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Zum Gebrauch. Ein Querverweis wie z.B. § 2 : 6.7 (b) bezieht sich auf § 2,
Abschnitt 6, Unterabschnitt 6.7, Teil (b). Innerhalb von § 2 wird die betreffende
Stelle lediglich in der Form 6.7 (b) zitiert.
Literaturverweise wie z.B. auf [130] Reed, M., Simon, B.: Methods of Modern
Physics I–IV, Band II, Theorem X.14 erfolgen nach dem Muster
[130, II] X.14 oder [Reed–Simon II] X.14.
Durch das Symbol ÜA (Übungsaufgabe) wird dazu aufgefordert, Rechnungen,
Beweisschritte oder Übungsbeispiele selbst auszuführen.
Kapitel I Übersicht
§ 1 Beispiele für Differentialgleichungsprobleme
1 Gewöhnliche Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2 Partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3 Was bedeutet Lösung einer Differentialgleichung“? . . . . . . . . . 23
”
4 Die Schrödinger–Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
§ 12 Die Fouriertransformation
1 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
2 Ê
Die Fouriertransformation auf L1 ( n ) . . . . . . . . . . . . . . . . 286
3 Ê
Die Fouriertransformation auf S ( n ) . . . . . . . . . . . . . . . . 292
4 Ê
Die Fouriertransformation auf L2 ( n ) . . . . . . . . . . . . . . . . 298
5 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
§ 13 Schwache Lösungen und Distributionen
1 Schwache Lösungen von Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . 303
2 Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
3 Konvergenz von Distributionenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
4 Differentiation von Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
5 Grundlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
6 Die Fouriertransformation für temperierte Distributionen . . . . . . 318
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
Kapitel I Übersicht
eine eindeutig bestimmte Lösung haben soll. Deren explizite Bestimmung ist
in der Regel nicht möglich und steht auch nicht in jedem Fall im Vordergrund
des Interesses. Die statistische Mechanik will beispielsweise Aussagen über Ei-
genschaften des Flusses im Phasenraum machen (Volumentreue, Raummittel,
Zeitmittel). Eine andere Frage richtet sich auf das qualitative Verhalten der
Lösungen in der Nähe von Gleichgewichtslagen von Systemen ẏ = f (y), z.B.
bei zeitunabhängiger Hamilton–Funktion oder bei gedämpften mechanischen
Systemem
2 Partielle Differentialgleichungen
2.1 Die Gleichung der schwingenden Saite
Wir betrachten eine an den Enden fest
eingespannte elastische Saite, die ebene
y
Transversalschwingungen ausführt. In 6
der Schwingungsebene wählen wir kar-
u(x, t)
tesische Koordinaten so, dass die Saite -
x x
in der Ruhelage die Strecke
{(x, y) | 0 ≤ x ≤ L , y = 0}
einnimmt. Die vertikale Auslenkung der Saite an der Stelle x zum Zeitpunkt t
bezeichnen wir mit u(x, t).
Wir machen folgende Annahmen:
– Die Saite ist homogen und von vernachlässigbarer Biegesteifigkeit.
– Die Auslenkungen der Saite sind klein, ∂u
∂x
1.
– Es wirken keine Schwerkraft und keine Anregungen durch Zupfen oder Strei-
chen der Seite.
Dann lautet die Bewegungsgleichung
∂2u 2
2 ∂ u
= c mit einer Konstanten c > 0
∂t2 ∂x2
(eindimensionale Wellengleichung, d’Alembert 1746). In geometrischer Inter-
pretation bedeutet diese Gleichung, dass die Transversalbeschleunigung propor-
tional zur Krümmung der Saite ist.
Ein spezieller Schwingungsablauf wird durch geeignete Zusatzbedigungen fest-
gelegt; diese bestehen aus der Randbedingung (Einspannbedingung)
u(0, t) = u(L, t) = 0 für alle t ∈ Ê,
und den Anfangsbedingungen zu einem Zeitpunkt, etwa zur Zeit t = 0,
∂u
u(x, 0) = f (x), (x, 0) = g(x),
∂t
wobei f und g vorgegebene, an den Endpunkten verschwindende Funktionen
auf [0, L] sind.
16 § 1 Beispiele für Differentialgleichungsprobleme
Das Hamiltonsche Prinzip der stationären Wirkung besagt, dass die Bewegungs-
gleichung der Saite gegeben ist durch
d
(∗) δW (u)ϕ := W (u + sϕ) s=0 = 0
ds
für jedes Zeitintervall [t1 , t2 ] und für jede C1 –Funktion ϕ, die auf dem Rand ∂R
des Rechtecks R := [0, L] × [t1 , t2 ] verschwindet.
Im Fall einer homogenen Saite der Masse pro Längeneinheit ist die kinetische
Energie zur Zeit t
L
1 ∂u
T (u, t) = (x, t)2 dx ,
2 ∂t
0
die durch Verlängerung der Saite bedingte potentielle Energie zur Zeit t ist
L L
∂u 1 ∂u
U (u, t) = σ 1+ (x, t)2 − 1 dx ≈ σ (x, t)2 dx ,
∂x 2 ∂x
0 0
t2 L
d ∂u ∂ϕ ∂u ∂ϕ
0 = W (u + sϕ) s=0 = −σ dx dt
ds ∂t ∂t ∂x ∂x
t1 0
(∗∗)
L t2 t2 L
∂u ∂ϕ ∂u ∂ϕ
= dt dx − σ dx dt .
∂t ∂t ∂x ∂x
0 t1 t1 0
Durch partielle Integration folgt wegen ϕ = 0 auf dem Rand ∂R des Rechtecks
L t2 t2 L
∂2u ∂2u
0 = − ϕ dt dx + σ ϕ dx dt
∂t2 ∂x2
0 t1 t1 0
t2 L 2 2
∂ u ∂ u
= − + σ ϕ dx dt .
∂t2 ∂x2
t1 0
Das letzte Integral kann nur dann für alle oben zugelassenen Variationen“ ϕ
”
Null sein, wenn die eckige Klammer im Innern von R verschwindet, d.h. wenn
∂2u ∂2u
2
(x, t) = c2 (x, t) mit c = σ/
∂t ∂x2
in jedem Zeitintervall und für alle x ∈ ]0, L[. Denn wäre die eckige Klammer
in einer Kreisscheibe Kr (x0 , t0 ) um einen Punkt (x0 , t0 ) beispielsweise positiv,
so ergäbe sich mit ϕ(x, t) = (r 2 − (x − x0 )2 − (t − t0 )2 )2 (außerhalb Kr (x0 , t0 )
gleich Null gesetzt) ein Widerspruch.
Der Gradient ∇u = (∂1 u, ∂2 u) bezieht sich dabei auf die Raumvariablen, und
es werden kleine Auslenkungen ∇u 1 angenommen.
ÜA Leiten Sie nach dem Vorbild von 2.2 die Schwingungsgleichung für die
Membran aus dem Hamiltonschen Prinzip her unter Verwendung des Gaußschen
Integralsatzes und geeigneter Buckelfunktionen ϕ.
für jedes Gaußsche Gebiet K, und daraus mit dem Gaußschen Integralsatz
∂u
cp − κ div ∇u d3 x = Q d3 x .
∂t
K K
(c) Bei zeitunabhängigen Randwerten stellt sich nach längerer Zeit ein Gleich-
gewicht ein, und die Lösungen werden stationär , d.h. unabhängig von der Zeit-
koordinate. Diese genügen dann der Poisson–Gleichung
−k Δu = f in Ω ,
Δu = 0 in Ω .
gelten dann automatisch die Gleichungen (2). Denn aus (1) folgt ÜA
∂ ∂
div (μH) = 0 , (div (εE) − 4π ) = 0 ,
∂t ∂t
also gelten die Gleichungen (2) für alle Zeiten.
(b) Im Vakuum (ε = μ = 1, = 0, j = 0) gilt für Lösungen von (1)
∂2E ∂2H
= c2 ΔE , = c2 ΔH ,
∂t2 ∂t2
d.h. die Komponenten von E und H erfüllen jede für sich die Wellengleichung
∂2u
= c2 Δu
∂t2
Ê
im 3 . Das ergibt sich mit Hilfe der Identität rot rot u = ∇div u − Δu von
Bd. 1, § 24 : 7.2 (d) ÜA .
(c) Sind E, H, , ε, μ und j zeitunabhängig, so ergibt sich in sternförmigen
Gebieten aus rot E = 0, div (μH) = 0 die Existenz eines Potentials U und
eines Vektorpotentials A mit
E = − ∇U , μH = rot A
(vgl. Bd. 1, § 24 : 5.5 und 7.3). Dabei dürfen wir div A = 0 annehmen, denn
ist A0 irgend ein Vektorpotential für μH und ist ϕ eine Lösung der Poisson–
Gleichung Δϕ = div A0 , so ist A = A0 − ∇ϕ ebenfalls ein Vektorpotential
22 § 1 Beispiele für Differentialgleichungsprobleme
für μH mit div A = 0. Wegen ΔU = div ∇U = div E und der schon in (b)
verwendeten Beziehung rot rot A = ∇div A − ΔA = −ΔA reduzieren sich die
Maxwell–Gleichungen auf die Gleichungen der Elektro– und Magnetostatik
4π 4π
− ΔU = , − ΔA = j.
ε c
Wir stellen fest, dass sich aus den Maxwell–Gleichungen in Spezialfällen die
Wellengleichung und Poisson–Gleichung ergeben.
∂v
3
∂v 1 ∂
+ vi + ∇p = f , + div ( v) = 0 .
∂t ∂xi ∂t
i=1
Dabei ist f die Kraftdichte der äußeren Kräfte pro Masseneinheit (z.B. der
Gravitationskräfte). Hinzu kommt noch eine Zustandsgleichung F ( , p) = 0,
mit deren Hilfe wir p oder in den Eulerschen Gleichungen eliminieren können.
Beispiele von Zustandsgleichungen sind p = K γ (K > 0, γ > 1 Konstanten)
für polytrope Gase und = const für inkompressible Flüssigkeiten.
(b) Die Gleichungen von Navier–Stokes für zähe, inkompressible Flüssig-
keiten lauten
∂v
3
∂v 1 μ
+ vi + ∇p − Δv = f , div v = 0 ;
∂t ∂xi
i=1
3
∂v
3
∂
vi ≈ 0, vi ≈ 0,
∂xi ∂xi
i=1 i=1
∂v p ( 0 ) ∂
+ ∇ = 0, + 0 div v = 0 ,
∂t 0 ∂t
und durch Ableitung beider Gleichungen nach der Zeit ergibt sich ÜA
∂2v ∂2
= c2 Δv , = c2 Δ mit c = p ( 0 ) .
∂t2 ∂t2
4 Die Schrödinger–Gleichung
(a) Der Bewegung eines Teilchens der Masse m unter dem Einfluß eines Poten-
tials V in der klassischen Mechanik entspricht in der Quantenmechanik folgen-
de Grundaufgabe.
Ê
Gegeben ist eine hinreichend glatte Funktion ψ0 : 3 →
mit | ψ0 (x) |2 d3 x = 1 . Gesucht ist eine komplexwertige Lösung ψ(x, t) der
Ê3
Schrödinger–Gleichung
∂ψ h̄2
(∗) ih̄ (x, t) = − Δψ(x, t) + V (x) ψ(x, t)
∂t 2m
mit ψ(x, 0) = ψ0 (x) . Durch Umskalierung der Orts– und Zeitkoordinate können
wir h̄ = m = 1 erreichen.
4 Die Schrödinger–Gleichung 25
(b) Die mit (∗) und mit ähnlichen Gleichungen der Quantenmechanik verbun-
denen Fragestellungen führen uns in die Theorie der linearen Operatoren im
Hilbertraum. Für (∗) legen wir den Raum
L2 = L2 ( Ê ) = {u : Ê
3 3
→ | | u(x) |2 d3 x < ∞}
Ê3
zugrunde, versehen mit dem Skalarprodukt
u, v = u(x) v(x) d3 x .
Ê3
Der Raum L2 ist vollständig, d.h. ist ein Hilbertraum, wenn wir den Lebesgue-
schen Integralbegriff verwenden. Das Lebesgue–Integral und seine Eigenschaften
werden in § 8 kurz vorgestellt; die Beweise und die Konstruktion weiterer Hil-
berträume der Quantenmechanik sind in § 20 zu finden.
Mit den Abkürzungen
∂ψ
ψt : x → ψ(x, t) , ψ̇t : x → (x, t)
∂t
erhält die auf h̄ = m = 1 skalierte Schrödinger–Gleichung (∗) die Form
u , Hv = Hu , v für u, v ∈ D.
(c) Das Anfangswertproblem für (∗∗) lautet: Gegeben sei eine Funktion ψ0 ∈ D
mit ψ0 2 = ψ0 , ψ0 = 1. Gesucht sind Funktionen ψt ∈ D mit
ψt+h − ψt
lim − (−iHψt ) = 0 für alle t ∈
h→0 h
(Lösungen von (∗∗) im Hilbertraumsinn). Besitzt dieses Problem eine eindeu-
tig bestimmte stetige Lösung t → ψt , → D für alle t ∈ , so heißt H ein
Schrödinger–Operator oder wesentlich selbstadjungiert. Dies trifft z.B. für das
Coulomb–Potential V (x) = x−1 und für V (x) = 12 x2 zu. Eine Grund-
aufgabe der mathematischen Quantenmechanik besteht darin, Kriterien für we-
sentliche Selbstadjungiertheit des Energieoperators“ H und anderer Hilber-
”
traumoperatoren anzugeben.
26 § 1 Beispiele für Differentialgleichungsprobleme
§ 2 Grundlegende Theorie
1 Das allgemeine Anfangswertproblem
1.1 Zielsetzung
Im ersten Band wurde eine Reihe von Differentialgleichungsproblemen behan-
delt, u.a. die Schwingungsgleichung ÿ + aẏ + by = f , die separierte Differen-
tialgleichung y = a(x) b(y) und lineare Systeme ÿ = By mit symmetrischer
Matrix B, jeweils mit geeigneten Anfangsbedingungen.
In allen Fällen ergab sich die eindeutige Lösbarkeit des Anfangswertproblems
aus dem Lösungsverfahren: Das Differentialgleichungsproblem konnte auf ein-
fachere Aufgaben zurückgeführt werden wie Aufsuchen einer Stammfunktion,
Auflösung einer Gleichung F (x, y) = 0, Bestimmung von Polynomnullstellen,
oder Diagonalisierung einer Matrix.
Nicht für jeden Differentialgleichungstyp gibt es solche Lösungsverfahren. Au-
ßerdem wollen wir Aussagen über qualitatives Verhalten und Gesetzmäßigkeiten
der Lösungen machen, ohne diese explizit bestimmen zu müssen. Aus beiden
Gründen bedarf es einer Theorie, welche für geeignet formulierte Anfangswert-
probleme die Existenz und Eindeutigkeit der Lösung sicherstellt und ihr Ver-
halten beschreibt.
bezeichnen.
Unter einer Lösung der Differentialgleichung (DG) y = f (x, y) verstehen
Ê
wir eine C1 –Kurve u : I → n auf einem nicht einpunktigen Intervall I mit
in Komponentenschreibweise
u1 (x) = f1 (x, u1 (x), . . . , un (x)) ,
..
.
un (x) = fn (x, u1 (x), . . . , un (x)) .
y = f (x, y) , y(ξ) = η .
u 1 : I1 → Ê n
, u2 : I2 → Ê n
Wir interessieren uns hier nur für eindeutig lösbare Anfangswertprobleme und
fassen die Voraussetzungen über die rechte Seite entsprechend.
Ê
Dabei sei f eine auf einem Gebiet Ω ⊂ n+1 stetige Funktion. Von einer Lösung
u in einem nicht einpunktigem Intervall I verlangen wir:
(a) u ∈ Cn (I),
(b) (x, u(x), u (x), . . . , u(n−1) (x)) ∈ Ω für x ∈ I,
(c) u(n) (x) = f (x, u(x), u (x), . . . , u(n−1) (x)) für x ∈ I.
Satz. Für jede Lösung u ∈ Cn (I) der DG y (n) = f (x, y, y , . . . , y (n−1) ) liefert
Ê
Ist umgekehrt u = (u1 , . . . , un ) : I → n eine C1 –differenzierbare Lösung von
(S), so ist u := u1 eine Cn –differenzierbare Lösung der Differentialgleichung
y (n) = f (x, y, y , . . . , y (n−1) ) ÜA .
Daraus ergibt sich die adäquate Form des Anfangswertproblems für eine
DG n–ter Ordnung:
Satz. Dieses AWP ist eindeutig lösbar genau dann, wenn das AWP (S) mit
der Anfangsbedingung y(ξ) = η eindeutig lösbar ist. Es handelt sich also um
äquivalente Problemstellungen.
Denn für u, v ∈ Cn (I) gilt u = v ⇐⇒ (u, u , . . . , u(n−1) ) = (v, v , . . . , v (n−1) ).
β β β
a(t) dt := a1 (t) dt , . . . , an (t) dt
α α α
(α, β ∈ I, auch für β < α). Bezüglich des kanonischen Skalarproduktes gilt
β β
(∗) b, a(t) dt = b , a(t) dt ,
α α
30 § 2 Grundlegende Theorie
wobei t → b , a(t) stetig ist. Auch a(t) ist stetig in t, und es gilt die
Integralabschätzung
β β
a(t) dt ≤ a(t) dt .
α α
(Die Betragsstriche auf der rechten Seite tragen der Möglichkeit β < α Rech-
nung.)
Dies ergibt sich für α < β aus (∗) mit der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung
β
und anschließendem Einsetzen von a(t) dt für b ÜA . Diese Integralabschät-
α
zung gilt auch bezüglich der Norm a∞ = max{|a1 |, . . . , |an |} ÜA .
y = f (x, y) , y(ξ) = η ,
wenn u : I → Ê n
stetig ist und die Integralgleichung
x
u(x) = η + f (t, u(t)) dt
ξ
Schreiben wir für die rechte Seite dieser Gleichung T (u)(x), so haben wir das
AWP auf eine einzige Fixpunktgleichung der Gestalt
u = T (u)
(a) Lineare Systeme y = A(x)y + b(x) . Hier muss zugelassen werden, dass
die Komponenten aik (x) der n × n–Matrix A(x) und die Komponenten bj (x)
von b(x) auf einem offenen Intervall I stetig sind. Dann erfüllt die rechte Seite
Ê
f (x, y) = A(x)y + b(x) auf Ω = I × n die Standardvoraussetzung.
(b) Autonome Systeme y = g(y) , bei denen die rechte Seite nicht explizit
Ê Ê
von x abhängt. Ist g : n ⊃ Ω → n eine C1 –Abbildung, so erfüllt die
Funktion f (x, y) := g(y) auf Ω := Ê
× Ω die Standardvoraussetzung. Auf
autonome Systeme gehen wir in § 5 näher ein.
erfüllt ist.
(b) Die Lipschitz–Bedingung für lineare Systeme y = A(x)y + b(x) .
Sind die Komponenten aik von A und bi von b stetig auf einem Intervall I
und setzen wir
n
n
1/2
A(x)2 := aik (x)2 ,
i=1k=1
vgl. Bd.1, § 21 : 7.2. Ist also J ein kompaktes Teilintervall von I und K = J × Ê n
,
so gilt f ∈ Lip (K, L) mit L = max{A(x)2 | x ∈ J}.
Gesucht ist eine Abschätzung für den Abstand (x) := u0 (x) − u(x) der bei-
den Lösungen in Abhängigkeit von den Abweichungen der Ausgangsdaten
f 0 − f , | ξ0 − ξ | , η 0 − η .
Dann ergibt sich aus der Fixpunktform 2.2 der beiden Anfangswertprobleme
4 Kontrolle und Eindeutigkeit von Lösungen 33
x x
(x) = u0 (x) − u(x) = η 0 + f 0 (t, u0 (t)) dt − η − f (t, u(t)) dt
ξ0 ξ
x
= η0 − η + f 0 (t, u0 (t)) − f 0 (t, u(t)) + f 0 (t, u(t)) − f (t, u(t)) dt
ξ
ξ
+ f 0 (t, u0 (t)) dt
ξ0
x
≤ η 0 − η + L u0 (t) − u(t) + ε1 dt + | ξ0 − ξ |M .
ξ
Beweis.
x
Wir setzen h(x) := ε0 + (L (t) + ε1 ) dt .
ξ
Die Funktion h ist stetig und es gilt (x) ≤ h(x). Zwar existiert h (ξ) nicht,
aber die Einschränkungen von h auf {x ∈ I | x < ξ} und {x ∈ I | x > ξ} sind
C1 –differenzierbar. Für x < ξ gilt
d Lt
e h(t) = L eLt h(t) + eLt h (t) ≥ − ε1 eLt .
dt
Integration von x bis ξ ergibt
ε1 Lx
eLξ ε0 − eLx h(x) = eLξ h(ξ) − eLx h(x) ≥ e − eLξ .
L
Daraus folgt
ε1 L(x−ξ)
(x) ≤ h(x) ≤ ε0 eL(x−ξ) + e −1 .
L
Der Fall x > ξ ergibt sich analog (Integration von d
dt
(e−Lt h(t)) von ξ bis x). 2
34 § 2 Grundlegende Theorie
y = f (x, y) , y(ξ) = η
Beweis.
Ê
Angenommen, für zwei Lösungen u0 : I → n, u : J → n dieses AWP gibt Ê
es ein s ∈ I ∩ J mit u0 (s) = u(s), o.B.d.A. s > ξ. Dann existiert
x0 := inf x > ξ u0 (x) = u(x) ,
Nach 3.2 (d) gibt es eine Lipschitzkonstante L für f in K. Aus 4.1 folgt mit
ξ = ξ0 := x0 , η = η 0 := y0 und f 0 := f (also ε1 = ε0 = 0)
x
(x) ≤ L (t) dt für x0 ≤ x < x0 + r .
x0
Nach dem Gronwallschen Lemma ergibt sich hieraus (x) = 0, d.h. u(x) =
u0 (x) für x0 ≤ x ≤ x0 + r, was im Widerspruch zur Wahl von x0 steht. 2
y = f (x, y) , y(ξ) = η,
Ê
d.h. es gibt eine eindeutig bestimmte Lösung u : I → n auf einem Intervall
I = [ξ − δ, ξ + δ] mit δ > 0 . Diese ist gleichmäßiger Limes der Picard–
Iterierten uk , gegeben durch die Iterationsvorschrift
u0 (x) = η ,
x
uk+1 (x) = η + f (t, uk (t)) dt für k = 0, 1, . . . .
ξ
5 Existenz von Lösungen 35
Beweis.
(a) Wahl von δ. Wir bestimmen zunächst r > 0, R > 0 so, dass der Zylinder
Z = (x, y) | x − ξ | ≤ r, y − η ≤ R
ganz in Ω liegt. Ist M = max{f (x, y) | (x, y) ∈ Z}, so wählen wir δ > 0 so,
dass δ ≤ r und δ M ≤ R.
Nun setzen wir
K := (x, y) | x − ξ | ≤ δ , y − η ≤ R
(L | x − ξ |)k (Lδ)k
(∗) uk+1 − uk ≤ R ≤ R .
k! k!
Also konvergiert jede Komponente von
k
uk+1 (x) = η + uj+1 (x) − uj (x)
j=0
36 § 2 Grundlegende Theorie
Damit ist u : I → Ê n
eine Lösung des AWP nach 2.2. 2
5.2 Aufgaben
(a) Sei n = 1 und f (x, y) = x |y| in Ê × Ê. Warum kann f in [−1, 1] × [−1, 1]
keine Lipschitz–Bedingung erfüllen?
(b) Das Anwachsen der Lösung. Mit den Bezeichnungen des Beweises 5.1
gilt u(x) − η ≤ R eL |x−ξ| . Begründung?
(c) Führen Sie die Picard–Iteration für das AWP
2 1
y1 = y2 , y2 = y1 , y1 (1) = 2 , y2 (1) = 1
x 2x
in Ê>0 × Ê durch. Es ergibt sich ein einfaches Resultat.
(d) Fehlerabschätzung für das Iterationsverfahren. Zeigen Sie mit Hilfe
der Fixpunktgleichung für die Lösung u und mittels Induktion, dass für die
Picard–Iterierte uk unter den Voraussetzungen 5.1 (a) Folgendes gilt:
|x − ξ|k+1
u(x) − uk (x) ≤ M Lk für |x − ξ| ≤ δ .
(k + 1)!
2 1 2
Lösung des AWP y = 1 + 3x + 4 y , y(0) = 0 auf dem Intervall
(e) Sei u die
I = − 2 , 2 . Geben Sie ein Polynom p an mit | u(x) − p(x) | ≤ 0.02 für x ∈ I.
1 1
aller Picard–Iterierten dort verbleiben. Nach 5.1 (a) lautet die Bedingung dafür
1
2
M (R) ≤ R, wobei
M (R) = max 1 + 3x2 + 14 y 2 | | x | ≤ 12 , | y | ≤ R .
y1 = 3
y
2 1
− 1
y
2 2
, y1 (0) = 2 ,
y2 = 1
y
2 1
+ 1
y
2 2
, y2 (0) = 0
durch. Nach wenigen Schritten erkennen Sie das Bildungsgesetz der Reihe für
y2 ; es ergibt sich eine einfache Formel für y2 . Aus der zweiten DG erhalten Sie
dann y1 . Vergleichen Sie den realen Fehler mit der Fehlerabschätzung (d).
Bemerkung. Die dem System zugrundeliegende Matrix A = 21 31 −11 ist
nicht diagonalähnlich; der Entkopplungsansatz von Bd. 1, § 18 : 5 führt hier nicht
zum Ziel. Weiteres zu linearen Systemen siehe § 3 Abschnitte 1 und 2.
y = f (x, y) , y(ξ) = η
für jeden Startpunkt (ξ, η) ∈ Ω genau eine Lösung x → ϕ(x, ξ, η) auf einem
maximalen Intervall J(ξ, η). Dieses Existenzintervall J(ξ, η) ist offen.
Ê
Für jede andere Lösung u : I → n des Anfangswertproblems gilt also
Wir nennen
Beweis.
Wir definieren J(ξ, η) als Vereinigung aller Lösungsintervalle, d.h. aller Inter-
valle I, für die ξ innerer Punkt ist und die Definitionsintervall einer Lösung
des AWP y = f (x, y), y(ξ) = η sind. Nach dem lokalen Existenzsatz gibt
es solche, und nach dem Eindeutigkeitssatz bestimmt jedes Lösungsintervall I
eindeutig eine dort definierte Lösung uI . Der Durchschnitt und die Vereinigung
zweier Lösungsintervalle I, J ist wieder eines, Letzteres wegen ξ ∈ I ∪ J. Daher
ist J(ξ, η) ein Intervall, d.h. für α, β ∈ J(ξ, η) mit α < β ist [α, β] ⊂ J(ξ, η)
38 § 2 Grundlegende Theorie
Als maximale Lösung muss ϕ eine Fortsetzung der lokalen Lösung z sein, somit
ist [x0 − δ, x0 + δ] in J(ξ, η) enthalten. 2
f (x, y) =
y
1 − x2
bzw. f (x, y) =
y2
1 − x2
in Ω = ] − 1, 1[ × Ê.
(b) Zeigen Sie: Die Lösung y(x) = y0 exp((x − 1) sin log(1 − x)) des AWP
in Ω = ]− ∞, 1[ × Ê
existiert für x < 1 und besitzt für x → 1− einen Grenz-
wert, während lim y (x) nicht existiert.
x→1−
Beweis.
(a) folgt unmittelbar aus (b).
(b) Sei u eine maximale Lösung auf dem nach 5.3 offenen Intervall I, deren
Graph die kompakte Menge K ⊂ Ω trifft.
Dann ist A := {x ∈ I | (x, u(x)) ∈ K} nicht leer und beschränkt, da K
beschränkt ist. Also existiert β := sup A. Haben wir β ∈ I gezeigt, so gibt es
Zahlen x ∈ I mit x > β, und für alle diese x gilt (x, u(x)) ∈ K.
Zum Nachweis von β ∈ I geben wir anschließend ein δ > 0 an mit
(∗) [ξ − δ, ξ + δ] ⊂ J(ξ, η) für jeden Punkt (ξ, η) ∈ K;
dabei ist J(ξ, η) gemäß 5.3 definiert. Da es nach Definition von β ein ξ ∈ A gibt
mit β − δ < ξ ≤ β, also β ∈ [ξ, ξ + δ[ , folgt dann β ∈ J(ξ, u(ξ)) = I.
Nachweis von (∗) : Für := 1
dist (K, ∂Ω) bzw. := 1 im Fall Ω = Ê n+1
ist
2
K := z ∈
Ê n+1
| dist (z, K) ≤
eine kompakte Teilmenge von Ω. Wir√setzen M := max{f (x, y) | (x, y) ∈ K }
und wählen δ > 0 so, dass M δ ≤ / 2. Für (ξ, η) ∈ K gilt
√ √
Z (ξ, η) := (x, y) | |x − ξ| ≤ / 2 , y − η ≤ / 2 ⊂ K (ξ, η) ⊂ K .
Dem Teil (a) des Existenzbeweises 5.1 entnehmen wir die Aussage (∗).
Entsprechend schließen wir, dass α := inf A ∈ I. 2
Beweis.
(a) Sei Ω = Ê×Ω
und f : Ω → Ê n
, (t, y) → g(y) .
Ê
Angenommen, ϕ(t, η) sei nicht für alle t ≥ 0 definiert, also J(η) ∩ + = [0, T [.
Dann bleiben die Punkte (t, ϕ(t, η)) für 0 ≤ t < T in der kompakten Teilmenge
K = [0, T ] × K von Ω, und nach 6.1 (a) ließe sich ϕ(x, η) auf ein Intervall
[0, T + δ[ fortsetzen im Widerspruch zur Wahl von T .
(b) ergibt sich analog; (c) folgt aus (a) und (b). 2
u̇(t) = α u(t) ,
so wächst die Population nach dem Exponentialgesetz u(t) = u(0) eαt . Ein sol-
ches Wachstum ist unrealistisch, denn mit wachsender Populationszahl gehen
irgendwann die Ressourcen zu Ende.
6 Zum Definitionsintervall maximaler Lösungen 41
6.5 Beispiel
Wir betrachten für r = x2 + y 2 > 0 das System
x y
ẋ = − y + r (1 − r 2 ) , ẏ = x + r (1 − r 2 ) .
Eine leichte Rechung ÜA zeigt
1
ṙ = r (xẋ + y ẏ) = 1 − r 2 längs jeder Lösung t → (x(t), y(t)) .
42 § 2 Grundlegende Theorie
Jede mit 0 < r(0) < 1 startende Lösung v kann die Einheitskreislinie nicht
treffen: Aus v(t2 ) = u(t1 ) würde folgen v(t + t2 ) = u(t + t1 ) für alle t, vgl. 6.3.
Wegen ṙ > 0 existiert sie daher nach dem Fortsetzungssatz 6.3 mindestens für
t∈ + Ê
Aufgabe. (a) Zeigen Sie, dass auch die außerhalb des Einheitskreises star-
tenden Lösungen für alle t ≥ 0 existieren. (Beachten Sie: ṙ(t) < 0.)
(b) Zeigen Sie analog zu 6.4, dass lim r(t) = 1.
t→∞
Für linear beschränkte Systeme gilt immer J(ξ, η) = I, d.h. die Lösung ist so
weit definiert, wie es die rechte Seite überhaupt zulässt.
Beweis.
Für u(x) = ϕ(x, ξ, η) gilt
x x
u(x) = η + f (t, u(t)) dt ≤ η + f (t, u(t)) dt
xξ
ξ
≤ η + (a(t)u(t) + b(t)) dt
ξ
x
≤ B(x) + A(x) u(t) dt
ξ
mit
x
B(x) = η + b(t) dt , A(x) = max a(t) | | t − ξ | ≤ | x − ξ | .
ξ
Sei [ξ, β] ein kompaktes Teilintervall von I. Wir zeigen [ξ, β] ⊂ J(ξ, η). Offenbar
ist
Wir setzen C(β) := B(β) exp A(β) (β − ξ) . Aus
x
u(x) ≤ B(β) + A(β) u(t) dt für x ∈ [ξ, β] ∩ J(ξ, η)
ξ
yk (x) = ϕ(x, ξ, ek ) (k = 1, . . . , n) ,
y = A(x)y , y(ξ) = ek .
Die Matrix Y (x, ξ) mit den Spalten y1 (x), . . . , yn (x) wird die kanonische Fun-
damentalmatrix an der Stelle ξ genannt. Offenbar gilt
n
ϕ(x, ξ, η) = Y (x, ξ)η = ηk yk (x) .
k=1
y = f (x, y) , y(ξ) = η
y = f (x, y, λ) , y(ξ) = η
bezeichnen wir mit x → ϕ(x, ξ, η, λ), ihr Definitionsintervall mit J(x, η, λ).
Satz. (a) Ωf := (x, ξ, η, λ) ∈ Ên+m+2 (x, η, λ) ∈ Ω , x ∈ J(x, η, λ) ist
ein Gebiet, und
(b) ϕ(x, ξ, η, λ) ist dort C1 –differenzierbar nach allen Variablen.
(c) Hängen f , Dy f und Dλ f in Ck –differenzierbarer Weise von allen Variablen
ab, so ist ϕ(x, ξ, η, λ) sogar Ck+1 –differenzierbar.
Das ergibt sich unmittelbar aus 7.1, wenn wir das erweiterte AWP
y = f (x, y, z) , y(ξ) = η ,
z = 0, z(ξ) = λ
betrachten. (u(x), v(x)) ist genau dann Lösung dieses Problems, wenn u das
Originalproblem löst und v(x) der konstante Vektor λ ist.
46 § 2 Grundlegende Theorie
ϕ(x, ξ, η) = η ex−ξ . K
(1) Nach 3.2 (d) gibt es ein 0 > 0, so dass der 0 –Schlauch um u über dem
Intervall J ganz in Ω liegt:
K := (x, y) | x ∈ J , y − u(x) ≤ 0 ⊂ Ω,
Das heißt aber: Entfernt sich x von ξ, so können die Punkte (x, ϕ(x, ξ, η))
die Mantelfläche von K nicht treffen. Nach dem Fortsetzungsprinzip 6.2 folgt
J(ξ, η) ⊃ J ⊃ I.
Der Rest von (c) folgt aus (x) < ε0 eL γ mit ε0 = η − η 0 + M | ξ − ξ0 |.
(5) Ωf ist offen, und ϕ ist dort stetig. Sei (x0 , ξ0 , η 0 ) ∈ Ωf . Wir wählen ein
kompaktes Intervall I = [α, β] ⊂ J(ξ0 , η 0 ) mit x0 , ξ0 ∈ I und dazu δ, r, R, κ
wie oben. Für | x − x0 | < r, | ξ − ξ0 | < r und η − η 0 < R ist zunächst
◦
(ξ, η) ∈ K ⊂ Ω nach (3) und x ∈ J ⊂ J(ξ, η) nach (4); somit ist (x, ξ, η) ∈ Ωf .
Ferner gilt
Ist t → u(t), v(t) ein Weg, der die Punkte (ξ, η), (ξ1 , η 1 ) in Ω verbindet,
so liefert t → u(t), u(t), v(t) einen Verbindungsweg in Ωf von (ξ, ξ, η) nach
(ξ1 , ξ1 , η 1 ). 2
Ersteres folgt aus (c) wegen η + h − η 0 < R, | ξ + k − ξ0 | < r. Für die zwei-
te Behauptung betrachten wir w(x) = ϕ(x, ξ + k, η + h) − ϕ(x, ξ, η). Dann
ergibt sich wie in (3)
= ϕ(ξ, ξ + k, η + h) − ϕ(ξ + k, ξ + k, η + h) + h
∂ϕ ∂ϕ
v(x) := (x, ξ, η) , wk (x) := (x, ξ, η) (k = 1, . . . , n)
∂ξ ∂ηk
7 Differenzierbarkeitseigenschaften von Lösungen 49
in Ωf und sind diese dort stetig, so erfüllen sie die Variationsgleichung längs
x → ϕ(x, ξ, η) mit den Anfangsbedingungen
v(ξ) = − f (ξ, η) ,
wk (ξ) = ek (k = 1, . . . , n) .
folgt nach dem Satz über Parameterintegrale und der Kettenregel ÜA
∂ϕ x ∂ϕ
(x, ξ, η) = ek + Dy f (t, ϕ(t, ξ, η)) (t, ξ, η) dt
∂ηk ξ
∂ηk
und
∂ϕ x ∂ϕ
(x, ξ, η) = − f (x, ϕ(x, ξ, η)) + Dy f (t, ϕ(t, ξ, η) (t, ξ, η) dt .
∂ξ ξ
∂ξ
y = Dy f (x, ξ, η) y .
∂ϕ ∂ϕ
(x, ξ, η) = Y (x, ξ, η)ek , (x, ξ, η) = − Y (x, ξ, η) f (ξ, η) .
∂ηk ∂ξ
Wir haben also für einen festen Anfangspunkt (ξ, η) zu zeigen, dass
Lässt sich noch zeigen, dass die Limites gleichmäßig in einem noch zu präzi-
sierenden Sinn existieren, so sind die partiellen Ableitungen von ϕ stetig.
50 § 2 Grundlegende Theorie
und
J ⊂ J(ξ + k, η + h) ,
R(x, y, z) < ε z − y für alle (x, y), (x, z) ∈ K mit z − y < δ .
Denn nach dem Mittelwertsatz für die k–te Komponente Rk von R gibt es zu
je zwei Punkten (x, y), (x, z) ∈ K ein ϑ ∈ ]0, 1[ mit
Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von ∇fk auf K gibt es zu jedem ε > 0 ein
δ ∈ ]0, 0 [, so dass für (x, w), (x, y) ∈ K mit w − y < δ
∇fk (x, w) − ∇fk (x, y) ≤ √ε (k = 1, . . . , n) .
n
x
(1) u(x) := ϕ(x, ξ, η) , also u(x) = η + f (t, u(t)) dt ,
ξ
x
(2) v(x) := ϕ(x, ξ, η + h) , also v(x) = η + h + f (t, v(t)) dt ,
ξ
Nach dem in (a) beschriebenen Programm gilt es, zu ε > 0 ein Δ > 0 und eine
Konstante C zu finden mit r(x, h) < ε C h, sobald h < Δ < 12 R. Nun ist
mit den Bezeichnungen (c) und wegen der Darstellungen (1), (2), (5)
x
r(x, h) = f (t, v(t)) − f (t, u(t)) − A(t) w(t) dt
ξ
x x
= R(t, u(t), v(t)) dt + A(t) r(t, h) dt .
ξ ξ
r(x, h) < εκγ h eLγ =: ε C h für h < Δ .
∂ϕ
(e) Stetigkeit von ∂ηj
. Die zuletzt gegebene Abschätzung gilt für alle (x, ξ, η)
mit | x − x0 | < 1
2
r, | ξ − ξ0 | < 12 r, η − η 0 < 12 R gleichmäßig. Setzen wir
52 § 2 Grundlegende Theorie
1
f m (x, ξ, η) := m ϕ(x, ξ, η + 1
m
ej ) − ϕ(x, ξ, η) für m < Δ,
so sind die f m im genannten Gebiet stetig und konvergieren dort gleichmäßig
gegen Dy f (x, ξ, η) ej , was die Stetigkeit dieses Limes in genannten Bereich zur
Folge hat.
(f) Die C1 –Differenzierbarkeit von ϕ bezüglich ξ ergibt sich analog. Für festes
(ξ, η) aus dem obengenannten Bereich setzen wir diesmal
x
v(x) := ϕ(x, ξ + k, η) = η + f (t, v(t)) dt ,
ξ+k
x
w(x) := − k Y (x) f (ξ, η) = −k f (ξ, η) + A(t) w(t) dt
ξ
und wollen jetzt für s(x, k) := v(x) − u(x) − w(x) zeigen, dass es zu gegebenem
ε > 0 ein δ > 0 und Konstanten C1 , C2 gibt mit
x x
ξ+k
= R(t, u(t), v(t)) dt + A(t) s(t, k) dt + (f (ξ, η) − f (t, v(t))) dt .
ξ ξ ξ
Die beiden ersten Integrale schätzen wir wie in (d) ab, für das dritte beachten
wir, dass
f (ξ, η) − f (t, v(t)) ≤ f (ξ, η) − f (t, η) + L η − v(t)
(∗∗)
< ε + u(ξ) − u(t) + u(t) − v(t)
≤ ε + L (M + κ) k .
(Detaillierte Ausführung als ÜA .) Die Stetigkeit von ∂ϕ/∂ξ ergibt sich wie in
(e). 2
y = f (x, y) , y(ξ) = η ,
z = Dy f (x, y) z , z(ξ) = ζ ,
Ê
wobei F(x, y, z) := f (x, y) , Dy f (x, y) z auf Ω × n Ck –differenzierbar ist.
Die Lösung bezeichnen wir mit x → Φ(x, ξ, η, ζ) ; sie ist nach Induktionsvor-
aussetzung Ck+1 –differenzierbar in allen Variablen. Nach 7.1 ist aber
∂ϕ
Φ(x, ξ, η, ei ) = ϕ(x, ξ, η), ∂ηi
(x, ξ, η) für i = 1, . . . , n,
ϕ
Φ(x, ξ, η, −f (ξ, η)) = ϕ(x, ξ, η), ∂∂ξ (x, ξ, η) .
für alle z ∈ mit | z | < r und stellen dort holomorphe Funktionen dar (Bd. 1,
§ 27). Mit diesen Funktionen bilden wir A(z), b(z).
z 1
V (z) = v(w) dw = z v(tz) dt
0 0
d.h. statt
x
u0 (x) = η , un+1 (x) = η + A(t) un (t) + b(t) dt
0
(Bd. 1, § 27 : 5.3). Für −r < x < r löst aber u(x) nach 5.1 das AWP
1 Lineare Systeme
1.1 Die Struktur des Lösungsraums
Lb bezeichne die Gesamtheit der maximalen Lösungen des linearen Systems
y = A(x) y + b(x) ,
bei dem die Koeffizienten aij (x) der n × n–Matrix A(x) und die Komponenten
bk (x) von b(x) in einem Intervall I stetig seien. Nach § 2 : 6.7 sind die maximalen
Lösungen auf ganz I definiert. (I braucht nicht offen zu sein.)
Satz. (a) Die Lösungsmenge L0 des homogenen Systems
y = A(x) y
Ê
ist ein n–dimensionaler Teilraum von C1 (I, n). Jede Basis von L0 wird ein
Fundamentalsystem genannt. Lösungen u1 , . . . , un von y = A(x) y bilden
genau dann ein Fundamentalsystem, d.h. sind als Vektorfunktionen linear un-
abhängig, wenn für ein beliebiges ξ ∈ I die Vektoren u1 (ξ), . . . , un (ξ) des n Ê
linear unabhängig sind.
(b) Die Lösungsmenge Lb des inhomogenen Systems
y = A(x) y + b(x)
ist ein affiner Teilraum von C1 (I, Ê n
): Ist v eine spezielle (partikuläre) Lösung
des inhomogenen Systems, so gilt
Lb = v + L0 := {v + u | u ∈ L0 } .
Beweis.
Ê
(a) Die Abbildung T : L0 → n, u → u(ξ) ist linear und nach dem Existenz–
und Eindeutigkeitssatz bijektiv. Daher werden durch T und T −1 jeweils Basen
auf Basen abgebildet.
Ê Ê
(b) Die Abbildung L : C1 (I, n ) → C(I, n ), y → y − A y ist linear. Daher
folgt die Behauptung aus der Theorie linearer Gleichungen, wenn noch berück-
sichtigt wird, dass die Gleichung Ly = b nach § 2 : 6.7 (a) eine auf ganz I
definierte Lösung hat. 2
Beweis.
(c) ergibt sich aus Y (x, ξ) η = η1 ϕ(x, ξ, e1 ) + . . . + ηn ϕ(x, ξ, en ).
(d) U (x) habe die Spalten u1 (x), . . . , un (x). Nach 1.1 (a) ist U (ξ) invertierbar.
Sei U (ξ)−1 ek = a = (a1 , . . . , an ). Dann ist die k–te Spalte von U (x) U (ξ)−1 ,
eine Lösung des homogenen Systems. Diese nimmt für x = ξ den Wert ek an.
Somit ist U (x) U (ξ)−1 ek = ϕ(x, ξ, ek ). 2
die Wronski–Determinante.
(b) Die Wronski–Determinante genügt der DG W (x) = (Spur A(x)) W (x).
Nach Band 1, §13 : 1.2 gilt daher
x
W (x) = W (ξ) exp (a11 (t) + . . . + ann (t)) dt f ür x, ξ ∈ Ê.
ξ
Beweis.
(b) Es gilt
n
W (x) = Wk (x) ,
k=1
wobei Wk (x) aus W (x) durch Differentiation der k–ten Zeile entsteht. Für n = 2
folgt das mit der Produktregel. Der Schluss von n auf n + 1 geschieht durch
1 Lineare Systeme 57
Entwicklung nach der ersten Zeile ÜA . Bezeichnen wir die i–te Komponente
von yk (x) mit yik (x), so folgt aus der DG (wir lassen die Argumente fort)
a11 y11 + . . . + a1n yn1 ... a11 y1n + . . . + a1n ynn
y21 ... y2n
W1 = .. .. .
. .
y ... ynn
n1
Wir multiplizieren für k = 2, . . . , n die k–te Zeile mit a1k und subtrahieren sie
von der ersten. Da W1 sich hierbei nicht ändert, erhalten wir
a11 y11 ... a11 y1n
y21 ... y2n
W1 = . .. = a11 W .
.. .
y ... ynn
n1
v(x) = U (x)c(x)
Ê
mit einer C1 –Funktion c : I → n (Variation der Konstanten, vgl. Bd. 1,
§ 13 : 1.3). Eine leichte Rechnung zeigt: Genau dann liefert dieser Ansatz eine
Lösung, wenn U (x) c (x) = b(x). Daher ist durch die Formel
x
v(x) := U (x) U (t)−1 b(t) dt
ξ
eine Lösung des inhomogenen Systems mit v(ξ) = 0 gegeben. Da diese eindeu-
tig bestimmt ist, hat die rechte Seite dieser Formel für jede Fundamentalma-
trix denselben Wert. Insbesondere gilt für die kanonische Fundamentalmatrix
Y (x, ξ) von 1.2 (b)
x x
v(x) = Y (x, ξ) Y (t, ξ)−1 b(t) dt = Y (x, ξ)Y (t, ξ)−1 b(t) dt .
ξ ξ
Aus dem Beweis § 2 : 5.1 ergibt sich ϕ(t, η) − un (t) → 0 gleichmäßig auf
jedem kompakten Intervall I = [−δ, δ] . Dies folgt, wie ein kurzer Blick zeigt,
wenn wir im dortigen Beweisteil (c) L := A2 und R := max{u1 (x) − η |
x ∈ I} setzen. Wählen wir η = ei , so erhalten wir als Lösung die i–te Spalte
ϕ(t, ei ) der kanonischen Fundamentalmatrix an der Stelle 0. Damit haben wir
∞
tk
n
tk
ϕ(t, ei ) = k! Ak ei = lim Ak ei .
k=0 n→∞ k=0 k!
−1
Aus (c) ergibt sich ÜA etA = e−tA .
Sowohl v als auch w lösen das AWP ẏ = Ay, y(0) = etA η, stimmen also nach
dem Eindeutigkeitssatz überein:
z(t) = etA η ,
60 § 3 Allgemeine lineare Theorie
Beweis.
(a) Eine Durchsicht des Existenzbeweises (§ 2 : 5.1) und des Eindeutigkeitsbe-
weises (§ 2 : 4.3) zeigt die Übertragbarkeit auf den komplexen Fall ÜA .
(b) verläuft wörtlich wie der Beweis von 1.5 (c).
(c) u(t) = et(A−λE) η löst das AWP u̇(t) = (A − λE)u(t), u(0) = η. Ferner
gilt für v(t) = eλt u(t)
T n+m n
=T T m
=T T m n
für n, m ∈ 0 = {0, 1, 2, . . .} .
p(T ) := a0 T 0 + a1 T + . . . + an T n .
Beweis.
Da es eine Basis für V aus Eigenvektoren von T gibt, ist
p(x) = (x − λ1 ) · · · (x − λr )
= (x − λ1 ) · · · (x − λk−1 )(x − λk+1 ) · · · (x − λr )(x − λk )
ein annullierendes Polynom: Für jeden Eigenvektor v zum Eigenwert λk ist
p(T ) v = (T − λ1 ) · · · (T − λr )(T − λk ) v = 0 .
62 § 3 Allgemeine lineare Theorie
Also wird p von mT geteilt. Lassen wir in p einen Linearfaktor weg, z.B. den
ersten, so ist das Restpolynom nicht mehr annullierend:
Es sei z.B. q(x) = (x − λ2 ) · · · (x − λr ) und v ein Eigenvektor zum Eigenwert
λ1 . Dann ist
q(T ) v = (T − λ2 ½) · · · (T − λ1 ½ + (λ1 − λr )½) v
= (T − λ2 ½) · · · (T − λr−1 ½)(λ1 − λr ) v
= (λ1 − λ2 ) · · · (λ1 − λr ) v = 0 . 2
V = V1 ⊕ · · · ⊕ Vr ,
v = v1 + . . . + vr
mit
v1 ∈ V1 , . . . , vr ∈ Vr
besitzt.
(b) Ist T ∈ L (V ) ein linearer Operator, V = V1 ⊕ · · · ⊕ Vr , und sind alle
direkten Summanden Vk T –invariant, T (Vk ) ⊂ Vk , so sind die Einschränkungen
Tk von T auf Vk lineare Operatoren Tk : Vk → Vk .
T wird so in kleinere Bausteine T1 , . . . , Tr zerlegt.
Ê
Beispiel: Drehungen im 3 . Ist V1 = Span {u} die Drehachse und V2 der zu
u orthogonale Teilraum, so gilt V = V1 ⊕ V2 , und T1 ist die Identität auf V1 ,
während T2 eine ebene Drehung ist.
Beweis.
(i) Es gilt p = p1 q , wobei p1 und q = p2 · · · pr teilerfremd sind. Nach Bd. 1,
§ 3 : 7.9 gibt es also Polynome r und s mit 1 = q r + p1 s , somit folgt nach 2.2
mit p1 (T ) v1 = (p1 q)(T )(r(T )v) = p(T )(r(T ) v) = 0, q(T ) v2 = p(T )(s(T ) v) = 0,
d.h. es gilt v1 ∈ V1 := Kern p1 (T ) und v2 ∈ W := Kern q(T ).
(ii) v1 und v2 sind durch v eindeutig bestimmt:
Aus v = u1 + u2 = v1 + v2 mit u1 , v1 ∈ V1 und u2 , v2 ∈ W folgt v1 − u1 =
u2 − v2 ∈ W , also v1 − u1 ∈ V1 ∩ W . Aus (∗) folgt
Beweis.
(a) Ist λ eine k–fache Nullstelle von mT , so gilt
mT (x) = (x − λ)k q(x) mit q(λ) = 0 .
Das ist eine Zerlegung in teilerfremde Faktoren. Nach 2.5 (b) folgt
V = Kern (T − λ½)k ⊕ Kern q(T ) ,
wobei (x − λ)k das Minimalpolynom der Einschränkung T1 von T auf den inva-
rianten Teilraum V1 = Kern (T − λ½)k ist. Wegen (T − λ½V1 )k−1 = 0 gibt es
ein v1 ∈ V1 mit
v := (T − λ½)k−1 v1 = 0 und T v − λv = (T − λ½)k v1 = 0 ,
d.h. v ist Eigenvektor zum Eigenwert λ.
(c) Die Richtung =⇒ “ wurde in 2.3 (iii) gezeigt. Die Richtung ⇐=“ ergibt
” ”
sich wie folgt: Aus
mT (x) = (x − λ1 ) · · · (x − λr ) folgt mit 2.5
V = Kern (T − λ1 ½) ⊕ · · · ⊕ Kern (T − λr ½) ,
d.h. jeder Vektor v ∈ V ist Linearkombination von Eigenvektoren.
Sei umgekehrt T v = λv mit v = 0. Division mit Rest ergibt
mT (x) = (x − λ) q(x) + r mit geeignetem r ∈ , also
0 = mT (T ) v = q(T ) ((T − λ )v) + r v = r v ,
somit r = 0 .
(b) Sei A eine beliebige n × n–Matrix. Wir gehen ins Komplexe und betrachten
y → Ay als Operator T des n . Hier zerfällt das Minimalpolynom in Line-
arfaktoren: mT (x) = (x − λ1 )k1 · · · (x − λr )kr mit paarweise verschiedenen
λ1 , . . . , λr ∈ . Sei
n
= V1 ⊕ · · · ⊕ Vr mit Vj = Kern (T − λj )kj
die nach 2.5 existierende zugehörige direkte Zerlegung. Wir betrachten einen
Summanden Vj , schreiben zur Abkürzung λ = λj , k = kj , V = Kern (A − λE)k .
Aus (a) folgt, dass die algebraische Vielfachheit von λ gleich der Dimension von
V ist. Wir zeigen k < dim V , indem wir k linear unabhängige Vektoren in V
angeben, nämlich wie oben einen Vektor v1 ∈ V mit w := (T − λ )k−1 v1 = 0
und
v2 := (T − λ )v1 , . . . , vk := (T − λ )vk−1 = (T − λ )k−1 v1 .
k
Aus dem Verschwinden einer Linearkombination v = αj vj ergibt sich dann
j=1
0 = (T − λ )k−1 v = α1 w, 0 = (T − λ )k−2 v = α2 w usw., also α1 = 0,
α2 = 0, . . . , αk = 0. 2
2 Zur algebraischen Bestimmung von etA 65
v = q1 (T ) s1 (T ) v + . . . + qr (T ) sr (T ) v = v1 + . . . + vr .
Offenbar gilt (T − λj )kj vj = 0. Also haben wir hiermit eine und damit die
einzige Zerlegung im Sinne des Zerlegungssatzes gefunden.
66 § 3 Allgemeine lineare Theorie
3.2 Lösungstheorie
(a) Das Anfangswertproblem
(e) Kennen wir ein Fundamentalsystem für Lu = 0, so lassen sich die Lösun-
gen der inhomogenen DG Lu = f mit Hilfe der Variation der Konstanten (1.4)
explizit darstellen.
Beweis.
(a) Die Gesamtheit L0 = Kern L aller komplexen Lösungen von Lu = 0 ist
ein n–dimensionaler Vektorraum über ( ÜA mit 3.2 (b)). Für u ∈ L0 gilt
offenbar u ∈ Cn+1 () und Lu = 0 , also ist durch u → Du = u ein linearer
Operator D : L0 → L0 gegeben. Statt Lu = 0 können wir auch p(D)u = 0
schreiben. Somit ist p ein annullierendes Polynom für D. Wir zeigen, dass p das
Minimalpolynom von D ist. Denn für ein Polynom q vom Grad m < n ist der
Lösungsraum von q(D)u = 0 nur m–dimensional. Sei
ist. Wie im Reellen ergibt sich u durch Variation der Konstanten ÜA :
t ck−1 k
u(t) = eλt u0 + v(s) e−λs ds = eλt u0 + c0 t + . . . + t .
0
k
∂2U 1 ∂U 1 ∂2U
(D) 2
+ + 2 = 0 (0 < r < 1, 0 < ϕ < 2π) .
∂r r ∂r r ∂ϕ2
Von Interesse sind nur 2π–periodische, für r → 0 stetige Lösungen. Die Sepa-
rationsmethode besteht darin, zunächst alle Lösungen in Produktgestalt
zu bestimmen und dann zu zeigen, dass sich jede beliebige Lösung von (D) aus
solchen Produktlösungen durch eine Reihe aufbauen lässt. Für nicht verschwin-
dende Produktlösungen ergibt sich aus (D)
mit einer Konstanten λ gelten. Damit haben wir die partielle Differentialglei-
chung (D) in zwei gewöhnliche lineare Differentialgleichungen separiert“.
”
Wegen der notwendigen 2π–Periodizität von v(ϕ) hat die DG für v genau dann
nichttriviale Lösungen, wenn λ = n2 mit n ∈ 0 = {0, 1, 2, . . .}. Die DG für u
hat, wie sich in 2.4 ergibt, für λ = n2 die allgemeine Lösung
(
α + β log r für n = 0 ,
u(r) = n −n
αr + β r für n = 1, 2, . . . .
− ((1 − x2 ) u ) = λ u ,
ν2
−(x u ) + u = λxu ,
x
2 2
−(e−x u ) = λ e−x u .
2.2 Fundamentalsysteme
Der Lösungsraum L0 der homogenen Differentialgleichung Lu = 0 ist ein zwei-
dimensionaler Teilraum von C2 (I).
Zwei Lösungen u1 , u2 bilden genau dann ein Fundamentalsystem, wenn p W
eine von Null verschiedene Konstante ist.
Das folgt aus § 3 : 3.2 zusammen mit dem oben Gesagten.
2.4 Aufgaben
(a) Gegeben sei die Eulersche Differentialgleichung
x2 u (x) + xu (x) = n2 u(x) für x > 0 (n = 0, 1, . . . ein Parameter).
Hinweis: Zeigen Sie mit Hilfe der Lagrange–Identität (u/u0 ) (x) ≥ 0 für x < ξ
und (u/u0 ) (x) ≤ 0 für x > ξ.
2.6 Nullstellenvergleichssatz
Seien u, v Lösungen der Differentialgleichungen
− (pu ) + qu = 0 , − (pv ) + q0 v = 0 in I
und es gelte q(x) < q0 (x) für alle x ∈ I. Sind dann α < β aufeinander Folgende
Nullstellen von v in I, so hat u eine Nullstelle in ]α, β[.
74 § 4 Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung
Beweis.
Wir setzen W := uv − u v und Lw := −(pw ) + q0 w. Angenommen, u
hat in ]α, β[ keine Nullstellen. Dann können wir o.B.d.A. u, v > 0 in ]α, β[
annehmen und erhalten u(α), u(β) ≥ 0, v (α) > 0, v (β) < 0 nach 2.5, woraus
(p W )(α) = p(uv − u v)(α) ≥ 0 folgt. Die Lagrange–Identität liefert
Hieraus folgt 0 < (p W )(β) = p (uv − u v)(β) = (puv )(β), was u(β) ≥ 0,
v (β) < 0 widerspricht. 2
2.8 Aufgabe
Schätzen Sie den Abstand aufeinander Folgender Nullstellen einer Lösung u = 0
der DG −u +(x−2 −1) u = 0 im Intervall ]r, ∞[ (r 1) nach oben und unten
ab.
u + Gu + H u = 0 in I ,
(a) Wählen wir als Entwicklungspunkt x0 = 0, so wissen wir nach 3.1, dass
jede Lösung u eine für | x | < 1 konvergente Potenzreihenentwicklung besitzt,
die wir in der Form
∞
ak
u(x) = xk
k!
k=0
insbesondere
a2 = −λa0 , a3 = (2 − λ)a1 .
für | x | < 1 gegen die eindeutig bestimmte Lösung der Legendreschen DG mit
den Anfangsbedingungen u(0) = a0 , u (0) = a1 .
(b) Nichttriviale Polynomlösungen existieren genau dann, wenn λ = n(n + 1)
mit n ∈ {0, 1, 2, . . .}.
Darstellungen für diese geben wir in (c) an.
76 § 4 Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung
Beweis.
Ist u eine Polynomlösung mit Grad (u) = n, so folgt aus an+2 = 0, an = 0
sofort 0 = an+2 = (n(n + 1) − λ)an , also λ = n(n + 1). Aus 0 = an+1 =
(n(n − 1) − λ)an−1 mit λ = n(n + 1) folgt an−1 = 0 für n ≥ 1.
Durch Rückwärtsverfolgen der Rekursionsformeln erhalten wir ÜA
0,
a0 = a1 = a3 = . . . = an−1 = 0 für gerades n ,
a1 = 0, a0 = a2 = . . . = an−1 = 0 für ungerades n .
Umgekehrt: Ist λ = n(n + 1) mit n ∈ , so liefern die Anfangsbedingungen
0
u(0) = a0 = 1 , u (0) = a1 = 0 für gerades n bzw.
u(0) = a0 = 0 , u (0) = a1 = 1 für ungerades n
jeweils Lösungen der Gleichung
(1 − x2 ) u − 2 x u + n(n + 1) u = 0
in Form von Polynomen n–ten Grades. 2
(c) Wählen
wir für die Polynomlösung n–ten Grades als höchsten Koeffizienten
an = 21n 2n
n
, so ergibt sich ÜA
1 n 2n − 2k
Pn (x) = (−1)k xn−2k (n = 0, 1, 2, . . .) .
2n k n
0≤2k≤n
Wir zeigen in § 15 : 3.4, dass dies die in Bd. 1, § 19 : 3.3 eingeführten Legendre–
Polynome sind, gekennzeichnet durch die Orthonormalitätsrelation
1 n −1
Pm (x) Pn (x) dx = 1 + 2
δmn .
−1
entwickeln Sie ξ m = (t2 − 2xt)m nach der Binomialformel, und ordnen Sie die
entstehende Doppelreihe nach Potenzen tn . Beachten Sie, dass definitionsgemäß
α
β
= 0 für β ∈ 0 , α ∈ , α < β.
(e) Es gelten die Rekursionsformeln
(n + 1) Pn+1 (x) = (2n + 1) x Pn (x) − n Pn−1 (x) f ür n = 1, 2, . . . .
Ausgehend von P0 (x) = 1, P1 (x) = x ermöglichen diese eine einfache Berech-
nung der Legendre–Polynome.
Beweis als ÜA : Differenzieren Sie die Reihe in (d) nach t, multiplizieren Sie
dann die entstehende Gleichung mit 1 − 2xt + t2 , und nehmen Sie Koeffizien-
tenvergleich vor.
Durch Induktion folgt unmittelbar Pn (1) = 1.
f ür x ∈ , |t| 1 .
2 Hn (x)
e−t +2tx
= tn
n!
n=0
78 § 4 Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung
2 2 2 2
∞
ξ2m
Beweis als ÜA : Mit ξ := t − x gilt e−t +2xt
= ex e−ξ = ex (−1)m m!
.
m=0
Entwickeln Sie ξ 2m = (t − x)2m nach der Binomialformel, und ordnen Sie die
entstehende Doppelreihe nach den Potenzen tn .
(d) Es gelten die Formel von Rodrigues
2 dn −x2
Hn (x) = (−1)n ex e .
dxn
und die Rekursionsformeln
Hn+1 (x) = 2 x Hn (x) − 2 n Hn−1 (x) für n = 1, 2, . . . .
Beweis als ÜA : Beachten Sie für die Formel von Rodrigues, dass nach (c) mit
ξ =t−x
dn −t2 +2tx 2 d
n 2
Hn (x) = n
e = (−1)n ex n
e−ξ ξ=x
dt t=0 dξ
gilt. Die Rekursionsformeln ergeben sich durch Differentiation der Reihendar-
stellung (c) nach t und Koeffizientenvergleich.
(d) Satz. Eine Lösung u der Hermiteschen DG ist genau dann ein Polynom,
wenn
+∞
2
e−x u(x)2 dx < ∞ .
−∞
Beweis.
1 2
(i) Zu jeder Polynomlösung u gibt es eine Konstante C mit e− 2 x u(x)2 ≤ C
Ê −1 2
für alle x ∈ . Also liefert C e 2 eine Majorante für den Integranden.
x
(ii) Die Lösung u sei kein Polynom. Aus (b) folgt λ = 2n für n = 0, 1, . . . . Wir
zerlegen u in den geraden und den ungeraden Anteil,
∞
x2k
∞
x2k+1
u(x) = a2k + a2k+1 = u0 (x) + x u1 (x) .
(2k)! (2k + 1)!
k=0 k=0
)
n−1
a2n = a0 (4k − λ) = 0 für n = 0, 1, 2, . . . .
k=0
Wir zeigen, dass es in diesem Fall eine Konstante c0 > 0 gibt mit
1 2
(∗) e− 2 x |u0 (x)| ≥ 1
c
2 0
für |x| 1 .
3 Potenzreihenentwicklungen von Lösungen 79
| a2n | ≥ | a0 | | 4k − λ | 2(k + 1)
k=0 k=N
* | 4k − λ | n−1
N−1
* *
n−1
= | a0 | 2(k + 1) = c0 2(k + 1)
2(k + 1)
k=0 k=0 k=0
(2n)!
= c0 2n (2n − 2) · · · 2 > c0 .
2n n!
Da die a2k für k ≥ N alle dasselbe Vorzeichen haben, folgt
N
a2k
∞
a2k 2k
|u0 (x)| = x2k + x
k=0 (2k)! (2k)!
k=N+1
|a2k | 2k
∞ N
|a2k | 2k
≥ x − x
(2k)! (2k)!
k=N+1 k=0
∞
x2k
N
|a2k | 2k 1 2
≥ c0 k
− x = c0 e 2 x − p0 (x)
2 k! (2k)!
k=N+1 k=0
* 4k + 2 − λ n−1
N−1
*
= |a1 | 2(k + 2)
2(k + 2)
k=0 k=0
(2n + 1)!
≥ c1 (2n + 2)2n(2n − 2) · · · 4 > c1 .
2n n!
Hieraus ergibt sich wie oben die Abschätzung
1 2
|u1 (x)| ≥ c1 e 2 x − p1 (x)
80 § 4 Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung
Wir betrachten den Fall, dass die DG im linken Randpunkt α von I schwach
singulär ist, d.h. dass α ∈ Ê
ist und Folgendes gilt:
(i) G ist analytisch und besitzt in α einen Pol höchstens erster Ordnung,
(ii) H ist analytisch und besitzt in α einen Pol höchstens zweiter Ordnung.
Entsprechend definieren wir schwache Singularitäten im rechten Endpunkt β
von I.
Im folgenden betrachten wir stets den linken Endpunkt als schwach singuläre
Stelle. Die hierfür gewonnenen Aussagen übertragen sich durch die Spiegelung
x → α + β − x auf den rechten Randpunkt β von I, falls I beschränkt ist.
wobei
mit
Genau dann ist u eine Lösung in ]α, β[, wenn durch v(x) := u(β −x) eine Lösung
von (N ) in ]0, β − α[ gegeben ist.
∞
darstellen lassen, wobei die Potenzreihe cn xn für |x| < r konvergiert und
n=0
xμ für x > 0 durch eμ log x definiert ist. Für solche Funktionen gilt
∞
∞
∞
v (x) = μ xμ−1 cn xn + xμ ncn xn−1 = xμ−1 (n + μ)cn xn ,
n=0 n=0 n=0
∞
v (x) = x μ−2
(n + μ)(n + μ − 1)cn x . n
n=0
Damit ergeben sich nach Vorgabe von c0 alle Koeffizienten c1 , c2 , . . . , sofern die
Auflösebedingungen
D(n + μ) = 0 für n = 1, 2, . . .
erfüllt sind. In den folgenden drei Abschnitten legen wir c0 = 1 fest.
(c) Satz von Frobenius (1873). Ist μ eine Lösung der charakteristischen
Gleichung D(μ) = 0 mit D(n + μ) = 0 für n = 1, 2, . . . , und sind die Koef-
fizienten c1 , c2 , . . . aus der Rekursionsformel (∗∗) bestimmt, so konvergiert die
∞
Reihe cn xn für |x| < r, und
n=0
∞
v(x) = xμ cn xn
n=0
Dabei setzen wir voraus, dass die charakteristische Gleichung D(μ) = 0 nur
reelle Wurzeln μ1 , μ2 besitzt, was der für die Anwendungen wichtigste Fall ist.
Wir nehmen μ1 ≥ μ2 an.
Satz. Die normalisierte Gleichung (N ) besitzt auf dem Intervall ]0, r[ ein Fun-
damentalsystem v1 , v2 der Gestalt
∞
∞
v1 (x) = xμ1 cn xn , v2 (x) = xμ2 dn xn + γ v1 (x) log x .
n=0 n=0
∞
Wir entwickeln die rechte Seite für |x| < r in eine Reihe γ xμ1 λk x k .
k=0
∞
Wegen v1 (x) = xμ1 −1 (n + μ1 )cn xn (vgl. 4.3) und c0 = 1 wird dabei λ0 =
n=0
(1 − α0 ) − 2μ1 . Aus (∗) folgt 1 − α0 = μ1 + μ2 nach dem Vietaschen Satz, also
(2) λ0 = μ2 − μ1 = −m .
Setzen wir die Reihe für w in (1) ein, so erhalten wir wie in 4.3
∞
n−1
∞
xμ2 D(n + μ2 )dn + (k + μ2 )αn−k + βn−k dk xn = γ xμ1 λk x k .
n=0 k=0 k=0
μ2
Daraus folgt nach Division durch x mittels Koeffizientenvergleich
(
n−1
0 für n < m
(3) D(n + μ2 )dn + (k + μ2 )αn−k + βn−k dk = .
k=0
γ λn−m für n ≥ m
Nach (2) ist λ0 = 0. Wegen d0 = 0 ist daher (3) für n = 0 erfüllt. Da die
Auflösebedingungen D(n + μ2 ) = D(n + μ1 ) = 0 für alle n ∈ gelten, ergeben
sich d1 , d2 , . . . eindeutig durch Rekursion.
Im Fall m = μ1 − μ2 ∈ beachten wir, dass
D(μ2 ) = D(m + μ2 ) = 0 und D(k + μ2 ) = 0 für k = 1, . . . , m − 1 .
x x A(t)
dt
ϕ(x) := mit p(x) := exp dt
p(t) v1 (t)2 t
x0 x0
nach 2.1, so liefert v2 (x) = c (ϕ(x) + d)v1 (x) für alle Konstanten c, d ∈ mit
c = 0 eine von v1 linear unabhängige Lösung v2 . Wir geben eine Reihenentwick-
lung für v2 an. Wegen μ1 + μ2 = 1 − α0 ist
x
∞
α0
p(x) = exp + αk+1 tk dt = exp α0 log x + f (x)
t
k=0
x0
den Konvergenzradius r hat. Damit lässt sich f zu einer für |z| < r holomorphen
Funktion z → f (z) fortsetzen, und g(z) = w1 (z)2 ef (z) ist eine für |z| <
holomorphe Funktion ohne Nullstellen. Es gibt also eine für |z| < konvergente
Potenzreihenentwicklung
1 ∞
= ωk z k mit ω0 = 0 .
g(z) k=0
Für | x − x0 | < 1
2
gilt p(x) v1 (x)2 = x1−μ1 −μ2 ef (x) x2μ1 w1 (x)2 = xm+1 g(x),
also
x x x
dt −m−1
∞
k
∞
ϕ(x) = = t ωk t dt = ωk tk−m−1 dt
tm+1 g(t) k=0 k=0
x0 x0 x0
∞
ωk k−m
= x − xk−m + ωm log x − ωm log x0
k−m 0
k=0
k=m
mit einer geeigneten Konstanten h0 und einer Funktion h, die sich für |x| <
∞
in der Form h(x) = ξk xk mit ξ0 = 0 darstellen lässt. Wir erhalten so
k=0
v2 (x) = c h0 + d + x−m h(x) xμ1 w1 (x) + c ωm v1 (x) log x
= c xμ2 h(x) w1 (x) + xm (h0 + d)w1 (x) + γ v1 (x) log x .
Durch passende Wahl von c und d erhalten wir wegen c0 = 1 eine Reihenent-
∞
wicklung v2 (x) = xμ2 dn xn + γ v1 (x) log x mit d0 = 1, dm = 0. Dass diese
n=0
sogar im vollen Intervall |x| < r konvergiert, wird in Jörgens–Rellich [111] § 7
gezeigt. 2
mit Index m ∈ 0 fällt bei der Separation der dreidimensionalen Wellenglei-
chung nach Einführung von Kugelkoordinaten an, siehe § 15 : 3. In 3.2 wurde
der Fall m = 0 behandelt.
Durch Anwendung der Methode 4.4 kommen wir zu dem folgenden Satz, den
wir der Übersichtlichkeit halber voranstellen.
88 § 4 Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung
Für λ = ( + 1) ist jede beschränkte Lösung ein konstantes Vielfaches der
zugeordneten Legendre–Funktion
dm
P m (x) = (1 − x2 )m/2 P (x) ,
dxm
wobei P das –te Legendre–Polynom ist, vgl. 3.2.
Auf die Eigenschaften der Legendre–Polynome gehen wir in § 15 : 3 näher ein.
Für den Beweis benötigen wir folgenden
Hilfssatz. Jede auf ]−1, 1[ beschränkte Lösung u von (Lλm ) ist von der Form
m2 m2
2
λ− (x−1)2 2
λ− 2x−x2 m2 − λ(2x − x2 )
B(x) = x = x =
1 − (x − 1)2 2x − x2 (x − 2)2
λx 1 m2 1 λx 1 m2 d 1
= − + = − +
2 1− x
2
4 1− x 2
2 1− x
2
2 dx 1 − x
2
2
∞ k−1
λx x k m2
∞
x
= − + k
2 2 4 2
k=0 k=0
∞
m2 m 2
x k
= − − λ+ (k + 1) .
4 4 2
k=1
m2 m2
0 = D(μ) = μ(μ − 1) + α0 μ + β0 = μ(μ − 1) + μ − = μ2 − ;
4 4
4 Reihendarstellung von Lösungen in singulären Randpunkten 89
(a) Ist v eine Lösung von (Rλm ), so ist v eine Lösung von (Rλm+1 ) ÜA . Nun
( +1)
erfüllt das Legendre–Polynom P die Gleichung (R0 ), somit löst P m die
( +1)
Gleichung (Rm ).
Damit haben wir für λ = ( + 1) die offensichtlich beschränkte Lösung
die Gleichung (Rλm ) erfüllt. Einsetzen der Reihe für f in diese DG und Koeffi-
zientenvergleich liefert für die an die Rekursionsformel ÜA
(m + n)(m + n + 1) − λ
(∗∗) an+2 = an (n = 0, 1, 2, . . .) .
(n + 1)(n + 2)
Wir zeigen, dass die
√ Reihe (∗) mit den nach (∗∗) bestimmmten Koeffizienten
nur dann für |x| < 3 konvergieren kann, wenn a0 = a1 = 0. Wegen (∗∗) folgt
dann a2 = a3 = s = 0, d.h. jede beschränkte Lösung ist die Nullfunktion.
Ist beispielsweise a0 = 0, so folgt aus (∗∗) wegen der Bedingung für λ, dass
a2n = 0 für alle n ∈ 0 und dass
a2n+2
lim = 1.
n→∞ a2n
√
Wir wählen ein r mit 1 < r < 3. Dann gibt es ein N ∈ mit
a2k+2 1
≥ 2 für k ≥ N . Daraus folgt für n > N
a2k r
+ ,
a2n 2
a2n r2n = a0 a2 · · · a2N r2N a2N+2 r2 · · ·
a0 a2N−2 a2N a2n−2 ≥ c ,
r
wo c = | [. . .] | > 0. Also ist (a2n r 2n ) keine Nullfolge; die Reihe für f divergiert
für x = r. Entsprechend argumentieren wir im Fall a1 = 0. 2
Durch Anwendung der Methode 4.4 und Übertragung der Schlüsse von 4.5 er-
halten wir den folgenden
Satz. (a) Für m = 0, 1, . . . besitzt die Gleichung (Mλm ) genau dann nichttri-
viale Lösungen u mit (∗), wenn λ = n mit n ∈ 0 . Die Lösungen sind für
m = 0 konstante Vielfache der Laguerre–Polynome
n
n (−x)k
Ln (x) :=
k k!
k=0
(b) Wie für Legendre– und Hermite–Polynome gibt es auch für die Laguerre–
Polynome eine Darstellung als n–fache Ableitung (Rodrigues–Formel)
1 ex dn n+m −x
Lm
n (x) =
n! xm dxn
x e (n, m ∈ ).
0
Letztere sei dem Leser als ÜA überlassen (Berechnung der linken und rechten
Seite nach der Leibniz–Regel).
Beweis.
(i) Die normalisierte Gestalt von (Mλm ) im linken Randpunkt α = 0 lautet
mit den Bezeichungen von 4.3
Somit ergibt sich die Indexgleichung D (μ) = μ(m + μ) = 0 mit den Wurzeln
μ1 = 0, μ2 = −m. Nach 4.4 erhalten wir ein Fundamentalsystem u1 , u2 durch
∞
∞
u1 (x) = ck xk , u2 (x) = x−m dk xk + γ u1 (x) log x
k=0 k=0
und u2 (x) ist nahe des Nullpunkts unbeschränkt. Für m = 0 verursacht dies der
Logarithmus, für m ∈
wegen d0 = 1 der Vorfaktor x−m .
(ii) Die Rekursionsformeln 4.3 (∗∗) für die ck lauten wegen μ1 = 0
k−1−λ
(∗∗) ck = ck−1 für k = 1, 2, . . . .
k(m + k)
Somit existieren Polynomlösungen genau dann, wenn λ = n mit n ∈ . Der
0
Grad dieser Polynome ist n. Im Fall m = 0 ergibt sich mit c0 = 1 ÜA
n 1
ck = (−1)k (k = 0, 1, . . .) .
k k!
Um den Fall m ∈ auf diesen zurückzuspielen, beachten wir:
u löst ( Mλk ) =⇒ u löst ( Mλ−1
k+1 ) ÜA .
Zum Nachweis zeigen wir, dass es ein Polynom p und eine Konstante c > 0 gibt,
so dass für x > 0
1
| u1 (x) | ≥ c e 2 x − p(x) .
−λ 1 − λ N −λ N +1−λ k − 1 − λ xk
ck xk = ··· ··· .
m+1m+2 m+N +1 m+N +2 m + k k!
Für k > N haben diese Glieder ein festes Vorzeichen, und mit C = | [. . .] | gilt
k−N−1 k k
1 xk x 1 c x
|ck xk | ≥ C = 2 C 2N = ,
2 k! 2 k! k! 2
4 Reihendarstellung von Lösungen in singulären Randpunkten 93
∞
N
1 x k
≥ c − | ck | xk = c ex/2 − p(x)
k! 2
k=N+1 k=0
∞ 2n
1 |z| 1
| c0 | = |c0 | exp ( |z|2 ) ,
n! 2 4
n=0
liefert also eine ganze Funktion. Wir erhalten so die für x > 0 definierte Lösung
∞
v1 (x) = xν c2n x2n .
n=0
94 § 4 Lineare Differentialgleichungen zweiter Ordnung
Beweis.
Nach 4.4 gibt es im Fall 2ν = μ1 − μ2 ∈ 0v eine zweite Fundamentallösung
−ν
∞
n
von der Form v2 (x) = x dn x . Die Koeffizienten ergeben sich wie oben
n=0
durch Rekursion aus D(n − ν)dn = n(n − 2ν)dn = − dn−2 ÜA .
Der Fall 2ν ∈ 0 , ν ∈ 0 , also ν = n + mit n ∈ 0 bedeutet μ1 − μ2 =
1
2
2ν ∈ . Nach Abschnitt 4.4 können in der Lösung logarithmenhaltige Terme
auftreten. Der in 4.4 beschriebene Zugang führt auf langwierige Rechnungen.
Wir umgehen diese, indem wir zeigen, dass durch den Reihenansatz (b) eine
für alle x > 0 definierte Lösung v2 der Besselschen DG gegeben ist, und dass
v1 , v2 linear unabhängig sind, d.h. v1 v2 − v1 v2 = 0.
Die oben angegebene Reihe für v2 (x) xν mit ν ∈ 0 besitzt die Majorante
x2
. Gliedweise
∞
1 1 n
n! 4
mit = dist (ν, ) > 0, konvergiert also auf ganz
n=0
Differentiation und Koeffizientenvergleich unter Berücksichtigung der Rekur-
sionsformeln zeigt, dass v2 die Besselsche DG erfüllt ÜA .
Setzen wir v1 (x) = xν g(x), v2 (x) = x−ν h(x), so folgt ÜA
2ν
v1 (x)v2 (x) − v1 (x)v2 (x) = − g(x) h(x) + g(x) h (x) − g (x) h(x) .
x
Die rechte Seite hat wegen g(0) h(0) = c0 d0 = 0 einen Pol 1. Ordnung in 0,
kann also nicht identisch verschwinden. 2
−ν
∞ 2n
J−ν (x) =
x
2
(−1)n
1
n! Γ(n + 1 − ν)
x
2
(ν ∈ \ 0 ).
n=0
Aufgaben. (i) Zeigen Sie mit Hilfe der Darstellung (b) und den oben getrof-
fenen Festlegungen von c0 , d0 , dass
2 2
J 1 (x) = sin x , J− 1 (x) = cos x .
2 πx 2 πx
(ii) Berechnen Sie J0 (x) auf 3 Stellen genau. (Benützen Sie für die Fehler-
abschätzung eine geeignete Majorante für die Reihe.)
(d) Für nichtganzzahliges ν > 0 liefert die Neumann–Funktion (Bessel–
Funktion 2. Art)
Jν (x) cos νπ − J−ν (x)
Nν (x) =
sin νπ
(auch mit Yν (x) bezeichnet) eine von Jν linear unabhängige Lösung der Bessel–
DG; ferner bilden die Hankel–Funktionen
Hν(1) (x) := Jν (x) + i Nν (x) , Hν(2) (x) := Jν (x) − i Nν (x)
ein komplexes Fundamentalsystem ÜA .
sein. Ist ν ∈ und m = 2ν, so lauten die Gleichungen (3) von 4.4
n(n − ν) dn + dn−2 = 0 für n = 2, . . . , m − 1
und
1
dm−2 = γ λ0 mit λ0 = − < 0.
2ν−1 (ν − 1)!
Wegen d0 = 1 folgt dm−2 = d2(ν−1) = 0, also γ = 0. Daher gibt es eine zweite
logarithmenhaltige Fundamentallösung. Eine längere Rechnung ergibt für die
zweite Fundamentallösung die Darstellung (vgl. Lense [107, S. 70])
2 Cx
Nn (x) = lim Nν (x) = Jn (x) log
ν→n π 2
∞
1 (n − k − 1)! x 2k−n 1 x n
n−1
sk + sn+k x k
− − (−1)k .
π k! 2 π 2 k!(n + k)! 2
k=0 k=0
Dabei ist
n
1
sn = und C = exp lim (sn − log n) .
k n→∞
k=1
Beweis.
√
Die Funktion u(x) := x Jν (x) genügt der DG ÜA
−2
1
(∗∗) −u (x) + q(x) u(x) = 0 mit q(x) = x ν2 − 4 − 1.
Wir wählen r > 0 so, dass q(x) < − 41 für x > r gilt. Nach der Folgerung aus
dem Nullstellenvergleichssatz 2.6 hat u und damit auch Jν in ]r, ∞[ unendlich
viele Nullstellen. Da die Nullstellen nach 2.5 in ]0, ∞[ keinen Häufungspunkt
besitzen, gibt es abzählbar viele. Wegen J0 (0) = 1 und Jν (0) = 0, Jν (0) > 0
für ν > 0 kann 0 kein Grenzwert einer Folge von Nullstellen sein, d.h. unter
den Nullstellen in ]0, ∞[ gibt es eine kleinste. 2
wobei
4.8 Aufgabe
Gegeben sei die hypergeometrische oder Gaußsche Differentialgleichung
mit Konstanten a, b, c ∈ Ê, c ∈/ .
Bestimmen Sie ein Fundamentalsystem u1 , u2 in der Nähe des linken Rand-
punktes α = 0 nach der Methode von Frobenius. Für die Darstellung der
Lösung sind die Abkürzungen gebräuchlich:
ẏ = f (y) ,
wobei f : Ω → Ê n
in einem Gebiet Ω ⊂ Ên
C1 –differenzierbar ist.
Beachten Sie im folgenden die gegenüber § 2 : 3.1 (c) und 6.3 geänderte Bezeich-
nungsweise! Insbesondere stellen wir Lösungskurven in der Form t → u(t) dar
und interpretieren t meistens als Zeitkoordinate.
Bei autonomen Systemen genügt es, das Anfangswertproblem in der spezielleren
Form
Ê
ist ein Gebiet des n+1, und ϕ ist in Bezug auf alle Variablen C1 –differenzier-
∂ϕ
bar. Für die partiellen Ableitungen wk (t, η) := ∂ηk
(t, η) gilt
Beweis.
Um diese Sätze auf die grundlegende Theorie von § 2 zurückzuführen, führen
wir folgende Bezeichnungen ein: Wir setzen Ω := × Ω und Ê
(x, y) → g(x, y) := f (y) , g : Ω → Ê n
.
Die maximale Lösung des AWP ẏ = g(x, y) = f (y), y(ξ) = η bezeichnen wir
mit ψ(x, ξ, η), ihr Definitionsintervall mit I(ξ, η), und den Definitionsbereich
von ψ bezeichnen wir mit
Ωg = (x, ξ, η) (ξ, η) ∈ Ω , x ∈ I(ξ, η) .
h : Ωg → Ωf , (t, ξ, η) → (t, η)
ist stetig und nach (3) surjektiv, also ist Ωf wegzusammenhängend (Band 1,
§ 21 : 9.3). Der Kompaktheitssatz wurde in § 2 : 6.3 bewiesen. 2
100 § 5 Einführung in die qualitative Theorie
Beweis.
Ist u̇(t0 ) = 0 für ein t0 ∈ J(η), so ist f (u(t0 )) = 0, also u(t0 ) ein kritischer
Punkt, und nach dem Eindeutigkeitssatz folgt u(t) = u(t0 ) für alle t ∈ . Ê
Sei jetzt also u nicht stationär und auch nicht injektiv, etwa u(t0 ) = u(t1 ) für
zwei Parameterwerte t0 < t1 aus J(η). Setzen wir v(t) = u(t0 + t), so ist v eine
auf I := J(η) − t0 definierte Lösung mit v(0) = v(τ ), τ = t1 − t0 > 0. Daher
existiert
Es gibt dann Zahlen tn > 0 mit tn → T und v(tn ) = v(0). Wäre T = 0, d.h.
tn → 0, so würde folgen
1
v̇(0) = lim v(tn ) − v(0) = 0,
n→∞ tn
also wären v und damit auch u stationär. Somit ist T > 0 und
Da I offen ist, ist y(t) := v(T + t) in einer Nullumgebung erklärt, und dort
ist ẏ(t) = f (y(t)), y(0) = v(T ) = v(0). Nach dem Eindeutigkeitssatz folgt
y(t) = v(t) = v(T + t) nicht nur in einer Nullumgebung, sondern auch auf I.
Nunmehr können wir v zu einer T –periodischen, auf ganz definierten Lösung Ê
fortsetzen ( ÜA , z.B. t → v(t − T ) für T ≤ t ≤ 2T ). Dies liefert eine T –
periodische Fortsetzung von u. 2
H ist längs jeder Lösung t → (q(t), p(t)) = (q1 (t), . . . , pN (t)) konstant,
denn nach der Kettenregel gilt
N
d ∂H ∂H
H(q(t), p(t)) = (q(t), p(t)) q̇k (t) + (q(t), p(t)) ṗk (t) = 0 .
dt ∂qk ∂pk
k=1
Aus Sicht der Mechanik ist das der Energieerhaltungssatz; die Konstante E
heißt Gesamtenergie der betreffenden Bahn. Allgemein nennen wir Funktionen,
die auf den Lösungen einer DG konstant sind, erste Integrale oder Erhal-
tungsgrößen. Der Fall N = 1 wird in Abschnitt 3 diskutiert.
Eine weitere Eigenschaft Hamiltonscher Systeme ist die Divergenzfreiheit des
zugehörigen Vektorfeldes. Bezeichnen wir dieses mit f , so gilt wegen H ∈ C2 (Ω)
N
N
∂ ∂H ∂ ∂H
div f = + − = 0.
∂qk ∂pk ∂pk ∂qk
k=1 k=1
Für divergenzfreie Systeme gilt der Satz von Liouville über die Volumentreue
des Flusses, vgl. 6.3.
1 Autonome Systeme 103
(b) Das gedämpfte Pendel wird bei einer zur Geschwindigkeit proportiona-
len Dämpfung durch die DG q̈ + D(q) q̇ + sin q = 0 bzw. das System
q̇ = p , ṗ = − D(q) p − sin q
beschrieben. Dabei ist D(q) ≥ 0 ein von der Auslenkung q abhängiger Dämp-
fungsfaktor. Für das zugehörige Vektorfeld f (q, p) = (p, −D(q) p − sin q) gilt
div f (q, p) = − D(q) ≤ 0 .
Allgemein heißt ein System ẏ = f (y) mit div f ≤ 0 gedämpft oder dissipa-
tiv. Gedämpfte mechanische Systeme werden häufig durch Differentialgleichun-
gen
∂H ∂H N
q̇k = (q, p) , ṗk = − (q, p) − Dik (q)pi
∂pk ∂qk i=1
Verläuft die Lösungkurve t → u(t) nahe bei x0 , so gilt für v(t) := u(t) − x0
104 § 5 Einführung in die qualitative Theorie
d.h. mit guter Näherung v̇ = Av. Dies legt es nahe, eine Verwandtschaft des
Phasenbildes von (∗) nahe x0 mit dem Phasenbild des linearisierten Systems
(∗∗) ẏ = Ay
Beachten wir noch, dass x1 (t)2 + x2 (t)2 für t → ∞ monoton gegen Null geht,
so erhalten wir für ẋ = Bx das linke und für ẏ = Ay das rechte der folgenden
Phasenportraits
106 § 5 Einführung in die qualitative Theorie
x2 y2
6 6
- -
x1 y1
- -
x1 y1
Die kritischen Punkte bilden eine Gerade (entarteter Fall). Für 0 = λ2 < λ1
erhalten wir dasselbe Phasenportrait, nur mit umgekehrtem Durchlaufsinn.
2 Phasenportraits linearer Systeme in der Ebene 107
(e) Im Fall λ2 < 0 < λ1 setzen wir k := − λλ21 . Ist ξ1 = x1 (0) = 0 , so gilt für
die Lösungen
Bei den folgenden Phasenportraits wird der Ursprung ein Sattelpunkt genannt.
x2 y2
6 6
x y1
-1 -
erhalten wir, indem wir erst die letzte Gleichung lösen und mit dieser Lösung
in die erste Gleichung gehen. Variation der Konstanten ergibt
Für große Werte von t haben x1 (t) und x2 (t) dasselbe Vorzeichen, nämlich das
von ξ2 . Ferner strebt ẋ2 (t)/ẋ1 (t) für t → ∞ von oben her gegen Null. Das ergibt
folgende Phasenportraits mit dem Ursprung als unechtem oder eintangentigem
Knoten.
x2 y2
6 6
- -
x1 y1
Au = − u − ω v , Av = ω u − v .
wobei S die Spalten u und v hat. Die Matrix B ist also der Prototyp aller reellen
2 × 2–Matrizen mit nichtreellen Eigenwerten.
Die Gleichung ẋ = Bx für x = (x1 , x2 ) bedeutet bei komplexer Schreibweise
z(t) = x1 (t) + ix2 (t) einfach ż(t) = λz(t), also ist z(t) = z(0) eλt . Schreiben wir
3 Die Differentialgleichung ẍ = F (x) 109
- -
x1 y1
Das ist neben dem entarteten Fall 2.2 (d) der einzige, wo der Gleichgewichts-
punkt (0, 0) (hier Zentrum genannt) nicht hyperbolisch ist. Im Fall > 0
erhalten wir einen Spiralpunkt (Wirbelpunkt):
. .
x2 y2
x1 y1
. . . .
(H) ẋ = y , ẏ = F (x) in Ω = I × Ê
ist hamiltonsch mit der Hamilton–Funktion
1
x
H(x, y) = 2 y 2 + U (x) , U (x) = − F (s) ds .
x0
Für U und damit für H haben wir eine additive Konstante frei, demgemäß
können wir über x0 ∈ I noch verfügen.
Liegen auf N keine kritischen Punkte, (y, F (x)) = (0, 0) für alle (x, y) ∈ N ,
so kann N lokal durch Gleichungen y = ϕ(x) bzw. x = ψ(y) mit geeigneten
C2 –Funktionen ϕ bzw. ψ beschrieben werden (Satz über implizite Funktionen,
Bd. 1, § 22 : 5.5). Die Auflösung nach y ergibt y = 2(E − U (x)) in der oberen
und y = − 2(E − U (x)) in der unteren Halbebene. Somit erhalten wir
Diese separierte DG führt nach bekanntem Muster (Bd. 1, § 13 : 3) auf die im-
plizite Lösungsformel
x(t)
ds
t − t0 = ± .
2(E − U (s))
x0
Beweis.
√
Es genügt, die Lösung mit x(0) = x0 , y(0) = 2E zu betrachten. Denn ist
diese periodisch und durchläuft ganz N , so erreicht sie jeden auf N gelegenen
Startpunkt.
(a) Die Lösung existiert für alle Zeiten. Denn x(t) kann das Intervall [a, b]
nicht verlassen, andernfalls wäre U (x(t)) > E wegen U (a) < 0, U (b) > 0,
im Widerspruch √ √ y(t)) ∈ N . Also bleibt (x(t), y(t)) in der kompakten
zu (x(t),
Menge [a, b]×[− 2E, 2E] , und die Behauptung folgt aus dem Kompaktheits-
satz 1.1 (c).
(b) Offensichtlich liegt N symmetrisch zur x–Achse.
b −1/2
(c) Konvergenz des Integrals 2(E − U (s)) ds. Nach Voraussetzung
a
über U können wir δ > 0 so wählen, dass U (x) ≥ 12 U (b) > 0 für b−δ < x < b.
112 § 5 Einführung in die qualitative Theorie
Daher ist 2(E − U (s)) = 2(U (b) − U (s)) = 2(b − s)U (ϑ) ≥ (b − s)U (b) für
s ∈ ]b − δ, b[ , und der Integrand hat in einer Umgebung von b die Majorante
−1/2 b −1/2
(b − s)U (b) . Daher existiert 2(E − U (s)) ds . Entsprechendes
x0
gilt am linken Randpunkt a.
(d) Der Teil von N in der oberen Halbebene y ≥ 0 wird voll durchlaufen.
Nach 3.2 gilt mit t0 = 0
x(t)
ds
(∗) t = ,
2(E − U (s))
x0
solange ẋ(t) = y(t) = 2(E − U (x(t))) > 0 gilt, d.h. solange die Lösung in der
oberen Halbebene verbleibt. Nach (c) ist die rechte Seite von (∗) beschränkt,
solange x(t) im Intervall ]a, b[ bleibt. Daher kann (∗) weder für beliebig große
noch für beliebig kleine t bestehen bleiben; irgendwann muss also die Lösung
die obere Halbebene verlassen. Aus y(t) = 0 folgt U (x(t)) = E , also nach
Voraussetzung über U entweder x(t) = a oder x(t) = b. Wegen ẋ(t) > 0 für
y(t) > 0 gibt es somit ein erstes t2 > 0 mit x(t2 ) = b und ein erstes t1 < 0
mit x(t1 ) = a. Nach dem Zwischenwertsatz nimmt x(t) in [t1 , t2 ] jeden Wert
aus [a, b] an und zwar genau einmal, denn nach Konstruktion von t1 , t2 ist
ẋ(t) > 0 in ]t1 , t2 [. Da der obere Teil von N die Gleichung y = 2(E − U (x))
mit a ≤ x ≤ b erfüllt, wird dieser von der Lösung voll durchlaufen, und zwar
wegen ẋ(t) > 0 von links nach rechts.
(e) Periodizität der Lösung. Aus (∗) folgt
1 b −1/2
t2 − t 1 = T mit T := 2 2(E − U (s)) ds, .
2 a
Nun liefern u(t) := x(2t2 − t), v(t) = −y(2t2 − t), wie leicht nachprüfbar ist,
eine nach (a) für alle t definierte Lösung des AWP
Wie im Beweis 1.3 (b) folgt, dass x und y beide T –periodisch sind. Nach Wahl
von t1 und t2 ist T die kleinste Periode. Aus Symmetriegründen (vgl. (b))
durchläuft (u(t), v(t)) für t2 ≤ t ≤ t2 + 12 T = t1 + T den unteren Teil von
N , diesmal von rechts nach links. 2
3 Die Differentialgleichung ẍ = F (x) 113
Der Diffeomorphismus
x
→
u
=
h(x) 6U
y v y
bildet lediglich Orbitstücke von (H) als
Mengen auf Orbitstücke von (L) ab.
(c) Die nebenstehende Skizze fasst das
Ergebnis der bisherigen Diskussion zu- -
x
sammen. y
6
Beweis des Hilfssatzes. Es genügt, den
Fall U (x0 ) < 0 zu behandeln; im Fall
U (x0 ) > 0 betrachten wir −U statt
-
U . Wegen U (x0 ) = 0 gilt x
1
U (x0 + x) = d
dt
U (x0 + tx) dt
0
1
= x U (x0 + tx) dt = x f (x),
0
1
wobei f (x) := U (x0 + tx) dt als Parameterintegral in einer Nullumgebung
0
stetig ist und f (0) = U (x0 ) gilt. Entsprechend erhalten wir wegen U (x0 ) = 0
1 1 1
U (x0 + x) = d
dt
U (x0 + tx) dt = x U (x0 + tx) dt = x2 t f (tx) dt
0 0 0
1
= − 12 x2 g(x) mit g(x) := −2 t f (tx) dt .
0
Es gilt
g(0) = − f (0) = − U (x0 ) > 0 und g(x) = g(0).
Wir wählen ein ε > 0 mit g(x) > 0 für |x| < ε und setzen
h(x) := x g(x) für |x| < ε .
Dann existiert h (0) = lim h(x)/x = g(0) = −U (x0 ) . Nach Konstruktion
x→0
gilt U (x0 +x) = − 21 h(x) < 0 für 0 < |x| < ε, also ist h dort C2 –differenzierbar.
2
Aus h(x) h (x) = −U (x0 + x) für 0 < |x| < ε folgt schließlich
x U (x0 + x) U (x0 )
lim h (x) = − lim = − = h (0) . 2
x→0 x→0 h(x) x h (0)
Aufgabe. Drücken
T Sie für einen periodischen Orbit das Zeitmittel der kineti-
schen Energie T1 0 21 y(t)2 dt über die Periode T mit Hilfe von T und der durch
den Orbit umschlossenen Fläche F aus. (Beachten Sie, dass x(t) in 0, 21 , T
monoton wächst und verwenden Sie die Substitutionsregel.)
3 Die Differentialgleichung ẍ = F (x) 115
Beweis. (a) Angenommen, die maximale Lösung t → (x(t), y(t)) existiere nur
für t < T < ∞. Wegen ẋ(t)2 = 2E − U (x(t)) ≤ 2E hätten wir für 0 < t < T
t √ √
| x(t) − x(0) | = ẋ(s) ds ≤ T 2E , | y(t) | = | ẋ(t) | ≤ 2E .
0
Aus dem Kompaktheitssatz 1.1 (c) würde die Existenz für alle t > 0 und damit
ein Widerspruch folgen. Entsprechend folgt die Existenz für t < 0. Nachweis
von (b) und (c) als ÜA : Zeigen Sie y(t) > 0 für t > 0. Verwenden Sie den
Eindeutigkeitssatz und die Formel (∗) von 3.3 (d) in Verbindung mit (a). 2
116 § 5 Einführung in die qualitative Theorie
Aufgaben (a) Ein fester und ein an einer Feder befestigter beweglicher Magnet
ziehen sich mit einer Kraft an, die umgekehrt proportional zum Abstandsqua-
drat ist, und zwar gelte für die Auslenkung x aus der Ruhelage
ẍ + x = (x − 2)−2 (x < 2) .
Geben Sie die Hamilton–Funktion H mit H(0, 0) = 0 an, bestimmen Sie die
Gleichgewichtslagen, und skizzieren Sie ein Phasenportrait.
(b) Skizzieren Sie das Phasenportrait für die Gleichung
ẍ + x − x3 = 0.
(Der Term x − x3 kann als Rückstellkraft einer Feder mit nichtlinearer Cha-
rakteristik interpretiert werden.)
(iii) Sei 0 < ε ≤ − /2c und δ wie oben gewählt. Wir zeigen:
Für x < δ/c kann y(t) := ϕ(t, x) für wachsendes t ≥ 0 die Kugel Kδ (0)
nicht verlassen, existiert also für alle t ≥ 0 . Ferner gilt
1
y(t) ≤ c x e 2 t ≤ c x < δ < ε f ür t ≥ 0.
Das bedeutet wegen < 0 Stabilität und Attraktivität.
Zum Nachweis fixieren wir ein x mit x < δ/c ≤ δ und betrachten ein T ∈ J(x)
mit y(t) = ϕ(t, x) ∈ Kδ (0) für 0 ≤ t < T . Die nach (ii) bestehende Gleichung
ẏ(t) = Ay(t) + g(y(t))
fassen wir als inhomogenes lineares System auf und erhalten durch Variation
der Konstanten (vgl. § 3 : 1.4)
t
y(t) = etA x + e(t−s)A g(y(s)) ds .
0
Für 0 ≤ t < T folgt daraus mit (ii) und durch zweimalige Anwendung von (i)
t
y(t) ≤ etA x + e(t−s)A g(y(s)) ds
0
t
≤ c e t x + ε c e(t−s) y(s) ds ,
0
also
t
e− t y(t) ≤ c x + ε c e− s y(s) ds .
0
1
y(t) ≤ c x e 2 t < δ < ε für 0 ≤ t < T.
Somit kann y(t) in keinem Intervall [0, T [ ⊂ J(x) den Rand von Kδ (0) errei-
chen. Damit sind die Behauptungen bewiesen. 2
gegeben. Die Eigenwerte von A sind i und − i, also ist das linearisierte System
nach 4.2 im Nullpunkt stabil, aber nicht attraktiv. Für r := y12 + y22 ergibt
sich wie in 1.6 die DG ṙ = cr 3 ÜA , so dass für c < 0 asymptotische Stabilität,
für c > 0 aber Instabilität vorliegt.
(b) Für Hamiltonsche Systeme gibt das Eigenwertkriterium nichts her. Dies
zeigt schon das Beispiel von Abschnitt 3
ẋ = y , ẏ = F (x) = − U (x) .
Hat U an der Stelle x0 einen Tiefpunkt mit U (x0 ) = ω 2 > 0, so ist der Gleich-
gewichtspunkt (x0 , 0) nach 3.4 (a) stabil, aber nicht attraktiv. Die Linearisie-
rungsmatrix A an der Stelle (x0 , 0) ist
0 1
A = −ω 2 0
.
Daraus folgt die Existenz von u(t) für alle t ≥ 0 und die Stabilität. Bei strengen
d
Ljapunow–Funktionen V ist dt V (u(t)) < 0. Wir machen plausibel, dass dann
lim V (u(t)) = 0 und daraus wieder
t→∞
lim u(t) = x0
t→∞
Wir können uns das Gebiet D als krummes Halbkegelstück mit Spitze x0 vor-
stellen. Ein ebenes Beispiel liefern die Separatrizen in 3.4.
Beweis.
Sei o.B.d.A. x0 = 0 und r > 0 mit Kr (0) ⊂ Ω0 gewählt. Wir nehmen an,
x0 = 0 sei stabil und geben ein ε mit 0 < ε < r vor. Dann gibt es ein δ mit
0 < δ < ε und
(1) x < δ =⇒ Ê + ⊂ J(x) und ϕ(t, x) < ε für alle t ≥ 0 .
Wir fixieren ein x ∈ D mit x < δ, was wegen 0 ∈ ∂D möglich ist. Nach
Voraussetzung gilt V (x) > 0, und x gehört zur Menge
wie sich unmittelbar aus der Beziehung (∗) von 5.1 ergibt.
Die Funktion W hat an der Stelle x0 ein striktes lokales Minimum, wenn
W (x0 ) < W (x) für alle x = x0 in einer Umgebung von x0 .
Ist W ein erstes Integral des Systems ẏ = f (y) in Ω0 ⊂ Ω und hat W im
Gleichgewichtspunkt x0 ∈ Ω0 ein striktes lokales Minimum, so ist durch x →
W (x) − W (x0 ) eine Ljapunow–Funktion gegeben, also ist x0 nach 5.2 (a) stabil.
ẋ = x − xy , ẏ = − y + x y
im Quadranten x > 0, y > 0 hat den einzigen Gleichgewichtspunkt (1, 1). Für
Lösungen t → (x(t), y(t)) gilt
Somit ist W (x, y) := x+y−log(xy) konstant längs jeder Lösung. Wegen log t ≤
t − 1 gilt ferner W (x, y) ≥ 2 = V (1, 1) mit Gleichheit nur für (x, y) = (1, 1).
Somit hat W in (1, 1) ein striktes lokales Minimum und ist ein erstes Integral.
∂H ∂H
q̇k = (q, p) , ṗk = − (q, p) (k = 1, . . . N )
∂pk ∂qk
und hat H dort ein striktes lokales Minimum, so liegt eine stabile Gleichge-
wichtslage vor. Das folgt aus 5.4 aufgrund des Energieerhaltungssatzes
H(q(t), p(t)) = E .
5 Die direkte Methode von Ljapunow 125
1
N
1
H(q, p) = mij (q) pi pj + U (q) = p , M (q) p + U (q),
2 2
i,j=1
wobei die Matrix M (q) an jeder Stelle q positiv definit ist. Die kanonischen
Gleichungen lauten hier
q̇ = M (q) p ,
N
ṗ = − 21 p , ∂k M (q) p ek − ∇U (q) .
k=1
Wegen Rang M (q) = N haben die Gleichgewichtspunkte die Form (q0 , 0) mit
∇U (q0 ) = 0. Hier gilt also:
Hat U an der Stelle q0 ein striktes lokales Minimum, so liegt nach (a) Stabilität
vor, vgl. 3.4.
(c) Hängt beim zuletzt angegebenen System M nicht von q ab und hat U an
der Stelle q0 ein lokales Maximum mit negativ definiter Hesse–Matrix U (q0 ),
so ist (q0 , 0) eine instabile Gleichgewichtslage.
Wir zeigen dies mit Hilfe des Satzes von Tschetajew 5.3. Dabei dürfen wir
o.B.d.A. q0 = 0 annehmen. Wir wählen δ > 0 so, dass U (q) für q < δ
negativ definit ist, vgl. Bd. 1 § 22 : 4.5 (b). Dann setzen wir
V (q, p) := q , p .
Eine leichte Rechnung zeigt, dass für f (q, p) = (M hspace.75ptp, −∇U (q))
∂f V (q, p) = p , M p − q , ∇U (q) .
Nach dem Satz von Taylor gilt für q < δ mit geeignetem ϑ ∈ ]0, 1[
1
U (0) = U (q) − q , ∇U (q) + 2 q , U (ϑ q) q
q̈ + D(q) q̇ − F (q) = 0
q̇ = p , ṗ = − D(q) p + F (q) .
und das Vektorfeld f = (p, −D(q) p + F (q)) des gedämpften gilt ÜA
Bemerkung. Im Fall U (x0 ) > 0 folgt die asymptotische Stabilität auch aus
4.3. Hier geht es nicht so sehr um den Fall U (x0 ) = 0, vielmehr um eine
Demonstration der Methode von Ljapunow.
Beweis.
Nach Voraussetzung gibt es Zahlen > 0, δ > 0 mit
D(q) ≥ für | q − q0 | < δ ,
(q − q0 ) F (q) < 0 für 0 < | q − q0 | < δ .
Die zweite Eigenschaft bewirkt U (q) = −F (q) > 0 rechts von q0 und U (q) < 0
links von q0 , also U (q0 ) < U (q) für 0 < | q − q0 | < δ. Deswegen und wegen (∗)
ist H eine Ljapunow–Funktion und (q0 , 0) damit eine stabile Gleichgewichtslage.
Es gilt ∂f H(q, p) < 0 außer für p = 0 . Um eine strenge Ljapunow–Funktion zu
erhalten, modifizieren wir H ein wenig, indem wir
q
V (q, p) := H(q, p) + 1
2
(q − q0 ) p + (s − q0 ) D(s) ds
q0
setzen. Der Übergang von H nach V bewirkt ein leichtes Kippen der Tangenten
der Niveaulinien in den Achsenpunkten (q, 0) gegen den Uhrzeigersinn.
5 Die direkte Methode von Ljapunow 127
Dann ist V eine strenge Ljapunow–Funktion, denn wegen U (q) > U (q0 ) = 0
für 0 < |q − q0 | < δ gilt
V (q, p) ≥ 1
2
p2 + 1
2
(q − q0 ) p + 1
2
(q − q0 )2
2
> 1
2
p+ 1
2
(q − q0 ) ≥ 0 für (q, p) = (q0 , 0) , |q − q0 | < δ ,
(b) Satz. Der Gleichgewichtspunkt (q0 , 0) ist instabil unter den Voraussetzun-
gen
D(q0 ) > 0 und (q − q0 ) F (q) > 0 für 0 < |q − q0 | 1 .
V (q, p) ≤ q p + 1
2
M q 2 = q (p + 1
2
M q) .
Also gilt V (q, p) < 0 für q > 0, p < − 12 M q. Ferner ist V (q, p) > 0 und
∂p V (q, p) = q > 0 für 0 < q < δ und p > 0. Daher besitzt die Gleichung
V (q, p) = 0 für 0 < q < δ eine eindeutige C1 –Auflösung p = ϕ(q). Setzen wir
Ω0 := (q, p) | q | < δ , D= (q, p) q > 0 und p > ϕ(q) ,
Beweis.
(a) Nach Definition einer Lösung liegt ϕ(t, x), soweit definiert, in Ω, also gilt
Gt ⊂ Ω.
(b) Nach Definition von Gt ist Φt : G → Gt surjektiv. Φt ist injektiv, denn
aus ϕ(t, x) = ϕ(t, y) folgt x = ϕ(0, x) = ϕ(−t, ϕ(t, x)) = ϕ(−t, ϕ(t, y)) =
ϕ(0, y) = y nach dem Eindeutigkeitssatz.
(c) Φt ist C1 –differenzierbar nach 1.1 (b).
(d) Bestimmung der Umkehrabbildung Φ−1 t . Sei y ∈ Gt , also y = ϕ(t, x) mit
eindeutig bestimmtem x ∈ G. Wir setzen u(s) := ϕ(s + t, x). Dann enthält das
Definitionsintervall J(x) − t von u die Punkte −t und 0, und u ist eine Lösung
von ẏ = f (y) mit u(0) = y und u(−t) = ϕ(0, x) = x. Es folgt −t ∈ J(y) und
(∗) Φ−1
t (y) = x = ϕ(−t, y) .
mit ω > 0. Bestimmen Sie für t > 0 und das offene Rechteck R mit den Ecken
(0, 0), (a, 0), (a, b), (b, 0) in beiden Fällen die Gestalt und den Flächeninhalt des
Gebiets Φt (R).
130 § 5 Einführung in die qualitative Theorie
Beweis.
Für t ∈ I und x ∈ G sei At (x) = (DΦt )(x). Nach 6.1 ist det At (x) > 0. Der
Transformationssatz für Integrale (Bd. 1, § 23 : 8.1) liefert für Gt := Φt (G)
Vol (Gt ) = 1 dn y = | det At (x) | dn x = det At (x) dn x .
Gt G G
Wir behaupten, dass det At (x) zeitlich konstant und damit gleich det A0 (x) =
1 ist, woraus dann Vol (Gt ) = 1 dn x = Vol (G) folgt. In der Tat erfüllt die Ma-
G
d
trix At (x) nach 1.1 (b) die Variationsgleichung dt At (x) = (Df )(ϕ(t, x))At (x).
Hieraus folgt bei festem x für die Wronski–Determinante W (t) = det At (x)
nach § 3 : 1.3
Ẇ (t) = Spur (Df )(ϕ(t, x))W (t) = (div f )(ϕ(t, x))W (t) = 0 . 2
6 Die Sätze von Liouville und Poincaré–Bendixson 131
Bemerkung. Für dissipative Systeme (div f ≤ 0) gilt Vol (Gt ) ≤ Vol (G) für
t ≥ 0.
Das folgt durch Modifikation des Beweises unter Beachtung von det At (x) ≤ 1
ÜA .
ÜA Wie verhält sich das Volumen Vol (Gt ) unter dem Fluss eines Vektorfeldes
f mit konstanter Divergenz : div f (x) = k ?
(b) Ist Ω0 ein invariantes (bzw. positiv invariantes) Gebiet, so können wir das
System ẏ = f (y) auf Ω0 einschränken. Wir bezeichnen Ω0 wieder mit Ω, die
Einschränkung von f auf Ω0 wieder mit f und haben dann folgende Situation:
(c) Ein Vektorfeld f auf Ω erzeugt dort einen globalen Fluss {Φt | t ∈ }, Ê
wenn alle Lösungen auf ganz Ê
definiert sind.
Es erzeugt einen (positiven) Halbfluss, wenn alle Lösungen für t ≥ 0 definiert
sind.
(d) Satz. Erzeugt das Vektorfeld f einen globalen Fluss, so ist
Φt : Ω → Ω, x → ϕ(t, x)
Gesucht ist eine Lösung der Wellengleichung (a), die der Randbedingung (b)
und der Anfangsbedingung
∂u
(c) u(x, 0) = f (x) , (x, 0) = g(x) für 0 ≤ x ≤ L.
∂t
genügt. Diese Voraussetzungen reichen nicht aus, um die Existenz einer C2 –
differenzierbaren Lösung zu sichern. Wie sie zu verschärfen sind wird im Fol-
genden erörtert.
An die Vorstellung, beliebige Saitenschwingungen durch Superposition von har-
monischen Schwingungen zu gewinnen, knüpft die Separationsmethode an,
die von Daniel Bernoulli 1753 als eine Methode von größtem Nutzen“ intui-
”
tiv erkannt und propagiert wurde. Diese besteht darin, die Lösung in folgenden
Schritten zu gewinnen:
– Bestimmung sämtlicher Produktlösungen u(x, t) = v(x) w(t) von (a) und (b).
Dies führt auf gewöhnliche Differentialgleichungen 2. Ordnung für v und w, wo-
bei v die Randbedingung (b) zu erfüllen hat.
–Ansatz für die gesuchte, den Anfangsbedingungen (c) genügende Lösung als
Superposition dieser Produktlösungen in Form einer Reihe.
1 Die schwingende Saite I 135
– Nachweis, dass dieser Ansatz wirklich eine Lösung liefert, d.h. dass die Reihe
genügend oft gliedweise differenziert werden darf.
√
Aus v(0) = 0 folgt a = 0, aus v(L) = 0 und b = 0 folgt weiter sin λL = 0,
also λ = (πk/L) mit k ∈
2
und damit v(x) = b sin(πkx/L). Setzen wir λ in
die DG (II) ein, so ergibt sich
πkc πkc
w(t) = α cos t + β sin t.
L L
Wir erhalten somit:
Sämtliche Lösungen von (a),(b) in Produktform sind von der Form
πkc πkc
πk
ak cos t + bk sin t sin x (k = 1, 2, . . .)
L L L
mit Konstanten ak , bk .
Dies sind die harmonischen Schwingungen der Saite.
∂u πkc
∞
kπ
g(x) = (x, 0) = bk sin x (0 ≤ x ≤ L) .
∂t L L
n=1
Beide Gleichungen stellen uns vor das Problem, eine gegebene Funktionen in
eine Sinus–Reihe zu entwickeln. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist der ent-
scheidende Schritt zur Rechtfertigung des Superpositionsansatzes.
Wir beschäftigen uns daher zunächst mit der Frage nach der Entwickelbarkeit
von Funktionen in trigonometrische Reihen. Nach der Klärung dieses Problems
im folgenden Abschnitt setzen wir die Behandlung der schwingenden Saite fort.
2 Fourierreihen 137
2 Fourierreihen
In diesem Abschnitt sollen folgende Fragen beantwortet werden:
(a) Welche Funktionen u : [−π, π] → lassen sich durch trigonometrische
Reihen
1
∞
(∗) u(x) = a0 + ak cos kx + bk sin kx
2
k=1
(b) Für theoretische Zwecke ist es zweckmäßig, (∗) in die äquivalente komplexe
”
Form“
n
(∗∗) u(x) = lim ck eikx
n→∞ k=−n
bzw.
138 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
gleichmäßig auf [−π, π], so ist u stetig, es gilt u(π) = u(−π), und die Koeffizi-
enten ak , bk , ck ergeben sich aus den Euler–Fourierschen Formeln
1
π
ak = π
u(t) cos kt dt (k = 0, 1, . . .) ,
−π
1
π
bk = π
u(t) sin kt dt (k = 1, 2, . . .) ,
−π
π
ck = 1
2π
u(t) e−ikt dt (k ∈ ).
−π
Mit den Umrechnungformeln 2.1 (b) ergeben sich die Integraldarstellungen der
an , bn ÜA . 2
Denn mit u ist auch u ◦ ϕ stückweise stetig. Die Behauptung folgt dann durch
Aufspaltung des Integrals in Integrale über Teilintervalle ohne Sprungstellen
von u im Innern.
(b) Eine Funktion u : [a, b] →
1
Ê
heißt stückweise glatt ( u ∈ PC1 [a, b]),
wenn sie stetig ist und überall C –differenzierbar mit Ausnahme von höchstens
endlich vielen Knickstellen. Dabei heißt x ∈ ]a, b[ Knickstelle, wenn links–
und rechtsseitige Ableitung existieren, aber voneinander verschieden sind. De-
finitionsgemäß gilt C1 [a, b] ⊂ PC1 [a, b]. Setzen wir u (x) = 0 an den Knick-
stellen, so entsteht eine PC–Funktion u mit
y
u(y) − u(x) = u (t) dt für x, y ∈ [a, b] ÜA .
x
Für PC1 –Funktionen bleibt so der Satz über partielle Integration richtig ÜA .
140 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
1
∞
u(x) = 2 a0 + (ak cos kx + bk sin kx)
k=1
Bemerkungen.
(i) Dirichlet bewies 1837 als erster die 1811 von Fourier ausgesprochene Ver-
mutung über die Entwickelbarkeit beliebiger“ Funktionen in trigonometrische
”
Reihen. Dieser Beweis war ein bedeutender Beitrag zum Prozeß der zunehmen-
den Schärfung analytischer Grundbegriffe wie Konvergenz, Reihe, Funktion, In-
tegral im 19. Jahrhundert.
(ii) Die an die zu entwickelnde Funktion u gestellte Bedingung der abschnitts-
weisen Glattheit ist leicht verifizierbar und erfaßt die meisten in den Anwen-
dungen auftretenden Fälle. Die Glattheitsbedingung an u läßt sich abschwächen;
schon Dirichlet verwendete eine schwächere Voraussetzung. Stetigkeit von u
allein reicht jedoch nicht für die punktweise Konvergenz der Fourierreihe, wie
raffinierte Beispiele zeigen, siehe Hardy–Rogosinski [40], Zygmund [46].
(iii) Gibbssches Phänomen. In der Nähe einer Sprungstelle von u . kann die
Folge sn nicht gleichmäßig konvergieren. Tatsächlich beobachten wir dort eine
verstärkte Oszillation der Fourierpolynome wie in der Figur, die die Fourierpo-
lynome s5 und s14 der Sägezahnfunktion u(x) = x für |x| ≤ π zeigt.
6 6
s5 s14
−π −π
- -
π π
Allgemein läßt sich folgendes zeigen (Courant–Hilbert [2], Kap.2, §10) : Ist x
eine Sprungstelle von u., so gilt für das x nächstgelegene Maximum Mn und das
x nächstgelegene Minimum mn des Fourier–Polynoms sn
2
π sin t
.(x+) − u
lim (Mn − mn ) = δ | u .(x−) | mit δ = π t dt ≈ 1.18 .
n→∞
0
142 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
Dn (s) = e =
2π ⎪
⎪
1
1 sin(n + 2 )s
k=−n ⎩ sonst.
2π sin 12 s
n
2n
Nachweis als ÜA : Wenden Sie auf eiks = e−ins (eis )k für eis = 1 die
k=−n k=0
−is/2
geometrische Summenformel an und erweitern Sie mit e .
(b) Eigenschaften des Dirichlet–
Kerns. Dn ist stetig, gerade und 6
2π–periodisch. Weiter gilt Dn (s)
π
n π
Dn = 1
2π
eiks ds = 1
−π k=−n−π
x+π x
x+π
sn (x) = .(t) dt =
Dn (x − t) u .(t) dt +
Dn (x − t) u .(t) dt .
Dn (x − t) u
x−π x−π x
.(x + s) − u
f (s) := u .(x+) für s > 0 , f (0) := 0 .
f ist C1 –differenzierbar in [0, d(x)[ und abschnittsweis glatt ausserhalb dieses
s
Intervalls. Nach 2.3 (b) folgt | f (s) | = . (x + t) dt ≤ M s für 0 ≤ s < d(x) ,
u
0
also
M s MC
| Dn (s) f (s) | ≤ · ≤ für 0 ≤ s < d(x) ,
2π sin 12 s 2π
hierbei sind M und C Konstanten mit |f (s)| ≤ M s für 0 ≤ s < d(x) sowie
|s/ sin( 12 s)| ≤ C für 0 < s ≤ π.
1
Sei jetzt ε > 0 vorgegeben. Wir wählen = (ε, x) := min 2
d(x), ε/4M C .
Dann erhalten wir für das zweite Integral in (3)
π π π
(4) Dn f ≤ Dn f + Dn f ≤ ε + Dn f .
0 0
4
π
Zur Untersuchung von Dn f setzen wir
f (s)
g(s) := .
sin 12 s
Nach der Abschätzung oben gilt | g(s) | ≤ M C für 0 < s < d(x), also ist g
beschränkt: | g(s) | ≤ K für 0 < s ≤ π. Sind s1 < · · · < sm−1 die Sprung–
oder Knickstellen von u . in [ , π] und setzen wir s0 := , sm := π, so ergibt
partielle Integration
π π
m sk
2π f (s) Dn (s) ds = g(s) sin(n + 12 ) s ds = g(s) sin(n + 12 ) s ds
k=1 sk−1
1 m
π
g(s) cos(n + 12 ) s sk
s
= 1
− + g (s) cos(n + 12 ) s ds .
n+ 2 k=1
k−1
144 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
Sei N die Gesamtzahl der Sprung– oder Knickstellen von u . in [−π, π], ferner
M := 1 + sup {| g (s) | | s ∈ [ , π] \ S}. Damit erhalten wir
π
(5) Dn f ≤ 1
(2mK + πM ) ≤ 1
(2N K + πM ) =: 1
C .
n+1 n n
π
Für n > 4C /ε gilt also Dn f < ε4 .
0
Die Abschätzung für das erste Integral in (3) verläuft analog.
(e) Gleichmäßige Konvergenz . Die Zahl hängt definitionsgemäß von ε und x
ab. Ist aber [a, b] ein kompaktes Intervall ohne Sprungstellen von u ., also mit
positivem Abstand δ zu S, so gilt d(x) ≥ δ für alle x ∈ [a, b]. Wählen wir zu
gegebenem ε > 0 jetzt = (ε) := min 21 δ, ε/4M C , so gilt die Abschätzung
(4) für alle x ∈ [a, b], und die Konstanten M , C in (5) hängen nicht von x
ab. 2
2.6 Aufgaben
(a) Bestimmen Sie für folgende Funktionen u die Fourierreihe. Diskutieren Sie
deren Konvergenzverhalten, und skizzieren Sie die ersten Fourierpolynome.
(
1 für 0 ≤ x ≤ π ,
(i) u(x) =
−1 für − π ≤ x < 0 .
. beschreibt eine Sägezahnfunktion, wie sie bei
(ii) u(x) = x für | x | ≤ π. (u
Kippschwingungen auftritt, vgl. die Figur in 2.4.)
(iii) u(x) = | sin x| für |x| ≤ π .
die Fourierkoeffizienten von u . Zeigen Sie mit partieller Integration, dass
1
an = − an , falls u (−π) = u (π) ,
n2
1
bn = − bn , falls u(−π) = u(π) .
n2
(c) Ist u Cr –differenzierbar, u(r) ∈ PC1 [−π, π] und u(m) (π) = u(m) (−π) für
m = 0, . . . , r, so gilt
∞ r+1 2
∞
k ck < ∞ , | kr ck | < ∞ .
k=−∞ k=−∞
Beweis.
(a) Wir stellen zunächst fest, dass mit den Bezeichnungen 2.3 (e)
1
π
ein –Vektorraum ist, auf dem u , v := 2π
u v ein Skalarprodukt liefert,
−π
Letzteres wegen der Festlegung der Funktionswerte an den Sprungstellen ÜA .
Durch vk (x) = eikx (k ∈ ) ist ein Orthonormalsystem in V gegeben mit
ck = vk , u . Nach § 9 : 4.3 oder Bd.1 § 19 : 2.5 ergibt sich für beliebige m, n ∈
die Besselsche Ungleichung
m
m
1
π
| ck |2 = | vk , u |2 ≤ u2 = 2π | u |2 < ∞ .
k=−n k=−n −π
(b) Für PC1 –Funktionen ist nach 2.3 (b) partielle Integration erlaubt. Es folgt
π π π
1 u(t) e−ikt 1 ck
ck = 2π u(t) e−ikt dt = −2ikπ + 2πik u (t) e−ikt dt = ik ,
−π −π −π
146 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
wobei ck die Fourierkoeffizienten von u ∈ PC [−π, π] sind. Dabei wurde aus-
genützt, dass e−ikπ | ck | < ∞,
ikπ 2
=e und u(π) = u(−π). Nach (a) gilt
also konvergiert | ck | wegen
| ck | ≤ | ck | +
2
| ck | = 1
|k|
1
2
1
k2
(b) Jede PC1 –Funktion u auf [0, L] besitzt eine gleichmäßig konvergente Ent-
wicklung in eine Kosinusreihe
∞ L
1 πkx 2 πkt
u(x) = a0 + ak cos mit ak = u(t) cos dt .
2 L L L
k=1
∞ 0
Nach 2.1 dürfen wir L = π annehmen. Denn mit v(t) := u(Lt/π) gilt
∞
∞
u(x) = bk sin kπ
L
x für x ∈ [0, L] ⇐⇒ v(t) = bk sin kt für t ∈ [0, π]
k=1 k=1
und
2 Fourierreihen 147
2
L kπ 2
L π kπt 2
π
bk = L
u(t) sin L
t dt = L
v( L t) sin L
dt = π
v(s) sin ks ds .
0 0 0
Für u ∈ PC1 [0, π] definieren wir die ungerade Fortsetzung f und die gerade
Fortsetzung g auf [−π, π] durch
( (
u(x) für x ≥ 0 u(x) für x ≥ 0
f (x) := , g(x) := .
−u(−x) für x < 0 u(−x) für x < 0
Hilfssatz. Es gilt:
f ∈ PC1 [−π, π], f (π) = f (−π) ⇐⇒ u(0) = u(π) = 0.
f ∈ C1 [−π, π], f (π) = f (−π) ⇐⇒ u ∈ C1 [0, π], u(0) = u(π) = 0.
f ∈ C2 [−π, π], f (π) = f (−π), f (π) = f (−π) ⇐⇒
u ∈ C2 [0, π], u(0) = u(π) = u (0) = 0.
f ∈ C3 [−π, π], f (m) (π) = f (m) (−π) für m = 0, 1, 2 ⇐⇒
u ∈ C3 [0, π] , u(0) = u (0) = u(π) = u (π) = 0.
g ∈ PC1 [−π, π], g(π) = g(−π) = 0.
g ∈ C1 [−π, π] ⇐⇒ u (0) = 0.
g ∈ C2 [−π, π], g(π) = g(−π), g (π) = g (−π) ⇐⇒
u ∈ C2 [0, π], u (0) = u (π) = 0.
g ∈ C2 [−π, π], g ∈ PC1 [−π, π], g (m) (π) = g (m) (−π) für m = 0, 1, 2 ⇐⇒
u ∈ C3 [0, π], u (0) = u (π) = 0.
Beweis als ÜA . Beachten Sie, dass f , f , g gerade und f , g , g ungerade
Funktionen sind.
Für die übrigen Behauptungen beachten wir 2.7 und den Hilfssatz ÜA . 2
148 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
∂2u 2
2 ∂ u
= c
∂t2 ∂x2
mit u(0, t) = u(L, t) = 0 besitzt in [0, L] × Ê eine Reihendarstellung
∞
πkc πkc
πk
(∗) u(x, t) = ak cos t + bk sin t sin x,
L L L
k=1
∂u
vgl. 1.3. Die Koeffizienten sind durch u(x, 0), ∂t
(x, 0) eindeutig bestimmt:
L L
2 πk 2 ∂u πk
ak = u(x, 0) sin x dx , bk = (x, 0) sin x dx .
L L πkc ∂t L
0 0
3 Die schwingende Saite II 149
Die Reihe (∗) hat die konvergente Majorante (| ak | + | bk |), konvergiert also
absolut und gleichmäßig.
Beweis.
(a) Fourierentwicklung bei festem t. Nach der Problemstellung 1.1 ist die Funk-
tion ut : x → u(x, t) für jedes t ∈ Ê
C2 –differenzierbar in [0, L], und es gilt
ut (0) = ut (L) = 0. Aus dem Entwicklungssatz 2.8 (a) ergibt sich
∞
πk 2 L πk
u(x, t) = ut (x) = ck (t) sin x mit ck (t) = u(x, t) sin L
x dx
L L0
k=1
2 L 2
2 πkc πkx πkc
c̈k (t) = − u(x, t) sin dx = − ck (t) ,
L L L L
0
∞
Reihe | ak | nach 2.8 (a).
k=1
∞
Wegen g ∈ C[0, L] und (2) konvergiert die Reihe | k bk |2 nach 2.7 (d). Nun
k=1
ist
| bk | = | k b k | 1
k
≤ 1
2
| k bk | 2 + 1
k2
,
∞
also konvergiert die Reihe | bk |. Nach dem Majorantenkriterium folgt die
Ê.
k=1
gleichmäßige Konvergenz der Reihe (∗) in [0, L] × 2
so ist durch
∞
πkt πkt πkx
(∗) u(x, t) = ak cos + bk sin sin
L L L
k=1
Beweis.
∞
∞
Nach 2.8 (a) konvergieren die Reihen k 2 | ak | , k2 | bk | . Die erste ist eine
k=1 k=1
∞
∞
∞
Majorante für | ak | und k | ak | , die zweite eine Majorante für | bk |
k=1 k=1 k=1
∞
und k | bk |. Daher gilt:
k=1
(a) Die Reihe (∗) hat die Majorante (| ak | + | bk |) , konvergiert also gleich-
Ê
mäßig für (x, t) ∈ 2 und stellt eine dort stetige Funktion u dar.
(b) Die gliedweise nach t differenzierte Reihe ist gleichmäßig konvergent, denn
∞
sie hat die Majorante const · k (| ak | + | bk |). Nach dem Satz über gliedweise
k=1
Differentiation (Bd. 1, § 12 : 3.6) gilt somit
∞
∂u πkc πct πct πx
(x, t) = −ak sin + bk cos sin
∂t L L L L
k=1
so folgt u ∈ C2 ( Ê ) und
2
∞
∂2u 2
2 ∂ u ∂ 2 uk 2
2 ∂ uk
− c = − c = 0,
∂t2 ∂x2 ∂t2 ∂x2
k=1
3.3 Aufgabe. Geben Sie die Lösung des oben gestellten Saitenproblems an
für den Fall L = c = 1, f (x) = x4 − 2x3 + x, g = 0 an. Welche Näherung
ergibt sich für u(x, t), wenn die Reihe nach dem Glied abgebrochen wird, für
das erstmalig | an /a1 | < 0.5 · 10−3 wird?
Satz. Unter den Voraussetzungen des Existenzsatzes 3.2 hat die Lösung die
Darstellung
1
1
x+ct
u(x, t) = 2 F (x + ct) + F (x − ct) + 2c G(s) ds
x−ct
Beweis
Nach 3.2 besteht für die Lösung die Darstellung
∞
πkt πkt πkx
(∗) u(x, t) = ak cos + bk sin sin
L L L
k=1
Nach 2.8 (a) und den Formeln für die ak , bk in 3.2 gilt auf [0, L]
∞
πkx
∞
πkx
(2) F (x) = ak sin , G(x) = bk sin ,
L L
k=1 k=1
∞
wobei die Reihe k | bk | konvergiert. Da F, G nach Definition ungerade und
Ê. Daher ergibt gliedweise Integration
k=1
2L–periodisch sind, gilt (2) auf ganz
x+ct
∞ πk πk
G(s) ds = c bk cos (x − ct) − cos (x + ct) .
x−ct
L L
k=1
Dies liefert zusammen mit (1), (2) die Behauptung des Satzes. 2
Satz. Für f ∈ C2 [0, L], g ∈ C1 [0, L] mit f (0) = f (L) = f (0) = f (L) = 0,
g(0) = g(L) = 0 liefert die Formel
x+ct
1 1
u(x, t) = F (x + ct) + F (x − ct) + G(s) ds
2 2c
x−ct
Ê
eine Lösung u ∈ C2 ([0, L] × ) des Anfangs–Randwertproblems 3.2. Nach 3.1
besitzt diese eine eindeutig bestimmte Reihenentwicklung (∗).
Denn nach dem Hilfssatz in 2.8 ist die rechte Seite C2 –differenzierbar auf 2 . Ê
Dass die Wellengleichung und die Randbedingungen erfüllt sind, ist leicht nach-
zurechnen ÜA .
L
∂ ∂u ∂u ∂u ∂u x=L
= c2
dx = c2 (x, t) (x, t) = 0,
∂x ∂t ∂x ∂t ∂x x=0
0
Aus der Energieerhaltung ergibt sich ebenfalls die Eindeutigkeit der Lösung für
das Anfangs–Randwertproblem 3.2:
Sind nämlich u1 , u2 Lösungen, so gilt für die Differenz u := u1 − u2
∂2u 2
2 ∂ u ∂u
= c , u(0, t) = u(L, t) = 0 , u(x, 0) = (x, 0) = 0 .
∂t2 ∂x2 ∂t
Wegen der Wellengleichung folgt ∂u
∂x
(x, 0) = 0, also verschwindet die Energie
von u zur Zeit t = 0 und somit für alle Zeiten t nach dem Erhaltungssatz.
E(t) = 0 bedeutet
∂u ∂u
(x, t) = (x, t) = 0 für 0 ≤ x ≤ L ,
∂x ∂t
somit Konstanz von u. Aus den Randbedingungen folgt nun u1 − u2 = 0.
∂2u ∂2u
(a) 2
− c2 = F in 0 < x < L, t > 0 ,
∂t ∂x2
Ê
zu tun, wobei die Kraftdichte F (x, t) in [0, L] × + stetig differenzierbar sein
soll mit F (0, t) = F (L, t) = 0 für t ≥ 0. Wir dürfen uns darauf beschränken,
nach Lösungen zu suchen, welche die homogenen Randbedingungen
∂u
(c) u(x, 0) = (x, 0) = 0
∂t
3 Die schwingende Saite II 155
erfüllen. Denn haben wir eine solche gefunden, und ist v eine Lösung der homo-
genen Wellengleichung mit v(x, 0) = f (x), ∂v∂t
(x, 0) = g(x), so ist u + v eine
Lösung von (a), (b) mit diesen Anfangswerten zur Zeit 0.
Die inhomogene Wellengleichung erlaubt die Behandlung von Streichvorgängen
bei Saiteninstrumenten. Z.B. erzeugt ein mit Kolophonium behafteter Bogen
eine im Zeitverlauf sägezahnartige Krafteinwirkung.
Nicht unter den Aufgabentyp (a) fällt das Problem der schweren Saite“, vgl.
”
die folgende Aufgabe (b).
Um die Separationsmethode in modifizierter Form anwenden zu können, haben
wir F zunächst gemäß 2.8 in eine Sinusreihe
∞ L
πkx 2 πkx
F (x, t) = Fk (t) sin mit Fk (t) = F (x, t) sin dx
L L L
k=1
0
πkx
vk (x) = ck sin mit ck = 0
L
und wegen (c)
2
πkc
ẅk (t) − wk = Fk (t) , wk (0) = ẇk (0) = 0 .
L
Variation der Konstanten ergibt für k = 1, 2, . . .
t
L πkc
wk (t) = Fk (s) sin (t − s) ds .
πkc L
0
Ähnlich wie in 3.1 kann gezeigt werden, dass sich jede Lösung u als Superposition
∞
πkx
(∗) uk (x, t) = wk (t) sin
L
k=1
darstellen läßt. Wir überlassen das den Lesern als Aufgabe. Verlangen wir von
F eine Differenzierbarkeitsstufe mehr, so läßt sich wiederum zeigen, dass (∗)
eine Lösung der oben gestellten Aufgabe liefert.
156 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
1 t
x+c(t−s)
(∗∗) u(x, t) = F (y, s) dy ds für 0 ≤ x ≤ L , t ≥ 0 .
2c 0 x−c(t−s)
Satz. Unter den oben genannten Voraussetzungen über F liefert die Formel
(∗∗) eine Lösung des Problems (a),(b),(c).
Beweis als Aufgabe: Verwenden Sie bei der Differentiation die Formel
t t
d ∂G
G(t, s) ds = G(t, t) + (t, s) ds ,
dt ∂t
0 0
die sich durch Anwendung der Kettenregel auf ϕ(ψ1 (t), ψ2 (t)) mit ϕ(u, v) :=
u
G(v, s) ds und ψ1 (t) = ψ2 (t) = t ergibt.
0
4 Wärmeleitung im Draht
4.1 Problemstellung
Ein wärmeleitfähiger Draht der Länge L, repräsentiert durch das Intervall [0, L]
der x–Achse, habe an der Stelle x zur Zeit t > 0 die Temperatur u(x, t). Dann
4 Wärmeleitung im Draht 157
folgt aus der Kontinuitätsgleichung für die Wärmemenge § 1 : 2.5, wenn wir die
physikalischen Konstanten durch Umskalierung der Zeit auf 1 setzen, die DG
∂u ∂2u
(a) (x, t) = (x, t) für 0 < x < L, t > 0 .
∂t ∂x2
Durch ein Wärmebad halten wir die Drahtenden zunächst auf gleicher konstan-
ter Temperatur. Wählen wir diese als Nullpunkt der Temperaturskala, so gilt
also
(b) u(0, t) = u(L, t) = 0 für t ≥ 0 .
Gegeben ist die Anfangstemperaturverteilung
(c) u(x, 0) = f (x) mit f ∈ PC1 [0, L], f (0) = f (L) = 0.
Gesucht ist die Zeitentwicklung für t ≥ 0.
Den allgemeinen Fall u(0, t) = α, u(L, t) = β behandeln wir in 4.8 (f).
Von den Lösungen u verlangen wir die Existenz von ∂u/∂t, ∂u/∂x und ∂ 2 u/∂x2
Ê Ê
in ]0, L[ × >0 sowie die Stetigkeit auf [0, L] × >0 . Anders als bei der schwin-
genden Saite folgt aus diesen schwächeren Voraussetzungen bereits die C∞ –
Differenzierbarkeit der Lösung für t > 0. Demgemäß gehen wir auch beweis-
technisch etwas anders vor.
In 4.5 und 4.6 werden weitere Randbedingungen betrachtet.
L e−(πk/L) τ
≤ C
k2 mit einer Konstanten C = C(n, τ ) > 0 ,
( ÜA mit Bd. 1, § 3 : 2.3 (f)), woraus folgt
∞
2
∞
n
(∗∗) πk
L
| ak | e−(πk/L) τ
≤ const · 1
k2
< ∞.
k=1 k=1
Für τ > 0 setzen wir Kτ := {(x, t) | 0 ≤ x ≤ L , t ≥ τ }. Die Vereinigung aller
Kτ mit t > 0 ist H := {(x, t) | 0 ≤ x ≤ L , t > 0}. Durch
∞
πk )2 t
(∗) u(x, t) := ak e−( L sin πkx
L
k=1
ist eine auf H stetige Funktion gegeben, denn diese Reihe hat die Majorante
| ak |, konvergiert also gleichmäßig auf H.
4 Wärmeleitung im Draht 159
Nach dem Satz über gliedweise Differentiation liefert die erste der beiden Rei-
hen ∂x u(x, t), die zweite sowohl ∂x ∂x u(x, t) als auch ∂t u(x, t). Daher ist die
Wärmeleitungsgleichung 4.1 (a) in jedem Bereich Kτ mit τ > 0 erfüllt, und
damit auch in H.
Ganz analog schließen wir, dass die Funktion u in H = {t > 0} beliebig oft
gliedweise differenzierbar ist, weil (∗∗) für beliebiges n und beliebiges τ > 0 auf
Kτ Majoranten liefert. 2
Bestimmen Sie für die Darstellung (∗) die Partialsumme mit den ersten drei
nichtverschwindenden Gliedern und skizzieren Sie die so gewonnene Näherungs-
lösung für einige Werte von t > 0.
Von den Lösungen wird neben den Bedingungen 4.1 verlangt, dass x → u(x, t)
für festes t ≥ 0 zu C1 [0, L] gehört.
Produktansatz und Superposition führen hier auf die Lösungsdarstellung
1
∞
πk 2 πkx
(∗) u(x, t) = a0 + ak e−( L ) t cos mit
2 L
k=1
L
2 πkx
ak = f (x) cos dx (k = 0, 1, 2, . . .) .
L L
0
160 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
4.8 Aufgaben
(a) Zeitlicher Abfall der Energie bei der Wärmeleitung. Zeigen Sie
L L
1 ∂u ∂u
E(t) := (x, t)2 dx =⇒ Ė(t) = − (x, t)2 dx ≤ 0
2 ∂x ∂t
0 0
für jede Lösung u mit geeigneten Differenzierbarkeits– und Randbedingungen.
Verfahren Sie dabei wie in 3.5. Folgern Sie hieraus eine Eindeutigkeitsaussage
für die Wärmeleitungsgleichung.
(b) Geben Sie nach dem Muster von 3.7 eine Lösungsdarstellung für die inho-
mogene Wärmeleitungsgleichung
∂u ∂2u
(x, t) − (x, t) = F (x, t)
∂t ∂x2
unter den homogenen Randbedingungen u(0, t) = u(L, t) = u(x, 0) = 0.
(c) Wir betrachten die homogene Wärmeleitungsgleichung mit den gemischten
Randbedingungen
∂u ∂u
(0, t) = 0 , u(L, t) − (L, t) = 0 für t ≥ 0 .
∂x ∂x
Welches Vorzeichen haben die beim Produktansatz auftretenden Eigenwerte λ
und welcher Gleichung genügen sie? (Verfahren Sie wie in 1.2.) Verschaffen Sie
sich eine Vorstellung von der Lage der Eigenwerte λ1 , λ2 , . . . , indem Sie die
λk als Abszissen der Schnittpunkte einer Tangensfunktion und einer Hyperbel
darstellen. Was läßt sich über das asymptotische Verhalten der λk für k → ∞
sagen?
(d) Wärmeleitung ins Erdinnere. Unter der idealisierenden Annahme, dass
die Erdoberfläche eben ist und in der x, y–Ebene liegt, wollen wir annehmen,
dass die Erdtemperatur nur von der Tiefe z ≥ 0 und der Zeit t abhängt:
u = u(z, t).
4 Wärmeleitung im Draht 163
∂u
Die Wärmeleitungsgleichung ∂t
= k Δu (§ 1 : 2.5) vereinfacht sich dann zu
∂u ∂2u
= k für z, t > 0 ,
∂t ∂z 2
wobei wir die Temperaturleitfähigkeit k diesmal nicht wegskalieren. Wir gehen
von periodischen Temperaturschwankungen an der Erdoberfläche aus:
1 2π
u(0, t) = a0 + a1 cos ωt mit der Periode T = .
2 ω
Ferner fordern wir, dass u(z, t) für z → ∞ beschränkt bleibt.
(i) Warum genügt es, den Fall a0 = 0, a1 = 1 zu betrachten?
(ii) In letzterem Fall führt der Separationsansatz u(x, t) = v(x)w(t) scheinbar
nicht zum Ziel; es müsste v(0)w(t) = cos ωt eine gewöhnliche DG 1. Ordnung
erfüllen. Schreiben wir aber
1 iωt 1
cos ωt = e + e−iωt =: w1 (t) + w2 (t)
2 2
so gibt es komplexwertige Produktlösungen u1 , u2 mit uk (0, t) = wk (t). Abwei-
chend vom üblichen Schema ist hier λ durch die wk eindeutig bestimmt. Führen
Sie das aus!
(iii) In welcher Tiefe z ergibt sich bei einer jährlichen Periode (T = 1 Jahr) bei
einer Temperaturleitfähigkeit k = 2 · 10−7 m2 /sec eine Phasenverschiebung von
einem halben Jahr?
(e) Folgern Sie aus dem Maximumprinzip 4.7 für zwei Lösungen u1 , u2 :
– Aus u1 ≤ u2 auf ∂Ω folgt u1 ≤ u2 auf Ω.
– Aus | u1 − u2 | ≤ ε auf ∂Ω folgt | u1 − u2 | ≤ ε auf Ω.
(f) Temperaturverteilung im endlich langen Draht bei festen Randwerten. Hal-
ten wir durch Wärmezufuhr die Temperaturen der Drahtenden konstant, so
ergibt sich das Problem
∂u
∂t
=
∂2u
∂x2
in Ω = ]0, L[ × Ê >0 ,
u(0, t) = α , u(L, t) = β
Stellen Sie die Lösung in der Form u(x, t) = u0 (x) + v(x, t) dar, wobei v
das Problem 4.1 mit einer geeigneten Anfangstemperaturverteilung löst und
u0 (x) = lim u(x, t) der stationären (zeitunabhängigen) Wärmeleitungsglei-
t→∞
chung u0 = 0 in einer Dimension genügt.
164 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
so gilt
1 ∂ ∂U 1 ∂2U ∂2U 1 ∂U 1 ∂2U
Δu = r + 2 2
= 2
+ + 2 .
r ∂r ∂r r ∂ϕ ∂r r ∂r r ∂ϕ2
Hierbei sind auf der linken Seite die Argumente (r cos ϕ, r sin ϕ) und auf der
rechten die Argumente (r, ϕ) einzutragen.
5 Das stationäre Wärmeleitungsproblem für die Kreisscheibe 165
Diese Identität ergibt sich aus den via Kettenregel gewonnenen Gleichungen
∂U ∂u ∂u ∂U ∂u ∂u
= cos ϕ + sin ϕ , = − r sin ϕ + r cos ϕ ,
∂r ∂x ∂y ∂ϕ ∂x ∂y
∂2U ∂2u ∂2u ∂2u ∂2u
= cos ϕ + sin ϕ cos ϕ + cos ϕ + sin ϕ sin ϕ,
∂r 2 ∂x2 ∂x∂y ∂x∂y ∂y 2
∂2U ∂2u ∂2u
= − r sin ϕ + r cos ϕ (−r sin ϕ)
∂ϕ2 ∂x 2 ∂x∂y
∂2u ∂2u ∂u ∂u
+ − r sin ϕ + r cos ϕ r cos ϕ − r cos ϕ − r sin ϕ .
∂x∂y ∂y 2 ∂x ∂y
Von den Lösungen U fordern wir C2 –Differenzierbarkeit für 0 < r < 1 und
stetige Fortsetzbarkeit in r = 0. Damit eine Lösung U von (a ),(b ) wieder
zu einer Lösung u des Originalproblems zurücktransformiert werden kann, d.h.
damit es eine Funktion u ∈ C0 (Ω)∩C2 (Ω) gibt mit U (r, ϕ) = u(r cos ϕ, r sin ϕ),
muss sich U bezüglich ϕ periodisch verhalten. Wir verlangen
∂U ∂U
(c ) U (r, π−0) = U (r, −(π+0)), (r, π−0) = (r, −(π+0)) (0 < r < 1),
∂ϕ ∂ϕ
(d ) lim U (r, ϕ) existiert für jedes ϕ und ist unabhängig von ϕ.
r→0+
5.3 Produktlösungen
Die Bedingungen (a ),(c ),(d ) für die Produktlösung U (r, ϕ) = v(r) w(ϕ) mit
v = 0, w = 0 führen auf die Gleichungen ( ÜA , vgl. § 4 : 1)
1 λ
(1) v + v − 2 v = 0, lim v(r) existiert,
r r r→0+
Aus (2) folgt zunächst λ ≥ 0 nach dem Muster 1.2. Die Periodizitätsbe-
dingungen (c ) liefern dann die sämtlichen möglichen Eigenwerte λ = k2 für
k = 0, 1, . . . ÜA .
Es ergibt sich daher w(ϕ) = a0 /2 für k = 0 und w(ϕ) = ak cos kϕ + bk sin kϕ
für k = 1, 2, . . . mit Konstanten ak , bk . Für λ = k2 hat (1) nach § 4 : 1 bzw.
§ 4 : 2.7 die Fundamentalsysteme
1, log r für k = 0 und r k , r −k für k ∈ .
Von diesen fallen wegen der Bedingung (1) die für r → 0+ unstetigen Lösungen
fort. Damit haben sämtliche Produktlösungen die Form
1
U0 (r, ϕ) = 2 a0 bzw.
Uk (r, ϕ) = (ak cos kϕ + bk sin kϕ) r k für k = 1, 2, . . . .
ck =
1
2π
F (ψ) e−ikψ dψ für k ∈ .
−π
Für festes r < 1 gewinnen wir damit aus (∗) die folgende Integraldarstellung:
+∞ π
1
U (r, ϕ) = r |k| eik(ϕ−ψ) F (ψ) dψ
2π
k=−∞
−π
π $ %
1 |k| ik(ϕ−ψ)
+∞
= r e F (ψ) dψ
2π
k=−∞
−π
π
= Q(r, ϕ − ψ) F (ψ) dψ
−π
5 Das stationäre Wärmeleitungsproblem für die Kreisscheibe 167
mit
1 |k| ikt
+∞
Q(r, t) := r e .
2π
k=−∞
x − y2 = 1 − 2r cos(ϕ − ψ) + r 2 ,
also
1 1 − x2
Q(r, ϕ − ψ) = =: P (x, y) .
2π x − y2
Mit U (r, ϕ) = u(r cos ϕ, r sin ϕ), F (ψ) = f (cos ψ, sin ψ) geht die Integraldar-
stellung (∗∗) über in
(P) u(x) = P (x, y) f (y) ds(y) für x < 1 ,
y=1
wobei die rechte Seite als skalares Kurvenintegral über die positiv orientierte
Einheitskreislinie zu verstehen ist. Das ergibt sich sofort mit der Parametrisie-
rung ψ → y = (cos ψ, sin ψ) (−π ≤ ψ ≤ π) ( ÜA , vgl. Bd. 1, § 24 : 3.1).
Die Funktion P heißt der Poisson–Kern für die Einheitskreisscheibe; das
Integral in (P) wird Poisson–Integral genannt.
168 § 6 Separationsansätze und Fourierreihen
Satz (Poisson 1820). Für jede stetige Funktion f auf der Einheitskreislinie ∂Ω
ist durch
⎧
⎨ 1 − x
2
⎪ f (y)
ds(y) für x < 1,
u(x) := 2π x − y2
⎪
⎩ y=1
f (x) für x = 1
Δu = 0 in Ω , u = f auf ∂Ω
gegeben.
Bemerkungen. (i) Dass dies die einzige Lösung ist, zeigen wir in 5.6.
(ii) u ist sogar reell–analytisch in Ω, d.h. Realteil einer in Ω holomorphen Funk-
tion:
∞
u(x, y) = Re c0 + 2 ck (x + iy)k
k=1
mit den Koeffizienten
1 π
ck = f (cos ψ, sin ψ) e−ikψ dψ (k = 0, 1, 2, . . .) .
2π −π
Beweis.
(a) Für die oben definierte Funktion u zeigen wir u ∈ C∞ (Ω) und Δu = 0 in
Ω. Für x = (r cos ϕ, r sin ϕ) mit r < 1 gilt nach der Rechnung in 5.4, die wir
jetzt rückwärts verfolgen,
π
u(x) = P (x, y) f (y) ds(y) = Q(r, ϕ − ψ) F (ψ) dψ
y=1 −π
+∞
∞
∞
= ck r |k| eikϕ = c0 + ck r k eikϕ + c−k r k e−ikϕ
k=−∞ k=1 k=1
mit
π π
ck = 1
2π
F (ψ) e−ikψ dψ = 1
2π
f (cos ψ, sin ψ) e−ikψ dψ .
−π −π
5 Das stationäre Wärmeleitungsproblem für die Kreisscheibe 169
(2) Sei x0 = 1 und x0 − y ≥ 2δ > 0. Dann folgt für x < 1, x − x0 < δ
zunächst x − y ≥ x0 − y − x0 − x ≥ 2δ − δ = δ, also
(c) u ist stetig in Ω. Dazu müssen wir nach Bemerkung (iii) zeigen, dass
lim u(x) = f (x0 ) für jeden Randpunkt x0 .
Ω x→x0
Sei also x0 = 1 und ε > 0 vorgegeben. Wir wählen δ > 0 so, dass
1
< ε + 2f ∞ 2π x − x0
πδ 2
4f ∞
= ε+ x − x0 < 2ε
δ2
für x − x0 < min δ, εδ 2 /4f ∞ . 2
Beweis.
(i) Wir beweisen zunächst die zweite Behauptung. Dazu wählen wir ein ε > 0
und setzen
v(x) := u(x) + εx2 .
Die stetige Funktion v nimmt auf der kompakten Menge Ω das Maximum an,
etwa in x0 . Dieser Punkt muss auf dem Rand liegen, denn im Fall x0 ∈ Ω wäre
die Hesse–Matrix H von v in diesem Punkt negativ semidefinit, hätte also keinen
positiven Eigenwert. Wegen Spur H = Δv(x0 ) = Δu(x0 ) + 2nε = 2nε > 0 kann
dies nicht sein.
Es gilt also für alle x ∈ Ω
u(x) ≤ v(x) ≤ v(x0 ) = u(x0 ) + εx0 2 ,
5 Das stationäre Wärmeleitungsproblem für die Kreisscheibe 171
somit wegen x0 ∈ ∂Ω
sup {u(x) | x ∈ Ω} ≤ sup {u(x) | x ∈ ∂Ω} + ε max x2 | x ∈ ∂Ω
5.7 Aufgaben
(a) Lösen Sie das Dirichlet–Problem in der Einheitskreisscheibe für die folgen-
den Randverteilungen
4 − 2x
f (x, y) = 1 , f (x, y) = x3 , f (x, y) = .
5 − 4x
Verwenden Sie in den letzten beiden Fällen Polarkoordinaten. Im mittleren
Fall ergibt sich für 5.4 (∗) eine endliche Summe. Bestimmen Sie im letzten Fall
zunächst Re 1/(1 − 12 e iϕ ) .
(b) Folgern Sie aus der Poisson–Darstellung 5.5 die Harnacksche Unglei-
chung für die Lösung u des Dirichlet–Problems im Fall f ≥ 0
1 − x 1 + x
u(0) ≤ u(x) ≤ u(0) für x < 1 .
1 + x 1 − x
π
(c) Machen Sie sich plausibel, dass für U (r, ϕ) = Q(r, ϕ − ψ) F (ψ) dψ die
−π
Beziehung lim U (r, ϕ) = F (ϕ) gilt, indem Sie die Funktion t → Q(r, t) für
r→1
einzelne Werte von r < 1 skizzieren. Beachten Sie dabei, dass
1 1+r
lim Q(r, 0) = lim = ∞, lim Q(r, ϕ) = 0 für ϕ = 0 .
r→1 r→1 2π 1 − r r→1
(d) Folgern Sie aus 5.5 mit Hilfe einer Streckung der Ebene, dass die Poisson–
Formel für die Kreisscheibe Ω = KR (0) lautet
R2 − x2 f (y)
u(x) = ds(y) für x < R .
2πR x − y2
y=R
172 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
u = f auf M.
genügt.
Wir sprechen von einem Anfangswertproblem oder Cauchy–Problem.
Für die sich auf Untermannigfaltigkeiten beziehenden Begriffe verweisen wir
auf § 11 : 1. Ohne Verlust an Allgemeinheit beschränken wir uns hier auf die
Behandlung des ebenen Falles n = 2, bei dem M eine Kurve ist, die wir mit
C bezeichnen. Das bedeutet, dass sich C lokal durch eine Gleichung g(x) = 0
mit einer C1 –Funktion g beschreiben lässt, wobei ∇g nirgends verschwindet.
Hieraus ergibt sich: Zu jedem Kurvenpunkt ξ ∈ C gibt es eine Umgebung
Ê
U ⊂ 2 , so dass C ∩ U eine reguläre C1 –Parametrisierung ϕ : I → C ∩ U mit
stetiger Umkehrung besitzt, wobei I ein offenes Intervall ist. Der Einfachheit
halber nehmen wir an, dass C durch eine einzige Parametrisierung ϕ : I → 2 Ê
überdeckt wird, die wir im Folgenden fixieren.
Wir nennen die Funktion f C1 –differenzierbar auf C , wenn f ◦ ϕ im ge-
wöhnlichen Sinn C1 –differenzierbar ist.
1 Die quasilineare Differentialgleichung 173
ÜA Zeigen Sie für die Integralkurven t → α(t) = (x1 (t), x2 (t), y(t)) des Vektor-
feldes v: Gilt α(t0 ) ∈ M / für ein t0 , so auch α(t) ∈ M
/ für alle t. (Differenzieren
Sie y(t) − u(x1 (t), x2 (t))).
Die Projektionen der Charakteristiken auf die x1 ,x2 –Ebene heißen charakte-
ristische Projektionen.
174 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
a = (a1 , a2 ), x = (x1 , x2 )
in vektorieller Gestalt
(a) ẋ(t) = a(x(t), y(t)), ẏ(t) = b(x(t), y(t)),
(b) x(0) = ϕ(s), y(0) = ψ(s) := f (ϕ(s)) mit s ∈ I.
t → X(s, t) (s ∈ I).
Im folgenden Existenz– und Eindeutigkeitssatz zeigen wir, dass unter dieser Vor-
aussetzung die charakteristischen Projektionen eine Umgebung von C einfach,
d.h. ohne Überschneidungen, überdecken. Genauer erhalten wir: Es existiert ei-
Ê
ne Umgebung U ⊂ Ω der Startkurve C und eine Umgebung V ⊂ 2 der Strecke
1 Die quasilineare Differentialgleichung 175
ẋ(t) = a(x(t), y(t)) , ẏ(t) = b(x(t), y(t)) , x(0) = ϕ(s) , y(0) = ψ(s) .
u ◦ X = Y bzw. u = Y ◦ X−1 .
∂1 u + ∂2 u = u , u(x, x) = 1,
∂1 u + ∂ 2 u = 0 , u(x, x) = 0.
Die Startkurve C ist hier die Diagonale in der Ebene, welche die Parametrisie-
rung s → ψ(s) = (s, s) besitzt. Wegen ψ (s) = (1, 1) und (a1 , a2 ) = (1, 1) ist
die Transversalitätsbedingung verletzt.
Das erste Problem hat keine Lösung, denn für eine solche müßte gelten
d d
0 = 1 = u(x, x) = ∂1 u(x, x) + ∂2 u(x, x) = u(x, x) = 1 .
dx dx
Das zweite AWP hat die unendlich vielen Lösungen u(x1 , x2 ) = c · (x1 − x2 )
Ê
mit c ∈ .
(b) Die eindeutige und C1 –differenzierbare Festlegung der Lösung u durch die
Gleichung u ◦ X = Y ist gewährleistet, solange die Abbildung X ein Diffeo-
morphismus ist, was auf kleinen Umgebungen V0 von (s0 , 0) stets erreichbar ist.
Auf größeren Umgebungen braucht X kein Diffeomorphismus zu sein, und es
kann zweierlei eintreten:
(i) X ist nicht injektiv, d.h. zwei charakteristische Projektionen schneiden
sich. In solchen Schnittpunkten kann u nicht mehr widerspruchsfrei festgelegt
werden.
(ii) Die Jacobi–Matrix DX(s, t) hat in einem Punkt (s, t) nicht den Maximal-
rang 2. Dann heißt die Stelle X(s, t) ein Brennpunkt der charakteristischen
Projektionen; u braucht dort nicht mehr differenzierbar zu sein. Dieses Phäno-
men wird in Beispiel 1.7 illustriert.
Die Fälle (i) und (ii) können auch gleichzeitig eintreten.
(c) Im Fall b = 0 ist jede Lösung konstant längs jeder charakteristischen
Projektion ÜA .
(d) Der Satz behält für n > 2 seine Gültigkeit, wenn der Träger der Anfangs-
werte eine (n − 1)–dimensionale orientierbare C1 –Untermannigfaltigkeit M ist,
vgl. § 11 : 1.5, z.B. eine Hyperebene. Das Lösungsverfahren (1) bis (3) und der
Beweis 1.8 übertragen sich sinngemäß. Die Transversalitätsbedingung lautet
analog zum zweidimensionalen Fall:
(c ) Für kein ξ ∈ M ist a(ξ, f (ξ)) Tangentenvektor an M im Punkt ξ ∈ M .
In den folgenden Beispielen ist die Anfangswertkurve C stets die x–Achse in der
(x, t)–Ebene, die Charakteristiken parametrisieren wir durch den Parameter τ .
1 Die quasilineare Differentialgleichung 177
Dies ist eine für c > 0 nach rechts und für c < 0 nach links wandernde Welle
mit festem räumlichen Profil und Geschwindigkeit | c |.
∂2u ∂2u ∂u
2
= c2 , u(x, 0) = f (x) , (x, 0) = g(x)
∂t ∂x2 ∂t
mit c > 0 besitzt die Darstellung
1 1
x+ct
u(x, t) = (f (x + ct) + f (x − ct)) + g(y) dy .
2 2c x−ct
∂v ∂v
c + =0 mit v(x, 0) = ψ(x) := −c f (x) + g(x),
∂x ∂t
178 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
besitzt also nach Obigem die Lösung v(x, t) = ψ(x − ct). Hiernach genügt u
dem Cauchy–Problem
∂u ∂u
−c (x, t) + (x, t) = ψ(x − ct), u(x, 0) = f (x).
∂x ∂t
Dessen Lösung nach der Methode 1.5 ergibt die Behauptung.
b x=b
0 = d
dt
(x, t) dx + ( v)(x, t) x=a
a
b ∂
b ∂
= ∂t
(x, t) dx + ∂x
( v)(x, t) dx ,
a a
∂ ∂( v)
+ = 0.
∂t ∂x
Wir machen die Modellannahme, dass die Geschwindigkeit v eine monoton fal-
lende Funktion der Dichte ist. Der einfachste Ansatz hierfür ist v = A − B
mit positiven Konstanten A, B.
Legen wir diese Beziehung mit A = 1, B = 12 zugrunde (durch Umskalieren
erreichbar) und schreiben jetzt u statt , so lautet das zugehörige Anfangswert-
problem für die Fahrzeugdichte u
(1 − u)
∂u
∂x
+
∂u
∂t
= 0, u(x, 0) = ψ(x) für x ∈ Ê,
Ê
wobei ψ ∈ C1 ( ) eine gegebene Anfangsdichteverteilung mit 0 < ψ < 1 ist.
Das Anfangswertproblem 1.3 (a),(b) für die Charakteristiken lautet hier
∂u
lim (x, t) = ∞ (Grenz übergang in 0 < t < t∗ ).
(x,t)→(x∗ ,t∗ ) ∂x
also
∂u ∂u ∂u
(x, t) = ψ (s) 1 + t (x, t) bzw. (x, t) 1 − tψ (s) = ψ (s) .
∂x ∂x ∂x
1 Die quasilineare Differentialgleichung 181
= ∇u(P(s, t)) , a(P(s, t), Q(s, t)) = b(P(s, t), Q(s, t)).
Also löst (P, Q) das charakteristische AWP ebenso wie (X, Y ). Da nach Vor-
aussetzung mit jedem Punkt (s, t) ∈ V die ganze Strecke zwischen (s, t) und
(s, 0) in V liegt, können wir den Eindeutigkeitssatz für autonome Systeme an-
wenden und erhalten
P = X, Q = Y.
Somit gilt u ◦ X = u ◦ P = Q = Y , d.h. u = Y ◦ X−1 in U.
(b) Existenz einer lokalen Lösung. Wir fixieren ξ = ϕ(s0 ) ∈ C (o.B.d.A. s0 =
0). Sei t → (X(s, t), Y (s, t)) die Lösung des charakteristischen AWP
ẋ(t) = a(x(t), y(t)) , ẏ(t) = b(x(t), y(t)) ,
x(0) = ϕ(s) , y(0) = ψ(s) .
182 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
Ê
Nach Voraussetzung sind a, b in Ω× und ϕ, ψ in I jeweils C1 –differenzierbar.
Nach der grundlegenden Theorie autonomer Systeme (§ 5 : 1.1) sind X(s, t),
Ê
Y (s, t) in einer Umgebung V0 ⊂ 2 von (0, 0) definiert, eindeutig bestimmt
und C1 –differenzierbar bezüglich beider Variablen (s, t). Es gilt
∂X ∂X
(0, 0) = ϕ (0) , (0, 0) = a(X(0, 0), Y (0, 0)) = a(ξ, f (ξ)) .
∂s ∂t
Wegen der Transversalitätsbedingung 1.4(c) hat die Jacobi–Matrix DX(0, 0)
den vollen Rang 2. Nach dem Umkehrsatz Bd. 1, § 22 : 5.2 gibt es also Umge-
bungen Vξ ⊂ V 0 von (0, 0) und U ξ ⊂ Ω von ξ, die durch X C1 –diffeomorph
aufeinander abgebildet werden. Dabei dürfen wir Vξ als Rechteckumgebung
wählen.
Die Funktion
u := Y ◦ X−1 : U ξ → Ê
ist C –differenzierbar als Hintereinanderausführung eines C1 –Diffeomorphismus
1
= b(X(s, t), Y (s, t)) − ∇u(X(s, t)) , a(X(s, t), Y (s, t))
2
(c) Verkleben der lokalen Lösungen. Nach (b) gibt es zu jedem Kurvenpunkt
ξ = ϕ(s0 ) ∈ C eine lokale Lösung uξ : U ξ → Ê
des Cauchy–Problems auf
einer charakteristischen Umgebung Uξ ⊂ Ω , dabei ist X : V ξ →: U ξ ein C1 –
Ê
Diffeomorphismus und V ξ ⊂ 2 eine Rechteckumgebung von (s0 , 0). Für zwei
überlappende Umgebungen U ξ , U η ist Uξ ∩ U η im Fall U ξ ∩ U η ∩ C = ∅
wieder eine charakteristische Umgebung, woraus nach (a) uξ = uη auf U ξ ∩U η
folgt. Im Fall Uξ ∩ Uη ∩ C = ∅ können sich die lokalen Lösungen uξ , uη auf
Uξ ∩ Uη widersprechen. Die folgende Figur zeigt beide Möglichkeiten.
2 Die implizite Differentialgleichung F (x, u, ∇u) = 0 183
In dieser darf jetzt der Gradient von u nichtlinear auftreten wie z.B. bei der
Eikonalgleichung der geometrischen Optik, die wir im Abschnitt 3 behandeln.
Wie hier die Anfangsbedingungen zu wählen sind, um Existenz und Eindeu-
tigkeit der Lösung zu gewährleisten, liegt nicht unmittelbar auf der Hand. Es
zeigt sich, dass die Lösung im allgemeinen durch Vorgabe ihrer Anfangswerte
auf einer (n − 1)–dimensionalen Untermannigfaltigkeit M noch nicht eindeutig
bestimmt ist. Wir schreiben deshalb auch für den Gradienten Anfangswerte vor:
184 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
u = f, ∇u = g auf M.
Dieses Anfangswertproblem lässt sich trotz der allgemeineren Problemstellung
ebenfalls auf die Lösung charakteristischer gewöhnlicher Differentialgleichungen
zurückführen; allerdings muss der Charakteristikenbegriff gegenüber dem quasi-
linearen Fall modifiziert werden. Im Folgenden beschränken wir uns auf die
Betrachtung des dreidimensionalen Falls.
Wir setzen voraus: Ω ist ein Gebiet im 3
Ê
, F ist eine C3 –differenzierbare
Funktion auf Ω × × Ê Ê 3
⊂ 7
Ê
und M ⊂ Ω eine orientierbare C2 –Fläche
(vgl. § 11). Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass M durch eine einzige
Ê Ê
Parametrisierung ϕ : 2 ⊃ W → 3, s → ξ = ϕ(s) dargestellt werden kann.
Die Anfangswerte f und g auf M setzen wir als C2 –differenzierbar voraus, d.h.
die Abbildungen
ψ := f ◦ ϕ, χ := g ◦ ϕ
Ê
auf dem Parametergebiet W ⊂ 2 sind im üblichen Sinn C2 –differenzierbar.
Die Variablen von F fassen wir in der Form
(x, y, z) = (x1 , x2 , x3 , y, z1 , z2 , z3 )
zusammen und setzen
∂F ∂F ∂F
∇x F := , , ,
∂x1 ∂x2 ∂x3
∂F ∂F ∂F
∇z F := , , .
∂z1 ∂z2 ∂z3
Wir stellen nun Differentialgleichungen für x(t), y(t), z(t) auf, die diese Bedin-
gungen sichern. Wir verlangen
Durch Differentiation von (3) nach t und Einsetzen von (i) und (ii) ergibt sich
0 = d
dt
F (x(t), y(t), z(t)) = ∇x F (. . .) , ẋ(t) + ∂F
∂y
(. . .)ẏ(t) + ∇z F (. . .) , ż(t)
= ∇x F (. . .) , ∇z F (. . .) + ∂F
∂y
(. . .) ∇z F (. . .) , z(t) + ∇z F (. . .) , ż(t)
= ∇x F (. . .) + ∂F
∂y
(. . .) z(t) + ż(t) , ∇z F (. . .) .
wobei wir (2) benützen. Die Kurve α mit dem angehefteten Vektorfeld n wird
ein charakteristischer Streifen genannt. Nach (∗) gilt
also steht n(t) im Punkt α(t) sowohl senkrecht auf der Kurve als auch auf
dem Graphen von u. Durch den charakteristischen Streifen ist also ein schmales
Stück des Graphen längs der Kurve α festgelegt. Machen Sie eine Skizze!
Für die geometrische Interpretation der charakteristischen Gleichungen mit Hil-
fe von Monge–Kegeln verweisen wir auf Courant–Hilbert [3], Kap.2, §3, Ga-
rabedian [47] 2.2, Giaquinta–Hildebrandt [152] Ch.10,1.3.
Analog zum quasilinearen Fall 1.4 verlangen wir, dass die charakteristischen
Projektionen die Fläche M nicht tangential schneiden. Dies bedeutet, dass fol-
gende Transversalitätsbedingung gelten soll:
(c) In keinem Punkt ξ ∈ M ist ∇z F (ξ, f (ξ), g(ξ)) Tangentenvektor an M.
dessen Daten die Bedingungen 2.3 (a),(b),(c) erfüllen. Dann gibt es eine Um-
gebung U von M , auf der das Cauchy–Problem eine eindeutig bestimmte C2 –
differenzierbare Lösung u besitzt. Diese ergibt sich aus der Gleichung
wobei (X(s, t), Y (s, t), Z(s, t)) die durch 2.2 (∗),(∗∗) bestimmte Charakteristi-
kenschar ist.
Bemerkung. Die Aussage des Satzes und die Gestalt der charakteristischen
Gleichungen bleiben für n > 3 richtig, wenn M durch eine orientierbare (n − 1)–
dimensionale C2 –Untermannigfaltigkeit M ⊂ Ω ersetzt wird.
Beweis.
(a) Eindeutigkeit der Lösung. Sei u eine C2 –Lösung des Cauchy–Problems auf
einer charakteristischen Umgebung U von M oder von einem Punkt auf M , vgl.
1.4. Wir behaupten
und setzen Q(s, t) := u(P(s, t)), R(s, t) := ∇u(P(s, t)). Dann gilt auf V
(1) Ṗ = ∇z F (P, Q, R) ,
(2) Q̇ = ∇u(P) , Ṗ = R , ∇z F (P, Q, R) .
3
∂2u
3
∂2u ∂F
Ṙi = (P) Ṗk = (P) (P, Q, R) .
∂xk ∂xi ∂xi ∂xk ∂zk
k=1 k=1
188 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
∂F ∂F ∂u ∂F 3
∂2u
(P, Q, R) + (P, Q, R) (P) + (P, Q, R) (P) = 0
∂xi ∂y ∂xi ∂zk ∂xi ∂xk
k=1
also folgt
∂F ∂F
(3) Ṙi = − (P, Q, R) − (P, Q, R) Ri .
∂xi ∂y
Somit erfüllen P, Q, R die charakteristischen Differentialgleichungen mit den
Anfangswerten
u := Y ◦ X−1 : U → Ê
C –differenzierbar als Hintereinanderausführung einer C2 –Funktion und eines
2
C2 –Diffeomorphismus.
2 Die implizite Differentialgleichung F (x, u, ∇u) = 0 189
Ist dies nachgewiesen, so ist u eine Lösung des Cauchy–Problems auf U. Denn
für x = X(s, t) ∈ U gilt u(x) = Y (s, t), also
wobei in der letzten Gleichung die Identität (i) verwendet wurde. Weiter gilt
wegen der Verträglichkeitsbedingung 2.3 (b)
Z , ∂t X = Z , ∇z F (X, Y, Z) = ∂t Y = ∂t (u ◦ X) = ∇u(X) , ∂t X .
(c) Das Verkleben der lokalen Lösungen erfolgt wie im Beweisteil (c) von 1.8.
2
2.5 Aufgabe
Lösen Sie das Cauchy–Problem
F (x, y, z) = z1 z1 − z2 z2 − 1
Zeigen Sie, dass die Bedingungen 2.3 (a), 2.3 (b) nur die beiden Werte ∇g(ξ) =
(a, b, 0) auf M mit a2 − b2 = 1 erlauben.
Als Lösung ergibt sich u(x) = ax1 + bx2 .
3 Wellenfronten, Lichtstrahlen und Eikonalgleichung 191
H(q, p) = ∇p H(q, p) , p ,
weil wegen der 1–Homogeneität von L bezüglich der v–Variablen auch die
Hamilton–Funktion H 1–homogen bezüglich der p–Variablen ist.
Die Punktsymmetrie von n überträgt sich auf L und H:
Die Ausbreitung des Lichts außerhalb von Brennpunkten erfolgt längs Wellen-
fronten und Lichtstrahlen gemäß den folgenden Prinzipien der geometrischen
Optik (t sei im Folgenden die Zeitkoordinate):
(1) Die Wellenfronten sind die Niveauflächen
{S = t} = {q ∈ Ω | S(q) = t }
genügt. Eine solche Funktion wird ein Eikonal der betrachteten Lichtausbrei-
tung genannt.
(2) Die Lichtstrahlen t → q(t) gehorchen zusammen mit ihrem Wellen-
vektorfeld t → p(t) := ∇v L(q(t), q̇(t)) den kanonischen (Hamiltonschen)
Gleichungen
(3) Wellenfronten und Lichtstrahlen sind korreliert durch die optische Trans-
versalitätsbedingung
p(t) = ∇S(q(t)).
Dies bedeutet die optische Äquidistanz der Wellenfronten: Für je zwei Zeitpunk-
te t0 < t1 benötigt ein Lichtstrahl t → q(t) die gleiche Zeit t1 − t0 , um von der
Front {S = t0 } zur Front {S = t1 } zu gelangen:
t1 t1
S(q(t1 )) − S(q(t0 )) = d
dt
S(q(t)) dt = 1 dt = t1 − t0 .
t0 t0
∇S(q) = n(q) .
3 Wellenfronten, Lichtstrahlen und Eikonalgleichung 193
Hieran sehen wir, wie der ortsabhängige Brechungsindex das Fortschreiten der
Wellenfronten steuert: An einer Stelle q mit kleiner (großer) Ausbreitungsge-
schwindigkeit des Lichts 1/n(q) ist n(q) = ∇S(q) groß (klein), die Wellen-
fronten rücken nahe q zusammen (auseinander).
(ii) Die kanonischen Gleichungen fol-
gen aus dem Fermatschen Prinzip, nach {S = t}
welchem sich jeder Lichtstrahl zwischen
zwei eng benachbarten Punkten q0 , q1 Licht–
auf einer Bahn kürzester Laufzeit be- strahlen
wegt. Näheres hierzu in 3.3.
q̇(t)
(iii) Die optische Transversalitätsbedin-
gung besagt, dass der Wellenvektor p(t)
eines Lichtstrahls im Punkt q(t) senk- q(t)
p(t) =
recht auf der Wellenfront {S = t} ∇S(q(t))
steht; für den Geschwindigkeitsvektor
q̇(t) trifft das i.A. nicht zu. Im Fall
eines isotropen Mediums sind aller-
dings q̇(t) und p(t) gleichgerichtet; hier 3 45 6
schneiden sich Lichtstrahlen und Wel- Wellenfronten
lenfronten senkrecht ÜA .
{S = t} = {q ∈ Ω | S(q) = t}
Eτ (q) ≈ {q + v | v ∈ Ê 3
mit L(q, v) = τ }
= {q + τ w | w ∈ Ê 3
mit L(q, w) = 1} .
194 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
Das Fermatsche Prinzip besagt, dass sich Lichtteilchen auf Bahnen t → q(t) be-
wegen, für die die Laufzeit zwischen je zwei hinreichend banachbarten Punkten
3 Wellenfronten, Lichtstrahlen und Eikonalgleichung 195
d
∇v L(q(t), q̇(t)) = ∇q L(q(t), q̇(t)), L(q(t), q̇(t)) = 1,
dt
Wie in 2.1 nehmen wir die Fläche M als C2 –differenzierbar und orientierbar an.
Ê Ê
Wir verwenden jetzt die Notation (q, y, p) ∈ Ω × × 3 anstelle von (x, y, z)
und setzen
1
F (q, y, p) := 2 (H(q, p)
2
− 1).
Es gilt dann
∇q F = H∇q H, ∂y F = 0 , ∇p F = H∇p H.
H(q, ∇S(q)) = 1
mit S = 0 auf M , und ist t → q(t) ein zugehöriger Lichtstrahl mit Wellenvek-
torfeld t → p(t), d.h. gilt
d.h. t → (q(t), y(t), p(t)) ist eine Charakteristik von F . Umgekehrt sei t →
(q(t), y(t), p(t)) eine Charakteristik von F mit H(q(0), p(0)) = 1. Dann gilt
nach Beweisteil (b) in 2.4 F (q(t), y(t), p(t)) = 0 und damit H(q(t), p(t)) = 1
für alle t. Hieraus ergeben sich unmittelbar die Gleichungen der Lichtstrahlen.
Als Anwendung des Hauptsatzes 2.4 zeigen wir den
(b) Satz. Für jede orientierbare C2 –Fläche M ⊂ Ω hat das Cauchy–Problem
für die Eikonalgleichung,
in einer Umgebung von M genau zwei, sich nur durch das Vorzeichen unter-
scheidende Lösungen ± S.
Jede beliebige orientierbare Fläche erzeugt also eine (bis auf die Zeitorientie-
rung) eindeutig bestimmte Lichtausbreitung längs Wellenfronten und Licht-
strahlen. Dass ein Vorzeichenwechsel des Eikonals ein Wechsel der Zeitorientie-
rung bedeutet, ergibt sich aus der Beziehung S(q(t)) = t , welche unmittelbar
d
aus der in 3.1 abgeleiteten Relation dt S(q(t)) = 1 zusammen mit S(q(0)) = 0
folgt.
Zum Beweis haben wir die Voraussetzungen des Hauptsatzes der gegebenen
Situation anzupassen, d.h. wir müssen den Anfangswerten f = 0 für das Eikonal
S auf M noch Anfangswerte g für den Gradienten ∇S auf M hinzufügen. Die
Verträglichkeitsbedingungen 2.3(a),(b) legen das Vektorfeld g und damit die
Lösung S des Cauchy–Problems bis auf das Vorzeichen fest:
Die Verträglichkeitsbedingungen 2.3(b) liefern
0 1
∂ ∂ϕ
0 = f (ϕ(s)) = g(ϕ(s)) , (s) für s ∈ W, i = 1, 2,
∂si ∂si
d.h. g muss ein Normalenfeld auf der Fläche M sein. Die Bedingung 2.3(a),
H(ξ, g(ξ)) = 1 für ξ ∈ M,
wird für jeden Punkt ξ ∈ M durch genau zwei entgegengesetzt gleiche Vektoren
± g(ξ) erfüllt, was sich aus der Punktsymmetrie von H in 3.1 ergibt. Damit
bleiben wegen der Orientierbarkeit von M genau zwei Möglichkeiten für die
Wahl von g. Die Transversalitätsbedingung 2.3(c) ist erfüllt, denn wegen
3 Wellenfronten, Lichtstrahlen und Eikonalgleichung 197
∇S = n , S = 0 auf M.
Es gilt dann
∇q F = 0 , ∂y F = 0 , ∇p F = p ,
und das charakteristische AWP lautet mit den Bezeichnungen von 2.1, 2.4
des Systems
∂uα
= fiα (x, u) (i = 1, . . . , m, α = 1, . . . , n).
∂xi
Dabei sind die fiα gegebene Cr –Funktionen auf Ω × Ê , wobei
n
Ω⊂ Êm
ein
Gebiet und r ≥ 2 ist.
Notwendig für die Existenz einer Lösung sind die Integrabilitätsbedingun-
gen
m
∂fkα ∂fiα ∂fkα ∂fiα
− + fiβ − fkβ = 0
∂xi ∂xk ∂uβ ∂uβ
β=1
für alle α, i, k mit i = k. Diese ergeben sich unmittelbar aus der Relation
∂i ∂k u = ∂k ∂i u ÜA .
ÜA . Wegen des Eindeutigkeitssatzes für (∗∗) ist daher u eindeutig bestimmt.
(b) Sei umgekehrt t → y(t, x) die Lösung des vom Parameter x abhängigen
AWP (∗∗). Dann existiert y(t, 0) für alle t, und es gilt y(t, 0) = b. Nach der
allgemeinen Theorie (§ 2 : 7.2 in Verbindung mit § 2 : 7.4 (c)) gibt es eine – gleich
sternförmig gewählte – Nullpunktsumgebung U, so dass für alle x ∈ U das Exi-
stenzintervall von y(t, x) das Intervall [0, 1] umfaßt; ferner ist y(t, x) bezüglich
der Variablen t, x C2 –differenzierbar wegen r ≥ 2.
200 § 7 Die Charakteristikenmethode für DG 1. Ordnung
u(x) := y(1, x)
m
∂fkα
n
∂fkα ∂y β
= t (. . .) + (. . .) (t, x) xk
∂xi ∂uβ ∂xi
k=1 β=1
m
∂f α
n
∂f α ∂y β
−t i
(. . .) xk + i
(. . .) (t, x)
∂xk ∂uβ ∂t
k=1 β=1
m
∂f α ∂fiα
n
∂fiα
m
= t k
(. . .) − (. . .) xk + (. . .) fkβ (. . .) xk
∂xi ∂xk ∂uβ
k=1 β=1 k=1
∂f α
n m
+ k
(. . .) ziβ (t, x) + t fiβ (. . .) xk .
∂uβ
β=1 k=1
∂ziα
n
m
∂fkα
(t, x) = (tx, y(t, x)) ziβ (t, x).
∂t ∂uβ
β=1 k=1
Dies ist ein homogenes lineares System gewöhnlicher DG für zi = (zi1 , . . . , zin ).
Wegen ziα (0, x) = 0 folgt nach dem Eindeutigkeitssatz § 3 : 1.2 ziα (t, x) = 0 für
α = 1, . . . , n, i = 1, . . . , m . Damit erhalten wir
∂uα
(x) − fiα (x, u(x)) = ziα (1, x) = 0 für x ∈ U
∂xi
und u(0) = y(1, 0) = b.
Ferner folgt aus dem Bestehen dieser DG, dass ∂uα
∂xi
∈ Cr (U), also u ∈ Cr+1 (U).
2
Kapitel IV
Hilfsmittel aus der Analysis
Für die Behandlung partieller Differentialgleichungen wie auch für die mathema-
tischen Grundlagen der Quantenmechanik bedarf es einer Erweiterung unseres
mathematischen Rüstzeugs. Problemorientiertes Vorgehen, also Bereitstellung
der mathematischen Hilfsmittel jeweils nach Bedarf, würde die Geschlossenheit
der Argumentation bei den im folgenden behandelten Themenbereichen stören;
auch werden einige dieser Hilfsmittel an mehreren Stellen benötigt.
Wir empfehlen den Lesern, sich die benötigten Vorkenntnisse erst bei Bedarf
anzueignen; diese werden zu Beginn jedes der folgenden Paragraphen genannt.
Mit dem Lebesgue–Integral und seinen Eigenschaften sollten Sie sich allerdings
schon an dieser Stelle vertraut machen. Um Ihnen den Zugang zu erleichtern
und um rasch zur Sache zu kommen, stellen wir im folgenden Paragraphen die
Grundzüge der Lebesgueschen Theorie zusammen. Für die meisten Beweise wird
auf Kap. VI verwiesen, in welchem im Hinblick auf die Quantenmechanik eine
allgemeine Maß– und Integrationstheorie entwickelt wird.
− Δu = f in Ω , u = 0 auf ∂Ω
u, ϕ V = f,ϕ H
Beide Räume H0 und V0 sind bezüglich der durch das jeweilige Skalarprodukt
gegebenen Norm nicht vollständig, lassen sich aber zu Hilberträumen erweitern.
Der hierfür entscheidende Schritt ist die Erweiterung des Raums H0 .
Grundlage hierfür ist der 1902 von Henri Lebesgue entwickelte Integralbe-
griff. Ein Hauptergebnis der Lebesgueschen Theorie ist die Vertauschbarkeit
von Limes und Integral unter wesentlich schwächeren Bedingungen als denen
der gleichmäßigen Konvergenz. Damit läßt sich zeigen, dass die gesuchte Ver-
vollständigung von H0 durch
L2 (Ω) = u:Ω→ Ê|u 2
ist im Lebesgueschen Sinn integrierbar
Ê
Eine Menge M ⊂ n heißt messbar (genauer: Lebesgue–messbar), wenn
es zu jedem ε > 0 eine offene Menge Ω und eine abgeschlossene Menge A gibt
mit
A ⊂ M ⊂ Ω und V n (Ω \ A) < ε .
(V n (Ω \ A) ist für die offene Menge Ω \ A bereits definiert.) Für messbare
Mengen M definieren wir das Volumen, jetzt Lebesgue–Maß genannt, durch
V n (M ) := inf { V n (Ω) | Ω offen, M ⊂ Ω, V n (Ω) < ∞ } ,
falls es eine offene Obermenge endlichen Maßes gibt; andernfalls sagen wir M
”
hat kein endliches Maß“ und schreiben V n (M ) = ∞.
Das System der messbaren Mengen bezeichnen wir mit A . Dieses Mengensystem
erweist sich als sehr umfangreich, enthält aber nicht sämtliche Teilmengen des
Ê n
, vgl. § 19 : 8.1. Quader und offene Mengen sind Lebesgue–messbar, und für
diese stimmen Lebesgue–Maß und das bisher definierte Volumen überein, vgl.
Bd. 1, § 23 : 4.1 und 7.1. Weiter gilt
(i) ∅, Ê
n
∈ A,
(ii) M, N ∈ A =⇒ M \ N ∈ A ,
(iii) M, N ∈ A =⇒ M ∩ N ∈ A ,
(iv) A enthält mit je endlich vielen oder abzählbar vielen Mengen auch deren
Vereinigung.
Ê
Ein solches Mengensystem heißt eine σ–Algebra auf n. Die entscheiden-
de, für Vollständigkeitseigenschaften verantwortliche Eigenschaft des Lebesgue–
Maßes ist die σ–Additivität (abzählbare Additivität)
7
∞
∞
V n( Ak ) = V n (Ak ) für paarweise disjunkte Ak ∈ A.
k=1 k=1
7
∞
Das ist so zu lesen: Genau dann hat A := Ak endliches Maß, wenn alle Ak
k=1
∞
endliches Maß haben und wenn die Reihe V n (Ak ) konvergiert. Dann ist
k=1
V n (A) durch diese Reihe gegeben. Andernfalls schreiben wir V n (A) = ∞.
Für AN+1 = AN+2 = · · · = ∅ folgt die endliche Additivität:
7
N
N
V n( Ak ) = V n (Ak ) für paarweise disjunkte Ak ∈ A.
k=1 k=1
Einpunktige Mengen haben offenbar das Maß Null. Wegen (iv) und der σ–
Additivität sind daher alle abzählbaren Mengen Lebesgue–messbar mit Maß 0,
z.B. die Menge n aller Vektoren mit rationalen Komponenten. ( ÜA : Zeigen
Sie per Induktion, dass n abzählbar ist). Nach (ii) enthält A alle abgeschlos-
senen Mengen. Kompakte Mengen haben endliches Maß.
204 § 8 Lebesgue–Theorie und Lp –Räume
Beweis.
(i) folgt direkt aus der Definition.
(ii) Zu gegebenem ε > 0 gibt es nach der oben gemachten Bemerkung Quader
Ik mit
7
∞
∞
Ak ⊂ Ik und V n (Ik ) < ε 2−k .
=1 =1
Allgemein heißt eine Eigenschaft E(x) fast überall auf Ω erfüllt, wenn sie
höchstens auf einer Nullmenge verletzt ist. Konvergenz fast überall von
Funktionen uk auf Ω bedeutet also, dass
unabhängig von der Darstellung und genügt den üblichen Rechenregeln. Die
Ê
charakteristische Funktion χA einer messbaren Menge A ⊂ n ist genau dann
eine integrierbare Elementarfunktion, wenn V n (A) < ∞. Es gilt dann
χA = V n (A) .
Wir schreiben in diesem Fall u < ∞“.
”Ω
(ii) Die Folge ( ϕk ) ist unbeschränkt. Dann gilt dies auch für jede andere gegen
u aufsteigende Folge positiver integrierbarer Elementarfunktionen.
In diesem
Fall heißt u nicht über Ω integrierbar. Wir sagen auch u existiert nicht“
”Ω
und schreiben u = ∞“.
”Ω
(d) Integrierbarkeit und Integral beliebiger messbarer Funktionen.
Eine messbare Funktion u : Ω → Ê
heißt (Lebesgue–)integrierbar, wenn
die positiven messbaren Funktionen
u+ := 1
2
(|u| + u) , u− := 1
2
(|u| − u)
im Sinne von (c) integrierbar sind. Wir setzen dann
u := u+ − u− .
Ω Ω Ω
1.6 Konvergenzsätze
Die Konvergenzsätze stellen die Hauptresultate der Lebesgueschen Integra-
tionstheorie dar. In dieser Theorie ist für eine Folge integrierbarer Funktionen
u1 , u2 , . . . ∈ L1 (Ω) die Vertauschung von Limes und Integral bereits unter der
schwachen Voraussetzung der punktweisen Konvergenz f.ü. gesichert, dass die
Folge durch eine Majorante kontrollierbar bleibt. Für den Integralbegriff aus
Bd. 1 und das Riemann–Integral besitzen die Konvergenzsätze kein Analogon.
Konvergiert eine Folge (uk ) punktweise f.ü., so definieren wir u = lim uk wie
k→∞
in 1.3 (b) und erhalten nach 1.4 (b) eine messbare Funktion u.
(a) Satz von Lebesgue von der majorisierten Konvergenz (1902).
Konvergiert eine Folge uk ∈ L1 (Ω) fast überall in Ω und besitzt eine integrier-
bare Majorante f ∈ L1 (Ω),
|uk (x)| ≤ f (x) f.ü. (k = 1, 2, . . .) ,
so ist u := lim uk über Ω integrierbar, und es gilt
k→∞
u = lim uk .
k→∞
Ω Ω
Dass auf die Majorantenbedingung nicht verzichtet werden kann, zeigt das Bei-
spiel in Bd. 1, § 12 : 1.2 (b).
(b) Satz von Beppo Levi über monotone Konvergenz (1906).
Bilden uk ∈ L1 (Ω) eine monoton aufsteigende Folge, und ist die Folge der
Integrale uk nach oben beschränkt, so gibt es eine Funktion u ∈ L1 (Ω) mit
Ω
u(x) = lim uk (x) f.ü. und es gilt u = lim uk .
k→∞ k→∞
Ω Ω
(c) Der kleine Satz von Lebesgue“. Ist V n (Ω) < ∞ und konvergiert eine
”
Folge (uk ) von beschränkten, messbaren Funktionen auf Ω gleichmäßig gegen
eine Funktion u, so sind die Voraussetzungen des Satzes von Lebesgue erfüllt.
Denn ist C eine Schranke für die |uk |, so ist die Elementarfunktion C χΩ eine
Majorante der Folge.
Die Voraussetzung V n (Ω) < ∞ ist wesentlich. Das zeigt das Beispiel Ω = Ê,
Ê und
+∞
uk = 1χ
k [0,k]
mit uk → 0 gleichmäßig auf uk = 1.
−∞
(i) Ist I ein kompakter Quader und u stetig auf I, so ist u gleichmäßiger Limes
von Treppenfunktionen ϕk auf I. Nach Definition des herkömmlichen Integrals
und nach (c) folgt
u(x) dn x = lim ϕk (x) dn x = lim ϕk = u. 2
k→∞ k→∞
I I I I
Ê
(ii) Ist Ω ⊂ n offen und u∈ C0 (Ω) im herkömmlichen Sinn integrierbar, so
gilt u ∈ L1 (Ω) und u = u(x) dn x .
Ω Ω
Es genügt, dies für positive, stetige Funktionen zu zeigen. Nach Bd. 1, § 23 : 4.1
◦ ◦ 7
∞
gibt es kompakte Quader Ik mit I k ∩ I = ∅ für k = und Ω = Ik . Nach
k=1
Bd. 1, § 23 : 4.2 gilt
N
u(x) dn x = lim u(x) dn x .
N→∞ k=1
Ω Ik
N
Für uN := u χIk gilt u1 ≤ u2 ≤ . . . und u(x) = lim uN (x) für jedes
N→∞
k=1
feste x, denn zu jedem x ∈ Ω gibt es ein m ∈ mit uk (x) = u(x) für k ≥ m.
Wegen 1.4 (f), der Linearität des Integrals und nach dem oben Bewiesenen gilt
N
N
N
uN = u χIk = u = u(x) dn x ≤ u(x) dn x .
Ω k=1 Ω k=1 Ik k=1 Ik Ω
210 § 8 Lebesgue–Theorie und Lp –Räume
1.7 Parameterintegrale
Sei Ω ⊂ Ên
eine messbare Menge, Λ ⊂ Ê m
ein Gebiet, und das Parameterin-
tegral
U (x) = u(x, y) dn y
Ω
existiere für alle x ∈ Λ. Dann ergibt sich als Anwendung des Satzes von Lebes-
gue der folgende
Satz. (a) Ist x → u(x, y) für fast alle y ∈ Ω stetig und existiert eine Ma-
jorante f ∈ L1 (Ω) mit | u(x, y )| ≤ f (y) für x ∈ Λ, y ∈ Ω, so ist U stetig in
jedem Punkt von Λ.
(b) Ist x → u(x, y) für fast alle y ∈ Ω C1 –differenzierbar und existieren
Majoranten fi ∈ L1 (Ω) mit
∂u
(x, y) ≤ fi (y) für x ∈ Λ , y ∈ Ω (i = 1, . . . , m) ,
∂xi
also existiert ∂U
∂xi
(x) für alle x ∈ Λ. Die Stetigkeit von ∂U
∂xi
(x) folgt aus (a). 2
Ê d +∞ +∞
Beispiel. Für f ∈ L1 ( ) gilt f (t) sin(xt) dt = t f (t) cos(xt) dt.
dx −∞ −∞
Ê = Ê × Ê = {( x, y) | x ∈ Ê , y ∈ Ê } mit n = p + q.
n p q p q
Satz von Tonelli. Sei u : Ω → Ê eine messbare Funktion, für welche die
Integrale
|u(x, y)| dq y für fast alle x und |u(x, y)| dq y dp x
Ωx Ω1 Ωx
ein Skalarprodukt definieren, stoßen dabei aber auf die Schwierigkeit der fehlen-
den positiven Definitheit. Aus u , u = |u|2 = 0 folgt nicht u = 0, sondern
Ω
lediglich u = 0 f.ü.
(b) Wir erzwingen die positive Definitheit, indem wir alle fast überall gleichen
L2 –Funktionen identifizieren, d.h. als gleich betrachten. Den so vergröberten
Raum L2 (Ω) bezeichnen wir mit L2 (Ω) .
Das bedeutet, dass wir fast überall gleiche Funktionen zu Klassen
[ u ] := { v ∈ L2 (Ω) | v = u f.ü. }
α u1 + β v1 = α u2 + β v2 f.ü. für α, β ∈ ,
u1 v1 = u2 v2 .
Ω Ω
sinnvoll.
Auf diese Weise wird L2 (Ω) ein Vektorraum über mit Nullvektor [ 0 ], auf
dem [ u ] , [ v ] ein Skalarprodukt liefert.
Im Hinblick auf Vektorraumoperationen, Skalarprodukte und Normen ist es
nach dem oben Gesagten unerheblich, mit welchen Vertretern einer Klasse wir
arbeiten; in dieser Hinsicht sind alle Vertreter einer Klasse gleichwertig. Wir
dürfen also künftig von L2 –Funktionen statt von Klassen sprechen und uns
pragmatisch auf den Standpunkt stellen:
L2 (Ω) ist die Menge aller u ∈ L2 (Ω) mit dem Gleichheitsbegriff u = v f.ü.
Dies ist, wie gesagt, solange unproblematisch, solange wir L2 (Ω) als Skalarpro-
duktraum auffassen. Dagegen macht es keinen Sinn, von einzelnen Funktions-
werten einer L2 –Funktion zu sprechen!
214 § 8 Lebesgue–Theorie und Lp –Räume
Eine wichtige Ausnahme von dieser Einschränkung bilden die stetigen Funk-
tionen auf einem Gebiet Ω. Für u, v ∈ C0 (Ω) hat u = v f.ü. zur Folge, dass
u(x) = v(x) für alle x ∈ Ω. Denn wäre u(a) − v(a) = 0 für ein a ∈ Ω, so gäbe
es ein r > 0 mit Kr (a) ⊂ Ω und u(x) − v(x) = 0 in Kr (a). Die Kugel Kr (a)
hat aber positives Maß.
Enthält also eine Klasse in L2 (Ω) eine stetige Funktion, so ist dies die einzige
stetige in dieser Klasse; wir wählen immer diese als Vertreterin.
(c) Die zum L2 –Skalarprodukt u , v := u · v auf L2 (Ω) gehörige Norm
Ω
heißt L2 –Norm und wird wahlweise mit
u2 = uL2 := u, u
bezeichnet. Die Konvergenz bezüglich dieser Norm
u − un 2 → 0 ⇐⇒ |u − un |2 → 0
Ω
heißt L2 –Konvergenz oder Konvergenz im Quadratmittel. Näheres dazu
in (d). In § 20 : 7.2 beweisen wir den
Satz von Fischer–Riesz (1907). L2 (Ω) ist vollständig, d.h. ein Hilbertraum
bezüglich des L2 –Skalarprodukts:
Ist (uk ) eine L2 –Cauchyfolge, so gibt es eine L2 –Funktion u mit
u − uk 2 → 0 für k → ∞ .
Darüberhinaus existiert eine Teilfolge (unk ) mit unk → u f.ü. .
Beweis.
Es gilt |uk (x)|2 ≤ |f (x)|2 f.ü. , also auch |u(x)|2 = lim |uk (x)|2 ≤ |f (x)|2 f.ü..
k→∞
Da u := lim uk nach 1.4 (b) messbar ist, folgt die Integrierbarkeit von |u|2
k→∞
und |uk |2 nach dem Majorantenkriterium 1.5 (d). Ferner gilt
| u(x) − uk (x) |2 → 0 f.ü. und | u(x) − uk (x) |2 ≤ 4 |f (x)|2 f.ü..
Also ergibt sich die Behauptung aus dem Satz von Lebesgue 1.6 (a). 2
Satz. Lp (Ω), versehen mit der Norm up , ist vollständig, also ein Banach-
raum.
Weiter folgt aus u − uk p → 0 in Lp (Ω) die Existenz einer Teilfolge (unk )
mit
unk → u f.ü.
Zum Beweis ist zu zeigen: Lp (Ω) ist ein Vektorraum über , · p liefert eine
Norm, und Lp (Ω) ist in dieser Norm vollständig.
Zunächst gilt: u ∈ Lp (Ω), α ∈
=⇒ αu ∈ Lp (Ω) und αup = |α| · up .
Daraus folgt die Vektorraumeigenschaft: Für u, v ∈ Lp (Ω) gilt
p p
| u + v |p ≤ |u| + |v| ≤ 2 sup {|u|, |v|} = 2p sup {|u|p , |v|p } ,
also ist |u + v|p integrierbar nach 1.5 (e),(f). Die Dreiecksungleichung ist für
p = 1 trivial; für p > 1 wird sie in 2.3 bewiesen.
Die Vollständigkeit wird in § 20 : 7.2 gezeigt.
Beweis als ÜA : Bestimmen Sie für festes y > 0 das Minimum der Funktion
x → f (x) = xp /p + y q /q − xy.
(b) Die Höldersche Ungleichung. Sei p, q > 1 und 1/p + 1/q = 1. Dann
ist für u ∈ Lp (Ω), v ∈ Lq (Ω) die Funktion u · v integrierbar, und es gilt
u · v1 ≤ up · vq .
Beweis.
Aus up = 0 folgt u = 0, also u · v = 0 und damit die Behauptung. Entspre-
chend ist die Behauptung im Fall vq = 0 richtig.
Sei also up , vq > 0 und f := u/up , g := v/vq . Aus (a) folgt
1 | u(x) |p 1 | v(x) |q
| f (x) · g(x) | ≤ + .
p up p
q vqq
Die rechte Seite ist integrierbar, also nach dem Majorantenkriterium auch die
linke. Integration ergibt f · g1 ≤ p1 + 1q = 1 , also u · v1 ≤ up · vq . 2
Beweis.
Für p = 1 ist das klar. Für p > 1 und u, v ∈ Lp (Ω) gilt u + v ∈ Lp (Ω) und
Aufgabe. Zeigen Sie: Für 1 ≤ p < r < q und u ∈ Lp (Ω) ∩ Lq (Ω) gilt die
Interpolationsungleichung
u ∈ Lr (Ω) und ur ≤ uα
p · uq
β
(d.h. Re qk , Im qk ∈ É
und die Eckpunkte der Quader Ik haben rationale Ko-
ordinaten) so dass ϕ − ψp < ε. Es folgt u − ψp < 2ε. Diese rationalen
Treppenfunktionen ψ bilden eine abzählbare Menge ( ÜA , benützen Sie die
É
Abzählbarkeit von 2n+2 , vgl. 1.2).
Satz. Für messbare Mengen Ω ⊂ Ên und 1 ≤ p < ∞ ist jede Teilmenge des
p
L (Ω) separabel .
Beweis.
Ê
(a) Nach dem eingangs zitierten Satz existiert eine in Lp ( n) dichte Folge (ψk )
von Treppenfunktionen. Dann liegt die Folge (ψk · χΩ ) dicht in Lp (Ω) ÜA .
(b) Sei (uk ) eine in Lp (Ω) dichte Folge und M ⊂ Lp (Ω). Nach Voraussetzung
gibt es zu jedem v ∈ M und jedem n ∈ Æ ein um mit v − um p < n1 , d.h.
v ∈ K1/n (um ) . Diejenigen Kugeln K1/n (um ), deren Durchschnitt mit M nicht
leer ist, lassen sich durchnumerieren: U 1 mit Radius 1 , U2 mit Radius 2 ,
etc. Wir wählen aus jedem U k ein vk ∈ M aus und erhalten so eine in M
Æ
dichte Folge (vk ). Denn zu jedem v ∈ M gibt es eine Teilfolge (nk ) von mit
v ∈ Unk , nk → 0 (s.o.). Es gilt dann v − vnk p < nk → 0 . 2
3* Der Hauptsatz der Differential– und Integralrechnung 219
für je endlich viele Intervalle [ak , bk ] ⊂ I mit paarweise disjunktem Innern und
N
(bk − ak ) < δ .
k=1
Satz. Für u ∈ L1 (I) und einen festen Punkt a ∈ I ist durch das unbestimmte
Integral
x x
U (x) := u = u(t) dt
a a
Beweis.
Es genügt, den Beweis für positive Funktionen zu führen. Sei ε > 0 gegeben.
Nach 1.4 (c) gibt es eine Elementarfunktion ϕ mit 0 ≤ ϕ ≤ u und (u − ϕ) < ε2 .
I
220 § 8 Lebesgue–Theorie und Lp –Räume
§ 9 Hilberträume
1 Beispiele für Hilberträume
1.1 Zum Hilbertraumkonzept
Ein Skalarproduktraum H über = bzw. =
heißt Hilbertraum,
wenn er als normierter Raum mit der Norm u = u , u vollständig ist, d.h.
wenn jede Cauchy–Folge (un ) in H einen Grenzwert u ∈ H besitzt.
Wie schon in § 8 : 1.1 gesagt wurde, spielen Hilberträume eine wichtige Rolle
für den Nachweis der Existenz von Lösungen von Differential– und Integralglei-
chungen. Häufig wird dabei der Hilbertraum L2 (Ω) der im Lebesgueschen Sinn
quadratisch integrierbaren Funktionen oder ein passender Teilraum zugrunde-
gelegt, vgl. § 14 : 6.
Der mathematische Formalismus der Quantenmechanik basiert auf der Theorie
linearer Operatoren in komplexen Hilberträumen, Näheres dazu in Kap. VI. Von
besonderer Bedeutung sind hierbei die orthogonalen Projektoren, die wir in
Abschnitt 2 behandeln.
Hauptgegenstand dieses Paragraphen sind Reihenentwicklungen nach Ortho-
normalsystemen in Analogie zu klassischen Fourierreihen.
Die für Hilberträume typische geometrische Betrachtungsweise erlaubt es, ana-
lytische Sachverhalte in eine übersichtliche Form zu bringen.
Beweis.
Nach Bd. 1, § 19 : 2.2 ist die Koordinatenabbildung U bijektiv, da jeder Vektor
n
u ∈ V eine eindeutige Basisdarstellung u = vk , u vk besitzt. Die Isometrie
k=1
folgt aus der Parsevalschen Gleichung
n
u2V = | vk , u |2 = U u2n .
k=1
Die Vollständigkeit von V ist wiederum eine Folge der Isometrie. Wir wollen
diesen Schluss wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Isomorphiebegriffs an-
schließend in einen allgemeineren Rahmen stellen. 2
222 § 9 Hilberträume
S := U T U −1 .
u, v 1 = Uu, Uv 2
Eines der Hauptergebnisse dieses Paragraphen besteht darin, dass alle separa-
blen Hilberträume unendlicher Dimension isomorph sind und durch den im Fol-
genden beschriebenen Hilbertschen Folgenraum 2 repräsentiert werden können.
x = (x1 , x2 , . . . )
ist zu zeigen:
(i) x ∈ 2 , (ii) x − x(n) → 0.
Aus (∗) folgt zunächst
N
(m) (n)
|xk − xk |2 < ε2 für m > n > nε und jede natürliche Zahl N
k=1
∞
(n)
|xk − xk |2 ≤ ε2 für n > nε ,
k=1
x − x(n) 2 = |xk |2 = |xk |2 − |xk |2 → 0 für n → ∞ .
∞ ∞ n
Bemerkungen.
Beachten Sie die Unterschiede zum endlichdimensionalen Fall:
(i) Das ONS e1 , e2 , . . . ist keine ONB und lässt sich auch nicht zu einer ONB
ergänzen, denn jeder zu e1 , e2 , . . . senkrechte Vektor x = (x1 , x2 , . . . ) ist wegen
ek , x = xk der Nullvektor.
(ii) Nicht jeder Teilraum ist abgeschlossen, wie das Beispiel 20 zeigt.
(iii) Nicht jede beschränkte, abgeschlossene Menge ist kompakt. Beispielsweise
√ Einheitskugel {x ∈ | x ≤ 1} die Folge (en ), von
2
enthält die abgeschlossene
der wegen en − em = 2 für n = m keine Teilfolge konvergieren kann.
(c) Der Hilbertsche Folgenraum ist separabel , vgl. § 8: 2.6. Denn die abzählbare
Menge
A = {q = (q1 , . . . , qN , 0, 0, . . .) | N ∈ , Re q k , Im qk ∈ }
ein Hilbertraum.
Sind H 1 , H 2 separabel, so auch H 1 ×H 2 ÜA .
Beweis.
(a) Sei V ein abgeschlossener Teilraum von E und (un ) eine Cauchy–Folge in
V . Da (un ) dann auch eine Cauchy–Folge in E ist, existiert u = lim un in E.
n→∞
Aus un ∈ V , un → u folgt u ∈ V , da V abgeschlossen ist.
(b) Sei V nicht abgeschlossen in E. Dann gibt es ein u ∈ E \ V und eine Folge
(vn ) in V mit vn → u. Die Folge (vn ) ist als konvergente Folge eine Cauchy–
Folge in V ohne Grenzwert in V . 2
u − P u ≤ u − v für alle v ∈ V .
Weiter gilt
u − P u ⊥ V für alle u ∈ H ,
u = P u ⇐⇒ u ∈ V.
Beweis.
(a) Existenz eines Punktes kleinsten Abstandes. Sei u ∈ H und
d := dist (u, V ) = inf u − v | v ∈ V .
Dann gibt es eine Minimalfolge (vn ) aus V mit
1
d2 ≤ u − vn 2 < d2 + (n = 1, 2, . . .) .
n
Wir zeigen, dass (vn ) eine Cauchy–Folge ist. Dazu verwenden wir die Parallelo-
grammgleichung a + b2 +a − b2 = 2a2 +2b2 und setzen a := 12 (u−vn ),
2 Abgeschlossene Teilräume und orthogonale Projektionen 227
= 1
2
u − vn 2 + 1
2
u − vm 2
< d2 + 1
2n
+ 1
2m
< d2 + 1
n
,
also vm − vn 2 < n4 für m > n. Da V nach 2.1 vollständig ist, gibt es ein
v0 ∈ V mit vn → v0 . Wegen der Stetigkeit der Norm folgt
u − v0 = lim u − vn = d .
n→∞
(b) Eindeutigkeit. Hat auch v∗ ∈ V von u den Abstand d, so ergibt die Paral-
lelogrammgleichung mit a = 12 (u − v0 ), b = 12 (u − v∗ ) wie oben
v∗ − v0 2 ≤ u − 12 (v∗ + v0 ) +
2
d2 + 1
4
1
4
v∗ − v0 2
= 1
2
u − v0 2 + 1
2
u − v∗ 2 = d2 ,
also v∗ − v0 = 0.
(c) Es genügt zu zeigen, dass u − P u ⊥ v für alle v ∈ V mit v = 1. Sei also
v0 := P u, v ∈ V mit v = 1 und α := v , u − v0 . Dann erhalten wir
d2 ≤ u − (v0 + αv)2 = u − v0 − αv , u − v0 − αv
= u − v0 2 − α v , u − v0 − α u − v0 , v + |α|2 = d2 − |α|2 ,
also α = 0.
(d) Aus P u = u folgt u ∈ V wegen P u ∈ V . Für u ∈ V folgt umgekehrt
u − P u = dist (u, V ) = 0, somit P u = u. 2
H = V ⊕ V ⊥,
u = v + w mit v ∈ V und w ∈ V ⊥ .
Beweis.
Nach 2.3 gilt u = P u + (u − P u) mit P u ∈ V und u − P u ∈ V ⊥ . Also gibt es
eine Zerlegung der behaupteten Art. Diese ist eindeutig: Aus
u = v1 + w1 = v2 + w2 mit v1 , v2 ∈ V , w1 , w2 ∈ V ⊥
2.5 Biorthogonalräume
(a) Für abgeschlossene Teilräume V eines Hilbertraums H gilt V ⊥⊥ = V .
⊥
(b) Für beliebige Teilräume U gilt U ⊥⊥ = U und U ⊥ = U .
Beweis.
(a) Für u ∈ V gilt u , v = 0 für alle v ∈ V ⊥ , also u ∈ V ⊥⊥ := (V ⊥ )⊥ .
Umgekehrt folgt für u ∈ V ⊥⊥ nach dem Zerlegungssatz
u = v + w mit v ∈ V ⊂ V ⊥⊥ und w ∈ V ⊥ .
(a) P2 = P ,
(b) u, P v = P u, v für alle u, v ∈ H .
(c) u , P u = P u2 .
(d) P ist stetig: P u ≤ u,
und Gleichheit gilt genau dann, wenn P u = u, d.h. u ∈ V .
Beweis.
(1) Sei P u die orthogonale Projektion von u auf V . Aus 2.3 entnehmen wir
P u = u ⇐⇒ u ∈ V . Wegen P u ∈ V folgt P 2 u = P u für alle u ∈ H .
(2) Linearität. Seien u1 = v1 + w1 , u2 = v2 + w2 mit v1 , v2 ∈ V , w1 , w2 ∈ V ⊥ .
Dann gilt für α1 , α2 ∈
α1 u1 + α2 u2 = α1 v1 + α2 v2 + α1 w1 + α2 w2 ;
P (α1 u1 + α2 u2 ) = α1 v1 + α2 v2 = α1 P u1 + α2 P u2 .
(3) Symmetrie. Wegen u − P u ⊥ V folgt u − P u ⊥ P v, ebenso v − P v ⊥ P u,
also
0 = u − P u, P v = u, P v − P u, P v ,
0 = P u, v − P v = P u, v − P u, P v .
Subtraktion dieser beiden Gleichungen ergibt die Behauptung.
(4) Der lineare Operator P : H → H habe die Eigenschaften (a),(b).
P ist linear, also ist V = Bild P ein linearer Teilraum. Es gilt v ∈ V ⇐⇒
P v = v, denn v = P u ∈ V =⇒ P v = P 2 u = P u = v.
Umgekehrt gilt P v = v =⇒ v ∈ Bild P = V . Bevor wir zeigen, dass V
abgeschlossen ist und P u die orthogonale Projektion von u auf V , notieren wir,
dass wegen (b) und (a) die Behauptung
(c) P u2 = P u , P u = u , P 2 u = u , P u
mit Gleichheit genau dann, wenn u und P u linear abhängig sind, d.h. wenn
P u = 0 oder wenn u ein Vielfaches von P u ist und damit u ∈ V gilt. Das ergibt
P u ≤ u mit Gleichheit genau dann, wenn u ∈ V .
230 § 9 Hilberträume
2.7 Aufgaben
(a) Zeigen Sie für orthogonale Projektoren P1 , P2 :
Bild P1 ⊂ Bild P2 ⇐⇒ P1 P2 = P2 P1 = P1 ⇐⇒ P1 ≤ P2 .
Dabei bedeutet P1 ≤ P2 wie üblich u , P1 u ≤ u , P2 u für alle u ∈ H und
ist nach 2.6 (c) gleichbedeutend mit P1 u ≤ P2 u für alle u ∈ H .
Anleitung: Bild P1 ⊂ Bild P2 ⇐⇒ P2 P1 = P1 ergibt sich leicht. P1 P2 = P1
folgt dann mit dem Zerlegungssatz für P2 . Der Rest ergibt sich aus 2.6 (c), (d).
(b) Im Fall P1 P2 = P2 P1 ist P1 P2 die orthogonale Projektion auf den Raum
Bild P1 ∩ Bild P2 .
(c) Jeder abgeschlossene Teilraum eines separablen Hilbertraums ist separabel.
Es ist leicht zu sehen, dass durch L eine Norm auf V ∗ gegeben ist ÜA .
Für jeden Vektor v eines Skalarproduktraums liefert Lv : u → v , u ein linea-
res stetiges Funktional, vgl. 2.2 (b). In Hilberträumen gilt auch die Umkehrung:
2 Abgeschlossene Teilräume und orthogonale Projektionen 231
Beweis.
(a) Für L = 0 gilt 0 = Lu = 0 , u für alle u ∈ H . Umgekehrt folgt aus
0 = Lu = v , u für alle u ∈ H insbesondere Lv = v , v = 0, also v = 0.
(b) Im Fall L = 0 ist V := Kern L ein echter Teilraum und abgeschlossen als
Nullstellenmenge einer stetigen Funktion. Daher gilt nach dem Zerlegungssatz
H = V ⊕ V ⊥ mit V ⊥ = {0} .
Wenn die Behauptung des Satzes stimmt, so gibt es einen Vektor v = 0 mit
V = Kern L = u ∈ H | v , u = 0 = Span {v}⊥ ,
also V ⊥ = Span {u}⊥⊥ = Span {v} nach 2.5 (a). Da V ⊥ eindimensional ist,
besitzt nach dem Zerlegungssatz jeder Vektor u ∈ H eine eindeutige Zerlegung
u = u0 + αw mit u0 ∈ V , α ∈ und einem festen Vektor 0 = w ∈ V ⊥ .
Ausgehend von dieser Zielvorstellung konstruieren wir jetzt den gesuchten Vek-
tor v. Wegen V ∩ V ⊥ = {0} gilt Lw = 0 für 0 = w ∈ V ⊥ . Wir wählen einen
Vektor w ∈ V ⊥ mit Lw = 1.
Für einen gegebenen Vektor u ∈ H suchen wir eine Darstellung u = u0 +αw mit
u0 ∈ V und α ∈ . Notwendig dafür ist Lu = 0+αLw = α, also u0 = u−Lu·w.
Umgekehrt: Für u0 := u − Lu · w gilt Lu0 = Lu − Lu = 0. Wir erhalten also
u = u0 + Lu · w mit u0 ∈ V , w ∈ V ⊥
und daraus
w , u = Lu · w2 .
Es folgt Lu = v , u mit v = w/w2 .
(c) v ist dadurch eindeutig bestimmt. Aus v , u = v ∗ , u für alle u ∈ H
folgt v − v ∗ ⊥ H , insbesondere v − v ∗ , v − v ∗ = 0, also v = v ∗ .
232 § 9 Hilberträume
(d) Wir zeigen L = v: Für u ≤ 1 folgt nach Cauchy–Schwarz
3 Dichte Teilräume
3.1 Beispiele
(a) Die Treppenfunktionen in Ω bil-
den einen dichten Teilraum von L2 (Ω), δ
vgl. § 8: 2.6.
f − u ≤ f − ϕ + ϕ − u < 2ε .
ÜA Geben Sie für ϕ = χ[α,β] und für ε > 0 ein f ∈ PC [α, β] ∩ C0 [α, β] an
1
mit f − u ≤ ε.
(c) Die Polynome liegen dicht in L2 [a, b], daher liegt auch C∞ [a, b] dicht.
Denn seien u ∈ L2 [a, b] und f ∈ C[a, b] mit f − u < ε. Nach dem Weierstraß-
schen Approximationssatz § 6: 2.9 gibt es dann ein Polynom p mit
√
f − p ≤ b − a f − p∞ < ε , also u − p < 2ε .
also u = 0 .
4 Vollständige Orthonormalsysteme
4.1 Problemstellung, Beispiele für symmetrische Operatoren
Orthonormalsysteme (ONS) treten u.a. im Zusammenhang mit symmetrischen
Operatoren auf. In endlichdimensionalen Skalarprodukträumen V gibt es be-
kantlich zu jedem symmetrischen Operator T eine Orthonormalbasis (v1 , . . . , vn )
aus Eigenvektoren, und jeder Vektor u ∈ V besitzt die Darstellung
n
u = vk , u vk .
k=1
(b) Sei Ω ⊂ Ê 3
ein Gaußsches Gebiet und
V := u ∈ C2 (Ω) ∩ C1 (Ω) | u(x) = 0 auf ∂Ω
mit dem von L2 (Ω) herkommenden Skalarprodukt versehen. Aus Bd. 1, § 26 : 5.7
entnehmen wir u , Δv = Δu , v für u, v ∈ V ; also ist der Laplace–Operator
u → − Δu symmetrisch, und Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten sind
zueinander orthogonal. Wir werden später zeigen, dass es eine Folge positiver
Eigenwerte λn mit eindimensionalen Eigenräumen gibt mit λn → ∞. Daher
gibt es ein ONS v1 , v2 , . . . zugehöriger Eigenvektoren, und wir können wieder
fragen, ob für jedes u ∈ V eine Reihenentwicklung der Form (∗) besteht. Ist
dies der Fall, so können wir ähnlich wie in § 6 : 4 das Wärmeleitungsproblem
∂u
= Δu in Ω , u = 0 auf ∂Ω , u(x, 0) = f (x) für x ∈ Ω
∂t
mit der Separationsmethode angehen: Der Produktansatz u(x, t) = w(t) v(x)
für Lösungen u ∈ V der Wärmeleitungsgleichung führt über
ẇ(t) Δv(x)
=
w(t) v(x)
auf das Eigenwertproblem −Δv = λv, v ∈ V und die Bedingung ẇ = −λw. Aus
(∗) folgt dann für jede Lösung u ∈ V des Wärmeleitungsgleichungsproblems
∞
(∗∗) u(x, t) = bk e−λk t vk (x) mit bk = vk (x) u(x, 0) d3 x = vk , f ,
k=1 Ω
4.2 Orthogonalreihen
Konvergenz von unendlichen Reihen in Skalarprodukträumen definieren
wir durch
∞
n
u = uk : ⇐⇒ lim u − uk = 0 .
k=1 n→∞ k=1
4 Vollständige Orthonormalsysteme 235
Der Beweis stützt sich auf den verallgemeinerten Satz von Pythagoras
n 2
n
n
n
(P ) uk = ui , uk = uk 2 .
k=m i=m k=m k=m
Beweis.
∞
n
Aus u = λk vk = lim λk vk folgt wegen der Stetigkeit des Skalarpro-
k=1 n→∞ k=1
dukts
n
vm , u = lim vm , λk vk (m = 1, 2, . . .).
n→∞ k=1
Für n ≥ m gilt aber
n
n
vm , λk vk = λk vm , vk = λm . 2
k=1 k=1
Denn nach Bd. 1, § 19 : 2.5 gilt die für das folgende fundamentale Beziehung
n
n
(∗∗) u − vk , u vk = u2 −
2
| vk , u |2 (n = 1, 2, . . . ).
k=1 k=1
Es folgt
.
n
| vk , u |2 ≤ u2 für alle n ∈
k=1
Bemerkungen.
(i) Beispiele folgen in 4.5, 4.6.
(ii) Besitzt ein Skalarproduktraum V ein vollständiges ONS, so ist er separabel,
d.h. er enthält eine abzählbare dichte Menge, vgl. § 8: 2.6. Denn die Vektoren
N
der Form λk vk liegen dicht in V , und jeder solche Vektor läßt sich durch
k=1
N
Vektoren der Form μk vk mit Re μk , Im μk ∈ beliebig gut approximieren.
k=1
Letztere bilden eine abzählbare Menge. In 4.7 zeigen wir, dass umgekehrt jeder
separable Skalarproduktraum ein vollständiges ONS besitzt.
(e) Ein wichtiges Kriterium zum Nachweis der Vollständigkeit eines ONS ist
das folgende:
Satz. Ein ONS v1 , v2 , . . . in einem Hilbertraum H ist genau dann vollständig,
wenn gilt:
Beweis.
(a) ⇐⇒ (b) nach 4.3 (∗∗).
(c) =⇒ (b) mit u = v.
(a) =⇒ (c): Wegen der Stetigkeit und der Linearität von v → u , v gilt
n
n
u, v = lim u, vk , v vk = lim vk , v u , vk
n→∞ k=1 n→∞ k=1
∞
= vk , u vk , v .
k=1
u − λk vk 2 = u2 − | vk , u |2 + | λk − vk , u |2
n n n
(Bd. 1, § 19 : 2.3 und 4.3 (∗∗)): Wir fixieren ein u ∈ V . Nach (d) gibt es zu
N
vorgegebenem ε > 0 eine Linearkombination w = λk vk mit u − w < ε.
k=1
Nach den oben angegebenen Beziehungen folgt dann für alle n ≥ N
u − vk , u vk 2 = u2 − | vk , u |2
n n
k=1 k=1
N
N 2
≤ u − 2
| vk , u |2 = u − vk , u vk
k=1 k=1
N 2
≤ u − λk vk < ε nach 4.3 (a).
k=1
Für 2π–periodische PC1 –Funktionen u konvergiert nach dem Satz von Dirichlet
(§ 6: 2.3) die Fourierreihe
1
∞
∞
(∗) u(x) = 2
a0 + (ak cos kx + bk sin kx) = vk , u vk (x)
k=1 k=1
gleichmäßig, also auch im Quadratmittel, d.h. in der L2 –Norm (§ 8 : 2.1 (d) (iii)).
Nach 3.1 (b) liegen die PC1 –Funktionen u mit u(−π) = u(π) = 0 dicht in H .
Mit dem Kriterium 4.4 (d) erhalten wir somit den
ist ein vollständiges ONS auf L2 ([0, π]) gegeben, vgl. 4.1.
Das ergibt sich wie oben: V := {u ∈ PC1 [0, π] | u(0) = u(π) = 0} liegt nach
3.1 (b) dicht in L2 ([0, π]), und für die Funktionen von V gilt der gleichmäßige
Entwicklungssatz § 6 : 2.7.
Ist dies gezeigt, so folgt A ⊂ Span {u1 , u2 , . . .}, also ist Span {u1 , u2 , . . .}
dicht in V . Konstruieren wir dann mit dem Orthonormalisierungsverfahren von
Gram–Schmidt ein ONS v1 , v2 , . . . mit
Beweis.
Nach 4.7 gibt es ein vollständiges ONS v1 , v2 , . . .. Die oben eingeführte Ab-
bildung U ist linear und isometrisch, denn nach der Parsevalschen Gleichung
4.4 (b), (c) gilt
∞
u2H = | vk , u |2 = U u22 ,
k=1
∞
u, v H = vk , u vk , v = U u , U v 2 .
k=1
Es bleibt nur noch zu zeigen, dass U surjektiv ist. Sei also a = (a1 , a2 , . . .) ∈ 2 ,
∞
∞
d.h. ak vk 2 = |ak |2 < ∞. Nach 4.2 (b) konvergiert die Reihe
k=1 k=1
∞
u := ak vk
k=1
Dass die v1 , v2 , . . . keine Basis für H liefern, ergibt sich jetzt aus der Tatsache,
dass die Einheitsvektoren e1 , e2 , . . . nach 1.4 keine Basis des 2 darstellen.
Im Fall V = H ist das ONS v1 , v2 , . . . nicht vollständig, es kann aber durch ein
vollständiges ONS für V ⊥ zu einem vollständigen ONS für H ergänzt werden.
Beweis.
Wegen der Besselschen Ungleichung 4.3 (b) und wegen 4.2 konvergiert die Reihe
∞
v := vk , u vk .
k=1
1 Testfunktionen
1.1 Ck –Funktionen mit kompakten Träger
(a) Der Träger (support) einer
Ê
Funktion u : n → ( = oder
= ) ist definiert als
6
supp u := {x ∈ n
| u(x) = 0}.
-
(b) Für eine nichtleere offene Men-
ge Ω ⊂ n
und k = 0, 1, 2, . . . , ∞ 3 45
supp u
6
bezeichnen wir den Raum der Ck –
Funktionen n → mit kompaktem
Träger in Ω mit
Ckc (Ω) :=
u ∈ Ck ( ) supp u ist eine kompakte Teilmenge von Ω .
n
Die Funktionen aus dem Raum C∞ c (Ω) heißen Testfunktionen auf Ω; der
Name erklärt sich in 4.1. Anstelle von C∞c (Ω) sind auch die Bezeichnungen
C∞
0 (Ω) und D(Ω) gebräuchlich.
C0c (Ω) besteht aus den stetigen Funktionen mit kompaktem Träger.
Beweis. (
e−1/t für t > 0 ,
Wir gehen aus von f (t) :=
0 für t ≤ 0 .
Durch Induktion erhalten wir für t > 0
f (k) (t) = pk (t) t−2k f (t)
6
1
mit einem geeigneten Polynom pk f
−2k −1/t
ÜA . Wegen lim t e = 0 für
Æ Ê
t→0+
k ∈ 0 folgt f ∈ C∞ ( ), 0 ≤ f ≤ 1 -
Ê
sowie supp f = + . Für
ψε (x) := f (1 − x2 /ε2 )
Ê
gilt also ψε ∈ C∞ ( n), ψε (x) > 0 für 6
x < ε und ψε (x) = 0 sonst.
j1/3
Die Funktion jε := cε ψε mit cε :=
1 / ψε besitzt dann die gewünschten
Eigenschaften. 2
j1
Aus der Konstruktion ergibt sich un- j5/3
mittelbar
( -
∞ für x = 0 ,
lim jε (x) =
ε→0+ 0 für x = 0 .
ϕ(x) = jr (x − x0 )
eine Testfunktion ϕ ∈ C∞
c (Ω) mit supp ϕ = Kr (x0 ).
(b) Für f ∈ C∞ ( Ê n
) und ϕ ∈ C∞
c ( Ê n
) ist f · ϕ eine Testfunktion.
(c) Für ϕ ∈ C∞
c (Ω) ist jede partielle Ableitung beliebiger Ordnung wieder eine
Testfunktion.
(d) Weitere Testfunktionen ergeben sich in 2.3 durch Faltung von Standard-
buckeln mit Funktionen mit kompaktem Träger.
244 § 10 Glättung von Funktionen, Fortsetzung stetiger Funktionen
u ∈ C0c ( Ê) n
⇐⇒ w ∈ C0c ( Ê ).n
Somit existiert das Faltungsintegral im Fall (a) nach der Hölderschen Unglei-
chung § 8 : 2.3 (b) und im Fall (b) nach dem Majorantenkriterium. Für den Fall
(c) verweisen wir auf 1.1 (c).
Die Kommutativität des Faltungsprodukts ergibt sich durch Substitution z =
x − y bei festem x (siehe oben).
(d) Für Lebesgue–integrierbare Funktionen u, v existiert das Faltungsintegral
(u ∗ v)(x) f.ü., und u ∗ v = v ∗ u ist Lebesgue–integrierbar .
α = (α1 , . . . , αn ) mit α1 , . . . , αn ∈ 0 .
|α| := α1 + . . . + αn und α! := α1 · · · αn ! .
2 Faltung mit Testfunktionen 245
wobei mindestens ein cα mit |α| = m von Null verschieden ist. Wir beachten
dabei, dass es nur endlich viele α = (α1 , . . . , αn ) gibt mit |α| ≤ m.
(c) Ferner setzen wir
α1 αn
∂ ∂
∂ α := ··· = ∂1α1 · · · ∂nαn .
∂x1 ∂xn
Es ist also beispielsweise
∂ ∂ ∂ ∂3u
∂ (1,2) u = u = = ∂1 ∂2 ∂2 u .
∂x1 ∂x2 ∂x2 ∂x1 ∂x22
Die Leibnizregel für u, v ∈ Cr (Ω) und |γ| ≤ r lautet ÜA
γ!
∂ γ (u · v) = ∂αu · ∂β v .
α+β=γ α! β!
wobei die aα Funktionen auf Ω sind und wenigstens ein aα mit |α| = m keine
Nullstellen besitzt.
Sind die Koeffizienten aα C∞ –Funktionen, so kann L als ein linearer Operator
L : C∞ ∞
c (Ω) → Cc (Ω) aufgefasst werden.
Beweis.
(a) und (b) K := supp u ist kompakt, also existiert für jeden Multiindex α mit
|α| ≤ k
und es gilt
Offenbar gilt -
+∞ −ε ε
|uε − u|p < 2ε für p ≥ 1 .
−∞
Ê
(b) Ist I ⊂ n ein kompakter Quader und u = χI seine charakteristische
Funktion, so wird uε nach 2.3 (d) eine C∞ –Funktion mit kompaktem Träger in
Iε = {x | dist (x, I) ≤ ε}. Aus
uε (x) = jε (x − y)u(y) dn y = jε (x − y) dn y
Ên I
entnehmen wir, dass uε (x) = u(x) = 1 für alle x ∈ I mit dist (x, ∂I) ≥ ε und
uε (x) = u(x) = 0 für alle x mit dist (x, I) ≥ ε. Ferner gilt | uε (x) − u(x) | ≤ 1
in Sε = {x | dist (x, ∂I) ≤ ε} und Volumen V n (Sε ) ≤ const · ε. Es folgt
|uε − u|p ≤ V n (Sε ) → 0 für ε → 0 + .
Bemerkungen (i) Aus uε (x) = u(x) für alle x mit dist (x, ∂I) ≥ ε folgt
lim uε (x) = u(x) für alle x ∈ ∂I, d.h. fast überall.
ε→0+
(ii) Liegt I in einem Gebiet Ω, so gibt es ein > 0 mit I ⊂ Ω, vgl. Bd. 1, § 21:
8.3. Dann gilt uε ∈ C∞c (Ω) für ε ≤ .
Beweis.
Im Fall supp u = ∅, d.h. u = 0 ist uε = 0. Sei also A := supp u = ∅. Wir
Ê
setzen := 14 dist (A, ∂Ω) (bzw. := 1, falls Ω = n ). Nach Bd. 1, § 21 : 8.3
ist > 0. Ferner ist
Ar := {x ∈ Ê n
| dist (x, A) ≤ r} für r ≤ 2
248 § 10 Glättung von Funktionen, Fortsetzung stetiger Funktionen
Sei ε > 0 gegeben. Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von u auf A2 gibt es
ein δ mit 0 < δ < und
Zum Nachweis der zweiten Behauptung beachten wir, dass supp u, supp ur ⊂
A2 für 0 < r < . Nach Bd. 1, § 23 : 4.6 gibt es kompakte Quader I1 , . . . , IN in
Ω mit A2 ⊂ I1 ∪ · · · ∪ IN =: K. Wegen der gleichmäßigen Konvergenz ur → u
folgt
|u − ur |p = |u − ur |p → 0 für r → 0 . 2
Ω K
Beweis.
Nach dem in 5.3 zitierten Satz von Tietze–Uryson läßt sich u zu einer stetigen
. ∈ C0c (Ω) fortsetzen, auf welche wir (a) anwenden.
Funktion u 2
Wegen C∞
c (Ω) ⊂ Cc (Ω) ⊂ L (Ω) ist daher auch Cc (Ω) dicht in L (Ω).
0 p 0 p
Beweis.
Wir zeigen zunächst: Die Treppenfunktionen u mit supp u ⊂ Ω liegen dicht in
Lp (Ω) bezüglich der Norm
1/p
up = |u|p .
Ω
3 Glättung von Funktionen 249
Denn existiert |f |p im herkömmlichen Sinn, so gibt es zu jedem ε > 0 eine
Ω
Vereinigung K = I1 ∪ . . . ∪ IN kompakter Quader Ik ⊂ Ω mit
|f |p − |f |p < ε .
Ω K
Ferner existiert eine Treppenfunktion u auf K mit |u(x) − f (x)| < ε für x ∈ K.
Es folgt
|f − u|p = |f |p + |f − u|p < ε + εp V n (K) .
Ω Ω\K K
Bei Zugrundelegung des Lebesgue–Integrals ergibt sich die Dichtigkeit der Trep-
penfunktionen in Lp (Ω) nicht so leicht, wir verweisen auf § 20 : 8.4:
N
Sei u eine solche Treppenfunktion, u = ck χIk mit kompakten Quadern
k=1
Ik ⊂ Ω. Nach 3.1 (b) (ii) gibt es Testfunktionen ϕk,n ∈ C∞
c (Ω) mit
1
χIk − ϕk,n p < .
n
N
Aus der Dreiecksungleichung folgt für ϕn := ck ϕk,n ∈ C∞
c (Ω) :
k=1
N
1 N
u − ϕn p ≤ | ck | · χIk − ϕk,n p ≤ |ck | → 0 für n → ∞. 2
k=1 n k=1
Ê
(b) Zusatz. Sei u ∈ Lp ( n) eine Funktion mit u = 0 außerhalb von Ω. Dann
gilt für ur := jr ∗ u ∈ C∞
c (
n
) Ê
|ur |p ≤ |u|p und lim |u − ur |p = 0 .
r→0+
Ω Ω Ω
Beweis.
Wir zeigen zunächst, dass für x ∈ Ê n
1/p
|ur (x)| ≤ jr (x − y) |u(y)|p dn y .
Ên
Für p = 1 folgt dies aus der Definition von ur . Für 1 < p < ∞ gibt es ein
q > 1 mit 1/p + 1/q = 1. Aus der Hölderschen Ungleichung § 8: 2.3 (b) ergibt
sich
|ur (x)| ≤ jr (x − y)1/q , jr (x − y)1/p |u(y)| dn y
Ên
1/q 1/p
≤ jr (x − y)dn y jr (x − y) |u(y)|p dn y
Ên Ên
250 § 10 Glättung von Funktionen, Fortsetzung stetiger Funktionen
= jr (x − y) · |u(y)|p dn y .
Ên
Mittels sukzessiver Integration und Vertauschung der Integrationsreihenfolge
(vgl. § 8 : 1.8) ergibt sich die Konvergenz des Integrals
(∗) |ur |p ≤ |u(y)|p jr (x − y) dn x dn y = |u(y)|p dn y .
Ω Ên Ên Ω
Zu gegebenem ε > 0 gibt es nach (a) ein ϕ ∈ C0c (Ω) mit u − ϕp < ε, und nach
3.2 gilt für ϕr := jr ∗ ϕ und genügend kleines r > 0
supp ϕr ⊂ Ω , ϕ − ϕr p < ε .
Aus (∗), angewandt auf u − ϕ, erhalten wir ur − ϕr p ≤ u − ϕp . Es folgt
u − ur p ≤ u − ϕp + ϕ − ϕr p + ϕr − ur p < 3ε für r 1. 2
Bemerkungen
(i) Für u ∈ Lp ( Ê ) folgt u − u
n
r p → 0 für r → 0.
(ii) Der Zusatz wird für die Theorie der Sobolew–Räume benötigt.
(iii) Verschwindet u nicht ausserhalb von Ω, wird die Sache komplizierter, wie
der Beweis des folgenden Satzes zeigt.
Beweis.
(a) Sei r > 0 so klein gewählt, dass Ar = {x ∈ Ω | dist (x, A) ≤ r} ⊂ Ω. Für
beliebiges f ∈ L1loc (Ω) gilt nach 2.3 fr = jr ∗ f ⊂ C∞ (Ω) ⊂ L1loc (Ω), und mit
Hilfe von § 8: 1.8 erhalten wir
|fr | = jr (x − y)f (y) dn y dn x ≤ jr (x − y)|f (y)| dn y dn x
A A Ar A Ar
= |f (y)| jr (x − y) d x d y ≤
n n
|f (y)| dn y .
Ar A Ar
(b) Wir fixieren ein > 0 mit A ⊂ Ω. Da C0c (Ω) nach 3.3 dicht in L1 (Ω)
finden wir zu gegebenem ε > 0 für u · A ∈ L (Ω) ein v ∈ Cc (Ω) mit
ist, χ 1 0
< 2ε + v − vr 1,A .
Für genügend kleines r wird v − vr 1,A < ε nach 3.3, also |u − ur | < 3ε. 2
A
Folgerung. Ist v messbar und u · v ∈ L1 (Ω) für alle u ∈ C0c (Ω), so gilt
v ∈ L1loc (Ω).
Beweis.
Ê
Wir wählen ein r > 0 mit A2r = {x ∈ n | dist (x, A) ≤ 2r} ⊂ Ω. Für
u = χAr betrachten wir ur := jr ∗ u ∈ C∞
c7 Ê
( n). Aus 2.3 (d) folgt mit Hilfe der
Dreiecksungleichung supp ur ⊂ (Ar )r = Kr (a) ⊂ A2r ⊂ Ω; weiter ist
a∈Ar
0 ≤ jr (x − y) dn y = ur (x) ≤ jr (x − y) dn y = 1 .
Ar Ω
Für x ∈ A ist jr (x − y) = 0 für y ∈ Ar , also ur (x) = jr (x − y) dn y = 1.
Ω
Die Folgerung ergibt sich aus der Tatsache, dass ur · v eine integrierbare Ma-
jorante für v · χA ist. 2
Ê
Satz. Sei K ⊂ n nichtleer und kompakt, und V1 , · · · , VN seien nichtleere
offene Mengen mit K ⊂ V1 ∪ · · · ∪ VN . Dann gibt es Funktionen ψk ∈ C∞
c (Vk )
mit 0 ≤ ψk ≤ 1 und
N
ψk (x) = 1 auf K .
k=1
Beweis.
(a) Wir konstruieren kompakte Mengen Ak ⊂ Vk mit K ⊂ A1 ∪ · · · ∪ AN : Zu
jedem x ∈ K gibt es ein Vk mit x ∈ Vk und ein r > 0 mit Kr (x) ⊂ Vk . Die zu-
gehörigen Ω(x) = Kr (x) bilden eine Überdeckung von K durch offene Mengen.
252 § 10 Glättung von Funktionen, Fortsetzung stetiger Funktionen
ψ1 := ϕ1 , ψ2 := ϕ2 (1 − ϕ1 ) , . . . , ψN := ϕN (1 − ϕ1 ) · · · (1 − ϕN−1 ).
und damit
n
m
ψk (x) = ψk (x) = ϕ1 (x) + ϕ2 (x) (1 − ϕ1 (x))
k=1 k=1
a1 + a2 (1 − a1 ) + a3 (1 − a2 )(1 − a1 ) + . . . + (1 − a1 ) · · · (1 − am−1 ) = 1
( ÜA , Induktion). 2
u(x) ≥ := 1
2
u(a) > 0 für x − a ≤ r .
4 Das Fundamentallemma der Variationsrechnung 253
Beweis.
7
∞
(a) Nach Bd. 1, § 23 : 4.6 gilt Ω = Ωk mit offenen Mengen Ω1 ⊂ Ω2 ⊂ . . . ,
k=1
wobei die Ωk kompakte Teilmengen von Ω sind. Wir zeigen in (c), dass u = 0
f.ü. in jedem Ωk , d.h. u = 0 in Ωk \ Nk mit einer Nullmenge Nk ⊂ Ωk . Daraus
7
∞ 7
∞
folgt die Behauptung wegen Ω \ Nk ⊂ (Ωk \ Nk ), da eine abzählbare
k=1 k=1
Vereinigung von Nullmengen eine Nullmenge ist.
(b) Sei Ωk offen und Ωk eine kompakte Teilmenge
von Ω. Für ϕ ∈ C∞c (Ωk )
∞
und r 1 gilt ϕr = jr ∗ ϕ ∈ Cc (Ω) und somit u ϕr = 0 nach Voraussetzung.
Ω
Setzen wir G(x) := jr (x − y) |ϕ(y)| dn y, so ist G stetig und hat für r 1
Ωk
einen kompakten Träger in Ω, also existiert |u| · G. Nach dem Satz von Fubini
Ω
folgt unter Beachtung von jr (x − y) = jr (y − x) mit ur = jr ∗ u
0 = u ϕr dn x = u(x) jr (x − y) ϕ(y) dn y dn x
Ω Ω Ωk
= ϕ(y) jr (y − x) u(x) dn x dn y = ϕ ur dn y .
Ωk Ω Ωk
Beweis.
Wir fixieren ein ϕ0 ∈ C∞
c (I) mit ϕ0 = 1 . Zu gegebener Testfunktion ϕ ∈
I
C∞
c (I) wählen wir ein die Träger von ϕ und ϕ0 enthaltendes Intervall [a, b] ⊂ I
und setzen
x
ψ(x) := ( ϕ(t) − ( ϕ ) · ϕ0 (t) ) dt .
a I
x
ψ(x) = (ϕ(t) − ( ϕ ) · ϕ0 (t) ) dt = ϕ− ( ϕ)· ( ϕ0 ) = 0 .
a I I I I
0 = u · ψ = u · ϕ − ( ϕ ) · ϕ0 = (u − c) · ϕ .
I I I I
Beweis.
Besitzt f eine Fortsetzung F ∈ C0 (D), so gilt notwendig F (u) = lim f (un ) für
n→∞
u ∈ D und jede Folge (un ) in D mit un → u. Also gibt es höchstens eine solche
Fortsetzung.
Konstruktion einer Fortsetzung. Wir fixieren ein u ∈ D und betrachten eine
Folge (un ) in D mit un → u. Sei ε > 0 gegeben. Nach Voraussetzung gibt es ein
δ > 0 mit
Wählen wir nε so, dass um − un 1 < δ für m > n > nε , so folgt daraus
f (um ) − f (un )2 < ε . Also hat (f (un )) als Cauchyfolge einen Limes z ∈ V2 .
Für jede andere Folge (vn ) in D mit vn → u gilt f (vn ) − f (un )2 < ε, sobald
un − vn 1 < δ. Es folgt lim f (vn ) = lim f (un ). Wir definieren F (u) durch
n→∞ n→∞
diesen, von der approximierenden Folge unabhängigen Limes.
Für u ∈ D wählen wir die konstante Folge (u) und erhalten F (u) = f (u).
Gleichmäßige Stetigkeit von F . Sei ε > 0 vorgegeben und δ > 0 wie oben
gewählt. Zu u, v ∈ D mit u − v1 < δ seien (un ), (vn ) Folgen in D mit un → u,
vn → v. Für genügend großes n gilt un − vn 1 < δ, also f (un ) − f (vn )1 < ε.
Es folgt
Beweis.
T ist gleichmäßig stetig auf D wegen T u − T v2 = T (u − v)2 ≤ c u − v1
auf D. Nach (a) gibt es also eine eindeutig bestimmte stetige Fortsetzung T :
V1 = D → V2 . Nach Definition von T , nach den Rechenregeln für Grenzwerte
und wegen der Stetigkeit der Norm folgt ÜA
Bemerkungen, Beispiele
(a) Für offene Intervalle Ω = ]a, b[ stimmt Ck (Ω), wie oben definiert, mit
Ck [a, b] mit der bisher gebräuchlichen überein. Dies ergibt sich aus dem Mittel-
wertsatz ÜA .
β
(b) Sei Ω = ]a, b[, f ∈ C2 (Ω) und |f (x)|2 ≤ C für alle [α, β] ⊂ ]a, b[. Dann
α
gilt f ∈ C2 (Ω) ( ÜA . Zeigen Sie zunächst, dass f gleichmäßig stetig ist.)
Ê
(c) Für ein sternförmiges Gebiet Ω ⊂ n und u ∈ C2 (Ω) seien alle zweiten
Ableitungen ∂i ∂k u beschränkt in Ω. Dann gilt u ∈ C1 (Ω) ÜA .
Für den Beweis verweisen wir auf Cigler–Reichel [143] 4.8, 3.2, Dugundji
[144] VII. 4
257
Der Integralsatz von Gauß und die aus diesem folgenden Greenschen Integral-
formeln sind ein fundamentales Hilfsmittel für die Behandlung partieller Diffe-
rentialgleichungen.
Eine Formulierung des Gaußschen Integralsatzes für Gaußsche Gebiete des 3 Ê
wurde in Bd. 1, § 26 gegeben. Für eine Verallgemeinerung auf höhere Dimensio-
nen und für die wünschenswerte Einbeziehung allgemeinerer Ränder ∂Ω müssen
Ê
wir vom Integral über Flächenstücke des 3 zur Integration auf Untermannigfal-
Ê
tigkeiten des n übergehen. Dies erfordert zwar einige begriffliche Vorbereitun-
gen, doch tritt der Begriff der Untermannigfaltigkeit ohnehin in vielen physika-
lischen Kontexten auf und wurde auch im vorangehenden mehrfach angespro-
chen. An Vorkenntnissen werden das (Lebesgue) Integral stetiger Funktionen
über kompakte Mengen (§ 8 : 1) und die Zerlegung der Eins (§ 10 : 3) benötigt.
1 Untermannigfaltigkeiten des Ê n
Ê
Definition. Eine nichtleere Menge M ⊂ n heißt m–dimensionale Cr –
Untermannigfaltigkeit (1 ≤ m < n, 1 ≤ r ≤ ∞), wenn es zu jedem Punkt
Ê
a ∈ M eine Umgebung V und eine Cr –Abbildung f : V → n−m gibt, so dass
(a) M ∩ V = { x ∈ V | f (x) = 0 } und
(b) Rang f (x) = n − m für alle x ∈ V .
Meist spezifizieren wir die Differenzierbarkeitsstufe r ≥ 1 nicht und sprechen
von m–dimensionalen Untermannigfaltigkeiten.
(n − 1)–dimensionale Untermannigfaltigkeiten werden auch Hyperflächen ge-
nannt.
258 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
Beweis.
M ∩ V = {x ∈ V | f (x) = 0} .
Ê Ê
Wir schreiben x = (y, z) mit y ∈ m , z ∈ n−m und entsprechend a = (b, c).
Nach geeigneter Umnumerierung der Koordinaten dürfen wir annehmen, dass
∂f
i
d(y, z) := det (y, z) = 0
∂zk
insbesondere
F(b, c) = 0 ,
Beweis.
Es gibt nach (a) einen Diffeomorphismus F : V → W einer Umgebung V von a
auf eine Umgebung W von 0 mit F(a) = 0 und
F(V ∩ M ) = {y ∈ W | ym+1 = . . . = yn = 0} .
Ê
Wir setzen U := {u ∈ m | (u, 0) ∈ W}. Dass U eine offene Teilmenge des m Ê
ist, folgt aus der Offenheit von W. Wegen der Stetigkeit der Projektion P :
W → U, (y1 , . . . , yn ) → (y1 , . . . , ym ) ist U = P(W) zusammenhängend.
Wir definieren
Φ:U→ Ê n
, u → F−1 (u, 0) .
Dann gilt Φ = F−1 ◦ E mit der Einbettung“ E : U → W, u → (u, 0). Aus der
”
C∞ –Differenzierbarkeit von E und der Cr –Differenzierbarkeit von F−1 folgt die
r
C –Differenzierbarkeit von Φ, und es gilt nach der Kettenregel
Aus Rang E (u) = m folgt Rang Φ (u) = m, da die Jacobi–Matrix (F−1 ) (u, 0)
invertierbar ist.
Schließlich ist Φ : U → V ∩ M bijektiv, und die Umkehrabbildung Φ−1 = P ◦ F
(P wie oben) ist stetig. 2
Beweis.
Es wurde bereits (i) =⇒ (ii) =⇒ (iii) gezeigt.
Wir zeigen (iii) =⇒ (i):
Ê
Sei V eine Umgebung von a ∈ M , U ein Gebiet des m und Φ : U → V∩M eine
Cr –Parametrisierung mit stetiger Umkehrung Φ−1 : V ∩ M → U. Schließlich sei
Φ(u0 ) = a und Rang Φ (u) = m für alle u ∈ U. O.B.d.A. dürfen wir annehmen,
dass die ersten m Zeilen von Φ linear unabhängig sind.
Ê Ê
Die Aufspaltung x = (y, z) mit y ∈ m, z ∈ n−m führt zu Aufspaltungen a =
(b, c) und Φ(u) = (ϕ(u), ψ(u)) mit det ϕ (u) = 0 in U und ϕ(u0 ) = b. Nach
dem lokalen Umkehrsatz ist ϕ ein Cr –Diffeomorphismus zwischen geeigneten
Umgebungen U 0 ⊂ U von u0 und V1 := ϕ(U 0 ) von b. Wegen der Stetigkeit von
Φ auf U und von Φ−1 auf V ∩ M gibt es eine Umgebung V von a mit
x = (y, z) ∈ V ∩ M ⇐⇒ Φ−1 (x) ∈ U0
⇐⇒ x = Φ(u) mit u ∈ U0 .
Es folgt
(y, z) ∈ V ∩ M ⇐⇒ y = ϕ(u) , z = ψ(u) mit u ∈ U0
⇐⇒ z = ψ(ϕ−1 (y)) mit y ∈ V1 .
Setzen wir
f (y, z) := z − ψ(ϕ−1 (y)) ,
so gilt
dz f (y, z) = En−m , also Rang f (x) = n − m
für x = (y, z) ∈ V1 × Ê n−m
.
Ferner ist M ∩ V = {x ∈ V | f (x) = 0}. 2
1 Untermannigfaltigkeiten des Ê n
261
1.3 Parametertransformationen
Zu je zwei Parametrisierungen
Φ1 : U 1 → M , Φ2 : U 2 → M M
einer m–dimensionalen Cr –Unterman-
Ê
nigfaltigkeit M des n , deren Bildmen-
D
gen nichtleeren Durchschnitt D haben,
ist
h := Φ−1
2 ◦ Φ1
(b) Wir fixieren einen Punkt u ∈ W1 und setzen a := Φ1 (u). Nach 1.2 (a) gibt
es Umgebungen, V von a, W von 0 und einen Cr –Diffeomorphismus F : V → W
mit F(a) = 0 und
Dabei dürfen wir V ⊂ V 1 ∩ V 2 annehmen. Wie oben ergibt sich, dass Wk :=
Φ−1
k (V ∩ M ) jeweils eine offene Teilmenge von Wk ist. Nach Wahl von F gilt
ϕ(W1 ) = ψ(W2 ) = {y ∈ Ê m
| (y, 0) ∈ W} =: Em .
ϕ : W1 → Em , ψ : W2 → Em
262 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
sind diese Diffeomorphismen. Die Einschränkung von h auf die Umgebung W1
von u ist
Φ−1 −1
2 ◦ Φ1 = Φ2 ◦ F
−1
◦ F ◦ Φ1 = (F ◦ Φ2 )−1 ◦ (F ◦ Φ1 ) = ψ −1 ◦ ϕ ,
also Cr –differenzierbar mit det h = det ϕ /(det ψ ) ◦ ϕ = 0. 2
1.4 Atlanten
(a) Für jede Untermannigfaltigkeit M gibt es eine Überdeckung durch höchstens
abzählbar viele Parameterumgebungen M ∩ V i = Φi (U i ).
Die Kollektion der zugehörigen Karten heißt ein Atlas für M .
Im Fall V i ∩ V k ∩ M = ∅ sind Φi und Φk im Sinn von 1.3 durch Parameter-
transformationen verbunden.
Ê
(b) Ist M kompakt, wie z.B. eine r–Sphäre im n oder ein Torus im 3, so Ê
besitzt M einen Atlas mit endlich vielen Karten, aber keinen Atlas mit nur einer
Karte.
(c) Ist M nicht kompakt, so kann die Überdeckung in (a) so gewählt werden,
dass V i ∩ M jeweils kompakte Teilmengen von M sind und jede kompakte Teil-
menge von M durch endlich viele von ihnen überdeckt wird .
Beweis.
(a) Nach 1.2 (a) gibt es zu jedem a ∈ M eine Umgebung V und einen Diffeo-
morphismus F : V → W auf eine Nullumgebung W mit
F(V ∩ M ) = Span {e1 , . . . , em } ∩ W =: Em .
Setzen wir
U := {u ∈ Ê m
| (u, 0) ∈ Em } und Φ(u) := F−1 (u, 0) ,
so erhalten wir nach 1.2 (b) eine Parametrisierung Φ : U → V ∩ M .
Im Hinblick auf (c) wählen wir eine Umgebung V a von a so, dass Va eine
kompakte Teilmenge von V ist. Dann ist F(V a ∩ M ) = Span {e1 , . . . , em } ∩
F(V a ) kompakt, also ist auch die Bildmenge Va ∩ M unter F−1 kompakt. Nach
Einschränkung von Φ auf U a := F(Va ∩M ) erhalten wir eine Parametrisierung
Φa : U a → V a ∩ M .
7
Für Ω := V a gibt es nach Bd. 1, § 23 : 4.6 eine ausschöpfende Folge offener
a∈M
Mengen
2
∞
Ω1 ⊂ Ω2 ⊂ . . . mit Ω = Ωk
k=1
so, dass die Ωk kompakte Teilmengen von Ω sind und jede kompakte Teilmenge
von Ω in einer der Mengen Ωk liegt. Nach dem Überdeckungssatz von Heine–
1 Untermannigfaltigkeiten des Ê n
263
1.6 Tangentialräume
Ê
Sei M eine m–dimensionale Untermannigfaltigkeit des n. Ein Vektor v ∈ n Ê
heißt Tangentenvektor von M im Punkt a ∈ M , wenn es eine C1 –Kurve
α : ]−ε, ε[ → M gibt mit
α(0) = a , α̇(0) = v .
Beweis.
Wir zeigen zunächst Bild Φ (u) ⊂ Ta M ⊂ Kern f (a) und anschließend die
Gleichheit der drei Mengen.
(i) Für v = Φ (u)w ∈ Bild Φ (u) ist t → α(t) := Φ(u + tw) eine Kurve in
M mit α̇(0) = Φ (u)w = v, somit gilt v ∈ Ta M .
(ii) Sei v ∈ Ta M , also v = α̇(0) für eine Kurve α auf M mit α(0) = a. Dann
gilt f (α(t)) = 0 für |t| 1. Daraus folgt f (a)v = dt
d
f (α(t))t=0 = 0, also
v ∈ Kern f (a).
(iii) Aus f ◦ Φ = 0 folgt nach der Kettenregel f (a) · Φ (u) = 0. Also ist
Bild Φ (u) = Span {∂1 Φ(u), . . . , ∂m Φ(u)} ein m–dimensionaler Teilraum von
Kern f (a). Wegen Rang f (a) = n − m hat Kern f (a) die Dimension m,
hieraus ergibt sich die Gleichheit der Teilräume Bild Φ (u) und Kern f (a). 2
1.2 (c) und 1.3 bereits, dass es zu jedem Punkt a ∈ M wenigstens eine Ck –
Parametrisierung einer Flächenumgebung V ∩ M von a gibt, so dass f ◦ Φ
Ck –differenzierbar ist.
Ê
Ein Vektorfeld v : M → n heißt Ck –differenzierbar oder ein Ck –Vektorfeld
auf M , wenn die einzelnen Komponenten v1 , . . . , vn Ck –differenzierbar sind.
Beispiel. Für die Parametrisierung Φ(u) = (u, ϕ(u)) einer Fläche M als
Graph einer C1 –Funktion ϕ : m ⊃ Ω →Ê Ê
ergibt sich als Gramsche Deter-
minante
g(u) = 1 + ∇ϕ(u)2 .
Zum Nachweis setzen wir a = (a1 , . . . , am ) := ∇ϕ(u) , A := a · aT = (ai ak ) .
266 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
wobei die rechts auftretenden Integrale im Sinne von (a) zu verstehen sind.
Dass sich für jede Überdeckung von K und jede Zerlegung der Eins derselbe
Wert ergibt, sehen wir wie folgt ein:
Sei K ⊂ W 1 ∪ · · · ∪ W q , wobei W l ∩ M jeweils die Bildmenge einer geeigneten
Parametrisierung Ψl von M ist. Ferner seien ψl ∈ C∞ c (W l ) Testfunktionen mit
q
0 ≤ ψl ≤ 1 und ψl = 1 auf K. Mit Bl := K ∩ supp ψl ergibt sich
l=1
2 Integration auf Untermannigfaltigkeiten 267
p p
q q
p
f ϕk do = f ϕk ψl do = f ϕk ψl do
k=1 Ak k=1 Ak l=1 k=1 l=1 Bl
q
p q
= f ψl ϕk do = f ψl do .
l=1 Bl k=1 l=1 Bl
(c) Das Integral f do über eine Untermannigfaltigkeit M .
M
Ist M kompakt oder wird M durch endlich viele Parameterumgebungen über-
deckt, so definieren wir f do gemäß (b).
M
Andernfalls können wir nach 1.4 (c) abzählbar viele kompakte Mengen Ki ⊂ M
7
∞
so wählen, dass M = Ki und dass jede kompakte Teilmenge von M durch
i=1 7
k
endlich viele von diesen überdeckt wird. Die kompakten Mengen Ck := Ki
i=1
haben dieselbe Eigenschaft, zusätzlich gilt C1 ⊂ C2 ⊂ . . . .
Eine stetige Funktion
f :M → Ê
heißt über M integrierbar, falls die Folge
der Integrale |f | do beschränkt ist. In diesem Fall definieren wir
Ck
f do := lim f do .
k→∞
M Ck
Die Unabhängigkeit dieser Integrale von der Wahl der ausschöpfenden Folge
(Ck ) ergibt sich wie im Beweis des Ausschöpfungssatzes Bd. 1, § 23 : 4.6,4.7.
(d) Der m–dimensionale Inhalt einer kompakten Teilmenge K von M ist
definiert durch
Am (K) := 1 do .
K
falls 1 do existiert; andernfalls sei Am (M ) := ∞.
M
Bemerkungen. (i) Da in (a) beliebige kompakte Teilmengen Φ−1 (K) als In-
tegrationsgebiete zugelassen sind, ist der Lebesguesche Integralbegriff zugrunde
zu legen.
(ii) Läßt sich M durch eine einzige Parametrisierung beschreiben, so ergibt sich
im Fall m = 1 wieder das skalare Kurvenintegral, im Fall m = 2, n = 3 das
skalare Oberflächenintegral, vgl. Bd. 1, § 24 : 3.1 und § 25 : 3.1.
268 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
(c) Unter den folgenden Voraussetzungen ist die Bestimmung des Integrals über
eine kompakte Menge K ohne Heranziehung von Zerlegungen der Eins möglich:
Sei K darstellbar als Vereinigung K = K1 ∪ · · · ∪ KN , wobei jede der kompakten
Mengen Ki in einer Parameterumgebung Φi (Ui ) = V i ∩ M liegt, und für i = j
seien die Mengen Φ−1 −1
i (Ki ∩ Kj ), Φj (Ki ∩ Kj ) Nullmengen im
m
Ê
. Dann gilt
N
f do = f do ,
K i=1 Ki
wobei sich jedes der Integrale auf der rechten Seite nach (a) ergibt.
Beweis.
Das Majorantenkriterium und die Integralabschätzung ergeben sich aus der De-
finition des Integrals ÜA .
(c) Einfachheitshalber betrechten wir nur den Fall N = 2. Nach 2.1 (b) gibt es
Funktionen ϕ1 ∈ C∞ ∞
c (V1 ), ϕ2 ∈ Cc (V 2 ) mit 0 ≤ ϕ1 , ϕ2 ≤ 1 und ϕ1 +ϕ2 = 1 auf
K. Für Ai := supp ϕi ⊂ Vi gilt Φ−1 −1 −1
i (Ai ∩ K1 ) ∪ Φi (Ai ∩ K2 ) = Φi (Ai ∩ K)
−1
und Ai ∩ K1 ∩ K2 ⊂ K1 ∩ K2 . Also sind Φi (Ai ∩ K1 ∩ K2 ) für i = 1, 2
Ê
Nullmengen im m , und nach Definition des Integrals in 2.1 gilt
f do = f ϕ1 do + f ϕ2 do
K A1 A2
= f ϕ1 do + f ϕ1 do
A1 ∩K1 A1 ∩K2
+ f ϕ2 do + f ϕ2 do .
A2 ∩K1 A2 ∩K2
Wegen ϕ1 + ϕ2 = 1 auf jeder der Mengen Ki gilt dabei nach 2.1 (b)
f ϕ1 do + f ϕ2 do = f do (i = 1, 2) . 2
A1 ∩Ki A2 ∩Ki Ki
2 Integration auf Untermannigfaltigkeiten 269
Beweißkizze.
Bemerkung. Das erste Integral ist im Sinne der Integration über M zu verste-
hen, das zweite im Sinne der Integration über M \ N und das dritte im Sinne
der Integration über N . Wir schreiben im folgenden deutlichkeitshalber
f do1 , f do2 , f do3 .
M M \N N
Ê
(i) F ◦ Ψ : k ⊃ Ω → F(V ∩ N ) ist eine Parametrisierung von F(V ∩ N ),
aufgefasst als k–dimensionale Untermannigfaltigkeit von Em = F(V ∩ M ).
(ii) Nach 1.2 (b) erhalten wir eine Parametrisierung von M durch
Φ : U := {u ∈ Ê m
| (u, 0) ∈ Em } → V ∩ M , u → F−1 (u, 0) ,
wobei Φ−1 (u) = F(u) für u ∈ V∩M . Die Punkte u mit (u, 0) ∈ F(V∩M ) bilden
nach (i) eine k–dimensionale Untermannigfaltigkeit von U . Also gilt für beliebige
kompakte Teilmengen K von V ∩ N nach Definition des Integrals,
wegen der
Folgerung 1.4 und aufgrund des schon Bewiesenen 1 do1 = 1 do3 = 0. 2
K K
Aus der Definition von 2.1 (a) ergibt sich mit Hilfe von 1.8 ÜA
dm x
f do = r f (x, b + r 2 − x − a2 )
r 2 − x − a2
Sr+ (c) Kr (a)
dm ξ
= rm f (a + rξ, b + r 1 − ξ2 ) ,
1 − ξ2
ξ<1
r2
f (x) dn (x) = f do dr ,
K r1 S r (0 )
Beweis.
Die Stetigkeit von r → f do = f do + f do folgt aus der zweiten
Sr (0) Sr+ (0) Sr− (0)
Darstellung der rechtsstehenden Integrale in (a); dabei ist m = n − 1.
Wir stellen x ∈ K in der Form (y, t) dar mit y ∈ Ê m
und r12 < y2 + t2 < r22 .
Für r1 < 1 < 2 < r2 sei
Ω := Ê
(ξ, r) | ξ ∈ m
, 1 <r< 2, ξ < 1 und
Ω
:= (y, t) | y ∈ Ê m
, t > 0, 2
1 < y + t <2 2 2
2 .
Dann liefert
ϕ(ξ, r) := r ξ, r 1 − ξ2
eine bijektive Abbildung des Zylinders Ω auf die obere Kugelschale Ω mit
rm
det ϕ (ξ, r) = > 0 ÜA .
1 − ξ2
Daher ist ϕ ein Diffeomorphismus, und der Transformationssatz für Integrale
liefert
rm
f (y, t) dm y dt = f (rξ, r 1 − ξ2 ) dm ξ dr
1 − ξ2
Ω Ω
2
= f do dr ,
1 Sr+ (0)
Letzteres durch sukzessive Integration und nach (a). Entsprechendes ergibt sich
für den unteren Teil der Kugelschale. Der Ausschöpfungssatz Bd. 1, § 23 : 4.7
liefert die Behauptung. 2
(c) Beispiel. Nach (a) ist der Oberflächeninhalt der r–Sphäre Sr (0) im Ê
n
dn−1 ξ
An−1 (Sr (0)) = 2r n−1 =: ωn r n−1 .
1 − ξ2
ξ<1
Dabei ist ωn der Oberflächeninhalt der Einheitssphäre. Aus Forster [147], 14.9
entnehmen wir
⎧
⎪ πk
⎪
⎨ für n = 2k
2π n/2 k!
ωn = =
Γ(n/2) ⎪
⎪ 2k+1 · π k
⎩ für n = 2k + 1 .
1 · 3 · · · · · (2k + 1)!
272 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
Folgerungen. (i) x → x−p ist genau dann über jede Kugel Kr (0) des n Ê
Ê
integrierbar, wenn p < n und genau dann über n \ Kr (0) integrierbar, wenn
Ê
p > n. Insbesondere ist 1/(1 + xp ) für p > n über den n integrierbar.
(ii) log x ist über jede Kreisscheibe in der Ebene integrierbar.
ωn n
(iii) Mit Hilfe von (b) folgt V n (Kr (0)) = r .
n
2.5 Parameterintegrale
Ê
Satz. Sei M ⊂ n eine kompakte Cr+1 –Untermannigfaltigkeit (r = 1, 2, . . . ),
Ê
Ω ⊂ m ein Gebiet und f : Ω × M → Ê
eine Cr –Funktion. Dann ist
F (x) = f (x, y) do(y) für x ∈ Ω
M
Cr –differenzierbar und es darf unter dem Integral differenziert werden.
Der Beweis ergibt sich aus der Definition des Integrals über Untermannigfal-
tigkeiten und dem Satz § 8 : 1.7 über Parameterintegrale ÜA .
Gibt es also reguläre Randpunkte, so bildet deren Gesamtheit nach 1.1 eine
(n − 1)–dimensionale C1 –Untermannigfaltigkeit M = ∂reg Ω.
Auf M = ∂reg Ω existiert genau ein stetiges Vektorfeld n mit
n(x) ⊥ Tx M , n(x) = 1 ,
x + t n(x) ∈ Ê n
\ Ω , x − t n(x) ∈ Ω für 0 < t 1
Beweis.
Es gibt höchstens ein Vektorfeld n mit diesen Eigenschaften. Zum Nachweis der
Existenz wählen wir ψ : U → Ê
wie in (∗) und setzen
∇ψ
n := auf U ∩ ∂reg Ω .
∇ψ
Dann sind die beiden ersten Eigenschaften erfüllt. Für f (t) := ψ(x + t n(x))
gilt f (0) = 0 und f (0) = ∇ψ(x) , n(x) = ∇ψ(x) > 0 . Für 0 < t 1
folgt also ψ(x + t n(x)) = f (t) > 0 und ψ(x − t n(x)) = f (−t) < 0 , somit
x + t n(x) ∈ Ω und x − t n(x) ∈ Ω . 2
Ê
Eine Menge S ⊂ n heißt eine (n − 1)–Nullmenge, wenn es zu jedem ε > 0
Ê
eine Folge von Würfeln W1 , W2 , . . . ⊂ n mit Seitenlängen d(Wi ) gibt, so dass
7
∞
∞
S ⊂ Wi , d(Wi )n−1 < ε .
i=1 i=1
Bemerkungen. (i) Das Integral auf der rechten Seite ist dabei definiert durch
das Integral
v , n do ;
∂reg Ω
dieses existiert wegen An−1 (∂reg Ω) < ∞ und der Stetigkeit von v auf ∂Ω .
(ii) Hinreichend für die Existenz des linksstehenden Integrals ist v ∈ C1 (Ω).
(iii) Weitere Versionen des Gaußschen Integralsatzes finden sich in Ziemer [135]
5.8. Für C1 –berandete Gebiete wird ein kurzer Beweis in Forster [147, 3] § 21
gegeben.
Folgerung (Randlose Version des Gaußschen Satzes). Für jedes Gebiet Ω des
Ên
Ê
und jedes C1 –Vektorfeld v auf n mit kompaktem Träger in Ω gilt
div v dn x = 0 .
Ω
Beweis.
Wir wählen ein R > 0 mit supp v ⊂ KR (0) =: Ω . Wegen v = 0 auf ∂Ω und
supp v ⊂ Ω gilt dann
0= v , n do = div v dn x = div v dn x = div v dn x . 2
∂Ω Ω supp v Ω
Zur Definition von Multiindizes α und von |α| verweisen wir auf § 10 : 2.2.
Der Beweis ergibt sich durch Induktion nach |α|. Für |α| = 1, also α = ei
folgt die Behauptung durch Anwendung der Folgerung 3.2 auf das Vektorfeld
w := u · v · ei mit kompaktem Träger in Ω:
0 = div w = ∂i (u v) = v ∂i u + u ∂i v .
Ω Ω Ω Ω
Die Ausführung der Induktion überlassen wir den Lesern als ÜA . 2
4 Die Greenschen Identitäten 275
Ist Ω ⊂ Ên
ein Normalgebiet, so gilt
(1) ∇u , ∇v + u Δv dn x = u ∂n v do
Ω ∂Ω
C2 (Ω) → C0 (Ω) ,
mit Koeffizienten
v Lu − u L∗ v
C2 (Ω) → C0 (Ω) ,
denn es gilt
276 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
n
n
v Lu = aik v ∂i ∂k u + ai v ∂i u + a u v
i,k=1 i=1
n
= ∂i (aik v ∂k u) − ∂i (aik v) ∂k u
i,k=1
n
+ ∂i (ai u v) − ∂i (ai v) u + auv
i=1
n
= ∂i (aik v ∂k u) − ∂k (u ∂i (aik v)) + u ∂k ∂i (aik v)
i,k=1
n
+ ∂i (ai u v) − u ∂i (ai v) + auv
i=1
n
= u L∗ v + ∂i wi = uL∗ v + div w .
i=1
Zusammen mit dem Gaußschen Integralsatz ergibt sich hieraus unmittelbar die
Greensche Identität für den Differentialoperator L in zwei Versionen:
(a) Ist Ω ein Normalgebiet mit äußerem Einheitsnormalenfeld n, so gilt
v Lu dn x = u L∗ v dn x + w , n do
Ω Ω ∂Ω
Satz. (a) Es gilt C1 (Ω) ⊂ C1n (Ω) ⊂ C0 (Ω) und für u ∈ C1n (Ω) ist ∂n u stetig
auf ∂Ω .
(b) (u Δv + ∇u , ∇v ) dn x = u ∂n v do gilt für u ∈ C0 (Ω) ∩ C1 (Ω),
Ω ∂Ω
v ∈ Cn (Ω) ∩ C2 (Ω) mit u Δv , ∇u , ∇v ∈ L1 (Ω).
1
(c) (u Δv − v Δu) dn x = (u ∂n v − v ∂n u) do gilt für u, v ∈ C1n (Ω)∩C2 (Ω)
Ω Ω
mit u Δv, v Δu ∈ L1 (Ω).
Beweisskizze.
(a) ∂n u ist als gleichmäßiger Limes stetiger Funktionen stetig auf ∂Ω. Für
u ∈ C1 (Ω) existiert lim ∇u(x + t n(x)) =: g(x) , also auch
t→0+
N(x) = n(p(x)) .
Daher existiert
t
u(y) := u(y − t n(y)) + ∇u(y − s n(y)) , n(y) ds .
0
Da ∂n u(y) auf ∂Ω und u auf Σt gleichmäßig stetig sind, folgt die gleichmäßige
Stetigkeit von u auf ∂Ω sowie |u(x) − u(p(x))| < ε d(x) für d(x) < δ . Mit
der Dreiecksungleichung folgt lim u(x) = u(y) für y ∈ ∂Ω.
Ω x→y
Die Behauptung (b) folgt für t → 0 mit dem Ausschöpfungssatz für die linke
Seite und wegen der gleichmäßigen Konvergenz des Integranden der rechten
Seite von (∗) auf einer kompakten Menge. Entsprechend ergibt sich (c).
(d) folgt unter den genannten Voraussetzungen aus
lim ∇u2 dn x = lim u ∂ N u do = u ∂n u do
t→0+ t→0+
Ωt Σt ∂Ω
h : Ω → Ω , ξ → x = h(ξ)
gik = ∂i h , ∂k h .
Die aus diesen gebildete Gramsche Matrix G = (gik ) ist symmetrisch und
positiv definit, denn für A := h gilt
G = AT A .
und diese ist ebenfalls positiv definit. Wie in 1.8 definieren wir die Gramsche
Determinante durch
gik = 0 für i = k .
was die Berechnung des Laplace–Operators nach der folgenden Formel von Ja-
cobi einfach gestaltet.
280 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
Δu = √ gg ,
g ∂ξi ∂ξi
i,k=1
wobei auf der linken Seite das Argument x = h(ξ) und auf der rechten das
Argument ξ = (ξ1 , . . . , ξn ) einzutragen ist.
Beispiele. (a) Für Polarkoordinaten in der Ebene ergibt sich hieraus die For-
mel § 6 : 5.2 ohne die dort angestellte längliche Rechnung ÜA .
(b) Bei der Transformation 5.1 (c) auf Kugelkoordinaten erhalten wir ÜA
1 ∂
∂U 1 ∂
∂U
1 2
∂ U
2
Δu = r + sin ϑ + .
r 2 ∂r ∂r r 2 sin ϑ ∂ϑ ∂ϑ r 2 sin2 ϑ ∂ϕ2
Beweis.
Der direkte Weg, nämlich Berechnung von Δ(U ◦ h−1 ) und anschließendes Ein-
setzen von h ist sehr rechenaufwändig. Günstiger ist es, partielle Integration mit
dem Transformationssatz für Integrale und dem Lemma von du Bois–Reymond
zu kombinieren:
Wir verwenden die Bezeichnungen von 5.1. Bezeichnen wir die Koeffizienten von
B = (A−1 )T mit Bji , so gilt wegen G−1 = B T B
n
(1) g ik = Bji Bjk ;
j=1
5 Der Laplace–Operator in krummlinigen Koordinaten 281
Wir wählen ϕ ∈ C∞
c (Ω) und setzen Φ := ϕ ◦ h ∈ Cc (Ω ) . Mit der Kettenregel
2
−1 −1
folgt aus ϕ = Φ ◦ h , u = U ◦ h
∂ϕ ∂Φ i ∂u k ∂U
(3) = Bj ◦ h−1 , = Bj ◦ h−1 .
∂xj ∂ξi ∂xj ∂ξk
i k
Δ(u ◦ h) = (Δu) ◦ h .
282 § 11 Gaußscher Integralsatz und Greensche Formeln
Folgerung. Für jede harmonische Funktion u und jede Bewegung h ist auch
u ◦ h harmonisch.
Beweis.
n
Jede Bewegung h hat die Gestalt h(ξ) = a+A ξ = a+ ξi ai mit einem Vektor
i=1
a, einer orthogonalen Matrix A mit den Spaltenvektoren a1 , . . . , an . Damit gilt
Für u ∈ C2 (Ω) und U := u ◦ h ∈ C2 (Ω ) mit Ω := h−1 (Ω) ergibt sich aus
der Jacobischen Formel
(Δu) ◦ h = ΔU = Δ(u ◦ h) . 2
5.4 Aufgaben
(a) Berechnen Sie mit der Jacobischen Formel den Laplace–Operator für ellip-
tische Zylinderkoordinaten
⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
ξ x cosh ξ cos η
⎝ ⎠ ⎝
h : η −→ y = ⎠ ⎝ sinh ξ sin η ⎠ .
ζ z ζ
ξ −→
R2
ξ2
ξ, Ê n
\ {0} → Ê n
\ {0} ,
dass mit der Abkürzung = R2 /ξ2 und der Notation von 5.2 gilt:
n
2 −n ∂ n−2 ∂U
gik = δik , also Δu = .
∂ξi ∂ξi
i=1
283
§ 12 Die Fouriertransformation
Die Fouriertransformation ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Theorie der Dif-
ferentialgleichungen, sie spielt auch in der Quantenmechanik, in der Optik und
in der Systemtheorie eine tragende Rolle.
Vorkenntnisse: Testfunktionen, Faltungsintegral (§ 10). Die Kenntnis des Lebes-
gue–Integrals ist nur an wenigen, eigens ausgewiesenen Stellen nötig.
Literatur: Folland [35], Wladimirow [56], Hörmander [63].
1 Zielsetzung
1.1 Die Fouriertransformation von Differentialgleichungen
(a) Wir suchen eine Transformation von Funktionen, welche Differentiation in
Multiplikation überführt. Hierzu definieren wir den Differentiationsoperator P
und den Multiplikationsoperator Q für differenzierbare Funktionen u : → Ê
durch
1
P : u → i u , Q : u → x· u,
wobei x · u für die Funktion x → xu(x) steht.
/ , unter welcher der Operator
Gesucht ist also eine lineare Transformation u → u
P in den Operator Q übergeht,
(∗) :u = Q u
P /.
Durch zweimalige Anwendung von (∗) folgt
: = P;
(∗∗) − u :u = Q2 u
2u = Q P /.
Somit kann diese Transformation dazu dienen, die Differentialgleichung
u + a u + b u = f (a, b Konstanten, f eine gegebene Funktion)
/ zu überführen, und zwar in
in eine algebraische Gleichung für u
/(y) (−y 2 + iay + b) = f/(y) .
u
(b) Setzen wir die gesuchte Transformation als Integraltransformation
+∞
/(y) =
u K(x, y) u(x) dx
−∞
mit einer beschränkten C1 –Funktion K an, so ergibt sich, falls u und u inte-
grierbar sind und lim u(x) = 0 gilt,
|x|→∞
+∞
+∞
:u)(y) = − i
(P K(x, y)u (x) dx = i ∂K
∂x
(x, y)u(x) dx ,
−∞ −∞
+∞
/)(y) = y u
(Q u /(y) = y K(x, y)u(x) dx .
−∞
284 § 12 Die Fouriertransformation
Die Beziehung (∗) ist also gewährleistet, falls (∂K/∂x)(x, y) = −iy K(x, y) .
Das bedeutet K(x, y) = ce−ixy mit einer Integrationskonstanten c . Aus Grün-
den, die in 1.2 deutlich werden, setzen wir c := (2π)−1/2 und erhalten somit
für integrierbare Funktionen u : → Ê
+∞
1
/(y) := √
u e−ixy u(x) dx .
2π
−∞
∂2u
(x, t) für x ∈ , t > 0 und u(x, 0) = f (x) .
∂u
(x, t) =
∂t ∂x2
Wir betrachten die Fouriertransformierte bezüglich der Ortsvariablen, d.h.
+∞
1
/(y, t) := √
u e−ixy u(x, t) dx .
2π
−∞
Wir werden zeigen, dass die Fouriertransformation injektiv ist, d.h. dass u durch
/ eindeutig bestimmt ist. Für die Lösung des Wärmeleitungsproblems bleibt so-
u
mit die Aufgabe, die Fouriertransformation umzukehren. Einen Hinweis darauf,
wie dies zu bewerkstelligen ist und zugleich einen anderen Zugang zur Fourier-
transformation geben die folgenden Betrachtungen.
von u für wachsendes n nach links bzw. rechts wandern.) Wir zeigen, dass die
Fourierreihe von un für n → ∞ in eine Darstellung von u als Fourierintegral“
”
übergeht. Um die Fourierentwicklung der un zu gewinnen, beachten wir, dass
∞
durch fn (t) := un (nt) eine 2π–periodische C –Funktion gegeben ist. Somit gilt
nach dem Satz von Dirichlet § 6 : 2.3 in der komplexen Version § 6 : 2.1
+∞
(n) (n) 1 π −ikt
(1) fn (t) = ck eikt mit ck = e fn (t) dt .
k=−∞ 2π −π
Wegen un (x) = u(x) für |x| ≤ nπ und u(x) = 0 für |x| ≥ nπ folgt
1 nπ −i k x 1 +∞ −i k x
= e n u(x) dx = e n u(x) dx
2πn −nπ 2πn −∞
1
k
= √ /
u
2π n n
1
+∞
k
k 1
(3) un (x) = √ /
ei n x u .
2π k=−∞ n n
1 +∞ ixy
(4) u(x) = √ e u /(y) dy .
2π −∞
Damit haben wir die Umkehrformel für die Fouriertransformation erraten: Aus
/ = v folgt u(x) = /
u v (−x). (Den rein technischen Beweis für die Berechtigung
des√Übergangs von (3) nach (4) unterdrücken wir.) Die Wahl des Vorfaktors
1/ 2π erklärt sich einerseits durch die Symmetrie der Umkehrformel, ande-
+∞
+∞
rerseits durch die Formel /(y)|2 dy =
|u |u(x)|2 dx , die in Abschnitt 4
−∞ −∞
bewiesen wird.
286 § 12 Die Fouriertransformation
/:
und liefert eine stetige, beschränkte Funktion u n → , die Fouriertrans-
formierte von u.
Der lineare Operator
F : L1 (n ) → C0 (n) , /
u → u
Die Existenz des Integrals und die Stetigkeit von u / folgen aus dem Majoran-
−i x , y
tenkriterium und dem Satz über Parameterintegrale, denn der Integrand hat
die von y unabhängige Majorante e u(x) = u(x) .
Bemerkungen.
(a) Vertrautheit mit dem Lebesgue–Integral ist für die Hauptthemen dieses Pa-
ragraphen (Fouriertransformation für schnellfallende Funktionen, Anwendungen
auf DG) nicht erforderlich. Die Voraussetzung u ∈ L1 (n ) kann gelesen werden
als u ist über den n integrierbar“. Sie ist immer erfüllt, wenn u : n →
”
stetig und im herkömmlichen Sinn integrierbar ist (Bd. 1, § 23 : 4). Der Raum
L () umfasst auch stückweis stetige, über integrierbare Funktionen (Bd. 1,
1
2a
/(0) = √ = lim u
u /(y) (Fig.). 6
2π y→0
u
Dies entspricht der Formel für die Am-
plitude bei der Beugung an einem Spalt -
der Breite 2a (untere Figur). −a a x
Beachten Sie: u / ist nicht integrierbar:
6
Nπ
N
πk /
u
sin y
y
dy ≥ 1
πk
| sin y| dy
0 k=1 π(k−1)
N
= 2
π
1
k
. -
k=1 y
−a|x|
(ii) Für u(x) = e mit a > 0 gilt
2 a
/(y) =
u ÜA .
π a2 + y 2
/ dienen, vgl.
In manchen Fällen kann der Residuensatz zur Berechnung von u
Bd. 1, § 28 : 7.4.
(Pk Ql − Ql Pk ) u =
1
i
δkl u für u ∈ C1 ( Ê) n
ÜA .
1 · · · xn u(x) .
(Qα u)(x) := xα u(x) = xα1 αn
288 § 12 Die Fouriertransformation
/
Wir gewinnen hieraus folgende Regel: Je glatter u ist, desto schneller fällt u
im Unendlichen ab; je schneller u im Unendlichen abfällt, desto glatter ist u/.
Letzteres wird durch folgenden Sachverhalt unterstrichen:
Ê / analytisch,
(c) Zusatz. Für u ∈ C0c ( n) ist u d.h. u /(y) kann um jeden Punkt
Ê
y0 ∈ n in eine überall konvergente Reihe aα (y − y0 )α entwickelt werden
Das folgt aus dem Satz von Paley und Wiener, vgl. Dym–Mc Kean [34], 3.3.
Aus letzterem ergibt sich noch die für die Fouriertransformation von Distributio-
Ê
nen wichtige Aussage: Für u ∈ C0c ( n), u = 0 kann die Fouriertransformierte
/ nach dem Identitätssatz für Potenzreihen keinen kompakten Träger besitzen.
u
(d) Beispiele. Es gilt
;
P /
k u = Qk u für u ∈ C1 ∩ L1 mit ∂1 u, . . . , ∂n u ∈ L1 ,
Pk u ;
/ = −Q / ∈ C1 für Q1 u, . . . , Qn u ∈ L1 ,
k u und u
:
− Δu(y) /(y) für u ∈ C2 mit u, ∂i u, ∂i ∂i u ∈ L1 .
= y2 u
Beweis.
;
(i) Zunächst sei m = 1. Für u ∈ C1 mit u, P1 u, . . . ,Pn u ∈ L1 sind Pk u = Qk u
/(y) zu zeigen. Es genügt, den Fall k = n
und die Beschränktheit von (1+y) u
zu betrachten. Nach der Bemerkung 2.1 (b) können wir P ;n u durch sukzessive
Integration berechnen: Setzen wir x = (ξ, s), y = (η, t) mit ξ, η ∈ n−1 und Ê
Ê
s = yn , t = xn ∈ , so erhalten wir
n
+∞
(1) ;
(2π) 2 i Pn u(y) = e−i ξ,η
e−ist ∂n u(ξ, s) ds dn−1 ξ .
Ên−1 −∞
Da ∂n u stetig ist, gilt
s
u(ξ, s) = u(ξ, 0) + ∂n u(ξ, σ) dσ .
0
werte verschwinden, vgl. Bd. 1, § 12 : 5.2, 5.3. Somit ergibt partielle Integration
+∞
+∞
e−ist ∂n u(ξ, s) ds = it e−ist u(ξ, s) ds .
−∞ −∞
+∞
(2) ;
P −
n u(y) = (2π) 2 t
n
e−i ξ,η
e−ist u(ξ, s) ds dξ
Ên−1 −∞
/(y) = yn u
= tu /(y) = (Qn u
/)(y) .
/,
F (Pk Pl u) = F (Pk (Pl u)) = Qk F (Pl u) = Qk Ql u
;
außerdem die Beschränktheit von (1 + y)|P /(y)|. Wie
k u(y)| = (1 + y) |yk | |u
/(y)| , also
oben folgt daraus die Beschränktheit von (1 + y)2 |u
/(y)| ≤ (1 + y)2 |u
(1 + y2 )|u /(y)| ≤ c2
mit einer geeigneten Konstanten c2 . Es ist nun zu erkennen, wie sich die Be-
hauptung (i) des Satzes durch Induktion nach m ergibt.
(ii) Sei m = 1. Nach Voraussetzung ist x → xk u(x) integrierbar, und es gilt
−i x , y
e xk u(x) = | xk | · | u(x) | .
somit Pk u ;
/ = −Q k u.
Der Beweis des Satzteils (ii) durch Induktion nach m folgt diesem Muster ÜA .
2
290 § 12 Die Fouriertransformation
Beweis.
Sei ε> 0 vorgegeben. Nach § 10 : 3.3 gibt es eine Testfunktion v ∈ C∞
−n/2
c (
n
) Ê
mit /(y) − /
| u(x) − v(x)| d x < ε, also |u
n
v (y)| < ε (2π) < ε für alle
Ê
y ∈ n. Nach (b) gibt es eine Konstante c ≥ 0 mit |/ v (y)| ≤ c (1 + y)−1 . Für
y ≥ c/ε folgt
/(y)| ≤ |u
|u /(y) − /
v (y)| + |/
v (y)| < ε + ε = 2ε . 2
/ · v, u · /
(a) Wälzformel. Für u, v ∈ L1 gilt u v ∈ L1 und
/·v =
u u·/
v.
/ 1 , . . . , yn ) = u
w(y /(y1 , . . . , yp ) · /
v (yp+1 , . . . , yn ) .
Dem Beweis schicken wir ein im folgenden mehrfach verwendetes Lemma voraus:
2.4 Lemma. (a) Sei f (x, y) stetig auf Ê × Ê , und es gelte
p q
Beweis.
(a) Wegen der Produktformel 2.3 (b) muss (a) nur für n = 1 gezeigt werden.
1 2
Die Gauß–Dichte u(x) = e− 2 x genügt dem AWP
(∗) u (x) = −xu(x), u(0) = 1.
Aufgaben (i) (Verallgemeinerung von (b)). Sei u(x) := exp − 12 x , Ax mit
einer reellen, symmetrischen, positiv definiten n × n–Matrix A. Zeigen Sie mit
Hilfe der Hauptachsentransformation, dass
1
/(y) = (det A)− 2 exp − 12 y , A−1 y
u .
/∗/
u v = (2π)n/2 u;
·v.
u; /·/
∗ v = (2π)n/2 u v.
Die Beweise folgen in 3.4 und 3.5. Der Beweis des zweiten Faltungssatzes stützt
sich auf die Lebesguesche Integrationstheorie.
= u ∈ C (Ê ) | (1 + x ) ∂ u(x) ist beschränkt für jedes
∞ n m β
(c) u, v ∈ S =⇒ u ∗ v ∈ S .
(d) Ist u schnellfallend und v eine C∞ –Funktion, deren sämtliche Ableitungen
∂ α v polynomial beschränkt sind, so gilt u · v ∈ S . Insbesondere gilt u · v ∈ S
für u, v ∈ S .
Dabei heißt eine Funktion v : Ê n
→ polynomial beschränkt, wenn
v(x) ≤ c (1 + xm ) für ein m = 0, 1, . . . und eine Konstante c ≥ 0 .
Beweis.
(a) Die Vektorraumeigenschaft folgt unmittelbar aus der Definition.
Sei u ∈ S . Nach 3.1 gilt (1 + x2n ) |u(x)| ≤ c mit einer Konstanten c. Es
folgt |u(x)|p ≤ cp /((1 + x21 ) · · · (1 + x2n )) für alle x ∈ n und beliebiges p ≥ 1.
Daraus ergibt sich die Integrierbarkeit von |u|p durch wiederholte Anwendung
des Lemmas 2.4.
(b) Es genügt zu zeigen: u ∈ S =⇒ Pk u, Qk u ∈ S .
Für u ∈ S gilt Pk u ∈ C∞ (n ) und (mit den Bezeichnungen 2.2) Qα ∂ β Pk u =
Qα ∂ γ u mit γ = β + ek . Damit ist Qα ∂ β Pk u beschränkt für alle Paare von Mul-
tiindizes (α, β). Ferner gilt Qk u ∈ C∞ (n ) nach der allgemeinen Produktregel
§ 10: 2.2 (c). Durch mehrfache Anwendung der Vertauschungsrelationen 2.2 (a),
Pl Qk − Qk Pl = − i δkl S ,
Daraus folgt mit dem Satz über Parameterintegrale u∗v ∈ C∞ (n ), ∂ β (u∗v) =
u ∗ ∂ β v und |∂ β (u ∗ v)| ≤ cβ u1 für alle Multiindizes β. Weiter gilt ÜA
Qk ∂ β (u ∗ v) = Qk (u ∗ ∂ β v) = (Qk u) ∗ ∂ β v + u ∗ (Qk ∂ β v) .
294 § 12 Die Fouriertransformation
Jeder der Summanden auf der rechten Seite ist als Faltungsintegral zweier
schnellfallender Funktionen beschränkt. Durch wiederholte Anwendung dieses
Arguments folgt die Beschränktheit von Qα ∂ β (u ∗ v) für beliebige Multiindizes
α, β.
(d) ergibt sich aus der allgemeinen Produktregel § 10 : 2.2 (c) ÜA . 2
P; /,
α u = Qα u ;
Q α u = (−1)|α| P α u
/ für alle Multiindizes α.
;
(c) Insbesondere gilt Pk u = Qk u ;
/, Q k u = −Pk u :
/ und Δu(y) /(y) ,
= −y2 u
vgl. 2.2 .
Beweis.
(a) Seien u ∈ S und β ein beliebiger Multiindex. Nach 3.2 (b) gilt Qβ u ∈ S ,
und aus dem P ,Q–Gesetz 2.2 (b) folgt daher
(∗) / ∈ C|β| (
u Ên
) sowie P βu ;
/ = (−1)|β| Q βu .
u(x) = /
v (−x)
F −1 = F S = SF bzw. F 2 S = SF 2 = F SF = ½S .
Beweis.
1 2 1 −2 2
Wir setzen v(x) = e− 2 x und vr (x) = v(x/r) = e− 2 r x mit r > 0.
Für r → ∞ strebt vr monoton aufsteigend gegen 1. Der Grundgedanke des
Beweises besteht darin, das rechts in der Umkehrformel stehende Integral durch
die Integrale
(2π)−n/2 ei x , y u
/(y) vr (y) dn y für r 1
/∈S
zu approximieren. Hierbei beachten wir, dass für u ∈ S nach 3.3 (a) u
/ ∈ L1 , u ∈ L∞ nach 3.2 (a).
gilt und somit u
Aus den Skalierungsregeln 2.3 (c),(d), der Wälzformel 2.3 (a) ergibt sich unter
Verwendung der Substitution η = r y mit ux (y) := u(y − x)
ei x , y u
/(y) vr (y) dn y = u; n
−x (y) vr (y) d y = u−x (y) v/r (y) dn y
= u−x (y) r n /
v (r y) dn y = u−x (η/r) /
v(η) dn η
= u−x (η/r) v(η) dn η ,
Letzteres nach 2.5 (a). Setzen wir r = 1/s2 , so erhalten wir mit dem ersten
und dem letzten Integral jeweils auch für s = 0 definierte Parameterintegrale.
Nach Bd. 1, § 23 : 5.1 hängen beide stetig von s ab, denn der Integrand im ersten
Integral besitzt die von s unabhängige Majorante |u /| ∈ L1 , der im letzten
Integral besitzt die Majorante u∞ · |v| ∈ L . Somit erhalten wir für s → 0
1
ei x , y u
/(y) dn y = u−x (0) v(η) dn η = u(x) v(η) dn η = (2π)n/2 u(x)
/∗/
u v = (2π)n/2 u;
·v, u; /·/
∗ v = (2π)n/2 u v.
Beweis.
(1) Für u, v ∈ S gilt u ∗ v ∈ S nach 3.2 (c). Durch Anwendung des Umkehr-
satzes 3.4 (a)ergibt sich
/∗/
(u v )(x) = /(y) /
u v (x − y) dn y
= (2π)−n/2 /(y)
u v(z) e−i x−y , z dn z dn y
= (2π)−n/2 v(z) e−i x , z u
/(y) ei y , z dn y dn z
= (2π)−n/2 v(z) e−i x , z /(y) ei y , z dn y dn z
u
= u(z) v(z) e−i x , z dn z
= (2π)n/2 u;
· v(x) .
Die Vertauschung der Integrationsreihenfolge ist nach 2.4 erlaubt, da der Inte-
/(y)| · |v(z)| besitzt.
grand die Majorante |u
(2) Für u, v ∈ S gibt es, wieder nach dem Umkehrsatz, Funktionen f, g ∈ S
mit u = f/, v = / / , g = S/
g , also f = S u v . Nach (a) folgt unter Beachtung von
F 2 = S und S 2 = ½S
3 Die Fouriertransformation auf S ( Ê n
) 297
∗ v = (2π)−n/2 F (f/ ∗ /
(2π)−n/2 u; g ) = F 2 (f · g) = S(f · g)
/·/
= Sf · Sg = u v. 2
mit einer stetigen Funktion c vom Betrag 1. Dann existiert das Integral
|c(x, y, z) f (y, z)| dn z = |u(y)| · |v(z − y)| dn z = |u(y)| · v1
Mit c(x, y, z) = 1 folgt die Existenz von (u ∗ v)(x) f.ü. und u ∗ v ∈ L1 . Setzen
wir c(x, y, z) = exp(−i x , y ) exp(−i x , y − z ), so ergibt sich
(2π)n/2 u;
∗ v(x) = u(y) v(z − y) dn y e−i x , z dn z
= u(y) e−i x , y v(z − y) e−i x , z−y dn y dn z
= u(y) e−i x , y v(z − y) e−i x , z−y dn z dn y .
Beweis.
Für u, v ∈ S sei g := u/ . Nach 3.4 (b) gilt g = S /
u, also /
g=u ÜA . Mit Hilfe
der Wälzformel 2.3 (a) folgt hieraus
u, v = uv = /
gv = g/
v= //
u /, /
v = u v . 2
Beweis.
S ist ein dichter Teilraum von L2 , denn es gilt C∞ c ⊂ S ⊂ L2 , und C∞ c
liegt dicht in L (§ 10 : 3.3). Die Fouriertransformation F : S → S
2
und ihre
Inverse F −1 sind bezüglich des L2 –Skalarproduktes Isometrien auf S . Nach
§ 10 : 5.1 (b) besitzen F und F −1 eindeutig bestimmte Fortsetzungen F und G
auf L2 . Beide sind stetige lineare Operatoren auf L2 und es gilt
Fu = lim F uk , Gu = lim F −1 uk , falls u = lim uk mit uk ∈ S .
k→∞ k→∞ k→∞
Da auch S eine unitäre Abbildung auf L2 ist, ergibt sich für jedes u ∈ L2 durch
Grenzübergang
G Fu = F G u = u , SF u = F Su = G u , SF 2 u = u ,
F u = u = G u .
Dies zeigt, dass F invertierbar und isometrisch ist und dass G = F −1 = S 2 F.
2
5 Anwendungen 299
Nach dem Satz von Fischer–Riesz § 8 : 2.1 gibt es dann eine Teilfolge (vsk ), die
punktweise f.ü. gegen Fu konvergiert.
5 Anwendungen
5.1 Die Differentialgleichung −(Δ + λ) u = f in S
Satz. Die Differentialgleichung
(∗) − (Δ + λ) u = f mit f ∈ S
besitzt für λ ∈ \ + genau eine Lösung u ∈ S . Für λ ≥ 0 ist (∗) nicht
universell lösbar, d.h. hat nicht für jedes f ∈ S eine Lösung u ∈ S .
Beweis.
Für u, f ∈ S ist die Gleichung (∗) nach dem P ,Q–Gesetz 3.3 (c) und nach dem
Umkehrsatz 3.4 (a) äquivalent zu
(∗∗) /(y) = f/(y) für alle y ∈
y2 − λ u n
.
Im Fall λ ∈ \ + ist g(y) := (y − λ)−1 eine beschränkte C∞ –Funktion,
2
somit gehört für gegebenes f ∈ S die Funktion h := g f/ zu S , vgl. 3.2 (e). Die
durch
u(y) = /
h(−y)
/ = h die
definierte Funktion u ist schnellfallend (3.2 (c)) und erfüllt wegen u
Gleichung (∗∗), also auch (∗).
300 § 12 Die Fouriertransformation
Ê
Im Fall λ ∈ + wählen wir f (x) = e− 2 x . Nach 2.5 ist f/ = f , also hat
1 2
f/ keine Nullstellen. Somit kann (∗∗) nicht gelten, denn die linke Seite besitzt
Nullstellen. 2
Bemerkungen. (a) Im Falle λ ∈ \+ , also = dist (λ, + ) > 0 gilt für die
oben definierte Funktion h bezüglich der L2 –Norm h ≤ f/ = f . Wegen
der L2 – Isometrie der Fouriertransformation folgt u = S/ h = h ≤ f ,
also hängt die Lösung von (∗) im L2 –Sinn stetig von der rechten Seite ab.
(b) Für n = 1 und λ = −a2 mit a > 0 gilt für die Lösung u von (∗)
1 √ 1 −a|x|
/(y) =
(∗∗) u f/(y) = 2π f/(y) /
v(y) mit v(x) = e ,
a2 +y 2 2a
vgl. das Beispiel 2.1 (ii). Nach dem Faltungssatz 2.6 (c) für L1 –Funktionen gilt
√
2π f/ /
v = f;
∗ v, und wegen der Injektivität der Fouriertransformation folgt
+∞
1
u(x) = (f ∗ v)(x) = e−a|x−y| f (y) dy .
2a
−∞
Die Hermite–Funktionen sind nach 3.2 (d) schnellfallend und erfüllen die Her-
mitesche Differentialgleichung ÜA
+∞ +∞ +∞ (m)
Hm Hn = (−1)n (n)
Hm = . . . = (−1)n−m (n−m)
Hm .
−∞ −∞ −∞
+∞
+∞
(m+1)
Hm Hn = (−1)n−m−1 (n−m−1)
Hm = 0
−∞ −∞
+∞
+∞
+∞
hm hn = cm cn Hm Hn = c2n δmn Hn2 = δmn .
−∞ −∞ −∞
+∞
1 +∞
g Hn = f hn = 0 für n = 0, 1, 2, . . . .
−∞
cn −∞
302 § 12 Die Fouriertransformation
n
|xy|k
|g(y) sn (x, y)| ≤ | g(y )| ≤ exp |xy| − 14 y 2 h(y ) ≤ c(x) h(y)
k=0 k!
mit einer nur von x abhängigen Konstanten c(x). Mit Hilfe des Satzes von Le-
besgue (§ 8 : 1.6 (a)) erhalten wir schließlich
√
+∞
+∞
2π /
g (x) = lim g(y) sn (x, y) dy = lim g(y) sn (x, y) dy = 0 .
n→∞ n→∞
−∞ −∞
2
Beweis.
√
u ∈ L2 (). Ferner ist (un )
2
Sei wieder (x) := e−x . Dann gilt u ∈ H ⇐⇒
√
genau dann eine Cauchy–Folge in H , wenn die fn := un eine Cauchy–Folge
1
in L2 bilden. Für deren L2 –Limes f und u := ( )− 2 f gilt
+∞ +∞
| u − un |2 = | f − fn |2 → 0 .
−∞ −∞
Ê
Eine Funktion u ∈ L1loc (Ω) ( Ω ⊂ n ein Gebiet) heißt eine schwache Lösung
von Lu = f , wenn f ∈ L1loc (Ω) gilt und
u L∗ ϕ dn x = f ϕ dn x für alle Testfunktionen ϕ ∈ C∞
c (Ω) .
Ω Ω
Dabei ist
L∗ = (−1)|α| aα ∂ α
|α|≤m
Satz. Jede klassische Lösung von Lu = f mit f ∈ C0 (Ω) ist auch eine
schwache. Eine schwache Lösung ist eine klassische Lösung, wenn sie Cm –
differenzierbar ist.
Denn für u ∈ Cm (Ω), f ∈ C0 (Ω) ergibt sich mit den Greenschen Identitäten
§ 11 : 4.2 (b) und (c)
(Lu − f ) ϕ = u L∗ ϕ − fϕ für alle ϕ ∈ C∞
c (Ω) .
Ω Ω Ω
Die Behauptung folgt mit Hilfe des Lemmas von Du Bois–Reymond § 10 : 4.2.
Ê
2
∂ u ∂2u
2
= c2 in 2
∂t ∂x2
∂u
mit u(x, 0) = f (x) und ∂t
(x, 0) = 0 in allen Differenzierbarkeitsstellen von f .
1 Schwache Lösungen von Differentialgleichungen 305
Beweis.
O.B.d.A. setzen wir c = 1. Sei ϕ ∈ C∞ Ê
c ( ) gegeben und r > 0 so gewählt, dass
supp ϕ ⊂ Q := ] − r, r [2 . Wir führen charakteristische Koordinaten ein durch
die Transformation h : 2 → 2 mit Ê Ê
x + t
1 ξ+η
h(ξ, η) = , h−1 (x, t) = .
2 ξ−η x−t
Es gilt | det dh(ξ, η)| = 12 , und h−1 (Q) ⊂ 2Q :=] − 2r, 2r [2 ist ein auf der
Spitze stehendes Quadrat. Für ψ := ϕ◦h gilt ψ ∈ C∞ c (
2
) und supp ψ ⊂ 2Q , Ê
denn aus ψ(ξ, η) = 0 folgt h(ξ, η) ∈ Q , also (ξ, η) ∈ 2Q. Ferner gilt ÜA
1 ∂2ϕ ∂2ϕ
∂ξ ∂η ψ = (Lϕ) ◦ h mit Lϕ = 2
− .
4 ∂x ∂t2
2r 2r
= f (ξ) ∂η (∂ξ ψ(ξ, η)) dη dξ
−2r −2r
2r 2r
+ f (η) ∂ξ (∂η ψ(ξ, η)) dξ dη = 0
−2r −2r
1.4 Aufgabe
Zeigen Sie: Das Einschaltproblem für
den RL–Schwingkreis (Fig.) mit der R
DG
˙ R 1 U (t) I(t)
I(t) + I(t) = U (t)
L L
und (
U0 für t ≥ 0
U (t) := , L
0 für t < 0
2 Distributionen
2.1 Einführung
Wir beschränken uns hier auf die Grundkonzepte der Distributionentheorie.
Als weiterführende Werke nennen wir Schwartz [42], Wladimirow [56], Gel-
fand–Schilow [38] und Hörmander [63]. Distributionen verwenden wir in
erster Linie dazu, den Begriff der Grundlösung einer Differentialgleichung durch-
sichtig zu machen, schwache Ableitungen zu definieren und damit den Begriff
der schwachen Lösung einfacher formulieren zu können. Ferner soll mit ihrer
Hilfe die Fouriertransformation für Funktionen definiert werden, die nicht zu L1
oder L2 gehören, z.B. für Polynome.
Anlass für die Schaffung der Distributionentheorie gab eine Entwicklung in der
Analysis, die von Leibniz, Euler und Lagrange ausging und die zu den sym-
bolischen Methoden u.a. von Boole, Heaviside und Dirac führte, nämlich
die Auffassung der Analysis und ihrer Operationen Differentiation, Integrati-
on, Reihenbildung usw. als Kalkül nach dem Vorbild der Algebra. Dies war
zwar äußerst suggestiv, führte aber mangels begrifflicher Grundlagen bald zum
Meinungsstreit über die Berechtigung des Kalküls und auf Widersprüche.
Euler hatte keine Bedenken, physikalische Funktionen“, z.B. solche mit Knik-
”
ken, zu differenzieren oder mit divergenten Funktionenreihen zu rechnen. Dirac
führte 1926 für die Zwecke der Quantenmechanik eine uneigentliche“ Funktion
”
δ ein mit
+∞
ϕ(x) δ(x − a) dx = ϕ(a)
−∞
Ê
für alle Wellenfunktionen ϕ ∈ S und alle a ∈ . Eine Funktion δ mit dieser
Eigenschaft kann es nicht geben, denn für eine solche wäre
+∞
δ(x) dx = 1
−∞
2.2 Definition
Auf dem Raum D := C∞ c (
n
Ê
) der komplexwertigen Testfunktionen definieren
wir den folgenden Konvergenzbegriff.
D
ϕk −→ ϕ für k → ∞ soll heißen:
∂ α ϕk → ∂ α ϕ gleichmäßig für k → ∞.
D
(b) ϕk −→ ϕ =⇒ U ϕk → U ϕ für k → ∞ .
ϕ −→ ∂ αϕ(a)
Die Aussage (b) besagt, dass bei der Uminterpretation von Funktionen zu Dis-
tributionen keine Information verloren geht. Das ergibt sich direkt aus dem
Fundamentallemma § 10 : 4.2, welches somit grundlegend für die Theorie der
Distributionen ist.
Nach dem Fundamentallemma § 10 : 4.2 folgt x − a2 u(x) = 0 f.ü., also auch
u(x) = 0 f.ü. und damit δa = {u} = 0, was ein Widerspruch ist.
3 Konvergenz von Distributionenfolgen 309
Dennoch ziehen viele Autoren die griffige Symbolik ϕ(x) δ(x − a) dn x der
etwas blassen Notation δa ϕ vor. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, solan-
ge das Symbol δ(x − a) unter dem Integral bleibt und sich nicht als Dirac–
”
Funktion“
verselbstständigt. Es sei angemerkt, dass sich δa ϕ durchaus als In-
tegral ϕ(x) dμ(x) auffassen läßt. Dies setzt aber den Begriff der Integration
bezüglich eines Maßes μ voraus, siehe § 20.
ÜA Zeigen Sie, dass ϕ → ∂ α ϕ(a) eine singuläre Distribution ist.
D
{uk } −→ {u} für k → ∞, d.h. wenn
lim uk ϕ = uϕ für jede Testfunktion ϕ ∈ D gilt.
k→∞
Beispiel. Die Funktionenfolgen (sin kx) bzw. (sin2 kx) besitzen keinen punkt-
weisen Grenzwert. Sie konvergieren aber im Distributionensinn gegen die kon-
stanten Funktionen 0 bzw. 1/2. Das ergibt sich mit Hilfe partieller Integration
ÜA .
D
{ur } −→ δa für r → 0 .
310 § 13 Schwache Lösungen und Distributionen
Beweis.
Sei ε > 0 gegeben und ϕ eine Testfunktion. Da ϕ stetig ist, gibt es ein δ > 0
mit |ϕ(x) − ϕ(a)| < ε, falls x − a < δ. Wegen ur (x) dn x = 1 und ur ≥ 0
gilt für r < δ
| {ur } ϕ − δa ϕ | = | {ur } ϕ − ϕ(a) | = ur (x) (ϕ(x) − ϕ(a)) dn x
≤ ur (x) |ϕ(x) − ϕ(a)| dn x < ε ur (x) dn x = ε . 2
(b) Das folgende Kriterium entnehmen wir Schwartz [42] II.4, Satz 13:
Satz. Es gilt lim {uk } = δ für jede Folge (uk ) stetiger Funktionen mit folgen-
k→∞
den Eigenschaften:
(i) Es gibt ein R > 0 mit uk (x) ≥ 0 für x < R und k = 1, 2, . . . ,
(ii) uk (x) → 0 gleichmäßig auf jeder Kugelschale {x ∈
Ê n
| 1
r
≤ x ≤ r},
n
(iii) lim uk (x) d x = 1 für jedes r > 0.
k→∞
Kr (0)
q1 δa1 + . . . + qN δaN
anzusehen ist. Wesentlich einfacher ist die einheitliche Auffassung diskreter und
kontinuierlicher Ladungs– oder Massenverteilungen als Maße, vgl. § 20.
Dieser Satz, dessen Beweis in Wladimirow [56] § 7.7 gegeben wird, dient hier
nur als Hintergrundinformation. Zum einen stellt er die Verbindung zu dem
folgenden allgemeineren Distributionenbegriff her (Mikusinski 1948):
(uk ) eine Folge von Testfunktionen mit der Eigenschaft, dass die Folge
Sei
( uk ϕ ) für jede Testfunktion ϕ konvergiert. Dann ist durch
M ϕ := lim uk ϕ
k→∞
eine Distribution im Sinne von Mikusinski gegeben. Jede durch 2.1 definierte
Distribution U ist demnach auch eine Distribution im erweiterten Sinn. Eine
Übersicht über andere Varianten des Mikusinskischen Ansatzes finden Sie bei
Temple [44].
Zum anderen gibt der Satz einen Hinweis darauf, wie die Differentiation von
Distributionen im folgenden zu definieren ist.
für alle ϕ ∈ D .
Nach 3.3 gibt es zu U ∈ D Testfunktionen {uk } mit {uk } ϕ → U ϕ für alle
Testfunktionen ϕ. Die Forderung (c) verlangt daher
Beweis.
D D
(i) ∂ α U : D → ist linear. Aus ϕk −→ ϕ folgt ∂ α ϕk −→ ∂ α ϕ nach 2.2. Da
U eine Distribution ist, folgt daraus für k → ∞
(∂ α U ) ϕk = (−1)|α| U (∂ α ϕk ) → (−1)|α| U (∂ α ϕ) = (∂ α U ) ϕ .
D
(ii) Sei Uk −→ U , d.h. Uk ϕ → U ϕ für alle Testfunktionen ϕ. Dann folgt
(∂ α Uk ) ϕ = (−1)|α| Uk (∂ α ϕ) → (−1)|α| U (∂ α ϕ) = (∂ α U ) ϕ
4.2 Beispiele
(a) Für die Heaviside–Funktion Θ = χÊ+ gilt {Θ} = δ. Denn ist ϕ eine
Testfunktion mit supp ϕ ⊂ ] − R, R [ , so gilt definitionsgemäß
∞ R
{Θ} ϕ = −{Θ} ϕ = − ϕ = − ϕ = ϕ(0) − ϕ(R) = ϕ(0) .
0 0
(∂ α δa ) ϕ = (−1)|α| (∂ α ϕ)(a) .
n
n
(c) Sei L = aik ∂i ∂k + ak ∂k + a ein linearer Differentialoperator mit
i,k=1 k=1
∗
konstanten Koeffizienten und L der zu L formal adjungierte Operator, vgl.
1.2. Dann gilt für jede lokalintegrierbare Funktion u und für ϕ ∈ D nach (b)
(L{u}) ϕ = u L∗ ϕ .
(d) Ist u : →
abschnittsweise glatt (vgl. § 6 : 2.2 (b)) und besitzt in jedem
kompakten Intervall höchstens endlich viele Sprungstellen, so gilt
{u} = {u } + (u(x+) − u(x−)) δx .
x∈ Ê
ÜA Wie ist diese Formel zu verstehen? Beachten Sie 3.1.
4 Differentiation von Distributionen 313
{uh } → {u} für h → 0 mit uh (x) := (u(x + h) − u(x))/h .
(f) Ein Dipol der Stärke 1 an der Stelle a mit Richtungsvektor v (v = 1)
entsteht als Grenzwert beim Aneinanderrücken der Punktladungen
1 1
im Punkt a + tv und − im Punkt a.
t t
Nach der Bemerkung 3.3 (a) beschreiben wir ihn durch die Distribution
δa+tv − δa
lim .
t→∞ t
Dies ergibt sich nach (b) aus
ϕ(a + tv) − ϕ(a)
δa+tv − δa
lim ϕ = lim = ∂v ϕ(a)
t→0 t t→0 t
3
3
= vk ∂k ϕ(a) = − vk ∂k δa ϕ für ϕ ∈ D .
k=1 k=1
3
Für den oben definierten Grenzwert erhalten wir somit ∂v δa := − vk ∂k δa .
k=1
(aU )ϕ := U (aϕ) (ϕ ∈ D )
Beweis.
(a) Mit ϕ ist auch aϕ eine Testfunktion, und nach § 10 : 2.2 (c) gilt die Leibniz–
Regel
γ!
(∗) ∂ γ (a ϕ) = ∂αa ∂β ϕ .
α! · β!
α+β=γ
D
Sei ϕk −→ ϕ für k → ∞, also supp ϕk in einer kompakten Menge K für
alle k ∈
und ∂ β ϕk → ∂ β ϕ gleichmäßig für alle Multiindizes β. Wegen der
314 § 13 Schwache Lösungen und Distributionen
D
Beschränktheit der Funktionen ∂ α a (|α| ≤ |γ|) folgt aus (∗) a ϕk −→ a ϕ. Also
ist a U eine Distribution.
(b) Nach Definition der k–ten partiellen Ableitung einer Distribution und auf-
grund der Definition (a) erhalten wir für ϕ ∈ D
∂k (a U ) ϕ = −(a U ) ∂k ϕ = −U (a ∂k ϕ) = −U (∂k (a ϕ) − ∂k a ϕ)
∂k (a U ) = a ∂k U + ∂k a U .
Durch nochmalige Anwendung der eben erhaltenen Regel erhalten wir weiter
∂i ∂k (a U ) = ∂i (a ∂k U + ∂k a U )
= a ∂i ∂k U + ∂i a ∂k U + ∂k a ∂i U + ∂i ∂k a U.
Die allgemeine Formel ergibt sich entsprechend durch Induktion nach |γ| ÜA .
Beispiele. Für a ∈ C∞ ( Ê n
) gilt ÜA
F : Ê n
→ Ê,
n
x → c + Ax
mit c ∈ Ê n
und einer invertierbaren Matrix A.
(a) Für u ∈ L1loc ( Ê n
) definieren wir F {u} durch
F {u} := {u ◦ F } .
(b) Die Definition von F U für beliebige Distributionen U fassen wir so, dass
sie mit (a) verträglich ist, vgl. 3.4. Dazu beachten wir, dass aufgrund des Trans-
formationssatzes für Integrale
F {u} ϕ = {u ◦ F } ϕ = u(F (x)) ϕ(x) dn x
= u(y) ϕ(F −1 (y)) | det A|−1 dn y = | det A|−1 {u}(ϕ ◦ F −1 ) .
5 Grundlösungen
5.1 Differentialgleichungen für Distributionen
Ê
Seien L ein linearer Differentialoperator auf dem n mit konstanten reellen
Koeffizienten und L∗ der zu L formal adjungierte Operator:
L = aα ∂ α , L∗ = (−1)|α| aα ∂ α .
|α|≤m |α|≤m
5.2 Grundlösungen
Eine Distribution U heißt Grundlösung für L an der Stelle a ∈ Ê n
(oder
mit Pol a), wenn
L U = δa .
Ist U eine Grundlösung mit Pol a, so ist Ua = τa U mit τa (x) = x − a eine
Grundlösung mit Pol 0 und umgekehrt ÜA . Es reicht also, eine Grundlösung
mit Pol 0 zu kennen; diese bezeichnen wir meistens schlechthin als Grundlö-
sung.
Eine Funktion Γ ∈ L1loc ( Ê ) mit
n
L {Γ} = δa
nennen wir ebenfalls eine (reguläre) Grundlösung für L mit Pol a . Diese Diffe-
rentialgleichung bedeutet also
Γ L∗ ϕ = ϕ(a) für jede Testfunktion ϕ ∈ D .
Die Grundlösungen eines Differentialoperators sind nicht eindeutig bestimmt.
Ê
Ist Γ ∈ L1loc ( n ) eine Grundlösung von L und u eine klassische oder schwache
Lösung der homogenen Differentialgleichung Lu = 0 , so ist auch Γ + u eine
Ê
Grundlösung. Sind umgekehrt Γ1 , Γ2 ∈ L1loc ( n ) Grundlösungen für L , so
ist u = Γ2 − Γ1 eine schwache Lösung der homogenen Gleichung, d.h. es gilt
L{u} = 0 .
316 § 13 Schwache Lösungen und Distributionen
−Δ{U } = 4π Gmδa .
eine Lösung von − Δ{u} = 4πf . Für eine stetige Massendichte f ∈ C0c ( 3 ) ist Ê
dann plausibel (und läßt sich auch beweisen), dass hieraus durch Grenzübergang
im Distributionssinn folgt
u(x) = 4π f (y) Γ(x − y) d3 y .
für alle Testfunktionen ϕ ∈ D und alle y ∈ Ê . Mit dem Satz von Fubini § 8 : 1.8
n
folgt
5 Grundlösungen 317
{f } ϕ = ϕ(y) f (y) dn y = Γ(x − y) (L∗ ϕ)(x) dn x f (y) dn y
= Γ(x − y) f (y) dn y (L∗ ϕ)(x) dn x
= u(x) (L∗ ϕ)(x) dn x) = L{u} ϕ . 2
(ii) Γ(m−1) ist stetig bis auf eine Sprungstelle im Nullpunkt mit Sprunghöhe 1.
Für m ≥ 2 ist Γ Cm−2 –differenzierbar. Es läßt sich zeigen, dass jede Grundlö-
sung von L diese Differenzierbarkeitseigenschaften hat.
Beweis.
Die Lösung u des AWP ist nach § 3 : 3.3 C∞ –differenzierbar. Γ läßt sich mit
Hilfe der Heaviside–Funktion Θ (2.2 (i)) als Produkt Γ = uΘ schreiben. Nach
4.2 (d) folgt
m &
m '
L{Γ} = ak {Γ}(k) = ak u(k) Θ + am u(m−1) (0)δ
k=0 k=0
= {(Lu) Θ} + δ = δ . 2
(c) Bestimmen Sie den Stromverlauf IT (t) im R–L–Schwingkreis 1.4 bei An-
regung durch einen kurzen Spannungsstoß U = (U0 /T ) χ[0,T ] (T > 0), indem
Sie für die DG
˙
I(t) + R
I(t) = 1
U (t)
L L
zwei Anfangswertprobleme lösen: Zuerst auf [0, T ] mit dem Anfangswert I(0) =
0 und dann auf [T, ∞[ durch stetigen Anschluss der Lösungen an der Stelle
t = T.
Zeigen Sie: Γ(t) := lim L IT (t) ist die oben konstruierte Grundlösung für
T →0
d R
dt
+ L
.
Beweis.
D S
(i) T |D ∈ D : Aus der Konvergenz ϕk −→ ϕ folgt ϕk −→ ϕ ÜA . (Beachten
Sie, dass die Vereinigung aller supp ϕk in einer kompakten Menge liegt, auf der
xα beschränkt ist.) Für die temperierte Distribution T folgt T ϕk → T ϕ.
(ii) Es sei T ∈ S und T |D = 0. Wir zeigen in Lemma (d), dass es zu jedem
S
ϕ ∈ S eine Folge (ϕk ) in D gibt mit ϕk −→ ϕ. Daraus folgt dann T ϕ =
lim T ϕk = 0. Somit besteht der Kern der Restriktionsabbildung nur aus dem
k→∞
Nullfunktional. 2
(d) Lemma. Für jede schnellfallende Funktion ϕ gibt es eine Folge (ϕk ) von
S
Testfunktionen mit ϕk −→ ϕ.
Beweis.
Nach § 10 : 3.5 gibt es ein η ∈ D mit η(x) = 1 für x ≤ 1 und 0 ≤ η(x) ≤ 1
sonst. Zu gegebenem ϕ ∈ S sind durch ϕk (x) := η( k1 x) ϕ(x) für k ∈
Testfunktionen definiert mit ϕk (x) = ϕ(x) für x ≤ k. Für feste Multiindizes
α, β sind durch
β! 1 μ 1
(1) ψk (x) := xα ∂ β ϕk (x) = xα ∂ η( k x) ∂ ν ϕ(x)
μ! ν! k|μ|
μ+ν=β
Es gibt eine Konstante C mit | ∂ μ η(x) | ≤ C für x ≤ 1 und |μ| ≤ |β| und eine
Ê
Konstante D mit | xα ∂ ν ϕ(x) | ≤ D für x ∈ n und |ν| ≤ |β|. Es folgt
wobei sk die in (1) stehende Summe ohne das Glied mit β = 0 ist. Es gilt also
|sk (x) ≤ A/k mit einer geeigneten Konstanten A. Zu gegebenem ε > 0 wählen
wir R > 0 so, dass
Beweis.
S
(a) Es genügt zu zeigen:
ϕk −→ 0 =⇒ {u}ϕk → 0. Für eine Nullfolge (ϕk )
in S gilt ck := sup (1 + x ) | ϕk (x) | x ∈ n → 0 für k → ∞. Es folgt
N
|u(x)|
u(x) ϕk (x) dn x = (1 + xN ) | ϕk (x) | dn x
1 + xN
|u(x)|
≤ ck dn x → 0 .
1 + xN
6 Die Fouriertransformation für temperierte Distributionen 321
(b) Im Fall u ∈ L1 ( Ê n
) ist die Voraussetzung (a) mit N = 0 erfüllt.
Im Fall p > 1 sei q > 1 mit p1 + 1q = 1 gewählt. Für u ∈ Lp ( n ) und Ê
v(x) := (1 + xn )−1 gilt |v(x)|q ≤ (1 + xn q )−1 . Wegen nq > n ist |v|q
Ê
über N integrierbar (§ 11 : 2.4 Folgerung (i)). Mit der Hölderschen Ungleichung
§ 8 : 2.3 (b) folgt die Integrierbarkeit von |uv|, d.h. die Bedingung (a) ist mit
N = n erfüllt.
(c) Sei u(x) = aα xα mit m ∈ Æ. Dann gilt außerhalb des Einheitswürfels
|α|≤m
|u(x)| ≤ |aα | xm
∞ , also gibt es wegen x∞ ≤ x eine Konstante c
|α|≤m
mit |u(x)| ≤ c xm ≤ c (1 + xm ). Mit N := m + n + 1 folgt
|u(x)|
1 + xN
≤
c
1 + xn+1
für alle x ∈ Ê n
.
(a T ) ϕ := T (a ϕ) für alle ϕ ∈ S
F : Ên
→ Ên
, x → c + Ax mit c ∈ Ê n
, det A = 0
ist durch
F {u} = {u ◦ F }.
322 § 13 Schwache Lösungen und Distributionen
Beweis.
S S
(a) Aus ϕk −→ ϕ folgt ∂ α ϕk −→ ∂ α ϕ, denn für beliebige Multiindizes γ, β
γ γ
gilt mit (Q u)(x) = x u(x)
Qγ ∂ β (∂ α ϕk ) = Qγ ∂ β+α ϕk → Qγ ∂ β+α ϕ = Qγ ∂ β (∂ α ϕ) .
(b) Nach § 10 : 3.2 (d) gilt: ϕ ∈ S =⇒ a ϕ ∈ S . Zu zeigen bleibt
S S
ϕk −→ ϕ =⇒ a ϕk −→ a ϕ .
Dies ergibt sich aus der Leibniz–Regel (§ 10 : 2.2 (c)): Qα ∂ β (a ϕk ) ist Linearkom-
bination von Funktionen Qα ∂ μ a ∂ ν ϕk = ∂ μ a Qα ∂ ν ϕk mit |μ|, |ν| ≤ |β| . Da alle
∂ μ a polynomial beschränkt sind, gibt es ein N mit
μ α ν
∂ a Q (∂ ϕ − ∂ ν ϕk ) (x) ≤ 1 + x2N (∂ ν ϕ − ∂ ν ϕk ) (x) .
S
Nach Voraussetzung ϕk −→ ϕ geht in die rechte Seite gegen 0 für k → ∞.
(c) Mit ϕ, ϕk gehören auch ψ = | det A|−1 ϕ ◦ F −1 und ψk = | det A|−1 ϕk ◦ F −1
S S
zu S , und aus ϕk −→ ϕ folgt ψk −→ ψ. Die Formel F {u} = {u ◦ F } folgt wie
im Beweis 4.4 (b) durch Rückwärtslesen der Transformationsformel. 2
Insbesondere gilt
/
/ = σT = T S .
T
Mit den Bezeichnungen von 6.3 gilt
(c) P; /,
α T = Qα T Q; /
α T = (−1)|α| P α T für jeden Multiindex α,
(d) τ; /,
a T = ea T e; /,
a T = τa T μ; n /.
r T = r μ1/r T
Beweis.
S S
/k −→ 0.
(a) Es genügt zu zeigen ϕk −→ 0 =⇒ ϕ
S
Es gelte also ϕk −→ 0. Für beliebige Multiindizes α, β gilt nach dem P ,Q–Gesetz
auf S (§ 12 : 3.3 (b))
α β
x ∂ ϕ/k (x) = (Qα P β ϕ/k )(x) = Qα Q;β ϕ (x) = (P α Qβ ϕ )/ (x)
k k
n
≤ (2π)− 2 (P α Qβ ϕk )(y) dn y
≤ c sup (1 + y2n ) P α Qβ ϕk (y) y ∈ n Ê
mit
n dn y
c := (2π)− 2 < ∞
1 + y2n
nach § 11 : 2.4, Folgerung (i).
Da sich P α Qβ ϕk mittels der kanonischen Vertauschungsrelationen § 12 : 2.2 (a)
in eine Linearkombination von Funktionen des Typs Qμ P ν ϕk verwandeln läßt,
/k → 0 auf n.
folgt die gleichmäßige Konvergenz Qα P β ϕ Ê
(b) Zunächst bemerken wir: Ist T eine beliebige temperierte Distribution, so
gilt nach 6.3 (c)
P; / = (−1)|α| T (P α ϕ
α T ϕ = (P α T )ϕ ;
/) = T (Q /(Qα ϕ) = Qα T/ϕ ,
α ϕ) = T
324 § 13 Schwache Lösungen und Distributionen
;
Q /) = T (P;
/ = T (Qα ϕ
α T ϕ = (Qα T )ϕ /(P α ϕ)
α ϕ) = T
= (−1)|α| (P α T/)ϕ .
(d) ergibt sich aus der Definition der betreffenden Operationen auf S mit
Hilfe der Skalierungsregeln § 12 : 2.3 (c),(d),(e) ÜA . 2
;
(4) {e
n
a } = (2π) 2 δa für a ∈ Ê n
.
1 x
Im Fall a > 0 gehört aber Γ nicht zu S , denn durch ϕ(x) = e− 2 ax j1 (t) dt
−∞
ist eine Funktion ϕ ∈ S gegeben, für welche das Integral {u}ϕ = u ϕ diver-
giert, wie sich der Leser leicht klar macht (die Mollifier jε wurden in § 10 : 3.1
eingeführt).
Kapitel V Die drei Grundtypen linearer
Differentialgleichungen 2. Ordnung
Hierunter verstehen wir die Gleichungen
∂u ∂2u
−Δu = f , − Δu = f , − Δu = f
∂t ∂t2
mit gegebener rechter Seite f . Wie in § 1 dargelegt wurde, fallen diese Gleichun-
gen in verschiedenen physikalischen Kontexten an. Jeder dieser drei Typen trägt
ganz charakteristische Wesenszüge und ist in dieser Hinsicht stellvertretend für
den allgemeinen Fall, bei dem der Laplace–Operator durch einen gleichmäßig
elliptischen Operator ersetzt wird, vgl. § 14 : 1 (b), § 16 : 1 (c), § 17 : 1 (c).
Explizite Lösungsdarstellungen erhalten wir nur für Raumgebiete mit starken
Symmetrien, wie z.B. Kreisscheibe und Kugel. Beispiele hierfür haben wir bei
den Separationsansätzen in § 6 kennengelernt; weitere Anwendungen der Sepa-
rationsmethode folgen in § 15 : 3, § 16, § 17. Bei Problemstellungen ohne solche
Symmetrieeigenschaften wird eine Theorie benötigt, welche die Existenz von
Lösungen sicherstellt, Eindeutigkeitsaussagen macht und das qualitative Ver-
halten der Lösungen beschreibt. Theoretische Kenntnis des Lösungsverhaltens
ist auch für die Entwicklung effizienter numerischer Verfahren unerlässlich.
In den folgenden vier Paragraphen stellen wir für die drei Grundtypen die wich-
tigsten Aspekte der Theorie in aller Kürze dar. Vieles kann nur skizziert werden;
den an Einzelheiten interessierten Lesern wird durch ausführliche Literaturan-
gaben weitergeholfen.
1 Übersicht
(a) Wir behandeln in diesem Paragraphen das Dirichlet–Problem (1. Rand-
wertproblem)
− Δu = f in Ω , u=g auf ∂Ω
− Δu = f in Ω , ∂n u = g auf ∂Ω
ersetzen, wobei die aik , bi , c beschränkte Funktionen auf Ω mit aik = aki sind
und
Ê
n
λ ξ2 ≤ aik (x) ξi ξk ≤ μ ξ2 für x ∈ Ω , ξ ∈ n
i,k=1
(Δu) ◦ h = Δ(u ◦ h) .
(i) Gibt es eine Kugel K = KR (x0 ) ⊂ Ω mit a ∈ ∂K, so besitzt u bei normaler
Annäherung an den Randpunkt a positive Steigung, d.h. es gilt
1
inf u(a) − u(a + tn) > 0
0<t<δ t
für hinreichend kleine δ > 0, wobei n = (x0 − a)/R der innere Normalenvektor
der Kugel K im Punkt a ist. Insbesondere gilt
1
− ∂n u(a) := lim u(a) − u(a + tn) > 0 ,
t→0+ t
falls dieser Grenzwert existiert.
(ii) Dieselbe Folgerung ergibt sich, wenn ∂Ω in einer Umgebung von a ein C2 –
Flächenstück mit innerem Einheitsnormalenvektor n im Punkt a ist.
Beweis.
(i) Wegen der Translationsinvarianz des Laplace–Operators 2.2 dürfen wir
Ê
x0 = 0 annehmen. Auf der Kugelschale Ω0 := {x ∈ n | R/2 < x < R} ⊂ Ω
betrachten wir
2 2
w(x) := u(x) − u(a) + v(x) mit v(x) := e−αx − e−αR .
(ii) Wir zeigen, dass es unter der Voraussetzung (ii) eine Kugel K der in (i)
genannten Art gibt. Wegen der Bewegungsinvarianz 2.2 dürfen wir a = 0 und
n = e1 annehmen. Nach Voraussetzung gibt es eine Umgebung U von 0 und
eine C2 –Funktion ψ : U → Ê mit ∇ψ = 0 in U und ψ(x) < 0 ⇐⇒ x ∈ Ω
für alle x ∈ U, vgl. § 11 : 3.1. Dabei gilt ψ(0) = 0 und ∇ψ(0) = βe1 mit
β = ∇ψ(0) > 0.
Aus dem Satz von Taylor folgt für x ≤ δ, Kδ (0) ⊂ U
1
ψ(x) = βx1 + ψ (ϑx)x , x ≤ βx1 + λx2
2
mit λ = max ψ (x)2 | x ≤ δ .
Wir wählen R > 0 so klein, dass 2R < δ und λ − 2R β
< 0. Dann erfüllt die
Kugel K = Kr (−Re1 ) die Voraussetzungen (i): Es ist 0 ∈ ∂K, weiter gilt für
x ∈ K sowohl x < δ als auch
β
β
ψ(x) ≤ βx1 + λ x2 = 2Rx1 + x2 + λ − x2 < 0 ,
2R 2R
d.h. x ∈ Ω. 2
Ên
Eine Standardmethode zur Bestimmung von Grundlösungen liefert die Fourier-
transformation, siehe Hörmander [63] Ch.2, Wladimirow [56] § 10.
Beim Laplace–Operator kommen wir jedoch schneller zum Ziel, wenn wir einen
kugelsymmetrischen Ansatz
Γ(x) = γ(x)
machen. Ein solcher wird durch die Invarianz 2.2 des Laplace–Operators unter
Ê
Drehungen des n nahegelegt. Setzen wir r = x und beachten
∂r xi ∂2r 1 xi xk
(∗) = , = δik − 2 ,
∂xi r ∂xi ∂xk r r
330 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
n−1 d n−1
ΔΓ(x) = γ (r) + γ (r) = r 1−n (r γ (r)) .
r dr
Verlangen wir ΔΓ(x) = 0 für x = 0, so folgt
(
cn r 2−n für n = 2 ,
γ(r) =
c2 log r für n = 2
Bemerkungen. (i) Wie aus dem Beweis hervorgeht, gilt die Formel auch unter
der schwächeren Voraussetzung u ∈ C1n (Ω) ∩ C2 (Ω) , vgl. § 11 : 4.3*.
(ii) Durch Einsetzen von u = 1 in die Darstellungsformel ergibt sich
∂n Γx do = −1 für jedes x ∈ Ω .
∂Ω
− Δ{u} = 4πGδ .
Beweis.
Ê
(a) Γ ist in n \ {0} stetig und über jede Kugel Kr (0) integrierbar (§ 11 : 2.4,
Ê
Folgerung (i)), also gilt Γ, Γx ∈ L1loc ( n). Dass Γ eine Grundlösung ist, ergibt
sich aus (c) wie folgt: Für ϕ ∈ C∞
c (
n
Ê
) wählen wir Ω als eine Kugel mit der
Eigenschaft supp ϕ ⊂ Ω und erhalten
− ϕ(0) = Γ(y) Δϕ(y) dn y = Γ(y) Δϕ(y) dn y .
Ω Ên
cn (2 − n) cn (n − 2)
∇Γx (y) = (y − x) = n(y) nach (∗),
rn r n−1
Weiter folgt
332 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
u ∂n Γx do = r n−1 (u ∂n Γx )(x + rξ) do(ξ)
∂Kr (x) ∂K1 (0)
= u ∂n Γx do
∂Kr (x)
= r n−1 (u ∂n Γx )(x + rξ) do(ξ)
∂K1 (0)
= cn (n − 2) u(x + rξ) do(ξ)
∂K1 (0)
wobei lim U (x) = 0 und C1 –differenzierbarer Anschluss auf ∂KR (0) ver-
x→∞
langt werden. Dass dies die einzige Lösung ist, wird in 3.3 gezeigt.
und u ∈ C1n (Ω) ∩ C2 (Ω) (Green 1828). Diese folgt aus 2.4 (c) unter Berück-
sichtigung der Greenschen Identität § 11 : 4.3*:
Hx Δu dn y = (Hx Δu − u ΔHx ) dn y
Ω Ω
= (Hx ∂n u − u ∂n Hx ) do .
∂Ω
Umgekehrt erwarten wir, dass diese Formel tatsächlich eine Lösung liefert.
Um eine Green–Funktion für das 2. Randwertproblem aufzustellen, scheint auf
den ersten Blick die Forderung ∂n Gx = 0 auf ∂Ω zweckmäßig; man erhielte so
eine Lösungsdarstellung durch die Daten f und g. Dem entgegen steht jedoch
die Beziehung
∂n Gx do = −1 für x ∈ Ω ,
∂Ω
die sich aus der Greenschen Darstellungsformel durch Einsetzen der konstanten
Funktion u = 1 ergibt. Wir fordern daher lediglich ∂n Gx = c = const auf
∂Ω, was auf −1/c = do = An−1 (∂Ω) führt. Dementsprechend heißt eine
∂Ω
Grundlösung G eine Greensche Funktion 2. Art für Ω, wenn
1
∂n Gx (y) = −
An−1 (∂Ω)
für x ∈ Ω und jeden regulären Randpunkt y ∈ ∂Ω gilt.
Mit einer solchen liefert die Greensche Darstellungsformel für jede Lösung u ∈
C1n (Ω) ∩ C2 (Ω) des 2. Randwertproblems
(2) u(x) = Gx f dn y + Gx g do für x ∈ Ω, falls u do = 0 .
Ω ∂Ω ∂Ω
334 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
Satz. Sei G(x, y) = Gx (y) eine Greensche Funktion erster Art für ein be-
Ê
schränktes Gebiet Ω ⊂ n (n ≥ 2). Dann gilt
(a) G ist durch Ω eindeutig bestimmt,
(b) G(x, y) = G(y, x) für x, y ∈ Ω mit x = y (Symmetrie),
(c) Gx ist harmonisch in Ω \ {x} für x ∈ Ω,
(d) für x, y ∈ Ω mit x = y gilt
⎧
⎨ Γ(y − x) für n ≥ 3,
0 ≤ G(x, y) ≤
⎩ 1 log diam Ω für n = 2;
2π y − x
Beweis.
(a) Für zwei Greenfunktionen F , G auf Ω ist Hx := Fx − Gx harmonisch
in Ω und stetig auf Ω , ferner gilt Hx = 0 auf ∂Ω. Aus dem Maximumprinzip
2.3 (a) folgt Hx = 0, d.h. Fx = Gx für jedes x ∈ Ω und somit F = G .
(b) Wir fixieren zwei beliebige Punkte x, y ∈ Ω mit x = y, setzen Ωr :=
Ω \ ( Kr (x) ∪ Kr (y) ) mit 0 < r 1 und verfahren wie beim Beweis für 2.4 (c):
0 = (Gx ΔGy − Gy ΔGx ) dn z
Ωr
= (Gx ∂n Gy − Gy ∂n Gx ) do
∂Kr (x)
+ (Gx ∂n Gy − Gy ∂n Gx ) do
∂Kr (y)
R2
x∗ := x
x2 x∗
Lord Kelvin gewann 1845 die Greensche Funktion für Kugeln im 3 , indem Ê
er Gx als Potential zweier Punktladungen interpretierte, nämlich der Ladung
q = 1 im Punkt x = 0 und der Gegenladung q∗ = −R/x im Spiegelpunkt
x∗ :
Gx = q Γx + q∗ Γx∗ .
R2 − x2
P (x, y) = für x < R , y = R .
ωn R y − xn
Δu = 0 in Ω = KR (0) , u = g auf ∂Ω
eine eindeutig bestimmte Lösung u ∈ C0 (Ω) ∩ C2 (Ω). Diese ist gegeben durch
die Poissonsche Integralformel
⎧ 2
⎨ R − x
⎪
2
g(y)
do(y) für x < R ,
u(x) = ωn R y − xn
⎪
⎩ SR (0)
g(x) für x = R .
2 Eigenschaften des Laplace–Operators 337
Beweis.
(i) Sind u1 , u2 Lösungen, so ist v = u1 − u2 harmonisch mit Randwerten
Null. Aus dem Maximumprinzip 2.2 (a) folgt v = 0, also u1 = u2 .
Weil unter dem Integral differenziert werden darf, gilt dies auch für die durch
das Integral dargestellte Funktion u.
(iii) Es gilt P (x, y) do(y) = 1 für x ∈ KR (0) . Dies ergibt sich aus der
S R (x )
Greenschen Darstellungsformel mit der Funktion u = 1.
2x − x0
0 ≤ P (x, y) ≤ .
ωn δ n
(v) Wir zeigen lim u(x) = g(x0 ) für x0 ∈ ∂Ω = SR (0) . Zu gegebenem ε > 0
x→x0
wählen wir δ > 0 so, dass
g(y) − g(x0 ) < ε für y ∈ SR (0) und y − x0 < 2δ .
Wir setzen S1 := SR (0) ∩ K2δ (x0 ) , S2 := SR (0) \ K2δ (x0 ) und erhalten nach
(iii),(iv) für x ∈ KR (0) mit x − x0 < δ
| u(x) − u(x0 ) | = | u(x) − g(x0 ) | = P (x, y) (g(y) − g(x0 )) do(y)
S r (0 )
= P (x, y) (g(y) − g(x0 )) do(y) + P (x, y) (g(y) − g(x0 )) do(y)
S1 S2
4 g∞
≤ ε P (x, y) do(y) + x − x0 ωn Rn−1
S1
ωn δ n
≤ ε + 4Rn−1 δ −n g∞ x − x0 ≤ 2ε ,
mit dem in (b) definierten Poisson–Kern P . Machen Sie sich hierzu klar, dass
v(y) do(y) = v(a + y) do(y) ,
S R (a ) S R (0 )
n
u(a) = n
u dn x für a ∈ Ω und R 1 ,
ω n R K (a )
R
Da nach § 11 : 2.4 (c) die Sphäre SR (a) den Oberflächeninhalt ωn Rn−1 hat und
die Kugel KR (a) das Volumen ωn Rn /n, bedeutet dies: Der Wert von u im
Mittelpunkt jeder Kugel KR (a) ⊂ Ω ist sowohl das Mittel der Werte von u
auf der Randsphäre als auch der Werte auf der Vollkugel.
Beweis.
Wegen der Translationsinvarianz des Laplace–Operators sowie des Oberflächen–
und Volumenintegrals dürfen wir o.B.d.A. a = 0 annehmen, vgl. 2.6 (d). Die
erste Formel ergibt sich dann unmittelbar aus der Poissonschen Integralformel.
2 Eigenschaften des Laplace–Operators 339
ωn n R R
R u(0) = ωn r n−1 u(0) dr = ( u do) dr = u dn x . 2
n 0 0 Sr (0) KR (0)
Beweis.
Sei a ∈ Ω , o.B.d.A. a = 0 und KR (0) ⊂ Ω . Nach 2.6 (c) gibt es eine har-
monische Funktion v auf KR (0) mit den gleichen Randwerten wie u, und es
gilt
1
v(0) = u do .
ωn Rn−1 S (0)
R
Das auf die subharmonische Funktion u−v angewandte Maximumprinzip 2.3 (a)
liefert u(0) − v(0) ≤ max (u − v) = 0, also ist
S R (0 )
1
u(0) ≤ u do . 2
ωn Rn−1 S (0)
R
Beweis.
Es existiere M = max {u(x) | x ∈ Ω}, und u sei nicht konstant. Dann gibt es
Punkte x0 , x1 ∈ Ω mit u(x0 ) = M , u(x1 ) < M . Wir verbinden diese durch
einen Weg ϕ : [0, 1] → Ω und setzen s := sup { t ∈ [0, 1] | u(ϕ(t)) = M } . Für
a := ϕ(s) gilt dann u(a) = M , und in jeder Kugel KR (a), deren Abschluss in
340 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
Ω liegt, gibt es Punkte x mit u(x) < M . Diese bilden eine offene Menge, also
gilt
n
u dn x < M = u(a)
ωn Rn K (a)
R
Beweis.
Es reicht, die Harmonizität von u in einer Umgebung jedes Punktes a ∈ Ω
nachzuweisen. Sei also a ∈ Ω, KR (a) ⊂ Ω und v die nach 2.6 (c) existierende
harmonische Funktion auf KR (a) mit den gleichen Randwerten wie u. Nach (a)
hat auch w := v − u die sphärische Mittelwerteigenschaft. Angenommen, es gilt
w = 0. Wegen w = 0 auf ∂KR (a) nimmt w ein Maximum oder Minimum in
KR (a) an, ist also nach (b) konstant, Widerspruch! Somit ist u = v auf KR (a)
harmonisch. 2
Beweisskizze.
u ist C∞ –differenzierbar, denn nach 2.6 (b) und (d) ist jede durch das Poisson–
Integral darstellbare Funktion auf Kugeln C∞ –differenzierbar. Aufgrund der
Translationsinvarianz des Laplace–Operators dürfen wir x0 = 0 ∈ Ω annehmen.
2 Eigenschaften des Laplace–Operators 341
Wir wählen R > 0 mit K2R (0) ⊂ Ω. Die Taylorentwicklung von u in KR (0)
im Ursprung lautet
1 1
u(x) = ∂ α u(0) xα + Rm (x) mit Rm (x) = ∂ α u(ϑx) xα
α! α!
|α|<m |α|=m
n
| ∂i u(x) | ≤ M mit M = max {|u(y)| | y ≤ R} .
R
Nach diesem Prinzip ergibt sich durch trickreiche Abschätzungen und Induktion
nach m (siehe Dibenedetto [59] II.5)
M (n e)m
| ∂ α u(x) | ≤ m! für |α| = m und x ≤ R .
e Rm
Wählen wir nun r = R/(2n2 e) , so gilt für x ≤ r wegen | xα | ≤ xm
M ne m m m
M n2 e M 1
| Rm (x) | ≤ rm = rm ≤ . 2
e R e R e 2
|α|=m
u(x)
lim = 0,
x →a Γa (x)
so kann u zu einer harmonischen Funktion auf ganz Ω fortgesetzt werden.
Das ist insbesondere der Fall, wenn u in einer Umgebung von a beschränkt
ist. Dass die Wachstumsbedingung nicht abgeschwächt werden kann, zeigt das
Beispiel u(x) = Γa (x).
Beweis.
Sei o.B.d.A. a = 0. Wir wählen ein R > 0 mit KR (0) ⊂ Ω und weisen nach,
dass u in KR (0) \ {0} mit der nach 2.6 (c) existierenden Lösung v von
Δv = 0 in KR (0) , v=u auf ∂KR (0)
übereinstimmt. Wir zeigen dies zuerst für n ≥ 3.
342 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
v ist auf KR (0) beschränkt. Weiter ist h nach Satz 2.4 harmonisch in Ê n
\ {0},
und es gilt lim xn−2 u(x) = 0. Daher gibt es ein r > 0 mit
x →0
ε
r n−2
|u(x)| ≤ auf KR (0) ,
4a
ε 2−n
| v(x) | ≤ r auf KR (0) ,
4a
r n−2 1
r < x0 < R und ≤ .
R 2
Hieraus folgt
−h ≤ u − v ≤ h .
log(R/x)
h(x) := ε
log(R/x0 )
Beweisskizze.
Wir wählen 0 < r < R und wenden die Poissonsche Darstellungsformel 2.6 (b)
auf u und die R–Sphäre SR (0) an. Durch mehrfache Differentiation ergibt sich
nach etwas mühseliger Rechnung die Abschätzung
1 + Rm
| ∂ α u(x) | ≤ KRn für x < r
(R − r)n+| α |
mit einer Konstanten K = K(n, α) > 0. Für jeden Multiindex α mit | α | =
m + 1 folgt hieraus nach Grenzübergang R → ∞ das Verschwinden von ∂ α u
auf jeder Kugel Kr (0) und damit auf dem ganzen n , was die Behauptung Ê
liefert. 2
c1
∇u(x) ≤ für x 1 (n = 2) .
x2
Beweis.
(i) Wir spiegeln an der Einheitssphäre (R = 1). Nach Voraussetzung gilt
d.h. die harmonische Funktion u∗ wächst für x → 0 schwächer als die Grund-
lösung. Nach dem Hebbarkeitssatz 2.7 (e) gibt es daher eine auf Ω∗ ∪ {0} har-
monische Funktion v mit u∗ = v auf Ω∗ .
2 Eigenschaften des Laplace–Operators 345
(ii) Wählen wir > 0 mit K (0) ⊂ Ω∗ ∪ {0}, so gibt es für die C2 –dif-
ferenzierbare Funktion v Zahlen a, b ≥ 0 mit
Weiter ergibt sich aus u = r 2−n (v ◦ h) mit den Rechenregeln (∗) in 2.4
das Randwertproblem
⎧
⎪ Δu = 0 in Ω ,
⎨
u = 0 auf den beiden radialen Randstücken,
⎪
⎩
u(cos ϕ, sin ϕ) = − sin(πϕ/Θ) für 0 < ϕ < Θ .
⎧
⎪
⎨ w (ϕ) + λ w(ϕ) = 0 für 0 < ϕ < Θ ,
(b) w(ϕ) = − sin(πϕ/Θ) für 0 < ϕ < Θ ,
⎪
⎩
w(0) = w(Θ) = 0 .
Es ergibt sich λ = (π/Θ)2 √und für die Lösung der Eulerschen DG (a) (vgl.
§ 4 : 4.2) v(r) = r p mit p = λ = π/Θ . Somit lautet die Lösung des Randwert-
problems
u(x) = − r p sin(p ϕ) .
Wegen u < 0 in Ω wird das Maximum von u genau im Nullpunkt angenom-
men. Für Θ ≥ π ist die Voraussetzung (i) des Randpunktlemmas 2.3 (c) erfüllt.
Tatsächlich gilt dann für v := −(cos ψ, sin ψ) mit 0 < ψ < Θ
(
u(tv) − u(0) ∞ für Θ > π ,
lim = lim tp−1 sin(p ψ) =
t→0+ t t→0+ sin(p ψ) > 0 für Θ = π .
Im Fall Θ > π folgt u ∈ C1 (Ω) , weil lim u(tv) , v nicht existiert. Im Fall
t→0+
∞
Θ = π ist dagegen u(x, y) = −y eine C –differenzierbare Funktion. Für Θ < π
besitzt der Kreissektorrand im Ursprung eine nach außen weisende Ecke. Hier
gilt
1
lim (u(tv) − u(0)) = 0 .
t→0+ t
Es ist nicht schwer zu sehen, dass lim ∇u(x) = 0 und u ∈ C1 (Ω).
Ω x→0
− Δu = f in Ω , u = g auf ∂Ω
Beweis.
Ê
O.B.d.A. dürfen wir 0 ∈ n \ Ω annehmen. Für zwei Lösungen u1 , u2 sei u∗
die Kelvin–Transformierte von u = u1 − u2 . Nach 2.8 (c) lässt sich u∗ zu einer
auf dem Innenraum Ω∗ ∪ {0} harmonischen Funktion v fortsetzen, und es gilt
v(x) = u∗ (x) = 0 auf dem Rand dieses Gebiets. Der vorangehende Satz liefert
v = 0 , insbesondere u∗ = 0 auf Ω∗ und somit u = u∗∗ = 0 auf Ω. 2
Die Greensche Integralformel für den Raum C1n (Ω) dieser Funktionen wurde in
§ 11 : 4.3* bewiesen.
−Δu = f in Ω , ∂n u = g auf ∂Ω
mit gegebenen stetigen Funktionen f, g besitzt bis auf additive Konstanten höch-
stens eine Lösung u ∈ C1n (Ω) ∩ C2 (Ω).
Bemerkungen. (i) Als notwendige Bedingung für die Lösbarkeit ergibt sich
nach 5.1 (c)
f dn x + g do = 0 .
Ω ∂Ω
(ii) Die eindeutige Lösbarkeit erhalten wir durch zusätzliche Vorgabe des Mit-
telwerts von u auf Ω oder auf ∂Ω.
348 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
Beweis.
Für die Differenz u zweier Lösungen gilt nach § 11 : 4.3*
∇u2 dn x = u ∂n u do = 0 ,
Ω ∂Ω
also u = const. 2
mit gegebenen stetigen Funktionen f, g besitzt für n > 2 höchstens eine Lösung
u ∈ C1n (Ω) ∩ C2 (Ω) ; im Fall n = 2 ist die Lösung bis auf additive Konstanten
eindeutig bestimmt.
Beweis.
Für die Differenz u zweier Lösungen gilt u ∈ C1n (Ω) ∩ C2 (Ω),
Δu = 0 in Ω , ∂n u = 0 auf Ω , u regulär im Unendlichen.
Wir wählen R 1 mit ∂Ω ⊂ Kr (0) . Dann gilt nach § 11 : 4.3* für das be-
schränkte Gebiet ΩR = Ω ∩ KR (0)
∇u2 dn x = u ∂n u do = u ∂n u do + u ∂n u do
ΩR ∂ΩR ∂Ω S R (0 )
= u ∂n u do .
SR (0)
Es folgt
(
ωn c0 c1 /Rn−2 für n > 2,
∇u2 dn x ≤
ΩR ω2 c0 c1 /R für n = 2.
Δu = 0 in Ê n
\ ∂Ω und lim u(x) = 0 .
x→∞
Wir wählen R > 0 mit Ω ⊂ KR (0) und erhalten aus § 11 : 4.3* (d), angewandt
auf die Gebiete KR (0), KR (0) \ Ω
∇u2 dn x = ∇u2 dn x + ∇u2 dn x = u ∂n u do ,
KR (0) Ω KR (0)\Ω S R (0 )
weil sich die beiden Randintegrale über ∂Ω wegheben. Dabei ist zu beachten,
dass C1 (Ω) ⊂ C1n (Ω), entsprechendes für KR (0) \ Ω. Der Rest des Beweises
erfolgt wie in 3.2 mit dem Ergebnis u = const = c , c = lim u(x) = 0. 2
x→∞
Δu = 0 in Ω , u = g auf ∂Ω
mit gegebener Funktion g ∈ C0 (∂Ω) besitzt für ein beschränktes Gebiet Ω mit
äußerer Kegelbedingung genau eine Lösung u ∈ C0 (Ω) ∩ C2 (Ω).
4 Existenz von Lösungen: Perron–Methode 351
(c) Den auf Perron (1923) zurückgehenden Beweis finden Sie u.a. in Gil-
barg–Trudinger [79] 2.8, Dibenedetto [59] II.6. Wir begnügen uns mit der
Wiedergabe der Grundidee.
Ausgangspunkt ist folgender Sachverhalt: Ist u eine Lösung und v ∈ C0 (Ω)
eine subharmonische Funktion mit v ≤ g auf ∂Ω, so gilt v ≤ u auf ganz Ω.
Das folgt aus dem schwachen Maximumprinzip 2.7 (b) für die nach 2.7 (a),
2.7 (b) subharmonische Funktion v − u . Bezeichnet SLg (Ω) die Gesamtheit
aller subharmonischen Funktionen v ∈ C0 (Ω) mit v ≤ g auf ∂Ω (SL steht für
Sublösung), so gilt also
Beim Existenzbeweis wird umgekehrt durch (∗) eine Funktion u definiert, von
der sich zeigen lässt, dass sie harmonisch ist. Dies wird mit der Vorstellung
plausibel, dass aus der Mittelwertungleichung 2.7 (b) für subharmonische Funk-
tionen durch die Supremumsbildung die Mittelwertgleichung für u folgt, durch
welche nach 2.7 (c) harmonische Funktionen charakterisiert sind.
Die stetige Annahme der Randwerte durch die Funktion u lässt sich bei Gültig-
keit der äußeren Kegelbedingung beweisen; dabei werden für jeden Randpunkt
sogenannte Barriere–Funktionen konstruiert Dautray–Lions ([4] Vol.II, Ch. 2,
§ 4.1, Example 9).
Beweis.
Ê
als ÜA : Nehmen Sie o.B.d.A. 0 ∈ n \ Ω an. Verwenden Sie die Kelvin–Trans-
formation und zeigen Sie, dass der Rand des gespiegelten Gebiets Ω∗ ebenfalls
C2 –differenzierbar ist. 2
Denn eine solche wäre beschränkt und könnte daher nach 2.7 (e) zu einer auf
K1 (0) harmonischen Funktion v ∈ C0 (K1 (0)) fortgesetzt werden. Für diese
wäre aber das Maximumprinzip 2.3 (a) verletzt.
(H) Δu = 0 in Ω , u = g auf ∂Ω
Dies ist eine Integralgleichung für ν ; wir schreiben diese in der Form
Sν − ν = 2g mit Sν(x) := 2 ∂n Γx · ν do für x ∈ Ω .
∂Ω
Auf die Lösbarkeit dieser Integralgleichung wird in 5.3 eingegangen.
(b) Die Lösung des Dirichletschen Außenraumproblems
Δu = 0 in Ω , u = g auf ∂Ω ,
u regulär im Unendlichen
ergibt sich ebenfalls in der Form u = 21 Sν , wobei ν ∈ C0 (Ω) diesmal der
Integralgleichung Sν + ν = 2 g genügt, siehe 5.3.
(c) Das Neumannsche Innenraumproblem lautet
−Δu = f in Ω , ∂n u, = g auf ∂Ω ,
(∗) f dn x + g do = 0
Ω ∂Ω
Bemerkungen.
(i) Aus dem letzten Sachverhalt folgt die Existenz einer Green–Funktion zwei-
ter Art, vgl. 2.5.
(ii) Hinsichtlich der Abschwächbarkeit der Voraussetzung über f gilt das in (a)
Gesagte.
(iii) Die Notwendigkeit der Bedingung (c) ergibt sich aus der verallgemeinerten
Greenschen Formel § 11 : 4.3* (c): Für eine Lösung u ∈ C1n (Ω) ∩ C2 (Ω) folgt mit
v=1
f dn x = − Δu dn x = − ∂n u do = − g do .
Ω Ω ∂Ω ∂Ω
−Δv = 0 in Ω , ∂n v = g − ∂n U auf ∂Ω ,
1
eine Lösung der Form u = 2
T μ , wobei die Randbelegung μ der einfachen
Schicht der Integralgleichung
μ + T μ = −2g
genügt.
(e) Das Ganzraumproblem. Ω sei ein beschränktes, C2 –berandetes Gebiet
und f ∈ C1 (Ω) eine Funktion, die wir durch Nullsetzen außerhalb von Ω auf
Ê
den n fortsetzen. Dann hat das Ganzraumproblem
−Δu = f in Ê n
\ ∂Ω , lim u(x) = 0
x→∞
dΦ(u)(u − v) ⊥ n(Φ(u)) .
Ê
Für das Folgende setzen wir Ω− := Ω, Ω+ := n \ Ω und definieren die einsei-
tigen Normalableitungen von V im Punkt x ∈ Σ, soweit existent, durch
entsprechend für W .
Die Aussagen (b), (c), (d) implizieren also die für das Neumann–Problem gefor-
derten Eigenschaften V ∈ C1n (Ω− ) ∩ C2 (Ω− ).
1
W± (x) = W (x) ± ν(x) für x ∈ Σ ,
2
Der Beweis von Satz 1 ist zu finden in Dibenedetto [59] Ch. II, Gilbarg–
Trudinger [79] 4.2, 4.3, Leis [50] II, Wladimirow [56] § 22.
Die Sätze 2, 3 werden bewiesen in Dibenedetto [59] Ch. III, Colton–Kress
[88] 2, Michlin [51] Kap. 12, 16, Wladimirow [56] § 22.
Die Potentialtheorie hat eine lange Geschichte. Laplace fand 1785/89, dass
das Volumenpotential außerhalb Ω der nach ihm benannten Gleichung Δu = 0
genügt. Poisson zeigte 1813, dass dieses in Ω die Gleichung −Δu = f erfüllt;
seine Herleitung war jedoch nicht korrekt. Der Nachweis der Stetigkeits– und
Differenzierbarkeitseigenschaften von U, V, W erfordert wegen der Singularität
der Grundlösung diffizile Abschätzungen. Grundlegende Beiträge zur Potential-
theorie leisteten Gauß 1840, Otto Hölder 1882, Ljapunow 1892, Korn 1909,
Lichtenstein 1912, vgl. Burkhardt–Meyer [194], Lichtenstein [84].
(b) Damit ist die Frage nach der Existenz von Lösungen der obengenannten vier
Randwertprobleme auf die Lösung von Integralgleichungen zurückgeführt. Wir
referieren das Vorgehen in Kürze und verweisen für Einzelheiten auf Colton–
Kress [88] 3.4, Dautray–Lions [4] Vol.1, II § 45, Leis [50] II, III, IV, Michlin
[51] Kap. 17, Wladimirow [56] § 16, § 23.
Die wesentliche Eigenschaft der Operatoren S, T : C0 (Σ) → C0 (Σ) ist die die
Kompaktheit (Vollstetigkeit) : Für jede in der Supremumsnorm · ∞ be-
schränkte Folge (fn ) enthalten die Bildfolgen (Sfn ), (T fn ) jeweils bezüglich
der Norm · ∞ (also gleichmäßig) konvergente Teilfolgen. Für kompakte Ope-
ratoren A auf dem unendlichdimensionalen Banachraum C0 (Σ) gilt wie im End-
lichdimensionalen: Ist λ = 0 kein Eigenwert von A, so ist A − λ½ bijektiv.
Es zeigt sich, dass 1 kein Eigenwert von S ist, woraus sich die eindeutige Lösbar-
keit der ersten Randwertaufgabe ergibt. Ferner gilt aufgrund des Satzes von
Fubini bezüglich des L2 –Skalarproduktes auf C0 (Σ)
u , Sv = T u , v .
Daraus und aus der Kompaktheit von S, T ergibt sich: Ist λ = 0 ein Ei-
genwert von T , so haben Kern (S − λ½) und Kern (T − λ½) dieselbe end-
liche Dimension. Die Gleichung T μ − λμ = 2g ist genau dann lösbar, wenn
g ⊥ Kern (S − λ½) . Es zeigt sich, dass −1 ein Eigenwert von S ist und dass
der zugehörige Eigenraum aus den konstanten Funktionen besteht. Daher ist
die Gleichung T μ + μ = 2g für die Neumannsche Innenraumaufgabe genau
dann lösbar, wenn
g do = 0 .
Σ
(D) − Δu = f in Ω , u = g auf ∂Ω
Satz. Eine Funktion u ∈ C1g (Ω) ∩ C2 (Ω) ist genau dann eine Lösung von (D),
wenn u eine Minimumstelle von J auf C1g (Ω) ist.
Dieser Zusammenhang wurde für den Fall f = 0 von Gauß (1840) und Lord
Kelvin (1847) gefunden.
Beweis.
(i) Sei u ∈ C1g (Ω) ∩ C2 (Ω) und −Δu = f in Ω . Für v ∈ C1g (Ω) setzen wir
ϕ := v − u ∈ C10 (Ω) und erhalten mit der 1. Greenschen Identität
1
J(v) − J(u) = 2
∇(u + ϕ)2 − 1
2
∇u2 − f ϕ dn x
Ω
= ∇u , ∇ϕ + 1
2
∇ϕ2 − f ϕ dn x
Ω
= ϕ ∂n u do − (Δu + f ) ϕ dn x + 1
2
∇ϕ2 dn x
∂Ω Ω Ω
= 1
2
∇ϕ2 dn x ≥ 0 ,
Ω
Die Funktion
1
s → j(s) = J(u + sϕ) = 2
∇u2 − f u dn x
Ω
+ s ( ∇u , ∇ϕ − f ϕ) dn x + 1
2
s2 ∇ϕ2 dn x
Ω Ω
hat dann an der Stelle s = 0 ein Minimum. Aus j (0) = 0 ergibt sich die
Variationsgleichung
(V) 0 = ( ∇u , ∇ϕ − f ϕ) dn x = − (Δu + f ) ϕ dn x ,
Ω Ω
(D0 ) − Δu = f + Δg in Ω , u = 0 auf ∂Ω
(b) Die Variationsmethode besteht darin, für das Dirichlet–Integral J0 die Exi-
stenz einer Minimumstelle nachzuweisen und damit das Randwertproblem (D0 )
zu lösen. Das Vorgehen erfolgt in zwei Schritten:
(i) Existenz einer schwachen Lösung. Auf C10 (Ω) wird durch
u, v 1 := (u v + ∇u , ∇v ) dn x
Ω
u , ∂i ϕ = − vi , ϕ (i = 1, . . . , n)
∂i {u} = {vi } (i = 1, . . . , n) .
362 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
Nach § 13 : 2.3 sind die schwachen Ableitungen, sofern sie existieren, eindeutig
bestimmt. Für u ∈ C1 (Ω) und ϕ ∈ C∞ c (Ω) gilt u , ∂i ϕ = − ∂i u , ϕ nach
§ 11 : 3.3. Also sind ∂1 u, . . . ∂n u die schwachen Ableitungen von u, falls diese und
u selbst zu L2 (Ω) gehören. Für u ∈ C1 (Ω) ist daher die partielle Ableitung
∂i u eine schwache Ableitung. Es ist üblich, auch im allgemeinen Fall u ∈ L2 (Ω)
die schwachen Ableitungen vi mit ∂i u zu bezeichnen.
Der Sobolew–Raum W1 (Ω) ist definiert als der Vektorraum aller Funktionen
u ∈ L2 (Ω), die schwache Ableitungen ∂1 u, . . . , ∂n u ∈ L2 (Ω) besitzen, versehen
mit dem Skalarprodukt
n
u, v 1 = u, v + ∂i u , ∂i v = (u v + ∇u , ∇v ) dn x
i=1 Ω
In der Literatur wird der Sobolew–Raum W1 (Ω) meistens mit W1,2 (Ω) bezeich-
net.
Beweis.
(i) Vollständigkeit. Ist (uk ) eine Cauchy–Folge in W1 (Ω), so sind die Folgen
(uk ), (∂1 uk ), . . . , (∂n uk ) Cauchy–Folgen in L2 (Ω), besitzen also L2 –Limites
u, v1 , . . . , vn ∈ L2 (Ω). Für Testfunktionen ϕ ∈ C∞
c (Ω) gilt
∂i uk , ϕ + uk , ∂i ϕ = (∂i uk ϕ + uk ∂i ϕ) dn x = 0 .
Ω
vi , ϕ + u , ∂i ϕ = 0,
(b) Der Raum W10 (Ω). Für eine Funktion u ∈ W1 (Ω) auf einem beschränk-
ten Gebiet Ω sind die Werte auf ∂Ω nicht notwendig definiert; wir können aber
das Verschwinden auf dem Rand in einem schwachen Sinn erklären. Hierzu be-
trachten wir den Abschluss W01 (Ω) von C∞ c (Ω) ⊂ W (Ω) in der Sobolew–Norm
1
(c) Satz. Sei Ω ein beschränktes Gebiet. Dann ist V := W01 (Ω) ist ein echter
Teilraum von W1 (Ω). Auf W01 (Ω) ist durch
1/2
uV := ∇u2 dn x
Ω
t
| ϕ(x) | = | ϕ(x) − ϕ(x0 ) | ≤ | ∂n ϕ(y, s) | ds
0
t t 1/2 t 1/2
≤ 1 ∇ϕ(y, s) ds ≤ 12 ds ∇ϕ(y, s)2 ds .
0 0 0
d d
ϕ2 ≤ t ∇ϕ(y, s)2 ds dt dn−1 y
Ên−1 0 0
d
= 1
d2 ∇ϕ(y, s)2 ds dn−1 y
Ên−1
2
0
= c2 ϕV 2
√
mit c = d/ 2 . Aus u − ϕn 1 → 0 mit ϕn ∈ C∞ c (Ω) folgt u − ϕn → 0
und u − ϕn V → 0, somit u2 ≤ c2 , uV 2 . 2
Der Beweis von (c) folgt aus der Poincaré–Ungleichung mit k2 = 1 + c(Ω)2 .
W01 (Ω) ist ein echter Teilraum von W1 (Ω) , weil die konstante Funktion 1 zu
W1 (Ω), aber wegen 1V = 0 und der Poincaré–Ungleichung nicht zu W01 (Ω)
gehört.
(e) Auswahlsatz von Rellich (F. Rellich (1930)) Jede in W01 (Ω) beschränk-
te Folge besitzt eine in L2 (Ω) konvergente Teilfolge.
Für den Beweis siehe Ladyzhenskaya [65] I, Thm.6.1, Leis [50] VI.5.
die Existenz einer schwachen Lösung. Hierbei genügt es, f ∈ L2 (Ω) , g ∈ W1 (Ω)
vorauszusetzen. Wir verwenden die Bezeichnungen
H = L2 (Ω) , u, v H = u v dn x , u2H = u2 dn x ,
Ω Ω
V = W01 (Ω) , u, v V = ∇u , ∇v dn x , u2V = ∇u2 dn x .
Ω Ω
6 Existenz von Lösungen: Variationsmethode 365
= 1
2
v, v V − f, v H + g, v V
als Funktion auf dem Hilbertraum V = W01 (Ω) auf, wobei die Gradienten jetzt
aus schwachen Ableitungen bestehen.
Eine der Gleichung (∗) genügende Funktion u ∈ W01 (Ω) wird eine schwache
Lösung des Dirichlet–Problems (D0 ) genannt.
Beweis.
(1) Die Existenz einer Minimumstelle kann direkt bewiesen werden, indem wir
eine Minimalfolge für J0 : V → Ê
wählen (d.h. eine Folge (uk ) in V mit
lim J0 (uk ) = inf {J0 (v) | v ∈ V } ) und mit Hilfe der Parallelogrammgleichung
k→∞
zeigen, dass diese eine Cauchy–Folge in V ist. Das Grenzelement u ∈ V ist
Ê
dann die Minimumstelle von J0 : V → ; vgl. John [49] 4.5 Probl. 1.
(2) Schneller zum Ziel kommen wir durch Anwendung der Hilbertraumtheorie.
Hierzu zeigen wir zunächst:
(i) Die Gleichung (∗) hat genau eine Lösung u ∈ V . Denn nach der Poincaré–
Ungleichung 6.2 gilt
f,ϕ − g, ϕ ≤ f ϕ + g ϕ
H V H H V V
Ê
also ist F : V → , ϕ → f , ϕ H − g , ϕ V eine stetige Linearform auf dem
Hilbertraum V . Nach dem Darstellungssatz von Riesz–Fréchet § 9 : 2.8 existiert
genau ein u ∈ V mit u , ϕ V = F ϕ für jedes ϕ ∈ V ; u erfüllt also (∗).
366 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
= 1
2
ϕ2H ≥ 0,
0 = j (0) = u , ϕ V − f,ϕ H + g, ϕ V ,
Beweis.
Wir führen den Beweis nur für Ω = Ê . Nach § 10 : 3.4 (b) gilt für u ∈ L (Ê )
n 2 n
lim u − jr ∗ u = 0 .
r→0
lim ∂i u − jr ∗ ∂i u = 0 (i = 1, . . . , n) .
r→0
Für u ∈ W1 ( Ê
n
) gilt nach dem Satz über Parameterintegrale
(jr ∗ ∂i u)(x) = ∂i u(y) jr (x − y) dn y = − ∂
u(y) ∂y jr (x − y) dn y
Ên Ên i
= ∂
u(y) ∂x jr (x − y) dn y = ∂
u(y) jr (x − y) dn y ,
Ên Ên
i ∂xi
Ê
Im Fall Ω = n setzen wir u ∈ W1 (Ω) durch Nullsetzen außerhalb von Ω
Ê
zu einer Funktion auf n fort, die wir wieder mit u bezeichnen. Da jr ∗ u
i.A. nicht zu C∞
c (Ω) gehört, kann nicht wir oben auf jr ∗ ∂i u = ∂i (jr ∗ u)
Ê
geschlossen werden; dies wäre nur im Fall u ∈ W1 ( n ) möglich. Der Beweis
∞
beruht hier darauf, Funktionen ψk ∈ C∞
c (Ω) mit u(x) = u(x)ψk (x) in Ω
k=1
zu konstruieren, wobei für jedes x nur endlich viele Glieder der Reihe von Null
verschieden sind (Teilung der Eins). Auf u · ψk lässt sich die Schlussweise von
oben wieder anwenden. Für Einzelheiten siehe Adams [132] III, 3.16, Gilbarg–
Trudinger [79] 7.6. 2
Gibt es eine Funktion vα mit dieser Eigenschaft, so bezeichnen wir sie mit ∂ α u.
Für k = 0, 1, . . . setzen wir
Wk (Ω) := u ∈ L2 (Ω) ∂ α u ∈ L2 (Ω) existieren für |α| ≤ k ,
und dem zugehörigen Skalarprodukt. Für k = 0 ist also W0 (Ω) = L2 (Ω) und
u0 die L2 –Norm. Ähnlich wie in 6.2 ergibt sich:
Wk (Ω) = Hk (Ω) ,
wobei Hk (Ω) der Abschluss von {u ∈ Ck (Ω) | ∂ α u ∈ L2 (Ω) für |α| ≤ k} be-
züglich der Norm · k ist.
Unter diesen Bedingungen ist die Funktion u fast überall differenzierbar und es
gilt u = v f.ü. .
Bemerkung. Es gibt nichtkonstante, stetige Funktionen u mit u = 0 f.ü. , d.h.
allein aus der Existenz der Ableitung u f.ü. lässt sich nicht auf die schwache
Differenzierbarkeit von u schließen; vgl. Riesz–Nagy [131] Nr. 24.
Beweis.
(ii) =⇒ (i): Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung in der
erweiterten Fassung von Lebesgue (§ 8 : 3.2) folgt aus (ii) die Absolutstetigkeit
von u und u = v f.ü. . Da jede Testfunktion absolutstetig ist, ergibt partielle
Integration gemäß § 8 : 3.3 für ϕ ∈ C∞
c (I) mit supp ϕ ⊂ [α, β] ⊂ I
β β
uϕ = uϕ = − vϕ = − vϕ.
I α α I
x
(i) =⇒ (ii): Ist v schwache Ableitung von u, so ist u0 (x) := v(t)dt (x0 ∈ I)
x0
absolutstetig. Partielle Integration ergibt
0 = u ϕ + vϕ = (u − u0 ) ϕ
I I I
für alle ϕ ∈ C∞
c (I). Mit dem Hilbertschen Lemma § 10 : 4.3 folgt u − u0 = c mit
einer Konstanten c . Wegen u0 (x0 ) = 0 ergibt sich c = u(x0 ) und damit (ii). 2
6 Existenz von Lösungen: Variationsmethode 369
(D0 ) − Δu = f + Δg in Ω , u = 0 auf ∂Ω
für alle f ∈ L2 (Ω), g ∈ W1 (Ω) eine schwache Lösung u0 ∈ W01 (Ω), d.h. es gilt
( ∇u0 , ∇ϕ − f ϕ + ∇g , ∇ϕ ) dn x = 0 für jedes ϕ ∈ W01 (Ω) .
Ω
370 § 14 Randwertprobleme für den Laplace–Operator
(D) − Δu = f in Ω , u = g auf ∂Ω .
Ohne allzu großen Aufwand lässt sich zeigen (John [49] 4.5):
Ê
Satz. (a) Sei Ω ⊂ 2 beschränkt, f ∈ C1 (Ω) und g = 0. Dann ist u nach
Abänderung auf einer Nullmenge C2 –differenzierbar in Ω .
Ê
(b) Für C2 –berandete Gebiete Ω ⊂ 2 ist unter den gleichen Voraussetzungen
wie in (a) die schwache Lösung u auf Ω stetig und verschwindet auf ∂Ω .
Für n ≥ 3 ist der Nachweis der stetigen Annahme der vorgeschriebenen Rand-
werte aufwendiger. Es gilt der fundamentale
Regularitätssatz. Seien k ∈ 0 , Ω ein beschränktes Ck+2 –berandetes Gebiet,
f ∈ Wk (Ω) und g ∈ Wk+2 (Ω). Dann gehört die schwache Lösung u von (D)
zu Wk+2 (Ω), und es gilt
uk+2 ≤ c ( f k + gk+2 )
Zusammen mit dem Einbettungssatz 6.4 (d) ergibt sich für k + 2 − n/2 > s die
Differenzierbarkeitsaussage u ∈ Cs (Ω) , insbesondere Stetigkeit auf Ω im Fall
k + 2 − n/2 > 0 .
Der Regularitätssatz wurde von Friedrichs, Ladyzhenskaya, Nirenberg,
Browder, Lax und anderen um 1953 bewiesen. Der Beweis beruht auf trickrei-
cher Wahl von Testfunktionen ϕ in der Gleichung (∗∗) und auf lokalem Gerade-
biegen des Randes ∂Ω durch Ck+2 –Diffeomorphismen. Unter diesen Diffeomor-
phismen geht die Poisson–Gleichung in eine gleichmäßig elliptische Gleichung
(vgl.6.1 (b)) über.
Für den Beweis verweisen wir auf Gilbarg–Trudinger [79] 8.3, 8.4, Bers–
John–Schechter [58] Part II, Ch. 2, § 1, Rauch [67] § 5.9.
Bemerkungen.
(i) Der Regularitätssatz liefert die Kontrollierbarkeit der vollen Wk+2 –Norm
einer Funktion u ∈ W01 (Ω) mit Δu ∈ Wk (Ω) durch die Wk –Norm von Δu ,
uk+2 ≤ c Δuk .
6 Existenz von Lösungen: Variationsmethode 371
Diese wichtige Tatsache erlaubt bei der Entwicklung nach Eigenfunktionen des
Laplace–Operators 1.2 die Charakterisierung des Abfallverhaltens der Fourier-
koeffizienten von Funktionen im Sobolew–Raum durch ihre Differenzierbarkeits-
stufe.
(ii) Die Voraussetzungen des Regularitätssatzes sind nicht optimal. Dies zeigt
der Vergleich mit dem auf der Potentialtheorie beruhenden Existenzsatz 5.1 (a).
(iii) Bei nicht glatt berandeten Gebieten Ω sind der maximal erreichbaren Re-
gularitätsstufe der Lösung Grenzen gesetzt. Dies lässt sich am Beispiel von har-
monischen Funktionen auf Kreissektoren (vgl. 2.9) plausibel machen; siehe auch
Grisvard [80] Ch. 4, Nazarov [86] Ch. 2.
Φ : ∂Ω × ] − ε, ε [ → Ê n
, (y, r) → y − r n(y)
Dann ist G eine Ck –Funktion mit G = g auf ∂Ω. Die Abschätzung von G in
der Ck –Norm ergibt sich aus der Tatsache, dass alle Ableitungen von p, d, η
durch Konstanten beschränkt sind, die nur von Ω und ε = ε(Ω) abhängen. 2
372 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
werden wir durch den Produktansatz u(x, t) = a(t)v(x) für das Anfangswert-
problem der Wellengleichung
⎧ 2
⎪
⎨ ∂ u
2
∂t
− c2 Δu = 0 in Ω × Ê, u = 0 auf ∂Ω × Ê,
⎪
⎩ u = u0 , ∂u
= u1 auf Ω × {0}
∂t
geführt. Wie bei den Separationsansätzen für den Fall n = 1 spaltet sich dieses
Problem auf in das Eigenwertproblem (D) und die gewöhnliche Differentialglei-
chung
ä(t) + c2 λ a(t) = 0 .
erfüllt sind.
Wie bei den Fourierreihen in § 6 : 2 stellt sich somit auch hier als zentrales Prob-
lem die Entwickelbarkeit beliebiger“ Funktionen in Reihen nach Eigenfunktio-
”
nen des Laplace–Operators. Diese Reihen nennen wir wie dort Fourierreihen.
1 Entwicklung nach Eigenfunktionen des Laplace–Operators 373
(N) − Δv = λv in Ω , ∂n v = 0 auf ∂Ω .
(iii) v1 , v2 , . . . ist ein vollständiges ONS in L2 (Ω), das heißt für jede Funktion
k
u ∈ L2 (Ω) konvergieren die Partialsummen sk := vi , u H vi der zugehöri-
i=1
2
gen Fourierreihe in der L –Norm gegen u,
∞
lim u − sk H = 0 und u2H = vi , u 2
H .
k→∞ i=1
(b) Ist Ω zusätzlich Cr –berandet mit r > 2 + n/2, so liegt jede Eigenfunktion
vi in C2 (Ω) und löst das Eigenwertproblem im klassischen Sinn,
(ii) Jeder Eigenwert hat endliche geometrische Vielfachheit. Das ergibt sich
unmittelbar aus lim λk = ∞.
k→∞
(iii) Für das Neumannsche Eigenwertproblem bleiben die Aussagen des Ent-
wicklungssatzes mit zwei Modifikationen gültig: Es ist λ1 = 0 (die zugehörigen
Eigenfunktionen sind die Konstanten), und W01 (Ω) ist durch W1 (Ω) zu ersetzen;
siehe Courant–Hilbert [3], Kap.7, § 6.2, Ladyzhenskaya [65] II.5.
Der Beweis von Teil (a) des Entwicklungssatzes beruht darauf, die Inverse des
Laplace–Operators zu einem Operator G auf L2 (Ω) fortzusetzen und auf die-
sen Operator den Spektralsatz für kompakte symmetrische Operatoren aus § 22
anzuwenden. Hierzu benötigen wir einige Vorbereitungen.
(c) Nach § 14 : 6.3 gibt es zu jeder Funktion f ∈ H = L2 (Ω) genau eine schwa-
che Lösung u ∈ V = W01 (Ω) der Gleichung − Δu = f , bestimmt durch die
Beziehung
denn C∞ 1
c (Ω) ist dicht in V = W0 (Ω), und wegen der Poincaré–Ungleichung
§ 14 : 6.2 (d) impliziert die Konvergenz in V die Konvergenz in H = L2 (Ω).
Die durch die Beziehung (1) definierte Abbildung
G:H →V ⊂H, f →u
G : L2 (Ω) → L2 (Ω)
Beweis.
Mit Gf = u ∈ W01 (Ω) ergibt sich aus (1) und der Poincaré–Ungleichung
G ist injektiv, was sich unmittelbar aus der Definition (1) und dem Fundamen-
tallemma § 10 : 4.2 ergibt. Zusammen mit (2) folgt hieraus die positive Definit-
heit von G,
Gfn H ≤ c2 M für n = 1, 2, . . . ,
Nach dem Rellichschen Auswahlsatz § 14 : 6.2 (e) enthält somit (Gfn ) eine in H
konvergente Teilfolge. 2
λi > 0 , lim λk = ∞.
k→∞
Teil (b) des Entwicklungssatzes ergibt sich durch mehrfache Anwendung des
Reguläritätssatzes in § 14 : 6.5 ÜA . 2
∞
u2V = λi vi , u 2
H für u ∈ W01 (Ω) .
i=1
376 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
−1/2
Durch wi = λi vi (i = 1, 2, . . . ) ist ein vollständiges ONS für den Hilbert-
raum V = W01 (Ω) gegeben, d.h. für u ∈ V gilt
∞
∞
u = wi , u V wi in V und u2V = wi , u 2
V .
i=1 i=1
Beweis.
(i) Wir erinnern daran, dass nach § 9 : 4.8 jeder Hilbertraum H über mit Ê
Skalarprodukt · , · , der ein abzählbares vollständiges ONS u1 , u2 , . . . besitzt,
isomorph zum Hilbertschen Folgenraum 2 ist: Für h ∈ H gilt die Parsevalsche
∞
Gleichung h2 = ui , h 2
, und für jede Folge (c1 , c2 , . . . ) ∈ 2 konver-
i=1
∞
giert die Reihe ci ui in H .
i=1
(5) wi , u V = λi vi , u H für i = 1, 2, . . . .
Zum Nachweis der Vollständigkeit dieses ONS ist nach dem Kriterium § 9 : 4.4 (e)
zu zeigen:
wi , u V = 0 für alle i = 1, 2, . . . =⇒ u = 0 .
wobei das Minimum genau für die Eigenfunktionen zum Eigenwert λk angenom-
men wird.
√
Für die Poincaré–Konstante (§ 14 : 6.2 (d)) ergibt sich damit c(Ω) = 1/ λ1 .
Denn nach (a) und der Parsevalschen Gleichung gilt für u ∈ V, u = 0
∞
∞
u2V = λi vi , u 2
H ≥ λ1 vi , u 2
H = λ1 u2H
i=1 i=1
Beweis.
Für u ∈ D(A) gilt v := Au ∈ H und vi , v H = vi , Au H = Avi , u H =
λi vi , u H . Gemäß 1.2 (a) folgt damit
∞
∞
Au2H = v2H = vi , v 2
H = λ2i vi , u 2
H < ∞.
i=1 i=1
∞
Umgekehrt folgt aus λ2i vi , u 2
H < ∞ nach Beweisteil (i) von 1.3 (a) die
i=1
∞
Existenz eines v ∈ H mit v = λi vi , u H vi . Wegen der Stetigkeit des
i=1
Green–Operators G, vgl. 1.2 (c), folgt mit Gvi = λ−1
i vi
∞
∞
u = vi , u H vi = λi vi , u H Gvi = Gv ∈ D(A). 2
i=1 i=1
(c) Für p ≥ 0 definieren wir die p–te Potenz von A als den Operator Ap
mit dem Definitionsbereich
∞
D(Ap ) := u ∈ L2 (Ω) λ2p
i vi , u 2
H <∞
i=1
Auf D(Ap ) definieren wir ein Skalarprodukt und die zugehörige Norm durch
∞
u, v Ap := Ap u , Ap v H = λ2p
i vi , u H vi , v H ,
i=1
∞
u2Ap := Ap u2H = λ2p
i vi , u 2
H .
i=1
Satz. D(Ap ) , · , · Ap ist ein Hilbertraum, und die (λ−p
k vk ) bilden ein voll-
ständiges ONS für D(Ap ).
Beweis.
Wegen
vi , vk Ap = Ap vi , Ap vk H = λpi vi , λpk vk H
= λ2p
i δik
Φ : D(Ap ) → 2 , u → Φ(u) := λpi vi , u H i∈ .
Φ ist eine Isometrie wegen
∞
Φu , Φv 2 = λ2p
i vi , u H vi , v H = u, v Ap .
i=1
Φ : D(Ap ) → 2 ist somit unitär, D(Ap ) also ein Hilbertraum. Die wk bilden
ein vollständiges ONS in D(A), weil diese unter Φ auf die Einheitsvektoren des
2 abgebildet werden. 2
(d) Äquivalenzsatz. Sei r ∈ und Ω ⊂ n ein beschränktes, Cr –beran- Ê
detes Gebiet. Dann gilt mit q := 12 (r − 1) = Int 12 (r − 1)
D(Ar/2 ) = u ∈ Wr (Ω) | u, Au, . . . , Aq u ∈ W01 (Ω) ,
und die Norm · Ar/2 ist äquivalent zur Sobolew–Norm · r (vgl. § 14 : 6.4 (b)).
380 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
Beweis.
(i) Der Regularitätssatz § 14 : 6.5 (mit g = 0 ) liefert für u ∈ W01 (Ω), ≤ r − 2
Au ∈ W (Ω) ⇐⇒ u ∈ W +2
(Ω),
Au ≤ u +2 ≤ c(Ω, ) Au für u ∈ W +2
(Ω) .
(ii) Für p ≥ 0 gilt nach 1.3 (a) D(Ap+1 ) = u ∈ W01 (Ω) | Au ∈ D(Ap ) ÜA .
(iii) Wir zeigen die Behauptung zunächst für gerades r = 2k durch Induktion
nach k = 1, 2, . . . . Wegen q = [ r−1
2
] = [k − 12 ] = k − 1 lautet die Behauptung
D(Ak ) = u ∈ W2k (Ω) | u, Au, . . . , Ak−1 u ∈ W01 (Ω) ,
uAk ≤ u2k ≤ ck uAk
mit Konstanten ck = ck (Ω). Für k = 1 ist die Behauptung nach dem Satz in
(a) richtig. Ist diese richtig für k ≥ 1, so folgt
(ii)
D(Ak+1 ) = u ∈ W01 (Ω) | Au ∈ D(Ak )
(iii)
= u ∈ W01 (Ω) | Au ∈ W2k (Ω), Au, A2 u, . . . , Ak−1 Au ∈ W01 (Ω)
(i)
= u ∈ W2(k+1) (Ω) | u, Au, . . . , Ak u ∈ W01 (Ω) ,
(iv) Für ungerades r = 2k−1 folgt die Behauptung analog durch Induktion nach
k = 1, 2, . . . . Der Induktionsanfang, d.h. die Behauptung D(A1/2 ) = W01 (Ω)
und die Äquivalenz der Normen · A1/2 und · 1 ergibt sich wie folgt: Die
erste Behauptung folgt nach (c). Nach der Poincaré–Ungleichung § 14 : 6.2 (d)
sind die Normen · 1 und · V äquivalent, und nach 1.3 (a) und der Definition
von · A1/2 gilt
∞
u2A1/2 = λi vi , u 2
H = u2V . 2
i=1
Ê
(e) Entwicklungssatz II. Ist Ω ⊂ n ein Cr –berandetes Gebiet (r ∈ ),
so konvergiert für jede Funktion u ∈ Wr (Ω) die Fourierreihe
∞
u = vi , u H vi in Wr (Ω) ,
i=1
2 Geometrische Eigenschaften von Eigenwerten und -funktionen 381
∂αu = vi , u H ∂ α vi
i=1
gleichmäßig auf Ω für |α| ≤ s. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn
Beweis.
Nach dem Äquivalenzsatz liegt u in D(Ar/2 ) und hat daher nach 1.4 (c) bezüg-
−r/2
lich des ONS wk := λk vk die Fourierentwicklung in D(Ar/2 )
∞
∞
u = wi , u Ar/2 wi = vi , u H vi .
i=1 i=1
Ê
Beispiel. Ist Ω ⊂ 3 ein C2 –berandetes Gebiet, so konvergiert für jede Funk-
tion u ∈ C 2 (Ω) mit u = Δu = 0 auf ∂Ω die Fourierreihe gleichmäßig auf Ω.
1.5 Aufgaben
(a) Zeigen Sie, dass
A − λ½ : D(A) → L2 (Ω) für λ < 0
λk (Ω1 ) ≥ λk (Ω2 ) (k = 1, 2, . . . ),
und im Fall Ω2 \ Ω1 = ∅,
k (2π)n
V n (Ω) = cn lim mit cn = ,
k→∞ n/2
λk V n (K1 (0))
d.h. aus dem Spektrum {λ1 , λ2 , . . . } des Laplace–Operators läßt sich das Volu-
men von Ω bestimmen. (Weyl 1912, Courant 1920).
Für den Beweis siehe Courant–Hilbert [2], Kap.6, §4, Chavel [74] VII.3, Tay-
lor [69, II] 8.3, und für scharfe Fehlerschranken R. Seeley: A sharp asymptotic
remainder estimate . . . , Adv. Math. 29 (1978) 244–269.
Zu diesem berühmten Resultat wurde Weyl durch eine von dem Physiker H. A.
Lorentz 1910 aufgestellte Vermutung zur Hohlraumstrahlung schwarzer Körper
angeregt. Courant fand später einen einfachen Beweis, in welchem er das Ge-
biet Ω von innen und außen durch Quadervereinigungen approximierte und
die Gebietsmonotonie der Eigenwerte ausnutzte. Der Weylsche Satz gab in den
sechziger Jahren Anstoß zu Untersuchungen über die Frage, welche weiteren In-
formationen über die Geometrie von Gebieten oder von geschlossenen Flächen
im Spektrum des Laplace–Operators enthalten sind; siehe hierzu M. Kac: Can
one hear the shape of a drum? Amer. Math. Monthly 73(4) (1966) 1–23.
(∗) − Δu = λu in Ω , u = 0 auf ∂Ω
Ê
auf Kreisscheiben und Kugeln Ω = KR = KR (0) ⊂ n (n = 2, 3) durch Sepa-
rationsansätze bezüglich Polar– bzw. Kugelkoordinaten. Wir machen plausibel,
warum Separationsansätze zum Ziel führen.
384 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
Der Produktansatz für Eigenfunktionen von (∗) auf der n–dimensionalen Kugel
Ê
KR ⊂ n,
führt auf eine gewöhnliche DG zweiter Ordnung für X(r) und ein Eigenwert-
Ê
problem für Y (ξ) auf der Einheitssphäre S n−1 ⊂ n. Die Lösungen des Ei-
genwertproblems auf der Sphäre S n−1 werden Kugelfunktionen (spherical
harmonics) genannt.
Entscheidend ist nun, dass jede Kugelfunktion aus harmonischen, homogenen
Ê
Polynomen auf dem n durch Einschränkung auf die Einheitssphäre S n−1 ent-
steht, und dass sich beliebige“ Funktionen auf der Sphäre S n−1 in Reihen
”
nach solchen Polynomen entwickeln lassen (Weierstraßscher Approximations-
satz). Das hat zur Folge, dass mit den harmonischen Polynomen schon alle
Kugelfunktionen gefunden sind.
Auf dem Ê 2
sind z.B. homogene harmonische Polynome
1, x1 , x2 , x1 x1 − x2 x2 , 2x1 x2 ,
x1 x1 x1 − 3x1 x2 x2 , 3x1 x1 x2 − x2 x2 x2 , . . . ,
ÜA . Nach Einschränkung auf den Einheitskreis S 1 ergibt sich aus diesen in
Polarkoordinaten
1, cos ϕ, sin ϕ, cos 2ϕ , sin 2ϕ, cos 3ϕ , sin 3ϕ, . . . .
Auf dem Ê 3
sind homogene harmonische Polynome
1, x1 , x2 , x3 , x1 x1 − x3 x3 , x2 x2 − x3 x3 , x1 x2 , x1 x3 , x2 x3 , . . . .
Die zugehörigen Kugelfunktionen auf der S 2 lassen sich durch Produkte von
trigonometrischen Funktionen und Legendre–Polynomen darstellen.
Auf diesen systematischen Zugang können wir aus Platzgründen nicht eingehen
und verweisen auf Folland [61] p.126–139, Michlin [51] Kap.14.
Im Folgenden bestimmen wir Orthonormalsysteme für das Dirichletsche Eigen-
wertproblem (∗) direkt durch Separationsansatz, machen also keinen Gebrauch
von harmonischen Polynomen. Der Radialanteil X(r) der Eigenfunktionen auf
Kreisscheiben und Kugeln wird bis auf einen Faktor durch Besselfunktionen dar-
gestellt, und die Eigenwerte λ können aus den Nullstellen von Besselfunktionen
bestimmt werden.
√
geht durch die Umskalierung V (t) := v(t/ λ) über in eine Lösung der Bessel-
schen Differentialgleichung vom Index ν zum Eigenwert λ = 1,
1 ν2
V (t) + V (t) + 1− V (t) = 0 für t > 0 .
t r2
Nach § 4 : 4.7 ist jede Lösung dieser Gleichung, für die t−ν V (t) beschränkt ist,
bis auf einen konstanten Faktor die Besselfunktion Jν . Deren Reihendarstellung
lautet
∞ ν+2k
(−1)k t
Jν (t) =
k! Γ(ν + k + 1) 2
k=0
1 t
ν 1 t
2 1
4
t
= 1− + − ... .
Γ(ν + 1) 2 1! (ν + 1) 2 2! (ν + 1)(ν + 2) 2
Weiter wurde in § 4 : 4.7 (e) gezeigt, dass die positiven Nullstellen von Jν eine
Folge 0 < jν,1 < jν,2 < . . . mit lim jν,k = ∞ bilden.
k→∞
Wie sich zeigen wird, liefern die Nullstellen jν,k der Besselfunktionen für halb-
zahlige ν die Eigenwerte des Dirichletschen Eigenwertproblems (∗). Diese Null-
stellen können mit Computerprogrammen (z.B. MAPLE, MATHEMATICA) be-
rechnet oder Tabellenwerken entnommen werden.
R
u, v r := u(r) v(r) r dr .
0
386 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
Beweis.
Für k = setzen wir u(r) := Jν (jν,k R
r r
), v(r) := Jν (jν, R ), λ := (jν,k /R)2 ,
2
μ = (jν, /R) und schreiben die Besselsche DG in der Form Lu = λu, Lv = μv.
Wegen u(R) = v(R) = 0 gilt dann
(λ − μ) u , v r = Lu , v r − u , Lv r
R
1 ν2 1 ν2
= − (r u ) + 2 u v − u − (r v ) + 2 v r dr
r r r r
0
R
R
= − (r u ) v + u (r v ) dr = −r (u v − uv ) 0 = 0 ,
0
woraus durch Integration von 0 bis R unter Beachtung von ν u(0) = 0 folgt
R
0 = (r u )2 + (λr 2 − ν 2 ) u2 0 − 2λ
R
u(r)2 r dr
0
= (R u (R))2 − 2λ u2r ,
2 2
R R
c−2
kν vkν r = ur =
2 2
√ u (R) = √ Jν (jν,k )
2λ 2
2
R −2
= √ Jν+1 (jν,k ) = ckν .
2
Die vorletzte Gleichheit ergibt sich dabei aus der Identität in § 4 : 4.7 (f)
ν
Jν+1 (jν,k ) = Jν (jν,k ) − Jν (jν,k ) = − Jν (jν,k ) . 2
jν,k
(c) Ersetzen wir in (a) die Randbedingung v(R) = 0 durch v (R) = 0, so bleibt
∗
Aussage (b) richtig, wenn die jν,k ersetzt werden durch die Nullstellen jν,k von
3 Eigenwerte und Eigenfunktionen für Kreisscheibe und Kugel 387
2 1
c∗kν := ∗ ∗
.
1 − (ν/jν,k )2 R |Jν (jν,k )|
Der Separationsansatz U (r, ϕ) = v(r) w(ϕ) führt nach bekanntem Muster auf
die Gleichungen
⎧ 2
⎨ 1 (rv (r)) + λ − v(r) = 0 in ]0, R[ ,
(1) r r2
⎩
v beschränkt, v(R) = 0 ,
w (ϕ) + 2 w(ϕ) = 0 für − π < ϕ < π ,
(2)
w(π) = w(−π) , w (π) = w (−π) ,
wobei eine Konstante ist. Die sämtlichen Lösungen von (2) sind
w(ϕ) = a0 für = 0 ,
Ê
mit Konstanten a , b ∈ . Nach 3.1 (a) erhalten wir sämtliche Eigenwerte und
zugehörige Eigenfunktionen durch
λk0 = (j0,k /R)2 , r
J0 (j0,k R ),
2 r r
λk = (j ,k /R) , J (j ,k R ) cos(ϕ) und J (j ,k R ) sin(ϕ)
für k, = 1, 2, . . . , wobei J die Besselfunktion vom Index ist und j ,k deren
positive Nullstellen sind.
388 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
(k ∈ , ∈
ck 2
uk , λk = (j| |,k /R) )
π (1 + δ 0 )
Euler fand diese Eigenfunktionen 1759 bei der Untersuchung der Schwingungen
der kreisförmigen Membran.
Nach 1.1 liefern die√uk die Eigenschwingungen der kreisförmigen Membran√ mit
den Frequenzen c λk = c j ,k /R . Der Grundton hat die Frequenz c λ10 =
c j0,1 /R ≈ 2.4048 c/R .
Der kleinste Eigenwert λ10 ist einfach, während die höheren Eigenwerte λk mit
k + || > 1 mindestens die Vielfachheit 2 besitzen.
Die folgenden Abbildungen zeigen einige Eigenfunktionen der kreisförmigen
Membran.
u10 u31
3 Eigenwerte und Eigenfunktionen für Kreisscheibe und Kugel 389
u25 u17
Für das Neumannsche Eigenwertproblem ergibt sich ein ähnlich gebautes Or-
thonormalsystem.
ÜA Bestimmen Sie dieses unter Verwendung von 3.1 (c).
Beweis.
(i) Nach dem Transformationssatz für Integrale hat das L2 –Skalarprodukt auf
der Kreisscheibe für Funktionen in Produktform
(vi ⊗ wi )(r cos ϕ, r sin ϕ) := vi (r) wi (ϕ)
die Gestalt
R π
v1 ⊗ v2 , w1 ⊗ w2 = v1 (r) v2 (r) r dr w1 (ϕ) w2 (ϕ) dϕ .
0 −π
(ii) Nach dem Entwicklungssatz in 1.2 existiert ein vollständiges ONS B für
L2 (Ω) aus Eigenfunktionen des Dirichletschen Eigenwertproblems (∗). Die Voll-
ständigkeit des ONS A ist bewiesen, wenn wir gezeigt haben, dass jede Eigen-
funktion eine Linearkombination von Funktionen aus A ist, was insbesondere
B ⊂ Span A bedeutet.
Es sei also λ > 0, u ∈ C2 (Ω) eine beliebige Lösung des Eigenwertproblems (∗)
und U (r, ϕ) := u(r cos ϕ, r sin ϕ). Für jedes r ∈ [0, R] besitzt die 2π–periodische
Funktion ϕ → U (r, ϕ) nach § 6 : 2.3 die gleichmäßig konvergente Fourierentwick-
lung
∞
1 π
U (r, ϕ) = a (r) ei ϕ mit a (r) = U (r, ϕ) e−i ϕ dϕ .
=−∞ 2π −π
390 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
2 r
√
λ = (j| |,k /R) = λk| | , a (r) = α J| | (j| |,k R ) = α J| | ( λ r) .
Die Menge I dieser ∈ ist wegen u = 0 nicht leer. I ist endlich, weil der
Eigenwert λ nach 1.2 endliche Vielfachheit besitzt. Damit erhalten wir
√
u(x) = U (r, ϕ) = a (r) ei ϕ
= α J| | ( λ r) ei ϕ
∈I ∈I
und nach Umformung der letzten Summe in eine Summe von reellen Ausdrücken
schließlich u ∈ Span A. 2
Die Eigenwertgleichung (∗) für die dreidimensionale Kugel erhält damit in Ku-
gelkoordinaten die Gestalt
⎧
1 ∂ 2 ∂U 1
⎪
⎪ − r − 2 ΔS 2 U = λU
⎪
⎪ r 2 ∂r ∂r r
⎪
⎪
⎪
⎪ in 0 < r < R , 0 < ϑ < π , −π < ϕ < π ,
⎪
⎪
⎨ ∂U ∂U
(∗∗∗) U (r, ϑ, π) = U (r, ϑ, −π) , (r, ϑ, π) = (r, ϑ, −π)
⎪
⎪
∂ϕ ∂ϕ
⎪
⎪ für 0 < r < R , 0 < ϑ < π ,
⎪
⎪
⎪
⎪
⎪
⎪ U beschränkt,
⎩
U (R, ϑ, ϕ) = 0 für 0 < ϑ < π , −π < ϕ < π .
Der Separationsansatz U (r, ϑ, ϕ) = X(r)Y (ϑ, ϕ) zerlegt das Problem (∗∗∗) mit
den aus § 6 bekannten Argumenten in die Gleichungen
⎧
⎨ 1 r2 X (r)
+ λ−
μ
X(r) = 0 in 0 < r < R ,
2r r2
(1)
⎩
X beschränkt , X(R) = 0 ,
und
⎧
⎪ −ΔS 2 Y = μY in 0 < ϑ < π , −π < ϕ < π ,
⎪
⎨
∂Y ∂Y
(KF) Y (ϑ, π) = Y (ϑ, −π) , (ϑ, π) = (ϑ, −π) für 0 < ϑ < π ,
⎪
⎪ ∂ϕ ∂ϕ
⎩
Y beschränkt
mit einer Konstanten μ. Die Lösungen Y = 0 von (KF) sind die Kugelfunktio-
nen, dargestellt in Kugelkoordinaten.
Die weitere Separation Y (ϑ, ϕ) = V (ϑ) W (ϕ) spaltet die Gleichungen (KF) auf
in
⎧
⎪
⎨ 1 m2
sin ϑ V (ϑ) + μ− V (ϑ) = 0 in 0 < ϑ < π ,
(2) sin ϑ sin2 ϑ
⎪
⎩ V beschränkt,
und
W (ϕ) + m2 W (ϕ) = 0 in − π < ϕ < π ,
(3)
W (π) = W (−π) , W (π) = W (−π) ,
mit einer Konstanten m, für die nach (3) nur m = 0, 1, . . . in Frage kommt.
Durch die Transformation v(s) := V (arccos s), bzw. V (ϑ) = v(cos ϑ) geht (2)
über in das Eigenwertproblem
392 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
⎧
⎨ (1 − s2 ) v (s) m2
+ μ− v(s) = 0 in − 1 < s < 1 ,
(2 ) 1 − s2
⎩
v beschränkt.
Die Lösungen λ, x = 0 dieses Eigenwertproblems haben nach 3.1 (a) die Gestalt
λ = (jν,k /R)2 , r
x(r) = Jν (rν,k R ) mit ν := + 1
2
1 r 1 r
√ Jν (jν,k R ) P m (cos ϑ) cos(mϕ) und √ Jν (jν,k R ) P m (cos ϑ) sin(mϕ)
r r
In 3.6 zeigen wir, dass diese nach geeigneter Normierung ein vollständiges Or-
thonormalsystem in L2 (Ω) liefern.
Satz. Der Ausdruck ΔM u ist koordinateninvariant, d.h. hängt nicht von der
Wahl der Parametrisierung Φ ab.
ΔM u wird der Laplace–Beltrami–Operator auf M genannt.
Der Beweis erfolgt mit analogen Argumenten wie beim Beweis der Jacobischen
Formel § 11 : 5.2, siehe Bd. 3, § 9 : 3.3 (c).
ÜA Überzeugen Sie sich davon, dass ΔM für die zweidimensionale Sphäre
M = S 2 bei Verwendung von Kugelkoordinaten Φ mit dem in (a) definierten
Ausdruck übereinstimmt.
m 2
(1 − s2 )v (s) + μ− v(s) = 0 in − 1 < s < 1 ,
1 − s2
besitzt nach § 4 : 4.5 nur für die Werte μ = ( + 1) mit = m, m + 1, . . .
beschränkte Lösungen, und diese sind konstante Vielfache der (zugeordneten)
Legendre–Funktionen
(1 − s2 )m/2
+m
d
P m (s) = (s2 − 1) .
2 ! ds
Für die Legendre–Polynome P := P 0 gilt nach § 4 : 3.2
1 d 1 2 − 2k −2k
P (s) = (s2 − 1) = (−1)k s ,
2 ! ds 2 k
0≤2k≤
(m)
P m (s) = (1 − s2 )m/2 P (s) .
Legendre verwendete die nach ihm benannten Funktionen bei der Untersu-
chung der Anziehungskräfte von Rotationskörpern (1785/87).
& '
(b) Satz. + 1
2
P = 0, 1, . . . ist ein vollständiges Orthonormalsys-
2
tem in L (]−1, 1[). Dieses Orthonormalsystem stellt die Gram–Schmidt–Ortho-
normalisierung der Potenzen 1, s, s2 , . . . dar.
Beweis.
(i) Für g(s) := (s2 − 1) = (s + 1) (s − 1) folgt mit Hilfe der Leibniz–Regel
g (k) (1) = g (k) (−1) = 0 für k < . Definitionsgemäß ist g ( ) = 2 ! P . Für jede
Funktion f ∈ C∞ [−1, 1] folgt durch –fache partielle Integration ÜA
1 1 1 1 ( )
f,P = f (s) g ( ) (s) ds = f (s) (1 − s2 ) ds .
2 ! −1 2 ! −1
394 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
(2)! 1 (2)! 1
P ,P = (1 − s 2
) ds = (1 + s) (1 − s) ds .
(2 !)2 −1 (2 !)2 −1
1 1 2
P ,P = (1 + s)2 (1 − s)0 ds = .
22 −1
2 + 1
(iii) Der höchste Koeffizient von P ist positiv. Dasselbe ergibt sich für die
höchsten Koeffizienten der Polynome vn , die aus den Potenzen uk (s) = sk
durch Orthonormalisierung entstehen:
Nach Bd. 1, § 19 : 3.1 gilt vn = (un − Pn−1 un )/un − Pn−1 un , wobei Pn−1 un
vom Grad ≤ n−1 ist. Da Orthonormalsysteme bis auf das Vorzeichen festgelegt
sind, folgt vn = Pn für n ∈ 0 .
(iv) Die Vollständigkeit wird in (c) mitbewiesen. 2
& '
(c) Satz. Für jedes m ∈ 0 ist ( −m)!
( +m)!
( + 12 ) P m = m, m + 1, . . .
ein vollständiges Orthonormalsystem in L (] − 1, 1[). 2
Beweis.
(i) Für k, ≥ m und k = setzen wir zur Abkürzung u := Pkm , v := P m und
schreiben die Legendresche DG in der Form
1
= − (1 − s2 )u v + u (1 − s2 )v ds
−1
−(1 − s2 ) (u v − uv ) −1 = 0 ,
1
=
(m−1)2 s2
u2m = (1 − s2 ) u2
m−1 + 2(m − 1) s um−1 um−1 + 1−s2
u2m−1
= (1 − s2 ) um−1 um−1 + (m − 1) s u2m−1
(m−1)2 s2
− (1 − s2 )um−1 um−1 − (m − 1) u2m−1 + 1−s2
u2m−1
(m−1)2 (m−1)2 s2
= ... + ( + 1) − 1−s2
− (m − 1) + 1−s2
u2m−1
= ... + ( + 1) − m (m − 1) u2m−1
= ... + ( + m) ( − m + 1) u2m−1 .
Hieraus folgt
1 1
u2m ds = ( + m) ( − m + 1) u2m−1 ds ,
−1 −1
und durch m–fache Iteration dieser Beziehung ergibt sich zusammen mit (b)
1 1 ( + m)! 1 2
(P m )2 ds = u2m ds = u ds
−1 −1
( − m)! −1 0
( + m)! 1 ( + m)! 2
= (P )2 ds = .
( − m)! −1 ( − m)! 2 + 1
(iii) Da C0c (]−1, 1[) in L2 (]−1, 1[) dicht liegt (§ 10 : 3.2), reicht es für die Voll-
ständigkeit des Orthonormalsystems nachzuweisen, dass es zu f ∈ C0c (]−1, 1[)
und jedem ε > 0 ein g ∈ Span {P m | = m, m + 1, . . .} mit f − g ≤ ε gibt.
Da F (s) := (1 − s2 )−m/2 f (s) auf [−1, 1] stetig ist, existiert nach dem Weier-
straßschen Approximationssatz (§ 6 : 2.9) ein Polynom G mit
√
|F (s) − G(s)| ≤ ε/ 2 für s ∈ [−1, 1] .
(m)
Da die P Polynome ( − m)–ten Grades sind, folgt
(m)
G ∈ Span {P | ≥ m },
396 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
g ∈ Span {P m | ≥ m }.
Weiter ist
√
f (s) − g(s) = (1 − s2 )m/2 F (s) − G(s) ≤ ε/ 2 für s ∈ [−1, 1] ,
√
also f − g ≤ 2 f − g∞ ≤ ε . 2
π π
Y1 , Y2 S2 := Y1 (ϑ, ϕ) Y2 (ϑ, ϕ) sin ϑ dϑ dϕ
0 −π
(mit der üblichen Identifizierung fast überall gleicher Funktionen) ist ein Hil-
bertraum, bezeichnet mit L2 (S 2 ).
√
Um dies einzusehen, betrachten wir Ω = ]0, π[ × ]−π, π[ und (ϑ, ϕ) = sin ϑ.
Wegen > 0 auf Ω ist Y : Ω → Ê
genau dann messbar, wenn y := Y / mess-
bar ist, und es gilt Y ∈ L2 (S 2 ) ⇐⇒ y = Y / ∈ L2 (Ω). Die Abbildung
U : L2 (Ω) → L2 (S 2 ), y → y ist also ein Isomorphismus, vgl. § 9 : 1.2.
Da do = sin ϑ dϑ dϕ das Oberflächenelement
der Sphäre S 2 ist, können wir
Y1 , Y2 S 2 als Oberflächenintegral S 2 u1 u2 do auffassen; dabei ist Yk = uk ◦Φ
(k = 1, 2) und Φ die Parametrisierung von S 2 durch Kugelkoordinaten.
(b) Die in 3.3 gefundenen Produktlösungen des Eigenwertproblems (KF) und
die zugehörigen Eigenwerte μ nummerieren wir wie folgt: Für ∈ 0 , m ∈
mit |m| ≤ setzen wir
m
P m (cos ϑ) cos(mϕ) für 0 ≤ m ≤ ,
Y (ϑ, ϕ) := −m
P (cos ϑ) sin(mϕ) für − ≤ m < 0 ,
μm := ( + 1) .
3 Eigenwerte und Eigenfunktionen für Kreisscheibe und Kugel 397
Bemerkungen. (i) Die Y m ( |m| ≤ ) fallen als Real– und Imaginärteile der
Z m (ϑ, ϕ) = P m (cos ϑ) eimϕ an. Die Z m bilden bei passender Normierung ein
vollständiges ONS für den komplexen Hilbertraum L2 (S 2 ) mit dem entspre-
chenden Skalarprodukt und werden ebenfalls Kugelfunktionen genannt.
(ii) Laplace fand 1785 die Kugel-
funktionen bei Untersuchungen
über die Anziehungskräfte
von Rotationskörpern.
Die nebenstehende
Figur zeigt den
6
Graphen von Y11
über dem halben
Koordinatenrechteck [0, π] × [0, π].
Beweis.
Wir verwenden das Vollständigkeitskriterium § 9 : 4.4 (e), nach welchem ein ONS
genau dann vollständig ist, wenn nur der Nullvektor zu diesem orthogonal ist.
Sei also
f ∈ L2 (S 2 ) und Ym, f S2 = 0 für ∈ 0 , |m| ≤ .
Wir gehen der Übersichtlichkeit halber ins Komplexe. Für die oben definierten
Z m und für F (s, ϕ) := f (arccos s, ϕ) gilt dann aufgrund des Satzes von Fubini
§ 8 : 1.8 und des Transformationssatzes § 8 : 1.9
π π
e−imϕ P
(m)
0 = Zm , f S2 := (cos ϑ) f (ϑ, ϕ) sin ϑ dϑ dϕ
0 −π
1 π
e−imϕ F (s, ϕ) dϕ P
(m)
= (s) ds
−1 −π
für festes m ∈ und alle ≥ |m|. Wegen der in 3.4 (c) festgestellten Vollstän–
398 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
für fast alle s ∈ [−1, 1] und alle m ∈ . Wegen der Vollständigkeit der tri-
gonometrischen Funktionen in L2 [−π, π] (§ 9 : 4.5) ergibt sich daraus mit der
π
Parsevalschen Gleichung F (s, ϕ)2 dϕ = 0 für fast alle s ∈ [−1, 1].
−π
Der Satz von Tonelli § 8 : 1.8 und der Transformationssatz § 8 : 1.9 liefern
π π 1 π
f (ϑ, ϕ)2 sin ϑ dϑ dϕ = F (s, ϕ)2 dϕ ds = 0
0 −π −1 −π
und damit f = 0. 2
Zeigen Sie, dass H m ein harmonisches und vom Grad homogenes Polynom ist,
siehe die Einleitung zu diesem Abschnitt.
Zeigen Sie weiter, dass sich jedes homogene Polynom zweiten Grades (d.h. jede
quadratische Form in 3) auf eindeutige Weise in der Gestalt
3
2
2 H2 (x) + α0 x H0 (x)
2
aik xi xk = αm m 0 0
i,k=1 m=−2
darstellen läßt.
mit
ck m r
uk m (x) = √ J +1/2 j +1/2,k R Y m (ϑ, ϕ)
r
für x = (r sin ϑ cos ϕ, r sin ϑ sin ϑ, r cos ϑ) (0 < r ≤ R, 0 ≤ ϑ ≤ π, −π < ϕ ≤ π)
und
√
2 ( − |m|)! 1 1
ck m =
+ .
R |J +1/2 (j +1/2 )| ( + |m|)! 2 π (1 + δm0 )
3 Eigenwerte und Eigenfunktionen für Kreisscheibe und Kugel 399
Dabei ist J +1/2 die Besselfunktion vom Index + 12 , j +1/2,k sind die positiven
Nullstellen von J +1/2 (k ∈ , ∈ 0 , vgl. 3.1), {Y m } ist das in 3.5 definier-
te System von Kugelfunktionen und δm0 das Kronecker–Symbol ( δ00 = 1 und
δm0 = 0 für m ∈ ).
Für das Neumannsche Eigenwertproblem ergibt sich ein ganz entsprechendes
Orthonormalsystem, indem die j +1/2,k durch die Nullstellen der abgeleiteten
Besselfunktionen J +1/2 ersetzt werden, vgl. 3.2 (b), 3.1 (c).
Beweis.
(i) Nach dem Transformationssatz für Integrale hat das L2 –Skalarprodukt auf
der Kugel Ω = KR (0) für Funktionen in Produktform (Xi ⊗ Yi )(r, ϑ, ϕ) :=
Xi (r) Yi (ϑ, ϕ) die Gestalt
R π π
X1 ⊗ Y1 , X2 ⊗ Y2 = X1 (r) X2 (r) r 2 dr Y1 (ϑ, ϕ) Y2 (ϑ, ϕ) sin ϑ dϑ dϕ .
0 −π 0
Hieraus ergibt sich die Orthonormalität des Systems A := {uk m } aus den
Orthonormalitätseigenschaften der Besselfunktionen 3.1 (b) und denen der Ku-
gelfunktionen 3.4 ÜA .
(ii) Nach dem Entwicklungssatz 1.2 existiert ein vollständiges ONS B für L2 (Ω),
bestehend aus Eigenfunktionen vi ∈ C2 (Ω) des Dirichletschen Eigenwertpro-
blems (∗). Die Vollständigkeit des ONS A ist bewiesen, wenn wir gezeigt haben,
dass jede Eigenfunktion u eine Linearkombination von Funktionen aus A ist,
was B ⊂ Span A bedeutet.
Sei also u ∈ C2 (Ω) eine beliebige Eigenfunktion des Problems (∗) zum Eigenwert
λ > 0 und U (r, ϑ, ϕ) := u(r sin ϑ cos ϕ, r sin ϑ sin ϕ, r cos ϑ). Für jedes r ∈ [0, R]
besitzt die Funktion (ϑ, ϕ) → U (r, ϑ, ϕ) nach 3.5 die Fourierentwicklung
U (r, ϑ, ϕ) = Am (r) Y m (ϑ, ϕ)
|m|≤
( − |m|)! + 12 π π
Am (r) = U (r, ϑ, ϕ) Y m (ϑ, ϕ) sin ϑ dϑ dϕ .
( + |m|)! π (1 + δm0 ) 0 −π
Die Funktionen r → Am (r) sind C2 –differenzierbar auf [0, R], genügen nach
(∗∗∗) in 3.3 der Randbedingung Am (R) = 0 und erfüllen die DG
1 2 ( + 1)
r X (r) + λ− X(r) = 0 in ]0, R] ,
r2 r2
was sich aus der Eigenwertgleichung in (∗∗∗) durch zweimalige partielle Inte-
gration ergibt ÜA .
400 § 15 Eigenwertprobleme für den Laplace–Operator
√
Für jedes Paar , m mit Am = 0 ist am (r) := r Am (r) nach 3.3 eine Lösung
1
der Besselschen DG vom Index + 2 zum Eigenwert λ mit der Eigenschaft,
dass r −1/2 am (r) beschränkt ist. Nach 3.1 (a) gibt es (genau) ein k ∈ und
eine Konstante αm ∈ mit Ê
2
λ = (j +1/2,k /R) = λ|k|m ,
Wegen u = 0 ist die Menge I dieser (m, ) nicht leer. Weiter ist I endlich, weil
der Eigenwert λ nach 1.2 endliche Vielfachheit besitzt. Damit ist
u(x) = U (r, ϑ, ϕ) = Am (r) Y m (ϑ, ϕ)
(m, )∈I
αm √
= √ J +1/2 ( λ r) Y m (ϑ, ϕ) ,
(m, )∈I r
λk = (j +h,k /R)
2
mit h := n−2
2 (k ∈ Æ, ∈ Æ ) ,
0
§ 16 Die Wärmeleitungsgleichung
Vorkenntnisse. Die ersten drei Abschnitte verlangen keine besonderen Vorkennt-
nisse, abgesehen von der Fouriertransformation auf dem Schwartz–Raum, die
im Rahmen einer Plausibilitätsbetrachtung auftritt. Der Abschnitt 4 stützt sich
wesentlich auf § 14 : 6 und § 15 : 1.
1 Bezeichnungen, Problemstellungen
(a) Wir definieren den Wärmeleitungsoperator H durch
∂
H = − Δ.
∂t
Für ein Gebiet Ω ⊂ Ê n
und eine Zeitspanne T mit 0 < T ≤ ∞ setzen wir
Ê
Im Fall Ω = n besteht ∂ ΩT aus Boden und Mantelfläche des Zylinders ΩT .
Von klassischen Lösungen verlangen wir natürlicherweise Zugehörigkeit zu
( =
∂u ∂u ∂2u
C 2,1
(ΩT ) := 0
u ∈ C (ΩT ) , , ∈ C (ΩT ) .
0
∂t ∂xi ∂xi ∂xk
(∗)
∂u
∂t
− Δu = 0 in Ê n
× Ê >0 , u(x, 0) = u0 (x) für x ∈ Ê n
Dann folgt aus der Differentialgleichung und dem P ,Q–Gesetz § 12 : 3.3 (c)
∂
/(y, t) = (2π)−n/2
u e−i x , y Δu(y, t) dn y = −y2 u
/(y, t) ,
Ên
∂t
also
2 2
u /(y, 0) e−y
/(y, t) = u t
/0 (y) e−y
= u t
.
−y2 t
Der Term e läßt sich als Fouriertransformierte darstellen: Nach der Ska-
lierungsregel § 12 : 2.5 (b) gilt für t > 0
2 2
e−y t /t (y) mit Gt (x) = (2t)−n/2 e−x
= G /4t
.
2 Eigenschaften des Wärmeleitungsoperators 403
/t (y) /
/(y, t) = G
u u0 (y) = (2π)−n/2 G;
t ∗u0 (y) ,
und daher u(x, t) = (2π)−n/2 (Gt ∗ u0 )(x) wegen der Injektivität der Fourier-
transformation. Damit erhalten wir die Lösungsdarstellung
(∗∗) u(x, t) = Γ(x − y, t) u0 (y) dn y für x ∈ Ê n
, t>0
Ên
mit dem Wärmeleitungskern
In Abschnitt 3 zeigen wir, dass durch das Faltungsintegral (∗∗) unter geeig-
neten Voraussetzungen über u0 auch eine Lösung u des Cauchy–Problems (∗)
gegeben wird. Ohne Beweis sei angemerkt, dass diese für u0 ∈ S ( n) den Ê
oben gemachten Annahmen genügt. Die Eindeutigkeit der Lösung wird in 2.2
behandelt.
Ê
ist eine auf n+1
∗ Ê
:= n+1 \ {0} stetige Grundlösung für den Wärmeleitungs-
operator H gegeben, d.h. es gilt
∂
ϕ(0, 0) = − Γ(y, s) ϕ + Δϕ (y, s) dn y ds
Ê
∂t
n
(∗) H uδ ≤ − δ < 0 in ΩT ,
und uδ nimmt auf dem kompakten Zylinder ΩT −ε = Ω×[0, T −ε] das Maximum
an einer Stelle (ξ, τ ) an.
Fall 1: (ξ, τ ) ∈ ∂ ΩT , also (ξ, τ ) ∈ Ω × ]0, T − ε] . Die notwendigen Bedingungen
für lokale Maxima liefern
∂uδ = 0 für τ < T − ε , ∂ 2 uδ
(ξ, τ ) (ξ, τ ) ≤ 0,
∂t ≥ 0 für τ = T − ε , ∂xi ∂xk
Da diese Ungleichung für alle δ > 0 richtig ist, gilt sie auch für δ = 0. 2
| u(x, t) | ≤ M eax
2
für (x, t) ∈ Ê n
× [0, T [
Hu ≤ 0 in Ê n
× ]0, T [ ,
so gilt
u ≤ sup u auf
Ên ×{0}
Ê n
× ]0, T [ .
406 § 16 Die Wärmeleitungsgleichung
Beweis.
Wir fixieren (x0 , t0 ) ∈ Ê n
× [0, T [ .
(i) Im Fall 16aT < 1 setzen wir für δ > 0
2
uδ := u − δ v mit v(x, t) := (2T − t)−n/2 ex−x0 /4(2T −t)
.
Nach Aufgabe 2.1 (d) gilt Hv = 0, also Huδ ≤ 0 in n × ]0, T [ . Das Maxi- Ê
mumprinzip (a), angewandt auf uδ und den Zylinder ΩT := Kr (x0 ) × ]0, T [
liefert
uδ (x0 , t0 ) ≤ sup u ,
Ên ×{0}
und damit
u(x0 , t0 ) = uδ (x0 , t0 ) + δ v(x0 , t0 ) ≤ sup u + δ (2T )−n/2 .
Ên ×{0}
Da diese Ungleichung für jedes δ > 0 gilt, besteht sie auch für δ = 0.
(ii) Im Fall 16aT ≥ 1 unterteilen wir das Intervall [0, T [ in Teilintervalle der
Länge T < 1/16a und wenden (i) mehrfach an. 2
3 Das Anfangswertproblem 407
Hu ≤ 0 in ΩT ,
und nimmt u das Maximum an einer Stelle (x0 , t0 ) ∈ ΩT an, so ist u konstant
in Ω × ]0, t0 ].
Für den Beweis siehe Protter–Weinberger [52] 3.3, Thm. 4, Friedman [78]
2.2.
3 Das Anfangswertproblem
3.1 Das AWP für die homogene Wärmeleitungsgleichung
Im folgenden bezeichne Γ den Wärmeleitungskern, vgl. 2.1.
| u0 (x) | ≤ M eax
2
für x ∈ Ê n
Hu = 0 in Ê n
× ]0, T [ , u(x, 0) = u0 (x) für x ∈ Ê n
Diese Integraldarstellung der Lösung wurde für n = 1 von Fourier 1811 for-
muliert und 1815 von Poisson bewiesen.
(iii) Das Anfangswertproblem besitzt selbst dann noch eine C∞ –Lösung u für
t > 0, wenn die Anfangswerte u0 nur lokal integrierbar sind, also unstetig sein
können. Die stetige Annahme der Anfangswerte durch die Lösung erfolgt in
diesem Fall im Sinne der L1loc –Konvergenz,
lim
t→0+
| u(x, t) − u0 (x) | dn x = 0 für jedes kompakte K ⊂ Ên
,
K
Beweis.
(1) Die eindeutige Bestimmtheit der Lösung folgt aus dem Eindeutigkeitssatz
2.2 (a).
(2) Die durch das Integral dargestellte Funktion ist in n × ]0, T [ stetig. Ê
Hierzu reicht es nach dem Satz über die Stetigkeit von Parameterintegralen
(Bd. 1, § 23 : 5.1 bzw. § 8 : 1.4), zu jedem kompakten Quader K ⊂ n × ]0, T [ Ê
eine integrierbare Majorante für den Integranden anzugeben.
Für (x, t) ∈ K und y ∈ Ê n
gilt nach Voraussetzung
Γ(x − y, t) u0 (y) = (4πt)−n/2 e−x−y2 /4t |u0 (y)|
2
/4t ay2
≤ M (4πt)−n/2 e−x−y e .
Quadratische Ergänzung des Exponenten ergibt ÜA
x − y 2
α x 2 a
− + ay2 = − y − + x2
4t 4tα α
a
= − η2 + x2
α
mit
α x
α := 1 − 4at > 1 − 4aT > 0 , η := y− .
4t α
Somit folgt durch Substitution y → η unter Beachtung von
2 +∞
2
e−η dn y =
n
e−s ds = π n/2
Ên −∞
Zum Nachweis reicht es nach dem Satz über die Differenzierbarkeit von Para-
meterintegralen (Bd. 1, § 23 : 5.2), für jeden kompakten Quader K ⊂ n × ]0, T [ Ê
und jede partielle Ableitung des Integranden nach x1 , . . . , xn , t eine integrier-
bare Majorante anzugeben. Dies ist möglich, weil bei jeder Ableitung der Inte-
grand ein Polynom in 1/t als Faktor erhält. Dieses Polynom ist beschränkt für
Ê
(x, t) ∈ K, weil der Quader K zu n × {0} = {t = 0} einen positiven Abstand
hat.
Ê
Da (x, t) → Γ(x−y, t) nach 2.1 (c) für jedes y ∈ n und für t > 0 die homogene
Wärmeleitungsgleichung löst, gilt dies auch für u.
(4) u ist auch auf Ê n
× [0, T [ stetig. Hierzu ist nach (2) noch zu zeigen, dass
lim
(x,t)→(x0 ,0)
u(x, t) = u0 (x0 ) für jedes x0 ∈ Ê n
.
≤ 2y − x2 + 2δ 2 ,
u0 (y) − u0 (x0 ) ≤ εe2by−x2 +2bδ2 = 2εe2by−x2 .
Ên
2
/4t 2by−x2
≤ 2ε (4πt)−n/2 e−y−x e dn y
Ê n
Hilfssatz. Zu x0 ∈ Ê n
und ε > 0 gibt es ein b > 0 mit
u0 (y) − u0 (x0 ) ≤ ε eb y−x0 2 für alle y ∈ Ê n
.
Beweis.
Zu ε > 0, x0 ∈ Ê
n
wählen wir ein δ > 0 mit
u0 (y) − u0 (x0 ) < ε für y − x0 < δ .
u0 ∈ C0 =⇒ ut ∈ C∞ (t > 0)
u0 ∈ L1loc =⇒ ut ∈ C∞ (t > 0)
kann als Ausdruck der Tatsache angesehen werden, dass die Wärmeleitungsglei-
chung einen Ausgleichsvorgang beschreibt. Dieses Verhalten hat auch zur Folge,
dass das Rückwärtsproblem
Hu = 0 in Ê n
× ]T, 0[ , u(x, 0) = u0 (x) für x ∈ Ên
, (T < 0)
Aus der Lösungsformel ergibt sich folgende Paradoxie: Ist für t = 0 nur ein
kleines Raumgebiet erwärmt (z.B. u0 ein Standardbuckel mit kleinem Träger),
so ist für jedes noch so kleine t > 0 die Temperatur ut im ganzen Raum positiv.
Dies bedeutet unendliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wärme und zeigt,
dass die Wärmeleitungsgleichung die reale Situation nur näherungsweise be-
schreibt.
| u0 (x) | ≤ M e ax
2
für x ∈ Ê n
mit Konstanten M, a ≥ 0, so bestehen für die Lösung des AWP die Abschätzun-
gen
∂u ∂2u c1 (r)
| u(x, t) | ≤ c0 (r) , (x, t) , (x, t) ≤ √
∂t ∂xi ∂xk t
für (x, t) ∈ Kr (0) × ]0, T [ , r > 0 und T ≤ 1/16a.
Das sich in der Abschätzung von t → ∂u/∂t(x, t) zeigende Verhalten der Lösung
ist ein Indiz dafür, dass diese an der Stelle t = 0 bezüglich t nicht differenzierbar
zu sein braucht.
Beweis.
(1) Aus der letzten Zeile des Beweisteils (2) von 3.1 entnehmen wir für x ≤ r,
t ≤ 1/16a wegen 1 − 4at ≥ 3/4 die Abschätzung
n/2
4 2
| u(x, t) | ≤ M ear /α
.
3
(2) Nach Beweisteil (3) von 3.1 ist das Parameterintegral Γ(x − y, t) dn y
Ên
für t > 0 differenzierbar, also folgt aus Γ(x − y, t) dn y = 1 die Identität
Ên
∂ ∂
Γ(x − y, t) dn y = Γ(x − y, t) dn y = 0 .
∂t ∂t
Ên Ên
Die Ableitung des Wärmeleitungskerns ist für t > 0
∂Γ n x − y2
(x − y, t) = − + Γ(x − y, t) .
∂t 2t 4t2
412 § 16 Die Wärmeleitungsgleichung
Mit der Lösungsdarstellung 3.1 folgt für x ∈ Kr (0), 0 < t < T < 1/16a
∂
∂
u(x, t) = Γ(x − y, t) u0 (y) − u0 (x) dn y
Ên
∂t ∂t
n x−y2
≤ + 2
u0 (y) − u0 (x) dn y
Ên
2t 4t
= ... + ... =: I1 + I2 .
Kr (x) Ên \Kr (x)
Wegen u0 ∈ C1 ( Ê ) gilt mit einer auf K
n
2r (0) bezogenen Lipschitzkonstanten
a(r)
u0 (y) − u0 (x) ≤ a(r)y − x
für y ∈ Kr (x) ⊂ K2r (0) .
√
√ die Substitution y → η := (y − x)/ 4t ergibt sich daraus mit R :=
Durch
r/ 4t (vgl. Beweisteil (2) in 3.1)
n η2 √ 2
I1 ≤ (4πt) −n/2
(4t) n/2
a(r) + 4tηe−η dn η
2t t
η <R
2π −n/2 a(r) n 2 c11 (r)
≤ √ + η2 ηe−η dn η =: √ .
t 2 t
Ên
Für y ∈ Ê n
\ Kr (x) ergibt sich analog zum Beweis des Hilfssatzes in 3.1
u0 (y) − u0 (x) ≤ b(r) e2a y−x2
√
und durch die gleiche Substitution y → η wie oben mit R = r/ 4t
η 2 2 2
I2 ≤ π −n/2 b(r) n
2t
+ t
e8at η e−η dn η .
η ≥R
√
Für η ≥ R = r/ 4t gilt die Abschätzung
1 1 1 2η
= √ √ ≤ √ .
t t t r t
Wir erhalten unter Beachtung von 1 − 8at > 1 − 8aT > 1/2
2π −n/2 b(r)
n 2
I2 ≤ √
r t
η 2
+ η2 e−(1−8at)η dn η
η ≥R
2π −n/2 b(r)
n 1 2
≤ √ η + η2 e− 2 η dn η =: c12 (r)
√ .
Ên
r t 2 t
(3) Die Abschätzung für ∂ 2 u/∂xi ∂xk verläuft ganz analog zu (2). 2
3 Das Anfangswertproblem 413
(∗) Hu = f in Ê n
× ]0, T [ , u = 0 auf Ê n
× {0}
mit gegebener rechter Seite f . Durch Addition einer Lösung von (∗) und der
durch 3.1 gelieferten Lösung des Problems Hu = 0, u(x, 0) = u0 (x) erhalten
wir die Lösung des allgemeinen Anfangswertproblem 1 (b) (i).
Satz. Genügt f ∈ C0 ( Ê n
× [0, T [) ∩ C1 ( Ê n
× ]0, T [) der Wachstumsbedingung
2
| f (x, t) | ≤ M e ax
Beweis.
Die Eindeutigkeit der Lösung ergibt sich nach 2.2 (b).
Wir betrachten die Schar von AWP mit Scharparameter s ∈ ]0, T [:
Hus = 0 in Ê n
× ]s, T [ , us (x, s) = f (x, s) für x ∈ Ê n
.
Die Anfangswerte werden hier also auf der Hyperebene {t = s} und nicht wie
bisher auf {t = 0} vorgegeben.
Nach Ausführung der Zeittranslationen t → t − s erhalten wir mit der Lö-
sungsdarstellung aus 3.1
us (x, t) = Γ(x − y, t − s)f (y, s) dn y .
Ên
Wir zeigen, dass u : Ê n
× [0, T [ → Ê mit
t t
u(x, t) := us (x, t) ds = Γ(x − y, t − s)f (y, s) dn y ds
0 0 Ên
∂ t ∂ t
u(x, t) = us (x, t) s=t + us (x, t) ds = f (x, t) + Δus (x, t) ds.
∂t 0
∂t 0
Aufgrund der Abschätzungen in 3.2 können wir den Satz über Parameterinte-
grale anwenden und erhalten
∂ t
u(x, t) = f (x, t) + Δ us (x, t) ds = f (x, t) + Δu(x, t) . 2
∂t 0
4 Das Anfangs–Randwertproblem
4.1 Lösungsansatz durch Raum– und Zeitseparation
Wir betrachten das ARWP auf einem beschränkten Gebiet Ω ⊂ Ê n
für T > 0:
⎧
⎨ Hu = f in ΩT = Ω × ]0, T [ ,
(∗) u = 0 auf ∂Ω × [0, T [ ,
⎩
u(x, 0) = u0 (x) für x ∈ Ω
Für den Fall nicht verschwindender Randwerte und für das Neumannsche Rand-
wertproblem verweisen wir auf Daurey–Lions [4] Ch. 18, § 4.2, Ladyzhens-
kaya–Solonnikov–Uraltseva [83] Ch. III, Wloka [72] § 26.
Zur Konstruktion einer Lösung mit der Separationsnsmethode nach dem Vor-
bild § 6 : 4 verwenden wir den Entwicklungssatz in § 15 : 1.2, nach welchem das
Eigenwertproblem
−Δu = λv in Ω , v = 0 auf ∂Ω
4 Das Anfangs–Randwertproblem 415
∞
und jede Funktion u ∈ L2 (Ω) durch ihre Fourierreihe vi , u H vi dargestellt
i=1
werden kann.
Die Eigenwertgleichung − Δvi = λi vi lautet in schwacher Form
insbesondere gilt
(b) vi , vk V = λi δik .
∞
(c) u(x, t) = ai (t) vi (x)
i=1
∂u ∞
(x, t) = ȧi (t) vi (x) ,
∂t i=1
∞
∞
Δu(x, t) = ai (t) Δvi (x) = − λi ai (t) vi (x) .
i=1 i=1
Weiter verwenden wir die Fourierentwicklungen von u0 und der mit f (t) be-
zeichneten Funktion x → f (x, t)
∞
∞
u0 (x) = vi , u0 H vi (x) , f (x, t) = vi , f (t) H vi (x) .
i=1 i=1
∞
∞
ai (0)vi (x) = u(x, 0) = u0 (x) = vi , u0 H vi (x) ,
i=1 i=1
416 § 16 Die Wärmeleitungsgleichung
t
(d) ai (t) = vi , u0 H e−λi t + vi , f (s) H e−λi (t−s) ds (i = 1, 2, . . .) .
0
∞
Die Frage ist nun, in welchem Sinne die Reihe u(x, t) = ai (t) vi (x) mit den
i=1
durch (d) bestimmten Koeffizienten ai (t) konvergiert, und in welchem Sinne die
so definierte Funktion u das ARWP löst.
Eine erste Antwort liefert der Existenzsatz 4.5, nach welchem u unter den Vor-
aussetzungen u0 ∈ L2 (Ω), f ∈ L2 (ΩT ) eine schwache Lösung in einem noch
zu präzisierenden Sinn ist. In 4.6 wird gezeigt, dass u eine klassische Lösung
ist, falls die Daten u0 , f genügend glatt sind und ihre Ableitungen
geeignete
Randbedingungen erfüllen. Hierzu sind für die Reihe u(x, t) = ai (t) vi (x)
und ihre gliedweisen Ableitungen geeignete Majoranten aufzustellen. Diese er-
geben sich aus den Abklingbedingungen § 15 : 1.4 für die Fourierkoeffizienten
vi , u0 H und vi , f (t) H ,
wobei H typischerweise einer der Hilberträume L2 (Ω), W01 (Ω), W01 (Ω) ∩ W2 (Ω)
ist. Der Übersichtlichkeit halber abstrahieren wir zunächst von diesen Beispielen
und betrachten H als separablen Hilbertraum mit Skalarprodukt , H . Die
Zeitentwicklungen u : I → H fassen wir als Kurven in H auf.
Satz 1. Für jedes kompakte Intervall I ist der Raum C0 (I, H ) aller stetigen
Kurven u : I → H ein Banachraum mit der Norm
uC0 (I,H ) := max u(t)H t ∈ I .
4 Das Anfangs–Randwertproblem 417
Dies ergibt sich wie im Vollständigkeitsbeweis Bd. 1, § 21 : 5.4 für C0 (I, Ê).
(c) Eine Kurve u : I → H auf einem offenen Intervall J heißt schwach
messbar, wenn alle Funktionen t → v , u(t) H mit v ∈ H messbar sind, vgl.
§ 8 : 1.4 (b). Daraus folgt mit der Parsevalschen Gleichung § 9 : 4.4 die Messbar-
keit von t → u(t)2H und von t → u(t) , v(t) H für je zwei schwach messbare
Kurven u, v : J → H .
Der Raum L2 (J, H ) ist definiert als die Gesamtheit aller schwach messbaren
Funktionen u : J → mit Ê
uL2 (J,H ) := u(t)2H dt < ∞ ,
J
wobei alle Kurven u, v mit u(t) − v(t)2H dt = 0 zu identifizieren sind, vgl.
J
§ 8 : 2.1.
(d) Eine Kurve u ∈ L2 (J, H ) auf einem offenen Intervall J heißt schwach
differenzierbar mit schwacher Ableitung w = u̇ ∈ L2 (J, H ), wenn für jedes
v ∈ H die Funktion t → v , u(t) H schwach differenzierbar ist, d.h.
v , w(t) H ϕ(t) dt = − v , u(t) H ϕ̇(t) dt
J J
t
v , u(t) H − v , u(t0 ) H = v , w(s) H ds für t0 , t ∈ J .
t0
(e) Für k = 1, 2, . . . ist der Sobolew–Raum Wk (J, H ) definiert als die Menge
aller u ∈ L2 (J, H ), die schwachen Ableitungen dj u/dtj ∈ L2 (J, H ) für j ≤ k
besitzen. Auf diesem definieren wir eine Norm durch
k j
d u 2
u2Wk (J,H ) := j 2 .
dt L (J,H )
j=0
T T
wobei die Integrale u(t)2V dt und u̇(t)2H dt wegen der Isomorphie
0 0
L2 (ΩT ) ∼
= L2 (]0, T [ , H) konvergieren. (Bezeichnungen wie in 4.1.)
Sei v1 , v2 , . . . ein vollständiges ONS von Eigenfunktionen des Dirichletschen Ei-
genwertproblems für H = L2 (Ω) (§ 15 : 1.2), und λ1 , λ2 , . . . seien die zugehöri-
gen Eigenwerte.
Für Funktionen ϕ : Ω → Ê, ψ : J → Ê setzen wir
(ϕ ⊗ ψ)(x, t) := ϕ(x) ψ(t) für x ∈ Ω, t ∈ J.
Satz. (a) Für u ∈ W01 (ΩT ) sind die Fourierkoeffizienten ak (t) := u(t) , vk H
absolutstetig auf J = ]0, T [. Ferner besitzen diese die schwachen Ableitungen
ȧk (t) = u̇(t) , vk H und lassen sich stetig auf I = [0, T ] fortsetzen. Es gilt
t
ak (t) = ak (0) + u̇(s) , vk H ds für t ∈ I und k ∈ ,
0
4 Das Anfangs–Randwertproblem 419
∞ ∞
T
u(t)2V = λk ak (t)2 , u2T = λk ak (t)2 + ȧk (t)2 dt .
k=1 k=1 0
Beweis.
(a) Für u ∈ W01 (ΩT ) gilt u, ∂u/∂t ∈ L2 (ΩT ) ∼
= L2 (I, H) und
∂Φ n ∂u
u d x dt = − Φ dn x dt
∂t ∂t
ΩT ΩT
für alle Φ ∈ C∞
c (ΩT ), insbesondere für Φ = ϕ⊗ψ mit ϕ ∈ C∞ ∞
c (Ω), ψ ∈ Cc (J)
T T
u(t) , ϕ H ψ̇(t) dt = − u̇(t) , ϕ H ψ(t) dt
0 0
wegen L2 (I, H) ∼
= L2 (ΩT ). Da C∞
c (Ω) dicht in H liegt, folgt
T T
(2) u(t) , v H ψ̇(t) dt = − u̇(t) , v H ψ(t) dt
0 0
für v ∈ V und alle ψ ∈ C∞ c (J). Nach § 14 : 6.4 (c) bedeutet das insbesondere,
dass ak (t) = u(t) , vk H absolutstetig ist und die schwache Ableitung ȧk (t) =
u̇(t) , vk H besitzt, d.h. es gilt
t
ak (t) − ak (t0 ) = ȧk (s) ds
t0
für t0 , t ∈ J. Wegen ȧk ∈ L2 (I) ⊂ L1 (I) existieren die Grenzwerte von ak (t)
für t → 0 und t → T , also gilt sogar
t
(3) ak (t) − ak (0) = ȧk (s) ds für 0 ≤ t ≤ T .
0
√
Nach § 15 : 1.3 bilden die wk := vk / λk ein vollständiges ONS für V . Unter
Berücksichtigung von u(t) , vk V = λk u(t) , vk H ergibt die Parsevalsche Glei-
chung daher
∞
∞
∞
u(t)2V = u(t) , wk 2
V = λk u(t) , vk 2
H = λk ak (t)2 .
k=1 k=1 k=1
somit folgt die letzte Behauptung in (a) nach Definition von uT mit Hilfe des
Satzes von Beppo Levi.
(b) Zum Nachweis beachten wir, dass nach § 9 : 2.5 (b) ein Teilraum und sein
Abschluss dasselbe orthogonale Komplement besitzen.
Zu zeigen ist also:
u, ϕ ⊗ ψ T = 0 für alle ϕ ⊗ ψ ∈ U =⇒ u = 0.
für ∈ . Wegen der Vollständigkeit des ONS ψ1 , ψ2 , . . . in L2 (J) (§ 9 : 4.5
oder § 15 : 1.2) ergibt sich daraus ak = 0 f.ü., also sogar ak (t) = 0 für alle
t ∈ I, da die ak nach (a) stetig sind. Nach (a) folgt u = 0. 2
Dass diese Bedingungen dem Problem angepasst sind, wird anschließend und in
den Beweisteilen (2),(3) des Existenz– und Eindeutigkeitssatzes 4.5 deutlich.
4 Das Anfangs–Randwertproblem 421
Für den Beweis des Existenz– und Eindeutigkeitssatzes benötigen wir äqui-
valente Varianten der schwach formulierten Wärmeleitungsgleichung:
Nach Definition in § 13 : 1.2 lautet diese in der schwachen Form
(I) u H ∗ Φ dn x dt = f Φ dn x dt für alle Φ ∈ C∞
c (ΩT ) ;
ΩT ΩT
T
− u ΔΦ dn x dt = − u ΔΦ dn x dt
ΩT 0 Ω
(1)
T T
= ∇u , ∇Φ dn x dt = u(t) , Φ(t) V dt .
0 Ω 0
T
(2) − u(t) , ϕ H ψ̇(t) + u(t) , ϕ V ψ(t) − f (t) , ϕ H ψ(t) dt = 0 .
0
d
(II) u(t) , ϕ H + u(t) , ϕ V = f (t) , ϕ H
dt
t t
(III) u(t) , ϕ H − u0 , ϕ H + u(s) , ϕ V ds = f (s) , ϕ H ds
0 0
t
ai (t) = αi e−λi t + βi (s) e−λi (t−s) ds (i = 1, 2, . . . )
0
2 t 2
ai (t)2 ≤ 2 αi e−λi t + 2 βi (s) e−λi (t−s) ds
0
t t
≤ 2α2i e−2λi t + 2 βi (s)2 ds · e−2λi (t−σ) dσ
0 0
T 1 − e−2λi t
≤ 2α2i e−2λi t + 2 βi (s)2 ds .
0
2λi
T 1 − e−2λi T T T
αi (t)2 dt ≤ 2α2i + βi (s)2 ds
0
2λi λi 0
1 2 T
≤ αi + T βi (s)2 ds .
λi 0
∞
∞ ∞
1 T
1
(a) ai (t)2 ≤ 2 α2i + βi (s)2 ds = 2u0 2H + f 2L2 (I,H) ,
i=1 i=1 λ1 i=1 0 λ1
∞ T
∞ ∞
T
(b) λi ai (t)2 dt ≤ α2i + T βi (s)2 ds = u0 2H + T f 2L2 (I,H) .
i=1 0 i=1 i=1 0
424 § 16 Die Wärmeleitungsgleichung
∞
(3) Konvergenz der Reihe ai vi in C0 (I, H) und L2 (J, V ).
i=1
k
(i) Die Partialsummen uk := ai vi bilden eine Cauchy–Folge in C0 (I, H),
i=1
denn nach der Abschätzung (2) (a) und dem Konvergenzkriterium von Cauchy
gibt es zu gegebenem ε > 0 ein nε , so dass für > k ≥ nε
u (t) − uk (t)2H = ai (t)vi H =
2
ai (t)2 ≤ ε2
i=k+1 i=k+1
T
= λi ai (t)2 dt ≤ ε2 .
i=k+1 0
in schwacher Form (und fast überall). Äquivalent hierzu ist nach den in 4.4
gemachten Schlüssen
t t
ai (t) − ai (0) + λi ai (s) ds = vi , f (s) H ds .
0 0
im Sinne von
t t
vi , uk (t) H − vi , uk (0) H + vi , uk (s) V ds = vi , fk (s) H ds .
0 0
folgt
uk (s) , u̇k (s) H + uk (s) , uk (s) V = uk (s) , fk (s) H ;
k
dabei ist uk (s) , uk (s) H = ai (s)2 absolutstetig und damit Integral seiner
i=1
k
Ableitung 2ai (s)ȧi (s) = 2 uk (s) , u̇k (s) H. Somit gilt
i=1
1 1 t t
uk (t)2H − uk (0)2H + uk (s)2V ds = uk (s) , fk (s) H .
2 2 0 0
Satz. Sei Ω ⊂ Ê n
ein beschränktes, C∞ –berandetes Gebiet. Weiter sei u die
k
schwache Lösung des homogenen ARWP (∗) und uk := ai vi seien die zu-
i=1
gehörigen Partialsummen. Dann gilt:
(a) Für u0 ∈ L2 (Ω) ist u ∈ C∞ (Ω × ]0, ∞[), und es gilt
uk → u in Cs (Ω × [τ, T ]) für k → ∞
uk → u in C0 (Ω × [0, T ]) für k → ∞
Beweis.
Nach 4.5 gilt ai (t) = αi e−λi t mit αi = vi , u0 H.
(a) Es sei 0 < τ < T , j, r = 0, 1, . . . und j ≤ r. Für die j–te Ableitung
αi (t) = αi (−λi )j e−λi t von ai (t) gilt
(j)
∞ T (j)
∞
e−2λi τ − e−2λi T
λri αi (t)2 dt = λr+2j
i α2i
i=1 τ i=1 2λi
1
∞
≤ 2 λr+2j−1
i α2i e−2λi τ .
i=1
n/2
Aufgrund des asymptotischen Verteilungsgesetzes § 15 : 2.4 λk /k → const für
k → ∞ ist (λsk e−2λk τ )k∈ für jedes s ∈ Ê
eine Nullfolge und ist deshalb durch
eine Schranke c = c(s, τ ) > 0 beschränkt. Hiermit folgt weiter
∞ T (j) c ∞
c
λri (αi )2 (t) dt ≤ α2i = u0 2H .
i=1 τ
2 i=1 2
Wie in 4.5, Beweisteil (3) ergibt sich mit dieser Majorante die Konvergenz der
Partialsummen dj uk /dtj für k → ∞ im Hilbertraum L2 (]τ, T [ , D(Ar/2 ))
gegen ein Element wj .
4 Das Anfangs–Randwertproblem 427
Diese Konvergenz besteht auch in L2 (]τ, T [ , Wr (Ω)), weil nach dem Äquiva-
lenzsatz in § 15 : 1.4 (d) die Norm Ar/2 äquivalent zu der Wr –Norm r ist.
Weiter ist wj die schwache Ableitung dj u/dtj ÜA für j = 0, 1, . . . , r. Damit
gilt
uk → u in Wr (]τ, T [ , Wr (Ω)) für k → ∞ .
Nach Satz 3 (i) in 4.2 (e) und dem Einbettungssatz von Morrey § 14 : 6.4 (d)
existieren für r > s + (n + 1)/2 die stetigen Einbettungen
für jedes t ≥ 0. Wie in 4.5, Beweisteil (3) ergibt sich mit dieser Majoran-
te die Konvergenz der Partialsummen uk → u für k → ∞ im Banachraum
C0 ([0, T ], D(Ap/2 )) für jedes T > 0.
Diese Konvergenz besteht auch in C0 ([0, T ], Wp (Ω)) wegen der Äquivalenz der
Normen · Ap/2 und · p . Für p > n/2 existieren nach dem Morreyschen
Einbettungssatz § 14 : 6.4 (d) und nach 4.2 (a) die stetigen Einbettungen
somit folgt
uk → u in C0 (Ω × [0, T ]) für k → ∞
und jedes T > 0. 2
Ê
Satz. Sei Ω ⊂ n ein beschränktes Cp –berandetes Gebiet, und u0 ∈ Cp (Ω)
erfülle u0 = Δu0 = . . . = Δq u0 = 0 auf ∂Ω mit q := [(p − 1)/2]. Unter der
Bedingung (p − 1)/3 > s + (n + 1)/2 gilt dann u ∈ Cs (Ω × + ) und Ê
uk → u in Cs (Ω × [0, T ]) für k → ∞ und jedes T > 0 .
Der Beweis des Satzes ergibt sich mit ähnlichen Argumenten wie im vorange-
henden Beweis.
428 § 16 Die Wärmeleitungsgleichung
Sind beide Probleme lösbar, so liefert u = v + w eine und nach 2.2 die eindeutig
bestimmte Lösung von (∗).
(b) Es gilt dann lim u(t) − wH = 0 , d.h. für t → ∞ geht die Lösung von (1)
t→∞
über in die Lösung des stationären Wärmeleitungsproblems (3), vgl. § 6 : 5.1.
Denn für die Fourierkoeffizienten ai (t) = vi , v(t) H gilt nach den Abschät-
zungen im Beweisteil (2) zu 4.5
ai (t)2 ≤ 2α2i e−2λi t mit αi = vi , u0 H (i = 1, 2, . . .),
∞
somit für v = ai vi
i=1
∞
∞
u(t) − w2H = v(t)2H ≤ 2 α2i e−2λi t ≤ 2 e−2λ1 t α2i = 2e−2λ1 t u0 2H .
i=1 i=1
Aufgabe. Denken Sie sich ein Ei als eine homogene Kugel vom Radius π cm.
Es wird mit einer Anfangstemperatur von 20o C in einem Topf mit siedendem
Wasser (100o C) gelegt. Wie lange dauert es, bis der Mittelpunkt eine Tempera-
tur von 50o C erreicht?
Setzen Sie in der Wärmeleitungsgleichung ∂u/∂t = k Δu eine Wärmeleitfähig-
keit von k = 6 · 10−3 cm2 /s voraus.
Hinweis. Verwenden Sie den ersten Term in der Reihendarstellung:
∞
u(0, t) = vi , u0 H e−λi k t vi (0) ≈ v1 , u0 H e−λ1 k t v1 (0) ,
i=1
wobei gemäß § 15 : 3.6 und § 4 : 4.7 (c) v1 = u100 und λ1 = λ100 = (j1/2,1 /π)2 =
1 s−1 ist.
(Diese Aufgabe Eier Fourier“ ist dem Buch Strauss [53] p. 283 entnommen.)
”
429
§ 17 Die Wellengleichung
Vorkenntnisse: Die ersten drei Abschnitte verlangen keine besonderen Vorkennt-
nisse. Abschnitt 4 stützt sich im Wesentlichen auf § 14 : 6 (Sobolew–Räume),
§ 15 : 1 und § 16 : 4 (Funktionenräume für Evolutionsgleichungen).
1 Bezeichnungen, Problemstellungen
(a) Der Operator der Wellenausbreitung
¡ =
∂2
∂t2
− c2 Δ (c > 0 eine Konstante).
K± (x0 , t0 ) = K±
n+1
(x0 , t0 )
:= (x, t) ∈ Ê n+1
| x − x0 < c |t − tf 0|, t ≷ t0 ,
C± (x0 , t0 ) = C±
n+1
(x0 , t0 )
:= (x, t) ∈ Ê n+1
| x − x0 = c |t − t0 |, t ≷ t0 .
¡u = f in Ê n
× ]0, T [ ,
u(x, 0) = u0 (x), ∂u
∂t
(x, 0) = u1 (x) für x ∈ Ê n
¡u = f in ΩT ,
u = g auf ∂Ω × ]0, T [ ,
u(x, 0) = u0 (x) , ∂u
∂t
(x, 0) = u1 (x) für x ∈ Ω
∂2
− L,
∂t2
gesetzt.
n
2
νn+1 − c2 νi2 ≤ 0
i=1
gilt, siehe die Figur auf der nächsten Seite. Beispiele für raumartige Gebiete
sind:
(i) Raum–Zeit–Zylinder Ω × Ê mit einem Normalgebiet Ω ⊂ Ê , n
wobei U(t) := {x ∈ Ê n
| (x, t) ∈ U}. Im Fall U = Ω × Ê schreiben wir EΩ (t)
statt EU (t).
Energiegleichung. Sei σ < τ und U(t) = ∅ für alle t ∈ ]σ, τ [ . Dann gilt
∂u n
E(τ ) = E(σ) − v , ν do + f d x dt ;
∂t
τU
∂σ Uτ
σ
Beweis.
Es besteht die Identität
∂u ∂2u ∂u
f = − c2 Δu
∂t ∂t2 ∂t
2 0 1
1 ∂ ∂u ∂u ∂u
= − c2 div ∇u + c2 ∇ , ∇u
2 ∂t ∂t ∂t ∂t
2
1 ∂ ∂u ∂u 1 2 ∂
= − c2 div ∇u + c ∇u2
2 ∂t ∂t ∂t 2 ∂t
n+1
= ∂i vi = div v .
i=1
432 § 17 Die Wellengleichung
Ê
(c) Energieerhaltungssatz. Sei Ω ⊂ n ein Normalgebiet, T > 0, ν das
äußere Einheitsnormalenfeld von ΩT und u ∈ C1 (ΩT ∪ ∂ ΩT ) ∩ C2 (ΩT ) eine
Lösung der homogenen Wellengleichung u = 0 in ΩT mit
u = 0 oder ∂ ν u = 0 auf ∂Ω × ]0, T [ .
Beweis.
Für das äußere Einheitsnormalenfeld ν = (ν1 , . . . , νn+1 ) von Ω × ]0, T [ gilt
νn+1 = 0 auf ∂Ω × ]0, T [ , also folgt mit den eben verwendeten Bezeichnungen
∂u ∂u
n
∂u
v, ν = − c2 νi = − c2 ∂ν u = 0 auf ∂Ω × ]0, T [
∂t ∂xi ∂t
i=1
Wie sich charakteristische Flächen allgemein erzeugen lassen, zeigt die ÜA am
Ende dieses Abschnitts für den Spezialfall n = 2.
Ê
Monotonie der Energie. Sei Ω ⊂ n ein Gebiet, u ∈ C1 (Ω×[0, T [)∩C2 (ΩT )
eine Lösung der homogenen Wellengleichung in ΩT , U ⊂ n+1 ein raumartiges Ê
Gebiet mit charakteristischer Randfläche ∂U und äußerem Einheitsnormalen-
feld ν = (ν1 , . . . , νn+1 ). Dann gilt für alle σ < τ mit U τσ ⊂ Ω × [0, T [
EU (σ) EU (τ ) , falls νn+1 0 .
Beweis. Auf der charakteristischen Hyperfläche ∂στ U gilt |νn+1 | = c ν mit
ν := (ν1 , . . . , νn ). Im Fall νn+1 > 0 folgt mit der Cauchy–Schwarzschen Un-
gleichung
n
v, ν = vi νi + vn+1 νn+1
i=1
n
2
= − c2 ∂u
∂t
∂u
∂xi
νi + 1
2
∂
∂t
u + c2 ∇u2 νn+1
i=1
∂u 2
= − c2 ∂u
∂t
∇u , ν + 1
2 ∂t
+ c2 ∇u2 νn+1
≥ − c2 ∂u
∂t
∇u ν + 1
2
∂u 2
∂t
+ c2 ∇u2 νn+1
= − c ∂u ∇u νn+1 + 2
∂t
1
2
∂u
∂t
+ c2 ∇u2 νn+1 ≥ 0 ,
434 § 17 Die Wellengleichung
Im Fall νn+1 ≤ 0 schließen wir analog oder wenden auf die eben abgeleitete
Ungleichung die Zeitspiegelung t → −t an ÜA . 2
ÜA Ist s → ϕ(s) = (ϕ1 (s), ϕ2 (s)) eine ebene, durch die Bogenlänge parame-
trisierte C2 –Kurve mit dem Normalenfeld N(s) = (ϕ̇2 (s), −ϕ̇1 (s)), so sind die
Ê
Flächen M± ⊂ 3 , parametrisiert durch
⎛ ⎞ ⎛ ⎞
ϕ1 (s) N1 (s)
(s, t) → Φ± (s, t) = ⎝ϕ2 (s)⎠ ± ct ⎝N2 (s)⎠ ,
t 0
Beweis.
Wir setzen U = K− (x0 , t0 ) (vgl. 1 (a)) und verwenden die Bezeichnung U(t) :=
Ê
{x ∈ n | (x, t) ∈ U} von 2.2. Der Kegel U hat − von der Kegelspitze (x0 , t0 )
abgesehen − als Rand die charakteristische Hyperfläche C− (x0 , t0 ); und für
das äußere Einheitsnormalenfeld ν gilt νn+1 = (1 + c−2 )−1/2 > 0. Daher ist
EU (τ ) ≤ EU (0) für jedes τ ∈ ]0, t0 [ nach dem Monotoniesatz in 2.2.
Nach Voraussetzung gilt u = ∂u/∂t = 0 auf U(0) = Kct0 (x0 ) × {0}, woraus
∇u = 0 und damit EU (0) = 0 folgt.
Aus EU (τ ) = 0 schließen wir ∂u/∂t = 0 auf U(τ ) für jedes
7 τ ∈ ]0, t0 [ und
erhalten ∂u/∂t = 0 im ganzen Kegelstück U ∩ {t > 0} = U(τ ). Zusam-
0<τ <t0
men mit u = 0 auf U(0) folgt hieraus durch Integration längs zur t–Achse
parallelen Segmenten in U ∩ {t ≥ 0} dann
u = 0 in U ∩ {t ≥ 0} = K− (x0 , t0 ) ∩ {t ≥ 0}. 2
(b) Aus dem Satz von Zaremba können wir folgern, dass sich Signale mit end-
licher Geschwindigkeit ausbreiten. Unter einem zur Zeit t = 0 an der Stelle
y0 ∈ Ω ausgesandten Signal verstehen wir dabei Anfangswerte u0 , u1 mit nahe
um y0 konzentrierten Trägern,
Die Bedingung Kct0 (x0 ) ⊂ Ω im Satz von Zaremba begrenzt die Anwendbarkeit
auf kleine Zeiten t0 . Für große t0 gilt folgende Erweiterung:
Ê
Satz. Seien Ω ⊂ n ein beschränktes Gebiet, u ∈ C1 (ΩT ∪ ∂ ΩT ) ∩ C2 (ΩT )
eine Lösung der homogenen Wellengleichung in ΩT und (x0 , t0 ) ∈ ΩT . Ist
U := ΩT ∩ K− (x0 , t0 ) ein Normalgebiet und gilt
∂u
u = 0 und = 0 auf (Ω ∩ Kct0 (x0 )) × {0} ,
∂t
u = 0 oder ∂ν u = 0 auf ∂Ω × ]0, T [ ∩ K− (x0 , t0 ) ,
Beweis als Aufgabe unter Verwendung von Argumenten der Beweise des Ener-
gieerhaltungssatzes, der Monotonieeigenschaft in 2.2 und des Satzes von Zarem-
ba.
Die zweiten Ableitungen von u (definiert als die einseitigen Grenzwerte der
zweiten Ableitungen von u+ und u− ) können auf M Sprungstellen besitzen,
d.h. es kann ∂i ∂j [u] = 0 auf M eintreten. In diesem Fall sagen wir, u hat
schwache Singularitäten (Singularitäten zweiter Ordnung). Grundlage
einer genaueren Beschreibung dieser Singularitäten ist folgender
Hiermit schreiben sich der d’Alembert–Operator und die Gleichung von charak-
teristischen Hyperflächen (siehe 2.2 (e))
¡u =
n+1 n+1
ηij ∂i ∂j u , ηij νi νj = 0 .
i,j=1 i,j=1
Satz. Sei u eine schwache Stoßwelle mit der durch Φ = 0 beschriebenen Sin-
gularitätenfläche M (Φ wie im Hilfssatz ). Dann gilt
(1) Ist u eine echte schwache Stoßwelle, d.h. verschwindet die Sprungintensität
σ nirgends auf M , so ist M eine charakteristische Hyperfläche.
(2) Ist M eine charakteristische Hyperfläche, so genügt die Sprungintensität
σ:M → Êder homogenen linearen Differentialgleichung erster Ordnung
n+1
ai ∂i σ + bσ = 0 auf M,
i=1
438 § 17 Die Wellengleichung
n+1
wobei a = (a1 , . . . , an+1 ) das tangentiale Vektorfeld auf M mit ai = ηij νj
j=1
∞
und b eine C –Funktion auf M ist.
Der Beweis folgt am Ende dieses Unterabschnitts.
Dieser Satz geht auf Untersuchungen von Christoffel (1877), Hugoniot
(1887) und Hadamard (1903) zurück. Nach der ersten Aussage können sich
die Singularitäten einer schwachen Stoßwelle nur in einer bestimmten Wei-
se ausbreiten; auf die Interpretation gehen wir in 2.5 näher ein. Um die Be-
deutung der zweiten Aussage zu verstehen, betrachten wir das Verhalten der
Sprungintensität σ längs Integralkurven I → M , s → x(s) des Vektorfeldes
a (Bicharakteristiken der charakteristischen Hyperfläche M ). Die DG für σ
führt unter Beachtung von ẋi (s) = ai (x(s)) auf die gewöhnliche DG
d
n+1
n+1
σ(x(s)) = ∂i σ(x(s)) ẋi (s) = (ai ∂i σ)(x(s)) = − (b σ)(x(s))
ds i=1 i=1
d
n+1
∂Ψi
Φ(Ψ(s, ξ)) = ∂i Φ(Ψ(s, ξ)) (s, ξ) = 1 ,
ds ∂s
i=1
∂v
n+1
∂Ψi
v(0, ξ) = [u](ξ) = 0 , (0, ξ) = ∂i [u](ξ) (0, ξ) = 0 .
∂s ∂s
i=1
2 Eigenschaften des d’Alembert–Operators 439
1
∂2v
v(s, ξ) = s2 (1 − τ ) (τ s, ξ) dτ .
∂s2
0
1
Definieren wir σ(x) für x = Ψ(s, ξ) durch das rechtsstehende Integral, so
2
erhalten wir eine C∞ –Funktion σ : U → mit [u] = 12 σ Φ2 . Ê 2
Wir erhalten durch Ableiten der Gleichung (∗∗) in Richtung des Normalenvek-
tors ν = (ν1 , . . . , νn+1 ) = ∇Φ auf M
[u] =
n+1 n+1
0 = νk ∂ k ηij νk ∂k ∂j ∂i [u]
k=1 i,j,k=1
n+1
= ηij νk ∂i σ νj νk + ∂j σ νi νk + ∂k σ νi νj
i,j,k=1
n+1
+σ ηij νk νi ∂j ∂k Φ + νj ∂i ∂k Φ + νk ∂i ∂j Φ .
i,j,k=1
Fassen wir im letzten Ausdruck die beiden ersten Terme zusammen, so ergibt
n+1
n+1
sich 2ν2 ai ∂i σ mit ai = ηij νj ; der dritte Term verschwindet auf der
i=1 j=1
440 § 17 Die Wellengleichung
2b := ¡ Φ + ν −2
νk ∂ k N ,
k=1
Die charakteristische Differentialgleichung (siehe 2.2 (e)) erhält somit die Gestalt
c ∇ϕ = 1 ,
Mt := {x ∈ Ω | (x, t) ∈ M } = {x ∈ Ω | ϕ(x) = t} (t ∈ Ê)
2 Eigenschaften des d’Alembert–Operators 441
Beweis.
ẋ(t) = c2 ∇ϕ(x(t)) ist ein Normalenvektor der Wellenfront Mt im Punkt x(t),
es gilt ẋ(t) = c2 ∇ϕ(x(t)) = c und für i = 1, . . . , n
d n
ẍi (t) = c2 (∂i ϕ(x(t))) = c2 ∂j ∂i ϕ(x(t)) ẋj (t)
dt j=1
n
= c4 ∂j ∂i ϕ(x(t)) ∂j ϕ(x(t))
j=1
1 4 n
= c ∂i (∂j ϕ)2 (x(t)) = 0 . 2
2 j=1
Für die Sprungintensität σ der schwachen Stoßwelle gilt längs jeder Bicharak-
teristik (wir schreiben jetzt σ(t) anstelle von σ(x(t))
σ̇ + 1
2
Θσ = 0 mit Θ := c2 Δϕ .
Das ergibt sich aus dem Beweisteil (2) des Satzes in 2.4 mit
n+1
N = ηij ∂i Φ∂j Φ = 1 − c2 ∇ϕ2 =, 0 ,
i,j=1
2b = Φ = −c 2
Δϕ auf M .
√
Es läßt sich zeigen, dass Θ die Änderungsrate des Oberflächenelements g der
Wellenfronten unter dem Normalenfluß c2 ∇ϕ ist, d.h. dass gilt
√ √
Θ = ˙g/ g = ġ/2g .
442 § 17 Die Wellengleichung
3 Das Anfangswertproblem
Wir betrachten in diesem Abschnitt für n = 1, 2, 3 das Anfangswertproblem
⎧
⎨ ¡u = f in Ên
× Ê,
(∗)
⎩ u(x, 0) = u0 (x) , ∂u (x, 0) = u1 (x) für x ∈ Ên .
∂t
¡u = ∂2u
∂t 2
∂2u
− c2 2 = 0
∂x
hat die Gestalt
u(x, t) = F (x + ct) + G(x − ct)
mit geeigneten Funktionen F, G ∈ C2 ( ). Ê
Die Lösung ist also die Überlagerung einer nach links und einer nach rechts
wandernden Welle, beide mit festem Profil und der Geschwindigkeit c.
Ê Ê
(b) Zu gegebenen Anfangswerten u0 ∈ C2 ( ), u1 ∈ C1 ( ) liefert die Lösungs-
formel von d’Alembert
x+ct
1 1
u(x, t) = u0 (x + ct) + u0 (x − ct) + u1 (s) ds
2 2c
x−ct
Beweis.
(a) Wir führen in der Ebene charakteristische Koordinaten ξ, η ein durch
ξ = x + ct , η = x − ct , bzw. x = 12 (ξ + η) , t = 1
2c
(ξ − η) .
Dabei geht {(x, t) | x ∈ Ê, t > 0} über in das Gebiet {(ξ, η) | ξ > η} .
Ist u eine Lösung der homogenen Wellengleichung, so erfüllt
1 1
U (ξ, η) := u 2 (ξ + η), 2c (ξ − η)
die Gleichung
1 ∂2U ∂2u 2
2 ∂ u
− (ξ, η) = − c (x, t) = 0 .
4c2 ∂ξ ∂η ∂t2 ∂x2
Aus dieser folgt
∂U
(ξ, η) = g(η)
∂η
η
Ê
mit einer Funktion g ∈ C1 ( ) . Setzen wir G(η) := g(s) ds , so ergibt sich
0
∂
∂η
U (ξ, η) − G(η) = 0 für ξ ∈ Ê, ξ > η,
somit
U (ξ, η) − G(η) = F (ξ) für ξ ∈ Ê, ξ > η,
wobei F : Ê → Ê eine C –Funktion ist. Damit erhalten wir für x ∈ Ê, t > 0
2
(b) Ist u eine Lösung des Anfangswertproblems, so besteht nach (a) die Dar-
stellung u(x, t) = F (x + ct) + G(x − ct) mit F, G ∈ C2 ( ) . Bezeichnet U1 die Ê
Stammfunktion von u1 mit U1 (0) = c (F (0) − G(0)) , so gilt
u0 (x) = u(x, 0) = F (x) + G(x) ,
∂
U1 (x) = u1 (x) = u(x, 0) = c (F (x) − G (x)) .
∂t
Durch Integration der zweiten Identität ergibt sich
1 1 1 1
F = 2 u0 + 2c U1 , G = 2 u0 − 2c U1 ,
woraus die d’Alembertsche Formel folgt. Dass u eine Lösung des AWP darstellt,
ist leicht nachzurechnen. 2
444 § 17 Die Wellengleichung
(e)
∂2m
∂r 2
(x, r) +
2 ∂m
r ∂r
(x, r) = Δx m(x, r) gilt für u ∈ C2 ( Ên
) und r = 0.
(Darboux–Gleichung).
Beweis.
Wir verwenden die zweite Darstellung des sphärischen Mittels.
(a) ist unmittelbar klar.
(b) und (c) ergeben sich aus dem Satz über die differenzierbare Abhängigkeit
von Parameterintegralen , vgl. Bd. 1, § 23 : 5.1.
(d) Für y = x + rξ ∈ Sr (x) mit ξ ∈ S1 (0) ist n(y) = ξ der äussere Einheits-
normalenvektor von Kr (x) in y. Hieraus folgt zusammen mit dem Gaußschen
Integralsatz
∂m 1 ∂ 1 ∂
(x, r) = u(x + rξ) do(ξ) = ∂r
u(x + rξ) do(ξ)
∂r 4π ∂r S (0) 4π S (0)
1 1
1
= ∇u(x + rξ) , ξ do(ξ)
4π S (0)
1
1
= ∇u(y) , n(y) do(y)
4πr 2 Sr (x)
1 1
= 2
∂n u do = 2
Δu(y) d3 y .
4πr Sr (x) 4πr Kr (x)
1 ∂ r
= 2
Δu do d
4πr ∂r 0 S (x)
1
= 2
Δu do = Δx m(x, r) . 2
4πr Sr (x)
1 ∂2m 1 ∂2u
2 2
(x, r, t) = 2 − (y, t) do(y) = − Δu(y, t) do(y)
c ∂t c ∂t2
S r (x ) S r (x )
2
∂ m 2 ∂m 1 ∂2
= 2
+ (x, r, t) = (r m) (x, r, t)
∂r r ∂r r ∂r 2
Ê
für x ∈ 3 , r > 0 , t > 0 . Setzen wir M (x, r, t) := r · m(x, r, t) , so erfüllt
Ê
(r, t) → M (x, r, t) für jedes x ∈ 3 die 1–dimensionale Wellengleichung
∂2M ∂2M
(x, r, t) = c2 (x, r, t)
∂t2 ∂r 2
und genügt den Anfangsbedingungen
M (x, r, 0) = r − u0 (y) do(y) =: M0 (x, r) ,
S r (x )
∂M
(x, r, 0) = r − u1 (y) do(y) =: M1 (x, r) .
∂t S r (x )
Die Anwendung der d’Alembertschen Darstellungsformel 3.1 (b) auf die Funk-
tion (r, t) → M (x, r, t) (x festgehalten) ergibt daher
1 1
r+ct
(+) M (x, r, t) = (M0 (x, r + ct) + M0 (x, r − ct)) + M1 (x, s) ds
2 2c r−ct
für x ∈ Ê 3
, r∈ Ê, t ≥ 0 .
Hieraus läßt sich eine Darstellung der Lösung u durch die Mittel der Anfangs-
werte ableiten:
Zunächst ist nach 3.2 (a)
1
u(x, t) = m(x, 0, t) = lim m(x, r, t) = lim M (x, r, t) .
r→0 r→0 r
Weil M0 (x, r) und M1 (x, r) ungerade in r sind, gilt
r−ct
M0 (x, r − ct) = − M0 (x, ct − r) , M1 (x, s) ds = 0 .
ct−r
andererseits folgt
1 r+ct
1 r+ct
1 r−ct
M1 (x, s) ds = M1 (x, s) ds + M1 (x, s) ds
2cr r−ct 2cr r−ct 2cr ct−r
1 r+ct
1 r+ct 1 ct
= M1 (x, s) ds = M1 (x, s) ds + M1 (x, s) ds
2cr ct−r 2cr ct 2cr ct−r
1 r+ct
1 ct−r
= M1 (x, s)ds − M1 (x, s) ds
2cr ct 2cr ct
1
→ M1 (x, ct) für r → 0 .
c
Aus (+) ergibt sich somit nach Ausführung des Grenzübergangs r → 0
1 ∂M0 1
u(x, t) = (x, ct) + M1 (x, ct) .
c ∂t c
für x ∈ Ê3
, t > 0 . Diese läßt sich zu einer Lösung für alle t ∈ Ê fortsetzen.
Die zweite Lösungsdarstellung ergibt t
sich aus der ersten mit Hilfe des Be-
weises 2.2 (d). Der zweiten Darstellung (x0 , t0 )
entnehmen wir, dass die Lösung u an
der Stelle (x, t) nur von den Anfangs-
werten u0 , u1 , ∇u0 auf der Sphäre x0
Sct (x) abhängt; wir nennen deshalb die Ê 3 y0
Sphäre Sct (x) das Abhängigkeitsge-
biet der Lösung an der Stelle (x, t) . Sct0 (x0 )
Aufgrund dieser Tatsache ist die Übermittlung scharfer Signale mittels der drei-
dimensionalen Wellengleichung in folgendem Sinne möglich: Eine lokale Anre-
gung des Feldes zur Zeit t = 0 an der Stelle y0 (d.h. Anfangswerte u0 , u1 , deren
Träger in einer Kugel Kr (y0 ) für r 1 liegen) pflanzt sich so fort, dass an einer
448 § 17 Die Wellengleichung
Stelle x0 = y0 zur Zeit t0 := x0 − y0 /c ein kurzes Signal empfangen wird
(d.h. für die zugehörige Lösung gilt u(x0 , t) = 0 nur für |t − t0 | ≤ r/c ) (Fig.)
ÜA . Dieses Huygenssche Prinzip für die Wellengleichung verschärft die
allgemeine Aussage von 2.3, nach welcher das Abhängigkeitsgebiet in der Kugel
Kct0 (x0 ) liegt.
Die Bezeichnung Huygenssches Prinzip“ wurde von J. Hadamard 1923 im
”
Zusammenhang mit der Vermutung verwendet, dass unter allen normal hyper-
”
bolischen“ Gleichungen im Wesentlichen nur die Wellengleichung in ungeraden
Raumdimensionen eine scharfe Signalübertragung erlaubt. Diese Vermutung er-
wies sich im Fall n = 3 als falsch, wie P. Günther 1965 zeigte (Arch. Rat. Mech.
Anal. 18 (1965) 103–106).
Dann kann u zu einer Lösung des Anfangswertproblems für die homogene Wel-
lengleichung auf 3 ×Ê Ê fortgesetzt werden und stellt die eindeutig bestimmte
Ê Ê
Lösung dar. Im Fall u0 ∈ Cm+1 ( 3 ), u1 ∈ Cm ( 3 ) mit m ≥ 2 ist die Lösung
Cm –differenzierbar.
Der Beweis ergibt sich durch direktes Nachrechnen unter Verwendung der Re-
chenregeln 3.2 für das sphärischen Mittel. Die Eindeutigkeit der Lösung folgt
aus der Poissonschen Darstellungsformel.
Die Differenzierbarkeitsbedingungen an die Anfangswerte können nicht abge-
schwächt werden. Dies zeigt Teil (c) der folgenden
Aufgabe. (a) Zeigen Sie, dass jede kugelsymmetrische Lösung der 3–dimensio-
nalen Wellengleichung u(x, t) = U (r, t) (r = x) mit den Anfangsdaten u0 = 0,
u1 (x) = U1 (r) mit einer geraden C2 –Funktion U1 ∈ C2 ( ) die DarstellungÊ
⎧
⎪
1 r+ct
⎨ s U1 (s)ds für r > 0,
U (r, t) := 2cr r−ct
⎪
⎩
t U1 (t) für r=0
besitzt.
(b) Die hierdurch definierte Funktion U liefert umgekehrt auch eine Lösung
des AWP.
(c) Für die C1 –differenzierbare, aber nicht C2 –differenzierbare Anfangsge-
schwindigkeit
3 Das Anfangswertproblem 449
(c2 − r 2 )3/2 für r ≤ c ,
U1 (r) :=
0 für r ≥ c
ist die in (a) definierte Funktion u(x, t) = U (r, t) im Kegel mit der Spitze
(x0 , t0 ) = (0, 0, 0, 1),
K−
4
(x0 , t0 ) = {(x, t) ∈ Ê4
| x < c (1 − t) , t < 1} ,
eine Lösung des AWP. In der Kegelspitze (x0 , t0 ) ist ∂ 2 u/∂t2 unstetig. Die
Ê
auf der Sphäre Sc (x0 ) ⊂ 3 liegenden Unstetigkeiten der zweiten Ableitungen
der Anfangswerte u1 (x) = U1 (r) erreichen die Stelle x0 = 0 also erst zur Zeit
t0 = 1 .
Bemerkung. Anders als im Fall n = 3 hängt hier die Lösung an der Stelle
(x, t) von den Anfangswerten auf der ganzen Kreisscheibe Kct (x) ab. Ein zur
Zeit t = 0 im Punkt y0 ausgesandtes Signal wird an der Stelle x0 = y0 als
zur Zeit t0 = x0 − y0 / c einsetzendes und allmählich abklingendes Signal
empfangen; vgl. 3.3, 2.3. (Ähnliches beobachten wir bei Wasserwellen, wobei
dahingestellt sei, ob diese der zweidimensionalen Wellengleichung genügen.)
Beweis.
Wir setzen U (x1 , x2 , x3 , t) := u(x1 , x2 , t) und Uk (x1 , x2 , x3 ) = uk (x1 , x2 ) für
k = 0, 1. Da U der dreidimensionalen Wellengleichung genügt und deshalb nach
3.3 durch sphärische Mittel von U0 und U1 dargestellt werden kann, geht es
nur darum, die beiden Integrale über Sphären in Integrale über Kreisscheiben
umzuformen.
450 § 17 Die Wellengleichung
Sr+ (x)/ := {ξ ∈ Sr (/
x) | ξ3 > 0} , Sr− (x) / := {ξ ∈ Sr (/
x) | ξ3 < 0}
und parametrisieren die beiden Halbsphären als Graphen über der Kreisscheibe
Ê
Kr (x) ⊂ 2 , z.B. die obere durch
Φ : Kr (x) → Sr+ (/
x) , y = (y1 , y2 ) → (y1 , y2 , ϕ(y))
derselbe Ausdruck ergibt sich für das Oberflächenelement der unteren Halb-
sphäre Sr− (/
x). Weiter gilt für beide Halbsphären (Uk ◦ Φ)(y) = uk (y) , und
daher
Uk do = Uk do + Uk do = 2 Uk do
/
Sr (x) /
Sr+ (x) Sr− (x)/ /
Sr+ (x)
uk (y)
= 2r d2 y .
r 2 − y − x2
Kct (x)
Satz. Für u0 ∈ C3 ( Ê ),
2
u1 ∈ C2 ( Ê ),
2
x∈ Ê 2
, t > 0 setzen wir
∂ 1 u0 (y)
u(x, t) := d2 y
∂t 2πc c2 t2 − y − x2
Kct (x)
1 u1 (y)
+ d2 y .
2πc c2 t2 − y − x2
Kct (x)
Dann kann u zu einer Lösung des Anfangswertproblems für die homogene Wel-
lengleichung auf 2
× Ê Ê
fortgesetzt werden und diese stellt die eindeutig be-
Ê
stimmte Lösung dar. Im Fall u0 ∈ Cm+1 ( 2) , u1 ∈ Cm ( 2) mit m ≥ 2 ist Ê
die Lösung Cm –differenzierbar.
3 Das Anfangswertproblem 451
Ist dieses gelöst, so folgt durch Superposition der Lösung mit der Lösung der
homogenen Wellengleichung in 3.1, 3.3, 3.4 die allgemeine Lösung des Anfangs-
wertproblems (∗). Zur Lösung des Problems (∗∗) dient der folgende
¡u = 0 in Ê n
× ]s, ∞[ ,
u(x, s) = 0 für x ∈ Ê n
,
∂u
∂t
(x, s) = f (x, s) für x ∈ Ê n
.
Das Duhamelsche Prinzip wird auch für die Lösung der inhomogenen Wärmelei-
tungsgleichung verwendet, vgl. § 16 : 3.3.
Beweis.
Hängen in den Lösungsformeln in 3.1, 3.3, 3.4 die Anfangswerte u0 und u1
C2 –differenzierbar von einem Parameter s ab, so gilt das nach 3.2 (b) auch für
die Lösungen der homogenen Wellengleichung. Hiernach ist (x, t, s) → us (x, t)
C2 –differenzierbar und für das Integral u(x, t) ergibt sich unter Verwendung der
in § 6 : 3.7 verwendeten Ableitungsregel
t t
∂u ∂us ∂us
(x, t) = us (x, t) s=t + (x, t) ds = (x, t) ds ,
∂t ∂t ∂t
0 0
452 § 17 Die Wellengleichung
t
∂2u ∂us ∂ 2 us
(x, t) = (x, t) + (x, t) ds
∂t2 ∂t s=t ∂t2
0
t
= f (x, t) + c2 Δus (x, t) ds
0
t
= f (x, t) + c2 Δ us (x, t) ds
0
2
= f (x, t) + c Δu(x, t)
und
∂u
u(x, 0) = 0, (x, 0) = 0 . 2
∂t
K±
n+1
(x, t) bezeichnen im Folgenden die in 1 (a) eingeführten Kegel.
Ê Ê
Satz Zu gegebener Funktion f ∈ C2c ( n × ) liefern die folgenden Integrale
für t > 0 die eindeutig bestimmten Lösungen des Anfangswertproblems (∗∗)
1
u(x, t) = f (y, s) dy ds (n = 1) ,
2c
K2
−
(x,t)
1 f (y, s)
u(x, t) = d2 y ds (n = 2) ,
2πc c2 (t − s)2 − y − x 2
K3
−
(x,t)
1 f (y, t − y − x/c) 3
u(x, t) = d y (n = 3) .
4πc2 y − x
Kct (x)
Der Beweis ergibt sich unmittelbar aus dem Duhamelschen Prinzip und den
Lösungsdarstellungen 3.1, 3.3, 3.4 nach Ausführung der Zeittranslationen t →
t−s.
1 f (y, t + y − x/c) 3
u(x, t) = d y (n = 3) .
4πc2 y − x
Kct (x)
4 Das Anfangs–Randwertproblem
4.1 Problemstellung und Lösungsansatz
(a) Für ein beschränktes Gebiet Ω ⊂ Ê n
lautet das allgemeine ARWP
⎧
⎪
⎪ u = f in ΩT = Ω × ]0, T [ ,
⎪
⎨
∂u
(∗) u(x, 0) = u0 (x) , (x, 0) = u1 (x) für x ∈ Ω ,
⎪
⎪ ∂t
⎪
⎩
u = g auf ∂Ω × ]0, T [ ;
dabei sind T > 0 und f , g, u0 , u1 gegeben.
Wir betrachten nur den Fall g = 0. Im Fall g ∈ C0 (ΩT ) ∩ C2 (ΩT ) läßt (∗) auf
diesen unschwer zurückführen.
Für den allgemeinen Fall und für Neumannsche Randbedingungen verweisen
wir auf Dautray–Lions [4, 5] Ch. 18, § 5, Ladyzhenskaya [65] Ch. IV, Wloka
[72] § 29.
Wir gehen ganz analog vor wie beim Wärmeleitungsproblem § 16 : 4 und kombi-
nieren die Bernoullische Methode zur Behandlung der schwingenden Saite § 6 : 3
mit dem Entwicklungssatz in § 15 : 1:
∞
− Aufstellung der formalen Lösung als Reihe u(x, t) = ai (t)vi (x) durch
i=1
Raum– und Zeitseparation nach der Methode von Daniel Bernoulli.
− Konvergenzbeweis für die Reihe durch Aufstellung von Majoranten und
Nachweis, dass u eine schwache Lösung liefert.
− Regularitätsbeweis für die schwache Lösung bei hinreichend glatten Daten.
Auch für die Wellengleichung erweist sich dieses Vorgehen von der physikalischen
Problemstellung her als ganz natürlich.
454 § 17 Die Wellengleichung
− Δv = λv in Ω , v = 0 auf ∂Ω
(a) vi , v V = λi vi , v H für v ∈ V ,
∂2u ∞
2
(x, t) = äi (t)vi (x) ,
∂t i=1
∞
∞
Δu(x, t) = ai (t)Δvi (x) = − λi ai (t)vi (x) .
i=1 i=1
∞
∞
ai (0)vi (x) = u(x, 0) = u0 (x) = vi , u0 H vi (x) ,
i=1 i=1
∞
∂u ∞
ȧi (0) vi (x) = (x, 0) = u1 (x) = vi , u1 H vi (x) .
i=1 ∂t i=1
4 Das Anfangs–Randwertproblem 455
Die Konvergenz der Reihe (c) mit den Koeffizienten (d) wird mit der gleichen
Methode gezeigt, die für die Wärmeleitungsgleichung verwendet wurde, siehe
§ 16 : 4.5. Insbesondere benötigen wir zur Beschreibung der Glattheitseigenschaf-
ten von u die Funktionenräume aus § 16 : 4.2.
Definition. Wir nennen u eine schwache Lösung des ARWP (∗) mit ver-
schwindenden Randwerten g = 0 , wenn die Gleichung u = f im Distributi-
onssinn erfüllt ist und wenn u ∈ C0 ([0, T ], W01 (Ω)) eine schwache Zeitableitung
u̇ ∈ C0 ([0, T ], L2 (Ω)) besitzt.
für alle Φ ∈ C∞
c (ΩT ),
(2) u(t) ∈ W01 (Ω) , lim u(s) − u(t) V = 0 für jedes t ∈ I = [0, T ] ,
s→t
T T
(3) u(t) , v H ψ̇(t) dt = − u̇(t) , v H ψ(t) dt
0 0
Die Wahl von C0 ([0, T ], W01 (Ω)) × C0 ([0, T ], L2 (Ω)) als Funktionenraum für
die Lösung t → (u(t), u̇(t)) stellt insbesondere die Existenz und Stetigkeit der
Energie sicher.
(b) Wir geben für die distributionelle Wellengleichung (1) äquivalente Formu-
lierungen:
Unter der Voraussetzung u(t) ∈ W01 (Ω) für alle t ∈ I ist (1) äquivalent zu
∂2Φ n
(1.1) u d x dt + c2 ∇u , ∇Φ dn x dt = f Φ dn x dt .
∂t2
ΩT ΩT ΩT
Nach § 16 : 4.3 (b) kommen wir von (1.2) wieder zu (1.1) und zu (1) zurück.
Wegen der Isomorphie von L2 (ΩT ) =∼ L2 (I, H) ist (1.2) äquivalent zu
T T T
(1.3) u(t) , ϕ H ψ̈(t) dt + c2 u(t) , ϕ V ψ(t) dt = f (t) , ϕ H ψ(t) dt.
0 0 0
für alle ϕ ∈ V , ψ ∈ C∞ ∞
c (]0, T [), denn Cc (Ω) liegt bezüglich . V und daher
auch bezüglich . H dicht in V . Aus (3) mit ψ̇ statt ψ und aus (1.3) ergibt
sich
T T T
(1.4) − u̇(t) , ϕ H ψ̇(t) dt + c2 u(t) , ϕ V ψ(t) dt = f (t) , ϕ H ψ(t) dt.
0 0 0
Das bedeutet nach § 14 : 6.4 (c), dass u̇(t) , ϕ H absolutstetig ist mit schwacher
(und fast überall existierender) Ableitung f (t) , ϕ H − c2 u(t) , ϕ V . Wegen
der vorausgesetzten Stetigkeit von u(t) , ϕ V ergibt sich wie in § 16 : 4.3, 4.4
t t
(1.5) u̇(t) , ϕ H − u̇(0) , ϕ H + c2 u(s) , ϕ V ds = f (s) , ϕ H ds
0 0
für alle ϕ ∈ V und alle t ∈ [0, T ]. Aus (3) und § 14 : 6.4 (c) ergibt sich wie in
§ 16 : 4.3 (a), dass u̇(t) , ϕ H die schwache Ableitung der auf [0, T ] absolutste-
tigen Funktion t → u(t) , ϕ H ist.
Erfüllt umgekehrt u ∈ L2 ([0, T ], V ) die Bedingung (1.5), wobei u(t) , ϕ H
jeweils absolutstetig ist, so folgt (1.4) und durch partielle Integration auch (1.3).
4 Das Anfangs–Randwertproblem 457
für k → ∞.
Weiter besteht die Energiegleichung
t
EΩ (t) = EΩ (0) + f (s) , u̇(s) H ds f ür t ∈ [0, T ]
0
mit
2
1 ∂u
EΩ (t) := + c2 ∇u2 (x, t) dn x
2 ∂t
Ω
1
= u̇(t)2H + c2 u(t)2V .
2
Der Funktionenraum C0 ([0, T ], W01 (Ω)) × C0 ([0, T ], L2 (Ω)) wird die Energie-
klasse für die Wellengleichung genannt. Auf diesem ist die Stetigkeit der Energie
sowie die stetige Annahme der Anfangswerte gesichert,
Beweis.
(1) Eindeutigkeit der Lösung.
Für die Differenz u zweier Lösungen bestehen wegen u(t) ∈ V , u̇(t) ∈ H für
jedes t ∈ I = [0, T ] nach § 15 : 1.2, 1.3 die Fourierentwicklungen
∞
∞
u(t) = Ai (t) vi in V , u̇(t) = Bi (t) vi in H ,
i=1 i=1
Nach den Überlegungen 4.2 sind die Ai , Bi absolutstetig, und aus 4.2 (b) folgt
mit f = 0, μi := c2 λi
t
Bi (t) − Bi (0) = − μi Ai (s) ds (i = 1, 2, . . .) .
0
Äi + μi Ai = 0
mit Ai (0) = u(0) , vi H = 0 und Ȧi (0) = Bi (0) = u̇(0) , vi H = 0, was nur
für Ai = 0 möglich ist (i = 1, 2, . . . ). Aus der Reihendarstellung von u folgt
u = 0.
∞
∞
1 ∞
u1 2H = vi , u1 2
H = μ2i βi2 = 2
λi βi2 ,
i=1 i=1 c i=1
∞
∞
f (t)2H = vi , f (t) 2
H = μ2i γi (t)2 ,
i=1 i=1
T T
∞
f (t)2L2 (I,H) = f (t)2H dt = μ2i γi (t)2 dt
0 0 i=1
1 ∞ T
= 2 λi γi (t)2 dt .
c i=1 0
4 Das Anfangs–Randwertproblem 459
Mit der Ungleichung (a+b+c)2 ≤ 3a2 +3b2 +3c2 und der Cauchy–Schwarzschen
Ungleichung ergibt sich hieraus
T 2
+ 3 γi (s) sin(μi (t − s)) ds
0
T T
≤ 3 α2i + 3 βi2 + 3 γi (s)2 ds sin2 (μi (t − r)) dr
0 0
T
≤ 3 α2i + 3 βi2 + 3 T γi (s)2 ds ,
0
also
∞
∞
∞
∞ T
λi ai (t)2 ≤ 3 λi α2i + 3 λi βi2 + 3 T λi γi (s)2 ds
(a) i=1 i=1 i=1 i=1 0
3 2
= c u0 2V + u1 2H + T f 2L2 (I,H) .
c2
Ganz entsprechend erhalten wir ÜA
∞
(b) ȧi (t)2 ≤ 3 c2 u0 2V + u1 2H + T f 2L2 (I,H) für alle t ∈ I .
i=1
(3) Die Reihe ai vi konvergiert in C0 (I, V ).
k
Die Partialsummen uk := ai vi bilden eine Cauchy–Folge in C0 (I, V ), denn
i=1
wegen der gleichmäßigen Konvergenz der Reihe in (2) (a) gibt es zu ε > 0 ein
nε , so dass für > k > nε
2
u (t) − uk (t)2V = ai (t) vi V = λi ai (t)2 < ε2
i=k+1 i=k+1
Die Folge uk hat somit im Banachraum C0 (I, V ) (§ 16 : 4.2 (b)) einen Grenzwert
∞
u= ai vi .
i=1
(4) Konvergenz der Reihe ȧi vi in C0 (I, H).
Ganz analog folgt aus der gleichmäßigen Konvergenz der Reihe in (2) (b) die
Konvergenz der Folge u̇k im Banachraum C0 (I, H) mit einem Grenzwert v.
460 § 17 Die Wellengleichung
T
uk (t) , vj H ψ̇(t) + u̇k (t) , vj H ψ(t) dt
0
T T
= aj (t) ψ̇(t) + ȧj (t) ψ(t) dt = (aj ψ)· (t) dt = 0 .
0 0
t t
u̇(t) , vj H − u̇(0) , vj H + c2 u(s) , vj V ds = f (s) , vj H ds
0 0
∞
∞
u̇(0) = ȧi (0) vi = vi , u1 H vi = u1 in H.
i=1 i=1
4 Das Anfangs–Randwertproblem 461
(7) Energiegleichung. Aus (∗∗) folgt durch Multiplikation mit ȧj (t) und Sum-
mation über j von 1 bis k
fk (s) , u̇k (s) H = ük (s) , u̇k (s) H + c2 uk (s) , u̇k (s) V
1 d
= u̇k (s)2H + c2 uk (s)2V .
2 dt
Integration von 0 bis t und Grenzübergang k → ∞ liefert die Energiegleichung
t
1
u̇(s)2H + c2 u(s)2V 0 = EΩ (t) − EΩ (0)
t
f (s) , u̇(s) H ds = 2
0
für t ∈ I. 2
Ê
Regularitätssatz. Es sei Ω ⊂ n ein beschränktes, C2r –berandetes Gebiet
( 1 ≤ r ≤ ∞ ), und für die Anfangswerte u0 , u1 gelte
u0 ∈ C2r (Ω) , u0 = Δu0 = . . . = Δr u0 = 0 auf ∂Ω ,
u1 ∈ C 2r−1
(Ω) , u1 = Δu1 = . . . = Δ r−1
u1 = 0 auf ∂Ω .
Dann gilt für die schwache Lösung u des ARWP (∗) und die zugehörigen Par-
k
tialsummen uk = ai vi im Fall r > s + 12 (n + 1)
i=1
u ∈ Cs (Ω × Ê +) ,
Beweis.
Wir setzen der Übersichtlichkeit halber c = 1 und schreiben wie in 4.2
ai (t) = αi cos(μi t) + βi sin(μi t) ,
αi = vi , u0 H , βi = μ−1
i vi , u1 H , μi = λi .
(j)
Für die j–te Ableitung ai (t) der Koeffizienten gilt
(j)
ai (t)2 ≤ 2 μ2j
i α2i + βi2 ≤ 2 λji α2i + βi2 ,
und aus den über u0 und u1 gemachten Voraussetzungen ergibt sich nach dem
Äquivalenzsatz § 15 : 1.4 (d)
∞
∞
u0 2Ar = λ2r
i vi , u0 2
H = λ2r 2
i αi ,
i=1 i=1
∞ ∞
u1 2Ar−1/2 = λ2r−1
i vi , u1 2H = λ2r 2
i βi .
i=1 i=1
∞ T (j)
∞ T
λri ai (t)2 dt ≤ λri 2 λji α2i + βi2 dt
i=1 0 i=1 0
∞
≤ 2T λ2r
i α2i + βi2
i=1
Wie im Beweisteil (3) von § 16 : 4.5 ergibt sich, dass die Partialsummen dj uk /dtj
für k → ∞ im Hilbertraum L2 ([0, T ], D(Ar/2 )) gegen ein Element wj konver-
gieren. Dies ist nach dem Äquivalenzsatz § 15 : 1.4 (d) dann auch in Wr (Ω)) der
Fall. Weiter gilt wj = dj u/dtj im schwachen Sinn ÜA , woraus wir erhalten
uk → u in Wr (]0, T [ , Wr (Ω)) für k → ∞.
Nach § 16 : 4.2 (c) und dem Morreyschen Einbettungssatz § 14 : 6.4 (d) bestehen
für r > s + 12 (n + 1) die stetigen Einbettungen
Wr (]0, T [ , Wr (Ω)) → Wr (Ω × ]0, T [) → Cs (Ω × [0, T ]).
Hieraus folgt
uk → u in Cs (Ω × [0, T ]) für k → ∞
und alle T > 0. 2
Kapitel VI Mathematische Grundlagen der
Quantenmechanik
p(Ω) = (x, y) dx dy
Ω
der auf den Bereich Ω der Fotoplatte entfallende Schwärzungsanteil ist. Für den
Kreisring
r2 > ∞
p(Ω) = r I(r) dr r I(r) dr ,
r1 0
wobei sich I(r) nach den Gesetzen der Optik ergibt. Im Teilchenbild gibt p(Ω)
die Wahrscheinlichkeit dafür an, einen Einschlag im Bereich Ω zu finden. Eine
solche Wahrscheinlichkeitsaussage lässt sich statistisch überprüfen: Schlagen von
n abgeschossenen Elektronen n(Ω) im Bereich Ω ein, so wird sich die relative
Häufigkeit n(Ω)/n für wachsendes n auf p(Ω) einspielen (Gesetz der großen Zahl,
Präzisierung in § 19 : 3.4).
Dies setzt voraus, dass sich der Versuch unter identischen Bedingungen im Prin-
zip beliebig oft wiederholen lässt. Wir sprechen dann von einer Gesamtheit gleich
präparierter oder im gleichen Zustand befindlicher Elektronen.
Der Zustand der Gesamtheit hängt von der Bauart der Kanone, der Vorspan-
nung und Geometrie des Spalts ab. Wir beschreiben diesen Zustand durch eine
Ê
Wellenfunktion ψ : 2 → mit |ψ|2 = . Die Komplexwertigkeit von ψ gestat-
tet es, Beugung und Interferenz nach dem Vorbild der Optik zu beschreiben.
(c) Schießen wir mit der Elektronenkanone auf einen Doppelspalt, so erhal-
ten wir das Interferenzmuster einer senkrecht auf den Doppelspalt auftreffen-
den ebenen Welle. Dies scheint im Teilchenbild paradox: Nehmen wir an, dass
ein Elektron mit gleicher Wahrscheinlichkeit entweder durch Spalt 1 oder durch
Spalt 2 geflogen ist und sind ψ1 , 1 = |ψ1 |2 Wellenfunktionen und Schwärzungs-
dichte bei geschlossenem zweiten Spalt und ψ2 , 2 = |ψ2 |2 die entsprechenden
Größen bei geschlossenem ersten Spalt, so würden wir eigentlich bei Öffnung
beider Spalte erwarten, dass die Schwärzungsdichte 12 ( 1 + 2 ) ist. Tatsächlich
ist diese aber
>
| ψ1 + ψ2 |2 | ψ1 + ψ2 |2 .
Ê 2
Die Erklärung liegt darin, dass die Frage, welcher der beiden Spalte von ei-
nem Elektron durchflogen wurde, unzulässig ist. Zu ihrer experimentellen Über-
prüfung – etwa durch Beleuchten“ des Elektrons mittels eines Photons – würden
”
wir den Zustand und damit das Beugungsbild ändern.
3 Dynamik eines Teilchens unter dem Einfluß eines Potentials 467
ψt : Ê 3
→ , x → ψ(x, t) .
∂ h̄2
i h̄ ψ(x, t) = − Δψ(x, t) + V (x) · ψ(x, t)
∂t 2m
(Schrödinger: Quantisierung als Eigenwertproblem II, 1926).
√
Für ϕt (x) = ϕ(x, t) := α3 ψ(αx, h̄t) mit α := h̄/ m gilt ebenfalls | ϕt |2 = 1,
Ê3
und die Schrödinger–Gleichung geht über in
∂ 1
(∗) i ϕ(x, t) = − Δϕ(x, t) + v(x) · ϕ(x, t)
∂t 2
mit v(x) = V (αx) ÜA . Wir dürfen daher im folgenden die Zahlenwerte von h̄
und m gleich Eins setzen.
Definieren wir den Hamilton–Operator H eines Teilchens im umskalierten Po-
tential v durch
1
Hu = − Δu + v · u ,
2
so erhält Gleichung (∗) die Gestalt
(∗∗) ϕ̇t = − iH ϕt .
Dies ist auch die Form der Schrödinger–Gleichung für allgemeine Hamilton–
Operatoren.
468 § 18 Mathematische Probleme der Quantenmechanik
(b) Wir diskutieren die Schrödinger–Gleichung (∗∗) für den einfachsten Fall
eines Freiheitsgrades der Lage und setzen über das Potential v voraus, dass
für schnellfallende Funktionen u : → Ê
auch v u und damit auch Hu :=
− 12 u + v u zum Schwartzraum S der schnellfallenden Funktionen gehört (vgl.
§ 12 : 3). Mit dem Skalarprodukt
+∞
u1 , u2 = u1 (x) u2 (x) dx
−∞
erhalten wir dann durch zweimalige partielle Integration die Symmetrie von H:
1
+∞
+∞
u1 , Hu2 = − 2 u1 u2 + v u1 u2 = Hu1 , u2 .
−∞ −∞
= i ( Hϕt , ϕt − ϕt , Hϕt ) = 0
wegen der Symmetrie von H. Daher ist ϕt = 1 für alle t ∈ , und
U (t) : S → S , ϕ0 → ϕt
ϕ̇t = −iH ϕt
Lösungen in Produktgestalt
Eigenvektor
wobei λ ein Eigenwert von H und v ein zugehöriger mit v = 1
ist. Wegen der Symmetrie von H ist λ reell, also e−iλt = 1. Wir sprechen von
einem stationären Zustand (Bindungszustand), wenn die Zeitabhängigkeit nur
in einem Vorfaktor vom Betrag 1 steckt, Näheres dazu in 4.2.
(b) Physikalische Deutung: Stationäre Zustände sind die einzigen, bei denen
die Energiemessung an einzelnen Objekten jedesmal und unabhängig vom Zeit-
punkt der Messung denselben Wert (hier λ) ergibt.
Der Beweis dieser Aussage ergibt sich aus der Wahrscheinlichkeitsinterpretation
des Spektralsatzes, einem Hauptteil dieses Kapitels.
470 § 18 Mathematische Probleme der Quantenmechanik
mit ϕ = 1 aus, für die H ϕ Sinn macht, so ist die Lösung des Schrödingerschen
Anfangswertproblems
ϕ̇t = − i H ϕt , ϕ0 = ϕ
gegeben durch
∞
ϕt = vk , ϕ e−iλk t vk .
k=0
nicht invertierbar ist. Im Fall (a) besteht das Spektrum nur aus den Eigenwerten
λ0 , λ1 , . . . , d.h. aus den Zahlen λ, für die H − λ½ nicht injektiv ist. Für den
Fall (b) zeigen wir später σ(H) = + .
(d) Die Grobstruktur des Wasserstoffspektrums. Wir betrachten ein
Elektron mit Masse m und Ladung e unter dem Einfluß eines Coulombpotenti-
als
1 e2 h̄2
V (x) = − · mit Hamilton–Operator H : u → − Δu + V u ,
4πε0 x 2m
(dessen Definitionsbereich noch geeignet festzulegen ist). Hier ergibt sich ein
gemischtes Spektrum, und zwar ein Eigenwertspektrum
0 < λ0 < λ1 < . . . mit lim λk = η < ∞
k→∞
Ê3
bezeichnet. Lassen sich Spinphänomene abkoppeln, so genügt zu ihrer Beschrei-
bung der Hilbertraum 2 .
(e) Als Systemhilbertraum für ein System von m spinlosen Teilchen dient
L2 (3m ).
(f) Auf kompliziertere Situationen wie Vielteilchensysteme und die zugehörigen
Systemhilberträume gehen wir hier nicht ein.
4.2 Zustände
(a) Der Zustand eines klassisch–mechanischen Systems wird beschrieben durch
einen Punkt im Phasenraum. Das Verhalten des Systems in Zukunft und Vergan-
genheit ist durch den Zustand zu einem Zeitpunkt determiniert. Der Zustands-
begriff der Quantenmechanik soll ähnliches leisten. Dieser kann sich daher nicht
auf eine Einzelmessung am System beziehen, sondern auf das statistische Ver-
halten einer Gesamtheit gleich präparierter Systeme derselben Art, idealisiert
durch zugrundeliegende Wahrscheinlichkeiten.
In 3.1 hatten wir den Zustand eines Einteilchensystems
zur Zeit t durch eine
Wellenfunktion ϕ = ψt beschrieben und |ϕ(x)|2 d3 x als Wahrscheinlichkeit
Ω
gedeutet, das Teilchen in Ω anzutreffen. Entsprechend repräsentieren wir fürs
erste den Zustand eines beliebigen Systems zu einem festen Zeitpunkt durch
einen Vektor ϕ des Systemhilbertraumes mit ϕ = 1 (Zustandsvektor), wo-
bei jeder Vektor c · ϕ mit |c| = 1 für denselben Zustand steht. Wollen wir dem
Zustand selbst eindeutig ein mathematisches Objekt zuordnen, so können wir
hierfür den von einem Zustandsvektor ϕ aufgespannten eindimensionalen Teil-
raum ( Strahl“) S = Span {ϕ} wählen.
”
(b) Die so beschriebenen Zustände heißen Vektorzustände oder im Rahmen
der Pionier–Quantenmechanik reine Zustände. Später werden wir auch gemisch-
te Zustände (inkohärente Überlagerungen) in Betracht ziehen. In dieser Hinsicht
ist es zweckmäßig, einen Vektorzustand nicht durch einen Strahl S = Span {ϕ}
darzustellen, sondern durch den orthogonalen Projektor auf S,
Pϕ : ψ −→ ϕ , ψ ϕ .
Es ist leicht nachzurechnen, dass Pcϕ = Pϕ für |c| = 1 ÜA . Wird ein Zustand
also durch den Vektor e−iλt ϕ mit λ ∈ beschrieben, so ist er zeitunabhängig,
vgl. 3.2 (a).
4 Das mathematische Modell der Pionier–Quantenmechanik 473
Pϕ = | ϕ ϕ|,
4.3 Observable
(a) Quantisierung. Klassischen Beobachtungsgrößen (Observablen) wie Orts-
koordinaten qx , qy , qz , Impulskoordinaten px , py , pz , kinetischer Energie
1
2m
(p2x +p2y +p2z ) , Hamiltonfunktion (Gesamtenergie), Drehimpuls usw. werden
im Hilbertraumformalismus der Quantenmechanik lineare Operatoren auf dem
Systemhilbertraum H zugeordnet:
(b) Beispiele. Für ein Teilchen mit einem Freiheitsgrad lautet die Vorschrift
Ort q ←→ Ortsoperator Q, gegeben durch ϕ → x · ϕ ,
Impuls p ←→ Impulsoperator P = h̄ d
i dx
,
Potential v ←→ Multiplikationsoperator V : ϕ → v · ϕ .
Nach dem unter (a) Gesagten müssen wir der kinetischen Energie 1
2m
p2 den
Operator 1
2m
P 2 und der Gesamtenergie h = 1
2m
p2 + v(q) den Energie–
Operator (bzw. Hamilton–Operator) H = 1
2m
P 2 + V zuordnen, also
h̄2
kinetische Energie ←→ 1
2m
P2 : ϕ → − 2m
ϕ ,
2
Gesamtenergie h ←→ H : ϕ → − 2m
h̄
ϕ + v · ϕ .
die Wahrscheinlichkeit, dass der Ort des Teilchens im Intervall I ist, vgl. 3.1. Hat
der Hamilton–Operator H dieses Einteilchensystems ein diskretes Spektrum, so
ist mit den Bezeichnungen 3.3 (a)
νϕ (I) = | vk , ϕ |2
λk ∈I
∞
ν/ϕ = λk | vk , ϕ |2 = ϕ , Hϕ .
k=0
Dass die Reihe den Wert ϕ , Hϕ ergibt, wollen wir hier nicht nachrechnen.
Ebensowenig gehen wir auf die Frage nach der Konvergenz des Integrals bzw.
der Reihe ein. Wichtiger ist folgendes: Genügt die Zeitentwicklung eines Zustan-
des der Schrödinger–Gleichung ϕ̇t = −iHϕt , so sind die Erwartungswerte ν/ϕt
zeitunabhängig, denn mit den Bezeichnungen 3.3 (a) ist
vk , ϕt = e−iλk t vk , ϕ0 = vk , ϕ0 .
(c) Allgemein gilt: Entspricht der Observablen a der Operator A und liefert
μϕ die Verteilung der Beobachtungswerte von a im Zustand | ϕ ϕ | , so ist für
ϕ ∈ D(A)
/ϕ = ϕ , Aϕ .
μ
Dies wird sich aus dem Spektralsatz ergeben.
(d) Zur Deutung von μ /ϕ . Machen wir N Beobachtungen der Observablen a
an einem System im Zustand | ϕ ϕ |, so erhalten wir zufällig schwankende
Beobachtungswerte a1 , . . . , aN , obwohl die Versuchsbedingungen (die durch ϕ
beschriebene Präparation) immer gleich sind. Für wachsende Versuchszahlen N
spielt sich der mittlere Wert N1 (a1 + . . . + aN ) immer besser auf μ /ϕ ein. Ge-
setzmäßigkeiten können sich daher nur auf μ /ϕ beziehen, und ihre experimentelle
Überprüfung erfordert die statistische Analyse von Versuchsreihen. Dafür spielt
die in § 19 : 3.1, § 20 : 6.3 definierte Streuung eine wesentliche Rolle.
Es lässt sich zeigen, dass ein Operator A durch die Erwartungswerte ϕ , Aϕ für
alle ϕ ∈ D(A) eindeutig bestimmt ist. Dies gibt uns im folgenden die Möglich-
keit, zwei einfache Quantisierungsvorschriften plausibel zu machen.
(b) Für eine ebene harmonische Welle, die im Raum in Richtung der x–Achse
fortschreitet, ist die x–Komponente der Wellenerregung
ψ(x, t) = A · ei(kx−ωt) ,
476 § 18 Mathematische Probleme der Quantenmechanik
Wir deuten daher |ϕ/| als Wellenzahldichte: Der Anteil der ins Intervall [a, b]
2
1 Diskrete Verteilungen
1.1 Bernoulli–Experimente
Wir betrachten Ja/Nein–Experimente, bei denen nur die Frage interessiert, ob
ein bestimmter Effekt eintritt oder nicht. Beispiele hierfür sind der Münzwurf
(Frage: Zahl“?), Geburtenstatistik (Frage: Knabe“?) oder bei Observablen der
” ”
Physik die Fragestellung Wert im Intervall I“? Wir denken uns das Experiment
”
unter gleichen Bedingungen beliebig oft wiederholbar, wobei das Ergebnis einer
Einzelmessung nicht vorhersehbar ist. Der interessierende Effekt trete bei N –
maliger Wiederholung kN –mal auf. Dann lehrt die Erfahrung, dass sich die
kN
relative Häufigkeit hN :=
N
für wachsendes N auf eine Zahl p ∈ [0, 1] einpendelt (Gesetz der großen Zahl).
Wir unterstellen im folgenden die Existenz einer solchen Erfolgswahrscheinlich-
keit p; dabei stehen p = 1 bzw. p = 0 für die Extremfälle, dass der Effekt mit
Sicherheit eintritt bzw. nicht eintritt.
Wie urteilen wir über p? Beim Münzwurf unterstellen wir, solange nichts Näher-
es bekannt ist, aus Symmetriegründen p = 12 (ideale Münze). Entsprechend
schätzen wir die Wahrscheinlichkeit für Sechs“ beim Würfelspiel auf p = 16
”
und die Komplementärwahrscheinlichkeit für nicht Sechs“ auf 1 − p = 56 ein.
”
Karl Pearson, ein Pionier der Wahrscheinlichkeitstheorie, erzielte zu Beginn
des 20. Jahrhunderts bei 24000 Münzwürfen 12012–mal die Zahl“, was die
”
Einschätzung p = 12 gut bestätigte. Hätte er 12480–mal Zahl“ erzielt, würde
1 ”
er die Annahme p = 2 verworfen haben, da eine relative Häufigkeit von 0.52
oder mehr unter dieser Annahme und bei so vielen Versuchen extrem unwahr-
scheinlich wäre, wie unwahrscheinlich, werden wir noch ausrechnen.
Pearson hätte wohl aufgrund der Statistik die Erfolgswahrscheinlichkeit als
12480
24000
= 0.52 geschätzt. Dies entspricht der empirischen relativen Häufigkeit
von Knabengeburten. Für das Folgende halten wir fest:
Wahrscheinlichkeitsaussagen und empirische Befunde sollen über das (in 3.4
präzisierte) Gesetz der großen Zahl aufeinander bezogen sein. Daher ist die
Wahrscheinlichkeitsrechnung so zu konzipieren, dass sie konsistent mit der Häu-
figkeitsrechnung ist.
Für sich gegenseitig ausschließende Ereignisse bedeutet dies insbesondere, dass
sich ihre Wahrscheinlichkeiten addieren, da dies auch für die entsprechenden
relativen Häufigkeiten der Fall ist.
478 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
Ωn := {0, 1, . . . , n}
= (p + (1 − p))n = 1n = 1
nach dem binomischen Lehrsatz.
λk −λ
h(k) ≈ e mit λ = 3.87 .
k!
k
(b) Die Idee, einen Ansatz h(k) = λk! e−λ mit λ > 0 zu machen und λ an die
Beobachtungsdaten anzupassen, stammt von Poisson (1832). Poisson zeigte für
die Binomialverteilung 1.3: Bleibt n · p konstant gleich λ > 0, so gilt
n λk −λ
lim pk (1 − p)n−k = e
n→∞ k k!
(Beweis als ÜA ).
Daher kann der Poissonsche Ansatz zur Beschreibung seltener Ereignisse dienen
(n groß, p = nλ klein).
480 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
vgl. 1.3, und den Fall, dass ΩX aus unendlich vielen verschiedenen Zahlen
x0 , x1 , . . . besteht. Im letzteren Fall ist
∞
P (X = x) := P (X = xk ) = 1 .
x∈ΩX k=0
Die Art der Durchnumerierung von ΩX (für ΩX = bietet sich nicht nur eine
Möglichkeit an) spielt keine Rolle; dies folgt aus dem Umordnungssatz Bd. 1,
§ 7 : 6.3. Ein Beispiel bieten Poisson–verteilte Zufallsgrößen, d.h. Zufallsgrößen
X mit ΩX = 0 = {0, 1, 2, . . .},
λk −λ
∞
λk
P (X = k) = e , e−λ = 1 ,
k! k!
k=0
vgl. 1.4.
Für die gemeinsame mathematische Behandlung beider Fälle nehmen wir ΩX
als unendlich an, ΩX = {x0 , x1 , x2 , . . .}, und lassen ggf. zu, dass
pk := P (X = xk )
den Wert Null hat.
(b) Für beliebige Mengen A ⊂ definieren wir
∞
P (X ∈ A) := P (X = xk ) = pk χA (xk ) ,
xk ∈A k=0
Ê
Allgemein heißt eine Mengenfunktion mit den Eigenschaften (i)–(iv) diskrete
Verteilung oder diskretes Wahrscheinlichkeitsmaß auf . Die Menge
supp μ := {x ∈ Ê
| μ({x}) > 0} heißt Träger von μ. Wir sagen auch: μ lebt
auf supp μ.
1.6 Beispiele
(a) Relative Häufigkeiten.
Sei X eine Zufallsgröße mit ΩX = {x0 , x1 , . . . }. Bei N Beobachtungen von X
∞
sei zk –mal der Messwert xk angefallen (k = 0, 1, 2, . . .). Dann ist zk = N ,
k=0
wobei in der Reihe nur endlich viele Glieder von Null verschieden sind. Die
relative Häufigkeit der in eine Menge A fallenden Beobachtungswerte,
1
hN (A) = zk ,
N
xk ∈A
Beweis.
(W1 ), (W2 ) folgen unmittelbar aus der Definition 1.5 (c).
Zum Nachweis von (W3 ) wählen wir, um die Fallunterscheidung zwischen end-
lichem/nicht endlichem Träger zu vermeiden, eine abählbar unendliche Menge
Ω = {x0 , x1 , . . .} mit supp μ ⊂ Ω. Ferner setzen wir pk := μ({xk }) (k =
7
∞
0, 1, . . .) und A := Ak .
k=1
Dann gilt nach Definition
∞
μ(Ak ) = pi = pi χAk (xi ) .
xi ∈Ak i=0
Da alle auftretenden Glieder nicht negativ sind, folgt aus dem großen Umord-
nungssatz Bd. 1, § 7 : 6.6
∞
∞
∞
μ(A) = pi χAk (xi ) = μ(Ak ) . 2
k=1 i=0 k=1
(endliche Additivität).
(iii) μ(A) = μ(A ∩ B) + μ(A \ B).
(iv) A ⊂ B =⇒ μ(A) ≤ μ(B) .
(v) μ(A ∪ B) = μ(A) + μ(B) − μ(A ∩ B) für beliebige Mengen A, B ⊂ Ê.
Beweis.
Im Hinblick auf spätere Verallgemeinerungen stützen wir uns nur auf (W1 ),
7
∞
∞
(W2 ), (W3 ). Aus (W3 ) folgt zunächst μ(∅) = μ( ∅) = μ(∅), also μ(∅) = 0.
k=1 k=1
Für (ii) setzen wir AN+1 = AN+2 = · · · := ∅ und erhalten aus (W3 )
7
N 7
∞
∞
N
μ( Ak ) = μ( Ak ) = μ(Ak ) = μ(Ak ) .
k=1 k=1 k=1 k=1
2 Erwartungswert und Streuung einer diskreten Verteilung 483
Ê
(i) folgt nun aus (ii) wegen μ( ) = 1 und Ê = A ∪ (Ê \ A), A ∩ (Ê \ A) = ∅.
(iii), (iv) und (v) als ÜA (Venn–Diagramm). 2
falls diese Reihe absolut konvergiert. Diese Bedingung sichert die Unabhängig-
keit von der Nummerierung der möglichen Beobachtungswerte (Umordnungs-
satz Bd. 1, § 7 : 6.3). Der Erwartungswert muss nicht existieren, wie das Beispiel
1
P (X = k) = (k+1)(k+2) (k = 0, 1, 2, . . .) zeigt.
Den Erwartungswert μ / einer diskreten Verteilung μ mit Träger in der
abzählbaren Menge {x0 , x1 , . . .} definieren wir ganz entsprechend:
∞
∞
/ :=
μ xk μ({xk }), falls |xk | μ({xk }) < ∞ .
k=0 k=0
2.2 Beispiele
(a) Für die in 1.3 definierte Binomialverteilung μ = b(n, p) erhalten wir
n n
n
n!
/ =
μ k pk (1 − p)n−k = k pk (1 − p)n−k =
k k! (n − k)!
k=0 k=1
484 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
n n−1
n−1 n−1
= n pk (1 − p)n−k = n p pm (1 − p)n−1−m
k−1 m
k=1 m=0
= n p (p + 1 − p) n−1
= np ,
(c) Das Banachsche Schlüsselproblem. Sie stehen im Dunkeln vor der Haustür
und wollen aus Ihrem Schlüsselbund mit n Schlüsseln den richtigen durch Pro-
bieren finden. Im Fall n = 2 genügt ein Versuch. Mit wie vielen Versuchen
müssen Sie im Mittel rechnen, wenn Sie
(i) jeden nichtpassenden Schlüssel zurückhalten und mit den restlichen weiter-
probieren,
(ii) dazu nicht mehr in der Lage sind?
P (Y = y) = P (X ∈ f −1 ({y})) .
Beachten Sie dabei, dass f nicht injektiv sein muss. Daher kann auch im Fall,
dass ΩX = {x0 , x1 , . . .} abzählbar ist, ΩY = {y0 , y1 , . . .} endlich sein. Für
Bm := f −1 ({ym }) gilt
7
(1) Bm = ΩX und Bm ∩ Bn = ∅ für m = n .
m
P (Y = ym ) = P (X ∈ Bm )
m m
7
= P (X ∈ Bm ) = P (X ∈ ΩX ) = 1 .
m
falls eine der beiden Seiten Sinn macht, d.h. falls E(f (X)) existiert oder falls
die rechte Seite eine endliche Summe oder eine absolut konvergente Reihe ist.
Existiert insbesondere E(X), so folgt die Existenz von
E(αX + β) = αE(X) + β .
Beweis.
Nach der Konvention 1.5 (a) dürfen wir ΩX als abzählbar annehmen, wobei wir
zulassen, dass pk := P (X = xk ) Null ist. Wegen (1) gilt
(2) χBm (xk ) = 1 für k = 0, 1, . . . ,
m
wobei in der linken Reihe/Summe jeweils nur ein Glied von Null verschieden ist.
∞
Ferner hat die folgende Reihe die Majorante pk , konvergiert also absolut:
k=0
∞
∞
(3) P (Y = ym ) = P (X ∈ Bm ) = P (X = xk ) χBm (xk ) = pk χBm (xk ) .
k=0 k=0
wobei nach (3) die erste innere Reihe und damit die ihr gleiche zweite innere
Reihe absolut konvergieren. Mit (2) folgt
∞
E(Y ) = pk f (xk ) χBm (xk )
k=0 m
∞
∞
= f (xk ) pk χBm (xk ) = f (xk ) pk
k=0 m k=0
486 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
entweder nach den Rechengesetzen für Reihen, falls ΩY endlich ist, oder nach
dem großen Umordnungssatz Bd. 1, § 7 : 6.6 sonst.
∞
Konvergiert die Reihe |f (xk )| pk , so lassen sich alle Schritte rückwärts ver-
k=0
folgen, und es ergibt sich die Existenz von E(Y ).
Existiert umgekehrt E(X), so gilt wegen pk = 1
k
E(αX + β) = (αxk + β)pk = α xk pk + β pk = αE(X) + β . 2
k k k
/ = E(X) existiert und die rechte Seite Sinn macht, vgl. 2.3 (b).
falls X
In diesem Fall heißt
σ(X) := V (X)
die Streuung oder Standardabweichung von X.
Entsprechend sind Varianz V (μ) und Streuung σ(μ) einer diskreten Verteilung
μ definiert.
Denn nach 2.2 (a) ist E(X) = n p, und aus 2.3 (b) folgt
= n(n − 1) p 2
pm q n−2−m
m
m=0
(b) Besitzt die Zufallsgröße X eine Varianz V (X) = σ 2 mit σ = σ(X) > 0,
/ > 3 σ) dafür, dass die X–Werte von
so ist die Wahrscheinlichkeit P (|X − X|
X/ um mehr als die dreifache Streuung abweichen, sehr gering. Aus der in (c)
behandelten Tschebyschewschen Ungleichung ergibt sich die grobe Abschätzung
/ > 3 σ) <
P (|X − X| 1
,
9
doch in der Praxis ergeben sich meist wesentlich kleinere Werte. Für b(n, p)–
/ > 3 σ) ≈ 0.0027
verteilte Zufallsgrößen X mit n p (1−p) 1 gilt z.B. P (|X − X|
vgl. 4.1 (c).
In der Praxis fallen die meisten Beobachtungswerte für X in das Intervall
/ − 3 σ(X) , X
[X / + 3 σ(X) ] ( 3 σ–Regel ).
Beweis.
/ > k σ} gilt nach 1.5 (b)
Für B := {xi ∈ ΩX | |xi − X|
/ > k σ) =
P (X ∈ B) = P (|X − X| P (X = xi ) .
xi ∈B
> k2 σ 2 P (X = xi ) = k2 V (X) P (X ∈ B) . 2
xi ∈B
(d) Anwendung. In 1.1 wurde gefragt, wie wahrscheinlich es ist, bei 24000
Münzwürfen 12480–mal oder öfter Zahl“ zu erhalten. Es geht also um eine
Abschätzung von P (X − X / ≥ 480),” wobei X eine b( 24000 , 12 )–verteilte Zu-
/ = 12000. Nach 3.1 (c) ist V (X) = 14 · 24000 = 6000. Nach
fallsgröße ist und X
der zweiten Variante der Tschebyschewschen Ungleichung erhalten wir
/ ≥ 480) = P (|X − X|
/ > 479) < 6000
P (|X − X| < 0.0262 .
(479)2
n n
Wegen k
= n−k
folgt
/ ≥ 480) =
P (X − X 1 / ≥ 480) < 0.0131 .
P (|X − X|
2
p (1 − p)
P (|Hn − p| > ε) < → 0 für n → ∞ .
n ε2
(b) Folgerung. Sei X eine diskret verteilte Zufallsgröße und A eine Teil-
menge von Ê mit 0 < p := P (X ∈ A) < 1. Machen wir unter identischen
Bedingungen n Beobachtungen für X, und bezeichnet Zn die Zahl der Fälle mit
Beobachtungsergebnis in A, so gilt für Hn = n1 Zn
Bemerkungen.
Dies ist die mathematische Präzisierung der Formulierung die relativen Häu-
”
figkeiten hn spielen sich für n → ∞ auf p ein“, vgl. 1.1. Die manchmal anzutref-
fende Formulierung lim hn = p“ ist in dieser Form unsinnig; hn ist ja keine
”n→∞
wohlbestimmte Größe, sondern hängt vom Zufall ab. Es hätte durchaus sein
können, dass Pearson bei den Nächsten 24000 Münzwürfen 12950 mal Zahl
erhalten hätte, d.h. h24000 ≈ 0.52. Ein solches Ergebnis wäre zwar möglich,
aber äußerst unwahrscheinlich.
Anders verhält es sich mit der Formulierung lim hn = p mit Wahrschein-
”n→∞
lichkeit 1“. Die Präzisierung dieser Aussage (starkes Gesetz der großen Zahl)
erfordert erheblichen begrifflichen Aufwand, siehe Bauer [115].
Beweis.
(a) Xn ist b(n, p)–verteilt mit Erwartungswert n p und Varianz n p (1−p). Nach
3.3 folgt für Hn = Xn /n
1 p (1 − p)
E(Hn ) = p , V (Hn ) = n p (1 − p) = .
n2 n
Die Behauptung (a) ergibt sich nun aus der zweiten Version der Tschebyschew-
schen Ungleichung 3.2 (c).
(b) Bezeichnen wir das Ergebnis X ∈ A als Erfolg, so erhalten wir ein Ber-
noulli–Experiment mit Erfolgswahrscheinlichkeit p, sind also im Fall (a). 2
490 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
Yn := √Xn −n p
n p (1−p)
gleichmäßig für alle x ∈Ê, und zwar gibt es eine Konstante M mit
√
| Φ(x) − P (Yn ≤ x) | ≤ M/ n für alle x ∈ Ê.
Für den Beweis verweisen wir auf Freudenthal [119]. Die auf de Moivre (um
1721) zurückgehende
√ Beweisidee beruht auf der Stirlingschen–Formel (Bd.1,
§ 10 : 1.5) n! ≈ 2πn (n/e)n .
Wir kommen auf das Beispiel 3.2 (d) zurück: Für eine b(24000, 12 )–verteilte Zu-
√
fallsgröße X ist σ(X) = 12 24000 ≈ 77.5. Daher ist 479 mehr als die sechsfache
Streuung, also P (X − E(X) ≥ 480) < Φ(−6) < 10−9 .
vor. Diesen Ansatz (und damit verbunden eine Begründung für die Methode
der kleinsten Quadrate) erhielt er aus seinem Postulat, dass das arithmetische
Mittel immer ein Schätzwert mit der größten Wahrscheinlichkeit sei.
Die Begründung für den Ansatz (∗) liefert aus heutiger Sicht der zentrale
Grenzwertsatz: Kommen die zufälligen Schwankungen einer Beobachtungs-
größe X durch Überlagerung sehr vieler, unabhängig voneinander wirkender
Elementarstörungen“ zustande, so gilt (∗) mit geeigneten Parametern m, σ in
”
guter Näherung. Dieser Sachverhalt wurde erstmalig 1901 von Ljapunow unter
geeigneten Voraussetzungen bewiesen. Astronomische Beobachtungswerte sind
annähernd m–σ–verteilt, d.h. (∗) ist mit großer Genauigkeit erfüllt.
Eine b(n, p)–verteilte Zufallsgröße X ist nach 4.1 für 0 < p < 1 und n 1
annähernd m–σ–normalverteilt mit
σ = n p (1 − p) .
Die m–σ–Normalverteilung ist (wie die Poisson–Verteilung) eine Grenzver-
teilung, geeignet zur Approximation bestimmter realer Verteilungen.
4.3 Verteilungen mit Dichten
(a) Eine Zufallsgröße X heißt stetig verteilt mit Dichte , wenn für jedes
Intervall I
P (X ∈ I) = (x) dx
Ê→Ê
I
gilt, wobei : + eine integrierbare Funktion ist mit
+∞
(x) dx = 1 .
−∞
Für die Verteilung μ (der Beobachtungswerte) von X ergeben sich folgende
Unterschiede zu diskreten Verteilungen:
– Ein einzelner Beobachtungswert hat Wahrscheinlichkeit Null.
– Die Wahrscheinlichkeit μ(A) = P (X ∈ A) ist nicht für alle Teilmengen
A⊂ Ê definiert.
Damit ist gemeint, dass es unter den üblichen Grundannahmen der Mengenlehre
Ê
kein für alle Teilmengen von definiertes Wahrscheinlichkeitsmaß gibt, welches
die Eigenschaften (W1 ), (W2 ), (W3 ) von 1.7 erfüllt und auf den Intervallen I mit
μ übereinstimmt (Banach, Kuratowski 1929).
Für offene Mengen Ω ⊂
Ê und stetige Funktionen : Ê→Ê + lässt sich
μ(Ω) := (x) dx
Ω
gemäß Bd. 1, § 23 : 4.2, 4.3 definieren. Da wir die Kenntnis des Lebesgue–Inte-
grals an dieser Stelle nicht voraussetzen, soll dies vorläufig genügen, zumal wir
auf Definitionsbereiche allgemeiner Wahrscheinlichkeitsmaße noch ausführlicher
eingehen.
492 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
(b) In Analogie zu 2.1, 3.1 definieren wir den Erwartungswert E(X) und die
Varianz V (X) durch
+∞
+∞
/ :=
E(X) = X x (x) dx , V (X) := / 2 (x) dx ,
(x − X)
−∞ −∞
falls diese Integrale existieren. Hier gilt generell V (X) > 0, was für stetige
Dichten leicht zu sehen ist.
Die Tschebyschewsche Ungleichung und damit das schwache Gesetz der großen
Zahl lassen sich leicht auf den vorliegenden Fall übertragen ÜA . Der Beweis
der Formel
+∞
E(f (X)) = f (x) (x) dx
−∞
Ê
(W2 ) μ( ) = 1 ,
2
∞
∞
(W3 ) μ( Ak ) = μ(Ak ) für paarweise disjunkte Mengen A1 , A2 , . . . ∈ B.
k=1
k=1
Dabei ist zu verlangen, dass mit den Ak auch die Vereinigung zu B gehört.
Im Hinblick auf das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten muss B mit A auch
5 σ–Algebren und Borelmengen 493
Ê
das Komplement \ A enthalten und gegenüber Durchschnittsbildungen abge-
schlossen sein. Dies führt auf den Begriff der σ–Algebra, den wir als Nächstes
behandeln. Bevor wir allgemeine Verteilungen genauer charakterisieren können
(Abschnitt 9), müssen wir einiges über die Konstruktion von Maßen voraus-
schicken.
Dann gehört auch ∅ zu A, und mit je endlich ober abzählbar vielen Mengen
enthält A auch deren Durchschnitt ÜA .
Wir fassen künftig eine σ–Algebra A als eine Menge von Mengen auf und schrei-
ben A ∈ A statt A gehört zu A“. Als Definitionsbereiche des Lebesgue–Maßes
”
Ê
bzw. von Verteilungen (Wahrscheinlichkeitsmaßen auf ) wählen wir grundsätz-
lich σ–Algebren.
(b) Beispiele. (i) Die Gesamtheit sämtlicher Teilmengen von Ω bildet eine
σ–Algebra auf Ω, genannt die Potenzmenge von Ω und bezeichnet mit (Ω). È
(ii) Die kleinste σ–Algebra auf Ω ist {∅, Ω}.
Diskrete Verteilungen lassen sich als Wahrscheinlichkeitsmaße auf der vollen
Potenzmenge von Ê
definieren; für Verteilungen mit Dichten ist dies nach 4.3
nicht möglich.
(c) Zum Nachweis, dass ein Mengensystem ein σ–Algebra bildet, dient der
folgende
Satz. Eine Kollektion A von Teilmengen von Ω ist genau dann eine σ–Algebra
auf Ω, wenn folgendes gilt:
(S1 ) Ω ∈ A ,
(S2 ) A ∈ A =⇒ Ac := Ω \ A ∈ A ,
(S3 ) A, B ∈ A =⇒ A ∩ B ∈ A ,
7
∞
(S4 ) für paarweise disjunkte A1 , A2 , . . . aus A gehört Ak zu A.
k=1
Beweis.
Offenbar ist nur zu zeigen, dass für ein Mengensystem A mit (S1 )–(S4 ) die
Eigenschaft (iii) einer σ–Algebra erfüllt ist. Für beliebige Mengen B1 , B2 , . . .
aus A seien
A1 := B1 , A2 := B2 \ B1 und allgemein
7
n -
n
An+1 := Bn+1 \ Bk = Bn+1 ∩ (Ω \ Bk ) für n = 1, 2, . . . .
k=1 k=1
Beweis.
È
Es gibt wenigstens eine K umfassende σ–Algebra, nämlich (Ω). Wir definieren
σ(K) als den Durchscnitt aller K umfassenden σ–Algebren:
Der Durchschnitt beliebig vieler σ–Algebren ist eine σ–Algebra, ÜA . Daher ist
σ(K) eine σ–Algebra und hat nach Konstruktion die behauptete Minimaleigen-
schaft. 2
(c) ÜA Sei Ω = ∅. Bestimmen Sie σ(K) für K = {∅} und für K = {A} mit
∅ = A = Ω.
5.3 Borelmengen
Ê
(a) Die von den offenen Teilmengen des n erzeugte σ–Algebra bezeichnen wir
Ê
mit B( n ); deren Mitglieder heißen Borelmengen. Statt B( ) schreiben wir Ê
kurz B.
(b) Für eine nichtleere Borelmenge M ⊂ Ên definieren wir
B(M ) := {B ∈ B( Ên) | B ⊂ M } = {A ∩ M | A ∈ B(Ên)} .
5 σ–Algebren und Borelmengen 495
Ê
(c) Nach 5.1 (a) enthält B( n ) alle offenen und abgeschlossenen Mengen, fer-
ner alle abzählbaren Vereinigungen abgeschlossener Megen (Fσ –Mengen) und
alle abzählbaren Durchschnitte offener Mengen (Gσ –Mengen). Durch wieder-
holte Bildung von Komplementen, abzählbaren Vereinigungen und abzählbaren
Durchschnitten ergeben sich immer neue Borelmengen, doch lassen sich auf die-
se Weise nicht alle Borelmengen erzeugen“. Insofern ist die in der Literatur
”
gebräuchliche Bezeichnung die von den offenen Mengen erzeugte σ–Algebra“
”
etwas irreführend; angemessener, aber sprachlich unschön wäre die die offenen
”
Mengen einhüllende σ–Algebra“.
Beweis.
Wir beschränken uns auf Intervalle I ⊂ Ê; (d) ergibt sich in analoger Weise.
(a) Nach 5.3 (c) gehört die Kollektion K der kompakten Intervalle zu B, also
gilt σ(K) ⊂ B. Es folgt
∞
7 ∞
7
]a, b[ = a+ 1
n
,b − 1
n
∈ B, ]a, b] = a+ 1
n
,b ∈ B,
n=1 n=1
7
∞
]−∞, b] = [−n, b] ∈ B ,
n=1
und entsprechend ergibt sich, dass jedes Intervall zu σ(K) und damit zu B gehört
ÜA . Ist KT die Kollektion aller Intervalle eines Typs T , so folgt nach 5.2 also
σ(KT ) ⊂ σ(K) ⊂ B. Andererseits gilt
496 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
∞
- ∞
-
[a, b] = a− 1
n
,b + 1
n
= a− 1
n
,b
n=1 n=1
Ê \ 7 −∞, a −
∞
= ]−∞, b] \ ]−∞, a[ = ]−∞, b] ∩ 1
n
,
n=1
also K ⊂ σ(KT ) für die Intervalltypen ]a, b[, ]a, b], ]−∞, b]. Entsprechend folgt
K ⊂ σ(KT ) für die anderen Intervalltypen ÜA . Daher gilt σ(KT ) = σ(K) ⊂ B
für jeden Intervalltyp T .
(b) Jede offene Menge Ω ⊂ Ê
ist die Vereinigung abzählbar vieler kompakter
Intervalle (Bd. 1, § 23 : 4.1). Mit Lemma 5.2 (b) erhalten wir B ⊂ σ(K) und somit
insgesamt B = σ(K) = σ(KT ) für jeden Intervalltyp T . 2
6.1 Definition. Unter einem Maß verstehen wir eine Vorschrift, die jeder Men-
ge A einer σ–Algebra A auf einer nichtleeren Menge Ω ein Maß μ(A) zuordnet
mit
(M1 ) μ(A) ≥ 0 oder μ(A) = ∞ ,
(M2 ) μ(∅) = 0 ,
7
∞
∞
(M3 ) μ( Ak ) = μ(Ak ) für paarweise disjunkte Mengen Ak ∈ A .
k=1 k=1
Das Maß μ heißt σ–endlich, wenn es Mengen Ωk endlichen Maßes gibt mit
7
∞
Ω1 ⊂ Ω2 ⊂ . . . und Ω = Ωk . Gilt μ(Ω) < ∞ , so heißt μ ein endliches
k=1
Maß. Für endliche Maße ist die Forderung (M2 ) überflüssig ÜA .
6 Eigenschaften von Maßen 497
(W2 ) μ(Ω) = 1 ,
7
∞
∞
(W3 ) μ( Ak ) = μ(Ak ) für paarweise disjunkte Mengen Ak ∈ A .
k=1 k=1
(d) μ(A ∪ B) = μ(A) + μ(B) − μ(A ∩ B), falls A und B μ–messbar sind und
μ(A ∪ B) < ∞.
Beweis.
(a) Wir setzen C1 := A1 und Ck := Ak \ Ak−1 für k ≥ 2 (Skizze!). Wegen
(S2 ), (S3 ) gehören die Ck = Ak ∩ (Ω \ Ak−1 ) für k ≥ 2 zu A.
498 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
Gibt es ein N ∈
mit μ(AN ) = ∞, so folgt mit 6.2 (c) auch μ(Ak ) = ∞ für
k ≥ N sowie μ(A) = ∞. Andernfalls gilt nach 6.2 (b)
= lim μ(An ) .
n→∞
-
∞
(b) Wir setzen Ak := B1 \ Bk ∈ A, B := Bk und
k=1
7
∞ 7
∞ -
∞
A := Ak = (B1 \ Bk ) = B1 \ Bk = B1 \ B .
k=1 k=1 k=1
wobei diese Ungleichung als erfüllt gilt, wenn nicht alle Mk endliches Maß haben
oder wenn die rechtsstehende Reihe divergiert.
7 Konstruktion von Maßen durch Fortsetzung 499
zu einem Maß auf eine σ–Algebra A fortgesetzt werden. Dies geschieht nach
einem allgemeinen Prinzip, welches wir im folgenden schildern.
(b) Eine nichtleere Kollektion R von Teilmengen von Ω = ∅ heißt ein Men-
genring auf Ω, wenn R mit je zwei Mengen A, B auch A ∪ B und A \ B enthält.
Es gilt dann
∅ = C \ C ∈ R,
da R wenigstens eine Menge C enthält, und
A, B ∈ R =⇒ A ∩ B = A \ (A \ B) ∈ R .
Eine abzählbare Vereinigung von Mengen aus R muss ebensowenig zu R
gehören wie Ω selbst.
Ê
Uns interessiert vor allem der Mengenring Rn auf n , bestehend aus der lee-
ren Menge und allen endlichen Vereinigungen halboffener Quader ]a, b]. Zum
Nachweis der Mengenringeigenschaft ist offenbar nur zu zeigen: A, B ∈ Rn
=⇒ A \ B ∈ Rn . Daraus ergibt sich dann leicht, dass jede nichtleere Menge
A ∈ Rn die endliche Vereinigung paarweise disjunkter Quader vom Typ ]a, b]
ist.
ÜA Machen Sie sich diese Sachverhalte für R1 und R2 anhand von Skiz-
zen klar. Daraus ergibt sich die Beweisidee für Rn ; wir verzichten auf die
Ausführung.
(c) Ein Prämaß μ auf einem Mengenring R ist definiert durch die Eigen-
schaften
μ(A) ≥ 0 oder μ(A) = ∞ für A ∈ R , μ(∅) = 0 ,
500 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
2
∞
∞
μ( Ak ) = μ(Ak )
k=1
k=1
7
∞
für paarweise disjunkte Ak ∈ R , falls Ak ∈ R .
k=1
Das Prämaß heißt σ–endlich, wenn es Mengen Ak ∈ R gibt, mit μ(Ak ) < ∞,
7
∞
Ak ⊂ Ak+1 (k = 1, 2, . . .) und Ω = Ak .
k=1
Beispiele für Prämaße folgen in den Abschnitten 8 und 9.
μ∗ (M ) := ∞ sonst.
In der Regel ist μ∗ nicht einmal endlich additiv: Ist der Rand einer Menge A
zu ausgefranst, so kann es Mengen M geben mit
μ∗ (M ) < μ∗ (M ∩ A) + μ∗ (M \ A) .
7 Konstruktion von Maßen durch Fortsetzung 501
Bemerkungen. Wir wenden den Fortsetzungssatz nur auf Prämaße auf dem
Ê
Mengenring Rn an. Dieser erzeugt die σ–Algebra B( n ) der Borelmengen (vgl.
Ê
5.4). Die oben definierte σ–Algebra A kann größer als B( n ) sein: Beim Dirac-
ÈÊ
schen Prämaß auf R1 ergibt sich z.B. A = ( ); für den elementargeometri-
schen Inhalt und für die Normalverteilung auf R1 besteht A aus den Lebesgue–
messbaren Mengen (Abschnitt 8). Für Wahrscheinlichkeitsmaße auf Êwählen
wir, auch im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Fortsetzung, als gemeinsamen
Definitionsbereich immer die Borelalgebra B.
(b) Sei (Ω, A, μ) ein beliebiger Maßraum. Eine Menge N ∈ A mit μ(N ) = 0
heißt μ–Nullmenge .
Das Maß μ heißt vollständig, wenn für jede μ–Nullmenge auch alle Teilmengen
zu A gehören (und daher μ–Nullmengen sind).
Nach (a) ist die in 7.2 konstruierte Fortsetzung (Ω, A, μ) eines Prämaßes voll-
ständig. Schränken wir es (wie bei Wahrscheinlichkeitsmaßen üblich) auf die
Borelmengen ein, so kann die Vollständigkeit verloren gehen.
(c) μ–Nullmengen können sehr groß sein: Für diskrete Verteilungen μ mit
supp μ = {x0 , x1 , . . .} ist Ê
\ {x0 , x1 , . . .} eine μ–Nullmenge.
(d) Satz. Die Vereinigung und der Durchschnitt höchstens abzählbar vieler μ–
Nullmengen sind jeweils wieder μ–Nullmengen.
Denn nach 5.1 sind die Vereinigung V und der Durchschnitt D höchstens abzähl-
bar vieler μ–messbarer Mengen wieder μ–messbar. Für V ergibt sich die Null-
mengeneigenschaft aus der Subadditivität 6.4. Weiter folgt aus D ⊂ N und
μ(N ) = 0 auch μ(D) ≤ μ(N ) = 0.
8 Das Lebesgue–Maß
8.1 Fortsetzung des Lebesgueschen Prämaßes
(a) Die endlichen Vereinigungen halboffener Quader ]a, b] bilden zusammen
mit der leeren Menge einen Mengenring Rn . Das Lebesgue–Maß V n wird wie
folgt eingeführt:
Wir setzen V n (∅) := 0 und für jede nichtleere Menge M ∈ Rn
N
V n (M ) := V n (Ik ) ,
k=1
falls
7
N
M = Ik mit paarweise disjunkten Quadern Ik = ]ak , bk ].
k=1
Das macht Sinn, d.h. die rechte Seite hängt nicht von der Art der Zerlegung ab.
Dies ergibt sich wie in Bd. 1, § 23 : 1.
Hiermit erhalten wir ein endlich–additives Maß V n auf Rn . Zum Nachweis der
Prämaßeigenschaft genügt es daher zu zeigen: Aus
7
∞
I = ]a, b] = Ik mit paarweise disjunkten Ik = ]ak , bk ]
k=1
folgt
∞
V n (I) = V n (Ik ) .
k=1
8 Das Lebesgue–Maß 503
Die Ungleichung
N N
V n (Ik ) = V n (I k ) ≤ V n (I) = V n (I) für N ∈
k=1 k=1
erhalten wir wie in Bd. 1, § 23 : 1 aus einer Rasterung von I durch Einziehen
aller an I1 , . . . , IN beteiligten Randhyperebenen. Zu zeigen bleibt
∞
V n (I) ≤ V n (Ik ) .
k=1
Ê
Satz. (a) Eine Menge M ⊂ n ist genau dann Lebesgue–messbar im Sinne
von 8.1, wenn es zu jedem ε > 0 eine offene Menge Ω und eine abgeschlossene
Menge A gibt mit
A⊂M ⊂Ω und V n (Ω \ A) < ε .
Im Fall V n (M ) < ∞ gilt
V n (M ) = inf { V n (Ω) | Ω offen, M ⊂ Ω }.
F ⊂ M ⊂ G , V n (G \ F ) = 0 , V n (F ) = V n (M ) = V n (G) .
Aus (b) und 7.2 (d) folgt, dass das Lebesgue–Maß die einzige Fortsetzung des
n–dimensionalen Volumens von Quadern auf die σ–Algebra Ln ist.
9 Wahrscheinlichkeitsmaße auf Ê
9.1 Allgemeines
Ê
(a) Nach den Bemerkungen 7.2 verstehen wir unter einem Wahrscheinlich-
keitsmaß auf (im Folgenden Verteilung genannt)eine auf den Borelmen-
gen in Ê definierte Mengenfunktion μ mit
(W1 ) μ(A) ≥ 0 für alle A ∈ B ,
Ê
(W2 ) μ( ) = 1 ,
7
∞
∞
(W3 ) μ( Ak ) = μ(Ak ) für paarweise disjunkte Ak ∈ B.
k=1 k=1
Wie in 1.7 (b) folgt die endliche Additivität und daraus für A, B ∈ B
μ( Ê \ A) = 1 − μ(A) ,
A ⊂ B =⇒ μ(B \ A) = μ(B) − μ(A) , also μ(A) ≤ μ(B) ,
Weiter gelten die Stetigkeitsaussagen 6.3 und die Subadditivität 6.4; die Vor-
aussetzung μ(B1 ) < ∞ in 6.3 (b) ist immer erfüllt.
Beachten Sie, dass für Verteilungen mit Dichten ein einzelner Messwert die
Wahrscheinlichkeit Null hat. Ist μ eine diskrete Verteilung mit dem Träger
supp μ = {x0 , x1 , . . . }, so sind x0 , x1 , . . . genau die möglichen Messwerte.
9 Wahrscheinlichkeitsmaße auf Ê 505
Die Eigenschaften (W1 ),(W2 ) sind evident; (W3 ) folgt aus dem großen Umord-
nungssatz Bd. 1, § 7 : 6.6 ÜA .
Beweis.
(a) Für a < b gilt ]−∞, a] ⊂ ]−∞, b], also μ(]−∞, a]) ≤ μ(]−∞, b]).
Unter (g) zeigen wir die Existenz der einseitigen Grenzwerte F (a+), F (a−) für
a∈ Êsowie der Grenzwerte lim F (x) , lim F (x).
x→∞ x→−∞
506 § 19 Maß und Wahrscheinlichkeit
-
∞
(c) Für Cn = ]−∞, −n] gilt C1 ⊃ C2 ⊃ . . . und Cn = ∅ , somit
n=1
-
∞
lim F (x) = lim F (−n) = lim μ(Cn ) = μ( Cn ) = 0
x→−∞ n→∞ n→∞ n=1
nach 6.3 (b); entsprechend folgt lim F (x) = 1 aus 6.3 (a) ÜA .
x→∞
(d) F (b) − F (a) = μ(]−∞, b] \ ]−∞, a]) = μ(]a, b]) für a < b.
-
∞
(f) Für Bn = a− 1
n
,b gilt B1 ⊃ B2 ⊃ . . . und Bn = [a, b], also
n=1
μ([a, b]) = lim μ(]a − 1
n
, b]) = F (b) − F (a−). (e) ist ein Spezialfall von (f).
n→∞
Beweis.
Entscheidende Voraussetzung des Fortsetzungssatzes 7.2 ist die Prämaßeigen-
schaft. Dazu genügt es, zu zeigen:
Ist I = ]a, b] die Vereinigung abzählbar vieler, paarweise disjunkter Mengen
Ri ∈ R1 , so gilt
∞
μ(I) = μ(Ri ) .
k=1
9 Wahrscheinlichkeitsmaße auf Ê 507
Wir können jedes Ri als Vereinigung endlich vieler paarweise disjunkter In-
tervalle des Typs ]α, β] darstellen und erhalten so insgesamt abzählbar viele,
paarweise disjunkte Intervalle Ik = ]ak , bk ], deren Vereinigung I ist. Zu zeigen
bleibt
∞
μ(I) = μ(Ik ) .
k=1
(a) Von endlich vielen Intervallen I1 , . . . , IN dürfen wir, ggf. nach Umnume-
rierung, voraussetzen
a ≤ a 1 < b1 ≤ a 2 < b 2 ≤ · · · < bN ≤ b .
Aufgrund der Monotonie von F erhalten wir
N
N
μ(Ik ) = (F (bk ) − F (ak ))
k=1 k=1
N−1
≤ (F (ak+1 − F (ak )) + F (bN ) − F (aN )
k=1
∞
(b) Zu zeigen ist μ(I) ≤ μ(Ik ).
k=1
(b) Ausgangspunkt ist ein beliebiger Maßraum (Ω, A, μ) mit einem σ–endlichen
Maß μ, vgl. § 19 : 6. Die Mengen A ∈ A nennen wir μ–messbar oder kurz
messbar. Die Verbindung zwischen Maß und Integral wird über die Beziehung
(∗) χA dμ := μ(A) für A ∈ A mit μ(A) < ∞
Ω
hergestellt. Für das Lebesgue–Maß ergibt sich schon hier eine erhebliche Erwei-
terung des Integralbegriffs von Bd. 1, § 23, z.B. ist Ê χ dλ = 0.
Für eine Elementarfunktion ϕ der Form
N
ϕ = ak χAk ,
k=1
wobei die Ak paarweise disjunkte messbare Mengen endlichen Maßes sind, de-
finieren wir
N
ϕ dμ := ak μ(Ak )
Ω k=1
und zeigen in Abschnitt 2, dass dieses Integral linear und monoton ist.
(c) Wir definieren nun das Integral f dμ für beschränkte reellwertige Funk-
Ω
tionen f auf Ω, von denen wir nur voraussetzen, dass das Urbild f −1 (I) beliebi-
ger Intervalle I zu A gehört. Solche Funktionen nennen wir messbar, Näheres
dazu in Abschnitt 3. Einfachheitshalber setzen wir zunächst μ(Ω) < ∞ voraus.
−M χΩ ≤ ϕ1 ≤ ϕ2 ≤ . . . ≤ f ,
2 Das μ–Integral für Elementarfunktionen 509
existiert ak
f dμ := lim ϕn dμ .
n→∞
Ω Ω
Beweis. ω
Für n ∈
sei N := 2n . Wir untertei-
len [−M, M ] durch die äquidistanten
Teilpunkte
2M
ak := −M + k
N
a1
(k = 0, . . . , N ) in N paarweise dis-
−M
junkte Teilintervalle I0 = [a0 , a1 ] und
Ik = ]ak , ak+1 ] für k = 1, . . . , N − 1.
7
N
Diese kann so gewählt werden, dass Bk = Ω ÜA , vgl. Bd. 1, § 23 : 1.3.
k=1
N
Für Treppenfunktionen ϕ = ck χIk bedeutet disjunkte Darstellung“ hier,
k=1
”
anders als in Bd. 1, § 23 : 1.3, dass die Quader Ik paarweise disjunkt sind. Hier-
durch wird der Möglichkeit Rechnung getragen, dass Teile von Quaderrändern
positives Maß haben können.
N
Für jede disjunkte Darstellung ϕ = bk χBk gilt offenbar
k=1
setzen wir
N
ϕ dμ = ϕ(ω) dμ(ω) := bk μ(Bk ) .
Ω Ω k=1
Dass diese Definition Sinn macht, d.h. dass die rechte Seite für jede disjunkte
Darstellung denselben endlichen Wert hat, sehen wir wie folgt ein. Wegen Bk ⊂
supp ϕ für k = 1, . . . , N ist die rechte Seite endlich. Gegeben seien zwei disjunkte
Darstellungen
M
N 7
M 7
N
ϕ = ai χAi = bk χBk mit Ai = Bk = Ω .
i=1 k=1 i=1 k=1
M
N
M
N
ai χAi ∩Bk = ϕ = bk χAi ∩Bk .
i=1 k=1 i=1 k=1
Es folgt ai = bk , falls μ(Ai ∩Bk ) > 0, und damit wegen der endlichen Additivität
M
M
N
N
M
ai μ(Ai ) = ai μ(Ai ∩ Bk ) = bk μ(Ai ∩ Bk )
i=1 i=1 k=1 k=1 i=1
N
= bk μ(Bk ) .
k=1
512 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
Beweis als ÜA : Die Aussagen (a), (b), (d) ergeben sich aus einer gemeinsamen
disjunkten Darstellung. Für (d) und (e) ist 2.1 (d) zu beachten. 2
2.4 Beispiele
Ê
(a) Treppenfunktionen im n sind spezielle Elementarfunktionen, die bezüg-
lich des Lebesgue–Maßes λn = V n integrierbar sind. Aus 2.3 (a) ergibt sich
ϕ dV n = ϕ(x) dn x ,
Ên Ên
wobei die rechte Seite im herkömmlichen Sinn zu verstehen ist (Bd. 1, § 23 : 1.4).
∞
μ(B) = pk = pk χB (xk ) .
xk ∈B k=0
N
N
∞
∞
N
ϕ dμ = bi μ(Bi ) = bi pk χBi (xk ) = pk bi χBi (xk ) .
Ê i=1 i=1 k=0 k=0 i=1
Dabei ist
ϕ(xk ) falls xk ∈ Bi ,
bi χBi (xk ) =
0 sonst.
514 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
N
bi χBi (xk ) = ϕ(xk ) für k = 1, 2, . . .
i=1
und damit die Behauptung. Die absolute Konvergenz der Reihe folgt wegen
| ϕ(xk ) pk | ≤ ϕ∞ pk aus dem Majorantenkriterium.
3 Messbare Funktionen
3.1 Definitionen, Bezeichnungen
(a) Gegeben sei eine σ–Algebra A auf einer nichtleeren Menge Ω. Eine Funktion
Ê
f : Ω → heißt messbar (genauer A–messbar), wenn für jedes Intervall I das
Urbild f −1 (I) zu A gehört, vgl. 1 (c).
Eine komplexwertige Funktion heißt messbar, wenn Real– und Imaginärteil
messbar sind.
Beweis.
Für eine beliebige Funktion f : Ω → Ê
ist Σ := {M ⊂ | f −1 (M ) ∈ A} eine Ê
Ê Ê Ê
σ–Algebra auf . Denn es gilt f ( ) = Ω, f −1 ( \ M ) = Ω \ f −1 (M ), sowie
−1
7
∞ 7
∞ -
∞ -
∞
f −1 ( Ai ) = f −1 (Ai ) , f −1 ( Bj ) = f −1 (Bj )
i=1 i=1 j=1 j=1
Enthält Σ alle Intervalle eines der in (a) bis (d) genannten Typen, so enthält Σ
nach § 19 : 5.4 alle Borelmengen. Auch aus (f) folgt (e): Enthält Σ alle offenen
Mengen, so enthält Σ alle Intervalle vom Typ ]α, β[. Umgekehrt folgen aus (e)
alle übrigen Aussagen. 2
Ê
(b) Jede auf einer Borelmenge Ω ⊂ n stetige Funktion f : Ω → Ê ist Borel–
messbar (d.h. B(Ω)–messbar) und Lebesgue–messbar.
Denn für f ∈ C(Ω) gilt {f ≤ β} = Ω ∩ {f ≤ β} für alle β ∈ ÜA . Die Ê
Behauptung folgt aus 3.2 (b), da abgeschlossene Mengen Borelmengen und somit
auch Lebesgue–messbar sind.
(c) Mit f ist auch −f messbar, da in 3.2 die Bedingungen (a), (b), (c) äqui-
valent sind.
(f) Mit f sind auch f+ , f− und |f | messbar. Denn {f+ ≤ β} = ∅ für β < 0,
und {f+ ≤ β} = {f ≤ β} für β ≥ 0. Entsprechend für f− . Schließlich gilt
{|f | ≤ β} = ∅ für β < 0 und {|f | ≤ β} = {f ≤ β} ∩ {−f ≤ β} für β ≥ 0.
wenn für jedes ω ∈ Ω die Folge (fn (ω)) nach oben beschränkt ist, also ein
mit g(ω) bezeichnetes Supremum besitzt. Entsprechend soll die Aussage h =
Æ
inf{fn | n ∈ } existiert“ verstanden werden.
”
Æ
Satz. Existiert g = sup { fn | n ∈ } für eine Folge messbarer Funktionen
Ê Æ
fn : Ω → , so ist g messbar. Existiert h = inf{fn | n ∈ }, so ist h messbar.
516 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
Beweis.
-
∞
(i) Es gilt {g ≤ β} = {fn ≤ β} ÜA . Mit den Mengen {fn ≤ β} gehört
n=1
auch ihr Durchschnitt zu A. Also ist g nach 3.2 (b) messbar.
-
∞
(ii) Die zweite Behauptung folgt aus {h ≥ α} = {fn ≥ α} ÜA und aus
n=1
3.2 (c). 2
Lemma. Der Grenzwert a einer konvergenten reellen Zahlenfolge (an ) lässt sich
darstellen durch
a = inf sup am .
n∈ m≥n
Aus diesem ergibt sich die Behauptung des Satzes mit am = fm (ω), gn (ω) =
Æ
sup{fm (ω) | m ≥ n} und f (ω) = inf{gn (ω) | n ∈ } mit Hilfe von (a).
Zum Beweis des Lemmas beachten wir, dass konvergente Folgen beschränkt
sind. Also existieren die Suprema
bn := sup { am | m ≥ n} für n = 1, 2, . . . .
Die Folge (bn ) fällt monoton und ist durch inf{am | m ∈ Æ} nach unten be-
schränkt, also existiert b := lim bn = inf{bn | n ∈ }.
n→∞
Æ
Wegen bn ≥ an gilt b = lim bn ≥ lim an = a.
n→∞ n→∞
(b) Für einen σ–endlichen Maßraum (Ω, A, μ) ist jede positive messbare Funk-
tion f auf Ω punktweiser Limes einer aufsteigenden Folge μ–integrierbarer,
positiver Elementarfunktionen.
(c) Folgerung. Eine Funktion f : Ω → Ê
ist genau dann messbar, wenn sie
punktweiser Limes einer Folge von Elementarfunktionen ist.
Beweis.
(a) wurde in Abschnitt 1 gezeigt. Die dortige Voraussetzung μ(Ω) < ∞ sollte
nur die μ–Integrierbarkeit der approximierenden Elementarfunktionen sichern.
Diese sind nach Konstruktion positiv, wenn f positiv ist.
(b) Wegen der σ–Endlichkeit von μ gibt es Mengen Ωn ∈ A mit μ(Ωn ) < ∞,
7
∞
so dass Ω1 ⊂ Ω2 ⊂ . . . und Ω = Ωn . Für die Mengen
n=1
Bn := Ωn ∩ {f ≤ n} ∈ A
7
∞
gilt ebenfalls μ(Bn ) < ∞, B1 ⊂ B2 ⊂ . . . und Ω = Bn . Die Funktionen
n=1
fn := f χBn
sind positiv und aufgrund der Bedingung 3.2 (c) messbar:
{fn ≥ α} = Ω für α ≤ 0 und
denn für α > 0 gilt {fn ≥ α} ⊂ Bn , und auf Bn gilt fn (ω) = f (ω). Nach (a)
gibt es Elementarfunktionen ψn mit
1 χ
0 ≤ ψn ≤ fn ≤ ψn + Ω.
n
Wegen supp ψn ⊂ Ωn sind die ψn und damit auch die ϕn = sup{ψ1 , . . . , ψn }
μ–integrierbare Elementarfunktionen, und es gilt
0 ≤ ϕ1 ≤ ϕ2 ≤ . . . ≤ f .
Zu jedem ω ∈ Ω gibt es ein N ∈ Æ mit ω ∈ BN . Dann gilt auch ω ∈ Bn für
n ≥ N , also
1
0 ≤ f (ω) − ϕn (ω) ≤ f (ω) − ψn (ω) ≤ → 0 für n → ∞ .
n
(c) Elementarfunktionen sind messbar, also ist nach 3.4 (b) auch jeder punkt-
weise Limes von Elementarfunktionen messbar. Ist umgekehrt f : Ω → Ê
messbar, so sind auch f+ , f− messbar, also nach (b) punktweise Limites (μ–
integrierbarer) Elementarfunktionen. 2
518 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
so ist h messbar.
Beweis.
Seien f, g : Ω → messbar. Nach 3.5 (c) gibt es dann Elementarfunktionen
ϕn , ψn mit ϕn → f , ψn → g punktweise auf Ω. Nach 3.5 (c) sind dann auch
(b) Fast überall konvergierende Folgen messbarer Funktionen. Eine Folge mess-
barer Funktionen fn : Ω →
heißt konvergent μ–f.ü., wenn es eine μ–
Nullmenge N gibt, so dass die Folge (fn (ω)) für alle ω ∈ Ω \ N konvergiert. In
diesem Fall ist durch
(
lim fn (ω) für ω ∈ Ω \ N ,
f (ω) := n→∞
0 für ω ∈ N
eine messbare Funktion f gegeben, denn die Folge fn · χΩ\N konvergiert überall
gegen f . Wir schreiben hierfür f = lim fn μ–f.ü.
n→∞
(c) Fast überall differenzierbare Funktionen. Sei f auf dem Intervall I messbar
und fast überall differenzierbar, d.h. es gebe eine Lebesgue–Nullmenge N , so
dass f (x) für alle x ∈ I \ N existiert. Definieren wir f (x) := 0 für x ∈ N ,
so erhalten wir eine (Lebesgue–)messbare Funktion f : I → . Wir zeigen
dies für Intervalle I = ]a, b[. Da d(x) := 12 dist (x, ∂I) stetig ist, sind durch
n
fn (x) = d(x) f (x + d(x)
n
) − f (x) für x ∈ I \ N bzw. fn (x) = 0 für x ∈ N
messbare Funktionen fn : I → gegeben mit fn (x) → f (x) für alle x ∈ I.
Den Beweis für andere Intervalltypen überlassen wir den Lesern als ÜA .
Entsprechend definieren wir partielle Ableitungen fast überall.
4 Das μ–Integral 519
4 Das μ–Integral
4.1 Das μ–Integral für positive messbare Funktionen
Durch (Ω, A, μ) sei ein σ–endliches Maß μ gegeben. Dann gibt es nach 3.5 zu
Ê
jeder A–messbaren Funktion f : Ω → + eine aufsteigende Folge positiver
μ–integrierbarer Elementarfunktionen ϕn , die auf Ω punktweise gegen f kon-
vergieren. Jede solche Folge nennen wir integraldefinierend
für f . Ist die nach
2.3 monoton wachsende Folge der μ–Integrale ϕn dμ nach oben beschränkt,
Ω
so heißt f μ–integrierbar, und das μ–Integral von f ist definiert durch
f dμ := lim ϕn dμ .
n→∞
Ω Ω
Ist f nicht μ–integrierbar, so schreiben wir f dμ = ∞ .
Ω
Die Wahl der integraldefinierenden Folge (ϕn ) spielt dabei keine Rolle. Denn
für jede andere integraldefinierende Folge (ψn ) für f gilt
ϕm (ω) ≤ lim ψn (ω) = f (ω) , ψm (ω) ≤ lim ϕn (ω) = f (ω)
n→∞ n→∞
daraus ergibt sich für m → ∞ die Gleichheit der Grenzwerte beider Integralfol-
gen bzw. deren simultane Divergenz.
Dann gilt
ψ dμ ≤ lim ϕn dμ ,
n→∞
Ω Ω
wobei diese Ungleichung auch als erfüllt gilt, wenn lim ϕn dμ = ∞.
n→∞
Ω
Beweis.
Für ψ = 0 ist nichts zu beweisen; sei also ψ = 0. Wir definieren
Da ψ messbar und μ–integrierbar ist, gilt P ∈ A und μ(P ) < ∞, ferner gilt
0 < α ≤ β. Sei ε ∈ ]0, α[ vorgegeben. Dann gehören die Mengen
An = {ϕn ≥ ψ − ε} ∩ P und Bn := P \ An
7
∞
zu A. Ferner gilt A1 ⊂ A2 ⊂ . . . und P = An nach Voraussetzung. Aus
n=1
§ 19 : 6.3 folgt
ϕn ≥ (ψ − ε) χAn ,
also
ϕn + (ψ − ε) χBn ≥ (ψ − ε) χP = ψ − ε χP
und daraus
ϕn + (β − ε) χBn + ε χP ≥ ϕn + (ψ − ε) χBn + ε χP ≥ ψ .
Es folgt
ψ dμ ≤ ϕn dμ + (β − ε) μ(Bn ) + ε μ(P ) und für n → ∞ ,
Ω Ω
ψ dμ ≤ sup ϕn dμ n ∈ + ε μ(P ) für jedes ε > 0 . 2
Ω Ω
Beweis.
Wir verwenden die Abkürzung f für f dμ, L1 für L1 (Ω, μ) und L1+ für
Ω
{f ∈ L1 | f ≥ 0}.
(a) Unmittelbar aus der Definition 4.1 und der Linearität des μ–Integrals für
Elementarfunktionen folgt
f, g ∈ L1+ , α, β ∈ + =⇒ αf + βg ∈ L1+ und
(1)
(αf + βg) = α f +β g.
Wir betrachten zunächst nur reellwertige Funktionen f, g und zeigen als erstes
(2) f ∈ L1 , α ∈ =⇒ αf ∈ L1 und αf = α f.
522 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
Für f ∈ L1 gilt definitionsgemäß f+ , f− ∈ L1+ und f = f+ − f− . Für
α ≥ 0 folgt
Für α < 0 gilt (αf )+ = |α|f− ∈ L1+ , (αf )− = |α|f+ ∈ L1+ und somit
αf = |α|f− − |α|f+ ∈ L1 sowie mit (1)
αf = |α|f− − |α|f+ = |α|( f− − f+ ) = −|α| f =α f.
F = u−v mit u = f+ + g+ , v = f− + g− .
Durch
ξn := min{ϕn , Φn } , ηn := min{ψn , Ψn }
erhalten wir aufsteigende Folgen (ξn ), (ηn ) von L1+ –Elementarfunktionen. We-
gen F+ ≤ u, F− ≤ v gilt punktweise
Aus der Definition 4.1 folgt F+ , F− ∈ L1+ , und aus (1) erhalten wir
(5) F+ + v = (F+ + v) = (F− + u) = F− + u.
Daraus und aus (2) folgt (a) für reelle Funktionen und α, β ∈ . Die Über-Ê
tragung von (a) ins Komplexe bereitet nunmehr keine Schwierigkeiten ÜA .
(b)
Sind f,g reellwertige
L1 –Funktionen mit f ≤ g, so gilt h := g − f ∈ L1+
und h = g − f nach (a). Wegen h ∈ L1+ gilt h ≥ 0 nach 4.1.
Beweis.
(i) Wir zeigen zunächst: Ist h messbar und h = 0 μ–f.ü., so gilt
h ∈ L1 (Ω, μ) und h dμ = 0 .
Ω
524 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
Im Fall h ≥ 0 folgt dies aus der Definition 4.1, denn für jede
μ–integrierbare
Elementarfunktion ϕ mit 0 ≤ ϕ ≤ h gilt ϕ = 0 μ–f.ü., also ϕ dμ = 0.
Ω
M := Ω \ N , F := f · χM , G := g · χM .
Dann gilt F = f μ–f.ü., G = g μ–f.ü. und F (ω) ≤ G(ω) für alle ω ∈ Ω. Nach
(ii) folgt F, G ∈ L1 (Ω, μ), und aus 4.3 (b) ergibt sich
f dμ = F dμ ≤ G dμ = g dμ . 2
Ω Ω Ω Ω
Beweis.
(i) Besitzt f eine μ–Majorante g ∈ L1 (Ω, μ), so dürfen wir annehmen, dass
|f (ω)| ≤ g(ω) für alle ω ∈ Ω, denn Nullsetzen von f auf einer μ–Nullmenge
berührt weder die Integrierbarkeit noch das Integral.
(ii) Wir setzen zunächst voraus, dass f messbar ist und dass 0 ≤ f ≤ g gilt mit
C = g dμ < ∞ .
Ω
Nach 4.1 gibt es integraldefinierende Folgen (ϕn ) für f , (ψn ) für g. Wegen
sind die Voraussetzungen des Lemmas in 4.1 erfüllt, und wir erhalten
ϕm dμ ≤ sup ψn dμ n ∈ = g dμ = C .
Ω Ω Ω
Aus der Definition 4.1 folgt für die μ–Integrierbarkeit von f und f dμ ≤ C.
Ω
(iii) Ist f reellwertig und messbar mit μ–Majorante g, so ist g auch eine μ–
Majorante für f+ und für f− , also sind diese Funktionen und somit auf f und
|f | μ–integrierbar. Die Integralabschätzung folgt aus 4.3 (b).
(iv) Hat die komplexwertige messbare Funktion f = u + iv die μ–Majorante g,
so ist g auch eine μ–Majorante für die Funktionen u, v; nach (iii) sind diese und
damit auch f μ–integrierbar. Die Integralabschätzung folgt nach 4.3 (c). 2
und
f dμ = lim fn dμ .
n→∞
Ω Ω
Folgerungen.
(a) Sind die Funktionen uk : Ω →
∞
Ê + (k = 0, 1, . . .) μ–integrierbar und kon-
∞
vergiert die Reihe uk dμ , so konvergiert die Reihe uk μ–f.ü. gegen
k=0 Ω k=0
eine μ–integrierbare Funktion u, und es gilt
∞
u dμ = uk dμ .
Ω k=0 Ω
(b) Ist f μ–integrierbar und |f | dμ = 0, so ist f = 0 μ–f.ü., d.h. die Aus-
Ω
nahmemenge {f = 0} ist eine μ–Nullmenge.
Beweis.
(a) Wegen der Linearität und Monotonie
des μ–Integrals dürfen wir o.B.d.A.
voraussetzen, dass fn ≥ 0 und 0 ≤ fn dμ ≤ C für alle n ∈ .
Ω
denn wegen der Messbarkeit der fn gilt An,m := {fn ≥ m} ∈ A, somit auch
7
∞ -
∞
Bm = An,m ∈ A und N = Bm ∈ A .
n=1 m=1
7
∞
Aus An,m ⊂ An+1,m und Bm = An,m folgt nach § 19 : 6.3 (a)
n=1
C
μ(Bm ) = lim μ(An,m ) ≤ für m = 1, 2, . . . ,
n→∞ m
-
∞
insbesondere μ(B1 ) < ∞. Wegen B1 ⊃ B2 ⊃ . . . und N = Bm ergibt
m=1
§ 19 : 6.3 (b)
f = sup ψm = lim ψm .
m m→∞
Für die Folgerung (b) beachten wir, dass N := { ω ∈ Ω | |f (ω)| > 0 } wegen
der Messbarkeit von |f| zu A gehört. Die Funktionen fn := n |f | bilden eine
aufsteigende Folge mit fn dμ = 0, und es gilt
Ω
5.2 Der Satz von der majorisierten Konvergenz (Satz von Lebesgue)
Haben die messbaren Funktionen fn : Ω → eine gemeinsame μ–Majorante
g und konvergieren sie auf Ω punktweise gegen eine Funktion f , so ist f (wie
auch die fn ) μ–integrierbar, und es gilt
f dμ = lim fn dμ .
n→∞
Ω Ω
Beweis.
Nach Voraussetzung gibt es μ–Nullmengen Nn mit | fn (ω) | ≤ g(ω) für alle
7
∞
ω ∈ Ω \ Nn . Dann ist auch N = Nn eine μ–Nullmenge, vgl. § 19 : 7.3 (d),
n=1
und wir erhalten
Da f als punktweiser Limes der fn messbar ist (vgl. 3.4 (b)), folgt die μ–Inte-
grierbarkeit von f aus dem Majorantenkriterium 4.5.
Wir betrachten die Funktionen un := |f − fn |. Wegen |un | ≤ 2g sind diese
μ–integrierbar, und nach 3.4 (a) sind durch gm := sup{un | n ≥ m} messbare
Funktionen gegeben mit 0 ≤ gm ≤ 2g. Nach 4.5 folgt die μ–Integrierbarkeit
der gm . Ferner bilden die gm eine absteigende und damit die hm := −gm eine
aufsteigende Folge μ–integrierbarer Funktionen mit hm ≤ 0. Aus dem Lemma
in 3.4 (b) entnehmen wir
also auch lim hm (ω) = 0 für alle ω ∈ Ω. Aus dem Satz von Beppo Levi folgt
m→∞
lim hm dμ = 0 , also auch lim gm dμ = 0 .
m→∞ m→∞
Ω Ω
5 Vertauschbarkeit von Limes und Integral 529
(b) Ist μ ein endliches Maß, so gilt der kleine Satz von Lebesgue: Kon-
vergieren die beschränkten messbaren Funktionen auf Ω gleichmäßig gegen f ,
so folgt die μ–Integrierbarkeit von f und die Vertauschbarkeit von Limes und
μ–Integral ( ÜA , beachten Sie 4.5 (ii)).
ÜA : Zeigen Sie dies zunächst für Elementarfunktionen und dann mit Hilfe des
Satzes von Beppo Levi für positive messbare Funktionen. Der Rest folgt aus
4.2.
Ê
Dabei ist Ω eine Lebesgue–messbare Teilmenge des n , und der Definitionsbe-
reich A des Lebesgue–Maßes V n = λn besteht aus den Lebesgue–messbaren
Teilmengen von Ω, vgl. § 19 : 8.
Für n = 1 und Intervalle I ⊂ Ê verwenden wir die Bezeichnungen
f dλ bzw. f (x) dx .
I I
6.1 Beispiele
(a) Diskrete Wahrscheinlichkeitsmaße. Für B ∈ B sei
∞
μ(B) = pk = pk χB (xk ) ;
xk ∈B k=0
genau dann, wenn die Reihe absolut konvergiert. Beim Dirac–Maß δa gilt
f dδa = f (a)
Ê
für jede messbare Funktionen f : → .
Beweis.
Nach 2.4 (c) ist jede Elementarfunktion ϕ μ–integrierbar, wobei die Reihe
∞
ϕ dμ = ϕ(xk ) pk
Ê k=0
absolut konvergiert.
Wir betrachten zunächst eine messbare Funktion f ≥ 0 und eine integraldefi-
nierende Folge (ϕn ) für f . Für diese gilt
N
N
ϕn (xk ) pk ≤ f (xk ) pk für n, N ∈ .
k=0 k=0
N
∞
ϕn dμ = lim ϕn (xk ) pk ≤ C = f (xk ) pk
Ê N→∞ k=0 k=0
Existiert umgekehrt I = f dμ, so gilt für jede integraldefinierende Folge (ϕn )
Ê
N
ϕn (xk ) pk ≤ ϕn dμ ≤ I
k=0 Ê
und somit auch
N
N
f (xk ) pk = lim ϕn (xk ) pk ≤ I .
k=0 n→∞ k=0
(b) Wahrscheinlichkeitsmaße
mit Dichte. Sei : Ê→Ê + integrierbar
und dλ = 1. Dann ist durch
Ê
μ(B) := dλ = χB dλ für B ∈ B
B Ê
ein Wahrscheinlichkeitsmaß μ auf Ê gegeben.
Eine messbare Funktion f : → Ê
ist genau dann μ–integrierbar, wenn f
Lebesgue–integrierbar ist. In diesem Fall gilt
f dμ = f dλ .
Ê Ê
Bemerkung. Offenbar hat μ die Eigenschaft, dass jede (Lebesgue–)Nullmenge
auch eine μ–Nullmenge ist. Umgekehrt gibt es zu jedem Wahrscheinlichkeitsmaß
μ auf mit dieser Eigenschaft eine integrierbare Funktion ≥ 0 mit Integral
1, so dass
μ(B) = dλ
B
Beweis.
(i) Jede Borelmenge B ist Lebesgue–messbar. Nach dem Majorantenkriterium
ist χB also Lebesgue–integrierbar, und aus den Eigenschaften des Integrals
folgt 0 ≤ μ(B) ≤ μ() = 1. Ist A die Vereinigung der paarweise disjunkten
Borelmengen A1 , A2 , . . . , so gilt: Die
6 Das μ–Integral für Wahrscheinlichkeitsmaße auf Ê 533
∞
uk := χAk , u := χA = uk
k=1
sind integrierbare Funktionen; die Reihe konvergiert punktweise, wobei für jedes
x∈ Ê höchstens ein Reihenglied von Null verschieden ist, und schließlich gilt
N
uk dλ ≤ u dλ .
k=1 Ê Ê
Nach der Reihenversion 5.1 (a) des Satzes von der monotonen Konvergenz er-
halten wir
∞
∞
μ(A) = u dλ = uk dλ = μ(Ak ) .
Ê k=1 Ê k=1
Riemann–Stieltjes–Summen. Sei f : → Ê
stetig und μ eine beliebige
Verteilung mit Verteilungsfunktion F . Ein System Z = { x0 , . . . , xN } heißt
Einteilung von [a, b], wenn
Satz. Für jede Folge von Einteilungen Zn von [a, b] mit δ(Zn ) → 0 gilt
b
f dμ = lim R(f, Zn ) .
n→∞
a
Beweis.
(i) R(f, Z) ist das μ–Integral der Elementarfunktion ϕ in disjunkter Darstellung
N
ϕ(f, Z) = f (xk ) χIk mit Ik = ]xk−1 , xk ] .
k=1
(b) Durch den Satz erklärt sich die häufig anzutreffende Bezeichnungsweise
b b
f (x) dF (x) für f dμ .
a a
falls diese Integrale existieren. Hinreichend für die Existenz beider Integrale ist
die μ–Integrierbarkeit von x2 ÜA . Nach 6.1 (a),(b) entspricht dies für diskrete
Verteilungen und Verteilungen mit Dichten den Definitionen in § 19.
Die Streuung (Standardabweichung) σ(μ) definieren wir durch
σ(μ) := V (μ) .
Satz. Der Erwartungswert E(f (X)) existiert genau dann, wenn f μ–integrier-
bar ist. In diesem Fall gilt
E(f (X)) = f dμ .
Ê
/)2 ), falls
Insbesondere ist V (X) = E((X − μ x2 dμ(x) konvergiert.
Ê
Der Beweis ergibt sich aus dem folgenden
(b) Transformationssatz für Bildmaße. Sei (Ω, A, μ) ein σ–endlicher Maß-
raum und B eine σ–Algebra auf Ω . Ferner sei f : Ω → Ω eine A–B–messbare
Funktion, d.h. f −1 (B) ∈ A für alle B ∈ B. Dann ist durch
falls E(X) und E(Y ) existieren. Dies ergibt sich aus der Darstellung des Erwar-
tungswerts als p–Integral: Existiert E(X), so gilt
E(X) = x dμ(x) = X dp
Ê Ω
P (X ∈ A und Y ∈ B)
zu sprechen.
Eine solche Annahme ist in der Quantenmechanik nur in Ausnahmefällen ge-
rechtfertigt (kompatible Observable, siehe § 25 : 4.6). Gemeinsame Messung“
”
zweier Observabler X, Y wie Ort und Impuls setzt voraus, dass die Messwerte
x für X und y für Y paarweise anfallen. Geschieht dies in kurzen zeitlichen
Abständen, so hängen die Messergebnisse in der Regel von der Reihenfolge ab:
Eine Messung für X kann den Zustand des Systems und damit die Bedingungen
für die nachfolgende Messung von Y empfindlich beeinflussen. Die Ergebnisse
x, y können ganz anders verteilt sein als die Ergebnisse y, x einer Messung erst
Y , dann X. Auch bei gleichzeitiger (simultaner) Messung“, sofern überhaupt
”
realisierbar, bleibt das Problem der Nichtkommutativität bestehen.
Für den Aufbau der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie und ihre Anwendun-
gen in der Statistik ist der Begriff der Zufallsvariablen dagegen zentral. Hierzu
verweisen wir u.a. auf Bauer [115], Krengel [121] und Renyi [123].
538 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
Beachten Sie: Aus der μ–Integrierbarkeit von |f |p folgt nicht die Messbarkeit
(genauer: A–Messbarkeit) von f , vgl. 3.6 (d).
Der Beweis ergibt sich wörtlich wie in § 8, Abschnitt 2 mit Hilfe der Unglei-
chungen von Hölder und Minkowski sowie dem Majorantenkriterium.
1/p
(b) Durch f p := |f |p dμ ist eine Halbnorm auf Lp (Ω, μ) gegeben:
Ω
αf p = |α| · f p und f + gp ≤ f p + gp . Aus f p = 0 folgt dagegen nur
f = 0 μ–f.ü., vgl. 5.1 (b). Um eine Norm zu erhalten, erzwingen wir die positive
Definitheit, indem wir alle μ–f.ü. gleichen Lp –Funktionen identifizieren. Den
so vergröberten Raum Lp (Ω, μ) bezeichnen wir mit Lp (Ω, μ). Lesen Sie hierzu
die unter § 8 : 2.1 gemachten Bemerkungen! Als Resümee ergibt sich: Lp (Ω, μ)
besteht genau genommen aus Klassen
u = [f ] := { g | g = f μ–f.ü.}
k=0
n
, versehen mit einer passenden Norm ÜA .
7 Lp –Räume und ihre Eigenschaften 539
u − un p → 0 für n → ∞ .
Beweis.
(a) Da (un ) eine Cauchy–Folge ist, gibt es eine Teilfolge (unk )k mit
unk+1 − unk < 2−k (k = 1, 2, . . .) .
p
(b) Weil Lp (Ω, μ) ein Vektorraum ist, der mit u auch |u| enthält, sind mit
n
vk := unk+1 − unk auch sn := |vk |
k=1
Nach dem Satz von der monotonen Konvergenz gibt es daher eine μ–integrier-
bare Funktion h ≥ 0 und eine μ–Nullmenge N mit
Durch Nullsetzen der beteiligten Funktionen auf N können wir erreichen, dass
(1) für alle ω ∈ Ω gilt.
Für s := h1/p gilt dann s ∈ Lp (Ω, μ) und
∞
(2) s(ω) = lim sn (ω) = |vk (ω)| für alle ω ∈ Ω.
n→∞ k=1
und nach dem Majorantenkriterium für Reihen folgt aus (2) die Existenz des
punktweisen Limes
∞
k
(4) u := un1 + vn = lim un1 + vn = lim unk+1 .
n=1 k→∞ n=1 k→∞
Aus (4) und (3) folgt |u| ≤ |un1 | + |s|, also u ∈ Lp (Ω, μ).
540 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
lim | u − unν |p = 0 .
ν→∞
Konvergiert eine Teilfolge einer Cauchy–Folge (un ) gegen u, so auch die Folge
(un ) selbst (Bd. 1, § 21 : 5.1). 2
| f (ω) | ≤ C μ–f.ü.
(b) Den Raum L∞ (Ω, μ) erhalten wir aus L∞ (Ω, μ), indem wir wie in 7.1 alle
μ–f.ü. gleichen Funktionen identifizieren.
Beweis.
(i) Die positive Definitheit der Norm haben wir durch die Klassenbildung (b)
erzwungen. Offenbar gilt αf ∞ = |α| · f ∞ für f ∈ L∞ (Ω, μ), α ∈ .
∞
Zu f, g ∈ L (Ω, μ) gibt es μ–Nullmengen N1 , N2 mit
(c) Für offene Mengen Ω ⊂ n mit V n (Ω) = ∞ ist keiner der Räume L1 (Ω),
L2 (Ω), L∞ (Ω) in einem der anderen enthalten.
Beweis.
(a) Für u ∈ L1 (Ω, μ) ∩ L∞ (Ω, μ) ist u∞ · u eine μ–Majorante für |u|2 .
(b) Sei μ(Ω) < ∞. Dann gilt χΩ ∈ L1 (Ω, μ) ∩ L2 (Ω, μ). Für u ∈ L∞ (Ω, μ) ist
u2∞ · χΩ eine μ–Majorante für |u|2 . Für u ∈ L2 (Ω, μ) ist u = u · χΩ ∈ L1 (Ω, μ)
nach 7.1 (a).
(c) soll hier nicht bewiesen werden. Hierzu als
ÜA Zeigen Sie mit Hilfe geeigneter stetiger Funktionen, dass (c) für Ω = >0
richtig ist und dass die Inklusionen (b) für das Lebesgue–Maß auf ]0, 1[ echt
sind. 2
542 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
Beweis.
7
∞
(a) Sei u ∈ Lp (Ω, μ). Für eine Quaderzerlegung Ω = Ik (Bd. 1, § 23 : 4.1)
k=1
setzen wir
7
n
Kn := Ik und Bn := {x ∈ Kn | |u(x)| ≤ n} .
k=1
(b) Wir wählen ein un mit u − un p < ε. Nach 3.5 (a) gibt es eine Folge
von auf Kn lebenden Elementarfunktionen ϕk mit |ϕk | ≤ n und ϕk → un
gleichmäßig auf Kn . Daraus folgt
un − ϕk p < ε und u − ϕk p < 2ε für genügend großes k. 2
Beweis.
Wegen 8.2 (b) und 8.1 (a) genügt es, für kompakte Quader I ⊂ Ω folgendes zu
zeigen:
Ist B ⊂ I eine μ–messbare Menge, so ist χB Lp –Limes einer Folge von Trep-
penfunktionen. Wir müssen dies sogar nur für Borelmengen B zeigen, denn zu
jeder Lebesgue–messbaren Menge A ⊂ I gibt es eine Borelmenge B ⊂ I mit
χA = χB f.ü., siehe § 19 : 8.2 (b).
Sei also I ⊂ Ω ein kompakter Quader. Wir nennen eine Menge A ⊂ Ê N
gut,
wenn es Treppenfunktionen ϕn auf I gibt mit
Offenbar sind alle Quader gut. Bilden daher die guten Mengen eine σ–Algebra,
so sind nach § 19 : 5.4 alle Borelmengen B gut, d.h. χB∩I ist Lp –Limes von
Treppenfunktionen auf I.
Ist A gut und (ϕn ) geeignet für A, so bilden die ψn = χI − ϕn eine geeignete
Ê
Folge für C := N \ A, denn χC∩I − ψn = ϕn − χA∩I ÜA und 0 ≤ ψn ≤ 1.
Sind (ϕn ), (ψn ) geeignete Folgen für die guten Mengen A, B, so ist (ϕn · ψn )
eine geeignete Folge für A ∩ B ( ÜA , beachten Sie χA∩B∩I = χA · χB · χI ).
7
∞
Seien A1 , A2 , . . . paarweise disjunkte gute Mengen und A := Ak . Wir setzen
k=1
n
f := χA∩I , fk := χAk ∩I und sn := fk .
k=1
Es gilt
|f − sn |p dμ = (f − sn ) dμ
I I
n
= μ(A ∩ I) − μ(Ak ∩ I) → 0 für n → ∞ .
Æ mit f − s
k=1
Zu gegebenem ε > 0 gibt es daher ein m ∈ n p < ε für n > m.
Da die Ak gut sind, gibt es Treppenfunktionen ψk auf I mit
0 ≤ ψk ≤ 1 , fk − ψk < 2−k (k = 1, . . . , n) .
Dann ist
n
ϕn = min χI , ψk
k=1
Beweis.
n
Es sei A die abzählbare Menge aller Treppenfunktionen ψ = rk χRk mit
Æ
k=1
n ∈ , rationalen rk und rationalen Koordinaten der Eckpunkte jedes der
Quader Rk und von Ω, falls Ω ein kompakter Quader ist).
N
Eine beliebige Treppenfunktion ϕ = ck χIk ändern wir wie folgt zu einer
k=1
rationalen Treppenfunktion ab: Wir vergrößern jeden Quader Ik zu einem ähn-
8 Dichte Teilräume und Separabilität 545
lichen Quader Rk ⊂ Ω mit rationalen Eckdaten und mit μ(Rk ) − μ(Ik ) < ε,
was wegen der Stetigkeitseigenschaft § 19 : 6.3 (b) von μ möglich ist.
Ferner ersetzen wir jedes ck durch ein rk ∈ mit |ck − rk | < ε. Auf diese Weise
N
erhalten wir eine Treppenfunktion ψ = rk χRk ∈ A mit ϕ − ψp < C ε
k=1
mit einer nur von ϕ abhängigen Konstanten C ÜA .
p
Nach 8.3 folgt A = L (Ω, μ). 2
Ê
c
dicht in Lp ( , μ) .
(c) Gibt es zusätzlich eine kompakte Menge K ⊂ Ê mit μ(K) = 1, so liegen
Ê
die Polynome dicht in Lp ( , μ) = Lp (K, μ) .
Beweis.
(a) wurde in § 10 : 3.3 gezeigt.
(b) Wir zeigen zunächst, dass die stetigen Funktionen mit kompaktem Träger
Ê Ê
dicht in Lp ( , μ) liegen. Da die Treppenfunktionen in Lp ( , μ) dicht liegen,
genügt es, charakteristische Funktionen beschränkter Intervalle im Lp –Sinn
durch stetige Funktionen mit kompaktem Träger zu approximieren. Dabei ist
in Betracht zu ziehen, dass Intervallränder positives Maß haben können. Daher
sind Fallunterscheidungen nötig.
(i) Sei f = χ[a,b] . Für die links skizzierten Funktionen fn gilt |f − fn | ≤ 1, also
|f − fn |p dμ ≤ μ({f = fn }) = μ a− 1
,a + μ b, b + 1
→ 0
Ê
n n
fn gn
1 1
a− 1 a b b+ 1 a a+ 1 b− 1 b
n n n n
(ii) Sei g = χ]a,b[ . Für die rechts skizzierten Funktionen gn gilt entsprechend
|g − gn |p dμ ≤ μ({g = gn }) = μ a, a + 1
+ μ b− 1
,b → 0
Ê
n n
546 § 20 Integration bezüglich eines Maßes μ
für n → ∞, ebenfalls nach § 19 : 6.3 (b). Die Fälle ]a, b], und [a, b[ überlassen wir
den Lesern als ÜA .
Nach § 10 : 3.2 gibt es zu jeder stetigen Funktion f mit kompaktem Träger
K ⊂ Ê Testfunktionen ϕn , die gleichmäßig gegen f konvergieren. Da μ ein
Wahrscheinlichkeitsmaß ist, folgt f − ϕn p → 0 nach dem kleinen Satz von
Lebesgue 5.3 (b).
Ê
(c) Für f ∈ C0 ( ) gibt es nach dem Approximationssatz von Weierstraß Po-
lynome pn , die auf K gleichmäßig gegen f konvergieren. Nach dem kleinen Satz
Ê
von Lebesgue 5.3 (b) folgt wegen μ( \ K) = 0
|f − pn |p dμ = |f − pn |p dμ → 0 für n → ∞ . 2
Ê K
547
T : C1 [0, 1] → C0 [0, 1] , u → u ,
wobei beide Räume mit der Supremumsnorm · ∞ versehen sind. Für un (x) =
xn gilt dann un ∞ = 1 und T un ∞ = n.
548 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
T u − T un 2 = T (u − un )2 ≤ C u − un 1 → 0 für n → ∞ . 2
Beweis.
Die beiden letzten Behauptungen folgen leicht aus der Definition von T ÜA .
Offenbar gilt T = 0 ⇐⇒ T = 0 und αT = |α| · T ÜA .
Für S, T ∈ L (V1 , V2 ) gilt
(S + T )u2 = Su + T u2 ≤ Su2 + T u2 ≤ (S + T ) u1 ,
also ist S + T Normschranke für S + T . Es folgt S + T ≤ S + T . 2
Beweis.
Sei (Tn ) eine Cauchy–Folge in L (V1 , V2 ), d.h. zu jedem ε > 0 gebe es ein nε
mit
Tm − Tn < ε für m > n > nε .
Für u ∈ V1 folgt
(∗) Tm u − Tn u2 = (Tm − Tn )u2 ≤ Tm − Tn · u1 ≤ ε u1
für m > n > nε , also ist (Tn u) eine Cauchy–Folge in V2 . Somit existiert
T u := lim Tn u
n→∞
für jedes u ∈ V1 . Nach den Rechenregeln für konvergente Folgen ist T linear.
Aus (∗) folgt für m → ∞
(T − Tn )u2 = lim Tm u − Tn u2 ≤ ε u1 ,
m→∞
also
T − Tn ≤ ε für n > nε .
Mit T − Tn ist auch T = T − Tn + Tn beschränkt. 2
2 Beispiele
n
2.1 Die Spektralnorm auf L ( )
Sei A eine komplexe n × n–Matrix und T : x → Ax die zugehörige lineare
Abbildung. Dann gilt
Denn die Matrix A∗A ist symmetrisch und positiv, also gilt nach dem Rayleigh–
Prinzip Bd. 1, § 20 : 4.1
T 2 = max Ax2 x = 1 = max x, A∗Ax x = 1 = λmax .
Lu = v , u für u ∈ H
einen beschränkten Operator T auf 2 definieren, so muss es nach (a) für y (n) =
∞
(an1 , an2 , . . .) eine Konstante C geben mit y (n) 2 = |anm |2 ≤ C. Diese
m=1
(1)
Bedingung reicht aber nicht aus, wie das Beispiel y = y (2) = . . . zeigt.
∞
Verlangen wir zusätzlich die Konvergenz der Reihe y (n) 2 =: s2 , so liefert
n=1
(∗) einen beschränkten Operator T mir T ≤ s.
( ÜA , verwenden Sie die Cauchy–Schwarzsche Ungleichung.)
2.5 Integraloperatoren
Sei Ω ein Gebiet des Ê n
und G : Ω × Ω → eine messbare Funktion, für
welche die Integrale
F (x) := |G(x, y)|2 dn y und S 2 := F (x) dn x
Ω Ω
Bemerkung. Es genügt, die Konvergenz des Integrals für F (x) fast überall
vorauszusetzen. Wie üblich wird im Fall der Divergenz des Integrals F (x) := 0
gesetzt. Nach dem Satz von Tonelli § 8 : 1.8 folgt G ∈ L2 (Ω × Ω).
Ma : x = (x1 , x2 , . . . ) −→ (a1 x1 , a2 x2 , . . . ) ,
Beweis.
(a) Sei (an ) unbeschränkt. Zur Konstruktion eines x ∈ 2 mit Ma x ∈ 2 wählen
wir eine Teilfolge (ank )k mit |ank | > k für k = 1, 2, . . . und setzen
∞
1
x := enk .
k
k=1
Somit ist s eine Normschranke für Ma . Dass s die kleinste Normschranke für
Ma und damit die Operatornorm Ma ist, ergibt sich wie folgt: Für t < s gibt
es ein n ∈ mit t < |an | ≤ s. Es folgt
Mv : u → v · u
liefert genau dann einen linearen Operator auf L2 (Ω, μ) (d.h. genau dann gilt
v · u ∈ L2 (Ω, μ) für alle u ∈ L2 (Ω, μ)), wenn v ∈ L∞ (Ω, μ).
In diesem Fall ist der Multiplikator Mv beschränkt, und es gilt
Mv = v∞ .
T = U −1 Mv U (§ 22 : 3.6).
Beweis.
(a) Sei v ∈ L∞ (Ω, μ). Dann sind die Bn := {ω ∈ Ω | n ≤ |v(ω)| < n + 1}
messbare, paarweise disjunkte Mengen mit μ(Bn ) > 0 für unendlich viele n,
denn andernfalls gäbe es ein N ∈ Æ
mit |v(ω)| ≤ N μ–f.ü.
Wir wählen eine Folge (nk )k mit μ(Bnk ) > 0 (k ∈ Æ). Da μ σ–endlich ist, gibt
es Mengen Ak ∈ A mit Ak ⊂ Bk und
n
sind paarweise orthogonal mit uk = 1
k
. Ferner existiert für sn := uk
k=1
∞
u(ω) := lim sn (ω) = uk (ω) für jedes ω ∈ Ω ,
n→∞ k=1
denn in der Reihe ist höchstens ein Glied von Null verschieden.
∞
∞
Andererseits konvergiert nach § 9 : 4.2 (b) mit 1
k2
die Orthogonalreihe uk
k=1 k=1
im Quadratmittel, und nach § 20 : 7.2 konvergiert eine Teilfolge von (sn ) punkt-
∞
weise μ–f.ü. Somit gilt u = uk im L2 –Sinne. Wegen 0 ≤ sn (ω) ≤ u(ω) und
k=1
|v(ω)| ≥ k für ω ∈ Ak gilt für alle ω ∈ Ω
n
1 χ
| v(ω) | · | u(ω) | ≥ | v(ω) | · | sn (ω) | ≥ Ak (ω)
ck
k=1
und daher
n
| v · sn |2 dμ ≥ c−2
k μ(Ak ) = n .
Ω k=1
| v · u |2 ≤ C 2 |u|2 μ–f.ü.
T :V → n
, u = x1 v1 + . . . + un vn → x = (x1 , . . . , xn )
Beweis.
Auf n wählen wir die Norm x1 := |x1 | + . . . + |xn |.
Für u = x1 v1 + . . . + xn vn gilt dann nach der Dreiecksungleichung
Folgerung (a): Wegen u ≤ T u1 ≤ −1 u führen die Operatoren T und
T −1 konvergente Folgen in konvergente Folgen über und beschränkte Mengen
in beschränkte Mengen.
Folgerung (b): Für einen linearen Operator S : V → V ist der Operator
A = T ST −1 : n → n nach 2.1 stetig, also ist auch S = T −1AT stetig. 2
Beweis in § 10 : 5.1.
/ und durch
Durch die Fouriertransformation F : u → u
(Su)(x) := u(−x)
sind unitäre Operatoren
F : S( Ê)n
→ S( Ê n
), S : S( Ê n
) → S( Ê)
n
Beweis.
Für jeden festen Vektor v ∈ H ist durch Lv u := v , T u ein lineares Funk-
tional Lv : H → gegeben: |Lv u| ≤ v · T u ≤ (v · T ) · u.
Nach 2.2 gibt es einen eindeutig besimmten, mit T ∗ v bezeichneten Vektor mit
v , T u = Lv u = T ∗ v , u für alle u ∈ H .
T ∗ : H → H ist linear wegen
T ∗ (α1 v1 + α2 v2 ) , u = α1 v2 + α2 v2 , T u
= α1 v1 , T u + α2 v2 , T u
= α1 T ∗ v1 , u + α2 T ∗ v2 , u
= α1 T ∗ v1 , u + α2 T ∗ v2 , u
= α1 T ∗ v1 + α2 T ∗ v2 , u
für alle u ∈ H . Die Behauptung folgt mit dem üblichen Schluss
w1 , u = w2 , u für alle u ∈ H =⇒ w1 = w2 .
∗
T ist beschränkt, denn nach 2.2 gilt
T ∗ v = Lv = max | v , T u | u = 1
≤ sup v · T u u = 1 = v · T ,
(3) (ST )∗ = T ∗ S ∗ ,
(4) T ∗ = T ,
(5) T ∗ T = T 2 .
(b) L (H ) ist also eine Banachalgebra mit Eins (vgl. 1.5), auf der eine bijektive
Abbildung T → T ∗ erklärt ist, die (1) involutorisch, (2) antilinear, (4) isome-
trisch ist, die Bedingung (3) (ST )∗ = T ∗ S ∗ erfüllt und die C*–Eigenschaft (5)
besitzt. Eine solche Struktur heißt C*–Algebra mit Eins.
Weitere Beispiele für C*–Algebren mit Eins sind L∞ (Ω, μ) und C(K) für eine
kompakte Menge K, jeweils mit der Supremumsnorm und mit f ∗ := f .
(c) Mit T ∈ L (H ) ist auch T ∗ invertierbar, und es gilt
(T ∗ )−1 = (T −1 )∗ .
Beweis.
(a) Die Eigenschaften (1), (2), (3) ergeben sich nach dem Prinzip (d) durch
einfaches Nachrechnen ÜA .
(4) Aus dem Beweis 3.2 entnehmen wir T ∗ ≤ T . Mit Hilfe von (1) ergibt
sich daraus T = (T ∗ )∗ ≤ T ∗ .
(5) Aus (4) und 1.2 (b) folgt T ∗ T ≤ T ∗ · T = T 2 . Die umgekehrte
Ungleichung T 2 ≤ T ∗ T folgt aus
T u2 = T u , T u = u , T ∗ T u ≤ u · T ∗ T u ≤ T ∗ T · u2 .
3.4 Beispiele
(a) Symmetrische Operatoren. Die Bedingung T ∗ = T bedeutet
v, Tu = Tv, u für alle u, v ∈ H .
Operatoren T ∈ L (H ) mit dieser Eigenschaft heißen symmetrisch, in man-
chen Lehrbüchern auch hermitesch. Zu den symmetrischen Operatoren gehö-
ren nach § 9 : 2.6 (b) die orthogonalen Projektoren.
3 Die C*–Algebra L (H ) 559
(b) Für den Linksshift L und den Rechtsshift R auf 2 (vgl. 2.3) bestehen die
Beziehungen L∗ = R und R∗ = L. Denn für x = (x1 , x2 , . . .) und y = (y1 , y2 , . . .)
gilt
∞
∞
y , Rx = yk xk−1 = y k+1 xk = Ly , x ,
k=2 k=1
∞
∞
y , Lx = yk xk+1 = yk−1 xk = Ry , x .
k=1 k=2
(c) Sei a = (a1 , a2 , . . .) eine beschränkte Folge und a = (a1 , a2 , . . .). Für den
in 2.6 definierten Multiplikator Ma gilt dann Ma∗ = Ma ÜA .
Denn nach dem Satz von Fubini–Tonelli (§ 8 : 1.8) gilt für v, u ∈ L2 (Ω)
v, Tu = v(y) G(y, x) u(x) dn x dn y
Ω Ω
= u(x) G(y, x) v(y) dn y dn x .
Ω Ω
(g) Sei H ein Hilbertraum. Ein Operator U : H → H ist genau dann unitär,
d.h. bijektiv und isometrisch, wenn U ∗ = U −1 ÜA .
Beweis.
Wegen der Stetigkeit von T und T ∗ sind Kern T und Kern T ∗ abgeschlossen.
(a) Für v ∈ Kern T ∗ gilt 0 = T ∗ v , u = v , T u , also v ∈ (Bild T )⊥ . Für
v ∈ (Bild T )⊥ gilt umgekehrt 0 = v , T u = T ∗ v , u für alle u ∈ H . Für
u = T ∗ v ergibt sich insbesondere T ∗ v = 0, also v ∈ Kern T ∗ .
(b) Aus (a) ergibt sich mit § 9 : 2.5 (b): (Kern T ∗ )⊥ = (Bild T )⊥⊥ = Bild T .
(c) Als Beispiel wählen wir den Multiplikator Ma in 2 mit a = (1, 21 , 13 , . . . ).
Nach § 9 : 1.4 (b) liegt der Teilraum 20 = Span {e1 , e2 , . . . } aller abbrechenden
N
Folgen (x1 , . . . , xN , 0, 0, . . . ) dicht in 2 . Für y = yk ek ∈ 20 gilt y = Ma x
N k=1
mit x = k yk ek . Es folgt 20 ⊂ Bild Ma , also ist Bild Ma dicht in 2 . Es ist
k=1
aber a ∈ Bild Ma , somit gilt Bild Ma = 2 = Bild Ma . 2
Damit ist die Form Q schon durch die Werte Q(u, u) für u ∈ U eindeutig
bestimmt.
3 Die C*–Algebra L (H ) 561
v , Au = Av , u für u, v ∈ U ,
Av , u = u , Av = v , Au für u, v ∈ V . 2
Beweis.
Die erste Behauptung ist leicht einzusehen, vgl. (a).
Für eine beschränkte Form Q auf H mit Formschranke C liefert
Lv u := Q(v, u)
ein lineares Funktional auf H , denn es gilt | Lv u | ≤ (C · v) · u. Nach 2.2
gibt es daher einen mit Sv bezeichneten Vektor, so dass
Q(v, u) = Lv u = Sv , u ;
Aus der Antilinearität von Q folgt, dass S linear ist ÜA . Somit gilt S ∈ L (H )
und S ≤ C. Der Operator T := S ∗ leistet das Gewünschte.
Schließlich gilt Q(v, u) = Q(u, v) ⇐⇒ v , T u = u , T v = T v , u . 2
u , T u ≥ 0 für alle u ∈ H
R ≤ S , S ≤ T =⇒ R ≤ T ,
S ≤ T , T ≤ S =⇒ S = T .
s
Die starke (punktweise) Konvergenz Tn −→ T ist definiert durch
w
und die schwache Konvergenz Tn −→ T durch
In der Literatur finden Sie häufig die Bezeichnungen stop–lim für s–lim (von
strong operator limit) und wop–lim für w–lim (von weak operator limit).
Beweis.
(a) T − Tn → 0 =⇒ T u − Tn u = (T − Tn )u ≤ T − Tn · u → 0.
s
(b) Tn −→ T =⇒ | v , T u − v , Tn u | = | v , T u − Tn u |
≤ v · T u − Tn u → 0 .
(c) Da jeder N –dimensionale Hilbertraum über nach § 9 : 1.2 isomorph zu
N
ist, müssen wir nur zeigen: Für lineare Abbildungen T, Tn : N → N
folgt aus schwacher Konvergenz die Normkonvergenz. Für die Matrizen
(n)
MK (Tn ) = An = aik und MK (T ) = A = (aik )
w
folgt aus Tn −→ T
(n)
aik = ei , An ek → ei , Aek = aik für n → ∞ .
für n → ∞, also Tn −→ 0.
w
w w w
(f) Aus Sn −→ S und Tn −→ T folgt nicht Sn Tn −→ ST .
(g) Aus Tn −→ T folgt nicht Tn∗ −→ T ∗ .
s s
Beweis.
(a), (b) und (d) als ÜA .
s
(c) Wegen der punktweisen Konvergenz Sn −→ S gibt es nach 4.3 eine Kon-
stante C mit Sn ≤ C für alle n ∈ . Die Behauptung über die Normkonver-
genz folgt aus
Sn Tn − ST = (Sn − S)T + Sn (Tn − T )
≤ Sn − S · T + C · Tn − T .
Zum Beweis der Aussage über punktweise Konvergenz fixieren wir u ∈ H und
erhalten entsprechend
Sn Tn u − ST u ≤ Sn T u − ST u + Sn (Tn u − T u)
(f) Betrachten Sie die iterierten Shifts Sn = Ln , Tn = Rn auf 2 , vgl. 4.2 (d).
(g) Für Tn = Ln gilt Tn∗ = Rn , vgl. 3.4 (b) und 3.3 (3). Aus dem Beispiel zu
4.2 (d) entnehmen wir, dass die Tn stark konvergieren, die Tn∗ aber nicht. 2
Beweis.
Sei ( u , Tn u ) für jedes u ∈ H eine Cauchy–Folge. Aus der Polarisierungs-
gleichung 3.6 (b) folgt: Für u, v ∈ H ist ( v , Tn u ) eine Cauchy–Folge, also
existiert
Q(v, u) := lim v , Tn u .
n→∞
Nach der Folgerung 4.3 gibt es ein Konstante C mit Tn ≤ C für alle n ∈ ,
also gilt |Q(v, u)| ≤ C ·v·u. Nach 3.6 (c) gibt es einen Operator T ∈ L (H )
mit
lim v , Tn u = Q(v, u) = v , T u für u, v ∈ H . 2
n→∞
(b) Satz von der monotonen Konvergenz. Jede absteigende Folge positiver
Operatoren Tn ∈ L (H ) konvergiert stark gegen einen positiven Operator T ∈
L (H ).
Beweis.
(i) Schwache Konvergenz. Es gelte T1 ≥ T2 ≥ · · · ≥ 0. Dann existiert nach
dem Monotoniekriterium für reelle Folgen lim u , Tn u für alle u ∈ H . Nach
n→∞
(a) gibt es daher einen Operator T ∈ L (H ) mit
T = w–lim Tn ,
n→∞
= v , (Tn − T )v · u , Bu
≤ v , (T1 − T )v · u , Bu
≤ T1 − T · v2 · u , Bu
= T1 − T · (Tn − T )u2 u , Bu ,
also
(Tn − T )u2 ≤ T1 − T · u , (Tn − T )u → 0 für n → ∞ . 2
(b) Monotone Konvergenz. Ist (vn ) eine monoton fallende Folge von positiven
Funktionen in L∞ (Ω, μ), so existiert der Grenzwert
Mv = s–lim Mvn .
n→∞
Dass die Mvn stark gegen einen Operator T ≥ 0 konvergieren, ergibt sich wegen
Mv1 ≥ Mv2 ≥ · · · ≥ 0 aus 4.5 (b). Die Gleichung T = Mv ist eine Folge des
Satzes von der monotonen Konvergenz für μ–Integrale: Für u ∈ H bilden die
fn := |vn · u − v · u|2 = |vn − v|2 · |u|2 eine absteigende Folge μ–integrierbarer
Funktionen mit lim fn (ω) = 0 für alle ω ∈ Ω. Daraus folgt
n→∞
vn · u − v · u2 = fn dμ → 0 für n → ∞ .
Ω
Beweis.
(i) Die Eigenwertgleichung Ma x = λx für x = (x1 , x2 , . . . ) ∈ 2 ist äquivalent
zu (an − λ)xn = 0 für n = 1, 2, . . . .
Ist λ = an für alle n ∈ Æ, so besitzen diese Gleichungen nur die triviale Lösung
x1 = x2 = . . . = 0. Jedes an ist Eigenwert mit zugehörigem Eigenvektor en .
Also gilt σp (Ma ) = {an | n ∈ Æ}.
(ii) Es sei nun λ ∈ σp (Ma ). Dann ist Ma − λ injektiv, und es gilt
Zur Bestimmung von (Ma ) haben wir also die universelle Lösbarkeit der Glei-
chung (Ma − λ) x = y für gegebenes y = (y1 , y2 , . . . ) ∈ 2 zu untersuchen.
Diese besagt für die Koordinaten
yn
(an − λ) xn = yn , d.h. xn = für n = 1, 2, . . . .
an − λ
Es stellt sich die Frage, ob der hierdurch eindeutig bestimmte Koordinatenvektor
x = (x1 , x2 , . . . ) immer zu 2 gehört, d.h. ob der Multiplikator Mb mit b =
((a1 − λ)−1 , (a2 − λ)−1 , . . . ) jedem y ∈ 2 ein x = Mb y = (Ma − λ)−1 y ∈ 2
zuordnet. Nach 2.6 ist das genau dann der Fall, wenn die Folge b beschränkt ist,
d.h. wenn λ ∈ {an | n ∈ Æ} .
570 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
en
(iii) Für λ ∈ σp (Ma ) hat die Gleichung (Ma − λ)x = en die Lösung x = .
an − λ
Somit umfaßt Bild (Ma − λ) die in dichte Menge Span {e1 , e2 , . . . }. Es folgt
2
σr (Ma ) = ∅. 2
Satz. (a) λ ∈ σ(Mv ) ⇐⇒ μ({|v − λ| < ε}) > 0 für alle ε > 0,
(b) λ ∈ σp (Mv ) ⇐⇒ μ({v = λ}) > 0,
(c) σr (Mv ) = ∅,
(d) μ({v ∈ (Mv )}) = 0,
1
(e) Für λ ∈ (Mv ) ist R(λ, Mv ) der Multiplikator Mg mit g := .
λ−v
Bemerkungen. (i) Zwei μ–f.ü. gleiche L∞ –Funktionen sind im L∞ –Sinn gleich
und definieren denselben Multiplikator. In Hinblick auf (d) können wir den
Multiplikator Mv durch eine L∞ –Funktion v mit v(ω) ∈ σ(Mv ) für alle ω ∈ Ω
repräsentieren.
(ii) Die Aussage (a) drücken wir so aus: σ(Mv ) ist der essentielle Wertevorrat
von v.
(iii) Für den Operator Mx auf L2 [a, b], d.h. den Operator Mv mit v(x) = x, gilt
σ(Mx ) = σc (Mx ) = [a, b]. Denn aus (a) folgt σ(Mx ) = [a, b] ÜA . Aus (b) und
(c) folgt σp (Mx ) = ∅, σr (Mx ) = ∅.
Bei quantenmechanischen Modellrechnungen wird Mx als Ortsoperator eines in
das Intervall [a, b] eingesperrten Teilchens verwendet.
Beweis.
(b) Die Eigenwertgleichung Mv u = λu ist für u ∈ L2 (Ω, μ) äquivalent zur
Gleichung (v − λ)u = 0 μ–f.ü. Ist μ({v = λ}) = 0, so folgt aus Mv u = λu also
u = 0 μ–f.ü., somit kann λ kein Eigenwert von Mv sein.
Ist M := {v = λ} keine μ–Nullmenge, so gibt es wegen der σ–Endlichkeit von
μ eine Menge B ⊂ M mit 0 < μ(B) < ∞. Dann ist χB ein Eigenvektor zum
Eigenwert λ; außerdem gilt μ({|v − λ| < ε}) ≥ μ({v = λ}) > 0 für jedes ε > 0.
(a) und (e): Für λ ∈ σp (Mv ) setzen wir
1
λ−v(ω)
für v(ω) = λ ,
g(ω) :=
0 auf der μ–Nullmenge {v = λ} .
5 Das Spektrum beschränkter Operatoren 571
(λ − Mv )u = w ⇐⇒ u = g · w .
7
∞
Bn ⊂ (Mv ) und (Mv ) = Bn .
n=1
7
∞
μ( v ∈ (Mv ) ) ≤ μ ( { v ∈ Bn } ) = 0 .
n=1
(c) ergibt sich als einfache Folgerung des folgenden Satzes 5.4. 2
Bemerkungen.
(i) Für λ ∈ σp (T ) kann jeder der Fälle λ ∈ σp (T ∗ ), λ ∈ σr (T ∗ ) eintreten, s.u.
(ii) Aus (c) folgt, dass Multiplikatoren auf L2 (Ω, μ) kein Restspektrum besitzen
( ÜA , beachten Sie Mv∗ = Mv ).
572 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
Beweis.
Grundlage ist der Satz 3.5 zusammen mit den Rechenregeln 3.3 für Adjungierte.
(a) und (d). Nach 3.3 (2) gilt (λ − T )∗ = λ − T ∗ . Mit 3.3 (c) folgt
λ ∈ (T ) ⇐⇒ λ − T ist invertierbar
⇐⇒ (λ − T ∗ )−1 = ((λ − T )−1 )∗ existiert ⇐⇒ λ ∈ (T ∗ ) .
Für (b) und (c) stützen wir uns auf die nach 3.5 (b) geltende Beziehung
(∗) Kern (T ∗ − λ)⊥ = Bild (T − λ)
sowie auf den Zerlegungssatz § 9 : 2.4.
(c) Sei λ ∈ σr (T ), also Bild (T − λ) = H . Nach (∗) und dem Zerlegungssatz
folgt Kern (T ∗ − λ) = {0}, d.h. λ ∈ σp (T ∗ ).
(b) Sei λ ∈ σc (T ). Aus (a) folgt λ ∈ σ(T ∗ ). Wir schließen die Fälle λ ∈ σr (T ∗ )
und λ ∈ σp (T ∗ ) aus: Im Fall λ ∈ σp (T ∗ ) wäre nach (∗) und dem Zerlegungssatz
Bild (T − λ) = H im Widerspruch zu λ ∈ σc (T ). Im Fall λ ∈ σr (T ∗ ) würde
nach (c) folgen λ = λ ∈ σp (T ∗∗ ) = σp (T ).
Zu Bemerkung (i): In endlichdimensionalen Räumen folgt aus λ ∈ σp (T ) immer
λ ∈ σ(T ∗ ) = σp (T ∗ ). Im unendlichdimensionalen Fall gilt das nicht: Für den
Linksshift L im 2 gilt 0 ∈ σp (L) wegen Le1 = 0. Für L∗ = R ist 0 kein
Eigenwert, da R eine Isometrie ist. Wegen Bild R ⊥ e1 ist daher 0 ∈ σr (L∗ ). 2
1
≤ ( n − T )vn + |λ − n| → 0 für n → ∞ ,
cn
somit λ ∈ σapp (T ). 2
574 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
5.6 Aufgaben. (a) Spektrum von Rechts– und Linksshift. Zeigen Sie
T : 2 → 2 , x = (x1 , x2 , x3 , . . . ) −→ (0, x1 , 12 x2 , 13 x3 , . . . ) ,
dass 0 ∈ σapp (T ) ∩ σr (T ).
Beweis.
∞
Aus T < 1 und T k ≤ T k folgt die Konvergenz der Reihe T k .
k=0
n
Wir setzen letzteres voraus und betrachten Sn := T k . Wegen
k=0
m
m
Sm − Sn = Tk ≤ T k für m > n
k=n+1 k=n+1
ist (Sn ) eine Cauchy–Folge in der Operatornorm. Für den nach 2.1 existierenden
Normlimes S = lim Sn gilt
n→∞
= lim (1 − T n+1 ) = ½.
n→∞
Beweis.
(a) Für |λ| > T und A := λ−1 T gilt A < 1. Nach 6.1 existiert daher
(1−A)−1 = λ·(λ−T )−1 = λ R(λ, T ) und ist gegeben durch die normkonvergente
Reihe
∞
∞
λ R(λ, T ) = (1 − A)−1 = Ak = λ−k T k .
k=0 k=0
Aus (1) und 3.1 (b) erhalten wir daher die Existenz von
(3) R(λ, T ) = R(λ0 , T ) (1 − B)−1 für |λ − λ0 | < r .
Die Reihendarstellung für R(λ, T ) ergibt sich aus (3),(2) und der Definition von
B nach der Regel 4.4 (e):
∞
∞
R(λ, T ) = R(λ0 , T ) B k = (λ0 − λ)k R(λ0 , T )k+1
k=0 k=0
6 Analytizität der Resolvente, Folgerungen für das Spektrum 577
(c) Aus der Normkonvergenz der Reihe für R(λ, T ) folgt nach 4.2 die schwache
Konvergenz, somit erhalten wir für die Funktion f (λ) = v , R(λ, T )u die Po-
tenzreihenentwicklung
∞
f (λ) = (−1)k v , R(λ0 , T )k+1 u (λ − λ0 )k für |λ − λ0 | < r ,
k=0
d.h. f ist analytisch und somit holomorph in der nach (b) offenen Menge (T ).
lim v , R(λ, T )u = 0 . 2
|λ|→∞
Beweis.
Nach 6.2 ist (T ) offen, und für |λ| > T gilt λ ∈ (T ). Zu zeigen bleibt,
dass σ(T ) = ∅. Angenommen (T ) = . Dann ist für beliebige u, v ∈ H
durch f (λ) := v , R(λ, T )u nach 6.2 (c) eine auf ganz definierte holomor-
phe, d.h. ganze Funktion f gegeben. Wegen lim f (λ) = 0 ist f beschränkt.
|λ|→∞
Nach dem Satz von Liouville (Bd. 1, § 27 : 6.3) ist f konstant, also f = 0. Aus
v , R(λ, T )u = 0 für alle u, v ∈ H folgt R(λ, T ) = 0 für alle λ ∈ im
Widerspruch zu R(λ, T )(λ − T ) = . 2
6.4 Aufgaben
(a) Zeigen Sie mit Hilfe von 5.2, dass es zu jeder kompakten Menge K ⊂
einen beschränkten Operator T auf 2 gibt mit σ(T ) = K.
578 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
Beweis.
(i) Alle Eigenwerte von T sind reell: Aus T u = λu, u = 1 folgt
λ = λ u , u = u , λu = u , T u ∈ .
6 Analytizität der Resolvente, Folgerungen für das Spektrum 579
(ii) Daher hat T kein Restspektrum, denn für λ ∈ σr (T ) folgt nach 5.4, dass
Ê
λ ∈ σp (T ∗ ) = σp (T ), also λ ∈ und damit λ ∈ σp (T ), ein Widerspruch.
(iii) Nach 5.5 folgt σ(T ) = σapp (T ). Für λ ∈ Ê gilt nach (a)
(T − λ)u ≥ | Im λ | u ,
un = 1 , T u1 ≤ T u2 ≤ . . . , lim T un = .
n→∞
= T 2 un 2 − 2 2
un , T 2 un + 4
= T (T un )2 − 2 2 T un 2 + 4
≤ T 2 T un 2 − 2 2 T un 2 + 4
→ 0 für n → ∞ .
Beweis.
Wegen | u , T u | ≤ u · T u ≤ T · u2 gilt
s := sup | u , T u | u = 1 ≤ T .
T = |λ| = lim | un , T un | ≤ s . 2
n→∞
580 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
Beweis.
Wir betrachten zunächst konstante Polynome p(x) = a0 . Für solche hat p(T ) =
a0 ½ ein einpunktiges Spektrum: σ(p(T )) = σp (p(T )) = {a0 }. Jeder Vektor u = 0
ist Eigenvektor von p(T ) zum Eigenwert a0 . Nach 6.3 ist σ(T ) nicht leer. Für
alle λ ∈ σ(T ) gilt p(λ) = a0 . Schließlich ist p(T ) = |a0 | = |p(λ)| für alle
λ ∈ σ(T ).
Für den Rest des Beweises setzen wir Grad (p) = n ≥ 1 voraus:
p(x) = a0 + . . . + an xn , n ≥ 1 , an = 0 .
(2) p(T ) − μ = an (T − λ1 ) · · · (T − λn ) .
Da das Produkt invertierbarer Operatoren nach 3.1 (b) invertierbar ist, ergibt
sich daraus
(b) Sei T u = λu mit u = 1 und μ = p(λ). Aus (4) mit un = u folgt
(T − λ1 ) · · · (T − λn )v = 0 .
582 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
= p(T )2 . 2
im Normsinn. Dieser Operator hängt nur von den Werten von f auf σ(T ) ab:
f (T ) = max |f (λ)| λ ∈ σ(T ) .
Beweis.
Sei σ(T ) ⊂ [a, b]. Nach dem Weierstraßschen Approximationssatz § 6 : 2.9 gibt
es Polynome pn , die auf [a, b] gleichmäßig gegen f konvergieren. Nach 7.2 (c)
gilt
pm (T ) − pn (T ) = max | pm (λ) − pn (λ) | λ ∈ σ(T ) ,
Ist σ(T ) ⊂ [c, d] und konvergieren die Polynome qn auf [c, d] gleichmäßig gegen
f , so existiert entsprechend der Normlimes lim qn (T ). Nach 7.2 (c) gilt
n→∞
pn (T ) − qn (T ) = max | pn (λ) − qn (λ) | λ ∈ σ(T ) → 0
7 Der Funktionalkalkül für symmetrische Operatoren 583
Mit der Abkürzung u∞ = max {|u(λ)| | λ ∈ σ(T )} erhalten wir wegen der
Stetigkeit der Norm aus 7.3 (a)
(b) Für die Definition von f (T ) erweist es sich im Nachhinein als unnötig, die
Stetigkeit von f auf ganz Ê
zu verlangen; es kommt nur auf die Einschränkung
von f auf σ(T ) an. Umgekehrt lässt sich jede stetige Funktion f : σ(T ) →
zu einer stetigen Funktion F : → mit gleicher Supremumsnorm fortsetzen
(Satz von Tietze–Uryson § 10 : 5.3). Dies berechtigt uns zu folgender
Definition. Für f ∈ C(σ(T )) setzen wir f (T ) := F (T ), wobei F : → eine
beliebige stetige Fortsetzung von f ist. In diesem Fall definieren wir
F ∞ = f ∞ := sup {|f (λ) | λ ∈ σ(T ) }.
f (T )∗ = f (T ) .
Die erste Aussage (a) wurde in 7.3 bewiesen; die restlichen Aussagen ergeben
sich aus den entsprechenden Eigenschaften 7.1 des polynomialen Funktional-
kalküls durch Grenzübergang ÜA .
ist eine kommutative C∗ –Algebra und als solche isomorph zu (C(σ(T )), · ∞ ):
Die Einsetzungsabbildung E : C(σ(T )) → C∗ (T ), f → f (T ) ist bijektiv und hat
die Eigenschaften (a), (b). Insbesondere ist also
C∗ (T ) = f (T ) f ∈ C(σ(T )) .
584 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
C∗ (T ) = {f (T ) | f ∈ C(σ(T ))} ,
Beweis.
(i) σ(f (T )) ⊂ f (σ(T )): Für μ ∈ f (σ(T )) ist g(λ) := 1/(μ − f (λ)) stetig auf
σ(T ). Somit ist der Operator g(T ) definiert, und aus 7.4 (b) ergibt sich
Damit gilt:
μ ∈ f (σ(T )) =⇒ μ ∈ (f (T )) und die Aussage (d) über R(μ, f (T )).
(ii) f (σ(T )) ⊂ σapp (f (T )): Sei μ = f (λ) mit λ ∈ σ(T ). Wegen σ(T ) = σapp (T )
gibt es approximative Eigenvektoren un mit un = 1 und (T − λ)un → 0. Aus
dem Beweisteil (4) von 7.2 entnehmen wir
für jedes nichtkonstante Polynom p; für konstante Polynome gilt dies trivialer-
weise ebenso. Zum Nachweis von (f (T ) − f (λ))un → 0 fixieren wir zu vorgebe-
nem ε > 0 ein Polynom p mit
(f (T ) − f (λ))un
Aus (i) und (ii) folgt (a), (c) und (d). Der Aussage (b) folgt aus (c) mit un =
u/u (n = 1, 2, . . .). 2
T : x = (x1 , x2 , . . . ) −→ (a1 x1 , a2 x2 , . . . ) .
f (T )x = (f (a1 ) x1 , f (a2 ) x2 , . . . )
f (Mv ) = Mf ◦v
zunächst für Polynome f und dann mit Hilfe des kleinen Satzes von Lebesgue
für f ∈ C(σ(Mv )).
(ii) Für den Multiplikator Mx auf L2 [a, b] ist σp (Mx ) = ∅, vgl. die Bemerkung
5.3 (iii). Geben Sie ein f ∈ C(σ(Mx )) an mit σp (f (Mx )) = ∅.
586 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
(1) P1 + . . . + Pm = ½,
(3) Pi Pk = Pk Pi = δik Pk .
(b) Diese Formeln lassen sich auch mit Hilfe des Funktionalkalküls beweisen;
dabei wird nur die Endlichkeit des Spektrums verwendet, nicht die Vorausset-
zung dim H < ∞.
σ(T ) = {λ1 , . . . , λm } ,
so besteht dieses aus Eigenwerten. Für die orthogonalen Projektoren Pk auf die
paarweise orthogonalen Eigenräume Nk = Kern (T − λk ) gelten dann die Iden-
titäten (1),(2),(3).
Beweis.
Auf der endlichen Menge σ(T ) = {λ1 , . . . , λm } ist jede Funktion f : σ(T ) →
stetig. Wir betrachten für k = 1, . . . , m die Funktion fk : σ(T ) → , die auf
λk den Wert 1 annimmt und auf den übrigen Spektralwerten Null ist. Für diese
Funktionen gilt
(2 ) σ(T ) = λ1 f1 + . . . + λm fm
(3 ) fi · fk = δik fk .
u ∈ Nk =⇒ Pk u = u =⇒ T u = T Pk u = λk Pk u = λk u .
Wegen Nk = {0} ist daher λk ein Eigenwert von T . Nach 7.5 (b) gilt
T u = λk u =⇒ Pk u = fk (T )u = fk (λk )u = u =⇒ u ∈ Nk .
(c) Der Funktionalkalkül. Aus den Identitäten (1)–(3) folgt per Induktion
f (T ) = f (λ1 ) P1 + . . . + f (λm ) Pm .
d
u(t) , v(t) = u̇(t) , v(t) + u(t) , v̇(t) (Produktregel).
dt
Beweis als ÜA . Beweisen und verwenden Sie die Stetigkeit des Skalarprodukts
in beiden Variablen: un → u, vn → v =⇒ un , vn → u , v .
Beweis.
(a) Für S := T 1/2 gilt 0 ≤ S ∈ C*(T ) und S 2 = T nach dem Beweis 8.1 (b).
(b) Sei R ∈ L (H ) ein positiver Operator mit R2 = T . Dann gilt RT = R3 =
T R, also RS = SR nach 7.4 (d). Es folgt (S − R)(S + R) = S 2 − R2 = 0. Für
A := (S − R)S(S − R) und B := (S − R)R(S − R) gilt A ≥ 0, B ≥ 0 ÜA und
A + B = (S − R)(S + R)(S − R) = 0 .
Beweis.
Für einen Operator U mit den behaupteten Eigenschaften gilt notwendigerweise
Umgekehrt lässt sich durch (∗) ein Operator U : Bild |T | → Bild T definieren.
Die Vorschrift U (|T |u) := T u macht Sinn: Aus |T |u = |T |v folgt u − v ∈
Kern |T | = Kern T , also T u = T v. Daher ist
U : Bild |T | → Bild T , |T |u → T u
bijektiv und isometrisch wegen |T |u2 = T u2 . Nach 2.9 lässt sich U zu einer
bijektiven und isometrischen Abbildung
U : Bild |T | → Bild T
fortsetzen.
Da |T | symmetrisch ist, gilt Bild |T | = Kern |T |⊥ = Kern T ⊥ nach 3.5, also
H = Bild |T | ⊕ Kern T
8.4 Aufgaben
1 0
(a) Auf H = 2
seien S : x → 0
0
0
x und T : x → 0
1
0
x. Geben Sie |S|
und |T | an. Zeigen Sie, dass weder |ST | = |S| |T | noch |S + T | ≤ |S| + |T | gilt.
(b) Geben Sie die Polarzerlegung von T an.
(c) Zeigen Sie: Jeder Operator T ∈ L (H ) lässt sich darstellen als
9 Erweiterung des Funktionalkalküls 591
1
T = S1 + iS2 , wobei S1 := 2 (T + T ∗ ) , S2 := i
2 (T ∗ − T )
symmetrische Operatoren sind.
(d) Zeigen Sie: Für symmetrische Operatoren T mit T ≤ 1 gilt 0 ≤ T 2 ≤ ½,
und
U1 := T + i(1 − T 2 )1/2 , U2 := T − i(1 − T 2 )1/2
sind unitäre Operatoren.
Folgerung aus (c) und (d): Jeder Operator T ∈ L (H ) ist Linearkombination
von vier unitären Operatoren.
eλ := χ]−∞,λ] ,
die durch die nebenstehend skizzzierte Folge fn approximiert wird. Unmittelbar
aus der Definition ergibt sich
f, g ∈ F =⇒ f · g ∈ F und αf + βg ∈ F für α, β ≥ 0 .
Die Funktionen f ∈ F sind an jeder Stelle x0 nach oben halbstetig: Zu jedem
ε > 0 gibt es ein δ > 0, so dass
f (x) < f (x0 ) + ε für |x − x0 | < δ .
Daraus folgt, dass f auf jeder kompakten Teilmenge K ⊂ Ê
ein Maximum an-
nimmt. Die Beweise dieser beiden für das Folgende unerheblichen Eigenschaften
seien den Lesern als ÜA überlassen.
Zum Beweis benötigen wir folgendes
Lemma. Seien f = lim fn , g = lim gn , wobei (fn ) und (gn ) jeweils absteigen-
n→∞ n→∞
de Folgen beschränkter, stetiger und positiver Funktionen sind.
Ist K ⊂ Ê kompakt und f (x) ≤ g(x) auf K, so gibt es zu jedem n ∈ Æ ein
Æ
M ∈ , so dass
1
fm (x) < gn (x) + n für m > M und x ∈ K.
592 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
Beweis.
Wir fixieren n und betrachten einen Punkt y ∈ K. Zu diesem gibt es wegen
lim fk (y) = f (y) < g(y) + n1 ≤ gn (y) + n1 ein k = k(y) mit
k→∞
1
fk (y) < gn (y) + n .
Da fk , gn stetig sind, gilt diese Ungleichung auch in einer Umgebung U (y) von
y. Nach dem Überdeckungssatz von Heine–Borel (Bd. 1, § 21 : 6.3) wird K von
endlich vielen solcher Umgebungen überdeckt: K ⊂ U (y1 ) ∪ · · · ∪ U (yN ). Für
M := max{k(y1 ), . . . , k(yN )} gilt dann wegen des Absteigens der Folge (fn )
1
fm (x) < gn (x) + n für x ∈ K und alle m > M . 2
Beweis.
(a) Nach 8.1 (a) folgt aus der Ungleichung 0 ≤ fn+1 ≤ fn , dass die Operatoren
fn (T ) positiv sind und dass
0 ≤ fn+1 (T ) ≤ fn (T ) für n = 1, 2, . . . .
Aus dem Satz von der monotonen Konvergenz 4.5 folgt die Existenz von
S := s–lim fn (T ) ≥ 0 .
n→∞
(b) Sei (gn ) eine absteigende Folge beschränkter, positiver, stetiger Funktionen,
deren Limes g auf σ(T ) mit f übereinstimmt. Nach dem Lemma 9.1 gibt es zu
jedem n ∈ ein M ∈ mit
1
0 ≤ fm (x) < gn (x) + n für m > M und x ∈ σ(T ) .
Nach 8.1 (a) folgt
1
0 ≤ fm (T ) ≤ gn (T ) + n für m > M,
also
1
u , Su = lim u , fm (T )u ≤ u , gn (T )u + n u2 .
m→∞
Bemerkung. Dass in (d) der Fall <“ eintreten kann und dass sich der spek-
”
trale Abbildungssatz nicht übertragen lässt, zeigt das Beispiel in 9.4 (b).
Beweis.
Sei f = lim fn , g = lim gn punktweise auf
n→∞ n→∞
Ê, wobei (f
n ), (gn ) absteigende
Folgen beschränkter, positiver, stetiger Funktionen sind. Dann sind auch die
Folgen (αfn + β gn ), (fn · gn ) absteigend mit Grenzwerten
Die Rechenregeln (a),(b) ergeben sich daraus mit Hilfe der Rechenregeln 4.4 für
starke Konvergenz; (c) ergibt sich aus dem Beweis 9.2 (b).
Zu zeigen bleibt (e); (d) folgt daraus mit g = 0.
Sei M := f − g∞ . Dann gilt
f (T ) ≤ g(T ) + M , g(T ) ≤ f (T ) + M .
Ma : (x1 , x2 , . . . ) −→ (a1 x1 , a2 x2 , . . . )
594 § 21 Spektrum und Funktionalkalkül symmetrischer Operatoren
Beweis.
Sei f = lim fn mit einer absteigenden Folge beschränkter, stetiger Funktionen
Ê Ê
n→∞
fn : → + . Dann gilt 0 ≤ f (λ) ≤ f1 (λ) ≤ C mit einer Konstanten C, also
ist der Multiplikator
Nach 7.6 gilt fn (Ma )x = (fn (a1 )x1 , fn (a2 )x2 , . . .), und nach Voraussetzung gilt
0 ≤ fn (ak ) − f (ak ) ≤ f1 (ak ) − f (ak ) ≤ C. Es folgt
N
fn (Ma )x − Sx2 < (fn (ak ) − f (ak ))2 |xk |2 + ε2 .
k=1
Beweis.
Sei f = lim fn mit einer absteigenden Folge beschränkter, stetiger Funktionen
Ê Ê
n→∞
fn : → + . Wegen 0 ≤ f ≤ f1 und der Beschränktheit von f1 gilt dann
f ◦ v ∈ L∞ (Ω, μ). Aus 7.6 (b) entnehmen wir fn (Mv ) = Mfn ◦v . Aus
f1 ◦ v ≥ f2 ◦ v ≥ . . . ≥ 0 und f ◦ v = lim fn ◦ v
n→∞
(d) Beispiel. Sei v : [a, b] → Ê stetig und nicht konstant. Für den Multipli-
kator Mv auf L2 [a, b] ist σ(Mv ) der essentielle Wertebereich von v, vgl. 5.3.
Da v stetig ist und wir das Lebesgue–Maß zugrundegelegt haben, gilt ÜA
σ(Mv ) = v([a, b]) ,
also ist σ(Mv ) ein kompaktes Intervall mit nichtleerem Innern. Nach 9.1 gilt
eλ := χ]−∞,0] ∈ F .
Für Eλ := eλ (Mv ) erhalten wir aus (c)
Eλ = Meλ ◦v .
Für innere Punkte λ von σ(Mv ) gilt offenbar 0 = Eλ = ½, und wegen e2λ = eλ
ist Eλ ein nichttrivialer orthogonaler Projektor mit σ(Eλ ) = {0, 1}, vgl. 7.7 (d).
Damit haben wir einen beschränkten symmetrischen Operator T , für den der
erweiterte Funktionalkalkül aus der C*–Algebra C*(T ) hinausführt. Denn nach
7.4 (c) besteht C*(Mv ) aus allen Operatoren g(Mv ) mit g ∈ C(σ(Mv )), und nach
7.6 (b) ist g(Mv ) = Mg◦v wieder ein Multiplikator mit einer stetigen Funktion.
Dessen Spektrum ist aber nach den Ausführungen oben immer ein Intervall.
596 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Beweis.
(a) Definitionsgemäß gilt Eλ ≥ 0 (§ 21 : 9.2). Aus e2λ = eλ folgt Eλ2 = Eλ
(§ 21 : 9.3 (b)). Also ist Eλ ein orthogonaler Projektor (§ 9 : 2.6).
(b) Für λ ≤ μ gilt eλ eμ = eλ und eλ ≤ eμ , somit Eλ Eμ = Eμ Eλ = Eλ und
Eλ ≤ Eμ nach § 21 : 9.3 (b), (c). Es folgt:
Für λ ≤ μ ist Eμ − Eλ ein orthogonaler Projektor, denn Eμ − Eλ ist symme-
trisch, und nach dem Vorangehenden gilt
(Eμ − Eλ )(Eμ − Eλ ) = Eμ2 − Eλ Eμ − Eμ Eλ + Eλ2
= Eμ − 2Eλ + Eλ = Eμ − Eλ .
0 ≤ Pμ ≤ fn (T ) − Eλ .
Es folgt
und dieser ist ein mit der Spektralschar vertauschender orthogonaler Projektor.
Beweis.
Die Projektoren Pn = Eλ − Eλ−1/n bilden nach (b) eine absteigende Folge
positiver Operatoren. Nach dem Satz § 21 : 4.5 von der monotonen Konvergenz
existiert daher Pλ := s–lim Pn . Wir definieren
n→∞
Dass Pλ und Eλ− orthogonale Projektoren sind, die mit allen Eν vertauschen,
ergibt sich aus § 21 : 4.7. Sei λ− n1 < μ < λ. Es ist leicht zu sehen, dass Eλ− −Eμ
ein orthogonaler Projektor ist. Wegen Eλ− − Eμ ≤ Eλ− − Eλ− 1 = Pn − Pλ
n
folgt
(Eλ− − Eμ )u2 = u , (Eλ− − Eμ )u ≤ u , (Pn − Pλ )u .
Da die rechte Seite eine Nullfolge ist, ergibt sich die Behauptung (e). 2
1.2 Spektralmaße
Für jeden Vektor u ∈ H mit u = 1 ist durch
Beweis.
(a) Aus 1.1 folgt, dass F monoton wächst und dass F (λ) = 0 für λ < σ(T ),
F (λ) = 1 für λ ≥ σ(T ). Da aus starker Konvergenz von Operatoren die schwache
folgt, ist F rechtsseitig stetig. Also ist F eine Verteilungsfunktion und bestimmt
nach § 19 : 9.3 ein Wahrscheinlichkeitsmaß μu auf den Borelmengen in . Ê
Ê
(b) Ω = \ σ(T ) ist offen, also Vereinigung abzählbar vieler kompakter Inter-
valle [a, b] (Bd. 1, § 23 : 4.1). Für jedes solche Intervall gilt dist ([a, b] , σ(T )) > 0,
also gibt es ein c < a mit [c, b] ⊂ Ω. Dann ist eb (x) − ec (x) = 0 für x ∈ σ(T ),
also Eb − Ec = 0 und somit
für jede Folge von Einteilungen Zn mit lim δ(Zn ) = 0. Wir schreiben hierfür
n→∞
b
f (T ) = f (λ) dEλ .
a
1 Spektralzerlegung und Spektralsatz 599
Insbesondere gilt
b
T = λ dEλ .
a
Beweis.
(i) Sei zunächst f ≥ 0. Wir dürfen annehmen, dass f auf ganz Ê
stetig und
beschränkt ist. Für jede Einteilung Z gemäß (a) gilt im Sinne von § 21 : 9.1, 9.2
N
h := f (xk ) exk−1 ∈ F ,
k=1
f +h ∈ F.
Dabei ist
für jeden Vektor u ∈ H mit u = 1. Dabei ist μu das in 1.2 definierte Spek-
/u = E(μu ) und die Varianz
tralmaß. Insbesondere gilt für den Erwartungswert μ
V (μu )
/u = u , T u ,
E(μu ) = μ /u ) u .
V (μu ) = (T − μ
2
600 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Beweis.
Wir setzen f stetig auf Ê
fort. Die Art der Fortsetzung
spielt dabei für f (T )
keine Rolle (§ 21 : 7.3); ebensowenig beeinflußt sie f dμu , da μu nach 1.2 auf
σ(T ) lebt. Sei σ(T ) ⊂ [a, b] und Z eine Einteilung der in 1.3 (a) beschriebenen
Art. Dann gilt für u = 1 und F (λ) = u , Eλ u
N
u , S(f, Z) u = f (xk ) u , (Exk − Exk−1 ) u
k=1
(∗)
N
= f (xk ) (F (xk ) − F (xk−1 )) .
k=1
vgl. § 20 : 6.2. Wir setzen in (∗) Zerlegungen Zn ein mit δ(Zn ) → 0 und erhalten
aus § 20 : 6.2 und 1.3 (aus Normkonvergenz folgt schwache)
b
u , f (T ) u = lim u , S(f, Zn ) u = f dμu = f dμu .
n→∞
a σ(T )
Die Formeln für E(μu ) und V (μu ) ergeben sich für f (x) = x beziehungsweise
/u )2 .
für f (x) = (x − μ 2
(b) Ein Grundpostulat der Quantenmechanik (vgl. § 18 : 4). Für eine auf ein
quantenmechanisches System mit Systemhilbertraum H bezogene Observable
sei der Bereich der möglichen Messwerte beschränkt. Dann wird diese durch
einen beschränkten symmetrischen Operator T auf H dargestellt. Für jeden
Vektorzustand | u u | des Systems bilden die Beobachtungswerte der Obser-
vablen eine Zufallsgröße X mit Verteilung μu und Erwartungswert X /=μ /u =
u, T u .
Daraus ergibt sich folgende Deutung des Funktionalkalküls : Ist f : → Ê Ê
stetig, so hat die transformierte Zufallsgröße f (X) nach § 20 : 6.4 und nach (a)
den Erwartungswert
f dμu = u , f (T )u ,
wobei f (T ) symmetrisch ist. Nach § 21 : 3.6 (c) ist ein symmetrischer Operator
durch die zugehörige quadratische Form eindeutig bestimmt, d.h. eine quan-
tenmechanische Observable ist durch ihre Erwartungswerte in allen denkbaren
Vektorzuständen festgelegt. Somit beschreibt f (T ) diejenige Observable, die aus
der durch T beschriebenen Observablen durch die Messtransformation x → f (x)
hervorgeht.
Weitere Anmerkungen zur Quantenmechanik folgen in 1.6.
1 Spektralzerlegung und Spektralsatz 601
Beweis.
Grundlegend für das Folgende sind die Sachverhalte:
(1) μu (]λ − ε, λ + ε]) = u , (Eλ+ε − Eλ−ε )u für u = 1 , vgl. 1.2,
(2) σ(T ) = σapp (T ) , vgl. § 21 : 6.5, und
(3) T u − λu2 = (x − λ)2 dμu (x) für λ ∈ Ê, u = 1 .
Ê
Letzteres folgt aus dem Spektralsatz 1.4, da T − λ symmetrisch ist:
(T − λ) u , (T − λ) u = u , (T − λ)2 u = u , f (T ) u
mit f (x) = (x − λ) .
2
(a) Nach der Bemerkung 1.1 ist Pε := Eλ+ε −Eλ−ε ein orthogonaler Projektor.
Gibt es ein ε > 0 mit Pε = 0, so folgt aus (1) für u = 1
μu (]λ − ε, λ + ε]) = u , Pε u = 0 .
Daher gilt (x − λ)2 ≥ ε2 μu –f.ü., und aus (3) folgt
T u − λu2 ≥ ε2
für alle u ∈ H mit u = 1. Daher kann λ nicht zu σapp (T ) = σ(T ) gehören.
Im Fall Pε = 0 gibt es ein v ∈ H mit Pε v = 0. Für u := Pε v/Pε v gilt dann
u = 1, Pε u = u und somit nach (1)
(4) μu (]λ − ε, λ + ε]) = u , Pε u = u , u = 1 .
Daher gilt (x − λ)2 ≤ ε2 μu –f.ü., und aus (3) folgt
T u − λu2 ≤ ε2 .
602 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Gilt daher Pε = 0 für alle ε > 0, so finden wir zu ε = n1 jeweils einen Vektor
un ∈ H mit un = 1 und T un − λun ≤ n1 . Ist also λ eine Wachstumsstelle
der Spektralschar, so gilt λ ∈ σapp (T ).
(b) Sei Qλ := Eλ − Eλ− . Nach 1.1 (e) ist Qλ ein mit allen Eν vertauschender
orthogonaler Projektor. Für u = 1 ergibt (1) wegen der Stetigkeitseigenschaft
von μu (§ 19 : 6.3)
Qλ u2 = u , Qλ u = lim u , (Eλ − Eλ−1/n )u
n→∞
= lim μu (]λ − 1
n
, λ]) = μu ({λ}) .
n→∞
Beweis.
(a) folgt unmittelbar aus dem Beweisteil (b) von 1.5, Gleichung (5).
(b) folgt aus 1.5 (a) und dem zugehörigen Beweis (Gleichung (4)).
(c) Für λ ∈ (T ) gibt es nach 1.5 (a) und dem zugehörigen Beweis ein ε > 0,
so dass μu (]λ − ε, λ + ε]) = 0 für jeden Zustandsvektor u. 2
2 Beispiele
2.1 Operatoren mit endlichem Spektrum
Hat ein symmetrischer Operator T ∈ L (H ) ein endliches Spektrum σ(T ) =
{λ1 , . . . , λm } mit λ1 < . . . < λm , so gilt nach § 21 : 7.7 für jede auf σ(T ) definierte
Funktion f
f (T ) = f (λ1 ) P1 + . . . + f (λm ) Pm ;
dabei ist Pk für k = 1, . . . , m der orthogonale Projektor auf den Eigenraum
Kern (T − λk ). Insbesondere ist die Spektralschar von T gegeben durch
Eλ = eλ (λ1 ) P1 + . . . + eλ (λm ) Pm = Pk .
λk ≤λ
also gilt
μu (B) = u , Pk u = Pk u2
λk ∈B λk ∈B
μu = u − P u2 δ0 + P u2 δ1 .
bejaht.
Eλ = eλ (Mv ) = Meλ ◦v ;
dabei ist eλ ◦ v die charakteristische Funktion der Menge {v ≤ λ}, vgl. § 20 : 3.1.
Sei u = 1. Die Verteilungsfunktion F des Spektralmaßes μu ergibt sich durch
F (λ) = u , Eλ u = u , eλ◦v u = |u|2 dμ .
{v≤λ}
vgl. § 20 : 6.4. Für f ∈ C(σ(Mv )) gilt nach dem Spektralsatz unter Beachtung
von f (Mv ) = Mf ◦v
(2) u , f (Mv )u L2 = f ◦ v |u|2 dμ = f ◦ v dν = f dμu .
Ω Ω σ(Mv )
3 Diagonalisierung beschränkter symmetrischer Operatoren 605
Da nach § 21 : 5.3 angenommen werden darf, dass v(Ω) ⊂ σ(Mv ) gilt, wobei
σ(Mv ) \ v(Ω) eine μ–Nullmenge ist ÜA , folgt aus (2)
f ◦ v dν = f dμu .
Ω v(Ω)
Dies entspricht der Aussage des Transformationssatzes für Bildmaße § 20 : 6.4 (b).
Satz. Genau dann ist σ(T ) nichtentartet, wenn es ein a ∈ H gibt mit
{ p(T ) a | p Polynom } = H .
Beweis.
Ist σ(T ) entartet, also m < n, so folgt aus (2) für jeden Vektor a ∈ H die
Ungleichung dim{p(T ) a | p Polynom} ≤ m < n .
Ist σ(T ) nichtentartet, so gibt es eine Orthonormalbasis (v1 , . . . , vn ) für H
mit T vk = λk vk (k = 1, . . . , n), wobei λ1 < . . . < λn . Wir setzen a :=
v1 + . . . + vn . Wegen Pk a = vk , a vk = vk folgt aus (2)
p(T )a = p(λ1 ) v1 + . . . + p(λn ) vn .
Für einen beliebigen Vektor u = x1 v1 + . . . + xn vn ∈ H sei p das Inter-
polationspolynom mit p(λ1 ) = x1 , . . . , p(λn ) = xn . Dann gilt p(T ) a = u.
2
Satz. Genau dann ist σ(Mλ ) nichtentartet, wenn es ein a ∈ 2 gibt mit
Beweis.
Nach § 21 : 7.6 (a) gilt für Polynome p und für a = (a1 , a2 , . . . ) ∈ 2
(i) Sei Z(a) = 2 . Dann kann keine Koordinate von a Null sein, denn im Fall
an = 0 ist en ⊥ p(T )a für jedes Polynom p. Ferner muss λm = λn für n = m
gelten, denn andernfalls ist p(λm ) = p(λn ) und somit an em − am en ein zu Z(a)
orthogonaler Vektor. Also ist σ(Mλ ) nichtentartet.
(ii) Ist σ(Mλ ) nichtentartet und a = (a1 , a2 , . . .) ∈ 2 ein beliebiger Vektor
mit nichtverschwindenden Koordinaten, so gilt Z(a) = 2 . Denn zu gegebenem
Einheitsvektor em gibt es für jedes n ≥ m ein Interpolationspolynom p = pn
mit
1
p(λm ) = , p(λk ) = 0 für k ≤ n , k = m .
am
Aus (∗) folgt mit p∞ = sup { | p(λk ) | | k = 1, 2, . . .}
∞
∞
p(Ma ) a − em 2 = | p(λk ) |2 | ak |2 ≤ p2∞ |ak |2 → 0
k=n+1 k=n+1
{p(T )a | p Polynom} = H .
Das Spektrum von T heißt nichtentartet, wenn es einen zyklischen Vektor für
T gibt.
(ii) Das Spektrum des Multiplikators Mx2 ist dagegen entartet. Zum Nachweis
betrachten wir den durch (Su)(x) = u(−x) gegebenen unitären Operator S
auf L2 [−1, 1]. Wegen SMx2 = Mx2 S und S 2 = S gilt Sp(Mx2 )S = Sp(Mx2 )
für jedes Polynom p. Angenommen, es gibt einen zyklischen Vektor a für Mx2 .
Dann gilt für u ∈ L2 [−1, 1] und jedes Polynom p
Mit Hilfe der Dreiecksungleichung folgt, dass 12 (a + Sa) ebenfalls ein zyklischer
Vektor ist. Wir dürfen also gleich annehmen, dass a gerade ist: Sa = a. Wählen
wir nun u(x) := xa(x), so kann es keine Polynomfolge (pn ) geben mit
1
pn (Mx2 ) a − u 2 = | pn (x2 ) − x |2 | a(x) |2 dx → 0 für n → ∞
−1
Beweis.
(a) Konstruktion der unitären Abbildung U : H → L2 := L2 (σ(T ), μ) mit
μ = μa . Wir bezeichnen im Folgenden die Norm in L2 mit 2 . Für Polynome
p gilt nach dem Spektralsatz und nach § 21 : 7.1 (c)
(∗) p(T ) a2 = a , p(T ) p(T ) a = a , |p|2 (T ) a = |p|2 dμ ,
σ(T )
U u := L2 -lim pn , falls pn (T )a → u .
n→∞
Es gilt U u2 = lim pn 2 = lim pn (T )a = u wegen der Stetigkeit der
n→∞ n→∞
Normen. Offenbar ist U a = 1. Die Linearität von U ist leicht einzusehen ÜA .
(b) U ist surjektiv. Sei g ∈ L2 . Nach § 20 : 8.5 (c) gibt es Polynome qn mit
g = L2 -lim qn . Nach (∗) existiert w := lim qn (T )a, und nach Konstruktion
n→∞ n→∞
von U ist dann U w = g.
(c) Darstellung von T . Für jedes Polynom p gilt T p(T ) = p(T ) T = q(T )
mit q(x) = x p(x). Sei u = lim pn (T ) a mit Polynomen pn . Da T stetig ist, gilt
n→∞
| Mx f − qn |2 dμ = x2 | f (x) − pn (x) |2 dμ(x) ≤ T 2 f − pn 22
σ(T ) σ(T )
wegen σ(T ) ∈ −T , T . Es folgt
U T u = L2 -lim qn = Mx f = Mx U u ,
n→∞
also T u = U −1 Mx U u. 2
(b) Für die Einschränkung T0 von T auf H 0 := Z(a) mit a = 1 ist a ein
zyklischer Vektor. Da T0 symmetrisch ist, gilt ÜA
Daher gibt es nach 3.2 ein auf σ(T ) lebendes Wahrscheinlichkeitsmaß μ0 und
Ê
eine unitäre Abbildung U0 : H 0 → L2 ( , μ0 ) mit
T0 = U0−1 Mx U0 .
μ(B) := μ0 (B − τ ) für B ∈ B .
Beweis.
Im Fall T = 0 ist nach Voraussetzung dim H = 2 ÜA , also H isomorph zu
Ê
L2 ( , μ) mit μ := 12 (δ0 + δ1 ). Sei also T = 0, c := T > 0 und τ := 4c.
Nach 3.3 sind H 1 := Z(a1 ) und H 2 := Z(a2 ) abgeschlossene T –invariante
Teilräume von H .
Für k = 1, 2 bezeichnen wir mit Tk die Einschränkungen von T auf H k . Ferner
seien S1 = σ(T ), S2 = σ(T ) + τ . Dann gilt S1 ∩ S2 = ∅. Nach 3.3 gibt es für
k = 1, 2 Wahrscheinlichkeitsmaße μk mit Träger in Sk und unitäre Abbildungen
Ê
Uk : H k → L2 ( , μk ), so dass
Tk = Uk−1 Mv Uk ,
f = f1 + f2 mit Ê
fk = f χSk ∈ L2 ( , μk ) = L2 (Sk , μk )
Ê Ê
Umgekehrt: Für f1 ∈ L2 ( , μ1 ), f2 ∈ L2 ( , μ2 ) ist f = f1 + f2 ∈ L2 ( , μ), und Ê
es gelten die Gleichungen (∗), denn fk = fk χSk μk –f.ü.
Für u ∈ H gibt es nach dem Zerlegungssatz eindeutig bestimmte Vektoren
u1 , u2 mit
u = u1 + u2 , u1 ∈ H 1 , u2 ∈ H 2 .
Ê
so ist U : H → L2 ( , μ) unitär:
√
Für f1 := U1 u1 , f2 := U2 u2 , f := f1 + f2 gilt also U u = 2f und
u2 = u1 2 + u2 2 = |f1 |2 dμ1 + |f2 |2 dμ2
Ê Ê
(∗)
= 2 |f |2 dμ = U u2 .
Ê
Ferner ist T u = T1 u1 + T2 u2 , also
√ √ √
U T u = 2(U1 T1 u1 + U2 T2 u2 ) = 2 v (f1 + f2 ) = v 2f = v U u. 2
3 Diagonalisierung beschränkter symmetrischer Operatoren 611
Beweis.
Durch Ausmultiplizieren ergeben sich wegen u , Pk u = Pk u , u = Pk u2
und wegen Pk u ⊥ P u für k = die Gleichungen
n 2
n
(1) u− Pk u = u2 − Pk u2 ,
k=1 k=1
m 2
m
(2) Pk u = Pk u2 .
k=n+1 k=n+1
∞
Aus (1) folgt Pk u2 ≤ u2 , aus (2) dann die Konvergenz der Reihe
k=1
∞
P u := Pk u für alle u ∈ H .
k=1
∞
∞
v∈V ⇐⇒ v = P v ⇐⇒ v = Pk v ⇐⇒ v2 = Pk v2 ,
k=1 k=1
Umgekehrt folgt für v ∈ V aus dem Bestehen einer Zerlegung (3), dass
∞
Pi v = Pi vk = Pi vi = vi (i = 1, 2, . . .) . 2
k=1
Beweis.
Da H separabel ist, gibt es eine abzählbare Menge M = {u1 , u2 , . . . } mit
M = H , ui = uj für i = j und u1 = 0 . Wir setzen
m1 = min { k ∈ |u k ∈ H 1 } .
wegen pn (T ) h1 ∈ H 1 .
Im Fall M ⊂ H 1 ⊕ H 2 gilt H = M ⊂ H 1 ⊕ H 2 = H 1 ⊕ H 2 . Andernfalls
betrachten wir den orthogonalen Projektor Q = P1 + P2 auf H 1 ⊕ H 2 und
setzen m2 := min { k ∈ | uk ∈ H 1 ⊕ H 2 },
T = U −1 Mv U .
Beweis.
Ê
Im Fall T = 0 wählen wir ein Wahrscheinlichkeitsmaß μ, für welches L2 ( , μ)
isomorph zu H ist (z.B. eine diskrete Verteilung)und setzen v := 0.
Sei also T = 0, c := T und τ := 4c. Wir setzen die durch
v(x) := c − | c − x | für − c ≤ x ≤ 3c
−c c 4c 8c x
Nach 3.5 (b) gibt es eine direkte Zerlegung von H in zyklische Teilräume für
T:
@
N
@
∞
Tk = Uk−1 Mv Uk .
614 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
∞
Nun setzen wir μ := 2−k μk . Wie in 3.4 erhalten wir
k=1
Ê Ê
∞
f ∈ L2 ( , μ) ⇐⇒ f = fk mit fk ∈ L2 ( , μk ) ,
k=1
wobei jeweils fk (x) = 0 außerhalb von Sk gilt, so dass die Reihe für jedes x ∈ Ê
höchstens ein von Null verschiedenes Glied besitzt. Es gilt dann
∞
|f |2 dμ = 2−k |fk |2 dμk .
Ê k=1 Ê
∞
Für u = uk mit uk ∈ Z(ak ) definieren wir f := U u durch
k=1
Æ) .
∞
f = fk mit fk := 2k/2 gk , gk = Uk uk (k ∈
k=1
Ê
Nach dem oben Gesagten ist U : H → L2 ( , μ) surjektiv. Die Isometrie von
U und die Behauptung T = U −1 Mv U ergeben sich wie in 3.4. 2
Sei dies der Fall. Da unter unitären Abbildungen die lineare Struktur sowie
Normen und Skalarprodukte unverändert bleiben, ergibt sich
T = S , T ∗ = U −1 S ∗ U , T ≥ 0 ⇐⇒ S ≥ 0 ,
T k = U −1 S k U für k ∈ Æ 0 .
f (T ) = U −1 f (S) U
Eλ (T ) = U −1 Eλ (S) U .
3 Diagonalisierung beschränkter symmetrischer Operatoren 615
T = U −1 Mv U ,
Ê
wobei U : H → L2 ( , μ) eine unitäre Abbildung, μ ein Wahrscheinlichkeits-
maß auf Ê Ê
und und v : → σ(T ) eine stetige Funktion ist.
Dann ist für jede messbare, auf σ(T ) stetige Funktion f : → durch Ê
f (T ) := U −1 Mf ◦v U
Beweis.
(i) Für u ∈ H mit u = 1 sei w := U u ∈ L2 (, μ). Dann folgt aus
dem Spektralsatz 1.4 und den Folgerungen 2.3 für Multiplikatoren nach den
Überlegungen in (a)
(∗) u , g(T )u H = g μu = (g ◦ v) |w|2 dμ = Uu , g(Mv )U u L2
Ê Ê
für jede auf σ(T ) stetige Funktion g.
(ii) Es genügt, reellwertige, auf σ(T ) beschränkte Funktionen f zu betrachten.
Für solche ist f ◦ v beschränkt und reellwertig. Der Operator F := U −1 Mf ◦v U
ist daher nach (a) ebenso wie Mf ◦v beschränkt und symmetrisch.
Da f μu –integrierbar
ist, gibt es nach § 20 : 8.5 (b) stetige Funktionen gn mit
f dμu = lim gn dμu . Aus (∗) folgt, dass die Operatoren gn (T ) ∈ C*(T )
Ê n→∞
Ê
schwach gegen einen Operator S ∈ L (H ) konvergieren, für welchen gilt
u , Su = lim u , gn (T )u = lim gn dμ = f dμu
n→∞ n→∞
Ê Ê
= (f ◦ v) |w|2 dμ = w , Mf ◦v w L2 .
Ê
Da ein symmetrische Operator F nach § 21 : 3.6 (c) durch seine quadratische
Form festgelegt ist, folgt S := U −1 Mf ◦v U = F , wobei S nur von f und T ,
nicht aber von der Multiplikatordarstellung abhängt. 2
616 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Es folgt
Su = f u = Mf u = Mf ◦v u = f (T )u
für alle u ∈ L2 (Ê, μ) und nach § 21 : 2.7 daher f ∈ L∞ (Ê, μ). 2
4 Spektralzerlegung kompakter symmetrischer Operatoren 617
Beweis als ÜA : Betrachten Sie zur Vereinfachung der Rechnung die Operato-
ren
A := S − Eu (S) , B := T − Eu (T )
und bestimmen Sie zunächst Eu (A), Eu (B), Vu (A), Vu (B).
Bemerkung. Auf den ersten Blick scheint hiermit die Heisenbergsche Unschärfe-
relation bewiesen. Es zeigt sich aber, dass die kanonische Vertauschungsrelation
[S, T ] = − i h̄ nicht durch beschränkte symmetrische Operatoren S, T erfüllt
werden kann (§ 23 : 1.2). Die Rechnung war dennoch nicht umsonst; sie lässt sich
ohne weiteres auf unbeschränkte selbstadjungierte Operatoren wie z.B. Orts–
und Impulsoperator übertragen.
Lemma. Genau dann ist T von endlichem Rang, wenn es ein N ∈ und Vek-
toren u1 , . . . , uN , v1 , . . . , vN gibt mit
N
Tu = uk , u vk für alle u ∈ H .
k=1
vgl. § 9 : 2.8.
Beweis.
Jeder so dargestellte Operator ist offenbar stetig und von endlichem Rang. Ist
umgekehrt (v1 , . . . , vN ) eine ONB für Bild T und T ∈ L (H ), so gilt
N
N
Tu = vk , T u vk = T ∗ vk , u vk , also
k=1 k=1
N
T = | T ∗ vk vk | . 2
k=1
(c) Die Identität ist genau dann kompakt, wenn H endlichdimensional ist.
Denn im Fall dim H = N ist nach (b) kompakt. Ist H unendlichdimensional
√
und v1 , v2 , . . . ein abzählbares ONS, so gilt vm − vn = 2 für m = n, also
kann (vn ) keine konvergente Teilfolge enthalten.
Beweis.
(a) Seien S, T ∈ L (H ) kompakt und (un ) eine beschränkte Folge. Dann gibt
es eine Teilfolge (unk )k , für die (Sunk )k konvergiert und davon eine mit (vm )
bezeichnete Teilfolge, für die auch (T vm ) und damit (αSvm +βT vm ) für α, β ∈
konvergiert.
4 Spektralzerlegung kompakter symmetrischer Operatoren 619
(b) Wir betrachten eine Folge von Operatoren Tn ∈ K (H ), die bezüglich der
Operatornorm eine Cauchy–Folge bilden. Nach § 21 : 1.4 gibt es einen Operator
T ∈ L (H ) mit T − Tn → 0 .
Sei (uk ) eine beschränkte Folge, o.B.d.A. uk ≤ 1 für k = 1, 2, . . . . Dann gibt
es eine mit (u1,k ) bezeichnete Teilfolge, für die (T1 u1,k ) konvergiert. Davon gibt
es eine mit (u2,k ) bezeichnete Teilfolge, für die auch (T2 u2,k ) konvergiert. So
fortfahrend erhalten wir ein Schema von zeilenweise notierten Teilfolgen
(c) folgt direkt aus der Definition 4.1 (a) und der Stetigkeit von S ÜA .
(d) Nach (c) ist T T ∗ kompakt. Sei un ≤ C für n ∈ . Dann gibt es eine
wieder mit (un ) bezeichneten Teilfolge, für die (T T ∗un ) konvergiert. Die Folge
(T ∗ un ) ist eine Cauchy–Folge wegen
T ∗ um − T ∗ un 2 = um − un , T T ∗(um − un )
≤ 2 C T T ∗ um − T T ∗ un . 2
620 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
4.3 Beispiele
(a) Der Multiplikator Ma : (x1 , x2 , . . . ) → (a1 x1 , a2 x2 , . . . ) in 2 ist genau
dann kompakt, wenn (an ) eine Nullfolge ist.
Beweis.
(i) Sei (an ) keine Nullfolge. Dann gibt es ein ε > 0 mit |an | ≥ ε für unendlich
viele n ∈ , also gibt es eine Teilfolge (ank )k mit |ank | ≥ ε für alle k ∈ . Für
die Einheitsvektoren uk := enk gilt uk = 1 und
Tn : (x1 , x2 , . . .) → (a1 x1 , . . . , an xn , 0, 0, . . .)
sind von endlichem Rang, also nach 4.1 (b) kompakt. Sei ε > 0 gegeben und nε
so gewählt, dass |ak | < ε für k > nε . Dann gilt
∞
Ma x − Tn x2 = |ak |2 |xk |2 ≤ ε2 x2 für n > nε ,
k=n+1
Beweis.
Nach dem Satz von Tonelli § 8 : 1.8 gilt G ∈ L2 (Ω × Ω). Nach § 20 : 8.3 gibt es
daher eine Folge von Treppenfunktionen ϕm auf Ω × Ω mit
(∗) G(x, y) − ϕm (x, y) 2 dn x dn y → 0 für m → ∞ .
Ω×Ω
4 Spektralzerlegung kompakter symmetrischer Operatoren 621
N
ϕm (x, y) = ck χIk (x) χJk (y) f.ü. ,
k=1
N
Tm u = χJk , u ck χIk ,
k=1
also ist jeder der Operatoren Tm von endlichem Rang und somit kompakt. Aus
(∗) folgt T − Tm → 0 für m → ∞, also ist auch T kompakt nach 4.2 (b). 2
Beweis.
(a) Im Fall 0 ∈ (T ) hätte T eine stetige Inverse. Nach 4.2 (c) wäre dann
½ = T −1 T kompakt im Widerspruch zu 4.1 (c). Somit gilt 0 ∈ σ(T ).
(b) Sei 0 = λ ∈ σ(T ). Da T symmetrisch ist, gilt σ(T ) = σapp (T ), also gibt es
Vektoren un ∈ H mit un = 1 und T un − λun → 0 für n → ∞. Wir wählen
diese Folge gleich so, dass die Bildfolge (T un ) konvergiert. Wegen λ = 0 und
T un − λun → 0 existiert dann
1
v := lim T un = lim un ,
n→∞ λ n→∞
λv = lim T un = T v , also λ ∈ σp (T ) .
n→∞
622 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
T = λ1 P1 + . . . + λm Pm ,
wobei die Pk die orthogonalen Projektoren auf die (nach (b) endlichdimen-
sionalen) Eigenräume Kern (T − λk ) sind. Somit gilt dim Bild T < ∞. Ist al-
so T nicht von endlichem Rang, so gibt es eine Folge von Eigenwerten λn
mit |λ1 | ≥ |λ2 | ≥ . . . und ein ONS v1 , v2 , . . . zugehöriger Eigenvektoren:
T vn = λn vn für n = 1, 2, . . . . Wir können diese gleich so auswählen, dass die
Folge (T vn ) konvergiert. Aus der Abschätzung
für n > m entnehmen wir, dass (T un ) nur eine Cauchy–Folge sein kann, wenn
λn → 0 für n → ∞.
Bilden die Eigenwerte λ = 0 von T eine Nullfolge, so müssen es abzählbar viele
sein, und die zugehörigen Eigenvektoren liefern ein abzählbares ONS in Bild T .
2
Bemerkungen.
(i) Hierbei ergeben sich alle von Null verschiedenen Eigenwerte von T nach
dem Rayleigh–Prinzip (c),(d).
(ii) Ist λ = 0 kein Eigenwert von T , so ist v1 , v2 , . . . ein vollständiges ONS für
H . Denn es gilt Bild T = Kern T ⊥ = H , und Span {v1 , v2 , . . .} liegt dicht in
Bild T , also auch in H . Beachten Sie, dass in diesem Fall Bild T = H ist, da
0 ∈ σc (T ) nach 4.4 (a).
Ist λ = 0 ein Eigenwert von T , so kann der Eigenraum Kern T unendlichdi-
mensional sein (Beispiel Ma auf 2 mit a = (1, 0, 12 , 0, 13 , . . . ). Nehmen wir zu
v1 , v2 , . . . eine ONB bzw. ein vollständiges ONS u1 , u2 , . . . für Kern T hinzu, so
erhalten wir nach geeigneter Durchnummerierung insgesamt ein vollständiges
ONS für H , Näheres in 4.6.
(iii) Die Existenz der in (c), (d) angegebenen Maxima liegt nicht auf der Hand,
denn nach Voraussetzung gilt dim H = ∞, also ist {u ∈ H | u = 1} nicht
kompakt.
Beweis.
(i) Nach Voraussetzung ist T = 0. Aus § 21 : 6.5 (b),(c) entnehmen wir:
T = sup u , T u u = 1 > 0,
und T oder −T gehören zum Spektrum von T . Nach 4.4 (b) gibt es also
einen Eigenwert λ1 von T und einen zugehörigen Eigenvektor v1 mit v1 = 1
und
|λ1 | = T = sup T u u = 1 = sup u , T u u = 1 .
Offenbar ist Vn ein T –invarianter Teilraum, also ist H n ein T –invarianter, abge-
schlossener Teilraum von H , vgl. 3.3 (a). Wir betrachten die Einschränkung Tn
von T auf H n . Nach Voraussetzung gilt Tn = 0, denn sonst wäre H n ⊂ Kern T ,
624 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
T = U −1 Mλ U ;
4 Spektralzerlegung kompakter symmetrischer Operatoren 625
∞
f (T ) = f (λk ) | vk vk | .
k=1
Beweis.
(i) Für jedes ONS v1 , v2 , . . . und jede reelle Nullfolge (λn ) sind
n
Tn := λk | vk vk |
k=1
vk := uk , λk := 0 für k = 1, . . . , m ,
v2k−1 := wk , λ2k−1 := μk ,
In jedem Fall ist dann v1 , v2 , . . . ein vollständiges ONS für H aus Eigenvektoren,
und die zugehörigen Eigenwerte bilden eine reelle Nullfolge. Für u ∈ H gilt also
∞
u= vk , u vk ,
k=1
626 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Definieren wir die Operatoren Tn wie oben, so folgt aus der Besselschen Unglei-
chung
∞
(T − Tn ) u 2 = |λk |2 | vk , u |2 ≤ max {|λk |2 | k > n} u2 ,
k=n+1
also
T − Tn → 0 für n → ∞ .
Die letzte Behauptung des Satzes folgt aus § 21 : 7.6 (a): Gilt lim f (λn ) = f (0),
n→∞
so ist f stetig auf σ(T ) = {(0, λ1 , λ2 , . . . )}, also ist nach den Bemerkungen
3.7 (a)
f (T ) = U −1 Mf ◦λ U
mit
Mf ◦λ = (x1 , x2 , . . . ) −→ (f (λ1 ) x1 , f (λ2 )x2 , . . . ) . 2
Diese Lösungsformel lässt sich wie folgt gewinnen: Für eine Lösung u von (∗)
gilt
x t
u(x) = u (t) dt mit u (t) = u (0) − f (s) ds .
0 0
x t
u(x) = u (0) x − 1 f (s) ds dt
0 0
(1)
x x
= u (0) x − (x − 1) f (t) dt + (t − 1) f (t) dt .
0 0
1
Wegen u(1) = 0 folgt u (0) = (1 − t) f (t) dt. Setzen wir dies in (1) ein, so
0
erhalten wir nach passender Umstellung ÜA
x 1 1
(2) u(x) = (1 − x) t f (t) dt + x (1 − t) f (t) dt = G(x, t) f (t) dt .
0 x 0
Erfüllt u umgekehrt die Gleichung (2) mit f ∈ C [0, 1], so folgt offenbar u(0) =
u(1) = 0. Differentiation ergibt zunächst
x 1
(3) u (x) = − t f (t) dt + (1 − t) f (t) dt ,
0 x
Da dieser Raum die Testfunktionen mit Träger in ]0, 1[ umfaßt, liegt er nach
§ 20 : 8.5 dicht in L2 [0, 1]. Für u ∈ C20 [0, 1] sei
H0 u := − u .
Dann ist H0 : C20 [0, 1] → C [0, 1] bijektiv, und für f ∈ C [0, 1] gilt
1
H0 u = f ⇐⇒ u = T f mit (T f )(x) := G(x, t) f (t) dt .
0
(c) Der Operator T ist für alle f ∈ L2 [0, 1] definiert. Bevor wir seine Eigen-
schaften analysieren, setzen wir den Operator H0 auf einen größeren Definiti-
onsbereich fort. Hierzu berufen wir uns auf den Begriff der Absolutstetigkeit
(§ 8 : 3.1) und auf den verallgemeinerten Hauptsatz § 8 : 3.2. Sei
D(H) := u ∈ C1 [0, 1] u absolutstetig, u ∈ L2 [0, 1], u(0) = u(1)
vn (x) := √1 sin(πnx)
2
(d) Satz. T ist ein kompakter symmetrischer Operator auf L2 [0, 1] mit folgen-
den Eigenschaften:
T ist injektiv,
Bild T = D(H) ,
der Operator H besitzt also die kompakte Inverse T .
Ferner gilt
1 1
T f 2∞ ≤ |f (x)|2 dx für f ∈ L2 [0, 1],
48 0
d.h. für jede in L2 [0, 1] konvergente Folge (fn ) ist die Bildfolge (T fn ) gleich-
mäßig konvergent.
Beweis.
(i) Die Kompaktheit von T folgt aus 4.3 (b), da G auf [0, 1] × [0, 1] stetig ist.
Wegen G(t, x) = G(x, t) für 0 ≤ x, t ≤ 1 ÜA ist T symmetrisch (§ 21 : 3.4 (e)).
5 Anwendung auf Rand–Eigenwertprobleme 629
(ii) Sei u = T f mit f ∈ L2 [0, 1]. Dann folgt aus (2) nach dem Hauptsatz § 8 : 3.2
aufgrund derselben Rechnung wie oben u(0) = u(1) = 0 und
x 1
(3) u (x) = − t f (t) dt + (1 − t) f (t) dt f.ü.
0 x
Wiederum nach dem Hauptsatz folgen die Absolutstetigkeit von u und daher die
C1 –Differenzierbarkeit von u als unbestimmtem Integral von u . Differentiation
von (3) ergibt u = −f f.ü., d.h. u ∈ L2 [0, 1].
Aus T f = 0 folgt insbesondere f = −(T f ) = 0 f.ü.
(iii) Für u ∈ D(H) und f := −u ∈ L2 [0, 1] ergibt sich die Formel (1), d.h.
u = T f , wie in (a) mittels des Hauptsatzes und partieller Integration (vgl.
§ 8 : 3.3).
(iv) Für u = T f gilt nach der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung
1 1 1 1
|u(x)|2 ≤ G(x, t)2 dt |f (t)|2 dt , dabei ist G(x, t)2 dt ≤
0 0 0
48
v + λv = 0 , v(0) = v(1) = 0 .
∂ 2 u(x, t) ∂ 2 u(x, t)
(1) p(x) = , u(0, t) = u(1, t) = 0 ,
∂t2 ∂x2
630 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
dabei ist p(x) = (x)/σ stetig und strikt positiv. Gegeben seien ein Anfangs-
profil f und eine Anfangsgeschwindigkeit g. Wir fragen nach der Existenz und
Eindeutigkeit einer Lösung u von (1) mit den Anfangsbedingungen
∂u
(2) u(x, 0) = f (x) , (x, 0) = g(x) .
∂t
Die Separationsmethode zur Lösung dieses Problems besteht darin, wie in § 6
zunächst alle Produktlösungen u(x, t) = v(x) w(t) von (1) zu bestimmen (ste-
hende Wellen) und dann zu zeigen, dass sich die Lösung von (1), (2) als Super-
∞
position u(x, t) = vk (x) wk (t) von Produktlösungen ergibt.
k=1
Für die Produktlösungen erhalten wir in gewohnter Weise die Bedingungen
(∗) −v (x) = λ p(x) v(x) , v(0) = v(1) = 0
und w (t) + λw(t) = 0 mit einer passenden Konstanten λ. Durch partielle
1 1
Integration ergibt sich aus (∗) λ p |v|2 = |v |2 , also λ > 0 für v = 0.
0 0
(b) Das Eigenwertproblem (∗) für 0 = v ∈ C2 [0, 1] ist nach 5.1 äquivalent zur
Integralgleichung
1
v(x) = λ G(x, t) p(t) v(t) dt (0 ≤ x ≤ 1) .
0
(c) Satz. S ist ein kompakter symmetrischer Operator auf dem Hilbertraum
H = L2 [0, 1] mit dem Skalarprodukt
1
u, v p := u(x) v(x) p(x) dx .
0
Beweis.
(i) Nach Voraussetzung 0 < p ∈ C [0, 1] gibt es Zahlen 0 < p0 < p1 mit
1
p0 |u(x)|2 dx = p0 u2 ≤ u2p ≤ p1 u2 ,
0
also sind die gewöhnliche L2 –Norm und die Norm . p äquivalent. Daraus folgt
die Vollständigkeit von H und die Kompaktheit von S, denn es gilt Su = T (pu)
mit dem kompakten Operator T von 5.1. Die Symmetrie von S folgt aus
u , Sv p = u , pT pv = pu , T pv = T pu , pv = Su , pv = Su , v p .
Nach dem Satz von Beppo Levi ist die gliedweise Integration dieser Reihe erlaubt
und ergibt
1 1
∞ 1
∞
G(x, t)2 p(t) dt p(x) dx = μ2k vk2 (x) p(x) dx = μ2k . 2
0 0 k=1 0 k=1
Beweis.
Nach 5.1 (a) gilt u = T (−u ) = Sf mit f := −u /p ∈ H . Mit dem im Satz
genannten ONS v1 , v2 , . . . erhalten wir die Entwicklung
∞
f = vk , f p vk
k=1
Sw2∞ = T (pw)2∞ ≤ 1
48
p2∞ w2p
(e) Aufgabe. Zeigen Sie, dass jede Lösung u des Randwertproblems (1) der
inhomogenen schwingenden Saite Superposition von Produktlösungen ist:
∞
u(x, t) = wk (t) vk (x) , wobei ẅk + λk wk = 0 .
k=1
Dabei ist |T | := (T ∗ T )1/2 , vgl. § 21 : 8.3 (a). Die Gesamtheit T (H ) der Spur-
klasse–Operatoren auf H wird die Spurklasse (trace class) genannt.
Hat H endliche Dimension, so gehört jeder Operator T : H → H zur Spur-
klasse. Unser Interesse gilt im Folgenden den positiven Spurklasse–Operatoren
auf unendlichdimensionalen Hilberträumen H .
Die entsprechenden Aussagen für dim H < ∞ wurden unter (a) aufgeführt.
634 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Beweis.
(i) Es genügt, die Kompaktheit positiver Spurklasseoperatoren zu zeigen, denn
mit T ist definitionsgemäß auch |T | ein Spurklasseoperator. Ist |T | kompakt, so
auch T wegen der Polardarstellung T = U |T |, vgl. § 21 : 8.3. Wir betrachten
im Folgenden neben T ≥ 0 die positive Quadratwurzel T 1/2 (§ 21 : 8.2) und
beachten, dass
v , T u = v , T 1/2 T 1/2 u = T 1/2 v , T 1/2 u ,
insbesondere
u , T u = T 1/2 u2 .
Durch
n
Tn u := ϕk , T u ϕk
k=1
sind Operatoren endlichen Rangs gegeben. Mit der Parsevalschen Gleichung und
der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung erhalten wir für u ≤ 1
∞
T u − Tn u2 = | ϕk , T u |2
k=n+1
∞
= | T 1/2 ϕk , T 1/2 u |2
k=n+1
∞
≤ T 1/2 u2 T 1/2 ϕk 2
k=n+1
∞
≤ T 1/2 2 ϕk , T ϕk u2 ,
k=n+1
(ii) Somit gibt es ein vollständiges ONS v1 , v2 , . . . aus Eigenvektoren von T mit
zugehörigen Eigenwerten λ1 ≥ λ2 ≥ . . . . Aus den Darstellungen
∞
∞
ϕk = vn , ϕk vn , T ϕk = vn , T ϕk vn
n=1
n=0
folgt mit der allgemeinen Parsevalschen Gleichung § 9 : 4.4 (c)
∞
∞
ϕk , T ϕk = vn , ϕk vn , T ϕk = vn , ϕk T vn , ϕk
n=1 n=1
(1)
∞
= λn | vn , ϕk |2 .
n=1
6 Der allgemeine Zustandsbegriff 635
nach dem großen Umordnungssatz. Aufgrund von (1) mit ψk statt ϕk folgt die
Konvergenz der Reihe
∞
∞
∞
ψk , T ψk = λn = ϕk , T ϕk .
k=1 n=1 k=1
Im Fall dim H < ∞ sind die Reihen durch endliche Summen zu ersetzen. 2
tr (AT ) = ϕ , Aϕ für A ∈ L (H ) .
636 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Beweis.
Da T nach 6.1 kompakt ist, gibt es nach 4.6 (a) ein vollständiges Orthonor-
malsystem vk (k = 1, 2,. . . ) aus Eigenvektoren von T zu den Eigenwerten
λk = vk , T vk , wobei λk = tr (T ) < ∞.
k
Sei ϕ1 , ϕ2 , . . . ein beliebiges vollständiges ONS. Dann gilt für n = 1, 2, . . .
T ϕn = vk , T ϕn vk = T vk , ϕn vk = λk vk , ϕn vk .
k k k
Die Parsevalsche Gleichung § 9 : 4.4 liefert die absolute Konvergenz der Reihe
(2) vk , Avk = ϕn , vk ϕn , Avk .
n
absolut. Aus dem großen Umordnungssatz folgt mit (2) und (1)
(2)
s = λk ϕn , vk ϕn , Avk = λk ϕn , vk ϕn , Avk
k n n k
(1)
= ϕn , AT ϕn im Sinne absoluter Konvergenz.
n
(b) Eine Gesamtheit heißt echtes statistisches Gemisch der durch ϕ, ψ beschrie-
benen Gesamtheiten, wenn ihre Teilchen mit einer Wahrscheinlichkeit p > 0 im
Zustand Pϕ und mit Wahrscheinlichkeit q = 1−p > 0 im Zustand Pψ präpariert
sind.
Eine illustrative Diskussion der physikalischen Bedeutung und der Abgrenzung
dieser Begriffe gegeneinander finden Sie in Cohen–Tannoudji [157] Ch. III E.
Wir betrachten eine beschränkte Observable, beschrieben durch einen symme-
trischen Operator A ∈ L (H ). Sind μϕ , μψ die zugehörigen Spektralmaße und
/ϕ , μ
μ /ψ deren Erwartungswerte, so ist es naheliegend, die Verteilung μ der Be-
obachtungswerte der Observablen A im statistischen Gemisch in der Form
μ := p μϕ + q μψ
(∗) / = pμ
μ /ϕ + q μ
/ψ = p ϕ , Aϕ + q ψ , Aψ .
Aus der letzten Formel entnehmen wir: Echte statistische Gemische sind keine
Vektorzustände, insbesondere keine kohärenten Überlagerungen. Denn es gibt
keinen Vektor η mit η = 1, so dass μ/η = p μ
/ϕ + q μ
/ψ , d.h.
η , Aη = p ϕ , Aϕ + q ψ , Aψ
(c) Dem Zustand des oben genannten statistischen Gemischs soll ein Operator
W so zugeordnet werden, dass sich Vektorzustände Pϕ = | ϕ ϕ | als Spezialfall
unterordnen. Dies soll vor allem die Formel für die Erwartungswerte betreffen.
Dazu beachten wir, dass Pϕ = | ϕ ϕ | ein positiver Spurklasseoperator mit
Spur 1 ist und dass nach 6.2
/ϕ = ϕ , Aϕ = tr (APϕ )
μ
W := p | ϕ ϕ| + q |ψ ψ|
zur Beschreibung des Zustands unseres statistischen Gemischs leistet das Ge-
wünschte:
638 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Beweis.
Aus W u = p ϕ , u ϕ + q ψ , u ψ folgt dim Bild W = 2 und
u , W u = p | ϕ , u |2 + q | ψ , u |2 ≥ 0 .
Als positiver Operator endlichen Rangs gehört W also zur Spurklasse T und ist
insbesondere kompakt. Also gibt es eine ONB v1 , v2 für Bild W und zugehörige
Eigenwerte λ1 > λ2 > 0 mit
W = λ1 | v1 v1 | + λ2 | v2 v2 | .
Wir ergänzen v1 , v2 durch ein vollständiges ONS v3 , v4 , . . . von Kern W zu
einem vollständigen ONS v1 , v2 , . . . für H . Nach 6.2 gilt für A ∈ L (H )
tr (AW ) = v1 , AW v1 + v2 , AW v2
= v1 , A(p ϕ , v1 ϕ + q ψ , v1 ψ) + v2 , A(p ϕ , v2 ϕ + q ψ , v2 ψ)
= p ( ϕ , v1 v1 , Aϕ + ϕ , v2 v2 , Aϕ )
+ q ( ψ , v1 v1 , Aψ + ψ , v2 v2 , Aψ )
= p ϕ , Aϕ + q ψ , Aψ
tr T = p ϕ , ϕ + q ψ , ψ = p +q = 1. 2
Beweis.
Für den Projektor Pn = | un un | vom Rang 1 gilt Pn = 1. Für die Par-
m
m+k
tialsummen Sm = cn | un un | ist daher Sm+k − Sm ≤ cn .
n=1 n=m+1
Für jedes vollständige ONS ϕ1 , ϕ2 , . . . folgt mit dem Umordnungssatz und der
Parsevalschen Gleichung
∞
∞
∞
∞
ϕk , W ϕk = cn | un , ϕk |2 = cn un 2
k=1 n=1 k=1 n=1
∞
= cn = 1 . 2
n=1
(c) Bemerkungen. (i) Durch die Überlegungen 6.3 wurde der allgemeine Zu-
standsbegriff allenfalls plausibel gemacht. Dass der Ansatz 6.4 vom Grundla-
genstandpunkt aus zwingend ist, wurde 1953 von Gleason gezeigt, Näheres
dazu in Mackey [137] 2–2.
(ii)Die Frage, ob alle Dichteoperatoren möglichen Zuständen eines konkreten
quantenmechanischen Systems entsprechen, soll uns hier nicht beschäftigen. Wir
kommen in § 25 : 4.7, 4.8 darauf zurück.
640 § 22 Der Spektralsatz für beschränkte symmetrische Operatoren
Dies bedeutet, dass λ1 , λ2 , . . . die einzigen möglichen Messwerte sind und dass
im Zustand W = | ψ ψ | der Messwert λk mit Wahrscheinlichkeit Pk ψ2
anfällt.
Das Reduktionsprinzip der Quantenmechanik besagt, dass sich das System
nach Messung eines Eigenwerts λk in einem Eigenzustand befindet. Demnach
muss das System dann im Zustand Pk sein, da die Eigenräume eindimensional
sind, und der Zustand kann sich bei nochmaliger Messung nicht mehr ändern.
Wir drücken die Wahrscheinlichkeit Pk ψ2 , im Zustand W = | ψ ψ | den Wert
λk zu beobachten, auf andere Weise aus. Nach 6.1 gilt
d.h. der Wert λk hat auch hier die Wahrscheinlichkeit tr (Pk W ). Daher haben
wir den Zustand W nach der Messung anzusetzen als
W = tr (Pk W ) Pk .
k
Um diese Gleichung umzuformen, testen wir den Operator tr (Pk W )Pk mit dem
ONS ϕ1 , ϕ2 , . . . . Wir erhalten tr (Pk W ) Pk ϕi = 0 für k = i und
tr (Pk W )Pk ϕk = tr (Pk W ) ϕk = pn ψn , Pk ψn ϕk
n
= pn ψn , ϕk ϕk , ψn ϕk
n
= ϕk , pn ψn , ϕk ψn ϕk
n
= ϕk , W ϕk ϕk = Pk W ϕk = Pk W Pk ϕk .
Unabhängig von den oben gemachten Annahmen heißt eine Messung ideal, wenn
für den Zustand W vor der Messung und den Zustand W nach der Messung
eine Formel der Bauart (∗) gilt, wobei die Pk orthogonale Projektoren sind mit
Pi Pk = δik Pk . Für solche folgt aus (∗) wegen der Stetigkeit der Projektoren und
aus Pi Pk = δik Pk ÜA : Der Zustand
W = Pi W Pi
i
§ 23 Unbeschränkte Operatoren
Vorkenntnisse. Maß und Integral (§ 19, § 20), Spektraltheorie beschränkter sym-
metrischer Operatoren (§ 21, § 22), Testfunktionen und Glättung von Funktio-
Ê
nen (§ 10), Fouriertransformation auf S ( n ) (§ 12 : 3). Einige Beispiele und
Sätze beziehen sich auf die Theorie des Laplace–Operators auf Gebieten des
Ê n
und erfordern zusätzliche, separat ausgewiesene Vorkenntnisse; diese können
von nur an der Quantenmechanik interessierten Lesern übergangen werden.
Ê Ê
W1 ( ) = { u ∈ L2 ( ) | u absolutstetig, u ∈ L2 ( ) } Ê
fortsetzen, vgl. § 8 : 3.1, 3.2. Wir zeigen später, dass die so definierten Fortset-
zungen maximal symmetrisch sind, d.h. ihrerseits keine echten symmetrischen
Fortsetzungen besitzen.
L:D→H .
Dass der Definitionsbereich eine entscheidende Rolle spielen wird, hat folgenden
Grund: Dieselbe Operationsvorschrift L (z.B. u → − Δu ) kann je nach Defini-
tionsbereich Operatoren mit ganz verschiedenen Eigenschaften liefern, wie wir
in den folgenden Beispielen vorführen.
Meist werden wir bequemlichkeitshalber dem in der Literatur üblichen, nicht
ganz konsequenten Sprachgebrauch folgen: Ein linearer Operator A ist gegeben
durch seinen Definitionsbereich D(A) und die Vorschrift
A : D(A) → H , u → Au .
(b) Ist ein Operator A = (D, L) beschränkt, so besitzt er eine eindeutig be-
stimmte Fortsetzung zu einem beschränkten Operator A ∈ L (H ), vgl. § 21 : 2.9.
Unbeschränkte Operatoren lassen sich dagegen auf verschiedene Weise fortset-
zen, vgl. 1.3 (b).
Satz von Hellinger und Toeplitz (1910). Ein symmetrischer Operator A mit
D(A) = H ist beschränkt.
Beweis.
Angenommen, A : H → H ist symmetrisch und unbeschränkt. Dann gibt es
Vektoren vn ∈ H mit vn = 1 und Avn → ∞. Wir betrachten die Folge
von linearen Funktionalen
Ln : u → Avn , u = vn , Au .
Wegen |Ln u| ≤ vn · Au = Au sind diese punktweise beschränkt, also
normbeschränkt (§ 21 : 4.3). Mit Ln = Avn → ∞ für n → ∞ ergibt sich
ein Widerspruch. 2
Ma : x = (x1 , x2 , . . . ) −→ (a1 x1 , a2 x2 , . . . )
2 Abgeschlossene Operatoren
2.1 Der Abschluss eines symmetrischen Operators
(a) Im folgenden stellen wir lineare Operatoren in der vereinfachten Form
A : D(A) → H , u → Au
dar, siehe 1.3 (a). Für einen symmetrischen Operator A mit Definitionsbereich
D(A) konstruieren wir eine Fortsetzung A durch Grenzübergang:
Wir legen den Definitionsbereich D(A) fest durch
(
Es gibt eine Folge (un ) in D(A) mit u = lim un ,
u ∈ D(A) : ⇐⇒ n→∞
für welche die Folge (Aun ) konvergiert.
Für u ∈ D(A) und eine Folge (un ) der genannten Art setzen wir
Au := lim Aun .
n→∞
Satz. Durch diese Vorschrift ist eine symmetrische Fortsetzung A von A defi-
niert. Der Graph von A ist der Abschluss des Graphen von A in H × H .
Wir nennen A den Abschluss von A. Durch Abschließung entstandene Ope-
ratoren haben ausgezeichnete Eigenschaften, die wir in 2.2 diskutieren. Weitere
Anmerkungen folgen in 2.3, Beispiele werden in Abschnitt 3 gegeben.
Beweis.
(i) Wohldefiniertheit von A. Seien (un ), (vn ) Folgen in D(A), so dass
u = lim un = lim vn , g = lim Aun , h = lim Avn
n→∞ n→∞ n→∞ n→∞
existieren.
648 § 23 Unbeschränkte Operatoren
(ii) Die Linearität und die Symmetrie von A folgen direkt aus der Definition
von A und der Stetigkeit des Skalarprodukts ÜA .
(iii) A ist eine Fortsetzung von A und daher dicht definiert, denn für u ∈ D(A)
hat die konstante Folge un = u die Eigenschaften lim un = u, lim Aun = Au.
n→∞ n→∞
Es folgt u ∈ D(A) und Au = Au.
(iv) G(A) ist der Abschluss von G(A) in H × H . Dies liegt daran, dass eine
Folge (un , vn ) in H × H genau dann gegen (u, v) konvergiert, wenn un → u
und vn → v in H . Daher gilt (u, v) ∈ G(A) genau dann, wenn es eine Folge
(un ) in D(A) gibt mit un → u, Aun → v für n → ∞. Dies heißt aber gerade
u ∈ D(A) und v = Au, d.h. (u, v) ∈ G(A). 2
(b) Ein Operator A heißt abschließbar, wenn folgendes gilt: Sind (un ), (vn )
Folgen in D(A) mit demselben Limes u und konvergieren die Folgen (Aun ),
(Avn ), so ist lim Aun = lim Avn . Wir können dann den Abschluss A wie
n→∞ n→∞
oben definieren:
Es gibt eine Folge (un ) in D(A)
u ∈ D(A) , Au = v : ⇐⇒
mit u = lim un , v = lim Aun .
n→∞ n→∞
Der Beweis der folgenden Aussagen sei den Lesern zur Einübung der Begriffe
nahegelegt.
(c) Für abschließbare Operatoren gilt
A ⊂ B =⇒ A ⊂ B .
(d) Sei A abschließbar und T ein beschränkter Operator. Wir definieren A + T
durch
(A + T ) u := A u + T u für u ∈ D(A + T ) := D(A) .
2 Abgeschlossene Operatoren 649
A − λ = A − λ.
u(ω) = lim unk (ω) μ–f.ü. , w(ω) = lim v(ω) unk (ω) μ–f.ü.
k→∞ k→∞
Es folgt v(ω) u(ω) = lim v(ω) unk (ω) = w(ω) μ–f.ü., d.h. u ∈ L2 (Ω, μ), v u =
k→∞
w ∈ L2 (Ω, μ) und damit u ∈ D(Mv ), w = Mv u.
(iv) ÜA Zeigen Sie: Die in 1.5 (a) definierten Multiplikatoren auf 2 sind ab-
geschlossen.
u, v A := u , v + Au , Av
T : (D(A), · A ) → (H , · ) , u → Au
(d) Satz. Ein Operator A ist genau dann abgeschlossen, wenn D(A) bezüglich
des zur Graphennorm gehörigen Skalarprodukts ein Hilbertraum ist.
Ein abgeschlossener Operator vermittelt also eine beschränkte lineare Abbildung
zwischen den Hilberträumen (D(A), · A ) und (H , · ).
Beweis.
Wir bezeichnen das Skalarprodukt in H × H mit · , · H ×H und die zu-
gehörige Norm mit · H ×H . Offenbar ist die Abbildung
bijektiv und wegen der Linearität von A linear. Nach Definition der Graphen-
norm ist sie ferner isometrisch, also insgesamt unitär. Somit ist (D(A), · A )
genau dann vollständig, wenn (G(A), · H ×H ) vollständig, d.h. abgeschlossen
in H × H ist, vgl. § 9 : 2.1. 2
A : D(A) → H
Beweis.
Nach dem Satz § 21 : 3.1 (a) über stetige Inverse gibt es eine Konstante C ≥ 0
mit
−1
A u ≤ C u
A
für alle u ∈ H . 2
Folgerung. Die Räume C∞ [a, b] und C1 [a, b] sind Genbereiche für den abge-
schlossenen Operator
A : u → −iu mit D(A) = W1 [a, b] .
Beweis.
(a) Sei (un ) eine Cauchy–Folge in W1 [a, b]. Wegen
um − un 21 = um − un 2 + um − un 2
sind (un ), (un ) Cauchy–Folgen in L2 [a, b] , also gibt es Funktionen u, v ∈
L2 [a, b] mit
un → u , un → v im Quadratmittel.
Für
x x
fn (x ) := un (x) − un (a) = un dλ , f (x) := v dλ
a a
gilt
x b
| f (x) − fn (x) | = (v − un ) dλ ≤ 1 · | v − un | dλ
a a
√
≤ b − a · v − un
nach der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung, also gilt fn → f gleichmäßig auf
[a, b]. Es folgt fn → f im Quadratmittel, also
Damit haben wir die gleichmäßige Konvergenz un (x) → α + f (x) auf [a, b], also
mit (∗)
x
u(x) − α = lim fn (x) = v dλ .
n→∞
a
(b) Für u ∈ W1 [a, b] gilt u ∈ L2 [a, b], also gibt es nach § 20 : 8.5 (a) Funktionen
ψn ∈ C∞
c (]a, b[) mit u − ψn → 0. Wir setzen
x
ϕn (x) := u(a) + ψn dλ .
a
x
Dann gilt ϕn ∈ C∞ [a, b] sowie ϕn (x) → u(a) + u dλ = u(x) gleichmäßig auf
a
[a, b] und somit u − ϕn 1 → 0 nach denselben Schlüssen wie oben.
(c) Die Norm · 1 ist die Graphennorm von A : u → −iu auf W1 [a, b],
daher ist A abgeschlossen nach 2.2 (d). Da C∞ [a, b] und damit auch C1 [a, b]
bezüglich dieser Norm dicht in D(A) liegen, folgen die übrigen Behauptungen
aus 2.3 (a). 2
und für u(x) = x − a, v(x) = 1 ist die rechte Seite von Null verschieden.
Um einen symmetrischen Operator B mit der Vorschrift u → −iu zu erhalten,
muss der Definitionsbereich von A eingeschränkt werden, z.B. durch Randbe-
dingungen. Als notwendige Bedingung für die Symmetrie von B ergibt sich aus
(∗) u(b) v(b) = u(a) v(a) für u, v ∈ D(B), insbesondere |u(a)| = |u(b)| für
u ∈ D(B). Existiert daher ein u ∈ D(A) mit u(b) = 0, so gibt es ein ϕ ∈ mit Ê
u(a) = eiϕ u(b) und damit auch v(a) = eiϕ v(b) für alle v ∈ D(B). Andernfalls
gilt u(a) = u(b) = 0 für alle u ∈ D(B).
Soll also der Operator A allein durch Randbedingungen zu einem symmetrischen
Operator eingeschränkt werden, so müssen diese entweder von der Form u(a) =
u(b) = 0 oder von der periodischen Form u(a) = eiϕ u(b) sein.
Beweis.
(i) Symmetrie und Abgeschlossenheit. Die Symmetrie der Operatoren A0 , Pper
folgt unmittelbar aus (∗). Ist (un ) eine Folge in D(A0 ) (bzw. D(Pper )), für welche
u = lim un , v = lim un im L2 –Sinn existieren, so folgt nach 3.1 erstens
n→∞ n→∞
u ∈ W1 [a, b], u = v und zweitens u(a) = u(b) = 0 (bzw. u(a) = eiϕ u(b)), da
die un gleichmäßig gegen u konvergieren.
(ii) Wegen C∞ ∞
c (]a, b[) ⊂ D(A0 ) ist der Abschluss von Cc (]a, b[) bezüglich der
Graphennorm von A0 in der diesbezüglich abgeschlossenen Menge D(A0 ) ent-
halten. Wir konstruieren zu gegebener Funktion u ∈ D(A0 ) Testfunktionen ϕn
mit u − ϕn 2 + u − ϕn = u − ϕn A0 → 0 für n → ∞.
2
Da C∞ ∞
c (]a, b[) in L [a, b] dicht ist, gibt es Funktionen ψn ∈ Cc (]a, b[) mit
2
b
u − ψn 2 = |u − ψn |2 dλ → 0 .
a
b
für n → ∞ ; für cn := ψn dλ folgt insbesondere lim cn = u(b) = 0.
n→∞
a
Durch
x
Ψn (x) = ψn dλ
a
ϕn := Ψn − cn η ∈ C∞
c (]a, b[) .
3 Der Abschluss gewöhnlicher Differentialoperatoren 655
Mit den Ψn konvergieren auch die ϕn gleichmäßig und damit im L2 –Sinn gegen
u, und es gilt u − ϕn ≤ u − ψn + |cn | · η → 0 für n → ∞.
sich aus der Tatsache, dass Pper als Genbereich
Der Rest des Beweises ergibt
die Klasse { u ∈ C∞ [a, b] u(a) = eiϕ u(b) } besitzt (Nachweis als nachfolgende
Aufgabe). 2
(c) Aufgabe. Zeigen Sie auf ähnliche Weise wie oben, dass
u ∈ C∞ [a, b] u(a) = eiϕ u(b) ein Genbereich für Pper ist.
u∞ ≤ u1 ,
Ê
Wegen u ∈ L2 ( +) muss dieser Limes Null sein. Zum Nachweis der Absolut-
Ê
stetigkeit von u auf + gemäß der Definition § 8 : 3.1 wählen wir zu gegebenem
ε > 0 ein R > 0 mit |u(x)| < ε für x > R und nützen die Absolutstetigkeit von
u auf [0, R] aus ÜA .
Für I = Ê argumentieren wir entsprechend.
(c) Wie in (b) erhalten wir für u ∈ W1 (I)
x
|u(x)|2 = |u(y)|2 + ( u · u + u · u ) dλ .
y
Für
⎧
⎪ u(x) für −R ≤ x ≤ R,
⎪
⎨ u(R) (R + 1 − x) für R < x < R + 1,
v(x) :=
⎪
⎪ u(−R) (x + R + 1) für −R − 1 < x < −R,
⎩
0 sonst
√
Ê
gilt dann ÜA v ∈ W1 ( ) und u − v1 < 3 · 2 · ε. (Beachten Sie, dass
|u(x) − v(x)| ≤ 2ε und |u (x) − v (x)| ≤ |u (x)| + ε für R < |x| < R + 1.) Nach
3.2 (b) gibt es eine auf ]−R −1, R +1[ lebende Testfunktion ϕ mit v − ϕ1 < ε.
Für diese gilt dann u − ϕ1 < 6ε. 2
Ê Ê
(b) Der durch D(A) := W01 ( +) = {u ∈ W1 ( +) | u(0) = 0} und Au = − iu
für u ∈ D(A) gegebene Differentialoperator A ist ebenfalls abgeschlossen und
symmetrisch; ein Genbereich ist C∞
c ( >0 ). Ê
Wie wir später sehen werden, entspricht diesem keine quantenmechanische Ob-
servable.
3 Der Abschluss gewöhnlicher Differentialoperatoren 657
Beweis.
(a) Die Graphennorm von P ist gegeben durch u2P = u2 + u 2 . Nach 3.3
liegt C∞ Ê 1
c ( ) bezüglich dieser Norm dicht in W ( ). Ê
Wegen C∞ Ê Ê
) ⊂ S ⊂ W ( ) ist daher auch S ein Genbereich für P . Da der
c (
1
auf S definierte Impulsoperator nach 1.1 symmetrisch ist, gilt dies nach 2.1
auch für den Abschluss.
(b) Die Symmetrie von A ergibt sich durch partielle Integration wegen der
Randbedingungen u(a) = 0 und lim u(x) = 0 für u ∈ D(A) ÜA .
x→∞
(b) Ein Genbereich für − Δ ist C20 [a, b] = { u ∈ C2 [a, b] | u(a) = u(b) = 0 }.
Der Operator H := − 21 Δ wird als Hamilton–Operator eines in ]a, b[ einge-
sperrten Teilchens mit einem Freiheitsgrad aufgefasst (h̄ = m = 1).
Beweis.
(a) Wir lassen den Vorfaktor 12 außer Acht und bezeichnen den Operator − Δ
mit H. Partielle Integration und die Cauchy–Schwarzsche Ungleichung ergeben
b b
|u |2 dλ = [ u u ]a − u u dλ = − u , u ≤ u · u ,
b
a a
also
1
(∗) u 2 ≤ u · u ≤ 2 u2 + u 2 .
Ist daher (un ) eine Cauchy–Folge in (D(H), · H ), so ist (un ) eine Cauchy–
Folge in (W01 [a, b] , · 1 ) und (un ) eine Cauchy–Folge in (W1 [a, b] , · 1 ).
658 § 23 Unbeschränkte Operatoren
Nach 3.1 und 3.2 (a) gibt es daher Funktionen u ∈ W01 [a, b], v ∈ W1 [a, b] mit
u − un 1 → 0, v − un 1 → 0 für n → ∞. Da dann insbesondere (u − un ),
(v − un ), (v − un ) Nullfolgen sind, folgt v = u und u − un H → 0 für
n → ∞.
Die Symmetrie von H erhalten wir durch zweimalige partielle Integration ÜA .
(b) Wir dürfen uns auf das Intervall [0, 1] beziehen, der allgemeine Fall kann
per Substitution auf diesen speziellen zurückgeführt werden ÜA . Für den in
§ 22 : 5.1 eingeführten Integraloperator T gilt
D(Hper ) := { u ∈ Dϕ | u ∈ Dϕ } .
Der Operator Hper ist symmetrisch und abgeschlossen. Ein Genbereich für Hper
ist
u ∈ C2 [a, b] u(a) = eiϕ u(b), u (a) = eiϕ u (b) .
− Δ = P 2 : u → − u mit
Ê Ê
D(−Δ) = W2 ( ) := {u ∈ W1 ( ) | P u = − i u ∈ W1 ( )} . Ê
Dieser Operator ist abgeschlossen und symmetrisch; Genbereiche sind der Raum
C∞ Ê
c ( ) und der Schwartzraum S . Dies ergibt sich wie oben ÜA .
D(A) → , u → v , Au
(c) Satz. Genau dann ist A∗ ein linearer Operator, d.h. dicht definiert, wenn
A abschließbar ist, vgl. 2.1 (b).
A∗ heißt dann der zu A adjungierte Operator.
660 § 23 Unbeschränkte Operatoren
Dass aus D(A∗ ) = H die Abschließbarkeit von A folgt, ergibt sich wie im
Beweisteil (i) von 2.1 mit der Abänderung v , A(un − vn ) = A∗ v , un − vn
an Stelle von v , A(un − vn ) = Av , un − vn ÜA .
Die Umkehrung: A abschließbar =⇒ A∗ dicht definiert ergibt sich in 4.4 (c).
Als Beispiel eines linearen Operators, für den A∗ nicht dicht definiert ist,
wählen wir
A : C[0, 2] → L2 [0, 2] , u → u(0)h mit 0 = h ∈ L2 [0, 2] ,
vgl. 2.1 (b). Hier gilt v , Au = u(0) v , h . Nach (b) gehört v genau dann zu
D(A∗ ), wenn u → u(0) v , h beschränkt ist. Für un (x) = n + 12 · (1 − x)n
gilt un = 1 und un (0) → ∞ für n → ∞, also v ∈ D(A∗ ) nur, falls v ⊥ h.
Es folgt D(A∗ ) ⊂ {h}⊥ .
(e) Beispiele. (i) Für Multiplikatoren Mv auf L2 (Ω, μ) gilt Mv∗ = Mv ÜA .
2
(ii) Für Multiplikatoren Ma auf gilt entsprechend Ma∗ = Ma ÜA .
A + T : D(A) → H , u → Au + T u .
Beweis.
(a) folgt direkt aus der Definition ÜA .
(b) Existieren für eine Folge (vn ) in D(A∗ ) die Grenzwerte v = lim vn und
n→∞
w = lim A∗ vn , so folgt für alle u ∈ D(A)
n→∞
4 Der adjungierte Operator 661
v , Au = lim vn , Au = lim A∗ vn , v = w, u .
n→∞ n→∞
U (V ) = U (V)⊥
⊥
und
U (V) = U (V) = U (V)⊥⊥
H
= U (V ⊥ )⊥
für jeden Teilraum V von H × H , vgl. (u2 , −u1 )
§ 9 : 2.5.
4 Der adjungierte Operator 663
(b) Satz. Zwischen dem Graphen G(A) eines linearen Operators A und dem
Graphen G(A∗ ) seiner Adjungierten besteht die Beziehung
G(A∗ ) = U (G(A))⊥ = U (G(A)⊥ ) .
Denn es gilt
(v, w) ∈ G(A∗ ) ⇐⇒ v , Au = w , u für alle u ∈ D(A)
⇐⇒ 0 = v , Au + w , −u = (v, w) , (Au, −u) H ×H
⇐⇒ (v, w) ⊥ U (G(A)) . 2
Beweis.
(i) Nach (a) und 2.1 (b) gilt
für alle v ∈ D(A∗ ) und somit nach (∗) (w, 0) ∈ G(A∗ )⊥ = U (G(A)). Daher gilt
(0, w) = U −1 (w, 0) ∈ G(A) im Widerspruch zu A0 = 0.
Beweis.
(a) Kern A∗ ⊂ (Bild A)⊥ : Für v ∈ Kern A∗ und u ∈ D(A) gilt
v , Au = A∗ v , u = 0 , u = 0 .
v , Au = 0 = 0 , u ,
(c) Für abgeschlossene Operatoren A gilt A∗∗ = A nach 4.4 (c), also mit (a)
somit Au = v.
5 Spektrum und Resolvente 665
Daher macht der Begriff des Spektrums nur für abgeschlossene Operatoren Sinn;
gleichwohl schreiben wir für abschließbare (z.B. symmetrische) Operatoren A
manchmal σ(A) statt σ(A).
(ii) Das Spektrum eines unbeschränkten abgeschlossenen Operators kann leer
sein.
Als Beispiel betrachten wir A : u → − iu auf
D(A) := u ∈ W1 [a, b] u(a) = 0 .
Die Abgeschlossenheit von A ergibt sich wie im Beweis 3.2 (a) ÜA . Für beliebige
λ ∈ ist A − λ injektiv, denn aus Au − λu = 0 mit u ∈ D(A) folgt, dass
u = iλu ∈ C [a, b], also u(x) = u(a)eiλ(x−a) und somit u = 0 wegen u(a) = 0.
A − λ : D(A) → L2 [a, b] ist surjektiv, denn für f ∈ L2 [a, b] ist die Gleichung
Au−λu = f äquivalent zu u −iλu = if , u(a) = 0. Es ist leicht nachzurechnen,
dass die Variation–der–Konstanten–Formel
x
u(x) = ieiλx f (t) e−iλt dt
a
Denn nach 4.5 ist dann A∗ injektiv. Für T := A−1 ∈ L (H ), h ∈ H gilt ferner
h , u = h , T Au = T ∗ h , Au für u ∈ D(A) ,
somit T h ∈ D(A ) und A T h = h für alle h ∈ H . Somit ist A∗ auch surjektiv,
∗ ∗ ∗ ∗
Beweis als ÜA mit Hilfe von (a), A − λ = A − λ, A∗∗ = A und 4.5.
σ(A) = σr (A) = ,
(b) Aufgabe. Zeigen Sie für den auf Dϕ = {u ∈ W1 [a, b] | u(a) = eiϕ u(b)}
definierten Impulsoperator P := Pper
& '
2πn − ϕ
σ(P ) = σp (P ) = n∈ ,
b−a
indem Sie zunächst σp (P ) bestimmen und dann zeigen, dass für λ ∈ σp (P ) und
beliebiges f ∈ L2 [a, b] die Gleichung P u − λu = f immer eine Lösung u ∈ Dϕ
der Form
x
u(x) = eiλx c + i f (t) e−iλt dt
a
(c) Der Operator H : u → − u auf D(H) = {u ∈ C10 [0, 1] | u ∈ W1 [0, 1]} ist
symmetrisch und abgeschlossen, vgl. 3.5. Sein Spektrum ist gegeben durch
σ(H) = σp (H) = {π 2 n2 | n ∈ } .
668 § 23 Unbeschränkte Operatoren
Denn aus § 22 : 5.1 entnehmen wir, dass H eine kompakte, symmetrische Inverse
T = H −1 : L2 [0, 1] → D(H)
besitzt mit
σp (T ) = { 1/π 2 n2 | n ∈ } , σ(T ) = σ (T ) ∪ {0} ,
p
∞
D(Ma ) := x = (x1 , x2 , . . . ) ∈ 2 | ak xk |2 < ∞
k=1
und
Ma x = (a1 x1 , a2 x2 , . . . ) für x = (x1 , x2 , . . .) ∈ 2 .
Dies ergibt sich wörtlich wie in § 21 : 5.2; der dort gegebene Beweis macht an
keiner Stelle von der Beschränktheit von Ma Gebrauch.
ÜA : Prüfen Sie das nach.
σ(Q) = σc (Q) = Ê.
Genbereiche für Q sind C∞ Ê
c ( ) bzw. der Schwartzraum S ( ). Ê
(d) Für den Multiplikator Mv : v → v u mit der Funktion v(x) := x2 und
Ê
dem Definitionsbereich D(Mv ) = {u ∈ L2 ( n ) | v u ∈ L2 ( n)} giltÊ
σ(Mv ) = σc (Mv ) = Ê +.
Beweis.
Die Behauptungen über die Genbereiche für Mv (v(x) = x bzw. v(x) = x2 )
ergeben sich wie folgt: Für u ∈ D(Mv ) gilt (i + v) u ∈ L2 (= L2 ( ) bzw. Ê
Ê
L2 ( n )). Nach § 20 : 8.5 gibt es Testfunktionen ψn mit (i + v)u = L2 -lim ψn .
n→∞
Dann sind auch ϕn := ψn /(i + v) Testfunktionen mit (i + v) ϕn → (i + v) u
und (da v reellwertig ist)
|ψn − (i + v) u|
|ϕn − u| = ≤ |ψn − (i + v) u| ,
|i + v|
also u = L2 -lim ϕn , und wegen (i + v) u = L2 -lim (i + v) ϕn ergibt sich auch
n→∞ n→∞
v u = L2 -lim v ϕn
n→∞
Die Behauptung (d) folgt aus (b): Die Mengen {v = λ} sind entweder leer oder
einpunktig oder Sphären, also Lebesgue–Nullmengen. Daher ist σp (Mv ) leer.
Ê
Für λ ∈ + und ε > 0 ist {|v − λ| < ε} nichtleer und offen, somit von
Ê
positivem Lebesgue–Maß. Für λ ∈ + besitzt die Gleichung v u − λu = w für
Ê
jedes w ∈ L2 ( n ) die eindeutige Lösung
w
u := ∈ D(Mv ) ,
v−λ
Ê
denn wegen |u| ≤ dist (λ, + )−1 |w| gilt u ∈ L2 ( Ên
) und daher auch (v−λ)u =
Ê
w ∈ L2 ( n), also u ∈ D(Mv − λ) = D(Mv ). 2
Beweis.
(a) Sei R0 := R(λ0 , A) und |λ−λ0 |·R0 < 1. Dann konvergiert nach § 21 : 6.1
die Neumannsche Reihe
∞
n
S := (λ0 − λ)k R0k+1 = lim Sn mit Sn := (λ0 − λ)k R0k+1
k=0 n→∞ k=0
Den Beweis in § 21 : 6.2 müssen wir dahingehend modifizieren, dass an die Stelle
der dort vorausgesetzten Stetigkeit die Abgeschlossenheit tritt.
Zu (i): Sei u ∈ H und vn := Sn u. Es gilt Bild R0k ⊂ D(A) für k = 1, 2, . . .
wegen Bild R0 = D(A), also
(1) vn ∈ D(A) , lim vn = Su .
n→∞
(2) lim (λ − A) vn = u .
n→∞
Aus (1) und (2) folgt Su ∈ D(A) und (λ − A)Su = u, da A abgeschlossen ist.
Bild (A − λ) ⊂ Bild (A − λ) .
(b) Satz. Ist A abschließbar und gibt es eine Konstante > 0 mit
so gilt
Bild (A − λ) = Bild (A − λ) .
Beweis.
(i) Wir zeigen zunächst Bild (A − λ) ⊂ Bild (A − λ).
Ist h = lim (Aun − λun ) mit un ∈ D(A) für n ∈
n→∞
, so folgt aus (∗), dass (u
n)
lim Aun = h + λu ,
n→∞
für u ∈ D(A), d.h. (∗) ist erfüllt mit := R(λ, A)−1 > 0.
(iii) Ist (∗) mit > 0 erfüllt, so folgt Au − λu ≥ · u für u ∈ D(A) ÜA ,
somit ist A − λ injektiv. Ist zusätzlich Bild (A − λ) dicht in H , so folgt aus
(b), dass A − λ surjektiv ist und daher λ ∈ (A).
(iv) Ferner ist dann T = (λ − A)−1 : Bild (A − λ) → D(A) dicht definiert und
beschränkt mit Normschranke 1/ . Nach dem Fortsetzungssatz § 21 : 2.9 lässt
sich T zu einem Operator T ∈ L (H ) mit Normschranke 1/ fortsetzen.
Für u ∈ D(A) gibt es eine Folge (un ) in D(A) mit u = lim un , Au = lim Aun ,
n→∞ n→∞
somit (λ − A)u = lim (λ − A)un . Wegen der Stetigkeit von T folgt
n→∞
Für nichtreelle λ ist die letzte Bedingung automatisch erfüllt ( = |Im λ|), somit
gehört λ ∈ \ genau dann zum Spektrum (und zwar zum Restspektrum) von
A, wenn Bild (A − λ) nicht dicht in H ist.
6.3 Beispiele
(a) Der Laplace–Operator auf dem Ê n
Wir bezeichnen den Schwartzraum S (n ) im Folgenden kurz mit S und be-
trachten den Laplace–Operator
L : S → S , u → − Δu .
Satz. L ist symmetrisch mit σ(L) = σapp (L) = +.
Beweis.
/ unitär, und
Nach § 12 : 3.3 ist die Fouriertransformation F : S → S , u → u
es gilt
:
− Δu(y) /(y) für u ∈ S und y ∈ n ,
= y2 u
d.h.
(1) L = F −1 AF ,
wobei A die Einschränkung des Multiplikators My2 auf S ist. Es folgt
(2) / − λu
Lu − λu = w ⇐⇒ Au /= w
/ für u, w ∈ S und
(3) / − λu
Lu − λu2 = Au /2 für u ∈ S .
Wir zeigen zunächst, dass σ(L) ⊂ + . Sei λ ∈ + , also := dist (λ, + ) > 0.
Für u ∈ S folgt aus (3) wegen | y2 − λ | ≥
(4) / − λu
Lu − λu = Au / ≥ / =
u u .
Für eine gegebene Funktion w ∈ S ist die Gleichung Lu − λu = w für u ∈ S
nach (2) äquivalent zur Gleichung
/(y) = (y2 − λ)−1 w(y)
u / (y ∈ n ) .
Es ist leicht zu sehen, dass im Fall λ ∈ + hierdurch eine Funktion u
/∈ S
definiert ist. Für u := F −1 u
/ gilt somit u ∈ S und Lu − λu = w.
674 § 23 Unbeschränkte Operatoren
Ê
Daher umfasst Bild (L − λ) den in H = L2 ( n) dichten Teilraum S . Aus (4)
Ê
und 6.2 (d) folgt λ ∈ (L). Somit haben wir gezeigt: λ ∈ + =⇒ λ ∈ (L),
Ê
d.h. σ(L) ⊂ + .
Wir zeigen nun
Ê + ⊂ σc (L) = σapp (L) = σapp (A) = σc (A).
Ê
Seien λ ∈ + und ε > 0 vorgegeben. Wir wählen eine Funktion ϕ ∈ C∞
c ( ) Ê
mit supp ϕ ⊂ ]λ − ε, λ + ε[ und setzen
v(x) := c ϕ(x2 ) ,
wobei wir die Konstante c > 0 so wählen, dass v = 1. Dann gilt v ∈ C∞
c ( Ê n
)
und v(x) = 0 für | x2 − λ | ≥ ε, somit |Av − λv| ≤ ε|v|, also
Av − λv ≤ ε .
Für ε = 1/n erhalten wir auf diese Weise Funktionen vn ∈ S mit vn = 1,
Avn − λvn ≤ 1/n. Für un := F −1 vn gilt dann un ∈ S , un = 1 und
Lun − λun ≤ 1/n wegen (4). Somit gilt λ ∈ σapp (A) und λ ∈ σapp (L). Nach
5.5 (b) ist σ(A) = σapp (A) = σc (A). 2
Bei diesem und den folgenden Beispielen geht es vor allem darum, zu Demon-
strationszwecken das Spektrum eines abgeschlossenen symmetrischen Operators
allein mit Hilfe eines Gens zu bestimmen.
(b) Der Operator u → − iu auf der Halbgeraden
Für den durch
D(A) := {u ∈ C1 ( Ê +) ∩ L2 ( Ê+) | u(0) = 0, u ∈ L2 ( Ê+)},
Au = − iu
definierten, symmetrischen Operator A gilt
σ(A) = {λ ∈ | Im λ ≤ 0} , λ ∈ σr (A) für Im λ < 0 .
Beweis.
Wegen C∞c (>0 ) ⊂ D(A) ist A dicht definiert. Die Symmetrie von A ergibt sich
durch partielle Integration ÜA .
x
(2) u(x) = i eiλx v(t) e−iλt dt
0
Wählen wir v ∈ C∞
c ( Ê >0 ) mit supp v ⊂ ]0, R[ , so folgt aus (2)
R
|u(x)| ≤ e−ωx |v(t)| eωt dt für x ≥ R ,
0
somit liefert (2) eine Lösung u ∈ D(A) von Au − λu = v. In diesem Fall umfasst
Ê
Bild (A − λ) die in L2 ( + ) dichte Menge C∞ Ê
c ( >0 ). Aus 6.2 (d) folgt λ ∈ (A).
Beweis.
Nach Voraussetzung gilt A = A∗ und A ⊂ B ⊂ B ∗ . Mit § 23 : 4.2 (a) folgt
B ⊂ B ∗ ⊂ A∗ = A ⊂ B , also A = B . 2
Beweis.
(a) Sei A = A∗ . Dann ist A abgeschlossen und symmetrisch, ferner σ(A) ⊂ Ê
nach § 23 : 6.2 (c).
Ê
(b) Sei A symmetrisch und abgeschlossen mit σ(A) ⊂ . Wegen A ⊂ A∗ bleibt
zu zeigen, dass A∗ ⊂ A. Wir fixieren ein λ ∈ \ . Dann ist nach Voraussetzung
λ, λ ∈ (A), also ist
(1) A − λ : D(A) → H surjektiv,
Beweis.
(i) Ist A selbstadjungiert, so ist A abgeschlossen und σ(A) ⊂ . Für alle
λ ∈ \ gilt dann λ, λ ∈ (A), somit wegen A = A∗
Kern (A∗ − λ) = Kern (A − λ) = {0} = Kern (A − λ) = Kern (A∗ − λ) .
(b) Impulsoperatoren.
(i) Der auf W1 ( ) definierte Impulsoperator P : u → − iu eines geradlinig
bewegten Teilchens ist nach 1.2 und § 23 : 6.3 (c) selbstadjungiert.
(ii) Der auf Dϕ := {u ∈ W1 [a, b] | u(a) = eiϕ u(b)} definierte Impulsoperator
Pper := u → − iu ist selbstadjungiert. Wir können dies aus 1.3 (b) folgern,
indem wir die in § 23 : 3.2 bewiesene Abgeschlossenheit heranziehen und das
Ergebnis der Aufgabe § 23 : 5.4 (b) verwenden: σ(Pper ) = σp (Pper ) ⊂ .
Direkter führt das Kriterium 1.3 (c) zum Ziel: Für f ∈ L2 [a, b] liefert
1 Charakterisierung selbstadjungierter Operatoren 679
x
u(x) := e±x c + i f (t) e∓t dt
a
eine absolutstetige Lösung der DG u = ±u + if , d.h. der Gleichung
Pper u ± iu = f .
Es ist leicht zu sehen, dass α := e±a − eiϕ e±b für a = b von Null verschieden
b
ist. Legen wir c durch α · c = ieiϕ e±b f (t) e∓t dt fest, so erfüllt u die Rand-
a
bedingung u(a) = eiϕ u(b) ÜA .
Beweis.
(a) Für u, v ∈ D(A∗A) gilt A∗Au , v = Au , Av = u , A∗Av , also ist A∗A
ein symmetrischer Operator, falls D(A∗A) dicht in H ist.
(b) Wir zeigen, dass sich jeder Vektor h ∈ H in der Form h = u + A∗Au mit
u ∈ D(A∗A) darstellen lässt. Nach § 23 : 2.2 (a) ist G(A) = {(u, Au) | u ∈ D(A)}
und damit auch U (G(A)) := {(Au, −u) | u ∈ D(A)} abgeschlossen in H × H .
Nach § 23 : 4.4 ist
G(A∗ ) = U (G(A))⊥ (Orthogonalität in H × H )
ebenfalls abgeschlossen in H × H . Nach dem Zerlegungssatz § 9 : 2.4 lässt sich
daher jedes Paar (0, −h) ∈ H × H in der Form
(0, −h) = (v, A∗ v) + (Au, −u) mit u ∈ D(A) , v ∈ D(A∗ )
darstellen. Dann gelten die Gleichungen
0 = v + Au , h = u − A∗ v .
680 § 24 Selbstadjungierte Operatoren
(c) Beispiele.
Ê
(i) Der auf S ( n) definierte Laplace–Operator u → − Δu ist nach (a) we-
sentlich selbstadjungiert.
(ii) Der Operator Pϕ : u → − iu mit D(Pϕ ) = {u ∈ C∞ [a, b] | u(a) =
eiϕ u(b)} ist wesentlich selbstadjungiert. Denn nach § 23 : 3.2 (b) ist sein Ab-
schluss der auf Dϕ = {u ∈ W1 [a, b] | u(a) = eiϕ u(b)} definierte Impulsoperator
u → −iu , und dieser ist nach 1.4 (b) selbstadjungiert.
(iii) Der auf C20 [a, b] = {u ∈ C2 [a, b] | u(a) = u(b) = 0} definierte Laplace–
Operator u → −u ist wesentlich selbstadjungiert, vgl. § 23 : 3.5 und § 23 : 5.4 (c).
Ê
(iv) Der auf dem Schwartzraum S ( n) eingeschränkte Multiplikator Mv mit
v(x) = x2 ist nach § 23 : 5.5 (d) ein Gen für den maximal definierten Multipli-
kator Mv , dessen Selbstadjungiertheit in 1.4 (a) festgestellt wurde.
2 Wesentlich selbstadjungierte Operatoren 681
Bemerkungen. (i) Nach § 23 : 6.1 (b) ist die Bedingung (c) äquivalent zu
λ, λ ∈ (A). Für nichtreelle λ gilt Au − λu ≥ |Im λ| · u für u ∈ D(A),
vgl. § 23 : 6.2, also ist für nichtreelle λ die Bedingung (c) schon dann erfüllt,
wenn Bild (A − λ) und Bild (A − λ) dicht in H sind.
(ii) Ist A wesentlich selbstadjungiert, so ist die Bedingung (c) für alle nichtre-
ellen λ erfüllt, denn nach 1.3 (b) gilt σ(A) ⊂ .
Beweis.
(a) =⇒ (b). Ist A selbstadjungiert, so gilt σ(A) ⊂ , also Bild (A − λ) =
H für alle nichtreellen λ. Nach § 23 : 6.1 (a) folgt Bild (A − λ) = H für alle
λ ∈ \ , insbesondere für λ = ±i.
(b) =⇒ (c) mit λ = i nach Bemerkung (i).
(c) =⇒ (a). Nach Bemerkung (i) folgt aus (c) die Existenz einer Zahl λ
mit λ, λ ∈ (A), woraus Bild (A − λ) = Bild (A − λ) = H folgt. Somit ist A
selbstadjungiert aufgrund von 1.3 (d).
(a) ⇐⇒ (d) nach dem Kriterium 1.3 (e), denn nach § 23 : 2.1 (d), § 23 : 4.2 (c)
gilt (A ± i)∗ = (A ± i)∗ = (A ± i)∗ . 2
u , Au ≥ 0 für u ∈ D(A)
Beweis.
(a) B := A − ist symmetrisch mit B ≥ 0. Für u ∈ D(A), λ < ρ gilt somit
Au − λu2 = Bu + ( − λ)u , Bu + ( − λ)u
= Bu2 + 2( − λ) u , Bu + ( − λ)2 u2
≥ ( − λ)2 u2 .
(b) Die wesentlich Selbstadjungiertheit von A folgt unmittelbar aus dem Krite-
rium 2.2 (c). Die Aussage über die Resolvente folgt aus § 23 : 6.1. Aufgrund von
(a) schließen wir: λ < =⇒ λ ∈ σapp (A) = σ(A), vgl. 1.2.
(c) Tritt der Fall (b) nicht ein, so gilt λ ∈ σr (A) für alle λ < , denn für λ <
ist λ ∈ σp (A) nach (a). Für den Beweis der Fortsetzbarkeit und Einzelheiten
hierzu verweisen wir auf Riesz–Nagy [131] Nr. 122–125 und Reed-Simon [130,
II] Ch. X (Stichworte Defektindizes“, Friedrichs–Erweiterung“). 2
” ”
Beispiel. Der Operator B : W01 [a, b] → L2 [a, b], u → −iu ist symmetrisch
und abgeschlossen, aber nicht selbstadjungiert (§ 23 : 4.3). Setzen wir B auf den
Definitionsbereich Dϕ := {u ∈ W1 [a, b] | u(a) = eiϕ u(b)} fort, so entsteht nach
1.4 (b) jeweils ein selbstadjungierter Operator Bϕ : u → −iu . Somit besitzt
der Operator A = B 2 ≥ 0 die nach 1.5 selbstadjungierten Fortsetzungen Bϕ2 .
Ein Operator A mit den Eigenschaften (a), (b), (c) heißt ein symmetrischer
Operator mit diskretem Spektrum.
Beweis.
Sei u ∈ D(A). Da v1 , v2 , . . . ein vollständiges ONS ist mit Avk = Avk = λk vk
und wegen der Symmetrie von A ergibt sich mit der Parsevalschen Gleichung
∞
∞
∞
Au = vk , Au vk = Avk , u vk = λk vk , u vk ,
k=1 k=1 k=1
∞
λ2k | vk , u |2 = Au2 < ∞ .
k=1
∞
Konvergiert umgekehrt λ2k | vk , u |2 , so gibt es wegen der Isomorphie von
k=1
H und 2 ein v ∈ H mit
n
v = lim sn , sn := λk vk , u vk .
n→∞ k=1
n
Für un := vk , u vk gilt dann un ∈ D(A), u = lim un und sn = Aun → v.
k=1 n→∞
A = U −1 Mλ U ;
dabei ist Mλ der maximal definierte, nach 1.4 (a) selbstadjungierte Multiplikator
Mλ : (x1 , x2 , . . .) −→ (λ1 x1 , λ2 x2 , . . . )
684 § 24 Selbstadjungierte Operatoren
Folgerungen.
(a) Unter den obengenannten Vorausetzungen ist (A − λ)−1 für λ < λ1 kom-
pakt und positiv definit.
Beweis.
(a) Wegen σ(A) ⊂ [λ1 , ∞[ gilt für λ < λ1 : λ ∈ (A), also T := (A − λ)−1 ∈
L (H ). Daher ist jeder Vektor u ∈ H von der Form u = (A−λ)v mit v ∈ D(A).
Für u = 0 gilt v = 0, somit
(b) Nach § 22 : 4.6 gibt es ein vollständiges ONS v1 , v2 , . . . für H und eine
monoton fallende Nullfolge (μn ) mit T vk = μk vk (k = 1, 2, . . . ). Aus AT = ½
folgt vk = μk Avk , also Avk = λk vk mit λk := 1/μk für k = 1, 2, . . . .
Zu jedem u ∈ D(A) gibt es ein v ∈ H mit u = T v. Für u = 0 folgt v = 0 ,
also Au = AT v = v = 0 sowie
u , Au = T v , v > 0 .
∞
U (t)u := e−iλk t vk , u vk .
k=1
Beweis.
(a) Eindeutigkeit. Für jede Lösung ϕt der Gleichung ϕ̇t = − i A ϕt gilt
∞
ϕt = vk , ϕt vk ∈ D(A) .
k=1
(b) Die Operatoren U (t). Wegen der Isomorphie von H und 2 folgt
∞
∞
(1) e−iλk t vk , u 2 = | vk , u |2 = u2
k=1 k=1
∞
(2) U (t) u = e−iλk t vk , u vk
k=1
sowie die Isometriebedingung U (t)u = u für alle u ∈ H . Aus der Darstel-
lung (2) folgt ferner
(c) Existenz einer Lösung. Für gegebenes ϕ0 ∈ D(A) sei ϕt := U (t) ϕ0 gemäß
(2) bzw. (∗∗) definiert. Nach (1) und 3.1 konvergiert die Reihe
∞
∞
∞
λ2k e−iλk t vk , ϕ0 =
2
(3) λ2k | vk , ϕt |2 = λ2k | vk , ϕ0 |2 ,
k=1 k=1 k=1
mit f (x) = e−ix − 1 + ix. Wir setzen g(x) := f (x)/x für x = 0 und g(0) := 0 .
Dann ist g : Ê → Ê+ stetig und beschränkt ÜA , es gilt also |g(x)| ≤ C
für x ∈ Ê mit eine Konstanten C. Nach der Parsevalschen Gleichung folgt für
h = 0
2
1 1
∞
(ϕt+h − ϕt ) + iAϕt = 2 |f (λk h)|2 | vk , ϕ0 |2
h h k=1
(4)
∞
∞
= λ2k |g(λk h)|2 | vk , ϕ0 |2 ≤ C 2 λ2k | vk , ϕ0 |2 .
k=1 k=1
Die letzte Reihe liefert eine von h unabhängige Majorante für die vorletzte,
die somit aufgrund gleichmäßiger Konvergenz eine für alle h stetige, für h = 0
verschwindende Funktion darstellt. Die Behauptung ϕ̇t = −iAϕt folgt aus (4)
für h → 0.
∞
2
U (h) u − u2 = e−iλk h − 1 · | vk , ϕ0 |2 → 0 für h → 0 .
k=1
Das folgt wie oben aus e−ix − 1 = |f (x) − ix| ≤ (1 + C) |x| ÜA . 2
Ê
gleichmäßig auf , und die gliedweise einmal nach t bzw. zweimal nach x dif-
ferenzierte Reihe besitzen die Majorante
π 2 ck
∞
∞
√ mit |ck |2 < ∞ .
2 k=1 k2 k=1
Somit liefern (2) bzw. (2 ) eine Lösung von (1) im klassischen Sinn.
688 § 24 Selbstadjungierte Operatoren
gliedweise einmal nach t und zweimal nach x differenzierbar ist und damit die
klassische Lösung der Schrödinger–Gleichung
2
(3) i ∂ϕ(x,t)
∂t
= − 1 ∂ ϕ(x,t)
2 ∂x2
+ 1
2
x2 ϕ(x, t) , ϕ(x, 0) = ϕ0 (x)
liefert:
3 Symmetrische Operatoren mit diskretem Spektrum 689
Beweisskizze.
Wegen ϕ0 ∈ D(H k ) für k ∈ gilt
1 k
hn , H k ϕ0 = H k hn , ϕ0 = n+ 2
hn , ϕ0 .
√
x2 |hn (x)| ≤ 2R2 4
n.
Daher lässt sich die Gleichung (2) zweimal gliedweise nach x differenzieren,
denn die zweimal gliedweise abgeleitete Reihe konvergiert gleichmäßig in jedem
kompakten Intervall. Die gliedweise Differenzierbarkeit der Reihe (2) nach t ist
unproblematisch. 2
u, v Q = Q(u, v) + u , v
Ê
(b) Beispiel. Sei Ω ⊂ n ein beschränktes Gebiet, H = L2 (Ω) und V =
W01 (Ω), vgl. § 14 : 6.2 (b). Für u ∈ V liefert
Q(u, v) = ∇u , ∇v dV n
Ω
eine abgeschlossene, positiv definite quadratische Form (§ 14 : 6.2 (c)), und die
Normen
uQ = ( u , u Q)
1/2
und uV = Q(u, u)1/2
(c) Satz. Für jede positive abgeschlossene Form Q auf V ist durch
Au := f
Beweis.
(i) Für u ∈ D(A) lässt sich v → Q(u, v) zu einem linearen Funktional auf H
fortsetzen; daher gibt es ein eindeutig bestimmtes f ∈ H mit Q(u, v) = f , v
für alle v ∈ V . Wir definieren A durch die Vorschrift Au := f . Dann gilt
v, v = Au + u , v = Q(u, v) + u , v = u, v Q = 0,
also v = 0 .
Zweiter Schritt: Ist also w ∈ V gegeben, so gibt eine Folge (un ) in D(A) mit
w − un Q → 0. Dann gilt auch w − un ≤ w − un Q → 0. Somit liegt D(A)
bezüglich der Norm · dicht in V und damit auch in H . 2
4 Störung wesentlich selbstadjungierter Operatoren 691
H = A+B mit A = − Δ , B = Mv .
A + B : D(A) ∩ D(B) → H , u → Au + Bu
selbstadjungiert?
(b) Als erstes erhebt sich die Frage, ob A + B ein linearer Operator, d.h. dicht
definiert ist. Ist z.B. A der Operator
Ê Ê
u → − u auf D(A) = W2 ( ) := { u ∈ W1 ( ) | u ∈ W1 ( ) } Ê
Ê
und die Funktion v ∈ L1 ( ) über kein offenes Intervall ]a, b[ quadratinte-
grierbar, so ist D(A) ∩ D(Mv ) = {0 }, denn dann ist |v u|2 für keine Funktion
Ê
0 = u ∈ W2 ( ) integrierbar ÜA . Eine solche Funktion v erhalten wir durch
∞
1 1
v(x) := ϕ(x − rk ) mit ϕ(0) = 0 , ϕ(x) = e−|x| für x = 0 ,
2k |x|
k=1
wenn die rk alle rationalen Zahlen durchlaufen ( ÜA , Satz von Beppo Levi).
692 § 24 Selbstadjungierte Operatoren
(c) Der Definitionsbereich von A + B ist sicher dann dicht in H , wenn D(A) ⊂
D(B) gilt. Auch dann folgt aus der Selbstadjungiertheit von A, B nicht die
Selbstadjungiertheit von A + B. Ein Gegenbeispiel wird in 4.3, Bemerkung (iii)
gegeben.
(d) Da wir in der Regel die Bestimmung des Abschlusses wesentlich selbst-
adjungierter Operatoren vermeiden wollen, ist folgendes Problem von großer
praktischer Bedeutung:
Seien A, B wesentlich selbstadjungiert mit D(A) ⊂ D(B). Gesucht sind hinrei-
chende Kriterien für die wesentliche Selbstadjungiertheit von A + B.
Lässt sich dabei a < 1 wählen, so heißt B eine kleine Störung von A.
Gibt es zu jedem a ∈ ]0, 1] ein b ≥ 0 mit (∗), so heißt B eine unendlich kleine
Störung von A.
(b) Genau dann ist ein symmetrischer Operator B eine kleine Störung des
symmetrischen Operators A mit D(A) ⊂ D(B), wenn es Konstanten α, β gibt
mit
Aus √
(∗) folgt (∗∗) mit α = β und geeignetem β > b. Aus (∗∗) folgt (∗) mit
a = α und geeignetem b ÜA .
b b
u , Au = − u u dλ = |u |2 dλ = Bu2 ,
a a
also
1
2
Bu2 = u , Au ≤ Au · u ≤ α Au + u
2α
für beliebige α ∈ ]0, 1[.
4 Störung wesentlich selbstadjungierter Operatoren 693
Beweis.
(a) Da A + B symmetrisch ist, genügt es nach 1.3 (d) zu zeigen, dass es ein
t > 0 gibt, so dass A+B +it, A+B −it surjektiv sind. Wir betrachten zunächst
A + B + it für t > 0. Da A selbstadjungiert ist, ist A + it stetig invertierbar.
Aus der Gleichung
(A + it)u2 = Au2 + t2 u2 für u ∈ D(A)
folgt
(1) (A + it)−1 ≤ 1 und
t
(2) Au ≤ (A + it)u für u ∈ D(A) .
(d) Die Surjektivität von A − it + B folgt wie oben, indem überall A + it durch
A − it ersetzt wird. 2
(c) Satz von Wüst (1971). Sei A selbstadjungiert und B ein symmetrischer
Operator mit D(A) ⊂ D(B). Gibt es eine Zahl b ≥ 0 mit
Bu ≤ Au + bu für alle u ∈ D(A) ,
so ist A + B wesentlich selbstadjungiert auf jedem Genbereich für A.
Den Beweis von (c) finden Sie in Reed-Simon [130, II] Thm.X.14.
Beweis.
(b) Nach Voraussetzung ist D(A) ⊂ D(B), und es gibt Zahlen a, b mit a < 1,
Ê
b ∈ + und
(1) Bu ≤ a Au + b u für u ∈ D(A).
Für u ∈ D(A + B) := D(A) folgt
1 b
(2) Au ≤ (A + B)u + u .
1−a 1−a
Mit A, B ist auch A + B symmetrisch, also abschließbar. Wir zeigen zunächst
D(A) ⊂ D(B) , D(A) ⊂ D(A + B) und
(i)
(A + B)u = Au + Bu für u ∈ D(A).
4 Störung wesentlich selbstadjungierter Operatoren 695
Sei u ∈ D(A), also u = lim un und Au = lim Aun mit einer Folge (un ) in
n→∞ n→∞
D(A). Nach (1), angewandt auf um − un , ist (Bun ) eine Cauchy–Folge, somit
gilt u ∈ D(B), Bu = lim Bun . Da lim (Aun + Bun ) = Au + Bu existiert,
n→∞ n→∞
folgt u ∈ D(A + B) und (A + B)u = Au + Bu.
Im Fall D(A) ⊂ D(B) gilt zusätzlich u ∈ D(B), also Bu = Bu und somit
(A + B)u = Au + Bu.
(ii) Die Inklusion D(A + B) ⊂ D(A) ergibt sich analog mit Hilfe von (2): Für
u ∈ D(A + B) gibt es eine Folge (un ) in D(A + B) = D(A) mit un → u
und Aun + Bun → (A + B)u. Aus (2) folgt, dass die Folge (Aun ) konvergiert,
somit u ∈ D(A). Dann konvergiert auch die Folge (Bun ), und wir erhalten
(A + B)u = lim (Aun + Bun ) = Au + Bu; im Fall D(A) ⊂ D(B) wieder
n→∞
Bu = Bu.
(a) Ist A wesentlich selbstadjungiert und B eine symmetrische Störung mit (1),
so gilt also D(A + B) = D(A) ⊂ D(B), A + B = A + B.
Für u ∈ D(A), u = lim un , Au = lim Aun mit un ∈ D(A) folgt aus den
n→∞ n→∞
Überlegungen (i), dass u ∈ D(B) und Bu = lim Bun . Aus (1) erhalten wir
n→∞
Somit ist B eine kleine symmetrische Störung von A, und die Behauptung folgt
aus 4.3. 2
(d) Folgerung. Ist A abgeschlossen und B eine kleine Störung von A, so ist
A + B mit dem Definitionsbereich D(A) abgeschlossen.
Denn im Beweisteil (b) wurde von der Symmetrie kein Gebrauch gemacht, und
wegen der Voraussetzung D(A) = D(A) ⊂ D(B) folgt A + B = A+B = A+B.
Ê Ê Ê
Hierbei ist W2 ( ) = {u ∈ W1 ( ) | u ∈ W1 ( )} = D(P 2 ).
696 § 24 Selbstadjungierte Operatoren
Beispiel. Durch v(x) = |x|−1/4 für x = 0 ist ein Potential gegeben, das über
[−1, 1] quadratintegrierbar und für |x| ≥ 1 beschränkt ist. Daher erfüllt v die
Voraussetzung des Satzes mit f := v χ[−1,1] , g = v − f .
Beweis.
(a) Es gilt − Δ + Mv = A + B mit A = − Δ + Mf und dem beschränkten
Operator B = Mg . Falls A wesentlich selbstadjungiert ist, gilt dies auch für
A+B, denn B ist eine (nach 4.2 (c) unendlich) kleine Störung von A mit D(A) ⊂
Ê
D(B) = L2 ( ), somit folgen die wesentliche Selbstadjungiertheit von A+B und
die Beziehung A + B = A + B aus 4.4. Wir dürfen daher g ignorieren und von
Ê
vornherein v = f ∈ L2 := L2 ( ) annehmen.
(b) Nach 2.1 (c) (i) ist der auf S definierte Operator − Δ wesentlich selbstad-
jungiert.
(c) Wir zeigen zunächst, dass D(−Δ) ⊂ D(Mv ). Hierzu genügt es wegen v ∈
L2 zu zeigen, dass alle Funktionen u ∈ D(−Δ) beschränkt sind.
Für u ∈ S gilt
x
(1) | u(x) |2 = u(x) u(x) = (u u + u u) dλ ≤ 2 u · u .
−∞
(d) Mv ist eine unendlich kleine Störung von −Δ. Denn für u ∈ S und jede
Zahl a ∈ ]0, 1[ folgt aus (3) durch Fallunterscheidung ÜA
a 2
2
u v2 ≤ u2∞ · v2 ≤ u + u v2 . 2
2 a
4 Störung wesentlich selbstadjungierter Operatoren 697
− Δ + Mv : u → − Δu + v · u
Beweis.
(a) Es genügt, den Operator − Δ + Mv mit v ∈ L2 ( Ê ) zu betrachten, wie am
3
ϕ(x) = K /(y) ei x , y d3 y .
ϕ
Ê3
Es folgt
(2) /1 = K
ϕ∞ ≤ K ϕ /| dV 3 .
|ϕ
Ê3
/ ∈ S ⊂ L2 folgt mit der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung
Wegen (1 + r 2 ) ϕ
(3) /1 =
ϕ /| dV 3 ≤ L (1 + r2 ) ϕ
(1 + r 2 )−1 (1 + r 2 ) |ϕ / .
Ê3
Nach dem Multiplikations– und Ableitungssatz § 12 : 3.3 gilt
/= ϕ
(1 + r 2 ) ϕ : = (ϕ − Δϕ) /.
/ − Δϕ
Wegen der Isometrie der Fouriertransformation ist also
(4) (1 + r2 ) ϕ
/ = ϕ − Δϕ ≤ ϕ + Δϕ .
698 § 24 Selbstadjungierte Operatoren
Aus (2), (3), (4) erhalten wir somit für ϕ ∈ S mit der Graphennorm . Δ
√ 1 √
(5) ϕ∞ ≤ KL (ϕ + Δϕ) ≤ 2KL(ϕ2 + Δϕ2 ) 2 = 2 KL ϕΔ .
A = U −1 Mv U .
Beweis.
Wir betrachten zunächst nur den am meisten interessierenden Fall σ(A) = , Ê
der z.B. bei halbbeschränkten Operatoren vorliegt. Wir können dann ∈ so Ê
wählen, dass die Resolvente R( , A) existiert und wegen ∈ Êsymmetrisch
ist. Nach § 22 : 3.6 gibt es ein Wahrscheinlichkeitsmaß μ auf Ê
, eine stetige,
Ê
periodische Sägezahnfunktion w : → σ(R( , A)) und eine unitäre Abbildung
Ê
U : H → L2 ( , μ) mit
R( , A) = U −1 Mw U .
B := U −1 Mv U
selbstadjungiert, was sich z.B. aus dem Kriterium § 24 : 1.3 (c) ergibt.
Wir zeigen A = B. Da selbstadjungierte Operatoren maximal symmetrisch sind
(§ 23 : 1.2), genügt hierzu der Nachweis von A ⊂ B.
Sei u ∈ D(A). Dann gibt es ein h ∈ H mit u = R( , A)h. Für f := U u und
g := U h gilt f = w · g ∈ D(Mv ), somit u ∈ D(B) und
σc (A) = σc (Mv ).
Nach § 23 : 5.5 (b) dürfen wir v(x) ∈ σ(Mv ) = σ(A) für alle x ∈ Ê annehmen.
1 Spektralzerlegung und Funktionalkalkül 701
Die Aussage (i) ergibt sich aus (a), die anderen anschaulich plausiblen Behaup-
tungen werden in 2.1, 2.2 bewiesen. Beachten Sie, dass die H I , PI nach (iii)
wohldefiniert sind, d.h. nicht von der Multiplikatordarstellung abhängen.
1.4 Der Spektralzerlegungssatz
(a) Jeder unbeschränkte selbstadjungierte Operator A lässt sich auf folgende
Weise aus beschränkten symmetrischen Anteilen aufbauen:
7
Für n ∈ seien In = ]αn , αn+1 ] nichtleere Intervalle mit n∈
In = , z.B.
In = ]n, n + 1]. Wir betrachten die für die In gemäß 1.3 definierten Spektralpro-
jektoren Pn = PIn und die zugehörigen spektralen Teilräume H n = Pn (H ).
Dann gilt
@
+∞
H = Hn ,
n=−∞
d.h. die H n sind paarweise zueinander orthogonal, und jeder Vektor u ∈ H
besitzt eine eindeutige Darstellung
+∞
u = un mit un := Pn u ∈ H n .
n=−∞
Für jedes Intervall In mit σ(A) ∩ In = ∅ ist die Einschränkung An von A auf
H n ein beschränkter symmetrischer Operator mit
σ(An ) = σ(A) ∩ In , σp (An ) = σp (A) ∩ In .
(c) Damit steht einer Definition des selbstadjungierten Operators p(A) für re-
elle Polynome p nichts mehr im Wege. Für die Definition eines allgemeinen
Funktionalkalküls in 1.5 benötigen wir das folgende
Lemma. Auf jedem spektralen Teilraum H n = {0} sei ein beschränkter symme-
trischer Operator Bn : H n → H n gegeben. Dann ist durch
u ∈ D(B) : ⇐⇒ Bn Pn u2 < ∞ , Bu := Bn Pn u für u ∈ D(B)
n∈ n∈
Somit gilt u ∈ D(B) und (B − i)u = v. Analog folgt die Surjektivität von B + i.
2
1.5 Der Funktionalkalkül
(a) Definition. Sei A ein unbeschränkter selbstadjungierter Operator, ferner
sei f : → stetig oder gehöre zur Klasse F aller Funktionen f : → + , die
punktweiser Limes einer absteigenden Folge beschränkter stetiger Funktionen
fn : → + sind 7 (vgl. § 21 : 9.2). Wie in 1.4 seien In = ]αn , αn+1 ] beschränkte
Intervalle mit n∈ In = , Pn die nach 1.3 für die Intervalle In definierten
Spektralprojektionen und H n = Bild Pn die zugehörigen spektralen Teilräume.
Für H n = {0} ist die Einschränkung An von A auf H n beschränkt und sym-
metrisch, also ist f (An ) für f ∈ C() nach § 21 : 7.3 bzw. für f ∈ F nach
§ 21 : 9.2 erklärt. Wir definieren f (A) durch
u ∈ D(f (A)) : ⇐⇒ f (An )Pn u2 < ∞ und
n∈
f (A)u = f (An )Pn u für u ∈ D(A) ;
n∈
(b) Satz. Für stetige Funktionen f : Ê→ bzw. für f ∈ F und jede Multi-
plikatordarstellung A = U −1 Mv U von A ist
f (A) = U −1 Mf ◦v U .
Der Beweis folgt als Anmerkung zum Beweis des Spektralsatzes in 1.8.
Die Einschränkung von Eλ auf einen spektralen Teilraum H I = {0} mit einem
Intervall I = ]αn , αn+1 ] ist nach 1.5 (a) die Spektralschar der Einschränkung
AI von A auf H I .
Satz. Die Eλ sind symmetrische Projektoren mit folgenden Eigenschaften:
(i) λ ≤ μ =⇒ Eλ ≤ Eμ und Eλ = Eλ Eμ = Eμ Eλ .
(ii) Eλ = s–lim Eμ ; ferner existiert Eλ− := s–lim Eμ .
μ→λ+ μ→λ−
Beweis.
(i) Der einfachste Beweis beruht auf dem Transformationssatz für Bildmaße
§ 20 : 6.4. Da nach Definition des Funktionalkalküls u , f (A)u invariant unter
unitären Transformationen ist, dürfen wir annehmen, dass A ein Multiplikator
Ê
Mv auf einem L2 ( , μ) ist. Nach 1.7 (c) gilt dann für u = 1 und I = ]a, b]
μu (I) = u , (χI ◦ v) · u = |u|2 dμ .
v −1 (I)
Für das durch ν(B) = |u|2 dμ gegebene Wahrscheinlichkeitsmaß ν ist also
B
μu (I) = ν(v −1 (I)). Wie in § 22 : 2.3 ergibt sich mit Hilfe des Fortsetzungssatzes
§ 19 : 7.2, dass μu das Bildmaß von ν unter v ist.
Nach dem Transformationssatz für Bildmaße folgt
f (Mv )u2 = |(f ◦ v) · u|2 dμ = |f ◦ v|2 dν = |f |2 dμu ,
Ê Ê Ê
falls einer dieser Terme Sinn macht. In diesem Fall gilt wegen L1 ( , μu ) ⊂ Ê
Ê Ê Ê
L2 ( , μu ) und L1 ( , ν) ⊂ L2 ( , ν) ebenfalls nach dem Transformationssatz
u , f (Mv )u = (f ◦ v) · |u|2 dμ = f ◦ v dν = f dμu .
Ê Ê Ê
(ii) Charakterisierung der Spektralschar. Seien {Eλ | λ ∈ }, {Fλ | λ ∈ } zwei Ê Ê
Spektralscharen und μu , νu die jeweils zugehörigen Spektralmaße für u = 1
derart, dass
(∗) f dμu = u , f (A)u = f dνu
Ê Ê
Ê
für alle f ∈ Cb ( ) und alle u ∈ H mit u = 1.
Nach dem Satz von Beppo Levi folgt (∗) auch für alle f ∈ F, insbesondere
u , Eλ u = μu (] − ∞, λ]) = eλ dμu = eλ dνu = νu (] − ∞, λ]) = u , Fλ u
Ê Ê
1 Spektralzerlegung und Funktionalkalkül 707
Ê
und damit Eλ = Fλ für alle λ ∈ . Da Wahrscheinlichkeitsmaße durch ihre
Verteilungsfunktionen eindeutig bestimmt sind, folgt μu = νu für alle u ∈ H
mit u = 1. 2
Bemerkung. Auf Grund dieser Betrachtungen ergibt sich die in 1.5 (c) behaup-
tete Eindeutigkeit des Funktionalkalküls für messbare Funktionen f : → . Ê
Sei A = U −1 Mv U mit einem unitären Operator U : H → L2 (, μ). Für
u = 1 und w = U u ist μu eindeutig bestimmt durch
u , f (A)u = (f ◦ v) |w|2 dμ = f dμu für f ∈ F.
Ê Ê
Sei nun f : → eine messbare Funktion und B := U −1 Mf ◦v U . Dann folgt
wie in (i) für u ∈ D(B) , d.h. (f ◦ v) w ∈ L2 (, μ) die Beziehung
u , Bu H = U −1 w , U −1 U BU −1 w H
= w , Mf ◦v w L2
= (f ◦ v) |w|2 dμ = f dμu .
Ê Ê
Die rechte Seite hängt nur von u und f ab. Da Mf ◦v und damit auch B dicht
definiert sind, ist B durch die quadratische Form u , Bu H festgelegt.
Eu (A) := u , Au , Eu (B) := u , Bu ,
[A, B] = AB − BA = −i h̄ D
bezüglich A ÜA
/W = tr (AW ) :=
E(μW ) = μ pk vk , Avk ,
k
V (μW ) = /W ) vk 2 ,
pk (A − μ
k
vgl. § 22 : 6.4. Aus der letzten Beziehung folgt, dass die Heisenbergsche Un-
schärferelation auch für allgemeine Zustände gilt ÜA .
Ê
Ferner ergibt sich mit Hilfe von § 22 : 1.6 (a): Genau dann ist λ ∈ ein scharfer
Messwert für die Observable A im Zustand W , wenn λ ein Eigenwert von A ist
und Bild W ⊂ Kern (A − λ) ÜA .
Beweis.
V ist invariant unter Mv2 , Mv3 , . . . ; für u ∈ V und jedes Polynom p ist also
p(v) · u ∈ V . Nach Definition des Funktionalkalküls für f ∈ C(σ(T )) und mit
Hilfe des kleinen Satzes von Lebesgue ergibt sich (∗) für f ∈ C(σ(T )) wie in
§ 21 : 7.6 (b). Für f ∈ F folgt (∗) wie in § 21 : 9.4 (c) mit Hilfe des Satzes von
Beppo Levi. 2
710 § 25 Der Spektralsatz und der Satz von Stone
VI = Bild P, P = Mw mit w = χI ◦ v .
Denn für die Spektralschar {Fλ | λ ∈ Ê} von T gilt nach § 22 : 1.2, 1.5
Fλ = 0V für λ ≤ a (wegen a ∈ σp (T )) und Fλ = ½V für λ ≥ b .
Für u ∈ V folgt
Bemerkung. Nicht jeder Mv –invarianter Teilrauum ist ein spektraler. Dies zeigt
das Beispiel v(x) = x2 , V = {u ∈ L2 (Ê, μ) | u(x) = 0 für x ≤ 0} mit der
Normalverteilung μ.
Beweis.
Es genügt den Fall zu betrachten, dass A ein Multiplikator Mv auf einem
L2 (Ê, ν) mit einer reellen Verteilung ν ist und dass es eine unitäre Abbildung
U : L2 (Ê, ν) → L2 (Ê, μ) gibt mit A = U −1 Mv U . Für u ∈ L2 (Ê, ν) gilt dann
U Au = (U w) · u = v · (U u) .
H = Hn ,
n=−∞
∞
d.h. jedes u ∈ H besitzt die Zerlegung u = un mit un = Pn u ∈ H n .
n=−∞
Wir können nun zum Operator A auf H zurückkehren. Für u ∈ D(A) und
h ∈ H gilt wegen Pn h ∈ D(A) und weil Pn APn beschränkt und symmetrisch
ist
h , Pn Au = APn h , u = Pn APn h , u = h , Pn APn u
= h , APn u für u ∈ D(A) ,
somit
Pn APn = APn und Pn Au = APn u für u ∈ D(A) .
Für u ∈ D(A) konvergiert daher nach dem oben Bewiesenen die Orthogonalrei-
he
Au = Pn Au = APn u ,
n∈ n∈
und deren Konvergenz ist äquivalent zu APn 2 < ∞ , vgl. § 9 : 4.2 (b).
n∈
Existiert umgekehrt
m
m
w = Pn Au = lim APn u = lim A Pn u ,
n∈ m→∞ n=−m m→∞ n=−m
m
so folgt aus u = lim Pn u und der Abgeschlossenheit von A, dass u ∈
m→∞ n=−m
Es folgt
m
m
f (Mn )un 2 = (f ◦ v) · un 2 ≤ (f ◦ v) · u2 ,
n=−m n=−m
m
(f ◦ v) · u − (f ◦ v) · un 2 = (f ◦ v)(u − sm )2 → 0 für m → ∞ ,
n=−m
letzteres nach dem Satz von Lebesgue mit der Majorante |(f ◦ v) · u|2 . 2
Eλ u − u = Eλ u − Eλ sm + Eλ sm − u
≤ Eλ u − Eλ sm + sm − u < 2ε für λ ≥ m .
(b) Nach § 24 : 1.5 und § 24 : 2.3 ist ½+A2 ein selbstadjungierter, halbbeschränk-
ter Operator mit unterer Schranke 1, also σ(½ + A2 ) ⊂ [1, ∞[. Daher ist
R = (½ + A2 )−1
RS = SR , R2 + S 2 = R , S ≤ 1 .
S ist überall definiert und symmetrisch: Für u ∈ D(A) und v ∈ H gilt mit (1)
(4) u , Sv = u , AR v = A u , R v = RA u , v = AR u , v = S u , v .
(d) Der Operator R1/2 ist beschränkt, symmetrisch und injektiv. Ferner gilt
Bild R1/2 ⊂ D(A).
Die Injektivität ergibt sich wie folgt: R1/2 u = 0 =⇒ Ru = R1/2 R1/2 u = 0
=⇒ u = 0 wegen 0 ∈ σp (R).
Wegen Bild R1/2 = (Kern R1/2 )⊥ = H gibt es zu jedem h ∈ H Vektoren un
mit h = lim R1/2 un , also R1/2 h = lim Run . Aus (5) ergibt sich
n→∞ n→∞
S um − Sun 2 ≤ um − un , R(um − un ) = R1/2 (um − un )2 ,
also existiert lim Sun = lim ARun . Wegen der Abgeschlossenheit von A folgt
n→∞ n→∞
R 1/2
h ∈ D(A) und AR1/2 h = lim ARun = lim Sun .
n→∞ n→∞
Denn nach (d) ist T überall definiert. Aus (1) folgt für u ∈ D(A)
Aus dem spektralen Abbildungssatz folgt σ(T 2 ) = 1−σ(R) ⊂ [0, 1], also σ(T ) ⊂
[−1, 1]. Aus T u = u folgt T 2 u = u, also Ru = 0 und damit u = 0 nach (b).
3 Selbstadjungierte Operatoren und unitäre Gruppen 715
T/ = Mw , / = M1−w2 ,
R / = M √ 2.
S w 1−w
Denn aus den Eigenschaften 1.6 des Funktionalkalküls für beschränkte stetige
Funktionen folgt U (0) = f0 (A) = 1(A) = ,
716 § 25 Der Spektralsatz und der Satz von Stone
u(t) = U (t)u .
1
Zusatz. Es gilt sogar u ∈ D(A) ⇐⇒ lim U (h) − 1 u existiert.
h→0 h
Beweis.
(a) Nach den Überlegungen in § 24 : 3.2 (c) gibt es eine Konstante C mit
(∗) | fh (x) − 1 + ihx | = e−ihx − 1 + ihx ≤ C |hx| für alle x, h ∈ Ê.
Nach dem Spektralsatz 1.8 konvergiert für u ∈ D(A) mit u = 1 das Integral
2
x dμu (x), und es folgt für u(t) = U (t)u und h = 0
Ê
1
u(t + h) − u(t) + iAu(t) 2 = 1 ft+h (x) − ft (x) + ixft (x) 2 dμu (x)
Ê
h h
1
= fh (x) − 1 + ix 2 dμu (x) → 0 für h → 0 und alle t ∈ Ê.
Ê
h
Dies ergibt sich aus dem Satz von Lebesgue, denn nach (∗) hat der Integrand
im letzten Integral die μu –Majorante C 2 x2 und den punktweisen Limes 0.
3 Selbstadjungierte Operatoren und unitäre Gruppen 717
(b) Zum Beweis des Zusatzes definieren wir einen Operator B durch
u ∈ D(B) ⇐⇒ lim 1
U (h)u − u existiert und
h→0 h
Bu = lim i
h
U (h)u − u für u ∈ D(B) .
h→0
Nach (a) gilt A ⊂ B. Zu zeigen ist, dass B symmetrisch ist. Dann folgt A = B,
da nach § 24 : 1.1 (b) selbstadjungierte Operatoren maximal symmetrisch sind.
In der Tat gilt für u, v ∈ D(B) wegen U (h)∗ = U (−h)
1
v , Bu = i lim v , 1
h
(U (h) − 1)u = i lim h
(U (−h) − 1)v , u
h→0 h→0
1
= − i lim k
(U (k) − 1)v , u = Bv , u .
k→0
3.3 Beispiele
(a) Selbstadjungierte Operatoren mit diskretem Spektrum. Hierfür
wird auf § 24 : 3.2 verwiesen.
ÜA Rechnen Sie für ut (x) = e−itx u(x) nach, dass entsprechend dem Zusatz
3.2
1 2
lim (uh − u) + iQu = 0 ⇐⇒ x |u(x)|2 dx < ∞ .
h→0 h Ê
(c) Impulsoperator und Translationsgruppe. Für die Fouriertransforma-
tion F0 : S → S , u → u / und die Einschränkung P0 von P und Q0 von Q
auf S gilt P0 = F0−1 Q0 F0 nach § 12 : 3.3. Für die Fouriertransformation F auf
Ê
L2 ( ) folgt P = F −1 QF ÜA . Nach 1.5 (b) ist daher
Für u ∈ S sei ut := e−itP u. Mit (b) und (∗) folgt u /t (y) = e−ity u
/(y) ÜA .
Der Umkehrsatz für die Fouriertransformation liefert
718 § 25 Der Spektralsatz und der Satz von Stone
1 +∞ −ity 1 +∞
ut (x) = √ e /(y) eixy dy = √
u /(y) ei(x−t)y dy = u(x − t)
u
2π −∞ 2π −∞
für u ∈ S . Da e−itP stetig ist und die Translation im Argument eine Isometrie,
gilt diese Beziehung für alle u ∈ L2 ( ). Ê
(d) Ein anderer Zugang. Sei t → ut (x) = ϕ(x, t) eine klassische Lösung des
Ê
AWP u̇t = −iP ut , u0 = u, d.h. es sei ϕ ∈ C1 ( 2). Dann erfüllt ϕ die Wellen-
gleichung ∂ϕ + ∂ϕ = 0 . Daher gilt dtd
ϕ(t, t + c) = 0 für t, c ∈ . Es folgt Ê
∂t ∂x
Ê
ϕ(t, t+c) = ϕ(0, c) = u(0) für t, c ∈ und daher ϕ(x, t) = u(x−t) für x, t ∈ . Ê
Definieren wir nun ut (x) := u(x − t) für u ∈ D(P ) = W ( ), so erhalten wir 1
Ê
lim h1 (uh − u) + iP u = 0
h→0
b+s b
(4) u(τ − s) dτ = a
u(t) dt .
a+s
3 Selbstadjungierte Operatoren und unitäre Gruppen 719
Bemerkung. Zur Festlegung von h genügt es, dass (1) bzw. (2) für alle v aus
einem dichten Teilraum von H gilt ÜA .
Beweis.
Die Funktion t → u(t) ist stetig, ebenso die Funktion t → u(t) , v für belie-
bige v ∈ H . Mit der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung ergibt sich
b b b
u(t) , v dt ≤ a u(t) , v dt ≤ v a u(t) dt .
a
b
Daher liefert Lv := a u(t) , v dt ein lineares Funktional auf H mit Norm-
b
schranke a u(t) dt und bestimmt somit einen Vektor h ∈ H mit Lv =
b
h , v für alle v ∈ H . Für diesen gilt h = L ≤ a u(t) dt; das ist die
Abschätzung (3). Die Beziehung (4) ist leicht einzusehen ÜA .
(b) Eine verallgemeinerte Fouriertransformation
Für jede stetige Funktion ϕ : [a, b] → und für jeden Vektor u ∈ H ist die
hilbertraumwertige Funktion t → ϕ(t)U (t)u stetig ÜA . Für Testfunktionen
ϕ ∈ C∞ Ê
c ( ) dürfen wir daher definieren
+∞ b
(5) [ϕ, u] := ϕ(t)U (t)u dt = ϕ(t)U (t)u dt , falls supp ϕ ⊂ [a, b] .
−∞ a
die Ungleichung
δ δ
u − uδ = jδ (t)(u − U (t)u) dt ≤ jδ (t) u − U (t)u dt ≤ ε .
−δ −δ
(ii) Die Beziehung U (t)[ϕ, u] = [ϕ, U (t)u] erhalten wir aus der Integraldefiniti-
on (1),(2): Sei supp ϕ ⊂ [a, b] und v ∈ H beliebig. Dann gilt
b
U (t)[ϕ, u] , v = [ϕ, u] , U (−t)v = ϕ(s) U (s)u ds , U (−t)v
a
b b
= ϕ(s)U (s)u , U (−t)v ds = ϕ(s) U (t)U (s)u , v ds
a a
b
= ϕ(s) U (s)U (t)u ds , v = [ϕ, U (t)u] , v .
a
(iii) Insbesondere gilt (U (s) − 1)[ϕ, u] = [ϕ, (U (s) − 1)u], also für s = 0
1
1 +∞
(U (s) − 1)[ϕ, u] = ϕ(t)U (t)(U (s) − 1)u dt
s s −∞
1 +∞ (4) ϕ(τ − s) − ϕ(τ )
+∞
= ϕ(t)(U (s + t) − U (t))u dt = U (τ )u dτ .
s −∞ −∞
s
Da supp ϕ kompakt ist, gilt lim 1s (ϕ(τ − s) − ϕ(τ )) = −ϕ (τ ) gleichmäßig auf
Ê. Mit Hilfe der Integralabschätzung (3) erhalten wir
s→0
ÜA
1
lim (U (s) − 1)[ϕ, u] = [−ϕ , u] .
s→0 s
3 Selbstadjungierte Operatoren und unitäre Gruppen 721
(iv) Für ϕ, ψ ∈ C∞ Ê
c ( ), u, v ∈ H und A[ϕ, u] := −i [ϕ , u] folgt
A[ϕ, u] , [ψ, v] = lim − si (U (s) − 1)[ϕ, u] , [ψ, v]
s→0
= lim [ϕ, u] , si (U (−s) − 1)[ψ, v] = [ϕ, u] , −i[ψ , v]
s→0
= [ϕ, u] , A[ψ, v] .
Diese Symmetrieeigenschaft überträgt sich auf alle Linearkombinationen von
Vektoren der Form [ϕ, u], [ψ, v] und damit auf D. 2
(d) Lemma. Der Operator A ist wesentlich selbstadjungiert.
Nach dem Kriterium § 24 : 2.2 (d) ist Kern (A∗ + i) = Kern (A∗ − i) = {0}
zu zeigen. Sei also v ∈ Kern (A∗ − i), d.h.. A∗ v = iv. Dann ergibt sich für
h := [ϕ, u] ∈ D mit Hilfe des Lemmas (c)
d
0 1 (c)
0 1
U (s)−1 U(s)−1
v , U (t)h = lim v , s U (t) h = lim v, s [ϕ, U (t) u]
dt s→0 s→0
(c) (c)
= v , −iA [ϕ, U (t) u] = − v , iAU (t) h = − A∗ v , iU (t) h
3.5 Aufgaben
Ê
(a) Impulsoperator und Translationsgruppe. Sei v ∈ 3, v = 1 und P u :=
Ê
−i ∇u , v für u ∈ S ( 3 ). Dann ergibt sich wie in 3.3 (c) ÜA
(b) Das Cauchy–Problem für den Operator u → −iu auf W01 ( +). Durch Ê
Ê
Au = −iu für u ∈ W01 ( + ) ist ein abgeschlossener und symmetrischer, aber
nicht selbstadjungierter Operator gegeben, vgl. § 23 : 6.3 (b). Nach dem Satz von
Stone kann das Cauchy–Problem
(i) Das Problem (∗∗) besitzt für t > 0 unendlich viele klassische Lösungen.
(ii) Für t < 0 ist die Lösung von (∗∗) durch Vorgabe von u eindeutig bestimmt;
für die Lösung fällt ut für t → −∞ monoton gegen Null.
(iii) Der Operator −A erzeugt eine Kontraktionshalbgruppe: Die Lösung des
Cauchy–Problems u̇t = iAut für t ≥ 0, u0 = u ist von der Form ut = V (t)u mit
V (s + t) = V (s)V (t) = V (t)V (s) für s, t ∈ Ê+,
4.1 Observable
(a) Zur Beschreibung eines quantenmechanischen Systems wird zunächst ein
Systemhilbertraum H zugrundegelegt; einfache Beispiele wurden in § 18 : 4.1
angegeben. Observable werden prinzipiell durch selbstadjungierte, i.A. unbe-
schränkte Operatoren A auf einem in H dichten Definitionsbereich D(A) be-
schrieben. Wir fassen im folgenden die Gründe hierfür zusammen.
(b) Warum unbeschränkte Operatoren?
Beschränkte Operatoren A, B können niemals die Heisenbergsche Vertausch-
ungsrelation AB −BA = −i½ erfüllen (§ 23 : 1.2). Ein unbeschränkter symmetri-
scher Operator kann nicht auf dem ganzen Hilbertraum definiert sein (§ 23 : 1.4).
(c) Warum selbstadjungierte Operatoren?
Die Deutung von u , Au als Erwartungswert und die Forderung nach reel-
len Erwartungswerten führen zunächst auf die Symmetrie von A (§ 21 : 3.6 (b)).
In 4.4 führen wir aus, dass das Spektrum einer Observablen die Menge der
möglichen Messwerte ist. Die Forderung nach reellen Messwerten führt nach
§ 24 : 1.2 auf selbstadjungierte Operatoren. Nicht jeder abgeschlossene symme-
trische Operator ist selbstadjungiert (§ 23 : 4.3, 6.3 (b)).
Der tiefere Grund, warum wir nur selbstadjungierte Operatoren betrachten, liegt
darin, dass sie die einzigen sind, welche unitäre Einparametergruppen erzeugen
(3.1 und 3.4). Für einen Hamilton–Operator H bedeutet dies, dass zu einem
gegebenen Anfangszustand | ϕ ϕ | mit ϕ ∈ D(H), ϕ = 1 das Schrödinger–
Problem
u̇t = −iHut , u0 = ϕ
eine eindeutig bestimmte, für alle Zeiten definierte Lösung t → ut besitzt, gege-
ben durch ut = U (t)u mit den unitären Abbildungen U (t) = e−itH . Wegen der
Gruppeneigenschaft der U (t) ist die Zeitentwicklung t → ut deterministisch,
d.h. jeder Zustandsvektor ut0 legt alle anderen ut fest. Da H mit allen U (t) ver-
tauscht, sind die Erwartungswerte konstant: ut , Hut = ϕ , Hϕ für t ∈ . Ê
(d) Quantisierung klassisch–mechanischer Observablen.
Ist ein System der klassischen Mechanik invariant unter einer Einparameter–
Untergruppe der Galilei–Gruppe, so besitzt es nach dem Noetherschen Satz
eine Erhaltungsgröße: Invarianz unter Zeitverschiebungen führt auf Erhaltung
der Gesamtenergie, Translationsinvarianz in einer Richtung bedeutet Erhaltung
der Impulskomponente in dieser Richtung, Rotationssymmetrie bezüglich einer
festen Achse bedeutet Erhaltung des Drehimpulses bezüglich dieser Achse usw.
Näheres hierzu in Band 3, § 4 : 3.4.
In speziellen Fällen ergibt sich die Quantisierung dieser Erhaltungsgröße aus
einer Darstellung der Einparametergruppe auf dem Systemhilbertraum. Wir
betrachten den einfachsten Fall eines spinlosen Teilchens im Raum unter dem
Einfluß eines Potentials und setzen die Invarianz des Systems unter einer räum-
724 § 25 Der Spektralsatz und der Satz von Stone
Ê
lichen Einparametergruppe {τt | t ∈ } voraus, wobei jede der Transforma-
tionen τt zu SO3 gehört. Die zugehörige klassische Erhaltungsgröße sei a. Nach
dem Transformationssatz für Integrale ist durch
(U (t)u)(x) := u(τt−1 (x))
Ê
eine stark stetige Einparametergruppe unitärer Operatoren auf L2 ( 3 ) gegeben,
und wir ordnen der klassischen Observablen a den nach 3.4 beschriebenen selbst-
adjungierten Operator A mit U (t) = e−itA zu, vgl. 3.3 (c) sowie 3.5 (a),(c). Diese
Betrachtungen lassen sich leicht auf ein N –Teilchen–System mit Systemhilber-
Ê
traum 3N übertragen. Genaueres zur kanonischen Quantisierung klassisch–
mechanischer Observablen finden Sie in Mackey [137] 2-3, 2-4 und in Primas
[139] 3.3.
(e) Orthogonalprojektoren.
Einem Ja/Nein–Experiment wird ein symmetrischer Operator P ∈ L (H ) mit
P 2 = P zugeordnet. Jedem Vektor ϕ ∈ H mit ϕ = 1 entpricht dabei eine
Bernoulli–Verteilung mit Erfolgswahrscheinlichkeit P ϕ2 , vgl. § 22 : 2.2.
Von besonderer Wichtigkeit sind die einem selbstadjungierten Operator A und
den Intervallen I = ]a, b] zugeordneten Spektralprojektoren PI = χI (A), vgl.
1.3 (b). Wir interpretieren PI ϕ2 als Wahrscheinlichkeit, dass die Messwerte
der Observablen A im Zustand | ϕ ϕ | (siehe 4.2) ins Intervall I fallen.
Jeder selbstadjungierte Operator A lässt sich nach dem Spektralzerlegungssatz
1.4 mit Hilfe der Spektralprojektoren Pn = χ]n,n+1] (A) in beschränkte Anteile
Pn APn zerlegen.
(f) Funktionalkalkül.
Ê Ê
Für Observable A und messbare Funktionen f : → wurde in 1.5 ein selbst-
adjungierter Operator f (A) definiert. Wir deuten f (A) als diejenige Observable,
die den Messwerten x für A jeweils den Wert f (x) zuordnet (indirekte Messung
oder Umskalierung der Messwerte).
4.2 Zustände
(a) Der Zustand eines quantenmechanischen Systems mit Systemhilbertraum
H wird durch einen Dichteoperator
W = pk | ϕk ϕk |
k
(b) Legen wir die Interpretation 4.1 (d) des Funktionalkalküls zugrunde, so
ist diese Deutung des Spektralmaßes zwangsläufig! Bezeichnen wir nämlich für
einen Zustand | ϕ ϕ | die zu A gehörige Verteilung der Beobachtungswerte mit
μϕ , die zu f (A) gehörige Verteilung mit νϕ , so muss nach der Interpretation
4.1 (d) gelten
Ê
d.h. νϕ ist das Bildmaß von μϕ unter f . Für f ∈ Cb ( ) folgt nach dem Trans-
formationssatz für Bildmaße § 20 : 6.4 und dem Spektralsatz 1.8
E(νϕ ) = f dμϕ = ϕ , f (A)ϕ ,
Ê
und nach 1.8 (a) ist μϕ hierdurch eindeutig bestimmt.
(c) Die Verteilung μW der Beobachtungswerte für A im gemischten Zustand
W = pk | ϕk ϕk |
k
Diese Formel gestattet die Charakterisierung von μW ohne Rückgriff auf die
Darstellung von W .
Gehören alle ϕk zum Definitionsbereich von A, so gilt ÜA
E(μW ) = tr (AW ) = pk E(μϕk ) , V (μW ) = pk V (μϕk ) .
k k
726 § 25 Der Spektralsatz und der Satz von Stone
(b) Satz. Genau dann gilt λ ∈ σ(A), wenn es einen Zustand W gibt mit
Beweis.
Ê
(i) Wir fixieren ein λ ∈ . Für ε > 0 sei Pε := Eλ+ε − Eλ−ε der Ortho-
gonalprojektor auf den zum Intervall Iε = ]λ − ε, λ + ε] gehörigen spektralen
Teilraum H ε = Bild Pε , vgl. 1.7 (b) (v).
(ii) Im Fall λ ∈ σ(A) gibt es wegen σ(A) = σ(A) ein ε > 0 mit σ(A) ∩ Iε = ∅.
Nach 1.3 (b) folgt H ε = {0}, Pε = 0 und somit μϕ (Iε ) = ϕ , Pε ϕ = 0 für
ϕ = 1. Es folgt μW (Iε ) = 0 für jeden Dichteoperator W .
(iii) Im Fall λ ∈ σ(A) gilt Pε = 0 für jedes ε > 0. Dies gilt nach § 22 : 1.5 für
jede Einschränkung AI von A auf einen spektralen Teilraum und daher wegen
1.3 (b) auch für A selbst. Für jeden Zustandsvektor ϕ (ϕ = 1) in H ε ist
Pε ϕ = ϕ, also
μϕ (]λ − ε, λ + ε]) = ϕ , Pε ϕ = ϕ , ϕ = 1 ,
Nach 4.3 (c) ist μW (Im ) = tr (Pm W ). Mit der Parsevalschen Gleichung für
vollständige ONS ϕ1 , ϕ2 , . . . folgt
4 Hilbertraumtheorie und Quantenmechanik 727
∞
∞
tr (Pm W ) = vn , ϕk Pm ϕk , vn
k=1 n=1
∞ ∞
= vn , ϕk Pm vn , ϕk
n=1 k=1
∞
= vn , Pm vn
n=1
m−1
∞
∞
= vn , Pm vn + vn 2 ≥ 2−n > 0
n=1 n=m n=m
/W
also V (μW ) = 0 genau dann, wenn mit λ := μ
pk > 0 ⇐⇒ Aϕk = λϕk .
Ist λ ein einfacher Eigenwert von A, so ist W ein Bindungszustand ( = Eigen-
zustand).
(b) Ist ein Spektralwert λ von A kein Eigenwert, so gibt es nach 4.4 (b) (ii)
zu jedem ε > 0 einen Vektorzustand | ϕ ϕ | mit μϕ (]λ − ε, λ + ε]) = 1, also
E(μϕ ) ∈ ]λ − ε, λ + ε] und V (μϕ ) < 2ε.
Ê
von B vertauschen: Eλ (A)Eμ (B) = Eμ (B)Eλ (A) für alle λ, μ ∈ . Daraus folgt
wiederum die Existenz einer Observablen C und zweier messbarer Funktionen
Ê Ê
f, g : → mit A = f (C), B = g(C), vgl. Riesz–Nagy [131] 130.
Zu jedem symmetrischen Operator A ∈ L (H ) gibt es im Fall dim H ≥ 2
einen symmetrischen Operator B ∈ L (H ) mit AB = BA ÜA .
Die neuere Quantenmechanik bedient sich der Theorie der C*–Algebren. Hierfür
ist die in diesem Kapitel entwickelte Operatorentheorie ein Grundbaustein, nicht
zuletzt weil wichtige Observablenalgebren Darstellungen als Unteralgebren ei-
nes passenden L (H ) besitzen. In echten Unteralgebren A von L (H ) kann es
Operatoren geben, die mit A vertauschen; somit leuchtet ein, dass die Berück-
sichtigung von Superauswahlregeln und die entsprechende Einschränkung der
zulässigen Observablenmenge die Einbeziehung makroskopischer Observabler
ermöglicht. Für den operatoralgebraischen Zugang zur Quantenmechanik ver-
weisen wir auf Primas [139] Ch. 4.
Namen und Lebensdaten
d’Alembert, Jean Baptiste Le Rond Fermat, Pierre de (1607–1665)
(1717–1783) Fourier, Jean Baptiste Joseph
Alhazen (Ibn Al–Haytham) (1768–1830)
(965–1040?) Fredholm, Erik Ivar (1866–1927)
Banach, Stefan (1892–1945)
Friedrichs, Kurt Otto (1901–1982)
Bendixson, Ivar (1861–1935)
Frobenius, Kurt Otto Georg
Bernoulli, Jakob (1655–1705) (1849–1917)
Bernoulli, Johann (1667–1748) Fubini, Guido (1879–1943)
Bernoulli, Daniel (1700–1782) Gauss, Carl Friedrich (1777–1855)
Bessel, Friedrich Wilhelm Green, George (1793–1841)
(1784–1846)
Gronwall, Thomas Hakon
Borel, Emile (1871–1956) (1877–1932)
Born, Max (1882–1970) Hadamard, Jacques (1865–1963)
Browder, Felix, E. (*1927) Hamilton, Sir William Rowan
Carathéodory, Constantin (1805–1865)
(1873–1950) Hankel, Hermann (1839–1873)
Cauchy, Augustin–Louis (1789–1857) Heaviside, Oliver (1850–1925)
Christoffel, Elwin Bruno Heisenberg, Werner (1901–1976)
(1829–1900)
Hellinger, Ernst (1883–1950)
Clairaut, Alexis Claude (1717–1765)
Hermite, Charles (1822–1901)
Courant, Richard (1888–1972)
Hilbert, David (1862–1943)
Darboux, Jean Gaston (1842–1917)
Hölder, Otto (1859–1937)
Dirac, Paul Adrien Maurice
(1902–1984) Hopf, Eberhard (1902–1983)
Dirichlet, Gustav Peter Lejeune Hugoniot, Pierre Henri (1851–1887)
(1805–1859) Huygens, Christiaan (1629–1695)
du Bois–Reymond, Paul (1831–1889) Jacobi, Carl Gustav (1804–1851)
Duhamel, Jean Marie Constant Jordan, Pascual (1902–1980)
(1797–1872)
Kato, Tosio (1917–1999)
Einstein, Albert (1879–1955)
Kelvin (Thomson), Lord William
Euler, Leonard (1707–1783) (1824–1907)
Faraday, Michael (1791–1867) Kolmogorow, Andrej Nikolajewitsch
Fischer, Ernst (1875–1959) (1903–1987)
Weiterführende Werke
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Geschichte
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chungen und Variationsrechnung. Ein Jahrhundert Mathematik 1890–1990,
Festschrift zum Jubiläum der DMV. (Fischer, Hirzebruch, Scharlau, Törnig,
Hrsg.), pp.149–230. Vieweg 1990.
[193] Burkhardt, H.: Entwicklungen nach oscillierenden Functionen und Integration
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[194] Burkhardt, H., Meyer, W.F.: Potentialtheorie. Encykl. der Math. Wiss.
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Literaturverzeichnis 743
Handbücher, Tabellenwerke
[203] Abramovitz, M., Stegun, I.A. (Eds.): Handbook of Mathematical Functions.
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[205] Erdelyi, A., Magnus, W., Oberhettinger, F., Tricomi, F.G.: Higher Tran-
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1981.
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Acad. Press 1994.
[207] Jahnke, E., Emde, F., Lösch, F.: Tafeln höherer Funktionen. Teubner 1966.
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Special Functions of Mathematical Physics. Springer 1966.
[210] Zeidler, E. (Hrsg.): Springer–Taschenbuch der Mathematik. Springer 2013.
Symbole und Abkürzungen
DG, 28 Ã
2 , 2 ( ), 223
AWP, 28, 401, 429 20 , 224
Dy f , 30 U ⊥ , 225
Lip , 31 U ⊥⊥ , 226, 228
ϕ(x, ξ, η ), 37 V ⊕ W , 227
J(ξ, η ), 37 supp u, 242
t → ϕ(t, η ), 40 Ckc (Ω), C∞
c (Ω), 242
J(η ), 40 u ∗ v (Faltung), 244
Y (x, ξ), 55 Ta M (Tangentialraum), 264
etA , 58 Ck (M ), 264
p(T ), 60 Am (M ), Am (K), 267
L (V ), 60 L∗ , 275, 277
Æ0, 75 C1n (Ω), 277
P , Pm (Legendre–Funktionen), 88 /
u(x), 286
Ln , Lm
n (Laguerre–Polynome), 91 Pk , Qk , 287
Jν , J−ν (Bessel–Funktionen), 94 Ê
S = S ( n ), 292
D , D , 307
(1) (2)
Hν , Hν (Hankel–Funktionen), 95
Nν , Yν (Neumann–Funktionen), 95 δ, δa (Dirac–Distribution), 307
(λ)n , 95 ∂ α T (Distributionen), 312
S
J(η ), 98 ϕk −→ ϕ, 319
ϕ(t, η ), 98 Ê
S = S ( n ), 319
Ωf , 98 T/, 322
∂f V (x), 121 Γx , 330
Ck (Ω), 133, 255 C1g (Ω), 359
PC [a, b], 139 ∂i u, 362
PC1 [a, b], 139 W1 (Ω), W1 (I), 362, 368
∇x , ∇z , ∇p , ∇q , 184 W01 (Ω), 363
f.ü., 204, 523, 530 H1 (Ω), 366
L1 (Ω), 207, 530 H10 (Ω), 366
L2 (Ω), 212 Wk (Ω), 367
L2 (Ω), 213 →, 369
Lp (Ω), 215, 242 jν,k (Nullstellen der Besselfunkt.), 385
u∞ , 217, 583 ΔS 2 , ΔM , 390, 393
L∞ (Ω), 217, 242 Y m (Kugelfunktionen), 397
L1loc (Ω), 217, 242 H (Wärmeleitungsoperator), 401
H , 221, 547 ARWP, 401, 430
Umgebung Zerlegungssatz
charakteristische, 175 für Hilberträume, 227
Umkehrsatz (Fouriertransformation), 292, Minimalpolynom, 62
294, 296 Zufallsgröße
unitär äquivalente Operatoren, 222, 614 diskret verteilte, 480
unitäre Abbildung, 221 allgemeine, 504, 536
unitäre Gruppe, 468, 587, 685 Zufallsvariable, 536
unitärer Isomorphismus, 222 Zustand, 466, 472, 724
unitare Gruppe, 715 Zustandsvektor, 472
Ê
Untermannigfaltigkeiten des n , 257 zwiebelweise Integration, 270
zyklischer Teilraum, 608
Varianz, 486, 535, 706, 708 zyklischer Vektor, 606
Variation der Konstanten, 57
Variationsgleichung, 48