig 2007). Umgekehrt müssen Routinen und Regeln intern entwi-
ckelt werden, wenn das Projekt unabhängig von der Mutterorganisation agiert (Modig
2007). So zeigen Scarbrough et al. (2004), dass Projektautonomie (z.B. (räumliche) Trennung
des Projektteams von der Mutterorganisation) dazu führt, dass Projektteams ihre eigenen
Regeln setzen. Hierbei spielt die Neuartigkeit der Aufgabe eine entscheidende Rolle; bei
repetitiven Aufgaben wird die Projektautonomie zur Effizienzsicherung durch standardi-
sierte Routinen der Mutterorganisation vermindert, während bei neuartigen Aufgaben das
Projekt eigene Regeln setzt.
Die Regelstruktur einer Organisation lässt sich anhand der Art der Regel (z.B. Koordination
oder Arbeitsteilung), der Formalisierung (formal oder informal) und der Kodifizierung
(schriftlich, mündlich oder implizit) beschreiben. Dies trifft auch auf die Regelstruktur
interorganisationaler Projekte zu. Allerdings ändert sich in Projekten mit jedem Übergang,
also Phasenwechsel im Hinblick auf die Zielerreichung, die Regelstruktur (Lundin/Söder-
holm 1995, S. 443). Bislang ist unklar, wie die einzelnen Merkmale der Regelstruktur in
interorganisationalen Projekten beschaffen sind. Eine Analyse der Regelstruktur in interor-
ganisationalen Projekten bietet daher wichtige Erkenntnisse für die Regelforschung. Insbe-
sondere können Erkenntnisse über den Einfluss von Temporalität auf die Regelstruktur
gewonnen werden. Während die Regeldynamik in permanenten Organisationen mit der
Zeit abnimmt (March et al. 2000), kann in interorganisationalen Projekten aufgrund von
Phasenwechseln möglicherweise eine wechselnde Dynamik beobachtet werden.
In der Regelforschung werden verschiedene Arten der Regelsetzung diskutiert wie z.B. hie-
rarchische (z.B. Weber 2005) oder kompetitive (z.B. Crozier/Friedberg 1979) Regelsetzung.
Jeder Regelsetzungstyp hat verschiedene Ursachen und unterschiedliche Folgen für die
Organisation. Bislang ist unklar, wie Regelsetzung in interorganisationalen Projekten ab-
läuft und welche Typen der Regelsetzung sich in solchen Projekten widerfinden. Diese
Analyse verspricht wichtige Erkenntnisse beispielsweise für die Forschung zur Berater-
Kunden-Beziehung in Beratungsprojekten. Während die kritische Beratungsliteratur (z.B.
Clark/Salaman 1998; Fincham 1999) den Kunden als passiv beschreibt, deuten aktuelle
Arbeiten auf einen aktiveren Einbezug des Kunden hin (z.B. Nikolova et al. 2009). Damit
können Erkenntnisse über den Einbezug des Kunden in die Projektorganisation und somit
auch über seine Rolle in der Berater-Kunden-Interaktion gewonnen werden.
Die Regelforschung zeigt verschiedene Folgen von Regeln für Organisationen auf. Regeln
tragen zum einen zur Lösung organisationaler Probleme bei, wie z.B. Komplexitätsproble-
men (z.B. Cyert/March 1963) oder Legitimitätsproblemen (z.B. Meyer/Rowan 1977), zum
anderen sind sie Quelle von organisationalen Problemen, wie z.B. „wuchernder“ Regel-
werke (z.B. Merton 1957) oder Machtkämpfe (z.B. Crozier 1964). Aufgrund der Übergänge
in interorganisationalen Projekten ist jedoch unklar, inwiefern Probleme in solchen Projek-
ten durch Regeln dauerhaft gelöst werden können und inwiefern sie erst durch Regeln
entstehen. Die Untersuchung dieser Fragen bietet somit wichtige Erkenntnisse für die For-
schung zu Regeln in Projekten. Während insbesondere die normative Projektforschung
Regeln bislang meist als Lösung von Problemen erachtet hat, deuten neuere Arbeiten zu
interorganisationalen Kooperationen auf die Dualität von Regeln als Ursache und zugleich
Lösung von Problemen hin (z.B. Vlaar et al. 2007). Die nachfolgende Analyse der Folgen
von Regeln in Beratungsprojekten bietet hierzu weitere Erkenntnisse.
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 167
Insgesamt haben zwölf Unternehmensberater und acht Kunden an der Studie teilgenom-
men. Ein Großteil der Gesprächspartner wurde mittels einer Anzeige in einer personalwirt-
schaftlichen Fachzeitschrift (PersonalQuarterly) rekrutiert, die sich sowohl an Führungs-
kräfte in Unternehmen als auch an Unternehmensberater richtet und eigens eine Rubrik
(„News aus der Hochschulwelt“) bietet, um Forschungsanzeigen zu veröffentlichen. Die
weiteren Interviewpartner wurden von diesen Kontakten vermittelt.
Berater Kunden
Die Interviewleitfragen zielten auf die Erforschung der Struktur, Setzung und Folgen von
Regeln in interorganisationalen Projekten. Vor diesem Hintergrund wurden die Leitfragen
formuliert und anschließend in Pretests mit drei (ehemaligen) Beratern und Kunden, die
den Autoren persönlich bekannt waren, getestet und entsprechend der Anmerkungen mo-
difiziert. Der Leitfaden findet sich im Anhang.
In einem ersten, deduktiven Schritt wurde aus den konstatierten Forschungsdefiziten be-
züglich Regeln in interorganisationalen Projekten ein vorläufiges Kategoriensystem gebil-
det. In einem zweiten, induktiven Schritt wurde das Kategoriensystem entlang des Daten-
materials modifiziert, bis sich schließlich ein finales System aus Ober- und Unterkategorien
herausgebildet hatte (vgl. Abb. 1). Auf dieser Grundlage wurden die Transkripte codiert.
Anschließend wurden die inhaltstragenden Textstellen generalisiert und die Aussagen
inhaltlich in dem finalen Kategoriensystem gebündelt (Reduktion).
Die Interviews wurden von einem der Autoren codiert. Um die Reliabilität der Codierun-
gen zu überprüfen (Lombard et al. 2002), wurden vier zufällig ausgewählte Transkripte von
einem weiteren Autor codiert. Die Intercoder-Reliabilität wurde mithilfe der prozentualen
Übereinstimmung, die einen häufig angewendeten Koeffizienten zur Berechnung von In-
terrater-Reliabilität darstellt (Neuendorf 2002, S. 149), bestimmt und betrug durchschnitt-
lich 97,2%; dies kann als eine hohe Reliabilität eingestuft werden (Neuendorf 2002). Die
Darstellung der Ergebnisse im folgenden Abschnitt erfolgt weitgehend auf aggregierter
Ebene. Zur Illustration der Ergebnisse werden besonders prägnante Aussagen aus den
Interviews zitiert; Aussagen von Unternehmensberatern sind mit „B“ zitiert, Aussagen von
Kunden mit „K“.
3.3 Ergebnisse
3.3.1 Die Struktur von Regeln in
Unternehmensberatungsprojekten
Im Datenmaterial konnten fünf Regelarten in Unternehmensberatungsprojekten identifi-
ziert werden, die sich jeweils in weitere Unterarten differenzieren lassen und die unter-
schiedlich formalisiert bzw. kodifiziert sind. Die Regelarten wurden induktiv aus dem
Datenmaterial gewonnen (vgl. 3.2). Dabei handelt es sich größtenteils um Arten, die auch in
anderen Organisationstypen zu finden sind, deren Ausgestaltung jedoch als spezifisch für
Beratungsprojekte zu betrachten ist.
Als erste Regelart wurden Koordinationsregeln identifiziert. Diese zumeist formalen und
schriftlich festgehaltenen Regeln umfassen Aspekte der Zusammenarbeit der Projektmit-
glieder untereinander bzw. der Abstimmung zwischen dem Projektteam und der Bera-
tungs- bzw. Kundenorganisation. Koordinationsregeln sind insbesondere in der Anfangs-
phase eines Projekts von großer Bedeutung, da in Beratungsprojekten Mitarbeiter aus in
der Regel zwei Organisationen zusammenarbeiten und diese die Arbeit untereinander
koordinieren müssen. Daneben bilden sich im Laufe des Projekts informale bzw. implizite
Koordinationsregeln heraus, um die formalen Koordinationswege zu umgehen, wie z.B.
informale Konfliktlösungsmechanismen, sodass „[a]ußerhalb des Protokolls Dinge [geklärt
werden], vielleicht auch mal bei einem Bier oder im Gespräch, im Zweiergespräch“ (K.3).
Eine zweite Regelart sind Arbeitsteilungsregeln, die zum einen anfänglich formal definiert
werden und die zum anderen im Projektverlauf durch informale Arbeitsteilungsregelun-
gen erweitert werden. Die aus Regeln resultierenden verschiedenen formalen Stellenaufga-
ben geben den Projektmitgliedern Tätigkeiten wie z.B. Sammeln von Informationen oder
turnusmäßige Berichterstattung an höhere Instanzen vor. Arbeitsteilungsregeln definieren
weiterhin die Rolle, die die Mitarbeiter im Projekt einnehmen: „Also bin ich Prozessunter-
stützer, bin ich inhaltlicher Vorantreiber, bin ich der, der gemeinschaftlich mit dem Kunden
die Themen erarbeitet oder macht der Berater die Vorschläge und die Kunden sagen nur ja
oder nein?“ (B.8). Während des Projekts werden Aufgaben und Arbeitszeiten den situati-
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 171
ven Bedingungen zumeist ad-hoc angepasst. Daneben verändert sich die Projektrolle durch
die täglichen Interkationen der Projektmitglieder.
Eine vierte Regelart sind Projektregeln. Hierzu zählen alle Regeln, die das Projekt definieren,
wie z.B. das Projektziel oder seine Meilensteine. Projektregeln sind vielfach formal und
schriftlich fixiert und insbesondere in der Anfangsphase von Beratungsprojekten von gro-
ßer Bedeutung. Beispielsweise legen Kunden und Berater gemeinsam Projektziele und
Meilensteine fest, um das Projekt zeitlich und inhaltlich zu strukturieren. Weiterhin werden
in vielen Fällen bereits zu Beginn des Projekts Regeln bezüglich der Ressourcenausstattung
der Projektmitglieder festgelegt. Diese sind insbesondere für die Beratungsunternehmen
von großer Bedeutung, da ihre Mitarbeiter für ihre Arbeit darauf angewiesen sind, dass der
Kunde vor Ort Arbeitsplätze und technische Ressourcen zur Verfügung stellt. Aufgrund
der Bedeutung der Ressourcenausstattung, wie z.B. Büroräume, wird diese in vielen Bera-
tungsprojekten schriftlich festgehalten: „[Bzgl.] Räumlichkeiten (…) haben wir so eine all-
gemeine Klausel, dass (…) der Kunde uns die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt“ (B.1).
Als letzte Regelart konnten Verhaltensregeln identifiziert werden; sie regeln die Interaktion
der Projektmitglieder sowie das Verhalten gegenüber Nicht-Projektmitarbeitern in der
Beratungs- und Kundenorganisation und gelten für viele bzw. alle Projektmitglieder. Ver-
haltensregeln existieren sowohl formal als auch informal. Sie werden selten schriftlich fest-
gehalten, sondern häufig mündlich kommuniziert oder liegen nur in impliziter Form vor.
Beispielsweise wird zu Beginn des Projekts formal vereinbart, dass im Projektteam offen
kommuniziert werden soll. Gleichzeitig existieren in Projekten aber auch informale Verhal-
tensregeln. Dies zeigt sich beispielsweise anhand der Anwesenheitszeiten der Berater. Zwar
wird die Arbeitszeit in einigen Projekten im Arbeitsvertrag des Beraters geregelt, jedoch
besteht die informale und zum Teil auch implizite Erwartung bzw. Regel, dass sie in Pro-
jekten mehr arbeiten müssen als vertraglich festgelegt. Einige Berater berichten sogar von
einem gegenseitigen Überbieten bei Anwesenheitszeiten: „Und dann bleibt man eher noch,
ja, dann ist es ein bisschen die Frage, so ein bisschen Mikado-Prinzip abends: wer sich zu-
erst bewegt oder wer zuerst geht, hat verloren“ (B.12).
naler Projekte verstanden. Formale und informale Regeln sind ein wichtiger Teil dieser
Governance; so ermöglichen Projektregeln, wie die Definition von Meilensteinen, erst eine
effektive Projektsteuerung und -kontrolle (Turner/Cochrane 1993).
Die Regelstruktur ist jedoch nicht statisch, sondern vielmehr dynamisch und verändert sich
im Laufe des Projekts. Veränderungen der Regelstruktur in Unternehmensberatungsprojekten
sind insbesondere dann gegeben, wenn die von Lundin und Söderholm (1995) beschriebe-
nen Übergänge in temporären Organisationen stattfinden. Zu Beginn eines Projekts, der
konstituierenden Phase, wird eine Reihe von formalen Regeln aufgestellt, die schriftlich
oder mündlich kommuniziert werden und die die Ziele, Meilensteine und Organisation des
Projekts betreffen. Die anschließenden Phasen sind dann abhängig von dem gesetzten Pro-
jektziel. Hierbei spielen Meilensteine eine besondere Rolle, denn sie markieren den Fort-
schritt des Projekts. „Es muss diese Milestones geben. Das muss es einfach geben, ohne die
geht es nicht. Also ein Projekt ohne Milestones macht aus meiner Sicht keinen Sinn“ (B.7).
Das Erreichen eines Meilensteines bietet die Möglichkeit, den bisherigen Projektverlauf zu
evaluieren sowie ein neues Teilziel zu fokussieren und das Projekt dadurch in eine neue
Phase zu bringen. Es wird „dann jeweils ausdetailliert, wie soll denn die nächste Phase
ganz konkret aussehen. (…) [E]s gibt am Anfang sehr grobe Meilensteine, die werden im-
mer fein detaillierter, umso näher man da rankommt. (…) Und das wird dann aber immer
weiter ausdetailliert in Submeilensteine, in kleinteiligere Punkte, je nach Teilprojekt, was
müssen die dann jetzt genau machen in welchem Zeitraum“ (B.8). Mit jedem Übergang in
eine neue Projektphase wird demnach auch die Regelstruktur des Projekts geändert. Es
werden Regelarten modifiziert bzw. neu gesetzt. Auch später integrierte Projektmitglieder
tragen neue informale Regeln in das Projekt hinein und implizite Regeln verändern sich vor
dem Hintergrund neuer Phasen.
2008) der Akteur mit der größten Projekterfahrung als legitimiert erachtet wird, Regeln
hierarchisch in das Projekt zu transferieren. Neben Regeln, die das Projektmanagement
betreffen, werden zu Beginn eines Projekts auch Verhaltensregeln aus dem Beratungs-
und/oder Kundenunternehmen in das Projekt transferiert, wodurch auch Teile der Unter-
nehmenskulturen der beiden Unternehmen im gemeinsamen Projekt widergespiegelt wer-
den. Um Konflikte innerhalb der Berater-Kunden-Beziehung zu vermeiden, passen sich
Berater den Verhaltensregeln in dem Kundenunternehmen an. So besteht in Beratungen die
generelle Regel, dem Kunden keine Verhaltensregeln aufzuerlegen: „[D]a würde ich als
Berater einen Teufel tun, [den Kundenmitarbeitern] zu erklären, wie sie sich verhalten
sollen“ (B.12).
Eine zweite Form der hierarchischen Regelsetzung findet statt, wenn Regeln speziell für ein
Projekt neu gesetzt werden. Dies erfolgt zum einen insbesondere zu Beginn eines Projekts. So
gibt der Kunde stets das Projektziel bzw. das Projektende zeitlich und inhaltlich als Regel
vor, während der Berater sich an diesen Vorgaben orientiert und in diesem Rahmen die
Projektorganisation vornimmt: „Meistens ist es so, dass wenn wir Berater nutzen, dann
kommt die Meilensteinplanung von denen. (…) Und die Ausdetaillierung macht meistens
der Berater. (…) [W]ie genau Projektarbeit während des Zeitraums aussieht, ist ja eigentlich
schon die erste Beraterleistung“ (K.4). Wie bei dem hierarchischen Transfer von Regeln
spielt auch hier die unterschiedliche Expertise der Projektbeteiligten (Ko et al. 2005; Jones/
Lichtenstein 2008) eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, welcher Akteur hierar-
chisch neue Regeln setzen darf. Zum anderen werden während des Projekts insbesondere
dann neue Regeln gesetzt, wenn ein Übergang stattfindet und das Projekt in eine neue
Phase eintritt sowie wenn Probleme gelöst werden müssen. Da es sich bei den beteiligten
Unternehmen um ein Kunde-Dienstleister-Verhältnis handelt, hat der Kunde jedoch stets
die Möglichkeit, die von den Beratern gesetzten Regeln außer Kraft zu setzen oder zu revi-
dieren: „Letztendlich [macht] der (…), der Budgetverantwortung hat, der uns eingekauft
hat, (…) die Regeln so neu, wie er Bock hat“ (B.8).
Drittens existieren Fälle, in denen die Setzung der Regel kooperativ erfolgt, d.h. dass Kunde
und Berater gemeinsam eine Regel erstellen. Kooperative Regelsetzung findet statt, wenn
trotz der in das Projekt hineingetragenen sowie der neu gesetzten Regeln Aspekte des Pro-
jektmanagements noch ungeklärt sind. Da in interorganisationalen Beratungsprojekten die
Projektmitglieder in aller Regel zum ersten Mal zusammenarbeiten (Goodman/Goodman
1976; Meyerson et al. 1996), muss zu Beginn eines Projekts die Form der Zusammenarbeit
ausgehandelt werden, was üblicherweise im Rahmen des Kick-Off-Meetings geschieht:
„Und im Rahmen dieses Kick-Offs (…) wird dann diskutiert, wie die Zusammenarbeit jetzt
die nächsten Wochen, Monate konkret ausgestaltet werden soll. Das ist eine offene Diskus-
sion“ (B.4). Um während des Projekts die gemeinsame Regelsetzung zu organisieren, be-
stehen in der Regel auf allen Projektebenen Doppelspitzen, die aus Kundenmitarbeitern
und Beratern gebildet werden. Auf höheren Hierarchieebenen treibt der Berater gemeinsam
mit dem Kunden die strategische Ausrichtung des Projekts voran. Hier werden Regeln
gesetzt, die das gesamte Projekt betreffen wie z.B. Entscheidungen über den Austausch von
Beratern. Auf Teilprojektebene werden operative Regeln kooperativ gestaltet. Insbesondere
während der konstituierenden Phase wird das – meist vom Berater vorgegebene – Projekt-
174 Simon Dischner/Jost Sieweke/Stefan Süß
Fünftens berichten Berater und Kunden von einer adaptiven Regelsetzung im Verlauf eines
Projekts. In diesen Fällen ist die Regel nicht explizit gesetzt worden, sondern stattdessen in
der Interaktion der Projektteilnehmer im Laufe der Zeit entstanden, sodass sie keiner Partei
ursächlich zugerechnet werden kann. Adaptive Regeln betreffen alle regulierungsbedürfti-
gen Aspekte des Projektmanagements, die durch die anderen Regelsetzungsarten nicht
bzw. inadäquat abgedeckt werden. Dies gilt insbesondere für Verhaltensregeln, die – wie
die Gesprächspartner berichten – in Projekten meistens nicht genau definiert sind. Stattdes-
sen entstehen sie im Arbeitsalltag als Anpassung an Routinen und Gewohnheiten von Akt-
euren. Beispielsweise passen sich Berater und Kunde im Laufe der Zeit den Verhaltenswei-
sen des Gegenübers mithilfe von eigenen, impliziten Regeln an, um die Interaktion zu ver-
bessern: „[D]er Kunde kann vor zehn Uhr nicht angesprochen werden, bevor er seinen
ersten Kaffee hat. Dann etabliert sich das halt irgendwo, dass du ihn nachher erst an-
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 175
sprichst. (…) [M]anchmal weißt du, (...) wie du mit bestimmten Kollegen halt umgehen
musst“ (B.12).
Zweitens tragen Regeln in Beratungsprojekten auch zur Lösung von Problemen bei. In vielen
Fällen werden informale Regeln angewendet, um durch formale Regeln verursachte Prob-
leme zu lösen: „Sagen wir mal so, ich nutze dann den Spielraum, den ich als Projektleiter
habe, und (…) versuche dann solche [formalen] Regeln zu umgehen, wenn ich einfach den
Sinn wirklich nicht sehe oder den Mehrwert“ (B.6). Viele Gesprächspartner berichten von
Kommunikationsregeln, die Ansprechpartner definieren, an die sich Berater zwecks Infor-
mationsgewinnung wenden müssen. Um zeitliche Verzögerungen zu minimieren, nutzen
176 Simon Dischner/Jost Sieweke/Stefan Süß
Neben Fällen, in denen diese doppelte Rolle von Regeln (entweder als Quelle oder als Lö-
sung von Problemen) vorlag, konnten auch wenige Fälle identifiziert werden, in denen
Regeln gleichzeitig Ursache und Lösung von Problemen sind. Beispielsweise führen Verhaltens-
regeln (z.B. Duzen, gemeinsames Essen) in Beratungsprojekten einerseits dazu, dass die
Projektmitglieder ein vertrautes Verhältnis zueinander aufbauen. Dies erleichtert das Ar-
beitsverhältnis zwischen Kunden und Beratern, da dann die Möglichkeit gegeben ist, Prob-
leme offen anzusprechen und zum Teil auch schneller und informell zu lösen: „[W]enn
man mit jemandem mal in Ruhe ein Bier getrunken hat, dann klappt die Zusammenarbeit
auch viel besser (...), weil vielleicht Barrieren überwunden sind (...). Und wenn man einfach
mal so eine persönliche Beziehungsebene erreicht hat, dann (...) kann man auch mal sagen:
weißt du was, wie du dich heute verhalten hast, das war einfach nicht akzeptabel aus dem
und dem Grund“ (K.7). Umgekehrt können Verhaltensregeln die Arbeit des Beraters aber
auch erschweren. So kann ein vertrautes Verhältnis zwischen Kunden und Berater, das
durch derartige Verhaltensregeln aufgebaut wird, in bestimmten Situationen „schon ein
bisschen hinderlich [sein], weil du halt nicht so hart durchgreifen kannst oder so hart da
spielen kannst“ (B.12).
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 177
4 Schlussfolgerungen
4.1 Beiträge zur Erforschung interorganisationaler
Projekte
Die Ergebnisse aus den Interviews mit den Beratern und Kunden liefern zwei wesentliche
Beiträge zur Erforschung interorganisationaler Projekte:
(1) Erkenntnisse über die Regelsetzung und die Koordinationsfunktion von Regeln in
interorganisationalen Projekten sowie
(2) Wissen über das Verhältnis von Temporalität und Regeln.
(1) Die Studie erweitert das Wissen über die Regelsetzung in interorganisationalen Projekten.
Die Interviewpartner berichteten, dass bestehende Regeln hierarchisch in interorganisatio-
nale Projekte transferiert, hierarchisch neu gesetzt, kooperativ ausgehandelt und kompeti-
tiv erstritten werden sowie sich adaptiv entwickeln. Damit zeigt die Studie, dass in interor-
ganisationalen Projekten Arten der Regelsetzung auftreten, die größtenteils auch in perma-
nenten Organisationen beobachtet werden können: Verschiedene Organisationstheorien
wie z.B. die Bürokratietheorie (Weber 2005) beschreiben das hierarchische Setzen von Re-
geln. Mikropolitische Ansätze (Crozier/Friedberg 1979; Ortmann 1995) analysieren koope-
rative und kompetitive Regelsetzung in Form von Machtspielen. Auch adaptive (bzw.
evolutionäre) Regelsetzung ist in der Organisationsforschung viel diskutiert (z.B. March et
al. 2000; Koch 2004). Ein Spezifikum in interorganisationalen Projekten, das bereits in der
Projektforschung beschrieben wurde (z.B. Brady/Davies 2004; Manning 2008), ist hingegen
der Transfer bestehender Regeln von Mutterorganisationen in das Projekt.
Darüber hinaus weisen die Ergebnisse darauf hin, dass sich interorganisationale Projekte
mit zunehmender Existenzdauer permanenten Organisationen strukturell angleichen. So
berichten mehrere Interviewpartner darüber, dass formale Regeln nach der konstituieren-
den Phase interorganisationaler Projekte nur noch dann gesetzt bzw. modifiziert werden,
wenn Probleme auftreten oder ein Übergang in eine neue Phase stattfindet. Dies deutet
darauf hin, dass nicht nur in permanenten Organisationen, sondern auch in interorganisa-
tionalen Projekten die Regelsetzungsrate degressiv verläuft (Schulz 1998). Mit der Zeit kann
auf Regeln zurückgegriffen werden, die sich als Problemlösung bewährt haben, sodass die
Setzung zusätzlicher Regeln seltener notwendig wird.
Sind Regeln in interorganisationalen Projekten erst einmal gesetzt, tragen sie insbesondere
zur Koordination der Projektaktivitäten bei. In Abschnitt 2.1 wurde auf die besondere Proble-
matik interorganisationaler Projekte hingewiesen, dass die Projektteammitglieder meist
zum ersten Mal zusammenarbeiten und dadurch die Koordination der Tätigkeiten zu-
nächst weitgehend ungeregelt ist (Turner/Müller 2003; Jones/Lichtenstein 2008). Die Bei-
spiele aus Abschnitt 3.3.3 haben jedoch illustriert, dass – ähnlich wie die Forschung zu
formalen und informalen Regeln in permanenten Organisationen gezeigt hat (z.B. Luh-
mann 1995) – versucht wird, Probleme und Verzögerungen, die aus formalen Regeln resul-
178 Simon Dischner/Jost Sieweke/Stefan Süß
tieren, durch informale Regeln zu lösen. Dieses Verhältnis von formalen Regeln und infor-
maler Praxis hat eine wesentliche Bedeutung für das Funktionieren von Organisationen
bzw. für die Herstellung von sozialer Ordnung (Ortmann 2003): Abweichungen bei der
Anwendung formaler Regeln halten die soziale Ordnung aufrecht, wenn die Regelverlet-
zungen im „Dienste der Sache“ (Ortmann 2003, S. 33) bzw. in der Intention des Regelset-
zers geschehen, denn dann kann der Regelbrecher davon ausgehen, dass die Verletzung
von den anderen Organisationsmitgliedern akzeptiert wird. Paradoxerweise lässt sich dar-
aus schließen, dass es den Projektmitgliedern aufgrund der der Regelanwendung inne-
wohnenden Möglichkeit der Regelverletzung erleichtert wird, die Projektaktivitäten in
einem neu zusammengestellten Team zu koordinieren. So fällt die Problematik des erstma-
ligen Zusammenarbeitens und der Bearbeitung einmaliger Aufgaben weniger ins Gewicht,
wenn das Projektteam die herrschenden Regeln zwar „respektiert“ (Ortmann 2003, S. 60),
diese jedoch außer Kraft setzen kann, wenn man dadurch dem Projektziel näher kommt.
Beispielhaft wird dieser Sachverhalt von B.7 beschrieben, der bei Projektverzögerungen
Kommunikationsregeln verletzt und informale Kommunikationskanäle nutzt (vgl. 3.3.3)
und somit dem übergeordneten Projektziel Rechnung trägt.
(2) Die Temporalität als genuines Merkmal von (interorganisationalen) Projekten ist in der
Literatur viel diskutiert (z.B. Janowicz-Panjaitan et al. 2009a, S. 73 ff.; Janowicz-Panjaitan et
al. 2009b; Bakker 2010, S. 471 ff.). Jedoch sind der konkrete Einfluss der Temporalität auf
diese spezifische Organisationsform sowie ihre Prozesse und ihr Funktionieren kaum er-
forscht (Janowicz-Panjaitan et al. 2009a, S. 81; Bakker 2010, S. 473). Die dargestellte qualita-
tive Studie liefert einen Beitrag zur Reduzierung dieses Forschungsdefizits. Die Ergebnisse
zeigen, dass Regeln die Folgen der Temporalität sowohl vermindern als auch verstärken:
Erstens hat Temporalität zur Folge, dass (interorganisationalen) Projekten nur eine begrenzte
Zeit zur Erreichung ihrer Ziele zur Verfügung steht. Als Folge der Temporalität geraten Pro-
jektbeteiligte unter Zeitdruck, z.B. hinsichtlich der Zielerreichung innerhalb eines vorgege-
benen Zeitrahmens (Turner/Müller 2003). Regeln reduzieren einerseits diesen Zeitdruck,
andererseits forcieren sie ihn. Diese Paradoxie wird insbesondere anhand zweier Regelar-
ten deutlich: Zum einen werden während der konstituierenden Phase interorganisationaler
Projekte bereits existierende Koordinationsregeln aus den Mutterorganisationen in das
Projekt transferiert, um den Zeitdruck zu reduzieren. Folglich kann das Projekt von Anfang
an auf elementaren Regeln des Organisierens aufbauen, sodass grundlegende Aspekte
nicht neu erarbeitet werden müssen. In diesem Sinne beginnen interorganisationale Projek-
te nicht bei einem „Nullzustand“. Vielmehr wird beispielsweise auf bestehende Verfah-
rensrichtlinien aus den Mutterorganisationen zurückgegriffen, um die Koordination in
Projekten mit Hilfe bewährter Instrumente zu erleichtern. Dies hat zur Folge, dass interor-
ganisationale Projekte bereits nach kurzer Zeit strukturiert mit ihrer Arbeit beginnen kön-
nen, was vor dem Hintergrund begrenzter zeitlicher Existenz und eng gesetzter Zeitpläne
von großer Bedeutung ist. Zum anderen erzeugen bzw. erhöhen Projektregeln aber den
Zeitdruck in interorganisationalen Projekten. Regeln, die Meilensteine, Projektziele oder
Deadlines definieren, haben eine stark regulierende Funktion (Lindkvist et al. 1998; Pitsis et
al. 2003) und führen dazu, dass Zeit zu einer raren Schlüsselressource in Projekten wird
(Keegan/Turner 2001): „Und [das Projektteam steht] in der Regel ja noch unter einem ganz
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 179
anderen Zeitdruck, Ergebnisse bringen zu müssen. Und von daher ist da die Grundan-
spannung [in Projekten] meines Erachtens nach schon höher als in normalen Linienorgani-
sationen, (…) weil Projektergebnisse klar definiert sind“ (K.2).
Das Ergebnis, dass bestimmte Regeln den Zeitdruck vermindern können, liefert einen Bei-
trag zur Diskussion über die Einbettung interorganisationaler Projekte in ihren organisati-
onalen Kontext (z.B. Davies/Brady 2000; Grabher 2004; Manning 2008). Neben der Versor-
gung mit elementaren Ressourcen wie z.B. Fachwissen, Reputation und Legitimation durch
die Umwelt (Grabher 2004) konnte eine Bereitstellung elementarer Regeln durch die Ur-
sprungsorganisationen identifiziert werden. Dies geschieht insbesondere durch den Trans-
fer bestehender Regeln aus den Mutterorganisationen in das Projekt. Die in permanenten
Organisationen aufgebauten „project capabilities“, d.h. Projekterfahrungen bzw. Projekt-
wissen z.B. in Form von Projekthandbüchern, beruhen auf den spezifischen Projekterfah-
rungen der Unternehmen (Davies/Brady 2000; Keegan/Turner 2001). Mithilfe dieser Pro-
jektkompetenzen können die Organisationen die neu gebildeten interorganisationalen
Projekte top-down mit einem Grundstock an Regeln versorgen, um das ohnehin begrenzte
Zeitkontingent nicht weiter zu belasten sowie in der Mutterorganisation vorhandenes Wis-
sen und Erfahrungen in das interorganisationale Projekt zu transferieren. Die Einbettung
interorganisationaler Projekte in die permanente(n) Organisation(en) wird offenkundig.
Eine ähnliche Sichtweise vertreten Manning und Sydow (2011): Durch die Einbettung in
einen multiplen Projektkontext (z.B. permanente Organisationen, Projektnetzwerke) stehen
in interorganisationalen Projekten Regeln zur Verfügung, die wiederkehrend auf spezifi-
sche Projekte angewendet werden, wodurch sogenannte „collaborative paths“ aufrecht-
erhalten bzw. modifiziert werden. Ein Beispiel dafür ist die stetige Auswahl derselben
Projektmitglieder als Kernteam. Auch im Unternehmensberatungskontext zeigte sich, dass
Kunden mit Beratungsunternehmen „project-based relationships“ eingehen und sich
dadurch „collaborative paths“ bilden. Beispielsweise engagieren Manager häufig Berater,
mit denen sie bereits zusammengearbeitet haben (Armbrüster 2006).
Das Ergebnis, dass bestimmte Regeln den Zeitdruck in Projekten erhöhen, lässt sich mit der
von Manning (2008) beschriebenen Paradoxie erklären, dass interorganisationale Projekte
zwar in einen permanenten, multiplen Kontext eingebettet sind (Davies/Brady 2000; Jones
2001; Engwall 2003), die Einbettung jedoch nicht die Projektstruktur determiniert. Er argu-
mentiert, dass jedes Projekt anders und deshalb zu einem gewissen Grad vom Kontext
losgelöst ist, auch wenn Projekte auf Routinen und Regeln aufbauen, die im multiplen
Kontext vorherrschen. Einbettung und Konstitution sind somit unzertrennliche Prozesse.
Dies lässt sich am Setzen neuer Regeln verdeutlichen: Neue Regeln können als spezifische
Auslegung bestehender Regeln der Mutterorganisationen verstanden werden. Wenn bei-
spielsweise Projektregeln in Form von Meilensteinen festgelegt werden, dann sind diese
zwar für das Projekt neu gesetzt worden, sie orientieren sich jedoch an den in der (Kun-
den-)Organisation bestehenden Zeitplänen. Folglich werden Regeln, die den Zeitdruck
erhöhen und somit im Wesentlichen die Projektstruktur beeinflussen, aufgrund der Einbet-
tung von Projekten in den Organisationskontext neu gesetzt. Deutlich wird zudem, dass die
hierarchisch neu gesetzten Regeln (vgl. 3.3.2) zwar im Detail neu gesetzt werden, sich aber
an bestehenden Prinzipien der Regelsetzung in den Mutterorganisationen orientieren.
180 Simon Dischner/Jost Sieweke/Stefan Süß
Zweitens hat Temporalität zur Folge, dass gewonnenes Wissen und aufgebaute Erfahrungen
nur zeitlich begrenzt verfügbar sind. „There is a risk that the knowledge and experience
gained is lost when the project finishes, the team dissolves, and its members move on to
other projects or are reabsorbed into the organization“ (Brady/Davies 2004, S. 1601). Insbe-
sondere Kunden befürchten, dass das im Rahmen des Beratungsprojekts gewonnene sowie
das durch die Berater in das Projekt hineingetragene Wissen nach Projektende verloren
geht (Ko et al. 2005; Bakker/Janowicz-Panjaitan 2009). Die Studie zeigt, dass diese spezifi-
sche Folge von Temporalität durch die Speicherung von Wissen mithilfe von Regeln redu-
ziert werden kann (Prencipe/Tell 2001). Beispielsweise werden spezifische Kommunikati-
ons- und Arbeitsteilungsregeln gesetzt, um das zunächst temporäre Wissen für den Kun-
den permanent zugänglich zu machen. Kommunikationsregeln sehen die Speicherung und
Weitergabe von Wissen vor, einerseits schriftlich, z.B. in Form von Dokumenten, Protokol-
len oder Berichten, andererseits mündlich, z.B. in Form von turnusmäßigen Meetings oder
Telefonkonferenzen. Zusätzlich werden kundenseitig Arbeitsteilungsregeln aufgestellt,
sodass Kundenmitarbeiter speziell für die Arbeit in dem interorganisationalen Projekt ab-
gestellt werden. Ihre Aufgaben sehen dann in der Regel eine möglichst intensive Zusam-
menarbeit mit dem Berater vor, damit das spezifische, meist implizite Wissen des Beraters
(Morris/Empson 1998; Werr/Stjernberg 2003) während des Arbeitsalltags aufgenommen
wird.
Dieses Ergebnis liefert einen Beitrag zur Diskussion über den Transfer von Wissen aus
(interorganisationalen) Projekten in die Mutterorganisationen (Brady/Davies 2004; Jano-
wicz-Panjaitan et al. 2009a, S. 65). Studien haben gezeigt, dass ein solcher Wissenstransfer
zum Teil schwierig ist (DeFillippi/Arthur 1998; DeFillippi 2001; Keegan/Turner 2001). Je-
doch fördert insbesondere die Verschriftlichung von Wissen dessen Speicherung und
Transfer (Kogut/Zander 1992). Bevor jedoch „knowledge codification“ gelingen kann, sind
vorgelagerte Lernprozesse notwendig („experience accumulation“ und „knowledge articu-
lation“; vgl. Zollo/Winter 2002). Diese forcieren die Inkorporierung von Wissen in Routi-
nen, was auch dem Verständnis von March et al. (2000) von Regeln als Wissensspeicher
entspricht. In beiden Fällen sind Regeln das Ergebnis von Lernprozessen und selbst Teil des
Wissens. Regeln in interorganisationalen Projekten sind jedoch nicht nur das Ergebnis von
Lernprozessen, sondern auch Unterstützer dieser Prozesse. Zum einen fördern bestehende
Regeln in Form von institutionalisierten Projektmanagementpraktiken wie z.B. „project
communications management“ (PMI Standards Committee 1996) Lernprozesse. Solche
institutionalisierten Regeln, die in das Projekt transferiert werden, können als Lernmecha-
nismen verstanden werden (Prencipe/Tell 2001). Zusätzlich konnte zum anderen das kun-
denseitige Setzen neuer Regeln beobachtet werden, um Lernprozesse voranzutreiben. Bei-
spielsweise fördert das Abstellen von Kundenmitgliedern für das Projekt insbesondere
durch die Interaktion mit den Beratern die „knowledge articulation“ (Feldman/Rafaeli
2002). Bemerkenswert ist, dass beratungsseitige Regeln, z.B. das Abschotten gegenüber den
Kunden, teilweise Lernprozessen entgegenwirken. Dies könnte ein Grund dafür sein, wes-
halb Lernprozesse in Beratungsprojekten bzw. der Transfer des Beraterwissens in die Kun-
denorganisation fehlschlagen können (z.B. McFarlan/Nolan 1995; Ko et al. 2005).
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 181
Für die Regelforschung haben diese Entwicklungen die Konsequenz, dass die bislang dis-
kutierten Formen wie z.B. die hierarchische (z.B. Weber 2005) und kompetitive (z.B. Cro-
zier/Friedberg 1979) Regelsetzung um die kooperative Regelsetzung erweitert werden
sollten, um den skizzierten Veränderungen in Organisationen gerecht zu werden. Dabei
zeigt die vorliegende Studie, dass Regeln in interorganisationalen Projekten insbesondere
dann kooperativ gesetzt werden, wenn das bisherige, in Regeln kodierte Wissen nicht aus-
reicht, um einen Prozess zu steuern oder ein Ziel zu erreichen. Durch kooperative Regelset-
zung werden das Wissen und die Erfahrung verschiedener organisationaler Akteure zu-
sammengetragen und in einer gemeinsamen Regel festgehalten.
Zweitens gibt es bislang kaum Studien, die sich mit verschiedenen Regelsetzungsarten
innerhalb einer Organisation befasst haben. So bietet der Fokus auf interorganisationale
Projekte die Möglichkeit, die Regelsetzung von der Entstehung bis zur Auflösung empi-
risch zu untersuchen. Dies ist in permanenten Organisationen nicht möglich, da sie kein
definiertes Ende haben. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Interviews kann ein bei-
spielhaftes Prozessmodell der Regelsetzung in interorganisationalen Projekten entwickelt wer-
den, das verschiedene Setzungsarten berücksichtigt:
182 Simon Dischner/Jost Sieweke/Stefan Süß
Die Studie liefert Ansätze für Forschungsbedarf in mehrerlei Hinsicht. Erstens erscheint es
aussichtsreich, die hier gewonnenen Erkenntnisse über Beratungsprojekte mit anderen
temporären Organisationsformen abzugleichen. So ist beispielsweise ungeklärt, ob in ande-
ren temporären Organisationsformen wie z.B. virtuellen Organisationen (Davidow/Malone
1992) und latenten Organisationen (Starkey et al. 2000) ebenso Regeln zur Verminderung
der Folgen von Temporalität eingesetzt werden oder ob ähnliche Regelsetzungsprozesse
bestehen wie in Beratungsprojekten. Zweitens könnte ein Vergleich zwischen intraorgani-
sationalen temporären Projekten permanenter Organisationen (z.B. Produktentwicklung)
und temporären Organisationen wichtige Einsichten darüber liefern, wie sich inter- bzw.
intraorganisationale temporäre Organisationformen hinsichtlich der Struktur, der Setzung
und der Folgen von Regeln unterscheiden. Drittens sollte die in dieser Studie über Bera-
tungsprojekte herausgearbeitete Annahme, dass sich interorganisationale Projekte und
permanente Organisationen im Zeitverlauf strukturell angleichen, mit einer vergleichenden
Untersuchung dieser beiden Organisationsformen überprüft werden. Dies würde weitere
wichtige Ergebnisse darüber liefern, welchen Einfluss Temporalität auf Organisationsre-
geln hat. Viertens ist es im Hinblick auf die Regelforschung sinnvoll, die Erkenntnisse zu
kooperativer Regelsetzung zu erweitern, indem intensiver zu den Ursachen und Folgen
kooperativer Regelsetzung in Organisationen geforscht wird. Dies würde einen Vergleich
dieser Setzungsart mit den anderen Regelsetzungsarten ermöglichen.
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simon.dischner@hhu.de
jost.sieweke@hhu.de
stefan.suess@hhu.de
Regeln in interorganisationalen Projekten: Eine qualitative Studie 191
Anhang
Interviewleitfaden
(Berater/Kunden)
Am Lehrstuhl für XXX läuft derzeit unter der Leitung von XXX ein Forschungsprojekt über „Regeln in
temporären Organisationen“. Eine temporäre Organisationsform sind Projekte im Rahmen der Unter-
nehmensberatung. Ziel ist es herauszufinden, wie solche Projekte organisiert werden und wie unter
den Beteiligten Regeln entstehen. Deshalb führen wir derzeit ca. 45-minütige Interviews mit Personen
durch, die an Projekten entweder auf der Kundenseite oder als Unternehmensberater mitarbeiten.
Selbstverständlich wird das Interview anonymisiert und Ihre Angaben werden nur zu Forschungszwe-
cken verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.
Im Interview wird in vielen Fragen auf Regeln Bezug genommen. Darunter verstehen wir Verhaltens-
erwartungen an die Projektmitglieder. Diese können erstens schriftlich vorliegen (z.B. das schriftliche
Festhalten des Projektziels), zweitens explizit mündlich kommuniziert werden (z.B. die Absprache
eines Gesprächstermins zwischen Berater und Kunde) und drittens implizit, unausgesprochen beste-
hen (z.B. der Zeitpunkt des Arbeitstagbeginns der Berater, welcher nicht durch schriftliche oder münd-
liche Regeln festgelegt ist).
Letztes Beratungsprojekt
1. Denken Sie bitte an Ihr letztes Beratungsprojekt. Wie wurde das Projektmanagement gestaltet?
(Berater/Kunden)
a. Aus welchen Personen hat sich das Projektteam zusammengesetzt?
b. Wie lange hat das Projekt gedauert?
c. Welche Aspekte des Projektmanagements wurden schriftlich festgehalten?
2. Beschreiben Sie bitte die ersten Tage Ihres letzten Projekts. (Berater/Kunden)
a. Wie wurden Aufgaben verteilt?
b. Wie lernten sich die Mitglieder des Projektteams kennen?
c. Wer legte Ziele fest (z.B. Meilensteine)?
3. Bitte beschreiben Sie den Umgang mit dem Kunden bei Ihrem letzten Projekt.
(Berater/Kunden)
a. Wer waren Ihre Ansprechpartner?
b. Wie gestaltete sich die Kommunikation mit dem Kunden?
(saß man z.B. zusammen?)
c. Welche Freiheitsgrade wurden Ihnen gewährt?
(z.B. Kantine besuchen, Zugangskontrolle zum Gebäude etc.) (nur Berater)
4. Gab es Regeln, über die nicht explizit gesprochen wurde? (Berater/Kunden)
a. Welche Bedeutung haben solche „ungeschriebenen Gesetze“ für das Beratungsprojekt?
b. Bilden sich solche Regeln im Laufe des Projekts heraus?
c. Wie zeigt sich die Existenz solcher Regeln?
1. Welche Regeln sind Ihrer Erfahrung nach für ein neu zusammengesetztes Beratungsteam beson-
ders wichtig?
2. Sind Sie einmal zu einem späteren Zeitpunkt in ein Projekt eingestiegen? Wie verläuft die Integra-
tion in ein laufendes Projekt?
3. Was passiert, wenn während eines Projekts Probleme auftreten?
a. Werden dann neue Regeln eingeführt, um diese Probleme dauerhaft zu lösen?
b. Werden zur Lösung von Problemen auch bestehende Regeln geändert?
c. Wer entscheidet über die Einführung neuer bzw. die Modifikation bestehender Regeln?
d. Wie erfahren Sie von neu eingeführten bzw. geänderten Regeln?
4. Kommt es vor, dass Regeln auf Widerstände treffen oder dass Hindernisse bei der Einhaltung der
Regeln auftreten?
a. Macht es einen Unterschied, ob die Widerstände seitens eines Beraters oder eines Kunden
auftreten?
b. Kommt es manchmal zu Streitigkeiten hinsichtlich Regeln?
5. Kommt es vor, dass Sie oder Ihre Kollegen den Sinn von einzelnen Regeln unterschiedlich verste-
hen?
a. Was geschieht in solchen Fällen?
b. Wie und durch wen wird bestimmt, welche Interpretation der betreffenden Regel sich im
Projekt durchsetzt?
6. Kennen Sie Situationen, in denen die genaue Befolgung der Regeln Ihre Projektarbeit behindern
oder das Arbeitsergebnis verschlechtern würde?
a. Wie verhalten Sie sich in solchen Fällen?
b. An wen wenden Sie sich, wenn Sie eine solche „schlechte Regel“ entdeckt haben?
c. Was geschieht mit einer solchen Regel?
Fragebogen Berater
1. Welche Ausbildung(en) haben Sie?
2. Wie lange sind Sie schon berufstätig?
3. Bei welcher Unternehmensberatung sind Sie derzeit tätig und wie lange?
4. An wie vielen Beratungsprojekten haben Sie bisher mitgearbeitet? In welchen Positionen?
5. Wie lautet Ihre Stellenbezeichnung und wie lange haben Sie diese Stelle schon inne?
6. Wo lässt sich Ihre Stelle hierarchisch einordnen?
7. Worin bestehen ganz allgemein Ihre Aufgaben in dieser Unternehmensberatung?
8. Haben Sie vor Ihrer Tätigkeit als Unternehmensberater außerhalb dieser Branche gearbeitet? Wenn
ja, wie lange und bei welchem Unternehmen? Haben Sie dort mit Unternehmensberatungen zu-
sammengearbeitet?
Fragebogen Kunden
1. Welche Ausbildung(en) haben Sie?
2. Wie lange sind Sie schon berufstätig?
3. Bei welchem Unternehmen sind Sie derzeit tätig und wie lange?
4. An wie vielen Beratungsprojekten haben Sie bislang mitgearbeitet? In welchen Positionen?
5. Wie lautet Ihre Stellenbezeichnung und wie lange haben Sie diese Stelle schon inne?
6. Wo lässt sich Ihre Stelle hierarchisch einordnen?
7. Worin bestehen ganz allgemein Ihre Aufgaben in diesem Unternehmen?
8. Haben Sie selbst schon als Unternehmensberater gearbeitet? Wenn ja, wie lange? Bei welcher Un-
ternehmensberatung?
Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
Zusammenfassung
Ereignisse werden in den Sozialwissenschaften meist als ungeplante Phänomene und nicht
als Ziel oder Ergebnis intentionalen Handelns verstanden. Auch wenn sich insbesondere
die sozialwissenschaftlich orientierte Managementforschung für den Einfluss von Ereignis-
sen wie Krisen, Naturkatastrophen oder auch Großveranstaltungen auf Organisationen
und organisationale Felder interessiert, wird die Rolle des Managements solcher Ereignisse
typischerweise auf bestimmte Projektmanagementaufgaben reduziert und unter dem Be-
griff Event Management in Praxisratgebern oder spezifischen Fachzeitschriften behandelt.
In diesem Beitrag stellen wir eine strategische Sichtweise auf das Management von Ereig-
nissen vor. Dabei verbinden wir die umfassende Literatur zum Umgang mit unerwarteten
Ereignissen in organisationalen Feldern mit der wachsenden Literatur zu organisierten
Ereignissen, also Veranstaltungen wie Messen oder Kongresse. Wir arbeiten Parallelen und
Differenzen dieser beiden Literaturstränge heraus, indem wir Ereignisse nicht nur als tem-
porär und mithin kaum beeinflussbar auffassen, sondern als Abfolge einander überlappen-
der Aktivitäten und Prozesse, die auf Organisationen und Felder einwirken, aber gleichzei-
tig von diesen (re-)produziert werden. Es zeigt sich, dass die beiden Literaturstränge die
bewusste Einflussnahme auf die Ereignisentwicklung unterschiedlich konzeptionalisieren
und dabei voneinander lernen können. Studien zu organisierten Ereignissen würden von
einer stärkeren Berücksichtigung von Maßnahmen im Vorfeld und Lernprozessen im
Nachgang profitieren, wohingegen Forschungsbemühungen zu unerwarteten Ereignissen
gegenüber mikropolitischen Prozessen aufgeschlossener sein sollten.
Abstract
In social sciences, events are researched typically as unplanned occurrences rather than as
the outcome or target of deliberate management activities. Even though a number of
streams of management research have examined how events influence organizations and
organizational fields, the notion of event management is often equated with project man-
agement and mainly debated in professional publications. In the present paper, we propose
a strategic perspective of managing events by connecting the vast body of research on un-
expected environmental events such as crises or risks with emerging research on organized,
sometimes field-configuring events such as trade fairs and conferences. By understanding
events as sequences of overlapping activities and processes that affect organizations and
fields as much as being (re)produced by them, we compare and contrast these two strands
of literature in order to evaluate the role of management in different phases of an event’s
course. We find that both strands discuss similar dimensions of event enactment and con-
sequences, but that each strand neglects certain aspects of how events can be managed
because of its specific theoretical foundations. We argue that the literature on organized
events should cover the possibilities for participating organizations to prepare for and learn
from these venues, whereas research on unexpected events should become more sensitive
to the micro-political dimension of event enactment.
Table of Contents
1 Introduction: The Role of Events in Management Research
5 Conclusions
From Event Management to Managing Events 195
From a management perspective, the common denominator of these diverse studies is that
all the events they examine are temporally limited occurrences that, like other temporary
systems (Goodman/Goodman 1976), have a potentially broader impact on organizations
and organizational fields. This impact is predominantly described as disruptive, creating
risks for the routine operations of organizations such as supply chain exchanges (e.g.
Blackhurst et al. 2011), project implementation (e.g. Söderholm 2008), and the provision of
public services (Comfort/Kapucu 2006). However, events can also be perceived to be con-
structive by being capable of triggering innovation (e.g. Bower/Christensen 1995), learning
(e.g. Lampel et al. 2009), and institutional change (e.g. Hoffman 1999). Our aim in this paper
is to provide a better understanding of how different kinds of field-level events can be managed
by organizations before, during, and after their occurrence, because they are strategically rele-
vant for the development of organizations and the fields in which they are embedded.
We choose the term ‘field-level events’ to denote those events that occur outside the control
of individual organizations, but which may have a large impact upon both them and the
broader organizational field. An organizational field is defined as “a community of organi-
zations that partakes of a common meaning system and whose participants interact more
frequently and fatefully with one another than with actors outside of the field” (Scott 1994,
pp. 207-208). Based on the foregoing definition, therefore, we are not interested in everyday
events such as chats that take place over coffee or during a business lunch (e.g. Cabral-
Cardoso/Cunha 2003), which may be remarkable from the perspective of the individuals
concerned, but not at the organizational or field level. This understanding is based on the
workings of Sewell (1996, pp. 841-842), who stated that while the term ‘event’ can refer to a
happening or occurrence of any kind, the word is more commonly used to signify an occur-
rence that is remarkable, widely noted, or commented on by contemporaries.
196 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
The scholarly interest in how various kinds of field-level events impact on organizations
and organizational fields has grown in recent years. Despite a long research tradition (e.g.
Meyer 1982; Meyer et al. 1990), disruptive field-level events now seem to be more frequent
and wide-ranging in our highly globalized, interconnected, and technology-(inter)depen-
dent ‘world at risk’ (Beck 2009; see also Perrow 1984, 2011). Field-configuring events such
as international conferences are necessary for coordinating complex field-building process-
es such as the development of transnational policies (Hardy/Maguire 2010) and the defini-
tion of new technological standards (Garud 2008) among diverse and dispersed actors. Two
recent special issues (Lampel et al. 2009; Lampel/Meyer 2008) reflect this more pronounced
interest in both unexpected, disruptive and organized, field-configuring events. Based on
these developments, the present paper proposes a strategic perspective on managing events
that goes beyond the practical questions of how large-scale events can be set up, secured, or
evaluated that are examined typically under the label of event management (e.g. Bang et al.
2009; Bowdin et al. 2011; Delfmann et al. 2005; Getz 2012; Mossberg 2000; Silvers 2008).
We begin the present analysis by classifying the field-level events studied by management
researchers. We propose that a distinction between deliberately organized events and un-
expected events is useful because, although these two groups of events have largely differ-
ent causes, they demonstrate comparable characteristics regarding their enactment and
consequences. We then apply a process perspective to conceive events as sequences of
overlapping activities (Abbott 1992; Isabella 1990; Nigam/Ocasio 2010), and to compare and
contrast research on organized and unexpected field-level events by examining the role of
managerial agency in the different phases of their courses. On this basis, we discuss strate-
gies for actively managing events and outline several areas for further research. We con-
clude by discussing the advantages of a strategic rather than practitioner-oriented ‘manag-
ing events’-perspective.
2008). Events can thus be distinguished by the level of analysis at which they occur, and in
this paper we are only concerned with field-level and not organization-level events.
Other authors have proposed distinguishing events on the basis of their frequency. Howev-
er, while it may be possible to define what is a rare event based on probabilistic calculations
(e.g. fatal coal mining accidents that occur once every 250 years; Madsen 2009), it is often
necessary to study qualitatively how an event is interpreted and enacted in a specific con-
text in order to assess its rareness (Lampel et al. 2009; Weick et al. 2005). For example, for
firefighting organizations that specialize in responding to wild land fires (e.g. Desmond
2007; Weick/Sutcliffe 2007) an accident is not a rare event but rather a routine occurrence.
Accordingly, social constructivists argued that events need to be acknowledged as such in
order to have any real effect on their targets (Munir 2005; Ocasio 1997). Isabella (1990), for
instance, studied organizational events such as acquisitions or leadership successions that
were perceived to be exceptional by members of the organization in question. She argued
that such events trigger change because they unfreeze the cognitions and interpretations of
organizational members by unbalancing established routines and eliciting emotions that are
the foundation of transitions (Gersick 1989, 1991). By contrast, the Mann Gulch fire
(Weick/Roberts 1993) elicited established routines among the firefighters on duty, even
though they were disastrously ill-equipped to deal with the crisis at hand. Therefore, alt-
hough useful for understanding the course and impact of different events, such a highly
idiosyncratic differentiation of events based on an assessment of their rareness leaves little
room for any systematization of the vast body of research on events.
Lampel and Meyer (2008, pp. 1026-1027) provided six formal criteria for defining field-
configuring events: (1) actors from diverse backgrounds gather intentionally for (2) a lim-
ited duration (3) to communicate face-to-face in an (un)structured fashion at venues that
include both (4) ceremonial and dramaturgical activities and (5) occasions for information
exchange and collective sensemaking. As a result, (6) these events generate social and repu-
tational resources that can be deployed elsewhere and for other purposes. However, this
definition only applies to organized events and cannot be extended to include the literature
on unexpected events. Furthermore, through focusing on the structure and formal set-up of
organized events, this definition neglects the outcomes of field-configuring events, ranging
from catalyzing institutional change (Hardy/Maguire 2010) to stabilizing field structures
such as relationships over time (Anand/Watson 2004; Power/Jansson 2008).
Building on the findings of Giddens (1979), historical sociologists have suggested under-
standing events as prisms through which structuration processes – the interplay between
action and structure – can be observed (Griffin 1992). Nigam and Ocasio (2010, p. 824) ac-
cordingly argued that “events have duration and history and are best understood not as
instantaneous occurrences or happenstances, but as a sequence of overlapping activities
and processes that occur over time”. From this perspective, each event flows and unfolds in
different ways (Griffin 1992, p. 414), which can complicate classification. As a possible solu-
tion, Aminzade (1992) proposed categorizing events by their temporal characteristics such
as duration or pace.
198 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
For our purpose of explaining the management of field-level events, we suggest distin-
guishing events that are intentionally set up and exhibit characteristics of formal organiza-
tions such as conferences (i.e. ‘organized’ events) from unforeseen and unintended inci-
dents such as natural disasters (i.e. ‘unexpected’ events). In the crisis literature, a similar
differentiation has been made between human-induced and natural disasters (Pear-
son/Mitroff 1993), since the former are considered to be preventable and thereby lead to
higher public contempt and a possible loss of reputation (Reason 1990; Perrow 1984). How-
ever, even though organized and unexpected events are different phenomena, they share
important overlaps and conceptual similarities, especially regarding the high degree of
uncertainty associated with events, their disruptive characters, and their potential to trigger
change. The proposed classification thus allows us to explore these similarities in more
detail across the different theoretical traditions, as well as to identify the blind spots of each
strand of research that may be informed by such a systematic comparison.
How trade fairs and conferences influence organizations and organizational fields has also
been investigated in other research contexts such as business-to-business marketing
(Vos/Balfoort 1989). Borghini and colleagues (2006), for instance, argued that trade fairs
foster ongoing search processes among industrial buyers. In the field of economic geogra-
phy, Maskell and colleagues (2006) labelled trade fairs ‘temporary clusters’ because they
allow knowledge and market exchange processes to occur among a diverse set of actors,
similarly to those found in regional clusters. In particular, periodic trade fairs have become
central to global business relationships in that they offer a hub around which professionals
can organize their research, production, sales, and marketing activities (Power/Jansson
2008).
Furthermore, the economic impact of large events on local communities and hosting re-
gions has been explored in the context of tourism and event management research (Bram-
well 1997; Chalip/McGuirty 2004; Dwyer et al. 2005; Matheson 2002). Such studies offer
implications for (public) managers to decide whether and to what extent to invest into these
events (Crompton et al. 2001; Dwyer et al. 2000). In this literature, some studies also ven-
ture beyond analyzing solely the economic impact by taking account of the wider social
and community-related repercussions. For instance, previous authors have addressed the
learning networks generated as a by-product of the Manchester Commonwealth and
Olympic Games projects (Cook/Ward 2011) and the potential social benefits of hosting
large-scale events for local communities (Chalip 2006).
200 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
Finally, very few studies have considered events as temporary organizations (Kenis et al.
2009). In this scarce literature, Pipan and Porsander (2000) examined how two European
cities set up allegedly unique cultural events – the festivities in the run-up to the third mil-
lennium celebrated in Rome and the hosting of the Cultural Capital of Europe in Stockholm
in 1998 – and found that the actors involved actually used similar organizing processes. In
both cases, temporary hybrid organizations were supported by permanent ones and the
event management bridged multiple actors and actions in a situation of high uncertainty,
not least caused by limited funds and the absence of the knowledge and skills needed to
handle the task. Moreover, while these events were expected to change local structures,
they turned out “to be more embedded in the existing institutional order than the organiz-
ers would wish” (Pipan/Porsander 2000, p. 25). Likewise, Løwendahl (1995) explored the
organization of the Lillehammer Winter Olympic Games from a project management per-
spective, arguing that this project was highly imbued with uncertainty and not embedded
in a parent organization, making emergent organization necessary. Finally, Chen (2009)
investigated the organization behind the annual Burning Man event in the desert of Neva-
da and again stressed its reliance on the capacity of the local community to deal with the
uncertain and unpredictable task of setting up this temporary venue.
In sum, while the professional event management literature has typically focused on how
events are organized and on their economic effects, especially in the tourism domain (e.g.
Bang 2009; Chhabra et al. 2002; Getz/Andersson 2009), research on the framework of field-
configuring events has shifted the focus onto the micro-level, field-building activities of
event participants during such events. Organized field-level events can thus serve both
economic and institutional purposes.
We distinguish eight distinct debates in the literature on unexpected events. First, the pub-
lic management literature has studied how organizations deal with crises in order to restore
normal operations (Comfort 1988; Comfort/Kapucu 2006). The focus of these studies, in
which interest has risen since the 9/11 terrorist attacks, often lies on interorganizational
collaboration and coordination in response to crises (see Berthod et al. 2013 for an over-
view), including disease outbreaks (Moynihan 2008; Ondersteijn et al. 2006), political crises
(Allison/Zelikow 1999), and the provision of humanitarian aid (Nolte/Boenigk 2011).
Waugh and Streib (2006), for instance, reviewed empirical evidence from the United States
and found that the newly established Department of Homeland Security has caused severe
interagency coordination problems despite its overarching objective to protect the public
from terrorist attacks or alleviate the suffering caused by them (Perrow 2011). Similarly,
Lanzara (1983) investigated the aftermath of an unexpected earthquake in southern Italy
that caused widespread devastation and illustrated how spontaneous organizational forms
emerged, including a group of students who gathered together to offer support. Similar to
the studies of temporary organizing efforts for large-scale events mentioned earlier, the
author highlighted the often ephemeral, fuzzy, and ad hoc nature of the organizational
forms that respond to large-scale unexpected events.
202 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
Second, approaches that emanate from organizational and technological sociology explore
the wider societal implications of large-scale disasters and discuss reactive ‘damage control’
measures once an accident has occurred. Since the presentation of the findings of Quaran-
telli (1954), considered to be one of the founders of so-called catastrophe sociology, this
stream of the literature has remained sensitive to unexpected events. Perhaps most promi-
nently, Perrow (1984) formulated his ‘normal accident theory’ after participating in a spe-
cial commission set up by former U.S. President Carter after the nuclear power plant inci-
dent at Three Mile Island in 1979. Perrow (1984) suggested that technical failures in organi-
zations that deal with complex and hazardous technologies are inevitable because two key
sources of problems systematically lead to errors with potentially fatal consequences. These
two key sources are (i) complexity in the form of the unintended sequences of interactions
within and across complex technologies and (ii) tight coupling due to time-dependent pro-
cesses, invariant sequences of operations, a limited range of options to pursue a specific
objective, and a lack of slack. Both Beck (2009) and Giddens (1990) also speculated about the
general relationship between humankind and technology – especially lethal technologies
such as nuclear power plants – in modern society; however, they did not examine the rami-
fications for managing these events.
Fourth, technocratic approaches discuss how standards can be introduced or complied with
in order to deal with both potential and actual hazards. The risk management efforts of
multinationals, such as reporting on risk management processes as a part of the publication
of annual reports, reflect this approach (Parent/Reich 2009; Herbane 2010). Although such
instruments are often criticized as only being legitimizing devices (Power 2009; Power et al.
2009), the technocratic perspective has sensitized management to the strategically relevant
theme of unexpected events. By building on the weaknesses of current risk management
reporting, ‘business continuity management’ (Herbane 2010; Herbane et al. 2004) has been
developed as a more comprehensive perspective that takes account of organizational em-
beddedness. For instance, conducting periodic emergency training sessions and the con-
stant refinement of emergency plans represent two key suggestions of this literature (Crich-
ton et al. 2009; Herbane et al. 2004), which echo the practices of HROs (Weick/Sutcliffe
2007).
From Event Management to Managing Events 203
Fifth, research on supply chains is increasingly interested in disruptions (see Bode et al.
2011 for an overview), notably since 9/11 (Brindley 2004; Paulsson 2004; Ritchie/Brind-
ley 2007). This literature is often applied and design-oriented in nature, focusing on ways of
calculating risks ex ante and recommending how to prepare for such events (Chopra/Sodhi
2004; Kleindorfer/Saad 2005; Ram/Talluri 2009; Tang 2006; Zsidisin et al. 2004). Resilience, a
concept derived from the HRO literature, also plays a role in the literature on supply chains
(Blackhurst et al. 2011). Recommendations for building resilient supply chains center on
building up slack, organizational control systems, and cultural issues such as the empow-
erment of employees to be able to air concerns when they spot mistakes. These suggestions
are comparable to those made in the public management literature (Renn 2008; Sheffi 2007;
Sheffi/Rice 2005). By contrast, the interorganizational network literature more broadly dis-
cusses patterns of network change subject to alternative scenarios of unexpected environ-
mental variation (Koka et al. 2006; Madhavan et al. 1998). In these studies, events such as
technological change or the market entry of a competitor are seen as triggers for restructur-
ing networks, with both resultant benefits and disadvantages depending on the organiza-
tion’s position in the network. Beunza and Stark (2003), for instance, examined the role of
social networks among Wall Street traders after 9/11 and argued that by repositioning
themselves in damaged socio-technical networks, traders found ways in which to trade
despite severe technical and spatial disruptions (see also Stark 2009).
Sixth, and highly related, project management research explores how project managers
respond to unexpected events (Pich et al. 2002, Loosemore 1998a/b; Zhang 2007). Geraldi
and colleagues (2010), for instance, found three pillars that support the successful responses
of project managers to unexpected events, namely responsive organizational structures,
good interpersonal group relationships, and competent individuals. In particular, respon-
sive organizational structures can be provided by rapid top management involvement, the
deployment of resources, and the empowerment of project participants. Arriving at similar
results, Söderholm (2008) argued that empowered project managers who have flexibility in
project execution, in parallel with extensive meetings, frequent negotiations with stake-
holders, and the detachment of multiple project tasks, buffer projects against unexpected
events (e.g. change requests by clients).
Seventh, innovation management deals with unexpected events in the form of novel tech-
nologies by offering suggestions on when to adapt them (Bower/Christensen 1995) and on
whether to act as a technological leader or follower (Kim 1998). A central concern in this
regard is how organizations can build the capacity to react to such disruptions (Benner
2009).
Finally, institutional theorists have suggested that environmental events such as oil spills
and nuclear accidents (Hoffman/Jennings 2011; Hoffman/Ocasio 2001) as well as legal and
administrative changes (e.g. Hoffman 1999) serve as important triggers for change in organ-
izational fields. These studies built on earlier works, especially those by Meyer and col-
leagues (see Haveman et al. 2001; Meyer 1982; Meyer et al. 1990), who analyzed how dis-
ruptive events affect organizations and assessed their potential learning and change effects.
204 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
In sum, studies of unexpected events tend to address two overarching themes along a tem-
poral dimension: (i) preparing for and coping with these events as well as understanding
the limitations of their management and (ii) analyzing the causes, and learning from unex-
pected events by making sense of them and analyzing their aftermath. Most studies fall into
this latter category because it is difficult for researchers to study an unexpected event in
real time (Harding et al. 2002; Lampel et al. 2009).
Such a temporal differentiation can be inferred from the way in which previous manage-
ment research has addressed events. Isabella (1990), for instance, examined how managers
construct key events socially and found that the anticipation phase before an event needs to
be distinguished from the phases of confirmation and culmination when the event actually
occurs as well as from the event aftermath. Moreover, Pearson and Mitroff (1993) distin-
guished five phases of crisis management: signal detection, preparation and prevention,
containment and damage limitation, recovery, and learning. Similarly, Nigam and Ocasio
(2011) differentiated three phases of an event’s life course – anticipation, deliberation, and
retrospection – preceded by a baseline phase.
when the crisis started. When did the first patients become infected? When did the leading
public institution, the Robert Koch Institute, become aware of the outbreak? When did the
Robert Koch Institute inform the relevant federal ministries and when did they become
active? When was the public informed via the tabloids? Such a temporal delineation is
much easier in the case of organized events because at least formally, they have a clear
beginning and end point, often marked ceremonially by opening and closing celebrations
(e.g. Glynn 2008).
For simplification purposes, we structure our comparison around the three broad phases of
before, during, and after an event. Despite the difficulties of defining the beginning and end
point of each phase in the case of unexpected events, similar temporal distinctions are
found in most relevant research articles, so that we can group their findings relatively un-
ambiguously into one or more of these phases. The three temporal categories thus allow us
to ‘cut through’ the event literature in an unconventional way in order to identify blind
spots of the different strands of research as well as areas of mutual learning regarding the
role of management. The results of our comparison are presented in Table 1. The table
demonstrates that the literature on unexpected events is vast compared to emerging re-
search on field-configuring events, but also that the comparison of similarities and differ-
ences is insightful for both streams of research.
The literature on field-configuring events and trade fairs, for instance, has paid relatively
little attention to event preparation, preferring to focus on the processes that occur during
events and on their outcomes. Furthermore, whenever attention has been duly paid to
event preparation, studies have typically concentrated on event organizers (Anand/Jones
2008) and their interests (Zilber 2011). Zilber (2011), for instance, showed how the organiz-
ers of two high-tech conferences in Israel allocated different discourses to separate spaces at
the conference venue so that competing institutional logics were maintained rather than
challenged. Lampel (2001) also pointed out that product demonstrations, such as Steve
Jobs’ presentation of the NeXT computer, need to be staged ex ante as technological dramas
before the opening of a trade fair, exhibition, or press conference in order to achieve the
desired effect. Moreover, as McInerney (2008) reported from the field of nonprofit consult-
ing, the selection and invitation of key participants is an important task in the run-up to an
event. In the case of film festivals, Rüling and Strandgaard Pedersen (2010) discussed pro-
gramming, ticketing, and access control as important organizational tasks. Programming, in
the sense of screening and selecting keynotes or selected performances, is also essential for
206 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
large-scale industry events, during which strategic actors or institutional entrepreneurs can
influence the agenda (e.g. Dutton 1986). By shifting perspective somewhat to the partici-
pants of field-configuring events, Oliver and Montgomery (2008) further demonstrated
how those actors that came prepared to a Jewish lawyers’ meeting they studied had more
possibilities to influence the course of that meeting. Generally, though, the preparation
activities of participating organizations constitute a blind spot in the literature on field-
configuring events.
Preparation is also an issue of studies examining the organization of large events. Despite
studying entirely different fields and using different theoretical perspectives, Pipan and
Porsander (2000), Løwendahl (1995), and Chen (2009) each pointed to the uncertainty in-
herent in the task of organizing large-scale events. Specifically, they described setting up
temporary organizations (Kenis et al. 2009; Lundin/Söderholm 1995) and developing multi-
ple locally embedded network relationships as crucial to overcoming this uncertainty. In
these studies, as well as in the professional event management literature, event participants
are often involved in such organization as volunteers, but the question of how different
organizations strategically prepare for their participation in large events remains largely
overlooked.
Much can be learned by examining organizations that routinely deal with unexpected
events (Bechky/Okhuysen 2011; Weick/Sutcliffe 2007). Most prominently, Weick and Sut-
cliffe (2007) summarized the literature on HROs, suggesting that organizations should be
(1) preoccupied with failure (i.e. sensitive to near misses and early stages of detrimental
developments), (2) reluctant to simplify, (3) sensitive to operations that are dynamic and
nonlinear, (4) committed to resilience, and (5) deferent to expertise (i.e. temporarily ignore
From Event Management to Managing Events 207
hierarchical rank in favor of expertise from people running critical operations). Since the
works of previous authors have studied recurrent (non)events and near misses (March et al.
1991), the same strategies described above can slo be outlined for the phase after events.
In sum, whereas the unexpected event literature focuses heavily on how organizations can
prepare for events, the field-configuring event literature tends to concentrate on event or-
ganizers and neglects the perspective of diverse organizations affected by the event in the
preparation phase. At the same time, interesting similarities can be found between these
streams of literature regarding preparation activities. High levels of uncertainty, for in-
stance, require the establishment of security measures and the development of emergency
plans in both groups of events (Crichton et al. 2009; for a critical perspective in this regard,
see Clarke 1999). The importance of involving stakeholders to raise funds or awareness is
also discussed in both strands of research (e.g. Rüling/Strandgaard Pedersen 2010; Pear-
son/Mitroff 1993).
By applying a discursive perspective, McInerney (2008) argued that event participants can
use the temporally and spatially bounded space of an event to propagate their own narra-
tives while challenging those of competing actors. Hardy and Maguire (2010) also proposed
that the openness and boundedness of ‘discursive spaces’ (Hajer 1995) provided by field-
configuring events allow peripheral field actors to construct narratives that can influence
the outcomes of events such as international policy conferences. Dobusch and Schüßler
(2013) further described the regulatory propaganda found at German music industry con-
ferences, where competing coalitions voice their regulatory claims towards the public in-
stead of engaging in dialogue and debate with each other.
Möllering (2011) stressed that field-configuring events are important sites for ‘institutional
work’ (Lawrence/Suddaby 2006) because actors with different agendas can use these fo-
rums to create, maintain, or disrupt institutions in line with their self-interests. In contrast
to the pre-event phase, the field-configuring event literature focuses on the actions of par-
ticipants during events, largely overlooking discussion of the need for event organizers to
cope with unexpected occurrences. As an exception, Glynn (2008) mentioned the Centenni-
al Olympic Park bombing in Atlanta in 1996 as the kind of unexpected event organizers of
208 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
large-scale events need to cope with. Thus, insights from the project management literature
on unexpected events are clearly useful for shedding light on organizing practices during
field-configuring events.
In sum, the main difference between research on organized and unexpected events lies in
the strong focus on micro-political factors of field-configuring events research, whereas
unexpected events research incorporates a wider array of psychological, group-level, and
organizational dynamics. At the same time, important similarities and overlaps between
both strands of research exist. Most event-related literature discusses the role of interper-
sonal or interorganizational networks as resources for coping with and enacting events, and
as a main mechanism for change and adaptation (e.g. Kelley/Stark 2002; Stam 2010). Fur-
thermore, both field-configuring events research and the crisis literature mention temporal
constraints on decision-making during events. While these limitations are discussed as an
opportunity for creating consensus (e.g. Hardy/Maguire 2010), they are considered to be an
obstacle in the unexpected events literature (e.g. Pearson/Clair 1998). Finally, while field-
configuring events are seen typically as opportunities for collective sensemaking (Oli-
ver/Montgomery 2008), unexpected events initially trigger a breakdown in sensemaking
(Christianson et al. 2009).
case of music awards, for instance, award-winners typically enjoy an unusually high
amount of resources for creative projects and increased opportunities for performing in the
post-event phase (e.g. Gemser et al. 2008).
However, the literature on organized events is relatively silent on the role of management
regarding the phase after events. As an exception, Hardy and Maguire (2010) took a long-
term perspective on a series of field-configuring events in a transnational policy process
and studied not only field-level, but also organization-level responses after each of the five
conferences they studied. They found that organizations changed their relationships and
organizing activities in order to be more prepared for upcoming events. Similarly, Barbato
and Mio (2007) reported on how the Venice Biennale art exhibition has evolved over time
for the event organizers, and how changes in the accounting system have influenced man-
agement control mechanisms. Aside from these exceptions, however, the question of how
both event organizers and participants can learn from field-configuring events remains a
blind spot.
By contrast, the question of what organizations can learn from events and how they can
adjust their procedures is prominent in the unexpected events literature. Such research has
discussed opportunities for changing and learning (e.g. Lampel et al. 2009; Meyer 1982;
Meyer et al. 2005) and provided many insights from the debate about the roles of HROs
(Sheffi/Rice 2007; Sutcliffe/Vogus 2003; Weick et al. 1999; Weick/Sutcliffe 2007). For exam-
ple, based on a comparative retrospective analysis of different crises, Crichton and col-
leagues (2009) argued that organizations ought to reflect upon lessons learned by searching
for best practices. Towards this end, the authors identified a number of recurring themes
such as preparing for emergencies, taking care of near misses, and constantly communi-
cating with the public. In this way, organizations can also then rely on established connec-
tions when a similar incident occurs in the future (Kendra/Wachtendorf 2003). In the public
management literature, interagency coordination during a crisis has been shown to repre-
sent a vital activity (Boin and ’t Hart 2003; Comfort 1988; Moynihan 2008; Renn 2008). Final-
ly, the role of sensemaking as an enabler of change is also discussed in the post-crisis phase
(Christianson et al. 2009; for an overview, see Maitlis/Sonenshein 2010). This literature high-
lights the opportunities for temporarily suspending old cognitive patterns (see also Birk-
land 1998).
In both strands of research, critical perspectives have questioned the ability of events to
trigger changes and discussed boundary conditions for such changes and learning to occur.
In the field-configuring event literature, Schüßler and colleagues (2013) discussed how UN
climate summits have turned into sites of field maintenance in which diverse actors partici-
pate to pursue highly divergent goals, preventing rather than facilitating the construction of
a new transnational agreement to combat climate change. In the unexpected events litera-
ture, Elliott (2009) mentioned the repeated failure to learn from inadequate child protection
services and argued that a lack of integration between policymakers and practitioners re-
sults in barriers to practical change (see also Elliot/Smith 2006).
210 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
In sum, while research on both unexpected and organized events shares an interest in the
change potential of such disruptions, studies have discussed the contrasting consequences
for organizations in the phase after events. Whereas the field-configuring event perspective
directs attention towards the social and reputational resources that can be gained from
event participation, the unexpected event literature discusses the importance of learning
from events, of recovery, and of adjusting organizational structures and processes. Howev-
er, under certain conditions, especially when there is a lack of integration among diverse
actors and perspectives, such learning or field-level change may not occur.
Generally, studies of organized events have addressed primarily the pre-event phase from
a project management or normative perspective and have neglected the organization-level
learning and change effects that result from events in favor of a focus on field-level devel-
opments. In turn, studies of unexpected events recognize the causes of these events and
offer suggestions how to prepare and learn from them in order to become more resilient
and crisis-prepared.
Both kinds of field-level events tend to disrupt organizations, especially when they occur
rarely. It is therefore somewhat surprising that the field-configuring events literature in
particular has not paid more attention to how organizations can respond to organized
events, how they can learn or change their operations, how they can deal with the poten-
tially disruptive consequences, and how they can integrate attention to field-configuring
events into their strategic planning and organization development processes. Indeed, most
212 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
existing studies of field-configuring events have investigated how diverse field actors with
diverging interests have interacted at the spatially and temporally bounded site of the event
venue, and how institutional entrepreneurs have managed to shift dominant narratives in
line with their interests (e.g. McInerney 2008; Oliver/Montgomery 2008). What is missing is
closer attention to the processes that participating organizations engage in before and after
such events in order to prepare, mobilize resources, and implement and learn from the
event outcomes.
A process perspective on events, in which each phase of an event’s course is actively (and
possibly strategically) enacted (Nigam/Ocasio 2010) would thus also be useful for research
on field-configuring events, as it allows researchers to explore how organizations can pre-
pare to participate in such events and engage with the consequences. For instance, organi-
zations may decide strategically to decouple their positions presented at conferences from
their actual interests and conduct (Meyer/Rowan 1991). Similarly, they may also interact
with important stakeholders in the pre-event phase in order to develop frames of collective
action and mobilize resources (e.g. Benford/Snow 2000). The outcomes of field-configuring
events are often immediately strategically relevant to businesses as well as to nongovern-
mental organizations and policymakers, so participation in such events may yield strategic
advantages for the phase after events. The ITRS conferences outlined in Box I, for instance,
are highly political and consequential venues for the further development of the semicon-
ductor industry (Sydow et al. 2012).
From Event Management to Managing Events 213
Existing field-configuring events research on the ‘during event’ phase has focused on dis-
cursive processes and the construction of narratives that shape event outcomes. The crisis
literature has outlined a set of further mechanisms. In particular, we wish to highlight the
role of emotions as a driver of how organizational change is triggered in the case of unex-
pected events (e.g. Isabella 1990). Field-configuring events can also be highly emotional
arenas, and paying closer attention to how event organizers or participants can strategically
influence the emotional atmosphere of events in order to move interactions in a certain
direction would increase our understanding of how field-configuring events can unfreeze –
or refreeze – organizational fields.
These opportunities for further research result in part from the unclear theoretical founda-
tion of field-configuring events (Möllering 2011) and in part they highlight the fact that
many of the conceptual ideas put forward by Lampel and Meyer (2008) have not yet been
fully explored. The present discussion has not only helped specify more precisely further
research avenues for exploring organized field-level events, but has also pointed out rele-
vant theoretical approaches for understanding the mechanisms and processes at work be-
hind such events, not least those that stem from research on unintended events. Regarding
the comparison of different strands within research on organized events, the notion of event
organizing as institutional creation and maintenance work (Rüling 2011) could be a useful
perspective for the project management literature, since funding and support for an event
largely determines the degree to which the event is ‘taken for granted’.
Research on unexpected events builds on a long research tradition from multiple theoretical
angles. At the same time, with few exceptions, this field of research lacks sensitivity to the
inherently political nature of unexpected events, particularly in the phase during an event.
Indeed, most accounts of crisis management presume that unexpected events concentrate
the attention they attract and lead to the mobilization of the resources needed to mitigate
the harm inflicted and restore operations as quickly as possible (Birkland 1998). However,
large-scale unexpected events such as Hurricane Sandy or the EHEC outbreak suggest that
they represent contested terrain, in which actors exploit the leeway offered by these inci-
dents in line with their own agendas. We argue that in this vein, the literature on unex-
pected events can be informed fruitfully by research into the contested nature of organized
events. Not all actors necessarily interpret an unexpected event equally, and despite pulling
together in mitigating the event, they may pursue different interests. The time of a crisis
may thus be critical for institutional work or other forms of strategic agency, an aspect that
has been overlooked thus far in the coping-oriented literature on unexpected events. Fur-
214 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
ther, visible actors in the management of a crisis may gain social and reputational resources
(see Lampel/Meyer 2008), meaning that they aim to position themselves as crisis leaders,
which may influence their strategies. However, it is difficult to study micro-political agency
empirically during an unexpected event because researchers cannot plan studies about
unexpected events in advance, and comparatively less material is available ex post for the
organizational and field-level operations involved (Lampel/Meyer 2008; Harding et al.
2002; Lampel et al. 2009). Ethical concerns also often hinder authors from conducting re-
search in ‘hot spots’ such as politically unstable regions.
Finally, the interconnection between organized and unexpected events warrants further
examination, as the field-configuring potential of organized events seems to be at least
partially derived from their potential for serendipitous encounters (see Lampel 2011). By
contrast, the impact of organized events such as UN conferences that negotiate the regula-
tion of the use of dangerous pesticides (Hardy/Maguire 2010) may be preceded by unex-
pected events such as environmental accidents that unsettle existing structures and provide
a certain ‘readiness’ for a field-configuring impact. In turn, unexpected events such as
crowd crushes at soccer matches or the failure of child protection services (Elliott 2009;
Elliott/Smith 2006) are frequently followed up by public inquiries (i.e. staged venues in line
with our conception of organized events). Field-level or organizational change through
events may thus unfold over a series of both organized and unexpected events.
5 Conclusions
The aim of the present paper was to systematize current research on field-level events in
order to explain how organizations can strategically enact both organized and unexpected
events before, during, and after their occurrence. Our inquiry shows that despite the coex-
istence of several strands of event-related research, there has been little systematic compari-
son in previous studies – even though there are important conceptual similarities between
both groups of events, in that they are perceived as highly uncertain, unpredictable tempo-
rary phenomena with a potentially large-scale impact on organizations and organizational
fields. The comparison presented here has helped problematize some of the underlying
assumptions made by the literature reviewed (cf. Alvesson/Sandberg 2011), especially the
lack of attention to micro-politics that characterizes most research on unexpected events.
Furthermore, it has helped identify theoretical approaches as well as empirical questions to
elaborate further on the emerging concept of field-configuring events.
We have outlined several of the strategies available to organizations for attending to field-
level events, some of which cut across both groups of events. All these strategies go beyond
what is commonly understood as ‘event management’ and should be of relevance for or-
ganizations faced with an increasingly risky, technologically complex, and globally inter-
connected world, in which both organized and unexpected field-level events are of strategic
relevance.
From Event Management to Managing Events 215
Regarding unexpected events, managers should sensitize their employees to the (their)
contested nature and stress the potential reputational resources to be gained from crisis
management.
End notes
Both authors have contributed equally to the development of this paper. Author names are there-
fore in alphabetical order.
1 We gratefully acknowledge the constructive advice given by the handling editor Jochen Koch and
two anonymous reviewers, which has helped us to improve the paper substantially. Moreover, we
are grateful for the friendly reviews from Uli Meyer prior to submission and from Jörg Sydow after
the paper had been accepted.
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226 Gordon Müller-Seitz/Elke Schüßler
Peter Conrad, Studium der Betriebswirtschaftslehre (Dipl.-Kfm.) und der Psychologie (Dipl.-
Psych.), Promotion zum Dr. rer. pol. an der Freien Universität Berlin, langjährig als interner
und externer Berater für Industrie und Verwaltung mit den Schwerpunkten Personal, Or-
ganisation und Strategie tätig. Seit 1997 Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre
mit dem Schwerpunkt Personal an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Zahlreiche
Publikationen auf den Gebieten Human Resources Management, verhaltenswissenschaftli-
che Managementforschung, Management öffentlicher Verwaltungsbetriebe und Organisati-
onspsychologie. Derzeitige Forschungsschwerpunkte: strategisches Human Resources
Management, kritische Managementforschung, New Public Management/New Public Ser-
vices, Dienstleistungsmanagement, Organizational Citizenship Behaviour.
Simon Dischner, Studium der Soziologie an der Universität Bielefeld. Seit 2011 Wissenschaft-
licher Mitarbeiter am Lehrstuhl für BWL, insbes. Organisation und Personal an der Hein-
rich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen
Regeln und Regelsetzung in Organisationen sowie moderne Organisationsformen.
Stephanie Duchek absolvierte eine Ausbildung zur Bankkauffrau bei der Deutsche Bank AG
(2000-2002) und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
(2002-2007). Von 2007 bis 2012 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ma-
nagement-Department der Freien Universität Berlin und promovierte 2012 zum Thema
„Absorptive Capacity“. Forschungsinteressen: Innovationsmanagement, organisationale
Fähigkeiten und soziale Praktiken.
Stefan Klaußner ist derzeit Gastprofessor für International Business Administration an der
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Ausbildung zum Industriekaufmann bei
der Siemens AG (2000-2002), Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universi-
tät Berlin (2002-2007) sowie der Princeton University (2006-2007). Wissenschaftlicher Mitar-
beiter (2007-2012) und Promotion (2011) am Institut für Management der Freien Universität
Berlin. Derzeitige Forschungsinteressen: Führung, Gerechtigkeit in Organisationen, organi-
sationale Reflexion.
seine Habilitation 2012 zum Thema „Innovation, Wissen, Management – Beiträge zum
Nexus Organisation-Umwelt“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Gebieten
interorganisationales Netzwerk- und Projektmanagement. Darüber hinaus ist er als Lehr-
beauftragter an mehreren Hochschulen und in Unternehmen sowie als freiberuflicher Bera-
ter in einer wissenschaftsnahen Unternehmensberatung tätig.
Jörg Sydow, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin (Dipl.-
Kfm. 1978) und der Management Science am Imperial College of Science & Technology,
London (M.Sc. 1979); Promotion (1984) und Habilitation (1992) an der Freien Universität
Berlin; 1992-1996 Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Planung und Organisation,
an der Bergischen Universität Wuppertal; seit 1996 Professor für Allgemeine Betriebswirt-
schaftslehre, insbes. Unternehmenskooperation und zurzeit Gastprofessor an der Graduate
School of Business der Strathclyde University, Glasgow. Forschungsinteressen: Manage-
ment- und Organisationstheorie, strategische Unternehmenskooperation, Projekt- und
Innovationsmanagements sowie Industrielle Beziehungen.
In Vorbereitung und bereits erschienen
In Vorbereitung:
Managementforschung 24, 2014
hrsg. von Jörg Sydow, Dieter Sadowski und Peter Conrad
Arbeit eine Neubestimmung
Bereits erschienen:
Managementforschung 1, 1991
hrsg. von Wolfgang H. Staehle und Jörg Sydow
Selbstorganisation und systemische Führung
ISBN 3-409-11975-2
Inhalt:
Neuerungen durch selbstorganisierende Prozesse, H. Kasper
Unternehmungen als „autopoietische“ Systeme?, W. Kirsch & D. zu Knyphausen
Systementwicklung als Managementproblem, R. Klimecki, G.J. Probst & P. Eberl
Annäherungen an Informationsmanagement, H. Krcmar
40 Jahre „Work Activity“-Forschung, F. Schirmer
Der Managementprozeß – neu gesehen, G. Schreyögg
Ökonomische Analyse von Unternehmensnetzwerken, H. Siebert
Redundanz, Slack und lose Kopplung in Organisationen, W.H. Staehle
Entwicklung von Leitmotiven verhaltensorientierten Managementwissens, E. Walter-Busch
Managementforschung 2, 1992
hrsg. von Wolfgang H. Staehle und Peter Conrad
Flache Hierarchien und organisatorisches Lernen
ISBN 3-409-11976-0
Inhalt:
Betriebspolitische Aspekte des Bürokratieabbaus in Industrieunternehmen, K. Brünnecke,
Ch. Deutschmann & M. Faust
Verhaltenswissenschaftliche Ursprünge in der Betriebswirtschaftslehre, J. Deters
Unternehmenskultur und ökonomische Theorie, S. Föhr & H. Lenz
Auswirkungen globaler Informations- und Kommunikationssysteme auf die Organisation weltweit
tätiger Unternehmen, J. Griese
Betriebliche Qualifikationsstrategien und organisationales Lernen, P. Pawlowsky
Strategische Netzwerke und Transaktionskosten, J. Sydow
Vom Personalwesen zum Strategic Human Resource Management, W. Wächter
Managementforschung 3, 1993
hrsg. von Wolfgang H. Staehle und Jörg Sydow
Autonomie, Flexibilität und Effizienz
ISBN 3-409-11977-9
Inhalt:
Mitbestimmung und logistische Kette, W. Däubler
Management Buyouts, J. Drukarczyk
Zur Flexibilisierung der betrieblichen Beschäftigungs- und Entgeltpolitik, H.-D. Hardes & P. Grünzinger
Ökonomik und Ethik als Grundlage organisationaler Beziehungen, A. Löhr & M. Osterloh
Industrieökonomik und Strategieforschung, M. Minderlein
Akquisitionsmanagement als Organisation des Wandels, G. Müller-Stewens & J. Spickers
Soziologie des Managements: Eine Prozeßperspektive, G. Schienstock
Effizienz und Autonomie in Zuliefernetzwerken, K. Semlinger
Managementforschung 4, 1994
hrsg. von Georg Schreyögg und Peter Conrad
Dramaturgie des Managements – Laterale Steuerung
ISBN 3-409-11978-7
Inhalt:
Zur Ästhetisierung des Managements, O. Neuberger
Die Mentalität des Managers, K.P. Hansen
Konzernmanagement durch Kontextsteuerung, H. Naujoks
„Lean“ – Zur rekursiven Stabilisierung von Kooperation, G. Ortmann
Verhandlung und Struktur, K. Sandner & R. Meyer
Risikoallokation im Arbeitsvertrag, K. Pull
Abgang von Top Managern in turbulenten Zeiten, T.J. Gerpott
Managementforschung 5, 1995
hrsg. von Georg Schreyögg und Jörg Sydow
Empirische Studien
ISBN 3-409-11979-5
Inhalt:
Störungen zwischenbetrieblicher Kooperation, E. Endres & Th. Wehner
Ausbreitung und Auswirkungen von Electronic Data Interchange, A. Picot, R. Neuberger & J. Niggl
Personelle Verflechtung als Ressourcenmanagement, G. Schreyögg & H. Papenheim-Tockhorn
Neue Managementkonzepte und industrielle Beziehungen, K. Dörre & J. Neubert
Produktivitätsfolgen (über-)betrieblicher Interessenvertretungen, B. Frick
Mittlere Manager in Deutschland und Großbritannien, P. Walgenbach & A. Kieser
Modern times für Frauen im Management?, U. Schumm-Garling, R. Martens & U.L. Fischer
Betriebliche Weiterbildung in kleinen und mittleren Unternehmen, H. Wagner, M. Wehling &
M. Weingärtner
Managementforschung 6, 1996
hrsg. von Georg Schreyögg und Peter Conrad
Wissensmanagement
ISBN 3-409-11980-9
Inhalt:
Wissensmanagement im Unternehmen, J. Rehäuser & H. Krcmar
Organisatorische Intelligenz, H. Oberschulte
Cognitive Mapping, J.M. Lehner
Organisationales Lernen und Macht, A. Hanft
Interorganisationales Lernen, C. Prange
Wissensintensiv durch Netzwerkorganisation, J. Sydow & B. van Well
Arbeit und Wissen im Produktentstehungsprozeß, I. Lippert, U. Jürgens & H. Drüke
Dimensionen des Wissensmanagements, H. Willke
Managementforschung 7, 1997
hrsg. von Georg Schreyögg und Jörg Sydow
Gestaltung von Organisationsgrenzen
ISBN 3-409-11981-7
Inhalt:
Systemrationalisierung an ihren Grenzen – Organisationsgrenzen und Funktionen von Grenzstellen in
Wirtschaftsorganisationen, V. Tacke
Die Gestaltung von Systempartnerschaften zwischen Automobilherstellern und ihren Zulieferern –
eine spieltheoretische Analyse, M. Kleinaltenkamp & H. Wolters
Vertrauen und Macht in zwischenbetrieblichen Kooperationen – zur Rolle von Wirtschaftsrecht und
Wirtschaftsverbänden in Deutschland und Großbritannien, R. Bachmann & C. Lane
In Vorbereitung und bereits erschienen 233
Managementforschung 8, 1998
hrsg. von Dietrich Budäus, Peter Conrad und Georg Schreyögg
New Public Management
ISBN 3-409-11982-5
Inhalt:
Von der bürokratischen Steuerung zum New Public Management – Eine Einführung,
D. Budäus
New Public Management – Theoretische Grundlagen und problematische Aspekte der Kritik,
S. Borins & G. Grüning
Benchmarking in der öffentlichen Verwaltung. Anwendungspotentiale und Grenzen aus theoretischer
und empirischer Sicht, W. Burr & H. Siedlmeier
Interkommunale Kooperation in der Region: Auf der Suche nach einem neuen Steuerungsmodell,
D. Rehfeld & J. Weibler
Verwaltungsmodernisierung als Machtspiel. Zu den heimlichen Logiken kommunaler Modernisie-
rungsprozesse, J. Bogumil & L. Kißler
Human Resource Management – Auswirkungen des New Public Management auf ein zeitgemäßes
Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung, W. A. Oechsler & S. Vaanholt
Zur Konzeption wirkungsorientierter Planung und Budgetierung in Politik und Verwaltung,
Th. Haldemann
Industrielles Produkt- und Prozeßdesign für Verwaltungs-Dienstleistungen, W. Kraemer,
A. Köppen & A.-W. Scheer
Managementforschung 9, 1999
hrsg. von Georg Schreyögg und Jörg Sydow
Führung neu gesehen
ISBN 3-409-11983-3
Inhalt:
Führung als Schlüssel zur organisationalen Lernfähigkeit, W.R. Müller & M. Hurter
Arbeitsengagement aus freien Stücken: Zur Rolle der Führung, H.W. Bierhoff & M.J. Herner
Zur Entwicklung interpersonalen, interorganisationalen und interkulturellen Vertrauens durch Füh-
rung – Empirische Ergebnisse der sozialpsychologischen Vertrauensforschung, W. Neubauer
Führung und Interaktionsstrukturen, S. Föhr
Charisma in Organisationen – Zum Stand der Theorienbildung und empirischen Forschung, J. Steyrer
Charismatische Momente und Trajekte – Das Projekt als Plattform charismatischer Führung, D. Blutner,
U. Holtgrewe & G. Wagner
Rebellion in der Organisation – Überlegungen zu einer Führungstheorie des radikalen Wandels,
P. Eberl, J. Koch & R. Dabitz
Führung in Netzwerkorganisationen – Fragen an die Führungsforschung, J. Sydow
Von der Episode zum fortwährenden Prozeß – Wege jenseits der Gleichgewichtslogik im Organisatori-
schen Wandel, G. Schreyögg & Ch. Noss
Organisationales Lernen – Zur Integration von Theorie, Empirie und Gestaltung, R. Klimecki,
H. Laßleben & M. Thomae
Entwicklung, Evolution oder Archäologie? Ansätze zu einer postmodernen Theorie des organisatori-
schen Wandels, D. Holtbrügge
Organisationaler Wandel als konstruktive Destruktion, J. Deeg & J. Weibler
Jenseits der Machbarkeit – Idealtypische Herausforderungen tiefgreifender unternehmerischer Wan-
delprozesse aus einer systemisch-relational-konstruktivistischen Perspektive, J. Rüegg-Stürm
Evaluation in Veränderungsprozessen, S. Hornberger
Strategie, Management und hierarchische Organisation – Barrieren organisationalen Wandels am
Beispiel der Wirtschaftskrise in Südkorea, M. Pohlmann
Zur Komplementarität von strategischer Planung und organisationalem Lernen – Eine strukturations-
theoretische Sicht auf die Strategie- und Lernfähigkeit von Organisationen in dyadischen Handlungs-
feldern, Daniela Menzel
Der Einfluss affektiver Zustände auf den strategischen Entscheidungsfindungsprozess,
Theresa Michl, Isabell M. Welpe, Matthias Spörrle & Arnold Picot
Mobilizing Intra-Organizational Relationships – The Challenge of Corporate Venture Capital,
Dodo zu Knyphausen-Aufseß, Ingo Rauser & Lars Schweizer
Open Windows: Shaping Information Technology as a Continuous Organizational Process,
Georg Schreyögg & Leo Schmidt
Ambidexterity in Familienunternehmen – Die Top-Management-Familie als Innovationsinkubator,
Hermann Frank, Wolfgang Güttel & Daniela Weismeier-Sammer
Strategisches Pfadmanagement: „Beyond Path Dependence“, Stephan Duschek
Herausgeberbeirat: Albrecht Becker (Universität Innsbruck), Peter Eberl (Universität Kassel), Torsten J. Gerpott (Universität Duisburg-Essen), Axel
Haunschild (Leibniz-Universität Hannover), Werner Hoffmann (Wirtschaftsuniversität Wien), Dirk Holtbrügge (Universität Erlangen-Nürnberg),
Ulrich Jürgens (Wissenschaftszentrum Berlin), Peter Kappelhoff (Universität Wuppertal), Helmut Kasper (Wirtschaftsuniversität Wien), Friedemann
Nerdinger (Universität Rostock), Sigrid Quack (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und Universität zu Köln), Dieter Sadowski (Universität
Trier), Bernd Schauenberg (Universität Freiburg), Frank Schirmer (TU Dresden), Antoinette Weibel (Universität Konstanz), Jürgen Weibler (FernUni-
versität in Hagen) und Uta Wilkens (Universität Bochum).