AUSLAND

Julien de Rosa / AFP

Auf der Inselgruppe Mayotte, die zu Frankreich gehört, protestieren Frauen gegen die Regierung in Paris: Sie werfen ihr vor, nicht genug gegen
­illegale Immigration zu tun. Viele Afrikaner retten sich auf den zwischen Mosambik und Madagaskar gelegenen Archipel. Sie hoffen, dass
ihre dort geborenen Kinder nach französischem Recht mit 18 Jahren die französische Staatsbürgerschaft erhalten. Um das künftig zu verhindern,
will der Pariser Innenminister Gérald Darmanin nun sogar die Verfassung ändern.

Der neue Alte

INDONESIEN Was die Wahl eines 72-Jährigen
zum Präsidenten für das
Land bedeutet – und für die Welt
Prabowo Subianto feierte seinen Sieg in gewohnter Manier: tan-
zend auf der Bühne zu elektronischer Musik. Er hopste mal nach
rechts, dann nach links, die Arme hoch. Ein älterer Mann, der
wirklich nicht gut tanzen kann. Aber das stört seine Anhänger
nicht, im Gegenteil: Sie finden den 72-Jährigen »niedlich«. Wenn
die Hochrechnungen stimmen, hat am Mittwoch eine klare
Mehrheit den Verteidigungsminister zum nächsten Präsidenten
Indonesiens gewählt. Die Kandidatur war bereits Prabowos
­dritte. Und jetzt, da er die Macht endlich erlangt hat, stellt sich
die Frage: Was will er damit anfangen?
Die Antwort hat weit über Indonesien hinaus Bedeutung. Es
ist nicht nur das Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt
und den meisten Muslimen. Es liegt auch inmitten einer Region,
die als Bühne für das Kräftemessen zwischen China und den
USA dient, im Indopazifik. Prabowos Kritiker fürchten, der
künftige Präsident könnte der noch jungen Demokratie schaden.
Denn der Mann, der auf freundlichen Großvater macht, hat eine
dunkle Vergangenheit. Während seiner Zeit im Militär soll Pra-
bowo schwere Menschenrechtsverletzungen, Tötungen und will-
kürliche Festnahmen verantwortet haben – was er selbst bestrei-
tet. Als Politiker befand er die Demokratie seines Landes für in-
effizient. Aber Ängste, Indonesien könnte in den Autoritarismus
abrutschen, sind überzogen. Die Institutionen sind wehrhaft,
und das Land hat etwas, das anderen abhandengekommen ist:
eine junge Bevölkerung, die der Demokratie nicht überdrüssig
ist. Sondern findet, dass freiheitliche Werte der Grund sind, war-
um es Indonesien nach 32 Jahren Militärdiktatur so gut geht.
Sie erwartet, dass der Neue dort weitermacht, wo der Alte,
Joko Widodo, im Herbst aufhört. Der Ausbau der Infrastruktur
soll weiter vorangehen. In 20 Jahren will Indonesien eine der
größten Volkswirtschaften sein. Außenpolitisch wird wohl auch
Prabowo weiter zwischen China und dem Westen balancieren.
Wirtschaftlich setzt man auf Peking, militärisch lieber auf
­Washington. Indonesien, traditionell blockfrei, sieht sich nicht
als Spielball der Großmächte. Daran wird sich auch unter dem
neuen Präsidenten nichts ändern. Laura Höflinger

68 DER SPIEGEL Nr. 8 / 17.2.2024

 Adoption oder Raub
NORWEGEN Wurden sie geret-
tet oder geraubt? Diese Frage
stellen sich in Norwegen immer
mehr ehemalige Adoptivkinder
aus dem Ausland, seit Medien
über Ungereimtheiten berich-
ten. Es geht um Geldzahlungen,
fehlende Dokumente und Eltern
in fernen Ländern, die ihre Kin-
der nie weggeben wollten.
zuständige Abteilungsleiterin.
Ehemalige Adoptivkinder und
die drei führenden Vermitt-
lungsagenturen geben den Be-
hörden jedoch eine Mitschuld.
Jahrzehntelang hätten sie
­Dokumente nicht ausreichend
geprüft, in manchen Ländern
lange Zeit kaum vor Ort kont-
rolliert. Norwegen ist laut Erhe-
bungen vermutlich das Land
mit den meisten Auslandsadop-

Saleh Salem / REUTERS

Das Familienministerium in
Oslo hat inzwischen eine Unter-
suchungskommission einge-
setzt, die Versäumnisse in den
kommenden zwei Jahren auf-
arbeiten soll. Die zuständige
tionen pro Einwohner weltweit.
Staaten des Globalen Südens
lehnen das Konzept zunehmend Kinder in einem
Flüchtlingslager bei Rafah
ab. Auch in Schweden, Däne-
mark und in den Niederlanden
liefen zuletzt ähnliche Debat-

»Geiseln des Konflikts«

Aufsichtsbehörde will so lange
jedoch nicht warten und emp-
fiehlt, Auslandsadoptionen bis
auf Weiteres zu stoppen. Nur
23 Kinder, bei denen am Ver-
fahren keine Zweifel bestehen,
sollen noch ins Land geholt
werden. »Das Risiko illegaler
ten. In Dänemark gab die einzi-
ge Adoptionsagentur des Lan-
des jüngst bereits auf. »Wenn es
so weitergeht, sind auch wir in
GAZA Rettungssanitäter Sebastian Jünemann
sechs Monaten pleite«, sagte ein
Vertreter einer norwegischen zu seinem Einsatz in Rafah
Agentur dem SPIEGEL . Mögli-
cherweise kollabiert das System Jünemann, 46, ist SPIEGEL: In Rafah sollen sich
Tamara Steeg / CADUS

Praktiken ist real«, erklärte die
Hoffen auf die
Drachenbabys
CHINA Das Jahr des Drachen
gilt in China als besonders ver-
heißungsvoll – und als bester
Zeitpunkt für Nachwuchs. De-
mografen in der Volksrepublik
hoffen deshalb, dass das Dra-
chenjahr, das am vergangenen
Wochenende begonnen hat, das
Bevölkerungsproblem des Lan-
des lindern könnte: Chinas
Population schrumpft rapide.
Bis zum Jahr 2100, prognosti-
ziert eine Studie von Forschern
aus Shanghai und Melbourne,
könnte sie von 1,4 Milliarden
auf 525 Millionen fallen. Wäh-
rend die Pekinger Führung mit
ihrer bis 2015 geltenden
­Ein-Kind-Politik noch das Be-
völkerungswachstum begrenzen
wollte, steht sie nun vor dem
umgekehrten Problem: Die Ge-
burtenrate ist tatsächlich auf
Zhu Jipeng / Xinhua / IMAGO
so bald von allein. JPE seit knapp zwei
Wochen im Süden
des Gazastreifens.
fast exakt ein Kind pro Frau ge- Seine Hilfsorga-
sunken, die Sterberate zugleich nisation »Cadus«
­gestiegen. Bis Ende des Jahr- plant dort einen Einsatz von
hunderts könnte die Zahl drei Monaten.
der Chinesen im berufstätigen
Alter so auf 210 Millionen fal- SPIEGEL: Herr Jünemann, Ihr
len – ein Fünftel des Höchst- Team behandelt Verletzte
werts von 2014. und Schwerkranke in Rafah.
Bringen die »Drachenbabys« Womit kommen die Patienten
eine Trendumkehr? Paare legen zu Ihnen?
ihre Familienplanung mitunter Jünemann: Viele haben Verlet-
so, dass sie ein Kind in dem Jahr zungen von herumfliegenden
zur Welt bringen, das im zwölf- Trümmern, andere Patienten
teiligen Tierkreiskalender am zum Beispiel völlig entgleisten
meisten Glück verspricht. Als Diabetes. Beim Stand der moder-
der Drache 2012 zum letzten nen Medizin müsste niemand an
Mal dran war, verzeichnete Chi- Diabetes sterben. Aber in Gaza
nas Geburtsstatistik einen Auf- passiert das. Es fehlt an Medika-
wärtstrend. Ob sich das wieder- menten, das Gesundheitssystem
holt, ist angesichts der aktuellen ist zusammengebrochen. Zum
Wirtschaftskrise und der hohen Vergleich: In einer deutschen
Jugendarbeitslosigkeit jedoch Notaufnahme werden pro Tag
unsicher. Anders könnte es in vielleicht 50 Patienten versorgt –
anderen asiatischen Ländern in Gaza sind es Hunderte.
aussehen, die kulturell oder eth- SPIEGEL: Wie gut sind die Kran-
nisch chinesisch geprägt sind kenhäuser noch ausgestattet?
und mit einer ähnlichen Gebur- Jünemann: Uns fehlen Schmerz-
tenarmut hadern wie die Volks- mittel und Spezialverbände,
republik. In Singapur etwa legte etwa für Brandverletzungen. Die
Premierminister Lee Hsien Krankenhäuser sind zu Flücht-
Loong Paaren in seiner Neu- lingsunterkünften geworden,
jahrsrede ausdrücklich nahe, viele wissen nicht, wo sie sonst
mehr als 1,3 Millionen Menschen
aufhalten. Wie sieht es dort aus?
Jünemann: Normalerweise wird
in Flüchtlingscamps ein gewisser
Abstand zwischen Zelten ge-
wahrt, es werden Latrinen- und
Wasserstationen eingerichtet.
Das alles fehlt in Rafah. Denn es
gibt keine Institution, die sich
kümmert. Bald könnten große
Brände ausbrechen, weil die Zel-
te so eng stehen. Es wird nachts
unfassbar kalt, viele haben kaum
Kleidung bei sich. Die Menschen
versuchen, Feuer zu machen.
Alle Bäume sind längst gefällt,
nun verbrennen sie Wurzelholz
und Müll, den sie aus bombar-
dierten Häusern sammeln.
SPIEGEL: Wie wirken die Men-
schen auf Sie?
Jünemann: An den Gesichtern
ist abzulesen, wie lange sie je-
weils schon unterwegs sind, wie
lange sie Hunger leiden. Viele
wirken nur noch apathisch. Man-
che sagen, dass sie lieber sterben
wollen, als so weiterzuleben.
SPIEGEL: Israel will die Boden-
offensive auf Rafah ausweiten.
Wie reagieren die Menschen?
Jünemann: Zuletzt konnten wir
beobachten, dass viele nach Nor-
den aufbrechen. Eine Frontlinie,
wie in anderen Kriegen gibt es

Junge Familie in der Stadt Wuxi
»einen kleinen Drachen« zu hinkönnen. Da leben Tausende: hier nicht. Aber die Menschen
zeugen. In Taiwan appellierte im Hof, rund um die Gebäude, wissen zumindest, dass sie am
ein bekannter Mediziner, sich auch auf den Fluren. Manche ha- Wadi Gaza, also auf der Mitte des
den 8. Mai im Kalender anzu- ben Bettlaken gespannt, hinter Gazastreifens, nicht weiterkom-
streichen: Wer ein Drachenbaby denen sie schlafen. Natürlich men. Sie sind eingeschlossen. Man
wolle, müsse bis dahin tätig macht es das zusätzlich schwie- könnte sagen, sie sind auch Gei-
werden. CDI rig. Es herrscht absolutes Chaos. seln – Geiseln des Konflikts. THS

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