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Fortbildung

Pädagogik in der Praxis Prof. Dr. med.


Walter Dorsch
Elternfragen zum Thema Schule und Erziehung Kinder- und Jugendarzt
München
– unsere Experten beantworten Ihre Fragen aus
der Perspektive eines renommierten Pädagogen und
eines erfahrenen Kinderarztes. Prof. Dr. phil.
Klaus Zierer
Ordinarius für
Schulpädagogik
Universität Augsburg

Über Schulangst und verwandte Probleme

?
Florian ging stets gern in die Schule. In der dritten Klasse bekam er eine neue Lehrerin, er wurde immer
stiller. Die Eltern erfuhren, dass die Lehrerin Florian von den anderen Kindern weggesetzt hatte und er
nun allein saß. Er habe im Unterricht gestört, weil er mit den Rechnungen oft sehr schnell fertig gewesen
sei und dann den Nachbarn habe helfen wollen. Unmittelbar nach einem ­Gespräch zwischen den Eltern
und der Lehrerin wurde Florians Bank wieder deutlich näher zu den anderen gerückt.

! Prof. Dorsch: In diesem Fall konnte


dank einer frühen Intervention der El­
tern und einer raschen Einigung mit der
le und Eltern zukommen. Er kann einer­
seits die Eltern ermutigen, (möglichst
auf dem Dienstweg) das Gespräch mit
die anfänglichen Maßnahmen zur Be­
handlung einer Schulangst auf alle Ler­
nenden positiv wirken (auch wenn sie
Lehrerin, eine dauerhafte Lösung gefun­ der Lehrkraft, mit dem Vertrauenslehrer keine Schulangst haben). So kann man
den werden. Anderen geht es oft deutlich oder dem Schuldirektor zu suchen. Im ohne allzu große Sorge und Panik einen
schlechter. Vielfach verhärten sich die Extremfall kann er sich auch direkt für gemeinsamen Plan schmieden.
Fronten. Was kann der Kinderarzt nun seinen Schützling einsetzen, etwa durch Zu den wichtigsten Maßnahmen ge­
bei Schulangst tun? einen Brief an den/die obersten Vorge­ hören: eine differenzierte Leistungsdia­
Auf keinen Fall darf er unbesehen setzten, möglichst immer korrekt auf gnostik zur Feststellung von Unter- oder
durch Entschuldigungen den Rückzug dem Dienstweg. Ich persönlich habe das Überforderung, Analyse und Stärkung
des Kindes aus der Schule unterstützen. zweimal getan: Einmal wurde die Leh­ sozialer Kontakte, Reduzierung des
Das verschlimmert das Problem in der rerin entlassen, einmal musste ich mich Leistungsdruckes, zielgerichtetes Lob,
­
Regel. Prüfungen oder Auseinanderset­ überall entschuldigen. Vermitteln von Strategien, um in der
zungen mit Schulkameraden und Lehr­ Vorbereitung zu Prüfungen die Ruhe zu
kräften können natürlich Angst aus­
lösen und man muss den Kindern helfen,
sie zu überwinden, bevor sie sich als
! Prof. Zierer: Das gemeinsame Krite­
rium für Schulangst ist ihre Entste­
hung in der Schule. Für die Betroffenen
bewahren. Auch Lernpläne, „versteckte“
Leistungserhebungen zwischendurch,
Freundschaftspflege, Entspannungs­
Schulangst verselbstständigen. bleibt der Ursprung der Angst häufig übungen sowie regelmäßiger Schlaf sind
Der Kinderarzt wird abklären, ob eine diffus. Wir sprechen deshalb von Angst, zusammen mit Lernentwicklungs­
Über- oder Unterforderung, eine Teil­ nicht von Furcht (hier ist der Bezug klar gesprächen weitere konkrete Hand­
leistungsstörung (Lese-Rechtschreib- benennbar) oder von Phobie (hier liegen lungsempfehlungen. Greifen diese Maß­
Schwäche, Dyskalkulie u. a.), soziale die Ursachen außerhalb der Schule). nahmen nicht und kommt es zu weiteren
(Mobbing) oder familiäre Probleme be­ Je früher Schulangst erkannt wird, de­ gesundheitlichen Beeinträchtigungen,
stehen. Er muss aufmerksam zuhören, sto besser kann sie therapiert werden. ist der Weg zur schulpsychologischen
welche Probleme die Schulangst verur­ Bei einem entsprechenden Verdacht Beratungsstelle oder zum Kinderpsy­
sachen. Er wird, falls die Eltern die müssen alle Beteiligten offen miteinan­ chologen angezeigt.
Schulangst ihrer Kinder nicht als solche der sprechen und dem Kind schnellst­ Seien Sie aufmerksam und hören Sie
wahrnehmen, auch auf diskrete Hinwei­ möglich gemeinsam helfen. Dabei ist auch auf Nebenbemerkungen von Eltern.
se in dieser Richtung achten (z. B. Fingerspitzengefühl nötig, denn Schul­ Denn nicht selten erzählen Eltern
Bauchschmerzen, Schlafstörungen oder angst ist bei Eltern immer ein emotional ­nebenbei, was zu Hause so passiert und
Einnässen). Dem Kinderarzt kann auch heikles Thema. Berührungsängste lassen geben so wichtige Hinweise, um die Ge­
die Rolle des Vermittlers zwischen Schu­ sich durch den Hinweis entkräften, dass samtsituation besser einzuschätzen.

46 Pädiatrie 2021; 33 (1)

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