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Innovations-Management
Hans Dietmar Bürgel (em.) · Diana Grosse
Cornelius Herstatt · Hans Koller
Christian Lüthje · Martin G. Möhrle Hrsg.
Jens Lehnen
Integration von
Lead Usern in die
Innovationspraxis
Eine empirische Analyse
der praktischen Anwendung
des Lead User-Ansatzes
Forschungs-/ Entwicklungs-/
Innovations-Management
Edited by
H. D. Bürgel (em.), Stuttgart, Germany
D. Grosse, Freiberg, Germany
C. Herstatt, Hamburg, Germany
H. Koller, Hamburg, Germany
C. Lüthje, Hamburg, Germany
M. G. Möhrle, Bremen, Germany
Die Reihe stellt aus integrierter Sicht von Betriebswirtschaft und Technik Arbeits-
ergebnisse auf den Gebieten Forschung, Entwicklung und Innovation vor. Die
einzelnen Beiträge sollen dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen und die For-
derungen der Praxis auf Umsetzbarkeit erfüllen.
Edited by
Professor Dr. Hans Dietmar Bürgel Professor Dr. Hans Koller
(em.), Universität der Bundeswehr Hamburg
Universität Stuttgart
Professor Dr. Christian Lüthje
Professorin Dr. Diana Grosse vorm. de Technische Universität Hamburg-
Pay, Harburg
Technische Universität Bergakademie
Professor Dr. Martin G. Möhrle
Freiberg
Universität Bremen
Professor Dr. Cornelius Herstatt
Technische Universität
Hamburg-Harburg
Integration von
Lead Usern in die
Innovationspraxis
Eine empirische Analyse
der praktischen Anwendung
des Lead User-Ansatzes
Mit einem Geleitwort von
Univ. Prof. Dr. oec. publ. Cornelius Herstatt
Jens Lehnen
Hamburg, Deutschland
Springer Gabler
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017
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Hierzu führt er zunächst intensive Literatur-Analysen durch, die erste Hinweise auf
unterschiedliche Verständnisse und Anwendungen der Methode in der Praxis im
Kontrast zu den Empfehlungen der „theoretischen“ Literatur geben. In Rahmen einer
Direktbefragung (quantitative Online-Befragung, n=249) kann er die Bekanntheit des
Ansatzes, die Erfolgsfaktoren bzw. Herausforderungen sowie praktische Erfahrungen
und etwaige Prozessänderungen herausarbeiten. Dabei stellt sich heraus, dass die
befragten Unternehmen den Lead User-Ansatz zwar positiv bewerten, jedoch jedes
zweite Unternehmen den theoretischen Prozess anpasst bzw. ändert.
lich entwickelt er Grundlagen für eine Best Practice-Betrachtung. Hierzu leitet er für
jede Phase Voraussetzungen, Ziele und Aufgaben ab. In diesem Zusammenhang
stellt er auch nützliche Checklisten für die jeweiligen Phasenübergänge auf, um die
Zielerreichung regelmäßig überprüfen zu können. In der Summe resultiert eine Er-
weiterung der Lead User-Methode, die sowohl in theoretischer wie praktischer Hin-
sicht sehr wertvoll ist. Daher ist die Lektüre der Arbeit von Jens Lehnen sowohl für
Innovationsforscher wie auch Innovationspraktiker relevant.
Die erfolgreiche Vollendung dieser Dissertation wurde erst durch die Unterstützung
meiner Betreuer, Kollegen, Freunde und Familie möglich gemacht.
Insbesondere geht mein Dank an Herrn Prof. Dr. Cornelius Herstatt. Er hat mir durch
seine Unterstützung in den vergangenen Jahren gezeigt, was der Begriff Doktorvater
wirklich bedeutet. Fachliche Diskussionen und Gespräche haben nicht nur meine
Dissertation, sondern auch mich persönlich bereichert. Für die große Unterstützung
sowohl als Doktorvater als auch Chef bin ich sehr dankbar.
Weiterhin möchte ich mich bei meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Christoph Ihl, be-
danken. Auch durch ihn habe ich immer wieder Unterstützung sowie inspirierendes
Feedback erhalten und konnte mich jederzeit an ihn wenden - dafür ganz herzlichen
Dank!
Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kersten gilt mein großer Dank für die Übernahme des Prü-
fungsvorsitzes meiner Dissertation. Seine freundliche, sachliche Art ist die beste Me-
dizin gegen die unausweichliche Nervosität bei der Verteidigung.
Beim gesamten TIM-Team möchte ich mich zunächst für die große fachliche Unter-
stützung bedanken. Das Teilen von Erfahrungen und Wissen lässt einen so manche
fachliche oder bürokratische Hürde nehmen und ist daher ungemein wertvoll. Vor
allem möchte ich mich jedoch für die großartige Zeit am TIM bei allen Kollegen be-
VIII Vorwort
danken. Nicht nur die zahlreichen Gespräche, Mittags-/Kaffeepausen und Feiern in-
nerhalb der Uni, sondern sämtliche Teamevents (Bruzzelhütte, Poetry-Slam, Thea-
ter, Grill-, Fußball- und Ruderabende) haben diese Zeit zu einem unvergesslichen
Erlebnis gemacht. Mein besonderer Dank gilt Thorsten Pieper für seinen Support bei
der Erstellung dieser Arbeit.
Neben den Kollegen waren meine Freunde eine enorme Unterstützung - Alexander,
Buschi, Daniel, Hauke, Ina, Jan Schulz, Paddy, Philip, Scheng, Sonja und Tom seien
hier stellvertretend für alle bisherigen Weggefährten genannt. Auch wenn man sich
aufgrund der großen Entfernungen nur selten sehen kann, weiß ich doch immer,
dass ich auf euch zählen kann.
Möglich gemacht hat diese Promotion jedoch erst meine Familie, die mich Zeit mei-
nes Lebens unterstützt hat. Meinen drei Schwestern (inkl. zunehmenden Anhang)
danke ich für die Unterstützung und tolle Zeit, die wir miteinander verbracht haben
und noch verbringen werden. Meinen Tanten Maria und Gertrud sowie insbesondere
Oma Grete danke ich für all die Fürsorge, Bewirtung und Herzlichkeit in all den Jah-
ren. Vor allem aber gebührt mein Dank meinen großartigen Eltern. Ohne euch wäre
ich heute nicht das, was ich bin. Diese Arbeit sei euch gewidmet.
Neben einer tollen Zeit, vielen Freunden und diesem Doktortitel hat Hamburg mir vor
allem meine wunderbare Freundin Claudia gebracht, der mein abschließender Dank
gilt. Danke, dass du mich immer unterstützt und auch an schlechten Tagen für mich
da bist. Durch dich ist Hamburg zu einer richtigen Heimat geworden.
2.5 Wissenstransfer als Erklärung der Defizite zwischen Theorie und Praxis...... 52
2.5.1 Wissen .................................................................................................... 53
2.5.2 Wissensmanagement ............................................................................. 54
2.5.3 Wissenstransfer ...................................................................................... 56
Abbildung 39: Zuordnung des Lead User-Ansatzes zu den Innovationsphasen .... 180
Abbildung 40: Agile/stage-gate hybrid for lead user projects .................................. 182
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Innovationsprozess nach Thom (1980) .................................................... 15
Tabelle 2: Vor- und Nachteile der Kundenintegration ............................................... 19
Tabelle 3: Chancen der Integration von Lead Usern ................................................ 28
Tabelle 4: Risiken der Integration von Lead Usern ................................................... 29
Tabelle 5: Studien zum Lead User-Ansatz ............................................................... 38
Tabelle 6: Autoren in Theorie und Praxis ................................................................. 44
Tabelle 7: Überblick der unterschiedlichen Wissensarten ........................................ 54
Tabelle 8: Barrieren und Lösungsansätze der Ebenen Sollen und Wollen ............... 62
Tabelle 9: Barrieren und Lösungsansätze der Ebenen Können und Kennen ........... 63
Tabelle 10: Vor und Nachteile quantitativer/qualitativer Datenerhebung .................. 75
Tabelle 11: Vor- und Nachteile internetgestützter Befragungen ............................... 78
Tabelle 12: Vor- und Nachteile qualitativer Fallstudienanalysen .............................. 80
Tabelle 13: Interviewteilnehmer der Experteninterviews .......................................... 87
Tabelle 14: Auswahl der Umfrageteilnehmer ............................................................ 99
Tabelle 15: Umfrageteilnehmer .............................................................................. 104
Tabelle 16: Organisation der Lead User-Projekte................................................... 115
Tabelle 17: Unterschiede zwischen Theorie und Praxis ........................................ 129
Tabelle 18: Prozess Fallstudienanalyse nach Eisenhardt (1989) und Yin (2009) ... 134
Tabelle 19: Überblick der durchgeführten Fallstudieninterviews............................. 138
Tabelle 20: Kritikpunkte und Verbesserungen am Lead User-Ansatz .................... 169
Tabelle 21: Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Praxis ........................... 175
Tabelle 22: Best Practice für die Projektorganisation und Zieldefinition ................. 185
Tabelle 23: Best Practice für die Bedürfnis- und Trendidentifikation ...................... 186
Tabelle 24: Best Practice für die Identifizierung der Lead User .............................. 187
Tabelle 25: Best Practice für Workshop und Konzeptentwicklung .......................... 188
Tabelle 26: Best Practice für Evaluierung und Implementierung ............................ 189
Abkürzungsverzeichnis
BSP Business Source Premier
Bsp. Beispiel
bspw. beispielsweise
bzw. beziehungsweise
B2B Business-to-Business
B2C Business-to-Consumer
ca. circa
d.h. das heißt
et al. et alii (und andere)
etc. et cetera
f. folgende Seite
ff. folgende Seiten
ggf. gegebenenfalls
i.d.R. in der Regel
inkl. inklusive
IP Internet Protokoll
ISI Institute for Scientific Information
J&J Johnson & Johnson
k.A. keine Angabe
KMUs kleine und mittelständische Unternehmen
o.g. oben genannte
S. Seite
sic VƯFHUDWVFULSWXP
SPSS Statistical Package for the Social Sciences
TIM Technologie- und Innovationsmanagement
u.a. unter anderem
vgl. vergleiche
vs. versus
z. Bsp. zum Beispiel
1 Einleitung: Forschungsfeld und Ablauf
Der Innovationsbedarf für Unternehmen ist heutzutage so groß wie nie, die Fähigkeit
zu innovieren für die langfristige Existenz von Organisationen essenziell (Bullinger
2010). Die Wirtschaft reagiert mit stetig steigenden Innovationsausgaben. So betru-
gen die im Jahr 2014 aufgebrachten Innovationsmittel deutschlandweit 145 Milliarden
Euro (Rammer et al. 2016). Dabei investierten allein die deutschen Fahrzeugbauer
über 47 Milliarden Euro und stellen damit die Branche mit der höchsten Innovations-
intensität (10%) dar. 1 Durch die hohe Innovationskraft liegt Deutschland im Innovati-
onsindikator 2015 auf dem fünften Platz hinter der Schweiz, Singapur, Finnland und
Belgien, ist im Vergleich zu den großen Volkswirtschaften (bspw. USA, Großbritanni-
en) jedoch führend (Frietsch et al. 2015). 2 Den hohen Stellenwert von Innovationen
verdeutlicht auch die strategische Bedeutung innovationsfördernder Maßnahmen.
Alle 30 DAX-Unternehmen definieren Innovationen als einen wesentlichen Bestand-
teil ihrer Unternehmensstrategie. 3 So definiert bspw. SAP (2016) im Rahmen der
Unternehmensstrategie: „Innovationen bringen einst unerreichbare Ziele in greifbare
Nähe und revolutionieren damit ganze Branchen.“ Innovationen sind jedoch nicht nur
als strategischer Aspekt von Bedeutung. Auch in der Werbung ist der Begriff in aller
Munde: Aufregend innovativ (VW), Global network of Innovation (Siemens), Empo-
wered by Innovation (NEC), Value from Innovation (Fujifilm), Leading Innovation
(Toshiba) oder Living Innovation (Merck) sind nur einige von zahlreichen Slogans,
die mit dem Innovationsbegriff werben.
Doch wie können Innovationen entwickelt werden? Und wie können gerade solche
Innovationen entwickelt werden, die tatsächlich den zukünftigen Kundenbedürfnissen
entsprechen? Schließlich kaufen Kunden längst nicht mehr unbedingt das, was die
Unternehmen als innovative Erfindungen bewerben. Die Liste vom Markt nicht ak-
zeptierter Produkte und Dienstleistungen ist dementsprechend lang (Enkel et al.
2005). Um dieses Risiko zu vermindern, können Kunden in die Neuproduktentwick-
lung integriert werden - schließlich sind sie diejenigen, die eine Innovation kaufen
sollen (Herstatt et al. 2001). Besonders hilfreich sind dabei Lead User, die stellvertre-
tend für den Markt in den Innovationsprozess einbezogen werden können.
1 Innovationsintensität ist der Anteil der Innovationsausgaben am Umsatz (Rammer et al. 2016).
2 Kleinere, besser platzierte Nationen können sich vergleichsweise einfacher spezialisieren.
3 Untersucht wurden alle Geschäftsberichte des Jahres 2015 der 30 DAX-Unternehmen.
von Innovationen eine elementare Aufgabe für Unternehmen dar (Füller et al. 2009;
Goffin et al. 2009; Reichwald et al. 2009). Gleichzeitig steigen die Misserfolgsraten
für Markteinführungen neuer Produkte und Dienstleistungen (Bauer 2006; Cooper
2002; Enkel et al. 2005). Nach Pikkemaat und Weiermair (2009) scheitern bis zu
70% der am Markt eingeführten Innovationen. Auch Bruhn und Stauss (2009) bestä-
tigen eine Misserfolgsrate von 70% und geben als Grund an, dass viele der potenzi-
ellen Kunden keinen Nutzen in dem neuartigen Produkt bzw. der neuen Dienstleis-
tung sehen, die Innovationen daher nicht massentauglich sind. Reichwald et al.
(2007) stellen fest, dass abhängig von der Branche 50 bis 90% aller Innovationen
scheitern. Kreutzer und Merkle (2008) erkennen, dass 75% der Fast Moving Consu-
mer Goods i.d.R. scheitern. Bei neu entwickelten Parfums sowie Musiktiteln beträgt
diese Rate sogar bis zu 98% (ebd.).
Gemäß dem Open Innovation-Ansatz nach Chesbrough (2003) haben die meisten
Unternehmen daher erkannt, dass die Innovationskraft innerhalb der Organisation
nicht mehr ausreicht (Bartl 2010; Chesbrough 2003; Dahlander und Gann 2010;
Reichwald et al. 2009). Stattdessen werden das Wissen und die Kreativität der Per-
sonen genutzt, die die Innovation am Ende kaufen sollen: der Kunden (Enkel 2005;
Goffin et al. 2009; Jensen et al. 2014). Nijssen et al. (2012) stellen entsprechend
fest, dass etwa 30% aller Produkt- und Prozessinnovationen in Europa in Zusam-
menarbeit mit Kunden entwickelt werden - Tendenz steigend. Dass Kunden bzw.
Nutzer eine enorme Innovationskraft besitzen, wurde insbesondere durch die For-
schung Eric von Hippels zum Themenbereich der Nutzerinnovationen (User Innova-
tion) nachgewiesen (Franke et al. 2006; Herstatt und von Hippel 1992; von Hippel
2005a, 1988, 1986, 1976). 4 Demnach existieren zahlreiche Nutzer, die mit dem An-
gebot des Marktes nicht zufrieden sind (Bogers und West 2012; Lettl et al. 2006a;
von Hippel 2005a). Produkte und Dienstleistungen, die deren Bedürfnisse befriedi-
gen, existieren nicht (Lüthje und Herstatt 2004; von Hippel 1986). Anstatt langwierig
auf die Entwicklung passender Lösungen durch die Unternehmen zu warten, werden
viele Nutzer selbst innovativ tätig (Bogers et al. 2010; Flowers und Henwood 2010;
Morrison et al. 2000). So weisen de Jong und von Hippel (2009) nach, dass 54% der
untersuchten niederländischen Hightech-Unternehmen Nutzerinnovationen weiter-
entwickeln. Shah (2000) zeigt, dass sogar 58% der Innovationen im Extremsportbe-
reich von Nutzern entwickelt werden. Im Bereich der wissenschaftlichen Instrumente
4 Für seine erste grundlegende Veröffentlichung im Jahr 1976 führte von Hippel eine Studie in
der Halbleiterindustrie durch und stellte dabei fest, dass fast immer der Nutzer innovativere,
passgenauere Lösungen entwickelt: „We have seen that for both major and minor innovations in
the field of scientific instruments, it is almost always the user, not the instrument manufacturer,
who recognizes the need, solves the problem via an invention, builds a prototype and proves
the prototype’s value in use“ (von Hippel 1976, S. 227).
Themenfeld und Relevanz 3
(Chemie) wurde nachgewiesen, dass immerhin 44% der Innovationen von Nutzern
entwickelt werden (Riggs und von Hippel 1994). 5
Für Unternehmen sind die von Nutzern entwickelten Innovationen deshalb so wert-
voll, weil sie bereits existieren und nicht erst aufwendig entwickelt werden müssen
(Franke und Shah 2003; Urban und von Hippel 1988). Zudem werden diese Produkte
mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch von anderen Nutzern angenommen (Bo-
gers et al. 2010; Jeppesen und Laursen 2009). Fortschrittliche Nutzer, deren Bedürf-
nisse stellvertretend für den Markt sind und die solche Bedürfnisse frühzeitiger erfah-
ren, werden als Lead User bezeichnet (von Hippel 1986). Nach der grundlegenden
Definition durch von Hippel (1986) verspüren Lead User (I) „Bedürfnisse, die sich
zukünftig am Markt durchsetzen werden und dies wesentlich früher als die breite
Masse der Anwender“ (Wagner und Piller 2011, S. 8). 6 Zudem profitieren Lead User
(II) „frühzeitig in starkem Maße von Innovationen, die diese Bedürfnisse erfüllen kön-
nen. Daher werden sie oft selbst aktiv und erarbeiten Lösungen oder aber sind ge-
neigt, mit Unternehmen für die Erarbeitung einer Lösung zu kooperieren“ (ebd.). Das
Potenzial von Lead Usern wurde durch verschiedene Studien bestätigt (Eisenberg
2011; Franke et al. 2006; Hienerth und Lettl 2011; Lettl et al. 2008; Morrison et al.
2000; Urban und von Hippel 1988). 7
5 Für eine ausführlichere Übersicht ausgewählter Studien zu Nutzerinnovationen sei auf Franke
et al. (2006), Lüthje und Herstatt (2004), Schreier und Prügl (2008) oder Wellner (2015) verwie-
sen.
6 Wagner und Piller (2011) bieten eine angemessene Übersetzung der englischsprachigen Defi-
nition von Hippels. Die Definition als Originalzitat findet sich in Kapitel 2.3.1.
7 Eisenberg (2011) weist bspw. nach, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit von Lead User-Ideen
um 14% höher ist als bei Ideen von Nicht-Lead-Usern. Es wird darüber hinaus nachgewiesen,
dass die Neuheit sowie die strategische Relevanz der Lead User-Ideen deutlich höher ist. Eine
umfangreiche Übersicht relevanter Lead User-Studien findet sich in Kapitel 2.3.5.
4 Einleitung: Forschungsfeld und Ablauf
Die zugrundeliegende Problemstellung bezieht sich daher auf die Analyse der Um-
setzung des Lead User-Ansatzes in der Praxis mit Fokus auf die Erfolgsfaktoren und
Herausforderungen sowie dem angewandten Prozess. Dabei sollen wesentliche Fra-
gen zur Integration von Lead Usern in der Praxis beantwortet werden, z. Bsp.: Ist die
Methode überhaupt bekannt? Sind die Unternehmen offen für die Integration von
Lead Usern? Welche Gründe führen zur Ablehnung des Lead User-Ansatzes? Sind
die Unternehmen zur Anwendung in der Lage oder existieren etwaige Probleme?
Gibt es Weiterentwicklungen und Verbesserungen (bspw. des Prozesses) in der Pra-
xis, von denen auch die Theorie profitieren könnte? Welche Voraussetzungen, Auf-
gaben und Ziele existieren je Projektphase? Wie können Lead User-Projekte effekti-
ver in den Innovationsprozess eingebettet und die Ergebnisumsetzung gewährleistet
werden? Eine empirische Studie zur Beantwortung dieser Fragen ist bisher nicht
vorhanden, wird jedoch, wie die nachfolgenden Kapitel verdeutlichen, sowohl von der
Theorie als auch seitens der Praxis gefordert (Franke et al. 2006; Lilien et al. 2002;
Olson und Bakke 2001). Als übergeordnete Forschungsfrage wird daher definiert:
Wie ist die Implementierung von Lead Usern in die Innovationspraxis nach 30 Jahren
Lead User-Forschung zu beurteilen?
Ziel der Arbeit ist dementsprechend, durch Analyse der praktischen Umsetzung des
Lead User-Ansatzes, Erfahrungen aus der Praxis zu erarbeiten und darauf aufbau-
end den Ansatz weiterzuentwickeln. Neben empirischen Studien zur Analyse der Im-
plementierung des Lead User-Ansatzes soll schließlich eine Best Practice (inkl. Vo-
raussetzungen, Zielen und Aufgaben je Phase) für die Umsetzung erarbeitet werden.
Um eine effiziente Implementierung der durch die Lead User-Integration entwickelten
Vorgehensweise und Aufbau 5
Ergebnisse zu gewährleisten, wird zudem die detaillierte Einbettung des Lead User-
Ansatzes in den übergeordneten Innovationsprozess angestrebt.
1 2 3 4
Forschungslücke Quantitative Analyse Qualitative Analyse Implikationen
Umsetzung Praxis Online-Befragung Fallstudien Theorie und Praxis
Literaturanalyse Experteninterviews
Tiefeninterviews Weiterentwicklung
Theorie (Fragebogen)
n=17 Lead User-Ansatz
n=133 n=7
Literaturanalyse Online-
Best Practice für
Praxis Fragebogen
Unternehmen
n=255 n=249
Zunächst wird im Rahmen der Vorstudie durch eine Analyse wissenschaftlicher Pub-
likationen der Forschungsstand zur Lead User-Theorie erfasst. Eine weitere Litera-
turanalyse mit Fokus auf praxisorientierte Fachartikel zeigt erste Erkenntnisse zur
Umsetzung des Ansatzes in der Praxis. Dadurch werden Unterschiede zwischen
Theorie und Praxis verdeutlicht und die Forschungslücke bestätigt. Nach der Erläute-
rung der Methodik wird die empirische Analyse in Form einer Online-Befragung so-
wie Tiefeninterviews durchgeführt. Die Resultate der empirischen Studien werden
schließlich in Form einer Weiterentwicklung des Lead User-Ansatzes umgesetzt. Zu-
letzt werden Implikationen für Wissenschaft und Praxis (bspw. Best Practice für Lead
User-Projekte) abgeleitet.
Der detaillierte Aufbau der Arbeit wird in Abbildung 2 dargestellt. Die wesentlichen
Inhalte der acht Kapitel werden anschließend erläutert.
8 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf dem fünfstufigen Forschungsablauf nach Atteslander
(2008, S. 17): 1. Problembenennung, 2. Gegenstandsbenennung, 3. Durchführung, 4. Analyse,
5. Verwendung.
6 Einleitung: Forschungsfeld und Ablauf
• Ableiten von vier wesentlichen Forschungsfragen auf Basis der Wissenstransferebenen sowie
3 Forschungsfragen
der durchgeführten Vorstudien
• Online-Befragung (n=249) zur Analyse der Bekanntheit des Ansatzes, der Offenheit der
5 Quantitative Studie
Unternehmen sowie praktischer Erfahrungen (Herausforderungen, Prozessänderungen etc.)
• Experteninterviews (n=17) zur detaillierten Analyse praktischer Erfahrungen mit Fokus auf die
6 Qualitative Studie
Prozessänderungen (Gründe, Folgen, Anpassungen etc.)
7 Diskussion und Umsetzung • Weiterentwicklung des theoretischen Prozesses und Einordnung in den Innovationsprozess
der Ergebnisse • Kombination mit agilen Projektmanagement/Stage Gate sowie Erstellung Best Practice
8 Fazit, Implikationen und • Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse sowie Implikationen (Theorie und Praxis)
Limitationen • Limitationen und Ausblick
Die Arbeit ist in acht Kapitel aufgeteilt. Nach dem Einleitungskapitel wird im zweiten
Kapitel (Stand der Forschung) die theoretische Einordnung der Begriffe Innovation,
Nutzerinnovation (User Innovation) sowie Lead User vorgenommen (Kapitel 2.1 bis
2.3). Dazu wird eine Literaturanalyse von 133 wissenschaftlichen Publikationen
durchgeführt. Um die Umsetzung des Ansatzes in der Praxis auf Basis von Sekun-
därdaten (Literatur) zu überprüfen, wird eine weitere Literaturanalyse (n=249) mit
Fokus auf praxisorientierte Fachartikel (bspw. in den Zeitschriften absatzwirtschaft
oder VDI nachrichten) durchgeführt. Dabei werden Unterschiede (Verständnis, Pro-
zess etc.) zwischen Theorie und Praxis erkannt. Als eine Ursache für dieses unter-
schiedliche Verständnis von Lead Usern sowie die abweichende Umsetzung des
Lead User-Ansatzes in der Praxis kann die Wissenstransfertheorie herangezogen
werden. So stellt die Integration von Lead Usern in die Neuproduktentwicklung einen
Wissenstransfer zwischen dem Lead User und dem Unternehmen dar, der durch
verschiedene Einflussfaktoren erschwert werden kann. Zudem kann die praktische
Umsetzung dieser Methodik als Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis be-
zeichnet werden. Demnach werden im Rahmen des Theoriekapitels ebenfalls die
Grundlagen der Wissenstransfertheorie definiert und die vier Ebenen des Wissens-
transfers (Kennen, Können, Sollen, Wollen) erläutert (Kapitel 2.5).
Auf Basis der im zweiten Kapitel definierten Wissenstransferebenen werden im drit-
ten Kapitel die Forschungsfragen abgeleitet. Die Ebenen Kennen, Können, Sollen
und Wollen bilden die relevanten Fragestellungen der Untersuchung ab. Entspre-
chend werden Forschungsfragen zur Bekanntheit des Ansatzes (Kennen), der Of-
fenheit zur Anwendung (Wollen/Sollen), der Qualifikation in den Unternehmen (Kön-
nen) sowie deren Erfahrungen und Weiterentwicklungen definiert.
Im vierten Kapitel wird das angewandte Forschungsdesign erläutert und dessen
Auswahl begründet. Im Rahmen dieser Arbeit wird eine Kombination quantitativer
(Online-Befragung) und qualitativer (Fallstudienanalyse) Forschung gewählt, um von
beiden Erhebungsformen zu profitieren und die zuvor definierten Forschungsfragen
ausführlich beantworten zu können.
Eine eher deskriptive Analyse der Bekanntheit, Offenheit, der wesentlichen Er-
folgsfaktoren und Barrieren sowie etwaiger Prozessänderungen wird im Rahmen der
quantitativen Studie (Online-Befragung) im fünften Kapitel durchgeführt. Dazu wer-
den 249 kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) aus dem deutschsprachi-
gen Raum befragt. Die relevanten Inhalte des Fragebogens werden zuvor durch sie-
ben Experteninterviews abgeleitet.
Die Erkenntnisse der Online-Befragung dienen als Ausgangsbasis für die detaillierte
Fallstudienanalyse mit Fokus auf den Lead User-Prozess im sechsten Kapitel. Dazu
werden 17 Interviews mit Unternehmensmitarbeitern als auch Lead Usern durchge-
führt. Diese qualitative Studie ermöglicht eine detaillierte Identifizierung der relevan-
ten Probleme bei der Umsetzung des Lead User-Ansatzes sowie wichtiger Beson-
derheiten aus der Praxis. Ein fokussierter Aspekt ist die Analyse der Weiterentwick-
lungen des Ansatzes sowie deren Gründe und Auswirkungen, um auf dieser Grund-
lage Lösungsansätze entwickeln zu können.
Zur Lösung der identifizierten Probleme bei der Integration von Lead Usern wird der
theoretische Prozess im siebten Kapitel an die Forderungen und Bedürfnisse der
Praxis angepasst (Kapitel 7.1). Als Reaktion auf die im Rahmen der empirischen
Studien identifizierte Implementierungsproblematik wird eine Einordnung des Lead
User-Ansatzes in den Innovationsprozess vorgenommen (Kapitel 7.2). Die Flexibilität
von Lead User-Projekten wird durch Anwendung des agilen Projektmanagements
sowie der Kombination mit dem Stage Gate-Prozess in Kapitel 7.3 erhöht. Schließ-
lich wird zur Verbesserung der praktischen Anwendung ein Leitfaden (Best Practice)
inkl. Voraussetzungen, Aufgaben, Zielen und Checklisten entwickelt. In Kapitel 7.5
werden letztlich die vier Forschungsfragen beantwortet.
Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse (Kapitel
8.1) sowie Implikationen für Theorie und Praxis (Kapitel 8.2 und 8.3) im achten Kapi-
tel. Zudem werden Limitationen bewertet und ein Ausblick auf zukünftige Forschung
im Themenfeld der Lead User-Theorie gegeben (Kapitel 8.4).
2 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Im Rahmen des ersten Teils dieses Grundlagenkapitels (Kapitel 2.1 bis 2.3) wird zu-
nächst eine Definition des Innovationsbegriffs erarbeitet, die als Basis und einheitli-
ches Verständnis für die Analysen innerhalb dieser Arbeit dient. Danach werden In-
novationstreiber erläutert, die die steigende Notwendigkeit der Innovationsentwick-
lung verdeutlichen. Der Grundlagenteil zu Innovationen schließt mit einer Erläuterung
des Innovationsmanagements sowie einer Übersicht der grundlegenden Innovati-
onsprozesse. Kapitel 2.2 stellt den Fokus dieser Arbeit auf von Produktanwendern
entwickelte Innovationen dar. Eine Spezialisierung im Bereich dieser Nutzerinnovati-
onen sind das Auftreten sogenannter Lead User (von Hippel 1986), die in Kapitel 2.3
definiert werden. Im weiteren Verlauf wird die für die systematische Integration von
Lead Usern in die Neuproduktentwicklung entwickelte Lead User-Methode vorge-
stellt. Basierend auf einer Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen mit Fo-
kus auf den Lead User-Ansatz werden Weiterentwicklungen des Lead User-Ansatzes
analysiert. Diese werden in die Kategorien Technologie, Ökologie und Organisation
eingeordnet. Zudem werden abweichende Definitionen sowie Weiterentwicklungen
des Lead User-Verständnisses in der Praxis aufgeführt und ein Überblick über vor-
handene Lead User-Studien erarbeitet (Kapitel 2.3.5). Im Rahmen einer weiteren
Literaturanalyse praxisorientierter Veröffentlichungen werden erste Unterschiede und
Besonderheiten aus der Praxis erkannt.
Der zweite Theorieteil (Kapitel 2.4) beinhaltet die Grundlagen zur Wissenstransfer-
theorie, die die Unterschiede zwischen Theorie und Praxis erklärt. Diese dienen als
theoretische Basis für die Analyse der Wissens- und Lösungsgenerierung durch die
Integration von Lead Usern. Dabei werden die Begriffe Wissen, Wissensmanage-
ment und -transfer definiert und die Ebenen des Wissenstransfers erläutert.
10 Die 1997 erschienene Version von Schumpeters Werk ist die neunte Auflage des Originalwerks
von 1912 und ist ein unveränderter Nachdruck.
Vahs und Burmester (1999) weisen der Innovation die wesentlichen Merkmale Neu-
heitsgrad, Unsicherheit, Komplexität und Konfliktgehalt zu. Den Definitionen (Gass-
mann und Sutter 2013; Hauschildt und Salomo 2011; Herstatt und Verworn 2007;
Pleschak und Sabisch 1996; Vahs und Burmester 1999) gemein ist folgende, für die-
se Arbeit abgeleitete Charakterisierung des Innovationsbegriffs: 13
Innovationen sind neuartige wirtschaftliche, technische, soziale und organisatorische
Problemlösungen, die sich in Form neuer Produkte oder Dienstleistungen von einem
Vergleichszustand unterscheiden und eine marktliche Anwendung erfahren.
2.1.1 Innovationstreiber
(1)
Techno-
logischer
Fortschritt
(5) (2)
Veränderte Kürzere
Kunden- Produkt-
bedürfnisse laufzeiten
Innovations-
bedarf
(4)
(3)
Verändertes
Verschärfter
Geschäfts-
Wettbewerb
umfeld
13 Weitere Übersichten zum Innovationsbegriff finden sich bspw. bei Albers (2005), Hauschildt und
Salomo (2011) oder Siller (2010).
14 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Cooper (2002) sowie Goffin et al. (2009).
12 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
200
156
150
100
82
69
50
50 36 38
23
16 17
10 6 10 6
4
0
-6
-13 -16 -14
-29
-50 -35
Bevölkerung insgesamt Unter 20 Jahre 20 bis 64 Jahre 65 Jahre und älter 80 Jahre und älter
Die Bevölkerungszahl in Deutschland wird bis zum Jahr 2050 insgesamt um 16%
fallen. Bemerkenswert ist dabei die Veränderung der Altersstrukturen. Die Anzahl der
unter 20-Jährigen sinkt um 35%, die der Personen zwischen 20 und 64 Jahren um
29%. Stattdessen steigen die Zahlen in der älteren Bevölkerungsgruppe bis 80 Jahre
stark an (38%). Für die Bevölkerungsgruppe 80 Jahre und älter wird eine Zahl von
zehn Millionen prognostiziert. Dies bedeutet einen Anstieg von 156%. Der Anteil der
über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird gemäß der Prognose somit von
ca. 5% im Jahr 2007 auf 15% im Jahr 2050 ansteigen. Dies ist eine für die Wirtschaft
elementare Entwicklung, da neue Produkte und Dienstleistungen auf diese neuen
Altersstrukturen angepasst werden müssen. Desweiteren trägt der technologische
Fortschritt zu einer Veränderung der Kundenwünsche bei (Eisenberg 2011; Füller et
15 Quelle: Prognose des demografischen Wandels nach Altersgruppen bis 2050 von Statista
(Spectaris 2016).
14 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
al. 2009). Durch kürzere Produktlebenszyklen erwarten die Kunden stets neue Tech-
nologien, die zunehmend heterogener werden (Reichwald und Piller 2006). Sofern
Unternehmen die Kundenbedürfnisse nicht durch ihre Produkte und Dienstleistungen
befriedigen können, suchen sich diese andere Anbieter, was durch die Globalisie-
rung verstärkt wird (Franke et al. 2006). Mittlerweile ist es Kunden möglich, von na-
hezu jedem Ort der Welt Produkte zu erhalten, sodass das Angebot und dadurch der
Marktdruck weiter wachsen (Munkelt und Stippel 1998). Die Entwicklung und der zu-
nehmende Gebrauch des Internets16 als Kommunikations- und Bestellplattform ver-
stärken diesen Faktor.
Aufgrund der dargestellten Treiber sowie weiterer externer Einflüsse (Politik etc.) ist
die Einführung von Innovationen für Unternehmen essenziell (Fust et al. 2011). Zur
strukturierten Umsetzung dieser Entwicklungen ist ein effizientes Innovationsmana-
gement notwendig.
16 Der Anteil der weltweiten Haushalte mit Internetzugang stieg laut Statista (2016a) von 14% im
Jahr 2002 auf 52% im Jahr 2016.
17 Brockhoff (1999) definiert: „Forschung und Entwicklung sind Aktivitäten, die in einen umfassen-
deren Innovationsprozeß eingebettet sind. Sie können in mehreren Institutionen ablaufen. Ihr
Erfolg ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Markterfolg der daraus
erwachsenden Neuerungen. Sie werden von Bedürfnissen oder Bedürfnisvermutungen stark
angeregt“ (Brockhoff 1999, S. 47).
Der Innovationsbegriff im Unternehmenskontext 15
führung der neuen Produkte und Dienstleistungen zur Aufgabe (Pleschak und Sa-
bisch 1996). Ziel des Innovationsmanagements ist also nicht nur die Beschaffung
neuen Wissens, sondern darüber hinaus dessen Umsetzung in Innovationen, die
schließlich zum Markterfolg führen sollen (Gassmann und Sutter 2013; Hauschildt
und Salomo 2011). Zudem hat Innovationsmanagement weitere unternehmerische
Aufgaben wie die Motivation der Mitarbeiter sowie Schaffung einer positiven Unter-
nehmenskultur (Goffin et al. 2009). Die Erfolgsmessung ist daher kaum auf Basis
existierender Kennzahlen möglich, stattdessen müssen Innovationsaktivitäten so
ausgerichtet werden, dass deren zukünftige Markteinführung erfolgversprechend ist
(Hauschildt und Salomo 2011). 18 Demnach muss der Innovationsmanager von den
neuartigen Produkten und Dienstleistungen überzeugt sein. Aufgabe des Innovati-
onsmanagements ist dabei die systematische, effiziente Steuerung des Innovations-
prozesses: „Innovationsmanagement ist die bewusste Gestaltung des Innovations-
systems, also der innovierenden Institution und aller Innovationsprozesse“ (Meffert et
al. 2012, S. 371).
18 Die Ausrichtung auf zukünftige Ereignisse und Markterfolge ist ein sehr wesentlicher Faktor:
„Der Innovationsmanager arbeitet mit einem erwarteten Innovationserfolg, nicht mit einem reali-
sierten“ (Hauschildt und Salomo 2011, S. 22).
19 Verworn und Herstatt (2000) entwickeln einen oft zitierten Überblick über Prozessmodelle im
deutsch- und englischsprachigen Raum. Darin sind bspw. die unterschiedlichen Generationen
(1 bis 3) des Stage-Gate-Prozesses nach Cooper enthalten.
16 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Als frühe Phasen des Innovationsprozesses (fuzzy front end) werden die Ideengene-
rierung und -bewertung (Phase 1) sowie Konzepterarbeitung und Produktplanung
(Phase 2) bezeichnet (Herstatt und Verworn 2007). Diese Phasen „umfassen alle
Aktivitäten vom ersten Impuls bzw. einer sich ergebenden Gelegenheit für ein neues
Produkt bzw. eine neue Dienstleistung bis zur Go-No-Go-Entscheidung zur Umset-
zung des Konzeptes und somit Aufnahme der eigentlichen Entwicklung des Produk-
tes bzw. der Dienstleistung“ (ebd., S. 8) und haben einen besonderen Stellenwert
innerhalb des Innovationsprozesses. In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen,
20 Oftmals wird der Innovationsprozess als Trichterform dargestellt, bspw. bei Meffert et al. (2012),
um die Auswahl und Selektion der Ideen auf die erfolgversprechendsten Ideen zu visualisieren.
21 Quelle: Herstatt und Verworn (2007, S. 9).
Der Innovationsbegriff im Unternehmenskontext 17
dass die frühen Phasen das Projektergebnis wesentlich mitbestimmen (Cooper 1990;
Verworn 2005). Deutlich wird dies an relevanten Kennzahlen. Zwar wird in diesen
Phasen nur sehr wenig des eigentlichen Produkts tatsächlich umgesetzt und nur 5
bis 7% der Gesamtkosten verbraucht. Jedoch werden 75 bis 85% der Produktle-
benskosten festgelegt, zudem werden ca. 70% der Qualität durch die frühen Innova-
tionsphasen beeinflusst (Herstatt und Verworn 2007). Eine realistische, detaillierte
Planung eines Produktentwicklungsprojekts wirkt sich daher wesentlich auf das Er-
gebnis aus. Daher sollten frühzeitig die beteiligten Personen aus verschiedenen Un-
ternehmensabteilungen sowie sämtliche verfügbaren Informationen in die Planung
eingebunden werden (Gundlach et al. 2010). Die Projektverantwortlichen müssen mit
ausreichenden Kompetenzen sowie Freiräumen ausgestattet werden (Gassmann
und Sutter 2013). Einen wesentlichen Einfluss auf das Projektergebnis hat zudem die
in den frühen Innovationsphasen stark ausgeprägte Unsicherheit (Enkel et al. 2005;
Gassmann et al. 2010b). Ausgiebige Informationsbeschaffung sowie die Definition
klarer Vorgaben, bspw. in Bezug auf die Produktspezifikationen und -eigenschaften,
verringern das Risiko von Prozessabweichungen und Nacharbeiten. Diese Negativ-
faktoren wirken sich insbesondere in den späteren Innovationsphasen aus und kön-
nen eine deutliche Zunahme der Kosten sowie Projektdauer bewirken (Verworn
2005). Deutlich macht dies eine Studie von Bullinger (1990), bei der nachgewiesen
wurde, dass etwa ein Drittel der Kosten für die Produktentwicklung vermeidbar sind.
Eine weitere, in Theorie und Praxis oftmals angewandte Form des Innovationspro-
zesses stellt der Stage-Gate-Prozess nach Cooper (2001) dar (Abbildung 6):
Discovery
Idea
Gate 1
Screen
Second Go to Go to Go to
Screen Development Testing Launch
Post-Launch
Review
Der Ablauf, bestehend aus fünf Stufen (Stages), ähnelt den zuvor genannten Innova-
tionsprozessen (Cooper 2002). Vor der ersten Stufe wird bereits eine Discovery-
22 Quelle: Cooper (2001, S. 130). Stage-Gate-Prozess der dritten Generation von 2001. Die erste
Generation wurde bereits 1960 als phased review process entwickelt, die zweite Generation
1990 (ebd.).
18 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Phase zur Identifizierung von bisher unentdeckten Möglichkeiten und Ideen durchge-
führt. Daraufhin werden die fünf Phasen durchlaufen (Cooper 2001):
1) Scoping: Erster, schneller Überblick über das Projekt (hauptsächlich Analyse
von Sekundärdaten)
2) Build Business Case: Eine genauere Vorbereitung und Begutachtung des Pro-
jekts inkl. Erhebung und Analyse von Sekundärdaten zur Ermittlung der Pro-
jektdefinition bzw. -begründung sowie Erstellung eines Projektplans
3) Development: Tatsächliche Umsetzung bzw. Entwicklung des neuen Produkts
Verbunden sind die Phasen durch einzelne Tore (Gates). Nur wenn die Aufgaben
und Ziele einer Phase erreicht wurden, wird in die folgende übergeleitet. Dadurch
wird vermieden, dass Aufgaben unerledigt bleiben oder nicht zufriedenstellend
durchgeführt werden (Cooper und Sommer 2016).
Welcher Innovationsprozess angewandt wird, ist von den jeweiligen Rahmenbedin-
gungen (Unternehmen, Produktart, Branche etc.) abhängig (Gassmann et al. 2005;
Verworn und Herstatt 2000). Die Integration von Kunden ist dabei vorteilhaft, um
möglichst kundennahe Innovationen entwickeln zu können.
Um den Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden und das Marktrisiko von Neu-
produktentwicklungen dadurch von Beginn an zu vermindern, integrieren Unterneh-
men fortschrittliche Kunden in den Innovationsprozess (Chesbrough 2003; Herstatt
und Verworn 2007; Kristensson et al. 2008; Sandmeier und Wecht 2004; von Hippel
1988). Insbesondere in den frühen Innovationsphasen können Nutzer eines Produkts
bzw. einer Dienstleistung erfolgreich in den Innovationsprozess einbezogen werden,
indem sie wertvolle Ideen und Wissen generieren (Chesbrough 2003; Franke et al.
2006; Gemser und Perks 2015; Gruner und Homburg 2000). Dadurch können die
dargestellten Risiken der frühen Phasen verringert werden (Ihl und Piller 2010). Es
sollen möglichst viele kreative Ideen gesammelt werden. Eine Evaluation seitens des
Unternehmens ist zunächst jedoch nicht sinnvoll, um die Ideenentwicklung nicht zu
beeinflussen (Herstatt und Verworn 2007). Tabelle 2 veranschaulicht Vor- und Nach-
teile der Integration von Kunden in den Innovationsprozess:
Der Innovationsbegriff im Unternehmenskontext 19
Vorteile Nachteile
Nutzung des Wissens sowie der Kreativität der Finanzieller und zeitlicher Aufwand für die Su-
Kunden (Lerneffekt) che und Integration der Kunden
Orientierung an den Bedürfnissen der Kunden Geistiges Eigentum (Wem gehören die Ideen?)
Zukunftsorientierung
23 Vor- und Nachteile in alphabetischer Reihenfolge, daher keine Wertung der jeweiligen Aspekte.
Basierend auf Baldwin und von Hippel (2011), Cohen und Levinthal (1990), Enkel et al. (2005),
Gassmann et al. (2010a), Herstatt und Verworn (2007), Ihl und Piller (2010), Piller (2006),
Reichwald et al. (2007).
20 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Primärdaten
Quantitative Qualitative
Sekundärdaten
Daten Daten
Conjoint-
Audits Empathic Design
Analyse
Innovations-
Literaturanalyse Toolkits
communities
Virtuelle
Reportanalyse Lead User-Ansatz
Konzepttests
24 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Herstatt und Verworn (2007), Kaulio (1998), Piller
und Walcher (2006), Sekaran und Bougie (2010) sowie Sreejesh et al. (2014). In alphabetischer
Reihenfolge.
Lead User als spezielle Form der Nutzerinnovationen 21
Nach Creusen et al. (2013) sind die Durchführung von Interviews sowie die Analyse
von Fokusgruppen die meistgenutzten Methoden zur Kundenintegration. 25 Auch die
Durchführung von Umfragen wird häufig angewandt. Der im Rahmen dieser Arbeit
fokussierte Lead User-Ansatz wird vergleichsweise selten genutzt und wird der quali-
tativen Datenerhebung zugeordnet. Durch ihre Fähigkeit, frühzeitig zukünftige Kun-
denbedürfnisse des Marktes erfahren zu können, sind Lead User in den frühen Inno-
vationsphasen ideale Quellen insbesondere radikaler Ideen (Churchill et al. 2009;
Gemser und Perks 2015; Lilien et al. 2002) und stellen eine besondere Form der
Nutzerinnovationen dar (Herstatt und von Hippel 1992; von Hippel 1988).
Innerhalb der Theorie der Nutzerinnovationen 26 wird davon ausgegangen, dass Nut-
zer zunehmend für sich selbst innovieren (Baldwin und von Hippel 2011; Franke et
al. 2006). Der Begriff Nutzer umfasst dabei sowohl Unternehmen als auch Einzelper-
sonen, die entweder von Produkten oder Dienstleistungen Gebrauch machen (von
Hippel 2005a). Es stellt sich die Frage, warum Nutzer selbst innovieren statt auf die
Angebote des Marktes zurückzugreifen? Das Marktangebot ist der ausschlaggeben-
de Punkt und letztlich die Motivation der Nutzer, selbst aktiv zu werden (Haefliger
2009; Sandmeier und Wecht 2004). 27 Sie werden nämlich genau dann innovativ tä-
tig, wenn seitens des Marktes keine Produkte oder Dienstleistungen vorliegen, die
ihre Bedürfnisse befriedigen (Bilgram et al. 2008; Bogers und West 2012; Franke et
al. 2006). Bekannte Beispiele dafür sind das Mountainbike, Surf- oder Skateboard
(Hienerth und Lettl 2011). In diesen Fällen wurde das Bedürfnis der Sportler nach
Nervenkitzel und Action nicht ausreichend durch die am Markt erhältlichen Produkte
befriedigt. Sie innovierten selbst und erstellten bspw. ein robustes, für das Fahren im
Gelände geeignetes Mountainbike (Lüthje et al. 2005).
Bei der Interaktion zwischen Unternehmen und Nutzern werden zwei Arten von In-
formationen unterschieden: Bedürfnis- und Lösungsinformationen (Herstatt und von
25 Die Autoren unterscheiden zwischen Methodenanwendung in den frühen sowie späten Innova-
tionsphasen. Interviews und Fokusgruppen sind in beiden Phasen die meistgenutzten Metho-
den (Creusen et al. 2013).
26 Im englischsprachigen Raum werden Nutzerinnovationen mit User Innovation bezeichnet. Auch
der Großteil der Literatur (insbesondere von Hippel) verwendet diesen Begriff. Aufgrund der
deutschen Sprache dieser Arbeit wird jedoch der Begriff der Nutzerinnovationen genutzt, da
dies eine gebräuchliche Übersetzung des Begriffs User Innovation darstellt (bspw. Ornetzeder
und Rohracher 2012). Da es für den Begriff Lead User keine anerkannte deutsche Übersetzung
gibt und auch im deutschsprachigen Raum von Lead Usern ohne deutsche Übersetzung
gesprochen wird, wird im Rahmen dieser Arbeit der englischsprachige Begriff Lead User
genutzt.
27 Sandmeier und Wecht (2004) bezeichnen den Kunden als „Innovationsmotor“ (Sandmeier und
Wecht 2004, S. 113).
22 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Hippel 1992; Schweisfurth und Raasch 2014). Von den Nutzern erhalten die Firmen
Bedürfnisinformationen, die die Frage beantworten: Was will der Kunde für Produkte
oder Dienstleistungen (Homburg et al. 2009; Ogawa 1998)? Die Fähigkeit, diese Be-
dürfnisse in konkrete Produkte oder Dienstleistungen umzusetzen, wird als Lösungs-
informationen bezeichnet (Drossou 2006; von Hippel 1994) und ist i.d.R. Aufgabe
des Unternehmens (Schreier und Prügl 2008). Es ist jedoch möglich, dass auch Nut-
zer über Lösungsinformationen verfügen und dadurch selbst innovativ tätig werden
(von Hippel 1988). Je nachdem, wann Unternehmen solche Nutzerinnovationen er-
kennen und - falls überhaupt - aufnehmen, „stellen Nutzerinnovationen in verschie-
denen Feldern eine zunehmende Konkurrenz bzw. eine wertvolle Ergänzung für her-
stellerseitige Innovationsaktivitäten dar“ (von Hippel 2005b, S. 63). Werden die Inno-
vationen nicht erkannt oder beachtet, bleibt erfolgversprechendes Potenzial unge-
nutzt. Sofern die Nutzerinnovationen von anderen Unternehmen aufgenommen wer-
den, besteht dadurch die Gefahr, Marktanteile zu verlieren bzw. den Anschluss an
neue Technologien und Trends zu verpassen (Müller-Prothmann und Pinternagel
2010). Um das durch Nutzerinnovationen vorhandene Erfolgspotenzial zu nutzen,
sollten Unternehmen fortschrittliche Nutzer daher aktiv in ihre Neuproduktentwicklung
einbeziehen (Bogers und West 2012; Lettl et al. 2006a). Dadurch wird die Wahr-
scheinlichkeit erhöht, passendere und für die Kunden attraktivere Innovationen zu
entwickeln (Franke et al. 2006). Dies ist im Hinblick auf die Flopraten von Neupro-
duktentwicklungen ein elementarer Faktor, da auf Konsumgütermärkten zwischen 35
und 60% der Innovationen nicht vom Markt angenommen werden, im Industriegüter-
bereich immerhin zwischen 25 und 40% (Lüthje 2007). Eine Möglichkeit der aktiven
Zusammenarbeit mit Nutzern ist die Identifikation und Integration so genannter Lead
User.
28 Die Literaturanalyse wurde von einer unabhängigen, zweiten Person durchgeführt und dadurch
validiert. Die Ergebnisse wurden mit einander verglichen und zusammengeführt.
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 23
2) Lead User profitieren frühzeitig in starkem Maße von Innovationen, die diese
Bedürfnisse erfüllen können. Daher werden sie oft selbst aktiv und erarbeiten
Lösungen oder aber sind geneigt, mit Unternehmen für die Erarbeitung einer
Lösung zu kooperieren“ (Wagner und Piller 2011, S. 8).
Da die Entwicklung und Markteinführung von Innovationen risikoreich für die Unter-
nehmen ist, kann die Integration von Lead Usern in den Innovationsprozess sehr
wertvoll sein, um dieses Risiko senken zu können (Enkel et al. 2005; Franke et al.
24 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
2006). Lead User können Vorhersagen treffen, welche Bedürfnisse in Zukunft rele-
vant sein werden und den Unternehmen dadurch einen essenziellen, zeitlichen Vor-
sprung vor der Konkurrenz ermöglichen (Herstatt und von Hippel 1992). Dadurch
wird der Innovationsprozess beschleunigt, Innovationen können früher in den Markt
eingeführt und relevante Marktanteile dadurch erzielt werden (Langerak und Hultink
2008). Mit Lead Usern entwickelte Innovationen werden mit einer höheren Wahr-
scheinlichkeit vom Markt angenommen (Piller und Reichwald 2006). Von Hippel
(1986) verdeutlicht darüber hinaus den großen Beitrag von Lead Usern als Progno-
setool: „They can serve as a need-forecasting laboratory for marketing research“
(von Hippel 1986, S. 791).
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Umsetzung des Lead User-Ansatzes in die Praxis
analysiert. Im weiteren Verlauf werden dabei mögliche Fehlinterpretationen oder ab-
weichende Definitionen von Lead Usern untersucht. Daher ist es eine grundlegende
Voraussetzung, Lead User an dieser Stelle von anderen Nutzertypen abzugrenzen.
Abbildung 8 visualisiert anhand der Diffusionskurve von Neuproduktentwicklungen
die Einordnung von Lead Usern (Churchill et al. 2009). Auf der x-Achse wird der zeit-
liche Verlauf der Neuproduktentwicklung dargestellt. Die y-Achse zeigt die Marktdif-
fusion der Innovation.
Routineanwender
Early
Adopters Nachzügler
Lead User Zielmarkt/Massenmarkt
Zeit
senberg 2011; Lilien et al. 2002).31 Dies verdeutlicht den enormen Wert der Lead
User für Unternehmen, die sich mit Early Adoptern erst dann austauschen können,
wenn neue Produkte und Dienstleistungen bereits bestehen - für die Entwicklung
dieser Innovationen kommen diese Erkenntnisse daher zu spät (von Hippel 2005a).
Um nicht auf zufällig entwickelte Innovationen von Lead Usern warten zu müssen,
wurde die Lead User-Methode zur systematischen Integration von Lead Usern in den
Innovationsprozess entwickelt (Herstatt und von Hippel 1992; Lüthje und Herstatt
2004).
4) Project lead user data onto the general market of interest“ (von Hippel 1986,
S. 797).
Dieser Prozessverlauf wurde sowohl von Herstatt et al. (2001), Lüthje und Herstatt
(2004) sowie Churchill et al. (2009) weiterentwickelt, wobei die Grundstruktur des
Prozesses beibehalten wurde. Die letzte Phase wurde dahingehend angepasst, dass
die Entwicklung von Lösungskonzepten durch Workshops vorgeschlagen wird (Lüth-
je und Herstatt 2004). Abbildung 9 visualisiert die Lead User-Methode nach Lüthje
und Herstatt (2004), deren einzelne Phasen nachfolgend erläutert werden:
31 Es existieren Veröffentlichungen, in denen Lead User als Early Adopter bezeichnet werden.
Abweichende Definitionen von Lead Usern werden in Kapitel 2.3.4 erläutert.
32 Herstatt und Engel (2006) verdeutlichen die Produktentwicklung durch Analogien am Beispiel
der NikeShox (analog zu Stoßdämpfern von Formel 1-Wagen), dem BMW iDrive (analog zu
Joysticks von medizinischen Robotern) sowie den Schwimmanzügen von Speedo, die sich an
der rillenartigen Haut von Haien orientieren.
26 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
4. Phase
1. Phase 2. Phase 3. Phase
Entwicklung von
Start des Lead User- Identifikation von Be- Identifikation von Lead
Lösungskonzepten
Projekts dürfnissen und Trends Usern und deren Ideen
(Workshop)
• Bildung interdisziplinärer • Interviews mit Markt- und • Networking-Suche nach • Planung eines Workshops
Teams Technologieexperten Usern im Zielmarkt mit Lead Usern und Mit-
arbeitern
• Festlegung der Ziel- • Scanning von Internet, • Networking-Suche in
märkte Literatur, Datenbanken analogen Märkten • Weiterentwicklung der Ideen
• Definition der Projekt- • Selektion der wichtigsten • Findung und erste • Dokumentation und Konzept-
ziele Trends Evaluation der Ideen bewertung
1. Phase: Zunächst sollte ein interdisziplinäres Projektteam von etwa drei bis sechs
Mitarbeitern etabliert werden. Dieses sollte aus Mitarbeitern verschiedener Abteilun-
gen wie Forschung & Entwicklung, Marketing oder Vertrieb bestehen, um die Variati-
on interner Stakeholder zu gewährleisten. Zudem sollten die Zielmärkte sowie die
Projektziele definiert werden.
2. Phase: In der zweiten Projektphase werden die relevanten Kundenbedürfnisse
und Trends identifiziert. Dazu können verschiedene Methoden genutzt werden wie
bspw. Delphi-Methode oder Experteninterviews (Kuß et al. 2014; Linstone und Turoff
1975). Des Weiteren ist die Analyse von Internet, Literatur und Datenbanken hilf-
reich, um die wichtigsten Trends definieren zu können.
3. Phase: Im nächsten Schritt werden die Lead User sowie deren Ideen identifiziert.
Grundlage dafür sind die zuvor entwickelten Trends und Bedürfnisse. Die Suche
nach geeigneten Lead Usern ist aufwendig und äußerst wichtig, um nicht die fal-
schen Nutzer zu integrieren (Schuhmacher und Kuester 2012). Zur Identifizierung der
Lead User werden insbesondere zwei Vorgehen angewandt: Screening oder Pyra-
miding (Poetz und Prügl 2010). Screening bedeutet eine parallele Suche basierend
auf einem Fragebogen (Tietz et al. 2006). Dazu werden die gesuchten Charakteristi-
ka der Lead User in Fragen übertragen, die Lead User werden daraufhin auf Basis
ihrer Antworten bewertet und identifiziert. Bei der sequenziellen Suche durch Pyra-
miding wird der Schneeballeffekt (Networking) genutzt (von Hippel et al. 2009; Wag-
ner und Piller 2011). Dazu werden Experten und fortschrittliche Nutzer befragt, um
erste Aussagen zu zukünftigen Trends und Bedürfnissen zu erhalten bzw. Lead User
33 Quelle: Lüthje und Herstatt (2004, S. 561). Dieses Modell wurde zuvor bereits von Herstatt et al.
(2001) innerhalb eines Arbeitspapieres veröffentlicht. Anmerkung: Unter dem Begriff Lead User-
Methode wird der in Abbildung 9 dargestellte, vierstufige Prozess verstanden. Die Lead User-
Methode ist vom Begriff Lead User-Ansatz abzugrenzen, da der Lead User-Ansatz sämtliche
Vorgehen zur Integration von Lead Usern in den Innovationsprozess umfasst und daher nicht
nur die Lead User-Methode. Der Begriff beinhaltet daher auch solche Ansätze, die sich von der
Lead User-Methode unterschieden (bspw. andere Phasenanordnung, Entwicklung weiterer
Phasen oder andere Vorgehen).
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 27
Die Integration von Lead Usern birgt sowohl Chancen als auch Risiken für die Unter-
nehmen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird analysiert, welche Aspekte bei der
Anwendung dieses Ansatzes in der Praxis den größten Stellenwert haben. Für die
theoretische Grundlage werden nachfolgend die in der Literatur definierten Chancen
(Tabelle 3) sowie Risiken (Tabelle 4) dargestellt, um Vergleiche zwischen Theorie
und Praxis zu ermöglichen:
28 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Chancen Quelle
Bahnbrechende Innovationen sind durch Eisenberg 2011; Lilien et al. 2002; von Hippel et
Integration von Lead Usern wahrscheinlicher al. 1999
Wahrnehmung und schnellere Adaption Prügl 2008; Tuarob, Tucker 2015; von Hippel
neuer Technologien durch Lead User 1986
Enormes technisches Verständnis bzw. Gerth 2015; Morrison et al. 2000; Schreier,
Kenntnisse der Lead User Prügl 2008; von Hippel 1986
Fürsprecher/Meinungsführer: Lead User Morrison et al. 2000; Spann et al. 2009; Urban,
können sich für ein Unternehmen aussprechen von Hippel 1988;
Höhere Marktakzeptanz, da Innovationen für Franke et al. 2006; Lilien et al. 2002; Urban,
Markt passgenauer und dadurch attraktiver von Hippel 1988
Höhere Produktvarietät durch Kollaboration Al-Zu’bi und Tsinopoulos 2012; Jensen et al.
mit Lead Usern 2014
Intrinsische Motivation durch Befriedigung Enkel et al. 2005; Morrison et al. 2000; Urban,
der Bedürfnisse sowie Freude und Interesse von Hippel 1988
Marktvorsprung durch frühzeitiges Erkennen Enkel et al. 2005; Franke et al. 2006; Jensen et
kleiner Marktbereiche mit großem Potenzial al. 2014
Real-world experience der Lead User durch Hienerth, Lettl 2011; Urban, von Hippel 1988
Nutzung/Kenntnisse der Produkte/Services
Verbesserung des Teamworks im Unter- Enkel et al. 2005; Herstatt, von Hippel 1992;
nehmen (bspw. Technik und Marketing) Lüthje, Herstatt 2004
Vorhersage zukünftiger Bedürfnisse, Trends Enkel et al. 2005; Gerth 2015; Herstatt, von
und Märkte durch Lead User Hippel 1992; Kratzer, Lettl 2009; Morrison et al.
2000; Von Hippel 1986
Weniger Kosten als bei anderen Methoden Franke et al. 2006; Herstatt, von Hippel 1992
Einer der wesentlichsten Vorteile der Lead User-Integration ist die Möglichkeit, zu-
künftige Bedürfnisse und Trends identifizieren zu können, woraus ein wichtiger
Marktvorsprung vor der Konkurrenz resultieren kann (Kratzer und Lettl 2009; von
Hippel 1986). Ein essentieller Erfolgsfaktor ist weiterhin die intrinsische Motivation
der Lead User (Urban und von Hippel 1988). Diese sind so an einer Problemlösung
interessiert, dass sie meist bereit sind, unentgeltlich mit Unternehmen zu kooperieren
(ebd.). Daraus kann eine höhere Produktvarietät sowie eine Verbesserung der Neu-
produktentwicklung entstehen (Morrison et al. 2000). Aus unternehmerischer Sicht ist
34 Auflistung in alphabetischer Reihenfolge. Die Reihenfolge zeigt keine Wertung oder Rangfolge.
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 29
zudem ein großer Vorteil, wenn Lead User als Fürsprecher für das Unternehmen auf-
treten (Spann et al. 2009). Da sie von anderen Nutzern aufgrund ihrer hohen Exper-
tise als Vorbild oder vertrauenswürdige Experten gelten, wirkt sich dies positiv auf die
Marktakzeptanz aus. In Studien konnte zudem nachgewiesen werden, dass durch
Lead User-Projekte das Teamwork innerhalb des Unternehmens verbessert werden
kann (Enkel et al. 2005; Lüthje und Herstatt 2004). So können etwaige Vorurteile
oder Abneigungen zwischen einzelnen Abteilungen und Mitarbeitern durch die ko-
operative Zusammenarbeit verringert werden.
Diesen Vorteilen stehen Risiken der Lead User-Integration gegenüber, die Unter-
nehmen beachten und möglichst verhindern sollten (Tabelle 4):
Risiken Quelle
Geistiges Eigentum: Wem gehören die Gassmann et al. 2010b; Jensen et al. 2014
Ideen?
Identifizierung richtiger Lead User ist sehr Belz, Baumbach 2010; Bilgram et al. 2008;
schwer und aufwendig Enkel et al. 2005; Gerth 2015; Lüthje, Herstatt
2004
Konkurrenz durch den Lead User vorhanden, Gassmann et al. 2010b; Hienerth et al. 2013
wenn dieser seine Ideen selber vermarktet
Not invented here-Syndrom: Entwickler Enkel et al. 2005; Jensen et al. 2014
nehmen Lead User-Ideen nicht an
Ressourcen und Aufwand: Suche nach Lead Bilgram et al. 2008; Enkel et al. 2005; Hyysalo
Usern sowie deren Integration in den Prozess et al. 2014; Olson, Bakke 2011; Tuarob, Tucker
ist sehr aufwendig 2015
Risiko, dass Lead User nicht identifiziert wer- Gerth 2015; Hienerth et al. 2013
den oder diese keine geeigneten Trends und
Ideen entwickeln
Seltenheit: Lead User sind sehr selten und Bilgram et al. 2008; Tuarob, Tucker 2015; von
daher schwer zu finden Hippel et al. 2009
Einer der größten Vorteile von Lead Usern ist deren herausragende Expertise sowie
Gabe, zukünftige Bedürfnisse im Gegensatz zur Masse frühzeitig zu erkennen (Krat-
zer und Lettl 2009; Morrison et al. 2000). Dies führt jedoch gleichzeitig zu einer der
größten Herausforderungen dieses Ansatzes: Lead User sind extrem selten (Lüthje
und Herstatt 2004; Mahr et al. 2014; von Hippel et al. 2009). Daraus kann das Risiko
resultieren, keine geeigneten Lead User identifizieren zu können (Tuarob und Tucker
2015). Zudem ist es möglich, dass Lead User trotz ihrer erfolgversprechenden Ei-
genschaften keine Konzepte und Trends entwickeln (Jensen et al. 2014). Verstärkt
wird dieses Risiko durch die Auffassung verschiedener Autoren, dass das gesamte
Projekt und insbesondere der Identifizierungsprozess der Lead User sehr aufwendig
und damit kostenintensiv sind (Enkel et al. 2005; Olson und Bakke 2001). Andere
Wissenschaftler vertreten jedoch die Meinung, dass Lead User-Projekte vergleichs-
weise kostengünstig ablaufen und die Identifizierung der Lead User gerade durch
deren Seltenheit vereinfacht wird: „However, contrary to our expectations (Olson and
Bakke, 2001), the extended process required to identify lead users does not produce
a direct linear effect on costs“ (Mahr et al. 2014, S. 612). Zudem wurden in den letz-
ten Jahren vor allem beim Identifizierungsprozess Hilfsmittel und Vorgehensweisen
entwickelt, die die Suche nach geeigneten Lead Usern vereinfachen wie Online-
Communities (Jensen et al. 2014) oder virtuelle Aktienmärkte (Spann et al. 2009)
(vgl. Kapitel 2.3.5). Um der fehlenden Akzeptanz innerhalb des Unternehmens (Not
invented here-Syndrom) vorzubeugen, sollten frühzeitig verschiedene Abteilungen -
insbesondere die Entwickler - in den Prozess einbezogen werden (Herstatt und von
Hippel 1992). Ein weiterer Aspekt, den es bei Lead User-Projekten zu beachten gilt,
ist die Frage nach dem Geistigen Eigentum (Hienerth et al. 2013). Zwar nehmen
Lead User i.d.R. freiwillig und entgeltlos an den Projekten teil. Gerade weil sie aber
keine monetäre Vergütung erhalten, ist die Überlassung von Wissen und Ideen je-
doch ein möglicher Streitpunkt (Gassmann et al. 2010b). Eine weitere Konfliktsituati-
on existiert, sollte ein Lead User seine mit dem Unternehmen entwickelten Ideen
doch selber vermarkten wollen (Entrepreneurial Lead User) (Hienerth et al. 2013).
Diesem Problem kann durch vertragliche Klauseln vorgebeugt werden. Allerdings
kann dadurch die Motivation der Lead User leiden, da sie sich in ihrer Kreativität und
Wissensverbreitung eingeschränkt fühlen (Enkel et al. 2005).
TECHNOLOGIE ÖKOLOGIE
Co-Innovatorship Complementor
Zusammenarbeit zwischen Lead Usern und Übertragen Wissen von anderen Märkte
Nicht-Lead Usern auf Produkte
Vor allem die Entwicklung des Internets ist ein wesentlicher Faktor, da so die Kom-
munikation sowohl unterhalb der Nutzer als auch zwischen Unternehmen und Nutzer
erleichtert und verbreitet wurde (Rohrbeck et al. 2010). Aber auch ökologische The-
men (Nachhaltigkeit, Umweltschutz etc.) rückten vor allem in der vergangenen De-
kade in den Vordergrund und nehmen weiter an Bedeutung zu (Lin und Seepersad
2007; Srivastava und Shu 2013). Diese Entwicklungen werden nachfolgend erläutert.
36 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Duverger (2012), Hienerth et al. (2013), Hyysalo et al.
(2014), Jeppesen und Laursen (2009), Lettl et al. (2006b), Mackenzie et al. (2009), Martínez-
Torres (2013), Munksgaard und Freytag (2011), Schweisfurth und Herstatt (2013), Springer et
al. (2006), Srivastava und Shu (2013) sowie Tuarob und Tucker (2015). Um durch die Überset-
zung in die deutsche Sprache keine etwaigen Interpretation zu verursachen, wurden die ur-
sprünglichen und somit englischsprachigen Begriffe beibehalten.
32 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
reale Animationen, sie verkörpern lediglich eine reale Person im virtuellen Raum. 37
Da ein Avatar keine reale Person darstellt, wird für Unternehmen die Kontaktauf-
nahme mit der Person, die den Avatar betreibt, erschwert. Jedoch bietet die virtuelle
Welt den Vorteil, dass Nutzer die Grenzen des Vorhandenen schneller überschreiten,
da sie eben „nur“ virtuell agieren und ihre Handlungen keine direkten, realen und ma-
teriellen Auswirkungen haben. Lettl et al. (2006b) fokussieren ebenfalls den techno-
logischen Fortschritt im Rahmen ihrer Studie im Bereich der medizinischen Techno-
logieausstattung. Dabei werden Nutzer involviert, die neue Technologien frühzeitig
erkennen und adaptieren können. Diese werden als Technology Lead User bezeich-
net. Tuarob und Tucker (2015) fokussieren die schwierige und aufwendige Suche
nach Lead Usern und versuchen, diese zu automatisieren. Dazu entwickeln sie ein
mathematisches Modell auf Basis verschiedener Algorithmen, das verborgene Ei-
genschaften in den Social Media-Kanälen (Facebook, Twitter etc.) analysiert. Die so
identifizierten Eigenschaften klassifizieren Nutzer entweder als product specific oder
global lead users. Produktspezifische Lead User haben außerordentliche Expertise
bzgl. eines bestimmten Produkts und können eingesetzt werden, wenn Unternehmen
Meinungen, Feedback und Ideen für spezifische Produktlinien abfragen möchten.
Globale Lead User sind, wie der Name vermuten lässt, allgemeiner einsetzbar. Sie
haben kritische, innovative Ideen, die für alle Produkte einer Produktkategorie an-
wendbar sind.
Durch ein zunehmendes Bewusstsein für Ökologie und die entsprechenden Res-
sourcen rückten umweltbezogene Themen in den letzten Jahren in den Fokus (Chen
2008). Lin und Seepersad (2007) definieren Empathic Lead User als Nutzer oder
Designer, die ein Produkt auf außergewöhnliche, komplett neue und meist umwelt-
bewusste Art erfahren und somit zu Lead Usern werden. Damit verbinden die Auto-
ren den Lead User-Ansatz mit dem Phänomen Empathic Design (Leonard und Ray-
port 1997). 38 Ein weiteres, stets an Bedeutung gewinnendes Thema ist die Beach-
tung von Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Innovationen (Hyysalo et al. 2013).
Springer et al. (2006) entwickeln den Ausdruck des Sustainable Lead Users. Zusätz-
lich zu den Eigenschaften nach von Hippel charakterisieren sich diese Lead User
durch den Anspruch an Nachhaltigkeit bei neuen Produkte und Innovationen. Sustai-
37 Möbus (2006) spricht vom „Stellvertreter für Nutzer" (Möbus 2006, S. 5) in der virtuellen Welt.
38 Der Ansatz des Empathic Design wird von Srivastava und Shu (2013) aufgenommen und als
Grundlage für eine ethnografische Studie genutzt, bei der durch ressourcenbewusstes Verhal-
ten ökologisch vorteilhafte Produkte entwickelt wurden. Als Produkte wurden bspw. entwickelt:
Wasserkonservierendes Duschsystem, zusammenlegbarer Helm, wiederverwertbare Kaffee-
tasse mit abnehmbarer Verkleidung.
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 33
nable Lead User sind insbesondere Nutzer in den Bereichen Verbraucherschutz und
Umwelt vorhanden.
perten gelten. Damit wird eine Kombination des Lead User-Ansatzes mit der Theorie
des User Entrepreneurships geschaffen (ebd.). Schreier und Prügl (2008) analysie-
ren den Lead User-Ansatz im Hinblick auf die Ursache (Antezedens) und Konse-
quenz der Lead Userness. 39 Die Autoren zeigen, dass die Lead Userness stärker ist,
je höher das Nutzerwissen sowie die Nutzererfahrung in dem Bezugsfeld sind. Nut-
zer zeigen zudem mit einer höheren Wahrscheinlichkeit die Eigenschaft von Lead
Usern, je höher ihre Kontrollüberzeugung (locus of control) ist, sie also davon ausge-
hen, dass Ergebnisse stark von ihren eigenen Handlungen beeinflusst werden. Au-
ßerdem wird nachgewiesen, dass die Lead Userness höher ist, je ausgeprägter die
Innovatitvät der Persönlichkeit des Nutzers ist. Lead User zeigen im Bezug auf ihr
Adoptionsverhalten neuer Produkte, dass sie diese generell öfter und schneller an-
nehmen. Hyysalo et al. (2014) verdeutlichen den Zukunftsbezug von Lead Usern und
bezeichnen Nutzer als future users, die sehr zukunftsbezogen denken und konform
der Lead User zukünftige Bedürfnisse erfahren. Unternehmen bietet sich durch deren
Integration die Möglichkeit, geeignetere Prognosen über die Kundenbedürfnisse so-
wie die Marktentwicklung zu erhalten. Duverger (2012) fokussiert die Zufriedenheit
von Nutzern als ein Aspekt der Innovativität und zeigt, dass unzufriedene Kunden,
service defectors genannt, eine Quelle für innovative Ideen darstellen. Anhand einer
empirischen Studie wird nachgewiesen, dass unzufriedene Kunden bessere Ideen
für Serviceinnovationen generieren als zufriedene Kunden. Zudem wird argumentiert,
dass die Integration dieser Defektoren in den Ideenentwicklungsprozess die innova-
tivsten Ideen bietet. Marchi et al. (2011) definieren Lead User etwas allgemeiner als
von Hippel. Lead User sind demnach die Individuen oder Unternehmen, die in der
Lage sind, nutzbare Ideen über Produkteigenschaften und Nutzungskontexte zu ge-
nerieren und selektieren.
39 Als Lead Userness wird die Tatsache definiert, dass ein Nutzer die Kerneigenschaften - dem
Markt voraus zu sein und Profitieren von Innovationen - aufweist (Schreier und Prügl 2008). Je
höher die Lead Userness, desto stärker sind die Eigenschaften vorhanden.
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 35
ren, modifizieren oder transformieren. 40 Sie werden von Lead Usern in drei Punkten
abgegrenzt. Zum einen arbeiten Creative User mit allen Arten von Angeboten, nicht
nur den neuen oder verbesserten. Zum anderen erkennen sie nicht unbedingt nur
Bedürfnisse, die generalisierbar sind. Sie entwickeln auch Ideen und Innovationen,
die nur von einer Minderheit nachgefragt werden. Schließlich müssen Creative User
nicht unbedingt von ihren Innovationen profitieren. Sie erzielen mitunter ihren Profit in
Form von Dank oder Anerkennung.
Eine weitere Alternative zu Lead Usern ist die Integration eines Complementors
(Munksgaard und Freytag 2011). Dabei wird davon ausgegangen, dass es in einigen
Industrien nicht möglich ist, Lead User identifizieren und integrieren zu können.
Complementors werden definiert als Entwicklungspartner, deren Output oder Funkti-
on den Wert der Innovation erhöht. Der Unterschied zu Lead Usern liegt gemäß den
Autoren darin, dass Complementors Wissen von anderen Märkten auf ein Produkt
übertragen, wohingegen das Wissen von Lead Usern auf der Nutzung eines be-
stimmten Produkts in einem bestimmten Markt basiert. Diese Abgrenzung ist diskus-
sionswürdig, da Lead User durchaus Analogien anderer Produkte und Märkte für In-
novationen berücksichtigen und einbeziehen (Herstatt und Engel 2006). Auch Jep-
pesen und Laursen (2009) fügen Lead Usern eine abweichende Eigenschaft hinzu.
Lead User werden als „early adopter of the product or service“ (ebd., S. 1)
bezeichnet. Lead User sind jedoch von Erstanwendern abzugrenzen (vgl. Kapitel
2.3.1), da sie Wissen über Produkte und Services haben, bevor diese überhaupt
existieren (Churchill et al. 2009).
2.3.4.6 Prozessänderungen
Die Ausführungen zeigen, dass seit den 1980er Jahren verschiedene Weiterentwick-
lungen der Lead User-Theorie vorhanden sind. Jedoch fokussieren sich diese haupt-
sächlich auf die Eigenschaften und Anwendungsfelder. Änderungen des Prozesses
sind in der wissenschaftlichen Literatur weniger zu erkennen. Henkel und Jung
(2010) ändern den Lead User-Prozess nicht grundlegend, jedoch bildet eine verän-
derte Ausgangssituation den Startpunkt des Lead User-Projekts. Bei der technology-
push lead user method ist zu Beginn des Projekts bereits eine Innovation vorhanden,
für die mit den Lead Usern nach Anwendungsfeldern gesucht wird (Gehringer
2013). 41 Gerth (2015) zeigt eine weitere Anpassung des Lead User-Ansatzes, je-
doch fokussiert auf den IT-Bereich und ohne diese Weiterentwicklung näher zu be-
gründen. Dabei wird konform der Theorie in Kapitel 2.3.2 ein vierstufiger Prozess zur
40 Dadurch werden die Ideen von Berthon et al. (2007) aufgegriffen, die Creative Consumer auch
als Clever Customer bezeichnen.
41 Lead User-Projekte nach dem Technology Push-Ansatz werden im Rahmen der Fallstudienana-
lyse ebenfalls analysiert (vgl. Kapitel 6).
36 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Integration von Lead Usern entwickelt. Die ersten drei Phasen entsprechen dabei
den Phasen nach von Hippel (1986) bzw. Lüthje und Herstatt (2004). In der Theorie
endet die Lead User-Methode jedoch mit der Entwicklung von Lösungskonzepten in
Workshops. Gerth fügt dem Prozess eine weitere Phase zu: Überprüfung der Über-
tragbarkeit der Ergebnisse auf den Gesamtmarkt. Damit soll sichergestellt werden,
dass die Innovationen tatsächlich vom Markt angenommen werden (Gerth 2015). Die
Gründe für die Abweichungen zum theoretischen Prozess werden jedoch nicht ge-
nannt und weiter ausgeführt. Stattdessen wird die etablierte Literatur nach von Hippel
(1986), Lüthje (2007) sowie Herstatt und Verworn (2007) als Grundlage angegeben,
die abweichende Phasen beinhaltet. Dieser Prozess ist daher als eine erste, nicht
weiter ausgeführte Entwicklung des Ansatzes zu sehen. Nachfolgend wird analysiert,
ob weitere Studien zur praktischen Umsetzung des Lead User-Ansatzes existieren.
Es existieren verschiedene Studien, die die Integration von Lead Usern als eine Mög-
lichkeit zur Kundenintegration in den Innovationsprozess beinhalten. Creusen et al.
(2013) untersuchen die Wahl der Methoden zur Kundenintegration in den frühen
Phasen des Innovationsprozesses (fuzzy front end) (vgl. Kapitel 2.1.4). Die Studie
(n=88) zeigt, dass 43% 42 der Unternehmen Lead User in der frühen Phase des fuzzy
front end integrieren sowie 34% 43 in der späten. Zu einem ähnlichen Ergebnis
kommt Enkel (2011). Bei der Studie zu Open Innovation-Aktivitäten nahmen 159
deutsche Unternehmen teil, die Anwendung von 17 Innovationsmethoden wurde ab-
gefragt. 46% der Befragten gaben an, den Lead User-Ansatz intensiv zu nutzen. Nur
zwei Methoden, Integration von Kunden und/oder Lieferanten (70%) sowie gemein-
same Entwicklung mit Kunden und/oder Lieferanten (74%), werden öfter angewandt.
Jedoch erscheint eine Abgrenzung der Methoden fragwürdig, da die Integration von
Lead Usern auch anderen Aktivitäten (bspw. Integration von Kunden und gemeinsa-
me Entwicklung) zugeordnet werden müsste. Cooper und Edgett (2008) untersuchen
den Einsatz von 18 Methoden zur Unterstützung der Neuproduktentwicklung
(n=160). Ca. 24% der Befragten gaben an, Lead User zu integrieren. 44 Im Vergleich
zu den anderen Studien wird der Lead User-Ansatz also weniger häufig angewandt.
42 Lead User-Ansatz auf neunter Position (von 15). Am häufigsten werden in der frühen Phase
des fuzzy front end Interviews (73%), Fokusgruppen (66%) sowie Beschwerdemanagement
(65%) durchgeführt.
43 Lead User-Ansatz auf sechster Position (von 10). Am häufigsten werden in der späten Phase
des fuzzy front end Interviews (64%), Fokusgruppen (55%) sowie Brainstorming (50%) durch-
geführt.
44 Fünf Methoden werden häufiger angewandt als der Lead User-Ansatz. Am häufigsten werden
Internal idea capture system (ca. 38%), peripheral vision (ca. 33%) sowie patent mining (ca.
32%) genutzt.
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 37
Interessant ist jedoch, dass mit Fokusgruppen und so genannten „customer visit
teams“ (Cooper und Edgett 2008, S. 1) nur zwei Methoden öfters angewandt werden,
die nach Meinung der Befragten eine höhere Effektivität haben. Bezogen auf die Ef-
fektivität gehört der Lead User-Ansatz daher zu den Methoden, die am besten be-
wertet wurden.
Die genannten Studien analysieren den Lead User-Ansatz im Vergleich zu anderen
Methoden der Neuproduktentwicklung. Der Fokus liegt also nicht allein auf dem Lead
User-Ansatz bzw. dessen Anwendung. Auch werden praktische Erfahrungen (bspw.
Herausforderungen bei der Umsetzung) nicht explizit analysiert. Auf Basis der unter
Kapitel 2.3 dargestellten Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum
Thema Lead User fasst Tabelle 5 daher Studien zusammen, die allein den Lead
User-Ansatz thematisieren. Die Tabelle verdeutlicht, dass in den letzten 30 Jahren
viele Studien zu unterschiedlichen Themenbereichen sowie Branchen durchgeführt
wurden. Einige Studien fokussieren sich auf die Identifizierung von Lead Usern,
bspw. Tuarob und Tucker (2015), die eine automatisierte Lead User-Identifizierung
entwickelten oder Poetz und Prügl (2010), die Pyramiding als Methode zur Erken-
nung von Lead Usern testen. Andere Studien untersuchen, durch welche Techniken
Lead User integriert werden können. So analysieren bspw. Spann et al. (2009), wie
virtuelle Aktienmärkte genutzt werden können. Jeppesen und Frederiksen (2006)
untersuchen, wie die Lead User-Integration in Online-Communities durchgeführt
werden kann. Zudem wird der Lead User-Ansatz in verschiedenen Fallstudien über-
prüft, bspw. bei Ducati (Marchi et al. 2011), Hilti (Lüthje und Herstatt 2004) oder 3M
(Lilien et al. 2002).
38 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
45 In chronologischer Reihenfolge. Weitere Übersichten finden sich bspw. bei Franke et al. (2006),
Lüthje und Herstatt (2004) oder Schreier et al. (2008).
Literaturanalyse wissenschaftlicher Publikationen zum Lead User-Begriff 39
Kapitel 2.3.5 hat verdeutlicht, dass eine übergeordnete Studie zur Umsetzung des
Lead User-Ansatzes in der Praxis nicht existiert. In wissenschaftlichen Publikationen
sind jedoch Forderungen nach einer solchen Analyse vorhanden, die die For-
schungslücke bestätigen. So erläutern Gemser und Perks (2015) die Entwicklung
des Themenfelds der Customer Co-Creation. Darunter wird die aktive Integration von
Kunden und weiteren Akteuren in den Innovationsprozess verstanden. Dies umfasst
auch den Lead User-Ansatz. Die Autoren stellen folgende, den Kern dieser Arbeit
treffende Forderung: „There is also a need for more large-scale, “real-world“ studies
on customer co-creation and its outcomes and antecedents. Thus far, most studies
on customer co-creation use experiments or are case study-based. Large-scale, sur-
vey-based studies demand a focus on measurement and operationalization of key
co-creation constructs“ (Gemser und Perks 2015, S. 664). Olson und Bakke zeigten
bereits 2001 in einer empirischen Studie, dass der Lead User-Ansatz im Allgemeinen
positiv bewertet wird, jedoch aufgrund von Mangel an Ressourcen und Zeit nicht
regelmäßig durchgeführt wird: „If the LU method is so good at uncovering innovative
product ideas, why don't more companies use it as part of their new product devel-
opment process?“ (Olson und Bakke 2001, S. 388). Lilien et al. (2002) zeigen in ihrer
oft zitierten Veröffentlichung anhand des Unternehmensbeispiels 3M, dass die Integ-
ration von Lead Usern in die Neuproduktentwicklung vorteilhaft ist, fordern jedoch
Weiterentwicklungen des Ansatzes: „The LU idea-generation method does appear to
generate better results than traditional methods. It therefore appears to merit further
investigation and development“ (Lilien et al. 2002, S. 28). Langerak und Hultink
(2008) unterstützen diese Aussage. Auch hier wird jedoch auf die Frage, warum Un-
ternehmen diesen Ansatz so selten nutzen, kaum eingegangen. Franke et al. (2006)
fokussieren die Eigenschaften von Lead Usern und deren Einfluss auf die Innovation.
40 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Ein weiterer, in der Literatur diskutierter Aspekt in Bezug auf die Anwendbarkeit des
Lead User-Ansatzes betrifft mögliche Restriktionen wie Unternehmensgrößen und -
branchen. Lettl et al. (2008) bestätigen das Potenzial des Lead User-Ansatzes, das
jedoch vergleichsweise wenig ausgeschöpft wird: „Despite this potential, only a rela-
tively small number of manufacturing firms have actually integrated lead users into
their new product development processes“ (Lettl et al. 2008, S. 219). Auch Grabher
et al. (2008) zeigen, dass die Verbreitung des Ansatzes meist nur in kleineren Ni-
schenmärkten wie Sportausrüstung zu finden ist. Bilgram et al. (2008) stellen den
wachsenden Stellenwert neuer Technologien, insbesondere des Internets, heraus.
Dabei wird festgestellt, dass die Rolle des Internets zur Identifizierung von Lead
Usern trotz der wachsenden Bedeutung dieses Mediums bisher kaum analysiert
wurde. 46 Schließlich merken Schuhmacher und Kuester (2012) an, dass existierende
Studien zu Lead Usern hauptsächlich im Konsumgüterbereich zu finden sind und
führen ihre Studie daher im Bereich der Serviceinnovationen durch. Anhand eines
Ideenwettbewerbs werden 120 Ideen ausgewertet und dadurch das große Potenzial
von Lead Usern zur Entwicklung innovativer Ideen verdeutlicht: „Lead user analysis
has been shown to provide the highest potential to create attractive innovation ideas“
(ebd., S. 427). Auch die Generalisierbarkeit der Ergebnisse dieser Studie ist durch
den Fokus auf eine bestimmte Branche (Vermarktung von Fußballclubs) jedoch be-
46 Zu beachten gilt, dass der Artikel bereits 2008 verfasst wurde. Die Rolle des Internets hat sich
seitdem weiter verstärkt (vgl. Kapitel 2.1.1).
Literaturanalyse praxisorientierter Fachmagazine zum Lead User-Begriff 41
grenzt. Die Studien dieser Arbeit (vgl. Kapitel 5 und 6) beziehen daher unterschiedli-
che Branchen ein, um übergeordnete Aussagen, über Branchen-, Produkt- und Un-
ternehmensgrenzen hinweg, treffen zu können.
Diese Aussagen aus der wissenschaftlichen Literatur verdeutlichen, dass der Lead
User-Ansatz zwar eine erfolgversprechende Methodik darstellt, jedoch weitere For-
schung zur Weiterentwicklung des Ansatzes notwendig ist. Auch die vorherige Über-
sicht zu relevanten Lead User-Studien (vgl. Kapitel 2.3.5) zeigt, dass die praktische
Anwendung dieses Ansatzes bisher zu wenig erforscht ist bzw. die Studien nur auf
bestimmte Branchen sowie Unternehmen fokussiert sind, eine ganzheitliche Betrach-
tung jedoch fehlt. Die Analyse der praktischen Umsetzung ist daher das Kernziel die-
ser Arbeit. Zuvor dient die Literaturanalyse praxisorientierter Fachmagazine der Vali-
dierung der Forschungslücke sowie der Entwicklung der Forschungsfragen.
Die Analyse der Veröffentlichungen aus der Praxis basiert auf zwei Quellen. 48 Zu-
nächst wurde die Datenbank WISO Wirtschaftswissenschaften genutzt, die im be-
triebswirtschaftlichen Bereich eine gebräuchliche Quelle darstellt (Kollmann et al.
2011; Kühl et al. 2009). Diese Datenbank umfasst etwa 400 Fachzeitschriften und
deckt ein großes Feld an unterschiedlichen Branchen ab. Zudem werden neben be-
kannteren und auflagenstärkeren Fachmagazinen wie absatzwirtschaft oder VDI
nachrichten auch spezifischere Zeitschriften mit geringen Auflagen (bspw. TabakZei-
tung, konstruktionspraxis) durchsucht. In WISO wurde nach dem Stichwort 'Lead
User' seit der ersten Veröffentlichung 1991 bis einschließlich 2015 gesucht und somit
alle Artikel identifiziert, die diesen Begriff mindestens einmal beinhalten. So wurden
223 Publikationen ermittelt. Da WISO eher spezifischere Magazine beinhaltet und
bekanntere Wirtschaftszeitschriften wie Harvard Business Manager oder Wirt-
schaftswoche nicht enthält, wurde zudem eine Auswahl der auflagenstärksten Fach-
zeitschriften im Bereich der Wirtschaft analysiert. 49 So wurde die Literaturanalyse um
48 Veröffentlichungen in auflagenstarken Zeitschriften erweitert. Nach dem Löschen
doppelter Artikel beider Datenbanken basiert die Literaturanalyse der praxisorientier-
ten Fachzeitschriften schließlich auf 255 Artikeln. Nachfolgend werden die Ergebnis-
se beider Literaturanalysen (Theorie und Praxis) verglichen. Diese sind in deskriptive
(Publikationen pro Jahr, Autoren und Quellen) und inhaltliche Ergebnisse (Eigen-
schaften und Bezeichnungen von Lead Usern sowie Prozess der Integration) unter-
teilt. 50 Die deskriptiven Ergebnisse (Kapitel 2.4.1 und 2.4.2) lassen - unabhängig
vom Inhalt - zunächst Aussagen über die Häufigkeiten der Publikationen sowie den
Autoren zu.
35
29
30 27 27
25 22
19
20 17 16
14 15 16 15
15 12 12 13
11 11 10 11 10 10
8 9 8 9
10 6 5 67 6
4 4 5 4
5 3 2 2 3 3 3
1 1 0 1 1 1
0
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Die Grafik verdeutlicht die Entwicklungen dieses Themas über die letzten drei Deka-
den. Die ersten Veröffentlichungen wurden 1986 und 1988 vom Begründer dieses
Ansatzes, Eric von Hippel, verfasst (von Hippel 1986, 1988). Das Thema wurde - ba-
sierend auf der Anzahl der Veröffentlichungen - Ende der 1990er Jahre relevant und
gewann ab der Jahrtausendwende sowohl in der wissenschaftlichen als auch praxis-
orientierten Literatur weiter an Bedeutung. Ein erster Peak ist bei den praxisorientier-
ten Artikeln 1996 zu erkennen (acht Veröffentlichungen, im Vorjahr keine). Von die-
sen acht Artikeln wurden sechs in der Zeitschrift absatzwirtschaft veröffentlicht. Ba-
sierend auf den Studien von Hippels, der in den Artikeln meist genannt wird, wurden
die Herausgeber offensichtlich auf diesen Ansatz aufmerksam (Hanser et al. 1996;
Werner und Homburg 1996; Wessner und Weissmann 1996).
Die praxisorientierten Veröffentlichungen zeigen einen zweiten Peak zwischen den
Jahren 2005 und 2009. Es scheint, als habe sich der Lead User-Ansatz in dieser Zeit
von einer sehr speziellen zu einer weiter verbreiteten Methodik entwickelt. Aussagen
von Autoren unterstützen dies: „Die Beobachtung von Lead Usern als Inspirations-
quelle für Innovationen ist mittlerweile zu Recht erkannt und auf dem Wege, sich auf
breiter Front durchzusetzen“ (Liebl 2005, S. 36). Dafür spricht weiterhin, dass in die-
ser Zeit auch auflagenstarke Managementzeitschriften wie Harvard Business Mana-
ger, Wirtschaftswoche oder Handelsblatt den Lead User-Ansatz erwähnen. Auch die
Titel der Artikel verdeutlichen, dass Methoden der Kundenintegration ein großes Er-
folgspotenzial zugesprochen wird. Beispielhaft können genannt werden: Der Kunde
als Innovationsmotor (Beck 2009), Ideen frisch vom Kunden (Honsel 2007), Der
Kunde als Ideengeber (Baeuchle 2006), Den Kunden erkunden (Heuer 2005) sowie
Das Know-how der Kunden nutzen (Nohr 2004). Ein weiterer Auslöser für diesen
Peak könnte von Hippels wegweisende Veröffentlichung Democratizing Innovation
sein, die auch in Managementkreisen wahrgenommen wurde (Krempl 2007; von
Hippel 2005a). So erläutert bspw. Haefliger (2009) von Hippels Forschung im Mana-
ger Magazin und verdeutlicht, dass die Unternehmen von den Ergebnissen positiv
überrascht seien. 52
In der wissenschaftlichen Literatur ist in den vergangenen 30 Jahren ein stetiger An-
stieg der Publikationen zu erkennen. 53 Das Thema ist nach wie vor von Relevanz
und wird, wie Kapitel 2.3.4 verdeutlicht hat, ausgiebig erforscht. Bei den praxisorien-
tierten Veröffentlichungen ist nach dem erläuterten Peak (2005 bis 2009) ein Rück-
gang zu erkennen, jedoch auf ein höheres Niveau als vor 2005.
52 „Konfrontiert mit diesem Ergebnis zeigten sich die Herstellerfirmen überrascht. Sie waren fest
davon überzeugt, dass die Innovationen in ihren Häusern entstanden sind“ (Haefliger 2009, S.
1).
53 Teilweise eine Publikation weniger als im Vorjahr (bspw. 2008 zu 2009), danach jedoch An-
stieg.
44 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Bei den Literaturanalysen stellt sich die Frage, ob die Autoren der praxisorientierten
Fachartikel Wissenschaftler sind oder Unternehmensmitarbeiter über ihre Erfahrun-
gen berichten. Daher stellt Tabelle 6 die Autoren, aufgeteilt nach Theorie und Praxis,
gegenüber:
54 Unter Autoren wurden alle Personen gezählt, die bei der Verfassung eines Artikels mitgewirkt
haben (also auch Zweit-, Drittautoren etc.) Es wurde keine Beschränkung auf Erstautoren vor-
genommen.
55 Zur Berechnung des Impacts wurden die Anteilswerte (in %) an den Gesamtzahlen addiert.
Literaturanalyse praxisorientierter Fachmagazine zum Lead User-Begriff 45
sagen im Artikel explizit wiedergegeben wurden. 56 Etwa jeder siebte Artikel (15%)
basiert daher auf von Hippels Aussagen oder Studien. Die anderen Wissenschaftler
sind allesamt deutschsprachig und haben daher sowohl wissenschaftliche als auch
praxisorientierte Veröffentlichungen verfasst. So findet sich bei den zehn Personen
mit dem höchsten Impact der Literaturanalysen nur ein Praktiker57 gegenüber neun
Wissenschaftlern. Dies zeigt, dass Wissenschaftler einen starken Einfluss auf Publi-
kationen in der Wirtschaftspresse haben.
56 Aufgenommen wurden nur zitierte Aussagen, bspw. direkte Aussagen oder Interviews, sowie
eine direkte Bezugnahme auf einen Experten. Autoren, die lediglich als Quelle genannt wurden,
sind daher in der Kategorie Experte nicht enthalten.
57 Grau markiert sind Unternehmensvertreter.
58 Journal of Product Innovation Management: 16 Veröffentlichungen; Research Policy: 6;
Creativity & Innovation Management: 6; Management Science: 4; Harvard Business School
Cases: 4.
59 Harvard Business Manager: 11 Veröffentlichungen; Industrie Management: 9; IM Information
Management & Consulting: 7; Handelsblatt: 7; Wirtschaftswoche: 7.
60 Gemäß der Bezeichnung absatzwirtschaft - Zeitschrift für Marketing sowie der Zielgruppe: Mar-
keting-Entscheider, Geschäftsführung, Marketing-Vorstände, Marketing-Dienstleister, Medien-
häuser, Marktforscher, Beratungshäuser (vgl. Website der Zeitschrift).
61 Zeitraum: 1991 bis 1996.
46 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Die deskriptiven Ergebnisse geben erste Hinweise darauf, dass der Themenbereich
der Lead User in den vergangenen Jahren in Theorie und Praxis an Aufmerksamkeit
gewonnen hat. Während die wissenschaftlichen Paper das Thema der Lead User-
Integration ausführlich behandeln, 62 gibt es bei den Veröffentlichungen in der Praxis
die Möglichkeit, dass der Lead User-Ansatz ausführlich erläutert oder lediglich er-
wähnt wird. 63 Die Analyse der Artikel zeigt, dass 59% (151) der Veröffentlichungen
Lead User nur erwähnen, nicht aber ausführliche Definitionen, Integrationsmöglich-
keiten, Methoden und dergleichen bringen. Dementsprechend bieten nur 41% (104)
der Artikel ausführliche Erläuterungen. Um die Integration von Lead Usern systema-
tisch und effizient durchzuführen, wäre eine ausführlichere Erläuterung und bessere
Kommunikation von der Theorie zur Praxis vorteilhaft. Noch weniger Erläuterungen
finden sich in den letzten drei Jahren (2013 bis 2015). Von 44 veröffentlichten Fach-
artikeln in diesem Zeitraum beinhalten nur 12 (27%) ausführliche Erläuterungen. In
32 (73%) Artikeln wird der Lead User-Ansatz nur erwähnt. Ein möglicher Grund dafür
ist, dass ein korrektes Verständnis des Lesers vorausgesetzt werden kann. Nachfol-
gend wird daher untersucht, ob das Verständnis in Theorie und Praxis konform ist
oder ob falsche Interpretationen in der Praxis existieren, die die Notwendigkeit einer
genaueren und richtigen Erläuterung bedingen.
Die Eigenschaften von Lead Usern sind in der Theorie nach von Hippel (1986) defi-
niert, wie in Kapitel 2.3.1 erläutert. Davon ausgehend wurde zunächst festgestellt,
dass von Hippels Definition in den meisten Fällen, insbesondere wenn Wissenschaft-
ler involviert sind, angewandt wird. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass weitere Ei-
genschaften, die Lead Usern in der Praxis zugesprochen werden, meist positiv sind.
Die meist genannten Charakteristika sind:
Anspruchsvoll/erfahren (Semlinger 2007; Wilkes 2012)
Fortschrittlich/vorauseilend (Bilgram und Jawecki 2011; Fösken 2009; Koob und
Schoegel 2008; Maurer 2007; Murtinger 2010; Pätzmann 2003)
62 Aufgrund der Tatsache, dass der Begriff Lead User entweder im Titel, Abstract und/oder den
Keywords der wissenschaftlichen Paper zu finden sind, kann davon ausgegangen werden, dass
diese Publikationen das Thema behandeln und Lead User ausführlich erläutern. Diese Annah-
me wurde durch das Lesen der Paper bestätigt.
63 Die analysierten Artikel beinhalten mindestens ein Mal den Begriff Lead User. Es ist also mög-
lich, dass dieses Themenfeld nicht ausführlich erläutert sondern nur nebenbei erwähnt wird.
Bsp. zur Veranschaulichung: „Eine weitere Strategie ist es, auf Lead User oder Early Adopters
der Zielgruppe, zum Beispiel erfolgreiche Weblogger oder MySpace-Musiker, und deren Wir-
kung zu setzen“ (Schön et al. 2011, S. 13).
Literaturanalyse praxisorientierter Fachmagazine zum Lead User-Begriff 47
Solche Eigenschaften zeigen, dass Lead User als positiv und erfolgversprechend für
das Unternehmen betrachtet werden. Charakteristika wie speziell (Kersten et al.
2012) und intensiv (Puscher 2013) verdeutlichen jedoch auch, dass Lead User an-
ders sind als die Masse. Zudem werden Eigenschaften genannt, die vom theoreti-
schen Verständnis abweichen. So werden Lead User in der Praxis als meinungsfüh-
rend bezeichnet (Karle 2014; Walcher 2008), in der wissenschaftlichen Literatur wird
der Begriff Lead User jedoch von dem des Meinungsführers abgegrenzt (Kratzer und
Lettl 2009). Ähnliche Beispiele sind bei Walcher (2008) zu erkennen, wo Lead Usern
„Wesenszüge von Trend- und Meinungsführern" (Walcher 2008, S. 245) zugeordnet
werden sowie bei Schögel et al. (2005), wo Communities als „Lead User und Mei-
nungsführer" (Schögel et al. 2005, S. 3) angesehen werden.
Die Auswertung der für Lead User genutzten Bezeichnungen zeigt ein ähnliches Bild
und stimmt meist mit den theoretischen Kriterien überein. 64 Oftmals werden positive
Begriffe gewählt und Lead User als wichtige Kunden dargestellt, die den Unterneh-
men wertvolles Feedback geben können. Häufige Bezeichnungen innerhalb der pra-
xisorientierten Fachartikel sind etwa:
Bastler (Jacobs 1998)
64 Es gilt zu beachten, dass unterschiedliche Bezeichnungen für Lead User aus Stilgründen ge-
nutzt werden, um ständige Wiederholungen des Begriffs zu vermeiden. Da außerdem deutsch-
sprachige Fachartikel analysiert wurden, ist zu vermuten, dass einige Bezeichnungen für Lead
User gewählt wurden, um den englischen Begriff zu vermeiden. Auch bei der Bezeichnung des
Lead User-Ansatzes existieren verschiedenste Begriffe wie Lead User-Integration, Lead User-
Konzept, Lead User-Kooperation, Lead User-Marktforschung, Lead User-Methode, Lead User-
Methodik, Lead User-Prinzip, Lead User-Projekt, Lead User-Prozess oder Lead User-Strategie.
48 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Auch hier wird deutlich, dass Lead User als von der Masse abweichend angesehen
werden, so werden sie bspw. als Querdenker bezeichnet (Gillies 2006b). Dies ist je-
doch nicht zwangsläufig negativ gemeint. Stattdessen verdeutlicht diese Bezeich-
nung die Eigenschaft von Lead Usern, anders als die breite Masse zu denken und in
der Lage zu sein, zukünftige Bedürfnisse früher als der Rest erkennen zu können
(von Hippel 1986).
In nur 41% der praxisorientierten Fachartikel wird der Lead User-Ansatz ausführlich
erläutert bzw. definiert. Umso wichtiger ist es daher, dass die Erläuterungen korrekt
sind, um ein treffendes Verständnis von Lead Usern zu schaffen. Beim überwiegen-
den Teil der Artikel ist ein mit der Theorie konformes Verständnis festzustellen. Die
durch von Hippel definierten Charakteristika werden entweder wörtlich wiedergege-
ben oder korrekt umschrieben. Jedoch ist in einigen Artikeln ein abweichendes und
aus theoretischer Sicht teilweise falsches Verständnis zu erkennen, wie nachfolgen-
de Beispiele verdeutlichen:
Eine Sparkassenfiliale wird als Lead User bezeichnet, die als First Mover eine
neue Form des Kreditantrags angeboten, aber nicht entwickelt hat (Friggemann
2007)
Endkonsumenten, die durch ihr Kaufverhalten den Markt entscheidend prägen
(Gromball 2007)
Großkunden, die Produkte zuerst testen, werden als Lead User benannt
(Schneider 2003)
Lead User sind Firmen, die dem Unternehmen CargoLifter 65 zukünftig nutzen
werden und daher Kapazitäten und Unterstützung für die Entwicklung zur Verfü-
gung stellen (Steffes und Lutz 2000)
Lead User sind Händler, die lediglich an einem bestimmten Projekt teilnehmen
(Günther 2002)
65 Die Cargolifter AG wurde 1996 gegründet und wollte durch die Entwicklung eines Luftschiffs zur
Beförderung von Lasten die Transporttechnik revolutionieren. Nach einer erfolgreichen Vor-
gründungsphase und einem Börsengang im Jahr 2000 musste das Unternehmen durch wieder-
holte Nachkalkulation der Kosten sowie fehlender Investoren 2002 Insolvenz anmelden
(Schwarzburger 2001; Steffes und Lutz 2000).
Literaturanalyse praxisorientierter Fachmagazine zum Lead User-Begriff 49
Lead User üben als Verbraucherapostel Einfluss auf die Entwicklung bekannter
Marken aus (Kilian 2015)
Lead User werden als Werbeträger für neue Produkte bezeichnet und weniger
als Innovatoren (Hermes 2012)
Öffentliche Hand (Politik) wird als Lead User bezeichnet (Dauchert et al. 2013)
Lead User werden also häufig mit wichtigen Kunden gleichgesetzt (Frank und Tobias
2010; Schneider 2013), die jedoch nicht zwingend frühzeitig Kundenbedürfnisse er-
fahren sowie von Innovationen profitieren. Oftmals sind sie lediglich Kunden, die für
die Unternehmen als Geldgeber oder frühe Partner wichtig sind (Schwarzburger
2001; Steffes und Lutz 2000). Zudem werden Lead User aus praktischer Sicht häufig
als potenzielle Kunden oder Werbeträger des Unternehmens gesehen (Gromball
2007; Hermes 2012), ihre Expertise zur Entwicklung von Innovationen ist dabei nicht
oder nur kaum von Belang.
Auf Basis der analysierten Fachartikel kann also festgestellt werden, dass die Lead
User-Eigenschaften nicht immer korrekt wiedergegeben werden. Dadurch kann sich
ein falsches Verständnis festigen. Auch kann bei einer bloßen Erwähnung des An-
satzes nicht davon ausgegangen werden, dass die Leser den Ansatz korrekt einord-
nen können. Daher sollte zukünftig darauf geachtet werden, den Ansatz in Facharti-
keln korrekt und ausführlich zu erläutern.
User-Ansatz als eine erfolgreiche und etablierte Methodik darstellen (Gillies 2006a;
Lemke und Goffin 2005; Schreiber 2007; Wilkes 2012). Bspw. erläutert Liebl (2005):
„Die Beobachtung von Lead Usern als Inspirationsquelle für Innovationen ist mittler-
weile zu Recht erkannt und auf dem Wege, sich auf breiter Front durchzusetzen“
(Liebl 2005, S. 36). Dementsprechend sind in den letzten Jahren vermehrt Unter-
nehmensbeispiele zu finden, bei denen Lead User integriert werden, bspw. Webasto
(Klauß 2014), Beiersdorf (Bilgram et al. 2013), Mammut (Schweisfurth et al. 2013),
Lego (Burmeister und Loh 2009) oder Adobe (Tapscott und Williams 2007). Auch die
in der Theorie etablierten Unternehmensbeispiele wie Hilti (Grosser 2003; Wilkes
2012), Johnson & Johnson (Herstatt und Engel 2006) und 3M (Bilgram und Jawecki
2011; Bretschneider et al. 2011; Krempl 2007; Schäfer 2009) werden in praxisorien-
tierten Artikeln genannt.
Zur Identifizierung und Integration von Lead Usern werden neben dem klassischen
Screening und Pyramiding (Jansen 2009; Lang 2006a; Pätzmann 2003) auch virtuel-
le Methoden aus dem Online-Bereich durchgeführt. Dabei werden Innovationssignale
in Online-Communities identifiziert (Markus et al. 2013), Lead User in virtuellen Pro-
gnosemärkten erkannt (Müller 2009), Ideen von Lead Usern in Online-Workshops
(Honsel 2007) sowie durch Netnography (Salvenmoser 2009) gesammelt oder Lead
User in virtuellen Workshops unter Zuhilfenahme von Toolkits integriert (Krempl
2007). Der technische Fortschritt und die stetige Entwicklung des Internets und des-
sen Methoden bieten wesentliche Vorteile durch die drastische Erhöhung der Kom-
munikationsreichweite und die Möglichkeit, mit Nutzern in aller Welt kommunizieren
zu können (Gieseking 2009). Jedoch wird auch vor möglichen Risiken dieser Ent-
wicklung gewarnt. So stellen Schroll und Römer (2011) fest: „Ideenwettbewerbe ha-
ben in den letzten Jahren, verstärkt durch die zunehmende Internetnutzung, stark
zugenommen. Dadurch entstand ein echter Kampf um die Aufmerksamkeit von Early
Adoptern und Lead Usern. Auftraggeber sind immer öfter gezwungen, zu neuen Mit-
teln zu greifen um ihre Zielgruppe zu erreichen“ (Schroll und Römer 2011, S. 59). Die
Nutzer sind also einer Überflutung an Möglichkeiten zur Partizipierung am Innova-
tionsprozess ausgesetzt. Diese Gefahr wird durch die Tatsache verstärkt, dass Lead
User sehr selten sind und sich aufgrund ihrer intrinsischen Motivation meist nur an
Fragestellungen beteiligen, die ihren Interessen entsprechen (Enkel 2011; Salven-
moser 2009; Schreiber 2007).
Wer im Unternehmen für die Durchführung von Lead User-Projekten zuständig ist,
kann auf Grundlage der Fachartikel nur schwer beurteilt werden. 66 Meist wurden in
66 Zwar wurden die Artikel in Bezug auf die Abteilungen untersucht. Jedoch kann nicht definitiv
angenommen werden, dass nur die genannten Abteilungen verantwortlich sind. Stattdessen
können auch Abteilungen integriert werden, die im Artikel nicht genannt werden.
Literaturanalyse praxisorientierter Fachmagazine zum Lead User-Begriff 51
den Artikeln gar keine für die Lead User verantwortliche Abteilungen oder Personen
genannt. 67 Die Analyse ergab jedoch, dass am häufigsten interdisziplinäre Teams
vorgeschlagen werden (Bilgram et al. 2013; Metzmann 2009; Pätzmann 2003). Dies
ist konform mit der Theorie, nach der ein Team aus verschiedenen Abteilungen und
Zuständigkeiten bestehen sollte (Churchill et al. 2009; Lüthje und Herstatt 2004; Ol-
son und Bakke 2001). Weiterhin wurden die Abteilungen Marketing (bspw. Baeuchle
2006; Junge 2011; Koob und Schoegel 2008; Schögel et al. 2005; Steinbiß und
Volkmann 2007; Wilkes 2012) sowie Forschung & Entwicklung (bspw. Haefliger
2009; Hantrop 2005; Kranz et al. 2009) am häufigsten genannt.
Die Anzahl der integrierten Lead User variiert stark. Oftmals werden sechs bis zehn
Lead User einbezogen, was eine steuerbare Workshopgröße darstellt (Gieseking
2009). Es konnten aber auch Beispiele identifiziert werden, bei denen 30 oder mehr
Lead User integriert wurden, bspw. in einem Online-Panel (Baeuchle 2006; Koob und
Schoegel 2008). Die Dauer der Lead User-Projekte variiert ebenfalls und reicht von
einem Zeitraum von 14 Tagen (Willenbrock 2012) bis zu sechs Monaten (Ciupek
2008), wobei für die Vor- und Nachbereitung eines Projekts weiterer Aufwand zu er-
warten ist. Die Workshops dauern i.d.R. zwei bis drei Tage (Herstatt et al. 2002;
Honsel 2007; Klauß 2014). Die Integration von Lead Usern wurde bei einigen Unter-
nehmen als feste, regelmäßige Methodik implementiert, sodass diese einen routinier-
ten Umgang mit Lead Usern pflegen (Ciupek 2008; Honsel 2007; Wilkes 2012). Die
in den praxisorientierten Fachartikeln genannten Chancen und Risiken entsprechen
zum Großteil der in Kapitel 2.3.3 erläuterten Theorie. 68
Ausgehend von der in Kapitel 2.3.2 definierten Lead User-Theorie wurde weiterhin
analysiert, ob es in den Fachartikeln Hinweise auf den in der Praxis angewandten
Prozess gibt. Dabei bietet sich die Schwierigkeit, dass nur wenige Artikel den Pro-
zess detailliert erläutern. 69 Dennoch sind Hinweise für Besonderheiten und Prozess-
67 Betrachtet wurden die 113 Fachartikel, in denen der Lead User-Ansatz erläutert und nicht nur
erwähnt wurde. Keine genaue Zuständigkeit für Lead User: 48 Nennungen, Interdisziplinäres
Team: 26, Marketing: 19, Forschung & Entwicklung: 10, Externe Experten: 4, Marktforschung:
3, Innovationsabteilung: 2, Produktentwicklung: 1.
68 Auf die ausführliche Erläuterung der Chancen und Risiken wird daher an dieser Stelle verzich-
tet. Eine detaillierte Auflistung findet sich bei Lehnen et al. (2014). Eine Darstellung der Vor-
und Nachteile der Kundenintegration in den frühen Phasen des Innovationsprozesses bieten
zudem Gassmann et al. (2005).
69 Meist wird eine kurze Erläuterung gebracht, jedoch keine detaillierte Beschreibung der einzel-
nen Phasen, bspw: „Ein bewährter Ansatz ist die Lead User Methode, bei der hochgradig inno-
vative Anwender in die frühen Innovationsphasen eingebunden werden. Diese sind mit ihren
Bedürfnissen der breiten Masse weit voraus und entwickeln bereits frühzeitig - wenn noch keine
passenden Produkte am Markt sind - eigene Lösungsideen, -konzepte und funktionsfähige Pro-
totypen. Auf deren Basis sowie den darin ausgedrückten Bedürfnis- und Lösungsinformationen
werden im Rahmen von Workshops konkrete Konzepte für innovative Produkte und Dienstleis-
tungen entwickelt. Diese unterscheiden sich oft deutlich von bisher bekannten Lösungen und
52 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
änderungen in der Praxis zu erkennen. Der angewandte Prozess ähnelt dem theore-
tischen Prozess (vier Phasen) meist (Bretschneider et al. 2011; Hering et al. 2011).
Eine praktische Abweichung ist jedoch zu Beginn des Lead User-Prozesses zu er-
kennen. In der Theorie werden Lead User identifiziert, die Ideen generieren. Diese
werden evaluiert, daraufhin entwickeln Lead User und Mitarbeiter, meist in Form von
Workshops, gemeinsam innovative Konzepte aus diesen Ideen (Herstatt und von
Hippel 1992; Lüthje und Herstatt 2004). In der Praxis sind hier Abweichungen zu er-
kennen. Insbesondere durch die Anwendung virtueller Methoden wie Online-
Communities oder Crowdsourcing ist eine Masse an Ideen und externen Wissen
teilweise bereits vorhanden (Dittrich und Spanner-Ulmer 2011). Die Lead User müs-
sen selber also keine Ideen mehr entwickeln, sondern werden von den Unternehmen
eingesetzt, um die Ideen zu evaluieren, auszusortieren und weiterzuentwickeln
(Krempl 2007). Lead User werden außerdem befragt, um die Arbeit der Forschung &
Entwicklung oder der Marktforschung zu bewerten (Schachinger 2011). Einen weite-
ren Unterschied zur Theorie stellt die Möglichkeit dar, die Lead User zur aktiven Ei-
genbewerbung aufzufordern, wie bspw. die Handelskette Real durch die Online-
Community familiymanager: 70 „Im Gegensatz zu herkömmlichen Konzepten, bei de-
nen die Lead User erst aufwändig aufgespürt werden müssen, haben die Mitglieder
der real-familymanager-Gemeinde die Möglichkeit, sich selbst als Experte zu bewer-
ben. Sie werden von real,- zugelassen, sofern sie ein gewisses Aktivitätsniveau in-
nerhalb der Community haben und aus ihrer Bewerbung eine ausreichende Experti-
se für die Moderation eines vakanten familymanager-Forums hervorgeht“ (Schulten
et al. 2010, S. 47). Jedoch muss bei solchen Ansätzen ganz besonders untersucht
werden, ob es sich tatsächlich um Lead User handelt oder ein anderes Verständnis
(bspw. lediglich wichtige Kunden) vorherrscht.
Um die identifizierten Defizite zwischen Theorie und Praxis zu erklären, kann die
Wissenstransfertheorie angewandt werden.
2.5 Wissenstransfer als Erklärung der Defizite zwischen Theorie und Praxis
Aus dem Vergleich der Literaturanalysen resultieren Defizite zwischen Theorie und
Praxis insbesondere in Bezug auf das Verständnis von Lead Usern sowie dem an-
gewandten Prozess zur Lead User-Integration. Als eine erklärende Theorie zu die-
sem Phänomen erscheint die Wissenstransfertheorie sinnvoll. Die (I) Integration von
Lead Usern in den Innovationsprozess stellt einen Wissenstransfer dar: Möglichst
viel marktrelevantes Wissen und Kreativität wird von den Lead Usern in das Unter-
treffen dazu noch mit hoher Wahrscheinlichkeit den Geschmack der Kunden“ (Schöllhammer
2014, S. 22).
70 Schulten et al. (2010) bezeichnen dies als meritorisches Community Management.
Wissenstransfer als Erklärung der Defizite zwischen Theorie und Praxis 53
nehmen transferiert (Jeppesen und Laursen 2009; Korell 2004; Probst et al. 2012).
Zudem stellt (II) der Übergang des Methodenwissens von Theorie zur Praxis einen
Wissenstransfer dar (Mahr und Lievens 2012; Pircher 2014). In Kapitel 3.1 werden
der Lead User-Ansatz und die Wissenstransfertheorie kombiniert, um daraus die
Forschungsfragen abzuleiten. Als theoretische Basis dafür werden nachfolgend rele-
vante Begriffe (Wissen, Wissensmanagement und -transfer) dieser Theorie definiert
und unterschiedliche Ebenen, Barrieren sowie Lösungsansätze dargestellt.
2.5.1 Wissen
71 Bspw. identifizieren Anand und Singh (2011) zwölf verschiedene Wissensdefinitionen, die sich
in Bezug auf bestimmte Aspekte (z. Bsp. Informationen und Erfahrungen als Grundlage von
Wissen) stark ähneln.
72 In der Originalquelle wird implizites Wissen als tacit knowledge bezeichnet (von Krogh et al.
1998).
54 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Wissen beinhaltet die Anwendung von sowohl theoretischen als auch praktischen
Informationen, Daten und Erfahrungen, um Probleme zu lösen und Entscheidungen
zu treffen.
Weiterhin existieren zahlreiche Wissensmodelle wie die Wissenstreppe nach North
(2011) oder die Wissenspyramide nach Gassmann (2006). Schmid (2013) liefert eine
Übersicht in Bezug auf Kriterien, Wissensart und Merkmale (Tabelle 7):
Für die nachfolgende Analyse des Wissenstransfers von Lead User zu Unternehmen
bzw. Theorie zu Praxis sind insbesondere die Wissensarten des internen und exter-
nen Wissens sowie Praxis- und Theoriewissens bedeutend (Wolter 2009). Es wird
untersucht, ob das unterschiedliche Verständnis von Lead Usern auf einer problema-
tischen Integration externen Wissens beruht. Dabei ist fraglich, ob Unternehmen ex-
ternes Wissen nicht annehmen können oder ob sie es nicht annehmen wollen
(Schmid 2013). Ein möglicher Grund wäre, dass die theoretischen Aussagen nicht in
die praktische Arbeit integriert werden können (Riege 2007). Es ist jedoch auch mög-
lich, dass Unternehmen ihr Praxiswissen dem theoretischen Wissen vorziehen und
daher ihre eigenen Erfahrungen umsetzen (Katz und Allen 1982). Für die Generie-
rung und Nutzung von Wissen ist ein effektives Wissensmanagement notwendig.
2.5.2 Wissensmanagement
Auch bei der Definition von Wissensmanagement finden sich unterschiedliche Ansät-
ze (Anand und Singh 2011; Davenport et al. 1998; Kusterer 2008a; Lehner 2014).
73 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schmid (2013) und Völker et al. (2007).
Wissenstransfer als Erklärung der Defizite zwischen Theorie und Praxis 55
Modelle des Wissensmanagements (Anand und Singh 2011; Davenport et al. 1998;
Keuper 2009; Kusterer 2008a; Lehner 2014; Probst et al. 2012) wird folgende Defini-
tion als grundlegend für diese Arbeit zusammengefasst:
Wissensmanagement bezeichnet die optimale, von internen und externen Faktoren
beeinflusste Nutzung und Weiterentwicklung von Wissen, um es in neue oder ver-
besserte Produkte, Prozesse und Geschäftsfelder umzusetzen.
2.5.3 Wissenstransfer
Wissenstransfer wird als Überführung von Wissen einer Einheit (Person, Gruppe,
Institution) zur nächsten definiert (Musial et al. 2013). Wesentlich ist dabei die opti-
male Wissensverteilung (North 2011). Das richtige Wissen muss an den geeigneten
Adressaten weitergeleitet werden (Argote und Ingram 2000). Hier zeigt sich die Be-
deutung des Wissenstransfers als wesentlicher Teil des Wissensmanagements
(Schmid 2013). Basierend auf dem grundlegenden Sender-Empfänger-Modell nach
Shannon und Weaver (1964) verdeutlicht Abbildung 12 einen vereinfachten Ablauf
des Wissenstransfers:
Dem Modell nach Shannon und Weaver wird der Aspekt des Wissensfluss (Wis-
sensgenerierung und -verwertung) nach Schüppel (1996) hinzugefügt, um zu ver-
deutlichen, dass Wissenstransfer nicht nur einseitig abläuft. Stattdessen verläuft der
Wissensfluss in beiderseitige Richtung, sodass auch der Wissenssender durch den
Wissensempfänger beeinflusst wird (Schmid 2013). Aufbauend auf Argote und In-
gram (2000), North (2011), Schüppel (1996) sowie Shannon und Weaver (1964) wird
der Begriff Wissenstransfer für diese Arbeit zusammengefasst als:
Wissenstransfer ist die effiziente Übertragung von Wissen von einem Objekt 75 zum
anderen, um dieses optimal nutzbar zu machen.
74 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kohler (2008), Schüppel (1996), Shannon und
Weaver (1964) sowie Wolter (2009).
75 Mit Objekt können sowohl Personen, Gruppen und Organisationen oder auf höherer Ebene
Theorie und Praxis gemeint sein (van de Ven und Johnson 2006).
Wissenstransfer als Erklärung der Defizite zwischen Theorie und Praxis 57
Wissensbarrieren treten dann auf, wenn das mögliche Potenzial an Wissen nicht
ausgenutzt und der Lernprozess behindert oder gehemmt wird (Schüppel 1996). 76
Dabei wird zwischen Änderungsbereitschaft und Änderungsfähigkeit unterschieden
(Schmid 2013). In Fällen, die der Änderungsbereitschaft zugeordnet werden, ist ein
Wissenstransfer generell möglich, jedoch unter Umständen nicht erwünscht. Das
Gegenteil tritt bei der Änderungsfähigkeit auf. In solchen Fällen ist der Wissenstrans-
fer zwar gewollt aber nicht möglich (Wolter 2009). Innerhalb dieser Dimensionen
werden vier wesentliche Ebenen von Wissenstransferbarrieren (Kennen, Können,
Sollen, Wollen) unterschieden (Schmid 2013), die im weiteren Verlauf der Arbeit auf
den Lead User-Ansatz angewandt und nachfolgend erläutert werden (Abbildung 13):
Wissenstransfer
Bereitschaft Fähigkeit
Können: Obwohl Wissen transferiert werden darf, besteht die Fähigkeit dazu?
Kennen: Sind grundsätzlich Quellen bekannt, um Wissen anzueignen bzw. weiter zu
geben?
Den einzelnen Wissensebenen werden relevante Einflussfaktoren (Organisation, Mo-
tivation, Qualifikation, Kommunikation) zugeordnet, die den Wissenstransfer beein-
76 Für einen umfangreichen Überblick von Wissensbarrieren sei auf Kern et al. (2009) verwiesen,
die einen Katalog von 46 Wissensbarrieren erstellen.
77 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Keuper (2009), Schuster (2013) und Wolter (2009).
78 Diese Ebene wird auch als Dürfen bezeichnet (Schmid 2013).
58 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
sind (Bendt 2000). Es muss für alle Beteiligten klar sein, dass neues Wissen eine
Bereicherung für das Unternehmen darstellt und nicht dazu dient, potenzielle Schwä-
chen der beteiligten Personen aufzudecken (Pircher 2014; Völker et al. 2007). Aus
organisatorischer Sicht ist es ein wesentlicher Faktor, entsprechende Ressourcen für
den Transfer von Wissen bereitzustellen. Dies betrifft neben finanziellen Anreizen
und Kompensationen der Mitarbeiter vor allem zeitliche Ressourcen. Mitarbeitern
müssen entsprechende Zeitfenster für den Wissenstransfer zur Verfügung gestellt
werden, um diesen effizient bewältigen zu können. Organisatorisch bedeutet dies,
Personen (teilweise) von ihren Tagesaufgaben zu entbinden, um genügend Zeit für
den Wissenstransfer aufbringen zu können (Bendt 2000).
durch den Wissenstransfer erfahren, sind sie auch motiviert, diesen durchzuführen
(Schröder 2003). In einer wissenstransferfreundlichen Unternehmung sind sowohl
Geschäftsführung als auch Mitarbeiter darauf bedacht und motiviert, Neues zu erler-
nen, um das Unternehmen und sich selber weiterzuentwickeln (Gassmann et al.
2010a; Seidel 2003). Dies sollte entsprechend gewürdigt werden, wobei nicht immer
nur finanzielle Belohnung ausreicht. Durch die Aneignung neuen Wissens und des
damit einhergehenden persönlichen Potenzials, wollen Mitarbeiter auch mehr Ver-
antwortung tragen, um ihr neues Wissen anwenden zu können (Bresman et al.
1999). Motivation in Form von Lob, Anerkennung, verantwortungsvolleren Aufgaben
oder Zuständigkeiten sind als Instrument für einen effizienten Wissenstransfer nicht
zu unterschätzen (North 2011; Osterloh und Frey 2000).
Sofern dem Sender die Möglichkeit zum Wissenstransfer oder die entsprechenden
Adressaten nicht bekannt sind, wird Wissen möglicherweise nicht transferiert. Dabei
kann es generell an Kommunikation mangeln oder die Kommunikation adressiert die
falsche Person (Heckert 2002). Als Hindernis für den Wissenstransfer kann auch ei-
ne ungeeignete Kommunikationsstruktur, insbesondere durch unzureichende IT-
Ausstattung, wirken (Seidel 2003).
Die Kommunikation ist der wesentliche Aspekt bei den Wissensbarrieren im Bereich
Kennen (Bartunek und Rynes 2014). Die Akteure können in solchen Fällen über-
haupt nicht entscheiden, ob sie Wissenstransfer betreiben wollen oder nicht, da ih-
nen die Möglichkeit gar nicht bewusst ist (Bresman et al. 1999; Probst et al. 2012).
Auch hier spielt die Unternehmenskultur wieder eine große Rolle: Nur Unternehmen,
die für Neues offen sind und nicht strikt auf bekannten Prozessen verharren, lassen
sich für den Wissenstransfer erreichen (Kern et al. 2009). Zudem ist es für die Kom-
munikation vor allem vom Sender zum Empfänger wichtig, die Vorteile des Transfers
herauszustellen, um Widerstände zu vermeiden (Gassmann et al. 2010a).
62 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
Im empirischen Teil dieser Arbeit wird analysiert, welche Barrieren und Hindernisse
bei Lead User-Projekten verstärkt auftreten. Ziel ist es, zur Vermeidung dieser Prob-
leme Lösungsansätze zu entwickeln bzw. die Lead User-Projekte so zu steuern,
dass die Probleme erst gar nicht auftreten (bspw. durch die Best Practice in Kapitel
7.4). Als theoretische Basis werden nachfolgend Herausforderungen des Wissens-
transfers sowie entsprechende Lösungsansätze genannt, von denen einige bei der
Analyse der Lead User-Projekte in Kapitel 5 und 6 auftreten werden. Tabelle 8 ver-
deutlicht wesentliche Barrieren der Ebenen Sollen und Wollen (Änderungsbereit-
schaft) und weist diesen entsprechende Lösungsansätze zu: 82
Sollen Wollen
82 Für eine ausführlichere Erläuterung von Problemlösungsansätzen sei auf Riege (2007) verwie-
sen, der 206 Aspekte zur Vermeidung von menschlichen, organisationalen und technischen
Barrieren erläutert. Diese sind mit den oft zitierten Publikationen von Nonaka (1994) sowie Da-
venport und Prusak (1998) vereinbar.
83 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Davenport et al. (1998), Keuper (2009), Nonaka
(1994), Probst et al. (2012) sowie Riege (2007). In alphabetischer Reihenfolge.
84 Riege (2007) empfiehlt weiterhin ein Bezahlungs- und Anerkennungssystem.
Wissenstransfer als Erklärung der Defizite zwischen Theorie und Praxis 63
Die Ebenen Sollen und Wollen beinhalten vor allem strukturelle und politische Barrie-
ren. Die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens ist ein zentraler Aspekt, ins-
besondere das Verhalten von Managern gegenüber deren Angestellten (Riege
2007). Eine generelle Missstimmung im Unternehmen erschwert den Wissenstrans-
ferprozess ungemein. Ein vertrauensvoller Umgang miteinander bewirkt hingegen
eine Offenheit gegenüber externem Wissen, das mit einer höheren Wahrscheinlich-
keit angenommen und umgesetzt wird (Davenport und Prusak 1998).
Tabelle 9 zeigt potenzielle Barrieren der Ebenen Können und Kennen (Änderungsfä-
higkeit) sowie Gegenmaßnahmen für diese Ebenen:
Können Kennen
Die Ebenen Können und Kennen betreffen die Fähigkeit zum Wissenstransfer. Die
Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für den Wissenstransfer kann durch das
Unternehmen direkt vorgenommen und beeinflusst werden (North 2011). Jedoch ist
85 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Davenport et al. (1998), Keuper (2009), Nonaka
(1994), Probst et al. (2012) sowie Riege (2007).
64 Theoretische Grundlagen: Der Lead User-Ansatz
die erfolgreiche Umsetzung des Wissenstransfers von der Bereitschaft der Mitarbei-
ter abhängig (vgl. Kapitel 2.5.5). Die für den Wissenstransfer geeignetste Umgebung
ist für das Unternehmen nutzlos, solange die Mitarbeiter dazu nicht gewillt sind (Leh-
ner 2001). Die Maßnahmen zur Vermeidung der Barrieren betreffen meist die Aus-
stattung der Mitarbeiter mit entsprechender Infrastruktur (IT, Räumlichkeiten etc.), die
Durchführung von Schulungen zur Verbesserung der Mitarbeiterkompetenzen bzw.
des Methodenwissens sowie eine effiziente und umfangreiche Kommunikation, um
die Mitarbeiter im Wissenstransfer ausreichend zu informieren bzw. zu involvieren
(Heckert 2002).
Die erläuterten Probleme beim Wissenstransfer sind auf den Lead User-Ansatz an-
wendbar. Die Lösungsansätze bieten erste Ansatzpunkte zur Verminderung des An-
wendungsrisikos. Welche Barrieren genau bei einem Lead User-Projekt auftreten,
wird im empirischen Teil dieser Arbeit untersucht.
86 Absorptive Capacity stellt einen etablierten Begriff in der internationalen Wissenschaft dar (Co-
hen und Levinthal 1990; Tsai 2001; von Hippel 1994). Auch in deutschen Texten wird i.d.R. der
englischsprachige Term genutzt. Daher wird in dieser Arbeit der englische Begriff genutzt und
dieser nicht ins Deutsche übersetzt. Eine mögliche Übersetzung könnte jedoch Absorptive Ca-
pacity als Aufnahmefähigkeit von Wissen beschreiben (Rohrlack 2009).
Zusammenfassung des Theoriekapitels 65
Raasch (2014) nach, dass auch Nutzungswissen die Absorptive Capacity erhöht und
dadurch den Stellenwert von Lead Usern als Wissensgeber für Organisationen
stärkt. Auch Lüthje und Herstatt (2004) verdeutlichen, dass Lead User die Absorptive
Capacity erhöhen und für die Innovationsentwicklung relevante Informationen besser
aufnehmen und weitergeben können. Grimpe und Sofka (2008) stellen fest, dass
Lead User im Vergleich zu wissenschaftlichen Institutionen mehr Ideen und Lösun-
gen für aktuelle Produkte bzw. Services bieten. Im Sinne der Absorptive Capacity ist
das Wissen der Nutzer jedoch schwieriger zu erlangen, was Wissensgenerierung als
auch -transfer erschweren kann.
Diese Arbeit fokussiert sich auf den zuvor definierten Wissenstransfer als theoreti-
sche Grundlage der Forschungslücke. Absorptive Capacity wird nicht explizit analy-
siert, beeinflusst den Wissenstransfer jedoch.
(I) Erwartungen
Theorie Praxis
Umsetzung
Verständnis
(II) Lead User Unternehmen
Prozess
Wissensfluss
Bei der Umsetzung des Lead User-Ansatzes in der Praxis lassen sich zwei Arten von
Wissenstransfer feststellen. Es findet (I) ein Wissenstransfer zwischen Theorie und
Praxis statt: Eine in der Wissenschaft entwickelte Methodik wird in die Praxis einge-
führt und umgesetzt (Probst et al. 2012). Dies kann zu Problemen führen, falls sich
die Methode nicht einwandfrei umsetzen lässt oder die Praktiker die theoretischen
Vorgaben nicht verstehen (Zerfaß 2010). Zum anderen kann der Lead User-Ansatz
(II) selbst als Wissenstransfer verstanden werden, da Wissen vom Lead User zum
Unternehmen transferiert wird (Jeppesen und Laursen 2009; Olson und Bakke
87 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schüppel (1996), Shannon und Weaver (1964)
sowie Wolter (2009).
Als eine weitere Form des Wissenstransfers kann die Informationsgewinnung bzw. -
verarbeitung durch die Integration von Lead Usern dargestellt werden: Der Lead
User transferiert Wissen zum Unternehmen, das daraus Innovationen entwickeln
möchte (Lüthje und Herstatt 2004; Olson und Bakke 2001). Definitionsgemäß haben
Lead User ein großes Interesse daran, Lösungen für ihre Bedürfnisse zu erhalten
(Herstatt und von Hippel 1992; von Hippel 2005a). Entsprechend sind sie i.d.R. be-
reit, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, da bei Lead Usern nicht der wirtschaftli-
88 „The gap between management academics and practitioners has been of concern for decades,
at least as long as early attempts to establish administration as a scientific discipline in the
1950s“ (Bartunek und Rynes 2014, S. 2).
Verbindung von Wissenstransfer und Lead User-Forschung 69
che Erfolg im Vordergrund steht (Franke und von Hippel 2003). Es ist jedoch zu er-
warten, dass die Zusammenarbeit mit Lead Usern nicht immer so idealtypisch ab-
läuft, wie in der Theorie definiert (vgl. Kapitel 2.4). Eine Analyse der praktischen Um-
setzung des Lead User-Ansatzes ist daher auch unter diesem Aspekt notwendig, um
eventuelle Barrieren und Probleme der Umsetzung erkennen und verbessern zu
können. Dass die Anwendbarkeit der Wissenstransfertheorie auf den Lead User-
Ansatz möglich ist, wurde bereits von anderen Wissenschaftlern erkannt. Jeppesen
und Laursen (2009) analysieren bspw. den Wissenstransfer von Lead Usern in Onli-
ne-Communities und stellen dabei fest, dass Lead User eine höhere Motivation zum
Wissenstransfer haben als die übrigen Nutzer. Zudem ist das Wissen der Lead User
von einer höheren Qualität und daher für Unternehmen extrem vorteilhaft (Churchill
et al. 2009; Franke et al. 2006). Dies indiziert, dass die Theorie des Wissenstransfers
nicht nur auf den Lead User-Ansatz anwendbar ist, sondern auch, dass Lead User
ideale Wissensquellen und -träger sind (Mahr und Lievens 2012).
Auf Basis der Wissenstransferebenen (vgl. Kapitel 2.5.4) werden nachfolgend vier
Forschungsfragen abgeleitet, welche der Frage nach der Implementierung dieses
Ansatzes in der Praxis untergeordnet werden können.
Dass die Umsetzung des Lead User-Ansatzes in der Praxis grundsätzlich weiterer
Forschung und Analyse bedarf, wurde in Kapitel 2.3.6 nachgewiesen. Dabei wurde
auch die Frage gestellt, warum der Lead User-Ansatz nicht häufiger und regelmäßig
angewandt wird (Eisenberg 2011; Lettl et al. 2008; Müller-Prothmann und Pinterna-
gel; Olson und Bakke 2001). Zudem verdeutlicht die Literaturanalyse der Fachartikel
aus der Praxis, dass der Lead User-Ansatz zu wenig erläutert wird (vgl. Kapitel
2.4.3). 89 Dies kann, wie die Literaturanalyse ebenfalls ergab, zu einem abweichen-
den und falschen Verständnis von Lead Usern führen. Diese Problematik kann der
Ebene Kennen zugeordnet werden und betrifft vor allem die Kommunikation. Die
Übersicht der Barrieren dieser Ebene zeigt, dass fehlende oder falsche Kommunika-
tion die wesentlichen Barrieren darstellen. Auch die Kommunikation an den falschen
Adressaten sowie eine zu hohe Komplexität können die Bekanntheit des Ansatzes
negativ beeinflussen. Um dies zu quantifizieren sowie Lösungen zur weiteren Ver-
breitung zu entwickeln, wird als erste Forschungsfrage definiert:
FF#1 In wie weit ist der Lead User-Ansatz in der Innovationspraxis bekannt?
89 In nur 41% der analysierten Artikel wird der Lead User-Ansatz (Definition, Prozess etc.) aus-
führlich erläutert.
70 Forschungsfragen: Wissenstransfer im Lead User-Ansatz
In der Theorie wird die Frage diskutiert, ob der Lead User-Ansatz für die Neupro-
duktentwicklung eine geeignete Innovationsmethodik darstellt (Creusen et al. 2013;
Lettl et al. 2006a). Auch die Literaturanalyse der Praxismagazine ergab, dass der
Ansatz im Vergleich zu anderen Methoden eher weniger angewandt wird. Zudem
scheinen einige Autoren von Hippels Definition nicht annehmen zu wollen und kom-
munizieren daher ihr eigenes Verständnis (Dauchert et al. 2013; Gromball 2007;
Schneider 2003). Weiterhin scheinen in der Praxis Widerstände gegen die Integrati-
on von Lead Usern zu existieren. Mitarbeiter können Abneigungen gegenüber exter-
nen Wissen oder Ideen (Not invented here-Syndrom) haben und ihre eigene Innova-
tionskraft überschätzen (Fust et al. 2011). Die identifizierten Barrieren dieser Ebenen
(Wollen und Sollen) entsprechen diesen Erkenntnissen. Fehlender Support des Ma-
nagements sowie mangelnde Motivation der Mitarbeiter zur Wissensteilung kann da-
zu führen, dass der Lead User-Ansatz nicht angewandt wird. Um die Offenheit der
Unternehmen zur Integration von Lead Usern zu analysieren, wird als zweite For-
schungsfrage definiert:
FF#2 Sind die Unternehmen offen für die Integration von Lead Usern?
90 CargoLifter (Lastentransport durch Luftschiff) ist zwar ein Beispiel eines gescheiterten Vorha-
bens. Dabei wurde jedoch ein früher Geldgeber/Kooperationspartner als Lead User definiert.
Das Verständnis von Lead Usern ist aus Sicht der Wissenschaft (von Hippel) also nicht korrekt.
Zudem wurden die Artikel zu Beginn des Projekts verfasst, die Zuversicht war groß und die Er-
läuterungen entsprechend positiv.
Verbindung von Wissenstransfer und Lead User-Forschung 71
probleme auf Basis praktischer Erfahrungen zu erarbeiten, ist daher sinnvoll. Ent-
sprechend wird als dritte Forschungsfrage definiert:
FF#3 Sind die Unternehmen in der Lage, den Lead User-Ansatz anzuwenden
und welche Faktoren erschweren die Umsetzung?
91 Die Beantwortung dieser Frage betrifft alle Wissensebenen (Sollen, Wollen, Kennen, Können).
72 Forschungsfragen: Wissenstransfer im Lead User-Ansatz
95 Schnell et al. (2005) erläutern den Untersuchungsgenstand empirischer Forschung und definie-
ren: „Empirische Sozialforschung kann zunächst als eine Sammlung von Techniken und Me-
thoden zur korrekten Durchführung der wissenschaftlichen Untersuchung menschlichen Verhal-
tens und gesellschaftlicher Phänomene gesehen werden“ (Schnell et al. 2005, S. 5).
wird hingegen davon ausgegangen, dass die Subjektivität nicht vollkommen mini-
miert werden kann (Breuer 2010). Die Subjektivität des Forschenden ist aber nicht
als Problem, sondern als positiver Einflussfaktor auf die Forschung zu bewerten
(Backhaus et al. 2016). Qualitative Forschung bedeutet daher, die erhobenen Daten
zu interpretieren und daraus Schlussfolgerungen abzuleiten (Atteslander 2008; Seka-
ran und Bougie 2010).
Prozess und Ablauf: Der Ablauf quantitativer Erhebungen folgt mehr einer linearen,
fest definierten Vorgehensweise. Die Methoden, Instrumente sowie die durchzufüh-
renden Schritte sollten vor der Datenerhebung klar definiert werden (Bell 2010). Die
Behebung möglicher Probleme quantitativer Erhebungen ist im laufenden Prozess
kaum oder gar nicht möglich; dies ist zudem meist sehr aufwendig. Qualitative Erhe-
bungen folgen einem weniger linearen und dadurch freieren Prozess (Baur und Bla-
sius 2014). Demnach können auch während der Datenerhebung Änderungen durch-
geführt werden (Häder 2015).
Methoden: Es existieren unterschiedliche Methoden für quantitative oder qualitative
Datenerhebungen (Atteslander 2008). 96 Für quantitative Studien werden bspw.
schriftliche Befragungen mit Fragebogen (online und offline), Versuche, Experimente
oder Beobachtungen durchgeführt (Hofmann 2008). Qualitative Methoden sind bspw.
Interviews, Gruppendiskussionen, qualitative Inhaltsanalyse, Beobachtung, Fokus-
gruppen, Video- oder Social Network-Analysen (Mayring 2002).
96 Atteslander (2008) bietet eine vertiefende, detaillierte Erläuterung relevanter Methoden (qualita-
tiv und quantitativ) der empirischen Sozialforschung.
Kombination qualitativer und quantitativer Erhebungsformen 75
Quantitativ Qualitativ
Erreichen einer großen Zahl von Personen Befragter hat Einfluss auf den Inhalt
Statistische Auswertung der Ergebnisse Flexible und offene Methodik, daher wird
Vorteile
97 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Atteslander (2008), Baur und Blasius (2014), Rai-
thel (2008), Schnell et al. (2005) sowie Yin (2009). In alphabetischer Reihentfolge.
76 Forschungsdesign: Kombination quantitativer/qualitativer Forschung
Trend. Auch Shah und Corley (2006) fordern eine stärkere Verbreitung und Nutzung
der Kombination qualitativer und quantitativer Praktiken. Durch die Vereinigung bei-
der Erhebungsformen sollen die dargestellten Nachteile (vgl. Tabelle 10) reduziert
werden. So können erhobene Ergebnisse (bspw. aus einer Online-Befragung) durch
qualitative Tiefenstudien (bspw. Interviews und Fallstudien) validiert, erweitert oder
entkräftet werden (Greer und Lei 2012; Janzik 2011). Auch Flick (2011) stellt fest,
dass beide Erhebungsmethoden nicht getrennt voneinander betrachtet werden soll-
ten. Im Gegenteil, „diese Perspektiven können sich in unterschiedlichen Methoden,
die angewandt werden, und/oder unterschiedlichen gewählten theoretischen Zugän-
gen konkretisieren, wobei beides wiederum mit einander in Zusammenhang steht
bzw. verknüpft werden sollte“ (Flick 2011, S. 12). Die Kombination qualitativer und
quantitativer Forschung hat insbesondere in der letzten Dekade an Bedeutung ge-
wonnen (Backhaus et al. 2016; Brüsemeister 2008; Flick 2011; von Kardorff et al.
2008) und wird auch als Mixed Methods bezeichnet 6FKUHLHUXQG2GD÷ . Eine
grundlegende Definition dieses Begriffs bietet Kuckartz (2014):
„Unter Mixed-Methods wird die Kombination und Integration von qualitativen und
quantitativen Methoden im Rahmen des gleichen Forschungsprojekts verstanden.
Es handelt sich also um eine Forschung, in der die Forschenden im Rahmen von
ein- oder mehrphasig angelegten Designs sowohl qualitative als auch quantitative
Daten sammeln“ (Kuckartz 2014, S. 33).
Bei der Kombination qualitativer und quantitativer Methoden wird zwischen Kombina-
tions- und Integrationsmodellen unterschieden. Innerhalb der Integrationsmodelle
werden quantitative und qualitative Methoden simultan ausgeführt (Wrona 2010).
Kombinationsmodelle werden sequentiell durchgeführt. Mayring (2001) definiert drei
solcher Modelle für das Forschungsdesign (Abbildung 16):
Kombination qualitativer und quantitativer Erhebungsformen 77
Vorstudienmodell
Verallgemeinerungsmodell
Vertiefungsmodell
3. Qualitativ
1. Quantitativ 2. Ergebnisse
Interpretation,
Studie mit möglichst Auswerten und
Korellationsdeutung,
großer Stichprobe interpretieren
Fallstudien
Bei den dreistufigen Modellen wird zwischen dem Vorstudien-, dem Verallgemeine-
rungs- sowie dem Vertiefungsmodell unterschieden (Hofmann 2008; Mayring 2002;
Popp 2012). Für den empirischen Teil dieser Arbeit wird das Vertiefungsmodell an-
gewandt. Dieses Modell stellt das Gegenstück zum Verallgemeinerungsmodell dar
(Mayring 2001). Statt mit einer qualitativen Studie zu beginnen, wird zunächst eine
quantitative Stichprobe durchgeführt, idealerweise mit einer großen Fallzahl. 99 Diese
Studie wird abgeschlossen und die Ergebnisse ausgewertet. Im dritten Schritt wer-
den die Ergebnisse qualitativ analysiert und interpretiert. Die Erkenntnisse der quan-
titativen Studie werden überprüft, detailliertere Schlussfolgerungen sind dadurch
möglich. Für das Kombinationsmodell werden eine internetgestützte Befragung
(quantitativ) sowie eine Fallstudienanalyse (qualitativ) durchgeführt (Baur und Blasius
2014; Bellmann und Himpel 2008; Kusterer 2008a).
Vorteile Nachteile
Automatisierbarkeit Datenschutz/-sicherheit
Die Durchführung und Auswertung ist systema- Dieses dem Internet inhärente Probleme betrifft
tisiert, Filter werden automatisch umgesetzt auch webbasierte Umfragen
Multimedial Repräsentativität
Visuelle (Videos etc.) und auditive (Musik, Jing- Es ist nicht sicher, dass sämtliche Bevölke-
les etc.) Inhalte können gezeigt bzw. abgespielt rungsgruppen (insbesondere ältere Menschen)
werden teilnehmen und wahrheitsgemäß antworten
100 Quelle: Baur und Blasius (2014), Brandenburg (2012), Häder (2015), Jackob et al. (2009) sowie
Sekaran und Bougie (2010). In alphabetischer Reihentfolge.
Kombination qualitativer und quantitativer Erhebungsformen 79
Obwohl die Nachteile dieser Methodik weitestgehend verhindert oder minimiert wer-
den können, wird eine genaue Analyse der Beantwortungen bzgl. ihrer Auswertbar-
keit im Anschluss an die Datenerhebung (vgl. Kapitel 5) durchgeführt.
Nach Bellmann und Himpel (2008) stellt „eine Fallstudie [...] eine kurze, sorgfältig
arrangierte, realistische Unternehmensstory mit allen für einen bestimmten Sachver-
halt relevanten qualitativen und quantitativen Informationen dar“ (Bellmann und Him-
pel 2008, S. 3). Eine Fallstudienanalyse wird angewandt, wenn die Fragen nach dem
Warum bzw. Wie im Vordergrund stehen (Yin 2009). 101 Die Anwendung einer sol-
chen Forschungsmethodik ist in diesem Fall daher geeignet: Warum ändern Unter-
nehmen den Prozess der Lead User-Projekte? Wie ändern sie ihn? Was für Effekte
bewirken diese Änderungen? Fallstudienanalysen werden insbesondere in der Ex-
plorationsphase eingesetzt, um Zusammenhänge und Verknüpfungen zu erarbeiten
und eignen sich demnach für die Beantwortung dieser Fragestellungen (Schögel und
Tomczak 2009). Kusterer (2008a) nennt drei wesentliche Aspekte bzw. Vorausset-
zungen zur Eignung von Fallstudienanalysen:
101 „Your choice depends in large part on your research question(s). The more that your questions
seek to explain some present circumstance (e.g., “how” or “why” some social phenomenon
works), the more that the case study method will be relevant“ (Yin 2009, S. 4).
80 Forschungsdesign: Kombination quantitativer/qualitativer Forschung
Vorteile Nachteile
Realitätsnähe Übertragbarkeit
Zusammenhänge können realitätsnaher hinter- Fallstudienergebnisse können nicht ohne Wei-
fragt werden statt nur deskriptiv beschrieben teres auf die Allgemeinheit übertragen werden
Unternehmensfindung
Zusammenhänge
Die Weitergabe vertraulicher Daten wird oft
Können im persönlichen Gespräch direkt er-
gescheut, geeignete Fallstudien sind daher
fragt und erläutert werden
schwer zu finden
102 Flyvbjerg (2006) widerlegt fünf Missverständnisse von Fallstudien: Die Annahme (1), dass ge-
nerelles, theoretisches Wissen wertvoller als konkretes, praktisches Wissen ist, wird widerlegt.
Es wird (2) oftmals davon ausgegangen, dass auf der Basis einer einzelnen Fallstudie keine
Generalisierbarkeit besteht und Fallstudien daher keinen wissenschaftlichen Beitrag leisten.
Dies ist jedoch der Fall: „One can often generalize on the basis of a single case, and the case
study may be central to scientific development via generalization as supplement or alternative to
other methods“ (Flyvbjerg 2006, S. 228). Fallstudien sind (3) für die Generierung und Überprü-
fung von Hypothesen nutzbar und beschränken sich nicht auf die alleinige Generierung von Hy-
pothesen. Ebenfalls widerlegt wird die Annahme (4), dass die Verifizierung der Ergebnisse ver-
zerrt ist und lediglich die Auffassung des Forschers bestätigt wird. Zuletzt wird (5) bestätigt,
dass die Zusammenfassung von Fallstudien oftmals schwieriger ist, was häufig jedoch an den
Eigenschaften der Fallstudie (Unternehmensauswahl etc.) liegt als an der Methodik selbst.
103 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Baur und Blasius (2014), Bell (2010), Eisenhardt
und Graebner (2007) sowie Sekaran und Bougie (2010). In alphabetischer Reihentfolge.
Kombination qualitativer und quantitativer Erhebungsformen 81
Abschweifen: Da solche Projekte durch viele Aspekte und Faktoren beeinflusst wer-
den, ist diese Gefahr gegeben. Jedoch stehen die Prozessänderungen und Lö-
sungsansätze der Unternehmen stets im Mittelpunkt; dieser Fokus wird durch einen
Fallstudienleitfaden fortwährend beibehalten.
Übertragbarkeit: Die Projekte sind sich grundsätzlich sehr ähnlich. Zwar weichen die
Prozesse voneinander ab, jedoch ist die Grundlage i.d.R. der in der Theorie etablier-
te Prozess (wenn auch teilweise stark verändert). Eine Übertragbarkeit auf andere
Fälle und Lead User-Projekte ist dadurch gegeben.
Unternehmensfindung: Durch die quantitative Umfrage werden geeignete Unterneh-
men ermittelt, die bereits Lead User-Projekte durchgeführt haben. Durch die Analyse
der entsprechenden Beantwortungen dieser Probanden kann sichergestellt werden,
dass die Unternehmen für die Fallstudie geeignet sind. Zudem können die An-
sprechpartner direkt kontaktiert werden.
104 Heimerl (2009) definiert: „Multiple Fallstudien gelten grundsätzlich als valider als Einzelfallstudi-
en“ (Heimerl 2009, S. 388).
105 „Finally, while there is no ideal number of cases, a number between 4 and 10 cases usually
works well. With fewer than 4 cases, it is often difficult to generate theory with much complexity,
and its empirical grounding is likely to be unconvincing. [...] With more than 10 cases, it quickly
becomes difficult to cope with the complexity and volume of the data“ (Eisenhardt 1989, S. 545).
82 Forschungsdesign: Kombination quantitativer/qualitativer Forschung
4.2.2.2 Anwendungsbeispiele
Theoretische Fallstudien-
Experten-
Literaturanalyse interviews
interviews (n=7)
(n=133) (n=17)
Praktische Weiterentwick-
Literaturanalyse Pretest (n=10) lung des Lead
(n=255) User-Ansatzes
Online-
Befragung Best Practice
(n=249)
Durch die bereits erläuterte Vorstudie im ersten Schritt wurden explorative Ergebnis-
se erfasst. Dazu wurde neben einer in Dissertationen üblichen Literaturanalyse wis-
senschaftlicher Publikationen (n=133) eine umfangreiche Analyse von 255 Artikeln
praxisorientierten Fachmagazinen durchgeführt. Dadurch konnten erste Erkenntnisse
und Eindrücke in Bezug auf die Implementierung des Lead User-Ansatzes in der
Praxis gewonnen sowie Unterschiede zwischen Theorie und Praxis festgestellt wer-
den. Basierend auf den Literaturanalysen wurde die Wissenstransfertheorie als ge-
eignete theoretische Grundlage der Forschungslücke erkannt.
Für die quantitative Umfrage im zweiten Schritt wurden zunächst sieben Interviews
mit Personen aus der Praxis durchgeführt, die bereits Lead User-Projekte durchge-
führt haben. Dies diente zur Erstellung des Fragebogens, der nicht nur auf theoreti-
sche Aspekte aufbauen, sondern auch Inhalte aus der Praxis (bspw. Herausforde-
rungen und Erfolgsfaktoren) beinhalten sollte. Die Umfrage wurde so aufgebaut,
dass die Unternehmen ihre eigenen Erfahrungen äußern und somit neue Erkenntnis-
se gewonnen werden konnten. Eine reine Abfrage der Aspekte auf Basis der Theorie
sowie der Vorstudie wäre kontraproduktiv, da gerade die Analyse praktischer, über
die theoretischen Kenntnisse hinausgehender Aspekte im Fokus dieser Arbeit steht.
Dies ist der Unterschied zum Vorstudien- sowie dem Verallgemeinerungsmodell, da
keine starre, quantitative Erhebung durchgeführt wird, sondern durch eine explorative
Umfrage neues Wissen generiert wird (Mayring 2001). Nach einem Pretest (n=10)
und einer Nachbesserung des Fragebogens auf Grundlage von Feedbackgesprä-
chen, wurden durch die Online-Umfrage 249 107 Unternehmen befragt. Die Ergebnis-
se der quantitativen Studie werden in Kapitel 5 sowohl deskriptiv (bspw. Be-
kanntheitsgrad des Ansatzes) als auch qualitativ (bspw. Definition von Lead Usern)
ausgewertet.
Im dritten Schritt wurde analog zum Vertiefungsmodell die qualitative Vertiefungsana-
lyse durchgeführt, die die Interpretation und detaillierte Analyse der Resultate als Ziel
hat. Dazu wurden 17 Fallstudieninterviews mit deutschsprachigen Unternehmen ge-
führt und die zuvor erfassten Ergebnisse überprüft. Schließlich wurde auf Basis aller
Analysen und Studien eine Anpassung bzw. Weiterentwicklung des theoretischen
Lead User-Ansatzes vorgenommen (Kapitel 7).
107 1154 Unternehmen wurden insgesamt kontaktiert, 249 nahmen an der Befragung teil (vgl. Kapi-
tel 5.1.3).
84 Forschungsdesign: Kombination quantitativer/qualitativer Forschung
Die gesamte Empirie dieser Arbeit, von den Literaturanalysen im Rahmen der Vor-
studie über die quantitative Online-Befragung bis zur qualitativen Fallstudienanalyse,
kann als Methodentriangulation bezeichnet werden (Flick 2011). Durch Kombination
verschiedener, sowohl quantitativer als auch qualitativer Methoden wird ein Sachver-
halt (Integration von Lead Usern in die Innovationspraxis) analysiert und entspre-
chende Daten erhoben. Die Fallstudienanalyse selbst ist eine Datentriangulation
(Patton 2015). Verschiedene Datenquellen, in diesem Fall unterschiedliche Unter-
nehmen und Personen (Unternehmensmitarbeiter, Lead User), werden zur Analyse
des gleichen Phänomens befragt.
Grundsätzlich ist durch die verschiedenen Studien im Rahmen dieser Arbeit eine
Triangulation der Ergebnisse, also eine Analyse der Forschungslücke aus unter-
schiedlichen Perspektiven, gewährleistet.
108 Nach Flick (2011) wird weiterhin zwischen Triangulation innerhalb einer Methode (bspw. durch
Nutzung unterschiedlicher Subskalen in einer Erhebung) sowie Triangulation zwischen Metho-
den (Kombination verschiedener Methoden zur Datenerhebung) unterschieden.
5 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Zur Analyse der Umsetzung des Lead User-Ansatzes in der Innovationspraxis wird
eine empirische, quantitative Untersuchung in Form einer internetgestützten Umfrage
durchgeführt. Eine Studie mit diesem Themenfokus existiert bisher nicht (vgl. Kapitel
2.3.5). Wichtige Aspekte in Bezug auf die praktische Umsetzung wie Barrieren, Er-
folgsfaktoren, Prozessänderungen oder verschiedene Definitionen sind daher nur
teilweise oder gar nicht in der wissenschaftlichen Literatur zu finden. Solche Erfah-
rungen können nur durch die Praxis selbst wiedergegeben werden (Richter 2010).
Datensammlung
Schriftlich Mündlich
109 Auch Sekaran und Bougie (2010) bestätigen die Durchführung einer explorativen Studie für die
Zielsetzung dieser Arbeit als angemessen: „Exploratory studies are undertaken to better
comprehend the nature of the problem since very few studies might have been conducted in
that area“ (Sekaran und Bougie 2010, S. 104).
110 Explorative Studien werden in der Wissenschaft, bspw. in Dissertationen (Richter 2010) oder
wissenschaftlichen Journalpapern (Enkel und Mezger 2013), häufig genutzt, um bisher wenig
erfasste Fragestellungen zu analysieren (Meffert et al. 2012).
111 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kuß et al. (2014) sowie Schnell et al. (2005).
Umfragen können schriftlich oder mündlich gestaltet werden (Schnell et al. 2005).
Die schriftliche Version bietet einen Dokumentationsvorteil, da die Beantwortungen
direkt aufgeschrieben werden (Baur und Blasius 2014). Dies kann entweder im Inter-
net (online) oder in Papierform durchgeführt werden. Die internetbasierte Vorge-
hensweise bietet den Vorteil, dass Internet-Links einfacher verschickt werden können
als Fragebögen in Papierform (Jackob et al. 2009). Zudem können Softwarepro-
gramme genutzt werden, um die Auswertung zu erleichtern (Gordon 2002).
Die Online-Befragung soll die praktische Sicht des Lead User-Ansatzes abbilden und
neue Erkenntnisse aus der Praxis erbringen. Ideal wäre daher, wenn die Befragten
ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen (Erfolgsfaktoren, Herausforderungen etc.)
zu jeder Frage erläutern würden. Dies würde jedoch bedeuten, stets offene Fragen
zu stellen, was praktisch nicht umsetzbar ist (Schumann 2012). Zu hoch wäre die
Abbruchquote, da die Probanden nachweislich wenig Motivation und Zeit zum Be-
antworten einer großen Zahl offener Fragen haben (Raithel 2008). Stattdessen muss
der Fragebogen Antwortvorgaben enthalten, die die Teilnehmer auswählen können
(Mayring 2001). Zwar wurden im Theorieteil (vgl. Kapitel 2.3) wesentliche Aspekte
des Lead User-Ansatzes wie Erfolgsfaktoren, Herausforderungen oder Weiterent-
wicklungen der Eigenschaften erläutert. Jedoch spiegelt dies die Theoriesicht wieder.
Den Fragebogen für die Online-Befragung auf dieser Basis abzuleiten, würde dazu
führen, dass nur die in der Theorie vorhandenen Punkte analysiert werden und dem
Bestreben dieser Arbeit (Analyse der praktischen Anwendung) daher widersprechen.
Dementsprechend ist es notwendig, über die theoretischen Erkenntnisse hinaus re-
levante Aspekte aus der Praxis vorzugeben.
Die Analyse der praxisorientierten Fachartikel (vgl. Kapitel 2.4) weist erste Erkennt-
nisse in Bezug auf die Integration von Lead Usern in die Innovationspraxis auf, je-
doch basiert diese Ex-post-Analyse auf veröffentlichten Informationen. Detaillierte
Nachfragen sowie die Fokussierung auf relevante Problemstellungen und Zusam-
menhänge sind daher nicht möglich (Sekaran und Bougie 2010). Zur Überprüfung
der erarbeiteten Kenntnisse anhand realer Unternehmensaussagen wurden daher
sieben Experteninterviews durchgeführt, die der Validierung und Ergänzung der in-
nerhalb der Literaturanalysen erkannten Aspekte dienen (Atteslander 2008; Schnell
et al. 2005). Die Experteninterviews haben einen explorativen Charakter (Honer
2011a). Dadurch sollen die Experten die Möglichkeit erhalten, auch Inhalte anzu-
sprechen, die durch die bisherigen Analysen nicht abgedeckt wurden und daher nicht
Teil des Fragebogens sind (Bogner et al. 2002). Experteninterviews sind insofern
besonders geeignet, da standardisierte Interviews den Befragten zu sehr einschrän-
Methodisches Vorgehen 87
ken (Honer 2011a). 112 Entsprechend wurde ein teilstrukturierter Fragebogen auf Ba-
sis der Literaturanalysen erstellt (vgl. Anhang A). Dieser wurde nach Kategorien ein-
geteilt, die für die Analyse der praktischen Umsetzung relevant sind und auf den Er-
gebnissen der Literaturanalysen (vgl. Kapitel 2) basieren:
G Wissenschaft >5
112 „Die wesentlichste Differenz zwischen einem Experteninterview und einem standardisierten
(Umfrage-)Interview besteht darin, dass beim ersteren die Interviewerin ihren Fragekatalog
nicht direktiv verwendet, um eine optimale Vereinfachung der Vergleichbarkeit ihrer Daten zu
erzielen, sondern als Angebot für ein informiertes Gespräch und um es sozusagen ,jederzeit zu
vergessen' gegenüber den Relevanzsetzungen - auch und gerade gegenüber den unerwarte-
ten, außergewöhnlichen und abweichenden - der Befragten“ (Honer 2011a, S. 51).
113 Interviewdauer: A = 25:22 netto (25:46 brutto); B = 32:37 (39:33); C = 32:07 (33:30); D = 54:07
(59:03); E = 45:26 (49:19); F = 34:42 (35:49); G = 58:41 (58:41); Durchschnitt = 40:26 (43:05).
88 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Als weiterer, wichtiger Aspekt wurde die Organisation der Projekte genannt. Die An-
zahl der integrierten Lead User variiert von sechs (B) bis zwanzig (E). Vier der sechs
Unternehmen führten das Projekt mit einem wissenschaftlichen Partner durch, die
anderen beiden arbeiteten ohne Partner (C) bzw. wurden durch eine Unternehmens-
114 Auf die Kodierung der Interviews durch MAXQDA sowie die Überprüfung der Intercoder-
Reliabilität wurde verzichtet. Die Interviews sollen einen Eindruck über relevante Aspekte in der
Praxis geben und zur Vorbereitung des Fragebogens dienen. Die Auswahl und Bewertung der
Inhalte ist zu diesem Zweck durch den Autor möglich und bedarf keiner Überprüfung weiterer
Personen. Für die umfangreichere Fallstudienanalyse in Kapitel 6 werden diese Maßnahmen
zur Überprüfung der Objektivität durchgeführt.
115 Nachfolgend werden die Mitarbeiter des Unternehmens sowie das Unternehmen selbst syno-
nym mit dem jeweiligen Buchstaben (A-F) bezeichnet.
Methodisches Vorgehen 89
beratung unterstützt (A). Insbesondere die Unternehmen, die mit Hochschulen zu-
sammenarbeiten (B, D, E, F), führten Screening oder Pyramiding zur Lead User-
Identifizierung durch. Ergänzt wurde diese Suche durch moderne Methoden wie Net-
nography und Communities (A, D, E). Die Befragten der Online-Studie sollten daher
die Möglichkeit haben, weitere Methoden zur Lead User-Identifizierung erläutern zu
können.
Auffällig ist, dass die einbezogenen Fachabteilungen der Unternehmen sehr unter-
schiedlich sind. So werden recht spezielle und nicht bei jedem Unternehmen vorhan-
dene Abteilungen wie Bedürfnisforschung (D), Konzernentwicklung (E) oder Zulas-
sung (F) involviert. Die Abteilungen Forschung & Entwicklung sowie Marketing wur-
den bei fast allen Projekten beteiligt (B, D, E, F). Dies entspricht den Ergebnissen der
vorherigen Literaturanalyse (vgl. Kapitel 2.4). Bei den beteiligten Abteilungen ist da-
her in der Online-Befragung eine große Varianz zu erwarten. In Bezug auf den Pro-
zess lässt sich wiederum eine Nähe zur Theorie durch die Unternehmen erkennen,
die mit Hochschulen kooperieren (B, D, E, F). Jedoch sind auch Anpassungen des
Prozesses durch die Unternehmen an deren praktischen Rahmenbedingungen zu
erkennen. D verkürzt den Selektionsprozess bei der Lead User-Suche und nutzt be-
reits vorhandene Kontakte: „Dann werden solche Themen etwas abgekürzt, die in
der Methodik relativ viel Zeit brauchen. [...] Weil ich glaube, viele Firmen haben sol-
che Kontakte, sie wissen es nur noch nicht.“ C verzichtet ebenfalls auf einen auf-
wendigen Screeningprozess, da die Kunden und potenziellen Lead User dem Unter-
nehmen bekannt sind. Jedoch stellt C fest, dass das Verzichten auf ein umfangrei-
ches Lead User-Screening ein hohes Risiko birgt: „Auf der anderen Seite steckt da
natürlich auch ein Stückweit Gefahr dahinter. Denn man hat dadurch die Gefahr,
dass man sich wirklich mit immer wieder den gleichen Kunden beschäftigt und eben
komplett neue Märkte und komplett neue Anwendungsfelder ausblendet.“ Die durch-
geführten Prozessänderungen sollten daher zwingend in der Online-Studie abgefragt
werden. Die Nutzung einer offenen Frage erscheint hier sinnvoll, um die größtmögli-
che Varietät bei dieser wichtigen Frage gewährleisten zu können.
Die Frage nach den Herausforderungen sowie Erfolgsfaktoren ist für die Überprüfung
der praktischen Anwendung elementar. Entsprechend wird auf Basis der Expertenin-
terviews analysiert, welche Aspekte zusätzlich zur Theorie wichtig sind und als Vor-
gaben für den Fragebogen aufgenommen werden sollten.
Konform zur Theorie wurde von allen Unternehmen die schwierige und aufwendige
Identifizierung von Lead Usern als eine wesentliche Herausforderung genannt. Als
möglicher Grund wurde, neben der grundsätzlichen Seltenheit von Lead Usern,
90 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
mangelnde Motivation zur Teilnahme an den Workshops und der entgeltlosen Wei-
tergabe von Ideen genannt (A, B). B nimmt daher an, dass bei längeren Workshops
eine Bezahlung der Lead User notwendig ist, um diese zusätzlich zu motivieren. Als
eine weitere Herausforderung wurde die große Unsicherheit von Lead User-
Projekten in Bezug auf Prozessplanung und Ergebniserwartung bei hohem finanziel-
len und zeitlichen Aufwand genannt (A, D, E). Seitens der Unternehmen ist daher
eine ausreichende Offenheit gegenüber externen Ideen und ungewissen Ergebnis-
sen notwendig. Ein weiterer Faktor ist die Frage nach der Geheimhaltung der Ideen
(Wem gehören die Ideen?) bzw. dem geistigen Eigentum (B, F).
Durch den explorativen Charakter der offenen Experteninterviews wurden Aspekte
genannt, die sich aus der Theorie nicht ergeben bzw. in der theoretischen Literatur
nicht oder weniger relevant sind. Für die Erstellung des Fragebogens sind diese
Aussagen jedoch umso bedeutsamer. So wird durch die Experteninterviews das Ver-
ständnisproblem bestätigt (D, E, F), das sich durch die Analyse der praxisorientierten
Fachartikel bereits angedeutet hatte. F machte bei der Durchführung des Lead User-
Projekts die Erfahrung, dass sowohl das Verständnis von Lead Usern als auch das
Projekt selber nicht ausreichend kommuniziert wurde. So wurden Mitarbeiter gar
nicht oder falsch über den Inhalt und das Ziel des Projekts informiert. Eine umfang-
reiche Kommunikation scheint im Unternehmen also notwendig, um ein korrektes
Verständnis sowie Akzeptanz für das Projekt zu schaffen. Dies wird durch die Aus-
sagen von E bestätigt. Demnach war ein großer Erfolgsfaktor, dass sämtliche Mitar-
beiter über das Lead User-Projekt informiert wurden 116 und dadurch eine größere
Offenheit im Unternehmen herrschte. Eine weitere Herausforderung bezeichnet A als
„Faktor Mensch“. Demnach ist es kaum voraussehbar, wie die Lead User persönlich
miteinander im Rahmen eines Workshops agieren und kommunizieren. Lead User
sind an einem Sachverhalt sehr interessierte Personen mit überdurchschnittlicher
Expertise. Im Idealfall ergänzen sie sich, was den Workshop und die daraus resultie-
renden Ergebnisse positiv beeinflusst. Im schlechtesten Fall sind sie von ihren eige-
nen Ideen und Kenntnissen so eingenommen, dass sie die Meinungen anderer gar
nicht oder nur teilweise akzeptieren. Um dieses Risiko zu mindern, ist eine gute Mo-
deration der Workshops notwendig (A, B, D, E). Ein in der Praxis ebenfalls auftreten-
des Problem ist die mangelnde Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse (E). Es be-
steht die Gefahr, dass ein Lead User-Projekt mit dem Workshop als abgeschlossen
wahrgenommen wird und die Resultate nicht weiter umgesetzt werden. Eine weitere,
konkrete Änderung betrifft den zeitlichen Umfang der Workshops. A stellt fest, dass
116 Alle Mitarbeiter wurden aufgerufen, ihre Ideen zu eine bestimmten Fragestellung zu äußern.
Dadurch wurden die in Kapitel 2.3.4 erläuterten Embedded Lead User identifiziert (Schweisfurth
2013).
Methodisches Vorgehen 91
ein Workshop zukünftig drei Tage umfassen sollte, um ausgiebig mit den Lead Usern
diskutieren und entwickeln zu können. 117
117 „Also, ich hätte so das Gefühl gehabt, dass [...] wenn man doch vielleicht noch einen halben
Tag mehr gehabt hätte und den Lead Usern die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Ideen vielleicht
selber weiter zu verfeinern, dass dann doch noch das eine oder andere [...] greifbare Projekt
herausgekommen wäre“ (A).
118 „Drum habe ich es auch super gefunden. Also ich glaube, dass wir einfach vielleicht 50% weiter
verwenden“ (D).
92 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
119 „Ist jetzt nicht konkret so, dass ich sage: Morgen startet das nächste Lead User-Projekt, das
nicht, aber es ist einfach jetzt im Werkzeugkoffer drin“ (E).
Methodisches Vorgehen 93
Ja Ansatz Nein
bekannt?
Ansatz
angewandt?
Ja Nein
(I) Ansatz angewandt (II) Ansatz nicht angewandt (III) Ansatz unbekannt
Bewertung Bewertung Bewertung
Erfahrungen Geeignetere Methoden Geeignetere Methoden
Erfolgsfaktoren Gründe für Ablehnung Mögliche Probleme
Herausforderungen Verbesserungen Offenheit zur Anwendung
Verbesserungen
Demografische
Informationen
Zu Beginn wird die Bekanntheit des Lead User-Ansatzes abgefragt. Wird diese Frage
bejaht, wird weiterhin untersucht, ob der Ansatz auch angewandt wird. Ist dies der
Fall (I), werden die Erfahrungen mit diesem Ansatz abgefragt. Insbesondere die Her-
ausforderungen und Erfolgsfaktoren sind dabei relevante Aspekte, ebenso Vorschlä-
ge für Verbesserungen des Ansatzes. Sofern der Ansatz bekannt ist, aber nicht an-
gewandt wird (II), werden die Gründe dafür erfragt. Aus diesen Gründen lassen sich
wichtige Informationen ableiten, da auf Basis solcher Kritik Lösungsvorschläge und
Verbesserungen entwickelt werden können. Sofern der Ansatz den Befragten unbe-
kannt ist (III), wird den Probanden der Ansatz erläutert und die Offenheit zur Anwen-
dung abgefragt. Interessant ist dabei die Einschätzung, ob es aus Sicht der Befrag-
ten bessere Methoden zur Entwicklung von Innovationen gibt. Aus diesen bevorzug-
ten Methoden können wiederum Lehren gezogen und Weiterentwicklungen abgelei-
tet werden. Bei allen drei Pfaden soll zusätzlich die Eignung des Lead User-Ansatzes
zur Entwicklung innovativer Produktkonzepte bewertet werden. Der Fragebogen
schließt mit demografischen Fragen, die für die Pfade jeweils identisch sind und eine
Vergleichbarkeit gewährleisten.
Bei der Art der Fragen wird zwischen geschlossenen und offenen Fragen unter-
schieden (Atteslander 2008; Baur und Blasius 2014; Brosius et al. 2012). Bei offenen
Fragen kann der Befragte alles antworten, was er gerne äußern möchte (Schumann
2012). Dies verspricht vor allem bei explorativen Umfragen wichtige Informationen,
insbesondere da diese über die Antwortmöglichkeiten hinaus gehen können, die der
Autor erwartet (Häder 2015). Die Auswertung offener Fragen ist jedoch vor allem bei
Umfragen mit einer hohen Beteiligung sehr aufwendig. Zudem können offene Fragen
die Motivation der Befragten zum Ausfüllen des Fragebogens gefährden, da offene
Fragen mühseliger zu beantworten sind als das Auswählen vorgegebener Antwort-
möglichkeiten (Raithel 2008). 121 Offene Fragen sollten daher nur selten angewandt
werden (ebd.). Geschlossene Fragen hingegen geben bestimmte Antwortmöglichkei-
ten vor, die der Autor festlegt (Atteslander 2008). Die Auswertung geschlossener
Fragen ist weniger aufwendig, die Beantwortung ist schneller durchführbar als bei
offenen Fragen (Brosius et al. 2012). Durch die Beantwortung pfadentscheidender
Fragen 122 werden die Befragten durch die zuvor erläuterten Pfade geleitet. Diese
sind entweder mit Ja oder Nein zu beantworten. Weitere Ja/Nein-Fragen wurden ge-
stellt, meist jedoch mit einem zusätzlichen Textfeld als Option zur Begründung der
Antwort. 123 Durch die offene Beantwortung dieser Fragen werden wichtige Aussagen
erwartet, warum andere Methoden bevorzugt werden, der Lead User-Ansatz nicht
anwendbar ist oder warum die Ziele des Projekts nicht erreicht wurden. Desweiteren
wurden Fragen mit einer Mehrfachauswahl gestellt. Bei diesen Fragen ist nicht nur
eine Antwort möglich, der Befragte kann alle Antwortmöglichkeiten auswählen, die
zutreffen. Werden bei einem Lead User-Projekt bspw. mehrere Abteilungen eines
Unternehmens involviert, so können alle zutreffenden Antworten angeklickt wer-
den. 124 Wichtig ist hierbei der Hinweis, dass eine Mehrfachauswahl an Antworten
möglich ist, sodass der Befragte sich nicht zwingt, nur eine Antwortmöglichkeit zu
wählen. Bei bewertenden Fragen wurde eine 5er-Likert-Skala gewählt (Kuckartz et
al. 2010). Diese Skalen bestehen aus fünf Antwortmöglichkeiten (Items) (Brosius et
al. 2012). 125 Den einzelnen Items werden Nominalwerte zugeordnet, die zur Auswer-
tung addiert werden. Zur Beurteilung wird aus der Summe der Antworten der Durch-
121 „Als problematisch erweisen sich offene Fragen darin, dass Befragte oft Schwierigkeiten haben
oder es ihnen einfach zu lästig ist, offene Fragen zu beantworten. Daraus ergeben sich häufig
Antwortverweigerungen. Des Weiteren ist die Auswertung offener Fragen recht aufwendig, da
praktisch jeder Befragte seine Antworten anders formuliert“ (Raithel 2008, S. 68).
122 Vgl. Abbildung 19: Kennen Sie den Lead User-Ansatz? (Ja/Nein); Wurde in Ihrem Unternehmen
bereits ein Lead User-Projekt durchgeführt? (Ja/Nein).
123 Bspw.: Wurde das Lead User-Projekt in Ihrem Unternehmen entsprechend durchgeführt oder
gab es Abweichungen? Ja, es wurde nach dem theoretischen Prozess durchgeführt bzw. Nein,
es gab folgende Abweichungen:...
124 Welche Abteilungen waren bei dem Lead User-Projekt involviert? (mehrere Antworten möglich)
= Externe Berater, Forschung & Entwicklung, Geschäftsführung, Innovationsmanagement, Mar-
keting, Marktforschung, Wissenschaftlicher Partner, Vertrieb, Sonstiges (bitte angeben). Auch
hier ist es wichtig, ein Optionsfeld (Sonstiges) anzugeben, sodass der Befragte eine eigene
Antwort niederschreiben kann. Dies entspricht dem explorativen Charakter der Umfrage und ist
wichtig, um die Offenheit gegenüber den Befragten zu bewahren.
125 Bsp.: Zur Beantwortung der Frage „Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten eines Lead User-
Projekts, innovative Produktkonzepte zu entwickeln?“ kann der Befragte zwischen den Ant-
wortmöglichkeiten äußerst positiv, positiv, neutral, negativ, äußerst negativ wählen.
Methodisches Vorgehen 95
schnitt gebildet. 126 Um eine aussagekräftige Antwort zu erhalten, sollten dazu jedoch
ausreichend viele Antworten abgegeben werden (mindestens 100), da Ausreißer den
Durchschnittswert sonst zu stark beeinflussen können (Schnell et al. 2005). Die un-
gerade Zahl von fünf Antwortmöglichkeiten ermöglicht, sich einer Frage neutral ge-
genüber zu positionieren (Raithel 2008). Da bei dieser Studie bei einigen Fragen
neutrale Antworten zu erwarten sind, ist eine ungerade Zahl von Antwortmöglichkei-
ten sinnvoll. 127 Hätte der Befragte keine Möglichkeit einer neutralen Antwort, besteht
die Gefahr, dass er sich für eine Antwort entscheidet, die er eigentlich gar nicht ge-
ben würde: „Eine gerade Anzahl birgt dagegen die Gefahr, der Akquieszenz Vor-
schub zu leisten, also der Tendenz der Befragten, eine Frage im Zweifelsfall zu beja-
hen. Auch dies würde einen Messfehler verursachen“ (Baur und Blasius 2014, S.
706).
Um die Motivation der Teilnehmer aufrecht zu erhalten, wurden nur zwei offene Fra-
gen gestellt (Atteslander 2008). Diese betreffen jedoch sehr wichtige Aspekte dieser
Umfrage. Zum einen wird durch eine offene Frage abgefragt, welche Eigenschaften
nach Meinung des Befragten einen Lead User ausmachen (vgl. Anhang B). Diese
Frage ist sehr wichtig, um das Verständnis des Ansatzes in der Praxis zu überprüfen.
Zudem sollte hier nicht mit geschlossenen Fragen und damit Antwortmöglichkeiten
gearbeitet werden, da die Teilnehmer offen ihre Einschätzung eines Lead Users ab-
geben sollen. Die Vorgabe von Antwortmöglichkeiten kann den Befragten insofern
beeinflussen, dass er eine Antwort auswählt statt seine evtl. differente Meinung nie-
derzuschreiben (Baur und Blasius 2014). Eine zweite offene Frage betrifft etwaige
Verbesserungsvorschläge zur Verbesserung des Lead User-Ansatzes. 128 Auch hier
sollen die Befragten frei ihre Meinung und Einschätzungen äußern. Eine Beeinflus-
sung durch die Vorgabe bestimmter Antworten würde die Aussagekraft der Ergeb-
nisse mindern (ebd.). Für das Fragebogendesign wurden verschiedene Vorlagen
gesichtet sowie Hinweise aus Veröffentlichungen aufgenommen (Baur und Blasius
2014; Schnell et al. 2005; Schumann 2012; Schweisfurth 2013). 129 Es sollten nur
Fragen gestellt werden, die von großem Interesse sind und zum Themenfeld beitra-
126 Bspw. werden den zuvor genannten Antwortmöglichkeiten die Werte 1,2,3,4,5 zugeordnet. Ein
Durchschnittswert von 1,5 würde bedeuten, dass die Befragten die Erfolgsaussichten eines
Lead User-Projekts zur Entwicklung innovativer Produktkonzepte positiv bewerten (zwischen
äußerst positiv (1) und positiv (2)).
127 Kennt ein Proband den Lead User-Ansatz bspw. nicht, so wird er ihm erläutert und daraufhin
nach der Einschätzung gefragt, wie dieser Ansatz zur Innovationsentwicklung bewertet wird. Ei-
ne neutrale Einschätzung des Befragten ist dabei zu erwarten.
128 Was würden Sie am Lead User-Ansatz ändern, damit eine Anwendung in Ihrem Unternehmen
sinnvoll wäre? (stichpunktartig) (vgl. Anhang B).
129 So raten bspw. Schnell et al. (2005), unterschiedliche Farben für die Fragen zu vermeiden, die
Instruktionen jedoch anders zu gestalten als die Fragen. Dieser Hinweis wurde bei der Erstel-
lung des Fragebogens berücksichtigt.
96 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
gen (Brace 2013). Unnötige Fragen stellen eine Verschwendung an Ressourcen dar,
weil andere, potenziell wichtigere Fragen, nicht gestellt werden (ebd.). Zudem sollte
der Fragebogen nicht zu viel Zeit beanspruchen, damit beim Befragten nicht der Ein-
druck einer Zeitverschwendung entsteht und dadurch die Abbruchwahrscheinlichkeit
erhöht wird (Atteslander 2008). Um dies zu verhindern, wurden nur die für diese Ar-
beit wichtigsten Fragen ausgewählt und darauf geachtet, dass die Beantwortung des
Fragebogens nur etwa zehn Minuten in Anspruch nimmt. 130 Damit die Teilnehmer
den Fragebogen überall ausfüllen können, wurde die Online-Software SurveyMonkey
genutzt (Gordon 2002). Bei einer idealen Dauer von maximal 15 Minuten der Online-
befragung kann auf eine Incentivierung verzichtet werden (Baur und Blasius 2014).
Den Umfrageteilnehmern wurde jedoch die Möglichkeit geboten, ihre Kontaktdaten
anzugeben, um eine Zusammenfassung der Umfrageergebnisse zu erhalten.
130 Die Überprüfung wurde durch den Pre Test durchgeführt (vgl. Kapitel 5.1.2).
131 Fünf Wissenschaftler, fünf Mitarbeiter von Unternehmen unterschiedlicher Branchen.
Methodisches Vorgehen 97
gen der einzelnen Fragen). Da alle Teilnehmer des Pre Tests den Fragebogen als
verständlich bewerteten, wurde nach Einarbeitungen der Verbesserungsvorschläge
die Umfrage begonnen.
1) Gelten in ihrer Branche als Nummer eins, zwei oder drei im weltweiten Markt
2) Jahresumsatz beträgt weniger als drei Milliarden Euro
132 Leimeister et al. (2011) stellen fest, dass begrenzte Ressourcen von 45% der KMUs und nur
von 36% der Großunternehmen als Herausforderung bei der Kundenintegration bewertet wer-
den.
133 Simon (2009) gilt als Begründer dieses Themengebiets und definiert die Kriterien folgenderma-
ßen: „Who is a hidden champion? Number one, two or three in the global market, or number
one on its continent. The market position is generally determined by market share. If a company
does not know its exact market share, we use the relative market share (its own market share,
revenues or number of units divided by the market share, revenues or number of units of the
strongest competitor). As it is not possible to monitor every market, we rely on the market share
information provided by the companies; Revenue below $4 billion; Low level of public aware-
ness. This aspect cannot be quantified precisely, but over 90% of the companies included meet
this requirement from the qualitative point of view“ (Simon 2009, S. 15).
98 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Die Abbildung zeigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich die meisten Hid-
den Champions vorweisen kann. Zu vermuten ist daher, dass aufgrund dieses Po-
tenzials nicht nur Großunternehmen (3M, Johnson & Johnson etc.), sondern auch
mittelständische Unternehmen den Lead User-Ansatz anwenden oder zumindest für
die Anwendung offen sind. Die Voraussetzungen dafür (Finanzen, Innovationskraft,
Marktkenntnis etc.) sollten insbesondere bei den Hidden Champions vorliegen.
Damit im Rahmen der Umfrage eine effektive Bewertung des Ansatzes vorgenom-
men werden kann, sollen zudem Unternehmen befragt werden, die bereits Kunden in
ihren Innovationsprozess integrieren und somit entsprechende Expertise haben oder
Kundenintegration zumindest beurteilen können. Zu erwarten ist dies bei Unterneh-
men, die im Rahmen verschiedener Innovations- und Industriepreise ausgezeichnet
wurden. Für die Umfrage wurden demnach die Preisträger und Nominierten von drei
Industriepreisen (Top 100 Innovatoren, Deutscher Mittelstandspreis, Industriepreis
der Initiative Mittelstand) ausgewählt. Diese Unternehmen agieren in einer Vielzahl
unterschiedlicher Branchen und sind an Innovationsmanagement interessiert bzw.
als innovativ zu bezeichnen. Eine Einbeziehung der Unternehmen (Preisträger und
Nominierte) der Auszeichnungen vor 2010 ist nicht zielführend, da eine Vielzahl der
verantwortlichen Personen dieser Jahrgänge nicht mehr im Unternehmen arbeitet.
Zum anderen ist zu befürchten, dass die Motivation der Unternehmen zur Teilnahme
abnimmt, je länger die Auszeichnung zurück liegt. Aktuelle Preisträger sind im Be-
Insgesamt wurden 1482 Unternehmen durch die Industriepreise seit 2010 ausge-
zeichnet oder waren nominiert. 135 Dabei kommt es zu zahlreichen Doppelungen, da
eine Firma (I) für den gleichen Industriepreis in verschiedenen Jahren nominiert oder
ausgezeichnet werden kann oder (II) ein Unternehmen mehrere Industriepreise
gleichzeitig gewinnen kann. 136 Diese Doppelungen wurden entfernt, sodass schließ-
lich 1154 verschiedene Unternehmen kontaktiert wurden. Tabelle 14 fasst die Anzahl
der Unternehmen für die jeweiligen Quellen zusammen:
Tabelle 14: Auswahl der Umfrageteilnehmer
Mittelstandspreis 0 96 71 71 67 67 372
Industriepreis 39 38 38 30 31 31 207
Kontrollgruppe 72 0 0 0 0 0 72
Seit 1993 werden jährlich mittelständische, deutsche Unternehmen für ihre Innovati-
onskraft als Top 100 Innovatoren ausgezeichnet. 138 Der Innovationspreis wurde von
Prof. Dr. Franke von der Wirtschaftsuniversität Wien entwickelt. 139 Die Jury der Top
135 Zu Beginn der Umfrage (11. Juli 2015) waren die Preisträger und Nominierten des Deutschen
Mittelstandspreises für das Jahr 2015 noch nicht veröffentlicht und konnten in die Umfrage da-
her nicht aufgenommen werden.
136 Bspw. wurde die Fissler GmbH als Top 100 Innovator in den Jahren 2011, 2012, 2013 und
2014 ausgezeichnet. Die HG Hans Geiger Formenbau GmbH wurde sowohl als Preisträger des
Mittelstandspreises 2013 als auch als Top 100 Innovator 2012, 2013 und 2014 ausgezeichnet.
137 Unternehmen unterschiedlicher Branchen.
138 Alle nachfolgenden Informationen sind der Website www.top100.de entnommen.
139 Von 1993 bis 2002 war Hans-Jürgen Warnecke Mentor dieser Auszeichnung, 2002 bis 2011
begleitete Lothar Späth in dieser Rolle das Projekt. Seit 2011 ist Ranga Yogeshwar der Mentor.
100 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
100 besteht aus 36 Personen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Um die Aus-
zeichnung als innovatives Unternehmen zu erhalten, durchlaufen die Unternehmen
ein Auswahlverfahren, wozu sie sich selbst anmelden müssen. Die Bewertung wird
„auf Basis eigener Untersuchungen und aktueller Erkenntnisse der internationalen
Innovationsforschung“ (Yogeshwar 2014, S. 17) durchgeführt. Der Bewertung liegen
fünf Kriterien zugrunde, nach denen die Unternehmen begutachtet werden:
1) Innovationsförderndes Top-Management
2) Innovationsklima
5) Innovationserfolg
Im ersten Schritt müssen die Unternehmen 30 Fragen zu den zuvor genannten The-
menbereichen beantworten. 140 Auf dieser Basis wird seitens der Organisatoren be-
wertet, ob ausreichend Innovationskraft und -potenzial vorhanden ist, sodass eine
weitergehende Analyse der Unternehmen lohnt. Mit den innovativsten Unternehmen
wird dann ein individuelles Rating durch die Jury durchgeführt und schließlich die
Preisträger ermittelt. Ausgezeichnet werden Unternehmen in drei Kategorien (bis zu
50 Beschäftigte, 51 bis 250 Beschäftigte sowie mehr als 250 Beschäftigte). 141
3) Die Rechte Dritter dürfen durch die Teilnahme nicht verletzt werden
143 Im Jahr 2014 wurden bspw. 4.555 Unternehmen für die Auszeichnung vorgeschlagen.
144 Regionen: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin/Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-
Württemberg, Bayern, Hessen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen/Bremen,
Rheinland-Pfalz/Saarland, Schleswig-Holstein/Hamburg.
145 Alle nachfolgenden Informationen sind der Website www.imittelstand.de entnommen. Durch die
Initiative Mittelstand wird zusätzlich der Innovationspreis-IT jährlich vergeben.
102 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Eine Jury von 31 Personen aus Wissenschaft, Journalismus und Wirtschaft bewertet
die Unternehmen nach den Kriterien Innovationsgehalt (Neuheit, Produktreife und
Zukunftsorientierung) und Nutzen (erkennbarer Nutzen, Auswirkung auf Profitabilität,
Effizienzsteigerung). 146 Beim Industriepreis der Initiative Mittelstand liegt der Fokus
neben dem ökonomischen Nutzen (Profitabilität, Effizienzsteigerung etc.) auf dem
Innovationsgehalt der Unternehmen. Daher sind durch die Umfrage Erfahrungen die-
ser Unternehmen mit dem Lead User-Ansatz bzw. eine fachkundige Evaluation des
Ansatzes zu erwarten.
5.1.3.4 Kontrollgruppe
Von den oben genannten Preisträgern und Nominierten der Industriepreise wird er-
wartet, dass sie durch ihre nachgewiesene Innovativität praktische Erfahrungen mit
dem Lead User-Ansatz weitergeben oder - sofern der Ansatz bisher nicht bekannt
war - das Potenzial im Vergleich zu anderen Innovationsmethoden bewerten können.
Sie können die Methoden effektiver evaluieren bzw. vergleichen und somit vielver-
sprechende Aussagen zum Lead User-Ansatz treffen. Jedoch birgt der Fokus auf
diese prämierten Unternehmen die Gefahr, dass der Lead User-Ansatz bekannter ist
als in Unternehmen, die nicht explizit innovativ tätig sind. Um zu überprüfen, ob eine
solche Verfälschung der Ergebnisse vorhanden ist, werden als vierte Quelle Mitarbei-
ter von Unternehmen befragt, die nicht mit den zuvor genannten Industrie- und Inno-
vationspreisen ausgezeichnet wurden. Durch Vergleich der Gruppen kann im Nach-
hinein festgestellt werden, ob die Umfrage aufgrund der Auswahl der Unternehmen
beeinflusst wurde.
5.1.4 Datensammlung
Mit der Entwicklung des Fragebogens wurde zu Beginn des Jahres 2015 begonnen.
Neben der Herleitung des Fragebogenkonstrukts und der inhaltlichen Gestaltung der
Fragen auf Basis der Theorie sowie der Experteninterviews nahm die Recherche der
zu befragenden Unternehmen viel Zeit in Anspruch. Da davon auszugehen ist, dass
nicht personalisierte Mails an Info- oder Kontaktadressen 147 oftmals nicht den richti-
gen Ansprechpartner finden und daher eine Teilnahme an der Umfrage unwahr-
scheinlicher ist als bei personalisierten Anschreiben, wurden in einer umfangreichen
146 Im Jahr 2014 wurden bspw. 15 Nominierte und 13 Sieger in den Kategorien Antriebs- & Fluid-
technik, Automotive, Biotechnologie, Elektrotechnik, Energie & Umwelt, Forschung & Entwick-
lung, IT- & Softwarelösungen für die Industrie, Intralogistik & Produktionsmanagement, Medizin-
technik, Mikrosystemtechnik, Optische Technologien, Produktionstechnik & Maschinenbau,
Service & Dienstleistungen sowie Zulieferer ausgezeichnet. Zudem gibt wird ein Gesamtsieger
prämiert.
147 Bspw.: info@tuhh.de.
Methodisches Vorgehen 103
11.06.2015 02.07.2015
Vorbereitung Umfrage Versenden Versenden Versenden der
und Sammeln Umfrage per Umfrage per Ergebnisse an
Kontaktdaten Survey Monkey XING / Mail Teilnehmer
Am 11. Juni 2015 wurde die Umfrage an die Unternehmen per Mail über Survey-
Monkey versendet. Ein wichtiger Faktor bei der Planung der Umfrage war die Termi-
nierung außerhalb der Ferienzeit in Deutschland. 149 Etwa eine Woche nach Versen-
den der Umfrage wurde eine Erinnerung an die Personen verschickt, die bis dahin
noch nicht teilgenommen oder die Umfrage nicht vollständig ausgefüllt hatten. Am 2.
Juli wurden die Mails und Nachrichten per XING an die Kontrollgruppe verschickt.
Anfang August wurde die Umfrage abgeschlossen.
die Daten von SurveyMonkey nach SPSS exportiert. Zur Auswertung und zum Ver-
gleich der Ergebnisse wurden zunächst geeignete Variablen vergeben. 151 Danach
wurden die Häufigkeiten ausgezählt, um Aspekte wie Bekanntheit oder Anwendung
des Ansatzes deskriptiv zu beschreiben. Um den Zusammenhang zwischen zwei
oder mehr Variablen zu untersuchen, ist die Erstellung von Kreuztabellen geeignet
(Baur und Fromm 2008; Janssen und Laatz 2013). So kann bspw. die Bekanntheit
des Ansatzes je Branche abgebildet werden. Es gilt jedoch zu beachten, dass die
Fallzahlen und damit die Aussagekraft der Aussagen sinken, je detaillierter die Zu-
sammenhänge untersucht werden (Schendera 2005). Die ausgegebenen Tabellen
und Daten wurden schließlich in Form von Balkendiagrammen visualisiert.
5.1.6 Umfrageteilnehmer
151 Bspw. wurden den Industriepreisen die Nummern 1 bis 4 (1=Industriepreis der Initiative Mittel-
stand, 2=Mittelstandspreis etc.) zugeordnet. Die Variablen dienen der Übersichtlichkeit bei der
Auswertung.
152 Die Kontrollgruppe sind hauptsächlich Kontakte des Autors. Daher ist deren Bereitschaft zur
Teilnahme und somit die Rücklaufquote mit 89% sehr hoch. Die Beantwortung wird dadurch je-
doch nicht beeinflusst, da alle Teilnehmer der Kontrollgruppe die für sie und ihr Unternehmen
relevanten Antworten selbständig abgeben. Es wurden keine vorherige Informationen durch den
Autor geäußert, lediglich die Bereitschaft zur Teilnahme ist durch diese Kontakte höher. Ohne
die Kontrollgruppe beträgt die Rücklaufquote 17%.
Methodisches Vorgehen 105
der Fragebogen als unvollständig gewertet; bei dieser Umfrage in 40 Fällen. 27 die-
ser unvollständigen Fragebögen waren solche, die bereits nach wenigen Fragen ab-
gebrochen wurden und somit tatsächlich unvollständig bzw. unbrauchbar sind. Die
Antworten dieser Fragebögen wurden daher nicht in die Auswertung aufgenommen.
In den übrigen 13 Fällen wurden die Fragen beantwortet, der Fragebogen jedoch
nicht durch Anklicken des Feldes Fertig abgeschlossen. Die Daten dieser Fälle wur-
den in die Auswertung aufgenommen, sodass letztlich 222 auswertbare Fragebögen
vorhanden sind.
5.1.6.1 Teilnehmerdaten
80% der Umfrageteilnehmer waren männlich, die restlichen 20% weiblich. 153 Durch-
schnittlich waren die Befragten 44 Jahre alt. Mit ca. 36% weist der Großteil der Be-
fragten eine Arbeitserfahrung von mehr als zehn Jahren im aktuellen Unternehmen
auf, nur ca. 8% waren erst weniger als drei Jahre beschäftigt. 154 Daher ist davon
auszugehen, dass die Teilnehmer eine ausreichende Kenntnis über ihr Unternehmen
aufweisen. Die Umfrage fokussierte sich auf mittelständische Unternehmen. Da klei-
nere Unternehmen oftmals keine eigene Innovationsmanagementabteilung haben
und die Aufgabenverteilung mehr auf die Geschäftsführung statt auf Fachabteilungen
fokussiert ist als bei Großunternehmen oder Konzernen, sind von den Befragten nur
9% im Innovationsmanagement, 10% in der Produktentwicklung und 8% im Vertrieb
tätig. 16% der Teilnehmer arbeiten im Marketing, der Großteil von 42% ist in der Ge-
schäftsführung der Unternehmen tätig.
Fast die Hälfte der Befragten (47%) kann dem oberen Management (bspw. Ge-
schäftsführung und Vorstand) zugeordnet werden (Abbildung 22):
153 n=210. Die Angabe demografischer Daten (Alter etc.) war in der Umfrage kein Pflichtfeld, die
Beantwortung konnte ausgelassen werden.
154 Weniger als 1 Jahr: 3%; 1 bis 2 Jahre: 5%; 3 bis 5 Jahre: 30%; 6 bis 10 Jahre: 24%; Mehr als
10 Jahre: 38%.
155 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen.
106 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Der hohe Wert an führenden Managern verstärkt den Stellenwert der Umfrage, da
hauptsächlich Personen mit entsprechender Entscheidungsgewalt befragt wurden.
Ziel der umfangreichen Beschaffung der Kontaktdaten war es zudem, möglichst die
relevanten Abteilungen (Geschäftsführung, Innovationsmanagement etc.) zu kontak-
tieren und nicht auf Kontakt- und PR-Adressen zurückgreifen zu müssen. Positiv ist
somit die Tatsache, dass nur 3% der Befragten dem Bereich PR und Kommunikation
zuzuordnen sind.
5.1.6.2 Unternehmensinformationen
156 94% sind deutsche Unternehmen (169), 2% stammen aus Österreich (4) und 1% aus der
Schweiz (2). Zudem nahmen zwei Unternehmen aus Schweden sowie den USA und eins aus
Dänemark an der Umfrage teil (n=180).
157 1-10 Mitarbeiter: 4%; 11-50: 31%; 51-250: 28%; 251-1000: 20%, < 1001: 17% bei n=208.
158 < 5 Jahre: 2%; 5-10: 13%; 11-20: 23%; 21-50: 32%; 51-100: 17%; > 100: 13% bei n=20.
159 Die 22 von Statista definierten Branchen wurden zu zehn Branchengruppen (bspw. Elektronik,
IT & Telekommunikation) zusammengefasst, um aussagekräftige Vergleiche der Branchen zu
ermöglich.
160 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen.
Ergebnisse der Online-Befragung 107
Die Grafik zeigt, dass ein weites Spektrum unterschiedlicher Branchen befragt wur-
de. Die meisten Unternehmen agieren im Bereich der Elektronik, IT & Telekommuni-
kation (21%), die wenigsten werden der Forschung & Bildung zugeordnet (3%). Im
weiteren Verlauf dieser Arbeit (vgl. Kapitel 6) werden Unterschiede bei den Branchen
bzw. dem Unternehmenskontext, Business-to-Business (B2B) bzw. Business-to-
Consumer (B2C), analysiert. Ein detaillierter Vergleich der Branchen wird nachfol-
gend in der Ergebniserläuterung vorgenommen, um etwaige Restriktionen bei der
Implementierung innerhalb der einzelnen Branchen zu analysieren.
Die Frage, ob ihnen der Lead User-Ansatz bekannt sei, verneinten 61% der Befrag-
ten (136). 39% (86) war der Ansatz demnach bekannt. An dieser Stelle ist es sinn-
voll, die unterschiedlichen Beantwortungen der jeweiligen Quellen zu analysieren
(Abbildung 24):
80%
60%
40%
Gemäß der allgemeinen Verteilung der Bekanntheit (61% nicht bekannt, 39% be-
kannt), ist der Ansatz in den meisten Branchen öfter unbekannt als bekannt. Eine
Ausnahme bildet der Bereich Forschung & Bildung. Fünf von sechs Befragten war
der Ansatz in diesem Gebiet bekannt. Da davon auszugehen ist, dass sich Personen
im Bereich Forschung & Entwicklung mehr mit innovativen Methoden auseinander-
setzen, ist diese Erkenntnis nicht verwunderlich. Bemerkenswert ist jedoch die Ver-
teilung im Bereich Handel & Produktion. Nur 24% der Befragten dieser Branche
kannten den Lead User-Ansatz, der dadurch in diesem Bereich vergleichsweise un-
bekannt ist. Eine stärkere Verbreitung dieser Methode ist daher gerade im Bereich
Handel & Produktion sinnvoll. 167
Ausgehend von der Beantwortung dieser Frage wurde der Fragebogen in zwei Pfade
unterteilt. Nachfolgend werden die Beantwortungen in Bezug auf die (I) Offenheit
(Ansatz bisher nicht bekannt) sowie (II) die Erfahrungen (Ansatz bereits bekannt)
erläutert.
166 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen. Abweichend zu den übri-
gen Diagrammen werden bei dieser Abbildung statt Prozentwerte die Fallzahlen dargestellt, da
ein Vergleich der jeweiligen Anzahl je Branche vorgenommen wird. Prozentzahlen sind zu die-
sem Zweck weniger aussagekräftig.
167 Zu beachten sind die geringen Fallzahlen und die dadurch limitierte Verallgemeinbarkeit. Die
Ergebnisse stellen daher eher Tendenzen als definitive Aussagen dar, da eine zufällige Beein-
flussung der Resultate (bspw. Befragung von 29 Personen im Bereich Handel & Produktion)
nicht ausgeschlossen werden kann.
168 Äußerst positiv: 16%, positiv: 45%.
169 Äußerst negativ: 1%, negativ: 3%.
170 Die Überprüfung der Anwendungsoffenheit je Gruppe (Industriepreis, Mittelstandspreis, Top
100 sowie Kontrollgruppe) verdeutlicht wiederum, dass die Kontrollgruppe nicht abweicht und
die Beantwortungen der Umfrage durch die Auswahl der Industriepreise nicht verzerrt ist: Kön-
nen Sie sich vorstellen, ein Lead User-Projekt durchzuführen? Industriepreis: Nein=15%,
Ja=85%; Mittelstandspreis: Nein=31%, Ja=69%; Top 100: Nein=17%, Ja=83%; Kontrollgruppe:
Nein=15%, Ja=85%. Es ist wiederum zu erkennen, dass die Unternehmen des Industriepreises
(85%), der Top 100 Innovatoren (83%) sowie der Kontrollgruppe (85%) sehr ähnlich antworten
und sich die Durchführung eines Lead User-Projekts zum Großteil vorstellen können. Die Re-
sultate der Preisträger des Mittelstandspreises weichen hingegen wieder ab. So können sich
110 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Als mögliche Probleme bei der Integration von Lead Usern sehen die Unternehmen,
denen der Ansatz bisher nicht bekannt war, insbesondere die schwierige Planbarkeit
des Projekts (45%) sowie des Projektoutputs (41%). Zwar liegt der Vorteil der Integ-
ration genau darin, dass gerade unvorhersehbare, innovative Konzepte entstehen.
Den Unternehmen scheint jedoch das Risiko (insbesondere durch Aufwand und Kos-
ten) zu hoch zu sein, ohne den Projektverlauf genau vorhersagen zu können. 38%
gaben zudem an, dass der Aufwand für ein solches Projekt generell zu hoch ist, 29%
erwarten einen zu hohen Widerstand innerhalb des Unternehmens. Ein bemerkens-
werter und durch die Unternehmen beeinflussbarer Aspekt ist das Fehlen geeigneter
Strukturen und Abläufe für ein derartiges Projekt (34%). Interessanterweise gaben
nur 11% der Befragten als Hinderungsgrund für die Anwendung des Ansatzes an, sie
würden keine brauchbaren Ergebnisse erwarten. Dies unterstützt die Aussage, dass
der Lead User-Ansatz Potenzial zur Entwicklung von Innovationen hat.
40% der Befragten bejahten die Frage, ob Methoden vorhanden sind, die für die
Entwicklung innovativer Produktkonzepte besser geeignet sind als der Lead User-
Ansatz. Die qualitative Auswertung dieser Frage 171 verdeutlicht, dass eine starke
und effiziente Kommunikation mit dem Kunden als wesentliche Voraussetzung für die
Entwicklung kundenorientierter Innovationen bewertet wird. Verschiedene Teilneh-
mer erwähnten als wichtigen Faktor, die interne Innovationskraft und das Wissen der
Mitarbeiter über die Kunden aktiv zu integrieren sowie Kunden und Mitarbeiter zu-
sammenarbeiten zu lassen:
„Innovationen im eigenen technischen Team zu entwickeln, natürlich nahe am
Kundenwunsch.“
„Innovationsmanagement über die Mitarbeiter. Befragungen etc. jeder Ebene.
Einfluss der Mitarbeiter durch Bonus-System honorieren.“
„Involvierende, spielerische Workshops mit Mitarbeitern UND Kunden.“
Desweiteren sollte der Lead User-Ansatz nicht losgelöst von anderen Methoden zur
Kundenintegration betrachtet werden. Stattdessen sollten Methoden kombiniert wer-
den, um sich gegenseitig zu ergänzen:
„Dieser Ansatz ist eine Methode, in der täglichen Praxis werden immer mehrere
Methoden kombiniert.“
„Eine vorgeschaltete Discoveryphase, die User so früh wie möglich in die Ideen-
findung integriert hat.“
etwa zwei von drei Unternehmen (69%) dieser Gruppe die Durchführung eines Lead User-
Projekts vorstellen.
171 Frage: Gibt es Methoden, die Ihrer Meinung nach für die Entwicklung von innovativen Produkt-
konzepten besser geeignet sind? Antwortmöglichkeiten: Ja, und zwar:...; Nein.
Ergebnisse der Online-Befragung 111
Eine interessante Fragestellung ist daher, wie der Lead User-Ansatz in den Innova-
tionsprozess eingeordnet werden kann, um ihn mit anderen Methoden kombinieren
zu können. Erste Hinweise dazu werden in der Fallstudienanalyse (vgl. Kapitel 6)
erläutert. Eine Einordnung in den Innovationsprozess bietet schließlich Kapitel 7.2,
zudem wird der Lead User-Ansatz mit dem Stage Gate-Prozess in Kapitel 7.3 kom-
biniert.
Diejenigen Teilnehmer, denen der Lead User-Ansatz bereits bekannt war, wurden
nach der Anwendung im Unternehmen gefragt (Abbildung 26):
In den meisten Fällen gilt: Wenn der Ansatz bekannt ist, wird er auch angewandt. Im
Bereich Forschung & Bildung nutzen sogar sämtliche Befragte diesen Ansatz. Be-
merkenswert ist die Verteilung im Bereich Bau, Handwerk & Logistik. Nur jedes fünfte
Unternehmen (20%) wendet den Ansatz an. 173 Als eine mögliche Erklärung wurden
die Besonderheiten der Kunden in dieser Branche genannt:
„Wir haben mehrere Ansätze in dieser Richtung bereits durchgeführt. Nicht sel-
ten sind die Anforderungen der Kunden jedoch entweder zu limitiert oder so abs-
trus, dass sie technisch in keinem adäquaten wirtschaftlichen Rahmen umzuset-
zen sind. Nicht selten weckt man beim Kunden Begehrlichkeiten, die aufgrund
Die Befragten, die den Ansatz trotz Bekanntheit nicht nutzen, wurden nach den
Gründen für die Ablehnung gefragt. Abbildung 27 visualisiert die Gründe, Lead User
bei der Entwicklung innovativer Produktkonzepte nicht zu integrieren:
Zu aufwendig 29%
Sonstiges 4%
Abbildung 27: Gründe für die Ablehnung des Lead User-Ansatzes 174
Als häufigster Grund, Lead User bei der Entwicklung innovativer Produktkonzepte
nicht zu integrieren, wurde das Fehlen geeigneter Strukturen und Abläufe innerhalb
des Unternehmens für die Durchführung solcher Projekte genannt (33%). 29% be-
mängelten einen zu hohen Aufwand bei zu geringen oder gar keinen verwertbaren
Ergebnissen (25%). Widerstand im Unternehmen (21%) sowie eine schwierige Plan-
barkeit des Projektverlaufs (13%) stellen weitere, wesentliche Herausforderungen
von Lead User-Projekten dar, die insbesondere dem Projektmanagement zugeordnet
werden können.
Bemerkenswert ist weiterhin die Aussage bzw. Haltung einiger Befragter, dass aus-
reichend Ideen innerhalb ihrer Unternehmen vorhanden seien und ideenfördernde
Methoden daher abgelehnt würden:
„Durch die Größe unseres Unternehmens sind wir ständig im Erarbeiten neuer
Ideen, und benötigen daher keinen speziellen Prozess.“
Teilweise wird dem Gedanken von Open und User Innovation, dass Kunden maß-
geblich zur Entwicklung von Innovationen beitragen können, grundsätzlich wider-
sprochen:
174 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen. Mehrfachnennungen mög-
lich, daher über 100%.
Ergebnisse der Online-Befragung 113
Gegenüber externen Einflüssen besteht bei einigen Unternehmen immer noch eine
große Abwehrhaltung. Es wird davon ausgegangen, dass die interne Innovationskraft
ausreicht:
„Bei uns hat der Chef kreative Ideen (von Messen, aus Netzwerken o.ä.) und die
werden zu neuen Produkten.“
Neben dieser generellen Abwehrhaltung gegenüber Externem wurde als ein weiterer
Grund, den Lead User-Ansatz nicht zu nutzen, eine zu theoretische Herangehens-
weise bzw. das „Gefühl das der Ansatz für uns zu akademisch ist“ genannt. Eine effi-
zientere und genauer auf die Praxis abgestimmte Vorgehensweise wird daher gefor-
dert. Als weiterer Verbesserungsansatz wurde die Vereinfachung der Lead User-
Identifizierung und eine genauere Definition der Eigenschaften genannt.
Basierend auf den Umfrageantworten muss jedoch nicht zwangsläufig der Lead
User-Ansatz geändert werden, damit er effektiver implementiert werden kann. Auch
die Unternehmen müssen sich für den Ansatz grundsätzlich öffnen:
„Der Lead User Ansatz muss nicht verändert werden, das Management muss es
wollen und die Rahmenbedingungen schaffen.“
Dass der Lead User-Ansatz nicht generell als ineffizient für die Entwicklung innovati-
ver Ideen und Konzepte bewertet wird, zeigt auch die Beantwortung der Frage nach
den Erfolgsaussichten des Ansatzes. Von den Personen, denen der Ansatz bekannt
war, jedoch Lead User-Projekte nicht in ihrem Unternehmen durchführen, bewertet
fast die Hälfte (45%) den Lead User-Ansatz als positiv. 41% stehen dem Ansatz
neutral gegenüber und nur 14% bewerten ihn negativ.
Die meisten (45) der 76 Personen, denen der Ansatz bereits bekannt war, kannten
ihn durch eigene Projekterfahrung entweder in ihrem aktuellen Unternehmen oder in
vorherigen Tätigkeiten. 36 Befragte sagten aus, sich Kenntnisse über den Ansatz
durch persönliche Weiterbildung wie Seminare, Fachliteratur oder Internetrecherche
angeeignet zu haben. 175 Durch ihr Studium lernten nur 15 Teilnehmer den Ansatz
kennen, Potenzial zur weiteren Verbreitung scheint daher vorhanden. Unter Sonsti-
ges wurde zudem erwähnt, dass der Ansatz durch Gespräche mit Kunden entdeckt
wurde. Kunden dienen also auch als Ideenquelle in Bezug auf innovative Methoden.
Der Lead User-Ansatz wird von den Umfrageteilnehmern, die bereits Erfahrungen
damit haben (n=57), zum Großteil (90%) positiv bewertet. Keins der Unternehmen
bewertet den Lead User-Ansatz als negativ, nur 10% stehen der Integration von
Lead Usern neutral gegenüber.
176 „Er ist dem Markt voran, erkennt Trends lange, bevor es die anderen Marktbeteiligten tun, ist
erfolgs- und zielorientiert. Er sucht sich geeignete Partner, um sein Vorhaben umzusetzen.“;
„...der Zukunft zugewandt, Offenheit für Neues, Ausdauer beim Versuchen neuer Lösungen.“
Ergebnisse der Online-Befragung 115
7 - 10 5 8% 16 - 20 1 2% 6-9 20 32%
Die meisten Unternehmen (27%) haben die Erfahrung von mehr als zehn durchge-
führten Lead User-Projekten. 66% der Unternehmen integrieren dabei ein bis fünf
Lead User, 21% arbeiten mit sechs bis zehn Lead Usern zusammen. Projekte mit
mehr als zehn Lead Usern sind hingegen ungewöhnlich (insgesamt 13%). Die Dauer
eines Lead User-Projekts beträgt i.d.R. mindestens drei Monate, meistens dauern die
Projekte sechs bis neun Monate (32%). Dies entspricht dem in der Theorie für ein
Lead User-Projekt vorgeschlagenen Zeitraum (Herstatt und von Hippel 1992; Lilien et
al. 2002). Allerdings arbeitet jedes vierte Unternehmen (29%) mehr als neun Monate
mit Lead Usern zusammen.
In der wissenschaftlichen Theorie wird für die Durchführung eines Lead User-
Projekts die Bildung eines interdisziplinären Teams empfohlen (Lüthje und Herstatt
2004). 177 Die Literaturanalyse der Fachmagazine zeigte bereits erste Hinweise da-
rauf, dass in der Praxis weitere Abteilungen und Personenkreise in Lead User-
Projekte einbezogen werden. Die Umfrage bestätigt diese Ergebnisse, wie Abbildung
28 verdeutlicht:
177 „The creation of a dedicated, interdisciplinary team consisting of people from marketing, sales,
R&D and production is therefore required“ (Lüthje und Herstatt 2004, S. 562).
116 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Innovationsmanagement 85%
Marktforschung 62%
Wissenschaftliche Partner 59%
Forschung und Entwicklung 52%
Marketing 41%
Geschäftsführung 28%
Externe Berater 16%
Vertrieb 15%
Sonstiges 10%
Die in der Theorie erwähnten Abteilungen (Marketing, Vertrieb, Forschung & Ent-
wicklung) werden auch in der Praxis einbezogen. Bei der Mehrheit von 85% der Un-
ternehmen ist das Innovationsmanagement involviert. Diese Abteilung wurde bei
Lüthje und Herstatt (2004) nicht genannt. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die
Entwicklung solcher Abteilungen hauptsächlich in der vergangenen Dekade (und
damit nach 2004) stattgefunden hat (Goffin et al. 2009). Mehr als die Hälfte der Un-
ternehmen (62%) involviert die Marktforschungsabteilung. Bemerkenswert ist, dass
59% der Befragten angaben, dass wissenschaftliche Partner bei Lead User-
Projekten involviert werden. In der Theorie wird diese Möglichkeit, externe Expertise
zu nutzen, weniger dargestellt. Auch die Nutzung externer Berater stellt eine Weiter-
entwicklung des theoretischen Ansatzes dar. Da mittelständische Unternehmen auf-
grund geringerer Unternehmensgrößen oftmals keine eigene Innovationsmanage-
ment- oder Marktforschungsabteilung haben, ist die Geschäftsführung in einigen Fäl-
len (28%) direkt selbst involviert. Dies bestätigt den Aspekt, dass Managementunter-
stützung die Erfolgsaussichten von Lead User-Projekten erhöht (Lilien et al. 2002).
In der Theorie werden insbesondere Screening und Pyramiding als Vorgehen zur
Identifizierung von Lead Usern genannt (Lettl et al. 2008; Poetz und Prügl 2010; von
Hippel et al. 2009). 16% der Unternehmen nutzen Screening zur Identifizierung von
Lead Usern in der Praxis. Pyramiding wird von mehr als der Hälfte (56%) durchge-
178 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen. Mehrfachnennungen mög-
lich.
Ergebnisse der Online-Befragung 117
führt. Interessant sind die qualitativen Ergebnisse der Kategorie Sonstiges, die von
53% 179 beantwortet wurde. Eine Möglichkeit der Identifizierung besteht demnach
darin, durch enge Kontakte mit den Kunden Lead User-Eigenschaften zu erkennen.
Dadurch sei ein umfangreiches Screening oder Pyramiding nicht nötig. Beispielhafte
Quellen sind:
„Aus internen Unternehmenskontakten (Bekannte, Freunde, ...)“
Zudem zeigt sich, dass interne Kontakte und ein umfangreiches Netzwerk die Suche
nach Lead Usern vereinfachen. Ebenfalls werden Lead User oft im Internet, bspw. in
Communities und Foren, gesucht. 180 Dies bestätigt die in der Literaturanalyse be-
reits erkannte Weiterentwicklung der Lead User-Identifizierung durch internetbasierte
Methoden (Bilgram et al. 2013; Burmeister und Loh 2009), die in der klassischen Li-
teratur weniger vorhanden ist. Als eine weitere Möglichkeit wird das Outsourcen der
Lead User-Identifizierung genannt. Dies entspricht den Erkenntnissen der Experten-
interviews (vgl. Kapitel 5.1.1), dass einige Unternehmen Unterstützung durch Partner
(Beratungen, Wissenschaft etc.) in Anspruch nehmen.
Um zu analysieren, warum der Lead User-Ansatz in der Praxis genutzt oder abge-
lehnt wird, ist die Einschätzung der Unternehmen bzgl. der Erfolgsfaktoren und Vor-
teile des Ansatzes elementar. Werden diese durch die von den Unternehmen ver-
spürten Probleme und Herausforderungen übertroffen, wird ein solches Projekt eher
nicht durchgeführt werden. Nachfolgend werden daher zunächst die positiven Erfah-
rungen der Unternehmen analysiert, die solche Projekte bereits durchgeführt haben
(Abbildung 29):
179 Da bei dieser Frage mehrere Antworten möglich waren, summiert sich die Summe der Prozent-
sätze mit 125% auf über 100%.
180 Beispielzitate: „...aus der User Community“, „Suche in Internetforen“.
118 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Was sind Ihrer Meinung nach Vorteile von Lead User-Projekten? (n=60)
Kundenbindung 68%
Als wichtigster Erfolgsfaktor wird die frühe Erkennung von Trendsignalen evaluiert
(68%). Gleichzeitig werden auch indirekte Faktoren wie die Wahrnehmung als inno-
vatives Unternehmen (68%) und die Kundenbindung (68%) als wesentliche Vorteile
des Lead User-Ansatzes genannt. Ein erfolgreiches Lead User-Projekt kann also die
Außenwirkung und die Wahrnehmung der Kunden positiv beeinflussen. Unter Sons-
tiges wurde eine Aussage getroffen, die diese Schlussfolgerung unterstützt:
„Die Kunden erfahren frühzeitig, dass wir eine Lösung für ihr Problem anbieten
werden. [...] Wenn die führenden Unternehmen das Produkt akzeptieren, ist es
einfach auch kleinere Kunden zu überzeugen.“
Etwa die Hälfte der Unternehmen bezeichnet zudem die Reduzierung des Risikos
der Markteinführung (60%) sowie Impulse für die Entwicklung radikaler Innovationen
(55%) als wesentliche Vorteile des Lead User-Ansatzes. Nach Wahrnehmung der
befragten Unternehmen hat die Integration von Lead Usern also einen direkten Ein-
fluss auf den Unternehmenserfolg durch das Erreichen von Wettbewerbsvorteilen
oder Ideen für neue Innovationen.
Interessanterweise wird ein hohes Gewinnpotenzial nur von 22% der Unternehmen
genannt. Dies entspricht der Unsicherheit von Lead User-Projekten bzgl. der Resul-
tate und des Ablaufs. Wie hoch das Gewinnpotenzial tatsächlich ist, kann also zu
Beginn eines solchen Projekts nur schwer vorhergesagt werden.
181 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen. Mehrfachnennungen mög-
lich.
Ergebnisse der Online-Befragung 119
Welche Widerstände gegen den Einsatz des Lead User-Ansatzes können Sie
sich vorstellen? (n=60)
Sonstiges 12%
Abbildung 30: Widerstände gegen die Anwendung des Lead User-Ansatzes 182
Der schwer vorhersehbare Output der Projekte wird als größter Widerstand gegen-
über der Integration von Lead Usern genannt (50%) und beeinflusst damit die Ein-
schätzung der Befragten bzgl. des Gewinnpotenzials. Damit einher geht die Proble-
matik, dass von den Projekten ein zu hoher Aufwand erwartet wird (50%). Ein auch
in der Theorie als Widerstand genannter Aspekt ist das Not invented here-Syndrom
(Fust et al. 2011). Eine Abwehrhaltung gegenüber externen Ideen, Wissen und Ein-
flüssen erfahren 37% der Unternehmen. Ein elementarer Aspekt, um diese Wider-
stände zu verringern bzw. zu umgehen wurde unter Sonstiges geäußert. Demnach
ist die Offenheit für externe Ideen und die Anwendung neuer Methoden Grundvo-
raussetzung, um Neues zu entwickeln:
„Vermeidung des ewigen Tunnelblicks. Wirklich NEUES kann entstehen. Wenn
man sich als Unternehmen darauf einlässt...“
Weitere, durch die explorative Umfrage identifizierte Widerstände betreffen die Ver-
traulichkeit wichtiger Unternehmensinformationen oder Ideen. Unternehmen befürch-
ten, dass durch die Integration von Lead Usern Wissen an Mitbewerber übergeht:
„Vertraulichkeit von Innovationsprojekten (Gefahr, dass durch Lead-User Einbin-
dung auch der Mitbewerber "Wind von einer Sache bekommt")“
182 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen. Mehrfachnennungen mög-
lich.
120 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Die Frage nach dem geistigen Eigentum bzw. Urheber- und Nutzungsrechten wird in
der Literatur als ein kritischer Faktor definiert (Lilien et al. 2002; Lüthje und Herstatt
2004; von Hippel 2005a). Auch in der Praxis kann dieser Aspekt den Widerstand ge-
genüber der Integration von Lead Usern erhöhen oder ist mit hohen Kosten für die
Sicherung der Rechte verbunden:
„Die Lead-User-Projekte selbst sind selten besonders rentabel, schließlich wollen
wir ja die Rechte an der Idee haben. Daher müssen wir diese i.d.R. bezuschus-
sen.“
Der richtige Zeitpunkt für die Entwicklung von Innovationen mit Lead Usern wird
ebenfalls kritisch hinterfragt. Dadurch, dass Lead User früher als der Rest des Mark-
tes Bedürfnisse erfahren, könnte die Einführung einer Innovation zu früh durchge-
führt werden. Auch wenn die von den Lead Usern geäußerten Bedürfnisse i.d.R. zu
einem späteren Zeitpunkt auch vom Massenmarkt erfahren werden, ist der Markt bei
der Produkteinführung evtl. noch nicht bereit dafür:
„Fehlendes Interesse“
„Zu zeitiger Beginn mit der Entwicklung und der Umsetzung der Ideen, noch kein
Markt da, der es kaufen würde.“
Die Umfrageteilnehmer warnen daher vor dem „Risiko des Fehlschlags“ sowie einer
„Kundenenttäuschung“ durch verfrühte Markteinführung einer Innovation.
Diese Widerstände bewirken, dass Lead User-Projekte bei Unternehmen grundsätz-
lich nicht durchgeführt werden. Von großem Interesse sind darüber hinaus auch die
Herausforderungen, die bei der Durchführung eines solchen Projekts auftreten.
Was sind Ihrer Meinung nach Herausforderungen bei der Durchführung von
Lead User-Projekten? (n=60)
Abbildung 31: Herausforderungen bei der Durchführung von Lead User-Projekten 183
Die von der Hälfte der befragten Unternehmen (50%) genannte Schwierigkeit der
Identifizierung geeigneter Lead User wird auch in der Theorie als eine der wesent-
lichsten Herausforderungen genannt (Belz 2008; Enkel et al. 2005; Herstatt und von
Hippel 1992; Spann et al. 2009). Auch Konflikte bei der Zusammenarbeit mit Lead
Usern (35%) sowie zwischen den Funktionsbereichen (40%) werden als wesentliche
Herausforderungen genannt.
Die Umfrage weist jedoch auch weitere, in der Theorie weniger erkannte Probleme
bei der Durchführung von Lead User-Projekten auf und stellt dadurch einen wichtigen
Fortschritt der Lead User-Forschung dar. So wird von jedem zweiten Unternehmen
(48%) ein falsches Verständnis von Lead Usern als Herausforderung genannt. Die
klassische Lead User-Forschung beachtet diesen Aspekt weniger und geht i.d.R.
davon aus, dass das Verständnis im Unternehmen mit der theoretischen Definition
konform ist. Dies wurde in der Vorstudie (vgl. Kapitel 2.4) bereits anhand einiger Bei-
spiele, bei denen das Verständnis zwischen Theorie und Praxis abweicht, erkannt
und wird durch die Umfrage validiert. 184 Ein ebenfalls in der Praxis sehr wichtiger
Aspekt ist die effiziente Umsetzung der Ergebnisse (40%); diese Herausforderung
wurde bereits in den Experteninterviews identifiziert (vgl. Kapitel 5.1.1). Demnach
sehen die Unternehmen nicht nur die Erarbeitung innovativer Produktkonzepte als
große Schwierigkeit, sondern darüber hinaus auch die effiziente Implementierung der
Resultate in den Innovationsprozess. Nach Abschluss eines Lead User-Projekts soll-
ten die Ergebnisse also aktiv umgesetzt und in weitere Projekte integriert werden.
183 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf den Umfrageergebnissen. Mehrfachnennungen mög-
lich.
184 Bemerkenswerterweise waren bei der Abfrage der Eigenschaften von Lead Usern nur wenige
Unterschiede zwischen Theorie und Praxis erkennbar. Demnach wissen viele der Befragten
durchaus, was einen Lead User ausmacht, sehen aber ein falsches Verständnis anderer Mitar-
beiter als ein großes Problem an.
122 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
60%
52%
50% 47%
30%
19%
20% 13% 15%
10%
10%
1% 2%
0%
Äußerst negativ Negativ Neutral Positiv Äußerst positiv
Die Unternehmen, die den Ansatz bisher noch nicht kannten, sind ihm sehr offen und
positiv gegenüber eingestellt (vgl. Kapitel 5.2.2). 186 Auch die Unternehmen, die den
Ansatz bereits kennen, aber nicht anwenden, bewerten die Integration von Lead
Usern zu 52% positiv (vgl. Kapitel 5.2.3). Negativ wird der Ansatz nur von 13% be-
wertet. Dies zeigt, dass der Ansatz selber meist nicht negativ evaluiert wird. Statt-
dessen sind die Strukturen und Abläufe der Unternehmen oftmals nicht für Lead
User-Projekte geeignet. 187 Die Evaluation des Ansatzes durch die Unternehmen, die
bereits Lead User-Projekte durchgeführt haben, ist zu 90% positiv. 188 Nur 10% ge-
ben eine neutrale Bewertung ab, negativ wird der Ansatz von keinem dieser Befrag-
ten bewertet. Basierend auf den Resultaten der Umfrage mit 222 auswertbaren Be-
antwortungen lässt sich demnach zusammenfassen:
Der Lead User-Ansatz kann nachweislich als erfolgversprechende Methode zur Ent-
wicklung innovativer Produktkonzepte bezeichnet werden.
Die Analyse der Zielerreichung sowie der Intention, weitere Lead User-Projekte
durchzuführen, entspricht dieser Erkenntnis (Abbildung 33):
Ja Nein
Ziele erreicht (n=53) 93% 7%
Ja Nein
Zukünftige Durchführung (n=59) 93% 7%
Ja Nein
Prozessänderung (n=59) 47% 53%
So gaben 93% der Befragten an, dass die Ziele des Lead User-Projekts erreicht
wurden. Ebenfalls 93% haben vor, ein weiteres Lead User-Projekt durchzuführen.
Auch diese Resultate verdeutlichen, dass die Integration von Lead Usern in der Pra-
xis als eine positive und erfolgversprechende Methode bewertet wird, um externes
Wissen und Kreativität in den Innovationsprozess zu integrieren. Interessant ist je-
doch die Erkenntnis, dass fast alle Unternehmen den Ansatz als positiv bezeichnen,
jedoch etwa die Hälfte (47%) den Prozess zur Lead User-Integration im Vergleich zur
Theorie (Lüthje und Herstatt 2004) geändert haben. Offenbar nutzen die Unterneh-
men also ihre Erfahrungen und Kenntnisse, um die zuvor erläuterten Herausforde-
rungen und Widerstände zu umgehen. Dies wird in Kapitel 6 detailliert analysiert, um
die Lead User-Forschung durch die praktischen Erfahrungen weiterentwickeln zu
können. Zuvor werden die im Rahmen der Online-Befragung genannten Prozessän-
derungen erläutert.
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Ja Nein
Bei den meisten Branchen wird eher dem theoretischen Prozess gefolgt, wobei nur
die Branchen Bau, Handwerk & Logistik sowie Energie & Umwelt exakt nach der
Theorie vorgehen. 191 Im Bereich Medizin & Gesundheit folgen nur 20% dem theore-
tischen Ablauf, wobei die Fallzahl mit fünf Befragten aus dieser Branche gering ist.
Aussagekräftiger sind dagegen die 16 Beantwortungen von Unternehmen aus dem
Bereich Elektronik, IT & Telekommunikation. 69% nutzen einen alternativen Prozess
im Vergleich zur Theorie. Für diese Branche scheint eine Anpassung des Lead User-
Ansatzes demnach besonders notwendig.
Nachfolgend werden diese Erkenntnisse detailliert analysiert, um daraus Weiterent-
wicklungen für die Theorie abzuleiten. Dadurch sollen Barrieren und Herausforde-
rungen bei der Lead User-Integration zukünftig von Beginn an gemindert oder ver-
hindert werden.
Durch die Literaturanalyse praxisorientierter Fachartikel (vgl. Kapitel 2.4) sowie die
Experteninterviews (vgl. Kapitel 5.1.1) wurde die Individualisierung des Prozesses
bei der Durchführung von Lead User-Projekten bereits erkannt. Dies wird durch die
Umfrage validiert. Verschiedene Unternehmen bewerten den in der Wissenschaft
etablierten Prozess als zu theoretisch und starr. Stattdessen sind fließende Über-
gänge der Phasen vorhanden, die einzelnen Schritte selbst werden verkürzt oder
ausführlicher durchgeführt - je nach Unternehmen und Ziel des Projekts. Entspre-
chende Beantwortungen der Umfrage bestätigen dieses Resultat:
„Das prinzipielle Vorgehen in den konkreten Projekten entspricht der obigen Vor-
gehensweise, allerdings fallweise ausgeprägt.“
„Die klaren Grenzen bestehen so in der Praxis nicht. Es findet ein fortlaufender
Dialog mit den Kunden statt. Es werden Testversionen entwickelt und den Lead
Usern zur Verfügung gestellt. Das Feedback wird durch Anpassungen umge-
setzt.“
„Individuell“
„Projektimmanent“
„Wir entwickeln auf diese Weise seit vielen Jahren unser Angebot weiter. Weni-
ger systemisch, eher pragmatisch.“
Ein für die erfolgreiche Durchführung von Lead User-Projekten sehr wichtiger Faktor
ist die Wahl des Projektmanagements. Folgt die theoretische Literatur einem eher
starren Projektablauf (Herstatt und von Hippel 1992; Lüthje und Herstatt 2004), wer-
den in der Praxis auch alternative, insbesondere agile Projektmanagementformen
angewandt:
Offenbar ist es nicht immer sinnvoll, Lead User stets nach dem theoretischen Pro-
zess zu integrieren und dabei chronologisch alle Phasen durchzuführen. Diese soll-
ten individuell angepasst werden, teilweise werden sie auch vertauscht oder ver-
nachlässigt, wie nachfolgend erläutert wird.
192 Scrum ist ein häufig angewandtes Modell des agilen Projektmanagements und wird in Kapitel
7.3 bei der Ableitung des Agil/Stage Gate-Hybrids für Lead User-Projekte aufgegriffen. Vielen
Unternehmen ist die Umstellung des klassischen Projektmanagements auf agile Prozesse zu
riskant. Kanban (japanisch, zu Deutsch: Signalkarte) wurde vom Automobilhersteller Toyota
entwickelt und stellt eine Vorgehensweise für die optimale Steuerung des Produktionsprozes-
ses dar. Ziel ist es, jede Produktionsstufe optimal planen zu können. Dabei stellt Kanban eine
Tabelle mit drei Spalten (To do, in progress und done) dar, um die jeweiligen Aufgaben besser
visualisieren und strukturieren zu können. Sammeln sich nicht begonnene Tätigkeiten, muss
das Projektmanagement an dieser Stelle verbessert werden (bspw. Restrukturierung der Res-
sourcen) (Epping 2011).
126 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Eine stärkere Individualisierung des Prozesses basierend auf den spezifischen An-
forderungen der Unternehmen bedeutet auch, dass Prozessschritte weggelassen
oder in anderer Reihenfolge durchgeführt werden. Teilweise geschieht dies aufgrund
nicht vorhandener Ressourcen und Kapazitäten:
„...aus Ressourcengründen etwas reduziert“
Zudem erfolgt die Integration von Lead Usern in der Praxis nicht immer so exakt und
gesteuert wie im theoretischen Prozess definiert. So nutzen Unternehmen diesen
Ansatz teilweise bei Bedarf, ein exakter Projektstartpunkt geht dem nicht immer vo-
raus:
„Die stringente Identifikation des lead users erfolgt nur eingeschränkt, keine [sic]
offizieller Start des Projektes“
„Lead User begleitete von Anfang an, musste nicht erst identifiziert werden“
Es ist jedoch nicht immer nur eine Verkürzung des Prozesses zu erkennen. Auch
Veränderungen durch Umsortieren der Prozessschritte sind in der Praxis zu finden.
Dabei ist häufiger zu erkennen, dass nicht relevante Schritte vernachlässigt werden.
Weitere Phasen werden weniger hinzugefügt, obwohl bspw. die Umsetzung der Er-
gebnisse am Ende des Projekts als ein elementarer Aspekt genannt wurde (vgl. Ka-
pitel 5.2.4.6). Von den befragten Unternehmen genannte Änderungen des Prozess-
ablaufs sind bspw.:
„Es wurde in Phase 3 bereits mit verschiedenen Lösungskonzept [sic] (Prototy-
pen) gearbeitet.“
„Es wurd [sic] nicht zuerst ein Lead-User-Projekt gestartet (Phase 1), sondern
nach Identifikation der Lead User und deren Ideen (Phase 3) wurde das Geld für
ein Lead-User-Projekt (Phase 1) in die Hand genommen.“
Ergebnisse der Online-Befragung 127
„Start war Identifikation von Bedürfnissen in einer Branche, dann wurden die
Leaduser [sic] ausgesucht und dann nach einer Lösung“
Ein wiederkehrender Aspekt betrifft die Form der Kommunikation mit den Lead
Usern. Die Theorie sieht einen Workshop mit Lead Usern und Mitarbeitern des Un-
ternehmens am Ende des Projekts vor, um Ideen und Konzepte entwickeln und eva-
luieren zu können (Churchill et al. 2009; Lilien et al. 2002; Lüthje und Herstatt 2004).
In der Praxis wird dies meist auf diese Weise durchgeführt, einige Unternehmen be-
vorzugen jedoch individuelle, regelmäßige Gespräche mit den Lead Usern:
„Fokus auf Phase 3, Einzelgespräche statt Workshop“
„Im Laufe des Projektes lassen wir uns immer wieder Feedback von unseren
Lead Usern geben“
Die Identifizierung der Bedürfnisse und Trends ist in der Theorie als zweiter Prozess-
schritt vorgesehen (Lüthje und Herstatt 2004). Dies soll durch Experteninterviews
oder Recherche in Datenbanken, Internet etc. durchgeführt werden. Die Lead User
sollen dazu dann innovative Produktkonzepte entwickeln (Herstatt und von Hippel
1992; Olson und Bakke 2001). In der Praxis kann die Ermittlung von Bedürfnissen
und Trends jedoch auch eine Folge der Zusammenarbeit mit den Lead Usern sein:
„Ein besseres Verständnis von Bedürfnissen und Trends können auch ein Er-
gebnis der Arbeit mit Lead-Usern sein (nicht unbedingt eine Vorarbeit)“
Die Erarbeitung der Trends und Bedürfnisse durch die Lead User kann wiederum
Ausgangssituation für weitere Folgeprojekte sein. Wesentlich ist dabei zu untersu-
chen, ob es Unterschiede zwischen der erstmaligen Durchführung eines Lead User-
Projekts und folgenden Projekten gibt. Durch die Umfrage konnte erkannt werden,
dass Unternehmen, die bereits mehrfach Lead User-Projekte durchführten, eine Rou-
tine entwickelt haben.
Dies ist für die Unternehmen von Vorteil, da die aufwendige und schwierige Suche
bzw. Identifizierung der Lead User nicht mehr bzw. weniger notwendig ist. Von den
innovativen Produkten überzeugte Lead User können zudem als Fürsprecher des
Unternehmens agieren. Besteht ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Lead User
und Unternehmen, treten Lead User auch aktiv an das Unternehmen heran, um In-
novationen als Lösung ihrer Probleme zu erhalten. 193 So können Unternehmen auf
neue Trends und Bedürfnisse aufmerksam werden, ohne aktiv danach zu suchen.
Ein weiterer Aspekt, der in der Vorstudie bereits erkannt wurde, wird durch die Um-
frage bestätigt. So werden in der Praxis Projekte durchgeführt, deren Ablauf dem
theoretischen Prozess sehr ähneln. Diese Projekte werden jedoch bewusst oder un-
bewusst nicht als Lead User-Projekte benannt:
„Wir nutzen dies schon lange, aber ohne diese Struktur und deren Begriffe...“
Die Best Practice in Kapitel 7.4 kommt dieser Forderung nach und stellt die Durch-
führung von Lead User-Projekten auf nachvollziehbare Art und Weise dar.
Die quantitative Online-Befragung zeigt einen Überblick der Anwendung des Lead
User-Ansatzes im deutschsprachigen Raum. Eine solche Studie existiert bisher nicht
und bietet daher wesentliche Erkenntnisse zur Implementierung des Ansatzes. So ist
zunächst zu erkennen, dass der Ansatz grundsätzlich auch von KMUs angewandt
werden kann. Er ist damit nicht auf Großunternehmen beschränkt, wie die Beispiele
aus der Theorie (Johnson & Johnson, 3M etc.) vermuten lassen (Churchill et al.
2009; Herstatt und von Hippel 1992; von Hippel et al. 2009). Oft wird jedoch der
Mangel an Ressourcen sowie die Planungsunsicherheit der Lead User-Projekte als
Theorie Praxis
Dauer Empfohlene Dauer von drei bis sechs 62% der Projekte dauern länger als
Monaten ein halbes Jahr
Definition Wissenschaft geht davon aus, dass Jedes zweite Unternehmen (48%)
die theoretische Definition eingehalten nennt falsches Verständnis von Lead
wird Usern als Herausforderung
Ergebnisumset- Endet mit dem Workshop, keine ex- Wichtiger Aspekt ist die oft vernach-
zung plizite Umsetzungsphase lässigte Umsetzung der Ergebnisse
Erwartungshal- Viele Beispiele von radikalen Innova- Praxis erwartet eher neue Ideen und
tung tionen und finalen Produkten Konzepte statt finaler Produkte
Identifizierung Insbesondere Pyramiding und Scree- Pyramiding und Screening, aber mehr
ning insbesondere webbasierte Methoden
Prozess Theoretischer Prozess (Lüthje, Her- Hälfte (47%) ändert den Prozess im
statt 2004) als Grundlage Vergleich zur Theorie
195 Quelle: Eigene Darstellung. Die theoretischen Inhalte basieren auf Franke et al. (2006), Herstatt
und von Hippel (1992), Lettl et al. (2008), Lilien et al. (2002), Lüthje und Herstatt (2004),
Schreier und Prügl (2008), Spann et al. (2009) sowie von Hippel (1986).
130 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
In Bezug auf die Anwendung des Lead User-Ansatzes in den jeweiligen Branchen
zeigt die Umfrage Tendenzen, aufgrund der geringen Fallzahlen ist die Übertragbar-
keit jedoch begrenzt. 196 So ist der Ansatz im Bereich Forschung und Bildung zu 83%
bekannt, jedoch gehörten nur sechs Personen dieser Gruppe an. Aussagekräftigere
Tendenzen sind hingegen im Bereich Anlagen- und Maschinenbau (n=33, 30% be-
kannt), Dienstleistung und Beratung (n=31, 36% bekannt) sowie Handel & Produktion
(n=29, 24% bekannt) zu erkennen. In diesen Branchen ist aufgrund des geringen
Bekanntheitsgrads eine weitere Verbreitung bzw. Kommunikation des Ansatzes
sinnvoll. In Bezug auf die Anwendung des Ansatzes existieren ebenfalls branchen-
spezifische Unterschiede. Im Bereich Forschung & Bildung wird der Ansatz von allen
Befragten angewandt, die den Lead User-Ansatz bereits kannten. Im Forschungsbe-
reich war eine hohe Bekanntheit dieser Theorie zu erwarten. Weiterhin ist eine ver-
gleichsweise große Anwendungsrate in den Bereichen Dienstleistung und Beratung
(82%), Elektronik, IT und Telekommunikation (80%), Handel und Produktion (86%)
sowie Medizin und Gesundheit (83%) zu erkennen. Der Lead User-Ansatz wird in
diesen Bereichen also öfter angewandt als in den übrigen Branchen. Eine bessere
Eignung der Methodik ist in diesen Branchen demnach zu vermuten. Interessanter-
weise sind in diesen Bereichen Abweichungen zum theoretischen Prozess jedoch
häufig. Im Bereich Elektronik, IT und Telekommunikation änderten 69% (n=16) den
Projektablauf im Vergleich zur Theorie. In der Medizin- und Gesundheitsbranche
wurde der Prozess sogar zu 80% geändert (n=5). Der Lead User-Ansatz wird in die-
sen Branchen also überdurchschnittlich angewandt, der Prozess dabei aber stark
verändert. Die Umstrukturierung der Phasen sowie das Auslassen von Teilschritten
wurden dabei als häufigste Veränderungen genannt.
Basierend auf den Resultaten der Umfrage werden nachfolgend Propositionen abge-
leitet, die durch die qualitative Fallstudienanalyse überprüft werden.
196 Geringe Fallzahlen sind nicht vermeidbar aufgrund der verschiedenen Pfade der Umfrage.
Bspw. kennen nur 39% den Ansatz, 72% davon wenden ihn an. Diese Gruppe ist nochmal nach
Branchen unterteilt, sodass z. Bsp. nur sechs Personen aus dem Bereich Forschung & Bildung
teilgenommen haben. Von diesen kannten fünf den Lead User-Ansatz, die alle den Ansatz be-
reits angewandt haben. Eine Verallgemeinerung, dass der Lead User-Ansatz in diesem Bereich
grundsätzlich angewandt wird, ist aufgrund der Fallzahl (n=5) nur bedingt möglich. Daher sind
diese Zahlen eher als Tendenzen zu bewerten.
Ableiten der Propositionen für die Fallstudienanalyse 131
Die Umfrage hat gezeigt, dass Lead User-Projekte eine Vielzahl an positiven Fakto-
ren beinhalten. Die im Rahmen der Online-Befragung erarbeiteten Erfolgsfaktoren
sollen durch die Fallstudien überprüft werden. Ebenfalls soll untersucht werden, ob
die eher unternehmerischen Aspekte wie Kundenbindung und Wahrnehmung als
innovatives Unternehmen tatsächlich als die wesentlichsten erachtet werden oder
weitere essenzielle Faktoren existieren.
PP#4 Die Identifizierung richtiger Lead User ist die größte Herausforderung
In der Theorie wird die Identifizierung geeigneter Lead User als wesentlichste Her-
ausforderung erachtet. Die Online-Befragung bestätigt dies: 52% der Befragten be-
werten diese Schwierigkeit als größte Herausforderung von Lead User-Projekten.
Durch die Fallstudien soll dies überprüft und gleichzeitig Lösungsansätze abgeleitet
werden, um die Identifizierung zu vereinfachen.
PP#5 Unternehmen passen den Prozess der Lead User-Integration im Vergleich
zum theoretischen Vorgehen in der Praxis an
Die Umfrage zeigt, dass mit 47% fast die Hälfte der Befragten den ursprünglichen,
theoretischen Lead User-Prozess anpassen und verändern. Erste Gründe dafür und
resultierende Effekte wurden in Kapitel 5.2.6 genannt. Die Fallstudienanalyse soll die
132 Quantitative Untersuchung: Online-Befragung
Durch die Umfrage wurde erkannt, dass der Prozess in der Praxis durch Auslassen,
Neuanordnung, Zusammenfassen oder Hinzufügen der Phasen geändert wird. Ein
wesentlicher Grund dafür ist die schwierige Vorhersehbarkeit des Prozesses, wes-
wegen Reaktionen und Anpassungen aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse not-
wendig sind. Um eine höhere Flexibilität in Lead User-Projekten zu gewährleisten,
scheint die Anwendung eines flexiblen, agilen Projektmanagements sinnvoll.
6 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Die quantitative Umfrage stellt die Ausgangssituation für die folgende, qualitative
Vertiefungsanalyse dar. Insbesondere Prozessänderungen von Lead User-Projekten
im Vergleich zur Theorie sollen dabei erforscht werden. Jedes zweite Unternehmen
gab im Rahmen der Online-Befragung an, diesen Prozess zu ändern - somit scheint
dies ein gebräuchlicher Vorgang in der Praxis zu sein. Die Gründe und Effekte dafür
wurden bisher jedoch kaum erforscht. Demnach ist die vertiefende Untersuchung
dieses Sachverhalts in Form von Fallstudien geeignet, wie von Kardorff et al. (2008)
bestätigen: „Qualitative Forschung ist immer dort zu empfehlen, wo es um die Er-
schließung eines bislang wenig erforschten Wirklichkeitsbereichs [...] geht“ (von Kar-
dorff et al. 2008, S. 25). 197
197 Auch Eisenhardt (1989) stellt fest: „This research approach is especially appropriate in new
topic areas“ (Eisenhardt 1989, S. 532). Zwar ist der Themenbereich des Lead User-Ansatzes
nicht neu. Dennoch wird eine Fallstudienanalyse mit Fokus auf den Ablaufprozess von Lead
User-Projekten erstmalig in dieser Detaillierung durchgeführt.
198 „...“readiness” depends upon your own skill levels for doing case studies, as well as your having
completed formal and preparatory procedures prior to collecting actual data“ (Yin 2009, S. 72).
Tabelle 18: Prozess Fallstudienanalyse nach Eisenhardt (1989) und Yin (2009) 199
(3) Werkzeuge und - Kombination multipler Methoden zur - Stärkt die Theoriebasis durch Trian-
Protokolle Erhebung qualitativer und quantitati- gulation der Nachweise
ver Daten
- Fördert divergente Perspektiven und
- Verschiedene Forscher beteiligt stärkt das Fundament
(4) Feld betreten - Nutzung verschiedener Methoden - Beschleunigt Analysen und zeigt
zur Datensammlung Anpassungen der Datensammlung
- Flexible und opportunistische Me- - Ziehen von Vorteilen aus auftreten-
thoden der Datensammlung den Besonderheiten der Fallstudien
(5) Daten analysie- - Analyse innerhalb der Fallstudien - Ansteigende Vertrautheit mit Daten
ren und vorherigen Theorien
- Fallstudienübergreifende Suche
nach Mustern - Zwingt Forscher, über anfängliche
Impressionen hinaus zu blicken
(6) Hypothesen - Replikation, Logik zwischen den - Schärft die Konstruktdefinition, Vali-
entwickeln Fallstudien dität und Messbarkeit
- Suche nach Gründen für das Warum - Bestätigt, erweitert, schärft Theorie
hinter den Beziehungen und bildet interne Validität
(7) Literatur um- - Vergleich mit widersprüchlicher - Baut interne Validität auf und stei-
fassen Literatur gert das theoretische Level
- Vergleich mit gleichartiger Literatur - Verstärkt die Generalisierbarkeit
(8) Abschluss - Theoretische Durchdringung sofern - Beendet den Prozess sofern margi-
möglich nale Verbesserungen vorhanden
Damit die Aussagen der im Rahmen der Fallstudienanalyse befragten Personen ver-
glichen werden können, ist die Definition von Bewertungsmaßstäben und Erfolgskri-
terien sinnvoll (Fisch und Roß 2009). Andernfalls besteht die Gefahr, aufgrund unter-
schiedlicher, subjektiver Bewertungen verzerrte Ergebnisse zu erhalten. 201 Die Er-
folgsmessung ist jedoch insbesondere bei Fallstudien kritisch (Jacob 1976). Ein ein-
heitliches Verständnis könnte durch Kennzahlen (bspw. Absatz, Umsatz, Gewinn)
geschaffen werden. 202 Die Anwendung solcher betriebswirtschaftlichen Kennzahlen
ist bei Lead User-Projekten jedoch schwierig bzw. oft nicht möglich. So muss nicht
aus jedem Projekt zwangsläufig ein neues Produkt mit Absatzzahlen, Umsatz etc.
entstehen. Auch die Gewinnung neuer Ideen und Ansichten wird als Erfolg betrach-
tet; dies fließt jedoch meist in andere Produkte ein und ist daher nicht immer als aus
den Lead User-Projekten resultierendes Ergebnis zu erkennen. Zudem ist der Ver-
lauf der Projekte schwer vorherzusehen, sodass eine vorherige Definition relevanter
Kennzahlen erschwert wird. Die Möglichkeit der Nutzung von Kennzahlen als Er-
folgsmaßstab der Lead User-Projekte ist daher vom einzelnen Projekt abhängig. So
hat die Vorstudie bereits verdeutlicht, dass die Ziele und damit die Erfolgsmessung
von Lead User-Projekten abweichen können. Ein Unternehmen bezeichnet die Um-
setzung einer radikalen Innovation als Erfolg, ein anderes bewertet den Einblick in
andere Branchen bereits als erfolgreich. Um die Lead User-Projekte zu vergleichen,
wurden daher Fragen zur Zielerreichung gestellt: Wie wurden die Ziele des Projekts
vom Unternehmen zu Beginn des Projekts definiert (Zieldefinition)? Wann wurden die
Ziele als erfüllt bewertet und das Projekt beendet (Zielerreichung)? Wie wurde die
Zielerreichung vom Unternehmen gemessen (Ziel-/Erfolgsmessung)?
Die Analyse der Evaluation der Lead User-Projekte sowie der Zielerreichung findet
im Kapitel 6.2.5 statt.
6.1.1 Interviewleitfaden
Abbildung 35 visualisiert die Abgrenzung von Leitfadengesprächen gegenüber ande-
ren Interviewformen:
201 Unstimmigkeiten ergeben sich etwa für folgende Fragen: Wann bezeichnet der Einzelne ein
Projekt als erfolgreich? Wann gelten Ziele als erreicht? Worauf basiert eine positive Bewertung?
202 Langmann und Gräf (2011) definieren Kennzahlen im Bereich der F&E sowie des Innovations-
Controllings: F&E-Budget, Anzahl neuer Ideen, Anzahl genehmigter F&E-Projekte, Anzahl von
Entwicklungen, Anzahl von Prototypen, Anzahl eingerichteter Patente, Kundenzufriedenheit,
Anzahl Beschwerden, Absatz, Umsatz, Gewinn, Marktanteil.
Methodisches Vorgehen 137
Datensammlung
Gruppen-
Einzelinterviews
interviews
Zur Sammlung empirischer Daten wird zwischen Interviews, Umfragen und Beobach-
tungen unterschieden (Sekaran und Bougie 2010). Eine Befragung von Interview-
partnern gilt als „Standardinstrument empirischer Sozialforschung“ (Schnell et al.
2005, S. 321). Da im Rahmen dieser Interviews persönliche Erfahrungen mit der
Durchführung von Lead User-Projekten abgefragt werden sollen, werden Einzelinter-
views durchgeführt. Diese können wenig, teilweise oder stark strukturiert werden
(Nohl 2012; Schnell et al. 2005). Wenig strukturierte Interviews (bspw. narrative In-
terviews) werden i.d.R. ohne die Anwendung eines Fragebogens oder Leitfadens
durchgeführt (Atteslander 2008). Der Interviewte soll sämtliche Gedanken äußern
und wird kaum vom Interviewer unterbrochen (Häder 2015). Diese Form der Befra-
gung ist jedoch zu offen. Durch stark strukturierte Interviews hingegen könnten wich-
tige Erfahrungen verloren gehen, da dem Interviewten zu wenig Freiraum gewähr-
leistet wird (Schnell et al. 2005). Teilstrukturierte Interviews sind daher optimal, um
neue Kenntnisse zu erlangen, ohne dabei den Gesprächsfokus zu verlieren (Flick
2011). Sie bieten Spielraum für die Abfolge der Fragen und Nachfragen bei Unklar-
heiten (von Kardorff et al. 2008). Der Interviewer kann so doppelte Fragestellungen
vermeiden, sofern diese durch die offene Form des Interviews bereits beantwortet
wurden. Teilstrukturierte Einzelinterviews mit Unternehmensexperten bieten dabei
das Potenzial, möglichst viel über praktische Erkenntnisse zu erfahren (Atteslander
2008). Der Fragebogen der Fallstudieninterviews ist in Anhang C zu finden.
6.1.2 Teilnehmer
Bei den jeweiligen Projektteilnehmern (Projektleiter, Mitarbeiter, Lead User) sind un-
terschiedliche Ansichten und Erfahrungen entsprechend ihrer jeweiligen Beteiligung,
203 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Sekaran und Bougie (2010) und Schnell et al. (2005).
138 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
204 Dauer der Interviews sind Nettowerte. Einführende Worte, Smalltalk etc. wurden nicht mit in die
Analyse aufgenommen. Die Bruttodauer der Interviews beträgt 892 Minuten.
Methodisches Vorgehen 139
205 Zum Zwecke der Anonymisierung, wie von den Befragten gewünscht, werden die Unternehmen
mit den Buchstaben A bis P bezeichnet. Die Bezeichnungen werden zufällig zugeordnet, die
Buchstaben selber haben daher keine weitere Bedeutung/Bewertung.
206 Die Interviewteilnehmer sind i.d.R. sehr beschäftigt. Auch wenn sie durch ein Interview unter-
stützen möchten, reicht die Zeit für ein persönliches Gespräch oft nicht aus. Ein persönliches In-
terview wird daher oftmals verneint. Telefonische Interviews können flexibler durchgeführt wer-
den. Eine Verschiebung des Interviews kann bspw. einfacher durchgeführt werden als bei ei-
nem persönlichen Gespräch aufgrund der Anreise des Interviewers.
207 Unternehmen möchten sich nur selten oder oftmals gar nicht zu gescheiterten Projekten äu-
ßern, da dies negativ auf die Reputation des Unternehmens wirken könnte. Personen zu finden,
die über ein gescheitertes Projekt sprechen möchten, ist daher äußerst schwierig. Immerhin ein
Unternehmen konnte im Rahmen dieser Arbeit befragt werden, das Gespräch erbrachte wichti-
ge Informationen (insbesondere zu den Herausforderungen).
208 Unter ähnlichen Methoden werden Ansätze verstanden, die dem grundsätzlichen Ablauf des
Lead User-Ansatzes ähneln. Fortschrittliche Nutzer werden also identifiziert und in die Neupro-
duktentwicklung einbezogen mit dem Ziel, Konzepte für innovative Produktideen zu entwickeln.
Ähnliche Methoden werden jedoch anders bezeichnet oder weichen in gewissen Punkten vom
klassischen Ablauf ab (bspw. Einzelgespräche mit Lead Usern statt Lead User-Workshops).
140 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
den zu Projekten mit ähnlicher Vorgehensweise geführt. Eine Fallstudie mit fünf In-
terviews wurde zu Lead User-Projekten mit dem bereits erläuterten Technology
Push-Ansatz (vgl. Kapitel 2.3.4.6) durchgeführt.
Die über 13 Stunden Interviewmaterial wurden mit der Software f4 transkribiert, ein
für die Transkription in wissenschaftlichen Arbeiten gängiges Vorgehen (Kleemann et
al. 2009; Kuckartz 2008). Um einer möglichen Interpretation von Sachverhalten bei
der Transkription der Interviews entgegenzuwirken, wurde ein Volltranskript mit wört-
licher Wiedergabe der Inhalte angefertigt. 209 Die Transkription der Interviews wurde
vom Autor selbst durchgeführt. Nur diesem ist es als Interviewer möglich, eventuelle
Pausen, Tonlagen, Zögern des Befragten und dergleichen zu interpretieren (Weber
2015). Zudem kann so die einwandfreie Qualität der Transkripte gewährleistet wer-
den. Die Dauer der Transkription wird in der Literatur oftmals mit einem Verhältnis
von 1:6 angegeben (Buber 2009; Kuckartz 2008; Rothfuss und Dörfler 2013). 210
Dies trifft auch für die Transkription der Fallstudieninterviews im Rahmen dieser Ar-
beit zu. 211
Der Begriff Code kann im Deutschen mit Stichwort oder Schlagwort übersetzt werden
(Kuckartz 2008). 212 Hussy et al. (2013) definieren den Begriff des Codierens folgen-
dermaßen: „Das Codieren ist eine sehr flexible Methode zur Analyse des Äußerungs-
inhalts. Die Bedeutung relevanter Textstellen wird erfasst, indem dem Text ein zu-
sammenfassendes »Etikett« quasi angeheftet wird. Die Codierung kann eher konkret
und nahe am Textmaterial oder eher abstrakt erfolgen. Meist werden die Codes in-
duktiv aus dem Datenmaterial heraus entwickelt“ (Hussy et al. 2013, S. 253). Buber
(2009) weist darauf hin, dass die perfekte Kenntnis der Daten die Voraussetzung für
die Codeerstellung ist. Dies bekräftigt das Vorgehen, sämtliche Interviews eigen-
ständig zu transkribieren, um so einen idealen Überblick der Daten zu erhalten
(Rothfuss und Dörfler 2013).
209 Nach Kühl (2009) „hat es sich eingebürgert, dass Experteninterviews nur noch selektiv transkri-
biert bzw. überhaupt nur noch paraphrasiert werden“ (Kühl 2009, S. 41). Der Autor fügt jedoch
selbst an, dass die Selektion der zu transkribierenden Passagen bereits eine Interpretation dar-
stellt. Allein die vollständige und wörtliche Niederschrift des Gesagten - wie in dieser Arbeit an-
gewandt - gewährleistet daher, dass das Transkript nicht durch Interpretation beeinflusst wird.
210 Für eine Minute Interview müssen also etwa sechs Minuten Zeit für die Transkription veran-
schlagt werden. Dieser Wert variiert je nach Sprachstil des Befragten (schnelles/langsames
Reden, lange/kurze Pausen, Verständlichkeit, Tonqualität etc.).
211 Die Transkription der 786 Interviewminuten nahm demnach etwa 79 Stunden Arbeitszeit in An-
spruch. Die Transkripte umfassen insgesamt ca. 250 Seiten Interviewmaterial und können auf
Nachfrage beim Autor eingesehen werden.
212 Kuckartz (2008) benennt Codes zudem als Kategorien. Dem wird jedoch von anderen Autoren
widersprochen, die Kategorien als Zusammensetzung mehrerer Codes verstehen (bspw. Roth-
fuss und Dörfler 2013).
Methodisches Vorgehen 141
Einen grundlegenden Ansatz dieses Themenfelds stellt die 1967 von Glaser und
Strauss entwickelte Grounded Theory dar (Glaser und Strauss 2005; Mey und Mruck
2011). Wie der Name aussagt, ist das Ziel dieses Ansatzes die Theorieentwicklung,
wobei die bereits vorhandenen Theorien dabei als wahrnehmungshemmend betrach-
tet werden und dadurch nicht beachtet werden sollen (Kuckartz 2008). Vor allem
durch die Weiterentwicklung durch Strauss und Corbin (1990) wurde die Grounded
Theory zu einem Analyseverfahren der qualitativen Forschung weiterentwickelt. 213
Dabei existieren drei grundlegende Formen des Kodierens: Offenes, axiales und se-
lektives Codieren (Baur und Blasius 2014; Corbin und Strauss 2015; Mey und Mruck
2011; von Kardorff et al. 2008;). Kuckartz (2010) stellt jedoch fest, dass der Codier-
begriff der Grounded Theory nach Strauss und Corbin von klassischen Forschungs-
ansätzen abweicht: „Strauss formuliert „Codieren ist der Prozess der Datenanalyse“
und bringt damit zum Ausdruck, dass der Begriff „Codieren“ in der Grounded Theory
etwas anderes meint als in klassischen Forschungsansätzen, in denen „Codieren“
wesentlich enger als Klassifizierung von Daten in der Auswertungsphase eines Pro-
jektes begriffen wird“ (Kuckartz 2010, S. 74). Zudem soll im Rahmen dieser Arbeit
keine neue Theorie im Sinne der Grounded Theory entwickelt werden, diese Form
des Codierens ist daher wenig geeignet.
Ein weiterer, etablierter Ansatz des Codierens ist die Methode nach Gioia et al.
(2013). 214 Auf Basis der Grounded Theory werden dabei Codes entwickelt, ohne
zuvor Kategorien oder Themenbereiche zu bilden. Diese Codes werden als 1st order
concepts bezeichnet und daraufhin in die 2nd order themes zusammengefasst. Zur
besseren Übersicht werden schließlich so genannte Aggregate Dimensions entwi-
ckelt. Diese stellen die Oberkategorien des Codesystems dar. Zwar wird diese de-
duktive Vorgehensweise in der Wissenschaft häufig angewandt (bspw. Corley und
Gioia 2004; Rerup und Feldman 2011), jedoch wurden im Rahmen dieser Arbeit be-
reits erste Kategorien auf Basis der Experteninterviews in Kapitel 5.1.1 gebildet. Die-
ses Vorgehen entspricht der Aussage von Kuckartz (2010), dass die meisten For-
scher trotz einer induktiven Vorgehensweise bereits gewisse Kategorien im Hinter-
kopf haben. 215 Brosius et al. (2012) erkennen zudem, dass der Codierungsvorgang
213 Für eine ausführliche Erläuterung der Entwicklung der Grounded Theory sei auf Mey und Mruck
(2011) verwiesen.
214 Gioia et al. (2013) liefern eine Übersicht von 26 Studien, bei denen diese Methode bzw. Variati-
onen angewandt wurden (elf davon im Academy of Management Journal (A+) veröffentlicht).
215 „Das Gegenstück zu dieser deduktiven Vorgehensweise stellt die induktive Kategorienbildung
dar, bei welcher der kategoriale Bezugsrahmen aus den Daten selbst konstruiert wird. Bei ge-
nauerem Hinschauen zeigt sich allerdings oft, dass das Vor- und Kontextwissen des Forschers
dabei einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hat“ (Kuckartz 2010, S. 58). Die Ableitung der
Codes und daraus resultierenden Kategorien ist also von Beginn an beeinflusst. Es ergeben
sich letztlich die Kategorien aus der stetigen Zusammenfassung der Codes, die der Forscher
haben möchte.
142 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
und die damit einhergehende Kategorienbildung eine Kombination aus einem theo-
riegeleiteten, deduktiven Vorgehen und einer empiriegeleiteten, induktiven Herange-
hensweise ist. Somit können Aspekte, die bereits vorher durch die Literaturanalysen
erarbeitet wurden, mit solchen vereint werden, die durch die eigene Einschätzung
beim Durcharbeiten der Interviews entstanden sind. Für diese Arbeit wird daher eine
Kombination aus deduktiven und induktiven Codieren gewählt. Das Vorgehen nach
Kuckartz (2014) erscheint dabei am geeignetsten und wird folgendermaßen definiert:
„Bei der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse wird nach der von der Forschungs-
frage geleiteten explorierenden Phase (initiierende Textarbeit etc.) ein zweistufiger
Codierungsprozess durchlaufen. Im ersten Codierungsprozess wird das Material
thematischen Hauptkategorien zugeordnet, welche dann in einem Schritt der Ausdif-
ferenzierung und Verfeinerung präzisiert werden. Die Bildung der Kategorien und
Subkategorien kann sowohl induktiv am Material als auch auf der Basis von theoreti-
schem Vorwissen und Literaturstudium erfolgen. In den meisten Fällen wird eine Mi-
schung aus beidem praktiziert, d.h. sowohl deduktiv wie induktiv vorgegangen“ (Ku-
ckartz 2014, S. 112).
Für die Codierung der Interviews wurde die Analysesoftware MAX Qualitative Daten
Analyse, kurz MAXQDA (Version 12), genutzt (Kelle und Kluge 2010; Kuckartz
2008). Das Programm vereinfacht die Codeerstellung und -organisation und ermög-
licht die Anwendung der Codes auf sämtliche Interviews (Baur und Blasius 2014). Zu
Beginn wurden sechs Hauptkategorien aus der Literatur, der Vorstudie sowie der
quantitativen Umfrage ermittelt. Als relevante Oberpunkte in Bezug auf die Analyse
des Lead User-Ansatzes in der Praxis wurden folgende Kategorien definiert: 216
Unternehmensinformationen: Enthält sämtliche Informationen, die die Organisation
des Befragten betreffen (bspw. Anzahl der bereits durchgeführten Projekte).
Projektablauf: Beinhaltet Aspekte der Projektorganisation (Projektdauer, involvierte
Abteilungen, Anzahl etc.) sowie des Prozesses selbst (bspw. Fragestellung und Ziel,
Start des Projekts, einzelne Phasen). Dieser Themenbereich beinhaltet zudem den
für die Forschungsfrage wichtigen Aspekt etwaiger Prozessabweichungen.
Erfolgsfaktoren: Welche Faktoren tragen positiv zum Projekterfolg bei und sind da-
durch unbedingt zu beachten?
Herausforderungen: Sind die Grundlage für die Ableitung von Lösungsansätzen und
dadurch Weiterentwicklungen des Ansatzes.
Ergebnisse: Übersicht aller Ergebnisformen (Ideen und Ansätze, erwartbare Ergeb-
nisse, Kontakte und Kooperationen, umsetzbare bzw. nicht umsetzbare Ergebnisse).
Basierend auf diesen Kategorien wurden beim Durcharbeiten des ersten Interviews
die Codes erstellt und zugeordnet. Dieser Vorgang wurde für die übrigen Interviews
wiederholt. Dabei wurden weitere Codes hinzugefügt, zusammengefasst, gelöscht
sowie im Codesystem neu arrangiert. Schließlich wurde ein Codeystem mit 68 Codes
erstellt (vgl. Anhang D). Den Codes wurden insgesamt 1066 Codings in den Inter-
views zugeordnet. 217 Die Länge der codierten Abschnitte variiert. Teilweise wurden
nur einige Wörter in einem Coding zusammengefasst, mitunter umfasst ein Coding
auch ganze Sätze oder Abschnitte.
6.1.4 Intercoder-Reliabilität
Die Auswertung und Überprüfung der Ergebnisse qualitativer Erhebungsmethoden
wird nach Krippendorff (1989) als Inhaltsanalyse (Content Analysis) bezeichnet. 218
Ziel der Inhaltsanalyse ist die Schaffung einer Vergleichbarkeit der subjektiven Aus-
wertung der Inhalte (ebd). Durch einen Vergleich der unabhängigen Kodierung ver-
schiedener Forscher wird gemessen, wie allgemeingültig und verständlich die Codes
sind. Dazu werden gleiche Aussagen der Interviews von unterschiedlichen Personen
kodiert. Der prozentuale Vergleich dieser Kodierungen gibt einen ersten Eindruck
über die Übereinstimmung der Rater (Gwet 2014). Eine größere Aussagekraft hat
jedoch die Intercoder-Reliabilität. Diese „kann mittels eines Koeffizienten berechnet
werden, der nicht nur die Quote der übereinstimmenden Kodierungen verschiedener
Auswerter berücksichtigt, sondern das Ergebnis um die Zahl der zufällig zu erwar-
tenden Übereinstimmungen bereinigt“ (Gläser-Zikuda 2011, S. 116). Die Intercoder-
Reliabilität wird meist anhand von Krippendorff’s Alpha berechnet (Gwet 2014; Krip-
pendorff 1989). Das zu berechnende Į umfasst dabei das Intervall von 0.000 (gar
keine Reliabilität) bis 1.000 (perfekte Reliabilität) (Hayes und Krippendorff 2007). Ein
akzeptabler Wert von Į wird in der Wissenschaft unterschiedlich bewertet, wobei ein
Į DOOJHPHLQDOVDN]HSWDEHOEH]HLFKQHWZLUG
„Į value of +0.75 or +0.80 could be considered an acceptable standard of reliabil-
ity for Krippendorff's Į“ (Milne und Adler 1999, S. 251).
217 Dies entspricht durchschnittlich 13,7 Codings pro Code. Ein Code, bspw. der Aspekt Herausfor-
derungen, kann mehrere Codings haben, da in den Interviews mehrere Aussagen zu diesem
Themenpunkt geäußert wurden.
218 „Formally, content analysis is a research technique for making replicable and valid inferences
from data to their context“ (Krippendorff 1989, S. 403). Lombard et al. (2002) unterstützen den
Stellenwert der Inhaltsanalyse: „But one method, content analysis, is specifically appropriate
and necessary for (arguably) the central work of communication scholars, in particular those
who study mass communication: the analysis of messages“ (Lombard et al. 2002, S. 587).
144 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Die Abbildung visualisiert die Häufigkeit der einzelnen Codings bei den jeweiligen
Interviewteilnehmern (A-Q). 221 Die Größe der Kreise zeigt die Häufigkeiten der je-
weiligen Codes und verdeutlicht dadurch die unterschiedlichen Schwerpunkte der
219 Insgesamt sind 69 Codes vorhanden. Die 11 Codes, die nur zur Einordnung dienen (bspw. Er-
folgsfaktoren oder Herausforderungen) enthalten keine kodierten Textpassagen. Diesen Codes
mussten dementsprechend keine Aussagen zugeordnet werden.
220 Quelle: Visual Tool des Code-Matrix-Browser von MAXQDA basierend auf Fallstudiendaten.
221 Die Grafik dient der Visualisierung der unterschiedlichen Häufigkeiten. Aus Gründen der Über-
sicht wurden die Codes in Abbildung 36 auf die sechs Oberkategorien (Unternehmensinformati-
onen, Projektablauf, Erfolgsfaktoren, Herausforderungen, Ergebnisse und Evaluation) zusam-
mengefasst. Die Abbildung soll lediglich einen Eindruck über die Anzahl der Codings vermitteln,
genaue Werte sind daher nicht nötig.
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 145
Interviews. 222 Es zeigt sich, dass bei den Interviews unterschiedlich viele Codings
vorhanden sind. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen haben die Interviews eine un-
gleiche Dauer. 223 Entsprechend mehr oder weniger transkribiertes Interviewmaterial
liegt vor, die Wahrscheinlichkeit einer größeren Zahl von Codings steigt dadurch. De-
ren Häufigkeit ist jedoch auch abhängig von der Art des Interviewten, über seine Er-
fahrungen zu berichten. Einige Personen berichten „auf den Punkt“ und sind in der
Lage, Sachverhalte treffend und mit vergleichsweise wenigen Worten zu erläutern.
Bei diesen Personen sind meist längere Codings über ein oder mehrere Sätze vor-
handen, da sie zusammenhängend ihre Einschätzung zu einem Themenbereich wie-
dergeben. Andere Personen „schweifen oftmals ab“ und erläutern Erfahrungen, die
dem eigentlichen Themenfeld nicht zugeordnet werden können (bspw. über andere
Methoden oder Projekte). Diese Aussagen werden demnach nicht kodiert. Sofern die
Angaben der Interviewteilnehmer oft durch Aussagen zu Themen unterbrochen wer-
den, die nicht den eigentlichen Fragen entsprechen, entstehen zudem mehr Codings,
da sich der Befragte immer wieder zu einer Frage äußert, statt diese mit einer Aus-
sage direkt zu beantworten. 224 Weniger Codings bedeuten also nicht zwangsläufig,
dass ein Interview schlechter als andere ist oder eine geringere Aussagekraft hat.
Maßgeblich ist die Qualität der Codings (Kuckartz 2008). 225
Um die Auswertung der 1066 Codings zu strukturieren, werden nachfolgend die Er-
gebnisse nach den Oberkategorien Unternehmensinformationen, Projektablauf, Er-
folgsfaktoren, Herausforderungen und Evaluation erläutert. 226 Dazu wurde die Funk-
tion Summary-Grid von MAXQDA genutzt. Diese zeigt einen Überblick der einzelnen
Codings und ermöglicht dem Autor, eine prägnante Zusammenfassung der Codings
zu erstellen. Umfangreiche Codings können somit zu kurzen, aussagekräftigen
Stichpunkten zusammengefasst werden. 227 Dadurch können übersichtliche Listen
mit den Ergebnissen der Interviews erstellt werden (Lewins und Silver 2007). 228
222 A nennt bspw. gar keine Erfolgsfaktoren, bei P wurden stattdessen 27 Codings zu den Er-
folgsfaktoren erstellt.
223 Das zuvor genannte Interview mit A dauerte 25 Minuten bei 28 Codings, das Interview mit K
war das längste mit 79 Minuten und den meisten Codings (104).
224 L erläutert bspw. ein Lead User-Projekt im Bereich des Maschinenbaus. Dabei erläutert der
Befragte immer wieder andere Projekte, zum Beispiel aus dem Chemiebereich, die das eigentli-
che Lead User-Projekt nicht betreffen. L bringt zwischendurch immer wieder kurze Aussagen
mit Bezug zum Lead User-Projekt, die entsprechend kodiert werden. Jedoch werden viele An-
gaben wiederholt, vergleichsweise viele Codings daher vergeben.
225 Zwar lässt sich aus den Häufigkeiten des Auftretens einer Kategorie nicht ohne weiteres auf
ihre Relevanz schließen, doch ist es heuristisch durchaus von Interesse, ob bestimmte Katego-
rien in einem Text oder einer Gruppe von Texten sehr häufig oder überhaupt nicht vorkommen.
226 Die Inhalte der Kategorien Ergebnisse und Evaluation sind eng miteinander verbunden. Die
Ergebnisse werden daher in Kapitel 6.2.5.1 der Evaluation untergeordnet.
227 Bsp.: K gab zur Frage nach den bisher durchgeführten Projekten im Unternehmen folgende
Aussage: „Also, ich sag: Wir haben zwei durchgeführt und ich meine, zu wissen, dass das aber
146 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
6.2.1 Unternehmensinformationen
Zwei Befragte führten bereits sechs (F) bzw. sieben (E) Lead User-Projekte durch. O
und P führen als beratende Unternehmen regelmäßig Lead User-Projekte für andere
Firmen durch und haben Erfahrungen aus etwa hundert Projekten. Die restlichen
Unternehmen führten in ihrem Unternehmen bisher ein oder zwei Projekte durch. Die
Antworten bzgl. des ersten Kontakts mit dem Lead User-Ansatz bestätigen die Er-
gebnisse der Online-Befragung (vgl. Kapitel 5.2.4), dass diese Methodik in den Uni-
versitäten vergleichsweise wenig gelehrt wird. 229 So geben drei Personen an, den
Ansatz aus dem Studium zu kennen. Der Großteil der Befragten lernte den Lead
User-Ansatz hingegen erst durch die Arbeit im jeweiligen Unternehmen oder durch
eigenständige Recherche kennen.
In Bezug auf das Verständnis von Lead Usern ist zunächst erkennbar, dass die theo-
retischen Kriterien nach von Hippel i.d.R. der Ausgangspunkt sind. Damit einherge-
hende Bezeichnungen sind bspw. engagiert, eloquent, innovativ, intrinsisch motiviert,
kreativ, trendaffin, Visionär oder Wissensträger. Analog zur Literaturanalyse im
Rahmen der Vorstudie (vgl. Kapitel 2.4.3) werden Lead User zudem als „durchge-
knallt“ (N) oder „unorthodox“ (M) bezeichnet und grenzen sich dadurch von den ge-
wöhnlichen Nutzern ab. Ausgehend von diesem Verständnis wird die Definition von
Lead Usern an die jeweiligen Rahmenbedingungen und Eigenschaften der Unter-
nehmen angepasst.230 Oftmals ist daher ein etwas breiteres Verständnis von Lead
Usern mit entsprechend weicheren Kriterien vorhanden (B, C, D, E, F, N, P). 231 Lead
User müssen nicht zwangsläufig Prototypen (C) oder Lösungen entwickelt haben (B,
E, F). 232 E und F bezeichnen diese Personen daher als Lead Experten, die in ihren
Fachgebieten detaillierte Kenntnisse und Wissen vorweisen können, selbst jedoch
noch keine Lösungen entwickelt haben. Dies geschieht erst in Kooperation mit dem
Unternehmen im Workshop. 233 Die allgemeinere Definition von Lead Usern in der
woanders im Haus nicht weiter verfolgt wurde.“ In der Summary-Tabelle wurde zur besseren
Übersicht als Beantwortung der o.g. Frage „Zwei“ eingetragen.
228 In Anhang E findet sich ein Ausschnitt einer Summary Grid-Tabelle. Die gesamten Tabellen
können bei Bedarf beim Autor eingesehen werden.
229 59% der Befragten gaben an, den Ansatz aus Projekterfahrung zu kennen, 46% aus persönli-
cher Weiterbildung. Nur 20% gaben an, den Ansatz aus dem Studium zu kennen.
230 Diese Erkenntnis entspricht den Ergebnissen der Literaturanalyse in Kapitel 2.4.4.
231 Bspw.: „Und die wurden zum Teil ein bisschen abgeändert, je nachdem, wie es halt zu dem
Projekt oder zu den Leuten auch gepasst hat“ (E).
232 „Also es war in dem Falle ein sehr weiches Kriterium. Also es war nicht die Anforderung, dass
sie bereits Lösungen für sich entwickelt haben müssen. Sondern wir haben das sehr, sehr stark
abgemildert in Richtung starke Verbalisierungsfähigkeit, kreatives Potenzial, was wir im Vorfeld
bei der Rekrutierung mit entsprechenden Methoden abgeprüft haben“ (B).
233 „Da war eben die Idee: Okay, wir haben keine Lead User im Sinne des klassischen Ansatzes,
also die Prototypen bereits entwickelt haben. Sondern wir übertragen diese Prototypenentwick-
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 147
Praxis ist in der schwierigen Identifizierung von Lead Usern mit den durch von Hippel
definierten Eigenschaften begründet. So erläutert F:
„Allerdings muss man sagen, haben wir gelernt, dass es den idealen Lead User,
so wie er im Buche steht, nur selten gibt.“
Neben einem allgemeineren Verständnis von Lead Usern werden diesen Personen
über die theoretischen Eigenschaften hinaus weitere Aspekte zugesprochen. Perfek-
tionismus (P) und Dialogstärke (H) werden in der Praxis als zusätzliche Charakteris-
tika genannt, die zum größeren Erfolg von Lead User-Projekten beitragen können.
Zudem erläutert P, dass insbesondere für die Identifizierung und Integration von
Lead Usern im Onlinebereich eine breite Mediennutzung notwendig ist. 234
6.2.2 Projektablauf
Diese Kategorie enthält 21 Codes (vgl. Anhang D), die in die drei Unterbereiche Or-
ganisation, Prozess und Workshops zusammengefasst werden.
6.2.2.1 Projektorganisation
In Bezug auf die Anzahl der integrierten Lead User ist bei den Fallstudien kein we-
sentlicher Unterschied zur wissenschaftlichen Literatur (bspw. Churchill et al. 2009;
Lüthje und Herstatt 2004; Olson und Bakke 2001) sowie der Online-Befragung (vgl.
Kapitel 5.2.4.2) zu erkennen. Meist werden fünf bis acht Lead User integriert. Zwei
Unternehmen arbeiten mit 13 (K) sowie 15 (I) Lead Usern zusammen, die Integration
von mehr Lead Usern ist in der Praxis jedoch nicht sinnvoll. 235
Die Berufe und damit einhergehenden Branchen der integrierten Lead User variieren
aufgrund der Art des Produkts sowie des Unternehmens, die diese Personen inte-
griert. Oftmals werden technologische und sehr spezielle Lösungen angestrebt. Da-
her werden Lead User aus technischen und innovationsnahen Bereichen identifiziert,
bspw. Marktforscher (E), Analytiker (K), Innovationsmanager, Techniker, Methodiker
oder Entwicklungsleiter (L). Insbesondere im B2C-Bereich ist hingegen eine größere
Bandbreite an Branchen zu erkennen. So integrieren die B2C-Unternehmen N und Q
Künstler, Musiker, Schauspieler, Autoren, Kameraleute, Krankenpfleger, Friseure,
Rentner, Hausfrauen oder Studenten. Der Fokus liegt dabei eher auf Kreativität und
Nutzungserfahrungen mit den Konsumgütern statt auf technischer Expertise. Analog
zu 6.2.1 gelten weniger strikte und spezielle Kriterien, je konsumorientierter das Pro-
lungsphase in diese Online-Community. Also die Prototypen werden in der Community selber
entwickelt“ (C).
234 P definiert ein für Lead User relevantes Skillset: „Ganz vorn dabei, hip, breite Mediennutzung,
trendaffin, eloquent, kreativ, bringt viel mit, sehr engagiert, intrinsisch motiviert.“
235 „...der Lead User-Workshop sollte nicht mehr als 12 Teilnehmer haben“ (K).
148 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
dukt ist. Nutzer können Produkte des täglichen Gebrauchs eher evaluieren und wei-
terentwickeln. Je höher die Spezialisierung und je komplexer die Technologie ist,
desto spezifischere Personen werden jedoch benötigt. Diese zu finden ist sehr viel
schwieriger, während kreative und fortschrittliche Nutzer aus dem B2C-Bereich ver-
gleichsweise einfacher zu identifizieren sind. 236
Die Incentivierung der Lead User ist ein in der Praxis oft diskutierter Aspekt. Zwar
nehmen Lead User gemäß der wissenschaftlichen Literatur i.d.R. ohne Bezahlung an
den Workshops teil, da sie definitionsgemäß erheblich von den Lösungen profitieren
und daher ihre intrinsische Motivation ausreicht (Herstatt und von Hippel 1992; von
Hippel 1988). In der Praxis existieren jedoch unterschiedliche Ansichten darüber, ob
finanzielle Vergütung zusätzlich als Incentivierung gezahlt werden sollte oder nicht.
Darüber, dass Ausgaben der Lead User wie Anreise zu den Workshops, Übernach-
tungskosten, Verpflegung und dergleichen vom Unternehmen übernommen werden
sollten, herrscht Konsens. Für E, F, G, I, K und L ist dies als Incentivierung ausrei-
chend, da die Lead User aufgrund ihrer intrinsischen Motivation und Interesse ohne
weitere Vergütung teilnehmen. Für C, D, J, O, P und Q sind weitere Anreize insbe-
sondere monetärer Art oder durch Gutscheine hingegen notwendig. 237 Die Höhe der
Vergütung variiert dabei und ist nicht unbedingt ausschlaggebend für die Motivation
der Lead User. So erläutert D, dass einige Lead User das Geld spenden oder nicht
annehmen. 238 Jedoch scheint es für diese Lead User ein Zeichen der Anerkennung
zu sein, dass sie generell eine Vergütung erhalten. O erläutert entsprechend:
„Aber deswegen machen sie jetzt nicht mit wegen der Knete. [...] Aber das ist
einfach so, die Leute haben so 'ne gute Transparenz und abstrahieren, also kön-
nen dann eben auch herleiten, was da passiert mit ihrem kostbaren [...] Input.“
Interessanterweise verlangen insbesondere die Unternehmen nach einer finanziellen
Vergütung, die im B2C-Bereich oder beratend tätig sind. In sehr speziellen Berei-
chen, bspw. der Automatisierungstechnik (L), sind non-monetäre Anreize wie Werks-
führung, Austausch mit den Entwicklern oder Anerkennung durch namentliche Er-
wähnung oftmals ausreichend.
Die wissenschaftliche Literatur legt aufgrund der Individualität der Unternehmen nicht
definitiv fest, welche Abteilungen in Lead User-Projekten beteiligt sein sollten (Her-
statt und von Hippel 1992; Lüthje und Herstatt 2004). Nach Gassmann et al. (2006)
sollten Personen aus Marketing sowie Forschung & Entwicklung teilnehmen; die wei-
236 „...aber eben kreativ sind. Nur, man findet tatsächlich in den kreativen Berufen leichter welche
bzw. das Netzwerk unter einander ist da auch größer“ (N).
237 „...da sind wir wieder beim Anreizsystem. Und das ist am Ende: Kohle“ (P).
238 „Ob die dann 20 Euro oder 200 oder 500 bekommen, das ist denen dann letztenendes egal. Wir
hatten auch schon Leute, die den Umschlag da gelassen haben! Oder spenden wollten“ (D).
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 149
teren Projektteilnehmer sind jedoch individuell zu wählen. Wichtig ist, dass ein multi-
funktionales Team besteht und unterschiedliche Bereiche involviert sind (Lüthje und
Herstatt 2004). 239 Auch in der Praxis werden multifunktionale Teams empfohlen. Am
häufigsten werden die Marktforschungsabteilung (B, C, D, N, Q) sowie Forschung &
Entwicklung (B, F, L, M, O) einbezogen. Die übrigen Abteilungen sind divers und de-
cken entweder Managementbereiche wie Geschäftsführung, Innovationsmanage-
ment oder Business Development (E, F, Q) sowie technische Bereiche (I, J, M, Q)
ab. B, C und D kritisieren, dass in dem von ihnen durchgeführten Lead User-Projekt
seitens des Unternehmens nur die Marktforschungsabteilung beteiligt war, und da-
durch wichtige Impulse aus dem Unternehmen verloren gingen. Zudem besteht das
von B erläuterte Risiko, dass relevante Informationen unzureichend an die Entwick-
lung kommuniziert werden:
„Da geht einfach zu viel verloren, wenn wir etwas erheben auf der Kundenseite
und die Marktforschungsabteilung das dann transportiert in die umsetzende Ab-
teilung innerhalb des Unternehmens.“
Beim Prozess der analysierten Lead User-Projekte sind drei Vorgehensweisen er-
kennbar:
239 Die Integration verschiedener Unternehmensabteilungen verbessert nicht nur die Qualität des
Lead User-Projekts. Der Lead User-Ansatz verbessert auch die Effektivität der Abteilungen:
„Their identification and involvement in the fuzzy front end of innovation is supported by the
Lead User method – a multi stage approach aiming to generate innovative new product con-
cepts and to enhance the effectiveness of crossfunctional innovation teams" (Lüthje und Her-
statt 2004, S. 554).
150 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Auf den Lead User-Ansatz aufmerksam werden die Unternehmen durch Recherche,
Mundpropaganda und Unternehmensnetzwerke (A, E, F). Auch durch Anfragen von
Unternehmen, ob eine dahingehende Beratungstätigkeit angeboten wird, kommen
Unternehmen mit dem Ansatz in Berührung (C, N, O). Unternehmen L erfuhr vom
Lead User-Ansatz durch Informationen auf einer Fachmesse.
Zu Beginn des Projekts werden i.d.R. Kickoff-Meetings durchgeführt und die Aufga-
ben sowie Zielsetzung des Ansatzes besprochen. Bei Zusammenarbeit mit Dienst-
leistern oder Universitäten stellen sich die jeweiligen Projektteilnehmer in diesem
Meeting vor und tauschen relevante Informationen aus (bspw. zur Marktsituation).
Ein wichtiger Aspekt ist dabei, die Ziele detailliert und verständlich zu definieren. Als
Ziele und zu beantwortende Fragestellungen der analysierten Projekte wurden u.a.
genannt:
Um diese Ziele zu erreichen, ist die Identifizierung geeigneter Lead User elementar.
In der Praxis werden dazu die bekannten Methoden Screening, Pyramiding und
Broadcasting angewandt (E). Die klassische Herangehensweise durch telefonische
Anfragen wird weiterhin genutzt (G, H, K, L), teilweise mit vorheriger Überprüfung der
Lead Userness durch standardisierte Fragebögen (O, P). Nach G, H und I hat sich
als erfolgreiche Kontaktaufnahme mit den Lead Usern ein erster, kurzer Anruf etab-
liert, bei dem das Projekt in wenigen Sätzen dargestellt und eine Informationsmail
angekündigt wird. Die Lead User können die ausführlichen Informationen dann in
Ruhe lesen und bei Interesse ein weiteres, ausführliches Telefonat vereinbaren. Die
Bereitschaft der Lead User kann so bereits geprüft werden, da i.d.R. nur wirklich inte-
ressierte Personen ein weiteres Telefonat vereinbaren werden. Wichtig ist jedoch,
die Lead Userness dieser Nutzer im detaillierten Gespräch zu überprüfen. Als ein
weiterer Erfolgsfaktor bei der Identifizierung von Lead Usern hat sich die Erstellung
einer Black- bzw. Greenlist durch die Unternehmen bewährt (F, G, H, I). Die Green-
list enthält Kontakte des Unternehmens, mit denen schon Beziehungen bestehen
und deren Expertise daher bekannt ist. Diese können zuerst kontaktiert werden, um
so entweder erste Lead User zu identifizieren oder Impulse für den Pyramiding-Effekt
152 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
zu geben. Die Blacklist enthält hingegen Kontakte, die nicht angesprochen werden
sollten, da mit diesen bereits in anderen Projekten zusammengearbeitet wird oder
bspw. Verhandlungen durchgeführt werden. 243 Eine geeignete Quelle für Lead User
stellen zudem die eigenen Mitarbeiter dar (K). Analog dem theoretischen Ansatz der
Embedded Lead User (vgl. Kapitel 2.3.4) werden Aufrufe zur Einreichung von Ideen
und Konzepten im Unternehmen durchgeführt, um dadurch Lead User zu identifizie-
ren. Insbesondere bei großen Unternehmen mit entsprechend großen Mitarbeiter-
zahlen ist dieser Ansatz sinnvoll. 244 Eine Weiterentwicklung zum klassischen Identi-
fizierungsprozess ist die Suche und Kommunikation von Lead Usern durch Online-
Medien (C, D). So wird zum Bsp. in Online-Communities nach fortschrittlichen, akti-
ven Nutzern gesucht und diese direkt kontaktiert. Insbesondere solche Unterneh-
men, die als Dienstleister Lead User-Projekte für weitere Firmen durchführen, haben
oftmals zudem eine bestehende Datenbank potenzieller Lead User (D, N, P). Sofern
die Zusammenarbeit mit den Nutzern in vorherigen Projekten positiv war, ist grund-
sätzlich nichts gegen deren wiederholte Integration einzuwenden. Da sie bereits in
der Datenbank vorhanden sind, ist die Auswahl und Kontaktaufnahme vergleichswei-
se einfach. Jedoch besteht die Gefahr, dass Nutzer aufgrund der einfachen Rekrutie-
rung als Lead User klassifiziert werden, die für das spezielle Thema keine Lead
User-Eigenschaften vorweisen. 245 Eine sorgfältige Kontrolle der Lead Userness ist
daher, wie aufgrund der großen Bedeutung für den Projekterfolg schon mehrfach
erwähnt, essenziell. Für diese Überprüfung nutzen die Unternehmen standardisierte
Fragebögen, bei denen einige Fragen auf die Lead Userness hinweisen. N nutzt zu-
dem verschiedene wissenschaftliche Testverfahren zur Validierung der Kreativität
der Nutzer, bspw. den Torrance Test oder den Myers-Briggs-Test. 246 Diese Tests
fokussieren die Kreativität von Nutzern, die eng mit der Lead Userness verknüpft ist
(Kratzer und Lettl 2008). 247
243 Dieses Vorgehen ist insbesondere dann zu empfehlen, wenn die Identifizierung ausgelagert
wird (bspw. an Studenten oder Dienstleister).
244 K schlägt vor, grundsätzlich zunächst ein Projekt mit Embedded Lead Usern zu machen, um
diesen Ansatz intern zu testen und danach extern durchzuführen: „Also grad für Großunter-
nehmen [...] würde ich sagen: Anfangen mit 'nem Embedded Lead User-Projekt. Um dann zu
sagen: Da Erfolge generieren und dann [...] über das hinaus dann in die große weite Welt raus.“
245 Weiterhin werden falsche Lead User definiert, weil keine anderen Nutzer vorhanden sind: „Wir
haben im Endeffekt fast alle genommen, die bereit waren, da mit zu machen“ (L).
246 Der Torrance Tests of Creative Thinking gilt als der meistgenutzte Kreativitätstest (Kim 2006).
Der Myers-Briggs-Typenindikator wird definiert als: „The purpose of the Myers-Briggs Type
Indicator® (MBTI®) personality inventory is to make the theory of psychological types described
by C. G. Jung understandable and useful in people's lives. The essence of the theory is that
much seemingly random variation in the behavior is actually quite orderly and consistent, being
due to basic differences in the ways individuals prefer to use their perception and judgment“
(The Myers & Briggs Foundation 2016).
247 Eine Verbindung von Kreativität und Lead Userness stellen Faullant et al. (2012) dar. Die Auto-
ren verdeutlichen die Messung der Lead Userness anhand der Items Ahead of the trend, high
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 153
Eine ausführliche Erläuterung der Workshops findet in Kapitel 6.2.2.3 statt. Eine Be-
sonderheit bei den Workshops zeigt sich in der Konzeptentwicklung von N. Die inte-
grierten Nutzer werden bereits vor den Workshops darauf geschult, Konzepte zu ver-
fassen. Dadurch soll eine höhere Qualität der Konzepte erreicht werden. Zudem stellt
diese Schulung einen Anreiz für die Nutzer dar, weil sie dadurch Methodenwissen
erlangen. Die Konzepte werden am Ende des Workshops von jeweils einem Lead
User und einem Unternehmensmitarbeiter geschrieben, um sowohl externes Know-
How als auch Unternehmenswissen zu nutzen. Die Konzepte werden im Plenum
vorgestellt und gehen nach einem Feedback aller Workshopteilnehmer in die Opti-
mierungsrunde. Das Unternehmen wählt schließlich das erfolgversprechendste Kon-
zept aus. 248
(5) Projektabschluss
Die Lead User-Projekte enden meist mit dem Workshop oder einer Abschlusspräsen-
tation. Weitere Prozessschritte wie eine Implementierungsphase der Ergebnisse oder
zusätzliche Feedbackgespräche werden kaum durchgeführt. Lediglich J und N gaben
an, nach den Workshops weitere Besprechungen zur Umsetzung der Ergebnisse
durchgeführt zu haben, diese jedoch eher unsystematisch. Die Implementierungs-
phase wird von J als eine wesentliche Aufgabe genannt, die oft vernachlässigt wird:
„Dann müsste man konsequenterweise danach noch irgendeine Art Implementie-
rungsworkshop machen.“
Mit dem Workshop sollte das Projekt nicht als abgeschlossen bewertet werden; die
eigentliche Umsetzung der Ergebnisse beginnt dann erst. 249 Eine für diese Arbeit
essenzielle Aussage und Bestätigung der Forschungslücke ist die Forderung durch F
nach einem Lead User-Leitfaden (Best Practice) mit genaueren Vorgaben und Hand-
lungsempfehlungen für die Praxis:
„Und aus meiner Sicht gibt es da wenig [...] Guidelines oder Strukturen oder ähn-
liches aus der Literatur.“
Die Lead User-Workshops umfassen einen zeitlichen Rahmen von vier Stunden (D)
bis zu zwei Tagen (I, O, Q). Um ausreichend Zeit zur Diskussion und Ausarbeitung
von Ideen zu haben, sollte der Workshop jedoch mindestens einen Tag, idealerweise
zwei Tage umfassen (K). Die Workshops werden entweder im Unternehmen oder an
externen Locations durchgeführt. 250 Moderiert wird der Workshop i.d.R. durch exter-
ne Personen (Dienstleister, Universität etc.), um eine Objektivität zu gewährleisten
(A, E, F, L, N, Q). Eine Moderation durch einen internen Mitarbeiter birgt das Risiko,
neuartige und vermeintlich nicht umsetzbare Ideen direkt abzublocken (L).
Bei der Fallstudienanalyse ist zu erkennen, dass immer mehr Onlinemedien zur Iden-
tifizierung und Integration von Lead Usern sowie zur Workshop-Durchführung ge-
nutzt werden. C lässt grundlegende Themen in Online-Communities diskutieren, um
die Bedarfslage der Nutzer zu identifizieren. Auch P nutzt das Internet, um potenziel-
le Lead User an Aufgabenstellungen arbeiten zu lassen und dadurch innovative
Ideen und Lead User zu ermitteln. Jedoch stellt B fest, dass persönliche Zusammen-
arbeit nur schwer durch Online-Workshops zu ersetzen ist:
„Also das ist nicht so einfach zu ersetzen, dieses kreative Moment, was dann
beim persönlichen Kontakt entsteht.“251
Dies erspart die Anreise der Lead User und ermöglicht eine Teilnahme von internati-
onalen Nutzern.
250 Einige Aspekte der Workshops (Location, Moderation etc.) betreffen sowohl die Projektorgani-
sation als auch Erfolgsfaktoren von Lead User-Projekten. Bspw. ist die Moderation ein organi-
satorischer Aspekt (wer moderiert?), hat aber auch großen Einfluss auf den Erfolg des Work-
shops (wie wird moderiert?). Einige Aspekte der Workshops werden daher als Erfolgsfaktoren
in Kapitel 6.2.3 nochmals aufgegriffen.
251 Ein erster Lösungsansatz zur Vermeidung dies Problems wäre nach B: „Mit der Erfahrung
müsste man das zukünftig auch nochmal überarbeiten und darauf achten, dass trotz Online-
Beteiligung dieser gemeinsame Raum stärker betont wird, in dem Kreativität entstehen kann.
Habe jetzt keine wirklich konkreten Ideen vor Augen, ob man das jetzt mit Videokonferenzen
machen muss, also mit zeitgleicher Teilnahme.“
252 Eine Möglichkeit zur Video-/Audiozuschaltung von externen Personen.
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 155
6.2.3 Erfolgsfaktoren
Bemerkenswert ist, dass nicht nur der externe Beitrag der Lead User positiv zum
Projekterfolg beiträgt, sondern auch die Durchführung des Projekts mit externen
Partnern, insbesondere Hochschulen. So äußert sich K sehr positiv zur Kooperation
mit der Hochschule, 254 da allein die Fragen der Studenten einen großen Mehrwert
bringen, bevor Lead User überhaupt integriert werden:
„Wir sind ja schon so ein bisschen betriebsblind. [...] Man fragt sich viele Sachen
einfach nicht. Und das war also wirklich super erfrischend. Da kamen auch teil-
weise dann Ideen und schon Vorschläge: Warum macht ihr das nicht?“
253 Erläuterungen in alphabetischer Reihenfolge. Die Reihenfolge stellt daher keine Wertung oder
Gewichtung der Aspekte dar.
254 Bei diesem Lead User-Projekt wurde die Lead User-Identifizierung durch Studenten im Rahmen
eines universitären Seminars durchgeführt.
255 L bemängelt, dass ohne externe Einflüsse weiterhin nur die Aktivitäten zur Innovationsentwick-
lung durchgeführt werden, die im Unternehmen bereits existieren: „Dann mach ich doch sowie-
so nichts anderes, wie das, was ich schon die letzten Jahre mache.“
156 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Auch die Beteiligung interner Mitarbeiter wird als ein essenzieller Erfolgsfaktor be-
wertet (F, I, L, Q). Ohne deren Teilnahme am Lead User-Projekt fehlt relevantes
Entwicklungs-Know-How (B, K). Zudem entstehen so unnötige Schwierigkeiten bei
der Weitergabe der erarbeiteten Ideen an die umsetzenden Abteilungen (B, C). J
erläutert entsprechend:
„Also das fände ich, ehrlich gesagt, einen Kardinalsfehler im Lead User-Ansatz,
dass ich die Leute nicht mit an den Tisch hole, die es dann später auch umset-
zen müssen. [...] Also jemand aus der Marktforschung, wie soll der denn die
technischen Raffinessen verstehen, die eventuell ein Lead User mir da grade
verrät?“
Flexibilität
Auch eine ausreichende Flexibilität der Unternehmen ist ein wesentlicher Erfolgsfak-
tor. Je weniger die Lead User eingeschränkt werden, desto mehr Ideen werden ent-
wickelt (E). Auf der anderen Seite erläutert J:
„Je konkreter dieses Zielbild ist, desto einfacher tun sich auch die Lead User.“
Die Unternehmen müssen daher eine geeignete Balance finden und das Thema so-
weit vorgeben, dass die Ergebnisse die richtige Zielsetzung betreffen. Andererseits
dürfen die Lead User nicht durch zu strikte Vorgaben eingeschränkt werden (J, N).
Glück
Es wird immer wieder ein für den Erfolg des Projekts ausschlaggebender Faktor ge-
nannt, auf den die Unternehmen jedoch keinen Einfluss haben: Glück. Zunächst
müssen die Unternehmen Glück haben, die richtigen Lead User zu identifizieren, die
zur Teilnahme an einem Workshop motiviert sind und dazu Zeit haben. Definitions-
gemäß sollte die Motivation beim Lead User zur Teilnahme an einem Workshop zwar
vorhanden sein (Churchill et al. 2009; Lüthje und Herstatt 2004). Jedoch sind diese
Personen meist in einem Beschäftigungsverhältnis, weshalb deren Zeit dadurch stark
begrenzt ist. Zudem müssen mehrere Lead User an einem Workshop teilnehmen,
was die Schwierigkeit der Planung erhöht. Schließlich ist der Verlauf des Projekts
und die daraus resultierenden Ergebnisse nach L nicht eindeutig planbar:
„Das muss man einfach im Hinterkopf behalten, dass man da einen gewissen
Teil nicht, ich sag jetzt mal, professionalisieren kann. Das ist eigentlich dem Zu-
fall geschuldet. [...] Also an solchen Dingen kann's dann letztendlich scheitern,
obwohl man alles vorher richtig gemacht hat.“
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 157
Letztlich ist bei der Integration von Personen immer ein gewisser, nicht vorhersehba-
rer Teil vorhanden, der wiederum einer offenen Innovationskultur, Risikobereitschaft
und Flexibilität bedarf.
Klare Zielsetzung
Um den Erfolg eines Lead User-Projekts messen zu können, bedarf es einer klaren
Zielsetzung. Die Überprüfung, ob die Ziele erreicht wurden, stellt die Grundlage für
die Erfolgsmessung dar (M). Dieser Aspekt wird von allen Befragten als sehr wichtig
eingeschätzt, bei einigen Projekten wurde diese grundlegende Maßnahme jedoch
unzureichend durchgeführt (C, G, K, N).256 Eine klare Zielsetzung vermeidet zum
einen die Enttäuschung, wenn gewisse Aktivitäten der Mitarbeiter bzw. Lead User
kritisch evaluiert oder nicht akzeptiert werden. Zum anderen kann durch die Definiti-
on des Ziels und der Aufgabenverteilung Mehrarbeit vermieden werden, wenn nur
relevante Aspekte bearbeitet werden. Dies setzt eine effiziente Kommunikation vo-
raus (E). Die Zielsetzung gibt zudem die Erwartungshaltung aller Beteiligten vor. Um
Frustration und falsche Hoffnungen zu vermeiden, sollte das Ziel daher frühestmög-
lich definiert und an alle kommuniziert werden (N). 257 Eine klare Definition der Ziel-
setzung ist zudem wichtig, um die Kriterien für die Lead User festzulegen. Je nach-
dem, was für eine Art Produkt oder Dienstleistung aus welchem Bereich entwickelt
werden soll, sind unterschiedliche Lead User-Eigenschaften relevant (O).
Kooperative Workshops
Einen für den Projekterfolg wesentlichen Beitrag stellen die kooperativen Workshops
dar, in denen Lead User mit den Unternehmen Ideenkonzepte entwickeln. Als prob-
lematisch wird dabei immer wieder die Tatsache geäußert, dass sich die Unterneh-
mensmitarbeiter nicht vollends auf den Workshop einlassen können oder wollen - sei
es aus grundsätzlichem Widerstand gegenüber Externen (Not invented here-
Syndrom) oder der Problematik, sich nicht aus dem Unternehmensalltag lösen zu
können. Daher wird die Auslagerung des Workshops an einen externen Ort vorge-
schlagen und als wichtiger Erfolgsfaktor bewertet (F, L, N, O, Q). Q stellt fest:
„Dann Erfolgsfaktor: Raus aus dem Tagesgeschäft. Ganz eindeutig! Ganz, ganz
wichtig!“ 258
256 Bspw. evaluiert C die Zieldefinition folgendermaßen: „Ja, das war halt ein bisschen im Prinzip
schwammig eben definiert.“
257 Die Zieldefinition sollte sowohl intern zu Beginn des Projekts als auch zu Beginn des Work-
shops an die Lead User kommuniziert werden: „In so einem Workshop ist [...] das wichtigste,
dass alle erstmal wissen, worum es geht und auf was sie sich einlassen“ (N).
258 H, I, L und M zeigen hingegen, dass auch die Durchführung eines Workshops innerhalb des
Unternehmens erfolgreich sein kann. Die Wahl des Ortes ist daher individuell zu bewerten.
158 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Dadurch wird gewährleistet, dass sich die Mitarbeiter frei von ihrem Tagesgeschäft
auf den Workshop konzentrieren können und keine Termine, Besprechungen, Tele-
fonate etc. durchführen. Sofern der Workshop in den Räumlichkeiten des Unterneh-
mens stattfindet, kann eine Drucksituation für die Lead User entstehen, da sie sich in
den Räumen des Unternehmens einer Bringschuld ausgesetzt sehen (N). Unabhän-
gig vom Ort der Workshops ist die Atmosphäre und der persönliche Austausch sehr
wichtig (C, D). Eine lockere und angenehme Atmosphäre steigert die Motivation, Be-
geisterung und Kreativität aller Teilnehmer (H, L, N, Q). Die Entwicklung eines Ge-
meinschaftsgefühls 259 erhöht den Zusammenhalt zwischen Lead User und Unter-
nehmen und dadurch die Motivation der Lead User, für das Unternehmen meist ohne
Vergütung Ideen und Lösungen zu entwickeln (N). Einen wesentlichen Beitrag zur
Atmosphäre sowie zum Erfolg des Workshops leistet der Moderator (D, E, L, O, P,
Q). Durch einen externen Moderator (Universität, Beratung etc.) wird Betriebsblind-
heit vermieden, da auch Inhalte zugelassen werden, die für das Unternehmen zu-
nächst abwegig sind. L bewertet dementsprechend:
„Also ich hab‘ das genossen, dass das jemand gemacht hat, der auch Dinge zu-
gelassen hat, wo ich eigentlich innerlich den Kopf geschüttelt habe.“
Durch die Wahl geeigneter Kreativitätstechniken sowie der richtigen Fragen ist der
Moderator in der Lage, das Potenzial der Teilnehmer bestmöglich zu nutzen. Ein gu-
ter Moderator erkennt zudem Ungleichgewichte in Bezug auf den Redeanteil (extro-
vertierte vs. introvertierte Personen) und kann dies steuern (P). 260 Zuletzt wird der
Einsatz von Grafikern 261 empfohlen, die die Ideen und Inhalte visualisieren. Nach
dem Motto „ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ (Q) kann so einfacher über Inhalte
diskutiert werden, da alle Beteiligten ein gemeinsames Bild der Ideen haben. Dies
erspart die mühsame verbale Erläuterung der Inhalte (ebd.). Als ein positiver Neben-
effekt fließt die künstlerische Kreativität der Grafiker in den Workshop mit ein (N).
Ein wesentlicher Aspekt von Lead User-Projekten ist die Motivation der Mitarbeiter
zur Umsetzung von Ideen. Werden Ideen nur an die Entwickler berichtet, entsteht
schnell eine Abneigung (Not invented here-Syndrom) oder Unverständnis aufgrund
unzureichender Kommunikation (B, J). 262 Sind die umsetzenden Personen jedoch
frühzeitig an der Ideenentwicklung beteiligt, steigert dies die Akzeptanz sowie die
Motivation der Mitarbeiter wesentlich (B, L, N, O, Q). N fasst die notwendige Beteili-
gung der relevanten Mitarbeiter treffend zusammen:
„Der war dabei, der hat auch irgendwie so ein bisschen Herzblut da mit rein ge-
steckt. Also der ist auch ganz anders motiviert, da weiter dran zu arbeiten.“
Offene Innovationskultur
Die Akzeptanz externer Einflüsse und Ideen bedarf jedoch einer offenen Innovati-
onskultur (J, L, Q). Dazu gehört, Ideen erst einmal zur Diskussion zu stellen, die aus
Sicht des Unternehmens zunächst weniger passend oder nicht umsetzbar scheinen
(Q). Diese können mit weiteren Ideen verbunden oder weiterentwickelt werden. Eine
Offenheit muss auch gegenüber möglicher Kritik von Lead Usern vorhanden sein,
bspw. wenn vom Unternehmen entwickelte Produkte für die Nutzer nicht relevant und
attraktiv sind (L). Für K bedeutet Innovation weiterhin, dass zu Beginn des Innovati-
onsprozesses nicht klar ist, was daraus resultieren wird. Die Ergebnisse können sich
daher in eine gänzlich unerwartete Richtung entwickeln oder die Projekte sogar
scheitern. Diese Offenheit, Scheitern zu akzeptieren und stattdessen als Lernerfolg
für zukünftige Projekte zu bewerten, ist für Unternehmen wichtig (K). 264
Risikobereitschaft
Aus der Offenheit, Unerwartetes zu akzeptieren, resultiert eine für die Innovations-
entwicklung wichtige Risikobereitschaft. Diese beinhaltet neben einer offenen
Grundhaltung auch die Verfügbarkeit von Kapital sowie das Vertrauen darauf, dass
die Mitarbeiter und Lead User zufriedenstellende Resultate entwickeln (K, M).
Die Erfolgsfaktoren verdeutlichen das große Potenzial der Lead User-Projekte. Die-
sen stehen jedoch Herausforderungen gegenüber, die es bei der Durchführung der
Projekte zu beachten gilt.
262 Ein Negativbeispiel stellt das Projekt von B, C und D dar, bei dem lediglich ein Mitarbeiter der
Marktforschungsabteilung beteiligt war. Die Kommunikation der Ergebnisse an die Entwickler
wurde dadurch erheblich erschwert. Zudem wurde die Motivation zur Umsetzung bzw. die Ak-
zeptanz der externen Ideen stark negativ beeinflusst.
263 P bezeichnet dies als „Durchmischung“ externer und interner Ideen.
264 Wess (2010) bezeichnet die offene Innovationskultur als „innovationsfreundliches Klima“ (Wess
2010, S. 193) und nennt weitere Hinweise zur Schaffung einer solchen Atmosphäre, wie bspw.:
Klare Zuständigkeiten, Anerkennung von Engagement, Führungskultur und Entscheidungskraft
oder Einbeziehung der Ideengeber in Besprechungen und Entscheidungen.
160 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
6.2.4 Herausforderungen
Nachfolgend werden die meistgenannten und wesentlichen Probleme bei Lead User-
Projekten erläutert. In Kapitel 7.4 werden schließlich Lösungsansätze in Form einer
Best Practice für Lead User-Projekte dargestellt, die diesen Herausforderungen vor-
beugen oder zumindest mindern sollen. Die nach Meinung der Fallstudienteilnehmer
relevantesten Herausforderungen werden nachfolgend erläutert. 265
Akzeptanz
Eine elementare Herausforderung bei der Integration von Lead Usern stellt die Ak-
zeptanz der Unternehmensmitarbeiter dar. Für die Mitarbeiter ist die Entwicklung von
Innovationen oftmals eine zeitaufwendige Aufgabe, die eine große Expertise und
Kenntnis des Unternehmens voraussetzt - externe Personen können dies ihrer Mei-
nung nach nicht erbringen (L). Zudem wird der Innovationsdruck häufig gar nicht so
hoch eingeschätzt, dass dringend externe Ideen aufgenommen werden sollten
(ebd.). Statt externes Wissen und Kreativität als bereichernde Quelle anzusehen,
wird die Integration von externen Personen oft als Kritik an der eigenen Entwick-
lungstätigkeit bewertet (B, L, M, N, O, Q). J merkt entsprechend an:
„Glaubt der Chef nicht, dass wir das nicht auch können oder machen wir unsere
Arbeit nicht gut genug?“
265 Ebenfalls in alphabetischer Reihenfolge ohne Wertung oder Gewichtung der einzelnen Aspekte.
Die Erfolgsfaktoren und Herausforderungen können sich teilweise überschneiden. So wird
bspw. die Akzeptanz des externen Wissens im Unternehmen (Herausforderung) durch eine of-
fene Innovationskultur (Erfolgsfaktor) vermindert.
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 161
schwert (C, J, K). Damit die Ziele schließlich als erreicht gelten, besteht nach J die
Gefahr, die Ergebnisse und Inhalte entsprechend anzupassen:
„Und da wird dann vielleicht auch mal was passend gemacht, was nicht unbe-
dingt passt.“
Erwartungshaltung
Mit der Akzeptanz einher geht die Erwartungshaltung der Lead User sowie des Un-
ternehmens. Lead Usern mangelt es definitionsgemäß an Lösungen für ihre Bedürf-
nisse (von Hippel 1986). Die Entwicklung entsprechender Innovationen wird von ih-
nen erwartet. Weitere Aspekte wie Bezahlung etc. sind ebenfalls wichtige Faktoren,
die jedoch im Einzelfall zu bewerten sind (B, N, P). Eine falsche Erwartungshaltung
innerhalb des Unternehmens wird schnell aufgebaut, wenn eine mangelnde Kommu-
nikation über die Methodik und die Zielsetzung vorhanden ist. Dadurch werden von
der Methodik Resultate erwartet, die diese nicht erbringen kann. Die Projektevaluie-
rung fällt entsprechend negativ aus (N).
Ist die Motivation der Lead User zur Teilnahme am Projekt vorhanden, können weite-
re, oftmals organisatorische Herausforderungen auftreten. Eine der in Theorie wie
Praxis elementarsten Schwierigkeiten des Lead User-Ansatzes ist die Identifizierung
und Rekrutierung geeigneter Lead User (vgl. Kapitel 2.3.3), wie nachfolgende Zitate
verdeutlichen:
„Also das ist meiner Meinung nach die größte Herausforderung, dass du eben an
die Leute kommst“ (E)
„Also die Identifizierung der User, Lead User, [...] das ist auch ein großes Thema“
(M)
„Beim traditionellen Lead User-Ansatz ist das Screening natürlich das größte
Problem“ (C)
„...dass die Rekrutierung dieser Lead User natürlich der große Knackpunkt ist“
(B)
„Die Rekrutierung an sich ist natürlich sehr schwer im Vergleich jetzt zu anderen
Studien“ (D)
162 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Alle befragten Personen sind sich einig, dass die Auswahl der Lead User einen gro-
ßen Einfluss auf den Projekterfolg hat. Da Lead User selten sind und das Identifizie-
ren solcher Personen entsprechend aufwendig, findet in der Praxis eine Abwägung
statt, in wie weit die Lead User-Charakteristika erfüllt sein müssen. So erläutert B:
„Also für uns die größte Herausforderung war die, den richtigen Grad zu finden
zwischen Rekrutierungsaufwand, also wie spitz rekrutiert man? Wie strikt legt
man diese Anforderungen an?“
Diese Abwägung ist jedoch gefährlich. Nur um mit möglichst wenig Aufwand Lead
User zu finden, sollten nicht einfach Personen integriert werden, die die Anforderun-
gen nicht oder nur teilweise erfüllen. Im Bereich der Konsumgüter erscheint eine Lo-
ckerung der Lead User-Definition noch am ehesten durchführbar, da Vielnutzer auch
ohne herausragende technische Expertise Ansätze und Ideen zu Produkten äußern
bzw. sich neuartige Ideen vorstellen können (B, D, N, O, P, Q). Bei sehr technischen
Fragestellungen ist jedoch davon auszugehen, dass die Integration „normaler“ Nut-
zer nicht ausreichend ist und stattdessen nur Personen als Lead User integriert wer-
den sollten, die bereits erste Ideen oder sogar Prototypen entwickelt haben (E, H, J,
M). Erheblich erschwert wird die Identifizierung von Lead Usern durch Vorgaben oder
Modellquoten wie Altersstruktur, Nutzungsverhalten, Geschlecht und dergleichen,
wie C kritisch anmerkt:
„Die Teilnehmer müssen ein Auto von einer bestimmten Marke haben und in
dem kompletten Sample müssen dann 20% BMW-Fahrer drin sein und 20% Tes-
la-Fahrer. Und das Baujahr darf nicht älter als 2010 sein oder was auch immer.
Das limitiert natürlich die Auswahl an Teilnehmern.“
Dies ist insbesondere bei Beratungen und Dienstleistern zu erkennen, die die Projek-
te für weitere Unternehmen durchführen (B, C, D). Solche Vorgaben sollten vermie-
den werden, da sie die Identifizierung zusätzlich erschweren.
Messbarkeit
Im Rahmen der Erfolgsmessung eines Lead User-Projekts ist die Messbarkeit ein
kritischer Faktor. M wünscht sich geeignete Kennzahlen in Lead User-Projekten, um
diese vergleichen und bewerten zu können (M). Sofern jedoch keine Innovation in
Form eines realen Produkts entwickelt wird und stattdessen Ideen resultieren, die in
weitere Entwicklungen einfließen, ist die Messung dieses Beitrags in Kennzahlen wie
bspw. Produktverkäufe schwierig.
Neben der Akzeptanz seitens des Unternehmens ist die Motivation der Lead User
eine der größten Herausforderungen. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass eini-
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 163
ge Lead User über ihre intrinsische Motivation und Befriedigung der Lösungsbedürf-
nisse hinaus Anerkennung wünschen. Die Höhe einer finanziellen Vergütung ist da-
bei nicht unbedingt ausschlaggebend, das Vorhandensein wird jedoch als Zeichen
der Wertschätzung erachtet (vgl. Kapitel 6.2.2.1).
Planungsunsicherheit
Die bereits angesprochene Schwierigkeit der Erwartungshaltung wird durch die Pla-
nungsunsicherheit der Projekte verstärkt (B, C, E, F, J, K). F erläutert entsprechend:
„Aber die Herausforderung, die ich halt sehe, [...] gerade bei professionellen An-
bietern der Lead User-Methodik: Man kann ja nichts versprechen.“
Daher sollte das Projekt an alle Teilnehmer sowie innerhalb des Unternehmens aus-
führlich kommuniziert werden. Durch eine einheitliche Informationslage ist eine adä-
quate Messung des Projekterfolgs möglich. Interessanterweise sagen einige der Be-
fragten aus, dass man sich von der Methodik nicht zu viel versprechen sollte (E, J,
K). Demnach sind auch kleinere Innovationen oder Lösungsansätze als Erfolg zu
bewerten. Dies setzt jedoch voraus, dass eine offene Innovationskultur vorhanden ist
und auch unerwartete, abwegige Ergebnisse resultieren können (M). Eine bemer-
kenswerte Erkenntnis ist weiterhin, dass die Erwartungshaltung je nach Projektpart-
ner variiert. Wird ein Lead User-Projekt mit einer Universität und somit vergleichswei-
se geringen Kosten durchgeführt, ist die Erwartungshaltung geringer und weniger
Ergebnisse oder sogar das Ausbleiben von wirklichen Innovationsentwicklungen wird
akzeptiert (E, F). Werden Projekte jedoch mit Dienstleistern oder Beratungen durch-
geführt, erwarten die Unternehmen mehr umsetzbare Resultate. F stellt fest:
„Wenn sie aber mit Unternehmen sprechen, die da wirklich mit professionellen
Agenturen das machen. [...] Dann wäre meine Erwartungshaltung als Unterneh-
men ganz klar eben diese: Da muss was am Ende rauskommen! Da reicht es mir
nicht, dass ich mal nett irgendwie ein paar Leute kennengelernt hab. Oder dass
wir eben mal vielleicht ein paar neue Ideen mitnehmen. Da würde ich eben
schon erwarten, dass dann da wirklich, sag ich mal, was sehr konkretes am En-
de des Tages auch auf dem Tisch liegt.“
Weiterhin treten Probleme innerhalb des Workshops auf. Wie sich die Lead User im
Workshop verhalten, ist nur schwer vorherzusehen und für das Unternehmen kaum
beeinflussbar (L). 266 N rät daher eine vorherige Überprüfung der Teamfähigkeit
266 J bezeichnet dieses Problem als „Faktor Mensch“. Demnach besteht stets ein Risiko, dass es
zu Problemen und Spannungen zwischen den Teilnehmern kommt, was vor dem Workshop je-
doch kaum vorherzusehen ist.
164 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
durch Gespräche oder erste Zusammenarbeit, 267 was aber vorab nur begrenzt mög-
lich ist (N). Eine Möglichkeit zur Vermeidung dieses Problems wäre die regelmäßige
Zusammenarbeit mit Lead Usern, da die Teamfähigkeit so eigenständig und auf Ba-
sis eigener Erfahrungen überprüft werden kann. Jedoch muss die Lead Userness für
jedes Projekt bzw. für jede Fragestellung detailliert analysiert werden (vgl. Kapitel
5.2.6.3). Als eine Problematik beim Lead User-Workshop wurde zudem geäußert,
dass die Gruppenzusammensetzung zu homogen sein kann und daher kaum neue
Impulse oder Ideen genannt werden. N und Q wirken dem entgegen, indem sie mög-
lichst verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Berufen und Hintergrün-
den als Lead User einladen. Dies ist vor allem bei Konsumgütern möglich, wo eher
kreative Vielnutzer eines Produkts integriert werden können. Bei sehr technischen
Produkten und Fragestellungen haben die Lead User oftmals einen ähnlichen Hin-
tergrund (Ausbildung, Interessen etc.).
Terminfindung
Bei der Rekrutierung tritt weiterhin eine organisatorische Herausforderung auf, die
zwar logisch erscheint, jedoch oft als Selbstverständlichkeit vernachlässigt wird:
Terminfindung. Oftmals befinden sich die Lead User in einem Beschäftigungsver-
hältnis mit einem anderen Arbeitgeber. Das bedeutet, dass sie nicht ohne weiteres
jeden Workshoptermin wahrnehmen können, auch wenn ihre grundsätzliche Motiva-
tion dazu besteht (A, E, I, J, K).
Ressourcenbedarf
Unterschätzt wird oftmals auch der Ressourcenbedarf eines Lead User-Projekts. Die
Befragten sind sich einig, dass ausreichende Ressourcen zur Verfügung gestellt
werden sollten, um die bestmöglichen Resultate zu erlangen. Dies ist in der Praxis
jedoch nicht immer möglich, denn die Gefahr eines Projektabbruchs bspw. aufgrund
zu hoher Kosten ist stets vorhanden (N). Eine konstante Überprüfung der Ressour-
ceneinhaltung ist daher hilfreich. Evtl. können ressourcenintensive Projektschritte,
bspw. die Identifizierung der Lead User, outgesourced werden (J). Dies verursacht
jedoch weitere Kosten, die es zu berücksichtigen und abzuwägen gilt.
Vertraulichkeit
Einen letzten, wesentlichen Faktor stellt die Vertraulichkeit innerhalb von Lead User-
Projekten dar. Damit Lead User keine Besitzansprüche an entwickelte Ideen äußern
können, kann vorher eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet werden (J, Q).
Jedoch besteht die Gefahr, dass sich die Lead User dadurch eingeengt fühlen. Da-
267 „Also dieses sich Hervortun, das haben wir vorher ausgeschlossen über die Workshops, die wir
vorher mit denen machen, ne? Also, dass wir sehen, dass das wirklich Teamplayer sind“ (N).
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 165
tenschutz ist ebenfalls ein kritischer Faktor bei der Identifizierung der Lead User.
Dürfen insbesondere Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen, die für Dritte ein
solches Projekt durchführen, den Unternehmensnamen nicht nennen, kann dies die
Motivation der Lead User mindern (C).
Bei den Ergebnissen wird unterschieden zwischen finalen Produkten (direkte Umset-
zung am Markt möglich), Ideen und Ansätzen für neue Produkte bzw. Dienstleistun-
gen, neu geknüpften Kontakten sowie der Validierung und Bestätigung bereits vor-
handener Ideen durch die Lead User.
Finale Produkte/Dienstleistungen
Wie in Kapitel 6.2.4 dargestellt, ist die Messbarkeit der Ergebnisse eine schwierige
Aufgabe für die Unternehmen. Lediglich M und Q gaben an, dass eine im Lead User-
Workshop entwickelte Idee direkt in ein Produkt umgesetzt und erfolgreich am Markt
eingeführt wurde. Zu beachten gilt, dass Q im B2B-Bereich agiert und die Produktin-
novation im Nahrungsmittelbereich eher geringer technischer Kenntnisse bzw. Um-
setzung bedarf. Diese werden bspw. bei Unternehmen M, tätig im Maschinenbau,
eher verlangt.
Was, glaub ich, eher passiert, dass die Sachen, die wir entwickeln, [...] weiter
gedreht werden im Unternehmen und dass es wichtige Impulse sind, um gewisse
Abteilungen eben auch auf Spur zu bringen. Oder auch gewisse Innovations-
maßnahmen dann auch anzutreiben innerhalb des Unternehmens.“
E warnt jedoch davor, dass die Umsetzung an fehlender Kapazität scheitern oder
zumindest sehr lange dauern kann. 268 Die erarbeiteten Inhalte können zudem als
„Initialzündung“ (K) für weitere Projekte und Fragestellungen genutzt werden. Die
Mehrzahl der Befragten äußerte sich positiv über die entwickelten Ideen und war
damit als Resultat der Lead User-Workshops zufrieden (B, C, F, L, O, P, Q). Auch J
bewertet das Lead User-Projekt positiv, stellt jedoch fest, dass davon nicht mehr als
Ideen zu erwarten sind:
„Man darf sich in der Praxis nicht zu viel davon versprechen. Also man kriegt ei-
gentlich selten [...] echte Lösungen als mehr Ideen. Oder Gedankenanstöße. Al-
so allein aus diesem Sparring dann in dem Lead User-Workshop mit den ver-
schiedenen Leuten, kommen dann neue Ideen auf. Und das ist aber auch nicht
mehr.“
Kontakte
Neben fertigen Produkten oder Ansätzen werden auch durch die Workshops ent-
standene Kontakte als wichtiges Ergebnis bewertet (E, F, G, H, J, K, L, P). Einige der
Befragten sagten aus, dass Kontakte zu Personen entstanden sind, die das Unter-
nehmen selbst nie angesprochen hätte (E, K, L). E bewertet diese neuen Kontakte:
„Sondern da sind zum Schluss immer viele interessante Leute bei rausgekom-
men, an die Unternehmen jetzt noch nicht so gedacht haben oder auch Bereiche,
an die sie noch nicht gedacht haben.“
Durch das Lead User-Projekt entstehen also neue Möglichkeiten und neuartige
Denkweisen. Ebenfalls bemerkenswert und in der Theorie bisher kaum erkannt ist
die Tatsache, dass auch die Lead User selbst Kontakte durch die Workshops gewin-
nen. So kooperiert H über das Lead User-Projekt hinaus und für seine eigene Frage-
stellung mit einem weiteren Lead User und führt ein gemeinsames Forschungspro-
jekt durch - unabhängig vom eigentlichen Lead User-Projekt, an dem beide teilnah-
men (H). Die Möglichkeit der Kontaktaufnahme stellt also auch für die Lead User ei-
268 „Wenn [...] die Kapazität nicht vorhanden ist, dann dauert es halt entweder ziemlich lange oder
es findet dann halt gar nicht statt, die Umsetzung der Ergebnisse also“ (E).
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 167
nen weiteren Motivationsfaktor dar, der zur Steigerung der Teilnahmebereitschaft vor
Beginn des Workshops verdeutlicht werden sollte.
Die erarbeiteten Ideen und Konzepte sind nicht immer bahnbrechend und neuartig
(C, E, F, I, J). Es können Ergebnisse entstehen, die die Entwickler nicht „vom Hocker
reißen“ (C) und die bereits durch das Unternehmen entwickelt wurden (E, F). Dies
wird jedoch nicht unbedingt als Misserfolg bewertet. Die Bestätigung von Ideen und
Lösungsansätzen durch die fortschrittlichen Lead User kann als Beleg für die richtige
Vorgehensweise des Unternehmens bewertet werden (E). Die Ursache für die Ent-
wicklung nicht umsetzbarer oder neuartiger Ideen kann an den Lead Usern liegen,
die sich zu schnell auf ein Thema fokussieren und nicht mehr in andere Richtungen
denken. Aber auch das Unternehmen kann die Verwendung der Ergebnisse behin-
dern, wenn die Fähigkeiten der Ergebnisumsetzung nicht vorhanden sind oder den
Mitarbeitern die Phantasie zum innovativen Denken fehlt (J). Eine weitere Herausfor-
derung liegt darin, die Umsetzbarkeit der Ideen zu gewährleisten. Andernfalls können
sowohl Lead User als auch Mitarbeiter Innovationen entwickeln, die zwar neuartig
und revolutionär erscheinen, technisch aber nicht durchführbar sind (C, H, I). Bspw.
wurde das Produkt bei C durch die Mitarbeiter und Lead User so „überentwickelt“
(C), dass es aufgrund des zu hohen Gewichts nicht einsatzfähig war. Ein weiterer
Grund für die fehlende Umsetzung von Ergebnissen besteht in der Priorisierung in-
nerhalb des Unternehmens. Wenn andere Aufgaben und Projekte als wichtiger er-
achtet werden, können die erarbeiteten Resultate schnell vernachlässigt werden (N).
In Bezug auf die Anwendbarkeit des Lead User-Ansatzes herrscht Konsens unter
den befragten Unternehmen, dass diese Methodik zur Ermittlung neuartiger Ideen
und Konzepte genutzt werden kann. J stellt fest, dass dieser Ansatz auf die Ideenge-
nerierung beschränkt ist und die Umsetzung der Ergebnisse Aufgabe des Unterneh-
mens ohne Unterstützung der Lead User ist (J). 269 F hingegen verlangt nach einer
weiteren Phase der Ergebnisumsetzung im Lead User-Prozess, anstatt das Projekt
nach dem Workshop zu beenden. Ob Lead User-Projekte allein vom Unternehmen
oder mit externer Unterstützung durch Dienstleister oder Universitäten durchgeführt
werden sollten, wird kontrovers diskutiert und bedarf der Einzelfallprüfung. M führt
diesen Ansatz erfolgreich eigenständig durch, L stellt hingegen die These auf, dass
Unternehmen ein solches Projekt aufgrund fehlender Ressourcen selber nicht be-
269 J stellt darüber hinaus klar, dass für hochtechnologische Themen andere Methoden genutzt
werden sollten, da der Lead User-Ansatz an seine Grenzen stößt. H erläutert übereinstimmend,
dass bessere Kreativitätsmethoden vorhanden sind, ohne diese weiter zu benennen.
168 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
werkstelligen können (L, M). 270 A sieht die optimale Anwendbarkeit des Lead User-
Ansatzes bei der Suche von Lösungsansätzen in analogen Märkten, die mit ähnli-
chen Problemstellungen konfrontiert sind (A).
Die Befragten waren mit den durchgeführten Lead User-Projekten grundsätzlich zu-
frieden, wie nachfolgende Zitate verdeutlichen:
„Also es lohnt sich auf jeden Fall“ (L)
„Also ich find auch den Ansatz super sinnvoll“ (P)
„Der Lead User-Ansatz ist ein begrüßenswerter Ansatz, weil er, ich nenn das
jetzt mal so, weil er einen zwingt, die Kundensicht zu jedem Zeitpunkt der Pro-
duktentwicklung zu akzeptieren“ (M)
„Ich mein, das haben uns die, die Projektpartner immer gesagt, dass sie zufrie-
den waren in dem Kontext“ (E)
„So insgesamt denke ich sehr positiv an, an das zurück“ (I)
„Und da ist nach meinem Verständnis der Lead User-Ansatz im Grunde eine
recht starke Marke und wenn man auch vielleicht Leuten, die das noch nicht
kennen, das kurz ausführt, dann ist es sehr schnell und sehr gut nachvollziehbar,
warum dieser Ansatz zum Erfolg führen soll“ (B)
„Und das war tatsächlich sehr ergiebig, fand ich, weil man wirklich so die Spreu
vom Weizen ein bisschen trennen konnte“ (C)
„War gut insgesamt, Detail war verbesserungswürdig aber sonst nichts“ (H)
„Wenn wir das nicht gemacht hätten, würde dieses Projekt, glaube ich, nicht be-
stehen; also von daher war's auf jeden Fall gut“ (K)
In Tabelle 20 werden kritische Aspekte des Lead User-Ansatzes aus den Fallstudien-
interviews genannt und entsprechende Verbesserungsvorschläge abgeleitet:
270 „Wenn sie sagen: Der Lead User-Ansatz könnte sich dazu eignen, dass das eine Firma, sagen
wir jetzt mal, mit ihren eigenen Ressourcen stemmt. Dann möchte ich eigentlich fast den Finger
heben und sagen: Das kann ich mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen“ (L).
Ergebnisse der Fallstudieninterviews 169
Kritikpunkte Verbesserungen
Falsche Abteilungen involviert: Nicht die rich- Ausreichende Beteiligung der umsetzenden Ab-
tigen oder zu wenige (bspw. nur Marktfor- teilungen; aufgrund der schwierigen Vorhersage
schung) Mitarbeiter werden involviert, dadurch des Projekts evtl. laufende Anpassungen not-
Verlust von Informationen und Motivation zur wendig (agiles Projektmanagement)
Umsetzung (B, C, E, J)
Geheimhaltung: Wird bei Kontaktaufnahme der Offene Nennung des Unternehmens, der Inten-
Unternehmensname nicht genannt (insbesonde- tion des Projekts und der beteiligten Personen
re bei Beratungen), wirkt dies unseriös (C) schafft Vertrauen und wirkt motivierend
Kontakt zu Lead Usern: Nach Beendigung des Halten des Kontakts als Zeichen der Dankbar-
Workshops wird der Kontakt zu Lead Usern oft- keit und Nutzung der Expertise der Lead User
mals nicht aufrecht erhalten für weitere Projekte und Fragestellungen
Mangelnde Flexibilität: Prozess schwer vor- Dynamik durch agiles Projektmanagement muss
hersehbar und bedarf flexibler Durchführung (M) gefördert werden
Mangelnde Informationen: Potenzielle Lead Bei erster Kontaktaufnahme mit Lead User In-
User zu Beginn nicht ausreichend informiert, formationen über Ablauf, Umfang und insbeson-
welchen Umfang Workshop hat (A) dere Vorteile für Lead User liefern
Modellquoten: Lead User sollen Vorgaben wie Vermeidung solcher Vorgaben, da starke Beein-
Alter, Nutzungsverhalten etc. erfüllen (D, E) flussung der Lead User-Identifizierung
Zeitdruck: Für die Projekte wird zu wenig Zeit Planung ausreichender Ressourcen, flexibles
eingeplant, vor allem die Identifizierung geeigne- Reagieren auf Prozessabweichungen (agiles
ter Lead User erfordert zeitliche Ressourcen (K) Projektmanagement)
Zieldefinition: Zu schwammig und undetailliert, Klare Festlegung des Projektziels als Basis der
dadurch falsche Erwartungshaltung (C, N, P) Erfolgsmessung
der Theorie 271 - eine konkrete Fragestellung bzw. Zielsetzung für ein Lead User-
Projekt vorliegen. Als eine erste Methode zur groben Ermittlung von Kundenbedürf-
nissen scheint der Ansatz aufgrund seines Umfangs und Ressourcenaufwands we-
niger geeignet. L fasst entsprechend zusammen:
„So ein richtiges Projekt nochmal aufgesetzt, ist momentan nicht ersichtlich. Ich
könnte mir jetzt aber sehr gut vorstellen, dass das zu irgendeinem Thema wieder
wunderbar passt.“
Aus der quantitativen Studie (Umfrage) wurden Propositionen abgeleitet (vgl. Kapitel
5.4), die durch die qualitative Studie (Fallstudien) überprüft wurden. Die Beantwor-
tung der Propositionen dient als Grundlage für die Diskussion im folgenden Kapitel 7.
PP#1 Im Vergleich zur wissenschaftlichen Literatur existiert in der Praxis ein abwei-
chendes oder zumindest unschärferes Verständnis von Lead Usern
Die Umfrage hat ergeben, dass das Verständnis von Lead Usern aus wissenschaftli-
cher Sicht teilweise abweicht bzw. falsch ist. So wurden Lead User oftmals als wich-
tige oder besondere Kunden bezeichnet, die jedoch keine überdurchschnittliche Be-
dürfnis- bzw. Lösungskompetenz vorweisen. Diese Erkenntnis konnte durch die Fall-
studien bestätigt werden. Als Grundlage des Verständnisses von Lead Usern wurden
zwar allgemein die theoretischen Eigenschaften nach von Hippel genannt, hier sind
also keine umfangreichen Abweichungen zur Theorie durch falsches Verständnis zu
erkennen. Jedoch wird in einigen Fällen bewusst ein abweichendes Verständnis auf-
gebaut, indem die Definition von Lead Usern verallgemeinert wird. Lead User sind
demnach wichtige und fortschrittliche Nutzer mit überdurchschnittlicher Kreativität.
Eigene Lösungen müssen sie jedoch nicht zwangsläufig vor den Workshops erarbei-
tet haben. Zudem ist insbesondere im B2C-Bereich zu erkennen, dass das Bedürf-
niswissen nicht unbedingt vor dem Projekt vorhanden sein muss. Stattdessen wer-
den gemeinsam mit den Lead Usern im Workshop Fragestellungen bearbeitet, zu
denen die Nutzer ihre Bedürfnisse bewerten müssen. In der Praxis wird der Lead
User-Begriff daher breiter gefasst als in der Theorie.
PP#2 Am häufigsten werden ein bis fünf Lead User über einen Zeitraum von sechs
bis neun Monaten integriert
In den Projekten der Fallstudien wurden meist fünf bis acht Lead User integriert, so-
dass eine Anzahl von bis zu acht Lead Usern in der Praxis als geeignet bewertet
werden kann. Den Erkenntnissen der Literatur sowie der Umfrage entsprechend ist
271 Vgl. Churchill et al. (2009), Herstatt und von Hippel (1992) sowie Lüthje und Herstatt (2004).
Überprüfen der Propositionen 171
eine Anzahl von mehr als 15 Lead Usern nicht sinnvoll. Im Vergleich zu der Umfrage
(sechs bis neun Monate) dauern die Fallstudienprojekte i.d.R. zwischen drei und
sechs Monate. Dieser Zeitraum wird in den Interviews als empfehlenswert bewertet.
Von einer Dauer von weniger als zwei Monate wird abgeraten, da die Aufgaben ei-
nes Lead User-Projekts zu umfangreich sind. Die Proposition kann also teilweise be-
stätigt werden, eine Integration von ein bis acht Lead User über einen Zeitraum von
etwa sechs Monaten ist empfehlenswert.
PP#3 Die größten Erfolgsfaktoren von Lead User-Projekten sind die Wahrnehmung
als innovatives Unternehmen, Kundenbindung sowie die frühe Erkennung von
Trendsignalen
Diese Erfolgsfaktoren wurden auch in den Fallstudien als wesentlich beurteilt. Die
Proposition wird daher bestätigt. Eine ebenfalls große Bedeutung hat die klare Ziel-
definition sowie eine ausreichende Unternehmensbeteiligung mit den richtigen Abtei-
lungen. Erkennbar ist, dass sowohl bei den Erfolgsfaktoren als auch bei den Heraus-
forderungen viele Aspekte genannt wurden, die dem Projektmanagement zugeordnet
werden können (Zieldefinition, Ressourcenallokation, Terminfindung etc.). Dies ver-
stärkt die Notwendigkeit, Lead User-Projekte in den übergeordneten Innovationspro-
zess einzubinden (vgl. Kapitel 7.2), um das generelle Management von Projekten im
Unternehmen zu verbessern.
PP#4 Die Identifizierung richtiger Lead User ist die größte Herausforderung
Diese Proposition wird durch die Fallstudienanalyse bestätigt. Basierend auf der Lite-
ratur, der Vorstudie sowie der Umfrage und Fallstudienanalyse ist die Identifizierung
geeigneter Lead User die größte Herausforderung von Lead User-Projekten. Diese
Schwierigkeit beeinflusst wiederum andere Aspekte wie Ressourcenverteilung für die
Suche nach Lead Usern (Wie viel Zeit einplanen? Wie viele Mitarbeiter abstellen?
Welche Methoden nutzen? Wie teuer wird die Suche?) oder Motivation der Lead
User (Incentivierung? Bezahlung?).
PP#5 Unternehmen passen den Prozess der Lead User-Integration im Vergleich
zum theoretischen Vorgehen in der Praxis an
Auch diese Proposition wird durch die Fallstudienanalyse bestätigt. Zwar gilt der the-
oretische Prozess nach Lüthje und Herstatt (2004) weiterhin als Basis, dennoch sind
unterschiedliche Vorgehensweisen (Technology Push, Online-Workshops etc.) zu
erkennen. Einen Einfluss auf die Prozessänderung haben dabei die Produktart sowie
die Handelsbeziehung (B2B/B2C). Auch die Anzahl bereits durchgeführter Lead
User-Projekte beeinflusst den Prozess (bspw. mehrmalige Integration gleicher Lead
User). Eine fünfte Prozessphase zur Implementierung der Projektergebnisse in den
generellen Innovationsprozess wird gefordert, jedoch vergleichsweise selten durch-
172 Qualitative Vertiefungsanalyse: Fallstudienanalyse
Eine Einordnung des Lead User-Ansatzes ist tatsächlich hauptsächlich in den ersten
beiden Prozessphasen (Ideengenerierung und -bewertung sowie Konzepterarbeitung
und Produktplanung) sinnvoll. 272 Die Ergebnisse der Fallstudienanalyse bestätigen
daher die aus der vorherigen Studie entwickelte Proposition. Die dritte Phase bein-
haltet die Produktentwicklung, zu der den Lead Usern meist die Kompetenz bzw. In-
formation fehlt. Den Lead Usern dieses Wissen zu verschaffen, wäre oftmals auf-
wendig, sodass eine alleinige Entwicklung durch das Unternehmen effektiver ist. Au-
ßerdem besteht bei der Integration externer Nutzer stets die Gefahr von Wissensab-
fluss. Eine Integration von Lead Usern wäre evtl. in der fünften Phase des Innovati-
onsprozesses zur Überprüfung der Marktdurchdringung möglich. Jedoch ist eine ge-
naue Abschätzung ratsam, ob diese Informationen nicht durch andere, weniger auf-
wendige Methoden erhältlich sind. Das Wissen der seltenen und wichtigen Lead
User sollte daher eher in der Ideen- und Konzeptentwicklung genutzt werden. Eine
detaillierte Einordnung des Lead User-Ansatzes in den Innovationsprozess findet in
Kapitel 7.2 statt.
272 J bestätigt diese Aussage: „Und wenn ich den Lead User-Ansatz als eine Möglichkeit der Idea-
tion verhafte, dann ist es für mich so konkret genug, dass ich weiß, wo ich's verorten muss.“
Überprüfen der Propositionen 173
PP#8 Aufgrund der schwierigen Vorhersehbarkeit des Lead User-Projekts bzw. der
erforderlichen Ressourcen wird in der Praxis ein agiles Projektmanagement
verlangt
Flexibilität wird oft als notwendige Voraussetzung genannt, um auf nicht vorherseh-
bare Situationen und Aspekte spontan reagieren zu können. Agiles Projektmanage-
ment wird als eine Möglichkeit erachtet, Lead User-Projekte flexibler zu gestalten.
Diese Proposition wird also bestätigt. Jedoch gibt es bisher nur ein Unternehmen
(M), das in Lead User-Projekten bewusst und systematisch agiles Projektmanage-
ment anwendet. Die restlichen Befragten nannten dies als gute und erfolgverspre-
chende Möglichkeit, haben es selbst aber noch nicht umgesetzt. Dies birgt Potenzial,
aus der Wissenschaft heraus die Grundlagen für ein agiles Projektmanagement von
Lead User-Projekten zu schaffen (vgl. Kapitel 7.3).
Zusammenfassend kann die zweite Proposition (Anzahl Lead User und Dauer der
Projekte) nur teilweise bestätigt werden, die restlichen Propositionen werden alle be-
stätigt. Nachfolgend werden diese Erkenntnisse umgesetzt, indem der theoretische
Prozess erweitert und in den übergeordneten Innovationsprozess eingeordnet wird.
Schließlich wird eine Best Practice für Lead User-Projekte abgeleitet.
7 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
Aus der Vorstudie (Vergleich der Literaturanalysen), der quantitativen (Online-
Befragung) sowie der anschließenden qualitativen Analyse (Fallstudienanalyse) re-
sultieren eine Vielzahl bisher weniger erforschter Erkenntnisse aus der Praxis. In Ta-
belle 21 werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst:
Bekannt- Erläuterung des Ansatzes 39% der Befragten ken- Nur 3 von 17 Personen
heit 273 in 27% der Praxisartikel, nen den Ansatz, nur 20% aus dem Studium be-
in 73% nur Erwähnung davon aus dem Studium kannt
Organisation Zwischen 6 und über 30 Meist 1 bis 5 Lead User Meist 5 bis 8, maximal 15
Lead User, Zeitraum 14 über Zeitraum von 6 bis 9 Lead User über Zeitraum
Tage bis 6 Monate Monaten von 3 bis 6 Monaten
273 Da im Rahmen der Fallstudienanalyse Interviews mit Unternehmen geführt wurden, die bereits
Lead User-Projekte durchgeführt haben, war diesen Befragten der Ansatz bekannt.
Basierend auf diesen Erkenntnissen wird in Kapitel 7.1 der theoretische Prozess er-
weitert und in Kapitel 7.2 in den Innovationsprozess eingeordnet. In Kapitel 7.3 wird
der Lead User-Ansatz mit dem Stage-Gate-Prozess und dem agilen Projektmana-
gement kombiniert. Kapitel 7.4 bietet eine Best Practice für die Anwendung des Lead
User-Ansatzes inkl. Voraussetzungen, Aufgaben und Ziele für jede Projektphase.
Schließlich werden die Forschungsfragen beantwortet (Kapitel 7.5).
274 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Lüthje und Herstatt (2004) sowie Studienresultaten.
Erweiterung des theoretischen Prozesses 177
Zur Identifizierung der relevanten Bedürfnisse und Trends sollte zunächst eine Ana-
lyse vorhandener Sekundärliteratur durchgeführt werden (Internet, Datenbanken,
Journal- und Fachartikel). Die Nutzung dieser Informationen ist simpel, vergleichs-
weise schnell durchführbar und kostengünstig. Insbesondere die Analyse internetba-
sierter Informationen hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da das In-
ternet eine Vielzahl an Informationen bietet. Nichtsdestotrotz ist die Ermittlung und
Analyse von Primärdaten i.d.R. unerlässlich, um spezifische Informationen zu erhal-
ten. Dazu können zunächst Experten innerhalb des eigenen Unternehmens befragt
werden. Dies ist vergleichsweise einfach möglich und steigert die Akzeptanz des
Lead User-Projekts, da sich die Kollegen in den Prozess integriert fühlen. Zudem
bieten solche Experten den Vorteil, über die Produkte, Organisation und Möglichkei-
ten des Unternehmens genau Bescheid zu wissen. Um jedoch Betriebsblindheit zu
vermeiden, sind Gespräche mit externen Personen, auch aus analogen Märkten,
empfehlenswert. Solche externen Einschätzungen bilden zudem die Markttauglich-
keit ab. Schließlich werden auf Basis der Analysen und Gespräche relevante Trends
und Bedürfnisse identifiziert. Diese dienen als Grundlage für die Lead User-
Identifizierung in der dritten Phase.
178 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
Nach Lead Usern sollte sowohl im Zielmarkt als auch in analogen Märkten gesucht
werden. 275 Die Identifizierung der Lead User kann durch die Nutzung internetbasier-
ter Tools und Programme unterstützt werden. Jedoch ist dabei das persönliche Ge-
spräch mit den potenziellen Lead Usern vor Beginn der Workshops unverzichtbar,
um die Person hinter den Kommentaren, Avataren und Internetaktivitäten zu erken-
nen. Ein in der Praxis oft genannter Aspekt ist die Terminfindung für die Workshops.
Obwohl Lead User definitionsgemäß zur kooperativen Innovationsentwicklung und
dadurch zur Teilnahme an den Workshops motiviert sind, ist ein für alle Lead User
realisierbarer Termin oftmals schwer zu finden - insbesondere vor dem Hintergrund,
dass viele Lead User innerhalb ihrer Anstellung stark beansprucht sind. Eine frühzei-
tige Terminfindung ist daher ratsam. Die Incentivierung der Lead User - in welcher
Form auch immer (Geld, Produkte, Gutscheine etc.) - sollte individuell entschieden
werden. Die Fallstudienanalyse ergab jedoch, dass ein Verzicht auf eine Vergütung
nicht selbstverständlich vom Lead User verlangt werden sollte.
(4) Workshop und Konzeptentwicklung
Der Workshop ist das Kernelement eines Lead User-Projekts. Dabei entwickeln Lead
User gemeinsam mit dem Unternehmen innovative Ideen und Konzepte. Die empiri-
schen Ergebnisse aus der Praxis verdeutlichen, dass die Auswahl der Lead User,
der involvierten Mitarbeiter sowie des Moderators einen wesentlichen Einfluss auf die
Workshopergebnisse hat. Zwar sind in den Fallstudien Unternehmen enthalten, die
einen solchen Workshop online durchgeführt haben. Jedoch wurde vom Großteil der
Befragten darauf hingewiesen, dass der persönliche Kontakt aller Beteiligten uner-
lässlich ist, um von der Kreativität, dem Teamspirit und den Diskussionen zu profitie-
ren. Weiterhin wurde die Wahl externer Moderatoren und Standorte empfohlen. Ein
externer Moderator gewährleistet eine objektivere Sicht und Führung des Work-
shops. Bei der Moderation durch einen Unternehmensmitarbeiter besteht hingegen
die Gefahr, die Diskussionen in gewisse Richtungen zu lenken oder Ideen frühzeitig
abzublocken, da diese für das Unternehmen nicht geeignet scheinen. Jedoch können
zunächst unpassend anmutende Ideen als Ausgangsbasis für weitere Vorschläge
dienen. Eine Location außerhalb des Unternehmens trägt dazu bei, den Erwartungs-
druck auf die Lead User zu verringern. Findet der Workshop in den firmeneigenen
Räumlichkeiten statt, fühlen sich Lead User evtl. in einer Erbringungssituation (Un-
ternehmen hat eingeladen, Lead User muss liefern). Zudem ist ein sehr wichtiger
Faktor, dass auch die Unternehmensmitarbeiter ihr Tagesgeschäft verlassen und
275 Zum Bsp. identifizierte eines der im Rahmen der Fallstudienanalyse befragten Unternehmen
der Automatisierungstechnik (L) einen Lead User aus dem Bereich der Medizintechnik, der für
die Themenstellung sehr wertvolle Beiträge leisten konnte.
Einordnung in den Innovationsprozess 179
sich ein bis zwei Tage vollständig auf den Workshop konzentrieren. Gemeinsam
werden in den Workshops Ideen generiert, bewertet und die vielversprechendsten
identifiziert. Die Umsetzbarkeit der Ideen sollte dabei beachtet werden. Aus den
Ideen werden schließlich konkretere Konzepte entwickelt.
(5) Evaluierung und Implementierung
Die Beendigung des Lead User-Prozesses nach der vierten Phase (Workshop), wie
in der Theorie etabliert, ist ein wesentlicher Kritikpunkt innerhalb der empirischen
Studien (insb. Fallstudienanalyse). Viele Unternehmen merkten an, dass zwar inte-
ressante und erfolgversprechende Resultate erzielt, aber nur unzureichend oder gar
nicht umgesetzt wurden. Der Prozess wird daher um eine Phase der Evaluierung und
Implementierung erweitert. Wichtig ist dabei, dass Verantwortliche für die Umsetzung
definiert werden. Weiterhin wird die Erstellung eines Umsetzungsplans empfohlen,
dessen Realisierung durch die verantwortliche Person verifiziert und sichergestellt
werden sollte. Um die Akzeptanz und Aufmerksamkeit innerhalb des Unternehmens
zu erhöhen, sollten die Ergebnisse bzw. eine Zusammenfassung des gesamten Pro-
jekts unternehmensintern kommuniziert werden. Auch die externe Kommunikation
eines erfolgreichen Lead User-Projekts kann die Außenwirkung positiv beeinflussen -
dies wurde als ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Lead User-Projekten geäußert. Je-
doch sollte darauf geachtet werden, nicht zu früh wichtige Informationen und Daten
zu veröffentlichen.
Der erläuterte Prozess zur Lead User-Integration zeigt eine auf empirischen Daten
basierende, idealtypische Vorgehensweise, die wesentliche Schwächen des bisheri-
gen Prozesses aufgreift und zu verhindern versucht. Jedes Projekt ist jedoch indivi-
duell und sollte auch so durchgeführt werden. Zudem sollte die Einbettung des Lead
User-Projekts in den übergeordneten Innovationsprozess gesichert werden, damit
Probleme bei der Ergebnisimplementierung verhindert werden können.
Als eine große Problematik von Lead User-Projekten wurde innerhalb der Studien
mehrfach geäußert, dass solche Projekte oft losgelöst vom übergeordneten Innova-
tionsprozess stattfinden. 276 Deren Verbindung zu anderen Projekten und Aktivitäten
des Innovationsmanagements ist daher oftmals unzureichend, sodass die Umset-
zung der Ergebnisse erschwert wird (vgl. Kapitel 5.2.4.6 und 6.2.5.3). Für die optima-
le Umsetzung des Lead User-Ansatzes ist deshalb wichtig, diese Projekte genau in
den Innovationsprozess einzuordnen (an welcher Stelle im Innovationsprozess sollte
276 Grundlage ist der in Kapitel 2.1.3 erläuterte Innovationsprozess nach Herstatt und Verworn
(2007).
180 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
Phase 4 Phase 5
Phase 1 Phase 2
Phase 3 Prototypenbau, Produktion,
Ideengenerierung und - Konzepterarbeitung,
Entwicklung Pilotanwendung, Markteinführung und
bewertung Produktplanung
Testing -durchdringung
1. Projektorganisation
und Zieldefinition
2. Bedürfnis- und
Trendidentifikation
3. Identifizierung Lead
User
5. Evaluierung und
Implementierung
Der wesentliche Teil eines Lead User-Projekts ist demnach der ersten Phase des
Innovationsprozesses zuzuordnen, wobei die organisatorischen Aufgaben der Pro-
jektorganisation sowie die Zieldefinition die Ausgangsbasis darstellen. Der vierte
Schritt des Lead User-Prozesses (Workshop und Implementierung) beginnt am Ende
der ersten Innovationsphase (Ideengenerierung und -bewertung) und erstreckt sich
über die zweite Phase des Innovationsprozesses (Konzepterarbeitung und Produkt-
planung). Besonders kritisch ist der Übergang der zweiten zur dritten Innovations-
phase nach Beendigung des Lead User-Projekts. Wichtig ist, dass die erarbeiteten
Ergebnisse tatsächlich in der Entwicklung umgesetzt werden. Dies wird durch den
277 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an den Innovationsprozess nach Herstatt und Verworn
(2007).
Agil/Stage-Gate Hybrid für Lead User-Projekte 181
Die Integration von Lead Usern in den Stage-Gate-Prozess ist nicht neu. 278 Cooper
selbst empfiehlt die Lead User-Integration zu Beginn des Stage-Gate-Prozesses
(Discovery-Phase), um innovative Produktideen zu entdecken (Cooper 2001). 279
Dabei wird die Arbeit mit Lead Usern als eine viel versprechende Methode zur Ent-
wicklung innovativer Ideen erläutert: „If you work with an average customer, you’ll get
average ideas. But if you identify a select group of innovative or lead users, and work
closely with them, then expect much more innovative new products“ (ebd., S. 165).
Dazu wird der Lead User-Prozess nach von Hippel skizziert und anhand der Beispie-
le 3M und Hilti erläutert. Zwar zeigt Cooper, dass die Integration von Lead Usern in
den ersten Phasen des Stage-Gate-Prozesses (Discovery und Ideation) stattfinden
sollte. Jedoch bringt Cooper keine genauere Einordnung oder Kombination des Lead
User-Ansatzes mit dem Stage-Gate-Prozess.
Eine Möglichkeit zur Kombination des Lead User-Ansatzes mit dem Stage Gate-
Prozess ist daher das Agile/Stage-Gate Hybridmodell nach Lehnen et al. (2016)
(Abbildung 40). 280 Dieser Ansatz integriert relevante Vorteile des agilen Projektma-
nagements (bspw. Scrum-Meetings) in den Lead User-Prozess, kombiniert diese mit
Aspekten des Stage Gate-Prozesses (bspw. Gates) und stellt somit eine Reaktion
auf die in den empirischen Studien angesprochene Inflexibilität von Lead User-
Projekten dar.
278 Als Grundlage dient der in Kapitel 2.1.3 erläuterte, fünfstufige Stage Gate-Prozess der dritten
Generation. Es existieren Variationen zur Beschleunigung des Prozesses wie der Stage Gate
XPress (drei statt fünf Stages) oder Stage-Gate Lite (zwei statt fünf Phasen) (Cooper 2001;
Cooper und Sommer 2016.)
279 „It‘s an approach that Eric Von Hippel of MIT pioneered years ago, and it has recently gained
prominence at 3M as a key tool for uncovering innovative product ideas“ (Cooper 2001, S. 165).
280 Dieses Paper wurde im International Journal of Product Development, 21 (2/3), S. 212-232,
veröffentlicht.
182 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
2 weeks
2 weeks
2 weeks
2 weeks
1 week
Identification and
Investigation of
Achievement
Verification
Lead User
Lead User
Workshop
Validation
Gate 1 Gate 2 Gate 3 Gate 4 Gate 5
Dieses Vorgehen basiert auf dem Modell nach Sommer et al. (2015), das ein Hybrid
aus agilen Projektmanagement (Scrum) und dem Stage Gate-Prozess nach Cooper
darstellt. Dass die Nutzung eines Agile-Stage-Gate Hybrid Modells sinnvoll ist, wei-
sen zudem Cooper und Sommer (2016) nach. Da die Studien im Rahmen dieser Ar-
beit zeigen, dass viele Probleme des Lead User-Ansatzes aus fehlerhaftem Projekt-
management resultieren (vgl. Kapitel 5.2.4.6 und 6.2.4), ist die Verbindung dieses
Modells zum Lead User-Ansatz naheliegend. Die fünf elementaren Phasen des Lead
User-Prozesses, wie in Kapitel 7.1 dargestellt, bleiben dabei erhalten.
Eine wesentliche Erweiterung stellen zunächst die Sprints und (täglichen) Scrum
Meetings dar, die sich im agilen Projektmanagement etabliert haben (Schwaber und
Sutherland 2016). Innerhalb dieser Sprints werden Ergebnisse erarbeitet, die i.d.R.
alle zwei Wochen 282 in Sprintmeetings evaluiert werden. Innerhalb dieser Meetings
werden die vergangenen Aktivitäten bewertet, eventuelle Verbesserungen definiert
sowie die zukünftigen Sprintaufgaben geplant. In der ersten Phase der Projektdefini-
tion sollten die Sprintmeetings in kürzerer Abfolge (eine Woche) stattfinden. Da in
dieser Phase die Projektziele, der (grobe) Projektverlauf sowie die Ressourcen des
281 Quelle: Lehnen et al. (2016, S. 224). Aufgrund der englischsprachigen Publikation wird das
Modell in englischer Sprache dargestellt. Die Phasenbezeichnungen weichen wörtlich, jedoch
nicht sinngemäß vom Modell in Kapitel 7.1 ab.
282 Die Dauer der Sprints ist abhängig vom Unternehmen, umfasst i.d.R. aber ein bis zwei Wochen.
Auch eine längere Sprintdauer (bis zu fünf Wochen) ist denkbar. Jedoch ergibt sich dadurch
das Risiko, dass Aktivitäten, die nicht zielführend sind, für einen längeren Zeitraum unbeobach-
tet bleiben bzw. nicht evaluiert werden. Eine kürzere Sprintdauer und dadurch kürzere Zeit-
spanne zwischen den einzelnen Evaluationen der Projektaktivitäten erhöht die Möglichkeit des
Eingreifens und reduziert dadurch das Risiko.
Agil/Stage-Gate Hybrid für Lead User-Projekte 183
Gates
Die zweite essentielle Erweiterung des Lead User-Prozesses stellt das Hinzufügen
relevanter Gates zwischen den einzelnen Phasen dar. Dies bedeutet eine Überprü-
fung der Zielerreichung der vorherigen Phase. Nur wenn die zuvor definierten Aufga-
ben zufriedenstellend durchgeführt wurden, geht das Projekt in die nachfolgende
Phase über. Sind Aufgaben offen oder Resultate unzureichend, müssen diese nach-
gebessert oder erarbeitet werden. In der ersten Phase wird ein Zeitplan erstellt, bei
dem die Gatemeetings terminiert werden. So kann sichergestellt werden, dass alle
relevanten Stakeholder frühzeitig zu den Meetings eingeladen werden. Die Planung
der Sprints ist hingegen Aufgabe des Projektteams selbst und wird zu Beginn der
Sprints festgelegt (Cooper 2001). Durch diese rollierende Planung wird die Flexibilität
des Projekts gewährleistet (Möhrle und Isenmann 2008).
Können Lead User bis zu der Phase der Konzeptentwicklung im Rahmen der Work-
shops noch wertvolle Hinweise geben, sollte die Phase der Evaluierung und Imple-
mentierung vom Unternehmen größtenteils selbst durchgeführt werden. Eine weitere
Zusammenarbeit für andere Projekte sowie eine ausführliche Erläuterung der
schlussendlichen Projektergebnisse (Was wurde umgesetzt?) ist jedoch ratsam, um
die Lead User an das Unternehmen zu binden bzw. sie als Fürsprecher zu gewinnen.
Ein effektives Projektmanagement erhöht die Erfolgschancen von Lead User-
Projekten maßgeblich. Jedoch muss beachtet werden, dass den größten Einfluss auf
die Qualität der Ergebnisse die Personen haben, die die Ideen und Konzepte erarbei-
283 Die erarbeiteten Ergebnisse werden im so genannten Projekt Backlog festgehalten, um die
Nachvollziehbarkeit, bspw. für den Auftraggeber, zu sichern (Highsmith 2010).
184 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
ten. Die Auswahl geeigneter Lead User sowie Mitarbeiter ist daher essenziell.
Schließlich ersetzt ein gutes Projektmanagement nicht die Generierung vieler Ideen,
aus denen letztlich wenige erfolgversprechende gefiltert werden: „Don’t expect a su-
perb new product process to overcome a deficiency in good new product ideas. The
need for great ideas coupled with high attrition of ideas means that the idea genera-
tion stage is pivotal: You need great ideas and lots of them“ (Cooper 2001, S. 133).
Das dargestellte Modell gewährleistet durch die stetige Überprüfung der Zielerrei-
chung im Rahmen der Scrum- und Sprintmeetings eine Reduzierung des Projektrisi-
kos. Voraussetzung dafür ist die Definition der Gates. Diese wird nachfolgend in
Form einer Best Practice für die Durchführung von Lead User-Projekten erläutert.
Die erste Phase hat als Projektstart einen enormen Stellenwert (Kuster et al. 2011).
Darin werden mit der Projektplanung, Teamzusammensetzung und Ressourcenallo-
kation die maßgeblichen Projektvorgaben definiert (Corsten 2000; Verworn 2005).
Der Definition der Projektziele kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu, da
sie die Basis jeglicher Aktivitäten sowie der Erwartungshaltung darstellen. Zudem
sind zuvor definierte Ziele Voraussetzung für die Erfolgsmessung am Projektende
(Davenport et al. 1998). In der Praxis wird der Aspekt der Kommunikation in dieser
Phase als sehr bedeutend bewertet. Von Anfang an müssen ausreichende Informati-
onen (bspw. Ziel, Umfang, Projektdauer) kommuniziert werden - sowohl an die Pro-
jektteilnehmer als auch an die übrigen Unternehmensmitarbeiter. Die Erfahrung zeigt
zudem, dass Unternehmen oftmals eine Abneigung gegenüber Externem zeigen (Not
invented here-Syndrom). Die Erläuterung des Lead User-Projekts sowie der Metho-
dik ist daher essenziell, um eine ausreichende Akzeptanz zu gewährleisten.
186 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
9 Sind die identifizierten Trends wirklich neu oder existieren bereits glei-
che bzw. ähnliche Produkte/Dienstleistungen?
Checkliste 9 Sofern die Trends neuartig sind, sind sie auch erfolgversprechend?
9 Ist grundsätzlich vorstellbar, dass sich diese Trends auf dem Massen-
markt etablieren oder sind es eher Nischentrends?
Die zweite Phase der Bedürfnis- und Trendidentifikation beeinflusst die Identifizie-
rung der Lead User (3. Phase) und dadurch den Projekterfolg maßgeblich (Herstatt
und von Hippel 1992). Zur Generierung erster Informationen können Literatur-, Inter-
net- und Datenbankrecherchen durchgeführt werden (Spann et al. 2009). Die zusätz-
liche Erhebung von Primärdaten (Interviews etc.) ist i.d.R. jedoch erforderlich (von
Hippel et al. 2009). Voraussetzung dafür ist die Kenntnis unterschiedlicher Erhe-
bungsformen zur Informationsbeschaffung (bspw. Analyse von Branchen- und Un-
ternehmensreports oder Durchführung von Experteninterviews). Basierend auf den in
dieser Phase definierten Bedürfnissen und Trends werden die erforderlichen Eigen-
schaften der Lead User bestimmt, nach denen im folgenden Schritt gesucht wird.
Daher gilt es, die identifizierten Trends durch ausgiebige Recherche (mehrfache Ex-
pertengespräche etc.) zu validieren. 287 Sollten Trends zukünftig nicht relevant wer-
den oder sich lediglich als Nischenmarkt etablieren, ist die angestrebte Entwicklung
287 Bewertet werden sollten die Ideen anhand relevanter Kriterien. Cooper (2001) schlägt bspw.
vor: „Strategic alignment, project feasibility, magnitude of opportunity and market attractiveness,
product advantage, ability to leverage the firm’s resources, and fit with company policies“ (Coo-
per 2001, S. 104).
Best Practice für die Anwendung des Lead User-Ansatzes 187
Tabelle 24: Best Practice für die Identifizierung der Lead User
Sowohl in der Literatur als auch in den durchgeführten Praxisstudien wurde die Iden-
tifizierung geeigneter Lead User als eine essentielle, meist sogar als die wesentlichs-
te Aufgabe genannt (vgl. Kapitel 5.2.4.6 und 6.2.4) (Enkel et al. 2005; Gerth 2015;
Lüthje und Herstatt 2004; Schuhmacher und Kuester 2012; Spann et al. 2009). Da
die Ergebnisse des Workshops auf der Qualität der Lead User beruhen, ist deren
Suche und Identifizierung von großer Bedeutung (Churchill et al. 2009; Franke et al.
2006). Sie sollte daher ausführlich und gewissenhaft durchgeführt werden. Daher
wird in Ergänzung zum etablierten Lead User-Prozess (Lüthje und Herstatt 2004) die
Verifizierung der Lead Userness als eine Unterphase empfohlen. Die Erfahrung
zeigt, dass Unternehmen oft zu schnell Nutzer als Lead User bezeichnen, die die
188 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
notwendigen Eigenschaften nicht unbedingt besitzen. Grund dafür ist meist der zeitli-
che Aspekt. Unternehmen möchten sich nicht die Mühe machen, weiter nach Lead
Usern zu suchen, wenn Personen identifiziert wurden, die mehr oder weniger als
Lead User gelten könnten. Dieses Denken ist sehr gefährlich, sollten diese Personen
tatsächlich keine geeigneten Lead User sein. Auch bei der mehrmaligen Kooperation
mit Lead Usern ist die Verifizierung der Lead Userness essenziell. Ein Nutzer, der für
Projekt A der geeignete Lead User war, muss nicht zwangsläufig für Projekt B geeig-
net sein.
- Motiviertes Workshopteam
Voraussetzungen - Einheitliche Erwartungshaltung und Zielsetzung
- Optimale Planung des Workshops
9 Können die Lead User offen ihre Ideen äußern oder existiert eine Ab-
wehrhaltung des Unternehmens?
9 Herrscht eine offene, positive Atmosphäre oder gibt es Spannungen?
9 Werden nur umsetzbare Ideen (insbesondere technisch) zu Konzepten
Checkliste
weiterentwickelt?
9 Werden die Ideen und speziell die Konzepte detailliert dokumentiert?
9 Gibt es einen geeigneten Workshopabschluss oder bestehen weiterhin
Fragen, Anregungen, Unklarheiten?
Der Workshop ist das Herzstück des Lead User-Projekts, da in diesem Zeitraum die
Expertise der Lead User genutzt werden kann (Herstatt und von Hippel 1992; Wag-
ner und Piller 2011). Voraussetzung ist die klare Definition des Workshop- und Pro-
jektziels sowie die Identifizierung geeigneter Lead User (Lüthje und Herstatt 2004).
Basierend auf den Erfahrungen der Praxis sollte innerhalb des Workshops eine posi-
Best Practice für die Anwendung des Lead User-Ansatzes 189
Die fünfte Phase der Evaluierung und Implementierung wurde dem theoretischen
Prozess nach Lüthje und Herstatt (2004) im Rahmen dieser Arbeit hinzugefügt. Dies
wurde in den praktischen Studien mehrfach gefordert, die fehlende Umsetzung der
Resultate zudem häufig als großes Hindernis genannt. Zur effektiven Übergabe der
Ergebnisse sollten diese nicht nur sorgfältig dokumentiert sein, sie sollten auch von
den umsetzenden Abteilungen (Produktentwicklung etc.) nochmals auf ihre Durch-
führbarkeit überprüft werden. Damit technische oder organisatorische Restriktionen
nicht erst bei der Ergebnisübergabe entdeckt werden, wird die frühzeitige Einbindung
der relevanten Mitarbeiter aus den umsetzenden Abteilungen empfohlen. Wichtig ist
weiterhin, dass die Zuständigkeiten für die Ergebnisumsetzung geklärt werden. Oft-
mals fühlt sich nach Abschluss eines Lead User-Projekts niemand mehr zuständig
und die Ergebnisse werden nicht umgesetzt. Zuletzt ist es daher wichtig, dass die
Resultate des Lead User-Projekts, wie in Kapitel 6.2.5.3 verdeutlicht, in den überge-
ordneten Innovationsprozess des Unternehmens überführt werden.
Auf Basis der durchgeführten Studien lassen sich die in Kapitel 3.1.3 hergeleiteten
Forschungsfragen beantworten. Die ersten beiden Forschungsfragen werden haupt-
sächlich durch die Online-Befragung (vgl. Kapitel 5) beantwortet. Die Beantwortung
der Forschungsfragen 3 und 4 basiert hauptsächlich auf der qualitativen Studie (vgl.
Kapitel 6).
FF#1: In wie weit ist der Lead User-Ansatz in der Innovationspraxis bekannt?
Die Beantwortung dieser Forschungsfrage wird dadurch erschwert, dass keine ein-
deutige Definition existiert, ab welchem Wert eine Methodik als ausreichend bekannt
bewertet werden kann. Diese Beurteilung ist eher subjektiv und beruht meist auf per-
sönlichen Einschätzungen. Aussagekräftiger ist daher der Vergleich mit anderen Me-
thoden. Die Online-Befragung ergab, dass 39% den Ansatz kannten und 61% die
Frage nach der Bekanntheit verneinten. Im Vergleich zu oft gelehrten und dadurch
gängigen Methoden wie der SWOT-Analyse oder dem Stage-Gate-Prozess ist dies
ein eher geringer Wert, wie wissenschaftliche Studien bestätigen. So liegt der Lead
User-Ansatz bei der Studie von Meyer (2005) auf Rang 16 von 20 untersuchten In-
novationsmethoden. 288 Methoden wie Brainstorming sind demnach deutlich bekann-
ter (ebd.). Auch in den unter 2.3.5 dargestellten Studien ist der Lead User-Ansatz
288 Die Studie von Meyer (2005) zum Thema Bekanntheit und Einsatz von Innovationsmethoden in
jungen KMU: Ergebnisse einer regelmäßigen Befragung im Zeitvergleich ist bereits über zehn
Jahre alt, jedoch eine der wenigen Studien, die die Bekanntheit von Innovationsmethoden hin-
terfragt. Bei den meisten Studien zum Einsatz von Innovationsmethoden (bspw. Creusen et al.
2013, Kärkkäinen et al. 2001) werden lediglich die meistgenutzten Methoden erfragt und deren
Nutzung analysiert. Methoden können aber auch bekannt sein, jedoch nicht angewandt werden.
Beantwortung der Forschungsfragen 191
i.d.R. im unteren Drittel zu finden. 289 Zudem gilt zu beachten, dass 39% der Befrag-
ten zwar angaben, den Lead User-Ansatz zu kennen, aber einige falsche Definitio-
nen abgegeben wurden. Dies verringert die Zahl derer, die den Lead User-Ansatz
kennen und richtig einordnen können. Entsprechend lässt sich zur Beantwortung
dieser Forschungsfrage festhalten:
Im Vergleich zu weit verbreiteten Methoden (SWOT-Analyse etc.) ist der Lead User-
Ansatz in der Praxis weniger bekannt, etwa jeder Dritte kann die Methodik korrekt
zuordnen; Potenzial zur weiteren Verbreitung ist daher vorhanden.
FF#2: Sind die Unternehmen offen für die Integration von Lead Usern?
Diese Forschungsfrage kann eindeutig bejaht werden. Begründet wird dies durch die
Beantwortung der Frage nach der Offenheit zur Anwendung des Ansatzes an die
Befragten, die den Ansatz bisher nicht kanten: 79% können sich vorstellen, ein Lead
User-Projekt durchzuführen. Unterstützt wird die Aussage durch die Beurteilung die-
ser Personen, wie sie die Erfolgsaussichten des Ansatzes zur Entwicklung innovati-
ver Produktkonzepte einschätzen: 61% bewerten die Erfolgsaussichten positiv, 36%
neutral. Demnach stehen nur 4% dem Lead User-Ansatz negativ gegenüber. Die
große Offenheit der Unternehmen zur Integration von Lead Usern wird zusätzlich
durch die Unternehmen unterstützt, die bereits Lead User-Projekte durchgeführt ha-
ben. Für 93% der Befragten ist eine zukünftige Durchführung vorstellbar. Für die Be-
antwortung der zweiten Forschungsfrage lässt sich zusammenfassen:
Es besteht große Offenheit zur Integration von Lead Usern sowohl bei Unternehmen,
denen der Ansatz bisher unbekannt war, als auch bei Unternehmen mit vorhandener
Projekterfahrung.
FF#3: Sind die Unternehmen in der Lage, den Lead User-Ansatz anzuwenden
und welche Faktoren erschweren die Umsetzung?
Einen ersten Hinweis auf die Fähigkeit der Unternehmen zur Umsetzung des Lead
User-Ansatzes bietet die Online-Befragung. 62 Befragte gaben an, bereits mindes-
tens ein Lead User-Projekt durchgeführt zu haben. 93% davon sagten aus, dass die
Ziele erreicht wurden und bewerteten den Ansatz sehr positiv (90% positiv, 10%
neutral). Die Unternehmen sind also in der Lage, Lead User-Projekte zufriedenstel-
lend umzusetzen. Zusätzlich zeigt die Befragung, dass die Unternehmen fähig sind,
auf Herausforderungen zu reagieren und den Prozess erfolgreich zu verändern.
289 Zu beachten gilt, dass diese Studien den Einsatz der Methoden abfragen. Der Ansatz könnte
also bekannt sein, jedoch nicht angewandt werden. Als einzige Studie, die die reine Bekanntheit
abfragt, wurde nur Meyer (2005) identifiziert.
192 Diskussion und Umsetzung der Ergebnisse
dass viele der analysierten Unternehmen auf die Unterstützung externer Partner wie
Hochschulen oder Beratungen zurückgreifen. Begründet ist dies mit mangelnder Me-
thodenkenntnis. Einige Unternehmen führten daher zur Erlernung der Methodik das
erste Projekt mit Partnern durch und leiteten fortan die Projekte selber. Ein weiterer
Grund sind mangelnde Ressourcen insbesondere zeitlicher Art. Allein die umfangrei-
che Identifizierung der Lead User ist vielen Unternehmen zu aufwendig, sodass sie
diese Aufgabe outsourcen. Auch die Objektivität ist ein Aspekt, warum einige Unter-
nehmen externe Partner bevorzugen. Wird das Projekt und insbesondere der Work-
shop allein von Unternehmensmitarbeitern durchgeführt, besteht die Gefahr, aus Un-
ternehmenssicht unpassende Ideen zu früh abzublocken. Als größte Herausforde-
rung wurde die Identifizierung geeigneter Lead User erkannt. Auch ein falsches Ver-
ständnis von Lead Usern sowie die fehlende Umsetzung der Ergebnisse sind we-
sentliche Probleme. Zudem sind Aspekte des Projektmanagements von großer Be-
deutung wie Planungsunsicherheit, Messbarkeit der Ergebnisse oder Ressourcenbe-
darf. Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage gilt daher:
Die Fähigkeit der Unternehmen zur Umsetzung des Lead User-Ansatzes ist größten-
teils vorhanden, jedoch findet in der Praxis eine Abwägung statt, ob die selbständige
Durchführung oder die Inanspruchnahme externer Partner sinnvoller ist.
FF#4: Wie kann der theoretische Ansatz basierend auf praktischen Erfahrun-
gen weiterentwickelt werden?
Die Beantwortung dieser Forschungsfrage wurde im Kapitel 7.1 ausführlich erläutert.
So wurde die etablierte Lead User-Methode zum einen um eine fünfte Phase der
Evaluierung und Implementierung ergänzt, um die Umsetzung der Ergebnisse zu
garantieren. Zudem wurden die einzelnen Phasen bzw. Unterphasen neu benannt
und Aufgaben hinzugefügt, die in der Praxis von großer Relevanz sind (bspw. Verifi-
zierung der Lead Userness). Zum anderen wurde in 7.3 eine Kombination des Lead
User-Ansatzes mit dem Stage-Gate-Prozess sowie agilen Projektmanagement ent-
wickelt (Agile/Stage-Gate Hybridmodell nach Lehnen et. al 2016). Dieses Modell bie-
tet den Vorteil, dass die Aufgaben und Phasen des Lead User-Prozesses durch Ga-
tes überprüft werden. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Aufgaben vollends
erfüllt und negative Auswirkungen auf den Projektverlauf durch unzureichende Bear-
beitung der Anforderungen verhindert werden. In Bezug auf die Weiterentwicklung
des theoretischen Prozesses wird daher zusammengefasst:
Der theoretische Lead User-Prozess wird durch das Hinzufügen von Phasen sowie
deren Anpassung auf Basis praktischer Erfahrungen weiterentwickelt; zudem wird
ein Kombinationsmodell zwischen Lead User-Ansatz, Stage-Gate-Prozess und agi-
len Projektmanagement sowie eine Best Practice für die Durchführung von Lead
User-Projekten entwickelt.
8 Fazit, Implikationen und Limitationen
Die Arbeit schließt mit dem nachfolgenden Fazit, wissenschaftlichen und praktischen
Implikationen sowie den Limitationen.
8.1 Fazit
Zur Beantwortung der übergeordneten Forschungsfrage „Wie ist die Implementierung
von Lead Usern in die Innovationspraxis nach 30 Jahren Lead User-Forschung zu
beurteilen?“ wurden im Rahmen dieser Arbeit verschiedene empirische Studien
durchgeführt. Nach einer ausführlichen Einordnung und Erläuterung des For-
schungsstands zur Lead User-Theorie wurde in Kapitel 2.3.6 zunächst bestätigt,
dass die Analyse der praktischen Umsetzung des Ansatzes eine relevante For-
schungslücke darstellt. Zudem wurde durch die Literaturanalyse praxisorientierter
Fachmagazine (vgl. Kapitel 2.4) die Forderung einer Erweiterung des klassischen,
theoretischen Ansatzes (Lüthje und Herstatt 2004) sowohl in der Theorie als auch in
der Praxis erkannt. Die Wissenstransferebenen erwiesen sich als geeignete theoreti-
sche Basis zur Ableitung der Forschungsfragen (Kapitel 3). Die Ebenen Kennen,
Können, Sollen und Wollen umfassen dabei die relevanten Aspekte für die Analyse
der praktischen Umsetzung. Auch die Kombination quantitativer (Online-Befragung)
und qualitativer (Fallstudienanalyse) Studien bestätigte sich als geeignetes For-
schungsdesign (vgl. Kapitel 4).
Im Rahmen der quantitativen Studie (vgl. Kapitel 5) konnte zunächst festgestellt wer-
den, dass der Großteil der Befragten (61%) den Lead User-Ansatz nicht kannten.
Gleichzeitig konnte eine große Offenheit zur Durchführung von Lead User-Projekten
erkannt werden: 79% der Unternehmen, die den Ansatz bisher nicht kannten, können
sich die Integration von Lead Usern vorstellen. Neben dem aus der theoretischen
Betrachtung bekannten Vorteil der frühzeitigen Bedürfnis- und Trenderkennung wur-
de die Steigerung der Kundenloyalität sowie die Wahrnehmung als innovatives Un-
ternehmen als größte Erfolgsfaktoren von den Unternehmen genannt, die entspre-
chende Erfahrungen mit dem Lead User-Ansatz haben. Dies zeigt einen eher unter-
nehmerischen Fokus, der in der Theorie oftmals vernachlässigt wird. Als größte Her-
ausforderung von Lead User-Projekten wurde die schwierige Identifizierung der sel-
tenen Lead User genannt. Dieser Aspekt deckt sich mit der vorhandenen Lead User-
Forschung. Darüber hinaus ist das unterschiedliche Verständnis von Lead Usern
(Welche Eigenschaften machen eine Lead User aus?) ein wesentliches Problem in
der Praxis. Dies kann zur Integration der falschen Personen sowie zur fehlerhaften
Weitergabe des Methodenwissens führen. Eine oft genannte Herausforderung ist
zudem die unzureichende Implementierung der Projektergebnisse in den Innova-
tionsprozess sowie in weitere Projekte. Stattdessen werden Lead User-Projekte oft
als separate Projekte gesehen, sodass die Umsetzung der Ergebnisse häufig nicht
geregelt ist. Die Beendigung eines Lead User-Projekts mit dem Workshop, wie in der
Theorie definiert, ist daher nicht ausreichend, sofern die Implementierung der
Workshopresultate nicht gewährleistet ist. Trotz der identifizierten Probleme bei Lead
User-Projekten ist die Evaluation positiv (61% positiv, 36% neutral, nur 4% negativ).
Die Integration von Lead Usern ist daher eine starke Methode zur Steigerung der
Innovationskraft. Entsprechend gaben fast alle Unternehmen (93%) an, dass die Pro-
jektziele erreicht wurden und weitere Lead User-Projekte denkbar sind. Dennoch
sagte knapp die Hälfte dieser Unternehmen (47%) aus, dass der Prozess im Ver-
gleich zur Theorie (Lüthje und Herstatt 2004) geändert wurde. Eine detaillierte Analy-
se der Gründe und Auswirkungen dieser Prozessänderungen war daher sinnvoll, um
auf Basis dieser praktischen Erfahrungen den theoretischen Prozess weiterentwi-
ckeln und modernisieren zu können.
Dies wurde durch die qualitative Studie in Form von Fallstudieninterviews durchge-
führt (vgl. Kapitel 6). Die 17 Experteninterviews zeigten wichtige Aspekte aus der
Praxis auf, die in der Theorie weniger Beachtung finden. Die Fallstudienanalyse stellt
dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Lead User-Forschung dar. In den Unterneh-
mensgesprächen wurde ein breiteres Verständnis von Lead Usern insbesondere im
B2C-Bereich festgestellt. Als Lead User werden nicht nur Nutzer bezeichnet, die die
theoretischen Eigenschaften nach von Hippel innehaben, sondern auch Vielnutzer
oder kreative Nutzer, die nicht zwangsläufig selber innoviert haben müssen. Ein wei-
terer wesentlicher Aspekt ist die unterschiedliche Erwartungshaltung bei Lead User-
Projekten, die zudem vom Kooperationspartner und der Anzahl bereits durchgeführ-
ter Projekte abhängig ist. So ist die Erwartungshaltung geringer, wenn mit wissen-
schaftlichen Partnern kooperiert wird. Meist steht bei diesen Projekten die Erlernung
der Methode im Vordergrund und nicht unbedingt die Erstellung einer finalen Innova-
tion. Bei Beauftragung einer Unternehmensberatung ist die Erwartungshaltung hin-
gegen höher, vor allem bedingt durch die höheren Kosten im Vergleich zu wissen-
schaftlichen Einrichtungen. Die Generierung von ersten Ideen und Konzepten reicht
den Unternehmen i.d.R. nicht aus, sie erwarten umsetzbare und erfolgversprechende
Innovationen. Wird ein Lead User-Projekt erstmalig durchgeführt, ist die Erwartungs-
haltung meist geringer. Die Erlangung des Methodenwissens steht wiederum im Vor-
dergrund. Bei weiteren Projekten, wenn die Methodik bereits bekannt ist, werden
hingegen mehr Ergebnisse erwartet. Die Fallstudienanalyse erbrachte zudem wichti-
ge Kritik und Forderungen der Praktiker an der theoretischen Methodik. Demnach ist
durch den zu unflexiblen Prozess eine Reaktion auf Unvorhergesehenes kaum mög-
lich. Lead User-Projekte werden weiterhin als zu aufwendig (Zeit, Kosten, Personal)
bezeichnet, die Ressourcenallokation ist zudem sehr schwer planbar. Die Ergebnisse
der Umfrage bestätigend, wurde die unzureichende Umsetzung der Ergebnisse als
Fazit 195
großer Nachteil von Lead User-Projekten genannt. Eine weitere Bestätigung der Um-
frage ist die von mehreren Befragten genannte, unzureichende Umsetzung bzw. Ein-
bettung der Lead User-Projekte in den Innovationsprozess.
Im Rahmen der Diskussion (vgl. Kapitel 7) wurden schließlich Lösungsansätze ent-
wickelt, um die identifizierten Herausforderungen und Probleme aus den empirischen
Studien zu reduzieren. Zunächst wurde eine grundlegende Weiterentwicklung der
Lead User-Methode nach Lüthje und Herstatt (2004) vorgenommen (vgl. Kapitel 7.1).
Die wesentlichste Änderung ist dabei das Hinzufügen der fünften Phase Evaluierung
und Implementierung. Diese stellt eine Lösung des identifizierten Implementierungs-
problems dar und hat die Umsetzung der Workshopresultate zum Ziel. Weiterhin
wurde die Bezeichnung der Phasen nachgebessert. So wurde bspw. die Aussage-
kraft der Bezeichnung der ersten Phase Start des Lead User-Projekts nach Lüthje
und Herstatt (2004) durch Änderung in Projektorganisation und Zieldefinition erhöht.
Ebenso wurden die Unterphasen angepasst und relevante Aspekte wie die Ressour-
cenallokation (1. Phase) oder die Verifizierung der Lead Userness (3. Phase) hinzu-
gefügt. Der überarbeitete Prozess stellt damit eine praxisnähere und dadurch leichter
umsetzbare Weiterentwicklung der Lead User-Methode dar. Um das oft genannte
Problem der Inflexibilität und Planungsunsicherheit von Lead User-Projekten zu ver-
meiden, wurde weiterhin ein Kombinationsmodell zwischen Lead User-Methode,
Stage Gate-Prozess und agilen Projektmanagement (Agil/Stage-Gate Hybrid) entwi-
ckelt. In einer ersten empirischen Studie (vgl. Lehnen et al. 2016) wurde dessen An-
wendbarkeit bereits bestätigt. Dieses Modell ermöglicht eine effizientere Einbindung
von Lead User-Projekten in den Innovationsprozess und gewährleistet eine frühzeiti-
ge Reaktion auf unvorhersehbare Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen. Um die
Anwendung des Lead User-Ansatzes in der Praxis zu erhöhen, wurde schließlich
eine Best Practice für die Durchführung von Lead User-Projekten entwickelt (vgl. Ka-
pitel 7.4). Insbesondere kleinere Unternehmen (auch Start-Ups), denen die Inan-
spruchnahme externer Partner (insbesondere Unternehmensberatungen) nicht mög-
lich ist, können diesen Leitfaden nutzen, um selbständig Lead User-Projekte durch-
zuführen. Dazu wurden notwendige Voraussetzungen für jede Projektphase definiert.
Weiterhin wurde für jede Phase das Ziel sowie relevante Aufgaben festgelegt. Dies
ist enorm wichtig, um den Abschluss der Phasen (Aufgaben erfüllt? Ziele erreicht?)
bewerten zu können. Zur Erleichterung dieser wesentlichen Maßnahme wurden da-
her Checklisten entwickelt, die von den Unternehmen vergleichsweise einfach über-
prüft werden können.
Sicht gewährleistet, die für die Steigerung der Anwendbarkeit des Ansatzes notwen-
dig ist. Die Weiterentwicklung der Lead User-Methode, das Agil/Stage-Gate-Modell
sowie der Leitfaden für Lead User-Projekte ermöglichen eine verbesserte Implemen-
tierung des Lead User-Ansatzes in die Innovationspraxis und leisten daher einen es-
sentiellen Beitrag für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen.
7.3) stellt eine Möglichkeit dar, die in der Praxis geforderte Flexibilität von Lead User-
Projekten zu gewährleisten. Auch dieses Modell gilt es zukünftig zu validieren und
durch weitere, umfangreichere Studien zu überprüfen.
Für die Theorie ist weiterhin eine Analyse der Lead User-Definition bzw. Eigenschaf-
ten relevant, insbesondere in Bezug auf unterschiedliche Unternehmenstypen (B2B
vs. B2C, kleine vs. große Unternehmen etc.). Die Studien haben gezeigt, dass vor
allem im Bereich B2C ein breiteres Verständnis vorhanden ist. Es gilt zu überprüfen,
ob ein generelleres Verständnis möglich ist oder zu sehr vom ursprünglichen Lead
User-Gedanken nach von Hippel (1986) abweicht.
Durch den Fokus dieser Arbeit auf die praktische Umsetzung des Lead User-
Ansatzes ergeben sich wichtige Implikationen für die Praxis. Die Studien haben zu-
nächst verdeutlicht, dass Lead User-Projekte grundsätzlich in verschiedensten Un-
ternehmen und Branchen anwendbar sind. Somit sollte die Integration von Lead
Usern in den Innovationsprozess auch in KMUs möglich sein. Abzuwägen bleibt je-
doch der für das Projekt erforderliche Aufwand und ggf. die Zuhilfenahme externer
Partner (insbesondere Wissenschaft).
Grundsätzlich sollte bei Lead User-Projekten zunächst auf das richtige Verständnis
bzw. die richtige Definition von Lead Usern geachtet werden. Weitere praxisorientier-
te Veröffentlichungen tragen positiv zur korrekten Verbreitung dieser Methode bei.
Zudem sollten Unternehmen zukünftig den in Kapitel 7.1 erarbeiteten Prozess an-
wenden, da dieser stärker auf die praktischen Rahmenbedingungen zugeschnitten ist
und identifizierte Probleme aus der Praxis verhindert (bspw. unzureichende Umset-
zung der Ergebnisse). Auch die Praxistauglichkeit des Agil/Stage Gate-Hybrids (vgl.
Kapitel 7.3) wurde bereits bestätigt. Die Anwendung dieses Modells steigert die Fle-
xibilität der Unternehmen bei der Integration von Lead Usern. Für die Unternehmen
ist zudem der in Kapitel 7.4 erarbeitete Leitfaden eine geeignete Möglichkeit, Lead
User-Projekte selbständig durchzuführen. Insbesondere kleineren Unternehmen, die
aus finanziellen oder personellen Gründen keine Kooperationspartner einbinden
können/wollen, kann diese Best Practice weiterhelfen. Die Zusammenarbeit mit Part-
nern, insbesondere wissenschaftlichen Einrichtungen (Universitäten etc.), ist jedoch
gerade bei der erstmaligen Durchführung eines Lead User-Projekts zur Erlangung
der Methodenkompetenz empfehlenswert.
Zuletzt sei den Unternehmen empfohlen, sich grundsätzlich auf innovative Methoden
wie dem Lead User-Ansatz einzulassen, auch wenn gewisse Risiken durch die er-
schwerte Vorhersehbarkeit des Projektverlaufs existieren. Erfolgreiche Innovationen
sind jedoch stets neuartig, die vorherige Planung der zugrundeliegenden Innovati-
198 Fazit, Implikationen und Limitationen
Eine weitere Limitation betrifft das Agil/Stage Gate-Hybrid (vgl. Kapitel 7.3). Agiles
Projektmanagement kann nachweislich die Flexibilität von Projekten erhöhen. Je-
doch ist agiles Projektmanagement nicht zwingend anwendbar und stellt daher kein
„Allheilmittel“ dar - die Einzelfallprüfung ist daher geboten. Insbesondere gilt zu be-
achten, dass aus der Einführung einer neuen Projektstruktur weitere Probleme und
Herausforderungen (fehlendes Methodenwissen, Ressourcen etc.) resultieren kön-
nen. Dies wird im aktuellen Hype um agiles Projektmanagement oftmals vernachläs-
sigt, die positiven Aspekte (Flexibilität, Nachvollziehbarkeit etc.) scheinen stets zu
überwiegen. Sofern etablierte Projektstrukturen jedoch vorhanden sind, und erfolg-
reiche Resultate durch traditionelles Projektmanagement generiert werden können,
mag für agiles Projektmanagement gar kein Bedarf bestehen. Das erarbeitete Modell
stellt daher eine attraktive Lösung bzw. Alternative zum traditionellen Projektmana-
gement dar, sofern Probleme mit der bisher angewandten Struktur bestehen. Neben
dem Fokus auf agiles Projektmanagement ist zudem die Verbindung zum Stage Ga-
te-Prozess als Mehrwert zu betrachten. Die Reflektion vorheriger Phasen bzw. Auf-
gaben (Gates) ist i.d.R. sinnvoll - egal ob traditionelles oder agiles Projektmanage-
ment durchgeführt wird. Selbstreflektion und -evaluation trägt grundsätzlich zum Er-
290 Eine erste, internationale Analyse des Lead User-Ansatzes mit Fokus auf die daraus resultie-
rende Produktvarietät in Großbritannien bieten Al-Zu’bi und Tsinopoulos (2012).
Limitationen und zukünftige Forschung 199
folg von Projekten bei. Die Integration solcher Gates ist daher für alle Projektarten zu
empfehlen.
Die erweiterte Lead User-Methode wurde auf Basis praktischer Erfahrungen und
Forderungen entwickelt, dennoch ist eine zukünftige Überprüfung der Anwendbarkeit
notwendig. Die Praxistauglichkeit des Kombinationsmodells aus agilen Projektmana-
gement, Stage Gate-Prozess und Lead User-Methode wurde zwar bereits überprüft
und bestätigt (vgl. Lehnen et al. 2016), dennoch ist eine weitere Prüfung der An-
wendbarkeit mit größerer Fallzahl sinnvoll. Eine interessante Studie im Rahmen der
zukünftigen Forschung wäre der Vergleich zweier Projekte mit jeweils dem alten
(Lüthje und Herstatt 2004) sowie neuen Lead User-Ansatz (vgl. Kapitel 7.1), um die
praktische Anwendbarkeit zu überprüfen sowie eventuelle Nachbesserungen abzulei-
ten. Aufgrund der Schnelllebigkeit des Marktes ist eine regelmäßige Überprüfung und
weitere Bearbeitung der Lead User-Theorie grundsätzlich ratsam.
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226 Literaturverzeichnis
Konnten die Kollegen mit Widerstand von den Vorteilen überzeugt werden?
Wie bewerten Sie die Integration von Lead Usern? Gibt es bessere / sinnvollere
Methoden?
(1) ORGANISATION
(2) PROZESS
Effekte / Folgen
(3) ZIELERREICHUNG
(4) UMSETZUNG
Herausforderungen 0
Akzeptanz (Not invented-here) 27
Erwartungshaltung 19
Identifizierung und Rekrutierung 33
Markttauglichkeit 7
Messbarkeit 8
Motivation Lead User 37
Planungsunsicherheit 8
Ressourcenbedarf 17
Terminfindung und Verfügbarkeit 9
Vertraulichkeit und Datenschutz 7
Probleme Workshop 16
Ergebnisse 0
Ideen und Ansätze 15
Erwartbare Ergebnisse 12
Kontakte und Kooperationen 20
Nicht umsetzbare Ergebnisse 16
Umgesetzte Ergebnisse 26
Evaluation 0
Anwendbarkeit des Ansatzes 26
Kritikpunkte 24
Positive Bewertung 54
Verbesserungen 34
Zielerreichung 7
Zukünftige Anwendung 9
244 Anhang E: Beispiel der Summary Grid-Tabelle