Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
2,
di schwarzi chatz
Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union in der Schweiz
www.faubern.ch | zeitung@faubern.ch
Im erstenTeil dieses Artikels der in den wäre. Ermordet wurde mein Mann in Frau, 1941 an die Gestapo ausgeliefert
der Ausgabe vom November/De- der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1934 habe. Wir veröffentlichten am 7. April
zember 2009 erschien ging es um in Oranienburg. Die Mörder sind der SS- einen Brief von Zensl Mühsam, die sich
die politischen Ränkespiele um Erich Kommandant von Eicke und Rottenführer in der Sowjet-Union befindet. Wir erhal-
Werner. Erich Mühsam war nicht nur ein ten heute die Zuschrift von Frau Gertrud
Mühsams Nachlass in deren Mitte
aufrechter und tapferer Revolutionär, Steier, Berlin, in der es heisst: „Ich lese
sich Zenzl Mühsam sah, um Zenzls sondern auch ein Dichter, der für die Zu- im heutigen Sozialdemokrat einen Arti-
Flucht vor den Nazis über Prag nach kunft bleiben wird. Ich lebe für diese Auf- kel: Wo ist Zensl Mühsam? Ich erhielt ge-
Moskau und über ihren Leidensweg gabe weiter. Ich bin Erbin vom Nachlass rade diese Tage von einer Genossin eine
in der Sowjetunion. und meines Mannes Wunsch war, dass ich Postkarte aus der Sowjet-Union, auf der
von dem, was er hinterlassen hat, lebe. auch die Genossin Zensl Mühsam einen
Wo ist Zenzl Mühsam? Seine ungedruckten Arbeiten befinden Gruss für mich schrieb. Wie unverschämt
Am 6. April 1948 – dem 70. Geburts- sich im Gorki-Museum in Moskau (Tage- lügt doch der Sozialdemokrat.“
tag Erich Mühsams – stellte der Berli- bücher 1905-1925). Diese Sachen habe
ner „Sozialdemokrat“ Die ND-Redaktion dazu:
eine Frage, die zu ei- „Wir fragen heute, wann
nem heftigen medialen wird der Sozialdemokrat
Schlagabtausch mit der der Wahrheit die Ehre
Redaktion des „Neues geben? Warten wir noch
Deutschland“ (ND), der einige Tage.“
Zeitung der Sozialis- Schnell verstummte die
tischen Einheitspartei Polemik des ND, als der
führte: „WO IST ZENZL Sozialdemokrat mehr-
MÜHSAM?“. Abge- mals die Überprüfung
druckt wurde ein Brief des Mühsam-Briefes
von Walter Hanke, den verlangte und ihn Per-
er an die ND geschickt sonen vorlegen lassen
hatte, der aber nicht ab- wollte, die Zensls Schrift
gedruckt wurde – die kannten. Nach vergebli-
ND-Redaktion behaup- chem Bemühen warf der
tete gar, er sei gar nicht Sozialdemokrat der ND
nie angekommen. Hanke Fälschung vor. Briefe-
wollte wissen, was aus schreiber Hanke, der die
Mühsam geworden war ganze Auseinanderset-
und erwähnte auch das zung auslöste, verlangte
Erlebnis von Margarete vom ND die Anschrift
Buber-Neumann. von Getrud Steier, die
Das Neue Deutschland angeblich die Postkarte
protestierte tags darauf von Mühsam erhalten
gegen die Redaktion haben wollte. Margare-
des Sozialdemokrat und te Buber-Neumann do-
warf dieser vor, sich kumentierte später den
durch „den angeblichen Briefwechsel zwischen
Brief eines Walter Han- Hanke und Steier in ih-
ke dazu verleiten liess, rem Sozialdemokrat-
die niederträchtigsten Zenzl Mühsam nach ihrer Odyssee Artikel „Tote Seelen
Verdächtigungen gegen im 20. Jahrhundert“
die Sowjetunion auszusprechen.“ Nach ich aus Deutschland gebracht und die (31.5.1949). Steier beantwortete mit je-
weiteren Vorwürfen trumpfte die ND auf Russen haben sie über den Krieg gerettet. weils grosser Verspätung Hankes Briefe
und behauptete, aus der Sowjetunion von Ich grüsse Sie und den Genossen Schlim- und behauptete sogar Mühsam komme
Zenzl Mühsam einen Brief erhalten zu me mit vielem Dank für das Gedenken bald nach Deutschland. Mit der Zeit ver-
haben und zitiert aus diesem: meines Mannes sandeten die Briefwechsel. Von Dr. Fritz
Eure Genossin Zensl Mühsam“ Löwenthal, Autor der 1948 in Berlin er-
„Ich habe in der Zeitung „Neues schienenen Schrift „Ihr Schicksal in der
Deutschland“ vom 18. September 1947 Am 8. April doppelte das ND nach: Sowjet-Union (Deutsche Kommunisten
gelesen, dass meinem Mann Erich Müh- als Opfer der NKWD)“, erfuhren Rocker
sam in Britz ein Gedenkstein gesetzt wur- „Zum Weitersagen.. Der 70. Geburtstag und Hanke im April 1949 neben teilweise
de. Da ich dadurch erfahren habe, dass des Dichters Erich Mühsam war bekannt- schon Bekanntem auch folgendes:
mein Mann nicht vergessen ist, möchte lich für den Sozialdemokrat gut genug,
ich sie darauf aufmerksam machen, dass die freche Behauptung aufzustellen, dass „Zensl Mühsam, (...) wurde gleichfalls
er am 6. April siebzig Jahre alt gewor- die Sowjet-Union Zensl Mühsam, seine 1936 in Moskau verhaftet, wahrschein-
lich, weil sie mit einem Bekannten von bezweifle ich lebhaft. Übrigens ist diese für Kaderfragen des Zentralkomitees
München her, Erich Wollenberg, dem die Freiheit schlimmer als ein Gefängnis im durchleuchtete sie und sie erhielt wie vie-
Flucht aus Moskau ins Ausland gelungen Westen.“ le andere ein Schweigegebot – über das
war, noch im Briefwechsel stand. Nach in der Sowjetunion Erlebte durfte nicht
einigen Monaten Haft wurde sie freige- Zenzl Mühsam war unterdessen im Fe- gesprochen werden. Finanziell ging es ihr
lassen; als sie aber den Wunsch äusserte, bruar 1949 zum dritten Mal verhaftet gut, neben einer NS-Verfolgten-Rente be-
Freunde in Amerika zu besuchen wurde worden, wieder wegen „Zugehörigkeit zu kam sie auch Erich Mühsams Ehrenrente.
sie neuerdings festgenommen und nach einer antisowjetischen trotzkistischen Or- Der Kampf um den Mühsam-Nachlass
Karaganda verschleppt. Erst Anfang ganisation“. Sie wurde zu „spezieller Ver- ging auch in der DDR weiter – 12‘000 im
1947 kam sie aus der Verbannung wieder bannung“ und zu Zwangsarbeit in einer Moskauer Maxim-Gorki-Institut ange-
nach Moskau zurück, völlig ausgezehrt Kolchose in einer „speziellen Siedlung“ fertigte Mikrofilmaufnahmen68 wurden
und über und über mit Schwären bedeckt. (Jelenka bei Nowosibirsk) verurteilt. 1956 nicht ihr, sondern dem ZK der SED,
Wie Paul Försterling, der in Moskau zu- Im August 1949 erschien in der BRD Abteilung für Wissenschaft und Propa-
rückgebliebene deutsche Verbindungs- Rudolfs Rockers Broschüre „Erich und ganda ausgehändigt. Die anarchistischen
mann zwischen KP/SEP, bolschewis- Zensl Mühsam – Gefangene bei Hitler Hintergründe von Mühsams Werk wur-
tischer Partei und NKWD, von seinen und Stalin. Der Leidensweg des berühm- den vom Regime gekonnt vernebelt. Mit
Parteigenossen Finsterling getauft, in ten anarchistischen Dichters und seiner ein Grund wieso sich Zenzl weigerte, der
einem Brief an Walter Ulbricht berich- Frau“ und wirft unangenehme Fragen Akademie der Künste testamentarisch die
tete, traf Zenzl Mühsam in schlechtem auf. Urheberrechte zu übereignen. Ab 1959
körperlichem und seelischem Zustand versuchte die Staatssicherheit Zenzl un-
in Moskau ein, wo Helene Stassova sich Freiheit im proletarischen Käfig ter Druck zu setzen. Kurz vor ihrem Tod
persönlich um sie bemühte. Försterling Im Juli 1954 – 17 Monate nach Stalins im Jahre 1962 überschrieb sie unerwartet
erbat besondere Direktiven, was mit ihr Tod – durfte Zenzl „auf Veranlassung des alle Urheberrechte Erich Mühsams an die
geschehen solle und liess durchblicken, Roten Kreuzes“ nach Iwanowo zurück- Akademie der Künste. Weder die Ansprü-
dass er ihre Entlassung nach Deutsch- kehren und bemühte sich dort um ihre che von Erichs Geschwistern in Palästina
land nicht befürworten könne. Offenbar Ausreise. Im März 1955 bekam sie nach noch Erichs Verfügung in seinem ver-
tat der Uriasbrief seine Wirkung. We- langen bürokratischen Auseinanderset- schwundenen Testament aus den 1930er
nigstens ist mir von einer Rückkehr Zensl zungen einen deutschen Pass, erholte sich Jahren, in dem er Zenzl und Rudolf Ro-
Mühsams nichts bekannt geworden. Dass in einem Moskauer Sanatorium und traf cker als Herausgeber wünschte, wurden
sie sich in Moskau in Freiheit befinde, im Juni 1955 in Berlin ein. Die Abteilung berücksichtigt.
Wandel
Von einem Rausch zum nächsten
Von einem Einkauf zum nächsten
Von einer Frau zur nächsten
Kontakt
FAU Bern FAU Zürich di schwarzi chatz/DA-Abos
www.faubern.ch www.fauzuerich.ch zeitung@faubern.ch
info@faubern.ch info@fauzuerich.ch