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Fritz W.

Bopp

Kerne, Hadronen und


Elementarteilchen
Eine kurze Einführung
2. Auflage
Kerne, Hadronen und Elementarteilchen
Fritz W. Bopp

Kerne, Hadronen und


Elementarteilchen
Eine kurze Einführung

2. Auflage
Prof. Dr. Fritz W. Bopp
Universität Siegen
Siegen, Deutschland

ISBN 978-3-662-43666-0 ISBN 978-3-662-43667-7 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-662-43667-7

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rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
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benutzt werden dürften.

Planung und Lektorat: Dr. Vera Spillner, Sabine Bartels


Redaktion: Dr. Michael Zillgit

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Vorwort

Eine der bedeutenden Entwicklungen in der Physik ist das zunehmende Verständnis
subatomarer Phänomene. Die subatomare Physik gehört heute zu den kanonischen
Teilen eines Physikstudiums. An vielen Hochschulen wird daher dazu eine einfüh-
rende Vorlesung angeboten. Die erste Auflage entstand aus einem Skript zu solchen
Vorlesungen.
Die subatomare Physik hat sich seit der ersten Auflage deutlich verändert. Da ich
das Konzept des Buches nach wie vor für gut halte, habe ich mich zu einer neuen
Auflage entschieden.
Viele Lehrbücher und Vorlesungen in Kern- und Teilchen-Physik versuchen,
Studenten in eine bestimmte Richtung zu motivieren. Dies ist sicherlich in einem
fortgeschrittenen Stadium des Studiums angebracht. Im Bachelor Bereich kann dies
zu einer nicht ausreichend breiten Ausbildung führen, und das Buch versucht, dem
entgegenzuwirken.
Wie physikalische Phänomene zu beschreiben sind, hängt von der jeweils rele-
vanten Energieskala ab. Im Buch wird für jede Skala eine knappe Einführung in die
jeweils benötigte Beschreibung gegeben. Auf diese Weise wird Gleichmäßigkeit
erreicht, und es wird vermieden, Gebieten falsche Prioritäten einzuräumen.
Die Liste der inzwischen erforderlichen Veränderungen ist lang, und ich möch-
te hier nur einige Punkte anführen. Das Kapitel über Hochenergiebeschleuniger
ist veraltet, viele der damals geplanten Beschleuniger wurden nicht realisiert. Die
realisierten neuen Beschleuniger öffneten neue Regionen in der Hadronen- und
Schwerionenphysik und viele neue Beobachtungen und Konzepte sind dazu anzu-
führen. Wie Quarks sich zu Hadronen binden, ist heute besser verstanden und erfor-
dert eine ausführlichere Diskussion. Erwähnt werden muss auch, dass der Anwen-
dungsbereich der perturbativen Quantenchromodynamik in verschiedenen Richtun-
gen mit neuen Methoden erweitert werden konnte.
Der eigentliche Anlass der Neuauflage ist der experimentelle Nachweis des
Higgs-Teilchens, das natürlich nun ausführlich behandelt werden muss.

V
VI Vorwort

Eine sorgfältige Überarbeitung der neuen Auflage führte zu einer sehr großen
Zahl von Korrekturen und kleineren Verbesserungen. Dabei muss ich mich für viele
nützliche Hinweise und Anregungen bedanken. Da die Zahl über die Jahre zu groß
geworden ist, kann ich dies nicht namentlich tun.

Siegen, März 2014 Fritz W. Bopp


Der Autor

Prof. Dr. Fritz W. Bopp


Geboren 1945 in Hechingen, Studium an der Universität München, der Univer-
sity of Arizona und der University of Illinois. Promotion 1973 an der University
of Illinois. Wissenschaftliche Tätigkeit an den Universitäten Bielefeld und Siegen.
Habilitation 1978 an der Universität Siegen. Seit 1983 Professor an der Universi-
tät Siegen. Zahlreiche Forschungsaufenthalte an den Forschungszentren CERN in
Genf, LAPP in Annecy und LPTHE in Orsay, und den Universitäten Leipzig und
Houston (UH).

VII
Inhaltsverzeichnis

1 Gliederung nach der typischen Skala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2 Einführung in die Kernphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7


2.1 Kurze historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.2.1 Zusammensetzung der Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.2.2 Geometrie der Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.2.3 Kernmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.2.4 Zwei-Nukleonen-Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.3 Modelle der Kernstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.3.1 Semi-empirische Beschreibung der Bindungsenergie von
Kernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.3.2 Das Thomas-Fermi-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.3.3 Das Schalenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.3.4 Kurze Betrachtung der Kernmomente . . . . . . . . . . . . . 46
2.3.5 Kollektives Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.3.6 Cluster- und ˛-Teilchen-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.3.7 Möglichkeiten, Modelle an besonderen Kernen zu testen . . 55
2.4 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.4.1 Mittlere Lebensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.4.2 Das exponentielle Zerfallsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.4.3 Einheiten für die Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.4.4 Der -Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.4.5 Der ˇ-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
2.4.6 Der ˛-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.4.7 Zerfall durch Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess . . . . . . . . . . . . . 82
2.5.1 Definition von Luminosität und Wirkungsquerschnitt . . . . 82
2.5.2 Streuamplitude und Partialwellenanalyse . . . . . . . . . . . 88
2.5.3 Das Optische Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
2.5.4 Die Struktur von Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

IX
X Inhaltsverzeichnis

2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) . . . . . . . . . . . . . 95


2.6.1 Compound-Kern-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
2.6.2 Das Optische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse . . . . . . . . . . . 100
2.7.1 Konzepte der Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
2.7.2 Konzepte der Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
2.7.3 Die Entstehung der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

3 Einführung in die Hadronenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113


3.1 „Zoologie“ der Hadronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
3.1.1 Die Hadronen der Kernphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
3.1.2 Beschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
3.1.3 Pion-Nukleon-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
3.1.4 Hadronische Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
3.1.5 Flavor-Quantenzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
3.1.6 Quantenzahlen diskreter Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . 134
3.1.7 Farbstruktur der Hadronlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
3.1.8 Mesonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
3.1.9 Baryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
3.1.10 Tetraquarks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
3.1.11 Eigenschaften der Quark-Bindung . . . . . . . . . . . . . . . 148
3.2 Hadronische Streuvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
3.2.1 Regge-Pol-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
3.2.2 Topologische Betrachtungen und Pomeranchuk-Pol . . . . . 168
3.2.3 Hochenergetische Teilchenproduktion (Teilchenstreuung) . 174
3.2.4 Hochenergetische Teilchenproduktion (Schwerionenstreu-
ung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik . . . . . . . . . . . . 193


4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik . . . . . . . . . . . 194
4.1.1 Die Klein-Gordon-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
4.1.2 Die Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
4.1.3 Einige Fakten der relativistischen Störungsrechnung . . . . 199
4.1.4 Ein zentraler Aspekt beim Pfadintegral . . . . . . . . . . . . . 202
4.1.5 Feynman-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
4.1.6 Elektron-Positron-Vernichtung in Myonen . . . . . . . . . . 206
4.1.7 Wichtige Querschnitte in der QED . . . . . . . . . . . . . . . 210
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik . . . . . . . . . . . . . . 217
4.2.1 Die Farbstruktur der Quantenchromodynamik . . . . . . . . 220
4.2.2 Die Annihilation von e C e  zu Quarks . . . . . . . . . . . . . 224
4.2.3 Tiefinelastische Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.2.4 Drell-Yan-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
4.2.5 Hadronische Streuungen mit großen Transversalimpulsen . 235
4.2.6 Quantenchromodynamik und „weiche“ Wechselwirkungen 236
Inhaltsverzeichnis XI

5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen . . . . . . . . . . . . 245


5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
5.1.1 Grundlegende experimentelle Beobachtungen . . . . . . . . 246
5.1.2 Die Wechselwirkung mit geladenen Strömen . . . . . . . . . 247
5.1.3 Das neutrale Kaon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
5.1.4 CP-Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
5.1.5 Die Wechselwirkung mit neutralen Strömen . . . . . . . . . 258
5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
5.2.1 Das schwache Vektorboson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
5.2.2 Die Symmetriestruktur der elektroschwachen Wechselwir-
kung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
5.2.3 Der Nachweis der schwachen Vektorbosonen . . . . . . . . . 264

6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen . . . . . . . . . . . . . . . 269


6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen . . . . . . . . 269
6.1.1 Welche Felder werden mindestens benötigt? . . . . . . . . . 269
6.1.2 Die spontane Symmetriebrechung des Higgs-Feldes . . . . 271
6.1.3 Die Higgs-Massen der schwachen Vektormesonen . . . . . . 273
6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
6.2.1 Der ATLAS-Detektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
6.2.2 Ein Beispiel für ein Higgs-Signal . . . . . . . . . . . . . . . . 278
6.3 Das Higgs-Boson und die Massen der Fermionen . . . . . . . . . . . 279
6.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-Bosonen Masse-Skala 280
6.4.1 Was bestimmt die Massenskala des Higgs-Teilchens? . . . . 281
6.4.2 Kann die Physik bei kleineren Skalen symmetrischer
werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Gliederung nach der typischen Skala
1

Die Kern- und Elementarteilchenphysik umfasst ein recht umfangreiches Gebiet.


Um es in einen geeigneten Zusammenhang zu stellen und zu untergliedern, begin-
nen wir mit einer Art von allgemeiner Klassifikation aller physikalischen Phänome-
ne. Diese universelle Einteilung soll nach der typischen Längenskala geschehen, in
der die jeweiligen Effekte in Erscheinung treten. Je nach Längenskala, die für die
beobachteten Phänomene typisch ist, sind andere physikalische Gesetze relevant.
Das klassische Beispiel hierfür ist das Verhalten eines Gases. Die im Zentimeterbe-
reich auftretenden Phänomene werden hier durch die makroskopische Thermody-
namik beschrieben, während im Ångströmbereich die mikroskopische Theorie der
Streuung von Molekülen ihre Anwendung findet. Dass bei anderen Längenskalen
andere Gesetze zum Tragen kommen, ist (mit wenigen Ausnahmen) typisch für alle
physikalischen Phänomene. Es ermöglicht daher eine natürliche Klassifikation.
Um eine Skaleneinteilung universell anzuwenden, ohne von der Notation ab-
gelenkt zu werden, benutzen wir für die augenblickliche Betrachtung die in der
Hochenergiephysik oft gebrauchte Konvention der sogenannten natürlichen Zeit-
und Längen-einheiten, die sich aus den folgenden Definitionen ergeben:

Plancksche Konstante=2 D „ D 6;58  1022 MeV  s D


b1;
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum D c D 3  108 m=s D
b1:

Der Gebrauch der natürlichen Einheiten ist für praktische Rechnungen oft nicht
vorteilhaft. Man kommt nicht umhin, sich die jeweils üblichen Bezeichnungen an-
zueignen, weil es z. B. nicht sehr nützlich ist, zu wissen, wieviel .eV/2 Leistung ein
Auto hat. Wir werden daher in den Gebieten, in denen es in der Literatur üblich ist,
auf das „ und das c nicht verzichten.
Die Konvention drückt die Zeit- und die Längeneinheit durch das Inverse der
Energieeinheit
1 eV D 1;6  1019 J

F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_1, 1


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2 1 Gliederung nach der typischen Skala

aus. Sie ersetzt die in der Atom- und Kernphysik üblichen Längenskalen des
Ångströms (0; 1 Nanometer) und des Femtometers („Fermi“)

1 Å D 1010 m ;

1 fm D 1015 m ;
durch inverse Energieeinheiten

b .1;973 keV/1 ;
1Å D

b .197;3 MeV/1 ;
1 fm D
wobei, wie wahrscheinlich gut bekannt, Zehnerpotenzen durch entsprechende
Buchstaben ausgedrückt werden:

keV D 103 eV ; MeV D 106 eV ; GeV D 109 eV ;


TeV D 1012 eV ; PeV D 1015 eV ; EeV D 1018 eV :

Die Einheiten werden meist einfach buchstabiert. Die vollen Namen sind

Kiloelektronenvolt ; Megaelektronenvolt ; Gigaelektronenvolt ;


Teraelektronenvolt ; Petaelektronenvolt ; Exaelektronenvolt :

Da das eV eine recht kleine Einheit ist, sind die Bezeichnungen für negative Zeh-
nerpotenzen eigentlich nur für andere Maße, wie

mm D 103 m ; m D 106 m ; nm D 109 m ;


pm D 1012 m ; fm D 1015 m ; am D 1018 m ;

üblich. Ausgeschrieben sind die Namen

Millimeter ; Mikrometer ; Nanometer ;


Pikometer ; Femtometer ; Attometer :

Unsere Längenskala mit dieser Umrechnung auf die typischen Zeitspannen und
auf die typischen Energien auszudehnen, ist physikalisch sinnvoll. Ein Objekt der
Größe x erfordert eine minimale Reaktionszeit

t D x=c ;

da die Information, dass eine Reaktion stattfindet, nicht schneller übertragen werden
kann. Wegen der quantenmechanischen Unschärferelation

t D „=E
1 Gliederung nach der typischen Skala 3

Physik des Kosmos seit dem Urknall


10 Milliarden
Lichtjahre
Physik galaktischer Cluster
Millionen
Lichtjahre
Physik der Galaxien
104 Lichtjahre
= 1020 m
Physik des Sonnensystems
1012 m

Alltagsphysik
1m

Chemie
10−6 m

Atomphysik
1 Å = 10−10 m

Kernphysik
1 fm = 10−15 m

1 Hadronenphysik
= 2 · 10−16 m
1 GeV

1 Leptonen- und
10 GeV Partonenphysik

1 Physik der
100 GeV schwachen Bosonen
und des Higgs-Bosons

?
Abb. 1.1 Universelle Klassifikation

ist ein bestimmter Energiebereich – und damit ein gewisser Absolutwert der Ener-
gie – notwendig, um entsprechend kurzzeitige oder lokale Effekte aufzulösen und
wahrzunehmen. In der Praxis treten natürlich oft verschiedene Skalen auf, von de-
nen allerdings in der Regel nur eine für den betrachteten Effekt relevant ist. Ein
fast stabiler Kern erfordert eine kleine Längen- und eine fast unendliche Zeitska-
la. Solange die Zerfallszeit groß (oder gar unendlich) ist, ist für die Beschreibung
der Kernstruktur die Längenskala, die in etwa der potenziellen Energie entspricht,
typisch.
Nachdem wir mit der obigen Konvention eine universelle Skala eingeführt ha-
ben, die es gestattet, die räumliche, zeitliche und energetische Situation von Vor-
gängen zu berücksichtigen, können wir mit unserer universellen Klassifikation be-
ginnen. Nehmen wir dazu eine enge, in etwa logarithmische Skala und zeichnen die
4 1 Gliederung nach der typischen Skala

verschiedenen Gebiete an der entsprechenden Stelle ein. Objekte aus dem unmit-
telbaren Umfeld des Menschen werden ihrer Größenordnung nach im Bereich von
Dezimeter bis Meter anzuführen sein, was bei der Enge der Skala ausreichend prä-
zise ist. Im makroskopischen Bereich bestimmt die beobachtete Längenausdehnung
meist die typische Skala, während im mikroskopischen Bereich die Position in der
Skala durch die Energie festgelegt wird.
Hat man die wichtigsten Gebiete eingezeichnet, erhält man etwa eine Darstel-
lung wie in Abb. 1.1. In der Abbildung sind aus grafischen Gründen die Abstände
in Richtung großer Längeneinheiten für eine logarithmische Skala etwas zu eng ge-
zeichnet. Auch sind Kern- und Hadronenphysik etwas zu weit auseinander geraten.
Die Abbildung umfasst ein recht weites Gebiet. Die Skala erstreckt sich von den
kleinsten zu den größten bekannten Dingen. Das Verständnis der Phänomene, die
in der Zeichnung schematisch klassifiziert wurden, ist eine bedeutende kulturelle
Leistung unseres Zeitalters [1]. Man ist dabei viele Stufen über die vergleichswei-
se spekulativen oder definitorischen Vorstellungen der Antike und des Mittelalters
hinausgekommen.
In die Abbildung sind nur Gebiete aufgenommen, von denen man annimmt, dass
sie in ihren grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten bekannt sind. Es ist möglich, dass
man mit den theoretischen Überlegungen an beiden Enden schon dicht an Gren-
zen ist, die man nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten überwinden kann.
Verantwortlich für diese Schwierigkeiten ist die Gravitation.
Verlässt man die Skala in Richtung großer Abstände, wird man zu Phänomenen
kommen, für die die von der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Krüm-
mung des Raumes wichtig wird. Durch die Masse des Universums gibt es einen
Horizont, der die prinzipiell zugängliche Information begrenzt.
Krümmungseffekte treten auch am anderen Ende bei sehr winzigen Abständen
auf. Betrachten wir dazu zunächst das elektrodynamische Potenzial als Beispiel
für eine typische Wechselwirkung ohne eigene Skala. In natürlichen Einheiten ent-
spricht das Ladungsquadrat abgesehen von einem Faktor der dimensionslosen Fe-
instrukturkonstanten (˛ D .e 2 /=.4/  1=137). Als Dimensionsgrößen verbleiben
damit in der Schrödinger-Gleichung der dimensionslosen Wellenfunktion m3=2
 2 !
„ d2 Z  e2  3=2  E  3=2 
  m D m
2 d.mr/ mjrj m

nur m  r und E=m auf. Für „ D 1 müssen sie für gebundene Zustände jeweils von
der Größenordnung 1 sein. Die Faktoren selber können dabei beliebig variieren.
Das Gravitationspotenzial

Potenzielle Energie D G  m1  m2 =r

hat eine Singularität bei r D 0. Quantenmechanisch erfordert eine Lokalisierung


mit dem typischen Radius r meist eine Masse der Ordnung 1=r, d. h. mit zunehmen-
der Masse können die Teilchen dichter und dichter an die Singularität des Potenzials
1 Gliederung nach der typischen Skala 5

herankommen. Insgesamt steigt das Gravitationspotenzial daher mit der dritten Po-
tenz der Massen bzw. der Lokalisierung. Für sehr große Massen wird die potenzielle
Energie des Gravitationspotenzials dieselbe Größenordnung wie die Massen haben.
Berechnet man die Masse, für die dies exakt der Fall ist, so erhält man die Planck-
Masse
b G 1=2 D 1;2  1028 eV :
mPlanck D
Das Gebiet mit einer Längenskala, die dieser Planck-Masse entspricht, wird oft
als eine Art „Schallmauer“ für das physikalische Verstehen angesehen, die nur
schwer zu durchbrechen sein wird. Die Masse eines Zustands ist meist eng mit
seiner Dynamik verknüpft. Im Gebiet der Planck-Masse sollte die Gravitation da-
her eine mit der restlichen Dynamik vergleichbare Rolle spielen. Die Gravitation ist
mit einer inhomogenen Struktur des Raumes verknüpft; man erwartet ein kompli-
ziertes Zusammenspiel von Teilchenfeldern und Raumstrukturen, das die üblichen
Betrachtungsweisen unmöglich macht. Es ist nicht klar, ob diese „Schallmauer“
wirklich völlig unüberwindbar ist. Es gibt Versuche in der Teilchenphysik und der
Kosmologie [2], selbstkonsistente Theorien für dieses Gebiet zu finden.
Die in gewissem Sinne prinzipiellen Grenzen der Gravitation sind noch nicht
erreicht. Betrachten wir die Situation am unteren Ende unserer Skala. Mit der soge-
nannten Theorie der Großen Vereinheitlichung (englisch Grand Unification) gibt
es recht naheliegende Extrapolationen bekannter Gebiete, die mit nur wenigen,
relativ harmlosen konzeptuellen Schwierigkeiten zu einem grundsätzlichen Ver-
ständnis beinahe bis in die Gegend der Planck-Masse führen würden. Unglückli-
cherweise hat sich eine wichtige Vorhersage dieser Theorien, der Protonenzerfall,
experimentell nicht bestätigt. Es kann sein, dass ein solcher Durchbruch mit einer
modifizierten Theorie gelingt und dass die „Theory of Everything“ in den nächs-
ten Jahrzehnten gefunden wird. Pessimisten sind allerdings der Ansicht, dass uns
im Bereich der kleinen Abstände noch viele Überraschungen und neue Erkenntnis-
se erwarten und dass es unwahrscheinlich ist, dass plötzlich Sprünge über beinahe
zwanzig Dekaden gelingen könnten. Nach ihrer Ansicht kann man wie bisher dann
mit mehr oder weniger großem Aufwand Dekade um Dekade zu kürzeren Ab-
ständen vordringen und dabei jeweils die Gültigkeit existierender Konzepte etwas
ausdehnen oder neuartige Gebiete der Physik erschließen. Dies ist kein unbedeuten-
des Unterfangen. Da die kurzreichweitige Theorie die Grundlage für die weniger
kurzreichweitige Theorie darstellt, bedeutet dies, dass das Verständnis der Welt
nach und nach in wirklich grundlegender Weise erweitert wird.
Dieses Buch soll in die Gebiete, die auf der Skala unterhalb der Atomphysik
liegen, einführen, und die Gliederung des Stoffes folgt der Skaleneinteilung. Unsere
Reise in den Mikrokosmos wird daher mit der Kernphysik beginnen und uns dann
zur Hochenergiephysik führen.
Der Kernphysik-Teil behandelt zunächst Eigenschaften, die für ruhende Kerne
relevant sind, und betrachtet dann Streuvorgänge von Kernen. Er schließt mit einem
Abschnitt über kernphysikalische Prozesse, die in anderem Zusammenhang wichtig
sind.
6 1 Gliederung nach der typischen Skala

Die Untergliederung der Teilchenphysik in drei Teile, in die Physik der Hadro-
nen, in die Physik der Leptonen und Partonen und in die Physik der schwachen Bo-
sonen, folgt wiederum der typischen Skala. Da die Elektrodynamik, die der Physik
der Leptonen zugrundeliegt, über einen weiten Bereich gilt, ist es etwas schwie-
rig, ihr eine Skala zuzuordnen. Der angegebene Skalenbereich ist so gewählt, dass
dort ihre Wirkungsquerschnitte in Relation zu deren anderer Prozesse eine beson-
ders große Rolle spielen. Jedes der drei Teilgebiete erfordert dann seine eigenen
spezifischen Methoden.
Ähnlich wie in der Kernphysik bemüht man sich in der Hadronenphysik um
eine globale, phänomenologische Beschreibung hadronischer Wechselwirkungen,
die sich im Augenblick nicht aus einer mikroskopischen Theorie ableiten lässt. Eine
mikroskopische Beschreibung, d. h. eine Beschreibung aus der Physik der Partonen,
ist nur in Randgebieten mit mehr oder weniger groben Approximationen möglich.
Die Physik der Leptonen und Partonen enthält die Effekte der „elektromagne-
tischen Wechselwirkung“ und der „starken Wechselwirkung“, soweit diese analog
zur elektromagnetischen Wechselwirkung behandelbar sind. Ihr liegen Quanten-
feldtheorien mit masselosen Eichteilchen zugrunde. Außerhalb von engen kine-
matischen Gebieten und abgesehen von gewissen theoretischen Problemen ist sie
störungstheoretischen Methoden zugänglich. Allerdings sind die Rechnungen oft
sehr kompliziert. Dieses Buch muss sich darauf beschränken, typische Methoden
vorzustellen und die wichtigsten Ergebnisse anzuführen. Um dies zu tun, wird ein
besonders einfaches Beispiel für eine solche Rechnung explizit vorgeführt.
Die Physik der schwachen Bosonen enthält die Effekte der sogenannten „schwa-
chen Wechselwirkung“. Ihr liegt, wie wir im Abschn. 5.2 sehen werden, eine Quan-
tenfeldtheorie mit massiven Eichteilchen zugrunde. Die Masse der Eichteilchen
verändert die Situation recht drastisch.
Um die Massen dieser schwachen Eichfelder zu erklären, muss man Higgs-Bo-
sonen einführen. Die Physik dieses Teilchens wird im sechsten Kapitel beschrieben.
Einführung in die Kernphysik
2

Die Kernphysik ist kein in sich abgeschlossenes Kapitel der modernen Physik. Es
gibt keine einfache, grundlegende Theorie, aus der sich detaillierte Eigenschaften
der Kerne auf mehr oder weniger einfache Weise berechnen lassen. Es wird sich
herausstellen, dass dies kein Problem eines mangelnden, fundamentalen Verständ-
nisses ist, sondern dass die Kerne einfach recht komplexe Gebilde sind. Zum einen
wird mit der wachsenden Zahl der Objekte die Dynamik recht kompliziert. Zum
anderen liegt es daran, dass die Längenskalen der Kernphysik und der zugrun-
deliegenden Hadronenphysik nicht weit genug auseinander sind und dass daher
detaillierte Eigenschaften der Hadronenphysik in der Kernphysik eine Rolle spielen.
Liegen die Skalen weit genug auseinander, können nur sehr wenige Eigenschaf-
ten der fundamentaleren Theorie in der Theorie mit der größeren Skala relevant
sein. Ein Beispiel hierfür ist die Atomphysik, in der aus der zugrundeliegenden
Quantenelektrodynamik im Wesentlichen nur das Coulomb-Gesetz und einfache
magnetostatische Korrekturen, die den Spin der Elektronen berücksichtigen, übrig
bleiben.
Wegen der Komplexität muss man sich letztlich darauf beschränken, eine phä-
nomenologische Beschreibung mit mehr oder weniger handhabbaren Modellen und
Vorstellungen zu finden, die den Strukturen der Kerne mehr oder weniger genau
entsprechen. In einer Einführung in die Kernphysik werden daher die experimentell
beobachteten Phänomene eine entscheidende Rolle spielen.

2.1 Kurze historische Einführung

Nachdem Alchimisten lange vergeblich versucht hatten, das Element Gold „herzu-
stellen“, wurde im 19. Jahrhundert die Einteilung der chemischen Substanzen in
Elemente und Verbindungen erreicht. Im Jahre 1803 postulierte der englische Che-
miker und Physiker Dalton, dass die Elemente jeweils aus einer Atomsorte bestehen
und dass Verbindungen verschiedene Atomsorten mit festem Mischungsverhältnis
enthalten. Der russische Chemiker Mendelejew führte 1869 das Periodensystem ein,
das eine Verbindung zwischen den Gewichten und den chemischen Eigenschaften
F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_2, 7
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
8 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.1 Das Periodensystem der Elemente (adaptiert nach [4])

der Atome herstellte. Das Periodensystem ist schematisch in Abb. 2.1 dargestellt.
Die Beobachtung ist, dass die durch Linien verbundenen Elemente ähnliche chemi-
sche Eigenschaften haben.
Der Durchmesser eines Atoms liegt in der Größenordnung von einem Ångström.
Wegen des Beugungseffekts ist die Struktur von auflösbaren Objekten durch die
Wellenlänge der zur Beobachtung eingesetzten Strahlung begrenzt. Die Auflösung
eines Atoms in Unterstrukturen konnte daher erst geschehen, nachdem eine Strah-
lungsquelle mit der entsprechenden Energie verfügbar wurde.
Der erste Schritt in diese Richtung erfolgte 1895 durch eine Entdeckung des an
der Würzburger Universität tätigen Physikers Röntgen (Abb. 2.2), für die er den
ersten Nobelpreis der Physik erhielt [6]. Er konnte eine die Materie durchdrin-
gende Strahlung nachweisen, die fotografische Platten schwärzt und Fluoreszenz
verursacht. Sie wird heute Röntgenstrahlung (im Englischen X-rays) genannt. Die
Erzeugung der Strahlung erfolgt meist in einer Röntgenröhre, wie sie in Abb. 2.3
schematisch dargestellt ist.
1896 fand der französische Physiker Becquerel (Abb. 2.4) die natürliche Ra-
dioaktivität. Es war ein Beispiel für eine Zufallsentdeckung. Seine ursprüngliche
Vorstellung war [7], dass die durchdringende Röntgenstrahlung in Wirklichkeit erst
am Glas der Röntgenröhre entstünde und mit Fluoreszenz etwas zu tun habe. Um
gute Fluoreszenz zu erhalten, belichtete er fluoreszierende Uransalze mit Sonnen-
strahlung und fand, dass sie in der Tat Quelle einer durchdringenden Strahlung
2.1 Kurze historische Einführung 9

Abb. 2.2 Wilhelm Conrad


Röntgen (mit freundlicher
Genehmigung von Springer
Science+Business Media [3])

waren. Als guter Experimentator war er in seinen Untersuchungen ausreichend


sorgfältig, um zu bemerken, dass der Effekt unabhängig von der Belichtung war
und dass die durchdringende Strahlung ohne äußere Einwirkungen bei allen Uran-
verbindungen auftrat.
1899 wurden wichtige Eigenschaften dieser natürlichen Radioaktivität des Ur-
ans herausgefunden. Untersuchungen von Rutherford (Abb. 2.5), der damals mit
29 Jahren Professor an der McGill Universität in Kanada war, und anderen zeig-
ten, dass die natürliche Strahlung des Urans drei verschiedene Anteile enthält [7],
die ˛-Strahlung, ˇ-Strahlung und -Strahlung genannt wurden. Die ˛-Strahlung
wird durch ein Blatt Papier gestoppt, ˇ-Strahlung kann Aluminiumfolien von eini-
gen Millimetern Dicke durchdringen, und -Strahlung erfordert eine Abschirmung

Röntgenstrahlung

Glühkathode Anode
Heizspannung

Hochspannung

Abb. 2.3 Glühkathodenröhre zur Erzeugung von Röntgenstrahlung


10 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.4 Henri Becquerel


(mit freundlicher Ge-
nehmigung von Springer
Science+Business Media [5])

Abb. 2.5 Ernest Rutherford


(Foto: Deutsches Museum)

mit Blei von mehreren Zentimetern Dicke. Die drei Komponenten der Radioakti-
vität besitzen unterschiedliche Ladungen. Ein idealisiertes Schema eines Versuchs,
der dies nachweist, ist in Abb. 2.6 dargestellt. Für den Fall der ˛-Strahlung, der
ein besonders starkes Magnetfeld erfordert, wurde dieser Versuch erst Jahre später
durchgeführt.
2.1 Kurze historische Einführung 11

Abb. 2.6 Die drei Kom-


ponenten der natürlichen
Strahlung des Urans γ-Strahlen

α-Strahlen
β-Strahlen

Magnet

Blei-
abschirmung

radioaktive Quelle

Der französische Physiker Pierre Curie und seine Frau, die aus Polen stammende
Chemikerin Marie Sklodowska Curie (Abb. 2.7) hatten erkannt, dass die Radio-
aktivität eine Eigenschaft gewisser Elemente ist. Marie Curie begann mit einer
intensiven Untersuchung aller bekannten Elemente. Sie entdeckte die Radioaktivi-
tät des Thoriums. Da das Uranerz stärker strahlte als das reine Uran, mussten andere

Abb. 2.7 Marie Sklodowska und Pierre Curie (Foto: Deutsches Museum)
12 2 Einführung in die Kernphysik

Elemente, die zusammen mit ihm auftraten, dafür verantwortlich sein. Die Schwie-
rigkeit, diese unbekannten radioaktiven Elemente herauszufinden, bestand darin,
dass diese Elemente nur in sehr geringen Mengen vorlagen. Mit mehreren Tonnen
Uranpechblende konnten die Curies 1898 die bis dahin unbekannten Elemente Ra-
dium und Polonium nachweisen und ein „ganzes“ Gramm Radium isolieren.
Nach diesen Arbeiten wurden immer mehr radioaktive Substanzen gefunden
und viele bisher unbekannte Elemente entdeckt, unter ihnen das Aktinium, das
Radiothorium, das Mesothorium und das gasförmige Radon. Diese intensiven Un-
tersuchungen brachten 1903 Rutherford und Soddy zur Schlussfolgerung, dass eine
spontane Umwandlung gewisser Elemente in andere für die radioaktive Strahlung
verantwortlich ist [8].
Die meisten Elemente haben eine Atommasse, die ziemlich genau einem Viel-
fachen derjenigen des Wasserstoffs entspricht. Zu dieser Regel gibt es allerdings
Ausnahmen, die vor allem bei schwereren Kernen, aber auch bei einigen leich-
teren Elementen auftreten. Um sie zu verstehen, postulierte Soddy 1910, dass Ele-
mente manchmal aus einer Mischung von unterschiedlichen Isotopen bestehen, die
identische chemische Eigenschaften haben und sich nur in ihrer Atommasse un-
terscheiden, und dass die Isotope selbst recht genau einem festen Vielfachen der
Wassserstoffmasse entsprechen. 1912 konnte J. J. Thomson durch ihre unterschied-
lichen Bahnen im Magnetfeld die Existenz von zwei verschiedenen Neonisotopen
nachweisen.
Gehen wir für einen Augenblick mit unserer Betrachtung wieder um einige Jahre
zurück. Die Physiker Crookes und Perrin hatten gezeigt [7], dass die Kathoden-
strahlung in der Glühkathodenröhre aus negativen Teilchen besteht. Die Strahlung,
die offensichtlich von der Glühkathode ausgesandt wird, transportiert zur Anode
negative Ladung, die man als Strom messen kann. Wie es für negative Teilchen
einer gegebenen Masse zu erwarten ist, wird die Kathodenstrahlung im Magnet-
feld von der Lorentz-Kraft in einer bestimmten Weise abgelenkt. Ist das Vakuum in
der Glühkathodenröhre nicht perfekt, kann die Bahn der Kathodenstrahlung durch
Fluoreszenz in angeregten Gasatomen direkt beobachtet werden. Die korpuskula-
re Existenz des aus den Atomen emittierten und offensichtlich darin existierenden
Elektrons war damit geklärt.
Aus Streuexperimenten hat man geschlossen, dass die Elektronen relativ gleich-
mäßig über das gesamte Atom „verschmiert“ sind. Dabei blieb es lange unklar, wo
sich die kompensierende positive Ladung befindet; J. J. Thomson postulierte (Thom-
sonsches Atommodell), dass diese gleichmäßig über das Atom verteilt sei.
Klarheit über die Verteilung brachten Experimente von Rutherford und seinen
Mitarbeitern [9]. Das Schema dieser Versuche ist in Abb. 2.8 dargestellt. Die Strah-
lung mit der höchsten verfügbaren Energie (etwa 4–6 MeV), die Information über
die kleinsten Abstände ermöglichen konnte, war damals die ˛-Strahlung, die wir
in Abb. 2.6 kennen gelernt hatten. In den Experimenten wurde die ˛-Strahlung ei-
nes radioaktiven Elements an verschiedenen Substanzen gestreut. Die gestreuten
˛-Teilchen konnten in mühsamer Experimentierarbeit mit dem an Dunkelheit ge-
wöhnten Auge als Lichtblitze auf geeignet aufgestellten fluoreszierenden Schirmen
beobachtet werden.
2.1 Kurze historische Einführung 13

stark abgelenkter
Strahl

radioaktives Element fluoreszierende Schirme

α-Strahl

streuende Substanz
(Target)

nicht oder leicht


abgelenkter Strahl

Abb. 2.8 Der Rutherfordsche Streuversuch

Das Ergebnis der Experimente war, dass der größte Teil der einfallenden Teil-
chen in etwa seine Richtung beibehielt. In einigen wenigen Streuereignissen – bei
einer 0;5 m dicken Goldfolie war es ein Streuereignis von 100.000 – wurden
die einfallenden Teilchen in einem Winkel von 90ı und mehr gestreut. Da man
von einer kurzreichweitigen Wechselwirkung wegen der Unschärferelation große
Impulsüberträge und damit große Streuwinkel erwartete, musste dabei meist eine
langreichweitige Wechselwirkung eine dominante Rolle gespielt haben. In Frage
kommt dafür die Coulomb-Wechselwirkung. Um ausreichend große Felder zu ha-
ben, muss die positive Ladung dabei in einem Kern sitzen, dessen Radius wesentlich
kleiner als der Atomradius ist.
Tatsächlich kann man aus einem solchen Experiment eine wesentlich weiter-
gehende Aussage über die Ladung und die Größe des Atomkerns erhalten. Dazu
müssen wir zunächst die Rutherford-Formel einführen, die das Streuverhalten eines
schnellen punktförmigen Strahlteilchens der Ladung z e und der Masse M an einem
schweren, punktförmig geladenen Atom der Ladung Z  e, das in einem ruhenden
Target sitzt, beschreibt:
 2
d zZ e 2 =4 1
D  : (2.1)
d˝ 2M v 2 sin4 #=2

Bei festem einfallendem Teilchenfluss ist der angegebene Wirkungsquerschnitt


d =d˝, wie wir später genauer festlegen werden, proportional zur Wahrschein-
lichkeit, dass ein Teilchen in die angegebene Richtung gestreut wird. Die Richtung
wird dabei durch das Raumwinkelelement d˝ D sin # d# d' beschrieben. Die
obige Relation ergibt sich aus der Tatsache, dass das elektrostatische Coulomb-
Potenzial die Bahn des Projektilteilchens verändert (Abb. 2.9). Projektilteilchen,
14 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.9 Streuwege eines


klassischen Teilchens im
Coulomb-Feld

Streuzentrum

einfallende Teilchen

die fast frontal auf das Targetteilchen einfliegen, sind für größere Winkel verant-
wortlich, während die kleinen Winkel auf solche Teilchen zurückzuführen sind, die
weit weg vom Target einfallen und nur den äußeren Rand des Targetfelds spüren.
Die obige Relation folgt aus der klassischen Elektrodynamik. Dass sie in dem
neuen mikroskopischen Gebiet anwendbar war, und dass damit die unten gezogenen
Folgerungen richtig waren, verdankt sie dem etwas glücklichen Umstand, dass in
der Quantenmechanik dieselbe Formel gilt.
Mit einem lokalisierten Kern und mit einer über den gesamten Atombereich
verteilten Elektronenwolke hat man nun die folgende Situation: Die meisten ge-
streuten Projektilteilchen dringen nur mehr oder weniger tief in die Elektronenhülle
ein und spüren nur eine elektromagnetische Ablenkung der mehr oder weniger stark
abgeschirmten Ladung des Kerns. Diese Ablenkung entspricht dann je nach Projek-
tilenergie und je nach Streuwinkel mehr oder weniger gut der Rutherford-Formel.
Nur bei wirklich zentralen Stößen und nur dann, wenn die Energie des einfallenden
Teilchens groß genug ist, um die Coulomb-Abstoßung zu überwinden und bis zum
Kern durchzudringen, wird eine neue Situation auftreten. Es wird zu einer direkten
Wechselwirkung zwischen Kern und Projektil kommen, in der kleine Winkel nicht
mehr bevorzugt sind. Bei ˛-Teilchen aus radioaktiven Zerfällen konnte eine solche
„anormale Streuung“ an leichten Kernen mit niedriger Kernladungszahl beobachtet
werden.
Die Rutherfordschen Experimente zeigten, dass Kerndurchmesser vier Dekaden
unter typischen Radien mittlerer Elektronenschalen liegen. Sie liegen im Bereich
einiger Fermi. In einem geeigneten Energie- und Winkelbereich, in dem das Pro-
jektil den Kern beinahe erreicht, kann der Einfluss der Ladung der Elektronenwolke
auf die Projektilbahn damit nicht nur „mehr oder weniger“, sondern in sehr guter
Approximation vernachlässigt werden. Damit ist eine recht genaue Bestimmung
der Kernladung möglich. Man fand die folgende Situation: Benutzt man die La-
dung des Wasserstoffs als Einheit, so ist die Kernladung eine ganze Zahl, die in
etwa dem halben Atomgewicht des Kerns (in Einheiten der Wasserstoffkernmasse)
entspricht.
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 15

Das Rutherfordsche Atommodell hat eine konzeptuelle Schwierigkeit bezüg-


lich seiner atomphysikalischen Komponente. Es sagt nichts darüber aus, warum
die Elektronen auf ihren Bahnen weit weg vom Kern bleiben und nicht unter Ab-
strahlung von Photonen in den Kern fallen. Dieses Problem wurde zunächst vom
Kopenhagener Physiker Niels Bohr mit einem Postulat umgangen, das die mögli-
chen Teilchenbahnen einschränkt und zu vielen phänomenologischen Vorhersagen
führte. Gelöst wurde das Problem mithilfe der Quantenmechanik, die von Schrö-
dinger und Heisenberg eingeführt wurde. Für die Abstrahlung ist die Ladungs-
bewegung bzw. Stromverteilung entscheidend. Die Bewegung eines „kreisenden“
Elektrons wird durch die „quantenmechanische Verschmierung“ der damit stati-
schen Ladungsverteilung umgangen.
Die in den zwanziger Jahren in der Atomphysik entwickelte Quantenmechanik
gilt, wie sich nach und nach herausstellte, auch auf der 104 -mal kleineren Skala der
Kernphysik. Da die Kernphysik in dieser Zeit stark von dieser neuen, nicht kernphy-
sikalischen Entwicklung beeinflusst wurde, erscheint es sinnvoll, an diesem Punkt
den historischen Ablauf zu verlassen und einem etwas systematischeren Aufbau zu
folgen.

2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur

2.2.1 Zusammensetzung der Kerne

Die Atomkerne bestehen aus Protonen und Neutronen. Diese beiden Bestandteile
der Kerne (englisch und lateinisch nucleus, Plural nuclei) werden als Nukleonen
(englisch nucleons) bezeichnet. Für jede Kernsorte gibt es eine feste Anzahl dieser
Teilchen.
Die Zahl der Protonen heißt Ordnungszahl Z (englisch atomic number), sie gibt
die Ladung des Kerns an. Die Kernladung legt die Anzahl der Elektronen der Atom-
hülle fest und ist damit für die chemischen Eigenschaften der Atome verantwortlich;
sie bestimmt, um welches Element des Periodensystems es sich handelt. Die Ord-
nungzahl eines Kerns gibt seine Ladung in Einheiten der Elektronenladung an

e D QElektron D 1;6  1019 Coulomb D .4  1;44 MeV  fm/1=2 : (2.2)

(Für die Definition der Ladung in den Maxwell-Gleichungen durch andere Einhei-
ten gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir folgen Bjorken und Drell [10] und
benutzen Heaviside-Lorentz-Einheiten.)
Die Menge der Neutronen, d. h. die Neutronenzahl N, kann aus der Masse der
Kerne bestimmt werden. Die Masse der Kerne hängt im Wesentlichen von der An-
zahl der Nukleonen im Kern ab, d. h. von der Massenzahl (mass number) A D
N C Z. Auf Korrekturen, die mit der unterschiedlichen Bindungsenergie zu tun
haben, werden wir später zu sprechen kommen.
Zur Kennzeichnung von Kernen benutzt man die Schreibweise
A A
Z EN oder verkürzt E;
16 2 Einführung in die Kernphysik

wobei E die Atomsorte bezeichnet. Zwei Beispiele betrachten wir:

2
4
He2 D 4 He oder 235
92 U143 D235 U :

Für einige kleinere Kerne, die oft als Strahlteilchen benutzt werden, werden eigene
Bezeichnungen verwendet. So ist p das Proton (Wasserstoffkern 11 H0 ), d das Deute-
ron (Deuteriumkern 21 H1 oder 21 D1 ), t das Triton (Tritiumkern 31 H2 oder 31 T2 ) und ˛
das Alphateilchen (Heliumkern 22 He2 ).
Es ist oft nützlich, ähnliche Kerne zu vergleichen. Um die Ähnlichkeiten zu klas-
sifizieren, benutzt man die folgenden Bezeichnungen:
 Kerne mit gleicher Ordnungszahl Z heißen Isotope.
 Kerne mit gleicher Neutronenzahl N heißen Isotone.
 Kerne mit gleicher Massenzahl A heißen Isobare.
 Kerne mit vertauschten Z und N heißen Spiegelkerne.
 Angeregte, langlebige Kerne mit gleichen Z und N heißen Isomere.
Insgesamt gibt es etwa 3000 bekannte Kerne. Die Ordnungszahl variiert von 1
bis 116. Bei Elementen mit großen Ordnungszahlen gibt es bis zu etwa 30 ver-
schiedene Isotope. Isomere Kerne können durch Absorption oder Emission von
-Strahlung ineinander übergehen. Übergänge zwischen isobaren Kernen werden
durch die ˇ-Strahlung ermöglicht. Unter Abstrahlung eines Elektrons (ˇ-Teilchens)
und eines Antineutrinos geht im Kern ein Neutron in ein Proton über, ohne dabei
die Nukleonenzahl zu ändern. Ein analoger Prozess kann Protonen in Neutronen
überführen. Ein Spezialfall von zwei isobaren Kernen sind Spiegelkerne. Spiegel-
kerne haben ähnliche Eigenschaften, da sich die eigentliche Kernwechselwirkung
unter Vertauschung der Anzahl von Protonen und Neutronen (Spiegelung in einem
Raum, in dem die Protonenzahl nach oben und die Neutronenzahl nach unten auf-
getragen ist) nicht ändert. Spiegelkerne unterscheiden sich durch die Coulomb-
Wechselwirkung, die zwischen den Protonen und nicht zwischen den Neutronen
auftritt. Da die Coulomb-Wechselwirkung bekannt ist, eignen sich Spiegelkerne zur
Überprüfung von Vorstellungen über die Geometrie von Kernen. Spiegelkerne gibt
es nur bei leichteren Kernen, da, wie wir in Kürze sehen werden, die Coulomb-
Wechselwirkung das Auftreten schwerer Kerne ohne Neutronenüberschuss verhin-
dert.
Die Anordnung der Kerne nach ihrer Ordnungszahl Z und ihrer Neutronenzahl
N heißt Nuklidtabelle. Ein Auszug einer solchen Tabelle ist in Abb. 2.10 gezeigt,
aufgeführt ist die Bezeichnung des jeweiligen Kerns. Für die stabilen Isotope folgt
die relative Häufigkeit des jeweiligen Nuklids im Element in seiner natürlichen Zu-
sammensetzung und für nicht stabile Isotope die Lebensdauer.
Um einen besseren Überblick zu bekommen, reduzieren wir in Abb. 2.11 die
Nuklidtabelle, so dass jedem stabilen oder langlebigen Isotop nur noch ein Punkt
entspricht. Es stellt sich heraus, dass die so gewonnenen Punkte jeweils in einem
engen Bereich der Tabelle nicht weit von der (Z D N )-Achse liegen. Abgese-
hen vom Wasserstoff 11 H haben Atome in grober Näherung damit etwa gleich viele
Neutronen wie Protonen. Auf den zweiten Blick bemerkt man eine systematische
Abweichung. Bei höheren Atomgewichten nimmt der Anteil der Neutronen deut-
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 17

12 13 14 15
7 N N N N

Ordnungszahl Z 11.0 ms 9.96 ms 99.64% 0.36%
9 10 11 12 13 14
6 C C C C C C
126 ms 19.3 s 20.3m 98.89% 1.11% 5736 a
8 10 11 12 13
5 B B B B B
762 ms 20% 80% 20.3 ms 17.3 ms
7 9 10 11 12
4 Be Be Be Be Be
53.4 d 100% 2 · 106 a 13.8 s 11.4 ms
6 7 8 9 11
3 Li Li Li Li Li
7.5% 92.5% 844 ms 176 ms 9.7 ms
3 4 6 8
2 He He He He
10−4 % 100% 802 ms 122 ms
1 2 3
H H H
100% 10−2 % 12.3 a 3 4 5 6 7 8
Neutronenzahl N

Abb. 2.10 Auszug aus einer Nuklidtabelle (angegeben sind die Lebensdauern künstlicher Iso-
tope in Sekunden, Minuten, Tagen bzw. Jahren und die prozentuale Häufigkeit der in der Natur
vorkommenden langlebigen Isotope)

Abb. 2.11 Die Position der bekannten Isotope. Der Farbcode beginnt tief schwarz ( > 3  107 a/
und endet rot (bzw. hellgrau) (> 1  1015 s). Die umrahmten Z und N Werte werden später erklärt.
(Bild mit freundlicher Genehmigung aus der Web-Seite des National Nuclear Data Centers [11])
18 2 Einführung in die Kernphysik

lich zu. Eine empirische Relation, die diese Korrektur für die Lage der stabilen oder
stabilsten Kernsorten berücksichtigt, ist

A
ZD : (2.3)
1;98 C 0;0155  A2=3

2.2.2 Geometrie der Kerne

Die räumliche Gestalt des Kerns, d. h. die Dichteverteilung der Nukleonen im Kern,
kann in erster Näherung als kugelförmig angenommen werden. Korrekturen dazu –
schwere Kerne sind meist leicht prolat (zigarren-förmig) – werden später diskutiert.
Wie wir vom Rutherfordschen Experiment wissen, kann man aus geeigneten Streu-
experimenten Informationen über radiale Dichteverteilungen in Kernen erhalten.
Besonders geeignet sind dafür tiefinelastische Streuungen von hochenergetischen
Elektronen an Kernen, wie wir sie im vierten Kapitel des Buches (Abschn. 4.2.3)
kennen lernen werden. Der Grund, warum Elektronen anstelle der Rutherfordschen
˛-Teilchen verwendet werden, ist, dass es für Elektronen im Gegensatz zu ˛-Teil-
chen auch im Inneren des Kerns nur zu einer berechenbaren elektromagnetischen
Wechselwirkung mit den Ladungen kommt, so dass man auch dort die Ladungsver-
teilung bestimmen kann. Wie wir später sehen werden, entspricht die Ladungsver-
teilung im Kern einer Art Fourier-Transformierten der beobachteten Impulsübertra-
gungsverteilung.
Wie kommt auch Richtungman wenigstens näherungsweise von der Ladungs-
zur Nukleonenverteilung? Im Inneren eines Kerns dominieren die Kernkräfte zwi-
schen den Nukleonen über Coulomb-Kräfte. Protonen und Neutronen sollten daher,
abgesehen von kleineren Korrekturen, eine ähnliche Verteilung haben. In grober
Näherung gilt daher

A
%.Nukleonen/ D  %.Ladungen/ : (2.4)
Z
Die aus dieser einfachen Beziehung gewonnene Nukleonenverteilung [12] ist in
Abb. 2.12 für einige schwerere Kerne dargestellt.
Etwas vereinfacht ergibt sich aus der Abbildung für ausreichend große Kerne die
folgende Situation: Kerne besitzen im Inneren eine konstante Nukleonendichte, die
am Rand des Gebiets jeweils in ähnlicher Weise über denselben Abstand abfällt.
Das Kernvolumen ist daher proportional zur Massenzahl, und für den Kernradius
muss damit
R D R0  A1=3 (2.5)
gelten, wobei die Konstante
R0 D 1;1 fm (2.6)
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 19

Abb. 2.12 Die Dichte der


Nukleonen im Kern (adaptiert
nach [12])

empirisch bestimmt wurde [13]. Die Dichte ist, abgesehen vom Randgebiet
A
%0 D 4
D 0;16 fm3 : (2.7)
3
3 R

An den Rändern fällt die Dichte jeweils innerhalb von etwa zwei Fermi von etwa
90 % auf 10 %.

2.2.3 Kernmassen

Mit der Massenzahl haben wir die Kernmasse grob in Einheiten von Nukleonen-
massen ausgedrückt. Tatsächlich hängen die Nukleonenmassen etwas vom Kern ab,
in dem sich die Nukleonen befinden. In Bindungszuständen ist die effektive Masse
von Teilchen etwas reduziert gegenüber der von freien Teilchen. Auf unserer Reise
in den Mikrokosmos haben wir eine Längenskala erreicht, die einer Bindungsener-
gie entspricht, die zwar noch klein, aber nicht mehr völlig gegenüber den Massen
der Konstituenten zu vernachlässigen ist. Um diesen kleinen Effekt zu sehen, ist es
erforderlich, Kernmassen sehr genau zu bestimmen.
Wie Sie vielleicht aus einer Chemievorlesung wissen, gibt es Möglichkeiten,
Stoffe abzuwiegen und die Massen durch die indirekt festgelegte Zahl der betei-
ligten Atome zu teilen. Mit dieser Methode wurden die Massen von chemischen
Elementen bestimmt, wie sie im Periodensystem erscheinen. Das Problem dabei
ist, dass chemische Elemente in der Natur meist in einem Gemisch verschiedener
Isotope vorkommen und dass die so bestimmte Masse eines chemischen Elements
dann im Wesentlichen durch diese Zusammensetzung bestimmt wird.
Für die Bestimmung der Kernmassen einzelner Isotope gibt es zwei Methoden.
Zum einen können die Massen einzelner geladener Kerne im Massenspektroskop,
wie es in der Abb. 2.13 dargestellt ist, direkt gemessen werden. Im Massenspek-
troskop durchlaufen Teilchen ein geschickt angeordnetes elektrisches und magneti-
sches Feld. Wie in der Optik werden dadurch Teilchen, die durch einen Spalt in die
Apparatur eintreten, auf einer fotografischen Platte fokussiert. Die Tatsache, dass
unterschiedlich schnelle Teilchen im elektrischen Feld in anderer Weise abgelenkt
werden als im Magnetfeld, wird dazu benutzt, um den Auftreffpunkt nur von der
Masse und nicht von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängig zu machen.
20 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.13 Schema eines


Massenspektroskops

Die zweite Methode besteht darin, sich die Energiebilanz geeigneter Reaktionen
genau genug anzuschauen, um die Massen indirekt erschließen zu können. Betrach-
ten wir dies etwas detaillierter.
Um die Energiebilanz darzustellen, schreibt man für die Reaktion eines Teil-
chens a mit einem Kern A, die einen Kern B und ein Teilchen b produziert

ACa!BCbCQ ; (2.8)

wobei Q die freiwerdende Energie, d. h. den Exzess an kinetischer Energie im End-


zustand, angibt. Der Wert von Q entspricht gerade der Massendifferenz zwischen
der linken und der rechten Seite. Wie bei chemischen Prozessen spricht man

bei Q > 0 von einer exothermen Reaktion ;

und
bei Q < 0 von einer endothermen Reaktion :
Die kinetische Energie, die für das Ablaufen einer endothermen Reaktion mindes-
tens erforderlich ist, heißt Schwellenenergie (englisch threshold energy). Sie ist
etwas höher als Q, da der Streuvorgang typischerweise nicht im Schwerpunktsys-
tem stattfindet. Wegen der Impulserhaltung kann dann im Endzustand die kinetische
Energie nicht völlig verschwinden.
Betrachten wir dazu als Beispiel eine Reaktion, in der ein Teilchen a mit dem
Impuls p auf den ruhenden Kern A eintrifft und gerade in den Kern B und das
Teilchen b übergeht. Die minimale Energie wird erreicht, wenn das Teilchen b
und der Kern B in ihrem Schwerpunktsystem ruhen. Die kinetische Energie des
Anfangs- und Endzustands ist damit
1
ein
Ekin. D  p2 (2.9)
2ma
und
1
aus
Ekin. D  p2 : (2.10)
2.mB C mb /
Für die Reaktion verbleibt damit
 
übrig 1 1 1
Ekin: D    p2 : (2.11)
2 ma mB C mb
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 21

Die Methode der Energiebilanz ist unumgänglich für die Massenbestimmung von
neutralen Teilchen oder von Kernen, die für eine massenspektrografische Messung
zu kurz leben. Betrachten wir dazu als Beispiel den Prozess
2
D C  ! n C 1H : (2.12)

Die Minimalenergie des -Quants


 
Emin =c 2 D mn C mH  mD C minimale kinetische Endenergie=c 2 ; (2.13)

die für den Prozess benötigt wird, ergibt die Bindungsenergie des Deuterons. Aus
ihr lässt sich mit massenspektroskopisch bestimmten Massen mH und mD dann mit-
tels Energiebilanz die Masse mn des neutralen Neutrons bestimmen.
Die Methode der Energiebilanz erlaubt oft eine hohe Präzision in der relativen
Massenbestimmung. Um die erreichbare relative Genauigkeit auszunutzen, defi-
niert man eine Atomare Massen-Einheit (englisch atomic mass unit)

1
1 AME D 1 u D Masse des 12 C-Atoms D 1;66  1024 g (2.14)
12

und versucht, alle Kerne durch geeignete Übergänge in Relation zum 12 C zu setzen.
Es gilt
1 AME D 0;9315 GeV=c 2 : (2.15)
Im Vergleich dazu sind die Massen von freien Nukleonen

mProton D 0;9383 GeV=c 2 ;


(2.16)
mNeutron D 0;9396 GeV=c 2 :

Die kleinen Unterschiede in der Masse haben weitreichende Konsequenzen. Wie


wir in der Physik der schwachen Vektorbosonen genauer erläutern werden, kann das
Neutron unter Aussendung eines Elektrons (unter Aussendung von ˇ-Strahlung)
und eines sogenannten Antineutrinos in ein Proton übergehen

n ! p C e C  e : (2.17)

Dass diese Reaktion in dieser Richtung verläuft und dass die Protonen damit stabil
und die Neutronen unstabil sind, liegt an der etwas schwereren Neutronenmasse.
Da das Antineutrino in guter Näherung als masselos angenommen werden darf,
benötigt man
mn > mp C me ; (2.18)
was wegen der geringen Elektronenmasse von

me D 0;5 MeV=c 2 (2.19)

der Fall ist; für die Reaktion stehen 0,7 MeV zur Verfügung.
22 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.14 Die mittlere


Bindungsenergie B=A pro
Nukleon für die jeweils
stabilsten Kerne (adaptiert
nach [12]). Die durchgezoge-
ne Linie ist das Ergebnis der
semi-empirischen Massen-
formel, die in Abschn. 2.3.1
besprochen wird.

Da die Bindungsenergie eines Nukleons im Kern in der Größenordnung von


8 MeV liegt, ist der Übergang für Neutronen im Kern oft nicht möglich. Der Über-
gang kann nur dann stattfinden, wenn ein Kern mit niedrigerer oder vergleichbarer
Bindungsenergie erreicht wird. Die relativen Massen der isobaren Kerne spielen
daher eine wichtige Rolle für das Verständnis der Stabilität verschiedener Kerne.
Man definiert die Bindungsenergie des Kerns

B=c 2 D ıM D M C Z  mProton C N  mNeutron (2.20)

als die Energie, die benötigt wird, um den Kern der Kernmasse M.Z; A/ in einzelne
Stücke zu zerlegen. In kernphysikalischen Betrachtungen kann die Bindungsenergie
von Atomelektronen oft vernachlässigt werden, die Bindungsenergie eines Kerns
entspricht dann der gesamten Bindungsenergie des Atoms. Die Masse des Atoms
ergibt sich in dieser Approximation aus den Massen des Kerns und der Elektronen.
Die mittlere Bindungsenergie B=A pro Nukleon ist in Abb. 2.14 für die jeweils
stabilsten Kerne dargestellt. Die Kerne mittlerer Ordnungszahl sind besonders sta-
bil. In Abschn. 2.3.1 werden wir in einem einfachen Modell eine Parametrisation
dieser Bindungsenergien finden.

2.2.4 Zwei-Nukleonen-Potenzial

Versuchen wir zunächst, etwas mehr über die Kernkräfte herauszufinden. Aus der
Existenz von Kernen mit hohen Ladungen folgt, dass es eine Kraft zwischen den
Nukleonen im Kern geben muss, die bei kurzer Reichweite im Vergleich zur Cou-
lomb-Abstoßung eine dominante Rolle spielt.
Um mehr über diese Kraft zu erfahren, kann man zunächst die Komplikatio-
nen des Vielteilchensystems vermeiden und Zwei-Nukleonen-Bindungszustände be-
trachten. Den entscheidenden Fortschritt in der Atomphysik brachte die Analyse des
Wasserstoffatoms. Kann das Zwei-Nukleonen-System eine ähnliche Rolle spielen?
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 23

Das ist leider nur eingeschränkt der Fall. Zum einen ist, wie schon gesagt, die
Wechselwirkung zwischen zwei Nukleonen vergleichsweise komplex; zum ande-
ren steht „weitaus weniger“ experimentelle Information über Bindungszustände zur
Verfügung. Statt einer umfangreichen Spektroskopie mit Übergängen zwischen ei-
ner Vielzahl von Zuständen konnte für Zwei-Nukleonen-Systeme nur ein einziger
stabiler Bindungszustand beobachtet werden.
Dieser Bindungszustand heißt Deuteron. Er besteht zwischen einem Proton und
einem Neutron. Die Nukleonen im Deuteron haben keinen Bahndrehimpuls; der
Spin der beiden Nukleonen ist parallel, d. h. er addiert sich zu dem Gesamtspin 1.
Zu diesem etwas vereinfachten Bild von den Drehimpulsbeiträgen gibt es Korrek-
turen im Prozentbereich, da der Bahndrehimpuls und der Spin nur näherungsweise
separat betrachtet werden können.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Bindungsenergie des Deuterons experimentell
zu bestimmen. Man kann entweder, wie oben beschrieben, die für eine Aufspaltung
minimal benötigte -Strahlenenergie bestimmen, oder man kann im umgekehrten
Prozess langsame Neutronen aus einem Kernreaktor von einigen eV thermischer
Energie von Wasserstoffatomen einfangen lassen. Bei diesem Prozess wird die frei-
werdende Energie als -Strahlung freigesetzt, deren Wellenlänge durch die Winkel-
verteilung bei einer Streuung an einem Kristall (Bragg-Streuung) bestimmt werden
kann [14]. Die Bindungsenergie des Deuterons ist 2,2 MeV [15].
Das Deuteron ist gerade noch stabil. Es ist der einzige Bindungszustand des
Zwei-Nukleonen-Systems, da auch schon kleinere Änderungen des Potenzials die
Stabilität zerstören. Es gibt daher keine stabilen Bindungszustände mit einem nicht
verschwindenden Bahndrehimpuls. Das effektive Potenzial würde durch die Zen-
trifugalkraft etwas reduziert. Warum gibt es kein Deuteron mit antiparallelen Nu-
kleonenspins? Es muss ein kleiner, irgendwie spinabhängiger Beitrag zur Wechsel-
wirkung existieren, der den Zustand mit parallelen Spins bevorzugt. Warum gibt es
keinen entsprechenden Bindungszustand zwischen 2 Neutronen (oder 2 Protonen)?
Die Wechselwirkung zwischen identischen Nukleonen muss etwas schwächer sein
als die zwischen verschiedenen Nukleonen.
Ob ein Bindungszustand existiert oder nicht, hängt im dreidimensionalen kugel-
symmetrischen Fall von der Stärke und der Reichweite des Potenzials ab. Betrach-
ten wir dies etwas genauer: Die Schrödinger-Gleichung im Schwerpunktsystem in
Relativkoordinaten (mit r D .d=dx; d=dy; d=dz/ D d=d r)

„2 2
 r CV DE (2.21)
2m
kann für
V D V .r/
durch die Substitution und Separation des bekannten winkelabhängigen Teils

r Dr l  Ylm .#; / (2.22)


24 2 Einführung in die Kernphysik

E, V (r) bzw. E + r  (r )
l

V (r)

E
0
genau eine stetige Lösung

exp(i kr )
keine stetige Lösung

E (Versuch)
exp(− r )

Abb. 2.15 Der erste gebundene Zustand in einem Potenzial

in die eindimensionale Radialgleichung


 
„2 d 2 l.l C 1/„2
 r l C EV  r l D0 (2.23)
2m dr 2 2mr 2

umgeformt werden. Der Faktor r bringt den Laplace-Operator in Kugelkoordinaten


auf die angegebene Form. Da die volle Wellenfunktion überall stetig sein muss,
ist es erforderlich, dass die so definierte Funktion r l im Ursprung verschwindet.
Um Komplikationen zu vermeiden, begnügen wir uns dabei für unsere Diskus-
sion mit einem stückweise konstanten Potenzial (Abb. 2.15). Gleichung 2.23 wird
dann innen und außen jeweils durch einen einfachen Exponentialansatz

r l / exp.Konstante  r/ (2.24)

gelöst, und zwar innen mit einer imaginären Konstante und außen mit einer negati-
ven reellen. Für die Wellenfunktion heißt das, dass sie innen oszilliert

r l / sin.k  r/

und außen exponentiell abfällt

r l / exp.
 r/ :

Die Konstanten k und


sind reell. Sie sind proportional zur Wurzel aus dem jewei-
ligen Absolutwert der runden Klammer in (2.23). Um die Normalisation ignorieren
zu können, interessiert die Größe .r /0l =.r /l . Im Äußeren entspricht sie der ne-
gativen Konstante
. Der geringste Absolutwert des Quotienten wird erreicht bei
gerade noch gebundenen Zuständen, d. h. für E  V .1/ ! 0. Innen enspricht
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 25

.r /0 =.r ) dem Tangens, der, in einer viertel bis halben Periode beginnend mit
C1, den negativen äußeren Wert erreichen muss. Da die Periode invers proportio-
nal zum Inhalt der obigen runden Klammer ist, ist dies für die höchste verfügbare
kinetische Energie, d. h. für E  V .1/ ! 0, am leichtesten möglich. Aus dem
Verhalten für E  V .1/ D 0 folgt daher, ob und wie viele Lösungen existieren
können. Nur bei ausreichender Breite und Tiefe eines Potenzials wird die benötigte
Ableitung erreicht, andernfalls gibt es keine Lösung.
Wodurch kommen die Kernkräfte zustande? Eine fundamentale Theorie muss
relativistisch kovariant sein. In der relativistischen Quantenmechanik gibt es kei-
ne Potenziale, sondern nur Wechselwirkungen mit Orts- und Zeitabhängigkeit. Alle
beobachteten Wechselwirkungen sind lokal, d. h. auf einen Raum-Zeit-Punkt be-
schränkt. Die langreichweitigen Effekte, die im nichtrelativistischen Grenzfall für
die offensichtlich langreichweitigen Potenziale verantwortlich sind, kommen durch
den Austausch virtueller Teilchen zustande, die an einem Raum-Zeit-Punkt von ei-
nem Teilchen abgegeben und dann an einem anderen Raum-Zeit-Punkt von einem
anderen Teilchen eingefangen werden. Ein Beispiel für einen solchen Teilchenaus-
tausch ist die elektromagnetische Wechselwirkung, die durch den Austausch von
virtuellen Photonen zustande kommt.
Welches Teilchen kann für das Kernpotenzial verantwortlich sein? Während der
Entwicklung der Kernphysik war kein Teilchen mit ausreichend kräftiger Kopplung
an Nukleonen bekannt. Da er die grundsätzliche Bedeutung von Austauschteilchen
erkannte, wurde die Existenz eines solchen Teilchens 1935 von dem japanischen
Physiker Hideki Yukawa [16] gefordert. Wie wir in Abschn. 3.1.1 sehen werden,
konnte ein solches Teilchen dann viele Jahre später nachgewiesen werden. Es wird
-Meson oder Pion genannt.
Aus der Reichweite der Wechselwirkung konnte die Masse dieses Teilchens ab-
geschätzt werden. Wie virtuelle Photonen (d. h. elektromagnetische Felder) gelade-
ne Teilchen umgeben, so sind Hadronen von einer hadronischen Wolke umgeben.
Die Reichweite der Wechselwirkung wird durch die Ausdehnung einer solchen
Austauschteilchenwolke bestimmt.
(Austauschteilchen können im Überlappungsgebiet sowohl vom einen als auch
vom anderen Streuteilchen emittiert und absorbiert werden. Je nach relativer La-
dung bzw. verallgemeinerter Ladung (Kopplung des Pionfeldes an das Nukleon)
treten beide Beiträge mit gleichen oder ungleichen Vorzeichen auf. Es kommt dabei
zu einer Verstärkung bzw. zu einer Reduktion des Wolkenfeldes und dessen Energie
(/ jBeitrag1 C Beitrag2 j2 ), die zu einer Repulsion bzw. einer Attraktion führt.)
Diese Ausdehnung kann in der folgenden Weise abgeschätzt werden: Die Ablei-
tungen der Schrödinger-Gleichung E D i „d=dt und P D i „d=d r werden als
Operatoren bezeichnet. Sie nehmen für Eigenfunktionen die Energie- und Impuls-
Eigenwerte an. Beginnend mit der Gleichung für die Lorentz-Invarianz der Masse
in der relativistischen Mechanik, erhält man die folgende Operatorenrelation
 2 
E  P 2c2 D m2 c 4 ; (2.25)

die Klein-Gordon-Gleichung genannt wird.


26 2 Einführung in die Kernphysik

In unserem Fall is m die Masse der Austauschteilchen. Sieht man von Drehim-
pulseffekten (keine Winkelabhängigkeit) ab, hat der relevante statische Teil (keine
Zeitabhängigkeit) der Klein-Gordon-Gleichung

„2 d 2
r D m2 c 2 (2.26)
r dr 2
die Lösung
1 c=„mr
! e ; (2.27)
r
wie man durch Einsetzen leicht nachprüfen kann. Die Reichweite des Feldes ent-
spricht damit in natürlichen Einheiten dem Inversen der Masse. Nimmt man für die
Reichweite der Kernkräfte einen typischen Kernabstand

r0 D 1015 m ; (2.28)

benötigt man damit ein Teilchen etwa von der Masse

m D 200 MeV=c 2 ; (2.29)

das ausreichend stark mit Protonen und Neutronen wechselwirken muss.


Um eine Bindungsenergie zu erhalten, die zwischen Proton und Neutron etwas
stärker ist als zwischen Neutron und Neutron – zwischen dem Proton und dem Neu-
tron existiert das Deuteron als Bindungszustand, zwischen zwei Neutronen existiert
kein Bindungszustand – muss es in den Ladungszuständen Q D 1; 0 und C1
vorkommen. Für das Potenzial zwischen Proton und Neutron steht dann ein zu-
sätzliches Austauschteilchen zur Verfügung, wie es in Abb. 2.16 dargestellt ist.
Die Abbildung zeigt zwei mögliche Austauschprozesse für diese Wechselwirkung
und nur einen möglichen Prozess für die Wechselwirkung zwischen Neutron und
Neutron. Es reicht aus, den Austausch jeweils nur in einer Richtung zu betrachten;
er entspricht dann dem Austausch des Antiteilchens in der anderen Richtung. Das
Antiteilchen des  C ist das   , das  0 ist sein eigenes Antiteilchen. Für ein quanti-
tatives Verständnis ist es natürlich erforderlich, die Gewichte der einzelnen Beiträge
zu kennen.
Betrachten wir den Grundzustand eines Zwei-Nukleonen-Systems etwas genau-
er. In guter Näherung kann jede der beiden Wellenfunktionen des Systems sowohl
mit einem Proton als auch mit einem Neutron besetzt sein, und es ist a priori nicht
festgelegt, wie die beiden Nukleonen auf die Zustände verteilt sind. Eigenzustände
sind die symmetrischen und antisymmetrischen Zuordnungen unter Vertauschung.
Für zwei Nukleonen gibt es mit den Zuständen 1 und 2 die folgenden Möglich-
keiten: p p
symm. D 1  2 ;
symm. D 1n  2n ;
p  p p (2.30)
symm. D 1= 2 1  2n C 1n  2 ;
p  p p
antisy. D 1= 2 1  2n  1n  2 :
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 27

Beitrag zu V
nn n n n
0
Austausch
n n n
Beitrag zu V
np
n n n
0
Austausch
p n n
und

n p
−
Austausch
p n

Abb. 2.16 Schematische Darstellung der Austauschwechselwirkung

Der geladene Pionenaustausch kann in den letzten beiden Zuständen auftreten. Da


er aus dem Proton ein Neutron und aus dem Neutron ein Proton macht, hat er für
den symmetrischen und für den antisymmetrischen Fall jeweils ein anderes Vorzei-
chen. Da beim geladenen Pionaustausch (in Relation zum neutralen Pionaustausch)
in der Wechselwirkung ein negatives Vorzeichen auftritt, kommt es für den sym-
metrischen Fall zu einer Reduktion und für den antisymmetrischen Fall zu einer
Verstärkung der Wechselwirkung vom neutralen Pionaustausch. Es verbleibt ein
isolierter, tiefergelegener Zustand, der nur für den Proton-Neutron-Zustand auf-
tritt.
Obwohl Pionen selbst keinen Spin tragen, gibt es einen spinabhängigen Teil der
Austauschwechselwirkung. Das liegt daran, dass Spin und Bahndrehimpuls inein-
ander übergehen können und dass ein Spinaustausch auch durch den entsprechen-
den Bahndrehimpulsübertrag vermittelt werden kann. Beim Pionaustausch spielt
ein solcher Term eine wichtige Rolle. Er bevorzugt den bezüglich der Proton-Neu-
tron-Besetzung symmetrischen Bindungszustand und hebt den oben begründeten
Unterschied zum Teil auf. Er erfordert eine feldtheoretische Beschreibung [10], auf
die wir hier nicht eingehen können.
Entscheidend für diesen Effekt ist die Spinstruktur, die wir uns jetzt etwas ge-
nauer anschauen. Nukleonen sind Fermionen, d. h. sie müssen daher insgesamt
in antisymmetrischen Zuständen auftreten. Da für die Grundzustände des Zwei-
Nukleonen-Zustands kein Drehimpuls auftritt, ist der Ortsraumanteil der Gesamt-
wellenfunktion symmetrisch (unter r 1 $ r 2 ). Die Symmetrie bezüglich einer Ver-
tauschung der Proton-Neutron-Besetzung muss daher durch eine Antisymmetrie im
28 2 Einführung in die Kernphysik

Spinraum ausgeglichen werden und umgekehrt. Die obigen Zustände haben daher
definierte Symmetrien bezüglich ihres Spins, d. h. die symmetrischen Zustände im
Proton-Neutron-Raum müssen unter Vertauschung der Nukleonenspins antisym-
metrisch sein und die antisymmetrischen symmetrisch. Zwei Fermionen mit Spin
S D 1 haben für geeignet gewählte z-Richtung die Komponente Sz D 1, d. h. ihre
halbzahligen Spins liegen parallel, und ihre Spinwellenfunktion ist symmetrisch.
Die symmetrischen Zustände im Spinraum sind

" "
symm. D 1  2 ;
# #
symm.
D 1 ; 2 (2.31)
p  " # # "

symm.
D 1= 2 1  2 C 1  2 :

Der .S D 0/-Zustand, der orthogonal zum .S D 1:Sz D 0/-Zustand ist, ist anti-
symmetrisch:
p  " # # "

antisy. D 1= 2 1  2  1  2 : (2.32)

Auffällig ist, dass die Struktur im Spinraum völlig analog zur Struktur unter Permu-
tation im Proton-Neutron-Raum ist. Das wird uns öfter begegnen. Es gibt einen en-
gen Zusammenhang zwischen Lie-Gruppen, wie sie bei der Behandlung des Spins
oder des Drehimpulses in der Quantenmechanik angewandt werden, und der Sym-
metriegruppe, die das Verhalten unter Permutationen beschreibt [17].
Das kann dazu benutzt werden, das obige Symmetrieargument im Proton-Neu-
tron-Raum als eine geeignete Spinabhängigkeit in einem fiktiven Spinraum zu for-
mulieren. Dieser neue Spin wurde von Heisenberg [18] eingeführt und Isospin
genannt. Die Nukleonen haben den Isospin I D 1=2 mit der „z-Komponente“ Iz D
C1=2 für das Proton bzw. Iz D 1=2 für das Neutron. Das Pion mit seinen drei
Ladungszuständen   ,  0 und  C hat den Isospin I D 1 mit der z-Komponente
Iz D 1, 0 und C1.
Eine quantitative Untersuchung zeigt, dass die von Yukawa geforderten Teilchen
selbst keinen Spin tragen können. Man stellt allerdings fest, dass dazu eine Kor-
rektur nötig ist, die durch einen kleinen Beitrag anderer Teilchen zustande kommt,
die den Spin 1 tragen. Wir werden diese Teilchen in der Hadronenphysik kennen
lernen.

2.3 Modelle der Kernstruktur

Zu Beginn dieses Abschnittes werden wir zunächst ein einfaches, semi-empirisches


Bild über das Zustandekommen der Bindungsenergie von Kernen kennen lernen.
In diesem Bild werden Vorstellungen über die Verbindung zur zugrundeliegenden
Theorie zunächst etwas zurückgestellt, und die Kerne werden beinahe wie „Was-
sertropfen“ behandelt.
2.3 Modelle der Kernstruktur 29

Abb. 2.17 Die Wechsel-


wirkungen nur unmittelbar n n p
benachbarter Nukleonen n
pn p n n n
n pp p n
n nn n np nnn np
pnn p n pn n p n n
p p p np n
n nnn p n n n n p
n pn n p n
n n
n
p np p n n nn nn n
n
n nn n n npp
n

2.3.1 Semi-empirische Beschreibung der Bindungsenergie von


Kernen

Im Tröpfchenmodell wird die Bindungsenergie von Kernen

B=c 2 D B.Z; A/=c 2 D M.Z; A/ C Z  mProton C N  mNeutron ;

die wir in (2.20) definiert hatten, in ihrer Abhängigkeit von der Ordnungszahl und
der Massenzahl beschrieben. Das Modell nimmt an [19], dass die Bindungsenergie
fünf verschiedene additive Beiträge

B D B0 C B1 C B2 C B3 C B4 (2.33)

enthält, die jeweils eine physikalisch plausible Erklärung haben.


Wir haben gesehen, dass die Kernwechselwirkungen kurzreichweitig sind und
dass ihre Stärke etwa exponentiell abnimmt. Es ist daher sinnvoll anzunehmen,
dass der wichtigste Anteil der Wechselwirkung nur die unmittelbar benachbarten
Nukleonen betrifft (Abb. 2.17). Dies erklärt dann, warum in erster Näherung der
Abstand der Nukleonen und damit die Nukleonendichte konstant ist, wie wir es in
Abb. 2.12 beobachtet hatten. Pro Nukleon oder pro Volumen erwartet man daher
einen konstanten Beitrag zur Bindungsenergie

B 0 D aV  A : (2.34)

Dieser Beitrag wird Volumen-Energie des Kerns genannt. In der betrachteten Ge-
nauigkeit ist damit die Massenzahl dem Kernvolumen proportional zu der dritten
Potenz des Kernradius.
An der Oberfläche des Kerns ist dieses Bild offensichtlich nicht korrekt, da in
einer Richtung die Nachbarn fehlen. Mit der Oberflächenenergie

B1 D aS  A2=3 (2.35)


30 2 Einführung in die Kernphysik

berücksichtigt man dieses Defizit durch einen Beitrag, der die Bindungsenergie re-
duziert. Die Oberfläche wächst mit dem Quadrat des Kernradius, d. h. mit A2=3 . Der
Wert der Konstanten aS wird nicht berechnet (aus aV mit geometrischen Überlegun-
gen), sondern einfach an die Daten angepasst. Dies erlaubt es verschiedene Effekte,
die auch zu einer Oberflächenabhängigkeit führen, zu berücksichtigen. Zum Bei-
spiel hatten wir in Abb. 2.12 gesehen, dass das Bild mit der konstanten Dichte nicht
ganz korrekt ist. Bei einer geringeren Dichte an der Oberfläche erwartet man ei-
ne andere potenzielle Energie pro Nukleon und damit eine oberflächenabhängige
Korrektur.
Um zunächst bei der klassischen Physik zu bleiben, betrachten wir nun die Cou-
lomb-Energie B2 . An vierter Stelle kommt dann der Term, der dafür verantwortlich
ist, dass Kerne etwa gleich viele Protonen und Neutronen enthalten. Die Coulomb-
Wechselwirkung ist die Ursache der Abweichung von dieser Regel; sie bewirkt,
dass für schwere Kerne N etwas schneller wächst als Z, wie wir in Abschn. 2.2.1
gesehen hatten.
Aus der Elektrodynamik wissen wir, dass für eine kugelsymmetrische Ladungs-
verteilung die potenzielle Energie im Abstand r

1
U.r/ D  Qinnen .r/
4 r
von der eingeschlossenen Ladung
 r 3  3
Z r
Qinnen .r/ D eZ  De 
R A R0

abhängt, die für den Kern in erster Näherung als konstant angenommen werden
kann. Die elektrostatische Energie ist damit
Z1
dQinnen .r/
B2 D U.r/  dr
dr
0
A1=3
Z R0  3 !  
1 Z r Z 3r 2
D e  e dr
4 r A R0 A R03
0
3 e2 Z2
D   1=3 :
5 4R0 A
Mit der (vorläufigen) Definition einer Konstanten

3 e2
aC D
5 4R0
schreiben wir
Z2
B2 D aC : (2.36)
A1=3
2.3 Modelle der Kernstruktur 31

Ihr Wert ist negativ. Die Coulomb-Abstoßung reduziert die Bindungsenergie.


Für den nächsten Beitrag B3 betrachten wir Kerne mit vorgegebener Nukleo-
nenzahl und fragen, wie die Bindungsenergie von der Proton-Neutron-Asymmetrie
abhängt?
Wir beginnen mit einem einfachen Bild, bei dem in dem betrachteten Bereich
die Energien einzelner Zustände unabhänging vom Rest sind und die Bindungs-
energie damit die Summe der Bindungsenergien der einzelnen Nukleonen ist. Für
Kernkräfte – die Coulomb-Wechselwirkung wurde getrennt berücksichtigt – spielen
Protonen und Neutronen eine analoge Rolle, und man erwartet identische Energie-
niveaus, die jeweils mit einem Proton und einem Neutron besetzt werden können.
Es ist daher energetisch vorteilhaft, mit den Protonen und Neutronen gleichmäßig
die untersten verfügbaren Zustände aufzufüllen. Die höchste Bindungsenergie wird
dabei um N D Z erreicht.
In der Quantenmechanik gibt es keine feste Zuordnung vom i -ten Nukleon zum
k-ten Zustand, sondern eine Mischung von Zuordnungen, die jeweils mit festgeleg-
ten Gewichten beitragen. Typischerweise gibt es viele solcher Beiträge mit jeweils
festliegender Symmetriestruktur. Wir hatten diese Proton-Neutron-Symmetrie beim
Deuteron kennen gelernt; sie wird Isospin-Symmetrie genannt. Im obigen Modell
lassen erlaubte Permutationen von Protonen und Neutronen die Bindungsenergie
unverändert, d. h. die verschiedenen Isospin-Beiträge sind entartet.
Wechselwirkungen,bei denen zwei Nukleonen effektiv ausgetauscht werden
können, führen zu einer Korrektur des einfachen Bildes, da sie für die verschie-
denen Symmetriezustände mit unterschiedlichen Vorzeichen beitragen und die
Isospin-Entartung brechen.
Beim Zwei-Nukleonen-System ist der Zustand, der bezüglich der Proton-Neu-
tron-Vertauschung antisymmetrisch ist, energetisch günstiger als der andere. Versu-
chen wir nun diese Beobachtung zu extrapolieren, ohne uns detaillierte Vorstellun-
gen über die Dynamik der Kernkräfte zu machen.
Die Zunahme der Bindungsenergie durch Symmetrieeffekte wird, wenn man alle
detaillierten Strukturen ignoriert, etwa von der Zahl der möglichen Kombinationen
abhängen, aus denen eine besonders günstige Kombinationsmischung ausgesucht
werden kann. Für Z Protonen in einem Kern mit A Nukleonen gibt es dabei
!
A
Z

verschiedene Zustände bezüglich der Proton-Neutron-Symmetrie. Die größte Zahl


der Kombinationen ergibt sich für Z D A=2.
Versuchen wir dies etwas präziser zu betrachten. Analog zum Spin gibt es für
den Isospin bei vorgegebenen Iz D N  Z genau jIz j  I  Imax verschie-
dene Isospinmöglichkeiten Die maximale Zustandszahl und damit die maximale
Bindungsenergie wird für Zustände mit kleinen jIz j errreicht.
Für eine stetige, nicht diskrete Parametrisierung der Bindungsenergie um dieses
Minimum erwartet man bei kleinen Auslenkungen typischerweise ein quadratisches
Verhalten proportional zu .N  Z/2 . Die so parametrisierte Asymmetrieenergie
32 2 Einführung in die Kernphysik

sollte in etwa eine „extensive“ Größe sein, d. h. dass z. B. ein Ungleichgewicht


im „n“ten Teil eines Kerns soviel Bindungsenergie kosten sollte wie dasselbe Un-
gleichgewicht in einem entsprechend kleineren Kern:
c.nA/  .nN  nZ/2 D n  c.A/  .N  Z/2
Die A-Abhängigkeit der Proportionalitätskonstanten ist daher: c.A/ / 1=A. Mit
einer geeigneten Konstanten aA kann man den Asymmetrieenergie-Beitrag nun in
der folgenden Weise schreiben:
B3 D aA .N  Z/2 =A D aA .A  2Z/2 =A : (2.37)
Da eine Asymmetrie die Bindungsenergie reduziert, ist der Term negativ.
Der Asymmetriebeitrag begrenzt die Wirkung des Coulomb-Terms in (2.36).
Zusammen bestimmen sie den Abstand zur .N D Z/-Achse der jeweils stabilsten
Kerne. Die maximale Bindungsenergie wird für
A
ZD
2 C 0;0153A2=3
erreicht. Diese Relation entspricht dem in (2.3) parametrisierten Neutronenüber-
schuss in stabilen oder beinahe stabilen Kernen.
Aus der Systematik der Bindungsenergien kennt man einen weiteren Beitrag,
die Paarungsenergie B4 . Kerne mit geradem Z oder N sind in der folgenden Weise
bevorzugt:
8
ˆ
ˆ CaP A1=2 für gg-Kerne mit geradem Z und geradem N
ˆ
< 0 für gu-Kerne mit geradem Z und ungeradem N
B4 D (2.38)
ˆ
ˆ 0 für ug-Kerne mit ungeradem Z und geradem N

aP A1=2 für uu-Kerne mit ungeradem Z und ungeradem N :
Wegen dieser Paarungsenergie sind Kerne mit geradem Z und geradem N beson-
ders stabil, Kerne mit ungeradem Z und ungeradem N , abgesehen von wenigen
Ausnahmen, aber instabil.
In den obigen Symmetrieüberlegungen hatten wir den Spin der Nukleonen nicht
berücksichtigt. Im Prinzip erwartet man einen solchen Beitrag nach einem ähnli-
chen Argument, wie wir es für den Asymmetrie-Term des Isospins angeführt haben.
Vor allem für große Massenzahlen A ist der beobachtete Term allerdings viel zu
groß. Er deutet darauf hin, dass es im Kern zwischen Paaren von Neutronen bzw.
von Protonen jeweils eine besonders starke Wechselwirkung gibt [20].
Fasst man die Terme zusammen, erhält man die Bethe-Weizsäcker-Formel
m.Z; A/c 2 D C Zmp c 2 C N mn c 2
 aV A C aS A2=3 C aC Z 2 =A1=3 C aA .A  2Z/2 =A
 aP A1=2 für gg-Kerne mit geradem Z und geradem N
1=2
C aP A für uu-Kerne mit ungeradem Z und ungeradem N
(2.39)
2.3 Modelle der Kernstruktur 33

Abb. 2.18 Die Beiträge


der einzelnen Terme zur
Bindungsenergie (adaptiert
nach [12])

für die Bindungsenergie von Kernen. Empirisch bestimmt, haben die Konstanten
die folgenden Werte [21]:
aV D 15;835 MeV ;
aS D 18;33 MeV ;
aC D 0;714 MeV ; (2.40)
aA D 23;2 MeV ;
aP D 11;2 MeV :
Die Beiträge der einzelnen Terme zur Masse (ohne B4 ) sind in Abb. 2.18 skizziert.
Trotz ihrer einfachen Struktur gilt die Massenformel erstaunlich genau. Der
Fehler in der Bindungsenergie liegt typischerweise bei einigen Prozent. Für die
Gesamtmassen entspricht dies einer Genauigkeit von 104 . Ausgenommen werden
müssen dabei die leichten Kerne unterhalb einer Massenzahl von 40. Deutlich grö-
ßere Fehler gibt es für die ungewöhnlich stabilen sogenannten „magischen“ Kerne.
Bei der Anpassung der Parameter in (2.40) wurde das (soweit nicht verstandene)
Gebiet um die magischen Kerne ausgenommen.
Die Massenzahl-Abhängigkeit der Kerne hatten wir in Abb. 2.14 kennen ge-
lernt. Der etwa konstante B=A-Wert wird bei niederen Massenzahlwerten durch
den Oberflächen-Term ./ A2=3 / und bei hohen Massenzahlen durch den Coulomb-
Anteil (praktisch / A2 / reduziert. Dies ermöglicht eine Reihe von Übergängen.
Zwei leichte Kerne können in einem Fusionsprozess in einen schwereren überge-
hen, ein schwerer Kern kann sich in zwei leichtere Kerne (Spaltung) oder in Kern
und ˛-Teilchen (˛-Zerfall) spalten.
Betrachten wir nun die Kernmassen innerhalb einer Isobarenreihe. Im Zusam-
menspiel von Asymmetrie-Term und Coulomb-Term erwartet man in etwa eine
Parabel, deren Minimum bei kleinen positiven .N  Z/-Werten liegt. Sie ist in
Abb. 2.19 dargestellt. Für ungerade A ist jeweils entweder nur ein Z- oder ein N -
Wert ungerade und der andere nicht. Man erhält damit keinen unterschiedlichen
Beitrag von der Paarungsenergie. Für gerade A ist die Situation komplizierter. Je
nachdem, ob Z und N gerade oder ungerade sind, bekommt man einen positiven
oder negativen Beitrag, d. h. man hat zwei um einen konstanten Betrag verschobene
Parabeln.
34 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.19 Schematische


Darstellung der Bindungs-
energie isobarer Kerne für
N+Z gerade

Masse

Masse
gerade und für ungerade N+Z ungerade
Massenzahlen

N−Z N−Z

Die Isobarenreihe ist wichtig für den ˇ-Zerfall. Ein Kern mit einem Überschuss
an Neutronen kann seine Kernladungszahl durch einen ˇ-Zerfall erhöhen. Der ab-
laufende Prozess ist dabei
n ! p C e C N e ; (2.41)
wobei das abgestrahlte Elektron als ˇ-Strahlung in Erscheinung tritt. Dieser Prozess
kann bei entsprechendem Überschuss natürlich mehrmals stattfinden. Die treibende
Energie ist dabei nicht die kleine Massendifferenz zwischen Proton und Neutron,
sondern die freiwerdende Bindungsenergie. Für Kerne mit einem Überschuss an
Protonen gibt es den umgekehrten Prozess

p ! n C eC C  e ; (2.42)

der unter Aussendung von positiver ˇ-Strahlung, d. h. der Antiteilchen der oben
emittierten Teilchen, abläuft. Das Antiteilchen eC des Elektrons e heißt Positron.
Um die beiden Prozesse zu unterscheiden, spricht man von ˇ C - oder ˇ  -Zerfäl-
len.
Da die Masse eines Elektrons oder Positrons (1=2 MeV) typischerweise klein
ist gegenüber den MeV-Werten der Bindungsenergie, kann der Prozess für Kerne
mit ungerader Massenzahl bis zu dem Isobar ablaufen, für das die Bindungsener-
gie ihren maximalen Wert erreicht. Man beobachtet daher jeweils nur ein einzelnes
Isotop, das bezüglich des ˇ-Zerfalls in jeder Richtung stabil ist. Für Kerne mit ge-
rader Massenzahl kann die Asymmetrieenergiedifferenz für den Übergang von der
niederen Parabel (Abb. 2.19) zur höheren nicht ausreichen. Trotz der Existenz des
ˇ-Zerfalls gibt es daher oft mehrere sehr stabile Isotope. Bei einem doppelten ˇ-
Zerfall kann ein energetisch höhergelegener Zwischenzustand natürlich im Prinzip
durchtunnelt werden, aber solche Prozesse werden um Zehnerpotenzen mehr Zeit
in Anspruch nehmen.
2.3 Modelle der Kernstruktur 35

2.3.2 Das Thomas-Fermi-Modell

Wie kann man das Verhalten der Kerne aus einer fundamentalen Nukleon-Nukleon-
Wechselwirkung verstehen? Vielteilchenprobleme sind praktisch nicht exakt lös-
bar. Sie erfordern drastische Approximationen. Für Kerne gibt es zwei extreme
Möglichkeiten. Man kann entweder das komplizierte Zusammenspiel im Vielteil-
chenzustand ignorieren und sich den Bewegungen einzelner Teilchen in geeignet
gewählten, effektiven Potenzialen zuwenden, oder man kann den Kern nur kollektiv
als Flüssigkeit oder Gas beschreiben [22].
Die Beschreibung der Nukleonendynamik sowohl durch Orbitale als auch durch
eine Art von Gasanalogie erscheint auf den ersten Blick unsinnig, da bekannt ist,
dass die Wechselwirkung zwischen Nukleonen sehr stark ist. Das Volumen von Nu-
kleonen, wie es sich aus dem Streuquerschnitt ergeben würde, ist nicht viel kleiner
als der Platz pro Nukleon im Kern (d. h. das Inverse der Packungsdichte), und ein
einfallendes Proton, das nur ein einziges Mal durch einen großen Kern fliegt, wird
im Mittel ein bis mehrere Male gestreut werden. Der Grund, warum beide Kon-
zepte trotzdem anwendbar sind, hat seinen Ursprung in der Fermi-Statistik. Da alle
für Fermionen des Kerns energetisch zugänglichen Zustände besetzt sind, sind die
erwarteten drastischen Streuvorgänge innerhalb des Kerns nicht möglich. Das gilt
nicht für Streuvorgänge mit von außen kommenden Nukleonen. Im Bereich po-
sitiver Energien gibt es natürlich beliebig viele unbesetzte Endzustände, und die
mittlere freie Weglänge von solchen Teilchen ist damit, wie gesagt, sehr kurz.
Wie wir gesehen haben, spielt die Fermi-Statistik eine zentrale Rolle. Viele Ei-
genschaften der Kerne sind allein aus der Fermi-Statistik unabhängig von der detail-
lierten Struktur der Kerne zu verstehen. Dies geschieht im Thomas-Fermi-Modell.
In diesem Modell ist jedwede Wechselwirkung zwischen den Nukleonen vernach-
lässigt, und es gibt – abgesehen von der Größe – keine Abhängigkeit von der
genauen Form und Dichtestruktur des Kerns.
Um die grundlegende Idee zu erläutern, brauchen wir wieder etwas Quantenme-
chanik. Betrachten wir zunächst untereinander nicht wechselwirkende Teilchen in
einem kastenförmigen Würfelpotenzial:
(
V0 für 0 < x; y; z < Ca
V .r/ D (2.43)
1 sonst :

Die Schrödinger-Gleichung mit einem solchen Potenzial


 
„2 d2 d2 d2
 C 2 C 2 .x; y; z/ D .E  V / .x; y; z/ (2.44)
2m dx 2 dy dz

wird faktorisiert. Schreibt man die Wellenfunktion als

.r/ D X.x/Y.y/Z.z/ ;
36 2 Einführung in die Kernphysik

so erhält man drei separate Gleichungen

„2 d 2
 X.x/ D Ex X.x/ ;
2m dx 2
„2 d 2
 Y.y/ D Ey Y.y/ ;
2m dy 2
„2 d 2
 Z.z/ D Ez Z.z/
2m dz 2
mit soweit unbestimmten Konstanten („Unterenergien“)

.E C V0 / D Ex C Ey C Ez :

Betrachten wir zunächst die x-Komponente. Die Wellenfunktion muss an den Kan-
ten verschwinden. Die Lösungen haben daher die Form

X.x/ D .const./  sin.kx x/

mit der „Wellenvektor“-Komponente

  x
kx D ;
a
und mit
x D 1; 2; 3;    :
Die Lösungen in den anderen Richtungen sind analog. Die -Werte liegen in einem
dreidimensionalen Raum mit jeweils ganzzahligen Koordinaten, dem „Wellenzahl-
vektorraum“, wie in der Abb. 2.20 dargestellt ist. Die „Unterenergie“ der jeweiligen
Lösung ist
„2  2 2
Ex D ;
2m a2 x
und die (kinetische) Gesamtenergie hat damit den Wert

„2  2  2 
E C V0 D 2
x C y2 C 2z :
2m a
Da wir die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Teilchen vernachlässigen,
sind dies auch die Lösungen im Mehrteilchensystem. Wieviele Zustände passen in
den Kern bei vorgegebener Maximalenergie? Es sind gerade die Zustände, die sich
in Abb. 2.20 innerhalb einer „Fermi-Kugel“ mit dem Radius
a p a p
RFermi D 2m.E C V0 / D 2mEFermi (2.45)
„ „
befinden oder, genauer gesagt, in dessen positiven Sekanten, d. h. einer .1=8/-Ku-
gel. Die Fermi-Energie EFermi ist die besetzte maximale kinetische Energie E  V0 .
2.3 Modelle der Kernstruktur 37

Abb. 2.20 Der diskrete


Phasenraum des Kastenpo-
tenzials

Ist die Zahl der Zustände groß, wird sie etwa dem verfügbaren Volumen des positi-
ven Sekanten entsprechen
 
1 4 1
nD  RFermi D
3
 .2mEFermi /3=2  V ; (2.46)
8 3 6 2 „3
wobei V D a3 dem Volumen des Potenzialkastens entspricht.
Versuchen wir jetzt, unsere Betrachtung etwas realistischer zu machen. Zunächst
haben wir mehrere Nukleonsorten. Jeder Zustand kann insgesamt viermal besetzt
werden, und zwar durch ein Proton und ein Neutron, jeweils mit dem Spin nach
„oben“ und nach „unten“.
Die unendliche Potenzialwand ist eine Idealisierung. Nimmt man an, dass das
Potenzial außen verschwindet, ändert sich wenig für die Wellenfunktionen im Kas-
ten. Nur die obersten Wellenfunktionen tunneln etwas in die Begrenzung. Der we-
sentliche Effekt ist, dass jetzt Nukleonen mit E > 0 nicht mehr gebunden sind.
Es gibt damit für gebundene Nukleonen eine maximale kinetische Energie, die der
Tiefe des Potenzials entspricht. In den meisten Kernen wird diese Energie nicht
wirklich erreicht, und die Tiefe des Potenzials ist daher meist etwas größer als
die Fermi-Energie, die, wie gesagt, die maximale kinetische Energie der tatsäch-
lich besetzten Zustände angibt. In realistischeren Betrachtungen wird die Tiefe des
Potenzials so angepasst, dass diese Differenz der beobachteten Separationsenergie
entspricht.
Die zentrale Beobachtung ist jetzt, dass die Dichte n=V der Zustände nur von der
Fermi-Energie abhängt. In einen doppelt so großen Kasten gehen zweimal so viele
Zustände. Das gilt natürlich nur approximativ für nicht zu kleine Potenzialkästen.
Wir hatten im Wellenvektorraum ja nicht einzelne Zustände abgezählt, sondern nur
Volumina betrachtet.
Betrachten wir zur Illustration zwei identische, aneinandergefügte Potenzialkäs-
ten. In einem solchen Doppelkasten gibt es etwa gleich viele symmetrische und an-
tisymmetrische Zustände. Die antisymmetrischen Wellenfunktionen verschwinden
38 2 Einführung in die Kernphysik

an der ursprünglichen Kastengrenze und entsprechen daher genau den Lösungen in


einem der ursprünglichen Kästen. Die symmetrischen Zustände sind neu. Sie sind
verantwortlich für den Faktor 2 in der Zahl der vorhandenen Zustände, der bei einer
Verdopplung des Volumens von (2.46) erwartet wird.
In der betrachteten Approximation hängt eine solche Addition nicht von der Tie-
fe der beiden Kastenteile ab. Macht man die Kästchen „infinitesimal“, kann man
beliebig geformte Potenziale approximieren, und zwar auch in drei Dimensionen.
In der betrachteten Näherung gibt es daher eine allgemeine Beziehung zwischen
Fermi-Energie und Nukleonendichte, die für viele Abschätzungen verwendet wer-
den kann. Aus der Dichteverteilung in Abb. 2.12 lässt sich damit direkt mit (2.46)
die Potenzialtiefe ablesen. Mit einer typischen Kerndichte von

Nukleonen
%0 D 0;16
fm3
erhält man aus (2.46) und dem Faktor 4 eine Fermi-Energie von etwa 36 MeV (es ist
„c D 197 MeV  fm). Ein Nukleon an der „Fermi-Kante“, das diese relative Energie
(E  V ) trägt, ist noch gebunden. Mit einer zusätzlichen Bindungsenergie von etwa
4 MeV ist die absolute Potenzialtiefe dann 40 MeV.

2.3.3 Das Schalenmodell

Das Thomas-Fermi-Modell erlaubt ein Verständnis der groben globalen Strukturen,


wie sie in die Bethe-Weizsäcker-Formel eingingen. In der Nuklidtafel gibt es spe-
zifische Strukturen, die von einer Massenzahl zur nächsten zu starken Änderungen
führen, die nicht aus der offensichtlich recht kontinuierlichen Änderung von Dich-
teverteilungen erklärt werden können.
Solche Strukturen waren in der Bindungsenergie pro Nukleon in Abb. 2.14 zu se-
hen. Für einige N - und Z-Werte gab es in der Nuklidtabelle besonders viele Isotone
bzw. Isotope. Sie waren in Abb. 2.11 durch Kästchen markiert. Ähnliche Strukturen
beobachtet man, wenn man die natürlichen Häufigkeiten der Elemente aufträgt.
Die Strukturen sind besonders gut sichtbar, wenn man die Änderung der Sepa-
rationsenergie [23] betrachtet, die in Abb. 2.21 für Neutronen und in Abb. 2.22 für
Protonen gezeigt ist. Dies gilt besonders für die N -Abhängigkeit, aber auch, wenn
auch weniger deutlich, für die Z-Abhängigkeit.
Untersucht man die Isotope, die dafür verantwortlich sind, so findet man, dass
dafür jeweils besondere Protonen- oder Neutronenzahlen verantwortlich schei-
nen [24]. Für solche speziellen Werte, die sogenannten magischen Zahlen

N; Z D 2; 8; 20; 28; 50; 82 oder 126 ;

scheint ein besonderer Grad an Stabilität erreicht.


Möchte man solche detaillierteren Strukturen verstehen, muss man mit der Dy-
namik der Nukleonen eine Stufe genauer sein. Dies geschieht im Schalenmodell
2.3 Modelle der Kernstruktur 39

Abb. 2.21 Die Änderung


der Separationsenergie für
Neutronen B.N; Z/  B.N 
1; Z/. Die angegebenen
Koordinatenwerte beziehen
sich auf Z und N . (© Leon
van Dommelen [25])

Abb. 2.22 Die Änderung der


Separationsenergie für Proto-
nen B.N; Z/  B.N; Z  1/.
Die angegebenen Koordi-
natenwerte beziehen sich
auf Z und N . (© Leon van
Dommelen [25])

(englisch shell model). Nach wie vor wird die direkte Wechselwirkung zwischen
einzelnen Nukleonen vernachlässigt, aber die detaillierte Form der Wellenfunk-
tionen der Nukleonen in empirischen mittleren Potenzialen wird jetzt explizit be-
40 2 Einführung in die Kernphysik

rücksichtigt. Die Vorstellung für die magischen Zahlen ist nun, dass wie in der
Atomhülle die Energieniveaus in Schalen gruppiert sind und dass vollständig auf-
gefüllte Schalen relativ stabil sind. Der Name „magisch“ hat seinen Ursprung darin,
dass es lange Zeit nicht möglich war, Schalen mit solchen Besetzungszahlen zu ver-
stehen.
Das Schalenmodell folgt der Hartree-Fock-Approximation in der Atomphysik.
In dieser Approximation werden zunächst die Wellenfunktionen eines einzelnen
Elektrons in einem mittleren Coulomb-Potenzial der anderen Elektronen berech-
net, und anschließend wird dann aus der so erhaltenen Dichte (d. h. aus der Summe
der Wellenfunktionsquadrate) der Ladungsverteilung mit dem Coulomb-Gesetz das
resultierende elektrostatische Potenzial bestimmt. Die richtige Lösung hat man,
wenn das so berechnete Potenzial mit dem ursprünglich hineingesteckten Poten-
zial übereinstimmt. Eine geeignete Iteration erlaubt es, eine solche Lösung mit der
gewünschten Genauigkeit zu finden, d. h. die zugrundeliegende Integralgleichung
zu lösen. Für die Lösung muss natürlich die Antisymmetrie der Wellenfunktion des
Fermionensystems erhalten bleiben.
Das Bild mit einem mittleren Potenzial ist für Kerne nicht ohne weiteres anwend-
bar, da Kernkräfte bei kleinen Nukleonenabständen sehr stark variieren. Betrachten
wir die Situation etwas genauer. Der Operator der Schrödinger-Gleichung. (Opera-
toren sind überstrichen.)
H D E
wird in geeigneter Weise in einen Ein- und einen Zwei-Teilchen-Beitrag aufgespal-
ten X X
H D H0 .r i ; p i / C Vi;j .   / :
i i;j

Die Aufspaltung in einen Ein-Teilchen-Operator und eine Störung (Zwei-Teilchen-


Beitrag) wird dabei so gewählt, dass der zweite Operator einen minimalen Beitrag
leistet und (so gut wie möglich) vernachlässigt werden kann. Die Wellenfunktion
besteht aus einer antisymmetrischen Summe

/ C i .r k /  j .r l /      j .r k /  i .r l /    :

Ignoriert man den zweiten Operator, lösen die Produkte die Schrödinger-Gleichung,
wenn die einzelnen Wellenfunktionen selbst Lösungen sind. Wegen der Antisym-
metrie können nur unterschiedliche Zustände beitragen.
In der Kernphysik verzichtet man normalerweise auf die Selbstkonsistenzbedin-
gung und arbeitet mit geeignet gewählten Ein-Teilchen-Potenzialen, die empirisch
aus den beobachteten Energieniveaus gewonnen werden. Zum einen ist die Wech-
selwirkung zwischen zwei Nukleonen viel komplizierter und ungesicherter als die
Coulomb-Wechselwirkung. Zum anderen ist die Approximation, aus dem attrakti-
ven Zwei-Nukleonen-Potenzial ein effektives Zentralpotenzial Vzentral .r/ herauszu-
ziehen, hier sowieso wesentlich schlechter. Auf Versuche, den Rest
X
Vi;j .r i ; rj /  V .ri /zentral
j
2.3 Modelle der Kernstruktur 41

irgendwie als Korrektur zu berücksichtigen, werden wir später zurückkommen.


Man weiß, dass die Nukleonendichte im Inneren des Kerns in etwa konstant ist.
Aus der Überlegung im letzten Abschnitt folgt, dass damit auch das effektive Kern-
potenzial im Inneren konstant sein muss. Man erwartet also in erster Approximation
eine Art kugelförmiges Kastenpotenzial
(
V0 für 0 < r < CR
V .r/ D (2.47)
0 sonst

für Neutronen. Für Protonen wird der Coulomb-Anteil hinzukommen, der innen
( r 2 ) das Potenzial am Rand ein wenig absenkt und außen für eine Coulomb-
Schwelle ( 1=r), die uns noch beschäftigen wird, verantwortlich ist. Von der
Dichteverteilung in Abb. 2.12 wissen wir, dass das Kastenpotenzial nicht für die
„abgerundeten“ Randbereiche gilt und dass für leichte Kerne diese Abrundungsef-
fekte dominieren; die Dichteverteilung entspricht dort mehr einer Gauß-Verteilung,
wie man sie für einen harmonischen Oszillator

V .r/ D V0  r 2 (2.48)

erwartet. Das wirkliche Potenzial muss irgendwo dazwischen liegen. In vielen


Rechnungen wird daher das sogenannte Woods-Saxon-Potenzial [26]

V0
V .r/ D (2.49)
1 C exp ..r  R/=a/

benutzt. Mit geeigneten Parametern (z. B. [27]: V0 D 42 MeV, R D 1;3  Afm


und a D 0;65 fm) interpoliert es zwischen beiden extremen Potenzialformen in
realistischer Weise. Für unsere Diskussion reicht es, die extremen Potenziale des
Kastens und des Oszillators zu betrachten. Wie liegen die Energieniveaus in beiden
Fällen?
Die Lösung des dreidimensionalen harmonischen Oszillators faktorisiert wegen

V .r/ / r 2 D x 2 C y 2 C z 2

wie das im letzten Abschnitt behandelte rechteckige Kastenpotenzial in drei eindi-


mensionale Wellenfunktionen

.r/ D X.x/  Y.y/  Z.z/ :

Jede der Komponenten ist Lösung des eindimensionalen harmonischen Oszillators.


Die Gesamtenergie hat damit drei Beiträge

E D „!.nx C 1=2/ C „!.ny C 1=2/ C „!.nz C 1=2/


(2.50)
D „!.n C 3=2/
42 2 Einführung in die Kernphysik

mit n D nx C ny C nz D 0; 1; 2    . Die Besetzungszahl wird durch die kombi-


natorischen Möglichkeiten bestimmt, die Energie auf Anregungen in den einzelnen
Komponenten zu verteilen. Es gibt nC1 Möglichkeiten, n zwischen nx und ny Cnz
zu verteilen, und die Aufteilung zwischen ny und nz ergibt im Mittel n=2 C 1 Kom-
binationen. Summiert man über jeweils voll besetzte Schalen n D 0; 1; 2; 3; 4; 5;   
mit den Besetzungsmöglichkeiten

1; 3; 6; 10; 15; 21;    (2.51)

für beide Spinzustände, erhält man für Neutronen (oder für Protonen) die folgenden,
besonders stabilen Besetzungszahlen:

2; 8; 20; 40; 70; 112;    : (2.52)

Die ersten drei entsprechen in der Tat den magischen Zahlen.


Geeignete lineare Kombinationen der entarteten Zustände ergeben Eigenzustän-
de des Drehimpulsoperators. Solche Eigenzustände hätte man sofort erhalten, wenn
man die Wellenfunktion zunächst in einen radialen und einen winkelabhängigen
Anteil separiert hätte. Für die niedrigsten Anregungszustände treten dabei die fol-
genden Drehimpulszustände auf:

n 0; 1; 2; 3; 4; 5;   
l 0; 1; 0; 1; 0; 1;   
2; 3; 2; 3;   
4; 5;   

Da es zu jedem der angeführten Drehimpulszustände jeweils ein Multiplett mit


insgesamt .2l C 1/ Zuständen gibt, erhält man in jeder Spalte die obigen Beset-
zungszahlen.
Verlässt man das Harmonischer-Oszillator-Potenzial und wählt ein anderes ku-
gelsymmetrisches Potenzial wie das Kastenpotenzial, wird die Entartung zwischen
den verschiedenen Drehimpulszuständen mit verschiedenen l aufgehoben. Da keine
Vorzugsrichtung vorliegt, bleibt natürlich die Entartung bezüglich der Drehimpuls-
richtung m bestehen.
Für ein kugelsymmetrisches Kastenpotenzial ist die Aufspaltung der Linien nicht
sehr stark, wie man in den ersten beiden Spalten in Abb. 2.23 sehen kann. In der
Abbildung sind die üblichen spektroskopischen Bezeichnungen

s(sharp); p(principal); d(diffuse); f(fundamental) : : : weiter alphabetisch : : :

für die Bahndrehimpulse l D 0; 1; 2, usw. benutzt. Die erste Spalte zeigt die äqui-
distanten Niveaus des harmonischen Oszillators, die zweite Spalte die des radialen
Kastenpotenzials, das das Potenzial großer Kerne approximieren sollte. Die Ener-
giezustände haben sich nicht sehr stark geändert. Sie sind nach wie vor für höhere
Anregungszustände falsch gruppiert; das Problem mit den magischen Zahlen ist
noch nicht gelöst.
2.3 Modelle der Kernstruktur 43

Abb. 2.23 Die Aufspaltung


der Terme und die Spin-
Bahn-Kopplung (adaptiert
nach [28])

Der harmonische Oszillator und das Kastenpotenzial sind Extremfälle, das wirk-
liche Potenzial wird dazwischen liegen. Im Allgemeinen ändert sich die relative
Lage der Eigenzustände nur sehr langsam mit der Form des Potenzials; bestimm-
te Ordnungsrelationen bleiben für eine weite Klasse von Potenzialen erhalten. Es
ist unmöglich, allein durch eine geschickte Wahl des Potenzials die den magischen
Zahlen entsprechende Gruppierung zu erhalten.
Die einzige Möglichkeit, die magischen Zahlen zu erhalten, ist eine Aufspaltung
von Zuständen mit verschiedenen Spins. Aus Abschn. 2.2.4 wissen wir, dass die
Wechselwirkung zweier Nukleonen einen spin-abhängigen Anteil hat, und eine sol-
che Abhängigkeit ist damit auch für das effektive globale Potenzial zu erwarten.
Eine Möglichkeit ist dabei eine Wechselwirkung zwischen Spin und Bahndrehim-
puls des jeweils betrachteten einzelnen Nukleons [29]

VSpin-Bahn .ri /.l i  si / : (2.53)

Der nichtrelativistische Grenzfall der Dirac-Gleichung, die wir im dritten Teil ken-
nen lernen werden, führt für ein einzelnes Teilchen in einem Potenzial zu folgender
Spin-Bahn-Wechselwirkung:

@
V .ri / .l i  si / :
@ri
44 2 Einführung in die Kernphysik

Der nichtrelativistische Grenzfall erlaubt es, die r-Abhängigkeit der Spin-Bahn-


Wechselwirkung sinnvoll festzulegen. Er kann nicht dazu benutzt werden, ihre Grö-
ße und sogar ihr Vorzeichen zu bestimmen.
Jensen und Goeppert-Mayer (Nobelpreis 1963) fanden 1948 heraus, dass ein sol-
cher Term in der Tat zur richtigen Aufspaltung der Terme führt, wie sie in der letzten
Spalte der Abb. 2.23 dargestellt ist. Die 2  .2l C 1/-fachen Multipletts spalten in
jeweils ein .2l C 2/-faches und ein 2l-faches Multiplett auf. Der niedrigste (l D 3)-
Zustand mit Spin in Bahndrehimpulsrichtung kommt aus der Gegend des dritten in
die Gegend des zweiten Orbitals und analog der niedrigste (l D 4)-Zustand in die
Gegend des dritten Orbitals usw. Die eckigen Klammern geben die Besetzungs-
zahlen der scheinbaren Orbitale eng benachbarter wirklicher Orbitale an, die den
magischen Zahlen entsprechen.
Das Kastenpotenzial, das in der Abb. 2.23 dargestellt wurde, ist natürlich nicht
realistisch. Interessiert die genaue Reihenfolge in der Besetzung eng benachbarter
Zustände, müssen realistischere Potenziale herangezogen werden. Für Protonenzu-
stände muss die Coulomb-Abstoßung berücksichtigt werden.
Der obige Term ist nicht der einzige mögliche Spin-Bahn-Kopplungs-Term. Be-
schäftigen wir uns zunächst mit der Notation. Mit großen Buchstaben werden oft
die den gesamten Kern betreffenden Größen bezeichnet, d. h.
X X X
J D ji ;L D li und S D si ;

wobei gilt:
J D L C S I j i D l i C si :
(Manchmal wird der Buchstabe I anstelle von J benutzt, um den Drehimpuls des
Kerns (I ) von dem der Hülle (J ) zu unterscheiden. In diesem Buch wird I für den
Isospin verwendet.)
Mit
2 2
j i D l i C 2.si  l i / C s2i
2
(wobei die Operatoren l i und s2i für die Spin-Bahn-Kopplung nicht relevante Eigen-
werte l.l C1/ und 3=4 haben) lässt sich der obige Spin-Bahn-Term folgendermaßen
schreiben
1=2 VSpin-Bahn .ri / .j i  j i / : (2.54)
Er wird daher oft jj -Kopplung genannt.
In der Atomphysik ist eine andere Kopplung bekannt. Da hier die elektrostati-
schen Kräfte recht langreichweitig sind, spürt ein Elektron das Magnetfeld, das von
dem Bahndrehimpuls aller anderen Elektronen hervorgerufen wird. Der Wechsel-
wirkungsterm ist mit einem geeigneten Faktor KSpin-Bahn

KSpin-Bahn .L  S / : (2.55)

Er wird LS-Kopplung oder Russel-Saunders-Kopplung genannt. Überwiegt diese


Kopplung, sind die Atomzustände etwa Eigenzustände des Gesamtspins und des
2.3 Modelle der Kernstruktur 45

Abb. 2.24 Die Be- Zustandsanzahl Anzahl p Anzahl n


setzungszahlen des
1d5/2 6 1
Sauerstoffisotops 17O
1p1/2 2 2 2
1p3/2 4 4 4

1s1/2 2 2 2

Gesamtdrehimpulses. Man hat damit eine Aufspaltung der radialen Anregungen


mit festem Bahndrehimpuls und festem Gesamtspin in 2S C 1 verschiedenen Spi-
norientierungen. Die LS-Kopplung kann die magischen Zahlen nicht erklären, und
sie ist damit nicht dominant in Kernen der dafür relevanten Größe. Für sehr leichte
Kerne (etwa A < 16) scheint eine Mischung beider Terme aufzutreten.
In welcher Reihenfolge die Orbitale im „Ein-Teilchen“-Schalenmodell des
Atomkerns aufgefüllt werden, beeinflusst den Gesamtdrehimpuls der Atomkerne.
Der Gesamtdrehimpuls entspricht dem von außen beobachteten „Spin“ des als
ganzes gesehenen Atomkerns. Betrachten wir den Einfluss des jj -Terms und ver-
nachlässigen wir für den Augenblick jedwede Zwei-Nukleon-Wechselwirkung. ml
bzw. ms seien die z-Komponente des Bahndrehimpulses l bzw. des Spins s. Zu je-
dem .ml ; ms /-Zustand gibt es einen .ml ; ms /-Zustand mit identischer Energie.
Beide Zustände werden daher in der Regel gleichzeitig aufgefüllt werden. Für gg-
Kerne (mit geradem Z und geradem N ) findet man daher einen verschwindenden
Gesamtdrehimpuls des Kerns. Für Kerne mit ungerader Nukleonenzahl wird der
Gesamtdrehimpuls und das magnetische Moment des Spins durch dieses äußere zu-
sätzliche Nukleon bestimmt. Wie in der Atomhülle tragen abgeschlossene Schalen
nicht bei. In Analogie zur Atomphysik wird es als „Leuchtnukleon“ bezeichnet.
Betrachten wir ein Beispiel. Der Sauerstoffkern 16O ist doppelt magisch (Z D 8
und N D 8). Die niedersten s- und p-Zustände (d. h. l D 0 und l D 1) sind
aufgefüllt, wie es in Abb. 2.24 gezeigt ist. In der Figur ist der Fall des 17O-Isotops
dargestellt, das ein zusätzliches Neutron besitzt. Da dies einen totalen Drehimpuls
von 5=2 trägt, ist der Gesamtdrehimpuls des Kerns 5=2. Mit dieser Methode erhält
man die in Abb. 2.25 dargestellten Vorhersagen. Die Übereinstimmung ist erstaun-
lich gut in Anbetracht der Tatsache, dass nur der mittlere Effekt der Zwei-Teilchen-
Wechselwirkung berücksichtigt war. Sie funktioniert besonders gut in der Nach-
barschaft von magischen Kernen. Das ist nicht überraschend. Fügt man zu einem
magischen Kern ein Nukleon hinzu, wird dieses wegen des relativ großen Energie-
abstands eine etwas geringere Überlappung mit den übrigen „Rumpf“-Nukleonen
haben. Eine Vernachlässigung des Unterschieds von zentraler Wechselwirkung und
Zwei-Teilchen-Wechselwirkung ist daher hier besonders unproblematisch.
Das gilt auch für Anregungszustände von Kernen mit einem solchen Leuchtnu-
kleon. Um die Situation zu illustrieren, sind in Abb. 2.26 die Anregungszustände
des 17O-Isotops zusammengestellt. Erwartungsgemäß (Abb. 2.23) findet man neben
dem 1d5=2 -Grundzustand einige leicht identifizierbare Leuchtnukleon-Anregungs-
zustände 2s1=2 , 1f7=2 und 2p3=2 . Wie man in der Abbildung sehen kann, wird die
46 2 Einführung in die Kernphysik

I
13/2

11/2
E
9/2 /

7/2

5/2

3/2

1/2

10 20 30 40 50
N=Z (magisch) +/−1 bzw. +/−2

Abb. 2.25 Der beobachtete Kernspin im Vergleich zum Schalenmodell (adaptiert nach [27])

Situation für höhere Anregungen schnell kompliziert. Das Spektrum kann in diesem
Bereich nur in detaillierten Modellrechnungen, die Korrekturen zum Schalenmodell
explizit berücksichtigen, verstanden werden. Uns interessieren nur die einfachsten
Aspekte der Kernmodelle.

2.3.4 Kurze Betrachtung der Kernmomente

Kerne enthalten sich bewegende Ladungen, deren Energie natürlich von anliegen-
den elektrischen und magnetischen Feldern abhängt. Für quantitative Betrachtun-
gen muss man die Ladungen und Stromverteilungen eines Kerns nach Multipolen
entwickeln, wie dies aus der Elektrodynamik bekannt ist. Da die Ausdehnung des
Kerns klein ist, sind nur die niedrigsten Beiträge physikalisch interessant. Das erste
elektrische Moment (die Ladung oder Ordnungszahl) ist bekannt. Experimentell re-
levant sind das magnetische Dipolmoment und das elektrische Quadrupolmoment.
Ohne magnetischen Monopol gibt es kein entsprechendes magnetisches Moment
und, da im Kern nur positive Ladungen auftreten, spielen elektrische Dipolmomente
keine Rolle. Wir betrachten Kerngrundzustände, in denen Oszillationen der Ladun-
gen um den Massenmittelpunkt nicht auftreten.
Für Messungen von magnetischen Dipolmomenten

Kern D gKern  N (2.56)

verwendet man die Einheit des Kernmagnetons, d. h. des magnetischen Moments


eines Protons, das ohne ausgerichteten Spin mit dem Drehimpuls l D 1 in einem
2.3 Modelle der Kernstruktur 47

Abb. 2.26 Die Energieniveaus des 17O-Kerns (© Hellwege, [30])


48 2 Einführung in die Kernphysik

Zentralfeld kreist:
e„ MeV
N D D 3;15  1014 : (2.57)
2mp c T
Dabei ersetzt die Protonmasse die Elektronmasse im Bohrschen Magneton, das das
magnetische Dipolmoment des Elektrons beschreibt. In Konsequenz ist die Skala
für magnetische Dipolmomente um drei Zehnerpotenzen niedriger als in der Atom-
hülle.
Das magnetische Moment des Kerns enthält Beiträge vom Bahndrehimpuls und
vom Spin der Nukleonen. Welcher Beitrag kommt vom Spin eines Nukleons? In
der reinen Dirac-(Ein-)Teilchen-Theorie hat ein Fermion der Masse mp in nied-
rigster Ordnung in der obigen Einheit das magnetische Dipolmoment 1, d. h. der
Bahndrehimpuls l D 1 führt zu demselben Moment wie der Spin s D 1=2. Der
Drehimpuls des geladenen, reinen Dirac-Teilchens in einem Bindungszustand ist
damit  
Dirac-Teilchen D N  l C 2  s ; (2.58)

wobei l und s als Operatoren aufzufassen sind. Zu dem Faktor 2 der niedrigs-
ten Ordnung gibt es Korrekturen. Für Elektronen führt das, wie wir später sehen
werden, hauptsächlich durch die Hinzunahme der virtuellen Photonen zu einer
winzigen Abweichung. Da das Proton bzw. das Neutron keine elementaren Fer-
mionen sind, haben sie anomale magnetische Momente, die weit von dem eines
freien Dirac-Teilchens abweichen. Zur Beschreibung führt man einen empirischen
Korrekturfaktor ein  
Nukleon D N  l C gs  s ; (2.59)
der für Protonen den Wert gs D 5;59 und für Neutronen den Wert gs D 3;83
hat [31, 32]. Für Neutronen verschwindet natürlich der erste Summand.
Für Kerne sind auf der rechten Seite der Gesamtbahndrehimpuls der geladenen
Protonen und der Gesamtspin einzusetzen. Betrachten wir den Fall eines Kerns mit
einem einzelnen Leuchtproton, das den Gesamtdrehimpuls und den Gesamtspin des
Kerns trägt.
Möchte man das magnetische Moment eines Kerns angeben, können quantenme-
chanische Effekte nicht vernachlässigt werden. Berücksichtigt man die Spin-Bahn-
Wechselwirkung, sind nur J; Jz ; S; J  S und die Parität erhaltene Größen. Die Pa-
rität, die wir später einführen werden, legt fest, ob der Bahndrehimpuls gerade oder
ungerade ist. Versuchen wir nun, das magnetische Moment durch diese Eigenwerte
auszudrücken, ohne in quantenmechanische Details zu gehen. Der einzige erhaltene
„Vektor“ wird durch J; Jz beschrieben. Es gibt keine andere ausgezeichnete Rich-
tung. Nur der Teil von , der in diese Richtung zeigt, kann daher einen im Mittel
nicht verschwindenden Erwartungswert haben. Man kann daher den Operator 
durch den Operator
1
J J 
J.J C 1/
2.3 Modelle der Kernstruktur 49

ersetzen. Die elektrostatische Energie des Kerns im Magnetfeld lässt sich mit dem
Erwartungswert dieses Operators in der folgenden Weise ausdrücken:

1
E D B  Kern D B  J J  Kern : (2.60)
J.J C 1/
Zeigt die z-Achse in Richtung des Magnetfelds, ist der erste Faktor rechts jBj  Jz .
Zur Berechnung des zweiten Vektorprodukts


J  Kern D J  N L C gs  S (2.61)

spalten wir den letzten Vektor in einen Teil proportional zu L C S D J und einen
Teil proportional zu L  S auf. Durch diese Aufspaltung gibt es dann im Produkt
jeweils volle Quadrate der Operatoren mit den Erwartungswerten J.J C 1/ und
L.L C 1/  S.S C 1/. Man erhält
   
1 gs 1 gs .L .L C 1/  S .S C 1//
E D jBj  Jz  N C C   ;
2 2 2 2 J .J C 1/
(2.62)

wobei bei einem ungepaarten Nukleonenspin S D 1=2 und L D J ˙ 1=2 ist. Die
erhaltenen magnetischen Momente in Richtung des Spins Jz D J
8
 
< 1  1  1 gs 1 für J D L C 12
2 2 J
Kern D J  N

: 1 C  1  1 g  1 für J D L  1
(2.63)
2 2 s J C1 2

werden Schmidt-Werte genannt.


Die Spinabhängigkeit der magnetischen Momente von Kernen mit einem un-
gepaarten Proton ist in Abb. 2.27 dargestellt. Das Bild mit einem einzelnen un-
gepaarten Proton, das mit seinem anomalen magnetischen Moment den Spin und
das magnetische Dipolmoment des Kerns bestimmt, ist nur auf einer qualitativen
Ebene richtig. Das anomale magnetische Moment scheint für Nukleonen im Kern
geringere Werte anzunehmen.
Welche Möglichkeiten gibt es, magnetische Dipolmomente zu messen? Aus der
Atomphysik ist das Stern-Gerlach-Experiment (Abb. 2.28) bekannt. Die Energie
eines Kernmagnetons im Magnetfeld ist durch (2.60) gegeben. In einem inhomoge-
nen Magnetfeld hat diese Energie eine nicht verschwindende Ableitung, und es gibt
eine Kraft in Richtung des stärkeren Magnetfeldes, das zur Ablenkung eines Strahls
benutzt werden kann. Praktisch lässt sich das (einfache) Stern-Gerlach-Experiment
nur auf neutrale Strahlen anwenden, da sonst die Lorentz-Kraft dominiert. Man
muss die Kernmomente innerhalb eines Atoms messen. Das ist wegen des großen
Unterschieds zwischen Bohrschem Magneton und Kernmagneton sehr schwierig
und erfordert besondere Verfahren.
Eine Methode der Bestimmung von Kernmomenten benutzt die Hyperfeinstruk-
tur der Spektrallinien in Atom- und Molekülspektren. Die verschiedenen Polarisa-
tionsrichtungen eines Kerns führen zu einer Aufspaltung geeigneter Spektrallinien,
50 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.27 Die magnetischen Dipolmomente von Kernen mit ungepaarten Protonen (© Mayer-
Kuckuck [33])

aus der sich das magnetische Moment des Kerns berechnen lässt. Entscheidend
für die Messgenauigkeit sind dabei die Größe der atomphysikalischen (d. h. der von
einem nicht verschwindenden magnetischen Moment der Hülle erzeugten) Magnet-
felder und die Genauigkeit, mit der diese bestimmt werden können. Die Magnetfel-
der um den Kern sind größer als die maximal mit äußeren Magneten erreichbaren
Felder (augenblicklich sind das einige zehn Tesla).
Eine andere Methode beobachtet Umklappprozesse des Kernspins in starken,
äußeren Magnetfeldern, die durch Absorption von geeigneten Photonen ermög-
licht werden. Wie wir oben gesehen hatten, sind die Kernmomente sehr klein,
und die benötigten Photonenenergien liegen daher für verfügbare Magnetfelder im
leicht handhabbaren Radiofrequenzbereich. Bei der magnetischen Kernresonanz
(englisch nuclear magnetic resonance oder NMR) werden hochfrequente elekro-
magnetische Wellen durch eine geeignete Spule angeboten, und durch Variation
der Hochfrequenz oder des Magnetfelds wird das Resonanzgebiet gesucht, für das
Absorption auftritt.

Abb. 2.28 Das Stern-Ger-


lach-Experiment
2.3 Modelle der Kernstruktur 51

Für die Entdeckung der Kernspinresonanzspektroskopie erhielten Bloch und


Purcell 1952 den Nobelpreis für Physik. Für die Entwicklung der hochauflösenden
Kernspinresonanzspektroskopie – die Methode gestattet es nun, einzelne Kerne
in chemischen Verbindungen getrennt zu untersuchen – erhielt R. Ernst 1991 den
Nobelpreis für Chemie.
Der Umklappprozess bildet die Grundlage der Kernspintomographie (räumli-
che Abbildung mittels Kernspin). Durch eine geschickte Inhomogenität des Ma-
gnetfelds wird eine Resonanzebene festgelegt. Durch einer genauen Analyse des
Hochfrequenzfeldes erhält man eine hohe Auflösung in der räumlichen Position
der umklappenden Kerne.
Das elektrische Kernquadrupolmoment, das bei einer Ausrichtung in z-Richtung
als Z
Q / %  r 2 Π3 cos2 .#/  1 d 3 r (2.64)

geschrieben wird, hat die Einheit C  fm2 . Hat die Hülle ein nicht verschwinden-
des Quadrupolfeld, ist der Energiebeitrag E aus der Wechselwirkung mit dessen
elektrostatischem Potenzial VHülle
d2
E DQ VHülle : (2.65)
dz 2
Informationen über das Quadrupolmoment erhält man aus genauen spektroskopi-
schen Untersuchungen. Besonders nützlich ist dabei ein Vergleich verschiedener
Isotope desselben Elements (der „Isotopieverschiebung“). Die oft beträchtlichen
Unsicherheiten in der Größe des Hüllenpotenzials spielen bei einer Messung ge-
eigneter Spektrallinien keine Rolle, da isotope Atome sich nicht in ihren Hüllen
unterscheiden.
Das Ergebnis von Quadrupolmessungen ist in Abb. 2.29 in einer geeignet re-
duzierten Koordinate dargestellt. In der Gegend der magischen Zahlen, d. h. mit –
abgesehen von wenigen Nukleonen oder Löchern – abgeschlossenen Schalen funk-
tionieren die Vorhersagen des Schalenmodells zufriedenstellend. Im Schalenmodell
haben die abgeschlossenen Schalen keinen Einfluss auf Kernmomente; die Kern-
momente werden durch die Bewegungen der äußeren Leuchtnukleonen bestimmt.
Bei halb gefüllten Schalen schwerer Kerne ist die Vorhersage des Schalenmodells
drastisch verletzt.

2.3.5 Kollektives Modell

Im vorigen Abschnitt hatten wir gesehen, dass die Vorhersagen des Schalenmo-
dells für den Kernspin für größere Kernmassen immer schlechter und schlechter
werden. Es stellt sich heraus, dass für schwerere Kerne Korrekturen zur Zentral-
feldapproximation zunehmend wichtiger werden. Solche Korrekturen können im
kollektiven Modell berücksichtigt werden, das von Aage Bohr und Ben R. Mottel-
son (Nobelpreis für Physik 1975) entwickelt wurde. Das Modell erlaubt es, viele
andere Eigenschaften schwerer Kerne zu verstehen.
52 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.29 Elektrische Qua-


drupolmomente ungerader
Kerne. Die Linie illustriert
die Struktur der Datenpunkte
(© Mayer-Kuckuck [33])

Im Schalenmodell, in dem sich – abgesehen vom Leuchtnukleon – alle Bahn-


drehimpulse und Spins paarweise aufheben, sind die oft hohen elektrischen Qua-
drupolmomente und magnetischen Dipolmomente nicht zu erklären. Man braucht
einen Beitrag der abgeschlossenen Kernrümpfe. Dass Kernrümpfe zu keinen Kern-
momenten beitragen, gilt natürlich nur für den Fall eines reinen Zentralpotenzials.
Kleine Abweichungen von der Kugelsymmetrie können, da der Kern viele Nu-
kleonen enthält, relativ leicht zu großen Korrekturen führen. Da die Kernkräfte
eigentlich kurzreichweitig sind, können lokale Schwankungen auftreten und Kor-
rekturen zur Zentralfeldapproximation verstärken.
Wie kann man sich solche Schwankungen vorstellen? Ausgehend vom Tröpf-
chenmodell erwartet man kollektive Bewegungen mit einer Dynamik, die sich aus
den im Tröpfchenmodell bekannten Beiträgen zur Bindungsenergie bestimmt. Für
diese Bewegung gibt es zwei wichtige Modi.
Zum einen gibt es Vibrationen um die kugelsymmetrische Form. Der Kern kann,
z. B. zwischen einer „oblaten“ und einer „prolaten“ Form („football“- oder Linsen-
form), oszillieren. Solche Vibrationen (mit kleiner Auslenkung ˇ) des effektiven
Kernradius
R.#; '/ D R0  .1 C ˇ  Y20 .#; '//
2.3 Modelle der Kernstruktur 53

werden zu den äquidistanten Spektrallinien

E D „!.n C 1=2/

des harmonischen Oszillators führen.


Zum andern gibt es Rotationen bei nicht völlig kugelsymmetrischen Kernen. Die
Energieniveaus der kollektiven Rotationsanregungen eines solchen Kerns sind

1
EL D „2 L.L C 1/ ;
2
wobei  das Trägheitsmoment des Kerns ist. Für Rotationen eines spiegelsym-
metrischen Rumpfs kommen nur gerade Drehimpulse in Frage. (In der Näherung
besteht der Rumpf aus einer homogenen, spinlosen, effekiven Bose-Teilchen-Mate-
rie. Da eine halbe Umdrehung des symmetrischen Rumpfs nur eine Bose-Teilchen-
Vertauschung bewirkt, muss die Wellenfunktion schon nach einer solchen Drehung
in sich selbst übergehen, d. h. nach einer Drehung um =2 und nicht um  oder um
2 wie für einzelne Bose- oder Dirac-Teilchen.)
Wie stabil ist ein Kern gegen Deformation aus der Kugelsymmetrie? Für den Vo-
lumen-Term ist die Kernform ohne Bedeutung. Ein positiver Oberflächenenergie-
Term stabilisiert die Kugelform. Der Coulomb-Term versucht, den Abstand zwi-
schen den Ladungen zu vergrößern, was mit einer Abweichung von der Kugelform
offensichtlich erreicht werden kann. Wir hatten gesehen, dass die Bedeutung des
Coulomb-Terms mit der Kerngröße zunimmt und für große Kerne eine entschei-
dende Rolle spielt. Abweichungen von einer kugelsymmetrischen Verteilung sind
daher für große Kerne zu erwarten. Meist sind es prolate Verteilungen. Kürzlich
wurde gezeigt, dass 24 Ra einen „birnenförmigen“ Kern besitzt [34].
Besonders große Abweichungen von der Kugelsymmetrie treten bei Kernen mit
halb gefüllten Schalen auf. In schwereren Kernen mit bis auf ein Leuchtnukleon
abgeschlossenen Schalen (wie dem in Abb. 2.26 betrachteten 17O-Kern) können (in
expliziten Modellrechnungen) detaillierte Informationen über die Anregungsmodi
der Rumpfkerne erhalten werden. Zu den Vorhersagen des Schalenmodells für das
Leuchtnukleon kommen Korrekturen durch die Wechselwirkung mit dem nicht ku-
gelsymmetrischen Rumpf hinzu.

2.3.6 Cluster- und ˛-Teilchen-Modell

Vor allem für Kerne, deren Protonen- und Neutronenzahl nicht in der Nachbarschaft
von magischen Zahlen liegen, gibt es auch bei kleineren Massenzahlen deutliche
Korrekturen zum Schalenmodell. Um sie zu verstehen, benötigt man eine noch dras-
tischere Korrektur.
Das Problem des Schalenmodells ist, dass die Zwei-Teilchen-Kräfte offensicht-
lich lokale Korrelationen in der Teilchenverteilung einführen, die im effektiven
Zentralpotenzial nicht berücksichtigt wurden. Eine zunächst rein formale Möglich-
keit, Korrelationen zu berücksichtigen ist die sogenannte Cluster-Entwicklung [35].
54 2 Einführung in die Kernphysik

(Die Methode ist nur bei positiver Korrelation anwendbar. Die starke Repulsion
(hard core) bei kleinen Abständen kann nicht berücksichtigt werden. Schalenmo-
dellrechnungen mit oder ohne Cluster-Zuständen haben daher Probleme, wenn sehr
große Impulse betrachtet werden. Die „Skala“ der Gültigkeit des Modells ist be-
grenzt.)
An Stelle von einzelnen Nukleonen betrachtet man eine geeignete (die richtigen
Zwei-, Drei-, usw. Nukleonen-Korrelationen ergebende) Mischung von ein, zwei,
drei usw. Nukleonenanhäufungen als neue, dynamisch relevante Konstituenten.
In der Kernphysik haben die Cluster eine unmittelbare physikalische Interpre-
tation. Man beobachtet bei Zerfällen, dass bei Emission von Kernmaterie meist ˛-
Teilchen abgestrahlt werden. Dies deutet darauf hin, dass die Kernbestandteile mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit ˛-Teilchen sind, die manchmal, wie wir spä-
ter sehen werden, durch den Tunneleffekt dem Kern entkommen können. Da der
Tunneleffekt eine Emission von ˛-Teilchen gegenüber schwereren Kernen stark be-
vorzugt, gibt die Beobachtung dabei keinen Hinweis auf die relative Häufigkeit der
˛-Cluster.
Die Annahme, dass man das Vielteilchensystem Kern manchmal in zwei Unter-
systeme, den Cluster und den Rumpf, aufspalten kann, d. h., dass für die Dynamik
nur die Relativkoordinate und die internen Koordinaten eine Rolle spielen, bedeu-
tet eine drastische Reduktion der Koordinaten. Für leichte Kerne ermöglicht diese
Reduktion eine mikroskopische Beschreibung der Kernstruktur aus der Nukleon-
Nukleon-Wechselwirkung [36]. Man erreicht ein gutes und verlässliches Verständ-
nis leichterer Kerne bis etwa 20 Ne.
Die Rechnungen bestätigen die Clusterannahme; sie zeigen, dass das Auftreten
der Cluster die Kernstruktur recht drastisch beeinflussen kann. Betrachten wir als
Beispiel den Grundzustand von 7 Li. Dieser Kern besteht vollständig oder fast voll-
ständig aus einem relativ losen (Bindungsenergie  3 MeV) Bindungszustand eines
˛-Teilchens (Bindungsenergie etwa 30 MeV) und eines Tritons (Tritiumkerns).
Zum Abschluss seien andere Clustering Konzepte kurz erwähnt. Wir werden im
dritten Kapitel des Buches sehen, dass Nukleonen selbst keine Elementarteilchen
sind, sondern eigentlich aus Quarks und Gluonen bestehen. Sie sind dann eine Art
Cluster, die aus drei Quarks (und einer beliebigen Zahl von Quark-, Antiquarkpaa-
ren und Gluonen) bestehen. Da diese Effekte auf einer Skala zur Geltung kommen,
die für die Kernphysik nicht unmittelbar relevant ist, waren sie für die bisherigen
Überlegungen ohne Bedeutung.
Versucht man die Kernphysik direkt auf einer Quark-Ebene zu formulieren, stößt
man auf das Problem, dass die übliche „Störungsrechnung“ für typisch kernphysi-
kalische Skalen eigentlich nicht anwendbar sein sollte [37, 38].
Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang Versuche, Quarks und Gluonen
primär nicht in Nukleonen, sondern in Pionen zu „clustern“. Die Hypothese ist da-
bei, dass durch eine Art Kondensationsprozess aus der Quark-Gluon-Theorie eine
effektive Pionen-Feld-Theorie entsteht und dass die Struktur der Pionenwolke um
die eigentlichen Nukleonen durch diese effektive Theorie beschrieben wird. In der
Theorie erscheint die Pionenwolke eines Nukleons als eine spezielle Art von Singu-
larität des Pionenfeldes, als ein sogenanntes Skyrmion. Da im kernphysikalischen
2.4 Radioaktiver Zerfall 55

Bereich die Pionenwolke eine bestimmende Rolle zu spielen scheint, können vie-
le Eigenschaften der Nukleonenwechselwirkungen in einem solchen Modell ohne
explizite, eigentliche Nukleonen erstaunlich gut beschrieben werden.

2.3.7 Möglichkeiten, Modelle an besonderen Kernen zu testen

Die in den vorigen Abschnitten entwickelten Vorstellungen scheinen die beobach-


tete Struktur der Kerne im Wesentlichen korrekt zu beschreiben. Eine wirkliche
Kontrolle von Modellen erfordert Vorhersagen. Kann man die Modelle in neue, bis-
her unbekannte Gebiete extrapolieren?
Eine Spekulation in dieser Richtung ist die mögliche Existenz von ungewöhnlich
schweren Kernen. Extrapoliert man die Überlegungen zu den magischen Kernen,
kommt man im Bereich von Z D 190 zu einer Insel besonders hoher Bindungs-
energien. Ob der Effekt groß genug ist für die Existenz praktisch stabiler super-
schwerer Kerne, ist ungeklärt. Kleine Änderungen in den Parametern führen zu
unterschiedlichen Vorhersagen bezüglich ihrer Stabilität [39]. Auf alle Fälle besteht
die Möglichkeit der Existenz solcher exotischen Objekte, und es gibt ein systema-
tisches experimentelles Programm, solche Kerne zu produzieren und zu finden.
Ein Gebiet, in das man die entwickelten Vorstellungen extrapolieren kann, ist seit
längerem bekannt und wird intensiv untersucht. Es betrifft das Verhalten von Ker-
nen mit hohem Spin. Bei einer Streuung geeigneter Kerne können, wie wir später
(Abschn. 2.6) sehen werden, hochangeregte Zwischenkerne entstehen. Ein solcher
Zwischenkern wird manchmal unter Abstrahlung von Neutronen (oder leichteren
Kernen) einen etwas stabileren Zustand erreichen, der sich dann unter Abstrahlung
von Photonen weiter abkühlt. Dabei wird bevorzugt die radiale Anregung abgebaut,
sodass zunächst Kerne mit sehr hohen Drehimpulsen entstehen (bis zu L D 60).
Solche Isomere mit hohem Kernspin ohne andere Anregungen heißen Yrast-Zu-
stände [33, 40, 39, 41, 42].
Die Analyse ihres stufenweisen Zerfalls erlaubt es, den Anstieg der Bindungs-
energie in Abhängigkeit vom Kernspin zu messen und damit das Trägheitsmoment
des Kerns als Funktion der Zentrifugalkraft zu bestimmen. Im vorigen Abschnitt
hatten wir gesehen, dass Kerne mit hohen Ladungen wegen der Coulomb-Absto-
ßung relativ leicht deformierbar sind. Obwohl die Zentrifugalkräfte nicht zu groß
sind, findet man interessante Umstrukturierungen der Kerne [43, 44, 41]. Unter
günstigen Bedingungen konnte man superdeformierte, ellipsoide Kerne mit einem
Achsenverhältnis von 1 zu 2 und mehr [45] beobachten.

2.4 Radioaktiver Zerfall

Wir haben die Betrachtung der Bindungsstruktur der Kerne abgeschlossen und wen-
den uns jetzt radioaktiven Zerfallsprozessen zu. Wir beginnen mit allgemeinen Be-
trachtungen. Einige wenige in der Natur vorkommende Kerne sind stark radioaktiv.
Diese natürlichen radioaktiven Substanzen haben dabei meist „astronomisch hohe“
56 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.30 Zerfallsschema


mit  -Zerfällen

mittlere Zerfallszeiten – sonst wären sie ja seit der Entstehung der Erde zerfallen.
Dazu gibt es allerdings Ausnahmen, da kurzlebige radioaktive Kerne im Zerfall
langlebiger Kerne entstehen können. Als Beispiel dazu hatten wir das Radium ken-
nen gelernt. Neben den natürlichen Strahlern gibt es heute eine Vielzahl von neuen
meist rasch zerfallenden radioaktiven Kernen, die künstlich in Kernreaktoren er-
zeugt werden. Werden extrem kurzlebige Kerne benötigt (z. B. in der medizinischen
Diagnostik), für die die Lagerung schwierig wäre, können geeignete Zerfallspro-
dukte verwenden werden, die von der ursprünglichen Substanz auf chemischem
oder physikalischem Wege getrennt werden können.
Wir betrachten in Abb. 2.30 die Situation, in der ein angeregter Kern eine kurze
Zeit lebt und dann unter Abstrahlung eines Photons in einen weniger hoch angereg-
ten Zustand zerfällt (-Zerfall). Die Situation ist analog zu der bei der Atomhülle,
wo ein Elektron von einem Energieniveau in ein anderes durch Emission eines Pho-
tons direkt oder mit Zwischenstufen übergehen kann, wie es im Zerfallsschema in
der Abbildung dargestellt ist. Das einzige, was sich ändert, ist die Größenordnung
der Energie.
Anders als in der Atomphysik gibt es für Kerne neben der -Emission weite-
re Prozesse, wie sie in Abb. 2.31 gezeigt sind. Den ˛-, ˇ C - und ˇ  -Zerfall hatten
wir schon kennen gelernt. Ist der ˇ C -Zerfall energetisch wegen der Elektronenmas-
se nicht erlaubt, gibt es als Alternative den Elektroneneinfang. Er basiert auf dem
folgenden Prozess:
p C e ! n C e ; (2.66)
bei dem das auslaufende Positron durch ein einlaufendes Elektron ersetzt wurde.
Woher bekommt der Kern sein einlaufendes Elektron? Für schwere Kerne haben
die Elektronen der K-Schale eine gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Kern-
bereich, so dass bei der entsprechenden Lage der Kernniveaus ein Einfang eines
Elektrons aus der K-Schale ablaufen kann. Wegen der geringen Aufenthaltswahr-
scheinlichkeit ist der Einfang vergleichsweise langsam. Nicht jedes bei einem ra-
dioaktiven Zerfall emittierte Elektron hat seinen Ursprung in einem ˇ-Zerfall. Bei

Abb. 2.31 Weitere wichtige


Zerfallsprozesse
2.4 Radioaktiver Zerfall 57

der inneren Konversion wird ein emittiertes -Quant bisweilen von einem Elek-
tron der Atomhülle „wieder“ eingefangen, was in der Regel zu einer Emission des
Elektrons führt. Dieses Bild ist natürlich nicht ganz richtig, da es sich nicht um ein
freies Photon, sondern um ein ausgetauschtes Photon handelt. Da beide Prozesse
sehr ähnlich sind, ist es sinnvoll, die relative Wahrscheinlichkeit einer inneren Kon-
version zur -Emission zu betrachten. Sie nimmt, wie zu erwarten, mit wachsender
Ordnungszahl zu.

2.4.1 Mittlere Lebensdauer

Die mittlere Zeit bis zum Zerfall heißt mittlere Lebensdauer. Zur Größenordnung
seien ein paar Zahlenwerte angegeben. Eine typische mittlere Lebensdauer für die
vergleichsweise schnellen -Zerfälle ist

  1012 s :

Die mittleren Lebensdauern für die vergleichsweise langsamen ˛- und ˇ-Zerfälle


liegen in den Bereichen
˛  106 s    10C10 a ;
ˇ  102 s    10C10 a :
Zum Vergleich seien einige andere mittlere Lebensdauer-Werte angeführt. Ohne
Hilfe oder Behinderung vom Kernpotenzial hat das Neutron mit seinem ˇ-Zerfall
die mittlere Lebensdauer

n!pCe CNe D 15 min :

In der Hadronenphysik werden uns für Resonanzzustände Zerfallszeiten von bis zu


1024 Sekunden herunter begegnen. In Versuchen, die Physik der schwachen Vek-
torbosonen mit der Physik der Partonen auf eine einheitliche Grundlage zu stellen,
erhält man die Vorhersage, dass das Proton zerfällt, wenn auch extrem langsam.
Falls es in der angenommenen Weise zerfallen sollte, wurde experimentell gezeigt,
dass das Proton länger als 1032 Jahre, d. h. 1022 Weltalter, lebt. Das Weltalter ist
1;5 ˙ 0;5  1010 Jahre [31].
Wie kann man die enorm unterschiedlichen Lebensdauern messen? Je nach Grö-
ßenordnung gibt es die verschiedensten Methoden. Bei sehr kurzen Zerfallszeiten
(etwa ab 1013 s) misst man die Lebensdauer indirekt. Man betrachtet den Streuvor-
gang, in dem das kurzlebige Objekt produziert wird. Der Prozess kann nur ablaufen,
wenn der Anfangszustand eine Energie besitzt, die der Masse des Objekts ent-
spricht. Wegen des Heisenbergschen Unschärfe-Prinzips

  „

kann dabei allerdings nur der Energiebereich mit der entsprechenden Unschärfe 
festliegen. Tatsächlich wird die minimale Unschärfe erreicht. Aus der Unschärfe
58 2 Einführung in die Kernphysik

der Energieabhängigkeit des Wirkungsquerschnitts kann man daher die Lebensdau-


er des zwischenzeitlich existierenden Teilchens bestimmen. Beispiele für solche
Messungen werden wir später ausführlich besprechen.
Längere Lebensdauern kann man oft direkt beobachten. Man kann sehen, wie
die Teilchen mit bekannter Geschwindigkeit eine gewisse Strecke fliegen und dann
zerfallen. Dabei ist mit dem Lorentz-Faktor  zu berücksichtigen, dass die Zeit im
Laborsystem nicht der Eigenzeit entspricht:

E
Labor D    D  : (2.67)
Mc 2
Das hilft bei der Messung kurzer Lebensdauern. Meist kann man sich allerdings das
Lorentz-System nicht frei wählen, und es gibt daher Grenzen für die verfügbaren
Lorentz-Faktoren. Man kommt daher oft nicht umhin, winzige Abstände auszu-
messen. In Experimenten, in denen kurzlebige Teilchen analysiert wurden, konnten
mit verschiedenen Methoden (z. B. Emulsions- oder Siliciumpixeldetektoren) mi-
kroskopische Auflösungen von einigen m erreicht werden [31]. Für ruhende Ob-
jekte können mit moderner Elektronik (z. B. in Photomultipliern) Zeiten zwischen
Einfang und Zerfall im Bereich von ps aufgelöst werden [46]. Mit geschicktem
Aufspalten und Zusammenfügen von Komponenten eines Laserstrahls können La-
serpulse im fs-Bereich erzeugt werden [47].
Für lange Lebensdauern, wie sie typisch für natürliche kernphysikalische Zer-
fallsprozesse sind, zählt man die Zahl der Zerfälle pro Zeiteinheit in einer vorge-
gebenen Substanzmenge. Man benutzt in diesem Messverfahren das Exponential-
gesetz der Zerfallswahrscheinlichkeit. Diese Methode kann auch bei sehr langen
Lebenszeiten beibehalten werden. Die zu untersuchenden und mit Detektoren aus-
gestatteten Volumina müssen dann entsprechend groß sein. Für Protonenzerfalls-
experimente wurden riesige unterirdische Tanks mit vielen tausend Kubikmetern
Wasser verwendet.

2.4.2 Das exponentielle Zerfallsgesetz

Gemäß der Quantenmechanik ist es nicht bekannt, wann ein angeregter Kern zer-
fällt. Es gibt nur eine Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit

1 d
D N ; (2.68)
N dt

wobei N die Anzahl der Kerne ist. Wichtig ist, dass in der Gleichung nur von
der zerfallenden Substanz und von keinen anderen Faktoren abhängt. Die Gl. 2.68
ist eine Differenzialgleichung für die wahrscheinliche Anzahl von nicht zerfallenen
Kernen. Sie hat folgende Lösung:

N.t/ D N0 exp .  t/ : (2.69)


2.4 Radioaktiver Zerfall 59

Eine einfache Integration der Zerfallswahrscheinlichkeit

Z1
 N.t/ 1
D t dt D (2.70)
N0
0

ergibt die mittlere Lebensdauer. In praktischen Messungen wird oft die Zeit T.1=2/
ermittelt, nach der nur noch die Hälfte der Substanz, also
  1
N T. 1 / D  N 0 ; (2.71)
2 2
vorhanden ist (Halbwertszeit). Aus

1  
D exp   T. 1 / (2.72)
2 2

folgt
ln 2 0;693
T. 1 / D D D 0;693   : (2.73)
2
Das einfache Exponentialgesetz wird etwas komplizierter, wenn mehrere Prozesse
hintereinandergeschaltet sind, d. h. wenn es eine Tochter-Aktivität gibt:

a b
A!B!C: (2.74)

Die Gleichung für die Zerfallswahrscheinlichkeit der NB -Kerne ist

d
NB D a  NA  b  NB D a  N0 exp . a  t/  b  NB : (2.75)
dt
Die inhomogene Differenzialgleichung wird gelöst durch

a
NB D N0 Œexp . a  t/  exp . b  t/ ; (2.76)
b  a

was je nach den Zerfallszeiten zu den in Abb. 2.32 gezeigten Verteilungen führt.
Tatsächlich ist die Situation oft noch beträchtlich komplizierter; es gibt manchmal
lange, sich sogar verzweigende Zerfallsketten. Dazu kommen bisweilen eine äußere
Strahlungseinwirkung und Effekte, durch die Stoffe entweichen können.
Betrachten wir ein Beispiel für eine solche Situation. Wie kann man das geolo-
gische Alter der Erde bestimmen? Lord Kelvin hat versucht, das Alter der Erde seit
Erstarrung einer geschmolzenen Masse mit einer einfachen thermodynamischen
Berechnung der zunächst vorhandenen und der dann nach und nach abgestrahlten
Energie abzuschätzen. Sein Ergebnis war um eine Größenordnung zu klein, da bei
seiner Abschätzung die Radioaktivität innerhalb der Erde nicht mitgerechnet war,
die das Abkühlen der Erde verzögerte.
60 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.32 Häufigkeit der Prozesse in einem Zerfall mit Tochter-Aktivität (adaptiert nach Marmier
und Sheldon [48]). Zum Zeitpunkt tmax besteht die höchste Aktivität des Prozesses B ! C

Die Radioaktivität hat nicht nur Kelvins Berechnung widerlegt, sondern sie lie-
fert auch selbst eine Methode der Altersbestimmung. Die Methode beruht darauf,
dass seit dem Erstarren die Zerfallsprodukte in den Mineralien eingeschlossen blei-
ben und dass ihr Mengenverhältnis zur ursprünglichen Substanz bei bekannter Zer-
fallszeit eine Altersbestimmung zulässt. Die errechneten Werte für das Erdalter
liegen bei etwa 4;54  109 Jahren. Dies entspricht etwa einem Drittel des Alters
des Universums seit Emission der Hintergundstrahlung.

2.4.3 Einheiten für die Radioaktivität

Die Einheit für die Radioaktivität einer Substanz ist das Becquerel (Bq)

1 Bq D 1 Zerfall=s 1 s1 : (2.77)

Es ersetzt die ältere Einheit:

1 Curie D 1 Ci 3;7  1010 Bq ; (2.78)

die der Radioaktivität eines Gramms des häufigsten Radiumisotops 226 Ra nähe-
rungsweise entspricht.
Die Radioakivität wird oft pro Volumen oder, wenn es sich um einen Oberflä-
cheneffekt handelt, pro Fläche angegeben.
Oft interessiert die Wirkung der auf ein Objekt eingefallenen Strahlendosis.
Strahlung ionisiert Materie, und man kann daher einfach die Zahl der Ionen messen.
2.4 Radioaktiver Zerfall 61

Die Einheit

1 Röntgen D 1 R D 2;58  104 C pro kg Ionen und Elektronen in Luft (2.79)

beschreibt, wieviel Coulomb in Ionen in trockener Luft erzeugt wurden.


Die pro Masseneinheit abgegebene Energie ist in SI-Einheiten:

1 Gray D 1 Gy D 1 J=kg : (2.80)

Oft verwendet man noch an Stelle des Grays die ältere Einheit:

1 Röntgen absorbed dose D 1 rad D 102 J=kg ; (2.81)

die meist etwa einem Röntgen entspricht.


Verantwortlich für die biologische oder medizinische Schädigung ist die Ionisati-
on von Atomen in Zellen. Dabei spielt es eine Rolle, wie gebündelt diese Ionisation
auftritt. Für die Frage nach der biologischen oder medizinischen Schädigung ist die
Wirksamkeit der Strahlung daher verschieden. Mit einem empirischen biologischen
Bewertungsfaktor legt man in SI-Einheiten als

1 Sievert D 1 Sv 1 Gy Röntgenstrahlung bei 200 KeV (2.82)

die Strahlungsmenge fest, die 1 Gy Röntgenstrahlung bei 200 KeV entspricht. Der
Bewertungsfaktor (relative biological effectiveness, oft RBE genannt) erreicht et-
wa den Wert 30 für Schwerionenstrahlung. In älteren Einheiten verwendet man an
Stelle des Sieverts das rem:

1 Röntgen-equivalent-man D 1 rem D .1=100/ Sv : (2.83)

Die unmittelbare medizinische Schädigung bei einer einmaligen starken Bestrah-


lung ist recht genau bekannt [49]. Symptome einer milden Strahlungskrankheit sind
allgemeine Schwäche, Appetitlosigkeit, Brechreiz und Durchfall. Da auch bei ei-
ner milderen Strahlungsbelastung die Blutproduktion beeinträchtigt wird, ist die
Blutgerinnung reduziert und das Imunsystem geschwächt. Die maximale Dosis,
bis zu der keine klinische Behandlung der Strahlungsschäden erforderlich wird, ist
0;25 Sv. Eine kurzfristige Belastung mit 7 Sv hat in fast allen Fällen einen tödlichen
Ausgang.
Die Wirkung niedriger, langfristiger Strahlenbelastung ist weniger leicht fest-
zulegen. Die Gefährdung besteht in einer statistischen Erhöhung des Krebsrisikos
und der Wahrscheinlichkeit genetischer Mutationen der Keimzellen. Man geht da-
von aus, dass die Strahlungsbelastung sich in einen bestimmten Intensitätsbereich
kummuliert, d. h. dass das Krankheitsrisiko proportional zur integrierten Strahlen-
belastung ansteigt, und dass der Lebenszeit-Risiko-Faktor bei etwa 70 Todesfällen
pro 1000 Personen und pro Sievert Ganzkörperstrahlenbelastung liegt [50].
Sieht man von wenigen katastrophalen Ereignissen und Fällen von Fehlverhalten
ab, gibt es keine Bevökerungsgruppen, für die Spätschäden durch strahlenbedingte
62 2 Einführung in die Kernphysik

Krankheiten neben dem nicht strahlenbedingten Auftreten derselben Krankheiten


statistisch signifikant feststellbar sind.
Hilft die Verdünnung? Aus theoretischen Gründen ist es plausibel, dass bei sehr
geringer Strahlenbelastung das Risiko nicht linear mit der Bestrahlung ansteigt, son-
dern dass praktisch eine gewisse Mindestbelastung erforderlich ist.
Ein gewisser Orientierungspunkt für die Gefährdung ist die normale natürliche
Strahlungsbelastung, der die Menschheit immer ausgesetzt war. Bei der natürlichen
Strahlenbelastung gibt es Schwankungen über mehrere Dekaden. In besonderen
Fällen werden bei der natürlichen Belastung aus heutiger Sicht bedenkliche Risi-
ken erreicht.
Bei einer genaueren Betrachtung muss man zwischen innerer und äußerer Be-
lastung unterscheiden. Bei der inneren Belastung werden radioaktive Elemente im
Körper aufgenommen. Da die Elemente im Körper unterschiedlich deponiert wer-
den und da verschiedene Organe unterschiedlich empfindlich sind, ist zwischen
einzelnen Körperteilen zu differenzieren. Eine relativ große Belastung tritt in der
Lunge auf und kann dort natürlicherweise lokal Werte in der Größenordnung von
3 mSv=a erreichen. Gemittelt über den Körper (die Einheit Sv ist massebezogen)
tragen in den Kreislauf aufgenommene Radionuklide aus der Biosphäre mit etwa
0;7 mSv=a bei.
Besonders problematisch ist bei der inneren Belastung das Radon. Radoniso-
tope entstehen als Zerfallsprodukte aus verschiedenen radioaktiven Erzen. Die
Lebensdauer des stabilsten Isotops 222 Rn ist 3,82 Tage. In dieser Zeit kann das
Edelgas Radon aus den geologischen Schichten, in denen es entsteht, entweichen.
Gelangt es in die Atmosphäre, wird es schnell verdünnt. Die Radon-Konzentration
in der Luft ist 1 in 1021 , d. h. unbedenklich. Gefährlich wird Radon, wo es sich
unverdünnt ansammelt. Die Gefährdung in Berkwerken in manchen Gegenden
ist seit langem bekannt. Eine gefährliche Konzentration kann auch bei ungüns-
tig (über lokalen geologischen Spalten) gelegenen, schlecht ventilierten Kellern
entstehen.
Die äußere Belastung von der kosmischen Strahlung und von terrestrischer Um-
gebungsstrahlung beträgt etwa 2 mSv=a. Diese Werte erhöhen sich oft um Grö-
ßenordnungen. Flugpersonal kann 10 mSv pro Jahr ausgesetzt sein. Extreme Wer-
te treten in besonderen geologischen Gebieten auf; so erreicht die Umgebungs-
strahlung in einer Gegend Brasiliens mit thoriumhaltigem Sand Werte von bis zu
120 mSv=a [51, 52].
Bei Fukushima wurde die Umgebung mit einer externen Belastung von über
20 mSv=a evakuiert. Ziel der japanischen Regierung ist es, eine maximale Lebens-
zeitbelastung von unter 100 mSv zu erreichen [53].

2.4.4 Der -Zerfall

Betrachten wir nun spezifische Zerfallstypen und beginnen wir dabei, in Anlehnung
an unsere Einteilung nach der typischen Energieskala, mit den Zerfallsprozessen,
bei denen sich die Kernstruktur vergleichsweise wenig ändert. Wir behandeln da-
2.4 Radioaktiver Zerfall 63

her zunächst den -Zerfall und anschließend den ˇ-Zerfall und schließen dann die
Diskussion mit dem ˛-Zerfall und der Kernspaltung ab.
Kerne mit vorgegebenen Ordnungszahlen Z und Neutronenzahlen N können in
vielen isomeren Anregungszuständen mit verschiedenen
 Energien,
 Gesamtdrehimpulsen,
 Paritätszuständen
vorkommen. Wir hatten gesehen, dass – wie in der Atomhülle – Übergänge von
einem Niveau in ein anderes durch Abstrahlung eines -Quants möglich sind.
Die Emission eines -Quants kann den Gesamtdrehimpuls des Kerns ändern.
Das Photon hat den Spin 1, dieser Spin ist parallel oder antiparallel zur Bahn des
Photons gerichtet. Ein Photon mit parallelem Spin entspricht einer rechtsdrehenden
zirkular polarisierten und ein Photon mit antiparallelem Spin einer linksdrehenden
zirkular polarisierten Welle. Normalerweise gibt es bei einem Objekt mit dem Dre-
himpuls J D 1 genau 2J C 1 D 3 verschiedene Zustände, die durch Drehungen
im Ruhesystem ineinander übergeführt werden können. Dass das Photon mit seinen
zwei Polarisationsrichtungen eine Ausnahme bilden kann, hängt mit seiner Mas-
selosigkeit zusammen. Ein Photon bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit, und es
existiert daher kein Ruhesystem, in dem Drehungen durchgeführt werden könnten,
die die Richtung des Spins verändern.
Im System des Kerns (oder genauer im Schwerpunktsystem) kann das einfal-
lende Photon natürlich einen Bahndrehimpuls haben. Dieser Drehimpuls wird klas-
sisch senkrecht zur Bahn des Photons stehen. Für die Änderung des Gesamtdre-
himpulses des Kerns ist der Gesamtdrehimpuls des Photons wichtig. Dieser setzt
sich zusammen aus dem Bahndrehimpuls im Kernmittelpunktsystem und dem Spin.
Quantenmechanisch kann das Photon folgende Gesamtdrehimpulse J haben:
8
ˆ
<L   1
J  D L (2.84)

L C 1

Bei solchen Übergängen spielt die Parität eine wichtige Rolle. Die Parität beschreibt
das Verhalten von Zuständen unter einer Inversion

.x; y; z/ ! .x; y; z/

des Raums. Die Parität


P D .1/.1/L (2.85)
L
des Photons setzt sich aus einem bahndrehimpulsabhängigen Anteil .1/ und ei-
nem inneren Anteil zusammen. Der innere Anteil, d. h. die Parität des Photons, ist
negativ. Nach Gl. 2.84 gibt es damit zwei Möglichkeiten für die Parität des abge-
strahlten Photons bei vorgegebenem Gesamtdrehimpuls J
(
.1/J für „elektrische“ Strahlung
P D (2.86)
.1/.1/J für „magnetische“ Strahlung :
64 2 Einführung in die Kernphysik

Das Adjektiv bezieht sich darauf, dass das Photon seinen Ursprung jeweils in elek-
trischen Ladungen bzw. elektrischen Strömen haben muss, um diese Parität zu
erhalten. Betrachten wir den Fall der Abstrahlung von einem Dipol. Ändert man die
Richtung aller Koordinaten, so ändert sich das elektrische Dipolmoment (der La-
dungen) um einen Faktor 1, während das magnetische Dipolmoment (der Ströme)
erhalten bleibt. Für die Strahlung eines Dipols ist J D 1. Da die Wellenfunkti-
on des emittierten Photons die entsprechende Parität haben muss, gilt (2.86). Das
Konzept der Parität wird später ausführlich besprochen.
Die Abstrahlung elektromagnetischer Wellen in den verschiedenen Zustän-
den wird klassisch durch die Verteilung der Ladungen und der Ladungsströme
bestimmt. In der Quantenmechanik enthalten die entsprechenden Größen Pro-
dukte der Nukleonenwellenfunktionen vor bzw. nach der -Emission. Bezüglich
der Winkelabhängigkeit lassen sich diese Produkte wieder nach Kugelfunktionen
YLM .#; / entwickeln, und ein Photon wird nur abgestrahlt, wenn die Kugelfunkti-
on, die die Winkelabhängigkeit des Photonfeldes beschreibt, in dieser Entwicklung
enthalten ist. Sind Ji und Jf der Gesamtdreh- impuls des Kerns vor bzw. nach dem
Zerfall, muss der Gesamtdrehimpuls der Strahlung im Schwerpunktsystem
J D Jf  Ji (2.87)
in seiner Größe zwischen dem
minimal benötigten Drehimpuls jJi j  jJf j
und dem
maximal möglichen Drehimpuls jJi j C jJf j
liegen. Der Gesamtdrehimpuls des Photons im Schwerpunktsystem wird Multipol-
ordnung der Strahlung genannt. Er bestimmt die Dipol-, Quadrupol-, Oktopol-,
   2J -pol-Natur der Strahlung [54]. Einige exemplarische Übergänge sind in
Abb. 2.33 dargestellt.
Wie gut ist die Konvergenz der Multipolentwicklung bei der Abstrahlung von
einem Kern? Die Wellenlänge des Photons ist groß in Relation zum Kernradi-
us, und eine Entwicklung in der dimensionslosen Größe Kernradius/Wellenlänge
wird rasch konvergieren, und Terme mit der niedrigstmöglichen Potenz werden ei-
ne dominante Rolle spielen. Das Matrixelement in der Multipolentwicklung enthält
die J -te Potenz des Kernradius, und die Wahrscheinlichkeit einer Abstrahlung ist
daher proportional zu .Kernradius=Wellenlänge/2J . Die beobachteten Übergänge
sind (siehe [14, 33])

E1 ; E2 ; E3 ; E4 ; E5 ;
M1 ; M2 ; M3 ; M4

für die elektrischen und die magnetischen Übergänge des angezeigten Gesamtdre-
himpulses. Die von Strömen induzierten Felder werden erst bei v ! c mit den von
Ladungen induzierten Feldern vergleichbar. Für Kerne ist die magnetische Strah-
lung damit unterdrückt gegenüber der elektrischen Strahlung.
2.4 Radioaktiver Zerfall 65

Abb. 2.33 Einige elektroma- γ


gnetische Übergänge 1+ −→ 0+ L = 1 reiner
kein M1-
Paritätswechsel Übergang
γ
1− −→ 0+ L=1 reiner
Paritätswechsel E1-Übergang

1+ γ 1+
2 −→ 2 0≤L≤1 reiner
kein M1-
Paritätswechsel Übergang

3+ γ 1+
2 −→ 2 1≤L≤2 möglich:
kein M1- und E2-
Paritätswechsel Übergang

3+ γ 5+
2 −→ 2 1≤L≤4 möglich:
kein M1-, E2-,
Paritätswechsel M3- und E4-
Übergang

Abb. 2.34 Die Impulse bei


der Abstrahlung eines  -
Quants

Ein interessanter Aspekt betrifft die Emission und anschließende Absorption von
-Strahlung. Setzt ein Übergang in einem Atom A ein Photon frei, kann das Photon
ein Atom B dazu anregen, den Übergang rückwärts durchzuführen. Das geht aller-
dings im Prinzip nur, wenn das Ruhesystem des emittierenden Systems nach der
Emission dem des absorbierenden Systems vorher entspricht. Das ist in der Regel
nicht der Fall.
Ein emittiertes Photon wird, wie es in Abb. 2.34 angedeutet ist, die freiwerdende
Energie nicht ganz übernehmen. Es gibt einen Rückstoß des Kerns mit dem Impuls
des Photons
j  PKern j D jP j D E =c : (2.88)
Er trägt damit die, wenn auch kleine, kinetische Energie zur niedrigsten Ordnung
in E =.MKern  c 2 /:

2
1 PKern
kin.
EKern D EKern  MKern c 2 D : (2.89)
2 MKern

Die Relation zwischen der gesamten Anregungsenergie und der Photonenergie ist
damit
E2 =c 2
EAnregung D E C : (2.90)
2MKern
66 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.35 Das Emissions-


und das Absorptionsspektrum
von  -Quanten

Da der zweite Summand klein ist, bedeutet die Inversion bezüglich E und EAnregung
gerade ein Minus statt Plus:
2
EAnregung =c 2
E D EAnregung  : (2.91)
2MKern
Bei der Absorption des Photons durch das ruhende Target tritt derselbe Effekt in
umgekehrter Weise auf. Da sich der Photonimpuls auf den Kern überträgt, braucht
man eine erhöhte Photonenergie

E2 =c 2
E D EAnregung C : (2.92)
2MKern
Tatsächlich gibt es Fluktuationen in der emittierten und der für die Absorption be-
nötigten Photonenenergie. Je nach Breite dieser Verteilungen wird die emittierte
Strahlung nicht oder nur ein wenig absorbiert (vgl. Abb. 2.35).
Was bestimmt die Breite dieser Verteilungen? Wichtig ist die thermische Ener-
gie. Durch den Doppler-Effekt kann ein Photon etwas mehr oder etwas weniger
Energie bekommen. Eine Lorentz-Transformation bedeutet für das Photon
EKern PKern c
E0 D 2
E C  P c ; (2.93)
MKern c MKern c 2
und, da E D jP cj gilt,
 2
E .E0  E / 1 PKern .PKern /k
D D C : (2.94)
E E 2 MKern c MKern c

Der quadratische Term bewirkt eine minimale Verschiebung des Maximums der
Verteilung. Uns interessiert hier das quadratische Mittel des (nur linearen) zweiten
Terms. Das Mittel der kinetischen Energien der Atome bei gegebener Temperatur
kennen wir aus der Thermodynamik als 3=2 kT . Ein Drittel davon stammt von der
Bewegung in Richtung der -Emission. Es folgt
v* + s
  u u 1 2
E 2 P 2 12 kT
Mittel Dt  3 Kern
D : (2.95)
E MKern c 2 2MKern MKern c 2

Betrachten wir als Beispiel einen Übergang (3=2 ! 1=2 ) in den Grundzustand
des Eisenisotops 57 Fe [40]. Bei einer -Energie von 14;4 keV und einer Massen-
zahl von 57 entspricht die kinetische Korrektur zur Energie etwa 2  103 eV. Bei
2.4 Radioaktiver Zerfall 67

Raumtemperatur (mit T D 293 K und k D 8;6  105 eV=K) ergibt sich damit die
folgende Breite aus der Doppler-Verschiebung:

  s r
E kT 0;03  109
Mittel D D : (2.96)
E MKern c2 A

Im hier betrachteten Fall entspricht die Breite damit etwa 10  103 eV, d. h. sie ist
etwas breiter als die Rückstoßenergie.
Im Prinzip kommt dazu ein Beitrag  D „= von der Heisenbergschen Unschär-
ferelation, der angibt, wie genau die usprüngliche Energie des angeregten Zustands
und damit die des emittierten Photons festgelegt ist. Er ist normalerweise nicht zu
berücksichtigen. Bei der hier betrachteten relativ langlebigen ( D 1;4  107 s)
Linie ist er 4;7  109 eV.

Mößbauer-Effekt
Es gibt allerdings eine Möglichkeit, in diesen Bereich vorzudringen und Linien die-
ser Breite zu beobachten. Es ist der Mößbauer-Effekt [55]. Er wurde vom Münchner
Physiker R. L. Mößbauer gefunden. Für seine Entdeckung, die im Zusammenhang
mit seiner Doktorarbeit stand, erhielt er 1961 den Nobelpreis. Der zentrale Punkt
ist, dass das Verhältnis von freiwerdender Strahlungsenergie und Kernmasse win-
zig ist. Die Rückstoßenergie liegt damit nicht mehr in einem kernphysikalischen,
sondern in einem atom- oder festkörperphysikalischen Bereich.
Betrachten wir einige Grundtatsachen der Festkörperphysik. Was bedeutet Tem-
peratur in einem Festkörper? Es gibt viele Schwingungsmodi, die jeweils mit ei-
ner temperaturabhängigen Wahrscheinlichkeit besetzt sind. Aus der Quantenme-
chanik wissen wir, dass die Anregungsenergie bei tiefen Temperaturen eine nicht
verschwindende Größe hat und dass zu tieferen Temperaturen hin die Zahl der
Anregungsmöglichkeiten abnimmt. Mehr und mehr Anregungsmöglichkeiten frie-
ren ein. Dies hat die Konsequenz, dass die Wärmekapazität, die von der Zahl der
Freiheitsgrade abhängt, entsprechend sinkt. In obigem Beispiel ist die minimale
Anregungsenergie für Schwingungen eines Atoms etwa 1;7  102 eV.
Die Rückstoßenergie 1;9  103 eV liegt unter der Minimalanregung. Der Kern
kann sich also nicht mehr relativ zum Festkörper bewegen; die Masse, die bei der
Berechnung des Rückstoßes eingeht, kann damit z. B. die gesamte Masse eines
Kristalls sein. Das reduziert die Rückstoßenergie um 24 Zehnerpotenzen, und die
von der Unschärferelation gesetzte Grenze kann daher erreicht werden.
Warum wurde der Effekt nicht früher entdeckt? Ein Grund ist, dass konventio-
nelle Detektoren keine ausreichende Auflösung hatten, um den Effekt zu sehen.
Mößbauers Trick war es, die Resonanzabsorption zu verwenden, bei der ein -
Quant von derselben Resonanz emittiert und absorbiert wird. Um die relative Posi-
tion der spektralen Absorptions- und Emissionsverteilung zu variieren, benutzte er
eine bewegliche Anordnung (Abb. 2.36), die eine Relativgeschwindigkeit zwischen
Emitter und Absorber ermöglichte. Dies gestattete, indirekt die Breite und die Form
des Absorptions- und des Emissionsspektrums zu bestimmen. Seine Beobachtung
68 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.36 Das Schema ei-


nes Mößbauer-Spektrometers

war, dass bei tiefen Temperaturen eine neue Komponente mit einer extrem scharfen
Verteilung auftritt.
Die phantastische Präzision des Mößbauer-Effekts erlaubt eine Vielzahl von
kern-, atom- und molekülphysikalischen Anwendungen. Kleine elektrische oder
magnetische Felder verändern die Position der Linien, und es ist daher möglich,
sehr genaue Informationen über die Position der Kerne in chemischen Strukturen zu
gewinnen. Man kann z. B. herausfinden, an wievielen nicht äquivalenten Stellen Ei-
senatome in einem Molekül vorkommen und mit welcher Wertigkeit sie gebunden
sind [40].

Innere Konversion
Ein mit dem -Zerfall eng verwandter Prozess ist die Innere Konversion. Ein Proton
des Kerns „streut“ an einem Elektron der Hülle durch den Austausch eines Photons.
Durch den Streuvorgang wird das Elektron aus dem Atom herausgeschlagen. Er tritt
bei schweren Kernen oft mit einer Wahrscheinlichkeit von einigen Prozent von der
-Emission auf.
Im Prinzip ist in der Zentralfeldapproximation die Coulomb-Wechselwirkung
zwischen Kern und Hülle, die für die Streuung verantwortlich ist, schon berück-
sichtigt – die Elektronen bewegen sich im Feld aller Protonen – und es handelt sich
also um ein Beispiel dafür, welche drastischen Korrekturen Zwei-Körper-Wechsel-
wirkungen bei der Zentralfeldapproximation verursachen können.
Wie berücksichtigt man die Wirkung einer solchen Elektron-Kern-Streuung?
Man extrapoliert den Elektron-Proton-Streuquerschnitt zu kleinen Streuenergien.
Anstelle des Flusses, der pro Zeiteinheit auf den Querschnitt des Targetteilchens
einfällt, ergibt sich hier die Reaktionsrate pro Zeiteinheit aus der Aufenthaltswahr-
scheinlichkeit eines Elektrons im Streuvolumen des Protons; diese ist klein, aber
nicht null.
Der dominante Streuprozess ist die Emission des Elektrons aus dem Atom. Die
freiwerdende Energie im Elektron setzt sich aus einer Kombination der gewonne-
nen Bindungsenergie im Kern und der verlorenen Bindungsenergie in der Hülle
zusammen. Da sowohl die nicht-entartete K-Schale als auch die dreifach entartete
L-Schale und die 5-fach entartete M-Schale in Betracht kommen, hat man das in
Abb. 2.37 dargestellte Spektrum [48].
2.4 Radioaktiver Zerfall 69

M
Energie

Abb. 2.37 Die Multiplizitäten der Abstrahlungslinien nach innerer Konversion

2.4.5 Der ˇ-Zerfall

Wir hatten gesehen, wie Kerne mit einer zu hohen Protonen- oder Neutronenzahl in
einen energetisch günstigeren Zustand zerfallen können. Dabei geht ein Neutron in
ein Proton über oder umgekehrt.
Im Gegensatz zu den scharfen Spektren beim ˛- und beim -Zerfall beobachtet
man beim ˇ-Zerfall ein Teilchen mit breitem Energiespektrum, wie es in Abb. 2.38
zu sehen ist. Da beim Übergang eine definierte Energie frei wird und der Energie-
erhaltungssatz nicht verletzt sein kann, muss es sich also um einen komplizierteren
Zerfall handeln. Neben dem Positron bzw. Elektron muss zumindest ein weiteres,
nicht beobachtetes Teilchen auftreten, das die restliche Energie trägt.
Dieses Teilchen wurde von Pauli 1931 postuliert, und es wird als Neutrino bzw.
Antineutrino bezeichnet. Da die Nukleonenzahl beim ˇ-Zerfall unverändert bleibt
und da das Elektron oder Positron einen halbzahligen Spin besitzt, muss das An-
tineutrino oder Neutrino auch einen halbzahligen Spin tragen. Es hat sich heraus-

Abb. 2.38 Die Energiever-


teilung des beim ˇ-Zerfall
emittierten Elektrons
70 2 Einführung in die Kernphysik

gestellt, dass eine „Leptonenzahl“ erhalten bleibt: Das negative „Lepton“ Elektron
wird zusammen mit dem „Antilepton“ Antineutrino oder das positive „Antilepton“
Positron zusammen mit dem „Lepton“ Neutrino produziert.
Die schwache Wechselwirkung, die für den ˇ-Zerfall verantwortlich ist, wird
in Abschn. 5.1 behandelt. Für ihre Beschreibung sind minimale Grundkenntnisse
der relativistischen Quantenmechanik erforderlich, die in Abschn. 4.1 vermittelt
werden.
Lassen Sie uns hier kurz die wichtigsten Ergebnisse betrachten. Die Wahrschein-
lichkeit schwacher Prozesse ist proportional zum Quadrat eines Wechselwirkungs-
terms. Dieser Term lässt sich als Vierervektorprodukt zweier Faktoren schreiben,
die jeweils nur von den Wellenfunktionen eines Fermionpaares abhängen. (Um ein
relativistisch invariantes Produkt zu schreiben, muss man Vierervektoren mit ei-
ner Zeit- und drei Ortskomponenten verwenden. Man schreibt: a b  D a0 a0 
P
i D13 ai ai .)
Im ˇ-Zerfall enthält einer der Faktoren die Proton- und Neutronwellenfunktio-
nen und der andere die Leptonenwellenfunktionen.

j.Nukleonenwellenfunktionen/ .Leptonenwellenfunktionen/ j2

Die Faktoren können aus einem Produkt der Wellenfunktion eines einlaufenden Fer-
mions und der eines auslaufenden Fermions bestehen, z. B. aus der Wellenfunktion
des Protons des Anfangszustands und der Wellenfunktion des Neutrons des Endzu-
stands. In der relativistischen Theorie spielen einlaufende Teilchen und auslaufende
Antiteilchen eine analoge Rolle: Der Zerfall p ! n C eC C wird mit entsprechend
geänderten Viererimpulsen durch denselben Wechselwirkungsterm wie der Prozess
p C e ! n C beschrieben. Dasselbe gilt für alle anderen Prozesse, die durch die
entsprechenden Übergänge zu erhalten sind.
Eine wichtige Komplikation, die in Abschn. 5.1 ausführlich behandelt wird,
hat ihre Ursache in der Tatsache, dass die beiden Faktoren im Viererprodukt so-
wohl einen Vektor- als auch einen Axialvektoranteil haben. Betrachten wir dazu
eine Spiegelung des Raums. Ein Vektorbeitrag wird in Abhängigkeit von der Spie-
gelebene sein Vorzeichen ändern. Das Quadrat eines Vektorbeitrages, wie es im
letztlich relevanten Quadrat des Wechselwirkungsterms auftritt, wird nicht berührt,
da sich beide Faktoren in derselben Weise transformieren. Bei der Spiegelung eines
Axialvektors tritt zusätzlich ein Vorzeichenwechsel auf, der im Quadrat wiederum
keine Rolle spielt. Problematisch ist der gemischte Vektor- und Axialvektorbeitrag,
der unter Spiegelung sein Vorzeichen ändert, da der zusätzliche Vorzeichenwech-
sel nicht kompensiert wird. Der Wechselwirkungsterm in der gespiegelten Welt ist
anders als in unserer wirklichen Welt. Die Parität ist gebrochen [56].
Betrachten wir dazu den ˇ-Zerfall etwas genauer. Wählen wir zunächst eine ge-
eignete Spiegeltransformation. Benutzen wir das Schwerpunktsystem, in dem die
vier auftretenden Impulse in einer Ebene liegen, und betrachten wir die Spiegelung
an der Impulsebene. Offensichtlich wird sie die Impulse der Teilchen nicht berüh-
ren. Wie beim Drehimpuls handelt es sich beim Spin um einen Axialvektor, und die
betrachtete Spiegelung ändert daher die Richtung der Fermionenspins; aus einem
2.4 Radioaktiver Zerfall 71

rechtshändigen Spin, d. h. einem Spin in Richtung des Impulses, wird ein linkshän-
diger Spin und umgekehrt.
Die Dynamik der schwachen Wechselwirkung hat die Eigenschaft, dass bei
linkshändigen Fermionen der gemischte Vektorbeitrag und Axialvektorbeitrag mit
identischen Vorzeichen auftreten:
(nicht gemischter Beitrag) C (gemischter Beitrag) :
Der Beitrag der rechtshändigen Fermionen ergibt sich dann aus der Spiegelung, und
es kommt wegen des Vorzeichenwechsels zu einer Subtraktion:
(nicht gemischter Beitrag)  (gemischter Beitrag) :
Besonders drastisch ist die Konsequenz für Leptonen, für die beide Beiträge gerade
gleich groß sind. Da sie sich gegenseitig aufheben, können rechtshändige Leptonen
an der betrachteten Wechselwirkung nicht teilnehmen.
Die Paritätsverletzung kann im ˇ-Zerfall nachgewiesen werden [57]. Bei tiefen
Temperaturen lassen sich 60 Co-Isotope polarisieren, und der Zerfall der polarisier-
ten Kerne

27 Co ! 28 Ni C e CN
60 60
(2.97)
kann beobachtet werden. Dabei stellt sich heraus, dass die Elektronen bevorzugt
entgegengesetzt zur ursprünglichen Spinrichtung emittiert werden. 60 27 Co hat den
Spin 5 und das relevante Isomer von 60 28 Ni den Spin 4. Der Elektron- und Neu-
trinospin muss daher in Richtung der Cobaltpolarisation zeigen. Die beobachtete
Richtungsabhängigkeit ist daher eine Konsequenz der oben geforderten Linkshän-
digkeit (d. h. Spin "# Impuls) der Leptonen aus dem ˇ-Zerfall.
Da sich unter Spiegelung die Spinrichtung anders transformiert als die Impuls-
richtung, kann eine solche Vorzugsrichtung nicht auftreten, wenn in der wirklichen
Welt und in der gespiegelten Welt dieselben Gesetze gelten müssen. Die beobach-
tete Vorzugsrichtung beweist die Paritätsverletzung.
Der „schwache Strom“ hat eine ähnliche Struktur wie der elektromagnetische
Strom. Wie beim -Zerfall muss man bei Kernen im Prinzip über die verschiedenen
abgestrahlten Drehimpulse summieren. Da der Kernradius üblicherweise klein ge-
genüber der Wellenlänge der abgestrahlten Energie ist, konvergiert die Entwicklung
in Bahndrehimpulsen relativ schnell. Dominant für den abgestrahlten Bahndrehim-
puls ist  L D 0.
In der Näherung, dass eine Behandlung der Nukleonenwellenfunktionen mit
einer nichtrelativistischen, zweikomponentigen Schrödinger-Gleichung zulässig
ist und dass die Wellenlänge der abgestrahlten Leptonen groß gegenüber dem
Kernradius ist, lässt sich das Vierervektorprodukt in eine Summe über zwei un-
terscheidbare Beiträge aufspalten. Der eine enthält das Quadrat eines „Fermi-

Matrixelements“ ( p 1 n ) und der andere das Quadrat eines „Gamow-Teller-Ma-

trixelements“ ( p  n ). Der Operator  ist ein Vektor aus Pauli-Matrizen, der
den Spin der Nukleonen bestimmt. In einem Fall bleibt die Richtung der Nukleo-
nenspins erhalten, im anderen Fall ändert sich die Richtung des Spins, wie es in
Abb. 2.39 aufgezeichnet ist.
72 2 Einführung in die Kernphysik

¨ bergänge
Fermi-U ¨ bergänge
Gamow-Teller-U

Prozeß: Prozeß:
n → p + e− + ν̄e n → p + e− + ν̄e
Sz : Sz :
⇑ → ⇑ + ⇑⇓ ⇑ → ⇓ + ⇑⇑
+1/2 +1/2 0 +1/2 −1/2 +1
S: S:
(1/2) → (1/2) + (0) (1/2) → (1/2) + (1)

Abb. 2.39 Der Spin beim ˇ-Zerfall

Neben diesem ( L D 0)-Beitrag gibt es natürlich auch Beiträge höherer Ord-


nung. Man spricht von verbotenen Übergängen, die bei entsprechendem Unter-
drückungsfaktor auftreten, wenn der erlaubte Übergang nicht möglich ist [33].

2.4.6 Der ˛-Zerfall

Wir kommen jetzt zum ˛-Zerfall, bei dem zum ersten Mal ein wirklicher Be-
standteil des Kerns emittiert wird. Bei dem ˛-Teilchen handelt es sich um einen
Kern des Heliumatoms, nämlich um zwei Protonen und zwei Neutronen, d. h. er
ist sowohl bezüglich seiner Protonenzahl als auch bezüglich seiner Neutronenzahl
magisch (also doppelt magisch), und seine Bindungsenergie ist daher besonders
hoch. Wie für doppelt magische Kerne zu erwarten ist, verschwindet der Kernspin
(J D 0).
Die Strahlung ist ein Zwei-Körper-Zerfall; ein schweres Atom zerfällt in ein et-
was leichteres Atom und ein ˛-Teilchen. Typischerweise ist der zerfallende Kern
praktisch in Ruhe, und das emittierte Teilchen hat damit eine wohldefinierte Ener-
gie. Diese Energie kann entweder durch die Reichweite der Teilchen, z. B. in Luft,
durch die Menge der Ionisierung in bestrahlter Materie oder durch die Ablenkung
der Teilchen im Magnetfeld bestimmt werden. Typisch ist eine dominante scharfe
Linie im Energiespektrum. Daneben gibt es manchmal auch schwächere Linien mit
einer etwas geringeren Strahlungsenergie, wie es in Abb. 2.40 angedeutet ist. Sol-
che seltener vorkommenden Übergange führen dann zunächst in Zwischenzustände,
die dann unter Emission eines Photons, d. h. von -Strahlung, in einer zweiten Stufe
den Grundzustand erreichen.
Die totale Energie, die beim ˛-Zerfall freigesetzt wird, ist

Q˛ =c 2 D B.Z; A/ C B.Z  2; N  2/ C B.4 He/ : (2.98)

Da Nukleonenzahl und -art erhalten bleiben, entsprechen sie, abgesehen vom ge-
änderten Vorzeichen, der Bindungsenergiedifferenz. Wegen der (aus der Sicht des
2.4 Radioaktiver Zerfall 73

Abb. 2.40 Typisches Ni-


veauschema beim ˛-Zerfall
(adaptiert nach Marmier und
Sheldon [48])

Tröpfchenmodells) ungewöhnlich hohen Bindung ist es notwendig, für das ˛-Teil-


chen direkt den experimentellen Wert

B.4 He/ D 28;3 MeV (2.99)

zu verwenden. Der ˛-Zerfall tritt bei großen Kernen auf. Für die relativ kleine Än-
derung in Ordnungs- und Massenzahl reicht es, für die Berechnung der Differenz
die ersten beiden Terme den linearen Term in der Potenzreihenentwicklung zu be-
rücksichtigen

@B.Z; A/ @B.Z; A/
B.Z; A/  B.Z  2; A  4/ D 2C 4: (2.100)
@Z @A
Um die Ableitung abzuschätzen, können wir das Tröpfchenmodell verwenden, das
die Bindungsenergie in der folgenden Weise

B.Z; A/ D C av A  as A2=3  ac .Z/2 =.A/1=3  aa .A  2Z/2 =A


C ap A.1=2/ für gg-Kerne
 ap A.1=2/
für uu-Kerne

parametrisiert (siehe Abschn. 2.3.1). Der av -Term ergibt einen Beitrag, der dem
Volumenterm des ˛-Teilchens entspricht. Der as -Term und der ac -Term sind abzu-
leiten. Da A  2Z konstant bleibt, heben sich beide Ableitungsterme im aa -Term
gegenseitig auf, und es verbleibt nur der Beitrag von der A-Abhängigkeit. Wegen
seiner A-Abhängigkeit gibt es einen kleinen Beitrag des ap -Terms, wenn er auftritt.
Man erhält
 
2 1 1 Z
Q˛ D .28;3  4av / C 4as A C ac 4ZA
3 3 1
3 3A
 2 (2.101)
2Z 4
 aa 4 1  ˙ ap A.3=2/ :
A 2
74 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.41 Beispiele für sta-


bile und metastabile Zustände
in der Quantenmechanik

Setzt man die Konstanten ein, erhält man exotherme Reaktionen für A > 150,
d. h. ab Samarium. Von dieser Massenzahl an wird daher der ˛-Zerfall auftreten.
Tatsächlich erscheinen viele schwere Kerne ab Samarium noch stabil bezüglich des
˛-Zerfalls. Der Grund dafür sind sehr große Zerfallszeiten.
Was bestimmt die Geschwindigkeit der ˛-Zerfälle? Dies kann man in einem Ein-
Teilchen-Modell verstehen. In ihm nimmt man an, dass – mit einer bestimmten klei-
neren Komponente ihrer Wahrscheinlichkeit – die beiden Protonen und die beiden
Neutronen eines Orbitals wie ein einziges Teilchen in einem effektiven Potenzial
behandelt werden können. Wir hatten gesehen, dass man für Neutronen ein kas-
tenförmiges (oder Woods-Saxon-)Potenzial erwartet. Das Potenzial für solche ˛-
Teilchen sollte ein ähnliches Verhalten zeigen. Wie das Proton muss das ˛-Teilchen
allerdings die Wirkung des Coulomb-Felds spüren. Außerhalb des Kerns ist nur
dieser Anteil wirksam. Der Bereich, in dem das Coulomb-Potenzial positive Werte
annimmt, bildet eine Barriere, die den Zerfall behindert.
Neben gebundenen Zuständen mit negativer Energie hat man also quasistatio-
näre, metastabile Zustände. Sie können im Prinzip zerfallen, sie müssen aber zu-
nächst den Coulomb-Berg durchtunneln. Das ist natürlich anders als in der klas-
sischen Physik, in der ein Teilchen mit einer vorgegebenen Energie einen Berg
höherer Energie nicht überwinden kann.
Um die Quantenmechanik qualitativ zu verstehen, stellen wir uns vor, wir hätten
einen Computer, der Differenzialgleichungen lösen kann. Für gebundene Zustände
soll er zunächst – automatisch mit der richtigen Anfangsbedingung – am Ursprung
anfangen und dann die Wellenfunktion von einem Punkt zum nächsten rekonstruie-
ren, bis am klassischen Umkehrpunkt gerade nur noch ein exponentiell abfallender
Anteil übrig bleibt. Man erhält also Lösungen, wie die in Abb. 2.41 dargestellten.
Wenden wir jetzt unser Programm auf einen metastabilen Energiebereich an.
Nehmen wir an, dass der Computer „nett“ ist und sich möglichst vernünftige An-
fangsbedingungen aussucht. Die Wellenfunktion könnte er daher etwa wie für einen
gebundenen Zustand beginnen. Im Inneren gibt es das übliche Verhalten, das dann
an der Schwelle in einen exponentiellen Abfall übergeht. Ein Teil der Welle wird
nun aber die Schwelle durchdringen und außen eine oszillierende Welle bilden,
wie es in der oberen Kurve in der Abbildung zu sehen ist. Dabei gibt es nun für
2.4 Radioaktiver Zerfall 75

Abb. 2.42 Das in der Rechnung benutzte Kastenpotenzial

die statische Lösung eine Schwierigkeit mit der Normierung, da die Welle unseres
Teilchens unendlich weit reicht. Man versucht, ein nicht-stationäres Problem mit
einer stationären Methode zu lösen.
Der einzige Fehler bei der betrachteten Lösung ist, dass die Welle beim Reso-
nanzzerfall außen nicht mehr stationär (d. h. ein- und auslaufend) ist, sondern nur
noch eine auslaufende Komponente hat. Mit einer für den inneren Bereich unsi-
gnifikanten Änderung (der in der Schwelle exponentiell ansteigenden, im Inneren
beinahe verschwindenden Komponente) erhält man eine Lösung mit der geänderten
Randbedingung. Aus der nicht normierten Lösung kann dann, bei einer vorgegebe-
nen Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Potenzialtopf, der Fluss von Wahrscheinlich-
keit aus dem Potenzial im äußeren Bereich berechnet werden, d. h. man erhält die
Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit. Graphisch, d. h. in Abb. 2.41, entspricht
er der relativen Größe des Amplitudenquadrats außen, mal der Geschwindigkeit
„k=m des durch die Welle beschriebenen Teilchens. Die Zerfallszeit hängt daher
von der Dicke und der Höhe der Wand ab.
Die Abbildung mit der Schwelle illustriert die enge Parallelität zwischen Reso-
nanzen und gebundenen Zuständen. Würde man den äußeren Teil des Potenzials
anheben, müsste man im Äußeren auf die in diesem Resonanzbereich ohnehin re-
lativ kleine auslaufende Welle verzichten. Im Inneren würden Resonanzen in ge-
bundene Zustände übergehen, ohne dass sich die relative Energie und die Form der
Wellenfunktion wesentlich ändern würde.
Um das qualitative Argument genauer zu verstehen, betrachten wir dazu als
rechenbares Beispiel das Kastenpotenzial mit einer Rechteckbarriere, wie es in
Abb. 2.42 dargestellt ist. Die Energie E des Zustands sei positiv. Außen hat die
Welle damit die Form
.x/ D A3  expŒik3 .x  b/ (2.102)
76 2 Einführung in die Kernphysik

p
mit dem Impuls „ k3 D 2mE mit noch offener Normierung, die wir ohne Be-
schränkung der Allgemeinheit reell wählen. Wir folgen jetzt der Welle Schritt für
Schritt in Richtung Ursprung. Im Punkt b gilt

.b/ D A3 (2.103)

und ˇ
0
= ˇb D ik3 : (2.104)
Innerhalb der Potenzialschwelle wird der Impuls komplex,
p
„ k2 D ˙i
2 mit „
2 D 2m.V2  E/ ; (2.105)

und die Wellenfunktion hat damit die Form

.x/ D A2  expŒ
2 .x  b/ C B2  expŒ
2 .x  b/ : (2.106)

Für den Punkt b gilt damit D A2 C B2 D A3 und


ˇ
0ˇ  
ˇ D A2
2  B2
2 D
2 1  2
; (2.107)
ˇ A2 C B2 A2 =B2 C 1
b

was zusammen mit (2.104) die Größe A2 =B2 festlegt:


 
A2 2
D 1 : (2.108)
B2 1  ik3 =
2

Für große
2 ist damit A2 D B2 D A3 =2. Für den Punkt a gilt analog zu oben

.a/ D A2 expŒ
2 .a  b/ C B2 expŒ
2 .a  b/ (2.109)

und
ˇ

ˇ D A2
2 expŒ
2 .a  b/  B2
2 expŒ
2 .a  b/
ˇ A2 expŒ
2 .a  b/ C B2 expŒ
2 .a  b/
a
 
2
D
2 1 
A2 =B2 expŒ2
2 .a  b/ C 1 (2.110)
0 1
2
D
2 @1    A :
2
1ik3 =
2
 1 expŒ2
2 .a  b/ C 1

Für große
2 -Werte bleibt nur der Term mit dem positiven Exponenten übrig:

0 A3
.a/ D B2
2 expŒ
2 .a  b/ D
2 expŒ
2 .a  b/ : (2.111)
2
2.4 Radioaktiver Zerfall 77

Innerhalb des Kastenpotenzials ist der Impuls


p
„k1 D 2m.E  V1 / ; (2.112)

und die Wellenfunktion hat damit die Form

.x/ D A1 exp.ik1 x/  A1 exp.ik1 x/ ; (2.113)

wobei die identischen Koeffizienten für das Verschwinden der Wellenfunktion im


Ursprung sorgen, und es gilt:
ˇ
0ˇ  
ˇ D ik1 exp.ik1 a/ C ik1 exp.ik1 a/ D ik1 1 C 2
:
ˇ exp.ik1 a/  exp.ik1 a/ exp.2ik1 a/  1
a
(2.114)
Wegen der Kontinuität im Punkt a muss dies derselbe Ausdruck wie oben sein,
was die Energie des instabilen Bindungszustands festlegt. Obwohl dies im Prinzip
leicht zu lösen ist, beschränken wir uns hier auf den Grenzwert hoher Schwellen,
d. h. großer
2 mit 0 = ja ! 1. Die Bedingung für die Energie ist damit

exp.2ik1 a/ D 1 ; (2.115)

und der Vergleich der Ableitungen ergibt

0 A3
.a/ D iA1 k1 .exp.Cik1 a/ C exp.ik1 a// D
2 expŒ
2 .b  a/ : (2.116)
2
Die Amplitude der Welle im Inneren ist, wenn das Teilchen sich noch mit der Wahr-
scheinlichkeit 1 im Inneren befindet,
1 1
A1 D .2 Kastenlängen/ 2 D .2a/ 2 ; (2.117)

und die Größe des auslaufenden Flusses ist bei der Geschwindigkeit „k3 =m der
entweichenden Teilchen mit (2.115)

„k3  8„k3 k12


j D D 1= D A3 A3 D expŒ2
2 .b  a/ : (2.118)
m am
22

Der wesentliche Faktor bei diesem Ergebnis ist die Exponentialfunktion. Mit geeig-
neten Konstanten, schreibt man

D o exp.G/ ; (2.119)

wobei
G D 2
2 .b  a/ (2.120)
der Gamow-Faktor genannt wird.
78 2 Einführung in die Kernphysik

Das Ergebnis lässt sich relativ leicht auf andere Potenzialformen übertragen. Än-
dert sich das Potenzial nur langsam im Vergleich zur Wellenfunktion, kann man
die sogenannte WKB-Approximation anwenden. In unserem Fall läuft das darauf
hinaus, dass man sich die Schwelle aus kurzen Schwellenstücken zusammengesetzt
denkt und das Produkt im Exponenten durch das entsprechende Integral ersetzt (sie-
he [58]):
Zb Zb
2 p
G D 2
.x/dx D 2m.V .x/  E/dx : (2.121)

a a

Wir können diese Approximation nun direkt auf das (wenigstens ab einem bestimm-
ten Abstand exakte) Coulomb-Potenzial anwenden und den Gamow-Faktor explizit
berechnen. Bestimmen wir zunächst den äußeren klassischen Umkehrpunkt
Ze  ze Zz
bD D 1;44 .fm  MeV/ ; (2.122)
4 E E
wobei E D V .b/ D Ze  ze=4b und ze die Ladung des ˛-Teilchens. Mit R als
dem Radius, an dem die Schwelle anfängt, schreiben wir

Zb p Zb p
GD2 2mE.b=r  1/=„ dr D C
2 .b  r/=rdr ; (2.123)
R R

wobei p
C D 8mE=„2 : (2.124)
Die Substitution R D r 1=2
erlaubt die Lösung des Integrals
p
Zb p Z bp
.b  r/=rdr D 2 b  R2 d R ; (2.125)
p
R R

die wir hier nicht durchführen wollen. Das Ergebnis ist


p p
G D C  b.arccos R=b  R=b  .R=b/2 / : (2.126)

(typische Werte sind R D    10 fm und b D 20    40 fm.) Ist die Schwellenenergie


(Ze  ze=R) deutlich größer als die kinetische Energie, d. h. für

R
b;

lässt sich der Gamow-Faktor mit geeignet gewählten Konstanten A und B in der
folgenden Weise approximieren:
r !
 R p p
G DC b  D A= E  B R : (2.127)
2 b
2.4 Radioaktiver Zerfall 79

Abb. 2.43 Die Geiger-


Nuttalsche Beobachtung
(adaptiert nach [33, 59])

Berücksichtigt man noch eine Ordnung weniger, ergibt dies


p 
G D A= E D C  b : (2.128)
2
Der Gamow-Faktor hängt von der Höhe der Coulomb-Schwelle und von der
Energie des abgestrahlten ˛-Teilchens ab. Sehr schwere Kerne werden oft mehrere
Male hintereinander durch ˛-Zerfälle in leichtere Kerne übergehen. Innerhalb einer
solchen Zerfallsreihe erwartet man keine starken Dichteschwankungen der Kern-
materie. Auch bleibt die gerade bzw. ungerade Natur bezüglich Z und N erhalten.
Die Coulomb-Schwelle sollte daher nicht unsystematisch variieren, und Fluktua-
tionen durch Korrekturen zur obigen Relation sollten daher klein sein. Natürlich
wird es in einer solchen Zerfallsreihe eine beträchtliche Änderung in der Energie
der abgestrahlten ˛-Teilchen geben. Die Vorhersage
 p 
D 0 exp A= E (2.129)

kann daher in diesem Punkt direkt experimentell überprüft werden. In Abb. 2.43
sind die Daten dazu in einem geeigneten, logarithmischen Koordinatensystem dar-
gestellt. Wie erwartet, liegen die Datenpunkte jeweils auf Geraden. Zwischen den
verschiedenen Geraden besteht ein Unterschied. Er beruht im Wesentlichen auf der
nicht berücksichtigten Abhängigkeit vom Z=A-Verhältnis [60].
Die obige Relation wird Geiger-Nuttallsche Regel genannt. In der ursprüngli-
chen Darstellung wurde anstelle der Energie der Logarithmus der Reichweite der
˛-Teilchen in Luft verwendet.
Die Erklärung der extrem starken Abhängigkeit der Lebensdauer von E war ein
wichtiger Erfolg der Quantenmechanik mit ihrem Tunneleffekt [7].
80 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.44 Lise Meitner und


Otto Hahn (Foto: Deutsches
Museum)

2.4.7 Zerfall durch Kernspaltung


Die Kernspaltung wurde 1938 von Otto Hahn (Abb. 2.44) und Fritz Straßmann
entdeckt und von Lise Meitner und Otto Frisch zuerst interpretiert [61, 62, 63]. In
unserer Behandlung von Zerfallsprozessen interessiert uns zunächst die spontane
Spaltung. Fragen, die mit der stimulierten Spaltung (und der Kettenreaktion) zu tun
haben, werden später im Abschn. 2.7.1 behandelt.
Gemäß dem Tröpfchenmodell beruht die Kernspaltung auf demselben Prinzip
wie der ˛-Zerfall. Die totale Energie, die im Spaltungsprozess freigesetzt wird, ist
QSpaltung D M.Z; A/  M.Z1 ; A1 /  M.Z2 ; A2 / : (2.130)
Da die Nukleonenzahl und -art erhalten bleiben, geben die Nukleonenmassen und
der Volumenterm keinen Beitrag zur Massendifferenz. Bleibt das Proton-Neutron-
Verhältnis im Zerfall fest, trägt der Asymmetrieterm nichts bei. Der Beitrag des
Paarungsterms wird in der Regel klein sein. Wichtig ist der Beitrag des Oberflä-
chenterms und des Coulomb-Terms, die wir bei festem Verhältnis in der folgenden
Weise schreiben können:
 2 2
  2  5 5

2 Z 5
m D as A  A1  A2 C ac
3 3 3
A  A1  A2 :
3 3 3
(2.131)
A
Für einen Zerfall in zwei gleiche Kerne haben wir damit
   2  
m 1 1 Z 2 2
D as A 3 1  2 C ac
3 A 3 1  2 3 ; (2.132)
A A
wobei bei großen Kernen der negative erste Summand zu einer exothermen Reakti-
on führt. Einfaches Einsetzen der Parameter führt zu der Vorhersage, dass alle Kerne
oberhalb von A D 90 instabil gegen Spaltung sind. Zu dieser Vorhersage gibt es
natürlich kleinere Korrekturen, die die Stabilität schwerer Kerne erhöhen. Schwere
2.4 Radioaktiver Zerfall 81

Abb. 2.45 Der geometrische


Ablauf des Kernzerfalls

Kerne haben eine erhöhte Proton-Neutron-Asymmetrie und sind nicht völlig sphä-
risch.
Dass Kerne bis etwa A D 250 recht stabil gegenüber Spaltung sind, erfordert
offensichtlich eine andere Erklärung. Im Prinzip mögliche Zerfälle sind hier noch
drastischer unterdrückt als beim ˛-Zerfall. Betrachten wir als Beispiel das „stabile“
Uranisotop 235 U. In Wirklichkeit hat es einen ˛-Zerfall mit einer Lebensdauer von
108 Jahren, und es ist anzunehmen, dass es im Prinzip auch in zwei schwerere Kerne
zerfallen kann. Der Grund für die scheinbare Stabilität der schweren Kerne sind ihre
große Masse sowie die Länge und Größe des zu durchtunnelnden Potenzials.
Bei einer Spaltung in größere Teile wird eine Verformung wichtig werden. We-
gen der Coulomb-Abstoßung ist die Kugelform nicht sehr stabil, und der Zerfall
eines Kerns sieht daher etwa so aus, wie in Abb. 2.45 dargestellt. Man sieht, dass
über einen vergleichsweise großen Abstand auf die Kernteile attraktive Kräfte wir-
ken können. In diesem Bild gibt es zwei zu durchtunnelnde Phasen: Der Kern muss
zunächst eine ungünstige Form annehmen und dann, nach der Trennung, die etwas
abgeschwächte Coulomb-Schwelle überwinden.
Die Tunnelwahrscheinlichkeit durch die Coulomb-Schwelle nimmt mit wach-
sender reduzierter Masse M1 M2 =M (siehe 2.121) und mit wachsendem Produkt
der Ladungen Z1 Z2 drastisch ab. Diese Abhängigkeit macht es plausibel, warum
der oben betrachtete Zerfall in zwei gleiche Kerne keineswegs dominant sein muss
und warum ein Zerfall in einen großen und einen kleinen Kern bevorzugt ist. Dies
kann man in Abb. 2.46 sehen, in der die Massenzahlverteilungen der primären in
der Spaltung produzierten Kerne dargestellt sind.
Die betrachteten Kerne sind vor dem Zerfall angeregte 236 U- und 236 Th-
Zustände. Der Zerfall mit dem thermischen Neutron entspricht etwa der Situation
bei einer spontanen Spaltung. Mit zunehmender Anregungsenergie (hier der Fall
mit ˛-Anregung) wird der Asymmetrie-Effekt schwächer.
Die Höhe der Potenzialschwelle von 5–6 MeV ist von derselben Größenordnung
wie im ˛-Zerfall. Mit einer externen Anregung ist es daher relativ leicht möglich,
zu schnellen Spaltungsprozessen ohne oder fast ohne Tunneln zu kommen.
Es ist zu erwähnen, dass auch die Möglichkeit einer Spaltung in drei Teil-
kerne existiert. Ihre Wahrscheinlichkeit ist jedoch sehr gering, bei 106 „binären“
Spaltungen (zwei Bruchstücke) tritt eine „tertiäre“ Spaltung in drei Bruchstücke
auf.
Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass die Höhe der Potenzialschwelle von der-
selben Größenordnung ist wie beim ˛-Zerfall. Mit einer externen Anregung ist es
82 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.46 Die Massenzahl- Spaltungs −


verteilung der Spaltprodukte Ausbeute (%)
(adaptiert nach [27]) 10 235
U + n th
1

−1
10
−2
10 232
Th + 
−3
10
−4
10
−5
10 60 80 100 120 140 160 180 A

daher relativ leicht möglich, zu schnellen Spaltungsprozessen ohne oder fast ohne
Tunneln zu kommen.

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess

Wir gehen jetzt auf unserer typischen Skala etwas weiter (zu kürzeren Zeiten) und
betrachten streuende Kerne. Dazu müssen wir uns zunächst ein paar allgemeine
Gedanken zum Streuprozess von beliebigen Objekten („Teilchen“) machen. Die-
se Überlegungen werden uns auch außerhalb des Kernphysikteils zugute kommen.
Allerdings wird sich der Sprachgebrauch in der Kern- und in der Teilchenphysik
manchmal etwas unterscheiden.
Bei einem Streuvorgang fällt ein Teilchenstrahl auf ein Objekt ein, an dem er
gestreut wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung hängt dabei von den
Eigenschaften des Strahls und des Objekts und von den betrachteten Prozessen ab.
Die Teilchenstrahlen kommen dabei meist aus radioaktiven Substanzen oder aus
Beschleunigern. Die Objekte, an denen gestreut wird, können entweder selbst Teil-
chenstrahlen sein, oder sie sind feste oder gasförmige, praktisch ruhende Materie.
Um die Streuwahrscheinlichkeit quantitativ zu beschreiben, führen wir jetzt einige
relevante Definitionen ein.

2.5.1 Definition von Luminosität und Wirkungsquerschnitt

Betrachten wir zunächst die erste Möglichkeit, bei der ein Teilchenstrahl auf ein
ruhendes „Target“ fällt, wie in Abb. 2.47 dargestellt. Der Strahl besteht aus Teil-
chen des Typs A der Geschwindigkeit v, die im Querschnitt S in einer mittleren
Dichte nA auftreten. Wir betrachten hier den Fall mit konstanter Dichte. Hat der
Teilchenstrahl eine veränderliche Dichte, d. h. ein Profil, muss man die entsprechen-
den Integrale einsetzen. Die Anzahl der Teilchen pro Längenelement in Richtung
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 83

Abb. 2.47 Die Strahl-Target- B B


Wechselwirkung
l

A A A A B B
A A A A B B
A A A A A B B
A A A B B
A A A B B
B B
B B
S v B B
B B
B B

der Geschwindigkeit ist damit nA  S  dx. Der Fluss der Teilchen, d. h. die Zahl der
pro Zeit auf das Target einfallenden Teilchen, ist (mit v D dx=dt)

Fluss D ˚A D na  S  v : (2.133)

Was interessiert uns am Target? Es enthalte die Teilchen B in einer gleichförmi-


gen Dichte nB . Im Einfallsgebiet des Teilchenstrahls habe es die Dicke l. Der
Einfachheit halber betrachten wir die Situation, in der wiederholte Streuvorgänge
vernachlässigt werden können. Das ist der Fall, wenn das Target ausreichend dünn
ist. Relevant ist dann nur die Zahl der Teilchen pro Auftrefffläche des Strahls:

NB D nB  l : (2.134)

Nehmen wir jetzt für einen Augenblick die einfachste denkbare Situation an. Die
Teilchen A seien punktförmig, und die Teilchen B seien harte Kugeln mit der Quer-
schnittsfläche B . Die Zahl der Streuungen pro einfallendem Teilchen wäre dann
proportional zu dem Anteil der Targetfläche, der durch die Querschnitte der B-Teil-
chen abgedeckt ist:

Anzahl der Streuungen


D NB   B ; (2.135)
Anzahl der Einfallteilchen
und die Reaktionsrate, d. h. die Zahl der Ereignisse pro Zeiteinheit, ergäbe sich
damit als Produkt mit dem einfallenden Fluss als

Reaktionsrate D .˚A  NB /  B : (2.136)

Natürlich entspricht dieses einfache Bild nicht der Realität eines Streuvorgangs;
es erlaubt jedoch, die Streubereitschaft des Teilchens A und des Teilchens B mit
dem entsprechenden, gemessenen „AB “ zu parametrisieren. Dazu geht man in um-
gekehrter Weise vor: Aus den Eigenschaften des Beschleunigers und des Targets
berechnet man die Luminosität

L D ˚A  NB (2.137)
84 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.48 Die Strahl-Strahl- h h


Wechselwirkung A A
A A A A
A A
A A
v v

und definiert dann aus der beobachteten Reaktionsrate den effektiven Querschnitt

AB D Reaktionsrate=L (2.138)

als Wirkungsquerschnitt.
Betrachten wir jetzt die Situation für eine Strahl-Strahl-Wechselwirkung, wie sie
in Abb. 2.48 dargestellt ist. Solche Strahl-Strahl-Wechselwirkungen werden in Ab-
schn. 3.2 des Buches eine wichtige Rolle spielen. Der Schnittwinkel #   sei
klein. Der Einfachheit halber nehmen wir konstante, rechteckige Teilchenverteilun-
gen der Höhe und Tiefe h mit Flussgrößen ˚A D ˚B an. Beide Strahlen sind in
kleine Pakete unterteilt. Diese Pakete seien so synchronisiert, dass sie im Wech-
selwirkungsgebiet genau f -mal pro Sekunde aufeinandertreffen. Um geometrische
Effekte ignorieren zu können, nehmen wir an, dass sie im Vergleich zur Länge des
Wechselwirkungsgebiets kurz sind. Wir betrachten die nach rechts fliegenden Teil-
chen als Projektile und die nach links fliegenden als Targetteilchen. Für den Fluss
˚A des Projektilstrahls A ändert sich damit nichts gegenüber dem obigen Fall. Die
Flächendichte der Targetteilchen B müssen wir jetzt rückwärts aus dem Fluss be-
rechnen. Pro Paket gibt es
nB .Paket/ D ˚B =f (2.139)
Targetteilchen, die die folgende Flächendichte bewirken:

˚B
NB D (2.140)
f  h2

Ist jeweils nur ein Targetpaket verfügbar, ergibt sich die Luminosität

˚A  ˚B
LD : (2.141)
f  h2

Typisch ist dabei die inverse Proportionalität zur der Querschnittsfläche des Strahls.
Offensichtlich hängt die Luminosität damit von der genauen Form des Strahlpro-
fils ab. Für Speicherringe ist die Bestimmung der Luminosität damit nicht trivial. In
eC e -Speicherringen mit ihren kleinen Fokussierungsquerschnitten (d. h. mit win-
zigen effektiven h2 ) benutzt man die Reaktionsrate eines gut bekannten Prozesses,
N
um den Speicherring zu eichen [64]. Im p p-Speicherring ist es möglich, das Profil
des Teilchenflusses zu bestimmen, was bei bekannten Teilchenflüssen die Berech-
nung der Luminosität erlaubt.
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 85

Bei Wirkungsquerschnitten ist man bezüglich der Dimension etwas inkonse-


quent und benutzt üblicherweise keine natürlichen Einheiten, sondern barns und
millibarns (wörtlich: „Scheune“ und „Millischeune“). Es ist

1 barn D 1 b D .10 fm/2 D 1024 cm2 D .19;7 MeV/2 ;


1 millibarn D 1 mb D 103 b D 1027 cm2 ;
1 mikrobarn D 1 b D 106 b D 1030 cm2 :

Die barns entsprechen der Skala der Kernphysik, während man es bei hadronischen
Prozessen mehr mit millibarns und bei partonischen Prozessen oft mit mikrobarns
zu tun hat. Die Luminosität hat die Dimension von inversen barn-Sekunden. Sie
gibt die Ereignisse pro barn und pro Sekunde an.
Was man dabei unter einem Streuereignis verstehen möchte, kann man sich im
Prinzip beliebig aussuchen, und je nach Wahl erhält man dann die entsprechen-
den Wirkungsquerschnitte. Die Kunst ist dabei letztlich, Messgrößen zu finden, die
theoretisch signifikant sind, aber möglichst wenig von detaillierten, noch nicht fest
etablierten Vorstellungen abhängen.
Hat das Targetmaterial eine vorgegebene Dichte (Teilchenzahl pro Volumen),
kann man den Wirkungsquerschnitt in eine mittlere freie Weglänge umrechnen:

1
D : (2.142)
.  Dichte/

Für die einfachsten Möglichkeiten der Streuung zweier Teilchen ist die folgende
Terminologie üblich. Der totale Wirkungsquerschnitt

tot: D ACB!X (2.143)

behandelt Prozesse, in denen irgendwelche Teilchen (X) auslaufen, die nicht den
ungestreuten Anfangsteilchen entsprechen müssen. Der „totale Wirkungsquer-
schnitt“ hat zwei Beiträge, den „elastischen Wirkungsquerschnitt“

el. D ACB!ACB ; (2.144)

in dem die Anfangsteilchen nur abgelenkt werden, und den „inelastischen Wir-
kungsquerschnitt“
inel. D ACB!X.¤ACB/ : (2.145)
Ein kernphysikalisches Beispiel für einen elastischen Prozess ist ein Neutron, das
an einem Kern gestreut wird und dabei seine Richtung ändert. Wird der Kern dabei
angeregt, d. h. ist die kinetische Energie nach der Streuung geringer als vorher, hat
man einen Beitrag zum inelastischen Prozess.
Oft betrachtet man den Wirkungsquerschnitt eines festgelegten „Kanals“ oder,
in der Sprache der Kernphysik, einer spezifischen „Reaktion“:

Reaktion D ACB!CCDC : (2.146)


86 2 Einführung in die Kernphysik

Ein Beispiel aus der Kernphysik ist ein langsames Deuteron, das von einem Kern
eingefangen wird und aus diesem ein angeregtes Isotop macht, das unter Abgabe
eines -Teilchens einen stabilen Zustand erreicht.
In der Kernphysik spezifiziert man einen Prozess oft durch bloße Angabe des in
den Kern einfallenden Teilchens a und des aus dem Kern auslaufenden Teilchens
b als .a; b/. In dieser Notation wird das betrachtete Beispiel als .d; ) beschrieben.
Dabei wird ignoriert, was mit dem Kern geschieht. Die ausführliche Notation ist
z. B.
39
K .d; / 41 Ca : (2.147)
Um anzudeuten, dass es sich nicht um einen elastischen Prozess .a; a/ handelt, be-
nutzt man einen Apostroph .a; a0 /.
In hochenergetischen Streuvorgängen werden oft viele Teilchen produziert. Es
ist daher oft zu mühsam, einzelne Reaktionskanäle zu unterscheiden. Man betrach-
tet daher oft „topologische Wirkungsquerschnitte“

n D ACB!n Teilchen ; (2.148)

für die nur die Gesamtzahl der Teilchen festgelegt ist.


Besonders bei hoch inelastischen Prozessen der Hochenergiephysik ist es üblich,
von „inklusiven Wirkungsquerschnitten“

ACB!CCX (2.149)

zu sprechen, die angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teilchen C mit be-
liebigem Rest X gebildet wird, wobei die Kinematik des Teilchens C in geeigneter
Weise spezifiziert wird.
Es gibt natürlich die Möglichkeit, die betrachteten Prozesse kinematisch einzu-
schränken. Der Wirkungsquerschnitt, um ein Teilchen in einem bestimmten Win-
kelbereich oder in einem bestimmtem Segment eines anderen kinematischen Para-
meters zu produzieren, wird oft als differenzieller Wirkungsquerschnitt bezeichnet.
Betrachten wir dazu den differenziellen, elastischen Wirkungsquerschnitt. Der End-
zustand enthält zwei Vierervektoren, pA0 und pB0 (d. h. 1c EA0 ; p 0A und 1c EB0 ; p 0B ). Vier
der acht Parameter sind durch die Viererimpulserhaltung festgelegt:

pA0 C pB0 D pA C pB I (2.150)

zwei weitere Parameter sind durch die feste Masse der Endzustände bestimmt (d. h.
durch EA0 2  p 0A 2 D m0 2 für A und B). Es verbleiben damit zwei kinematische
Parameter. Eine Möglichkeit ist es, dafür Winkel zu wählen; dies geschieht üblicher-
weise durch Polarkoordinaten um die Strahlachse, wie es in Abb. 2.49 dargestellt
ist. Sieht man von Spineffekten (genauer: von Prozessen mit polarisierten Projektil-
und Targetspins) ab, gibt es keine Abhängigkeit vom Winkel '. Die folgenden No-
tationen sind damit äquivalent:

d 2 el. d 2 el. 1 del.


D D  D el. .cos #; '/ : (2.151)
d˝ d' d cos # 2 d cos #
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 87

Abb. 2.49 Die Polarkoordi-


naten eines Streuvorgangs im
Laborsystem

Abb. 2.50 Die Polarkoordi-


naten eines Streuvorgangs im
Schwerpunktssystem

Eine völlig analoge Notation existiert für die Schwerpunktwinkel, wie sie in
Abb. 2.50 skizziert sind. Wie üblich sind dabei die mit einem Stern gekennzeichne-
ten Winkel und Impulse Schwerpunktgrößen. Das oben betrachtete „Laborsystem“
wird oft in analoger Weise durch den Index L gekennzeichnet. Die Beschreibungs-
methode lässt sich natürlich leicht auf beliebige Zweiteilchenkanäle übertragen.
Wie überträgt sich der Streuwinkel vom Schwerpunkt- in das Laborsystem? Da
ein Impuls in transversaler Richtung von einer longitudinalen Lorentz-Transforma-
tion nicht beeinträchtigt wird, gilt offensichtlich
.pL /z E tot .p  /z P tot .p  /0
cot #L D D totL 2   C Ltot   : (2.152)
.pL /y ML c .p /y ML c .p /y
Der hochgestellte Index tot soll anzeigen, dass es sich um die Größen des gesam-
ten Systems handelt. Ihre Quotienten ELtot =MLtot c 2 und PLtot =MLtot c entsprechen den
Transformationswinkeln  und ˇ. Im Schwerpunktsystem gilt
.p  /z
D cot #  (2.153)
.p  /y
für den ersten Term auf der linken Seite von (2.152) und
s  
.p  /0 mc 2
D 1C C cot2 #  ; (2.154)
.p  /y .p  /y

für den zweiten Term, wobei die Masse des gestreuten Teilchens oft zu vernachläs-
sigen ist.
88 2 Einführung in die Kernphysik

2.5.2 Streuamplitude und Partialwellenanalyse

Eine Methode, die Winkelabhängigkeit eines elastischen Prozesses in einer theo-


retisch relevanten Weise zu beschreiben, bietet die Partialwellenzerlegung. Sie ist
wichtig, da das Resonanzverhalten von Streuvorgängen in Kanälen mit speziellen
Drehimpulsen auftritt. Für die Analyse von Resonanzen ist es daher meist unum-
gänglich, einzelne Drehimpulskanäle isoliert zu betrachten.
Das ist in einem gewissen Bereich relativ leicht möglich; wegen der kurzen
Reichweite der hadronischen Wechselwirkung kann bei niedrigen Energien nur eine
handhabbare Anzahl von Drehimpulsen beitragen. Dasselbe gilt natürlich auch für
die Kernkräfte in der Kernphysik. Allerdings ist die Bestimmung der Partialwellen
nicht trivial. Sie ist keine einfache Fourier-Zerlegung, da experimentell nicht die
Wellenfunktionen, sondern nur deren Quadrate zu messen sind. Die einzelnen Bei-
träge müssen iterativ bestimmt werden, d. h. man variiert sie so lange, bis man das
richtige Ergebnis erhält. Dabei spielen Annahmen über die Kontinuität und Ana-
lytizität der Partialwellenamplituden und der Streuamplitude eine wichtige Rolle.
Eine andere Komplikation ist, dass die Partialwellenanalyse nicht in einer idealisier-
ten Welt ohne Spin durchgeführt werden kann. Da interne Drehimpulse existieren,
muss im Prinzip die Möglichkeit eines Drehimpulsaustauschs berücksichtigt wer-
den. Trotz dieser Komplikationen kann man aus der Messung des differenziellen
Wirkungsquerschnitts mit plausiblen Annahmen über die Energieabhängigkeit von
Streuamplituden verlässliche Partialwellenamplituden erhalten.
Führen wir zunächst die Streuamplitude ein. Wir betrachten die Streuung im
Schwerpunktsystem, und zwar der Einfachheit halber für den Fall von spinlosen
Teilchen. Für große Betragswerte r der reduzierten Koordinate r (außerhalb des
Wechselwirkungsgebiets) hat die relevante Lösung der Schrödinger- oder Klein-
Gordon-Gleichung für feste Energien die Form

1
.r/ D exp.ip A r=„/ C f .#  / exp.ijp A j r=„/ : (2.155)
„ ƒ‚ … „ r ƒ‚ …
DW .ungestreut/
DW .gestreut/

Gemäß ihrem Strom hat man eine ein- und auslaufende ebene Welle und eine aus-
laufende Kugelwelle. Die Funktion f .#/ heißt elastische Streuamplitude.
Welche Beziehung besteht zwischen der elastischen Streuamplitude und dem dif-
ferenziellen Wirkungsquerschnitt? Die einfallende Welle hat eine konstante Strom-
dichte pro Flächenelement: Ein im Raumwinkel d ˝ beobachteter Fluss muss daher
aus einem Flächenelement d hervorgegangen sein, in das der entsprechende Fluss
eingefallen war. Betrachten wir dazu die benötigte Stromdichte. Mit dem Gradien-
ten kann man sie in der folgenden Weise

„   

j .r/ D r  r (2.156)
2im
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 89

als Funktion beider Terme der Wellenfunktion (2.155) schreiben. Die Stromdichte
der ungestreuten Welle ist

j ungestreut .r/ D pA =m ; (2.157)

und für große r-Werte, d. h. für 1=r ! 0, kann man für die Stromdichte der ge-
streuten Welle schreiben
p 1  
j gestreut .r/ D b
r 2
jf #  j2 ; (2.158)
mr
wobei p D jpA j ist. Die relative Größe des gestreuten Stroms ist damit gerade
proportional zum Absolutquadrat der Streuamplitude. Nach der obigen Überlegung
entspricht das Verhältnis von dem in einen Winkelbereich gestreuten Teilchenstrom,
d. h. von r 2 jj gestreut .r/j, zu der einfallenden Stromdichte gerade dem differentiellen
Wirkungsquerschnitt:  
d=d˝ D jf #  j2 : (2.159)
Wir entwickeln jetzt die oben gegebene allgemeine Form der asymptotischen Wel-
lenfunktion nach Kugelfunktionen. Um azimutale Symmetrie herzustellen (und nur
Beiträge mit der Drehimpulsquantenzahl m D 0 berücksichtigen zu müssen), wäh-
len wir die z-Achse in Richtung von pA . Die ungestreute Welle ist dann einfach die
entwickelte Exponentialfunktion
1
X
ipz z=„
 
ungestreut .r/ D e D .2l C 1/il Pl cos #  jl .pr=„/ ; (2.160)
lD1

wobei Pl die Legendre-Polynome und jl .pr=„/ die sphärischen Bessel-Funktio-


nen sind. Wir interessieren uns für das Verhalten der Wellenfunktion bei großen
Abständen. Die asymptotische Form der sphärischen Bessel-Funktion ist:
   
pr=„11 l 1
jl .pr=„/ ! sin pr=„   D il eipr=„  iCl eipr=„ :
pr=„ 2 2ipr=„
(2.161)
Die ungestreute Welle lässt sich daher in der folgenden Weise approximieren:

X1
1  
ungestreut ! .2l C 1/Pl cos #  .eipr=„  .1/l eipr=„ / : (2.162)
2ipr=„
lD0

Für die gestreute Welle betrifft die Entwicklung nur die Winkelabhängigkeit. Wir
bestimmen zunächst aus der Streuamplitude f .#/ die sogenannten Partialwellen-
amplituden tl mittels der Relation
1
1 X  
f .#  / D .2l C 1/ Pl cos #   tl (2.163)
p=„
lD0
90 2 Einführung in die Kernphysik

und schreiben dann formal


1
X
1  
gestreut ! eipr=„ .2l C 1/ Pl cos #  tl : (2.164)
pr=„
lD0

Zusammenfassend erhalten wir also für die asymptotische Wellenfunktion


0 1
1
X
1  B C
.r/ ! .2l C 1/ Pl cos #  @.1 C 2itl / eipr=„  .1/l eipr=„ A ;
2ipr=„ „ ƒ‚ …
lD0 DWsl
(2.165)
wobei man, um die Relation von einlaufender zu auslaufender Welle zu beschrei-
ben, oft .1 C 2itl / durch das Übergangsmatrixelement sl ersetzt.
Welche Werte kommen für das Matrixelement sl in Frage? Zunächst gibt es,
wie man sich leicht überlegen kann, keinen gemischt ein- und auslaufenden Beitrag
zum Strom (da wegen des Gradienten die beiden vorkommenden Terme jeweils mit
umgekehrten Vorzeichen auftreten). Da der Drehimpuls erhalten bleibt, muss der
einfallende Fluss dem auslaufenden Fluss für jeden Drehimpuls entsprechen, d. h.
in der obigen Summe müssen der ein- und der auslaufende Teil jeweils denselben
Strom ergeben. Abgesehen vom Vorzeichen unterscheidet sich der auslaufende Bei-
trag von dem einlaufenden Beitrag nur durch seinen Koeffizienten sl . Da der Faktor
sl im Strom als Absolutquadrat auftritt, folgt

jsl j2 D 1 ; (2.166)

d. h. die auslaufende Welle kann sich nur in ihrer Phase ändern, aber nicht in ihrer
Amplitude.
Allerdings wird oft ein Teil des einlaufenden Stroms in nichtelastische Kanäle
absorbiert, d. h. der in einem bestimmten Drehimpulszustand auslaufende Strom
von elastisch gestreuten Teilchen ist kleiner als der einlaufende Strom, und es gibt
eine oder mehrere auslaufende Wellen in anderen Kanälen:

1 X 1
  
j .r/ ! .2l C 1/Pl cos #  sl;j eipr=„ : (2.167)
2ipr=„
lD0

Die Gleichheit von aus- und einlaufenden Strömen gilt natürlich nur für alle Kanäle
zusammen, d. h.es gilt X
jsl j2 C jsl;j j2 D 1 : (2.168)

Um Phasenverschiebung und Absorption zu trennen, ersetzt man sl durch die reellen


Konstanten ˛l and ıl
sl D ˛ l ei2ıl (2.169)
und bezeichnet ıl als Streuphase.
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 91

Betrachten wir jetzt Beziehungen zwischen den Wirkungsquerschnitten und Par-


tialwellenamplituden. Etwas umgeformt lautet die Definition der Amplituden

X 1
1  
d=d˝  D j .2l C 1/Pl cos #  tl j2 : (2.170)
p 2 =„2
lD0

Um den gesamten elastischen Wirkungsquerschnitt zu erhalten, müssen wir diesen


Ausdruck integrieren
Z 1
d  4 X
el. D d˝ D .2l C 1/jtl j2
d˝  p 2 =„2
lD0
1
(2.171)
 X
D 2 2 .2l C 1/jsl  1j ; 2
p =„
lD0

wobei wir die Orthonormalität der Legendre-Polynome benutzt haben:


Z
4
d˝Pl 0 .cos #/  Pl .cos #/ D ıl 0 l : (2.172)
2l C 1

Die inelastischen Wirkungsquerschnitte sind wiederum aus dem Verhältnis der aus-
laufenden und der einlaufenden Ströme zu bestimmen. Eine analoge Rechnung
ergibt die Abhängigkeit von den Absolutquadraten der entsprechenden Amplituden.
Es existiert dabei natürlich kein ungestreuter auslaufender Anteil (der in (2.171) mit
dem Faktor 1 berücksichtigt wurde), und man erhält
1
 X X
inel. D .2l C 1/ jsl;j j2
p 2 =„2 j
lD0
1
(2.173)
 X  
D 2 2 .2l C 1/  1  jsl j 2
:
p =„
lD0

Die zweite Zeile folgt aus (2.168). Die Summe von inelastischem und elastischem
Wirkungsquerschnitt ergibt den totalen Wirkungsquerschnitt
1
2 X
tot. D el. C inel. D .2l C 1/  .1  Re sl / ; (2.174)
p 2 =„2
lD0

wobei wir die Identität

jsl  1j2  .jsl j2  1/ D 2  sl  sl

verwendet haben. Da sich die quadratischen Terme gegenseitig aufheben, gibt es


eine einfache Relation, die im nächsten Abschnitt behandelt wird.
92 2 Einführung in die Kernphysik

2.5.3 Das Optische Theorem

Dazu vergleichen wir den obigen Ausdruck für den totalen Wirkungsquerschnitt mit
dem Ausdruck für die elastische Streuamplitude aus (2.163). Da
 
Pl cos #  j#  D0 D 1

ist, entspricht der Imaginärteil der elastischen Streuamplitude in Vorwärtsrichtung,


d. h. wegen
1
1 X
Im f .#  /j#  D0 D .2l C 1/  Re .1  sl /
2p=„
lD0

gerade dem totalen Wirkungsquerschnitt, wenn man von konstanten Faktoren ab-
sieht. Mit diesen Faktoren gilt

4
total D  Im f .#  /j#  D0 : (2.175)
p=„

Diese Beziehung heißt aus historischen Gründen Optisches Theorem.


Um das Zustandekommen dieser Identität besser zu verstehen, wählt man formal
eine orthonormale Basis für die ein- und die auslaufenden Zustände. Es besteht eine
lineare Beziehung zwischen den ein- und den auslaufenden Zuständen, die durch
eine Übergangsmatrix im unendlich-dimensionalen Zustandsraum (S-Matrix) be-
schrieben werden kann, die ein- und auslaufende Zustände in der folgenden Weise
verbindet:
j auslaufend i D Sj einlaufend i : (2.176)
Aus der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit

jj auslaufend ij
2
Djj einlaufend ij
2
(2.177)

folgt die Unitaritätsrelation


S CS D 1 : (2.178)
Um den eigentlichen Streuprozess zu isolieren, definieren wir jetzt eine Streumatrix
T , so dass
S D 1 C 2iT (2.179)
gilt, wobei 1 die Identität ist, die die einlaufenden Zustände mit ungestreut auslau-
fenden Zuständen verbindet. Die Unitaritätsrelation

1 D .1 C 2iT /C .1 C 2iT / D 1 C 4T C T C 2i.T  T C / (2.180)

schreibt sich damit


 i.T  T C / D 2T C T : (2.181)
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 93

Abb. 2.51 Die Streupha-


se beim Durchlaufen einer
Resonanz

Multiplizieren wir den Ausdruck auf beiden Seiten mit einem Zustand des Drehim-
pulses l, erhalten wir links den Imaginärteil der Partialwellenamplitude

2 Im tl D h l j.i/.T  T C /j li ; (2.182)

wobei
tl D h l jT j li

ist, während die rechte Seite


1
X
C C
h l jT Tj li D h l jT j l;j ih l;j jT j li (2.183)
j D1

einen entsprechenden Beitrag zum totalen Wirkungsquerschnitt (zur Summe der


Streuquerschnitte in beliebige Kanäle j ) beschreibt. Man sieht, wie inelastische
Kanäle, die zum totalen Wirkungsquerschnitt beitragen, Eigenschaften der elasti-
schen Streuamplitude bestimmen.

2.5.4 Die Struktur von Resonanzen

Bei (2.171) und (2.166) hatten wir gesehen, dass die elastische Streuung durch
die Streuphase, die die Phasenänderung der gestreuten Welle beschreibt, bestimmt
wird. Eine nähere Betrachtung (analog zu Abschn. 2.4.6) zeigt, dass die Streupha-
se beim Durchlaufen einer Resonanz rapide um den Wert  ansteigt. Der typische
Verlauf ist in Abb. 2.51 dargestellt. Trägt man die Partialwellenamplitude

e2 i ıl  1
tl D (2.184)
2i
in der komplexen Ebene als energieabhängige Kurve auf, durchläuft sie daher den
Kreis der erlaubten Werte, wie es in Abb. 2.52 zu sehen ist. Die Darstellung heißt
Argand-Diagramm.
Treten im Streuvorgang inelastische Kanäle auf, wandert die Streuphase ins In-
nere des Kreises. Es verbleibt aber die typische zyklische Struktur beim Durchlau-
fen einer Resonanz. Argand-Diagramme sind daher wichtig bei der Entscheidung,
94 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.52 Das Argand-


Diagramm in der komplexen
Ebene

ob eine kleine Spitze im Spektrum eine wirkliche Resonanz oder etwas anderes,
wie zum Beispiel eine statistische Fluktuation, ist.
Die Beziehung zwischen Streuphase und Amplitude kann, wie leicht nachzu-
rechnen ist, auch auf folgende Weise geschrieben werden:

1
tl D : (2.185)
cot ı l  i

Bei der Streuphase /2 verschwindet der Kotangens. Die Partialwellenamplitude


und damit auch die entsprechenden Anteile der Wirkungsquerschnitte erreichen ih-
re maximale Größe bei der Resonanzenergie. Um das Verhalten im Bereich einer
Resonanz zu verstehen, betrachten wir die ersten beiden Terme der Taylor-Entwick-
lung

d
cot ı l .E/ D cot ı l .ER / C.E  ER /  cot ı l .E/ ; (2.186)
„ ƒ‚ … dE EDER
D0 „ ƒ‚ …
DW2=

wobei der erste Term verschwindet und der Faktor im zweiten Term als geeignete
Konstante definiert werden kann. Die Amplitude erhält damit die folgende Form:

 =2
tl D : (2.187)
.E  ER /  i  =2

Der Beitrag zum elastischen Streuquerschnitt ist damit

4
el. D    C  .2l C 1/  jtl j2   
p 2 =„2
ˇ ˇ (2.188)
4 ˇ . =2/2 ˇ
ˇ
D    C 2 2  .2l C 1/  ˇ ˇ :
p =„ .E  ER / C . =2/ ˇ
2 2

Die so erhaltene Energieabhängigkeit heißt Breit-Wignersche Resonanzkurve.


2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 95

2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion)

Bis jetzt hatten wir uns mit der Kernstruktur beschäftigt. Für den Ablauf von Streu-
ungen, d. h. für Kernreaktionen, sind in gewisser Weise neue Modellvorstellungen
nötig.
Bei hohen Streuenergien (oberhalb von etwa 1 GeV pro Nukleon) haben die
Streuvorgänge nur beschränkt mit der Struktur der Kerne zu tun. Man hat, wenn
man zunächst alle Korrekturen ignoriert, folgende Situation: Der eigentliche Streu-
prozess findet zwischen quasifreien Nukleonen (und bei noch höheren Energien
Partonen) statt. Für die Kernphysik verbleibt nur zu beschreiben, wie die Anfangs-
verteilung war und was mit den nicht „herausgeschlagenen“ Nukleonen nach der
eigentlichen Streuung passiert. Das ist allerdings auch bei hohen Energien nur ein
recht grobes Bild.
Wir beschränken uns hier zunächst auf Streuvorgänge bei „niedrigen“ Energien
(unterhalb einiger 10 MeV), bei denen die Kräfte, die für die Bindung der Nu-
kleonen im Kern verantwortlich sind, noch eine entscheidende Rolle spielen. Wir
ignorieren reine Coulomb-Wechselwirkungen. Bei geladenen Teilchen liegt die be-
trachtete Energie daher oberhalb von einigen MeV.

2.6.1 Compound-Kern-Reaktionen

Auf der Grundvorstellung des Tröpfchenmodells wurde von N. Bohr [65] das Com-
pound-Kern-Bild eines Streuvorgangs entwickelt. Es betrachtet die Streuung von
Kernen als Kollision von Flüssigkeitstropfen, deren Dynamik im Wesentlichen
durch den Volumenterm und den Oberflächenterm bestimmt ist. Solche Tropfen
können sich bei einem Streuvorgang vereinigen und einen großen, meist schnell
vibrierenden und rotierenden Flüssigkeitstropfen bilden. Wegen der zugeführten
kinetischen Energie ist er unstabil und zerfällt nach kurzer Zeit.
Dieser zweistufige Prozess lässt sich leicht auf Kerne übertragen. Treffen zwei
Kerne aufeinander, wird ein großer Zwischenkern (englisch compound nucleus)
gebildet, der ein – meist hoher – Anregungszustand des gesamten Kernmaterials
ist. Dieser Zwischenkern wird dann nach kurzer Zeit zerfallen. Für den Zerfall des
Kerns werden dann in der Regel viele Reaktionskanäle offenstehen.
Die zentrale Annahme ist dabei, dass die Erinnerung an die Identität der einfal-
lenden Kerne (bzw. Teilchen) in der Zwischenkernphase völlig verloren geht. Der
Einfangsprozess und der Zerfallsprozess können als zwei unabhängige Faktoren in
der Amplitude

Zwischenkern !ˇ
˛!ˇ D ˛!Zwischenkern  P (2.189)
X Zwischenkern!X

beschrieben werden, wobei die normierte Summe der verschiedenen Zerfallswahr-


scheinlichkeiten (pro Kanal, jeweils proportional zu  ) gerade gleich eins ist. Die
einzelnen Faktoren sind dabei für entsprechende Reaktionen identisch (Abb. 2.53).
96 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.53 Der Beitrag einer


Resonanz zu verschiedenen
Prozessen

Bei niedrigen Energien bei der Streuung mit leichten Projektilen wie Neutronen,
Protonen oder ˛-Teilchen können identifizierbare Resonanzen auftreten. In diesem
Gebiet kann damit die Annahme des Zwei-Stufen-Prozesses direkt experimentell
beobachtet werden. Wie wir in unserer Betrachtung von Resonanzbeiträgen gese-
hen hatten, führt das jeweils zu einer Spitze im Wirkungsquerschnitt, die über den
Untergrund herausragt. Für eine genauere Betrachtung kann man eine Partialwel-
lenanalyse der Winkelabhängigkeit des Streuquerschnitts durchführen, wie sie oben
beschrieben wurde, und Quantenzahlen des Zwischenkerns herausfinden. Aus der
Breite der Resonanzbereiche ergeben sich dann die Lebenszeiten der Resonanz.
Resonanzzustände werden in der Kernphysik als gebundene Niveaus und als
virtuelle Niveaus klassifiziert. Gebundene Niveaus sind Zustände, die nicht unter
Emission in Kernbestandteile wie Neutronen, Deuteronen, ˛-Teilchen oder andere
kleinere Kerne zerfallen können und für deren Instabilität damit nur die -Emission,
der ˇ-Zerfall und ähnliche Prozesse übrigbleiben. Für virtuelle Niveaus ist das
Kernpotenzial selbst nicht stark genug, um eine Bindung zu erreichen. Zwischen-
kerne, die durch Streuung von Kernen entstanden sind, sind zunächst (wegen der
Zeitumkehr) virtuell. Da die -Emission und der ˇ-Zerfall vergleichsweise lang-
sam ablaufen, werden sie bei virtuellen Niveaus in der Regel nicht auftreten. Für
virtuelle Niveaus ist daher ein Zerfall in Kernbestandteile typisch.
Viele Eigenschaften der Resonanzstreuung kann man aus einer einfachen Poten-
zialtheorie verstehen. Für geladene Streuteilchen hat das Potenzial wegen der star-
ken Coulomb-Abstoßung unmittelbar außerhalb des Kerns eine hohe zu durchtun-
nelnde Wand. Quantenmechanischen Überlegungen entsprechend kann eine Viel-
zahl von deutlichen virtuellen Zuständen existieren, die bei niedrigen Anregungs-
energien im Wirkungsquerschnitt einzeln beobachtet werden können. Bei etwas
höheren Energien ändert sich die Situation. Die Dichte der Niveaus pro Energie-
einheit wird größer, und die einzelnen Resonanzstrukturen werden natürlich auch
breiter. Dass die Niveaus mit zunehmender Energie dichter werden, hatten wir am
Beispiel des dreidimensionalen Potenzialkastens beobachtet. (Siehe Abschn. 2.3.2.
Die kombinatorischen Möglichkeiten, Anregungen auf die drei Raumrichtungen zu
verteilen, steigen.) Dass die Resonanzstrukturen breiter werden, liegt daran, dass
die Höhe der Schwellen, die durchtunnelt werden müssen, mit wachsenden Anre-
gungsenergien niedriger wird.
Für neutrale Teilchen gibt es keine Coulomb-Barriere, die durchtunnelt werden
muss. Bei Energien, die dies erlauben, sollten die Neutronen daher relativ schnell
dem Kernpotenzial entkommen können. Wegen der kurzen Lebenszeit des Bin-
dungszustands erwartet man wenige vergleichsweise breite Resonanzstrukturen.
Ein zentrales Problem dabei soll an den in Abb. 2.54 dargestellten Daten er-
läutert werden [33, 37, 66]. Auf den ersten Blick ist die Vorhersage erfolgreich:
Die Breite der Resonanzen in der Abbildung entspricht in der groben Struktur der
2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 97

Abb. 2.54 Resonanzstruk-


tur bei Neutronenstreuung
(© Mayer-Kuckuck [33])

erwarteten Breite. Bei näherem Hinsehen findet man allerdings feine Strukturen.
Eine solche Unterstruktur muss eine fundamentale Ursache haben. Die Breite rührt
letztlich von der Unschärferelation her, d. h. die Aufenthaltszeit der Neutronen in
Kernen muss entsprechend länger sein, zumindest mit einer gewissen Wahrschein-
lichkeit, die ausreicht, um die Unterstruktur zu erzeugen.
Die Erklärung beruht auf der Tatsache, dass Zwei-Teilchen-Wechselwirkungen
hier nicht vernachlässigt werden können. Das Neutron befindet sich dabei mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit nicht in seiner „eigenen Schale“, sondern in einem
Deuteron, einem ˛-Teilchen oder sonst einem „Cluster“. Ist der Kern bezüglich ei-
nes Zerfalls in einem Cluster stabil oder recht stabil, kann er zunächst nicht oder
fast nicht zerfallen. Nach einer Zeit kann das Neutron natürlich wieder zurück in
seine Schale gehen und mit der erwarteten, der Lebensdauer in der Schale entspre-
chenden Breite zerfallen. Das Bild mit dem Clusterzustand ist nur ein Beispiel für
einen Prozess, bei dem die Anregung zunächst vom einfallenden Neutron auf den
gesamten Kern übertragen wird. Es gibt viele andere Möglichkeiten für solche Pro-
zesse (d. h. Korrekturen zum Modell mit einem effektiven Zentralpotenzial). Sie
bewirken, dass die Lebensdauer damit neben dem erwarteten raschen Abfall eine
kleine, viel länger lebende Komponente hat.
Quantenmechanisch ist für Messungen das Amplitudenquadrat wichtig. Ein klei-
ner Beitrag zu einer wesentlich größeren Amplitude ist daher quadratisch klein. Der
dominante Effekt eines solchen Beitrags ist daher der Interferenzterm. Wie wir im
nächsten Abschnitt sehen werden, kann ein solcher Interferenzterm die beobachtete
feine Struktur erklären.
Wie sollte ein solcher Interferenzterm aussehen? Zur Ableitung der Breit-Wig-
ner-Formel hatten wir eine lineare Energieabhängigkeit der Streuphase ıl ange-
nommen. Nehmen wir für einen Augenblick an, dass diese Linearität über einen
98 2 Einführung in die Kernphysik

weiteren Bereich gilt. Aus der Unschärferelation wissen wir, dass die Steigung (d. h.
die inverse Breite) proportional zur Lebensdauer sein muss. Auf diese Weise erhält
man einen langsam oszillierenden großen Beitrag und einen rasch oszillierenden
kleinen Beitrag zur Amplitude. Der Interferenzterm (d. h. das Produkt dieses rasch
oszillierenden Terms mit einem relativ energieunabhängigen Faktor) wird daher
rasch zwischen einem positiven und einem negativen Wert oszillieren und damit
im Mittel etwa keinen Beitrag ergeben. Summiert man beide Terme, erhält man
genau die beobachtete Situation. Der große Beitrag wird das mittlere Verhalten
bestimmen, und der Interferenzterm wird kleine Oszillationen um diese Struktur
bewirken.
Um höhere Streuenergien zu beschreiben, kann man die Resonanzbeiträge in
ein Gebiet extrapolieren, in dem keine einzelnen Resonanzen mehr identifiziert
werden können [27]. Man muss versuchen, die typischen Eigenschaften der bei-
tragenden Resonanzen global zu betrachten. Im „statistischen Modell“ wird dazu
der nicht mehr zu spezifizierende hochangeregte Zwischenkern mit dem Fermi-
Modell beschrieben. Man nimmt an, dass die einfallende kinetische Energie den
Kern „erwärmt“ und dass man eine Temperatur definieren kann, die dann bestimmt,
wie der Kern durch Abdampfen von Kernbestandteilen abkühlt. Bei hohen Tempe-
raturen können sich kleine Bruchstücke mit hohen kinetischen Energien abtrennen,
während bei niedrigen Temperaturen nur Zwei-Körper-Zerfälle relevant sind.
Im Vergleich zu Prozessen, die wir im nächsten Abschnitt kennen lernen werden,
zerfallen Resonanzanregungen und Zwischenkerne recht isotrop. Die Erinnerung
an die Einfallsrichtung geht verloren. In einem Gebiet, in dem ein einziger Kanal
dominiert, erwartet man eine Streuamplitude, die dem Quadrat einer einzigen Par-
tialwelle entspricht. Diese Quadrate sind im Zerfall bezüglich der Vorwärts- bzw.
der Rückwärtsrichtung symmetrisch. Im Zwischenkernmodell gibt es daher keinen
Beitrag, bei dem das Teilchen, nur ein bisschen gestört, in Vorwärtsrichtung weiter
läuft.

2.6.2 Das Optische Modell

Die Bildung eines Zwischenkerns ist offensichtlich nicht der einzige Streuprozess.
Es wird beobachtet, dass Projektil und Target oft in der Streuung erhalten bleiben
und nur eine geringe Impulsübertragung auftritt. Ein solcher Steuvorgang liefert
den dominanten Beitrag zur elastischen Streuung. Für solche Prozesse wurde von
Feshbach, Porter und Weißkopf [67] das sogenannte Optische Modell vorgeschla-
gen.
Das Optische Modell extrapoliert das Konzept des Schalenmodells. Es be-
schreibt den Weg des einfallenden Projektils in einem kugelförmigen Potenzial,
d. h. etwa in Form eines Woods-Saxon-Potenzials innen und für geladene Teilchen
mit einem Coulomb-Potenzial außen. Das Kernpotenzial wirkt als eine Art Linse
für die durchlaufenden Teilchen, die die Richtung der Teilchen verändert.
Offensichtlich ist das Bild des Kerns als Linse unvollständig. Nur eine globale
Wechselwirkung mit dem zentralen Kernpotenzial anzunehmen, ist natürlich nur ei-
2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 99


 
Rutherford

1.0 Kastenpotenzial

0.5

Wood−Saxon−
Potenzial

0.1
0 30° 60° 90° 120°

Abb. 2.55 Der differenzielle Wirkungsquerschnitt im Optischen Modell (adaptiert nach [27])

ne grobe Näherung. Zwei- und Mehr-Teilchen-Wechselwirkungen können die Natur


der beiden streuenden Objekte zerstören und zumindest zunächst in einen nichtelas-
tischen Kanal führen. Ein Beispiel für einen solchen Prozess ist die Bildung eines
Compound-Kerns, in dem (wie wir im vorigen Abschnitt gesehen hatten) die Iden-
tität der streuenden Teilchen völlig verloren geht.
Für die optische Komponente selbst führt die Existenz solcher nicht elastischen
Kanäle dazu, dass die Größe der ursprünglichen Welle reduziert wird. Das kann man
dadurch parametrisieren, dass man zum Potenzial in der Schrödinger-Gleichung
einen komplexen Term einführt. Unsere Linse hat also nicht nur einen geänder-
ten Brechungsindex, sondern auch noch einen Absorptionsterm, der einen Teil der
durchgehenden Strahlung vernichtet.
Mit der einfachen Annahme, dass der Imaginärteil des Potenzials proportional
zum Realteil ist,
V0  iW
V .r/ D  ; (2.190)
1 C exp. rRa
/
und die üblichen Parameter hat, erhält man vernünftige Vorhersagen. Betrachten
wir z. B. die Winkelverteilung in der Streuung von 22MeV-Protonen an Platin.
Mit den Werten R D 8;24 fm und a D 0;49 fm erhält man bei einem Potenzial
von V0 D 38 MeV und einem absorptiven Anteil W D 9 MeV eine vernünftige
Beschreibung der Daten, wie man in Abb. 2.55 sehen kann [26, 27].
Für genauere Ergebnisse muss man einige Korrekturen anbringen:
 Der Imaginärteil ist nicht proportional zum Realteil. Er wirkt hauptsächlich an
der Kernoberfläche.
 Zwischen der optimalen Parametrisierung der Streuung und dem von der Dich-
teverteilung gewonnenen Realteil des Potenzials bestehen Abweichungen in der
Größenordnung von 15 %.
 Wie im Schalenmodell muss man bei einer präziseren Analyse eine Spin-Bahn-
Kopplung berücksichtigen, die von der Ableitung des Potenzials abhängt.
Für die Streuung von Kernen haben wir zwei Modelle kennen gelernt: eines mit
einer isotropen Verteilung und eines mit einer vorwärts gerichteten Verteilung. Das
100 2 Einführung in die Kernphysik

erste Modell gilt für elastische und inelastische Prozesse. Obwohl es auf den ersten
Blick plausibel erscheint, ist es nicht richtig, dass der zweite Beitrag nur für elasti-
sche Prozesse auftritt. Auch für beinahe elastische Prozesse gibt es „direkte Reak-
tionen“, die die Vorwärtsrichtung bevorzugen. „Beinahe elastisch“ bedeutet dabei,
dass das auslaufende Teilchen den größten Teil des einlaufenden Teilchens enthält.
Ein Beispiel für einen solchen Prozess ist ein Deuteron, das im Streuvorgang ein
Neutron abgibt und als Proton weiterläuft („stripping-reaction“), oder ein Deute-
ron, das sich im Streuvorgang ein weiteres Deuteron einfängt und als ˛-Teilchen
die Reaktion verlässt („pick-up-reaction“). Sie können ähnlich wie die elastischen
Prozesse mit einer Art Optischen Modell beschrieben werden. Der absorptive Teil
des Potenzials enthält dann den Transfer-Reaktionsanteil. Dieser Anteil des Poten-
zials ist dann jeweils Quelle für die neue auslaufende Welle.

2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse

Im Folgenden werden einige wichtige kernphysikalische Prozesse behandelt, soweit


das im Rahmen dieses Buchs möglich ist. Die Diskussion beschränkt sich dabei auf
die technisch interessanten Prozesse, nämlich die Spaltung und die Fusion, und auf
die „historisch“ wichtige Entstehung der Elemente.

2.7.1 Konzepte der Kernspaltung

Die Kernspaltung ist die wichtigste Anwendung von Kernreaktionen. Sie beruht auf
der Tatsache, dass die mittelschweren Kerne stärker gebunden sind als die schwe-
reren; diese Energiedifferenz kann bei der Spaltung letztlich als kinetische Energie
freigesetzt werden.
Wie kann man Kernreaktionen technisch nutzen? Für eine energietechnische An-
wendung ist die Zahl der direkt aus Beschleunigern kommenden Reaktionsteilchen
nicht ausreichend. Man muss einen Prozess finden, der eine Kettenreaktion erlaubt,
in der die Teilchen, die für die Reaktion benötigt werden, in der Reaktion wiederum
produziert werden.
Welche Möglichkeiten gibt es für solche Kettenreaktionen?
In den meisten Kernreaktionen werden Photonen erzeugt. Gibt es die Möglich-
keit eines Photonenreaktors? Langlebige Isotope können in Prinzip durch Photonen
in Zustände angeregt werden, die schnell unter Emission von neuen Photonen in
tiefer gelegene Grundzustände zerfallen. Ein Problem dabei ist allerdings, dass ein
großer Teil der Photonenenergie wohl sehr schnell von den Elektronen absorbiert
und in Wärme umgesetzt würde und es daher zu keiner sich selbst unterhaltenden
Kettenreaktion kommen kann, die zur Energieproduktion verwendet werden könn-
te.
Betrachten wir als nächstes Reaktionen mit geladenen Teilchen, bei denen die
Streuung durch die Coulomb-Schwelle entscheidend beeinflusst wird. Fällt ein Teil-
chen auf einen Kern ein, wird es wegen der Ladung vom Kern weg gelenkt, und nur
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 101

durch einen ganz oder fast zentralen Stoß kann es, wenn die Energie groß genug ist,
in den Kern vordringen. In der Regel wird ein Teilchen daher seine Energie verlie-
ren, d. h. in vielen nichtzentralen Streuvorgängen in Wärme umwandeln, bevor es zu
einer erneuten Reaktion kommen kann. Es gibt eine Möglichkeit, dies zu umgehen.
Hat die Umgebung eine entsprechend hohe Temperatur, wird gleich oft kinetische
Energie abgegeben und aufgenommen, sodass eine Kettenreaktion mit geladenen
Teilchen stattfinden kann. Da die Höhe der Coulomb-Schwelle durch das Produkt
von Kernladung und inversem Kernradius (also durch A2=3 ) gegeben ist, ist diese
Möglichkeit nur für leichte Kerne praktikabel. Es ist der Fusionsprozess, den wir
im nächsten Abschnitt behandeln werden.
Es verbleibt die Kettenreaktion mit Neutronen. Die meisten Kerne können Neu-
tronen einfangen und in ein angeregtes Isotop übergehen, das dann unter -Emis-
sion zerfällt. Es gibt einige Kerne, die durch Neutronen zur Spaltung angeregt
werden. Dabei wird – die Massenzahl der einzelnen Kerne erreicht das günstige-
re mittelschwere Gebiet – viel Energie frei. Neben den Spaltprodukten entstehen
dabei oft freie Neutronen („prompte“ Neutronen). Da im Gegensatz zu den ur-
sprünglichen Kernen bei niedrigeren Massenzahlen die Zahl der Neutronen etwa
der Zahl der Protonen entsprechen muss, haben die leichteren Spaltprodukte oft
trotz der schon emittierten prompten Neutronen noch einen Neutronenüberschuss.
In den Zerfall der Spaltprodukte werden daher oft weitere Neutronen (verzögerte
Neutronen) abgestrahlt.
Der einfachste Reaktor, in dem eine solche Kettenreaktion ablaufen kann, besteht
aus einer Kugel aus spaltbarem 235 U. In einer solchen Kugel laufen zwei Reaktionen
ab,
235
UC Neutron ! 2 FragmenteC NeutronenC (˛- und -Strahlung) ; (2.191)

wobei  die mittlere Anzahl der produzierten Neutronen ist, und


235
U C Neutron ! 236 U C .-Strahlung/ : (2.192)

Der erste Prozess ist nutzbar für die Kettenreaktion, der zweite nicht. Das Verhältnis
der beiden Prozesse, d. h. der Spaltreaktionen zu den Neutroneneinfangreaktionen
wird oft mit a bezeichnet. Das Durchschnittsneutron erleidet damit das folgende
Schicksal:
a 1 236 a
235
UCn !  .2 Fragmente/ C UC n C ˛- und -Strahlung :
1Ca 1Ca 1Ca
(2.193)
Die Regenerationskonstante
a
D 
1Ca
ist damit der relevante Multiplikationsfaktor der Kettenreaktion. Er liegt für die
spaltbaren Kerne zwischen 1,75 und 3,0; vgl. [68]. Eine Kettenreaktion ist also im
Prinzip möglich.
102 2 Einführung in die Kernphysik

Tab. 2.1 Isotope des natürli- 238 235 234


U U U
chen Urans Vorkommen 99,3 % 0,7 % 0,0058 %
Lebensdauer 4;5  109 a 7;1  108 a 2;5  105 a

Ob der idealisierte Reaktor kritisch ist oder nicht, hängt auch davon ab, wie
viele Neutronen entkommen, und man definiert einen entsprechenden Bleibefaktor
P . Er hängt von der mittleren Weglänge der Neutronen sowie von der Größe und
der Geometrie des Reaktors ab. Je nachdem, ob der kritische Faktor

C DP

größer, gleich oder kleiner als eins ist, wächst die Zahl der Neutronen an, bleibt
gleich bzw. nimmt ab. Man spricht von einem überkritischen, kritischen oder unter-
kritischen Verhalten.
In einem realistischen Reaktor [69] sind die spaltbaren Isotope nicht rein, und
es ist klar, dass, schon um die Wärme abzuleiten, andere Stoffe im Reaktor sein
müssen. Man braucht daher eine Regenerationskonstante, die deutlich über eins
liegt.
Außerdem muss neben den Bedingungen C > 1 und Q > 0 auch die Bedingung
erfüllt sein, dass die Energie, die den emittierten Neutronen gegeben wird, größer
als die beim Neutroneneinfang benötigte Energie ist. Dies ist kein Problem bei der
hier betrachteten Reaktion. Es schließt jedoch den Prozess

n C 9 B ! 24 He C 2 n

aus.
Mit diesen Bedingungen bleiben drei in größerem Umfang herstellbare Isotope,
nämlich
233
U; 235 U und 239 Pu ;
übrig.
Typische Wirkungsquerschnitte sind in Abb. 2.56 dargestellt. Für spaltbare Iso-
tope fallen sie von riesigen 1000 barns bei 10 MeV in einer Dekade auf Werte
von 100 barns ab. (Der Wirkungsquerschnitt kann größer als der Querschnitt in
der Dichteverteilung sein. Die quantenmechanische Grenze ist  < 2 , wobei
die Wellenlänge des Teilchens ist.) Die relative Größe des Spaltquerschnitts nimmt
dabei langsam ab. Bei sehr viel höheren Energien im MeV-Bereich erreicht der
Spaltprozess eine relative Wahrscheinlichkeit von 10 % und einen Wirkungsquer-
schnitt von 10 barns. In diesem Bereich tritt Spaltung auch bei anderen Isotopen
auf.
Von den drei genannten spaltbaren Isotopen kommt nur 235 U in der Natur vor.
Das natürliche Uran besteht im Wesentlichen aus den in der Tab. 2.1 angegebe-
nen Isotopen. Es enthält etwas weniger als ein Prozent der spaltbaren Substanz. In
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 103

Abb. 2.56 Spaltquerschnitte (© Cottingham et al. [12])

verschiedenen, sehr aufwendigen Prozessen kann das spaltbare Uran angereichert


werden.
Die anderen beiden Substanzen können durch Neutroneneinfang aus anderen
Isotopen erzeugt (erbrütet) werden. Die Prozesse sind
238
UCn ! 239
UC ;
23 min
239
U ! 239
Np C ˇ  C N e ; (2.194)
2;3 Tage
239
Np ! 239
Pu C ˇ  C N e
104 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.57 Ein Beispiel für


eine komplette Zerfallskette.
Gezeigt sind die Übergän-
ge und die abgestrahlten
Teilchen, bis stabile Kerne
erreicht werden [27]

und
232
Th C n ! 233
Th C  ;
23 min
233
Th ! 233
Pa C ˇ  C N e ; (2.195)
27;4 Tage
233
Pa ! 233
U C ˇ  C N e :
Wie bei spontanen Spaltungen entstehen Spaltprodukte mit einer breiten, meist
unsymmetrischen Massenzahlverteilung, wie wir sie im Abschn. 2.4.7 kennen ge-
lernt hatten. Ein Beispiel für einen kompletten Zerfall ist in Abb. 2.57 gegeben.
Wegen des hohen 238 U-Anteils wird natürliches Uran selbst bei unendlicher Mas-
se nicht kritisch. Technisch gibt es zwei Möglichkeiten, die Kettenreaktion in Gang
zu setzen und kritische Werte zu erreichen. Werden die Neutronen durch “Mode-
ratoren“ gebremst, erreichen sie Energien, für die die Wirkungsquerschnitte rie-
sig werden. Bei geeigneter Anordnung von Uranstäben in einem Moderator, wie
schweres Wasser, können mit natürlichem Uran kritische Werte erreicht werden. Für
die meisten Reaktoren wird aber das spaltbare Uran auf 2 %  3 % angereichert. Ein
anderer Weg wird beim schnellen („fast“) Reaktor verfolgt. Man verzichtet hier-
bei auf große Moderatorvolumina und reichert das spaltbare Uran auf etwa 20 %
an.
In Reaktoren wird durch Ausfahren von Neutronen absorbierenden Stäben
der benötigte Arbeitspunkt eingestellt. Dabei gibt es ein Problem. Die Änderung
der Reaktionsrate muss durch Verschieben der Stäbe kontrolliert werden. Für die
thermischen Neutronen, die eine Lebensdauer im Reaktor von nur etwa 103 s
haben, ist dies nicht möglich. Die Steuerbarkeit eines Reaktors wird dadurch
ermöglicht, dass, wie geagt, in den Zerfällen neben den prompten Neutronen so-
genannte verzögerte Neutronen auftreten. Man muss in dem Bereich bleiben, in
dem ohne verzögerte Neutronen der kritische Wert nicht überschritten wird und
hat damit eine entsprechend verlängerte Reaktionszeit. Der kritische Faktor hängt
durch verschiedene Effekte von der Temperatur im Reaktor ab. Für die Reaktor-
sicherheit ist es hilfreich, dass der kritische Faktor mit wachsender Temperatur
abnimmt.
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 105

Zur Frage, welche Rolle Kernreaktoren für die Energiegewinnung spielen soll-
ten, bestehen sehr unterschiedliche Ansichten. Die Attraktion von Fissionsreaktoren
beruht darauf, dass pro verbranntem Atom einige MeV Energie freigesetzt wer-
den, d. h. 106 -mal soviel wie im Verbrennungsprozess. Fissionsreaktoren werden
daher als einzige Möglichkeit gesehen, die Versorgung der rapide wachsenden Welt-
bevölkerung sicherzustellen und einen massiven Anstieg des CO2 -Ausstoßes zu
verhindern [70].
Dabei existieren allerdings ernste Probleme, die mit dem sicheren Betrieb, dem
möglichen Missbrauch zur Bombenherstellung und der Entsorgung des radioakti-
ven Abfalls zu tun haben.
Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Eine angemessen detaillierte Behandlung ist im Rahmen dieses Buchs nicht mög-
lich. Viele dieser neuen Konzepte beruhen darauf, im Betrieb durch einen der beiden
oben genannten Brutprozesse das gerade benötigte spaltbare Material unmittelbar
zur Verfügung zu stellen und so möglicherweise die Betriebssicherheit zu erhöhen
(siehe dazu [71] oder [72]).
Dies hat wichtige indirekte Vorteile. Es erleichtert die Beschaffung des Brenn-
materials. Geologisch ist Thorium etwa hundert mal so verbreitet wie das spaltbare
235
U. Auch ist der Brutprozess mit Thorium wahrscheinlich nicht zur Bombenpro-
duktion zu missbrauchen. Für Länder, die konventionelle Kernreaktoren betrieben
haben, könnte sich eine andere attraktive Möglichkeit ergeben. Die gelagerten, ver-
brauchten Brennstäbe konventioneller Reaktoren bestehen im ausreichenden Um-
fang aus 238 U, um wieder verwendet zu werden. Sie könnten die Versorgung für
lange Zeit sicherstellen und solche Reaktoren könnten die Entsorgung vereinfachen.
Ein Problem ist, dass anfangs zur Zündung des Prozesses relativ hoch angerei-
chertes spaltbares Material benötigt wird, was eine missbräuchliche Verwendung
ermöglicht. Um die Gefahr zu minimieren, kann der eigentliche Abbrand dann über
viele Jahre oder Jahrzehnte erfolgen.
Eine aufwendige Möglichkeit, die Gefahr zu umgehen, ist der „Nuclear Am-
plifier“ [73] oder der ADMSR [74]. Protonen können aus eigentlich „instabilen“
Kernen (siehe Abschn. 2.4.7) schon in peripheren Stößen Neutronenemissionen
„katalysieren“, ohne selbst viel Energie zu verlieren. Dies wird Spallation genannt.
Mit einem aufwendigen, sicherlich realistischen Beschleuniger mit einem etwa Pro-
tonenstrahl von etwa 1 GeV und 10 50 mA würde in einen konzeptierten „Nuclear
Amplifier“ etwa 50-mal soviel termische Energie erzeugt werden, wie hineinge-
steckt wurde [73].

2.7.2 Konzepte der Fusion

Eine quantitative Betrachtung zeigt, dass die Kernverschmelzung für einige leich-
tere Kerne in der Tat die Möglichkeit einer Energiegewinnung eröffnet. Die dabei
gewonnene Energie ist typischerweise sogar größer als bei den Spaltprozessen. Zum
einen ist der Anstieg der Bindungsenergie bei niederen Massenzahlen steiler als der
Abfall bei hohen, zum anderen wird letztlich oft der besonders stabile, doppelt ma-
106 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.58 Energie-


abhängigkeiten der
Fusionsquerschnitte (adap-
tiert nach [77])

gische 4 He-Kern gebildet. Wichtige Fusionsprozesse sind (siehe [4, 75, 76]):

dCd ! 3
He C n C 3;27 MeV ;
dCd ! t C p C 4;03 MeV ;
dCt ! 4
He C n C 17;6 MeV ;
tCt ! 4
He C 2n C 11;3 MeV ;
3
He C d ! 4
He C p C 18;3 MeV ;
7
Li C p ! 2  4 He C 17;3 MeV ;
11
BCp ! 3  4 He C 8;7 MeV

Die Wirkungsquerschnitte dieser Reaktionen erfordern eine gewisse Minimal-


energie, für die das Durchdringen der Coulomb-Barriere ausreichend wahrschein-
lich wird. Der Anstieg von einigen dieser Querschnitte ist in Abb. 2.58 dargestellt.
In den beiden letzten Reaktionen, in denen keine Neutronen abgestrahlt werden,
liegt diese Energie beträchtlich höher.
Besonders aussichtsreich ist eine kombinierte Reaktion. Mit einer Fusion eines
Tritiumkerns mit Deuterium produziert man viel Energie und ein Neutron. Man
lässt das frei werdende Neutron dann von einem Lithiumkern einfangen. Dabei wer-
den mit einer der folgenden Reaktionen
6
Li C n ! t C 4 He C 4;80 MeV ;
7
Li C n ! t C 4 He C n  2;47 MeV

Tritiumkerne erbrütet. Natürliches Lithium enthält 92,6 % 6 Li und 7,4 % 7 Li. Das
Isotop Deuterium ist zu etwa 0;015 % im Wasserstoff enthalten.
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 107

Um die Fusion ablaufen zu lassen, braucht man nicht nur die nötige Energie;
die benötigte Temperatur ist etwa 20 keV=kB , wobei kB D 8;6  105 eV=K ist.
Vielmehr man muss auch lange genug genügend viele Teilchen zusammenhalten.
Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu tun:
 den magnetischen Einschluss oder
 den Trägheitseinschluss („inertial confinement“).
(Als Alternative besteht die Möglichkeit, das Kernfeld durch ein schweres negatives
Teilchen schon im Kernbereich abzuschirmen und auf diese Art die starke Absto-
ßung zwischen den Fusionskernen zu umgehen. Als solches Katalysator-Teilchen
kommt das Myon in Frage, das in Abschn. 5.1 eingeführt wird. Es hat sich heraus-
gestellt, dass das Myon dazu eine etwas zu kurze Lebenszeit hat. Die Schwierigkeit
bei einem solchen Reaktor besteht darin, innerhalb dieser Lebenszeit die relativ
hohe Energie, die für die Produktion eines Myons erforderlich ist, aus Fusionspro-
zessen wiederzugewinnen.)
Da mit einer technisch nutzbaren Fusion praktisch unendliche Energiereserven
zur Verfügung stünden, werden beide Möglichkeiten mit großer Intensität unter-
sucht.
Bei hohen Temperaturen besteht die Materie aus freien geladenen Teilchen, d. h.
aus Ionen und Elektronen. Da sich geladene Teilchen im Magnetfeld auf Kreis-
bahnen bewegen, kann man durch geschickt angeordnete Magnetfelder („magne-
tic confinement“) verhindern, dass die Teilchen auseinanderdriften. Natürlich pro-
duzieren die Ionen des Plasmas auch Ströme und damit wiederum Magnetfelder,
und man hat eine recht komplizierte Situation, bei der verschiedenartige Kräfte im
Gleichgewicht stehen müssen. Lokale Instabilitäten können global errechnete Ein-
schlusszeiten drastisch verkürzen.
Die Entwicklung magnetischer Fusionsreaktoren ist weit fortgeschritten. Im
„Joint European Torus“ (JEP, Culham, UK) wurden 2 MW Fusionsleistung produ-
ziert. Der wesentlich größere „International Thermonuclear Experimental Reactor“
(ITER, Cadarache, Frankreich) ist im Bau. 2020 soll das erste Plasma erzeugt
werden. Der Betrieb mit Deuterium und Tritium ist für 2027 vorgesehen. Mit einer
Brenndauer von bis zu einer Stunde sollen mit 50 Megawatt Heizleistung 500 Me-
gawatt Fusionsleistung erzeugt werden. Falls keine Probleme auftreten, wird ein
Nachfolgeprojekt „DEMO“ in den Gigawattbereich vordringen und mit einem
vollständigen Lithiumkreislauf etwa 2040 Strom ins Netz einspeisen [78].
Beim Fusionsreaktor mit Trägheitseinschluss („inertial confinement“) wird ei-
nem Kügelchen, das Deuteron and Tritium enthält, schnell viel Energie zugeführt.
Es wird stark zusammengepresst und erhitzt. Das Ziel ist es, dabei, einen Fusions-
prozess zu erreichen, der in der kurzen Zeit, bevor das Kügelchen auseinander fliegt,
genügend viel Energie erzeugt, um kommerziell nutzbar zu sein. Für die Fusions-
ausbeute ist das Produkt von Dichte und Einschlusszeit relevant. Man versucht hier,
die relativ kurzen Einschlusszeiten durch die hohen Dichten zu kompensieren.
Es gibt verschiedene Methoden, Energie zuzuführen. (In Wasserstoffbomben
wird dazu eine Fissionsbombe verwendet.) Besonders Erfolg versprechend sind
starke Laser (Anlagen, die Laserstrahlen erzeugen) oder Teilchenstrahlen mit hohen
Flussdichten. Detaillierte Studien scheinen zu belegen, dass kommerzielle Reakto-
108 2 Einführung in die Kernphysik

ren möglich sein sollten [79, 80]. Bei Trägheitseinschluss ist es möglich [81], dass
nach einer Initialzündung neutronlose Fusionsprozesse die eigentliche Energie pro-
duzieren. Der Fortschritt in diesem Gebiet ist langsamer als erwartet.
Fusionen sind wichtig für den Energiebilanz der Sonne. Das Sonneninnere be-
steht im Wesentlichen aus Wasserstoff (70 % der Masse) und Helium (29 % der
Masse), und keiner der obigen Fusionsprozesse kann daher primär auftreten. Ver-
antwortlich für die Fusion ist zunächst der Prozess

p C p ! d C eC C e ;

der nur durch die schwache Wechselwirkung ablaufen kann, die wir beim ˇ-Zerfall
kennen gelernt haben. Das entstehende Neutrino kann auf der Erde mit der zu er-
wartenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Der Wirkungsquerschnitt des
Prozesses ist verschwindend gering (etwa 1023 b). Dies hat die Konsequenz, dass
ein Proton in der Sonne etwa 1010 Jahre braucht, um in einem Fusionsprozess in ein
Deuteron überzugehen. Mit schnellen Fusions- und Zerfallsprozessen bedeutet dies
letztlich die Umwandlung von Wasserstoff in Helium und Strahlung.

2.7.3 Die Entstehung der Elemente

Am Ende des vorigen Abschnitts haben wir die Produktion von Helium in der Son-
ne kennen gelernt. Welche Vorstellungen gibt es über die Entstehung der anderen
Elemente? Vgl. hierzu [12, 75].
Man nimmt an, dass das Weltall sich seit etwa 1010 Jahren (seit dem Urknall)
ausdehnt und abkühlt. Nach einer Elementarteilchen-Phase muss dabei einige hun-
derttausend Jahre nach dem Urknall eine Temperatur erreicht worden sein, bei der
Gase aus Atomen existieren konnten. Die Kerne dieser Atome bestanden dabei aus
den Teilchen der vorhergegangenen Phase. Die Gase enthielten daher hauptsächlich
Wasserstoff, etwas Helium (25 % der Masse) und ein wenig Lithium.
Die Produktion von schweren Kernen erfordert hohe Temperaturen, damit die
Reaktionspartner ausreichend viel kinetische Energie haben, um die Coulomb-
Schwelle zu überwinden. Da in der Sonne (und im Sonnensystem) keine ausrei-
chenden Temperaturen auftraten, müssen die schwereren Elemente von außen in
das Sonnensystem gekommen sein. Sie müssen in sehr großen Sternen entstanden
und dann in einer Explosion irgendwie wieder in den Weltraum emittiert worden
sein.
Wie hat man sich die Evolution eines solchen großen Sterns, in dem schwe-
rere Kerne erbrütet werden, vorzustellen? Ein Stern hat seinen Ursprung in einer
Anhäufung von Gas im Weltraum. Die Gravitation, die eine solche Anhäufung ver-
ursacht und zusammenhält, muss dabei durch den thermischen Druck im Inneren
der Gaswolke kompensiert werden. Durch die Gravitation werden die Gasmolekü-
le im Inneren eine etwas höhere Temperatur haben als im umgebenden Weltraum.
Längerfristig wird damit durch die Abstrahlung von Photonen Energie an die Um-
gebung abgegeben. Hält man in einem Gedankenexperiment die räumliche Aus-
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 109

dehnung der Gaswolke konstant, bedeutet dies ein Abfallen der Temperatur. Wegen
des damit verbundenen geringeren Drucks wird die Gravitation nicht mehr kom-
pensiert, und der Stern muss sich verdichten. Dabei wird potenzielle Energie in
kinetische Energie umgewandelt.
Dass die Gravitation mit kleiner werdendem Abstand rasch ansteigt, hat eine auf
den ersten Blick ungewöhnliche Konsequenz: Ein Abnehmen der Energie bedeutet
ein Ansteigen der Temperatur. Diese Beobachtung folgt aus dem Virialtheorem,
das die mittlere kinetische Energie in einem sich nicht ändernden System durch den
folgenden Mittelwert bestimmt:
* +
1 X
T D  ri  F i ;
2 i

wobei die Gravitationskraft


m.ri /
Fi /  b
r
ri2
eine Funktion der eingeschlossenen Masse m.r/ ist. In der betrachteten kugelsym-
metrischen Verteilung hängt die kinetische Energie nur vom Betrag des Radius ab.
Mit dem Inversen r.m/ der monotonen Funktion m.r/ lässt sich die obige Summe
durch das folgende Integral über infinitesimale Massenelemente ersetzen:

ZM
1 m
T  dm ;
2 r.m/
0

wobei M die Gesamtmasse ist. Da der Radius nur im Nenner auftritt, steigt die
mittlere kinetische Energie bei einer Kontraktion

hr 0 i
r.m/ ! r 0 .m/ D  r.m/
hri

invers zum mittleren Radius hri. Ein Teil der potenziellen Energie, die durch Kon-
traktion gewonnen wird, muss in zusätzliche kinetische Energie überführt werden
und für eine Temperaturerhöhung sorgen. Mit steigender Temperatur wird sich die
Abstrahlung verstärken und der Kontraktionsprozess mehr und mehr beschleunigt
fortsetzen.
Die Verdichtung schreitet fort, bis neue Prozesse wichtig werden. Irgendwann
wird die Temperatur groß genug werden, so dass im Inneren des Sterns, wie in
der Sonne, Wasserstoff zu Helium verbrennen kann. Dabei wird (im Vergleich zu
anderen Fusionsprozessen) sehr viel Energie frei. Die freiwerdende interne Energie
kompensiert die abgestrahlte Energie. Die Kontraktion des Sterns ist damit zunächst
gestoppt.
Nachdem der Wasserstoff verbraucht ist, wird sich der Kontraktionsprozess fort-
setzen und zu einem weiteren Anstieg der Temperatur führen. Bei kleinen Sternen
110 2 Einführung in die Kernphysik

kommt es irgendwann zu einer maximalen Komprimierung, bei der abstoßende


Kräfte zwischen den Atomen eine weitere Komprimierung verhindern. Die Ab-
strahlung führt dann zu einer wirklichen Abkühlung.
Für ausreichend große Sterne (etwa > 1;44 Sonnenmassen, [12]) können, be-
vor solche Kräfte wichtig werden, im Inneren Temperaturen von 10  20 keV und
Dichten von 105 –108 kg=m3 erreicht werden, die für weitere Fusionsreaktionen
4
He C 4 He ! 8
Be ;
4
He C Be
8
! 12
C C  C 7;3 MeV ; (2.196)
4
He C C
12
! 16
O C  C 7;2 MeV

benötigt werden. Bei diesem Prozessen ist der erste Prozess nicht exotherm, und
das gebildete 8 Be ist nicht stabil. Trotzdem werden im thermischen Gleichgewicht
immer einige Berylliumatome für den zweiten Prozess zur Verfügung stehen. Ist die
Heliumkonzentration gesunken, wird nach weiterer Kontraktion Silicium syntheti-
siert
16
O C 16 O ! 28 14 Si C He C 9;6 MeV ;
4
(2.197)
wenn bei ausreichender Größe eine Temperatur von 100  200 keV entstanden ist.
Stehen die Ausgangstoffe dieser Reaktion nicht mehr in ausreichendem Maße
zu Verfügung, kommt es bei sehr großen Sternen zu einer weiteren Erhitzung in die
Gegend von 1 MeV. Die Energie ist jetzt hoch genug, den Kern wieder in Stücke zu
schlagen. Es wird zu einem Gleichgewicht von Integration und Disintegration von
Kernen kommen. Viele neue Kerne werden gebildet. Allmählich wird dabei eine
Anreicherung von Kernen mit Massenzahlen ähnlich denen der besonders stabilen
Eisen- und Nickelkerne entstehen.
Mit wachsender Dichte muss die kinetische Energie der Elektronen größer und
größer werden (analog zu den Überlegungen zum Fermi-Modell, Abschn. 2.3.2).
Ist die benötigte Elektronenenergie größer als die Massendifferenz zwischen Pro-
ton und Neutron in Kernmaterie, werden die Elektronen im Kern eingefangen. Es
kommt zur Bildung von größeren und größeren, im Wesentlichen aus Neutronen
bestehenden Atomkernen, die am Ende die Größe des gesamten Sterninneren er-
reichen (Neutronenstern). Da in diesem Prozess die mögliche Packungsdichte der
Nukleonen um Größenordnungen steigt, kommt es zu einem rapiden Abfall des
Druckes, der zu einem drastisch beschleunigten Kontraktionsprozess führt. Man
nimmt an, dass es dabei meist zu einer Implosion kommt, bei der ein Teil des
Hüllenmaterials aus dem Stern herausgeschleudert wird (Supernova-Explosion). Es
sind diese Bruchstücke, von denen man annimmt, dass sie letztlich Quelle aller
schweren Kerne (außerhalb von Neutronensternen) sind.
Mittelschwere Kerne (etwa bis zum Eisen) stammen direkt aus der Oberfläche
eines solchen explodierenden Sterns. Für die schwereren Kerne kommt nachträglich
ein zusätzlicher Prozess hinzu. Die schwereren Kerne werden aus mittleren Kernen
durch mehrmaligen Neutroneneinfang gewonnen. Falls dabei die Proton-Neutron-
Asymmetrie zu groß wird, kann anschließend ein ˇ-Zerfall auftreten.
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 111

Die Theorie der Kernsynthese erklärt die Häufigkeit der natürlichen Isotope. Sie
ist noch kein abgeschlossenes Gebiet. Ziel dieses Abschnitts war es, in die grundle-
genden Überlegungen dieser Anwendung der Kernphysik einzuführen.
Einführung in die Hadronenphysik
3

Das Thema des ersten Abschnittes dieses dritten Kapitels sind die hadronischen
Teilchen und Resonanzen selbst. Die Eigenschaften von hadronischen Streuvor-
gängen werden im zweiten Abschnitt behandelt. Dieser Aufbau ist analog zu dem
der Kernphysik; beginnend mit niedrigen Energien und größeren Ausdehnungen ar-
beiten wir uns langsam zu schneller ablaufenden, hochenergetischen Phänomenen
vor.
Wir kommen in ein Gebiet, in dem relativistische Effekte eine zentrale Rolle
spielen. Um die Struktur der relativistischen Gleichungen nicht unnötig zu kom-
plizieren und um den Vergleich mit Büchern zur relativistischen Quantenmecha-
nik [10, 82] zu erleichtern, benutzen wir nun die in der Einleitung erwähnten na-
türlichen Einheiten. Die Variablen m; p; x; t sind, wenn die Einheiten nicht explizit
angegeben sind, durch die Ausdrücke mc 2 ; pc; x=.„c/; t=„ zu ersetzen.

3.1 „Zoologie“ der Hadronen

Um Boden unter die Füße zu bekommen, überlegen wir uns zunächst, welche Ha-
dronen wir schon kennen. Die aus der Atomphysik bekannten Elektronen sind soge-
nannte Leptonen, d. h. nur elektromagnetisch und schwach wechselwirkende Teil-
chen. Da solche Teilchen auch bei sehr viel kleineren Längenskalen denselben
Gesetzen unterliegen, ordnen wir sie solchen Skalen zu und verschieben ihre Dis-
kussion und betrachten die Hadronen. Einige Hadronen, d. h. stark wechselwirken-
de Teilchen, haben wir im Kernphysikteil kennengelernt.

3.1.1 Die Hadronen der Kernphysik

Wie dort behandelt, bestehen Kerne aus Protonen und Neutronen, deren Masse
0;9383 GeV bzw. 0;9396 GeV ist [31]. Die Bestandteile der Protonen und Neutro-
nen sind verschieden. Die Frage, warum die Massendifferenz trotzdem recht klein

F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_3, 113


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
114 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.1 Das Schema des


Nachweises des -Mesons

ist und oft vernachlässigt werden kann, wird später eine Erklärung finden. Proto-
nen und Neutronen haben den Spin 1/2, d. h., sie genügen der Dirac-Gleichung. Die
Protonen sind als freie Teilchen stabil, zumindest bis zu einer Lebensdauer von der
Größenordnung des Weltalters. Die bislang experimentell gefundene Grenze liegt
für typische Zerfallsmodi bei etwa 1032 Jahren. Freie Neutronen zerfallen in etwa
15 Minuten in Protonen und Leptonen. Die Massendifferenz zwischen Proton und
Neutron ist in vielen Fällen kleiner als entsprechende von Kernwechselwirkungen
herrührende Differenzen, und der ˇ-Zerfall von im Kern gebundenen Neutronen ist
damit oft unmöglich.
Im Kernphysikteil wurde gesagt, dass sich die Nukleonen im Kern recht frei
bewegen und dass die kräftige Coulomb-Abstoßung durch stark anziehende, kurz-
reichweitige Kernkräfte kompensiert wird. Es wurde argumentiert, dass es in der
relativistischen Quantenmechanik keine Potenziale, sondern nur Wechselwirkun-
gen mit Orts- und Zeitabhängigkeit gibt. Solche Wechselwirkungen können durch
den Austausch virtueller Teilchen entstehen. Da aus der Kernphysik kein Teilchen
mit ausreichend kräftiger Kopplung bekannt war, hat der japanische Physiker Hi-
deki Yukawa 1935 die Existenz eines solchen Teilchens, des Pions oder -Mesons,
gefordert [16]. Aus der Reichweite der Wechselwirkung konnte dabei die Masse
abgeschätzt werden.
Nachdem zunächst das in der kosmischen Strahlung beobachtete Myon als Yu-
kawa-Teilchen fehlidentifiziert wurde, konnte 1947 das Pion in seiner geladenen
Version nachgewiesen werden [83]. Das Experiment verwendete eine fotografische
Emulsion, die kosmischer Strahlung ausgesetzt wurde. Fotografische Emulsionen
bestehen aus Paketen von Cellulosefolien, die licht- und strahlungsempfindliches
Material enthalten. Nach dem Entwickeln kann man einzelne Spuren unter dem Mi-
kroskop dreidimensional verfolgen. Im Pion-Experiment wurde die in Abb. 3.1 dar-
gestellte Konfiguration beobachtet. Ein Teilchen der kosmischen Strahlung streut an
einem Kern und erzeugt ein  C -Meson, das in der Emulsion zur Ruhe kommt und
dann, abgesehen von unsichtbaren Teilchen, in ein C -Lepton zerfällt, das wieder-
um in ein Positron und in unsichtbare Teilchen zerfällt. Der Grad der Schwärzung
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 115

Abb. 3.2 Amplituden unter


Vertauschung identischer
Teilchen

und seine Zunahme als Funktion des Weges erlauben Rückschlüsse auf die Energie
und die Masse der Teilchen, die die obige Identifikation ermöglichten.
Die genau gemessene Masse des Pions ist [31]

m ˙ D 139;57 MeV bzw. m 0 D 134;97 MeV :

Pionen sind Bosonen. Fermionische Hadronen mit halbzahligem Spin heißen Ba-
ryonen und bosonische Hadronen mit ganzzahligem Spin Mesonen. Die griechi-
schen Wörter „K o&“, „ˇ ˛M &“
K K heißen „mittel“, „schwer“ und
und „  o&“
„leicht“. Mesonen sind meist etwas leichter als Baryonen und schwerer als die oben
erwähnten Leptonen.
Die bosonische bzw. fermionische Natur von Teilchen bestimmt die statistischen
Eigenschaften identischer Teilchen. Die Wellenfunktion von identischen Fermionen
ist antisymmetrisch, die identischer Bosonen ist symmetrisch, d. h., ihr Vorzeichen
ändert sich bzw. ändert sich nicht bei Vertauschung zweier Teilchen. Wie wir aus
der Atomphysik wissen, schließt die Antisymmetriebedingung identische Zustände
aus und führt so zu einer drastischen Reduzierung der für Fermionen-Systeme er-
laubten Zustände (Pauli-Prinzip). Sie wird auch bei der Klassifikation der Hadronen
und bei deren Zerfällen eine wichtige Rolle spielen. Zu jedem Fermion gibt es ein
von ihm verschiedenes Antiteilchen, aber ein Boson kann sein eigenes Antiteilchen
sein.
Das relative Vorzeichen der Wellenfunktion eines Systems zweier identischer
Teilchen mit und ohne Vertauschung (siehe Abb. 3.2) ist direkt beobachtbar in Pro-
zessen, in denen die Teilchen mit beinahe identischen Impulsen produziert werden.
Der Wirkungsquerschnitt ergibt sich aus dem Absolutquadrat der Amplitude. Der
Anteil der Amplitude, die beiden Teilchen „so herum“ bzw. „anders herum“ zu er-
zeugen, trägt im Wirkungsquerschnitt nicht nur jeweils als seperates Quadrat bei,
sondern es gibt auch einen gemischten Beitrag vom Produkt des „so-herum“- mit
dem „anders-herum“-Amplitudenanteil, der je nach Vorzeichen (positiv für Boso-
nen, negativ für Fermionen) die Wahrscheinlichkeit des Prozesses verstärkt oder
reduziert.
Neben den Elementarteilchen der Kernphysik gibt es eine umfangreiche Liste
weiterer Hadronen. Woher kommt die Evidenz für solche Teilchen? Vor allem am
Anfang wurden Elementarteilchen wie das oben erwähnte Pion in der kosmischen
Strahlung nachgewiesen, und viele Hinweise auf neue Effekte kamen immer wie-
der aus solchen Experimenten. Allerdings sind kosmische Teilchen mit inzwischen
in Beschleunigern erreichbaren Energien sehr selten. Experimente zu Fragen der
Teilchenphysik werden daher heute fast ausschließlich an Beschleunigern durchge-
führt.
116 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.3 Das Schema eines


Linearbeschleunigers

3.1.2 Beschleuniger

Die Geschichte der Teilchenphysik wurde weitgehend von Beschleunigern ge-


schrieben, die höhere und höhere Energien erreichten und so die Türen zur
Erforschung eines jeweils neuen Gebiets öffneten.
Man ist der Ansicht, dass Forschungseinrichtungen, die international an der
Spitze stehen und sich mit den interessantesten Fragen beschäftigen, langfris-
tig einen hohen indirekten wirtschaftlichen Nutzen haben. Die Aufwendungen
sind eine Form der Technologieförderung, und Kosten im Umfang von einigen
Milliarden Dollar bzw. Euro sind und waren typisch. Teilchenbeschleuniger sind
heute meist größere oder riesige „industrielle Anlagen“, die verschiedenen Ex-
perimenten hochenergetische Strahlen liefern. Diese Anlagen sind natürlich nur
durch eine weitgehende internationale Konzentration von Forschungsmitteln mög-
lich.
Trotz der Größe ihrer Anlagen spielt die Teilchenphysik heute im Beschleuni-
gerbau keine dominante Rolle mehr. Beschleuniger haben in sehr vielen anderen
Gebieten Anwendungen gefunden. So werden dedizierte Beschleuniger als Rönt-
genstrahlungsquellen benutzt. Viele Krankenhäuser benutzen sie als Strahlungs-
quellen. Der Bau von Beschleunigern ist ein Industriezweig geworden.
In Beschleunigern werden Teilchen mittels elektrischer Felder beschleunigt. Am
einfachsten ist das Prinzip des Linearbeschleunigers. Das Schema eines solchen
Beschleunigers ist in Abb. 3.3 dargestellt. Durch Elektronen herausgeschlagene
Protonen werden mit einer geeigneten Spannung auf hochfrequente Hohlraumreso-
natoren gelenkt, die so abgestimmt sind, dass Teilchenpakete jeweils ein beschleu-
nigendes Feld spüren. Passiert das Teilchenbündel die Resonatoren gerade bevor
das maximale Feld erreicht ist, werden zurück bleibende Teilchen etwas stärker be-
schleunigt und ein Auseinanderlaufen damit verhindert.
Höhere Energien sind mit dem sogenannten Synchrotron [84] zu erreichen. In
ihm werden die Teilchen durch Magnete auf einer Kreisbahn gehalten, so dass
dieselben Resonatoren beliebig oft durchflogen werden können. Um den Strahl
dabei im Strahlrohr zu halten, benötigt man neben reinen Ablenkmagneten Quadru-
polmagnete, die die Teilchen abwechselnd bezüglich ihrer radialen und vertikalen
Auslenkungen zurück fokussieren. Der Feldverlauf eines solchen Magnets und das
Schema des Strahlengangs ist in Abb. 3.4 skizziert.
Sind die eingeschlossenen Teilchen ausreichend dicht an der Lichtgeschwindig-
keit, wird die Frequenz der Resonatoren in erster Näherung von den Abmessungen
der Anlage in Einheiten von c=Umfang bestimmt. Mit zunehmender Energie der
Teilchenpakete muss nur die Größe der Magnetfelder entsprechend erhöht werden.
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 117

Abb. 3.4 Feldverlauf im


Quadrupolmagnet und Sche-
ma eines Strahlengangs

Vom Beginn eines neuen Beschleunigungszyklus bis zum Zeitpunkt, zu dem die be-
schleunigten Wellenpakete herausgelenkt werden, müssen daher die Magnetfelder
auf- und abgebaut werden.
Die Stärke der benötigten Magnetfelder berechnet sich nach der Formel

pP D ev B (3.1)
„ƒ‚… „ ƒ‚ …
h i
!pb
r.v=R/.Ev/ Œeb
rjBjv

wobei E die Energie der beschleunigten Teilchen und R der Radius des Ring-
beschleunigers ist. Wir nehmen an, dass die Teilchen sich praktisch mit Lichtge-
schwindigkeit bewegen, d. h. v ! c D 1 ist. Für Protonenbeschleuniger bestimmt
diese Gleichung die maximal erreichbare Teilchenenergie. Sie ergibt sich somit als
das Produkt von Ringradius und maximalem Magnetfeld.
Als Beispiel wird nun der SPS-(Super-Proton-Synchrotron-)-Beschleuniger
des CERN vorgestellt. Wir beginnen mit dem „Fixed-target“-Betrieb, wie er in
Abb. 3.5a skizziert ist [85, 86]. Zunächst werden die Teilchen in vorhandene äl-
tere Beschleuniger geschickt und dort auf Energien von 10 GeV (später 26 GeV)
gebracht, mit denen sie dann in das SPS eintreten. Der SPS-Ring hat einen Radius
von 2;2 km. Er enthält 744 Ablenk- und 216 Quadrupolmagnete. Es gibt 4 jeweils
20 m lange Beschleunigungsstrecken. Sie erlauben, .1;0  3;0/  1013 Protonen in
einem Zeitraum von 8–12 Sekunden auf Teilchen-Endimpulse von PL D 450 GeV
zu bringen, die dann in einen der beiden experimentellen Komplexe gebracht wer-
den, wo sie wiederum verschiedenen Experimenten zugeteilt werden können. Ein
Komplex befindet sich in der „North Experimental Area“ in Frankreich, ein anderer
in der „West Experimental Area“ in der Schweiz.
Die beschleunigten Protonen treffen dort auf Kerne eines geeignet gewählten
Targetmaterials, die aus praktisch ruhenden und unabhängigen Protonen und Neu-
tronen bestehen. Die Physik des Streuvorgangs hängt nicht vom Lorentz-System
des Beobachters ab. Man möchte daher die verfügbare Streuenergie in einer Lor-
entz-invarianten Weise charakterisieren. Dazu betrachten wir die Vierervektoren des
Strahl- und des Targetteilchens
q 
PStrahl D Mp C PL ; PL ; 0; 0
2 2
(3.2)
PTarget D .Mp ; 0; 0; 0/
118 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.5 a Das Schema des SPS im „-Fixed Target“-Betrieb (© CERN, 1978 [87]) b Das Schema
des SPS im „Collider“-Betrieb (© CERN, 1982 [88])

und bilden daraus ein Lorentz-invariantes Skalarprodukt. (Das Produkt zweier Vie-
rervektoren ist p  q D p0 q0  p1 q1  p2 q2  p3 q3 .)
q
s D .PStrahl C PTarget /2 D 2Mp  Mp2 C PL2 C 2  Mp2 : (3.3)

Die Variable s ist eine der sogenannten Mandelstam-Variablen. Für große Energien
gilt
s ! 2  EL Mp : (3.4)
Die Wurzel
s 1=2 D MRuhe D ESchwerpunkt (3.5)
ist die im Schwerpunktsystem zur Verfügung stehende Energie oder die Ruhe-
masse des streuenden Systems. Bei dem betrachteten Beispiel des SPS ist etwa
s D 900 GeV2 . Da damit die Ruhemasse MRuhe D 30 GeV ist, können also ma-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 119

ximal Objekte dieser Masse erzeugt werden. In der Praxis wird bei hadronischen
Streuvorgängen allerdings immer nur ein Teil der kinetischen Energie der einfal-
lenden Hadronen in die Produktion von Massen umgesetzt.
Eine Methode, höhere Schwerpunktsenergien zu erreichen, besteht darin, Teil-
chen im „Collider“-Betrieb aus zwei entgegengesetzt gerichteten Strahlen aneinan-
der zu streuen. Lassen wir ein Proton des obigen Teilchenstrahls mit einem anderen
Teilchen des Impulses
q 
PStrahl 2 D Mp C PL ; PL ; 0; 0
2 2
(3.6)

wechselwirken, erhalten wir


 q 2
s D 2 Mp C PL ! .2 EL /2 :
2 2
(3.7)

Das Laborsystem ist jetzt mit dem Schwerpunktsystem identisch. Die wesentlich
größere Mandelstam-Variable s wächst jetzt quadratisch mit dem Strahlimpuls. Die
gesamte kinetische Energie der Strahlen ist als Schwerpunktsenergie verfügbar.
An unserem Beispiel, dem CERN-SPS, war diese Betriebsart zunächst nicht ge-
plant und wurde mit relativ geringen Mitteln erst 1982 eingerichtet. Da Protonen
und Antiprotonen verwendet wurden, kam man mit den existierenden Magneten
aus. Das Schema des umgerüsteten SPS ist in Abb. 3.5b dargestellt [88]. Man be-
schränkte sich zunächst auf eine Strahlenenergie von 270 GeV pro Teilchen. Die
N
Ruhemasse des p p-Systems, s 1=2 D 540 GeV, ist damit etwa um einen Faktor 20
höher als zuvor. Da die Magnete im Collider-Modus im Dauerbetrieb (nicht im
Auf-und-Ab-Betrieb, wie er bei der Beschleunigung erforderlich ist) benötigt wer-
den, war die Reduktion der Energie erforderlich, um eine zu starke Erwärmung der
Magnete zu verhindern. Später hatte man eine Möglichkeit gefunden, dieses Pro-
blem auf Kosten der Luminosität etwas zu umgehen. Man beschleunigt und bremst
die Strahlen kontinuierlich zwischen 100 GeV und 450 GeV, so dass die mittlere
Belastung der Magnete in vorgegebenen Grenzen bleibt.
Nebenbei sei erwähnt, dass man oben in der Abb. 3.5b auch den ersten Speicher-
ring, der im Collider-Betrieb arbeitete, den CERN Intersecting Storage Ring (ISR),
sehen kann. Er besteht aus zwei völlig unabhängigen Strahlrohrringen, in denen sich
Protonenstrahlen von bis zu 31 GeV in acht Wechselwirkungszonen schneiden.
Problematisch für Collider ist, dass die Teilchendichte in Strahlen natürlich viel
geringer ist als in ruhenden Targets. Es ist daher nicht einfach, eine ausreichende
Luminosität (definiert in Abschn. 2.5.1) zu erhalten.
 Man braucht zunächst natürlich möglichst viele Teilchen in den sich streuenden
Strahlen. Dazu benötigt man Teilchenquellen mit geeigneter Flussdichte; fer-
ner muss man jedwede Verluste bei der Strahlenführung vermeiden. Besonders
gefährlich sind Instabilitäten, die entstehen, wenn sich die Wirkung kleinerer
Fehler in aufeinander folgenden Durchläufen addiert.
 Man kann die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit pro Wechselwirkungszone
durch eine enge Bündelung der Teilchen erhöhen. Der springende Punkt ist, dass
sich die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit aus einem Ortsintegral vom Qua-
drat der Teilchendichte ergibt, und dass bei konstanter Teilchenzahl (d. h. bei
120 3 Einführung in die Hadronenphysik

konstantem Ortsintegral über die Dichte) eine „Kollimation“ den Wert eines sol-
chen Integrals erhöht.
 Man kann die Teilchen in sogenannten Speicherringen immer wieder Wech-
selwirkungszonen zuführen. Die beiden Teilchenstrahlen werden dabei auf ver-
schiedenen Kreisbahnen gehalten, die sich an Wechselwirkungspunkten schnei-
den. Auf diese Art können sie im Prinzip bis zu einer tatsächlichen Wechselwir-
kung gehalten werden.
Das Speicherringkonzept lässt sich, wie oben erwähnt, besonders kostengünstig
verwirklichen, wenn die Teilchen in beiden Strahlen gleiche Massen und entgegen-
gesetzte Ladungen haben, wie z. B. in Proton-Antiproton- oder Elektron-Positron-
Ringen. Solche Teilchen haben identische Bahnen im Magnetfeld, wenn sie genau
in entgegengesetzten Richtungen fliegen. Beide Strahlen können daher durch die-
selben Magnete geleitet werden. Voraussetzung für diese Methode ist es, dass man
genügend intensive und kollimierte Antiteilchenstrahlen erzeugen kann. Die Her-
stellung des Antiprotonenstrahls war einer der entscheidenden Leistungen bei der
Umrüstung des SPS.
Natürlich können für Antiteilchen keine mit den Teilchenstrahlen vergleichbaren
Flüsse erreicht werden. Für extreme Anforderungen an die Luminosität, wie sie für
die Suche nach dem Higgs-Teilchen erforderlich sind, muss man auf Antiteilchen-
strahlen verzichten. Der LHC-Beschleuniger benutzt daher zwei Protonenstrahlen
mit separaten Strahlengängen.
Die Entwicklung der Teilchenphysik ist eng verbunden mit der Entwicklung der
Beschleuniger. Sie „definierten“, was unter neuer Physik zu verstehen sei. Die Liste
der wichtigen Beschleuniger der 50er und 60er Jahre ist:

maximale Energie (GeV) Name, Stadt, Land Jahr fertig Typ der Maschine
6;2 BEVATRON, Berkeley, USA 1952 p -Synchrotron
33 AGS, Brookhaven, USA 1960 p -Synchrotron
28 PS-CERN, Genf, Schweiz 1960 p -Synchrotron
76 PS, Serpukhov, USSR 1967 p -Synchrotron

Bei hadronischen Streuungen können meist alle kinematisch möglichen Teilchen


entstehen. Sobald eine Energie von 6; 2 GeV im BEVATRON verfügbar war, ent-
standen Proton-Antiproton-Paare. Die Existenz des von Dirac geforderten Antipro-
tons konnte nachgewiesen werden. Mit einer Energie von 33 GeV im Laborsystem
konnten Spektren gemessen werden, die unterschiedliches Verhalten in transversa-
ler und longitudinaler Richtung zeigten. Für eine kurze Zeit hatte der Beschleuniger
in Serpukhov die maximale Energie. Dort wurde gezeigt, dass der Wirkungsquer-
schnitt mit der Energie anwächst. Es widerspricht dem einfachen Kugelbild eines
Nukleons, das von einer festen Wechselwirkungszone in der transversalen Ebene
ausgeht. Tatsächlich besteht das Nukleon aus einer Gauß-artigen Verteilung seiner
partonischen Bestandteile mit einer halbdurchlässigen Randzone. Wird die Wech-
selwirkung der Bestandteile stärker, wird die signifikant wechselwirkende Zone
größer.
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 121

Die wichtigsten Beschleuniger mit Hadronen oder Kernen seit dieser Zeit
sind: [86, 89, 31, 90]

maximale Energie (GeV) Name, Labor, Stadt, Jahr d. Fertigstellung Typ der Maschine
100 ! 980 Synchrotron, FNAL, Batavia, 1972 p -Synchrotron
31 C 31 ISR, CERN, Genf, 1971 pp.Np/ -Speicherringe
450 C .200A/ SPS, CERN, Genf, 1976 p.O; S/ -Synchr.
450 C 450 SppS, CERN, Genf, 1981 pNp -Speicherring
980 C 980 Tevatron, FNAL, Batavia, 1987 pNp-Speicherring
26 C 820 HERA, DESY, Hamburg 1992 ep-Speicherringe
100 C 100 RHIC, BNL, Brookhaven, 2000 AuAu-Speicherringe
! 7000 C 7000 LHC, CERN, Genf, 2009 pp-Speicherringe
! 2760A C 2760A LHC, CERN, Genf, 2010 PbPb-Speicherringe
! 4000 C 1580A LHC, CERN, Genf, 2010 pPb-Speicherringe

In der Tabelle bezeichnet A die Massenzahl. Da Kerne etwa doppelt soviel Masse
pro Ladung haben als Protonen, kann im selben Beschleuniger nur etwa die hal-
be Energie pro Nukleon erreicht werden. Der Pfeil bedeutet, dass die angegebene
Energie noch nicht ganz erreicht wurde. Da man Schwierigkeiten mit supraleiten-
den Magneten hatte, wurde der LHC zunächst nur mit der Hälfte der geplanten
Energien betrieben.
Bei der Hadron-Hadron-Streuung gibt es seit den 70er Jahren eine Konkurrenz
zwischen Fermilab (Batavia bei Chicago) und CERN (bei Genf). Mit großer Inten-
sität versuchte man mit dem Tevatron, das Higgs-Teilchen zu entdecken. Ein weites
Gebiet von Higgs-Massen konnte ausgeschlossen werden. Erst der LHC, das eigens
dafür gebaut wurde, konnte es nachweisen.
Die besondere Bedeutung der Kern-Kern- und der Lepton-Proton-Streuung wird
später erklärt.
Neben den hadronischen Anlagen existieren viele Beschleuniger und Spei-
cherringe für Elektronen. Die Wechselwirkungen dieser Teilchen werden im
Abschn. 4.1 behandelt. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die leptoni-
schen Beschleuniger und Speicherringe hier kurz vorgestellt.
Für die Erschließung neuer Energiebereiche haben dabei die folgenden Elektron-
Positron-Beschleuniger eine wichtige Rolle gespielt:

maximale Energie (GeV) Name, Stadt, Land Jahr Typ der Maschine
4C4 SPEAR, SLAC, Stanford 1972 eC e -Speicherring
5;6 C 5;6 DORIS, DESY, Hamburg 1973 eC e -Speicherring
15 C 15 PEP, SLAC, Stanford 1980 eC e -Speicherring
23;4 C 23;4 PETRA, DESY, Hamburg 1978 eC e -Speicherring
50 C 50 SLC, SLAC, Stanford 1989 eC e -Linear-Collider
50 C 50 LEP1, CERN, Genf 1989 eC e -Speicherring
105 C 105 LEP2, CERN, Genf 1996 eC e -Speicherring
122 3 Einführung in die Hadronenphysik

Oft reichte die Luminosität dieser Beschleuniger nicht für Präzisionsmessungen.


Präzisionsmessungen sind wichtig, da sie unter Umständen Hinweise auf neue Phä-
nomene geben können, bevor die typische Energie dieser Phänomene erreicht ist.
Als Ergänzung zu den obigen Beschleunigern gibt es sogenannte „Fabriken“, die
versuchen, eine sehr hohe Teilchenzahl zur Verfügung zu stellen, um so solche Prä-
zisionsmessungen zu ermöglichen.
Wegen der geringen Masse des Elektrons kommen für Elektron-Positron-Streu-
vorgänge natürlich nur Strahl-Strahl-Wechselwirkungen in Frage. Um dieselbe
Schwerpunktenergie zu erreichen wie in dem „19-auf-19-GeV“-Speicherring PE-
TRA, wäre eine Elektronenenergie von 1,2 Millionen GeV erforderlich.
Elektron-Synchrotrons und Elektron-Positron-Speicherringe sind recht begrenzt
in der erreichbaren Energie. Wegen der geringen Masse des Elektrons ist die Strahl-
geschwindigkeit so dicht an der Geschwindigkeit des Lichts, dass bei der Krüm-
mung der Teilchenbahn in den Magneten ein signifikanter Teil der Energie als „ab-
geschüttelte“ Photonen abgestrahlt wird. Der Energieverlust pro Umlauf im Ring
durch solche „Synchrotron-Strahlung“ ergibt sich als
.Energie/4
Energieverlust  : (3.8)
Ringradius
Da der maximalen Energiezufuhr offensichtlich Schranken gesetzt sind, können hö-
here Energien nur durch sehr große Ringe erreicht werden.
Der größte Speicherring dieser Art ist der LEP am CERN, der in Abb. 3.6 ab-
gebildet ist. Der Umfang des Tunnels beträgt etwa 22 km [88]. Mit dem LEP-
Speicherring konnte gezeigt werden, dass es nur drei masselose oder leichte neutri-
no-artige Teilchen gibt.
Offensichtlich sind damit die Grenzen der in dieser Weise möglichen Energien
erreicht. Um höhere Energien in Elektron-Positron-Beschleunigern zu erreichen,
muss man zum Linearbeschleuniger zurückkehren.
Besonders trickreich ist der „Energy Recovery Lineac“. Er besteht aus zwei
gegeneinander laufenden Linearbeschleunigern. Teilchen, die in der Wechselwir-
kungszone nicht streuen, werden im gegenüber liegenden Beschleuniger gebremst,
d. h. ihre Energie wird in die Resonatoren zurückgeführt.
Warum ist dies günstiger als ein Ring? Jedes Teilchen, das beschleunigt wird,
strahlt entgegen der Richtung der Beschleunigung, d. h. im Magnetfeld quer und
im elektrischen Feld des Resonators längs zur Strahlrichtung. Bei der Lorentz-
Transformation von masselosen Photonen ins Laborsystem entsteht im einen Fall
eine große Energie, im anderen Fall nicht. Ein Impuls transversal zur Boostrichtung
wirkt gewissermaßen wie eine Masse, die im geboosteten System eine entsprechen-
de Energie bedeutet.
Die erste Maschine dieser Art war der Stanford Linear Collider (SLC). Man
versuchte mit einer extremen Kollimation zu erreichen, dass genügend Wechsel-
wirkungen in einer einzigen ersten Zone auftreten, und dass so eine ausreichende
Luminosität erreicht wird. Die Idee ist, die Strahlen so stark zu kollimieren, dass
sie sich wegen der entgegengesetzten Ladung gegenseitig weiter anziehen (Autofo-
kussierung). Durch dieses Prinzip konnte mit wesentlich geringerem Aufwand die
ursprüngliche LEP-Energie erreicht werden. Allerdings, da vieles schwieriger als
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 123

Abb. 3.6 Der Speicherring LEP (= Large Electron Positron Collider) am CERN bei Genf
(© CERN, 1982 [88]). Der LEP wurde bis 2000 betrieben. Heute befindet sich der LHC (= Large
Hadron Collider) im Tunnel

erwartet war, erst zwei Jahre nach Beginn der Messungen am LEP. Auch war die
erreichte Luminosität sehr klein.
Wegen dieser Schwierigkeiten hatte man sich für die Higgs-Suche für eine ha-
dronische Maschine entschieden, einen Proton-Collider (Large Hadron Collider,
LHC) zu bauen. Das Schema ist in Abb. 3.7 zu sehen. Da Baumaßnahmen einen
nicht unerheblichen Teil der Kosten darstellen und alte Beschleuniger verwendet
werden konnten, war das im Vergleich zu einer damals geplanten amerikanischen
Maschine (SSC) günstig.
Viele Eigenschaften des Higgs-Teilchens wird man mit einer solchen Maschine
nicht herausfinden können. Um dies zu tun, gibt es Pläne, einen International Li-
near Collider (ILC) zu bauen. Ein Komitee der großen Laboratorien hat dazu einen
Technical Design Report fertiggestellt. Er soll mit zwei aufeinander gerichteten, je-
weils 15,5 km langen Linear-Collidern 200–500 GeV Strahlenergie erhalten. Ein
Bild des Projekts ist in Abb. 3.8 dargestellt.
124 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.7 Das Schema des Large Hadron Colliders im CERN complex (© CERN, 2008)

Abb. 3.8 Das Schema des „International Linear Collider“ (© Wikimedia Commons [92])

3.1.3 Pion-Nukleon-Streuung

Wichtig für die Entdeckung vieler hadronischer Resonanzen war die Pion-Nukleon-
Streuung. Da es keine Pionen-Beschleuniger gibt, ist sie ein Beispiel für ein Experi-
ment mit einem sekundären Teilchenstrahl. Das Schema eines solchen Experiments
ist in Abb. 3.9 skizziert.
Ein aus einem Synchrotron kommendes Proton wird auf ein dickes Target ge-
richtet, in dem Streuvorgänge „Sekundärteilchen“ erzeugen, die im Wesentlichen
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 125

Abb. 3.9 Das Schema eines


Experiments mit Sekundär-
strahl

in Vorwärtsrichtung fliegen. Sie bestehen zum größten Teil aus Protonen und Pio-
nen und haben eine kleine Beimischung von anderen Teilchen. Hinter dem Target
identifiziert oder separiert man die Teilchen dieses „Sekundärstrahls“. Dies macht
für Pionen im Prinzip keine Schwierigkeiten, da die Teilchen einen relativ langen
Weg zurücklegen können. Die Lebensdauer eines geladenen Pions ist in seinem
Ruhesystem
 ˙ D 2;6  108 s D 7;8 m=c : (3.9)
In einem System, in dem das Teilchen eine Energie EL hat, ist diese Zeit um einen
Faktor EL =m länger. Pionen einer Energie von z. B. 2 GeV können damit einen
Zerfallsweg von
7;8 m  2=0;138 D 110 m (3.10)
zurücklegen. Der so identifizierte Sekundärstrahl fällt auf ein geeignetes zweites
Target. Für die Pion-Nukleon-Streuung kann es aus einer Schicht aus Wasserstoff
bestehen. Dieses Target muss nun ausreichend dünn sein, damit der Anteil von
komplizierten Mehrfachstreuprozessen vernachlässigbar bleibt. Nach der Streuung
müssen die gestreuten Teilchen beobachtet werden. Die Unterscheidung von Pro-
tonen und Pionen ist – im Falle der Resonanzphysik – bei den benötigten relativ
kleinen Energien mit geeigneten Detektoren möglich, da das Proton mit seiner we-
gen seiner Masse etwas kleineren Geschwindigkeit entlang seiner Spur etwas mehr
Ionisation verursacht. Bei höheren Energien können Magnete zur Separation be-
nutzt werden, falls ausreichend lange Wegstrecken zur Verfügung stehen.
Der mit einem solchen Experiment erhaltene totale Wirkungsquerschnitt ist in
Abb. 3.10 für p C und p  zu sehen [93]. Bei niedrigeren Energien bis zu 3 GeV
gibt es eine Vielzahl von resonanzartigen Buckeln, die nach höheren Energien hin
allmählich in eine glatte, leicht abfallende Kurve übergehen. Bei beiden Prozes-
sen findet man ein sehr ausgeprägtes Maximum bei einer Schwerpunktsenergie von
1,232 GeV, die auf die Existenz einer in beiden Prozessen auftretenden Resonanz
zurückzuführen ist. Es handelt sich um die -Resonanz, die mit den Ladungen
1; 0; C1 und C2 auftritt.
Von der Diskussion im Abschn. 2.5.4 erwarten wir, dass die Resonanzstruktur
in den entsprechenden Partialwellenamplituden besonders deutlich ist. Als Bei-
spiel zeigt Abb. 3.11 die zum Drehimpuls 3/2 gehörende Partialwellenamplitude
der  C p-Streuung, und zwar den Beitrag mit positiver Parität. Wie später bespro-
chen wird, legt die Parität den Beitrag des Nukleonenspins zum Gesamtdrehimpuls
fest. In einem „elastischen“ Energiebereich durchläuft die Partialwellenamplitude,
126 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.10 Wirkungsquerschnitt für p C und p  (© 1986 American Physical Society [93])

wie erwartet, den Einheitskreis. Der Kreiswinkel entspricht der Streuphase. Die
Streuphase ıl =/2 wird bei einer Resonanzenergie von

ER D 1;232 GeV

erreicht, was die Masse der zugehörigen Resonanz (CC ) festlegt. Unten links wird
der Kreis verlassen, es öffnen sich inelastische Kanäle, so dass ein Teil der Ampli-
tude absorbiert wird. Mit entsprechend reduziertem Radius gibt es jetzt eine zweite
Kreisstruktur, die bei einer Energie von

ER D 2;2 GeV

wiederum den Phasenwinkel /2 erreicht.


3.1 „Zoologie“ der Hadronen 127

Abb. 3.11 Die zum Dreh-


impuls 3/2 gehörende
Partialwellenamplitude im
Argand-Diagramm (© 1986
American Physical Socie-
ty [93])

Natürlich kann eine solche Analyse nicht nur bei elastischen (oder anderen Zwei-
Körper-)Prozessen durchgeführt werden. Man kann bei inelastischen Prozessen die
Massenverteilung beliebiger Subsysteme von Endzustandsteilchen auf Resonanz-
verhalten untersuchen, und man hat daher Zugang zu vielen Kanälen, in denen man
Resonanzen suchen kann.

3.1.4 Hadronische Resonanzen

Im vorigen Abschnitt hatten wir gesehen, wie man Resonanzen finden kann. Wie
unterscheiden sich solche Resonanzzustände zweier Hadronen von einzelnen Ha-
dronen? Da es sich bei Hadronen (obwohl man oft von „Elementarteilchen“ spricht)
nicht wirklich um elementare Teilchen handelt, kann diese Frage nicht aus grund-
sätzlichen Überlegungen beantwortet werden. Hadronen und Resonanzen sind bei-
de Bindungszustände aus den Grundbausteinen der Hadronen, d. h. aus den soge-
nannten Quarks; die einzige Unterscheidungsmöglichkeit liegt in den verschiedenen
Stabilitäten.
Eine Forderung nach absoluter Stabilität macht wenig Sinn, da nach manchen
theoretischen Vorstellungen sogar das Proton nicht absolut stabil sein soll. Die Un-
terscheidung von (stabilen) Teilchen und Resonanzen ist daher etwas willkürlich;
man muss festlegen, welchen Grad an Stabilität man erfüllt haben möchte. Für ei-
ne Resonanz sollte der Zerfall direkt etwas mit einer zu geringen Bindung zu tun
haben, was oft nicht der Fall ist. Betrachten wir dazu das Neutron. Das Neutron
besteht aus zwei d -Quarks und einem u-Quark, die mit einer verallgemeinerten
Ladung, der sogenannten Farbladung aneinander gebunden sind. Die Bindung des
Neutrons ist völlig identisch mit der Bindung der Quarks in einem Proton. Seine
128 3 Einführung in die Hadronenphysik

Instabilität hat ihren Ursprung darin, dass eines seiner Quarks, ein d -Quark, nach
vergleichsweise langer Zeit durch eine sogenannte schwache Wechselwirkung in
das leichtere u-Quark und zwei leptonische Teilchen (d ! u C e  C N e ) zerfällt.
Der Übergang hat nichts mit der Bindung zwischen Quarks zu tun.
Auf dem Weg zu einer vernünftigen Einteilung klassifizieren wir die Zerfälle der
Teilchen bzw. Resonanzen. Üblicherweise unterscheidet man zwischen drei Typen
von Zerfällen, den schwachen, den elektromagnetischen und den starken Zerfäl-
len, je nachdem, ob eine schwache, elektromagnetische oder starke (hadronische)
Wechselwirkung involviert ist. (Die Gravitationswechselwirkung spielt für Zerfälle
von Elementarteilchen keine Rolle.) Da die Zerfallszeit dabei in der Regel jeweils
recht unterschiedliche Werte von

> 1012 s für die schwachen ;


12 20
10  10 s für die elektromagnetischen und
20
< 10 s für die starken Wechselwirkungen

annimmt, gibt es meist eine dominante Zerfallsart.


Da die ersten beiden Zerfallsarten nichts mit der Struktur der Bindung zu tun
haben, klassifiziert man nur die hadronisch zerfallenden Objekte als Resonanzen
und elektromagnetisch oder schwach zerfallende Gebilde als Teilchen. Diese Ein-
teilung ist anders als in der Kernphysik; eine Unterscheidung zwischen „virtuellen
Zuständen“ und Resonanzen ist in der Teilchenphysik nicht üblich.
Hadronische Teilchen und Resonanzen haben sehr ähnliche Strukturen, wie man
es etwa aus einer Potenzialtheorie erwarten würde. Resonanzen treten immer paral-
lel zu stabilen Teilchen auf, und die Massen der stabilen Teilchen passen als „nullte“
Anregung gut in die Systematik der Massen der Resonanzen.
Die Beziehung zwischen stabilen Zuständen und Resonanzen der Potenzialtheo-
rie ist allerdings logisch nicht ohne weiteres anwendbar, da die Teilchen-Bindungs-
zustände aus dem Potenzial zwischen Quarks hervorgehen, während Streuampli-
tuden mit ihren Resonanzen von der Wechselwirkung zwischen Teilchen bestimmt
werden.
Die Lösung dieses „logischen“ Problems hat mit einem neuen Phänomen zu
tun. Wir sind zu einer neuen Energieskala vorgedrungen, und die Bindungsener-
gie ist jetzt vergleichbar mit der Masse der gebundenen Objekte, d. h. der Quarks.
Dadurch werden neue Prozesse möglich. Ein Quark-Antiquark-Paar mit geringer
Relativgeschwindigkeit kann sich vernichten und in zusätzliche Bindungsenergie
verwandeln; umgekehrt kann ein Quark-Antiquark-Paar produziert werden, wenn
dadurch ein Zustand mit niedriger Bindungsenergie erreicht wird.
Für das Auftreten einer Resonanz ist es nicht notwendig, dass die beiden streu-
enden Teilchen selbst einen Bindungszustand bilden. Erforderlich ist nur ein Über-
gang in einen resonanten Zustand.
In erster Näherung bestehen Nukleonen aus drei Quarks und Pionen aus einem
Quark und einem Antiquark. Die verschiedenen Ladungszustände des Nukleons
und des Pions kommen durch verschiedene Mischungen von positiv und negativ
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 129

Abb. 3.12 Partonenreso-


nanzen in hadronischen
Streuvorgängen

geladenen Quarks bzw. Antiquarks zustande. Vergleicht man die Wirkungsquer-


schnitte der verschiedenen Ladungszustände und analysiert man die Abhängigkeit
von der Quark-Art, findet man zwei Komponenten zur Streuamplitude. Ein Beitrag
hängt fast nicht von der Quark-Komposition der streuenden Hadronen ab, ein an-
derer Beitrag hängt von der Zahl der Annihilationsmöglichkeiten eines Quarks des
einen einfallenden Teilchens mit einem Antiquark des anderen Teilchens ab. Nur
passende Quark-Antiquark-Paare können sich annihilieren. Für die ladungsunab-
hängige Komponente spricht man von einem nichtresonanten Hintergrund („non-
resonant background“) und für die ladungsabhängige Komponente vom Resonanz-
beitrag zur Streuung. Für den Augenblick interessiert uns der Resonanzbeitrag. Der
„non-resonant background“ wird uns bei höheren Energien (im Abschn. 3.2.2) als
Pomeron-Beitrag wieder begegnen.
Der Ablauf der Resonanzstreuung muss etwa aussehen, wie in Abb. 3.12 skiz-
ziert: Beide einfallenden Teilchen haben eine Komponente, in der eines ihrer
Quarks bzw. Antiquarks fast keinen Impuls trägt. Sobald sich die Streuteilchen
näherkommen, kann sich dieses langsame1 Quark-Antiquark-Paar annihilieren,
ohne dass die übrigen Quarks, die die Impulse der beiden einlaufenden Teilchen
tragen, beeinflusst werden. Die eigentliche Streuung erfolgt dann zwischen diesen
restlichen Quarks in genau derselben Art von Farbladungspotenzial, das auch für
die Bindungszustände zwischen Quarks verantwortlich ist. Man nimmt an, dass
das wirkliche Potenzial zwischen Quarks mit wachsendem Abstand rasch und
kontinuierlich ansteigt. Dabei könnte im Prinzip beliebig viel potenzielle Energie
angesammelt werden. Das tatsächlich beobachtete effektive Potenzial wird über ei-
nem gewissen Abstand abbrechen, da dann ein neues Quark-Antiquark-Paar erzeugt
wird, das dafür sorgt, dass die beiden auseinander laufenden Quark-Gruppen nicht
mehr zusammengehalten werden. Dass ein neu entstandenes Quark-Antiquark-Paar
dies kann, hängt mit der besonderen Struktur der Wechselwirkung zwischen Quarks
zusammen. Vereinfachend kann das entstandene Bild in der folgenden Weise zu-
sammengefasst werden: Relativ impulslose Quark- oder Antiquark-Paare können
je nach Bedarf vernichtet und erzeugt werden. Je nach Abstand und nach relevanter

1
Langsam heißt dabei, dass bei der Annihilation keine großen Impulsbeträge auf
Gluonen übertragen werden. Wie man den Fall von „harten“ Gluonen mit großen
Impulsen behandelt, wird im Abschn. 4.2.5 erläutert.
130 3 Einführung in die Hadronenphysik

Längenskala handelt es sich bei den eigentlich streuenden Objekten um Teilchen


oder Quarks.
Man beobachtet in Streuprozessen deutliche Resonanzstrukturen bis zu relativ
hohen Anregungsenergien. In einer Potenzialtheorie bräuchte man daher eine rela-
tiv hohe zu durchtunnelnde Schwelle. Wie erklärt sich der Schwelleneffekt, der für
die relativ hohe Zahl von Resonanzen erforderlich ist? Das produzierte Quark-Anti-
quark-Paar ist nicht masselos. Es erfordert damit eine gewisse Mindestenergie, ein
solches Quark-Antiquark-Paar zu erzeugen. Für das effektive Potenzial zwischen
durch Farbfelder verbundenenen Quark-Gruppen erwartet man daher eine Schwelle
in der Größenordnung der Quark-Massen.
Die Dynamik der Quarks wird durch die QCD (Quantenchromodynamik) be-
schrieben, die wir später in Abschn. 4.2 kennen lernen werden. Die Bestandteile
der Hadronen, d. h. die Quarks, die Antiquarks und die Gluonen, werden Partonen
genannt. Da die QCD bei Prozessen hadronischer Längenskalen mit den bisher be-
kannten Methoden keine Berechnungen erlaubt, ist dies nicht sehr hilfreich. Man
muss mit einfachen phänomenologischen Bildern Vorstellungen entwickeln, von
denen man annimmt, dass sie die wesentlichen dynamischen Eigenschaften wieder-
geben.
In einem Gummibandmodell [94], in dem die potenzielle Energie linear mit
dem Abstand eines jeweils wechselwirkenden Quark-Antiquark-Paares (oder ent-
sprechenden Quark-Gruppen-Paares) wächst, kann man genauer betrachten, wie
die Produktion eines neuen Quark-Antiquark-Paares das Feldlinienband „zerrei-
ßen“ kann. Da am Produktionspunkt keine Energie für die Produktion des Quark-
Antiquark-Paares zur Verfügung steht, ist der Quark-Antiquark-Zustand zunächst
virtuell. Der Weg vom Erzeugungspunkt des Paares bis zu dem Abstand, an dem
die aufgesammelte potenzielle Energie der Masse des Quark-Antiquark-Paares ent-
spricht und der Zustand wieder reell wird, muss durchtunnelt werden; der zugehö-
rige Gamow-Faktor ergibt die effektive Größe der Schwelle.
Dieses einfache Modell bietet natürlich kein quantitativ verlässliches Bild des
Streuvorgangs. Erreicht wird lediglich ein qualitatives Verständnis.

3.1.5 Flavor-Quantenzahlen

Nachdem Methoden vorgestellt wurden, mit denen man Hadronen erzeugen kann,
und nachdem der Zusammenhang zwischen Teilchen und Resonanzen erläutert
wurde, wenden wir uns jetzt der Klassifikation der Hadronen zu. Die beobachteten
Hadronen werden durch ihre Quantenzahlen beschrieben. Diese Quantenzahlen
können entweder den Quark-Inhalt oder die Art des Bindungszustands eines Ha-
drons spezifizieren. Beginnen wir mit der Diskussion der Quantenzahlen der ersten
Art, der sogenannten Flavor-Quantenzahlen („Quark-Inhaltsquantenzahlen“).
Offensichtlich müssen wir uns dazu zunächst mit einer Systematik der Quarks
befassen. Die Quarks lassen sich wie in Tab. 3.1 zusammenstellen.
Es gibt sechs verschiedene Quarks, und es existieren, da Quarks mit ihrem
halbzahligen Spin Fermionen sind, die der Dirac-Gleichung genügen, jeweils die
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 131

Tab. 3.1 Liste der Quarks 1. Generation 2. Generation 3. Generation


QD C 23 u (up) c (charmed) t (top/truth)
QD  13 d (down) s (strange) b (bot-
tom/beauty)
1
Spin D 2
! Quarks sind Fermionen ! Antiquarks analog
Farbe D blau, grün oder rot

entsprechenden Antiquarks mit entgegengesetzten Ladungen. Jedes dieser Quarks


kommt in drei ansonsten identischen Versionen vor, die sich durch ihre Farbladung
(„Farb-Quantenzahl“) unterscheiden. Die grundlegende Struktur ist ein Dublett
eines .1=3/-zahlig geladenen d -Quarks und eines .2=3/-zahlig geladenen u-
Quarks. Sie wiederholt sich in einer zweiten Generation als s- und c-Quark-Dublett
und in einer dritten Generation als b- und t-Quark-Dublett. Wir werden später se-
hen, dass es zu jeder Generation ein jeweils entsprechendes Leptonenpaar gibt und
dass, wenn man von den unterschiedlichen Massen absieht, die Generationen unter
allen bekannten Wechselwirkungen wie identische Kopien erscheinen. Die Quarks
verschiedener Generationen unterscheiden sich nur durch ihre Massen, deren Ur-
sprung nicht bekannt ist. Von Generation zu Generation nimmt die Quark-Masse
rasch zu. Da Quarks nie frei auftreten, ist die Masse nicht leicht zu definieren.
Um zu den „wirklichen“ Quark-Massen, den sogenannten Current-Quark-Mas-
sen, zu gelangen, muss man Prozesse betrachten, die von den wirklichen Massen
abḧängen [31]:

mu D 2  3 MeV ; ms D 0;08  0;13 GeV ; mb D 4;1  4;8 GeV ;


md D 4  6 MeV ; mc D 1;2  1;3 GeV ; m t D 170  174 GeV :

Für die Klassifikation der Hadronen kommt es natürlich auch auf die Anordnung
der Quarks in den Zuständen an. Betrachten wir dazu zunächst die ersten beiden
Quarks und vernachlässigen deren Massenunterschied. Wir werden später sehen,
dass dies eine vernünftige Approximation ist.
In der klassischen Physik hätte man dann die Möglichkeit, die u- und die d -
Quarks beliebig auf die vorhandenen Zustände zu verteilen. Unter Umständen hat
man einen symmetrischen Zustand unter einer Vertauschung zweier Besetzungs-
möglichkeiten. Die Gruppenstruktur einer solchen Vertauschung zwischen u und d
heißt in der Mathematik die Symmetrische Gruppe S2 .
In der Quantenmechanik gibt es zwei weitere Effekte. Zum einen gibt es, da
man Wellenfunktionen betrachtet, die ihr Vorzeichen ändern können, natürlich die
Möglichkeit einer Antisymmetrie, d. h. einer Symmetrie bis auf einen Vorzeichen-
wechsel der Wellenfunktion. Der zweite Unterschied besteht darin, dass verschie-
dene Anordnungen gleichzeitig, jeweils mit einer beliebigen Wahrscheinlichkeit,
auftreten können. Verschiedene Quarks können daher in verschiedenen Zuständen
symmetrisch, antisymmetrisch oder, im Prinzip, sonstwie angeordnet sein. Aus der
diskreten wird eine kontinuierliche Struktur.
132 3 Einführung in die Hadronenphysik

Betrachten wir dies etwas ausführlicher. Vergisst man einen Augenblick die Nor-
mierung und erlaubt für jeden Anteil einen beliebigen Koeffizienten, sind die Trans-
formationen der beiden Zustände komplexe .2 2/-Matrizen. Anstelle der diskreten
S2 -Vertauschung hat man eine von der S2 aufgespannte „komplexe Algebra“ dieser
Matrizen. Die offensichtlich notwendige Normierung der Wellenfunktionen bringt
uns zur U.2/-Gruppe [17], die die Transformationen von normierten Matrizen be-
schreibt. Eine bloße Phasenänderung, wie ei , ist die Eichfreiheit der Quantenme-
chanik. Sie hat offensichtlich nichts mit der Struktur unter Vertauschung von u-
und d -Quarks zu tun. Man kann sich daher auf Übergänge, die durch eine Matrix
mit der Determinante des Werts C1 beschrieben werden, die die Phase nicht än-
dern, beschränken. Die Gruppe dieser Übergänge wird als SU .2/ bezeichnet. Da
die SU .2/ durch verallgemeinerte Drehwinkel kontinuierlich zu parametrisieren
ist, spricht man von einer Lie-Gruppe.
Die SU .2/-Gruppe ist, wenn man von einer Spiegelungstransformation absieht,
identisch mit der Drehgruppe, d. h. der sogenannten O.3/-Gruppe, und die Situati-
on ist damit analog zu der beim Spin. Dies hat, wie in der Kernphysik, zum Begriff
des Isospins geführt [18]. Anstatt die Symmetrie bei der Belegung der Zustände mit
u- und d -Flavors zu spezifizieren, kann man den Isospin angeben. Ein Vorteil dieser
Beschreibung mit Isospins ist, dass man dann die Übergänge von z. B. zwei Isospin-
zuständen in einen dritten wie beim Spin einfach mit tabellierten Clebsch-Gordan-
Koeffizienten berechnen kann, ohne explizite Symmetriebetrachtungen durchzu-
führen. (Wie wir in Abschn. 2.2.4 gesehen hatten, kann man diese Analogie auch
umgekehrt verwenden. Man kann einen Eigenzustand, der einen beliebigen Spin
und eine beliebige z-Komponente des Spins hat, aus einer Kombination von Spin-
1=2-Spinoren aufbauen, die mit geeigneter Symmetrie parallel oder antiparallel zur
z-Achse gerichtet sind.)
Das Proton und das Neutron haben, wie wir später sehen werden, einen gemisch-
ten Symmetriezustand, der einem Isospin 1=2 entspricht. Die dritte Komponente
des Isospins, Iz , entspricht in Quark-Zuständen der Differenz der Zahl der u- und
der d -Quarks. Für das Proton und Neutron ist diese Komponente daher gerade
˙1=2, d. h. sie haben bezüglich der Isospins dieselben Werte wie das u- und das
d -Quark. Der Isospin der u- und der d -Quark-Symmetrie aus der Teilchenphysik
ist damit identisch zu dem Isospin der Kernphysik, der auf der Proton-Neutron-
Vertauschungsstruktur aufgebaut ist.
Die Erweiterung auf drei Flavors führt zu SU .3/. Da das entsprechende dritte
(„strange“-)Quark deutlich schwerer als das u- und das d -Quark ist (genauer gesagt
jmd mu j
mHadron und jms mu j  jms md j  mHadron ), ist die Symmetrie nur
noch approximativ gültig. Rechnungen in der SU .3/ können analog zum Isospin
mit erweiterten Clebsch-Gordan-Tabellen erfolgen.
Wir haben hier die Symmetriegruppe in den Vordergrund gestellt, da in ha-
dronischen Bindungen und Streuungen das gerade oder ungerade Verhalten unter
Permutation der fundamentale Effekt ist und die SU .2/ bzw. SU .3/ keine grund-
legende Bedeutung hat. Eine dynamisch relevante SU .2/, die jeweils besondere
Spinzustände von Teilchen der einzelnen Generationen verbindet, spielt in der Phy-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 133

Tab. 3.2 Liste der Flavor- „Downness“ D D D #.dN /  #.d /


Quantenzahlen (# = Anzahl) „Upness“ D U D #.u/  #.u/ N
Strangeness D S D #.Ns /  #.s/
Charm D C D #.c/  #.c/N
Bottom-Quantenzahl D B D N  #.b/
#.b/
Top-Quantenzahl D T D #.t /  #.tN/

sik der schwachen Bosonen eine fundamentale Rolle. Dieser sogenannte „schwache
Isospin“ hat mit dem hier betrachteten Isospin nichts zu tun.
Der Quark-Inhalt der Hadronen wird durch geeignetes Abzählen ihrer Quarks
erhalten. Dabei gibt es allerdings eine Komplikation. Besonders für die leichten
Quarks der ersten Generation sind die Quark-Massen mit Bindungsenergien ver-
gleichbar. Als Konsequenz können in kurzzeitigen Fluktuationen Quark-Antiquark-
Paare erzeugt und vernichtet werden. Solche kurzzeitig existierenden Quarks wer-
den See-Quarks genannt, zur Unterscheidung zu den Valenz-Quarks, welche die
Flavor-Quantenzahlen bestimmen. Die Zahl der Quarks in Hadronen ist damit nicht
konstant. Offensichtlich können Teilchen nicht durch Quantenzahlen charakterisiert
werden, die von solchen Fluktuationen abhängig sind. Für erhaltene Quantenzah-
len müssen daher Quark und Antiquark entgegengesetzte Vorzeichen haben. Je nach
betrachteter Quark-Art gibt es somit die Möglichkeiten der Tab. 3.2.
Da der Buchstabe B belegt ist, wird die Bottom-Quantenzahl mit einem Stern in-
diziert. Die Bezeichnungen „Downness“ und „Upness“ sind nicht allgemein üblich.
Da Baryonen drei Quarks enthalten, nennt man ein Drittel der Zahl der Quarks
minus der Antiquarks die Baryonenzahl:

1
Baryonenzahl D B D  Œ#.Quarks/  #.Antiquarks/ :
3
Baryonen haben damit die Baryonenzahl 1 bzw. 1, Mesonen haben B D 0. Die
Vorzeichen der Quantenzahlen sind gemäß dem Vorzeichen ihrer Ladung gewählt,
so dass
B D C U C S C C C B C T
QD C (3.11)
2 2
geschrieben werden kann. Diese Relation lässt sich für die einzelnen Quarks leicht
nachrechnen. Man hat
 
1 1 2 1
Q.Quark/ D C  1 .bzw.  1/ D bzw:  : (3.12)
6 2 3 3

Für die Antiquarks dreht sich das Vorzeichen um. Die in Anführungszeichen ge-
setzten Bezeichnungen der Flavor-Quantenzahlen entsprechen nicht den üblichen
Bezeichnungen. Die Summe der Quantenzahlen D und U , die den Überschuss der
u- gegenüber den d -Quarks angibt, entspricht in der äquivalenten SU .2/-Beschrei-
bung gerade der dritten Komponente des Isospins, d. h. dem „Gesamtisospin in u-
134 3 Einführung in die Hadronenphysik

Richtung“
I3 D U  .D/ : (3.13)
Die entsprechend geänderte Relation für die Ladung
Q D I3 C .B C S C C C B  C T /=2 (3.14)

heißt verallgemeinerte Gell-Mann-Nishijima-Relation.


Betrachten wir die Massen der Quarks etwas genauer. Ein Problem dabei ist, dass
Quarks nur in gebundenen Zuständen auftreten. Man nimmt an, dass, da das Bin-
dungspotenzial von Quarks mit wachsendem Abstand beliebig groß wird, wirklich
„freie“ Quarks durch die potenzielle Energie eine unendliche Masse haben wür-
den und dass auch bei in Hadronen gebundenen Quarks ein signifikanter Anteil der
Masse durch die Bindung zustande kommt. Die Feldquanten, d. h. die „Photonen“
der QCD, sind die Gluonen. Die Bindungsmasse muss daher in einer umgeben-
den Gluonen- und See-Quark-Wolke stecken. Um zu einer sinnvollen Definition zu
kommen, muss man genau festlegen, wieviel von dieser Wolke mitzuzählen ist.
Hadronen enthalten wenige minimal benötigte Quarks, die in den Flavor-Quan-
tenzahl-Differenzen übrigbleiben. Diese für die Quantenzahlen relevanten Bestand-
teile heißen Valenz-Quarks. Eine Möglichkeit, zu einer brauchbaren Massendefini-
tion für diese Valenz-Quarks zu kommen, ist, die Massen geeigneter, nicht ange-
regter Hadronen einfach auf ihre Valenz-Quarks aufzuteilen, d. h. beispielsweise zu
schreiben
1 1
mconstituent
q D mProton  m :
3 2
Die so erhaltenen Werte heißen dann Konstituenten-Massen der Quarks (englisch:
constituent-quark-masses). Sie sind mit einer gewissen Genauigkeit sinnvoll. Sie
haben in etwa die folgenden Werte; siehe [31, 95]:
mu D 0;35 GeV ; ms D 0;55 GeV ; mb D 4;50 GeV ;
md D 0;36 GeV ; mc D 1;80 GeV ; m t D 170  174 GeV :
Bei den leichten Quarks kann man in guter Näherung die eigentlichen Quark-Mas-
sen vernachlässigen. Die Masse der Hadronen (wie des -Mesons oder des Protons)
und damit die Konstituenten-Masse des Quarks wird im Wesentlichen durch die
QCD-Bindung verursacht. Dies erklärt u. a. den Sachverhalt mProton  mNeutron .
Bei der Berechnung der Konstituenten-Massen der Quarks hatten wir das 
nicht berücksichtigt, da es eine besondere Rolle spielt. Wir werden später (Ab-
schn. 3.1.11) darauf zurückkommen.

3.1.6 Quantenzahlen diskreter Symmetrien

Wenden wir uns jetzt den Quantenzahlen zu, die den Bindungszustand spezifizie-
ren [96]. Wie Sie aus der Mechanik wissen, entsprechen Erhaltungsgrößen Symme-
trien der zugrunde liegenden dynamischen Theorie. Dies gilt auch in der Quanten-
mechanik und der Quantenfeldtheorie. Kommutiert ein Operator mit dem Hamilton-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 135

Operator, so entspricht sein Erwartungswert einer erhaltenen Quantenzahl. Durch


die experimentelle Beobachtung, ob Quantenzahlen erhalten oder gebrochen sind,
hat man umgekehrt Zugang zu Eigenschaften der zugrunde liegenden Theorie, oh-
ne tatsächliche Rechnungen machen zu müssen. Beinahe erhaltene Quantenzahlen
müssen beinahe exakten Symmetrien entsprechen.
Die Translationsinvarianz der Theorie (in Raum und Zeit) führt zur Energie-Im-
puls-Erhaltung und die Rotationsinvarianz zur Erhaltung des Drehimpulses. Nütz-
lich für eine weitergehende Klassifikation von Teilchen sind die mit diskreten Trans-
formationen verbundenen Quantenzahlen. Ein Beispiel für eine diskrete Transfor-
mation ist die Raumspiegelung.

Parität
Der Rauminversions- oder Paritäts-Operator spiegelt die Wellenfunktion am Ur-
sprung:
PN .r; t/ WD .r; t/ : (3.15)
Im Allgemeinen haben die Wellenfunktionen zwei Anteile: Die symmetrischen An-
teile der Wellenfunktion sind invariant unter der Transformation, die antisymme-
trischen Anteile ändern ihr Vorzeichen. Entsprechend ihrem Symmetrieverhalten
spricht man von positiver bzw. negativer Parität.
In starken und elektromagnetischen Wechselwirkungen ist die Parität eines Zu-
stands eine erhaltene Quantenzahl, was auf die entsprechenden Eigenschaften der
Quantenchromodynamik bzw. der Quantenelektrodynamik zurückzuführen ist. Sie
ist nicht erhalten für schwache Wechselwirkungen, die, abgesehen von Zerfällen,
im betrachteten Energiebereich keine Rolle spielen. Es ist daher möglich, die Pari-
tät einzelner Teilchen festzulegen.
Hadronen sind in ihrem Schwerpunktsystem Eigenzustände des Paritätsopera-
tors
PN .r; t/ D P  .r; t/ ; (3.16)
mit den Eigenwerten P D ˙1. Die Parität setzt sich aus einem Produkt der inneren
Parität der Teilchen und der Parität der orbitalen Bewegung zusammen. Betrach-
ten wir als Beispiel ein System aus einem Quark und einem Antiquark. Nach der
Zurückführung auf ein Einkörperproblem im Schwerpunktsystem und nach einer
Separation des Radialteils ist seine Wellenfunktion eine Kugelfunktion. Kugelfunk-
tionen
YL;M D exp.iM /PLM .cos / (3.17)
sind Eigenfunktionen der Paritätstransformation, die für die Polarkoordinaten

! C und  !   

bedeutet. Der Paritätseigenwert .1/M des ersten Faktors ist offensichtlich. Der
zweite Faktor (ohne Beschränkung M > 0),
M
.L C M /Š .1  u2 / 2 d LM
PLM .u/ D .1/LCM   .1  u2 /L
.L  M /Š 2L  LŠ duLM
136 3 Einführung in die Hadronenphysik

mit u D cos./, ist, abgesehen von den Ableitungen, gerade bezüglich der Pa-
rität. Die Ableitungen liefern einen Faktor .1/LM , da d=dx D d=d.x/.
Zusammen mit dem anderen Term verbleibt daher ein Faktor .1/L der orbitalen
Bewegung.
Was ist die interne Parität von Quarks? Da Quarks einen Spin besitzen, braucht
man für sie in einer nichtrelativistischen Situation eine zweikomponentige Schrö-
dinger-Gleichung, in der die Richtung des Teilchenspins durch zweikomponentige
Pauli-Spinoren beschrieben wird. In einer relativistischen Theorie muss man Anti-
teilchen in der Bewegungsgleichung berücksichtigen, man braucht eine vier-kom-
ponentige Beschreibung. Eine solche Beschreibung liefert, wie gesagt, die Dirac-
Gleichung. Die Dirac-Gleichung
 
@ @ @ @
i0  i1  i2  i3 m D0 (3.18)
@x0 @x1 @x2 @x3

mit ihren .4 4/-Matrizen  werden wir später genauer betrachten. Sie enthält
eine Verknüpfung zwischen Raumstruktur und Viererkomponentenstruktur, die bei
der Spiegelung berücksichtigt werden muss. Die Terme mit Ortsableitungen ändern
ihr Vorzeichen, während die nullte Komponente unverändert bleibt. Wie kann man
eine Transformation definieren, die im Lösungsraum der Dirac-Gleichung bleibt?
Der Vorzeichenwechsel bei Ortsableitungen unter Spiegelung,
   
@ @ @ @ @ @ @ @
; ; ; ! ; ; ; ;
@x0 @x1 @x2 @x3 @x0 @x1 @x2 @x3

kann durch die folgende Definition der Paritätstransformation

PN .r; t/ WD  0 .r; t/ (3.19)

kompensiert werden. Da, wie wir im Abschn. 4.1.2 sehen werden, 0 mit sich selbst
kommutiert (d. h. 0 0 D 0 0 ) und mit den anderen -Matrizen antikommutiert
(d. h. 0 k D k 0 für k D 1; 2; 3), entspricht die Dirac-Gleichung (3.18) des
transformierten Zustands gerade 0 mal der alten Gleichung, d. h. sie ist nach wie
vor erfüllt (d. h. D 0).
Die Dirac-Matrix 0 ist dabei in der folgenden Weise definiert:
0 1
1 0 0 0
B 0 1 0 0 C
0 D B
@ 0
C :
0 1 0 A
0 0 0 1

Betrachten wir die Dirac-Gleichung eines ruhenden Teilchens:


 
@
i0 m D0 (3.20)
@x0
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 137

Der Operator i  @=@x0 ergibt den Energieeigenwert. Die Teilchen mit positiven
Energien belegen daher je nach Spin die oberen beiden Komponenten und die An-
titeilchen mit formal negativen Energien die unteren beiden Komponenten.
In der Paritätstransformation tritt für Teilchen und Antiteilchen der jeweilige
Eigenwert von  0 als zusätzlicher Faktor auf. Er muss als innere Parität berück-
sichtigt werden, d. h. die innere Parität ist positiv für Fermionen und negativ für
Antifermionen.
Betrachten wir dazu den Quark-Antiquark-Bindungszustand der Mesonen. Mit
allen Beiträgen zusammen erhalten wir

PN .qq/ N ;
N D .C1/  .1/  .1/L .qq/ (3.21)
„ ƒ‚ …
DWP

wobei der Parameter L der Gesamtbahndrehimpuls ist. Eine Verallgemeinerung auf


Baryonen oder Antibaryonen mit drei Valenz-Quarks ist einfach. Der letzte Faktor
bleibt; vorn erhält man einen Faktor C1 bzw. 1 (da .1/3 D 1).
Wie verhalten sich Photonen unter Paritätstransformation? Elektrische und ma-
gnetische Felder werden durch Kräfte

F D e  .E C v B/

auf Testladungen bestimmt. Da diese Kräfte und die Geschwindigkeiten der Testla-
dungen unter Paritätstransformation ihr Vorzeichen wechseln, gilt

PN .E .r; t/; B.r; t// D .E .r; t/; B.r; t// : (3.22)

Aus der relativistischen Elektrodynamik [54] wissen wir, dass sich elektrische und
magnetische Felder

@ @ X @
Ek D A0  Ak und Bk D  kj i Ai
@xk @x0 j;i
@xj

durch elektromagnetische Potenziale A D . ; Ak / ausdrücken lassen, die in der


Quantenmechanik die Photonenfelder beschreiben. Wir betrachten die Coulomb-
Eichung (d. h. A0 D 0) und stellen fest, dass Photonenfelder ihr Vorzeichen unter
Paritätstransformation ändern, d. h. dass in der Paritätstransformation ein zusätzli-
cher Faktor 1 auftritt. Photonen haben damit eine negative interne Parität.
Das Ergebnis gilt auch für die anderen Eichbosonen, die wir später behandeln
werden und die eine ähnliche Rolle wie das Photon spielen.

C -Parität
Die zweite Symmetrie, die besprochen werden sollte, ist die C -Parität. Führen wir
zunächst den Ladungskonjugationsoperator

CN .u; d;    bN N dN ;    b
oder tN/ D .u; oder t/ (3.23)
138 3 Einführung in die Hadronenphysik

ein, der alle Quarks bzw. Teilchen durch die entsprechenden Antiteilchen ersetzt.
Natürlich können nur die ladungsneutralen Teilchen Eigenzustände der C -Parität

CN D C  (3.24)

sein und einen Eigenwert von C D ˙1 haben.


Für hadronische und elektromagnetische Wechselwirkungen kommutiert der La-
dungskonjugationsoperator mit dem Hamilton-Operator, und die C -Parität eines
Zustands ist damit wiederum erhalten, wenn schwache Wechselwirkungen vernach-
lässigt werden können.
Unter Ladungskonjugation kehrt sich das Vorzeichen von elektrischen und ma-
gnetischen Feldern um:
CN .E ; B/ D .E ; B/ : (3.25)
Dasselbe gilt damit auch für das von solchen Ladungen erzeugte Vektorfeld; die
Ladungsparität des Photons ist damit C D 1. Da die Ladungsparität jeweils als
Faktor auftritt, haben Teilchen, die in eine gerade oder eine ungerade Zahl von
Photonen zerfallen, eine gerade bzw. ungerade Parität.
Für das Beispiel eines identischen Quark-Antiquark-Systems vertauscht sich die
Quark-Antiquark-Natur der beiden Quarks. Man hat also gerade den Zustand, der
entstanden wäre, wenn man das Quark und das Antiquark vertauscht hätte. Um
zum ursprünglichen Zustand zurückzukommen, müssen wir eine Vertauschung in
der Spinwellenfunktion und der Ortswellenfunktion (d. h. im Vorzeichen der redu-
zierten Koordinate) vornehmen. Dies führt zu folgender C -Parität:

CN .q q/
N D .1/LCS  .q q/
N : (3.26)

Der Faktor .1/LC1 entspricht der Parität der Wellenfunktion, der oben erklärt
wurde. Der Parameter S beschreibt den Gesamtspin der beiden Quarks, und die
Rücktransformation im Spinraum ergibt wie beim Bahndrehimpuls einen Faktor
.1/S C1 (d. h. mit zwei identischen Spins ist S D 1 symmetrisch, und S D 0
ist antisymmetrisch). In Abschn. 2.2.4 wurde diese Relation für die auftretenden
Zustände gezeigt.
Für die obigen Relationen ist es entscheidend, ob die Quantenzahlen L und S ge-
rade oder ungerade Werte annehmen. Da der Gesamtspin und die Quantenzahlen P
und C festliegen, müssen der Bahndrehimpuls und der Spin in besonders einfachen
Fällen feste und separat bestimmbare Werte einnehmen.

G -Parität
Die C -Parität ist nur für neutrale Teilchen definiert. Um die Definition auf die ande-
ren, durch Drehungen im Isospin-Raum erreichbaren Mesonen auszudehnen, führt
man die G-Parität ein und betrachtet das Verhalten unter Ladungskonjugation und
einer entsprechenden Drehung im Isospin-Raum, die die Ladungsänderung kom-
pensiert.
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 139

Um die Ladung, die der dritten Komponente des Isospins entspricht, umzukeh-
ren, kann man z. B. eine halbe Drehung um die y-Achse durchführen, z. B.
  !   ! !
1 1 0 i 1 0
exp i 2  Di D :
2 0 i 0 0 1

Für Pauli-Matrizen (4.14) gilt i2 D 1. Der Exponent ist cos x.1=2/Ci sin.1=2/
2 .
Für die Quarks hat eine solche Rotation die folgende Wirkung:

R N dN / D .d; u; dN ; u/
N .u; d; u; N ; (3.27)

wobei das Vorzeichen jeweils für die Wellenfunktionen der einzelnen Quarks gilt.
Die Relation kann durch Ausschreiben der entsprechenden Pauli-Spinoren und
-Matrizen gezeigt werden. Mit der Definition

GN D CN RN (3.28)

erhält man dabei die folgende Vertauschungsregel für Quarks:

G N dN / D .dN ; u;
N .u; d; u; N d; u/ : (3.29)

Betrachten wir zunächst Mesonen ohne Spin und Drehimpuls. Da die Vertauschung
von Quarks keine Rolle spielt, handelt es sich um Zustände mit positiver C -Parität.
Beginnend mit dem (I D 1)- und dem (Iz D 1)-Zustand udN , erhält man durch ge-
eignete Drehungen im Isospin-Raum (jeweils um 90ı ) das Triplett der -Mesonen
r
1
N
d u;  .uuN  d dN /; udN : (3.30)
2
(Eine seperate (nicht „reduzierte“) Drehung beider Spinoren ergibt neben dem rich-
tigen (I D 1; Iz D 0)-Beitrag eine (I D 1; Iz ¤ 0; < Iz >D 0)-Komponente mit
N und udN -Anteilen.)
d u-
Für den (I D 0)-Zustand verbleibt das dazu orthogonale -Meson
r
1
 .uuN C d dN / ; (3.31)
2
für das eine Rotation im Isospin-Raum ohne Wirkung bleibt.
Wenden wir jetzt unsere G-Paritäts-Transformation an. Einfaches Einsetzen der
Permutationsvorschrift ergibt ein negatives Vorzeichen für die -Mesonen und ein
positives Vorzeichen für das -Meson, d. h. einen Faktor .1/I .
Bei nicht verschwindendem Spin oder Bahndrehimpuls kommt, da bei der Trans-
formation natürlich auch die Position der beiden Quarks vertauscht wird, analog zu
der Überlegung bei der C -Parität ein Faktor .1/LCS hinzu, um diese Vertauschung
zu berücksichtigen. Die G-Parität ist damit .1/LCS CI .
140 3 Einführung in die Hadronenphysik

Die G-Parität erlaubt es, da sie als einfacher Faktor auftritt, sehr schnell be-
stimmte Prozesse auszuschließen. Da Pionen negative G-Parität besitzen, gilt, dass
Resonanzen, die in eine gerade bzw. ungerade Zahl von Pionen zerfallen, eine ge-
rade bzw. ungerade G-Parität besitzen.
Die G-Parität ist nur näherungsweise gültig. Schwache Wechselwirkungen ver-
letzen die zugrunde liegende C -Paritäts- und Isospin-Erhaltung. Die Isospin-Sym-
metrie ist durch die unterschiedlichen Massen und Ladungen der beiden leichten
Quarks gebrochen. Da die Massendifferenz klein ist und da die Ladungen nur in
schwachen elektromagnetischen Wechselwirkungen eine Rolle spielen, sind G-Pa-
ritäts-verletzende Prozesse nur sichtbar, wenn keine anderen hadronischen Kanäle
offen sind. Hadronische G-Paritäts-verletzende Prozesse haben dieselbe Größen-
ordnung wie elektromagnetische G-Paritäts-verletzende Prozesse [97]. Zwei typi-
sche hadronische und elektromagnetische Zerfallsraten sind (siehe [31]):

 . ! 30 / D 0;38 MeV (3.32)

und
 . ! 2/ D 0;46 MeV : (3.33)

Zeitumkehr und CP-Parität


Um den Abschnitt abzuschließen, seien noch die Zeitumkehr T und die CP T -
Parität erwähnt. Die starken und die elektromagnetischen Wechselwirkungen sind
symmetrisch unter Zeitumkehr.
Beobachtungen in der Quantenmechanik entspechen einem Ausdruck der fol-
genden Form:

.Amplitude/  .Amplitude/ D .Amplitude/  CP T Œ.Amplitude/

Aus diesen allgemeinen Prinzipien folgt, dass das Produkt CP T für alle Messun-
gen eine exakte Symmetrie sein muss. Sonst müsste etwas Grundlegendes in der
Quantenmechanik geändert werden. (Grundlegende Änderung der Quantenmecha-
nik sind in Stringtheorien erforderlich.)
Die T -Invarianz entspricht daher der CP -Invarianz. In der Physik der schwachen
Vektorbosonen, die bei der betrachteten Resonanzphysik nur in ganz langsamen,
schwachen Prozessen in Erscheinung tritt, sind C und P deutlich (maximal) ver-
letzt, während das Produkt CP und damit T eine beinahe (aber nicht vollständig)
exakte Symmetrie beschreibt.

3.1.7 Farbstruktur der Hadronlen

Für die Frage, welche Teilchen es gibt, ist natürlich die Fermi-Statistik entschei-
dend. Die Tatsache, dass es im CC -Teilchen drei u-Quarks, offensichtlich ohne
Drehimpuls mit identischen Spins, gibt, war dabei zunächst ein Problem. Es gab
drei identische Fermionen in einem einzigen Zustand. Zu seiner Lösung führte man
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 141

drei Quark-Farben ein. Da ein Austausch zweier Teilchen eine Vertauschung aller
ihrer Eigenschaften bedeutet, ist das Vorzeichen einer solchen Permutation das Pro-
dukt der Vorzeichen, die bei der Vertauschung im Ortsraum, im Spinraum und im
Farbraum auftreten. Eine Asymmetrie im neu eingeführten Farbraum erlaubte daher
trotz Symmetrie im Orts- und im Spinraum die von der Fermi-Statistik geforderte
Antisymmetrie. Für die obigen Betrachtungen zur C - und G-Parität von Mesonen
spielte die Farbe keine Rolle, da solche Zustände im Farbraum symmetrisch sind.
Die drei Farben der Quarks sind eine Repräsentation einer SU .3/-Symmetrie,
die für die Dynamik der Quark-Bindung eine Rolle spielt. Die Wechselwirkung
zwischen Quarks und Gluonen wird durch eine Eichtheorie beschrieben, die in einer
definierten Weise auf dieser SU .3/Farbe -Symmetrie aufbaut. Sie heißt Quantenchro-
modynamik oder QCD; „chromo“ steht dabei für Farbe (griechisch: !˛). Q Sie
hat eine ähnliche Struktur wie die Quantenelektrodynamik (QED). Beide Theorien
werden hier später zusammen im Rahmen der Physik der Leptonen und Partonen
behandelt.
QCD ist in weiten Bereichen nicht exakt lösbar. Es wird allgemein angenom-
men, dass die QCD eine Beobachtung erklärt, die „Confinement“ genannt wird.
Confinement oder „Gefangenhaltung“ besagt, dass freie Teilchen keine Farbladung
tragen können. Zwei farblose Bindungen sind dabei wichtig. Zum einen kann in ei-
ner „schwarzen“ Bindung die Farbe eines Quarks durch die Farbe eines Antiquarks
kompensiert werden, d. h. für das Meson:
q X
1
3
 qi  qNi : (3.34)
i Drot,blau,grün

Die bekannten Mesonen sind, wenn man von Komplikationen absieht, Bindungszu-
stände dieser Art.
Zum anderen kann es in einer „weißen“ Bindung zu einer völlig antisymmetri-
schen Mischung der Farben kommen, d. h. für das Baryon:
q X
1
6
 ij k qi  qj  qk ; (3.35)
i;j;kDrot,blau,grün

wobei gilt:
8
ˆ
<C1 für .i; j; k/ gerade Permutation von .1; 2; 3/
ij k D 1 für .i; j; k/ ungerade Permutation (3.36)

0 sonst :

Solche Bindungen haben die Baryonenzahl 1 (bzw. 1 für die Antiteilchen). Die
bekannten Baryonen sind, wieder abgesehen von Komplikationen, in dieser Weise
gebunden.
Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass freie Teilchen nicht bloß „farblos“ sein
müssen (d. h. keine nicht kompensierte Farbe haben, wie es z. B. für einen einfa-
chen qrot qNrot -Zustand der Fall wäre), sondern dass sie notwendigerweise bezüglich
142 3 Einführung in die Hadronenphysik

der SU .3/Farbe -Gruppe Singulettzustände sind, d. h. Zustände, die sich bei einer
Drehung im Farbraum nicht ändern.
Dafür existieren nicht sehr viele Möglichkeiten. Die obigen Fälle entsprechen
den am besten beobachteten Bindungszuständen. Im Prinzip gibt es noch weitere
Konfigurationen bei höheren Valenz-Quark-Zahlen, z. B. für das Tetraquark:
q X
1
12
qi  qj ij k klm qN l  qNm : (3.37)
i;j;k;l;m

Solche Diquark-Antidiquark Zustände werden auch Baryonia genannt. Diese Zu-


stände wurden intensiv gesucht und im Bereich der leichten Quarks nicht sicher
nachgewiesen. Sie sollten eigentlich auch dort existieren, aber das Problem scheint
zu sein, dass sie sehr schnell in Quark-Antiquark-Mesonen übergehen. Ähnliches
gilt für kompliziertere, ähnliche Strukturen mit mehreren ij k -Faktoren.
Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Pentaquarks:
q X
1
24
qi  qj ij k klm qN l  mno qn  qo : (3.38)
i;j;k;l;m;n;o

Ein anderes Beispiel ist ein Teilchen ohne Valenz-Quarks, das Gluonium, das man
(in der betrachteten Notation) in der folgenden Weise schreibt:
q X
1
6 ij k  ij k ; (3.39)
i;j;k

und die durch die Produktion von geeigneten Quark-Antiquark-Paaren in Baryonen


oder Mesonen zerfallen können. Die allgemeine Bezeichnung für solche Zustände,
die nur die Felder enthalten, die für die Bindung verantwortlich sind, ist „glue balls“
(Klebstoffkugeln).
Es gibt ein Problem mit diesen exotischen Zuständen, in denen Farblosigkeit in
diesem einfachen Bild mit mehr als einem Kronecker-Symbol erreicht wird. Vom
doppelten Kreuzprodukt kennen wir die Beziehung

˙ "ij k "klm D ıi l ıj m  ıi m ıj l :

Sie gilt analog im Farbraum und besagt, dass der obige Baryonium-Zustand eigent-
lich aus einer Mischung von Zwei-Mesonen-Zuständen besteht:
     
qQqN QN N [ QQN C q QN [ .Qq/g
! f.q q/ N :

Die Situation ist allerdings nicht ganz so einfach, wie es in diesen einfachen For-
meln erscheint. Das Problem ist, dass die Feldquanten, die Gluonen selbst, Farb-
ladungen tragen, und dass deswegen viel kompliziertere Strukturen möglich sind.
Man nimmt an, dass in geeigneten Gruppierungen von Quarks und Gluonen jeweils
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 143

Tab. 3.3 Bezeichnungen der dN uN sN cN bN


Mesonen (L D 0)
0  0 
d . ; !/  K D B 0
. 0 ; /  K0 D B0
u C .0 ; !/ K C DN 0 B C
 C 0
. ; / K C
DN0 BC
s KN 0 K  Ds Bs0
KN 0 K 0 Ds Bs0
c D C
D 0
DsC J= BcC
DC D0 DsC c BcC
b BN 0 B  BNs0 Bc 
BN 0 B BNs0 Bc b

nur eine Farbe übrigbleibt und dass diese mit Gluonen umhüllten Quarks als eine
Art von Konstituenten-Quarks dann in den obigen Relationen in Erscheinung treten.
In diesem Bild können die Feldlinien oder die Levi-Civita-Symbole "ij k als eine
Gluonen-Struktur eine dynamische Bedeutung haben und den Zerfall von exoti-
schen Zuständen in gewissem Umfang verhindern.

3.1.8 Mesonen

Wir betrachten zunächst die niedrigsten Anregungen und beginnen mit den Meso-
nen ohne Bahndrehimpuls. Je nachdem, ob die Spins parallel oder antiparallel sind,
hat man, wie wir oben gesehen hatten, den folgenden Gesamtdrehimpuls, Parität
und C -Parität:
J P C D 0C bzw:1 : (3.40)
(Unter Berücksichtigung der Parität des Antiteilchens hatten wir P D .1/LC1
und C D .1/LCS .) Man spricht von pseudoskalaren Mesonen oder von Vektor-
mesonen. Das „Pseudo“ steht dabei für die „unnatürliche“ Parität, wobei die mit
spinlosen Konstituenten erreichbare Parität: P D .1/J als „natürlich“ definiert
wird.
Die Namen der auf diese Art erhaltenen Mesonen sind in Tab. 3.3 angegeben.
(Ich folge dabei der von der Particle Data Group [31] im Herbst 1984 vorgestellten
und 1986 angenommenen Nomenklatur. Änderungen zur älteren, weniger syste-
matischen Notation sind meist nicht sehr gravierend.) Es gibt keine Mesonen mit
t-Quarks. Das t-Quark ist viel schwerer als die anderen Quarks. Dies hat die Fol-
ge, wie wir in Abschn. 5.2 sehen werden, dass es zu kurzlebig ist, um hadronische
Resonanzen zu bilden. In der Tabelle sind in der ersten Zeile die Vektormesonen
und in der zweiten Zeile jeweils die pseudoskalaren Teilchen aufgeführt. Wenn zur
Unterscheidung erforderlich, wird die natürliche Parität durch einen hochgestellten
Stern angezeigt.
144 3 Einführung in die Hadronenphysik

Die Buchstaben ergeben sich aus dem Quark-Inhalt und dem Spin. Zustände,
die nur verschwindende Flavor-Quantenzahlen (ohne Upness und Downness) tra-
gen, sind durch griechische Buchstaben gekennzeichnet. Für Zustände mit nicht
verschwindenden Flavor-Quantenzahlen werden große lateinische Buchstaben be-
nutzt, und zwar zählt das schwerere Quark jeweils als namensgebend. Die Ladung,
die als Index angegeben wird, spezifiziert, ob das leichtere Quark ein u- oder d -
Quark bzw. Antiquark ist. Ist das leichtere Quark auch ein schweres Quark, wird
dies durch einen Index angezeigt. Ist die Quark-Antiquark-Natur nicht durch den
Ladungsindex festgelegt, wird das Teilchen mit einer negativen Flavor-Quantenzahl
(bezüglich des schwersten Quarks) mit einem Überstrich als Antiteilchen gekenn-
zeichnet.
Eine Ausnahme von dieser Beschreibung durch Quark-Inhalte bilden die neutra-
len Mesonen, die nur aus leichten Quarks bestehen. Die Klammern bedeuten, dass
diese Zustände in anderen Kombinationen auftreten. Wegen der praktisch entarteten
Masse hat man q
 0 D 12  .uuN  d dN / (3.41)

und q
D 1
2  .uuN C d dN / (3.42)

als Eigenzustände der dynamisch erzeugten Masse. Wir hatten erwähnt, dass in
einer relativistischen Theorie die Bindung von Austauschprozessen und von Über-
gangsprozessen bestimmt wird. Die Massendifferenz zwischen den so ausgewählten
Grundzuständen hat ihren Ursprung in dem Übergang, der die Quark-Art vergisst.
Er beruht auf den folgenden beiden Prozessen:

uuN ! Gluonen ! d dN ; d dN ! Gluonen ! uuN ;

und
uuN ! Gluonen ! uuN ; d dN ! Gluonen ! d dN :
Sie werden im Falle des -Mesons beitragen und Massenkorrekturen bringen. Im
Falle des  0 treten die gleich großen Beiträge beider Zeilen mit unterschiedlichen
Vorzeichen auf. Die Summe über beide Beiträge verschwindet, und die betrachteten
Prozesse sind wirkungslos und führen nicht zu wesentlichen Massenkorrekturen. In
diesem Fall ist die Situation daher analog zum  C und zum   , wo wegen der
unterschiedlichen Flavor-Quantenzahlen der Übergang in Gluonen sowieso unter-
bunden ist. Diese Überlegung erklärt, also warum Teilchen, die durch Drehungen im
Isospinraum auseinander hervorgehen, abgesehen von kleinen Korrekturen, gleiche
Massen haben, warum, in anderen Worten, die Teilchen des SU .2/Flavor -Tripletts
andere Massen haben als die Teilchen des Singuletts. Diese Überlegung ist nicht
nur für pseudoskalare Teilchen anwendbar. Bei den Vektormesonen ist die Situati-
on bezüglich des Isospins analog.
In geringerem Umfang gibt es eine Mischung verschiedener Quark-Zustände
auch zwischen  und 0 und in noch geringerem Umfang zwischen und !.
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 145

Bei neutralen Kaonen gibt es eine ähnliche Komplikation durch schwache Wech-
selwirkungen, die einen Übergang s dN ! d sN und damit

KN 0 ! K 0 (3.43)

erlaubt. Da Teilchen und Antiteilchen exakt dieselben Massen haben, reicht ein sehr
kleiner Beitrag, um zu neuen Eigenzuständen zu kommen, in denen Teilchen und
Antiteilchen vertauscht auftreten.
Da die Mischung nur sehr langsam vor sich geht, ist die Situation recht komplex.
 Bei hadronischen Streuungen spielt die schwache Wechselwirkung, die für die
Mischung verantwortlich ist, zunächst keine Rolle, und es werden die Teilchen
mit positiver oder negativer „strangeness“, d. h. die K 0 oder KN 0 erzeugt, je nach-
dem, ob sN - oder s-Quarks vorhanden sind.
 Die Dynamik unterscheidet zwischen den Zuständen mit unterschiedlichen CP -
0
Paritäten. Die Teilchen mit gerader bzw. mit ungerader CP -Parität, das Kshort
0
und das Klong , haben daher etwas verschiedene Massen.
 Da die CP -Parität bei Zerfällen in Hadronen erhalten wird, sind für beide Zu-
stände auch unterschiedliche Zerfallskanäle offen (zu zwei oder drei Pionen).
Die damit verbundene längere bzw. beträchtlich kürzere Zerfallszeit erklärt ihre
Namen.
Neben den Zerfällen zu Hadronen gibt es, wie wir in Abschn. 5.1.3 sehen werden,
auch Zerfälle in Leptonen, die wiederum zwischen K 0 oder KN 0 unterscheiden. Eine
genaue Analyse (Abschn. 5.1.4) zeigt, dass es sogar eine winzige CP -verletzende
Korrektur gibt.
Für Zustände mit einem nicht verschwindenden Bahndrehimpuls wird die Situa-
tion komplizierter. Ist der Gesamtspin null, gibt es jeweils für die geraden und die
ungeraden Drehimpulse Teilchenketten mit identischen diskreten Quantenzahlen,
d. h. mit J P C D 0C ; 2C    und mit 1C 3C    . Für Spin-(S D 1)-Zustände
kann je nach Ausrichtung der Spins der Gesamtdrehimpuls L  1, L oder L C 1
betragen und für gerade Bahndrehimpulse einen .L  1/CC -, LCC - oder .L C
1/CC -Zustand ergeben. Mit der Möglichkeit von doppelten Einträgen, die keine
eindeutige Festlegung des Bahndrehimpulses aus erhaltenen Quantenzahlen festle-
gen, treten zwei neue Ketten mit 0CC ; 1CC ;    und mit 1 ; 2 ;    auf.
Für die Benennung der Mesonen verwendet man [31] den Gesamtspin als Zusatz
zu den Bezeichnungen der Tab. 3.3, falls er nicht den minimalen Wert annimmt,
Außerdem gibt man für hadronisch zerfallende Resonanzzustände die Masse an.
Man schreibt z. B. 3 .1690/. Für die Zustände der Mesonen mit verschwindenden
Flavor-Quantenzahlen benutzt man dabei die Bezeichnungen der Tab. 3.4.
In Tab. 3.4 wurde eine kleine wechselseitige Beimischung von Zuständen der
zweiten Zeile und Zuständen der dritten Zeile ignoriert. (J > 1)-Anregungen des
J = werden nur durch bezeichnet.
Für die Flavor-Quantenzahlen tragenden Mesonen ist die G-Parität nicht defi-
niert. Die Zustände mit „natürlicher“ Parität P D .1/J werden durch einen Stern
indiziert.
146 3 Einführung in die Hadronenphysik

Tab. 3.4 Bezeichnungen der J PC .0; 2    /C .1; 3    /C .1; 2    / .0; 2    /CC
Mesonen (L beliebig) uuN  d dN  b  a
uuN C d dN  h ! f
s sN 0 h0 f0
c cN c hc J= c
b bN b hb  b
t tN t ht  t

Tab. 3.5 Massen wichtiger 0 MeV 1 MeV 2C MeV


Mesonen ˙
140  ˙
770 a2˙ 1320
0 135 0 770 a20 1320
K˙ 494 K ˙ 892 K2˙ 1430
 549 ! 783 f2 1270
0 958 1020 f 02 1525
D˙ 1869 D ˙ 2010
c 2980 J= 3097 c2 3556
B˙ 5271 B ˙ 5330
 9460

Bevor wir die Betrachtung der Mesonen abschließen, sei noch eine kurze Liste
der Massen besonders wichtiger Mesonen angeführt (Tab. 3.5).
Eine vollständige Liste, die regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht wird,
wird von der Particle Data Group [31] herausgegeben und ist über das Internet auf-
zurufen [32].

3.1.9 Baryonen

Wenden wir uns zunächst den baryonischen Zuständen zu. Die leichtesten Zustände
besitzen wiederum den Bahndrehimpuls null. Je nachdem, ob die Spins ausgerichtet
sind oder nicht, gibt es damit einen Spin und Gesamtdrehimpuls von 1=2 bzw. 3=2.
Die davon jeweils existierenden Zustände sind in der Tab. 3.6 aufgeführt.
Betrachten wir jetzt nicht verschwindende Bahndrehimpulse. Zu jedem Bahn-
drehimpuls gibt es die Gesamtdrehimpulse

J D L ˙ 3=2 oder L ˙ 1=2 ; (3.44)

wobei die letzteren aus S D 1=2 oder 3=2 resultieren können. Zu unterscheiden
sind jeweils nur die Zustände mit gerader bzw. ungerader Parität und geradem
bzw. ungeradem Drehimpuls. Für Baryonen gibt es natürlich keine C -Parität, und
die resultierende Möglichkeit, den Spin einzuschränken, entfällt. Dafür gibt es eine
andere Restriktion.
Da Quarks Fermionen sind, müssen diese Zustände antisymmetrisch unter Ver-
tauschung zweier identischer Quarks sein. Je nach Spin sind damit andere Zustände
möglich. Betrachten wir zunächst wieder das CC als Beispiel. Es ist antisymme-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 147

Tab. 3.6 Bezeichnungen der Baryonen (L D 0)


1C 3C
Baryonen 2
MeV 2
MeV
uuu; ddd CC ; 
C 
uud; udd p; n.N ; N / 939 C ; 0 1232
C 0  C 0 
uus; uds; dds ˙ ;˙ ;˙ 1193 ˙ ;˙ ;˙ 1383
uds  1116
uss; dss  0;   1318  0;   1534

sss ˝ 1672
uuc; udc; ddc ˙cCC ; ˙cC ; ˙c0 2453 ˙cCC ; ˙cC ; ˙c0 2518
udc C
c 2286
usc; dsc cC ; c0 2470 cC ; c0 2645
ssc ˝c0 2695 ˝c0 2765
CC
ucc; dcc cc ; cC 3519 cC ; c0 ?
uub; udb; ddb ˙bC ; ‹; ˙
0
5814 ˙bC ; ‹; ˙
0
5832
udb 0b 5619
usc; dsc bC ; b0 5791 ?,? ?
ssc ˝b0 6071 ‹ ?

trisch im Farbraum (als Baryon), symmetrisch im Flavor-Raum („uuu“), und es


hat den Bahndrehimpuls L D 0U̇m die Antisymmetrie der Farbstruktur zu erhal-
ten, braucht man daher einen völlig symmetrischen Spinzustand, d. h. J D 3=2.
Dasselbe gilt offensichtlich auch für die gedrehten Zustände, und der symmetrische
Flavor-Zustand (I D 3=2) kommt daher nur in einem Drehimpuls J D 3=2 vor.
Bezüglich der SU .2/Flavor gibt es also vier solcher Zustände unterschiedlicher Fla-
vors (Iz D 3=2, 1=2,    ) mit jeweils vier Spinrichtungen (Jz D 3=2, 1=2,
   ). Vernachlässigt man Massenunterschiede, kann man die von den u; d; s-Quarks
aufgespannte SU .3/-Gruppe betrachten. Anstelle von vier gibt es dann 10 symme-
trische u; d; s-Zustände. Man spricht von einem SU .3/ -Dekuplett von Teilchen mit
Spin 3=2.
Die andere Möglichkeit für Baryonen ohne Bahndrehimpuls ist der .J D 1=2/ -
Zustand. Ein Beispiel für diese Möglichkeit ist das Proton. Es ist in einem gemisch-
ten Symmetriezustand, der den Isospin I D 1=2 ergibt. Um die gesamte Symmetrie
zu erhalten, muss der Spin wiederum dieselbe Symmetrie haben und den Wert 1=2
einnehmen. Es gibt acht solcher Symmetriezustände für u-, d - und s-Quarks. Man
spricht von einem SU .3/ -Oktett von Teilchen mit dem Spin 1=2.
Baryonen werden mit großen griechischen Buchstaben bezeichnet, die sich nach
dem Isospin und dem Quark-Inhalt richten (Das große  schreibt sich N). Schwe-
rere Quarks werden in der Nomenklatur zunächst wie „strange“-Quarks behandelt,
durch einen oder mehrere Indizes wird dann angezeigt, dass „strange“-Quarks durch
andere schwere Quarks zu ersetzen sind. Zum Beispiel besteht das ˙cC aus einem
u-, einem c- und einem d -Quark.
148 3 Einführung in die Hadronenphysik

Tab. 3.7 Die Kandidaten X.3872/ !  C J = !


für Tetraquark-Zustände. Die X.3915/ ! ! J= !
mit „!“ werden als gesicherte
Y .4008/ !  C J = ?
Resonanzen betrachtet, die
Zustände mit „?“ werden als Z1 .4050/C !  C c ?
sehr wahrscheinlich betrach- Y .4140/ ! J = ?
tet [99] Z2 .4250/C !  C c ?
Y .4260/ !  C J = !
Y .4274/ ! J = ?
X.4350/ ! J = ?
Y .4360/ !  C   .2S/ !
Z.4430/C !  C .2S/ ?
Y .4660/ !  C   .2S/ ?
Yb .10888/ !  C    .nS/ ?

Ähnlich wie bei den Mesonen werden auch hier Anregungszustände mit höhe-
ren Bahndrehimpulsen wie die .L D 0/ -Zustände bezeichnet. Zur Spezifizierung
werden die Massen hinzugesetzt.

3.1.10 Tetraquarks

Betrachten wir zunächst nur leichte Quarks. Hier gibt es und gab es viele Versuche,
Strukturen in Massenverteilungen mit exotischen Bindungszuständen zu identifizie-
ren. Völlig zweifelsfreie Erfolge blieben aus. Es gibt Hinweise dafür, dass solche
Zustände im Prinzip existieren, aber dass sie wegen ihrer kurzen Zerfallszeiten nicht
identifiziert werden konnten.
Sind schwere Quarks involviert, erscheint die Situation anders. Die radiale Ver-
teilung von Quarks in Bindungszuständen hängt von deren Masse ab. In Zuständen
von schweren und leichten Quarks könnte die unterschiedlichen Geometrien und
die geringeren Überlappungen der Wellenfunktionen zu einer gewissen Stabilisie-
rung führen. Die Interpretation der Zustände der Tab. 3.7 als Tetraquarks ist daher
naheliegend [98].
Ungewöhnlich ist, dass die beiden schweren Quarks in den Zerfällen zusammen
bleiben. Normalerweise zerfällt ein Zwei-Quark-Zustand vorzugsweise (siehe Ab-
schn. 3.2.3) in zwei Mesonengruppen, die jeweils eines der Quarks enthalten. Für
Tetraquarks kann die obige Kreuzprodukt-Beziehung erklären, wie ein Zerfall in
Bindungszustände leichter und schwerer Quarks zustande kommt.

3.1.11 Eigenschaften der Quark-Bindung

Wir hatten uns in den vorigen Abschnitten mit der Systematik der Zustände beschäf-
tigt. Was weiß man darüber, wie die Massen der Grundzustände und die bei Anre-
gungen auftretenden Massendifferenzen zustande kommen? Das Verhalten solcher
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 149

Anregungen ist eng mit der Struktur der Quark-Bindung verknüpft. Es ist damit
weitgehend ein nicht wirklich gelöstes Problem. Man kennt die zugrunde liegende
Theorie, die QCD, aber sie ist in dem betrachteten Bereich nicht ohne mehr oder
weniger phänomenologische Modellannahmen zu lösen.

Schwere Quarks
Eine Ausnahme bilden dabei die Bindungszustände langlebiger schwerer Quarks.
Für Bindungszustände aus Charm-Quarks sowie Bottom-Quarks und -Antiquarks
ist die reduzierte Masse m1  m 2
M D (3.45)
m1 C m2
groß gegenüber der kinetischen Energie der Quarks, so dass eine nichtrelativistische
Betrachtung mit Potenzialen möglich wird. Da die relativistischen Korrekturen nur
quadratisch auftreten, ist eine Bindungsenergie von beispielsweise 0;35 GeV klein
gegenüber den schweren Quark-Massen von 1;8 GeV bzw. 4;5 GeV. Man kann da-
her erwarten, dass man Teilchenmassen aus einem geeigneten Potenzial mit einer
entsprechenden Genauigkeit ausrechnen kann.
Bei sehr großen Quark-Massen gibt es eine weiter gehende Hoffnung. Mit zu-
nehmender Masse der Quarks sollten dabei quantenmechanisch immer kleinere
Abstände involviert sein. Es ist denkbar, dass dabei Abstände erreicht werden, die
eine störungstheoretische Berechnung des Potenzials in niedrigster Ordnung der
QCD zulassen. In niedrigster Ordnung ist die Quantenchromodynamik völlig ana-
log zur Quantenelektrodynamik, und wie dort hat man daher in dem betrachteten
Grenzfall das Coulomb-Potenzial, das in Abb. 3.13a skizziert ist.
Für die beobachteten Bindungszustände der Charm- und der Bottom-Quarks ist
das Coulomb-Gebiet nicht erreicht. Bei der räumlichen Ausdehnung dieser Bin-
dungszustände scheint eine komplizierte Wechselwirkung der Farbfelder mit sich
selbst eine signifikante Rolle zu spielen, was eine verlässliche Berechnung der Po-
tenziale schwierig macht. Man muss sich daher darauf beschränken, die Form des
Potenzials zu fitten und auf diese Art die Konsistenz der Daten und der theoreti-
schen Vorstellung zu prüfen [100].
Gute Ergebnisse wurden dabei mit logarithmischen Potenzialen erzielt. Der Ver-
lauf eines solchen Potenzials ist in Abb. 3.13b skizziert. Eine charakteristische
Eigenschaft solcher logarithmischen Potenziale [102] ist, dass die relativen Anre-
gungsenergien unabhängig von der Masse der gebundenen Quarks sein sollen, was
die Ähnlichkeit des Bottomonium- und des Charmomium-Spektrums, die in der
Abb. 3.14 zu sehen ist, erklärt.
Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Bindungsenergien entscheidend nur
von einem Gebiet um die klassischen Umkehrpunkte abhängen und dass viele An-
sätze mit einem Übergang von einem steilen Coulomb-Gebiet in eine flachere,
beinahe lineare Abhängigkeit zu zufrieden stellenden Ergebnissen führen.
Als Beispiel ist ein konzeptuell attraktives Potenzial mit einem realistischen
QCD-Coulomb-Anteil im Nahbereich und einem gefitteten linear ansteigenden
Term gewählt. Man nimmt an, dass bei großem Abstand die Selbstwechselwirkung
in der Mitte eine vorgegebene Konfiguration erzeugt, wie es in Abb. 3.15a ange-
150 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.13 a Skizze des Cou-


lomb-Potenzials (V / 1=r)
b Skizze des logarithmischen
Potenzials

Abb. 3.14 Ähnlichkeit des


Bottomonium- und des Char-
monium-Spektrums [31]

deutet ist. Das Potenzial ist auf der linken Seite der Abb. 3.15b geplottet. Hat man
das Potenzial, kann man mit der Schrödinger-Gleichung die Resonanzenergien
ausrechnen. Sie sind auch auf der linken Seite eingezeichnet. Zustände, die nicht in
eC e -Vernichtungsstreuung gebildet werden können, sind gestrichelt. Das Photon
hat P D 1 und J D1, und ein erzeugtes Quark-Antiquark-System kann daher
nur einen Bahndrehimpuls L D 0 oder L D 2 haben.
Auf der rechten Seite sieht man das gemessene Spektrum der S- und der D-
Zustände, wie sie in der e C e  -Vernichtungsstreuung beobachtet werden. Die Reso-
nanzen sind als Spitzen im Wirkungsquerschnitt zu sehen. Linienbreiten unterhalb
der Zeichengenauigkeit sind als einzelne Striche gezeichnet.
Die Breite von Resonanzen wird durch die Zerfallsmöglichkeiten bestimmt. Un-
terhalb einer gewissen Schwellenenergie, die für die S- und die D-Zustände etwas
verschieden ist, werden die Resonanzen ungewöhnlich eng. Zum Beispiel ist die
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 151

Abb. 3.15 a Das Bindfaden-


Konzept des Potenzials b
Die Charmonium-Linien
(© Kramer [101])

Abb. 3.16 Der nach der a b


Zweig-Regel erlaubte (a) c
bzw. verbotene (b) Zer- c u− D c− d
 c− _  
fallsprozess u− D c −
c d

Breite des J = nur etwa 60 keV. Sie liegt 5 Dekaden unter typischen hadroni-
schen Zerfallsbreiten und beruht darauf, dass der gewöhnliche Zerfallsprozess, wie
er in Abb. 3.16a skizziert ist, nicht auftreten kann, da ein mit zusätzlichen leichten
Quarks zu produzierendes Paar von zwei „gecharmten“ D-Mesonen eine größere
Masse als das ursprünglich gebildete J = -Teilchen hätte. Im Prinzip kann sich na-
N
türlich das c c-Paar annihilieren, und ein entsprechendes leichtes Quark-Paar kann
die Impulse und Spins übernehmen (Abb. 3.16b). Eine empirische Beobachtung, die
Zweig-Regel genannt wird, besagt, dass solche Prozesse, in denen Valenz- und See-
Quarks ihre Rolle vertauschen, nur mit winzigen Amplituden beitragen und dass
sie mit wachsender Masse des Quark-Antiquark-Paares mehr und mehr verboten
sind.
152 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.17 Die Annihilation


des Charmoniums zu drei
Gluonen

Mit zunehmender Masse scheint der die Zweig-Regel verletzende Anteil mehr
und mehr störungstheoretisch (d. h. mit der niedrigsten Ordnung der QCD) behan-
delbar zu werden. Man erwartet, dass die Vernichtung der schweren Quarks dann
so stark lokalisiert ist, dass die Ausdehnung des Prozesses eine Beschreibung durch
die im Abschn. 4.2 behandelten Wechselwirkungen einzelner Partonen erlaubt. Die
beiden schweren Quarks annihilieren sich dann unter Abstrahlung von 2 oder 3
Gluonen, den Feldquanten des Farbfelds, wie es in Abb. 3.17 dargestellt ist. Da
die Gluonenkopplung bei der relevanten Lokalisierung ausreichend klein ist, bleibt
dieser die Zweig-Regel verletzende Beitrag winzig. Beim Verlassen des lokalisier-
ten Parton-Wechselwirkungsbereichs sammelt jedes dieser Gluonen eine geeignete
Zahl von See-Quarks aus dem Vakuum auf, ohne nennenswert Impuls zu verlieren,
und bildet mit diesen Quarks in einer zweiten Phase der Wechselwirkung geeig-
nete hadronische Zustände, die etwa in die Gluon-Richtung fliegen. Dies hat die
Konsequenz, dass auch umgekehrt der Impuls der am Ende in der entsprechenden
Richtung produzierten Teilchen etwa dem des ursprünglichen Gluons entspricht.
Indirekt hat man also die Möglichkeit, mit beschränkter Genauigkeit die Impulse
der zunächst produzierten Partonen zu bestimmen.
Das quantenelektrodynamische Analogon dazu stellt das sogenannte Positroni-
um dar; dieser Elektron-Positron-Bindungszustand kommt je nach Orientierung der
beiden Spins (Para- oder Ortho-Positronium) mit negativer oder positiver C -Parität,
C D .1/lCs , vor. Je nach C -Parität kann es in eine gerade oder ungerade Zahl von
Photonen zerfallen. Ein Zerfall in ein einzelnes Photon kommt wegen der Viererim-
pulserhaltung nicht in Frage, da das Photon masselos ist. Die elektromagnetische
Kopplung ist schwach, und die Amplitude fällt daher mit wachsender Photonen-
zahl rapide ab; in guter Näherung bedeutet gerade daher 2, und ungerade bedeutet
3 Photonen. Dasselbe gilt für Gluonen. In Anlehnung an dieses lange bekann-
N
te quantenelektrodynamische Phänomen bezeichnet man die q q-Bindungszustände
der schweren Quarks heute allgemein als Quarkonia.

Leichte Quarks
Über die Bindungsdynamik der Hadronen, die leichte Quarks enthalten, gibt es kei-
ne verlässlichen theoretischen Vorstellungen. Phänomenologisch scheint sich die
Situation weniger drastisch zu ändern, als man vielleicht annehmen sollte, und vie-
le Modellrechnungen führen zu vernünftigen Ergebnissen, wenn sie in dieses Gebiet
extrapoliert werden.
Es gibt viele andere Ansätze, die Massen abzuschätzen. Um die meisten Mas-
sen näherungsweise zu beschreiben, kann man dabei von Konstituenten-Massen der
Quarks ausgehen, die wir im Abschn. 3.1.5 kennen gelernt hatten, und eine geeigne-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 153

te Parametrisierung des Potenzials und der Wechselwirkung zwischen den Quark-


Spins annehmen.
Eine Ausnahme bildet das Pion. Seine Bestandteile enthalten nicht die üblichen
Konstituenten-Massen der Quarks.
In theoretischen Überlegungen zu fundamentalen Theorien spielen Massen, die
zunächst nicht in der Theorie vorkommen und nur durch die Dynamik „erzeugt“
werden, eine wichtige Rolle. Es besteht die Hypothese, dass, wenn in Theorien von
masselosen Teilchen irgendwie massive Zustände entstehen, gleichzeitig immer ei-
nige masselose Teilchen, die sogenannten Goldstone-Teilchen, auftreten müssen. In
der QCD mit masselosen Quarks würden die Pionen solche masselosen Goldstone-
Bosenen sein.
Da die „Current“-Massen der leichten Quarks klein sind, sollte sich das Bild in
einer realistischen Theorie mit nicht verschwindenden Quarkmassen nicht drastisch
ändern. Eine genauere Betrachtung (Chirale Störungsrechnung [103]) zeigt:

m2 D .mcurrent.u/ C mcurrent.d / /  MQCD (3.46)

wobei die Massenskala aus der QCD von der Größenordnung von 1 GeV ist.
Eine im Prinzip exakte Methode, Massen von Hadronen zu berechnen, beruht auf
der so genannten Gittereichrechnung. Ein zentraler Trick ist dabei meist, die Zeit in
die komplexe Ebene analytisch fortzusetzen („Wick rotation“) und die tatsächliche
Rechnung mit  D it nun enthalten in R durchzuführen. Die dazu benötigte Analy-
tizität folgt aus der Struktur der Gleichungen. Die Zeitentwicklung eines quanten-
mechanischen Zustands wird durch den Operator exp.iH t=„/ beschrieben. H ist
der Hamilton-Operator. Durch die Wick-Rotation wird er durch den Operator

exp.H =„/

ersetzt, der die Form einer Zustandssumme der statistischen Mechanik hat. Das
Problem, Massen zu bestimmen, reduziert sich darauf, in einem geeigneten Algo-
rithmus Feldkonfigurationen mit einer ihrer Wahrscheinlichkeit exp.H =„/ ent-
sprechenden Häufigkeit zu erzeugen und zu beobachten, wie schnell in diesen Kon-
figurationen Korrelationen mit dem Abstand abnehmen.
Die Wechselwirkung in den Hadronen wird durch die Quantenchromodynamik
beschrieben, die wir in Abschn. 4.2 einführen werden. Um die oben skizzierten
Methode anwenden zu können, approximiert man das Raum-Zeit-Kontinuum durch
ein diskretes Raum-Zeit-Punktgitter.
In Eichtheorien (wie der Quantenchromodynamik) gibt es dabei eine elegan-
te Methode, Eichfelder zu beschreiben, die darauf beruht, den Vektorpotenzial-
feldern Gitterseiten zuzuordnen. Das elektromagnetische Vektorpotenzialfeld A
hatten wir in (3.22) kennen gelernt. Ein ähnliches Feld existiert in der Quantenchro-
modynamik. Für die Beschreibung der Fermionen gibt es verschiedene Verfahren.
Will man auch die Erzeugung und Vernichtung von Fermionenpaaren berücksichti-
gen, erfordern Gitterrechnungen einen enormen numerischen Aufwand. Mit langen
Rechenzeiten auf modernen Großrechnern wird heute für die relative Größe der
meisten Massen eine Genauigkeit von etwa einem Prozent erreicht [104, 105].
154 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.18 Der Chew-Fraut-


schi-Plot

Wir betrachten nun die Abhängigkeit der Massen vom Bahndrehimpuls. Dabei
ist eine empirische Regelmäßigkeit wichtig, die die orbitale Anregung von sonst
identischen Teilchen betrifft. Die geforderte Identität schließt dabei diskrete Quan-
tenzahlen (wie die Parität) ein. (Dies ist im Prinzip notwendig, da im effektiven
Potenzial ein (kleiner) sogenannter Austauschterm auftritt, der die örtliche Position
von Quark und Antiquark vertauscht, und da das Vorzeichen eines solchen Beitrags
von der Parität abhängt.) Trägt man nun eine Serie von solchen sonst identischen,
orbitalen Anregungen als Funktion ihres Drehimpulses und des Quadrats ihrer Mas-
sen ein, so ergibt sich etwas idealisiert die in Abb. 3.18 dargestellte Situation. Eine
solche Abbildung heißt Chew-Frautschi-Plot. In der Abbildung sind die Anregun-
gen mit ungeraden Drehimpulsen dargestellt. Die Situation für gerade Drehimpulse
ist analog.
Die Resonanzen liegen auf Geraden. Die oberste Gerade, die verschiedene orbi-
tale Anregungen verbindet, heißt Regge-Trajektorie. Die darunter liegenden Gera-
den, die auf radiale Anregung zurückzuführen sind, heißen Tochter- oder „Daugh-
ter“-Trajektorien (d. h. Anregungen des Radialteils der Wellenfunktion).
Als Beispiele für die Chew-Frautschi-Darstellung sind in Abb. 3.19 die Flavor-
Quantenzahl-losen (S D 1)-Mesonen gezeichnet. Wenn man von kleineren Korrek-
turen absieht liegen alle Mesonen auf Geraden mit einheitlichem Anstieg. Die vier
Trajektorien der Mesonen mit Isospin 1 bzw. 0 und mit gerader bzw. ungerader Pari-
tät liegen übereinander („exchange degeneracy“). Ähnliche Trajektorien existieren
für Baryonen [85, 107].

3.2 Hadronische Streuvorgänge

Wir wollen jetzt Vorgänge bei etwas höheren Energien betrachten. Erinnern wir uns
zunächst an die Energieabhängigkeit des totalen Wirkungsquerschnitts. Auf eine
Region unterhalb von Schwerpunktenergien von etwa 3 GeV, in der einzelne Reso-
nanzen sichtbar werden, folgt ein Gebiet mit einem glatten, abfallenden Verhalten
des Wirkungsquerschnitts. Dies ist das Gebiet der Regge-Pol-Physik, die in den
60er Jahren entwickelt wurde und deren grundlegende Züge hier kurz beschrieben
werden.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 155

Abb. 3.19 Die Flavor-


Quantenzahl-losen (S D
1)-Mesonen (© Desgro-
lard [106])

Abb. 3.20 Die Impulse in


der Zwei-Teilchen-Streuung

3.2.1 Regge-Pol-Modell

Das Regge-Pol-Modell erlaubt eine einfache, quantitativ korrekte Parametrisierung


der relevanten Daten in diesem Energiebereich. Es ist der einzige Zugang zu diesen
Daten. Es hat zu vielen Vorhersagen geführt, die bis zu den höchsten heute verfüg-
baren Energien ihre Gültigkeit haben. Viele Techniken der Datenanalyse sind am
Regge-Pol-Modell entwickelt worden [85, 108, 109, 107].
Ein Problem mit der Regge-Pol-Physik (und den auf ihr aufbauenden Gebie-
ten) ist, dass bis heute keine Verbindung zu einer einfachen fundamentalen Theorie
hergestellt wurde, die über etwas vage Vorstellungen hinausgeht. Das ist unbefrie-
digend im Vergleich zur Physik der Partonen und Leptonen, wie sie im nächsten
Kapitel beschrieben wird. Die Regge-Pol-Physik ist vergleichbar mit Gebieten der
Kernphysik, in denen mikroskopische Theorien nicht anwendbar sind.

Mandelstam-Variablen
In dem betrachteten Energiebereich dominieren Zwei-Teilchen-Streuungen. Befas-
sen wir uns daher zunächst etwas näher mit der Kinematik des elastischen oder
inelastischen Zwei-Teilchen-Prozesses. In Abb. 3.20 ist die Definition der auftre-
156 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.21 Die Mandelstam-


Variablen

tenden Viererimpulse dargestellt. Wir hatten in Abschn. 2.5.1 gesehen, dass die re-
levante kinematische Situation vollständig durch die Einfallsenergie und die Streu-
winkel beschrieben werden kann, wobei der azimutale Anteil üblicherweise keine
Rolle spielt. Betrachtungen über die zur Verfügung stehende Gesamtenergie hatten
uns gezeigt, dass es vorteilhaft ist, Lorentz-invariante Parameter einzuführen, und
wir wollen mit dieser Forderung jetzt auch die systemabhängigen Winkel eliminie-
ren. Dazu definieren wir die sogenannten Mandelstam-Variablen

s D .pa C pb /2 D .pa0 C pb 0 /2 ;
t D .pa  pa0 /2 D .pb  pb 0 /2 ; (3.47)
u D .pa  pb 0 / D .pa0  pb /
2 2

als geeignete Viererimpulsquadrate.


In den Produkten entsprechen die nichtgemischten Terme Quadraten der Teil-
chenmassen

pa2 D m2a ; pb2 D m2b ; pa20 D m2a0 und pb20 D m2b 0 ; (3.48)

so dass für die Beschreibung der Kinematik nur die gemischten Terme interessant
sind. Von den sechs möglichen gemischten Termen sind drei durch die Identitäten
auf der rechten Seite von (3.47) festgelegt.
Da es bekanntlich nur zwei unabhängige Variablen gibt, wurde eine der Man-
delstam-Variablen nur aus Symmetriegründen beibehalten. Das ist akzeptabel, da
die gegenseitige Abhängigkeit der Mandelstam-Variablen sich durch eine einfache
Relation beschreiben lässt:
X
sCt CuD m2i : (3.49)
i Da;b;a0 ;a0

Die Relation (3.49) kann leicht durch explizites Ausmultiplizieren gezeigt werden.
(Betrachten wir identische Massen. Die nicht gemischten Terme sind 6m2 . Die ge-
mischten Terme sind 2pa  pb  2pa  pa0  2pa  pb 0 D 2m2 ; wobei die Relation
pa0 C pb 0 D pa C pb benutzt wurde.)
Mit drei zueinander um 60ı geneigten Koordinatenachsen ist es möglich, diese
Beziehung in einem Dreiecksgraphen direkt zu implementieren, wie es in Abb. 3.21
gezeigt ist. Dass die Summe in einem solchen Dreiecksgraphen konstant ist, ist
geometrisch durch geeignete Spiegelungen zu sehen.
Aus der Energie- und Impuls-Erhaltung und den bekannten Massen folgt der
kinematisch zulässige Bereich der Variablen. Falls keine Massenunterschiede auf-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 157

treten, ist er
s > .ma C mb /2
t <0 (3.50)
u<0:
Für identische Massen der Streuteilchen gilt im Schwerpunktsystem

s D C4  Ea2 ;
t D 2  p 2 
a .1  cos # /;
u D 2  p 2 
a .1 C cos # / :

Zu diesen Relationen gibt es kleine Korrekturen, und zwar für t, falls Massendif-
ferenzen zwischen ein- und auslaufenden Teilchen auftreten, und für u, wenn die
Streuung zwischen Teilchen mit verschiedenen Massen erfolgt.
Wie gesagt entspricht die Variable s dem Quadrat der Schwerpunktenergie. In
analoger Weise bezeichnet die Variable t (bzw u) das Quadrat des ausgetausch-
ten Viererimpulses. Im Lorentz-System, in dem die Energien eines ein- und eines
auslaufenden Teilchens identisch sind (wie es im nichtrelativistischen Bereich für
elastische Streuung immer der Fall wäre), entspricht t (bzw. u) gerade dem Negati-
ven des ausgetauschten Dreierimpulsquadrats. Ein Streuwinkel null bedeutet daher
ein minimales t und maximales u. Eine Rückwärtsstreuung erfordert umgekehrt
ein maximales t und ein minimales u.
Wie hängen die experimentellen Daten von diesen Variablen ab? Die s-Abhän-
gigkeit (Abb. 3.10) wurde schon besprochen. Wenden wir uns jetzt der t -Abhängig-
keit zu. Im Resonanzgebiet war die Winkelabhängigkeit durch den Drehimpuls und
durch die Parität der Resonanzen bestimmt. Wir hatten dazu die Partialwellenana-
lyse kennen gelernt. Die Winkelabhängigkeit in diesem Gebiet war vergleichsweise
isotrop (ohne exponenzielle Abhängigkeiten). Eine t -abhängige Parametrisierung
wird interessant, wenn man Energien erreicht hat, die oberhalb des typischen Reso-
nanzgebiets liegen.
Für eine solche Energie von EL D 5 GeV ist die experimentelle t-Abhängigkeit
elastischer Prozesse in Abb. 3.22 dargestellt [110]. Sehen wir von lokalen Struktu-
ren ab und konzentrieren uns auf das globale Verhalten. Alle Prozesse haben einen
sehr steilen Anstieg in Vorwärtsrichtung bei t D 0. Man beachte dabei, dass die
Skala logarithmisch ist und dass die Spitze tatsächlich viele Zehnerpotenzen be-
trägt. Der dominante Beitrag zum Wirkungsquerschnitt kommt also von Prozessen,
in denen das Teilchen a als Teilchen a0 mehr oder weniger ungestreut mit seinem
alten Impuls weiterfliegt.
Zusätzlich zu dieser Vorwärtsspitze gibt es bei einigen dieser Prozesse eine meist
kleinere Rückwärtsspitze. In solchen Prozessen kommt es also zu einer Art Aus-
tausch, bei dem der Impuls des einen Teilchens a auf das andere Teilchen b 0 über-
tragen wird. Dieser Prozess hängt sehr stark von den Quantenzahlen der Teilchen
ab. Die Rückwärtsspitze ist natürlich trivial für die Streuung zweier gleicher Teil-
chen, bei denen zwischen a0 und b 0 nicht unterschieden werden kann. Der Rück-
wärtsbeitrag ist aber auch bei einigen nicht-trivialen Reaktionen deutlich stärker
158 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.22 Die t -Abhän-


gigkeit des differenziellen
Wirkungsquerschnitts
(© Johnson [110])

als bei anderen. So ist z. B. der Wirkungsquerschnitt für K C p anderthalb Zehner-


potenzen über dem von K  p. Der zugrunde liegende dynamische Effekt kann in
einem einfachen Modell verstanden werden, das im nächsten Abschnitt besprochen
wird.

Ein-Teilchen-Austausch-Modell
Von der Kernphysik kennen wir eine Wechselwirkung, die kleine Impulsüberträge
bevorzugt. Gemäß Yukawas Theorie der Kernkräfte entsteht eine solche Wechsel-
wirkung zwischen zwei Hadronen durch den Austausch eines Pions. Extrapoliert
man das Modell zu den hier betrachteten Streuenergien, sollten die typischen
Impulsüberträge anwachsen, so dass die Massen der ausgetauschten Teilchen
unwichtiger werden und auch schwerere Austauschteilchen eine Rolle spielen.
Diese Extrapolation ist die grundlegende Idee des Ein-Teilchen-Austauschmo-
dells [58].
Ein Erfolg des Ein-Teilchen-Austausch-Modells ist, dass es richtig vorhersagt,
für welche Prozesse Spitzen in einer Rückwärtsstreuung auftreten und für welche
nicht. Betrachten wir die Prozesse   p ! p   und K  p ! p K  als Beispiele.
Hierbei ist die Notation so gewählt, dass das vorwärts fliegende Teilchen jeweils
zuerst aufgeführt wird, so dass es sich in beiden Fällen um eine Rückwärtsstreuung
handelt.
Um uns zurechtzufinden, zeichnen wir zunächst in Abb. 3.23 ein Diagramm,
in dem die Bewegungen der Valenz-Quarks (Quark-Flussdiagramm) während der
  p-Streuung dargestellt werden. Für die Rückwärtsstreuung, bei der der Impuls
des Protons im Wesentlichen in den Impuls des Pions übergeht, benötigt man einen
3.2 Hadronische Streuvorgänge 159

Abb. 3.23 Das Quark-Fluss-


diagramm der   p-Streuung

Abb. 3.24 Der Ein-Teilchen-


Austausch-Beitrag zur   p-
Streuung („t-Kanal“)

Austausch von drei u -Quarks. Da ein solcher Zustand, das CC , existiert, erwartet
man im Ein-Teilchen-Austausch-Modell einen Beitrag zur Rückwärtsstreuung, wie
er in Abb. 3.24 skizziert ist.
Betrachten wir nun das Quark-Flussdiagramm in der K  p -Rückwärtsstreuung.
Das Quark-Flussdiagramm ist in Abb. 3.25 dargestellt. Ein Austausch von fünf
Quarks ist notwendig. Da Zustände mit fünf Valenz-Quarks keinen Resonanzen ent-
sprechen, kann es in diesem sogenannten „exotischen“ (d. h. nicht bekannten Teil-
chen entsprechenden) Prozess auch keinen Ein-Teilchen-Austausch in der Rück-
wärtsstreuung geben. Das Ein-Teilchen-Austausch-Modell erklärt somit qualitativ
das Verhalten der Daten, wie es in der Abb. 3.22 zu sehen war.
Ermutigt durch diesen Erfolg, versuchen wir jetzt, mit unserer Vorstellung über
einen solchen Teilchenaustausch präziser zu werden. Dazu betrachten wir zunächst
den „gekreuzten Prozess“, wie er in Abb. 3.26 dargestellt ist. In der nichtrelativisti-

Abb. 3.25 Das Quark-


Flussdiagramm der K  p-
Streuung

Abb. 3.26 Der zu dem in


Abb. 3.24 dargestellten Bei-
trag „gekreuzte“ Prozess
(„s-Kanal“)
160 3 Einführung in die Hadronenphysik

schen Resonanzphysik hatte dieser Prozess mit einer Resonanz eine Amplitude der
Form

1 1 l =2
f .s; t; u/ D  T .s; t; u/ D .2l C 1/   Pl .cos #  / ;
p p .E  ECC / C il =2
(3.51)
wobei der Bruch gerade der Resonanzbeitrag zur Partialwellenamplitude tl war.
In der Formel ist der rein elastische Fall betrachtet, in dem der Zähler durch die
Normierung festgelegt ist. Spineffekte sind vernachlässigt. Wir nehmen an, dass
sich dieser Ausdruck mit geeigneter Energieabhängigkeit der Zerfallsbreite  auch
außerhalb des Resonanzgebiets fortsetzen lässt. Für das Verhalten außerhalb des
unmittelbaren Resonanzgebiets kann man den relativ kleinen Imaginärteil i =2
im Nenner vernachlässigen, seinen Realteil kann man nach Multiplikation mit
E C ECC durch die Mandelstam-Variable ausdrücken. Definitionsgemäß ist
E 2  E2 CC D s  M2 CC . Man erhält einen Ausdruck der Form

 
Ql .s/ 2u
T .s; t; u/ D .2l C 1/   Pl 1 ; (3.52)
s  M2 CC s  4m2

wobei Ql geeignet definiert ist und wir in der Relation

2u
cos #  D 1 (3.53)
.s  4m2 /

der Einfachheit halber die Massenunterschiede in Relation zur Variablen s vernach-


lässigt haben. Der Winkel #  beschreibt die Richtung des Pions. (Beweisskizze
von 3.53): u D m2 C m2  2.E 2 C jpj2 cos #  / D 2jpj2 .1 C cos #  /, wobei gilt:
s D .2E/2 D 4jpj2 C 4m2 .)
Aus dem betrachteten „Resonanzbeitrag“ zu einer Amplitude versuchen wir, den
in Abb. 3.24 gezeichneten Austauschbeitrag zu berechnen. Der Übergang vom obi-
gen Prozess  C p !  C p in die Rückwärtsstreuung   p ! p  beinhaltet dabei
einfach eine Vertauschung eines einlaufenden und eines auslaufenden Mesons. Da
in einer relativistischen Beschreibung „einlaufende“ Teilchen mit negativer Energie
als auslaufende Antiteilchen mit positiver Energie zu interpretieren sind und umge-
kehrt, entspricht der Übergang vom Teilchen-Resonanzprozess zum ursprünglichen
Teilchen-Austauschprozess einer analytischen Fortsetzung zu Impulswerten mit ne-
gativer Energie. Die zentrale Annahme ist dabei, dass die zu einem solchen Beitrag
gehörende Amplitude sich in ihrer analytischen Abhängigkeit von den Viererimpul-
sen nicht ändert, wenn ein wechselndes Vorzeichen der Energie ein auslaufendes
Teilchen in ein einlaufendes Antiteilchen transformiert.
Für den obigen Ausdruck bedeutet der Übergang eine Vertauschung der Impulse
der beiden Mesonen pa $ pa0 . Bei der Durchführung der Vertauschung wird uns
die symmetrische Definition der Mandelstam-Variablen zu Hilfe kommen. Für die
3.2 Hadronische Streuvorgänge 161

Abb. 3.27 Das Gebiet des Resonanz−


Austausch- und Resonanz- gebiet
beitrags in Mandelstam-
Variablen

t u
s

Austausch− Austausch−
gebiet gebiet

Mandelstam-Variablen entspricht die Vertauschung einem Austausch von

sAustauschprozess D uResonanzprozess ;
tAustauschprozess D tResonanzprozess ; (3.54)
uAustauschprozess D sResonanzprozess :

Der physikalische Bereich der Mandelstam-Variablen ist damit erweitert. Je nach


den Vorzeichen der ursprünglichen Variablen beschreibt man verschiedene Reakti-
onskanäle (d. h. hier s 0 und t; u < 0 für den Resonanzprozess und u 0 und
s; t < 0 für den Austauschprozess), wie es in der in Abb. 3.27 dargestellten Skizze
zu sehen ist. Je nachdem, in welcher Variablen ein Resonanzpol auftritt, spricht man
von s-Kanal- oder u-Kanal-Prozessen.
Der oben betrachtete „Resonanzbeitrag“ trägt daher mit der folgenden Amplitu-
de zur Rückwärtsstreuung bei:
 
Ql .u/ 2s
T
p  !  p.s; t; u/ D T .u; t; s/ D .2l C 1/   Pl 1 :
u  M2 CC u  4m2
(3.55)
Man beachte, dass u  0 ist, so dass der Resonanzpol nicht mehr im physikalischen
Gebiet auftritt. Die Amplitude wird mit der Entfernung von dem Pol in u abfallen,
leichte Austauschteilchen werden dabei mehr beitragen als schwere.
Das Modell erklärt die qualitativen Eigenschaften der Rückwärtsstreuung. Quan-
titativ war das reine Ein-Teilchen-Austausch-Modell allerdings nicht sehr erfolg-
reich. Dazu kommt – wie wir gleich sehen werden – ein ernstes theoretisches Pro-
blem.
Der untersuchte Beitrag zur Rückwärtsstreuung mit einem Baryon-Austausch
liefert meist nur einen winzigen Beitrag zum gesamten Wirkungsquerschnitt.
Weitaus wichtiger für typische Streuvorgänge ist der Meson-Austauschbeitrag
zur Vorwärtsstreuung. Für Vorwärtsstreuung tritt der Pol im Quadrat des ausge-
tauschten Impulses pa0  pa , d. h. in t, auf. In Betrachtungen muss man daher die u-
Variable durch die t-Variable ersetzen. Außerdem ist das Vorzeichen im Argument
162 3 Einführung in die Hadronenphysik

des Legendre-Polynoms (cos # ! cos   #) zu ändern. Im Folgenden werden wir


diesen Beitrag betrachten.
Das theoretische Problem betrifft das Hochenergieverhalten. Die führende Po-
tenz des Polynoms Pl .x/ ist x l , und für große s -Werte hat man damit:
 
2s s!1
Pl 1 C ! / .s/l : (3.56)
t  4m

Für l  2 verletzt ein solcher Beitrag mit wachsendem s früher oder später die
Unitaritätsrelation j1 C 2iT j < 1 (siehe Abschn. 2.5.3).
Man nimmt an, dass dies kein prinzipielles Problem ist, sondern dass unter-
schiedliche Vorzeichen, die in der Summation über Beiträge mit verschiedenen
Drehimpulsen auftreten, die störenden Terme beseitigen. Um zu einer brauchba-
ren Beschreibung der Amplituden ausgetauschter Teilchen zu gelangen, muss man
daher zunächst geeignete Teilsummen über Resonanzbeiträge ausführen, um so
zu Termen zu gelangen, die sich auch bei Fortsetzung in den t -Kanal vernünftig
verhalten. Da Austauschteilchen mit unterschiedlichen Quantenzahlen in diversen
Prozessen mit verschiedenen Gewichten beitragen, muss die Kürzung zwischen
Amplituden von Resonanzen verschiedener Bahndrehimpulse mit sonst identischen
Quantenzahlen stattfinden.
Im nächsten Abschnitt wird sich in einer etwas komplizierten Betrachtung her-
ausstellen, dass dazu die Summation über die Teilchen einer Regge-Trajektorie
ausreicht und dass sich die Summe als einzige Potenz (siehe 3.61) schreiben lässt.

Mit der Sommerfeld-Watson-Transformation zum Regge-Pol


Um dabei unabhängig von der speziellen Form der Trajektorie zu bleiben, ist ein ge-
wisser mathematischer Aufwand erforderlich. Die auszuführende Summe über die
Beiträge einer Regge-Trajektorie von Teilchen mit geraden bzw. ungeraden Dre-
himpulsen hat im s -Kanal die Form
X  
2s
TAustausch .s; t; u/ D .2l C 1/  tl  Pl 1 C : (3.57)
t  4m2
lD0;2; bzw: lD1;3;

Wegen der Paritätsabhängigkeit der leichteren Resonanzen auf der Trajektorie ist es
dabei notwendig, die geraden und die ungeraden Drehimpulse separat zu behandeln.
Wir betrachten im Folgenden den Beitrag der ungeraden Pole.
Wir dehnen den Wertebereich des zunächst diskreten Parameters l in die kom-
plexe Ebene mit Rel  1=2 aus. Für eine weite Klasse von Potenzialen in der
nichtrelativistischen Theorie ist der Summand, abgesehen von einzelnen Polen, ei-
ne analytische Funktion. Wir nehmen jetzt an, dass dies auch in der relativistischen
Theorie der Fall ist. Der Summand ist daher auch im nicht physikalischen Bereich
definiert. Dies ermöglicht es, die Summe durch ein Cauchy-Integral darzustellen.
(Nach dem Satz von Cauchy ist ein Integral über einen geschlossenen Weg gerade
proportional zur Summe der Residuen der eingeschlossenen Pole.) Da ein Weginte-
gral gerade die Summe der Residuen der umfahrenen Pole „aufpickt“, kann man in
3.2 Hadronische Streuvorgänge 163

Abb. 3.28 Pfad des Cauchy-


Integrals, das die Summe
über Austauschteilchen er-
setzt

der folgenden Weise vorgehen:


Z    
1 exp.il/  1 2s
TAustausch .s; t; u/ D  dl  .2l C 1/  tl  Pl 1 C :
2i 2  sin l t  4m2
Weg

Dabei führt das Wegintegral in der in Abb. 3.28 dargestellten Weise gerade um die
Pole des Faktors in der geschweiften Klammer.
Die Amplitude tl eines Resonanzbeitrags hat die folgende Form:

Ql .t/
tl D : (3.58)
.t  m2l /

Das Quadrat der Resonanzmasse m2l ist eine Funktion der komplexen l-Werte. Die
im Chew-Frautschi-Plot beobachteten geraden Teilchen-Trajektorien legen die An-
nahme nahe, dass es einen invertierbaren Zusammenhang zwischen l und m2l gibt.
Wir definieren jetzt das Inverse dieser Funktion

˛.m2l / WD l :

Im für die Pole relevanten Gebiet um die Resonanzen gilt daher

Ql .t/ Ql .t/  d˛.t/=dt


tl D D : (3.59)
t  ˛ 1 .l/ ˛.t/  l

Die Amplitude der betrachteten Trajektorie enthält also (wenn keine Probleme
im Zähler auftreten) nur einen einzigen Pol bei l D ˛(t). Um dies zu nutzen, ver-
schiebt man das Wegintegral – ohne den Wert des Integrals zu ändern –, bis der
in Abb. 3.29 dargestellte Weg erreicht wird. Ein vorwärts und rückwärts durchlau-
fenes Stück kann offensichtlich zum Wegintegral nichts hinzufügen. Es gibt zwei
Beiträge: einen von der inneren und einen von der äußeren Integrationsschleife.
Man nimmt an, dass der Integrand bei jlj D 1 und l D 0;5 verschwindet.
Mit etwas Optimismus ignoriert man daher den Beitrag über den äußeren Teil des
Weges und integriert nur den inneren Beitrag um den Pol wieder mit dem Satz von
Cauchy, diesmal mit einem umgekehrten Drehsinn. Anstelle der Summe über die
164 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.29 Pfad des Cauchy-


Integrals, das den Beitrag
eines Regge-Pols enthält

Resonanzen der Trajektorie haben wir jetzt einen einzelnen Term. Die Amplitude
der Trajektorie ist

TAustausch .s; t; u/ D
   
exp.i ˛.t//  1 d˛.t/ 2s
   .2˛.t/ C 1/  Q˛.t /   P˛.t / 1 C :
2  sin. ˛.t// dt t  4m2
(3.60)

Im s-Kanal besteht die Funktion Q˛.s/ .s/ aus einem Produkt eines Produktionsfak-
tors und eines Zerfallsfaktors (vergleiche Abschn. 2.6.1). Die Funktion lässt sich
daher als Produkt zweier Faktoren schreiben, die nur von den Teilchen am jeweili-
gen Vertex abhängen. Da die Größen dieser Faktoren unbekannt sind, schreiben wir
mit einer für später geeignet gewählten Definition der Funktionen ˇ1 .t/ und ˇ2 .t/:
 
2s
TAustausch .s; t; u/ D ˇ1 .t/  ˇ2 .t/  exp.i ˛.t//  P˛.t / 1 C :
t  4m2
Vom ursprünglichen Ausdruck mit im t -Kanal ausgetauschten Resonanzen wissen
wir, dass im t -Kanal keine großen jtj -Werte (t < 0) auftreten. Für große s -Werte
gilt daher
   ˛.t /
2s s
P˛.t / 1 C  exp.i ˛.t//  :
jtj  4m2 s0
Die Amplitude hat damit die folgende endgültige Form:
 ˛.t /
s
TAustausch .s; t; u/ D ˇ.t/  ˇ1 .t/  : (3.61)
s0
Man hat also eine kompakte Schreibweise für die Summe der Beiträge aller Re-
sonanzen der Trajektorie. Wegen der Struktur in der komplexen l-Ebene spricht
3.2 Hadronische Streuvorgänge 165

Abb. 3.30 Grafische Dar-


stellung eines Regge-Pol-
Austauschs

man dabei von der „Regge-Pol“-Austauschamplitude, die man wie einen Feynman-
Graphen darstellt (Abb. 3.30). Die s-Abhängigkeit genügt einer Potenz, die von t
abhängt.
Da die Werte der ˛-Funktion für negative t -Werte kleiner als eins sind, fällt
der Wirkungsquerschnitt mit wachsender Energie, und die Unitarität ist daher kein
Problem mehr. Bei großen Energien wird die t -Abhängigkeit vom letzten Faktor
dominiert. Bei einer etwa linearen Funktion ˛ erwartet man einen exponenziellen
Abfall in t.

Regge-Pole im Experiment
Betrachten wir zunächst den differenziellen Wirkungsquerschnitt
d
D jf .#  /j2 : (3.62)
d'  d cos # 
p
Wegen dt  s  d cos #  und f .#  /  TAustausch .s; t; u/= s gilt für große s -Werte
 2˛.t /2
d s
 s 2 jTAustausch j2  jˇ1 .t/j2  jˇ2 .t/j2  : (3.63)
dt s0
Das ist eine sehr kompakte Form, die man mehr oder weniger losgelöst von der
Herleitung für „Fits“ zu experimentellen Daten verwendet hat.
Der Regge-Pol-Austausch ist nur einer der Beiträge zur Streuamplitude. Es gibt
eine Komponente zur Streuung, die nicht von den Quark-Flavors abhängt und die
offensichtlich nicht auf einen Meson-Regge-Pol-Austausch zurückzuführen ist. Um
den Beitrag von Regge-Polen zu isolieren, hat man zwei Möglichkeiten. Man muss
entweder Prozesse mit Flavor-Austausch (wie er z. B. in der Rückwärtsstreuung
auftrat) messen, in der nur die Regge-Amplituden beitragen, oder man muss sich
die Flavor-Abhängigkeit vornehmen und geeignete Differenzen von Wirkungsquer-
schnitten mit verschiedenen Flavor-Zuständen betrachten, so dass der Flavor-ab-
hängige Regge-Pol-Beitrag zur Amplitude übrig bleibt.
Die Energieabhängigkeit des differenziellen Streuquerschnitts eines Regge-Pol-
Austauschprozesses erlaubt es, mit Hilfe von (3.63) seine Trajektorienfunktion
˛.t/ im Bereich negativer t-Werte direkt (d. h. ohne Kenntnis der Residuenfunk-
tion ˇ.t/) experimentell zu bestimmen. Das Ergebnis einer solchen Analyse ist in
Abb. 3.31 für die -Trajektorie dargestellt [111]. Die erhaltenen Datenpunkte fol-
gen der von der Resonanzproduktion bekannten Geraden. Eine ähnliche Situation
166 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.31 Die t -Abhän-


gigkeit der wichtigsten
Regge-Trajektorie (adaptiert
nach [111])

existiert für die anderen Trajektorien. Diese Übereinstimmung wäre völlig unver-
ständlich, wenn die grundlegenden Annahmen über den Zusammenhang zwischen
ausgetauschten Resonanzen und Regge-Polen nicht korrekt wären.
Bei hohen Energien wird früher oder später natürlich immer die größte Tra-
jektorie eine dominante Rolle spielen. Die Parametrisierung der höchst gelegenen
Meson-Trajektorien ist etwa

˛.t/ D 0;5 C 0;8  t : (3.64)

Tatsächlich handelt es sich dabei um vier Trajektorien mit den Quantenzahlen der
Tab. 3.8.
Die „höchste“ Trajektorie beschreibt den Abfall eines Querschnitts mit steigen-
der Energie. Betrachten wir dazu das Verhalten der totalen Wirkungsquerschnitte.
Da nach dem optischen Theorem der Wirkungsquerschnitt proportional zum Ima-
ginärteil der Vorwärtsstreuamplitude ist, kommt es bei hohen Energien (wobei:
s D E 2Schwerpunktsystem  2pLab. mProton ) zu der folgenden s-Abhängigkeit:

total  s ˛.t D0/1  s 1=2 : (3.65)

Die PLab. -Abhängigkeit der experimentellen Wirkungsquerschnitte ist hierzu in


Abb. 3.32 dargestellt. Der Regge-Beitrag ist der mit steigender Energie abneh-
mende Anteil. Um ihn zu isolieren, wurden in Abb. 3.33 geeignete Differenzen
dargestellt. Sein Beitrag fällt genau in der erwarteten Weise mit wachsender Ener-
gie ab.
Bei höheren Energien wird der Pomeron-Beitrag, den wir im nächsten Abschnitt
im Detail besprechen werden, mehr und mehr dominant. Er ist für den fast kon-
stanten Beitrag verantwortlich, der für Teilchen und Antiteilchen identisch ist. In
grober Näherung hängt die Größe des Pomeron-Beitrags zum totalen Wirkungs-
querschnitt vom Produkt der Valenzquark-Zahlen der beiden einlaufenden Teilchen
ab. Der Meson-Baryon-Wirkungsquerschnitt ist daher etwa 2/3 des Baryon-Baryon-
Querschnitts.

Tab. 3.8 Wichtige Meson- Parität D C1 Parität D 1


Trajektorien Isospin-Singulett f0 !
Isospin-Triplett a2 
3.2 Hadronische Streuvorgänge 167

Abb. 3.32 pLab. -Ab-


hängigkeit des totalen
Wirkungsquerschnitts im
Regge-Gebiet (aus [112])

Eine ähnliche, zunächst empirische Beobachtung existiert für die Größe des
Regge-Beitrags zum totalen Wirkungsquerschnitt. Seine Größe wird von der Zahl
der passenden Valenz-Quark-Antiquark-Paare, die aus beiden einfallenden Teil-
chen stammen und die sich im Streuvorgang gegenseitig annihilieren können, be-
stimmt.

Abb. 3.33 Die pLab. -Abhän-


gigkeit des Regge-Beitrags
zum totalen Wirkungsquer-
schnitt (© Giacomelli [113])
168 3 Einführung in die Hadronenphysik

Betrachten wir zur Illustration zunächst die Kp -Streuung. Da es zwei Möglich-


keiten für ein uuN -Paar in der K  p -Streuung gibt, hat man für die K  p -Streu-
ung im totalen Wirkungsquerschnitt einen Regge-Beitrag mit dem Gewicht zwei.
Da es keine für eine Annihilation passenden Paare in der K C p -Streuung (siehe
Abb. 3.25) gibt, kann es hier keinen solchen Beitrag geben.
Für die in Abb. 3.33 dargestellten Differenzen erwartet man daher Regge-Bei-
träge mit den folgenden Gewichten:
8
ˆ ˙
<5 D 1 C 2 2  0 für pp
  2 D 2 1  0 für pK ˙ (3.66)

1 D 2 1  1 1 für p ˙ ;

die sich in den Daten angenähert wiederfinden.


Eine solche Abhängigkeit erscheint auf den ersten Blick etwas seltsam für eine
Regge-Pol-Austauschreaktion. Der Betrag der Vertexfunktion ˇ.t/ kann sich nicht
bei einer Vertauschung des ein- und des auslaufenden Teilchens a und a0 ändern.
Das heißt in unserem Beispiel, dass die Größe des Beitrags zu der K  p -Streuung
abgesehen von einem möglichen (meist unwichtigen) Vorzeichenwechsel der Größe
des Beitrags in der K C p -Streuung entsprechen sollte. Dieses Ergebnis ist nicht
einfach zu umgehen, da unsere Überlegungen auf der Fortsetzbarkeit in gekreuzte
Kanäle basierten.
Das beobachtete Ausbleiben eines Regge-Beitrags zur K C p-Streuung wird
durch die Existenz einer zweiten Regge-Trajektorie erklärt, die, abgesehen von
der entgegengesetzten Parität, identische Eigenschaften hat. Die Existenz einer
solchen Trajektorie hatten wir in Abb. 3.19 kennen gelernt. Beide Beiträge haben
dann im Falle der elastischen K C p -Streuung gerade ein entgegengesetztes Vorzei-
chen und ergeben zusammen einen verschwindenden Beitrag zum Imaginärteil der
(t D 0)-Amplitude. Dass beide Terme betragsgleich sind, ist dabei zunächst eine
unbefriedigende Zufälligkeit, für die eine Erklärung erforderlich ist.

3.2.2 Topologische Betrachtungen und Pomeranchuk-Pol

Die bisher behandelte Resonanz- und Regge-Pol-Physik basiert weitgehend auf


Konzepten, die aus der nichtrelativistischen Potenzialtheorie entnommen wurden,
d. h. auf der Hoffnung, dass relativistische Effekte auf einer qualitativen Ebene, bei
der man nur ein grobes Verständnis anstrebt, keine große Rolle spielen. Im Folgen-
den werden wir nun einige Phänomene kennen lernen, die enger mit relativistischen
Effekten verknüpft sind.

Das Konzept der Dualität


Am Ende des vorigen Abschnitts hatten wir eine konzeptuelle Schwierigkeit kennen
gelernt. Die Analyse von Wirkungsquerschnitten führte zu Regge-Amplituden, die
auftreten, wenn das im „t-Kanal“ ausgetauschte System die Quantenzahlen eines
3.2 Hadronische Streuvorgänge 169

Abb. 3.34 Der Regge-Bei-


trag extrapoliert zu niedrigen
Energien (B) im Vergleich
zu niederenergetischen ex-
perimentellen Daten (A). In
diesem Zusammenhang un-
wichtige Massenkorrekturen
an den Skalen sind vernach-
lässigt. (© Igi et al. [114])

Teilchens hat. Beim totalen Wirkungsquerschnitt hing (vergleiche 3.61) der Regge-
Beitrag direkt von den Quantenzahlen des einlaufenden Systems ab, als ob zwi-
schenzeitlich („s-Kanal“-)Resonanzen gebildet werden müssten.
Betrachten wir dazu noch einmal die totalen Wirkungsquerschnitte der   p- und
der  C p-Streuung. Um zu einem übersichtlicheren Bild zu gelangen, haben wir in
1=2
p s multiplizierte Differenz der beiden Wirkungsquerschnitte als
Abb. 3.34 die mit
Funktion von s dargestellt [114]. Die durchgezogene Linie extrapoliert den in
etwa konstanten Regge-Beitrag in das Resonanzgebiet. Betrachtet man ein geeig-
netes Intervall um eine Resonanz, so entspricht der gemittelte Beitrag der Resonanz
gerade dem extrapolierten Regge-Beitrag. Man hat also nicht eine Summe von zwei
Termen, sondern eine Art von kontinuierlichem Übergang von einer Resonanz- zu
einer Regge-Amplitude. Diese empirische Beobachtung wird semilokale Dualität
genannt.
Ist unser Bild von Regge-Polen als t-Kanal-Austausch damit falsch und sind
Regge-Pole vielleicht in Wirklichkeit aus s-Kanal-Resonanzen herzuleiten? Die
Antwort ist, dass beide Konzepte für das Zustandekommen eines Regge-Pol-Aus-
tauschs nicht wirklich verschieden sind, wenn man die Situation genauer betrachtet.
Ein Resonanzbeitrag kam durch eine Art Potenzial zwischen den nicht anni-
hilierten Quarks zustande. Ein solches effektives Potenzial hat seinen Ursprung in
einem Austausch von Gluonen (den Farbfeldquanten der Quantenchromodynamik).
Folgt man dabei der Analogie zur Elektrodynamik, hätte man dabei ein Bild, wie es
in Abb. 3.35a und Abb. 3.35b für eine Resonanz im s-Kanal und im gekreuzten t-
Kanal angedeutet ist.
Der Punkt ist nun, dass das obige Bild des Potenzials in der QCD zu einfach ist.
Da wir selbst bei schweren Quarks kein Coulomb-artiges Potenzial gefunden hatten,
wissen wir, dass die Selbstwechselwirkung der Gluonen wichtig sein muss. Der
Gluonen-Austausch muss damit (eher) so aussehen, wie er in Abb. 3.36 dargestellt
ist.
170 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.35 Die s-Kanal-


Resonanz-Amplitude (a)
und die t -Kanal-Resonanz-
Amplitude (b) ohne Selbst-
wechselwirkung der Gluonen

Abb. 3.36 Die duale Ampli-


tude unter Berücksichtigung
der Gluonen-Selbstwechsel-
wirkung

Wegen der Selbstwechselwirkung der Gluonen ist eine Klassifikation der Bei-
träge in der obigen Weise nicht mehr möglich. Die Summe über diese kompli-
zierten Terme kann nicht mehr in Resonanz- und Austauschbeiträge separiert wer-
den. Man hat eine einzige Amplitude, die je nach kinematischer Situation als ein
Resonanz- oder Austauschverhalten interpretiert werden kann. Diese wirkliche Am-
plitude kann (mit etwas Optimismus) sowohl aus Resonanzamplitudensummen im
s-Kanal als auch aus solchen im t-Kanal (analytisch) extrapoliert werden. Diese
Identität von Austausch- und Resonanzbeiträgen wird als Dualität bezeichnet.
Praktisch bedeutet diese Hypothese, dass man in einer phänomenologischen Pa-
rametrisierung entweder den Regge-Austausch oder die entsprechenden Resonan-
zen berücksichtigen muss. Abgesehen von dem Gebiet, in dem einzelne Resonanz-
beiträge dominieren, ist die Parametrisierung mit Regge-Polen effektiver.
Die Abb. 3.36 mit den (endlich vielen) Schlangenlinien sollte dabei keine stö-
rungstheoretische Berechenbarkeit andeuten. Man muss eine geeignete Beschrei-
bung der Wechselwirkung der vier Valenz-Quarks im eingeschlossenen Gebiet fin-
den, welche in den entsprechenden kinematischen Bereichen zu dem benötigten
Verhalten der Amplitude führt.
Natürlich gibt es nicht „nur“ die gezeichneten Meson-Meson-Streuvorgänge. Es
gibt Anzeichen dafür, dass jeweils zwei der Quarks aus dem Baryon zusammen blei-
ben, d. h. sie treten im Streuvorgang als Diquark auf. Auf diese Weise ist die Quark-
Diquark-Bindung des Baryons analog zur Quark-Antiquark-Bindung des Mesons.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 171

Abb. 3.37 a Die planare Iteration elementarer dualer Amplituden b Eine nichtplanare Iterations-
möglichkeit elementarer dualer Amplituden

Die Idee der Topologischen Entwicklung


Die Regge-Pol-Amplitude kann man als Baustein für kompliziertere Amplituden
betrachten [115, 116]. Die Existenz solcher zusammengesetzten Amplitudenbeiträ-
ge kann aus der Unitaritätsrelation gefolgert werden. Die Unitaritätsrelation
1
X
˝ C
˛ ˝ C
˛
l ji.T  T /j l D2 l jT j l;i h l;i jT j li
i D1

verbindet den Imaginärteil einer elastischen Amplitude mit dem Produkt von Am-
plituden mit beliebigen Endzuständen l;i . Ein Beitrag wird dabei von Zwei-Teil-
chen-Endzuständen kommen, d. h. von einer Iteration von zwei Zwei-Teilchen-Am-
plituden. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie in Abb. 3.37a und b dar-
gestellt.
Im ersten Fall gibt es keine Änderung bezüglich der äußeren Flavor-Quantenzah-
len. Der Beitrag kann dadurch definitorisch eliminiert werden. Die innere Quark-
Linie wird als See-Quark-Schleife aufgefasst. Die duale Ein-Regge-Austauscham-
plitude schließt solche Iterationen ein, so dass der iterierte Beitrag schon gezählt ist
und nicht noch einmal explizit berücksichtigt werden muss. (Diese Forderung bein-
haltet eine restriktive Bedingung an die Amplitude. Für eine Zeit bestand die Hoff-
nung, dass, wenn man es fertig bringen würde, alle Bedingungen voll auszuschöp-
fen, nur eine konsistente Amplitude übrig bleiben könnte und dass die Erforschung
der Phänomene mit kleineren und kleineren Skalen in einer solchen Selbstkonsis-
tenzbedingung ihr Ende finden könnte („bootstrap“-Konzept).) Solche Iterationen
umfassen alle Iterationen, die in einer Ebene ohne sich kreuzende Quark-Linien ge-
zeichnet werden können. Man spricht daher von „planaren Amplituden“. Für die
Planarität einer Amplitude spielt es keine Rolle, ob ein Teilchen (in Abb. 3.37a
links, ein   ) einläuft oder ein Antiteilchen (in Abb. 3.37b links, ein  C ) ausläuft.
Die Iteration zweier planarer Amplituden kann daher, wie in Abb. 3.37b dar-
gestellt, auch zu nichtplanaren Strukturen führen. Beginnend mit einer geeignet
parametrisierten planaren Amplitude hofft man, durch Iteration und analytische
Fortsetzung beliebige nichtplanare Strukturen parametrisieren zu können. Mit mehr
172 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.38 Das Pomeron als


Zylinder

und mehr Iterationen können dabei nach und nach kompliziertere Strukturen er-
reicht werden.
Eine wichtige Beobachtung ist, dass Beiträge von Amplituden mit zunehmender
Komplexität (der möglicherweise in sich verschlungenen, nicht ebenen Flächen,
auf die sie ohne sich kreuzende Linien gezeichnet werden können) meist rapide
an Bedeutung verlieren. Diese empirische Beobachtung macht eine Klassifikation
der Beiträge nach ihrer Komplexität sinnvoll. Man spricht von einer topologischen
Entwicklung. Eine solche Entwicklung ermöglicht es zu einem gewissen Grad, Am-
plituden durch eine meist rasch konvergierende Summe von Beiträgen (mit wach-
sender Komplexität) zu berechnen. Für die gewünschte Genauigkeit scheinen dabei
meist ein oder zwei Terme zu genügen
Es gibt verschiedene Versuche, die empirisch gefundene Bevorzugung plana-
rer Strukturen zu erklären. Ein Versuch ist das sogenannte Bindfadenmodell (engl.
string model), das wir in Abb. 3.15a kennen gelernt hatten. In einer rein statistischen
Betrachtung postuliert man, dass sich die Farbfeldlinien wegen einer Selbstwech-
selwirkung zu dünnen Linien (Bindfäden) zusammenschnüren. Die von den Valenz-
Quark-Linien eingeschlossene Raum-Zeit-Fläche entspricht dann der von einem
solchen Bindfaden überstrichenen Raum-Zeit-Fläche. Über die Dynamik solcher
Fäden gibt es die folgenden einfachen Vorstellungen:
 Wegen ihres geometrischen Abstands bewegen sich die Fäden voneinander un-
abhängig, und
 durch die Fäden werden keine großen Impulse übertragen.
Der Auf- und Abbau von stark verschlungenen Fadenstrukturen ist wegen der da-
zu benötigten Impulsüberträge unterdrückt, so dass nur einfache Konfigurationen
übrigbleiben.

Pomeranchuk-Pol
Wir betrachten jetzt die einfachste topologische Komplikation (Abb. 3.37b). Für die
topologische Klassifikation ist nur die Struktur wichtig, die die Valenz-Quark-Lini-
en durch Flächen, in denen Wechselwirkungen der Gluonen und See-Quarks statt-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 173

Abb. 3.39 Die Trajektorie


des Pomerons

finden, verbindet. Die Raum-Zeit-Struktur der Amplitude kann daher schematisch


als Zylinder dargestellt werden (Abb. 3.38). Die Identität der topologischen Struk-
turen ist ersichtlich, wenn man sich die Quark-Linien des Mesons in Abb. 3.37b
einige Zentimeter oberhalb der Papierebene vorstellt. Für die Topologie ist es dabei
ohne Bedeutung, dass die Valenz-Quarks nicht auf dem Zylinder, sondern auf zwei
Ebenen oberhalb bzw. unterhalb des Zylinders gezeichnet sind. Man spricht daher
vom Zylinderbeitrag zur Amplitude [115].
Die erhaltene Zylinderamplitude heißt Pomeranchuk-Pol- oder Pomeron-Bei-
trag. Es wird meist angenommen, dass ein solcher Beitrag für den nicht-resonanten
Hintergrund im Resonanzgebiet verantwortlich ist und dass er bei hohen Energien
eine dominierende Rolle spielt und einen etwa konstanten Beitrag liefert.
In diesem Gebiet kann man ihn wie einen Regge-Pol parametrisieren:
 ˛Pomeron
s
APomeron  ˇ1  ˇ2  : (3.67)
s0

Seine Trajektorie hat dabei in etwa die Form, wie sie in Abb. 3.39 dargestellt
ist. Sie schneidet die (t D 0)-Achse mit einem Wert, der etwa bei eins liegt. Die
Trajektorie hat dabei eine vergleichsweise flache Steigung.
Als Konsequenz hat der totale Wirkungsquerschnitt gerade einen fast energieu-
nabhängigen Wert
T  s ˛Pomeron .t D0/1  const: ; (3.68)
wie es in Abb. 3.32 zu sehen war. Wegen seines deutlich höher liegenden Koordi-
naten-Schnittpunkts ˛.t D 0/ (seines „intercepts“) spielt der Pomeron-Austausch
bei steigenden Energien eine zunehmend dominante Rolle. Bei einer Energie von
N
100 GeV liegt sein Beitrag selbst bei p p-Streuung bereits über 95 %.
Bei sehr hohen Energien (Abb. 3.40) [117] zeigt sich, dass der Flavor-unabhän-
gige Beitrag langsam ansteigt. In einer Theorie („Superkritisches Pomeron“ [118])
hat der Anstieg seine Ursache in der Tatsache, dass der Wert der Pomeron-Trajek-
torie bei t D 0 in Wirklichkeit etwas größer als eins ist. Die Behandlung eines
solchen wachsenden Pomeron-Beitrags ist nicht ganz einfach. Um Probleme mit
der Unitaritätsrelation zu vermeiden, braucht man eine Theorie mit mehrfachem
Pomeron-Austausch. Als Ergebnis einer solchen Theorie erhält man logarithmi-
sche Korrekturen zum totalen Wirkungsquerschnitt. Die durchgezogene Linie in
Abb. 3.40 benutzt die folgende Parametrisierung:

total D Konst.  ln.s/2 C Konst. C Regge-Beiträge : (3.69)


174 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.40 Der totale Wirkungsquerschnitt bei hohen Energien (aus PDG (© 2012 American Phy-
sical Society [31])

3.2.3 Hochenergetische Teilchenproduktion (Teilchenstreuung)

Wir haben jetzt eine Vorstellung vom Verhalten totaler Wirkungsquerschnitte bei
hohen Energien. Was geschieht nun in solchen Streuprozessen? Typischerweise
wird dabei ein großer Teil der ursprünglichen kinetischen Energie in die Produk-
tion von Teilchen umgesetzt.
Die Vielteilchenendzustände enthalten im Prinzip viel detaillierte Information
über den Streuprozess, die sich oft hinter Zufälligkeiten verbergen. Unglücklicher-
weise ist es nicht leicht, diese Information zu nutzen. Es gibt recht verschiedenartige
Modelle und wenig allgemein akzeptierte „Tatsachen“, wenn man von Teilgebieten
absieht, die einen Zugang mit störungstheoretischen Methoden der Quantenchro-
modynamik gestatten. (Das gilt in gewissem Umfang auch für die hier präsentierten
Konzepte. Die Betrachtung folgt Grundkonzepten von „dual-topologischen Model-
len“, in denen sich eine Vielzahl von Fakten konsistent zusammenfassen lassen.)

Diffraktive Teilchenproduktion
Wie wir der Pomeron-Physik wissen, spielt der elastische Beitrag

elastisch / s 2˛Pomeron 2  const: (3.70)

auch bei hohen Energien eine nicht verschwindende Rolle. Die einfachste Möglich-
keit, Teilchen zu produzieren, involviert eine kleine Abwandlung dieses bekannten
Prozesses, die sogenannte „diffraktive Streuung“.
In einem diffraktiven Prozess werden die beiden Streuteilchen im Wesentlichen
wie in einem elastischen Prozess weiterlaufen und nur, zumindest im Falle eines
der beiden Teilchen, eine gewisse, meist relativ kleine Anregung erfahren. Der an-
geregte Zustand wird im Anschluss an den eigentlichen Streuvorgang zerfallen. Da
die Teilchenproduktion nicht direkt im eigentlichen Streuprozess stattfindet, steht
dabei typischerweise nur ein sehr kleiner Teil der Energie zur Teilchenproduktion
zur Verfügung. Die Diffraktion trägt daher vor allem zu Streuprozessen, in denen
vergleichsweise wenig Teilchen produziert werden, bei.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 175

Abb. 3.41 Die Pomeron-


Proton-Streuung beim dif-
fraktiven Streuprozess

Die diffraktive Teilchenproduktion kann formal auf eine inelastische Streuung


zwischen Teilchen und Pomeron reduziert werden. Die grundlegende Idee dabei ist
in Abb. 3.41 angedeutet. Die untere Linie beschreibt ein Teilchen, das ein Pomeron
emittiert und sonst keine Rolle spielt. Die „eigentliche Streuung“pfindet zwischen
dem Pomeron und den oberen Teilchen statt. Die effektive Masse t des Pomerons
ist dabei imaginär (d. h. t < 0). Da sie vergleichsweise kleine Werte einnimmt,
spielt sie für die Teilchenproduktion keine Rolle. Das Pomeron verhält sich wie ein
Vektormeson ohne Flavor-Quantenzahl.
Die am oberen Vertex zur Verfügung stehende Ruheenergie, d. h. die Masse des
angeregten Zustands, ist natürlich viel geringer als die Gesamtenergie des Prozes-
ses. Im Vergleich mit Prozessen mit entsprechend drastisch reduzierter Gesamtener-
gie zeigt sich, dass die Teilchenproduktion in diesem „Pomeron-Teilchen-Streupro-
zess“ analog zu den üblichen nichtdiffraktiven, inelastischen Prozessen verläuft, die
in den nächsten Sektionen dieses Abschnitts besprochen werden.

Nichtdiffraktive Teilchenproduktion (Regge-Beitrag)


Betrachten wir nun die nichtdiffraktive Teilchenproduktion und beginnen dabei mit
einem etwas idealisierten, nicht separat messbaren Prozess, dessen Beitrag zum to-
talen Wirkungsquerschnitt vom Regge-Pol-Beitrag und nicht vom Pomeron-Beitrag
kommt. Da der totale Wirkungsquerschnitt linear von der Amplitude abhängt, kann
der Beitrag der planaren Amplitude

total D  Pomeron C  Regge / ImfTPomeron-Beitrag g C ImfTplanar g (3.71)

wenigstens formal separat vom nichtplanaren (Pomeron-)Beitrag betrachtet wer-


den. Da bei hohen Energien, bei denen größere Teilchenzahlen produziert werden,
das Pomeron dominiert, ist die reine Regge-Austausch-Streuung eine Art Gedan-
kenexperiment, das eine nützliche Grundlage für die spätere Diskussion sein wird.
Bei niederen Energien verhält sich die planare Amplitude wie eine Summe über
s-Kanal-Resonanzamplituden. Betrachten wir das Optische Theorem für eine sol-
che s-Kanal-Resonanzamplitude. Ignorieren wir zunächst inelastische Beiträge. Der
Imaginärteil ( ist reell)
   
 =2 . =2/ . =2/
Im D  (3.72)
s  M 2  i =2 s  M 2  i =2 s  M 2  i =2
lässt sich offensichtlich in der erwarteten Weise als Absolutquadrat einer Amplitude
schreiben. Der Stern bedeutet komplexe Konjugation.
176 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.42 Der Beitrag der planaren Amplitude zum Wirkungsquerschnitt

Um inelastische Prozesse zu berücksichtigen, muss man die  ’s durch Matrizen


analog zu (2.183) ersetzen. Dabei werden alle möglichen Zwischenzustände einen
Beitrag leisten. Man erhält eine Situation, wie sie in Abb. 3.42 skizziert ist. Der
Imaginärteil erhält seinen Beitrag von allen möglichen Aufteilungen der planaren
Amplitude in zwei Subamplituden. Die Summe über alle möglichen ersten Tei-
le entspricht dann der reellen Vielteilchen-Produktions-Amplitude und die Summe
über die zweiten Teile der konjugierten Amplitude.
In planaren Amplituden waren die Zwischenzustände eine hauptsächlich gluo-
nische Struktur, während in Streuungen Teilchen produziert werden. Das ist formal
kein wirkliches Problem, da die planare Amplitude alle möglichen kurzzeitig produ-
zierten (See-)Quark- und Antiquark-Paare enthält, die zusammen mit den Gluonen
als „mögliche“ Endzustandsteilchen auftreten können. Das Bild ist, dass zunächst
gluonische Bindfäden entstehen und dass der Zeitentwicklungsoperator, der ihre
Evolution in Hadronen beschreibt, unitär ist, d. h. vorwärts und rückwärts ergibt er
den Identitätsoperator. Für Querschnitte ist es irrelevant, ob man Gluonen-Produk-
tion oder die Produktion der entsprechenden Teilchen betrachtet.
Welche Verteilung wird für die Teilchen in einem solchen planaren Endzustand
erwartet? Diese Frage hängt mit dem Produktionsmechanismus zusammen, der
theoretisch nicht vollständig geklärt ist. Unabhängig von der tatsächlichen Dyna-
mik eines solchen Prozesses sollten die Vorstellungen, die im Folgenden dargestellt
werden, etwa dem tatsächlichen Ablauf entsprechen.
Gehen wir zunächst ins Ruhesystem des unteren Quarks q, in dem sich das obere
Antiquark qN nach oben wegbewegt, wie es in Abb. 3.43 links zu sehen ist. Nach kur-
zer Zeit wird das Quark q einen Abstand erreicht haben, der die Produktion eines
weiteren Quark-Antiquark-Paares qN1 ; q1 verursacht (Abb. 3.43 rechts). Gehen wir
jetzt ins Ruhesystem des Quarks q1 . Nach kurzer Zeit ist das Antiquark qN wiederum
so weit entfernt, dass ein neues Quark-Antiquark-Paar erzeugt wird, und der Vor-
gang wiederholt sich, bis der gesamte kinematische Bereich zwischen den Impulsen

Abb. 3.43 Teilchenpro-


duktion aus dem Farbfeld
auseinanderfliegender Quarks
3.2 Hadronische Streuvorgänge 177

des ursprünglichen Quarks und Antiquarks mit Quark- und Antiquark-Paaren auf-
gefüllt ist. In einem bestimmten Bereich hat man in jedem longitudinalen Lorentz-
System, das mit dem Ruhesystem eines Quarks zusammenfällt, dieselbe Situation:
Ein Parton bewegt sich weg, und aus der Feldenergie entsteht ein neues Quark-
Antiquark-Paar.
Dieses Konzept der Produktion einer solchen Teilchenkette hat zwei Konse-
quenzen. Zum einen erwartet man in jedem oben beschriebenen Lorentz-System,
in das man „nachgerückt“ ist, dieselbe Teilchenverteilung für langsame Teilchen.
Die Erzeugung neuer Quarks wird nur von der Geschwindigkeit des weglaufenden
Antiquarks abhängen. Da diese Geschwindigkeit zunächst praktisch der Lichtge-
schwindigkeit entspricht, kann es in diesem Bild keine Abhängigkeit von der ur-
sprünglichen Energie und auch keine Abhängigkeit davon geben, wie viele Teilchen
schon produziert wurden.
Zum anderen sollte es keine starken Korrelationen in der Teilchenproduktion
zwischen kinematisch verschiedenen Gebieten geben. Zum Zeitpunkt der Produkti-
on eines zweiten Teilchens ist die Verbindung zum ersten Teilchen, die eine solche
Korrelation verursachen könnte, bereits durch viele neu entstandene Quark-Anti-
quark-Paare unterbrochen. Das gilt natürlich nur, wenn der Abstand groß genug
ist.
(Korrelationen zwischen Teilchen aus benachbarten Lorentz-Systemen können
verschiedene Ursachen haben. Positive Korrelationen entstehen, da die zunächst
entstandenden, zusammenhängenden Quark-Antiquark-Paare oft Resonanzen sein
werden, die dann in kinematisch benachbarte Teilchen zerfallen, da die Relativge-
schwindigkeit der Zerfallsprodukte meist klein ist [119].)
Betrachten wir die Situation etwas genauer. Die einfachste Messgröße ist dabei
eine Dichteverteilung im Impulsraum. Abgesehen von der Normierung entspricht
eine solche Verteilung gerade dem differenziellen inklusiven Wirkungsquerschnitt
1 daCb!cCX
  ; (3.73)
total dpc
wobei, wie gesagt, inklusiv heißt, dass wir uns auf die Beobachtung eines Teilchens
bei beliebigem Rest konzentrieren. In der normierten Form spricht man von dem
inklusiven Ein-teilchen-Spektrum.
Diese Invarianz bezüglich der Lorentz-Transformation in longitudinaler Rich-
tung legt die Parametrisierung der Dichteverteilung durch transversale Impulse
und Rapiditäten nahe. Die Rapidität eines Teilchens ist der „Winkel“ y, der in
der Lorentz-Transformation aus einem festgelegten Lorentz-System (z. B. aus dem
Schwerpunktsystem) in das longitudinale System, in dem das Teilchen keinen
longitudinalen Impuls hat, benötigt wird. Es ist also der Winkel der folgenden
Transformation:
0 1 0 10 1
p00 cosh y sinh y 0 0 p0
B 0 C B  sinh y cosh y 0 0 C B C
B C B C B pk C :
@ p?;1 A D @ 0 0 C1 0 A @ p?;1 A
(3.74)
p?;2 0 0 0 C1 p?;2
178 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.44 Das erwartete


Rapiditätsspektrum bei unter-
schiedlichen Energien

Ein Wechsel des ursprünglich festgelegten Lorentz-Systems bewirkt eine einfache


Verschiebung in der Rapiditätsvariablen

y ! y 0 D y C Konstante ; (3.75)

ohne den Impuls in transversaler Richtung zu beeinflussen. Die Teilchendichte pro


Rapiditätsintervall ändert sich nicht unter einer longitudinalen Lorentz-Transfor-
mation. Die Jacobi-Determinante einer longitudinalen Lorentz-Transformation ist
eins.
In Abhängigkeit von der Rapidität sollte die Dichte, abgesehen von kinemati-
schen Effekten am Rande (wo u. a. vqN < 1 ist), wegen des jeweils gleichen Produk-
tionsmechanismus konstant sein. Man erwartet etwa ein Verhalten wie in Abb. 3.44.
Mit steigender Energie wird das Plateau in der Mitte länger. Der Abfall an den Sei-
ten sollte ähnlich sein und nur von der Natur des schnellsten bzw. langsamsten
Quarks bzw. Diquarks (bei Baryon-Streuungen) abhängen. Empirisch stellt man
fest, dass die Dichte dabei ungefähr einem positiven, einem negativen und einem
neutralen Teilchen pro Rapiditätseinheit ( D 1) entspricht.
Bei der Erzeugung der Quarks wird eine gewisse Fluktuation in transversaler
Richtung auftreten. Da die Transversalimpulse, d. h. die p? ’s, nicht von den longi-
tudinalen Lorentz-Transformationen berührt werden, erwartet man eine universelle
Verteilung der produzierten Hadronen, die – abgesehen von Resonanzzerfallseffek-
ten – dieser ursprünglichen Fluktuation entspricht. Die übliche Vorstellung ist, dass
sie etwa in der folgenden Weise abfällt:
 m 
?
.y; p? / D f .y/  exp ; (3.76)
6 GeV
wobei q
m? D m2 C p?
2
(3.77)
die transversale Masse ist. Bei niedrigen p? -Werten verhält sich  wie eine Gauß-
Funktion, um dann bei etwas größeren Werten exponenziell abzufallen. Der qua-
dratische Mittelwert von p? ist bei den betrachten Energien etwas über 0;3 GeV.
Bei hohen Energien scheint die entsprechende Verteilung etwas anzusteigen.

Nichtdiffraktive Teilchenproduktion (Pomeron-Beitrag)


Gemäß der Betrachtung im vorigen Abschnitt kommt ein Pomeron-Beitrag durch
den Austausch einer zylindrischen Struktur von Gluonen und See-Quarks zustande.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 179

Abb. 3.45 Die durchtrenn-


ten (D) Teilchenproduktions-
flächen im Pomeron-Zylinder

Abb. 3.46 Das Quark-


Linienbild der Teilchen-
produktion des Pomeron-
Beitrags

Um den Beitrag zum totalen Wirkungsquerschnitt zu erhalten, muss man jetzt ana-
log zur Abb. 3.42 die Flächen auf beiden Seiten des Zylinders auf alle möglichen
Arten durchtrennen, wie in Abb. 3.45 angedeutet. Man erhält damit zwei Teilchen-
produktionsketten (Abb. 3.46). In beiden Ketten entspricht die Teilchenproduktion
dem Regge-Fall.
Was ist die Konsequenz? Planare Strukturen waren bevorzugt, da zwischen
Quark-Linien meist nur geringe Impulsüberträge auftreten. Man erwartet daher,
dass auch hier keine großen Impulsüberträge auftreten und die Impulse an den En-
den der Teilchenproduktionsketten im Wesentlichen dem Impulsanteil entsprechen,
der ursprünglich mit den entsprechenden Quarks verbunden war.
Da die Transversalimpulse in Hadronen klein sein sollten, erwartet man etwa
dasselbe Verhalten wie für den Regge-Beitrag. Betrachten wir dazu in Abb. 3.47
die Verteilung der Transversalimpulse im zentralen Gebiet (um y  D 0) [120].
Der Abfall entspricht dieser Vorstellung. Zu sehen ist die Unabhängigkeit von der
Energie. Dies ist nicht mehr der Fall für SPS-Energien. In diesem Energiebereich
können größere Impulsüberträge nicht mehr vernachlässigt werden.
Abgesehen von Randeffekten, die die mittleren Transversalimpulse für große
Longitudinalimpulse etwas reduzieren, ist die transversale Verteilung auch unab-
hängig von dem betrachteten Rapiditätsbereich. Dadurch, dass sich die ursprüngli-
che Energie auf zwei planare Strukturen aufteilen muss, erstrecken sich Randeffekte
weiter, als aus rein kinematischen Überlegungen folgen würde.
180 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.47 Typische Transversalimpuls-Spektren im zentralen Rapiditätsgebiet (© Slansky,


1974 [120]). Es gilt x D pk =E

Für die longitudinale Verteilung ist es wichtig, wie die Impulse der Teilchen auf
die beiden planaren Strukturen aufgeteilt werden. Über alle möglichen Rapiditäts-
positionen der beiden planaren Strukturen muss gemittelt werden. Aus einer Ana-
lyse des Proton- und des Pion-Spektrums schließt man, dass die Impulse meist sehr
unsymmetrisch aufgeteilt werden, das Diquark erhält typischerweise mehr Energie
als das Quark. An den Enden des Rapiditätsspektrums gibt es daher jeweils ein grö-
ßeres Gebiet, das von Teilchen eines einzigen planaren Endzustands bevölkert wird.
Wie im Regge-Fall erwartet man in diesem Gebiet ein energieunabhängiges Anstei-
gen („Feynman scaling“). Die Daten sind für verschiedene Energien jeweils bis zur
Schwerpunktsrapidität in Abb. 3.48 zu sehen. Bis zu einer gewissen Genauigkeit
zeigen die Daten diesen energieunabhängigen Anstieg im Energiebereich von 23
bis 53 GeV.
Bei genauer Betrachtung findet man, dass das Spektrum im jeweiligen zentralen
Bereich mit zunehmender Energie ansteigt. Dieser Effekt kann dadurch erklärt wer-
den, dass der Überlapp beider planarer Strukturen, der in Abb. 3.49 angedeutet ist,
mit wachsender Energie zunimmt. Man kann zeigen, dass durch diese Überlappung
das „Feynman scaling“ selbst nicht verletzt wird.
Das Integral über das Teilchenspektrum ergibt die Teilchenmultiplizität. Wegen
maximal
yLAB  sinh1 pLmaximal =m ! ln s=2m2

steigt damit bei ungefähr konstantem Rapiditäts-Spektrum die Multiplizität unge-


fähr logarithmisch an. Produziert werden vor allem die leichten Hadronen, insbe-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 181

Abb. 3.48 Typische Rapiditätsspektren (© Slansky, 1974 [120])

Abb. 3.49 Erwartete Beiträ-


ge zur Rapiditätsverteilung
182 3 Einführung in die Hadronenphysik

Hadron 1

Hadron 2

Abb. 3.50 Die Geometrie einer Vielfachstreuung. Die Kreise und die Kreuze bezeichen die Posi-
tion von elastischen bzw. inelastischen Pomeron-Austausch-Prozessen.

sondere die Pionen. Teilchen mit höheren Massen sind selten. Auch ist der Rapi-
ditätsbereich, in dem sie effektiv beitragen, in Abhängigkeit von der Masse kürzer.
Die Unterdrückung der Produktion schwerer Teilchen entspricht etwa der Unter-
drückung von Teilchen mit entsprechend großen Transversalimpulsen, wie wir es
in (3.76) gesehen hatten. Die aus dem Tunneleffekt im Bindfadenmodell (Abb. 3.43)
gewonnene Parametrisierung lässt sich universell anwenden. In manchen Modellen
hat die (3.76) ihre Ursache in einer einer effektiven lokalen Temperatur.
Das Zwei-Planare-Endzustands-Modell hat einen beschränkten Gültigkeitsbe-
reich. Der „Intercept“ der Pomeron-Trajektorie mit der y-Achse ist
˛Pomeron .t D 0/  1;08 :
In Konsequenz steigt der Ein-Pomeron-Querschnitt mit 1Pomeron / s 0;08 . Die
Froissart Grenze erlaubt maximal  / .log s/2 . Der Anstieg eines Pomeron-Aus-
tausches führt also zu theoretischen Problemen mit zu großen Wirkungsquerschnit-
ten, die eine Korrektur durch vielfache Pomeron-Austauschprozesse erfordern. Pa-
rametrisierungen der Energieabhängigkeit zeigen, das solche Vielfach-Beiträge bei
Energien, wie sie an Collidern erreicht werden, schon eine gewichtige Rolle spielen.
Die Parametrisierung solcher Vielfachstreuungen erfordert eine geometrische
Betrachtung. Beim Stoß zweier Hadronen gibt es ein Überlappungsgebiet, das für
die eigentliche Streuung verantwortlich ist. Für eine einfache Beschreibung ersetzt
man eines der Hadronen durch ein Punktteilchen und dehnt die Verteilung der Par-
tonen im anderen Hadron geeignet aus. Auf diese Weise erhält man im Ruhesystem
des ausgedehnten Hadrons die in Abb. 3.50 dargestellte Situation.
Da die Pomeron-Austausch-Prozesse für den Imaginärteil der Amplitude unter-
schiedliche Vorzeichen haben, wird der Energieanstieg der Amplitude ausreichend
reduziert. Für die Teilchenproduktion gibt es zwei Effekte:
 Die Energie der Hadronen muss auf mehrere Subprozesse verteilt werden. Die
planaren Ketten werden kürzer.
 Der Anstieg der Dichte im zentralen Bereich hört nicht auf, wenn der Zwei-
Ketten-Wert erreicht ist. Die Teilchendichte steigt etwa proportional zu log s.
Die beobachte Dichte ist in Abb. 3.51 dargestellt. Der Anstieg entspricht etwa den
Erwartungen. Zur Abbildung sind zwei Aspekte zu erklären.
 Uns interessieren in diesem Abschnitt Ereignisse, die keinen einfachen diffrak-
tiven Beitrag („nsd“) enthalten. Da sie nicht immer leicht zu separieren sind, ist
auch die (etwas geringere) Dichte aller inelastischen Ereignisse dargestellt.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 183

Abb. 3.51 Die beobachten zentralen Dichten dN=dcm in inelastischen oder inelastischen nicht
einfach diffraktiven („nsd“) pp- oder pp-Streuungen (© Bopp [121])

 In weiten kinematischen Bereichen kann die Rapidität nicht bestimmt werden.


Man verwendet daher die Pseudorapidität:
 
1 jpj C pL
cm D ln ;
2 jpj  pL
die sich aus dem Winkel berechnen lässt. „cm“ bezeichnet das Massenmittel-
punktsystem. Ist die Energie groß, gilt E D jpj und  D y. Im zentralen Bereich
ist dies nur bei großen Transversalimpulsen gültig. Dies hat die Folge, dass das
Pseudorapiditäts-Spektrum um cm D 0 eine Delle von 10–15 % hat, während
das Rapiditäts-Spektrum in diesem Bereich flach ist.
Mit wachsender Energie spielen auch harte Streuvorgänge, wie sie im nächsten
Abschnitt besprochen werden, eine wachsende Rolle.

Teilchenproduktion in harten Streuvorgängen


Um den Abschnitt über die inelastische Teilchenproduktion abzuschließen, soll
kurz auf die Hadronenproduktion in den sogenannten harten Streuvorgängen ein-
gegangen werden, in denen es zumindest an einer Stelle einen starken Impulsaus-
184 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.52 Die beiden Pha-


sen in harten Streuprozessen

tausch gibt. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist ein solcher Impuls-
übertrag zwischen einzelnen Partonen oder Leptonen in der QCD und in der QED
möglich. Die eigentliche Teilchenproduktion selbst ist in jedem Falle ein weicher
Prozess, dessen Skala durch die Hadronenmassen gegeben ist. Sie ist daher in die-
sem Abschnitt zu behandeln.
In QED-Prozessen dominiert meist die niedrigste Ordnung in der Störungstheo-
rie. Die Härte der Streuung ist dabei meist durch leptonische Teilchenimpulse fest-
gelegt. In hadronischen Wechselwirkungen ist das Auftreten eines größeren Im-
pulsübertrags nur indirekt festzustellen. „Weiche“ Wechselwirkungen mit geringen
Impulsüberträgen sind meist dominant. Es gibt allerdings auch einen zunächst win-
zigen Beitrag von „harten“ Wechselwirkungen mit größeren Impulsüberträgen, der
mit wachsender Energie zunimmt und typischerweise zu hohen Transversalimpul-
sen führt. Ab SPS-Energien ist diese Komponente stark genug, um zu einem deut-
lichen Anwachsen des mittleren Transversalimpulses hp? i zu führen.
In solchen harten Streuprozessen gibt es zwei Phasen, wie in Abb. 3.52 angedeu-
tet.
 Zunächst gibt es einen lokalisierten harten Streuprozess, in dem harte Quarks,
Gluonen oder Leptonen wechselwirken. Analog zum Photon in der Quantenelek-
trodynamik ist das Gluon das Feldteilchen der Quantenchromodynamik. Mit der
Quantenchromodynamik, die dies beschreibt, werden wir uns im Abschn. 4.2
genauer beschäftigen. Für die harte Streuung erscheinen die einlaufenden Hadro-
nen wie ein Bündel freier Partonen, die unabhängig voneinander streuen können.
 Anschließend, wenn die Partonen genügend weit auseinander gelaufen sind und
typische hadronische Abstände erreicht werden, folgt ein hadronischer Prozess.
In ihm werden sich diese Partonen in Bündel von Hadronen („Jets“) verwandeln,
die den Impuls der ursprünglichen Partonen tragen.
Typisch für die Teilchenproduktion in harten Prozessen ist die e C e  -Annihilation
(e C e  ! Hadronen); wir werden unsere Diskussion hier auf diesen Prozess be-
schränken. Zunächst annihiliert sich das e C e  -Paar in ein virtuelles Photon, das in
ein Quark-Antiquark-Paar zerfällt. Bei niedrigen Energien gibt es ein Resonanz-
gebiet, in dem sich das Photon wie ein einzelnes Vektormeson (das Photon hat
Spin 1) verhält und nahezu isotrop zerfällt. Man sagt, das Photon hat eine hadroni-
sche Komponente, die einem Vektormeson entspricht und in seinen hadronischen
Streuvorgängen eine dominante Rolle spielt („Vektormesondominanz“). Besonders
wichtig ist diese Komponente des Photons in der Photon-Hadron-Streuung
3.2 Hadronische Streuvorgänge 185

Abb. 3.53 Die „planare“


Teilchenproduktion in harten
(a) und weichen (b) Wechsel-
wirkungen

Bei höheren, aber nicht zu hohen Energien entspricht die Entwicklung dieses
Quark-Antiquark-Paares der in der 2. Sektion dieses Abschnitts diskutierten pla-
naren Struktur bei vergleichbarer Energie und ist damit völlig konsistent mit den
üblichen hadronischen Konzepten. Abgesehen von der anderen ursprünglichen Pro-
duktion entspricht sie (Abb. 3.53a) dem Regge-Beitrag in der Meson-Meson-Streu-
ung (Abb. 3.53b). Mit den begrenzten Transversalimpulsenp .p?  3;3 GeV/ und
den relativ großen Longitudinalimpulsen .pk  s/ wird die Teilchenkette als
zwei „Jets“ (Teilchenbündel) gesehen, mit einem Jet in Vorwärtsrichtung und ei-
nem Jet in Rückwärtsrichtung.
Da die Endrapiditäten der planaren Struktur festliegen – die ursprüngliche Ener-
gie muss nicht auf mehrere planare Strukturen verteilt sein – hat man etwa die idea-
lisierte Situation unseres Gedankenexperiments: Man findet eine sehr flache Ra-
piditätsverteilung und keine deutlichen langreichweitigen Korrelationen zwischen
Teilchen, die in verschiedenen Rapiditätsgebieten produziert werden.
Es gibt allerdings zwei Probleme. Zum einen ist die Richtung der ursprünglichen
Quark-Antiquark-Achse nicht bekannt. Zum anderen trifft diese einfache Situation
nur bei relativ niedrigen Energien auf. Bei höheren Energien ist der betrachtete harte
Prozess e C e  ! q qN nicht mehr dominant.
Um die ursprüngliche Quark-Achse experimentell zu bestimmen, definiert man
zunächst Größen, die, da die energiereichen Teilchen mehr oder weniger der Quark-
Achse folgen, bei ausreichender Teilchenmultiplizität ihr Minimum oder ihr Maxi-
mum um diese Achse haben und so ungefähr diese Richtung festlegen. Ein Beispiel
ist die Sphärizität P
i .n  p i /
2
S D „ƒ‚…
max P 2 : (3.78)
n i pi

Mit der Sphärizitätsachse kann man dann, wie bisher, Rapiditäten definieren und die
zugehörigen Spektren berechnen, wie in Abb. 3.54 gezeigt [122]. Da die Energie,
wie gesagt, nicht auf verschiedene Quarks aufgeteilt wird, hat das Spektrum eine
vergleichsweise rechteckige Form.
Bei wiederum höheren Energien wird der harte Prozess selbst mehr als zwei
Partonen involvieren. Die Lebensdauer und die Lokalisierung des virtuellen Pho-
tons ist invers proportional zur Schwerpunktenergie. Genauere Rechnungen zeigen,
dass auch die virtuelle Masse der zunächst produzierten Partonen invers propor-
tional zur Lokalisierung und damit, wenn auch mit einem kleinen Koeffizienten,
proportional zur Schwerpunktenergie ist. Ist die virtuelle Masse hoch genug, wer-
den diese ursprünglich produzierten Partonen noch in der Parton-Phase, d. h. bevor
die Partonen sich in Hadronen verwandeln können, zerfallen.
186 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.54 Die Rapiditäts-


verteilung in e C e  -Streuung
bei niedriger Energie (© Wu,
1984 [122])

Abb. 3.55 Der zusätzliche


Gluon-Jet (g)

Anstelle von zwei Jets erwartet man deshalb zunächst zwei Quark-Jets (q) und
einen Gluon-Jet (g), wie sie in Abb. 3.55 dargestellt sind. Solche Streuereignisse
wurden am DESY in Hamburg entdeckt. Es gibt verschiedene Methoden der Ana-
lyse, ich halte mich wiederum an die Sphärizität. Man bemerkt, dass die Impulse
senkrecht zur Sphärizitätsachse ab einer gewissen Energie nicht mehr so stark abfal-
len. Dies wird besonders deutlich, wenn man zunächst eine Achse „zweitgrößter“
Sphärizität findet, die per Definition senkrecht auf der Achse maximaler Sphärizität
steht und dort einen maximalen Wert erreicht. Mit kleinen Korrekturen sollten die
ursprünglichen drei Partonenimpulse in der von diesen Achsen aufgespannten Ebe-
ne liegen. Man erwartet daher den Anstieg für die Transversalimpulse in der Ebene
(p?in ), aber nicht für die Transversalimpulse senkrecht zu der Ebene (p?out ), wie
es in den Daten in Abb. 3.56 zu sehen ist [122].
Bei höheren Energien werden mehr und mehr zusätzliche Partonen in der harten
Wechselwirkungsphase gebildet. Die bei einer Verzweigung entstandenen Partonen
sind ausreichend virtuell, um noch innerhalb der „harten Phase“ zu zerfallen. Man
erwartet eine Art Baumstruktur, bei der die feinen Zweige schwach virtuellen Par-
tonen entsprechen, die aus weniger dünnen Zweigen, die stärker virtuellen Partonen
entsprechen, hervorgegangen sind (Abb. 3.57). Da die Verzweigung, abgesehen von
der Skala, immer denselben Gesetzen unterliegt, hat man es mathematisch mit ei-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 187

Abb. 3.56 Der Gluonen-


Jet bewirkt zunächst eine
Aufweitung der Transversa-
limpulsverteilung (adaptiert
nach Mikenberg [123])

Abb. 3.57 Das asymptoti-


sche Verhalten der e C e  -
Streuung

nem Fraktal zu tun. Das gilt allerdings nur in einem gewissen Bereich, da in den Ver-
zweigungen die virtuelle Masse schnell abnimmt; unterschreitet die virtuelle Masse
der Partonen einige GeV, kann man die Korrekturen zu diesem einfachen Bild nicht
mehr vernachlässigen. Man hat dann eine ähnliche Situation wie in weichen hadro-
nischen Wechselwirkungen. Die erreichte Zahl der tatsächlichen Verzweigungen ist
nicht sehr hoch. Bei LEP-Energien wurden – je nach genauer Definition der Jets –
bis zu vier oder fünf Parton-Jets beobachtet.
Die Struktur solcher Beiträge hängt natürlich von der Quantenchromodynamik
ab. Da diese Theorie erst im Abschn. 4.2 eingeführt wird, müssen einige Aspekte
der Teilchenproduktion hier ausgeklammert bleiben. Wir werden auf sie im Ab-
schn. 4.2.4 zurückkommen. Hier (in Abschn. 3.2.3) haben wir mit der Phänome-
nologie einfacher weicher Prozesse begonnen und aufgeführt, welche Ergänzungen
mit wachsender Energie benötigt werden, um die Daten zu beschreiben. Dort wer-
den wir Methoden beschreiben, mit denen im Prinzip exakte Störungsrechnungen
in Gebiete zwischen harten und weichen Prozessen ausgedehnt werden können und
so möglicherweise zum Verständnis der weichen Prozesse beitragen können.
188 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.58 Die Geometrie


der Schwerionenstreuung
v
1

Überlapp

v
2

3.2.4 Hochenergetische Teilchenproduktion


(Schwerionenstreuung)

Von hadronischen Streuprozessen weiß man relativ wenig über Aspekte, die mit
dem geometrischen Ablauf der Prozesse zu tun haben. Eine Möglichkeit mehr her-
auszufinden, ist es, Streuvorgänge in einer dichten Umgebung zu betrachten, wie
sie in der Streuung schwerer Kerne vorkommen.
Solche Streuvorgänge sind auch aus kosmologischen Gründen interessant. Bei
der Behandlung der Entstehung der Elemente hatten wir mit dem Ende des Ha-
dronen-Plasma-Zeitalters (3; 8  105 Jahre nach dem Urknall) begonnen. Davor war
die elektromagnetische Bindung nicht stark genug, um Hadronen und Elektronen
zu binden. „Etwas“ früher, etwa 106 s nach dem Urknall, lag das Quark-Gluon-
Plasma-Zeitalter. In ihm sollten Energiedichten erreicht worden sein, bei denen es
den Bindungskräften der QCD nicht mehr möglich ist, Quarks in Hadronen zusam-
menzuhalten. Es muss daher ein Plasma aus Partonen mit nicht verschwindender
Farbe gegeben haben. Es ist nicht trivial, diese Quark-Gluon-Plasma-Phase des
Kosmos zu verstehen. Die experimentellen Ergebnisse aus Schwerionenstreuungen
könnten dabei eine Hilfe sein.
Die Streuung schwerer Kerne hängt vom Abstand im transversalen Stoßparame-
ter-Raum ab. Eine typische Situation ist in Abb. 3.58 skizziert. Je nach Abstand
der streuenden Kerne spricht man von zentralen oder peripheren Stößen. In ei-
nem einfachen Bild erscheinen die ursprünglich runden Kerne durch die Lorentz-
Transformation „pfannkuchenartig“ zusammen gepresst. Die eigentlichen Wechsel-
wirkungen geschehen im gegenseitig überstrichenen Bereich.
Nach der Streuung wird dann natürlich auch der verbleibende Restkern in Bruch-
stücke zerfallen. Da sie in Emulsionsmessungen nicht als volle Linien sichtbar
waren, werden diese Bruchstücke „graue“ Teilchen genannt. Unser Interesse hier
gilt den hochenergetischen Teilchen.
Eine zentrale Beobachtung ist, dass die in einzelnen Streuprozessen produzier-
ten Teilchen erst nach einer „Formations-Zeit“ ( „=m) für weitere Streuvorgänge
richtig verfügbar sind. Die Vorstellung ist, dass, was immer später die Teilchen er-
zeugt, beinahe nicht wechselwirkt und dass die wechselwirkenden Endteilchen in
der Regel dann erst außerhalb des ursprünglichen Streuprozesses gebildet werden,
wie es in Abb. 3.59 dargestellt ist. Nach oben (und vorn) zeigen die seitlichen Orts-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 189

Abb. 3.59 Keine Hadro-


nen-Kaskade im zentralen
Bereich

Abb. 3.60 Das Verhältnis


der beobachteten Teilchen-
dichte zum Produkt der
Teilchendichte in pp-Streung
und der zu erwartenen Zahl
der beitragenden Nukleonen-
Paare, TAA (adaptiert nach
Adams [124])

koordinaten (d. h. der Stoßparameter-Raum). Nach rechts ist die Rapidität aufgetra-
gen, die die longitudinale Geschwindigkeit festlegt. Das Bild zeigt zwei gestreute
Nukleonen, mit der durch Streuungen erzeugten dazwischenliegenden Partonenver-
teilung.
Es gibt keine Hadronenkaskade im zentralen Bereich, da das Hadron – wie
angedeutet – erst entsteht, nachdem die Kerne mit ihrer dichten Materie weggeflo-
gen sind. Eine Ausnahme bilden Teilchen, die im kinematischen Gebiet eines der
einlaufenden Kerne (mit ihren Nukleonen) entstehen. Eine erhöhte Rapiditäts-Teil-
chendichte in der Nachbarschaft der einlaufenden Kerne (etwa jy j < 2) wurde
beobachtet und deutet auf eine Kaskade separater hadronischer Streuprozesse hin,
wie sie in der Abbildung angedeutet ist. Dieses Gebiet spielt natürlich bei niedrigen
Energien eine dominante Rolle, wenn der verfügbare Rapiditätsbereich zu kurz ist,
um das Nachbarschaftsgebiet zu verlassen.
Wenden wir uns jetzt den eigentlichen Streuprozessen zu. Hätten Streuprozesse
im transversalen Stoßparameter-Raum nur eine sehr geringe Ausdehnung, wären
alle Streuvorgänge in einer Kern-Kern-Streuung voneinander unabhängig. Jedes
Nukleon könnte dann im Prinzip mit jedem anderen streuen, und die Anzahl der
Streuungen wäre proportional zu ATarget  AProjektil . Tatsächlich wird ein solches
Verhalten, das sogenannte „binary collision scaling“, in peripheren harten Streu-
prozessen beobachtet, wie es in Abb. 3.60 zu sehen ist.
Der Streuquerschnitt für harte Partonenstreuprozesse mit ausreichend hohen
transversalen Impulsüberträgen zwischen Partonen ist dazu ausreichend klein. Der
gelbe (bzw. hellgraue) Bereich mit der schwarzen Linie bei eins entspricht dem „bi-
nary collision scaling“. Die Linie im blauen (bzw. dunkelgrauen) Gebiet entspricht
dem „participant scaling“, das unten erklärt wird.
190 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.61 Participant ver-


sus binary collision scaling
(© Back, 2004 [125])

Für die Abbildung wurden relativ periphere Streuungen ausgesucht. Der Grund
ist, dass die in harten Streuprozessen produzierte Partonen in Schwerionenstreu-
ung oft nicht ungestört in einen Jet von Teilchen übergehen können. Dieses „Jet-
Quenching“ wurde nachgewiesen in Prozessen, in denen zunächst zwei Jets mit
entgegengesetzten Transversalimpulsen entstehen und dann einer der beiden Jets
mehr oder weniger verloren geht.
Bei einer etwas größeren Ausdehnung des Streuprozesses wird ein, sagen wir,
Projektilteilchen auf seinem Weg durch das Target mit mehreren Nukleonen (An-
zahl / A1=3 ) wechselwirken. Die Anzahl der separaten Streumöglichkeiten eines
Projektilteilchens ist nun proportional zur Fläche des Targets d. h. zu A2=3 . Die
Anzahl voneinander unabhängiger Streuungen ist damit proportional zu A4=3 . Im
„Participant scaling“-Bild nimmt man an, dass jede dieser Streuungen etwa die
gleiche Teilchendichte erzeugt. Für die normale Teilchenproduktion funktioniert
„participant scaling“ weitaus besser als „collision scaling“, wie in Abb. 3.61 zu se-
hen ist: Wie für ein solches einfaches Bild zu erwarten ist, das „participant scaling“
nicht ganz perfekt.
Im Pomeron-Bild liefert jede Streuung zwei planare Ketten von produzierten
Teilchen. Wenn Teilchen mehrmals wechselwirken, ergeben sich viele solcher Ket-
ten. Da die Energie aufgeteilt wird, wird die Länge der Ketten kürzer. Die erwarte-
ten höheren Dichten im zentralen Rapiditätsbereich und kleineren Weiten entspre-
chen den beobachteten Spektren. Für die kürzeren Ketten gibt es einen höheren
relativen Anteil von Kettenenden-Teilchen, für die ein etwas höherer Transversa-
limpuls und ein etwas höherer relativer Anteil von strange-Quarks erwartet werden
kann. Auch dieser Anstieg wurde beobachtet. Selektiert man Prozesse hoher zen-
traler Multiplizität, ist der Effekt erwartungsgemäß verstärkt.
Viele Verteilungen in Schwerionenstreuungen werden zum großen Teil einfach
durch das Zusammenspiel von zentralen und peripheren Streuungen bestimmt. Be-
trachten wir als Beispiel die Multiplizitätsverteilung.
Im Vergleich zu anderen Streuprozessen ist die Verteilung ungewöhnlich breit.
Dies ändert sich, wenn man mit einer geeigneten Beobachtung den Stoßparame-
ter festlegt. (Man verwendet dazu die Teilchenzahl in der extremen Vorwärts- und
Rückwärtsrichtung.) Jedem Zentralitätsbereich entspricht in etwa ein Multiplizitäts-
bereich, wie es in der Abb. 3.62 dargestellt ist.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 191

Probability
10-2

10-3

10-4
50 - 60%
40 - 50%

30 - 40%

20 - 30%

10 - 20%

5 - 10%

0 - 5%
10-5

0 500 1000 1500 2000 2500 3000


Multiplicity
p
Abb. 3.62 Multiplizitäts-Verteilung der geladenen Teilchen für P b  P b Streuung für s D
2  76 GeV. Die Abbildung zeigt ALICE Daten für jj < 0;8 (© Aamodt, 1986 [126])

Experimentell versucht man mit verschiedenen Methoden, die Zentralität der


Streuprozesse festzulegen. Am interessantesten sind dann natürlich die zentralen
Stöße, da bei ihnen die höchsten Dichten erreicht werden. Für solche zentralen Stö-
ße beobachtet man, dass eine Superposition von Streuprozessen im Pomeron-Bild
zu einer zu großen Multiplizität führt. Offensichtlich können Ketten mit einer trans-
versalen Ausdehnung irgendwie nicht einfach übereinander liegen.
Eine Idee (siehe [127]) ist, dass die einzelnen einfallenden Nukleonen im zen-
tralen Lorentz-System nicht mehr unterschieden werden können und dass dies die
Folge hat, dass bei sehr hohen Energien entsprechend weniger Pomeronbeiträge im
zentralen Bereich übrig bleiben.
Eine andere Vorstellung ist, dass zunächst für jede Kette vor dem Zerfall in Ha-
dronen eine Art Parton-Plasma-Schlauch mit einer festen transversalen Ausdehnung
auftritt und dass sich diese Schläuche zu mehr und mehr ausgedehnten Parton-Plas-
ma-Zonen vereinigen können und so in weniger Teilchen zerfallen. In Analogie zu
Dampfbläschen in kochendem Wasser, die sich zu größer und größeren Bläschen
vereinigen können, wird dies Perkolation genannt [128].
Meist wird angenommen, dass für zentrale Streuungen der gesamte Kern eine
einzige Quark-Gluon-Plasma-Zone bildet und dass in jedem Rapiditätsbereich lokal
ein thermisches Gleichgewicht eines Parton-Plasmas erreicht wird. Diese Annahme
gestattet es, eine konsistente Erklärung vieler experimenteller Beobachtungen zu
erreichen [129, 130, 131].
Eine wichtige Beobachtung dazu ist eine kollektive Bewegung in transversaler
Richtung. In einer Streuung mittlerer Zentralität ist das Überlappungsgebiet in der
transversalen Ebene mandelförmig (Abb. 3.63). Die beobachtete Asymmetrie im
transversalen Teilchenfluss wird mit dieser geometrischen Struktur in Verbindung
192 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.63 Seitliche Geome-


trie des Streuprozesses

gebracht. Im Plasmamodell wird der Effekt im Impulsraum vom unterschiedlichen


Dichte-Gradienten verursacht, wie es in Abb. 3.64 angedeutet ist.
Die hohen Energiedichten in zentralen Schwerionenstreuungen führen unter ge-
wissen Annahmen dazu, dass störungstheoretische Betrachtungen der Quantenchro-
modynamik anwendbar werden und thermodynamische Betrachtungen einzelner
Partonen (Quark-Gluon-Plasma) gemacht werden können. Nach der Einführung
in die Quantenchromodynamik werden wir in Abschn. 4.2.6 auf diesen wichtigen
Aspekt der Schwerionenstreuung zurückkommen.

Abb. 3.64 Der Teilchenfluss


Teilchenfluss
im Plasmamodell Dichtegradient

wird
heiß
y

x y

x
Einführung in die Leptonen- und
Partonenphysik 4

Wir gehen jetzt einen Schritt weiter auf unserem Weg zu kürzeren Skalen und kom-
men zu einem Gebiet, in dem die Physik durch die Wechselwirkungen zwischen
einzelnen fundamentalen Teilchen mit masselosen Eichfeldern bestimmt wird. (Der
Begriff „fundamental“ bezieht sich dabei auf die in dem betrachteten Bereich, so-
weit bekannt, exakt gültige, selbstkonsistente Theorie. Was bei kürzeren Skalen
geschieht, ist nicht bekannt.) Es ist ein zentrales Gebiet der Physik. Das primäre
Interesse gilt zunächst immer Gebieten, die fundamentale Gesetzmäßigkeiten di-
rekt widerspiegeln, wie es hier der Fall ist. Mit mehr oder weniger befriedigender
Genauigkeit kann man die Phänomene dieser Physik exakt aus theoretischen Vor-
stellungen berechnen.
Die zugrunde liegenden Theorien heißen Quantenchromodynamik und Quanten-
elektrodynamik. Da hier Quarks und geladene Leptonen eine analoge Rolle spielen,
ist es notwendig, zunächst unsere Teilchenliste zu erweitern. Zu jeder Generation
gibt es ein geladenes Lepton. Üblicherweise ordnet man sie gemäß ihren Massen
der ersten, zweiten bzw. dritten Generation zu. Ihre Massenwerte sind ähnlich wie
bei den Quarks sehr unterschiedlich (siehe [31]):

Masse.e / D
O 0;511 MeV ;
Masse. / D
O 105;658 MeV ; (4.1)

Masse. / DO 1;784 GeV :

In Eichtheorien basieren die Wechselwirkungen auf Symmetrieeigenschaften der


Teilchen. Die Quantenelektrodynamik (QED) wird mit der in der Quantenmechanik
frei zu wählenden Phase der Teilchen in Verbindung gebracht. Wie bereits erwähnt,
können Gluonen, d. h. die Feldquanten der Quantenchromodynamik (QCD), Über-
gänge zwischen Zuständen mit verschiedenen Farben vermitteln, und es ist die
Symmetrie unter Farbaustausch, die dieser Theorie zugrunde liegt. Eichtheorien
werden uns auch zu den kürzeren Skalen im nächsten Kapitel begleiten. Eine Ver-
tauschungssymmetrie zwischen bestimmten Quark- und Leptonenpaaren wird (mit

F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_4, 193


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
194 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

einigen Komplikationen) die Grundlage für die Theorie der schwachen Wechsel-
wirkungen (der Quantenflavordynamik oder QFD) bilden.

4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik

Abgesehen von einigen speziellen Problemen haben QCD und QFD dieselbe Struk-
tur wie die QED, mit der wir jetzt beginnen. Um weiterzukommen, müssen wir uns
daher zunächst etwas mit Grundtatsachen der relativistischen Quantenmechanik be-
schäftigen. Eine wirkliche Einführung in die Quantenfeldtheorie [10, 132, 82, 133,
134] geht über den Rahmen dieses Buches hinaus. Nach einigen grundlegenden
Bemerkungen ist es hier das Ziel, Ergebnisse und Konzepte vorzustellen.

4.1.1 Die Klein-Gordon-Gleichung

Die einfachste Möglichkeit einer relativistischen Gleichung besteht für spinlose,


wechselwirkungsfreie Teilchen, die mit einer einkomponentigen Wellenfunktion
beschrieben werden können. Da die Energie- und Impuls-Erhaltung aus der Invari-
anz unter infinitesimalen Transformationen folgen muss, gilt p D .i/@=.@x  / wie
in der Schrödinger-Gleichung. Aus der Relation mit dem quadratischen Viererim-
puls (c D 1 und „ D 1)
p 2 D E 2  p 2 D m2
ergibt sich damit die Gleichung
 
@ @
  m ' D 0;
2
(4.2)
@x @x 

die Klein-Gordon-Gleichung genannt wird.


(In dieser Gleichung wird die heute weit verbreitete Einstein-Konvention be-
nutzt. Wie erwähnt, wird dabei über gleiche Indizes summiert, und zwar von 1 bis
3 für römische und von 0 bis 3 für griechische Indizes. Bei den Viererprodukten
tritt dabei ein negatives Vorzeichen für die Ortskomponenten auf. Um dies anzu-
zeigen, wird einer der beiden Indizes hoch- und der andere tiefgestellt. Hoch und
tief vertauscht sich für Ableitungen; eine Ableitung nach einem tiefgestellten Index
entfernt letztlich einen tiefgestellten Index, so dass ein hochgestellter Index übrig
bleibt. Überstriche kennzeichnen Operatoren.)
Die Klein-Gordon-Gleichung lässt sich formal auch in der folgenden Weise
schreiben:
s ! s !
@ @ @ @
  Cm   m ' D0: (4.3)
@x @x  @x @x 

Um ihre Struktur zu verstehen, betrachten wir die zweite Klammer im nichtrelati-


vistischen Grenzfall. In diesem Grenzfall können wir die Wurzel bis zu Ordnung
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 195

p 2 entwickeln und mit der Definition der kinetischen Energie Ekin D E  m in der
folgenden Weise schreiben:
s
@ @ 1 p2 1 p2
   mDE  m D E kin  :
@x @x 2E 2m

Beide Klammern von (4.3) ergeben damit:


! !
1 p2 1 p2
E kin  C 2m  E kin  'D0: (4.4)
2m 2m

Offensichtlich hat diese faktorisierte Gleichung zwei Lösungen (die erste oder die
zweite Klammer muss verschwinden), eine Lösung entspricht der Schrödinger-
Gleichung, eine Lösung führt mit einer Masse m (und einer entsprechenden Defi-
nition von Ekin ) zu einer analogen Gleichung. Die zweite Lösung wird als Lösung
der Wellenfunktion des Antiteilchens interpretiert. Wie es in einer relativistischen
Theorie erforderlich ist, beschreibt damit eine Gleichung Teilchen und Antiteil-
chenzustände.
Versuchen wir jetzt, die Verbindung zu Messgrößen herzustellen. Um unabhän-
gig vom Lorentz-System zu sein, muss man in einer relativistischen Theorie anstelle
der üblichen Dichte eine vierkomponentige Stromdichte definieren,

j D .; jx ; jy ; jz / : (4.5)

Die nullte Komponente entspricht der üblichen Dichte, die allerdings wegen der
Lorentz-Kontraktion nicht mehr unabhängig vom Lorentz-System ist. Die Dreier-
Komponente entspricht der Flussdichte. Da die Teilchenzahl erhalten sein muss, gilt
die Viererstromerhaltung
@
j D 0 : (4.6)
@x
Mit der entsprechenden Ladung oder sonstigen Flavor-Quantenzahl multipliziert,
ergibt sie die entsprechende elektrische oder Flavor-Stromdichte. Stromdichten
werden bei den Wechselwirkungen eine wichtige Rolle spielen.
Die Stromerhaltung muss dabei aus der Gleichung folgen, die für das dynami-
sche Verhalten verantwortlich ist. Dies ist für die Klein-Gordon-Gleichung mit der
folgenden Definition des Teilchenstroms der Fall:
   
@ @
j D '  i  ' C i  ' ' : (4.7)
@x @x
(Um dies zu zeigen, setzen wir (4.7) in (4.6) ein. Nach der Produktregel wirkt die
Ableitung jeweils einmal auf den ersten und einmal auf den zweiten Faktor. Da die
Koordinate x reell ist, kann die Ableitung unter die Konjugation gezogen werden.
In der Differenz ( iCi ) bleiben dabei nur Produkte von nicht und doppelt abgelei-
teten Wellenfunktionen übrig. Eine Anwendung der Klein-Gordon-Gleichung (4.2)
ergibt jeweils einen Faktor m2 und damit eine verschwindende Differenz.)
196 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

4.1.2 Die Dirac-Gleichung

Wie schon bei der Besprechung der Parität erwähnt, lässt sich ein freies Fermion
durch die Dirac-Gleichung beschreiben:
 
@
i m D0: (4.8)
@x

Wie kommt man zu (4.8)? Der Drehimpuls hängt mit dem Verhalten unter Rotation
zusammen. Aus der Bedingung, nach einer Umdrehung wieder zur ursprünglichen
Wellenfunktion zurückzukommen, folgt ein ganzzahliger Drehimpuls. In mehrkom-
ponentigen Theorien kann man einen halbzahligen Drehimpuls dadurch erhalten,
dass die interne Komponentenstruktur und die Raumstruktur gekoppelt auftreten,
und zwar gerade so, dass nach einer Umdrehung eine orthogonale Komponente
erreicht wird und die Identität mit dem ursprünglichen Zustand erst nach zwei Um-
drehungen wiederhergestellt wird. Dies ist die einzige Möglichkeit. Zur Beschrei-
bung eines Teilchens mit halbzahligem Spin braucht man eine mehrkomponentige
Beschreibung.
Mehrkomponentige lineare Differenzialgleichungen kann man immer als Diffe-
rentialgleichungen erster Ordnung schreiben, z. B. kann man Ableitungen jeweils
als neue Komponenten einführen und auf diese Weise Ableitungen höherer Ord-
nung eliminieren. Ohne Festlegung der Matrizen und deren Dimensionen handelt
es sich also bei der obigen Gleichung unter bestimmten Bedingungen um die allge-
meinste mögliche Form.
Die Dirac-Gleichung benutzt vier Komponenten. Das ist eine notwendige Mi-
nimalzahl. Der halbzahlige Spin erfordert zwei Komponenten; dass man in einer
relativistischen Theorie Teilchen und Antiteilchen zusammen beschreiben muss,
erfordert eine Verdopplung der Komponenten der nichtrelativistischen Theorie.
Aus der Relation p 2 D m2 folgt, wie bei der Klein-Gordon-Gleichung,
 
@ @
  m 2
D0: (4.9)
@x @x 

Um diese Gleichung zu erhalten, multipliziert man die Dirac-Gleichung von links


in der folgenden Weise:
  
@ @
i Cm i m D0: (4.10)
@x @x

Die Klein-Gordon-Gleichung folgt, wenn die  -Matrizen der folgenden Bedingung


genügen: 8
ˆC2 für  D  D 0
<
   C    D 2g D 2 für  D  6D 0 (4.11)

0 sonst :
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 197

(Mit dieser Relation fallen die gemischten Terme in (4.10) beim Ausmultiplizieren
weg, und für die nicht gemischten Terme erhält man jeweils die Einheitsmatrix, so
dass die Bedingung für jede Komponente gilt.)
Eine Repräsentation von -Matrizen, die diese Bedingung erfüllt, ist
 
0 k
k D (4.12)
k 0

für Ortsindizes k D 1; 2; 3 und


0 1
1 0 0 0
B 0 1 0 0 C
0 D B
@ 0
C (4.13)
0 1 0 A
0 0 0 1

für die Zeitkomponente. Die Untermatrizen k sind die Pauli-Spin-Matrizen


     
0 1 0 i 1 0
1 D ; 2 D ; 3 D : (4.14)
1 0 i 0 0 1

Die gewählte Definition der Dirac-Spinoren erlaubt die folgende Schreibweise der
Dirac-Gleichung:
80 1 9
ˆ
ˆ p0 0 0 0   >
>
<B =
B 0 p0 0 0 CC 0 k  pk
m D 0 : (4.15)
ˆ@ 0 0 p0 0 A k  pk 0 >
>
:̂ ;
0 0 0 p0

Die wechselwirkungsfreie Dirac-Gleichung ist eine lineare Gleichung, die mit dem
folgenden Exponentialansatz gelöst werden kann:

D u.p/ exp.ip x  / ; (4.16)

wobei 0 1
u1 .p/
B u2 .p/ C
u.p/ D B C
@ u3 .p/ A
u4 .p/
nur von p und nicht von x abhängt.
Um die Struktur der Lösung zu verstehen, ist es nützlich, sich Grenzfälle anzu-
schauen. Betrachten wir zunächst ein Teilchen in seinem Schwerpunktsystem mit
verschwindendem Dreierimpuls. Der nichtdiagonale Term verschwindet, und wir
haben daher die Lösungen

D u.p/ exp.˙imt/ ; (4.17)


198 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

wobei 0 1 0 1
1 0
B 0 C B 1 C
u.p/ D B C B
@ 0 A;@ 0
C ;
A
0 0
für Teilchen mit positiver Energie p0 D Cm und
0 1 0 1
0 0
B 0 C B 0 C
B C B
u.p/ D @ A ; @ C ;
1 0 A
0 1

für Antiteilchen mit negativer Energie p0 D m ist. Um sie zu unterscheiden, wer-


den die Dirac-Spinoren der Antiteilchen oft mit den Buchstaben v.p/ bezeichnet.
Der nichtdiagonale Beitrag vermischt Teilchen- und Antiteilchenbeiträge. Bei
langsam bewegten Teilchen tritt neben den „Schrödinger-Gleichungs“-Termen ein
kleiner Beitrag von der Größenordnung jpj=.E C m/ auf, der für eine Mischung
mit dem Antiteilchenbereich sorgt.
Betrachten wir nun als anderes Extrem den relativistischen Grenzfall, in dem die
Masse des Teilchens null oder vernachlässigbar ist. Um die Gleichung in diesem
Falle zu diagonalisieren, definieren wir zweikomponentige Spinoren, die jeweils die
erste und zweite bzw. dritte und vierte Komponente der Dirac-Spinoren enthalten,
und schreiben  
uI
u.p/ D :
uII
Betrachten wir die Summe und die Differenz der oberen und der unteren Kompo-
nente der so erhaltenen Gleichung, bekommen wir zwei separate Gleichungen für
die jeweils zweikomponentigen neuen Felder uI C uII und uI  uII :

p0 .uI  uII / D k pk .uI  uII / (4.18)

und
p0 .uI C uII / D k pk .uI C uII / : (4.19)
Die beiden Gleichungen enthalten etwas ungewöhnliche Objekte. Ein Spin-1=2-
Teilchen kann seinen Spin in Richtung oder entgegen der Richtung des Teilchenim-
pulses ausgerichtet haben. (Man spricht dann von einem Teilchen mit positiver bzw.
negativer Helizität. Es handelt sich um eine mögliche Beschreibung. Betrachtet man
den Spin in einer anderen Richtung, benutzt man andere Basisvektoren.)
Beginnen wir mit der Lösung der ersten Gleichung. Je nachdem, ob der Spin par-
allel oder antiparallel zu p ist, handelt es sich um ein Antiteilchen (p0 < 0) bzw. ein
Teilchen (p0 > 0). Im Falle einer Lösung der zweiten Gleichung ist die Identifikati-
on genau umgekehrt. Da Massen meist nicht als fundamental betrachtet werden,
benutzen fundamentale Theorien oft zunächst zwei solcher zweikomponentigen
„Weyl-Spinor-Gleichungen“ anstelle der vierkomponentigen Dirac-Gleichung. In
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 199

dem Energiebereich, in dem die Massen der Fermionen keine Rolle spielen, haben
ein rechtshändiges und ein linkshändiges Fermion im Prinzip nichts miteinander zu
tun.
Um zu physikalischen Größen zu kommen, brauchen wir wiederum die Defini-
tion des Viererstroms. Die Stromerhaltung muss diesmal aus der Dirac-Gleichung
folgen, die für das dynamische Verhalten verantwortlich ist. Dies ist für die folgende
Definition des Stroms der Fall:
C
j D 0  : (4.20)

Nach der Produktregel wirkt die Ableitung (4.6) einmal auf den ersten und einmal
auf den zweiten Faktor. Die Ableitungen auf den zweiten Faktor entsprechen denen
auf der rechten Seite der Dirac-Gleichung, die es erlaubt, die Ableitung und die
Matrix durch den Faktor m=i zu ersetzen. Mit der Identität .0  /C D C 0 D
0  ; die aus kC D k folgt, wenn man die Gleichung mit (2 2 )-Untermatrizen
ausschreibt, kann der Strom auch in der folgenden Weise

j D .0  /C

geschrieben werden. Dies erlaubt, für die Ableitung des ersten Faktors wiederum
die Dirac-Gleichung zu verwenden. Es verbleibt der Faktor .m=i/ , und die Summe
verschwindet.

4.1.3 Einige Fakten der relativistischen Störungsrechnung

Das Verständnis der Dynamik erfordert Konzepte der Quantenfeldtheorie, die im


Rahmen des Buches nicht eingeführt werden können. Das Ziel des Buches ist es,
wichtige aus der Feldtheorie gewonnene Methoden vorzustellen und, soweit dies
ohne wirkliche Herleitung möglich ist, plausibel zu machen,
In der Quantenmechanik hat man Verfahren entwickelt, wie man „kleine“ Po-
tenziale als Störung, die in einer geeigneten Entwicklung eines Zustands ein-, zwei-
oder mehrmals auftritt, berücksichtigen kann. In der „zeitabhängigen Störungstheo-
rie“ ist die Übergangsamplitude von einem Zustand a zum Zeitpunkt ta in einen
Zustand b zum Zeitpunkt ta in niedrigster Ordnung:

Ztb
h'b jS.tb  ta /j'a i D h'b j'a i  i dth'b jV .t; /j'a i exp.it.Ea  Eb // : (4.21)
ta

Wir benutzen die in (2.176) eingeführte „Bra-ket“-Notation mit Wellenfunktio-


nen als Elemente des Hilbert-Raums mit den Produkten h i j j i D ıi;j und
P
i j i ih i j D 1. Rechts in (4.21) steht eine Summe über zwei Terme. Der erste
Term berücksichtigt den Fall, dass das Potenzial keine Wirkung zeigt, der zweite
Term enthält die eigentliche Wechselwirkung.
200 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.1 Skizze der Beiträge


von Wechselwirkungen ta t1 t2 ...... tn tb

In analoger Weise lassen sich natürlich auch mehrfache Wechselwirkungen be-


rücksichtigen. Die Struktur dieser Beiträge ist in Abb. 4.1 skizziert. Über die Punkte
t1    tn , die jeweils mit einen Faktor
X
i h ij 1 .tj / j V .tj / j ij .tj /i
ij

beitragen, wird zwischen den Nachbarpunkten über den verfügbaren Bereich inte-
griert.
Betrachten wir nun das elektromagnetische Potenzial. Der relevante Teil der
Hamilton-Funktion (d. h. der Energie- oder Zeitentwicklungs-Operator) eines ge-
ladenen Teilchens in einem elektromagnetischen Feld kann als

1
H D .p  eA/2
2m
geschrieben werden, wenn für das Vektorpotenzial A die Coulomb-Eichung benutzt
und die Wirkung eines elektrostatischen Potenzials nicht berücksichtigt wird. Die
elektrodynamische Wechselwirkung eines Teilchens mit solchem Feld ist damit
e
V D pA Dj A ; (4.22)
m
wobei im letzten Gleichungsschritt die Definition des Stroms verwendet wurde. Ein
einfacher Übergang zum Lorentz-invarianten Vierervektorprodukt

j  A ! j A

erlaubt, die elektrostatische Wechselwirkung zu berücksichtigen.


Mit diesem Wechselwirkungsterm lässt sich der Integralanteil von (4.21) in der
folgenden Weise ausschreiben:
Z
d 4 rf'b .r/eitEb g j A .t; r/f'a .r/eitEa g : (4.23)
t1 <r0 <t2

Er enthält neben den beiden Teilchen-Wellenfunktionen die des Photons.


Betrachtet man die Gleichung, stellt man fest, dass sie viel näher an einer relati-
vistischen Formulierung ist, als es von der Herleitung zu erwarten ist. Die folgenden
Punkte fallen dabei ins Auge:
1. Die Integration erstreckt sich über ein vierdimensionales Raum-Zeit-Gebiet.
2. Die Exponenten der Wellenfunktionen der Teilchen enthalten volle Viererpro-
dukte, d. h. 'a .r/ / exp.ir  pa /.
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 201

ε̂ e−i(ω·t−k r)
Abb. 4.2 Die Absorption
und Emission eines Photons ε̂ e−i(ω ·t −k r )

(t, r) (t , r )

φc e−i(Ec·(t−t )−pc(r-r ))

φa e−i(Ea·t−par ) φb e−i(Eb·t −pbr )

Offensichtlich muss man, wenn man zu einer relativistischen Theorie übergehen


möchte, die Wellenfunktionen der Schrödinger-Gleichung durch die der Klein-Gor-
don-Gleichung oder der Dirac-Gleichung ersetzen. Wir hatten gesehen, wie sich
der Strom aus der Klein-Gordon-Gleichung und aus der Dirac-Gleichung von dem
der Schrödinger-Gleichung unterscheidet. Durch Auswechseln der Ströme erhält
man    
@ @
QTeilchen '  i 'C i ' ' A (4.24)
@x @x
für den Wechselwirkungsterm der Klein-Gordon-Gleichung und

QTeilchen N  A (4.25)

für den Wechselwirkungsterm der Dirac-Gleichung.


Abgesehen von dem Fall statischer Felder (z. B. des Coulomb-Feldes eines
Kerns), sind die Photonen Teil der relativistischen Beschreibung. Das Vektorpoten-
zial oder das Feld eines ungestörten Photons ist

A .t; r/ D  ei.k0 t kr/ : (4.26)

Die Photonen treten dabei, wie es quantenmechanisch erforderlich ist, als Teil-
chen auf. Der Strom j .x/ ist eine Quelle für die Produktion eines einzelnen
(emittierten) neuen Photons oder eine Senke für die Absorption eines einzelnen
(absorbierten) vorhandenen Photons. Der Viererimpuls des Photons wird vom
Teilchen aufgenommen.
Die betrachtete Ordnung der Störungstheorie bestimmt die Photonenzahlen.
Ein Beispiel dazu, ein Beitrag zu der zweiten Ordnung in Q, ist in Abb. 4.2
dargestellt. Ein einlaufendes Photon wird absorbiert, und ein virtuelles Teilchen
(p 2 6D m2 ) entsteht, das dann anschließend wieder ein auslaufendes Photon emit-
tiert.
202 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.3 Die Emission und


Absorption in zeitgeordneter
Störungstheorie 1.Störung 2.Störung

ta < t1 < t2 < tb

4.1.4 Ein zentraler Aspekt beim Pfadintegral

Ein wichtiger Schritt, der die Situation in der relativistischen Theorie drastisch
vereinfacht, ist der Übergang von der zeitgeordneten zu einer Teilchenbahn-ori-
entierten Störungsrechnung. Um die Motivation für diesen Übergang verständlich
zu machen, wird in Abb. 4.3 ein „gekreuzter Kanal“ des in Abb. 4.2 dargestellten
Prozesses betrachtet.
In der zweiten Ordnung einer zeitgeordneten Potenzialtheorie geht der Anfangs-
zustand zum ersten Zeitpunkt in einen Zwischenzustand über, aus dem am zweiten
Zeitpunkt der Endzustand entsteht. Im Falle der betrachteten Wechselwirkung mit
der Erzeugung und Vernichtung eines Photons treten dabei im gekreuzten Kanal
die in Abb. 4.3 gezeichneten Zwischenzustände auf. Zum ersten Störzeitpunkt gibt
es einen Übergang von einem Teilchen-Photon-Zustand in einen Teilchen-Photon-
Photon-Zustand. Die Amplituden des gekreuzten und des ungekreuzten Prozesses
werden unterschiedlich behandelt.
In einer teilchenbahn-orientierten Beschreibung treten neben Wechselwirkungs-
punkten nur Ein-Teilchen-Zustände auf. Ein einlaufendes Teilchen wird in der-
selben Weise wie ein auslaufendes Antiteilchen beschrieben. Da das Photon sein
eigenes Antiteilchen ist, ist die „gekreuzte“ Amplitude, wie es in Abb. 4.4 skiz-
ziert ist, abgesehen von den anderen Impulswerten, identisch mit der ungekreuzten
Amplitude (Abb. 4.2).
Es gibt keine bevorzugte Zeitrichtung. Da man in einer solchen Berechnung nicht
mehr dem zeitlichen Ablauf folgt, ist die Definition von Anfangs- und Endzustand
nicht mehr trivial; eine eingehendere Behandlung der Methode des Pfadintegrals
zur feldtheoretischen Beschreibung eines vorgegebenen Prozesses erfordert einen
formalen Aufwand, der über den Rahmen dieses Buches hinausführen würde.

1.Störung 2.Störung

Abb. 4.4 Die Emission und Absorption in Feynmanscher Störungstheorie


4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 203

4.1.5 Feynman-Regeln

Wechselwirkungsgraphen, wie sie oben gezeichnet waren, lassen sich direkt in


Formeln für die entsprechenden Beiträge umsetzen. Fouriertransformiert man vom
Zeit-Ort-Raum in den Viererimpulsraum, kann man die Exponentialfunktionen
durch die entsprechenden ı-Funktionen ersetzen, die jeweils an den Verzweigungs-
punkten die Viererimpulserhaltung garantieren. Die Klein-Gordon- oder die Dirac-
Gleichung erzwingen die Bedingung p 2 D m2 für einlaufende oder auslaufende
Teilchen. Für Teilchen, die im Inneren bleiben, führen die dynamischen Glei-
chungen Brüche ein, deren Zähler und Nenner von den auftretenden Massen und
Impulsen abhängen. Für Bosonen hat der Nenner dabei dieselbe Form wie der
Nenner der Breit-Wigner-Amplitude. Da außerhalb von Wechselwirkungen keine
Zerfälle auftreten, verschwindet dabei die Breite. Um sicherzustellen, dass über
den Pol in der richtigen Weise (entsprechend dem Grenzwert der Breit-Wigner-
Amplitude) integriert wird, behält man im Nenner einen kleinen Imaginärteil bei,

Nenner D s  m2 C i ;

und betrachtet dann erst am Ende den Grenzwert  ! 0. Auf diese Art legt man
fest, in welcher Weise man um die Pole im Impulsraum integriert. Dies bestimmt die
Randbedingungen im Ortsraum. Ein Feynman-Propagator, der dem Teilchenpfad
folgt, erfordert die obige Festlegung.
Die Umsetzung folgt einem festen „Rezept“. Ziel der Rechnung sind Lebensdau-
ern und Wirkungsquerschnitte. Um dabei die Normierung festzulegen, betrachten
wir zunächst die allgemeine Relation zwischen Matrixelement und Wirkungsquer-
schnitt. Für die n-Boson-Streuung mit den Viererimpulsen

p Œa C p Œb ! p Œ1 C    p Œn

gilt
! !
1 1 1
d D Œa
jv  vŒb j Œa
2p0 2p0
Œb

 jMj2
!
d 3 p Œ1 d 3 p Œn X
n
 Œ1
 Œn
4 4
.2/ ı p Œa
Cp Œb
 p Œi
S:
2p0 .2/3 2p0 .2/3 i D1
(4.27)
Die Formel besteht aus drei Termen, und zwar aus einem Flussfaktor (1. Zeile),
dem Absolutquadrat des Matrixelements und einem Phasenraumfaktor. Jeder der
drei Faktoren ist ein Lorentz-Skalar. Er kann in einem beliebigen kollinearen Sys-
tem unabhängig vom Rest berechnet werden. In dem Flussfaktor sind v Œa und v Œb
Œa Œb
die Geschwindigkeiten der einfallenden Teilchen und p0 und p0 deren Energien.
Mit dem Matrixelement werden wir uns später beschäftigen. Hinter dem Matrixele-
ment steht das Phasenraumelement. Typischerweise muss man bei der Berechnung
204 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

von gemessenen Prozessen über alle oder über einen Teil der Impulse p Œi integrie-
ren. Um die Faktoren 2 übersichtlich zu schreiben, sind diese Faktoren jeweils
unter den Impulsintegralen bzw. neben „weggenommenen“ Impulsintegralen (d. h.
vor der ı-Funktion) separat stehen gelassen. Treten n identische Teilchen auf, gibt
es formal .nŠ/2 Möglichkeiten, sie zu erhalten, da die Amplitude quadratisch auf-
tritt. Da identische Teilchen nicht unterscheidbar sind, können physikalisch nur nŠ
dieser Möglichkeiten zählen. Um dies zu erreichen, wird der Statistikfaktor
Y 1
SD (4.28)
i
ni Š

hinzugefügt.
Die obige Gleichung gilt für Bosonen. Für Dirac-Teilchen gilt praktisch derselbe
Ausdruck. In der hier beschriebenen Konvention [10, 132] ist die Wellenfunktion
allerdings etwas anders normiert. Für Dirac-Teilchen muss man in der obigen Glei-
chung die folgende Ersetzung durchführen:
! !
1 mŒi
Œi
! Œi
: (4.29)
2p0 p0

Die berechneten Matrixelemente werden auch dazu benötigt, die mittleren Lebens-
dauern instabiler Teilchen auszurechnen. Für solche n-Teilchen-Prozesse mit den
Viererimpulsen
p ! p Œ1 C    p Œn
gilt der völlig analoge Ausdruck
    !
1 1 d 3 p Œ1 d 3 p Œn X n
d D  jMj 
2
Œ1
   Œn .2/ ı p 
4 4
p Œi
S;
 2m 2p0 .2/3 2p0 .2/3 i D1
(4.30)
wobei  die mittlere Lebensdauer des zerfallenden Teilchens ist. Die differenzielle
Schreibweise ist möglich, da die Zerfallswahrscheinlichkeiten additiv sind.
Wenden wir uns jetzt dem eigentlichen Problem zu, und zwar der Berechnung
des Absolutquadrats des Matrixelements. Unser Ziel ist es, die Beiträge in nied-
rigster Ordnung zu verstehen; wir vernachlässigen alle Komplikationen, die mit
Renormierung verbunden sind. (Betrachtet man höhere Ordnungen, gibt es eine
Komplikation, die zum Auftreten unendlich großer Terme führt, die erst durch um-
fangreiche Überlegungen verstanden und kontrolliert werden können. Wir werden
im Rahmen der „Wichtigsten Fakten der QCD“ auf dieses Problem zurückkommen,
da sie dort eine zentrale Rolle spielen.)
Man beginnt damit, alle möglichen beitragenden Graphen (Feynman-Graphen)
zu zeichnen, die dem Ablauf der Wechselwirkung entsprechen könnten. Diese Gra-
phen können beliebig viele ausgetauschte Zwischenteilchenbahnen (Propagatoren)
und Wechselwirkungen enthalten. Sie dürfen allerdings keine nicht verbundenen
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 205

Teile enthalten. Anschließend berechnen wir das Matrixelement oder dessen Abso-
lutquadrat durch Aufsummation der in Formeln umgesetzten beitragenden Graphen.
Interne
R Impulse müssen dann am Ende integriert werden, und zwar mit der Normie-
rung d 4 p=.2/4 .
Die Feynman-Regeln spezifizieren, wie die Graphen in Formeln umgesetzt wer-
den. Für externe (ein- oder auslaufende) Teilchen gibt es dabei die folgenden Bei-
träge:
 Ein Faktor 1 berücksichtigt jede den Graphen verlassende und jede in den Gra-
phen eintretende spinlose Bosonenlinie.
 Ein Faktor u.p; s/ bzw:v.p; s/ berücksichtigt jede in den Graphen eintretende
Fermionlinie. Fermionenlinien werden immer in Richtung der Fermionenbewe-
gung betrachtet. u entspricht einem eintretenden, vorwärtslaufenden Fermion
und v einem rückwärtslaufenden eintretenden Fermion, d. h. einem physikalisch
austretenden Antifermion.
 Ein Faktor u.p;
N N
s/ bzw:v.p; s/ berücksichtigt jede aus den Graphen austretende
Fermionlinie. vN entspricht einem physikalisch eintretenden, vorwärtslaufenden
Antifermion und uN einem austretenden Fermion.
 Ein Faktor  berücksichtigt jede den Graphen verlassende und jede in den Gra-
phen eintretende Photonlinie.
Für den Vertex eines Photons
 an einer Fermionlinie schreibt man den Faktor

i  QFermion  

 und an einer Bosonlinie den Faktor


0
i  QBoson  .peinlaufend  pauslaufend / :

Für interne Teilchen verwendet man


 für Fermionen die Propagatoren

  p C m
i ;
p 2  m2 C i

 für Bosonen die Propagatoren

i
q 2  2 C i

 und für Photonen die Propagatoren

i g 
 :
q 2 C i

Terme, die sich nur durch den Austausch zweier externer Fermionlinien unter-
scheiden, erhalten ein wechselseitig umgekehrtes Vorzeichen, Graphen mit einer
zusätzlichen inneren Fermionenschleife einen Faktor 1.
206 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.5 Die e C e  -Ver- −)


pa
(e − (μ
nichtung in Myonen in pa
)
niedrigster Ordnung

+)
q
(e
pb p
b (μ +
)

4.1.6 Elektron-Positron-Vernichtung in Myonen

Die Methode, Querschnitte in der Feynmanschen Störungsrechnung zu berechnen,


wird jetzt an einem besonders einfachen Beispiel vorgestellt. Das recht triviale Bei-
spiel wird nicht ausreichen, die Methode, Feynman-Graphen zu berechnen, wirk-
lich zu vermitteln. Die Absicht ist, eine Vorstellung davon zu geben, wie solche
Rechnungen, die die elektromagnetischen Wechselwirkungen beschreiben, durch-
zuführen sind.
Wir betrachten den differenziellen Wirkungsquerschnitt des Prozesses

eC e ! C  :

Es gibt keinen Übergang zwischen Leptonen verschiedener Generationen, und ein


Elektron kann sich daher nicht in ein Myon verwandeln. Die einzige Möglich-
keit bei diesem Prozess ist die Vernichtung des Elektron-Positron-Paares und eine
anschließende Produktion eines Myonenpaares. In niedrigster Ordnung der QED
kommt daher nur der in Abb. 4.5 abgebildete Feynman-Graph mit einem zwischen-
zeitlich gebildeteten Photon in Frage.
Setzen wir den Graphen nun nach den obigen Regeln in eine Amplitude um.
Es gibt zwei Fermionenlinien. Beginnen wir mit dem Elektron und dem Positron.
Das Elektron entspricht einer einlaufenden Fermionlinie im Anfangszustand und
wird daher von dem Dirac-Spinor u.pa ; sa / repräsentiert. Das Positron entspricht
als Antiteilchen einer aus dem Graphen herauslaufenden Linie. Da es wiederum im
N b ; sb / zur Amplitude bei. Der
Anfangszustand auftritt, trägt es mit dem Faktor v.p
Vertex eines Fermions mit einem Photon ist iQElek t ron  . Da es keine internen
Fermionlinien gibt, brauchen wir keinen Fermionpropagator, und der elektronische
Anfangszustand führt damit zu dem folgenden Produkt von Dirac-Spinoren:

N b ; sb /.iQElektron  /u.pa ; sa / :
v.p (4.31)

Einen analogen Term gibt es für die Myonen:

N a0 ; sa0 /.iQMyon  /v.pb 0 ; sb 0 / ;


u.p (4.32)

wobei wegen des Auftretens im Endzustand die u’s durch die v’s ersetzt wurden.
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 207

Das einzige interne Teilchen in unserem Graphen ist das Photon, und wir müssen
daher nur den folgenden Propagator berücksichtigen:

 ig  =.q 2 C i/ : (4.33)

In der implizierten Summe tragen vier diagonale Terme von g  bei. Da einer der
Terme ein negatives Vorzeichen besitzt, hat man in Wirklichkeit nur zwei Beiträge,
wie es den beiden Polarisationszuständen des Photons entspricht. (Es ist manchmal
praktischer, nur positive Beiträge zu zählen; dies kann man tun, indem man dem
Photonpropagator sogenannte Eichterme zufügt, die eine „physikalische“ Eichung
festlegen.)
Da der Impuls des Photons q durch die Impulserhaltung im ersten Vertex festge-
legt ist, tritt keine zusätzliche Integration über interne Impulse auf. Das Produkt der
obigen Terme ist damit die gesuchte Amplitude.
Für die Berechnung des Wirkungsquerschnitts brauchen wir das Absolutquadrat
der Amplitude

jMj2 D
N b ; sb /.Cie
/u.pa ; sa /  .ig
=.q 2 C i//  u.p
v.p N a0 ; sa0 /.Cie /v.pb 0 ; sb 0 /
N a ; sa /.ie /v.pb ; sb /  .ig  =.q 2 C i//  v.p
 u.p N b 0 ; sb 0 /.ie /u.pa0 ; sa0 / ;
(4.34)
wobei wir die komplexe Konjugation durch eine Umordnung und hermitische Kon-
jugation der vierkomponentigen Terme berücksichtigt haben. Da die Ladung jeweils
quadratisch auftritt, ist in der betrachteten Ordnung das Vorzeichen Q D e irre-
levant.
Wir nehmen an, dass der Spin der einlaufenden Teilchen, wie es meist der Fall
ist, nicht festgelegt ist, und dass der Spin der auslaufenden Teilchen nicht gemessen
werden soll. Über den Spin der einlaufenden Teilchen muss daher gemittelt, über
den Spin der auslaufenden Teilchen summiert werden. Da es jeweils zwei Spinrich-
tungen für jedes der beiden einlaufenden Teilchen gibt, muss man über alle Spins
summieren und durch 4 D 2  2 teilen.
Die auftretenden Summen erlauben es, die folgenden Relationen für die von den
Spinoren aufgespannten (4 4)-Matrizen zu benutzen, die den Rechenaufwand dras-
tisch vereinfachen:
X  
6p C m
u˛ .p; s/uN ˇ .p; s/ D
2 m ˛ˇ
˙
X   (4.35)
 6p C m
 v˛ .p; s/vN ˇ .p; s/ D ;
2m ˛ˇ
˙

wobei zur Schreibvereinfachung die Definition

6 p D p   (4.36)
208 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

benutzt wurde. Die Relation (4.35) kann man jeweils für beide bei den Elektronen
und bei den Myonen auftretenden Summen anwenden. Das Problem mit der Sum-
mation über Anfang und Ende kann mit der Spur
!
X X
N
u.p; s/ Matrixu.p; s/ D Spur N
u.p; s/ u.p; s/ Matrix (4.37)
˙ ˙

vermieden werden, wobei die Matrixschreibweise verwendet wurde und wobei die
Spur (engl. trace, abgekürzt Tr) eine Summe über die Diagonalelemen te der Matrix
bedeutet. Für ein Produkt von Matrizen bedeutet dies, dass über die äußeren Indizes
völlig analog zu den inneren Indizes summiert wird.
Die Relation (4.35) erlaubt es, eine explizite Repräsentation der Dirac-Spinoren
zu umgehen und das über die Spins gemittelte bzw. summierte Absolutquadrat der
Amplitude in der folgenden Weise zu schreiben:

1X 1
jMj2 D 
4 4
Spur f. 6 pb C m/=2m  .Cie
/  .6 pa C m/=2m  .ie /g
.ig
=q 2 C i/  .ig  =q 2 C i/ 
Spur f.6 pa0 C m/=2m  .Cie /  . 6 pb 0 C m/=2m  .ie /g

oder
 
1X e4
jMj2 D  Spur f. 6 pb C m/
.6 pa C m/ g
4 4.2m/4 q 4
Spur f.6 pa0 C m/
. 6 pb 0 C m/  g :

Das geht übrigens auch, wenn nicht über Spins summiert wird. Man muss dann
die folgende Gleichung benutzen:
 
6 p C m 1 C 5 6 s
u˛ .p; s/uN ˇ .p; s/ D 
2m 2 ˛ˇ
  (4.38)
 6 p C m 1 C 5 6 s
v˛ .p; s/vN ˇ .p; s/ D  ;
2m 2 ˛ˇ

mit
5 D  0  1  2  3 : (4.39)
Man hat das Problem darauf zurückgeführt, Spuren von Produkten von -Matrizen
auszurechnen. Aber das kann bei längeren Ausdrücken immer noch recht kom-
pliziert sein. Für die dabei auftretenden algebraischen Manipulationen existieren
Computerprogramme.
In unserem Beispiel ist die Berechnung der Spuren einfach. Da die Spur über
drei -Matrizen verschwindet, brauchen wir nur die Terme mit zwei oder vier -
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 209

Matrizen zu betrachten. Mit den folgenden beiden Relationen

Spur 6 a 6 b D 4.a  b/ D 4a b  ;


(4.40)
Spur 6 a 6 b 6 c 6 d D 4f.a  b/ .c  d / C .a  d / .c  b/  .a  c/ .b  d /g

und der etwas formalen Definition


0
 D 0 g D6 g ./ 
00 0 00
und g0  g D g erhalten wir
 
1X e4
jMj D2

4 4.2m/4 q 4
4fm2  g
 C .pb
/  pa C .pb /  pa
 pa  .pb /  g
 g
 
4fm2  g
 C pa
0  .pb 0 / C pa0  .pb
0 /  pa0  .pb 0 /  g
 g :
(4.41)
Die Potenzen der Zahlen 2 und 4 kürzen sich zu 1=4. Der Ausdruck .pa  pb /
.pa0 b 0 / tritt viermal positiv beim Produkt der beiden letzten Terme auf und viermal
negativ in gemischten Produkten. Es verbleiben jeweils 2 gemischte und 2 unge-
mischte Produkte der mittleren Summanten. Die Leptonenmassen sind klein gegen
typische Streuenergien. Unter Vernachlässigung der Massen erhalten wir

e4
f2 .pa  pb 0 /.pa0  pb / C 2 .pa  pa0 /.pb  pb 0 /g : (4.42)
4  q 4  m4
Die Vierervektorprodukte lassen sich in der folgenden Weise durch Schwerpunkt-
größen (siehe Abb. 2.50) ausdrücken:

.pa  pb / D .pa0  pb 0 / D 2Ea2 D 2q 2 =4 ;


.pa  pa0 / D .pb  pb 0 / D Ea2 .1  cos #  / ; (4.43)

.pa  pb 0 / D .pa0  pb / D Ea2 .1 C cos # / :

Wir erhalten
e4 n 4  
 2
  o
 2 e4  
4 4
2E a 1  cos # C 2Ea
4
1 C cos # D 4
1 C cos #  2 :
4q m 32m
(4.44)
Wir müssen nun das berechnete Matrixelement in den Ausdruck für den totalen
Wirkungsquerschnitt (4.27 mit Modifikation für Fermionen) einsetzen. Integriert
man über die ı-Funktionen (für m ! 0 entsprechen die Dreierimpulsbeträge den
Energien), erhält man

d  C   e 4 =.4/2  
 e e ! C  D 2
1 C cos # 2 (4.45)
d˝ 4q
für den gesuchten differenziellen Wirkungsquerschnitt.
210 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.6 Die Winkelab-


hängigkeit der wichtigsten
Prozesse der Elektronenstreu-
ung (adaptiert nach [136])

4.1.7 Wichtige Querschnitte in der QED


Nachdem die Methode, wie man quantenelektrodynamische Prozesse berechnet,
vorgestellt ist, werden nun die wichtigsten QED-Prozesse besprochen [86, 135].
Beginnen wir mit Streuvorgängen zwischen Elektronen und Positronen. Für feste
Winkel fallen solche Streuvorgänge mit wachsender Energie ab (/ 1=s). Die Win-
kelabhängigkeit der wichtigsten Prozesse dieser Art ist in Abb. 4.6 dargestellt und
wird jetzt im Einzelnen besprochen.
Schauen wir uns zunächst die oben behandelte Myonenproduktion e C e  !
C 
  an (Annihilation in Myonen). Die exakte Formel für unpolarisierte Elek-
tronen mit Massenkorrekturen für die Myonen ist
 
d e C e  ! C  r 2 m2e p  m 
D 0  2   1 C cos2 #  C  sin # 2 : (4.46)
d˝ 16 E E E
Da der Wirkungsquerschnitt üblicherweise in einem Flächenmaß (barn) und nicht
in 1=GeV2 angegeben wird, ist es sinnvoll, die Ladung durch den klassischen Elek-
tronenradius auszudrücken. Es ist der klassische Elektronenradius
˛
r0 D D 0; 2818 barn1=2 ; (4.47)
me
wobei die Feinstrukturkonstante (mit 0 D „ D c D 1) als
e2 e2 1
˛D D D (4.48)
4 40  „c 137
definiert ist.
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 211

Abb. 4.7 Die bei der elas-


−)

pa
tischen e C e  -Streuung (e

(e
−)
beitragenden Graphen pa

+) p
(e b (e +
pb )

pa ( −)
e− e
) p a(

+) p (
e b e+
p b( )
t

Da zur niedrigsten Ordnung nur ein Feynman-Graph beiträgt, ist es ein besonders
einfacher Prozess. In der logarithmischen Darstellung (Abb. 4.6) ist die Winkelab-
hängigkeit relativ gering. Wegen der bei der betrachteten Energie nicht ganz zu
vernachlässigenden Myonmasse gibt es einen kleinen sin2 # -Beitrag zur Winkel-
verteilung. Bei den höchsten PETRA- und TRISTAN-Energien kommt ein kleiner
asymmetrischer Anteil dazu, der auf einem Beitrag der schwachen Wechselwir-
kungen beruht. Für LEP-Energien rührt der dominante Beitrag von der schwachen
Wechselwirkung her, bei der ein massives Vektorboson die Rolle des Photons über-
nimmt.
Für die Streuung von Elektronen an Positronen ist der Übergang in ein Elek-
tron-Positron-Paar (Bhabha-Streuung) dominant. Es gibt dabei zwei beitragende
Feynman-Graphen (Abb. 4.7). Neben dem oben behandelten Beitrag gibt es einen
zweiten, zusätzlichen Beitrag, in dem ein Photon ausgetauscht wird. Die Summati-
on der Amplituden führt zu folgendem Streuquerschnitt:
 
d e C e  ! e C e 
D

(4.49)
r02 m2e 1 1 C cos4 .#  =2/ 1  1 cos4
.# 
=2/
  C 1 C cos2 #   :
2 pe2 4 sin4 .#  =2/ 8 2 sin2 .#  =2/

Der erste Beitrag entspricht dem Quadrat der Amplitude des zweiten Graphen.
Es ist eine sehr stark nach vorn gerichtete Verteilung (siehe Abb. 4.6), die et-
wa der klassischen Rutherford-Streuung entspricht. Der zweite Beitrag entspricht
dem Quadrat der Amplitude des ersten Graphen, den wir im Abschn. 4.1.6 be-
212 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.8 Die bei der Streu-


ung eines e C e  -Paares in
Photonen beitragenden Gra- pa )
phen
(e − (γ
) ka

k
+) b (γ
(e )
pb

pa
(e − )
) (γ
kb

+) k
a (γ
(e )
pb

rechnet hatten, und der letzte Beitrag entspricht der Interferenz der Amplituden
beider Graphen. Wie in Abb. 4.6 zu sehen ist, spielen diese Beiträge nur eine ge-
ringe Rolle. Das ist im Prinzip leicht verständlich. In Amplituden, in denen ein
virtuelles Photon die Gesamtenergie trägt, tritt ein Propagator des Betrages j1=q 2 j
auf, der in Vorwärtsrichtung wesentlich kleiner als der Propagator des Betrages
1=jq 2 .1  cos #  /j ist, der in einem Prozess mit einem ausgetauschten Photon be-
nötigt wird.
Ein anderer Elektron-Positron-Prozess mit einem Teilchenaustausch ist die An-
nihilation in Photonen (Photonenproduktion). Die beitragenden Feynman-Graphen
sind in Abb. 4.8 gezeichnet. Da die Photonen nicht unterscheidbar sind, kann jedes
der beobachteten Photonen sowohl am oberen als auch am unteren Vertex produ-
ziert werden. Sie führen zu dem folgenden Querschnitt (Abb. 4.6):

d .e C e  ! / r 2 m2e Œcos4 .#  =2/ C sin4 .#  =2/


D 0  2  ; (4.50)
d˝ 2 pe sin2 #  C .me =jpe j/ cos2 # 

Da der Propagator eine andere Struktur hat, sind Prozesse mit Fermionenaustausch
bei hohen Energien in der Regel weniger stark als Prozesse mit Bosonenaustausch.
Eine Annihilation in Photonen bestimmt den Zerfall des Elektron-Positron-Bin-
dungszustands, des Positroniums, das bei der Diskussion der Quarkonia erwähnt
wurde. Positronia entstehen, wenn Positronen beim Materiedurchgang durch die
Streuung an Elektronen abgebremst werden und durch Photonenabstrahlung in Ge-
genwart von Elektronen zur „Ruhe“ kommen. Aus der bekannten wasserstoffartigen
Wellenfunktion und dem obigen Wirkungsquerschnitt kann die mittlere Lebenszeit
genau berechnet werden. Der obige Prozess kommt allerdings nur für Zustände der
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 213

Abb. 4.9 Die bei der elas-


tischen e  e  -Streuung
beitragenden Graphen
pa −)
(e − (e
) pa

−)
(e p
pb b (e −
)

pa −)
(e − (e
) pb

−) p
(e a (e −
pb )

Ladungsparität .1/LCS D C1 in Frage, da jedes der Photonen ein Eigenzustand


der Ladungsparität mit negativem Eigenwert ist. Vor dem Zerfall wird der (L D 0)-
Grundzustand erreicht. Der (S D 0 )-Zustand, der demgemäß in zwei Photonen
zerfallen kann, heißt Parapositronium. Seine Lebensdauer ist 1; 25  1010 s. Die
Zerfallszeit des Orthopositroniums, des (S D 1)-Zustands, der in drei Photonen
zerfallen muss, ist 1; 39  107 s.
Bezüglich des dominanten Beitrags hat die elastische Elektron-Elektron-Streu-
ung, die Møller-Streuung genannt wird, eine ähnliche Struktur wie die Elektron-
Positron-Streuung. Bei ihr treten die in Abb. 4.9 dargestellten Beiträge auf, die zu
dem folgenden Querschnitt führen:

d .e  e  ! e  e  / r 2 m2e Œ3 C cos2 .#  / 2
D 0  2  : (4.51)
d˝ 4 pe sin4 # 

Da man die Elektronen nicht unterscheiden kann, ist der Prozess symmetrisch.
Ein anderer wichtiger elastischer Prozess ist die Photon-Elektron-Streuung (die
Compton-Streuung). Es gibt zwei in Abb. 4.10 skizzierte Feynman-Beiträge, die zu
dem folgenden Querschnitt führen:

Π0
!2 ΠΠ0
!
d .e ! e/ r2 p0 p0 p0
D 0  Œ
 Π0
C Œ
 sin2 #L : (4.52)
d˝ 2 p0 p0 p0

Der Ausdruck heißt Klein-Nishina-Formel. Der Winkel und die Energien beziehen
sich dabei auf das Laborsystem, in dem das einlaufende Elektron ruhte. Im nichtre-
Œ
lativistischen Grenzfall (p0;L < me ) wird sich die Energie des Photons nicht ändern,
214 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.10 Die bei der kb


(γ )
elastischen e   -Streuung ) (γ
kb
beitragenden Graphen

−) p
e a (e −
(
pa )

kb (γ
k b(γ
) )

−) p
(e t a (e −
pa )

und man erhält den sogenannten Thomsonschen Streuquerschnitt

d .e ! e/nichtrelativistisch r2
D 0  .2  sin2 #L / : (4.53)
d˝ 2
Bei der Wechselwirkung von Photonen mit Materie dominiert bei niedrigen Ener-
gien der Photoeffekt, bei dem die Energie des einfallenden Photons von einem
Elektron, das sich im Feld eines Kerns befindet, absorbiert wird. Es folgt ein Be-
reich der Compton-Streuung. Bei Photonen sehr hoher Energien dominiert dann
eine Wechselwirkung mit dem Kernfeld, die zur Produktion eines neuen Elektron-
Positron-Paares führt.
Betrachten wir als nächstes die Streuung eines Elektrons an einem Kern. Bei der
Berechnung der Amplitude benutzt man das bekannte Coulomb-Feld, wie es im
Feynman-Graphen in Abb. 4.11 skizziert ist. Er führt zu folgendem Wirkungsquer-
schnitt:
deKern!eKern Z 2 r02 m2e 1
D  2  2
d˝ 4 pe;L ˇ  sin4 #=2


 1  ˇ 2  sin2 .#=2/ C Z˛ˇ  sin.#=2/  .1  sin.#=2// ;
(4.54)
wobei ˇ D pe;L =Ee;L . Derselbe Querschnitt gilt natürlich auch für beliebige andere
geladene Fermionen, solange ihre Masse klein gegenüber der Kernmasse ist und
elektromagnetische Wechselwirkungen dominieren. Erwartungsgemäß ist (wie für
die nichtrelativistische Rutherford-Streuung) der Querschnitt sehr stark nach vorn
gerichtet.
Typisch für einfache elektromagnetische Streuprozesse ist die inverse Abhän-
gigkeit vom Teilchenimpuls. Für hochenergetische geladene Teilchen werden daher
solche Wechselwirkungen mit hohen Impulsüberträgen typischerweise erst dann
auftreten, wenn die Streuteilchen ausreichend langsam geworden sind und der größ-
te Teil ihrer Geschwindigkeit bereits verloren ist.
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 215

Abb. 4.11 Der bei der Streu- Z (fest, da schwer)


ung eines Elektrons an einem
schweren Kern beitragende
Graph

−) p
(e a (e −
pa )

Für die Reduktion der Energie mäßig relativistischer geladener Teilchen spie-
len Wechselwirkungen mit Hüllenelektronen eine zentrale Rolle. Für das Elektron
(im MeV-Bereich) führt dies wegen seiner leichten Masse zu typischen „zittrigen“
Teilchenbahnen.
Für den Abbau der Energie hochenergetischer Elektronen (100-MeV-Bereich)
steht (unter anderen) die Bremsstrahlung zur Verfügung. Die Bremsstrahlung ist
ein Compton-artiger Prozess, bei dem das „einlaufende“ Photon virtuell ist und
aus einem statischen elektromagnetischen Feld stammt. Ein solches Feld steht in
der Nähe der Kerne zur Verfügung. Bremsstrahlungsprozesse wurden im Abschnitt
über Beschleuniger bereits erwähnt.
Bei hohen Energien werden oft große Impulsüberträge auftreten, und der Prozess
wird in einer sehr kurzen Zeitskala ablaufen. Wegen einer Art von Unschärferela-
tion werden die produzierten Photonen dabei typischerweise ein nicht verschwin-
dendes Viererimpulsquadrat tragen und in ein Elektron-Positron-Paar zerfallen.
Wechselwirkungen, in denen einlaufende Elektronen oder Photonen weitere
Elektronen oder Photonen produzieren, führen zu einem Kaskadenprozess. Da die
Größe der Kaskade von der ursprünglichen Energie abhängt, kann das Ausmaß
des am Ende beobachteten Teilchen-„Schauers“ in einem „elektromagnetischen
Kalorimeter“ zur Energiebestimmung von Elektronen und Photonen verwendet
werden.
Die Wechselwirkungen von Myonen in Materie sind formal analog zur Wechsel-
wirkung der Elektronen. Wegen ihrer größeren Masse ist die kinematische Situation
eine andere. Das hat recht drastische Konsequenzen. Während Elektronen eine win-
zige Reichweite haben – bei hohen Energien ist sie sogar geringer als für stark
wechselwirkende Hadronen – können Myonen einige Meter Eisen durchdringen.
Dies erlaubt eine saubere Trennung der Myonen von anderen Teilchen.
Die Prozesse der Quantenelektrodynamik sind beinahe „langweilig“, da sie ex-
akt der bekannten Theorie entsprechen. Für das anomale magnetische Moment des
Elektrons und des Myons erreicht die Übereinstimmung ein spektakuläres Ausmaß.
Das magnetische Moment ist für Bindungszustände mit spinlosen Teilchen
e
M D 0  L D L: (4.55)
2me

Die Konstante 0 ist das Bohrsche Magneton. Für Dirac-Teilchen kennen wir
die elektromagnetische Wechselwirkung in niedrigster Ordnung. Man kann diese
216 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

+ + ···

Abb. 4.12 Korrekturen höherer Ordnung zur elektromagnetischen Wechselwirkung eines Elek-
trons

Wechselwirkung in einen elektrischen und einen magnetischen Anteil aufspalten.


Für das magnetische Moment erhält man dabei die Relation

M D 20  S : (4.56)

Betrachtet man in der QED auch höhere Ordnungen und berücksichtigt Terme,
wie sie in Abb. 4.12 gezeichnet sind, und zwar einschließlich der 8. Ordnung(!),
erhält man einen Korrekturfaktor a D tatsächlich =0  1, der für das Elektron den
folgenden Wert hat:

aTheorie D 1 159 652 182 79 ˙ 771  1014 ; (4.57)

dem der experimentell bestimmte Wert

aExperiment D 1 159 652 180 73 ˙ 28  1014 (4.58)

mit phantastischer Genauigkeit entspricht [137, 138, 31, 139].


Wie kann man magnetische Momente experimentell so genau bestimmen? Gela-
dene Teilchen bewegen sich im Magnetfeld auf einem Kreis, und ihr Impuls ändert
sich daher mit der entsprechenden Kreisfrequenz. Dasselbe gilt für die magneti-
schen Momente. Der glückliche Umstand ist jetzt, dass – ohne Berücksichtigung
von Beiträgen höherer Ordnung – beide Frequenzen gleich sind und sich der Spin
bezüglich der Teilchenbahn deswegen nicht ändern wird. Um den Einfluss der Kor-
rekturen höherer Ordnung zu bestimmen, muss man sehen, wie sich der Spin pro
Umlauf tatsächlich ändert. In das Verhältnis von normalem zu anomalem magne-
tischem Moment geht also nur das Verhältnis der beiden beinahe gleichen Dreh-
geschwindigkeiten ein, und man ist damit von der tatsächlichen Teilchenbahnlänge
und von der präzisen Größe des Magnetfelds unabhängig. Die Genauigkeit wird
dadurch erreicht, dass sehr viele Zyklen beobachtet werden. Einzelne Elektronen
können für Tage in einer geeigneten magnetischen Falle eingeschlossen und beob-
achtet werden.
Eine analoge Messung existiert für Myonen: Ein Beschleuniger produziert einen
sekundären, geladenen Pionenstrahl. Nach einer gewissen Weglänge ist der Strahl in
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 217

Myonen zerfallen. Die schnellen Myonen in diesem Strahl werden dabei bevorzugt
entgegengesetzt ihrer Flugrichtung polarisiert sein. Der so entstandene Myonen-
strahl wird durch ein geeignetes Magnetfeld in eine Kreisbahn gelenkt und dort
nach einiger Zeit schwach zerfallen. Beim schwachen Zerfall eines Myons kann je-
weils der mittlere Spin des Myons aus der Winkelverteilung der Zerfallselektronen
rekonstruiert werden, und der kleine Unterschied der Kreisfrequenzen kann daher
ohne zusätzliche Streuvorgänge beobachtet werden. Wegen der Zeitdilatation leben
die Myonen lange genug, um die Durchführung einer solchen Messung zu gestatten
und viele Perioden ausmessen zu können. Man erhält den Korrekturfaktor

aExperiment D 1 165 920 9 ˙ 6  1010 ; (4.59)

der dem berechneten Wert

aTheorie D 1 165 920 ˙ 2  109 (4.60)

immer noch mit phantastischer Genauigkeit entspricht [31, 86, 134].

4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik

Wenden wir uns jetzt der anderen Eichtheorie mit masselosen Eichteilchen zu und
beginnen mit einer Einführung in die Physik „ausreichend lokalisierter“ quanten-
chromodynamischer Prozesse [140]. „Ausreichend lokalisiert“ bedeutet dabei “zu-
gänglich mit perturbativen Methoden“, wie wir sie im Abschn. 4.1 kennengelernt
haben. Diese einschränkende Definition ist notwendig, da die Quantenchromodyna-
mik letztlich indirekt die Grundlage für alle Phänomene der Hadronen- und sogar
der Kernphysik bildet. Wie eine Änderung der Lokalisierung, d. h. der relevanten
Impulsüberträge, die Struktur der Wechselwirkung verändert, ist ein entscheiden-
der, recht komplizierter Punkt bei der QCD.
QED und QCD sind keine endlichen, sondern nur renormierbare Theorien. In re-
normierbaren Theorien treten in höheren Ordnungen unendliche Beiträge auf. Um
diese Terme zu umgehen, darf man besonders gering lokalisierte (Q2 ! 0) und
besonders stark lokalisierte (Q2 ! 1) Wechselwirkungen nicht in den Impulsin-
tegrationen der Feynman-Graphen mitzählen. Natürlich hängt eine solche Prozedur
vom beliebigen Wert des Abschneideparameters ab. Ohne weitere Überlegungen
wären daher alle Rechnungen bedeutungslos. In „renormierbaren“ Theorien ist die
Abhängigkeit logarithmisch. Es reicht daher aus, die Größenordnung des Abschnei-
deparameters festzulegen.
Betrachten wir zunächst den Abschneideparameter für geringe Lokalisierung.
Er ist kein wirklich fundamentales Problem, da man in ein Gebiet außerhalb der
perturbativen QCD kommt, in dem die Betrachtungen gültig sind. Da Hadronen
Color-Singuletts sind, hat man eine natürliche physikalische Abschneideskala.
Liegt der Impuls eines Gluons unterhalb der Skala, die es erlaubt, Hadronen
aufzulösen, verschwindet seine Wechselwirkung, da es nicht an Color-Singulett-
218 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Zustände koppeln kann. In Rechnungen mit Quarks und Gluonen kann dies meist
nicht explizit berücksichtigt werden, was dann besondere Überlegungen notwendig
macht.
(Das Nichtauflösen kann man am Beispiel der Wechselwirkung einer Radio-
welle an einem Wasserstoffatom verstehen. Die Welle kann sowohl mit dem Kern
als auch mit dem Elektron der Hülle wechselwirken, was zu den Übergangsam-
plituden TŒe und TŒp führt. Da die Radiofrequenz die Bindung nicht lösen kann,
wird in beiden Fällen derselbe Endzustand auftreten, und man muss deswegen bei-
de Amplituden vor der Quadrierung summieren (d. h. Übergangswahrscheinlichkeit
/ jTŒp C TŒe j2 ). Wegen der betragsgleichen, aber umgekehrten Ladungen sind die
Amplituden, abgesehen vom Vorzeichen, identisch (d. h. TŒp D TŒe ), und der
Beitrag verschwindet, wie es für die Wechselwirkung mit einem nicht aufgelösten
neutralen Objekt zu erwarten ist.)
Die Situation mit dem Abschneideparameter bei kurzen Abständen ist konzep-
tuell wesentlich komplizierter. Das Ergebnis einer langen Überlegung ist, dass die
betrachtete Theorie eigentlich viel weniger fundamental ist als zunächst angenom-
men. Die in Feynman-Graphen betrachteten Objekte sind nicht wirklich elementare
Quarks und Gluonen, sondern effektive Quarks und Gluonen, die von virtuellen
Gluonenfeldern umgeben sind. Diese Gluonenfelder können bei der betrachteten
Lokalisierung nicht aufgelöst werden.
Der Anteil der mitgezählten Gluonenwolke hängt von dem Grad der Lokalität
des betrachteten Prozesses ab. Genau genommen hat man es also nicht mit einer
Theorie, sondern mit vielen äquivalenten Theorien zu tun. Die „Renormierbarkeit“
besagt, dass alle Theorien dieselbe Struktur haben. Je nach der betrachteten Loka-
lisierung des Prozesses gibt es nur etwas größere oder kleinere Quark-Massen und
nur eine etwas stärkere oder schwächere Kopplung für die Vertizes in Feynman-
Graphen. Diese Abhängigkeit ist sehr schwach in der QED, sie ist jedoch im be-
trachteten Bereich sehr drastisch in der QCD. In der QCD ist in allen Rechnungen
der Lokalisierungsgrad explizit festzulegen.
Normalerweise würde man im Grenzfall kleiner Abstände r ! 0 zu einer „wirk-
lich elementaren Theorie“ kommen. Eine solche Theorie mit „nackten“, punktför-
migen Teilchen existiert in der QED und der QCD nicht. Mit einer nicht verschwin-
denden endlichen Wechselwirkung würde sie zu einer unbrauchbaren, effektiven
Theorie mit unendlicher Wechselwirkung bei endlicher Lokalisierung führen.
Dies ist wiederum kein Problem für prinzipielle Überlegungen, die die Konsis-
tenz der effektiven Theorie betreffen. Wegen der Gravitation sollten irgendwann,
viele Zehnerpotenzen unter unseren augenblicklichen Betrachtungen, alle bekann-
ten Theorien sowieso ungültig werden. Die Frage nach der Existenz einer solchen
Theorie ist daher ohne Bedeutung.
Dass wir die in diesem Bereich zugrunde liegende Theorie nicht kennen, ist kein
Problem. Die einzige Wirkung dieser Theorie für die augenblickliche Physik be-
steht darin, in einem Übergangsgebiet die Massen und die Kopplungen festzulegen.
Die Abhängigkeit der Massen und der Kopplungen vom Grad der Lokalisierung
oberhalb dieses Übergangsgebiets folgt dann aus der Struktur der renormierbaren
Theorie.
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 219

Die nichtelementare Natur der Quarks und Gluonen muss dann mit einem Ab-
schneideparameter [141] berücksichtigt werden, der in den internen Wechselwir-
kungen hohe Impulsüberträge, die lokalisiertere Objekte erfordern würden, verhin-
dert. Sieht man von Problemen im Bereich der Abschneideparameter ab, ist eine
solche („regularisierte“) Theorie mit Abschneidevorschrift im Prinzip exakt.
Bei der Anwendung der Störungstheorie besteht ein Problem, das weitere Über-
legungen erfordert. Betrachtet man Feynman-Graphen mit inneren Gluonen treten
typischerweise Terme der Form

ln.Impulse2 =.Abschneideparameter/2 /

auf. Das Auftreten solcher großer kinematischer Koeffizienten verhindert eine defi-
nierte, ausreichend konvergente Entwicklung in der Kopplungskonstante.
Zur Lösung des Problems wählt man eine für den betrachteten Prozess typische
Skala q 2 und spaltet die Beiträge in der folgenden Weise auf:

ln.Impulse2 =q 2 / C ln.q 2 =.Abschneideparameter/2 / :

Bei der Summation über alle beitragenden Feynman-Graphen können die Beiträge
vom zweiten Term absepariert werden und durch eine Redefinition („Renormie-
rung“) der Kopplungen und der Massen berücksichtigt werden. Ohne diese großen
logarithmischen Terme kann dann die Konvergenz der Störungsrechnung erreicht
werden. Mit dem Abspaltungsformalismus hat man auch eine Möglichkeit gefun-
den, die Lokalisierung in der betrachteten Theorie zu ändern, ohne sich um den
Abschneideparameter kümmern zu müssen.

ln.Impulse2 =q12 / D ln.Impulse2 =q22 / C ln.q22 ==q12 / :

Betrachtungen in niedriger Ordnung gelten mit der höchsten Genauigkeit, wenn


man die Skala der Theorie in der Größenordnung der tatsächlich auftretenden Im-
pulsüberträge wählt. Für Rechnungen braucht man daher die Konstanten der Theo-
rie in Abhängigkeit von der Skala. Meist braucht man die Abhängigkeit von den
Massen nicht zu berücksichtigen, da die Massen meist klein sind und oft sogar
völlig vernachlässigt werden können. Für die Kopplungskonstante oder, genauer
gesagt, die Größe ˛QCD D gQCD 2
=4, die der Feinstrukturkonstanten in der QED
entspricht, hat diese Lokalisierungs- oder „Skalenabhängigkeit“ in erster Ordnung
in der Störungstheorie die Form

12  
˛QCD .q 2 / D ; (4.61)
.33  2  Nf / ln.q 2 =2 /

wobei q 2 die Lokalisierung der Wechselwirkung in der oben definierten Weise an-
gibt und der Parameter   0; 2 GeV experimentell bestimmt wurde. Nf ist die
Zahl der im betrachteten Bereich beitragenden Quark-Flavors.
Betrachten wir die oben besprochenen Grenzwerte. Die Tatsache, dass die Kopp-
lung für q 2 ! 1 verschwindet, wird als asymptotische Freiheit bezeichnet. Sie
220 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

besagt, dass sich die lokalisierte Theorie, die hier betrachtet wird, wie die QED
durch Störungstheorie freier Teilchen behandeln lässt.
Nach dieser Formel wird für q 2 D 2 die Kopplung unendlich groß. Eigentlich
wird die obige Formel (die aus der Störungstheorie gewonnen wurde) schon vor-
her ihre Gültigkeit verlieren, und das Verhalten der Kopplungskonstante in diesem
Bereich ist nicht bekannt. Wird die Kopplung mit abnehmender Lokalisierung un-
endlich groß, muss auch das Quark-Antiquark-Potenzial mit wachsendem Abstand
unendlich groß werden. Der Weg, diese Probleme zu vermeiden, besteht darin, die
Quarks in Color-Singuletts zusammen („gefangen“, englisch „confined“) zu halten,
so dass im Bereich großer Abstände keine Kopplungen an einzelne Quarks vorkom-
men. Diese Untrennbarkeit bezeichnet man als infrarote Sklaverei.
In Experimenten beobachtet man natürlich immer Hadronen, also nicht lokali-
sierte Quarks. Eine typische Situation mit einem Gebiet, in dem die lokalisierte
QCD anwendbar ist, war in Abb. 3.52 skizziert.
Wie kann man solche Prozesse in lokalisierter QCD experimentell beobachten?
Warum ist es möglich, partonische Prozesse in hadronischen Reaktionen zu finden?
Man benutzt zwei halb empirische, halb theoretische Hypothesen, die besagen,
 dass jeder Partonenzustand sich mit der Wahrscheinlichkeit 1 in Hadronen ver-
wandeln kann und
 dass in den „weichen“ hadronischen Wechselwirkungen nicht rapide größere Im-
pulse zwischen verschiedenen Partonen übertragen werden. Nur Hadronen, die
in die ursprüngliche Richtung der harten Partonen fliegen, können diese enthal-
ten oder größere Teile ihres Impulses abbekommen.
Partonen, die aus lokalisierten partonischen Prozessen hervorgehen, tragen typi-
scherweise große Transversalimpulse. Ihre hadronischen Produkte sind daher meist
von den normalen Hadronen zu unterscheiden und einzelnen Partonen zuzuord-
nen. Zusammen werden die Hadronen, die aus einem solchen Parton hervorge-
hen, Jet genannt. Mit einer gewissen Unsicherheit kann durch Aufsummation von
Hadronen eines solchen Jets der ursprüngliche Partonenimpuls rekonstruiert wer-
den.
Je höher die Impulse der Jets sind desto geringer sind die Unsicherheiten bei
der Zuordnung von Hadronenimpulsen zu Jets, und desto genauer kann der Par-
tonquerschnitt bestimmt werden. Bei niedrigen Energien muss man sich bei der
Bestimmung der ursprünglichen Partonenimpulse auf explizite Modelle der Ha-
dronisation der Partonen verlassen und aufwändige Monte-Carlo-Rechnungen zur
Simulation der Prozesse durchführen. Im Abschn. 3.2.3 über Vielteilchenprodukti-
on hatten wir spezifische Vorstellungen über die Produktion von Teilchen in solchen
Jets kennengelernt.

4.2.1 Die Farbstruktur der Quantenchromodynamik

Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen hatten, ist die QCD analog zur QED eine
Eichtheorie, die auf einer Symmetrietransformation aufgebaut ist. Für die QCD ist
die relevante Symmetrie die Struktur des SU .3/-Farbraums. Die Feldquanten der
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 221

Abb. 4.13 Die Elemente a


eines „Farblinien“-Graphen

Quark =

Gluon = − 1
3

Gluon = 1g + 1g
2 s 2 s
Quark

QCD, d. h. die Gluonen, vermitteln, wenn sie an Quarks oder Antiquarks koppeln,
eine Drehung von deren Farbzustand (als Operator im Farbraum).
Wir hatten im hadronischen Teil die Äquivalenz zwischen einer Vertauschungs-
symmetrie von Konstituenten, die geeignet in den Raum quantenmechanischer Zu-
stände eingebettet ist, und einer entsprechenden Lie-Gruppenstruktur kennenge-
lernt. Man kann diesen Prozess umdrehen und die Farbstruktur durch imaginäre
Farbteilchen in einer sehr einsichtigen Weise beschreiben. Dieser Trick erlaubt es,
einige wesentliche Eigenschaften der Theorie zu verstehen.
In diesem Farbteilchenbild existieren rote, grüne und blaue Quarks als se-
parate Objekte, deren Wege völlig analog zu den üblichen Quark-Flavor-Linien
im Zeit-Raum-Diagramm durch eine vorwärts gerichtete Farblinie gezeichnet
werden können, wie in Abb. 4.13a dargestellt ist. Für die Antiquarks mit den
entsprechenden Antifarben läuft dann die Farblinie rückwärts. Da Gluonen an
Quarks koppeln und deren Farbe ändern, müssen sie aus einer vorwärts gerichte-
ten Farblinie und einer rückwärts gerichteten Farblinie bestehen, wie es im ersten
Summanden in Abb. 4.13b gezeichnet ist. Der zweite Summand wird gleich er-
klärt. Da Farblinien keine dynamischen Eigenschaften tragen, werden beide in
Abb. 4.13c dargestellten Kopplungsmöglichkeiten mit gleichen Gewichten vertre-
ten sein.
Zu jedem Feynman-Graphen können wir also einen Farbliniengraphen zeich-
nen [133]. Bei einer Produktion von Farblinien muss über alle möglichen Farb-
belegungen summiert werden. Der ursprüngliche Feynman-Graph erhält auf die-
se Weise einen Farbfaktor, der je nach Belegungsspielraum größer oder kleiner
ist.
(Betrachten wir die Situation in gruppentheoretischen Notationen. Die Quarks
sind Zustände eines SU .3/-Tripletts und die Antiquarks eines SU .3/ -Antitripletts.
Man weiß aus der Gruppentheorie, dass ein Triplett und ein Antitriplett zusammen,
222 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

wie sie in einer Kopplung auftreten, einen Oktett- und einen Singulett-Zustand bil-
den können:
N D .1/ C .8/ :
.3/ .3/ (4.62)
Sie können daher prinzipiell sowohl an ein Singulett als auch an ein Oktett koppeln.
Die Kopplung an ein Farb-Singulett findet in der QED statt. Da die Gluonen Dre-
hungen im Farbraum vermitteln müssen, kommt für sie der Singulett-Zustand nicht
in Frage, und es verbleibt nur der Oktett-Zustand. Um den Farbzustand von Quarks
ändern (drehen) zu können, müssen sie natürlich selber Farbquantenzahlen tragen,
wie sie in den Oktettzuständen auftreten.
Um die Farbstruktur-Abhängigkeit von Feynman-Amplituden zu berechnen, be-
trachtet man – in Analogie zur Drehgruppe oder zur SU .2/ mit ihren Pauli-Spino-
ren, ihren Pauli-Matrizen und ihrem Faktor ij k – in der SU .3/-Gruppe Zustände
in einem dreidimensionalen Farbraum, Quark-Gluon-Vertizes mit tabellierten Gell-
Mann-Matrizen und Gluon-Gluon-Vertizes mit tabellierten Strukturkonstanten.)
Im Gegensatz zum Photon müssen, wie gesagt, Gluonen mit Farbänderungen
verbunden sein. Bei den beiden Gluon-Farblinien gibt es eine Komponente, die die
Farben nicht ändert und die eigentlich nichts beitragen sollte. Diese Singulett-Kom-
ponente muss daher abgezogen werden. Dies geschieht mit dem rechten Term in
Abb. 4.13b, so dass das Gluon der dargestellten Differenz entspricht.
Die in diesem Bild rechts dargestellte Schleife zeigt einen Prozess, bei dem
sich der anfängliche Farb-Antifarb-Zustand vernichtet und ein neuer Zustand mit
beliebiger Farbe gebildet wird. Die Schleife wirkt als Projektionsoperator auf die
Singulett-Farbbelegung. Es gibt keinen Beitrag zu einem Prozess mit einem Nicht-
Singulett-Zustand. Beginnt der Prozess unten mit einem Singulett-Zustand, hört er
oben mit demselben Zustand auf.
Um dies explizit zu zeigen, betrachten wir der Einfachheit halber nur farbneu-
trale Zustände. Offensichtlich kann es für nicht farbneutrale Zustände zu keinem
Beitrag mit dem Schleifenterm kommen. Es gibt drei linear unabhängige farbneu-
trale Zustände
fr rN ; g g; N ;
N b bg (4.63)
die sich mit der folgenden orthogonalen Basis beschreiben lassen:
(r r r )
1 1 1
.r rN C b bN C g g/;
N .r rN  g g/;
N N :
.r rN C g gN  2b b/ (4.64)
3 2 4

Für die Vernichtungsschleife in der Abb. 4.13b liefert offensichtlich jeder unten
hereinkommende Farb-Antifarb-Zustand einen Beitrag. Entspricht der Farbanfangs-
zustand der zweiten oder der dritten Kombination, ergibt sich wegenpdes unter-
schiedlichen Vorzeichens null. Der erste, völlig symmetrische Zustand 1=3.r rN C
N
b bCg N entspricht dem Farb-Singulett-Zustand.
g/ Für ihn treten drei Beiträge jeweils
p
mit dem Gewicht .1=3/  .1= 3/ auf. Summiert man über alle Farbzustände bei der
produzierten Farblinie, ergibt sich oben wieder der richtig normalisierte Farb-Sin-
gulett-Zustand.
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 223

1 1
2 gs 2 gs

q q 3q
=( ) − 13 ( )=
×3 ×3 ×3 9−1 g 2
gs gs 2·3 s

Abb. 4.14 Eine Ein-Gluon-Korrektur zum e C e  -Prozess

In dieser Überlegung haben wir zwei Bedingungen ignoriert. Wir wissen, dass
Teilchen Farb-Singuletts (d. h. invariant unter Vertauschung von Farben) sind und
dass, da es keine freien Quarks gibt, am Ende des Streuprozesses farblose Teilchen
zu produzieren sind. Welche Einschränkung folgt daraus für den hier betrachteten
lokalisierten Streuprozess?
Es gibt keine Einschränkungen. Da die Wechselwirkung mit einlaufenden Ha-
dronen oder Leptonen beginnt, ist der Endzustand automatisch ein Color-Singulett.
Dies gilt natürlich auch für den Teil des Endzustands, der übrig bleibt, wenn schon
beliebig viele Color-Singuletts als Teilchen emittiert wurden.
Farbliniengraphen sind nützlich, um die SU .3/-Faktoren in einfachen Feynman-
Graphen zu verstehen. Betrachten wir zwei Beispiele.
1. Im Farblinienbild sieht man sofort, dass in dem Prozess

e C e  ! q qN (4.65)

für q D u; d; s;    jeweils drei unabhängige Farbbeiträge auftreten. Wir hatten


argumentiert, dass man die Hadronisierung weglassen kann. Da dann rechts und
links identische Farben produziert werden müssen, gibt es nur einmal die Aus-
wahl von drei Farben. (Warum wird dieses einfache Bild mit Endzuständen aus
farbigen Quarks nicht durch die erforderliche Hadronisation in Farb-Singuletts
zerstört? Offensichtlich müssen die Farben der Quarks in der Amplitude und der
konjugierten Amplitude nicht identisch sein. Die Lösung ist, dass die Hadroni-
sation bezüglich der Farbstruktur durch einen Projektionsoperator (Abb. 4.13b:
negativer Beitrag) dargestellt werden kann, der für Farb-Singuletts keine Wir-
kung hat.)
2. Im nächst einfacheren e C e  -Prozess wird als drittes Parton ein Gluon ausge-
tauscht, wie es in Abb. 4.14 dargestellt ist. Berechnen wir die Farbfaktoren
des Feynman-Graphen und beginnen wir mit den Quark-Gluon-Vertizes. Da die
Farblinie nicht in die Antifarblinie münden kann, verliert man ohne Beschrän-
kung der Allgemeinheit am oberen Vertex entweder den gekreuzten oder den
ungekreuzten Beitrag, d. h. man erhält insgesamt einen Faktor 2  .1=2/2 D 1=2.
Vom positiven Term des Gluons erhält man 3  3 D 9 verschiedene Farbbele-
gungsmöglichkeiten und vom 1=3 zählenden Term 3 Beiträge. Der Farbfaktor
ist damit .9  1/=2, wobei ein Faktor 3 mit dem Photonvertex verbunden ist und
der Faktor .9  1/=.2  3/ dem ausgetauschten Gluon zugeordnet wird.
224 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.15 Die Selbstwech-


selwirkung der Gluonen
gs gs2

Bei komplizierteren Strukturen wird die Zahl der zu berücksichtigenden Farb-


linien umfangreicher, und die intuitive Methode, die Farbfaktoren auszurechnen,
wird dann oft unpraktisch.
Ein wichtiger Unterschied zwischen QED und QCD tritt in den betrachteten
Graphen nicht auf. Wie oft gesagt, tragen die Gluonen im Gegensatz zu den la-
dungslosen Photonen der QED selbst eine Farbquantenzahl. In Prozessen höherer
Ordnung muss damit auch eine Wechselwirkung zwischen Gluonen selbst berück-
sichtigt werden. In Feynman-Graphen gibt es zwei Beiträge. Es gibt einen Vertex
mit drei Gluonen, wie er in Abb. 4.15 links dargestellt ist, und einen mit vier Gluo-
nen, wie er in Abb. 4.15 rechts zu sehen ist. Die Existenz dieser Terme ist notwendig
in der Eichtheorie, und zwar, abgesehen von Farbfaktoren, mit derselben Kopplung,
wie sie in der Quark-Gluon-Kopplung auftritt, bzw. im zweiten Fall mit deren Qua-
drat.

4.2.2 Die Annihilation von e C e  zu Quarks

Die Annihilation von e C e  zu Quarks ist ein besonders einfacher Prozess. Das
Photon hat nach der Heisenbergschen Unschärferelation eine Ausdehnung, die dem
Inversen von q 2 , d. h. dem Quadrat der Gesamtenergie, entspricht. Die QCD-Kopp-
N
lung ist damit im Bereich der eigentlichen q q-Produktion ausreichend schwach, um
eine Anwendung der Störungstheorie zu erlauben. Analog zum Prozess e C e  !
C  wird in nullter Ordnung der QCD und niedrigster Ordnung der QED ein
N
q q-Paar erzeugt.
Die Ähnlichkeit zur Myonenproduktion macht es sinnvoll, anstelle des Wir-
kungsquerschnitts das Verhältnis

 .e C e  ! Hadronen/
R.s/ D (4.66)
 .e C e  ! C  /

zu betrachten. Es muss offensichtlich einfach der Zahl der beitragenden Prozesse


entsprechen, und zwar gewichtet mit ihrer Kopplung zum Photon, d. h. mit dem
Quadrat ihrer Ladung. Je nach Energiebereich können verschieden viele der schwe-
ren Quarks beitragen. Um den Beitrag bei einer vorgegebenen Energie zu berech-
nen, müssen wir die Ladungsquadrate aufaddieren und wegen der Farben mit 3
multiplizieren. So erhält man theoretisch für die verschiedenen Energiebereiche die
in Tab. 4.1 angegebenen Werte.
Was ergibt ein Vergleich mit den Experimenten? Betrachten wir dazu die Da-
ten in Abb. 4.16. Wie es von der relativ leichten Strange-Quark-Masse zu erwarten
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 225

Tab. 4.1 Relative Größe des mit ud -Quarks: RD 3.4=9 C 1=9/ D 1; 6N


e C e  -Wirkungsquerschnitts mit uds-Quarks: R D 3.4=9 C 2  1=9/ D 2; 0
mit udsc-Quarks: R D 3.2  4=9 C 2  1=9/ D 3; 3N
mit udscb-Quarks: R D 3.2  4=9 C 3  1=9/ D 3; 6N
mit udscbt -Quarks: R D 3.3  4=9 C 3  1=9/ D 5; 0

ist, gibt es kein ausgeprägtes ud -Gebiet. Abgesehen von kleinen Beiträgen höhe-
rer Ordnung (die grünen und die roten (bzw. die grauen) Linien berücksichtigen
Korrekturen), entspricht R genau den drei vorhergesagten Stufen. Die Z-Resonanz-
gebiet wird uns in Kap. 5 interessieren. Das Gebiet, in dem die t tN-Produktion zu
berücksichtigen ist, liegt bei höheren Energien.
Die Relation gilt erstaunlich gut, selbst bei niedrigen Energien in einem Gebiet,
in dem Resonanzen nicht vernachlässigt werden können und in dem die wesentliche
Annahme, dass der harte Streuquerschnitt nicht davon abhängt, wie sich die produ-
zierten Quarks in einer weichen Wechselwirkung zu Hadronen entwickeln können,
nicht mehr gültig sein kann. Wie in der hadronischen Physik gilt eine semilokale
Dualität: Mittelt man über die Resonanzbeiträge, entspricht die Größe des Mittel-
werts gerade dem darauf folgenden Kontinuum.
Dazu gibt es dann kleine Korrekturen durch den Beitrag mit Gluonen, die ent-
weder ausgetauscht oder produziert werden. (Der Farbfaktor eines solchen Beitrags
wurde in Abschn. 4.2.1 berechnet.) Bei höheren Energien verändern solche Kor-
rekturen den Wirkungsquerschnitt um etwa 6 %, und sie führen einen neuen Typ
von Endzustand ein (Abb. 4.17). Im Abschn. 3.2.3 hatten wir gesehen, dass zwi-
schen 20 GeV und 30 GeV solche Quark-Antiquark-Gluon-Beiträge sichtbar wer-
den. Aus den beobachteten Jets kann man mit gewissen systematischen Fehlern die
Kinematik der harten Streuung rekonstruieren. Die Winkelverteilung entspricht den

Abb. 4.16 Die Energieabhängigkeit der relativen Größe des Hadronisationsquerschnitts. R D


 .e C e  ! Hadronen/= .e C e  ! C  / © 2012 American Physical Society [31])
226 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.17 Ein Drei-Jet-


Ereignis in der e C e  -Ver-
nichtung (© Wu 11984 [122])

Erwartungen, und etwas simple Alternativen mit spinlosen Gluonen können ausge-
schlossen werden. Die benötigte QCD-Kopplungskonstante ist in dem betrachteten
Bereich etwa
˛QCD D 0;14 (4.67)
und es ist
QCD D 0;2 GeV (4.68)
mit beträchtlichen systematischen Unsicherheiten [122].
Bei einer Energie von etwa 40 GeV wird eine Korrektur wegen der schwachen
Wechselwirkung sichtbar. Anstelle des Photons kann ein schwaches Vektorboson
(ein “schweres Photon“) auftreten. Bei hohen Energien wird dieser Beitrag, der in
Kap. 5 besprochen wird, das Bild deutlich verändern. Die Situation für die Quark-
Produktion ist analog der Annihilation in Myonen.

4.2.3 Tiefinelastische Streuung

Ein anderer Prozess, bei dem die Lokalisierung durch einen leptonischen Anteil
garantiert wird, ist die tiefinelastische Streuung von Leptonen an Protonen. Sie
war und ist besonders aufschlussreich für die Partonenstruktur der Hadronen. Viele
wichtige frühen Ergebnisse kamen von Synchrotron-Experimenten mit ruhendem
Target. Die höchste Energie für solche Prozesse wurde am Speicherring HERA in
Hamburg erreicht.
Eine schematische Darstellung des Prozesses ist in Abb. 4.18 gezeichnet. Be-
trachten wir zunächst die kinematische Situation etwas genauer. Die Definitionen
der relevanten kinematischen Variablen sind in Abb. 4.19 gegeben. Ein Elektron
wird um den Winkel # aus dem Impuls k in den Impuls k 0 gestreut. Dabei überträgt
das Photon den Impuls q D k  k 0 auf das ohne Beschränkung der Allgemeinheit
ruhende Proton mit dem Impuls p D .m; 0; 0; 0/ zu dem Impuls p 0 . Bei der Photon-
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 227

Abb. 4.18 Schema der tief-


inelastischen Streuung

Abb. 4.19 Kinematische


Definitionen zur tiefin-
elastischen Streuung

Proton-Streuung steht daher die Masse


p
W D .p C q/2 (4.69)

zur Verfügung. Die Lokalisierung des Photons ist durch

Q2 D q 2 D .k  k 0 /2 D 4k0 k00 sin.#=2/ (4.70)

bestimmt, und seine Energie im Ruhesystem des Protons ist, abgesehen von der
konstanten Protonenmasse, durch

 D q  p D mp  .k0  k00 / (4.71)

gegeben. Offensichtlich verbleiben damit für die eigentliche hadronische Streuung


zwei unabhängige Variablen. Oft benutzt man Q2 und .
Um eine ausreichende Lokalisierung festzulegen, beobachtet man Wechselwir-
kungen, in denen das Lepton in einen größeren Winkel (d. h. tiefinelastisch) gestreut
wird. Bei niedrigen Q2 -Werten würde sich das Photon wie ein Meson (Vektor-
mesondominanz) verhalten, und man hätte eine Art von weicher Meson-Proton-
Streuung.
Betrachten wir nun den Prozess etwas genauer. In Abschn. 4.1.6 hatten wir den
Prozess e C e  ! C  berechnet. Wenn wir andere Impulse einsetzen, können
wir zum gekreuzten Prozess  e  !  e  gelangen, der der Lepton-Parton-
Streuung entspricht ( $ Parton). Wir hatten in unserer Rechnung eine Fakto-
risierung in zwei Terme gefunden, die jeweils nur von einem der beiden Fermionen
abhingen. Dazu kam ein Beitrag von den Photonpropagatoren. Analoges gilt für den
partonischen Prozess. Das Quadrat der Amplitude faktorisiert in einen leptonischen
Teil L sowie zwei Photon-Propagatoren

g 
=q 2 und g  =q 2
228 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

und einen hadronischen Teil W


. Der leptonische Vertex entspricht unserer Be-
rechnung (siehe (4.41), dritte Zeile (wobei m D 0, pa0 D k, pb 0 D k 0 und
2kk 0 D q 2 ):  
1
L D 2 k k0 C k0 k C g q 2 : (4.72)
2
Über die Leptonenspins wurde gemittelt bzw. summiert, und die Leptonenmassen
wurden vernachlässigt.
Die unbekannte Struktur des Protons kompliziert das Auffinden des hadroni-
schen Teils. Aus allgemeinen Symmetriebetrachtungen kann man die Struktur die-
ses Vertex stark einschränken; für einen Prozess mit Photonenaustausch muss er die
folgende Form haben:
"   #
q q 1 .p  q/q .p  q/q
W D g C 2  W1 C p  p   W2 :
q mp2 q2 q2
(4.73)
Aus der Stromerhaltung folgt q  W D W q  D 0, und der Projektionsoperator

P D g  q q =q 2

ist daher ohne Wirkung, wenn er von links und rechts auf W angewendet wird. Der
mit den verfügbaren Viererimpulsen (ohne Paritätsverletzung) allgemeinste Aus-
druck [142]

WQ 0  0 D W1 g0  0 C W2 p0 p 0 =p 2 C W3 p0 q 0 C W4 q0 p 0 C W5 q0 q 0

ergibt, umgeben vom Projektionsoperator


0 0
W D P WQ 0  0 P ;

den obigen Ausdruck.


Die dimensionslosen Funktionen W1 und W2 heißen Strukturfunktionen. Verbin-
det man die obigen Terme und integriert über alle nicht interessierenden Variablen,
erhält man die folgende Relation:
 
d 2 ˛2 2  2 
D  W2  cos C 2W1  sin : (4.74)
d k00 d˝L ab: 4k02 sin4 .#=2/ 2 2

Wie man sieht, können die Strukturfunktionen aus der Energie und der Winkelab-
hängigkeit der Elektronen bestimmt werden.
Was die tiefinelastische Streuung besonders interessant macht, ist, dass sie direk-
te Informationen über die Struktur der Hadronen, d. h. über die Partonenverteilung
in den Hadronen, liefert.
Eine zentrale Annahme ist dabei, dass die Partonen des Protons keinen signi-
fikanten Transversalimpuls tragen. Für die Verteilung der Partonen im Proton ist
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 229

die Lokalisierung des Streuvorgangs, in dem die Partonen wechselwirken, und des-
sen Lorentz-System wichtig. In hier betrachteten Systemen besteht das Proton aus
sich schnell bewegenden Partonen. Bei Energien, bei denen diese Bewegung ausrei-
chend schnell gegenüber der thermischen Bewegung der Partonen in den Hadronen
ist, ist es sicher eine gute Approximation, die Transversalimpulse der Partonen zu
vernachlässigen.
Warum die Bestimmung des einfallenden Impulses dann möglich ist, ist dann
leicht zu verstehen. Das Elektron wird in die transversale Richtung gestreut. Von
einer Lorentz-Transformation in longitudinale Richtung wird daher das einfallende
Elektron stärker verändert als das gestreute. Man kann daher ein System finden, in
dem beide den gleichen Impulsbetrag haben. Kommt die Streuung durch ein Parton
zustande, muss dies das Massenmittelpunktsystem des Elektrons und des Partons
sein. Der Impuls des einfallenden Partons ist damit vollständig bestimmt. Es hat
den umgekehrten Impuls des einfallenden Elektrons.
Betrachten wir dies quantitativ. Definieren wir zunächst den Bruchteil des Ge-
samtimpulses des gestreuten i-ten Partons

pi D xi  p (4.75)

und analog zu oben


i D q  pi D xi   : (4.76)
In der betrachteten Approximation haben die Partonen vor und nach der Streuung
in Relation zu Q2 und  eine verschwindende Masse, d. h.

pi2 D 0 und pi0 2 D 0 ; (4.77)

wobei pi0 D pi C q der Partonenimpuls nach dem Streuprozess ist. Die Ausmulti-
plikation von pi0 2 ergibt
q 2 C 2i D 0 : (4.78)
Der Impulsanteil des zum Streuprozess beitragenden Partons ist daher

jq 2 j
xi D (4.79)
2
und damit direkt bestimmbar. Um das Absolutzeichen zu sparen, definiert man
Q2 D q 2 .
Nachdem Q2 -Werte erreicht sind, die eine Auflösung der Partonenstruktur er-
möglichen, wird sich die Partonenverteilung nur noch sehr langsam ändern. Be-
trachten wir zunächst eine idealisierte Situation ohne solche Änderungen. Ein Ha-
dron betseht dann aus einer statistisch verteilten Anzahl von Partonen, die jeweils
einen gewissen Anteil des Hadronenimpulses tragen. Die Strukturfunktionen sollten
dann nur von der Wahrscheinlichkeit, ein geeignetes Parton mit den Impulsanteil x
zu finden, abhängen. Es sollte keine separate Abhängigkeit von Q2 und  bestehen.
Diese Beobachtung findet sich in der Tat in den Daten, wie es in Abb. 4.20 zu sehen
230 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

4
p 0.4
2W p
3
1 W / M p2
2
0.3
2
0.2

1 0.1

0 0.0
0.5 1.0 x 0.5 1.0 x

Abb. 4.20 Das Bjorkensche Skalenverhalten (adaptiert nach Lohrmann [86])

ist. Die Messungen oberhalb von Q2 > 2 GeV und W D 2  Q2 > 2 GeV liegen
in den rot (bzw, schwarz) markierten Gebieten. Man bezeichnet dies als „Bjorken
scaling“ [143].
Im Quark-Bild muss sich diese Abängigkeit der Funktion W aus L und der
Quark-Verteilung in der folgenden Weise ergeben:

X 1
W D L .xp/  Qi2 qi .x/  ; (4.80)
i
2Q2

wobei qi .x/ die Verteilung des i -ten Quarks ist und Qi dessen Ladung. 1=2Q2
ist ein Jacobi-Faktor. Vergleicht man diese Gleichung mit dem Ausdruck für W
durch Strukturfunktionen, erhält man nach kurzer Rechnung

1 X 2
W1 .Q2 ; / D Qi qi .x/ ; (4.81)
2m i


 W2 .Q2 ; / D 2x  W1 .Q2 ; / : (4.82)
mHadron
Die letzte Gleichung, die die Strukturfunktionen in Relation setzt, wird Callan-
Gross-Relation [144] genannt. Sie hängt vom Spin des streuenden Partons ab. In-
nerhalb der Messgenauigkeit ist sie experimentell bestätigt.
Das Bjorkensche Skalenverhalten gilt nur näherungsweise. Vor allen bei sehr
hohen Energien werden neben dem betrachteten Prozess Prozesse höherer Ordnung
eine Rolle spielen. Dies führt zu einer langsamen Änderung, wie sie in Abb. 4.21
skizziert ist.
Ein Quark kann kurzzeitig in ein Quark und ein Gluon übergehen, ein Gluon in
ein Quark und ein Antiquark ect. Mit wachsender Virtualität (Q2 ! 1) werden
mehr und mehr von diesen kurzzeitigen Objekten gesehen. Im Bereich großer Q2 -
Werte ist diese Q02 -Abhängigkeit der Partonenverteilungen aus der Störungstheorie
exakt zu berechnen.
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 231

Abb. 4.21 Die Skalenabhängigkeit des Protons

Abb. 4.22 Die Verletzung der Skalenunabhängigkeit der Strukturfunktion W2 (© 2012 American
Physical Society, [31])
232 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.23 Die Quark- und


die Antiquark-Verteilung
eines Protons (© 2012 Ame-
rican Physical Society, [31])

Heute existieren sehr präzise Daten, die es erlauben, die in Abb. 4.20 mar-
kierten Gebiete genauer zu betrachten. Der Elektron-Proton-Speicherring HERA
in Hamburg hat den Bereich der zugänglichen x-Werte drastisch erweitert (x

103 ). (Damit man Partonen sehen kann, muss Q2 einige GeV2 überschreiten. Ge-
mäß (4.79) erfordern kleine x-Werte daher eine hohe Energie.)
Die Strukturfunktion ist in Abb. 4.22 in ihrer Abhängigkeit von Q2 dargestellt.
Vor allem für kleine x Werte ist das Bjorkensche Skalenverhalten deutlich verletzt.
Mit der Vorgabe geeigneter Strukturfunktionen für kleine Q2 -Werte entsprechen
die Daten dem Stand der Technik der entsprechenden QCD-Rechnungen.
Mit wachsender Virtualität wird wegen der Aufspaltung die Dichte der Partonen
im Bereich x  1 abnehmen und im Bereich kleiner x-Werte zunehmen. Da Gluo-
nen in Quark-Antiquark-Paare übergehen können, gestatten die Daten es indirekt,
die Verteilung der Gluonen im Proton zu bestimmen.
Um den Abschnitt mit den Strukturfunktionen abzuschließen, sei noch erwähnt,
dass es einen analogen Beitrag gibt, in dem das Photon durch eines der schwachen
Vektorbosonen ersetzt ist. Diese schwachen Vektorbosonen werden wir im nächsten
Kapitel kennen lernen. Für die Strukturfunktionen hat dieser Beitrag einen wichti-
gen Vorteil. Beim Vergleich geeigneter Prozesse kann durch die Analyse solcher
Beiträge zwischen verschiedenen Quarks und Antiquarks unterschieden werden.
Das Ergebnis ist in Abb. 4.23 dargestellt. Die Antiquarks kommen im Proton (und
Neutron) nur im „See“ vor. Unter der Annahme, dass die Quark- und die Antiquark-
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 233

Abb. 4.24 Das Schema der


Drell-Yan-Streuung

Verteilung im See identisch sind, kann man die Verteilung der einzelnen Valenz-
und See-Quarks direkt isolieren. Dazu existieren Korrekturen.
Bei sehr hoher Virtualität (vor allem in Streuungen an schweren Kernen) sollten
die Partonen so dicht gepackt sein, dass sie sich gegenseitig stören. Ein “Sättigungs-
gebiet“ sollte erreicht werden, in dem sich die Dichte nicht mehr ändert. Aus der
Stärke der Störung wird man Rückschlüsse darüber erhalten, wie gleichmäßig die
Partonen räumlich im Proton verteilt sind [145].

4.2.4 Drell-Yan-Streuung

Ein dritter Prozess, in dem Leptonen eine ausreichend hohe Lokalisierung festle-
gen, ist die Produktion eines massiven Lepton-Antilepton-Paares. Dieser Prozess
heißt Drell-Yan-Prozess [146]. Der harte Prozess ist genau umgekehrt wie in der
e C e  -Annihilation; ein Quark und ein Antiquark annihilieren sich und produzieren
z. B. ein e C e  -Paar oder ein C  -Paar, wie es in Abb. 4.24 zu sehen ist. Wie im
Annihilationsprozess hat man nur garantiert lokalisierte Beiträge.
Experimentell ist es nicht ganz einfach, Leptonen in Vielteilchen-Endzustän-
den zu identifizieren. Das Prinzip der Identifikation hatten wir im Abschn. 4.1.7
kennen gelernt. In der Regel werden Elektronen schneller ihre Energie verlieren
als Pionen, sie können daher schon im „elektromagnetischen Kalorimeter“ be-
obachtet werden, während Pionen erst dahinter im „hadronischen Kalorimeter“
nachzuweisen sind. Im Kalorimeter wird die ursprüngliche Energie der Teilchen
durch einen Kaskadenprozess in einen „Teilchenschauer“ (d. h. irgendwann einmal
in „Wärme“, lateinisch „calor“) umgewandelt. Aus der Teilchenzahl im Schauer
lässt sich bei wachsender Teilchenenergie mit zunehmender relativer Genauigkeit
die Energie des ursprünglichen Teilchens bestimmen; die Eindringtiefe ermög-
licht eine Unterscheidung der Teilchenart. Das liefert oft befriedigende Resultate.
Untersucht man sehr seltene leptonische Prozesse, können, da es sehr viele Pio-
nen gibt, statistische Fluktuationen Schwierigkeiten machen. Eine gewisse Hilfe
bietet die Tatsache, dass Elektronen meist recht isoliert und Pionen in Jets auftre-
ten.
Die Separation ist im Prinzip einfacher bei Myonen. Myonen unterscheiden sich
von den Elektronen und den Hadronen dadurch, dass sie vom gesamten Apparat
einschließlich der Magnete nicht gestoppt werden. Bei Myonen ist es jedoch relativ
schwierig, ihre Energie genau zu bestimmen. Das die restlichen Teilchen absorbie-
rende Eisen ist nicht ohne Einfluss auf die Myonenenergie.
234 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.25 Ein Skalengesetz


in der Leptonmassenver-
teilung bei der Drell-Yan-
Streuung (© Kourkoumelis,
1984 [147])

Abb. 4.26 Die Leptonmas-


senverteilung in der Drell-
Yan-Streuung am LHC-Be-
schleuniger (© Chatrchyan
2011, [148])

In niedrigster Ordnung der Störungsrechnung hat der Streuquerschnitt die fol-


gende Form:
Z
d .pp ! l C l C X/ X   d O .qi C qj ! l C l C X/
2
/ dxi dxj qi .xi /qj xj :
dQ i;j
dQ2
(4.83)
Dabei bedeutet X beliebige Teilchen, O ist der Streuquerschnitt auf der Ebene
der Partonen, und Partonenverteilungsfunktionen qi .xi / werden hier zweimal ge-
braucht.
p Da alles nur von Energiefraktionen abhängt, kann man  D Q =s definieren.
2

Q2 entspricht der Masse des Leptonensystems. In dieser Variable existiert dann


eine grobe Skalenunabhängigkeit, wie in Abb. 4.25 zu sehen ist.
Wie in tiefinelastischen Prozessen sind Korrekturen höherer Ordnung wichtig.
Eine QCD-Rechnung, die dem Stand der Technik entspricht, ist in Abb. 4.26 im
Vergleich mit neuen LHC-Daten zu sehen. Die Übereinstimmung zeigt, dass die
Daten verstanden sind.
Die obige Formel nimmt freie Quarks an. Im Bereich von Quark-Antiquark-
Resonanzen, wie Charmonia oder Bottomonia, gibt es erhöhte Beitrage. Ein Drell-
Yan-Experiment hatte bei der Entdeckung des Charm-Quarks eine entscheidende
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 235

Abb. 4.27 Die Streuung mit


großen Transversalimpulsen
als “Daumenkino“-Bilder

Rolle gespielt. Das schwache Vektorboson Z 0 , das im nächsten Kapitel besprochen


wird, ist für die Resonanz in Abb. 4.26 verantwortlich.

4.2.5 Hadronische Streuungen mit großen Transversalimpulsen

Anders als in den betrachteten leptonischen Prozessen kann eine Lokalisierung in


hadronischen Prozessen nicht erzwungen werden. In hadronischen Streuvorgängen
können immer sowohl lokalisierte als auch nicht lokalisierte Beiträge existieren.
In einem Beitrag werden große Impulsüberträge auftreten und im anderen nicht.
Solche hohen Impulsüberträge haben dann typischerweise auch einen hohen trans-
versalen Anteil. Da in weichen Wechselwirkungen keine hohen Transversalimpulse
auftreten, können harte Streuungen daher identifiziert werden.
Betrachten wir eine Streuung mit hohen Transversalimpulsen etwas genauer. Da-
zu ist der Prozess in Abb. 4.27 als „Daumenkino“-Seiten dargestellt. Zunächst sieht
man die beiden Protonen vor der Streuung. Mit besserer Auflösung, wie sie für den
lokalisierten Streuvorgang relevant sein wird, werden auf der zweiten Seite einzelne
Partonen sichtbar.
Wie auf der dritten Seite in der Mitte dargestellt, kann es dabei zwischen zwei
entgegengesetzt laufenden Partonen zu einer harten Streuung kommen. Verschie-
dene Prozesse können beitragen, etwas analog zu den in Abb. 4.6 gezeichneten
elektromagnetischen Prozessen. Wie dort werden nach vorn gerichtete t-Kanal-
Austausch-Prozesse die größten Beiträge liefern. Die Vorwärtsrichtung in harten
Streuungen ist nicht dominant, und es wird oft zu großen transversalen Impulsen
kommen.
Diese Transversalimpulse finden sich in transversalen Jets von Teilchen wieder,
die zusätzlich zu den ursprünglichen Jets in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung auf-
treten, wie es rechts auf letzten Seite gezeichnet ist.
Die Trennung von harten und weichen Ereignissen hängt natürlich von dem Grad
der (im Grunde definitorisch) erforderlichen Lokalisierung ab. Die Bedeutung der
harten Streuvorgänge steigt mit zunehmender Energie an.
Der Grund für die Energieabhängigkeit ist der folgende: Um einen harten Streu-
vorgang zu erhalten, ist eine gewisse minimale Energie im Partonenprozess erfor-
236 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.28 Die Transver-


salimpulsverteilung der
produzierten Teilchen (ad-
aptiert nach [149, 150])

derlich. Bei nicht ausreichend hohen Energien können Partonenpaare, die nur einen
kleinen Teil dieser ursprünglichen Energie mitbekommen, diese Minimalenergie oft
nicht erreichen. Mit wachsender Energie stehen daher mehr und mehr Partonen für
harte Streuungen zur Verfügung. Mit zunehmenden Impulsüberträgen gibt es au-
ßerdem mehr Partonen, die von der harten Streuung „aufgelöst“ werden.
Harte Streuungen sind bei den hohen Energien nicht mehr selten. Da sich oft
ein großer Anteil des Jet-Impulses in einem einzelnen Teilchen befindet, konnten
solche harten Jets experimentell zunächst als eine Aufweitung der Transversalim-
pulsverteilung beobachtet werden, die in in Abb. 4.28 dargestellt ist. Man sieht, wie
ein ursprünglich verschwindender Anteil der großen Impulsbeiträge stetig zu einem
signifikanten Beitrag anwächst.
Die Beobachtung begann bei niedrigen ISR- und FNAL-Energien als eine kleine
Abweichung vom energieunabhängigen, exponentiellen Abfall der nicht lokalisiert
produzierten Teilchen, der in Abb. 4.28 einer Geraden entspräche. Bei etwas hö-
heren Energien konnten Jetstrukturen identifiziert werden. Mit wachsenden Ener-
gien nahmen diese Strukturen an Klarheit zu. Da bei heute erreichbaren Energien
wesentlich größere Transversalimpulswerte auftreten können, ist es oft recht ein-
fach, einzelne Jets zu erkennen, wie es bei einem besonders drastischen Ereignis in
Abb. 4.29 zu sehen ist.
Es ist daher nicht mehr schwierig, die Teilchen einzelnen Jets zuzuordnen und
die Impulse der Jets zu bestimmen. Ohne auf Details einzugehen, erhält man die
in Abb. 4.30 dargestellte Verteilung. Ähnliche Ergebnisse existieren vom Collider
am Fermi-Lab. In guter Approximation entsprechen die Jet-Verteilungen den der
ursprünglichen Partonen.

4.2.6 Quantenchromodynamik und „weiche“ Wechselwirkungen

Ein Gebiet gilt als “richtig“ verstanden, wenn alle Beobachtungen aus einer zu-
grunde liegenden, mehr oder weniger selbstkonsistenten Theorie abgeleitet werden
können. Die meisten Gebiete der Physik sind dafür zu komplex. Sie erfordern Mo-
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 237

Abb. 4.29 Ein Zwei-Jet-Er-


eignis am LHC-COLLIDER
(aus [151] © 2010 CERN, for
the CMS Collaboration)

Abb. 4.30 Die Transver-


salenergieverteilung der
produzierten Jets (aus [152]
© 2011 CERN, for the CMS
Collaboration)

delle, die eine plausible und effiziente Beschreibung der Beobachtungen erlauben.
Die quantenchromodynamische Beschreibung von harten Streuungen mit großen
Impulsüberträgen ist der ersten Kategorie zuzuordnen, die „weiche Physik“, die
wir im dritten Kapitel des Buches kennen gelernt hatten, der zweiten. Wie weit
kann man die “harten“ Rechnungen in das “weiche“ Gebiet extrapolieren, um so zu
einem besser definierten Verständnis zu kommen?
Für kleine Impulsüberträge Q2 ! 0 wird die effektive Kopplungskonstante
˛ s größer als der Konvergenzradius, was Aussagen der Störungstheorie unmöglich
macht. Die Anwendungsgrenze ist allerdings nicht völlig unverrückbar. Mit geeig-
neten Methoden (und plausiblen Annahmen) kann man den zugänglichen Bereich
ein Stück weit ins weiche Gebiet schieben. Oft scheint ein Grenzwert von etwa
Q2 D 1 GeV2 erreichbar zu sein.
238 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.31 Abstrahlung eines


Gluons

Die Hoffnung ist, dass man auf diese Weise nicht nur das Zwischengebiet besser
versteht, sondern dass man auch etwas über die weichen Wechselwirkungen lernt.
Es ist natürlich im Prinzip möglich, dass harte und weiche Wechselwirkungen nichts
miteinander zu tun haben. Tatsächlich beobachtet man immer einen irgendwie kon-
tinuierlichen Übergang zwischen harten und weichen Amplituden. Dies legt nahe,
beide Komponenten zu identifizieren. Eine (natürlich unsichere) Extrapolation aus
dem hartem Gebiet betrifft dann die volle weiche Amplitude. In gewissem Umfang
erlaubt dies einen Konsistenzcheck von Modellen für den weichen Bereich.
Wir werden jetzt verschiedene Methoden der Extrapolation kennen lernen. Be-
ginnen wir mit “dünnen“ Prozessen, in denen man eine harte Streuung separat
betrachten kann.

DGLAP-Entwicklung Der einfachste Prozess dieser Art ist die e C e  -Annihilati-


on, die wir in Abschn. 4.2.2 kennen gelernt hatten. Betrachten wir die Wahrschein-
lichkeit, dass eines der Quarks ein Gluon abstrahlt, wie es in Abb. 4.31 dargestellt
ist [153].
Zwischen seiner Produktion und der Abstrahlung ist der Quark-Impuls k vir-
tuell. Der Propagator des Quarks i=.  k  m/, den wir in Abschn. 4.1.5 kennen
gelernt hatten, führt mit k D p Cq letztlich zu einem Nenner 1=..p Cq/2 m2 /.
Mit p 2 D m2 und q 2 D 0 bleibt:

1 1
 ;
2 p q  2jpE j  jE
q j  .1  cos./

wobei p0  jpE j m angenommen wurde und wobei  der Winkel zwischen pE


und qE ist. Dieselbe Polstruktur tritt auch beim “Zerfall“ eines Gluons in ein Gluo-
nen-Paar oder in ein Quark-Antiquark-Paar auf, wenn die Massen vernachlässigt
werden können.
Der Nenner hat zwei mögliche Polbeiträge. Verschwindet der erste Term, d. h.
jqj ! 0, spricht man von der „weichen Singularität“, verschwindet der zweite
Term, d. h. .1  cos.// ! 0, spricht man von der „kollinearen Singularität“.
Um unendliche Terme zu vermeiden, beschränkt man die Rechnung auf ein Ge-
biet mit einer minimalen Virtualität q 2 D q q  > q02 des Gluons. Hier ist q0 der
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 239

Abb. 4.32 Die Baumstruktur


der Beiträge mit begleitenden
Logarithmen

Abschneide-Parameter des Impulses q. Nachdem man Integrale ausgeführt und ei-


nige weitere Überlegungen angestellt hat, bleibt ein logarithmischer Term der Form
as log.q 2 =q02 /, wobei as die Kopplungskonstante der QCD ist.
Für große q 2 wird der Logarithmus zu groß und zerstört die Konvergenz der
Potenzreihenentwicklung in as . Die Methode, dieses Problem zu umgehen, wird
Dokshitzer-Gribov-Lipatov-Altarelli-Parisi- oder kurz DGLAP-Entwicklung ge-
nannt. Sie spaltet die Summation in Potenzen der Kopplungskonstanten in as -
Terme mit und ohne begleitende Logarithmen auf:
X X
   ais       .as log.q 2 =q02 /k
i k

Da die Struktur der Problemterme mit begleitenden Logarithmen immer dieselbe


Form hat, können ihre Beiträge zu einem Exponentialausdruck aufsummiert wer-
den. Die eigentliche Entwicklung betrifft dann die Beiträge der ersten Summe. Dazu
berechnet man die Amplitude bis zu einer erreichbaren Ordnung („Berechnung
des Matrixelements“) und fügt die erforderlichen Exponentialterme hinzu. Um be-
gleitende Logarithmen in der Matrixelement-Berechnung zu vermeiden, muss man
dabei die Beiträge abziehen, die durch einem Exponentialausdruck berücksichtigt
werden.
(Grundlegend ist eine Faktorisierung der verschiedenen Beiträge. Solche Rech-
nungen sind nicht einfach. Da die Rechnungen typischerweise schnell sehr um-
fangreich werden, können dabei trotz immer trickreicher werdender Methoden nur
wenige Ordnungen berücksichtigt werden. Auch ist das “Abziehen“ nicht trivial.)
Betrachten wir die Annihilation e C e  ! q qN zur Ordnung
X  k
a0s    as log.q 2 =q02 / :
k

Die Terme in der Summe führen auf jeder Seite zu einer Verteilung von Quarks und
Gluonen in einer Baumstruktur, wie sie in Abb. 4.32 dargestellt ist. Dabei sind die
240 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.33 Die Farbstruktur


der Beiträge mit begleitenden
Logarithmen

Verzweigungswinkel in der Zeichnung schwer realistisch zu zeichnen, da sie typi-


scherweise zwischen aufeinander folgenden Gabelungen um eine Größenordnung
abnehmen.
Partonen, die in großem Winkel mit großem Impuls abgestrahlt werden, führen
zu beobachtbaren Jet-Strukturen, wie es in Abb. 4.17 zu sehen war. Unser Interesse
hier gilt den Abstrahlungen in kleinen Winkeln.
In der e C e  -Annihilation ist die ursprüngliche Quark-Richtung natürlich nicht
bekannt. Bei ausreichend hohen Energien kann sie mit einer gewissen Unsicherheit
aus dem gemessenen Energiefluss festgelegt werden. Mit den Winkeln der quasi
masselosen Partonen am Ende der Baumstruktur (Abb. 4.32) zu dieser rekonstruier-
ten ursprünglichen Quark-Richtung ist es möglich, Pseudorapiditäten zu definieren,
 

 D  ln tan ;
2
die etwa den Rapiditäten entsprechen (d. h. y D .1=2/ lnŒqC =q mit q˙ D q0 ˙
qjj , wobei qjj die Komponente in der „ursprünglichen“ Quark-Richtung ist). Die
betrachtete DGLAP-Entwicklung ergibt eine flache Rapiditäts-Verteilung der Parto-
nen, die etwa der phänomenologischen Rapiditätsverteilung der Teilchen im String-
modell mit dem aufbrechenden Farbfeld (Abb. 3.43) entspricht.
Bemerkenswert ist die Farbstruktur. Wendet man die Farbliniengraphen, die wir
in Abb. 4.13 kennen gelernt hatten, auf den Graphen in Abb. 4.32 an und igno-
riert man statistisch unwichtige Komplikationen, wie Beiträge der Ordnung 1=Nc2 ,
erhält man die in Abb. 4.33 gezeichnete Farbstruktur. In diesem Bild entsprechen
Doppellinien Gluonen und einfachen Linien Quarks.
Die zentrale Beobachtung ist, dass Farblinien nie von weit oben nach weit un-
ten laufen, d. h. die Farbe eines Partons ist jeweils kompensiert in einem Partner-
Parton, das etwa dieselbe Rapidität hat. Dies „Zusammenhalten“ von Farbe wird
Preconfinement genannt. Es erklärt den zeitlichen Ablauf. Mit quasi mit Licht-
geschwindigkeit auseinander laufenden ursprünglichen Partonen erhalten sie von
Anfang an ein verbindendes Farbfeld, das im Stringmodell (Abb. 3.43) postuliert
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 241

Abb. 4.34 Balitsky-Fadin-


Kuraev-Lipatov-Pomeron

wurde. Der Parton-Hadron-Übergang erfordert keine massive Veränderung der Im-


pulsdichte, da die neutralisierende Farbe in einem benachbarten Rapiditätsgebiet
verfügbar ist. Die flache Parton-Verteilung erklärt die flache Verteilung der Hadro-
nen.

BFKL-Entwicklung In der Hadron-Hadron-Streuung gibt es einen anderen Typ


von störenden großen Logarithmen, die bei hohen Streuenergien auftreten [154].
Man nimmt an, dass man für perturbative Betrachtungen unter bestimmten Voraus-
setzungen die weichen Gluonen aufsummieren und durch den Übergang zu einer
etwas abgeänderten, effektiven Theorie berücksichtigen kann. In Streuprozessen
werden zwischen vorwärts und rückwärts fliegenden Partonen solche effektiven
Gluonen ausgetauscht. Da sie Farbe tragen, können diese ausgetauschten Gluonen
dann selbst andere Gluonen emittieren. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen ef-
fektiven Gluonen-Emission ist dabei, wenn man alles richtig macht, proportional
zur Länge des zwischen vorwärts und rückwärts fliegenden Teilchen verfügba-
ren Rapiditätsintervalls y und der Kopplungskonstanten, d. h. es ist proportional
zu ˛s log.s=m2hadron /. Für hohe Energien ist der logarithmische Term wiederum
zu groß und muss wiederum vorweg aufsummiert werden. Das so aufsummier-
te Objekt heißt Balitsky-Fadin-Kuraev-Lipatov- oder kurz BFKL-Pomeron. Ein
BFKL-Pomeron produziert eine Poisson-artige Verteilung von Gluonen mit grö-
ßeren Transversalimpulsen und flacher Rapiditätsverteilung, wie es in Abb. 4.34
angedeutet ist [155].
Es gibt viele interessante Vorhersagen und Fragestellungen, die „Jets“ oder, mit
etwas weniger p? , „Minijets“ betreffen. Uns interessiert hier die Frage, was man für
das „weiche“ Gebiet lernen kann. Wie beim phänomenologischen “weichen“ Po-
meron erhält man eine Farbstruktur, die zur führenden Ordnung in 1=Nc der Zylin-
derstruktur des phänomenologischen Pomerons (Abb. 3.45) entspricht. Es erscheint
daher sehr plausibel, dass das phänomenologische Pomeron eine Extrapolation des
BFKL-Pomerons darstellt.

Hoch-Temperatur-Feldtheorie in der Schwerionenstreuung Wenden wir uns


jetzt den „dichten“ Prozessen zu. Die Wechselwirkungen der Partonen seien so
häufig, dass man in einzelnen Streuvorgängen die ein- und die auslaufenden Par-
tonen nicht mehr in der üblichen Weise betrachten kann, da sie nicht lange genug
leben. Für eine solche Situation wurde die Hochtemperatur-Feldtheorie entwickelt.
242 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.35 Positionen der


auslaufenden Partonen

Der zentrale Punkt ist dabei: Aus der Unschärferelation erhalten die Partonen eine
Virtualität „=t, wobei t die mittlere Zeit zwischen Streuvorgängen ist. Die so
erhaltene Virtualität schneidet das weiche Gebiet mit Partonen mit verschwinden-
der Virtualität ab. Ausreichend hohe Dichten bieten daher eine neue Möglichkeit,
die störungstheoretische QCD anzuwenden.
Welche Energiedichten können in Schwerionenstreuungen erwartet werden? Im
zentralen Rapiditätsgebiet beobachtet man eine flache Rapiditätsverteilung meist
mit einem geringen Transversalimpuls. So beobachtete die Alice Collaboration
für die 5 % zentralsten P b-P b-Streuungen eine Dichte dN=dy D 1600 (d. h.
1600 Teilchen pro Rapiditätseinheit) mit etwa hp t i D .1=2/ GeV, das für Pionen
um y D 0 etwa der Energie pro Teilchen entspricht. Damit ist der Energiefluss aus
einem Rapiditätsintervall dE=dy  800 GeV.
Wie groß ist das Emissionsvolumen? Eine grobe Abschätzung in transver-
saler Richtung ist unproblematisch. Die transversale Emissionsfläche ist A D
 Rp2 A.2=3/  100 fm2 , wobei Rp  1 fm und A.P b/ D 207 angenommen wurde.
Problematisch ist die longitudinale Ausdehnung. Man nimmt an, dass Fluktuatio-
nen die Geometrie der Nukleonen nicht wesentlich beeinflussen. Zu Beginn des
Streuprozesses sind die Nuklei daher Lorentz-kontrahierte Pfannkuchen-förmige
Objekte geringer Ausdehnung. Die zentrale Annahme ist nun, dass es eine Zeit 
gibt, ab der der obige mittlere Streuabstand t sinnvoll ist. Man nimmt an, dass zu
diesem Zeitpunkt das Auseinanderlaufen schon die ursprünglich kleine longitudina-
le Ausdehnung dominiert, d. h. dass z  v ist. Die Positionen der auslaufenden
Partonen nach der Zeit  sind dann, wie in Abb. 4.35 skizziert. Sie hängen von
der Geschwindigkeit ab, und mit der Rapidität als Geschwindigkeitsparameter
vz D tanh.y/ ergibt sich:

.z; t/ D   .sinh.y/; cosh.y// (4.84)

Wir betrachten hier die Dichte um y D 0. Nach (4.84) gilt hier dz=dy D . Die
Energiedichte pro z ist damit:

1
hjpt jidN=dz D hjp t jidN=dy ;

4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 243

und die Energiedichte pro Volumen (d. h. pro dz   Rp2 A.2=3/ )

1
hjp t ji  dN=dy
Rp2 A2=3

wird „Bjorken“-Formel genannt [156]. Für  D 1 fm=c ist ihr Wert:

  7; 3 GeV=fm3

Dieser Wert liegt in einem Bereich, in dem von einer Partonendynamik ausgegangen
wird. (Offensichtlich gibt es eine große Unsicherheit in .)
Man nimmt meist an, dass zum Zeitpunkt  D 1fm=c in der Tat ein thermo-
dynamisches Gleichgewicht der Partonen im betrachteten Rapiditätsgebiet erreicht
wurde. Wie in Abschn. 3.2.4 erläutert, spricht man daher – in Analogie zu dem
bekannten Plasma, in dem die Atombindungen aufgebrochen sind – vom Quark-
Gluon-Plasma. Thermodynamische Betrachtungen erlauben dabei eine gute Be-
schreibung vieler Aspekte der Beobachtungen.
Einführung in die Physik der schwachen
Bosonen 5

Die schwachen Wechselwirkungen werden durch eine Eichtheorie, die Quantenfla-


vordynamik (QFD), beschrieben [75, 86, 157, 158]. Die Situation ist in gewissem
Sinne analog zu der Quantenelektrodynamik (QED) und der Quantenchromody-
namik (QCD). Allerdings haben im Falle der QFD die Eichteilchen eine Masse.
Bei stark lokalisierten Prozessen (sehr hohen Energien) werden diese Massen kei-
ne Rolle spielen, und die Theorie wird sich dann wie eine Eichtheorie verhalten.
Unterhalb der durch diese Massen gegebenen Energieskala haben die Massen dras-
tische Konsequenzen. Die Theorie der schwachen Wechselwirkung wird hier mit
einer direkten Strom-Strom-Wechselwirkung beschrieben. Diese effektive Theorie
hat nicht die Selbstkonsistenz einer Eichtheorie, und ohne Kenntnisse der zugrunde
liegenden Eichtheorie ist es in ihr nicht möglich, höhere Ordnungen zu berücksich-
tigen. Da die Kopplung der Strom-Strom-Wechselwirkung ohnehin sehr gering ist,
ist dies im Niederenergiebereich zunächst ohne praktische Bedeutung.

5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung

Wie ihr Name sagt, zeichnen sich die schwachen Wechselwirkungen im zunächst
betrachteten Niederenergiebereich durch ihre geringe Stärke aus. Sie treten in die-
sem Bereich im wesentlichen in Zerfallsprozessen auf, für die kein anderer Zerfalls-
mechanismus in Frage kommt. Bei der Diskussion der „hadronischen Resonanzen“
hatten wir gesehen, dass nur schwach zerfallende Resonanzen typischerweise län-
ger als 1012 Sekunden leben. Rein hadronische Zerfälle (mit Lebenszeiten < 1020
Sekunden) und elektromagnetische Zerfälle (im Zwischengebiet) kommen für vie-
le Zerfälle nicht in Frage, da viele Quantenzahlen, die sonst erhalten bleiben, nur
in der schwachen Wechselwirkung verändert werden können. Da in den schwachen
Wechselwirkungen die Flavor-Quantenzahlen nicht erhalten bleiben, kann z. B. das
Neutron schwach in ein Proton und Leptonen zerfallen. Die schwachen Wechselwir-
kungen ermöglichen Übergänge, die die Parität oder die Ladungsparität verletzen,
wie es bei K-Zerfällen beobachtet werden kann.

F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_5, 245


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
246 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Tab. 5.1 Liste der Quarks


Quarks: ur dr cr sr tr br
und der Leptonen
ug dg cg sg tg bg
ub db cb sb tb bb
Leptonen: e e    

5.1.1 Grundlegende experimentelle Beobachtungen

Der älteste beobachtete Prozess der schwachen Wechselwirkung ist der ˇ-Zerfall.
Aus der Beobachtung, dass in einem solchen Zerfall scheinbar Energie verloren
geht (siehe Abschn. 2.4.5), folgerte Pauli die Existenz eines damals noch unbe-
kannten Teilchens, des Neutrinos. In der Folgezeit hat sich herausgestellt, dass es
mehrere solcher Neutrinos gibt. Beginnen wir daher mit der vollständigen Liste der
Fermionen, die für die schwache Wechselwirkung in Frage kommen (Tab. 5.1). Da
Gluonen und Photonen keine Flavor-Quantenzahlen tragen, muss die eigentliche
QFD-Wechselwirkung zwischen Quarks und Leptonen stattfinden.
Das erste Kästchen heißt 1., das zweite 2. und das dritte 3. Generation. Abge-
sehen von ihren unterschiedlichen Massen verhalten sich die verschiedenen Ge-
nerationen wie identische Kopien bezüglich der QED, der QCD und – wie sich
herausstellen wird – der QFD. Wie wir später sehen werden, involviert die Eich-
symmetrie der QFD die horizontalen Paare. Die Zuordnung der Leptonen und der
Quarks zu den einzelnen Generationen folgt ihrer Masse und ist nicht zwingend
notwendig.
Eine wichtige Eigenschaft jeder der Generationen ist, dass die mittlere Ladung
aller Teilchen verschwindet. Dies ist aus theoretischen Gründen wichtig, da die
mittlere Ladung als Gewichtsfaktor (problematischer) unendlicher Terme der QED
auftritt.
Neu in diesem Kapitel sind die Neutrinos. Die oberen Grenzen ihrer Massen
sind [31]

me < 2 eV ;
m < 0;19 MeV ;
m < 18 MeV :

Wie wir später sehen werden, erfordern die beobachteten Übergänge zwischen ver-
schiedenen Neutrinos die folgenden Massendifferenzen

m22  m21 D 75 ˙ 2 meV2 ;


m23  m22 D 2320 ˙ 100 meV2 ;

wobei 1 ; 2 und 3 die Masseneigenzustände sind. Die Neutrinomassen sollten also


im meV-Bereich liegen.
Die Evidenz für die Verschiedenheit der „unsichtbaren“ Neutrinos stammt zum
einen von Streuexperimenten. Ein Elektron-Neutrino, das aus dem ˇ-Zerfall eines
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 247

Kerns oder aus dem -Zerfall stammt, kann in Laborexperimenten nur in ein Elek-
tron übergehen und ein Myon-Neutrino, das aus dem Zerfall von Pionen stammt,
nur in ein Myon. (Wir werden im Abschn. 5.1.5 auf Neutrino-Experimente zurück-
kommen.) Zum anderen würden gemeinsame Neutrinos verschiedener Generatio-
nen in zweiter Ordnung der schwachen Wechselwirkung Übergange, wie  ! eC
bzw.  ! e C , in einer Stärke ermöglichen, die experimentell ausgeschlossen ist.
Zum ˇ-Zerfall kamen nach und nach mehr und mehr experimentell beobachtete
schwache Wechselwirkungen hinzu. Man fand dabei heraus, dass sich solche Re-
aktionen in rein leptonische, gemischt leptonisch-hadronische („semi-leptonische“)
und rein hadronische Reaktionen klassifizieren lassen. Betrachten wir dazu einige
Beispiele für schwache Zerfälle.

Rein leptonische Prozesse


 ! e  N e  -Zerfall
  ! e  N e  -Zerfall zu 17 %
  !  N   -Zerfall zu 18 %

Semi-leptonische Prozesse
d ! ue  N e Neutronenzerfall
d uN !  N    -Zerfall
 u !  d  -Einfang im Kern
e  u ! e d K-Schalen-Elektroneneinfang im Kern
sN u ! C  K C -Zerfall zu 64 %

Rein hadronische Prozesse


s ! udu
N -Zerfall
N dN K C -Zerfall zu 21 %
sN ! uu
Versuchen wir nun, in diesen Prozessen Regelmäßigkeiten zu finden.

5.1.2 Die Wechselwirkung mit geladenen Strömen

Die schwache Wechselwirkung betrifft jeweils vier ein- oder auslaufende Fermio-
nen. Leptonen und Quarks treten dabei jeweils in Paaren auf. Dies ist konsistent
mit einer Faktorisierung der schwachen Wechselwirkung in leptonische und hadro-
nische Teile. Diese Faktorisierung besagt, dass die Amplitude die folgende Form
hat:
M / .leptonisch C hadronisch/  .leptonisch C hadronisch/
und mit geeigneter Kombination einen rein hadronischen, einen semi-leptonischen
und einen rein leptonischen Prozess erlaubt.
Betrachten wir nun einen der Beiträge in den Faktoren. Welche Möglichkeiten
gibt es für einen solchen elementaren Quark- und Lepton-Vertex? Der Vertex mit
der (4 4)-Matrix O im Dirac-Spinor-Raum,

Vertex D N O ;
248 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.1 Beispiel einer rein


leptonischen schwachen
Wechselwirkung

hat 16 Komponenten. Sie lassen sich bezüglich ihrer Lorentz-Struktur in der folgen-
den Weise in 5 verschiedene Beiträge (mit 1, 1, 4, 4 bzw. 6 Komponenten) einteilen:

OSkalar D OS D 1 ;
OPseudoskalar D OP D 5 ;
OVektor D OV D  ;
OAxialvektor D OA D  5 ;
OTensor D OT D   :

Die Definition von 5 (siehe 4.39) mit (2 2)-Submatrizen ist


 
0 1
5 D :
1 0

Eine Messung der Winkelabhängigkeit im ˇ-Zerfall zeigt, dass eine Vektor- und
bzw. oder eine Axialvektorkopplung möglich ist. Eine Wechselwirkung mit einer
Vektorkopplung kann man mit
GF
M D p J   J (5.1)
2
als eine Strom-Strom-Wechselwirkung schreiben, wobei die kleine Konstante GF
eine Art Kopplungskonstante der effektiven schwachen Wechselwirkung ist. Mit
einer festzulegenden Definition der Ströme ist ihr Wert gerade 1;2105 GeV2 [31].
Ein Beispiel für eine solche schwache Wechselwirkung ist in Abb. 5.1 dargestellt.
Die Frage, ob eine Vektor- oder eine Axialvektorkopplung erforderlich ist, lässt
sich nicht einfach beantworten. Sie berührt einen wichtigen Schritt in der Entwick-
lung der schwachen Wechselwirkung, der die Genialität erforderte, gewohnte Vor-
stellungen aufzugeben. Für diesen Schritt haben T. D. Lee und C. N. Yang [56, 159]
im Jahr 1957 den Nobelpreis bekommen.
Ein Problem war damals das folgende: Es gab Hinweise auf zwei Teilchen, die 
und  genannt wurden und die wegen ihrer offensichtlich geraden bzw. ungeraden
Parität in drei bzw. zwei Pionen zerfielen. Wegen der langen Zerfallszeit kam dabei
nur ein schwacher Prozess in Frage. Das Paradoxe bei diesen Teilchen war, dass sie
in jeder anderen Weise völlig identische Eigenschaften hatten.
Die Lösung des Paradoxons war, dass die Parität, die zur Klassifikation benutzt
wurde, in schwachen Wechselwirkungen nicht erhalten bleibt. In Wirklichkeit han-
delt es sich bei  und  um ein einziges Teilchen, das heute Kaon heißt und das
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 249

entweder mit gerader und oder mit ungerader Parität zerfällt, d. h.

 C D K C !  C 0

bzw.
 C D K C !  C C  :
Da die Parität in hadronischen und elektromagnetischen Wechselwirkungen gut ge-
testet war, wurde sie nicht in Frage gestellt und manchmal sogar in der Datenanalyse
verwandt. Lees und Yangs Hypothese beruhte auf der Beobachtung, dass ihre Er-
haltung bei der schwachen Wechselwirkung nicht wirklich untersucht war. Solche
Tests waren zwar im Prinzip möglich, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht,
z. B. die Richtungsabhängigkeit der emittierten Elektronen im ˇ-Zerfall von geeig-
neten polarisierten Kernen genau genug anzuschauen. Auf dieser Anregung wurde
von C. S. Wu und ihrer Gruppe ein Experiment durchgeführt, und es wurde nach-
gewiesen, dass die Parität in der Tat verletzt wird [57, 160, 161].
Was bedeutet das für unseren Vertex? Das Matrixelement muss also paritätsver-
letzende Anteile haben. Dies ist der Fall, wenn der Strom sowohl einen Axialvektor-
als auch einen Vektoranteil ( .OV C OA /  .OV C OA /) hat. Das Quadrat des Ma-
trixelements enthält dann gemischte Beiträge ( .OV /  .OA /), die ungerade unter
Paritätstransformation sind und die daher zur Paritätsverletzung führen müssen. Tat-
sächlich wird die Parität in geladenen leptonischen Strömen maximal verletzt: Der
Axialvektorstrom und der Vektorstrom treten mit gleicher Größe auf, und zwar (in
der benutzten Notation) mit identischen Vorzeichen.
Betrachten wir zunächst den leptonischen Strom. In schwachen Prozessen mit
geladenen Strömen tritt jeweils ein Übergang zwischen einem geladenen Lepton
und einem zugehörigen Neutrino auf. Der leptonische Strom der ersten Generation
ist daher
J D N Œe   .1 C 5 / Œe :
Œe
(5.2)
Die schwache Wechselwirkung ist für jede der Generationen identisch. Man muss
in (5.2) nur e durch  oder  ersetzen. Der Strom der drei Generationen lässt sich
daher in der folgenden Weise zusammenfassen:
leptonisch Œe Œ Œ
J D J C J C J : (5.3)

Natürlich treten die konjugierten Ströme auf. Wie der Vektorstrom-Operator, so ist
auch der Axialvektorstrom-Operator von einer Konjugation nicht berührt. Analog
zu (4.20)
.0  /C D 0 
gilt wegen .5 /C D 5 und 5  D  5 :

.0  5 /C D 5 .0  /C D 5 0  D 0  5 :

Eine Konjugation vertauscht nur die ein- und die austretenden Teilchen. Da aus-
tretende Teilchen im geeigneten kinematischen Bereich einlaufenden Antiteilchen
250 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

entsprechen und umgekehrt, folgt, dass Teilchen und Antiteilchen identische Strö-
me haben.
In der Summe tritt der Faktor .1 C 5 /=2 auf. Er ist ein Projektionsoperator, der
nur Beiträge linksdrehender Fermionen zulässt. Wegen des Verhaltens der Operato-
ren unter Konjugation gilt die Linkshändigkeit für beide Fermionen am Vertex.
Analog zum leptonischen Strom setzt sich der hadronische Strom aus den Beiträ-
gen der einzelnen Quarks zusammen, die die in (5.2) beschriebene Form haben. Das
gilt für die „lokalisierten“ Wechselwirkungen, wie sie in schwachen, tiefinelasti-
schen Wechselwirkungen zur Bestimmung der Quark-Verteilungen benutzt werden.
Die meisten Betrachtungen schwacher Prozesse betreffen allerdings Zerfälle.
Die Faktorisierungshypothese zwischen schwacher und hadronischer Wechselwir-
kung ist in diesem niederenergetischen Gebiet nicht berechtigt. Die Tatsache, dass
die Quarks in Hadronen gebunden sind, kann hier nicht immer vernachlässigt wer-
den. Um den Einfluss der hadronischen Wechselwirkungen zu berücksichtigen, de-
finiert man formal

J hadronisch D N Œp   .gV C gA  5 / Œn
(5.4)

als resultierenden schwachen Strom eines Hadrons. Die im Neutronenzerfall empi-


risch bestimmten Konstanten ergeben gA =gV D 1;2767 ˙ 0;0016 ; siehe [162].
Der Einfluss der Korrekturen von den hadronischen Wechselwirkungen ist da-
bei relativ klein. Ohne hadronische Wechselwirkungen verhielten sich das Pro-
ton und das Neutron wie die Summen ihrer Konstituenten. Wegen der gemischten
Symmetrie der Nukleonen (siehe Abschn. 3.1.5 und 3.1.9) werden ihre Spin- und
Isospineigenschaften jeweils durch ein einzelnes Quark bestimmt. Die Nukleonen
verhielten sich daher auch bezüglich ihres schwachen, linkshändigen Isospins wie
elementare Teilchen, d. h. wie ein u-Quark bzw. ein d -Quark.
Für den elektrischen Strom eines Protons ist die starke Wechselwirkung irrele-
vant. Da der Strom in solchen Wechselwirkungen erhalten bleibt, entspricht er der
Summe der Konstituenten. Dasselbe gilt für den Vektoranteil der schwachen Wech-
selwirkung. Ignoriert man eine 2-%-Korrektur durch generationsmischende Effekte
(siehe unten), wäre gV D 1.
Der Einfluss der hadronischen Wechselwirkungen ist auch beim Axialvektoran-
teil nicht groß, d. h. er ist im 25-%-Bereich. Wie bereits erwähnt, ist das Pion das
Goldstone-Teilchen der QCD, das durch die QCD-Wechselwirkung allein keine
Masse erhält. Im Grenzfall, in dem das Pion wirklich die Masse null hätte, bliebe,
wie eine komplizierte Argumentation ergibt, auch der axiale Strom erhalten. Das
Proton würde sich auch bezüglich des axialen Anteils wie ein u-Quark verhalten,
d. h. es wäre gA  1.
In schwachen Wechselwirkungen bleiben Flavor-Quantenzahlen nicht erhalten.
Neben den Übergängen zwischen den Partnern innerhalb einer Generation gibt es
Übergänge zwischen Partnern unterschiedlicher Generationen. Im Strom muss es
also solche generationsmischenden Terme geben.
Dies ist in der folgenden Weise zu verstehen. Die Quarks der verschiedenen
Generationen sind Eigenzustände eines Massenoperators. Transformiert man die
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 251

Eigenzustände aus der u; c; t -Quark-Welt mittels eines geladenen Stroms in die


d; s; b -Quark-Welt, so erhält man die Zustände d 0 ; s 0 ; b 0 . Diese Zustände entspre-
chen nicht exakt den Eigenzuständen des Massenoperators, d. h. den bekannten
d; s; b -Quarks. Der Übergang hat daher nicht direkt mit der eigentlichen schwa-
chen Wechselwirkung selbst, sondern nur mit dem Massenoperator zu tun, der sich
jeweils etwas andere Eigenzustände aussucht.
Die zentrale Beobachtung, die dieses Konzept der Mischung erfordert, ist die
folgende. Prozesse, die in zweiter Ordnung ablaufen und die einen Übergang aus
der u; c; t -Welt in die d 0 ; s 0 ; b 0 -Welt und wieder zurück in die u; c; t -Welt enthal-
ten, führen zu keinen Generationsänderungen, da eine Basistransformation hin zur
und zurück von der Einheitsmatrix entspricht. (Dass nicht-diagonale Beiträge sich
aufheben, erfordert vollständige Generationen. Um dies zu erreichen, wurde von
Glashow, Iliopoulos und Maiani das c-Quark postuliert, als nur die übrigen Quarks
der ersten beiden Generationen bekannt waren.)
In dieser Überlegung war der Einfluss der Massen des Zwischenzustands (in den
Propagatoren der d; s; b -Teilchen) vernachlässigt. Eine genauere Rechnung zeigt,
das dieser Einfluss sehr klein ist. Das Argument erklärt natürlich auch, warum keine
generationsändernden Übergänge im leptonischen Bereich gefunden wurden. Hier
sind die meV-Neutrinomassen sicherlich zu ignorieren.
Die schwache hadronische Wechselwirkung ist auf der Quark-Ebene, abgesehen
von dieser Umdefinition, völlig analog zum leptonischen Sektor

Œu!d 0 Œc!s 0 Œt !b 0
J hadronisch D J C J C J
0 Œd 0
1
  (5.5)
D N Œu ; N Œc ; N Œt
  .1 C 5 / @ Œs 0 A :
Œb 0

Die Matrix, die die d; s; b -Quarks in die d 0 ; s 0 ; b 0 -Quarks transformiert, heißt Ko-
bayashi-Maskawa-Matrix:
0 Œd 0
1 0 10 Œd
1
Kobayashi-
@ Œs 0 A D @ Maskawa- A@ Œs A : (5.6)
Œb 0 Matrix Œb

Abgesehen von einer kleinen komplexen Phase, die eine winzige Verletzung der
CP- oder der T-Invarianz einführt, gibt es drei Euler-Winkel. Die reellen Matrixele-
mente haben etwa die folgende absolute Größe [31]:
0 1
0;975 0;22 0;004
@ 0;22 0;974 0;043 A : (5.7)
0;010 0;045 0;999

Die Mischung in der Matrix ist am stärksten für Zustände der ersten beiden Ge-
nerationen. Oft spielt die dritte Generation keine Rolle. Unter Vernachlässigung
252 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.2 Beispiel semi-


leptonischer schwacher
Wechselwirkungen

Abb. 5.3 Der Zerfall eines


neutralen K-Mesons als Bei-
spiel einer rein hadronischen
schwachen Wechselwirkung

der Mischung mit höheren Generationen definiert man einen Cabibbo-Winkel und
schreibt     
d0 cos C sin C d
D : (5.8)
s0 sinC cos C s

Sein experimenteller Wert ist

sin C D 0;23 : (5.9)

Da sin C kleiner ist als cos C , sagt man, die generationsändernden Prozesse (s !
u), die einen Faktor sin C enthalten, seien „Cabibbo-unterdrückt“, während die
anderen Prozesse (d ! u) „Cabibbo-erlaubt“ heißen.
Die Matrixelemente von Übergängen der ersten beiden Generationen sind in
dieser Näherung durch die Kopplungskonstante und durch den Cabibbo-Winkel
vollständig beschrieben. Für rein leptonische Prozesse tritt kein Cabibbo-Winkel
auf. Für semi-leptonische Prozesse hat man dabei einen Faktor

cos C oder sin C

für die „erlaubten“ bzw. „verbotenen“ Prozesse, die in Abb. 5.2 dargestellt sind. Für
die hadronischen schwachen Prozesse sind zwei Faktoren zu berücksichtigen,

cos C cos C ; cos C sin C oder sin C sin C ;

die den Beitrag der jeweiligen Prozesse entscheidend beeinflussen. Ein Beispiel für
eine solche Wechselwirkung ist in Abb. 5.3 dargestellt.
Gibt es Generationsübergänge im leptonischen Sektor? Man weiß heute, dass
Neutrinos nicht masselos sind, und die Antwort ist daher „ja“. Wie Interferenzbei-
träge auftreten, die zu Oszillationen im Flavor-Raum als Funktion des Abstands zur
Quelle führen, werden wir in Abschn. 5.1.3 am Beispiel des K0 =K0 ausführlich er-
läutern. Aus solchen Oszillationen können Differenzen von Massenquadraten und
Übergangswinkel bestimmt werden.
Ein Beispiel für eine Messung ist das Verschwinden von Sonnenneutrinos. Die
Fusion in der Sonne bewirkt die Emission von e -Leptonen, die auf dem Weg zur
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 253

Erde in  -Leptonen übergehen können. Durch einen Übergang der schwachen


Wechselwirkung können e -Leptonen manchmel als e  -Leptonen in riesigen un-
terirdischen Detektoren nachgewiesen werden. Auf diese Weise kann man messen,
wie viele fehlen. Ähnliche Experimente kann man um Kernreaktoren durchführen,
in denen meist  e -Leptonen entstehen.
Ein anderes Beispiel ist das Experiment „CERN Neutrinos to Gran Sasso“. Man
schickt einen 400-GeV-Protonenstrahl des SPS auf ein Target, in dem Pionen und
Kaonen entstehen. Die geladenen Produkte werden mit Magneten in Vorwärtsrich-
tung gelenkt, sodass viele von ihnen im Kilometer langen Vakuumtunnel in  und
 zerfallen. Der Trick ist, dass Neutrinos kaum durch Erde absorbiert werden.
Der Tunnel ist so ausgerichtet, dass einige der so entstandenen Neutrinos dann
732 km weit entfernt im unterirdischen Grand-Sasso-Experiment OPERA nach-
gewiesen werden können. Auf dem Weg werden sie zwischen den verschiedenen
Neutrinozuständen oszillieren. Da ihre Energie groß genug ist, können ( ! )
Ereignisse auftreten und nachgewiesen werden.
Nicht entartete Massen legen Eigenzustände fest, und analog zum Quark-Sektor
kann man eine Matrix definieren, die die Partnerzustände der geladenen Leptonen
mit diesen Eigenzuständen verbindet:
0 Œ.e/
1 0 10 Œ.1/
1
Pontecorvo-Maki-
@ Œ./ A D @ Nakagawa-Sakata- A @ Œ.2/ A
Œ./ Matrix Œ.3/

Die Drehwinkel scheinen größer als im Quark-Bereich zu sein.


In schwachen Wechselwirkungen werden linkshändige Neutrinos und rechts-
händige Antineutrinos erzeugt. Wäre man bereit, die Leptonenzahl-Erhaltung auf-
zugeben, wäre es möglich, ohne die rechtshändigen Partner-Zustände, die an der
schwachen Wechselwirkung nicht teilhaben, auszukommen. Die erzeugbaren Zu-
stände erhielten dann eine so genannte Majorana-Masse. Ein solcher Masseterm
verbindet die Partner einer kombinierten Charge- und Paritäts-Transformation (kurz
CP-Transformation). Die Neutrinos genügten dann der zwei-komponentigen Weyl-
Spinor-Gleichung, die wir in (4.19) kennen gelernt hatten.

5.1.3 Das neutrale Kaon

In hadronischen Wechselwirkungen gibt es vier Kaonen

K  D .u;
N s/ ; KN 0 D .dN ; s/ ; K 0 D .Ns ; d / ; K C D .Ns ; u/ : (5.10)

Es gibt zwei Isospin-Dubletts mit jeweils einem neutralen Teilchen.


Von der Besprechung der Hadronen wissen wir, dass es in hadronischen Wech-
selwirkungen entscheidend ist, ob ein Teilchen ein s- oder ein sN -Quark enthält. Die
Isospin-Paare werden daher oft in Streuvorgängen ineinander übergehen oder als
Teilchen-Antiteilchen zusammen produziert werden.
254 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.4 Eine Wechselwir-


kung, die einen Übergang
zwischen den beiden neutra-
len Kaonen ermöglicht

Der Quark-Inhalt ist auch entscheidend für die semi-leptonischen Zerfälle. Da


das c-Quark zu schwer ist, treten dabei nur die Cabibbo-unterdrückten Zerfälle auf:

s ! uN  
N  C :
sN ! u

Die Situation ist kompliziert, da die neutralen Kaonen ineinander übergehen kön-
nen. Ein Beispiel für einen solchen Übergang ist in Abb. 5.4 dargestellt. Er liefert
einen Beitrag zum nichtdiagonalen Übergang in einer (K 0 ; KN 0 )-Übergangsmatrix.
Entscheidend ist dabei die schwere c -Quark-Masse. Im Prinzip sind zwei Übergän-
ge innerhalb der ersten beiden Generationen möglich

s!u!d und s ! c ! d : (5.11)

Sie haben in den Cabibbo-Faktoren sin C  cos C und cosC  sin C entgegen-
gesetzte Vorzeichen, so dass sie sich bei gleicher u-Quark- und c-Quark-Masse in
den Propagatoren gegenseitig aufheben würden.
Ein ähnlicher zusätzlicher Beitrag kommt vom gekreuzten Prozess.
Man kann zeigen, dass Wechselwirkungen, mit denen Teilchen in sich selbst
übergehen, zur Masse der Teilchen beitragen. Bezüglich der starken Wechselwir-
kung ist die Masse der beiden neutralen Kaonen entartet. Ein „noch so“ schwacher
Prozess kann daher die Entartung in der Massenmatrix aufheben und die Position
der Masseneigenzustände bestimmen.
Wenn man von einer winzigen Korrektur, die wir im nächsten Abschnitt (5.1.4)
besprechen werden, absieht, hat die Massenmatrix des (K 0 ; KN 0 )-Systems mit der
Übergangsmatrix die folgende Form:
   
1 0 0 1
mK 0 C m :
0 1 1 0

Diese Matrix wird durch den symmetrischen und den unsymmetrischen Zustand
diagonalisiert. Der „Nebendiagonal“-Term trägt im symmetrischen Zustand
0
Klangsam  K 0 C KN 0 D .Ns ; d / C .dN ; s/

mit einem positiven und im unsymmetrischen Zustand


0
Kschnell  K 0  KN 0 D .Ns ; d /  .dN ; s/

mit einem negativen Vorzeichen zur Masse bei. Die so definierten geraden bzw. un-
geraden Zustände sind Eigenzustände der CP-Symmetrie (d. h. Ladungskonjugation
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 255

und Paritäts-Transformation) mit


0
CPKschnell D CKschnell
0
D CKschnell
0

0
CPKlangsam D CKlangsam
0
D Klangsam
0
:

Abgesehen von der erwähnten winzigen Korrektur sind dies die physikalischen Ei-
genzustände, die den beobachteten Teilchen entsprechen.
Für neutrale Kaonen sind die rein hadronischen, schwachen Zerfälle
0
Kschnell ! 2 Pionen
0
Klangsam ! 3 Pionen

wichtig, die mit etwa 100 % bzw. 34 % auftreten. Die Struktur des Prozesses war
in Abb. 5.3 dargestellt. Die CP-Parität des charge-symmetrischen 0 -Mesons ist
negativ. Je nach der CP-Parität des neutralen Kaons können daher entweder zwei
oder drei Pionen gebildet werden.
Das „Leben“ eines neutralen Kaons hat also die folgenden Stufen. Es wird zu-
nächst in einer hadronischen Wechselwirkung als K 0 oder KN 0 gebildet. Im Flug ist
0 0
es eine kohärente Überlagerung eines Kschnell - und eines Klangsam -Zustands. Falls es
hadronisch zerfällt, entpuppt es sich jeweils mit 50 %
 als ein Kschnell
0
, das schnell in zwei Pionen zerfällt, oder
 ein Klangsam , das langsam in drei Pionen zerfällt.
0

Falls es sich „überlegt“, semi-leptonisch zu zerfallen, muss es sich wiederum „ent-


scheiden“, ob es dies
 als KN 0 (!  C e  N e oder !  C  N  ) oder
 als K 0 (!   e C e oder !   C  )
tun „möchte“. Wegen der doppelten Entscheidungsmöglichkeit gibt es jeweils zwei
Wege zum selben Endzustand. Quantenmechanisch werden beide Amplituden in-
terferieren und die Wahrscheinlichkeit der endgültigen „Entscheidung“ festlegen.
0 0
Dabei kommt es auf die relative Phase zwischen Kschnell und Klangsam an. Wegen der
Massendifferenz wird der Zustand langsam zwischen beiden Zuständen oszillieren.
Der beobachtete Zerfallszustand hängt daher vom Abstand zum Erzeugungsort und
von der Massendifferenz ab. Dies erlaubt eine sehr präzise Messung der winzigen
Massendifferenz.

5.1.4 CP-Verletzung

Die (2 2)-Masse-Matrizen des .K; KN 0 /-Systems müssen hermitesch sein. (Der


Zeitentwicklungsoperator U ist unitär. Im Ruhesystem eines nicht wechselwirken-
den Teilchens ist U D exp.iM t/, und M ist daher hermitesch.) Die allgemeine
Form der Massematrix kann daher mit Pauli-Matrizen geschrieben werden:
M D       
1 0 0 1 0 i 1 0
mK Cm C M :CP C M :CPT
0 1 1 0 i 0 0 1
256 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

wobei :CP bzw. :CPT einen die jeweilige Symmetrie verletzenden Beitrag be-
zeichnet.
Im letzten Abschnitt hatten wir gesehen, dass (K 0 • KN 0 )-Übergänge existieren,
die hier (m ¤ 0)-Beiträge bewirken, die die Entartung aufheben und die Eigen-
0
zustände Kschnell / K 0 C KN 0 und Klangsam
0
/ K 0  KN 0 entstehen lassen, die schnell
in zwei bzw. langsam in drei Pionen zerfallen.
Beobachtungen zeigen, dass es zu diesem Bild eine winzige Korrektur geben
0
muss. Auch im großen Abstand vom Produktionspunkt, wenn alle Kschnell -Meso-
nen zerfallen sind, treten trotzdem einige sehr seltene Zerfälle in zwei Pionen auf
(Verzweigungsverhältnis ca. 0;003). Dies ist nur möglich, wenn M:CP oder M:CPT
nicht verschwindet und der leicht gedrehte langlebige Eigenzustand eine winzige
K 0 C KN 0 Komponente hat.
Eine effektive CPT-Verletzung kann nicht theoretisch ausgeschlossen werden,
da das Labor kein abgeschlossenes System ist. Dass das K 0 im effektiven Schwe-
refeld der uns umgebenden Materie eine etwas andere Masse als das KN 0 hat, d. h.
dass M:CPT ¤ 0 ist [163], konnte damals nicht wirklich ausgeschlossen werden.
Heute haben Messungen der Gravitationskraft eine Genauigkeit erreicht, die unter
vernünftigen Annahmen die benötigte effektive CPT-Verletzung verbietet [164].
In einem Zwischengebiet, in dem zwei Pionen mit etwa gleichen Amplituden in
0 0
Klangsam -Zerfällen und in (schon seltenen) Kschnell -Zerfällen gebildet werden kön-
nen, tritt ein messbarer Interferenzterm auf, der dem CP- und nicht dem CPT-
verletzenden Beitrag entspricht und damit die CP-Verletzung nachweist.
Auf der Quark-Ebene lässt sich der CP-verletzende Beitrag durch einen winzi-
gen Imaginärteil in Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrixelementen parametrisie-
ren. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass es nur einen solchen imaginären Beitrag
geben kann.
Die unitäre Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix
0 1
uE1
@ uE2 A
uE3

enthält in jeder Zeile einen Basisvektor in gedrehtem System in Komponenten des


alten Systems. Die Orthogonalität ui ui D 1 und ui uj ¤i D 0 lässt 18  9 D 9 freie
Parameter. Die 6 Phasen der Basisvektoren in beiden Systemen sind frei, wobei eine
Phasenänderung aller Zustände die Matrix natürlich nicht verändert. Die Zahl der
freien verbleibenden Zustände ist daher

96C1D4; (5.12)

und zwar 3 Eulerwinkel und 1 imaginärer Beitrag.


Die CP-Verletzung in anderen Übergängen ist damit vollständig festgelegt. CP
verletzende Übergänge konnten in B 0 -, Bs0 - und im D 0 -Systemen nachgewiesen
werden [165].
Ein etwas unbefriedigender Punkt in dieser Beschreibung ist der folgende. Die
Argumentation beschränkte sich bisher auf die Kobayashi-Maskawa-Matrix. Sie
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 257

wurde in (5.6) als Hilfsgröße, die selbst keine Bedeutung hat, eingeführt. Die ei-
gentliche Physik muss in den Masse-Matrizen liegen und dort verstanden wer-
den.
Wie äußert sich die CP-Verletzung in diesen Matrizen? Betrachten wir dazu die
Dirac-Gleichung (siehe 4.8) eines ruhenden Fermions:
 
@
i0 m D0:
@x0

Da 0 0 D 1 gilt:
@
D i0 m : (5.13)
@x0
In der Diskussion nach (5.2) hatten wir .1 ˙ 5 /=2 als Projektionsoperator ken-
nengelernt, der nur linkshändige bzw. rechtshändige Helizitätszustände zulässt. Die
Relation
0  .1 ˙ 5 / D .1  5 /  0 (5.14)
zeigt, dass der Massenterm in der Dirac-Gleichung nur unterschiedliche Helizitäts-
zustände verbindet. Die Viererspinoren der Dirac-Gleichung lassen sich als links-
und rechtshändige Teilchen- und Antiteilchen-Komponenten schreiben. Im Produk-
traum der drei Flavorzustände für links- bzw. rechtshändige Teilchen:
 
u.1/l ; .u.2/l ; .u.3/l ; u.1/r ; .u.2/r ; .u.3/r

hat die Massematrix damit die folgende Form


0 1
0 0 0
B 0 0 0 m C
B C
B 0 0 0 C
B C
B 0 0 0 C
B C
@ mC 0 0 0 A
0 0 0

Die Matrix muss hermitesch sein. Offensichtlich schränkt dies die Submatrix m
nicht ein. Aus der Forderung, dass beobachtbare Massenquadrate nicht von der geo-
metrischen Orientierung abhängen, folgt, dass m mC D mC  m ist. Die Submatrize
m ist damit diagonalisierbar. Haben die Eigenwerte von m einen komplexen Anteil,
kann dies zu T- oder CP-Symmetrieverletzung und der entsprechenden Phase in der
CKM-Matrix führen. (Ein Teil der nicht verschwindenden Phasen lässt sich durch
eine Redefinition der Zustände vermeiden, und einige Phasen haben daher keine
physikalische Bedeutung. Das Abzählen der Parameter in der CKM-Matrix (sie-
he 5.12) zeigt, dass im Rahmen des Standardmodells eine Phase übrig bleibt, die
die messbare CP-Verletzung bewirken kann.)
Ob CP-Verletzung auch auf der leptonischen Seite als nicht verschwindende Pha-
se in der PMNS-Matrix auftritt, ist nicht bekannt.
258 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.5 Das Schema eines


Neutrinoexperiments

Die CP-Verletzung ist eine fundamentale Beobachtung. Man ist der Ansicht, dass
die CPT-Symmetrie ungebrochen ist (siehe Abschn. 3.1.6). Eine CP-Verletzung ent-
spricht daher der Asymmetrie unter Zeitumkehr T, in der Prozesse rückwärts anders
ablaufen als vorwärts. Die CP-Verletzung könnte in der Kosmologie eine wichtige
Rolle spielen. In dem uns zugänglichen Bereich scheint es im Kosmos mehr Fer-
mionen als Antifermionen zu geben. (Die Größe des Beitrags niederenergetischer
Antineutrinos ist nicht bekannt.) Es wurde vorgeschlagen, dass die Antimaterie
durch einen CP-verletzenden Prozess in Materie verwandelt wurde. Die beobachte-
te CP-Verletzung scheint dazu jedoch viel zu klein.

5.1.5 Die Wechselwirkung mit neutralen Strömen

Mit Beschleunigern ist es möglich, hochenergetische Neutrinostrahlen zu erzeu-


gen und zu beobachten. Dazu hatten wir am Ende des Abschn. 5.1.2 ein Beispiel
kennengelernt. Es geschieht in der in Abb. 5.5 skizzierten Weise. Man erlaubt ei-
nem sekundären Pionenstrahl, in Leptonen zu zerfallen. Dies geschieht, um andere
Prozesse zu vermeiden, meist im Vakuum. Eine lange Strecke von absorbierendem
Material blockiert dann den Durchgang der Myonen und anderer Teilchen. Übrig
bleibt ein Neutrinostrahl mit einer berechenbaren Energieverteilung.
Der Streuquerschnitt von Neutrinos wächst mit zunehmender Energie. Selbst bei
den höchsten Beschleunigerenergien ist der Wirkungsquerschnitt allerdings noch
sehr klein. Zur Beobachtung von Streuvorgängen der Neutrinos muss man daher
riesige Detektoren benutzen, in denen die Ionisationsspuren, die in einem Streu-
prozess produzierten Teilchen hinterlassen, ausreichend genau beobachtet werden
können.
Typisch für solche Neutrinostreuprozesse ist, dass aus dem Nichts, d. h. aus ei-
ner nicht gesehenen Neutrinobahn, plötzlich geladene Teilchenbahnen entstehen.
Dabei wird oft eine Myonenspur auftreten, wie man sie von einer Wechselwirkung
mit einem geladenen Strom erwartet. Aus der Tatsache, dass ein Neutrino, das im
Pionzerfall zusammen mit einem Myon (C ) produziert wurde, immer in ein My-
on ( ) übergeht, wurde 1962 die separate Existenz des Elektronneutrinos und des
Myonneutrinos geschlossen. Für das Experiment [166] und für die Entwicklung
von Neutrinostrahlexperimenten haben 1988 Leon Lederman, Melvin Schwartz und
Jack Steinberger den Nobelpreis erhalten.
Um Neutrinos, die im Fusionsprozess in der Sonne entstehen, nachweisen zu
können, wurden riesige Untergrundlaboratorien gebaut. Die Analyse extraterrestri-
scher Neutrinos und von Neutrinos, die aus Hunderte von Kilometern weit entfern-
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 259

Abb. 5.6 Eine Blasenkammeraufnahme eines Neutrinoereignisses mit einer neutralen Strom-
wechselwirkung (© Hasert, 1973 [167])

ten Beschleunigern auf solche Detektoren gerichtet wurden, konnte nachweisen,


dass es zu Oszillationen zwischen den verschiedenen Partnerneutrinos der gelade-
nen Leptonen kommen kann. Wie im Quark-Bereich gibt es also auch im leptoni-
schen Bereich nicht-diagonale Terme.
Neben geladenen Strömen gibt es aber auch Ereignisse ohne Myonen oder Elek-
tronen. Sie kommen durch eine neutrale Strom-Strom-Wechselwirkung zustande,
bei der das Neutrino nicht umgewandelt wird. Eine der ersten solchen Beobachtun-
gen [167] aus dem Jahre 1973 ist in Abb. 5.6 dargestellt.
Es handelt sich um eine Blasenkammeraufnahme. In einer Blasenkammer wird
der Druck in einer beinahe siedenden Flüssigkeit reduziert, so dass um Ionisati-
onskeime entlang der Bahnen geladener Teilchen kleine Gasbläschen entstehen, die
dann eine optische Rekonstruktion der Teilchenbahnen erlauben.
In dem gezeigten Bild streute ein Myonneutrino, das im Bild von links kam, an
einem Elektron, das an seiner spezifischen bischofstab-artigen Bahn zu identifizie-
ren ist. Da weder ein Myon (das ungestreut die Kammer durchquert hätte) noch ein
260 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Hadron auftrat, muss es sich um den folgenden rein leptonischen Prozess gehandelt
haben:
 C e  !  C e  ; (5.15)
bei dem ein Neutrino an einem Bahnelektron eines Atoms elastisch streut und die-
sem Elektron einen Teil seines Impulses abgibt. Ein vom Elektron emittiertes (selbst
unsichtbares) Photon ist indirekt für die übrigen sichtbaren Teilchenspuren verant-
wortlich.
Ähnliche Bilder existieren mit rein hadronischen, myonenlosen Endzuständen,
die durch einen semi-leptonischen Prozess der folgenden Art entstehen:

 C Quark !  C Quark : (5.16)

Neben der positiv bzw. negativ geladenen schwachen Strom-Strom-Kopplung muss


es daher auch einen neutralen Anteil geben. Mit ihrem leptonischen und hadroni-
schen Anteil ist die neutrale schwache Wechselwirkung wiederum konsistent mit
der Strom-Strom-Struktur. Der Strom hat dabei eine ähnliche Form wie der gela-
dene Strom. Allerdings tritt nun auch eine kleinere Komponente   .1  5 / auf.
Diese Komponente wird im Rahmen der Weinberg-Salam-Theorie verständlich.
Bei geladenen Strömen wurden die Übergänge zwischen Zuständen von ver-
schiedenen Generationen nicht mit einem generationsändernden Anteil in der
schwachen Wechselwirkung erklärt, sondern damit, dass die Massenoperatoren,
deren Eigenzustände den Zuständen der verschiedenen Generationen entsprechen,
jeweils etwas andere Eigenzustände im Bereich der u; c; t-Quarks und im Bereich
der d; s; b-Quarks auswählen. Da in den neutralen schwachen Prozessen kein Über-
gang zwischen diesen beiden Bereichen stattfindet, gibt es erwartungsgemäß keinen
generationsändernden Anteil. Dies ist der Grund dafür, dass die neutralen Ströme
nicht bei Zerfällen gesehen werden konnten.

5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie

In den Jahren 1967 und 1968 haben S. Weinberg und A. Salam für die schwache
und für die elektromagnetische Wechselwirkung, d. h. für die QFD und für die QED,
eine gemeinsame, in sich konsistente Theorie vorgeschlagen [168, 169], die heute
allgemein als sogenanntes Standardmodell akzeptiert wird. Für die Entwicklung
des Modells und der zugrunde liegenden Konzepte haben Glashow, Weinberg und
Salam 1979 den Nobelpreis erhalten [170, 171, 172].

5.2.1 Das schwache Vektorboson

Die Strom-Strom-Wechselwirkung führt an vielen Stellen zu Problemen. Zum Bei-


spiel ist das Übergangsmatrixelement (Abb. 5.4), das zur Massendifferenz der neu-
tralen Kaonen geführt hat, in einer solchen reinen Strom-Strom-Theorie mit einer
Vier-Fermionen-Wechselwirkung unendlich groß, wenn über die inneren Impulse
5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 261

Abb. 5.7 Die Wechselwir-


e− νe e− e−
kung mit dem Austausch
eines schwachen Vektorbo-
sons W+ Z0 q

μ+ νμ νμ νμ

integriert wird und (virtuell) beliebig hohe Impulse auftreten können. Der Strom-
Strom-Vertex kann nur in einem begrenzten kinematischen Bereich unabhängig von
Impulsüberträgen sein.
Gemäß den Feynman-Regeln muss über die innere Zwei-Propagator-Schleife in-
tegriert werden. Dabei tritt ein Integral der folgenden Form als Faktor auf:
Z
1 1
d 4k :
6 k C m 6 kC 6 p C m
Es divergiert wegen der zu geringen Potenz (! 1=k 2 ) im Nenner.
Als Abhilfe führte man schon vor der Entwicklung der Weinberg-Salam-Theo-
rie schwere schwache Vektorbosonen ein, die dieses Problem beheben, ohne das
Niederenergieverhalten der schwachen Strom-Strom-Wechselwirkung zu ändern.
Die hadronischen schwachen und die leptonischen schwachen Ströme koppeln
dabei an dies schwache Vektorboson, das als ausgetauschtes Zwischenteilchen auf-
tritt, wie es in der Abb. 5.7 gezeigt ist. Entsprechend den drei verschiedenen La-
dungsübertragsmöglichkeiten bei der Strom-Strom-Wechselwirkung muss es drei
verschieden geladene schwache Vektorbosonen geben. Das schwache Vektorboson
spielt damit eine ähnliche Rolle wie das Photon in der QED und das Gluon in der
QCD. Das neutrale schwache Vektorboson wird daher manchmal „schweres Pho-
ton“ genannt.
Abgesehen von der Masse des schwachen Vektorbosons erhält man die Struktur
einer Eichtheorie. Der einzige Unterschied ist, dass anstelle des Photonpropagators
ein Propagator der Form
g  g  C q  q  =MW2
! (5.17)
q2 q 2  MW2
auftritt.
Im Gebiet kleiner Energien, d. h. im Gebiet der üblichen schwachen Wechselwir-
kungen, spielen die auftretenden Impulse keine Rolle gegenüber den Vektorboson-
massen. Im Zähler überlebt daher nur der erste Term und im Nenner der zweite. Der
Propagator wird einfach eine Konstante, deren geringe Größe für die „Schwach“-
heit der Wechselwirkung verantwortlich ist. Zusammen mit den Vertexfunktionen
(jeweils gw ) kann man sie in der gewohnten Weise als
1 g2
 g   p GF D g   w2 (5.18)
2 MW
schreiben, so dass sich die korrekte Strom-Strom-Phänomenologie ergibt.
262 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

5.2.2 Die Symmetriestruktur der elektroschwachen


Wechselwirkung

Eichtheorien basieren auf Symmetrietransformationen. Welche Symmetrietransfor-


mationen könnten einer Eichtheorie der schwachen Wechselwirkung zugrunde lie-
gen? Da sich die schwachen Wechselwirkungen von Generation zu Generation
wiederholen, kann man sich dabei auf eine Untersuchung der ersten Generation
beschränken.
Notwendig ist eine Transformation, die zwischen dem linkshändigen u- und
dem d 0 -Quark und zwischen dem linkshändigen Elektron und dem Neutrino ver-
mittelt. Damit die Transformation einer Drehung in einem geeigneten Raum ent-
spricht, kann man die linkshändigen Fermion-Paare als etwas Analoges zu den
beiden Isospin-1=2-Zuständen betrachten. Man spricht dann von schwachen Iso-
spin-Zuständen oder kurz von einem Dublett der Gruppe SU .2/:

.uL ; dL0 / D .2/S U .2/ ;


(5.19)
.L ; eL / D .2/S U .2/ :

Rechtshändige Fermionen nehmen nicht an schwachen Wechselwirkungen teil, d. h.


es gibt keine Eichkopplung. Sie können daher keinen schwachen Isospin tragen.
Bei solchen Isospin-neutralen Teilchen spricht man von Singuletts bezüglich der
Gruppe SU .2/:
.uR / D .1/S U .2/ ;
.dR / D .1/S U .2/ ;
(5.20)
.eR / D .1/S U .2/ ;
.R / D .1/S U .2/ :
Für das zugehörige Eichfeld benötigt man (um die Übergänge unterzubringen) Zu-
stände mit dem schwachen Isospin 1. Man spricht von einem Triplett der Gruppe
SU .2/
.WC ; W0 ; W / D .3/S U .2/ : (5.21)

Mit dieser Zuordnung scheinen viele Probleme gelöst. Es verbleibt allerdings die
folgende, gravierende Schwierigkeit. Wenn z. B. das u-Quark und das d 0 -Quark in
einem Multiplett der schwachen Wechselwirkung sind, müssen sie bezüglich aller
anderen Wechselwirkungen, für die die schwache SU .2/ keine Rolle spielt, die-
selbe Struktur haben. Das ist bezüglich der QCD der Fall, beides sind Tripletts.
Bezüglich der QED ist diese Forderung nicht erfüllt. Beide Teilchen müssten mit
derselben Kopplung mit dem elektrischen Feld wechselwirken (d. h. sie bräuchten
dieselbe Ladung).
Um Weinbergs und Salams Lösung dieses Problems zu verstehen, ignorieren wir
zunächst die experimentelle Situation und führen ein „verkehrtes“ Photon

.B / D .1/S U .2/ (5.22)


5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 263

ein, das zu jedem Multiplett jeweils, wie erforderlich, nur eine Kopplung hat und
daher bezüglich der schwachen SU .2/-Gruppe ein Singulett ist. Die Existenz eines
Eichteilchens ist mit einer Symmetrie der Eichtheorie verbunden. Das verkehrte
Photon beruht auf der Invarianz unter Phasentransformation. Die Gruppe der Pha-
sentransformationen wird U.1/ genannt, und man spricht daher vom Eichteilchen
der U.1/.
In einer solchen Theorie gibt es, wie in Wirklichkeit, zwei neutrale Ströme, die
an das B bzw. an das W0 koppeln. Vom Experiment wissen wir, dass eines dieser
Eichbosonen, das Photon, masselos bleiben und das andere eine Vektorbosonmasse
erhalten muss. Die Weinberg-Salam-Hypothese besagt, dass alle Massen durch ei-
ne spontane Symmetriebrechung dynamisch entstehen. Wichtig ist dabei, dass die
Erzeugung der Massen völlig unabhängig von der Symmetrie der bisher betrach-
teten Fermion-Vektorboson-Wechselwirkung ist. Es besteht daher die Möglichkeit,
dass das, was das masselose Photon ist, und das, was das neutrale schwache Vek-
torboson ist, einer anderen Kombination der obigen Zustände entspricht. Wie bei
den Cabibbo-Winkeln könnten die Masseneigenzustände wieder gedrehte Zustände
sein. Mit einem geeignet definierten Drehwinkel, dem sogenannten Weinberg-Win-
kel W , kann man dann die Relation zwischen den Eichbosonen der SU .2/ und der
U.1/ und dem experimentell beobachteten Photon und dem massiven schwachen
Vektorboson als
 0    
Z cos W  sin W W0
D (5.23)
A sin W cos W B

schreiben.
Die elektromagnetischen und die schwachen Wechselwirkungen treten nicht
mehr separat auf. Das Photon, das lange als das fundamentale Teilchen angesehen
wurde, verbleibt dabei als Mischung zwischen einem Singulett mit der „verkehr-
ten Photon“-Kopplung und einem Triplettzustand mit der (schwachen-Isospin)-
Kopplung. Da das Photon nun eine Komponente hat, die mit unterschiedlichen
Vorzeichen an die beiden Zustände des SU.2/-Dubletts koppelt, erreicht man zu-
mindest verschiedene elektrische Ladungen in den schwachen Multipletts. Kann
die Theorie die bekannten Kopplungen im Detail reproduzieren?
Betrachten wir zunächst die zweite Komponente von (5.23), die das Photon
beschreibt und deren Kopplungskonstanten den elektrischen Ladungen entsprechen
müssen. Beginnen wir mit der Ladungsdifferenz im schwachen SU .2/-Dublett
(d. h. mit QŒ  QŒe D QŒu  QŒd ), die der Elektronenladung e entsprechen
muss. Für die betrachtete Differenz ist die „Ladung“ bezüglich des „verkehrten
Photons“ ohne Bedeutung, da sie in den Dubletts jeweils einen konstanten Wert
einnehmen wird. Die Größe ˙g=2 sei die Kopplung unter der SU .2/, die bei
bekannter Vektormesonenmasse durch die Wechselwirkung geladener
p Ströme fest-
gelegt ist (in Relation zur Konstanten in (5.18) gilt gw D g= 8). Diese Konstante
tritt in der Differenz zweimal auf, und es gilt daher

e D sin W  g : (5.24)
264 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Die Relation erlaubt eine Festlegung des Weinberg-Winkels [31]

sin2 W D 0;23 ˙ 0;01 : (5.25)

Für die richtigen Ladungen verbleibt die Forderung, dass die Kopplung des „ver-
kehrten Photons“, die üblicherweise als g 0 yMultiplett bezeichnet wird, in jedem
schwachen Multiplett dessen mittlerer Ladung entspricht.
(Man spaltet die Konstante in eine universelle Kopplung g 0 und eine Hyperla-
dung yMultiplett auf. Dabei definiert man yeŒL D 1.)
Für die mittlere Ladung spielt die SU .2/-Kopplung keine Rolle. Für linkshän-
dige Fermionen (durch ŒL gekennzeichnet) gelten die folgenden Relationen:

cos W  g 0 yLeptonenŒL D e=2 ;


(5.26)
cos W  g 0 yQuarksŒL D e=6 :

Für rechtshändige Teilchen tritt nur die Kopplung an das verkehrte Photon auf.
Alle rechtshändigen Teilchen sind bezüglich des schwachen Isospins Singuletts.
Jedes der Teilchen kann daher jeweils seine eigene Kopplungskonstante haben:

cos W g 0 yeŒR D e ;
cos W g 0 yŒR D 0 ;
cos W g 0 yuŒR D 2=3e ;
cos W g 0 yd 0 ŒR D 1=3e :

Die drittelzahligen Ladungen treten für die Teilchen auf, die in drei Farbzuständen
vorkommen.
Man hat also den richtigen elektrischen Strom. Vertauscht man sin W mit cos W
und cos W mit  sin W (siehe 5.23), erhält man die entsprechenden Kopplungen
an das massive neutrale Vektorboson. Die beobachteten Beiträge hängen natürlich
auch von der Masse des neutralen Vektorbosons ab. Die experimentellen Größen
dieser Wechselwirkungen ergeben zusätzliche Beziehungen zwischen Weinberg-
Winkeln und Vektormesonenmassen. Aus ihnen konnten die Massen der schwachen
Vektorbosonen vor ihrer Entdeckung bestimmt werden.

5.2.3 Der Nachweis der schwachen Vektorbosonen

Welche Möglichkeiten gibt es, die schwachen Vektorbosonen experimentell zu be-


obachten? Die in ihren Eigenschaften sehr genau vorhergesagten schwachen Vek-
torbosonen konnten 1989 am hadronischen SPS Collider am CERN erzeugt und
vermessen werden. Für diese Entdeckung [174], die eng mit der Konstruktion des
SPS Colliders (siehe Abschn. 3.1.2) verbunden war, haben C. Rubbia und Van der
Meer 1984 den Nobelpreis erhalten.
Beginnen wir mit dem Z 0 -Boson. Der direkteste Weg ist die Erzeugung des
Z -Bosons in e C e  -Streuungen. Allerdings ist es, wie in Abschn. 3.1.2 dargelegt,
0
5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 265

wegen der Bremsstrahlung sehr schwer, e C e  -Strahlen ausreichender Energien zu


erzeugen, und Beschleuniger mit ausreichender Energie standen erst nach 1990 im
SLC und LEP zu Verfügung. Das Z 0 -Boson ist dann direkt als Resonanzspitze im
Wirkungsquerschnitt sichtbar. Mit einem Fit-Program, das im Rahmen des Stan-
dardmodells verschiedene Messgrößen gleichzeitig berücksichtigte, konnte seine
Masse und Weite:

MZ D 91;1876 ˙ 0;0021 GeV


$Z D 2; 4952 ˙ 0;0023 GeV

mit hoher Präzision festgelegt werden [31]. Seine Breite hängt von der Kopplung
des Z 0 an die Quarks und Leptonen und von den verfügbaren Zerfallskanälen ab.
Sichtbare Zerfälle sind im Einklang mit den Erwartungen.
Der genaue Wert der Breite enthält eine interessante Information. Zum Zer-
fall tragen auch die unsichtbaren Zerfälle bei, bei denen das Vektormeson in ein
Neutrino-Antineutrino-Paar zerfällt. Aus der Weite kann man daher die genaue
Zahl solcher Zerfallsmöglichkeiten, d. h. die genaue Zahl der ausreichend leich-
ten (m < m0Z =2/-Neutrinos bestimmen. Die Messung erlaubt es, die Zahl solcher
Neutrinos auf 3 (genau 2;92˙0;05) festzulegen. Die Neutrinos der ersten drei Gene-
rationen sind im Vergleich zur Z 0 -Masse masselos. Es ist vernünftig, anzunehmen,
dass eine mögliche vierte Generation auch ein solches Neutrino enthalten muss. Un-
ter dieser Annahme zeigen die Daten, dass eine weitere Generation ausgeschlossen
werden kann, auch wenn deren andere Teilchen außerhalb der erreichbaren Energi-
en läge.
Für Partonen in Hadronenstrahlen können wesentlich einfacher hohe Energien
erzeugt werden. Bevor e C e  -Strahlen ausreichender Energien verfügbar waren,
konnte daher, wie gesagt, am SPS-Collider eine entsprechende Annihilation eines
Quarks und eines Antiquarks in das Z 0 -Boson nachgewiesen werden. Da dabei die
Partonenenergie nicht festgelegt werden kann, und da in hadronischen Streuvor-
gängen immer viele Teilchen produziert werden, besteht bei einem hadronischen
Experiment die Schwierigkeit, eine Handvoll interessanter Ereignisse mit solchen
Vektormesonen aus vielen Millionen anderen Streuungen herauszufinden. Dies war
möglich,
 da im Zerfall oft Leptonen auftreten, und
 da die Ereignisse eine deutlich andere Struktur als die üblichen Streuprozesse
haben.
Die Masse des Z 0 -Bosons konnte in einer aufwendigen Analyse mit etwa 1 GeV
Genauigkeit bestimmt werden. So gibt die UA2 Collaboration (1992) [173] den
Wert
MZ D 91;74 ˙ 0;28 ˙ 0;93 GeV
an, wobei der systematische und der statistische Fehler getrennt aufgeführt wurden.
Betrachten wir jetzt die geladenen Partner, die W ˙ -Bosonen. Obwohl sie wegen
ihrer geringeren Masse eigentlich häufiger produziert werden, sind sie viel schwerer
nachzuweisen. Das Problem ist, dass in ihren leptonischen Zerfällen ein Neutrino
auftritt, d. h. ein Teilchen, das nicht direkt beobachtet werden kann.
266 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.8 Die Paarerzeu- νe


gung geladener schwacher
Vektorbosonen W− − Jet
e−
− e−
νe W
W+ d
+
e W+ − Jet
u

Um seinen Impuls zu bestimmen, müsste man alle Teilchenimpulse im „4-De-


tektor“ messen, der Teilchen in allen Winkelbereichen nachweisen kann. Wegen der
großen Masse der Vektormesonen ist der Neutrinoimpuls typischerweise wesentlich
größer als viele andere nicht oder fehlerhaft gesehene Impulse, und der berechne-
te fehlende Impuls kann so, mit einem Caveat, in guter Näherung dem Neutrino
zugeordnet werden. p
Die Impulse in Vorwärts- und in Rückwärtsrichtung ( .1=2/ s) sind groß
gegenüber erwarteten Neutrinoimpuls ( MW ), und Messfehler sind daher nicht ir-
relevant. Auch können aus praktischen Gründen – der Strahl in einem Speicherring
ist kein mathematisches Objekt – in einem Bereich um den Strahl keine Detektoren
angebracht werden. In diesem Bereich können Teilchen in Vorwärtsrichtung daher
nicht beobachtet werden. In Konsequenz beider Effekte sind die fehlende Ener-
gie und der fehlende longitudinale Anteil praktisch nicht bestimmbar. Die Analyse
muss sich auf die fehlende transversale Komponente stützen. Die Winkelverteilung
der leptonishen Zerfälle ist bekannt, und Präzision ist möglich. Die letzten TEVAT-
RON-Messungen ergaben [31]:

MW ˙ D 80;387 ˙ 0;016 GeV;


W ˙ D 2;028 ˙ 0;072 GeV

Dass dies machbar war, d. h. dass bei, sagen wir, 200 Teilchen der fehlende Trans-
versalimpuls ausreichend genau bestimmbar war, ist der Punkt, an dem das gewal-
tige Ausmaß der Detektoren und der hohe Stand der Technik zum Tragen kamen.
Wie in Abb. 5.8 dargestellt, können geladene Vektorbosenpaare auch in e C e  -
Vernichtung erzeugt werden. Die hierfür benötigte Energie wurde nur von LEP-2
erreicht. Die Energieabhängigkeit dieses Querschnitts konnte zur Bestimmung der
W ˙ -Masse benutzt werden. Bei den höheren LEP-2-Energien ist der Impuls der
Vektormesonen groß genug, um eine kinematische Identifikation ihrer Zerfallspro-
dukte zu erlauben. Dies erlaubte eine mit den (späteren) TEVATRON-Messungen
vergleichbare Präzision [31]:

MW ˙ D 80;376 ˙ 0;033 GeV :

Im Standardmodell für die Erzeugung der Massen der schwachen Vektorbosonen,


das wir im letzten Abschnitt besprechen werden, hängen die Massen von der Kopp-
lung der Vektormesonen an das Higgs-Teilchen ab, d. h. sie sind abgesehen von
5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 267

Effekten des Weinberg-Winkels gleich. Abgesehen von kleinen Korrekturenerhält


man folgende Relation zwischen den Massen der geladenen und ungeladenen Vek-
torbosonen:
M.W C /
D cos W : (5.27)
M.Z 0 /
(Unser Ziel hier ist ein Verständnis der Struktur. In einer präziseren Betrachtung
müssen Korrekturen berücksichtigt werden.)
Diese Relation erlaubt eine Bestimmung des Weinberg-Winkels. Das Ergebnis
ist (siehe [31]):
sin2 W D 0;22225 ˙ 0;00211 : (5.28)
Andere Methoden, den Weinberg-Winkel zu bestimmen, beruhen auf den Kopplun-
gen der schwachen Vektormesonen g und g 0 . Sie liefern ein konsistentes Ergebnis.
Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen
6

In Kap. 4 des Buches hatten wir Eichfelder, Photon und Gluon kennengelernt.
Eichfelder sind Teil einer selbstkonsistenten Theorie. Unglücklicherweise haben sie
keine Massen, und sie sind daher nicht ohne Weiteres auf die massiven schwachen
Vektorbosonenfelder anzuwenden. Man kann geeignete Massenterme nicht einfach
in die Grundgleichungen einführen, da dies die Symmetrie in einer Weise verändern
würde, die die Renormierbarkeit, d. h. die Selbstkonsistenz der Theorie, zerstören
würde.
Mit einem neuartigen Vakuumkonzept hat man eine Möglichkeit gefunden, die
Symmetriebrechung ins Vakuum zu legen und so indirekt effektive Massen durch
Wechselwirkungen mit neuen, zusätzlichen skalaren Feldern, den Higgs-Feldern,
zu erzeugen, ohne die Struktur der Theorie zu zerstören.
Bei einer solchen dynamischen Symmetriebrechung entstehen normalerweise,
wie in Abschn. 3.1.11 gesagt, masselose „Goldstone“-Teilchen, die offensichtlich
nicht vorhanden sind. Der im Folgenden beschriebene Brout-Englert-Higgs-Me-
chanismus erklärt die Abwesenheit solcher masselosen Teilchen. Er erfordert ein
damals nicht bekanntes, neues massives Teilchen. Für die Vorhersage dieses jetzt
nachgewiesenen Teilchens haben die noch lebendenen Autoren Englert und Higgs
den Nobelpreis des Jahres 2013 erhalten.

6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen

6.1.1 Welche Felder werden mindestens benötigt?

Wie wir in (4.2) gesehen hatten, genügen freie skalare Felder der Klein-Gordon-
Gleichung:
@ @
 i  mi i : (6.1)
@x @x 

F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_6, 269


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
270 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Abb. 6.1 Beiträge zur La- pμ, Wμi , Bμ pμ , Wμi , Bμ


grange-Funktion des Higgs-
Feldes

φ ,φ0 φ+ , φ0

Um die Wirkung von Higgs-Feldern verständlich zu machen, kommt man nicht


umhin, ihre Lagrange-Funktion
  
1 @ @ 1
LD i i  i mi i (6.2)
2 @x @x  2

einzuführen. Wie ein harmonischer Oszillator in der klassischen Mechanik hat sie
einen kinetischen und einen Potenzial-Term. Ähnlich wie dort legt sie mit der Re-
lation:  
@ @
@L=@ i  @L=@ i D 0 ; (6.3)
@x @x
die Feldgleichung 6.1 fest. Hierbei werden Ableitungen der Felder .d=dx / i .D
.˙d =dx  / i / wie unabhängige Variablen behandelt. (Die Notation mit hoch- und
tiefgestellten griechischen Indizes wurde bei (4.2) erklärt). Für geladene
P Felder de-
finiert man ˙ D 1 ˙ i 2 , und man benutzt die Relation  D i i .
Die Wechselwirkung von Photonen mit skalaren Teilchen hatten wir in (4.24)
kennengelernt. Formal lässt sie sich als „minimale Kopplung“ einführen, bei der
in (6.1) oder (6.2)
@ @
durch D  D  ieA (6.4)
@x @x
ersetzt wird. Sie folgt aus einem allgemeinen Prinzip („lokale Eichinvarianz“), das
hier nicht erläutert wird.
Für die elektroschwachen Kopplungen gehen wir analog vor. Wir benutzen da-
bei die ursprünglichen Felder W , W0 , WC und B , die wir in (5.20) und (5.21)
eingeführt hatten. Die „Minimale Kopplung“ (mit p D i.@=@x/) erfordert nun
die folgende Ersetzung:

@ X
durch D D ip  ig2 Wi  i  ig1 B (6.5)
@x

Die Lagrange-Funktion erlaubt es, die verschiedenen Faktoren, die in den Feyn-
man-Graphen zur Berechnung der Amplituden benötigt werden, herzuleiten. Das
Ergebnis ist intuitiv. Summanden in der Lagrange-Funktion mit zwei Feldern erge-
ben Massenterme. Die Größe der Massen ist dabei durch die Konstanten festgelegt.
Terme mit drei oder vier Feldern erlauben Übergänge, bei denen sich die Teil-
chenzahl entsprechend verändert. Lässt man in solchen Beiträgen zur Lagrange-
Funktion die Felder weg, erhält man die Vertex-Terme, die in den entsprechenden
Feynman-Graphen benötigt werden.
6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 271

Substituiert man den Ausdruck (6.5) in (6.2), erhält man einen Beitrag, wie er in
Abb. 6.1 graphisch dargestellt ist. Die genaue Bedeutung der skalaren Felder wird
später erklärt. Neben einem kinetischen Term proportional p 2 sieht man verschie-
dene Beiträge mit mehreren Feldern.
Das Higgs-Feld koppelt an das SU.2/ Triplett-Feld .W ; W0 ; WC /. Dies er-
fordert für die Higgs-Bosonen eine mindestens zweikomponentige SU.2/-Dublett-
Struktur, die Übergänge von einem in den anderen Zustand erlaubt. Die Kopp-
lungen seiner Komponenten an das .W ; W0 ; WC /-Triplett sind dann ˙g2 . Für
eine Kopplung an das Ur-Photon B muss dieses Higgs-Dublett eine Ladung (der
Größe „g1 “) tragen. Mit dem geladenen Dublett muss dann auch ein Antidublett
mit der entgegengesetzten Ladung (der Größe g1 ) existieren. (Die Relation zu
Abschn. 5.2 ist g1 D .1=2/g 0 und g2 D .1=2/g.) Insgesamt sind also, wie einge-
zeichnet, vier Higgs-Felder nötig.
Wie wir später sehen werden, haben zwei der Higgs-Felder einen nicht ver-
schwindenden Vakuumanteil. Sie müssen daher elektrisch neutral sein und ihre
Kopplungen an A müssen verschwinden. Gemäß (5.20) ist

A D sin W  W0 C cos W  B : (6.6)

Dies erfordert cos W  g1  sin W  g2 D 0.


Mit der Definition e D cos W  g1 C sin W  g2 ergeben sich die anderen beiden
Kopplungen als ˙e. Die vier Higgs-Felder lassen sich daher mit ihren elektrischen
Ladungsindizes (in Einheiten von e) in der folgenden Weise schreiben:
C 00

und : (6.7)
0 0

Der Higgs-Anteil der Lagrange-Funktion (es ist  WD t ) ist damit:


 C   C 
1
Lki n: D D 
D C komplex konjugierter Summand ;
2 0 0
(6.8)
wie er in Abb. 6.1 dargestellt war. Die Multiplikation der Matrizes (hier mit eckigen
Klammern) ist impliziert.

6.1.2 Die spontane Symmetriebrechung des Higgs-Feldes

N
In Abschn. 4.2.2 hatten wir gesehen, dass ein virtuelles Photon q q-Paare produzie-
ren und vernichten kann. Wegen der Unschärferelation kann sogar für kurze Zeit
ein selbst virtuelles q qN -Paar aus dem Nichts entstehen, und das Vakuum ist da-
her nie wirklich leer. Im feldtheoretischen Rahmen ist das Vakuum nicht mehr der
leere Raum. Das feldtheoretische Konzept ist, Teilchen wie Schallwellen in einem
Festkörper zu betrachten. Man fragt, wo sie erzeugt und wo sie absorbiert werden,
und ignoriert, was unkorreliert existiert. Das Vakuum ist dabei der nicht angeregte
Grundzustand.
272 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

-h

1.5

0.5

0
-h

h
Abb. 6.2 Das Higgs-Potenzial

In (6.2) war der Potenzialterm der neutralen Higgs-Felder quadratisch. Erlaubt


man 4 -Terme, gibt es neue Möglichkeiten. Mit

m2  0 2  00 2 2
Lpot: D C  h2
(6.9)
8h2
kann der Potenzialterm wie in Abb. 6.2 aussehen.
Hier entspricht das Minimum nicht dem leeren Zustand mit 0 D 00 D 0 .
Es ist nicht einmal eindeutig festgelegt. Die Lagrange-Funktion ist symmetrisch
in 0 und 00 , und es gibt einen Ring von möglichen minimalen Zuständen. Die
Idee der spontanen Symmetriebrechung ist, dass das Vakuum in einem univer-
sellen Zufallsprozess sich einen Zustand aussucht. (Einige kosmologische Aspek-
te der Symmetriebrechung sind noch nicht verstanden.) Da die Lagrange-Funkti-
on selbst keine Symmetriebrechung enthält und da der Offset im Grenzwert ho-
her Energien, h
E , unbedeutend wird, ist die Renormierbarkeit nicht be-
rührt.
Für im Augenblick erreichbare Energieskalen interessieren winzige Auslenkun-
gen um den Vakuumzustand, und es ist daher angebracht, zu den in Abb. 6.3 ge-
zeichneten relativen Koordinaten überzugehen. In der Lagrange-Funktion (6.8) tre-
ten dann neben den Auslenkungsfeldern auch Beiträge mit der Konstanten h D
h.cos h ; sin h / auf, die für Massen verantwortlich sein werden.
6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 273

Abb. 6.3 Definition neuer


Higgs-Felder

6.1.3 Die Higgs-Massen der schwachen Vektormesonen

Das Zusammenspiel von W0 und B hatten wir im Weinberg-Salam-Abschn. 5.2.2


eingeführt. Um das Argument nicht zu wiederholen, betrachten wir hier das gela-
dene Vektormeson W C . Es liefert in D den folgenden Beitrag:

0 WC
D D     ig2 C 
0 0

Die Lagrange-Funktion enthält dann den folgenden Term:



1
 00
0 0 0 WC C
.g2 / 2
2 W 0 0 0 0

(Es ist .AB/ D B  A , .WC / D W und . 0 0 / D Antiteilchen D Teilchen D


0 .)
Ein Beitrag des konstanten Vakuum-terms ˚h D . h ; h0 / ist damit:

1
0 0 0 WC 0 1 2  C
0; 0 h g22 D M W W ; (6.10)
2 W 0 0 0 h 2 W  
274 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Wμ+ Wμ+ Wμ+ Wμ+


g22
=

φh φh MW
2

Abb. 6.4 Der Masseterm der Vektormesonen (Helizität ¤ 0)

mit
MW2 WD g22 j˚h j2 D g22 h2 : (6.11)
Zeichnet man in Abb. 6.1 Felder, die konstante Beiträge geworden sind, rot (bzw.
grau), ergibt sich die in Abb. 6.4 gezeigte Darstellung von (6.10):
Die Definition (6.11) und ein analoger Beitrag ergeben die Lagrange-Funktion:

1 2   C 
LMasse.W / D MW W W C WC W : (6.12)
2
Mit zwei Feldern hat sie die Struktur eines Massenterms in der Lagrange-Funktion
des geladenen Vektormesons, und man hat damit eine effektive Theorie mit der
Masse MW .
Da der Formalismus Lorentz-invariant ist und massive Vektormesonen auch Zu-
stände mit verschwindender Helizität enthalten, müssen diese zusätzlichen Zustän-
de irgendwie mit der Symmetriebrechung entstanden sein. Da sich die Zustandszahl
insgesamt nicht ändern kann, müssen entsprechende Higgs-Bosonen „verspeist“
worden sein.
Kann man, ohne die Feldtheorie wirklich vorauszusetzen, verstehen, wie dies
zustande kommt? Berechnet man die S-Matrix zu einer bestimmten Ordnung in der
Feldtheorie, treten Produkte von Beiträgen der Lagrange-Funktion auf, in denen die
Felder, soweit sie nicht ein- oder auslaufen, durch Propagatoren ersetzt wurden. Die
Form der Propagatoren und die Behandlung von ein- und auslaufenden Zuständen
sowie die Anwendung der Feynman-Regeln zur Berechnung der Streumatrizen sind
aus Abschn. 4.1.5 bekannt. Der Propagator eines masselosen Spin 1 Vektorbosons
ist (in „Feynman-Eichung“):
i 
 D g
p2 
Um die Behandlung von iterativen Prozessen zu verstehen, betrachten wir zu-
nächst die Propagation eines transversalen W C -Bosons (d. h. Helizität ¤ 0). Solche
Bosonen tragen zur in Abb. 6.5 skizzierten Wechselwirkung bei, die zu einem Ver-

Abb. 6.5 Ein Beitrag zur Wμ+ M 2 MW


2 MW
2
transversalen Komponente W
des Propagators
6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 275

Abb. 6.6 Ein Mischungs- pμ


übergang
Wμ+ φ+
g2

2 φh
1

tex iMW führt. Eine Störungsreihe solcher Wechselwirkungen, d. h. einer Iteration,


wie sie in Abb. 6.5 dargestellt ist ergibt den Masseterm im Propagator:
X i  
2 i i i  1

g iM  iMW  2    D 2 g
2
p2  W p2 p p 1  MW2 =p 2
 (6.13)
i g
D 2
p  MW2
Er betrifft, wie gesagt, nur die transversalen Komponenten der Vektorbosonen.
Ein zweite Art von neuen Beiträgen enthält den des konstanten Vakuum-Terms
nur einmal. Ein Beispiel für einen solchen Beitrag ist:
 
1 C 0 WC 0 g2 h  C   C
ip  .ig / D p W :
2  h
0 2
0 0 h 2

Ein solcher Term führt zu einem Übergang vom 0-Helizitäts-Zustand des Vektor-
bosons WC zum geladenen, zunächst noch masselosen Higgs-Boson C , wie er in
Abb. 6.6 dargestellt ist.
Es gibt einen weiteren solchen Beitrag, und der Vertex des Übergangs ist damit

g. C ! W C / D MW p 

Zwei andere Beiträge führen zurück zum Vektorboson:

g. W C ! C / D MW p  :

Zusammen führen die Massenterme in einer Iteration zu einer Masse des skalaren
Teilchens. Die Iteration ist in der Abb. 6.7 dargestellt.

Für den Propagator erhält man für n-Übergänge .n  1/ (p g p  D p 2 ):
 Y " .i / !  #  n
i
n
  ig0 .i / 0 .i / i i 2 1
p M
.i / W .p M W / D M W :
p 2 i D0 p2 p2 p2 p2
(6.14)

Abb. 6.7 Ein Beitrag zur pμ pμ pμ pμ


effektiven Masse des skalaren
Teilchens φ+ Wμ+ φ+ Wμ+ φ+

−MW −MW −MW −MW


276 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Die geometrische Reihe erlaubt wiederum die Aufsummation:


1
X 1
.Produkt der Gl. 6.14/ D i : (6.15)
nD0
p 2  MW2

Das skalare Teilchen hat die Masse des Vektormesons erhalten.


Mit Mischungsübergängen (wie in Abb. 6.7) kann es als zusätzliche helizitäts-
lose Komponente des Vektormesons an ein Fermion koppeln. Beide Komponenten
zusammen ergeben dann den für massive Vektorteilchen erforderlichen Propagator.
(Um die Teilchen-Quantisierung in der Feldtheorie zu berücksichtigen, muss eine
Eichung mit Eichsymmetrie-brechenden Termen festgelegt werden. Die verschie-
denen Möglichkeiten sind am Ende äquivalent. Eine Eichung, die eine einfache
Zuordnung von Feldern und physikalischen Teilchen erlaubt, ist die sogenannte
t’Hooft-Eichung. Sie wird im Rahmen dieses Buches nicht behandelt.)
Der Mechanismus funktioniert für alle drei masselosen Higgs-Teilchen. Das
neutrale Higgs-Teilchen ˚? wird zum 0-Helizitäts-Zustands-Partner des Z0 , die
geladenen Higgs-Teilchen ˚ ˙ zu Partnern des W˙ .
Es gibt keinen Übergang durch ein Vektorboson vom Vakuumfeld ˚h zu dem
parallelen Higgs-Feld ˚jj . Das neutrale Higgs-Teilchen verbleibt daher als neues
physikalisches Teilchen. Der Potenzialbeitrag der Lagrange-Funktion

m2 hˇˇ ˇ2 i2 m2 ˇˇ ˇ2
Lpot: D 2
˚h C ˚jj ˇ  h2  ˚jj ˇ
8h 2
gibt ihm eine Masse m (analog zu 6.10). Sie hängt nicht von der spontanen Symme-
triebrechung im Vakuum (d. h. von h2 ) ab. Anders als die „aufgegessenen“ Kompo-
nenten muss es als physikalisches Teilchen existieren.

6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons

Da seine Masse nicht direkt vorhersagbar war, wurde an vielen Beschleunigern nach
einem solchen Teilchen vergeblich gesucht. Erst nachdem der LHC die notwendige
Energie und Luminosität erreicht hatte, konnte es 2013 von der ATLAS- und der
CMS-Collaboration nachgewiesen werden [175, 176, 177, 178].
Die Detektoren haben dabei eine zentrale Rolle gespielt. Im Rahmen dieses
Buches soll wenigstens einer der beiden Detektoren etwas genauer beschrieben wer-
den [179].

6.2.1 Der ATLAS-Detektor

Man hört oft, die Higgs-Suche sei so etwas, wie eine Nadel in einem Heuhaufen zu
suchen. Dieses Bild suggeriert, dass man den Haufen aufteilen kann, um ihn dann an
vielen Orten mit guten Computern zu durchforsten. Dies ist falsch. Der Querschnitt,
6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons 277

Abb. 6.8 Der ATLAS-Detektor (ATLAS Experiment, © CERN, 2013). Um die verschiedenen
Lagen zu sehen, sind vordere Komponenten entfernt

ein Higgs-Teilchen zu erzeugen ist zu klein für eine solche Analyse. Das richtige
Bild ist eine Anlage, durch die riesige Mengen Heu strömen, aus denen während
des Strömungsvorgangs mit schnellen Prozessoren ausreichend effizient eisenfreies
Heu abgetrennt wird, sodass dann für den zweiten Schritt eisenhaltige Heuhaufen
für die obige Analyse übrigbleiben.
Alle 50 ns treffen sich zwei Teilchenpakete. Das entspricht einer Frequenz von
20 MHz, viermal so schnell wie die Taktrate des ursprünglichen IBM-PCs. Um die
Luminosität zu erhöhen, soll 2015 der zeitliche Abstand sogar auf 25 ns reduziert
werden. Die Teilchendichte in den Paketen ist so hoch, dass es jeweils zu mehreren
Streuungen kommt („pile-up“):
2011 9 Streuungen pro Paketdurchlauf
2012 20 Streuungen pro Paketdurchlauf
Auch diese Zahl wird sich stufenweise weiter erhöhen. Es werden bald etwa eine
Milliarde Streuungen pro Sekunde sein. Von diesen werden etwa 200 pro Sekun-
de als möglicherweise interessant abgespeichert. Die Online-Rechenleistung ent-
spricht der von 3000 heutigen PCs. Für die Offline-Analyse steht weltweit eine
Rechenleistung von 100.000 PCs zur Verfügung.
Abb. 6.8 zeigt eine Darstellung des ATLAS-Detektors. Etwa 3000 Wissenschaft-
ler sind bzw. waren an seinem Bau und Betrieb beteiligt. Mit einem Durchmesser
von 25 m ist der Detektor 46 m lang. Seine Größe ist an den Figuren ersichtlich, die
fälschlicherweise keine bergmännischen Helme tragen, die 92 m unter der Oberflä-
che Pflicht sind.
Ohne auf die einzelnen Komponenten einzugehen, soll die Wirkungsweise er-
läutert werden. Sie ist in Abb. 6.9 dargestellt. Zunächst werden eng am Strahlrohr
Spuren vermessen. Aus der beobachteten Krümmung im zentralen 2-Tesla-Magnet-
feld können die Impulse der geladenen Teilchen bestimmt werden. Auch kann man
278 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Abb. 6.9 Schematische Darstellung der Wirkungsweise des ATLAS-Detektors. (ATLAS-Experi-


ment, © CERN, 2013)

im gewissen Umfang sehen, wo die Teilchen produziert wurden. Es folgt das elek-
tromagnetische Kalorimeter, das braun (bzw. dunkelgrau) eingezeichnet ist, und
dann das hadronische, das blau (bzw. hellgrau) eingetragen ist. Weit draußen, in ei-
nem Bereich, in dem alle anderen Teilchen zerfallen sind, werden dann die Myonen
in großflächigen Detektoren nachgewiesen

6.2.2 Ein Beispiel für ein Higgs-Signal

Da der Higgs-Anteil in allen möglichen Kanälen im Vergleich zu konventionel-


len Beiträgen winzig ist, erforderte sein Nachweis eine aufwendige Strategie, um
den Einfluss von Hintergrundprozessen zu reduzieren. Das Higgs-Teilchen wurde in
verschiedenen Kanälen gesehen. Hier wollen wir uns auf einen Kanal beschränken.
Der Prozess
p C p ! h C Rest
und dann weiter
h ! Z 0 Z 0 ! 4 Leptonen
erlaubt im Prinzip eine direkte Bestimmung der Higgs-Teilchen-Masse.
6.3 Das Higgs-Boson und die Massen der Fermionen 279

Abb. 6.10 Das Higgs-Signal


im 4-Leptonen-Kanal (©
CERN, 2013 [180] CMS-
Experiment)

Dazu ist in der Abb. 6.10 die von der CMS-Collaboration gemessene Massen-
abhängigkeit des 4-Leptonen-Systems dargestellt. Die vier Leptonen konnten dabei
e 
passende Elektronen oder Myonen mit Transversalimpulen p? > 7 GeV bzw. p? >
5 GeV sein. Sie mussten vom selben Wechselwirkungspunkt kommen, und eines
der Leptonenpaare musste im Massenbereich des Z0 liegen. Typischerweise ist im
Higgs-Bereich eines der Z0 nicht virtuell.
Im Massenbereich um 200 GeV, in dem zwei reelle Z 0 mit jeweils zwei Lepto-
nen beitragen können, wird ein konventioneller Beitrag beobachtet. Auch kann, wie
man sieht, ein Z 0 in die vier Leptonen zerfallen. Neu ist die Spitze um 125 GeV.
Sie beweist die Existenz eines zusätzlichen skalaren Higgs-artigen Teilchens.
Nimmt man die von beiden Collaborationen (auch in anderen Kanälen) beob-
achteten Massenwerte zusammen, erhält man:
MHiggs D 125;7 ˙ 0;7GeV :
Aus Winkelverteilungen konnten der Spin und die Parität
J P;C D 0CC
bestimmt werden. Der Ausschluss eines (J D 2)-Beitrags hängt von Annahmen
über die Kopplung eines solchen Teilchens ab. Da diese Quantenzahlen genau de-
men des Higgs-Teilchens entsprechen, geht man davon aus, das Higgs-Teilchen
gefunden zu haben.
Das Higgs-Modell enthält die fundamentale Annahme, dass das Vakuum nicht
dem leeren Zustand entspricht und dass Wechselwirkungen mit dem Vakuum für
die Massen verantwortlich sind. Seine Entdeckung bestätigt ein neuartiges Konzept
über die Entstehung von Massen.

6.3 Das Higgs-Boson und die Massen der Fermionen

Anders als für Vektormesonen gibt es für Fermionenmassen kein Problem mit der
Renormierbarkeit. Die Symmetrie zwischen linkshändigen und rechtshändigen Fer-
mionen verhindert, dass indirekt Massen entstehen. Unschön ist die große Zahl von
280 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

recht zufälligen Massenparametern sehr unterschiedlicher Größen. (Die 12 Eigen-


werte der Massenmatrizen und 6 Winkel sowie 2 Phasenparameter der Cabibbo-
Kobayashi-Maskawa-Matrix und der Pontecorvo-Maki-Nakagawa-Sakata-Matrix
sind sehr viele. Hawking bezweifelt, dass es möglich sein könnte, die leptoni-
schen und hadronischen Massematrizen aus einer fundamentalen Theorie zu be-
stimmen [181].)
Da die Massen einiger Fermionen sich im Bereich der Higgs-Masse befinden,
liegt es nahe, sie demselben Mechanismus zuzuordnen. Dazu muss man eine Wech-
selwirkung der folgenden Form annehmen:

LHiggs-Fermionen


links
links
D gd rechts
d 00 0 d
links  gu rechts
u C; 0 d
links
u u
(6.16)
Es ist einer von mehreren ähnlichen Beiträgen. Die spontane Symmetriebre-
chung im Higgs-Bereich erzeugt dann den folgenden Massenterm, der einen Über-
gang von links- nach rechtshändigen Fermionen bewirkt:

LFermionen-Masse


00
links
links
D gd rechts
d 0 d
links  gu rechts
u 0 h 0 d
links
u u

D md rechts
d
links
d C mu rechts
u
links
u
(6.17)
Der auch auftretende komplex konjugierte Beitrag ergibt den rechts- nach linkshän-
digen Beitrag.
Das Higgs-Modell der Fermionenmassen ist überprüfbar. Die Kopplungen an die
verschiedenen Higgs-Komponenten sind nicht frei wählbar. Die relativen Größen
der Massen legt die Kopplungen des sichtbaren Higgs-Teilchens an die Fermionen
fest.
Es gibt deutliche experimentelle Hinweise von h !  C   und von h ! bb,
die auch diesen Anteil des Modells zu bestätigen scheinen. Zur Zeit (Ende 2013) ist
dieser Aspekt noch nicht entschieden [182].

6.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-Bosonen


Masse-Skala

Unsere Reise in den Mikrokosmos ist noch nicht zu einem Ende gekommen. Das
Ziel des Buches war es, bei jeder Skala einen Überblick über die bekannten Phäno-
mene zu vermitteln. Natürlich gibt es auf der theoretischen Seite viele interessante
Konzepte über die Physik, die bei noch kürzeren Abständen gilt und die die Grund-
lage der heutigen Physik bildet [90]. Zwei Fragen sollten hier angesprochen werden.
6.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-Bosonen Masse-Skala 281

Die eine betrifft die Entstehung der Masseskala des Higgs-Teilchens, die andere, ob
es bei höheren Energieskalen weitere Vereinfachungen geben kann, die über die
Vereinigung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkungen hin-
ausgehen.

6.4.1 Was bestimmt die Massenskala des Higgs-Teilchens?

Wie das Potenzial und die Masse des Higgs-Teilchens entstehen, ist noch nicht
geklärt. Im Konzept der spontanen Symmetriebrechung sind die Massen keine
fundamentale Eigenschaft der jeweiligen Teilchen, sondern ein „Niederener-
gie-Effekt“ der Higgs-Kondensation im Vakuum. Die einzige primäre Masse in
der Teilchenphysik ist die Planck-Masse. Die Frage ist, wie kommt man von
MPlanck  1019 GeV zu MHiggs  102 GeV.
Ein älteres Konzept beruht darauf, dass Kopplungskonstanten sich mit der Ener-
gieskala nur logarithmisch ändern. So nimmt man an, dass um 0,2 GeV die QCD-
Kopplung einen Wert erreicht hat, der (in der so genannten „chiralen Symmetrieb-
rechung“) zu einem Kondensat führt, das dann für die Konstituenten-Massen der
Quarks in der so erreichten Skala verantwortlich ist.
Unglücklicherweise funktioniert diese Methode für das skalare Higgs-Feld nicht.
Es gibt zwei Konzepte, diese Methode trotzdem anzuwenden. In der „Supersym-
metrie“ ergänzt man jedes bekannte Fermion mit einem bisher ungesehenen boso-
nischen Partner und umgekehrt. Auf diese Weise können Probleme mit dem ska-
laren Higgs-Boson umgangen werden. Man erhält eine ausreichend langsame Ent-
wicklung der Kopplungskonstanten. Im „Extra-Dimensionen“-Konzept verändert
man das Gravitationsgesetz bei kleinen Abständen und damit den Wert der echten
Planck-Masse. Die Annahme ist, dass man nur drei Raumdimensionen sieht, da die
Ausdehnung des geschlossenen Raumes in den anderen Dimensionen zu klein ist,
um mit verfügbaren Energien aufgelöst zu werden.
Eine Kritik an beiden Konzepten ist, dass Teilchenphysik und Kosmologie nicht
separat zu betrachten sind, da sie beide vom Vakuum abhängen. In der Kosmologie
gibt es Massenskalen, die weit unter der Planck-Masse liegen. Allerdings ist es in
solchen Modellen schwer zu verstehen, warum keine Variationen in Naturkonstan-
ten beobachtet werden.

6.4.2 Kann die Physik bei kleineren Skalen symmetrischer werden?

Ein anderes wichtiges Konzept betrifft die Struktur der Eichfelder. Es versucht, die
Vereinigung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkungen mit
größeren Gruppen auf die Farb- und vielleicht auch auf die Generationsstruktur
auszudehnen. Dies wird „Theorie der Großen Vereinheitlichung“ (englisch: Grand
Unification) genannt. Man nimmt dabei an, dass für sehr lokale Wechselwirkungen
eine Eichtheorie, die auf einer größeren Gruppe basiert, gültig ist. Diese fundamen-
282 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

tale Theorie soll dann im uns bekannten „Niederenergiebereich“ in die beobachteten


Eichtheorien, die auf Untergruppen aufbauen, zerfallen. Die in der ursprünglichen
Theorie zusätzlich auftretenden Eichbosonen müssen dabei durch spontane Sym-
metriebrechung bisher unerreichbar große Massen erhalten.
Das wichtigste Beispiel einer solchen Vereinheitlichungstheorie ist die SU .5/.
Diese Theorie enthält die 24 Eichfelder. (Allgemein gilt, dass eine SU.N /-Eich-
theorie N 2  1 Eichfelder enthält.)
Davon sind acht Gluonen aus einem SU.3/QCD -Bereich, drei Vektormesonen
aus dem SU.2/schwach -Bereich, und ein Vektorboson (B ) hat seinen Ursprung in
der relativen Phase zwischen beiden Bereichen U.1/B . Man erhält also genau die
Eichteilchen, die in der Weinberg-Salam-Theorie benötigt werden. Die verbleiben-
den 12 Eichfelder sind die sogenannten „Leptoquarks“. Sie vermitteln 2 3x - oder
y -artige Übergänge zwischen beiden Bereichen.
Eine wichtige Vorhersage des Modells betrifft die Größe der Kopplungskonstan-
ten. Wie erwähnt, hängen die Kopplungskonstanten in Eichtheorien in berechen-
barer Weise von der betrachteten Lokalisierung ab. Entspricht die Lokalisierung
der Symmetriebrechungsskala, d. h. den inversen Leptoquark-Massen, müssen alle
drei Wechselwirkungen, abgesehen von Clebsch-Gordan-Koeffizienten, identische
Kopplungsstärken haben. Dass sich die drei Kurven der Kopplungskonstanten als
Funktion der Lokalisierungs-Skala innerhalb einer Größenordnung in einem Punkt
schneiden, ist als Erfolg dieser Theorie zu werten. (Eine supersymmetrische Theo-
rie mit minimalen Massen der supersymmetrischen Partnerteilchen von etwa <
10 TeV erreicht für den Schnittpunkt eine größere Präzision. Intensive Suchexpe-
rimente am LHC haben inzwischen für die meisten möglichen Prozesse solche
Teilchen im Bereich von etwa < 1 TeV) ausgeschlossen.)
Der Schnittpunkt legt die Leptoquark-Massen auf einen enormen Wert von etwa
11015 GeV fest. Unterhalb dieser Skala bleiben zunächst die acht Gluonen, die drei
schwachen Vektorbosonen und das verkehrte Photon.
Doch gibt es ein Problem. In Prozessen mit Leptoquarks, die auch Übergän-
ge zwischen Quarks und Leptonen vermitteln, können Protonen und Neutronen in
Mesonen und Leptonen zerfallen. Mit der aus den Kopplungen festgelegten Lep-
toquark-Masse wird für solche Zerfälle eine auch auf einer kosmologischen Skala
winzigen Rate vorausgesagt.
Trotzdem konnten Zerfälle mit der vorhergesagten Rate inzwischen in Expe-
rimenten ausgeschlossen werden. Riesige unterirdische Wassertanks erlaubten –
abgeschirmt von kosmischer Strahlung – die Beobachtung einer gigantischen Pro-
tonenzahl, und eine Mindestlebenszeit des Protons von p D 1031    1033 Jahren
konnte festlegt werden. Allerdings ist anzumerken, dass die theoretischen Vorher-
sagen auf einer einfachen Generationszuordnung von links- und rechtshändigen
Leptonen und Fermionen beruhen.
Wahrscheinlich sollte man sich von diesem Misserfolg nicht entmutigen lassen.
Man war mit der SU.5/-Vereinheitlichungstheorie unerwartet dicht an einem ge-
waltigen Durchbruch, der unseren Kenntnisstand möglicherweise bis zu einer Skala
von etwa 1015 GeV ausgedehnt hätte, und es ist denkbar, dass man mit neuen expe-
rimentellen Ergebnissen, mutatis mutandis, diesen Sprung eines Tages schafft.
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3–5, 2013, Shanghai, China.
Sachverzeichnis

A Liste, 120–122
Alpha SPS (CERN), 117
-Strahlung, 10 Beta
-Zerfall, 33, 57, 72 -Strahlung, 10
Alphateilchen-Modell, 53 -Zerfall, 57, 69
Annihilation in Myonen, 210 Bethe-Weizsäcker-Formel, 32
anomales magnetisches Moment, 215 BFKL-Entwicklung, 241
Elektron, 216 Bhabha-Streuung, 211
Myon, 216 binary collision scaling, 189
Argand-Diagramm, 93 Bindungsenergie
asymptotische Freiheit, 220 Bindfaden-Konzept, 151
ATLAS-Detektor, 278 pro Nukleon, 22
atomare Masseneinheit, 21 Bjorken
Atommodell -Formel, 243
Rutherfordsches, 12 -Skalenverhalten, 230
Thomsonsches, 12 Bleibefaktor, 102
Austauschentartung, 168 Bohr
Austauschteilchen Magneton, 48, 215
Attraktion, 25 Postulate, 15
Hadronenstreuung, 158 Bootstrap-Konzept, 171
Reichweite, 26 Bosonen, 115
Repulsion, 25 Bottom-Quantenzahl, 133
Autofokussierung, 123 Bragg-Streuung, 23
Axialvektor-Beitrag, 70 Breit-Wignersche Resonanzkurve, 94
Axialvektorstrom, 249 Bremsstrahlung, 215

B C
Baryonen, 115 Cabibbo
Liste, 146 -Matrix, 252
-Zahl, 133 -Winkel, 252
Baumstruktur, 239 Callan-Gross-Relation, 230
Becquerel, 8 Charm, 133
begleitende Logarithmen, 239, 241 Chew-Frautschi-Plott, 154
Beschleuniger Cluster-Modell, 53
ILC (Japan), 123 CMS-Detektor, 279
LEP (CERN), 122 Compound-Zustände, 96, 98
LHC (CERN), 121 Compton-Streuung, 213

291
292 Sachverzeichnis

Confinement, 141 Extra-Dimensionen, 281


Constituent-Quark-Massen, 134
Coulomb-Streuung, 214 F
C-Parität, 138 Farblinien-Graphen, 221
CP-Eigenzustände, 254 Farbstruktur, 141
CPT-Verletzung, 140, 256 Baryonen, 141
CP-Verletzung, 255 Mesonen, 141
in CKM-Matrix, 256 Fermi
in Masse-Matrix, 257 -Energie, 36
Crookes und Perrin, 12 -Kugel, 36
Curie Fermionen, 115
Pierre, und Marie Sklodowska, 11 Liste, 246
Current-Quark-Massen, 134, 281 Feynman
Regeln, 205
D Scaling, 180
Delta-Resonanz, 126 Flavor-Quantenzahlen, 130
Deuteron, 23 Formations-Zeit, 189
Dirac-Gleichung, 136, 196 Fraktal, 187
direkte Reaktionen, 100 Froissart Grenze, 182
Dreiecksgraphen, 156
G
Drei-Jet-Ereignisse, 226
Gamma
Drell-Yan-Streuung
-Strahlung, 10
Definition, 233
-Zerfall, 57, 63
Skalengesetz, 233
Gammamatrizen, 197
duale Amplituden, 172
Gamow-Faktor, 78
Dualität, semilokale, 169
Geiger-Nuttallsche Regel, 79
Dual-Topologisches Modell, 174
geladene Vektorbosonen, Masse, 266
Gell-Mann-Nishijima-Relation, 134
E Generationen, 131
Eichfelder, 193 Anzahl, 265
Einheiten Gittereichtheorie, 153
der Radioaktivität, 60 g-Kopplung (SU[2]), 263
Heaviside-Lorentz-, 15 g 0 -Kopplung (U[1]), 264
natürliche, 1 Glashow-Iliopoulos-Maiani-Trick, 251
Präfixe, 2 Glühkathodenröhre, 12
Wirkungsquerschnitte, 85 Gluonen-Jet, 187
Einstein-Konvention, 195 Gluonenproduktion, 186
Ein-Teilchen-Austausch, 158 Goldstone-Teilchen, 153, 250
Elektron G-Parität, 139
Einfang, 56 Grand Unification Theory, 281
-Elektron-Streuung, 213 große vereinheitlichte Theorie, 281
-Kern-Streuung, 214 Gummibandmodell, 130, 176
-Positron-Annihilation, 184
in Myonen, 206 H
in Quarks, 224 Hadronen, 113
elliptischer transversaler Fluss, 192 Hadronisation, 175
Energiebilanz, 20 Elektron-Positron, 224
Exklusionsprinzip von Pauli, 115 nach harten Streuungen, 183
exotische Hadronen Hahn, Otto, 80
Gluonium, 142 harte Streuungen, 235
Pentaquark, 142 Hartree-Fock-Approximation, 40
Tetraquark, 142, 148 Higgs-Teichen
exponentielles Zerfallsgesetz, 58 benötigte Felder, 271
Sachverzeichnis 293

beobachtbares, 276 Kernfusion, 105


Entdeckung, 279 durch Magneteinschluss, 107
experimentelle Masse, 279 durch Myonen, 107
Massenterm der Fermionen, 280 durch Trägheitseinschluss, 108
Masseterm der Vektormesonen, 274 in Sonne, 108
spontane Symmetriebrechung, 271 Kernkräfte durch Austausch, 25
Vektormeson-Propagator, 274 Kernreaktor, 101
Vektormesonzusatz, 275 Kernresonanz-Spektrometer, 50
Hochtemperatur-Feldtheorie, 242 Kernspaltung
Hyperfeinstruktur, 50 spontane, 80
Kernspaltung, stimulierte, 100
I Kernspin-Tomographie, 51
identische Fermionen/Bosonen Kettenreaktion, 100
unter Vertauschung, 115 Klein-Gordon-Gleichung, 25, 194
infrarote Sklaverei, 220 Klein-Nishina-Formel, 214
innere Konversion, 57 Kobayashi-Maskawa-Matrix, 251
Isobare, 16 kollektiver transversaler Fluss, 192
Isobarenreihe, 33 kollektives Modell, 51
Isomere, 16 Konversion, innere, 68
Isospin, 28, 31, 132 Kopplungskonstante der QCD, 226
dritte Komponente, 28, 31, 133 Kosmologie, 281
schwacher, 262 kritischer Faktor, 102
Isotone, 16
Isotope, 12, 16
L
Lagrange-Funktion: skalares Feld, 269
J
Lebensdauer
Jet-Produktion, 184
aus Matrixelement, 204
Jet-Quenching, 190
Messung, 58
jj-Kopplung, 45
mittlere, 57
K Leptonen
Kaon, neutrales, 253 Liste, 193, 246
Kaskade Massen, 193
elektromagnetische, 215 Leptoquarks, 282
in Schwerionenstreuung, 189 Leuchtnukleon, 45
Kathodenstrahlung, 12 Lichtgeschwindigkeit, 1
K-Einfang, 57 Lie-Gruppen, 28, 132
Kern Linearbeschleuniger, 116
Fusion, 33 LS-Kopplung, 45
Spaltung, 33 Luminosität, 82, 119
Kerne
Asymmetrieenergie, 32 M
Coulomb-Energie, 30 magische Zahlen, 38
Hochspin -, 55 Majorana-Masse, 253
Ladungsdichten, 18 Mandelstam-Variable, 118, 156, 160
Massen, 19 Massenspektroskop, 19
Notation, 15 Massenzahl, 15
Nukleonendichten, 18 Matrixelement
Oberflächenenergie, 29 Berechnung des, 205
Paarungeenergie, 32 Meitner, Liese, 80
stabile, Lage, 18 Mesonen, 115
superschwere, 55 Liste, 143
Tabelle, 16 Meson-Trajektorien
Volumenenergie, 29 wichtige, 166
294 Sachverzeichnis

minimale Kopplung, 270 Plasma-Einschluss


Møller-Streuung, 213 magnetischer, 107
Mößbauer-Effekt, 67 Trägheit, 107, 108
Multipolmomente, 46 Polonium, 12
elektrische Quadrupol-, 46, 51 Pomeron
magnetische Dipol-, 46 als Zylinder, 173
und Abstrahlung, 64 BFKL-, 241
superkritisches, 173
N Trajektorie, 173
neutraler Strom, 258 Pontecorvo-Maki-Nakagawa
Neutrino, 70, 246 –Sakata-Matrix, 253
Anzahl, 265 Positronium, 152, 212
Masse, 246 Preconfinement, 240
Streuprozess, 258 Proton, 15
Neutrinoexperiment, 258 Lebenszeit, 114, 282
Neutronen, 15 Masse, 114
Einfang-Einfang, 23 Pseudorapidität, 183, 240
Lebenszeit, 114
Masse, 114 Q
prompte, 101 Quantenchromodynamik, 193, 217
-Streuung, 96 Quantenelektrodynamik, 193, 194
verzögerte, 101 Quantenflavordynamik, 245
-Zahl, 15 Quark-Gluon-Plasma, 191, 243
Neutronenstern, 110
Quarkonia, 149
Nukleon, 15
Quarks, 130
Nuklidtabelle, 16
Constituent-, 134
Current-, 134
O
Liste, 246
Optisches Modell, 98
Optisches Theorem, 92
Ordnungszahl, 15 R
Radioaktivität, 55, 60
P künstliche, 9, 56
Parität, 135 natürliche, 9, 56
Eichteilchen, 137 Schädigung durch -, 61
Fermionen, 137 Radium, 12, 60
Photon, 137 Radon, 12, 62
Paritätsverletzung, 248 Rapidität, 178
Partialwellenamplitude, 91 Reaktion
participant scaling, 189 endotherme, 20
Partonen, 130 exotherme, 20
Partonenstruktur der Hadronen, 226 Reaktor, 101
Periodensystem der Elemente, 8 ITER, 107
Pfadintegral, 201 Joint European Torus, 107
Photomultiplier, 58 Molten-Salt-, 105
Photonenproduktion, 212 Nuclear Amplifier, 105
Pion, 26, 114 schneller, 104
Lebensdauer, 125 thermischer, 104
Masse, 114 Traveling-Wave-, 105
Pion-Nukleon-Streuung, 127 Regenerationskonstante, 101
planare Amplituden, 172 Regge-Pol-Physik, 155
Planck Regge-Trajektorie, 154, 162
-Konstante, 1 renormierbare Theorien, 217
-Masse, 4 Renormierung, 218
Sachverzeichnis 295

Resonanzabsorption, 68 Spiegelkerne, 16
Resonanzen und stabile Hadronen, 127 Spin-Bahn-Kopplung, 43
Resonanzstreuung, Ablauf, 129 Spur, 208
Röntgenstrahlung, 8 Standardmodell, 260
Rückwärtsstreuung, 157, 158 Statistisches Modell, 96, 98
Rutherford, 9 Stern-Gerlach-Experiment, 49
Atommodell, 14 Störungsrechnung
-Formel, 12 chirale, 153
Streuversuch, 12 Feynmansche, 203
und Soddy, 12 zeitabhängige, 199
Strahlenbelastung, 61
S Straßmann, Fritz, 80
Sättigungsgebiet, 233 Streuamplitude
Schalenmodell, 40 elastische, 88
Schmidt-Werte, 49 Partialwellen-, 91
schwache Prozesse Strom
rein hadronische, 247 Dirac-Gleichung, 199
rein leptonische, 247 Klein-Gordon-Gleichung, 195
semi-leptonische, 247 Strom-Strom-Wechselwirkung, 247
schwache Vektorbosonen, 260 Strukturfunktion, 228
Erzeugung, 264 SU(2)-Symmetrie, 28, 31, 131
Massen, 265, 266 SU(3)-Farbraum, 220
schwacher Strom SU(3)-Symmetrie, 132, 141
generationsmischender, 250 SU(5)-Symmetrie, 282
hadronischer, 250 Supernova-Explosion, 110
leptonischer, 249 Supersymmetrie, 281
schweres Photon, 261 Symmetrie der Anordnung
Schwerionenstreuung, 188, 241 up- und down-Quarks, 131
See-Quarks, 133 von Protonen und Neutronen, 31
sekundärer Teilchenstrahl, 124 Synchrotron, 116
Seltsamkeit (strangeness), 133 Synchrotronstrahlung, 122
separate Existenz
leichte Neutrinos, 258
T
Siliciumpixeldetektoren, 58
Tau-Neutrino-Nachweis, 252
Singularität
Teilchenproduktion
kollineare, 238
diffraktive, 174
weiche, 238
nichtdiffraktive, 175
Skalen
Temperatur von Zwischenkernen, 96, 98
typische, 1
Theory of Everything, 5
Skyrmion, 55
Theta-tau-Rätsel, 248
S-Matrix, analytische, 88, 161
Thomas-Fermi-Modell, 35
Soddy, 12
Thomson, J. J., 12
Sommerfeld-Watson-Transformation, 162
Sonnen-Neutrino, 252 Thomsonscher Querschnitt, 214
Sonnenneutrino, 259 Thorium, 12
Spallation, 105 tiefinelastische Streuung, 226
Speicherring, 120 topologische Entwicklung, 171
Spektrum Top-Quantenzahl, 133
Einteilchen-, 177 Tröpfchenmodell, 29
im Rapiditätszentrum, 183
Rapiditäts-, 180 U
Transversalimpuls-, 180 U(1)-Symmetrie, 262
Sphärizität, 185 universelle Klassifikation, 4
296 Sachverzeichnis

V inklusiver, 86
Valenz-Quarks, 133 topologischer, 86
Vektormesondominanz, 184 totaler, 91, 166
Vektorstrom, 249 Woods-Saxon-Potenzial, 41
Vielfachstreuung, 182
Y
W Yrast-Zustände, 55
Wechselwirkung zwischen Gluonen, 224 Yukawa-Meson, 25, 114
Weinberg-Salam-Theorie, 260
Weinberg-Winkel, 263, 267 Z
Weyl-Spinor-Gleichung, 199 Zeitumkehr, 140
Wick-Rotation, 153 Zentralität, 190
Wirkungsquerschnitt, 82 Zerfälle, 204
aus Matrixelement, 203 elektromagnetische, 128
differenzieller, 157 schwache, 128
diffraktiver, 174 starke, 130
Einheit, 85 Zweig-Regel, 151
elastischer, 85 Zwei-Jet-Ereignis am LHC, 236
im Regge-Modell, 165, 166 Zwischenkern, 95

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