Bopp
2. Auflage
Prof. Dr. Fritz W. Bopp
Universität Siegen
Siegen, Deutschland
Springer Spektrum
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1989, 2015
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Vorwort
Eine der bedeutenden Entwicklungen in der Physik ist das zunehmende Verständnis
subatomarer Phänomene. Die subatomare Physik gehört heute zu den kanonischen
Teilen eines Physikstudiums. An vielen Hochschulen wird daher dazu eine einfüh-
rende Vorlesung angeboten. Die erste Auflage entstand aus einem Skript zu solchen
Vorlesungen.
Die subatomare Physik hat sich seit der ersten Auflage deutlich verändert. Da ich
das Konzept des Buches nach wie vor für gut halte, habe ich mich zu einer neuen
Auflage entschieden.
Viele Lehrbücher und Vorlesungen in Kern- und Teilchen-Physik versuchen,
Studenten in eine bestimmte Richtung zu motivieren. Dies ist sicherlich in einem
fortgeschrittenen Stadium des Studiums angebracht. Im Bachelor Bereich kann dies
zu einer nicht ausreichend breiten Ausbildung führen, und das Buch versucht, dem
entgegenzuwirken.
Wie physikalische Phänomene zu beschreiben sind, hängt von der jeweils rele-
vanten Energieskala ab. Im Buch wird für jede Skala eine knappe Einführung in die
jeweils benötigte Beschreibung gegeben. Auf diese Weise wird Gleichmäßigkeit
erreicht, und es wird vermieden, Gebieten falsche Prioritäten einzuräumen.
Die Liste der inzwischen erforderlichen Veränderungen ist lang, und ich möch-
te hier nur einige Punkte anführen. Das Kapitel über Hochenergiebeschleuniger
ist veraltet, viele der damals geplanten Beschleuniger wurden nicht realisiert. Die
realisierten neuen Beschleuniger öffneten neue Regionen in der Hadronen- und
Schwerionenphysik und viele neue Beobachtungen und Konzepte sind dazu anzu-
führen. Wie Quarks sich zu Hadronen binden, ist heute besser verstanden und erfor-
dert eine ausführlichere Diskussion. Erwähnt werden muss auch, dass der Anwen-
dungsbereich der perturbativen Quantenchromodynamik in verschiedenen Richtun-
gen mit neuen Methoden erweitert werden konnte.
Der eigentliche Anlass der Neuauflage ist der experimentelle Nachweis des
Higgs-Teilchens, das natürlich nun ausführlich behandelt werden muss.
V
VI Vorwort
Eine sorgfältige Überarbeitung der neuen Auflage führte zu einer sehr großen
Zahl von Korrekturen und kleineren Verbesserungen. Dabei muss ich mich für viele
nützliche Hinweise und Anregungen bedanken. Da die Zahl über die Jahre zu groß
geworden ist, kann ich dies nicht namentlich tun.
VII
Inhaltsverzeichnis
IX
X Inhaltsverzeichnis
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Gliederung nach der typischen Skala
1
Der Gebrauch der natürlichen Einheiten ist für praktische Rechnungen oft nicht
vorteilhaft. Man kommt nicht umhin, sich die jeweils üblichen Bezeichnungen an-
zueignen, weil es z. B. nicht sehr nützlich ist, zu wissen, wieviel .eV/2 Leistung ein
Auto hat. Wir werden daher in den Gebieten, in denen es in der Literatur üblich ist,
auf das „ und das c nicht verzichten.
Die Konvention drückt die Zeit- und die Längeneinheit durch das Inverse der
Energieeinheit
1 eV D 1;6 1019 J
aus. Sie ersetzt die in der Atom- und Kernphysik üblichen Längenskalen des
Ångströms (0; 1 Nanometer) und des Femtometers („Fermi“)
1 Å D 1010 m ;
1 fm D 1015 m ;
durch inverse Energieeinheiten
b .1;973 keV/1 ;
1Å D
b .197;3 MeV/1 ;
1 fm D
wobei, wie wahrscheinlich gut bekannt, Zehnerpotenzen durch entsprechende
Buchstaben ausgedrückt werden:
Die Einheiten werden meist einfach buchstabiert. Die vollen Namen sind
Da das eV eine recht kleine Einheit ist, sind die Bezeichnungen für negative Zeh-
nerpotenzen eigentlich nur für andere Maße, wie
Unsere Längenskala mit dieser Umrechnung auf die typischen Zeitspannen und
auf die typischen Energien auszudehnen, ist physikalisch sinnvoll. Ein Objekt der
Größe x erfordert eine minimale Reaktionszeit
t D x=c ;
da die Information, dass eine Reaktion stattfindet, nicht schneller übertragen werden
kann. Wegen der quantenmechanischen Unschärferelation
t D „=E
1 Gliederung nach der typischen Skala 3
Alltagsphysik
1m
Chemie
10−6 m
Atomphysik
1 Å = 10−10 m
Kernphysik
1 fm = 10−15 m
1 Hadronenphysik
= 2 · 10−16 m
1 GeV
1 Leptonen- und
10 GeV Partonenphysik
1 Physik der
100 GeV schwachen Bosonen
und des Higgs-Bosons
?
Abb. 1.1 Universelle Klassifikation
ist ein bestimmter Energiebereich – und damit ein gewisser Absolutwert der Ener-
gie – notwendig, um entsprechend kurzzeitige oder lokale Effekte aufzulösen und
wahrzunehmen. In der Praxis treten natürlich oft verschiedene Skalen auf, von de-
nen allerdings in der Regel nur eine für den betrachteten Effekt relevant ist. Ein
fast stabiler Kern erfordert eine kleine Längen- und eine fast unendliche Zeitska-
la. Solange die Zerfallszeit groß (oder gar unendlich) ist, ist für die Beschreibung
der Kernstruktur die Längenskala, die in etwa der potenziellen Energie entspricht,
typisch.
Nachdem wir mit der obigen Konvention eine universelle Skala eingeführt ha-
ben, die es gestattet, die räumliche, zeitliche und energetische Situation von Vor-
gängen zu berücksichtigen, können wir mit unserer universellen Klassifikation be-
ginnen. Nehmen wir dazu eine enge, in etwa logarithmische Skala und zeichnen die
4 1 Gliederung nach der typischen Skala
verschiedenen Gebiete an der entsprechenden Stelle ein. Objekte aus dem unmit-
telbaren Umfeld des Menschen werden ihrer Größenordnung nach im Bereich von
Dezimeter bis Meter anzuführen sein, was bei der Enge der Skala ausreichend prä-
zise ist. Im makroskopischen Bereich bestimmt die beobachtete Längenausdehnung
meist die typische Skala, während im mikroskopischen Bereich die Position in der
Skala durch die Energie festgelegt wird.
Hat man die wichtigsten Gebiete eingezeichnet, erhält man etwa eine Darstel-
lung wie in Abb. 1.1. In der Abbildung sind aus grafischen Gründen die Abstände
in Richtung großer Längeneinheiten für eine logarithmische Skala etwas zu eng ge-
zeichnet. Auch sind Kern- und Hadronenphysik etwas zu weit auseinander geraten.
Die Abbildung umfasst ein recht weites Gebiet. Die Skala erstreckt sich von den
kleinsten zu den größten bekannten Dingen. Das Verständnis der Phänomene, die
in der Zeichnung schematisch klassifiziert wurden, ist eine bedeutende kulturelle
Leistung unseres Zeitalters [1]. Man ist dabei viele Stufen über die vergleichswei-
se spekulativen oder definitorischen Vorstellungen der Antike und des Mittelalters
hinausgekommen.
In die Abbildung sind nur Gebiete aufgenommen, von denen man annimmt, dass
sie in ihren grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten bekannt sind. Es ist möglich, dass
man mit den theoretischen Überlegungen an beiden Enden schon dicht an Gren-
zen ist, die man nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten überwinden kann.
Verantwortlich für diese Schwierigkeiten ist die Gravitation.
Verlässt man die Skala in Richtung großer Abstände, wird man zu Phänomenen
kommen, für die die von der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Krüm-
mung des Raumes wichtig wird. Durch die Masse des Universums gibt es einen
Horizont, der die prinzipiell zugängliche Information begrenzt.
Krümmungseffekte treten auch am anderen Ende bei sehr winzigen Abständen
auf. Betrachten wir dazu zunächst das elektrodynamische Potenzial als Beispiel
für eine typische Wechselwirkung ohne eigene Skala. In natürlichen Einheiten ent-
spricht das Ladungsquadrat abgesehen von einem Faktor der dimensionslosen Fe-
instrukturkonstanten (˛ D .e 2 /=.4/ 1=137). Als Dimensionsgrößen verbleiben
damit in der Schrödinger-Gleichung der dimensionslosen Wellenfunktion m3=2
2 !
„ d2 Z e2 3=2 E 3=2
m D m
2 d.mr/ mjrj m
nur m r und E=m auf. Für „ D 1 müssen sie für gebundene Zustände jeweils von
der Größenordnung 1 sein. Die Faktoren selber können dabei beliebig variieren.
Das Gravitationspotenzial
Potenzielle Energie D G m1 m2 =r
herankommen. Insgesamt steigt das Gravitationspotenzial daher mit der dritten Po-
tenz der Massen bzw. der Lokalisierung. Für sehr große Massen wird die potenzielle
Energie des Gravitationspotenzials dieselbe Größenordnung wie die Massen haben.
Berechnet man die Masse, für die dies exakt der Fall ist, so erhält man die Planck-
Masse
b G 1=2 D 1;2 1028 eV :
mPlanck D
Das Gebiet mit einer Längenskala, die dieser Planck-Masse entspricht, wird oft
als eine Art „Schallmauer“ für das physikalische Verstehen angesehen, die nur
schwer zu durchbrechen sein wird. Die Masse eines Zustands ist meist eng mit
seiner Dynamik verknüpft. Im Gebiet der Planck-Masse sollte die Gravitation da-
her eine mit der restlichen Dynamik vergleichbare Rolle spielen. Die Gravitation ist
mit einer inhomogenen Struktur des Raumes verknüpft; man erwartet ein kompli-
ziertes Zusammenspiel von Teilchenfeldern und Raumstrukturen, das die üblichen
Betrachtungsweisen unmöglich macht. Es ist nicht klar, ob diese „Schallmauer“
wirklich völlig unüberwindbar ist. Es gibt Versuche in der Teilchenphysik und der
Kosmologie [2], selbstkonsistente Theorien für dieses Gebiet zu finden.
Die in gewissem Sinne prinzipiellen Grenzen der Gravitation sind noch nicht
erreicht. Betrachten wir die Situation am unteren Ende unserer Skala. Mit der soge-
nannten Theorie der Großen Vereinheitlichung (englisch Grand Unification) gibt
es recht naheliegende Extrapolationen bekannter Gebiete, die mit nur wenigen,
relativ harmlosen konzeptuellen Schwierigkeiten zu einem grundsätzlichen Ver-
ständnis beinahe bis in die Gegend der Planck-Masse führen würden. Unglückli-
cherweise hat sich eine wichtige Vorhersage dieser Theorien, der Protonenzerfall,
experimentell nicht bestätigt. Es kann sein, dass ein solcher Durchbruch mit einer
modifizierten Theorie gelingt und dass die „Theory of Everything“ in den nächs-
ten Jahrzehnten gefunden wird. Pessimisten sind allerdings der Ansicht, dass uns
im Bereich der kleinen Abstände noch viele Überraschungen und neue Erkenntnis-
se erwarten und dass es unwahrscheinlich ist, dass plötzlich Sprünge über beinahe
zwanzig Dekaden gelingen könnten. Nach ihrer Ansicht kann man wie bisher dann
mit mehr oder weniger großem Aufwand Dekade um Dekade zu kürzeren Ab-
ständen vordringen und dabei jeweils die Gültigkeit existierender Konzepte etwas
ausdehnen oder neuartige Gebiete der Physik erschließen. Dies ist kein unbedeuten-
des Unterfangen. Da die kurzreichweitige Theorie die Grundlage für die weniger
kurzreichweitige Theorie darstellt, bedeutet dies, dass das Verständnis der Welt
nach und nach in wirklich grundlegender Weise erweitert wird.
Dieses Buch soll in die Gebiete, die auf der Skala unterhalb der Atomphysik
liegen, einführen, und die Gliederung des Stoffes folgt der Skaleneinteilung. Unsere
Reise in den Mikrokosmos wird daher mit der Kernphysik beginnen und uns dann
zur Hochenergiephysik führen.
Der Kernphysik-Teil behandelt zunächst Eigenschaften, die für ruhende Kerne
relevant sind, und betrachtet dann Streuvorgänge von Kernen. Er schließt mit einem
Abschnitt über kernphysikalische Prozesse, die in anderem Zusammenhang wichtig
sind.
6 1 Gliederung nach der typischen Skala
Die Untergliederung der Teilchenphysik in drei Teile, in die Physik der Hadro-
nen, in die Physik der Leptonen und Partonen und in die Physik der schwachen Bo-
sonen, folgt wiederum der typischen Skala. Da die Elektrodynamik, die der Physik
der Leptonen zugrundeliegt, über einen weiten Bereich gilt, ist es etwas schwie-
rig, ihr eine Skala zuzuordnen. Der angegebene Skalenbereich ist so gewählt, dass
dort ihre Wirkungsquerschnitte in Relation zu deren anderer Prozesse eine beson-
ders große Rolle spielen. Jedes der drei Teilgebiete erfordert dann seine eigenen
spezifischen Methoden.
Ähnlich wie in der Kernphysik bemüht man sich in der Hadronenphysik um
eine globale, phänomenologische Beschreibung hadronischer Wechselwirkungen,
die sich im Augenblick nicht aus einer mikroskopischen Theorie ableiten lässt. Eine
mikroskopische Beschreibung, d. h. eine Beschreibung aus der Physik der Partonen,
ist nur in Randgebieten mit mehr oder weniger groben Approximationen möglich.
Die Physik der Leptonen und Partonen enthält die Effekte der „elektromagne-
tischen Wechselwirkung“ und der „starken Wechselwirkung“, soweit diese analog
zur elektromagnetischen Wechselwirkung behandelbar sind. Ihr liegen Quanten-
feldtheorien mit masselosen Eichteilchen zugrunde. Außerhalb von engen kine-
matischen Gebieten und abgesehen von gewissen theoretischen Problemen ist sie
störungstheoretischen Methoden zugänglich. Allerdings sind die Rechnungen oft
sehr kompliziert. Dieses Buch muss sich darauf beschränken, typische Methoden
vorzustellen und die wichtigsten Ergebnisse anzuführen. Um dies zu tun, wird ein
besonders einfaches Beispiel für eine solche Rechnung explizit vorgeführt.
Die Physik der schwachen Bosonen enthält die Effekte der sogenannten „schwa-
chen Wechselwirkung“. Ihr liegt, wie wir im Abschn. 5.2 sehen werden, eine Quan-
tenfeldtheorie mit massiven Eichteilchen zugrunde. Die Masse der Eichteilchen
verändert die Situation recht drastisch.
Um die Massen dieser schwachen Eichfelder zu erklären, muss man Higgs-Bo-
sonen einführen. Die Physik dieses Teilchens wird im sechsten Kapitel beschrieben.
Einführung in die Kernphysik
2
Die Kernphysik ist kein in sich abgeschlossenes Kapitel der modernen Physik. Es
gibt keine einfache, grundlegende Theorie, aus der sich detaillierte Eigenschaften
der Kerne auf mehr oder weniger einfache Weise berechnen lassen. Es wird sich
herausstellen, dass dies kein Problem eines mangelnden, fundamentalen Verständ-
nisses ist, sondern dass die Kerne einfach recht komplexe Gebilde sind. Zum einen
wird mit der wachsenden Zahl der Objekte die Dynamik recht kompliziert. Zum
anderen liegt es daran, dass die Längenskalen der Kernphysik und der zugrun-
deliegenden Hadronenphysik nicht weit genug auseinander sind und dass daher
detaillierte Eigenschaften der Hadronenphysik in der Kernphysik eine Rolle spielen.
Liegen die Skalen weit genug auseinander, können nur sehr wenige Eigenschaf-
ten der fundamentaleren Theorie in der Theorie mit der größeren Skala relevant
sein. Ein Beispiel hierfür ist die Atomphysik, in der aus der zugrundeliegenden
Quantenelektrodynamik im Wesentlichen nur das Coulomb-Gesetz und einfache
magnetostatische Korrekturen, die den Spin der Elektronen berücksichtigen, übrig
bleiben.
Wegen der Komplexität muss man sich letztlich darauf beschränken, eine phä-
nomenologische Beschreibung mit mehr oder weniger handhabbaren Modellen und
Vorstellungen zu finden, die den Strukturen der Kerne mehr oder weniger genau
entsprechen. In einer Einführung in die Kernphysik werden daher die experimentell
beobachteten Phänomene eine entscheidende Rolle spielen.
Nachdem Alchimisten lange vergeblich versucht hatten, das Element Gold „herzu-
stellen“, wurde im 19. Jahrhundert die Einteilung der chemischen Substanzen in
Elemente und Verbindungen erreicht. Im Jahre 1803 postulierte der englische Che-
miker und Physiker Dalton, dass die Elemente jeweils aus einer Atomsorte bestehen
und dass Verbindungen verschiedene Atomsorten mit festem Mischungsverhältnis
enthalten. Der russische Chemiker Mendelejew führte 1869 das Periodensystem ein,
das eine Verbindung zwischen den Gewichten und den chemischen Eigenschaften
F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_2, 7
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8 2 Einführung in die Kernphysik
der Atome herstellte. Das Periodensystem ist schematisch in Abb. 2.1 dargestellt.
Die Beobachtung ist, dass die durch Linien verbundenen Elemente ähnliche chemi-
sche Eigenschaften haben.
Der Durchmesser eines Atoms liegt in der Größenordnung von einem Ångström.
Wegen des Beugungseffekts ist die Struktur von auflösbaren Objekten durch die
Wellenlänge der zur Beobachtung eingesetzten Strahlung begrenzt. Die Auflösung
eines Atoms in Unterstrukturen konnte daher erst geschehen, nachdem eine Strah-
lungsquelle mit der entsprechenden Energie verfügbar wurde.
Der erste Schritt in diese Richtung erfolgte 1895 durch eine Entdeckung des an
der Würzburger Universität tätigen Physikers Röntgen (Abb. 2.2), für die er den
ersten Nobelpreis der Physik erhielt [6]. Er konnte eine die Materie durchdrin-
gende Strahlung nachweisen, die fotografische Platten schwärzt und Fluoreszenz
verursacht. Sie wird heute Röntgenstrahlung (im Englischen X-rays) genannt. Die
Erzeugung der Strahlung erfolgt meist in einer Röntgenröhre, wie sie in Abb. 2.3
schematisch dargestellt ist.
1896 fand der französische Physiker Becquerel (Abb. 2.4) die natürliche Ra-
dioaktivität. Es war ein Beispiel für eine Zufallsentdeckung. Seine ursprüngliche
Vorstellung war [7], dass die durchdringende Röntgenstrahlung in Wirklichkeit erst
am Glas der Röntgenröhre entstünde und mit Fluoreszenz etwas zu tun habe. Um
gute Fluoreszenz zu erhalten, belichtete er fluoreszierende Uransalze mit Sonnen-
strahlung und fand, dass sie in der Tat Quelle einer durchdringenden Strahlung
2.1 Kurze historische Einführung 9
Röntgenstrahlung
Glühkathode Anode
Heizspannung
Hochspannung
mit Blei von mehreren Zentimetern Dicke. Die drei Komponenten der Radioakti-
vität besitzen unterschiedliche Ladungen. Ein idealisiertes Schema eines Versuchs,
der dies nachweist, ist in Abb. 2.6 dargestellt. Für den Fall der ˛-Strahlung, der
ein besonders starkes Magnetfeld erfordert, wurde dieser Versuch erst Jahre später
durchgeführt.
2.1 Kurze historische Einführung 11
α-Strahlen
β-Strahlen
Magnet
Blei-
abschirmung
radioaktive Quelle
Der französische Physiker Pierre Curie und seine Frau, die aus Polen stammende
Chemikerin Marie Sklodowska Curie (Abb. 2.7) hatten erkannt, dass die Radio-
aktivität eine Eigenschaft gewisser Elemente ist. Marie Curie begann mit einer
intensiven Untersuchung aller bekannten Elemente. Sie entdeckte die Radioaktivi-
tät des Thoriums. Da das Uranerz stärker strahlte als das reine Uran, mussten andere
Abb. 2.7 Marie Sklodowska und Pierre Curie (Foto: Deutsches Museum)
12 2 Einführung in die Kernphysik
Elemente, die zusammen mit ihm auftraten, dafür verantwortlich sein. Die Schwie-
rigkeit, diese unbekannten radioaktiven Elemente herauszufinden, bestand darin,
dass diese Elemente nur in sehr geringen Mengen vorlagen. Mit mehreren Tonnen
Uranpechblende konnten die Curies 1898 die bis dahin unbekannten Elemente Ra-
dium und Polonium nachweisen und ein „ganzes“ Gramm Radium isolieren.
Nach diesen Arbeiten wurden immer mehr radioaktive Substanzen gefunden
und viele bisher unbekannte Elemente entdeckt, unter ihnen das Aktinium, das
Radiothorium, das Mesothorium und das gasförmige Radon. Diese intensiven Un-
tersuchungen brachten 1903 Rutherford und Soddy zur Schlussfolgerung, dass eine
spontane Umwandlung gewisser Elemente in andere für die radioaktive Strahlung
verantwortlich ist [8].
Die meisten Elemente haben eine Atommasse, die ziemlich genau einem Viel-
fachen derjenigen des Wasserstoffs entspricht. Zu dieser Regel gibt es allerdings
Ausnahmen, die vor allem bei schwereren Kernen, aber auch bei einigen leich-
teren Elementen auftreten. Um sie zu verstehen, postulierte Soddy 1910, dass Ele-
mente manchmal aus einer Mischung von unterschiedlichen Isotopen bestehen, die
identische chemische Eigenschaften haben und sich nur in ihrer Atommasse un-
terscheiden, und dass die Isotope selbst recht genau einem festen Vielfachen der
Wassserstoffmasse entsprechen. 1912 konnte J. J. Thomson durch ihre unterschied-
lichen Bahnen im Magnetfeld die Existenz von zwei verschiedenen Neonisotopen
nachweisen.
Gehen wir für einen Augenblick mit unserer Betrachtung wieder um einige Jahre
zurück. Die Physiker Crookes und Perrin hatten gezeigt [7], dass die Kathoden-
strahlung in der Glühkathodenröhre aus negativen Teilchen besteht. Die Strahlung,
die offensichtlich von der Glühkathode ausgesandt wird, transportiert zur Anode
negative Ladung, die man als Strom messen kann. Wie es für negative Teilchen
einer gegebenen Masse zu erwarten ist, wird die Kathodenstrahlung im Magnet-
feld von der Lorentz-Kraft in einer bestimmten Weise abgelenkt. Ist das Vakuum in
der Glühkathodenröhre nicht perfekt, kann die Bahn der Kathodenstrahlung durch
Fluoreszenz in angeregten Gasatomen direkt beobachtet werden. Die korpuskula-
re Existenz des aus den Atomen emittierten und offensichtlich darin existierenden
Elektrons war damit geklärt.
Aus Streuexperimenten hat man geschlossen, dass die Elektronen relativ gleich-
mäßig über das gesamte Atom „verschmiert“ sind. Dabei blieb es lange unklar, wo
sich die kompensierende positive Ladung befindet; J. J. Thomson postulierte (Thom-
sonsches Atommodell), dass diese gleichmäßig über das Atom verteilt sei.
Klarheit über die Verteilung brachten Experimente von Rutherford und seinen
Mitarbeitern [9]. Das Schema dieser Versuche ist in Abb. 2.8 dargestellt. Die Strah-
lung mit der höchsten verfügbaren Energie (etwa 4–6 MeV), die Information über
die kleinsten Abstände ermöglichen konnte, war damals die ˛-Strahlung, die wir
in Abb. 2.6 kennen gelernt hatten. In den Experimenten wurde die ˛-Strahlung ei-
nes radioaktiven Elements an verschiedenen Substanzen gestreut. Die gestreuten
˛-Teilchen konnten in mühsamer Experimentierarbeit mit dem an Dunkelheit ge-
wöhnten Auge als Lichtblitze auf geeignet aufgestellten fluoreszierenden Schirmen
beobachtet werden.
2.1 Kurze historische Einführung 13
stark abgelenkter
Strahl
α-Strahl
streuende Substanz
(Target)
Das Ergebnis der Experimente war, dass der größte Teil der einfallenden Teil-
chen in etwa seine Richtung beibehielt. In einigen wenigen Streuereignissen – bei
einer 0;5 m dicken Goldfolie war es ein Streuereignis von 100.000 – wurden
die einfallenden Teilchen in einem Winkel von 90ı und mehr gestreut. Da man
von einer kurzreichweitigen Wechselwirkung wegen der Unschärferelation große
Impulsüberträge und damit große Streuwinkel erwartete, musste dabei meist eine
langreichweitige Wechselwirkung eine dominante Rolle gespielt haben. In Frage
kommt dafür die Coulomb-Wechselwirkung. Um ausreichend große Felder zu ha-
ben, muss die positive Ladung dabei in einem Kern sitzen, dessen Radius wesentlich
kleiner als der Atomradius ist.
Tatsächlich kann man aus einem solchen Experiment eine wesentlich weiter-
gehende Aussage über die Ladung und die Größe des Atomkerns erhalten. Dazu
müssen wir zunächst die Rutherford-Formel einführen, die das Streuverhalten eines
schnellen punktförmigen Strahlteilchens der Ladung z e und der Masse M an einem
schweren, punktförmig geladenen Atom der Ladung Z e, das in einem ruhenden
Target sitzt, beschreibt:
2
d zZ e 2 =4 1
D : (2.1)
d˝ 2M v 2 sin4 #=2
Streuzentrum
einfallende Teilchen
die fast frontal auf das Targetteilchen einfliegen, sind für größere Winkel verant-
wortlich, während die kleinen Winkel auf solche Teilchen zurückzuführen sind, die
weit weg vom Target einfallen und nur den äußeren Rand des Targetfelds spüren.
Die obige Relation folgt aus der klassischen Elektrodynamik. Dass sie in dem
neuen mikroskopischen Gebiet anwendbar war, und dass damit die unten gezogenen
Folgerungen richtig waren, verdankt sie dem etwas glücklichen Umstand, dass in
der Quantenmechanik dieselbe Formel gilt.
Mit einem lokalisierten Kern und mit einer über den gesamten Atombereich
verteilten Elektronenwolke hat man nun die folgende Situation: Die meisten ge-
streuten Projektilteilchen dringen nur mehr oder weniger tief in die Elektronenhülle
ein und spüren nur eine elektromagnetische Ablenkung der mehr oder weniger stark
abgeschirmten Ladung des Kerns. Diese Ablenkung entspricht dann je nach Projek-
tilenergie und je nach Streuwinkel mehr oder weniger gut der Rutherford-Formel.
Nur bei wirklich zentralen Stößen und nur dann, wenn die Energie des einfallenden
Teilchens groß genug ist, um die Coulomb-Abstoßung zu überwinden und bis zum
Kern durchzudringen, wird eine neue Situation auftreten. Es wird zu einer direkten
Wechselwirkung zwischen Kern und Projektil kommen, in der kleine Winkel nicht
mehr bevorzugt sind. Bei ˛-Teilchen aus radioaktiven Zerfällen konnte eine solche
„anormale Streuung“ an leichten Kernen mit niedriger Kernladungszahl beobachtet
werden.
Die Rutherfordschen Experimente zeigten, dass Kerndurchmesser vier Dekaden
unter typischen Radien mittlerer Elektronenschalen liegen. Sie liegen im Bereich
einiger Fermi. In einem geeigneten Energie- und Winkelbereich, in dem das Pro-
jektil den Kern beinahe erreicht, kann der Einfluss der Ladung der Elektronenwolke
auf die Projektilbahn damit nicht nur „mehr oder weniger“, sondern in sehr guter
Approximation vernachlässigt werden. Damit ist eine recht genaue Bestimmung
der Kernladung möglich. Man fand die folgende Situation: Benutzt man die La-
dung des Wasserstoffs als Einheit, so ist die Kernladung eine ganze Zahl, die in
etwa dem halben Atomgewicht des Kerns (in Einheiten der Wasserstoffkernmasse)
entspricht.
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 15
Die Atomkerne bestehen aus Protonen und Neutronen. Diese beiden Bestandteile
der Kerne (englisch und lateinisch nucleus, Plural nuclei) werden als Nukleonen
(englisch nucleons) bezeichnet. Für jede Kernsorte gibt es eine feste Anzahl dieser
Teilchen.
Die Zahl der Protonen heißt Ordnungszahl Z (englisch atomic number), sie gibt
die Ladung des Kerns an. Die Kernladung legt die Anzahl der Elektronen der Atom-
hülle fest und ist damit für die chemischen Eigenschaften der Atome verantwortlich;
sie bestimmt, um welches Element des Periodensystems es sich handelt. Die Ord-
nungzahl eines Kerns gibt seine Ladung in Einheiten der Elektronenladung an
(Für die Definition der Ladung in den Maxwell-Gleichungen durch andere Einhei-
ten gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir folgen Bjorken und Drell [10] und
benutzen Heaviside-Lorentz-Einheiten.)
Die Menge der Neutronen, d. h. die Neutronenzahl N, kann aus der Masse der
Kerne bestimmt werden. Die Masse der Kerne hängt im Wesentlichen von der An-
zahl der Nukleonen im Kern ab, d. h. von der Massenzahl (mass number) A D
N C Z. Auf Korrekturen, die mit der unterschiedlichen Bindungsenergie zu tun
haben, werden wir später zu sprechen kommen.
Zur Kennzeichnung von Kernen benutzt man die Schreibweise
A A
Z EN oder verkürzt E;
16 2 Einführung in die Kernphysik
2
4
He2 D 4 He oder 235
92 U143 D235 U :
Für einige kleinere Kerne, die oft als Strahlteilchen benutzt werden, werden eigene
Bezeichnungen verwendet. So ist p das Proton (Wasserstoffkern 11 H0 ), d das Deute-
ron (Deuteriumkern 21 H1 oder 21 D1 ), t das Triton (Tritiumkern 31 H2 oder 31 T2 ) und ˛
das Alphateilchen (Heliumkern 22 He2 ).
Es ist oft nützlich, ähnliche Kerne zu vergleichen. Um die Ähnlichkeiten zu klas-
sifizieren, benutzt man die folgenden Bezeichnungen:
Kerne mit gleicher Ordnungszahl Z heißen Isotope.
Kerne mit gleicher Neutronenzahl N heißen Isotone.
Kerne mit gleicher Massenzahl A heißen Isobare.
Kerne mit vertauschten Z und N heißen Spiegelkerne.
Angeregte, langlebige Kerne mit gleichen Z und N heißen Isomere.
Insgesamt gibt es etwa 3000 bekannte Kerne. Die Ordnungszahl variiert von 1
bis 116. Bei Elementen mit großen Ordnungszahlen gibt es bis zu etwa 30 ver-
schiedene Isotope. Isomere Kerne können durch Absorption oder Emission von
-Strahlung ineinander übergehen. Übergänge zwischen isobaren Kernen werden
durch die ˇ-Strahlung ermöglicht. Unter Abstrahlung eines Elektrons (ˇ-Teilchens)
und eines Antineutrinos geht im Kern ein Neutron in ein Proton über, ohne dabei
die Nukleonenzahl zu ändern. Ein analoger Prozess kann Protonen in Neutronen
überführen. Ein Spezialfall von zwei isobaren Kernen sind Spiegelkerne. Spiegel-
kerne haben ähnliche Eigenschaften, da sich die eigentliche Kernwechselwirkung
unter Vertauschung der Anzahl von Protonen und Neutronen (Spiegelung in einem
Raum, in dem die Protonenzahl nach oben und die Neutronenzahl nach unten auf-
getragen ist) nicht ändert. Spiegelkerne unterscheiden sich durch die Coulomb-
Wechselwirkung, die zwischen den Protonen und nicht zwischen den Neutronen
auftritt. Da die Coulomb-Wechselwirkung bekannt ist, eignen sich Spiegelkerne zur
Überprüfung von Vorstellungen über die Geometrie von Kernen. Spiegelkerne gibt
es nur bei leichteren Kernen, da, wie wir in Kürze sehen werden, die Coulomb-
Wechselwirkung das Auftreten schwerer Kerne ohne Neutronenüberschuss verhin-
dert.
Die Anordnung der Kerne nach ihrer Ordnungszahl Z und ihrer Neutronenzahl
N heißt Nuklidtabelle. Ein Auszug einer solchen Tabelle ist in Abb. 2.10 gezeigt,
aufgeführt ist die Bezeichnung des jeweiligen Kerns. Für die stabilen Isotope folgt
die relative Häufigkeit des jeweiligen Nuklids im Element in seiner natürlichen Zu-
sammensetzung und für nicht stabile Isotope die Lebensdauer.
Um einen besseren Überblick zu bekommen, reduzieren wir in Abb. 2.11 die
Nuklidtabelle, so dass jedem stabilen oder langlebigen Isotop nur noch ein Punkt
entspricht. Es stellt sich heraus, dass die so gewonnenen Punkte jeweils in einem
engen Bereich der Tabelle nicht weit von der (Z D N )-Achse liegen. Abgese-
hen vom Wasserstoff 11 H haben Atome in grober Näherung damit etwa gleich viele
Neutronen wie Protonen. Auf den zweiten Blick bemerkt man eine systematische
Abweichung. Bei höheren Atomgewichten nimmt der Anteil der Neutronen deut-
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 17
12 13 14 15
7 N N N N
↑
Ordnungszahl Z 11.0 ms 9.96 ms 99.64% 0.36%
9 10 11 12 13 14
6 C C C C C C
126 ms 19.3 s 20.3m 98.89% 1.11% 5736 a
8 10 11 12 13
5 B B B B B
762 ms 20% 80% 20.3 ms 17.3 ms
7 9 10 11 12
4 Be Be Be Be Be
53.4 d 100% 2 · 106 a 13.8 s 11.4 ms
6 7 8 9 11
3 Li Li Li Li Li
7.5% 92.5% 844 ms 176 ms 9.7 ms
3 4 6 8
2 He He He He
10−4 % 100% 802 ms 122 ms
1 2 3
H H H
100% 10−2 % 12.3 a 3 4 5 6 7 8
Neutronenzahl N
Abb. 2.10 Auszug aus einer Nuklidtabelle (angegeben sind die Lebensdauern künstlicher Iso-
tope in Sekunden, Minuten, Tagen bzw. Jahren und die prozentuale Häufigkeit der in der Natur
vorkommenden langlebigen Isotope)
Abb. 2.11 Die Position der bekannten Isotope. Der Farbcode beginnt tief schwarz ( > 3 107 a/
und endet rot (bzw. hellgrau) (> 1 1015 s). Die umrahmten Z und N Werte werden später erklärt.
(Bild mit freundlicher Genehmigung aus der Web-Seite des National Nuclear Data Centers [11])
18 2 Einführung in die Kernphysik
lich zu. Eine empirische Relation, die diese Korrektur für die Lage der stabilen oder
stabilsten Kernsorten berücksichtigt, ist
A
ZD : (2.3)
1;98 C 0;0155 A2=3
Die räumliche Gestalt des Kerns, d. h. die Dichteverteilung der Nukleonen im Kern,
kann in erster Näherung als kugelförmig angenommen werden. Korrekturen dazu –
schwere Kerne sind meist leicht prolat (zigarren-förmig) – werden später diskutiert.
Wie wir vom Rutherfordschen Experiment wissen, kann man aus geeigneten Streu-
experimenten Informationen über radiale Dichteverteilungen in Kernen erhalten.
Besonders geeignet sind dafür tiefinelastische Streuungen von hochenergetischen
Elektronen an Kernen, wie wir sie im vierten Kapitel des Buches (Abschn. 4.2.3)
kennen lernen werden. Der Grund, warum Elektronen anstelle der Rutherfordschen
˛-Teilchen verwendet werden, ist, dass es für Elektronen im Gegensatz zu ˛-Teil-
chen auch im Inneren des Kerns nur zu einer berechenbaren elektromagnetischen
Wechselwirkung mit den Ladungen kommt, so dass man auch dort die Ladungsver-
teilung bestimmen kann. Wie wir später sehen werden, entspricht die Ladungsver-
teilung im Kern einer Art Fourier-Transformierten der beobachteten Impulsübertra-
gungsverteilung.
Wie kommt auch Richtungman wenigstens näherungsweise von der Ladungs-
zur Nukleonenverteilung? Im Inneren eines Kerns dominieren die Kernkräfte zwi-
schen den Nukleonen über Coulomb-Kräfte. Protonen und Neutronen sollten daher,
abgesehen von kleineren Korrekturen, eine ähnliche Verteilung haben. In grober
Näherung gilt daher
A
%.Nukleonen/ D %.Ladungen/ : (2.4)
Z
Die aus dieser einfachen Beziehung gewonnene Nukleonenverteilung [12] ist in
Abb. 2.12 für einige schwerere Kerne dargestellt.
Etwas vereinfacht ergibt sich aus der Abbildung für ausreichend große Kerne die
folgende Situation: Kerne besitzen im Inneren eine konstante Nukleonendichte, die
am Rand des Gebiets jeweils in ähnlicher Weise über denselben Abstand abfällt.
Das Kernvolumen ist daher proportional zur Massenzahl, und für den Kernradius
muss damit
R D R0 A1=3 (2.5)
gelten, wobei die Konstante
R0 D 1;1 fm (2.6)
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 19
empirisch bestimmt wurde [13]. Die Dichte ist, abgesehen vom Randgebiet
A
%0 D 4
D 0;16 fm3 : (2.7)
3
3 R
An den Rändern fällt die Dichte jeweils innerhalb von etwa zwei Fermi von etwa
90 % auf 10 %.
2.2.3 Kernmassen
Mit der Massenzahl haben wir die Kernmasse grob in Einheiten von Nukleonen-
massen ausgedrückt. Tatsächlich hängen die Nukleonenmassen etwas vom Kern ab,
in dem sich die Nukleonen befinden. In Bindungszuständen ist die effektive Masse
von Teilchen etwas reduziert gegenüber der von freien Teilchen. Auf unserer Reise
in den Mikrokosmos haben wir eine Längenskala erreicht, die einer Bindungsener-
gie entspricht, die zwar noch klein, aber nicht mehr völlig gegenüber den Massen
der Konstituenten zu vernachlässigen ist. Um diesen kleinen Effekt zu sehen, ist es
erforderlich, Kernmassen sehr genau zu bestimmen.
Wie Sie vielleicht aus einer Chemievorlesung wissen, gibt es Möglichkeiten,
Stoffe abzuwiegen und die Massen durch die indirekt festgelegte Zahl der betei-
ligten Atome zu teilen. Mit dieser Methode wurden die Massen von chemischen
Elementen bestimmt, wie sie im Periodensystem erscheinen. Das Problem dabei
ist, dass chemische Elemente in der Natur meist in einem Gemisch verschiedener
Isotope vorkommen und dass die so bestimmte Masse eines chemischen Elements
dann im Wesentlichen durch diese Zusammensetzung bestimmt wird.
Für die Bestimmung der Kernmassen einzelner Isotope gibt es zwei Methoden.
Zum einen können die Massen einzelner geladener Kerne im Massenspektroskop,
wie es in der Abb. 2.13 dargestellt ist, direkt gemessen werden. Im Massenspek-
troskop durchlaufen Teilchen ein geschickt angeordnetes elektrisches und magneti-
sches Feld. Wie in der Optik werden dadurch Teilchen, die durch einen Spalt in die
Apparatur eintreten, auf einer fotografischen Platte fokussiert. Die Tatsache, dass
unterschiedlich schnelle Teilchen im elektrischen Feld in anderer Weise abgelenkt
werden als im Magnetfeld, wird dazu benutzt, um den Auftreffpunkt nur von der
Masse und nicht von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängig zu machen.
20 2 Einführung in die Kernphysik
Die zweite Methode besteht darin, sich die Energiebilanz geeigneter Reaktionen
genau genug anzuschauen, um die Massen indirekt erschließen zu können. Betrach-
ten wir dies etwas detaillierter.
Um die Energiebilanz darzustellen, schreibt man für die Reaktion eines Teil-
chens a mit einem Kern A, die einen Kern B und ein Teilchen b produziert
ACa!BCbCQ ; (2.8)
und
bei Q < 0 von einer endothermen Reaktion :
Die kinetische Energie, die für das Ablaufen einer endothermen Reaktion mindes-
tens erforderlich ist, heißt Schwellenenergie (englisch threshold energy). Sie ist
etwas höher als Q, da der Streuvorgang typischerweise nicht im Schwerpunktsys-
tem stattfindet. Wegen der Impulserhaltung kann dann im Endzustand die kinetische
Energie nicht völlig verschwinden.
Betrachten wir dazu als Beispiel eine Reaktion, in der ein Teilchen a mit dem
Impuls p auf den ruhenden Kern A eintrifft und gerade in den Kern B und das
Teilchen b übergeht. Die minimale Energie wird erreicht, wenn das Teilchen b
und der Kern B in ihrem Schwerpunktsystem ruhen. Die kinetische Energie des
Anfangs- und Endzustands ist damit
1
ein
Ekin. D p2 (2.9)
2ma
und
1
aus
Ekin. D p2 : (2.10)
2.mB C mb /
Für die Reaktion verbleibt damit
übrig 1 1 1
Ekin: D p2 : (2.11)
2 ma mB C mb
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 21
Die Methode der Energiebilanz ist unumgänglich für die Massenbestimmung von
neutralen Teilchen oder von Kernen, die für eine massenspektrografische Messung
zu kurz leben. Betrachten wir dazu als Beispiel den Prozess
2
D C ! n C 1H : (2.12)
die für den Prozess benötigt wird, ergibt die Bindungsenergie des Deuterons. Aus
ihr lässt sich mit massenspektroskopisch bestimmten Massen mH und mD dann mit-
tels Energiebilanz die Masse mn des neutralen Neutrons bestimmen.
Die Methode der Energiebilanz erlaubt oft eine hohe Präzision in der relativen
Massenbestimmung. Um die erreichbare relative Genauigkeit auszunutzen, defi-
niert man eine Atomare Massen-Einheit (englisch atomic mass unit)
1
1 AME D 1 u D Masse des 12 C-Atoms D 1;66 1024 g (2.14)
12
und versucht, alle Kerne durch geeignete Übergänge in Relation zum 12 C zu setzen.
Es gilt
1 AME D 0;9315 GeV=c 2 : (2.15)
Im Vergleich dazu sind die Massen von freien Nukleonen
n ! p C e C e : (2.17)
Dass diese Reaktion in dieser Richtung verläuft und dass die Protonen damit stabil
und die Neutronen unstabil sind, liegt an der etwas schwereren Neutronenmasse.
Da das Antineutrino in guter Näherung als masselos angenommen werden darf,
benötigt man
mn > mp C me ; (2.18)
was wegen der geringen Elektronenmasse von
der Fall ist; für die Reaktion stehen 0,7 MeV zur Verfügung.
22 2 Einführung in die Kernphysik
als die Energie, die benötigt wird, um den Kern der Kernmasse M.Z; A/ in einzelne
Stücke zu zerlegen. In kernphysikalischen Betrachtungen kann die Bindungsenergie
von Atomelektronen oft vernachlässigt werden, die Bindungsenergie eines Kerns
entspricht dann der gesamten Bindungsenergie des Atoms. Die Masse des Atoms
ergibt sich in dieser Approximation aus den Massen des Kerns und der Elektronen.
Die mittlere Bindungsenergie B=A pro Nukleon ist in Abb. 2.14 für die jeweils
stabilsten Kerne dargestellt. Die Kerne mittlerer Ordnungszahl sind besonders sta-
bil. In Abschn. 2.3.1 werden wir in einem einfachen Modell eine Parametrisation
dieser Bindungsenergien finden.
2.2.4 Zwei-Nukleonen-Potenzial
Versuchen wir zunächst, etwas mehr über die Kernkräfte herauszufinden. Aus der
Existenz von Kernen mit hohen Ladungen folgt, dass es eine Kraft zwischen den
Nukleonen im Kern geben muss, die bei kurzer Reichweite im Vergleich zur Cou-
lomb-Abstoßung eine dominante Rolle spielt.
Um mehr über diese Kraft zu erfahren, kann man zunächst die Komplikatio-
nen des Vielteilchensystems vermeiden und Zwei-Nukleonen-Bindungszustände be-
trachten. Den entscheidenden Fortschritt in der Atomphysik brachte die Analyse des
Wasserstoffatoms. Kann das Zwei-Nukleonen-System eine ähnliche Rolle spielen?
2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 23
Das ist leider nur eingeschränkt der Fall. Zum einen ist, wie schon gesagt, die
Wechselwirkung zwischen zwei Nukleonen vergleichsweise komplex; zum ande-
ren steht „weitaus weniger“ experimentelle Information über Bindungszustände zur
Verfügung. Statt einer umfangreichen Spektroskopie mit Übergängen zwischen ei-
ner Vielzahl von Zuständen konnte für Zwei-Nukleonen-Systeme nur ein einziger
stabiler Bindungszustand beobachtet werden.
Dieser Bindungszustand heißt Deuteron. Er besteht zwischen einem Proton und
einem Neutron. Die Nukleonen im Deuteron haben keinen Bahndrehimpuls; der
Spin der beiden Nukleonen ist parallel, d. h. er addiert sich zu dem Gesamtspin 1.
Zu diesem etwas vereinfachten Bild von den Drehimpulsbeiträgen gibt es Korrek-
turen im Prozentbereich, da der Bahndrehimpuls und der Spin nur näherungsweise
separat betrachtet werden können.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Bindungsenergie des Deuterons experimentell
zu bestimmen. Man kann entweder, wie oben beschrieben, die für eine Aufspaltung
minimal benötigte -Strahlenenergie bestimmen, oder man kann im umgekehrten
Prozess langsame Neutronen aus einem Kernreaktor von einigen eV thermischer
Energie von Wasserstoffatomen einfangen lassen. Bei diesem Prozess wird die frei-
werdende Energie als -Strahlung freigesetzt, deren Wellenlänge durch die Winkel-
verteilung bei einer Streuung an einem Kristall (Bragg-Streuung) bestimmt werden
kann [14]. Die Bindungsenergie des Deuterons ist 2,2 MeV [15].
Das Deuteron ist gerade noch stabil. Es ist der einzige Bindungszustand des
Zwei-Nukleonen-Systems, da auch schon kleinere Änderungen des Potenzials die
Stabilität zerstören. Es gibt daher keine stabilen Bindungszustände mit einem nicht
verschwindenden Bahndrehimpuls. Das effektive Potenzial würde durch die Zen-
trifugalkraft etwas reduziert. Warum gibt es kein Deuteron mit antiparallelen Nu-
kleonenspins? Es muss ein kleiner, irgendwie spinabhängiger Beitrag zur Wechsel-
wirkung existieren, der den Zustand mit parallelen Spins bevorzugt. Warum gibt es
keinen entsprechenden Bindungszustand zwischen 2 Neutronen (oder 2 Protonen)?
Die Wechselwirkung zwischen identischen Nukleonen muss etwas schwächer sein
als die zwischen verschiedenen Nukleonen.
Ob ein Bindungszustand existiert oder nicht, hängt im dreidimensionalen kugel-
symmetrischen Fall von der Stärke und der Reichweite des Potenzials ab. Betrach-
ten wir dies etwas genauer: Die Schrödinger-Gleichung im Schwerpunktsystem in
Relativkoordinaten (mit r D .d=dx; d=dy; d=dz/ D d=d r)
„2 2
r CV DE (2.21)
2m
kann für
V D V .r/
durch die Substitution und Separation des bekannten winkelabhängigen Teils
E, V (r) bzw. E + r (r )
l
V (r)
E
0
genau eine stetige Lösung
exp(i kr )
keine stetige Lösung
E (Versuch)
exp(− r )
r l / exp.Konstante r/ (2.24)
gelöst, und zwar innen mit einer imaginären Konstante und außen mit einer negati-
ven reellen. Für die Wellenfunktion heißt das, dass sie innen oszilliert
r l / sin.k r/
r l / exp.
r/ :
.r /0 =.r ) dem Tangens, der, in einer viertel bis halben Periode beginnend mit
C1, den negativen äußeren Wert erreichen muss. Da die Periode invers proportio-
nal zum Inhalt der obigen runden Klammer ist, ist dies für die höchste verfügbare
kinetische Energie, d. h. für E V .1/ ! 0, am leichtesten möglich. Aus dem
Verhalten für E V .1/ D 0 folgt daher, ob und wie viele Lösungen existieren
können. Nur bei ausreichender Breite und Tiefe eines Potenzials wird die benötigte
Ableitung erreicht, andernfalls gibt es keine Lösung.
Wodurch kommen die Kernkräfte zustande? Eine fundamentale Theorie muss
relativistisch kovariant sein. In der relativistischen Quantenmechanik gibt es kei-
ne Potenziale, sondern nur Wechselwirkungen mit Orts- und Zeitabhängigkeit. Alle
beobachteten Wechselwirkungen sind lokal, d. h. auf einen Raum-Zeit-Punkt be-
schränkt. Die langreichweitigen Effekte, die im nichtrelativistischen Grenzfall für
die offensichtlich langreichweitigen Potenziale verantwortlich sind, kommen durch
den Austausch virtueller Teilchen zustande, die an einem Raum-Zeit-Punkt von ei-
nem Teilchen abgegeben und dann an einem anderen Raum-Zeit-Punkt von einem
anderen Teilchen eingefangen werden. Ein Beispiel für einen solchen Teilchenaus-
tausch ist die elektromagnetische Wechselwirkung, die durch den Austausch von
virtuellen Photonen zustande kommt.
Welches Teilchen kann für das Kernpotenzial verantwortlich sein? Während der
Entwicklung der Kernphysik war kein Teilchen mit ausreichend kräftiger Kopplung
an Nukleonen bekannt. Da er die grundsätzliche Bedeutung von Austauschteilchen
erkannte, wurde die Existenz eines solchen Teilchens 1935 von dem japanischen
Physiker Hideki Yukawa [16] gefordert. Wie wir in Abschn. 3.1.1 sehen werden,
konnte ein solches Teilchen dann viele Jahre später nachgewiesen werden. Es wird
-Meson oder Pion genannt.
Aus der Reichweite der Wechselwirkung konnte die Masse dieses Teilchens ab-
geschätzt werden. Wie virtuelle Photonen (d. h. elektromagnetische Felder) gelade-
ne Teilchen umgeben, so sind Hadronen von einer hadronischen Wolke umgeben.
Die Reichweite der Wechselwirkung wird durch die Ausdehnung einer solchen
Austauschteilchenwolke bestimmt.
(Austauschteilchen können im Überlappungsgebiet sowohl vom einen als auch
vom anderen Streuteilchen emittiert und absorbiert werden. Je nach relativer La-
dung bzw. verallgemeinerter Ladung (Kopplung des Pionfeldes an das Nukleon)
treten beide Beiträge mit gleichen oder ungleichen Vorzeichen auf. Es kommt dabei
zu einer Verstärkung bzw. zu einer Reduktion des Wolkenfeldes und dessen Energie
(/ jBeitrag1 C Beitrag2 j2 ), die zu einer Repulsion bzw. einer Attraktion führt.)
Diese Ausdehnung kann in der folgenden Weise abgeschätzt werden: Die Ablei-
tungen der Schrödinger-Gleichung E D i „d=dt und P D i „d=d r werden als
Operatoren bezeichnet. Sie nehmen für Eigenfunktionen die Energie- und Impuls-
Eigenwerte an. Beginnend mit der Gleichung für die Lorentz-Invarianz der Masse
in der relativistischen Mechanik, erhält man die folgende Operatorenrelation
2
E P 2c2 D m2 c 4 ; (2.25)
In unserem Fall is m die Masse der Austauschteilchen. Sieht man von Drehim-
pulseffekten (keine Winkelabhängigkeit) ab, hat der relevante statische Teil (keine
Zeitabhängigkeit) der Klein-Gordon-Gleichung
„2 d 2
r D m2 c 2 (2.26)
r dr 2
die Lösung
1 c=„mr
! e ; (2.27)
r
wie man durch Einsetzen leicht nachprüfen kann. Die Reichweite des Feldes ent-
spricht damit in natürlichen Einheiten dem Inversen der Masse. Nimmt man für die
Reichweite der Kernkräfte einen typischen Kernabstand
r0 D 1015 m ; (2.28)
Beitrag zu V
nn n n n
0
Austausch
n n n
Beitrag zu V
np
n n n
0
Austausch
p n n
und
n p
−
Austausch
p n
Spinraum ausgeglichen werden und umgekehrt. Die obigen Zustände haben daher
definierte Symmetrien bezüglich ihres Spins, d. h. die symmetrischen Zustände im
Proton-Neutron-Raum müssen unter Vertauschung der Nukleonenspins antisym-
metrisch sein und die antisymmetrischen symmetrisch. Zwei Fermionen mit Spin
S D 1 haben für geeignet gewählte z-Richtung die Komponente Sz D 1, d. h. ihre
halbzahligen Spins liegen parallel, und ihre Spinwellenfunktion ist symmetrisch.
Die symmetrischen Zustände im Spinraum sind
" "
symm. D 1 2 ;
# #
symm.
D 1 ; 2 (2.31)
p " # # "
symm.
D 1= 2 1 2 C 1 2 :
Der .S D 0/-Zustand, der orthogonal zum .S D 1:Sz D 0/-Zustand ist, ist anti-
symmetrisch:
p " # # "
antisy. D 1= 2 1 2 1 2 : (2.32)
Auffällig ist, dass die Struktur im Spinraum völlig analog zur Struktur unter Permu-
tation im Proton-Neutron-Raum ist. Das wird uns öfter begegnen. Es gibt einen en-
gen Zusammenhang zwischen Lie-Gruppen, wie sie bei der Behandlung des Spins
oder des Drehimpulses in der Quantenmechanik angewandt werden, und der Sym-
metriegruppe, die das Verhalten unter Permutationen beschreibt [17].
Das kann dazu benutzt werden, das obige Symmetrieargument im Proton-Neu-
tron-Raum als eine geeignete Spinabhängigkeit in einem fiktiven Spinraum zu for-
mulieren. Dieser neue Spin wurde von Heisenberg [18] eingeführt und Isospin
genannt. Die Nukleonen haben den Isospin I D 1=2 mit der „z-Komponente“ Iz D
C1=2 für das Proton bzw. Iz D 1=2 für das Neutron. Das Pion mit seinen drei
Ladungszuständen , 0 und C hat den Isospin I D 1 mit der z-Komponente
Iz D 1, 0 und C1.
Eine quantitative Untersuchung zeigt, dass die von Yukawa geforderten Teilchen
selbst keinen Spin tragen können. Man stellt allerdings fest, dass dazu eine Kor-
rektur nötig ist, die durch einen kleinen Beitrag anderer Teilchen zustande kommt,
die den Spin 1 tragen. Wir werden diese Teilchen in der Hadronenphysik kennen
lernen.
die wir in (2.20) definiert hatten, in ihrer Abhängigkeit von der Ordnungszahl und
der Massenzahl beschrieben. Das Modell nimmt an [19], dass die Bindungsenergie
fünf verschiedene additive Beiträge
B D B0 C B1 C B2 C B3 C B4 (2.33)
B 0 D aV A : (2.34)
Dieser Beitrag wird Volumen-Energie des Kerns genannt. In der betrachteten Ge-
nauigkeit ist damit die Massenzahl dem Kernvolumen proportional zu der dritten
Potenz des Kernradius.
An der Oberfläche des Kerns ist dieses Bild offensichtlich nicht korrekt, da in
einer Richtung die Nachbarn fehlen. Mit der Oberflächenenergie
berücksichtigt man dieses Defizit durch einen Beitrag, der die Bindungsenergie re-
duziert. Die Oberfläche wächst mit dem Quadrat des Kernradius, d. h. mit A2=3 . Der
Wert der Konstanten aS wird nicht berechnet (aus aV mit geometrischen Überlegun-
gen), sondern einfach an die Daten angepasst. Dies erlaubt es verschiedene Effekte,
die auch zu einer Oberflächenabhängigkeit führen, zu berücksichtigen. Zum Bei-
spiel hatten wir in Abb. 2.12 gesehen, dass das Bild mit der konstanten Dichte nicht
ganz korrekt ist. Bei einer geringeren Dichte an der Oberfläche erwartet man ei-
ne andere potenzielle Energie pro Nukleon und damit eine oberflächenabhängige
Korrektur.
Um zunächst bei der klassischen Physik zu bleiben, betrachten wir nun die Cou-
lomb-Energie B2 . An vierter Stelle kommt dann der Term, der dafür verantwortlich
ist, dass Kerne etwa gleich viele Protonen und Neutronen enthalten. Die Coulomb-
Wechselwirkung ist die Ursache der Abweichung von dieser Regel; sie bewirkt,
dass für schwere Kerne N etwas schneller wächst als Z, wie wir in Abschn. 2.2.1
gesehen hatten.
Aus der Elektrodynamik wissen wir, dass für eine kugelsymmetrische Ladungs-
verteilung die potenzielle Energie im Abstand r
1
U.r/ D Qinnen .r/
4 r
von der eingeschlossenen Ladung
r 3 3
Z r
Qinnen .r/ D eZ De
R A R0
abhängt, die für den Kern in erster Näherung als konstant angenommen werden
kann. Die elektrostatische Energie ist damit
Z1
dQinnen .r/
B2 D U.r/ dr
dr
0
A1=3
Z R0 3 !
1 Z r Z 3r 2
D e e dr
4 r A R0 A R03
0
3 e2 Z2
D 1=3 :
5 4R0 A
Mit der (vorläufigen) Definition einer Konstanten
3 e2
aC D
5 4R0
schreiben wir
Z2
B2 D aC : (2.36)
A1=3
2.3 Modelle der Kernstruktur 31
für die Bindungsenergie von Kernen. Empirisch bestimmt, haben die Konstanten
die folgenden Werte [21]:
aV D 15;835 MeV ;
aS D 18;33 MeV ;
aC D 0;714 MeV ; (2.40)
aA D 23;2 MeV ;
aP D 11;2 MeV :
Die Beiträge der einzelnen Terme zur Masse (ohne B4 ) sind in Abb. 2.18 skizziert.
Trotz ihrer einfachen Struktur gilt die Massenformel erstaunlich genau. Der
Fehler in der Bindungsenergie liegt typischerweise bei einigen Prozent. Für die
Gesamtmassen entspricht dies einer Genauigkeit von 104 . Ausgenommen werden
müssen dabei die leichten Kerne unterhalb einer Massenzahl von 40. Deutlich grö-
ßere Fehler gibt es für die ungewöhnlich stabilen sogenannten „magischen“ Kerne.
Bei der Anpassung der Parameter in (2.40) wurde das (soweit nicht verstandene)
Gebiet um die magischen Kerne ausgenommen.
Die Massenzahl-Abhängigkeit der Kerne hatten wir in Abb. 2.14 kennen ge-
lernt. Der etwa konstante B=A-Wert wird bei niederen Massenzahlwerten durch
den Oberflächen-Term ./ A2=3 / und bei hohen Massenzahlen durch den Coulomb-
Anteil (praktisch / A2 / reduziert. Dies ermöglicht eine Reihe von Übergängen.
Zwei leichte Kerne können in einem Fusionsprozess in einen schwereren überge-
hen, ein schwerer Kern kann sich in zwei leichtere Kerne (Spaltung) oder in Kern
und ˛-Teilchen (˛-Zerfall) spalten.
Betrachten wir nun die Kernmassen innerhalb einer Isobarenreihe. Im Zusam-
menspiel von Asymmetrie-Term und Coulomb-Term erwartet man in etwa eine
Parabel, deren Minimum bei kleinen positiven .N Z/-Werten liegt. Sie ist in
Abb. 2.19 dargestellt. Für ungerade A ist jeweils entweder nur ein Z- oder ein N -
Wert ungerade und der andere nicht. Man erhält damit keinen unterschiedlichen
Beitrag von der Paarungsenergie. Für gerade A ist die Situation komplizierter. Je
nachdem, ob Z und N gerade oder ungerade sind, bekommt man einen positiven
oder negativen Beitrag, d. h. man hat zwei um einen konstanten Betrag verschobene
Parabeln.
34 2 Einführung in die Kernphysik
Masse
Masse
gerade und für ungerade N+Z ungerade
Massenzahlen
N−Z N−Z
Die Isobarenreihe ist wichtig für den ˇ-Zerfall. Ein Kern mit einem Überschuss
an Neutronen kann seine Kernladungszahl durch einen ˇ-Zerfall erhöhen. Der ab-
laufende Prozess ist dabei
n ! p C e C N e ; (2.41)
wobei das abgestrahlte Elektron als ˇ-Strahlung in Erscheinung tritt. Dieser Prozess
kann bei entsprechendem Überschuss natürlich mehrmals stattfinden. Die treibende
Energie ist dabei nicht die kleine Massendifferenz zwischen Proton und Neutron,
sondern die freiwerdende Bindungsenergie. Für Kerne mit einem Überschuss an
Protonen gibt es den umgekehrten Prozess
p ! n C eC C e ; (2.42)
der unter Aussendung von positiver ˇ-Strahlung, d. h. der Antiteilchen der oben
emittierten Teilchen, abläuft. Das Antiteilchen eC des Elektrons e heißt Positron.
Um die beiden Prozesse zu unterscheiden, spricht man von ˇ C - oder ˇ -Zerfäl-
len.
Da die Masse eines Elektrons oder Positrons (1=2 MeV) typischerweise klein
ist gegenüber den MeV-Werten der Bindungsenergie, kann der Prozess für Kerne
mit ungerader Massenzahl bis zu dem Isobar ablaufen, für das die Bindungsener-
gie ihren maximalen Wert erreicht. Man beobachtet daher jeweils nur ein einzelnes
Isotop, das bezüglich des ˇ-Zerfalls in jeder Richtung stabil ist. Für Kerne mit ge-
rader Massenzahl kann die Asymmetrieenergiedifferenz für den Übergang von der
niederen Parabel (Abb. 2.19) zur höheren nicht ausreichen. Trotz der Existenz des
ˇ-Zerfalls gibt es daher oft mehrere sehr stabile Isotope. Bei einem doppelten ˇ-
Zerfall kann ein energetisch höhergelegener Zwischenzustand natürlich im Prinzip
durchtunnelt werden, aber solche Prozesse werden um Zehnerpotenzen mehr Zeit
in Anspruch nehmen.
2.3 Modelle der Kernstruktur 35
Wie kann man das Verhalten der Kerne aus einer fundamentalen Nukleon-Nukleon-
Wechselwirkung verstehen? Vielteilchenprobleme sind praktisch nicht exakt lös-
bar. Sie erfordern drastische Approximationen. Für Kerne gibt es zwei extreme
Möglichkeiten. Man kann entweder das komplizierte Zusammenspiel im Vielteil-
chenzustand ignorieren und sich den Bewegungen einzelner Teilchen in geeignet
gewählten, effektiven Potenzialen zuwenden, oder man kann den Kern nur kollektiv
als Flüssigkeit oder Gas beschreiben [22].
Die Beschreibung der Nukleonendynamik sowohl durch Orbitale als auch durch
eine Art von Gasanalogie erscheint auf den ersten Blick unsinnig, da bekannt ist,
dass die Wechselwirkung zwischen Nukleonen sehr stark ist. Das Volumen von Nu-
kleonen, wie es sich aus dem Streuquerschnitt ergeben würde, ist nicht viel kleiner
als der Platz pro Nukleon im Kern (d. h. das Inverse der Packungsdichte), und ein
einfallendes Proton, das nur ein einziges Mal durch einen großen Kern fliegt, wird
im Mittel ein bis mehrere Male gestreut werden. Der Grund, warum beide Kon-
zepte trotzdem anwendbar sind, hat seinen Ursprung in der Fermi-Statistik. Da alle
für Fermionen des Kerns energetisch zugänglichen Zustände besetzt sind, sind die
erwarteten drastischen Streuvorgänge innerhalb des Kerns nicht möglich. Das gilt
nicht für Streuvorgänge mit von außen kommenden Nukleonen. Im Bereich po-
sitiver Energien gibt es natürlich beliebig viele unbesetzte Endzustände, und die
mittlere freie Weglänge von solchen Teilchen ist damit, wie gesagt, sehr kurz.
Wie wir gesehen haben, spielt die Fermi-Statistik eine zentrale Rolle. Viele Ei-
genschaften der Kerne sind allein aus der Fermi-Statistik unabhängig von der detail-
lierten Struktur der Kerne zu verstehen. Dies geschieht im Thomas-Fermi-Modell.
In diesem Modell ist jedwede Wechselwirkung zwischen den Nukleonen vernach-
lässigt, und es gibt – abgesehen von der Größe – keine Abhängigkeit von der
genauen Form und Dichtestruktur des Kerns.
Um die grundlegende Idee zu erläutern, brauchen wir wieder etwas Quantenme-
chanik. Betrachten wir zunächst untereinander nicht wechselwirkende Teilchen in
einem kastenförmigen Würfelpotenzial:
(
V0 für 0 < x; y; z < Ca
V .r/ D (2.43)
1 sonst :
.r/ D X.x/Y.y/Z.z/ ;
36 2 Einführung in die Kernphysik
„2 d 2
X.x/ D Ex X.x/ ;
2m dx 2
„2 d 2
Y.y/ D Ey Y.y/ ;
2m dy 2
„2 d 2
Z.z/ D Ez Z.z/
2m dz 2
mit soweit unbestimmten Konstanten („Unterenergien“)
.E C V0 / D Ex C Ey C Ez :
Betrachten wir zunächst die x-Komponente. Die Wellenfunktion muss an den Kan-
ten verschwinden. Die Lösungen haben daher die Form
x
kx D ;
a
und mit
x D 1; 2; 3; :
Die Lösungen in den anderen Richtungen sind analog. Die -Werte liegen in einem
dreidimensionalen Raum mit jeweils ganzzahligen Koordinaten, dem „Wellenzahl-
vektorraum“, wie in der Abb. 2.20 dargestellt ist. Die „Unterenergie“ der jeweiligen
Lösung ist
„2 2 2
Ex D ;
2m a2 x
und die (kinetische) Gesamtenergie hat damit den Wert
„2 2 2
E C V0 D 2
x C y2 C 2z :
2m a
Da wir die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Teilchen vernachlässigen,
sind dies auch die Lösungen im Mehrteilchensystem. Wieviele Zustände passen in
den Kern bei vorgegebener Maximalenergie? Es sind gerade die Zustände, die sich
in Abb. 2.20 innerhalb einer „Fermi-Kugel“ mit dem Radius
a p a p
RFermi D 2m.E C V0 / D 2mEFermi (2.45)
„ „
befinden oder, genauer gesagt, in dessen positiven Sekanten, d. h. einer .1=8/-Ku-
gel. Die Fermi-Energie EFermi ist die besetzte maximale kinetische Energie E V0 .
2.3 Modelle der Kernstruktur 37
Ist die Zahl der Zustände groß, wird sie etwa dem verfügbaren Volumen des positi-
ven Sekanten entsprechen
1 4 1
nD RFermi D
3
.2mEFermi /3=2 V ; (2.46)
8 3 6 2 „3
wobei V D a3 dem Volumen des Potenzialkastens entspricht.
Versuchen wir jetzt, unsere Betrachtung etwas realistischer zu machen. Zunächst
haben wir mehrere Nukleonsorten. Jeder Zustand kann insgesamt viermal besetzt
werden, und zwar durch ein Proton und ein Neutron, jeweils mit dem Spin nach
„oben“ und nach „unten“.
Die unendliche Potenzialwand ist eine Idealisierung. Nimmt man an, dass das
Potenzial außen verschwindet, ändert sich wenig für die Wellenfunktionen im Kas-
ten. Nur die obersten Wellenfunktionen tunneln etwas in die Begrenzung. Der we-
sentliche Effekt ist, dass jetzt Nukleonen mit E > 0 nicht mehr gebunden sind.
Es gibt damit für gebundene Nukleonen eine maximale kinetische Energie, die der
Tiefe des Potenzials entspricht. In den meisten Kernen wird diese Energie nicht
wirklich erreicht, und die Tiefe des Potenzials ist daher meist etwas größer als
die Fermi-Energie, die, wie gesagt, die maximale kinetische Energie der tatsäch-
lich besetzten Zustände angibt. In realistischeren Betrachtungen wird die Tiefe des
Potenzials so angepasst, dass diese Differenz der beobachteten Separationsenergie
entspricht.
Die zentrale Beobachtung ist jetzt, dass die Dichte n=V der Zustände nur von der
Fermi-Energie abhängt. In einen doppelt so großen Kasten gehen zweimal so viele
Zustände. Das gilt natürlich nur approximativ für nicht zu kleine Potenzialkästen.
Wir hatten im Wellenvektorraum ja nicht einzelne Zustände abgezählt, sondern nur
Volumina betrachtet.
Betrachten wir zur Illustration zwei identische, aneinandergefügte Potenzialkäs-
ten. In einem solchen Doppelkasten gibt es etwa gleich viele symmetrische und an-
tisymmetrische Zustände. Die antisymmetrischen Wellenfunktionen verschwinden
38 2 Einführung in die Kernphysik
Nukleonen
%0 D 0;16
fm3
erhält man aus (2.46) und dem Faktor 4 eine Fermi-Energie von etwa 36 MeV (es ist
„c D 197 MeV fm). Ein Nukleon an der „Fermi-Kante“, das diese relative Energie
(E V ) trägt, ist noch gebunden. Mit einer zusätzlichen Bindungsenergie von etwa
4 MeV ist die absolute Potenzialtiefe dann 40 MeV.
(englisch shell model). Nach wie vor wird die direkte Wechselwirkung zwischen
einzelnen Nukleonen vernachlässigt, aber die detaillierte Form der Wellenfunk-
tionen der Nukleonen in empirischen mittleren Potenzialen wird jetzt explizit be-
40 2 Einführung in die Kernphysik
rücksichtigt. Die Vorstellung für die magischen Zahlen ist nun, dass wie in der
Atomhülle die Energieniveaus in Schalen gruppiert sind und dass vollständig auf-
gefüllte Schalen relativ stabil sind. Der Name „magisch“ hat seinen Ursprung darin,
dass es lange Zeit nicht möglich war, Schalen mit solchen Besetzungszahlen zu ver-
stehen.
Das Schalenmodell folgt der Hartree-Fock-Approximation in der Atomphysik.
In dieser Approximation werden zunächst die Wellenfunktionen eines einzelnen
Elektrons in einem mittleren Coulomb-Potenzial der anderen Elektronen berech-
net, und anschließend wird dann aus der so erhaltenen Dichte (d. h. aus der Summe
der Wellenfunktionsquadrate) der Ladungsverteilung mit dem Coulomb-Gesetz das
resultierende elektrostatische Potenzial bestimmt. Die richtige Lösung hat man,
wenn das so berechnete Potenzial mit dem ursprünglich hineingesteckten Poten-
zial übereinstimmt. Eine geeignete Iteration erlaubt es, eine solche Lösung mit der
gewünschten Genauigkeit zu finden, d. h. die zugrundeliegende Integralgleichung
zu lösen. Für die Lösung muss natürlich die Antisymmetrie der Wellenfunktion des
Fermionensystems erhalten bleiben.
Das Bild mit einem mittleren Potenzial ist für Kerne nicht ohne weiteres anwend-
bar, da Kernkräfte bei kleinen Nukleonenabständen sehr stark variieren. Betrachten
wir die Situation etwas genauer. Der Operator der Schrödinger-Gleichung. (Opera-
toren sind überstrichen.)
H D E
wird in geeigneter Weise in einen Ein- und einen Zwei-Teilchen-Beitrag aufgespal-
ten X X
H D H0 .r i ; p i / C Vi;j . / :
i i;j
/ C i .r k / j .r l / j .r k / i .r l / :
Ignoriert man den zweiten Operator, lösen die Produkte die Schrödinger-Gleichung,
wenn die einzelnen Wellenfunktionen selbst Lösungen sind. Wegen der Antisym-
metrie können nur unterschiedliche Zustände beitragen.
In der Kernphysik verzichtet man normalerweise auf die Selbstkonsistenzbedin-
gung und arbeitet mit geeignet gewählten Ein-Teilchen-Potenzialen, die empirisch
aus den beobachteten Energieniveaus gewonnen werden. Zum einen ist die Wech-
selwirkung zwischen zwei Nukleonen viel komplizierter und ungesicherter als die
Coulomb-Wechselwirkung. Zum anderen ist die Approximation, aus dem attrakti-
ven Zwei-Nukleonen-Potenzial ein effektives Zentralpotenzial Vzentral .r/ herauszu-
ziehen, hier sowieso wesentlich schlechter. Auf Versuche, den Rest
X
Vi;j .r i ; rj / V .ri /zentral
j
2.3 Modelle der Kernstruktur 41
für Neutronen. Für Protonen wird der Coulomb-Anteil hinzukommen, der innen
( r 2 ) das Potenzial am Rand ein wenig absenkt und außen für eine Coulomb-
Schwelle ( 1=r), die uns noch beschäftigen wird, verantwortlich ist. Von der
Dichteverteilung in Abb. 2.12 wissen wir, dass das Kastenpotenzial nicht für die
„abgerundeten“ Randbereiche gilt und dass für leichte Kerne diese Abrundungsef-
fekte dominieren; die Dichteverteilung entspricht dort mehr einer Gauß-Verteilung,
wie man sie für einen harmonischen Oszillator
V .r/ D V0 r 2 (2.48)
V0
V .r/ D (2.49)
1 C exp ..r R/=a/
V .r/ / r 2 D x 2 C y 2 C z 2
für beide Spinzustände, erhält man für Neutronen (oder für Protonen) die folgenden,
besonders stabilen Besetzungszahlen:
n 0; 1; 2; 3; 4; 5;
l 0; 1; 0; 1; 0; 1;
2; 3; 2; 3;
4; 5;
für die Bahndrehimpulse l D 0; 1; 2, usw. benutzt. Die erste Spalte zeigt die äqui-
distanten Niveaus des harmonischen Oszillators, die zweite Spalte die des radialen
Kastenpotenzials, das das Potenzial großer Kerne approximieren sollte. Die Ener-
giezustände haben sich nicht sehr stark geändert. Sie sind nach wie vor für höhere
Anregungszustände falsch gruppiert; das Problem mit den magischen Zahlen ist
noch nicht gelöst.
2.3 Modelle der Kernstruktur 43
Der harmonische Oszillator und das Kastenpotenzial sind Extremfälle, das wirk-
liche Potenzial wird dazwischen liegen. Im Allgemeinen ändert sich die relative
Lage der Eigenzustände nur sehr langsam mit der Form des Potenzials; bestimm-
te Ordnungsrelationen bleiben für eine weite Klasse von Potenzialen erhalten. Es
ist unmöglich, allein durch eine geschickte Wahl des Potenzials die den magischen
Zahlen entsprechende Gruppierung zu erhalten.
Die einzige Möglichkeit, die magischen Zahlen zu erhalten, ist eine Aufspaltung
von Zuständen mit verschiedenen Spins. Aus Abschn. 2.2.4 wissen wir, dass die
Wechselwirkung zweier Nukleonen einen spin-abhängigen Anteil hat, und eine sol-
che Abhängigkeit ist damit auch für das effektive globale Potenzial zu erwarten.
Eine Möglichkeit ist dabei eine Wechselwirkung zwischen Spin und Bahndrehim-
puls des jeweils betrachteten einzelnen Nukleons [29]
Der nichtrelativistische Grenzfall der Dirac-Gleichung, die wir im dritten Teil ken-
nen lernen werden, führt für ein einzelnes Teilchen in einem Potenzial zu folgender
Spin-Bahn-Wechselwirkung:
@
V .ri / .l i si / :
@ri
44 2 Einführung in die Kernphysik
wobei gilt:
J D L C S I j i D l i C si :
(Manchmal wird der Buchstabe I anstelle von J benutzt, um den Drehimpuls des
Kerns (I ) von dem der Hülle (J ) zu unterscheiden. In diesem Buch wird I für den
Isospin verwendet.)
Mit
2 2
j i D l i C 2.si l i / C s2i
2
(wobei die Operatoren l i und s2i für die Spin-Bahn-Kopplung nicht relevante Eigen-
werte l.l C1/ und 3=4 haben) lässt sich der obige Spin-Bahn-Term folgendermaßen
schreiben
1=2 VSpin-Bahn .ri / .j i j i / : (2.54)
Er wird daher oft jj -Kopplung genannt.
In der Atomphysik ist eine andere Kopplung bekannt. Da hier die elektrostati-
schen Kräfte recht langreichweitig sind, spürt ein Elektron das Magnetfeld, das von
dem Bahndrehimpuls aller anderen Elektronen hervorgerufen wird. Der Wechsel-
wirkungsterm ist mit einem geeigneten Faktor KSpin-Bahn
KSpin-Bahn .L S / : (2.55)
1s1/2 2 2 2
I
13/2
11/2
E
9/2 /
7/2
5/2
3/2
1/2
10 20 30 40 50
N=Z (magisch) +/−1 bzw. +/−2
Abb. 2.25 Der beobachtete Kernspin im Vergleich zum Schalenmodell (adaptiert nach [27])
Situation für höhere Anregungen schnell kompliziert. Das Spektrum kann in diesem
Bereich nur in detaillierten Modellrechnungen, die Korrekturen zum Schalenmodell
explizit berücksichtigen, verstanden werden. Uns interessieren nur die einfachsten
Aspekte der Kernmodelle.
Kerne enthalten sich bewegende Ladungen, deren Energie natürlich von anliegen-
den elektrischen und magnetischen Feldern abhängt. Für quantitative Betrachtun-
gen muss man die Ladungen und Stromverteilungen eines Kerns nach Multipolen
entwickeln, wie dies aus der Elektrodynamik bekannt ist. Da die Ausdehnung des
Kerns klein ist, sind nur die niedrigsten Beiträge physikalisch interessant. Das erste
elektrische Moment (die Ladung oder Ordnungszahl) ist bekannt. Experimentell re-
levant sind das magnetische Dipolmoment und das elektrische Quadrupolmoment.
Ohne magnetischen Monopol gibt es kein entsprechendes magnetisches Moment
und, da im Kern nur positive Ladungen auftreten, spielen elektrische Dipolmomente
keine Rolle. Wir betrachten Kerngrundzustände, in denen Oszillationen der Ladun-
gen um den Massenmittelpunkt nicht auftreten.
Für Messungen von magnetischen Dipolmomenten
Zentralfeld kreist:
e„ MeV
N D D 3;15 1014 : (2.57)
2mp c T
Dabei ersetzt die Protonmasse die Elektronmasse im Bohrschen Magneton, das das
magnetische Dipolmoment des Elektrons beschreibt. In Konsequenz ist die Skala
für magnetische Dipolmomente um drei Zehnerpotenzen niedriger als in der Atom-
hülle.
Das magnetische Moment des Kerns enthält Beiträge vom Bahndrehimpuls und
vom Spin der Nukleonen. Welcher Beitrag kommt vom Spin eines Nukleons? In
der reinen Dirac-(Ein-)Teilchen-Theorie hat ein Fermion der Masse mp in nied-
rigster Ordnung in der obigen Einheit das magnetische Dipolmoment 1, d. h. der
Bahndrehimpuls l D 1 führt zu demselben Moment wie der Spin s D 1=2. Der
Drehimpuls des geladenen, reinen Dirac-Teilchens in einem Bindungszustand ist
damit
Dirac-Teilchen D N l C 2 s ; (2.58)
wobei l und s als Operatoren aufzufassen sind. Zu dem Faktor 2 der niedrigs-
ten Ordnung gibt es Korrekturen. Für Elektronen führt das, wie wir später sehen
werden, hauptsächlich durch die Hinzunahme der virtuellen Photonen zu einer
winzigen Abweichung. Da das Proton bzw. das Neutron keine elementaren Fer-
mionen sind, haben sie anomale magnetische Momente, die weit von dem eines
freien Dirac-Teilchens abweichen. Zur Beschreibung führt man einen empirischen
Korrekturfaktor ein
Nukleon D N l C gs s ; (2.59)
der für Protonen den Wert gs D 5;59 und für Neutronen den Wert gs D 3;83
hat [31, 32]. Für Neutronen verschwindet natürlich der erste Summand.
Für Kerne sind auf der rechten Seite der Gesamtbahndrehimpuls der geladenen
Protonen und der Gesamtspin einzusetzen. Betrachten wir den Fall eines Kerns mit
einem einzelnen Leuchtproton, das den Gesamtdrehimpuls und den Gesamtspin des
Kerns trägt.
Möchte man das magnetische Moment eines Kerns angeben, können quantenme-
chanische Effekte nicht vernachlässigt werden. Berücksichtigt man die Spin-Bahn-
Wechselwirkung, sind nur J; Jz ; S; J S und die Parität erhaltene Größen. Die Pa-
rität, die wir später einführen werden, legt fest, ob der Bahndrehimpuls gerade oder
ungerade ist. Versuchen wir nun, das magnetische Moment durch diese Eigenwerte
auszudrücken, ohne in quantenmechanische Details zu gehen. Der einzige erhaltene
„Vektor“ wird durch J; Jz beschrieben. Es gibt keine andere ausgezeichnete Rich-
tung. Nur der Teil von , der in diese Richtung zeigt, kann daher einen im Mittel
nicht verschwindenden Erwartungswert haben. Man kann daher den Operator
durch den Operator
1
J J
J.J C 1/
2.3 Modelle der Kernstruktur 49
ersetzen. Die elektrostatische Energie des Kerns im Magnetfeld lässt sich mit dem
Erwartungswert dieses Operators in der folgenden Weise ausdrücken:
1
E D B Kern D B J J Kern : (2.60)
J.J C 1/
Zeigt die z-Achse in Richtung des Magnetfelds, ist der erste Faktor rechts jBj Jz .
Zur Berechnung des zweiten Vektorprodukts
J Kern D J N L C gs S (2.61)
spalten wir den letzten Vektor in einen Teil proportional zu L C S D J und einen
Teil proportional zu L S auf. Durch diese Aufspaltung gibt es dann im Produkt
jeweils volle Quadrate der Operatoren mit den Erwartungswerten J.J C 1/ und
L.L C 1/ S.S C 1/. Man erhält
1 gs 1 gs .L .L C 1/ S .S C 1//
E D jBj Jz N C C ;
2 2 2 2 J .J C 1/
(2.62)
wobei bei einem ungepaarten Nukleonenspin S D 1=2 und L D J ˙ 1=2 ist. Die
erhaltenen magnetischen Momente in Richtung des Spins Jz D J
8
< 1 1 1 gs 1 für J D L C 12
2 2 J
Kern D J N
: 1 C 1 1 g 1 für J D L 1
(2.63)
2 2 s J C1 2
Abb. 2.27 Die magnetischen Dipolmomente von Kernen mit ungepaarten Protonen (© Mayer-
Kuckuck [33])
aus der sich das magnetische Moment des Kerns berechnen lässt. Entscheidend
für die Messgenauigkeit sind dabei die Größe der atomphysikalischen (d. h. der von
einem nicht verschwindenden magnetischen Moment der Hülle erzeugten) Magnet-
felder und die Genauigkeit, mit der diese bestimmt werden können. Die Magnetfel-
der um den Kern sind größer als die maximal mit äußeren Magneten erreichbaren
Felder (augenblicklich sind das einige zehn Tesla).
Eine andere Methode beobachtet Umklappprozesse des Kernspins in starken,
äußeren Magnetfeldern, die durch Absorption von geeigneten Photonen ermög-
licht werden. Wie wir oben gesehen hatten, sind die Kernmomente sehr klein,
und die benötigten Photonenenergien liegen daher für verfügbare Magnetfelder im
leicht handhabbaren Radiofrequenzbereich. Bei der magnetischen Kernresonanz
(englisch nuclear magnetic resonance oder NMR) werden hochfrequente elekro-
magnetische Wellen durch eine geeignete Spule angeboten, und durch Variation
der Hochfrequenz oder des Magnetfelds wird das Resonanzgebiet gesucht, für das
Absorption auftritt.
geschrieben wird, hat die Einheit C fm2 . Hat die Hülle ein nicht verschwinden-
des Quadrupolfeld, ist der Energiebeitrag E aus der Wechselwirkung mit dessen
elektrostatischem Potenzial VHülle
d2
E DQ VHülle : (2.65)
dz 2
Informationen über das Quadrupolmoment erhält man aus genauen spektroskopi-
schen Untersuchungen. Besonders nützlich ist dabei ein Vergleich verschiedener
Isotope desselben Elements (der „Isotopieverschiebung“). Die oft beträchtlichen
Unsicherheiten in der Größe des Hüllenpotenzials spielen bei einer Messung ge-
eigneter Spektrallinien keine Rolle, da isotope Atome sich nicht in ihren Hüllen
unterscheiden.
Das Ergebnis von Quadrupolmessungen ist in Abb. 2.29 in einer geeignet re-
duzierten Koordinate dargestellt. In der Gegend der magischen Zahlen, d. h. mit –
abgesehen von wenigen Nukleonen oder Löchern – abgeschlossenen Schalen funk-
tionieren die Vorhersagen des Schalenmodells zufriedenstellend. Im Schalenmodell
haben die abgeschlossenen Schalen keinen Einfluss auf Kernmomente; die Kern-
momente werden durch die Bewegungen der äußeren Leuchtnukleonen bestimmt.
Bei halb gefüllten Schalen schwerer Kerne ist die Vorhersage des Schalenmodells
drastisch verletzt.
Im vorigen Abschnitt hatten wir gesehen, dass die Vorhersagen des Schalenmo-
dells für den Kernspin für größere Kernmassen immer schlechter und schlechter
werden. Es stellt sich heraus, dass für schwerere Kerne Korrekturen zur Zentral-
feldapproximation zunehmend wichtiger werden. Solche Korrekturen können im
kollektiven Modell berücksichtigt werden, das von Aage Bohr und Ben R. Mottel-
son (Nobelpreis für Physik 1975) entwickelt wurde. Das Modell erlaubt es, viele
andere Eigenschaften schwerer Kerne zu verstehen.
52 2 Einführung in die Kernphysik
E D „!.n C 1=2/
1
EL D „2 L.L C 1/ ;
2
wobei das Trägheitsmoment des Kerns ist. Für Rotationen eines spiegelsym-
metrischen Rumpfs kommen nur gerade Drehimpulse in Frage. (In der Näherung
besteht der Rumpf aus einer homogenen, spinlosen, effekiven Bose-Teilchen-Mate-
rie. Da eine halbe Umdrehung des symmetrischen Rumpfs nur eine Bose-Teilchen-
Vertauschung bewirkt, muss die Wellenfunktion schon nach einer solchen Drehung
in sich selbst übergehen, d. h. nach einer Drehung um =2 und nicht um oder um
2 wie für einzelne Bose- oder Dirac-Teilchen.)
Wie stabil ist ein Kern gegen Deformation aus der Kugelsymmetrie? Für den Vo-
lumen-Term ist die Kernform ohne Bedeutung. Ein positiver Oberflächenenergie-
Term stabilisiert die Kugelform. Der Coulomb-Term versucht, den Abstand zwi-
schen den Ladungen zu vergrößern, was mit einer Abweichung von der Kugelform
offensichtlich erreicht werden kann. Wir hatten gesehen, dass die Bedeutung des
Coulomb-Terms mit der Kerngröße zunimmt und für große Kerne eine entschei-
dende Rolle spielt. Abweichungen von einer kugelsymmetrischen Verteilung sind
daher für große Kerne zu erwarten. Meist sind es prolate Verteilungen. Kürzlich
wurde gezeigt, dass 24 Ra einen „birnenförmigen“ Kern besitzt [34].
Besonders große Abweichungen von der Kugelsymmetrie treten bei Kernen mit
halb gefüllten Schalen auf. In schwereren Kernen mit bis auf ein Leuchtnukleon
abgeschlossenen Schalen (wie dem in Abb. 2.26 betrachteten 17O-Kern) können (in
expliziten Modellrechnungen) detaillierte Informationen über die Anregungsmodi
der Rumpfkerne erhalten werden. Zu den Vorhersagen des Schalenmodells für das
Leuchtnukleon kommen Korrekturen durch die Wechselwirkung mit dem nicht ku-
gelsymmetrischen Rumpf hinzu.
Vor allem für Kerne, deren Protonen- und Neutronenzahl nicht in der Nachbarschaft
von magischen Zahlen liegen, gibt es auch bei kleineren Massenzahlen deutliche
Korrekturen zum Schalenmodell. Um sie zu verstehen, benötigt man eine noch dras-
tischere Korrektur.
Das Problem des Schalenmodells ist, dass die Zwei-Teilchen-Kräfte offensicht-
lich lokale Korrelationen in der Teilchenverteilung einführen, die im effektiven
Zentralpotenzial nicht berücksichtigt wurden. Eine zunächst rein formale Möglich-
keit, Korrelationen zu berücksichtigen ist die sogenannte Cluster-Entwicklung [35].
54 2 Einführung in die Kernphysik
(Die Methode ist nur bei positiver Korrelation anwendbar. Die starke Repulsion
(hard core) bei kleinen Abständen kann nicht berücksichtigt werden. Schalenmo-
dellrechnungen mit oder ohne Cluster-Zuständen haben daher Probleme, wenn sehr
große Impulse betrachtet werden. Die „Skala“ der Gültigkeit des Modells ist be-
grenzt.)
An Stelle von einzelnen Nukleonen betrachtet man eine geeignete (die richtigen
Zwei-, Drei-, usw. Nukleonen-Korrelationen ergebende) Mischung von ein, zwei,
drei usw. Nukleonenanhäufungen als neue, dynamisch relevante Konstituenten.
In der Kernphysik haben die Cluster eine unmittelbare physikalische Interpre-
tation. Man beobachtet bei Zerfällen, dass bei Emission von Kernmaterie meist ˛-
Teilchen abgestrahlt werden. Dies deutet darauf hin, dass die Kernbestandteile mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit ˛-Teilchen sind, die manchmal, wie wir spä-
ter sehen werden, durch den Tunneleffekt dem Kern entkommen können. Da der
Tunneleffekt eine Emission von ˛-Teilchen gegenüber schwereren Kernen stark be-
vorzugt, gibt die Beobachtung dabei keinen Hinweis auf die relative Häufigkeit der
˛-Cluster.
Die Annahme, dass man das Vielteilchensystem Kern manchmal in zwei Unter-
systeme, den Cluster und den Rumpf, aufspalten kann, d. h., dass für die Dynamik
nur die Relativkoordinate und die internen Koordinaten eine Rolle spielen, bedeu-
tet eine drastische Reduktion der Koordinaten. Für leichte Kerne ermöglicht diese
Reduktion eine mikroskopische Beschreibung der Kernstruktur aus der Nukleon-
Nukleon-Wechselwirkung [36]. Man erreicht ein gutes und verlässliches Verständ-
nis leichterer Kerne bis etwa 20 Ne.
Die Rechnungen bestätigen die Clusterannahme; sie zeigen, dass das Auftreten
der Cluster die Kernstruktur recht drastisch beeinflussen kann. Betrachten wir als
Beispiel den Grundzustand von 7 Li. Dieser Kern besteht vollständig oder fast voll-
ständig aus einem relativ losen (Bindungsenergie 3 MeV) Bindungszustand eines
˛-Teilchens (Bindungsenergie etwa 30 MeV) und eines Tritons (Tritiumkerns).
Zum Abschluss seien andere Clustering Konzepte kurz erwähnt. Wir werden im
dritten Kapitel des Buches sehen, dass Nukleonen selbst keine Elementarteilchen
sind, sondern eigentlich aus Quarks und Gluonen bestehen. Sie sind dann eine Art
Cluster, die aus drei Quarks (und einer beliebigen Zahl von Quark-, Antiquarkpaa-
ren und Gluonen) bestehen. Da diese Effekte auf einer Skala zur Geltung kommen,
die für die Kernphysik nicht unmittelbar relevant ist, waren sie für die bisherigen
Überlegungen ohne Bedeutung.
Versucht man die Kernphysik direkt auf einer Quark-Ebene zu formulieren, stößt
man auf das Problem, dass die übliche „Störungsrechnung“ für typisch kernphysi-
kalische Skalen eigentlich nicht anwendbar sein sollte [37, 38].
Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang Versuche, Quarks und Gluonen
primär nicht in Nukleonen, sondern in Pionen zu „clustern“. Die Hypothese ist da-
bei, dass durch eine Art Kondensationsprozess aus der Quark-Gluon-Theorie eine
effektive Pionen-Feld-Theorie entsteht und dass die Struktur der Pionenwolke um
die eigentlichen Nukleonen durch diese effektive Theorie beschrieben wird. In der
Theorie erscheint die Pionenwolke eines Nukleons als eine spezielle Art von Singu-
larität des Pionenfeldes, als ein sogenanntes Skyrmion. Da im kernphysikalischen
2.4 Radioaktiver Zerfall 55
Bereich die Pionenwolke eine bestimmende Rolle zu spielen scheint, können vie-
le Eigenschaften der Nukleonenwechselwirkungen in einem solchen Modell ohne
explizite, eigentliche Nukleonen erstaunlich gut beschrieben werden.
Wir haben die Betrachtung der Bindungsstruktur der Kerne abgeschlossen und wen-
den uns jetzt radioaktiven Zerfallsprozessen zu. Wir beginnen mit allgemeinen Be-
trachtungen. Einige wenige in der Natur vorkommende Kerne sind stark radioaktiv.
Diese natürlichen radioaktiven Substanzen haben dabei meist „astronomisch hohe“
56 2 Einführung in die Kernphysik
mittlere Zerfallszeiten – sonst wären sie ja seit der Entstehung der Erde zerfallen.
Dazu gibt es allerdings Ausnahmen, da kurzlebige radioaktive Kerne im Zerfall
langlebiger Kerne entstehen können. Als Beispiel dazu hatten wir das Radium ken-
nen gelernt. Neben den natürlichen Strahlern gibt es heute eine Vielzahl von neuen
meist rasch zerfallenden radioaktiven Kernen, die künstlich in Kernreaktoren er-
zeugt werden. Werden extrem kurzlebige Kerne benötigt (z. B. in der medizinischen
Diagnostik), für die die Lagerung schwierig wäre, können geeignete Zerfallspro-
dukte verwenden werden, die von der ursprünglichen Substanz auf chemischem
oder physikalischem Wege getrennt werden können.
Wir betrachten in Abb. 2.30 die Situation, in der ein angeregter Kern eine kurze
Zeit lebt und dann unter Abstrahlung eines Photons in einen weniger hoch angereg-
ten Zustand zerfällt (-Zerfall). Die Situation ist analog zu der bei der Atomhülle,
wo ein Elektron von einem Energieniveau in ein anderes durch Emission eines Pho-
tons direkt oder mit Zwischenstufen übergehen kann, wie es im Zerfallsschema in
der Abbildung dargestellt ist. Das einzige, was sich ändert, ist die Größenordnung
der Energie.
Anders als in der Atomphysik gibt es für Kerne neben der -Emission weite-
re Prozesse, wie sie in Abb. 2.31 gezeigt sind. Den ˛-, ˇ C - und ˇ -Zerfall hatten
wir schon kennen gelernt. Ist der ˇ C -Zerfall energetisch wegen der Elektronenmas-
se nicht erlaubt, gibt es als Alternative den Elektroneneinfang. Er basiert auf dem
folgenden Prozess:
p C e ! n C e ; (2.66)
bei dem das auslaufende Positron durch ein einlaufendes Elektron ersetzt wurde.
Woher bekommt der Kern sein einlaufendes Elektron? Für schwere Kerne haben
die Elektronen der K-Schale eine gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Kern-
bereich, so dass bei der entsprechenden Lage der Kernniveaus ein Einfang eines
Elektrons aus der K-Schale ablaufen kann. Wegen der geringen Aufenthaltswahr-
scheinlichkeit ist der Einfang vergleichsweise langsam. Nicht jedes bei einem ra-
dioaktiven Zerfall emittierte Elektron hat seinen Ursprung in einem ˇ-Zerfall. Bei
der inneren Konversion wird ein emittiertes -Quant bisweilen von einem Elek-
tron der Atomhülle „wieder“ eingefangen, was in der Regel zu einer Emission des
Elektrons führt. Dieses Bild ist natürlich nicht ganz richtig, da es sich nicht um ein
freies Photon, sondern um ein ausgetauschtes Photon handelt. Da beide Prozesse
sehr ähnlich sind, ist es sinnvoll, die relative Wahrscheinlichkeit einer inneren Kon-
version zur -Emission zu betrachten. Sie nimmt, wie zu erwarten, mit wachsender
Ordnungszahl zu.
Die mittlere Zeit bis zum Zerfall heißt mittlere Lebensdauer. Zur Größenordnung
seien ein paar Zahlenwerte angegeben. Eine typische mittlere Lebensdauer für die
vergleichsweise schnellen -Zerfälle ist
1012 s :
„
kann dabei allerdings nur der Energiebereich mit der entsprechenden Unschärfe
festliegen. Tatsächlich wird die minimale Unschärfe erreicht. Aus der Unschärfe
58 2 Einführung in die Kernphysik
E
Labor D D : (2.67)
Mc 2
Das hilft bei der Messung kurzer Lebensdauern. Meist kann man sich allerdings das
Lorentz-System nicht frei wählen, und es gibt daher Grenzen für die verfügbaren
Lorentz-Faktoren. Man kommt daher oft nicht umhin, winzige Abstände auszu-
messen. In Experimenten, in denen kurzlebige Teilchen analysiert wurden, konnten
mit verschiedenen Methoden (z. B. Emulsions- oder Siliciumpixeldetektoren) mi-
kroskopische Auflösungen von einigen m erreicht werden [31]. Für ruhende Ob-
jekte können mit moderner Elektronik (z. B. in Photomultipliern) Zeiten zwischen
Einfang und Zerfall im Bereich von ps aufgelöst werden [46]. Mit geschicktem
Aufspalten und Zusammenfügen von Komponenten eines Laserstrahls können La-
serpulse im fs-Bereich erzeugt werden [47].
Für lange Lebensdauern, wie sie typisch für natürliche kernphysikalische Zer-
fallsprozesse sind, zählt man die Zahl der Zerfälle pro Zeiteinheit in einer vorge-
gebenen Substanzmenge. Man benutzt in diesem Messverfahren das Exponential-
gesetz der Zerfallswahrscheinlichkeit. Diese Methode kann auch bei sehr langen
Lebenszeiten beibehalten werden. Die zu untersuchenden und mit Detektoren aus-
gestatteten Volumina müssen dann entsprechend groß sein. Für Protonenzerfalls-
experimente wurden riesige unterirdische Tanks mit vielen tausend Kubikmetern
Wasser verwendet.
Gemäß der Quantenmechanik ist es nicht bekannt, wann ein angeregter Kern zer-
fällt. Es gibt nur eine Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit
1 d
D N ; (2.68)
N dt
wobei N die Anzahl der Kerne ist. Wichtig ist, dass in der Gleichung nur von
der zerfallenden Substanz und von keinen anderen Faktoren abhängt. Die Gl. 2.68
ist eine Differenzialgleichung für die wahrscheinliche Anzahl von nicht zerfallenen
Kernen. Sie hat folgende Lösung:
Z1
N.t/ 1
D t dt D (2.70)
N0
0
ergibt die mittlere Lebensdauer. In praktischen Messungen wird oft die Zeit T.1=2/
ermittelt, nach der nur noch die Hälfte der Substanz, also
1
N T. 1 / D N 0 ; (2.71)
2 2
vorhanden ist (Halbwertszeit). Aus
1
D exp T. 1 / (2.72)
2 2
folgt
ln 2 0;693
T. 1 / D D D 0;693 : (2.73)
2
Das einfache Exponentialgesetz wird etwas komplizierter, wenn mehrere Prozesse
hintereinandergeschaltet sind, d. h. wenn es eine Tochter-Aktivität gibt:
a b
A!B!C: (2.74)
d
NB D a NA b NB D a N0 exp .a t/ b NB : (2.75)
dt
Die inhomogene Differenzialgleichung wird gelöst durch
a
NB D N0 Œexp .a t/ exp .b t/
; (2.76)
b a
was je nach den Zerfallszeiten zu den in Abb. 2.32 gezeigten Verteilungen führt.
Tatsächlich ist die Situation oft noch beträchtlich komplizierter; es gibt manchmal
lange, sich sogar verzweigende Zerfallsketten. Dazu kommen bisweilen eine äußere
Strahlungseinwirkung und Effekte, durch die Stoffe entweichen können.
Betrachten wir ein Beispiel für eine solche Situation. Wie kann man das geolo-
gische Alter der Erde bestimmen? Lord Kelvin hat versucht, das Alter der Erde seit
Erstarrung einer geschmolzenen Masse mit einer einfachen thermodynamischen
Berechnung der zunächst vorhandenen und der dann nach und nach abgestrahlten
Energie abzuschätzen. Sein Ergebnis war um eine Größenordnung zu klein, da bei
seiner Abschätzung die Radioaktivität innerhalb der Erde nicht mitgerechnet war,
die das Abkühlen der Erde verzögerte.
60 2 Einführung in die Kernphysik
Abb. 2.32 Häufigkeit der Prozesse in einem Zerfall mit Tochter-Aktivität (adaptiert nach Marmier
und Sheldon [48]). Zum Zeitpunkt tmax besteht die höchste Aktivität des Prozesses B ! C
Die Radioaktivität hat nicht nur Kelvins Berechnung widerlegt, sondern sie lie-
fert auch selbst eine Methode der Altersbestimmung. Die Methode beruht darauf,
dass seit dem Erstarren die Zerfallsprodukte in den Mineralien eingeschlossen blei-
ben und dass ihr Mengenverhältnis zur ursprünglichen Substanz bei bekannter Zer-
fallszeit eine Altersbestimmung zulässt. Die errechneten Werte für das Erdalter
liegen bei etwa 4;54 109 Jahren. Dies entspricht etwa einem Drittel des Alters
des Universums seit Emission der Hintergundstrahlung.
Die Einheit für die Radioaktivität einer Substanz ist das Becquerel (Bq)
die der Radioaktivität eines Gramms des häufigsten Radiumisotops 226 Ra nähe-
rungsweise entspricht.
Die Radioakivität wird oft pro Volumen oder, wenn es sich um einen Oberflä-
cheneffekt handelt, pro Fläche angegeben.
Oft interessiert die Wirkung der auf ein Objekt eingefallenen Strahlendosis.
Strahlung ionisiert Materie, und man kann daher einfach die Zahl der Ionen messen.
2.4 Radioaktiver Zerfall 61
Die Einheit
Oft verwendet man noch an Stelle des Grays die ältere Einheit:
die Strahlungsmenge fest, die 1 Gy Röntgenstrahlung bei 200 KeV entspricht. Der
Bewertungsfaktor (relative biological effectiveness, oft RBE genannt) erreicht et-
wa den Wert 30 für Schwerionenstrahlung. In älteren Einheiten verwendet man an
Stelle des Sieverts das rem:
Betrachten wir nun spezifische Zerfallstypen und beginnen wir dabei, in Anlehnung
an unsere Einteilung nach der typischen Energieskala, mit den Zerfallsprozessen,
bei denen sich die Kernstruktur vergleichsweise wenig ändert. Wir behandeln da-
2.4 Radioaktiver Zerfall 63
her zunächst den -Zerfall und anschließend den ˇ-Zerfall und schließen dann die
Diskussion mit dem ˛-Zerfall und der Kernspaltung ab.
Kerne mit vorgegebenen Ordnungszahlen Z und Neutronenzahlen N können in
vielen isomeren Anregungszuständen mit verschiedenen
Energien,
Gesamtdrehimpulsen,
Paritätszuständen
vorkommen. Wir hatten gesehen, dass – wie in der Atomhülle – Übergänge von
einem Niveau in ein anderes durch Abstrahlung eines -Quants möglich sind.
Die Emission eines -Quants kann den Gesamtdrehimpuls des Kerns ändern.
Das Photon hat den Spin 1, dieser Spin ist parallel oder antiparallel zur Bahn des
Photons gerichtet. Ein Photon mit parallelem Spin entspricht einer rechtsdrehenden
zirkular polarisierten und ein Photon mit antiparallelem Spin einer linksdrehenden
zirkular polarisierten Welle. Normalerweise gibt es bei einem Objekt mit dem Dre-
himpuls J D 1 genau 2J C 1 D 3 verschiedene Zustände, die durch Drehungen
im Ruhesystem ineinander übergeführt werden können. Dass das Photon mit seinen
zwei Polarisationsrichtungen eine Ausnahme bilden kann, hängt mit seiner Mas-
selosigkeit zusammen. Ein Photon bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit, und es
existiert daher kein Ruhesystem, in dem Drehungen durchgeführt werden könnten,
die die Richtung des Spins verändern.
Im System des Kerns (oder genauer im Schwerpunktsystem) kann das einfal-
lende Photon natürlich einen Bahndrehimpuls haben. Dieser Drehimpuls wird klas-
sisch senkrecht zur Bahn des Photons stehen. Für die Änderung des Gesamtdre-
himpulses des Kerns ist der Gesamtdrehimpuls des Photons wichtig. Dieser setzt
sich zusammen aus dem Bahndrehimpuls im Kernmittelpunktsystem und dem Spin.
Quantenmechanisch kann das Photon folgende Gesamtdrehimpulse J haben:
8
ˆ
<L 1
J D L (2.84)
:̂
L C 1
Bei solchen Übergängen spielt die Parität eine wichtige Rolle. Die Parität beschreibt
das Verhalten von Zuständen unter einer Inversion
Das Adjektiv bezieht sich darauf, dass das Photon seinen Ursprung jeweils in elek-
trischen Ladungen bzw. elektrischen Strömen haben muss, um diese Parität zu
erhalten. Betrachten wir den Fall der Abstrahlung von einem Dipol. Ändert man die
Richtung aller Koordinaten, so ändert sich das elektrische Dipolmoment (der La-
dungen) um einen Faktor 1, während das magnetische Dipolmoment (der Ströme)
erhalten bleibt. Für die Strahlung eines Dipols ist J D 1. Da die Wellenfunkti-
on des emittierten Photons die entsprechende Parität haben muss, gilt (2.86). Das
Konzept der Parität wird später ausführlich besprochen.
Die Abstrahlung elektromagnetischer Wellen in den verschiedenen Zustän-
den wird klassisch durch die Verteilung der Ladungen und der Ladungsströme
bestimmt. In der Quantenmechanik enthalten die entsprechenden Größen Pro-
dukte der Nukleonenwellenfunktionen vor bzw. nach der -Emission. Bezüglich
der Winkelabhängigkeit lassen sich diese Produkte wieder nach Kugelfunktionen
YLM .#; / entwickeln, und ein Photon wird nur abgestrahlt, wenn die Kugelfunkti-
on, die die Winkelabhängigkeit des Photonfeldes beschreibt, in dieser Entwicklung
enthalten ist. Sind Ji und Jf der Gesamtdreh- impuls des Kerns vor bzw. nach dem
Zerfall, muss der Gesamtdrehimpuls der Strahlung im Schwerpunktsystem
J D Jf Ji (2.87)
in seiner Größe zwischen dem
minimal benötigten Drehimpuls jJi j jJf j
und dem
maximal möglichen Drehimpuls jJi j C jJf j
liegen. Der Gesamtdrehimpuls des Photons im Schwerpunktsystem wird Multipol-
ordnung der Strahlung genannt. Er bestimmt die Dipol-, Quadrupol-, Oktopol-,
2J -pol-Natur der Strahlung [54]. Einige exemplarische Übergänge sind in
Abb. 2.33 dargestellt.
Wie gut ist die Konvergenz der Multipolentwicklung bei der Abstrahlung von
einem Kern? Die Wellenlänge des Photons ist groß in Relation zum Kernradi-
us, und eine Entwicklung in der dimensionslosen Größe Kernradius/Wellenlänge
wird rasch konvergieren, und Terme mit der niedrigstmöglichen Potenz werden ei-
ne dominante Rolle spielen. Das Matrixelement in der Multipolentwicklung enthält
die J -te Potenz des Kernradius, und die Wahrscheinlichkeit einer Abstrahlung ist
daher proportional zu .Kernradius=Wellenlänge/2J . Die beobachteten Übergänge
sind (siehe [14, 33])
E1 ; E2 ; E3 ; E4 ; E5 ;
M1 ; M2 ; M3 ; M4
für die elektrischen und die magnetischen Übergänge des angezeigten Gesamtdre-
himpulses. Die von Strömen induzierten Felder werden erst bei v ! c mit den von
Ladungen induzierten Feldern vergleichbar. Für Kerne ist die magnetische Strah-
lung damit unterdrückt gegenüber der elektrischen Strahlung.
2.4 Radioaktiver Zerfall 65
1+ γ 1+
2 −→ 2 0≤L≤1 reiner
kein M1-
Paritätswechsel Übergang
3+ γ 1+
2 −→ 2 1≤L≤2 möglich:
kein M1- und E2-
Paritätswechsel Übergang
3+ γ 5+
2 −→ 2 1≤L≤4 möglich:
kein M1-, E2-,
Paritätswechsel M3- und E4-
Übergang
Ein interessanter Aspekt betrifft die Emission und anschließende Absorption von
-Strahlung. Setzt ein Übergang in einem Atom A ein Photon frei, kann das Photon
ein Atom B dazu anregen, den Übergang rückwärts durchzuführen. Das geht aller-
dings im Prinzip nur, wenn das Ruhesystem des emittierenden Systems nach der
Emission dem des absorbierenden Systems vorher entspricht. Das ist in der Regel
nicht der Fall.
Ein emittiertes Photon wird, wie es in Abb. 2.34 angedeutet ist, die freiwerdende
Energie nicht ganz übernehmen. Es gibt einen Rückstoß des Kerns mit dem Impuls
des Photons
j PKern j D jP j D E =c : (2.88)
Er trägt damit die, wenn auch kleine, kinetische Energie zur niedrigsten Ordnung
in E =.MKern c 2 /:
2
1 PKern
kin.
EKern D EKern MKern c 2 D : (2.89)
2 MKern
Die Relation zwischen der gesamten Anregungsenergie und der Photonenergie ist
damit
E2 =c 2
EAnregung D E C : (2.90)
2MKern
66 2 Einführung in die Kernphysik
Da der zweite Summand klein ist, bedeutet die Inversion bezüglich E und EAnregung
gerade ein Minus statt Plus:
2
EAnregung =c 2
E D EAnregung : (2.91)
2MKern
Bei der Absorption des Photons durch das ruhende Target tritt derselbe Effekt in
umgekehrter Weise auf. Da sich der Photonimpuls auf den Kern überträgt, braucht
man eine erhöhte Photonenergie
E2 =c 2
E D EAnregung C : (2.92)
2MKern
Tatsächlich gibt es Fluktuationen in der emittierten und der für die Absorption be-
nötigten Photonenenergie. Je nach Breite dieser Verteilungen wird die emittierte
Strahlung nicht oder nur ein wenig absorbiert (vgl. Abb. 2.35).
Was bestimmt die Breite dieser Verteilungen? Wichtig ist die thermische Ener-
gie. Durch den Doppler-Effekt kann ein Photon etwas mehr oder etwas weniger
Energie bekommen. Eine Lorentz-Transformation bedeutet für das Photon
EKern PKern c
E0 D 2
E C P c ; (2.93)
MKern c MKern c 2
und, da E D jP cj gilt,
2
E .E0 E / 1 PKern .PKern /k
D D C : (2.94)
E E 2 MKern c MKern c
Der quadratische Term bewirkt eine minimale Verschiebung des Maximums der
Verteilung. Uns interessiert hier das quadratische Mittel des (nur linearen) zweiten
Terms. Das Mittel der kinetischen Energien der Atome bei gegebener Temperatur
kennen wir aus der Thermodynamik als 3=2 kT . Ein Drittel davon stammt von der
Bewegung in Richtung der -Emission. Es folgt
v* + s
u u 1 2
E 2 P 2 12 kT
Mittel Dt 3 Kern
D : (2.95)
E MKern c 2 2MKern MKern c 2
Betrachten wir als Beispiel einen Übergang (3=2 ! 1=2 ) in den Grundzustand
des Eisenisotops 57 Fe [40]. Bei einer -Energie von 14;4 keV und einer Massen-
zahl von 57 entspricht die kinetische Korrektur zur Energie etwa 2 103 eV. Bei
2.4 Radioaktiver Zerfall 67
Raumtemperatur (mit T D 293 K und k D 8;6 105 eV=K) ergibt sich damit die
folgende Breite aus der Doppler-Verschiebung:
s r
E kT 0;03 109
Mittel D D : (2.96)
E MKern c2 A
Im hier betrachteten Fall entspricht die Breite damit etwa 10 103 eV, d. h. sie ist
etwas breiter als die Rückstoßenergie.
Im Prinzip kommt dazu ein Beitrag D „= von der Heisenbergschen Unschär-
ferelation, der angibt, wie genau die usprüngliche Energie des angeregten Zustands
und damit die des emittierten Photons festgelegt ist. Er ist normalerweise nicht zu
berücksichtigen. Bei der hier betrachteten relativ langlebigen ( D 1;4 107 s)
Linie ist er 4;7 109 eV.
Mößbauer-Effekt
Es gibt allerdings eine Möglichkeit, in diesen Bereich vorzudringen und Linien die-
ser Breite zu beobachten. Es ist der Mößbauer-Effekt [55]. Er wurde vom Münchner
Physiker R. L. Mößbauer gefunden. Für seine Entdeckung, die im Zusammenhang
mit seiner Doktorarbeit stand, erhielt er 1961 den Nobelpreis. Der zentrale Punkt
ist, dass das Verhältnis von freiwerdender Strahlungsenergie und Kernmasse win-
zig ist. Die Rückstoßenergie liegt damit nicht mehr in einem kernphysikalischen,
sondern in einem atom- oder festkörperphysikalischen Bereich.
Betrachten wir einige Grundtatsachen der Festkörperphysik. Was bedeutet Tem-
peratur in einem Festkörper? Es gibt viele Schwingungsmodi, die jeweils mit ei-
ner temperaturabhängigen Wahrscheinlichkeit besetzt sind. Aus der Quantenme-
chanik wissen wir, dass die Anregungsenergie bei tiefen Temperaturen eine nicht
verschwindende Größe hat und dass zu tieferen Temperaturen hin die Zahl der
Anregungsmöglichkeiten abnimmt. Mehr und mehr Anregungsmöglichkeiten frie-
ren ein. Dies hat die Konsequenz, dass die Wärmekapazität, die von der Zahl der
Freiheitsgrade abhängt, entsprechend sinkt. In obigem Beispiel ist die minimale
Anregungsenergie für Schwingungen eines Atoms etwa 1;7 102 eV.
Die Rückstoßenergie 1;9 103 eV liegt unter der Minimalanregung. Der Kern
kann sich also nicht mehr relativ zum Festkörper bewegen; die Masse, die bei der
Berechnung des Rückstoßes eingeht, kann damit z. B. die gesamte Masse eines
Kristalls sein. Das reduziert die Rückstoßenergie um 24 Zehnerpotenzen, und die
von der Unschärferelation gesetzte Grenze kann daher erreicht werden.
Warum wurde der Effekt nicht früher entdeckt? Ein Grund ist, dass konventio-
nelle Detektoren keine ausreichende Auflösung hatten, um den Effekt zu sehen.
Mößbauers Trick war es, die Resonanzabsorption zu verwenden, bei der ein -
Quant von derselben Resonanz emittiert und absorbiert wird. Um die relative Posi-
tion der spektralen Absorptions- und Emissionsverteilung zu variieren, benutzte er
eine bewegliche Anordnung (Abb. 2.36), die eine Relativgeschwindigkeit zwischen
Emitter und Absorber ermöglichte. Dies gestattete, indirekt die Breite und die Form
des Absorptions- und des Emissionsspektrums zu bestimmen. Seine Beobachtung
68 2 Einführung in die Kernphysik
war, dass bei tiefen Temperaturen eine neue Komponente mit einer extrem scharfen
Verteilung auftritt.
Die phantastische Präzision des Mößbauer-Effekts erlaubt eine Vielzahl von
kern-, atom- und molekülphysikalischen Anwendungen. Kleine elektrische oder
magnetische Felder verändern die Position der Linien, und es ist daher möglich,
sehr genaue Informationen über die Position der Kerne in chemischen Strukturen zu
gewinnen. Man kann z. B. herausfinden, an wievielen nicht äquivalenten Stellen Ei-
senatome in einem Molekül vorkommen und mit welcher Wertigkeit sie gebunden
sind [40].
Innere Konversion
Ein mit dem -Zerfall eng verwandter Prozess ist die Innere Konversion. Ein Proton
des Kerns „streut“ an einem Elektron der Hülle durch den Austausch eines Photons.
Durch den Streuvorgang wird das Elektron aus dem Atom herausgeschlagen. Er tritt
bei schweren Kernen oft mit einer Wahrscheinlichkeit von einigen Prozent von der
-Emission auf.
Im Prinzip ist in der Zentralfeldapproximation die Coulomb-Wechselwirkung
zwischen Kern und Hülle, die für die Streuung verantwortlich ist, schon berück-
sichtigt – die Elektronen bewegen sich im Feld aller Protonen – und es handelt sich
also um ein Beispiel dafür, welche drastischen Korrekturen Zwei-Körper-Wechsel-
wirkungen bei der Zentralfeldapproximation verursachen können.
Wie berücksichtigt man die Wirkung einer solchen Elektron-Kern-Streuung?
Man extrapoliert den Elektron-Proton-Streuquerschnitt zu kleinen Streuenergien.
Anstelle des Flusses, der pro Zeiteinheit auf den Querschnitt des Targetteilchens
einfällt, ergibt sich hier die Reaktionsrate pro Zeiteinheit aus der Aufenthaltswahr-
scheinlichkeit eines Elektrons im Streuvolumen des Protons; diese ist klein, aber
nicht null.
Der dominante Streuprozess ist die Emission des Elektrons aus dem Atom. Die
freiwerdende Energie im Elektron setzt sich aus einer Kombination der gewonne-
nen Bindungsenergie im Kern und der verlorenen Bindungsenergie in der Hülle
zusammen. Da sowohl die nicht-entartete K-Schale als auch die dreifach entartete
L-Schale und die 5-fach entartete M-Schale in Betracht kommen, hat man das in
Abb. 2.37 dargestellte Spektrum [48].
2.4 Radioaktiver Zerfall 69
M
Energie
Wir hatten gesehen, wie Kerne mit einer zu hohen Protonen- oder Neutronenzahl in
einen energetisch günstigeren Zustand zerfallen können. Dabei geht ein Neutron in
ein Proton über oder umgekehrt.
Im Gegensatz zu den scharfen Spektren beim ˛- und beim -Zerfall beobachtet
man beim ˇ-Zerfall ein Teilchen mit breitem Energiespektrum, wie es in Abb. 2.38
zu sehen ist. Da beim Übergang eine definierte Energie frei wird und der Energie-
erhaltungssatz nicht verletzt sein kann, muss es sich also um einen komplizierteren
Zerfall handeln. Neben dem Positron bzw. Elektron muss zumindest ein weiteres,
nicht beobachtetes Teilchen auftreten, das die restliche Energie trägt.
Dieses Teilchen wurde von Pauli 1931 postuliert, und es wird als Neutrino bzw.
Antineutrino bezeichnet. Da die Nukleonenzahl beim ˇ-Zerfall unverändert bleibt
und da das Elektron oder Positron einen halbzahligen Spin besitzt, muss das An-
tineutrino oder Neutrino auch einen halbzahligen Spin tragen. Es hat sich heraus-
gestellt, dass eine „Leptonenzahl“ erhalten bleibt: Das negative „Lepton“ Elektron
wird zusammen mit dem „Antilepton“ Antineutrino oder das positive „Antilepton“
Positron zusammen mit dem „Lepton“ Neutrino produziert.
Die schwache Wechselwirkung, die für den ˇ-Zerfall verantwortlich ist, wird
in Abschn. 5.1 behandelt. Für ihre Beschreibung sind minimale Grundkenntnisse
der relativistischen Quantenmechanik erforderlich, die in Abschn. 4.1 vermittelt
werden.
Lassen Sie uns hier kurz die wichtigsten Ergebnisse betrachten. Die Wahrschein-
lichkeit schwacher Prozesse ist proportional zum Quadrat eines Wechselwirkungs-
terms. Dieser Term lässt sich als Vierervektorprodukt zweier Faktoren schreiben,
die jeweils nur von den Wellenfunktionen eines Fermionpaares abhängen. (Um ein
relativistisch invariantes Produkt zu schreiben, muss man Vierervektoren mit ei-
ner Zeit- und drei Ortskomponenten verwenden. Man schreibt: a b D a0 a0
P
i D13 ai ai .)
Im ˇ-Zerfall enthält einer der Faktoren die Proton- und Neutronwellenfunktio-
nen und der andere die Leptonenwellenfunktionen.
j.Nukleonenwellenfunktionen/ .Leptonenwellenfunktionen/ j2
Die Faktoren können aus einem Produkt der Wellenfunktion eines einlaufenden Fer-
mions und der eines auslaufenden Fermions bestehen, z. B. aus der Wellenfunktion
des Protons des Anfangszustands und der Wellenfunktion des Neutrons des Endzu-
stands. In der relativistischen Theorie spielen einlaufende Teilchen und auslaufende
Antiteilchen eine analoge Rolle: Der Zerfall p ! n C eC C wird mit entsprechend
geänderten Viererimpulsen durch denselben Wechselwirkungsterm wie der Prozess
p C e ! n C beschrieben. Dasselbe gilt für alle anderen Prozesse, die durch die
entsprechenden Übergänge zu erhalten sind.
Eine wichtige Komplikation, die in Abschn. 5.1 ausführlich behandelt wird,
hat ihre Ursache in der Tatsache, dass die beiden Faktoren im Viererprodukt so-
wohl einen Vektor- als auch einen Axialvektoranteil haben. Betrachten wir dazu
eine Spiegelung des Raums. Ein Vektorbeitrag wird in Abhängigkeit von der Spie-
gelebene sein Vorzeichen ändern. Das Quadrat eines Vektorbeitrages, wie es im
letztlich relevanten Quadrat des Wechselwirkungsterms auftritt, wird nicht berührt,
da sich beide Faktoren in derselben Weise transformieren. Bei der Spiegelung eines
Axialvektors tritt zusätzlich ein Vorzeichenwechsel auf, der im Quadrat wiederum
keine Rolle spielt. Problematisch ist der gemischte Vektor- und Axialvektorbeitrag,
der unter Spiegelung sein Vorzeichen ändert, da der zusätzliche Vorzeichenwech-
sel nicht kompensiert wird. Der Wechselwirkungsterm in der gespiegelten Welt ist
anders als in unserer wirklichen Welt. Die Parität ist gebrochen [56].
Betrachten wir dazu den ˇ-Zerfall etwas genauer. Wählen wir zunächst eine ge-
eignete Spiegeltransformation. Benutzen wir das Schwerpunktsystem, in dem die
vier auftretenden Impulse in einer Ebene liegen, und betrachten wir die Spiegelung
an der Impulsebene. Offensichtlich wird sie die Impulse der Teilchen nicht berüh-
ren. Wie beim Drehimpuls handelt es sich beim Spin um einen Axialvektor, und die
betrachtete Spiegelung ändert daher die Richtung der Fermionenspins; aus einem
2.4 Radioaktiver Zerfall 71
rechtshändigen Spin, d. h. einem Spin in Richtung des Impulses, wird ein linkshän-
diger Spin und umgekehrt.
Die Dynamik der schwachen Wechselwirkung hat die Eigenschaft, dass bei
linkshändigen Fermionen der gemischte Vektorbeitrag und Axialvektorbeitrag mit
identischen Vorzeichen auftreten:
(nicht gemischter Beitrag) C (gemischter Beitrag) :
Der Beitrag der rechtshändigen Fermionen ergibt sich dann aus der Spiegelung, und
es kommt wegen des Vorzeichenwechsels zu einer Subtraktion:
(nicht gemischter Beitrag) (gemischter Beitrag) :
Besonders drastisch ist die Konsequenz für Leptonen, für die beide Beiträge gerade
gleich groß sind. Da sie sich gegenseitig aufheben, können rechtshändige Leptonen
an der betrachteten Wechselwirkung nicht teilnehmen.
Die Paritätsverletzung kann im ˇ-Zerfall nachgewiesen werden [57]. Bei tiefen
Temperaturen lassen sich 60 Co-Isotope polarisieren, und der Zerfall der polarisier-
ten Kerne
27 Co ! 28 Ni C e CN
60 60
(2.97)
kann beobachtet werden. Dabei stellt sich heraus, dass die Elektronen bevorzugt
entgegengesetzt zur ursprünglichen Spinrichtung emittiert werden. 60 27 Co hat den
Spin 5 und das relevante Isomer von 60 28 Ni den Spin 4. Der Elektron- und Neu-
trinospin muss daher in Richtung der Cobaltpolarisation zeigen. Die beobachtete
Richtungsabhängigkeit ist daher eine Konsequenz der oben geforderten Linkshän-
digkeit (d. h. Spin "# Impuls) der Leptonen aus dem ˇ-Zerfall.
Da sich unter Spiegelung die Spinrichtung anders transformiert als die Impuls-
richtung, kann eine solche Vorzugsrichtung nicht auftreten, wenn in der wirklichen
Welt und in der gespiegelten Welt dieselben Gesetze gelten müssen. Die beobach-
tete Vorzugsrichtung beweist die Paritätsverletzung.
Der „schwache Strom“ hat eine ähnliche Struktur wie der elektromagnetische
Strom. Wie beim -Zerfall muss man bei Kernen im Prinzip über die verschiedenen
abgestrahlten Drehimpulse summieren. Da der Kernradius üblicherweise klein ge-
genüber der Wellenlänge der abgestrahlten Energie ist, konvergiert die Entwicklung
in Bahndrehimpulsen relativ schnell. Dominant für den abgestrahlten Bahndrehim-
puls ist L D 0.
In der Näherung, dass eine Behandlung der Nukleonenwellenfunktionen mit
einer nichtrelativistischen, zweikomponentigen Schrödinger-Gleichung zulässig
ist und dass die Wellenlänge der abgestrahlten Leptonen groß gegenüber dem
Kernradius ist, lässt sich das Vierervektorprodukt in eine Summe über zwei un-
terscheidbare Beiträge aufspalten. Der eine enthält das Quadrat eines „Fermi-
Matrixelements“ ( p 1 n ) und der andere das Quadrat eines „Gamow-Teller-Ma-
trixelements“ ( p n ). Der Operator ist ein Vektor aus Pauli-Matrizen, der
den Spin der Nukleonen bestimmt. In einem Fall bleibt die Richtung der Nukleo-
nenspins erhalten, im anderen Fall ändert sich die Richtung des Spins, wie es in
Abb. 2.39 aufgezeichnet ist.
72 2 Einführung in die Kernphysik
¨ bergänge
Fermi-U ¨ bergänge
Gamow-Teller-U
Prozeß: Prozeß:
n → p + e− + ν̄e n → p + e− + ν̄e
Sz : Sz :
⇑ → ⇑ + ⇑⇓ ⇑ → ⇓ + ⇑⇑
+1/2 +1/2 0 +1/2 −1/2 +1
S: S:
(1/2) → (1/2) + (0) (1/2) → (1/2) + (1)
Wir kommen jetzt zum ˛-Zerfall, bei dem zum ersten Mal ein wirklicher Be-
standteil des Kerns emittiert wird. Bei dem ˛-Teilchen handelt es sich um einen
Kern des Heliumatoms, nämlich um zwei Protonen und zwei Neutronen, d. h. er
ist sowohl bezüglich seiner Protonenzahl als auch bezüglich seiner Neutronenzahl
magisch (also doppelt magisch), und seine Bindungsenergie ist daher besonders
hoch. Wie für doppelt magische Kerne zu erwarten ist, verschwindet der Kernspin
(J D 0).
Die Strahlung ist ein Zwei-Körper-Zerfall; ein schweres Atom zerfällt in ein et-
was leichteres Atom und ein ˛-Teilchen. Typischerweise ist der zerfallende Kern
praktisch in Ruhe, und das emittierte Teilchen hat damit eine wohldefinierte Ener-
gie. Diese Energie kann entweder durch die Reichweite der Teilchen, z. B. in Luft,
durch die Menge der Ionisierung in bestrahlter Materie oder durch die Ablenkung
der Teilchen im Magnetfeld bestimmt werden. Typisch ist eine dominante scharfe
Linie im Energiespektrum. Daneben gibt es manchmal auch schwächere Linien mit
einer etwas geringeren Strahlungsenergie, wie es in Abb. 2.40 angedeutet ist. Sol-
che seltener vorkommenden Übergange führen dann zunächst in Zwischenzustände,
die dann unter Emission eines Photons, d. h. von -Strahlung, in einer zweiten Stufe
den Grundzustand erreichen.
Die totale Energie, die beim ˛-Zerfall freigesetzt wird, ist
Da Nukleonenzahl und -art erhalten bleiben, entsprechen sie, abgesehen vom ge-
änderten Vorzeichen, der Bindungsenergiedifferenz. Wegen der (aus der Sicht des
2.4 Radioaktiver Zerfall 73
zu verwenden. Der ˛-Zerfall tritt bei großen Kernen auf. Für die relativ kleine Än-
derung in Ordnungs- und Massenzahl reicht es, für die Berechnung der Differenz
die ersten beiden Terme den linearen Term in der Potenzreihenentwicklung zu be-
rücksichtigen
@B.Z; A/ @B.Z; A/
B.Z; A/ B.Z 2; A 4/ D 2C 4: (2.100)
@Z @A
Um die Ableitung abzuschätzen, können wir das Tröpfchenmodell verwenden, das
die Bindungsenergie in der folgenden Weise
parametrisiert (siehe Abschn. 2.3.1). Der av -Term ergibt einen Beitrag, der dem
Volumenterm des ˛-Teilchens entspricht. Der as -Term und der ac -Term sind abzu-
leiten. Da A 2Z konstant bleibt, heben sich beide Ableitungsterme im aa -Term
gegenseitig auf, und es verbleibt nur der Beitrag von der A-Abhängigkeit. Wegen
seiner A-Abhängigkeit gibt es einen kleinen Beitrag des ap -Terms, wenn er auftritt.
Man erhält
2 1 1 Z
Q˛ D .28;3 4av / C 4as A C ac 4ZA
3 3 1
3 3A
2 (2.101)
2Z 4
aa 4 1 ˙ ap A.3=2/ :
A 2
74 2 Einführung in die Kernphysik
Setzt man die Konstanten ein, erhält man exotherme Reaktionen für A > 150,
d. h. ab Samarium. Von dieser Massenzahl an wird daher der ˛-Zerfall auftreten.
Tatsächlich erscheinen viele schwere Kerne ab Samarium noch stabil bezüglich des
˛-Zerfalls. Der Grund dafür sind sehr große Zerfallszeiten.
Was bestimmt die Geschwindigkeit der ˛-Zerfälle? Dies kann man in einem Ein-
Teilchen-Modell verstehen. In ihm nimmt man an, dass – mit einer bestimmten klei-
neren Komponente ihrer Wahrscheinlichkeit – die beiden Protonen und die beiden
Neutronen eines Orbitals wie ein einziges Teilchen in einem effektiven Potenzial
behandelt werden können. Wir hatten gesehen, dass man für Neutronen ein kas-
tenförmiges (oder Woods-Saxon-)Potenzial erwartet. Das Potenzial für solche ˛-
Teilchen sollte ein ähnliches Verhalten zeigen. Wie das Proton muss das ˛-Teilchen
allerdings die Wirkung des Coulomb-Felds spüren. Außerhalb des Kerns ist nur
dieser Anteil wirksam. Der Bereich, in dem das Coulomb-Potenzial positive Werte
annimmt, bildet eine Barriere, die den Zerfall behindert.
Neben gebundenen Zuständen mit negativer Energie hat man also quasistatio-
näre, metastabile Zustände. Sie können im Prinzip zerfallen, sie müssen aber zu-
nächst den Coulomb-Berg durchtunneln. Das ist natürlich anders als in der klas-
sischen Physik, in der ein Teilchen mit einer vorgegebenen Energie einen Berg
höherer Energie nicht überwinden kann.
Um die Quantenmechanik qualitativ zu verstehen, stellen wir uns vor, wir hätten
einen Computer, der Differenzialgleichungen lösen kann. Für gebundene Zustände
soll er zunächst – automatisch mit der richtigen Anfangsbedingung – am Ursprung
anfangen und dann die Wellenfunktion von einem Punkt zum nächsten rekonstruie-
ren, bis am klassischen Umkehrpunkt gerade nur noch ein exponentiell abfallender
Anteil übrig bleibt. Man erhält also Lösungen, wie die in Abb. 2.41 dargestellten.
Wenden wir jetzt unser Programm auf einen metastabilen Energiebereich an.
Nehmen wir an, dass der Computer „nett“ ist und sich möglichst vernünftige An-
fangsbedingungen aussucht. Die Wellenfunktion könnte er daher etwa wie für einen
gebundenen Zustand beginnen. Im Inneren gibt es das übliche Verhalten, das dann
an der Schwelle in einen exponentiellen Abfall übergeht. Ein Teil der Welle wird
nun aber die Schwelle durchdringen und außen eine oszillierende Welle bilden,
wie es in der oberen Kurve in der Abbildung zu sehen ist. Dabei gibt es nun für
2.4 Radioaktiver Zerfall 75
die statische Lösung eine Schwierigkeit mit der Normierung, da die Welle unseres
Teilchens unendlich weit reicht. Man versucht, ein nicht-stationäres Problem mit
einer stationären Methode zu lösen.
Der einzige Fehler bei der betrachteten Lösung ist, dass die Welle beim Reso-
nanzzerfall außen nicht mehr stationär (d. h. ein- und auslaufend) ist, sondern nur
noch eine auslaufende Komponente hat. Mit einer für den inneren Bereich unsi-
gnifikanten Änderung (der in der Schwelle exponentiell ansteigenden, im Inneren
beinahe verschwindenden Komponente) erhält man eine Lösung mit der geänderten
Randbedingung. Aus der nicht normierten Lösung kann dann, bei einer vorgegebe-
nen Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Potenzialtopf, der Fluss von Wahrscheinlich-
keit aus dem Potenzial im äußeren Bereich berechnet werden, d. h. man erhält die
Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit. Graphisch, d. h. in Abb. 2.41, entspricht
er der relativen Größe des Amplitudenquadrats außen, mal der Geschwindigkeit
„k=m des durch die Welle beschriebenen Teilchens. Die Zerfallszeit hängt daher
von der Dicke und der Höhe der Wand ab.
Die Abbildung mit der Schwelle illustriert die enge Parallelität zwischen Reso-
nanzen und gebundenen Zuständen. Würde man den äußeren Teil des Potenzials
anheben, müsste man im Äußeren auf die in diesem Resonanzbereich ohnehin re-
lativ kleine auslaufende Welle verzichten. Im Inneren würden Resonanzen in ge-
bundene Zustände übergehen, ohne dass sich die relative Energie und die Form der
Wellenfunktion wesentlich ändern würde.
Um das qualitative Argument genauer zu verstehen, betrachten wir dazu als
rechenbares Beispiel das Kastenpotenzial mit einer Rechteckbarriere, wie es in
Abb. 2.42 dargestellt ist. Die Energie E des Zustands sei positiv. Außen hat die
Welle damit die Form
.x/ D A3 expŒik3 .x b/
(2.102)
76 2 Einführung in die Kernphysik
p
mit dem Impuls „ k3 D 2mE mit noch offener Normierung, die wir ohne Be-
schränkung der Allgemeinheit reell wählen. Wir folgen jetzt der Welle Schritt für
Schritt in Richtung Ursprung. Im Punkt b gilt
.b/ D A3 (2.103)
und ˇ
0
= ˇb D ik3 : (2.104)
Innerhalb der Potenzialschwelle wird der Impuls komplex,
p
„ k2 D ˙i
2 mit „
2 D 2m.V2 E/ ; (2.105)
.x/ D A2 expŒ
2 .x b/
C B2 expŒ
2 .x b/
: (2.106)
Für große
2 ist damit A2 D B2 D A3 =2. Für den Punkt a gilt analog zu oben
.a/ D A2 expŒ
2 .a b/
C B2 expŒ
2 .a b/
(2.109)
und
ˇ
0ˇ
ˇ D A2
2 expŒ
2 .a b/
B2
2 expŒ
2 .a b/
ˇ A2 expŒ
2 .a b/
C B2 expŒ
2 .a b/
a
2
D
2 1
A2 =B2 expŒ2
2 .a b/
C 1 (2.110)
0 1
2
D
2 @1 A :
2
1ik3 =
2
1 expŒ2
2 .a b/
C 1
Für große
2 -Werte bleibt nur der Term mit dem positiven Exponenten übrig:
0 A3
.a/ D B2
2 expŒ
2 .a b/
D
2 expŒ
2 .a b/
: (2.111)
2
2.4 Radioaktiver Zerfall 77
exp.2ik1 a/ D 1 ; (2.115)
0 A3
.a/ D iA1 k1 .exp.Cik1 a/ C exp.ik1 a// D
2 expŒ
2 .b a/
: (2.116)
2
Die Amplitude der Welle im Inneren ist, wenn das Teilchen sich noch mit der Wahr-
scheinlichkeit 1 im Inneren befindet,
1 1
A1 D .2 Kastenlängen/ 2 D .2a/ 2 ; (2.117)
und die Größe des auslaufenden Flusses ist bei der Geschwindigkeit „k3 =m der
entweichenden Teilchen mit (2.115)
Der wesentliche Faktor bei diesem Ergebnis ist die Exponentialfunktion. Mit geeig-
neten Konstanten, schreibt man
D o exp.G/ ; (2.119)
wobei
G D 2
2 .b a/ (2.120)
der Gamow-Faktor genannt wird.
78 2 Einführung in die Kernphysik
Das Ergebnis lässt sich relativ leicht auf andere Potenzialformen übertragen. Än-
dert sich das Potenzial nur langsam im Vergleich zur Wellenfunktion, kann man
die sogenannte WKB-Approximation anwenden. In unserem Fall läuft das darauf
hinaus, dass man sich die Schwelle aus kurzen Schwellenstücken zusammengesetzt
denkt und das Produkt im Exponenten durch das entsprechende Integral ersetzt (sie-
he [58]):
Zb Zb
2 p
G D 2
.x/dx D 2m.V .x/ E/dx : (2.121)
„
a a
Wir können diese Approximation nun direkt auf das (wenigstens ab einem bestimm-
ten Abstand exakte) Coulomb-Potenzial anwenden und den Gamow-Faktor explizit
berechnen. Bestimmen wir zunächst den äußeren klassischen Umkehrpunkt
Ze ze Zz
bD D 1;44 .fm MeV/ ; (2.122)
4 E E
wobei E D V .b/ D Ze ze=4b und ze die Ladung des ˛-Teilchens. Mit R als
dem Radius, an dem die Schwelle anfängt, schreiben wir
Zb p Zb p
GD2 2mE.b=r 1/=„ dr D C
2 .b r/=rdr ; (2.123)
R R
wobei p
C D 8mE=„2 : (2.124)
Die Substitution R D r 1=2
erlaubt die Lösung des Integrals
p
Zb p Z bp
.b r/=rdr D 2 b R2 d R ; (2.125)
p
R R
R
b;
lässt sich der Gamow-Faktor mit geeignet gewählten Konstanten A und B in der
folgenden Weise approximieren:
r !
R p p
G DC b D A= E B R : (2.127)
2 b
2.4 Radioaktiver Zerfall 79
kann daher in diesem Punkt direkt experimentell überprüft werden. In Abb. 2.43
sind die Daten dazu in einem geeigneten, logarithmischen Koordinatensystem dar-
gestellt. Wie erwartet, liegen die Datenpunkte jeweils auf Geraden. Zwischen den
verschiedenen Geraden besteht ein Unterschied. Er beruht im Wesentlichen auf der
nicht berücksichtigten Abhängigkeit vom Z=A-Verhältnis [60].
Die obige Relation wird Geiger-Nuttallsche Regel genannt. In der ursprüngli-
chen Darstellung wurde anstelle der Energie der Logarithmus der Reichweite der
˛-Teilchen in Luft verwendet.
Die Erklärung der extrem starken Abhängigkeit der Lebensdauer von E war ein
wichtiger Erfolg der Quantenmechanik mit ihrem Tunneleffekt [7].
80 2 Einführung in die Kernphysik
Kerne haben eine erhöhte Proton-Neutron-Asymmetrie und sind nicht völlig sphä-
risch.
Dass Kerne bis etwa A D 250 recht stabil gegenüber Spaltung sind, erfordert
offensichtlich eine andere Erklärung. Im Prinzip mögliche Zerfälle sind hier noch
drastischer unterdrückt als beim ˛-Zerfall. Betrachten wir als Beispiel das „stabile“
Uranisotop 235 U. In Wirklichkeit hat es einen ˛-Zerfall mit einer Lebensdauer von
108 Jahren, und es ist anzunehmen, dass es im Prinzip auch in zwei schwerere Kerne
zerfallen kann. Der Grund für die scheinbare Stabilität der schweren Kerne sind ihre
große Masse sowie die Länge und Größe des zu durchtunnelnden Potenzials.
Bei einer Spaltung in größere Teile wird eine Verformung wichtig werden. We-
gen der Coulomb-Abstoßung ist die Kugelform nicht sehr stabil, und der Zerfall
eines Kerns sieht daher etwa so aus, wie in Abb. 2.45 dargestellt. Man sieht, dass
über einen vergleichsweise großen Abstand auf die Kernteile attraktive Kräfte wir-
ken können. In diesem Bild gibt es zwei zu durchtunnelnde Phasen: Der Kern muss
zunächst eine ungünstige Form annehmen und dann, nach der Trennung, die etwas
abgeschwächte Coulomb-Schwelle überwinden.
Die Tunnelwahrscheinlichkeit durch die Coulomb-Schwelle nimmt mit wach-
sender reduzierter Masse M1 M2 =M (siehe 2.121) und mit wachsendem Produkt
der Ladungen Z1 Z2 drastisch ab. Diese Abhängigkeit macht es plausibel, warum
der oben betrachtete Zerfall in zwei gleiche Kerne keineswegs dominant sein muss
und warum ein Zerfall in einen großen und einen kleinen Kern bevorzugt ist. Dies
kann man in Abb. 2.46 sehen, in der die Massenzahlverteilungen der primären in
der Spaltung produzierten Kerne dargestellt sind.
Die betrachteten Kerne sind vor dem Zerfall angeregte 236 U- und 236 Th-
Zustände. Der Zerfall mit dem thermischen Neutron entspricht etwa der Situation
bei einer spontanen Spaltung. Mit zunehmender Anregungsenergie (hier der Fall
mit ˛-Anregung) wird der Asymmetrie-Effekt schwächer.
Die Höhe der Potenzialschwelle von 5–6 MeV ist von derselben Größenordnung
wie im ˛-Zerfall. Mit einer externen Anregung ist es daher relativ leicht möglich,
zu schnellen Spaltungsprozessen ohne oder fast ohne Tunneln zu kommen.
Es ist zu erwähnen, dass auch die Möglichkeit einer Spaltung in drei Teil-
kerne existiert. Ihre Wahrscheinlichkeit ist jedoch sehr gering, bei 106 „binären“
Spaltungen (zwei Bruchstücke) tritt eine „tertiäre“ Spaltung in drei Bruchstücke
auf.
Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass die Höhe der Potenzialschwelle von der-
selben Größenordnung ist wie beim ˛-Zerfall. Mit einer externen Anregung ist es
82 2 Einführung in die Kernphysik
−1
10
−2
10 232
Th +
−3
10
−4
10
−5
10 60 80 100 120 140 160 180 A
daher relativ leicht möglich, zu schnellen Spaltungsprozessen ohne oder fast ohne
Tunneln zu kommen.
Wir gehen jetzt auf unserer typischen Skala etwas weiter (zu kürzeren Zeiten) und
betrachten streuende Kerne. Dazu müssen wir uns zunächst ein paar allgemeine
Gedanken zum Streuprozess von beliebigen Objekten („Teilchen“) machen. Die-
se Überlegungen werden uns auch außerhalb des Kernphysikteils zugute kommen.
Allerdings wird sich der Sprachgebrauch in der Kern- und in der Teilchenphysik
manchmal etwas unterscheiden.
Bei einem Streuvorgang fällt ein Teilchenstrahl auf ein Objekt ein, an dem er
gestreut wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung hängt dabei von den
Eigenschaften des Strahls und des Objekts und von den betrachteten Prozessen ab.
Die Teilchenstrahlen kommen dabei meist aus radioaktiven Substanzen oder aus
Beschleunigern. Die Objekte, an denen gestreut wird, können entweder selbst Teil-
chenstrahlen sein, oder sie sind feste oder gasförmige, praktisch ruhende Materie.
Um die Streuwahrscheinlichkeit quantitativ zu beschreiben, führen wir jetzt einige
relevante Definitionen ein.
Betrachten wir zunächst die erste Möglichkeit, bei der ein Teilchenstrahl auf ein
ruhendes „Target“ fällt, wie in Abb. 2.47 dargestellt. Der Strahl besteht aus Teil-
chen des Typs A der Geschwindigkeit v, die im Querschnitt S in einer mittleren
Dichte nA auftreten. Wir betrachten hier den Fall mit konstanter Dichte. Hat der
Teilchenstrahl eine veränderliche Dichte, d. h. ein Profil, muss man die entsprechen-
den Integrale einsetzen. Die Anzahl der Teilchen pro Längenelement in Richtung
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 83
A A A A B B
A A A A B B
A A A A A B B
A A A B B
A A A B B
B B
B B
S v B B
B B
B B
der Geschwindigkeit ist damit nA S dx. Der Fluss der Teilchen, d. h. die Zahl der
pro Zeit auf das Target einfallenden Teilchen, ist (mit v D dx=dt)
Fluss D ˚A D na S v : (2.133)
NB D nB l : (2.134)
Nehmen wir jetzt für einen Augenblick die einfachste denkbare Situation an. Die
Teilchen A seien punktförmig, und die Teilchen B seien harte Kugeln mit der Quer-
schnittsfläche B . Die Zahl der Streuungen pro einfallendem Teilchen wäre dann
proportional zu dem Anteil der Targetfläche, der durch die Querschnitte der B-Teil-
chen abgedeckt ist:
Natürlich entspricht dieses einfache Bild nicht der Realität eines Streuvorgangs;
es erlaubt jedoch, die Streubereitschaft des Teilchens A und des Teilchens B mit
dem entsprechenden, gemessenen „AB “ zu parametrisieren. Dazu geht man in um-
gekehrter Weise vor: Aus den Eigenschaften des Beschleunigers und des Targets
berechnet man die Luminosität
L D ˚A NB (2.137)
84 2 Einführung in die Kernphysik
und definiert dann aus der beobachteten Reaktionsrate den effektiven Querschnitt
als Wirkungsquerschnitt.
Betrachten wir jetzt die Situation für eine Strahl-Strahl-Wechselwirkung, wie sie
in Abb. 2.48 dargestellt ist. Solche Strahl-Strahl-Wechselwirkungen werden in Ab-
schn. 3.2 des Buches eine wichtige Rolle spielen. Der Schnittwinkel # sei
klein. Der Einfachheit halber nehmen wir konstante, rechteckige Teilchenverteilun-
gen der Höhe und Tiefe h mit Flussgrößen ˚A D ˚B an. Beide Strahlen sind in
kleine Pakete unterteilt. Diese Pakete seien so synchronisiert, dass sie im Wech-
selwirkungsgebiet genau f -mal pro Sekunde aufeinandertreffen. Um geometrische
Effekte ignorieren zu können, nehmen wir an, dass sie im Vergleich zur Länge des
Wechselwirkungsgebiets kurz sind. Wir betrachten die nach rechts fliegenden Teil-
chen als Projektile und die nach links fliegenden als Targetteilchen. Für den Fluss
˚A des Projektilstrahls A ändert sich damit nichts gegenüber dem obigen Fall. Die
Flächendichte der Targetteilchen B müssen wir jetzt rückwärts aus dem Fluss be-
rechnen. Pro Paket gibt es
nB .Paket/ D ˚B =f (2.139)
Targetteilchen, die die folgende Flächendichte bewirken:
˚B
NB D (2.140)
f h2
Ist jeweils nur ein Targetpaket verfügbar, ergibt sich die Luminosität
˚A ˚B
LD : (2.141)
f h2
Typisch ist dabei die inverse Proportionalität zur der Querschnittsfläche des Strahls.
Offensichtlich hängt die Luminosität damit von der genauen Form des Strahlpro-
fils ab. Für Speicherringe ist die Bestimmung der Luminosität damit nicht trivial. In
eC e -Speicherringen mit ihren kleinen Fokussierungsquerschnitten (d. h. mit win-
zigen effektiven h2 ) benutzt man die Reaktionsrate eines gut bekannten Prozesses,
N
um den Speicherring zu eichen [64]. Im p p-Speicherring ist es möglich, das Profil
des Teilchenflusses zu bestimmen, was bei bekannten Teilchenflüssen die Berech-
nung der Luminosität erlaubt.
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 85
Die barns entsprechen der Skala der Kernphysik, während man es bei hadronischen
Prozessen mehr mit millibarns und bei partonischen Prozessen oft mit mikrobarns
zu tun hat. Die Luminosität hat die Dimension von inversen barn-Sekunden. Sie
gibt die Ereignisse pro barn und pro Sekunde an.
Was man dabei unter einem Streuereignis verstehen möchte, kann man sich im
Prinzip beliebig aussuchen, und je nach Wahl erhält man dann die entsprechen-
den Wirkungsquerschnitte. Die Kunst ist dabei letztlich, Messgrößen zu finden, die
theoretisch signifikant sind, aber möglichst wenig von detaillierten, noch nicht fest
etablierten Vorstellungen abhängen.
Hat das Targetmaterial eine vorgegebene Dichte (Teilchenzahl pro Volumen),
kann man den Wirkungsquerschnitt in eine mittlere freie Weglänge umrechnen:
1
D : (2.142)
. Dichte/
Für die einfachsten Möglichkeiten der Streuung zweier Teilchen ist die folgende
Terminologie üblich. Der totale Wirkungsquerschnitt
behandelt Prozesse, in denen irgendwelche Teilchen (X) auslaufen, die nicht den
ungestreuten Anfangsteilchen entsprechen müssen. Der „totale Wirkungsquer-
schnitt“ hat zwei Beiträge, den „elastischen Wirkungsquerschnitt“
in dem die Anfangsteilchen nur abgelenkt werden, und den „inelastischen Wir-
kungsquerschnitt“
inel. D ACB!X.¤ACB/ : (2.145)
Ein kernphysikalisches Beispiel für einen elastischen Prozess ist ein Neutron, das
an einem Kern gestreut wird und dabei seine Richtung ändert. Wird der Kern dabei
angeregt, d. h. ist die kinetische Energie nach der Streuung geringer als vorher, hat
man einen Beitrag zum inelastischen Prozess.
Oft betrachtet man den Wirkungsquerschnitt eines festgelegten „Kanals“ oder,
in der Sprache der Kernphysik, einer spezifischen „Reaktion“:
Ein Beispiel aus der Kernphysik ist ein langsames Deuteron, das von einem Kern
eingefangen wird und aus diesem ein angeregtes Isotop macht, das unter Abgabe
eines -Teilchens einen stabilen Zustand erreicht.
In der Kernphysik spezifiziert man einen Prozess oft durch bloße Angabe des in
den Kern einfallenden Teilchens a und des aus dem Kern auslaufenden Teilchens
b als .a; b/. In dieser Notation wird das betrachtete Beispiel als .d; ) beschrieben.
Dabei wird ignoriert, was mit dem Kern geschieht. Die ausführliche Notation ist
z. B.
39
K .d; / 41 Ca : (2.147)
Um anzudeuten, dass es sich nicht um einen elastischen Prozess .a; a/ handelt, be-
nutzt man einen Apostroph .a; a0 /.
In hochenergetischen Streuvorgängen werden oft viele Teilchen produziert. Es
ist daher oft zu mühsam, einzelne Reaktionskanäle zu unterscheiden. Man betrach-
tet daher oft „topologische Wirkungsquerschnitte“
ACB!CCX (2.149)
zu sprechen, die angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teilchen C mit be-
liebigem Rest X gebildet wird, wobei die Kinematik des Teilchens C in geeigneter
Weise spezifiziert wird.
Es gibt natürlich die Möglichkeit, die betrachteten Prozesse kinematisch einzu-
schränken. Der Wirkungsquerschnitt, um ein Teilchen in einem bestimmten Win-
kelbereich oder in einem bestimmtem Segment eines anderen kinematischen Para-
meters zu produzieren, wird oft als differenzieller Wirkungsquerschnitt bezeichnet.
Betrachten wir dazu den differenziellen, elastischen Wirkungsquerschnitt. Der End-
zustand enthält zwei Vierervektoren, pA0 und pB0 (d. h. 1c EA0 ; p 0A und 1c EB0 ; p 0B ). Vier
der acht Parameter sind durch die Viererimpulserhaltung festgelegt:
zwei weitere Parameter sind durch die feste Masse der Endzustände bestimmt (d. h.
durch EA0 2 p 0A 2 D m0 2 für A und B). Es verbleiben damit zwei kinematische
Parameter. Eine Möglichkeit ist es, dafür Winkel zu wählen; dies geschieht üblicher-
weise durch Polarkoordinaten um die Strahlachse, wie es in Abb. 2.49 dargestellt
ist. Sieht man von Spineffekten (genauer: von Prozessen mit polarisierten Projektil-
und Targetspins) ab, gibt es keine Abhängigkeit vom Winkel '. Die folgenden No-
tationen sind damit äquivalent:
Eine völlig analoge Notation existiert für die Schwerpunktwinkel, wie sie in
Abb. 2.50 skizziert sind. Wie üblich sind dabei die mit einem Stern gekennzeichne-
ten Winkel und Impulse Schwerpunktgrößen. Das oben betrachtete „Laborsystem“
wird oft in analoger Weise durch den Index L gekennzeichnet. Die Beschreibungs-
methode lässt sich natürlich leicht auf beliebige Zweiteilchenkanäle übertragen.
Wie überträgt sich der Streuwinkel vom Schwerpunkt- in das Laborsystem? Da
ein Impuls in transversaler Richtung von einer longitudinalen Lorentz-Transforma-
tion nicht beeinträchtigt wird, gilt offensichtlich
.pL /z E tot .p /z P tot .p /0
cot #L D D totL 2 C Ltot : (2.152)
.pL /y ML c .p /y ML c .p /y
Der hochgestellte Index tot soll anzeigen, dass es sich um die Größen des gesam-
ten Systems handelt. Ihre Quotienten ELtot =MLtot c 2 und PLtot =MLtot c entsprechen den
Transformationswinkeln und ˇ. Im Schwerpunktsystem gilt
.p /z
D cot # (2.153)
.p /y
für den ersten Term auf der linken Seite von (2.152) und
s
.p /0 mc 2
D 1C C cot2 # ; (2.154)
.p /y .p /y
für den zweiten Term, wobei die Masse des gestreuten Teilchens oft zu vernachläs-
sigen ist.
88 2 Einführung in die Kernphysik
1
.r/ D exp.ip A r=„/ C f .# / exp.ijp A j r=„/ : (2.155)
„ ƒ‚ … „ r ƒ‚ …
DW .ungestreut/
DW .gestreut/
Gemäß ihrem Strom hat man eine ein- und auslaufende ebene Welle und eine aus-
laufende Kugelwelle. Die Funktion f .#/ heißt elastische Streuamplitude.
Welche Beziehung besteht zwischen der elastischen Streuamplitude und dem dif-
ferenziellen Wirkungsquerschnitt? Die einfallende Welle hat eine konstante Strom-
dichte pro Flächenelement: Ein im Raumwinkel d ˝ beobachteter Fluss muss daher
aus einem Flächenelement d hervorgegangen sein, in das der entsprechende Fluss
eingefallen war. Betrachten wir dazu die benötigte Stromdichte. Mit dem Gradien-
ten kann man sie in der folgenden Weise
„
j .r/ D r r (2.156)
2im
2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 89
als Funktion beider Terme der Wellenfunktion (2.155) schreiben. Die Stromdichte
der ungestreuten Welle ist
und für große r-Werte, d. h. für 1=r ! 0, kann man für die Stromdichte der ge-
streuten Welle schreiben
p 1
j gestreut .r/ D b
r 2
jf # j2 ; (2.158)
mr
wobei p D jpA j ist. Die relative Größe des gestreuten Stroms ist damit gerade
proportional zum Absolutquadrat der Streuamplitude. Nach der obigen Überlegung
entspricht das Verhältnis von dem in einen Winkelbereich gestreuten Teilchenstrom,
d. h. von r 2 jj gestreut .r/j, zu der einfallenden Stromdichte gerade dem differentiellen
Wirkungsquerschnitt:
d=d˝ D jf # j2 : (2.159)
Wir entwickeln jetzt die oben gegebene allgemeine Form der asymptotischen Wel-
lenfunktion nach Kugelfunktionen. Um azimutale Symmetrie herzustellen (und nur
Beiträge mit der Drehimpulsquantenzahl m D 0 berücksichtigen zu müssen), wäh-
len wir die z-Achse in Richtung von pA . Die ungestreute Welle ist dann einfach die
entwickelte Exponentialfunktion
1
X
ipz z=„
ungestreut .r/ D e D .2l C 1/il Pl cos # jl .pr=„/ ; (2.160)
lD1
X1
1
ungestreut ! .2l C 1/Pl cos # .eipr=„ .1/l eipr=„ / : (2.162)
2ipr=„
lD0
Für die gestreute Welle betrifft die Entwicklung nur die Winkelabhängigkeit. Wir
bestimmen zunächst aus der Streuamplitude f .#/ die sogenannten Partialwellen-
amplituden tl mittels der Relation
1
1 X
f .# / D .2l C 1/ Pl cos # tl (2.163)
p=„
lD0
90 2 Einführung in die Kernphysik
jsl j2 D 1 ; (2.166)
d. h. die auslaufende Welle kann sich nur in ihrer Phase ändern, aber nicht in ihrer
Amplitude.
Allerdings wird oft ein Teil des einlaufenden Stroms in nichtelastische Kanäle
absorbiert, d. h. der in einem bestimmten Drehimpulszustand auslaufende Strom
von elastisch gestreuten Teilchen ist kleiner als der einlaufende Strom, und es gibt
eine oder mehrere auslaufende Wellen in anderen Kanälen:
1 X 1
j .r/ ! .2l C 1/Pl cos # sl;j eipr=„ : (2.167)
2ipr=„
lD0
Die Gleichheit von aus- und einlaufenden Strömen gilt natürlich nur für alle Kanäle
zusammen, d. h.es gilt X
jsl j2 C jsl;j j2 D 1 : (2.168)
X 1
1
d=d˝ D j .2l C 1/Pl cos # tl j2 : (2.170)
p 2 =„2
lD0
Die inelastischen Wirkungsquerschnitte sind wiederum aus dem Verhältnis der aus-
laufenden und der einlaufenden Ströme zu bestimmen. Eine analoge Rechnung
ergibt die Abhängigkeit von den Absolutquadraten der entsprechenden Amplituden.
Es existiert dabei natürlich kein ungestreuter auslaufender Anteil (der in (2.171) mit
dem Faktor 1 berücksichtigt wurde), und man erhält
1
X X
inel. D .2l C 1/ jsl;j j2
p 2 =„2 j
lD0
1
(2.173)
X
D 2 2 .2l C 1/ 1 jsl j 2
:
p =„
lD0
Die zweite Zeile folgt aus (2.168). Die Summe von inelastischem und elastischem
Wirkungsquerschnitt ergibt den totalen Wirkungsquerschnitt
1
2 X
tot. D el. C inel. D .2l C 1/ .1 Re sl / ; (2.174)
p 2 =„2
lD0
Dazu vergleichen wir den obigen Ausdruck für den totalen Wirkungsquerschnitt mit
dem Ausdruck für die elastische Streuamplitude aus (2.163). Da
Pl cos # j# D0 D 1
gerade dem totalen Wirkungsquerschnitt, wenn man von konstanten Faktoren ab-
sieht. Mit diesen Faktoren gilt
4
total D Im f .# /j# D0 : (2.175)
p=„
jj auslaufend ij
2
Djj einlaufend ij
2
(2.177)
Multiplizieren wir den Ausdruck auf beiden Seiten mit einem Zustand des Drehim-
pulses l, erhalten wir links den Imaginärteil der Partialwellenamplitude
2 Im tl D h l j.i/.T T C /j li ; (2.182)
wobei
tl D h l jT j li
Bei (2.171) und (2.166) hatten wir gesehen, dass die elastische Streuung durch
die Streuphase, die die Phasenänderung der gestreuten Welle beschreibt, bestimmt
wird. Eine nähere Betrachtung (analog zu Abschn. 2.4.6) zeigt, dass die Streupha-
se beim Durchlaufen einer Resonanz rapide um den Wert ansteigt. Der typische
Verlauf ist in Abb. 2.51 dargestellt. Trägt man die Partialwellenamplitude
e2 i ıl 1
tl D (2.184)
2i
in der komplexen Ebene als energieabhängige Kurve auf, durchläuft sie daher den
Kreis der erlaubten Werte, wie es in Abb. 2.52 zu sehen ist. Die Darstellung heißt
Argand-Diagramm.
Treten im Streuvorgang inelastische Kanäle auf, wandert die Streuphase ins In-
nere des Kreises. Es verbleibt aber die typische zyklische Struktur beim Durchlau-
fen einer Resonanz. Argand-Diagramme sind daher wichtig bei der Entscheidung,
94 2 Einführung in die Kernphysik
ob eine kleine Spitze im Spektrum eine wirkliche Resonanz oder etwas anderes,
wie zum Beispiel eine statistische Fluktuation, ist.
Die Beziehung zwischen Streuphase und Amplitude kann, wie leicht nachzu-
rechnen ist, auch auf folgende Weise geschrieben werden:
1
tl D : (2.185)
cot ı l i
wobei der erste Term verschwindet und der Faktor im zweiten Term als geeignete
Konstante definiert werden kann. Die Amplitude erhält damit die folgende Form:
=2
tl D : (2.187)
.E ER / i =2
4
el. D C .2l C 1/ jtl j2
p 2 =„2
ˇ ˇ (2.188)
4 ˇ . =2/2 ˇ
ˇ
D C 2 2 .2l C 1/ ˇ ˇ :
p =„ .E ER / C . =2/ ˇ
2 2
Bis jetzt hatten wir uns mit der Kernstruktur beschäftigt. Für den Ablauf von Streu-
ungen, d. h. für Kernreaktionen, sind in gewisser Weise neue Modellvorstellungen
nötig.
Bei hohen Streuenergien (oberhalb von etwa 1 GeV pro Nukleon) haben die
Streuvorgänge nur beschränkt mit der Struktur der Kerne zu tun. Man hat, wenn
man zunächst alle Korrekturen ignoriert, folgende Situation: Der eigentliche Streu-
prozess findet zwischen quasifreien Nukleonen (und bei noch höheren Energien
Partonen) statt. Für die Kernphysik verbleibt nur zu beschreiben, wie die Anfangs-
verteilung war und was mit den nicht „herausgeschlagenen“ Nukleonen nach der
eigentlichen Streuung passiert. Das ist allerdings auch bei hohen Energien nur ein
recht grobes Bild.
Wir beschränken uns hier zunächst auf Streuvorgänge bei „niedrigen“ Energien
(unterhalb einiger 10 MeV), bei denen die Kräfte, die für die Bindung der Nu-
kleonen im Kern verantwortlich sind, noch eine entscheidende Rolle spielen. Wir
ignorieren reine Coulomb-Wechselwirkungen. Bei geladenen Teilchen liegt die be-
trachtete Energie daher oberhalb von einigen MeV.
2.6.1 Compound-Kern-Reaktionen
Auf der Grundvorstellung des Tröpfchenmodells wurde von N. Bohr [65] das Com-
pound-Kern-Bild eines Streuvorgangs entwickelt. Es betrachtet die Streuung von
Kernen als Kollision von Flüssigkeitstropfen, deren Dynamik im Wesentlichen
durch den Volumenterm und den Oberflächenterm bestimmt ist. Solche Tropfen
können sich bei einem Streuvorgang vereinigen und einen großen, meist schnell
vibrierenden und rotierenden Flüssigkeitstropfen bilden. Wegen der zugeführten
kinetischen Energie ist er unstabil und zerfällt nach kurzer Zeit.
Dieser zweistufige Prozess lässt sich leicht auf Kerne übertragen. Treffen zwei
Kerne aufeinander, wird ein großer Zwischenkern (englisch compound nucleus)
gebildet, der ein – meist hoher – Anregungszustand des gesamten Kernmaterials
ist. Dieser Zwischenkern wird dann nach kurzer Zeit zerfallen. Für den Zerfall des
Kerns werden dann in der Regel viele Reaktionskanäle offenstehen.
Die zentrale Annahme ist dabei, dass die Erinnerung an die Identität der einfal-
lenden Kerne (bzw. Teilchen) in der Zwischenkernphase völlig verloren geht. Der
Einfangsprozess und der Zerfallsprozess können als zwei unabhängige Faktoren in
der Amplitude
Zwischenkern !ˇ
˛!ˇ D ˛!Zwischenkern P (2.189)
X Zwischenkern!X
Bei niedrigen Energien bei der Streuung mit leichten Projektilen wie Neutronen,
Protonen oder ˛-Teilchen können identifizierbare Resonanzen auftreten. In diesem
Gebiet kann damit die Annahme des Zwei-Stufen-Prozesses direkt experimentell
beobachtet werden. Wie wir in unserer Betrachtung von Resonanzbeiträgen gese-
hen hatten, führt das jeweils zu einer Spitze im Wirkungsquerschnitt, die über den
Untergrund herausragt. Für eine genauere Betrachtung kann man eine Partialwel-
lenanalyse der Winkelabhängigkeit des Streuquerschnitts durchführen, wie sie oben
beschrieben wurde, und Quantenzahlen des Zwischenkerns herausfinden. Aus der
Breite der Resonanzbereiche ergeben sich dann die Lebenszeiten der Resonanz.
Resonanzzustände werden in der Kernphysik als gebundene Niveaus und als
virtuelle Niveaus klassifiziert. Gebundene Niveaus sind Zustände, die nicht unter
Emission in Kernbestandteile wie Neutronen, Deuteronen, ˛-Teilchen oder andere
kleinere Kerne zerfallen können und für deren Instabilität damit nur die -Emission,
der ˇ-Zerfall und ähnliche Prozesse übrigbleiben. Für virtuelle Niveaus ist das
Kernpotenzial selbst nicht stark genug, um eine Bindung zu erreichen. Zwischen-
kerne, die durch Streuung von Kernen entstanden sind, sind zunächst (wegen der
Zeitumkehr) virtuell. Da die -Emission und der ˇ-Zerfall vergleichsweise lang-
sam ablaufen, werden sie bei virtuellen Niveaus in der Regel nicht auftreten. Für
virtuelle Niveaus ist daher ein Zerfall in Kernbestandteile typisch.
Viele Eigenschaften der Resonanzstreuung kann man aus einer einfachen Poten-
zialtheorie verstehen. Für geladene Streuteilchen hat das Potenzial wegen der star-
ken Coulomb-Abstoßung unmittelbar außerhalb des Kerns eine hohe zu durchtun-
nelnde Wand. Quantenmechanischen Überlegungen entsprechend kann eine Viel-
zahl von deutlichen virtuellen Zuständen existieren, die bei niedrigen Anregungs-
energien im Wirkungsquerschnitt einzeln beobachtet werden können. Bei etwas
höheren Energien ändert sich die Situation. Die Dichte der Niveaus pro Energie-
einheit wird größer, und die einzelnen Resonanzstrukturen werden natürlich auch
breiter. Dass die Niveaus mit zunehmender Energie dichter werden, hatten wir am
Beispiel des dreidimensionalen Potenzialkastens beobachtet. (Siehe Abschn. 2.3.2.
Die kombinatorischen Möglichkeiten, Anregungen auf die drei Raumrichtungen zu
verteilen, steigen.) Dass die Resonanzstrukturen breiter werden, liegt daran, dass
die Höhe der Schwellen, die durchtunnelt werden müssen, mit wachsenden Anre-
gungsenergien niedriger wird.
Für neutrale Teilchen gibt es keine Coulomb-Barriere, die durchtunnelt werden
muss. Bei Energien, die dies erlauben, sollten die Neutronen daher relativ schnell
dem Kernpotenzial entkommen können. Wegen der kurzen Lebenszeit des Bin-
dungszustands erwartet man wenige vergleichsweise breite Resonanzstrukturen.
Ein zentrales Problem dabei soll an den in Abb. 2.54 dargestellten Daten er-
läutert werden [33, 37, 66]. Auf den ersten Blick ist die Vorhersage erfolgreich:
Die Breite der Resonanzen in der Abbildung entspricht in der groben Struktur der
2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 97
erwarteten Breite. Bei näherem Hinsehen findet man allerdings feine Strukturen.
Eine solche Unterstruktur muss eine fundamentale Ursache haben. Die Breite rührt
letztlich von der Unschärferelation her, d. h. die Aufenthaltszeit der Neutronen in
Kernen muss entsprechend länger sein, zumindest mit einer gewissen Wahrschein-
lichkeit, die ausreicht, um die Unterstruktur zu erzeugen.
Die Erklärung beruht auf der Tatsache, dass Zwei-Teilchen-Wechselwirkungen
hier nicht vernachlässigt werden können. Das Neutron befindet sich dabei mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit nicht in seiner „eigenen Schale“, sondern in einem
Deuteron, einem ˛-Teilchen oder sonst einem „Cluster“. Ist der Kern bezüglich ei-
nes Zerfalls in einem Cluster stabil oder recht stabil, kann er zunächst nicht oder
fast nicht zerfallen. Nach einer Zeit kann das Neutron natürlich wieder zurück in
seine Schale gehen und mit der erwarteten, der Lebensdauer in der Schale entspre-
chenden Breite zerfallen. Das Bild mit dem Clusterzustand ist nur ein Beispiel für
einen Prozess, bei dem die Anregung zunächst vom einfallenden Neutron auf den
gesamten Kern übertragen wird. Es gibt viele andere Möglichkeiten für solche Pro-
zesse (d. h. Korrekturen zum Modell mit einem effektiven Zentralpotenzial). Sie
bewirken, dass die Lebensdauer damit neben dem erwarteten raschen Abfall eine
kleine, viel länger lebende Komponente hat.
Quantenmechanisch ist für Messungen das Amplitudenquadrat wichtig. Ein klei-
ner Beitrag zu einer wesentlich größeren Amplitude ist daher quadratisch klein. Der
dominante Effekt eines solchen Beitrags ist daher der Interferenzterm. Wie wir im
nächsten Abschnitt sehen werden, kann ein solcher Interferenzterm die beobachtete
feine Struktur erklären.
Wie sollte ein solcher Interferenzterm aussehen? Zur Ableitung der Breit-Wig-
ner-Formel hatten wir eine lineare Energieabhängigkeit der Streuphase ıl ange-
nommen. Nehmen wir für einen Augenblick an, dass diese Linearität über einen
98 2 Einführung in die Kernphysik
weiteren Bereich gilt. Aus der Unschärferelation wissen wir, dass die Steigung (d. h.
die inverse Breite) proportional zur Lebensdauer sein muss. Auf diese Weise erhält
man einen langsam oszillierenden großen Beitrag und einen rasch oszillierenden
kleinen Beitrag zur Amplitude. Der Interferenzterm (d. h. das Produkt dieses rasch
oszillierenden Terms mit einem relativ energieunabhängigen Faktor) wird daher
rasch zwischen einem positiven und einem negativen Wert oszillieren und damit
im Mittel etwa keinen Beitrag ergeben. Summiert man beide Terme, erhält man
genau die beobachtete Situation. Der große Beitrag wird das mittlere Verhalten
bestimmen, und der Interferenzterm wird kleine Oszillationen um diese Struktur
bewirken.
Um höhere Streuenergien zu beschreiben, kann man die Resonanzbeiträge in
ein Gebiet extrapolieren, in dem keine einzelnen Resonanzen mehr identifiziert
werden können [27]. Man muss versuchen, die typischen Eigenschaften der bei-
tragenden Resonanzen global zu betrachten. Im „statistischen Modell“ wird dazu
der nicht mehr zu spezifizierende hochangeregte Zwischenkern mit dem Fermi-
Modell beschrieben. Man nimmt an, dass die einfallende kinetische Energie den
Kern „erwärmt“ und dass man eine Temperatur definieren kann, die dann bestimmt,
wie der Kern durch Abdampfen von Kernbestandteilen abkühlt. Bei hohen Tempe-
raturen können sich kleine Bruchstücke mit hohen kinetischen Energien abtrennen,
während bei niedrigen Temperaturen nur Zwei-Körper-Zerfälle relevant sind.
Im Vergleich zu Prozessen, die wir im nächsten Abschnitt kennen lernen werden,
zerfallen Resonanzanregungen und Zwischenkerne recht isotrop. Die Erinnerung
an die Einfallsrichtung geht verloren. In einem Gebiet, in dem ein einziger Kanal
dominiert, erwartet man eine Streuamplitude, die dem Quadrat einer einzigen Par-
tialwelle entspricht. Diese Quadrate sind im Zerfall bezüglich der Vorwärts- bzw.
der Rückwärtsrichtung symmetrisch. Im Zwischenkernmodell gibt es daher keinen
Beitrag, bei dem das Teilchen, nur ein bisschen gestört, in Vorwärtsrichtung weiter
läuft.
Die Bildung eines Zwischenkerns ist offensichtlich nicht der einzige Streuprozess.
Es wird beobachtet, dass Projektil und Target oft in der Streuung erhalten bleiben
und nur eine geringe Impulsübertragung auftritt. Ein solcher Steuvorgang liefert
den dominanten Beitrag zur elastischen Streuung. Für solche Prozesse wurde von
Feshbach, Porter und Weißkopf [67] das sogenannte Optische Modell vorgeschla-
gen.
Das Optische Modell extrapoliert das Konzept des Schalenmodells. Es be-
schreibt den Weg des einfallenden Projektils in einem kugelförmigen Potenzial,
d. h. etwa in Form eines Woods-Saxon-Potenzials innen und für geladene Teilchen
mit einem Coulomb-Potenzial außen. Das Kernpotenzial wirkt als eine Art Linse
für die durchlaufenden Teilchen, die die Richtung der Teilchen verändert.
Offensichtlich ist das Bild des Kerns als Linse unvollständig. Nur eine globale
Wechselwirkung mit dem zentralen Kernpotenzial anzunehmen, ist natürlich nur ei-
2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 99
Rutherford
1.0 Kastenpotenzial
0.5
Wood−Saxon−
Potenzial
0.1
0 30° 60° 90° 120°
Abb. 2.55 Der differenzielle Wirkungsquerschnitt im Optischen Modell (adaptiert nach [27])
erste Modell gilt für elastische und inelastische Prozesse. Obwohl es auf den ersten
Blick plausibel erscheint, ist es nicht richtig, dass der zweite Beitrag nur für elasti-
sche Prozesse auftritt. Auch für beinahe elastische Prozesse gibt es „direkte Reak-
tionen“, die die Vorwärtsrichtung bevorzugen. „Beinahe elastisch“ bedeutet dabei,
dass das auslaufende Teilchen den größten Teil des einlaufenden Teilchens enthält.
Ein Beispiel für einen solchen Prozess ist ein Deuteron, das im Streuvorgang ein
Neutron abgibt und als Proton weiterläuft („stripping-reaction“), oder ein Deute-
ron, das sich im Streuvorgang ein weiteres Deuteron einfängt und als ˛-Teilchen
die Reaktion verlässt („pick-up-reaction“). Sie können ähnlich wie die elastischen
Prozesse mit einer Art Optischen Modell beschrieben werden. Der absorptive Teil
des Potenzials enthält dann den Transfer-Reaktionsanteil. Dieser Anteil des Poten-
zials ist dann jeweils Quelle für die neue auslaufende Welle.
Die Kernspaltung ist die wichtigste Anwendung von Kernreaktionen. Sie beruht auf
der Tatsache, dass die mittelschweren Kerne stärker gebunden sind als die schwe-
reren; diese Energiedifferenz kann bei der Spaltung letztlich als kinetische Energie
freigesetzt werden.
Wie kann man Kernreaktionen technisch nutzen? Für eine energietechnische An-
wendung ist die Zahl der direkt aus Beschleunigern kommenden Reaktionsteilchen
nicht ausreichend. Man muss einen Prozess finden, der eine Kettenreaktion erlaubt,
in der die Teilchen, die für die Reaktion benötigt werden, in der Reaktion wiederum
produziert werden.
Welche Möglichkeiten gibt es für solche Kettenreaktionen?
In den meisten Kernreaktionen werden Photonen erzeugt. Gibt es die Möglich-
keit eines Photonenreaktors? Langlebige Isotope können in Prinzip durch Photonen
in Zustände angeregt werden, die schnell unter Emission von neuen Photonen in
tiefer gelegene Grundzustände zerfallen. Ein Problem dabei ist allerdings, dass ein
großer Teil der Photonenenergie wohl sehr schnell von den Elektronen absorbiert
und in Wärme umgesetzt würde und es daher zu keiner sich selbst unterhaltenden
Kettenreaktion kommen kann, die zur Energieproduktion verwendet werden könn-
te.
Betrachten wir als nächstes Reaktionen mit geladenen Teilchen, bei denen die
Streuung durch die Coulomb-Schwelle entscheidend beeinflusst wird. Fällt ein Teil-
chen auf einen Kern ein, wird es wegen der Ladung vom Kern weg gelenkt, und nur
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 101
durch einen ganz oder fast zentralen Stoß kann es, wenn die Energie groß genug ist,
in den Kern vordringen. In der Regel wird ein Teilchen daher seine Energie verlie-
ren, d. h. in vielen nichtzentralen Streuvorgängen in Wärme umwandeln, bevor es zu
einer erneuten Reaktion kommen kann. Es gibt eine Möglichkeit, dies zu umgehen.
Hat die Umgebung eine entsprechend hohe Temperatur, wird gleich oft kinetische
Energie abgegeben und aufgenommen, sodass eine Kettenreaktion mit geladenen
Teilchen stattfinden kann. Da die Höhe der Coulomb-Schwelle durch das Produkt
von Kernladung und inversem Kernradius (also durch A2=3 ) gegeben ist, ist diese
Möglichkeit nur für leichte Kerne praktikabel. Es ist der Fusionsprozess, den wir
im nächsten Abschnitt behandeln werden.
Es verbleibt die Kettenreaktion mit Neutronen. Die meisten Kerne können Neu-
tronen einfangen und in ein angeregtes Isotop übergehen, das dann unter -Emis-
sion zerfällt. Es gibt einige Kerne, die durch Neutronen zur Spaltung angeregt
werden. Dabei wird – die Massenzahl der einzelnen Kerne erreicht das günstige-
re mittelschwere Gebiet – viel Energie frei. Neben den Spaltprodukten entstehen
dabei oft freie Neutronen („prompte“ Neutronen). Da im Gegensatz zu den ur-
sprünglichen Kernen bei niedrigeren Massenzahlen die Zahl der Neutronen etwa
der Zahl der Protonen entsprechen muss, haben die leichteren Spaltprodukte oft
trotz der schon emittierten prompten Neutronen noch einen Neutronenüberschuss.
In den Zerfall der Spaltprodukte werden daher oft weitere Neutronen (verzögerte
Neutronen) abgestrahlt.
Der einfachste Reaktor, in dem eine solche Kettenreaktion ablaufen kann, besteht
aus einer Kugel aus spaltbarem 235 U. In einer solchen Kugel laufen zwei Reaktionen
ab,
235
UC Neutron ! 2 FragmenteC NeutronenC (˛- und -Strahlung) ; (2.191)
Der erste Prozess ist nutzbar für die Kettenreaktion, der zweite nicht. Das Verhältnis
der beiden Prozesse, d. h. der Spaltreaktionen zu den Neutroneneinfangreaktionen
wird oft mit a bezeichnet. Das Durchschnittsneutron erleidet damit das folgende
Schicksal:
a 1 236 a
235
UCn ! .2 Fragmente/ C UC n C ˛- und -Strahlung :
1Ca 1Ca 1Ca
(2.193)
Die Regenerationskonstante
a
D
1Ca
ist damit der relevante Multiplikationsfaktor der Kettenreaktion. Er liegt für die
spaltbaren Kerne zwischen 1,75 und 3,0; vgl. [68]. Eine Kettenreaktion ist also im
Prinzip möglich.
102 2 Einführung in die Kernphysik
Ob der idealisierte Reaktor kritisch ist oder nicht, hängt auch davon ab, wie
viele Neutronen entkommen, und man definiert einen entsprechenden Bleibefaktor
P . Er hängt von der mittleren Weglänge der Neutronen sowie von der Größe und
der Geometrie des Reaktors ab. Je nachdem, ob der kritische Faktor
C DP
größer, gleich oder kleiner als eins ist, wächst die Zahl der Neutronen an, bleibt
gleich bzw. nimmt ab. Man spricht von einem überkritischen, kritischen oder unter-
kritischen Verhalten.
In einem realistischen Reaktor [69] sind die spaltbaren Isotope nicht rein, und
es ist klar, dass, schon um die Wärme abzuleiten, andere Stoffe im Reaktor sein
müssen. Man braucht daher eine Regenerationskonstante, die deutlich über eins
liegt.
Außerdem muss neben den Bedingungen C > 1 und Q > 0 auch die Bedingung
erfüllt sein, dass die Energie, die den emittierten Neutronen gegeben wird, größer
als die beim Neutroneneinfang benötigte Energie ist. Dies ist kein Problem bei der
hier betrachteten Reaktion. Es schließt jedoch den Prozess
n C 9 B ! 24 He C 2 n
aus.
Mit diesen Bedingungen bleiben drei in größerem Umfang herstellbare Isotope,
nämlich
233
U; 235 U und 239 Pu ;
übrig.
Typische Wirkungsquerschnitte sind in Abb. 2.56 dargestellt. Für spaltbare Iso-
tope fallen sie von riesigen 1000 barns bei 10 MeV in einer Dekade auf Werte
von 100 barns ab. (Der Wirkungsquerschnitt kann größer als der Querschnitt in
der Dichteverteilung sein. Die quantenmechanische Grenze ist < 2 , wobei
die Wellenlänge des Teilchens ist.) Die relative Größe des Spaltquerschnitts nimmt
dabei langsam ab. Bei sehr viel höheren Energien im MeV-Bereich erreicht der
Spaltprozess eine relative Wahrscheinlichkeit von 10 % und einen Wirkungsquer-
schnitt von 10 barns. In diesem Bereich tritt Spaltung auch bei anderen Isotopen
auf.
Von den drei genannten spaltbaren Isotopen kommt nur 235 U in der Natur vor.
Das natürliche Uran besteht im Wesentlichen aus den in der Tab. 2.1 angegebe-
nen Isotopen. Es enthält etwas weniger als ein Prozent der spaltbaren Substanz. In
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 103
und
232
Th C n ! 233
Th C ;
23 min
233
Th ! 233
Pa C ˇ C N e ; (2.195)
27;4 Tage
233
Pa ! 233
U C ˇ C N e :
Wie bei spontanen Spaltungen entstehen Spaltprodukte mit einer breiten, meist
unsymmetrischen Massenzahlverteilung, wie wir sie im Abschn. 2.4.7 kennen ge-
lernt hatten. Ein Beispiel für einen kompletten Zerfall ist in Abb. 2.57 gegeben.
Wegen des hohen 238 U-Anteils wird natürliches Uran selbst bei unendlicher Mas-
se nicht kritisch. Technisch gibt es zwei Möglichkeiten, die Kettenreaktion in Gang
zu setzen und kritische Werte zu erreichen. Werden die Neutronen durch “Mode-
ratoren“ gebremst, erreichen sie Energien, für die die Wirkungsquerschnitte rie-
sig werden. Bei geeigneter Anordnung von Uranstäben in einem Moderator, wie
schweres Wasser, können mit natürlichem Uran kritische Werte erreicht werden. Für
die meisten Reaktoren wird aber das spaltbare Uran auf 2 % 3 % angereichert. Ein
anderer Weg wird beim schnellen („fast“) Reaktor verfolgt. Man verzichtet hier-
bei auf große Moderatorvolumina und reichert das spaltbare Uran auf etwa 20 %
an.
In Reaktoren wird durch Ausfahren von Neutronen absorbierenden Stäben
der benötigte Arbeitspunkt eingestellt. Dabei gibt es ein Problem. Die Änderung
der Reaktionsrate muss durch Verschieben der Stäbe kontrolliert werden. Für die
thermischen Neutronen, die eine Lebensdauer im Reaktor von nur etwa 103 s
haben, ist dies nicht möglich. Die Steuerbarkeit eines Reaktors wird dadurch
ermöglicht, dass, wie geagt, in den Zerfällen neben den prompten Neutronen so-
genannte verzögerte Neutronen auftreten. Man muss in dem Bereich bleiben, in
dem ohne verzögerte Neutronen der kritische Wert nicht überschritten wird und
hat damit eine entsprechend verlängerte Reaktionszeit. Der kritische Faktor hängt
durch verschiedene Effekte von der Temperatur im Reaktor ab. Für die Reaktor-
sicherheit ist es hilfreich, dass der kritische Faktor mit wachsender Temperatur
abnimmt.
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 105
Zur Frage, welche Rolle Kernreaktoren für die Energiegewinnung spielen soll-
ten, bestehen sehr unterschiedliche Ansichten. Die Attraktion von Fissionsreaktoren
beruht darauf, dass pro verbranntem Atom einige MeV Energie freigesetzt wer-
den, d. h. 106 -mal soviel wie im Verbrennungsprozess. Fissionsreaktoren werden
daher als einzige Möglichkeit gesehen, die Versorgung der rapide wachsenden Welt-
bevölkerung sicherzustellen und einen massiven Anstieg des CO2 -Ausstoßes zu
verhindern [70].
Dabei existieren allerdings ernste Probleme, die mit dem sicheren Betrieb, dem
möglichen Missbrauch zur Bombenherstellung und der Entsorgung des radioakti-
ven Abfalls zu tun haben.
Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Eine angemessen detaillierte Behandlung ist im Rahmen dieses Buchs nicht mög-
lich. Viele dieser neuen Konzepte beruhen darauf, im Betrieb durch einen der beiden
oben genannten Brutprozesse das gerade benötigte spaltbare Material unmittelbar
zur Verfügung zu stellen und so möglicherweise die Betriebssicherheit zu erhöhen
(siehe dazu [71] oder [72]).
Dies hat wichtige indirekte Vorteile. Es erleichtert die Beschaffung des Brenn-
materials. Geologisch ist Thorium etwa hundert mal so verbreitet wie das spaltbare
235
U. Auch ist der Brutprozess mit Thorium wahrscheinlich nicht zur Bombenpro-
duktion zu missbrauchen. Für Länder, die konventionelle Kernreaktoren betrieben
haben, könnte sich eine andere attraktive Möglichkeit ergeben. Die gelagerten, ver-
brauchten Brennstäbe konventioneller Reaktoren bestehen im ausreichenden Um-
fang aus 238 U, um wieder verwendet zu werden. Sie könnten die Versorgung für
lange Zeit sicherstellen und solche Reaktoren könnten die Entsorgung vereinfachen.
Ein Problem ist, dass anfangs zur Zündung des Prozesses relativ hoch angerei-
chertes spaltbares Material benötigt wird, was eine missbräuchliche Verwendung
ermöglicht. Um die Gefahr zu minimieren, kann der eigentliche Abbrand dann über
viele Jahre oder Jahrzehnte erfolgen.
Eine aufwendige Möglichkeit, die Gefahr zu umgehen, ist der „Nuclear Am-
plifier“ [73] oder der ADMSR [74]. Protonen können aus eigentlich „instabilen“
Kernen (siehe Abschn. 2.4.7) schon in peripheren Stößen Neutronenemissionen
„katalysieren“, ohne selbst viel Energie zu verlieren. Dies wird Spallation genannt.
Mit einem aufwendigen, sicherlich realistischen Beschleuniger mit einem etwa Pro-
tonenstrahl von etwa 1 GeV und 10 50 mA würde in einen konzeptierten „Nuclear
Amplifier“ etwa 50-mal soviel termische Energie erzeugt werden, wie hineinge-
steckt wurde [73].
Eine quantitative Betrachtung zeigt, dass die Kernverschmelzung für einige leich-
tere Kerne in der Tat die Möglichkeit einer Energiegewinnung eröffnet. Die dabei
gewonnene Energie ist typischerweise sogar größer als bei den Spaltprozessen. Zum
einen ist der Anstieg der Bindungsenergie bei niederen Massenzahlen steiler als der
Abfall bei hohen, zum anderen wird letztlich oft der besonders stabile, doppelt ma-
106 2 Einführung in die Kernphysik
gische 4 He-Kern gebildet. Wichtige Fusionsprozesse sind (siehe [4, 75, 76]):
dCd ! 3
He C n C 3;27 MeV ;
dCd ! t C p C 4;03 MeV ;
dCt ! 4
He C n C 17;6 MeV ;
tCt ! 4
He C 2n C 11;3 MeV ;
3
He C d ! 4
He C p C 18;3 MeV ;
7
Li C p ! 2 4 He C 17;3 MeV ;
11
BCp ! 3 4 He C 8;7 MeV
Tritiumkerne erbrütet. Natürliches Lithium enthält 92,6 % 6 Li und 7,4 % 7 Li. Das
Isotop Deuterium ist zu etwa 0;015 % im Wasserstoff enthalten.
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 107
Um die Fusion ablaufen zu lassen, braucht man nicht nur die nötige Energie;
die benötigte Temperatur ist etwa 20 keV=kB , wobei kB D 8;6 105 eV=K ist.
Vielmehr man muss auch lange genug genügend viele Teilchen zusammenhalten.
Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu tun:
den magnetischen Einschluss oder
den Trägheitseinschluss („inertial confinement“).
(Als Alternative besteht die Möglichkeit, das Kernfeld durch ein schweres negatives
Teilchen schon im Kernbereich abzuschirmen und auf diese Art die starke Absto-
ßung zwischen den Fusionskernen zu umgehen. Als solches Katalysator-Teilchen
kommt das Myon in Frage, das in Abschn. 5.1 eingeführt wird. Es hat sich heraus-
gestellt, dass das Myon dazu eine etwas zu kurze Lebenszeit hat. Die Schwierigkeit
bei einem solchen Reaktor besteht darin, innerhalb dieser Lebenszeit die relativ
hohe Energie, die für die Produktion eines Myons erforderlich ist, aus Fusionspro-
zessen wiederzugewinnen.)
Da mit einer technisch nutzbaren Fusion praktisch unendliche Energiereserven
zur Verfügung stünden, werden beide Möglichkeiten mit großer Intensität unter-
sucht.
Bei hohen Temperaturen besteht die Materie aus freien geladenen Teilchen, d. h.
aus Ionen und Elektronen. Da sich geladene Teilchen im Magnetfeld auf Kreis-
bahnen bewegen, kann man durch geschickt angeordnete Magnetfelder („magne-
tic confinement“) verhindern, dass die Teilchen auseinanderdriften. Natürlich pro-
duzieren die Ionen des Plasmas auch Ströme und damit wiederum Magnetfelder,
und man hat eine recht komplizierte Situation, bei der verschiedenartige Kräfte im
Gleichgewicht stehen müssen. Lokale Instabilitäten können global errechnete Ein-
schlusszeiten drastisch verkürzen.
Die Entwicklung magnetischer Fusionsreaktoren ist weit fortgeschritten. Im
„Joint European Torus“ (JEP, Culham, UK) wurden 2 MW Fusionsleistung produ-
ziert. Der wesentlich größere „International Thermonuclear Experimental Reactor“
(ITER, Cadarache, Frankreich) ist im Bau. 2020 soll das erste Plasma erzeugt
werden. Der Betrieb mit Deuterium und Tritium ist für 2027 vorgesehen. Mit einer
Brenndauer von bis zu einer Stunde sollen mit 50 Megawatt Heizleistung 500 Me-
gawatt Fusionsleistung erzeugt werden. Falls keine Probleme auftreten, wird ein
Nachfolgeprojekt „DEMO“ in den Gigawattbereich vordringen und mit einem
vollständigen Lithiumkreislauf etwa 2040 Strom ins Netz einspeisen [78].
Beim Fusionsreaktor mit Trägheitseinschluss („inertial confinement“) wird ei-
nem Kügelchen, das Deuteron and Tritium enthält, schnell viel Energie zugeführt.
Es wird stark zusammengepresst und erhitzt. Das Ziel ist es, dabei, einen Fusions-
prozess zu erreichen, der in der kurzen Zeit, bevor das Kügelchen auseinander fliegt,
genügend viel Energie erzeugt, um kommerziell nutzbar zu sein. Für die Fusions-
ausbeute ist das Produkt von Dichte und Einschlusszeit relevant. Man versucht hier,
die relativ kurzen Einschlusszeiten durch die hohen Dichten zu kompensieren.
Es gibt verschiedene Methoden, Energie zuzuführen. (In Wasserstoffbomben
wird dazu eine Fissionsbombe verwendet.) Besonders Erfolg versprechend sind
starke Laser (Anlagen, die Laserstrahlen erzeugen) oder Teilchenstrahlen mit hohen
Flussdichten. Detaillierte Studien scheinen zu belegen, dass kommerzielle Reakto-
108 2 Einführung in die Kernphysik
ren möglich sein sollten [79, 80]. Bei Trägheitseinschluss ist es möglich [81], dass
nach einer Initialzündung neutronlose Fusionsprozesse die eigentliche Energie pro-
duzieren. Der Fortschritt in diesem Gebiet ist langsamer als erwartet.
Fusionen sind wichtig für den Energiebilanz der Sonne. Das Sonneninnere be-
steht im Wesentlichen aus Wasserstoff (70 % der Masse) und Helium (29 % der
Masse), und keiner der obigen Fusionsprozesse kann daher primär auftreten. Ver-
antwortlich für die Fusion ist zunächst der Prozess
p C p ! d C eC C e ;
der nur durch die schwache Wechselwirkung ablaufen kann, die wir beim ˇ-Zerfall
kennen gelernt haben. Das entstehende Neutrino kann auf der Erde mit der zu er-
wartenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Der Wirkungsquerschnitt des
Prozesses ist verschwindend gering (etwa 1023 b). Dies hat die Konsequenz, dass
ein Proton in der Sonne etwa 1010 Jahre braucht, um in einem Fusionsprozess in ein
Deuteron überzugehen. Mit schnellen Fusions- und Zerfallsprozessen bedeutet dies
letztlich die Umwandlung von Wasserstoff in Helium und Strahlung.
Am Ende des vorigen Abschnitts haben wir die Produktion von Helium in der Son-
ne kennen gelernt. Welche Vorstellungen gibt es über die Entstehung der anderen
Elemente? Vgl. hierzu [12, 75].
Man nimmt an, dass das Weltall sich seit etwa 1010 Jahren (seit dem Urknall)
ausdehnt und abkühlt. Nach einer Elementarteilchen-Phase muss dabei einige hun-
derttausend Jahre nach dem Urknall eine Temperatur erreicht worden sein, bei der
Gase aus Atomen existieren konnten. Die Kerne dieser Atome bestanden dabei aus
den Teilchen der vorhergegangenen Phase. Die Gase enthielten daher hauptsächlich
Wasserstoff, etwas Helium (25 % der Masse) und ein wenig Lithium.
Die Produktion von schweren Kernen erfordert hohe Temperaturen, damit die
Reaktionspartner ausreichend viel kinetische Energie haben, um die Coulomb-
Schwelle zu überwinden. Da in der Sonne (und im Sonnensystem) keine ausrei-
chenden Temperaturen auftraten, müssen die schwereren Elemente von außen in
das Sonnensystem gekommen sein. Sie müssen in sehr großen Sternen entstanden
und dann in einer Explosion irgendwie wieder in den Weltraum emittiert worden
sein.
Wie hat man sich die Evolution eines solchen großen Sterns, in dem schwe-
rere Kerne erbrütet werden, vorzustellen? Ein Stern hat seinen Ursprung in einer
Anhäufung von Gas im Weltraum. Die Gravitation, die eine solche Anhäufung ver-
ursacht und zusammenhält, muss dabei durch den thermischen Druck im Inneren
der Gaswolke kompensiert werden. Durch die Gravitation werden die Gasmolekü-
le im Inneren eine etwas höhere Temperatur haben als im umgebenden Weltraum.
Längerfristig wird damit durch die Abstrahlung von Photonen Energie an die Um-
gebung abgegeben. Hält man in einem Gedankenexperiment die räumliche Aus-
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 109
dehnung der Gaswolke konstant, bedeutet dies ein Abfallen der Temperatur. Wegen
des damit verbundenen geringeren Drucks wird die Gravitation nicht mehr kom-
pensiert, und der Stern muss sich verdichten. Dabei wird potenzielle Energie in
kinetische Energie umgewandelt.
Dass die Gravitation mit kleiner werdendem Abstand rasch ansteigt, hat eine auf
den ersten Blick ungewöhnliche Konsequenz: Ein Abnehmen der Energie bedeutet
ein Ansteigen der Temperatur. Diese Beobachtung folgt aus dem Virialtheorem,
das die mittlere kinetische Energie in einem sich nicht ändernden System durch den
folgenden Mittelwert bestimmt:
* +
1 X
T D ri F i ;
2 i
ZM
1 m
T dm ;
2 r.m/
0
wobei M die Gesamtmasse ist. Da der Radius nur im Nenner auftritt, steigt die
mittlere kinetische Energie bei einer Kontraktion
hr 0 i
r.m/ ! r 0 .m/ D r.m/
hri
invers zum mittleren Radius hri. Ein Teil der potenziellen Energie, die durch Kon-
traktion gewonnen wird, muss in zusätzliche kinetische Energie überführt werden
und für eine Temperaturerhöhung sorgen. Mit steigender Temperatur wird sich die
Abstrahlung verstärken und der Kontraktionsprozess mehr und mehr beschleunigt
fortsetzen.
Die Verdichtung schreitet fort, bis neue Prozesse wichtig werden. Irgendwann
wird die Temperatur groß genug werden, so dass im Inneren des Sterns, wie in
der Sonne, Wasserstoff zu Helium verbrennen kann. Dabei wird (im Vergleich zu
anderen Fusionsprozessen) sehr viel Energie frei. Die freiwerdende interne Energie
kompensiert die abgestrahlte Energie. Die Kontraktion des Sterns ist damit zunächst
gestoppt.
Nachdem der Wasserstoff verbraucht ist, wird sich der Kontraktionsprozess fort-
setzen und zu einem weiteren Anstieg der Temperatur führen. Bei kleinen Sternen
110 2 Einführung in die Kernphysik
benötigt werden. Bei diesem Prozessen ist der erste Prozess nicht exotherm, und
das gebildete 8 Be ist nicht stabil. Trotzdem werden im thermischen Gleichgewicht
immer einige Berylliumatome für den zweiten Prozess zur Verfügung stehen. Ist die
Heliumkonzentration gesunken, wird nach weiterer Kontraktion Silicium syntheti-
siert
16
O C 16 O ! 28 14 Si C He C 9;6 MeV ;
4
(2.197)
wenn bei ausreichender Größe eine Temperatur von 100 200 keV entstanden ist.
Stehen die Ausgangstoffe dieser Reaktion nicht mehr in ausreichendem Maße
zu Verfügung, kommt es bei sehr großen Sternen zu einer weiteren Erhitzung in die
Gegend von 1 MeV. Die Energie ist jetzt hoch genug, den Kern wieder in Stücke zu
schlagen. Es wird zu einem Gleichgewicht von Integration und Disintegration von
Kernen kommen. Viele neue Kerne werden gebildet. Allmählich wird dabei eine
Anreicherung von Kernen mit Massenzahlen ähnlich denen der besonders stabilen
Eisen- und Nickelkerne entstehen.
Mit wachsender Dichte muss die kinetische Energie der Elektronen größer und
größer werden (analog zu den Überlegungen zum Fermi-Modell, Abschn. 2.3.2).
Ist die benötigte Elektronenenergie größer als die Massendifferenz zwischen Pro-
ton und Neutron in Kernmaterie, werden die Elektronen im Kern eingefangen. Es
kommt zur Bildung von größeren und größeren, im Wesentlichen aus Neutronen
bestehenden Atomkernen, die am Ende die Größe des gesamten Sterninneren er-
reichen (Neutronenstern). Da in diesem Prozess die mögliche Packungsdichte der
Nukleonen um Größenordnungen steigt, kommt es zu einem rapiden Abfall des
Druckes, der zu einem drastisch beschleunigten Kontraktionsprozess führt. Man
nimmt an, dass es dabei meist zu einer Implosion kommt, bei der ein Teil des
Hüllenmaterials aus dem Stern herausgeschleudert wird (Supernova-Explosion). Es
sind diese Bruchstücke, von denen man annimmt, dass sie letztlich Quelle aller
schweren Kerne (außerhalb von Neutronensternen) sind.
Mittelschwere Kerne (etwa bis zum Eisen) stammen direkt aus der Oberfläche
eines solchen explodierenden Sterns. Für die schwereren Kerne kommt nachträglich
ein zusätzlicher Prozess hinzu. Die schwereren Kerne werden aus mittleren Kernen
durch mehrmaligen Neutroneneinfang gewonnen. Falls dabei die Proton-Neutron-
Asymmetrie zu groß wird, kann anschließend ein ˇ-Zerfall auftreten.
2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 111
Die Theorie der Kernsynthese erklärt die Häufigkeit der natürlichen Isotope. Sie
ist noch kein abgeschlossenes Gebiet. Ziel dieses Abschnitts war es, in die grundle-
genden Überlegungen dieser Anwendung der Kernphysik einzuführen.
Einführung in die Hadronenphysik
3
Das Thema des ersten Abschnittes dieses dritten Kapitels sind die hadronischen
Teilchen und Resonanzen selbst. Die Eigenschaften von hadronischen Streuvor-
gängen werden im zweiten Abschnitt behandelt. Dieser Aufbau ist analog zu dem
der Kernphysik; beginnend mit niedrigen Energien und größeren Ausdehnungen ar-
beiten wir uns langsam zu schneller ablaufenden, hochenergetischen Phänomenen
vor.
Wir kommen in ein Gebiet, in dem relativistische Effekte eine zentrale Rolle
spielen. Um die Struktur der relativistischen Gleichungen nicht unnötig zu kom-
plizieren und um den Vergleich mit Büchern zur relativistischen Quantenmecha-
nik [10, 82] zu erleichtern, benutzen wir nun die in der Einleitung erwähnten na-
türlichen Einheiten. Die Variablen m; p; x; t sind, wenn die Einheiten nicht explizit
angegeben sind, durch die Ausdrücke mc 2 ; pc; x=.„c/; t=„ zu ersetzen.
Um Boden unter die Füße zu bekommen, überlegen wir uns zunächst, welche Ha-
dronen wir schon kennen. Die aus der Atomphysik bekannten Elektronen sind soge-
nannte Leptonen, d. h. nur elektromagnetisch und schwach wechselwirkende Teil-
chen. Da solche Teilchen auch bei sehr viel kleineren Längenskalen denselben
Gesetzen unterliegen, ordnen wir sie solchen Skalen zu und verschieben ihre Dis-
kussion und betrachten die Hadronen. Einige Hadronen, d. h. stark wechselwirken-
de Teilchen, haben wir im Kernphysikteil kennengelernt.
Wie dort behandelt, bestehen Kerne aus Protonen und Neutronen, deren Masse
0;9383 GeV bzw. 0;9396 GeV ist [31]. Die Bestandteile der Protonen und Neutro-
nen sind verschieden. Die Frage, warum die Massendifferenz trotzdem recht klein
ist und oft vernachlässigt werden kann, wird später eine Erklärung finden. Proto-
nen und Neutronen haben den Spin 1/2, d. h., sie genügen der Dirac-Gleichung. Die
Protonen sind als freie Teilchen stabil, zumindest bis zu einer Lebensdauer von der
Größenordnung des Weltalters. Die bislang experimentell gefundene Grenze liegt
für typische Zerfallsmodi bei etwa 1032 Jahren. Freie Neutronen zerfallen in etwa
15 Minuten in Protonen und Leptonen. Die Massendifferenz zwischen Proton und
Neutron ist in vielen Fällen kleiner als entsprechende von Kernwechselwirkungen
herrührende Differenzen, und der ˇ-Zerfall von im Kern gebundenen Neutronen ist
damit oft unmöglich.
Im Kernphysikteil wurde gesagt, dass sich die Nukleonen im Kern recht frei
bewegen und dass die kräftige Coulomb-Abstoßung durch stark anziehende, kurz-
reichweitige Kernkräfte kompensiert wird. Es wurde argumentiert, dass es in der
relativistischen Quantenmechanik keine Potenziale, sondern nur Wechselwirkun-
gen mit Orts- und Zeitabhängigkeit gibt. Solche Wechselwirkungen können durch
den Austausch virtueller Teilchen entstehen. Da aus der Kernphysik kein Teilchen
mit ausreichend kräftiger Kopplung bekannt war, hat der japanische Physiker Hi-
deki Yukawa 1935 die Existenz eines solchen Teilchens, des Pions oder -Mesons,
gefordert [16]. Aus der Reichweite der Wechselwirkung konnte dabei die Masse
abgeschätzt werden.
Nachdem zunächst das in der kosmischen Strahlung beobachtete Myon als Yu-
kawa-Teilchen fehlidentifiziert wurde, konnte 1947 das Pion in seiner geladenen
Version nachgewiesen werden [83]. Das Experiment verwendete eine fotografische
Emulsion, die kosmischer Strahlung ausgesetzt wurde. Fotografische Emulsionen
bestehen aus Paketen von Cellulosefolien, die licht- und strahlungsempfindliches
Material enthalten. Nach dem Entwickeln kann man einzelne Spuren unter dem Mi-
kroskop dreidimensional verfolgen. Im Pion-Experiment wurde die in Abb. 3.1 dar-
gestellte Konfiguration beobachtet. Ein Teilchen der kosmischen Strahlung streut an
einem Kern und erzeugt ein C -Meson, das in der Emulsion zur Ruhe kommt und
dann, abgesehen von unsichtbaren Teilchen, in ein C -Lepton zerfällt, das wieder-
um in ein Positron und in unsichtbare Teilchen zerfällt. Der Grad der Schwärzung
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 115
und seine Zunahme als Funktion des Weges erlauben Rückschlüsse auf die Energie
und die Masse der Teilchen, die die obige Identifikation ermöglichten.
Die genau gemessene Masse des Pions ist [31]
Pionen sind Bosonen. Fermionische Hadronen mit halbzahligem Spin heißen Ba-
ryonen und bosonische Hadronen mit ganzzahligem Spin Mesonen. Die griechi-
schen Wörter „K o&“, „ˇ ˛M &“
K K heißen „mittel“, „schwer“ und
und „ o&“
„leicht“. Mesonen sind meist etwas leichter als Baryonen und schwerer als die oben
erwähnten Leptonen.
Die bosonische bzw. fermionische Natur von Teilchen bestimmt die statistischen
Eigenschaften identischer Teilchen. Die Wellenfunktion von identischen Fermionen
ist antisymmetrisch, die identischer Bosonen ist symmetrisch, d. h., ihr Vorzeichen
ändert sich bzw. ändert sich nicht bei Vertauschung zweier Teilchen. Wie wir aus
der Atomphysik wissen, schließt die Antisymmetriebedingung identische Zustände
aus und führt so zu einer drastischen Reduzierung der für Fermionen-Systeme er-
laubten Zustände (Pauli-Prinzip). Sie wird auch bei der Klassifikation der Hadronen
und bei deren Zerfällen eine wichtige Rolle spielen. Zu jedem Fermion gibt es ein
von ihm verschiedenes Antiteilchen, aber ein Boson kann sein eigenes Antiteilchen
sein.
Das relative Vorzeichen der Wellenfunktion eines Systems zweier identischer
Teilchen mit und ohne Vertauschung (siehe Abb. 3.2) ist direkt beobachtbar in Pro-
zessen, in denen die Teilchen mit beinahe identischen Impulsen produziert werden.
Der Wirkungsquerschnitt ergibt sich aus dem Absolutquadrat der Amplitude. Der
Anteil der Amplitude, die beiden Teilchen „so herum“ bzw. „anders herum“ zu er-
zeugen, trägt im Wirkungsquerschnitt nicht nur jeweils als seperates Quadrat bei,
sondern es gibt auch einen gemischten Beitrag vom Produkt des „so-herum“- mit
dem „anders-herum“-Amplitudenanteil, der je nach Vorzeichen (positiv für Boso-
nen, negativ für Fermionen) die Wahrscheinlichkeit des Prozesses verstärkt oder
reduziert.
Neben den Elementarteilchen der Kernphysik gibt es eine umfangreiche Liste
weiterer Hadronen. Woher kommt die Evidenz für solche Teilchen? Vor allem am
Anfang wurden Elementarteilchen wie das oben erwähnte Pion in der kosmischen
Strahlung nachgewiesen, und viele Hinweise auf neue Effekte kamen immer wie-
der aus solchen Experimenten. Allerdings sind kosmische Teilchen mit inzwischen
in Beschleunigern erreichbaren Energien sehr selten. Experimente zu Fragen der
Teilchenphysik werden daher heute fast ausschließlich an Beschleunigern durchge-
führt.
116 3 Einführung in die Hadronenphysik
3.1.2 Beschleuniger
Vom Beginn eines neuen Beschleunigungszyklus bis zum Zeitpunkt, zu dem die be-
schleunigten Wellenpakete herausgelenkt werden, müssen daher die Magnetfelder
auf- und abgebaut werden.
Die Stärke der benötigten Magnetfelder berechnet sich nach der Formel
pP D evB (3.1)
„ƒ‚… „ ƒ‚ …
h i
!pb
r.v=R/.Ev/ Œeb
rjBjv
wobei E die Energie der beschleunigten Teilchen und R der Radius des Ring-
beschleunigers ist. Wir nehmen an, dass die Teilchen sich praktisch mit Lichtge-
schwindigkeit bewegen, d. h. v ! c D 1 ist. Für Protonenbeschleuniger bestimmt
diese Gleichung die maximal erreichbare Teilchenenergie. Sie ergibt sich somit als
das Produkt von Ringradius und maximalem Magnetfeld.
Als Beispiel wird nun der SPS-(Super-Proton-Synchrotron-)-Beschleuniger
des CERN vorgestellt. Wir beginnen mit dem „Fixed-target“-Betrieb, wie er in
Abb. 3.5a skizziert ist [85, 86]. Zunächst werden die Teilchen in vorhandene äl-
tere Beschleuniger geschickt und dort auf Energien von 10 GeV (später 26 GeV)
gebracht, mit denen sie dann in das SPS eintreten. Der SPS-Ring hat einen Radius
von 2;2 km. Er enthält 744 Ablenk- und 216 Quadrupolmagnete. Es gibt 4 jeweils
20 m lange Beschleunigungsstrecken. Sie erlauben, .1;0 3;0/ 1013 Protonen in
einem Zeitraum von 8–12 Sekunden auf Teilchen-Endimpulse von PL D 450 GeV
zu bringen, die dann in einen der beiden experimentellen Komplexe gebracht wer-
den, wo sie wiederum verschiedenen Experimenten zugeteilt werden können. Ein
Komplex befindet sich in der „North Experimental Area“ in Frankreich, ein anderer
in der „West Experimental Area“ in der Schweiz.
Die beschleunigten Protonen treffen dort auf Kerne eines geeignet gewählten
Targetmaterials, die aus praktisch ruhenden und unabhängigen Protonen und Neu-
tronen bestehen. Die Physik des Streuvorgangs hängt nicht vom Lorentz-System
des Beobachters ab. Man möchte daher die verfügbare Streuenergie in einer Lor-
entz-invarianten Weise charakterisieren. Dazu betrachten wir die Vierervektoren des
Strahl- und des Targetteilchens
q
PStrahl D Mp C PL ; PL ; 0; 0
2 2
(3.2)
PTarget D .Mp ; 0; 0; 0/
118 3 Einführung in die Hadronenphysik
Abb. 3.5 a Das Schema des SPS im „-Fixed Target“-Betrieb (© CERN, 1978 [87]) b Das Schema
des SPS im „Collider“-Betrieb (© CERN, 1982 [88])
und bilden daraus ein Lorentz-invariantes Skalarprodukt. (Das Produkt zweier Vie-
rervektoren ist p q D p0 q0 p1 q1 p2 q2 p3 q3 .)
q
s D .PStrahl C PTarget /2 D 2Mp Mp2 C PL2 C 2 Mp2 : (3.3)
Die Variable s ist eine der sogenannten Mandelstam-Variablen. Für große Energien
gilt
s ! 2 EL Mp : (3.4)
Die Wurzel
s 1=2 D MRuhe D ESchwerpunkt (3.5)
ist die im Schwerpunktsystem zur Verfügung stehende Energie oder die Ruhe-
masse des streuenden Systems. Bei dem betrachteten Beispiel des SPS ist etwa
s D 900 GeV2 . Da damit die Ruhemasse MRuhe D 30 GeV ist, können also ma-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 119
ximal Objekte dieser Masse erzeugt werden. In der Praxis wird bei hadronischen
Streuvorgängen allerdings immer nur ein Teil der kinetischen Energie der einfal-
lenden Hadronen in die Produktion von Massen umgesetzt.
Eine Methode, höhere Schwerpunktsenergien zu erreichen, besteht darin, Teil-
chen im „Collider“-Betrieb aus zwei entgegengesetzt gerichteten Strahlen aneinan-
der zu streuen. Lassen wir ein Proton des obigen Teilchenstrahls mit einem anderen
Teilchen des Impulses
q
PStrahl 2 D Mp C PL ; PL ; 0; 0
2 2
(3.6)
Das Laborsystem ist jetzt mit dem Schwerpunktsystem identisch. Die wesentlich
größere Mandelstam-Variable s wächst jetzt quadratisch mit dem Strahlimpuls. Die
gesamte kinetische Energie der Strahlen ist als Schwerpunktsenergie verfügbar.
An unserem Beispiel, dem CERN-SPS, war diese Betriebsart zunächst nicht ge-
plant und wurde mit relativ geringen Mitteln erst 1982 eingerichtet. Da Protonen
und Antiprotonen verwendet wurden, kam man mit den existierenden Magneten
aus. Das Schema des umgerüsteten SPS ist in Abb. 3.5b dargestellt [88]. Man be-
schränkte sich zunächst auf eine Strahlenenergie von 270 GeV pro Teilchen. Die
N
Ruhemasse des p p-Systems, s 1=2 D 540 GeV, ist damit etwa um einen Faktor 20
höher als zuvor. Da die Magnete im Collider-Modus im Dauerbetrieb (nicht im
Auf-und-Ab-Betrieb, wie er bei der Beschleunigung erforderlich ist) benötigt wer-
den, war die Reduktion der Energie erforderlich, um eine zu starke Erwärmung der
Magnete zu verhindern. Später hatte man eine Möglichkeit gefunden, dieses Pro-
blem auf Kosten der Luminosität etwas zu umgehen. Man beschleunigt und bremst
die Strahlen kontinuierlich zwischen 100 GeV und 450 GeV, so dass die mittlere
Belastung der Magnete in vorgegebenen Grenzen bleibt.
Nebenbei sei erwähnt, dass man oben in der Abb. 3.5b auch den ersten Speicher-
ring, der im Collider-Betrieb arbeitete, den CERN Intersecting Storage Ring (ISR),
sehen kann. Er besteht aus zwei völlig unabhängigen Strahlrohrringen, in denen sich
Protonenstrahlen von bis zu 31 GeV in acht Wechselwirkungszonen schneiden.
Problematisch für Collider ist, dass die Teilchendichte in Strahlen natürlich viel
geringer ist als in ruhenden Targets. Es ist daher nicht einfach, eine ausreichende
Luminosität (definiert in Abschn. 2.5.1) zu erhalten.
Man braucht zunächst natürlich möglichst viele Teilchen in den sich streuenden
Strahlen. Dazu benötigt man Teilchenquellen mit geeigneter Flussdichte; fer-
ner muss man jedwede Verluste bei der Strahlenführung vermeiden. Besonders
gefährlich sind Instabilitäten, die entstehen, wenn sich die Wirkung kleinerer
Fehler in aufeinander folgenden Durchläufen addiert.
Man kann die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit pro Wechselwirkungszone
durch eine enge Bündelung der Teilchen erhöhen. Der springende Punkt ist, dass
sich die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit aus einem Ortsintegral vom Qua-
drat der Teilchendichte ergibt, und dass bei konstanter Teilchenzahl (d. h. bei
120 3 Einführung in die Hadronenphysik
konstantem Ortsintegral über die Dichte) eine „Kollimation“ den Wert eines sol-
chen Integrals erhöht.
Man kann die Teilchen in sogenannten Speicherringen immer wieder Wech-
selwirkungszonen zuführen. Die beiden Teilchenstrahlen werden dabei auf ver-
schiedenen Kreisbahnen gehalten, die sich an Wechselwirkungspunkten schnei-
den. Auf diese Art können sie im Prinzip bis zu einer tatsächlichen Wechselwir-
kung gehalten werden.
Das Speicherringkonzept lässt sich, wie oben erwähnt, besonders kostengünstig
verwirklichen, wenn die Teilchen in beiden Strahlen gleiche Massen und entgegen-
gesetzte Ladungen haben, wie z. B. in Proton-Antiproton- oder Elektron-Positron-
Ringen. Solche Teilchen haben identische Bahnen im Magnetfeld, wenn sie genau
in entgegengesetzten Richtungen fliegen. Beide Strahlen können daher durch die-
selben Magnete geleitet werden. Voraussetzung für diese Methode ist es, dass man
genügend intensive und kollimierte Antiteilchenstrahlen erzeugen kann. Die Her-
stellung des Antiprotonenstrahls war einer der entscheidenden Leistungen bei der
Umrüstung des SPS.
Natürlich können für Antiteilchen keine mit den Teilchenstrahlen vergleichbaren
Flüsse erreicht werden. Für extreme Anforderungen an die Luminosität, wie sie für
die Suche nach dem Higgs-Teilchen erforderlich sind, muss man auf Antiteilchen-
strahlen verzichten. Der LHC-Beschleuniger benutzt daher zwei Protonenstrahlen
mit separaten Strahlengängen.
Die Entwicklung der Teilchenphysik ist eng verbunden mit der Entwicklung der
Beschleuniger. Sie „definierten“, was unter neuer Physik zu verstehen sei. Die Liste
der wichtigen Beschleuniger der 50er und 60er Jahre ist:
maximale Energie (GeV) Name, Stadt, Land Jahr fertig Typ der Maschine
6;2 BEVATRON, Berkeley, USA 1952 p -Synchrotron
33 AGS, Brookhaven, USA 1960 p -Synchrotron
28 PS-CERN, Genf, Schweiz 1960 p -Synchrotron
76 PS, Serpukhov, USSR 1967 p -Synchrotron
Die wichtigsten Beschleuniger mit Hadronen oder Kernen seit dieser Zeit
sind: [86, 89, 31, 90]
maximale Energie (GeV) Name, Labor, Stadt, Jahr d. Fertigstellung Typ der Maschine
100 ! 980 Synchrotron, FNAL, Batavia, 1972 p -Synchrotron
31 C 31 ISR, CERN, Genf, 1971 pp.Np/ -Speicherringe
450 C .200A/ SPS, CERN, Genf, 1976 p.O; S/ -Synchr.
450 C 450 SppS, CERN, Genf, 1981 pNp -Speicherring
980 C 980 Tevatron, FNAL, Batavia, 1987 pNp-Speicherring
26 C 820 HERA, DESY, Hamburg 1992 ep-Speicherringe
100 C 100 RHIC, BNL, Brookhaven, 2000 AuAu-Speicherringe
! 7000 C 7000 LHC, CERN, Genf, 2009 pp-Speicherringe
! 2760A C 2760A LHC, CERN, Genf, 2010 PbPb-Speicherringe
! 4000 C 1580A LHC, CERN, Genf, 2010 pPb-Speicherringe
In der Tabelle bezeichnet A die Massenzahl. Da Kerne etwa doppelt soviel Masse
pro Ladung haben als Protonen, kann im selben Beschleuniger nur etwa die hal-
be Energie pro Nukleon erreicht werden. Der Pfeil bedeutet, dass die angegebene
Energie noch nicht ganz erreicht wurde. Da man Schwierigkeiten mit supraleiten-
den Magneten hatte, wurde der LHC zunächst nur mit der Hälfte der geplanten
Energien betrieben.
Bei der Hadron-Hadron-Streuung gibt es seit den 70er Jahren eine Konkurrenz
zwischen Fermilab (Batavia bei Chicago) und CERN (bei Genf). Mit großer Inten-
sität versuchte man mit dem Tevatron, das Higgs-Teilchen zu entdecken. Ein weites
Gebiet von Higgs-Massen konnte ausgeschlossen werden. Erst der LHC, das eigens
dafür gebaut wurde, konnte es nachweisen.
Die besondere Bedeutung der Kern-Kern- und der Lepton-Proton-Streuung wird
später erklärt.
Neben den hadronischen Anlagen existieren viele Beschleuniger und Spei-
cherringe für Elektronen. Die Wechselwirkungen dieser Teilchen werden im
Abschn. 4.1 behandelt. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die leptoni-
schen Beschleuniger und Speicherringe hier kurz vorgestellt.
Für die Erschließung neuer Energiebereiche haben dabei die folgenden Elektron-
Positron-Beschleuniger eine wichtige Rolle gespielt:
maximale Energie (GeV) Name, Stadt, Land Jahr Typ der Maschine
4C4 SPEAR, SLAC, Stanford 1972 eC e -Speicherring
5;6 C 5;6 DORIS, DESY, Hamburg 1973 eC e -Speicherring
15 C 15 PEP, SLAC, Stanford 1980 eC e -Speicherring
23;4 C 23;4 PETRA, DESY, Hamburg 1978 eC e -Speicherring
50 C 50 SLC, SLAC, Stanford 1989 eC e -Linear-Collider
50 C 50 LEP1, CERN, Genf 1989 eC e -Speicherring
105 C 105 LEP2, CERN, Genf 1996 eC e -Speicherring
122 3 Einführung in die Hadronenphysik
Abb. 3.6 Der Speicherring LEP (= Large Electron Positron Collider) am CERN bei Genf
(© CERN, 1982 [88]). Der LEP wurde bis 2000 betrieben. Heute befindet sich der LHC (= Large
Hadron Collider) im Tunnel
erwartet war, erst zwei Jahre nach Beginn der Messungen am LEP. Auch war die
erreichte Luminosität sehr klein.
Wegen dieser Schwierigkeiten hatte man sich für die Higgs-Suche für eine ha-
dronische Maschine entschieden, einen Proton-Collider (Large Hadron Collider,
LHC) zu bauen. Das Schema ist in Abb. 3.7 zu sehen. Da Baumaßnahmen einen
nicht unerheblichen Teil der Kosten darstellen und alte Beschleuniger verwendet
werden konnten, war das im Vergleich zu einer damals geplanten amerikanischen
Maschine (SSC) günstig.
Viele Eigenschaften des Higgs-Teilchens wird man mit einer solchen Maschine
nicht herausfinden können. Um dies zu tun, gibt es Pläne, einen International Li-
near Collider (ILC) zu bauen. Ein Komitee der großen Laboratorien hat dazu einen
Technical Design Report fertiggestellt. Er soll mit zwei aufeinander gerichteten, je-
weils 15,5 km langen Linear-Collidern 200–500 GeV Strahlenergie erhalten. Ein
Bild des Projekts ist in Abb. 3.8 dargestellt.
124 3 Einführung in die Hadronenphysik
Abb. 3.7 Das Schema des Large Hadron Colliders im CERN complex (© CERN, 2008)
Abb. 3.8 Das Schema des „International Linear Collider“ (© Wikimedia Commons [92])
3.1.3 Pion-Nukleon-Streuung
Wichtig für die Entdeckung vieler hadronischer Resonanzen war die Pion-Nukleon-
Streuung. Da es keine Pionen-Beschleuniger gibt, ist sie ein Beispiel für ein Experi-
ment mit einem sekundären Teilchenstrahl. Das Schema eines solchen Experiments
ist in Abb. 3.9 skizziert.
Ein aus einem Synchrotron kommendes Proton wird auf ein dickes Target ge-
richtet, in dem Streuvorgänge „Sekundärteilchen“ erzeugen, die im Wesentlichen
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 125
in Vorwärtsrichtung fliegen. Sie bestehen zum größten Teil aus Protonen und Pio-
nen und haben eine kleine Beimischung von anderen Teilchen. Hinter dem Target
identifiziert oder separiert man die Teilchen dieses „Sekundärstrahls“. Dies macht
für Pionen im Prinzip keine Schwierigkeiten, da die Teilchen einen relativ langen
Weg zurücklegen können. Die Lebensdauer eines geladenen Pions ist in seinem
Ruhesystem
˙ D 2;6 108 s D 7;8 m=c : (3.9)
In einem System, in dem das Teilchen eine Energie EL hat, ist diese Zeit um einen
Faktor EL =m länger. Pionen einer Energie von z. B. 2 GeV können damit einen
Zerfallsweg von
7;8 m 2=0;138 D 110 m (3.10)
zurücklegen. Der so identifizierte Sekundärstrahl fällt auf ein geeignetes zweites
Target. Für die Pion-Nukleon-Streuung kann es aus einer Schicht aus Wasserstoff
bestehen. Dieses Target muss nun ausreichend dünn sein, damit der Anteil von
komplizierten Mehrfachstreuprozessen vernachlässigbar bleibt. Nach der Streuung
müssen die gestreuten Teilchen beobachtet werden. Die Unterscheidung von Pro-
tonen und Pionen ist – im Falle der Resonanzphysik – bei den benötigten relativ
kleinen Energien mit geeigneten Detektoren möglich, da das Proton mit seiner we-
gen seiner Masse etwas kleineren Geschwindigkeit entlang seiner Spur etwas mehr
Ionisation verursacht. Bei höheren Energien können Magnete zur Separation be-
nutzt werden, falls ausreichend lange Wegstrecken zur Verfügung stehen.
Der mit einem solchen Experiment erhaltene totale Wirkungsquerschnitt ist in
Abb. 3.10 für p C und p zu sehen [93]. Bei niedrigeren Energien bis zu 3 GeV
gibt es eine Vielzahl von resonanzartigen Buckeln, die nach höheren Energien hin
allmählich in eine glatte, leicht abfallende Kurve übergehen. Bei beiden Prozes-
sen findet man ein sehr ausgeprägtes Maximum bei einer Schwerpunktsenergie von
1,232 GeV, die auf die Existenz einer in beiden Prozessen auftretenden Resonanz
zurückzuführen ist. Es handelt sich um die -Resonanz, die mit den Ladungen
1; 0; C1 und C2 auftritt.
Von der Diskussion im Abschn. 2.5.4 erwarten wir, dass die Resonanzstruktur
in den entsprechenden Partialwellenamplituden besonders deutlich ist. Als Bei-
spiel zeigt Abb. 3.11 die zum Drehimpuls 3/2 gehörende Partialwellenamplitude
der C p-Streuung, und zwar den Beitrag mit positiver Parität. Wie später bespro-
chen wird, legt die Parität den Beitrag des Nukleonenspins zum Gesamtdrehimpuls
fest. In einem „elastischen“ Energiebereich durchläuft die Partialwellenamplitude,
126 3 Einführung in die Hadronenphysik
Abb. 3.10 Wirkungsquerschnitt für p C und p (© 1986 American Physical Society [93])
wie erwartet, den Einheitskreis. Der Kreiswinkel entspricht der Streuphase. Die
Streuphase ıl =/2 wird bei einer Resonanzenergie von
ER D 1;232 GeV
erreicht, was die Masse der zugehörigen Resonanz (CC ) festlegt. Unten links wird
der Kreis verlassen, es öffnen sich inelastische Kanäle, so dass ein Teil der Ampli-
tude absorbiert wird. Mit entsprechend reduziertem Radius gibt es jetzt eine zweite
Kreisstruktur, die bei einer Energie von
ER D 2;2 GeV
Natürlich kann eine solche Analyse nicht nur bei elastischen (oder anderen Zwei-
Körper-)Prozessen durchgeführt werden. Man kann bei inelastischen Prozessen die
Massenverteilung beliebiger Subsysteme von Endzustandsteilchen auf Resonanz-
verhalten untersuchen, und man hat daher Zugang zu vielen Kanälen, in denen man
Resonanzen suchen kann.
Im vorigen Abschnitt hatten wir gesehen, wie man Resonanzen finden kann. Wie
unterscheiden sich solche Resonanzzustände zweier Hadronen von einzelnen Ha-
dronen? Da es sich bei Hadronen (obwohl man oft von „Elementarteilchen“ spricht)
nicht wirklich um elementare Teilchen handelt, kann diese Frage nicht aus grund-
sätzlichen Überlegungen beantwortet werden. Hadronen und Resonanzen sind bei-
de Bindungszustände aus den Grundbausteinen der Hadronen, d. h. aus den soge-
nannten Quarks; die einzige Unterscheidungsmöglichkeit liegt in den verschiedenen
Stabilitäten.
Eine Forderung nach absoluter Stabilität macht wenig Sinn, da nach manchen
theoretischen Vorstellungen sogar das Proton nicht absolut stabil sein soll. Die Un-
terscheidung von (stabilen) Teilchen und Resonanzen ist daher etwas willkürlich;
man muss festlegen, welchen Grad an Stabilität man erfüllt haben möchte. Für ei-
ne Resonanz sollte der Zerfall direkt etwas mit einer zu geringen Bindung zu tun
haben, was oft nicht der Fall ist. Betrachten wir dazu das Neutron. Das Neutron
besteht aus zwei d -Quarks und einem u-Quark, die mit einer verallgemeinerten
Ladung, der sogenannten Farbladung aneinander gebunden sind. Die Bindung des
Neutrons ist völlig identisch mit der Bindung der Quarks in einem Proton. Seine
128 3 Einführung in die Hadronenphysik
Instabilität hat ihren Ursprung darin, dass eines seiner Quarks, ein d -Quark, nach
vergleichsweise langer Zeit durch eine sogenannte schwache Wechselwirkung in
das leichtere u-Quark und zwei leptonische Teilchen (d ! u C e C N e ) zerfällt.
Der Übergang hat nichts mit der Bindung zwischen Quarks zu tun.
Auf dem Weg zu einer vernünftigen Einteilung klassifizieren wir die Zerfälle der
Teilchen bzw. Resonanzen. Üblicherweise unterscheidet man zwischen drei Typen
von Zerfällen, den schwachen, den elektromagnetischen und den starken Zerfäl-
len, je nachdem, ob eine schwache, elektromagnetische oder starke (hadronische)
Wechselwirkung involviert ist. (Die Gravitationswechselwirkung spielt für Zerfälle
von Elementarteilchen keine Rolle.) Da die Zerfallszeit dabei in der Regel jeweils
recht unterschiedliche Werte von
1
Langsam heißt dabei, dass bei der Annihilation keine großen Impulsbeträge auf
Gluonen übertragen werden. Wie man den Fall von „harten“ Gluonen mit großen
Impulsen behandelt, wird im Abschn. 4.2.5 erläutert.
130 3 Einführung in die Hadronenphysik
3.1.5 Flavor-Quantenzahlen
Nachdem Methoden vorgestellt wurden, mit denen man Hadronen erzeugen kann,
und nachdem der Zusammenhang zwischen Teilchen und Resonanzen erläutert
wurde, wenden wir uns jetzt der Klassifikation der Hadronen zu. Die beobachteten
Hadronen werden durch ihre Quantenzahlen beschrieben. Diese Quantenzahlen
können entweder den Quark-Inhalt oder die Art des Bindungszustands eines Ha-
drons spezifizieren. Beginnen wir mit der Diskussion der Quantenzahlen der ersten
Art, der sogenannten Flavor-Quantenzahlen („Quark-Inhaltsquantenzahlen“).
Offensichtlich müssen wir uns dazu zunächst mit einer Systematik der Quarks
befassen. Die Quarks lassen sich wie in Tab. 3.1 zusammenstellen.
Es gibt sechs verschiedene Quarks, und es existieren, da Quarks mit ihrem
halbzahligen Spin Fermionen sind, die der Dirac-Gleichung genügen, jeweils die
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 131
Für die Klassifikation der Hadronen kommt es natürlich auch auf die Anordnung
der Quarks in den Zuständen an. Betrachten wir dazu zunächst die ersten beiden
Quarks und vernachlässigen deren Massenunterschied. Wir werden später sehen,
dass dies eine vernünftige Approximation ist.
In der klassischen Physik hätte man dann die Möglichkeit, die u- und die d -
Quarks beliebig auf die vorhandenen Zustände zu verteilen. Unter Umständen hat
man einen symmetrischen Zustand unter einer Vertauschung zweier Besetzungs-
möglichkeiten. Die Gruppenstruktur einer solchen Vertauschung zwischen u und d
heißt in der Mathematik die Symmetrische Gruppe S2 .
In der Quantenmechanik gibt es zwei weitere Effekte. Zum einen gibt es, da
man Wellenfunktionen betrachtet, die ihr Vorzeichen ändern können, natürlich die
Möglichkeit einer Antisymmetrie, d. h. einer Symmetrie bis auf einen Vorzeichen-
wechsel der Wellenfunktion. Der zweite Unterschied besteht darin, dass verschie-
dene Anordnungen gleichzeitig, jeweils mit einer beliebigen Wahrscheinlichkeit,
auftreten können. Verschiedene Quarks können daher in verschiedenen Zuständen
symmetrisch, antisymmetrisch oder, im Prinzip, sonstwie angeordnet sein. Aus der
diskreten wird eine kontinuierliche Struktur.
132 3 Einführung in die Hadronenphysik
Betrachten wir dies etwas ausführlicher. Vergisst man einen Augenblick die Nor-
mierung und erlaubt für jeden Anteil einen beliebigen Koeffizienten, sind die Trans-
formationen der beiden Zustände komplexe .22/-Matrizen. Anstelle der diskreten
S2 -Vertauschung hat man eine von der S2 aufgespannte „komplexe Algebra“ dieser
Matrizen. Die offensichtlich notwendige Normierung der Wellenfunktionen bringt
uns zur U.2/-Gruppe [17], die die Transformationen von normierten Matrizen be-
schreibt. Eine bloße Phasenänderung, wie ei , ist die Eichfreiheit der Quantenme-
chanik. Sie hat offensichtlich nichts mit der Struktur unter Vertauschung von u-
und d -Quarks zu tun. Man kann sich daher auf Übergänge, die durch eine Matrix
mit der Determinante des Werts C1 beschrieben werden, die die Phase nicht än-
dern, beschränken. Die Gruppe dieser Übergänge wird als SU .2/ bezeichnet. Da
die SU .2/ durch verallgemeinerte Drehwinkel kontinuierlich zu parametrisieren
ist, spricht man von einer Lie-Gruppe.
Die SU .2/-Gruppe ist, wenn man von einer Spiegelungstransformation absieht,
identisch mit der Drehgruppe, d. h. der sogenannten O.3/-Gruppe, und die Situati-
on ist damit analog zu der beim Spin. Dies hat, wie in der Kernphysik, zum Begriff
des Isospins geführt [18]. Anstatt die Symmetrie bei der Belegung der Zustände mit
u- und d -Flavors zu spezifizieren, kann man den Isospin angeben. Ein Vorteil dieser
Beschreibung mit Isospins ist, dass man dann die Übergänge von z. B. zwei Isospin-
zuständen in einen dritten wie beim Spin einfach mit tabellierten Clebsch-Gordan-
Koeffizienten berechnen kann, ohne explizite Symmetriebetrachtungen durchzu-
führen. (Wie wir in Abschn. 2.2.4 gesehen hatten, kann man diese Analogie auch
umgekehrt verwenden. Man kann einen Eigenzustand, der einen beliebigen Spin
und eine beliebige z-Komponente des Spins hat, aus einer Kombination von Spin-
1=2-Spinoren aufbauen, die mit geeigneter Symmetrie parallel oder antiparallel zur
z-Achse gerichtet sind.)
Das Proton und das Neutron haben, wie wir später sehen werden, einen gemisch-
ten Symmetriezustand, der einem Isospin 1=2 entspricht. Die dritte Komponente
des Isospins, Iz , entspricht in Quark-Zuständen der Differenz der Zahl der u- und
der d -Quarks. Für das Proton und Neutron ist diese Komponente daher gerade
˙1=2, d. h. sie haben bezüglich der Isospins dieselben Werte wie das u- und das
d -Quark. Der Isospin der u- und der d -Quark-Symmetrie aus der Teilchenphysik
ist damit identisch zu dem Isospin der Kernphysik, der auf der Proton-Neutron-
Vertauschungsstruktur aufgebaut ist.
Die Erweiterung auf drei Flavors führt zu SU .3/. Da das entsprechende dritte
(„strange“-)Quark deutlich schwerer als das u- und das d -Quark ist (genauer gesagt
jmd mu j
mHadron und jms mu j jms md j mHadron ), ist die Symmetrie nur
noch approximativ gültig. Rechnungen in der SU .3/ können analog zum Isospin
mit erweiterten Clebsch-Gordan-Tabellen erfolgen.
Wir haben hier die Symmetriegruppe in den Vordergrund gestellt, da in ha-
dronischen Bindungen und Streuungen das gerade oder ungerade Verhalten unter
Permutation der fundamentale Effekt ist und die SU .2/ bzw. SU .3/ keine grund-
legende Bedeutung hat. Eine dynamisch relevante SU .2/, die jeweils besondere
Spinzustände von Teilchen der einzelnen Generationen verbindet, spielt in der Phy-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 133
sik der schwachen Bosonen eine fundamentale Rolle. Dieser sogenannte „schwache
Isospin“ hat mit dem hier betrachteten Isospin nichts zu tun.
Der Quark-Inhalt der Hadronen wird durch geeignetes Abzählen ihrer Quarks
erhalten. Dabei gibt es allerdings eine Komplikation. Besonders für die leichten
Quarks der ersten Generation sind die Quark-Massen mit Bindungsenergien ver-
gleichbar. Als Konsequenz können in kurzzeitigen Fluktuationen Quark-Antiquark-
Paare erzeugt und vernichtet werden. Solche kurzzeitig existierenden Quarks wer-
den See-Quarks genannt, zur Unterscheidung zu den Valenz-Quarks, welche die
Flavor-Quantenzahlen bestimmen. Die Zahl der Quarks in Hadronen ist damit nicht
konstant. Offensichtlich können Teilchen nicht durch Quantenzahlen charakterisiert
werden, die von solchen Fluktuationen abhängig sind. Für erhaltene Quantenzah-
len müssen daher Quark und Antiquark entgegengesetzte Vorzeichen haben. Je nach
betrachteter Quark-Art gibt es somit die Möglichkeiten der Tab. 3.2.
Da der Buchstabe B belegt ist, wird die Bottom-Quantenzahl mit einem Stern in-
diziert. Die Bezeichnungen „Downness“ und „Upness“ sind nicht allgemein üblich.
Da Baryonen drei Quarks enthalten, nennt man ein Drittel der Zahl der Quarks
minus der Antiquarks die Baryonenzahl:
1
Baryonenzahl D B D Œ#.Quarks/ #.Antiquarks/
:
3
Baryonen haben damit die Baryonenzahl 1 bzw. 1, Mesonen haben B D 0. Die
Vorzeichen der Quantenzahlen sind gemäß dem Vorzeichen ihrer Ladung gewählt,
so dass
B D C U C S C C C B C T
QD C (3.11)
2 2
geschrieben werden kann. Diese Relation lässt sich für die einzelnen Quarks leicht
nachrechnen. Man hat
1 1 2 1
Q.Quark/ D C 1 .bzw. 1/ D bzw: : (3.12)
6 2 3 3
Für die Antiquarks dreht sich das Vorzeichen um. Die in Anführungszeichen ge-
setzten Bezeichnungen der Flavor-Quantenzahlen entsprechen nicht den üblichen
Bezeichnungen. Die Summe der Quantenzahlen D und U , die den Überschuss der
u- gegenüber den d -Quarks angibt, entspricht in der äquivalenten SU .2/-Beschrei-
bung gerade der dritten Komponente des Isospins, d. h. dem „Gesamtisospin in u-
134 3 Einführung in die Hadronenphysik
Richtung“
I3 D U .D/ : (3.13)
Die entsprechend geänderte Relation für die Ladung
Q D I3 C .B C S C C C B C T /=2 (3.14)
Wenden wir uns jetzt den Quantenzahlen zu, die den Bindungszustand spezifizie-
ren [96]. Wie Sie aus der Mechanik wissen, entsprechen Erhaltungsgrößen Symme-
trien der zugrunde liegenden dynamischen Theorie. Dies gilt auch in der Quanten-
mechanik und der Quantenfeldtheorie. Kommutiert ein Operator mit dem Hamilton-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 135
Parität
Der Rauminversions- oder Paritäts-Operator spiegelt die Wellenfunktion am Ur-
sprung:
PN .r; t/ WD .r; t/ : (3.15)
Im Allgemeinen haben die Wellenfunktionen zwei Anteile: Die symmetrischen An-
teile der Wellenfunktion sind invariant unter der Transformation, die antisymme-
trischen Anteile ändern ihr Vorzeichen. Entsprechend ihrem Symmetrieverhalten
spricht man von positiver bzw. negativer Parität.
In starken und elektromagnetischen Wechselwirkungen ist die Parität eines Zu-
stands eine erhaltene Quantenzahl, was auf die entsprechenden Eigenschaften der
Quantenchromodynamik bzw. der Quantenelektrodynamik zurückzuführen ist. Sie
ist nicht erhalten für schwache Wechselwirkungen, die, abgesehen von Zerfällen,
im betrachteten Energiebereich keine Rolle spielen. Es ist daher möglich, die Pari-
tät einzelner Teilchen festzulegen.
Hadronen sind in ihrem Schwerpunktsystem Eigenzustände des Paritätsopera-
tors
PN .r; t/ D P .r; t/ ; (3.16)
mit den Eigenwerten P D ˙1. Die Parität setzt sich aus einem Produkt der inneren
Parität der Teilchen und der Parität der orbitalen Bewegung zusammen. Betrach-
ten wir als Beispiel ein System aus einem Quark und einem Antiquark. Nach der
Zurückführung auf ein Einkörperproblem im Schwerpunktsystem und nach einer
Separation des Radialteils ist seine Wellenfunktion eine Kugelfunktion. Kugelfunk-
tionen
YL;M D exp.iM /PLM .cos / (3.17)
sind Eigenfunktionen der Paritätstransformation, die für die Polarkoordinaten
! C und !
bedeutet. Der Paritätseigenwert .1/M des ersten Faktors ist offensichtlich. Der
zweite Faktor (ohne Beschränkung M > 0),
M
.L C M /Š .1 u2 / 2 d LM
PLM .u/ D .1/LCM .1 u2 /L
.L M /Š 2L LŠ duLM
136 3 Einführung in die Hadronenphysik
mit u D cos./, ist, abgesehen von den Ableitungen, gerade bezüglich der Pa-
rität. Die Ableitungen liefern einen Faktor .1/LM , da d=dx D d=d.x/.
Zusammen mit dem anderen Term verbleibt daher ein Faktor .1/L der orbitalen
Bewegung.
Was ist die interne Parität von Quarks? Da Quarks einen Spin besitzen, braucht
man für sie in einer nichtrelativistischen Situation eine zweikomponentige Schrö-
dinger-Gleichung, in der die Richtung des Teilchenspins durch zweikomponentige
Pauli-Spinoren beschrieben wird. In einer relativistischen Theorie muss man Anti-
teilchen in der Bewegungsgleichung berücksichtigen, man braucht eine vier-kom-
ponentige Beschreibung. Eine solche Beschreibung liefert, wie gesagt, die Dirac-
Gleichung. Die Dirac-Gleichung
@ @ @ @
i0 i1 i2 i3 m D0 (3.18)
@x0 @x1 @x2 @x3
mit ihren .4 4/-Matrizen werden wir später genauer betrachten. Sie enthält
eine Verknüpfung zwischen Raumstruktur und Viererkomponentenstruktur, die bei
der Spiegelung berücksichtigt werden muss. Die Terme mit Ortsableitungen ändern
ihr Vorzeichen, während die nullte Komponente unverändert bleibt. Wie kann man
eine Transformation definieren, die im Lösungsraum der Dirac-Gleichung bleibt?
Der Vorzeichenwechsel bei Ortsableitungen unter Spiegelung,
@ @ @ @ @ @ @ @
; ; ; ! ; ; ; ;
@x0 @x1 @x2 @x3 @x0 @x1 @x2 @x3
kompensiert werden. Da, wie wir im Abschn. 4.1.2 sehen werden, 0 mit sich selbst
kommutiert (d. h. 0 0 D 0 0 ) und mit den anderen -Matrizen antikommutiert
(d. h. 0 k D k 0 für k D 1; 2; 3), entspricht die Dirac-Gleichung (3.18) des
transformierten Zustands gerade 0 mal der alten Gleichung, d. h. sie ist nach wie
vor erfüllt (d. h. D 0).
Die Dirac-Matrix 0 ist dabei in der folgenden Weise definiert:
0 1
1 0 0 0
B 0 1 0 0 C
0 D B
@ 0
C :
0 1 0 A
0 0 0 1
Der Operator i @=@x0 ergibt den Energieeigenwert. Die Teilchen mit positiven
Energien belegen daher je nach Spin die oberen beiden Komponenten und die An-
titeilchen mit formal negativen Energien die unteren beiden Komponenten.
In der Paritätstransformation tritt für Teilchen und Antiteilchen der jeweilige
Eigenwert von 0 als zusätzlicher Faktor auf. Er muss als innere Parität berück-
sichtigt werden, d. h. die innere Parität ist positiv für Fermionen und negativ für
Antifermionen.
Betrachten wir dazu den Quark-Antiquark-Bindungszustand der Mesonen. Mit
allen Beiträgen zusammen erhalten wir
PN .qq/ N ;
N D .C1/ .1/ .1/L .qq/ (3.21)
„ ƒ‚ …
DWP
F D e .E C v B/
auf Testladungen bestimmt. Da diese Kräfte und die Geschwindigkeiten der Testla-
dungen unter Paritätstransformation ihr Vorzeichen wechseln, gilt
PN .E .r; t/; B.r; t// D .E .r; t/; B.r; t// : (3.22)
Aus der relativistischen Elektrodynamik [54] wissen wir, dass sich elektrische und
magnetische Felder
@ @ X @
Ek D A0 Ak und Bk D kj i Ai
@xk @x0 j;i
@xj
C -Parität
Die zweite Symmetrie, die besprochen werden sollte, ist die C -Parität. Führen wir
zunächst den Ladungskonjugationsoperator
CN .u; d; bN N dN ; b
oder tN/ D .u; oder t/ (3.23)
138 3 Einführung in die Hadronenphysik
ein, der alle Quarks bzw. Teilchen durch die entsprechenden Antiteilchen ersetzt.
Natürlich können nur die ladungsneutralen Teilchen Eigenzustände der C -Parität
CN D C (3.24)
CN .q q/
N D .1/LCS .q q/
N : (3.26)
Der Faktor .1/LC1 entspricht der Parität der Wellenfunktion, der oben erklärt
wurde. Der Parameter S beschreibt den Gesamtspin der beiden Quarks, und die
Rücktransformation im Spinraum ergibt wie beim Bahndrehimpuls einen Faktor
.1/S C1 (d. h. mit zwei identischen Spins ist S D 1 symmetrisch, und S D 0
ist antisymmetrisch). In Abschn. 2.2.4 wurde diese Relation für die auftretenden
Zustände gezeigt.
Für die obigen Relationen ist es entscheidend, ob die Quantenzahlen L und S ge-
rade oder ungerade Werte annehmen. Da der Gesamtspin und die Quantenzahlen P
und C festliegen, müssen der Bahndrehimpuls und der Spin in besonders einfachen
Fällen feste und separat bestimmbare Werte einnehmen.
G -Parität
Die C -Parität ist nur für neutrale Teilchen definiert. Um die Definition auf die ande-
ren, durch Drehungen im Isospin-Raum erreichbaren Mesonen auszudehnen, führt
man die G-Parität ein und betrachtet das Verhalten unter Ladungskonjugation und
einer entsprechenden Drehung im Isospin-Raum, die die Ladungsänderung kom-
pensiert.
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 139
Um die Ladung, die der dritten Komponente des Isospins entspricht, umzukeh-
ren, kann man z. B. eine halbe Drehung um die y-Achse durchführen, z. B.
! ! !
1 1 0 i 1 0
exp i 2 Di D :
2 0 i 0 0 1
Für Pauli-Matrizen (4.14) gilt i2 D 1. Der Exponent ist cos x.1=2/Ci sin.1=2/
2 .
Für die Quarks hat eine solche Rotation die folgende Wirkung:
R N dN / D .d; u; dN ; u/
N .u; d; u; N ; (3.27)
wobei das Vorzeichen jeweils für die Wellenfunktionen der einzelnen Quarks gilt.
Die Relation kann durch Ausschreiben der entsprechenden Pauli-Spinoren und
-Matrizen gezeigt werden. Mit der Definition
GN D CN RN (3.28)
G N dN / D .dN ; u;
N .u; d; u; N d; u/ : (3.29)
Betrachten wir zunächst Mesonen ohne Spin und Drehimpuls. Da die Vertauschung
von Quarks keine Rolle spielt, handelt es sich um Zustände mit positiver C -Parität.
Beginnend mit dem (I D 1)- und dem (Iz D 1)-Zustand udN , erhält man durch ge-
eignete Drehungen im Isospin-Raum (jeweils um 90ı ) das Triplett der -Mesonen
r
1
N
d u; .uuN d dN /; udN : (3.30)
2
(Eine seperate (nicht „reduzierte“) Drehung beider Spinoren ergibt neben dem rich-
tigen (I D 1; Iz D 0)-Beitrag eine (I D 1; Iz ¤ 0; < Iz >D 0)-Komponente mit
N und udN -Anteilen.)
d u-
Für den (I D 0)-Zustand verbleibt das dazu orthogonale -Meson
r
1
.uuN C d dN / ; (3.31)
2
für das eine Rotation im Isospin-Raum ohne Wirkung bleibt.
Wenden wir jetzt unsere G-Paritäts-Transformation an. Einfaches Einsetzen der
Permutationsvorschrift ergibt ein negatives Vorzeichen für die -Mesonen und ein
positives Vorzeichen für das -Meson, d. h. einen Faktor .1/I .
Bei nicht verschwindendem Spin oder Bahndrehimpuls kommt, da bei der Trans-
formation natürlich auch die Position der beiden Quarks vertauscht wird, analog zu
der Überlegung bei der C -Parität ein Faktor .1/LCS hinzu, um diese Vertauschung
zu berücksichtigen. Die G-Parität ist damit .1/LCS CI .
140 3 Einführung in die Hadronenphysik
Die G-Parität erlaubt es, da sie als einfacher Faktor auftritt, sehr schnell be-
stimmte Prozesse auszuschließen. Da Pionen negative G-Parität besitzen, gilt, dass
Resonanzen, die in eine gerade bzw. ungerade Zahl von Pionen zerfallen, eine ge-
rade bzw. ungerade G-Parität besitzen.
Die G-Parität ist nur näherungsweise gültig. Schwache Wechselwirkungen ver-
letzen die zugrunde liegende C -Paritäts- und Isospin-Erhaltung. Die Isospin-Sym-
metrie ist durch die unterschiedlichen Massen und Ladungen der beiden leichten
Quarks gebrochen. Da die Massendifferenz klein ist und da die Ladungen nur in
schwachen elektromagnetischen Wechselwirkungen eine Rolle spielen, sind G-Pa-
ritäts-verletzende Prozesse nur sichtbar, wenn keine anderen hadronischen Kanäle
offen sind. Hadronische G-Paritäts-verletzende Prozesse haben dieselbe Größen-
ordnung wie elektromagnetische G-Paritäts-verletzende Prozesse [97]. Zwei typi-
sche hadronische und elektromagnetische Zerfallsraten sind (siehe [31]):
und
. ! 2/ D 0;46 MeV : (3.33)
Aus diesen allgemeinen Prinzipien folgt, dass das Produkt CP T für alle Messun-
gen eine exakte Symmetrie sein muss. Sonst müsste etwas Grundlegendes in der
Quantenmechanik geändert werden. (Grundlegende Änderung der Quantenmecha-
nik sind in Stringtheorien erforderlich.)
Die T -Invarianz entspricht daher der CP -Invarianz. In der Physik der schwachen
Vektorbosonen, die bei der betrachteten Resonanzphysik nur in ganz langsamen,
schwachen Prozessen in Erscheinung tritt, sind C und P deutlich (maximal) ver-
letzt, während das Produkt CP und damit T eine beinahe (aber nicht vollständig)
exakte Symmetrie beschreibt.
Für die Frage, welche Teilchen es gibt, ist natürlich die Fermi-Statistik entschei-
dend. Die Tatsache, dass es im CC -Teilchen drei u-Quarks, offensichtlich ohne
Drehimpuls mit identischen Spins, gibt, war dabei zunächst ein Problem. Es gab
drei identische Fermionen in einem einzigen Zustand. Zu seiner Lösung führte man
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 141
drei Quark-Farben ein. Da ein Austausch zweier Teilchen eine Vertauschung aller
ihrer Eigenschaften bedeutet, ist das Vorzeichen einer solchen Permutation das Pro-
dukt der Vorzeichen, die bei der Vertauschung im Ortsraum, im Spinraum und im
Farbraum auftreten. Eine Asymmetrie im neu eingeführten Farbraum erlaubte daher
trotz Symmetrie im Orts- und im Spinraum die von der Fermi-Statistik geforderte
Antisymmetrie. Für die obigen Betrachtungen zur C - und G-Parität von Mesonen
spielte die Farbe keine Rolle, da solche Zustände im Farbraum symmetrisch sind.
Die drei Farben der Quarks sind eine Repräsentation einer SU .3/-Symmetrie,
die für die Dynamik der Quark-Bindung eine Rolle spielt. Die Wechselwirkung
zwischen Quarks und Gluonen wird durch eine Eichtheorie beschrieben, die in einer
definierten Weise auf dieser SU .3/Farbe -Symmetrie aufbaut. Sie heißt Quantenchro-
modynamik oder QCD; „chromo“ steht dabei für Farbe (griechisch: !˛). Q Sie
hat eine ähnliche Struktur wie die Quantenelektrodynamik (QED). Beide Theorien
werden hier später zusammen im Rahmen der Physik der Leptonen und Partonen
behandelt.
QCD ist in weiten Bereichen nicht exakt lösbar. Es wird allgemein angenom-
men, dass die QCD eine Beobachtung erklärt, die „Confinement“ genannt wird.
Confinement oder „Gefangenhaltung“ besagt, dass freie Teilchen keine Farbladung
tragen können. Zwei farblose Bindungen sind dabei wichtig. Zum einen kann in ei-
ner „schwarzen“ Bindung die Farbe eines Quarks durch die Farbe eines Antiquarks
kompensiert werden, d. h. für das Meson:
q X
1
3
qi qNi : (3.34)
i Drot,blau,grün
Die bekannten Mesonen sind, wenn man von Komplikationen absieht, Bindungszu-
stände dieser Art.
Zum anderen kann es in einer „weißen“ Bindung zu einer völlig antisymmetri-
schen Mischung der Farben kommen, d. h. für das Baryon:
q X
1
6
ij k qi qj qk ; (3.35)
i;j;kDrot,blau,grün
wobei gilt:
8
ˆ
<C1 für .i; j; k/ gerade Permutation von .1; 2; 3/
ij k D 1 für .i; j; k/ ungerade Permutation (3.36)
:̂
0 sonst :
Solche Bindungen haben die Baryonenzahl 1 (bzw. 1 für die Antiteilchen). Die
bekannten Baryonen sind, wieder abgesehen von Komplikationen, in dieser Weise
gebunden.
Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass freie Teilchen nicht bloß „farblos“ sein
müssen (d. h. keine nicht kompensierte Farbe haben, wie es z. B. für einen einfa-
chen qrot qNrot -Zustand der Fall wäre), sondern dass sie notwendigerweise bezüglich
142 3 Einführung in die Hadronenphysik
der SU .3/Farbe -Gruppe Singulettzustände sind, d. h. Zustände, die sich bei einer
Drehung im Farbraum nicht ändern.
Dafür existieren nicht sehr viele Möglichkeiten. Die obigen Fälle entsprechen
den am besten beobachteten Bindungszuständen. Im Prinzip gibt es noch weitere
Konfigurationen bei höheren Valenz-Quark-Zahlen, z. B. für das Tetraquark:
q X
1
12
qi qj ij k klm qN l qNm : (3.37)
i;j;k;l;m
Ein anderes Beispiel ist ein Teilchen ohne Valenz-Quarks, das Gluonium, das man
(in der betrachteten Notation) in der folgenden Weise schreibt:
q X
1
6 ij k ij k ; (3.39)
i;j;k
˙ "ij k "klm D ıi l ıj m ıi m ıj l :
Sie gilt analog im Farbraum und besagt, dass der obige Baryonium-Zustand eigent-
lich aus einer Mischung von Zwei-Mesonen-Zuständen besteht:
qQqN QN N [ QQN C q QN [ .Qq/g
! f.q q/ N :
Die Situation ist allerdings nicht ganz so einfach, wie es in diesen einfachen For-
meln erscheint. Das Problem ist, dass die Feldquanten, die Gluonen selbst, Farb-
ladungen tragen, und dass deswegen viel kompliziertere Strukturen möglich sind.
Man nimmt an, dass in geeigneten Gruppierungen von Quarks und Gluonen jeweils
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 143
nur eine Farbe übrigbleibt und dass diese mit Gluonen umhüllten Quarks als eine
Art von Konstituenten-Quarks dann in den obigen Relationen in Erscheinung treten.
In diesem Bild können die Feldlinien oder die Levi-Civita-Symbole "ij k als eine
Gluonen-Struktur eine dynamische Bedeutung haben und den Zerfall von exoti-
schen Zuständen in gewissem Umfang verhindern.
3.1.8 Mesonen
Wir betrachten zunächst die niedrigsten Anregungen und beginnen mit den Meso-
nen ohne Bahndrehimpuls. Je nachdem, ob die Spins parallel oder antiparallel sind,
hat man, wie wir oben gesehen hatten, den folgenden Gesamtdrehimpuls, Parität
und C -Parität:
J P C D 0C bzw:1 : (3.40)
(Unter Berücksichtigung der Parität des Antiteilchens hatten wir P D .1/LC1
und C D .1/LCS .) Man spricht von pseudoskalaren Mesonen oder von Vektor-
mesonen. Das „Pseudo“ steht dabei für die „unnatürliche“ Parität, wobei die mit
spinlosen Konstituenten erreichbare Parität: P D .1/J als „natürlich“ definiert
wird.
Die Namen der auf diese Art erhaltenen Mesonen sind in Tab. 3.3 angegeben.
(Ich folge dabei der von der Particle Data Group [31] im Herbst 1984 vorgestellten
und 1986 angenommenen Nomenklatur. Änderungen zur älteren, weniger syste-
matischen Notation sind meist nicht sehr gravierend.) Es gibt keine Mesonen mit
t-Quarks. Das t-Quark ist viel schwerer als die anderen Quarks. Dies hat die Fol-
ge, wie wir in Abschn. 5.2 sehen werden, dass es zu kurzlebig ist, um hadronische
Resonanzen zu bilden. In der Tabelle sind in der ersten Zeile die Vektormesonen
und in der zweiten Zeile jeweils die pseudoskalaren Teilchen aufgeführt. Wenn zur
Unterscheidung erforderlich, wird die natürliche Parität durch einen hochgestellten
Stern angezeigt.
144 3 Einführung in die Hadronenphysik
Die Buchstaben ergeben sich aus dem Quark-Inhalt und dem Spin. Zustände,
die nur verschwindende Flavor-Quantenzahlen (ohne Upness und Downness) tra-
gen, sind durch griechische Buchstaben gekennzeichnet. Für Zustände mit nicht
verschwindenden Flavor-Quantenzahlen werden große lateinische Buchstaben be-
nutzt, und zwar zählt das schwerere Quark jeweils als namensgebend. Die Ladung,
die als Index angegeben wird, spezifiziert, ob das leichtere Quark ein u- oder d -
Quark bzw. Antiquark ist. Ist das leichtere Quark auch ein schweres Quark, wird
dies durch einen Index angezeigt. Ist die Quark-Antiquark-Natur nicht durch den
Ladungsindex festgelegt, wird das Teilchen mit einer negativen Flavor-Quantenzahl
(bezüglich des schwersten Quarks) mit einem Überstrich als Antiteilchen gekenn-
zeichnet.
Eine Ausnahme von dieser Beschreibung durch Quark-Inhalte bilden die neutra-
len Mesonen, die nur aus leichten Quarks bestehen. Die Klammern bedeuten, dass
diese Zustände in anderen Kombinationen auftreten. Wegen der praktisch entarteten
Masse hat man q
0 D 12 .uuN d dN / (3.41)
und q
D 1
2 .uuN C d dN / (3.42)
als Eigenzustände der dynamisch erzeugten Masse. Wir hatten erwähnt, dass in
einer relativistischen Theorie die Bindung von Austauschprozessen und von Über-
gangsprozessen bestimmt wird. Die Massendifferenz zwischen den so ausgewählten
Grundzuständen hat ihren Ursprung in dem Übergang, der die Quark-Art vergisst.
Er beruht auf den folgenden beiden Prozessen:
und
uuN ! Gluonen ! uuN ; d dN ! Gluonen ! d dN :
Sie werden im Falle des -Mesons beitragen und Massenkorrekturen bringen. Im
Falle des 0 treten die gleich großen Beiträge beider Zeilen mit unterschiedlichen
Vorzeichen auf. Die Summe über beide Beiträge verschwindet, und die betrachteten
Prozesse sind wirkungslos und führen nicht zu wesentlichen Massenkorrekturen. In
diesem Fall ist die Situation daher analog zum C und zum , wo wegen der
unterschiedlichen Flavor-Quantenzahlen der Übergang in Gluonen sowieso unter-
bunden ist. Diese Überlegung erklärt, also warum Teilchen, die durch Drehungen im
Isospinraum auseinander hervorgehen, abgesehen von kleinen Korrekturen, gleiche
Massen haben, warum, in anderen Worten, die Teilchen des SU .2/Flavor -Tripletts
andere Massen haben als die Teilchen des Singuletts. Diese Überlegung ist nicht
nur für pseudoskalare Teilchen anwendbar. Bei den Vektormesonen ist die Situati-
on bezüglich des Isospins analog.
In geringerem Umfang gibt es eine Mischung verschiedener Quark-Zustände
auch zwischen und 0 und in noch geringerem Umfang zwischen und !.
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 145
Bei neutralen Kaonen gibt es eine ähnliche Komplikation durch schwache Wech-
selwirkungen, die einen Übergang s dN ! d sN und damit
KN 0 ! K 0 (3.43)
erlaubt. Da Teilchen und Antiteilchen exakt dieselben Massen haben, reicht ein sehr
kleiner Beitrag, um zu neuen Eigenzuständen zu kommen, in denen Teilchen und
Antiteilchen vertauscht auftreten.
Da die Mischung nur sehr langsam vor sich geht, ist die Situation recht komplex.
Bei hadronischen Streuungen spielt die schwache Wechselwirkung, die für die
Mischung verantwortlich ist, zunächst keine Rolle, und es werden die Teilchen
mit positiver oder negativer „strangeness“, d. h. die K 0 oder KN 0 erzeugt, je nach-
dem, ob sN - oder s-Quarks vorhanden sind.
Die Dynamik unterscheidet zwischen den Zuständen mit unterschiedlichen CP -
0
Paritäten. Die Teilchen mit gerader bzw. mit ungerader CP -Parität, das Kshort
0
und das Klong , haben daher etwas verschiedene Massen.
Da die CP -Parität bei Zerfällen in Hadronen erhalten wird, sind für beide Zu-
stände auch unterschiedliche Zerfallskanäle offen (zu zwei oder drei Pionen).
Die damit verbundene längere bzw. beträchtlich kürzere Zerfallszeit erklärt ihre
Namen.
Neben den Zerfällen zu Hadronen gibt es, wie wir in Abschn. 5.1.3 sehen werden,
auch Zerfälle in Leptonen, die wiederum zwischen K 0 oder KN 0 unterscheiden. Eine
genaue Analyse (Abschn. 5.1.4) zeigt, dass es sogar eine winzige CP -verletzende
Korrektur gibt.
Für Zustände mit einem nicht verschwindenden Bahndrehimpuls wird die Situa-
tion komplizierter. Ist der Gesamtspin null, gibt es jeweils für die geraden und die
ungeraden Drehimpulse Teilchenketten mit identischen diskreten Quantenzahlen,
d. h. mit J P C D 0C ; 2C und mit 1C 3C . Für Spin-(S D 1)-Zustände
kann je nach Ausrichtung der Spins der Gesamtdrehimpuls L 1, L oder L C 1
betragen und für gerade Bahndrehimpulse einen .L 1/CC -, LCC - oder .L C
1/CC -Zustand ergeben. Mit der Möglichkeit von doppelten Einträgen, die keine
eindeutige Festlegung des Bahndrehimpulses aus erhaltenen Quantenzahlen festle-
gen, treten zwei neue Ketten mit 0CC ; 1CC ; und mit 1 ; 2 ; auf.
Für die Benennung der Mesonen verwendet man [31] den Gesamtspin als Zusatz
zu den Bezeichnungen der Tab. 3.3, falls er nicht den minimalen Wert annimmt,
Außerdem gibt man für hadronisch zerfallende Resonanzzustände die Masse an.
Man schreibt z. B. 3 .1690/. Für die Zustände der Mesonen mit verschwindenden
Flavor-Quantenzahlen benutzt man dabei die Bezeichnungen der Tab. 3.4.
In Tab. 3.4 wurde eine kleine wechselseitige Beimischung von Zuständen der
zweiten Zeile und Zuständen der dritten Zeile ignoriert. (J > 1)-Anregungen des
J = werden nur durch bezeichnet.
Für die Flavor-Quantenzahlen tragenden Mesonen ist die G-Parität nicht defi-
niert. Die Zustände mit „natürlicher“ Parität P D .1/J werden durch einen Stern
indiziert.
146 3 Einführung in die Hadronenphysik
Tab. 3.4 Bezeichnungen der J PC .0; 2 /C .1; 3 /C .1; 2 / .0; 2 /CC
Mesonen (L beliebig) uuN d dN b a
uuN C d dN h ! f
s sN 0 h0 f0
c cN c hc J= c
b bN b hb b
t tN t ht t
Bevor wir die Betrachtung der Mesonen abschließen, sei noch eine kurze Liste
der Massen besonders wichtiger Mesonen angeführt (Tab. 3.5).
Eine vollständige Liste, die regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht wird,
wird von der Particle Data Group [31] herausgegeben und ist über das Internet auf-
zurufen [32].
3.1.9 Baryonen
Wenden wir uns zunächst den baryonischen Zuständen zu. Die leichtesten Zustände
besitzen wiederum den Bahndrehimpuls null. Je nachdem, ob die Spins ausgerichtet
sind oder nicht, gibt es damit einen Spin und Gesamtdrehimpuls von 1=2 bzw. 3=2.
Die davon jeweils existierenden Zustände sind in der Tab. 3.6 aufgeführt.
Betrachten wir jetzt nicht verschwindende Bahndrehimpulse. Zu jedem Bahn-
drehimpuls gibt es die Gesamtdrehimpulse
wobei die letzteren aus S D 1=2 oder 3=2 resultieren können. Zu unterscheiden
sind jeweils nur die Zustände mit gerader bzw. ungerader Parität und geradem
bzw. ungeradem Drehimpuls. Für Baryonen gibt es natürlich keine C -Parität, und
die resultierende Möglichkeit, den Spin einzuschränken, entfällt. Dafür gibt es eine
andere Restriktion.
Da Quarks Fermionen sind, müssen diese Zustände antisymmetrisch unter Ver-
tauschung zweier identischer Quarks sein. Je nach Spin sind damit andere Zustände
möglich. Betrachten wir zunächst wieder das CC als Beispiel. Es ist antisymme-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 147
Ähnlich wie bei den Mesonen werden auch hier Anregungszustände mit höhe-
ren Bahndrehimpulsen wie die .L D 0/ -Zustände bezeichnet. Zur Spezifizierung
werden die Massen hinzugesetzt.
3.1.10 Tetraquarks
Betrachten wir zunächst nur leichte Quarks. Hier gibt es und gab es viele Versuche,
Strukturen in Massenverteilungen mit exotischen Bindungszuständen zu identifizie-
ren. Völlig zweifelsfreie Erfolge blieben aus. Es gibt Hinweise dafür, dass solche
Zustände im Prinzip existieren, aber dass sie wegen ihrer kurzen Zerfallszeiten nicht
identifiziert werden konnten.
Sind schwere Quarks involviert, erscheint die Situation anders. Die radiale Ver-
teilung von Quarks in Bindungszuständen hängt von deren Masse ab. In Zuständen
von schweren und leichten Quarks könnte die unterschiedlichen Geometrien und
die geringeren Überlappungen der Wellenfunktionen zu einer gewissen Stabilisie-
rung führen. Die Interpretation der Zustände der Tab. 3.7 als Tetraquarks ist daher
naheliegend [98].
Ungewöhnlich ist, dass die beiden schweren Quarks in den Zerfällen zusammen
bleiben. Normalerweise zerfällt ein Zwei-Quark-Zustand vorzugsweise (siehe Ab-
schn. 3.2.3) in zwei Mesonengruppen, die jeweils eines der Quarks enthalten. Für
Tetraquarks kann die obige Kreuzprodukt-Beziehung erklären, wie ein Zerfall in
Bindungszustände leichter und schwerer Quarks zustande kommt.
Wir hatten uns in den vorigen Abschnitten mit der Systematik der Zustände beschäf-
tigt. Was weiß man darüber, wie die Massen der Grundzustände und die bei Anre-
gungen auftretenden Massendifferenzen zustande kommen? Das Verhalten solcher
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 149
Anregungen ist eng mit der Struktur der Quark-Bindung verknüpft. Es ist damit
weitgehend ein nicht wirklich gelöstes Problem. Man kennt die zugrunde liegende
Theorie, die QCD, aber sie ist in dem betrachteten Bereich nicht ohne mehr oder
weniger phänomenologische Modellannahmen zu lösen.
Schwere Quarks
Eine Ausnahme bilden dabei die Bindungszustände langlebiger schwerer Quarks.
Für Bindungszustände aus Charm-Quarks sowie Bottom-Quarks und -Antiquarks
ist die reduzierte Masse m1 m 2
M D (3.45)
m1 C m2
groß gegenüber der kinetischen Energie der Quarks, so dass eine nichtrelativistische
Betrachtung mit Potenzialen möglich wird. Da die relativistischen Korrekturen nur
quadratisch auftreten, ist eine Bindungsenergie von beispielsweise 0;35 GeV klein
gegenüber den schweren Quark-Massen von 1;8 GeV bzw. 4;5 GeV. Man kann da-
her erwarten, dass man Teilchenmassen aus einem geeigneten Potenzial mit einer
entsprechenden Genauigkeit ausrechnen kann.
Bei sehr großen Quark-Massen gibt es eine weiter gehende Hoffnung. Mit zu-
nehmender Masse der Quarks sollten dabei quantenmechanisch immer kleinere
Abstände involviert sein. Es ist denkbar, dass dabei Abstände erreicht werden, die
eine störungstheoretische Berechnung des Potenzials in niedrigster Ordnung der
QCD zulassen. In niedrigster Ordnung ist die Quantenchromodynamik völlig ana-
log zur Quantenelektrodynamik, und wie dort hat man daher in dem betrachteten
Grenzfall das Coulomb-Potenzial, das in Abb. 3.13a skizziert ist.
Für die beobachteten Bindungszustände der Charm- und der Bottom-Quarks ist
das Coulomb-Gebiet nicht erreicht. Bei der räumlichen Ausdehnung dieser Bin-
dungszustände scheint eine komplizierte Wechselwirkung der Farbfelder mit sich
selbst eine signifikante Rolle zu spielen, was eine verlässliche Berechnung der Po-
tenziale schwierig macht. Man muss sich daher darauf beschränken, die Form des
Potenzials zu fitten und auf diese Art die Konsistenz der Daten und der theoreti-
schen Vorstellung zu prüfen [100].
Gute Ergebnisse wurden dabei mit logarithmischen Potenzialen erzielt. Der Ver-
lauf eines solchen Potenzials ist in Abb. 3.13b skizziert. Eine charakteristische
Eigenschaft solcher logarithmischen Potenziale [102] ist, dass die relativen Anre-
gungsenergien unabhängig von der Masse der gebundenen Quarks sein sollen, was
die Ähnlichkeit des Bottomonium- und des Charmomium-Spektrums, die in der
Abb. 3.14 zu sehen ist, erklärt.
Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Bindungsenergien entscheidend nur
von einem Gebiet um die klassischen Umkehrpunkte abhängen und dass viele An-
sätze mit einem Übergang von einem steilen Coulomb-Gebiet in eine flachere,
beinahe lineare Abhängigkeit zu zufrieden stellenden Ergebnissen führen.
Als Beispiel ist ein konzeptuell attraktives Potenzial mit einem realistischen
QCD-Coulomb-Anteil im Nahbereich und einem gefitteten linear ansteigenden
Term gewählt. Man nimmt an, dass bei großem Abstand die Selbstwechselwirkung
in der Mitte eine vorgegebene Konfiguration erzeugt, wie es in Abb. 3.15a ange-
150 3 Einführung in die Hadronenphysik
deutet ist. Das Potenzial ist auf der linken Seite der Abb. 3.15b geplottet. Hat man
das Potenzial, kann man mit der Schrödinger-Gleichung die Resonanzenergien
ausrechnen. Sie sind auch auf der linken Seite eingezeichnet. Zustände, die nicht in
eC e -Vernichtungsstreuung gebildet werden können, sind gestrichelt. Das Photon
hat P D 1 und J D1, und ein erzeugtes Quark-Antiquark-System kann daher
nur einen Bahndrehimpuls L D 0 oder L D 2 haben.
Auf der rechten Seite sieht man das gemessene Spektrum der S- und der D-
Zustände, wie sie in der e C e -Vernichtungsstreuung beobachtet werden. Die Reso-
nanzen sind als Spitzen im Wirkungsquerschnitt zu sehen. Linienbreiten unterhalb
der Zeichengenauigkeit sind als einzelne Striche gezeichnet.
Die Breite von Resonanzen wird durch die Zerfallsmöglichkeiten bestimmt. Un-
terhalb einer gewissen Schwellenenergie, die für die S- und die D-Zustände etwas
verschieden ist, werden die Resonanzen ungewöhnlich eng. Zum Beispiel ist die
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 151
Breite des J = nur etwa 60 keV. Sie liegt 5 Dekaden unter typischen hadroni-
schen Zerfallsbreiten und beruht darauf, dass der gewöhnliche Zerfallsprozess, wie
er in Abb. 3.16a skizziert ist, nicht auftreten kann, da ein mit zusätzlichen leichten
Quarks zu produzierendes Paar von zwei „gecharmten“ D-Mesonen eine größere
Masse als das ursprünglich gebildete J = -Teilchen hätte. Im Prinzip kann sich na-
N
türlich das c c-Paar annihilieren, und ein entsprechendes leichtes Quark-Paar kann
die Impulse und Spins übernehmen (Abb. 3.16b). Eine empirische Beobachtung, die
Zweig-Regel genannt wird, besagt, dass solche Prozesse, in denen Valenz- und See-
Quarks ihre Rolle vertauschen, nur mit winzigen Amplituden beitragen und dass
sie mit wachsender Masse des Quark-Antiquark-Paares mehr und mehr verboten
sind.
152 3 Einführung in die Hadronenphysik
Mit zunehmender Masse scheint der die Zweig-Regel verletzende Anteil mehr
und mehr störungstheoretisch (d. h. mit der niedrigsten Ordnung der QCD) behan-
delbar zu werden. Man erwartet, dass die Vernichtung der schweren Quarks dann
so stark lokalisiert ist, dass die Ausdehnung des Prozesses eine Beschreibung durch
die im Abschn. 4.2 behandelten Wechselwirkungen einzelner Partonen erlaubt. Die
beiden schweren Quarks annihilieren sich dann unter Abstrahlung von 2 oder 3
Gluonen, den Feldquanten des Farbfelds, wie es in Abb. 3.17 dargestellt ist. Da
die Gluonenkopplung bei der relevanten Lokalisierung ausreichend klein ist, bleibt
dieser die Zweig-Regel verletzende Beitrag winzig. Beim Verlassen des lokalisier-
ten Parton-Wechselwirkungsbereichs sammelt jedes dieser Gluonen eine geeignete
Zahl von See-Quarks aus dem Vakuum auf, ohne nennenswert Impuls zu verlieren,
und bildet mit diesen Quarks in einer zweiten Phase der Wechselwirkung geeig-
nete hadronische Zustände, die etwa in die Gluon-Richtung fliegen. Dies hat die
Konsequenz, dass auch umgekehrt der Impuls der am Ende in der entsprechenden
Richtung produzierten Teilchen etwa dem des ursprünglichen Gluons entspricht.
Indirekt hat man also die Möglichkeit, mit beschränkter Genauigkeit die Impulse
der zunächst produzierten Partonen zu bestimmen.
Das quantenelektrodynamische Analogon dazu stellt das sogenannte Positroni-
um dar; dieser Elektron-Positron-Bindungszustand kommt je nach Orientierung der
beiden Spins (Para- oder Ortho-Positronium) mit negativer oder positiver C -Parität,
C D .1/lCs , vor. Je nach C -Parität kann es in eine gerade oder ungerade Zahl von
Photonen zerfallen. Ein Zerfall in ein einzelnes Photon kommt wegen der Viererim-
pulserhaltung nicht in Frage, da das Photon masselos ist. Die elektromagnetische
Kopplung ist schwach, und die Amplitude fällt daher mit wachsender Photonen-
zahl rapide ab; in guter Näherung bedeutet gerade daher 2, und ungerade bedeutet
3 Photonen. Dasselbe gilt für Gluonen. In Anlehnung an dieses lange bekann-
N
te quantenelektrodynamische Phänomen bezeichnet man die q q-Bindungszustände
der schweren Quarks heute allgemein als Quarkonia.
Leichte Quarks
Über die Bindungsdynamik der Hadronen, die leichte Quarks enthalten, gibt es kei-
ne verlässlichen theoretischen Vorstellungen. Phänomenologisch scheint sich die
Situation weniger drastisch zu ändern, als man vielleicht annehmen sollte, und vie-
le Modellrechnungen führen zu vernünftigen Ergebnissen, wenn sie in dieses Gebiet
extrapoliert werden.
Es gibt viele andere Ansätze, die Massen abzuschätzen. Um die meisten Mas-
sen näherungsweise zu beschreiben, kann man dabei von Konstituenten-Massen der
Quarks ausgehen, die wir im Abschn. 3.1.5 kennen gelernt hatten, und eine geeigne-
3.1 „Zoologie“ der Hadronen 153
wobei die Massenskala aus der QCD von der Größenordnung von 1 GeV ist.
Eine im Prinzip exakte Methode, Massen von Hadronen zu berechnen, beruht auf
der so genannten Gittereichrechnung. Ein zentraler Trick ist dabei meist, die Zeit in
die komplexe Ebene analytisch fortzusetzen („Wick rotation“) und die tatsächliche
Rechnung mit D it nun enthalten in R durchzuführen. Die dazu benötigte Analy-
tizität folgt aus der Struktur der Gleichungen. Die Zeitentwicklung eines quanten-
mechanischen Zustands wird durch den Operator exp.iH t=„/ beschrieben. H ist
der Hamilton-Operator. Durch die Wick-Rotation wird er durch den Operator
exp.H =„/
ersetzt, der die Form einer Zustandssumme der statistischen Mechanik hat. Das
Problem, Massen zu bestimmen, reduziert sich darauf, in einem geeigneten Algo-
rithmus Feldkonfigurationen mit einer ihrer Wahrscheinlichkeit exp.H =„/ ent-
sprechenden Häufigkeit zu erzeugen und zu beobachten, wie schnell in diesen Kon-
figurationen Korrelationen mit dem Abstand abnehmen.
Die Wechselwirkung in den Hadronen wird durch die Quantenchromodynamik
beschrieben, die wir in Abschn. 4.2 einführen werden. Um die oben skizzierten
Methode anwenden zu können, approximiert man das Raum-Zeit-Kontinuum durch
ein diskretes Raum-Zeit-Punktgitter.
In Eichtheorien (wie der Quantenchromodynamik) gibt es dabei eine elegan-
te Methode, Eichfelder zu beschreiben, die darauf beruht, den Vektorpotenzial-
feldern Gitterseiten zuzuordnen. Das elektromagnetische Vektorpotenzialfeld A
hatten wir in (3.22) kennen gelernt. Ein ähnliches Feld existiert in der Quantenchro-
modynamik. Für die Beschreibung der Fermionen gibt es verschiedene Verfahren.
Will man auch die Erzeugung und Vernichtung von Fermionenpaaren berücksichti-
gen, erfordern Gitterrechnungen einen enormen numerischen Aufwand. Mit langen
Rechenzeiten auf modernen Großrechnern wird heute für die relative Größe der
meisten Massen eine Genauigkeit von etwa einem Prozent erreicht [104, 105].
154 3 Einführung in die Hadronenphysik
Wir betrachten nun die Abhängigkeit der Massen vom Bahndrehimpuls. Dabei
ist eine empirische Regelmäßigkeit wichtig, die die orbitale Anregung von sonst
identischen Teilchen betrifft. Die geforderte Identität schließt dabei diskrete Quan-
tenzahlen (wie die Parität) ein. (Dies ist im Prinzip notwendig, da im effektiven
Potenzial ein (kleiner) sogenannter Austauschterm auftritt, der die örtliche Position
von Quark und Antiquark vertauscht, und da das Vorzeichen eines solchen Beitrags
von der Parität abhängt.) Trägt man nun eine Serie von solchen sonst identischen,
orbitalen Anregungen als Funktion ihres Drehimpulses und des Quadrats ihrer Mas-
sen ein, so ergibt sich etwas idealisiert die in Abb. 3.18 dargestellte Situation. Eine
solche Abbildung heißt Chew-Frautschi-Plot. In der Abbildung sind die Anregun-
gen mit ungeraden Drehimpulsen dargestellt. Die Situation für gerade Drehimpulse
ist analog.
Die Resonanzen liegen auf Geraden. Die oberste Gerade, die verschiedene orbi-
tale Anregungen verbindet, heißt Regge-Trajektorie. Die darunter liegenden Gera-
den, die auf radiale Anregung zurückzuführen sind, heißen Tochter- oder „Daugh-
ter“-Trajektorien (d. h. Anregungen des Radialteils der Wellenfunktion).
Als Beispiele für die Chew-Frautschi-Darstellung sind in Abb. 3.19 die Flavor-
Quantenzahl-losen (S D 1)-Mesonen gezeichnet. Wenn man von kleineren Korrek-
turen absieht liegen alle Mesonen auf Geraden mit einheitlichem Anstieg. Die vier
Trajektorien der Mesonen mit Isospin 1 bzw. 0 und mit gerader bzw. ungerader Pari-
tät liegen übereinander („exchange degeneracy“). Ähnliche Trajektorien existieren
für Baryonen [85, 107].
Wir wollen jetzt Vorgänge bei etwas höheren Energien betrachten. Erinnern wir uns
zunächst an die Energieabhängigkeit des totalen Wirkungsquerschnitts. Auf eine
Region unterhalb von Schwerpunktenergien von etwa 3 GeV, in der einzelne Reso-
nanzen sichtbar werden, folgt ein Gebiet mit einem glatten, abfallenden Verhalten
des Wirkungsquerschnitts. Dies ist das Gebiet der Regge-Pol-Physik, die in den
60er Jahren entwickelt wurde und deren grundlegende Züge hier kurz beschrieben
werden.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 155
3.2.1 Regge-Pol-Modell
Mandelstam-Variablen
In dem betrachteten Energiebereich dominieren Zwei-Teilchen-Streuungen. Befas-
sen wir uns daher zunächst etwas näher mit der Kinematik des elastischen oder
inelastischen Zwei-Teilchen-Prozesses. In Abb. 3.20 ist die Definition der auftre-
156 3 Einführung in die Hadronenphysik
tenden Viererimpulse dargestellt. Wir hatten in Abschn. 2.5.1 gesehen, dass die re-
levante kinematische Situation vollständig durch die Einfallsenergie und die Streu-
winkel beschrieben werden kann, wobei der azimutale Anteil üblicherweise keine
Rolle spielt. Betrachtungen über die zur Verfügung stehende Gesamtenergie hatten
uns gezeigt, dass es vorteilhaft ist, Lorentz-invariante Parameter einzuführen, und
wir wollen mit dieser Forderung jetzt auch die systemabhängigen Winkel eliminie-
ren. Dazu definieren wir die sogenannten Mandelstam-Variablen
s D .pa C pb /2 D .pa0 C pb 0 /2 ;
t D .pa pa0 /2 D .pb pb 0 /2 ; (3.47)
u D .pa pb 0 / D .pa0 pb /
2 2
pa2 D m2a ; pb2 D m2b ; pa20 D m2a0 und pb20 D m2b 0 ; (3.48)
so dass für die Beschreibung der Kinematik nur die gemischten Terme interessant
sind. Von den sechs möglichen gemischten Termen sind drei durch die Identitäten
auf der rechten Seite von (3.47) festgelegt.
Da es bekanntlich nur zwei unabhängige Variablen gibt, wurde eine der Man-
delstam-Variablen nur aus Symmetriegründen beibehalten. Das ist akzeptabel, da
die gegenseitige Abhängigkeit der Mandelstam-Variablen sich durch eine einfache
Relation beschreiben lässt:
X
sCt CuD m2i : (3.49)
i Da;b;a0 ;a0
Die Relation (3.49) kann leicht durch explizites Ausmultiplizieren gezeigt werden.
(Betrachten wir identische Massen. Die nicht gemischten Terme sind 6m2 . Die ge-
mischten Terme sind 2pa pb 2pa pa0 2pa pb 0 D 2m2 ; wobei die Relation
pa0 C pb 0 D pa C pb benutzt wurde.)
Mit drei zueinander um 60ı geneigten Koordinatenachsen ist es möglich, diese
Beziehung in einem Dreiecksgraphen direkt zu implementieren, wie es in Abb. 3.21
gezeigt ist. Dass die Summe in einem solchen Dreiecksgraphen konstant ist, ist
geometrisch durch geeignete Spiegelungen zu sehen.
Aus der Energie- und Impuls-Erhaltung und den bekannten Massen folgt der
kinematisch zulässige Bereich der Variablen. Falls keine Massenunterschiede auf-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 157
treten, ist er
s > .ma C mb /2
t <0 (3.50)
u<0:
Für identische Massen der Streuteilchen gilt im Schwerpunktsystem
s D C4 Ea2 ;
t D 2 p 2
a .1 cos # /;
u D 2 p 2
a .1 C cos # / :
Zu diesen Relationen gibt es kleine Korrekturen, und zwar für t, falls Massendif-
ferenzen zwischen ein- und auslaufenden Teilchen auftreten, und für u, wenn die
Streuung zwischen Teilchen mit verschiedenen Massen erfolgt.
Wie gesagt entspricht die Variable s dem Quadrat der Schwerpunktenergie. In
analoger Weise bezeichnet die Variable t (bzw u) das Quadrat des ausgetausch-
ten Viererimpulses. Im Lorentz-System, in dem die Energien eines ein- und eines
auslaufenden Teilchens identisch sind (wie es im nichtrelativistischen Bereich für
elastische Streuung immer der Fall wäre), entspricht t (bzw. u) gerade dem Negati-
ven des ausgetauschten Dreierimpulsquadrats. Ein Streuwinkel null bedeutet daher
ein minimales t und maximales u. Eine Rückwärtsstreuung erfordert umgekehrt
ein maximales t und ein minimales u.
Wie hängen die experimentellen Daten von diesen Variablen ab? Die s-Abhän-
gigkeit (Abb. 3.10) wurde schon besprochen. Wenden wir uns jetzt der t -Abhängig-
keit zu. Im Resonanzgebiet war die Winkelabhängigkeit durch den Drehimpuls und
durch die Parität der Resonanzen bestimmt. Wir hatten dazu die Partialwellenana-
lyse kennen gelernt. Die Winkelabhängigkeit in diesem Gebiet war vergleichsweise
isotrop (ohne exponenzielle Abhängigkeiten). Eine t -abhängige Parametrisierung
wird interessant, wenn man Energien erreicht hat, die oberhalb des typischen Reso-
nanzgebiets liegen.
Für eine solche Energie von EL D 5 GeV ist die experimentelle t-Abhängigkeit
elastischer Prozesse in Abb. 3.22 dargestellt [110]. Sehen wir von lokalen Struktu-
ren ab und konzentrieren uns auf das globale Verhalten. Alle Prozesse haben einen
sehr steilen Anstieg in Vorwärtsrichtung bei t D 0. Man beachte dabei, dass die
Skala logarithmisch ist und dass die Spitze tatsächlich viele Zehnerpotenzen be-
trägt. Der dominante Beitrag zum Wirkungsquerschnitt kommt also von Prozessen,
in denen das Teilchen a als Teilchen a0 mehr oder weniger ungestreut mit seinem
alten Impuls weiterfliegt.
Zusätzlich zu dieser Vorwärtsspitze gibt es bei einigen dieser Prozesse eine meist
kleinere Rückwärtsspitze. In solchen Prozessen kommt es also zu einer Art Aus-
tausch, bei dem der Impuls des einen Teilchens a auf das andere Teilchen b 0 über-
tragen wird. Dieser Prozess hängt sehr stark von den Quantenzahlen der Teilchen
ab. Die Rückwärtsspitze ist natürlich trivial für die Streuung zweier gleicher Teil-
chen, bei denen zwischen a0 und b 0 nicht unterschieden werden kann. Der Rück-
wärtsbeitrag ist aber auch bei einigen nicht-trivialen Reaktionen deutlich stärker
158 3 Einführung in die Hadronenphysik
Ein-Teilchen-Austausch-Modell
Von der Kernphysik kennen wir eine Wechselwirkung, die kleine Impulsüberträge
bevorzugt. Gemäß Yukawas Theorie der Kernkräfte entsteht eine solche Wechsel-
wirkung zwischen zwei Hadronen durch den Austausch eines Pions. Extrapoliert
man das Modell zu den hier betrachteten Streuenergien, sollten die typischen
Impulsüberträge anwachsen, so dass die Massen der ausgetauschten Teilchen
unwichtiger werden und auch schwerere Austauschteilchen eine Rolle spielen.
Diese Extrapolation ist die grundlegende Idee des Ein-Teilchen-Austauschmo-
dells [58].
Ein Erfolg des Ein-Teilchen-Austausch-Modells ist, dass es richtig vorhersagt,
für welche Prozesse Spitzen in einer Rückwärtsstreuung auftreten und für welche
nicht. Betrachten wir die Prozesse p ! p und K p ! p K als Beispiele.
Hierbei ist die Notation so gewählt, dass das vorwärts fliegende Teilchen jeweils
zuerst aufgeführt wird, so dass es sich in beiden Fällen um eine Rückwärtsstreuung
handelt.
Um uns zurechtzufinden, zeichnen wir zunächst in Abb. 3.23 ein Diagramm,
in dem die Bewegungen der Valenz-Quarks (Quark-Flussdiagramm) während der
p-Streuung dargestellt werden. Für die Rückwärtsstreuung, bei der der Impuls
des Protons im Wesentlichen in den Impuls des Pions übergeht, benötigt man einen
3.2 Hadronische Streuvorgänge 159
Austausch von drei u -Quarks. Da ein solcher Zustand, das CC , existiert, erwartet
man im Ein-Teilchen-Austausch-Modell einen Beitrag zur Rückwärtsstreuung, wie
er in Abb. 3.24 skizziert ist.
Betrachten wir nun das Quark-Flussdiagramm in der K p -Rückwärtsstreuung.
Das Quark-Flussdiagramm ist in Abb. 3.25 dargestellt. Ein Austausch von fünf
Quarks ist notwendig. Da Zustände mit fünf Valenz-Quarks keinen Resonanzen ent-
sprechen, kann es in diesem sogenannten „exotischen“ (d. h. nicht bekannten Teil-
chen entsprechenden) Prozess auch keinen Ein-Teilchen-Austausch in der Rück-
wärtsstreuung geben. Das Ein-Teilchen-Austausch-Modell erklärt somit qualitativ
das Verhalten der Daten, wie es in der Abb. 3.22 zu sehen war.
Ermutigt durch diesen Erfolg, versuchen wir jetzt, mit unserer Vorstellung über
einen solchen Teilchenaustausch präziser zu werden. Dazu betrachten wir zunächst
den „gekreuzten Prozess“, wie er in Abb. 3.26 dargestellt ist. In der nichtrelativisti-
schen Resonanzphysik hatte dieser Prozess mit einer Resonanz eine Amplitude der
Form
1 1 l =2
f .s; t; u/ D T .s; t; u/ D .2l C 1/ Pl .cos # / ;
p p .E ECC / C il =2
(3.51)
wobei der Bruch gerade der Resonanzbeitrag zur Partialwellenamplitude tl war.
In der Formel ist der rein elastische Fall betrachtet, in dem der Zähler durch die
Normierung festgelegt ist. Spineffekte sind vernachlässigt. Wir nehmen an, dass
sich dieser Ausdruck mit geeigneter Energieabhängigkeit der Zerfallsbreite auch
außerhalb des Resonanzgebiets fortsetzen lässt. Für das Verhalten außerhalb des
unmittelbaren Resonanzgebiets kann man den relativ kleinen Imaginärteil i =2
im Nenner vernachlässigen, seinen Realteil kann man nach Multiplikation mit
E C ECC durch die Mandelstam-Variable ausdrücken. Definitionsgemäß ist
E 2 E2 CC D s M2 CC . Man erhält einen Ausdruck der Form
Ql .s/ 2u
T .s; t; u/ D .2l C 1/ Pl 1 ; (3.52)
s M2 CC s 4m2
2u
cos # D 1 (3.53)
.s 4m2 /
t u
s
Austausch− Austausch−
gebiet gebiet
sAustauschprozess D uResonanzprozess ;
tAustauschprozess D tResonanzprozess ; (3.54)
uAustauschprozess D sResonanzprozess :
Für l 2 verletzt ein solcher Beitrag mit wachsendem s früher oder später die
Unitaritätsrelation j1 C 2iT j < 1 (siehe Abschn. 2.5.3).
Man nimmt an, dass dies kein prinzipielles Problem ist, sondern dass unter-
schiedliche Vorzeichen, die in der Summation über Beiträge mit verschiedenen
Drehimpulsen auftreten, die störenden Terme beseitigen. Um zu einer brauchba-
ren Beschreibung der Amplituden ausgetauschter Teilchen zu gelangen, muss man
daher zunächst geeignete Teilsummen über Resonanzbeiträge ausführen, um so
zu Termen zu gelangen, die sich auch bei Fortsetzung in den t -Kanal vernünftig
verhalten. Da Austauschteilchen mit unterschiedlichen Quantenzahlen in diversen
Prozessen mit verschiedenen Gewichten beitragen, muss die Kürzung zwischen
Amplituden von Resonanzen verschiedener Bahndrehimpulse mit sonst identischen
Quantenzahlen stattfinden.
Im nächsten Abschnitt wird sich in einer etwas komplizierten Betrachtung her-
ausstellen, dass dazu die Summation über die Teilchen einer Regge-Trajektorie
ausreicht und dass sich die Summe als einzige Potenz (siehe 3.61) schreiben lässt.
Wegen der Paritätsabhängigkeit der leichteren Resonanzen auf der Trajektorie ist es
dabei notwendig, die geraden und die ungeraden Drehimpulse separat zu behandeln.
Wir betrachten im Folgenden den Beitrag der ungeraden Pole.
Wir dehnen den Wertebereich des zunächst diskreten Parameters l in die kom-
plexe Ebene mit Rel 1=2 aus. Für eine weite Klasse von Potenzialen in der
nichtrelativistischen Theorie ist der Summand, abgesehen von einzelnen Polen, ei-
ne analytische Funktion. Wir nehmen jetzt an, dass dies auch in der relativistischen
Theorie der Fall ist. Der Summand ist daher auch im nicht physikalischen Bereich
definiert. Dies ermöglicht es, die Summe durch ein Cauchy-Integral darzustellen.
(Nach dem Satz von Cauchy ist ein Integral über einen geschlossenen Weg gerade
proportional zur Summe der Residuen der eingeschlossenen Pole.) Da ein Weginte-
gral gerade die Summe der Residuen der umfahrenen Pole „aufpickt“, kann man in
3.2 Hadronische Streuvorgänge 163
Dabei führt das Wegintegral in der in Abb. 3.28 dargestellten Weise gerade um die
Pole des Faktors in der geschweiften Klammer.
Die Amplitude tl eines Resonanzbeitrags hat die folgende Form:
Ql .t/
tl D : (3.58)
.t m2l /
Das Quadrat der Resonanzmasse m2l ist eine Funktion der komplexen l-Werte. Die
im Chew-Frautschi-Plot beobachteten geraden Teilchen-Trajektorien legen die An-
nahme nahe, dass es einen invertierbaren Zusammenhang zwischen l und m2l gibt.
Wir definieren jetzt das Inverse dieser Funktion
˛.m2l / WD l :
Die Amplitude der betrachteten Trajektorie enthält also (wenn keine Probleme
im Zähler auftreten) nur einen einzigen Pol bei l D ˛(t). Um dies zu nutzen, ver-
schiebt man das Wegintegral – ohne den Wert des Integrals zu ändern –, bis der
in Abb. 3.29 dargestellte Weg erreicht wird. Ein vorwärts und rückwärts durchlau-
fenes Stück kann offensichtlich zum Wegintegral nichts hinzufügen. Es gibt zwei
Beiträge: einen von der inneren und einen von der äußeren Integrationsschleife.
Man nimmt an, dass der Integrand bei jlj D 1 und l D 0;5 verschwindet.
Mit etwas Optimismus ignoriert man daher den Beitrag über den äußeren Teil des
Weges und integriert nur den inneren Beitrag um den Pol wieder mit dem Satz von
Cauchy, diesmal mit einem umgekehrten Drehsinn. Anstelle der Summe über die
164 3 Einführung in die Hadronenphysik
Resonanzen der Trajektorie haben wir jetzt einen einzelnen Term. Die Amplitude
der Trajektorie ist
TAustausch .s; t; u/ D
exp.i ˛.t// 1 d˛.t/ 2s
.2˛.t/ C 1/ Q˛.t / P˛.t / 1 C :
2 sin. ˛.t// dt t 4m2
(3.60)
Im s-Kanal besteht die Funktion Q˛.s/ .s/ aus einem Produkt eines Produktionsfak-
tors und eines Zerfallsfaktors (vergleiche Abschn. 2.6.1). Die Funktion lässt sich
daher als Produkt zweier Faktoren schreiben, die nur von den Teilchen am jeweili-
gen Vertex abhängen. Da die Größen dieser Faktoren unbekannt sind, schreiben wir
mit einer für später geeignet gewählten Definition der Funktionen ˇ1 .t/ und ˇ2 .t/:
2s
TAustausch .s; t; u/ D ˇ1 .t/ ˇ2 .t/ exp.i ˛.t// P˛.t / 1 C :
t 4m2
Vom ursprünglichen Ausdruck mit im t -Kanal ausgetauschten Resonanzen wissen
wir, dass im t -Kanal keine großen jtj -Werte (t < 0) auftreten. Für große s -Werte
gilt daher
˛.t /
2s s
P˛.t / 1 C exp.i ˛.t// :
jtj 4m2 s0
Die Amplitude hat damit die folgende endgültige Form:
˛.t /
s
TAustausch .s; t; u/ D ˇ.t/ ˇ1 .t/ : (3.61)
s0
Man hat also eine kompakte Schreibweise für die Summe der Beiträge aller Re-
sonanzen der Trajektorie. Wegen der Struktur in der komplexen l-Ebene spricht
3.2 Hadronische Streuvorgänge 165
man dabei von der „Regge-Pol“-Austauschamplitude, die man wie einen Feynman-
Graphen darstellt (Abb. 3.30). Die s-Abhängigkeit genügt einer Potenz, die von t
abhängt.
Da die Werte der ˛-Funktion für negative t -Werte kleiner als eins sind, fällt
der Wirkungsquerschnitt mit wachsender Energie, und die Unitarität ist daher kein
Problem mehr. Bei großen Energien wird die t -Abhängigkeit vom letzten Faktor
dominiert. Bei einer etwa linearen Funktion ˛ erwartet man einen exponenziellen
Abfall in t.
Regge-Pole im Experiment
Betrachten wir zunächst den differenziellen Wirkungsquerschnitt
d
D jf .# /j2 : (3.62)
d' d cos #
p
Wegen dt s d cos # und f .# / TAustausch .s; t; u/= s gilt für große s -Werte
2˛.t /2
d s
s 2 jTAustausch j2 jˇ1 .t/j2 jˇ2 .t/j2 : (3.63)
dt s0
Das ist eine sehr kompakte Form, die man mehr oder weniger losgelöst von der
Herleitung für „Fits“ zu experimentellen Daten verwendet hat.
Der Regge-Pol-Austausch ist nur einer der Beiträge zur Streuamplitude. Es gibt
eine Komponente zur Streuung, die nicht von den Quark-Flavors abhängt und die
offensichtlich nicht auf einen Meson-Regge-Pol-Austausch zurückzuführen ist. Um
den Beitrag von Regge-Polen zu isolieren, hat man zwei Möglichkeiten. Man muss
entweder Prozesse mit Flavor-Austausch (wie er z. B. in der Rückwärtsstreuung
auftrat) messen, in der nur die Regge-Amplituden beitragen, oder man muss sich
die Flavor-Abhängigkeit vornehmen und geeignete Differenzen von Wirkungsquer-
schnitten mit verschiedenen Flavor-Zuständen betrachten, so dass der Flavor-ab-
hängige Regge-Pol-Beitrag zur Amplitude übrig bleibt.
Die Energieabhängigkeit des differenziellen Streuquerschnitts eines Regge-Pol-
Austauschprozesses erlaubt es, mit Hilfe von (3.63) seine Trajektorienfunktion
˛.t/ im Bereich negativer t-Werte direkt (d. h. ohne Kenntnis der Residuenfunk-
tion ˇ.t/) experimentell zu bestimmen. Das Ergebnis einer solchen Analyse ist in
Abb. 3.31 für die -Trajektorie dargestellt [111]. Die erhaltenen Datenpunkte fol-
gen der von der Resonanzproduktion bekannten Geraden. Eine ähnliche Situation
166 3 Einführung in die Hadronenphysik
existiert für die anderen Trajektorien. Diese Übereinstimmung wäre völlig unver-
ständlich, wenn die grundlegenden Annahmen über den Zusammenhang zwischen
ausgetauschten Resonanzen und Regge-Polen nicht korrekt wären.
Bei hohen Energien wird früher oder später natürlich immer die größte Tra-
jektorie eine dominante Rolle spielen. Die Parametrisierung der höchst gelegenen
Meson-Trajektorien ist etwa
Tatsächlich handelt es sich dabei um vier Trajektorien mit den Quantenzahlen der
Tab. 3.8.
Die „höchste“ Trajektorie beschreibt den Abfall eines Querschnitts mit steigen-
der Energie. Betrachten wir dazu das Verhalten der totalen Wirkungsquerschnitte.
Da nach dem optischen Theorem der Wirkungsquerschnitt proportional zum Ima-
ginärteil der Vorwärtsstreuamplitude ist, kommt es bei hohen Energien (wobei:
s D E 2Schwerpunktsystem 2pLab. mProton ) zu der folgenden s-Abhängigkeit:
Eine ähnliche, zunächst empirische Beobachtung existiert für die Größe des
Regge-Beitrags zum totalen Wirkungsquerschnitt. Seine Größe wird von der Zahl
der passenden Valenz-Quark-Antiquark-Paare, die aus beiden einfallenden Teil-
chen stammen und die sich im Streuvorgang gegenseitig annihilieren können, be-
stimmt.
Teilchens hat. Beim totalen Wirkungsquerschnitt hing (vergleiche 3.61) der Regge-
Beitrag direkt von den Quantenzahlen des einlaufenden Systems ab, als ob zwi-
schenzeitlich („s-Kanal“-)Resonanzen gebildet werden müssten.
Betrachten wir dazu noch einmal die totalen Wirkungsquerschnitte der p- und
der C p-Streuung. Um zu einem übersichtlicheren Bild zu gelangen, haben wir in
1=2
p s multiplizierte Differenz der beiden Wirkungsquerschnitte als
Abb. 3.34 die mit
Funktion von s dargestellt [114]. Die durchgezogene Linie extrapoliert den in
etwa konstanten Regge-Beitrag in das Resonanzgebiet. Betrachtet man ein geeig-
netes Intervall um eine Resonanz, so entspricht der gemittelte Beitrag der Resonanz
gerade dem extrapolierten Regge-Beitrag. Man hat also nicht eine Summe von zwei
Termen, sondern eine Art von kontinuierlichem Übergang von einer Resonanz- zu
einer Regge-Amplitude. Diese empirische Beobachtung wird semilokale Dualität
genannt.
Ist unser Bild von Regge-Polen als t-Kanal-Austausch damit falsch und sind
Regge-Pole vielleicht in Wirklichkeit aus s-Kanal-Resonanzen herzuleiten? Die
Antwort ist, dass beide Konzepte für das Zustandekommen eines Regge-Pol-Aus-
tauschs nicht wirklich verschieden sind, wenn man die Situation genauer betrachtet.
Ein Resonanzbeitrag kam durch eine Art Potenzial zwischen den nicht anni-
hilierten Quarks zustande. Ein solches effektives Potenzial hat seinen Ursprung in
einem Austausch von Gluonen (den Farbfeldquanten der Quantenchromodynamik).
Folgt man dabei der Analogie zur Elektrodynamik, hätte man dabei ein Bild, wie es
in Abb. 3.35a und Abb. 3.35b für eine Resonanz im s-Kanal und im gekreuzten t-
Kanal angedeutet ist.
Der Punkt ist nun, dass das obige Bild des Potenzials in der QCD zu einfach ist.
Da wir selbst bei schweren Quarks kein Coulomb-artiges Potenzial gefunden hatten,
wissen wir, dass die Selbstwechselwirkung der Gluonen wichtig sein muss. Der
Gluonen-Austausch muss damit (eher) so aussehen, wie er in Abb. 3.36 dargestellt
ist.
170 3 Einführung in die Hadronenphysik
Wegen der Selbstwechselwirkung der Gluonen ist eine Klassifikation der Bei-
träge in der obigen Weise nicht mehr möglich. Die Summe über diese kompli-
zierten Terme kann nicht mehr in Resonanz- und Austauschbeiträge separiert wer-
den. Man hat eine einzige Amplitude, die je nach kinematischer Situation als ein
Resonanz- oder Austauschverhalten interpretiert werden kann. Diese wirkliche Am-
plitude kann (mit etwas Optimismus) sowohl aus Resonanzamplitudensummen im
s-Kanal als auch aus solchen im t-Kanal (analytisch) extrapoliert werden. Diese
Identität von Austausch- und Resonanzbeiträgen wird als Dualität bezeichnet.
Praktisch bedeutet diese Hypothese, dass man in einer phänomenologischen Pa-
rametrisierung entweder den Regge-Austausch oder die entsprechenden Resonan-
zen berücksichtigen muss. Abgesehen von dem Gebiet, in dem einzelne Resonanz-
beiträge dominieren, ist die Parametrisierung mit Regge-Polen effektiver.
Die Abb. 3.36 mit den (endlich vielen) Schlangenlinien sollte dabei keine stö-
rungstheoretische Berechenbarkeit andeuten. Man muss eine geeignete Beschrei-
bung der Wechselwirkung der vier Valenz-Quarks im eingeschlossenen Gebiet fin-
den, welche in den entsprechenden kinematischen Bereichen zu dem benötigten
Verhalten der Amplitude führt.
Natürlich gibt es nicht „nur“ die gezeichneten Meson-Meson-Streuvorgänge. Es
gibt Anzeichen dafür, dass jeweils zwei der Quarks aus dem Baryon zusammen blei-
ben, d. h. sie treten im Streuvorgang als Diquark auf. Auf diese Weise ist die Quark-
Diquark-Bindung des Baryons analog zur Quark-Antiquark-Bindung des Mesons.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 171
Abb. 3.37 a Die planare Iteration elementarer dualer Amplituden b Eine nichtplanare Iterations-
möglichkeit elementarer dualer Amplituden
verbindet den Imaginärteil einer elastischen Amplitude mit dem Produkt von Am-
plituden mit beliebigen Endzuständen l;i . Ein Beitrag wird dabei von Zwei-Teil-
chen-Endzuständen kommen, d. h. von einer Iteration von zwei Zwei-Teilchen-Am-
plituden. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie in Abb. 3.37a und b dar-
gestellt.
Im ersten Fall gibt es keine Änderung bezüglich der äußeren Flavor-Quantenzah-
len. Der Beitrag kann dadurch definitorisch eliminiert werden. Die innere Quark-
Linie wird als See-Quark-Schleife aufgefasst. Die duale Ein-Regge-Austauscham-
plitude schließt solche Iterationen ein, so dass der iterierte Beitrag schon gezählt ist
und nicht noch einmal explizit berücksichtigt werden muss. (Diese Forderung bein-
haltet eine restriktive Bedingung an die Amplitude. Für eine Zeit bestand die Hoff-
nung, dass, wenn man es fertig bringen würde, alle Bedingungen voll auszuschöp-
fen, nur eine konsistente Amplitude übrig bleiben könnte und dass die Erforschung
der Phänomene mit kleineren und kleineren Skalen in einer solchen Selbstkonsis-
tenzbedingung ihr Ende finden könnte („bootstrap“-Konzept).) Solche Iterationen
umfassen alle Iterationen, die in einer Ebene ohne sich kreuzende Quark-Linien ge-
zeichnet werden können. Man spricht daher von „planaren Amplituden“. Für die
Planarität einer Amplitude spielt es keine Rolle, ob ein Teilchen (in Abb. 3.37a
links, ein ) einläuft oder ein Antiteilchen (in Abb. 3.37b links, ein C ) ausläuft.
Die Iteration zweier planarer Amplituden kann daher, wie in Abb. 3.37b dar-
gestellt, auch zu nichtplanaren Strukturen führen. Beginnend mit einer geeignet
parametrisierten planaren Amplitude hofft man, durch Iteration und analytische
Fortsetzung beliebige nichtplanare Strukturen parametrisieren zu können. Mit mehr
172 3 Einführung in die Hadronenphysik
und mehr Iterationen können dabei nach und nach kompliziertere Strukturen er-
reicht werden.
Eine wichtige Beobachtung ist, dass Beiträge von Amplituden mit zunehmender
Komplexität (der möglicherweise in sich verschlungenen, nicht ebenen Flächen,
auf die sie ohne sich kreuzende Linien gezeichnet werden können) meist rapide
an Bedeutung verlieren. Diese empirische Beobachtung macht eine Klassifikation
der Beiträge nach ihrer Komplexität sinnvoll. Man spricht von einer topologischen
Entwicklung. Eine solche Entwicklung ermöglicht es zu einem gewissen Grad, Am-
plituden durch eine meist rasch konvergierende Summe von Beiträgen (mit wach-
sender Komplexität) zu berechnen. Für die gewünschte Genauigkeit scheinen dabei
meist ein oder zwei Terme zu genügen
Es gibt verschiedene Versuche, die empirisch gefundene Bevorzugung plana-
rer Strukturen zu erklären. Ein Versuch ist das sogenannte Bindfadenmodell (engl.
string model), das wir in Abb. 3.15a kennen gelernt hatten. In einer rein statistischen
Betrachtung postuliert man, dass sich die Farbfeldlinien wegen einer Selbstwech-
selwirkung zu dünnen Linien (Bindfäden) zusammenschnüren. Die von den Valenz-
Quark-Linien eingeschlossene Raum-Zeit-Fläche entspricht dann der von einem
solchen Bindfaden überstrichenen Raum-Zeit-Fläche. Über die Dynamik solcher
Fäden gibt es die folgenden einfachen Vorstellungen:
Wegen ihres geometrischen Abstands bewegen sich die Fäden voneinander un-
abhängig, und
durch die Fäden werden keine großen Impulse übertragen.
Der Auf- und Abbau von stark verschlungenen Fadenstrukturen ist wegen der da-
zu benötigten Impulsüberträge unterdrückt, so dass nur einfache Konfigurationen
übrigbleiben.
Pomeranchuk-Pol
Wir betrachten jetzt die einfachste topologische Komplikation (Abb. 3.37b). Für die
topologische Klassifikation ist nur die Struktur wichtig, die die Valenz-Quark-Lini-
en durch Flächen, in denen Wechselwirkungen der Gluonen und See-Quarks statt-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 173
Seine Trajektorie hat dabei in etwa die Form, wie sie in Abb. 3.39 dargestellt
ist. Sie schneidet die (t D 0)-Achse mit einem Wert, der etwa bei eins liegt. Die
Trajektorie hat dabei eine vergleichsweise flache Steigung.
Als Konsequenz hat der totale Wirkungsquerschnitt gerade einen fast energieu-
nabhängigen Wert
T s ˛Pomeron .t D0/1 const: ; (3.68)
wie es in Abb. 3.32 zu sehen war. Wegen seines deutlich höher liegenden Koordi-
naten-Schnittpunkts ˛.t D 0/ (seines „intercepts“) spielt der Pomeron-Austausch
bei steigenden Energien eine zunehmend dominante Rolle. Bei einer Energie von
N
100 GeV liegt sein Beitrag selbst bei p p-Streuung bereits über 95 %.
Bei sehr hohen Energien (Abb. 3.40) [117] zeigt sich, dass der Flavor-unabhän-
gige Beitrag langsam ansteigt. In einer Theorie („Superkritisches Pomeron“ [118])
hat der Anstieg seine Ursache in der Tatsache, dass der Wert der Pomeron-Trajek-
torie bei t D 0 in Wirklichkeit etwas größer als eins ist. Die Behandlung eines
solchen wachsenden Pomeron-Beitrags ist nicht ganz einfach. Um Probleme mit
der Unitaritätsrelation zu vermeiden, braucht man eine Theorie mit mehrfachem
Pomeron-Austausch. Als Ergebnis einer solchen Theorie erhält man logarithmi-
sche Korrekturen zum totalen Wirkungsquerschnitt. Die durchgezogene Linie in
Abb. 3.40 benutzt die folgende Parametrisierung:
Abb. 3.40 Der totale Wirkungsquerschnitt bei hohen Energien (aus PDG (© 2012 American Phy-
sical Society [31])
Wir haben jetzt eine Vorstellung vom Verhalten totaler Wirkungsquerschnitte bei
hohen Energien. Was geschieht nun in solchen Streuprozessen? Typischerweise
wird dabei ein großer Teil der ursprünglichen kinetischen Energie in die Produk-
tion von Teilchen umgesetzt.
Die Vielteilchenendzustände enthalten im Prinzip viel detaillierte Information
über den Streuprozess, die sich oft hinter Zufälligkeiten verbergen. Unglücklicher-
weise ist es nicht leicht, diese Information zu nutzen. Es gibt recht verschiedenartige
Modelle und wenig allgemein akzeptierte „Tatsachen“, wenn man von Teilgebieten
absieht, die einen Zugang mit störungstheoretischen Methoden der Quantenchro-
modynamik gestatten. (Das gilt in gewissem Umfang auch für die hier präsentierten
Konzepte. Die Betrachtung folgt Grundkonzepten von „dual-topologischen Model-
len“, in denen sich eine Vielzahl von Fakten konsistent zusammenfassen lassen.)
Diffraktive Teilchenproduktion
Wie wir der Pomeron-Physik wissen, spielt der elastische Beitrag
auch bei hohen Energien eine nicht verschwindende Rolle. Die einfachste Möglich-
keit, Teilchen zu produzieren, involviert eine kleine Abwandlung dieses bekannten
Prozesses, die sogenannte „diffraktive Streuung“.
In einem diffraktiven Prozess werden die beiden Streuteilchen im Wesentlichen
wie in einem elastischen Prozess weiterlaufen und nur, zumindest im Falle eines
der beiden Teilchen, eine gewisse, meist relativ kleine Anregung erfahren. Der an-
geregte Zustand wird im Anschluss an den eigentlichen Streuvorgang zerfallen. Da
die Teilchenproduktion nicht direkt im eigentlichen Streuprozess stattfindet, steht
dabei typischerweise nur ein sehr kleiner Teil der Energie zur Teilchenproduktion
zur Verfügung. Die Diffraktion trägt daher vor allem zu Streuprozessen, in denen
vergleichsweise wenig Teilchen produziert werden, bei.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 175
des ursprünglichen Quarks und Antiquarks mit Quark- und Antiquark-Paaren auf-
gefüllt ist. In einem bestimmten Bereich hat man in jedem longitudinalen Lorentz-
System, das mit dem Ruhesystem eines Quarks zusammenfällt, dieselbe Situation:
Ein Parton bewegt sich weg, und aus der Feldenergie entsteht ein neues Quark-
Antiquark-Paar.
Dieses Konzept der Produktion einer solchen Teilchenkette hat zwei Konse-
quenzen. Zum einen erwartet man in jedem oben beschriebenen Lorentz-System,
in das man „nachgerückt“ ist, dieselbe Teilchenverteilung für langsame Teilchen.
Die Erzeugung neuer Quarks wird nur von der Geschwindigkeit des weglaufenden
Antiquarks abhängen. Da diese Geschwindigkeit zunächst praktisch der Lichtge-
schwindigkeit entspricht, kann es in diesem Bild keine Abhängigkeit von der ur-
sprünglichen Energie und auch keine Abhängigkeit davon geben, wie viele Teilchen
schon produziert wurden.
Zum anderen sollte es keine starken Korrelationen in der Teilchenproduktion
zwischen kinematisch verschiedenen Gebieten geben. Zum Zeitpunkt der Produkti-
on eines zweiten Teilchens ist die Verbindung zum ersten Teilchen, die eine solche
Korrelation verursachen könnte, bereits durch viele neu entstandene Quark-Anti-
quark-Paare unterbrochen. Das gilt natürlich nur, wenn der Abstand groß genug
ist.
(Korrelationen zwischen Teilchen aus benachbarten Lorentz-Systemen können
verschiedene Ursachen haben. Positive Korrelationen entstehen, da die zunächst
entstandenden, zusammenhängenden Quark-Antiquark-Paare oft Resonanzen sein
werden, die dann in kinematisch benachbarte Teilchen zerfallen, da die Relativge-
schwindigkeit der Zerfallsprodukte meist klein ist [119].)
Betrachten wir die Situation etwas genauer. Die einfachste Messgröße ist dabei
eine Dichteverteilung im Impulsraum. Abgesehen von der Normierung entspricht
eine solche Verteilung gerade dem differenziellen inklusiven Wirkungsquerschnitt
1 daCb!cCX
; (3.73)
total dpc
wobei, wie gesagt, inklusiv heißt, dass wir uns auf die Beobachtung eines Teilchens
bei beliebigem Rest konzentrieren. In der normierten Form spricht man von dem
inklusiven Ein-teilchen-Spektrum.
Diese Invarianz bezüglich der Lorentz-Transformation in longitudinaler Rich-
tung legt die Parametrisierung der Dichteverteilung durch transversale Impulse
und Rapiditäten nahe. Die Rapidität eines Teilchens ist der „Winkel“ y, der in
der Lorentz-Transformation aus einem festgelegten Lorentz-System (z. B. aus dem
Schwerpunktsystem) in das longitudinale System, in dem das Teilchen keinen
longitudinalen Impuls hat, benötigt wird. Es ist also der Winkel der folgenden
Transformation:
0 1 0 10 1
p00 cosh y sinh y 0 0 p0
B 0 C B sinh y cosh y 0 0 C B C
B C B C B pk C :
@ p?;1 A D @ 0 0 C1 0 A @ p?;1 A
(3.74)
p?;2 0 0 0 C1 p?;2
178 3 Einführung in die Hadronenphysik
y ! y 0 D y C Konstante ; (3.75)
Um den Beitrag zum totalen Wirkungsquerschnitt zu erhalten, muss man jetzt ana-
log zur Abb. 3.42 die Flächen auf beiden Seiten des Zylinders auf alle möglichen
Arten durchtrennen, wie in Abb. 3.45 angedeutet. Man erhält damit zwei Teilchen-
produktionsketten (Abb. 3.46). In beiden Ketten entspricht die Teilchenproduktion
dem Regge-Fall.
Was ist die Konsequenz? Planare Strukturen waren bevorzugt, da zwischen
Quark-Linien meist nur geringe Impulsüberträge auftreten. Man erwartet daher,
dass auch hier keine großen Impulsüberträge auftreten und die Impulse an den En-
den der Teilchenproduktionsketten im Wesentlichen dem Impulsanteil entsprechen,
der ursprünglich mit den entsprechenden Quarks verbunden war.
Da die Transversalimpulse in Hadronen klein sein sollten, erwartet man etwa
dasselbe Verhalten wie für den Regge-Beitrag. Betrachten wir dazu in Abb. 3.47
die Verteilung der Transversalimpulse im zentralen Gebiet (um y D 0) [120].
Der Abfall entspricht dieser Vorstellung. Zu sehen ist die Unabhängigkeit von der
Energie. Dies ist nicht mehr der Fall für SPS-Energien. In diesem Energiebereich
können größere Impulsüberträge nicht mehr vernachlässigt werden.
Abgesehen von Randeffekten, die die mittleren Transversalimpulse für große
Longitudinalimpulse etwas reduzieren, ist die transversale Verteilung auch unab-
hängig von dem betrachteten Rapiditätsbereich. Dadurch, dass sich die ursprüngli-
che Energie auf zwei planare Strukturen aufteilen muss, erstrecken sich Randeffekte
weiter, als aus rein kinematischen Überlegungen folgen würde.
180 3 Einführung in die Hadronenphysik
Für die longitudinale Verteilung ist es wichtig, wie die Impulse der Teilchen auf
die beiden planaren Strukturen aufgeteilt werden. Über alle möglichen Rapiditäts-
positionen der beiden planaren Strukturen muss gemittelt werden. Aus einer Ana-
lyse des Proton- und des Pion-Spektrums schließt man, dass die Impulse meist sehr
unsymmetrisch aufgeteilt werden, das Diquark erhält typischerweise mehr Energie
als das Quark. An den Enden des Rapiditätsspektrums gibt es daher jeweils ein grö-
ßeres Gebiet, das von Teilchen eines einzigen planaren Endzustands bevölkert wird.
Wie im Regge-Fall erwartet man in diesem Gebiet ein energieunabhängiges Anstei-
gen („Feynman scaling“). Die Daten sind für verschiedene Energien jeweils bis zur
Schwerpunktsrapidität in Abb. 3.48 zu sehen. Bis zu einer gewissen Genauigkeit
zeigen die Daten diesen energieunabhängigen Anstieg im Energiebereich von 23
bis 53 GeV.
Bei genauer Betrachtung findet man, dass das Spektrum im jeweiligen zentralen
Bereich mit zunehmender Energie ansteigt. Dieser Effekt kann dadurch erklärt wer-
den, dass der Überlapp beider planarer Strukturen, der in Abb. 3.49 angedeutet ist,
mit wachsender Energie zunimmt. Man kann zeigen, dass durch diese Überlappung
das „Feynman scaling“ selbst nicht verletzt wird.
Das Integral über das Teilchenspektrum ergibt die Teilchenmultiplizität. Wegen
maximal
yLAB sinh1 pLmaximal =m ! ln s=2m2
Hadron 1
Hadron 2
Abb. 3.50 Die Geometrie einer Vielfachstreuung. Die Kreise und die Kreuze bezeichen die Posi-
tion von elastischen bzw. inelastischen Pomeron-Austausch-Prozessen.
sondere die Pionen. Teilchen mit höheren Massen sind selten. Auch ist der Rapi-
ditätsbereich, in dem sie effektiv beitragen, in Abhängigkeit von der Masse kürzer.
Die Unterdrückung der Produktion schwerer Teilchen entspricht etwa der Unter-
drückung von Teilchen mit entsprechend großen Transversalimpulsen, wie wir es
in (3.76) gesehen hatten. Die aus dem Tunneleffekt im Bindfadenmodell (Abb. 3.43)
gewonnene Parametrisierung lässt sich universell anwenden. In manchen Modellen
hat die (3.76) ihre Ursache in einer einer effektiven lokalen Temperatur.
Das Zwei-Planare-Endzustands-Modell hat einen beschränkten Gültigkeitsbe-
reich. Der „Intercept“ der Pomeron-Trajektorie mit der y-Achse ist
˛Pomeron .t D 0/ 1;08 :
In Konsequenz steigt der Ein-Pomeron-Querschnitt mit 1Pomeron / s 0;08 . Die
Froissart Grenze erlaubt maximal / .log s/2 . Der Anstieg eines Pomeron-Aus-
tausches führt also zu theoretischen Problemen mit zu großen Wirkungsquerschnit-
ten, die eine Korrektur durch vielfache Pomeron-Austauschprozesse erfordern. Pa-
rametrisierungen der Energieabhängigkeit zeigen, das solche Vielfach-Beiträge bei
Energien, wie sie an Collidern erreicht werden, schon eine gewichtige Rolle spielen.
Die Parametrisierung solcher Vielfachstreuungen erfordert eine geometrische
Betrachtung. Beim Stoß zweier Hadronen gibt es ein Überlappungsgebiet, das für
die eigentliche Streuung verantwortlich ist. Für eine einfache Beschreibung ersetzt
man eines der Hadronen durch ein Punktteilchen und dehnt die Verteilung der Par-
tonen im anderen Hadron geeignet aus. Auf diese Weise erhält man im Ruhesystem
des ausgedehnten Hadrons die in Abb. 3.50 dargestellte Situation.
Da die Pomeron-Austausch-Prozesse für den Imaginärteil der Amplitude unter-
schiedliche Vorzeichen haben, wird der Energieanstieg der Amplitude ausreichend
reduziert. Für die Teilchenproduktion gibt es zwei Effekte:
Die Energie der Hadronen muss auf mehrere Subprozesse verteilt werden. Die
planaren Ketten werden kürzer.
Der Anstieg der Dichte im zentralen Bereich hört nicht auf, wenn der Zwei-
Ketten-Wert erreicht ist. Die Teilchendichte steigt etwa proportional zu log s.
Die beobachte Dichte ist in Abb. 3.51 dargestellt. Der Anstieg entspricht etwa den
Erwartungen. Zur Abbildung sind zwei Aspekte zu erklären.
Uns interessieren in diesem Abschnitt Ereignisse, die keinen einfachen diffrak-
tiven Beitrag („nsd“) enthalten. Da sie nicht immer leicht zu separieren sind, ist
auch die (etwas geringere) Dichte aller inelastischen Ereignisse dargestellt.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 183
Abb. 3.51 Die beobachten zentralen Dichten dN=dcm in inelastischen oder inelastischen nicht
einfach diffraktiven („nsd“) pp- oder pp-Streuungen (© Bopp [121])
tausch gibt. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist ein solcher Impuls-
übertrag zwischen einzelnen Partonen oder Leptonen in der QCD und in der QED
möglich. Die eigentliche Teilchenproduktion selbst ist in jedem Falle ein weicher
Prozess, dessen Skala durch die Hadronenmassen gegeben ist. Sie ist daher in die-
sem Abschnitt zu behandeln.
In QED-Prozessen dominiert meist die niedrigste Ordnung in der Störungstheo-
rie. Die Härte der Streuung ist dabei meist durch leptonische Teilchenimpulse fest-
gelegt. In hadronischen Wechselwirkungen ist das Auftreten eines größeren Im-
pulsübertrags nur indirekt festzustellen. „Weiche“ Wechselwirkungen mit geringen
Impulsüberträgen sind meist dominant. Es gibt allerdings auch einen zunächst win-
zigen Beitrag von „harten“ Wechselwirkungen mit größeren Impulsüberträgen, der
mit wachsender Energie zunimmt und typischerweise zu hohen Transversalimpul-
sen führt. Ab SPS-Energien ist diese Komponente stark genug, um zu einem deut-
lichen Anwachsen des mittleren Transversalimpulses hp? i zu führen.
In solchen harten Streuprozessen gibt es zwei Phasen, wie in Abb. 3.52 angedeu-
tet.
Zunächst gibt es einen lokalisierten harten Streuprozess, in dem harte Quarks,
Gluonen oder Leptonen wechselwirken. Analog zum Photon in der Quantenelek-
trodynamik ist das Gluon das Feldteilchen der Quantenchromodynamik. Mit der
Quantenchromodynamik, die dies beschreibt, werden wir uns im Abschn. 4.2
genauer beschäftigen. Für die harte Streuung erscheinen die einlaufenden Hadro-
nen wie ein Bündel freier Partonen, die unabhängig voneinander streuen können.
Anschließend, wenn die Partonen genügend weit auseinander gelaufen sind und
typische hadronische Abstände erreicht werden, folgt ein hadronischer Prozess.
In ihm werden sich diese Partonen in Bündel von Hadronen („Jets“) verwandeln,
die den Impuls der ursprünglichen Partonen tragen.
Typisch für die Teilchenproduktion in harten Prozessen ist die e C e -Annihilation
(e C e ! Hadronen); wir werden unsere Diskussion hier auf diesen Prozess be-
schränken. Zunächst annihiliert sich das e C e -Paar in ein virtuelles Photon, das in
ein Quark-Antiquark-Paar zerfällt. Bei niedrigen Energien gibt es ein Resonanz-
gebiet, in dem sich das Photon wie ein einzelnes Vektormeson (das Photon hat
Spin 1) verhält und nahezu isotrop zerfällt. Man sagt, das Photon hat eine hadroni-
sche Komponente, die einem Vektormeson entspricht und in seinen hadronischen
Streuvorgängen eine dominante Rolle spielt („Vektormesondominanz“). Besonders
wichtig ist diese Komponente des Photons in der Photon-Hadron-Streuung
3.2 Hadronische Streuvorgänge 185
Bei höheren, aber nicht zu hohen Energien entspricht die Entwicklung dieses
Quark-Antiquark-Paares der in der 2. Sektion dieses Abschnitts diskutierten pla-
naren Struktur bei vergleichbarer Energie und ist damit völlig konsistent mit den
üblichen hadronischen Konzepten. Abgesehen von der anderen ursprünglichen Pro-
duktion entspricht sie (Abb. 3.53a) dem Regge-Beitrag in der Meson-Meson-Streu-
ung (Abb. 3.53b). Mit den begrenzten Transversalimpulsenp .p? 3;3 GeV/ und
den relativ großen Longitudinalimpulsen .pk s/ wird die Teilchenkette als
zwei „Jets“ (Teilchenbündel) gesehen, mit einem Jet in Vorwärtsrichtung und ei-
nem Jet in Rückwärtsrichtung.
Da die Endrapiditäten der planaren Struktur festliegen – die ursprüngliche Ener-
gie muss nicht auf mehrere planare Strukturen verteilt sein – hat man etwa die idea-
lisierte Situation unseres Gedankenexperiments: Man findet eine sehr flache Ra-
piditätsverteilung und keine deutlichen langreichweitigen Korrelationen zwischen
Teilchen, die in verschiedenen Rapiditätsgebieten produziert werden.
Es gibt allerdings zwei Probleme. Zum einen ist die Richtung der ursprünglichen
Quark-Antiquark-Achse nicht bekannt. Zum anderen trifft diese einfache Situation
nur bei relativ niedrigen Energien auf. Bei höheren Energien ist der betrachtete harte
Prozess e C e ! q qN nicht mehr dominant.
Um die ursprüngliche Quark-Achse experimentell zu bestimmen, definiert man
zunächst Größen, die, da die energiereichen Teilchen mehr oder weniger der Quark-
Achse folgen, bei ausreichender Teilchenmultiplizität ihr Minimum oder ihr Maxi-
mum um diese Achse haben und so ungefähr diese Richtung festlegen. Ein Beispiel
ist die Sphärizität P
i .n p i /
2
S D „ƒ‚…
max P 2 : (3.78)
n i pi
Mit der Sphärizitätsachse kann man dann, wie bisher, Rapiditäten definieren und die
zugehörigen Spektren berechnen, wie in Abb. 3.54 gezeigt [122]. Da die Energie,
wie gesagt, nicht auf verschiedene Quarks aufgeteilt wird, hat das Spektrum eine
vergleichsweise rechteckige Form.
Bei wiederum höheren Energien wird der harte Prozess selbst mehr als zwei
Partonen involvieren. Die Lebensdauer und die Lokalisierung des virtuellen Pho-
tons ist invers proportional zur Schwerpunktenergie. Genauere Rechnungen zeigen,
dass auch die virtuelle Masse der zunächst produzierten Partonen invers propor-
tional zur Lokalisierung und damit, wenn auch mit einem kleinen Koeffizienten,
proportional zur Schwerpunktenergie ist. Ist die virtuelle Masse hoch genug, wer-
den diese ursprünglich produzierten Partonen noch in der Parton-Phase, d. h. bevor
die Partonen sich in Hadronen verwandeln können, zerfallen.
186 3 Einführung in die Hadronenphysik
Anstelle von zwei Jets erwartet man deshalb zunächst zwei Quark-Jets (q) und
einen Gluon-Jet (g), wie sie in Abb. 3.55 dargestellt sind. Solche Streuereignisse
wurden am DESY in Hamburg entdeckt. Es gibt verschiedene Methoden der Ana-
lyse, ich halte mich wiederum an die Sphärizität. Man bemerkt, dass die Impulse
senkrecht zur Sphärizitätsachse ab einer gewissen Energie nicht mehr so stark abfal-
len. Dies wird besonders deutlich, wenn man zunächst eine Achse „zweitgrößter“
Sphärizität findet, die per Definition senkrecht auf der Achse maximaler Sphärizität
steht und dort einen maximalen Wert erreicht. Mit kleinen Korrekturen sollten die
ursprünglichen drei Partonenimpulse in der von diesen Achsen aufgespannten Ebe-
ne liegen. Man erwartet daher den Anstieg für die Transversalimpulse in der Ebene
(p?in ), aber nicht für die Transversalimpulse senkrecht zu der Ebene (p?out ), wie
es in den Daten in Abb. 3.56 zu sehen ist [122].
Bei höheren Energien werden mehr und mehr zusätzliche Partonen in der harten
Wechselwirkungsphase gebildet. Die bei einer Verzweigung entstandenen Partonen
sind ausreichend virtuell, um noch innerhalb der „harten Phase“ zu zerfallen. Man
erwartet eine Art Baumstruktur, bei der die feinen Zweige schwach virtuellen Par-
tonen entsprechen, die aus weniger dünnen Zweigen, die stärker virtuellen Partonen
entsprechen, hervorgegangen sind (Abb. 3.57). Da die Verzweigung, abgesehen von
der Skala, immer denselben Gesetzen unterliegt, hat man es mathematisch mit ei-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 187
nem Fraktal zu tun. Das gilt allerdings nur in einem gewissen Bereich, da in den Ver-
zweigungen die virtuelle Masse schnell abnimmt; unterschreitet die virtuelle Masse
der Partonen einige GeV, kann man die Korrekturen zu diesem einfachen Bild nicht
mehr vernachlässigen. Man hat dann eine ähnliche Situation wie in weichen hadro-
nischen Wechselwirkungen. Die erreichte Zahl der tatsächlichen Verzweigungen ist
nicht sehr hoch. Bei LEP-Energien wurden – je nach genauer Definition der Jets –
bis zu vier oder fünf Parton-Jets beobachtet.
Die Struktur solcher Beiträge hängt natürlich von der Quantenchromodynamik
ab. Da diese Theorie erst im Abschn. 4.2 eingeführt wird, müssen einige Aspekte
der Teilchenproduktion hier ausgeklammert bleiben. Wir werden auf sie im Ab-
schn. 4.2.4 zurückkommen. Hier (in Abschn. 3.2.3) haben wir mit der Phänome-
nologie einfacher weicher Prozesse begonnen und aufgeführt, welche Ergänzungen
mit wachsender Energie benötigt werden, um die Daten zu beschreiben. Dort wer-
den wir Methoden beschreiben, mit denen im Prinzip exakte Störungsrechnungen
in Gebiete zwischen harten und weichen Prozessen ausgedehnt werden können und
so möglicherweise zum Verständnis der weichen Prozesse beitragen können.
188 3 Einführung in die Hadronenphysik
Überlapp
v
2
Von hadronischen Streuprozessen weiß man relativ wenig über Aspekte, die mit
dem geometrischen Ablauf der Prozesse zu tun haben. Eine Möglichkeit mehr her-
auszufinden, ist es, Streuvorgänge in einer dichten Umgebung zu betrachten, wie
sie in der Streuung schwerer Kerne vorkommen.
Solche Streuvorgänge sind auch aus kosmologischen Gründen interessant. Bei
der Behandlung der Entstehung der Elemente hatten wir mit dem Ende des Ha-
dronen-Plasma-Zeitalters (3; 8 105 Jahre nach dem Urknall) begonnen. Davor war
die elektromagnetische Bindung nicht stark genug, um Hadronen und Elektronen
zu binden. „Etwas“ früher, etwa 106 s nach dem Urknall, lag das Quark-Gluon-
Plasma-Zeitalter. In ihm sollten Energiedichten erreicht worden sein, bei denen es
den Bindungskräften der QCD nicht mehr möglich ist, Quarks in Hadronen zusam-
menzuhalten. Es muss daher ein Plasma aus Partonen mit nicht verschwindender
Farbe gegeben haben. Es ist nicht trivial, diese Quark-Gluon-Plasma-Phase des
Kosmos zu verstehen. Die experimentellen Ergebnisse aus Schwerionenstreuungen
könnten dabei eine Hilfe sein.
Die Streuung schwerer Kerne hängt vom Abstand im transversalen Stoßparame-
ter-Raum ab. Eine typische Situation ist in Abb. 3.58 skizziert. Je nach Abstand
der streuenden Kerne spricht man von zentralen oder peripheren Stößen. In ei-
nem einfachen Bild erscheinen die ursprünglich runden Kerne durch die Lorentz-
Transformation „pfannkuchenartig“ zusammen gepresst. Die eigentlichen Wechsel-
wirkungen geschehen im gegenseitig überstrichenen Bereich.
Nach der Streuung wird dann natürlich auch der verbleibende Restkern in Bruch-
stücke zerfallen. Da sie in Emulsionsmessungen nicht als volle Linien sichtbar
waren, werden diese Bruchstücke „graue“ Teilchen genannt. Unser Interesse hier
gilt den hochenergetischen Teilchen.
Eine zentrale Beobachtung ist, dass die in einzelnen Streuprozessen produzier-
ten Teilchen erst nach einer „Formations-Zeit“ ( „=m) für weitere Streuvorgänge
richtig verfügbar sind. Die Vorstellung ist, dass, was immer später die Teilchen er-
zeugt, beinahe nicht wechselwirkt und dass die wechselwirkenden Endteilchen in
der Regel dann erst außerhalb des ursprünglichen Streuprozesses gebildet werden,
wie es in Abb. 3.59 dargestellt ist. Nach oben (und vorn) zeigen die seitlichen Orts-
3.2 Hadronische Streuvorgänge 189
koordinaten (d. h. der Stoßparameter-Raum). Nach rechts ist die Rapidität aufgetra-
gen, die die longitudinale Geschwindigkeit festlegt. Das Bild zeigt zwei gestreute
Nukleonen, mit der durch Streuungen erzeugten dazwischenliegenden Partonenver-
teilung.
Es gibt keine Hadronenkaskade im zentralen Bereich, da das Hadron – wie
angedeutet – erst entsteht, nachdem die Kerne mit ihrer dichten Materie weggeflo-
gen sind. Eine Ausnahme bilden Teilchen, die im kinematischen Gebiet eines der
einlaufenden Kerne (mit ihren Nukleonen) entstehen. Eine erhöhte Rapiditäts-Teil-
chendichte in der Nachbarschaft der einlaufenden Kerne (etwa jy j < 2) wurde
beobachtet und deutet auf eine Kaskade separater hadronischer Streuprozesse hin,
wie sie in der Abbildung angedeutet ist. Dieses Gebiet spielt natürlich bei niedrigen
Energien eine dominante Rolle, wenn der verfügbare Rapiditätsbereich zu kurz ist,
um das Nachbarschaftsgebiet zu verlassen.
Wenden wir uns jetzt den eigentlichen Streuprozessen zu. Hätten Streuprozesse
im transversalen Stoßparameter-Raum nur eine sehr geringe Ausdehnung, wären
alle Streuvorgänge in einer Kern-Kern-Streuung voneinander unabhängig. Jedes
Nukleon könnte dann im Prinzip mit jedem anderen streuen, und die Anzahl der
Streuungen wäre proportional zu ATarget AProjektil . Tatsächlich wird ein solches
Verhalten, das sogenannte „binary collision scaling“, in peripheren harten Streu-
prozessen beobachtet, wie es in Abb. 3.60 zu sehen ist.
Der Streuquerschnitt für harte Partonenstreuprozesse mit ausreichend hohen
transversalen Impulsüberträgen zwischen Partonen ist dazu ausreichend klein. Der
gelbe (bzw. hellgraue) Bereich mit der schwarzen Linie bei eins entspricht dem „bi-
nary collision scaling“. Die Linie im blauen (bzw. dunkelgrauen) Gebiet entspricht
dem „participant scaling“, das unten erklärt wird.
190 3 Einführung in die Hadronenphysik
Für die Abbildung wurden relativ periphere Streuungen ausgesucht. Der Grund
ist, dass die in harten Streuprozessen produzierte Partonen in Schwerionenstreu-
ung oft nicht ungestört in einen Jet von Teilchen übergehen können. Dieses „Jet-
Quenching“ wurde nachgewiesen in Prozessen, in denen zunächst zwei Jets mit
entgegengesetzten Transversalimpulsen entstehen und dann einer der beiden Jets
mehr oder weniger verloren geht.
Bei einer etwas größeren Ausdehnung des Streuprozesses wird ein, sagen wir,
Projektilteilchen auf seinem Weg durch das Target mit mehreren Nukleonen (An-
zahl / A1=3 ) wechselwirken. Die Anzahl der separaten Streumöglichkeiten eines
Projektilteilchens ist nun proportional zur Fläche des Targets d. h. zu A2=3 . Die
Anzahl voneinander unabhängiger Streuungen ist damit proportional zu A4=3 . Im
„Participant scaling“-Bild nimmt man an, dass jede dieser Streuungen etwa die
gleiche Teilchendichte erzeugt. Für die normale Teilchenproduktion funktioniert
„participant scaling“ weitaus besser als „collision scaling“, wie in Abb. 3.61 zu se-
hen ist: Wie für ein solches einfaches Bild zu erwarten ist, das „participant scaling“
nicht ganz perfekt.
Im Pomeron-Bild liefert jede Streuung zwei planare Ketten von produzierten
Teilchen. Wenn Teilchen mehrmals wechselwirken, ergeben sich viele solcher Ket-
ten. Da die Energie aufgeteilt wird, wird die Länge der Ketten kürzer. Die erwarte-
ten höheren Dichten im zentralen Rapiditätsbereich und kleineren Weiten entspre-
chen den beobachteten Spektren. Für die kürzeren Ketten gibt es einen höheren
relativen Anteil von Kettenenden-Teilchen, für die ein etwas höherer Transversa-
limpuls und ein etwas höherer relativer Anteil von strange-Quarks erwartet werden
kann. Auch dieser Anstieg wurde beobachtet. Selektiert man Prozesse hoher zen-
traler Multiplizität, ist der Effekt erwartungsgemäß verstärkt.
Viele Verteilungen in Schwerionenstreuungen werden zum großen Teil einfach
durch das Zusammenspiel von zentralen und peripheren Streuungen bestimmt. Be-
trachten wir als Beispiel die Multiplizitätsverteilung.
Im Vergleich zu anderen Streuprozessen ist die Verteilung ungewöhnlich breit.
Dies ändert sich, wenn man mit einer geeigneten Beobachtung den Stoßparame-
ter festlegt. (Man verwendet dazu die Teilchenzahl in der extremen Vorwärts- und
Rückwärtsrichtung.) Jedem Zentralitätsbereich entspricht in etwa ein Multiplizitäts-
bereich, wie es in der Abb. 3.62 dargestellt ist.
3.2 Hadronische Streuvorgänge 191
Probability
10-2
10-3
10-4
50 - 60%
40 - 50%
30 - 40%
20 - 30%
10 - 20%
5 - 10%
0 - 5%
10-5
wird
heiß
y
x y
x
Einführung in die Leptonen- und
Partonenphysik 4
Wir gehen jetzt einen Schritt weiter auf unserem Weg zu kürzeren Skalen und kom-
men zu einem Gebiet, in dem die Physik durch die Wechselwirkungen zwischen
einzelnen fundamentalen Teilchen mit masselosen Eichfeldern bestimmt wird. (Der
Begriff „fundamental“ bezieht sich dabei auf die in dem betrachteten Bereich, so-
weit bekannt, exakt gültige, selbstkonsistente Theorie. Was bei kürzeren Skalen
geschieht, ist nicht bekannt.) Es ist ein zentrales Gebiet der Physik. Das primäre
Interesse gilt zunächst immer Gebieten, die fundamentale Gesetzmäßigkeiten di-
rekt widerspiegeln, wie es hier der Fall ist. Mit mehr oder weniger befriedigender
Genauigkeit kann man die Phänomene dieser Physik exakt aus theoretischen Vor-
stellungen berechnen.
Die zugrunde liegenden Theorien heißen Quantenchromodynamik und Quanten-
elektrodynamik. Da hier Quarks und geladene Leptonen eine analoge Rolle spielen,
ist es notwendig, zunächst unsere Teilchenliste zu erweitern. Zu jeder Generation
gibt es ein geladenes Lepton. Üblicherweise ordnet man sie gemäß ihren Massen
der ersten, zweiten bzw. dritten Generation zu. Ihre Massenwerte sind ähnlich wie
bei den Quarks sehr unterschiedlich (siehe [31]):
Masse.e / D
O 0;511 MeV ;
Masse. / D
O 105;658 MeV ; (4.1)
Masse. / DO 1;784 GeV :
einigen Komplikationen) die Grundlage für die Theorie der schwachen Wechsel-
wirkungen (der Quantenflavordynamik oder QFD) bilden.
Abgesehen von einigen speziellen Problemen haben QCD und QFD dieselbe Struk-
tur wie die QED, mit der wir jetzt beginnen. Um weiterzukommen, müssen wir uns
daher zunächst etwas mit Grundtatsachen der relativistischen Quantenmechanik be-
schäftigen. Eine wirkliche Einführung in die Quantenfeldtheorie [10, 132, 82, 133,
134] geht über den Rahmen dieses Buches hinaus. Nach einigen grundlegenden
Bemerkungen ist es hier das Ziel, Ergebnisse und Konzepte vorzustellen.
p 2 entwickeln und mit der Definition der kinetischen Energie Ekin D E m in der
folgenden Weise schreiben:
s
@ @ 1 p2 1 p2
mDE m D E kin :
@x @x 2E 2m
Offensichtlich hat diese faktorisierte Gleichung zwei Lösungen (die erste oder die
zweite Klammer muss verschwinden), eine Lösung entspricht der Schrödinger-
Gleichung, eine Lösung führt mit einer Masse m (und einer entsprechenden Defi-
nition von Ekin ) zu einer analogen Gleichung. Die zweite Lösung wird als Lösung
der Wellenfunktion des Antiteilchens interpretiert. Wie es in einer relativistischen
Theorie erforderlich ist, beschreibt damit eine Gleichung Teilchen und Antiteil-
chenzustände.
Versuchen wir jetzt, die Verbindung zu Messgrößen herzustellen. Um unabhän-
gig vom Lorentz-System zu sein, muss man in einer relativistischen Theorie anstelle
der üblichen Dichte eine vierkomponentige Stromdichte definieren,
Die nullte Komponente entspricht der üblichen Dichte, die allerdings wegen der
Lorentz-Kontraktion nicht mehr unabhängig vom Lorentz-System ist. Die Dreier-
Komponente entspricht der Flussdichte. Da die Teilchenzahl erhalten sein muss, gilt
die Viererstromerhaltung
@
j D 0 : (4.6)
@x
Mit der entsprechenden Ladung oder sonstigen Flavor-Quantenzahl multipliziert,
ergibt sie die entsprechende elektrische oder Flavor-Stromdichte. Stromdichten
werden bei den Wechselwirkungen eine wichtige Rolle spielen.
Die Stromerhaltung muss dabei aus der Gleichung folgen, die für das dynami-
sche Verhalten verantwortlich ist. Dies ist für die Klein-Gordon-Gleichung mit der
folgenden Definition des Teilchenstroms der Fall:
@ @
j D ' i ' C i ' ' : (4.7)
@x @x
(Um dies zu zeigen, setzen wir (4.7) in (4.6) ein. Nach der Produktregel wirkt die
Ableitung jeweils einmal auf den ersten und einmal auf den zweiten Faktor. Da die
Koordinate x reell ist, kann die Ableitung unter die Konjugation gezogen werden.
In der Differenz ( iCi ) bleiben dabei nur Produkte von nicht und doppelt abgelei-
teten Wellenfunktionen übrig. Eine Anwendung der Klein-Gordon-Gleichung (4.2)
ergibt jeweils einen Faktor m2 und damit eine verschwindende Differenz.)
196 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
Wie schon bei der Besprechung der Parität erwähnt, lässt sich ein freies Fermion
durch die Dirac-Gleichung beschreiben:
@
i m D0: (4.8)
@x
Wie kommt man zu (4.8)? Der Drehimpuls hängt mit dem Verhalten unter Rotation
zusammen. Aus der Bedingung, nach einer Umdrehung wieder zur ursprünglichen
Wellenfunktion zurückzukommen, folgt ein ganzzahliger Drehimpuls. In mehrkom-
ponentigen Theorien kann man einen halbzahligen Drehimpuls dadurch erhalten,
dass die interne Komponentenstruktur und die Raumstruktur gekoppelt auftreten,
und zwar gerade so, dass nach einer Umdrehung eine orthogonale Komponente
erreicht wird und die Identität mit dem ursprünglichen Zustand erst nach zwei Um-
drehungen wiederhergestellt wird. Dies ist die einzige Möglichkeit. Zur Beschrei-
bung eines Teilchens mit halbzahligem Spin braucht man eine mehrkomponentige
Beschreibung.
Mehrkomponentige lineare Differenzialgleichungen kann man immer als Diffe-
rentialgleichungen erster Ordnung schreiben, z. B. kann man Ableitungen jeweils
als neue Komponenten einführen und auf diese Weise Ableitungen höherer Ord-
nung eliminieren. Ohne Festlegung der Matrizen und deren Dimensionen handelt
es sich also bei der obigen Gleichung unter bestimmten Bedingungen um die allge-
meinste mögliche Form.
Die Dirac-Gleichung benutzt vier Komponenten. Das ist eine notwendige Mi-
nimalzahl. Der halbzahlige Spin erfordert zwei Komponenten; dass man in einer
relativistischen Theorie Teilchen und Antiteilchen zusammen beschreiben muss,
erfordert eine Verdopplung der Komponenten der nichtrelativistischen Theorie.
Aus der Relation p 2 D m2 folgt, wie bei der Klein-Gordon-Gleichung,
@ @
m 2
D0: (4.9)
@x @x
(Mit dieser Relation fallen die gemischten Terme in (4.10) beim Ausmultiplizieren
weg, und für die nicht gemischten Terme erhält man jeweils die Einheitsmatrix, so
dass die Bedingung für jede Komponente gilt.)
Eine Repräsentation von -Matrizen, die diese Bedingung erfüllt, ist
0 k
k D (4.12)
k 0
Die gewählte Definition der Dirac-Spinoren erlaubt die folgende Schreibweise der
Dirac-Gleichung:
80 1 9
ˆ
ˆ p0 0 0 0 >
>
<B =
B 0 p0 0 0 CC 0 k pk
m D 0 : (4.15)
ˆ@ 0 0 p0 0 A k pk 0 >
>
:̂ ;
0 0 0 p0
Die wechselwirkungsfreie Dirac-Gleichung ist eine lineare Gleichung, die mit dem
folgenden Exponentialansatz gelöst werden kann:
wobei 0 1
u1 .p/
B u2 .p/ C
u.p/ D B C
@ u3 .p/ A
u4 .p/
nur von p und nicht von x abhängt.
Um die Struktur der Lösung zu verstehen, ist es nützlich, sich Grenzfälle anzu-
schauen. Betrachten wir zunächst ein Teilchen in seinem Schwerpunktsystem mit
verschwindendem Dreierimpuls. Der nichtdiagonale Term verschwindet, und wir
haben daher die Lösungen
wobei 0 1 0 1
1 0
B 0 C B 1 C
u.p/ D B C B
@ 0 A;@ 0
C ;
A
0 0
für Teilchen mit positiver Energie p0 D Cm und
0 1 0 1
0 0
B 0 C B 0 C
B C B
u.p/ D @ A ; @ C ;
1 0 A
0 1
und
p0 .uI C uII / D k pk .uI C uII / : (4.19)
Die beiden Gleichungen enthalten etwas ungewöhnliche Objekte. Ein Spin-1=2-
Teilchen kann seinen Spin in Richtung oder entgegen der Richtung des Teilchenim-
pulses ausgerichtet haben. (Man spricht dann von einem Teilchen mit positiver bzw.
negativer Helizität. Es handelt sich um eine mögliche Beschreibung. Betrachtet man
den Spin in einer anderen Richtung, benutzt man andere Basisvektoren.)
Beginnen wir mit der Lösung der ersten Gleichung. Je nachdem, ob der Spin par-
allel oder antiparallel zu p ist, handelt es sich um ein Antiteilchen (p0 < 0) bzw. ein
Teilchen (p0 > 0). Im Falle einer Lösung der zweiten Gleichung ist die Identifikati-
on genau umgekehrt. Da Massen meist nicht als fundamental betrachtet werden,
benutzen fundamentale Theorien oft zunächst zwei solcher zweikomponentigen
„Weyl-Spinor-Gleichungen“ anstelle der vierkomponentigen Dirac-Gleichung. In
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 199
dem Energiebereich, in dem die Massen der Fermionen keine Rolle spielen, haben
ein rechtshändiges und ein linkshändiges Fermion im Prinzip nichts miteinander zu
tun.
Um zu physikalischen Größen zu kommen, brauchen wir wiederum die Defini-
tion des Viererstroms. Die Stromerhaltung muss diesmal aus der Dirac-Gleichung
folgen, die für das dynamische Verhalten verantwortlich ist. Dies ist für die folgende
Definition des Stroms der Fall:
C
j D 0 : (4.20)
Nach der Produktregel wirkt die Ableitung (4.6) einmal auf den ersten und einmal
auf den zweiten Faktor. Die Ableitungen auf den zweiten Faktor entsprechen denen
auf der rechten Seite der Dirac-Gleichung, die es erlaubt, die Ableitung und die
Matrix durch den Faktor m=i zu ersetzen. Mit der Identität .0 /C D C 0 D
0 ; die aus kC D k folgt, wenn man die Gleichung mit (2 2 )-Untermatrizen
ausschreibt, kann der Strom auch in der folgenden Weise
j D .0 /C
geschrieben werden. Dies erlaubt, für die Ableitung des ersten Faktors wiederum
die Dirac-Gleichung zu verwenden. Es verbleibt der Faktor .m=i/ , und die Summe
verschwindet.
Ztb
h'b jS.tb ta /j'a i D h'b j'a i i dth'b jV .t; /j'a i exp.it.Ea Eb // : (4.21)
ta
beitragen, wird zwischen den Nachbarpunkten über den verfügbaren Bereich inte-
griert.
Betrachten wir nun das elektromagnetische Potenzial. Der relevante Teil der
Hamilton-Funktion (d. h. der Energie- oder Zeitentwicklungs-Operator) eines ge-
ladenen Teilchens in einem elektromagnetischen Feld kann als
1
H D .p eA/2
2m
geschrieben werden, wenn für das Vektorpotenzial A die Coulomb-Eichung benutzt
und die Wirkung eines elektrostatischen Potenzials nicht berücksichtigt wird. Die
elektrodynamische Wechselwirkung eines Teilchens mit solchem Feld ist damit
e
V D pA Dj A ; (4.22)
m
wobei im letzten Gleichungsschritt die Definition des Stroms verwendet wurde. Ein
einfacher Übergang zum Lorentz-invarianten Vierervektorprodukt
j A ! j A
ε̂ e−i(ω·t−k r)
Abb. 4.2 Die Absorption
und Emission eines Photons ε̂ e−i(ω ·t −k r )
(t, r) (t , r )
φc e−i(Ec·(t−t )−pc(r-r ))
QTeilchen N A (4.25)
Die Photonen treten dabei, wie es quantenmechanisch erforderlich ist, als Teil-
chen auf. Der Strom j .x/ ist eine Quelle für die Produktion eines einzelnen
(emittierten) neuen Photons oder eine Senke für die Absorption eines einzelnen
(absorbierten) vorhandenen Photons. Der Viererimpuls des Photons wird vom
Teilchen aufgenommen.
Die betrachtete Ordnung der Störungstheorie bestimmt die Photonenzahlen.
Ein Beispiel dazu, ein Beitrag zu der zweiten Ordnung in Q, ist in Abb. 4.2
dargestellt. Ein einlaufendes Photon wird absorbiert, und ein virtuelles Teilchen
(p 2 6D m2 ) entsteht, das dann anschließend wieder ein auslaufendes Photon emit-
tiert.
202 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
Ein wichtiger Schritt, der die Situation in der relativistischen Theorie drastisch
vereinfacht, ist der Übergang von der zeitgeordneten zu einer Teilchenbahn-ori-
entierten Störungsrechnung. Um die Motivation für diesen Übergang verständlich
zu machen, wird in Abb. 4.3 ein „gekreuzter Kanal“ des in Abb. 4.2 dargestellten
Prozesses betrachtet.
In der zweiten Ordnung einer zeitgeordneten Potenzialtheorie geht der Anfangs-
zustand zum ersten Zeitpunkt in einen Zwischenzustand über, aus dem am zweiten
Zeitpunkt der Endzustand entsteht. Im Falle der betrachteten Wechselwirkung mit
der Erzeugung und Vernichtung eines Photons treten dabei im gekreuzten Kanal
die in Abb. 4.3 gezeichneten Zwischenzustände auf. Zum ersten Störzeitpunkt gibt
es einen Übergang von einem Teilchen-Photon-Zustand in einen Teilchen-Photon-
Photon-Zustand. Die Amplituden des gekreuzten und des ungekreuzten Prozesses
werden unterschiedlich behandelt.
In einer teilchenbahn-orientierten Beschreibung treten neben Wechselwirkungs-
punkten nur Ein-Teilchen-Zustände auf. Ein einlaufendes Teilchen wird in der-
selben Weise wie ein auslaufendes Antiteilchen beschrieben. Da das Photon sein
eigenes Antiteilchen ist, ist die „gekreuzte“ Amplitude, wie es in Abb. 4.4 skiz-
ziert ist, abgesehen von den anderen Impulswerten, identisch mit der ungekreuzten
Amplitude (Abb. 4.2).
Es gibt keine bevorzugte Zeitrichtung. Da man in einer solchen Berechnung nicht
mehr dem zeitlichen Ablauf folgt, ist die Definition von Anfangs- und Endzustand
nicht mehr trivial; eine eingehendere Behandlung der Methode des Pfadintegrals
zur feldtheoretischen Beschreibung eines vorgegebenen Prozesses erfordert einen
formalen Aufwand, der über den Rahmen dieses Buches hinausführen würde.
1.Störung 2.Störung
4.1.5 Feynman-Regeln
Nenner D s m2 C i ;
und betrachtet dann erst am Ende den Grenzwert ! 0. Auf diese Art legt man
fest, in welcher Weise man um die Pole im Impulsraum integriert. Dies bestimmt die
Randbedingungen im Ortsraum. Ein Feynman-Propagator, der dem Teilchenpfad
folgt, erfordert die obige Festlegung.
Die Umsetzung folgt einem festen „Rezept“. Ziel der Rechnung sind Lebensdau-
ern und Wirkungsquerschnitte. Um dabei die Normierung festzulegen, betrachten
wir zunächst die allgemeine Relation zwischen Matrixelement und Wirkungsquer-
schnitt. Für die n-Boson-Streuung mit den Viererimpulsen
p Œa C p Œb ! p Œ1 C p Œn
gilt
! !
1 1 1
d D Œa
jv vŒb
j Œa
2p0 2p0
Œb
jMj2
!
d 3 p Œ1
d 3 p Œn
X
n
Œ1
Œn
4 4
.2/ ı p Œa
Cp Œb
p Œi
S:
2p0 .2/3 2p0 .2/3 i D1
(4.27)
Die Formel besteht aus drei Termen, und zwar aus einem Flussfaktor (1. Zeile),
dem Absolutquadrat des Matrixelements und einem Phasenraumfaktor. Jeder der
drei Faktoren ist ein Lorentz-Skalar. Er kann in einem beliebigen kollinearen Sys-
tem unabhängig vom Rest berechnet werden. In dem Flussfaktor sind v Œa
und v Œb
Œa
Œb
die Geschwindigkeiten der einfallenden Teilchen und p0 und p0 deren Energien.
Mit dem Matrixelement werden wir uns später beschäftigen. Hinter dem Matrixele-
ment steht das Phasenraumelement. Typischerweise muss man bei der Berechnung
204 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
von gemessenen Prozessen über alle oder über einen Teil der Impulse p Œi
integrie-
ren. Um die Faktoren 2 übersichtlich zu schreiben, sind diese Faktoren jeweils
unter den Impulsintegralen bzw. neben „weggenommenen“ Impulsintegralen (d. h.
vor der ı-Funktion) separat stehen gelassen. Treten n identische Teilchen auf, gibt
es formal .nŠ/2 Möglichkeiten, sie zu erhalten, da die Amplitude quadratisch auf-
tritt. Da identische Teilchen nicht unterscheidbar sind, können physikalisch nur nŠ
dieser Möglichkeiten zählen. Um dies zu erreichen, wird der Statistikfaktor
Y 1
SD (4.28)
i
ni Š
hinzugefügt.
Die obige Gleichung gilt für Bosonen. Für Dirac-Teilchen gilt praktisch derselbe
Ausdruck. In der hier beschriebenen Konvention [10, 132] ist die Wellenfunktion
allerdings etwas anders normiert. Für Dirac-Teilchen muss man in der obigen Glei-
chung die folgende Ersetzung durchführen:
! !
1 mŒi
Œi
! Œi
: (4.29)
2p0 p0
Die berechneten Matrixelemente werden auch dazu benötigt, die mittleren Lebens-
dauern instabiler Teilchen auszurechnen. Für solche n-Teilchen-Prozesse mit den
Viererimpulsen
p ! p Œ1
C p Œn
gilt der völlig analoge Ausdruck
!
1 1 d 3 p Œ1
d 3 p Œn
X n
d D jMj
2
Œ1
Œn
.2/ ı p
4 4
p Œi
S;
2m 2p0 .2/3 2p0 .2/3 i D1
(4.30)
wobei die mittlere Lebensdauer des zerfallenden Teilchens ist. Die differenzielle
Schreibweise ist möglich, da die Zerfallswahrscheinlichkeiten additiv sind.
Wenden wir uns jetzt dem eigentlichen Problem zu, und zwar der Berechnung
des Absolutquadrats des Matrixelements. Unser Ziel ist es, die Beiträge in nied-
rigster Ordnung zu verstehen; wir vernachlässigen alle Komplikationen, die mit
Renormierung verbunden sind. (Betrachtet man höhere Ordnungen, gibt es eine
Komplikation, die zum Auftreten unendlich großer Terme führt, die erst durch um-
fangreiche Überlegungen verstanden und kontrolliert werden können. Wir werden
im Rahmen der „Wichtigsten Fakten der QCD“ auf dieses Problem zurückkommen,
da sie dort eine zentrale Rolle spielen.)
Man beginnt damit, alle möglichen beitragenden Graphen (Feynman-Graphen)
zu zeichnen, die dem Ablauf der Wechselwirkung entsprechen könnten. Diese Gra-
phen können beliebig viele ausgetauschte Zwischenteilchenbahnen (Propagatoren)
und Wechselwirkungen enthalten. Sie dürfen allerdings keine nicht verbundenen
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 205
Teile enthalten. Anschließend berechnen wir das Matrixelement oder dessen Abso-
lutquadrat durch Aufsummation der in Formeln umgesetzten beitragenden Graphen.
Interne
R Impulse müssen dann am Ende integriert werden, und zwar mit der Normie-
rung d 4 p=.2/4 .
Die Feynman-Regeln spezifizieren, wie die Graphen in Formeln umgesetzt wer-
den. Für externe (ein- oder auslaufende) Teilchen gibt es dabei die folgenden Bei-
träge:
Ein Faktor 1 berücksichtigt jede den Graphen verlassende und jede in den Gra-
phen eintretende spinlose Bosonenlinie.
Ein Faktor u.p; s/ bzw:v.p; s/ berücksichtigt jede in den Graphen eintretende
Fermionlinie. Fermionenlinien werden immer in Richtung der Fermionenbewe-
gung betrachtet. u entspricht einem eintretenden, vorwärtslaufenden Fermion
und v einem rückwärtslaufenden eintretenden Fermion, d. h. einem physikalisch
austretenden Antifermion.
Ein Faktor u.p;
N N
s/ bzw:v.p; s/ berücksichtigt jede aus den Graphen austretende
Fermionlinie. vN entspricht einem physikalisch eintretenden, vorwärtslaufenden
Antifermion und uN einem austretenden Fermion.
Ein Faktor berücksichtigt jede den Graphen verlassende und jede in den Gra-
phen eintretende Photonlinie.
Für den Vertex eines Photons
an einer Fermionlinie schreibt man den Faktor
i QFermion
p C m
i ;
p 2 m2 C i
i
q 2 2 C i
i g
:
q 2 C i
Terme, die sich nur durch den Austausch zweier externer Fermionlinien unter-
scheiden, erhalten ein wechselseitig umgekehrtes Vorzeichen, Graphen mit einer
zusätzlichen inneren Fermionenschleife einen Faktor 1.
206 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
+)
q
(e
pb p
b (μ +
)
eC e ! C :
N b ; sb /.iQElektron /u.pa ; sa / :
v.p (4.31)
wobei wegen des Auftretens im Endzustand die u’s durch die v’s ersetzt wurden.
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 207
Das einzige interne Teilchen in unserem Graphen ist das Photon, und wir müssen
daher nur den folgenden Propagator berücksichtigen:
In der implizierten Summe tragen vier diagonale Terme von g bei. Da einer der
Terme ein negatives Vorzeichen besitzt, hat man in Wirklichkeit nur zwei Beiträge,
wie es den beiden Polarisationszuständen des Photons entspricht. (Es ist manchmal
praktischer, nur positive Beiträge zu zählen; dies kann man tun, indem man dem
Photonpropagator sogenannte Eichterme zufügt, die eine „physikalische“ Eichung
festlegen.)
Da der Impuls des Photons q durch die Impulserhaltung im ersten Vertex festge-
legt ist, tritt keine zusätzliche Integration über interne Impulse auf. Das Produkt der
obigen Terme ist damit die gesuchte Amplitude.
Für die Berechnung des Wirkungsquerschnitts brauchen wir das Absolutquadrat
der Amplitude
jMj2 D
N b ; sb /.Cie
/u.pa ; sa / .ig
=.q 2 C i// u.p
v.p N a0 ; sa0 /.Cie /v.pb 0 ; sb 0 /
N a ; sa /.ie /v.pb ; sb / .ig =.q 2 C i// v.p
u.p N b 0 ; sb 0 /.ie /u.pa0 ; sa0 / ;
(4.34)
wobei wir die komplexe Konjugation durch eine Umordnung und hermitische Kon-
jugation der vierkomponentigen Terme berücksichtigt haben. Da die Ladung jeweils
quadratisch auftritt, ist in der betrachteten Ordnung das Vorzeichen Q D e irre-
levant.
Wir nehmen an, dass der Spin der einlaufenden Teilchen, wie es meist der Fall
ist, nicht festgelegt ist, und dass der Spin der auslaufenden Teilchen nicht gemessen
werden soll. Über den Spin der einlaufenden Teilchen muss daher gemittelt, über
den Spin der auslaufenden Teilchen summiert werden. Da es jeweils zwei Spinrich-
tungen für jedes der beiden einlaufenden Teilchen gibt, muss man über alle Spins
summieren und durch 4 D 2 2 teilen.
Die auftretenden Summen erlauben es, die folgenden Relationen für die von den
Spinoren aufgespannten (44)-Matrizen zu benutzen, die den Rechenaufwand dras-
tisch vereinfachen:
X
6p C m
u˛ .p; s/uN ˇ .p; s/ D
2 m ˛ˇ
˙
X (4.35)
6p C m
v˛ .p; s/vN ˇ .p; s/ D ;
2m ˛ˇ
˙
6 p D p (4.36)
208 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
benutzt wurde. Die Relation (4.35) kann man jeweils für beide bei den Elektronen
und bei den Myonen auftretenden Summen anwenden. Das Problem mit der Sum-
mation über Anfang und Ende kann mit der Spur
!
X X
N
u.p; s/ Matrixu.p; s/ D Spur N
u.p; s/ u.p; s/ Matrix (4.37)
˙ ˙
vermieden werden, wobei die Matrixschreibweise verwendet wurde und wobei die
Spur (engl. trace, abgekürzt Tr) eine Summe über die Diagonalelemen te der Matrix
bedeutet. Für ein Produkt von Matrizen bedeutet dies, dass über die äußeren Indizes
völlig analog zu den inneren Indizes summiert wird.
Die Relation (4.35) erlaubt es, eine explizite Repräsentation der Dirac-Spinoren
zu umgehen und das über die Spins gemittelte bzw. summierte Absolutquadrat der
Amplitude in der folgenden Weise zu schreiben:
1X 1
jMj2 D
4 4
Spur f. 6 pb C m/=2m .Cie
/ .6 pa C m/=2m .ie /g
.ig
=q 2 C i/ .ig =q 2 C i/
Spur f.6 pa0 C m/=2m .Cie / . 6 pb 0 C m/=2m .ie /g
oder
1X e4
jMj2 D Spur f. 6 pb C m/
.6 pa C m/ g
4 4.2m/4 q 4
Spur f.6 pa0 C m/
. 6 pb 0 C m/ g :
Das geht übrigens auch, wenn nicht über Spins summiert wird. Man muss dann
die folgende Gleichung benutzen:
6 p C m 1 C 5 6 s
u˛ .p; s/uN ˇ .p; s/ D
2m 2 ˛ˇ
(4.38)
6 p C m 1 C 5 6 s
v˛ .p; s/vN ˇ .p; s/ D ;
2m 2 ˛ˇ
mit
5 D 0 1 2 3 : (4.39)
Man hat das Problem darauf zurückgeführt, Spuren von Produkten von -Matrizen
auszurechnen. Aber das kann bei längeren Ausdrücken immer noch recht kom-
pliziert sein. Für die dabei auftretenden algebraischen Manipulationen existieren
Computerprogramme.
In unserem Beispiel ist die Berechnung der Spuren einfach. Da die Spur über
drei -Matrizen verschwindet, brauchen wir nur die Terme mit zwei oder vier -
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 209
e4
f2 .pa pb 0 /.pa0 pb / C 2 .pa pa0 /.pb pb 0 /g : (4.42)
4 q 4 m4
Die Vierervektorprodukte lassen sich in der folgenden Weise durch Schwerpunkt-
größen (siehe Abb. 2.50) ausdrücken:
Wir erhalten
e4 n 4
2
o
2 e4
4 4
2E a 1 cos # C 2Ea
4
1 C cos # D 4
1 C cos # 2 :
4q m 32m
(4.44)
Wir müssen nun das berechnete Matrixelement in den Ausdruck für den totalen
Wirkungsquerschnitt (4.27 mit Modifikation für Fermionen) einsetzen. Integriert
man über die ı-Funktionen (für m ! 0 entsprechen die Dreierimpulsbeträge den
Energien), erhält man
d C e 4 =.4/2
e e ! C D 2
1 C cos # 2 (4.45)
d˝ 4q
für den gesuchten differenziellen Wirkungsquerschnitt.
210 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
pa
tischen e C e -Streuung (e
(e
−)
beitragenden Graphen pa
+) p
(e b (e +
pb )
pa ( −)
e− e
) p a(
+) p (
e b e+
p b( )
t
Da zur niedrigsten Ordnung nur ein Feynman-Graph beiträgt, ist es ein besonders
einfacher Prozess. In der logarithmischen Darstellung (Abb. 4.6) ist die Winkelab-
hängigkeit relativ gering. Wegen der bei der betrachteten Energie nicht ganz zu
vernachlässigenden Myonmasse gibt es einen kleinen sin2 # -Beitrag zur Winkel-
verteilung. Bei den höchsten PETRA- und TRISTAN-Energien kommt ein kleiner
asymmetrischer Anteil dazu, der auf einem Beitrag der schwachen Wechselwir-
kungen beruht. Für LEP-Energien rührt der dominante Beitrag von der schwachen
Wechselwirkung her, bei der ein massives Vektorboson die Rolle des Photons über-
nimmt.
Für die Streuung von Elektronen an Positronen ist der Übergang in ein Elek-
tron-Positron-Paar (Bhabha-Streuung) dominant. Es gibt dabei zwei beitragende
Feynman-Graphen (Abb. 4.7). Neben dem oben behandelten Beitrag gibt es einen
zweiten, zusätzlichen Beitrag, in dem ein Photon ausgetauscht wird. Die Summati-
on der Amplituden führt zu folgendem Streuquerschnitt:
d e C e ! e C e
D
d˝
(4.49)
r02 m2e 1 1 C cos4 .# =2/ 1 1 cos4
.#
=2/
C 1 C cos2 # :
2 pe2 4 sin4 .# =2/ 8 2 sin2 .# =2/
Der erste Beitrag entspricht dem Quadrat der Amplitude des zweiten Graphen.
Es ist eine sehr stark nach vorn gerichtete Verteilung (siehe Abb. 4.6), die et-
wa der klassischen Rutherford-Streuung entspricht. Der zweite Beitrag entspricht
dem Quadrat der Amplitude des ersten Graphen, den wir im Abschn. 4.1.6 be-
212 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
k
+) b (γ
(e )
pb
pa
(e − )
) (γ
kb
+) k
a (γ
(e )
pb
rechnet hatten, und der letzte Beitrag entspricht der Interferenz der Amplituden
beider Graphen. Wie in Abb. 4.6 zu sehen ist, spielen diese Beiträge nur eine ge-
ringe Rolle. Das ist im Prinzip leicht verständlich. In Amplituden, in denen ein
virtuelles Photon die Gesamtenergie trägt, tritt ein Propagator des Betrages j1=q 2 j
auf, der in Vorwärtsrichtung wesentlich kleiner als der Propagator des Betrages
1=jq 2 .1 cos # /j ist, der in einem Prozess mit einem ausgetauschten Photon be-
nötigt wird.
Ein anderer Elektron-Positron-Prozess mit einem Teilchenaustausch ist die An-
nihilation in Photonen (Photonenproduktion). Die beitragenden Feynman-Graphen
sind in Abb. 4.8 gezeichnet. Da die Photonen nicht unterscheidbar sind, kann jedes
der beobachteten Photonen sowohl am oberen als auch am unteren Vertex produ-
ziert werden. Sie führen zu dem folgenden Querschnitt (Abb. 4.6):
Da der Propagator eine andere Struktur hat, sind Prozesse mit Fermionenaustausch
bei hohen Energien in der Regel weniger stark als Prozesse mit Bosonenaustausch.
Eine Annihilation in Photonen bestimmt den Zerfall des Elektron-Positron-Bin-
dungszustands, des Positroniums, das bei der Diskussion der Quarkonia erwähnt
wurde. Positronia entstehen, wenn Positronen beim Materiedurchgang durch die
Streuung an Elektronen abgebremst werden und durch Photonenabstrahlung in Ge-
genwart von Elektronen zur „Ruhe“ kommen. Aus der bekannten wasserstoffartigen
Wellenfunktion und dem obigen Wirkungsquerschnitt kann die mittlere Lebenszeit
genau berechnet werden. Der obige Prozess kommt allerdings nur für Zustände der
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 213
−)
(e p
pb b (e −
)
pa −)
(e − (e
) pb
−) p
(e a (e −
pb )
d .e e ! e e / r 2 m2e Œ3 C cos2 .# /
2
D 0 2 : (4.51)
d˝ 4 pe sin4 #
Da man die Elektronen nicht unterscheiden kann, ist der Prozess symmetrisch.
Ein anderer wichtiger elastischer Prozess ist die Photon-Elektron-Streuung (die
Compton-Streuung). Es gibt zwei in Abb. 4.10 skizzierte Feynman-Beiträge, die zu
dem folgenden Querschnitt führen:
Œ 0
!2 Œ
Œ 0
!
d .e ! e/ r2 p0 p0 p0
D 0 Œ
Œ 0
C Œ
sin2 #L : (4.52)
d˝ 2 p0 p0 p0
Der Ausdruck heißt Klein-Nishina-Formel. Der Winkel und die Energien beziehen
sich dabei auf das Laborsystem, in dem das einlaufende Elektron ruhte. Im nichtre-
Œ
lativistischen Grenzfall (p0;L < me ) wird sich die Energie des Photons nicht ändern,
214 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
−) p
e a (e −
(
pa )
kb (γ
k b(γ
) )
−) p
(e t a (e −
pa )
d .e ! e/nichtrelativistisch r2
D 0 .2 sin2 #L / : (4.53)
d˝ 2
Bei der Wechselwirkung von Photonen mit Materie dominiert bei niedrigen Ener-
gien der Photoeffekt, bei dem die Energie des einfallenden Photons von einem
Elektron, das sich im Feld eines Kerns befindet, absorbiert wird. Es folgt ein Be-
reich der Compton-Streuung. Bei Photonen sehr hoher Energien dominiert dann
eine Wechselwirkung mit dem Kernfeld, die zur Produktion eines neuen Elektron-
Positron-Paares führt.
Betrachten wir als nächstes die Streuung eines Elektrons an einem Kern. Bei der
Berechnung der Amplitude benutzt man das bekannte Coulomb-Feld, wie es im
Feynman-Graphen in Abb. 4.11 skizziert ist. Er führt zu folgendem Wirkungsquer-
schnitt:
deKern!eKern Z 2 r02 m2e 1
D 2 2
d˝ 4 pe;L ˇ sin4 #=2
1 ˇ 2 sin2 .#=2/ C Z˛ˇ sin.#=2/ .1 sin.#=2// ;
(4.54)
wobei ˇ D pe;L =Ee;L . Derselbe Querschnitt gilt natürlich auch für beliebige andere
geladene Fermionen, solange ihre Masse klein gegenüber der Kernmasse ist und
elektromagnetische Wechselwirkungen dominieren. Erwartungsgemäß ist (wie für
die nichtrelativistische Rutherford-Streuung) der Querschnitt sehr stark nach vorn
gerichtet.
Typisch für einfache elektromagnetische Streuprozesse ist die inverse Abhän-
gigkeit vom Teilchenimpuls. Für hochenergetische geladene Teilchen werden daher
solche Wechselwirkungen mit hohen Impulsüberträgen typischerweise erst dann
auftreten, wenn die Streuteilchen ausreichend langsam geworden sind und der größ-
te Teil ihrer Geschwindigkeit bereits verloren ist.
4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 215
−) p
(e a (e −
pa )
Für die Reduktion der Energie mäßig relativistischer geladener Teilchen spie-
len Wechselwirkungen mit Hüllenelektronen eine zentrale Rolle. Für das Elektron
(im MeV-Bereich) führt dies wegen seiner leichten Masse zu typischen „zittrigen“
Teilchenbahnen.
Für den Abbau der Energie hochenergetischer Elektronen (100-MeV-Bereich)
steht (unter anderen) die Bremsstrahlung zur Verfügung. Die Bremsstrahlung ist
ein Compton-artiger Prozess, bei dem das „einlaufende“ Photon virtuell ist und
aus einem statischen elektromagnetischen Feld stammt. Ein solches Feld steht in
der Nähe der Kerne zur Verfügung. Bremsstrahlungsprozesse wurden im Abschnitt
über Beschleuniger bereits erwähnt.
Bei hohen Energien werden oft große Impulsüberträge auftreten, und der Prozess
wird in einer sehr kurzen Zeitskala ablaufen. Wegen einer Art von Unschärferela-
tion werden die produzierten Photonen dabei typischerweise ein nicht verschwin-
dendes Viererimpulsquadrat tragen und in ein Elektron-Positron-Paar zerfallen.
Wechselwirkungen, in denen einlaufende Elektronen oder Photonen weitere
Elektronen oder Photonen produzieren, führen zu einem Kaskadenprozess. Da die
Größe der Kaskade von der ursprünglichen Energie abhängt, kann das Ausmaß
des am Ende beobachteten Teilchen-„Schauers“ in einem „elektromagnetischen
Kalorimeter“ zur Energiebestimmung von Elektronen und Photonen verwendet
werden.
Die Wechselwirkungen von Myonen in Materie sind formal analog zur Wechsel-
wirkung der Elektronen. Wegen ihrer größeren Masse ist die kinematische Situation
eine andere. Das hat recht drastische Konsequenzen. Während Elektronen eine win-
zige Reichweite haben – bei hohen Energien ist sie sogar geringer als für stark
wechselwirkende Hadronen – können Myonen einige Meter Eisen durchdringen.
Dies erlaubt eine saubere Trennung der Myonen von anderen Teilchen.
Die Prozesse der Quantenelektrodynamik sind beinahe „langweilig“, da sie ex-
akt der bekannten Theorie entsprechen. Für das anomale magnetische Moment des
Elektrons und des Myons erreicht die Übereinstimmung ein spektakuläres Ausmaß.
Das magnetische Moment ist für Bindungszustände mit spinlosen Teilchen
e
M D 0 L D L: (4.55)
2me
Die Konstante 0 ist das Bohrsche Magneton. Für Dirac-Teilchen kennen wir
die elektromagnetische Wechselwirkung in niedrigster Ordnung. Man kann diese
216 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
+ + ···
Abb. 4.12 Korrekturen höherer Ordnung zur elektromagnetischen Wechselwirkung eines Elek-
trons
M D 20 S : (4.56)
Betrachtet man in der QED auch höhere Ordnungen und berücksichtigt Terme,
wie sie in Abb. 4.12 gezeichnet sind, und zwar einschließlich der 8. Ordnung(!),
erhält man einen Korrekturfaktor a D tatsächlich =0 1, der für das Elektron den
folgenden Wert hat:
Myonen zerfallen. Die schnellen Myonen in diesem Strahl werden dabei bevorzugt
entgegengesetzt ihrer Flugrichtung polarisiert sein. Der so entstandene Myonen-
strahl wird durch ein geeignetes Magnetfeld in eine Kreisbahn gelenkt und dort
nach einiger Zeit schwach zerfallen. Beim schwachen Zerfall eines Myons kann je-
weils der mittlere Spin des Myons aus der Winkelverteilung der Zerfallselektronen
rekonstruiert werden, und der kleine Unterschied der Kreisfrequenzen kann daher
ohne zusätzliche Streuvorgänge beobachtet werden. Wegen der Zeitdilatation leben
die Myonen lange genug, um die Durchführung einer solchen Messung zu gestatten
und viele Perioden ausmessen zu können. Man erhält den Korrekturfaktor
Wenden wir uns jetzt der anderen Eichtheorie mit masselosen Eichteilchen zu und
beginnen mit einer Einführung in die Physik „ausreichend lokalisierter“ quanten-
chromodynamischer Prozesse [140]. „Ausreichend lokalisiert“ bedeutet dabei “zu-
gänglich mit perturbativen Methoden“, wie wir sie im Abschn. 4.1 kennengelernt
haben. Diese einschränkende Definition ist notwendig, da die Quantenchromodyna-
mik letztlich indirekt die Grundlage für alle Phänomene der Hadronen- und sogar
der Kernphysik bildet. Wie eine Änderung der Lokalisierung, d. h. der relevanten
Impulsüberträge, die Struktur der Wechselwirkung verändert, ist ein entscheiden-
der, recht komplizierter Punkt bei der QCD.
QED und QCD sind keine endlichen, sondern nur renormierbare Theorien. In re-
normierbaren Theorien treten in höheren Ordnungen unendliche Beiträge auf. Um
diese Terme zu umgehen, darf man besonders gering lokalisierte (Q2 ! 0) und
besonders stark lokalisierte (Q2 ! 1) Wechselwirkungen nicht in den Impulsin-
tegrationen der Feynman-Graphen mitzählen. Natürlich hängt eine solche Prozedur
vom beliebigen Wert des Abschneideparameters ab. Ohne weitere Überlegungen
wären daher alle Rechnungen bedeutungslos. In „renormierbaren“ Theorien ist die
Abhängigkeit logarithmisch. Es reicht daher aus, die Größenordnung des Abschnei-
deparameters festzulegen.
Betrachten wir zunächst den Abschneideparameter für geringe Lokalisierung.
Er ist kein wirklich fundamentales Problem, da man in ein Gebiet außerhalb der
perturbativen QCD kommt, in dem die Betrachtungen gültig sind. Da Hadronen
Color-Singuletts sind, hat man eine natürliche physikalische Abschneideskala.
Liegt der Impuls eines Gluons unterhalb der Skala, die es erlaubt, Hadronen
aufzulösen, verschwindet seine Wechselwirkung, da es nicht an Color-Singulett-
218 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
Zustände koppeln kann. In Rechnungen mit Quarks und Gluonen kann dies meist
nicht explizit berücksichtigt werden, was dann besondere Überlegungen notwendig
macht.
(Das Nichtauflösen kann man am Beispiel der Wechselwirkung einer Radio-
welle an einem Wasserstoffatom verstehen. Die Welle kann sowohl mit dem Kern
als auch mit dem Elektron der Hülle wechselwirken, was zu den Übergangsam-
plituden TŒe
und TŒp
führt. Da die Radiofrequenz die Bindung nicht lösen kann,
wird in beiden Fällen derselbe Endzustand auftreten, und man muss deswegen bei-
de Amplituden vor der Quadrierung summieren (d. h. Übergangswahrscheinlichkeit
/ jTŒp
C TŒe
j2 ). Wegen der betragsgleichen, aber umgekehrten Ladungen sind die
Amplituden, abgesehen vom Vorzeichen, identisch (d. h. TŒp
D TŒe
), und der
Beitrag verschwindet, wie es für die Wechselwirkung mit einem nicht aufgelösten
neutralen Objekt zu erwarten ist.)
Die Situation mit dem Abschneideparameter bei kurzen Abständen ist konzep-
tuell wesentlich komplizierter. Das Ergebnis einer langen Überlegung ist, dass die
betrachtete Theorie eigentlich viel weniger fundamental ist als zunächst angenom-
men. Die in Feynman-Graphen betrachteten Objekte sind nicht wirklich elementare
Quarks und Gluonen, sondern effektive Quarks und Gluonen, die von virtuellen
Gluonenfeldern umgeben sind. Diese Gluonenfelder können bei der betrachteten
Lokalisierung nicht aufgelöst werden.
Der Anteil der mitgezählten Gluonenwolke hängt von dem Grad der Lokalität
des betrachteten Prozesses ab. Genau genommen hat man es also nicht mit einer
Theorie, sondern mit vielen äquivalenten Theorien zu tun. Die „Renormierbarkeit“
besagt, dass alle Theorien dieselbe Struktur haben. Je nach der betrachteten Loka-
lisierung des Prozesses gibt es nur etwas größere oder kleinere Quark-Massen und
nur eine etwas stärkere oder schwächere Kopplung für die Vertizes in Feynman-
Graphen. Diese Abhängigkeit ist sehr schwach in der QED, sie ist jedoch im be-
trachteten Bereich sehr drastisch in der QCD. In der QCD ist in allen Rechnungen
der Lokalisierungsgrad explizit festzulegen.
Normalerweise würde man im Grenzfall kleiner Abstände r ! 0 zu einer „wirk-
lich elementaren Theorie“ kommen. Eine solche Theorie mit „nackten“, punktför-
migen Teilchen existiert in der QED und der QCD nicht. Mit einer nicht verschwin-
denden endlichen Wechselwirkung würde sie zu einer unbrauchbaren, effektiven
Theorie mit unendlicher Wechselwirkung bei endlicher Lokalisierung führen.
Dies ist wiederum kein Problem für prinzipielle Überlegungen, die die Konsis-
tenz der effektiven Theorie betreffen. Wegen der Gravitation sollten irgendwann,
viele Zehnerpotenzen unter unseren augenblicklichen Betrachtungen, alle bekann-
ten Theorien sowieso ungültig werden. Die Frage nach der Existenz einer solchen
Theorie ist daher ohne Bedeutung.
Dass wir die in diesem Bereich zugrunde liegende Theorie nicht kennen, ist kein
Problem. Die einzige Wirkung dieser Theorie für die augenblickliche Physik be-
steht darin, in einem Übergangsgebiet die Massen und die Kopplungen festzulegen.
Die Abhängigkeit der Massen und der Kopplungen vom Grad der Lokalisierung
oberhalb dieses Übergangsgebiets folgt dann aus der Struktur der renormierbaren
Theorie.
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 219
Die nichtelementare Natur der Quarks und Gluonen muss dann mit einem Ab-
schneideparameter [141] berücksichtigt werden, der in den internen Wechselwir-
kungen hohe Impulsüberträge, die lokalisiertere Objekte erfordern würden, verhin-
dert. Sieht man von Problemen im Bereich der Abschneideparameter ab, ist eine
solche („regularisierte“) Theorie mit Abschneidevorschrift im Prinzip exakt.
Bei der Anwendung der Störungstheorie besteht ein Problem, das weitere Über-
legungen erfordert. Betrachtet man Feynman-Graphen mit inneren Gluonen treten
typischerweise Terme der Form
ln.Impulse2 =.Abschneideparameter/2 /
auf. Das Auftreten solcher großer kinematischer Koeffizienten verhindert eine defi-
nierte, ausreichend konvergente Entwicklung in der Kopplungskonstante.
Zur Lösung des Problems wählt man eine für den betrachteten Prozess typische
Skala q 2 und spaltet die Beiträge in der folgenden Weise auf:
Bei der Summation über alle beitragenden Feynman-Graphen können die Beiträge
vom zweiten Term absepariert werden und durch eine Redefinition („Renormie-
rung“) der Kopplungen und der Massen berücksichtigt werden. Ohne diese großen
logarithmischen Terme kann dann die Konvergenz der Störungsrechnung erreicht
werden. Mit dem Abspaltungsformalismus hat man auch eine Möglichkeit gefun-
den, die Lokalisierung in der betrachteten Theorie zu ändern, ohne sich um den
Abschneideparameter kümmern zu müssen.
12
˛QCD .q 2 / D ; (4.61)
.33 2 Nf / ln.q 2 =2 /
wobei q 2 die Lokalisierung der Wechselwirkung in der oben definierten Weise an-
gibt und der Parameter 0; 2 GeV experimentell bestimmt wurde. Nf ist die
Zahl der im betrachteten Bereich beitragenden Quark-Flavors.
Betrachten wir die oben besprochenen Grenzwerte. Die Tatsache, dass die Kopp-
lung für q 2 ! 1 verschwindet, wird als asymptotische Freiheit bezeichnet. Sie
220 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
besagt, dass sich die lokalisierte Theorie, die hier betrachtet wird, wie die QED
durch Störungstheorie freier Teilchen behandeln lässt.
Nach dieser Formel wird für q 2 D 2 die Kopplung unendlich groß. Eigentlich
wird die obige Formel (die aus der Störungstheorie gewonnen wurde) schon vor-
her ihre Gültigkeit verlieren, und das Verhalten der Kopplungskonstante in diesem
Bereich ist nicht bekannt. Wird die Kopplung mit abnehmender Lokalisierung un-
endlich groß, muss auch das Quark-Antiquark-Potenzial mit wachsendem Abstand
unendlich groß werden. Der Weg, diese Probleme zu vermeiden, besteht darin, die
Quarks in Color-Singuletts zusammen („gefangen“, englisch „confined“) zu halten,
so dass im Bereich großer Abstände keine Kopplungen an einzelne Quarks vorkom-
men. Diese Untrennbarkeit bezeichnet man als infrarote Sklaverei.
In Experimenten beobachtet man natürlich immer Hadronen, also nicht lokali-
sierte Quarks. Eine typische Situation mit einem Gebiet, in dem die lokalisierte
QCD anwendbar ist, war in Abb. 3.52 skizziert.
Wie kann man solche Prozesse in lokalisierter QCD experimentell beobachten?
Warum ist es möglich, partonische Prozesse in hadronischen Reaktionen zu finden?
Man benutzt zwei halb empirische, halb theoretische Hypothesen, die besagen,
dass jeder Partonenzustand sich mit der Wahrscheinlichkeit 1 in Hadronen ver-
wandeln kann und
dass in den „weichen“ hadronischen Wechselwirkungen nicht rapide größere Im-
pulse zwischen verschiedenen Partonen übertragen werden. Nur Hadronen, die
in die ursprüngliche Richtung der harten Partonen fliegen, können diese enthal-
ten oder größere Teile ihres Impulses abbekommen.
Partonen, die aus lokalisierten partonischen Prozessen hervorgehen, tragen typi-
scherweise große Transversalimpulse. Ihre hadronischen Produkte sind daher meist
von den normalen Hadronen zu unterscheiden und einzelnen Partonen zuzuord-
nen. Zusammen werden die Hadronen, die aus einem solchen Parton hervorge-
hen, Jet genannt. Mit einer gewissen Unsicherheit kann durch Aufsummation von
Hadronen eines solchen Jets der ursprüngliche Partonenimpuls rekonstruiert wer-
den.
Je höher die Impulse der Jets sind desto geringer sind die Unsicherheiten bei
der Zuordnung von Hadronenimpulsen zu Jets, und desto genauer kann der Par-
tonquerschnitt bestimmt werden. Bei niedrigen Energien muss man sich bei der
Bestimmung der ursprünglichen Partonenimpulse auf explizite Modelle der Ha-
dronisation der Partonen verlassen und aufwändige Monte-Carlo-Rechnungen zur
Simulation der Prozesse durchführen. Im Abschn. 3.2.3 über Vielteilchenprodukti-
on hatten wir spezifische Vorstellungen über die Produktion von Teilchen in solchen
Jets kennengelernt.
Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen hatten, ist die QCD analog zur QED eine
Eichtheorie, die auf einer Symmetrietransformation aufgebaut ist. Für die QCD ist
die relevante Symmetrie die Struktur des SU .3/-Farbraums. Die Feldquanten der
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 221
Quark =
Gluon = − 1
3
Gluon = 1g + 1g
2 s 2 s
Quark
QCD, d. h. die Gluonen, vermitteln, wenn sie an Quarks oder Antiquarks koppeln,
eine Drehung von deren Farbzustand (als Operator im Farbraum).
Wir hatten im hadronischen Teil die Äquivalenz zwischen einer Vertauschungs-
symmetrie von Konstituenten, die geeignet in den Raum quantenmechanischer Zu-
stände eingebettet ist, und einer entsprechenden Lie-Gruppenstruktur kennenge-
lernt. Man kann diesen Prozess umdrehen und die Farbstruktur durch imaginäre
Farbteilchen in einer sehr einsichtigen Weise beschreiben. Dieser Trick erlaubt es,
einige wesentliche Eigenschaften der Theorie zu verstehen.
In diesem Farbteilchenbild existieren rote, grüne und blaue Quarks als se-
parate Objekte, deren Wege völlig analog zu den üblichen Quark-Flavor-Linien
im Zeit-Raum-Diagramm durch eine vorwärts gerichtete Farblinie gezeichnet
werden können, wie in Abb. 4.13a dargestellt ist. Für die Antiquarks mit den
entsprechenden Antifarben läuft dann die Farblinie rückwärts. Da Gluonen an
Quarks koppeln und deren Farbe ändern, müssen sie aus einer vorwärts gerichte-
ten Farblinie und einer rückwärts gerichteten Farblinie bestehen, wie es im ersten
Summanden in Abb. 4.13b gezeichnet ist. Der zweite Summand wird gleich er-
klärt. Da Farblinien keine dynamischen Eigenschaften tragen, werden beide in
Abb. 4.13c dargestellten Kopplungsmöglichkeiten mit gleichen Gewichten vertre-
ten sein.
Zu jedem Feynman-Graphen können wir also einen Farbliniengraphen zeich-
nen [133]. Bei einer Produktion von Farblinien muss über alle möglichen Farb-
belegungen summiert werden. Der ursprüngliche Feynman-Graph erhält auf die-
se Weise einen Farbfaktor, der je nach Belegungsspielraum größer oder kleiner
ist.
(Betrachten wir die Situation in gruppentheoretischen Notationen. Die Quarks
sind Zustände eines SU .3/-Tripletts und die Antiquarks eines SU .3/ -Antitripletts.
Man weiß aus der Gruppentheorie, dass ein Triplett und ein Antitriplett zusammen,
222 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
wie sie in einer Kopplung auftreten, einen Oktett- und einen Singulett-Zustand bil-
den können:
N D .1/ C .8/ :
.3/
.3/ (4.62)
Sie können daher prinzipiell sowohl an ein Singulett als auch an ein Oktett koppeln.
Die Kopplung an ein Farb-Singulett findet in der QED statt. Da die Gluonen Dre-
hungen im Farbraum vermitteln müssen, kommt für sie der Singulett-Zustand nicht
in Frage, und es verbleibt nur der Oktett-Zustand. Um den Farbzustand von Quarks
ändern (drehen) zu können, müssen sie natürlich selber Farbquantenzahlen tragen,
wie sie in den Oktettzuständen auftreten.
Um die Farbstruktur-Abhängigkeit von Feynman-Amplituden zu berechnen, be-
trachtet man – in Analogie zur Drehgruppe oder zur SU .2/ mit ihren Pauli-Spino-
ren, ihren Pauli-Matrizen und ihrem Faktor ij k – in der SU .3/-Gruppe Zustände
in einem dreidimensionalen Farbraum, Quark-Gluon-Vertizes mit tabellierten Gell-
Mann-Matrizen und Gluon-Gluon-Vertizes mit tabellierten Strukturkonstanten.)
Im Gegensatz zum Photon müssen, wie gesagt, Gluonen mit Farbänderungen
verbunden sein. Bei den beiden Gluon-Farblinien gibt es eine Komponente, die die
Farben nicht ändert und die eigentlich nichts beitragen sollte. Diese Singulett-Kom-
ponente muss daher abgezogen werden. Dies geschieht mit dem rechten Term in
Abb. 4.13b, so dass das Gluon der dargestellten Differenz entspricht.
Die in diesem Bild rechts dargestellte Schleife zeigt einen Prozess, bei dem
sich der anfängliche Farb-Antifarb-Zustand vernichtet und ein neuer Zustand mit
beliebiger Farbe gebildet wird. Die Schleife wirkt als Projektionsoperator auf die
Singulett-Farbbelegung. Es gibt keinen Beitrag zu einem Prozess mit einem Nicht-
Singulett-Zustand. Beginnt der Prozess unten mit einem Singulett-Zustand, hört er
oben mit demselben Zustand auf.
Um dies explizit zu zeigen, betrachten wir der Einfachheit halber nur farbneu-
trale Zustände. Offensichtlich kann es für nicht farbneutrale Zustände zu keinem
Beitrag mit dem Schleifenterm kommen. Es gibt drei linear unabhängige farbneu-
trale Zustände
fr rN ; g g; N ;
N b bg (4.63)
die sich mit der folgenden orthogonalen Basis beschreiben lassen:
(r r r )
1 1 1
.r rN C b bN C g g/;
N .r rN g g/;
N N :
.r rN C g gN 2b b/ (4.64)
3 2 4
Für die Vernichtungsschleife in der Abb. 4.13b liefert offensichtlich jeder unten
hereinkommende Farb-Antifarb-Zustand einen Beitrag. Entspricht der Farbanfangs-
zustand der zweiten oder der dritten Kombination, ergibt sich wegenpdes unter-
schiedlichen Vorzeichens null. Der erste, völlig symmetrische Zustand 1=3.r rN C
N
b bCg N entspricht dem Farb-Singulett-Zustand.
g/ Für ihn treten drei Beiträge jeweils
p
mit dem Gewicht .1=3/ .1= 3/ auf. Summiert man über alle Farbzustände bei der
produzierten Farblinie, ergibt sich oben wieder der richtig normalisierte Farb-Sin-
gulett-Zustand.
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 223
1 1
2 gs 2 gs
q q 3q
=( ) − 13 ( )=
×3 ×3 ×3 9−1 g 2
gs gs 2·3 s
In dieser Überlegung haben wir zwei Bedingungen ignoriert. Wir wissen, dass
Teilchen Farb-Singuletts (d. h. invariant unter Vertauschung von Farben) sind und
dass, da es keine freien Quarks gibt, am Ende des Streuprozesses farblose Teilchen
zu produzieren sind. Welche Einschränkung folgt daraus für den hier betrachteten
lokalisierten Streuprozess?
Es gibt keine Einschränkungen. Da die Wechselwirkung mit einlaufenden Ha-
dronen oder Leptonen beginnt, ist der Endzustand automatisch ein Color-Singulett.
Dies gilt natürlich auch für den Teil des Endzustands, der übrig bleibt, wenn schon
beliebig viele Color-Singuletts als Teilchen emittiert wurden.
Farbliniengraphen sind nützlich, um die SU .3/-Faktoren in einfachen Feynman-
Graphen zu verstehen. Betrachten wir zwei Beispiele.
1. Im Farblinienbild sieht man sofort, dass in dem Prozess
e C e ! q qN (4.65)
Die Annihilation von e C e zu Quarks ist ein besonders einfacher Prozess. Das
Photon hat nach der Heisenbergschen Unschärferelation eine Ausdehnung, die dem
Inversen von q 2 , d. h. dem Quadrat der Gesamtenergie, entspricht. Die QCD-Kopp-
N
lung ist damit im Bereich der eigentlichen q q-Produktion ausreichend schwach, um
eine Anwendung der Störungstheorie zu erlauben. Analog zum Prozess e C e !
C wird in nullter Ordnung der QCD und niedrigster Ordnung der QED ein
N
q q-Paar erzeugt.
Die Ähnlichkeit zur Myonenproduktion macht es sinnvoll, anstelle des Wir-
kungsquerschnitts das Verhältnis
.e C e ! Hadronen/
R.s/ D (4.66)
.e C e ! C /
ist, gibt es kein ausgeprägtes ud -Gebiet. Abgesehen von kleinen Beiträgen höhe-
rer Ordnung (die grünen und die roten (bzw. die grauen) Linien berücksichtigen
Korrekturen), entspricht R genau den drei vorhergesagten Stufen. Die Z-Resonanz-
gebiet wird uns in Kap. 5 interessieren. Das Gebiet, in dem die t tN-Produktion zu
berücksichtigen ist, liegt bei höheren Energien.
Die Relation gilt erstaunlich gut, selbst bei niedrigen Energien in einem Gebiet,
in dem Resonanzen nicht vernachlässigt werden können und in dem die wesentliche
Annahme, dass der harte Streuquerschnitt nicht davon abhängt, wie sich die produ-
zierten Quarks in einer weichen Wechselwirkung zu Hadronen entwickeln können,
nicht mehr gültig sein kann. Wie in der hadronischen Physik gilt eine semilokale
Dualität: Mittelt man über die Resonanzbeiträge, entspricht die Größe des Mittel-
werts gerade dem darauf folgenden Kontinuum.
Dazu gibt es dann kleine Korrekturen durch den Beitrag mit Gluonen, die ent-
weder ausgetauscht oder produziert werden. (Der Farbfaktor eines solchen Beitrags
wurde in Abschn. 4.2.1 berechnet.) Bei höheren Energien verändern solche Kor-
rekturen den Wirkungsquerschnitt um etwa 6 %, und sie führen einen neuen Typ
von Endzustand ein (Abb. 4.17). Im Abschn. 3.2.3 hatten wir gesehen, dass zwi-
schen 20 GeV und 30 GeV solche Quark-Antiquark-Gluon-Beiträge sichtbar wer-
den. Aus den beobachteten Jets kann man mit gewissen systematischen Fehlern die
Kinematik der harten Streuung rekonstruieren. Die Winkelverteilung entspricht den
Erwartungen, und etwas simple Alternativen mit spinlosen Gluonen können ausge-
schlossen werden. Die benötigte QCD-Kopplungskonstante ist in dem betrachteten
Bereich etwa
˛QCD D 0;14 (4.67)
und es ist
QCD D 0;2 GeV (4.68)
mit beträchtlichen systematischen Unsicherheiten [122].
Bei einer Energie von etwa 40 GeV wird eine Korrektur wegen der schwachen
Wechselwirkung sichtbar. Anstelle des Photons kann ein schwaches Vektorboson
(ein “schweres Photon“) auftreten. Bei hohen Energien wird dieser Beitrag, der in
Kap. 5 besprochen wird, das Bild deutlich verändern. Die Situation für die Quark-
Produktion ist analog der Annihilation in Myonen.
Ein anderer Prozess, bei dem die Lokalisierung durch einen leptonischen Anteil
garantiert wird, ist die tiefinelastische Streuung von Leptonen an Protonen. Sie
war und ist besonders aufschlussreich für die Partonenstruktur der Hadronen. Viele
wichtige frühen Ergebnisse kamen von Synchrotron-Experimenten mit ruhendem
Target. Die höchste Energie für solche Prozesse wurde am Speicherring HERA in
Hamburg erreicht.
Eine schematische Darstellung des Prozesses ist in Abb. 4.18 gezeichnet. Be-
trachten wir zunächst die kinematische Situation etwas genauer. Die Definitionen
der relevanten kinematischen Variablen sind in Abb. 4.19 gegeben. Ein Elektron
wird um den Winkel # aus dem Impuls k in den Impuls k 0 gestreut. Dabei überträgt
das Photon den Impuls q D k k 0 auf das ohne Beschränkung der Allgemeinheit
ruhende Proton mit dem Impuls p D .m; 0; 0; 0/ zu dem Impuls p 0 . Bei der Photon-
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 227
bestimmt, und seine Energie im Ruhesystem des Protons ist, abgesehen von der
konstanten Protonenmasse, durch
g
=q 2 und g =q 2
228 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
P D g q q =q 2
ist daher ohne Wirkung, wenn er von links und rechts auf W angewendet wird. Der
mit den verfügbaren Viererimpulsen (ohne Paritätsverletzung) allgemeinste Aus-
druck [142]
Wie man sieht, können die Strukturfunktionen aus der Energie und der Winkelab-
hängigkeit der Elektronen bestimmt werden.
Was die tiefinelastische Streuung besonders interessant macht, ist, dass sie direk-
te Informationen über die Struktur der Hadronen, d. h. über die Partonenverteilung
in den Hadronen, liefert.
Eine zentrale Annahme ist dabei, dass die Partonen des Protons keinen signi-
fikanten Transversalimpuls tragen. Für die Verteilung der Partonen im Proton ist
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 229
die Lokalisierung des Streuvorgangs, in dem die Partonen wechselwirken, und des-
sen Lorentz-System wichtig. In hier betrachteten Systemen besteht das Proton aus
sich schnell bewegenden Partonen. Bei Energien, bei denen diese Bewegung ausrei-
chend schnell gegenüber der thermischen Bewegung der Partonen in den Hadronen
ist, ist es sicher eine gute Approximation, die Transversalimpulse der Partonen zu
vernachlässigen.
Warum die Bestimmung des einfallenden Impulses dann möglich ist, ist dann
leicht zu verstehen. Das Elektron wird in die transversale Richtung gestreut. Von
einer Lorentz-Transformation in longitudinale Richtung wird daher das einfallende
Elektron stärker verändert als das gestreute. Man kann daher ein System finden, in
dem beide den gleichen Impulsbetrag haben. Kommt die Streuung durch ein Parton
zustande, muss dies das Massenmittelpunktsystem des Elektrons und des Partons
sein. Der Impuls des einfallenden Partons ist damit vollständig bestimmt. Es hat
den umgekehrten Impuls des einfallenden Elektrons.
Betrachten wir dies quantitativ. Definieren wir zunächst den Bruchteil des Ge-
samtimpulses des gestreuten i-ten Partons
pi D xi p (4.75)
wobei pi0 D pi C q der Partonenimpuls nach dem Streuprozess ist. Die Ausmulti-
plikation von pi0 2 ergibt
q 2 C 2i D 0 : (4.78)
Der Impulsanteil des zum Streuprozess beitragenden Partons ist daher
jq 2 j
xi D (4.79)
2
und damit direkt bestimmbar. Um das Absolutzeichen zu sparen, definiert man
Q2 D q 2 .
Nachdem Q2 -Werte erreicht sind, die eine Auflösung der Partonenstruktur er-
möglichen, wird sich die Partonenverteilung nur noch sehr langsam ändern. Be-
trachten wir zunächst eine idealisierte Situation ohne solche Änderungen. Ein Ha-
dron betseht dann aus einer statistisch verteilten Anzahl von Partonen, die jeweils
einen gewissen Anteil des Hadronenimpulses tragen. Die Strukturfunktionen sollten
dann nur von der Wahrscheinlichkeit, ein geeignetes Parton mit den Impulsanteil x
zu finden, abhängen. Es sollte keine separate Abhängigkeit von Q2 und bestehen.
Diese Beobachtung findet sich in der Tat in den Daten, wie es in Abb. 4.20 zu sehen
230 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
4
p 0.4
2W p
3
1 W / M p2
2
0.3
2
0.2
1 0.1
0 0.0
0.5 1.0 x 0.5 1.0 x
ist. Die Messungen oberhalb von Q2 > 2 GeV und W D 2 Q2 > 2 GeV liegen
in den rot (bzw, schwarz) markierten Gebieten. Man bezeichnet dies als „Bjorken
scaling“ [143].
Im Quark-Bild muss sich diese Abängigkeit der Funktion W aus L und der
Quark-Verteilung in der folgenden Weise ergeben:
X 1
W D L .xp/ Qi2 qi .x/ ; (4.80)
i
2Q2
wobei qi .x/ die Verteilung des i -ten Quarks ist und Qi dessen Ladung. 1=2Q2
ist ein Jacobi-Faktor. Vergleicht man diese Gleichung mit dem Ausdruck für W
durch Strukturfunktionen, erhält man nach kurzer Rechnung
1 X 2
W1 .Q2 ; / D Qi qi .x/ ; (4.81)
2m i
W2 .Q2 ; / D 2x W1 .Q2 ; / : (4.82)
mHadron
Die letzte Gleichung, die die Strukturfunktionen in Relation setzt, wird Callan-
Gross-Relation [144] genannt. Sie hängt vom Spin des streuenden Partons ab. In-
nerhalb der Messgenauigkeit ist sie experimentell bestätigt.
Das Bjorkensche Skalenverhalten gilt nur näherungsweise. Vor allen bei sehr
hohen Energien werden neben dem betrachteten Prozess Prozesse höherer Ordnung
eine Rolle spielen. Dies führt zu einer langsamen Änderung, wie sie in Abb. 4.21
skizziert ist.
Ein Quark kann kurzzeitig in ein Quark und ein Gluon übergehen, ein Gluon in
ein Quark und ein Antiquark ect. Mit wachsender Virtualität (Q2 ! 1) werden
mehr und mehr von diesen kurzzeitigen Objekten gesehen. Im Bereich großer Q2 -
Werte ist diese Q02 -Abhängigkeit der Partonenverteilungen aus der Störungstheorie
exakt zu berechnen.
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 231
Abb. 4.22 Die Verletzung der Skalenunabhängigkeit der Strukturfunktion W2 (© 2012 American
Physical Society, [31])
232 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
Heute existieren sehr präzise Daten, die es erlauben, die in Abb. 4.20 mar-
kierten Gebiete genauer zu betrachten. Der Elektron-Proton-Speicherring HERA
in Hamburg hat den Bereich der zugänglichen x-Werte drastisch erweitert (x
103 ). (Damit man Partonen sehen kann, muss Q2 einige GeV2 überschreiten. Ge-
mäß (4.79) erfordern kleine x-Werte daher eine hohe Energie.)
Die Strukturfunktion ist in Abb. 4.22 in ihrer Abhängigkeit von Q2 dargestellt.
Vor allem für kleine x Werte ist das Bjorkensche Skalenverhalten deutlich verletzt.
Mit der Vorgabe geeigneter Strukturfunktionen für kleine Q2 -Werte entsprechen
die Daten dem Stand der Technik der entsprechenden QCD-Rechnungen.
Mit wachsender Virtualität wird wegen der Aufspaltung die Dichte der Partonen
im Bereich x 1 abnehmen und im Bereich kleiner x-Werte zunehmen. Da Gluo-
nen in Quark-Antiquark-Paare übergehen können, gestatten die Daten es indirekt,
die Verteilung der Gluonen im Proton zu bestimmen.
Um den Abschnitt mit den Strukturfunktionen abzuschließen, sei noch erwähnt,
dass es einen analogen Beitrag gibt, in dem das Photon durch eines der schwachen
Vektorbosonen ersetzt ist. Diese schwachen Vektorbosonen werden wir im nächsten
Kapitel kennen lernen. Für die Strukturfunktionen hat dieser Beitrag einen wichti-
gen Vorteil. Beim Vergleich geeigneter Prozesse kann durch die Analyse solcher
Beiträge zwischen verschiedenen Quarks und Antiquarks unterschieden werden.
Das Ergebnis ist in Abb. 4.23 dargestellt. Die Antiquarks kommen im Proton (und
Neutron) nur im „See“ vor. Unter der Annahme, dass die Quark- und die Antiquark-
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 233
Verteilung im See identisch sind, kann man die Verteilung der einzelnen Valenz-
und See-Quarks direkt isolieren. Dazu existieren Korrekturen.
Bei sehr hoher Virtualität (vor allem in Streuungen an schweren Kernen) sollten
die Partonen so dicht gepackt sein, dass sie sich gegenseitig stören. Ein “Sättigungs-
gebiet“ sollte erreicht werden, in dem sich die Dichte nicht mehr ändert. Aus der
Stärke der Störung wird man Rückschlüsse darüber erhalten, wie gleichmäßig die
Partonen räumlich im Proton verteilt sind [145].
4.2.4 Drell-Yan-Streuung
Ein dritter Prozess, in dem Leptonen eine ausreichend hohe Lokalisierung festle-
gen, ist die Produktion eines massiven Lepton-Antilepton-Paares. Dieser Prozess
heißt Drell-Yan-Prozess [146]. Der harte Prozess ist genau umgekehrt wie in der
e C e -Annihilation; ein Quark und ein Antiquark annihilieren sich und produzieren
z. B. ein e C e -Paar oder ein C -Paar, wie es in Abb. 4.24 zu sehen ist. Wie im
Annihilationsprozess hat man nur garantiert lokalisierte Beiträge.
Experimentell ist es nicht ganz einfach, Leptonen in Vielteilchen-Endzustän-
den zu identifizieren. Das Prinzip der Identifikation hatten wir im Abschn. 4.1.7
kennen gelernt. In der Regel werden Elektronen schneller ihre Energie verlieren
als Pionen, sie können daher schon im „elektromagnetischen Kalorimeter“ be-
obachtet werden, während Pionen erst dahinter im „hadronischen Kalorimeter“
nachzuweisen sind. Im Kalorimeter wird die ursprüngliche Energie der Teilchen
durch einen Kaskadenprozess in einen „Teilchenschauer“ (d. h. irgendwann einmal
in „Wärme“, lateinisch „calor“) umgewandelt. Aus der Teilchenzahl im Schauer
lässt sich bei wachsender Teilchenenergie mit zunehmender relativer Genauigkeit
die Energie des ursprünglichen Teilchens bestimmen; die Eindringtiefe ermög-
licht eine Unterscheidung der Teilchenart. Das liefert oft befriedigende Resultate.
Untersucht man sehr seltene leptonische Prozesse, können, da es sehr viele Pio-
nen gibt, statistische Fluktuationen Schwierigkeiten machen. Eine gewisse Hilfe
bietet die Tatsache, dass Elektronen meist recht isoliert und Pionen in Jets auftre-
ten.
Die Separation ist im Prinzip einfacher bei Myonen. Myonen unterscheiden sich
von den Elektronen und den Hadronen dadurch, dass sie vom gesamten Apparat
einschließlich der Magnete nicht gestoppt werden. Bei Myonen ist es jedoch relativ
schwierig, ihre Energie genau zu bestimmen. Das die restlichen Teilchen absorbie-
rende Eisen ist nicht ohne Einfluss auf die Myonenenergie.
234 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
derlich. Bei nicht ausreichend hohen Energien können Partonenpaare, die nur einen
kleinen Teil dieser ursprünglichen Energie mitbekommen, diese Minimalenergie oft
nicht erreichen. Mit wachsender Energie stehen daher mehr und mehr Partonen für
harte Streuungen zur Verfügung. Mit zunehmenden Impulsüberträgen gibt es au-
ßerdem mehr Partonen, die von der harten Streuung „aufgelöst“ werden.
Harte Streuungen sind bei den hohen Energien nicht mehr selten. Da sich oft
ein großer Anteil des Jet-Impulses in einem einzelnen Teilchen befindet, konnten
solche harten Jets experimentell zunächst als eine Aufweitung der Transversalim-
pulsverteilung beobachtet werden, die in in Abb. 4.28 dargestellt ist. Man sieht, wie
ein ursprünglich verschwindender Anteil der großen Impulsbeiträge stetig zu einem
signifikanten Beitrag anwächst.
Die Beobachtung begann bei niedrigen ISR- und FNAL-Energien als eine kleine
Abweichung vom energieunabhängigen, exponentiellen Abfall der nicht lokalisiert
produzierten Teilchen, der in Abb. 4.28 einer Geraden entspräche. Bei etwas hö-
heren Energien konnten Jetstrukturen identifiziert werden. Mit wachsenden Ener-
gien nahmen diese Strukturen an Klarheit zu. Da bei heute erreichbaren Energien
wesentlich größere Transversalimpulswerte auftreten können, ist es oft recht ein-
fach, einzelne Jets zu erkennen, wie es bei einem besonders drastischen Ereignis in
Abb. 4.29 zu sehen ist.
Es ist daher nicht mehr schwierig, die Teilchen einzelnen Jets zuzuordnen und
die Impulse der Jets zu bestimmen. Ohne auf Details einzugehen, erhält man die
in Abb. 4.30 dargestellte Verteilung. Ähnliche Ergebnisse existieren vom Collider
am Fermi-Lab. In guter Approximation entsprechen die Jet-Verteilungen den der
ursprünglichen Partonen.
Ein Gebiet gilt als “richtig“ verstanden, wenn alle Beobachtungen aus einer zu-
grunde liegenden, mehr oder weniger selbstkonsistenten Theorie abgeleitet werden
können. Die meisten Gebiete der Physik sind dafür zu komplex. Sie erfordern Mo-
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 237
delle, die eine plausible und effiziente Beschreibung der Beobachtungen erlauben.
Die quantenchromodynamische Beschreibung von harten Streuungen mit großen
Impulsüberträgen ist der ersten Kategorie zuzuordnen, die „weiche Physik“, die
wir im dritten Kapitel des Buches kennen gelernt hatten, der zweiten. Wie weit
kann man die “harten“ Rechnungen in das “weiche“ Gebiet extrapolieren, um so zu
einem besser definierten Verständnis zu kommen?
Für kleine Impulsüberträge Q2 ! 0 wird die effektive Kopplungskonstante
˛ s größer als der Konvergenzradius, was Aussagen der Störungstheorie unmöglich
macht. Die Anwendungsgrenze ist allerdings nicht völlig unverrückbar. Mit geeig-
neten Methoden (und plausiblen Annahmen) kann man den zugänglichen Bereich
ein Stück weit ins weiche Gebiet schieben. Oft scheint ein Grenzwert von etwa
Q2 D 1 GeV2 erreichbar zu sein.
238 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
kμ
qμ
pμ
Die Hoffnung ist, dass man auf diese Weise nicht nur das Zwischengebiet besser
versteht, sondern dass man auch etwas über die weichen Wechselwirkungen lernt.
Es ist natürlich im Prinzip möglich, dass harte und weiche Wechselwirkungen nichts
miteinander zu tun haben. Tatsächlich beobachtet man immer einen irgendwie kon-
tinuierlichen Übergang zwischen harten und weichen Amplituden. Dies legt nahe,
beide Komponenten zu identifizieren. Eine (natürlich unsichere) Extrapolation aus
dem hartem Gebiet betrifft dann die volle weiche Amplitude. In gewissem Umfang
erlaubt dies einen Konsistenzcheck von Modellen für den weichen Bereich.
Wir werden jetzt verschiedene Methoden der Extrapolation kennen lernen. Be-
ginnen wir mit “dünnen“ Prozessen, in denen man eine harte Streuung separat
betrachten kann.
1 1
;
2 p q 2jpE j jE
q j .1 cos./
Die Terme in der Summe führen auf jeder Seite zu einer Verteilung von Quarks und
Gluonen in einer Baumstruktur, wie sie in Abb. 4.32 dargestellt ist. Dabei sind die
240 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik
Der zentrale Punkt ist dabei: Aus der Unschärferelation erhalten die Partonen eine
Virtualität „=t, wobei t die mittlere Zeit zwischen Streuvorgängen ist. Die so
erhaltene Virtualität schneidet das weiche Gebiet mit Partonen mit verschwinden-
der Virtualität ab. Ausreichend hohe Dichten bieten daher eine neue Möglichkeit,
die störungstheoretische QCD anzuwenden.
Welche Energiedichten können in Schwerionenstreuungen erwartet werden? Im
zentralen Rapiditätsgebiet beobachtet man eine flache Rapiditätsverteilung meist
mit einem geringen Transversalimpuls. So beobachtete die Alice Collaboration
für die 5 % zentralsten P b-P b-Streuungen eine Dichte dN=dy D 1600 (d. h.
1600 Teilchen pro Rapiditätseinheit) mit etwa hp t i D .1=2/ GeV, das für Pionen
um y D 0 etwa der Energie pro Teilchen entspricht. Damit ist der Energiefluss aus
einem Rapiditätsintervall dE=dy 800 GeV.
Wie groß ist das Emissionsvolumen? Eine grobe Abschätzung in transver-
saler Richtung ist unproblematisch. Die transversale Emissionsfläche ist A D
Rp2 A.2=3/ 100 fm2 , wobei Rp 1 fm und A.P b/ D 207 angenommen wurde.
Problematisch ist die longitudinale Ausdehnung. Man nimmt an, dass Fluktuatio-
nen die Geometrie der Nukleonen nicht wesentlich beeinflussen. Zu Beginn des
Streuprozesses sind die Nuklei daher Lorentz-kontrahierte Pfannkuchen-förmige
Objekte geringer Ausdehnung. Die zentrale Annahme ist nun, dass es eine Zeit
gibt, ab der der obige mittlere Streuabstand t sinnvoll ist. Man nimmt an, dass zu
diesem Zeitpunkt das Auseinanderlaufen schon die ursprünglich kleine longitudina-
le Ausdehnung dominiert, d. h. dass z v ist. Die Positionen der auslaufenden
Partonen nach der Zeit sind dann, wie in Abb. 4.35 skizziert. Sie hängen von
der Geschwindigkeit ab, und mit der Rapidität als Geschwindigkeitsparameter
vz D tanh.y/ ergibt sich:
Wir betrachten hier die Dichte um y D 0. Nach (4.84) gilt hier dz=dy D . Die
Energiedichte pro z ist damit:
1
hjpt jidN=dz D hjp t jidN=dy ;
4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 243
1
hjp t ji dN=dy
Rp2 A2=3
7; 3 GeV=fm3
Dieser Wert liegt in einem Bereich, in dem von einer Partonendynamik ausgegangen
wird. (Offensichtlich gibt es eine große Unsicherheit in .)
Man nimmt meist an, dass zum Zeitpunkt D 1fm=c in der Tat ein thermo-
dynamisches Gleichgewicht der Partonen im betrachteten Rapiditätsgebiet erreicht
wurde. Wie in Abschn. 3.2.4 erläutert, spricht man daher – in Analogie zu dem
bekannten Plasma, in dem die Atombindungen aufgebrochen sind – vom Quark-
Gluon-Plasma. Thermodynamische Betrachtungen erlauben dabei eine gute Be-
schreibung vieler Aspekte der Beobachtungen.
Einführung in die Physik der schwachen
Bosonen 5
Wie ihr Name sagt, zeichnen sich die schwachen Wechselwirkungen im zunächst
betrachteten Niederenergiebereich durch ihre geringe Stärke aus. Sie treten in die-
sem Bereich im wesentlichen in Zerfallsprozessen auf, für die kein anderer Zerfalls-
mechanismus in Frage kommt. Bei der Diskussion der „hadronischen Resonanzen“
hatten wir gesehen, dass nur schwach zerfallende Resonanzen typischerweise län-
ger als 1012 Sekunden leben. Rein hadronische Zerfälle (mit Lebenszeiten < 1020
Sekunden) und elektromagnetische Zerfälle (im Zwischengebiet) kommen für vie-
le Zerfälle nicht in Frage, da viele Quantenzahlen, die sonst erhalten bleiben, nur
in der schwachen Wechselwirkung verändert werden können. Da in den schwachen
Wechselwirkungen die Flavor-Quantenzahlen nicht erhalten bleiben, kann z. B. das
Neutron schwach in ein Proton und Leptonen zerfallen. Die schwachen Wechselwir-
kungen ermöglichen Übergänge, die die Parität oder die Ladungsparität verletzen,
wie es bei K-Zerfällen beobachtet werden kann.
Der älteste beobachtete Prozess der schwachen Wechselwirkung ist der ˇ-Zerfall.
Aus der Beobachtung, dass in einem solchen Zerfall scheinbar Energie verloren
geht (siehe Abschn. 2.4.5), folgerte Pauli die Existenz eines damals noch unbe-
kannten Teilchens, des Neutrinos. In der Folgezeit hat sich herausgestellt, dass es
mehrere solcher Neutrinos gibt. Beginnen wir daher mit der vollständigen Liste der
Fermionen, die für die schwache Wechselwirkung in Frage kommen (Tab. 5.1). Da
Gluonen und Photonen keine Flavor-Quantenzahlen tragen, muss die eigentliche
QFD-Wechselwirkung zwischen Quarks und Leptonen stattfinden.
Das erste Kästchen heißt 1., das zweite 2. und das dritte 3. Generation. Abge-
sehen von ihren unterschiedlichen Massen verhalten sich die verschiedenen Ge-
nerationen wie identische Kopien bezüglich der QED, der QCD und – wie sich
herausstellen wird – der QFD. Wie wir später sehen werden, involviert die Eich-
symmetrie der QFD die horizontalen Paare. Die Zuordnung der Leptonen und der
Quarks zu den einzelnen Generationen folgt ihrer Masse und ist nicht zwingend
notwendig.
Eine wichtige Eigenschaft jeder der Generationen ist, dass die mittlere Ladung
aller Teilchen verschwindet. Dies ist aus theoretischen Gründen wichtig, da die
mittlere Ladung als Gewichtsfaktor (problematischer) unendlicher Terme der QED
auftritt.
Neu in diesem Kapitel sind die Neutrinos. Die oberen Grenzen ihrer Massen
sind [31]
me < 2 eV ;
m < 0;19 MeV ;
m < 18 MeV :
Wie wir später sehen werden, erfordern die beobachteten Übergänge zwischen ver-
schiedenen Neutrinos die folgenden Massendifferenzen
Kerns oder aus dem -Zerfall stammt, kann in Laborexperimenten nur in ein Elek-
tron übergehen und ein Myon-Neutrino, das aus dem Zerfall von Pionen stammt,
nur in ein Myon. (Wir werden im Abschn. 5.1.5 auf Neutrino-Experimente zurück-
kommen.) Zum anderen würden gemeinsame Neutrinos verschiedener Generatio-
nen in zweiter Ordnung der schwachen Wechselwirkung Übergange, wie ! eC
bzw. ! e C , in einer Stärke ermöglichen, die experimentell ausgeschlossen ist.
Zum ˇ-Zerfall kamen nach und nach mehr und mehr experimentell beobachtete
schwache Wechselwirkungen hinzu. Man fand dabei heraus, dass sich solche Re-
aktionen in rein leptonische, gemischt leptonisch-hadronische („semi-leptonische“)
und rein hadronische Reaktionen klassifizieren lassen. Betrachten wir dazu einige
Beispiele für schwache Zerfälle.
Semi-leptonische Prozesse
d ! ue N e Neutronenzerfall
d uN ! N -Zerfall
u ! d -Einfang im Kern
e u ! e d K-Schalen-Elektroneneinfang im Kern
sN u ! C K C -Zerfall zu 64 %
Die schwache Wechselwirkung betrifft jeweils vier ein- oder auslaufende Fermio-
nen. Leptonen und Quarks treten dabei jeweils in Paaren auf. Dies ist konsistent
mit einer Faktorisierung der schwachen Wechselwirkung in leptonische und hadro-
nische Teile. Diese Faktorisierung besagt, dass die Amplitude die folgende Form
hat:
M / .leptonisch C hadronisch/ .leptonisch C hadronisch/
und mit geeigneter Kombination einen rein hadronischen, einen semi-leptonischen
und einen rein leptonischen Prozess erlaubt.
Betrachten wir nun einen der Beiträge in den Faktoren. Welche Möglichkeiten
gibt es für einen solchen elementaren Quark- und Lepton-Vertex? Der Vertex mit
der (4 4)-Matrix O im Dirac-Spinor-Raum,
Vertex D N O ;
248 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
hat 16 Komponenten. Sie lassen sich bezüglich ihrer Lorentz-Struktur in der folgen-
den Weise in 5 verschiedene Beiträge (mit 1, 1, 4, 4 bzw. 6 Komponenten) einteilen:
OSkalar D OS D 1 ;
OPseudoskalar D OP D 5 ;
OVektor D OV D ;
OAxialvektor D OA D 5 ;
OTensor D OT D :
Eine Messung der Winkelabhängigkeit im ˇ-Zerfall zeigt, dass eine Vektor- und
bzw. oder eine Axialvektorkopplung möglich ist. Eine Wechselwirkung mit einer
Vektorkopplung kann man mit
GF
M D p J J (5.1)
2
als eine Strom-Strom-Wechselwirkung schreiben, wobei die kleine Konstante GF
eine Art Kopplungskonstante der effektiven schwachen Wechselwirkung ist. Mit
einer festzulegenden Definition der Ströme ist ihr Wert gerade 1;2105 GeV2 [31].
Ein Beispiel für eine solche schwache Wechselwirkung ist in Abb. 5.1 dargestellt.
Die Frage, ob eine Vektor- oder eine Axialvektorkopplung erforderlich ist, lässt
sich nicht einfach beantworten. Sie berührt einen wichtigen Schritt in der Entwick-
lung der schwachen Wechselwirkung, der die Genialität erforderte, gewohnte Vor-
stellungen aufzugeben. Für diesen Schritt haben T. D. Lee und C. N. Yang [56, 159]
im Jahr 1957 den Nobelpreis bekommen.
Ein Problem war damals das folgende: Es gab Hinweise auf zwei Teilchen, die
und genannt wurden und die wegen ihrer offensichtlich geraden bzw. ungeraden
Parität in drei bzw. zwei Pionen zerfielen. Wegen der langen Zerfallszeit kam dabei
nur ein schwacher Prozess in Frage. Das Paradoxe bei diesen Teilchen war, dass sie
in jeder anderen Weise völlig identische Eigenschaften hatten.
Die Lösung des Paradoxons war, dass die Parität, die zur Klassifikation benutzt
wurde, in schwachen Wechselwirkungen nicht erhalten bleibt. In Wirklichkeit han-
delt es sich bei und um ein einziges Teilchen, das heute Kaon heißt und das
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 249
C D K C ! C 0
bzw.
C D K C ! C C :
Da die Parität in hadronischen und elektromagnetischen Wechselwirkungen gut ge-
testet war, wurde sie nicht in Frage gestellt und manchmal sogar in der Datenanalyse
verwandt. Lees und Yangs Hypothese beruhte auf der Beobachtung, dass ihre Er-
haltung bei der schwachen Wechselwirkung nicht wirklich untersucht war. Solche
Tests waren zwar im Prinzip möglich, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht,
z. B. die Richtungsabhängigkeit der emittierten Elektronen im ˇ-Zerfall von geeig-
neten polarisierten Kernen genau genug anzuschauen. Auf dieser Anregung wurde
von C. S. Wu und ihrer Gruppe ein Experiment durchgeführt, und es wurde nach-
gewiesen, dass die Parität in der Tat verletzt wird [57, 160, 161].
Was bedeutet das für unseren Vertex? Das Matrixelement muss also paritätsver-
letzende Anteile haben. Dies ist der Fall, wenn der Strom sowohl einen Axialvektor-
als auch einen Vektoranteil ( .OV C OA / .OV C OA /) hat. Das Quadrat des Ma-
trixelements enthält dann gemischte Beiträge ( .OV / .OA /), die ungerade unter
Paritätstransformation sind und die daher zur Paritätsverletzung führen müssen. Tat-
sächlich wird die Parität in geladenen leptonischen Strömen maximal verletzt: Der
Axialvektorstrom und der Vektorstrom treten mit gleicher Größe auf, und zwar (in
der benutzten Notation) mit identischen Vorzeichen.
Betrachten wir zunächst den leptonischen Strom. In schwachen Prozessen mit
geladenen Strömen tritt jeweils ein Übergang zwischen einem geladenen Lepton
und einem zugehörigen Neutrino auf. Der leptonische Strom der ersten Generation
ist daher
J D N Œe
.1 C 5 / Œe
:
Œe
(5.2)
Die schwache Wechselwirkung ist für jede der Generationen identisch. Man muss
in (5.2) nur e durch oder ersetzen. Der Strom der drei Generationen lässt sich
daher in der folgenden Weise zusammenfassen:
leptonisch Œe
Œ
Œ
J D J C J C J : (5.3)
Natürlich treten die konjugierten Ströme auf. Wie der Vektorstrom-Operator, so ist
auch der Axialvektorstrom-Operator von einer Konjugation nicht berührt. Analog
zu (4.20)
.0 /C D 0
gilt wegen .5 /C D 5 und 5 D 5 :
.0 5 /C D 5 .0 /C D 5 0 D 0 5 :
Eine Konjugation vertauscht nur die ein- und die austretenden Teilchen. Da aus-
tretende Teilchen im geeigneten kinematischen Bereich einlaufenden Antiteilchen
250 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
entsprechen und umgekehrt, folgt, dass Teilchen und Antiteilchen identische Strö-
me haben.
In der Summe tritt der Faktor .1 C 5 /=2 auf. Er ist ein Projektionsoperator, der
nur Beiträge linksdrehender Fermionen zulässt. Wegen des Verhaltens der Operato-
ren unter Konjugation gilt die Linkshändigkeit für beide Fermionen am Vertex.
Analog zum leptonischen Strom setzt sich der hadronische Strom aus den Beiträ-
gen der einzelnen Quarks zusammen, die die in (5.2) beschriebene Form haben. Das
gilt für die „lokalisierten“ Wechselwirkungen, wie sie in schwachen, tiefinelasti-
schen Wechselwirkungen zur Bestimmung der Quark-Verteilungen benutzt werden.
Die meisten Betrachtungen schwacher Prozesse betreffen allerdings Zerfälle.
Die Faktorisierungshypothese zwischen schwacher und hadronischer Wechselwir-
kung ist in diesem niederenergetischen Gebiet nicht berechtigt. Die Tatsache, dass
die Quarks in Hadronen gebunden sind, kann hier nicht immer vernachlässigt wer-
den. Um den Einfluss der hadronischen Wechselwirkungen zu berücksichtigen, de-
finiert man formal
Jhadronisch D N Œp
.gV C gA 5 / Œn
(5.4)
Œu!d 0
Œc!s 0
Œt !b 0
Jhadronisch D J C J C J
0 Œd 0
1
(5.5)
D N Œu
; N Œc
; N Œt
.1 C 5 / @ Œs 0
A :
Œb 0
Die Matrix, die die d; s; b -Quarks in die d 0 ; s 0 ; b 0 -Quarks transformiert, heißt Ko-
bayashi-Maskawa-Matrix:
0 Œd 0
1 0 10 Œd
1
Kobayashi-
@ Œs 0
A D @ Maskawa- A@ Œs
A : (5.6)
Œb 0
Matrix Œb
Abgesehen von einer kleinen komplexen Phase, die eine winzige Verletzung der
CP- oder der T-Invarianz einführt, gibt es drei Euler-Winkel. Die reellen Matrixele-
mente haben etwa die folgende absolute Größe [31]:
0 1
0;975 0;22 0;004
@ 0;22 0;974 0;043 A : (5.7)
0;010 0;045 0;999
Die Mischung in der Matrix ist am stärksten für Zustände der ersten beiden Ge-
nerationen. Oft spielt die dritte Generation keine Rolle. Unter Vernachlässigung
252 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
der Mischung mit höheren Generationen definiert man einen Cabibbo-Winkel und
schreibt
d0 cos C sin C d
D : (5.8)
s0 sinC cos C s
Da sin C kleiner ist als cos C , sagt man, die generationsändernden Prozesse (s !
u), die einen Faktor sin C enthalten, seien „Cabibbo-unterdrückt“, während die
anderen Prozesse (d ! u) „Cabibbo-erlaubt“ heißen.
Die Matrixelemente von Übergängen der ersten beiden Generationen sind in
dieser Näherung durch die Kopplungskonstante und durch den Cabibbo-Winkel
vollständig beschrieben. Für rein leptonische Prozesse tritt kein Cabibbo-Winkel
auf. Für semi-leptonische Prozesse hat man dabei einen Faktor
für die „erlaubten“ bzw. „verbotenen“ Prozesse, die in Abb. 5.2 dargestellt sind. Für
die hadronischen schwachen Prozesse sind zwei Faktoren zu berücksichtigen,
die den Beitrag der jeweiligen Prozesse entscheidend beeinflussen. Ein Beispiel für
eine solche Wechselwirkung ist in Abb. 5.3 dargestellt.
Gibt es Generationsübergänge im leptonischen Sektor? Man weiß heute, dass
Neutrinos nicht masselos sind, und die Antwort ist daher „ja“. Wie Interferenzbei-
träge auftreten, die zu Oszillationen im Flavor-Raum als Funktion des Abstands zur
Quelle führen, werden wir in Abschn. 5.1.3 am Beispiel des K0 =K0 ausführlich er-
läutern. Aus solchen Oszillationen können Differenzen von Massenquadraten und
Übergangswinkel bestimmt werden.
Ein Beispiel für eine Messung ist das Verschwinden von Sonnenneutrinos. Die
Fusion in der Sonne bewirkt die Emission von e -Leptonen, die auf dem Weg zur
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 253
K D .u;
N s/ ; KN 0 D .dN ; s/ ; K 0 D .Ns ; d / ; K C D .Ns ; u/ : (5.10)
s ! uN
N C :
sN ! u
Die Situation ist kompliziert, da die neutralen Kaonen ineinander übergehen kön-
nen. Ein Beispiel für einen solchen Übergang ist in Abb. 5.4 dargestellt. Er liefert
einen Beitrag zum nichtdiagonalen Übergang in einer (K 0 ; KN 0 )-Übergangsmatrix.
Entscheidend ist dabei die schwere c -Quark-Masse. Im Prinzip sind zwei Übergän-
ge innerhalb der ersten beiden Generationen möglich
Sie haben in den Cabibbo-Faktoren sin C cos C und cosC sin C entgegen-
gesetzte Vorzeichen, so dass sie sich bei gleicher u-Quark- und c-Quark-Masse in
den Propagatoren gegenseitig aufheben würden.
Ein ähnlicher zusätzlicher Beitrag kommt vom gekreuzten Prozess.
Man kann zeigen, dass Wechselwirkungen, mit denen Teilchen in sich selbst
übergehen, zur Masse der Teilchen beitragen. Bezüglich der starken Wechselwir-
kung ist die Masse der beiden neutralen Kaonen entartet. Ein „noch so“ schwacher
Prozess kann daher die Entartung in der Massenmatrix aufheben und die Position
der Masseneigenzustände bestimmen.
Wenn man von einer winzigen Korrektur, die wir im nächsten Abschnitt (5.1.4)
besprechen werden, absieht, hat die Massenmatrix des (K 0 ; KN 0 )-Systems mit der
Übergangsmatrix die folgende Form:
1 0 0 1
mK 0 C m :
0 1 1 0
Diese Matrix wird durch den symmetrischen und den unsymmetrischen Zustand
diagonalisiert. Der „Nebendiagonal“-Term trägt im symmetrischen Zustand
0
Klangsam K 0 C KN 0 D .Ns ; d / C .dN ; s/
mit einem negativen Vorzeichen zur Masse bei. Die so definierten geraden bzw. un-
geraden Zustände sind Eigenzustände der CP-Symmetrie (d. h. Ladungskonjugation
5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 255
0
CPKlangsam D CKlangsam
0
D Klangsam
0
:
Abgesehen von der erwähnten winzigen Korrektur sind dies die physikalischen Ei-
genzustände, die den beobachteten Teilchen entsprechen.
Für neutrale Kaonen sind die rein hadronischen, schwachen Zerfälle
0
Kschnell ! 2 Pionen
0
Klangsam ! 3 Pionen
wichtig, die mit etwa 100 % bzw. 34 % auftreten. Die Struktur des Prozesses war
in Abb. 5.3 dargestellt. Die CP-Parität des charge-symmetrischen 0 -Mesons ist
negativ. Je nach der CP-Parität des neutralen Kaons können daher entweder zwei
oder drei Pionen gebildet werden.
Das „Leben“ eines neutralen Kaons hat also die folgenden Stufen. Es wird zu-
nächst in einer hadronischen Wechselwirkung als K 0 oder KN 0 gebildet. Im Flug ist
0 0
es eine kohärente Überlagerung eines Kschnell - und eines Klangsam -Zustands. Falls es
hadronisch zerfällt, entpuppt es sich jeweils mit 50 %
als ein Kschnell
0
, das schnell in zwei Pionen zerfällt, oder
ein Klangsam , das langsam in drei Pionen zerfällt.
0
5.1.4 CP-Verletzung
wobei :CP bzw. :CPT einen die jeweilige Symmetrie verletzenden Beitrag be-
zeichnet.
Im letzten Abschnitt hatten wir gesehen, dass (K 0 • KN 0 )-Übergänge existieren,
die hier (m ¤ 0)-Beiträge bewirken, die die Entartung aufheben und die Eigen-
0
zustände Kschnell / K 0 C KN 0 und Klangsam
0
/ K 0 KN 0 entstehen lassen, die schnell
in zwei bzw. langsam in drei Pionen zerfallen.
Beobachtungen zeigen, dass es zu diesem Bild eine winzige Korrektur geben
0
muss. Auch im großen Abstand vom Produktionspunkt, wenn alle Kschnell -Meso-
nen zerfallen sind, treten trotzdem einige sehr seltene Zerfälle in zwei Pionen auf
(Verzweigungsverhältnis ca. 0;003). Dies ist nur möglich, wenn M:CP oder M:CPT
nicht verschwindet und der leicht gedrehte langlebige Eigenzustand eine winzige
K 0 C KN 0 Komponente hat.
Eine effektive CPT-Verletzung kann nicht theoretisch ausgeschlossen werden,
da das Labor kein abgeschlossenes System ist. Dass das K 0 im effektiven Schwe-
refeld der uns umgebenden Materie eine etwas andere Masse als das KN 0 hat, d. h.
dass M:CPT ¤ 0 ist [163], konnte damals nicht wirklich ausgeschlossen werden.
Heute haben Messungen der Gravitationskraft eine Genauigkeit erreicht, die unter
vernünftigen Annahmen die benötigte effektive CPT-Verletzung verbietet [164].
In einem Zwischengebiet, in dem zwei Pionen mit etwa gleichen Amplituden in
0 0
Klangsam -Zerfällen und in (schon seltenen) Kschnell -Zerfällen gebildet werden kön-
nen, tritt ein messbarer Interferenzterm auf, der dem CP- und nicht dem CPT-
verletzenden Beitrag entspricht und damit die CP-Verletzung nachweist.
Auf der Quark-Ebene lässt sich der CP-verletzende Beitrag durch einen winzi-
gen Imaginärteil in Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrixelementen parametrisie-
ren. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass es nur einen solchen imaginären Beitrag
geben kann.
Die unitäre Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix
0 1
uE1
@ uE2 A
uE3
96C1D4; (5.12)
wurde in (5.6) als Hilfsgröße, die selbst keine Bedeutung hat, eingeführt. Die ei-
gentliche Physik muss in den Masse-Matrizen liegen und dort verstanden wer-
den.
Wie äußert sich die CP-Verletzung in diesen Matrizen? Betrachten wir dazu die
Dirac-Gleichung (siehe 4.8) eines ruhenden Fermions:
@
i0 m D0:
@x0
Da 0 0 D 1 gilt:
@
D i0 m : (5.13)
@x0
In der Diskussion nach (5.2) hatten wir .1 ˙ 5 /=2 als Projektionsoperator ken-
nengelernt, der nur linkshändige bzw. rechtshändige Helizitätszustände zulässt. Die
Relation
0 .1 ˙ 5 / D .1 5 / 0 (5.14)
zeigt, dass der Massenterm in der Dirac-Gleichung nur unterschiedliche Helizitäts-
zustände verbindet. Die Viererspinoren der Dirac-Gleichung lassen sich als links-
und rechtshändige Teilchen- und Antiteilchen-Komponenten schreiben. Im Produk-
traum der drei Flavorzustände für links- bzw. rechtshändige Teilchen:
u.1/l ; .u.2/l ; .u.3/l ; u.1/r ; .u.2/r ; .u.3/r
Die Matrix muss hermitesch sein. Offensichtlich schränkt dies die Submatrix m
nicht ein. Aus der Forderung, dass beobachtbare Massenquadrate nicht von der geo-
metrischen Orientierung abhängen, folgt, dass m mC D mC m ist. Die Submatrize
m ist damit diagonalisierbar. Haben die Eigenwerte von m einen komplexen Anteil,
kann dies zu T- oder CP-Symmetrieverletzung und der entsprechenden Phase in der
CKM-Matrix führen. (Ein Teil der nicht verschwindenden Phasen lässt sich durch
eine Redefinition der Zustände vermeiden, und einige Phasen haben daher keine
physikalische Bedeutung. Das Abzählen der Parameter in der CKM-Matrix (sie-
he 5.12) zeigt, dass im Rahmen des Standardmodells eine Phase übrig bleibt, die
die messbare CP-Verletzung bewirken kann.)
Ob CP-Verletzung auch auf der leptonischen Seite als nicht verschwindende Pha-
se in der PMNS-Matrix auftritt, ist nicht bekannt.
258 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
Die CP-Verletzung ist eine fundamentale Beobachtung. Man ist der Ansicht, dass
die CPT-Symmetrie ungebrochen ist (siehe Abschn. 3.1.6). Eine CP-Verletzung ent-
spricht daher der Asymmetrie unter Zeitumkehr T, in der Prozesse rückwärts anders
ablaufen als vorwärts. Die CP-Verletzung könnte in der Kosmologie eine wichtige
Rolle spielen. In dem uns zugänglichen Bereich scheint es im Kosmos mehr Fer-
mionen als Antifermionen zu geben. (Die Größe des Beitrags niederenergetischer
Antineutrinos ist nicht bekannt.) Es wurde vorgeschlagen, dass die Antimaterie
durch einen CP-verletzenden Prozess in Materie verwandelt wurde. Die beobachte-
te CP-Verletzung scheint dazu jedoch viel zu klein.
Abb. 5.6 Eine Blasenkammeraufnahme eines Neutrinoereignisses mit einer neutralen Strom-
wechselwirkung (© Hasert, 1973 [167])
Hadron auftrat, muss es sich um den folgenden rein leptonischen Prozess gehandelt
haben:
C e ! C e ; (5.15)
bei dem ein Neutrino an einem Bahnelektron eines Atoms elastisch streut und die-
sem Elektron einen Teil seines Impulses abgibt. Ein vom Elektron emittiertes (selbst
unsichtbares) Photon ist indirekt für die übrigen sichtbaren Teilchenspuren verant-
wortlich.
Ähnliche Bilder existieren mit rein hadronischen, myonenlosen Endzuständen,
die durch einen semi-leptonischen Prozess der folgenden Art entstehen:
In den Jahren 1967 und 1968 haben S. Weinberg und A. Salam für die schwache
und für die elektromagnetische Wechselwirkung, d. h. für die QFD und für die QED,
eine gemeinsame, in sich konsistente Theorie vorgeschlagen [168, 169], die heute
allgemein als sogenanntes Standardmodell akzeptiert wird. Für die Entwicklung
des Modells und der zugrunde liegenden Konzepte haben Glashow, Weinberg und
Salam 1979 den Nobelpreis erhalten [170, 171, 172].
μ+ νμ νμ νμ
integriert wird und (virtuell) beliebig hohe Impulse auftreten können. Der Strom-
Strom-Vertex kann nur in einem begrenzten kinematischen Bereich unabhängig von
Impulsüberträgen sein.
Gemäß den Feynman-Regeln muss über die innere Zwei-Propagator-Schleife in-
tegriert werden. Dabei tritt ein Integral der folgenden Form als Faktor auf:
Z
1 1
d 4k :
6 k C m 6 kC 6 p C m
Es divergiert wegen der zu geringen Potenz (! 1=k 2 ) im Nenner.
Als Abhilfe führte man schon vor der Entwicklung der Weinberg-Salam-Theo-
rie schwere schwache Vektorbosonen ein, die dieses Problem beheben, ohne das
Niederenergieverhalten der schwachen Strom-Strom-Wechselwirkung zu ändern.
Die hadronischen schwachen und die leptonischen schwachen Ströme koppeln
dabei an dies schwache Vektorboson, das als ausgetauschtes Zwischenteilchen auf-
tritt, wie es in der Abb. 5.7 gezeigt ist. Entsprechend den drei verschiedenen La-
dungsübertragsmöglichkeiten bei der Strom-Strom-Wechselwirkung muss es drei
verschieden geladene schwache Vektorbosonen geben. Das schwache Vektorboson
spielt damit eine ähnliche Rolle wie das Photon in der QED und das Gluon in der
QCD. Das neutrale schwache Vektorboson wird daher manchmal „schweres Pho-
ton“ genannt.
Abgesehen von der Masse des schwachen Vektorbosons erhält man die Struktur
einer Eichtheorie. Der einzige Unterschied ist, dass anstelle des Photonpropagators
ein Propagator der Form
g g C q q =MW2
! (5.17)
q2 q 2 MW2
auftritt.
Im Gebiet kleiner Energien, d. h. im Gebiet der üblichen schwachen Wechselwir-
kungen, spielen die auftretenden Impulse keine Rolle gegenüber den Vektorboson-
massen. Im Zähler überlebt daher nur der erste Term und im Nenner der zweite. Der
Propagator wird einfach eine Konstante, deren geringe Größe für die „Schwach“-
heit der Wechselwirkung verantwortlich ist. Zusammen mit den Vertexfunktionen
(jeweils gw ) kann man sie in der gewohnten Weise als
1 g2
g p GF D g w2 (5.18)
2 MW
schreiben, so dass sich die korrekte Strom-Strom-Phänomenologie ergibt.
262 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
Mit dieser Zuordnung scheinen viele Probleme gelöst. Es verbleibt allerdings die
folgende, gravierende Schwierigkeit. Wenn z. B. das u-Quark und das d 0 -Quark in
einem Multiplett der schwachen Wechselwirkung sind, müssen sie bezüglich aller
anderen Wechselwirkungen, für die die schwache SU .2/ keine Rolle spielt, die-
selbe Struktur haben. Das ist bezüglich der QCD der Fall, beides sind Tripletts.
Bezüglich der QED ist diese Forderung nicht erfüllt. Beide Teilchen müssten mit
derselben Kopplung mit dem elektrischen Feld wechselwirken (d. h. sie bräuchten
dieselbe Ladung).
Um Weinbergs und Salams Lösung dieses Problems zu verstehen, ignorieren wir
zunächst die experimentelle Situation und führen ein „verkehrtes“ Photon
ein, das zu jedem Multiplett jeweils, wie erforderlich, nur eine Kopplung hat und
daher bezüglich der schwachen SU .2/-Gruppe ein Singulett ist. Die Existenz eines
Eichteilchens ist mit einer Symmetrie der Eichtheorie verbunden. Das verkehrte
Photon beruht auf der Invarianz unter Phasentransformation. Die Gruppe der Pha-
sentransformationen wird U.1/ genannt, und man spricht daher vom Eichteilchen
der U.1/.
In einer solchen Theorie gibt es, wie in Wirklichkeit, zwei neutrale Ströme, die
an das B bzw. an das W0 koppeln. Vom Experiment wissen wir, dass eines dieser
Eichbosonen, das Photon, masselos bleiben und das andere eine Vektorbosonmasse
erhalten muss. Die Weinberg-Salam-Hypothese besagt, dass alle Massen durch ei-
ne spontane Symmetriebrechung dynamisch entstehen. Wichtig ist dabei, dass die
Erzeugung der Massen völlig unabhängig von der Symmetrie der bisher betrach-
teten Fermion-Vektorboson-Wechselwirkung ist. Es besteht daher die Möglichkeit,
dass das, was das masselose Photon ist, und das, was das neutrale schwache Vek-
torboson ist, einer anderen Kombination der obigen Zustände entspricht. Wie bei
den Cabibbo-Winkeln könnten die Masseneigenzustände wieder gedrehte Zustände
sein. Mit einem geeignet definierten Drehwinkel, dem sogenannten Weinberg-Win-
kel W , kann man dann die Relation zwischen den Eichbosonen der SU .2/ und der
U.1/ und dem experimentell beobachteten Photon und dem massiven schwachen
Vektorboson als
0
Z cos W sin W W0
D (5.23)
A sin W cos W B
schreiben.
Die elektromagnetischen und die schwachen Wechselwirkungen treten nicht
mehr separat auf. Das Photon, das lange als das fundamentale Teilchen angesehen
wurde, verbleibt dabei als Mischung zwischen einem Singulett mit der „verkehr-
ten Photon“-Kopplung und einem Triplettzustand mit der (schwachen-Isospin)-
Kopplung. Da das Photon nun eine Komponente hat, die mit unterschiedlichen
Vorzeichen an die beiden Zustände des SU.2/-Dubletts koppelt, erreicht man zu-
mindest verschiedene elektrische Ladungen in den schwachen Multipletts. Kann
die Theorie die bekannten Kopplungen im Detail reproduzieren?
Betrachten wir zunächst die zweite Komponente von (5.23), die das Photon
beschreibt und deren Kopplungskonstanten den elektrischen Ladungen entsprechen
müssen. Beginnen wir mit der Ladungsdifferenz im schwachen SU .2/-Dublett
(d. h. mit QŒ
QŒe
D QŒu
QŒd
), die der Elektronenladung e entsprechen
muss. Für die betrachtete Differenz ist die „Ladung“ bezüglich des „verkehrten
Photons“ ohne Bedeutung, da sie in den Dubletts jeweils einen konstanten Wert
einnehmen wird. Die Größe ˙g=2 sei die Kopplung unter der SU .2/, die bei
bekannter Vektormesonenmasse durch die Wechselwirkung geladener
p Ströme fest-
gelegt ist (in Relation zur Konstanten in (5.18) gilt gw D g= 8). Diese Konstante
tritt in der Differenz zweimal auf, und es gilt daher
e D sin W g : (5.24)
264 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
Für die richtigen Ladungen verbleibt die Forderung, dass die Kopplung des „ver-
kehrten Photons“, die üblicherweise als g 0 yMultiplett bezeichnet wird, in jedem
schwachen Multiplett dessen mittlerer Ladung entspricht.
(Man spaltet die Konstante in eine universelle Kopplung g 0 und eine Hyperla-
dung yMultiplett auf. Dabei definiert man yeŒL
D 1.)
Für die mittlere Ladung spielt die SU .2/-Kopplung keine Rolle. Für linkshän-
dige Fermionen (durch ŒL
gekennzeichnet) gelten die folgenden Relationen:
Für rechtshändige Teilchen tritt nur die Kopplung an das verkehrte Photon auf.
Alle rechtshändigen Teilchen sind bezüglich des schwachen Isospins Singuletts.
Jedes der Teilchen kann daher jeweils seine eigene Kopplungskonstante haben:
cos W g 0 yeŒR
D e ;
cos W g 0 yŒR
D 0 ;
cos W g 0 yuŒR
D 2=3e ;
cos W g 0 yd 0 ŒR
D 1=3e :
Die drittelzahligen Ladungen treten für die Teilchen auf, die in drei Farbzuständen
vorkommen.
Man hat also den richtigen elektrischen Strom. Vertauscht man sin W mit cos W
und cos W mit sin W (siehe 5.23), erhält man die entsprechenden Kopplungen
an das massive neutrale Vektorboson. Die beobachteten Beiträge hängen natürlich
auch von der Masse des neutralen Vektorbosons ab. Die experimentellen Größen
dieser Wechselwirkungen ergeben zusätzliche Beziehungen zwischen Weinberg-
Winkeln und Vektormesonenmassen. Aus ihnen konnten die Massen der schwachen
Vektorbosonen vor ihrer Entdeckung bestimmt werden.
mit hoher Präzision festgelegt werden [31]. Seine Breite hängt von der Kopplung
des Z 0 an die Quarks und Leptonen und von den verfügbaren Zerfallskanälen ab.
Sichtbare Zerfälle sind im Einklang mit den Erwartungen.
Der genaue Wert der Breite enthält eine interessante Information. Zum Zer-
fall tragen auch die unsichtbaren Zerfälle bei, bei denen das Vektormeson in ein
Neutrino-Antineutrino-Paar zerfällt. Aus der Weite kann man daher die genaue
Zahl solcher Zerfallsmöglichkeiten, d. h. die genaue Zahl der ausreichend leich-
ten (m < m0Z =2/-Neutrinos bestimmen. Die Messung erlaubt es, die Zahl solcher
Neutrinos auf 3 (genau 2;92˙0;05) festzulegen. Die Neutrinos der ersten drei Gene-
rationen sind im Vergleich zur Z 0 -Masse masselos. Es ist vernünftig, anzunehmen,
dass eine mögliche vierte Generation auch ein solches Neutrino enthalten muss. Un-
ter dieser Annahme zeigen die Daten, dass eine weitere Generation ausgeschlossen
werden kann, auch wenn deren andere Teilchen außerhalb der erreichbaren Energi-
en läge.
Für Partonen in Hadronenstrahlen können wesentlich einfacher hohe Energien
erzeugt werden. Bevor e C e -Strahlen ausreichender Energien verfügbar waren,
konnte daher, wie gesagt, am SPS-Collider eine entsprechende Annihilation eines
Quarks und eines Antiquarks in das Z 0 -Boson nachgewiesen werden. Da dabei die
Partonenenergie nicht festgelegt werden kann, und da in hadronischen Streuvor-
gängen immer viele Teilchen produziert werden, besteht bei einem hadronischen
Experiment die Schwierigkeit, eine Handvoll interessanter Ereignisse mit solchen
Vektormesonen aus vielen Millionen anderen Streuungen herauszufinden. Dies war
möglich,
da im Zerfall oft Leptonen auftreten, und
da die Ereignisse eine deutlich andere Struktur als die üblichen Streuprozesse
haben.
Die Masse des Z 0 -Bosons konnte in einer aufwendigen Analyse mit etwa 1 GeV
Genauigkeit bestimmt werden. So gibt die UA2 Collaboration (1992) [173] den
Wert
MZ D 91;74 ˙ 0;28 ˙ 0;93 GeV
an, wobei der systematische und der statistische Fehler getrennt aufgeführt wurden.
Betrachten wir jetzt die geladenen Partner, die W ˙ -Bosonen. Obwohl sie wegen
ihrer geringeren Masse eigentlich häufiger produziert werden, sind sie viel schwerer
nachzuweisen. Das Problem ist, dass in ihren leptonischen Zerfällen ein Neutrino
auftritt, d. h. ein Teilchen, das nicht direkt beobachtet werden kann.
266 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen
Dass dies machbar war, d. h. dass bei, sagen wir, 200 Teilchen der fehlende Trans-
versalimpuls ausreichend genau bestimmbar war, ist der Punkt, an dem das gewal-
tige Ausmaß der Detektoren und der hohe Stand der Technik zum Tragen kamen.
Wie in Abb. 5.8 dargestellt, können geladene Vektorbosenpaare auch in e C e -
Vernichtung erzeugt werden. Die hierfür benötigte Energie wurde nur von LEP-2
erreicht. Die Energieabhängigkeit dieses Querschnitts konnte zur Bestimmung der
W ˙ -Masse benutzt werden. Bei den höheren LEP-2-Energien ist der Impuls der
Vektormesonen groß genug, um eine kinematische Identifikation ihrer Zerfallspro-
dukte zu erlauben. Dies erlaubte eine mit den (späteren) TEVATRON-Messungen
vergleichbare Präzision [31]:
In Kap. 4 des Buches hatten wir Eichfelder, Photon und Gluon kennengelernt.
Eichfelder sind Teil einer selbstkonsistenten Theorie. Unglücklicherweise haben sie
keine Massen, und sie sind daher nicht ohne Weiteres auf die massiven schwachen
Vektorbosonenfelder anzuwenden. Man kann geeignete Massenterme nicht einfach
in die Grundgleichungen einführen, da dies die Symmetrie in einer Weise verändern
würde, die die Renormierbarkeit, d. h. die Selbstkonsistenz der Theorie, zerstören
würde.
Mit einem neuartigen Vakuumkonzept hat man eine Möglichkeit gefunden, die
Symmetriebrechung ins Vakuum zu legen und so indirekt effektive Massen durch
Wechselwirkungen mit neuen, zusätzlichen skalaren Feldern, den Higgs-Feldern,
zu erzeugen, ohne die Struktur der Theorie zu zerstören.
Bei einer solchen dynamischen Symmetriebrechung entstehen normalerweise,
wie in Abschn. 3.1.11 gesagt, masselose „Goldstone“-Teilchen, die offensichtlich
nicht vorhanden sind. Der im Folgenden beschriebene Brout-Englert-Higgs-Me-
chanismus erklärt die Abwesenheit solcher masselosen Teilchen. Er erfordert ein
damals nicht bekanntes, neues massives Teilchen. Für die Vorhersage dieses jetzt
nachgewiesenen Teilchens haben die noch lebendenen Autoren Englert und Higgs
den Nobelpreis des Jahres 2013 erhalten.
Wie wir in (4.2) gesehen hatten, genügen freie skalare Felder der Klein-Gordon-
Gleichung:
@ @
i mi i : (6.1)
@x @x
φ ,φ0 φ+ , φ0
einzuführen. Wie ein harmonischer Oszillator in der klassischen Mechanik hat sie
einen kinetischen und einen Potenzial-Term. Ähnlich wie dort legt sie mit der Re-
lation:
@ @
@L=@ i @L=@ i D 0 ; (6.3)
@x @x
die Feldgleichung 6.1 fest. Hierbei werden Ableitungen der Felder .d=dx / i .D
.˙d =dx / i / wie unabhängige Variablen behandelt. (Die Notation mit hoch- und
tiefgestellten griechischen Indizes wurde bei (4.2) erklärt). Für geladene
P Felder de-
finiert man ˙ D 1 ˙ i 2 , und man benutzt die Relation D i i .
Die Wechselwirkung von Photonen mit skalaren Teilchen hatten wir in (4.24)
kennengelernt. Formal lässt sie sich als „minimale Kopplung“ einführen, bei der
in (6.1) oder (6.2)
@ @
durch D D ieA (6.4)
@x @x
ersetzt wird. Sie folgt aus einem allgemeinen Prinzip („lokale Eichinvarianz“), das
hier nicht erläutert wird.
Für die elektroschwachen Kopplungen gehen wir analog vor. Wir benutzen da-
bei die ursprünglichen Felder W , W0 , WC und B , die wir in (5.20) und (5.21)
eingeführt hatten. Die „Minimale Kopplung“ (mit p D i.@=@x/) erfordert nun
die folgende Ersetzung:
@ X
durch D D ip ig2 Wi i ig1 B (6.5)
@x
Die Lagrange-Funktion erlaubt es, die verschiedenen Faktoren, die in den Feyn-
man-Graphen zur Berechnung der Amplituden benötigt werden, herzuleiten. Das
Ergebnis ist intuitiv. Summanden in der Lagrange-Funktion mit zwei Feldern erge-
ben Massenterme. Die Größe der Massen ist dabei durch die Konstanten festgelegt.
Terme mit drei oder vier Feldern erlauben Übergänge, bei denen sich die Teil-
chenzahl entsprechend verändert. Lässt man in solchen Beiträgen zur Lagrange-
Funktion die Felder weg, erhält man die Vertex-Terme, die in den entsprechenden
Feynman-Graphen benötigt werden.
6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 271
Substituiert man den Ausdruck (6.5) in (6.2), erhält man einen Beitrag, wie er in
Abb. 6.1 graphisch dargestellt ist. Die genaue Bedeutung der skalaren Felder wird
später erklärt. Neben einem kinetischen Term proportional p 2 sieht man verschie-
dene Beiträge mit mehreren Feldern.
Das Higgs-Feld koppelt an das SU.2/ Triplett-Feld .W ; W0 ; WC /. Dies er-
fordert für die Higgs-Bosonen eine mindestens zweikomponentige SU.2/-Dublett-
Struktur, die Übergänge von einem in den anderen Zustand erlaubt. Die Kopp-
lungen seiner Komponenten an das .W ; W0 ; WC /-Triplett sind dann ˙g2 . Für
eine Kopplung an das Ur-Photon B muss dieses Higgs-Dublett eine Ladung (der
Größe „g1 “) tragen. Mit dem geladenen Dublett muss dann auch ein Antidublett
mit der entgegengesetzten Ladung (der Größe g1 ) existieren. (Die Relation zu
Abschn. 5.2 ist g1 D .1=2/g 0 und g2 D .1=2/g.) Insgesamt sind also, wie einge-
zeichnet, vier Higgs-Felder nötig.
Wie wir später sehen werden, haben zwei der Higgs-Felder einen nicht ver-
schwindenden Vakuumanteil. Sie müssen daher elektrisch neutral sein und ihre
Kopplungen an A müssen verschwinden. Gemäß (5.20) ist
N
In Abschn. 4.2.2 hatten wir gesehen, dass ein virtuelles Photon q q-Paare produzie-
ren und vernichten kann. Wegen der Unschärferelation kann sogar für kurze Zeit
ein selbst virtuelles q qN -Paar aus dem Nichts entstehen, und das Vakuum ist da-
her nie wirklich leer. Im feldtheoretischen Rahmen ist das Vakuum nicht mehr der
leere Raum. Das feldtheoretische Konzept ist, Teilchen wie Schallwellen in einem
Festkörper zu betrachten. Man fragt, wo sie erzeugt und wo sie absorbiert werden,
und ignoriert, was unkorreliert existiert. Das Vakuum ist dabei der nicht angeregte
Grundzustand.
272 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen
-h
1.5
0.5
0
-h
h
Abb. 6.2 Das Higgs-Potenzial
m2 0 2 00 2 2
Lpot: D C h2
(6.9)
8h2
kann der Potenzialterm wie in Abb. 6.2 aussehen.
Hier entspricht das Minimum nicht dem leeren Zustand mit 0 D 00 D 0 .
Es ist nicht einmal eindeutig festgelegt. Die Lagrange-Funktion ist symmetrisch
in 0 und 00 , und es gibt einen Ring von möglichen minimalen Zuständen. Die
Idee der spontanen Symmetriebrechung ist, dass das Vakuum in einem univer-
sellen Zufallsprozess sich einen Zustand aussucht. (Einige kosmologische Aspek-
te der Symmetriebrechung sind noch nicht verstanden.) Da die Lagrange-Funkti-
on selbst keine Symmetriebrechung enthält und da der Offset im Grenzwert ho-
her Energien, h
E , unbedeutend wird, ist die Renormierbarkeit nicht be-
rührt.
Für im Augenblick erreichbare Energieskalen interessieren winzige Auslenkun-
gen um den Vakuumzustand, und es ist daher angebracht, zu den in Abb. 6.3 ge-
zeichneten relativen Koordinaten überzugehen. In der Lagrange-Funktion (6.8) tre-
ten dann neben den Auslenkungsfeldern auch Beiträge mit der Konstanten h D
h.cos h ; sin h / auf, die für Massen verantwortlich sein werden.
6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 273
φh φh MW
2
mit
MW2 WD g22 j˚h j2 D g22 h2 : (6.11)
Zeichnet man in Abb. 6.1 Felder, die konstante Beiträge geworden sind, rot (bzw.
grau), ergibt sich die in Abb. 6.4 gezeigte Darstellung von (6.10):
Die Definition (6.11) und ein analoger Beitrag ergeben die Lagrange-Funktion:
1 2 C
LMasse.W / D MW W W C WC W : (6.12)
2
Mit zwei Feldern hat sie die Struktur eines Massenterms in der Lagrange-Funktion
des geladenen Vektormesons, und man hat damit eine effektive Theorie mit der
Masse MW .
Da der Formalismus Lorentz-invariant ist und massive Vektormesonen auch Zu-
stände mit verschwindender Helizität enthalten, müssen diese zusätzlichen Zustän-
de irgendwie mit der Symmetriebrechung entstanden sein. Da sich die Zustandszahl
insgesamt nicht ändern kann, müssen entsprechende Higgs-Bosonen „verspeist“
worden sein.
Kann man, ohne die Feldtheorie wirklich vorauszusetzen, verstehen, wie dies
zustande kommt? Berechnet man die S-Matrix zu einer bestimmten Ordnung in der
Feldtheorie, treten Produkte von Beiträgen der Lagrange-Funktion auf, in denen die
Felder, soweit sie nicht ein- oder auslaufen, durch Propagatoren ersetzt wurden. Die
Form der Propagatoren und die Behandlung von ein- und auslaufenden Zuständen
sowie die Anwendung der Feynman-Regeln zur Berechnung der Streumatrizen sind
aus Abschn. 4.1.5 bekannt. Der Propagator eines masselosen Spin 1 Vektorbosons
ist (in „Feynman-Eichung“):
i
D g
p2
Um die Behandlung von iterativen Prozessen zu verstehen, betrachten wir zu-
nächst die Propagation eines transversalen W C -Bosons (d. h. Helizität ¤ 0). Solche
Bosonen tragen zur in Abb. 6.5 skizzierten Wechselwirkung bei, die zu einem Ver-
2 φh
1
Ein solcher Term führt zu einem Übergang vom 0-Helizitäts-Zustand des Vektor-
bosons WC zum geladenen, zunächst noch masselosen Higgs-Boson C , wie er in
Abb. 6.6 dargestellt ist.
Es gibt einen weiteren solchen Beitrag, und der Vertex des Übergangs ist damit
g. C ! W C / D MW p
g. W C ! C / D MW p :
Zusammen führen die Massenterme in einer Iteration zu einer Masse des skalaren
Teilchens. Die Iteration ist in der Abb. 6.7 dargestellt.
Für den Propagator erhält man für n-Übergänge .n 1/ (p g p D p 2 ):
Y " .i / ! # n
i
n
ig0 .i / 0 .i / i i 2 1
p M
.i / W .p M W / D M W :
p 2 i D0 p2 p2 p2 p2
(6.14)
m2 hˇˇ ˇ2 i2 m2 ˇˇ ˇ2
Lpot: D 2
˚h C ˚jj ˇ h2 ˚jj ˇ
8h 2
gibt ihm eine Masse m (analog zu 6.10). Sie hängt nicht von der spontanen Symme-
triebrechung im Vakuum (d. h. von h2 ) ab. Anders als die „aufgegessenen“ Kompo-
nenten muss es als physikalisches Teilchen existieren.
Da seine Masse nicht direkt vorhersagbar war, wurde an vielen Beschleunigern nach
einem solchen Teilchen vergeblich gesucht. Erst nachdem der LHC die notwendige
Energie und Luminosität erreicht hatte, konnte es 2013 von der ATLAS- und der
CMS-Collaboration nachgewiesen werden [175, 176, 177, 178].
Die Detektoren haben dabei eine zentrale Rolle gespielt. Im Rahmen dieses
Buches soll wenigstens einer der beiden Detektoren etwas genauer beschrieben wer-
den [179].
Man hört oft, die Higgs-Suche sei so etwas, wie eine Nadel in einem Heuhaufen zu
suchen. Dieses Bild suggeriert, dass man den Haufen aufteilen kann, um ihn dann an
vielen Orten mit guten Computern zu durchforsten. Dies ist falsch. Der Querschnitt,
6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons 277
Abb. 6.8 Der ATLAS-Detektor (ATLAS Experiment, © CERN, 2013). Um die verschiedenen
Lagen zu sehen, sind vordere Komponenten entfernt
ein Higgs-Teilchen zu erzeugen ist zu klein für eine solche Analyse. Das richtige
Bild ist eine Anlage, durch die riesige Mengen Heu strömen, aus denen während
des Strömungsvorgangs mit schnellen Prozessoren ausreichend effizient eisenfreies
Heu abgetrennt wird, sodass dann für den zweiten Schritt eisenhaltige Heuhaufen
für die obige Analyse übrigbleiben.
Alle 50 ns treffen sich zwei Teilchenpakete. Das entspricht einer Frequenz von
20 MHz, viermal so schnell wie die Taktrate des ursprünglichen IBM-PCs. Um die
Luminosität zu erhöhen, soll 2015 der zeitliche Abstand sogar auf 25 ns reduziert
werden. Die Teilchendichte in den Paketen ist so hoch, dass es jeweils zu mehreren
Streuungen kommt („pile-up“):
2011 9 Streuungen pro Paketdurchlauf
2012 20 Streuungen pro Paketdurchlauf
Auch diese Zahl wird sich stufenweise weiter erhöhen. Es werden bald etwa eine
Milliarde Streuungen pro Sekunde sein. Von diesen werden etwa 200 pro Sekun-
de als möglicherweise interessant abgespeichert. Die Online-Rechenleistung ent-
spricht der von 3000 heutigen PCs. Für die Offline-Analyse steht weltweit eine
Rechenleistung von 100.000 PCs zur Verfügung.
Abb. 6.8 zeigt eine Darstellung des ATLAS-Detektors. Etwa 3000 Wissenschaft-
ler sind bzw. waren an seinem Bau und Betrieb beteiligt. Mit einem Durchmesser
von 25 m ist der Detektor 46 m lang. Seine Größe ist an den Figuren ersichtlich, die
fälschlicherweise keine bergmännischen Helme tragen, die 92 m unter der Oberflä-
che Pflicht sind.
Ohne auf die einzelnen Komponenten einzugehen, soll die Wirkungsweise er-
läutert werden. Sie ist in Abb. 6.9 dargestellt. Zunächst werden eng am Strahlrohr
Spuren vermessen. Aus der beobachteten Krümmung im zentralen 2-Tesla-Magnet-
feld können die Impulse der geladenen Teilchen bestimmt werden. Auch kann man
278 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen
im gewissen Umfang sehen, wo die Teilchen produziert wurden. Es folgt das elek-
tromagnetische Kalorimeter, das braun (bzw. dunkelgrau) eingezeichnet ist, und
dann das hadronische, das blau (bzw. hellgrau) eingetragen ist. Weit draußen, in ei-
nem Bereich, in dem alle anderen Teilchen zerfallen sind, werden dann die Myonen
in großflächigen Detektoren nachgewiesen
Dazu ist in der Abb. 6.10 die von der CMS-Collaboration gemessene Massen-
abhängigkeit des 4-Leptonen-Systems dargestellt. Die vier Leptonen konnten dabei
e
passende Elektronen oder Myonen mit Transversalimpulen p? > 7 GeV bzw. p? >
5 GeV sein. Sie mussten vom selben Wechselwirkungspunkt kommen, und eines
der Leptonenpaare musste im Massenbereich des Z0 liegen. Typischerweise ist im
Higgs-Bereich eines der Z0 nicht virtuell.
Im Massenbereich um 200 GeV, in dem zwei reelle Z 0 mit jeweils zwei Lepto-
nen beitragen können, wird ein konventioneller Beitrag beobachtet. Auch kann, wie
man sieht, ein Z 0 in die vier Leptonen zerfallen. Neu ist die Spitze um 125 GeV.
Sie beweist die Existenz eines zusätzlichen skalaren Higgs-artigen Teilchens.
Nimmt man die von beiden Collaborationen (auch in anderen Kanälen) beob-
achteten Massenwerte zusammen, erhält man:
MHiggs D 125;7 ˙ 0;7GeV :
Aus Winkelverteilungen konnten der Spin und die Parität
J P;C D 0CC
bestimmt werden. Der Ausschluss eines (J D 2)-Beitrags hängt von Annahmen
über die Kopplung eines solchen Teilchens ab. Da diese Quantenzahlen genau de-
men des Higgs-Teilchens entsprechen, geht man davon aus, das Higgs-Teilchen
gefunden zu haben.
Das Higgs-Modell enthält die fundamentale Annahme, dass das Vakuum nicht
dem leeren Zustand entspricht und dass Wechselwirkungen mit dem Vakuum für
die Massen verantwortlich sind. Seine Entdeckung bestätigt ein neuartiges Konzept
über die Entstehung von Massen.
Anders als für Vektormesonen gibt es für Fermionenmassen kein Problem mit der
Renormierbarkeit. Die Symmetrie zwischen linkshändigen und rechtshändigen Fer-
mionen verhindert, dass indirekt Massen entstehen. Unschön ist die große Zahl von
280 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen
LHiggs-Fermionen
links
links
D gd rechts
d 00 0 d
links gu rechts
u C; 0 d
links
u u
(6.16)
Es ist einer von mehreren ähnlichen Beiträgen. Die spontane Symmetriebre-
chung im Higgs-Bereich erzeugt dann den folgenden Massenterm, der einen Über-
gang von links- nach rechtshändigen Fermionen bewirkt:
LFermionen-Masse
00
links
links
D gd rechts
d 0 d
links gu rechts
u 0 h 0 d
links
u u
D md rechts
d
links
d C mu rechts
u
links
u
(6.17)
Der auch auftretende komplex konjugierte Beitrag ergibt den rechts- nach linkshän-
digen Beitrag.
Das Higgs-Modell der Fermionenmassen ist überprüfbar. Die Kopplungen an die
verschiedenen Higgs-Komponenten sind nicht frei wählbar. Die relativen Größen
der Massen legt die Kopplungen des sichtbaren Higgs-Teilchens an die Fermionen
fest.
Es gibt deutliche experimentelle Hinweise von h ! C und von h ! bb,
die auch diesen Anteil des Modells zu bestätigen scheinen. Zur Zeit (Ende 2013) ist
dieser Aspekt noch nicht entschieden [182].
Unsere Reise in den Mikrokosmos ist noch nicht zu einem Ende gekommen. Das
Ziel des Buches war es, bei jeder Skala einen Überblick über die bekannten Phäno-
mene zu vermitteln. Natürlich gibt es auf der theoretischen Seite viele interessante
Konzepte über die Physik, die bei noch kürzeren Abständen gilt und die die Grund-
lage der heutigen Physik bildet [90]. Zwei Fragen sollten hier angesprochen werden.
6.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-Bosonen Masse-Skala 281
Die eine betrifft die Entstehung der Masseskala des Higgs-Teilchens, die andere, ob
es bei höheren Energieskalen weitere Vereinfachungen geben kann, die über die
Vereinigung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkungen hin-
ausgehen.
Wie das Potenzial und die Masse des Higgs-Teilchens entstehen, ist noch nicht
geklärt. Im Konzept der spontanen Symmetriebrechung sind die Massen keine
fundamentale Eigenschaft der jeweiligen Teilchen, sondern ein „Niederener-
gie-Effekt“ der Higgs-Kondensation im Vakuum. Die einzige primäre Masse in
der Teilchenphysik ist die Planck-Masse. Die Frage ist, wie kommt man von
MPlanck 1019 GeV zu MHiggs 102 GeV.
Ein älteres Konzept beruht darauf, dass Kopplungskonstanten sich mit der Ener-
gieskala nur logarithmisch ändern. So nimmt man an, dass um 0,2 GeV die QCD-
Kopplung einen Wert erreicht hat, der (in der so genannten „chiralen Symmetrieb-
rechung“) zu einem Kondensat führt, das dann für die Konstituenten-Massen der
Quarks in der so erreichten Skala verantwortlich ist.
Unglücklicherweise funktioniert diese Methode für das skalare Higgs-Feld nicht.
Es gibt zwei Konzepte, diese Methode trotzdem anzuwenden. In der „Supersym-
metrie“ ergänzt man jedes bekannte Fermion mit einem bisher ungesehenen boso-
nischen Partner und umgekehrt. Auf diese Weise können Probleme mit dem ska-
laren Higgs-Boson umgangen werden. Man erhält eine ausreichend langsame Ent-
wicklung der Kopplungskonstanten. Im „Extra-Dimensionen“-Konzept verändert
man das Gravitationsgesetz bei kleinen Abständen und damit den Wert der echten
Planck-Masse. Die Annahme ist, dass man nur drei Raumdimensionen sieht, da die
Ausdehnung des geschlossenen Raumes in den anderen Dimensionen zu klein ist,
um mit verfügbaren Energien aufgelöst zu werden.
Eine Kritik an beiden Konzepten ist, dass Teilchenphysik und Kosmologie nicht
separat zu betrachten sind, da sie beide vom Vakuum abhängen. In der Kosmologie
gibt es Massenskalen, die weit unter der Planck-Masse liegen. Allerdings ist es in
solchen Modellen schwer zu verstehen, warum keine Variationen in Naturkonstan-
ten beobachtet werden.
Ein anderes wichtiges Konzept betrifft die Struktur der Eichfelder. Es versucht, die
Vereinigung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkungen mit
größeren Gruppen auf die Farb- und vielleicht auch auf die Generationsstruktur
auszudehnen. Dies wird „Theorie der Großen Vereinheitlichung“ (englisch: Grand
Unification) genannt. Man nimmt dabei an, dass für sehr lokale Wechselwirkungen
eine Eichtheorie, die auf einer größeren Gruppe basiert, gültig ist. Diese fundamen-
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3–5, 2013, Shanghai, China.
Sachverzeichnis
A Liste, 120–122
Alpha SPS (CERN), 117
-Strahlung, 10 Beta
-Zerfall, 33, 57, 72 -Strahlung, 10
Alphateilchen-Modell, 53 -Zerfall, 57, 69
Annihilation in Myonen, 210 Bethe-Weizsäcker-Formel, 32
anomales magnetisches Moment, 215 BFKL-Entwicklung, 241
Elektron, 216 Bhabha-Streuung, 211
Myon, 216 binary collision scaling, 189
Argand-Diagramm, 93 Bindungsenergie
asymptotische Freiheit, 220 Bindfaden-Konzept, 151
ATLAS-Detektor, 278 pro Nukleon, 22
atomare Masseneinheit, 21 Bjorken
Atommodell -Formel, 243
Rutherfordsches, 12 -Skalenverhalten, 230
Thomsonsches, 12 Bleibefaktor, 102
Austauschentartung, 168 Bohr
Austauschteilchen Magneton, 48, 215
Attraktion, 25 Postulate, 15
Hadronenstreuung, 158 Bootstrap-Konzept, 171
Reichweite, 26 Bosonen, 115
Repulsion, 25 Bottom-Quantenzahl, 133
Autofokussierung, 123 Bragg-Streuung, 23
Axialvektor-Beitrag, 70 Breit-Wignersche Resonanzkurve, 94
Axialvektorstrom, 249 Bremsstrahlung, 215
B C
Baryonen, 115 Cabibbo
Liste, 146 -Matrix, 252
-Zahl, 133 -Winkel, 252
Baumstruktur, 239 Callan-Gross-Relation, 230
Becquerel, 8 Charm, 133
begleitende Logarithmen, 239, 241 Chew-Frautschi-Plott, 154
Beschleuniger Cluster-Modell, 53
ILC (Japan), 123 CMS-Detektor, 279
LEP (CERN), 122 Compound-Zustände, 96, 98
LHC (CERN), 121 Compton-Streuung, 213
291
292 Sachverzeichnis
Resonanzabsorption, 68 Spiegelkerne, 16
Resonanzen und stabile Hadronen, 127 Spin-Bahn-Kopplung, 43
Resonanzstreuung, Ablauf, 129 Spur, 208
Röntgenstrahlung, 8 Standardmodell, 260
Rückwärtsstreuung, 157, 158 Statistisches Modell, 96, 98
Rutherford, 9 Stern-Gerlach-Experiment, 49
Atommodell, 14 Störungsrechnung
-Formel, 12 chirale, 153
Streuversuch, 12 Feynmansche, 203
und Soddy, 12 zeitabhängige, 199
Strahlenbelastung, 61
S Straßmann, Fritz, 80
Sättigungsgebiet, 233 Streuamplitude
Schalenmodell, 40 elastische, 88
Schmidt-Werte, 49 Partialwellen-, 91
schwache Prozesse Strom
rein hadronische, 247 Dirac-Gleichung, 199
rein leptonische, 247 Klein-Gordon-Gleichung, 195
semi-leptonische, 247 Strom-Strom-Wechselwirkung, 247
schwache Vektorbosonen, 260 Strukturfunktion, 228
Erzeugung, 264 SU(2)-Symmetrie, 28, 31, 131
Massen, 265, 266 SU(3)-Farbraum, 220
schwacher Strom SU(3)-Symmetrie, 132, 141
generationsmischender, 250 SU(5)-Symmetrie, 282
hadronischer, 250 Supernova-Explosion, 110
leptonischer, 249 Supersymmetrie, 281
schweres Photon, 261 Symmetrie der Anordnung
Schwerionenstreuung, 188, 241 up- und down-Quarks, 131
See-Quarks, 133 von Protonen und Neutronen, 31
sekundärer Teilchenstrahl, 124 Synchrotron, 116
Seltsamkeit (strangeness), 133 Synchrotronstrahlung, 122
separate Existenz
leichte Neutrinos, 258
T
Siliciumpixeldetektoren, 58
Tau-Neutrino-Nachweis, 252
Singularität
Teilchenproduktion
kollineare, 238
diffraktive, 174
weiche, 238
nichtdiffraktive, 175
Skalen
Temperatur von Zwischenkernen, 96, 98
typische, 1
Theory of Everything, 5
Skyrmion, 55
Theta-tau-Rätsel, 248
S-Matrix, analytische, 88, 161
Thomas-Fermi-Modell, 35
Soddy, 12
Thomson, J. J., 12
Sommerfeld-Watson-Transformation, 162
Sonnen-Neutrino, 252 Thomsonscher Querschnitt, 214
Sonnenneutrino, 259 Thorium, 12
Spallation, 105 tiefinelastische Streuung, 226
Speicherring, 120 topologische Entwicklung, 171
Spektrum Top-Quantenzahl, 133
Einteilchen-, 177 Tröpfchenmodell, 29
im Rapiditätszentrum, 183
Rapiditäts-, 180 U
Transversalimpuls-, 180 U(1)-Symmetrie, 262
Sphärizität, 185 universelle Klassifikation, 4
296 Sachverzeichnis
V inklusiver, 86
Valenz-Quarks, 133 topologischer, 86
Vektormesondominanz, 184 totaler, 91, 166
Vektorstrom, 249 Woods-Saxon-Potenzial, 41
Vielfachstreuung, 182
Y
W Yrast-Zustände, 55
Wechselwirkung zwischen Gluonen, 224 Yukawa-Meson, 25, 114
Weinberg-Salam-Theorie, 260
Weinberg-Winkel, 263, 267 Z
Weyl-Spinor-Gleichung, 199 Zeitumkehr, 140
Wick-Rotation, 153 Zentralität, 190
Wirkungsquerschnitt, 82 Zerfälle, 204
aus Matrixelement, 203 elektromagnetische, 128
differenzieller, 157 schwache, 128
diffraktiver, 174 starke, 130
Einheit, 85 Zweig-Regel, 151
elastischer, 85 Zwei-Jet-Ereignis am LHC, 236
im Regge-Modell, 165, 166 Zwischenkern, 95