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Tanja Legenbauer

Silja Vocks

Manual der
kognitiven Verhaltens-
therapie bei Anorexie
und Bulimie
2. Auflage
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie
bei Anorexie und Bulimie
Tanja Legenbauer
Silja Vocks

Manual der kognitiven


Verhaltenstherapie
bei Anorexie
und Bulimie
Mit weit über 100 Arbeitsblättern und Abbildungen, auch online
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Prof. Dr. rer. nat. habil. Tanja Legenbauer
LWL Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Fachgebiet Klinische Psychologie und Psychotherapie
Hamm, Deutschland

Prof. Dr. rer. nat. Silja Vocks


Universität Osnabrück
Institut für Psychologie
Fachgebiet Klinische Psychologie und Psychotherapie
Osnabrück, Deutschland

Die Arbeitsblätter finden Sie auf extras.springer.com


http://extras.springer.com ISBN: 978-3-642-20384-8
2. Auflage 2014. Korrigierter Nachdruck 2018

ISBN 978-3-642-20384-8    ISBN 978-3-642-20385-5 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5

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V

Vorwort

Obwohl die Essstörungen Anorexia und Bulimia und der Gewichtssteigerung sowie kognitiven In-
nervosa nicht zu den häufigsten Erkrankungen terventionen auch Übungen zur Verbesserung der
zählen, sind sie klinisch hoch relevant, da beide Emotionsregulation, zur Steigerung der sozialen
Formen der Essstörungen gravierende körperli- Kompetenz und der Überwindung des negativen
che, psychische und soziale Konsequenzen nach Körperbildes enthält. Das vorliegende Behand-
sich ziehen können. Die Behandlung der beiden lungsprogramm stellt zunächst eine Übersicht
Erkrankungen stellt dabei eine besondere Her- über den Forschungsstand vor mit ausführlichen
ausforderung dar mit teilweise immer noch un- Informationen zur Symptomatik und Diagnostik
befriedigenden Erfolgen. In den letzten Jahren sowie zur Ätiologie und Behandlung der Anorexia
konnten jedoch verschiedene Forschungsarbeiten und Bulimia. Der sich anschließende Praxisteil ist
das Verständnis um die Entstehung und Aufrecht- in verschiedene Behandlungsmodule gegliedert,
erhaltung der Störung weiter verbessern. Damit ist wobei Ernährungsmanagement, kognitive Techni-
eine Grundlage für die Entwicklung ergänzender ken und Rückfallprophylaxe als Standardmodule,
Therapieelemente gelegt, die zur Verbesserung der Emotionsregulation, soziale Kompetenzen, Techni-
Therapieerfolge beitragen können. ken zur Verbesserung des Körperbildes und Übun-
gen zum Ressourcenaufbau als Ergänzungsmodule
So erscheint die Anwendung von Motivierungs- verstanden werden können. Sämtliche Kapitel ent-
techniken eine sinnvolle Ergänzung der Ess- halten alle Arbeitsblätter als Beispielversionen am
störungsbehandlung zu sein, da durch diese Ende des Kapitels. Zudem sind alle Arbeitsblätter
Vorgehensweise die zumeist geringe Änderungs- zusätzlich als Beispiel und als Blankoversion auf
motivation erhöht werden kann. Eine weitere, aus http://extras.springer.com online zu erhalten. Im
der Erforschung der Rolle kognitiver Prozesse an Text sind außerdem Beispieldialoge zur Durchfüh-
der Auslösung und Aufrechterhaltung von Essstö- rung der verschiedenen Übungen beschrieben.
rungen kommende Änderung ist die stärkere Ein-
beziehung von Grundannahmen, die nicht direkt Das vorliegende Behandlungsprogramm wird seit
mit der Essstörung assoziiert sind wie niedriges 2002 im Behandlungsschwerpunkt Essstörungen
Selbstwertgefühl und extremer Perfektionismus. der Poliklinischen Institutsambulanz, Abteilung
Des Weiteren erwies sich beispielsweise die Ad- Hochschulambulanz für Forschung und Lehre der
aption von Techniken aus der dialektisch-behavi- Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Einzel-
oralen Therapie als hilfreich für Patientinnen mit als auch Gruppensetting eingesetzt. Verschiedene
einer Essanfallssymptomatik, die im Rahmen von Studien zeigten eine gute Wirksamkeit des Pro-
Skillstrainings erlernen, alternative Methoden zur gramms auf die unterschiedlichen Facetten der
Bewältigung negativer Emotionen anzuwenden. Essstörungssymptomatik. Im Rahmen der Überar-
Zudem ergeben sich Hinweise darauf, dass Pati- beitung der ersten Auflage wurden die dargestellten
entinnen mit Essstörungen größere Defizite in der Forschungsbefunde aktualisiert, die Arbeitsblätter
Bewältigung interpersonaler Konflikt- und Belas- wurden grundlegend neu gestaltet und stellenweise
tungssituationen erleben, die im Rahmen eines Übungen modifiziert. Wir hoffen, mit der Überar-
Trainings sozialer Kompetenz aufgegriffen werden beitung des umfassenden Gesamtbehandlungspro-
können. Ein weiterer wichtiger Behandlungsbau- gramms einen Beitrag zur weiteren Verbesserung
stein stellt zudem die Behandlung der Körperbild- der Essstörungstherapie geleistet zu haben.
störung dar, da gezeigt werden konnte, dass sich
durch die Verbesserung des negativen Körperbildes Tanja Legenbauer und Silja Vocks
auch die generelle Essstörungssymptomatik redu- Hamm und Osnabrück, im Winter 2013
ziert.

Das Ziel dieses Therapiemanuals liegt nun darin,


diese Forschungsbefunde aufzugreifen und Psy-
chotherapeuten ein umfassendes Behandlungspro-
gramm zur Verfügung zu stellen, das neben den
Standardtechniken zum Ernährungsmanagement
Inhaltsverzeichnis

I Theoretischer Teil – zu den Störungen

1 Beschreibung der Störungsbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


T. Legenbauer, S. Vocks
1.1 Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.2 Diagnosekriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.1.3 Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.1.4 Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.1.5 Risikofaktoren, Verlauf und Prognose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2 Bulimia nervosa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2.1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2.2 Diagnosekriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2.3 Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.2.4 Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.2.5 Risikofaktoren, Verlauf und Prognose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.3 Essstörungen bei Männern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2 Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia


und Bulimia nervosa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
T. Legenbauer, S. Vocks
2.1 Prädisponierende Faktoren für Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.1.1 Biologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.1.2 Soziokulturelle Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.1.3 Familiäre Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.1.4 Individuelle Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.2 Auslösende Faktoren von Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.3 Aufrechterhaltende Faktoren von Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.3.1 Gezügeltes Essverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.2 Stress, Coping und Emotionsregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.3 Dysfunktionale Informationsverarbeitungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.4 Exkurs: Mikroanalyse von Essanfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.4.1 Definition von Essanfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.4.2 Auslösende Faktoren für Essanfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.4.3 Funktion des Essanfalls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

3 Therapieansätze und ihre Wirksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39


T. Legenbauer, S. Vocks
3.1 Kognitiv-behaviorale Behandlungsansätze bei Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.1.1 Kurzfristige Strategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.1.2 Langfristige Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.2 Wirksamkeit von kognitiv-behavioralen Therapieansätzen bei Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.2.1 Anorexia nervosa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.2.2 Bulimia nervosa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
VII
Inhaltsverzeichnis

3.2.3 Wirksamkeit von Gruppentherapie bei Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43


3.3 Weitere psychotherapeutische Ansätze im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.3.1 Interpersonelle Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.3.2 Dialektisch-behaviorale Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.3.3 Systemische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.3.4 Psychodynamisch orientierte Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3.3.5 Familientherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.3.6 Selbsthilfeprogramme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.3.7 Pharmakotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

4 Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
T. Legenbauer, S. Vocks
4.1 Medizinische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
4.2 Strukturierte Interviews. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4.2.1 Diagnosestellung der allgemeinen Psychopathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4.2.2 Essstörungsspezifische Diagnosestellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4.3 Fragebögen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.3.1 Anamnese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.3.2 Essstörungssymptomatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.3.3 Weitere Symptombereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.3.4 Retrospektive Erfolgsmessung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.4 Selbstbeobachtungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.4.1 Dokumentation der Nahrungsaufnahme zum Behandlungsbeginn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.4.2 Weitere Anwendungsbereiche von Ernährungsprotokollen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
4.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.6 Fragebogen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

II Zum Therapieprogramm

5 Hinweise zur Nutzung des Therapieprogramms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69


T. Legenbauer, S. Vocks
5.1 Aufbau des Therapieprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
5.2 Einsatz des Manuals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.3 Einsatz einzelner Module. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
5.4 Auswahl des Settings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
5.5 Besonderheiten bei der Behandlung von Männern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
5.6 Arbeitsblätter und ergänzende Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

III Praktischer Teil

6 Behandlung in Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
T. Legenbauer, S. Vocks
6.1 Gruppentherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
6.1.1 Grundkonzept der Gruppentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
VIII Inhaltsverzeichnis

6.1.2 Besonderheiten in der gruppentherapeutischen Behandlung von Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80


6.2 Stärkung der Gruppenkohäsion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
6.2.1 Beschreibung von Gruppenwirkfaktoren und Therapeutenvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
6.2.2 Interventionen zur Stärkung der Gruppenkohäsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
6.3 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
6.4 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

7 Motivierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
T. Legenbauer, S. Vocks
7.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
7.2 Phasenmodell der Veränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
7.2.1 Beschreibung der einzelnen Phasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
7.2.2 Empirische Befunde und Implikationen des Phasenmodells im Bereich der Essstörungsbehandlung. . . . . . 90
7.3 Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
7.3.1 Psychoedukation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
7.3.2 Abwägen der Vor- und Nachteile der Essstörung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
7.4 Volition: Die Aufrechterhaltung von Absichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
7.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
7.6 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

8 Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele . . . . 101


T. Legenbauer, S. Vocks
8.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
8.2 Erarbeiten des individuellen Störungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
8.2.1 Prädisponierende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
8.2.2 Makroanalyse der auslösenden Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
8.2.3 Aufrechterhaltende Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
8.3 Ableitung der Therapieziele und therapeutischen Interventionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
8.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
8.5 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

9 Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119


T. Legenbauer, S. Vocks
9.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
9.2 Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
9.2.1 Motivierung zur Veränderung des Essverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
9.2.2 Einführung und Auswertung der Essprotokolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
9.2.3 Etablierung strukturierter Esstage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
9.2.4 Maßnahmen zur Gewichtssteigerung und -stabilisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
9.2.5 Exkurs: Wahrnehmung von Hunger und Sättigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
9.2.6 Gemeinsames Kochen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
9.3 Interventionen zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
9.3.1 Analyse von Auslösesituationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
9.3.2 Interventionen zur kurzfristigen Emotionsregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
9.3.3 Nahrungsmittelexposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
9.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
9.5 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
IX
Inhaltsverzeichnis

10 Kognitive Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159


T. Legenbauer, S. Vocks
10.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
10.2 Das zugrunde liegende Wertesystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
10.2.1 Identifikation des zugrunde liegenden Wertesystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
10.2.2 Modifikation des zugrunde liegenden Wertesystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
10.3 Automatische Kognitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
10.3.1 Identifikation automatischer Kognitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
10.3.2 Modifikation der automatischen Gedanken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
10.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
10.5 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

11 Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183


T. Legenbauer, S. Vocks
11.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
11.2 Wahrnehmung von Gefühlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
11.2.1 Arten von Gefühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
11.2.2 Entstehung von Gefühlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
11.2.3 Funktion von Gefühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
11.2.4 Identifikation eines Gefühls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
11.3 Bewältigung von negativen Gefühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
11.3.1 Einführung eines Stressmodells. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
11.3.2 Palliativ-regenerative Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
11.3.3 Kognitive Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
11.3.4 Einsatz der vermittelten Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
11.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
11.5 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

12 Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205


T. Legenbauer, S. Vocks
12.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
12.2 Kommunikationstraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
12.2.1 Nonverbale Aspekte der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
12.2.2 Verbale Kommunikationsfertigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
12.2.3 Einführen eines Kommunikationsmodells. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
12.3 Aufbau selbstsicheren Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
12.3.1 Interventionen zur Steigerung von selbstsicherem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
12.3.2 Vermittlung eines Problemlöseschemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
12.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
12.5 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

13 Interventionen zur Veränderung des Körperbildes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231


T. Legenbauer, S. Vocks
13.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
13.2 Vorstellung des Modells der Körperbildstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
13.3 Imaginationsübungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
13.3.1 Imaginationsübung „Körperreise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
13.3.2 Imaginationsübung „Gedanken sammeln“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
X Inhaltsverzeichnis

13.4 Abtast- und Zeichenübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237


13.4.1 Abtasten und Zeichnen des eigenen Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
13.4.2 Übung zur Fremd- und Selbstwahrnehmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
13.5 Modellierübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
13.6 Spiegel- und Videokonfrontationsübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
13.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
13.8 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

14 Förderung von Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253


T. Legenbauer, S. Vocks
14.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
14.2 Interventionen zur Steigerung des Selbstwertgefühls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
14.2.1 Vermittlung von Informationen zum Aufbau des Selbstwertgefühls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
14.2.2 Übungen zur Steigerung des Selbstwertgefühls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
14.3 Etablierung einer ausgewogenen Energiebilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
14.3.1 Überprüfung der Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
14.3.2 Abbau von Energiefressern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
14.4 Interventionen zur Steigerung der Genuss- und Entspannungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
14.4.1 Genusstraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
14.4.2 Übungen zur Steigerung der Entspannungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
14.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
14.6 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

15 Rückfallprophylaxe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
T. Legenbauer, S. Vocks
15.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
15.2 Bilanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
15.3 Identifikation zukünftiger Risikosituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
15.4 Erarbeitung von Strategien zur Überwindung von Risikosituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
15.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
15.6 Arbeitsblätter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
XI

Autorenadressen

Legenbauer, Tanja, Doz. Prof. Dr. rer. nat.


Klinische Psychologie und Psychotherapie
LWL Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Heithofer Allee 64
59071 Hamm
E-Mail: tanja.legenbauer@wkp-lwl.org

Vocks, Silja, Prof. Dr. rer. nat.


Universität Osnabrück
Fachbereich Humanwissenschaften
Institut für Psychologie
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Knollstraße 15
49069 Osnabrück
E-Mail: Silja.Vocks@uni-osnabrueck.de
1 I

Theoretischer Teil –
zu den Störungen
Kapitel 1 Beschreibung der Störungsbilder – 3
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 2 Theoretische Grundlagen zur Entstehung


und Aufrechterhaltung von Anorexia und
Bulimia nervosa – 23
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 3 Therapieansätze und ihre Wirksamkeit – 39


T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 4 Diagnostik – 51
T. Legenbauer, S. Vocks
3 1

Beschreibung
der Störungsbilder
T. Legenbauer, S. Vocks

1.1 Anorexia nervosa – 4


1.1.1 Epidemiologie – 4
1.1.2 Diagnosekriterien – 6
1.1.3 Symptomatik – 7
1.1.4 Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen – 11
1.1.5 Risikofaktoren, Verlauf und Prognose – 11

1.2 Bulimia nervosa – 13


1.2.1 Epidemiologie – 13
1.2.2 Diagnosekriterien – 13
1.2.3 Symptomatik – 15
1.2.4 Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen – 17
1.2.5 Risikofaktoren, Verlauf und Prognose – 17

1.3 Essstörungen bei Männern – 18


1.4 Zusammenfassung – 18
Literatur – 19

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

Klinisch relevante Formen gestörten Essverhaltens sind wiesen, widersetzte sich aber jeglicher künstlichen Ernährung
1 zunächst in Form der Anorexia nervosa (AN), seit 1980 und auch sonstiger Behandlung. Das Behandlungsteam ent-
auch in Form der Bulimia nervosa (BN) in den internati- schied daher, ihre Lebensweigerung anzuerkennen und die
2 onalen Klassifikationssystemen der American Psychiatric Behandlung einzustellen. Die Patientin starb wenige Tage
Association APA (Diagnostic and Statistical Manual of später (Hebert und Weingarten 1991).
Mental Disorders, DSM-5; American Psychiatric Associa-
3 tion, 2013) sowie der Weltgesundheitsorganisation WHO » Anorexia nervosa ist die psychische Krankheit mit der
(International Statistical Classification of Diseases and höchsten Sterblichkeitsrate (David Herzog, Professor
4 Related Health Problems, ICD-10, Dilling et al. 2000) ent- of Psychiatry, University of Harvard, USA; Boston
halten. In der fünften, revidierten Fassung des DSM sind Today 2001).
5 neben einer Überarbeitung der Kriterien für die Hauptka-
tegorien Anorexia und Bulimia nervosa auch die Kriterien
der Binge-Eating-Störung als eigenständige Form der Ess- 1.1.1 Epidemiologie
6 störung aufgeführt (de Zwaan und Herzog 2011). Zudem
gibt es im DSM-5 Definitionen für nicht näher bezeichnete zz Prävalenz
7 Essstörungen, die in etwa den atypischen Formen der Ano- Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Zahlen zur Auftre-
rexia und Bulimia nervosa im ICD-10 entsprechen. tenshäufigkeit psychischer Erkrankungen zu erhalten
Das zentrale Symptom dieser Störungsgruppe wird ins- (Fichter 2011). Die meisten epidemiologischen Studien
8 besondere in den auffälligen Veränderungen des Essver- werden dabei als 2-Phasen-Studie durchgeführt. Zum ei-
haltens gesehen, welche sich einerseits in pathologischem nen können Zahlen zur Behandlung von Betroffenen aus
9 Umgang mit Nahrung wie beispielsweise in Form von Un- sog. Fallregistern herangezogen werden, zum anderen, und
fähigkeit eine ausreichende Nahrungsmenge aufzunehmen das ist das sauberste Vorgehen zur Bestimmung repräsen-
10 bei der Anorexia nervosa oder in Form von Essanfällen tativer Stichproben, können aus Gemeinderegistern der
bei bulimischen Patientinnen, andererseits in einer über- Städte repräsentative Bevölkerungsstichproben gezogen
mäßigen Beschäftigung mit den Themen Figur, Nahrung werden (Fichter 2008). Eine so gewonnene Stichprobe wird
11 und Gewicht wiederfinden lässt. Ebenso charakteristisch nach Symptomen anhand von Fragebögen gescreent. Die
für psychogene Essstörungen sind zudem Störungen des auf diese Weise identifizierten Risikofälle werden in der
12 Körperbildes sowie Selbstwertprobleme in Form von In- zweiten Phase anhand von klinisch-strukturierten Inter-
suffizienz- oder Schamgefühlen. Weitere Merkmale, die views überprüft und diagnostiziert (Williams et al. 1980).
häufig mit Essstörungen einhergehen, sind psychosoziale Für den angloamerikanischen Raum liegen aus 2-Phasen-
13 und sexuelle Probleme, Depressionen sowie eine extrem Studien Daten zur Punktprävalenz vor allem für Mädchen
ausgeprägte Leistungsorientierung (Fairburn et al. 2003). und junge Frauen zwischen 15 und 18 Jahren vor. Diese
14 Das vorliegende Therapiemanual bezieht sich insbesondere liegen für die Anorexia nervosa bei 0,3–1 % (van Hoeken
auf die Behandlung der beiden Hauptkategorien Anorexia et al. 2003). Zahlen für den deutschsprachigen Raum
15 und Bulimia nervosa. Im Folgenden werden insbesondere finden sich bei Jacobi et al. (2004b), die eine Lebenszeit-
diese beiden Störungsbilder näher breschrieben. prävalenz von 1,3 % angeben. Eine weitere großangelegte
amerikanische Studie (Hudson et al. 2007), welche eine Be-
16 völkerungsstichprobe untersuchte, berichtete eine Lebens-
1.1 Anorexia nervosa zeitprävalenz von 0,9 % bei Frauen und 0,3 % für Männer
17 (Gesamtprävalenz 0,6 %).
Beispiel Der Großteil der Betroffenen ist weiblichen Ge-
schlechts, wobei Mädchen der Altersgruppe zwischen 14
18 Eine Patientin kam mit einem Gewicht von 24 kg bei einer
Größe von 158 cm in das Akutkrankhaus, weil ihr Kreislauf und 19 Jahren ca. 40 % aller Erkrankten bzw. 60 % der
kollabiert war. Sie wurde medizinisch versorgt und über eine weiblichen Betroffenen darstellen. Das Erstmanifestations-
19 Sonde zunächst zwangsernährt. Die Patientin war im Kran- alter verteilt sich bimodal mit 2 Häufigkeitsgipfeln, welche
kenhaus bekannt, seit 8 Jahren anorektisch und mit einem bei 14 und 18 Jahren liegen. Zahlen für ältere weibliche
20 ähnlichen Zustandsbild mehrfach in Behandlung gewesen. Populationen liegen kaum vor. Das Verhältnis zwischen
Nach Auffütterungen bis zuletzt auf 42 kg hatte sie sich im- erkrankten Männern und Frauen wird meist mit 1:11 an-
mer wieder herunter gehungert. Auch diesmal wehrte sie sich gegeben (Hoek et al. 1995).
21 gegen die Infusionen und Sondennahrung, riss häufig die Eine Besonderheit stellen Zwillingspaare dar – neuere
Schläuche heraus. Nach einigen Wochen wurde sie mit 36 kg Studien aus dem skandinavischen Sprachraum zeigen für
22 entlassen, hungerte sich aber schon nach einigen Monaten Zwillingskohorten erhöhte Prävalenzraten, welche teil-
wieder auf 25 kg herunter. Sie wurde wieder zwangseinge- weise bei 2,2 % liegen (Keski-Rahkonen et al. 2007). Es
1.1 • Anorexia nervosa
5 1

wird davon ausgegangen, dass neben dem genetischen Ri- proben, dass eher von einem Plateau ausgegangen werden
siko weitere Aspekte wie Individuation und Selbstfindung kann: die Zahlen wuchsen von Mitte/Ende der 80er-Jahre
zu einem deutlich erhöhten Erkrankungsrisiko führen (1985–1989) bis Mitte/Ende der 90er-Jahre (1995–1999)
(Fichter 2008). Daneben sind Risikopopulationen zu nen- um 0,3 Fälle, und zwar von 7,4 Fällen pro 100.000 Personen/
nen, bei denen aus beruflichen Gründen ein bestimmtes Jahr auf 7,7 pro 100.000 Personen/Jahr. Milos et al. (2004)
Aussehen oder Körpergewicht erwartet wird, was zu einer schlussfolgern anhand ihrer Daten aus dem Züricher Fallre-
erhöhten Erkrankungswahrscheinlichkeit für eine ano- gister über den Zeitraum von 1956–1995, dass Anstiege in
rektische Essstörung führt (Thiemann et al. unveröffent- der Häufigkeit der Neuerkrankungen für Anorexia nervosa
lichtes Manuskript, Increased risk for eating disorders in vor allem in den Jahren 1960–1980 zu verzeichnen waren,
German aesthetic athletes: a double burden of societal and aber seit den 80er-Jahren eher von einer Plateauphase in
sport-specific pressure to be thin?). Zu nennen sind hier der Neuerkrankungshäufigkeit auszugehen ist (Milos et al.
für Frauen insbesondere der Beruf des Models als auch der 2004). Eine neuere Studie aus dem Jahr 2007 von Keski-
der professionellen Balletttänzerin und Leistungssportlerin Rahkonen et al. berichtet von Inzidenzraten von 270 pro
(Sundgot-Borgen et al. 2003). Bei Männern gelten insbe- 100.000 Personen pro Jahr. Diese Zahl scheint neben einer
sondere gewichtsbezogene Wettkampfsportarten wie Ski- Reihe methodischer Probleme vor allem durch die extrem
springen, Rudern, Ringen und Hochsprung als risikobehaf- selektierte Stichprobe (Zwillingskohorte) begründet (Fich-
tet für die Entwicklung einer Essstörung (Sundgot-Borgen ter 2011). Insgesamt lässt sich aus den genannten Studien
et al. 2003). Die Prävalenzraten für Leistungssportler liegen schließen, dass, sofern eine Alterskorrektur durchgeführt
in einer norwegischen Studie bei ca. 2,2 % bzw. auch 0,4 % wird, ein Anstieg der Neuerkrankungen in der Gruppe der
für Männer mit Anorexia nervosa (Torstveit et al. 1998). 15- bis 19-Jährigen (135,7 Fälle pro 100.000 Einwohner in
Bei Balletttänzern wird eine Lebenszeitprävalenz für Ano- den Jahren 1980–1989) angenommen werden muss, wäh-
rexia nervosa von 1,7 % berichtet (Le Grange et al. 1994). rend für Frauen und Männer über 25 die Inzidenzraten
Abraham (1996) gibt zudem in einer Stichprobe von 60 stabil bleiben (Lucas et al. 1999).
professionellen Balletttänzern an, dass 34 % der Befragten
einen BMI unter 17 kg/m2 aufwiesen. zz Mortalitätsrate
Personen, die an einer Anorexia nervosa erkranken, haben
zz Inzidenz im Vergleich zu gesunden Personen des gleichen Alters
Neben der Prävalenz werden zudem Inzidenzraten be- und Geschlechts ein 4-mal höheres Risiko zu sterben (van
rechnet. Diese beziehen sich auf die jährlichen Neuer- Hoeken et al. 2003). In Zahlen ausgedrückt sterben 0,56 %
krankungen. Eine Studie in der Allgemeinbevölkerung der der Erkrankten durchschnittlich pro Jahr aufgrund ihrer
Niederlande zeigt für Anorexia nervosa Neuerkrankungs- Essstörung oder damit assoziierten Folgen. Die Zahlen sind
raten von 8,1 Fällen pro 100.000 Personen in den Jahren damit deutlich höher als bei anderen psychischen Störun-
1985–1989 (Hoek et al. 1995). In Deutschland zeigen sich gen. Nur Alkoholabhängigkeit geht mit einem etwa ähnlich
vergleichbare Raten. Hier wird die Inzidenzrate mit 8 Fäl- hohen Sterblichkeitsrisiko einher (3- bis 4-mal höher als in
len pro 100.000 Einwohner angegeben (Jacobi et al. 2004). der Normalbevölkerung; Bühringer 1996). Standardisierte
In den letzten Jahren wurde diskutiert, ob die Inzi- Mortalitätsraten, welche die stichprobenspezifische Morta-
denzraten für die Anorexia nervosa angestiegen sind (van litätsrate (CMR) mit der in der allgemeinen Bevölkerung
Hoeken et al. 2003). Allerdings bleibt trotz einer steigen- vergleichen, ergeben einen Quotienten von 9,6 bei einem
den Anzahl epidemiologischer Studien die Befundlage in 6- bis 12-Jahres-Follow-up, bei Nachuntersuchungen nach
den letzten Jahren inkonsistent. Zahlen aus dem anglo- 20–40 Jahren von 3,7 % (Nielsen 2001). Fichter et al. (2006)
amerikanischen Raum für die Zeiträume 1994–2000 und untersuchten 103 stationäre Anorexiepatientinnen einer
1988–1993 weisen auf Stabilität der Inzidenzraten zumin- deutschen Klinik und berichten eine CMR von 7,7 % nach
dest in der britischen Bevölkerung hin. Für den Zeitraum 12 Jahren. Standardisierte Mortalitätsraten (SMR), welche
1994–2000 liegen die Neuerkrankungsraten bei 4,7 Fäl- bei der Berechnung die Sterblichkeitsrate der Altersgruppe
len pro 100.000 Einwohner für Frauen zwischen 10 und für den jeweiligen Zeitraum berücksichtigen, sind daher
39 Jahren (Currin et al. 2005) und zwischen 1988 und 1993 aussagekräftiger als stichprobenspezifische Mortalitätsra-
bei 4,2 Fällen pro 100.000 Einwohner nach Alter und Ge- ten (Fichter 2011). Werte über 1,0 weisen dabei auf eine
schlecht korrigiert (Turnbull et al. 1996). Eagles et al. (1995) erhöhte Sterblichkeitsrate hin, Werte unter 1,0 auf eine er-
dagegen wiesen in einer schottischen Stichprobe einen An- niedrigte Sterblichkeitsrate. Die Zahlen zur SMR bei An-
stieg der Inzidenzrate für Anorexia nervosa nach. Zahlen orexie liegen je nach Studie und Stichprobe zwischen 1,2
einer niederländischen Untersuchung an einer Stichprobe (Lindblad et al. 2006) und 10,5 (Birmingham et al. 2005).
von Hausarztpatientinnen (Van Son et al. 2006) zeigen Eine genauere Übersicht und Erläuterung findet sich in den
ebenfalls wie Currin et al. (2005) für die englischen Stich- S3 Behandlungsleitlinien für Essstörungen (Fichter 2011,
6 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

S. 17ff.). Unabhängig von der Art der Darstellung sind die weight in the context of age, sex, developmental trajectory
1 Zahlen hoch, insbesondere, wenn man davon ausgeht, dass and physically health.“ (APA 2013, S. 338). Das Gewichts-
die tatsächliche Mortalitätsrate möglicherweise immer noch kriterium wird nicht mehr beziffert sondern als deutlich
2 unterschätzt wird (Muir und Palmer 2004). unter „normal“ liegend definiert „Significantly low weight
Die häufigste Todesursache bei von Anorexie Betrof- is defined as a weight that is less than minimally normal
fenen liegt in medizinischen Komplikationen begründet, or, for children and adolescents, less than that minimally
3 die infolge der Essstörung auftreten (54 %; Sullivan 1995). expected.“ (APA 2013, S. 338). Als Hilfestellung zur Spe-
Hierzu gehören Infektionen mit letal verlaufender Sepsis zifizierung des Kriteriums werden sowohl die Kriterien
4 oder Elektrolytentgleisungen mit konsekutivem Herz- für die Schwere des Untergewichts an die WHO angelehnt
Kreislauf-Versagen (Zipfel et al. 2008). Weitere 27 % der berichtet als auch im Begleittext Hinweise zur Anwen-
5 von Sullivan untersuchten Stichprobe suizidierten sich. dung der Kriterien gegeben (APA 2013, S. 338 ff.) Das B-
Eine spezifische Risikogruppe für Suizidversuche bei an- Kriterium ist in der neuen Version erweitert, da nicht von
orektischen Patientinnen stellen Betroffene des Purging- allen Betroffenen eine starke Angst vor Gewichtszunahme
6 Subtyps dar (▶ Abschn. 1.1.2). Ebenfalls mit einer erhöh- formuliert werden kann (Becker et al. 2009). Hier sind da-
ten Sterblichkeitsrate assoziiert sind ein niedriger BMI bei her auch anhaltende gewichtsreduzierende Maßnahmen
7 Aufnahme und im Behandlungsverlauf, Zwangssymptome, zur Vergabe der Diagnose berücksichtigt: „Intense fear of
Drogenmissbrauch und komorbide depressive Erkrankun- gaining weight or of becoming fat, or persistent behaviour
gen (Pompili et al. 2004). that interferes with weight gain, even though at a signifi-
8 cant low weight.“ (APA 2013, S. 338). Das C-Kriterium,
welches die Beschreibung der Körperbildstörung in Form
9 1.1.2 Diagnosekriterien einer Störung „… in the way in which one’s body weight
or shape is experienced, undue influence of body weight or
10 Die Anorexia nervosa wird im angloamerikanischen Raum shape on self-evaluation, or persistent lack of recognition
sowie im Forschungskontext vorzugsweise nach DSM dia- of the seriousness of the current low body weight …“ (APA
gnostiziert. Im deutschsprachigen Raum sowie in der me- 2013, S. 339) beinhaltet, bleibt unverändert, während das
11 dizinischen Versorgung wird gewöhnlich nach den inter- D-Kriterium ganz wegfällt. Dies wird damit begründet,
nationalen Diagnosekriterien des ICD-10 diagnostiziert. dass das Ausbleiben der Regelblutung gerade bei jungen
12 Es sollen daher im Folgenden die Diagnosekriterien beider Mädchen schwierig zu beurteilen ist, da sie entweder noch
Klassifikationssysteme für Anorexia nervosa vorgestellt keine Blutung hatten oder orale Kontrazeptiva einnehmen,
sowie Veränderungen im DSM anhand eines Vergleichs welche die Regelblutung induzieren. Hinzu kommt, dass
13 der bisherigen Kriterien im DSM-IV-TR und der DSM-5 bei Männern dieses Kriterium nicht angewendet werden
Kriterien beschrieben werden. kann. Es wurde daher geschlussfolgert, dass ein Ausbleiben
14 Im DSM-5 (APA 2013) ergeben sich im Gegenzug zur der Monatsblutung zwar ein charakteristisches Kennzei-
4. Auflage bei der Diagnosestellung der Anorexia nervosa chen der Anorexia nervosa sein kann, aber kein notwen-
15 deutliche Änderungen. Bislang wurde die Anorexie-Dia- diges Kriterium ist, um die Diagnose zu vergeben. Es wird
gnose im DSM-IV anhand von 4 Hauptkriterien gestellt. daher empfohlen, falls die Regel ausbleibt, dies als Indika-
Diese bezogen sich auf A die Weigerung der Aufrechter- tor für die Schwere der Anorexia nervosa heranzuziehen
16 haltung eines alters- und Körpergröße entsprechenden Ge- (Attia und Roberto 2009). Bezüglich der Subtypen wird
wichts, B das Vorhandensein einer übergroßen Angst vor in der 5. Version des DSM nur der Zeitraum der letzten
17 einer Gewichtszunahme, C eine Kopplung von Selbstwert 3 Monate zur Bestimmung des Subtyps herangezogen, da
an Figur und Gewicht bei gleichzeitig verzerrter Körper- mehrere Forschungsarbeiten auf häufige Wechsel zwischen
wahrnehmung sowie D das Ausbleiben der Periode bei den Untertypen hinweisen (Peat et al. 2009).
18 geschlechtsreifen Frauen (die sog. Amenorrhoe) als Folge Die ICD-10-Kriterien (Dilling et al. 2000) unterschei-
des Untergewichts. Zudem konnten abhängig von der ein- den sich in einigen Punkten vom DSM-5 (APA 2013).
19 gesetzten Strategie zur Gewichtsreduktion zwei Typen der Wie auch das DSM beinhaltet die ICD-10 zunächst ein
Anorexia nervosa, der restriktive und der Binge-Eating-/ zu niedriges Körpergewicht wie auch die ausgeprägte
20 Purging-Typus unterschieden werden (Saß et al. 2003). In Angst vor einer Gewichtszunahme trotz eines bestehen-
der 5. Auflage des DSM ist nun das A-Kriterium umfor- den Untergewichtes. Das DSM geht dabei sowohl auf die
muliert, da das Wort „Weigerung“ eine Absicht unterstellt psychische Komponente als auch auf die damit assoziier-
21 und damit nur schwer zu beurteilen ist. Das A-Kriterium ten Verhaltensweisen, nämlich auf die Einschränkung der
fokussiert daher eher auf Verhaltensweisen wie Einschrän- Nahrungsaufnahme ein, während die ICD-10 eher das
22 ken der Nahrungsaufnahme: „Restriction of energy intake bestehende Untergewicht, also den körperlichen Aspekt,
relative to requirements, leading to a significantly low body hervorhebt. Zudem betont die ICD-10 die Vermeidung von
1.1 • Anorexia nervosa
7 1

hochkalorischen Speisen, z. B. Schokolade, Sahnesoßen


Bei Erkrankung vor der Pubertät sind die Entwicklungs-
und Ähnliches, und nennt zusätzlich Gegenmaßnahmen
schritte verzögert.
wie selbstinduziertes Erbrechen oder exzessiven Sport.
F50.00 Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Ge-
Das DSM enthält des Weiteren eine ausführliche Beschrei-
wichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc.)
bung der Körperschemastörung, nämlich die „Störung der
F50.01 Anorexie mit aktiven Maßnahmen zur Ge-
Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts“
wichtsabnahme (Erbrechen, Abführen etc. u. U. in
sowie damit assoziiert die übermäßige Abhängigkeit der
Verbindung mit Heißhungerattacken)
Selbstbewertung von Figur oder Gewicht. Im DSM ist zu-
dem die Verkennung der Schwere der Krankheit enthal-
ten, welche in der ICD-10 nicht explizit erwähnt wird. Im
ICD 10 ist entgegen dem DSM-5 noch die endokrine Stö- Differenzialdiagnostisch ist zu berücksichtigen, dass das
rung, welche sich bei Frauen als Amenorrhoe manifestiert, Leitsymptom der Anorexia nervosa, nämlich der Ge-
enthalten. Insgesamt ist auch das DSM-5 im Vergleich zur wichtsverlust, sowie damit assoziierte Nahrungsrestrik-
ICD-10 differenzierter in der Beschreibung der Diagnose- tion und Erbrechen den Ausschluss gastrointestinaler und
kriterien, da es neben der Darstellung konkreter Verhal- endokrinologischer Erkrankungen erfordern. Mögliche
tensweisen auf die psychischen Komponenten eingeht. Das organische Ursachen können Verdauungsschwierigkeiten
DSM enthält eine Referenz zur Bestimmung der Subtypen sowie Gastritis, Magengeschwüre oder Erkrankungen des
analog des ICD-10, wobei die Dauer der Bestimmung des ganzen Gastrointestinaltraktes wie Morbus Crohn sein.
Subtyps sich auf die letzten drei Monate bezieht. Im Fol- Diese können jedoch auch komorbid vorliegen. Zur ge-
genden sind die Kriterien der ICD-10 aufgelistet. nauen Diagnostik ist eine ausführliche psychologische
Exploration und internistische Abklärung erforderlich
(▶ Kap. 4).
ICD-10-Kriterien
F50.0 Anorexia nervosa
A. Gewichtsverlust oder bei Kindern fehlende Ge- 1.1.3 Symptomatik
wichtszunahme. Dies führt zu einem Körpergewicht
von mindestens 15 % unter dem normalen oder
Das zu Beginn von ▶ Abschn. 1.1 dargestellte Beispiel
dem für das Alter und die Körpergröße erwarteten
verdeutlicht die Problematik der Anorexia nervosa, die
Gewicht.
damit einhergehenden weitgreifenden psychischen, sozi-
B. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch
alen und körperlichen Veränderungen. Im Folgenden soll
Vermeidung von „fett machenden“ Speisen.
das Störungsbild noch einmal näher beschrieben und auf
C. Selbstwahrnehmung als „zu fett“ verbunden mit
mögliche medizinische Folgeerscheinungen und Kompli-
einer sich aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden.
kationen eingegangen werden.
Die Betroffenen legen für sich selbst eine sehr nied-
rige Gewichtsschwelle fest.
zz Beschreibung des Störungsbildes
D. Umfassende endokrine Störung der Hypothalamus-
Wie bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der Di-
Hypophyse-Gonaden-Achse; sie manifestiert
agnosekriterien erwähnt, ist die Anorexia nervosa vor al-
sich bei Frauen als Amenorrhoe, bei Männern als
lem durch die Unfähigkeit der Betroffenen gekennzeichnet,
Interesseverlust an Sexualität und Potenzverlust.
ein Minimum des normalen, medizinisch unbedenklichen
Eine Ausnahme stellt das Persistieren vaginaler
Körpergewichts zu halten. Wörtlich übersetzt bedeutet der
Blutungen bei anorektischen Frauen dar, die eine
Begriff Anorexia „Appetitmangel“. Die Begrifflichkeit ist
Hormonsubstitution erhalten (meist als kontrazep-
irreführend, da die Motivation für die pathologische Nah-
tive Medikation).
rungseinschränkung nicht fehlendes Hungergefühl, son-
E. Die Kriterien A und B für eine Bulimia nervosa
dern eine starke Angst vor Gewichtszunahme ist (Foreyt
(F50.2) werden nicht erfüllt.
et al. 1996).
Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die
Auf der affektiven Ebene ist daher die Angst vor einer
Abfolge der Pubertätsentwicklung verzögert oder ge-
Gewichtszunahme das vorherrschende Symptom. Diese
hemmt (Wachstumsstopp, fehlende Brustentwicklung
Angst geht einher mit einer erheblichen Wahrnehmungs-
und primäre Amenorrhoe bei Mädchen; bei Jungen
störung bezüglich der eigenen Figur und des eigenen Kör-
bleiben die Genitalien kindlich). Nach Remission wird
perumfanges (Cash und Deagle 1997), was dazu führt, dass
die Pubertätsentwicklung, bei verspäteter Menarche,
sich die meisten Betroffenen trotz Untergewichtes als nor-
häufig normal abgeschlossen.
mal bzw. zu dick empfinden (Heilbrun und Witt 1990). Die
intensive Angst vor einer Gewichtszunahme wird jedoch
8 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

gewöhnlich auch durch einen eintretenden Gewichtsver- wahrgenommen bzw. in der Regel geleugnet. Auch andere
1 lust nicht gemindert. Körpersignale werden ignoriert bzw. fehlinterpretiert.
Erreicht wird der Gewichtsverlust vor allem durch Beispielsweise führt die Aufnahme kleinster Nahrungs-
2 eine Reduktion der Gesamtnahrungsaufnahme (beim mengen zu lang anhaltenden Klagen über Völlegefühl,
restriktiven Typus) bzw. gesteigerte oder übermäßige Blähbauch und Übelkeit. In diesem Zusammenhang ist
körperliche Betätigung oder ähnlich wie bei der Bulimia auch eine verminderte Schmerzempfindlichkeit zu nennen
3 nervosa(▶ Abschn. 1.2) durch Gegenmaßnahmen wie Er- (Papezova und Yamamotova 2005). Aufgrund der Mangel­
brechen und Laxanzieneinnahme (beim Binge-Eating-/ ernährung und dem damit einhergehenden kachektischen
4 Purging-Typus). Die Betroffenen erleben den Gewichts- Ernährungszustand kommt es zu somatischen Folgeer-
verlust sehr positiv als ein Zeichen von außergewöhnlicher scheinungen, welche im folgenden Abschnitt ausführlich
5 Selbstdisziplin. dargestellt werden.
Die kognitive Ebene ist gekennzeichnet durch die ge-
ringe Krankheitseinsicht, insbesondere der Verkennung zz Medizinische Folgeerscheinungen
6 des kachektischen Zustandes sowie dem Streben nach ex- Das extreme Hungern der Patientinnen mit Anorexia
tremer Schlankheit. Dabei geht die Nahrungsrestriktion nervosa und das damit einhergehende Untergewicht zie-
7 mit ständigen Gedanken an das Essen, welche fast zwang- hen oft gravierende physiologische Veränderungen und
haft zu sein scheinen, einher. Des Weiteren zeichnen sich körperliche Symptome nach sich, die in schweren Fällen
diese Patientinnen durch eine ausgeprägte Leistungsori- irreversibel sind (Meermann und Vandereyken 1996). Die
8 entiertheit und einen starken Perfektionismus aus. Häu- verschiedenen somatischen Beeinträchtigungen können
fig entwickeln anorektische Patientinnen fehlangepasste äußerlich sichtbar sein und Veränderungen der Haut, des
9 Einstellungen wie z. B. „Ich muss in jeglicher Hinsicht Skeletts und des Mundbereichs betreffen, aber auch auf
perfekt sein“ (Fairburn et al. 2003). Damit verbunden nicht sichtbare physiologische Prozesse bezogen sein wie
10 ist oft ein niedriges Selbstwertgefühl, das zusätzlich die Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Gastrointes-
psychosozialen und psychosexuellen Möglichkeiten und tinaltrakts sowie metabolischer und endokrinologischer
Kompetenzen einschränkt (Jacobi et al. 2000). Dieses ge- Prozesse. Zudem werden langfristige körperliche Folgeer-
11 ringe Selbstwertgefühl bezieht sich sowohl auf die eigene scheinungen wie Osteoporose, aber auch mögliche komor-
Rolle im gesellschaftlichen und familiären Umfeld als auch bide chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus im
12 insgesamt auf den Wert oder die Bedeutung der eigenen Rahmen von Essstörungen beschrieben. Die dargestellten
Person (Jacobi et al. 2000). Befunde verlangen Beachtung bei Diagnostik und The-
Neben dem Hauptmerkmal des Gewichtsverlustes (bis rapieplanung und bedürfen möglicherweise ergänzender
13 zu 50 % des vorherigen Körpergewichts) sind bizarre Ver- Behandlung. In ▶ Kap. 4 werden notwendige medizini-
haltensweisen im Umgang mit Essen für Patientinnen mit sche Maßnahmen erläutert, um mögliche somatische
14 Anorexia nervosa oftmals charakteristisch. So schneiden Folgeerkrankungen zu diagnostizieren und deren Verlauf
beispielsweise einige Betroffene ihre Nahrungsmittel (z. B. im Therapieprozess zu beobachten und gegebenenfalls zu
15 Äpfel) in kleine Stücke, die sie langsam verzehren, oder behandeln.
aber sie kauen die Lebensmittel sehr lange und spucken sie Im Folgenden werden kurzfristige und akute medizi-
anschließend wieder aus. Die bereits oben erwähnte per- nischen Komplikationen bei der Anorexia nervosa sowie
16 manente gedankliche Beschäftigung mit dem Thema Es- langfristige Folgen bzw. chronische Erkrankungen dar-
sen geht gelegentlich mit Verhaltensweisen wie dem Lesen gestellt.
17 von Kochbüchern, dem Auswendiglernen von Rezepten
sowie dem Zubereiten von – zumeist hochkalorischen – Kardiovaskuläre Probleme Bei ca. 60–80 % der Essstö-
Mahlzeiten für andere Personen einher. Hierbei sind die rungspatientinnen treten kardiovaskuläre Probleme und
18 Patientinnen oft stolz darauf, wenn die anderen Menschen EKG-Veränderungen auf, welche häufiger kardiologischer
große Kalorienmengen zu sich nehmen, sie selbst jedoch Kontrolle bedürfen (Alvin et al. 1993; Friedrich 2008).
19 verzichten, was sie als Zeichen von Stärke ansehen. Manche EKG-Veränderungen können neben der häufig zu beob-
Patientinnen wiegen sich zudem nach jedem Essen, um achtenden Bradykardie (d. h. Verlangsamung des Herz-
20 eine mögliche Gewichtszunahme zu kontrollieren. Auch schlages) zusätzlich ST-Depressionen oder abnorme U-
Hyperaktivität in Form von Dauerläufen, stundenlangen Wellen enthalten.
Spaziergängen oder Gymnastik ist für diese Gruppe oft Ein kleiner Teil der Patientinnen weist zudem Verlän-
21 kennzeichnend (Holtkamp et al. 2004). gerungen des QT-Intervalls auf, welche im Zusammenhang
Auf der physiologischen Ebene ist, neben dem nied- mit kardialen Komplikationen und Todesfällen stehen
22 rigen Körpergewicht die Veränderung der Interozeptions- (Zipfel et al. 2003). Durch die Unterernährung kann es
fähigkeit zu nennen. Reize wie Hunger werden verändert zudem zu einem Abbau der Herzmuskelmasse kommen
1.1 • Anorexia nervosa
9 1

und daraus resultierend zu Arrhythmien (de Simone et al. den, ist eher an einen Laxanzienmissbrauch zu denken
1994; Friedrich 2008). (Friedrich 2008). Neben dem Kaliummangel zählen Ab-
senkungen im Natrium-, Magnesium- und Kalziumspiegel
Gastrointestinales System Viele somatische Veränderun- zu den auftretenden Elektrolytveränderungen. Selten tritt
gen betreffen das gastrointestinale System und können mit Zinkmangel auf.
einer Chronifizierung der Anorexia nervosa einhergehen
(Robinson 2000). Schwerwiegendere gastrointestinale Blutbild Hinsichtlich des Blutbildes kann zudem durch die
Komplikationen stellen Magenbrüche dar, die bei Patien- beständige Mangelernährung bedingt eine Glukoseintole-
tinnen mit Anorexia nervosa jedoch eher selten festgestellt ranz entstehen. Allgemein ist der Blutzuckerspiegel meist
werden (Schou et al. 1994). Häufiger, d. h. bei ungefähr zu niedrig. Neben diesen Befunden zeigen sich laborche-
einem Sechstel der Patientinnen, treten Magengeschwüre misch zudem häufig erhöhte Leberfunktionswerte (Trans­
auf (Hall und Beresford 1989). Von leichteren Veränderun- aminase und Bilirubin) wie auch ein erhöhter Choleste-
gen ist der gesamte Verdauungsapparat betroffen, angefan- rinspiegel (Zipfel et al. 2003). Aufgrund der verringerten
gen bei den Speicheldrüsen bis hin zur Funktionalität des Muskelmasse kann zudem der Kreatininspiegel verringert
Darms. Ein typisches Kennzeichen für Mangelernährung sein (Friedrich 2008). Das Immunsystem ist meist trotz
ist eine Verlangsamung der Speiseröhren- und Magenent- einer Erniedrigung von Immunoglobulin und Leukozy-
leerung, welche meist mit einem übermäßigen Völlegefühl tenzahl intakt. Bei starkem Untergewicht sollten jedoch
bei nur kleinen Nahrungsmengen einhergeht. In diesem regelmäßige Kontrollen stattfinden, um schwerwiegende
Zusammenhang kann es auch zu Obstipationen kommen. Infektionen zu vermeiden (Zipfel et al. 2003). In 25 % der
Diese Veränderungen legen sich nach Gewichtsnormalisie- Fälle ist eine Anämie nachweisbar, die meist auch mit einem
rung meist wieder (Szmukler et al. 1990). Eine Schwellung Eisenmangel einhergeht. Seltener geht das Auftreten einer
der Speicheldrüsen ist charakteristisch für Patientinnen, Anämie auch mit Vitamin-B12- oder Folsäuremangel einher.
die häufig erbrechen und kommt daher eher beim Binge-
Eating-/Purging-Typus der Anorexia nervosa und bei bu- Endokrinologische Veränderungen Endokrinologische Ver-
limischen Patientinnen (▶ Abschn. 1.2 Unterabs. „Diagno- änderungen betreffen vor allem einen Anstieg des Wachs-
sekriterien“) vor. tumshormonspiegels (Beumont 1998), welcher durch eine
Adaption an den niedrigen Energiehaushalt erklärt wird.
Ödeme Ca. 20 % der Patientinnen entwickeln periphere Oft findet man erniedrigte Schilddrüsenwerte (T3), von
Ödeme während der Gewichtsnormalisierung (Yücel et al. denen man annimmt, dass sie die Energiespeicherung bei
2005) oder bei Beendigung eines möglichen Laxanzien- Mangelernährung unterstützen. Thyroxin (T4) und Thyre-
oder Diuretikamissbrauchs (Winston und Stafford 2000). otropin sind jedoch meist im Normbereich. Gut untersucht
Diese Ödeme sind meist auf eine erhöhte Flüssigkeitsein- ist die Funktionsweise der Hypothalamus-Hypophysen-
lagerung bei steigender Flüssigkeitszunahme durch die Nebennierenrinden-Achse, welche für die Produktion
Nahrungsrestoration zurückzuführen. Sie sollten nicht von Cortisol verantwortlich ist: Studien belegen hier bei
übersehen werden und differenzialdiagnostisch auf eine Anorexiepatientinnen anormal erhöhte 24-h-Cortisol-
mögliche Fehlfunktion von Herz, Leber und Nieren (bei sekretionsraten (Fichter und Pirke 1990) und verringer-
chronischer AN auch Niereninsuffizienz) überprüft wer- ter Supprimierbarkeit der Kortisolfreisetzung, wenn ein
den (Zipfel et al. 2003). Dexamethason-Hemmtest durchgeführt wird (Friedrich
2008). Zu den endokrinologischen Störungen gehören zu-
Elektrolyte und Mineralstoffe Auch Elektrolyt- und Mi- dem Beeinträchtigungen des Menstruationszyklusses, die
neralstoffveränderungen müssen beobachtet werden, da vor allem bei Anorexiepatientinnen zu einem Ausbleiben
z. B. ein auftretender Kaliummangel im Zusammenhang der Regelblutung (Amenorrhoe) führen.
mit den bereits genannten Arrhythmien des Herzschlages
stehen kann. Hypokaliämie mit metabolischer Alkalose Reproduktionsfähigkeit/Schwangerschaft Die Reprodukti-
kann auf Erbrechen oder Missbrauch von Entwässerungs- onsfähigkeit scheint bei vorhandener Menarche und nach
mitteln hinweisen. Diese geht mit einer Verschiebung des Gewichtsrestoration nicht beeinträchtigt zu sein. Schwan-
pH-Wertes in basische Richtung einher und wird vom gerschaften während das Vollbild der Anorexie erfüllt ist,
Körper durch die Einführung von Kalium in die Zellen sind eher selten. Ist dies der Fall, so kann das Ernährungs-
beantwortet. Durch diesen Verschiebungsprozess entsteht fehlverhalten der Mutter schwerwiegende Konsequenzen
Kaliummangel außerhalb der Zellen, und es treten Symp- für den Fötus haben. Häufig findet man eine zu geringe Ge-
tome wie Muskelverkrampfungen, Atemverflachung oder wichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft
Extrasystolen am Herzen auf (Zipfel et al. 2003). Ist der (Koubaa et al. 2005), darüber hinaus kann es zu Früh- und
Kaliummangel mit einer metabolischen Azidose verbun- Fehlgeburten sowie erhöhter perinataler Morbidität und
10 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

Mortalität kommen. Zu einer ausführlichen Übersicht chendichte korrelieren. Auch konnte eine verminderte
1 siehe auch Gerwing und Kersting (2008). Wachstumsrate nachgewiesen werden, welche sich zwar
im Rahmen der Gewichtsnormalisierung verbesserte, je-
2 Dermatologische Veränderungen Zuletzt sind die peri- doch insgesamt unter der erwarteten Wachstumsrate der
pheren und von außen gut sichtbaren dermatologischen Betroffenen blieb (Modan-Moses et al. 2003).
Veränderungen zu nennen. Sie zeigen sich in Form von
3 Trockenheit der Haut und Schuppenbildung. Zusätzlich Diabetes mellitus Typ 1 Diabetes Mellitus vom Typ 1 wird
kann eine ernster zu nehmende Blauverfärbung der Lippen häufig im Zusammenhang mit Essstörungen berichtet,
4 (Akrozyanose) oder eine Marmorierung der Haut durch wobei der Diabetes der Essstörung meist vorausgeht und
blau verfärbte Adern (Cutis marmorata) auftreten. Die Nä- keine Folge des gestörten Essverhaltens darstellt (Nielsen
5 gel können sich verfärben, brüchig sein oder sich verfor- und Molbak 1998). Hier kann es zu schwerwiegenden me-
men (sog. Uhrglasnägel). Häufig ist eine Flaumbehaarung dizinischen Komplikationen kommen, wenn an der Insu-
des ganzen Körpers zu finden (Lanugobehaarung). Zudem lindosierung zwecks einer Gewichtsabnahme manipuliert
6 kann es durch die Mangelernährung bedingt zu Haaraus- wird (Rydall et al. 1997). Anzumerken ist, dass eine über-
fall kommen (Jacobi et al. 2004). Auch die Wundheilung zufällige Häufung des Diabetes Typ 1 eher bei der Bulimia
7 ist beeinträchtigt (Friedrich 2008). nervosa als bei der Anorexia nervosa zu finden ist (Man-
nucci et al. 2005).
Neurologische Veränderungen Abschließend sind noch Die folgende Übersicht fasst die medizinischen Kom-
8 Befunde zu Veränderungen des Hirnvolumens zu nen- plikationen und langfristigen Beeinträchtigungen bei An-
nen. Eine Studie von Swayze et al. (2003) weist darauf orexia nervosa zusammen.
9 hin, dass sich bei akut Anorexieerkrankten vor einer Ge-
wichtsnormalisierung Reduktionen im Gesamthirnvolu-
Medizinische Komplikationen
10
-
men, der weißen Hirnsubstanz sowie ein Anstieg in der
und Langzeitfolgen bei Anorexia nervosa
Cerebrospinalflüssigkeit, aber keine Veränderungen in der
Haut: trocken und schuppig, brüchige Nägel,
grauen Hirnmasse zeigen (Swayze et al. 2003). Inwieweit
11 Lanugobehaarung, Haarausfall, Akrozyanose, Cutis

--
diese Befunde einen Zusammenhang zur Symptomatik
marmorata, Ödeme
haben, bleibt zu klären. Es wird vermutet, dass Hyper-
12 kortisolismus bei Atrophie eine Rolle spielt, da positive Mund: Speicheldrüsenschwellung
gastrointestinales System: verlangsamte Magen-
Korrelationen zwischen freiem Kortisol im Morgenurin
entleerung, verminderte Darmbewegung und

-
und dem Liquorvolumen gefunden wurden (Bailer 2008).
13 Darüber hinaus konnten über funktionelle bildgebende Obstipation
Herz-Kreislauf-System: Hypothermie, erniedrigter

-
Verfahren Unterschiede in der Aktivität des temporalen
14 Kortex und des Zingulums gefunden werden. Beide Re- Blutdruck, Bradykardie; Herzrhythmusstörungen
Blutbild: erniedrigte Eisenwerte, erhöhte Leberfunk-
gionen sind an der Regulation von Emotionen beteiligt.
tionswerte, erhöhter Cholesterinspiegel, Anstieg
15
-
Inwieweit diese Aktivierung für Anorexiepatientinnen
von Harnstoff und Kreatinin
spezifisch ist, ist weiter zu klären. Weitere Hinweise für
Elektrolyt- und Mineralstoffhaushalt: Hypokaliämie,
eine emotionale Dysregulation finden sich auch in Neu-
16 erniedrigte Natrium- und Kalziumwerte, selten

-
rotransmitterstudien, welche eine Fehlregulation von Se-
Zinkmangel
rotonin und Dopamin im limbischen System nachweisen.
17 Die meisten der beschriebenen Befunde normalisierten endokrinologisches System: Hyperaktivität der Hy-
pothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse,
sich nach einer ausreichend langen Gewichtsrestoration
erniedrigter Spiegel der weiblichen Sexualhormone
(Kaye 2008; Bailer 2008).
18 FSH und LH, Verringerung der Schilddrüsenhor-

19
Veränderungen des Skeletts Bei anorektischen Patientin-
nen, die bereits in der frühen Adoleszenz erkranken, wird
bei längerer Krankheitsdauer von Osteoporose berichtet,
- mone T3, erhöhte Wachstumshormonkonzentration
Nervensystem: Erweiterungen der Liquorräume,
abnormer Glukosestoffwechsel, serotonerge und
dopaminerge Dysregulation im limbischen System,
20 welche mit einer erhöhten Auftretenshäufigkeit von Kno-
Auffälligkeiten in der Aktivierung des temporalen

-
chenbrüchen einhergeht (Zipfel et al. 2000). Untersuchun-
Kortex und des Zingulums
gen zeigten, dass eine höhere Knochendichte meist posi-
21 tiv mit Gewicht, Größe und Sportausübung assoziiert ist Skelett: Kleinwuchs, verringerte Knochendichte
bzw. Osteoporose, erhöhte Anzahl von Knochen-
(Gordon et al. 2002), während Lebensalter sowie Alter bei
22 Beginn der Menarche, Krankheitsdauer und Auftreten der brüchen
Amenorrhoe (Jagielska et al. 2002) negativ mit der Kno-
1.1 • Anorexia nervosa
11 1
1.1.4 Zugehörige et al. 2010). Unabhängig von der Art der Persönlichkeits-
Beschreibungsmerkmale störung scheinen insbesondere anorektische Patientinnen
und psychische Störungen vom bulimischen und vom Binge-Eating-/Purging-Typus
häufiger komorbide Persönlichkeitsstörungen aufzuweisen
Bei der Stellung der Diagnose einer Anorexia nervosa soll- als anorektische Patientinnen vom restriktiven Typus (Bot-
ten differenzialdiagnostisch mögliche alternative Ursachen tin et al. 2010). Es wird davon ausgegangen, dass Patientin-
für den erheblichen Gewichtsverlust in Betracht gezogen nen mit aktiven Gewichtsregulationsmaßnahmen stärker
werden, vor allem dann, wenn die beobachteten Symptome belastet sind (Schneider et al. 2008). Einige Autoren gehen
nicht typisch für eine Anorexia nervosa sind. So kann so- davon aus, dass die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörun-
wohl bei medizinischen Krankheitsfaktoren (z. B. gastroin- gen überschätzt wird (Perkins et al. 2005).
testinalen Erkrankungen) als auch bei der Major Depression Wie bereits erwähnt, ist ein ebenfalls häufig beschrie-
oder der Schizophrenie ein erheblicher Gewichtsverlust auf- benes Persönlichkeitsmerkmal bei Patientinnen mit Essstö-
treten, ohne dass die Betroffenen Angst vor einer Gewichts- rungen der Perfektionismus, welcher einen wichtigen Risi-
zunahme haben oder eine Körperwahrnehmungsstörung kofaktor für die Entstehung der Anorexia nervosa darstellt
zeigen. Weiterhin lassen sich einige der Merkmale in den (Fairburn et al. 1999). In einigen Untersuchungen zeigte
Kriterien für die soziale Phobie, die Zwangsstörung und die sich, dass der Perfektionismus mit gestörtem Essverhalten
körperdysmorphe Störung finden (Saß et al. 2003). Diese sowie mit übermäßigen Sorgen bezüglich Figur und Ge-
Diagnosen sollten nur dann zusätzlich vergeben werden, wicht assoziiert ist und selbst nach Rückgang der Krankheit
wenn sich die auftretenden Sorgen nicht ausschließlich auf bestehen bleibt (Bastiani et al. 1995; Davis 1997; Schneider
Essen, Figur und den Körperumfang beziehen. Abzugren- et al. 2009; Davies et al. 2009). In einer weiteren Studie an
zen ist die Anorexie auch von der Bulimie, bei der die Per- 42 magersüchtigen Schülerinnen wurde deutlich, dass die
sonen ihr Körpergewicht um oder über einem Minimum Beziehung zwischen Perfektionismus und dem Streben
des normalen Körpergewichtes halten. nach einem dünnen Körper durch Stresssituationen ent-
Psychische Störungen, die bei anorektischen Patien- stehen kann (Ruggiero et al. 2003). Das Ziel des leistungs-
tinnen häufig vorkommen, sind depressive Verstimmun- orientierten und perfektionistischen Denkens ist oftmals,
gen, meist in Form einer Major Depression (Hudson et al. sich und anderen zu beweisen, „etwas Besonderes“ zu sein
2005), Angststörungen und Zwangsstörungen (Kinzl und und sich so vom Durchschnitt abzuheben und von ande-
Biebl 2010) sowie zwanghafte Verhaltensmuster, die sich ren Menschen gemocht bzw. nicht abgelehnt zu werden. Im
z. B. durch ein bestimmtes Zurechtschneiden von Essen Mittelpunkt des perfektionistischen Strebens bei Frauen mit
zeigen können. Serpell et al. (2002) weisen in ihrem Re- Essstörungen stehen häufig hohe Anforderungen an sich
view darauf hin, dass die Lebenszeitprävalenz für Zwangs- selbst hinsichtlich des Essens, des Gewichts und der Figur.
störungen bei anorektischen Patientinnen je nach Studie Es besteht eine enge Verbindung zwischen Selbstwert und
zwischen 15 und 69 % liegt. Jordan et al. (2003) zeigten, Leistungsdenken: Das Streben nach Perfektion besitzt die
dass die Zwangsstörung insbesondere bei anorektischen Funktion, das geringe und meist instabile Selbstwertgefühl
Patientinnen im Vergleich zu depressiven Patientinnen zu stabilisieren. Die aus dem niedrigen Selbstwertgefühl
als komorbide Störung auftritt. Weitere Autoren belegen resultierenden Versagensängste werden von dem ständi-
die hohe Assoziation von Anorexia nervosa und beson- gen Gefühl die eigenen hohen Ansprüche nicht erfüllen zu
ders schweren Zwangserkrankungen (Nestadt et al. 2003). können begleitet und führen zu permanenter Selbstkritik
Etwa 33 % der anorektischen Patientinnen weisen eine und zu chronischer Selbstabwertung. Durch eine starke
Angststörung auf. Das Risiko zur Entwicklung einer ge- Selbstkontrolle (Bruch 1991) soll das befürchtete Versagen
neralisierten Angststörung ist sogar bis zu 6-fach erhöht. bezüglich der eigenen hohen Ansprüche vermieden wer-
Insgesamt scheint der Zusammenhang zwischen Angststö- den. Um das subjektive Gefühl von Kontrolle zu erhalten,
rungen und Anorexia nervosa jedoch noch nicht geklärt werden die selbst auferlegten Prinzipien hartnäckig verfolgt
(Godart et al. 2002). Eine neuere Studie konnte zudem und bestimmte „Leistungsbereiche“ wie Essgewohnheiten,
nachweisen, dass körperdysmorphe Störungen bei Ano- Gewicht oder Figur kontinuierlich überwacht – trotz nega-
rexia-nervosa-Patientinnen gehäuft zu finden sind (Grant tiver physischer und psychischer Konsequenzen.
et al. 2002). Des Weiteren scheinen insbesondere Persön-
lichkeitsstörungen häufig mit Essstörungen assoziiert zu
sein. Es wird vermutet, dass Anorexia nervosa eher mit 1.1.5 Risikofaktoren, Verlauf
zwanghaft-perfektionistischen Formen von Persönlich- und Prognose
keitsstörungen assoziiert ist (Serpell et al. 2002; Kinzl und
Biebl 2010), allerdings ist die Befundlage nicht eindeutig Die Anorexia nervosa beginnt oft mit einer rigiden Diät,
und längst nicht alle Studien zeigen dieses Muster (Bottin in der Regel in der mittleren Adoleszenz. In Reaktion auf
12 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

ein psychisch belastendes Lebensereignis kann sich dann fristiger Dauer der Symptome vor erstmaliger Therapie
1 aus dem bereits bestehenden Diätverhalten eine manifeste eine günstige Prognose haben (Reich und Cierpka 1997;
Essstörung entwickeln. Diätverhalten gilt daher als Risi- Schmitz et al., unveröffentlichtes Manuskript, Predictors of
2 kofaktor. Im Folgenden werden weitere Risikofaktoren er- treatment outcome of psychotherapy in Anorexia Nervosa
läutert, dabei gilt es neben spezifischen und unspezifischen and Bulimia Nervosa – a review of the last 20 years). Wei-
Risikofaktoren auch stabile und variable Risikofaktoren zu tere günstige Verlaufsprädiktoren stellen die Qualität der
3 unterscheiden (Kraemer et al. 1997). Als spezifische und direkten sozialen Kontakte, eine größtmögliche Transpa-
stabile („fixed“) Risikofaktoren haben sich in neueren Stu- renz während der Therapie sowie eine offene und vertrau-
4 dien Frühgeburt und Geburtstraumata wie Sauerstoffman- ensvolle therapeutische Beziehung dar (Gerlinghoff et al.
gel u. Ä., weibliches Geschlecht und nichtasiatische Ethnie 1999). Darüber hinaus scheinen längere Zeiten zwischen
5 erwiesen. Als spezifische, aber variable Risikofaktoren gel- Rückfällen günstig für den Verlauf zu sein (Rigaud et al.
ten Adoleszenz und frühes Erwachsenenalter und ein ne- 2011). Rigaud et al. (2011) berichten, dass eine komorbide
gatives Körperbild sowie Gewichtssorgen. Ein Großteil der Persönlichkeitsstörung und das Vorlegen aktiver Gewichts-
6 angenommenen Risikofaktoren wie sexueller Missbrauch, regulationsmaßnahmen (bulimischer und Binge-Eating-/
familiäre Interaktion, Familiengeschichte, erniedrigtes Purging-Typus) ein positiver Prädiktor für den langfristi-
7 Selbstwertgefühl, Perfektionismus und Leistungssport gen Therapieoutcome waren. Diese Ergebnisse bedürfen
gelten teilweise als prädisponierend, konnten jedoch bei allerdings der Replikation, da frühere Studien gegenläufige
der Analyse von Risikofaktoren entweder nicht bestätigt Ergebnisse zeigen. So berichten Milos et al. (2003), dass
8 werden oder müssen durch weitere Studien repliziert wer- Persönlichkeitsstörungen sowie Zwangsstörungen eher
den. Einen diesbezüglichen Überblick bietet Jacobi (2005). mit einem schlechteren Verlauf assoziiert sind (Milos et al.
9 Der Verlauf und die Folgen der Störung sind bei be- 2003). Reich und Cierpka (1997) weisen im stationären
handelten Patientinnen sehr unterschiedlich. Während Kontext auf folgende Faktoren als prognostisch ungüns-
10 44 % nach 4 Jahren genesen sind, wobei nur 15 % einen tig hin: längere Krankheitsdauer vor Behandlungsbeginn,
medizinisch unbedenklichen BMI erreichen, bleiben 25 % geringes Aufnahmegewicht und niedriges Entlassungs-
chronisch krank (Le Grange u. Lock 2005). Diese weisen gewicht. Zudem zeigen Rigaud et al. (2011) auf, dass im
11 ein Muster von Gewichtszunahme und Rückfällen auf 2-Jahres-Follow-up krankheits- und verhaltensbezogene
und leiden weiterhin unter emotionalen Problemen. Der Faktoren einen ungünstigen Einfluss ausüben: niedriger
12 Verlauf bleibt über viele Jahre chronisch, meist sich weiter BMI bei Entlassung, geringere Kalorienaufnahme und
verschlechternd. Strober (2004) überprüfte den Langzeit- insbesondere geringe Aufnahme von Fetten, bestehender
verlauf und konnte zeigen, dass bei einem 5-Jahres-Follow- Drang zu exzessivem Sport, hoher Perfektionismus und in-
13 up 64 % der Patientinnen gebessert waren. Nach 10 Jahren terpersonelles Misstrauen sowie Sondenernährung. Ähn-
waren nur noch 15 % erkrankt. Im Anschluss daran traten liches hatten Castro et al. (2004) in einer früheren Studie
14 kaum noch Veränderungen auf. Zu ähnlichen Ergebnissen zeigen können: eine Rehospitalisierung trotz erfolgreicher
kommt eine neuere Studie von Rigaud et al. (2011). Sie be- Gewichtszunahme bei Entlassung trat dann auf, wenn die
15 richten, dass gut 60 % der untersuchten anorektischen Pa- Patientinnen bei Aufnahme jünger als 15 Jahre alt waren,
tientinnen nach 13 Jahren als genesen galten, 25,8 % waren weniger als 150 g pro Tag im Durchschnitt über die ge-
gebessert und nur knapp 13 % berichteten weiterhin von samte Zeit zugenommen und ein stärker ausgeprägtes ge-
16 Krankheitssymptomen. Clausen (2004) konnte zeigen, dass störtes Essverhalten hatten.
sich die somatischen Krankheitssymptome, wie niedriges Ein weiterer Faktor, der den Verlauf der Essstörung
17 Gewicht, Amenorrhoe und essstörungsspezifische Verhal- nachteilig beeinflussen kann, ist der bereits beschriebene
tensweisen der Anorexia nervosa in der Therapie als erstes Perfektionismus. Durch die oft rigiden Verhaltensweisen
bessern, während die gedankliche Überbeschäftigung mit und perfektionistischen Grundüberzeugungen der Pa-
18 Essen, Figur und Gewicht erst im späteren Verlauf abneh- tientinnen kann manchmal der Fortschritt der Therapie
men. Langzeituntersuchungen weisen darauf hin, dass nach erschwert oder ein Krankheitsrückfall begünstigt werden.
19 Genesung von der Essstörung andere Achse-I-Störungen Halmi et al. (2000) zeigten beispielsweise, dass hohe Per-
auftreten können, wie bspw. affektive Beeinträchtigungen fektionismuswerte mit geringerer Motivation zur Verän-
20 und Angststörungen (Übersicht: Steinhausen 2002). derung in der Behandlung einhergingen. In einer Unter-
Generell gibt es bis heute nur wenig gesichertes Wissen suchung an stationär behandelten Anorexiepatientinnen
über die Faktoren, die sich in der Behandlung von Essstö- (Sutandar-Pinnock et al. 2003) zeigte sich, dass hohe
21 rungen als prognostisch günstig bzw. ungünstig erweisen. Perfektionismuswerte zu Beginn der Therapie mit einem
Aus zusammenfassenden Darstellungen zur Verlaufsfor- geringen Behandlungserfolg einhergehen. Unabhängig
22 schung lässt sich jedoch ableiten, dass vor allem Patien- vom Behandlungsergebnis zeigten sich bei der 15-Mo-
tinnen mit einem frühen Beginn der Störung und kurz- nats-Katamnese jedoch bei allen Patientinnen weiterhin
1.2 • Bulimia nervosa
13 1

signifikant höhere Perfektionismuswerte als bei gesunden kenhäusern (Soundy et al. 1995) verwertet. Aus diesen
Kontrollpersonen. Ähnliche Ergebnisse zeigen Jordan et al. ergaben sich Inzidenzraten von 11,5 bis 13,5 Fällen pro
(2009) in einer späteren Untersuchung. 100.000 Einwohner. Ähnlich wie bei der Anorexia nervosa
verzeichnet man die höchste Anzahl von Neuerkrankun-
gen bei Mädchen und jungen Frauen zwischen 20 und
1.2 Bulimia nervosa 24 Jahren, welche bei 82 Fällen pro 100.000 Einwohner
liegen (Hoek et al. 1995). Hinsichtlich der Inzidenzraten
Auch bulimische Patientinnen haben wie auch Betroffene werden Zuwächse von ca. 15 % Neuerkrankungen pro Jahr
von Anorexia nervosa meist rigide Regeln bezüglich des für die Zeit zwischen 1988 und 1993 berichtet (Turnbull
Essverhaltens und verfolgen ein extremes Schlankheitsideal. et al. 1996), was im Zusammenhang mit der Neueinfüh-
Dies wird anhand der folgenden 10 Regeln einer bulimi- rung der Diagnose gesehen werden könnte. Getrennt nach
schen Patientin deutlich (aus taz Nr. 6915 vom 27.11.2002): Geschlechtern liegen die Inzidenzraten bei 26,5 Fällen für
Frauen und bei 0,8 Fällen für Männer pro 100.000 Einwoh-
10 Regeln ner (Soundy et al. 1995). Dies entspricht einem Verhältnis
1. Wenn ich nicht dünn bin, kann ich nicht attraktiv sein. von 33:1 Frauen zu Männern in der Neuerkrankungsrate.
2. Dünn sein ist wichtiger als gesund sein! Anzumerken ist jedoch, dass die Bulimia nervosa im
3. Ich muss alles dafür tun, um dünner auszusehen/dünner Unterschied zur Anorexia nervosa durch das meist nor-
zu sein. male Gewicht den Betroffenen nicht anzusehen ist. Zudem
4. Du sollst nicht essen, ohne dich schuldig zu fühlen. ist die Erkrankung durch die mit Kontrollverlust und Er-
5. Du sollst keine „Dickmacher“ essen, ohne hinterher brechen einhergehenden Essanfälle bei den Betroffenen
Gegenmaßnahmen zu ergreifen. meist stark schambesetzt und wird eher verheimlicht als
6. Du sollst Kalorien zählen und deine Nahrungsaufnahme die Anorexia nervosa. Daher ist davon auszugehen, dass
dementsprechend regulieren. es eine größere Dunkelziffer gibt und die tatsächlichen In-
7. Die Anzeige der Waage ist wichtiger als alles andere. zidenzraten wahrscheinlich höher liegen.
8. Gewichtsverlust ist GUT, eine Zunahme ist SCHLECHT.
9. Du bist NIE zu dünn. zz Mortalitätsrate
10. Nahrungsverweigerung und dünn sein sind die Zeichen Auch bei der Festlegung der Mortalitätsrate kann auf
wahren Erfolges und wahrer Stärke. deutlich weniger wissenschaftliche Untersuchungen zu-
rückgegriffen werden als bei der Anorexia nervosa. Die
Mortalitätshäufigkeit bei Bulimia nervosa, gemittelt aus
1.2.1 Epidemiologie zwei Metaanalysen (van Hoeken et al. 2003) beträgt 11 To-
desfälle bei 2692 untersuchten Patientinnen. In Prozent
zz Prävalenz umgerechnet beträgt die Mortalitätsrate damit 0,4 %. Stan-
Die Auftretenswahrscheinlichkeit der Bulimia nervosa dardisierte Mortalitätsraten liegen nur aus einer Studie vor
ist ca. 3-mal höher als die der Anorexia nervosa. Im an- (Nielsen 2001) und betragen 7,4 % bei einem Nachunter-
gloamerikanischen Raum scheinen stabile Prävalenzraten suchungszeitraum von 5–11 Jahren. Das Mortalitätsrisiko
um 1 % für Bulimia nervosa seit den 90er-Jahren vorzu- wäre damit bei einer Bulimia nervosa nochmal deutlich
liegen (van Hoeken et al. 2003). Untersuchungen aus dem höher als bei Anorexia nervosa. Diese hohe Zahl ist sehr
deutschsprachigen Raum verweisen auf Prävalenzraten im kritisch zu sehen und wird auf Kohorteneffekte in der
jungen Erwachsenenalter zwischen 1 und 3 % (de Zwaan Stichprobe von Nielsen zurückgeführt (van Hoeken et al.
und Schüssler 2000). 2003). Angaben zu den Todesursachen werden nicht ge-
macht. Die Datenlage zur Mortalität bei Bulimia nervosa
zz Inzidenz ist tatsächlich als eher schlecht zu bezeichnen, so dass es
Während es einige aussagekräftige epidemiologische Stu- zur Klärung weiterer Analysen bedarf.
dien zu Inzidenzraten bei der Anorexia nervosa gibt, exis-
tieren nur wenige analoge Untersuchungen zur Bulimia
nervosa. Dies wird auf den späten Einschluss der Bulimia 1.2.2 Diagnosekriterien
nervosa in das DSM zurückgeführt (▶ Abschn. 1.2 Un-
terabs. „Diagnosekriterien“; van Hoeken et al. 2003). Die Im Gegensatz zur Anorexia nervosa sind die Änderungen
wenigen Studien nutzten die ICD-10 zur Diagnosestel- im DSM-5 gegenüber dem DSM-IV-TR nicht sehr um-
lung. Als Datengrundlage wurden zumeist medizinische fangreich. Es handelt sich vor allem um eine Veränderung
Datenbanken (Turnbull et al. 1996) oder Aufzeichnungen des Häufigkeitskriteriums (s. Kriterium C). Zudem wurde
von Krankenakten aus Allgemeinarztpraxen oder Kran- die Subtypisierung aufgegeben. Im Folgenden werden die
14 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

Diagnosekriterien der Bulimia nervosa nach DSM-5 (APA compensatory behaviors both occur, on average, at least
1 2013) vorgestellt. Analog zum Kapitel Anorexia nervosa once a week for three month“ (APA 2013, S. 345).
werden zudem die ICD-10-Kriterien dargestellt gefolgt von Ähnlich wie bei der Anorexia nervosa haben Körper-
2 einer Gegenüberstellung der Kriterien beider Klassifika- gewicht und Figur eine extrem hohe Bedeutung für Perso-
tionssysteme. nen mit Bulimia nervosa (Kriterium D „Self-evaluation is
Das Stellen der Diagnose einer Bulimia nervosa er- unduly influenced by body shape and weight“ APA 2013,
3 fordert als Kardinalsymptom das regelmäßige Auftreten S. 345) und entsprechend bestimmen diese beiden Berei-
von „Essanfällen“ (Kriterium A „Recurrent episodes of che in hohem Maße das Selbstwertgefühl der Betroffenen.
4 binge eating“, APA 2013, S. 345). Bei diesen Anfällen wird Differenzialdiagnostisch ist zu beachten, dass die Diagnose
eine extrem hohe Nahrungsmenge innerhalb eines sehr der Bulimia nervosa nicht vergeben werden darf, wenn die
5 kurzen Zeitraums aufgenommen (Kriterium A1 „Eating oben genannten Symptome im Rahmen einer Anorexia-
in a discrete period of time … an amount of food that is nervosa-Episode auftreten, wie es vor allem beim Binge-
definitely larger than what most individuals would eat in Eating-/Purging-Typus der Anorexie der Fall sein kann
6 a similar period of time under similar circumstances“, (Kriterium E). Aufgrund der unzureichenden Datenlage
APA 2013 S. 345). Die Betroffenen nehmen dabei deut- zum Non-Purging-Subtypus der Bulimia nervosa und der
7 lich mehr Nahrungsmittel zu sich als es normalerweise, Schwierigkeit, diesen trennscharf von der Binge-Eating-
auch im Rahmen von ausgiebigen Mahlzeiten, der Fall ist. Störung abzugrenzen, entfällt die Unterscheidung der Sub-
Die Zeitspanne beschränkt sich meist auf unter 2 Stun- typen im DSM-5 (de Zwaan und Herzog 2011). Darüber
8 den, ist aber in jedem Fall eng umgrenzt. Übermäßiges hinaus ist es im DSM-5 möglich, Teil- und Vollremission
Essen auf einen ganzen Tag verteilt kann demnach nicht zu beschreiben und den Schweregrad der Störung anhand
9 als Essanfall bezeichnet werden. Auch finden Essanfälle der Häufigkeit von Gegenmaßnahmen zu definieren.
typischerweise heimlich statt. Begleitet von Schuld- und Im Wesentlichen sind die Diagnosekriterien der ICD-
10 Schamgefühlen werden sie vor der Außenwelt versteckt. 10 mit denen des DSM vergleichbar. Hauptunterschiede
Ein weiteres entscheidendes Kriterium stellt der Kontroll- zwischen beiden Klassifikationssystemen beziehen sich
verlust im Zusammenhang mit den Essanfällen dar (Kri- auf die Definition von Essanfällen und die Körperbild-
11 terium A2 „A sense of lack of control over eating during störung. In der ICD-10 ist die Definition für Essanfälle
the episode“ APA 2013, S. 345). Insbesondere zu Beginn weniger spezifisch, da diese nicht wie im DSM dadurch
12 der Krankheit können hierbei ekstaseähnliche oder sogar gekennzeichnet sind, dass die verzehrte Menge größer ist
dissoziative Empfindungen vorherrschen. Später steht vor als die von den meisten Menschen unter vergleichbaren
allem das Gefühl der Unfähigkeit, die Nahrungsaufnahme Umständen konsumierte. Ein weiterer Unterschied liegt
13 während des Essanfalls zu stoppen, im Vordergrund. Zwin- darin, dass in der ICD-10 die ständige Beschäftigung mit
gend zur Stellung der Diagnose einer Bulimia nervosa sind Essen genannt wird. Zudem werden unterschiedliche Ar-
14 des Weiteren gegensteuernde Maßnahmen, welche infolge ten von kompensatorischen Verhaltensweisen beschrieben
eines Essanfalls gezeigt werden (Kriterium B „Recurrent (▶ Übersichten). Die Angst vor einer Gewichtszunahme ist
15 inappropriate compensatory behaviors in order to prevent in der ICD als eigenständiges Diagnosekriterium in Form
weight gain ….“ APA 2013, S. 345). Um eine Gewichts- krankhafter Furcht davor, dick zu werden, sowie als selbst
zunahme durch die zuvor aufgenommen Nahrungsmittel gesetzte Gewichtsgrenze weit unterhalb des prämorbiden,
16 zu verhindern, werden diese durch meist unangemessene vom Arzt als optimal oder gesund betrachteten Gewichtes
Methoden wieder aus dem Körper entfernt. Am häufigsten beschrieben. Im DSM werden dagegen nur die übermäßige
17 wird hierbei das selbstinduzierte Erbrechen eingesetzt. Von Bewertung von Figur und Gewicht für das Selbstwertge-
Gefühlen der Erleichterung begleitet, kann das Erbrechen fühl als ein Kriterium genannt. Dieses wird in der ICD-10
im Laufe der Erkrankung auch zum eigentlichen Zweck nicht gefordert. Nachfolgend werden zur Ergänzung der
18 der Essanfälle werden. Weitere gegensteuernde Maßnah- oben im Text zitierten DSM-5-Kriterien die Kriterien der
men sind Laxanziengebrauch, der Einsatz von Diuretika ICD-10 in einer Übersicht aufgeführt.
19 und in seltenen Fällen auch von Klistieren. Neben diesen
kompensatorischen Strategien versuchen betroffene Perso-
ICD-10-Kriterien
20 nen durch restriktives Essverhalten bis hin zu Hungerku-
F50.2 Bulimia nervosa
ren und übermäßige sportliche Betätigung den Folgen der
A. Häufige Episoden von Fressattacken (in einem
Essanfälle entgegenzusteuern. Zur Stellung der Diagnose
21 einer Bulimia nervosa müssen die durch gegensteuernde Zeitraum von 3 Monaten mindestens zweimal pro
Woche), bei denen große Mengen an Nahrung in
Maßnahmen gefolgten Essanfälle mindestens einmal wö-
22 chentlich über einen Zeitraum von etwa 3 Monaten auf- sehr kurzer Zeit konsumiert werden.
treten (Kriterium C „The binge eating and inappropriate
1.2 • Bulimia nervosa
15 1

Ein weiteres wichtiges Merkmal sind die den Essan-


B. Andauernde Beschäftigung mit dem Essen, eine
fällen oft folgenden kompensatorischen und „selbstreini-
unwiderstehliche Gier oder Zwang zu essen.
genden“ Verhaltensweisen, wie z. B. selbstinduziertes Er-
C. Die Patienten versuchen, der Gewichtszunahme
brechen, übermäßige körperliche Bewegung, Fastenkuren,
durch die Nahrung mit einer oder mehreren der
Missbrauch von Laxanzien (Abführmittel), Diuretika (Ent-
folgenden Verhaltensweisen entgegenzusteuern:
wässerungsmittel) oder anderen Substanzen. Diese können
1. selbstinduziertes Erbrechen,
das von den Patientinnen empfundene unangenehme kör-
2. Missbrauch von Abführmitteln,
perliche Völlegefühl rasch lindern und die Angst vor einer
3. zeitweilige Hungerperioden,
Gewichtszunahme – zumindest kurzfristig – reduzieren.
4. Gebrauch von Appetitzüglern, Schilddrüsenprä-
Des Weiteren haben die Essanfälle und das nachfolgende
paraten oder Diuretika. Wenn die Bulimie bei Dia-
Erbrechen die Funktion, Spannung abzubauen, wodurch
betikerinnen auftritt, kann es zu einer Vernachläs-
die Symptomatik aufrechterhalten wird. Den Patientinnen
sigung der Insulinbehandlung kommen.
fällt es oft schwer, Gefühle wie Ärger, Wut, Traurigkeit oder
D. Selbstwahrnehmung als „zu fett“, mit einer sich auf-
Einsamkeit zu tolerieren, so dass die Ess-Brech-Anfälle
drängenden Furcht, zu dick zu werden (was meist
eine dysfunktionale Emotionsregulationsstrategie darstel-
zu Untergewicht führt).
len. So werden durch das gestörte Essverhalten negative
Gefühlszustände frühzeitig beendet, gefolgt von Gefüh-
len der „Betäubung“ und Erschöpfung. Gleichzeitig tritt
meist im Anschluss an den Essanfall mit Erbrechen eine
1.2.3 Symptomatik extreme Selbstkritik, Schuldgefühle und eine depressive
Stimmungslage auf. Längerfristig führt der beschriebene
zz Beschreibung des Störungsbildes Teufelskreis durch die Ablenkung bzw. Verschiebung des
Während das Krankheitsbild der Anorexia nervosa bereits negativen Gefühlszustands zu einer Aufrechterhaltung des
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts z. B. von Lasegue gestörten Verhaltens.
(1873) erläutert wurde, wurde die Bulimia nervosa erst An- Psychologisch auffällig ist bei bulimischen Patien-
fang der 80er-Jahre als eigenständige Essstörung beschrie- tinnen des Weiteren die übertriebene Beschäftigung mit
ben (Russel 1979). Zuvor wurde die Bulimia nervosa als Figur und Gewicht bzw. die panische Angst vor einer Ge-
Subkategorie der Anorexia nervosa eingeordnet, da auch wichtszunahme sowie die überragende Bedeutung dieser
bei einer Vielzahl anorektischer Patientinnen regelmäßige körperlichen Merkmale für das Selbstwertgefühl. Das re-
Essanfälle mit nachfolgendem Kompensationsverhalten ale Gewicht bulimischer Frauen schwankt beträchtlich. Sie
beobachtet wurden (Garfinkel et al. 1980). Aufgrund des können normalgewichtig, untergewichtig, aber auch über-
im Vergleich zur Anorexie höheren Durchschnittsgewichts gewichtig sein. Ähnlich wie bei der Anorexie zeigt sich bei
bei der Bulimie, welches meist im Normalbereich liegt, vielen Betroffenen eine Störung des Körperbildes, d. h. die
wurde die Bulimia nervosa als eigenständige Essstörung Wahrnehmung des eigenen Körpers wird verzerrt, und die
ins DSM-III (APA 1980) aufgenommen. emotionale Qualität, in welcher der eigene Körper erlebt
Das Hauptmerkmal der Bulimie ist das wiederholte wird, verändert sich ins Negative.
Auftreten von Essanfällen, bei denen in sehr kurzer Zeit
große Nahrungsmengen oft unkontrolliert verschlungen zz Medizinische Folgeerscheinungen
werden (APA 1994). Solche Essanfälle dauern zwischen 15 Ähnlich wie bei der Anorexia nervosa sind auch bei der
und 60 Minuten und treten durchschnittlich etwa 10mal Bulimia nervosa kurzfristige bzw. akute körperliche Be-
pro Woche auf. Meist finden sie im Geheimen statt, und schwerden und Probleme durch langfristige und chroni-
die Patientinnen treffen Vorsichtsmaßnahmen, um diese sche Beeinträchtigungen vorhanden. In vielen Bereichen
zu verbergen. Der durchschnittliche, während einer sol- sind diese Komplikationen bei der Anorexie deutlich bes-
chen Episode konsumierte Energiegehalt liegt bei ca. ser untersucht als bei der Bulimie. Aufgrund der vielen Pa-
3000–4000 kcal. Im Rahmen eines Essanfalls werden süße rallelen beider Essstörungsformen wie beispielsweise der
und hochkalorische Lebensmittel präferiert, auf welche die eingesetzten Strategien zur Gewichtsreduktion und der in-
Patientinnen normalerweise verzichten. Charakteristisch termittierenden Mangelernährung ähneln sich die körper-
scheint jedoch eher der Konsum einer abnormen Menge an lichen Beeinträchtigungen stark. Daher soll im Folgenden
Nahrungsmitteln zu sein als ein Verlangen nach bestimm- nur vertiefend auf bulimiespezifische Problembereiche und
ten Nährstoffen. Neben diesen episodischen Essanfällen Komplikationen eingegangen werden. Die Folgeerschei-
zeigen die Patientinnen meist ein stark gezügeltes Essver- nungen der Bulimia nervosa machen eine gründliche me-
halten bzw. intermittierendes Fasten, was mit der Zeit zu dizinische Überprüfung bei Behandlungsbeginn (wie auch
einem biologischen Zustand der Mangelernährung führt. bei der Anorexia nervosa) zwingend erforderlich.
16 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

Gastrointestinales System Aufgrund des häufigen Erbre- Veränderungen des Skeletts Osteoporose wird im Zusam-
1 chens geht das Störungsbild der Bulimie oft mit schwer- menhang mit Bulimia nervosa weitaus weniger häufiger
wiegenden Beeinträchtigungen des Gastrointestinaltrak- berichtet als bei der Anorexia nervosa (Crow 2005). In
2 tes einher. So kann es durch die beim Erbrechen in die den letzten 10 Jahren wurden mehrere Untersuchungen
Speiseröhre gelangende Magensäure sowohl zu Entzün- zur Auftretenshäufigkeit von Osteoporose oder vermin-
dungen und Verletzungen der Speiseröhrenschleimhaut derter Knochendichte bei bulimischen Patientinnen
3 als auch in seltenen Fällen zu Rissen kommen (Zipfel et al. durchgeführt. Die Befundlage ist jedoch als inkonsistent
2003). Im Magenbereich sind Magenschleimhautentzün- zu bezeichnen. Zipfel et al. (2003) nehmen an, dass durch
4 dungen zu nennen, seltener kommt es zu einer Magen- eine starke Gewichtsabnahme und Untergewicht die Kno-
wandperforation. Auch Pankreatitis wird beschrieben chendichte abnimmt, während es bei normalgewichtigen
5 (Birmingham und Boone 2004). Durch das häufige Erbre- Frauen mit einer Bulimia nervosa ohne rapide Gewichts-
chen kommt es darüber hinaus häufig zu Zahnbeschwer- abnahmen nicht zu einer verminderten Knochendichte
den wie der Zersetzung des Zahnschmelzes, zu Schwel- kommt.
6 lungen der Speicheldrüsen sowie zu Entzündungen der
Rachenschleimhaut. Diabetes mellitus Des Weiteren konnte in klinischen
7 Untersuchungen ein Zusammenhang zwischen Essstö-
Elektrolythaushalt Weitere Folgen des Erbrechens stellen rungen und Diabetes mellitus, sowohl von Typ 1 als auch
Flüssigkeits- und Elektrolytanomalien dar, welche mit den Typ 2, nachgewiesen werden (Crow et al. 1998), wobei
8 bereits im ▶ Abschn. 1.1 Unterabs. „Diagnosekriterien“ bei der Diabetes meist vor der Essstörung bestand und daher
der Anorexia nervosa beschriebenen Veränderungen ver- eher als Risikofaktor zu sehen ist (Goodwin et al. 2003).
9 gleichbar sind. Durch die Elektrolytanomalien, insbeson- Allerdings werden bei einer komorbiden diabetischen
dere Kalium- und Natriumsenkungen, kann es zu Nieren- Erkrankung vom Typ 1 Manipulationen mit Insulin –
10 schäden kommen. Vor allem bei Bulimia nervosa gibt es das „Insulin-Purging“ – beschrieben. Durch die unzu-
ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer metabolischen reichende Insulinsubstitution werden so die möglichen
Alkalose (Zipfel et al. 2003). Folgen eines Diabetes (z. B. Nervenschädigungen) ver-
11 stärkt (Crow et al. 1998).
Blutbild und kardiovaskuläre Probleme Veränderungen der
12 Blutwerte wie Anämie oder eine Absenkung der Leuko-
Medizinische Komplikationen

-
zytenzahlen sind bei Bulimia nervosa weitaus seltener als
und Langzeitfolgen bei Bulimia nervosa
bei Anorexia nervosa. Hinsichtlich kardiovaskulärer Ver-
13 Haut: trocken und schuppig, brüchige Nägel, Haar-

--
änderungen scheint die Befundlage bei Anorexia nervosa
ausfall, Akrozyanose, Cutis marmorata, Ödeme
hingegen deutlich besser zu sein (Zipfel et al. 2003).
14 Mund: Speicheldrüsenschwellung, Siliadose
Gastrointestinales System: Risse und Verletzungen
Endokrinologische Veränderungen Hinsichtlich endokri-
der Speiseröhre, Ösophagitis, verlangsamte Ma-
15 nologischer Veränderungen ist bei der Bulimia nervosa
genentleerung, verminderte Darmbewegung und

-
trotz selten bestehenden Untergewichts in 20–50 % der
Obstipation
Fälle eine Amenorrhoe zu berichten. 40 % geben überhaupt
16 Unregelmäßigkeiten im Zyklus an (Zipfel et al. 2003). Herz-Kreislauf-System: Hypothermie, niedriger
Blutdruck, Bradykardie, Sinusbradykardie, Herz-

17 Reproduktionsfähigkeit Beeinträchtigungen des repro-


- rhythmusstörungen
Blut: Eisenmangel, Hypercholesterinämie, Anstieg

-
duktiven Systems bei Bulimia nervosa sind einerseits bei
von Harnstoff und Kreatinin
akuter Erkrankung mit Unregelmäßigkeiten bei der Mens-
18 Elektrolyt- und Mineralstoffhaushalt: erniedrigtes

-
truation verbunden, langfristig scheint die Fruchtbarkeit
Kalium, Natrium und Kalzium, selten Zinkmangel
allerdings nur in den ersten Jahren beeinträchtigt zu sein,
19 während im Langzeitverlauf 75 % der bulimiekranken Endokrinologisches System: Hyperaktivität der
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-
Frauen Kinder empfangen konnten (Crow et al. 2002). In
Achse, Verringerung von Sexualhormonen (FSH und
20 letzter Zeit rückte zudem eine mögliche Verbindung zwi-
LH), Verminderung der Schilddrüsenhormone (T3,

-
schen Essstörungen und dem polyzystischen Ovarialsyn-
T4 und TSH), erhöhtes Wachstumshormon
drom (PCOS) in den Fokus. Es existieren erste Hinweise
21 auf ein gehäuftes Vorkommen zystischer Veränderungen Skelett: erhöhtes Osteoporoserisiko
der Eierstöcke bei bulimischen Patientinnen (Morgan
22 et al. 2002), die sich jedoch bei Remission der Essstörung
normalisieren.
1.2 • Bulimia nervosa
17 1
1.2.4 Zugehörige Eine neuere Studie ergab Hinweise auf die Existenz
Beschreibungsmerkmale zweier Subtypen von Komorbiditätsmustern. Der erste
und psychische Störungen Subtypus ist demnach mit Depressionen verbunden, wäh-
rend der zweite durch komorbide Angst- und Persönlich-
Häufig treten im Zusammenhang mit der Bulimia nervosa keitsstörungen gekennzeichnet ist. Letzterer ist zudem mit
weitere psychische Störungen auf. Die höchste Komorbi- verschiedenen Risikoverhaltensweisen wie vermehrtem
ditätsrate weisen dabei affektive Störungen (vor allem dys- Alkohol- und Tabakkonsum, höheren Suizidalitätsraten,
thyme Störung und Major Depression) auf, was sowohl auf defizitärer Impulskontrolle und einem geringen generellen
familiäre als auch genetische Bedingungen zurückgeführt Funktionsniveau assoziiert (Duncan et al. 2005).
wird (Mangweth et al. 2003). Die Lebenszeitprävalenz für Als weitere wichtige Merkmale sind bei der Bulimia
klinisch relevante Depressionen bei Frauen mit einer di- nervosa das perfektionistische Denken und der Wunsch
agnostizierten Bulimia nervosa ist mit 46 % wesentlich nach Kontrolle zu nennen – allerdings sind sie hier zu-
höher als für die Allgemeinbevölkerung. Die depressiven meist geringer ausgeprägt als bei Patientinnen mit einer
Symptome können sowohl vor, während als auch nach der Anorexie.
bulimischen Erkrankung auftreten. Es gibt Hinweise, dass
eine Dysthymie gehäuft bei Betroffenen mit Bulimia ner-
vosa auftritt (Perez et al. 2004). 1.2.5 Risikofaktoren, Verlauf
Des Weiteren beschreiben Frauen mit einer Bulimia und Prognose
nervosa häufig Angstsymptome, welche sich meist auf so-
ziale Situationen beziehen, in denen es zur Bewertung von Der Beginn der Störung lässt sich meist in der späten
Aussehen oder Leistung kommen kann. Selbstabwertende Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter ausmachen
Gedanken führen zu erhöhter Anspannung und können (▶ Abschn. 1.2 Unterabs. „Epidemiologie“). Dabei setzen
Angstsymptome hervorrufen, welche dann zur Vermei- bulimische Muster oftmals nach Phasen strenger Diät ein.
dung der Situation führen. Dies könnte auch Auswirkun- In der Krankengeschichte finden sich nicht selten Episo-
gen auf den Therapieprozess haben: So konnten Goodwin den einer Anorexie, die vor der Bulimie aufgetreten sind
und Fitzgibbon (2002) zeigen, dass sich bulimische Pati- (Fichter 1997). Die Störung tritt gehäuft bei Frauen mit
entinnen mit einer komorbiden sozialen Phobie weniger leichtem bis mäßigem Übergewicht auf. Als störungsspe-
engagiert bei der Behandlung zeigten. zifische Risikofaktoren gelten insbesondere bei der Buli-
Zwanghafte Symptome beziehen sich häufig auf das mia nervosa auf der individuellen Ebene Übergewicht der
ritualisierte Vorgehen bei Essanfällen, Putzen der Woh- Eltern, eigenes Übergewicht in der Kindheit und nega-
nung und Ähnlichem. Häufig kommt es auch zu vermehr- tive bzw. kritische Bemerkungen der Familie über Figur,
tem Alkoholkonsum, um soziale Ängste zu unterdrücken Gewicht und Aussehen (Übersicht Fairburn et al. 1997).
oder Einsamkeitssituationen zu bewältigen bzw. negative Zudem erwiesen sich früher Beginn der Pubertät und das
Gefühle zu kompensieren. Des Weiteren werden oft Am- weibliche Geschlecht als unspezifische, aber stabile Fak-
phetamine oder andere Stimulanzien eingenommen, um toren für die Entwicklung einer Bulimia nervosa. Jacobi
das Hungergefühl zu unterdrücken. Eine erhöhte Auftre- (2005) beschreibt in ihrer Übersicht zu psychosozialen Ri-
tenswahrscheinlichkeit von komorbidem Substanzmiss- sikofaktoren bei Essstörungen insbesondere für Bulimia
brauch oder einer Substanzabhängigkeit wurde v. a. bei nervosa einen Einfluss von Gesundheitsproblemen in der
Frauen mit Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störung frühen Kindheit. In Übereinstimmung mit früheren Ar-
mit sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte gefunden beiten (Fairburn et al. 1997) scheinen sich Gewichtssorgen,
(Dohm et al. 2002). Diätverhalten und ein negatives Körperbild als spezifische,
Die prämorbide Persönlichkeitsstruktur erscheint vor aber variable Einflussfaktoren zu bestätigen.
allem depressiv, es zeigen sich aber auch autoaggressive Als unspezifischer Risikofaktor wird frühere psychi-
Tendenzen, mangelnde Kontrollfähigkeit, Impulsivität und sche Komorbidität eingestuft. Ähnliches gilt für das Auf-
ein labiles Affektverhalten. So zeigen sich beispielsweise treten von sexuellem Missbrauch und einem niedrigen
Impulskontrollstörungen und damit assoziierte Persön- Selbstwertgefühl. Jedoch muss davon ausgegangen werden,
lichkeitsstörungen gehäuft bei Patientinnen mit Bulimia dass aufgrund uneinheitlicher Datenlage bzw. fehlender
nervosa (Grilo et al. 2003). Insgesamt scheinen Persön- Längsschnittstudien ähnlich wie bei der Anorexia nervosa
lichkeitsstörungen durchaus häufiger bei Patientinnen mit keine zuverlässigen Aussagen zu möglichen Einflüssen
Essstörungen aufzutreten. Etwa ⅓ der Bulimiepatientinnen von familialer Dysfunktion, Bindungsstilen und familiä-
zeigt Merkmale einer Persönlichkeitsstörung, am häufigs- rer Psychopathologie auf die Entwicklung einer Bulimia
ten ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung vertreten nervosa gemacht werden (Jacobi 2005). Es scheint jedoch
(Grilo et al. 2003). so zu sein, dass psychische Störungen im frühen Erwach-
18 Kapitel 1 • Beschreibung der Störungsbilder

senenalter wie Depressionen und Angststörungen mit ei- 1992). Eine Follow-up-Studie zum Therapieverlauf nach
1 ner erhöhten Auftretenshäufigkeit von Essstörungen vom stationärer Behandlung zeigte bessere Ergebnisse: Im
bulimischen Typus assoziiert sind (Johnson et al. 2002). Durchschnitt erreichten die männlichen Patienten ein
2 Der häufig in ätiologischen Modellen beschriebene Perfek- normales Körpergewicht und eine Verbesserung des ge-
tionismus (Fairburn et al. 2003) scheint in verschiedenen nerellen Funktionsniveaus (Fichter und Krenn 2003).
Studien weniger als Prädiktor denn als Korrelat zur Buli- Aufgrund der eher schlechten Datenlage zu Essstörungen
3 mia nervosa aufzutreten. Ähnliches gilt für die Fähigkeit bei Männern sind diese Resultate jedoch zunächst nur mit
zur interozeptiven Wahrnehmung (Leon et al. 1999). Jacobi Vorsicht zu generalisieren, so dass weitere Untersuchungen
4 (2005) führt zudem Flucht- und vermeidendes Bewälti- wünschenswert sind.
gungsverhalten als auch wahrgenommene geringe soziale
5 Unterstützung sowie erhöhte Neurotizismuswerte als vari-
1.4 Zusammenfassung
able Risikofaktoren für Bulimia nervosa auf.

6
7
Weitere frühe psychopathologische Anzeichen einer
Bulimie sind Rückzug und soziale Isolation sowie negative
Veränderungen im Körper- und Selbstbild. Das gestörte
Essverhalten besteht bei den meisten Betroffenen seit ei-
- Die Auftretenswahrscheinlichkeit von Essstörun-
gen liegt bei ca. 1 % in der Allgemeinbevölkerung.
Sowohl Anorexia als auch Bulimia nervosa treten
nigen Jahren, bevor sie sich in Behandlung begeben. Der insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen auf.
Verlauf von etwa 40 % der an Bulimie Erkrankten ist ent- Prävalenzraten für höhere Altersgruppen liegen
8 weder chronisch oder intermittierend (Jacobi et al. 2008), kaum vor. Mortalitätsraten für Anorexia nervosa
d. h. Remissionsphasen wechseln sich mit dem Wiederauf- sind ungefähr 4-mal so hoch wie in der Allgemein-
9
10
treten von Essanfällen ab. Bei weiteren 40 % zeigt sich nach
Therapieende eine vollständige Besserung der Krankheit.
- bevölkerung.
Beiden Störungen gemein ist ein starkes Streben nach
Schlankheit, ein ausgeprägtes Bedürfnis perfekt zu
sein, eine zwanghafte Beschäftigung mit Nahrung
1.3 Essstörungen bei Männern und eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Kör-

-
11 perdimensionen.
Die Prävalenz für Essstörungen ist bei Frauen gegenüber Unterschiede zwischen beiden Essstörungsdiagnosen
12 Männern deutlich erhöht. Dabei scheint sich allerdings die bestehen im tatsächlichen Körpergewicht, da die
Essstörungssymptomatik an sich bei Männern und Frauen Anorexie mit drastischem Untergewicht assoziiert ist,
nicht deutlich zu unterscheiden (Woodside et al. 2001). während Bulimiepatientinnen eine große Spannweite
13 Unterschiede bestehen vor allem hinsichtlich des Alters aufweisen (unteres Normal- bis leichtes Überge-
bei Beginn der Essstörung (bei Männern im Alter von 18 wicht). Bulimiepatientinnen erleben ihren abnormen
14 bis 26 Jahren gegenüber 12 bis 18 Jahren bei Frauen), dem Umgang mit Nahrung als belastender und neigen
prämorbiden Gewicht (64 % der männlichen Patienten be- dadurch weniger zur Krankheitsleugnung als dies bei
15 richten von Übergewicht vor Beginn der Störung gegen- Personen mit Anorexie der Fall ist. Bei Letzteren ist
über 37 % der Frauen; Herzog et al. 1984), dem Körperbild das restriktive Essverhalten eher mit einem subjekti-
(Streben nach Muskularität anstatt nach Schlankheit) so- ven Gefühl von Stolz und Kontrolle verbunden. Auch
16 wie hinsichtlich ernährungsbezogener und sportlicher As- in anderen Bereichen zeichnen sich anorektische
pekte. Zum Beispiel erscheinen Männer mit einer Anorexia Personen durch erhöhtes Bemühen um Selbstkon-
17 nervosa hyperaktiver und machen deutlich mehr Sport als trolle und das Beherrschen von Emotionen aus.
Anorexiepatientinnen (Fichter und Krenn 2003). Zudem Oftmals weisen sie eine Tendenz zur Zwanghaftigkeit
scheint ein Substanzmissbrauch bzw. eine Substanzabhän- auf. Personen mit Bulimia nervosa dagegen neigen
18 gigkeit deutlich häufiger aufzutreten. Insgesamt scheinen eher zu mangelnder Selbstkontrolle, was eine erhöhte

19
20
Männer weniger stark ausgeprägte psychopathologische
Merkmale zu zeigen: So nehmen sie weniger häufig La-
xanzien, Diuretika oder Diätpillen ein, sind weniger um
ihr Gewicht besorgt und leiden weniger unter Essanfällen
- Impulsivität und emotionale Instabilität zur Folge hat.
Teilweise schwerwiegende körperliche Folgeschäden
sind ein weiteres Merkmal, das beiden Essstörungs-
formen gemein ist. Zu nennen sind hier Hypotonie,
und Gewichtsschwankungen (Fichter und Krenn 2003). Durchblutungsstörungen, Absinken der Körper-
Die wenigen Therapiestudien, welche Männer unter- temperatur, Störungen der hormonellen Balance,
21 suchten, zeigen gegenüber Frauen ein etwas schlechteres Obstipation, verzögerte Magenentleerung, Schädi-
Ergebnis; nur ein Drittel der Männer war deutlich gebes- gungen der Zähne und Speiseröhre sowie langfristig
22 sert, ein Drittel wies Restsymptome auf, und ein Drittel Herzrhythmusstörungen, Hypokaliämie, Niereninsuf-
konnte nicht von der Behandlung profitieren (Andersen fizienz und Geschwüre im Magen-Darm-Trakt.
Literatur
19 1

- Oft ist der direkte Auslöser der Essstörung ein rigides


Diätverhalten. Der Verlauf einer Essstörung ist zu-
meist intermittierend bis chronisch. 30 % der Essstö-
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23 2

Theoretische Grundlagen
zur Entstehung
und Aufrechterhaltung von
Anorexia und Bulimia nervosa
T. Legenbauer, S. Vocks

2.1 Prädisponierende Faktoren für Essstörungen – 24


2.1.1 Biologische Faktoren – 24
2.1.2 Soziokulturelle Faktoren – 26
2.1.3 Familiäre Faktoren – 27
2.1.4 Individuelle Faktoren – 27

2.2 Auslösende Faktoren von Essstörungen – 29


2.3 Aufrechterhaltende Faktoren von Essstörungen – 29
2.3.1 Gezügeltes Essverhalten – 30
2.3.2 Stress, Coping und Emotionsregulation – 30
2.3.3 Dysfunktionale Informationsverarbeitungsprozesse – 31

2.4 Exkurs: Mikroanalyse von Essanfällen – 32


2.4.1 Definition von Essanfällen – 32
2.4.2 Auslösende Faktoren für Essanfälle – 32
2.4.3 Funktion des Essanfalls – 34

2.5 Zusammenfassung – 34
Literatur – 34

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
24 Kapitel 2 • Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa

Essstörungen gelten als komplexe Störungsbilder, deren 2.1 Prädisponierende Faktoren


1 einzelne Mechanismen nach wie vor ungeklärt bleiben, für Essstörungen
trotz einer regen Forschungstätigkeit und einer Vielzahl
2 an theoretischen Modellen, welche die Entstehung und Prädisponierende Faktoren sind zeitlich überdauernde
Aufrechterhaltung von Essstörungen im Allgemeinen oder Merkmale auf Seiten der Person oder der Umwelt, welche
der Anorexia bzw. Bulimia nervosa im Besonderen erklä- die Grundlage für die Entstehung einer möglichen Essstö-
3 ren. Diese verschiedenen Modelle gehen aus unterschied- rung darstellen. Hierbei wurden verschiedenste Faktoren
lichen Forschungsbereichen hervor. Zu nennen sind hier identifiziert, welche die Auftretenswahrscheinlichkeit für
4 beispielsweise kognitive Modelle (Vitousek und Hollon eine Essstörung erhöhen bzw. einer späteren Essstörung
1990), lerntheoretische Modelle (Jansen 1998), Affekt- bzw. vorausgehen können. Diese prädisponierenden Faktoren
5 Spannungsregulationsmodelle (Orleans und Barnett 1984) können folgenden Unterkategorien zugeordnet werden, die
oder kognitiv-behaviorale Modelle wie das transdiagnosti-
sche Modell von Fairburn et al. (2003). Allen diesen Mo-
--
im Folgenden beschrieben werden:
biologische Faktoren,

--
6 dellen ist gemein, dass sie die Entstehung von Essstörungen soziokulturelle Faktoren,
nur durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren familiäre Faktoren und
7 und somit aus einer multidimensionalen Sichtweise der Persönlichkeitsfaktoren.
Symptomatik erklären. In den theoretischen Modellen sind
8
9
-
3 Bereiche von Relevanz:
sog. prädisponierende oder Vulnerabilitätsfakto-
ren, welche den „Boden“ für die Entwicklung einer
Essstörung bereiten; diese sind im Ansatz bereits in
2.1.1 Biologische Faktoren

Es wird davon ausgegangen, dass biologische Faktoren eine


▶ Abschn. 1.1.5 und ▶ Abschn. 1.2.5 im Überblick der Vulnerabilität darstellen, die unter Einwirkung zusätzlicher
10
- Risikofaktoren dargestellt;
Auslösefaktoren, die zur Manifestation der Essstö-
Faktoren die Entwicklung einer Essstörung unterstützen
(Kaye et al. 2004). Zu den biologischen Faktoren zählen

11
12
- rung geführt haben;
aufrechterhaltende Faktoren, die erklären, warum die
Störung dauerhaft bestehen bleibt, obwohl die Fak-
toren, die zur Entwicklung der Erkrankung geführt
genetische Faktoren und biologische Veränderungen
wie hypothalamische Dysfunktionen, Dysfunktionen des
endokrin-metabolischen Systems und Neurotransmitter-
störungen. Daneben scheinen zudem körperliche Fakto-
haben, gegebenenfalls nicht mehr wirksam sind. ren, wie prämorbides Gewicht, ernährungsphysiologische
Aspekte, wie restriktives Essverhalten, und Störungen des
13 Im Folgenden wird auf diese 3 Faktoren differenzierter ein- Hunger- und Sättigungshaushaltes relevant zu sein.
gegangen. Hierbei werden verschiedene Störungsmodelle
14 in einem Modell integriert und daraus die therapeutischen zz Genetische Faktoren
Interventionen abgeleitet. Aufgrund der großen Ähnlich- Die Relevanz genetischer Faktoren bei der Entstehung der
15 keiten in der Symptomatik der Anorexia und der Bulimia Essstörungen wird durch Ergebnisse aus der Zwillingsfor-
nervosa (Fairburn et al. 2003) wird hierbei ein Modell schung gestützt: So können 50–83 % der Varianz hinsicht-
entwickelt, welches beide Störungsbilder umfasst. Bei der lich des Auftretens der Bulimia nervosa und 28–83 % der
16 Darstellung der einzelnen Unterpunkte wird jedoch auf Anorexia nervosa durch genetische Faktoren erklärt wer-
mögliche Unterschiede zwischen Anorexia und Bulimia den (Frieling und Bleich 2008). Auch Essstörungssymptome
17 nervosa eingegangen. Das von uns vorgeschlagene Modell selbst scheinen zum Teil genetisch bedingt zu sein. So kann
wird in . Abb. 2.1 abschließend grafisch dargestellt und das Auftreten von Essanfällen, Erbrechen und restriktivem
stellt eine Integration der bisherigen Befunde dar. Essverhalten zu 46–72 % durch genetische Faktoren erklärt
18 Darüber hinaus wird im Rahmen eines Exkurses eine werden (Klump et al. 2000). Ähnliches gilt für dysfunktio-
genaue Analyse der Auslösebedingungen für einen Essan- nale Einstellungen zu Figur und Gewicht: Hierbei liegt die
19 fall durchgeführt. Dies liegt darin begründet, dass Essan- Erblichkeitswahrscheinlichkeit zwischen 32 % und 72 %
fällen zwar eine große Bedeutung in der Symptomatik vor (Klump et al. 2000). In den letzten Jahren wurden verstärkt
20 allem der Bulimia nervosa zukommt, aber bislang kaum Versuche unternommen spezifische Genloci zu identifizie-
Modelle zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhal- ren, die an der erblichen Weitergabe einer Vulnerabilität für
tung der Essanfälle im Speziellen vorliegen. Essstörungen beteiligt sein könnten. Bislang wird angenom-
21 men, dass insbesondere Genloci, welche an der serotoner-
gen (z. B. das 5HT2 A Rezeptor-Gen) und dopaminergen
22 (z. B. das DRD2 Rezeptor-Gen) Neurotransmission betei-
ligt sind, eine bedeutende Rolle für die Entwicklung von
2.1 • Prädisponierende Faktoren für Essstörungen
25 2

.. Abb. 2.1 Multifaktorielles Modell der Essstörungen Anorexia und Bulimia nervosa

Essstörungen spielen. Auch hormonelle Dysfunktionen, ligte Kortikotropin-Releasing-Hormon oder Peptide wie
die mit der Appetit- und Energieregulation assoziiert sind, das Leptin, welches für die Reduktion der Nahrungszufuhr
werden aktuell diskutiert (Frieling und Bleich 2008). Zudem verantwortlich ist. Diese Störungen der Hormonherstel-
sprechen familiäre Häufungen von Essstörungen bei Ver- lung oder -sekretion führen nachfolgend zu Appetitlosig-
wandten ersten und zweiten Grades ebenfalls für eine gene- keit oder gegenteilig zu Überessen und Heißhunger (Über-
tische Beeinflussung (Strober et al. 2000), allerdings kann sicht vgl. Fichter 2000).
hierbei nicht unterschieden werden, inwieweit die familiäre Hinsichtlich der Neurotransmitterdysfunktionen
Häufung durch Umgebungsvariablen oder Lernerfahrungen scheint Serotonin eine zentrale Rolle zu spielen, da es eben-
(z. B. Modelllernen) zustande kommt. falls an der Sättigungsreaktion beteiligt ist und als Indika-
tor für die Menge aufgenommener Kohlenhydrate dient.
zz Neurobiologische Veränderungen Dies liegt darin begründet, dass Serotonin aus Tryptophan
Hinsichtlich der neurobiologischen Veränderungen sind gewonnen wird und dafür Kohlenhydrate benötigt wer-
Dysfunktionen des Hypothalamus sowie Störungen der mit den. Es wird vermutet, dass Serotonin damit vor allem in
der Sättigungsregulation verbundenen Hormone allgemein Bezug auf die Auslösung von Essanfällen eine Rolle spielt,
und Neurotransmittern wie dem Serotonin zu nennen. da die Kohlenhydrataufnahme durch die Störung dieser
Der Hypothalamus ist für die Hunger- und Sätti- Feedbackschleife weitgehend ungesteuert durch den Be-
gungsregulation über verschiedene Feedbackschleifen im darf erfolgt. Das Einsetzen von Essanfällen kann dement-
Körper verantwortlich. Entsprechend können Dysfunk- sprechend durch den endogen bedingt niedrigen Wert des
tionen in diesem Bereich, beispielsweise ausgelöst durch Serotonins erklärt werden (Goldbloom et al. 1991; Kaye
frühkindliche Hirnschädigungen bzw. Geburtstraumata, und Weltzin 1991). Diese „Carbohydrate-craving-Theorie“
die Hunger- und die Sättigungsregulation dadurch stören, postuliert damit die hohe Aufnahme von Kohlenhydraten
dass verschiedene Hormone nicht mehr an Nahrungsauf- als „Selbstmedikation“, um den niedrigen Serotoninspiegel
nahme gekoppelt ausgeschüttet werden. Davon betroffen zu erhöhen (Jansen et al. 1989). Des Weiteren nimmt man
sind das an der Hunger- und Sättigungsregulation betei- an, dass durch die Unregelmäßigkeiten in der Ernährung
26 Kapitel 2 • Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa

bulimischer Patientinnen schon vor dem eigentlichen Stö- Diese beziehen sich vor allem auf ein überhöhtes Schlank-
1 rungsbeginn eine Dysfunktion des Sättigungsmechanismus heitsideal, das sich in den westlichen Gesellschaften ver-
ausgelöst wird und die neurobiologischen Veränderungen breitet hat und über Massenmedien sowie auch die Familie
2 deshalb als Prädiktor für die Essstörung zu betrachten sind. und Peers vermittelt zu werden scheint.

zz Körperliche Faktoren zz Gesellschaftliches Schlankheitsideal


3 Als weiterer Risikofaktor gilt ein biologisch höheres Ge- Für den Einfluss soziokultureller Einflüsse spricht die
wicht bei normaler Nahrungsaufnahme, da ein höherer hohe Prävalenz von Essstörungen in der westlichen Welt
4 BMI häufiger mit einem negativeren Körperbild einhergeht gegenüber anderen Kulturkreisen. Durch die Globalisie-
(Stice und Shaw 2002). Für die Betroffenen bedeutet dies, rung scheint aber auch hier ein Wandel im Schönheitsideal
5 dass das angestrebte Schlankheitsideal nur durch eine deut- stattzufinden – im Sinne einer Ausbreitung des westlichen
liche Einschränkung der Nahrungszufuhr erreicht werden Schlankheitsideals. Im Rahmen einer großangelegten
kann und damit die Wahrscheinlichkeit zur Entstehung Studie in 10 Ländern (International Body Project, IBP-
6 einer Essstörung erhöht wird (Fairburn et al. 1997). Auch I), wurden mehr als 7000 Menschen hinsichtlich des ge-
eine frühe Menarche kann möglicherweise die Entstehung sellschaftlichen Schönheitsideals befragt. Es zeigten sich
7 von Essstörungen begünstigen. Unklar bleibt jedoch, ob dabei kulturelle und sozioökonomische Einflüsse, wobei
dies durch den häufig mit der frühen Menarche assozi- Gewicht und die Exposition mit dem westlichen Schön-
ierten höheren Körperfettanteil bedingt ist oder aber über heitsideal das Ausmaß körperlicher Unzufriedenheit
8 eine stärkere körperliche Unzufriedenheit erklärt werden voraussagten (Swami et al. 2012). Dies scheint mitunter
kann (Thompson 1992; Wertheim et al. 2004). bedingt durch den Wandel hin zu einem immer dünner
9 werdenden Ideal, das für die meisten Frauen unerreichbar
zz Ernährungsphysiologische Faktoren geworden ist (Garner 1997). So geben Mangweth-Matzek
10 Es gibt Hinweise darauf, dass Mütter mit Essstörungen et al. (2006) an, dass auch bei älteren Frauen über 60 % un-
ihre Kinder eher nach externen Zeitgebern gefüttert ha- zufrieden mit dem eigenen Körper sind und mehr als 80 %
ben, anstatt auf die Hungersignale der Kinder zu achten das Körpergewicht aus diesem Grunde kontrollieren. Der
11 (Evans und Le Grange 1995). Dadurch kann es zu einer gewünschte BMI lag fast 2 Punkte unter dem BMI, den die
Entkopplung von Nahrungsaufnahme und physiologi- Frauen durchschnittlich hatten. Aber bereits bei Grund-
12 schem Bedürfnis bzw. Hunger gekommen sein. Die Hun- schulkindern zeigen sich die Einflüsse des omnipräsenten
ger- und Sättigungswahrnehmung wird so möglicher- gesellschaftlichen Schlankheitsideals (Schur et al. 2000).
weise gestört, so dass das Essverhalten weitgehend external Der Grund für den großen Einfluss dieses Schlank-
13 durch Auslösereize in der Umgebung (z. B. Verfügbarkeit heitsideals wird darin gesehen, dass das von den Medien
von Nahrung) oder internal durch Kognitionen (z. B. dargestellte Ideal vor allem bei Frauen gleichzeitig an
14 „Jetzt ist 13.00 Uhr – Essenszeit“ bzw. „Ein Teller Suppe positive Attribute wie Attraktivität, Glück und Erfolg ge-
ist genug“) gesteuert wird. Durch die weggefallene Sätti- koppelt ist. In welchem Ausmaß sich eine Person jedoch
15 gungswahrnehmung ist das Risiko, sich zu überessen und dem Schlankheitsideal beugt, hängt vom Grad des wahr-
langfristig bei Vorhandensein weiterer Risikofaktoren eine genommenen Drucks in Richtung Schlankheit und dem
Essanfallstörung zu entwickeln, hoch (de Zwaan 2003). Es Ausmaß der Internalisierung dieses Schlankheitsideals ab
16 ist jedoch anzunehmen, dass ernährungsphysiologische (Keery et al. 2004). Als positiv assoziiert mit einer stärke-
Aspekte neben der Entstehung einer Essstörung vor allem ren Verinnerlichung des Schlankheitsideals gelten dabei
17 in der Aufrechterhaltung eine Rolle spielen, da durch das bestimmte Charakteristika wie bereits vorhandene Körper­
ungeregelte Essverhalten vor allem bei der Bulimia nervosa unzufriedenheit, depressive Stimmung sowie Tendenzen,
und wiederholte Fastenphasen eine internale physiologi- seinen Körper mit dem anderer Menschen zu vergleichen
18 sche Sättigungsregulation nicht mehr verlässlich stattfin- (Durkin und Paxton 2002). Neben diesen Mediatoren wer-
den kann (Connan und Stanley 2003). Eine differenziertere den zudem noch ein geringes Selbstwertgefühl, ein höhe-
19 Darstellung ernährungsphysiologischer Faktoren wie die res Körpergewicht sowie Schwierigkeiten mit der eigenen
Regulation von Hunger und Sättigung findet sich bei Pudel Identität (z. B. in der Adoleszenz im Rahmen der Persön-
20 und Westenhöfer (1998). lichkeitsentwicklung) im Zusammenhang mit der Inter-
nalisierung des Schlankheitsideals genannt (Keery et al.
2004). Experimentelle Untersuchungen zum Einfluss der
21 2.1.2 Soziokulturelle Faktoren Medien auf Stimmung und Körperwahrnehmung belegen
einen Teil dieser Annahmen. So sind Frauen nach Darbie-
22 Neben biologischen Faktoren werden soziokulturelle Ein- tung von schlanken Models in Zeitungen, Werbespots und
flüsse auf die Entwicklung von Essstörungen diskutiert. Bildern schlechter gestimmt und unzufriedener mit ihrem
2.1 • Prädisponierende Faktoren für Essstörungen
27 2

Körper. Dies trifft vor allem auf junge Frauen (<19 Jahre) und Bündnisprobleme berichtet (Minuchin et al. 1978). Fa-
und solche mit einer stärkeren Körperunzufriedenheit vor milien mit bulimisch Erkrankten hingegen seien gekenn-
der Untersuchung zu (Groesz et al. 2002). zeichnet durch heftige und offen ausgetragene Konflikte
ohne Lösung, einer Missachtung von Intimschranken,
zz Einfluss der Familie und Peers Störungen der emotionalen Resonanz, einer Neigung zu
Neben den Massenmedien scheinen Familie und Peers impulsiven Handlungen, Triangulierung, widersprüchli-
einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Körper­ cher Normorientierung und einem Ideal der Stärke.
unzufriedenheit und Internalisierung eines überhöhten Weitere Unterschiede zwischen Familien mit anorek-
Schlankheitsideals zu haben. Die Familie vermittelt diese tisch und bulimisch erkrankten Kindern liegen möglicher-
Botschaften auf 2 Wegen – zum einen durch die direkte weise darin, dass die direkte Beeinflussung durch Einstel-
Kommunikation, zum anderen als soziales Modell (Wert- lungen zu Essen, Gewicht und Aussehen in Familien von
heim et al. 2004). Einige Befunde sprechen für einen en- anorektischen Patientinnen deutlicher ausgeprägt ist als in
gen Zusammenhang zwischen kritischen Bemerkungen den Familien bulimischer Patientinnen. Des Weiteren gibt
der Eltern über Figur und Gewicht bzw. der Aufforderung es anscheinend eine stärkere emotionale Verbundenheit in
zur Gewichtsabnahme und tatsächlichen Gewichtssorgen den Familien der von Anorexia nervosa Betroffenen, wäh-
oder Diätversuchen des Kindes (Benedikt et al. 1998). Zu- rend diese in Familien mit bulimisch Erkrankten deutlich
dem konnte gezeigt werden, dass Mütter mit Essstörun- niedriger als im Durchschnitt ist (Reich und Buss 2002).
gen ihre Töchter zu stärkerem Diätverhalten – unabhängig Zusammenfassend scheinen vor allem die familiäre Grenz-
von deren Realgewicht – anhielten. Die Einschätzung des regulation als auch soziale Defizite in der Familie und die
Gewichts der Tochter durch die Mutter erwies sich dabei Abhängigkeit von der Primärfamilie bedeutsame Faktoren
als prägend für späteres Diätverhalten (Byely et al. 2000). in der Entstehung von Essstörungen zu sein.
Einige Studien konnten zudem zeigen, dass ein Imitieren Das familiäre Beziehungsfeld, in dem anorektische und
von Diätverhalten der Mutter durch das Kind bzw. das In- bulimische Patientinnen aufwachsen, erschwert damit die
ternalisieren von Gewichts- und Figursorgen der Mutter Entwicklung einer stabilen Identität, Autonomie sowie die
im Zusammenhang mit dem Auftreten von Essstörungen Ausbildung eines positiven Selbstwertgefühls. Insgesamt
steht (Smolak 2002; Steiger et al. 1996). sind diese Annahmen zu familiären Mustern bei Essstö-
Bei Peers wirken ähnliche Mechanismen wie in der Fa- rungen jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da sie nicht
milie. Über Schulhofgespräche bezüglich Figur, Gewicht, oder nur partiell empirisch untermauert werden konnten
Essverhalten u. Ä. (den sog. Fat-talk) werden Normen und (Webster und Palmer 2000). Auch wurden viele der Cha-
Ideale über Aussehen vermittelt (Wertheim et al. 2004). rakteristika der sog. Essstörungsfamilien nur aus korrelati-
Zusätzlich wird über direktes körperbezogenes Feedback ven Untersuchungen gewonnen (Lässle 1998). Dabei wur-
vor allem in Form von negativen Kommentaren (Tantleff- den die Daten hinsichtlich der familiären Muster zu einem
Dunn und Gokee 2002) oder gar Hänseleien (Cattarin und Zeitpunkt erhoben, als bereits ein Kind an Essstörungen
Thompson 1994) in der sensiblen Phase der Adoleszenz ein erkrankt war, so dass die beobachteten Auffälligkeiten auch
negatives Körperbild vermittelt. Eine aktuelle Metaanalyse als Folge aus der Erkrankung eines Familienmitgliedes re-
zeigt, dass körperbezogene Hänseleien sich sowohl auf die sultieren können und nicht zwingend ätiologisch relevant
körperliche Zufriedenheit als auch auf das Essverhalten gewesen sein mussten. Die Kausalität bleibt daher unklar,
(Diätverhalten und bulimischen Verhaltensweisen) aus- so dass prospektive Studien in diesem Zusammenhang auf-
wirken (Menzel et al. 2010). schlussreicher wären.

2.1.3 Familiäre Faktoren 2.1.4 Individuelle Faktoren

Es gibt einen reichhaltigen Fundus an Studien zu fami- Ob die verschiedenen familiären und sozialen Erfahrungen
liären Interaktionsmustern im Zusammenhang mit der zur Ausbildung einer Essstörung führen, hängt unter ande-
Ätiologie von Essstörungen, welche vor allem aus einer rem von der Ausprägung bestimmter Merkmale auf Seiten
systemischen Sichtweise von Bedeutung sind. Familien des Individuums ab (Strober und Humphrey 1987). Hierzu
anorektischer Patientinnen scheinen dabei gekennzeich- zählen beispielsweise ein niedriges Selbstwertgefühl, Per-
net durch einen starken Zusammenhalt, hohe Norm- und fektionismus und Impulsivität.
Leistungsorientierung, stärkere Überbehütung des Kindes
sowie Konfliktvermeidung bei absolutem Harmoniegebot zz Niedriger Selbstwert
und einem Mangel an Konfliktbewältigungsfähigkeiten. Selbstwertbeeinträchtigungen scheinen ein ätiologisch
Des Weiteren werden Verstrickungen, Grenzstörungen bedeutsames Persönlichkeitsmerkmal in der Entwick-
28 Kapitel 2 • Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa

lung von Essstörungen zu sein (Jacobi 2000). Die negative nismus ein relativ stabiles Merkmal auf Seiten einer Person
1 Selbstbewertung wird dabei als unmittelbar wirkender und kein Epiphänomen der Essstörung ist. Auch die inhalt-
Faktor, welcher dem gestörten Essverhalten vorausgeht, liche Betrachtung der bei Patientinnen mit Essstörungen
2 beschrieben (Fairburn et al. 1986). Dies zeigte sich auch in charakteristischerweise auftretenden kognitiven Grundan-
laborexperimentellen Studien, welche die Höhe des Selbst- nahmen (z. B. „Wenn ich nicht alles perfekt mache, bin ich
wertgefühls als Prädiktor für die Menge der verzehrten ein Versager!“) erbringen Hinweise auf perfektionistische
3 Nahrung bestätigen konnten, wobei ein niedriger Selbst- Ansprüche an sich selbst („Kognitive Defizite“).
wert mit geringerer Nahrungsaufnahme assoziiert war.
4 (Jansen et al. 1998). Weitere Untersuchungen weisen auf zz Impulsivität
die eng mit dem Selbstwert verknüpfte Selbstwirksamkeit Verschiedene Autoren nehmen Defizite in der Impulskon-
5 hin, welche ebenfalls einen Einfluss auf das Essverhalten trolle bei Essstörungen an und postulieren, dass es einen
hat (Bardone et al. 2003). Einschränkend ist hier jedoch Zusammenhang zwischen Impulsivität als Persönlichkeits-
anzumerken, dass ein niedriges Selbstwertgefühl auch bei faktor und der Entstehung von Essstörungen, insbeson-
6 anderen psychischen Störungen eine Rolle spielt und so dere der Bulimia nervosa, gibt. (Hawkins und Clement
möglicherweise nicht spezifisch für die Essstörungsent- 1984; Welch und Fairburn 1996; Krug et al. 2011). Hier-
7 wicklung ist (Jacobi et al. 2003). bei werden Essanfälle und selbstinduziertes Erbrechen als
impulsives Verhalten betrachtet. Allerdings ist der bislang
zz Perfektionismus angenommene Zusammenhang zwischen Essanfällen, Er-
8 Perfektionismus gilt als gut belegter prädisponierender und brechen und Impulsivität als Trait empirisch nicht kon-
aufrechterhaltender Faktor für Essstörungen. So zeigte die sistent nachweisbar (Brown et al. 2011). Neuere Studien
9 Analyse von Shafran et al. (2002) einen deutlichen Zusam- weisen darauf hin, dass sich Patientinnen mit Anorexia
menhang zwischen einem hohen Ausmaß an Perfektionis- nervosa vom Purging-Typus nicht von Patientinnen mit
10 mus und der Entstehung von Essstörungen, vor allem bei Bulimia nervosa im Ausmaß der Trait-Impulsivität un-
anorektischen Patientinnen. Bezüglich des Perfektionis- terscheiden (Zalar et al. 2011).. Möglicherweise ist das
mus kann zudem zwischen selbst- und sozial orientiertem Ausmaß negativer Stimmung moderierend für diese Ver-
11 Perfektionismus unterschieden werden (Sherry et al. 2004). bindung: so wiesen Bekker et al. (2004) nach, dass sich Per-
Während sich der selbstorientierte Perfektionismus auf sonen mit hoher Impulsivität stärker durch die Induktion
12 hohe Ansprüche an sich selbst bezieht („Ich hasse es, nicht einer negativen Emotion beeinflussen lassen und dadurch
die Beste zu sein“), umfasst der sozial orientierte Perfekti- bedingt mehr Nahrung zu sich nehmen. Wonderlich et al.
onismus subjektive Vergleiche und angenommene Erwar- (2004) weisen darauf hin, dass Impulsivität – als Trait ge-
13 tungen anderer Menschen an die Person selbst („Nur eine messen – keinen Zusammenhang mit der Entstehung einer
hervorragende Leistung ist gut genug in meiner Familie“; Essstörung aufweist; erst der Einbezug impulsiver Verhal-
14 „Als Kind habe ich mich sehr angestrengt, meine Eltern tensweisen als State-Merkmal erwies sich als aussagekräf-
und die Lehrer nicht zu enttäuschen“). Es ist anzunehmen, tiger Prädiktor für die Essstörungsentwicklung. Zudem
15 dass sich selbstorientierter Perfektionismus vor allem dann konnte für Patientinnen mit einer Bulimie nachgewiesen
entwickelt, wenn in der Familie hohe Leistungsansprüche werden, dass eine geringere Impulsivität zu Behandlungs-
vermittelt werden. Vermutlich ist selbstorientierter Perfek- beginn mit einem besseren Therapieerfolg zusammenhing
16 tionismus vor allem bei Frauen mit einer Anorexia nervosa (Castellini et al. 2012).
vorhanden. Sherry et al. (2004) konnten zudem nachwei-
17 sen, dass der Einfluss von selbstorientiertem Perfektionis- zz Kognitive Faktoren
mus auf die Essstörungssymptomatik von der Stärke des Die Überbewertung von Figur und Gewicht gilt als ein Ri-
sozial orientierten Perfektionismus abhängt. sikofaktor für die Entstehung von Essstörungen (Fairburn
18 Neben der prädiktiven Bedeutung des Perfektionismus et al. 2003). Es wird daher vermutet, dass dysfunktionale
ist ihm des Weiteren eine aufrechterhaltende Funktion kognitive Prozesse in Form von spezifischen Grundannah-
19 zuzuordnen. So konnte beispielsweise in Therapiestudien men („core beliefs“) bei der Entstehung und Aufrechter-
gezeigt werden, dass ein hoch ausgeprägter Perfektionis- haltung von Essstörungen eine Rolle spielen (Waller et al.
20 mus negativ mit dem Behandlungsergebnis korrelierte. Des 2000; Legenbauer et al. 2007). Dabei geht man davon aus,
Weiteren konnte in dieser Untersuchung im Verlaufe eines dass essens- und gewichtsbezogene Inhalte durch Lerner-
Follow-up-Zeitraumes beobachtet werden, dass das Aus- fahrungen ▶ Abschn. 2.1.2 und ▶ Abschn. 2.1.3) an die
21 maß an Perfektionismus nicht auf das Niveau von gesun- Selbstbewertung gekoppelt werden (Morris et al. 2001).
den Kontrollpersonen absank, obwohl die Essstörungssym- Diese werden in kognitiven Strukturen, sog. kognitiven
22 ptome deutlich reduziert waren (Sutandar-Pinnock et al. Schemata verankert und enthalten dysfunktionale Grund-
2003). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass Perfektio- annahmen, welche zumeist als absolute, bedingungslose
2.3 • Aufrechterhaltende Faktoren von Essstörungen
29 2

und dichotome Überzeugungen in Bezug auf sich selbst neuen Lebensabschnitt, die Trennung von einem Partner,
und die Welt verstanden werden. Diese dysfunktionalen der Umzug in eine andere Stadt oder weitere Belastungen.
Grundannahmen entwickeln sich meist früh im Leben als Insgesamt kann festgehalten werden, dass durch diese kri-
adaptive Reaktion auf die Umwelt und bleiben auch dann tischen Lebensereignisse an die Person Bewältigungsan-
noch bestehen, wenn die damals relevanten Bedingungen forderungen gestellt werden, denen sie sich nicht gewach-
nicht mehr wirksam sind, so dass die möglicherweise zu- sen fühlt. Stress scheint zumindest bei gesunden Frauen,
nächst funktionalen Überzeugungen unangemessen wer- die einige der Vulnerabilitätsfaktoren aufweisen, eine bis
den (Young 1994). dahin nicht vorhandene Verbindung zwischen psycholo-
In den letzten Jahren konnte in mehreren Studien ein gisch prädisponierenden Faktoren und dem Wunsch nach
Zusammenhang zwischen dysfunktionalen kognitiven Gewichtsverlust oder zumindest der Planung einer Diät
Schemata und der Essstörungssymptomatik nachgewie- auszulösen (Sassaroli und Ruggiero 2005).
sen werden (Dingemans et al. 2005; Unoka et al. 2010). Wenn bei den für Essstörungen gefährdeten Personen
Insbesondere erwiesen sich negative Schemata zu den durch einen Gewichtsverlust infolge einer Nahrungsmit-
Bereichen „wahrgenommene Unzulänglichkeit/Scham“, telrestriktion positive Rückmeldungen von Angehörigen
„unzureichende Selbstkontrolle“ und „Leistungsversagen“ und Peers folgen, kann dies verstärkend wirken und die
als relevant, die sich in typischen Gedanken wie „Ich muss Verbindung zwischen einer Gewichtsreduktion und einer
alle meine Handlungen kontrollieren, um mich sicher zu Selbstwertgefühlerhöhung stabilisieren. Die Angst vor ei-
fühlen“, „Ich muss alles perfekt machen, sonst ist es wert- ner erneuten Gewichtszunahme wird etabliert und hält das
los“ und „Jeder muss mich lieben und mein Verhalten restriktive Essverhalten aufrecht. Vor allem bei der Ano-
gutheißen“ äußern (Bauer und Anderson 1989). Diese in rexia nervosa ziehen die Frauen aus dem Empfinden, eine
den kognitiven Schemata verankerten dysfunktionalen außergewöhnliche Selbstdisziplin zu besitzen, eine so po-
Grundannahmen besitzen Handlungsrelevanz (Vitousek sitive Verstärkung, dass es zu einem Streben nach weiterer
und Hollon 1990) und führen durch Fehler in der Informa- Gewichtsabnahme und übermäßigem Kontrollverhalten
tionsverarbeitung ankommender Reize von außen zu Fehl- kommt. Allerdings kann es durch die Nahrungsmittelres-
interpretationen (Cooper 1997) und damit auch zur Aus- triktion auch zu einer höheren Auftretenswahrscheinlich-
wahl dysfunktionaler Verhaltensweisen. Die fehlerhaften keit von Essanfällen kommen, auf welche die Betroffenen
Informationsverarbeitungsprozesse sind gekennzeichnet häufig mit kompensatorischen Maßnahmen wie selbstin-
durch selektive Aufmerksamkeit und Erinnerungsprozesse. duziertem Erbrechen reagieren. Diese Gegenmaßnahmen
Es wird angenommen, dass diese kognitiven Defizite zu gehen meist mit Schuldgefühlen einher, so dass eine Ab-
einer Verstärkung der negativen Sichtweise über sich selbst wärtsspirale aus Diäthalten, Gewichtsverlust, Essanfällen
und den eigenen Körper führen und im Weiteren dadurch und Erbrechen auftritt und die Vollsymptomatik der Buli-
zur Aufrechterhaltung der Essstörung beitragen (William- mia nervosa entsteht.
son et al. 2004; ▶ Abschn. 2.3.3). Im Folgenden werden die Mechanismen beschrieben,
die bedingen, dass eine Essstörung über längere Zeit be-
>> Prädisponierende Faktoren sind zeitlich relativ stehen bleibt.
stabile Merkmale auf Seiten einer Person oder ihrer
Umwelt, welche die Grundlage für die Entwicklung
einer Essstörung darstellen. Diese prädisponieren- 2.3 Aufrechterhaltende Faktoren
den Faktoren umfassen biologische, soziokulturelle, von Essstörungen
familiäre und individuelle Aspekte.
Zu den aufrechterhaltenden Faktoren zählen ein gezügeltes
Essverhalten, ein hohes Ausmaß an Stress sowie fehlende
2.2 Auslösende Faktoren von Bewältigungsfertigkeiten und eine dysfunktionale Infor-
Essstörungen mationsverarbeitung. Diese Faktoren wirken dabei verstär-
kend auf die vorhandenen prädisponierenden Faktoren und
Das Vorhandensein eines oder einiger der oben genann- sorgen dafür, dass es zu einem sich selbst perpetuierenden
ten prädisponierenden Faktoren bei einer Person kann Teufelskreis kommt. Die aufrechterhaltenden Faktoren für
das Risiko für die Entstehung einer Essstörung im Laufe die Bulimia und Anorexia nervosa entsprechen sich größ-
ihres Lebens erhöhen. Jedoch kann hierdurch der Mani- tenteils, für die Anorexia nervosa wird ergänzend ein aus-
festationszeitpunkt nicht vorhergesagt werden. In diesem geprägtes Kontrollgefühl diskutiert, was aufgrund nur we-
Zusammenhang werden auslösende Ereignisse relevant: niger wissenschaftlicher Studien an dieser Stelle nicht näher
Hierzu zählen – wie auch bei anderen psychischen Störun- erläutert wird. Im Folgenden sind die einzelnen Faktoren
gen – kritische Lebensereignisse wie der Eintritt in einen anhand von Forschungsbefunden beschrieben.
30 Kapitel 2 • Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa

2.3.1 Gezügeltes Essverhalten trolle beinhaltet hierbei, dass Diätregeln ganz genau und
1 ausnahmslos befolgt werden müssen, während bei der fle-
Das Modell des gezügelten Essverhaltens oder „Restraint xiblen Kontrolle Abweichungen von den Diätregeln (z. B.
2 Eating“ (Herman und Polivy 1980) wird im Rahmen der gelegentlicher Verzehr eines „verbotenen“ Nahrungsmit-
Essstörungsforschung seit vielen Jahren umfassend unter- tels) von den Betroffenen eher toleriert werden und später
sucht. Es ist definiert als selbstauferlegte Nahrungsdepri- (z. B. durch eine verstärkte Nahrungsrestriktion) wieder
3 vation und wird von den Betroffenen eingesetzt, um ein kompensiert werden können. Es zeigte sich, dass die rigide
Gewicht unterhalb des eigenen „Set Point“ zu erreichen Kontrolle in stärkerer Verbindung zu bulimischer Symp-
4 bzw. zu halten (Nisbett 1972). Hierzu versuchen die Perso- tomatik steht (Westenhöfer et al. 1999), was dadurch zu
nen, sich an bestimmte Regeln bezüglich einer Begrenzung erklären ist, dass die rigide Kontrolle von den Betroffenen
5 der aufgenommenen Nahrungsmittel bzw. die Auswahl be- dauerhaft schwer aufrechtzuerhalten ist und daher oft in
stimmter niederkalorischer Nahrungsmittel zu halten. Das Essanfälle mündet.
Konzept des Restraint Eating wird sowohl in der Entstehung Es kann trotz unterschiedlicher theoretischer Ansätze
6 als auch in der Aufrechterhaltung diskutiert. Allerdings tritt festgehalten werden, dass Diäthalten bzw. gezügeltes Ess-
nicht bei allen Patientinnen mit Essstörungen, insbesondere verhalten eine zentrale Stellung bei der Entstehung, Aus-
7 der Bulimia nervosa, auch gezügeltes Essverhalten vor dem lösung und Aufrechterhaltung von Essanfällen einnimmt,
Beginn der Störung auf. Daher wird dieses Konzept hier wobei ein gezügeltes Essverhalten nur bei einem Teil der
vornehmlich im Zusammenhang mit der Aufrechterhal- Betroffenen den Essanfällen vorangeht.
8 tung beschrieben: kommt es zu einem Verstoß gegen die
selbstauferlegten Regeln und damit einhergehend zu einem
9 Gefühl des Versagens, kann ein Kontrollverlust über das 2.3.2 Stress, Coping
Essen resultieren (Herman und Polivy 1984). Vor allem das und Emotionsregulation
10 „Alles-oder-Nichts-Denken“ spielt hier eine Rolle. Neben
der kognitiven Komponente, d. h. dem Bewusstsein darü- Zahlreiche Studien konnten nachweisen, dass Stress und
ber, die Diätregeln gebrochen zu haben, können auch starke dysfunktionales Stressbewältigungsverhalten in Verbin-
11 negative emotionale Zustände wie Angst, Depression oder dung mit der Aufrechterhaltung von bulimischer Sym-
Stress zur Enthemmung führen und Essanfälle nach sich ptomatik stehen (Crowther et al. 2001). Zunächst wird
12 ziehen (Herman und Polivy 1984). kurz auf die Art der in diesem Zusammenhang relevanten
In Feldstudien konnte nachgewiesen werden, dass Belastung eingegangen; gefolgt von der Erläuterung der
Frauen vor einem Essanfall im Vergleich zu Kontroll- Rolle von Defiziten im Stressbewältigungsverhalten als die
13 personen häufig kalorisch depriviert waren (Davis et al. Essstörung aufrechterhaltende Mechanismen.
1988) und die Vorhersage eines Essanfalls durch das Aus- In der Forschung hat sich bei der Überprüfung der
14 maß selbstberichteter Restriktion möglich ist (Zunker Art der im Zusammenhang mit Essstörungen zentralen
et al. 2011). In den 80er-Jahren zeigten Studien, dass ein Belastungssituationen insbesondere das Feld der interper-
15 positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des ge- sonalen Konflikte als ausschlaggebend erwiesen (Tuschen-
zügelten Essverhaltens auf der einen und dem Schweregrad Caffier und Vögele 1999).
der Essanfallssymptomatik auf der anderen Seite besteht Dass tägliche Belastungen als stressreicher empfunden
16 (Byrne und McLean 2002). Diese Verbindung scheint werden und auch zu einer höheren Kalorienaufnahme füh-
insbesondere für subjektive Esssanfälle, d. h. Kontrollver- ren, konnte in einer Feldstudie gezeigt werden: Frauen, die
17 lust beim Essen, ohne dass eine objektiv zu große Menge unter Essanfällen leiden, empfanden tägliche Belastungen
verzehrt wird, zu gelten (Kerzhnerman und Lowe 2002). als stressreicher als gesunde Kontrollpersonen und nah-
Die Autoren gehen deshalb davon aus, dass die Beziehung men an Tagen mit höherem Ausmaß von Stress mehr Ka-
18 in kognitiven und nicht in physiologischen deprivations- lorien zu sich als an weniger stressigen Tagen (Crowther
basierten Aspekten des gezügelten Essens begründet ist. et al. 2001).
19 Die Existenz eines Zusammenhangs zwischen gezügeltem Des Weiteren wird vermutet, dass nicht nur das
Essverhalten und Essanfällen ist jedoch nicht unumstrit- Stressempfinden, sondern vor allem auch Defizite in der
20 ten. Ein Grund dafür könnte die vage Begrifflichkeit von Bewältigung von Belastungssituationen ein aufrechter-
„dietary restraint“ (gezügeltes Essen) und „dieting“ (Diät haltender Faktor bei Essstörungen ist. Frauen mit einer
halten) darstellen (Lowe et al. 1991). Bulimia nervosa scheinen beispielsweise geringe Fähig-
21 Westenhöfer et al. (1999) schlagen vor, die Art der keiten zu besitzen, negative Gefühlszustände auszuhalten
ausgeübten Kontrolle beim gezügelten Essen stärker zu sowie sich zu entspannen und zu beruhigen (Esplen et al.
22 beachten. Ihrer Auffassung nach muss zwischen rigider 2000). Defizite in der Bewältigung von Anspannungs-
und flexibler Kontrolle unterschieden werden. Rigide Kon- und Belastungssituationen scheinen daher an der Auf-
2.3 • Aufrechterhaltende Faktoren von Essstörungen
31 2

rechterhaltung der Essstörung insofern beteiligt zu sein, 2.3.3 Dysfunktionale


als durch die Essstörung die Auseinandersetzung mit den Informationsverarbeitungsprozesse
Problemen vermieden bzw. die daraus resultierende An-
spannung vermindert werden kann, da Essattacken und Dysfunktionale Denkmuster haben nicht nur Einfluss
Erbrechen kurzfristig oft eine entspannende und emo- auf die Entstehung einer Essstörung (▶ Ausführungen
tionsregulierende Funktion besitzen. Diese Annahmen zu prädisponierenden Faktoren, ▶ Abschn. 2.1), sondern
konnten anhand verschiedener Studien belegt werden: tragen auch zu deren Aufrechterhaltung bei (Fairburn
So wurden Zusammenhänge zwischen gestörtem Ess- et al. 1986), da sie die Handlungskompetenz der betrof-
verhalten auf der einen und defizitärem problem- bzw. fenen Person negativ beeinflussen (Vitousek und Hollon
aufgabenorientiertem Coping auf der anderen Seite nach- 1990; ▶ Abschn. 2.1.4, Unterabs. „Kognitive Faktoren“).
gewiesen (Ghaderi und Scott 2000). Zudem zeigte sich in Beispielsweise scheinen insbesondere das gezügelte Essen,
weiteren Untersuchungen, dass Frauen mit einer Essstö- Erbrechen, andere Kompensationsmaßnahmen und ext-
rung mehr vermeidendes Bewältigungsverhalten zeigen remes Gewichtskontrollverhalten infolge der spezifischen
als gesunde Kontrollpersonen (Koo-Loeb et al. 2000), dysfunktionalen Kognitionen aufzutreten (Fairburn et al.
sich häufiger ablenken und stärker emotionsorientiertes 1999). Erklärt werden kann dies durch die schemakon-
Coping einsetzen als Gesunde (Koff und Sangani 1997). forme Informationsverarbeitung, welche beispielsweise zu
Troop et al. (1998) beschreiben außerdem, dass Frauen Irrationalität und dichotomer Kategorisierung von Nah-
mit einer Essstörung in einem stärkeren Maße kognitive rungsmitteln als gut/schlecht, massiver Selbstabwertung
Vermeidung und Verdrängung in Konfliktsituationen nach dem Essen verbotener Speisen, überhöhten Ansprü-
zeigen, ihre Probleme weniger stark bagatellisieren, aber chen beim Durchhalten einer Diät und der Antizipation
eher dazu neigen, sich selbst zu beschuldigen und weniger von Kontrollverlust beim Essen (Legenbauer 2003) und
Unterstützung bei anderen zu suchen. Der Zusammen- anderen verwandten depressionstypischen Kognitionen
hang zwischen Copingverhalten und dem Auftreten von (Göbel et al. 1989) führt. Mit einer Pfadanalyse wurde
Essanfällen konnte von Freeman und Gil (2004) nach- diese Annahme überprüft und dabei gezeigt, dass eine
gewiesen werden: Die Autoren zeigten, dass Frauen mit Verbindung zwischen extremer Besorgnis über Figur und
einer Essstörung, die vermehrt Ablenkungsstrategien Gewicht auf der einen und kompensatorischem Verhal-
einsetzten, ein höheres Risiko hatten, nachfolgend einen ten auf der anderen Seite besteht. Legenbauer et al. (2011)
Essanfall zu erleiden. konnten zudem zeigen, dass beispielsweise die Reduktion
Ein defizitäres Bewältigungsverhalten scheint damit diätbezogener Gedanken im Rahmen einer Behandlung
sowohl zur Entstehung als auch zur Aufrechterhaltung die Reduktion des restriktiven Essens vorhersagte und die
einer Essstörung beizutragen, wobei unterschiedliche Fa- Reduktion von körperbezogenen und selbstwertbezogenen
cetten des Bewältigungsverhaltens mit unterschiedlichen Gedanken die Reduktion von Essanfällen prädizierte. Die
Essstörungssymptomen im Zusammenhang zu stehen Befunde bestätigen den Zusammenhang zwischen dys-
scheinen (Freeman und Gil 2004). Maladaptive Stressbe- funktionalen Annahmen und bestehendem gestörten Ess-
wältigung im weitesten Sinne könnte als Teil von Störun- verhalten. Des Weiteren wurden die verschiedenen Infor-
gen der Emotionsregulation verstanden werden. Dies ist mationsverarbeitungsprozesse experimentell überprüft. Es
insofern von Interesse, als in den letzten Jahren Störungen konnte beispielsweise mit dem Paradigma des Stroop-Tests
der Emotionsregulation vermehrt Aufmerksamkeit erfah- nachgewiesen werden, dass Frauen mit einer Essstörung
ren haben und eine rege Forschungstätigkeit angestoßen eine selektive Aufmerksamkeitszuwendung hinsichtlich
wurde (Gross 2002). Tatsächlich belegen neuere Studien nahrungs-, figur- und gewichtsbezogener Wörter aufwei-
die Existenz von Störungen der Emotionsregulation bei sen (Lovell et al. 1997). Diese Ergebnisse werden dahinge-
Patientinnen mit Essstörungen – unabhängig von der Art hend interpretiert, dass die mit den bedrohlichen Reizen
der Diagnose: Frauen mit Essstörungen erleben Emotionen verbundenen kognitiven Strukturen (Schemata) bei den
mit stärkerer Intensität, können Emotionen weniger gut Patientinnen mit Essstörungen stärker ausgebildet sind
annehmen und sind sich deren weniger bewusst. Außer- und so mehr Verarbeitungskapazität beanspruchen, wo-
dem berichten sie weniger adaptive und vermehrt malad- durch sich die Reaktionszeit bei der Farbnennung verlang-
aptive Regulationsstrategien (Svaldi et al. 2012). Zudem samt (Foa et al. 1991). Die Ergebnisse von Cooper (1997)
scheinen Frauen mit Essstörungen Schwierigkeiten in der weisen in eine vergleichbare Richtung: Hier wurde ein Bias
Erkennung von Emotionen bei anderen Menschen aufzu- in Richtung negativer Körper- und Selbstbewertung bei
weisen (Harrison et al. 2010), allerdings sind die Ergebnisse Frauen mit Essstörungen nachgewiesen, wenn diese mehr-
inkonsistent und legen ein mögliches kognitiv-emotionales deutige soziale Interaktionen bewerten sollten.
Defizit anstatt eines basalen perzeptiven Defekts nahe (Le- Kognitionen scheinen demnach insbesondere als Aus-
genbauer et al. 2008). löser von Essanfällen zu fungieren (▶ Abschn. 2.4) und so
32 Kapitel 2 • Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa

als aufrechterhaltende Faktoren einer Essstörung zu wir- einer Übersichtsstudie von Mitchell et al. (1998) werden im
1 ken. Hierbei kommt sowohl der Art der kognitiven Verar- Rahmen von Laborstudien (also nachgestellten Essanfäl-
beitung als auch dem Inhalt der Kognitionen eine wichtige len) zwischen 3000 und 4500 kcal bei Frauen mit Bulimia
2 Bedeutung zu (Waller et al. 2000). nervosa und 1500–3000 kcal bei Frauen mit Binge Eating
Disorder pro Essanfall angegeben. Es wird vermutet, dass
>> Aufrechterhaltende Faktoren sind meist eng mit prä- Essanfälle auf Grund unbekannter Größen variieren. Man-
3 disponierenden Faktoren assoziiert oder sind Folge che Studien beschreiben zudem, dass Patientinnen mit ei-
der zugrunde liegenden Defizite, die auch zur Entste- ner Bulimia nervosa häufiger auch subjektive Essattacken
4 hung der Essstörung geführt haben. Sie werden nach mit weniger als 100 kcal beschreiben.
dem Beginn der Essstörungssymptomatik relevant Der empfundene Kontrollverlust gilt als stabilstes
5 und interagieren in Form eines Teufelskreises. Meist Maß in der diagnostischen Bewertung von Essanfällen,
wirken sie kurzfristig positiv verstärkend. Zu den was auch durch verschiedene Studien bestätigt werden
aufrechterhaltenden Faktoren zählen: gezügeltes konnte (Johnson et al. 2000). Als zweitwichtigstes Kri-
6 Essverhalten, defizitäre Emotionsregulation sowie terium wird dann erst die Menge angesehen, die Zeit-
dysfunktionale Informationsverarbeitung und kogni- dauer stellt sich für die diagnostische Einordnung von
7 tive Prozesse. geringerem Wert dar, wobei eine Mahlzeit bei größerer
Menge in kürzerer Zeit eher als Essanfall gewertet wurde
als bei größerer Menge in längerer Zeit. Damit wären die
8 2.4 Exkurs: Mikroanalyse Beurteilungen konsistent mit den im DSM angelegten
von Essanfällen Kriterien. Zu bedenken ist jedoch, dass Essanfälle auch
9 geplant stattfinden können und damit das Kriterium des
Ein detailliertes Wissen über die Abläufe im Ess-Brech- Kontrollverlustes nicht erfüllen. Gerade diese Essanfälle
10 Zyklus hinsichtlich auslösender Bedingungen, vermitteln- jedoch dienen eher zur Regulation der Stimmung, wäh-
der Faktoren und aufrechterhaltender Aspekte der Buli- rend „spontane“ Essanfälle auf das Brechen von Diätre-
mia nervosa und dem Binge-Eating-/Purging-Typus der geln zurückgeführt werden können und dadurch einen
11 Anorexia nervosa sind für ein effektives therapeutisches Kontrollverlust beinhalten.
Arbeiten von Wichtigkeit, da die Mikroanalyse Aufschluss
12 über die Funktion des Essens und Erbrechens erlaubt und
bedeutsame Hinweise auf mögliche zugrunde liegende 2.4.2 Auslösende Faktoren für Essanfälle
Problembereiche gibt. Daraus können die notwendigen
13 Interventionsansätze abgeleitet werden. Daher soll im Es gibt verschiedene Faktoren, die bei der Auslösung von
Folgenden noch einmal spezifisch auf konkrete Auslösesi- Essanfällen eine Rolle spielen. Aus kognitiv-behavioraler
14 tuationen für Essanfälle und die Funktion von Essanfällen Sicht sind dies situative Faktoren, subjektive Befindlichkeit
eingegangen werden. und dysfunktionale Bewertungsprozesse. Im Folgenden
15 werden die einzelnen Faktoren im Überblick dargestellt.

2.4.1 Definition von Essanfällen zz Situative Faktoren


16 Verschiedene Untersuchungen konnten die Kontextabhän-
Essanfälle sind per Definition gekennzeichnet als „über- gigkeit des Auftretens von Essanfällen belegen. Es scheint,
17 mäßige Nahrungsaufnahme innerhalb eines bestimmten dass Essanfallsepisoden typischerweise stattfinden, wenn
Zeitraumes“, wobei die Menge diejenige überschreiten die Person zu Hause und allein ist (Waters et al. 2001a),
sollte, die andere Menschen in demselben Zeitraum essen d. h. vor allem nachmittags und abends auftreten (He-
18 würden. Essanfälle sollten gemäß den DSM-IV-Kriterien therington et al. 1994). Ein weiterer Kontextfaktor, der
(▶ Kap. 1) auch einen Kontrollverlust beinhalten, das heißt, Essanfälle zu begünstigen scheint, ist eine unstrukturierte
19 die Person kann entgegen ihrem eigenen Willen nicht Zeiteinteilung (Schlundt et al. 1985). Eine mögliche Erklä-
aufhören zu essen, oder sie isst hochkalorische, fetthaltige rung dafür, warum gerade die eben genannten Situationen
20 Nahrungsmittel, die sie sich ansonsten verbietet. Essanfälle auslösen können, bieten Konditionierungsmo-
Rossiter et al. (1992) zufolge wird bei einem Essanfall delle. So gestalten Patientinnen mit Essstörungen ihre
im Durchschnitt eine Kalorienmenge von 602 kcal in ei- Nahrungsaufnahme oft sehr rigide, regelgeleitet und mit
21 nem Zeitraum von 38 min verzehrt, wobei eine große in- stark eingeschränkter Nahrungsaufnahme. Durch die im-
tra- und interindividuelle Variabilität besteht. So werden mer wieder auftretende Kopplung bestimmter nahrungs-
22 Mengen zwischen 1000 und 2000 kcal (Rosen et al. 1986) bezogener Reize mit spezifischen situativen Faktoren kann
bis teilweise 20.000 kcal (Mitchell et al. 1985) angegeben. In es zu einer Konditionierung von Nahrungsaufnahme mit
2.4 • Exkurs: Mikroanalyse von Essanfällen
33 2

Zeit, Ort, Stimmungen oder bestimmten Lebensmitteln aber deren Reduktion durch den Essanfall nicht allgemein
kommen. Basierend auf diesen Annahmen entwickelte nachweisbar war. Es gibt Hinweise, dass eine Verbesserung
Jansen (1998) ein Modell, welches besagt, dass die Ein- des emotionalen Zustands durch das Erbrechen erzielt wird
nahme von Nahrung spezifische körperliche Reaktionen (Haedt-Matt und Keel 2010). Die Autoren postulieren,
auslöst. Diese körperlichen Reaktionen werden längerfris- dass die Bestätigung des Emotionsregulationsmodells von
tig im Sinne einer klassischen Konditionierung an die mit Essanfällen möglicherweise nicht eindeutig gelingt, da die
der Nahrungsaufnahme verbundenen Reize (z. B. Fern- bisher angewandten Methoden negative Emotionen unidi-
sehschauen, Geruch, Küche) gekoppelt, so dass Letztere mensional messen, Emotionsveränderungen während des
die körperlichen Reaktionen auslösen können, auch wenn Essanfalls nicht direkt oder nur unzureichend abgebildet
keine Nahrungsaufnahme stattfindet. Es wird folglich an- werden und mögliche spezifische Facetten der Emotions-
genommen, dass gelernte Reiz-Reaktions-Verbindungen regulation so bislang nicht erfasst werden.
automatische oder biochemische Reaktionen auslösen,
welche die Wahrscheinlichkeit einer Nahrungsaufnahme zz Stress
oder auch einer exzessiven Nahrungsaufnahme steigern Neuere Befunde unterstützen die bereits in den 90er-Jahren
können (Wardle 1990). Diese Annahme wird indirekt postulierte Verbindung zwischen Stresserleben und Essen.
durch bisherige Untersuchungsergebnisse zu Essanfällen So zeigten Groesz et al. (2012) in einer Studie mit normal-
unterstützt. So wurde beispielsweise herausgefunden, dass gewichtigen und adipösen Personen, dass Stress zu einem
gezügelte Esser dann ein stärkeres Verlangen zu essen ver- erhöhten Verlangen zu essen führt und dies auch mit der
spüren, wenn sie einem Reiz ausgesetzt waren, der typi- Tendenz zu Essanfällen und verringerter Kontrolle zusam-
scherweise Nahrungsaufnahme vorhersagt, z. B. der Ge- menhängt (Groesz et al. 2012). Befunde an Personen, die
ruch von „Binge-Food“ oder auch nur der Gedanke daran bereits ein gestörtes Essverhalten aufweisen, unterstützen
(Fedoroff et al. 1997). Dieses Modell erweitert den Einfluss diese Ergebnisse: es konnte beispielsweise in einer Unter-
bereits identifizierter Enthemmer (z. B. den Bruch der Di- suchung demonstriert werden, dass gezügelte Esser im
ätregeln) bei restriktiv essenden Personen (▶ Abschn. 2.4.1) Vergleich zu ungezügelten insbesondere unter interper-
und unterstützt die Annahme, dass Lernerfahrungen sonellem Stress dazu neigen, bei Stress zu überessen (Ta-
aufrechterhaltend für eine Essstörung, insbesondere die nofsky-Kraff et al. 2000). Insbesondere zeigten Heatherton
Essanfallssymptomatik, sein können. Es ist jedoch auch et al. (1991), dass Stress, der das Selbstbild einer Person be-
denkbar, dass durch Bedingungen wie Alleinsein und Lan- droht, wie Misserfolg bei einer leichten Aufgabe oder auch
geweile dysfunktionale Kognitionen sowie eine negative das Halten einer Rede vor einem wertenden Publikum bei
Emotion gefördert werden. gezügelten Essern zu Enthemmung beim Essen führt.
Auch für klinisch relevante Essstörungen konnte eine
zz Negative Emotion Verbindung zwischen Stress und Essverhalten nachgewie-
Wie bereits in den Ausführungen zum gezügelten Essver- sen werden. So scheinen restriktiv essende und bulimische
halten erwähnt wurde, wird angenommen, dass negative Frauen verglichen mit gesunden Kontrollpersonen alltäg-
Emotionen bei der Auslösung und Aufrechterhaltung von liche Belastungsereignisse als stressreicher zu empfinden
Essanfällen eine wichtige Rolle spielen. Viele Studien konn- und unter Stress größere Nahrungsmengen zu sich zu
ten zeigen, dass negative Stimmungen Essanfällen voraus- nehmen. Insbesondere interpersonale Stresssituationen
gingen (Greeno et al. 2000; Waters et al. 2001b; Wegner werden in Verbindung mit Essanfällen genannt (Tanosfky-
et al. 2002). In Feldstudien konnte dies bestätigt werden, Kraff et al. 2000).
da bis zu einer Stunde vor einem Essanfall eine negativere
Stimmung nachgewiesen wurde (Davis et al. 1988; Alpers zz Dysfunktionale Kognitionen
und Tuschen-Caffier 2001). Detailliertere Analysen wei- Verschiedene Forschungsarbeiten bestätigen die Relevanz
sen insbesondere auf Anspannung, schlechte Stimmung kognitiver Prozesse bei der Auslösung von Essanfällen
und ein größeres Verlangen nach Nahrung als Auslöser für (Waller et al. 2002). Kognitive Prozesse spielen je nach si-
Essanfälle hin (Greeno et al. 2000). Nach Stice und Agras tuativer Begebenheit eine unterschiedliche Rolle. So kann
(1999) scheinen negative Emotionen zudem zu einer Ver- zum Beispiel die Bewertung einer bereits konsumierten
schlimmerung bulimischer Symptomatik beizutragen, da Mahlzeit zu einem Essanfall führen, wenn die Betroffene
im Sinne einer dysfunktionalen Emotionsbewältigungs- das Gefühl hat, zu viel gegessen zu haben – also die selbst
strategie (▶ Kap. 10) durch den Essanfall die negative auferlegten Diätregeln gebrochen hat (Huon 1997; Herman
Stimmung reduziert wird. Eine Metaanalyse, welche Da- und Polivy 1984). Das heißt, die Bewertung, gegen eine
ten aus Studien mit Ecological Momentary Assessment selbst auferlegte Diätvorschrift wie „ich darf keine Schoko-
(EMA)-Technik auswertete, zeigte allerdings, dass zwar lade essen“ verstoßen zu haben, kann einen Essanfall vor-
dem Essanfall eine stärkere negative Emotion voranging, aussagen. Neben der negativen Emotion ist dieser zweite
34 Kapitel 2 • Theoretische Grundlagen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Anorexia und Bulimia nervosa

Faktor ausschlaggebend für die Aufklärung der Varianz bei Auslösung beteiligt. Positiv verstärkend wirken die
1 der Auslösung eines Essanfalles. kurzfristige Erleichterung und die mögliche Ablen-
Auch wurde anhand von retrospektiv erfassten Essan- kung von negativen Ereignissen.
2 fallsberichten bei Patientinnen mit Binge-Eating-Störung
gezeigt, dass vor einem Essanfall meistens Kognitionen,
welche die Intention, eine Essattacke zu haben („Ich brau- 2.5 Zusammenfassung

-
3 che jetzt was Süßes“) bzw. die antizipierte Veränderung
der Emotion („Wenn ich die Schokolade esse, geht es mir Bei der Erklärung von Essstörungen wie auch
4 besser“) beinhalteten, auftraten. Während des Essanfalls anderen Erkrankungen ist eine Unterteilung in
drehten sich die Kognitionen meist um den Kontrollver- prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende
5
6
lust, nach dem Essanfall traten dann vorwiegend selbstab-
wertende Kognitionen auf (Arnow et al. 1992).
Neuere Theorien beschäftigen sich mit einem mögli-
chen Rebound-Effekt: je stärker die Betroffenen sich ver-
- Faktoren sinnvoll.
Prädisponierende Faktoren sind zeitlich relativ stabil
und begünstigen die Entstehung einer Essstörung.
Diese umfassen biologische, soziokulturelle, famili-
bieten, bestimmte Speisen zu essen oder überhaupt an Es- äre und individuelle Faktoren. Zu den biologischen
7 sen zu denken, desto höher wurde die Valenz der Speisen. Faktoren zählen neben genetischen auch neurobio-
Dies bedeutet, dass die Gedanken einem paradoxen Effekt logische, körperliche und ernährungsphysiologische
nach sich ziehen. Diese Annahme konnte bereits in Labor- Faktoren. Soziokulturelle Aspekte beinhalten das
8 versuchen an gezügelt essenden Frauen verifiziert werden gesellschaftliche Schlankheitsideal und den Ein-
(Stirling und Yeomans 2004). fluss von Familie und Peers. Familiäre Faktoren
9 beziehen sich meist auf die Interaktionsmuster der
Familie, während individuelle Faktoren bestimmte
Funktion des Essanfalls
10 2.4.3 Charakteristika der jeweiligen Person, wie niedriger
Selbstwert, Perfektionismus und Impulsivität sowie

11
12
Viele Autoren halten es im Zusammenhang mit dem
Auftreten negativer Emotionen vor Essanfällen für wahr-
scheinlich, dass ein Essanfall der Reduzierung dieses un-
angenehmen Gefühlszustands dienen soll. Das Modell der
- kognitive Defizite, umfassen.
Auslösende Faktoren bestimmen über den Zeit-
punkt der Manifestation einer Essstörung und
beinhalten zumeist kritische Lebensereignisse (z. B.

13
Flucht vor aversiver Selbstaufmerksamkeit von Heatherton
und Baumeister (1991) beispielsweise erklärt die Funktion
eines Essanfalls damit, dass durch eine kognitive Einen-
gung der Wahrnehmungsfokus ausschließlich auf die ge-
- Trennungen).
Aufrechterhaltende Faktoren erklären, warum eine
Essstörung dauerhaft bestehen bleibt, auch wenn die
Bedingungen, die ursprünglich zur Entstehung der
14 genwärtige Stimulusumgebung gerichtet wird und dadurch Essstörung geführt haben, nicht mehr wirksam sind.
Selbstaufmerksamkeit reduziert und negative Emotionen, Hierzu zählen gezügeltes Essverhalten, erhöhtes Be-
15 bedrohliche Gedanken und innerer Druck ausgeblendet lastungsempfinden bei geringen Copingfertigkeiten,
werden. Es werden in diesem Zustand nur noch aktuelle defizitäre Emotionsregulation und kognitive Aspekte
Reize wie beispielsweise Geruch und Geschmack von Nah- wie dysfunktionale Informationsverarbeitungspro-
16 rungsmitteln wahrgenommen, so das anstatt über kom- zesse. Daneben wird eine Konditionierung von Ess-
plexe Themen dann beispielsweise über den Kaloriengehalt anfällen an spezifische Auslösesituationen vermutet.
17 der Nahrungsmittel nachgedacht wird. Auch Beruhigung
und Entspannung werden als mögliche Funktion von Ess-
anfällen genannt (Pudel und Westenhöfer 1998). Literatur
18 Daraus ist zu schließen, dass Essanfälle dazu dienen,
als aversiv erlebte Emotionen – verschiedenste Facetten Alpers GW, Tuschen-Caffier B (2001) Negative feelings and the desire to
19 von Ärger (vor allem Ärgerunterdrückung), Einsamkeit,
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and self-liking in the prediction of change in bulimic symptomes.
>> Essanfälle sind gekennzeichnet durch eine große, Int J Eat Disord 34:361–369
21 in kurzer Zeit aufgenommene Nahrungsmenge und
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sel Dev 67:416–419
Kontrollverlust. Sie treten in spezifischen Situationen Bekker M, van de Meerendonk C, Mollerus J (2004) Effects of negative
22 auf und folgen meist negativer Stimmung. Zudem mood induction and impulsivity on self-perceived emotional ea-
sind dysfunktionale kognitive Prozesse an der ting. Int J Eat Disord 36:461–469
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35 2
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39 3

Therapieansätze
und ihre Wirksamkeit
T. Legenbauer, S. Vocks

3.1 Kognitiv-behaviorale Behandlungsansätze


bei Essstörungen – 40
3.1.1 Kurzfristige Strategien – 40
3.1.2 Langfristige Strategien – 41

3.2 Wirksamkeit von kognitiv-behavioralen


Therapieansätzen bei Essstörungen – 42
3.2.1 Anorexia nervosa – 42
3.2.2 Bulimia nervosa – 42
3.2.3 Wirksamkeit von Gruppentherapie bei Essstörungen – 43

3.3 Weitere psychotherapeutische Ansätze im Überblick – 43


3.3.1 Interpersonelle Psychotherapie – 43
3.3.2 Dialektisch-behaviorale Ansätze – 44
3.3.3 Systemische Ansätze – 44
3.3.4 Psychodynamisch orientierte Verfahren – 44
3.3.5 Familientherapie – 45
3.3.6 Selbsthilfeprogramme – 45
3.3.7 Pharmakotherapie – 46

3.4 Zusammenfassung – 47
Literatur – 47

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
40 Kapitel 3 • Therapieansätze und ihre Wirksamkeit

Zur Behandlung der Anorexia und Bulimia nervosa wer- kurzfristige Ziel in der Behandlung der Anorexia nervosa
1 den verschiedene Therapieverfahren eingesetzt. Gemäß dar. Diese wird über verschiedene psychotherapeutische
den deutschen Leitlinien (Herpertz et al. 2011a) zur Ess- Maßnahmen, zumeist im stationären Kontext, angestrebt.
2 störungsbehandlung sollten Patientinnen mit Essstörungen In Extremfällen werden hier invasive Methoden wie künst-
prinzipiell eher in spezialisierten Einrichtungen behandelt liche Ernährung bei besonderer Gefährdung eingesetzt
werden, die Erfahrung in der Behandlung von Patientinnen (▶ Unterabs. „Gewichtssteigerung“). Bei der Behandlung
3 mit Essstörungen besitzen. Vor allem im ambulanten Setting der Bulimia nervosa spielt die Gewichtsrestoration keine
sollte sich bei Anorexiepatientinnen an Alter und Präferenz oder eine eher geringere Rolle; auch eine stationäre Be-
4 der Patientinnen orientiert werden; gegebenenfalls ist eine handlung ist im Vergleich zur Anorexia nervosa eher sel-
Familienbehandlung in Betracht zu ziehen. Im stationären ten notwendig und wird dann meist aufgrund selbstverlet-
5 Bereich wird ein multimodales Konzept mit klar struktu- zenden oder suizidalen Verhaltens durchgeführt (Treasure
rierenden kognitiv-verhaltenstherapeutischen Elementen und Schmidt 2003). Ein zweites kurzfristiges und von der
wie Vereinbarungen zur Gewichtszunahme, regelmäßiges Wichtigkeit her nicht zu unterschätzendes Ziel ist die Nor-
6 Wiegen etc. empfohlen. Da insbesondere verhaltensthe- malisierung des Essverhaltens sowohl bei der Anorexia als
rapeutische Methoden störungs- und settingübergreifend auch der Bulimia nervosa. Beide kurzfristigen Ziele dienen
7 empfohlen werden, werden in diesem Kapitel vor allem die der Rückbildung biologisch-physiologischer, meist medizi-
Grundsätze der existierenden verhaltenstherapeutischen nisch relevanter Dysfunktionen und bilden den Ausgangs-
Programme bei Essstörungen und deren Wirksamkeit vor- punkt der Behandlung.
8 gestellt. Darüber hinaus möchten wir einen Überblick über
weitere therapeutische Ansätze zur Behandlung von Essstö- zz Gewichtssteigerung
9 rungen und deren Wirksamkeit geben. Die Gewichtsrestoration steht, wie eingangs erwähnt, zu
Beginn der Anorexiebehandlung im Vordergrund. Bei ei-
10 3.1 Kognitiv-behaviorale
nem starken Untergewicht und schwerwiegenderen kör-
perlichen Komplikationen sollte zunächst die Indikation
Behandlungsansätze einer stationären Behandlung geprüft werden, um eine op-
11 bei Essstörungen timale Betreuung während der Gewichtssteigerungszeit zu
gewährleisten und mögliche hemmende oder belastende
12 Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist in der Behand- Umweltfaktoren auszuschließen. Kontrovers diskutiert
lung von Essstörungen, insbesondere der Bulimia nervosa wird, ob im Rahmen von Gewichtssteigerungsprogram-
die Methode der Wahl (Wilson 1999; Herpertz et al. 2011a). men eine stationäre Behandlung zwangsläufig notwendig
13 Zum besseren Verständnis von Aufbau und Inhalt des vor- ist. Treasure und Schmidt (2003) weisen darauf hin, dass
liegenden Therapieprogramms sollen nun im nächsten Ab- ein niedriges Gewicht nicht allein ausschlaggebend bei der
14 schnitt die allgemeinen Grundsätze der KVT bei Essstörun- Wahl des Settings sein sollte: Sie argumentieren, dass bei
gen dargestellt und deren Wirksamkeit beschrieben werden. Patientinnen mit schwächer ausgeprägter Symptomatik
15 Als wichtigstes allgemeines Prinzip bei der Behandlung eine ambulante oder auch tagesklinische Betreuung ge-
von Anorexia und Bulimia nervosa gilt, dass Interventionen genüber der stationären Behandlung keinen Nachteil ver-
sich an 2 Zielen orientieren sollten: die kurzfristige Verän- spricht. Neben schwerwiegenden medizinischen Kompli-
16 derung des Ernährungsverhaltens und die langfristige Be- kationen liegt die Indikation zur stationären Behandlung
handlung der zugrunde liegenden Problembereiche (Her- vor allem im Fehlen eines sozialen Netzwerks, dem Vor-
17 pertz et al. 2011a; ▶ Kap. 2 und ▶ Kap. 6). Diese zweigleisige handensein komorbider Erkrankungen und einem insge-
Vorgehensweise wird „Two-Track-Approach“ genannt und samt niedrigen Funktionsniveau (Garner und Needleman
berücksichtigt damit gleichermaßen die Behandlung der 1997; Winston und Webster 2003). Aktuell finden verschie-
18 psychischen wie auch der physiologischen Probleme, wel- dene multizentrische Studien statt, welche die ambulante
che mit der Essstörung assoziiert sind (Garner und Isaacs und die tagesklinische Behandlung von Patientinnen mit
19 1986). Im Folgenden werden die schnell wirksamen, kurz- Anorexia nervosa bis zu einem BMI von 15 kg/m² über-
fristigen Maßnahmen und im Weiteren die langfristigen prüfen (Wild et al. 2009; de Zwaan et al. 2009; Herpertz-
20 Strategien in der Essstörungsbehandlung vorgestellt. Dahlmann und Salbach-Andrae 2009).
Stationäre verhaltenstherapeutische Programme zur
Gewichtssteigerung bedienen sich meist operanter Prin-
21 3.1.1 Kurzfristige Strategien zipien. Für eine erreichte Gewichtszunahme werden dabei
systematisch verschiedene, meist individuell vereinbarte
22 Aufgrund des häufig medizinisch bedenklichen Unter- Verstärker eingesetzt. Eine Kombination aus unterstützen-
gewichts stellt eine Gewichtsrestoration das wichtigste der, meist pflegerischer Betreuung und normal- bis hoch-
3.1 • Kognitiv-behaviorale Behandlungsansätze bei Essstörungen
41 3

kalorischer Kost ist im stationären Setting die Regel und von Mangelernährung (▶ Abschn. 2.1.2 und Infobroschüre
recht erfolgreich. Dieses Vorgehen ist meist eingebettet in auf http://extras.springer.com) sowie das stufenweise prak-
ein Rahmenkonzept mit Selbstbestimmungsphase und tische Einüben eines normalen, spontanen und ausreichen-
Fremdkontrollphase. Wird nach einer kurzen Phase der den Essverhaltens. Ziel ist die Etablierung eines natürlichen
Eigenverantwortung das Gewicht nicht deutlich verändert, Hunger- und Sättigungsgefühls (▶ Kap. 8) und der Abbau
beginnt die Fremdkontrollphase (▶ Kap. 8). Dazu werden von kognitiver Kontrolle über die Nahrungsaufnahme. Er-
in einem Gewichtsvertrag die grundlegenden Prinzipien gänzend zu den bereits genannten Techniken können dazu
und Maßnahmen des jeweiligen Therapieprogramms für auch verschiedene verhaltenstherapeutische Verfahren wie
die Patientinnen transparent gemacht und festgeschrieben z. B. Nahrungsmittel- oder Belastungsexpositionsübungen
(Jacobi et al. 2008; Garner et al. 1997; Herpertz et al. 2011a). mit Reaktionsverhinderung („Cue-Exposure-Techniken“)
In diesem wird beispielsweise ein von der Patientin inner- eingesetzt werden (Tuschen-Caffier und Florin 2002; Bulik
halb eines bestimmten Zeitraumes zu erreichendes Min- et al. 1998a).
destgewicht festgelegt. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen
wird bei neueren Programmen versucht, das Ausmaß an
Fremdkontrolle so gering wie möglich zu halten, um dem 3.1.2 Langfristige Strategien
Autonomiebedürfnis der Patientinnen nachzukommen
und die Rückfallgefahr nach Beendigung des Programms Neben den an der Etablierung eines adäquaten Ernäh-
möglichst niedrig zu halten. Ein wichtiger Punkt hierbei ist rungsverhaltens und am Gewicht ansetzenden Methoden
die Transparenz über den Sinn der Vereinbarung und die ist eine Veränderung der psychischen und sozialen Belas-
Konsequenz bei Nichterreichen des vereinbarten Zieles. tungsfaktoren, welche in funktionalem Zusammenhang
Im ambulanten Setting ist eine ähnliche Vorgehens- mit dem gestörten Essverhalten stehen, notwendig, um
weise sinnvoll, jedoch bestehen hier größere Schwierigkei- eine langfristige Besserung der Essstörung zu erzielen
ten bei der Kontrolle des Gewichts und der direkten Ein- (Waller und Kennerley 2003).
flussmöglichkeit seitens des Therapeuten. Ein absinkendes Aufgrund der Komplexität der Entstehung und Auf-
Gewicht oder eine ausbleibende Gewichtszunahme sind rechterhaltung einer Anorexia und Bulimia nervosa ist eine
oft ein Hinweis auf fehlende Motivation oder Ambivalenz multimodale Vorgehensweise in der Therapie notwendig.
hinsichtlich einer Aufgabe der anorektischen Symptomatik Das multimodale Konzept beinhaltet dabei kognitive
und sollten mit der Patientin wiederholt therapeutisch an- Techniken wie die Identifikation und Modifikation dys-
gegangen werden (Treasure und Schmidt 2003), z. B. durch funktionaler Gedanken. Diese Interventionen beziehen
Methoden zur Motivationssteigerung. Auch im ambulan- sich inhaltlich zum einen auf die Themenbereiche Ge-
ten Setting sollte, ein Gewichtsvertrag geschlossen bzw. wicht, Figur und Essverhalten, zum anderen aber auch auf
Vereinbarungen über den Einbau von bislang vermiede- nicht unmittelbar essens- und figurbezogene Kognitionen,
nen Nahrungsmitteln oder die Aufnahme hochkalorischer welche den Leistungsbereich und interpersonelle Aspekte
Zusatznahrung getroffen werden. betreffen (Bruna und Fogteloo 2003). Des Weiteren werden
das Erkennen und Bewältigen von Emotionen trainiert
zz Ernährungsmanagement sowie Konflikt- und Problemlösekompetenzen vermit-
Eine Normalisierung des Essverhaltens ist sowohl bei der telt und alternative Bewältigungsstrategien für belastende
Anorexia als auch der Bulimia nervosa wichtig. Als eine Situationen eingeübt. Dies soll dazu führen, dass auf das
Folge des stark gezügelten Essverhaltens und der inter- pathologische Essverhalten als Bewältigungsmechanismus
mittierend zwischen den Essanfällen auftretenden Man- zunehmend verzichtet werden kann und es insgesamt zu
gelernährung bei Bulimiepatientinnen werden die bio- einer verbesserten Emotionsregulation kommt. Weitere
logisch-physiologischen Funktionen negativ beeinflusst. wichtige Bestandteile im verhaltenstherapeutischen Vor-
Durch den Einsatz von therapeutischen Strategien zum gehen können die Erhöhung und Steigerung einer ange-
Ernährungsmanagement soll daher eine Normalisierung messenen emotionalen Ausdrucksfähigkeit sowie der so-
des alltäglichen Essverhaltens angestrebt werden. Dabei zialen Fertigkeiten und die Förderung der Kontakt- und
kommt es nicht nur auf eine ausreichende Kalorienzufuhr Kommunikationsfähigkeit sein (Waadt et al. 1992). Ein
an, sondern vor allem auch auf eine adäquate Nahrungszu- ebenfalls relevantes Ziel ist die Verbesserung des nega-
sammensetzung und zeitliche Verteilung der Nahrungsauf- tiven Körperbildes. Dies soll über verschiedene Übungen
nahme (Beumont et al. 1997). Die Programme zum Ernäh- wie beispielsweise Körperkonfrontationen per Spiegel und
rungsmanagement beinhalten wichtige Elemente wie die Video erreicht werden (Vocks und Legenbauer 2010).
Selbstbeobachtung mittels Essprotokollen (▶ Kap. 4 und Insbesondere bei jüngeren Patientinnen, die noch sehr
▶ Kap. 8), die Informationsvermittlung zur Erläuterung stark in Interaktion mit ihrer Familie eingebunden sind, ist
der physiologischen und psychologischen Konsequenzen der Einbezug der Angehörigen wichtig, um dysfunktio-
42 Kapitel 3 • Therapieansätze und ihre Wirksamkeit

nale und damit die Essstörung aufrechterhaltende familiäre keine bedeutsamen Unterschiede hinsichtlich der Art des
1 Interaktionsmuster direkt fokussieren zu können (Eisler Settings, der eingesetzten Behandlungstechnik und der
et al. 1997; Herpertz et al. 2011b). Stichprobencharakteristiken. Es gab allerdings Hinweise da-
2 Am Ende der Behandlung geht es in erster Linie um rauf, dass bei Berücksichtigung der Behandlungsdauer das
die Stabilisierung des neu erlernten Verhaltens und die stationäre Setting zu einer schnelleren Gewichtszunahme
Vorbeugung von Rückfällen z. B. über die Identifikation führt. Insgesamt wird die Studienlage zur Behandlung der
3 kritischer Situationen, die zu einem Rückfall führen könn- Anorexie weiter kritisiert: es werde oft kein randomisiert-
ten (Jacobi et al. 2008). kontrollierteses Vorgehen gewählt und viele Studien unter-
4 Die Grundlage des vor allem kognitiv-verhaltensthera- suchten nur kleine Stichproben, so dass die Aussagekraft
peutischen Vorgehens bilden individuelle Verhaltens- und dieser Studien stark beeinträchtigt ist (Agras et al. 2004;
5 Bedingungsanalysen, u. a. erstellt anhand der erwähnten Schnicker et al. 2011). Ebenso war das Vorgehen in einigen
Selbstbeobachtungsprotokolle. Durch diese Methoden Studien nicht manualisiert, so dass unklar bleibt, welche
lassen sich die jeweiligen Problembereiche herausarbeiten therapeutischen Interventionen eingesetzt werden (Trea-
6 und konkrete Behandlungsziele ableiten. Die individuellen sure und Schmidt 2003). Die wenigen existierenden Stu-
Problemlösungen werden in kleinen Schritten erarbeitet dien konnten eine Überlegenheit spezifischer (bspw. KVT)
7 und durch Verhaltenserprobungen in die Realität umge- gegenüber unspezifischen (bspw. Diätberatung) Behand-
setzt. Dabei lernen die Patientinnen, ihre eigenen Behand- lungsansätzen nachweisen (Fairburn 2005; Herpertz et al.
lungsfortschritte z. B. durch eine Zielerreichungsskalie- 2011). Es scheint keinen zusätzlichen Nutzen einer phar-
8 rung („Goal Attainment Scaling“) zu bewerten (▶ Kap. 4). makologischen Behandlung bei der Gewichtssteigerung zu
Die Bearbeitung der jeweiligen mit der Essstörung in geben (Attia et al. 1998), allerdings gibt es Hinweise, dass die
9 Verbindung stehenden Problembereiche kann im Einzel- Gabe von Fluoxetin das Rückfallrisiko zu reduzieren scheint
oder Gruppensetting stattfinden. (Kaye et al. 2001; ▶ Abschn. 3.3.7). Insgesamt zeigte sich bei
10 niedrigerem Gewicht, längerer Krankheitsdauer und dem-
>> Die KVT setzt auf eine zweigleisige Herangehens- entsprechend höherem Alter ein schlechteres Outcome.
weise und behandelt in einem ersten Schritt das Während noch ⅔ derjenigen jugendlichen Anorexiepatien-
11 Untergewicht bei der Anorexia nervosa und strebt tinnen, die weniger als 3 Jahre erkrankt waren, genesen, gilt
eine Normalisierung des Essverhaltens inklusive dem das nur für ⅓ der erwachsenen Anorexia-nervosa-Patien-
12 Abbau von Essanfällen und Erbrechen bei Bulimia tinnen (Treasure und Schmidt 2003). Bedenklich erscheinen
nervosa und gegebenenfalls auch bei der Anorexia insbesondere die hohen Abbruchraten, die für Patientinnen
mit Anorexia nervosa berichtet werden. Sie liegen je nach
13 nervosa an. Im zweiten Schritt werden mit dem ge-
störten Essverhalten assoziierte Problembereiche im Setting und Dauer zwischen 22 und 57 % (Halmi et al. 2005;
Rahmen kognitiver Techniken und über Fertigkeiten- Pike et al. 2003; Wallier et al. 2009).
14 trainings zur Verbesserung der Emotionsregulation,
der Erhöhung der sozialen Kompetenz sowie der
Bulimia nervosa
15 Konflikt- und Problemlösefertigkeiten behandelt. 3.2.2

Die kognitiv-behaviorale Therapie der Bulimia nervosa


16 3.2 Wirksamkeit von kognitiv- stellt einen der am besten untersuchten Ansätze in der Ess-
behavioralen Therapieansätzen störungsbehandlung dar (Lundgren et al. 2004; Hay et al.
17 bei Essstörungen 2009) und gilt, wie bereits beschrieben, als Methode der
Wahl (Wilson 1999), da sie alle Kernsymptome der Bulimie
3.2.1 Anorexia nervosa reduzieren kann und gute Langzeiterfolge aufweist (Wilson
18 und Fairburn 1993). In einer Überblicksarbeit berichten
Hinsichtlich der Anorexia nervosa sind nur wenige aussa- Steinhausen und Weber (2009), dass ca. 45 % der Pati-
19 gekräftige Studien zur Wirksamkeit kognitiv-behavioraler entinnen nach Behandlung eine vollständige Remission
Therapieansätze vorhanden (Fairburn 2005; Herpertz et al. aufweisen, 27 % als deutlich gebessert eingestuft werden
20 2011). Eine aktuelle Metaanalyse (Hartmann et al. 2011) können und 23 % einen chronischen Verlauf aufweisen.
konnte 57 Studien identifizieren, die 84 Behandlungsarme Zirka 22,5 % der Patientinnen erfüllten die Kriterien einer
beinhalteten und über knapp 2270 Patientinnen einschlos- anderen Essstörungsdiagnose im Follow-up. Verschiedene
21 sen. Diese Studien wiesen verschiedene methodische Män- Studien überprüften die Verbesserung hinsichtlich einzel-
gel auf wie beispielsweise eine selektive Ergebnisdarstellung ner Symptome und zeigten dabei stellenweise sehr gute
22 (bspw. nur Patientinnen, die die Behandlung vollständig Response für Verhaltensweisen wie Essanfälle (70–94 %)
durchführten); die Berechnung der Effektstärken zeigte und Erbrechen (75–94 %; Richards et al. 2000). Lundgren
3.3 • Weitere psychotherapeutische Ansätze im Überblick
43 3

et al. (2004) dagegen berichteten lediglich im Hinblick auf wünschenswert sind, lassen sich durch die beschriebenen
verhaltensbezogene Merkmale wie die Essanfallshäufigkeit Studien bereits deutliche Hinweise darauf gewinnen, dass
und das restriktive Essverhalten von Postwerten, die einer das Gruppensetting der Einzelbehandlung zumindest bei
gesunden Vergleichspopulation entsprachen; während für der Behandlung der Bulimia nervosa nicht unterlegen zu
kognitive Aspekte wie das Selbstwertgefühl oder dysfunk- sein scheint. Vergleichbare Studien zur Anorexia nervosa
tionale Grundannahmen oft weniger gute Ergebnisse zu stehen noch aus. Aufgrund der genannten Chancen einer
verzeichnen waren (Lundgren et al. 2004). Ein weiteres Gruppenbehandlung sowie der niedrigeren Kosten (ca. 1/3–
Problem stellen die hohen Abbruchraten dar, welche sich 1
/5 der Einzelbehandlung) ist es sinnvoll, Gruppenbehand-
allgemein in der Behandlung von Bulimia nervosa zeigen. lungen nicht nur – wie es derzeit gängige Praxis ist – in der
De Zwaan (2002) berichtet Abbruchraten für Psychothera- stationären Versorgung einzusetzen, sondern diese auch im
piestudien mit Patientinnen mit Bulimia nervosa zwischen ambulanten Setting vermehrt zu etablieren.
6 und 37 %, mit durchschnittlich 25 %. Diese Abbruchraten
sind vergleichsweise niedrig, insbesondere im Vergleich zu >> Die KVT ist die Methode der Wahl bei Anorexia ner-
anderen Behandlungsansätzen wie medikamentöse Thera- vosa und Bulimia nervosa ; bei Anorexia nervosa ist
pie oder Ernährungsberatung. Unabhängig davon scheinen die Evidenz bislang noch begrenzt. Es gibt Hinweise,
aber Behandlungsangebote mit hohen Abbruchraten auch dass die KVT im Gruppensetting zumindest bei Buli-
schlechtere Erfolgsaussichten zu bieten (Steinhausen und mia nervosa vergleichbare Effekte erbringt wie eine
Weber 2009); das Problem der Therapieabbrecher sollte Einzeltherapie.
daher nicht unterschätzt werden. Insbesondere hohe Werte
von Depressivität und Hoffnungslosigkeit scheinen mit ei-
nem erhöhten Abbruchrisiko einherzugehen (Steel et al. 3.3 Weitere psychotherapeutische
2000). Ansätze im Überblick
Die KVT ist trotz ihrer Überlegenheit anderen Be-
handlungsansätzen gegenüber bei immerhin etwas mehr Als weitere Ansätze neben der KVT sind die non-direktive
als ⅓ der Patientinnen nicht erfolgreich, was eine Opti- interpersonelle Therapie (IPT) für Essstörungen, adaptiert
mierung der Behandlungsstrategien notwendig macht. nach Wilfley et al. (1993) zu nennen, im Besonderen bei
Hierzu müssten Untersuchungen zu relevanten Wirkme- der Behandlung der Bulimia nervosa sowie im Weiteren
chanismen der einzelnen Techniken durchgeführt werden. die systemische Psychotherapie bzw. familienorientierte
Ansätze. Zudem gibt es psychodynamisch orientierte Ver-
fahren, deren Wirksamkeit bisher jedoch nur vereinzelt
3.2.3 Wirksamkeit von Gruppentherapie entsprechend wissenschaftlicher Standards überprüft ist.
bei Essstörungen Nicht alle Ansätze sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei
beiden Störungsbildern untersucht, daher wird an dieser
Die Wirksamkeit der Gruppentherapie bei Essstörungen Stelle die Befundlage für beide Störungsgruppen zusam-
wurde vielfach belegt. So hat die Arbeitsgruppe um Chen menfassend dargestellt und falls Unterschiede zwischen
et al. (2003) die klinische Effektivität der kognitiv-verhal- Anorexia nervosa und Bulimia nervosa vorhanden sind
tenstherapeutischen Gruppenbehandlung mit der Einzelbe- werden diese im jeweiligen Abschnitt erläutert.
handlung bei Bulimia nervosa verglichen. Es zeigten sich
für beide Behandlungsformen hinsichtlich essstörungsspe-
zifischer und allgemeinpsychopathologischer Symptome 3.3.1 Interpersonelle Psychotherapie
vergleichbar gute Effekte, außer im Hinblick auf das bu-
limische Verhalten. Hier war die Einzeltherapie der Grup- Die interpersonelle Psychotherapie (IPT) in ihrer für Ess-
penbehandlung überlegen. Die positiven Verbesserungen störungen modifizierten Form (Übersicht Weissman et al.
beider Behandlungsansätze blieben bis zum 6-Monats-Fol- 2000) fokussiert auf die interpersonalen Beziehungsmuster
low-up erhalten; auch hatte sich die Ausprägung der buli- der essgestörten Patientinnen. Da die Essstörung im Kon-
mischen Symptomatik der Patientinnen in der Gruppen- text der IPT als Beziehungsstörung angesehen wird, soll
therapie zu diesem Zeitpunkt dem der Patientinnen in der über eine Bearbeitung der Beziehungsmuster die Essstö-
Einzeltherapie angeglichen. Weitere Studien zeigten, dass rungssymptomatik beeinflusst werden (Wilfey et al. 2003).
sich auch durch den interpersonellen Kontakt zwischen den
Gruppenmitgliedern weitere Variablen wie Selbstsicherheit
bei einigen Patientinnen tendenziell positiv im Rahmen ei-
ner Gruppentherapie verändern (Openshaw et al. 2004).
--
Vier Themenbereiche werden in der IPT fokussiert:
Trauer bzw. Verlust einer Person,
Defizite in der interpersonalen Beziehungsgestal-
tung wie Einsamkeit oder Unfähigkeit, befriedigende
Obschon Replikationen der oben genannten Ergebnisse Beziehungen herzustellen und aufrechtzuerhalten,
44 Kapitel 3 • Therapieansätze und ihre Wirksamkeit

1 - Schwierigkeiten in der interpersonellen Kommu-


nikation, die vornehmlich Rollenkonflikte betreffen,
Kernsymptome von Essstörungen hin, allerdings sind die
meisten Studien unkontrolliert und eine systematische Un-

2
3
- sowie
Schwierigkeiten bei der Erfüllung neuer Lebensauf-
gaben, wie sie beim Eintritt in einen neuen Lebens-
abschnitt auftreten können.
tersuchung der Wirksamkeit des DBT-Ansatzes bei Essstö-
rungen steht noch aus (Bankoff et al. 2012). Der DBT-An-
satz wird derzeit zumeist nicht als Standardbehandlung für
Essstörungen angesehen, sondern dient eher als Ergänzung
zur Behandlung therapieresistenter Patientinnen oder von
Das gestörte Essverhalten an sich und das negative Körper- Patientinnen mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen
4 bild sind hierbei keine direkten Interventionsgegenstände. wie der Borderline-Störung (Palmer und Birchhall 2003).
Die Wirksamkeit der IPT wurde bislang vor allem für
5 Frauen mit Essanfallsymptomatik, Bulimia nervosa und
3.3.3 Systemische Ansätze
Binge-Eating-Disorder nachgewiesen (Wilfley et al. 2003).
Die Ergebnisse der Therapievergleichsstudien zeigen im
6 Vergleich mit der KVT eine kurzfristige Unterlegenheit der Systemische Psychotherapieansätze bei der Behandlung
IPT gegenüber der KVT, die sich allerdings im 2-Jahres- von Essstörungen orientieren sich an gesprächstherapeu-
7 Follow-Up relativiert. Langfristig scheint die IPT der KVT tischen Grundsätzen wie Empathie und Verständnis und
daher nicht unterlegen zu sein (Agras et al. 2000). Agras sind auf die Erarbeitung von Lösungswegen zur Verände-
et al. (2000) konnten zudem zeigen, dass Patientinnen in rung des die Krankheit aufrechterhaltenden Systems hin
8 der IPT-Bedingung die Behandlung als angenehmer und orientiert. Die Patientin wird dabei als in ein System einge-
erfolgversprechender bewerteten als Patientinnen in der bunden gesehen, welches aus einer interdependenten, sich
9 KVT-Bedingung. Es wird angenommen, dass dieses Er- wechselseitig beeinflussenden Gruppe wie der Familie oder
gebnis damit zusammen hängen könnte, dass aus der Pa- einer Paarbeziehung besteht. Wahrnehmung und Erleben
10 tientenperspektive die Bearbeitung der interpersonellen geschehen dabei in Abhängigkeit vom jeweiligen System,
Problembereiche von größerer Bedeutung zur Bewältigung dieses muss daher in der Therapie berücksichtigt werden.
der Essstörung ist als die Behandlung des Essverhaltens Im therapeutischen Prozess stehen hierbei vor allem posi-
11 (Wilfley et al. 2003). Eine neuere Studie mit Anorexiepati- tive Aspekte, Ressourcen und Fähigkeiten der Betroffenen
entinnen verglich IPT mit KVT und einer unspezifischen im Vordergrund. Durch die Bildung von Hypothesen und
12 Behandlung. Dabei erwies sich die IPT als die am wenigs- Nachstellen der daraus resultierenden möglichen Verhal-
ten erfolgreiche Behandlungsform (McIntosh et al. 2005). tensabläufe und Konsequenzen (sog. Planspielen) werden
Allerdings hoben sich diese Unterschiede im Langzeitver- im Prozess neue Perspektiven entwickelt und eine essstö-
13 lauf (> 6 Jahre) auf (Carter et al. 2011). Die Ergebnisse soll- rungsfreie Lebensgestaltung angestrebt (Gröne 2001). Eine
ten aufgrund verschiedener qualitativer Mängel der Studie, umfassende Evaluation dieser Konzepte steht noch aus.
14 u. a. der eher kleinen Stichprobe, mit Vorsicht interpretiert
werden (Murphy et al. 2012).
Psychodynamisch orientierte
15 3.3.4
Verfahren
3.3.2 Dialektisch-behaviorale Ansätze
16 Hinsichtlich psychodynamisch orientierter Verfahren
Die Adaptation der dialektisch-behavioralen Therapie gibt es nur wenige Studien, die nach wissenschaftlichen
17 (DBT) nach Linehan (1993), welche ursprünglich zur Be- Kriterien durchgeführt wurden. Hauptsächlich beziehen
handlung der Borderline-Störung entwickelt wurde, auf sich psychodynamisch angewandte Methoden auf die Be-
Essstörungen gilt insbesondere bei der Behandlung der handlung der Anorexia nervosa und sind dabei deutlich
18 Bulimia nervosa (Safer et al. 2001a,b) und Binge-Eating- pragmatischer und störungsorientierter als oft angenom-
Disorder als erfolgsversprechend (Telch et al. 2001). Hier- men (Herzog und Hartmann 1997). Psychodynamische
19 bei stehen vor allem die Skills-Trainings zur Spannungs- Verfahren, welche mit einer Symptomzentrierung arbei-
und Emotionsregulation im Vordergrund. Die Betroffenen ten, haben sich gegenüber traditionellen psychodynami-
20 sollen hierbei u. a. durch Achtsamkeitsübungen und den schen Ansätzen in der Anorexiebehandlung als überlegen
Aufbau von Stresstoleranz eine funktionalere Emoti- erwiesen (Herzog und Hartmann 1997). Diese Ansätze
onsregulation erlernen. Da Essanfällen oft emotionale beziehen sich in der Anfangsphase einer Therapie auf die
21 Spannungszustände vorausgehen, soll hierüber die Essan- Spaltung zwischen innerer und äußerer Welt und dem da-
fallssymptomatik reduziert werden. Ein Review über 13 mit einhergehenden Autonomiekampf der Patientinnen.
22 Studien, die den DBT-Ansatz in verschiedenen Settings Hiermit wird die therapeutische Arbeit an der Symptoma-
anwandten, weist auf eine erfolgreiche Reduktion der tik mit der Auseinandersetzung mit den interpersonellen
3.3 • Weitere psychotherapeutische Ansätze im Überblick
45 3

und intrapsychischen Konflikten verbunden (Reich 2004). Haltung der Eltern. Das schlechteste Therapieergebnis
Weitere Behandlungspunkte sind die Bearbeitung von zeigte sich hier, wenn die Eltern gar nicht einbezogen wur-
Konflikt- und Affektabwehr, welche sich in Isolierung, Ra- den (Eisler et al. 1997). Insgesamt gilt für die Behandlung
tionalisierung und Verleugnung sowie rigiden Über-Ich- jugendlicher Anorexiepatientinnen die Familientherapie
Anforderungen zeigt. als effektiv, wobei einschränkend gesagt werden muss, dass
Hinsichtlich der Behandlung der Bulimia nervosa mit es wenige randomisiert-kontrollierte Studien auf diesem
psychodynamischen Ansätzen gibt es trotz einer langjäh- Gebiet gibt (Eisler et al. 2003). Allgemein gilt jedoch, dass
rigen Tradition insbesondere in der stationären Behand- Familien mit eher schwierigen Kommunikationsformen
lung nur wenige randomisiert-kontrollierte Studien, wel- wie Feindseligkeit und Kritik besser erst in einem späteren
che deren Behandlungserfolg überprüfen (Jager und von Stadium der Behandlung in die Therapie mit einbezogen
Wietersheim 1997). Eine Outcome-Analyse von Kächele werden sollten. Dies hat den Vorteil, dass in diesem Sta-
et al. (2001) beispielsweise zeigte für stationäre psycho- dium die Essstörungssymptomatik nicht mehr im Zent-
dynamische Behandlung bei einem 2,5-Jahres-Follow-up rum der Aufmerksamkeit steht und so die dysfunktionalen
33 % symptomfreie Anorexiepatientinnen und 25 % sym- Kommunikationsmuster stärker fokussiert werden können
ptomfreie Bulimiepatientinnen. Allerdings liegen die hier (Eisler et al. 2003).
berichteten Erfolgsraten damit unter denen für die statio- Für erwachsene Anorexiepatientinnen gibt es noch
näre Behandlung mit KVT (Fichter und Quadflieg 1999). weniger Studien, die Familientherapie mit anderen Be-
Neuere Entwicklungen der psychodynamischen An- handlungsformen vergleichen. Die wenigen existierenden
sätze greifen die Symptomzentrierung auf und verbinden Studien wurden mit chronisch erkrankten Patientinnen
KVT-Ansätze mit analytischen Konzepten. Aus dem eng- durchgeführt. So bleibt unklar, ob die Ergebnisse genera-
lischsprachigen Raum ist dazu die „Cognitive Analytic lisierbar sind (Eisler et al. 2003). Die bereits unter ▶ Ab-
Therapy“ (CAT; Ryle 1990) zu nennen, welche vor allem schn. 3.3.4 genannte Studie von Dare et al. (2001) zeigte
im Bereich der Anorexiebehandlung eingesetzt und evalu- beispielsweise vergleichbare Ergebnisse zwischen psycho-
iert wurde (Treasure und Ward 1997). Sie basiert auf einer dynamischen und familienorientierten Ansätzen.
Modifikation des kognitiven Modells der Anorexia nervosa Obwohl auch für Patientinnen mit Bulimia nervosa
nach Fairburn et al. (1999) und beinhaltet darüber hin- ein familientherapeutischer Ansatz möglich und in der
aus den Bereich interpersoneller Probleme. Ziel ist es, die Praxis auch gängig zu sein scheint, gibt es hierzu kaum
Selbstwirksamkeit der Patientinnen zu erhöhen und durch Wirksamkeitsstudien (Eisler et al. 2003). Daher kann der-
gewonnene Selbstreflexionsfähigkeiten Veränderungen zeit über die Anwendung familienorientierter Ansätze in
vorzunehmen (Tanner und Connan 2003). Die CAT wird der Behandlung bulimischer Patientinnen keine eindeutige
in 16–24 Sitzungen durchgeführt und beinhaltet dabei 3 Aussage getroffen werden.
Stufen: die „reformulation“ der problematischen interper-
sonellen Beziehungs- und Verhaltensmuster, die „recogni-
tion“ dieser Muster und die „revision“ der Muster im „hier 3.3.6 Selbsthilfeprogramme
und jetzt“ und dem alltäglichen Leben. Das Rational der
CAT ist strukturiert und beinhaltet auch Hausaufgaben wie Selbsthilfeprogramme zur Behandlung von Essstörungen
das Führen von Essprotokollen oder Tagebüchern. Dare erhielten in den letzten Jahren regen Zulauf. Die Begrün-
et al. (2001) verglichen die CAT mit einem herkömmlichen dung für die anwachsende Nachfrage ist zum einen in der
psychodynamischen Verfahren und Familientherapie, da- meist langen Wartezeit auf einen Therapieplatz zu sehen
bei schnitt die CAT gleich gut ab. zum anderen können, je nach kulturellen Bedingungen
und sozialen Begebenheiten, auch finanzielle oder organi-
satorische Gründe eine Rolle spielen (Perkins und Schmidt
3.3.5 Familientherapie 2005). Auch ist die Hemmschwelle für die Durchführung
eines Selbsthilfeprogrammes oft niedriger als für eine re-
Familientherapie wird vornehmlich bei jugendlichen Pa- guläre „Face-to-Face-Psychotherapie“. Aus dieser Entwick-
tientinnen mit einer Anorexia nervosa durchgeführt und lung heraus sind eine Vielzahl von Selbsthilfebüchern er-
gilt in 60–90 % der Fälle als erfolgreich für diese spezifi- schienen, die meist kognitiv-behavioral orientiert sind und
sche Klientel (Eisler et al. 2003). Bei der Betrachtung der verschiedene Themenbereiche wie Ernährungsmanage-
unterschiedlichen Herangehensweisen in der Einbindung ment, kognitive Umstrukturierung, Körperbildstörungen
der Eltern zeigte sich, dass die Ermutigung der Eltern, sich und Problemlösefertigkeiten einschließen.
aktiv mit der Krankheit ihrer Tochter bzw. ihres Sohnes Selbsthilfeprogramme mit kognitiv-behavioraler Ori-
auseinanderzusetzen, größere Effekte erzielt als eine zwar entierung erwiesen sich als recht effektiv insbesondere bei
unterstützende, jedoch nicht auf die Essstörung bezogene Frauen mit Bulimia nervosa. So konnte durch ein solches
46 Kapitel 3 • Therapieansätze und ihre Wirksamkeit

Gruppenselbsthilfeprogramm die Essanfallssymptomatik Trotzdem wird bei möglichen komorbiden Erkrankungen


1 stabilisiert, d. h. bis zu einem Jahr nach Beendigung des wie Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen die Emp-
Selbsthilfeprogramms reduziert werden (Peterson et al. fehlung gegeben, zusätzlich mit Antidepressiva, vorzugs-
2 2001). In weiteren Studien konnte gezeigt werden, dass weise selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, zu
therapeutisch geleitete Selbsthilfeprogramme sowohl behandeln (Bruna und Fogteloo 2003).
nichtgeleiteten als auch Wartelistenkontrollgruppen über- Zwar gibt es eine Vielzahl von Befunden zur medi-
3 legen waren (Perkins und Schmidt 2005). Der Vergleich kamentösen Therapie der Bulimia nervosa mit durchaus
von geleiteten Selbsthilfeprogramme mit einer kognitiv- guten Ergebnissen hinsichtlich einer Reduktion von Ess-
4 verhaltenstherapeutischen Therapiegruppe bei bulimi- anfällen und Erbrechen, doch traten die auf die Medikation
schen Patientinnen zeigte keine Unterschiede im Out- zurückzuführenden Verbesserungen nur kurzfristig wäh-
5 come bei Therapieende. Beide Gruppen führten zu einer rend der Medikamenteneinnahme auf und blieben nach
Besserung der Symptomatik (Bailer et al. 2004). Für ano- Absetzen der Medikation nicht bestehen (Hay und Bacalt-
rektische Patientinnen gibt es trotz ebenfalls reichlicher chuk 2001). Eine Studie von Walsh et al. (2000) konnte
6 Auswahl an Selbsthilfebüchern kaum Wirksamkeitsstudien nachweisen, dass Fluoxetin bei Patientinnen, die zuvor we-
(Perkins und Schmidt 2005), eine Ausnahme ist eine von der auf KVT noch auf IPT angesprochen hatten, in einem
7 Fichter et al. (2003) angeleitete, telefonisch unterstützte 8-Wochen-Treatment, verglichen mit einer Placebogruppe,
und manualisierte Selbsthilfe vor Aufnahme einer statio- wirksam war und die Frequenz an Essanfällen und Erbre-
nären Behandlung. Erste Ergebnisse zeigten eine kürzere chen signifikant reduziert werden konnte. Das Fluoxetin
8 Aufenthaltsdauer und stärkere Reduktion der Essstörungs- wurde dabei mit 60 mg/Tag dosiert, was ca. 3-mal so hoch
symptomatik im Vergleich zu einer Wartekontrollgruppe. ist wie die für die Depressionsbehandlung empfohlene Do-
9 Eine Übersicht zur Wirksamkeit von Selbsthilfegruppen sis (Bruna und Fogteloo 2003). In einer weiteren Studie
in der Behandlung von Essstörungen bieten Perkins und von Jacobi et al. (2002) konnte kein Vorteil einer kombi-
10 Schmidt (2005). nierten Behandlung mit dem Antidepressivum Fluoxetin
In den letzten Jahren wurden darüber hinaus ver- gegenüber einer rein kognitiv-behavioralen Gruppenthe-
schiedene Studien, die sich neuere Technologien zunutze rapie festgestellt werden. In einer Studie von Walsh et al.
11 machen, beschrieben. So wurden beispielsweise insbe- (1997) hat sich Desipramin als erfolgreiche Alternative für
sondere im Kontext der Rückfallprophylaxe internet- und Fluoxetin erwiesen.
12 SMS-basierte Programme erfolgreich durchgeführt (Kordy Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der additive Nutzen
2004). Im Kontext der Essstörungen sind hier Internet-Pro- einer medikamentösen Behandlung zusätzlich zur Psycho-
gramme zur Prävention (Beintner et al. 2012), zur Motivie- therapie eher gering ist. Die Arbeitsgruppe zur Erstellung
13 rung zur Aufnahme einer Behandlung (Hötzel et al., 2013), der deutschen AWMF-Leitlinien (Herpertz et al. 2011a)
zur Psychotherapie (Ruwaard et al. 2012), zur Nachsorge empfiehlt daher den Einsatz eines niedrig dosierten Neu-
14 im Anschluss an eine stationäre Behandlung (Gulec et al., roleptikums bei Patientinnen mit Anorexia nervosa nur
2011) sowie Unterstützungsangebote für Angehörige von im Einzelfall und bei Vorliegen stark ausgeprägter Ge-
15 Patientinnen mit Essstörungen (Grover et al., 2011) zu wichtsängste, kognitiver Einschränkung des Essens oder
nennen. starker Hyperaktivität. Bei der Bulimia nervosa scheinen
nach heutigem Wissensstand antidepressive Medikamente
16 (Fluoxetin, ggf. off-label-use anderer SSRI) als additive
3.3.7 Pharmakotherapie Therapie zu einer Psychotherapie oder als Unterstützung
17 zu Behandlungsbeginn erwogen werden zu können.
Obwohl Serotonin in der Regelung des Hunger-Sättigungs-
Haushalts eine bedeutsame Rolle spielt und es Hinweise
18 darauf gibt, dass bei Essstörungen der Serotoninhaushalt
>> Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze in
der Behandlung von Essstörungen, wobei sich die
verändert ist (▶ Kap. 1), ist die Pharmakotherapie nicht die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) in verschiedenen
19 Therapie der Wahl bei der Behandlung von Essstörungen. Studien als Methode der Wahl mit den schnellsten
Insbesondere bei der Anorexia nervosa besteht ein Mangel und stabilsten Ergebnissen erwiesen hat. Daneben
20 an Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit einer medi- gelten die interpersonelle Psychotherapie (IPT)
kamentösen Behandlung (Bruna und Fogteloo 2003). Die und die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) für
einzige systematische Überprüfung (Treasure und Schmidt Patientinnen mit Bulimia nervosa und eine familien-
21 2003) zeigte meist keine positiven Befunde der Pharmako- therapeutische Herangehensweise für Jugendliche
therapie, teilweise zeigten sich sogar medizinische Kompli- mit einer Anorexieerkrankung als vielversprechend.
22 kationen aufgrund der Interferenz der Medikation mit be- Selbsthilfeprogramme sind vorwiegend für erwach-
stehenden kardiovaskulären Problemen (▶ Abschn. 1.1.3). sene Bulimiepatientinnen evaluiert und stellen
Literatur
47 3

eine sinnvolle niederschwellige Alternative dar. Der Attia E, Haiman C, Walsh BT, Flater SR (1998) Does fluoxetine augment
the inpatient treatment of anorexia nervosa. Am J Psychiatry
additive Einsatz von Psychopharmaka scheint den
155:548–551
Therapieerfolg nicht relevant zu verbessern. Der Bailer U, de Zwaan M, Leisch F et al (2004) Guided self-help vs cognitive-
Einsatz von Antidepressiva sollte daher primär bei behavioural group therapy in the treatment of bulimia nervosa. Int
der Behandlung von Essstörungen mit komorbiden J Eat Disord 35:522–537
Störungen erwogen werden. Bankoff SM, Karpel MG, Forbes HE, Pantalone DW (2012) A systematic
review of dialectical behavior therapy for the treatment of eating
disorders. Eat Disord 20:196–215
Beintner I, Jacobi C, Taylor CB (2012) Effects of an Internet-based preven-
3.4 Zusammenfassung

-
tion programme for eating disorders in the USA and Germany – a
meta-analytic review. Eur Eat Disord Rev 20:1–8
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) geht in einem Beumont PJ, Beumont CC, Touyz SW, Williams H (1997) Nutritional coun-
seling and supervised exercise. In: Garner DM, Garfinkel PE (Hrsg)
2-Phasen-Ansatz vor, wobei zunächst Gewichtsstei-
Handbook of treatment for eating disorders, 2. Aufl. Guilford, New
gerung bzw.-stabilisierung und die Normalisierung York, S 178–187
des Essverhaltens inklusive des Abbaus von Essanfäl- Bruna T, Fogteloo J (2003) Drug treatments. In: Treasure J, Schmidt U,
len und Kompensationsstrategien im Vordergrund van den Furth E (Hrsg) Handbook of eating disorders, 2. Aufl. Wiley,
stehen. In einem zweiten Schritt werden die mit der Chichester, UK, S 311–323
Bulik CM, Sullivan PF, Carter FA, McIntosh VV, Joyce PR (1998) The role
Essstörung assoziierten Problembereiche wie defizi-
of exposure with response prevention in the cognitive-behavioural
täre soziale Kompetenzen sowie geringe Konflikt- und

-
therapy for bulimia nervosa. Psychol Med 28:611–623
Problemlösefertigkeiten Interventionsgegenstand. Carter FA, Jordan J, McIntosh VV, McKenzie JM, Luty SE et al (2011) The
Die Wirksamkeit der KVT ist für die Anorexia ner- long-term efficacy of three psychotherapies for anorexia nervosa: a
vosa bislang nicht ausreichend untersucht. Die Ergeb- randomized, controlled trial. Int J Eat Disord 44:647–654
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nisse groß angelegter multizentrischer Studien stehen
group and individual cognitive-behavioral therapy for patients with
derzeit aus. Dennoch gilt die KVT als Methode der bulimia nervosa. Int J Eat Disord 33:241–256
Wahl, da sie sich in bisherigen Studien als mindestens Dare C, Eisler I, Russell G, Treasure J, Dodge L (2001) Psychological the-
genauso erfolgreich wie andere Verfahren erwiesen rapies for adults with anorexia nervosa: randomised controlled trial
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Eisler I, Dare C, Russell GFM, Szmukler GI, Dodge L, Le Grange D, Dogde
Therapieverfahren überlegen. Hinsichtlich des Set-
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tings gilt eine kurzfristige Überlegenheit der Einzel- follow-up. Arch Gen Psychiatry 54:1025–1030
therapie gegenüber der Gruppenbehandlung, die sich

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Eisler I, Le Grange D, Asen E (2003) Family interventions. In: Treasure J,
langfristig jedoch wieder zu relativieren scheint. Schmidt U, van den Furth E (Hrsg) Handbook of eating disorders,
Neben der KVT kommen die interpersonelle Psy- 2. Aufl. Wiley, Chichester, UK, S 291–310
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Ansätze, psychodynamische Therapieverfahren Fairburn CG, Shafran R, Cooper Z (1999) A cognitive behavioural theory
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tensweisen oder komorbider Persönlichkeitsstörung
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scheint eine modifizierte Form der DBT vielverspre- nervosa. Int J Eat Disord 26:359–385
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research in anorexia nervosa. Int J Eat Disord 35:509–521 Disord 44:708–715
48 Kapitel 3 • Therapieansätze und ihre Wirksamkeit

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51 4

Diagnostik
T. Legenbauer, S. Vocks

4.1 Medizinische Diagnostik – 52


4.2 Strukturierte Interviews – 53
4.2.1 Diagnosestellung der allgemeinen Psychopathologie – 53
4.2.2 Essstörungsspezifische Diagnosestellung – 53

4.3 Fragebögen – 54
4.3.1 Anamnese – 54
4.3.2 Essstörungssymptomatik – 54
4.3.3 Weitere Symptombereiche – 56
4.3.4 Retrospektive Erfolgsmessung – 56

4.4 Selbstbeobachtungsmethoden – 57
4.4.1 Dokumentation der Nahrungsaufnahme zum Behandlungsbeginn – 57
4.4.2 Weitere Anwendungsbereiche von Ernährungsprotokollen – 57

4.5 Zusammenfassung – 58
4.6 Fragebogen – 58
Literatur – 65

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
52 Kapitel 4 • Diagnostik

Zur Diagnostik von Essstörungen sind neben der psy- traktes sowie der Leber- und Nierenfunktionen auch das
1 chologischen Diagnostik vor allem auch zu Beginn der Schreiben eines Elektrokardiogramms einschließen sollte,
Behandlung organmedizinische Abklärungen notwen- um möglicherweise vorliegende Herzrhythmusstörungen
2 dig. Da der Schwerpunkt dieses Kapitels auf der psycho- feststellen zu können (▶ Kap. 1).
logischen Diagnostik von Essstörungen liegen soll, gehen Darüber hinaus soll der Mund- und Halsbereich (in-
wir nur kurz auf notwendige medizinisch-diagnostische klusive der Speicheldrüsen) untersucht werden. In diesem
3 Maßnahmen ein. Zunächst wird daher ein kurzer Abriss Zusammenhang ist auch die Veranlassung eines Zahn-
über sinnvolle Maßnahmen zur diagnostischen Abklärung arztbesuches sinnvoll. Ebenso kann die Konsultation ei-
4 möglicher körperlicher Folgeerscheinungen gegeben, be- nes Gynäkologen zur Untersuchung der reproduktiven
vor die psychologische Diagnostik beleuchtet wird. Im Funktionen, inklusive der Erfassung der Sexualhormone
5 Rahmen der Darstellung der psychologischen Diagnostik notwendig sein. Bei chronifizierter Erkrankung bzw. häufig
der Anorexia und Bulimia nervosa wird sowohl auf im auftretenden Knochenbrüchen sollte eine Knochendichte-
deutschsprachigen Raum verfügbare strukturierte Inter- messung durch einen Orthopäden erfolgen. Des Weiteren
6 viewverfahren als auch auf Fragebögen eingegangen. Wäh- sollte sorgfältig erhoben werden, welche Medikamente die
rend strukturierte Interviews primär der Diagnosestellung Patientin einnimmt. Tuschen-Caffier und Florin (2002)
7 zu Beginn der Behandlung dienen, werden die Fragebö- haben einen Screeningfragebogen entwickelt, den Ärzte
gen vor allem verwendet, um die Essstörungssymptome bei der medizinischen Diagnostik als Leitfaden verwenden
und assoziierte Merkmale zu quantifizieren und Verän- können. Hierzu wird die Abklärung der sonstigen Medika-
8 derungen im Verlauf zu beobachten. Abschließend wird mente wie Tranquilizer, Barbiturate und Anxiolytika neben
auf Selbstbeobachtungsverfahren eingegangen, die in der den für Bulimia nervosa typischen Laxanzien, Diuretika
9 Essstörungsbehandlung durchaus auch als diagnostische und Appetitzüglern empfohlen. Außerdem sollte auch
Instrumente herangezogen werden können, um dysfunk- nach Drogeneinnahme gefragt werden, da Kokain, aber
10 tionale Verhaltensmuster zu identifizieren. Eine ausführ- auch Haschisch teilweise zur Hungerreduktion eingenom-
lichere Beschreibung verschiedener Diagnoseverfahren men werden. Mit Einverständnis der Patientinnen können
im Bereich der Essstörungen geben Tuschen-Caffier et al. auch regelmäßige Urinkontrollen mit Screenings nach La-
11 (2005). In diesem Buch können auch die Testgütekriterien xanzien, Diuretika- und Drogen durchgeführt werden.
der einzelnen Verfahren und Hinweise auf Normstichpro- Bei Patientinnen, die schwerwiegendere körperliche Fol-
12 ben nachgelesen werden. Eine Kurzbeschreibung gängiger geerscheinungen aufweisen, sollte eine Wiederholung der
Verfahren in der Psychotherapie allgemein ist bei Brähler körperlichen Untersuchung im Therapieverlauf vorgenom-
et al. (2002) und Vocks et al. (2005) zu finden. Die unter- men und eine enge Kooperation mit dem Arzt angestrebt
13 schiedlichen psychodiagnostischen Verfahren werden hier werden. In der folgenden Übersicht sind die notwendigen
hinsichtlich ihres theoretischen Hintergrundes, ihres Bezu- medizinisch-diagnostischen Maßnahmen bei Beginn einer
14 ges zur Psychotherapie, des Aufbaus und der Auswertung psychotherapeutischen Behandlung zusammengefasst.
sowie der Gütekriterien skizziert.
15 Medizinisch-diagnostische Maßnahmen in der

16
4.1 Medizinische Diagnostik

Wie bereits in ▶ Kap. 1 dargestellt, kann sowohl die Ano-


-
Behandlung der Anorexia und Bulimia nervosa
Untersuchung des Allgemeinzustandes: Ernäh-
rungszustand/Body-Mass-Index (BMI), Körpertem-

17 rexia als auch die Bulimia nervosa mit schwerwiegenden


organischen Folgeerscheinungen einhergehen, welche zum - peratur, Blutdruck
Internistische Untersuchung: EKG, Inspektion des
Gastrointestinaltraktes und Mundbereiches sowie

--
Teil lebensbedrohlich sind (Herpertz 1997). Aus diesem
18 Grunde sollte in der Anfangsphase einer Psychotherapie der Leber- und Nierenfunktionen
Zahnärztliche Untersuchung
der Essstörungen auch eine organmedizinische Untersu-
19 Gynäkologische Untersuchung: reproduktive Funk-

-
chung erfolgen. Diese soll neben einer Abklärung des All-
tionen
gemein- und Ernährungszustandes der Patientinnen (hin-
Orthopädische Untersuchung: Knochendichtemes-
20
-
sichtlich Gesamteindruck, Körpertemperatur, Blutdruck,
sung
Body-Mass-Index) eine Blut- und ggf. Urinuntersuchung
Erfassung von Laborparametern: Elektrolyt-/Mi-
zur Diagnostik des Elektrolyt- und Mineralhaushaltes, der
21 Blutfettwerte, des Blutzuckerspiegels sowie der Leber- und neralhaushalt, Blutfette, Blutzucker, Leber- und
Nierenwerte, Sexual-, Schilddrüsen- und Wachs-
Nierenparameter beinhalten. Auch ist eine umfassende
22 internistisch-kardiologische Untersuchung sinnvoll, die tumshormone
neben einer genauen Inspektion des Gastrointestinal-
4.2 • Strukturierte Interviews
53 4
4.2 Strukturierte Interviews amination“ (EDE; Fairburn und Cooper 1993; deutsche
Version: Hilbert et al. 2004) sowie das „Strukturierte In-
Um die Diagnose einer Essstörung, aber auch komorbid ventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen“
vorhandener weiterer psychischer Störungen (z. B. eine (SIAB; Fichter und Quadflieg 1999). Beide Experten-Inter-
Major Depression; ▶ Kap. 1), stellen zu können, emp- views wurden in Anlehnung an die Diagnosekriterien für
fiehlt sich der Einsatz strukturierter Interviews. Da die Essstörungen gemäß DSM-IV (der SIAB zusätzlich nach
Anwendung dieser Verfahren komplex ist, erfordert sie ICD-10) konzipiert. Sowohl die EDE als auch das SIAB
ein intensives Training des Diagnostikers (Wittchen et al. liegen neben der Interviewform auch in Fragebogenform
2001). Unterschieden werden dabei Verfahren zur Erfas- als Selbsteinschätzungsinstrument vor (EDE-Q; Fairburn
sung psychischer Störungen allgemein von speziell für den und Beglin 1994; deutsche Fassung: Hilbert et al. (2007);
Bereich der Essstörungen entwickelten Instrumenten, die SIAB-SE; Fichter und Quadflieg 1999). Diese im Vergleich
hinsichtlich der Essstörungsdiagnostik wesentlich präziser zu den Experteninterviews in der Handhabung weniger
sind (Jacobi et al. 2004). aufwändigen Selbsteinschätzungsinstrumente eignen sich
sehr gut für Screeningzwecke. Zur Stellung einer Diagnose
sollte jedoch das Experteninterview verwendet werden,
4.2.1 Diagnosestellung der allgemeinen da beide Versionen nicht immer zu übereinstimmenden
Psychopathologie Resultaten kommen (Wolk et al. 2005). Aber auch die
Screeninginstrumente bieten Vorteile: Neben der Zeit-
Den Verfahren zur allgemeinen Diagnosestellung ist das und Kostenersparnis ist hier die möglicherweise höhere
„Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV, Achse 1: Bereitschaft zur Selbstenthüllung seitens der Patientinnen
Psychische Störungen“ (SKID-I; Wittchen et al. 1997) zu nennen. Auch kann durch die Fragebogenversion eine
zuzurechnen. Neben der Essstörungssymptomatik (Sek- gegebenenfalls auftretende Verzerrung der Patientenant-
tion H) werden hier auch affektive Syndrome, psychotische worten durch die Formulierung der Fragen durch den
Störungen, Substanzabusus und -abhängigkeit sowie Angst- Interviewer vermieden werden. Hinzu kommt die leich-
störungen und somatoforme Störungen erfasst. Sofern der tere Handhabung der Fragebogenversionen, da diese – im
Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung vorliegt (z. B. bei Gegensatz zu den Experteninterviews – kein spezifisches
der Bulimia nervosa einer Borderline-Störung, ▶ Kap. 1), Training des Diagnostikers voraussetzen (Peterson und
empfiehlt es sich, darüber hinaus das „Strukturierte Klini- Miller 2003). Die EDE umfasst insgesamt 36 Items. Diese
sche Interview für DSM-IV, Achse 2: Persönlichkeitsstö- beinhalten 14 diagnostische Fragen, welche neben der
rungen“ (SKID-II; Fydrich et al. 1997) mit den Patientinnen Häufigkeit von Essanfällen in den letzten 3 Monaten, der
durchzuführen. Vor dem Einsatz des relativ zeitaufwendigen Einnahme von Laxanzien und dem Ausüben von exzes-
SKID-II kann ein Screeningfragebogen verwendet werden, sivem Sport auch die Form der Essanfälle (subjektive vs.
in dem die Patientinnen zu jeder der 12 Persönlichkeitsstö- objektive Essanfälle sowie Überessen ohne Kontrollverlust)
rungen entsprechende Fragen beantworten. Ergeben sich erfragen. Die weiteren 22 Items werden in den Subskalen
in dem Screeningfragebogen Hinweise auf das Vorliegen „Restraint Scale“ (kognitive Kontrolle des Essverhaltens),
bestimmter Persönlichkeitsstörungen oder besteht beim „Eating Concern Scale“ (essensbezogene Sorgen), „Shape
Diagnostiker der Verdacht hierauf, ist die Durchführung Concern Scale“ (Figursorgen) und „Weight Concern Scale“
der entsprechenden Sektionen des SKID-II indiziert. Alter- (Gewichtssorgen) zusammengefasst. Das SIAB beinhaltet
nativ zum SKID können als weitere klinische Interviews zur insgesamt 87 Fragen, die sich neben der Essstörungssymp-
Diagnostik das „Diagnostische Interview für Psychische tomatik auch auf weitere Symptombereiche wie Depression
Störungen“ nach DSM-IV (DIPS für DSM-IV; Margraf und Angst, soziale Integration sowie Sexualität beziehen.
et al. 2005) sowie das „Diagnostische Expertensystem“ Die Items werden den Subskalen „Körperschema und
nach DSM-IV und ICD-10 (DIA-X; Wittchen und Pfister Schlankheitsideal“, „Allgemeine Psychopathologie“, „Se-
1997) herangezogen werden. Weiterführende Hinweise zu xualität und soziale Integration“, „Bulimische Symptome“,
klinischen Interviews finden sich bei Wittchen et al. (2001). „Gegensteuernde Maßnahmen“, „Fasten und Substanz-
missbrauch“ und „Atypische Essanfälle“ zugeordnet.

4.2.2 Essstörungsspezifische >> Zur Diagnosestellung sollten strukturierte Interviews


Diagnosestellung eingesetzt werden. Dazu eignen sich zur Erfassung
der allgemeinen Psychopathologie das SKID-I, das
Zur ausführlicheren Diagnostik der Essstörungen ist es DIPS oder das DIA-X. Zur Diagnosestellung einer Ess-
sinnvoll, spezifische klinische Interviews für diesen Bereich störung sollten spezifischere Interviews eingesetzt
zu verwenden. Hierzu eignet sich die „Eating Disorder Ex- werden wie die EDE oder das SIAB.
54 Kapitel 4 • Diagnostik

4.3 Fragebögen bzw. Auslöser der Erkrankung und die Definition von Zie-
1 len für die Therapie.
Während sich die strukturierten Interviews insbesondere Die anhand solcher Fragebögen zur Anamnese erho-
2 zur Diagnosestellung eignen, können anhand verschiede- benen Daten können dem Therapeuten auf relativ öko-
ner Fragebogenverfahren, die von den Patientinnen selbst nomische Art wertvolle Hintergrundinformationen über
in schriftlicher Form beantwortet werden, Ausprägungs- die Entwicklung und Lebenssituation der Patientinnen
3 muster und Schwere der Essstörungssymptome und damit liefern, die für die Therapieplanung und durchführung
zusammenhängende psychische Merkmale erfasst werden. von Relevanz sind. Andererseits können diese Informati-
4 Auch wenn Fragebögen ein klinisches Experteninterview onen für die Erstellung eines Antrages an den jeweiligen
nicht ersetzen sollten, können sie gute ergänzende Hin- Kostenträger (z. B. Krankenkasse) bzw. für das Verfassen
5 weise zur Psychopathologie liefern und zur Messung des eines Therapieabschlussberichtes oder einer Falldokumen-
Therapieerfolges verwendet werden, beispielsweise in tation verwendet werden. Die auf diese Weise erhobenen
Form eines Vergleichs der vor und nach der Therapie er- Informationen sollten im persönlichen Gespräch zwischen
6 hobenen Symptomausprägungen (Vocks et al. 2005). Auch Patientin und Therapeut vertiefend exploriert werden.
Zwischenmessungen im Verlaufe der Behandlung können Weiterführende Hinweise zur Dokumentation in der Psy-
7 wertvolle Hinweise darauf liefern, in welchen Bereichen die chotherapie finden sich bei Laireiter et al. (2001).
Patientinnen bereits Fortschritte gemacht haben und wel-
che Aspekte in den folgenden Therapiesitzungen intensiver
8 fokussiert werden sollten. 4.3.2 Essstörungssymptomatik

9 Nachdem ausführlicher auf Fragebögen zur Anamneseer-


4.3.1 Anamnese hebung eingegangen wurde, sollen im Folgenden Instru-
10 mente zur Quantifizierung der Essstörungssymptomatik
Um die Anamneseerhebung ökonomisch zu gestalten, dargestellt werden. Dazu gehören zum einen Instrumente
können die Patientinnen gebeten werden, zu Beginn der zur Erfassung der Kernsymptome wie Essverhalten, allge-
11 Therapie den Fragebogen zur Lebensgeschichte (La- meine Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale, zum
zarus 1978; in modifizierter Form publiziert bei Görlitz anderen Fragebögen speziell für bestimmte Symptom-
12 1998) zu beantworten. Hier werden die Patientinnen zu- gruppen. Zusätzlich können noch spezifische Facetten der
nächst gebeten, ihre Symptomatik in eigenen Worten zu Essstörung, wie beispielsweise Störungen des Körperbildes,
beschreiben und den Grund des Aufsuchens der Therapie und damit einhergehendes Vermeidungs- oder Kontroll-
13 zu benennen. Auch werden möglicherweise zuvor durch- verhalten erfasst werden.
geführte Behandlungen (z. B. ambulante oder stationäre
14 Psychotherapie, medikamentöse Behandlung) erfragt. zz Erfassung des Essverhaltens und assoziierter
Des Weiteren wird die lebensgeschichtliche Entwicklung Persönlichkeitsmerkmale
15 erfragt: Die Patientinnen werden hierbei gebeten, beson- Als erstes sind hier die Fragebögen zur EDE, der EDE-
dere Ereignisse aus den verschiedenen Phasen ihres Lebens Q (Fairburn und Beglin 1994; deutsche Fassung: Hilbert
(Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter) zu beschreiben. et al. 2007) und der Fragebogen zum SIAB, der SIAB-SE;
16 Auch werden Angaben zu Eltern und Geschwistern (Al- Fichter und Quadflieg 1999) zu nennen. Da sie inhaltlich
ter, Beruf etc.) sowie zum Verhältnis, das die Patientin zu jedoch im Wesentlichen den Experteninterviews entspre-
17 ihnen hat, erbeten. Ebenso ist es sinnvoll, die schulische chen und diese bereits in ▶ Abschn. 4.2.2 ausführlich be-
und berufliche Entwicklung der Patientinnen sowie deren schrieben wurden, wird hier nicht näher auf diese beiden
aktuelle Lebenssituation (Wohnung, Freizeitgestaltung, so- Instrumente eingegangen.
18 ziale Kontakte und weitere Ressourcen) zu erfragen. Zur Neben diesen Instrumenten existieren im deutsch-
Erstellung einer Verhaltensanalyse können außerdem erste sprachigen Raum verschiedene weitere Fragebögen, von
19 Informationen anhand des Anamnesefragebogens erhoben denen das Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2; Garner
werden wie die Bedingungen unter denen das Problemver- 1991; deutsche Version von Paul und Thiel 2005) und der
20 halten (z. B. Essanfälle) vermehrt oder seltener eintritt so- Fragebogen zum Essverhalten (FEV; Pudel und Westen-
wie kognitive, emotionale, physiologische und behaviorale höfer 2005; englischsprachige Originalversion: Stunkard
Aspekte des Problemverhaltens. und Messick 1985) am häufigsten Verwendung finden. Das
21 Essstörungsspezifische Fragen zur Vorgeschichte sind EDI-2 ist ein Selbsteinschätzungsinventar zur Beschreibung
bei Jacobi et al. (2000) in Form eines Arbeitsblattes abge- des pathologischen Essverhaltens im engeren Sinne sowie
22 druckt. Sie beziehen sich u. a. auf die Dauer der Essstö- zur mehrdimensionalen Erfassung von weiteren relevan-
rungssymptomatik, von der Patientin vermutete Ursachen ten psychologischen Variablen. Es beinhaltet die Skalen
4.3 • Fragebögen
55 4

„Schlankheitsstreben“, „Bulimie“, „Unzufriedenheit mit zz Fragebögen zur Erfassung


dem Körper“, „Ineffektivität“, „Perfektionismus“, „Miss- einer Körperbildstörung
trauen“, „Interozeptive Wahrnehmung“, „Angst vor dem Neben diesen Instrumenten, welche sich primär auf das
Erwachsenwerden“, „Askese“, „Impulsregulation“ und Essverhalten beziehen, sollte in der Diagnostik der Ess-
„Soziale Unsicherheit“. Das EDI-2 unterscheidet sich störungen auch das Körperbild berücksichtigt werden, da
nur hinsichtlich der letztgenannten 3 Skalen von der Ur- dieses ein zentrales Merkmal von Essstörungen darstellt
sprungsversion dieses Instrumentes (EDI). Es bietet damit (Cash und Deagle 1997). Das Körperbild wird allgemein
eine umfangreiche Beschreibung der Essstörungspatholo- anhand des EDI-2 (Skala: „Unzufriedenheit mit dem Kör-
gie und damit assoziierter Persönlichkeitsmerkmale. Der per“, s. o.) erfasst. Falls keine spezifischere Diagnostik der
FEV hingegen bezieht sich primär auf das Essverhalten und Körperbildstörung gewünscht ist, ist der Einsatz dieses
misst anhand von 60 Items die „Kognitive Kontrolle des Instrumentes ausreichend, da es auch weitere zentrale
Essverhaltens“, die „Störbarkeit des Essverhaltens“ und Symptombereiche einer Essstörung erfasst und sowohl
„Erlebte Hungergefühle“. Er eignet sich damit insbeson- im Praxis- als auch im Forschungskontext international
dere zur Überprüfung des Ausmaßes möglichen restrikti- etabliert ist. Soll eine vorhandene oder vermutete Körper-
ven Essverhaltens bei der Bulimia und Anorexia nervosa. bildstörung jedoch genauer spezifiziert werden, können
Auch der Eating Attitudes Test (EAT; Garner et al. 1982, die im Folgenden beschriebenen Instrumente eingesetzt
1983; deutsche Fassung: Meermann und Vandereycken werden.
1987) eignet sich zur Messung der Essstörungspatholo- Zur Quantifizierung der Überschätzung der eigenen
gie. Er beinhaltet die Faktoren „Diätverhalten“, „Bulimie“, Körperdimensionen kann in diesem Zusammenhang bei-
„Übermäßige Beschäftigung mit Essen“ und „Orale Kont- spielsweise die Contour Drawing Rating Scale verwendet
rolle“, welche anhand von 40 Items (bzw. in der Kurzform werden (Thompson und Gray 1995; abgedruckt bei Vocks
von 26 Items) gemessen werden und kann beispielsweise und Legenbauer 2010). Zur Messung der Einstellung zum
alternativ zum FEV eingesetzt werden, da er verwandte eigenen Körper empfiehlt sich der Einsatz des Frage-
Konstrukte misst und weniger Items enthält. Insbesondere bogens zur Beurteilung des eigenen Körpers (FbeK;
zur Erfassung störungsspezifischer Kognitionen kann der Strauß und Richter-Appelt 1996) . Zeitlich ökonomischer
Fragebogen zur Erfassung essstörungsspezifischer dys- ist der Fragebogen zum Körperbild (FKB-20; Clement
funktionaler Kognitionen (FEDK; Legenbauer et al. 2007a) und Löwe 1996), welcher alternativ zum FbeK eingesetzt
verwendet werden. Der Fragebogen enthält 3 Subskalen, werden kann. Behaviorale Aspekte eines gestörten Körper-
welche das Ausmaß maladaptiver Schemata im letzten Mo- bildes, die das körperbezogene Vermeidungs- und Kon-
nat bzgl. „Körper und Selbstwert“ (bspw. „Ich fühle mich trollverhalten umfassen, können mit dem Body Image
wertlos, wenn ich zunehme“), „Restriktion und Diätregeln“ Avoidance Questionnaire (Rosen et al. 1991; deutsche
(„Morgen werde ich fasten“) und „Essen und Kontrollver- Version: Legenbauer et al. 2007b) sowie dem Body Che-
lust“ („Ich spüre ein großes Verlangen nach Essen“) er- cking Questionnaire (Reas et al. 2002; deutsche Fassung:
fasst. Der Fragebogen ist am Ende des Kapitels abgedruckt Vocks et al. 2008) erfasst werden. In der Arbeitsgruppe
(. Abb. 4.1). wurde zudem ein Fragebogen entwickelt, welcher erlaubt,
in einem Instrument sowohl das körperbezogene Ver-
zz Fragebögen für spezifische Symptomgruppen meidungs- als auch Kontrollverhalten zu erfassen (Fra-
Ein weiteres diagnostisches Instrument im Bereich der gebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kont-
Essstörungen stellt das Anorexia nervosa Inventar rollverhalten (KVK); Legenbauer, Blaschke, Schnicker, in
(ANIS; Fichter und Keeser 1980) dar. Dieser Fragebogen, Vorbereitung). Die Skalen weisen sehr zufriedenstellende
welcher 32 Items umfasst, deckt die Bereiche „Figurbe- Reliabilitäten auf. Der Fragebogen ist am Ende des Kapi-
wusstsein“, „Überforderung“, „Anankasmus“, „Negative tels abgedruckt (. Abb. 4.2). Sowohl evaluative als auch
Auswirkungen des Essens“, „Sexuelle Ängste“ und „Bu- verhaltensbezogene Aspekte eines gestörten Körperbildes
limie“ ab. Es zielt auf primär mit der Anorexia nervosa werden anhand des Fragebogens zum Figurbewusstsein
verbundene psychopathologische Merkmale und deckt (FFB; Waadt et al. 1992; englischsprachige Originalver-
damit inhaltlich einen weniger breiten Bereich ab als das sion: Body Shape Questionnaire; Cooper et al. 1987) und
EDI-2 oder der FEV. Es sollte deshalb dann eingesetzt des Multidimensional Body Self Relations Questionnaire
werden, wenn aufgrund der Anamnese die hier genann- (MBSRQ; Cash 2000; deutschsprachige Version: Voßbeck-
ten Skalen von Bedeutung sind, um Veränderungen im Elsebusch et al., in press) erhoben. Eine ausführlichere
Verlauf zu erfassen. Beschreibung dieser und weiterer Verfahren zur Messung
Für die Bulimia nervosa speziell entwickelte Inventare eines gestörten Körperbildes findet sich bei Vocks und
wie der Bulimia-Test-Revised (BULIT-R) (Welch et al. Legenbauer (2010).
1993) liegen im deutschsprachigen Raum nicht vor.
56 Kapitel 4 • Diagnostik

4.3.3 Weitere Symptombereiche Bewältigungsintentionen, selbstbezogene Bewältigungs-


1 handlungen, umgebungsbezogene Bewältigungshandlun-
Neben einer Erfassung der Essstörungsymptomatik ist es gen und Arten der Palliation. In der Handhabung etwas
2 sinnvoll, ergänzend Fragebögen einzusetzen, die weitere ökonomischer als der UBV ist der Stressverarbeitungs-
Problembereiche der Patientinnen erfassen. Hierzu zäh- fragebogen (SVF 120 und 78; Janke et al. 2002) welcher
len zum einen möglicherweise komorbid auftretende Stö- ebenfalls Copingstrategien erfragt und erfasst, zu welcher
3 rungen (▶ Kap. 1 zu Komorbidität) oder auch bestimmte Reaktionsform eine Person in Stresssituationen neigt. Der
psychologische Merkmale, die mit der Essstörung im Zu- Umgang mit Emotionen wird im Fragebogen zur Emoti-
4 sammenhang stehen wie der Umgang mit Belastungen und onsregulation (EMOREG; Znoj 2000) gemessen. Hierbei
Emotionen (▶ Kap. 2 zu den Störungsmodellen). finden sowohl adaptive als auch maladaptive Strategien
5 Berücksichtigung. In den letzten Jahren haben sich weitere
zz Komorbide Störungen Instrumente wie der Emotion Regulation Questionnaire
Aufgrund der hohen Komorbidität von Essstörungen (ERQ; Gross und John 2003; deutsche Fassung Abler und
6 und affektiven Symptomen, sozialer Angst und Subs- Kessler 2009) etabliert, welcher Emotionsregulationsstra-
tanzmissbrauch empfiehlt sich des Weiteren der Einsatz tegien anhand von zwei Skalen in Form von Reappraisal
7 von spezifischen Instrumenten zur Erfassung dieser (kognitive Kontrolle und Situationsneubewertung) und
Störungsbereiche. Im deutschsprachigen Raum werden Suppression (Unterdrückung von negativen Gefühlszu-
zur Messung affektiver Symptome oft die Allgemeine ständen) erfasst. Ein etwas aufwändigeres Instrument
8 Depressions-Skala (ADS; Hautzinger et al. 2012) und stellt die Level of emotional awareness Scale dar (LEAS
das Beck Depressions Inventar (BDI; in seiner aktuellen Subic-Wrana et al. 2001) . Sie erfasst anhand verschiedener
9 zweiten Fassung BDI II, Beck et al. 2006) herangezogen. Situationsbeschreibungen das Emotionsverständnis, das
Die Depressivität sowie die allgemeine Symptombelas- heißt die Fähigkeit, Emotionen bei sich selbst wie auch
10 tung lassen sich anhand der Symptom-Checkliste (SCL- bei anderen Personen zu erkennen und richtig zu be-
90; Derogatis 1986) quantifizieren. Zur Erfassung mögli- schreiben. Zur Erfassung aktueller emotionaler Zustände
cherweise komorbid vorliegender sozialer Angst können kann der Positive and Negative Affect Schedule (PANAS;
11 der Unsicherheitsfragebogen (U-FB; de Muynck und Krohne et al. 1996) eingesetzt werden. Der PANAS gilt
Ullrich 2003) sowie das Soziale-Phobie-Inventar (SPAI; als hochreliabel zur Prüfung aktueller negativer und po-
12 Turner et al. 1989; deutsche Version: Fydrich 2005) ver- sitiver Befindlichkeit. Darüber hinaus kann die Messung
wendet werden. Zur Messung des Selbstwertgefühls kann der Selbstkontrollfähigkeiten bzw. der Selbstwirksamkeits-
die Rosenberg-Skala eingesetzt werden (Rosenberg 1965; erwartung sinnvoll sein, um Voraussetzungen auf Seiten
13 deutsche Fassung: Ferring und Filipp 1996). Wenn Hin- der Patientinnen für die Entwicklung alternativer Verhal-
weise auf einen Alkoholmissbrauch bzw. eine Abhän- tensweisen besser einschätzen zu können, z. B. anhand
14 gigkeit vorliegen, kann beispielsweise das Inventory of des Self-Control-Schedule (Rosenbaum 1980; deutsche
Drug Taking Situations (IDTSA; Lindenmeyer und Flo- Standardisierung: Jacobi et al. 1986). Dieses Instrument
15 rin 1998) zur weiteren Überprüfung der Symptomatik erfragt beispielsweise die Anwendung von Problemlöse-
verwendet werden. strategien und Selbstverbalisationen sowie die Fähigkeit
zum Belohnungsaufschub.
16 zz Umgang mit Belastungen und Emotionen
Aufgrund der bei Patientinnen mit Essstörungen häufig
17 auftretenden Defizite im Bereich des Umgangs mit Belas- 4.3.4 Retrospektive Erfolgsmessung
tungen und Emotionen (vgl. z. B. Heatherton und Bau-
meister 1991) empfiehlt es sich, auch diesen Bereich in die Die Messung des Therapieerfolges kann nicht nur anhand
18 Diagnostik einzubeziehen. Hierdurch können Hinweise des Vergleichs der Symptomausprägung vor und nach der
darauf gewonnen werden, inwieweit Interventionen zur Therapie erfolgen, sondern auch durch retrospektive Ein-
19 Stressbewältigung und Emotionsregulation besondere Be- schätzungen des Therapieerfolges am Ende der Therapie
rücksichtigung in der Essstörungstherapie finden sollen. (Michalak et al. 2003). Hierzu eignet sich beispielsweise
20 Folgende Fragebögen können dabei verwendet werden: das Goal Attainment Scaling (GAS, in Anlehnung an
Der Fragebogen zum Umgang mit Belastungen im Ver- Kiresuk und Sherman 1968), bei dem zu Beginn der Be-
lauf (UBV; Reicherts und Perrez 1993) stellt einen hand- handlung seitens der Patientinnen konkrete Ziele definiert
21 lungsorientierten und mehrdimensionalen Situations-Re- werden. Um diese Ziele möglichst detailliert zu erfassen,
aktions-Prozess-Fragebogen dar. Er bildet auf 24 Skalen werden von den Patientinnen ergänzende Kriterien für die
22 folgende Komponenten der Belastungsverarbeitung ab: Zielerreichung beschrieben. Am Ende der Therapie sowie
emotionale Stressreaktion, Situationseinschätzungen, idealerweise auch im Verlaufe der Behandlung (beispiels-
4.4 • Selbstbeobachtungsmethoden
57 4

weise im Anschluss an jede 4. bis 8. Sitzung) sollen die möglichst direkt nach der Mahlzeit durchgeführt werden,
Patientinnen angeben, wie viel Prozent des zuvor festge- um erinnerungsbedingte Verzerrungen zu vermeiden. Sie
legten Zieles sie bereits erreicht haben (Schulte 1996). Ein ermöglicht es dem Therapeuten, Informationen über das
weiteres Instrument zur retrospektiven Erfolgsmessung Essverhalten der jeweiligen Patientin zu erhalten. So kann
stellt der Veränderungsfragebogen des Erlebens und durch die Ernährungstagebücher in Erfahrung gebracht
Verhaltens (VEV; Zielke und Kopf-Mehnert 1978; über- werden, welche Nahrungsmittel vermieden und welche
arbeitete Fassung Veith und Willutzki 2001) dar. In diesem wann und in wie großen Mengen verzehrt werden. Aus
Fragebogen sollen die Patientinnen einschätzen, inwieweit diesen Angaben kann der Therapeut oder ein kooperie-
sich bei ihnen im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Thera- render Ökotrophologe später die Kalorien und die propor-
pie positive Veränderungen in verschiedenen Bereichen tionale Ausgewogenheit der Nahrungszusammensetzung
ergeben haben. Zudem gelten die meisten der vorgestellten errechnen, um zu überprüfen, ob die verzehrte Nahrungs-
essstörungsspezifischen Fragebögen als änderungssensitiv menge ausreicht, um eine bei der Anorexia nervosa indi-
und können zur Verlaufsmessung herangezogen werden zierte Gewichtszunahme herbeizuführen. Des Weiteren
(Pook und Tuschen-Caffier 2004). liefert dieses Vorgehen Hinweise darauf, inwiefern im The-
rapieprozess auf das Einbauen verbotener Nahrungsmittel
>> Neben der ausführlichen Anamnese sollten Fra- bzw. einer Erhöhung der Nahrungsaufnahme eingegangen
gebögen zur Essstörungsdiagnostik eingesetzt werden muss.
werden. Diese betreffen zum einen den Bereich des Indem ergänzend auch Essanfälle und kompensatori-
Essverhaltens und zentraler essstörungsspezifischer sche Verhaltensweisen wie Erbrechen in den Tagebüchern
Merkmale (z. B. EDI-2, Fragebogen zur Erfassung notiert werden, kann der Therapeut erschließen, welche
dysfunktionaler Kognitionen FEDK), können aber Bedingungen (z. B. Fasten) einem Essanfall vorausgehen.
auch störungsspezifisch sein (ANIS) oder spezifische Dies kann wichtige Implikationen für die Therapieplanung
Komponenten erfassen (z. B. Körperbildstörung mit haben (▶ Kap. 8). Ebenfalls wichtig für die Planung der In-
dem MBSRQ). Zum anderen sollte auch die allge- terventionen kann die Registrierung von Gedanken und
meine Psychopathologie (z. B. mit der SCL-90-R) Gefühlen sein, die vor, während und nach einem Essan-
und der Umgang mit Belastungen erfasst werden, fall sowie dem kompensatorischen Verhalten, aber auch
um ein detailliertes Bild von Einschränkungen und dem Fasten auftreten. Problematisch ist, dass es bei der
Beschwerden zu erhalten. Die Messungen sollten Führung von Esstagebüchern zu Verfälschungstendenzen
sowohl zu Beginn als auch im Verlauf und zum Ende kommen kann (Angenendt et al. 2001): So ist es häufig der
der Behandlung durchgeführt werden. Fall, dass eine Patientin mit einer Anorexia nervosa eine
größere Nahrungsmenge angibt, als sie tatsächlich verzehrt
hat, während eine Patientin mit einer Bulimia nervosa
4.4 Selbstbeobachtungsmethoden möglicherweise einen Teil der im Rahmen eines Essanfalls
verschlungenen Nahrungsmittel aus einem Schamgefühl
In Ergänzung zu den standardisierten Fragebögen emp- heraus nicht aufführt.
fiehlt sich in der Diagnostik der Essstörungen des Weiteren
der Einsatz von Selbstbeobachtungsmethoden. Im Rahmen
der Diagnostik sowohl der Anorexia als auch der Bulimia 4.4.2 Weitere Anwendungsbereiche
nervosa sind in diesem Zusammenhang Ernährungstage- von Ernährungsprotokollen
bücher indiziert (Jacobi et al. 2000; Tuschen-Caffier und
Florin 2002; Garner und Garfinkel 1997). Diese dienen der Neben dieser diagnostischen Funktion der Esstagebü-
Dokumentation des Essverhaltens und der Auslösesituati- cher zur Dokumentation der Nahrungsaufnahme und
onen bspw. für Essanfälle. zur Identifikation von auslösenden Bedingungen und
Verhaltenskonsequenzen bei Essstörungen können Ess­
tagebücher auch eine therapeutische Zielsetzung haben:
4.4.1 Dokumentation Hoch automatisierte Abläufe im Erleben und Verhalten
der Nahrungsaufnahme der Patientinnen beispielsweise bezüglich eines Essanfal-
zum Behandlungsbeginn les können durch eine möglichst zeitnahe Protokollierung
unterbrochen werden (Benninghoven 1997). Eine weitere
Zur Führung der Essprotokolle werden die Patientinnen therapeutische Funktion der Ernährungsprotokolle liegt
gebeten, jeden Tag alle von ihnen verzehrten Nahrungs- im Aufbau von Kontrolle über das vermeintlich unkon-
mittel anzugeben. Hierbei soll auch die jeweilige Uhrzeit trollierbare Verhalten: Indem der Patientin die Zusam-
und Menge notiert werden. Diese Protokollierung sollte menhänge zwischen den auslösenden Bedingungen eines
58 Kapitel 4 • Diagnostik

Essanfalls (z. B. Einsamkeit) sowie deren Verhaltenskon- Identifikation von auslösenden Bedingungen für
1 sequenzen (z. B. Erbrechen) transparent werden, wird es Essanfälle und Fastenperioden.
ihr möglicherweise leichter fallen, ihr Verhalten zu steuern
2 (Bennighoven 1997). Um eine bei den Patientinnen bereits
bestehende gedankliche Fixierung und Kontrolle bezüglich 4.6 Fragebogen
3 des Essverhaltens und der Kalorienmenge von Nahrungs-
mitteln nicht weiter zu verfestigen (Angenendt et al. 2001),
- . Abb. 4.1 Fragebogen zur Erfassung essstörungsspe-

4
5
sollten sie nicht die Kalorienzahlen notieren. Aus diesem
Grund ist es sinnvoll, die Tagebücher jeweils nur für eine
bestimmte Zeit führen zu lassen, beispielsweise zu Beginn
der Therapie zu diagnostischen Zwecken und für die the-
- zifischer dysfunktionaler Kognitionen (FEDK)
. Abb. 4.2 Fragebogen zum körperbezogenen Ver-
meidungs- und Kontrollverhalten (KVK)

rapeutischen Zielsetzungen im Rahmen der Interventi-


onen zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen
6 (▶ Kap. 8) nochmals stichprobenhaft über 1–2 Wochen in
der Mitte der Therapie.
7
>> Ernährungstagebücher sind zusätzlich zu den Fra-

8 gebögen hilfreich, um sich ein detailliertes Bild über


das Ernährungsverhalten der Patientin zu machen.
So können sie den diagnostischen Prozess durch die
9 genaue Analyse der Mahlzeitenstruktur sowie der
Kontextbedingungen, unter denen ein Essanfall bzw.
10 Fastenperioden auftreten, unterstützen. Daneben
übernehmen sie im weiteren Therapieverlauf auch
eine therapeutische Funktion, da durch die Protokol-
11 lierung automatisch ablaufende Prozesse unterbro-
chen werden.
12
4.5 Zusammenfassung

-
13
Eine medizinische Untersuchung ist zur Differenzi-
14 aldiagnostik und Abklärung möglicher organischer

15 - Folgeprobleme bei Essstörungen unerlässlich.


Zur Stellung der Diagnose einer Anorexia oder Buli-
mia nervosa sowie möglicherweise komorbid vorlie-
gender weiterer psychischer Erkrankungen sollte ein
16 strukturiertes klinisches Interview verwendet werden
(essstörungsübergreifend: z. B. SKID-I und SKID-II;
17
18
- essstörungsspezifisch: z. B. EDE).
Zur Erhebung von Schwere und Muster der Symp-
tomatik und zur Erfassung essstörungsassoziierter
Problembereiche sowie zur Verlaufskontrolle und
Erfolgsoperationalisierung der Psychotherapie emp-
19 fiehlt sich der Einsatz von verschiedenen Fragebögen
(z. B. EDI-2). Diese sollten vor und nach der Therapie
20 sowie idealerweise zusätzlich im Verlaufe der Thera-

21 - pie von den Patientinnen beantwortet werden.


Selbstbeobachtungsprotokolle (z. B. Ernährungs-
tagebücher) haben sowohl eine diagnostische als
auch eine therapeutische Funktion. Sie dienen der
22 Dokumentation der Nahrungsaufnahme sowie der
4.6 • Fragebogen
59 4

.. Abb. 4.1 Fragebogen zur Erfassung essstörungsspezifischer dysfunktionaler Kognitionen (FEDK)


60 Kapitel 4 • Diagnostik

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22 .. Abb. 4.1 (Fortsetzung) Fragebogen zur Erfassung essstörungsspezifischer dysfunktionaler Kognitionen (FEDK)
4.6 • Fragebogen
61 4

Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)

Code:
Datum:

Dieser Fragebogen erfasst verschiedene körperbezogene Verhaltensweisen.

Bie lesen Sie jede Aussage aufmerksam durch und entscheiden Sie dann, inwieweit diese auf Sie persönlich
zutri (1=tri gar nicht zu, 2=tri wenig zu, 3=tri ziemlich zu, 4=tri völlig zu).

Versuchen Sie bie, die Fragen so wahrheitsgemäß und spontan wie möglich zu beantworten.

Einige Aussagen beziehen sich auf das Verhalten mit einem Partner. Sollten Sie derzeit keinen Partner
haben, so beziehen Sie sich bie entweder auf vergangene Partnerschaen oder stellen Sie sich die
entsprechende Situaon mit einem Partner vor.

tri gar tri tri tri


nicht wenig ziemlich völlig
zu zu zu zu
1. Ich meide Orte wie Badeseen und Strände. 1 2 3 4
2. Ich teste, ob ich meine Hand- und Fußgelenke mit einer Hand 1 2 3 4
umfassen kann.
3. Ich trage nur dunkle, gedeckte Kleidung oder Schals, um von 1 2 3 4
meiner Figur abzulenken.
4. Ich taste besmmte Körperstellen wie zum Beispiel meinen Bauch 1 2 3 4
oder meine Hüen ab.
5. Ich kontrolliere durch besmmte Körperbewegungen, ob mein Fe 1 2 3 4
wippt.
6. Ich zeige mich nicht nackt vor anderen Personen, wie z. B. meinem 1 2 3 4
Partner, meiner Familie oder auch beim Arzt oder im Krankenhaus.
7. Ich frage meinen Partner oder eine Freundin wie a rakv er oder 1 2 3 4
sie mich findet.
8. Ich messe die Dicke meiner Oberschenkel mit meinen Händen oder 1 2 3 4
einem Maßband.
9. Beim inmen Kontakt mit einem Partner nehme ich nur besmmte 1 2 3 4
Posionen ein.
10. Ich presse meine Haut zu Falten zusammen und messe deren 1 2 3 4
Dicke.
11. Ich trage keine Kleidung welche meine weiblichen Rundungen 1 2 3 4
ersichtlich macht, z. B. keine Jeans oder enge Oberteile.
12. Ich vermeide Gemeinschasduschen, Saunabesuche, 1 2 3 4
Schwimmbäder oder Badethermen.
13. Ich ziehe meinen Bauch ein, um zu erleben, wie es ist, wenn er sehr 1 2 3 4
flach ist.
14. Ich prüfe beim Laufen, ob meine Beine aneinander reiben. 1 2 3 4
15. Zum Sport trage ich keine kurze Kleidung. 1 2 3 4
16. Ich vergleiche mein Aussehen mit Frauen aus Zeitschrien oder aus 1 2 3 4
dem Fernsehen.
17. Auch im Sommer trage ich Kleidung die meinen ganzen Körper 1 2 3 4
bedeckt.
18. Ich werde gerne massiert und genieße den Körperkontakt. 1 2 3 4

.. Abb. 4.2 Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)


62 Kapitel 4 • Diagnostik

1 Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)

2 tri gar tri tri tri


nicht wenig ziemlich völlig
zu zu zu zu
3 19. Im Spiegel überprüfe ich, ob meine Knochen zu ersehen sind. 1 2 3 4
20. Ich frage meinen Partner oder Freunde, ob ich zugenommen habe 1 2 3 4
4 oder mal wieder eine Diät machen müsste.
21. Geschlechtsverkehr habe ich nur im Dunkeln. 1 2 3 4
22. Ich frage meinen Partner, ob ich in einer besmmten Kleidung dick 1 2 3 4
5 aussehe.
23. Ich vermeide engen Körperkontakt mit anderen Personen. 1 2 3 4

6 24. Wenn ich sitze, prüfe ich, ob ich Orangenhaut/Dellen an meinen


Oberschenkeln habe.
1 2 3 4

25. Ich umfasse meinen Oberarm, um dessen Dicke zu messen. 1 2 3 4


7 26. Beim Shoppen gehe ich nicht mit der neuen Kleidung aus der 1 2 3 4
Umkleidekabine, um mich öffentlich im Spiegel zu betrachten.
27. Ich überprüfe vor dem Spiegel, ob sich meine Oberschenkel im 1 2 3 4
8 Aufrechtstehen berühren.

9 Überprüfen Sie jetzt bie noch einmal, ob Sie alle Aussagen bewertet haben.

10 .. Abb. 4.2 (Fortsetzung) Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)

11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
4.6 • Fragebogen
63 4

Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und


Kontrollverhalten (KVK)

Faktor 1 - Skala „Vermeidungsverhalten“


Inhaltsbeschreibung: Items dieser Skala enthalten Vermeidungsverhaltensweisen in verschiedenen
Orten, Situaonen, bei Tägkeiten und sozialen Interakonen in denen der Fokus auf dem Körper
liegt. Ferner Vermeidung von Körperberührungen von Anderen und starke Einschränkungen in der
Kleiderauswahl zum Verdecken des Körpers. Im Vordergrund der Vermeidung steht die Präsentaon
des eigenen Körpers vor dem Hintergrund eines negaven Körperbildes bei übermäßigem
Schlankheitsbestreben und der irraonalen Überzeugung, dass die Betroffenen auf Grund ihres
Körpers von anderen negav bewertet oder abgelehnt werden könnten.

1 Ich meide Orte wie Badeseen und Strände.


3 Ich trage nur dunkle, gedeckte Kleidung oder Schals, um von meiner Figur abzulenken.
6 Ich zeige mich nicht nackt vor anderen Personen, wie z. B. meinem Partner, meiner Familie
oder auch beim Arzt oder im Krankenhaus.
9 Beim inmen Kontakt mit einem Partner nehme ich nur besmmte Posionen ein.
11 Ich trage keine Kleidung welche meine weiblichen Rundungen ersichtlich macht, z. B. keine
Jeans oder enge Oberteile.
12 Ich vermeide Gemeinschasduschen, Saunabesuche, Schwimmbäder oder Badethermen.
15 Zum Sport trage ich keine kurze Kleidung.
17 Auch im Sommer trage ich Kleidung die meinen ganzen Körper bedeckt.
18 Ich werde gerne massiert und genieße den Körperkontakt.*
21 Geschlechtsverkehr habe ich nur im Dunkeln.
23 Ich vermeide engen Körperkontakt mit anderen Personen.
26 Beim Shoppen gehe ich nicht mit der neuen Kleidung aus der Umkleidekabine, um mich
öffentlich im Spiegel zu betrachten.
12 Items (Range 1-48)
* Das Item muss bei der Auswertung umgepolt werden.

.. Abb. 4.2 (Fortsetzung) Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)
64 Kapitel 4 • Diagnostik

1 Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)


2 Faktor 2 - Skala „Kontrollverhalten“
3 Inhaltsbeschreibung: Items dieser Skala enthalten Verhaltensweisen zur Abmessung und
Überprüfung sowie Kontrolle der eigenen Körpermaße und -formen sowie Vergleiche mit anderen
4 Frauen bzgl. der Figur. Angestrebt wird dabei kurzfrisg übermäßig negave Gedanken bzgl. des
Körpers oder Ängste vor Gewichtszunahme abzubauen und das Gefühl der Kontrolle über die
5 Körpermaße aufrechtzuerhalten.

2 Ich teste, ob ich meine Hand- und Fußgelenke mit einer Hand umfassen kann.
6 4 Ich taste besmmte Körperstellen wie zum Beispiel meinen Bauch oder meine Hüen ab.
5 Ich kontrolliere durch besmmte Körperbewegungen, ob mein Fe wippt.
7 8 Ich messe die Dicke meiner Oberschenkel mit meinen Händen oder einem Maßband.
10 Ich presse meine Haut zu Falten zusammen und messe deren Dicke.
8 13 Ich ziehe meinen Bauch ein, um zu erleben, wie es ist, wenn er sehr flach ist.
14 Ich prüfe beim Laufen ob meine Beine aneinander reiben.
16 Ich vergleiche mein Aussehen mit Frauen aus Zeitschrien oder aus dem Fernsehen.
9 19 Im Spiegel überprüfe ich, ob meine Knochen zu ersehen sind.
24 Wenn ich sitze, prüfe ich, ob ich Orangenhaut/Dellen an meinen Oberschenkeln habe.
10 25 Ich umfasse meinen Oberarm, um dessen Dicke zu messen.
27 Ich überprüfe vor dem Spiegel, ob sich meine Oberschenkel im Aufrechtstehen berühren.
11 12 Items (Range 1-48)

12
Faktor 3 – Skala „Rückversicherungsverhalten“
13
Inhaltsbeschreibung: Items dieser Skala enthalten Verhaltensweisen im Hinblick darauf, von
14 anderen Personen Rückversicherung/Bestägung bzgl. des eigenen Körpers und der eigenen
Arakvität zu erhalten. Dies sind Fragen nach der eigenen Arakvität oder nach möglicher
Gewichtszunahme/Körperveränderung oder der Wahrnehmung von anderen.
15
7 Ich frage meinen Partner oder eine Freundin wie arakv er oder sie mich findet.
16 20 Ich frage meinen Partner oder Freunde, ob ich zugenommen habe oder mal wieder eine Diät
machen müsste.
17 22 Ich frage meinen Partner, ob ich in einer besmmten Kleidung dick aussehe.
3 Items (Range 1-12)
18
.. Abb. 4.2 (Fortsetzung) Fragebogen zum körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten (KVK)

19
20
21
22
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66 Kapitel 4 • Diagnostik

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67 II

Zum Therapieprogramm
Kapitel 5 Hinweise zur Nutzung des Therapieprogramms – 69
T. Legenbauer, S. Vocks
69 5

Hinweise zur Nutzung


des Therapieprogramms
T. Legenbauer, S. Vocks

5.1 Aufbau des Therapieprogramms – 70


5.2 Einsatz des Manuals – 72
5.3 Einsatz einzelner Module – 72
5.4 Auswahl des Settings – 73
5.5 Besonderheiten bei der Behandlung von Männern – 75
5.6 Arbeitsblätter und ergänzende Materialien – 75
Literatur – 75

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
70 Kapitel 5 • Hinweise zur Nutzung des Therapieprogramms

1
5.1 Aufbau des Therapieprogramms
- Interventionen zur Steigerung der sozialen Fertig-

2
Nachdem im ersten Teil dieses Buches ein Überblick über
die Störungsbilder der Anorexia und Bulimia nervosa -- keiten
Interventionen zur Verbesserung des Körperbildes
Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl

-
hinsichtlich ihrer epidemiologischen und ätiologischen
und Ressourcen
Aspekte sowie Hinweise zur Diagnostik gegeben wurden,
3 erfolgt nun im zweiten Teil die konkrete Darstellung der Rückfallprophylaxe
therapeutischen Interventionen im Rahmen der kognitiv-
4 behavioralen Therapie. Dieses Therapieprogramm basiert
auf dem in ▶ Kap. 2 dargestellten integrativen Modell der Störungsmodell und Motivierung Die Therapie der An-
5 Entstehung und Aufrechterhaltung einer Essstörung. Das orexia und Bulimia nervosa sollte mit vorbereitenden
Behandlungsmanual möchte, anknüpfend an die im ersten Schritten wie einer ausführlichen Diagnostik beginnen
Teil dargestellten Forderungen nach einer Erweiterung bis- (▶ Kap. 4). Des Weiteren werden gemeinsam nach der Er-
6 heriger kognitiv-behavioraler Programme im Bereich der arbeitung des Störungsmodells mit den Patientinnen die
Essstörungsbehandlung (Waller und Kennerley 2003), ein Therapieziele vereinbart und, wenn notwendig, werden die
7 umfassendes Behandlungsprogramm zur Verfügung stel- Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation
len. Dabei werden neben den Interventionsbausteinen zum eingesetzt (▶ Kap. 6 und 7).
Ernährungsmanagement und der kognitiven Umstruktu-
8 rierung auch Interventionen zur Steigerung der Emoti- Normalisierung von Essverhalten und Körpergewicht Ein
onsregulationskompetenzen, zu sozialen Fertigkeiten und individuelles Vorgehen in der Therapie ist unumgänglich
9 der Verbesserung des Körperbildes sowie dem Aufbau von (Waller und Kennerley 2003). Dazu gehört eine ausführli-
Ressourcen an den Bereich der Essstörungen adaptiert. che Verhaltensanalyse, um Hypothesen über die individuelle
10 Wir haben daher die vorgeschlagenen Therapiebau- Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung zu entwi-
steine modularisiert, so dass neben den Hauptinterven- ckeln. Ist das Störungsmodell erarbeitet, besteht zwischen
tionselementen je nach Indikationsstellung verschiedene Patientin und Therapeut Einigkeit über das Vorgehen in
11 Therapiebausteine ausgewählt werden können. Jedes der Behandlung und ist die Patientin ausreichend moti-
Modul enthält dabei verschiedene Übungen, die im De- viert, sollten im Sinne des Two-Track-Approach zunächst
12 tail beschrieben sind und sowohl im Einzel- als auch im die kurzfristigen Maßnahmen zur Gewichtsstabilisierung
Gruppenkontext umgesetzt werden können. Dabei kön- und Normalisierung des Essverhaltens angegangen werden
nen sowohl nur einzelne Einstiegsübungen als auch das (▶ Kap. 8). Dazu sollten zum einen Informationen über eine
13 gesamte Modul durchgeführt werden, wenn dies bei ei- ausgewogene Ernährung, Tagesstrukturierung (Waadt et al.
ner Patientin indiziert ist. Einsatzgebiete und Ziele der 1992; Beumont et al. 1997) und die körperlichen Folgeer-
14 Übungen werden jeweils im entsprechenden Kapitel scheinungen der Anorexia und Bulimia nervosa (vgl. Er-
beschrieben. Die Übungen werden exemplarisch für die nährungsbroschüre auf http://extras.springer.com, ▶ Kap. 6
15 Durchführung im Gruppensetting dargestellt und durch oder Jacobi et al. 2000; Tuschen-Caffier und Florin 2002)
Hinweise auf eventuell notwendige Adaptationen an das vermittelt werden. Dabei empfiehlt es sich, mit Selbstbeob-
Einzelsetting ergänzt. In der folgenden Übersicht sind die achtungsprotokollen zu arbeiten, in denen das Essverhalten
16 relevanten Therapieelemente dieses Behandlungsmanuals und kompensatorische Maßnahmen der Patientinnen (z. B.
zusammenfassend aufgeführt und werden anschließend Erbrechen, Laxanzien) erfasst werden (▶ Kap. 4). Ergänzend
17 kurz beschrieben. können die den Mahlzeiten vorausgehenden Bedingungen
wie Gedanken und Gefühle und auch die nachfolgenden
Emotionen und Kognitionen dokumentiert werden (Ben-
18 Therapiebausteine in der Behandlung

--
ninghoven 1997).
der Anorexia und Bulimia nervosa
Insbesondere bei der Anorexia nervosa steht – wie be-
19 Motivierung zur Behandlung
reits in ▶ Kap. 1 ausführlich beschrieben – aufgrund des

20 - Vermittlung eines Störungsmodells


Interventionen zur Normalisierung des Essverhal-
tens und des Körpergewichts sowie zum Abbau der
niedrigen und medizinisch bedenklichen Untergewichts
eine Gewichtszunahme sowie -stabilisierung zu Beginn

--
der Therapie im Vordergrund. Im Vorfeld der Behandlung
Essanfälle und des Erbrechens
sollte daher zunächst geprüft werden, ob das Gewichtsstei-
21 Kognitive Techniken
gerungsprogramm im ambulanten Setting durchgeführt
Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregu-
werden kann oder ob eine stationäre Therapie notwendig
22 lation
ist. Kriterien für die stationäre Behandlung stellen nach
Winston und Webster (2003) sowohl medizinische als
5.1 • Aufbau des Therapieprogramms
71 5

auch psychosoziale Aspekte dar. Zu den medizinischen ein Konditionierungsmodell der Essanfälle von Jansen
Kriterien zählt ein Gewichtsverlust unter den BMI von (1998) zurück. Neben der Habituation an die Nahrungs-
13,5 kg/m2 oder eine rapide Gewichtsabnahme von 20 % reize kann auch durch Imaginationsübungen eine Habi-
des ursprünglichen Körpergewichts innerhalb von 6 Mo- tuation an mögliche Auslösesituationen trainiert werden
naten, ein schlechter oder akut bedrohlicher körperlicher (Legenbauer und Vögele 2004; Tuschen-Caffier und Florin
Zustand, eine bestehende Schwangerschaft, komorbide 2002). Dies erscheint dann sinnvoll, wenn eine Identifika-
Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder ein Medika- tion von Auslösereizen nicht oder nur begrenzt möglich ist
mentenmissbrauch. Den psychosozialen bzw. psycho- und Essanfälle vor allem stark automatisiert ablaufen. Um
therapeutischen Aspekten sind insbesondere berufliche die Imagination durchzuführen, müssen die Auslösesitua-
und private Belastungen, die zur Aufrechterhaltung der tionen der Essattacken wie z. B. interpersonelle Konflikt-
Störung beitragen, zuzurechnen. Aus psychiatrischer Sicht situationen, spezifische Gefühle wie Langeweile, Traurig-
sind vor allem Suizidalität und komorbide psychische keit oder Ärger, Anspannung und Stress oder spezifische
Erkrankungen wie Depressivität und Persönlichkeitsstö- Kognitionen möglichst ausführlich beschrieben werden.
rungen als Kriterium für eine stationäre Behandlung zu Zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen ist
nennen. Jacobi et al. (2000) führen zusätzlich starke Hy- es darüber hinaus sinnvoll, die Auslöser für einen Essanfall
peraktivität, das Scheitern bisheriger Behandlungsversu- zu identifizieren (z. B. anhand der Essprotokolle) und hie-
che und den Wunsch der Patientin nach einer stationären rauf basierend adäquate Bewältigungsstrategien für diese
Maßnahme an. Trotz der genannten Kriterien für eine sta- kritischen Situationen, negativen Emotionen und Kogniti-
tionäre Behandlung ist die Entscheidung für ein adäquates onen zu etablieren (Fairburn et al. 1993; Garner et al. 1997).
Behandlungssetting für eine Patientin nicht immer leicht Während die Nahrungsmittelkonfrontation darauf abzielt,
zu fällen. Allerdings muss eine ambulante Behandlung die Patientinnen darin zu unterstützen, dem Drang nach
einer stationären nicht unterlegen sein, wenn ein Patient übermäßigem Essen – auch in kritischen Situationen – zu
kein deutliches Untergewicht hat (Treasure und Schmidt widerstehen, soll durch diese Techniken erreicht werden,
2003; ▶ Kap. 3). dass die Patientinnen die kritischen Situationen auch ohne
eine Essattacke bewältigen können (▶ Kap. 10). Da negative
Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen Im Rah- Emotionen an der Auslösung von Essanfällen einen sub-
men der psychotherapeutischen Behandlung der Bulimia stanziellen Anteil haben (Waters et al. 2001a; Legenbauer
nervosa und der Anorexia nervosa vom Binge-Eating-/ 2003) und ein Essanfall daher oft eine spannungsreduzie-
Purging-Typ stellen Interventionen zur Verhinderung rende Funktion besitzt, ist die Vermittlung von spannungs-
von Essanfällen und Erbrechen einen bedeutsamen Be- regulierenden Techniken von hoher Relevanz. Diese werden
handlungsbaustein dar. Hierbei geht es zum einen um die in ▶ Kap. 10 vorgestellt und sollten dem Einsatz der kogni-
Etablierung regelmäßiger Mahlzeiten (vgl. auch Waadt tiven Techniken folgen, um bereits einen Grundstein zum
et al. 1992; Beumont et al. 1997); zum anderen sollen auch Verständnis affektiv-kognitiver Zusammenhänge zu legen.
von den Patientinnen vermiedene Speisen, sog. verbotene
Nahrungsmittel schrittweise wieder in den Speiseplan in- Kognitive Techniken Im Anschluss an die Erarbeitung der
tegriert werden (Jacobi et al. 2008). Sinn dieses Vorgehens Auslösesituationen empfiehlt sich zunächst der Einsatz ko-
ist es, das häufig die Essstörung aufrechterhaltende restrik- gnitiver Techniken (▶ Kap. 9). In diesem Rahmen sollen
tive Essverhalten zu reduzieren und zu einer natürlichen dysfunktionale Kognitionen (z. B. hinsichtlich Selbstwert,
Hunger-Sättigungs-Regulation zurückzufinden (Pudel und Essverhalten und Gewicht) kritisch hinterfragt und modi-
Westenhöfer 1998). Durch den Wegfall der selbstauferleg- fiziert werden. Des Weiteren sollen die zugrunde liegen-
ten Verbote verlieren die bisher gemiedenen Speisen an At- den Annahmen, welche die Patientin über sich als Person
traktivität, und Heißhungergefühle und Essanfälle können besitzt, sowie verhaltenssteuernde Grundregeln bezüglich
zumindest zum Teil unterbunden werden. weiterer Inhaltsbereiche wie Leistung und Perfektion iden-
Eine Technik, um der Patientin eine Kontrollmög- tifiziert und verändert werden (Fairburn et al. 2003).
lichkeit über die Nahrungsaufnahme zu vermitteln, ist
die Nahrungskonfrontation. Hierbei werden die Patien- Emotionsregulation Anschließend sollte die Erarbeitung
tinnen mit den bevorzugten Essanfallslebensmitteln unter funktionaler Emotionsregulationstechniken erfolgen. Im
gleichzeitiger Reaktionsverhinderung konfrontiert und Vordergrund steht dabei zunächst, die Fertigkeit zur Wahr-
ähnlich wie bei der Angstbehandlung an die Auslösereize nehmung und Identifikation von Gefühlen zu steigern
habituiert (Legenbauer und Vögele 2004; Tuschen-Caffier (Linehan 1996) und im nächsten Schritt Strategien zum
und Florin 2002). Der Drang zu essen beim Anblick, dem kurzfristigen Erregungsabbau und der Aufmerksamkeits-
Geruch oder Geschmack von Lebensmitteln soll damit re- umlenkung vertiefend einzuführen (▶ Kap. 10).
duziert werden. Die Konfrontationsbehandlung geht auf
72 Kapitel 5 • Hinweise zur Nutzung des Therapieprogramms

Veränderung des Körperbildes Im Anschluss daran ist es Erkrankungen und der zumeist suboptimalen Prognose
1 sinnvoll, den Therapieblock zur Verbesserung des Kör- (▶ Kap. 3) nicht zu vernachlässigen.
perbildes (▶ Kap. 12) einzusetzen, sofern eine Körperbild-
2 störung vorliegt. Sinnvollerweise sollten therapeutische
Interventionen zum Körperbild erst dann zum Einsatz 5.2 Einsatz des Manuals
kommen, wenn eine Normalisierung des Essverhaltens
3 und des Körpergewichts weitgehend erfolgt ist. Da die Das Manual ist nach Behandlungsbausteinen und nicht
Interventionen zum Körperbild von einigen Patientin- nach einzelnen Sitzungen gegliedert, um es möglichst
4 nen als sehr herausfordernd erlebt werden, sollten sie flexibel für den Einsatz in unterschiedlichen therapeuti-
sorgfältig vorbereitet werden. Wenn die Behandlung schen Settings verwenden zu können. Durch die Auswahl
5 im Gruppensetting durchgeführt wird, sollte ein hohes verschiedener Übungen ist es vielseitig im Einzelsetting
Maß an Gruppenkohäsion bestehen. Der Therapieblock einsetzbar. Es gibt Hinweise darauf, dass die Kernsym-
zur Verbesserung des Körperbildes enthält Übungen zur ptome der Essstörung innerhalb einer Kurzzeittherapie
6 Körperwahrnehmung wie Imaginationsübungen, Abtast- behandelt werden können (Schnicker et al.2011; Schni-
und Zeichenübungen, aber auch kognitiv-behaviorale Ele- cker et al. 2013). Oft zeigt es sich jedoch als erforderlich,
7 mente wie die Spiegel- und Videokonfrontation (Vocks vertiefend auf die zugrunde liegenden Problembereiche
und Legenbauer 2010). einzugehen und über die 25 Sitzungen einer Kurzzeit-
therapie hinaus instrumentelle Fertigkeiten aufzubauen.
8 Instrumentelle Fertigkeiten Im Anschluss an die Emotions- Insgesamt können damit die erzielten Erfolge der Be-
regulationstechniken sollten die interpersonellen Bereiche handlung auch auf die Kernsymptomatik noch einmal
9 wie das Training sozialer Kompetenzen, die Vermittlung verbessert werden (Schnicker et al. 2012). Für die An-
von Kommunikationsstrategien und die Erarbeitung von wendung in einer Therapiegruppe ist es sinnvoll, das
10 Problemlösefertigkeiten sowie das Konfliktmanagement fo- Therapieprogramm auf 20 Sitzungen à 100 Minuten an-
kussiert werden. Hierbei werden zunächst im Rahmen des zulegen und sich je nach Notwendigkeit auf ausgewählte
Therapieblockes zur Erhöhung der sozialen Fertigkeiten Übungen zu beschränken. Dabei können das im Folgen-
11 (▶ Kap. 11) über Rollenspiele Kompetenzen trainiert, die den vorgestellte Grundgerüst durch weitere Übungen er-
darauf abzielen, sich in zwischenmenschlichen Situationen gänzt oder die vorgeschlagenen Übungen ausgetauscht
12 zielführend zu verhalten, z. B. Gefühle direkt zu benennen werden. In . Abb. 5.1 ist die Empfehlung zur Verwen-
und selbstbewusst eigene Interessen durchzusetzen. Dazu dung der einzelnen Bausteine im Rahmen eines Einzel-
wird neben den standardisierten Interventionen des Trai- settings grafisch aufbereitet.
13 nings sozialer Kompetenzen (Hinsch und Pfingsten 2007) Zusätzlich haben wir in . Tab. 5.1 einen exemplari-
auch Wissen über kommunikative Techniken (Schulz von schen Ablaufplan zur Durchführung eines kognitiv-be-
14 Thun 1981) vermittelt. Die Erhöhung des Selbstwerts stellt havioralen Gruppenbehandlungsprogramms dargestellt.
einen weiteren wichtigen Bereich in der Behandlung der
15 Essstörungen dar, da sowohl bei der Anorexia als auch der
5.3 Einsatz einzelner Module
Bulimia nervosa ein niedriges Selbstwertgefühl als einer
der Essstörung zugrunde liegenden und die Erkrankung
16 auslösenden Problembereiche angenommen wird (Jacobi Die Therapiebausteine können auch einzeln eingesetzt
2000). Auch dies sollte daher in diesem Therapieabschnitt werden, z. B. können bei einer Patientin einige Bausteine
17 behandelt werden. Darauf aufbauend wird in einem wei- im Einzel- und andere im Gruppensetting durchgeführt
teren Schritt die Verbesserung des sozialen Netzwerks an- werden. So eignet sich insbesondere das Segment „Techni-
gestrebt, um den Patientinnen soziale Unterstützung und ken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen“ (▶ Kap. 11)
18 weitere Verstärkungsquellen zu verschaffen. Letzteres wird als Interventionselement, das ergänzend in einer Thera-
auch durch die Therapieelemente zur Integration positiver piegruppe neben einer laufenden Einzel- oder Standard-
19 Aktivitäten in den Alltag angestrebt (▶ Kap. 13). Hierbei gruppentherapie (z. B. im stationären Bereich) angeboten
wird auch die Fertigkeit Tätigkeiten wieder zu genießen werden kann. Die beschriebenen Übungen aus ▶ Kap. 11
20 und sich zu entspannen trainiert (Lutz 1999). können intensiviert werden, indem beispielsweise Ele-
mente des Gruppentrainings sozialer Kompetenzen für
Rückfallprophylaxe Am Ende der Behandlung ist die Bilan- Essstörungen aus dem Gruppenprogramm von Hinsch
21 zierung der erreichten Therapieziele und der persönlichen und Pfingsten (2007) ergänzt werden.
Entwicklung im Rahmen der Rückfallprophylaxe durchzu- Ebenfalls zum Einsatz als „ausgelagertes“ Gruppenele-
22 führen (▶ Kap. 14). Die Rückfallprophylaxe ist insbeson- ment geeignet ist der Baustein zur Emotionsregulation
dere hinsichtlich des oft intermittierenden Verlaufs der (▶ Kap. 10), welcher ähnlich einem Skills-Training bei
5.4 • Auswahl des Settings
73 5

Motivation

Ernährungsmanagement

Kognitive Intervention

Emotionsregulation

Körperbild

Instrumentelle Fertigkeiten

Selbstwert

Therapie- 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40
baustein

.. Abb. 5.1 Empfehlung zur Verwendung der einzelnen Bausteine im Rahmen eines Einzelsettings

Borderline-Patientinnen als Ergänzung zur kognitiv-be- 5.4 Auswahl des Settings


havioralen Standardtherapie eingesetzt werden kann. Hier
können die Übungen zur Gefühlswahrnehmung durchge- Das vorliegende Behandlungsprogramm ist sowohl im am-
führt werden, um anschließend mit den Bausteinen zum bulanten als auch im (teil)stationären Setting einsetzbar,
Ausdruck und Benennen von Gefühlen fortzufahren. Eine wobei der Aufbau des umfassenden Gesamtprogramms
weitere Möglichkeit stellt die Integration des Kommuni- sich primär an den Bedingungen im ambulanten Setting
kationselementes aus ▶ Kap. 11 (▶ Abschn. 11.2) in eine orientiert und daher bei Bedarf an das (teil)stationäre Set-
Emotionsregulationsgruppe dar. Dies ist vor allem für eine ting adaptiert werden muss (z. B. im Rahmen einer psy-
Durchführung in der Gruppe geeignet, da hier in der Inter- chosomatischen Rehabilitation oder einer tagesklinischen
aktion mögliche Defizite in der Wahrnehmung emotionaler Behandlung). Wie bereits erwähnt, ist das dargestellte
und sozialer Hinweisreize sehr gut erarbeitet werden kön- therapeutische Programm sowohl im einzel- wie auch im
nen und die Anwendung von kurzfristigen Strategien zur gruppentherapeutischen Setting anwendbar, wobei sich
Regulation der Emotionen, wie bspw. das verbale und non- die Darstellung im vorliegenden Manual primär auf die
verbale Ausdrücken eines Gefühls, eingeübt werden kann. Umsetzung in der Gruppe bezieht. Eine Gruppengröße
Auch eine eigenständige Genussgruppe scheint für von 6–8 Teilnehmerinnen ist hierbei sinnvoll. Vor allem
Frauen mit Essstörungen geeignet und kann kombiniert vor dem Hintergrund der Finanzierung ist im ambulan-
mit dem Aufbau positiver Aktivitäten angeboten werden. ten Setting die Gruppengröße gut zu kalkulieren und die
Ergänzend könnten hier noch Entspannungsverfahren Einbeziehung eines Kotherapeuten zu erwägen. Aus the-
integriert werden (eine Übersicht dazu bieten Vaitl und rapeutischer Sicht sollte ab der Anzahl von 6 Patientinnen
Petermann 2004). ein Kotherapeut mit einbezogen werden, um die teilweise
Zuletzt ist noch die Abkopplung des Körperbildseg- in der Durchführung und Besprechung aufwendigen In-
ments zu nennen (▶ Kap. 12). Hier existiert ein eigen- terventionen in Kleingruppen effektiv und zeitsparend
ständiges ausführliches Therapierational, welches ein durchführen zu können. Die meisten Übungen können
umfassendes Behandlungsprogramm für eine kognitiv- auf das einzeltherapeutische Setting übertragen werden;
behaviorale Körperbildgruppe bietet (Vocks und Legen- wo notwendig, werden an den entsprechenden Stellen im
bauer 2010). Die im vorliegenden Manual beschriebenen Manual die Adaptationen an das jeweilige Setting beschrie-
körperbezogenen Verfahren sind dort nicht enthalten, ben. Nähere Informationen zu Vorteilen und Umsetzung
können aber je nach Indikation und verfügbarem Zeitrah- des Programms im Gruppensetting finden Sie im folgen-
men ergänzt werden. den ▶ Kap. 6.
74 Kapitel 5 • Hinweise zur Nutzung des Therapieprogramms

1 .. Tab. 5.1 Darstellung einer möglichen Verteilung der Therapie-Inhalte für eine Gruppentherapie mit 20 Sitzungen

Sitzung Modul Thema Inhalt Hausaufgaben


2 1 M Einführung in die Überblick über Gruppengesamtablauf, offene Fragen; Texte lesen
Gruppe; Gruppenregeln; Ausgabe des Informationsmaterials zu Essstörungen
3 Kennenlernen; Informa-
tionsvermittlung
und deren körperlichen Folgeerscheinungen; Heraus-
arbeitung der individuellen Essstörungssymptome

4
2 M/E Psychoedukation zu Einführung Selbstbeobachtungsprotokolle; Diskussion Essprotokolle schreiben
Folgen von Diäten; der Informationsbroschüre, Erarbeitung Gewichtsver-
Erbrechen; Aufrechter- laufskurve

5 haltung der Essstörung

3 M/E Interventionen zur Schwierige Situationen aus den Essprotokollen Arbeitsblatt „Die
Verhinderung von Essat- herausarbeiten; alternative Verhaltensweisen erar- Waage“
6 tacken und Erbrechen beiten; Notfallplan zur Verhinderung von Essanfällen
verfassen

7 4 M/S Funktion der Essstörung Besprechung des Briefs an die Essstörung, Herausar-
beiten der Funktion der Essstörung; Erarbeitung des
Arbeitsblatt Störungs-
modell ausfüllen
Störungsmodells
8 5 S Lerngeschichte; Modell Erstellen des Genogramms, Ableitung der Familien-/ Individuelle Familienre-
Lebensregeln geln erstellen
9 6 K Grundannahmen he- Herausarbeiten Schlankheitsideal und Grundannah- Gedankenprotokoll
rausarbeiten men

10 7 K Automatische Gedan- Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Kognitionen in die je-
ken ableiten Situationen herausarbeiten, Fehlerkategorien vorstel- weilige Fehlerkategorie
len und erkennen kognitiver Fehler einüben einordnen
11 8 ER Gefühlswahrnehmung Zusammenhang Gedanken – Gefühle – Verhalten; Gefühlsprotokoll
und -identifikation Erkennen von Gefühlen, Ausdruck von Gefühlen
12 einüben

9 ER Gefühlsregulation Einführen von Spontanentspannung und Sammeln Kommunikationsmo-

13 von Techniken zur emotionalen Abreaktion dell, Informationsblatt

10 A/SF Gefühlsregulation Umsetzung von Strategien zur Gefühlsregulation an- Info zu sozialen Kompe-
hand der Analyse von Verhaltensketten, Besprechung tenzen
14 Kommunikationsmodell und Einübung des direkten
Äußerns von Gefühlen

15 11 SF Grundlagen SK, indivi-


duelle Rollenspiele
Problemlöse- und Konfliktbewältigung Arbeitsblatt
„Missverständnisse
klären“
16 12 SF Erhöhung des Selbst- Erarbeitung der Determinanten des Selbstwertge- Arbeitsblatt „Was ich an
wertgefühls fühls, gegenseitige Rückmeldung der Patientinnen mir mag“

17 (Feedbackübung)

13 KB Körperwahrnehmung, Erleben des Körpers unabhängig vom Aussehen; Abtastübung und Ar-
Selbstwahrnehmung Diskrepanz zwischen Fühlen und Sehen herausarbei- beitsblätter „Selbstbild“,
18 ten „Gefühltes Selbstbild“

14 KB Diskrepanz Fremd- und Besprechung der Hausaufgabe; gegenseitiges Abta- Arbeitsblatt „So sehe
19 Selbstwahrnehmung sten und Modellieren ich mich“

15 KB Abbau von Vermei- Spiegelexposition und Videoexpositionsübung Arbeitsblatt „So wurde


20 dungsverhalten im
Rahmen von Körperkon-
ich gesehen – so sehe
ich mich jetzt“
frontationsübungen
21 16 G Genusstraining Förderung von Genuss (z. B. bezüglich Essen) Arbeitsblatt „Sinnspa-
ziergang“

22
Literatur
75 5

.. Tab. 5.1 (Fortsetzung) Darstellung einer möglichen Verteilung der Therapie-Inhalte für eine Gruppentherapie mit 20 Sitzungen

Sitzung Modul Thema Inhalt Hausaufgaben

17 G/RA Positive Aktivitäten Hinführen zu Entspannung und Stressreduktion im Wochenplan mit Ar-
aufbauen Alltag; Vermitteln von neuen Perspektiven beitsblatt „Meine Wohl-
fühlwoche“ planen und
durchführen

18 R Rückfallprophylaxe Bilanzieren, Rückblick auf Therapieverlauf; Besprechen Rückfallprotokoll und


von Schwierigkeiten bei der Umsetzung und mög- Arbeitsblatt „Notfall-
lichen Risikobereichen kiste“

19 R Booster-Session Erarbeitung von Bewältigungsstrategien zu inzwi-


schen aufgetretenen Problemen, Auffrischen der
Therapieinhalte

20 R Booster-Session Erarbeitung von Bewältigungsstrategien zu inzwi-


schen aufgetretenen Problemen, Auffrischen der
Therapieinhalte

Das Gebiet kennzeichnet den Therapiebaustein, aus welchem die Übungen entstammen (M = Motivierung, S = Störungsmodell, E =
Ernährung, K = Kognition, ER = Emotionsregulation; R = Rückfallprophylaxe; SF = soziale Fertigkeiten, KB = Körperbild; G = Genuss-
training; RA = Ressourcenaufbau). Zudem sind ausgewählte Inhalte aus dem Modul beschrieben und Beispiele für Stundeninhalt und
Hausaufgaben dargestellt.

5.5 Besonderheiten bei der Behandlung Sitzungen ausgehändigt werden. Am Ende jedes Kapitels
von Männern sind die wichtigsten Arbeitsblätter mit Beispielen abgebil-
det. Die Kapitel beginnen mit einer Übersicht über Ziele
Nur wenige Studien untersuchten bisher den Therapiever- des jeweiligen Moduls und das praktische Vorgehen, die
lauf bei Männern mit Essstörungen ▶ Abschn. 1.3. Man erforderlichen Arbeitsmaterialien sind in den jeweiligen
kann aber davon ausgehen, dass die kognitive Verhaltens- Abschnitten beschrieben.
therapie, wie sie für Frauen angewendet wird, auch auf Zusätzlich befindet sich die Informationsbroschüre zur
Männer übertragbar ist, da die akuten Essstörungssymp- Ernährung als PDF-Datei auf http://extras.springer.com
tome anscheinend viele Parallelen aufweisen (Fichter und zum Download. Sie sollte den Patientinnen zu psycho-
Krenn 2003). Das vorliegende Behandlungsmanual kann edukativen Zwecken zu Beginn der Therapie ausgehändigt
daher, wenn auch vorrangig für die Behandlung von Pa- werden.
tientinnen konzipiert, für den Einsatz in der Therapie mit
an einer Essstörung erkrankten Männern zur Anwendung
kommen. Aufgrund der hohen Anzahl an Patientinnen Literatur
haben wir uns entschlossen, in der vorliegenden überar-
beiteten Fassung die weibliche Form „Patientinnen“ zu Benninghoven D (1997) Tagebuchtechniken in der Therapie der Essstö-
rungen. In: Reich G, Cierpka M (Hrsg) Psychotherapie der Essstörun-
verwenden.
gen. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis – störungsspezifisch
und schulenübergreifend. Thieme, Stuttgart, S 151–169
Beumont PJ, Beumont CC, Touyz SW, Williams H (1997) Nutritional coun-
5.6 Arbeitsblätter und ergänzende seling and supervised exercise. In: Garner DM, Garfinkel PE (Hrsg)
Materialien Handbook of treatment for eating disorders, 2. Aufl. Guilford, New
York, S 178–187
Fairburn CG, Marcus MD, Wilson GT (1993) Cognitive behavioural
Das vorliegende Manual ist für den Praktiker konzipiert therapy for binge eating and bulimia nervosa: A comprehensive
und enthält online auf http://extras.springer.com eine treatment manual. In: Fairburn CG, Wilson GT (Hrsg) Binge Eating:
Vielzahl von Arbeitsblättern, die die Benutzung des Pro- Nature, assessment and treatment. Guilford, New York, S 361–404
gramms erleichtern sollen. Der Einsatz der Arbeitsblätter Fairburn CG, Cooper Z, Shafran R (2003) Cognitive-behaviour therapy for
eating disorders: A „transdiagnostic“ theory and treatment. Behav
wird in den verschiedenen Kapiteln erläutert. Im Buch sind
Res Ther 41:509–528
die Arbeitsblätter zur Veranschaulichung exemplarisch Fichter M, Krenn H (2003) Eating disorders in males. In: Treasure J,
ausgefüllt dargestellt. Die Arbeitsblätter sollen zur Struk- Schmidt U, van den Furth E (Hrsg) Handbook of eating disorders,
turierung der Sitzungen und zur Bearbeitung der Haus- 2. Aufl. Wiley, Chichester, UK, S 370–383
aufgaben dienen und den Patientinnen in den jeweiligen
76 Kapitel 5 • Hinweise zur Nutzung des Therapieprogramms

Garner DM, Vitousek KM, Pike KM (1997) Cognitive behavioural therapy


1 for anorexia nervosa. In: Garner DM, Garfinkel PE (Hrsg) Handbook
of treatment for eating disorders, 2. Aufl. Guilford, New York, S
121–134
2 Hinsch R, Pfingsten U (2007) Gruppentraining sozialer Kompetenzen,
5. Aufl. PVU, München
Jacobi C (2000) Beeinträchtigungen des Selbstkonzeptes bei Ess-Stö-
3 rungen. Z Klin Psychol Psychother 2
Jacobi C, Thiel A, Paul T (2008) Kognitive Verhaltenstherapie bei Anore-
xia und Bulimia nervosa, 3. Aufl. Beltz, Weinheim
4 Jansen A (1998) A learning model of binge eating: Cue reactivity and
cue exposure. Behav Res Ther 36:257–272

5 Legenbauer T (2003) Was löst einen Essanfall aus? Peter Lang, Frankfurt
Legenbauer T, Vögele C (2004) Elemente der Konfrontationsbehandlung
im Ernährungsmanagement und beim Umgang mit Heißhungerat-

6 tacken bei Frauen mit Bulimia nervosa. In: Neudeck P, Wittchen HU


(Hrsg) Konfrontationsbehandlungen bei psychischen Störungen
– Theorie und Praxis. Hogrefe, Göttingen
7 Linehan MM (1996) Dialektisch-Behaviorale Therapie der Borderline-
Persönlichkeitsstörung. CIP Medien, München
Lutz R (1999) Die kleine Schule des Genießens kommt in die Jahre – 15
8 Jahre Genussprogramm. In: Lutz R, Mark N, Bartmann U, Hoch E,
Stark MF (Hrsg) Beiträge zur euthymen Therapie. Lambertus, Frei-
burg
9 Pudel V, Westenhöfer J (1998) Ernährungspsychologie: Eine Einführung.
Hogrefe, Göttingen
Schnicker K (2012) Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie bei
10 Essstörungen im naturalistischen Setting einer Hochschulambu-
lanz. Dissertation, Johannes Gutenberg Universität, Mainz
Schnicker K, Hiller W, Legenbauer T (2013) Drop-out and treatment
11 outcome of outpatient cognitive-behavioral therapy for ano-
rexia nervosa and bulimia nervosa. Comprehensive Psychiatry
2013 Apr 12. doi: pii: S0010-440X(13)00056-4. 10.1016/j.comp-
12 psych.2013.02.007. [Epub ahead of print]
Schnicker K, Legenbauer T, Hiller W (2012) Langzeiteffekte einer ess-

13 störungsspezifischen kognitiven Verhaltenstherapie im naturalis-


tischen Setting. Psychother Psychosom Med Psychol 62:120–128
Schnicker K, Legenbauer T, Hiller W (2011) Therapieeffekte und Respon-

14 der-Analysen bei Patientinnen mit Essstörungen: Eine naturalisti-


sche Studie. Verhaltenstherapie 21(1):31–38
Schulz von Thun F (1981) Miteinander reden. Störungen und Klärungen.
15 Rowohlt, Reinbek
Treasure J, Schmidt U (2003) Treatment overview. In: Treasure J, Schmidt
U, van den Furth E (Hrsg) Handbook of eating disorders, 2. Aufl.
16 Wiley, Chichester, UK, S 207–217
Tuschen-Caffier B, Florin I (2002) Teufelskreis Bulimie. Ein Manual zur
psychologischen Therapie. Hogrefe, Göttingen
17 Vaitl D, Petermann F (2004) Entspannungsverfahren – Ein Praxishand-
buch. Beltz PVU, Berlin
Vocks S, Legenbauer T (2010) Körperbildtherapie bei Anorexia und Buli-
18 mia nervosa. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungs-
programm, 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen
Waadt S, Laessle RG, Pirke KM (1992) Bulimie: Ursachen und Therapie.
19 Springer, Berlin
Waller G, Kennerley H (2003) Cognitive-behavioral Treatments. In: Trea-
sure J, Schmidt U, van den Furth E (Hrsg) Handbook of eating dis-
20 orders, 2. Aufl. Wiley, Chichester, UK, S 234–251
Waters A, Hill A, Waller G (2001) Internal and external antecedents of

21 binge eating episodes in a group of women with bulimia nervosa.


Int J Eat Disord 29:17–22
Winston A, Webster P (2003) Inpatient treatment. In: Handbook of ea-

22 ting disorders, 2. Aufl. Wiley, Chichester


77 III

Praktischer Teil
Kapitel 6 Behandlung in Gruppen – 79
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 7 Motivierung – 87
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 8 Vermittlung eines individuellen Störungsmodells


und Ableitung der Therapieziele – 101
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 9 Interventionen zur Normalisierung des


gestörten Essverhaltens – 119
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 10 Kognitive Interventionen – 159


T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 11 Interventionen zur Verbesserung


der Emotionsregulation – 183
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 12 Techniken zur Verbesserung sozialer


Kompetenzen – 205
T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 13 Interventionen zur Veränderung des Körperbildes – 231


T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 14 Förderung von Ressourcen – 253


T. Legenbauer, S. Vocks

Kapitel 15 Rückfallprophylaxe – 283


T. Legenbauer, S. Vocks
79 6

Behandlung in Gruppen
T. Legenbauer, S. Vocks

6.1 Gruppentherapie – 80
6.1.1 Grundkonzept der Gruppentherapie – 80
6.1.2 Besonderheiten in der gruppentherapeutischen
Behandlung von Essstörungen – 80

6.2 Stärkung der Gruppenkohäsion – 81


6.2.1 Beschreibung von Gruppenwirkfaktoren
und Therapeutenvariablen – 81
6.2.2 Interventionen zur Stärkung der Gruppenkohäsion – 82

6.3 Zusammenfassung – 83
6.4 Arbeitsblätter – 83
Literatur – 86

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
80 Kapitel 6 • Behandlung in Gruppen

1
-
Ziel
Förderung der Gruppenkohäsion
tientinnen bestehende Gruppen sich in der Durchführung
als schwierig erweisen können (Fiedler 1996), da hier eine
erhöhte Konkurrenz hinsichtlich des möglichst niedrigsten
2
3
-
Vorgehen
Stärkung der Gruppenkohäsion durch Definieren von
Gruppenregeln und Durchführung von Kennenlern-
übungen
Körpergewichts auftreten kann.
Der Vorteil der gemeinsamen Behandlung von Anore-
xie- und Bulimiepatientinnen wird vor allem darin gese-
hen, dass die Patientinnen sich in ihrer Unterschiedlichkeit
gegenseitig stimulieren oder ergänzen und es so zu einem
4 lebendigeren Austausch kommt. Diskussionen über typi-
6.1 Gruppentherapie sche Überzeugungen und Einstellungen wie beispielsweise
5 6.1.1 Grundkonzept der Gruppentherapie
über das hohe Leistungs- und Perfektionsideal können zur
Entwicklung eines neuen Wertesystems genutzt werden.
Der Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit anderen
6 Im Rahmen der Gruppentherapie sind symptomzentrierte Gruppenmitgliedern, die ebenfalls an einer Essstörung lei-
und unspezifische Interventionsmethoden zu unterschei- den, kann entlastend sein und Schuld- und Schamgefühle
7 den (Fiedler 1996). Hier soll vor allem auf die symptom- abbauen und somit zur Entpathologisierung beitragen.
zentrierten Ansätze zur Behandlung von Essstörungen
eingegangen werden, welche im Rahmen der KVT durch- Schwierigkeiten der Gruppentherapie Neben den aufge-
8 geführt werden können. zählten Vorteilen kann es aber durch verschiedene ne-
Die Vorteile einer Gruppentherapie sind der regelmä- gative Einflüsse wie z. B. Konkurrenzverhalten zu einer
9 ßige Kontakt der Mitglieder untereinander, der hohe Grad Hemmung des Gruppentherapieprozesses kommen. Eine
der Interaktion und das Verfolgen gemeinsamer Ziele. Untersuchung unserer Arbeitsgruppe konnte beispiels-
10 Notwendige Rahmenbedingungen stellen dabei die klare weise zeigen, dass Konkurrenzerleben in der Gruppenthe-
Funktionsverteilung und eine vereinbarte Zeitstruktur rapie bei Patientinnen mit Essstörungen stärker ausgeprägt
dar, um Transparenz herzustellen und Chancen für den war als bei anderen Patientengruppen (z. B. Tinnitus). Die-
11 Erkenntnis- und Änderungsprozess zu schaffen (Fiedler ses Ergebnis ist insofern relevant, als ein hohes Konkur-
1996; Powers und Fernandez 1984). renzerleben bei Patientinnen mit einer Anorexia nervosa
12 In der Gruppentherapie steht neben der Patient-Thera- mit einem schlechteren Therapieergebnis assoziiert ist (Le-
peut-Dyade vor allem die Interaktion der Patientinnen un- genbauer et al. 2004). Diese Ergebnisse können dadurch
tereinander im Vordergrund. Um eine möglichst positive erklärt werden, dass durch Konkurrenz die Variablen, die
13 und fruchtbare Arbeitsatmosphäre zu schaffen, müssen das Therapieergebnis fördern, wie Kooperation, Vertrauen
spezifische Voraussetzungen wie Vertrauen, Kooperation und Offenheit gestört werden, so dass die Patientinnen
14 und Offenheit erfüllt sein. Diese Variablen, welche die möglicherweise eher gegen- als miteinander arbeiten. Als
Gruppenkohäsion fördern, stellen einen wichtigen Wirk- problematisch können sich in diesem Zusammenhang
15 faktor unabhängig vom therapeutischen Ansatz dar (An- auch ein überhöhtes interpersonales Misstrauen sowie
germaier 1994). Die Gruppenkohäsion beinhaltet das Zu- perfektionistische und leistungsorientierte Tendenzen sei-
sammengehörigkeits- und Solidaritätsgefühl in der Gruppe tens der Patientinnen erweisen. In ▶ Kap. 7 werden diese
16 und scheint von Relevanz für die Erreichung eines guten Schwierigkeiten detaillierter dargestellt und Vorschläge zur
Therapieergebnisses zu sein. Verbesserung der Gruppenkohäsion gemacht.
17
Indikation zur Gruppentherapie Für Therapiebausteine
6.1.2 Besonderheiten wie das Training sozialer Kompetenzen oder Einübung
18 in der gruppentherapeutischen von Kommunikationsfertigkeiten eignet sich das Grup-
Behandlung von Essstörungen pensetting (Hinsch und Pfingsten 2007). Die Teilnahme
19 an einer Gruppentherapie ist dann empfehlenswert, wenn
Vorteile der Gruppentherapie Wegen großer Ähnlichkeiten die Patientinnen dies wünschen, um soziale Unterstützung
20 in der Epidemiologie, der Ätiologie und dem psychopatho- zu erfahren. Insbesondere für sozial isolierte Patientinnen
logischen Muster von Essstörungen (Fairburn et al. 2003) bietet die Gruppenbehandlung durch den regelmäßigen
sowie aus organisatorischen und Kostengründen werden Kontakt und das Feedback der Gruppenmitglieder ein
21 die Anorexia und Bulimia nervosa häufig zu gemischten gutes Übungsfeld, um soziale Fertigkeiten zu trainieren,
Therapiegruppen zusammengefasst, insbesondere im (teil) katastrophisierende Befürchtungen zu relativieren und po-
22 stationären Klinikalltag. Bestärkt wird dieses Vorgehen sitive zwischenmenschliche Erfahrungen zu machen. Dies
durch Beobachtungen, dass ausschließlich aus Anorexiepa- hat sich bereits in Bereichen anderer Störungsbilder wie
6.2 • Stärkung der Gruppenkohäsion
81 6

-
beispielsweise der sozialen Phobie (Heimberg und Becker
Arbeitsmaterial
2002) als sinnvoll und hilfreich erwiesen (▶ Kap. 3). Mög-
A5-Karteikarten, Stifte

--
licherweise bei der Patientin auftretende Befürchtungen
Arbeitsblätter
hinsichtlich einer Gruppenbehandlung sollten angespro-
Gruppenregeln (▶ Arbeitsblatt 6.1 . Abb. 6.1)
chen werden, um zu überprüfen, ob diese Vorbehalte auf
Symbole meiner Essstörung
unrealistischen Vorstellungen in Bezug auf eine Gruppen-
(▶ Arbeitsblatt 6.2/6.2B . Abb. 6.2)
therapie basieren und die Bedenken vielleicht ausgeräumt
werden können.

Einsatz bei komorbiden Störungen Bei bestehenden medi-


zinischen Komplikationen oder komorbiden körperlichen 6.2.1 Beschreibung
(z. B. Diabetes mellitus) bzw. psychischen (z. B. Depressio- von Gruppenwirkfaktoren
nen, Persönlichkeitsstörungen) Erkrankungen ist die Indika- und Therapeutenvariablen
tion für eine Gruppenbehandlung sorgfältig zu prüfen, da die
Gruppe, durch die komorbide Störung bedingt, möglicher- Krumbholtz und Potter (1981) beschreiben, dass Gruppen
weise keine ausreichende Betreuung bietet. Beispielsweise mit einer guten Arbeitsatmosphäre, d. h. hoher Kohäsion,
kann eine vorhandene akute Suizidalität im Gruppensetting Vertrauen und Offenheit, insbesondere durch Wir-Äuße-
leichter übersehen werden als in einer einzeltherapeutischen rungen bezüglich der Gruppe, Sympathiebekundungen
Behandlung. Dem sollte entweder durch eine parallele Ein- wie „Ich komme gerne hierher“ oder einem Wunsch
zeltherapie, in welcher die spezifischen Problembereiche the- nach gemeinsamen Freizeitaktivitäten sowie durch die
matisiert werden oder durch eine alleinige Einzeltherapie, inhaltliche Bezugnahme eigener Wortmeldungen auf Äu-
um mögliche Belastungen durch die Gruppe zu vermeiden, ßerungen anderer Gruppenteilnehmer gekennzeichnet
begegnet werden. Wie bereits in ▶ Kap. 3 angedeutet, kann sind. Niedrige Kohäsion und geringes Vertrauen zeigt sich
vor allem bei Patientinnen mit Anorexia nervosa (Legen- dagegen vor allem in Unterbrechungen, Zurückweisun-
bauer et al. 2004), durch das hohe Perfektionsstreben be- gen, irrelevanten Gesprächsthemen, dem Herunterspielen
dingt, ein konkurrierendes Verhalten ausgelöst werden, das von Problemen, dem Abweisen von Feedback oder auch
den Gruppenprozess stört. Daher sollte bei der Therapiepla- Schweigen.
nung ausreichend Zeit eingeplant werden, um Übungen zur Hinsichtlich der Therapeutenvariablen unterscheiden
Stärkung der Gruppenkohäsion durchzuführen. Krumbholtz und Potter (1981) förderliches Therapeuten-
verhalten von möglichen Interventionen zur Förderung
der Arbeitsatmosphäre. Als förderliches Therapeutenver-
6.2 Stärkung der Gruppenkohäsion halten benennen sie dabei lobende Äußerungen durch
den Therapeuten ebenso wie das Geben von Vorschlägen,
Da dieses Behandlungsprogramm auch bzw. vor allem als das Zeigen von Verständnis usw. Zusätzlich fungiert der
Gruppentherapieprogramm geeignet ist, soll zunächst auf Therapeut als Modell für ein offenes und mitfühlendes
Hilfen bei der Durchführung von Gruppen und Interven- Verhalten. So kann der Therapeut die Gruppenmitglieder
tionen zur Stärkung der Gruppenkohäsion eingegangen durch Äußerungen wie „Ich finde es sehr mutig, dass Sie
werden. Wie bereits erwähnt, kann es gerade bei Patientin- das hier erzählen, das ist bestimmt nicht leicht für Sie“ in
nen mit Essstörungen zu einem erhöhten Konkurrenzver- ihrer Offenheit bestärken und gleichzeitig ein unterstüt-
halten innerhalb der Therapiegruppe kommen, was einen zendes Verhalten demonstrieren. Zudem sollte zu Beginn
negativen Einfluss auf den Therapieerfolg hat (Legenbauer durch die Formulierung von Gruppenregeln eine Defini-
et al. 2004). Um eine konstruktive Atmosphäre aufzubauen tion von erwünschtem Verhalten gegeben werden wie
und therapeutische Veränderungen bei den Gruppenteil- beispielsweise „Wir wollen hier als Gruppe zusammen-
nehmerinnen zu erreichen, sollten daher Vertrauen, Offen- arbeiten, um jedem Einzelnen zu helfen, sich besser zu
heit, Kohäsion und eine kooperative Arbeitshaltung vom fühlen“ oder „Die Gruppe soll jedem Hilfestellung dafür
Therapeuten gefördert werden (Fiedler 1996; Grawe 1981). geben, seine Schwierigkeiten zu bewältigen“. Des Weiteren
können die Patientinnen mit ihrem unangemessenen Ver-
halten konfrontiert werden: „Ich finde, dass es gerade sehr
Maßnahmen und Unterlagen

--
unruhig ist und Sie einander nicht wirklich zuhören.“ Oder
Übungen
atmosphärische Schwierigkeiten können mit der Gruppe
Kennenlernspiel
gemeinsam reflektiert werden: „Ich würde gerne wissen,
Symbole der Essstörung
ob es für Sie schwierig ist, in der Gruppe offen über Ihre
Probleme zu reden“. Wichtig ist es, negative Äußerungen
82 Kapitel 6 • Behandlung in Gruppen

aufzugreifen und das Gespräch zu moderieren: „Kritik Fallbeispiel Kennenlernspiel


1 kann manchmal auch verletzen. Daher ist es wichtig, diese Damit Sie sich untereinander zunächst etwas näher kennen
konstruktiv zu äußern“. Auch kann die Gruppe aktiv mit lernen, möchten wir mit Ihnen folgendes Kennenlernspiel
2 einbezogen werden, dadurch, dass der Therapeut eine Re- durchführen. Sie erhalten jeder einen Stift und eine Kartei-
aktion von der Gruppe einfordert, indem er eine Äußerung karte. Bitte notieren Sie auf dieser Karte in Druckbuchstaben
an die Gruppe zurückgibt. jeweils Ihr Lieblingsreiseland, ein Tier, das Sie gerne sein
3 Wichtig ist auch, die Gesprächsrichtung in der Gruppe möchten und Ihre Lieblingsbeschäftigung. Wenn Sie damit
zu lenken, indem vom Therapeuten die Aufmerksamkeit fertig sind, geben Sie die Karte an mich zurück.
4 auf mögliche vermiedene oder unbemerkte wichtige In- Nachdem ich nun alle Karten aufgehängt habe, möchte ich Sie
halte zurückgelenkt wird: „Ich möchte noch einmal auf- bitten, zu überlegen, wem aus der Gruppe Sie welche Karte
5 greifen, was Frau S. über die körperlichen Folgeerschei- zuordnen würden. Sie können dabei einfach Ihrem Gefühl
nungen der Essstörung gesagt hat“. folgen oder Ihre Überlegung an anderen Dingen wie Gesag-
tem aus der Vorstellungsrunde, Kleidungsstil oder Ähnlichem
6 festmachen.
6.2.2 Interventionen zur Stärkung
7 der Gruppenkohäsion Der Therapeut kann nun, wenn die einzelnen Patientinnen
Ideen zu den Karteikarten äußern, jeweils nachfragen, wa-
Neben den möglichen inhaltlichen und formalen Ge- rum diese Vermutung geäußert wurde, um in der Gruppe
8 staltungsmöglichkeiten durch den Therapeuten sollten eine Diskussion anzuregen und vertiefende Informationen
zu Beginn der Gruppe zunächst das Arbeitsblatt mit den zu erhalten. Im nachfolgenden Dialog wird dieses Vorge-
9 Gruppenregeln (. Abb. 6.1 Arbeitsblatt 6.1) ausgeteilt und hen exemplarisch dargestellt.
besprochen werden. Darin sollten organisatorische As-
10 pekte, wie Pünktlichkeit und kontinuierliche Teilnahme, Therapiegespräch
sowie Regeln zum Umgang miteinander, wie Schweige- Patientin A.: – „Ich glaube, dass Frau B. gerne ein Delfin wäre.“
pflicht, aktives Zuhören und Feedbackgeben, enthalten Therapeut: – „Warum nehmen Sie das an?“
11 sein. Die Punkte sollten einzeln durchgegangen und mög- Patientin A. – „Weil sie irgendwie einen so freundlichen Eindruck auf
liche Fragen zu Regeln und deren Einhaltung geklärt wer- mich macht. Delfine empfinde ich als freundliche und offene, leicht

12 den. Abschließend sollten sich alle Teilnehmer der Gruppe verspielte Tiere und irgendwie wirkt Frau B. so auf mich.“
Therapeut: – „Vielen Dank! Frau B., stimmt diese Vermutung?“
mit den Regeln einverstanden erklären.
Zum ersten Kennenlernen der Gruppenmitglieder Patientin B.: – „Nein, so ganz trifft das nicht zu, aber die Erklärung fand
13 sollte im Anschluss daran ein Kennenlernspiel durch-
ich sehr schön. Ich habe aber die Idee, dass Frau C. gerne ein Delfin wäre,
weil diese so frei sind und sie mir mit ihren bunten Kleidern so frei von
geführt werden. Kennenlernspiele, welche vor allem das Konventionen vorkommt.“
14 Ziel der Kohäsionsbildung haben, können in drei Berei- Patientin C.: – „Ja, ich würde tatsächlich gerne ein Delfin sein, aber wa-
che unterteilt werden – dem Besprechen individueller rum, das weiß ich gar nicht so genau.“
15 Ideen und Vorstellungen (z. B. Wenn man eine Million
Euro gewinnen würde, dann …) in der gesamten Gruppe, Eine zweite Möglichkeit zur Steigerung der Gruppenko-
dem Erarbeiten von Gemeinsamkeiten der Teilnehmer häsion in der ersten Gruppensitzung ist die Besprechung
16 im Zweiergespräch oder Bewegungsübungen wie dem der individuellen Symbole der Essstörung für die ver-
Vertrauenskreis (ausführliche Übersicht Krumbholtz schiedenen Patientinnen. Dazu werden die Patientinnen
17 und Potter 1981). Eine mögliche Kombination dieser vorab gebeten, ein Symbol für die Essstörung mit zur ers-
verschiedenen Varianten liegt in der Durchführung von ten Gruppensitzung zu bringen. Dies kann zum Beispiel
Kennenlernspielen, welche sowohl Informationen über ein Kleidungsstück sein, das nicht mehr passt und ein
18 die einzelnen Gruppenmitglieder beinhalten als auch niedrigeres Gewicht symbolisiert. Es können Ausschnitte
Auskunft über Wünsche und Einstellungen geben. Im aus Zeitschriften sein wie Models, Gegenstände wie eine
19 Folgenden wird ein solches Kennenlernspiel vorgestellt. Waage oder aber auch Kalorientabellen, Diät- oder Koch-
Dazu sollen die Teilnehmer auf Karteikarten eintragen, bücher, Nahrungsmittel, die oft zu Essanfällen verzehrt
20 welches Land sie am liebsten mögen, was sie gerne in werden oder im Gegenteil Nahrungsmittel, die einzig und
ihrer Freizeit unternehmen und welches Tier sie gerne allein erlaubt sind und mit denen die Frauen den Tag be-
sein möchten. Diese Karteikarten werden dann anonym streiten. Im Folgenden sind zwei Fallbeispiele zur Auswahl
21 aufgehängt, und die Gruppenteilnehmerinnen werden der Symbole dargestellt, welche Inhalt und auch Funktion
gebeten, Vermutungen darüber zu äußern, welche Teil- der Essstörung gut beschreiben.
22 nehmerinnen welche Karte geschrieben hat. So könnte
das Spiel erläutert werden:
6.4 • Arbeitsblätter
83 6
6.4 Arbeitsblätter

--
Fallbeispiel Frau A.
„Ich habe diese Brezel mitgebracht, weil ich das letzte halbe
Jahr vor dem Klinikaufenthalt nichts anderes mehr gegessen Arbeitsblatt 6.1 Gruppenregeln (. Abb. 6.1)
habe als eine einzige Laugenbrezel am Tag. Diese Brezel re- Arbeitsblatt 6.2B: Symbole meiner Essstörung
präsentiert für mich all die Qualen und irrationalen Wünsche (. Abb. 6.2)
bezüglich meiner Figur und meines Gewichts, die ich in den
vergangenen Monaten hatte und immer noch habe.“

Eine andere Patientin bringt eine Frauenzeitschrift mit,


auf dem Cover ist ein sehr schlankes Model im Minirock
abgebildet. Frau B. beschreibt dieses Symbol für sich so:

Fallbeispiel Frau B.
„Überall sehe ich Frauen in kurzen Röcken oder engen Ho-
sen. Ich hasse meine Beine und finde sie furchtbar dick und
hässlich. Das Bild ist für mich ein Symbol dafür, was ich gerne
hätte und durch meine Essstörung versuche zu erreichen.
Ich mache täglich Sport, halte dauernd Diät und verbiete mir
alle Süßigkeiten und Dinge, die ich gerne esse, nur um einmal
einen Minirock tragen zu können. Aber ich bin mir nie gut
genug, und das ist so frustrierend und quälend.“

Die beiden Fallbeispiele zeigen deutlich, dass die Symbole


einmal etwas Negatives – die erlittenen Qualen – und
einmal etwas Positives – die begehrten dünnen Beine –
beinhalten. Die Motivation, die negativen Aspekte zu
verändern, ist groß. Bei Frau A. steht also deutlich der
Leidensdruck im Vordergrund, während bei Frau B. aus
dem zweiten Fallbeispiel eher noch das, was sie sich durch
die Essstörung verspricht, im Vordergrund steht. Diese
Einstiegsübung dient zunächst dazu, Gemeinsamkeiten
zwischen den Gruppenmitgliedern herauszustreichen und
gegenseitiges Nachfragen zu motivieren. Auf Arbeitsblatt
6.2 (▶ http://extras.springer.com) können die Patientinnen
ihre persönlichen Symbole beschreiben. Ein entsprechen-
des Beispiel ist auf Arbeitsblatt 6.2B (. Abb. 6.2) enthalten.
Im Anschluss daran kann mit den Übungen zur Motivie-
rung wie der Herausarbeitung der Funktion der Essstö-
rung oder der Identifikation von Folgeerscheinungen der
Essstörung begonnen werden und bereits im Rahmen der
Symbolübung herausgearbeitete Funktionen der Essstö-
rung wieder aufgegriffen werden.

6.3 Zusammenfassung

Die Stärkung der Gruppenkohäsion durch gezielte Maß-


nahmen des Therapeuten sowie durch Übungen zum Ken-
nenlernen der Gruppenteilnehmerinnen untereinander
und zum Aufbau von Vertrauen ist von großer Bedeutung,
wenn ein kooperatives Arbeitsklima erreicht werden soll.
Dieses ist Voraussetzung, um allen Teilnehmerinnen die
Möglichkeit zur Veränderung zu bieten.
84 Kapitel 6 • Behandlung in Gruppen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 6.1 | Gruppenregelung | Seite 1


2
3 Gruppenregelung

4 1. Schweigepflicht
Alle persönlichen Informationen, die innerhalb oder außerhalb der Therapieräume bekannt oder untereinander bespro-
chen werden, dürfen weder gegen die Gruppenmitglieder verwendet, noch an Dritte weitergegeben werden.
5
2. Regelmäßige Teilnahme
6 Die Gruppenmitglieder verpflichten sich, zu allen Sitzungen pünktlich zu erscheinen. Um die Kontinuität zu wahren, soll-
ten Sie maximal an vier Sitzungen im gesamten Therapieverlauf fehlen. Zudem sollten Sie vermeiden, zwei Mal in Folge

7 zu fehlen. Sind Sie aus einem besonderen Grund verhindert, geben Sie dem entsprechenden Therapeuten Bescheid.

3. Jeder ist für sich selbst verantwortlich


8 Übernehmen Sie die Verantwortung dafür, was Sie selbst aus dieser Stunde machen und mitnehmen wollen. Richten Sie
sich deshalb nach Ihren Bedürfnissen im Hinblick auf das Thema. Trauen Sie sich, Ihre Gefühle und Gedanken auszu-
9 sprechen. Bestimmen Sie selbst, wann und was Sie sagen wollen. Die anderen Gruppenmitglieder sind ebenso für sich
verantwortlich und werden es Ihnen schon mitteilen, wenn sie etwas anders wollen als Sie.

10 4. Zeigen Sie sich als Person und sprechen sie von „ICH“ anstelle von „man“ oder „wir“
Sprechen Sie nicht von „man“ oder „wir“, weil Sie sich hinter diesen Sätzen gut verstecken können und die Verantwortung
11 nicht für das zu tragen brauchen, was Sie sagen. Mit „man“ oder „wir“ sprechen Sie außerdem für andere mit, obwohl Sie
nicht wissen, ob es von den anderen erwünscht ist bzw. ob Ihre Meinung von anderen geteilt wird.

12 5. Sprechen Sie andere Gruppenteilnehmer direkt an und geben Sie direkte Rückmeldung
Wenn Sie jemandem aus der Gruppe etwas mitteilen wollen, sprechen Sie ihn direkt an und zeigen Sie ihm durch
13 Blickkontakt und Nennung des Namens, dass Sie ihn meinen. Reden Sie nicht über einen Dritten zu einem anderen, und
sprechen Sie nicht zur Gruppe, wenn Sie einen bestimmten Menschen meinen. Äußern Sie sich dabei nicht in bewerten-
14 der Weise und vermeiden Sie Deutungen und Spekulationen.

6. Wenn Sie eine Rückmeldung erhalten, hören Sie ruhig zu und lassen Sie diese wirken
15 Versuchen Sie nicht gleich, sich zu verteidigen oder die Sache „klarzustellen“. Denken Sie daran, dass Ihr Gegenüber keine
objektiven Tatsachen mitteilen kann und soll, sondern nur seine subjektiven Gefühle und Wahrnehmungen.
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 6.1 Arbeitsblatt 6.1 Gruppenregeln


6.4 • Arbeitsblätter
85 6

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 6.2 | Symbole meiner Essstörung | Seite 1

Symbole meiner Essstörung


Bitte bringen Sie zur nächsten Gruppensitzung einen Gegenstand (z.B. ein Kleidungsstück, Nahrungsmittel oder Ähnli-
ches) mit, der für Sie ein Symbol Ihrer Essstörung darstellt.

Bitte beschreiben Sie, warum Sie gerade diesen Gegenstand ausgewählt haben und welche Bedeutung er für Sie hat:

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© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 6.2 Arbeitsblatt 6.2B Symbole meiner Essstörung


86 Kapitel 6 • Behandlung in Gruppen

Literatur
1
Angermaier M (1994) Gruppenpsychotherapie. Beltz Psychologie Ver-

2 lags Union, Weinheim


Fairburn CG, Cooper Z, Shafran R (2003) Cognitive-behaviour therapy for
eating disorders: A „transdiagnostic“ theory and treatment. Behav

3 Res Ther 41:509–528


Fiedler P (1996) Verhaltenstherapie in und mit Gruppen. Psychologie-
sche Psychotherapie in der Praxis. Beltz, PVU, Weinheim
4 Grawe K (1981) Verhaltenstherapie in Gruppen. Urban und Schwarzen-
berg, München
Heimberg RG, Becker RE (2002) Cognitive-behavioral treatment for
5 social phobia: Basic mechanisms and clinical strategies. Guilford,
New York
Krumboltz JD, Potter B (1981) Verhaltenstherapeutische Techniken für
6 die Entwicklung von Vertrauen, Kohäsion und Zielorientierung in
Gruppen. In: Grawe K (Hrsg) Verhaltenstherapie in Gruppen. Urban
und Schwarzenberg, München, S 56–65
7 Legenbauer T, Vocks S, Korst A, Rudolph M, Stadtfeld P et al (2004)
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a group therapy (Abstractband, S. 202). Eighth International Con-
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Pfingsten U, Hinsch R (2007) Gruppentraining sozialer Kompetenzen
(GSK), 5. Aufl. PVU, München
9 Powers P, Fernandez RC (1984) Current treatment of anorexia and bu-
limia. Karger, Basel

10
11
12
13
14
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16
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18
19
20
21
22
87 7

Motivierung
T. Legenbauer, S. Vocks

7.1 Einleitung – 88
7.2 Phasenmodell der Veränderung – 88
7.2.1 Beschreibung der einzelnen Phasen – 89
7.2.2 Empirische Befunde und Implikationen des Phasenmodells
im Bereich der Essstörungsbehandlung – 90

7.3 Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation – 90


7.3.1 Psychoedukation – 91
7.3.2 Abwägen der Vor- und Nachteile der Essstörung – 92

7.4 Volition: Die Aufrechterhaltung von Absichten – 94


7.5 Zusammenfassung – 95
7.6 Arbeitsblätter – 95
Literatur – 99

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
88 Kapitel 7 • Motivierung

1
-
Ziel
Förderung der Änderungsmotivation hinsichtlich der
Aufgabe des gestörten Essverhaltens und gegenregu-
den Kontrollverlust in Form von Essanfällen als aversiv
erleben (differenziertere Darstellung Vitousek et al. 1998).
Die „Aufgabe“ der Symptomatik scheint schwierig,
2
3
- lierender Maßnahmen
Motivierung zur Gewichtszunahme bei Anorexia
Nervosa
insbesondere aufgrund der hohen Funktionalität, welche
die Essstörung für viele Betroffene hat (▶ Kap. 2). So ist
die Normalisierung des Essverhaltens und eine damit oft
einhergehende Gewichtszunahme für eine Patientin, deren

4
-
Vorgehen
Vermittlung von Informationen über ein gesundes
Essverhalten sowie über die psychischen und physi-
Selbstwert in starkem Maße von dem Bereich „Figur und
Gewicht“ abhängig ist (▶ Kap. 1), sehr bedrohlich, da zu
Beginn der Behandlung meist keine Ressourcen vorhanden
5
6
- schen Folgeerscheinungen von Essstörungen
Abwägen der kurz- und langfristigen Vor- und Nach-
teile der Essstörungssymptomatik
sind, um den Selbstwert anderweitig zu stabilisieren. Dies
erschwert den Einsatz beispielsweise von Gewichtssteige-
rungsprogrammen bei Anorexia nervosa deutlich, nicht
zuletzt verschärft durch die oft zu beobachtende Leugnung
des Schweregrades der Erkrankung (▶ Abschn. 1.1.2). Wei-
7 7.1 Einleitung tere funktionale Aspekte der Essstörung, die die geringe
Änderungsmotivation bzw. starke Ambivalenz bedingen,
Eine der zentralen Herausforderungen in der Essstörungs- sind vor allem in der Emotionsregulation durch vermehr-
8 behandlung stellt der Umgang mit der zumeist sehr am- tes Essen mit dem nachfolgenden Erbrechen bei Pati-
bivalenten Änderungsmotivation der Patientinnen mit entinnen mit Bulimia nervosa und denjenigen mit dem
9 Essstörungen dar, insbesondere bei denjenigen mit Ano- Binge-Eating/Purging-Typus der Anorexia nervosa zu
rexia nervosa. Die Betroffenen kommen zumeist nicht auf sehen sowie im Erleben von Kontrolle über das Essverhal-
10 eigenen Wunsch und eigene Initiative in die Behandlung, ten und das Körpergewicht und damit einhergehend einer
sondern werden beispielsweise von Verwandten, Freunden Stabilisierung des Selbstwertgefühls bei Patientinnen mit
oder dem Hausarzt „geschickt“. Ergebnisse einer Studie zur Anorexia nervosa vom restriktiven Typus (▶ Kap. 2).
11 Therapiemotivation zeigten beispielsweise, dass über 90 % Aufgrund dieser ambivalenten Motivationslage bei Pa-
der Patientinnen mit Bulimia nervosa freiwillig eine The- tientinnen mit Essstörungen ist es von zentraler Bedeutung,
12 rapie aufsuchten, während dies auf nur weniger als 20 % vor Beginn der Interventionen zur Verhaltensänderung im
der Patientinnen mit Anorexia nervosa zutraf (Bemis engeren Sinne die Änderungsmotivation der Patientinnen
1986). Hinzu kommt, dass auch diejenigen Patientinnen zu fördern. Aus diesem Grunde werden in diesem Kapitel
13 mit Anorexia nervosa, die ohne äußeren Druck eine Psy- Interventionsbausteine zur Motivationssteigerung darge-
chotherapie aufsuchen, zumeist nicht das niedrige Gewicht stellt, die sich zum einen auf die Psychoedukation der Pa-
14 beklagen, sondern eher die mit der Essstörung assoziierten tientinnen hinsichtlich eines gesunden Essverhaltens und
körperlichen und psychischen Folgeerscheinungen wie die bezüglich der Folgeerscheinungen von Essstörungen und
15 permanente Beschäftigung mit Essen, Konzentrations- und zum anderen auf das Abwägen von kurz- und langfristi-
Aufmerksamkeitsstörungen, mangelnde körperliche Leis- gen Konsequenzen der Essstörungssymptomatik beziehen
tungsfähigkeit oder depressive Symptome wie Antriebslo- (▶ Abschn. 7.3). Den theoretischen Rahmen hierfür stellt
16 sigkeit, Interessenverlust und sozialen Rückzug (Vitousek das Phasenmodell der Veränderung von Prochaska und
et al. 1998). Di Clemente (1984) dar, welches zunächst kurz beschrie-
17 Demgegenüber sind Patientinnen mit einer Bulimia ben und hinsichtlich seiner Relevanz für den Bereich der
nervosa meist stärker änderungsmotiviert, zumindest was Essstörungen dargestellt wird (▶ Abschn. 7.2). Anschlie-
die Aufgabe der Essanfälle betrifft, da der Leidensdruck in ßend wird auf volitionale Aspekte in der Behandlung der
18 diesem Bereich am größten ist. Hinsichtlich eines Verzichts Essstörungen eingegangen (▶ Abschn. 7.4).
auf die kompensatorischen Strategien wie selbstinduziertes
19 Erbrechen, Einnahme von Laxanzien oder exzessiven Sport
ist die Motivationslage jedoch oft ambivalent, da die Angst 7.2 Phasenmodell der Veränderung
20 vor einer Gewichtszunahme zumeist sehr stark ausgeprägt
ist (Dunn et al. 2003). Es wird angenommen, dass Pati- Um die Schwierigkeiten in der Behandlung von vor allem
entinnen mit Essanfällen, die auch bei Anorexia nervosa Suchterkrankungen zu erklären, wurde in zahlreichen Stu-
21 vom Binge-Eating/Purging-Typus auftreten, eine höhere dien der Einfluss von Therapiemotivation und Verände-
Motivation für eine Psychotherapie aufweisen als Patien- rungsbereitschaft überprüft. Aus den Ergebnissen wurde
22 tinnen mit einer vornehmlich restriktiven Symptomatik ein Modell entwickelt, welches die Phasen der Verände-
(z. B. Anorexia nervosa vom Restraint-Typus), da erstere rung und mögliche Schwierigkeiten beschreibt („Stages
7.2 • Phasenmodell der Veränderung
89 7

of Change Model“, Prochaska und Di Clemente 1984; genüber noch ein hohes Maß an Ambivalenz (Dunn et al.
Prochaska et al. 1992). Auch wenn einzelne Aspekte des 2003; Michalak et al. 2005). Bezogen auf den Bereich der
Modells in der Vergangenheit kritisiert wurden (Wilson Essstörungen könnte sich die Ambivalenz darin manifes-
und Schlam 2004), hat es sich sowohl im Forschungs- als tieren, dass eine Patientin zwar weiß, dass ein Problem
auch im Praxiskontext als stimulierend erwiesen und fin- vorliegt (z. B. selbstinduziertes Erbrechen mit all seinen
det mittlerweile in verschiedensten Bereichen von Therapie Konsequenzen), jedoch sie auch die Nachteile einer Verän-
und Beratung Anwendung. In der Psychotherapie wird es derung sieht wie z. B. eine antizipierte Gewichtszunahme
vor allem zur Beschreibung des Krankheits- und Thera- oder auch den Verlust einer vertrauten Strategie zur Bewäl-
pieverlaufes genutzt (ausführlichere Beschreibung Heiden- tigung negativer Gefühle.
reich und Hoyer 1999; Michalak et al. 2005) und bietet
Ansätze zur Optimierung von Therapieprozessen. Phase der Vorbereitung In diesem Stadium haben die Be-
Die Autoren des Modells, Prochaska und Di Clemente troffenen die Entscheidung für eine Veränderung bereits
(1984, 1992), definieren die folgenden 5 Stufen des Verän- getroffen, allerdings ist die Ambivalenz noch nicht voll-
derungsprozesses: ständig aufgelöst. In dieser Phase wird zumeist nicht sofort
der Psychotherapeut aufgrund der Essstörung direkt kon-
sultiert, sondern das Problem wird mit Freunden, Selbst-
Phasen der Veränderung (nach Prochaska
hilfegruppen oder dem Hausarzt besprochen (Michalak
und Di Clemente 1984)
et al. 2005).
1. Eingeschränktes Problembewusstsein („Precontem-
plation“)
Phase der Handlung In dieser Phase ändern die Pati-
2. Nachdenklichkeit („Contemplation“)
entinnen das Problemverhalten. Im Bereich der Essstö-
3. Handlungsvorbereitung („Preparation“)
rungsbehandlung könnte es sich hierbei z. B. um eine
4. Handlung („Action“)
Normalisierung des Essverhaltens im Rahmen von Ge-
5. Aufrechterhaltung („Maintenance“)
wichtssteigerungsprogrammen handeln. Wenig bedacht
wird oft, dass die meisten kognitiv-verhaltenstherapeuti-
schen Interventionen an einer Veränderung der Handlung
ansetzen und damit zumeist implizit davon ausgehen, dass
7.2.1 Beschreibung der einzelnen Phasen sich die Patientinnen bereits in der entsprechenden Phase
befinden (Michalak et al. 2005).
Die im vorangegangenen Kapitel genannten Phasen der
Veränderung gemäß dem transtheoretischen Modell der Phase der Aufrechterhaltung Auf die Handlungsphase folgt
Veränderung von Prochaska und Di Clemente (1984, 1992) das Stadium der Aufrechterhaltung der erzielten Verän-
sollen im Folgenden detaillierter beschrieben und auf den derungen. Die Aufrechterhaltung gestaltet sich oftmals
Kontext der Essstörungen übertragen werden: schwieriger als die Verhaltensänderung an sich (Dunn et al.
2003). Hierbei geht es einerseits um die Stabilisierung von
Phase des eingeschränkten Problembewusstseins In dieser im Rahmen der Therapie erzielten Veränderungen (z. B.
Phase besteht bei den Betroffenen keinerlei Veränderungs- Aufgabe des selbstinduzierten Erbrechens), andererseits
absicht. So könnte eine Patientin mit Anorexia Nervosa sollen Techniken zur Rückfallprophylaxe etabliert werden
das massive Untergewicht als nicht gravierend wahrneh- (Michalak et al. 2005). Interventionen, die der Aufrechter-
men, während hinsichtlich der auftretenden körperlichen haltung erzielter Therapieerfolge dienen, sind im Bereich
und psychischen Veränderungen (z. B. Haarausfall und der Essstörungen von besonderer Bedeutung, da es trotz
Konzentrationsschwierigkeiten) ein Problembewusstsein erfolgreichem Therapieabschluss bei vielen Patientinnen
vorliegt, diese Symptome jedoch nicht mit der Essstörung im Laufe der Zeit zu Rückfällen kommt.
in Verbindung gebracht werden. Therapeuten begegnen Personen mit Essstörungen können sich zu Therapie-
Patientinnen in diesem Stadium vor allem dann, wenn die beginn in jeder dieser Phasen befinden. Der Übergang
Betroffenen nicht aus Eigeninitiative in die Behandlung zwischen den einzelnen Phasen ist sequenziell, jedoch
kommen, sondern aufgrund des Drucks anderer Personen nicht immer linear. So kommt es oft vor, dass Patientin-
wie der Eltern oder des Hausarztes die Therapie aufsuchen nen, die sich bereits in einer späteren Phase (z. B. der
(Michalak et al. 2005). Handlung) befinden, wieder in eine frühere Phase (z. B.
der Nachdenklichkeit) zurückfallen (Treasure et al. 1999).
Phase der Nachdenklichkeit In dieser Phase wird seitens Es ist auch möglich, dass sich eine Patientin gleichzeitig in
der Patientinnen bereits über eine mögliche zukünftige verschiedenen Phasen befindet, je nachdem, welcher Pro-
Veränderung reflektiert, jedoch besteht einer solchen ge- blembereich beleuchtet wird: Eine Person ist beispielsweise
90 Kapitel 7 • Motivierung

in Bezug auf einen Abbau der Essanfälle hoch motiviert, Essstörung erfasst und nicht zwischen ihren unterschied-
1 während sie nicht bereit ist, auf die Gewichtskontrollstra- lichen Komponenten wie beispielsweise Essanfällen auf der
tegien wie exzessives Sporttreiben zu verzichten (Treasure einen und kompensatorischen Strategien auf der anderen
2 et al. 1999). Zur Überprüfung, in welcher Phase sich die Seite differenziert.
Betroffene zu Beginn der Behandlung hinsichtlich der Auch wird angenommen, dass es zu einer negativen
einzelnen Symptome der Essstörung befindet, eignet sich Beeinflussung des Therapieerfolges kommen kann, wenn
3 der Einsatz des Stages of Change Questionnaire for Eating die Phase, in der sich ein Patient befindet, und die einge-
Disorders (SOCQ-ED; von Brachel et al. 2012). setzten therapeutischen Interventionen nicht kompatibel
4 sind (Miller und Rollnick 1991; Prochaska et al. 1992).
Der empirische Beleg hierfür steht allerdings noch aus.
7.2.2 Empirische Befunde
5 und Implikationen
Es wird vermutet, dass ein Patient, der in der Phase des
eingeschränkten Problembewusstseins lokalisiert wird,
des Phasenmodells im Bereich kaum von Interventionen zur Verhaltensänderung profi-
6 der Essstörungsbehandlung tiert (Dunn et al. 2003). Hieraus wurde geschlossen, dass
es zu verbesserten Therapieergebnissen kommt, wenn der
7 In der Vergangenheit wurden verschiedene Studien durch- Therapeut bei der Auswahl der Interventionsmethoden die
geführt, um die Anwendbarkeit des Phasenmodells der Phase berücksichtigt, in der sich eine Patientin während
Veränderung auf den Bereich der Essstörungen zu beleuch- des Therapieprozesses befindet und die Methoden der Ver-
8 ten. So wurden beispielsweise Patientinnen zu Behand- änderung dieser Phase anpasst (Geller und Drab 1999).
lungsbeginn hinsichtlich ihrer Veränderungsbereitschaft Mögliche Interventionsmethoden zur Steigerung der
9 untersucht. Es zeigte sich, dass sich mehr als 80 % der Änderungsmotivation werden in ▶ Abschn. 7.4 dargestellt.
Patientinnen mit Bulimia nervosa in der Handlungsphase Im Einzelsetting kann mit den Übungen zur Motivierung
10 befanden, jedoch nur knapp über 40 % derjenigen mit An- direkt zu Beginn der Behandlung begonnen werden. Im
orexia nervosa (Blake et al. 1997). Andere Untersuchungen Gruppensetting sollten Übungen zur Motivationssteigerung
konnten allerdings dieses Ergebnis nicht bestätigen und erst im Anschluss an Interventionen zum Aufbau von Ver-
11 berichteten bei Bulimia Nervosa niedrigere Raten von Pa- trauen unter den Gruppenmitgliedern erfolgen (▶ Kap. 6).
tientinnen in der Handlungsphase (Treasure et al. 1999;
12 Martinez et al. 2007). Die diskrepanten Ergebnisse wurden
darauf zurückgeführt, dass sich die Änderungsmotivation 7.3 Interventionen zur Steigerung
je nach Symptombereich unterscheiden kann. So bezieht der Änderungsmotivation
13 sich bei dieser Patientengruppe eine hohe Änderungsmo-
tivation oft primär auf die Reduktion der Essanfälle, nicht Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation
14 aber auf die Aufgabe der Gewichtsreduktionsstrategien wie sind insbesondere dann einzusetzen, wenn sich eine Pati-
Erbrechen oder exzessives Sporttreiben (Dunn et al. 2003; entin in den Phasen des eingeschränkten Problembewusst-
15 Perkins et al. 2007). seins, der Nachdenklichkeit und Handlungsvorbereitung
Vor allem aber konnte bei Patientinnen mit Bulimia befindet. Zur Klärung von Handlungszielen und vorhan-
nervosa nachgewiesen werden (Treasure et al. 1999), dass denen Ambivalenzen werden im Folgenden die Therapie-
16 das Stadium, in dem sich die Patientin zu Therapiebe- bausteine „Psychoedukation“ im Hinblick auf eine gesunde
ginn befand, einen Einfluss auf das Behandlungsergebnis Ernährung und auf Folgeerscheinungen einer Essstörung
17 hatte: So zeigte sich bei Patientinnen in der Handlungs- sowie der Identifikation und der Abwägung von Vor- und
phase eine deutlichere Symptomreduktion hinsichtlich der Nachteilen der Essstörung beschrieben. Durch diese Inter-
Essanfälle als bei Patientinnen, die sich in der Phase der ventionen sollen die Patientinnen darin unterstützt wer-
18 Nachdenklichkeit befanden. Auch Franko (1997) konnte den, in die Phase der Handlung zu gelangen. Hierdurch
die Änderungsbereitschaft als Prädiktor für den Therapie- wiederum soll der Einsatz der weiteren Therapiebausteine
19 erfolg belegen, allerdings existieren auch Studien, deren in der Essstörungsbehandlung wie beispielsweise eine Nor-
Ergebnisse diesen Befunden entgegenstehen und keinen malisierung des Essverhaltens und des Körpergewichtes
20 Zusammenhang zwischen der Veränderungsbereitschaft (▶ Kap. 8–15) erleichtert und eine höhere Effektivität die-
gemäß dem Phasenmodell in der Therapieanfangsphase ser Elemente erzielt werden. Auch soll durch den Einsatz
und dem Behandlungsergebnis nachweisen konnten (Levy dieser Interventionen der bei Essstörungen erhöhten Rate
21 et al. 1998). Auch diese inkonsistenten Befunde werden vor von Behandlungsabbrüchen (Bandini et al. 2006) entge-
allem auf methodische Aspekte zurückgeführt (Geller et al. gengewirkt werden. In der folgenden Übersicht sind ent-
22 2001). Beispielsweise wurde in der Studie von Treasure sprechende Übungen sowie notwendige Arbeitsmaterialien
et al. (1999) die Motivation zur Aufgabe der „gesamten“ dargestellt.
7.3 • Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation
91 7

Dazu können die Patientinnen befragt werden, ob sie


Maßnahmen und Unterlagen

--
körperliche Beschwerden haben, welche möglicherweise
Übungen
mit der Essstörung in Zusammenhang stehen könnten.
Körperliche Folgen der Essstörung

-
Diese sollten am besten auf einem Flipchart gesammelt
Freund und Feind
werden. Nach Auflistung der körperlichen Beschwerden
Waage zur Symbolisierung der Ambivalenz

--
sollte zudem nach seelischen Folgen der Essstörung ge-
Arbeitsmaterial
fragt werden und die Liste auf dem Flipchart um diese
Flipchart, Stifte
Folge- bzw. Begleiterscheinungen ergänzt werden. Damit
Infobroschüre Ernährung
sich die Patientinnen im Anschluss an diese Übung noch
(▶ http://extras.springer.com)

-
intensiver mit den Folgeerscheinungen der Essstörung
Arbeitsblätter
auseinandersetzen, werden sie gebeten, in einer Grup-
Auswirkungen von Essstörungen auf den Körper

--
penübung einen menschlichen Körper zu skizzieren und
(▶ Arbeitsblatt 7.1/7.1B)
durch Pfeile an den entsprechenden Stellen einzuzeich-
Briefe an die Essstörung (▶ Arbeitsblatt 7.2/7.2B)
nen, welche Körperbereiche bzw. Organsysteme durch
Die Waage (▶ Arbeitsblatt 7.3/7.3B)
die Essstörung betroffen sind. Falls nicht genügend Zeit
vorhanden ist, kann diese Übung auch von jeder Patientin
individuell als Hausaufgabe bearbeitet werden. Alternativ
kann das Arbeitsblatt 7.1 genutzt werden, auf dem ein
7.3.1 Psychoedukation Körperumriss mit entsprechenden Organen eingezeich-
net ist. Auf diesem sollten die Patientinnen dann ihre
Ernährung Patientinnen mit Essstörungen haben oft ein individuellen Beschwerden eintragen. Das so entstan-
ausgeprägtes Interesse an dem Thema Ernährung; insbe- dene Bild sollen die Patientinnen gut aufbewahren, um
sondere sind sie zumeist gut über den Kaloriengehalt be- es in Zeiten geringer Änderungsmotivation nochmals zu
stimmter Nahrungsmittel informiert. Neben dem Wissen betrachten und sich die mit der Essstörung assoziierten
über objektive Fakten besteht bei den Betroffenen jedoch Einschränkungen und Probleme nochmals bewusst zu
oft auch ein dysfunktionales, von Halbwahrheiten domi- machen. Nachdem die Patientinnen die somatischen und
niertes Laienwissen zu diesem Thema. Meist haben die Pa- psychischen Folgeerscheinungen herausgearbeitet haben,
tientinnen es verlernt, einzuschätzen, wie eine „normale“ sollte der Therapeut sie bitten, hieraus Konsequenzen für
Mahlzeit qualitativ und quantitativ aussieht. Aus diesem sich abzuleiten. Im Folgenden ist ein Dialogbeispiel zu
Grunde ist es wichtig, den Patientinnen diesbezügliche dieser Intervention abgedruckt.
Informationen zu liefern (Vitousek et al. 1998).
Für Patientinnen findet sich eine Informationsbro- Therapiegespräch
schüre online http://extras.springer.com. Die Ernährungs- Therapeut: – „Sie haben nun in dieser Collage einen Körper dargestellt
broschüre sollte den Patientinnen ausgehändigt werden, so und durch Pfeile verdeutlicht, welche Organsysteme durch die Ess-
störung betroffen sein könnten. Allerdings treten bei einer Patientin
dass sie diese zu Hause durcharbeiten können. Die hierauf
nicht immer alle diese Folgeerscheinungen zwangsläufig auf, son-
basierenden später im Therapieverlauf einzuleitenden kon- dern es gibt starke interindividuelle Unterschiede. Auch zeigen sich
kreten Schritte zur Veränderung des Essverhaltens werden einige dieser Symptome erst nach einer längeren Erkrankungsdauer.
im Rahmen des Therapiebausteins „Ernährungsmanage- Ein Teil dieser Folgeerkrankungen ist an sich aus medizinischer Sicht
ment“ (▶ Kap. 9) ausführlich beschrieben. nicht bedenklich (z. B. die brüchigen Nägel), andere hingegen können
lebensbedrohlich sein und zum Tode führen wie beispielsweise die
Elektrolytstörungen. Glücklicherweise ist ein Großteil dieser Folgen
Folgeerscheinungen einer Essstörung Ebenfalls von ho- (z. B. die trockene Haut) auf Dauer wieder rückgängig zu machen,
her Relevanz ist die Aufklärung der Patientinnen über vorausgesetzt, es gelingt der betreffenden Person, das Essverhalten
die Folgeerscheinungen einer Essstörung – bedingt wieder zu normalisieren. Andere Bereiche jedoch können dauerhafte
durch Mangelernährung, Essanfälle und die kompensa- Schädigungen davontragen, so kann Kalziummangel langfristig die
Knochen schädigen und zu Osteoporose führen. Wenn Sie sich nun
torischen Strategien. Vitousek et al. (1998) weisen darauf
einmal diese Collage mit den verschiedenen Folgeerscheinungen ei-
hin, dass dies jedoch nicht auf eine extrem „belehrende ner Essstörung anschauen: Wie fühlen Sie sich dabei? Was geht Ihnen
und angstinduzierende“ Art und Weise geschehen sollte, durch den Kopf?“
da hierdurch oft das Gegenteil erreicht wird und es zu Frau S.: – „Irgendwie ist das schon erschreckend, wozu die Essstörung
Verleugnung der Folgen und Vermeidung der Auseinan- führen kann. Ich wusste gar nicht, dass sich meine Magersucht auch auf
dersetzung mit möglichen medizinischen Konsequenzen das Gehirn auswirken kann, das finde ich schon etwas bedrohlich. Auch
kommen kann. Es erscheint also sinnvoll, die Patien- war ich mir gar nicht so darüber im Klaren, dass die Tatsache, dass ich
immer so friere, mit meiner Ernährung zusammenhängt. Aber anderer-
tinnen die somatischen und psychischen Folgeerschei- seits denke ich auch, dass das bei mir sicherlich anders ist, irgendwie
nungen der Essstörung selbst herausarbeiten zu lassen. fällt es mir total schwer, das alles auf mich persönlich zu beziehen. Ich
92 Kapitel 7 • Motivierung

kann mir gar nicht vorstellen, dass ich eines Tages Herzrhythmusstö- Du erfüllst mich in diesem Moment, alles um mich herum ver-
1 rungen haben könnte; ich glaube, dass ich das einigermaßen gut ver- schwindet, nichts zählt mehr, außer Essen. Durch dich fühle
drängen kann.“
ich mich unabhängig, ich brauche niemanden. Du machst
2 Therapeut: – „Wenn Sie diese Collage nun noch einmal auf sich wirken
lassen: Welche Schlüsse ziehen Sie hieraus für sich?“
mich stark, wenn ich down bin. Dank Dir brauche ich keine
Angst zu haben, dick zu werden, ich kann das Essen ganz ein-
Frau M.: – „Ich weiß nicht, ich muss noch einmal ganz in Ruhe darüber
fach wieder ausbrechen. Durch dich bin ich etwas Besonderes.
3 nachdenken. Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht gedacht, dass die Bulimie
so schlimme Folgen haben kann. So ganz kann ich das immer noch Vielen Dank, dass es Dich gibt!
nicht glauben. Aber trotzdem sehe ich das Ganze jetzt in einem etwas Deine E
4 anderen Licht.“

Die Herausarbeitung der positiven Seiten der Essstörung


5 Eine Auflistung der körperlichen Folgeerscheinungen fällt den Patientinnen zumeist schwer, da die Vorteile der
findet sich in der bereits oben erwähnten Patientenbro- Essstörung als wenig sozial erwünscht angesehen werden.
schüre (▶ http://extras.springer.com). Für Therapeuten Deshalb sollte der Therapeut die Patientin ermutigen und
6 sind ausführliche Informationen über medizinische Kom- sie bei der Entdeckung möglicher für sie aus der Essstö-
plikationen und Beschwerden in ▶ Kap. 1 dieses Buches rung resultierender Vorteile unterstützen.
7 enthalten. Detaillierte und auch für den Laien verständli- Im ersten Brief werden die Funktionen der Essstörung
che Beschreibungen von körperlichen bzw. medizinischen sehr deutlich. Zum einen wird die Patientin durch die Ess-
Folgeerscheinungen einer Essstörung finden sich darüber störung von den Problemen abgelenkt; zum anderen macht
8 hinaus in den Therapiemanualen von Jacobi et al. (2008), die Essstörung sie zu etwas Besonderem und erlaubt es ihr,
Tuschen-Caffier und Florin (2010) sowie dem Patienten- ein niedriges Körpergewicht zu halten. Die Würdigung
9 ratgeber von Gerlinghoff et al. (1999). Es empfiehlt sich, der – meist nur kurzfristigen – Vorteile der Essstörung
bei der Erläuterung der medizinischen Folgeerscheinun- ist insofern wichtig, als die Patientinnen hierdurch erfah-
10 gen keine Informationen vorzuenthalten. So sollten Details ren, dass ihr Verhalten nicht „verrückt“, sondern durchaus
wie die Reversibilität der meisten der somatischen Folgeer- nachvollziehbar ist und subjektiv sinnvoll ist, insbesondere
scheinungen nach Normalisierung des Essverhaltens nicht wenn man sich vergegenwärtigt, dass es generell vor allem
11 zur Abschreckung verschwiegen werden, sondern genutzt die kurzfristigen positiven Konsequenzen einer Handlung
werden, um die Patientinnen weiter zu motivieren und sind, die das Verhalten steuern.
12 ihnen zu verdeutlichen, dass es noch nicht zu spät ist (Vi- Der zweite Brief widmet sich den Schattenseiten und
tousek et al. 1998). soll die Essstörung als „Feindin“ beschreiben. Der Brief
sollte so formuliert werden, dass deutlich wird, welche Le-
13 bensbereiche von der Essstörung beeinträchtigt werden.
7.3.2 Abwägen der Vor- und Nachteile Ein solcher Brief könnte beispielsweise so lauten:
14 der Essstörung
Beispiel zweiter Brief an die Essstörung
15 Unter Berücksichtigung der in ▶ Abschn. 7.3.1 dargestell- Du Essstörung,
ten Herausarbeitung der negativen Folgeerscheinungen ei- ich wollte dir schon lange einmal sagen, was ich an Dir
ner Essstörung sollen die Patientinnen nun dazu angeleitet hasse. Du hinderst mich daran, ein erfülltes Leben zu führen.
16 werden, die Vor- und Nachteile der Essstörung zu identifi- Ständig lauerst Du darauf, dass ich Dich sättige, ich kann
zieren, und diese in einem späteren Schritt gegeneinander mich auf nichts mehr richtig konzentrieren, in der Schule
17 abwägen. Hierbei können die Patientinnen zunächst ge- werde ich immer schlechter und ich gehe kaum noch mit
beten werden, zwei Briefe an die Essstörung zu verfassen. meinen Freunden aus. Wenn ich alleine zu Hause bin, fühle
Im ersten Brief sollen sie die Essstörung als „Freund“ bzw.
18 als „Krücke“ anreden, um auf diese Weise den positiven
ich mich wie ein gefangener Tiger, der in seinem Käfig um-
herschleicht auf der Suche nach was zu essen. Ich kann an
Aspekten der Essstörung auf die Spur zu kommen. Der nichts anderes mehr denken als an Essen und das kotzt mich
19 Brief an die Essstörung als „Freund“ könnte beispielsweise im wahrsten Sinne des Wortes an. Ich wünschte, ich wäre
wie folgt lauten: Dir nie auf den Leim gegangen. Ich habe Dir meine Seele
20 verkauft und dafür vielleicht oberflächlich einen schlanken
Beispiel Brief an die Essstörung Körper bekommen, aber was nutzt er mir, wenn ich mich
Liebe Essstörung, doch im Spiegel nicht betrachten kann, weil ich mich stän-
21 ich wollte dir danken, dass du immer für mich da bist, wenn dig zu dick fühle, ich mich vor meinem Körper ekle und die
ich mich einsam und alleine fühle. Wenn sich keiner um mich Waage mein Gefängniswärter ist. Ich hasse Dich dafür, dass
22 kümmert, dann brauche ich nur den Kühlschrank zu öffnen Du mir meine Lebensfreude nimmst und mich so verändert
und all die schönen Dinge zu essen, die ich mir sonst verbiete. hast. Dass ich nicht mehr aus dem Tiefsten heraus lachen
7.3 • Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation
93 7

kann und mir so viele Dinge egal geworden sind. Ich will stärkend wirkt. So führt beispielsweise selbstinduziertes
mein Leben zurück! Erbrechen bei einer Patientin kurzfristig zur Verminde-
Deine E. rung der Angst vor einer Gewichtszunahme, langfristig
jedoch kann es Speiseröhrenschädigungen oder aber ei-
Der zweite Brief spiegelt den starken Leidensdruck der nen zunehmenden Selbsthass der Patientinnen nach sich
Patientin wider. Es werden verschiedene negative Folge- ziehen. Ebenso kann das Fasten kurzfristig das Gefühl der
erscheinungen der Essstörung wie Konzentrationsschwie- Stärke bei den Patientinnen auslösen, langfristig fördert
rigkeiten, Unruhe und Anspannung, Reizbarkeit, eine zu- es jedoch möglicherweise eine permanente gedankliche
nehmende soziale Isolation und die Ablehnung des eigenen Fixierung auf das Thema Essen, eine soziale Isolation und
Körpers genannt. depressive Stimmungslage. Im Rahmen der Waage-Übung
Den Patientinnen kann für diese Übung Arbeitsblatt 7.2 sollte beachtet werden, dass die Vor- und Nachteile einer
„Briefe an die Essstörung“ (▶ http://extras.springer.com) Essstörung nicht unbedingt widerspruchsfrei sind: So
ausgeteilt werden. In Arbeitsblatt 7.2B . Abb. 7.2 sind die kann eine Patientin auf der einen Seite schreiben, dass sie
beiden Beispielbriefe für die Patientinnen dargestellt. so dünn sein möchte, um von anderen Anerkennung und
In einem nächsten Schritt soll die Patientin nun die Aufmerksamkeit zu erhalten, oder glaubt, endlich glücklich
positiven und negativen Konsequenzen der Essstörung ge- zu sein, wenn sie nur abgenommen hat. Auf der anderen
geneinander abwägen (Wilson und Pike 1993). Hierzu wird Seite kann sie es leid sein, dass alle sie anstarren (Vitousek
das Arbeitsblatt 7.3 „Die Waage“ (▶ http://extras.springer. et al. 1998). Der Therapeut kann die widersprüchlichen
com) herangezogen. Auf diesem Arbeitsblatt ist eine Waage Aspekte gegenüberstellen und die Patientin bitten, diese zu
dargestellt, deren zwei Waagschalen die beiden Seiten der erläutern. Das dient dazu, der Patientin ihre ambivalenten
Essstörung symbolisieren: Die eine Waagschale steht für Ziele zu verdeutlichen.
die positiven Seiten der Essstörung („Krücke“), während Auch sollte berücksichtigt werden, dass nicht alle sei-
die andere Seite die negativen Konsequenzen („Hindernis“) tens der Patientinnen gelieferten Argumente zutreffend
abbildet (. Abb. 7.3 Arbeitsblatt 7.3B). sein müssen – allerdings geht es bei dieser Intervention
Um der Ambivalenz der Patientinnen in Bezug auf die zunächst einmal um die subjektive Einschätzung der Pati-
Essstörung Rechnung zu tragen, sollen die Patientinnen entin, da diese für die Motivation zur weiteren Teilnahme
auf dem Arbeitsblatt notieren, welche Vor- und welche an der Therapie entscheidend ist und nicht deren Reali-
Nachteile die Essstörung hat. Bei der Erarbeitung der Pro- tätsgehalt (Vitousek et al. 1998). Es kann kritisch hinter-
kontra-Liste kann auf verschiedene Aspekte der Essstörung fragt werden, inwiefern die Argumente, welche die Pati-
wie beispielsweise das Auslassen von Mahlzeiten, Essan- entin geliefert hat, auch tatsächlich zutreffend sind. Wenn
fälle, Erbrechen, exzessiver Sport oder tägliches Wiegen eine Patientin beispielsweise benennt, dass sie durch die
eingegangen werden. Die Nachteile der Essstörung kön- Anorexia nervosa ein Gefühl der Kontrolle behalte, kann
nen gut aus der vorherigen Übung zur Visualisierung der der Therapeut die Frage aufwerfen, wer wen kontrolliere.
Folgeerscheinungen (Körperzeichnung in ▶ Abschn. 7.3.1) „Glauben Sie, dass Sie die Essstörung kontrollieren, oder
einer Essstörung sowie des Briefes an den „Feind“ erschlos- könnte es auch sein, dass die Essstörung Sie unter Kont-
sen werden, ergänzt durch weitere persönliche Beobach- rolle hat?“
tungen der Patientinnen. Als schwieriger erweist sich oft Wenn nun alle Pro- und Kontraargumente bezüglich
die Herausarbeitung der Vorteile einer Essstörung, da diese der Essstörung herausgearbeitet wurden, sollten die Pati-
den Patientinnen zumeist nicht bewusst sind oder aber von entinnen gebeten werden, einzuschätzen, als wie gewichtig
den Patientinnen nicht ausgesprochen werden, da sie be- sie die verschiedenen Argumente bewerten. Dies können
fürchten, dass diese für den Therapeuten nicht akzeptabel sie anhand einer Skala verdeutlichen, z. B. indem sie eine
sind. Aber gerade das Bewusstmachen der Vorteile der Zahl zwischen 0 und 100 angeben. Eine mathematische
Essstörung bzw. der Ziele und Sehnsüchte, die durch die Addition dieser Zahlen ist sicherlich nicht sinnvoll, da die
Essstörung erreicht bzw. erfüllt werden sollten, und deren unterschiedlichen Argumente oft nicht unabhängig von-
Hinterfragung erscheint wichtig, um die Basis der Ambiva- einander sind (Vitousek et al. 1998). Daher sollten beide
lenz der Patientinnen im Hinblick auf eine „Aufgabe“ der Seiten als „Gesamtpaket“ bewertet werden. Bei der Bespre-
Essstörungssymptomatik für die Patientin, aber auch für chung dieser Liste sollte der Therapeut den Patientinnen zu
den Therapeuten offen zu legen. Dies ist notwendig, um der Erkenntnis verhelfen, dass es nicht möglich ist, selektiv
eine Änderungsentscheidung überhaupt treffen zu können. einige Nachteile auf der einen Seite zu eliminieren: Eine
Im Rahmen der Herausarbeitung der Vor- und Nach- Patientin hat möglicherweise die Vorstellung, dass es doch
teile einer Essstörung soll zwischen kurz- und langfristigen noch einen „perfekten Weg“ gibt, nämlich beispielsweise
Folgen differenziert werden. Hierbei wird den Patientinnen eine Aufgabe des Fastens und somit der Abbau der perma-
oft klar, dass die Essstörung insbesondere kurzfristig ver- nenten gedanklichen Beschäftigung mit dem Thema Essen,
94 Kapitel 7 • Motivierung

ohne jedoch die Möglichkeit einer Gewichtszunahme in Insgesamt bleibt anzumerken, dass es auch dann, wenn
1 Kauf nehmen zu müssen. Oder eine Patientin mit Anorexia zu Beginn der Therapie Interventionen zur Motivierung
nervosa gibt an, in Zukunft ihre depressive Stimmungslage eingesetzt wurden, im weiteren Verlauf erneut zu Motiva-
2 und ihre Konzentrationsstörungen loswerden zu wollen, tionsproblemen kommen kann. Daher ist es wichtig, auch
dies aber nur unter der Voraussetzung, dass das Unterge- in späteren Therapiephasen die Bereitschaft der Patientin-
wicht beibehalten wird. Der Therapeut soll hierbei darstel- nen zur Aufgabe der Essstörungssymptomatik im Auge zu
3 len, dass es weder in seiner noch in der Macht der Patientin behalten und ggf. einige der beschriebenen Interventionen
liegt, dieses Gesamtpaket zu „entschnüren“. zu wiederholen.
4 Bei einer solchen Kosten-Nutzen-Abwägung besteht
selbstverständlich auch immer die Möglichkeit, dass die
7.4 Volition: Die Aufrechterhaltung
5 Patientin sich für die Essstörung entscheidet. In diesem
von Absichten
Fall schlagen Vitousek et al. (1998) vor, die folgende Frage
an die Patientin zu richten: „Wenn es mit der Essstörung
6 so gut funktioniert, wie würden Sie reagieren, wenn Ihre Eine weitere Schwierigkeit für Patientinnen mit Essstörung
Tochter sich ebenso für eine Essstörung entscheiden kann in der Aufrechterhaltung von Absichten bestehen:
7 würde?“. Darüber hinaus kann der Therapeut die Patien- Durch vielfache Fehlversuche (z. B. abgebrochene Diäten
tin bitten, einmal in die Zukunft zu schauen und sich zu oder vergebliche Versuche, aus dem bulimischen Ess-
fragen: „Auch wenn es im Moment in Ordnung ist, mit der Brech-Teufelskreis auszusteigen) erleben sie ihre Selbstre-
8 Essstörung zu leben, wie sähe es für Sie in fünf oder zehn gulationsfähigkeiten oft als defizitär. Nicht selten übersteht
Jahren aus?“ (Garner und Bemis 1982). In vielen Fällen ein zuvor gefasster Entschluss wie beispielsweise eine Ge-
9 kann dieser Perspektivwechsel bzw. diese Zeitprojektion wichtszunahme bei einer Patientin mit Anorexia nervosa
zu einer kritischeren Haltung gegenüber der Essstörung die folgenden 24 h nicht.
10 und ihren Konsequenzen führen. Zur Erklärung dieser Schwierigkeiten in der Aufrecht-
Die Herausarbeitung der positiven Aspekte bzw. der erhaltung von Absichten und zu möglichen therapeuti-
Funktionalitäten einer Essstörung dient nicht nur der Mo- schen Interventionsansätzen kann man sich die Theorie der
11 tivierung, sondern liefert auch Hinweise für die Schwer- Handlungskontrolle zunutze machen (Kuhl 2001). Im Rah-
punktsetzung beim Einsatz weiterer Therapiebausteine. men dieser Erklärungsversuche werden zwei unterschied-
12 Wenn im Rahmen der Therapie die Essstörungssymp- liche Modi beschrieben: die Lageorientierung, welche vor
tomatik abgebaut werden kann, wird diese zwangsläufig allem eine Einschränkung der Selbstregulation darstellt,
zunächst einmal eine „Lücke“ hinterlassen. Daher sollte und die Handlungsorientierung, welche die Umsetzung
13 in der Behandlung versucht werden, diese Lücke durch von einmal gefassten Absichten erleichtert (Kuhl 2001).
andere, funktionalere Bewältigungsstrategien zu füllen. So beschreibt Kuhl (1994, 2001) die mit einer einge-
14 Wenn beispielsweise die Essanfälle eine emotionsregulie- schränkten oder lageorientierten Handlungsregulation
rende Funktion besitzen, sollte dies durch die Erarbeitung verbundenen kognitiv-affektiven Prozesse als intrusive
15 von „nebenwirkungsärmeren“ Techniken zum Umgang Gedanken und Vorstellungen (z. B. von bestimmten Le-
mit Gefühlen geschehen (▶ Kap. 11). Den Patientinnen bensmitteln) und gedankliche Fixierungen (etwa auf als
soll in diesem Zusammenhang klargemacht werden, dass unschön empfundene Körperstellen) welche Ressourcen
16 ggf. im Laufe der Therapie eine Durststrecke auftreten blockieren und so handlungshemmend wirken. Dabei wer-
wird: So wird mit den Patientinnen an einer Aufgabe der den Entscheidungen beispielsweise für eine „verbotene“
17 Essstörungssymptomatik gearbeitet, während noch keine ausreichende Mahlzeit statt der „erlaubten“ niederkalori-
neuen Kompetenzen zum „stopfen“ dieser Lücke erworben schen Nahrungsmittel durch Unentschlossenheit und lang-
wurden. Es wird kontrovers diskutiert, inwieweit es erfor- wieriges Abwägen erschwert. Zudem kann die Lageorien-
18 derlich und möglich ist, den Patientinnen diese neuen, tierung mit schneller Ablenkbarkeit und Unbeständigkeit
funktionaleren Strategien (z. B. zur Emotionsregulation bei der Ausführung von Tätigkeiten einhergehen und zum
19 und Selbstwertsteigerung) an die Hand zu geben, bevor vorzeitigen Abbruch etwa von Übungen zur Erkundung
an einer Aufgabe der Essstörungssymptomatik gearbeitet positiv bewerteter Aspekte des eigenen Körpers führen
20 wird (Thompson und Sherman 1989; Herzog et al. 1987). (ausführlicher bei Kosfelder 2000).
Auch wenn diese Reihenfolge sicherlich wünschenswert Demgegenüber wäre nach Kuhl (1994, 2001) ein hand-
wäre, stellt sich die Frage, ob es tatsächlich realistisch ist, lungsorientierter Selbstregulationsmodus wünschenswert
21 mit einer Patientin, während sich diese inmitten des Teu- für therapeutische Fortschritte. Darin gelingt die Überwin-
felskreises einer Essstörung befindet, erfolgreich an einer dung lageorientierten Grübelns, vor allem auch nach Rück-
22 Steigerung des Selbstwertes oder der sozialen Kompeten- schlägen und Misserfolgen, durch ein zügiges Entscheiden
zen zu arbeiten (Vitousek et al. 1998). und Initiative auch für unangenehme Aufgaben, wie sie
7.6 • Arbeitsblätter
95 7

gerade auch therapeutische Übungen anfangs bedeuten hinsichtlich der Folgeerscheinungen eines gestörten
können sowie durch eine konzentrierte Durchführung Essverhaltens sowie durch das Abwägen der kurz-
angenehmer oder (therapie)bedeutsamer Tätigkeiten ohne und langfristigen negativen, aber auch positiven
Ablenkung.
Während die Bedeutung der beschriebenen volitio-
nalen Prozesse der Handlungsregulation für ein Spekt-
rum verschiedener Störungsbilder nachgewiesen werden
- Folgen einer Essstörung.
Auch für „motivierte“ Patientinnen kann es schwierig
sein, ihre Therapieziele zu verfolgen und Verhal-
tensänderungen aufrecht zu erhalten. Volitionale
konnte (Hautzinger 1994; Übersicht bei Kosfelder und Prozesse, die dabei hilfreich sind, lassen sich thera-
Hartung 2005), liegen derzeit nur explorative Arbeiten im peutisch durch ein ressourcenorientiertes Vorgehen
Bereich der Störungen des Essverhaltens vor (bei Adiposi- unterstützen, sind im Bereich der Essstörungen aber
tas: de Jong-Meyer et al. 1999). Eine positive Assoziation noch kaum untersucht.
eines Anstiegs von Handlungsorientierung mit dem Be-
handlungserfolg, wie sie im Kontext depressiver Störungen
und Angststörungen regelhaft nachgewiesen wird, kann 7.6 Arbeitsblätter
aber auch hier angenommen werden.
Wie aber kann eine lageorientierte Hemmung über-
- Arbeitsblatt 7.1B Auswirkungen von Essstörungen
wunden werden, und wie lassen sich handlungsorientierte
Selbstregulationsprozesse auch therapeutisch anregen?
- auf den Körper (. Abb. 7.1)
Arbeitsblatt 7.2B Briefe an die Essstörung
Mittlerweile existieren erste, recht heterogene Versuche
hierzu in verschiedenen Kontexten (psychosomatische
Rehabilitation: Forstmeier und Rüddel 2002; Management
und Führung: Kehr 2004; Psychotherapie von Angststö-
- (. Abb. 7.2)
Arbeitsblatt 7.3B Die Waage (. Abb. 7.3)

rungen: Kosfelder 2000). Dabei greifen sie zum einen auf


Operationalisierungen sog. Handlungskontrollstrategien
Kuhls (1987a, 1987b; Hartung 1990; Kosfelder 2000) zu-
rück, wie beispielsweise aktive Lenkung der Aufmerksam-
keit, Emotions- oder Erregungskontrolle oder sparsame,
handlungsdienliche Informationsverarbeitung. Anderer-
seits wird vor allem in neueren Arbeiten (Kuhl 2001) die
Bedeutung positiver Affekte hervorgehoben (Kosfelder
2000), was im therapeutischen Rahmen durch eine ver-
mehrt ziel- und ressourcenorientierte Gestaltung der Be-
handlung erreicht werden kann (Willutzki 2009; Willutzki
und Koban 2004 ▶ Kap. 14). Beide Perspektiven könnten
sich auch im Bereich der Essstörungen als nützlich erwei-
sen; eine empirische Bewährung steht aber noch aus.

7.5 Zusammenfassung

- In der Therapie der Essstörungen stellen Motivati-


onsprobleme seitens der Patientinnen eine sehr große

- Herausforderung für den Therapeuten dar.


Die verschiedenen Phasen der Motivation zur Verän-
derung können eingeteilt werden in
1. eingeschränktes Problembewusstsein,
2. Nachdenklichkeit,
3. Handlungsvorbereitung,
4. Handlung und

- 5. Aufrechterhaltung.
Bevor eine Patientin zu Verhaltensänderungen
(Phase 4) angeleitet wird, sollte die Änderungsmoti-
vation gefördert werden, z. B. durch Psychoedukation
96 Kapitel 7 • Motivierung

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 7.1 | Auswirkungen von Essstörungen auf den Körper | Seite 1


2
3 Auswirkungen von Essstörungen auf den Körper
Bitte schreiben Sie an die entsprechenden Stellen in der Skizze, welche körperlichen Folgeerscheinungen der Essstörung
4 Sie spüren können/Ihnen bekannt sind.

5
6
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8
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 7.1 Arbeitsblatt 7.1B Auswirkungen von Essstörungen auf den Körper
7.3 • Interventionen zur Steigerung der Änderungsmotivation
97 7

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 7.2 | Briefe an die Essstörung | Seite 1

Briefe an die Essstörung: „Krücke“ und/oder „Hindernis“?


Bitte versuchen Sie, einmal die positiven Dinge, die Sie mit Ihrer Essstörung verbinden, zu betrachten und Ihrer Essstö-
rung als „Freundin“ einen Dankesbrief zu schreiben. Betrachten Sie auch die negativen Folgen und Hindernisse, die durch
Ihre Essstörung entstanden sind. Schreiben Sie Ihrer Essstörung einen Brief, in dem Sie Ihrer „Feindin“ offen die Meinung
sagen.

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© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 7.2 Arbeitsblatt 7.2B Briefe an die Essstörung


98 Kapitel 7 • Motivierung

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 7.3 | Die Waage | Seite 1


2
3 „Die Waage“
Bitte tragen Sie in die Tabelle ein, welche positiven kurz- und langfristigen Folgen der Essstörung Sie sehen/erwarten und
4 inwiefern negative kurz- und langfristige Folgen auftreten/auftreten könnten.
Beurteilen Sie die einzelnen Punkte in Ihrer Wichtigkeit auf einer Skala von 0 bis 100. Wenn Sie alles ausgefüllt haben,

5 überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Therapeuten unter Betrachtung aller Punkte, in welche Richtung die Waage für Sie
ausschlägt. Wenn möglich, beziffern Sie für jede Waagschale ein Gewicht.

6 Positiv kurzfristig: W Negativ kurzfristig: W

7 .DQQ*HZLFKWKDOWHQ  6FKOHFKWH.RQ]HQWUDWLRQPLULVWLPPHU 
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8 *LEWPLU.UDIWXQG6WlUNH  6WlQGLJPLW(VVHQEHVFKlIWLJW 

9 %LQHWZDV%HVRQGHUHV  =LHKHPLFK]XUFN 

10
Positiv langfristig: W Negativ langfristig: W
11
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12
$OOHVGUHKWVLFKQXUXPGLH(VVVW|UXQJ 
13
14 (UUHLFKHPHLQH/HEHQV]LHOHQLFKW 

15
16 W= Wichtigkeit (von 1 bis 100)

17
18
19
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 7.3 Arbeitsblatt 7.3B Die Waage


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101 8

Vermittlung eines individuellen


Störungsmodells und
Ableitung der Therapieziele
T. Legenbauer, S. Vocks

8.1 Einleitung – 102


8.2 Erarbeiten des individuellen Störungsmodells – 102
8.2.1 Prädisponierende Faktoren – 103
8.2.2 Makroanalyse der auslösenden Bedingungen – 107
8.2.3 Aufrechterhaltende Bedingungen – 108

8.3 Ableitung der Therapieziele und


therapeutischen Interventionen – 109
8.4 Zusammenfassung – 110
8.5 Arbeitsblätter – 111
Literatur – 117

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
102 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

1
2
-
Ziel
Aufbau eines Verständnisses der individuellen prädis-
ponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden
Bedingungen der Essstörung
stellungen herauszuarbeiten, die auch für die Entstehung
der Essstörung Relevanz gehabt haben könnten. Dieses
Vorgehen bietet eine gute Basis, um weitere relevante Fak-
toren in der Entstehung der Essstörung wie den Einfluss
von Peers sowie biologische und individuelle Faktoren zu
3
4
-
Vorgehen
Erarbeiten eines Genogramms für die einzelnen
Teilnehmer, Besprechen des Genogramms durch
Sammeln allgemeiner impliziter Regeln und Ableiten
identifizieren. Sind die Ursachen der Essstörung transpa-
rent und für die Patientin verständlich, werden die aus-
lösenden Bedingungen fokussiert. Abschließend werden
anhand des Arbeitsblattes zum integrativen Modell der
des Zusammenhangs zu heutigen Einstellungen und Entstehung und Aufrechterhaltung der Essstörung die auf-
5
- Verhaltensweisen
Besprechen der soziokulturellen Einflüsse auf die
rechterhaltenden Aspekte besprochen. Hier ist es wichtig,
dass der Therapeut Hypothesen über die möglichen funk-

6
- Entstehung der Essstörung
Erläutern möglicher individueller und biologischer
tionalen Aspekte der Essstörung bildet und diese mit der
Patientin bespricht.

7 - Einflüsse anhand des Störungsmodells


Herausarbeiten der Auslösefaktoren für einzelne

- Essanfälle 8.2 Erarbeiten des individuellen


Identifikation der die Essstörung aufrechterhaltenden Störungsmodells
8 Bedingungen
Die meisten Patientinnen haben nur wenig konkrete Vor-
9 stellungen darüber, warum sie eine Essstörung entwickelt
8.1 Einleitung haben. Dies ist ein wichtiger Ansatzpunkt in der Therapie,
10 da erst durch das Verstehen der verschiedenen Faktoren,
Ein zentraler Baustein einer jeden kognitiv-behavioralen die zur Entwicklung der Essstörung beigetragen haben,
Therapie ist die Erarbeitung eines individuellen Störungs- auch Bewältigungsmöglichkeiten leichter eruierbar sind.
11 modells (Waller und Kennerley 2003), aus welchem das Daher ist die Vermittlung eines schlüssigen Störungsmo-
Behandlungsrational abgeleitet wird. Dazu sind zwei dells maßgeblich, um Patientinnen Wege für eine Verän-
12 Dinge notwendig: Zum einen sollte eine breit angelegte derung aufzuzeigen (▶ Kap. 7).
Informationssammlung erfolgen, um die individuellen Als Einstieg werden Informationen über mögliche
prädisponierenden Faktoren herauszuarbeiten, die bei Faktoren, die bei der Entstehung der Essstörung von Be-
13 der jeweiligen Patientin bei der Entstehung der Essstörung deutung sein könnten, vermittelt und hinsichtlich der
relevant waren. Zum anderen sollte eine Makroanalyse persönlichen Relevanz überprüft. Dazu werden zunächst
14 hinsichtlich der zur Entstehung und Aufrechterhaltung familiäre Einflüsse identifiziert, indem die individuellen
der Essstörung beitragenden kognitiven, emotionalen und Lernerfahrungen anhand eines Genogramms analysiert
15 behavioralen Aspekte durchgeführt werden. Die Entwick- und im nächsten Schritt weitere soziokulturelle Einflüsse
lung des individuellen Störungsmodells muss entspre- thematisiert werden. Im Anschluss stellt der Therapeut das
chend sowohl allgemeine essstörungspezifische Aspekte integrative Modell hinsichtlich der weiteren dort enthalte-
16 als auch die individuellen Lebensumstände der Patientin nen prädisponierenden Faktoren vor. Aus diesen Informa-
berücksichtigen. tionen werden abschließend mit der Patientin gemeinsam
17 In diesem Kapitel wird nun dargestellt, wie gemeinsam ergänzende Aspekte zur Auslösung und Aufrechterhaltung
mit der Patientin das Muster der jeweiligen verschiedenen der Störung abgeleitet. Dieser Schritt ist neben der Ver-
prädisponierenden Faktoren identifiziert und daraus ab- deutlichung der Entstehung und Aufrechterhaltung für
18 leitend das individuelle Störungsmodell vermittelt wer- die Patientinnen wichtig, um die Ableitung der verschie-
den kann. Das Störungsmodell basiert auf dem bereits in denen therapeutischen Interventionen nachvollziehen zu
19 ▶ Kap. 2 vorgestellten integrativen Modell zur Entstehung können.
und Aufrechterhaltung der Essstörung und beinhaltet prä-
20 disponierende sowie auslösende und aufrechterhaltende
Maßnahmen und Unterlagen

-
Faktoren. Wir schlagen vor, bei der Vermittlung des Stö-
Übung
rungsmodells zunächst auf die Identifikation der Entste-
21 Genogramm

-
hungsbedingungen einzugehen. Als eine mögliche Technik
Arbeitsmaterial
eignet sich dazu der Einsatz eines Genogramms, um die in
22 der Familie gemachten Lernerfahrungen zu erfassen und Flipchart, Stifte
die sich daraus entwickelnden impliziten Regeln und Ein-
8.2 • Erarbeiten des individuellen Störungsmodells
103 8

-
thesengenerierung zu verstehen. Diese können Aufschluss
Arbeitsblätter
darüber geben, inwiefern sich familiäre Interaktionsstile
Familiäre Beziehungen

-
und Gepflogenheiten auf die individuelle Entwicklung der
(▶ Arbeitsblatt 8.1/8.1B; . Abb. 8.1)
einzelnen Familienmitglieder, das Selbstbild der Patientin
Lernerfahrungen und Lebensregeln

-
und ihre Einstellung zu den Ansprüchen der Umwelt und
(▶ Arbeitsblatt 8.2/8.2B; . Abb. 8.2)
deren Bewältigung, auswirken können.
Erfahrungen mit dem Körper

-
Die beschriebenen möglichen familiären Strukturen
(▶ Arbeitsblatt 8.3/8.3B; . Abb. 8.3)
können nicht nur direkt beeinflussend, sondern auch in-
Modell zur Entwicklung der Essstörung
direkt durch Modelllernen Bedeutung erlangen. So weisen
(▶ Arbeitsblatt 8.4/8.4B; . Abb. 8.4)
etwa Kinder von Müttern mit auffälligem Essverhalten meist
auch ein stärkeres restriktives Essverhalten auf, welches
durch das Modell der Mutter vermittelt zu werden scheint
(Franzen und Florin 1995). Auch auf diese Aspekte ist bei
8.2.1 Prädisponierende Faktoren der Besprechung des Genogramms zu achten. Sie sollten im
Einzelnen erfragt und vertiefend beschrieben werden, um
Nachdem zur Motivierung bereits die Übung zu körperli- ein genaues Bild über möglicherweise vorhandene dysfunk-
chen Folgeerscheinungen der Essstörung (▶ Kap. 7) durch- tionale Einstellungen zu erlangen. Ziel dieser Intervention
geführt wurde, kann nun mit der Bearbeitung familiärer ist es, Verständnis für die Zusammenhänge zwischen den el-
Faktoren fortgefahren werden. Dies ist insofern relevant, terlichen oder geschwisterlichen Verhaltensweisen und den
als der Einfluss soziokultureller Aspekte meist nicht aus- eigenen Einstellungen herauszuarbeiten, welche beispiels-
reichend erscheint, um die Ausbildung einer Essstörung weise in Form von Modelllernen übernommen wurden. Da-
zu erklären. Oft messen Patientinnen subjektiv familiären bei sollte betont werden, dass es nicht um die Suche nach
Bedingungen mehr Bedeutung bei als beispielsweise dem Schuldigen oder Schuldzuweisungen an die Eltern geht,
Einfluss von Medien oder Peers (▶ Kap. 2). sondern um das Hinterfragen festgefahrener und unreflek-
Ein möglicher Beginn der expliziten Arbeit an der tierter Muster. So kann auch darauf hingewiesen werden,
Identifikation prädisponierender Faktoren ist daher die dass die meisten Erlebnisse oder Eigenschaften oft positive
Betrachtung möglicher familiärer Einflüsse. Um dies zu er- und negative Aspekte vereinen. Eine hohe Selbstdisziplin
reichen, können über die Identifikation von Lernerfahrun- kann etwa dazu führen, dass man trotz Schwierigkeiten das
gen beispielsweise in der Familie liegende dysfunktionale Gymnasium schafft, aber gleichzeitig auch bedeuten, dass
Modelle, sowie ungünstige Einflüsse auf die Entwicklung man eigene Grenzen übersieht und sich häufig überfordert.
der Patientin aufgedeckt und daraus entwickelte dysfunk- Bei der Besprechung des Genogramms sollten diese posi-
tionale Strategien erklärt werden. Die Identifikation der tiven Gesichtspunkte mit aufgegriffen werden, damit Pati-
Familienregeln ist im Weiteren Basis für die Ableitung der entinnen nicht in eine Verteidigungsrolle gegenüber engen
impliziten Grundannahmen, welche mit der Essstörung Bezugspersonen kommen.
assoziiert sind (▶ Kap. 10). Außerdem sollten weitere so- In der Behandlung werden die Patientinnen nun gebe-
ziokulturelle Aspekte sowie individuelle und biologische ten, auf das Arbeitsblatt 8.1 „Familiäre Beziehungen“ zu-
Faktoren ermittelt werden. nächst alle Familienmitglieder in das auf der rechten Seite
abgebildete große Kästchen zu zeichnen. Zusätzlich sollten
zz Familiäre Faktoren sie anhand von Pfeilen vermerken, wie sie die Beziehun-
Verschiedene Autoren haben im Laufe der Jahre unter- gen innerhalb ihrer Familie in der Pubertät (12.–15. Le-
schiedliche dysfunktionale Familienmuster bei Familien bensjahr bzw. in dem Zeitraum, den sie als relevant für die
mit Patientinnen mit Anorexia und Bulimia nervosa be- Entwicklung der Essstörung halten), erlebt haben. Darüber
schrieben (▶ Kap. 2), wobei die Befundlage insgesamt in- hinaus ist in die Kästen links des Genogramms einzutra-
konsistent ist. Es bestehen, wenn auch uneinheitlich und gen, welche prägnanten Eigenschaften die einzelnen Fami-
vor allem durch retrospektive Studien erfasst, Hinweise lienmitglieder haben. In Arbeitsblatt 8.1B (. Abb. 8.1) ist
darauf, dass das familiäre Beziehungsfeld, in dem Patien- exemplarisch ein Genogramm dargestellt.
tinnen mit Anorexia und Bulimia nervosa aufwachsen,
die Entwicklung einer stabilen Identität, einer autonomen Anleitung
Persönlichkeit und die Ausbildung eines positiven Selbst- für Arbeitsblatt 8.1 Familiäre Beziehungen
Überlegen Sie zunächst, welche Personen Sie in Ihrer Kindheit/Jugend-
wertgefühls durch eine Reihe dysfunktionaler Beziehungs-
zeit als prägend erlebt haben. Diese tragen Sie zunächst in die Kästchen
muster ungünstig beeinflussen kann. auf der linken Seite ein. Beschreiben Sie dann für jede dieser Perso-
Die in ▶ Kap. 2 aufgeführten Muster der familiären In- nen die hervorstechendsten Eigenschaften, die Sie mit der Person in
teraktionen sind daher vor allem als Möglichkeit zur Hypo- Verbindung bringen. Überlegen Sie dann, wie die Beziehung zwischen
104 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

Ihnen und der jeweiligen Person gestaltet war und wie die Beziehungen Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Mutter nicht wirklich an meine
1 der Personen untereinander aussahen. Bitte zeichnen Sie die Personen Fähigkeiten glaubt.“
und die Beziehung aller Personen untereinander in den rechten Kasten. Therapeut: – „Wenn ich Sie also richtig verstanden habe, dann beschrei-
Sie können diese Personen so anordnen, wie Sie deren Position in der
2 Familie erlebt haben (beispielsweise hierarchisch oder auf einer Ebene
ben Sie die Atmosphäre zum Zeitpunkt des Beginns der Essstörung als
geprägt von unausgesprochenen Vorwürfen, verdeckten Konflikten und
stehend). Tragen Sie dann ein, wie Sie die Beziehungen mit den einzel- wenig Zuwendung und Nähe. Das klingt erst mal sehr negativ, auch
nen Personen bzw. zwischen den betreffenden Personen untereinander
3 erlebt haben. Positive bzw. stabile Beziehungen stellen Sie mit einer
wenn es sicherlich noch andere, positive Aspekte gegeben hat. So be-
schreiben Sie ja auch, dass Sie Ihrer Mutter sehr nahe gestanden hätten,
durchgezogenen Linie dar, konfliktbehaftete mit einer gestrichelten Li- was Sie als sehr positiv erlebt haben. Sie sehen aber auch die Schwierig-
4 nie. Je intensiver Sie die Beziehung erlebt haben (positiv oder negativ),
desto dicker machen Sie den Pfeil. Es kann sowohl positive als auch
keit, sich selbst zu entfalten in diesem Zusammenhang und berichten,
dass sie häufig erlebt haben, dass Ihre Mutter Ihnen Dinge nicht zutraut.
negative Verbindungslinien zwischen zwei Personen geben. Zudem beschreiben sie, dass Ihr Bruder sich aus der Familie größtenteils
5 rausgezogen hat und Sie deshalb das Gefühl hatten, eine Art Stabilisator
Im Folgenden ist beschrieben, wie der Therapeut anhand in der Familie oder auch Puffer zwischen ihren Eltern sein zu müssen.“
des Genogramms die Erfahrungen der Patientin in ihrer
6 Familie identifiziert. Wie aus dem Therapiegespräch ersichtlich wird, können
anhand des Genogramms sowohl die Beziehungsmuster
7 Therapiegespräch und Verhaltensweisen im familiären Kontext als auch die
Therapeut: – „Was fällt Ihnen auf, wenn Sie Ihre Zeichnung betrachten?“ Einstellungen und impliziten Verhaltensregeln, die aus
den Beziehungserfahrungen erwachsen sind, abgeleitet
8 Frau S.: – „Eigentlich nichts besonderes, außer vielleicht, dass eigentlich
zwischen allen eine Beziehung bestand, außer zwischen meinem Bruder werden. Das Genogramm kann je nach zur Verfügung
und meinem Vater, die habe ich irgendwie vergessen. Aber na ja, ich stehender Zeit sowohl in Kleingruppen als auch in der
9 hatte immer das Gefühl, dass die sich näher standen, weil mein Bruder
und mein Vater beide Basketball spielen und so eine Gemeinsamkeit
gesamten Gruppe besprochen werden. Die Kleingruppen-
haben. Aber eigentlich haben sie nicht wirklich eine enge Beziehung übung sollte von einem Therapeuten moderiert werden,
10 zueinander gehabt.“ um die Patientinnen darin zu unterstützen, Hypothesen
Therapeut: – „Und Ihr Bruder und Sie, wie war Ihre Beziehung?“ über verdeckte und implizite Lernerfahrungen zu bilden.
Frau S.: – „Ja, die habe ich auch vergessen, einzutragen. Wenn ich das Dies soll helfen, die individuelle Lerngeschichte aufzude-
11 jetzt so anschaue, dann sieht das so aus, als ob mein Bruder gar nicht cken und anhand familiärer Einflüsse zu verstehen. Der
zur Familie gehört hat und irgendwie außen vor war und dass ich genau Einsatz dieser Technik ist ohne größere Modifikationen
12 zwischen meinen Eltern bin. Ich hatte auch damals das Gefühl, dass
mein Vater nie da ist und meine Mutter mich sehr eng an sich gebunden
auf die Einzeltherapie zu übertragen.
hat. Deshalb habe ich von ihr aus auch so viele positive Linien gezeich- Im Anschluss an die Besprechung der familiären Bezie-
hungsmuster in der Kleingruppe sollen die in der Familie
13 net. Sie hat mit mir alles Mögliche unternommen und ich fand das eine
Zeit lang ganz toll, aber so mit der Pubertät wollte ich mich etwas ab- gemachten Erfahrungen, die im Zusammenhang mit der
nabeln, und da kam es dann auch zu Schwierigkeiten, das war ungefähr Essstörung gesehen werden, am Flipchart in der Gruppe
14 da, als ich die Essstörung entwickelt habe.“
gesammelt werden. Es soll gemeinsam herausgearbeitet
Therapeut: – „Okay, das heißt, Sie hatten damals das Gefühl, dass Ihre
Mutter Sie als Verbündete in Ihrer Familie ansah, habe ich das richtig
werden, welche Einstellungen aus den verschiedenen Lern­
15 verstanden?“ erfahrungen erfolgt sind. Ein exemplarischer Überblick
Frau S.: – „Ja, genau, das trifft es gut. Sie war wie eine Freundin und hat über mögliche familiäre Regeln oder Verhaltensweisen, die
im Zusammenhang mit der Essstörung zu stehen scheinen,
16
mir auch von den Problemen erzählt, dass mein Vater nie da ist und Zeit
hat, aber dass ich dafür auch Verständnis haben müsste. Mein Vater hat zeigt Arbeitsblatt 8.2 „Lernerfahrungen und Lebensregeln“
mich immer aufgezogen, und eigentlich hat er nur mit mir über die (. Abb. 8.2).
17 Schule geredet, über meine Noten und so.“
Therapeut: – „Das heißt, es gab keine enge Beziehung zu ihm?“
Anleitung
Frau S.: – „Nein, nicht wirklich. Ich wollte immer Aufmerksamkeit von für Arbeitsblatt 8.2 Lernerfahrungen und Lebensregeln
18 ihm und Anerkennung und habe mich deshalb sehr in der Schule be- „Bei der Besprechung der Lernerfahrungen in der Familie haben wir
müht, um ihm zu gefallen, aber ich hatte nie das Gefühl, wirklich an ihn herausgefunden, dass vor allem hohe Leistungsansprüche und die Au-
ran zu kommen.“
19 Therapeut: – „Sie haben zu allen Personen verschiedene Eigenschaf-
ßenwirkung in Ihrer Familie eine wichtige Rolle gespielt haben und dass
Sie beispielsweise Aussagen wie ‚Was sollen denn die anderen Leute
ten geschrieben. Inwiefern haben denn diese Eigenschaften Sie beein- denken‘ verinnerlicht haben. Ich finde das ein gutes Beispiel für impli-

20 flusst?“
Frau S.: – „Na ja, von meiner Mutter habe ich ganz bestimmt übernom-
zite – also nicht offensichtliche Regeln, die in Ihrer Familie bestehen
und würde gerne mit Ihnen gemeinsam überlegen, ob es noch weitere
men, dass es wichtig ist, was andere Leute denken. Ich habe es ganz solcher impliziten ‚Familienregeln‘ gab, die Sie in Ihrem Wesen und Ih-
21 oft erlebt, dass sie wirklich gesagt hat: ‚So kannst du nicht rumlaufen,
was sollen denn die Leute denken‘. Das fand ich ganz furchtbar, aber
rem Verhalten geprägt haben. Vielleicht fallen Ihnen darüber hinaus
auch noch andere Lebensregeln ein, die sich eher auf Erlebnisse in der
irgendwie habe ich das schon verinnerlicht. Ja, und dann der Leistungs- Schule oder mit Freunden beziehen. Auch gesellschaftliche Normen
22 anspruch, dass ich mich immer um alles bemühen muss. Irgendwie lief können beispielsweise in Form des Schlankheits- und Schönheitsideals
eine Rolle in der Entwicklung von Essstörungen spielen.“
die ganze Kommunikation immer darüber, wer wie viel geleistet hat.
8.2 • Erarbeiten des individuellen Störungsmodells
105 8

Zur Herausarbeitung der Konsequenzen der früheren Fernsehen und Ähnliches. In diesem Teil kann auf bereits
Lern­erfahrungen können folgende Fragen gestellt werden, erarbeitete Ansichten bezüglich Schlankheit und Attrakti-
die sich auf Beispiele von Patientinnen beziehen und ggf. vität im Rahmen der Funktion der Essstörung (▶ Kap. 7)
an die jeweiligen Themen und Bedürfnisse in der Gruppe verwiesen bzw. können diese wieder aufgegriffen werden.
angepasst werden müssen: Zudem sollte der Einfluss von Peers nicht unterschätzt
werden. Deshalb sollten Fragen zum Verhalten von Freun-

-
?? Fragen (Beipielfragen) dinnen, deren Gewicht und Ernährungsverhalten gestellt
Was glauben Sie, welche Folgen es möglicherweise werden. Auch die Rolle von Sport bedarf der Beachtung.
für Sie gehabt hat, dass Ihr Vater sich vorrangig mit Daher sollte überprüft werden, ob die Patientin eine Sport-

-
Ihnen über Schule und Noten unterhalten hat? art ausgeübt hat, in der das Aussehen bzw. das Gewicht von
Wie könnte es sich ausgewirkt haben, wenn in der Bedeutung ist wie das bei Ballett, Kunstturnen, Judo und
Familie selten offen über Konflikte gesprochen Ähnlichem der Fall ist (▶ Kap. 2).

-
wurde? Falls genügend Zeit vorhanden ist, kann mit den Pati-
Welche Bedeutung hat es heute für Sie, dass Ihre entinnen eine Übung durchgeführt werden, in der sie über

-
Mutter Ihnen sehr viel abgenommen hat? die Erfahrungen mit ihrem Körper in der Kindheit und
Welches Gefühl löst es aus, wenn Sie an den Satz Jugend berichten (für eine ausführliche Darstellung der

-
denken „Sei ein braves Mädchen“? Übung vgl. Körperbildgeschichte in Vocks und Legenbauer
Was hat es für Sie bedeutet, wenn Ihre Grenzen 2010). Diese hier dargestellte modifizierte Form der Übung
nicht geachtet wurden – z. B. die Erfahrung, dass hat den Sinn, mögliche Faktoren wie Hänseleien, kritische

-
Sie das Badezimmer nicht abschließen durften? Bemerkungen und Ähnliches aufzudecken. Zur Erläute-
Wie ist das zu verstehen, dass ihre Mutter Ihnen rung der Übung kann folgender Text verwendet werden:

-
gesagt hat, „Ich opfere mich für dich auf“?
Ist es immer noch so, dass Sie zwischen Ihren Eltern Erläuterungen des Therapeuten

--
stehen? „Ich möchte Sie nun bitten, sich zu überlegen, welche Erfahrungen Sie
mit Ihrem Körper im bisherigen Lebensverlauf gemacht haben. Dazu
Wenn ja, belastet Sie diese Moderatorfunktion?

--
gehören Erfahrungen in der Kindheit – waren Sie gelenkig, sportlich,
Inwiefern? haben sich viel bewegt? Sind Sie eher dünner oder kräftiger als andere
Wie sehen Sie die Ehe ihrer Eltern? Kinder gewesen? Sind Sie wegen Ihres Körpers oder Ihres Aussehens
Welche Rolle spielten Ernährung und gemeinsame wegen von anderen Kindern gehänselt worden? Oder haben Sie Kom-
Mahlzeiten in Ihrer Familie? plimente erhalten? Haben Ihre Eltern manchmal kritische Bemerkun-
gen über Ihr Essverhalten oder Ihre Figur, Ihr Gewicht gemacht? Gab
es einen Zeitpunkt, zu dem Sie sich nicht mehr wohl in Ihrem Körper
Anhand der Fragen sollen die Patientinnen angeleitet wer- gefühlt haben? Wie hat sich Ihr Gewicht verändert? Bitte lassen Sie sich
den, implizite Regeln explizit zu machen und möglicher- Zeit beim Nachdenken und notieren Sie die Dinge, die Ihnen einfallen,
weise damit zusammenhängende eigene Grundprinzipien in das Arbeitsblatt ‚Erfahrungen mit dem Körper‘ (Arbeitsblatt 8.3) in
daraus abzuleiten. Abschließend können die Patientinnen die jeweiligen Bereiche.“
als Resümee das Arbeitsblatt 8.2 „Lernerfahrungen und Le-
bensregeln“ (▶ http://extras.springer.com) für sich ausfüllen. Ein Beispiel für die Ergebnisse dieser Übung zeigt Arbeits-
Dieses wird im Weiteren zur Ableitung der Grundannah- blatt 8.3B (. Abb. 8.3).
men genutzt und daher als Eingangsübung im Rahmen der
kognitiven Umstrukturierung besprochen (ein Beispiel ist Anleitung
Arbeitsblatt 8.2B . Abb. 8.2). Daher kann das Arbeitsblatt für Arbeitsblatt 8.3 Erfahrungen mit dem Körper
„Tragen Sie bitte auf diesem Arbeitsblatt die Erfahrungen, die Sie mit
auch erst dann gemeinsam mit den Patientinnen bearbei-
Ihrem Körper im bisherigen Lebensverlauf gemacht haben, ein. Dazu
tet werden. Die Besprechung des Arbeitsblattes wird in gehören Erfahrungen in der Kindheit – waren Sie gelenkig, sportlich,
▶ Kap. 10 dargestellt. Im Einzelsetting können alle Übun- haben sich viel bewegt? Sind Sie Ihres Körpers oder Ihres Aussehens
gen analog der dargestellten Vorgehensweise übernommen wegen von anderen Kindern gehänselt worden? Haben Ihre Eltern
werden. manchmal kritische Bemerkungen über Ihr Essverhalten oder Ihre Figur,
Ihr Gewicht gemacht? Wie hat sich Ihr Gewicht verändert? Gab es einen
Zeitpunkt, zu dem Sie sich nicht mehr wohl in Ihrem Körper gefühlt
zz Soziokulturelle Faktoren haben? Bitte lassen Sie sich Zeit beim Nachdenken und notieren Sie die
Im Weiteren sollen nun soziokulturelle Faktoren heraus- Dinge, die Ihnen einfallen.“
gearbeitet werden. Hierunter fallen Aspekte wie die Rolle
von Schlankheit und Attraktivität (z. B. Einstellungen zu Danach sollten die verschiedenen Erlebnisse auf der Me-
Figur, Gewicht und Diäten), mögliche kritische Bemer- taebene durch den Therapeuten zusammengefasst werden,
kungen über Figur und Gewicht in der Jugendzeit, aber Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und ein Hinweis auf
auch Medienkonsum, mögliche Vorbilder aus Film und die Einordnung in das Störungsmodell gegeben werden. In
106 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

der folgenden Übersicht sind zusätzlich noch einige Bei- die Medien haben einen Einfluss darauf, welche Einstellungen wir ent-
1 spiele für Fragen zu ergänzenden Gesichtspunkten notiert. wickeln, z. B. welche Figur wir schön finden, welche Kleidung wir tragen
etc. Daraus, wie andere Menschen, etwa Eltern und Freunde, sich uns ge-
Diese können auch ohne die oben beschriebene Übung genüber verhalten, bilden sich Annahmen darüber, wer wir sind, was uns
2 eingesetzt werden, falls sie aus zeitlichen Gründen nicht ausmacht und wofür wir gemocht werden. Sind Schlankheit, Attraktivität
durchgeführt werden kann. und Leistung in der Familie von hoher Bedeutung, kann es sein, dass
ein Mensch lernt, sich vor allem über diese Bereiche zu definieren. Wir
3 ?? Fragen haben im Rahmen der Analysen der Genogramme erarbeitet, welchen

--
Einfluss die Einstellungen der Eltern und anderer wichtiger Bezugsper-
Schlankheitsideal:
4 Was bedeutet für Sie Attraktivität?
sonen für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit möglicherweise

-
haben und welche Einstellungen zu sich selbst daraus entstehen. Wir
Wie sieht Ihr Schlankheitsideal aus? haben außerdem darüber gesprochen, welche Erfahrungen Sie mit Ih-

5 Welche Ansichten wurden in Ihrer Familie über rem Körper bisher gemacht haben und wie Sie diese Dinge verarbeitet

-
Schlankheit und Attraktivität vermittelt? haben. Damit haben wir bereits einen Großteil der prädisponierenden
Faktoren erarbeitet. Weitere Faktoren, die zu diesem Bereich gehören,
Wie sind Ihre Freunde mit dem Thema Schlankheit
6
-
sind individuelle Faktoren wie ein niedriges Selbstwertgefühl, hohe und
und Attraktivität umgegangen? perfektionistische Leistungsansprüche, eine negative Sicht der Umwelt
Welchen Stellenwert hat Ihre Figur bzw. Ihr Gewicht und vor allem bei Patientinnen mit einer Bulimia nervosa Schwierigkei-
7
-
für Ihr Selbstwertgefühl? Seit wann ist das so? ten, starke negative Gefühle zu kontrollieren.
Wie hängt das Schlankheitsideal mit Ihrer Essstö- Diese prädisponierenden Faktoren sind nicht bei allen Menschen gleich
stark vorhanden, sondern bilden ein individuelles Muster. Daher geben
8 rung zusammen?

--
wir Ihnen jetzt das Arbeitsblatt „Modell zur Entwicklung der Essstörung“
Diätverhalten: (Arbeitsblatt 8.4), in das Sie bitte jeder für sich eintragen, welcher der
Wann haben Sie begonnen, Diäten zu machen? besprochenen Faktoren vielleicht bei Ihnen zutreffen könnte. Dazu kön-
9 Wie sind Sie darauf gekommen, Diäten durchzu- nen Sie die Vermutungen, die wir in den bisherigen Übungen erarbeitet

-
führen bzw. an Gewicht abnehmen zu wollen? haben, nutzen. Jeder hat nun Zeit, diese Arbeit für sich zu beginnen,
danach möchte ich gerne mit Ihnen noch einmal die einzelnen Punkte
10 Wie ist in Ihrer Familie mit Essen umgegangen

-
durchgehen.
worden?
Hat eine für Sie wichtige Bezugspersonen Diäten
11 gemacht und Sie dazu animiert? Auf Arbeitsblatt 8.4B (. Abb. 8.4) sind beispielhaft Entste-

-
Zusätzliche Bereiche: hungsbedingungen für die Entwicklung einer Essstörung
12 Welche Sportarten oder Hobbys haben Sie als Kind aufgeführt.

-
und in Ihrer Jugendzeit ausgeübt?
zz Individuelle Faktoren
13 Welches Körperideal wurde bei diesen Sportarten
oder Hobbys vermittelt? Individuelle Faktoren beinhalten die bereits beschriebenen
Faktoren wie ein niedriges Selbstwertgefühl, überhöhte
14 Im Anschluss an die Besprechung der soziokulturellen Leistungsansprüche, kognitive Verzerrungen (▶ Kap. 2).
Bedingungen sollte das Arbeitsblatt zum individuellen Hinzukommen können insbesondere bei Patientinnen mit
15 Störungsmodell (Arbeitsblatt 8.4) ausgeteilt und die noch Bulimia nervosa eine erhöhte Impulsivität sowie vor allem
nicht besprochenen Punkte wie biologische und individu- bei Patientinnen mit Anorexia nervosa ein gesteigertes
elle Faktoren erläutert werden. Detaillierte Informationen Kontrollbedürfnis. Daneben können verschiedene weitere
16 und empirische Befunde zu den einzelnen Punkten finden individuelle Faktoren vorhanden sein. Diese Faktoren sind
sich in ▶ Kap. 2. Die Erläuterung der noch nicht erarbeiteten nur schwer für die Patientinnen selbst zu identifizieren.
17 individuellen Bedingungen sollte sich zunächst auf eine Zu- Auf der Basis der empirischen Untersuchungen zu Risiko-
sammenfassung der bisher identifizierten Einflüsse beziehen faktoren und individuellen Faktoren (▶ Kap. 2) kann der
und im Weiteren individuelle und biologische Bedingungen Therapeut Beispiele geben oder gezielt Fragen im Sinne
18 beinhalten. Mit dem folgenden Text können die prädispo- des geleiteten Entdeckens stellen, um weitere relevante
nierenden Faktoren zusammenfassend erläutert werden: Aspekte zu identifizieren und den Patientinnen bei der
19 Hypothesenbildung zu helfen. Hierbei kann auf aus den
Anleitung Genogrammen gewonnene Kenntnisse verwiesen werden.
20 für Arbeitsblatt 8.4 Modell zur Entwicklung der Essstörung
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle gerne ein Modell vorstellen, welches
So kann sich beispielsweise die Entwicklung eines gerin-
gen Selbstwertgefühls darin begründen, dass eine Patientin
verschiedene Faktoren beinhaltet, die das Risiko für die Entstehung einer
wenig Verantwortung für ihr Handeln übernommen hat,
21 Essstörung erhöhen können. Unterschieden werden hierbei zunächst
Faktoren, die einen Menschen anfällig dafür machen, eine Essstörung zu da ihr häufig Dinge abgenommen wurden oder sie für ihr
entwickeln. Das sind die sog. prädisponierenden Faktoren. Dazu gehören Tun oft negative Rückmeldungen bekam. Die Patientin-
22 Lernerfahrungen, wie wir sie in unserer Kindheit und Jugend vor allem
in der Familie, aber auch in der Schule und mit Freunden machen. Auch
nen können auch nach Ihrer eigenen Einschätzung des
8.2 • Erarbeiten des individuellen Störungsmodells
107 8

Selbstwertgefühls gefragt werden, beispielsweise mit den Frau S.: – „Vielleicht, dass ich auch einen perfekten Körper haben will?“
folgenden Fragen. Therapeut: – „Ja, das ist jetzt so, aber wenn Sie überlegen, wie das da-
mals war, bevor die Essstörung entstanden ist?“

--
?? Fragen Frau S.: – „Das ist schwer. Ich hatte einfach immer das Gefühl, nicht gut
genug zu sein, wenn ich es nicht perfekt mache. Das hatten wir ja auch
Würden Sie sich als selbstbewusst einschätzen?

--
in der Analyse des Genogramms – mein Vater ist ja so erfolgreich ge-
Worauf basiert Ihr Selbstbewusstsein? wesen und hat eigentlich immer nur gearbeitet und meine Mutter war
Glauben Sie, dass Sie ein liebenswerter Mensch sind? ja auch perfektionistisch und hat hohe Anforderungen an mich vor al-

-
Wovon hängt es ab, dass andere Sie mögen? lem hinsichtlich der Schule gestellt. Ich habe das also verinnerlicht und
Mögen Sie sich selbst? gelernt, mein Selbstbewusstsein von Leistung abhängig zu machen.“

Perfektionistische Einstellungen werden mögli- Therapeut: – „Ja, das ist genau der Punkt. Perfektionismus kann dazu
führen, dass Sie hohe Leistungen bringen, aber er kann sich auch ne-
cherweise ebenfalls während der Besprechung der
gativ auswirken, wenn das Selbstwertgefühl sehr stark davon abhängt,
Genogramme sichtbar. Sie können aber auch erfragt keine Fehler zu machen und keine Schwächen zu zeigen. Das ist sehr
werden, da die meisten Patientinnen sich ihrer perfekti- anstrengend und kann im Zusammenspiel mit anderen Faktoren wie

-
onistischen Tendenzen bewusst sind: beispielsweise einem etwas höheren Körpergewicht oder Hänseleien
Sind Sie ein Mensch, der die Dinge, die er tut, meis- dazu führen, dass Figur und Gewicht in den Fokus rücken und zu einem

-
weiteren Leistungsbereich werden, in dem Perfektion wichtig ist.“
tens möglichst gut machen möchte?
Kennen Sie von sich, dass Sie nur zufrieden sind,
wenn eine Arbeit 100%ig gelungen ist? zz Biologische Faktoren
Wie bereits in ▶ Kap. 2 beschrieben, gehören zu den biolo-
Ähnlich kann man bei der Erfragung von Impulsivität gischen Faktoren, die bei der Entstehung und Aufrechter-
und einem möglichen Kontrollbedürfnis vorgehen. Zu- haltung einer Essstörung eine Rolle spielen, neben den ge-
dem sollte man die Patientinnen über ihre Hypothesen netischen Aspekten auch körperliche Eigenschaften sowie
befragen, die sie möglicherweise zu einem Zusammenhang ggf. eine Störung des Hunger- und Sättigungsgefühls. Da
zwischen der Entwicklung der Essstörung und individu- die weiteren biologischen Faktoren wie neurobiologische
ellen Faktoren haben. In diesem Bereich können zudem Veränderungen nicht von den Patientinnen selbst erschlos-
Befunde aus den eingesetzten Fragebögen (▶ Kap. 4) ge- sen werden können, sondern nur über eine ausführliche
nutzt und mit den Patientinnen besprochen werden. Der organmedizinische Diagnostik festgestellt werden, sind
folgende Dialog zeigt die Erarbeitung des individuellen diese in der Therapiesitzung vom Therapeuten zu erläu-
Faktors „Perfektionismus“. tern. Die ergänzenden patientenspezifischen Informatio-
nen wie Hormonstatus, Stoffwechselveränderungen und
Therapiegespräch Ähnliches können selten dem Konsiliarbericht entnom-
Therapeut: – „Wir kommen nun zum Bereich der sog. individuellen Fak- men werden und sind, wenn notwendig, in einer spezifi-
toren. In der Erforschung der Essstörungen hat sich herausgestellt, dass schen Diagnostik, wie beispielsweise der Bestimmung des
bestimmte Persönlichkeitseigenschaften dazu beitragen können, dass
Hormonstatus durch einen Arzt, zu klären. Die weiteren
man anfällig für die Entwicklung einer Essstörung wird. Gute Belege gibt
es beispielsweise dafür, dass ein niedriges Selbstwertgefühl meistens
Faktoren wie familiäre Vorbelastungen, Gewichtsverläufe
eng mit einer körperlichen Unzufriedenheit zusammenhängt und da- in der Familie etc. können im Kontext der Therapie mit den
mit das Risiko für eine Essstörung steigt. Die Person, die ein niedriges Patientinnen besprochen werden. Hierbei ist es sinnvoll,
Selbstwertgefühl hat und unzufrieden mit ihrem Körper ist, neigt mög- Angaben der Patientin zur Auftretenshäufigkeit psychi-
licherweise viel mehr dazu, über Diäten nachzudenken und diese auch
scher Erkrankungen in der Familie sowie von Übergewicht
durchzuführen, als andere Personen, die mit Ihrem Körper und Ihrer Per-
son an sich zufriedener sind. Auch sehr hohe Ansprüche an sich selbst,
oder anderen Essstörungen, insofern dies bekannt ist, zu
perfektionistische Einstellungen, aber auch Schwierigkeiten, negative verwenden. Des Weiteren sollte die grobe Gewichtsent-
Gefühle auszuhalten und die Neigung, impulsiv zu reagieren, können wicklung der Patientin erfragt werden (vgl. Mikroanalyse
mit der Entstehung von Essstörungen zusammenhängen. Ich möchte Sie des Gewichtsverlaufs in ▶ Kap. 9) und Veränderungen
nun einmal fragen, ob Sie eines dieser Merkmale auch von sich kennen.“
des Hunger-/Sättigungsgefühls zum Beispiel in Form von
Frau S.: – „Also perfektionistisch bin ich bestimmt.“ Überessen in der Kindheit und Jugend überprüft werden.
Therapeut: – „Hm, worin äußert sich denn dieser Perfektionismus?“
Frau S.: – „Zum Beispiel darin, dass ich meine, immer mein Bestes geben
zu müssen, dass eine Zwei in der Klausur der Weltuntergang ist, dass 8.2.2 Makroanalyse der auslösenden
ich, wenn ich jogge, immer mindestens eine ganze Stunde durchhalten
muss, weil sonst alles umsonst gewesen ist.“
Bedingungen
Therapeut: – „Das sind gute Beispiele. Jetzt haben wir ja gehört, dass
Perfektionismus in Kombination mit anderen Faktoren mit einem erhöh- Zu den auslösenden Bedingungen einer Essstörung zäh-
ten Risiko für eine Essstörung einhergeht. Was glauben Sie, ist bei Ihnen len Faktoren, die darüber entscheiden, warum eine Person
persönlich die Verbindung zwischen Perfektionismus und Essstörung?“ gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt Symptome einer
108 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

Essstörung entwickelt. Man geht davon aus, dass durch be- Aus der Forschung sind verschiedene Faktoren be-
1 lastende Ereignisse eine bislang nicht vorhandene Verbin- kannt, welche vor allem die Essstörung aufrechterhaltende
dung zwischen den prädisponierenden Faktoren und dem Wirkung haben. Dazu zählen ein gezügeltes Essverhalten,
2 Wunsch nach Gewichtsverlust hergestellt wird und damit Defizite in der Stressbewältigung und dysfunktionale In-
eine manifeste Essstörung entsteht. Ziel dieses Behand- formationsverarbeitungsprozesse (▶ Kap. 2). Inwiefern
lungsbausteins ist es, die individuellen Auslöser der einzel- diese Faktoren bereits vor der Essstörung vorhanden sind,
3 nen Patientinnen zu identifizieren. Dazu sollten die Ergeb- ist noch ungeklärt. Zur Erklärung des Modells sollten den
nisse aus den bereits analysierten Entstehungsbedingungen Patientinnen dennoch Informationen darüber vermittelt
4 kurz zusammengefasst werden. Im zweiten Schritt sollten werden, welche Folgen gezügeltes Essverhalten auf den
den Patientinnen dann Beispiele (▶ Kap. 2). gegeben wer- Hunger-Sättigungs-Mechanismus sowie auf psychische
5 den, welche auslösenden Faktoren für Essstörungen aus der und körperliche Aspekte haben kann. Als Hausaufgabe
Forschung bekannt sind und zur Entstehung der Sympto- kann vertiefend noch einmal auf die Informationsbro-
matik führen können. Dadurch sollen die Patientinnen dazu schüre zur Ernährung verwiesen werden (▶ http://extras.
6 angeregt werden, zu überlegen, unter welchen Bedingungen springer.com) und zum Therapiebaustein Ernährungsma-
es bei Ihnen persönlich zum Ausbruch der Essstörung kam nagement übergegangen werden. Wichtig ist, dass den Pa-
7 (Beispiele auf Flipchart sammeln). In der folgenden Über- tientinnen deutlich wird, dass die Essstörung ein sich selbst
sicht wird eine kurze Zusammenfassung der in ▶ Kap. 2 dar- perpetuierender Teufelskreis ist. Die Erklärung dieses Teu-
gestellten möglichen Auslöseereignisse gegeben. felskreises und die Verdeutlichung der dabei wirkenden
8 Faktoren könnte so aussehen:

9 Auslöser einer Essstörung

--
Erläuterungen des Therapeuten
Kritische Lebensereignisse wie Wir wissen nun also, warum eine Essstörung entstehen kann und wel-
Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt che Faktoren dazu führen, dass sie ausbricht. Als Letztes möchte ich
10
-- Scheidung der Eltern Ihnen noch erklären, warum sie bestehen bleibt und nicht einfach
Berufseintritt wieder vergeht, wenn das auslösende Ereignis, wie z. B. Stress, wieder

11
-
verschwunden ist. Einerseits hat das wohl damit zu tun, dass durch das
Auszug von zu Hause
geänderte Essverhalten körperliche Veränderungen ausgelöst werden.
Beginn einer Partnerschaft oder Trennung von

-
So kann der Körper beispielsweise Hunger und Sättigung nicht mehr

12 einem Partner
Umzug
richtig wahrnehmen und interpretieren. Wenn jemand sich beim Essen
nicht an Hunger und Sättigung orientiert, sondern danach, was „verbo-

--
Weitere belastende Faktoren wie ten“ und „erlaubt“ ist, entsteht ein starkes körperliches und seelisches
13 starke Belastung in Schule, Ausbildung oder im Beruf
Verlangen nach Nahrung, so dass die Gedanken ständig ums Essen krei-

-
sen. Dies kann dann Essanfälle zur Folge haben, da sich der Körper und
langandauernder Stress die Seele „das holen, was sie brauchen“.
14 Gewichtszunahme Andererseits wird man durch die körperlichen Veränderungen, die
durch das Diäthalten hervorgerufen werden und nicht nur Gewicht,
Hunger und Sättigung betreffen, sondern auch hormonelle Verände-
15 rungen beinhalten, weniger widerstandsfähig, z. B. was Stress betrifft.
So kann man sich nicht mehr gut konzentrieren und ist insgesamt ein-
8.2.3 Aufrechterhaltende Bedingungen fach weniger belastbar. Im Zusammenspiel damit, dass eine Person viel-
16 leicht auch noch sehr perfektionistisch ist, entsteht eine Negativspirale,
die dazu führt, dass sie immer unsicherer wird und sich beispielsweise
Unter aufrechterhaltenden Bedingungen versteht man Fak- auch von anderen Menschen zurückzieht. Das Essen rückt so immer
17 toren, die dazu beitragen, dass die Essstörung dauerhaft be- mehr in den Mittelpunkt.
stehen bleibt, auch wenn die Faktoren, die ursprünglich zu Je wichtiger ein Bereich für einen persönlich ist, desto stärker nimmt
ihrer Entstehung geführt haben, nicht mehr wirksam sein man Geschehnisse in diesem Zusammenhang wahr. Stellen Sie sich vor,
18 müssen. Eine ausführliche Darstellung von Forschungsbe- die Essstörung ist wie die Krücke bei einer aufgetretenen Verletzung –
Sie haben sich den Knöchel verstaucht und können schlecht auftreten.
funden zu aufrechterhaltenden Bedingungen von Essstö-
19 rungen ist ▶ Kap. 2 zu entnehmen. Zudem wurden zum
Je stärker Sie den Fuß belasten, desto stärker spüren Sie den Schmerz.
Damit Sie aber trotzdem laufen können, benutzen Sie eine Krücke –
Teil bereits in den in ▶ Kap. 7 dargestellten Interventionen das könnte die Essstörung sein, die Ihnen hilft, weniger Schmerzen zu

20 im Rahmen der Identifikation der positiven und negativen haben. Sie sind aber ständig darauf bedacht, ob Ihr Fuß schmerzt und
sind dadurch für andere Reize aus der Umgebung nicht mehr offen.
Konsequenzen der Essstörung die Bedingungen, welche
Durch die Schonung haben Sie möglicherweise weniger Schmerzen, Sie
die Essstörung aufrechterhalten, mit den Patientinnen
21 erarbeitet. Da prädisponierende Faktoren zum Teil auch
verlernen aber auch, ohne Krücke zu laufen. Die Essstörung hilft Ihnen
also kurzfristig, weniger Schmerzen zu haben und besser zurechtzu-
weiter zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen, wer- kommen, langfristig aber führt sie dazu, dass sie auch nicht mehr ohne
22 den inhaltlich ähnliche Bereiche an dieser Stelle nicht noch sie zurechtkommen können. Das heißt, der verletzte Fuß wird immer
schwächer, und bald wird das Laufen ohne die Krücke immer schwerer.
einmal ausführlich dargestellt.
8.3 • Ableitung der Therapieziele und therapeutischen Interventionen
109 8
Wenn wir das jetzt auf die Essstörung übertragen, dann könnte es so
Maßnahmen und Unterlagen

-
sein, dass Sie bestimmte Dinge nicht ausreichend gelernt haben oder
nicht mehr beherrschen, um ihre jetzige Lebenssituation zu bewälti- Übung
gen. In der Therapie müssen wir daher überprüfen, welche Probleme Formulierung der Therapieziele

-
dazu beitragen, dass die Essstörung aufrechterhalten wird. Wenn wir
Arbeitsmaterial
das verstehen, können wir notwendige Fähigkeiten trainieren, die Sie
Flipchart, Stifte

-
brauchen, um die Essstörung zu überwinden.
In unserem Modell sind mehrere solcher aufrechterhaltenden Bedin- Arbeitsblatt
gungen aufgeführt, die aus der Forschung bekannt sind. Einige der Weg zur Genesung
Punkte habe ich eben schon beschrieben. Dies sind neben dem Diät- (▶ Arbeitsblatt 8.5/8.5B . Abb. 8.5)
verhalten der Umgang mit Stress und Konflikten, die Wahrnehmung
und Bewältigung von Gefühlen, eine negative Sicht von sich selbst
sowie ein „Scheuklappenblick“ auf vermeintliche Fehler, die man hat
oder macht, die sog. dysfunktionalen kognitiven Prozesse. Des Weiteren Die Bearbeitung des Arbeitsblattes 8.5 „Weg zur Gene-
können Lern­erfahrungen wie „Essen tröstet und tut gut“ oder „Hungern
zu können ist ein Zeichen für Stärke und macht mich zu etwas Besonde-
sung“ ist insofern zu empfehlen, als die Patientinnen selbst
rem“ eine Rolle spielen. Wie bereits beschrieben, führt das Zusammen- teilweise sehr präzise formulieren können, was ihnen fehlt,
spiel der einzelnen Faktoren dazu, dass ein Teufelskreis entsteht und aber nicht unbedingt, welche Ziele sie haben. Zur Vorbe-
man sich immer stärker in die Essstörung verstrickt. reitung der Ableitung der Therapiebausteine mit den Pa-
tientinnen sollten daher die individuellen Ziele formuliert
Abschließend sollte mit den Patientinnen besprochen wer- werden, um realistische und konkrete Ziele zu erarbeiten.
den, welche der aufrechterhaltenden Faktoren sie bei sich Hierzu werden die Patientinnen zunächst gebeten, sich
selbst entdecken können. Dazu kann noch mal auf die be- anhand des individuellen Störungsmodells zu überlegen,
reits im Rahmen der Übung zum Abwägen der Vor- und welche Schwierigkeiten bestehen und welche Schritte aus
Nachteile einer Essstörung (▶ Kap. 7) identifizierte Funk- ihrer Sicht notwendig sind, um diese zu überwinden.
tion der Essstörung verwiesen werden. Ist das Modell nun
vollständig, können daraus die Therapieziele abgeleitet Anleitung
werden. Dies geschieht zu diesem Zeitpunkt als Ausblick für Arbeitsblatt 8.5 Weg zur Genesung
Bitte füllen Sie das Arbeitsblatt 8.5 „Weg zur Genesung“ aus. Überlegen
und wird in den jeweiligen Therapieabschnitten nochmals
Sie basierend auf dem, was wir eben besprochen haben, was genau für
aufgegriffen und spezifischer erläutert. Sie persönlich eine Genesung bedeuten würde und welche verschie-
denen Schritte notwendig sind, um Ihr Ziel zu erreichen. Zeichnen Sie
dann einen Weg und tragen in diesen die einzelnen Schritte als soge-
8.3 Ableitung der Therapieziele und nannte Meilensteine ein. Stellen Sie Ihre Meilensteine danach in der
therapeutischen Interventionen Runde vor.

Es gibt verschiedene Studien, die den Genesungsbegriff bei Dies könnte am Beispiel von Frau S., welche für sich als
Frauen mit Essstörungen untersucht haben. Dabei zeigte Genesungsziel den Wunsch, endlich wieder frei und glück-
sich, dass unter Genesung nicht unbedingt eine Symptom- lich zu sein versteht, so aussehen, dass zunächst geklärt
freiheit verstanden wurde, sondern vielmehr eine Entlas- wird, was unter dem Begriff „glücklich sein“ verstanden
tung von der Essstörungssymptomatik im Sinne einer ge- wird (Arbeitsblatt 8.5B; . Abb. 8.5).
ringeren Dominanz im Alltag, einer größeren Akzeptanz
des eigenen Körpers und einer stärkeren Wertschätzung Therapiegespräch
der eigenen Person (Petterson und Rosenvinge 2002). Je Therapeut: – „Sie beschreiben als Ziel, glücklich sein zu wollen. Das
unkonkreter und umfassender der Genesungswunsch ist, klingt sehr gut, ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es ganz schön
schwierig ist, den Begriff Glück zu konkretisieren und dementsprechend
desto wichtiger ist es, mit den Patientinnen Teilschritte auf
dann auch Schritte in diese Richtung zu unternehmen.“
dem Weg dorthin herauszuarbeiten und dysfunktionale
Frau S.: – „Naja, ich habe mir schon überlegt, dass ich sicher glückli-
Annahmen in Bezug auf die zeitliche Umsetzung und de- cher wäre, wenn ich wieder mehr mit meinen Freunden unternehmen
ren Realisierungsmöglichkeiten allgemein zu diskutieren könnte und mir weniger Sorgen um meine Figur machen müsste und
und überhöhte Ansprüche zu reduzieren. Zunächst sollte darüber, wann ich etwas essen kann.“
daher mit den Patientinnen erarbeitet werden, welche Ziele Therapeut: – „Das klingt wiederum schon sehr viel konkreter. Haben Sie
sich aus dem jeweiligen Störungsmodell ergeben, um dann denn eine Idee, was der erste Schritt sein könnte, um dahin zu kommen,
anschließend die entsprechenden Therapiebausteine vor- sich weniger Gedanken um Essen und Figur zu machen?“

zustellen. Frau S.: – „Nein, das weiß ich noch nicht, aber als Erstes denke ich, würde
ich mich um das Essen kümmern wollen, denn das hängt eng mit der
Figur zusammen. Außerdem glaube ich, dass, wenn ich weniger über
110 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

1
Essen nachdenke, dann auch wieder mehr Zeit für Freunde habe und

-- Verbesserung des Gefühlsausdrucks

-
mich damit dann sicher wohler fühle.“
Therapeut: – „Okay, dann wäre also mehr mit Freunden unternehmen Entwicklung von Stresstoleranz
Erlernen von Entspannungsverfahren
2 ebenfalls ein Schritt auf dem Weg zu Ihrem Genesungsziel. Würden Sie

--
das vor oder nach der Veränderung der Gedanken an Essen stellen?“ Entwicklung instrumenteller und sozialer Fertigkeiten
Frau S.: – „Naja, ich glaube, dass ich erst mal die Einstellung und wahr- Training sozialer Kompetenzen

-
3 scheinlich auch mein Essverhalten ändern muss, bevor ich mich um
Freunde und Ausgehen usw. kümmern kann. Mein erster Meilenstein
Problemlösetraining
Verbesserung von Kommunikationsfertigkeiten

--
wäre es daher wohl eher, mich mit meinem Essverhalten zu beschäfti-
4 gen und wieder regelmäßiger und ausgewogener zu essen. Das beein- Verbesserung des Körperbildes
flusst vielleicht dann auch die Gedanken über das Essen. Als Nächstes Hinterfragen des Schlankheitsideals

-
würde ich sagen, dass dann die Freunde kommen und danach die Ver- Korrektur einer perzeptiven Körperbildstörung
5 minderung der Sorgen um Figur und Gewicht. Aber so sicher bin ich
Akzeptanz des eigenen Körpers

--
mir damit nicht.“
Weitere Interventionsansätze
Therapeut: – „Okay, das sind ja jetzt schon recht konkrete Vorstellun-
6 Aufbau eines stabilen Selbstwertgefühls

--
gen. Sie können die Reihenfolge im Nachhinein noch abändern, wenn
Sie merken, dass Ihre Prioritäten sich verändern. Als Erstes vereinbaren Aufbau positiver Aktivitäten

7 wir nun also, dass Sie sich auf Ihr Essverhalten konzentrieren und wieder
mehr und ausgewogener Essen.“
Genusstraining
Rückfallprophylaxe

8 Wie anhand des beispielhaften Therapiegesprächs zu sehen


ist, findet hier eine erste kognitive Intervention statt. Die Dieser Therapieplan soll mit den Patientinnen ausführlich
9 überhöhten Ansprüche werden aufgezeigt und durch Kon- besprochen werden. So könnten die Patientinnen ange-
kretisieren und Begriffsklärungstechniken problematisiert. leitet werden, auf der Basis des individuellen Störungs-
10 Zum Abschluss der Besprechung steht das erste konkrete modells im ersten Schritt selbst Schlüsse hinsichtlich der
Ziel, dem sich weitere Teilziele anschließen. einzusetzenden Therapiebausteine zu ziehen. Sind die
Der Übergang zur Wahl der Therapiebausteine kann an Bausteine erarbeitet und der Therapieplan für die Patientin
11 dieser Stelle gemacht werden. Dabei sollten die individuel- verständlich beschrieben, sollte erfragt werden, ob die Pati-
len Vorstellungen der Patientinnen aufgegriffen und in das entinnen hiermit einverstanden sind oder aufgrund bisher
12 hier vorliegende Konzept integriert werden. noch nicht berücksichtigter individueller Ziele Ergänzun-
Den Patientinnen sollte an dieser Stelle deutlich ge- gen des Therapieplanes wünschen. Diese sollen seitens des
macht werden, dass ein zweiphasiges Vorgehen sinnvoll ist, Therapeuten und der Patientin auf Kompatibilität mit dem
13 um zunächst an den aufrechterhaltenden Faktoren, näm- bestehenden Therapieplan geprüft werden.
lich dem gestörten Essverhalten, anzusetzen und damit
14 die körperlichen und psychischen Folgeerscheinungen zu
reduzieren und erst im zweiten Schritt die mit der Entste- 8.4 Zusammenfassung
15 hung der Essstörung assoziierten Probleme aufzugreifen,
weil diese in einem längeren Prozess behandelt werden
müssen. Anhand dieser Erklärungen lassen sich die in der - Die Erarbeitung des individuellen Störungsmodells
orientiert sich an den drei Stufen: prädisponierende

-
16 folgenden Übersicht dargestellten Interventionsbereiche Faktoren, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren.
ableiten: Zur Identifikation der prädisponierenden Faktoren
17 eignet sich u. a. der Einsatz eines Genogramms, um
prägende Lernerfahrungen in der Familie zu erfassen
Therapieplan

--
und mögliche Einflüsse auf die Entstehung der mit
18 Ernährungsmanagement
der Essstörung assoziierten Grundannahmen zu
Strukturierung des Essverhaltens
überprüfen. Desweiteren sollten soziokulturelle, indi-
19 Gewichtszunahme bei untergewichtigen Patientin-

-
viduelle und biologische Einflussfaktoren thematisiert

-
nen
werden.
Abbau der Essanfälle und des Erbrechens
20
-
Es werden den Patientinnen mögliche auslösende
Abbau dysfunktionaler Kognitionen
Bedingungen vorgestellt und anhand dieser Beispiele
Identifikation der negativen Grundannahmen und

-
mögliche für sie persönlich relevante Auslösefaktoren

-
21 automatischen Gedanken
erarbeitet.
Veränderung der negativen automatischen Gedan-
Als drittes werden aufrechterhaltende Bedingun-
22 ken und zugrunde liegenden Annahmen

-
gen vorgestellt, welche sich in folgende Kategorien
Umgang mit Gefühlen
zusammenfassen lassen: mangelnde Stressbewäl-
Training zur Gefühlswahrnehmung
8.5 • Arbeitsblätter
111 8

tigungskompetenzen und Bewältigungsdefizite,


Diätverhalten, dysfunktionale kognitive Prozesse und
Lernerfahrungen. Diese werden mit den Patientinnen
diskutiert und es wird der Teufelskreis der Aufrecht-

- erhaltung der Essstörung individuell abgeleitet.


Auf der Grundlage des Störungsmodells wird der
Behandlungsplan erstellt. Dazu werden zunächst die
individuellen Ziele durch die Patientinnen selbst for-
muliert und diese in die Auswahl der Behandlungs-
bausteine mit einbezogen.

8.5 Arbeitsblätter

-- Arbeitsblatt 8.1B Familiäre Beziehungen (. Abb. 8.1)


Arbeitsblatt 8.2B Lernerfahrungen und Lebensregeln

- (. Abb. 8.2)
Arbeitsblatt 8.3B Erfahrungen mit dem Körper

- (. Abb. 8.3)
Arbeitsblatt 8.4B Modell zur Entwicklung der Essstö-

- rung (. Abb. 8.4)


Arbeitsblatt 8.5B Weg zur Genesung (. Abb. 8.5)
112 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 8.1 | Familiäre Beziehungen | Seite 1


2
3 Familiäre Beziehungen
Überlegen Sie zunächst, welche Personen Sie in Ihrer Kindheit-/Jugendzeit als prägend erlebt
4 haben. Diese tragen Sie zunächst in die Kästchen auf der linken Seite ein. Beschreiben Sie dann
für jede dieser Personen die hervorstechendsten Eigenschaften, die Sie mit der Person in Verbin-
dung bringen. Überlegen Sie dann, wie die Beziehung zwischen Ihnen und der jeweiligen Person
5 gestaltet war und wie die Beziehungen der Personen untereinander aussahen. Bitte zeichnen Sie
die Personen und die Beziehung aller Personen untereinander in den rechten Kasten. Sie können
6 diese Personen so anordnen, wie Sie deren Position im Familiensystem erlebt haben (bspw. hierarchisch oder auf einer
Ebene stehend). Tragen Sie dann ein, wie Sie die Beziehungen mit den einzelnen Personen bzw. zwischen den betreffen-
7 den Personen untereinander erlebt haben. Positive bzw. stabile Beziehungen stellen Sie mit einer durchgezogenen Linie
dar, konfliktbehaftete mit einer gestrichelten Linie. Je intensiver Sie die Beziehung erlebt haben (positiv oder negativ),
desto dicker machen Sie den Pfeil. Es kann auch positive und negative Verbindungslinien zwischen zwei Personen geben.
8
---------- Konfliktbehaftete Verbindung
9 ______ Positive & stabile Beziehung

10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 8.1 Arbeitsblatt 8.1B: Familiäre Beziehungen


8.5 • Arbeitsblätter
113 8

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 8.2 | Lernerfahrungen und Lebensregeln | Seite 1

Lernerfahrungen und Lebensregeln

Was habe ich gelernt?


Lernerfahrungen mit Familie, Freunden und Schulkameraden wie auch der Einfluss gesellschaftlicher Normen spielen
eine Rolle bei der Entwicklung von Essstörungen, beispielsweise kann Perfektionismus gut sein, um gute Leistungen zu
erbringen. Er wird aber dann schädlich, wenn zur Erfüllung der eigenen Ansprüche ständig eigene Leistungsgrenzen
überschritten werden müssen. Bitte tragen Sie hier ein, welche Erfahrungen Sie im Laufe des Lebens gemacht und welche
Regeln und Konsequenzen sich daraus entwickelt haben.

Lernerfahrung/Modell
0HLQH(OWHUQZXVVWHQLPPHUZDVIUPLFKJXWLVWXQGLFKQLFKW

Regel/Konsequenz
,FKNDQQPLFKQLFKWDXIPHLQH*HIKOHYHUODVVHQ

Lernerfahrung/Modell
0HLQH(OWHUQZDUHQLPPHUEHVRUJWGDUEHUZDVDQGHUH/HXWHYRQXQVGHQNHQN|QQWHQ

Regel/Konsequenz
,FKDFKWHLPPHUDXIGLH0HLQXQJGHUDQGHUHQXQGYHUKDOWHPLFKLKUHQ(UZDUWXQJHQHQWVSUHFKHQG

Lernerfahrung/Modell
,FKVWDQGLPPHULP6FKDWWHQPHLQHV%UXGHUVXQGELQQLHULFKWLJZDKUJHQRPPHQZRUGHQ

Regel/Konsequenz
$QGHUHVLQGPHKUZHUWDOVLFK

Lernerfahrung/Modell
,QGHU6FKXOHXQGDXFK]X+DXVHKDEHLFKPHLVWHQVIUPHLQHJXWH
VFKXOLVFKH/HLVWXQJ$XIPHUNVDPNHLWXQG$QHUNHQQXQJEHNRPPHQ

Regel/Konsequenz
1XUZHQQLFKJXWH/HLVWXQJEULQJHELQLFKOLHEHQVZHUW

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 8.2 Arbeitsblatt 8.2B: Lernerfahrungen und Lebensregeln


114 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 8.3 | Erfahrungen mit dem Körper | Seite 1


2
3 Erfahrungen mit dem Körper
Tragen Sie bitte auf diesem Arbeitsblatt die Erfahrungen ein, die Sie mit Ihrem Körper im bisherigen Lebensverlauf
4 gemacht haben. Dazu gehören die Entwicklung des Körpergewichts sowie negative und positive Erfahrungen in der
Kindheit wie Reaktionen der Eltern/von Freunden auf Ihren Körper und Erfahrungen mit Sport/Bewegung. Lassen Sie sich

5 Zeit beim Nachdenken und notieren Sie die Dinge, die Ihnen einfallen.

Entwicklung des Körpergewichts Reaktion der Eltern


6
,FKZDULPPHUJU|‰HUXQGNUlIWLJHUDOVDQ 0HLQH0XWWHUKDWPLULPPHUJHVDJWLFKVROO
GHUH=XP%HLVSLHOKDWVLFKPHLQH%UXVWVFKRQ QLFKWVRYLHOHVVHQXQGPHLQHHUVWH'LlWKDEH
7 LQGHU.ODVVHHQWZLFNHOWJHKDEWVRGDVV LFKJODXEHLFKPLW-DKUHQJHPDFKW0HLQ
EHLP6FKZLPPHQXQGEHLP6SRUWLPPHUDOOH 3DSDKDWQLHYLHOJHVDJWDEHUGHUKDWVHOEVW
8 JHVFKDXWXQGJHOlVWHUWKDEHQ0LWKDEH HLQHQ%DXFKXQGLVWHKHUXQVSRUWOLFK
LFKVFKRQHLQHVHKUZHLEOLFKH)LJXUJHKDEW
XQGJDQ]VFK|QDQ*HZLFKW]XJHQRPPHQVR
9 GDVVLFKHWZDVSURSSHUDXVVDK

10
Reaktionen von Freunden Sportliche Aktivität
11 0HLQH)UHXQGLQQHQZDUHQRN(KHUZXUGH ,FKELQ]ZDULP6FKXOVSRUWHLQH1LHWHJHZH
LFKYRQlOWHUHQ0lGFKHQLQGHU6FKXOHZHJHQ VHQ /HLFKWDWKOHWLN DEHUZDULP7XUQYHUHLQ
12 PHLQHU.ODPRWWHQJHKlQVHOWXQGGLH-XQJV LP%DOOHWWXQGLP9ROOH\EDOOXQGLP7HQQLV
KDEHQEHLP6SRUWLPPHUEO|GH%HPHUNXQJHQ YHUHLQ,FKKDEHPLFKDEHUWURW]GHPPHLVWHQV
JHPDFKWEHUPHLQHQ%XVHQ HKHUVFKZHUIlOOLJJHIKOWXQGODQJVDP
13
14
15
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 8.3 Arbeitsblatt 8.3B: Erfahrungen mit dem Körper


8.5 • Arbeitsblätter
115 8

Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Material 1.1 8.4


Arbeitsblatt | Headline-2 | Seite 1
| Entstehungsbedingungen | Seite 1

Entstehungsbedingungen
Bitte tragen Sie in dieses Modell Ihre individuellen Faktoren zur Entstehung, Auslösung und Aufrechter-
haltung der Essstörung ein!

BIOLOGISCH SOZIOKULTURELL FAMILIÄR INDIVIDUELL


,FKKDWWHQLHHLQJX ,FKKDEHMDKUHODQJ =XVDJHQZDVLFK ,FKZDUQLHEHVRQ
WHV+XQJHUXQG6lW %DOOHWWJHPDFKWGD ZLOOXQGZDVPLU GHUV6HOEVWEHZXVVW
WLJXQJVJHIKO:DV ZDUHVZLFKWLJGQQ ZLFKWLJLVWKDEHLFK
$OOHVPXVVWHEHLPLU
DXIGHQ7LVFKNDP ]XVHLQ QLHJHOHUQW
LPPHUSHUIHNWVHLQ
ZXUGHJHJHVVHQ
,FKKDEHJHUQ0RGH 0HLQH0XWWHUKDW
,FKIDQGPLFKQLH
$OOHLQPHLQHU)DPL ]HLWVFKULIWHQDQJH KlXILJ'LlWHQ
EHVRQGHUVVFK|Q
OLHVLQGHKHUNUlIWLJ VHKHQXQGZROOWH JHPDFKWXQGZDU
:HJHQPHLQHV$XVVH
JHUQHZLHGLH0RGHOV LPPHUVHKUXQ]X
KHQVZXUGHLFKHLQH
LQGHQ=HLWVFKULIWHQ IULHGHQPLWLKUHP
=HLWODQJJHKlQVHOW
DXVVHKHQ *HZLFKW
7UHQQXQJYRQ(OWHUQ

Kernsymptome

ZlKUHQG$XVODQGV
*HZLFKWV]XQDKPH

AUSLÖSENDES
der Essstörung
AUSLÖSENDES

XQG)UHXQGHQ

DXIHQWKDOW

EREIGNIS:
EREIGNIS:

0LFK]XGLFNIK
6WlQGLJHV 1DFKMHGHP(VVHQ OHQXQGHLQHSHU
'HQNHQDQ(VVHQ MRJJHQPLFK PDQHQWH$QJVW
.DORULHQ]lKOHQ EHZHJHQ YRU*HZLFKWV]X
QDKPHKDEHQ

AUFRECHTERHALTENDE BEDINGUNGEN

Dysfunktionale Gezügeltes Dysfunktionale


Einstellungen Essverhalten Emotionsregulation
,FKIKOHPLFKVFKOHFKW ,FKHVVHP|JOLFKVW ,FKNDQQPHLQH*HIKOHXQG
XQGQLFKWOLHEHQVZHUW0HLQ ZHQLJXQGYHUVRUJH %HGUIQLVVHRIWQLFKWULFKWLJ
6HOEVWZHUWKlQJWNRPSOHWW PHLQHQ.|USHUGDKHU HLQRUGQHQXQGHQWVSUHFKHQG
YRQPHLQHU)LJXUPHLQHP QLFKWDXVUHLFKHQG DXFKQLFKWlX‰HUQ
*HZLFKWDE,FKPXVVDOOHV
SHUIHNWPDFKHQXQGELQ
VWlQGLJDQJHVSDQQW,FK
VHKHLPPHUQXUDOOHVZDVLFK
QLFKWNDQQXQGELQGDQQ
WRWDOVFKQHOOIUXVWULHUW

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 8.4 Arbeitsblatt 8.4B: Modell zur Entwicklung der Essstörung


116 Kapitel 8 • Vermittlung eines individuellen Störungsmodells und Ableitung der Therapieziele

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 8.5 | Weg zur Genesung | Seite 1


2
3 Weg zur Genesung
Bitte überlegen Sie sich zunächst, was es für Sie heißt, gesund zu werden. Woran würden Sie beispielsweise merken, dass
4 Sie keine Essstörung mehr haben? Notieren Sie sich Ihre Gedanken:
,FKGHQNHQLFKWPHKUVWlQGLJEHU(VVHQQDFKXQGPDJPLFKXQGYRUDOOHPPHLQHQ.|USHU
5 VRZLHLFKELQ,FKNDQQZLHGHUODFKHQXQGKDEHZLHGHU6SD‰DP/HEHQ

6 Überlegen Sie nun, welche Schritte notwendig sind, um die genannten Punkte zu erreichen. Diese Schritte sind die soge-
nannten „Meilensteine“ auf Ihrem Weg zum Ziel. Zeichnen Sie jetzt einen Weg mit der Genesung als Ziel und tragen Ihre
7 Meilensteine ein.

8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 8.5 Arbeitsblatt 8.5B: Weg zur Genesung


Literatur
117 8
Literatur

Franzen S, Florin I (1995) Familiale Transmission von gezügeltem Essver-


halten. Z Klin. Psychol Psychother 24:65–69
Pettersen G, Rosenvinge JH (2002) Improvement and recovery from
eating disorders: A patient perspective. Eat Dis J Treat Prevent
10(1):61–71
Vocks S, Legenbauer T (2010) Körperbildtherapie bei Anorexia und Buli-
mia nervosa. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungs-
programm, 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen
Waller G, Kennerley H (2003) Cognitive-behavioral Treatments. In: Trea-
sure J, Schmidt U, van den Furth E (Hrsg) Handbook of eating dis-
orders, 2. Aufl. Wiley, Chichester, UK, S 234–251
119 9

Interventionen zur
Normalisierung des gestörten
Essverhaltens
T. Legenbauer, S. Vocks

9.1 Einleitung – 120


9.2 Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens – 121
9.2.1 Motivierung zur Veränderung des Essverhaltens – 122
9.2.2 Einführung und Auswertung der Essprotokolle – 124
9.2.3 Etablierung strukturierter Esstage – 126
9.2.4 Maßnahmen zur Gewichtssteigerung und -stabilisierung – 128
9.2.5 Exkurs: Wahrnehmung von Hunger und Sättigung – 131
9.2.6 Gemeinsames Kochen – 133

9.3 Interventionen zur Verhinderung von


Essanfällen und Erbrechen – 133
9.3.1 Analyse von Auslösesituationen – 134
9.3.2 Interventionen zur kurzfristigen Emotionsregulation – 138
9.3.3 Nahrungsmittelexposition – 139

9.4 Zusammenfassung – 140


9.5 Arbeitsblätter – 141
Literatur – 158

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
120 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1
-
Ziel
Etablierung eines ausgewogenen und ausreichenden
troffenen häufig sehr diszipliniert und kontrolliert. Au-
ßerhalb der Essanfälle sind sie daher in der Auswahl der

2 - Ernährungsverhaltens
Identifikation von Auslösern für Essanfälle und Er-
brechen
Nahrungsmittel eher wählerisch: wie auch bei Patientinnen
mit Anorexia nervosa werden Speisen in „verbotene“ und
„erlaubte“ Nahrungsmittel unterteilt. Typischerweise er-
laubt sind Nahrungsmittel wie Quark, Joghurt, Salat und

-
3 Vorgehen Obst, also „gesunde, vollwertige“ Speisen. „Verboten“ sind
Zusammentragen eigener Erfahrungen mit Diätver- meist fetthaltige Speisen oder Süßspeisen wie Kuchen und
4
- halten und dessen Folgen
Besprechen der Essprotokolle und Einführung struk-
Süßigkeiten. Bulimische Patientinnen planen im Tagesab-
lauf oft nur wenig oder ungenügend Zeit für die Nahrungs-
5
6
-- turierter Esstage
Analyse von Auslösesituationen für Essanfälle
Abbau von Essanfällen durch Entwicklung von kurz-
fristigen Notfallstrategien
aufnahme ein und unter- oder überschätzen die benötigte
Essensmenge. Häufig lassen sie das Frühstück ganz ausfal-
len und nehmen die Hauptkalorienmenge erst im zweiten
Tagesdrittel auf (Legenbauer 2002). Auch Essanfälle fallen
häufig in diesen Zeitraum, was auf die Nahrungsdepri-
7 vation über den Tag hinweg zurückgeführt wird (Legen-
9.1 Einleitung bauer 2002; Alpers und Tuschen-Caffier 2001; ▶ Kap. 2
und ▶ Kap. 6).
8 Viele Patientinnen, die an einer Essstörung leiden, zeigen Es gibt einige empirische Befunde, die Zusammen-
ein Essverhalten, das einer extremen kognitiven Kontrolle hänge zwischen dem Beginn von Diäten und der Störung
9 unterliegt. Diese manifestiert sich nicht nur in selbstauf­ des Hunger- und Sättigungsgefühls sowie dem Auftreten
erlegten strikten Diätregeln, wie dem Festlegen von Ka- von Essanfällen aufzeigen. Die wohl bekannteste Studie zu
10 loriengrenzen (z. B. max. 1000 kcal/Tag), sondern auch in diesem Aspekt ist die Minnesota-Starvation-Studie von
Vorsätzen darüber, nur eine vorab festgelegte Nahrungs- Keys et al. (1950), in deren Rahmen 36 gesunde Männer
menge zu essen oder ab einer bestimmten Uhrzeit (z. B. über 6 Monate nur die Hälfte ihres normalen Bedarfs an
11 18 Uhr) nichts mehr zu sich zu nehmen. Neben diesen ge- Kalorien erhielten und Veränderungen im Erleben und
nauen Regeln kann es auch allgemeine Grundsätze geben, Verhalten überprüft wurden. Dabei traten u. a. die folgen-
12 welche von außen weniger auffällig sind, z. B. keinen Käse
oder Kuchen zu essen oder nur „gesunde“ (d. h. fettarme)
-
den Veränderungen und Symptome auf:
emotionale Veränderungen (depressive Stimmungs-
13 Nahrungsmittel zu sich zu nehmen.
Bei Mahlzeiten wird das Essen häufig in kleinste Teile
zerschnitten, extrem langsam und bedächtig gekaut, viel -- lage) und Persönlichkeitsveränderungen,
Konzentrationsstörungen,
gedankliche Fixierung auf Nahrungsmittel und über-

-
14 Wasser getrunken, und die Wahl der Nahrungsmittel und mäßige Beschäftigung mit Essen,
Speisen ist extrem eingeschränkt. Patientinnen mit einer Essanfälle und Störungen des Hunger-Sättigungsge-
15
16
Anorexia nervosa haben meist Schwierigkeiten, mit an-
deren gemeinsam zu essen und vermeiden dies deshalb,
soweit es geht. Kommt es zu gemeinsamen Mahlzeiten,
erhalten anorektische Patientinnen aufgrund des niedri-
- fühls sowie
ein exzentrischer Umgang mit Nahrungsmitteln wie
Zerkleinern von Speisen und Ähnlichem.

gen Körpergewichts und der bizarren Verhaltensweisen im Aus dieser Untersuchung wurde die Hypothese entwickelt,
17 Umgang mit Essen sehr viel Aufmerksamkeit. Sie stehen dass durch bewusste Kontrolle eines bisher spontanen Ess-
im Mittelpunkt, fühlen sich beobachtet und unwohl. Im verhaltens die natürlichen Hunger- und Sättigungsmecha-
Gegensatz zu bulimischen Patientinnen, die oft eher un- nismen außer Kraft gesetzt werden. So verliert der Körper
18 regelmäßige Essenszeiten aufzeigen und unterschiedliche durch eine negative Energiebilanz an Gewicht und aufgrund
Mengen je nach Art der Mahlzeit (kontrolliert vs. Essanfall) des fortgeführten restriktiven Essverhaltens kommt es zu
19 und Nahrung zu sich nehmen (Guertin 1999), versuchen einer Entkopplung der natürlichen Hunger- und Sättigungs-
anorektische Patientinnen meist so gut wie gar nichts oder signale von der Nahrungsaufnahme, was eine dauerhafte
20 ausschließlich kalorienarme Nahrungsmittel (z. B. Obst) Stabilisierung des Gewichts unterhalb des gesunden, nor-
zu essen und ziehen aus der Fähigkeit, sich besser als alle malen Körpergewichts ermöglicht. In der Minnesota-Studie
anderen zu kontrollieren, ein Gefühl der Macht und Stärke (Keys et al.1950) wurde beobachtet, dass der Körper nach
21 (Bruch 1991). Beendigung der Einschränkung der Nahrungszufuhr wie-
Bei Patientinnen mit einer Bulimia nervosa erscheint der sein normales Gewicht anstrebt bzw. schon während der
22 das Essverhalten für Außenstehende auf den ersten Blick Diät über erhöhte Beschäftigung mit Nahrungsmitteln und
meist unauffällig. Gemeinsam mit anderen essen die Be- Essanfälle den ursprünglichen Zustand herzustellen sucht.
9.2 • Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens
121 9

Bei Frauen mit einer Essstörung treten ähnliche Symp­ mäßige Beschäftigung mit dem Kaloriengehalt der aufge-
tome auf wie die Beeinträchtigung von Hunger- und Sät- nommenen Nahrung und damit eine Aktivierung dysfunk-
tigungsgefühl sowie eine übermäßige Beschäftigung mit tionaler Kognitionen in den Vordergrund rücken würde.
Nahrungsmitteln. Dies wiederum kann zu Essanfällen Wichtig ist, dass auch bei persistierenden Essanfällen und
führen, da durch die eingeschränkten Hunger- und Sät- Erbrechen keine Mahlzeiten ausgelassen werden und eine
tigungssignale kein physiologischer Richtwert mehr zu regelmäßige Struktur aufgebaut wird, um ein natürliches
existieren scheint. Die Durchführung von Diäten und das Hunger- und Sättigungsgefühl zu etablieren und keine
damit einhergehende Übergehen von Hunger- und Sätti- nahrungsbezogenen Deprivationszustände aufkommen
gungssignalen begünstigt damit im Zusammenspiel mit zu lassen (Craighead und Allen 1995).
den somatischen und psychischen Folgeerscheinungen Ist eine regelmäßige Mahlzeitenstruktur aufgebaut,
(▶ Kap. 1 und 7) die Aufrechterhaltung der Essstörung. sollte vermehrt auf die Art und Menge der Nahrungsmit-
Durch die Normalisierung des Essverhaltens soll den Pa- tel eingegangen werden. Wie oben beschrieben, vermeiden
tientinnen zu einer adäquaten Wahrnehmung von Hunger Frauen mit Essstörungen häufig fetthaltige oder hochka-
und Sättigung verholfen werden, wobei gleichzeitig Essan- lorische Speisen und schränken ihre Nahrungsaufnahme
fälle und die ständige Beschäftigung mit Essen reduziert deutlich ein. Um dieses Verhalten aufzugeben, ist es hilf-
werden sollen. reich, zunächst eine Liste mit bislang vermiedenen Nah-
In diesem Kapitel werden daher zunächst die Etablie- rungsmitteln zu erstellen (▶ Abschn. 9.2.4). Dabei sollte
rung eines regelmäßigen und ausgewogenen Essverhal- nicht vernachlässigt werden, Ängste im Zusammenhang
tens und in dessen Rahmen Behandlungselemente zur mit dem Verzehr dieser Speisen zu erfragen und mögliche
Gewichtssteigerung (▶ Abschn. 9.2) sowie nachfolgend dysfunktionale Annahmen zu überprüfen.
die Reduktion und Verhinderung von Essanfällen (▶ Ab- Als Hilfe zur Identifikation von dysfunktionalen An-
schn. 9.3) vorgestellt. nahmen und Verbotslisten können Essprotokolle einge-
setzt werden (▶ Abschn. 9.2.3). Die Analyse der zugrunde
liegenden dysfunktionalen Annahmen hilft, den Patien-
9.2 Interventionen zur Normalisierung tinnen ihr Verhalten im Hinblick auf die Wahl der Nah-
des Essverhaltens rungsmittel und dem Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme
wieder bewusst zu machen, da das gestörte Essverhalten
Um ein regelmäßiges und ausgewogenes Essverhalten meist schon über lange Zeit etabliert ist und damit häufig
zu etablieren, wird der Patientin empfohlen, möglichst automatisierten Prozessen unterliegt. Durch die Selbstbe-
drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten mit einem obachtung und die Bearbeitung der Essprotokolle in der
ausgewogenen Verhältnis von Kohlenhydraten, Fetten Therapie kann so die Automatisierung unterbrochen wer-
und Eiweißen zu sich zu nehmen. Gemäß den Empfeh- den (Bennighoven 1997). Ziel des Durchbrechens dieses
lungen der deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE automatisierten Ablaufs ist die bewusste Veränderung des
2013, http://www.dge.de/modules.php?name=Content& Essverhaltens unter Aufbau von Selbstkontrollfertigkeiten
pa=showpage&pid=15) sollte sich die tägliche Nahrung bzw. bei anorektischen Patientinnen unter Abbau des über-
aus mindestens 50 % Kohlenhydraten, maximal 35 % Fett mäßigen Kontrollverhaltens. Darauf soll nun im Folgenden
bei entsprechender körperlicher Bewegung und 0,8 g Ei- eingegangen werden.
weiß pro kg Körpergewicht bis maximal 2,0 g Eiweiß je kg
Körpergewicht zusammensetzen (DGE 2013, http://www.
Maßnahmen und Unterlagen

-
dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=404).
Übungen
Ein Bestandteil der Haupt- und Zwischenmahlzeiten sollte
Referate durch Gruppenteilnehmer zum Thema

--
Obst und Gemüse sein. Zusätzlich wird empfohlen, täglich
Diäten und gesundes Essverhalten
Milch und Milchprodukte zu konsumieren. Fisch, Fleisch
Erstellen einer Gewichtskurve

-
oder Wurstwaren sollten ca. einmal pro Woche gegessen
Planung strukturierter Esstage
werden und 300–600 g pro Woche nicht übersteigen. Eier
Sammlung von Hinweisen für Hunger- und Sätti-

-
werden in Maßen empfohlen. Der Fettanteil sollte zwi-
gungssignale
schen 60–80 g pro Tag liegen und möglichst aus pflanzli-
Optional: gemeinsames Kochen
cher Herkunft sein (Ernährungsbroschüre, ▶ http://extras.
springer.com).
Der Schwerpunkt der Interventionen zur Normalisie-
rung des Essverhaltens wird zunächst auf die Etablierung
--
Arbeitsmaterialien:
Flipchart, Stifte
Optional: Therapievertrag zur Gewichtssteigerung
bzw. zum Gewichthalten
einer regelmäßigen Mahlzeitenstruktur gelegt. Das Zählen
von Kalorien sollte vermieden werden, da damit die über-
122 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

-
Um den Frauen deutlich zu machen, dass dieses Wissen
1 Arbeitsblätter:
einseitig ist und auf meist nicht wissenschaftlich fundierten
Folgen von Diäten

-
Diätregeln basiert, ist es notwendig, die Annahmen der
(▶ Arbeitsblatt 9.1/9.1B . Abb. 9.4)
2 Anamnestische Gewichtsverlaufskurve
Patientinnen zu überprüfen und als objektive „Tatsachen“

--
hingenommene Fakten kritisch zu hinterfragen.
(▶ Arbeitsblatt 9.2/9.2B . Abb. 9.5)
Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass den Frauen die
3 Essprotokoll (▶ Arbeitsblatt 9.3/9.3B . Abb. 9.6)
Diskrepanz zwischen ihrem tatsächlichen Verhalten und
Maßnahmen zur Strukturierung des Essverhaltens

-
dem eigentlichen Wunsch, sich gesund zu ernähren, be-
4 (▶ Arbeitsblatt 9.4/9.4B . Abb. 9.7)
wusst wird. Dies kann ein guter Motivator sein, um Be-
Etablierung eines neuen Ernährungsverhaltens

-
reitschaft zu wecken, das eigene Essverhalten kritisch zu
(▶ Arbeitsblatt 9.5/9.5B . Abb. 9.8)
5 Verbote und Gebote
reflektieren und im nächsten Schritt auch zu verändern.

-
Daneben ist es nicht nur wichtig, eine gesunde Mahlzei-
(▶ Arbeitsblatt 9.6/9.6B . Abb. 9.9)
tenstruktur und -gestaltung zu thematisieren, sondern
6 Gewichtszunahmevertrag

-
auch über die Folgen von falschem Ernährungsverhalten,
(▶ Arbeitsblatt 9.7 . Abb. 9.10)
insbesondere Diäten, aufzuklären.
7 Gewichtshaltevertrag

-
In einem ersten Schritt werden daher die Motivation,
(▶ Arbeitsblatt 9.8 . Abb. 9.11)
überhaupt Diäten durchzuführen, und deren Folgen auf
Belohnung ambulant

-
körperliche Funktionen, aber auch seelische Zustände
8 (▶ Arbeitsblatt 9.9/9.9B . Abb. 9.12)
thematisiert. In der Gruppe kann dies auf mehrere Arten
Belohnung stationär
geschehen: beispielsweise durch die Bearbeitung eines vor-
9 (▶ Arbeitsblatt 9.10/9.10B . Abb. 9.13)
bereiteten Textes (▶ Informationsbroschüre auf http://extras.
springer.com) in Form eines Referates durch die Gruppen-
10 teilnehmer selbst, aber auch durch Sammeln der Folgen von
Diäten am Flipchart oder per Arbeitsblatt (z. B. Arbeits-
9.2.1 Motivierung zur Veränderung blatt 9.1 „Folgen von Diäten“; s. Beispiel Arbeitsblatt 9.1B
11 des Essverhaltens . Abb. 9.4). Sowohl zur Nachbereitung der Referate als
auch zur Erarbeitung von Diätfolgen am Flipchart können
12 Frauen mit Essstörungen sind aus den Medien zwar oft re- ergänzend folgende Fragen gestellt werden:
lativ gut über den Kaloriengehalt bestimmter Speisen und

-
verschiedene Diäten informiert, dennoch ist ihr Wissen Fragen
13 über eine gesunde Ernährung oft verzerrt. Problematisch
??
Wie viele von Ihnen haben bereits eine oder meh-

--
ist zudem, dass die in der Tagespresse publizierten Ernäh- rere Diäten durchgeführt?
14 rungsempfehlungen und Ratschläge vor allem an überge- Welche Diäten waren das?

--
wichtige Frauen gerichtet und somit für die Zielgruppe Was war der Grund für die Diät?
15 dieses Behandlungsprogramms wenig geeignet sind. Insbe- Wie haben Sie sich mit der Diät gefühlt?
sondere die Empfehlung von stark fettreduzierter Nahrung Fiel es Ihnen leicht, sich an die Diätvorschriften zu

-
ist sehr kritisch, da sie zu unzureichender Nährstoffzufuhr halten?
16 und Schwierigkeiten bei der Verwertung von Nährstoffen Wie sah Ihr Essverhalten nach der Diät aus? Hat es

-
führen kann. Im folgenden Fallbeispiel ist beschrieben, sich verändert? Wenn ja, inwiefern?
17 welche Konsequenzen dieses Laienwissen auf das Essver- Haben Sie das durch die Diät abgenommene Ge-

-
halten haben kann. wicht halten können?

18 Fallbeispiel Frau S.
Welche kurz- und längerfristigen Folgen zeigten
sich auf der körperlichen und seelischen Ebene?
„Ich versuche, mich so gesund wie möglich zu ernähren. Ich
19 esse möglichst wenig Fett und Kohlenhydrate. Außerdem Anleitung
versuche ich, nach 18 Uhr überhaupt nichts mehr zu essen, zu Arbeitsblatt 9.1 Folgen von Diäten

20 da der Körper ja abends nur schlecht verdaut und vor allem Diäten wirken sich nicht nur auf das Gewicht aus, sondern führen auch
zu körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen. Insbesondere
dann auch am meisten Fett angesetzt wird. Außerdem mache bei länger andauernder oder häufiger Durchführung von Diäten sind
ich einmal die Woche einen Obsttag zum Entschlacken. Ich
21 trinke täglich mindestens 2–3 Liter Flüssigkeit, meistens Cola
neben anfänglich möglichen positiven Folgen wie Freude über die Ge-
wichtsabnahme, Gefühl von Energie, negative Auswirkungen häufig.
light, da diese ja kaum Kalorien hat und nicht so viel Zucker Überlegen Sie einmal, wie Sie sich während Ihres andauernden Diät-
22 wie die richtige Cola.“ verhaltens gefühlt haben.
9.2 • Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens
123 9
– Welche körperlichen Veränderungen außer einer möglichen Ge- oder anderem Verhalten, das zu ihrer Essstörung gehört,
wichtsabnahme haben Sie an sich bemerkt? begonnen haben.
– Wie hat sich die andauernde Diät auf Ihr seelisches Befinden ausge-
wirkt?
Anhand des Beispiels in Arbeitsblatt 9.2B (. Abb. 9.5)
Bitte tragen Sie die Punkte in die entsprechenden Kästchen ein. könnte dann die Besprechung der Gewichtsverlaufskurve
so aussehen:
Im Anschluss an die Erarbeitung der Folgen von Diäten
kann eine anamnestische Gewichtsverlaufskurve für die Therapiegespräch
einzelnen Patienten angelegt werden (Arbeitsblatt 9.2 Therapeut: – „Frau S., Sie haben eingetragen, dass Sie bei Beginn der
▶ http://extras.springer.com). Diese dient dazu, die Ent- Bulimie ungefähr 50 kg gewogen haben. Wie sah ihr Essverhalten da-
mals aus? Hatten Sie damals schon Diäten gemacht?“
wicklung des Gewichts in Zusammenhang mit durchge-
Frau S.: – „Ja, ich habe meine erste Diät im Alter von zehn Jahren ge-
führten Diäten, Erbrechen oder exzessivem Sport und wei-
macht. Meine Mutter hat häufig gefastet bzw. Diäten gemacht und ich
teren Faktoren wie wechselnde Lebensumstände, Eintritt wollte unbedingt auch mitmachen. Heute bereue ich das.“
in die Pubertät oder Abschluss der Pubertät zu bringen. Therapeut: – „Hm, das heißt, sie haben bereits im Jugendalter mehrere
Diäten gemacht. Haben Sie durch die Diäten an Gewicht abgenommen?“
Anleitung Frau S.: – „Nein, gewichtsmäßig haben die Diäten langfristig eigentlich
zu Arbeitsblatt 9.2 Anamnestische Gewichtsverlaufskurve gar nichts gebracht – im Gegenteil!“
In Arbeitsblatt 9.2B (. Abb. 9.5) ist der beispielhafte Verlauf einer ana-
Therapeut: – „Haben Sie sich denn mit ihrem Gewicht wohl gefühlt?“
mnestischen Gewichtskurve einer Patientin dargestellt. Auf der vertika-
len Achse ist dazu das Gewicht in kg eingetragen, auf der horizontalen Frau S.: – „Nein, ganz sicher nicht, denn sonst hätte ich ja nie damit
Achse das Alter in Lebensjahren mit Beginn der Essstörung. Je nach angefangen, das Essen zu erbrechen. Schlimm war beispielsweise die
Krankheitsdauer sollte diese Achse mit größeren oder kleineren Ab- Gewichtszunahme als ich meine Freundin in Frankreich besucht habe.
ständen gewählt werden. Wir haben unglaublich viel gegessen und weil ich da gerade in die
Die Patientin wird nun gebeten, in das so entstandene Koordinaten- Pubertät gekommen bin und mein Körper sich sowieso verändert hat,
system das ungefähre Gewicht für jedes Lebensjahr einzutragen und habe ich innerhalb kurzer Zeit fast 6 kg zugenommen. Meine Mutter
zu überlegen, meinte dann, ich sei fett geworden. Da habe ich dann angefangen, zu
– wie das Essverhalten zu diesem Zeitpunkt aussah und erbrechen, wenn ich das Gefühl hatte, dass ich zu viel gegessen habe.
– welche weiteren Lebensbedingungen wie Belastungsgrad (Stress, Das war dann über die Jahre mal mehr, mal weniger. Aber ich habe
Konflikte) oder Ausmaß körperlicher Aktivität vorhanden waren. immer mal wieder Diäten gemacht und mir ein sehr eingeschränktes
Essverhalten angewöhnt. Mit 16 Jahren habe ich beispielsweise mittags
nur ein helles Brötchen gegessen und ein Stück Streuselkuchen, aber
Ein Beispiel zur Besprechung einer Gewichtskurve und den Rest des Tages dann auch nichts mehr – und das über Wochen. Aber
Herausarbeitung des Zusammenhangs zur Essstörung ist tatsächlich abgenommen habe ich damit nichts. Richtig abgenommen
das Folgende: habe ich erst, als ich mich unglücklich verliebt hatte und jeden Tag auf
dem Tennisplatz war und eigentlich so gut wie nichts mehr außer mal
einen Apfel, eine Tasse Milch oder Magerjoghurt gegessen habe.“
Fallbeispiel Besprechung einer Gewichtskurve
Therapeut: – „Wie viel haben Sie denn abgenommen?“
Am Beispiel der Gewichtsverlaufskurve möchte ich nun mit
Frau S.: – „Na ja, das waren am Ende nur noch 42 kg bei 1,68 cm – aber
Ihnen überprüfen, welchen Einfluss Diäten auf Ihren Ge- da ging dann auch gar nichts mehr.“
wichtsverlauf hatten bzw. wie sich Ihr Gewicht über die Jahre Therapeut: – „Und haben Sie die Gewichtsabnahme gehalten?“
entwickelt hat. Dabei möchte ich neben dem Einflussfaktor Frau S.: – „Ja, anfangs schon, aber als ich dann von zu Hause ausge-
Diät auch weitere mögliche Einflussfaktoren herausarbeiten, zogen bin, kamen immer häufiger diese Essanfälle mit Erbrechen und
die bei Ihnen auf das Körpergewicht gewirkt haben könnten. das Gewicht ging dann auch damit wieder hoch. Ich bin in eine richtige
Dies können beispielsweise wechselnde Lebensumstände Spirale reingerutscht und heute habe ich ja ein bis zwei Mal am Tag Ess-
anfälle mit Erbrechen und wiege jetzt wieder 55 kg, obwohl ich eigent-
sein wie der Abschluss der Schule bzw. Beginn des Studi-
lich immer noch streng darauf achte, was ich esse. Allerdings mache ich
ums, Veränderungen im Freizeitverhalten wie Aufgabe von auch nicht mehr ganz so viel Sport, weil ich einfach keine Kraft mehr
Sportarten aufgrund von Zeitmangel oder Verletzungen. dazu habe und auch durch das Studium viel weniger Zeit.“
Auch seelische Belastungen, z. B. ein Auslandsaufenthalt mit
Trennung von Familie und Freunden, Eingehen einer ersten Anhand dieses Fallbeispiels kann deutlich aufgezeigt wer-
Beziehung oder auch die Trennung von einem Partner, kör- den, dass durch die Essstörung das Gewicht nicht stabil
perliche Erkrankungen und ähnliches können hier eine Rolle niedrig bleibt, ohne dass immer extremere Maßnahmen
spielen. Bitte tragen Sie in das entsprechende Arbeitsblatt eingesetzt werden. Die Patientin erkennt, dass die Stabili-
ein, wie Ihre persönliche Gewichtsverlaufskurve aussieht. sierung des niedrigen Gewichts nur über eine starke kog-
Markieren Sie, wann Sie mit Diäten begonnen haben, wann nitive Kontrolle erreicht wird, welche aber auch Essanfälle
erste Essanfälle und Erbrechen auftraten bzw. wann Sie im- nach sich zieht und diese führen trotz Erbrechens zu einer
mer weniger gegessen haben oder mit exzessivem Sport Gewichtszunahme.
124 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

9.2.2 Einführung und Auswertung zz Einführung der Essprotokolle


1 der Essprotokolle Das von uns verwendete Essprotokoll (Arbeitsblatt 9.3;
Beispiel Arbeitsblatt 9.3B . Abb. 9.6) ist bereits für die
2 Nachdem die Patientinnen durch die Informationsvermitt- vorgeschriebenen Mahlzeiten (3 Hauptmahlzeiten, 2 Zwi-
lung hinsichtlich einer ausgewogenen und ausreichenden schenmahlzeiten) unterteilt, um eine gesonderte Übersicht
Ernährung und die Auswertung der anamnestischen über die Mahlzeitenstruktur zu erhalten und den Patientin-
3 Gewichtsverlaufskurve genügend Hintergrundwissen er- nen frühzeitig Einsicht in den Aufbau eines regelmäßigen
worben haben, kann mit dem nächsten Schritt – der Nor- Essverhaltens zu geben. Zusätzlich sollen im Rahmen der
4 malisierung des Essverhaltens – begonnen werden. Dazu Essprotokolle auch Gegenmaßnahmen wie Erbrechen und
werden, wie bereits in ▶ Kap. 4 beschrieben, Essprotokolle die Einnahme von Abführmitteln, aber auch sportliche Ak-
5 eingesetzt. In der Anfangsphase dient das Essprotokoll tivitäten und Flüssigkeitsaufnahme erfasst werden. Dies
vornehmlich der Erfassung der Schwere und Ausprägung gibt einen breitgefächerten Überblick über alle möglichen,
des gestörten Essverhaltens und zur Überprüfung der zu- das Essverhalten beeinflussenden Variablen und mögliche
6 grunde liegenden Mechanismen. Durch das Essprotokoll medizinische Risikofaktoren (wie Dehydration etc.).
besteht damit die Möglichkeit, das zu verändernde Ver-
7 halten zunächst zu beobachten. Darüber hinaus kann das Anleitung
Essprotokoll Aufschluss über die Introspektionsfähigkeit zu Arbeitsblatt 9.3 Essprotokoll
Bei der Einführung der Essprotokolle sollten Art und Menge der Nah-
sowie die Motivation der Patientin geben. Insgesamt dient
8 es dem aktiven Einbezug der Patientin in den therapeuti-
rung, Ort, Uhrzeit und Dauer der Nahrungsaufnahme und anwesende
Personen erfasst werden. Dabei ist zu beachten, dass die Patientinnen
schen Prozess (Benninghoven 1997; ▶ Kap. 4). nicht zum Kalorienzählen oder Abwiegen der verzehrten Nahrung an-
9 Die so gewonnenen Informationen sind außerdem von gehalten werden, da dies die gedankliche Fixierung auf eine antizipierte
großer Wichtigkeit für die weitere Therapieplanung, um Gewichtszunahme weiter fördern würde. Angaben wie „ein großer Teller
Salat“ oder „zwei Schöpflöffel Gemüseauflauf“ sollten ausreichen, damit
10 sowohl die Interventionen zur Veränderung des Essver-
der Therapeut in etwa die Kalorien der aufgenommenen Nahrung und
haltens daraus abzuleiten als auch adäquate Strategien zum die Menge bemessen kann. Es ist wichtig, die Patientinnen darüber
Abbau von Essanfällen zu erarbeiten (▶ Abschn. 9.2).
11 Die Einführung der Protokolle sollte gut begründet
aufzuklären, dass die Eintragungen zeitnah nach dem Essen gemacht
werden sollten, um retrospektive Verzerrungen zu vermeiden und ein
und genaue Anweisungen zum Ausfüllen gegeben wer- möglichst realistisches Abbild des tatsächlichen Essverhaltens zu be-

12 den, da es sonst zu Schwierigkeiten bei der Bearbeitung kommen. In diesem Zusammenhang sollte auch festgelegt werden,
dass das Führen des Ernährungstagebuchs als verbindliche Vereinba-
und Interpretation kommen kann. Zunächst wird daher rung getroffen wird und mit zur Therapie gehört.
im Folgenden auf die den Patientinnen zu vermittelnden
13 Informationen zum Ausfüllen und anschließend auf die
Zu beachten ist, dass Patientinnen oft Schwierigkeiten beim Ausfüllen
der Essprotokolle haben, da dies mit einem relativ hohen Aufwand ver-
Interpretation der Protokolle näher eingegangen. In der bunden ist oder aber unangenehm oder peinlich sein kann, wenn es
14 folgenden Übersicht sind noch einmal die Ziele von Ess­ im Beisein anderer geschieht. Darüber hinaus kann es für die Patien-
tinnen auch bedrohlich sein, mit der konsumierten Nahrungsmenge
protokollen aufgeführt (Benninghoven 1997; ▶ Kap. 4). konfrontiert zu werden, da sie bereits bei kleinsten Nahrungsmengen
15 eine Gewichtszunahme befürchten. Aus therapeutischen Gründen soll-

-
ten zusätzlich ausgeführte Tätigkeiten/Situationen sowie Gedanken und
Ziele von Essprotokollen Gefühle vor und/oder nach dem Essen erfasst werden. Dies bietet die
16 Diagnostische Funktion: Erfassung der Art und Möglichkeit, situationsspezifische Auslöser wie „alleine sein“ und ne-

- Menge der verzehrten Nahrung gative Gedanken oder Gefühle, welche zur Auslösung eines Essanfalles
führen können, zu identifizieren. Im Vordergrund steht hierbei die Klä-
17 Ableitung der weiteren Interventionstechniken:
Identifikation von internen (z. B. emotionalen) und
rung von Zusammenhängen zwischen den auslösenden Bedingungen
und den Verhaltenskonsequenzen. Durch die Herausarbeitung dieser
externen (z. B. Buffet) Auslösebedingungen für Fas- Zusammenhänge kann das Symptom entmystifiziert werden. Damit
18 ten, Essanfällen und kompensatorische Strategien verliert es seinen undurchschaubaren und unkontrollierbaren Charakter.

19 - (z. B. Erbrechen)
Aufbau von Selbstkontrolle: Unterbrechung
automatisierter Handlungsabläufe durch sofortige
zz Auswertung von Essprotokollen

-
Der Therapeut sollte die Essprotokolle nie unkommentiert
Protokollierung
20 Therapieerfolgskontrolle: Überprüfung von Verän-
lassen. Die Mühen der Patientin, die mit dem regelmäßigen
Ausfüllen der Tagebücher verbunden sind, sowie die oft
derungen des Essverhaltens
belastende Auseinandersetzung mit der verzehrten Nah-
21 rungsmenge sollte gewürdigt werden. Dazu ist es wichtig,
die Protokolle mit der Patientin entweder gemeinsam im
22 Einzelgespräch oder in der Gruppe (bzw. alternativ auch
mit einem Ökotrophologen) zu analysieren. Dabei sollten
9.2 • Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens
125 9

die verschiedenen Aspekte des Essprotokolls (Zeit, Ort, der Herausarbeitung interner und externer Auslöser für
Menge, Auswahl der Nahrungsmittel, Gedanken, Gefühle Essanfälle aussehen könnte.
etc.) und Hypothesen über Gründe für die Auslösung von
einzelnen Essanfällen bzw. dem Auslassen von Mahlzeiten Therapiegespräch
besprochen werden (▶ Kap. 2). Therapeut: – „Wenn Sie Ihr Essprotokoll betrachten, was fällt Ihnen
Als Erstes kann auf die Uhrzeit der Mahlzeiten geachtet dabei auf?“
werden, um zu ersehen, wann und in welchen Abständen Frau S.: – „Das Schreiben war schrecklich, ich hatte jedes Mal ein
schlechtes Gewissen, wie viel ich gegessen habe. Wenn ich es auf-
Nahrung zu sich genommen wurde. Diesem Vorgehen lie-
schreibe, dann sieht es so viel aus.“
gen die Forschungsbefunde zum restriktiven Essverhalten
Therapeut: – „Hm, sieht das nur so aus, oder ist das tatsächlich so? Was
zugrunde (▶ Kap. 2). Abstände zwischen den Mahlzeiten glauben Sie?“
von mehr als 3–4 Stunden können zu physiologischer Frau S.: – „Na ja, für andere ist das sicher wenig und ich habe ja auch
Mangelerscheinung führen und damit Essanfälle auslösen nicht zugenommen, von daher kann es nicht wirklich viel gewesen sein.“
(▶ Abschn. 9.2.4). Ein weiterer wichtiger Punkt ist zudem Therapeut: – „Woran machen Sie denn fest, was viel ist und was nicht?“
die zeitliche Dauer der Mahlzeiten. Wie bereits beschrie- Frau S.: – „Also, ich habe z. B. mittags fast eine halbe Seite vollgeschrie-
ben, neigen Patientinnen mit einer Anorexia nervosa dazu, ben.“
die Nahrungsmittel stark zu zerkleinern und ausgiebig zu Therapeut: – „Lesen Sie das mal vor.“
kauen, während Patientinnen mit einer Bulimia nervosa Frau S.: – „0,5 l Wasser, 1/2 Apfel, 1 Joghurt (0,3 % Fett) 1/2 Banane, je ein
eher zu schnell essen (▶ Abschn. 9.1). Beides führt durch Löffel Haferflocken, Schrot und helle und dunkle Weizenkleie. 1 Back-
die jeweils übermäßig kurze bzw. lange Dauer der Nah- pflaume. Na ja, wenn ich das so lese, dann klingt das wahrscheinlich
eher viel, weil viele verschiedene Sachen drin sind, aber dafür von allem
rungsaufnahme zu Schwierigkeiten, den Sättigungsgrad
wenig. Außerdem alles kalorienarm und fettreduziert, und das Wasser
adäquat wahrzunehmen. habe ich natürlich vor dem Essen getrunken.“
Die Nachbesprechung der Essprotokolle sollte darauf Therapeut: – „Ja. Das ist alles richtig: An diesem Tag haben Sie sehr ka-
fokussieren, an welchem Ort und in Anwesenheit welcher lorien- und fettreduziert gegessen, und abends steht hier ein Essanfall.
Personen besonders wenig oder besonders viel gegessen Könnte es da einen Zusammenhang geben? Wie war das denn mit dem
wurde. Bezüglich der Essanfälle können anhand der Ess­ Hunger vor dem Essanfall?“
protokolle mögliche externe Auslösebedingungen von Frau S.: – „Na ja, Hunger hatte ich eigentlich keinen, aber eben so einen
Essanfällen (▶ Kap. 2) wie „alleine zu Hause sein“ oder ganz starken Drang zu essen, dem ich irgendwann abends nicht mehr
standhalten konnte. Ich habe ja versucht, erst ein bisschen Obst und
Reize wie Essensgeruch oder Anblick von Nahrungsmit- Möhren zu essen, aber das ist mir dann entglitten.“
teln identifiziert und Hinweise auf Belastungssituationen Therapeut: – „Könnte das starke Verlangen zu essen denn vielleicht
(z. B. interpersonelle Konflikte) erhalten werden. Mögli- doch Hunger gewesen sein? Sie haben seit dem Mittagessen bis 20 Uhr
cherweise ergibt sich ein wiederkehrendes Muster, und oft nichts gegessen und vor dem Mittagessen waren Sie 1 Stunde schwim-
sind die gleichen Personen involviert wie Eltern, Partner, men. Sie hatten nur Joghurt und Weizenkleie zum Frühstück und das
Mittagessen bestand aus Salat. Dafür, dass Sie beim Schwimmen eine
Geschwister oder Arbeitskollegen.
Menge Energie verbraucht haben, haben Sie sehr wenig gegessen. Wäre
Daneben sollte überprüft werden, ob beispielsweise es da nicht erst mal normal, Hunger zu bekommen?“
vor dem Fernseher gegessen und durch diese Ablenkung Frau S.: – „Ja, wohl schon. Also könnte der Essanfall, den ich abends
die Hunger-Sättigungs-Wahrnehmung zusätzlich beein- hatte, als es mir langweilig war und ich so unruhig war, wirklich auch
trächtigt wird. Des Weiteren können anhand der Esspro- daher kommen, dass ich zu lange nichts gegessen habe?“
tokolle Zusammenhänge zwischen bestimmten internen Therapeut: – „Ja, das wäre eine Möglichkeit.“
Auslösebedingungen wie beispielsweise vorausgegange-
nen Emotionen und der Mahlzeitenaufnahme bzw. Ess- Bei Patientinnen mit einer Anorexia nervosa können die
anfällen oder Nahrungsverweigerung aufgedeckt werden. Essprotokolle ähnlich analysiert und besprochen werden.
Insbesondere die internen Auslösebedingungen heraus- Im Vordergrund steht hier allerdings die restriktive Nah-
zuarbeiten gestaltet sich mitunter zunächst schwierig, da rungszufuhr, die häufig mit sehr positiven Gefühlen wie
viele Patientinnen Schwierigkeiten haben, Emotionen Stolz auf die eigene Disziplin, Gefühl von Kontrolle und
zu diskriminieren bzw. zu benennen. Aus der Literatur Sicherheit, aber auch Überlegenheit gegenüber anderen
(Übersicht Legenbauer 2002) sind hinsichtlich mögli- einhergeht. Die Veränderung des Essverhaltens ist hier
cher an Essanfällen beteiligter Emotionen Ärger, Enttäu- bedeutend schwieriger, da das Nicht-Essen vornehmlich
schung und Frustration, Langeweile, Einsamkeit, Angst mit positiven Konsequenzen verbunden ist, die negativen
und Scham zu nennen. Auf der kognitiven Ebene werden Konsequenzen, welche meist sozialer oder körperlicher
häufig Gedanken wie „Ich muss mir jetzt etwas Gutes Art sind, aber nur langfristig spürbar sind. An dieser
tun!“ oder „Das war bestimmt zu viel eben“ beschrieben Stelle kann beispielsweise noch einmal auf die bereits er-
(▶ Kap. 2). Der folgende Dialog zeigt exemplarisch, wie arbeiteten kurzfristigen und langfristigen Folgen der Ess-
die Besprechung eines solchen Essprotokolls hinsichtlich störung verwiesen werden (▶ Kap. 7), um die Patientin-
126 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

-
nen zu motivieren, sich mit dem gestörten Essverhalten
1 auseinanderzusetzen und Bereitschaft zur Veränderung 12.30: Mittagessen
1 Stück gegrilltes Fleisch, 3 EL gekochter Reis, Brok-

--
zu entwickeln.
koli
2 Obstsalat,

3
9.2.3 Etablierung strukturierter Esstage
- 1 Glas Mineralwasser
1 Tasse Kaffee oder Tee

4
Die Einführung sog. strukturierter Esstage (Waadt et al.
1992; Fairburn et al. 1993) geschieht mit dem primären
Ziel, das meist chaotische Ernährungsverhalten von Pa-
--
15.30: Zwischenmahlzeit
Tee mit Milch,
1 Stück Obst oder Joghurt oder 2–3 Plätzchen oder
1 Riegel Schokolade

-
5 tientinnen mit Bulimia nervosa bzw. das strenge Diätver-
18.30: Abendessen
halten der Anorexiepatientinnen zu normalisieren. Hier-
2 Scheiben Brot mit Käse und Tomatenscheiben,

--
bei werden die Patientinnen darin unterstützt, über den
6 Tag hinweg regelmäßige und ausreichende Mahlzeiten zu angemachter Salat,
2 Kugeln Vanilleeis mit 4 EL heißen Himbeeren,
etablieren. Hierdurch soll die Wahrscheinlichkeit des Auf-
7 1 Glas Mineralwasser, 1 Tasse Tee mit Milch

-
tretens von Essanfällen, die auf physiologische und psy-
Betthupferl
chologische Deprivationszustände zurückgeführt werden
heißes Getränk mit Milch
können, gesenkt werden. Die bulimischen Patientinnen
8 sollen so selbst die Erfahrung machen, dass regelmäßige
Mahlzeiten zur Verminderung von Heißhunger führen
9 und außerdem, dass durch ein normales Essverhalten Als Richtwerte für einen ausgewogenen Ernährungs-
nicht zwangsläufig zugenommen wird. Zur Einführung der tag werden von Bents (1995) beispielsweise insgesamt
10 strukturierten Esstage wird zunächst mit der Patientin ver- 2000 kcal vorgeschlagen, wobei sich die Verteilung auf die
einbart, an einem Tag der Woche solch einen strukturier- Mahlzeiten wie folgt gestalten sollte: Frühstück 500 kcal;
ten Esstag durchzuführen. Bei erfolgreicher Realisierung Zwischenmahlzeit 200 kcal; Mittagessen 600 kcal; Zwi-
11 soll sich die Patientin mit einer bereits vorher festgelegten schenmahlzeit 200 kcal; Abendessen 500 kcal. Andere
Belohnung verstärken (Waadt et al. 1992). Autoren berichten vor allem bei anorektischen Patientin-
12 In der Therapiesituation wird nun zunächst anhand nen von einem Minimum von 2500 kcal pro Tag (Winston
des oben beschriebenen Essprotokolls mit der Patientin und Webster 2003). Da bei essgestörten Patientinnen der
besprochen, welche Mahlzeiten sie in den Tagesablauf ein- Grundumsatz (= die Energie, die für alle lebensnotwendi-
13 bauen möchte. Durch die vorangegangen Übungsschritte gen Funktionen des Körpers in Ruhe zur Verfügung stehen
sollte die Patientin in der Lage sein möglichst eigenstän- muss) reduziert sein kann, kommt es möglicherweise an-
14 dig Vorschläge zur Umsetzung eines solchen strukturierten fänglich im Rahmen der Normalisierung des Essverhaltens
Esstags zu machen. Als Hilfestellung kann sie zudem die zu einer stärkeren Gewichtszunahme. Es scheint jedoch,
15 Informationsbroschüre zur Ernährung (▶ http://extras. dass sich eine übermäßige Fettanlagerung innerhalb eines
springer.com) nutzen, um zusätzliche Anhaltspunkte bei Jahres wieder reguliert (Garner 1997).
der Planung der Mahlzeiten zu erhalten. Die Broschüre Wenn die Durchführung der strukturierten Esstage
16 beinhaltet Informationen darüber, wie ein ausgewogener einmal pro Woche gut umgesetzt wird, wird die Struktu-
Ernährungstag aussehen könnte. Beispielsweise könnte ein rierung Schritt für Schritt auf mehrere Tage ausgedehnt,
17 strukturierter Esstag wie folgt geplant sein (Ernährungs- bis jeden Tag geregelte Mahlzeiten eingenommen werden
broschüre auf der ▶ http://extras.springer.com): (Waadt et al. 1992).
Zusätzlich kann den Patientinnen das Arbeitsblatt 9.4
18 „Maßnahmen zur Strukturierung des Essverhaltens“
Ernährungsplan für einen strukturierten Esstag

-
vorgelegt werden. Dieses soll der Unterstützung bei der
19 7.15: Frühstück
Planung und Durchführung der strukturierten Esstage
1 Glas Orangensaft, 1 Portion Müsli (3 EL), eine Tasse

-
dienen, da bei der Planung eines strukturierten Esstags
Milch,
20 1 Brötchen, 1 Portion Butter oder Margarine, 1 EL
zusätzliche situative Faktoren wie Ort oder Umgebungs-

-
bedingungen (Musik, Fernsehen) die Durchführung er-
Marmelade,
schweren können. Darüber hinaus sollten neben der An-
21 1 große Tasse Tee oder Kaffee

-
zahl und Zusammensetzung der Mahlzeiten und situativen
10.30: Zwischenmahlzeit
Faktoren auch Genussaspekte beachtet werden. Beispiels-
22 Tee oder Kaffee mit Milch, 1 Joghurt mit Obst
weise könnte sich eine Patientin durch Fernsehen oder PC
während des Essens ablenken. Dies könnte einerseits zu
9.2 • Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens
127 9

Überessen durch Unaufmerksamkeit führen, zum ande- des Frühstücks könnte nun unter Verweis auf die Infor-
ren aber auch Vermeidungsverhalten von Patientinnen mit mationen zur ausgewogenen und gesunden Ernährung (s.
Anorexia nervosa verstärken. Daher sollte mit der Patien- auch Informationsbroschüre auf der ▶ http://extras.sprin-
tin anhand des Arbeitsblattes 9.4 herausgearbeitet werden, ger.com bzw. ▶ Abschn. 9.2.1) besprochen werden, dass ein
welche Verhaltensweisen bei der Etablierung regelmäßiger ausgewogenes Frühstück ein notwendiger Schritt für einen
Mahlzeiten unterstützend sein könnten. Zusammen mit guten Start in den Tag ist, um Kraft und Energie für die
ihr soll im Anschluss überlegt werden, welche dieser hilf- Schule/Studium/Beruf zu erlangen. Meist leben die Patien-
reichen Verhaltensweisen sie zusätzlich zur Steigerung der tinnen nach mehreren dysfunktionalen Regeln, welche mit
Anzahl der Mahlzeiten bis zur nächsten Therapiesitzung Hilfe des Arbeitsblattes 9.5 „Etablierung eines neuen Er-
ausprobieren könnte. nährungsverhaltens“ (Beispiel 9.5B . Abb. 9.8) gesammelt
und geändert werden sollten. Bei der Identifikation solcher
Anleitung Regeln ist es wichtig, dass sich diese Regeln in Verhaltens-
für das Arbeitsblatt 9.4 Maßnahmen zur Strukturierung des Essverhaltens weisen widerspiegeln und nicht auf allgemeine Dinge wie
„Wir haben besprochen, dass die Einführung von strukturierten Esstagen
„Wurst ist ungesund“ beziehen. Dies ist relevant, damit kon-
hilfreich ist, um nach und nach wieder ein geregeltes Essverhalten aufzu-
bauen. Zusätzlich zur Steigerung der Anzahl der Mahlzeiten sollten da-
krete Verhaltensweisen abgeleitet werden können, welche
bei auch weitere Dinge beachtet werden wie beispielsweise der Ort, an die Patientinnen schrittweise im Rahmen strukturierter
dem gegessen wird, ob es störende Einflüsse gibt, die verhindern, dass Esstage umsetzen sollen. Im Folgenden finden Sie einen
Sie sich auf das Essen konzentrieren, wie beispielweise vor dem PC zu kurzen Dialog zur Erarbeitung einer verhaltensleitenden
essen oder während des Fernsehens. Auch die Planung der Mahlzeiten
Ernährungsregel.
und der Einkauf können eine Herausforderung sein und es erschweren,
einen strukturierten Esstag durchzuhalten. Daher möchte ich mit Ihnen
gerne überlegen, welche Maßnahmen oder Verhaltensweisen die Durch- Therapiegespräch
führung des strukturierten Esstags unterstützen könnten. Ein Beispiel Therapeut: – „Wir hatten ja vereinbart, dass Sie in der letzten Wo-
wäre, keine Vorräte anzulegen oder es sich beim Essen schön zu ma- che einen strukturierten Esstag durchführen und es hat Ihnen große
chen. Auf dem Arbeitsblatt ‚Maßnahmen zur Strukturierung des Essver- Schwierigkeiten bereitet überhaupt schon das Frühstück zu sich zu
haltens‘ (Arbeitsblatt 9.4B . Abb. 9.7) sind einige Beispiele. Ich möchte nehmen. Ich möchte mit Ihnen daher gerne noch einmal überlegen,
Sie nun bitten, dass jede für sich überlegt, welche Maßnahmen sie bei welche Ernährungsregeln Ihr Verhalten leiten. Dies zu verstehen ist oft
der Planung der Mahlzeiten wie dem Einkauf und der Vorbereitung der hilfreich, wenn wir Schritt für Schritt ein neues Essverhalten etablieren
Mahlzeiten oder auch beim Essen selbst ergreifen könnte. Im Anschluss möchten. Fallen Ihnen denn spontan Regeln ein, die Ihr Essverhalten
möchte ich mit Ihnen dann überlegen, welche der Verhaltensweisen Sie bislang gesteuert haben oder sollen wir dazu noch einmal Ihr Esspro-
bis zur nächsten Woche ausprobieren könnten. Haben Sie Fragen dazu?“ tokoll anschauen?“
Frau A.: – „Also eine ganz wichtige Regel ist natürlich, keine Lebensmit-
tel, die viel Fett oder Kalorien haben, zu essen.“
Bei Patientinnen, die große Schwierigkeiten haben, eine
Therapeut: – „Ja okay, was bedeutet das aber konkret?“
Tagesstrukturierung des Essens durchzuführen, was oft
Frau A.: – „Naja, dass ich beispielsweise keine Süßigkeiten esse.“
bei Patientinnen mit Anorexia nervosa aufgrund der be-
Therapeut: – „Okay. Das ist ein Verbot. Darauf möchte ich später noch
sonders ausgeprägten Angst vor einer Gewichtszunahme einmal zurückkommen. Mir geht es jetzt vor allem um Regeln, die Ihr
der Fall sein kann, kann auch ein gestaffeltes Vorgehen wie Essverhalten konkret lenken. Auf ihr Beispiel bezogen könnte eine
die Planung nur einer normalen Mahlzeit als Alternative Regel, die Ihr Ernährungsverhalten lenkt so etwas sein wie ‚Salat und
zu Beginn in Betracht gezogen werden. Eine weitere un- Gemüse darf ich essen, soviel ich will‘. Stimmt das?“
terstützende Intervention ist es, sich mit den Patientinnen Frau A.: – „Ja, das ist richtig.“
noch einmal die dem Essverhalten zugrunde liegenden all- Therapeut: – „Okay: Das könnten wir doch als eine ernährungsbezo-
gemeinen Ernährungsregeln zu vergegenwärtigen, welche gene Regel aufschreiben, wenn es jetzt darum geht, ein neues ausge-
wogenes Essverhalten zu etablieren. Wie müssten wir die Regel dann
dazu führen, dass das restriktive Essverhalten aufrechter-
modifizieren, damit sich das auch in Ihrem Verhalten zeigen kann?“
halten wird. Dazu kann mit den Patientinnen erneut das
Frau A.: – „Naja, nur Salat oder Gemüse wäre ja nicht ausgewogen. Ich
Essprotokoll zu Rate gezogen werden. Hier wird häufig ein müsste mir also sagen, dass ich zum Salat oder Gemüse so etwas wie
Verhaltensmuster deutlich, welches sich beispielsweise in Kartoffeln, Brot, Reis oder Nudeln dazu essen müsste.“
der Struktur der Nahrungsaufnahme und der Auswahl der Therapeut: – „Ja, das wäre sehr gut. Wie könnte dann die neue Ernäh-
Nahrungsmittel widerspiegelt. So kann eine Ernährungs- rungsregel lauten?“
regel sein, dass kein Frühstück zu sich genommen werden Frau A.: – „Zu Salat und Gemüse gehören Kohlenhydrate wie Reis, Brot
darf, um die Nahrungsaufnahme möglichst lange hinaus- oder Kartoffeln.“
zuzögern oder die Tageskalorien durch das Weglassen des
Frühstücks insgesamt zu reduzieren. Ziel der Intervention Mit der Patientin sollten analog zu dem oben dargestellten
ist es, diese Regeln zu identifizieren und neue, alternative Beispiel die verschiedenen Regeln herausgearbeitet wer-
Regeln zu erarbeiten, welche die Etablierung eines gesun- den. Weitere Beispiele finden sich dazu auf Arbeitsblatt 9.5
den und ausgewogenen Essverhaltens fördern. Hinsichtlich „Etablierung eines neuen Ernährungsverhaltens“. Ziel ist
128 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

es, dass die Patientin verschiedene Regeln für sich selbst mögliche Schwierigkeiten oder Fehler in der Nahrungszu-
1 identifiziert und je nach Schwierigkeitsgrad zur Unterstüt- sammenstellung, wie zu geringe Mengen, zu identifizieren.
zung des strukturierten Esstags im Verlauf der nächsten
2 Woche die besprochenen Veränderungen umsetzt.
Falls sehr viele einzelne Nahrungsmittel vermieden 9.2.4 Maßnahmen
werden, kann zudem eine Liste der „verbotenen“ und „er- zur Gewichtssteigerung
3 laubten“ Nahrungsmittel erstellt (vgl. Fairburn et al. 1993; und -stabilisierung
Legenbauer und Vögele 2004) und mit der Patientin verein-
4 bart werden, diese nach und nach in den Mahlzeitenplan Trotz der Folgen der Unterernährung (z. B. Haarausfall,
aufzunehmen (Arbeitsblatt 9.6). Dazu ist ein erstes kogni- Konzentrationsmangel) besteht zumeist eine ausgeprägte
5 tives Intervenieren notwendig, um die mit den jeweiligen Angst vor einer Gewichtszunahme, welche sowohl bei
Nahrungsmitteln assoziierten Ängste und Fehlannahmen Patientinnen mit Anorexia nervosa trotz der Auszehrung
zu erfragen und die Patientin anzuregen, diese kritisch zu und des objektiv viel zu niedrigen Gewichts als auch bei
6 überprüfen und zu verändern. Die Speisen sollten zudem der Bulimia nervosa vorhanden ist, so dass die Motiva-
immer wieder verzehrt werden um zu gewährleisten, dass tionslage hinsichtlich des Einsatzes von Gewichtssteige-
7 die Nahrungsmittel ohne Schwierigkeiten dauerhaft in den rungsprogrammen zumeist ambivalent ist (▶ Kap. 7). Die
Speiseplan integriert sind. Therapievereinbarungen hinsichtlich des zu erreichenden
Der Abbau des Verzichts auf „verbotene“ Lebensmittel Gewichts sind meist ein brisanter Punkt in der Behand-
8 dient dabei der Verhinderung von Essanfällen, da Verbote lung und sollten deshalb keinesfalls im Gruppensetting
die Attraktivität des betroffenen Lebensmittels erhöhen erfolgen, sondern bereits zu Behandlungsbeginn im Ein-
9 und die Gefahr des Kontrollverlusts mit der Stärke eines zelgespräch festgelegt werden. Bestenfalls werden die Pa-
wachsenden Verlangens immer größer wird. Sobald die tientinnen bereits vor Behandlungsbeginn über die Rah-
10 Patientin einem Lebensmittel angstfrei gegenüber steht menbedingungen des Behandlungsprogramms und die
und dieses regelmäßig verzehrt werden kann, wird es von Inhalte der Therapieverträge informiert. Dieser Abschnitt
der „Verbotseite“ der Liste gestrichen und auf der „Erlaubt- gibt einen Überblick über die existierenden Programme
11 seite“ ergänzt. zur Gewichtssteigerung und -stabilisierung. Sie basieren
zumeist auf operanten Verstärkerprogrammen und sind
12 Anleitung im deutschsprachigen Raum beispielsweise bei Jacobi et al.
für das Arbeitsblatt 9.6 Verbote und Gebote (2000), Borgart und Meermann (2004) sowie im interna-
„Wir haben nun schon einiges auf dem Weg zur Verbesserung des Ess-
tionalen Raum bei Garner et al. (1997) und Treasure et al.
13 verhaltens erreicht. Allerdings fällt mir auf, dass Sie immer noch sehr
(2003) nachzulesen. Vorgeschlagen werden vor allem für
gezügelt essen und nur eine sehr eingeschränkte Auswahl an Nahrungs-
mitteln in den Speiseplan aufnehmen. Ich möchte daher mit Ihnen noch das stationäre Setting gestufte Vorgehensweisen, welche
14 einmal auf Ihre Ge- und Verbote zurückkommen und mit Ihnen gezielt in Selbst- und Fremdbestimmungsphasen aufgeteilt sind.
üben, einzelne Lebensmittel wieder zu essen. Dazu möchte ich Sie bit- Selbstbestimmung bezieht sich dabei auf eine eigenstän-
15
ten, in das Arbeitsblatt 9.6 ‚Verbote und Gebote‘ die Nahrungsmittel
dige Regulation von Aktivitäten und Nahrungsaufnahme,
einzutragen, die Sie sich verbieten und das Verbot zu begründen und
dann genauso mit den Lebensmitteln zu verfahren, die Sie sich erlau-
Fremdbestimmung beinhaltet die Regulierung dieser
Bereiche durch den Therapeuten. Ist das Gewichtsziel er-
16 ben. Wie so etwas aussehen kann, können Sie hier auf dem Beispielar-
beitsblatt 9.6B (. Abb. 9.9) sehen. Sinnvoll ist es, die Lebensmittel, die reicht, kommt es zu einer Stabilisierungsphase, bei Nicht-
Sie erfolgreich in den Speiseplan eingebaut haben, dann in die ‚Erlaubt- erreichen des Gewichtsziels trotz des Fremdkontrollpro-
17 Liste‘ aufzunehmen und aus der ‚Verbotsliste‘ zu streichen.“
gramms wird ein sehr striktes Einschränkungsprogramm
eingesetzt. Die einzelnen Stufen und Behandlungsschritte
Die strukturierten Esstage dienen anfangs als Hilfestel- werden im Folgenden beschrieben.
18 lung zur Etablierung eines geregelten Essverhaltens und
als Modell dafür, wie eine regelmäßige Mahlzeitenstruk- zz Gewichtssteigerungsvertrag
19 tur aussehen kann. Nach und nach sollte jedoch nicht nur Das Zielgewicht wird unterschiedlich definiert (Winston
die Häufigkeit, sondern auch die Struktur der Mahlzeiten und Webster 2003), es sollte allerdings nicht unter einem
20 flexibler gestaltet werden: So kann im Laufe der Zeit nur BMI von 18 kg/m2 liegen, da die Rückbildung der Stoffwech-
noch die Anzahl der Mahlzeiten (3 Haupt- und 2 Zwi- selveränderungen sonst nicht gewährleistet ist und damit
schenmahlzeiten), welche eingenommen werden sollten, eine erhöhte Rückfallgefahr besteht (Pirke 1989). Gemäß
21 vereinbart werden. Die Patientin kann dann aber in der den Leitlinien zur Essstörungsbehandlung (Herpertz et al.
Situation „spontan“ auswählen, wann und was sie genau 2011) wird eine Gewichtszunahme von 500–1000 g pro Wo-
22 essen will. Die Nachbesprechung der Mahlzeiten an solch che bei stationären Aufenthalten und von 500 g im ambu-
„freien“ Esstagen anhand der Essprotokolle ist wichtig, um lanten Setting empfohlen. Die Gewichtszunahme von 500–
9.2 • Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens
129 9

1000 g pro Woche erfordert dabei zwischen 3500–7000 kcal kann. Dies ist sinnvoll, um mögliche Manipulationen des
zusätzlich zum normalen Wochenbedarf (National Institute Gewichts in Form von Zutrinken, in der Kleidung ver-
for Clinical Excellence, NICE 2004). Eine Studie von Her- steckten Gewichten und Ähnlichem durch die Patientin zu
zog et al. (2004) konnte in diesem Zusammenhang zeigen, verhindern. Im stationären Setting sollte das Wiegen vom
dass Gewichtssteigerungsprogramme mit eher niedrigem Pflegepersonal vorgenommen werden. Im Arbeitsblatt 9.7
wöchentlichen Gewichtsziel (500 g Gewichtszunahme pro ist ein Beispiel für einen Gewichtssteigerungsvertrag dar-
Woche) deutlich bessere Ergebnisse erzielten, als Gewichts- gestellt (. Abb. 9.10), welcher je nach Setting (stationär
steigerungsprogramme mit höheren Gewichtszielen (750 g vs. ambulant) angepasst werden kann. Dieser beinhaltet
pro Woche). Herzog (2000) wies zudem nach, dass eine eine Einverständniserklärung zur Gewichtszunahme und
langsamere Gewichtszunahme bei ambulanten Patientinnen eine Einwilligung in damit verbundene Maßnahmen wie
(500 g pro Woche) auch nach Ende der Behandlung stabil regelmäßige Mahlzeiten (drei Hauptmahlzeiten und zwei
blieb gegenüber den häufig raschen Gewichtsabnahmen Snacks), das Unterlassen von Gegenmaßnahmen wie Sport
nach stationären Programmen. Es zeigte sich allerdings, oder Erbrechen. Die Gewichtszunahme ist in Anlehnung an
dass bei hohen Gewichtszunahmezielen im stationären die in der Literatur beschriebenen Stufenprogramme in drei
Setting auch höhere Gewichtszunahmen (360 g vs. 550 g, Stufen unterteilt und die jeweils in der entsprechenden Stufe
pro Woche) verzeichnet wurden, ohne dass größere Prob- zu erzielende Gewichtszunahme, bestehenden Einschrän-
leme bei der Zunahme auftraten (Solanto et al. 1994). Ein- kungen, Auflagen zum Ernährungsverhalten sowie zu er-
schränkend ist zu bemerken, dass ein restriktives Regime, wartende Konsequenzen einer Gewichtsabnahme oder einer
welches im stationären Setting häufig mit Bettruhezeiten fehlenden Gewichtszunahme erläutert (Variationen des Ver-
bzw. Zimmerarrest einhergeht, für die Patientinnen meist trags für das ambulante und stationäre Setting getrennt nach
eine größere psychologische Belastung darstellt (Griffiths unterschiedlichen Gewichtszunahmestufen finden sich auf
et al. 1998). Des Weiteren sollte beachtet werden, dass eine http://extras.springer.com). Belohnungen (Arbeitsblatt 9.9
maximale Gewichtszunahme von 3 kg pro Woche nicht und 9.10; Beispiele auf Arbeitsblatt 9.9B . Abb. 9.12 und Ar-
überschritten wird, da die Patientinnen damit meist über- beitsblatt 9.10B . Abb. 9.13) bzw. Konsequenzen bei fehlen-
fordert sind und zudem medizinische Komplikationen wie der Gewichtszunahme sollten individuell abgesprochen und
die Bildung von Ödemen auftreten können (Borgart und ergänzend in den Vertrag eingefügt werden. Sinnvoll ist,
Meermann 2004). Eine größtmögliche Transparenz in der dass die Patientinnen die Belohnungen individuell wählen
Besprechung der Therapieziele und des Vorgehens im Rah- können und sich anhand des Arbeitsblatts in Absprache mit
men des Gewichtssteigerungs- bzw. -stabilisierungspro- dem Therapeuten einen eigenen Belohnungsplan erstellen.
gramms ist daher notwendig. Die Phasen bzw. Stufen werden im Weiteren noch einmal
Gewichtszunahme oder -stabilisierungsverträge sind näher erläutert. Im Anschluss kann auch ein Gewichtshalte-
frühestmöglich mit der Patientin zu vereinbaren. Im am- vertrag (Arbeitsblatt 9.8 . Abb. 9.11) abgeschlossen werden.
bulanten Setting sollte gleich zu Beginn der Behandlung
eine klare Absprache zum Umgang mit Gewichtsabnahme zz Selbstbestimmungsphase
oder Ausbleiben einer vereinbarten Gewichtszunahme vor Zunächst soll eine Phase der Selbstbestimmung stattfin-
allem bei Anorexiepatientinnen erfolgen, um Verhandlun- den, in der eine Patientin ohne äußere Restriktion die
gen und „Feilschen“ in den zeitlich begrenzten Therapiege- Möglichkeit hat, die zuvor vereinbarte Gewichtszunahme
sprächen zu vermeiden. Die frühzeitige Vereinbarung des zu erreichen. Das Gewicht sollte in dieser Phase ca. zwei-
therapeutischen Vorgehens bei Gewichtsabnahme besten- mal die Woche kontrolliert werden, um der Patientin den
falls vor Therapiebeginn soll zudem für die Patientin mo- Stand zurückzumelden und ihr beispielsweise weitere
tivierend sein und eigenverantwortliches Handeln stärken. Maßnahmen zur Zielerreichung wie Einschränken der
Es ist wichtig, dass die Patientin eine mögliche Sondener- Bewegung oder Erhöhung der Kalorienzahl zu ermögli-
nährung ggf. auch unter Zwang aufgrund einer weiteren chen. Zudem kann, wenn die Vermutung besteht, dass die
kontinuierlichen Gewichtsabnahme oder ausbleibenden Patientin das Gewicht bei angekündigtem Wiegen mani-
Gewichtszunahme nicht als Bestrafung oder Ablehnung puliert, auch unangekündigt gewogen werden. Jacobi et al.
versteht, sondern als eigenverantwortliche Konsequenz aus (2000) schlagen den Zeitraum von zwei Wochen im Selbst-
ihrem Verhalten heraus begreift. Dazu gehört eine Vermitt- management vor, Borgart und Meermann (2004) nennen
lung über das stationäre/ambulante Behandlungskonzept einen Zeitraum von einer Woche als „Probezeit“. Je nach
und die Klärung, wer die Gewichtskontrolle übernimmt. körperlichem Gesundheitszustand und Setting sollte daher
Im ambulanten Setting kann es der Hausarzt sein, der der Zeitraum des Selbstversuchs eher kürzer oder länger
ein regelmäßiges Gewichtsmonitoring durchführt, da er festgelegt werden. Der Erfolg der Patientinnen im Rahmen
meist über eine geeichte Waage verfügt und die Patientin des Selbstmanagements liegt bei ca. 20–30 % (Jacobi et al.
auch ohne weitere Schwierigkeiten in Unterwäsche wiegen 2000). Erfolgreiche Patientinnen verbleiben in der Selbst-
130 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

managementphase. Gelingt die vereinbarte Gewichtszu- die Klinik darf für eine bestimme Zeit (bspw. 15 min. spa-
1 nahme in diesem Zeitraum nicht, wird mit der Fremdkon- zieren auf dem Klinikgelände; nachmittags Ausgang mit
trollphase begonnen. Mitpatientinnen für 2 h) nach Absprache verlassen wer-
2 den. Besuche von außerhalb sind am Wochenende erlaubt.
zz Fremdkontrollphase
Fremdkontrollprogramme basieren auf operanten Verstär- 3. Phase In der 3. Phase, welche bis zur Erreichung des
3 kersystemen. Sie beinhalten in diesem Zusammenhang die Zielgewichtes dauert, bestehen keine weiteren Einschrän-
Regulierung von Aktivitäten und Nahrungsaufnahme durch kungen, sofern die vereinbarte Gewichtszunahme erfolgt.
4 den Therapeuten. Dazu werden bestimmte Regeln aufge- Das Vorgehen entspricht dem der Selbstmanagementphase.
stellt und diese in Therapieverträgen mit den Patientinnen
5 festgelegt. Neuere Programme der Fremdkontrolle sind zz Stabilisierungsphase und Gewichthalteverträge
meist in drei Phasen unterteilt, in denen unterschiedliche Wenn das Zielgewicht erreicht ist, schließt sich eine Sta-
Restriktionen bzw. Belohnungen greifen und Freiheitsgrade bilisierungsphase an. Diese dient dazu, zu prüfen, ob es
6 gelten, die sich an der Gesamtgewichtszunahme orientieren den Patientinnen gelingt, das erzielte Gewicht zu halten.
(Borgart und Meermann 2004; Jacobi et al. 2000). Im Rah- Kann das Zielgewicht nicht gehalten werden, wird eine
7 men dieser drei Phasen sollte die Patientin in jeder Phase kurzfristige Rückstufung in die erste Phase vorgeschlagen,
ein Drittel der Differenz zum Zielgewicht zunehmen und um die Gewichtsabnahme wieder aufzuholen. Gelingt dies
verbleibt dementsprechend lange in der jeweiligen Phase. trotz der Rückstufung nicht, wird die erneute Aufnahme
8 des Fremdkontrollprogramms in individualisierter Form
1. Phase In der 1. Phase der Fremdkontrolle ist vor allem geraten. Ein Gewichthaltevertrag (Arbeitsblatt 9.8) bein-
9 das Ernährungsverhalten deutlich fremdkontrolliert. Die haltet, ähnlich wie der Gewichtssteigerungsvertrag, eine
Patientin darf Nahrungsmittel in Absprache mit dem The- Einverständniserklärung mit dem Zielgewicht und damit
10 rapeuten aus einer Liste auswählen. Menge und Art des verbundenen Maßnahmen (Arbeitsblatt 9.7). Er kann
Essens werden letztendlich vom therapeutischen Personal beispielsweise im ambulanten Setting eingesetzt werden,
festgelegt. Einige Einrichtungen servieren in dieser Phase wenn eine Patientin nach erfolgter Gewichtszunahme aus
11 das Essen auf dem Zimmer, andere wiederum betreuen die dem stationären Setting weiterbehandelt wird oder wenn
Patientinnen engmaschig und bieten begleitete Mahlzeiten es zu einer Wiederaufnahme in das stationäre Setting
12 auf der Station für mehrere Essstörungspatienten gemein- nach ambulanter Erprobung kommt. Kann die Patientin
sam an. Telefonate oder Besuche sind oft nicht erlaubt, und das Eingangsgewicht nicht halten, wird, ähnlich wie bei
die Station darf meist nur für medizinische Untersuchun- den Gewichtssteigerungsprogrammen, die Ausübung der
13 gen, psychologische Tests oder therapeutische Aktivitäten Fremdkontrolle eingesetzt, bis das ursprüngliche Gewicht
verlassen werden. Dies geschieht nicht aus Gründen der wieder erreicht ist. Auch hier gilt, dass die Reglungen für
14 Bestrafung. Der Entzug dieser Freiheiten stellt die Basis die Patientin transparent gemacht und vor allem konse-
des Verstärkerprogramms und dient dazu, die Patientinnen quent eingehalten werden sollen.
15 dazu anzuhalten, sich mit ihrer Erkrankung auseinander-
zusetzen und nicht durch Außenkontakte Ablenkung und zz Ausnahmeregelung: Einschränkungsprogramme
Tröstung zu erfahren. Im ambulanten Setting ist diese Art bei Versagen der Fremdkontrollphase
16 der Kontrolle kaum möglich. Für Patientinnen in kinder- Wird trotz des Fremdkontrollprogramms keine Gewichts-
und jugendpsychiatrischen Einrichtungen muss hier be- zunahme erreicht, greifen Ausnahmereglungen (Jacobi
17 achtet werden, dass gerade familiäre Kontakte notwendig et al. 2000) oder Einschränkungsprogramme (Borgart
und wichtig sind und ggf. in den Belohnungs- und Verstär- und Meermann 2004), welche neben Zimmerarrest und
kungsplan mit einbezogen werden können. Besuchsverbot auch ein eingeschränktes Therapiepro-
18 gramm beinhalten. Die Einschränkung des Therapiepro-
2. Phase Die 2. Phase gilt bis zum Erreichen von zwei gramms geht darauf zurück, dass die Patientinnen meist
19 Dritteln der Differenz zum Zielgewicht. Dabei werden die ein Interesse daran haben, an den Therapien teilzunehmen,
Mahlzeiten entweder im Speiseraum eingenommen oder durch den Ausschluss davon kann die Motivation zur Ge-
20 die Patientinnen erhalten Gelegenheit, einzelne Mahlzeiten wichtszunahme vergrößert werden. Das Einschränkungs-
selbst auszuwählen und sich die Speisen auf dem Teller programm gilt zunächst für 3 Tage und geht danach in die
selbst unter Kontrolle anzurichten. Gegebenenfalls kann ursprüngliche Behandlungsphase zurück mit der Vorgabe,
21 auch die Teilnahme an einer Kochgruppe zum Üben der das für die Woche angestrebte Gewicht weiter zu erreichen.
Mahlzeitenzubereitung sinnvoll sein. Oft ist die Bewegung Borgart und Meermann (2004) beschreiben beispielsweise
22 nicht mehr so stark eingeschränkt. Beispielsweise ist der eine Gewichtszunahme von 100 g pro Tag nach Ende der
Aufenthalt nicht mehr nur auf die Station beschränkt, und Einschränkungsphase bis zum Wiegestichtag.
9.2 • Interventionen zur Normalisierung des Essverhaltens
131 9

zz Ausnahmeregelung: Zusatznahrung über Hunger- und Sättigungsmechanismen und den Ein-


und Zwangsernährung satz von Selbstbeobachtungsprotokollen erreicht werden.
Gelingt die Gewichtszunahme nicht allein durch die Ein- Daher werden im Folgenden zunächst die Grundlagen des
nahme der vorgegebenen Mahlzeiten, kann eine hochka- Hunger-Sättigungs-Mechanismus dargestellt, um abschlie-
lorische Zusatznahrung durch den Stationsarzt bzw. den ßend anhand eines Beispiels Möglichkeiten der Sensibili-
Hausarzt verschrieben werden. Führt auch das nicht zur sierung aufzuzeigen.
Gewichtszunahme, können notfalls weitere invasive Maß- Die Regulation der Nahrungsaufnahme ist, wie bereits
nahmen wie die Ernährung durch die Sonde durchgeführt zu Beginn des Kapitels beschrieben, ein komplexer psy-
werden. Dies ist gut abzuwägen, kann aber für manche chophysiologischer Prozess. Eine wichtige Rolle spielen
Patientinnen, die große Schwierigkeiten mit dem Essen hierbei Appetit, Hunger und Sättigung. Diese beinhalten
haben, erst mal eine Entlastung sein. Bestenfalls erklärt die Wahrnehmung und Bewertung verschiedener Körper-
sich die Patientin mit dem Vorgehen einverstanden. Das signale, welche für die Steuerung der Nahrungsaufnahme
Ziel des Erlernens eines geregelten Essverhaltens rückt von zentraler Bedeutung sind. Appetit wird dabei als Mo-
bei diesem Vorgehen in den Hintergrund, da es hierbei tivation zu essen verstanden und ist häufig auf bestimmte
primär um die Gewichtszunahme der Patientin geht. Eine Nahrungsmittel ausgerichtet. Hunger ist ein eher unange-
psychotherapeutische Unterstützung einer solch invasiven nehmes bis teilweise schmerzhaftes Verlangen, etwas zu
Maßnahme ist dabei unabdinglich, um eine Verfestigung essen. Er bezieht sich nicht immer auf spezifische Lebens-
der Essstörung und mögliche Reaktanz durch die Autono- mittel. Mit Sättigung wird das Stoppsignal umschrieben,
mieverletzung der Patientin zu vermeiden und die weitere das zur Beendigung der Nahrungsaufnahme beiträgt und
Behandlungsmotivation zu erhöhen. durch die Aufnahme von Nahrung ausgelöst wird. Eine
Wie bei allen operanten Therapieprogrammen ist so- ausführliche Übersicht findet sich bei Birbaumer und
wohl im Selbstmanagement als auch in der Fremdkontroll- Schmidt (1991). Appetit und Sättigung sind meist erlernte
phase die Belohnung der Zielerreichung von Bedeutung. Reaktionen nach dem Schema der klassischen Konditio-
Es sollten hier mit der Patientin individuelle Verstärker nierung z. B. als Reaktion auf körpereigene Signale, Reize
erarbeitet werden. Im ambulanten Setting können dies aus der Umwelt sowie soziale, kognitive oder emotionale
verwöhnende Tätigkeiten, das Gönnen eines Buches, von Umstände (z. B. wenn ohne Hunger gegessen wird oder
Kleidung oder Parfüm sein, im stationären Setting sollten eine Mahlzeit beendet wird, ohne dass eine Sattheit einge-
dies Lockerungen der Restriktion sein, wie Besuchserlaub- treten ist; Pudel und Westenhöfer 1998). Die besonderen
nis, Ausgang am Wochenende etc. Eigenschaften der Nahrungsmittel wie Geschmack, Geruch
Ist eine Patientin trotz dieser Maßnahmen auch im und Aussehen spielen ebenfalls eine Rolle.
Rahmen einer stationären Behandlung nicht bereit, zu Appetit und Hunger führen als Startsignale zum Beginn
kooperieren und an Gewicht zuzunehmen, kann eine der Nahrungsaufnahme, während Sättigung das Ende der
Zwangsernährung durch einen Richter erwirkt werden. Mahlzeit bewirkt und darüber hinaus über eine gewisse Zeit
Dieses Vorgehen ist kritisch zu reflektieren und hat be- eine erneute Mahlzeit verhindert (satt sein). Sättigung oder
reits zu größeren Diskussionen um die ethischen Ge- satt sein tritt nicht plötzlich ein, sondern ist ein Prozess, der
sichtspunkte dieser Frage in der Literatur zur Folge gehabt durch verschiedene Komponenten beeinflusst wird. Dieser
(MacDonald 2002; Goldner et al. 1997). Letztendlich sollte wird als Sättigungskaskade bezeichnet, da Sättigung bzw.
das Mittel der Zwangsernährung nur als letzte Behand- satt sein während und nach der Nahrungsaufnahme von
lungsmöglichkeit gewählt werden, wenn das Gewicht der sensorischen und kognitiven Prozessen sowie postingesti-
Patientin einen lebensbedrohlichen Zustand erreicht hat. onalen und postresorptiven Effekten beeinflusst wird.
Sensorische Effekte bezeichnen Sättigungssignale, die
durch die Wahrnehmung spezifischer Sinnesqualitäten
9.2.5 Exkurs: Wahrnehmung von Hunger wie salzig oder bitter ausgelöst wird. Werden Nahrungs-
und Sättigung mittel mit einer anderen sensorischen Qualität (z. B. süß)
angeboten, kann es trotz einer ersten Sättigung zu wei-
Die Voraussetzung für die Etablierung, eines natürlichen terer Nahrungsaufnahme kommen. Diesem Phänomen
Hunger- und Sättigungsgefühls ist die regelmäßige Ein- kann die alltägliche Erfahrung zugeordnet werden, dass
nahme von Mahlzeiten und die Aufhebung des Mangel- man nach einer umfangreichen Hauptmahlzeit zwar satt
zustandes. Vorbereitend zur Sensibilisierung für Hunger ist, aber ein Nachtisch trotzdem noch gegessen werden
und Sättigung sollte daher die Strukturierung und Nor- kann. Das Gleiche gilt für opulente mehrgängige Menüs
malisierung des Essverhaltens erarbeitet werden. Die oder Essanfälle: Erst die Abwechslung der Geschmacks-
Sensibilisierung für Hunger und Sättigung kann dann im richtungen durch die verschiedenen Gänge schafft die
nächsten Schritt über die Vermittlung von Informationen Möglichkeit und Voraussetzung dafür, dass die angebo-
132 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

tene Nahrungsmenge und -vielfalt gegessen werden kann. rung hatte, habe ich oft Magenknurren verspürt, wenn ich hungrig war
1 Die Sättigung stellt sich in solch einem Fall erst später ein. und manchmal war ich richtig gereizt, wenn ich dann nicht bald etwas
gegessen habe.“
Kognitive Prozesse (d. h. Einstellungen, Werturteile)
2 beruhen auf Meinungen und Einstellungen gegenüber
Therapeut: – „Ja, das kann daran liegen, dass man unterzuckert ist und
dadurch gereizt wird. Das heißt, dass Magenknurren oder ein Ziehen im
bestimmten Lebensmitteln. Am Beispiel des gezügelten Magen ein deutliches Zeichen von Hunger sind. Auch Müdigkeit zum
Essverhaltens wird deutlich, dass der vermutete (nicht der
3 tatsächliche) Kaloriengehalt der verzehrten Nahrung einen
Beispiel oder so etwas, wie sich erschöpft fühlen, kann ein Zeichen dafür
sein, dass der Körper neue Energie benötigt.“
deutlichen Einfluss darauf hat, wie viel dann tatsächlich Frau S.: – „Das ist dann aber schon ziemlich spät oder? Dann muss ich
4 gegessen wird. Verschiedene Studien bestätigen dies (Pudel ja schon richtig hungrig sein.“

und Westenhöfer 1998). Postingestionale Effekte setzen Therapeut: – „Ja genau, meist hat man vorher Appetit auf bestimmte
Speisen. Zum Beispiel auf Süßes, wenn der Körper viele Kohlenhydrate
5 nach der Nahrungsaufnahme ein. Sie basieren auf der Ma-
benötigt oder auf Salziges, wenn Sie zum Beispiel Alkohol getrunken
gendehnung, der Entleerungsrate des Magens sowie der haben. Das heißt, unser Körper signalisiert uns oft mit Appetit, was er
Ausschüttung von Hormonen und Stimulation von Che- jetzt braucht, bspw. wenn durch vermehrten Speichelfluss beim Anblick
6 morezeptoren im Magen und oberen Dünndarmabschnitt. von bestimmten Speisen die Vorbereitung des Körpers auf eine Nah-
Mit postresorptiven Prozessen sind die Mechanismen ge- rungsaufnahme signalisiert wird. Wir merken also an diesen Signalen,

7 meint, die durch die Aufnahme der Nährstoffe bzw. durch


dass Hunger da ist. Woran können Sie denn nun Sättigung erkennen?“
Frau S.: – „Das ist ja so schwierig.“
ihre verschiedenen Stoffwechselprodukte eine Sättigung
Therapeut: – „Lassen Sie uns noch mal überlegen. Wenn Sie beginnen
bewirken und beispielsweise anhand der Konzentration
8 des Blutzuckers gemessen werden.
zu essen und Hunger haben, schmecken Ihnen dann die Speisen?“
Frau S.: – „Ich weiß ja nicht so recht, wann ich Hunger habe, aber ich
Bei der Entstehung des Sättigungsgefühls wirken alle merke, dass ich manchmal mit Appetit esse und es mir schmeckt, und
9 diese Prozesse und Mechanismen zusammen. Sie über- manchmal stochere ich nur so im Essen rum und habe nicht viel Lust.“
schneiden sich in ihrer zeitlichen Wirkung und führen Therapeut: – „Ja, gut, wenn Sie also mit Appetit essen und es Ihnen
10 insgesamt zu einem kombinierten Sättigungsprozess, bei schmeckt, können wir davon ausgehen, dass Sie tatsächlich Hunger
hatten. Bleibt der Appetit die ganze Zeit gleich oder verändert er sich?“
dem auch Lernprozesse wie beispielsweise die bisherige
Größe der Mahlzeiten mitwirken. Frau S.: – „Der geht irgendwann weg und das Essen schmeckt nicht
11 Um die Patientinnen nun für Hunger und Sättigungs- mehr so gut.“
Therapeut: – „Genau, wenn Sättigung eintritt, dann signalisiert der Kör-
prozesse zu sensibilisieren, sollten die oben beschriebenen
12
per, dass das Essen nicht mehr so gut schmeckt, weil er davon genug
Informationen in der Gruppe oder im Einzelgespräch be- hat. Eine weitere Möglichkeit ist durch die Magenausdehnung ein Sät-
sprochen werden. Dabei sollte mit den Patientinnen ge- tigungssignal zu bekommen. Das funktioniert meist bei Patientinnen
meinsam überlegt werden, woran sie erkennen können,
13 welche körperlichen Signale es für Hunger und welche es
mit Essanfällen nicht mehr so gut, weil durch die großen Mengen der
Magen stärker gedehnt ist und daher diese Sättigungssignale sehr spät
eintreten. Bei Patientinnen mit Magersucht dagegen treten diese Sig-
für Sattheit gibt (Craighead und Allen 1995). Die Infor-
14 mationen über Hunger- und Sättigung finden sich in der
nale sehr früh auf, da hier die Nahrungsaufnahme sehr eingeschränkt ist
und daher der Magen sozusagen Essen nicht gewöhnt ist.“
Informationsbroschüre für Ernährung (▶ http://extras. Frau S.: – „Heißt das jetzt, dass ich, weil ich oft Essanfälle hatte, keine
15 springer.com) für Patienten aufbereitet. Der folgende Di- Sättigung empfinden kann?“
alog ist ein Beispiel für diese Übung. Therapeut: – „Nein, das heißt nur, dass Sie um z. B. einen Essanfall
durch zu schnelles Essen zu vermeiden, besser auf das Erreichen des
16 Therapiegespräch Sättigungspunktes achten müssten. Also beispielsweise beim Essen
langsamer kauen, das Besteck beiseitelegen, sich auf den Geschmack
Therapeut: – „Wer von Ihnen kann beschreiben, wie sich Hunger- und
17 Sättigungsgefühle anfühlen?“
konzentrieren und immer wieder überlegen, wie viel Lust Sie haben,
weiter zu essen. Können Sie sich vorstellen, das mal auszuprobieren?“
Frau S.: – „Ich kann mich da kaum dran erinnern. Eigentlich weiß ich gar
nicht, ob ich überhaupt vor meiner Bulimie ein natürliches Hunger- und
18 Sättigungsgefühl gehabt habe.“
Um die Aufmerksamkeit auf Hunger- und Sättigungssig-
Therapeut: – „Hm, lassen Sie uns mal überlegen, woran man Hunger
nale zu lenken, eignet sich auch der Einsatz von Essproto-
19 bzw. Sattheit überhaupt erkennen kann. Haben Sie eine Idee?“
Frau S.: – „Naja, satt bin ich, wenn nichts mehr reingeht, und wann ich
kollen. Dazu kann beim Ausfüllen der Essprotokolle das
Hunger habe, weiß ich gar nicht.“ Hungergefühl vor und nach der Mahlzeit erfasst werden.
20 Therapeut: – „In der Informationsbroschüre stand ja beschrieben, wie Dies kann durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf die
Hunger und Sattheit entstehen. Lassen Sie uns anhand dieser Informa- im Zusammenhang mit Hunger und Sättigung beschrie-
tionen mal gemeinsam überlegen, wann Hunger auftreten könnte und benen Körpersignale geschehen. Die Patientin sollte dazu
21 woran Sie das merken könnten.“ angehalten werden, während einer Mahlzeit immer wieder
Frau S.: – „In der Broschüre stand, dass Hunger dann entsteht, wenn in sich hineinzuhorchen, und das bestehende Hungerge-
22 der Körper zu wenig Energie zur Verfügung hat und dass es teilweise
ein schmerzhaftes Verlangen sein kann. Früher, bevor ich die Essstö-
fühl bzw. den Sättigungsgrad zu spüren. Zu Beginn und
am Ende der Nahrungsaufnahme sollte daher das Hun-
9.3 • Interventionen zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen
133 9

ger- bzw. das Sättigungsgefühl in das Protokoll eingetragen


werden (Craighead und Allen 1995). -- Wie ist es Ihnen heute beim Kochen ergangen?
Gab es Schwierigkeiten bei der Zubereitung der

--
Speisen? Bei welchen Speisen war dies der Fall?
Was genau war schwierig?
9.2.6 Gemeinsames Kochen Gab es etwas, was Ihnen beim Kochen Spaß ge-

-
macht hat?
Als letzten Interventionsbaustein zur Normalisierung des Wie schätzen Sie die Nahrungsmenge ein, die Sie
Essverhaltens möchten wir noch das gemeinsame Kochen verzehrt haben?
vorstellen. Dies ist insbesondere im stationären Setting
gut umsetzbar, im ambulanten Therapiesetting kann ein
gemeinsames Kochen als Expositionsübung geplant und 9.3 Interventionen zur Verhinderung
durchgeführt werden. Studien zur Evaluation sind uns nicht von Essanfällen und Erbrechen
bekannt, es gibt allerdings verschiedene Behandlungskon-
zepte sowohl tagesklinischer als auch stationärer Art, die Nachdem im Abschnitt oben der Aufbau eines strukturier-
diesen Interventionsbaustein beschreiben (Gerlinghoff et al. ten und geregelten Essverhaltens thematisiert wurde, geht
1997; Borgart und Meermann 2004). Ziel einer solchen In- es im Folgenden nun um die Reduktion von Essanfällen
tervention ist, die Patientinnen zu einem entspannteren und Erbrechen. Diese treten vor allem bei Patientinnen
Umgang mit Nahrungsmitteln anzuleiten sowie die Fähig- mit einer Bulimia nervosa auf, sind aber auch bei der An-
keit zur Selbstversorgung zu schulen und die Abneigung orexia nervosa vom Binge Eating-/Purging-Typus zu fin-
gegen die Zubereitung warmer Speisen zu mindern. Zu- den. Der folgende Teil zur Darstellung von Interventionen
sätzlich kann das gemeinsame Kochen dazu beitragen, die zum Ernährungsmanagement ist unterteilt in die Analyse
Selbstkontrollfähigkeiten bulimischer Patientinnen in Ver- von Auslösesituationen für Essanfälle und Erbrechen und
suchungssituationen wie Einkaufen und Kochen zu steigern. daraus abzuleitende Maßnahmen zu deren Verhinderung.
Es wird allerdings empfohlen, erst im späteren Verlauf der Mögliche Auslösesituationen können dabei in Anlehnung
Behandlung mit diesem Interventionsbaustein zu beginnen. an die Funktionalität von Essanfällen 3 Kategorien zuge-
Zur Umsetzung sollten die Patientinnen möglichst ei- ordnet werden:
genständig die Mahlzeiten planen und die notwendigen 1. Diätverhalten und Fasten,
Lebensmittel einkaufen. Idealerweise steht ein Ökotropho- 2. dysfunktionale Emotionsregulation und
loge zur Planung der geplanten Mahlzeiten zur Verfügung. 3. automatisierte Abläufe und Gewohnheiten (Legen-
Es sollte zudem darauf geachtet werden, dass keine Zutaten bauer und Vögele 2004).
mit Zucker oder hohem Fettgehalt vermieden werden. Des
Weiteren sollten die Patientinnen dazu angehalten werden, Abschließend wird als weitere Maßnahme zur Reduktion
nicht nur ein Hauptgericht zuzubereiten, sondern auch von Heißhunger das Verfahren der Nahrungsexposition
Nachtisch oder Vorspeise einzuplanen. Im Anschluss an vorgestellt. In der folgenden Übersicht sind die für diesen
das gemeinsame Kochen sollten die zubereiteten Speisen Abschnitt notwendigen Arbeitsmaterialien, Übungen und
zusammen gegessen werden. Dabei sollten Genussregeln Arbeitsblätter aufgelistet.
(▶ Kap. 14) beachtet werden wie beispielsweise den Tisch
ansprechend zu decken, um eine angenehme Atmosphäre
Maßnahmen und Unterlagen

-
herzustellen. Auch die Durchführung von „Schweigees-
Übungen
sen“ zum Training der Aufmerksamkeit gegenüber Ge-
Exemplarische SORK-Analyse einer Auslösesituation

--
schmacksempfinden und Sättigungsgefühl sind zu emp-
für einen Essanfall (Flipchart)
fehlen. Das Kochen und Essen sollte zudem therapeutisch
Analyse von Essprotokollen (Kleingruppe)
begleitet werden und hinsichtlich des Erlebens der Patien-
optional Nahrungsexposition

--
tinnen nachbesprochen werden. Es kann Aufschluss über
Arbeitsmaterial
verstecktes Vermeidungsverhalten und dysfunktionale
Flipchart, Stifte
Annahmen über die Zubereitung von Speisen oder Wahr-
optional Süßigkeiten

-
nehmungsfehler hinsichtlich der Nahrungsmenge geben.
Arbeitsblätter
Dazu können folgende Fragen gestellt werden:
Analyse eines Essprotokolls
??

-
Fragen
Wie hat das Einkaufen geklappt? Gab es Schwierig- -(▶ Arbeitsblatt 9.11/9.11B . Abb. 9.14)
Auslöser für Essanfälle

-
(▶ Arbeitsblatt 9.12/ 9.12B . Abb. 9.15)
keiten aufgrund der Vielzahl der Lebensmittel?
Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
134 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

.. Abb. 9.1 Auslöser von


1 Essanfällen und entsprechende
Behandlungsmaßnahmen

2
3
4
5
6 - Kurzfristige Maßnahmen zur Verhinderung von
sicht der verschiedenen Auslösefaktoren für Essanfälle und

-
daraus ableitbare therapeutische Ansätze dargestellt.
Essanfällen (▶ Arbeitsblatt 9.13/9.13B . Abb. 9.16)
Zur Identifikation der Auslösebedingungen für einen
7 Strategien für den Notfall
(▶ Arbeitsblatt 9.14 . Abb. 9.17)
Essanfall können, wie bereits in ▶ Kap. 4 dargestellt, die
Esstagebücher herangezogen werden. Im Folgenden ist ein
Fallbeispiel für den Ablauf eines Essanfalls dargestellt:
8
Fallbeispiel Essanfall
9 9.3.1 Analyse von Auslösesituationen Ich sitze zu Hause auf dem Sofa. Ich fühle mich einsam und
alleine. „Keiner ruft mich an“, denke ich. „Um alles muss ich
10 Wie bereits in ▶ Kap. 2 zur Mikroanalyse von Essanfällen mich selbst kümmern.“ Ich bin irgendwie unausgeglichen,
beschrieben, gehören emotionale, situative und kognitive ein diffuses Gefühl. Ich weiß nichts mit mir anzufangen. Ich
Faktoren zu den Auslösern von Essanfällen. Diese bilden zappe durch die Programme im Fernsehen. Stehe auf, gehe
11 ein individuelles Muster, welchem unterschiedliche Me- in die Küche, mache mir ein Müsli als Frühstück. Schaue wei-
chanismen zugrunde liegen, aus denen dann jeweils der ter fern. Merke gar nicht, wie ich esse. Ich weiß nicht, ob ich
12 entsprechende Behandlungsansatz abgeleitet wird. Wie Hunger habe oder nicht. Jetzt bin ich noch unruhiger als vor-
oben beschrieben, können Essanfälle zum einen durch zu her. Nichts läuft im Fernsehen. „Ob ich mal bei Jessi anrufe?
starke Restriktion oder lange Phasen der Essensvermei-
13 dung entstehen. Zum anderen können kognitiv-affektive
Aber da wird sowieso keiner da sein“, denke ich. Es ist noch
nicht mal zwölf. Ich will noch ein Müsli essen. Auf einmal ist
Auslöser wie selektive Wahrnehmung körper- und nah- da wieder dieses unwiderstehliche Verlangen, zu essen. „Ich
14 rungsbezogener Reize und dysfunktionale Bewertungspro- will nicht“, denke ich. „Ich darf nicht. – Ein kleines Müsli muss
zesse, hohe Stressbelastung, Ärger oder Langeweile einen reichen.“ Aber eigentlich ist es schon zu spät. Ich stehe schon
15 Essanfall auslösen. Drittens können situative Faktoren wie in der Küche und mache mir das nächste Müsli. „Du Versager“,
die Gelegenheit zu essen oder automatisierte Abläufe, die denke ich. „Nie kannst du die Kontrolle behalten. – Aber jetzt
ebenfalls eine emotionale Komponente beinhalten können ist es eh egal.“
16 Auslöser sein (Legenbauer und Vögele 2004).
Es ist wichtig, die jeweiligen unterschiedlichen Aus- Die im Fallbeispiel dargestellte Auslösesituation zeigt deut-
17 lösebedingungen für jede Patientin herauszuarbeiten und lich, dass hier ein sehr komplexes Gefüge aus kognitiven,
dementsprechend adäquate Alternativen zum Essanfall zu emotionalen und situativen Bedingungen besteht, welches
entwickeln. Bei der Auswahl der Strategien sollte an den in seiner Konsequenz zur Auslösung eines Essanfalls führt.
18 entsprechenden dem Essanfall vorausgegangenen Bedin- Zur Analyse der Auslösesituation kann das SORK-Schema
gungen angesetzt werden. Bei einer Patientin, deren Ess- angewendet werden. Dabei steht S für Stimulus/Situation,
19 anfälle vorrangig durch Fastenperioden getriggert werden, O/E für Organismus/Einstellung, R für Reaktion auf den
sollte zunächst eher die Etablierung eines regelmäßigen Ebenen physiologisch, motorisch, kognitiv und emotional
20 Essverhaltens (▶ Abschn. 9.2.4) im Vordergrund stehen als und K für die Konsequenz, welche sich auf operante Pro-
beispielsweise der Aufbau von Emotionsregulationskom- zesse wie positive oder negative Verstärkung des Essanfalls
petenzen (z. B. Joggen). Letztere sind dann indiziert, wenn bezieht und meist die Funktionalität des gestörten Essver-
21 die Essanfälle bei einer Patientin die Funktion besitzen, haltens widerspiegelt. Zu einer ausführlichen Darstellung
unangenehme Gefühle zu kontrollieren. Oft kommt diese zu Grundlagen und Anwendung des SORK-Schemas im
22 Funktion auch erst zutage, wenn der ernährungsbedingte Rahmen der Verhaltensanalyse ist auf Bartling et al. (1992)
Mangelzustand aufgehoben ist. In . Abb. 9.1 ist eine Über- zu verweisen.
9.3 • Interventionen zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen
135 9
.. Abb. 9.2 Allgemeingültig
formuliertes SORK-Modell eines
Essanfalls Sitauation
Möglichkeit, einen Essanfall zu haben (Verfügbarkeit der
Nahrungsmittel, Alleinsein)

Organismusvariable
Defizite in der Affektregulation
Dysfunktionaler Bewältigungsstil

Reaktion
Kognitiv
Dysfunktionale Interpretation eines Ereignisses (i.S. störungsrelevanter
Reize wie Körperwahrnehmung, Selbstwertgefühl)

Emotional
Negative Stimmung wie Anspannung, Traurigkeit, Unsicherheit

Physiologisch
Chephalische Reaktionen (Speichel, Insulien, vegetatives Arousal),
Hunger (Nahrungsdeprivation)

Konsequenz
Abbau von Anspannung, Ablenkung von Problemen u.Ä.

Die Verhaltensanalyse der oben im Fallbeispiel beschrie- Im Rahmen des Einzelsettings kann dieses SORK-
benen Situation könnte dann folgendermaßen aussehen: Schema mit der Patientin erarbeitet und es können an-
Auslösesituation ist das Alleinsein und damit die Möglich- schließend anhand der Essprotokolle verschiedene Aus-
keit, einen Essanfall zu haben (S). Zugrunde liegend sind lösesituationen (S = Stimulus) für Essanfälle identifiziert
Defizite in der Emotionsregulation und dysfunktionale werden (s. folgender Abschnitt). Im Gruppensetting kann
Copingstrategien (O/E). Die Verhaltensreaktion in der Si- diese Analyse exemplarisch für eine Teilnehmerin am
tuation stellt auf der kognitiven Ebene eine dysfunktionale Flipchart vorgestellt werden. Im Anschluss daran sollte
Interpretation des Ereignisses dar („Keiner mag mich“) und gemeinsam in der Gruppe am Flipchart gesammelt wer-
bewirkt auf der emotionalen Ebene Gefühle wie Anspan- den, welche weiteren Auslösefaktoren es für Essanfälle gibt.
nung, Traurigkeit und möglicherweise auch Angst. Physio- Hierzu können die Patientinnen gebeten werden, sich an
logisch kommt es zu Verlangen nach Nahrung. Als Konse- den letzten Essanfall zu erinnern und zu überlegen, was
quenz erfolgen kurzfristig der Abbau von Anspannung und diesen ausgelöst haben könnte. Eine weitere Möglichkeit,
die Ablenkung von Einsamkeitsgefühlen. Ein schematischer wenn genügend Zeit vorhanden ist, ist die Kleingruppenar-
Ablauf des SORK-Modells findet sich in . Abb. 9.2. beit zur selbstständigen Analyse derjenigen Essprotokolle,
136 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

in denen auch Esstattacken protokolliert sind, zu nutzen. Dialogbeispiel zur Erarbeitung von Diätverhalten als Ess-
1 Ziel dieser Übung ist die Sensibilisierung der Patientinnen anfallsauslöser abgedruckt. Hierdurch soll verdeutlicht
für mögliche externale oder internale Auslösefaktoren, die werden, wie im Gespräch mit einer Patientin anhand
2 zu Essanfällen führen. von Essprotokollen herausgearbeitet werden kann, dass
restriktives Essverhalten zur Auslösung von Essanfällen
mit beiträgt. Interventionen zum Abbau von ernährungs-
3 Anleitung
für Arbeitsblatt 9.11 Analyse eines Essprotokolls bedingten Auslösesituationen entsprechen den bereits
Als Grundlage zur eigenständigen Analyse der Essprotokolle sollten
vorgestellten Interventionen zur Normalisierung des Ess-
4 die Informationen über Gestaltung von strukturierten Esstagen und
Auswahl ausgewogener Mahlzeiten dienen. Zusätzlich sollten die
verhaltens und werden daher nicht noch einmal ausführ-
Patientinnen noch einmal darauf hingewiesen werden, was bei der lich vorgestellt. Zur Wiederholung für die Patientinnen
5 Analyse von Essprotokollen wichtig ist. So sollten sie auf die Auswahl können diese Veränderungen beispielsweise am Flipchart
der Lebensmittel an einem Essanfallstag achten (Werden verbotene in die Rubrik Abbau von Essanfällen aufgrund von Man-
Lebensmittel eingebaut?), die Menge der Lebensmittel sollte grob über-
gelernährung eingetragen werden, um die Patientin weiter
6 prüft (Wurde ausreichend gegessen?) und es sollte auf die zeitlichen
Abstände zwischen den Mahlzeiten geachtet werden (Hauptmahlzeiten
zu motivieren, das restriktive Essverhalten aufzugeben. In
max. 4–5 h auseinander). Dies dient zur Feststellung eines möglichen der folgenden Übersicht findet sich eine Zusammenfas-
7 Mangelzustandes bei der Auslösung eines Essanfalls. Um emotions- sung der möglichen Strategien.
regulierende Essanfälle aufzuspüren, sollten die Patientinnen die be-
schriebenen Gedanken und Gefühle untersuchen und mögliche Emoti-
8 onen vor und nach dem Essanfall sowie Gedanken vor und nach einem Strategien zum Abbau von ernährungsbedingten

-
Essanfall überprüfen. Zuletzt sollten situationale Besonderheiten bei Auslösern
einem Essanfall (Gibt es ein Muster an situationalen Besonderheiten in
9 Abbau des Diätverhaltens und ausgewogene und

--
Essanfallsituationen wie beispielsweise Alleinsein?) überprüft werden,
um mögliche habitualisierte Vorgänge zu eruieren. Die Patientinnen regelmäßige Ernährung
können zur Durchführung der Kleingruppenarbeit das Arbeitsblatt 9.11 Orientierung am eigenen Appetit/Hunger
10
-
nutzen, auf welchem Beispielfragen im oberen Abschnitt vermerkt sind. Kein Kalorienzählen
In der zweiten Hälfte des Arbeitsblattes können die Patientinnen Auffäl- Lernen, genussvoll zu essen ungeachtet von Kalo-
11
-
ligkeiten bei der Analyse des Essprotokolls eintragen.
rien-/Fettgehalt
Einbau bisher vermiedener Lebensmittel in den

-
Anschließend sollten die identifizierten Auslöser ergän-
12 zend zu den bereits am Flipchart vermerkten gesammelt Speiseplan
Kein Auslassen von Mahlzeiten
werden. Der nächste Schritt ist die Erarbeitung von Mög-
lichkeiten zur alternativen Bewältigung der jeweiligen Si-
13 tuationen (zu einer Übersicht möglicher Auslösefaktoren
▶ Abschn. 2.2). Sinnvoll ist es, für die Erarbeitung von Al- zz Dysfunktionale Emotionsregulation
14 ternativen eine weitere Sitzung einzuplanen und an dieser Dem Bereich der dysfunktionalen Emotionsregulation sind
Stelle zur vertiefenden Nachbereitung der Sitzung den Pa- die im theoretischen Teil beschriebenen Modelle zur Emo-
15 tientinnen das Arbeitsblatt 9.12 als Hausaufgabe zu geben. tionsregulation zuzuordnen. Neben den vornehmlich Ess-
anfall auslösenden Anspannungszuständen können auch
Anleitung Gefühle von Langeweile, Traurigkeit und Enttäuschung
16 für Arbeitsblatt 9.12 Auslöser für Essanfälle oder in eher seltenen Fällen positive Gefühle wie Eupho-
Auf diesem Arbeitsblatt sind drei Spalten zur Beschreibung emotionaler
rie, Freude oder Glück mit einem Essanfall einhergehen.
17 Auslösebedingungen wie Stress oder negative Stimmung und körper-
licher Auslösebedingungen wie ein ernährungsphysiologischer Man-
Im Essprotokoll zeigen sich die auslösenden Gefühle oder
gelzustand sowie situationsbedingter Faktoren. In diese Spalten sollten mit diesen im Zusammenhang stehende Gedanken meist
nicht auf den ersten Blick. Oft berichten die Patientinnen
18 Patienten ihre individuell erarbeiteten Auslöser eintragen (Beispiel Ar-
beitsblatt 9.12B . Abb. 9.15). Das Arbeitsblatt dient dann als Grundlage eher ein diffuses Gefühl von Unruhe oder Anspannung,
zur Erarbeitung von Alternativen für Essanfälle in der nächsten Sitzung.
oder sie schreiben gar keine Gefühle in das Protokoll, da
19 es ihnen schwerfällt, dies zu differenzieren. Die Gedanken
zz Diätverhalten und Fasten als Auslöser an sich sind häufig eher auf das Essen fixiert als auf die
20 von Essanfällen Dinge, die die Patienten tatsächlich beschäftigen (Modell
Zunächst sollten noch einmal Essprotokolle eingesetzt von Heatherton und Baumeister 1991). Ist im Essprotokoll
werden, um zu überprüfen, ob die Interventionen zum ein Essanfall beschrieben, der keine offensichtlichen Aus-
21 Ernährungsmanagement wie der strukturierte Esstag löser hat, sollte der Therapeut versuchen, durch Erfragen
und Einbau von verbotenen Lebensmitteln in den Spei- der Situationsumstände die Entstehungsbedingungen des
22 seplan erfolgreich waren und das restriktive Essverhalten Essanfalls herauszuarbeiten und den automatisierten Pro-
abgebaut werden konnte. Unter ▶ Abschn. 9.2.2 ist ein zess für die Patientin transparent zu machen.
9.3 • Interventionen zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen
137 9

Therapiegespräch zz Automatisierte Abläufe und Gewohnheiten


Therapeut: – „Hier ist nun ein Essanfall beschrieben, allerdings haben Essanfälle können auch im Rahmen automatisierter Hand-
Sie keinerlei Gefühle dazu eingetragen. Können Sie sich noch erinnern, lungsmuster wie z. B. in folgender aus einem Essprotokoll
was da passiert ist?“
entnommener Situation erfolgen:
Frau S.: – „Ja, ich war alleine zu Hause und mir war langweilig. Aber an
dem Tag hatte ich schon ziemlich viel gegessen, das kann also nicht
Therapiegespräch
daran gelegen haben, dass ich hungrig war.“
Therapeut: – „Hier hatten Sie auch einen Essanfall. Da steht, Sie sind
Therapeut: – „Nein, das muss auch nicht der Grund sein. Versuchen wir,
um 16 Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen und haben fernge-
herauszufinden, was vorher passiert ist. Also, sie waren zu Hause und
sehen und um 16:15 Uhr hat der Essanfall begonnen. Gab es da etwas
Ihnen war langweilig. Was haben Sie gemacht?“
Besonderes?“
Frau S.: – „Ich habe Fernsehen geschaut, aber es lief nicht wirklich was.“
Frau S.: – „Nein, nicht dass ich wüsste. Das passiert häufig, dass ich von
Therapeut: – „Wo war denn ihr Partner?“ der Arbeit heimkomme und einen Essanfall habe. Ich fühle mich dann so
Frau S.: – „Der war mit einem Kommilitonen ausgegangen.“ müde und erschöpft und lege mich als erstes vor den Fernseher. Hunger
Therapeut: – „Sie sagen das etwas genervt, hat sie das gestört?“ hatte ich an dem Tag auf keinen Fall, da ich ja mittags in der Kantine den
Frau S.: – „Na ja, er hat es mir vorher nicht gesagt, und ich habe deshalb Salat, Nudeln und die Suppe gegessen hatte. Wenn ich dann da vor dem
keine Verabredung für den Abend getroffen und so kurzfristig hatte Fernseher liege, dann werde ich einfach unruhig und habe das Gefühl,
keiner Zeit.“ dass ich unbedingt etwas essen muss, und das war da auch so.“
Therapeut: – „Das heißt sie waren ärgerlich auf Ihren Freund, wenn ich Therapeut: – „Hm, das heißt, dass das eigentlich schon automatisiert
Sie jetzt richtig verstanden habe?“ passiert, dass Sie nach der Arbeit heimkommen und dann den Drang
zu essen bekommen, wenn Sie auf der Couch liegen“
Frau S.: – „Nein, ja, ich weiß nicht. Ich war einfach unruhig und mir war
langweilig. Keiner hat mich zurückgerufen, das heißt ich konnte noch Frau S.: – „Ja, das ist fast täglich so.“
nicht mal telefonieren.“ Therapeut: – „Auch solchen Gewohnheiten liegen meistens be-
Therapeut: – „Sie waren also ärgerlich auf die anderen? Oder waren stimmte Annahmen zu Grunde. Zum Beispiel sagen manche, dass Sie
Sie enttäuscht?“ das Essen nach einem langen Arbeitstag sehr entspannt. Kennen Sie
das von sich?“
Frau S.: – „Ich habe beim Fernsehschauen schon mal daran gedacht,
dass mich ja mal jemand anrufen könnte. Immer muss ich alles organi- Frau S.: – „Ja, das kann schon sein, dass ich Essen zur Entspannung
sieren. Und es war einfach gemein, dass mein Freund Spaß hatte und nutze und immer dann, wenn ich so erschöpft von der Arbeit heim-
ich nicht.“ komme, das Gefühl habe, dass ich mir jetzt was gönnen muss. Wie kann
ich das denn ändern, weil es einfach ganz oft passiert, dass ich in einem
Therapeut: – „Okay, Sie hatten doch eine Menge Gefühle: vielleicht
solchen Moment die Kontrolle über das Essen verliere und dann einen
so etwas wie Wut, Enttäuschung, Langeweile oder auch ein bisschen
Essanfall habe?“
Traurigkeit.“
Therapeut: – „Dazu müssten wir herausfinden, warum Sie in diesem
Frau S.: – „Na ja, wenn ich das im Nachhinein betrachte, dann schon.
Moment essen, welche Funktion das Essen in dem Moment erfüllt, denn
Ich hab irgendwie gedacht, dass ich unbedingt was essen müsste, um
nur dann können wir überlegen, welche Alternative es gibt. Wenn wir
mich zu beruhigen.“
das nicht herausfinden, gibt es noch die Möglichkeit, erst mal zu lernen,
Therapeut: – „Ja, das kann schon sein. Essen kann ja erst mal etwas Tröst- wie Sie das Verlangen zu essen unter Kontrolle halten können. Mal se-
liches haben. Häufig hat man in der Kindheit ja gelernt, dass die Oma hen, Sie sagen also, dass es Ihnen dabei hilft, sich zu entspannen, habe
einem was Süßes gegeben hat, wenn man traurig war oder zum Trost, ich das richtig verstanden?“
wenn man hingefallen ist. Außerdem kann es, wenn Sie etwas Warmes
Frau S.: – „Ja, genau.“
essen oder trinken wie z. B. Kakao, dass Sie alleine durch die Hitze einen
wärmenden und wohligen Effekt spüren, der Sie beruhigt.“ Therapeut: – „Was wäre denn, wenn Sie in diesem Moment nicht essen
könnten?“
An diesem Beispiel wird also deutlich, welche Emotionen Frau S.: – „Ich würde sehr unruhig werden, das kann ich mir gar nicht
vorstellen.“
den Essanfall in dieser Situation ausgelöst haben. Anhand
Therapeut: – „Was würde noch passieren?“
des Essprotokolls sollte deshalb vom Therapeuten eine Ver-
Frau S.: – „Das weiß ich nicht, wahrscheinlich würde ich über die Arbeit
haltensanalyse (bspw. SORK) erstellt und herausgearbeitet
nachdenken oder einfach nur auf der Couch liegen und mich überflüs-
werden, welche Funktion der Essanfall hatte. Im obigen sig fühlen.“
Beispiel diente er zur Regulation der negativen Stimmung, Therapeut: – „Das heißt, das Essen lenkt sie einerseits von Ihren nega-
die durch die Enttäuschung über das Ausgehen des Part- tiven Gedanken ab und andererseits entspannt es Sie?“
ners und die ausbleibenden Anrufe der eigenen Freunde Frau S.: – „Na ja, wahrscheinlich entspannt es mich, dass ich mal nicht
entstand. Aus dieser Situation ist gut abzuleiten, welche Al- nachdenken muss und mich nur mit dem Essen beschäftigen kann.“
ternativen es zum Essanfall gegeben hätte (▶ Abschn. 9.3.2 Therapeut: – „Okay, das ist wichtig. Entspannend ist also, nicht nach-
sowie ▶ Kap. 11). Zunächst soll allerdings an dieser Stelle denken zu müssen und abgelenkt zu sein. Dafür scheint dann das Fern-
sehen alleine nicht auszureichen. Fällt Ihnen noch etwas anderes ein,
des Manuals noch auf die dritte mögliche Ursache eines
was Sie von den Gedanken an die Arbeit ablenken könnte?“
Essanfalls eingegangen werden, nämlich das Auftreten au-
tomatisierter Handlungsabläufe, einhergehend mit einem
starken Drang zu essen, ohne dass ein direkt erkennbarer Das Beispiel bezieht sich auf einen automatisierten Ablauf
Auslöser vorhanden ist. eines Essanfalls. Auch zeigt es, wie verborgene Gedanken
138 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1
und Gefühle einen Einfluss auf das Auftreten eines Ess-
anfalls haben und dass bei einem Essanfall verschiedene
funktionale Aspekte gemeinsam auftreten können, die
- Was hilft Ihnen in Momenten, in denen Sie ein
starkes Verlangen zu essen haben, dies aber nicht
tun können, weil kein Essen verfügbar ist oder Sie
2
-
nicht immer einfach voneinander trennbar sind. nicht ungestört sind?
Was passiert, wenn Sie während des Essanfalls

3
-
unterbrochen werden?
9.3.2 Interventionen zur kurzfristigen Wie stark ist der Drang, den Essanfall fortzuset-

-
Emotionsregulation zen?
4 Wie stark ist der Drang zu erbrechen zu diesem

-
Wichtig bei der Besprechung der alternativen Verhaltens- Zeitpunkt?
5 weisen zu einem Essanfall können folgende Fragen sein, Versuchen Sie, das Essen dann zu einem späte-

-
die zum einen zur besseren Selbstkontrolle der Patientin- ren Zeitpunkt zu erbrechen?
nen führen sollen, aber auch deutlich machen, dass die Wie bewältigen Sie die Zeit bis zur Möglichkeit
6 Patientinnen eine bewusste Entscheidung für einen Ess- zu erbrechen?
anfall treffen und damit auch Entscheidungsmöglichkeiten
7 haben. Bewährt bei der Erarbeitung von Alternativen hat Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Erarbeitung von Be-
sich vor allem das Suchen nach Sonderfällen, in welchen wältigungsstrategien zum Umgang mit einem Essanfall ist
der Essanfall unterbrochen oder vollständig unterlassen die Unterscheidung zwischen kurzfristig und mittelfristig
8 wurde. Dies bietet die Möglichkeit, Ressourcen der Pa- emotionsregulierenden Strategien und den längerfristigen
tientin herauszuarbeiten bzw. die Unvermeidbarkeit des Techniken zum Abbau von Anspannung und Aufbau von
9 Essanfalls in Frage zu stellen. Im Folgenden sind mögliche Stresstoleranz sowie sozialen Fertigkeiten zur Bewälti-
Fragen hinsichtlich dieser unterschiedlichen Aspekte dar- gung von interpersonellen Problemsituationen (▶ Kap. 11
10 gestellt (mod. nach Jacobi et al. 2000). und ▶ Kap. 12). Zu den langfristig emotionsregulierenden
Techniken sind zudem der Aufbau positiver Aktivitäten und
?? Fragen eines sozialen Netzwerks zur Reduktion der mit der Essstö-
11
-
Kontrollstrategien und Entscheidungsmöglichkeiten: rungssymptomatik assoziierten Problembereiche zu zählen
Gibt es situative Bedingungen, die das Auftreten (▶ Kap. 14). In diesem Abschnitt soll nun auf die kurzfris-
12 eines Essanfalls begünstigen bzw. gibt es situative tigen Strategien eingegangen werden, welche auf emotions-

-
Faktoren, die ihn verhindern? regulierenden und/oder ablenkenden Techniken basieren.
Die emotionsregulierenden Maßnahmen sind kurzfris-
13 Hatten Sie einen Anteil an der Begünstigung bzw.

-
an der Verhinderung des Essanfalls? tig und schnell anwendbare Techniken, die zum Abbau von
Haben Sie bereits Kontrollmöglichkeiten in Auslö- Anspannung und Unruhe genutzt werden können. Darüber

-
14 sesituationen kennengelernt bzw. ausprobiert? hinaus können, ähnlich wie in der Behandlung von Bor-
Welche Konsequenz hätte es für den Essanfall, derline-Patienten (Linehan 1996), teilweise automatisierte
15 wenn das Durchführen von Gegenmaßnahmen wie Handlungen durch Ablenkungsreize unterbrochen werden.
Erbrechen oder Sport nicht möglich wären, z. B. Diese können zum einen starke Reize wie kaltes Wasser oder

-
weil Sie gestört/unterbrochen werden? das Drücken eines Massageballs beinhalten, zum anderen
16 Haben Sie die Möglichkeit, sich auch gegen einen aber auch eher beruhigende Strategien wie eine warme Du-

--
Essanfall zu entscheiden? sche oder ein warmes Bad umfassen. Die Ablenkungsmaß-
17 Wann wäre diese Entscheidung möglich? nahmen bestehen meist aus einer Änderung der situativen

-
Wo genau liegt der Beginn des Essanfalls? Faktoren oder einer Unterbrechung der gerade ausgeführ-
ten Tätigkeiten. Je nach Auslösebedingung können dies
18 Gibt es Essanfälle, die Sie im Voraus planen, weil Sie

-
wissen, dass Sie alleine sind? körperliche Tätigkeiten wie Spazierengehen, Seilspringen,
Inwiefern beeinflusst die Essstörung Ihr Einkaufs- auf einen Boxsack schlagen oder geistige Tätigkeiten wie

-
19 verhalten? Kreuzworträtsel lösen, Puzzeln, Malen, Handarbeiten sowie
Fällt die Entscheidung für einen Essanfall die Aufnahme sozialer Kontakte zum Erhalt von Trost oder
20 bereits beim Einkaufen der entsprechenden einfach das Führen eines ablenkenden Gespräches sein. Wie
Lebensmittel? bereits beschrieben, geht es vor allem darum, dem jeweilig

-
Sonderfälle: auslösenden Ereignis mit einer adäquaten Alternative zu
21 Kommt es vor, dass Sie einen geplanten Essanfall begegnen. Für die Patientinnen ist die Unterscheidung in

--
nicht durchführen? den Fokus auf kurzfristig stärker ablenkende oder stärker
22 Wenn ja, wann und warum? emotionsregulierende Maßnahmen insofern hilfreich, als
Findet der Essanfall dann später statt? es ihnen die Möglichkeit gibt, adäquate Strategien gezielter
9.3 • Interventionen zur Verhinderung von Essanfällen und Erbrechen
139 9

auswählen zu können, wenn sie die Wirkmechanismen der


- nicht direkt nach Hause fahren, sondern in der Stadt
alternativen Strategien verstanden haben.
Zunächst sollte daher mit ihnen am Flipchart gesam-
- noch etwas unternehmen oder eine Freundin treffen,
die Zeit zu Hause mit bestimmten Tätigkeiten vorpla-
melt werden, welche möglichen alternativen Bewältigungs-
strategien zur Verhinderung des Essanfalls eingesetzt
werden könnten. Dazu sollen die zuvor herausgearbei-
teten individuellen Auslösesituationen wieder aufgegrif-
- nen (z. B. Bad putzen, Post erledigen etc.),
Freizeitbeschäftigung suchen (malen, lesen, Hör-
spiele, Musik hören, selbst Instrument spielen etc.).

fen und gezielt nach kurzfristigen Maßnahmen gesucht Um mögliche Schwierigkeiten in der Umsetzung der kurz-
werden, welche die Patientinnen ohne größere Probleme fristigen Strategien zu überprüfen, ist es wichtig, nochmals
umsetzen können. Vertiefend wird auf die Regulation von Essprotokolle schreiben zu lassen. Anfangs wird die Um-
Emotionen in ▶ Kap. 10 eingegangen und Techniken zur setzung sehr schwer sein, da die vorhandenen Defizite im
Verbesserung der kurzfristigen und langfristigen Emoti- Bereich der Emotionserkennung und -regulation als auch
onsregulation vorgestellt. Die von den Patientinnen ge- gegebenenfalls der sozialen Fertigkeiten, die dazu geführt
nannten Strategien sollten im Anschluss in ablenkende haben, dass sich eine Essstörung als dysfunktionale Bewäl-
und emotionsregulierende unterteilt werden. Oft nennen tigungsmöglichkeit entwickelt hat, weiterhin wirksam sein
Patientinnen auch Strategien wie Entspannungsverfahren. können. Überhöhte Ansprüche der Patientinnen an sich
Wichtig ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Ent- selbst sollten daher thematisiert und modifiziert werden.
spannungsverfahren erst nach einer Übungsphase wirksam Abschließend kann den Patientinnen ergänzend das
werden und daher eher den mittelfristigen Strategien zu- Arbeitsblatt 9.14B „Allgemeine Strategien zur Verhinde-
geordnet werden sollten. Zur Ergänzung der kurzfristigen rung von Essanfällen“ (. Abb. 9.17) ausgeteilt werden.
Intervention kann den Patientinnen das Arbeitsblatt 9.13 Auf dem Arbeitsblatt sind zusätzlich zu den Beispielen für
„Kurzfristige Maßnahmen zur Verhinderung von Essan- kurzfristig ablenkende und emotionsregulierende Tätig-
fällen“ ausgeteilt werden. Es bietet einen Überblick über keiten auch Techniken zur Stimuluskontrolle wie Verän-
mögliche Ablenkungsstrategien und ist bereits in Strate- derung des Einkaufsverhaltens oder Einschränkung der
gien mit Schwerpunkt Ablenkung und Schwerpunkt Emo- Bevorratung zu Hause beschrieben und Maßnahmen zur
tionsregulation unterteilt. Anhand eines Fallbeispiels soll Verhinderung von Essanfällen aufgrund ernährungsphy-
kurz beschrieben werden, welche Verhinderungsstrategien siologisch bedingter Mangelzustände enthalten. Die Pa-
mit der Patientin Frau A. erarbeitet wurden, um kurzfristig tientinnen sollten für sich überlegen, welche Strategien
Essanfälle zu verhindern und die automatisierten Verhal- sie übernehmen können und diese in das leere Arbeits-
tensketten zu durchbrechen. blatt 9.14 eintragen.
Sowohl für Patientinnen, die größere Schwierigkeiten
Fallbeispiel Frau A.: bei der Identifikation von Auslösern für Essanfälle haben,
Frau A. arbeitet als Trainerin in einem Fitness-Studio. Ihr Tag sowie für Patientinnen, welche nur sehr geringe Selbstkon-
wird hauptsächlich von den Sportkursen, die morgens und trollfertigkeiten besitzen und ein extrem stark ausgeprägtes
abends stattfinden, dominiert. Sie erbricht mehrmals täglich, Heißhungergefühl beschreiben, als auch für Patientinnen,
fast ritualisiert zwischen den Morgen- und Abendkursen. welche mehrmals über den Tag Essanfälle und Erbrechen
Meist fährt sie ohne Frühstück los, gibt zwei Aerobic-Kurse beschreiben, kann es zudem hilfreich sein, Nahrungsmit-
hintereinander und fährt auf dem Nachhauseweg einkaufen. telexpositionen durchzuführen. Dies wird im folgenden
Noch im Auto beginnt sie wahllos zu essen, was sich nach dem Abschnitt beschrieben.
Eintreffen zu Hause mit mehrmaligem Erbrechen über 2–3 h
hinzieht. Danach bereitet sie den Abendkurs im Fitnessstudio
vor. Außerhalb der Essanfälle isst sie erst nach dem Abend- 9.3.3 Nahrungsmittelexposition
kurs mit ihrem Mann zusammen zu Abend. In Ausnahmefällen
kommt es auch dann zu entgleistem Essverhalten, da sie nach Die Technik der Nahrungsmittelexposition basiert auf
dem Beginn der Mahlzeit nicht mehr aufhören kann zu essen. dem Modell von Jansen (1998) zur Konditionierung von
Essanfällen (▶ Kap. 2). Das Modell postuliert, dass situati-
Mit Frau A. wurden neben dem stark restriktiven Essver- onsbedingte Reize, wie Geruch von Essen, Gedanken und
halten emotionale Auslöser wie Langeweile, Ärger und Gefühle (unkonditionierter Stimulus) und tatsächliche
Anspannung als vorangehende Bedingungen für Essan- Nahrungsaufnahme, wie ein Essanfall (unkonditionierte
fälle erarbeitet. Daraus ableitend wurden mit ihr folgende Reaktion) aneinander gekoppelt sind, so dass die mit der

--
Möglichkeiten zur Verhinderung der Essanfälle vereinbart:
Frühstück vor dem Sport,
kleine Mahlzeit, noch bevor sie vom Studio wegfährt,
Nahrungsaufnahme assoziierten physiologischen Reaktio-
nen wie Speichelfluss, Insulinausschüttung und Erregung
an die situativen Stimuli geknüpft werden. Die situativen
140 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

Begebenheiten werden damit zu konditionierten Stimuli, – Wenn Sie die Schokolade vor sich betrachten, wie stark ist Ihr Verlan-
1 welche die physiologischen Prozesse im Sinne einer kon- gen, die Schokolade jetzt zu essen?
– Betrachten Sie die Schokolade nun ganz genau. Beschreiben Sie, was
ditionierten Reaktion auch ohne Nahrungsaufnahme aus- Sie sehen. Beispielsweise die Struktur der Schokoladenoberfläche, ob
2 lösen können. Durch diese konditionierte Reaktion wird diese glänzt oder matt ist. Welche Form hat das Stück der Schoko-
Verlangen zu essen ausgelöst. Aus diesen Überlegungen lade? Welche Farbe?
ist das Konzept der „cue exposure“ entstanden (Jansen – Wie stark ist jetzt Ihr Verlangen, die Schokolade zu essen?
3 et al. 1989), welche zur Entkopplung von konditionier- – Bitte schnüffeln Sie nun an der Schokolade. Versuchen Sie, tief ein-
zuatmen und den Geruch intensiv wahrzunehmen. Lassen Sie den
ten Stimuli und konditionierter Reaktion führen sollen.
4 Das grundlegende Prinzip dieses Vorgehens ist damit das
Geruch nun auf sich wirken. Bitte beschreiben Sie jetzt, was Sie rie-
chen. Welche Assoziationen löst die Schokolade bei Ihnen aus?
Durchbrechen der Reiz-Reaktions-Kette durch Gegenkon- – Wie groß ist das Verlangen nun, die Schokolade zu essen? Tragen Sie

5 ditionierung oder Desensibilisierung. Bei dieser Art von den Wert auf dem Verlaufsbogen ein.
– Beißen Sie nun eine ganz kleine Ecke von der Schokolade ab. Lassen
Konfrontationstherapie werden mit der Patientin daher
Sie die Schokolade auf der Zunge zergehen und konzentrieren Sie
Nahrungsmittelexpositionen mit dem Ziel der Verhinde-
6 rung eines Essanfalls und/oder des Erbrechens nach dem
sich dabei auf den Geschmack. Beschreiben Sie jetzt den Geschmack,
den Sie im Mund haben. Woran erinnert Sie dieser Geschmack?
Essen von verbotenen Lebensmitteln durchgeführt (Bulik – Wie groß ist jetzt das Verlangen, die Schokolade zu essen?
7 et al. 1998). – Beschreiben Sie die Schokolade noch einmal.
– Wie groß ist das Verlangen jetzt, die Schokolade zu essen?
Die Expositionsübung sollte gut in den Therapieablauf
– Riechen Sie noch einmal daran.
eingebettet sein und detailliert vorbereitet werden. Wie bei
8 anderen Expositionsinterventionen auch ist es wichtig, dass
– Wie groß ist das Verlangen jetzt, die Schokolade zu essen?
– Jetzt probieren Sie noch eine Ecke und beschreiben wieder den Ge-
die Patientin den Sinn der Übungen versteht und dadurch schmack!
9 bereit ist, sich auf die Exposition einzulassen (Legenbauer – Wie groß ist das Verlangen jetzt, die Schokolade zu essen?
und Vögele 2004). Mit der jeweiligen Patientin sollte daher – …

10 besprochen werden, dass es möglicherweise automatisiert


ablaufende Essanfälle gibt, in denen der Auslösereiz nicht Die vier Übungsschritte ansehen, riechen, lecken und ab-
mehr genau spezifiziert werden kann. Um ihr auch in solch beißen werden so lange wiederholt, bis das Verlangen tat-
11 einer Situation eine mögliche Bewältigungsstrategie an die sächlich gesunken ist. In . Abb. 9.3 ist ein Beispiel für den
Hand zu geben, kann durch die Nahrungskonfrontation Verlauf des Verlangens bei einer Nahrungskonfrontation
12 gelernt werden, das Gefühl des Verlangens auszuhalten mit Schokolade dargestellt.
und so den automatisierten Ablauf zu unterbrechen. Dazu Die Konfrontationstechnik kann sowohl im Einzel- als
sollte eine Liste mit bevorzugten „Essanfallslebensmitteln“ auch im Gruppensetting angewendet werden. Im Grup-
13 erstellt werden (Liste verbotener Nahrungsmittel, ▶ Ab- pensetting sollten die Teilnehmerinnen gebeten werden,
schn. 9.2.4). Diese wird dazu genutzt, hierarchisch einzu- individuell bevorzugte „Essanfallslebensmittel“ mitzubrin-
14 stufen, welches Lebensmittel den stärksten Drang zu essen gen. Es werden dann je nach verbleibender Zeit und Indi-
auslöst. Zu Beginn sollte zur Konfrontation ein Nahrungs- kation 2–3 Teilnehmerinnen ausgewählt, die einzeln hin-
15 mittel eingesetzt werden, welches ein mittleres bis starkes tereinander die Übung durchführen und ihre Gedanken
Bedürfnis auslöst, um zu garantieren, dass auch Verlangen und Beschreibungen laut äußern. Abschließend werden
auftritt. Die Patientin wird dann in der Sitzung angeleitet, mit den Teilnehmerinnen die verschiedenen Erfahrungen
16 an dem Lebensmittel zu riechen, daran zu lecken, es zu im Rahmen der Übung besprochen. Für eine ausführli-
befühlen und zu beschreiben. Dazwischen werden immer chere Darstellung der Nahrungsmittelkonfrontation emp-
17 wieder Ratings zum Verlangen erfragt. Die Übung wird fehlen wir einen Übersichtsartikel von Bents (1995), für
solange durchgeführt, bis das Verlangen deutlich gesun- den deutschsprachigen Raum das Therapiemanual von
ken ist. Das folgende Beispiel zeigt die Durchführung einer Tuschen-Caffier und Florin (2002) sowie das Buchkapitel
18 Nahrungsexposition mit Schokolade. Die Patientin erhält von Jansen (2005).
zunächst die Erklärung zur Übung, bevor die Schokolade
19 bereitgestellt und mit der Übung begonnen wird.
9.4 Zusammenfassung
20
21
Anleitung
zur Nahrungsexposition
Notieren Sie zunächst bitte in folgendem Diagramm das Verlangen, das
Sie momentan verspüren, die Schokolade zu essen. Bitte tragen Sie das
Ausmaß des Verlangens im weiteren Verlauf an die markierten Stellen
- Die Vermittlung von Informationen zu den Folgen
von Diäten auf die Entwicklung des Gewichts und
die Folgen von restriktivem Essverhalten stehen am
auf dem Arbeitsblatt ein. Als Beispiel ist die Verlaufskurve von Frau S. Beginn der Interventionen zur Normalisierung des
22 für Sie abgedruckt. Der Wert 0 entspricht gar keinem Verlangen, der Essverhaltens. Sie dienen sowohl der Motivierung als
Wert 100 einem sehr starken Verlangen, die Schokolade zu essen. auch der Ableitung von Interventionsstrategien.
9.5 • Arbeitsblätter
141 9
.. Abb. 9.3 Verlauf von Verlan-
gen bei der Schokoladenübung
Verlaufsratings von Verlangen zu Essen während einer

Verlangen zu essen (0 gar nicht bis 100 sehr stark)


Nahrungsexposition
100 95
90
85
80 80
80
70 70
60
60
50
40
40 40
35
20 30

0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Ratingzeitpunkt

- Essprotokolle werden zu diagnostischen und thera-


peutischen Zwecken eingesetzt und enthalten neben
es müssen Übungen zur besseren Wahrnehmung von
Hunger und Sättigung z. B. in Form von Selbstbeob-
situativen Angaben wie Ort, Zeit und nahrungsbezo-
genen Angaben wie Menge und Art der Lebensmittel
auch Gefühle und Kognitionen, Hungergefühl und
eingesetzte Gegenmaßnahmen. Ungünstiges Ernäh-
- achtungsprotokollen eingeführt werden.
Gemeinsames kochen soll Patientinnen einen nor-
malen Umgang mit Mahlzeiten ermöglichen und
sie dazu anleiten, Fertigkeiten in der Planung und
rungsverhalten wie auch Auslöser für Essanfälle und Zubereitung von adäquaten Mahlzeiten zu entwi-
Nahrungsmittelrestriktion werden mit den Patientin- ckeln. Dazu gehört der Einkauf von Nahrungsmitteln

- nen anhand der Protokolle erarbeitet.


Strukturierte Esstage dienen sowohl bei der An-
orexie als auch der Bulimie der Etablierung re-
gelmäßiger und ausreichender Mahlzeiten. An -
und die Fähigkeit Essen, losgelöst von Kalorien, auch
unter einem genussvollen Aspekt zu betrachten.
Maßnahmen zur Verhinderung von Essanfällen soll-
ten zunächst die genaue Analyse der Auslösesituati-
strukturierten Esstagen werden 3 Haupt- und onen beinhalten, um hieraus adäquate Behandlungs-
2 Zwischenmahlzeiten eingenommen, und es dürfen strategien ableiten zu können. Die Auslöser können
keine Gegenmaßnahmen zur Gewichtsregulation unter 3 Aspekten betrachtet werden: restriktives

- eingesetzt werden.
Gewichtssteigerungsprogramme stellen vor allem bei
der Anorexia nervosa erste Interventionsschritte dar.
Sie werden zumeist im stationären Setting durchge- -
Essverhalten, emotional-kognitive Stimuli und auto-
matisierte Prozesse.
Als Gegenmaßnahmen zu Essanfällen werden zu-
nächst kurzfristig ablenkende und emotionsregulie-
führt, können aber auch an das ambulante Setting ad-
aptiert werden. Die Gewichtssteigerungsprogramme
sind meist operanter Natur und gehen bei nicht
erfolgreichem Selbstmanagement in ein 3-phasiges
- rende Maßnahmen erarbeitet und etabliert.
Vor allem bei automatisiert ablaufenden Prozessen
kann die Nahrungsexposition als Behandlungselement
eingesetzt werden, um die automatisierten Abläufe zu
Fremdkontrollprogramm über. Gelingt auch mit die- durchbrechen und der Patientin ein Gefühl der Kont-
sem keine Gewichtszunahme, kommt es zu stärkeren rolle über den Drang zu essen zurückzugeben.
Restriktionen des Aktivitätsradius (Zimmerruhe)

- und notfalls auch zur Zwangsernährung.


Hunger, Appetit und Sättigung sind zentrale Ele- 9.5 Arbeitsblätter
mente in der Steuerung der Nahrungsaufnahme und
bei Patientinnen mit Anorexia und Bulimia nervosa
meist gestört. Diese Prozesse funktionieren über phy- -- Arbeitsblatt 9.1B Folgen von Diäten (. Abb. 9.4)
Arbeitsblatt 9.2B Anamnestische Gewichtsverlaufs-
siologische Feedbackprozesse und werden zusätzlich
durch Lernerfahrungen wie auch Einstellungen be-
einflusst. Um das Hunger-Sättigungs-Gefühl wieder
herzustellen, muss das Essverhalten strukturiert und
-- kurve (. Abb. 9.5)
Arbeitsblatt 9.3B Essprotokoll (. Abb. 9.6)
Arbeitsblatt 9.4B Maßnahmen zur Strukturierung des
Essverhaltens (. Abb. 9.7)
142 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

- Arbeitsblatt 9.5B Etablierung eines neuen Essverhal-

--
1 tens (. Abb. 9.8)
Arbeitsblatt 9.6B Verbote und Gebote (. Abb. 9.9)
2 Arbeitsblatt 9.7 Gewichtszunahmevertrag

3 -- (. Abb. 9.10)
Arbeitsblatt 9.8 Gewichtshaltevertrag (. Abb. 9.11)
Arbeitsblatt 9.9B Belohnungen ambulantes Setting

4
- (. Abb. 9.12)
Arbeitsblatt 9.10B Belohnungen stationäres Setting

5 - (. Abb. 9.13)
Arbeitsblatt 9.11B Analyse eines Essprotokolls

- (. Abb. 9.14)
Arbeitsblatt 9.12B Auslöser für Essanfälle

-
6 (. Abb. 9.15)
Arbeitsblatt 9.13B Kurzfristige Maßnahmen zur Ver-
7
8
- hinderung von Essanfällen (. Abb. 9.16)
Arbeitsblatt 9.14B Allgemeine Strategien zur Verhin-
derung von Essanfällen (. Abb. 9.17)

9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
9.5 • Arbeitsblätter
143 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.1 | Folgen von Diäten | Seite 1

Folgen von Diäten


Überlegen Sie, wie Sie sich während Ihres Diätverhaltens gefühlt haben.
4 Welche körperlichen Veränderungen haben Sie an sich bemerkt?
4 Wie hat sich die andauernde Diät auf Ihr seelisches Befinden ausgewirkt?

Bitte tragen Sie die Punkte in die entsprechenden Kästchen unten ein.

Körperlich:

6FKODSSKHLW

+HL‰KXQJHU

.RQ]HQWUDWLRQVVFKZLHULJNHLWHQ

.HLQ6lWWLJXQJVJHIKOPHKU

+DDUDXVIDOOZHJHQ0DQJHOHUVFKHLQXQJHQB

Seelisch:

*HUHL]WKHLW

8QDXVJHJOLFKHQKHLW

6WlQGLJHV'HQNHQDQ(VVHQ

1LHGHUJHVFKODJHQKHLW

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.4 Arbeitsblatt 9.1B Folgen von Diäten


9
8
7
6
5
4
3
2
1

22
21
20
19
18
17
16
15
14
13
12
11
10
144

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.2 | Anamnestische Gewichtsverlaufskurve | Seite 1

Anamnestische Gewichtsverlaufskurve

.. Abb. 9.5 Arbeitsblatt 9.2B Anamnestische Gewichtsverlaufskurve


Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.3 | Essprotokoll | Seite 1


9.5 • Arbeitsblätter

Essprotokoll

Zeit Gedanken Gefühle H Art und Menge der Gedanken Gefühle H E G

.. Abb. 9.6 Arbeitsblatt 9.3B Essprotokoll


Von … bis (vor dem Essen) (vor dem Essen) Nahrung (nach dem Essen) (nach dem Essen)
² ,FKPDJQLFKWV  0LOFKNDIIHH :LHJXWGDVVLFK 6WRO]  ² ²
HVVHQ FRÜHSTÜCK QLFKWVJHJHVVHQ
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ZWISCHENMAHLZEIT
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ZWISCHENMAHLZEIT
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JHEOlKW+DELPPHU
ABENDESSEN (LVNUHP QLFKWVPHKU
QRFK+XQJHU-HW]W
LVWHVHKHJDO

SNACK
145

Getränke: Sportliche Betätigung:


/LWHU&RODOLJKW7DVVHQ0LOFKNDIIHH*OlVHU6DIWVFKRUOH 7UHSSHQVWHLJHQPLW)DKUUDG]XU8QL

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
9
146 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.4 | Maßnahmen zur Strukturierung des Essverhaltens | Seite 1


2
3 Maßnahmen zur Strukturierung des Essverhaltens
Bitte tragen Sie im Folgenden ein, was Sie in der kommenden Woche unternehmen wollen, um Ihr Essverhalten zu ver-
4 bessern.

5 Maßnahmen zur Vorbereitung der Mahlzeit

,FKSODQHPHLQH0DKO]HLWHQPLW+DXSWPDKO]HLWHQXQG6QDFNV
6 ,FKPDFKHPLUHLQH(LQNDXIVOLVWHXQGNDXIHGLHHQWVSUHFKHQGHQ=XWDWHQHLQRKQHDXIGLH
,QKDOWVWRIIHXQG.DORULHQ]XDFKWHQ
,FKEDXHGLHVH:RFKHHLQHQ5LHJHO.LQGHUVFKRNRODGHDOVYHUERWHQHV1DKUXQJVPLWWHODOV
7 =ZLVFKHQPDKO]HLWHLQ

8
9
10
11
12
Maßnahmen während der Mahlzeit
13
,FKQHKPHPLUIUGLH+DXSWPDKO]HLWHQMHZHLOV0LQXWHQ=HLW

14 ,FK]HUWHLOHGDV(VVHQQLFKWLQNOHLQH6WFNHVRQGHUQVFKQHLGHQRUPDOJUR‰H6WFNH
,FKEHQXW]HDGlTXDWHV%HVWHFN EVSZ7HHO|IIHOIU-RJKXUW(VVO|IIHOIU6XSSH%URWPLWGHU
+DQG
15
16
17
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19
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 9.7 Arbeitsblatt 9.4B Maßnahmen zur Strukturierung des Essverhaltens


9.5 • Arbeitsblätter
147 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.5 | Etablierung eines neuen Ernährungsverhaltens | Seite 1

Etablierung eines neuen Ernährungsverhaltens


Bitte überlegen Sie, welche Ernährungsregeln Ihr Essverhalten bislang gesteuert haben.
Schreiben Sie diese auf. Überlegen Sie, wie Sie Ihre bisherigen Regeln ändern können,
um zu einem ausgewogenen und ausreichendem Ernährungsplan hin zu kommen.

Alte Ernährungsregel:

1LHIUKVWFNHQGDNDQQLFKVFKRQPDO.DORULHQHLQVSDUHQ

Neue Regel:

0LWHLQHP0VOLXQGHWZDV2EVWVWDUWHWHVVLFKEHVVHULQGHQ7DJ

Alte Ernährungsregel:

*HJHQ+XQJHUKLOIW0LOFKNDIIHHPLWYLHO6FKDXP

Neue Regel:

:HQQLFK+XQJHUKDEHHVVHLFKHLQHDGlTXDWH0DKO]HLW ]%HQWVSUHFKHQGPHLQHP(VVSODQ 

Alte Ernährungsregel:

$EHQGVHVVHLFKQXUQRFK2EVW

Neue Regel:

/LHEHUDEHQGVHLQH6FKHLEH%URWHVVHQGDVPDFKWVDWW

Alte Ernährungsregel:

1XU*HPVHXQG6DODWGDUILFKHVVHQVRYLHOLFKZLOO

Neue Regel:

=XP6DODWXQG*HPVHHVVHLFK5HLVRGHU.DUWRIIHOQGD]X

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.8 Arbeitsblatt 9.5B Etablierung eines neuen Essverhaltens


148 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.6 | Verbote und Gebote | Seite 1


2
3 Bitte tragen Sie unten in die Tabelle ein, welche Nahrungsmittel Sie sich verbieten, und geben Sie eine kurze Begrün-
dung für das Verbot an. Verfahren Sie entsprechend in der zweiten Tabelle mit den Nahrungsmitteln, die Sie sich
4 erlauben, und begründen Sie dies ebenfalls.

5 Verboten ist/sind … Begründung

6 6FKRNRODGH ,FKZHUGHGDYRQIHWW

7 (LV µ

.XFKHQ µ
8
3L]]D 'DVKDW]XYLHOH.DORULHQ
9
1XGHOQ .RKOHQK\GUDWHPDFKHQGLFN

10
5HLV µ

11 .DUWRIIHOQ µ

12 )OHLVFK 'DLVWYLHO)HWWGULQ

13 :XUVW µ

14
Erlaubt ist/sind … Begründung
15
2EVW 'DVLVWJHVXQGXQGKDWZHQLJ.DORULHQ
16
6DODW µ
17
*HPVH QXUJHGQVWHW µ

18
9ROONRUQEURW %DOODVWVWRIIHVLQGIUGLH9HUGDXXQJZLFKWLJ

19 -RJKXUWIHWWDUP
'DVPDFKWPLFKVDWWXQGIOOWGHQ0DJHQRKQH
GLFN]XPDFKHQ

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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 9.9 Arbeitsblatt 9.6B Verbote und Gebote


9.5 • Arbeitsblätter
149 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.7 | Gewichtszunahmevertrag | Seite 1

Gewichtszunahmevertrag

zwischen (Name des/der Patienten/-in) und


(Name des/der Therapeuten/-in) über die Teilnahme am Essstörungsbehandlungskonzept
der (Name der Praxis/Klinik).

1. Ich bin damit einverstanden, dass ich nach dem Behandlungskonzept für Essstörungen ambulant/stationär
in der (Name der Praxis/Klinik) behandelt werde.
Das Konzept wurde mir erklärt. Wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich nach.
2. Ich habe verstanden, dass, um gesund zu werden, der erste Schritt in der Behandlung eine Gewichtszunahme ist, bei
der mich das folgende Programm unterstützen soll.
3. Mein gesundes Zielgewicht wird anhand eines BMI von kg/m² berechnet. Das entspricht bei mir einem Ge-
wicht von kg. Um dieses Gewicht zu erreichen, werde ich während der Behandlung kg zunehmen.

Das Programm beinhaltet folgende Punkte:


4 Gewichtszunahme (nicht zutreffendes bitte streichen):
– Ich nehme wöchentlich mindestens g zu und bleibe in Stufe 1 bis ich kg zugenommen habe
und kg wiege.
– Ich nehme wöchentlich mindestens g zu und bleibe in Stufe 2 bis ich kg zugenommen habe
und kg wiege.
– Ich nehme wöchentlich mindestens g zu und bleibe in Stufe 3 bis ich kg zugenommen habe
und kg wiege.
– Zur Unterstützung bei der Gewichtszunahme werde ich zweimal wöchentlich (stationär)/einmal wöchentlich
(ambulant) von (Name des Wiegenden bspw. Stationsteammitglied/Hausarzt/The-
rapeut) gewogen. Bei stationären Maßnahmen erfolgt das Wiegen nüchtern vor dem Frühstück. Es kann bei Bedarf
zusätzlich auch unangekündigt gewogen werden. (Nicht zutreffendes bitte streichen).

Mahlzeiten:
4 Gewichtszunahme (nicht zutreffendes bitte streichen):
– Stufe 1: Die Mahlzeiten werden in Absprache mit dem/der Therapeuten/in (ggf. Ernährungsberater) zusammenge-
stellt (ggf. bei stationärer Behandlung begleitet). Ich verpflichte mich, die Mahlzeiten wie vereinbart einzunehmen
und die vorgegebene Menge zu essen. (Bei stationären Patientinnen: Nach den Mahlzeiten werde ich bis zu 1
Stunde durch die Mitarbeiter beaufsichtigt).
– Stufe 2: Die Mahlzeiten werden in Absprache mit dem/der Therapeuten/in (ggf. ErnährungsberaterIn) zusammen-
gestellt (ggf. bei stationärer Behandlung begleitet). Es werden auch solche Nahrungsmittel eingebaut, die ich mir
bisher verboten habe. Ich verpflichte mich, die Mahlzeiten wie vereinbart einzunehmen und die vorgegebene
Menge aufzuessen. (Bei stationären Patientinnen bei Bedarf: Nach den Mahlzeiten werde ich bis zu 1 Stunde durch
die Mitarbeiter beaufsichtigt).
– Stufe 3: Ich stelle mir die Mahlzeiten eigenständig zusammen. Bei Bedarf kann ich hierbei Unterstützung durch
(Name des/der Therapeuten/-in) erhalten.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.10 Arbeitsblatt 9.7B Gewichtszunahmevertrag


150 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.7 | Gewichtszunahmevertrag | Seite 2


2
Bewegung:
3 4 Stufe 1: Ich verzichte auf Sport und übermäßige Bewegung. (Bei stationären Patientinnen bei Bedarf: Ich habe zu-
nächst keinen Ausgang).
4 4 Stufe 2: Ich führe Sport und übermäßige Bewegung nur eingeschränkt aus. (Bei stationären Patientinnen bei Bedarf:
Ich habe nur eingeschränkten Ausgang).

5 Belohnung:
Bei erfolgreicher Gewichtszunahme (≥ g/Woche), bekomme ich 1 Punkt, den ich gemeinsam mit dem/der
6 Therapeuten/in gegen Belohnungen eintauschen kann (s. Arbeitsblatt 9.9 und 9.10 Belohnungssystem).

7 Verfehlen der Gewichtszunahme:


Wenn ich die Gewichtszunahme von mind. g pro Woche nicht geschafft habe, erhalte ich keine Belohnung. Ggf.
werden die Belohnungen der Vorwoche reduziert. Passiert das mehrmals, ist
8
4
9
10 4

11 4

12 4 Bei ambulant behandelten Patientinnen: ggf. ist eine stationäre Aufnahme angezeigt.

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14
Ort, Datum (Patient/in) (Therapeut/in)

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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 9.10 (Fortsetzung) Arbeitsblatt 9.7B Gewichtszunahmevertrag


9.5 • Arbeitsblätter
151 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 9.8 | Gewichthaltevertrag | Seite 1

Behandlungsvertrag Stabilisierungsphase/Gewichthaltevertrag

zwischen (Name des/der Patienten/-in) und


(Name des/der Therapeuten/-in) über die Teilnahme am Essstörungsbehand-
lungskonzept der (Name der Praxis/Klinik).

1. Ich bin damit einverstanden, dass ich nach dem Behandlungskonzept für Essstörungen ambulant/stationär in der
(Name der Praxis/Klinik) behandelt werde. Das Kon-
zept wurde mir erklärt. Wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich nach.
2. Ich habe verstanden, dass, um gesund zu werden, der erste Schritt in der Behandlung eine Gewichtszunahme ist, bei
der mich das folgende Programm unterstützen soll.
3. Mein gesundes Zielgewicht wird anhand eines BMI von kg/m² berechnet. Das entspricht bei mir einem Ge-
wicht von kg. Um dieses Gewicht zu erreichen, werde ich während der Behandlung kg zunehmen.

Das Programm sieht in der Stabilisierungsphase/Gewichthaltephase Folgendes vor:


4 Ich halte das (erreichte Ziel-)Gewicht von kg plus/minus 1 kg bzw. einen BMI von kg/m².
4 Zur Unterstützung dabei werde ich einmal wöchentlich (stationär: vor dem Frühstück) gewogen. Unangekündigtes
Wiegen kann zu jedem Zeitpunkt zusätzlich stattfinden.
4 Die Mahlzeiten werden von mir selbstständig ausgewählt und zubereitet.
4 Ich kann uneingeschränkt an sportlichen Aktivitäten teilnehmen.
4 Ich habe uneingeschränkten Ausgang.
4 Liegt mein Gewicht unter dem erreichten/vereinbarten (Ziel-)Gewicht (+/- 1 kg), wechsele ich wieder/ggf. in den/
einen Stufenplan. Hierbei legt mein Therapeut die angemessene Behandlungsstufe fest.

Ort, Datum (Patient/in) (Therapeut/in)

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.11 Arbeitsblatt 9.8B Gewichtshaltevertrag


152 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Material 1.1 9.9


Arbeitsblatt | Headline-2 | Seite
| Belohnungen 1
ambulantes Setting | Seite 1
2
3 Belohnungen
In die unten stehenden Säckchen können Belohnungen eingetragen werden, welche während der Zeit des Gewichts-
4 zunahmevertrags vom (Datum) durch das Erreichen der vereinbarten Gewichtszunahme eingetauscht
werden können. Einmal verdiente Belohnungen bleiben solange bestehen, wie zumindest das Gewicht gehalten wird.

5 Bei einer Gewichtsabnahme wird der/die Therapeut/in mit Ihnen gemeinsam überlegen, ob eine der bis dahin verdienten
Belohnungen angepasst oder reduziert werden muss. Nehmen Sie weiter an Gewicht zu, kommt zu den bereits bestehen-
den Belohnungen jeweils eine weitere hinzu.
6
7
8
9
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 9.12 Arbeitsblatt 9.9B Belohnungen ambulantes Setting


9.5 • Arbeitsblätter
153 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 9.10 Headline-2
Belohnungen |
stationäres
Seite 1 Setting | Seite 1

Belohnungen
In die unten stehenden Säckchen können Belohnungen eingetragen werden, welche während der Zeit des Gewichts-
zunahmevertrags Stufe vom (Datum) durch das Erreichen der vereinbarten Gewichtszunahme
eingetauscht werden können. Einmal verdiente Belohnungen bleiben solange bestehen, wie zumindest das Gewicht
gehalten wird. Bei einer Gewichtsabnahme wird der/die Therapeut/in mit Ihnen gemeinsam überlegen, ob eine der bis
dahin verdienten Belohnungen angepasst oder reduziert werden muss. Nehmen Sie weiter an Gewicht zu, kommt zu den
bereits bestehenden Belohnungen jeweils eine weitere hinzu.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.13 Arbeitsblatt 9.10B Belohnungen stationäres Setting


154 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 9.11 Headline-2 Seite
Analyse eines 1 |
Essprotokolls | Seite 1
2
3 Analyse eines Essprotokolls
Bitte sehen Sie sich das Essprotokoll an. Machen Sie sich Notizen
4 dazu, was Ihnen an dem Protokoll auffällt. Bitte berücksichtigen Sie
bei der Auswertung folgende Aspekte:

5
Checkliste Notizen
6
– Bestimmte Gedanken und Gefühle vor und nach 9RUGHP(VVDQIDOO8QUXKHYRUDOOHPHKHUQHJD

7 dem Essen WLYH6WLPPXQJ


– Auslassen von Mahlzeiten .HLQH=ZLVFKHQPDKO]HLWYRUGHP0LWWDJHVVHQ

8 – Art der Lebensmittel 9RUDOOHPYLHO(LZHL‰XQGZHQLJ.RKOHQK\GUDWH


XQGIHWWDUP
9 – Menge der Lebensmittel 9RUDOOHP)UKVWFNXQG0LWWDJHVVHQVHKUZHQLJ

10 – Situationale Besonderheiten ,PPHUDOOHLQH

11 – Abstände zwischen den Mahlzeiten =ZLVFKHQ)UKVWFNXQG0LWWDJHVVHQPHKUDOV


6WXQGHQRKQH=ZLVFKHQPDKO]HLW

12
13
14
15
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 9.14 Arbeitsblatt 9.11B Analyse eines Essprotokolls


9.5 • Arbeitsblätter
155 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 9.12 Headline-2
Auslöser fürSeite |
Essanfälle
1 | Seite 1

Auslöser für Essanfälle

Meine individuellen körperlichen Auslöser für Essanfälle

8QUXKH
$QVSDQQXQJ
(UVFK|SIXQJ
+XQJHU

Meine individuellen seelischen Auslöser für Essanfälle

/DQJHZHLOH
7UDXULJNHLW
bUJHU
GLIIXVH*HIKOH

Meine typischen Auslösesituationen für Essanfälle


DOOHLQH]X+DXVH
QLFKWV]XWXQ
)HUQVHKHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.15 Arbeitsblatt 9.12B Auslöser für Essanfälle


156 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 9.13 Headline-2
Auslöser fürSeite 1 |
Essanfälle | Seite 1
2
3 Kurzfristige Maßnahmen zur Verhinderung von Essanfällen

4
5
6 Strategien mit Schwerpunkt
„Gefühle abschwächen“
Strategien mit Schwerpunkt
„Von Gefühlen ablenken“

7 ² Å.QHLSS.XU´ ]%)‰HLQNDOWH%DGH ² :DOGVSD]LHUJDQJ


ZDQQH
8 ² $WHPEXQJHQ
² +lQGH*HVLFKWNDOWDEZDVFKHQ

9 ² 0DVVDJHPLW,JHO0DVVDJHEDOO.ORSIPDV
² +|UEFKHUK|UHQ

VDJH ² %DGHQ
10
² )ODVFKHQLQ*ODVFRQWDLQHUZHUIHQ ² 0XVLNK|UHQ

11 ² )X‰EDG

12 ² ODXWVLQJHQ

13 ² (QWVSDQQXQJVEXQJHQ

14
15
16
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18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 9.16 Arbeitsblatt 9.13B Kurzfristige Maßnahmen zur Verhinderung von Essanfällen
9.5 • Arbeitsblätter
157 9

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 9.14 Headline-2
Auslöser fürSeite |
Essanfälle
1 | Seite 1

Allgemeine Strategien zur Verhinderung von Essanfällen

Was mir helfen kann, einen Essanfall zu verhindern:

² DXVUHLFKHQGH(UQlKUXQJEHUGHQJDQ]HQ7DJKLQZHJ
² ODQJHÅ/HHU]HLWHQ´]ZLVFKHQ7HUPLQHQ7lWLJNHLWHQYHU
PHLGHQDEHUDXFK5XKHSDXVHQHLQSODQHQ
² P|JOLFKVWNHLQHEHYRU]XJWHQ/HEHQVPLWWHOIU(VVDQIlOOH
HLQNDXIHQ
² VLFKPLW0HQVFKHQXPJHEHQ
² (QWVSDQQXQJVWHFKQLNHQ
² JHQJHQGWULQNHQ

Wenn es kritisch wird:

² )UHXQG LQ EHVXFKHQRGHUDQUXIHQ
² QDFKGHP(VVHQ]XP6SD]LHUJDQJYHUDEUHGHQ
² HLQ%DGQHKPHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 9.17 Arbeitsblatt 9.14B Allgemeine Strategien zur Verhinderung von Essanfällen
158 Kapitel 9 • Interventionen zur Normalisierung des gestörten Essverhaltens

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ven bei Essstörungen. Wissenschaft und Praxis, Sternenfels Berlin,
S 127–155
22
159 10

Kognitive Interventionen
T. Legenbauer, S. Vocks

10.1 Einleitung – 160


10.2 Das zugrunde liegende Wertesystem – 160
10.2.1 Identifikation des zugrunde liegenden Wertesystems – 161
10.2.2 Modifikation des zugrunde liegenden Wertesystems – 163

10.3 Automatische Kognitionen – 164


10.3.1 Identifikation automatischer Kognitionen – 164
10.3.2 Modifikation der automatischen Gedanken – 165

10.4 Zusammenfassung – 170


10.5 Arbeitsblätter – 170
Literatur – 181

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
160 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

1
-
Ziel
Identifikation der mit der Essstörung assoziierten
dysfunktionalen Kernüberzeugungen bezogen auf
zeugungen auch Informationen über situationale Reize
olfaktorischer, visueller, taktiler, kinästhetischer, körperli-
cher, emotionaler oder verbaler Qualitäten, welche durch
2
- Schlankheit, Leistung, Selbstwert u. Ä.
Erfassung der automatischen dysfunktionalen Ge-
danken in Bezug auf Körper, Selbstwert und Leis-
Lernprozesse an die spezifischen Einstellungen gekoppelt
wurden, enthält (Waller u. Kennerley 2003).
Damit erhalten diese Kernüberzeugungen zudem eine

-
3 tungsstreben handlungsleitende Funktion und zwar insofern, als sie über
Verständnis des Zusammenhangs Gedanken – Ge- die automatischen Gedanken zu einer verzerrten Interpre-
4
5 - fühle – Verhalten
Erarbeiten alternativer funktionaler Gedanken
tation der Situation führen. Das heißt aufgrund der Lerner-
fahrungen, welche Patientinnen gemacht haben, und den
daraus entstandenen Kernüberzeugungen wirken diese

-
Vorgehen
Ableitung der Kernüberzeugungen aus den bereits
sich auf die Interpretation der jeweiligen aktuellen Situa-
tion aus. Das funktioniert insofern, als externe situationale

-
6 erarbeiteten Familienregeln. Reize zu einer Aktivierung der kognitiven Schemata führen
Diskussion der Beispiele und Benennen individueller und damit eine schnellere Verarbeitung des schemakon-
7
- „Gesetze“.
Diskussion der Gesetze im Rahmen der Übung „Talk-
formen Informationsmaterials erfolgt. Die Bewertung der
Situation in Form der automatischen Gedanken und daraus
8
- show“. Überleitung zu automatischen Gedanken.
Einführen von Selbstbeobachtungsprotokollen für
folgend auch die Handlung werden durch diese Schemata
bestimmt. Diesen Zusammenhang verdeutlicht . Abb. 10.1.

9
10
- automatische Gedanken.
Identifikation der automatischen dysfunktionalen
Gedanken anhand der Gedankenprotokolle, Her-
stellen des Zusammenhangs zu dysfunktionalen
In der Behandlung der mit der Essstörung zusammen-
hängenden Kognitionen muss also zwischen den automati-
schen Gedanken und den Kernüberzeugungen und Regeln
unterschieden werden. Im Kontext der kognitiven Fakto-

11 - Kernüberzeugungen
Ableiten der Notwendigkeit alternativer angemesse-
ner Gedanken und exemplarisch die Entwicklung von
ren ist zudem die verzerrte Informationsverarbeitung zu
nennen. Diese bezieht sich darauf, dass gerade bedrohliche
bzw. schemakonsistente Informationen schneller verarbei-

12
13
- rationalen Gedanken.
Entwicklung alternativer Gedanken anhand des
Arbeitsblattes negative Monologe und der Übung
„Engelchen-Teufelchen“
tet werden und es dadurch in der Situation zu einer dys-
funktionalen Bewertung der verfügbaren Informationen
(▶ Kap. 2; Heatherton u. Baumeister 1991) und damit auch
einer Aufrechterhaltung der negativen Überzeugungen
kommen kann (Legenbauer 2002).
Insgesamt scheinen die Identifikation und Modifika-
14 10.1 Einleitung tion dieser kognitiven Schemata von größerer Relevanz in
der Behandlung von Essstörungen zu sein als bisher an-
15 Die Identifikation und Modifikation von dysfunktionalen genommen (Leung et al. 2000). In diesem Kapitel werden
Kognitionen stand schon immer im Fokus der kognitiv- deshalb Interventionen zur Identifikation des zugrunde
behavioralen Therapie der Essstörungen. Anfangs wurden liegenden Wertesystems (▶ Abschn. 10.2) und der auto-
16 bislang vor allem automatische negative Gedanken be- matischen Kognitionen sowie der damit verbundenen dys-
züglich Essen, Gewicht und Körper fokussiert (Waller u. funktionalen Bewertung, sog. Denkfehler (▶ Abschn. 10.3),
17 Kennerley 2003). Im Rahmen der Erforschung kognitiver vorgestellt und Techniken zur Modifikation des jeweiligen
Prozesse wurde mit der Zeit immer deutlicher, dass neben kognitiven Prozesses erklärt.
den automatischen Gedanken vor allem überdauernde und
18 handlungsleitende „core beliefs“ bzw. Kernüberzeugungen
(Waller et al. 2000; Hughes et al. 2006; Unoka et al. 2010) 10.2 Das zugrunde liegende Wertesystem
19 nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Diese Kernüber-
zeugungen müssen nicht zwangsläufig mit essstörungsspe- Die Bedeutung des zugrunde liegenden Wertesystems, der
20 zifischen Bereichen verbunden sein, sondern können auch „core-beliefs“, veranschaulicht das folgende Fallbeispiel ei-
allgemeine Prinzipien und Regeln beinhalten, wie z. B. „Ich ner bulimischen Patientin (mod. nach Waller u. Kennerley
muss immer perfekt sein, sonst werde ich nicht geliebt!“. 2003):
21 Die Kernüberzeugungen entwickeln sich aus Lernerfah-
rungen im Laufe des Lebens, welche oft familiären und so- Fallbeispiel Frau K.
22 ziokulturellen Einflüssen unterliegen. Sie sind eingebettet Frau K. ist eine Patientin mit einer Bulimie, die große Schwie-
in ein sog. kognitives Schema, das neben den Kernüber- rigkeiten hat, interpersonelle Beziehungen aufrechtzuerhal-
10.2 • Das zugrunde liegende Wertesystem
161 10

Grundannahme Grundannahme Grundannahme


ICH BIN NUR
DÜNNE MENSCHEN SIND ICH DARF NIE
LIEBENSWERT, WENN ICH
GENERELL BELIEBTER ALS AUFHÖREN, BEVOR ICH
DEN ERWARTUNGEN
DICKE MENSCHEN ES GESCHAFFT HABE
ANDERER ENTSPRECHE

Automatischer Gedanke Automatischer Gedanke Automatischer Gedanke


Kein Wunder, dass mich keiner Peter hat so komische geguckt, Ich bin so ein Faulpelz. Aus mir
eines Blickes würdigt, ich hab als ich gesagt habe, dass ich wird nie was werden. Ich darf
so zugenommen, das muss seine Arbeit nicht mehr heute mich nicht hängen lassen.
ganz schön abstoßend sein. korrigieren kann. Der ist
bestimmt sauer.

(Situation: Party zu Semester- (Situation: Ein Bekannter bittet (Situation: Morgen steht eine
beginn) im Vorbeigehen um Korrektur- Klausur an, statt zu lernen,
lesen seiner Arbeit.) schauen Sie fernsehen.)

.. Abb. 10.1 Beispiele zum Zusammenspiel von Kernüberzeugungen und automatisch negativen Gedanken

ten. Auch hat sie ein niedriges Selbstwertgefühl. In Situa- Bearbeitung der Kernüberzeugungen dargestellt und im
tionen, in denen sie sich ungeliebt fühlt, kommt es häufig zweiten Schritt die Ableitung der automatischen Gedan-
zu Essanfällen, wobei ihr Essen oft Trost spendet. Eine der ken thematisiert.
Kernüberzeugungen lässt sich dementsprechend am besten
als „Ich bin nicht liebenswert“ interpretieren. In einer Situa-
Maßnahmen und Unterlagen

-
tion, die für sie bedrohlich ist, wird das Schema aktiviert und
Übungen
beeinflusst die Interpretation der Situation. So wird das Kom-
Talkshow-Übung

-
pliment eines Kollegen: „Die Hose steht dir gut“ von ihr als
Arbeitsmaterial
Kritik empfunden und uminterpretiert in „Er denkt bestimmt,
Flipchart, Stifte

-
ich sollte keine Röcke tragen, weil ich so dicke Beine habe“.
Arbeitsblätter
Durch die Aktivierung des Schemas kommt es zu Erregung,
Kernüberzeugungen

--
emotional fühlt sie sich traurig und empfindet Ekel gegen-
(▶ Arbeitsblatt 10.1/10.1B . Abb. 10.2)
über sich selbst. Auf der kognitiven Ebene treten Gedanken
Talkshow (▶ Arbeitsblatt 10.2/10.2B . Abb. 10.3)
auf wie „Der findet mich hässlich!“, welche das Schema „Ich
Pro und Kontra

-
bin nicht liebenswert!“ bestätigen. Als Reaktion auf dieses
(▶ Arbeitsblatt 10.3/10.3B . Abb. 10.4)
Kompliment zieht sie sich aufgrund der subjektiven Inter-
Gedankenprotokoll

-
pretation zurück, hat einen starken Drang zu essen und das
(▶ Arbeitsblatt 10.4/10.4B . Abb. 10.5)
Büro zu verlassen.
Automatische Gedanken
(▶ Arbeitsblatt 10.5/10.5B . Abb. 10.6)
Anhand des Fallbeispiels wird deutlich, dass neben situ-
ationsbezogenen automatischen Gedanken die überdau-
ernde Kernüberzeugung „Ich bin nicht liebenswert“ die
Interpretation der Situation steuert. Es gibt zwei Möglich-
keiten, die dysfunktionalen Kognitionen zu bearbeiten: 10.2.1 Identifikation des zugrunde
einerseits können, da leicht zugänglich, zunächst die au- liegenden Wertesystems
tomatischen Gedanken identifiziert und die Kernüber-
zeugungen daraus abgeleitet werden. Andererseits kann Eine Möglichkeit zur Erarbeitung des zugrunde liegenden
zunächst an der Identifikation der Kernüberzeugungen Wertesystems kann darin liegen, die im Rahmen der Ent-
gearbeitet werden, um der Patientin die Möglichkeit zu wicklung des individuellen Störungsmodells besprochenen
geben, ihr Handeln und ihre Reaktionen zu verstehen und Familienregeln heranzuziehen. Im Gruppensetting werden
erst im zweiten Schritt Techniken zur Umstrukturierung dazu beispielsweise die von den Patientinnen identifizier-
der automatischen Gedanken zu trainieren. Im vorlie- ten individuellen Familienregeln im Plenum vorgestellt,
genden Kapitel werden zunächst die Interventionen zur und es wird besprochen, welche Familienregeln die ein-
162 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

zelnen Patientinnen für sich ableiten konnten (▶ Kap. 8).


1 Themen von Kernüberzeugungen

--
Falls sich Schwierigkeiten ergeben haben, unterstützt der
Allgemeine Bereiche
Therapeut die Patientin bei der Identifikation der Famili-
Sinn des Lebens
2
--
enregel, indem auf die bereits erarbeiteten Genogramme
glücklich sein
(▶ Kap. 8) zurückgegriffen wird. Dieses Vorgehen verdeut-
Leistungsdenken (Beruf )

--
licht das folgende Therapiegespräch.
3 Freundschaften
Partnerschaft
Therapiegespräch
4 Familie

--
Frau S.: – „Ich habe irgendwie nicht gewusst, wie ich meine Regeln for-
mulieren sollte.“ Essstörungsspezifische Bereiche
Essen

--
5 Therapeut: – „Ja, das ist manchmal recht schwierig. Wir können das
jetzt hier in der Gruppe exemplarisch versuchen. Sind Sie damit ein- Sport
verstanden?“ Figur
6 Frau S.: – „Ja, gut.“ Aussehen
Therapeut: – „Okay, können Sie sich noch daran erinnern, was wir be-
züglich des Genogramms besprochen haben, insbesondere über die
7 Einstellungen in Ihrer Familie, die Sie möglicherweise geprägt haben?“
Frau S.: – „Naja, wir hatten zum Beispiel gesagt, dass mein Vater meine Um den Patientinnen zu erleichtern, eigene Kernüberzeu-
gungen zu identifizieren, sollten diese unterschiedlichen
8 Mutter teilweise schlecht gemacht hat und auch mich häufig wegen
meiner Leistungen kritisiert hat, weil sie ihm nicht gut genug waren. Bereiche näher spezifiziert werden. Dazu kann darauf
Ich fand das ganz schrecklich.“ verwiesen werden, dass Kernüberzeugungen sowohl all-
9 Therapeut: – „Hmm. Wie war das, würden Sie sagen, dass Ihr Vater einen gemeiner („Ich muss immer mein Bestes geben“) als auch
sehr hohen Leistungsanspruch hatte, den die ganze Familie und Ihre
essstörungsspezifischer Art („Wenn ich zwei Kilo zunehme,
Mutter anscheinend nicht erfüllen konnten?“
10 Frau S.: – „Ja, zumindest hatte ich das Gefühl, dass es nie gut genug war,
mag mich keiner mehr“) sein können. Die Patientinnen
was sie oder ich gemacht haben.“ sollten angeregt werden, zu überlegen, in welchen Berei-
chen die bis dahin gesammelten und auf Arbeitsblatt 10.1B
11 Therapeut: – „Und welche Konsequenz hatte dies für Sie?“
Frau S.: – „Naja, ich denke, dass sich mein Perfektionismus bzw. das (. Abb. 10.2) beispielhaft genannten Kernüberzeugungen
Gefühl, etwas nie gut genug zu tun, etwas mit diesen Erfahrungen zu zuzuordnen sind. Dazu können die Patientinnen motiviert
12 tun hat, da ich bei meinem Vater ja sehr oft das Gefühl erlebt hatte, dass werden, sich zu überlegen, ob es weitere Lebensbereiche
ich etwas nicht richtig gemacht habe.“ gibt, in denen sie bestimmte Regeln oder Gesetze haben,
Therapeut: – „Das heißt, eine implizite Regel in Ihrer Familie könnte die für ihre Lebensgestaltung eine besondere Relevanz
13 sein, dass man nie genug leistet. Könnte das sein?“
haben. Die verschiedenen Bereiche sollten am Flipchart
Frau S.: – „Ja, das könnte schon sein.“
gesammelt werden, um die Präsenz im alltäglichen Leben
14 und die Vielfältigkeit der Einflussnahme von Kernüberzeu-
Diese Familienregel hat sich bei der Patientin als Kern- gungen für die Patientinnen zu verdeutlichen. Abschlie-
15 überzeugung etabliert und im weiteren Lebensverlauf ihr ßend sollten die Patientinnen auf dem Arbeitsblatt 10.1
Verhalten in der Richtung beeinflusst, dass sie ihre eigenen „Kernüberzeugungen“ (▶ http://extras.springer.com) die
Grenzen nicht wahrgenommen hat und ständig das Gefühl für sie individuell zutreffenden Kernüberzeugungen auf-
16 hatte, immer 100 % geben zu müssen, aber trotzdem nie schreiben.
gut genug zu sein. Die Kernüberzeugung dieser Patientin Zur Erleichterung der Identifikation von Kernannah-
17 könnte also lauten „Was ich leiste, ist nie gut genug“. Um men kann auch ein Fragebogen eingesetzt werden, welcher
den Patientinnen in der Gruppensitzung die Identifikation spezifisch kognitive Prozesse in Form automatischer Ge-
der Kernüberzeugungen zu erleichtern, können ihnen Bei- danken und überdauernder Annahmen über sich selbst
18 spiele anhand des Arbeitsblattes 10.1B „Kernüberzeugun- erfragt (Legenbauer et al. 2007; ▶ Kap. 3).
gen“ (. Abb. 10.2) gegeben werden. Sinnvoll ist auch, noch einmal den Zusammenhang
19 Günstig ist es, diese in der Gruppe zu verlesen und zwischen den Überzeugungen und den Lernerfahrungen
nach jeder Überzeugung zu erfragen, ob sich eine der Pa- in der Familie oder anderen prägenden Einflüssen und de-
20 tientinnen darin wiedererkennt oder eine ähnliche Über- ren Konsequenzen herzustellen, bevor auf die Modifikation
zeugung vertritt. Im Einzelsetting kann analog vorgegan- der Grundannahmen eingegangen wird. Dies soll noch
gen werden. einmal verdeutlichen, warum eine Veränderung dieser
21 Kernüberzeugungen können sich in den verschiedens- Annahmen überhaupt notwendig ist. Dazu kann folgende
ten Bereichen manifestieren. Eine Auswahl beispielhafter Erklärung gegeben werden.
22 Themenbereiche von Kernüberzeugungen zeigt die fol-
gende Übersicht:
10.2 • Das zugrunde liegende Wertesystem
163 10

Erläuterung des Therapeuten führen zu lassen und zu Beginn der nächsten Sitzung die
„Grundlegende Annahmen über sich selbst, wie wir sie gerade bespro- Ergebnisse zu besprechen. Dazu kann den Patientinnen
chen haben, entstehen dadurch, dass man in seinem Leben bestimmte
das Arbeitsblatt10.3 „Pro und Kontra“ mitgegeben werden.
Erfahrungen gemacht hat. Das können sehr einschneidende Erfahrun-
gen sein oder aber auch sich immer wiederholende kleinere Erlebnisse.
Darauf werden von jeder Patientin die jeweils zu disku-
Es ist wichtig, diese Einstellungen zu identifizieren, da sie sich auf das tierenden Kernüberzeugungen notiert und anschließend
aktuelle Verhalten im Hier und Jetzt auswirken und damit eventuell im Pro- und Kontra-Argumente hinsichtlich des Zutreffens
Zusammenhang mit der Essstörung stehen. In der letzten Sitzung ha- dieser Kernüberzeugung beschrieben. Im Einzelsetting
ben wir beispielsweise herausgearbeitet, dass durch fehlende Anerken-
sollte diese Erarbeitung der Pro- und Kontra-Argumente
nung der eigenen Gefühle die Überzeugung entsteht, dass man sich auf
seine eigenen Gefühle nicht verlassen kann. Zum Beispiel die Mutter,
sehr ausführlich besprochen werden, da die Talkshow-
die sagt: ‚Du musst doch noch was essen, damit du groß und stark wirst. Übung nur im Gruppensetting durchführbar ist. Sinn-
Von dem Bisschen kannst du doch nicht satt sein.‘ Damit wird dem Kind voll ist hier, eine Kernüberzeugung mit der Patientin in
signalisiert, dass auf das eigene (Hunger-)Gefühl kein Verlass ist. So kann der Therapiesitzung exemplarisch zu besprechen, um das
es langfristig zu einer Entkoppelung von Hunger und Sattheit vom tat-
Grundprinzip zu erläutern und der Patientin dann als
sächlichen Essverhalten kommen, da das Essverhalten vor allem durch
externe Umstände gesteuert wird. Auch wird die Überzeugung, dass
Hausaufgabe aufzugeben, weitere Kernüberzeugungen mit
man sich auf das eigene Gefühl nicht verlassen kann, etabliert und auf Hilfe des Arbeitsblattes zu hinterfragen (Arbeitsblatt10.3B
weitere Bereiche generalisiert. Aber gehen wir nochmal einen Schritt . Abb. 10.4).
zurück und schauen auf das, was Sie für sich notiert haben. Könnte es Im nächsten Schritt geht es um die Überleitung zu
auch bei Ihren individuellen Kernüberzeugungen einen Zusammen-
automatischen Kognitionen. Zunächst soll der Patientin
hang mit der Essstörung geben?“
der Zusammenhang zwischen den identifizierten Kern-
überzeugungen und negativen automatischen Kognitio-
nen verdeutlicht werden. Hierzu sollte der Therapeut noch
10.2.2 Modifikation des zugrunde einmal die wichtigsten Punkte zur Identifikation von Kern-
liegenden Wertesystems überzeugungen zusammenfassen und erläutern, wie diese
Kernüberzeugungen mit den im Alltag auftretenden auto-
Sind die individuellen Kernüberzeugungen identifiziert, matischen Gedanken zusammenhängen und das Handeln
kann im Anschluss daran im Gruppensetting eine Kern- einer Person beeinflussen können. Zu diesem Zweck kann
überzeugung ausgewählt (z. B. „Um gemocht zu werden, als Hausaufgabe ein Gedankenprotokoll durchgeführt wer-
darf man keine Schwächen zeigen“) und exemplarisch im den (Arbeitsblatt 10.4). Das Gedankenprotokoll hat eine
Rahmen der Übung „Talkshow“ disputiert werden. Dazu ähnliche Funktion wie das Essprotokoll (▶ Kap. 4 und
werden zwei Kleingruppen gebildet, welche im Rahmen ei- ▶ Abschn. 9.2). Es besteht aus mehreren Spalten, welche
nes Rollenspieles Pros und Kontras für diese Kernüberzeu- zur Erfassung von Tag, Uhrzeit und Situation dienen, wie
gung erarbeiten (Arbeitsblatt 10.2). Ähnlich wie in einer auch einer Spalte zum Beschreiben der mit der Situation
Talkshow tragen die zwei Parteien jeweils ihre Argumente assoziierten Gedanken. Um ein Muster der negativen Ge-
vor und sollen die jeweilige Gegenpartei und das Publi- danken herauszuarbeiten, sollten die Patientinnen dazu
kum von ihrer Ansicht überzeugen. Die Argumente zur instruiert werden, für einen Tag alle zwei Stunden eine Si-
Widerlegung der Hypothese der „Pro-Partei“ können sich tuationsbeschreibung abzugeben und die dazugehörigen
auf den Realitätsgehalt der Annahme oder die Durchführ- Gedanken zu notieren.
barkeit des damit verknüpften Lebensstils beziehen. Auch Im Folgenden ist dargestellt, wie zum einen der Bereich
kann beispielsweise die hohe Anforderung, welche durch der Identifikation und Modifikation der Grundannahmen
die Kernüberzeugung an die jeweilige Person gestellt wird, seitens des Therapeuten zusammengefasst und zum ande-
kritisch hinterfragt und auf langfristige Folgen der Über- ren hierauf aufbauend die automatischen Gedanken einge-
zeugung hingewiesen werden. Diese Übung wird exemp- führt werden können. Abschließend wird darauf eingegan-
larisch je nach Zeit für zwei oder drei Kernüberzeugungen gen, wie das Gedankenprotokoll eingesetzt werden kann.
durchgeführt (Arbeitsblatt 10.2B . Abb. 10.3).
Nach der Übung sollten die Patientinnen über ihre Erläuterung des Therapeuten
Erfahrungen während dieser „Talkshow“ befragt werden. „Wir haben uns heute damit beschäftigt, wie sich die Erfahrungen,
die wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben, auf unser heutiges
Hierbei soll herausgearbeitet werden, welche Argumente
Denken auswirken können. Dazu haben wir die für Sie relevanten
den Patientinnen als treffend erschienen und eventuell für Kernüberzeugungen herausgearbeitet. Diese Einstellungen liefern uns
sie selbst nutzbar gemacht werden könnten, um die eige- Ankerpunkte für unser Verhalten. Sie geben uns Sicherheit, wie wir in
nen Kernüberzeugungen kritisch zu hinterfragen. Nach bestimmten Situationen reagieren sollen bzw. wie wir mit bestimmten
dieser Gruppenübung sollen die Patientinnen nun allein Dingen umgehen müssen. Diese Überzeugungen sind in einigen Pha-
sen Ihres Lebens sicherlich einmal sinnvoll gewesen, so dass sie nicht als
die für sich identifizierten Kernüberzeugungen reflektie-
‚falsch‘ bewertet werden sollten. Die Frage stellt sich jedoch, ob diese
ren. Am günstigsten ist es, dies als Hausaufgabe durch-
164 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

Überzeugungen heute noch passend sind oder nicht mehr zutreffen Im nun folgenden Teil geht es um die Modifikation der
1 und beispielsweise dazu führen, dass wir uns überfordern oder unsere automatischen Kognitionen. Die automatischen Gedan-
Gefühle und Bedürfnisse nicht ernst nehmen, uns selbst häufig kritisie-
ren oder viel zu hohe Ansprüche an uns stellen. Solche ‚harten‘ oder ‚un-
ken treten meist reflexartig auf, dennoch sind sie leichter
2 realistischen‘ Kernüberzeugungen können im Zusammenhang mit der zu identifizieren und zu verändern als die Grundannah-
Essstörung stehen. Wir haben daher angefangen, diese Gesetze zu sam- men. Mit dem Verständnis, das die Patientinnen durch
meln, und in der Übung ‚Talkshow‘ daraufhin überprüft, ob sie sinnvoll die Disputation der Kernüberzeugungen entwickelt ha-
3 sind. Hilfreich war vor allem zu sehen, wie realistisch diese Annahmen ben, sollte es ihnen nun leichter gelingen, auch die mit den
sind bzw. welche negativen Konsequenzen einem eventuellen posi-
Kernüberzeugungen verbundenen automatischen negati-
4 tiven Nutzen gegenüberstehen. Im Rahmen der ‚Talkshow‘ haben wir
festgestellt, dass diese Kernüberzeugungen auch mit ganz bestimmten ven Gedanken zu hinterfragen und zu relativieren. Dazu
typischen Gedanken im Zusammenhang stehen können. Zum Beispiel werden im Folgenden verschiedene Techniken vorgestellt,
5 trat die Kernüberzeugung ‚Ich muss alles perfekt machen‘ häufig mit
der Befürchtung ‚Sonst bin ich ein Versager‘ auf. Das heißt, dass diese
welche angelehnt sind an das traditionelle kognitive Vor-
gehen und außerdem von Stavemann (2003b) und Scholz
Überzeugungen wie die Wurzeln eines Baumes sind. Sie liegen unter der
(2001) beschriebene Vorgehensweisen enthalten (Ver-
6 Erde und sind deshalb schwer zu finden. Die Gedanken, die uns täglich
mehr oder weniger bewusst durch den Kopf gehen, dagegen sind die änderung automatischer Gedanken auf Arbeitsblatt 10.9
Blätter, die man leichter erkennen kann. . Abb. 10.10).
7 In der nächsten Sitzung soll es daher darum gehen, herauszufinden,
welche automatischen Gedanken Sie haben und welche davon mit den
verschiedenen Kernüberzeugungen zusammenhängen. Ich möchte Sie Maßnahmen und Unterlagen

-
8 daher bitten, das Arbeitsblatt ‚Gedankenprotokoll‘ an zwei Tagen der Wo- Übungen
che auszufüllen. Schreiben Sie dort bitte einmal pro Stunde Gedanken
Engelchen – Teufelchen

-
auf, die Ihnen durch den Kopf gegangen sind. Diese können Gedanken
9 bezüglich des Essens, der Figur und des Gewichts darstellen sowie auf Materialien
Flipchart, Stifte

--
das Selbstwertgefühl, Leistung oder aber auch andere mögliche Lebens-
bereiche bezogen sein. Ziel ist es, mögliche Zusammenhänge zwischen Arbeitsblätter
10 automatischen Gedanken und Kernüberzeugungen herauszufinden.“ Gedankenprotokoll (▶ Arbeitsblatt 10.4 . Abb. 10.5)
Automatische Gedanken

--
Zur Information kann den Patientinnen zudem das Ar-
11 beitsblatt 10.5/10.5B (. Abb. 10.6) „Automatische Gedan- (▶ Arbeitsblatt 10.5/10.5B . Abb. 10.6)
Denkfehler (▶ Arbeitsblatt 10.6/10.6B . Abb. 10.7)
ken“ ausgehändigt werden. Mittels des Arbeitsblatts kön-
12 Engelchen und Teufelchen

--
nen die Patientinnen einen Eindruck darüber gewinnen,
(▶ Arbeitsblatt 10.7/10.7B . Abb. 10.8)
wie solche negativen automatischen Kognitionen aussehen
Denkste (▶ Arbeitsblatt 10.8/10.8B . Abb. 10.9)
könnten. Dies soll es ihnen erleichtern, im Alltag eigene
13 automatische Kognitionen als solche zu erkennen. Veränderung automatischer Gedanken
(▶ Arbeitsblatt 10.9 . Abb. 10.10)
14
10.3 Automatische Kognitionen
15 10.3.1 Identifikation automatischer
Dysfunktionale Kognitionen können in allen Lebenssitu-
ationen auftreten. Sie sind inhaltlich sehr unterschiedlich, Kognitionen
16 enthalten aber oftmals unrealistische und selbstabwer-
tende Annahmen, z. B. solche, die sich auf den Umgang Auf der Grundlage der zuvor herausgearbeiteten Kern-
17 mit anderen Menschen und das soziale Netzwerk beziehen überzeugungen geht es im Weiteren darum, den Patien-
wie der Gedanke „Keiner ruft mich an, es scheint mich ja tinnen zu vermitteln, wie diese ihr Handeln beeinflussen.
wirklich niemand zu mögen“. Potenziell selbstabwertend ist Dazu werden zunächst anhand der Gedankenprotokolle
18 auch die Aussage „Mein Chef hält mich bestimmt für einen typische negative automatische Gedanken besprochen und
Versager, weil ich so lange mit der Abrechnung brauche“ herausgearbeitet, mit welchen Kernüberzeugungen diese
19 oder eine Aussage, welche Bewertungsängste zum Inhalt im Zusammenhang stehen.
hat, wie „Die lachenden Frauen hinter mir machen sich Dazu werden im ersten Schritt exemplarisch die
20 bestimmt über mich lustig“. Daneben können zudem Ge- protokollierten automatischen Gedanken von einzelnen
danken über Essen wie „Nach diesem stressigen Tag heute Gruppenteilnehmern vorgestellt und die genannten au-
muss ich gleich etwas naschen, damit es mir wieder bes- tomatischen Gedanken am Flipchart gesammelt. Ziel
21 ser geht“ oder Gedanken, die mit der Nahrungsaufnahme ist es, ein individuelles Muster automatischer Gedanken
verbundene Angst vor einer Gewichtszunahme zum Inhalt herauszufiltern, welche dann mit Kernüberzeugungen in
22 haben, wie „Wenn ich eine Pizza esse, wiege ich morgen Verbindung gebracht werden können. Häufig haben Pati-
gleich ein Kilo mehr“, auftreten. entinnen ähnliche Gedanken (▶ Abschn. 10.3) und erleben
10.3 • Automatische Kognitionen
165 10

es als entlastend, dass andere Gruppenteilnehmerinnen das matischen Gedanken herausgearbeitet werden, bevor an
Gleiche denken. Zur Moderation der Sammlung typischer einer konkreten Veränderung der automatischen Gedan-
automatischer Gedanken, die mit der Essstörung assoziiert ken und der Erarbeitung von Alternativkognitionen ge-
sind, können folgende Fragen gestellt werden. arbeitet wird.

--
Bei der Modifikation der identifizierten automati-
?? Gibt es Gedanken, die immer wieder auftreten? schen Gedanken empfiehlt sich ein gestuftes Vorgehen:
Gibt es Situationen, die immer wieder mit densel- Zunächst sollte den Patientinnen vermittelt werden, wie

-
ben Gedanken einhergehen? es zu der Verzerrung in der Bewertung der Situation
Wenn Sie Ihr Gedankenprotokoll überprüfen, gibt kommt. Im Fokus stehen dabei die sog. kognitiven Feh-
es typische inhaltliche Bereiche, denen Sie die ler, die dazu führen, dass schemakonforme Informatio-
Gedanken zuordnen können? nen schneller verarbeitet werden. Dazu werden den Pa-
tientinnen Informationen über Denkfehler (mod. nach
Sind nun einige automatische Gedanken gesammelt wor- Stavemann 2003b) vermittelt. Im zweiten Schritt geht es
den, kann im nächsten Schritt ein möglicher Zusammen- dann um die Entwicklung von alternativen funktionale-
hang zu den bereits identifizierten Grundannahmen herge- ren Gedanken.
stellt werden. Die Patientinnen können zur Ableitung der
dazugehörigen Kernüberzeugungen die Informations- und zz Identifikation von Fehlbewertungen in Form
Arbeitsblätter der vorangegangenen Sitzungen nutzen. Fin- kognitiver Verzerrungen
den sich Kernüberzeugungen, die mit den beschriebenen Zunächst wird den Patientinnen erklärt, welche Fehler
automatischen Gedanken in Verbindung stehen, werden in der Bewertung einer Situation auftreten können und
diese auf dem Flipchart dem zugehörigen automatischen damit zur Entstehung von negativen Gedanken führen.
Gedanken zugeordnet. Am Ende dieser Übung sollte ein Es gibt verschiedene Ansätze, um diese sog. kognitiven
Flussdiagramm entstanden sein, welches verschiedene au- Fehler zu erklären. Die bekanntesten Kategorien gehen
tomatische Gedanken mit einzelnen Kernüberzeugungen dabei auf Beck (1967, 1976; Beck et al. 1996) zurück. Es
verbindet. Im nächsten Schritt kann die Handlungsrele- wird angenommen, dass Denkfehler im Zusammenhang
vanz der Regeln und situationsbezogenen Bewertungen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl stehen. Dieses fin-
herausgearbeitet werden, um auf die Wichtigkeit der Mo- det sich bei verschiedenen anderen psychischen Störungen
difikation der dysfunktionalen automatischen Gedanken (wie z. B. Depressionen; Hautzinger 1997) und ist nicht
hinzuweisen. Dazu wird abschließend anhand des Modells spezifisch für Essstörungen (▶ Kap. 2). Stavemann (2003b)
zum Zusammenhang von automatischen Gedanken und beschreibt gegenüber Beck eine erweiterte Form kogniti-
Grundannahmen (. Abb. 10.1) für die Patientinnen die ver Fehlerkategorien und nennt als häufigen Grund für
Quintessenz der Übung zusammengefasst. Eine Formulie- Fehlerinterpretationen die Herstellung von Sicherheit in
rungshilfe für diese Herleitung und Erklärung findet sich selbstwertbedrohenden Situationen. Die von ihm entwi-
im folgenden Textbeispiel. ckelten Denkfehler und vermuteten Funktionen werden
im Folgenden für den Essstörungsbereich eingegrenzt und
Erläuterung des Therapeuten leicht modifiziert dargestellt.
Wir hatten in der letzten Sitzung besprochen, dass durch die verschiede-
nen Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, bestimmte
Selbstschutzdenken Dieses beinhaltet beispielsweise,
Einstellungen, Überzeugungen oder Regeln entstehen, die uns häufig
nicht bewusst sind, uns aber bei der Bewertung und Einschätzung einer
Stärke zu suggerieren, um nicht emotional verletzt zu wer-
Situation leiten. Eine solche Bewertung äußert sich in den automati- den und kann im Zusammenhang mit der Schwierigkeit,
schen Gedanken, die wir in der Situation haben. Diese automatischen Gefühle zu äußern, stehen. Zum Selbstschutzdenken zählt
Gedanken haben Sie für diese Sitzung im Gedankenprotokoll festge- beispielsweise der Gedanke „Ich darf nicht enttäuscht sein,
halten. Wir haben nun festgestellt, dass beispielsweise die Annahme
sonst merkt er, wie mich das verletzt“ in einer Situation,
„Ich muss alles perfekt machen“ in einer Prüfungssituation, in der nicht
alles gut läuft, zu dem automatischen Gedanken führt „Ich werde hier
in der der Partner allein etwas unternehmen möchte und
total versagen“. die Betroffene ihre Enttäuschung darüber nicht zeigen
möchte.

10.3.2 Modifikation der automatischen Beliebtheitsdenken Einen ähnlichen Hintergrund hat das
Gedanken sog. Beliebtheitsdenken. Dieses beinhaltet, aus Furcht vor
Ablehnung stets die vermeintlichen Erwartungen anderer
Nachdem den Patientinnen der Sinn der Modifikation erfüllen zu wollen und dabei eigene Bedürfnisse in den
dysfunktionaler automatischer Kognitionen bewusst ge- Hintergrund zu stellen, z. B. die Arbeit einer Kollegin zu
worden ist, können mit ihnen einzelne Typen von auto- übernehmen und dafür eigene private Termine abzusagen
166 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

(„Sicher bearbeite ich die Akte noch heute und sage meine die Situation bzw. das Ergebnis einer Sache genauso zu sein
1 Verabredung ab, das ist kein Problem“). Überhaupt ist An- hat, wie es von der Person erwartet wird, z. B.: „Ich muss
erkennung und soziale Zuwendung zentral für Personen jeden Tag mindestens eine Stunde Sport machen, sonst
2 mit Essstörungen, da diese oft im Verlaufe ihres Lebens nehme ich wieder zu“.
eine Kopplung von Leistung und Selbstwert erfahren ha- Diese Aufzählung stellt nur einen kurzen Abriss mög-
ben (Bruch 1991). licher Fehlerkategorien und deren Hintergründe dar. Für
3 eine ausführliche Darstellung sei deshalb auf Staveman
Versicherungsdenken Ein weiterer Denkfehler ist das Ver- (2003b) und Beck (1996) verwiesen. Um den Patientin-
4 sicherungsdenken, welches darin besteht, von vornherein nen die Inhalte der Denkfehler nahezubringen, kann im
etwas Negatives zu erwarten, um hinterher nicht ent- Therapiekontext folgende Erläuterung verwendet werden:
5 täuscht zu sein. Beispielsweise der Gedanke „Die Klausur
habe ich bestimmt nicht geschafft“ wäre dieser Kategorie Erläuterung des Therapeuten
zuzuordnen. Wir haben jetzt herausgearbeitet, dass die automatischen Gedanken
6 mit bestimmten Kernüberzeugungen im Zusammenhang stehen. Ich
hatte Ihnen vorhin schon erläutert, dass diese negativen automatischen
Punktesammeln Die Aktivierung dieses Schemas führt zu Gedanken durch die Bewertung der Situation entstehen, die anhand
7 dem als Punktesammeln bezeichneten Denkfehler. Dabei der Kernüberzeugungen getroffen wird. Durch die Kernüberzeugung
macht die Person ihren Selbstwert von Leistung und Erfolg kann es dazu kommen, dass Informationen nur selektiv wahrgenom-
abhängig – „Nur wenn ich die Deadline einhalte und alles men werden. Die Bewertung, die durch solche selektiven Wahrneh-
8 perfekt ist, findet mich mein Chef gut“. mungsprozesse entsteht, basiert auf sog. Denkfehlern. Diese Denkfehler
können in Kategorien unterteilt werden. Eine sehr häufige Fehlinterpre-

9 Verrenkungsdenken Das Verrenkungsdenken führt dazu,


tation basiert auf dem „Alles-oder-Nichts-Denken“. Wir haben für Sie
eine Übersicht der möglichen Denkfehler auf dem Arbeitsblatt 10.6B
dass eine Situation willkürlich und ohne Logik bewertet (. Abb. 10.7) zusammen gestellt. Diese Fehler führen dazu, dass die

10 wird. Dies beinhaltet zumeist eine Deutung der Situation, Situation negativer bewertet wird, als sie es realistischerweise sein
müsste. Ich möchte mir mit Ihnen zusammen nun zunächst die ver-
die nicht der Realität entspricht bzw. sehr unwahrschein-
schiedenen Fehler ansehen und versuchen, die von uns gesammelten
lich ist. Dieser Denkfehler ist häufig bei Patientinnen mit
11 Essstörungen anzutreffen. Ein Beispiel hierfür wäre: Eine
Beispiele den einzelnen Fehlern zuzuordnen.

schlanke Frau steht auf der Tanzfläche und fühlt sich be-
12 obachtet, sie denkt: „Die starren alle so, weil ich unmöglich Eine Möglichkeit zur Besprechung von Denkfehlern ist,
und fett aussehe.“ die automatischen Gedanken auf einem Flipchart zu no-
tieren und mit unterschiedlichen Farben exemplarisch
13 Katastrophendenken Ein weiterer häufig vorkommender den automatischen Gedanken die entsprechende Fehler-
Denkfehler ist das Katastrophendenken. Dabei bewertet kategorie zuzuordnen. Alternativ dazu kann das Arbeits-
14 der Betroffene eine Situation im negativen Sinne maßlos blatt 10.6 „Denkfehler“ (▶ http://extras.springer.com) an
über und erwartet eine Katastrophe, z. B. „Wenn ich nicht die Patientinnen verteilt werden. In dieses Arbeitsblatt
15 immer mein Gewicht kontrolliere, dann nehme ich immer sollen sie selbst die vorher identifizierten automatischen
weiter zu“. Gedanken eintragen und ihnen die entsprechende Feh-
lerkategorie zuordnen. Es ist wichtig, das Ergebnis in der
16 Alles-oder-nichts-Denken Das Alles-oder-nichts-Denken Gruppe zu besprechen, um zu verdeutlichen, dass die Ka-
beschreibt das Denken in Extremen und geht häufig mit tegorien oft nicht ganz trennscharf sind und manchmal
17 der Tendenz zur Generalisierung einher, z. B. „Ich darf ein Gedanke auch mehreren Kategorien zugeordnet wer-
keine Süßigkeiten essen, sonst werde ich total fett“. den kann. Die Einordnung in die Fehlerkategorien sollte
daher vor allem als Hilfe bei der Identifikation automa-
18 Klischeekiste Die Tendenz zu generalisieren ist auch in der tischer Gedanken verstanden werden. Der Einsatz des
Kategorie Klischeekiste enthalten. Hier ist die Vorgehens- Arbeitsblattes 10.6/10.6B (. Abb. 10.7) kann sowohl im
19 weise gemeint, Urteile über andere Menschen aufgrund Gruppen- als auch im Einzelsetting durchgeführt werden.
bestimmter Kategorien zu fällen. Hierzu zählt beispiels- Das Arbeitsblatt enthält eine Auflistung der Kategorien,
20 weise, dass das Aussehen Rückschlüsse über den Charakter denen die Patientin individuelle Beispiele für automati-
erlaubt – „Dicke Menschen sind faul und gefräßig“. sche Gedanken zuordnen soll.

21 Muss-Denken Die nun zuletzt zu nennende Kategorie – zz Modifikation der automatischen Kognitionen
das sog. Muss-Denken ist eher bei Patientinnen mit Anore- Im nächsten Schritt geht es nun darum, den Patientinnen
22 xia nervosa zu vermuten, da es einem rigiden Denkmuster zu vermitteln, wie sie die zuvor identifizierten Gedanken
entspringt. Es bezieht sich dabei auf die Forderung, dass verändern können. Dazu soll darauf hingewiesen werden,
10.3 • Automatische Kognitionen
167 10

dass durch die besprochenen automatischen Gedanken ganz aus. Ich kam mir vor wie ein Versager und war so kaputt. Ich habe
spezifische Situationsbewertungen entstehen, welche ver- dann noch mal eine Stunde meine Karteikarten durchgesehen und
mich dann um 17 Uhr vor den Fernseher gelegt. Da lief nur Mist und ich
ändert werden können, wenn diese erkannt und überprüft habe mich über mich selbst geärgert und dabei ging mir eben der Ge-
werden. Den Patientinnen sollte verdeutlicht werden, dass danke durch den Kopf, dass ich ein Faulpelz bin und aus mir nichts wird.“
durch die Überprüfung der automatischen Gedanken eine Therapeut: – „Wenn Sie die Situation jetzt beschreiben, was würden Sie
Neubewertung der Situation ermöglicht werden kann. sagen deutet daraufhin, dass Sie tatsächlich ein Faulpelz sind?“
Die Neubewertung der Situation bietet den Patientinnen Frau S.: – „Naja, dass ich mittags schon vor dem Fernseher saß.“
nun die Möglichkeit, alternative Perspektiven zu entwi- Therapeut: – „Was heißt denn mittags?“
ckeln, welche möglicherweise korrektive Erfahrungen er- Frau S.: – „So ab 17 Uhr, also spätnachmittags.“
möglichen, die nicht mehr mit den ursprünglichen nega- Therapeut: – „Und wie viele Stunden haben Sie insgesamt dann an dem
tiven Annahmen in Einklang stehen. Die Neubewertung Tag für die Klausur gelernt?“
kann dabei dazu dienen, den Teufelskreis aus negativen Frau S.: – „Von 6 Uhr bis 13 Uhr und dann nachmittags noch mal je
Gedanken und daraus resultierendem dysfunktionalen eine Stunde zwischen den Essanfällen und dann abends noch mal von
21 Uhr bis 24 Uhr.“
Verhalten zu durchbrechen. Im Sinne der handlungslei-
Therapeut: – „Das klingt irgendwie nicht nach Faulpelz, oder? Was ist
tenden Funktion von Gedanken soll dies die Patientinnen
denn Ihrer Definition nach überhaupt ein Faulpelz?“
dazu anregen, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und
Frau S.: – „Ja, hm, halt jemand, der sich hängen lässt.“
so über neue Erfahrungen die kognitiven Schemata zu
Therapeut: – „Und das haben Sie getan?“
verändern.
Frau S.: – „Wenn ich die Stunden zusammenrechne, dann habe ich ja
In der Therapiesituation empfiehlt es sich, den bereits schon insgesamt neun Stunden bevor dieser Gedanke auftrat was ge-
besprochenen Zusammenhang zwischen automatischen lernt und hinterher ja auch noch mal drei Stunden, obwohl das nichts
Gedanken und Gefühlen bzw. Verhalten in einer Situation gebracht hat und ich nur mein Gewissen beruhigt habe.“
anhand dieser zu besprechen und die Verhaltensänderung Therapeut: – „Das heißt, dieser Gedanke hat dazu geführt, dass Sie sich
aus einer Uminterpretation der Situation abzuleiten. Für trotz Ihrer bisherigen Anstrengungen nicht erholen durften. Was hätte
denn anders sein müssen, um sich die Erholung gönnen zu können?“
diese Übung sollte eine der vorher identifizierten auto-
Frau S.: – „Ich hatte mir halt vorgenommen, alle Karteikarten zu wie-
matischen Kognitionen herangezogen werden. Die ana-
derholen, was ich natürlich nicht geschafft habe. Aber das war einfach
lysierte Situation wird dann auf eine mögliche Fehlinter- mein Ziel.“
pretation hin überprüft und eine alternative Interpretation Therapeut: – „Okay, das heißt, wenn wir jetzt noch mal überlegen, wel-
gesucht. Abschließend sollte dann die Auswirkung auf das che Kernüberzeugung dahinter steckt, was würden Sie sagen?“
Verhalten und das Gefühl in der Situation besprochen Frau S.: – „Naja, das ist ja schon ziemlich deutlich. Ich darf mir erst was
werden, um die handlungsleitende Funktion noch einmal gönnen, wenn die ganze Arbeit erledigt ist, die ich mir vorgenommen
für die Patientinnen zu verdeutlichen. Sowohl die Über- habe. Ich verstehe ja auch, dass ich mich durch die hohen Erwartungen,
prüfung der Interpretation als auch die Erarbeitung des die ich an mich gestellt habe, enorm unter Druck gebracht habe und da-
durch auch die Essanfälle hatte. Aber ich weiß auch nicht so recht, was
alternativen Gedankens geschieht unter Anwendung von ich da hätte anders machen können, außer mir weniger vorzunehmen,
Disputationstechniken, welche ausführlich bei Stavemann aber dafür war es abends zu spät.“
(2003b), Vocks u. Legenbauer (2010) und Wilken (1998) Therapeut: – „Wäre es denn eine Möglichkeit für das nächste Mal, wenn
dargestellt sind. Im Folgenden ist ein Therapiegespräch als Sie Ihr Lernprogramm planen, dieses dann mit jemandem abzustimmen
Beispiel für solch eine kognitive Intervention dargestellt. und sich Rückmeldung darüber geben zu lassen, ob Sie sich zu viel vor-
genommen haben?“

Therapiegespräch Frau S.: – „Ja, das könnte ich tun.“

Therapeut: – „Frau S., Sie haben vorhin beschrieben, dass Sie vor Ihrer Therapeut: – „Ich würde aber gerne noch mal auf den Gedanken am
Klausur zu Hause auf dem Sofa lagen und abends ferngesehen hatten. Abend zurückkommen. Dieser negative Gedanke, in welche Fehlerka-
Sie sagten, dass der negative Gedanke in der Situation war, dass Sie ein tegorie würden Sie den denn einordnen?“
Faulpelz sind und aus Ihnen nichts werden wird. Was haben Sie denn Frau S.: – „Vielleicht in das ‚Katastrophendenken‘, da ich nicht alles ge-
an dem Tag vorher gemacht?“ schafft habe, was ich mir vorgenommen habe, und deshalb alles schief
Frau S.: – „Ich bin um 6 Uhr aufgestanden, habe bis mittags dann ge- gehen wird und ich durchfalle.“
lernt, bis der Hunger so groß war, dass ich es nicht mehr ausgehalten Therapeut: – „Ja, das können Sie so einordnen. Wenn Sie jetzt wissen,
habe. Dann habe ich etwas Obst gegessen und na ja, dann die Kont- wo der Fehler lag, könnten Sie einen alternativen Gedanken zu der Si-
rolle verloren und einen Essanfall gehabt. Danach habe ich mich ganz tuation formulieren?“
schlecht gefühlt und es aber geschafft, mich noch mal an den Schreib- Frau S.: – „Naja, ich könnte mir halt sagen: Das ist jetzt wieder alles Ka-
tisch zu setzen. Nach einer Stunde bin ich dann ganz unruhig geworden tastrophendenken und hilft mir nicht weiter. Du hast dir zu viel vorge-
und hatte schon wieder furchtbaren Hunger. Ich habe versucht, den zu nommen. Deshalb ist es in Ordnung, wenn du nicht alles schaffst und du
unterdrücken, was aber nicht gut geklappt hat. Dann habe ich mir um wirst nicht durchfallen, nur weil du dich abends vor der Prüfung etwas
15 Uhr doch noch mal ein Brot gemacht und eine halbe Packung Kekse entspannst, du hast heute schon acht Stunden gelernt.“
gegessen. Ich brauchte das einfach. Dann hatte ich so ein schlechtes Therapeut: – „Ja, super. Wären Sie denn von dem Gedanken über-
Gewissen, dass ich das noch mal erbrochen habe und danach war’s halt zeugt?“
168 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

Frau S.: – „Es klingt schon ganz gut.“ eines „Teufelchens“ übernehmen. Dann schildert sie die
1 Therapeut: – „Auf einer Skala von 0 bis 100, heißt 0 gar nicht und 100 Situation, in der sie sich in dem Moment befand, als der
sehr überzeugt. Wie sehr würde Sie dieser Gedanke nun überzeugen?“ automatische Gedanke aufgetreten ist. Das Teufelchen
2 Frau S.: – „So 70 würde ich sagen.“ spricht dann den automatischen Gedanken aus, und das
Engelchen widerspricht ihm. Der Dialog wird so lange
Anhand des Therapiegesprächs wird deutlich, dass durch fortgeführt, bis die Patientin die Hand hebt und vom „En-
3 das Herausarbeiten der Situationsmerkmale und der Über- gelchen“ überzeugt ist. Dauert das Rollenspiel jedoch trotz
prüfung des ursprünglichen dysfunktionalen Gedankens objektiv sehr guter Argumente zu lange, weil die Patientin
4 ein alternativer Gedanke abgeleitet werden kann. Dieser beispielsweise nicht überzeugt werden kann, sollte der The-
Gedanke sollte zudem eng mit dem eigentlichen Ziel- rapeut eingreifen und das Spiel stoppen. Zunächst sollte die
5 verhalten wie dem Einplanen von genügend Pausen im Patientin, deren Kognition disputiert wurde, hinsichtlich
Therapiegespräch oben in Einklang stehen. Auch sollte ihrer Erfahrungen bei der Übung befragt werden. Dann
die Konsequenz des alternativen Gedankens herausgestri- können die übrigen Gruppenteilnehmerinnen ihre Be-
6 chen werden und auf die mögliche Verhaltensänderung obachtungen mitteilen. Es sollte mit der Patientin darauf
aufgrund der Neuinterpretation der Situation hingewie- fokussiert werden, warum sie trotz guter Argumente des
7 sen werden. Dies gibt der Patientin die Möglichkeit, wieder „Engelchens“ nicht überzeugt werden konnte. Sollte es sich
ein Gefühl der Kontrolle über das Situationsgeschehen zu hierbei um Motivationsprobleme handeln, kann nochmals
erlangen, da sie erlebt, dass ihr Verhalten von ihrer Situ- auf die Interventionen in ▶ Kap. 7 zur Motivierung zurück-
8 ationsbewertung abhängt. Das Erarbeiten der Verhaltens- gegriffen werden. Zudem kann darauf verwiesen werden,
konsequenz ist hier beschrieben. dass das Finden von Alternativen sicher nicht einfach ist
9 und es daher vieler Übung bedarf.
Therapiegespräch Die Anleitung der Übung kann vom Therapeuten wie
10 Therapeut: – „Wenn Sie nun sagen, Sie wären von dem alternativen
Gedanken überzeugt gewesen, hätte sich Ihr Gefühl in der Situation
folgt erläutert werden.

dann auch verändert?“


Anleitung
11 Frau S.: – „Ja, ich glaube schon, dass ich ruhiger gewesen wäre und nicht zur Übung Engelchen – Teufelchen
ein ganz so schlechtes Gewissen gehabt hätte. Vor allem wäre ich nicht Bitte suchen Sie aus den Gedankenprotokollen einen automatischen
so wütend über mich selbst gewesen.“
12 Therapeut: – „Hätten Sie sich denn auch anders verhalten?“
Gedanken heraus. Überlegen Sie, in welcher Situation dieser Gedanke
auftrat und beschreiben Sie kurz die Situation. Suchen Sie sich dann aus
Frau S.: – „Ja, ich glaube schon. Ich hätte wohl nicht noch einen Essanfall den anderen Gruppenteilnehmern ein „stellvertretendes Engelchen“

13 gehabt und mich vor dem Fernseher vielleicht wirklich etwas entspannt,
oder vielleicht hätte ich sogar noch mit einer Freundin telefoniert.“
und ein „stellvertretendes Teufelchen“ heraus. Setzen Sie sich dann in
die Mitte des Raumes und beschreiben Sie die Situation so, als ob Sie
sich gerade in ihr befinden. Das Teufelchen „flüstert“ Ihnen den auto-
14 Zur Unterstützung kann der Patientin bei der Umformu-
matischen Gedanken ein. Daraufhin versucht das Engelchen, Sie vom
Gegenteil zu überzeugen. Hierdurch entsteht ein Zwiegespräch zwi-
lierung der eigenen negativen Gedanken auch das Ar- schen Engelchen und Teufelchen. Bitte zeigen Sie durch das Heben Ihrer
15 beitsblatt 10.5/10.5B (. Abb. 10.6) ausgehändigt werden Hand an, wenn die Argumente des Engelchens Sie überzeugt haben.
(▶ Abschn. 10.2.2). Notieren Sie sich im Nachhinein die Argumente des Engelchens und
die des Teufelchens.
Dabei wird mit den Patientinnen anhand der dort
16 dargestellten Beispiele eingeübt, die negativen Aussagen
zu funktionaleren Gedanken zu entwickeln. Beispiels- Diese Übung soll exemplarisch für jeweils einen automa-
17 weise können die negativen Aussagen dazu auch den ver- tischen Gedanken möglichst vieler der Gruppenteilneh-
schiedenen Fehlerkategorien zugeordnet werden ▶ Ab- merinnen durchgespielt werden. Ist wenig Zeit zur Verfü-
schn. 10.3.2). Im ersten Schritt wird damit die generelle gung, können Kleingruppen gebildet werden. Diese Übung
18 Vorgehensweise bei der Erarbeitung alternativer Gedanken ist in modifizierter Form auch im Einzelsetting durchführ-
verdeutlicht und trainiert, Gegenargumente zu finden. Im bar. Dazu kann der Therapeut die Rolle der Patientin über-
19 zweiten Schritt wird, wie oben beschrieben, anhand der nehmen, und die Patientin selbst spielt im wechselnden
Gedankenprotokolle für die eigenen automatischen Ge- Dialog zunächst das Teufelchen und dann das Engelchen
20 danken nach Alternativen gesucht. (ein Beispiel zeigt Arbeitsblatt 10.7B . Abb. 10.8). Besten-
Das Erarbeiten von Alternativkognitionen kann im falls wird das Rollenspiel in der Einzelsitzung auf Video
Gruppensetting beispielsweise in Form der Rollenspiel- aufgezeichnet, um den Dialog zwischen Engelchen und
21 übung „Engelchen und Teufelchen“ spielerisch umgesetzt Teufelchen hinterher noch einmal mit der Patientin anzu-
werden. Dazu wird jeweils eine Patientin gebeten, sich in schauen und erneut nach zu besprechen. Auch kann der
22 die Mitte des Raumes zu setzen und sich Mitpatientin- Patientin das Video ausgehändigt werden, um es zu Hause
nen auszusuchen, die die Rolle eines „Engelchens“ und erneut anzusehen.
10.3 • Automatische Kognitionen
169 10

Als Abschluss der therapeutischen Interventionen Sichtweise zu hinterfragen. Eine weitere Möglichkeit ist
zur Veränderung dysfunktionaler Kognitionen sollten das Durchführen von Verhaltensexperimenten („Ich-
die Patientinnen als Hausaufgabe das Arbeitsblatt 10.8 trau-mich-Methode“). Dabei muss die Patientin das Zu-
„Denkste“ (▶ http://extras.springer.com; Beispiel in Ar- treffen des Gedankens überprüfen. Der Gedanke: „Wenn
beitsblatt 10.8B . Abb. 10.9) ausfüllen. Es enthält mehrere ich jetzt noch was esse, wiege ich morgen ein Kilo mehr“
Spalten, in welche zunächst der automatische Gedanke und sollte überprüft werden, indem die Mahlzeit gegessen wird
die dazugehörige Fehlerkategorie eingetragen werden. Als und auch bei sich behalten wird, um zu testen, ob in den
Nächstes wird die Konsequenz des Gedankens erfasst. Die nächsten Tagen tatsächlich wie erwartet eine Gewichtszu-
nächsten beiden Spalten dienen dazu, einen alternativen nahme stattfindet.
Gedanken zu entwickeln. Die Patientin soll dazu zunächst Vor allem hinsichtlich der „Katastrophisierungen“
in das Arbeitsblatt eintragen, welches Ziel sie in der Si- und des „Alles-oder-Nichts-Denkens“ ist das Betrachten
tuation gehabt hätte und im nächsten Schritt dann einen von Zwischenstufen (die „Mittelmaßmethode“) wichtig.
für das Ziel passenden alternativen Gedanken entwickeln. Dazu sollte überlegt werden, wie das Mittelmaß für eine
Das Arbeitsblatt dient damit dazu, noch einmal das Wissen bestimmte Annahme aussehen könnte. Dies kann bei-
um die Denkfehler aufzufrischen, um für die individuellen spielsweise über die Einstufung von Wahrscheinlichkeiten
dysfunktionalen Gedanken, die im Alltag auftreten, Alter- auf einer Skala von 0 bis 100 durchgeführt werden. „Wie
nativen formulieren zu können. Dazu sollten die Patien- wahrscheinlich ist es, dass ich mein Studium nicht schaffe,
tinnen ableiten können, welches Verhalten in der Situation wenn ich heute Abend nicht weiter lerne?“
wünschenswert wäre, um dementsprechend eine adäquate Zudem kann einfach durch die Wahl des Ausdruckes
Alternative zu finden. Hilfreich ist dabei die Frage nach (die „Nett-gesagt-ist-halb-gewonnen-Methode“) Schärfe
dem Ziel, das die Patientin in der Situation verfolgt. Bei- aus der eigenen Bewertung genommen werden. Dazu soll
spielsweise hat die oben beschriebene Patientin das Ziel, nicht in absoluten Formulierungen gesprochen werden,
nicht weiter zu grübeln und sich schuldig zu fühlen, wenn um die eigenen Aussagen abzuschwächen und zu einer
sie sich eine Pause gönnt. Dementsprechend wäre das Ziel, gemäßigteren und neutraleren Sichtweise des eigenen ne-
sich „ruhigen Gewissens“ eine erholsame Pause zu gönnen. gativen Verhaltens zu kommen. Beispielsweise statt „Wie
Ein alternativer, angemessener Gedanke wäre daher „Ich konnte ich nur so blöd sein, diesen Fehler zu machen?“
habe bereits mehr als neun Stunden gearbeitet, da darf ich sich zu sagen: „Jedem unterlaufen mal Fehler, das ist völlig
mir eine Pause gönnen“. menschlich!“.
Es gibt zudem weitere Techniken, um automatische Ge- Ähnlich funktioniert auch die Methode der Reattri-
danken zu verändern und einen alternativen, realitätsan- buierung (die „Gewusst-wie-Methode“), denn statt sich
gemesseneren bzw. hilfreicheren Gedanken zu entwickeln. selbst zu beschuldigen, die Klausur verpatzt zu haben,
Dazu kann den Patientinnen das Arbeitsblatt 10.9 „Verän- sollte überlegt werden, was dazu geführt hat, dass man
derung von automatischen Gedanken“ (▶ http://extras.sprin- durchgefallen ist, um das nächste Mal besser vorbereitet zu
ger.com; Beispiel Arbeitsblatt 10.9B . Abb. 10.10) ausgeteilt sein. „Es bringt nichts, mich zu beschuldigen, stattdessen
werden. Die beschriebenen Strategien sollten mit den Pati- überlege ich besser, warum ich den Stoff nicht gut konnte“.
entinnen kurz besprochen werden, bevor der Bereich der Des Weiteren ist es immer sinnvoll, die von der Pati-
kognitiven Interventionen abgeschlossen wird. entin benutzten Verallgemeinerungen zu hinterfragen und
Neben der bereits dargestellten Methode des Iden- die benutzten Begriffe genau zu überprüfen (die „Alles-ist-
tifizierens von Denkfehlern gehört im Weiteren dazu, eine-Sache-der-Definition-Methode“). Also „Was genau
die Beweislage zu überprüfen (s. auch Arbeitsblatt 10.9 macht einen ‚totalen Versager‘ aus?“. Das soll dazu führen,
„Sherlock-Holmes-Methode“ . Abb. 10.10), das heißt, dass die Patientinnen erkennen, dass sie gar nicht unter die
dass für einen ausgewählten Gedanken Beweise für und von ihnen angegebene Definition fallen.
gegen das Zutreffen gesucht werden. Des Weiteren kann Letztendlich stellt die Kosten-Nutzen-Analyse (die
die Perspektive gewechselt werden, um das „Messen mit „BWLer-Methode“) eine gute Möglichkeit dar, die Kosten
zweierlei Maß“ aufzudecken. Dazu kann versucht werden, und Nutzen eines solchen Gedankens abzuwägen. Dazu
über einen Rollenwechsel die Situation aus dem Blickwin- sollte in der jeweiligen Situation überlegt werden, welche
kel einer guten Freundin zu betrachten und zu überlegen, positiven Konsequenzen sich aus dem jeweiligen Gedan-
was die Patientin sich selbst an Stelle der Freundin raten ken ergeben (z. B. „So gebe ich wenigstens in allen Situ-
würde (Wilken 1998). ationen immer mein Äußerstes!“) und welche negativen
Ähnlich funktioniert auch die Umfragemethode, bei Aspekte dem entgegenstehen („Wenn ich mir immer sage,
welcher die Patientin dazu angehalten wird, andere Men- dass ich alles perfekt machen muss, stehe ich ständig un-
schen nach ihrer Interpretation der Situation zum eigenen ter Strom und bin dennoch immer unzufrieden mit dem,
Problem zu befragen. Dies soll dabei helfen, die eigene was ich leiste“). Die hier dargestellten Interventionen sind
170 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

ausführlich in verschiedenen Therapiemanualen zur An- Entstehung und Aufrechterhaltung von Essstörungen.
1 wendung kognitiver Techniken beschrieben (Scholz 2001; Diese Kernaussagen sollten daher in der Therapie

2
Stavemann 2003b). Ergänzend können auch Vocks und
Legenbauer (2010; ▶ Kap. 9 zur Modifikation dysfunkti-
onaler körperbezogener Kognitionen) und Wilken (1998) - mehr Berücksichtigung finden.
Zunächst sollten Kernüberzeugungen abgeleitet und
im nächsten Schritt durch verschiedene Übungen
3
4
hinzugezogen werden.
Am Ende der Sitzung fasst der Therapeut noch einmal
die erarbeiteten Zusammenhänge zwischen den auftreten-
den Gedanken auf der einen und Gefühlen und Verhalten
- (z. B. im Rollenspiel) verändert werden.
Überleitend zur Identifikation von automatischen
Gedanken wird ein Modell zum Zusammenhang von
Kernüberzeugungen und automatischen Gedanken
auf der anderen Seite zusammen, um die Bedeutung der In- eingeführt. Daraufhin werden individuelle automa-
5 halte des Interventionsbausteines zu kognitiven Techniken tische Gedanken mit Hilfe von Beispielen und dem
nochmals hervorzuheben. Hierbei sollte herausgearbeitet Führen von Selbstbeobachtungsprotokollen identifi-

6
7
werden, dass die Veränderung negativer Gedanken zum ge-
genwärtigen Zeitpunkt noch nicht endgültig abgeschlossen
ist, sondern die Patientinnen sich immer wieder dahinge-
hend beobachten sollen, ob in Zukunft wieder negative Ge-
- ziert.
Anschließend werden die herausgearbeiteten automa-
tischen Gedanken hinsichtlich möglicher Denkfehler
überprüft und Techniken zur Identifikation von alter-
danken auftreten, die sie gerne verändern möchten. nativen realitätsangemesseneren und funktionaleren
Abschließend soll die Wechselwirkung von Gedanken, Kognitionen vermittelt.
8 Gefühlen und Verhalten in einer Zusammenfassung des
Vorgehens beim kognitiven Umstrukturieren betont wer-
9 den. Dazu wird die Notwendigkeit der Veränderung von 10.5 Arbeitsblätter

10
automatischen Gedanken sowie von Kernüberzeugungen
noch einmal betont, um zu verdeutlichen, dass die Verän-
-- Arbeitsblatt 10.1B Kernüberzeugungen (. Abb. 10.2)
derung der kognitiven Prozesse eine Verhaltensverände-
rung bewirken kann. Das folgende Beispiel aus einer Thera-
-- Arbeitsblatt 10.2B Talkshow (. Abb. 10.3)
Arbeitsblatt 10.3B Pro und Kontra (. Abb. 10.4)

-
11 piesitzung beschreibt die Darstellung der Zusammenhänge. Arbeitsblatt 10.4B Gedankenprotokoll (. Abb. 10.5)
Arbeitsblatt 10.5B Automatische Gedanken
12 Erläuterung des Therapeuten
Im Rahmen der Therapiesitzungen zur Identifikation von Kernüber-
zeugungen und automatischen Gedanken und deren Veränderung -- (. Abb. 10.6)
Arbeitsblatt 10.6B Denkfehler (. Abb. 10.7)
Arbeitsblatt 10.7B Engelchen und Teufelchen

--
13 haben wir gelernt, dass wir aufgrund von verschiedenen Erfahrungen
(. Abb. 10.8)
im Laufe unseres Lebens Regeln entwickelt haben. Diese Regeln haben
wir Kernüberzeugungen genannt, die sich auf alle möglichen inhaltli- Arbeitsblatt 10.8B Denkste (. Abb. 10.9)
14 chen Bereiche wie Attraktivität, Nahrungsmittel usw. beziehen können. Arbeitsblatt 10.9 Veränderung automatischer Gedan-
Wir haben festgestellt, dass diese Kernüberzeugungen unser Handeln ken (. Abb. 10.10)
15
beeinflussen, indem sie die Bewertung von Situationen steuern. Diese
Bewertungen zeigen sich in Form negativer, teilweise automatischer
Gedanken und unterliegen Fehlern bei der Interpretation der Situation.

16 Wir haben verschiedene Fehlerkategorien wie z. B. Alles-oder-nichts-


Denken oder das Verrenkungsdenken kennengelernt und trainiert,
automatische Gedanken zu identifizieren und diese auf Fehler zu über-

17 prüfen. Durch das Erkennen der jeweiligen Art der Denkfehler war es
einfacher, zu überprüfen, ob der Gedanke in der Situation zutreffend
bzw. realistisch ist oder nicht. Durch die Zuordnung der Gedanken zu
18 einer Fehlerkategorie konnten wir alternative Bewertungen ableiten.
Auch konnten wir dadurch, dass wir das Ziel kannten, das wir in der
jeweiligen Situation hatten, herausarbeiten, welche möglichen alterna-
19 tiven Gedanken hilfreich sein könnten, um das Ziel zu erreichen. Zum
Abschluss haben wir festgestellt, dass die alternativen Gedanken auch
mit einem besseren Gefühl einhergehen und es uns erleichtern, in die-
20 ser Situation eventuell auch anders zu handeln.

21 10.4 Zusammenfassung

22
- Neuere Forschungsergebnisse verweisen auf einen
wichtigen Anteil sog. Kernüberzeugungen bei der
10.5 • Arbeitsblätter
171 10

Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 10.1 Headline-2 Seite 1
Kernüberzeugungen | | Seite 1

Kernüberzeugungen
Fügen Sie in die leeren Felder Ihre grundlegenden Überzeugungen (sog. Kernüberzeugungen oder Gesetze) ein, welche
für Sie die Basis Ihres Handelns darstellen.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 10.2 Arbeitsblatt 10.1B Kernüberzeugungen


9
8
7
6
5
4
3
2
1

22
21
20
19
18
17
16
15
14
13
12
11
10
172

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.2 | Talkshow | Seite 1

Talkshow
Bitte überlegen Sie sich Pro- bzw. Kontra-Arugemente für eine Kernüberzeugung, die Sie diskutieren wollen. Notieren Sie Ihre Argumente.

Kernüberzeugung: 1XUVFKODQNELQLFKOLHEHQVZHUW

.. Abb. 10.3 Arbeitsblatt 10.2B Talkshow


Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

PRO
6FKODQNH0HQVFKHQ
² VLQGHUIROJUHLFKHU
² YHUGLHQHQPHKU
² VLQGJOFNOLFKHU

:HLOLFKGQQELQEHNRPPHLFKYLHOPHKU$XIPHUNVDPNHLWYRQDQGHUHQ

KONTRA

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© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.3 | Pro und Kontra | Seite 1


10.5 • Arbeitsblätter

Pro und Kontra


Tragen Sie bitte hier zwei Ihrer Kernüberzeugungen aus dem Arbeitsblatt „Kernüberzeugungen“ ein. Anschließend überlegen Sie, welche Argumente dafür sprechen,
diese Kernüberzeugungen beizubehalten und welche Argumente dafür sprechen, diese Überzeugung zu ändern.

.. Abb. 10.4 Arbeitsblatt 10.3B Pro und Kontra


173

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
10
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10
174

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.4 | Gedankenprotokoll | Seite 1

Gedankenprotokoll
Bitte tragen Sie hier im Laufe des Tages alle zwei Stunden ein, was Ihnen durch den Kopf geht.

Wann Wo Gedanke

 ,FKKDEHHLQHQIXUFKWEDUGLFNHQ%DXFK+HXWHPXVVLFKXQEHGLQJWMRJJHQJHKHQ:LHGHUQLFKWV
%DGH]LPPHU
Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

K DEJHQRPPHQ

.. Abb. 10.5 Arbeitsblatt 10.4B Gedankenprotokoll


 ,FKKDEHWRWDO$QJVWYRUGHU.ODXVXU,FKYHUVWHKHQLFKWVYRQGHPZDVHUVDJW,FKELQHLQIDFK]X
9RUOHVXQJ
K EO|GH

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K LFKLPPHUQXU6DODWHVVH$PEHVWHQJHKHLFKHLQIDFKQLFKWPHKUPLW]XP(VVHQLQGLH0HQVD

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6FKUHLEWLVFK
K VXUPRUJHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
10.5 • Arbeitsblätter
175 10

Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 10.5 Headline-2 Seite
Automatische 1 |
Gedanken | Seite 1

Automatische Gedanken
Wählen Sie aus dem Gedankenprotokoll einige Gedanken aus, die typischerweise in den Bereichen Figur, Gewicht, Essen,
Sport, Leistung auftreten.

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.. Abb. 10.6 Arbeitsblatt 10.5B Automatische Gedanken


176 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.6 | Denkfehler | Seite 1


2
3 Denkfehler
Überlegen Sie, welche möglichen Denkfehler bei Ihnen auftreten können und schreiben Sie ein Beispiel in die entspre-
4 chende Kategorie.

5 Alles-oder-nichts-Denken Muss-Denken Selbstschutzdenken


Es wird nur in Extremen gedacht und Die Person fordert, dass die Situation Um nicht von anderen persönlich
oft generalisiert; Zwischenstufen bzw. das Ergebnis einer Sache ge- verletzt zu werden, redet man sich
6 werden nicht berücksichtigt. nauso zu sein hat, wie sie es erwartet. selbst etwas ein.

7 Å(UNDQQPLFKQLFKW
OHLGHQVRQVWZUGHHUPLW
Å,FKPXVVGLH.ODXVXU
PRUJHQEHVWHKHQ´RGHU
Å,FKGDUIQLFKWHQWWlXVFKW
VHLQVRQVWPHUNWHUZLH
PLUKHXWHLQV.LQRJHKHQ´ Å'HUPXVVPLFKP|JHQ´ VHKUPLFKGDVYHUOHW]W
8 RGHUÅ,FKGDUIQLH6‰HV
HVVHQZHLOLFKGDYRQIHWW

9 ZHUGH

10 Katastrophendenken Klischeekiste Beliebtheitsdenken


Die Person bewertet die Situation im Die Person fällt Urteile über andere Aus Furcht vor Ablehnung werden
11 negativen Sinne maßlos über und
erwartet eine Katastrophe.
Menschen aufgrund bestimmter
Vorstellungen oder Merkmale.
stets vermeintliche Erwartungen
anderer erfüllt und eigene Bedürnisse
in den Hintergrund gestellt.
12 Å:HQQLFKQLFKWLPPHU Å'LFNH0HQVFKHQVLQGIDXO Å6LFKHUEHDUEHLWHLFKGLH
PHLQ*HZLFKWNRQWUROOLHUH XQGJHIUl‰LJ $NWHQRFKKHXWHXQGVDJH

13 GDQQQHKPHLFKLPPHU PHLQH9HUDEUHGXQJDE
ZHLWHU]X GDVLVWNHLQ3UREOHP

14
15
Punktesammeln Versicherungsdenken Verrenkungsdenken
16 Die Person macht ihren Selbstwert von
Leistung und Erfolg abhängig.
Die Person erwartet von Anfang an
etwas Negatives, um hinterher nicht
Die Bewertung einer Situation ge-
schieht willkürlich und führt zu einer
enttäuscht zu werden. verzerrten Deutung, die nicht der

17 Realität entspricht.
Å1XUZHQQLFKGLH'HDG Å'LH.ODXVXUKDEHLFKEH (LQHVFKODQNH)UDXLQGHU
OLQHHLQKDOWHXQGDOOHV VWLPPWQLFKWJHVFKDIIW 'LVNRGHQNWÅ'LHVWDUUHQ
18 SHUIHNWLVWILQGHWPLFK PLFKDOOHVRDQZHLOLFK
PHLQ&KHIJXW XQP|JOLFKXQGIHWWDXV
19 VHKH

20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 10.7 Arbeitsblatt 10.6B Denkfehler


10.5 • Arbeitsblätter
177 10

Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 10.7 Headline-2 Seite
Engelchen und 1 |
Teufelchen | Seite 1

Engelchen und Teufelchen


Bitte notieren Sie für sich nach dem Rollenspiel, welche Argumente vom Engelchen bzw. vom Teufelchen für Sie überzeu-
gend waren und Ihnen zu einer Neubewertung Ihres nicht hilfreichen Gedankens verhelfen könnten.

Nicht-hilfreicher Gedanke: 'XPXVVWLPPHUZHLWHUDEQHKPHQ

Argumente Teufelchen Argumente Engelchen

² 'XZLUVWEHZXQGHUW ² 'LH/HXWHP|JHQGLFKQLFKWQXUZHJHQ
² 'XELVWHWZDV%HVRQGHUHV GHLQHV*HZLFKWV
² 'XELVWDQGHUHQEHUOHJHQ ² 'XELVWHWZDV%HVRQGHUHVGDIUPXVVWGX
² (VJLEWGLUHLQJXWHV*HIKOZHQGDV QLFKWHUVWDEQHKPHQ
*HZLFKWGDVGLH:DDJHDQ]HLJWLPPHU ² 'XUFKGLH(VVVW|UXQJKDVWGXDQQLFKWV
QLHGULJHUZLUG PHKU6SD‰GDEHLELVWGXIUKHUVRJHUQH
PLWGHLQHQ)UHXQGHQDXVJHJDQJHQ
² :HQQGXZHLWHUDEQLPPVWZLUVWGX
NUDQNVFKOLPPVWHQIDOOVNDQQVWGXDQ
GHQ)ROJHQGHLQHV8QWHUJHZLFKWVVWHUEHQ
² 'XIKOVWGLFKMHW]WVFKRQVFKZDFKXQG
ELVWXQNRQ]HQWULHUWXQGGDVZLUNWVLFK
DXIGHLQHVFKXOLVFKHQ/HLVWXQJHQDXV

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 10.8 Arbeitsblatt 10.7B Engelchen und Teufelchen


9
8
7
6
5
4
3
2
1

22
21
20
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18
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12
11
10
178

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.8 | Denkste… | Seite 1

Denkste…
Bitte tragen Sie einen typischen automatischen Gedanken in die erste Spalte ein und erarbeiten Sie mit Hilfe der Fragen in den weiteren
Spalten einen möglichen funktionaleren alternativen Gedanken.

.. Abb. 10.9 Arbeitsblatt 10.8B Denkste


Automatischer Gedanke Denkfehler Folge Zielverhalten Möglicher alternativer Gedanke
,FKKDEHEHVWLPPW .DWDVWURSKHQ'HQNHQ 6FKOHFKWH/DXQH 1LFKWVWXQGHQODQJ ,FKNDQQMHW]WHKQLFKWVPHKUlQGHUQ
Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

WRWDOYHUVDJWLP7HVW (VVDQIDOO EHU7HVWQDFKGHQ LFKPXVVQLFKWLPPHU(LQVHQVFKUHLEHQ


NHQ HLQHVFKOHFKWHUH1RWHLVWDXFKRN

'LH9HUNlXIHULQODFKW 9HUUHQNXQJV'HQNHQ .DXIHPLUNHLQHQHXH +RVHNDXIHQXQG :DUXPVROOWHGLHODFKHQ²GLHZLOOPLUMD


EHUPLFKZHLOLFK +RVHELQWUDXULJ PLFKQLFKWlUJHUQ GLH+RVHYHUNDXIHQ
LQGHU+RVHXQP|J XQGZWHQG
OLFKDXVVHKH

'DVVLFKJ]X .DWDVWURSKHQ'HQ ,FKHVVHQLFKWV ,FKZLOOJHVXQGZHU 'DV*HZLFKWXQWHUOLHJW6FKZDQNXQJHQ


JHQRPPHQKDEHLVW NHQ GHQXQGZLHGHUPLW XQGQXUZHLOLFKJ]XJHQRPPHQ
WRWDOVFKOLPPZHQQ *HQXVVHVVHQ KDEHKHL‰WGDVQLFKWGDVVLFKWRWDOIHWW
LFKQLFKWDXISDVVH ZHUGHGLH*HZLFKWV]XQDKPHJHK|UW
JHKWGDVLPPHUZHL ]XP*HVXQGZHUGHQGD]X
WHUVR

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
10.5 • Arbeitsblätter
179 10

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.9 | Veränderung automatischer Gedanken | Seite 1

Veränderung automatischer Gedanken

Die „Sherlock-Holmes-Methode“
A) Denkfehler finden
4 Schreiben Sie einen negativen Gedanken auf und prüfen Sie, ob dieser möglicher-
weise einen Denkfehler darstellt.
B) Beweise suchen
4 Wählen Sie einen negativen Gedanken aus und suchen Sie nach Beweisen, die dem
Gedanken entgegenstehen.

Die „Neue-Perspektiven-Methode“
Versuchen Sie einmal Ihre Situation aus einem anderen Blickwinkel – z. B. den Augen
einer guten Freundin – zu betrachten. Überlegen Sie, was Sie sich selbst an der Stelle
der Freundin raten würden.

Die „Ich-trau-mich-Methode“
Führen Sie ein Verhaltensexperiment durch. Dies dient Ihnen dazu, das Zutreffen Ihres
Gedankens in der Realität zu überprüfen. Beispielsweise könnte der Gedanke: „Wenn
ich jetzt noch etwas esse, wiege ich morgen zwei Kilo mehr“ überprüft werden, indem
Sie die Mahlzeit essen und sie auch bei sich behalten. So können Sie herausfinden, ob
Sie am nächsten Tag tatsächlich, wie erwartet, zwei Kilo mehr wiegen.

Die „Mittelmaßmethode“
Wenn Sie zum „Katastrophendenken“ oder „Alles-oder-nichts-Denken“ neigen, könnte
es hilfreich sein, sich zu überlegen, wie ein Mittelmaß aussehen würde. Sie könnten die
Wahrscheinlichkeit der angenommenen Katastrophe auf einer Skala von 0 bis 100 ein-
schätzen: „Wie wahrscheinlich ist es, dass ich mein Studium nicht schaffe, wenn ich jetzt
nicht weiterarbeite?" und überlegen, wie ein Gedanke aussehen könnte, der bei 50 liegt.

Die „Umfragemethode“
Befragen Sie einmal einen anderen Menschen zu Ihrem Problem. Festzustellen, dass
andere Menschen ähnliche Probleme haben und ihre Sichtweise kennenzulernen kann
helfen, die eigene Sichtweise zu hinterfragen.

Die „Alles-eine-Sache-der-Definition-Methode“
Überprüfen Sie die Begriffe, die Sie häufig benutzen, genauer. Was ist z. B. ein „totaler
Versager“? Zu überlegen, wie Sie ein Merkmal genau definieren, kann helfen zu erken-
nen, dass Sie das Merkmal gar nicht aufweisen.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 10.10 Arbeitsblatt 10.9 Veränderung automatischer Gedanken


180 Kapitel 10 • Kognitive Interventionen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 10.9 | Veränderung automatischer Gedanken | Seite 2


2
3 Die „Nett-gesagt-ist-halb-gewonnen-Methode“
Schwächen Sie Ihre eigenen Aussagen, indem Sie in „nicht-absoluten“ Formulierun-

4 gen sprechen. Beispielsweise statt „Wie konnte ich nur so blöde sein, diesen Fehler zu
machen?", sagen Sie sich: „Dieser Fehler hätte mir nicht unbedingt passieren sollen“.
Dadurch können Sie eine gemäßigtere und neutralere Sichtweise Ihres Verhaltens
5 erreichen.

6
Die „Gewusst-wie-Methode“
Orientieren Sie sich zunächst an Ihrem Problem. Überlegen Sie, was dazu beigetragen
7 hat, dass es aufgetreten ist. Dadurch können Sie zu einem neuen Verständnis des Prob-
lems kommen. Dies kann auch im Weiteren helfen, einen neuen Weg einer Problemlö-
8 sung zu beschreiten.

9 Die „BWLer-Methode“
Überlegen Sie einmal, was es Ihnen nutzt, beispielsweise einen Gedanken zu haben
10 wie „Wenn ich das Essen auslasse, dann werde ich abnehmen“. Der Gedanke hilft Ihnen
möglicherweise kurzfristig, weiter an Gewicht abzunehmen, aber langfristig trägt er
11 auch zur Aufrechterhaltung der Störung bei. Insgesamt sind daher die Kosten größer
als der Nutzen.

12
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 10.10 (Fortsetzung) Arbeitsblatt 10.9 Veränderung automatischer Gedanken


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181 10
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183 11

Interventionen
zur Verbesserung
der Emotionsregulation
T. Legenbauer, S. Vocks

11.1 Einleitung – 184


11.2 Wahrnehmung von Gefühlen – 185
11.2.1 Arten von Gefühlen – 186
11.2.2 Entstehung von Gefühlen – 188
11.2.3 Funktion von Gefühlen – 189
11.2.4 Identifikation eines Gefühls – 190

11.3 Bewältigung von negativen Gefühlen – 190


11.3.1 Einführung eines Stressmodells – 191
11.3.2 Palliativ-regenerative Techniken – 191
11.3.3 Kognitive Techniken – 195
11.3.4 Einsatz der vermittelten Techniken – 197

11.4 Zusammenfassung – 197


11.5 Arbeitsblätter – 197
Literatur – 204

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
184 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

1
-
Ziel
Verbesserung der Gefühlswahrnehmung und des
und äußeren Ereignissen als auch die Durchführung der
dazu benötigten Prozesse wie Aufmerksamkeitsfokussie-

2 - Gefühlsausdrucks
Implementierung von kurz-, mittel- und langfristigen
Emotionsregulationstechniken
rung, Informationsverarbeitung und Denkstile (Müsseler
u. Prinz 2002). Die Hauptfunktion von Emotionen ist nach
Ekman u. Friesen (1975) die Aktivierung des Körpers zur
Befähigung adäquat auf eine sich stetig verändernde Um-

-
3 Vorgehen welt zu reagieren, wobei auf frühere Erfahrungen zurück-
Erarbeitung dessen, was Gefühle sind und woran gegriffen wird. Bereits Darwin hat sog. Grundemotionen
4
- man sie spürt
Aufbau von palliativ-regenerativen Stressbewälti-
definiert, welche zur Sicherstellung des Überlebens dienen
sollten, bislang herrscht allerdings kein Konsens über die
5
- gungsfertigkeiten
Vermittlung instrumenteller Fertigkeiten zur Bewäl-
tigung negativer Gefühle durch die Einführung von
Definition von Grundemotionen: Verschiedenste Theorien
und Konzepte beschreiben zwischen 2 und 18 Grundemo-
tionen (Ortony u. Turner 1990). Man vermutet zudem,

-
6 Problemlösefertigkeiten dass zusätzlich zu den Basisemotionen weitere Gefühle
ergänzende kognitive Techniken zur Stärkung der existieren (Ekman u. Friesen 1975).
7 Selbstkontrollkompetenzen In der Emotionsforschung wird davon ausgegangen,
dass unterschieden werden kann zwischen der eigentli-
chen Emotion und deren Bewältigung. Das heißt es wird
8 11.1 Einleitung davon ausgegangen, dass der Regulierung der emotiona-
len Reaktion zunächst die korrekte Wahrnehmung und
9 Emotionen sind Bestandteil unseres Lebens. Alle Lebens- Identifikation des emotionalen Zustandes vorausgeht
bereiche wie Beziehungen, Arbeit und Freizeit sind mit (Emotionserkennung; Saarni 1999; Thompson u. Calkins
10 Emotionen verknüpft. Sie beeinflussen unser Handeln 1996), um eine adäquate Regulation der aktivierten Emo-
und unsere Lebensqualität. Dabei sind Emotionen sub- tion zu ermöglichen. Nach Cole et al. (2004) muss daher
jektiv und Ich-bezogen, das heißt, dass Gefühle durch ei- das Emotionsverständnis (Erkennen und Ausdrücken von
11 gene Bedürfnisse, Ziele und Interessen beeinflusst werden Emotionen) von der Regulation der emotionalen Aktivie-
(Ulich 1995). Gefühle sind damit ein Spiegel der eigenen rung unterschieden werden. Ein allgemein anerkanntes
12 Identität. Sie erscheinen meist unwillkürlich und spontan und aktuelles Modell zur Emotionsregulation greift diesen
und sind häufig von nur intrapersonell wahrnehmbarer Prozesscharakter auf und nennt vor allem Aufmerksam-
Erregung begleitet. Emotionen spielen innerhalb unserer keitsprozesse zur Situationsauswahl, Situationsmodifika-
13 sozialen Beziehungen eine bedeutende Rolle und werden tion und Situationsbewertung als ausschlaggebend für
überwiegend durch nonverbale Kanäle kommuniziert die Art der emotionalen Reaktion (Gross 2002). Das Zu-
14 (Ulich 1995). Aufgrund der Kurzlebigkeit von Emotionen sammenwirken von Emotionen mit kognitiven Prozessen
treten diese selten einzeln auf, sondern lösen sich gegen- und motivationalem Verhalten (Davidson 2003 S. 655)
15 seitig ab bzw. gehen ineinander über (Ekman 2003). Es gibt wird vor allem hinsichtlich der Modulation der aktivier-
in der Literatur zwar keine einheitliche Definition von Ge- ten Emotion deutlich – insbesondere die Neubewertung
fühlen (Kleiniginna u. Kleiniginna 1981), generell werden (Reappraisal) und die Unterdrückung der Emotion (Sup-
16 aber fünf Komponenten von Gefühlen unterschieden: die pression) werden von Gross (2002) als Strategien zur
subjektive, die behaviorale, die expressive, die physiologi- Emotionsbewältigung benannt. Dabei führt Suppression
17 sche und die kognitive Komponente (Scherer 1990). Die zu einer Reduktion des subjektiven Erlebens der Emotion,
subjektive Komponente bezieht sich dabei auf die erlebten wobei die emotionale Aktivierung auf physiologischer
(subjektiven) Anteile einer emotionalen Reaktion, die be- Ebene weiter bestehen bleibt. Bei der Anwendung von
18 haviorale Komponente auf die Verfügbarkeit von mögli- Reappraisal reduziert sich dagegen sowohl das subjektive
chen Verhaltensweisen passend zur emotionalen Erregung. Erleben der Emotion als auch die physiologische Erregung
19 Die expressive Komponente beinhaltet den verbalen Teil (Gross 1998; Richards u. Gross 2006; Roberts et al. 2008).
wie Tonhöhe, Lautstärke, Stimmführung und den nonver- Als weitere (dysfunktionale) Verhaltenskontrollstrate-
20 balen Ausdruck von Emotionen wie Gestik, Mimik und gien werden Rumination oder aggressives Ausagieren der
Körperhaltung. Unter der physiologischen Komponente Emotion genannt (Eisenberg et al. 2009; Reijntjes et al.
der Emotion werden autonome, neurohumorale, zentral- 2006). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass am Pro-
21 nervöse und neuromuskuläre Veränderungen im Zusam- zess der Emotionsregulation sowohl eher grundlegende
menhang mit Emotionen zusammengefasst. Die kognitive Fertigkeiten zur Erkennung und Identifikation der akti-
22 Komponente beschreibt sowohl Veränderungen der Wahr- vierten Emotion als auch weitere Prozesse im Sinne einer
nehmung, der Bewertung und des Erinnerns von inneren Interaktion zwischen unterschiedlichen Komponenten der
11.2 • Wahrnehmung von Gefühlen
185 11

Emotion mit situationalen, kognitiven und motivationalen Gefühle nicht richtig eingeordnet werden können oder
Aspekten beteiligt sind. Defizite in sozialen Kompetenzen bestehen (▶ Kap. 12).
Frauen mit einer Essstörung haben häufig Schwie- Kaluza (2005) schlägt drei Wege zur individuellen
rigkeiten, ihre Gefühle zu benennen. So beschreiben sie Belastungsbewältigung vor: ein instrumentelles Stress-
oft diffuse Gefühlszustände oder wissen nicht, aus wel- management, das dazu dient, äußere Belastungsfaktoren
chem Grund ein bestimmtes Gefühl entstanden ist. Des zu verringern, ein kognitives Bewältigungsverhalten, in
Weiteren haben sie oftmals Schwierigkeiten, negative welchem stressverschärfende Einstellungen und Bewer-
Gefühlszustände auszuhalten, sich selbst zu beruhigen tungen verändert werden (▶ Kap. 10) sowie den Aufbau
oder überhaupt zu entspannen (Esplen et al. 2000). Ei- palliativ-regenerativer Bewältigungsfertigkeiten, die der
nige Autoren gehen deshalb davon aus, dass Essanfälle körperlichen und seelischen Stressreduktion dienen sollen.
oder Nahrungsverweigerung einen dysfunktionalen Lö- Aus dem Dargestellten lässt sich nun ableiten, dass
sungsversuch zum Umgang mit negativen Gefühle und in der Behandlung von Essstörungen die Notwendigkeit
Erlebnissen darstellen ( Waters et al. 2001b; Heatherton u. besteht, die Betroffenen sowohl in der Wahrnehmung der
Baumeister 1991; ▶ Kap. 2). Es ist daher anzunehmen, dass eigenen Gefühle zu schulen als auch verschiedene Co-
die Wahrnehmung von negativen Gefühlen ein belastendes pingstrategien zu vermitteln. In diesem Kapitel werden
Ereignis für Menschen mit Essstörungen sein kann. Diese daher palliativ-regenerierende Techniken und kognitive
aversiven Gefühle wiederum lösen eine Stressreaktion aus, Techniken vorgestellt. Auf instrumentelle Fertigkeiten
die spezifisch bei Patientinnen mit einer Bulimia nervosa wird aufgrund der eher langfristig angelegten Strate-
zur Anwendung einer dysfunktionalen Strategie, nämlich gien in ▶ Kap. 12 und ▶ Kap. 15 eingegangen. Die hier
Essen bzw. bei Patientinnen mit einer Anorexia nervosa beschriebenen Techniken sind, wie bereits in ▶ Kap. 9
zu Nicht-Essen führt. Studien im natürlichen Umfeld zum bei der Ableitung von Strategien zur Verhinderung
Einfluss von Stress auf das Essverhalten bestätigten diese von Essanfällen dargestellt, den kurz- bis mittelfristi-
Vermutungen. Sie zeigten beispielsweise, dass an Tagen mit gen Strategien zuzuordnen und stellen eine Ergänzung
stärker wahrgenommener Belastung Frauen mit einer Bu- bzw. Spezifizierung der bereits in ▶ Kap. 9 eingeführten
limia nervosa mehr Kalorien aufnahmen als gesunde Kon- Techniken dar. Im Folgenden werden Interventionen zur
trollpersonen (Crowther et al. 2001). Neben dem Einfluss Spontanentspannung, zur Wahrnehmungslenkung und
der kognitiven Schemata, die zu einer negativen Einschät- zur kontrollierten Abreaktion dargestellt (Wagner-Link
zung von Situationen führen können (▶ Kap. 2), sind daher 1995), welche dem palliativ-regenerativen Bereich zu-
die Defizite in der Bewältigung belastender Ereignisse für zuordnen sind. Zusätzlich sollen kognitive Fertigkeiten
die Aufrechterhaltung der Essstörung und damit auch die im Sinne einer positiven Selbstinstruktion und Selbster-
Behandlung von Bedeutung. munterung aufgebaut werden. Diese unterscheiden sich
In der Forschungsliteratur zum Bewältigungsverhalten von den in ▶ Kap. 10 dargestellten kognitiven Techniken
werden verschiedene Klassifikationen von Bewältigungs- darin, dass sie vornehmlich auf die Gefühlsveränderung
verhalten bei Stress beschrieben. Dazu gehören beispiels- in belastenden Situationen fokussieren. Ziel ist es, damit
weise emotionsorientiertes, aufgabenorientiertes und den Patientinnen weitere Selbstkontrollmöglichkeiten an
vermeidendes Coping (Zeidner u. Endler 1996). Emotions- die Hand zu geben.
orientiertes Coping gilt eher als kurzfristige Strategie und
kann ungünstig eingesetzt auch zu einer Stresserhöhung
führen (Lazarus u. Folkman 1984). Ähnliches gilt für ver- 11.2 Wahrnehmung von Gefühlen
meidendes Coping, während aufgabenorientiertes Coping
eher als günstiges Verhalten angesehen wird. Es wäre zu Die Interventionen zur Verbesserung der Gefühlswahr-
vermuten, dass Frauen mit Essstörungen möglicherweise nehmung sind in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil
dysfunktionale und situationsinadäquate Copingstrategien (▶ Abschn. 11.2.1) werden den Patientinnen zunächst
einsetzen. Tatsächlich konnte in verschiedenen Studien Informationen über die Kategorisierung von Gefühlen
zum Bewältigungsverhalten gezeigt werden, dass Frauen vermittelt. Dazu werden Gefühle am Flipchart gesammelt
mit einer Essstörung vor allem in belastenden Situationen und anschließend in ein Zirkumplexmodell der Gefühle
eher vermeidendes Bewältigungsverhalten zeigen (Koo- eingeordnet. Im zweiten Teil (▶ Abschn. 11.2.2) wird eine
Loeb et al. 2000) und stärker emotionsorientiertes Coping Erweiterung des kognitiven Modells vorgenommen, um
einsetzen (Koff und Sangari 1997; Wölfges et al. 2011). Die über Entstehungsprozesse von Gefühlen und deren Hand-
Ursache des Einsatzes dysfunktionaler Copingstrategien lungsrelevanz zu informieren. Die Auswirkung der Ge-
von Patientinnen mit Essstörungen könnte möglicher- fühle auf das Verhalten und die Rolle der Funktion des
weise darauf beruhen, dass die belastende Situation nicht Gefühls werden im Anschluss daran dargestellt (▶ Ab-
adäquat eingeschätzt wird, weil die damit verbundenen schn. 11.2.3).
186 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

und Verachtung noch weitere Emotionsbegriffe wie Trauer,


1 Maßnahmen und Unterlagen

--
Scham, Zuneigung und Neid, welche sich in der Forschung
Übungen
als sinnvoll in der Differenzierung von Gefühlen erwiesen
Gefühlslandkarte
2 Erweiterung des kognitiven Modells hinsichtlich des
haben (Mayring u. Ulich 2003). Das so entstandene Modell

--
bietet Patientinnen einen leichten Zugang zum Verständ-
Einflusses von Emotionen
nis der Vielfalt von Emotionen (Arbeitsblatt 11.1). Zudem
3 Sammeln von möglichen Funktionen eines Gefühls

-
können die häufig im Alltag beschriebenen Gefühlswör-
Übung „Gefühlsbild“
ter wie Eifersucht, Zufriedenheit oder Stolz für den the-
4 Einüben der Gefühlsidentifikation anhand konkreter
rapeutischen Kontext in Form von sog. Mischemotionen
Situationsbeispiele

-
eingeordnet werden (Stavemann 2003b). Die hier vorge-
Arbeitsmaterialien
5 Flipchart, Stifte
schlagene Kategorisierung von Gefühlen ist dabei nur als

-
eine Möglichkeit zu verstehen, da die Bezeichnung eines
Arbeitsblätter
Gefühls immer subjektiv geprägt ist (Ulich 1995).
6 Gefühlslandkarte

-
Die auf dem so entstandenen Zirkumplexmodell um
(▶ Arbeitsblatt11.1/11.1B . Abb. 11.2)
den neutralen Pol liegenden Emotionen – hier als „Länder“
7 Begleitzustände von Gefühlen

-
bezeichnet – beinhalten demnach als positive Empfindun-
(▶ Arbeitsblatt11.2/11.2B . Abb. 11.3)
gen Freude, Interesse und Zuneigung sowie Angst, Ärger,
Modell zum Zusammenhang von Ge-
Scham, Trauer, Traurigkeit, Ekel, Verachtung und Neid als
8 danken, Gefühlen und Verhalten

-
negative sowie Neutralität als eigenständige, indifferente
(▶ Arbeitsblatt11.3/11.3B . Abb. 11.4)
Emotion. Jedem dieser „Emotionsländer“ können weitere
9 Gefühlsprotokoll
emotionale Zustände zugeordnet werden. So können bei-
(▶ Arbeitsblatt11.4/11.4B . Abb. 11.5)
spielsweise diese Hauptemotionen von niederer oder stär-
10 kerer Intensität sein. Hierbei ist Wut als extremer Ärger zu
verstehen, während Unzufriedenheit die geringste Intensi-
tät eines Ärgergefühls darstellt. Im Folgenden werden nun
11 11.2.1 Arten von Gefühlen den Hauptemotionen zuzuordnende Gefühle geringerer
bzw. stärkerer Intensität beschrieben (Darstellung mod.
12
13
In dieser ersten Übung wird angestrebt, die Gefühlswahr-
nehmung zu verbessern und die Spannbreite der den Pati-
entinnen bekannten Gefühlszustände zu erfassen. Hierbei
wird zunächst erfragt, welche Arten von Gefühlen die Pa-
-
nach Stavemann 2003a).
Dem Gebiet „Ärger“ kann entsprechend Wut als ext-
reme Form des Ärgers zugeordnet werden, während
Unzufriedenheit oder „Genervtheit“ ebenfalls in
tientinnen kennen. Bei der Sammlung der Gefühle sollten diesen Bereich fallen, aber eine geringere Ausprägung

-
14 diese zur besseren Visualisierung am Flipchart notiert wer- des Ärgergefühls darstellen.
den, um in einem nächsten Schritt die Kategorisierung der Dem Gebiet „Angst“ zugehörig sind (in aufsteigender
15 Emotionen einleiten zu können. Meist können die Haupt­
emotionen von den Patientinnen relativ einfach benannt
werden, wohingegen die Patientinnen mit differenzierte- - Intensität) Besorgnis, Bange, Furcht, Angst und Panik.
Zu „Trauer“ ist Bedauern als niedrigste Intensität
zuzuordnen, gefolgt von Enttäuschung, Mitleid und

-
16 ren Gefühlszuständen wie Mischformen, Körpergefühlen, Kummer.
physiologischen Begleiterscheinungen und Ähnlichem Zum Bereich „Scham“ gehören die weniger intensi-
17 zumeist Schwierigkeiten haben. Im Folgenden geben wir
einen kurzen Abriss darüber, welche Informationen den
Patientinnen im Rahmen der Psychoedukation vermittelt - ven Gefühle von Geniertheit und Peinlichkeit.
Dem Bereich „Freude“ lassen sich beispielsweise
Wohlbefinden, Zufriedenheit, Überraschung und

-
18 werden sollten. Glück zuordnen.
Aus der Vielzahl der theoretischen Modelle haben wir Der Bereich „Zuneigung“ enthält als Gefühl mit der
19 zur Verbesserung der Gefühlswahrnehmung in Anlehnung geringsten Intensität Vorliebe und Liebe als Gefühl
an die Clusteranalysen von Schmidt-Atzert und Ströhm mit der stärksten Intensität in diesem Bereich. Dazwi-
20 (1983; in: Mayring und Ulich 2003) eine Gefühlslandkarte schen könnten Dankbarkeit, Mitgefühl, Vertrauen,

21
entwickelt, die als neutralen Pol das Gefühl der Neutrali-
tät beinhaltet(kann als eigenständiges Gefühl gelten; Shah
u. Lewis 2003). Die Gefühlslandkarte enthält neben den - Wohlwollen und Verliebtheit liegen.
Dem Bereich „Traurigkeit“ sind Bedrücktheit, Nie-
dergeschlagenheit, Traurigkeit und Verzweiflung in

22
beispielsweise von Ekman (2003) definierten, aus dem
emotionalen Gesichtsausdruck abgeleiteten Basisemotio-
nen wie Freude, Interesse, Ärger, Angst, Traurigkeit, Ekel - aufsteigender Intensität zuzuordnen.
Das Gefühl von „Interesse“ stellt die geringste
Intensität des Zustandes des gleichnamigen Bereichs
11.2 • Wahrnehmung von Gefühlen
187 11

dar, während Neugier, Begeisterung und Lust stärkere

-
Länder gruppieren und die den Hauptemotionen verwandten Gefühle
Ausprägungen des Gefühls sind. sind als Gebiete innerhalb der jeweiligen „Gefühlsländer“ anzusehen.
Die intensivsten Gefühle liegen weiter weg vom Pol der Neutralität und
Bei dem Gefühl von „Neid“ sind Misstrauen und die weniger intensiven Gefühle innerhalb eines Landes sind dem neut-
Schadenfreude mögliche emotionale Zustände gerin-

-
ralen Pol näher. Die Mischgefühle können entsprechend zwischen den
gerer Intensität des Neid-Bereichs. verschiedenen Ländern liegen und beispielsweise als Brücken zwischen
Zum Bereich „Verachtung“ gehört die Abneigung als den Ländern eingezeichnet werden. Ich möchte nun gerne mit Ihnen
am geringsten ausgeprägtes Gefühl, gefolgt von Anti- gemeinsam die Landkarte ausfüllen und die verschiedenen Emotionen,
die wir besprochen haben, in diese Gefühlslandkarte eintragen.
pathie, während Hass die stärkste Ausprägung dieses

- Bereichs darstellt.
Der Bereich „Ekel“ enthält dagegen Gefühle wie
Widerwillen als geringere Ausprägung und Ekel als
stärkste Ausprägung.
Bei der Durchführung dieser Übung kommt es häufig vor,
dass in der Alltagssprache als „Gefühl“ bezeichnete Zu-
stände nicht in die Gefühlslandkarte einzuordnen sind.
Die Schwierigkeit liegt beispielsweise darin, dass es sich
Gefühle können zudem einen Beziehungsaspekt beinhalten dabei nicht um ein eigenständiges Gefühl handelt, sondern
und sich beispielsweise vorrangig auf Beziehungen bezie- vielmehr um mit dem Gefühl einhergehende Kognitionen
hen. Diesen Gefühlen im Kontext von Beziehungen sind (z. B. „sich unsicher fühlen“ oder „sich zu dick fühlen“; Bal-
Emotionen wie Verehrung, Wohlwollen, Vertrauen im po- coni u. Pozzoli 2003). Ebenso mit Emotionen verwechselte
sitiven Bereich oder aber Verachtung, Trotz, Groll, Wider- Zustände können physiologische Begleiterscheinungen
willen und Misstrauen im negativen Bereich zuzuordnen. von Gefühlen sein, wie innere Unruhe, Beklemmungen in
Sie stellen damit eine Mischung aus Freude und Zuneigung der Brust oder Ähnliches. Daneben sind auch Körperge-
bzw. aus Verachtung und Ärger dar (Mayring u. Ulich 2003). fühle wie Hunger, Schmerz, Durst, Wärme und Kälte keine
Weitere mögliche Hilfestellungen in der Erarbeitung Gefühle im eigentlichen Sinne. Diese Aspekte sollten dann
von Mischemotionen sind der Verweis auf motivationale gemeinsam mit der Patientin herausgearbeitet werden. So
Zustände wie Erwartungen (Hoffnung, Erleichterung, kann mit der Patientin besprochen werden, dass aus dem
Befriedigung, Genugtuung, Leidenschaft, Spannung, Un- Gedanken „Ich bin zu fett“ das Gefühl der Trauer oder der
geduld, Vorfreude) sowie Empathieemotionen wie Stolz, Scham resultieren kann.
Schadenfreude und Häme ebenso wie Eifersucht, Neid, Falls von den Patientinnen körperliche oder physio-
Sorge, Kummer, Bedauern, Mitleid, Mitgefühl, Rührung logische Aspekte bei der Sammlung der Gefühle genannt
und Schuld. Diese werden entsprechend den Anteilen der werden, soll dies vom Therapeuten aufgegriffen werden,
Hauptemotionen in die Gefühlslandkarte eingeordnet. indem der Therapeut zunächst fragt, warum die Patien-
In der Behandlung kann von den Patientinnen selbst tin annimmt, die jeweilige Empfindung sei den Gefühlen
eine Einordnung verschiedener Gefühle in die Ge- zuzurechnen. Im Weiteren sollte der Therapeut erläutern,
fühlslandkarte vorgenommen werden. Dazu werden bei dass körperliche Empfindungen nicht mit einer Emotion
der Vorstellung des Landkartenkonzeptes nur der Pol der gleichzusetzen sind, sondern dass die körperlichen Emp-
Neutralität und die jeweiligen Hauptbereiche benannt. Die findungen aus den Gefühlen resultieren. Im Anschluss an
Patientinnen ordnen dann die von ihnen bereits identifi- die Übung kann daher das Arbeitsblatt 11.2 „Begleitzu-
zierten Gefühle auf dem Arbeitsblatt 11.1 (▶ http://extras. stände von Gefühlen“ (▶ http://extras.springer.com) ausge-
springer.com) individuell in die verschiedenen „Länder“ teilt werden. Darin sind die mit Emotionen einhergehen-
ein. Die Einordnung der verschiedenen Gefühle in die den physiologischen Begleitsymptome und Körpergefühle
„Gefühlslandkarte“ kann vom Therapeuten folgenderma- sowie Kognitionen erläutert.
ßen eingeführt werden: Der Therapeut fasst am Ende der Sammlung noch ein-
mal die wichtigsten Punkte zusammen. Hierzu kann der
Erläuterungen des Therapeuten folgende Text verwendet werden.
Wir haben nun bereits einige Gefühle gesammelt. Diese sind sich teil-
weise sehr ähnlich und manchmal deshalb auch schwierig zu unter-
Erläuterungen des Therapeuten
scheiden, wie beispielsweise Wut und Ärger. Dies kann daran liegen,
Die Gefühle einer Person lassen sich auf mehrere thematisch unter-
dass die beiden Gefühle demselben Grundgefühl, und zwar Ärger, ent-
schiedliche Bereiche eingrenzen. Diese können als Freude und Zunei-
springen und nur eine unterschiedliche Intensität haben. Andere von
gung beschrieben werden, wenn es um positive Gefühle geht, als Neu-
Ihnen benannte Emotionen dagegen sind nicht leicht erkennbar, weil
tralität, wenn ein neutraler Gemütszustand gemeint ist und als Angst,
sie eher diffus sind. Als Beispiel könnte man hier die Eifersucht nennen.
Ärger, Scham, Trauer und Niedergeschlagenheit, wenn unangenehme
Das liegt daran, dass sie ein sog. Mischgefühl ist, das sich aus mehreren
Gefühle gemeint sind.
Grundemotionen zusammensetzt und deshalb schwieriger einzuordnen
In der Alltagssprache verwenden wir die Bezeichnung „Gefühl“, um
ist. Wenn wir nun dieses Modell der Gefühlsbereiche zugrunde legen,
verschiedene Befindlichkeiten auszudrücken. Das können, neben den
könnte man in einer sog. Gefühlslandkarte die Grundemotionen als Län-
erwähnten Gefühlen im eigentlichen Sinn, auch körperliche Begleiter-
der ansehen, das Gefühl der Neutralität ist der Pol, um welchen sich die
188 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

-
scheinungen von Gefühlen sein (wie das „Gefühl“, Beklemmungen zu ?? Fragen
1 haben, rot zu werden) oder Körpergefühle (wie Schmerz, Hunger, Durst, Was würden Sie denn denken, wenn das nicht
Wärme und Kälte) oder auch Gedanken („Ich hatte das ‚Gefühl‘, der mag
am Hauptbahnhof passieren würde, sondern am

-
mich nicht, ich bin zu fett, ich bin ein Versager“ usw.).
2 Auf Arbeitsblatt 11.2 „Begleitzustände von Gefühlen“ sind die unter- Bankschalter in einem Spielcasino?
schiedlichen Aspekte der Gefühle erläutert. Ich möchte mit Ihnen an- Oder: wenn es kein Mann wäre, sondern eine Frau?
hand des Arbeitsblattes überlegen, bei welchen Gefühlen insbesondere
3 die beschriebenen physiologischen Begleiterscheinungen und Gedan- Ziel ist es, herauszuarbeiten, dass anhand von Situations-
ken auftreten können. Das ist hilfreich, wenn es um das Erkennen von
merkmalen eine Bewertung der Situation erfolgt und dar-
4 Gefühlen geht.
aus ein entsprechendes Gefühl entsteht. Das heißt, Gefühle
entstehen aufgrund von Bewertungsprozessen. Diese kön-
5 Nachdem nun den Patientinnen ein Überblick über die nen bewusst ablaufen, es kommt aber auch häufig vor, dass
verschiedenen Arten von Gefühlen vermittelt wurde und die Bewertungen automatisiert oder implizit erfolgen.
sie darin unterstützt wurden, diese zu kategorisieren und Dazu kann den Patientinnen ein Modell vorgestellt
6 zu erarbeiten, welche Gefühle sie persönlich kennen, kann werden, welches die bereits erarbeiteten Zusammenhänge
zum nächsten Schritt, der Herausarbeitung von Wegen zwischen Grundannahmen und automatischen Gedan-
7 der Entstehung von Gefühlen, übergeleitet werden. Die ken (▶ Kap. 10) um den Einfluss der Auslösesituation
beschriebenen Übungen sind gut in das Einzelsetting mit dem nachfolgenden Gefühl erweitert. Die Erweite-
übertragbar und können analog dem oben beschriebenen rung des Modells soll den Patientinnen noch einmal ver-
8 Vorgehen umgesetzt werden. deutlichen, welchen Einfluss Gedanken auf Gefühle und
Gefühle auf das Verhalten haben und eine Vorbereitung
9 auf die Anwendung kognitiver Techniken im Rahmen
11.2.2 Entstehung von Gefühlen der Intervention zur Emotionsregulation darstellen (Ar-
10 beitsblatt 11.3). Es handelt sich dabei um ein vereinfachtes
Zunächst können die Patientinnen über ihre Hypothese Modell, das die bestehenden Wechselwirkungen zwischen
befragt werden, wie ein Gefühl entstehen kann. Neben Gedanken, Emotionen und Verhalten nicht abbildet, um
11 biochemischen und hormonellen Prozessen, die an der die Patientinnen an diesem Punkt nicht zu überfordern.
Gefühlsentstehung beteiligt sind, soll hier vor allem der Der Therapeut kann den folgenden Text zur Erklärung
12 Einfluss kognitiver Prozesse bei der Bewertung von Situ- des Modells verwenden.
ationen, die die Entstehung eines Gefühls beeinflussen,
fokussiert werden. Der Therapeut sollte dies anhand einer
13 Beispielssituation verdeutlichen. Dazu erfragt er Bewer-
Erläuterungen des Therapeuten
Wir haben bereits im Rahmen der Übungen zur Veränderung von au-
tomatischen Gedanken besprochen, dass die Erfahrungen, die wir in
tungen der Situation und erarbeitet auf dieser Basis die
14 daraus resultierenden Gefühle.
unserem Leben gemacht haben, unsere Bewertung von Situationen
beeinflussen. Wenn wir uns in spezifischen Situationen befinden, be-

-
einflussen Kernüberzeugungen diese automatischen Gedanken, die uns
15 ?? Frage dann in den Kopf schießen. Aus den automatischen Gedanken resultie-
ren nun die Gefühle. Das heißt: Das Gefühl, das wir in einer bestimmten
Stellen Sie sich einmal vor, Sie stehen vor dem
Situation entwickeln, hängt davon ab, wie wir die Situation bewerten.
Hauptbahnhof in einer Großstadt und jemand hält
16 Ihnen einen 100-Euro-Schein hin. Was geht Ihnen
Dies wurde auch anhand des Gedankenspiels mit dem 100-Euro-Schein
deutlich: Diejenigen, die gedacht haben „Der will was von mir!“ mögen
in diesem Moment durch den Kopf? Angst entwickelt haben, während diejenigen, denen der Gedanke kam
17 „Der ist ja nett, schenkt mir einfach so 100 Euro!“, Freude verspüren.
Im Rahmen einer Gruppendiskussion sollten der Reihe Ein anderes Beispiel wäre, dass ihre beste Freundin Sie nach 6 Wochen
anruft. Wenn Sie denken „Die hätte sich ruhig früher melden können“,
nach die verschiedenen Interpretationen dieses Szenarios
18 aufgeschrieben werden. Üblicherweise werden dabei Ge-
geht das meist mit einem Ärgergefühl einher. Ein anderer Gedanke
könnte sein: „Wie schön, dass sie sich mal wieder meldet“, was mit einem
danken wie „Was soll das denn?“, „Der soll bloß abhauen!“, Gefühl von Freude verbunden ist. Auch hier sehen wir deutlich, dass der
19 „Ob das wohl Falschgeld ist?“, „Der will irgendwas von Auslösereiz „Anruf“ einen automatischen Gedanken auslöst, der dann
mir!“ und „Der ist ja nett, schenkt mir einfach 100 Euro“ zu einer bestimmten Emotion führt.

20 oder Ähnliches genannt. Wenn alle Patientinnen ihre Diese Gedanken und Gefühle beeinflussen nun auch unser Verhalten.
Wenn wir noch einmal zurück zu unserem 100-Euro-Beispiel gehen:
spontanen Gedanken geäußert haben, wird im Anschluss Die Person, die denkt „Der will was von mir!“ und Angst bekommt, wird
daran gemeinsam überlegt, welches Gefühl mit jedem der
21 einzelnen Gedanken zusammenhängen könnte.
schnell aus der Situation flüchten, während die andere Person, die denkt
„Der ist ja nett, schenkt mir einfach so 100 Euro!“ und daraufhin Freude
Um den Einfluss der Gedanken auf die Gefühle noch verspürt, das Geld annehmen und sich bedanken wird. Die Zusammen-
22 weiter zu verdeutlichen, können im zweiten Schritt die Si- hänge sind in dem Modell zum Zusammenhang von Gedanken, Gefüh-
len und Verhalten dargestellt. Haben Sie Fragen dazu?
tuationsmerkmale verändert werden.
11.2 • Wahrnehmung von Gefühlen
189 11

Im Anschluss daran kann zur Funktion von Gefühlen um die Lösung der Situation voranzutreiben. Ebenso kann
übergeleitet werden. ein Gefühl von Freude es einem leichter machen, mit an-
deren Menschen in Kontakt zu treten, z. B. indem man
jemand Fremdes anspricht.
11.2.3 Funktion von Gefühlen
Selbstverteidigungsfunktion Des Weiteren ist die Selbst-
In den in der Literatur beschriebenen funktionalistischen verteidigungsfunktion zu nennen. Vor allem die Wahr-
Ansätzen zur Erklärung von Emotionen werden Emotio- nehmung einer Bedrohung trägt dazu bei, dass durch das
nen im Sinne der Erreichung von Handlungszielen, zum ausgelöste Gefühl wie Angst, Wut, Zorn, Ärger etc. eine
Zwecke der Anpassung an situationale Begebenheiten bzw. dem Selbstschutz dienende Gegenreaktion ausgelöst wird.
der Motivation zur Veränderung intra- und interpersonel- Der Selbsterhaltungstrieb führt damit zu einer Verteidi-
ler Zustände verstanden (Ulich u. Mayring 2003). gungsreaktion wie Grenzen zu setzen. Wenn beispielsweise
In der Therapie kann die Erarbeitung der Funktion die Chefin zu ihrer Mitarbeiterin sagt „Sie sind so furcht-
von Emotionen vor allem dazu dienen, um zu verdeutli- bar langsam, kein Wunder, dass Sie Überstunden machen
chen, dass auch negative Gefühle einen Sinn haben kön- müssen“ und die Mitarbeiterin nun wütend über den Vor-
nen. Dazu können die beschriebenen handlungsrelevan- wurf ihrer Chefin ist, bestünde die Verteidigungsreaktion
ten funktionalen Aspekte mit den Patientinnen erarbeitet beispielsweise in der Antwort: „Das liegt sicher mitunter
werden. Empfehlenswert ist es, diese Funktionen etwas zu daran, dass Sie mir Arbeit übergeben, die nicht in meinen
vereinfachen und deren Handlungsrelevanz zu betonen. Zuständigkeitsbereich fällt. Wenn Sie nicht wollen, dass ich
So könnte man beispielsweise beschreiben, dass einige Überstunden mache, dann kann ich diese Zusatzarbeiten
Gefühle dazu dienen, zu warnen oder Energie und Kraft eben nicht mehr übernehmen!“
zu liefern, um Veränderungen herbeizuführen (d. h. sie
sind energetisierend) oder die Kommunikation anregen. Selbstaufwertungsfunktion Als weitere wichtige Funk-
Zusätzlich kann auf eine selbstverteidigende und selbst- tion ist die Selbstaufwertungsfunktion zu nennen. Dazu
aufwertende Funktion von Gefühlen eingegangen werden zählt, sich durch Schimpfen Luft zu machen und sich da-
(Schwenkmetzger et al. 1999). Die einzelnen hier erwähn- mit anderen gegenüber aufzuwerten. Zum Beispiel kann
ten funktionalen Aspekte von Emotionen sind im Folgen- der Ärger über unerledigte Arbeiten der Kollegen sich in
den näher beschrieben. leisem Vor-sich-hin-Schimpfen ausdrücken: „Nie ist auf
die anderen Verlass, wenn ich es selbst tue, dann weiß ich,
Alarmierende Funktion Ein Beispiel für eine warnende dass es gut ist.“
oder alarmierende Funktion ist das Gefühl von Ärger oder
Wut, welches anzeigt, dass etwas Unangenehmes passiert Wichtig bei der Erklärung der Funktionalität von Gefühlen
ist und wir dem Beachtung schenken sollten: Wenn sich ist es, herauszuarbeiten, dass auch negative Gefühle einen
jemand mir gegenüber ungerecht verhält, entwickelt sich Sinn haben, indem sie bei der Bewältigung einer schwieri-
ein Gefühl von Wut. Hierdurch merkt die betroffene Per- gen Situation hilfreich sein können, was im Rahmen einer
son, dass irgendwas nicht stimmt. Gruppendiskussion erfolgen kann. Eine solche Gruppen-
diskussion über die Funktionalität von Gefühlen kann bei-
Energetisierende Funktion Energetisierend sind Gefühle spielsweise durch folgende Fragen angeregt werden.
wie Wut, Ärger, Zorn, aber auch Glück und Freude, weil sie

-
durch die physiologische Erregung dazu führen, dass dem ?? Fragen
Körper Energie für bestimmte Handlungen zur Verfügung Was glauben Sie: Warum sind Gefühle überhaupt

-
steht. So kann die Wut auf die Person, die einen versetzt wichtig?
hat, einem die Kraft geben, allein ins Kino zu gehen, an- Viele von Ihnen haben in der Eingangsrunde
statt allein zu Hause zu bleiben und sich einsam zu fühlen. berichtet, dass es Ihnen nicht gut geht, da sie viele
Auch kann Freude oder Glück einem Kraft und Mut geben, negative Gefühle wie Traurigkeit oder auch Wut
Dinge zu tun (z. B. auf eine Party zu gehen), die man sich erleben. Das könnte man ja ganz leicht beheben,
im niedergeschlagenen Zustand vielleicht nicht zutrauen indem man Gefühle generell einfach abschafft.
würde. Oder wie würden Sie das sehen?

Kommunikationsfunktion Darüber hinaus können Gefühle Durch diese zunächst sehr provokant gestellten Fragen
die Kommunikation anregen: Beispielsweise regt die Wut können die Patientinnen dazu angeregt werden, zunächst
über eine Ungerechtigkeit dazu an, das Ärgernis aus der einmal über die Funktion von Gefühlen nachzudenken.
Welt zu räumen und die betroffene Person anzusprechen, Während der Diskussion sollte der Therapeut den Gefüh-
190 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

len die jeweilige Funktion, die sie erfüllen können, zuord- ▶ http://extras.springer.com). Das Ziel des Gefühlsproto-
1 nen. Danach wird zum nächsten Schritt – der Identifika- kolls liegt darin, die Gefühlswahrnehmung der Patientin-
tion von Gefühlen – übergeleitet. nen zu schulen. Dafür werden die Patientinnen gebeten,
2 im Verlauf der Woche morgens, mittags und abends für ei-
nen Moment innezuhalten, um in sich „hineinzuhorchen“
11.2.4 Identifikation eines Gefühls und sich zu überlegen, welche Gefühle sie im Augenblick
3 erleben. Bei Schwierigkeiten bei der Identifikation der Ge-
Um Emotionen verändern zu können, müssen diese zu- fühle sollten sie dazu angeregt werden, mit der Situation
4 nächst einmal erkannt werden. Eine Übung, welche in der verbundene Bewertungen und auftretende Gedanken so-
Gruppe gut durchgeführt werden kann, ist das „Gefühls- wie mögliche Körpergefühle und nonverbale oder verbale
5 bild“ (mod. nach Görlitz 2001). Zeichen anderer Menschen heranzuziehen, um den mo-
Die Patientinnen werden hierbei gebeten, sich langsam mentanen Gefühlszustand daraus abzuleiten.
durch den Raum zu bewegen und dabei in sich hinein-
6 zuhorchen. Nach ein bis zwei Minuten sollen sie stehen
bleiben, die Augen schließen und das erspürte Gefühl auf 11.3 Bewältigung von negativen
7 sich wirken lassen. Im Anschluss daran wird mit ihnen Gefühlen
besprochen, welches Gefühl sie wahrgenommen haben,
woran sie das Gefühl erkannt haben und ob sich allein Wie bereits erläutert (▶ Kap. 9) können bei der Regulation
8 durch das „Nachspüren“ an der Wahrnehmung des Ge- von Gefühlen kurz- und langfristige Strategien unterschie-
fühls etwas geändert hat. Falls es Schwierigkeiten gab, das den werden (Wagner-Link 1995). Bei den kurzfristigen
9 erlebte Gefühl einzuordnen, wird die Patientin gebeten, zu Strategien geht es vor allem darum, die mit einer Belas-
beschreiben, was sie körperlich wahrgenommen hat und tungssituation einhergehenden emotionalen Reaktionen zu
10 welche Gedanken ihr durch den Kopf gegangen sind. Im bewältigen. Im Gegensatz dazu soll durch die langfristigen
Anschluss an die Übung wird abgeleitet, anhand welcher Strategien zum einen die Stresstoleranz erhöht werden und
Merkmale die Einordnung eines Gefühls möglich ist. Dies das generelle Anspannungsniveau gesenkt werden. Zum
11 sind zum einen körperliche Reaktionen, zum anderen aber anderen sollen durch die Strategien die Bedingungen, die
auch Gestik und Mimik anderer beteiligter Personen, die zu der emotionalen Belastung führen, verändert werden.
12 Hinweise auf Art und Ursprung des Gefühls geben können Dementsprechend beinhalten diese Strategien neben einer
(Balconi u. Pozzoni 2003)(▶ Abschn. 12.2.1). Da Patien- Vermittlung von Entspannungsfertigkeiten auch die Ein-
tinnen mit Essstörungen oft eher diffuse Gefühlszustände führung von Problemlösetechniken, den Aufbau sozialer
13 beschreiben, sollte mit ihnen die Analyse von Situationen Fertigkeiten (▶ Kap. 12) und von Zufriedenheitserlebnis-
und damit einhergehenden Emotionen eingeübt werden. sen (▶ Kap. 14). In diesem Kapitel geht es ausschließlich um
14 Dazu werden die Teilnehmerinnen gebeten, sich beispiels- kurzfristige Strategien, welche in spezifischen Belastungs-
weise eine Essanfallssituation vorzustellen, um herauszu- situationen (z. B. interpersonelle Stressoren), die z. B. zur
15 finden, welches Gefühl vor dem Essanfall vorherrschend Auslösung von Essanfällen beitragen, angewendet werden
war. Durch die Vorstellung und Beschreibung der Situation können. Im Folgenden werden zunächst die einzelnen
können mögliche automatische dysfunktionale Gedanken, kurzfristigen Strategien dargestellt, die Interventionen zum
16 Körpergefühle oder Stimmungen besser erfragt werden. Aufbau palliativ-regenerierender Fertigkeiten und kognitive
Der Therapeut moderiert die Übung zur Identifikation der Techniken beinhalten. Im Anschluss daran werden Strate-
17 Gefühle durch Nachfragen. gien beschrieben, anhand derer die Patientinnen erkennen

-
können, in welcher Situation sinnvollerweise welche Emoti-
onsregulationstechnik (emotionales Abreagieren, kognitive
18 ?? Was ist Ihnen in dieser Situation durch den Kopf

--
gegangen? Umstrukturierung etc.) zum Einsatz kommen sollte.
Was ist vorher passiert?

--
19 Wie haben Sie sich in der Situation verhalten?
Maßnahmen und Unterlagen

-
Was haben Sie körperlich gespürt?
Übungen
20 Gab es andere Menschen, die Ihnen hätten
Muskuläre Kurzentspannung mit Koppelung an ein

-
Hinweise auf Ihr Befinden in der Situation geben
Ruhebild
können – beispielsweise durch Nachfragen oder
21 Vegetative Entspannung am Beispiel der Schwere-

-
ähnliche Stimmungen?
übung des autogenen Trainings

22 Als Hausaufgabe eignet sich in diesem Zusammenhang Übung „Rumpelstilzchen“


das Führen eines Gefühlsprotokolls (Arbeitsblatt 11.3
11.3 • Bewältigung von negativen Gefühlen
191 11

-- Übung „Abklopfen“
Imaginationsübung zu einem individuellen persön-
auftretende Gefühlsreaktionen abzufangen und so auch auf
diese Weise einem Überteten der Schwelle für Essanfälle

--
entgegenwirken zu können. Dies wird im Folgenden be-
lichen Erlebnis
schrieben.
Positive Selbstinstruktionen
Verhaltensketten

-
Arbeitsmaterial
Flipchart, Stifte
11.3.2 Palliativ-regenerative Techniken

--
Arbeitsblätter
Ruhebild (▶ Arbeitsblatt 11.5/11.5B . Abb. 11.6)
Verhaltenskette mit Alternativen
(▶ Arbeitsblatt 11.6/11.6B . Abb. 11.7)
Zu den palliativ-regenerativen Techniken, welche der
Bewältigung akuter Stressoren dienen, zählen Spontan-
entspannungen auf muskulärer, vegetativer, emotionaler
und kognitiver Ebene sowie die kontrollierte Abreaktion
anhand körperlicher oder emotionaler Techniken (Wag-
ner-Link 1995). Diese fokussieren auf die kurzfristige Er-
leichterung durch Ablenkung oder Erregungsabbau in be-
11.3.1 Einführung eines Stressmodells lastenden Situationen ohne momentan definierbaren oder
lösbaren Grundauslöser. Im Folgenden werden Beispiele
Zunächst ist es sinnvoll, mit den Patientinnen den Unter- für die verschiedenen Ansatzpunkte detailliert dargestellt.
schied zwischen Grundanspannung und akuter Belastung
beispielsweise anhand des Diathese-Stress-Modells zu be- zz Spontanentspannung
sprechen (Margraf u. Schneider 1990). Dazu sollte am Flip- Zur Spontanentspannung geeignet sind Kurzformen der
chart ein solches Modell angezeichnet werden und dabei systematischen Muskelentspannung, autogenes Training,
die Einflussfaktoren auf die Entstehung einer überhöhten Atemübungen oder konzentrative Methoden. Sinnvoll ist
Grundanspannung erläutert werden. Diese hohe Grund- die Spontanentspannung vor allem dann, wenn die Pati-
anspannung kann durch viele verschiedene alltägliche entin bereits über Fähigkeiten zur Entspannungsinduk-
Belastungsfaktoren (z. B. Überbelastung im Beruf) sowie tion verfügt, da diese nicht sofort wirksam ist, sondern
durch überhöhte Leistungsansprüche und dysfunktionale einiger Übungsintervalle bedarf. Wagner-Link (1995) gibt
Grundannahmen („Ich muss immer perfekt sein!“) ent- die muskuläre Entspannung als die am besten geeignete
stehen. Treten zusätzlich zu einer chronisch überhöhten Methode zur kurzfristigen Entspannungsinduktion an. Da-
Grundanspannung akute Belastungen im Alltag auf (z. B. neben nennt sie vegetative Entspannung, wie sie beispiels-
Verlieren des Portemonnaies), ist die individuelle Belas- weise über autogenes Training und Atemtechniken erreicht
tungsgrenze überschritten, und diese Stressoren – auch wird, sowie kognitive und emotionale Entspannungsver-
wenn sie nur relativ klein und unbedeutend sein mögen fahren, welche durch die in ▶ Abschn. 11.3.3 beschriebene
– können nicht mehr bewältigt werden. Dies kann zu ei- Wahrnehmungslenkung und Imagination erreicht wer-
ner überschießenden Gefühlsreaktion wie Wut anstatt nur den kann. Die muskuläre Entspannung wie auch einfache
Ärger führen. Hierdurch kann die individuelle Schwelle für Atemübungen bieten gegenüber anderen Methoden den
das Auftreten eines Essanfalls, aber auch für verstärktes Vorteil, dass sie relativ schnell und einfach zu erlernen
Diätverhalten übertreten werden (. Abb. 11.1). sind und situationsunabhängig ausgeführt werden können
Dieses Diathese-Stress-Modell hat zweierlei Implika- (Wagner-Link 1995; Vaitl und Petermann 2004). Daher
tionen für die Essstörungsbehandlung: Zum einen soll sind sie zum kurzfristigen Erregungsabbau als Ergänzung
angestrebt werden, das Grundanspannungsniveau zu sen- zu den übrigen in diesem Kapitel beschriebenen Techniken
ken, so dass beim Auftreten kleinerer alltäglicher Stresso- geeignet. Die für die Spontanentspannung einzusetzenden
ren („daily hassles“) genügend „Puffer“ vorhanden ist, um Verfahren sind ausführlich in Vaitl und Petermann (2004)
nicht die Schwelle z. B. für Essanfälle zu überschreiten. dargestellt.
Hierzu eignen sich kognitive Techniken zur Modifikation Um eine muskuläre Entspannung herbeizuführen,
dysfunktionaler und stressinduzierender Einstellungen können ähnlich wie bei der progressiven Muskelrelaxa-
(▶ Kap. 10) sowie das Erlernen von Entspannungsver- tion (PMR) nach Jacobson (Vaitl und Petermann 2004)
fahren und einer ausgeglichenen Lebensgestaltung. Diese beispielsweise die Finger zu Fäusten geballt werden und
Techniken werden in ▶ Kap. 12 zum Aufbau sozialer Fer- diese Spannung kann 20 Sekunden lang gehalten werden.
tigkeiten und ▶ Kap. 14 zum Aufbau des Selbstwertgefühls Im Unterschied zur ursprünglichen Form der PMR nach
und positiver Aktivitäten vorgestellt. Jacobson (1990) sind die Anspannungszeiten deutlich
Zum anderen empfiehlt es sich, mit den Patientinnen verkürzt. Nach der Entspannung der Fäuste sollte dem
Techniken zu etablieren, um die durch akute Belastungen entstandenen Entspannungsgefühl der Hand nachgespürt
192 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

1
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3
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14
15 .. Abb. 11.1 Stressmodell (Mod. nach Margraf u. Schneider 1990)

werden. Ähnlich kann mit anderen Körperteilen wie dem solche Koppelung ist beispielsweise eine Ganzkörperent-
16 Oberschenkel oder den Füßen vorgegangen werden. spannung, während welcher die Patientin den ganzen Kör-
Auch das Vorsagen eines Ruhewortes gekoppelt an per kurzzeitig anspannt und wieder locker lässt. Hierbei
17 eine muskuläre Entspannung kann für den gezielten Ein- werden die Arme angewinkelt, Fäuste geballt, Schultern
satz von Spontanentspannungen trainiert werden (Kaluza nach hinten gezogen, der Kopf eingezogen, Bauch, Beine
2005). Zur Identifikation des individuellen „Ruhewortes“ und Po angespannt und die Fersen fest auf den Boden ge-
18 werden die Patientinnen gebeten, sich zu überlegen, wel- stemmt. Zur Koppelung mit dem Ruhewort sollte beim
ches Wort für Sie am besten Entspannung beschreibt. Dies Einatmen der Körper angespannt und beim Ausatmen
19 kann ein Adjektiv sein wie „schwerelos“, „leicht“, „frei“ entspannt werden und gleichzeitig das Ruhewort innerlich
oder ein Nomen wie „Sonne“, „Meer“, „Strand“, „Berge“, ausgesprochen werden.
20 „Schnee“ oder Ähnliches. Manchmal haben die Teilneh- Vegetative Entspannung zielt vor allem auf die Re-
merinnen Schwierigkeiten, für sich ein Ruhewort zu iden- duktion eines sympathisch induzierten Erregungszustan-
tifizieren. Ist dies der Fall, sollte der Therapeut die Patientin des und nicht primär auf die Entspannung der Muskulatur
21 Momente beschreiben lassen, in denen sie entspannt war, ab. Um dies zu erreichen, eignen sich Übungen wie z. B.
und aus dieser Darstellung ein mögliches Ruhewort her- das Beobachten des eigenen Atemmusters oder auch das
22 leiten. Das Ruhewort sollte zur Verstärkung des Effektes an Mitzählen beim Ein- und Ausatmen (Kaluza 2005) oder
eine Entspannungsübung gekoppelt sein. Geeignet für eine ein autogenes Training (Vaitl u. Petermann 2004).
11.3 • Bewältigung von negativen Gefühlen
193 11

Wagner-Link (1995) beschreibt zur Spontanentspan- bei der starke Erregungszustände durch körperliche Akti-
nung zudem das sog. Händereiben. Dabei werden die Pati- vität abgebaut werden und zum anderen durch eine emoti-
entinnen dazu aufgefordert, die Handflächen in schnellen, onale Abreaktion, bei der die vorhandene Emotion ausge-
kleinen Bewegungen aneinander zu reiben, bis sie warm lebt (z. B. Traurigkeit zulassen, weinen) oder thematisiert
sind. Dann werden die Handflächen ineinander ver- wird (besprechen mit einem Freund).
schränkt und dabei eine Kuhle gebildet. Die verschränk- In ▶ Kap. 9 wurden bereits einige körperliche und
ten Hände werden so über die geschlossenen Augen gelegt, emotionale Abreaktionsstrategien zur Verhinderung von
dass diese unter den Handflächen liegen und kein Druck Essanfällen, wie Hände unter kaltes Wasser halten, war-
auf die Augen entsteht. Die Augen bleiben geschlossen, mes Fußbad nehmen u. ä., vorgestellt, die auf kurzfristige
während ruhig weitergeatmet wird. Dieser Zustand wird Ablenkung durch Kältereize oder Beruhigung durch die
mehrere Minuten gehalten, bis die Patientin eine Entspan- Wärme des Wassers abzielen. In der folgenden Übersicht
nung verspürt. sind Beispiele für Strategien der körperlichen und emoti-
Im nachfolgenden Dialog schildert eine Patientin, wie onalen Abreaktion dargestellt, deren Einsatz im Weiteren
sie eine Entspannung hervorruft, indem sie sich ein Glas detailliert vorgestellt wird.
mit kühlem Wasser nimmt, langsam und bewusst einen
Schluck davon trinkt und danach das Glas an die Stirn hält.
Strategien zur kontrollierten Abreaktion

--
Sie atmet dabei ruhig weiter und konzentriert sich auf den
Körperliche Abreaktionen:
Reiz des kühlen Glases an der Stirn.
Treppen hinauf und hinunter laufen
Therapiegespräch
--mit der Faust auf den Tisch hauen
gegen einen Boxsack schlagen

--
Therapeut: – „Wir haben nun einige Beispiele gesammelt, die zu einer
schnellen Entspannung führen können. Haben Sie noch andere Ideen?“ ein Bad nehmen
laut schreien

--
Patientin: – „Was ich manchmal mache und wirklich gut hilft, wenn ich
z. B. beim Lernen ganz panisch werde, weil ich mich nicht konzentrieren mit einem Kopfkissen auf das Bett hauen
kann, ist, dass ich dann ein kaltes Glas Wasser nehme und ganz bewusst Betten machen

--
einen Schluck trinke. Wenn ich dann das Glas an die Stirn halte und Fenster putzen
mich bemühe, bewusst zu atmen und mich auf das Glas an der Stirn zu
Staubsaugen

--
konzentrieren, fühle ich mich auf einmal ganz ruhig.“
Seilspringen
Therapeut: – „Ah. Es scheint, dass Sie durch die Konzentration auf den
Liegestützen machen

--
kühlen Reiz zu einer Beruhigung kommen und zusätzlich unbewusst
eine Atemtechnik einsetzen. Wenn Ihnen das hilft, ist das sehr schön. Altglas wegbringen
Eine ähnliche Technik ist das sog. Händereiben. Ich werde Ihnen diese Altpapier (Kartons) zerreißen
Übung als weitere Alternative demonstrieren. Wichtig ist aber, dass je- Sport treiben (wie Squash, Tennis, Tischtennis, Jog-

--
der für sich eine eigene Möglichkeit zur Beruhigung findet.“
gen, etc.)
Abklopfübung durchführen
die Übung „Rumpelstilzchen“ durchführen

--
In der folgenden Übersicht sind alle beschriebenen Übun-
Emotionale Abreaktionen:
gen als Schlagworte aufgelistet.
stark emotionalen Film ansehen
Freundin/Freund anrufen und sich den Druck „von

-
Übungen zur Spontanentspannung
muskuläre An- und Entspannungsübung mit ver-
--
der Seele reden“
vor sich hin schimpfen

-- schiedenen Körperteilen
Atemübungen
-
Brief schreiben
laut der Stimmung entsprechende Musik hören und

-- Ruheformel
Händereiben
(konzentriertes Trinken)
dabei mitsingen

Diese Techniken zur Abreaktion sollten dann Verwendung


finden, wenn eine besonders starke Aktivierung wie bei
zz Kontrollierte Abreaktion Ärger oder Wutgefühlen vorhanden ist. Strategien zur
Neben den oben beschriebenen Entspannungsverfahren Beruhigung oder Ablenkung sind eher bei Gefühlen wie
können Techniken zur kontrollierten Abreaktion zur kurz- Langeweile, Traurigkeit u. ä. einzusetzen. Bei der Vermitt-
fristigen Senkung des Anspannungsniveaus eingesetzt wer- lung der Techniken zur kontrollierten Abreaktion sollte
den. Diese Abreaktion kann auf zwei verschiedene Arten darauf verwiesen werden, dass sie nur dem kurzfristigen
geschehen: zum einen durch eine körperliche Abreaktion, Einsatz dienen sollten, wenn keine andere Bewältigungs-
194 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

möglichkeit wie Klärung des Konfliktes möglich ist, da Analog dazu sollte für jede Patientin eine Beispielsituation
1 einige dieser Techniken auf andere Menschen manchmal bestenfalls mit unterschiedlichen emotionalen Auslösern
bedrohlich wirken können, etwa wenn man voll Wut auf besprochen werden. Wichtig ist auch, dass diese Strategien
2 einen Boxsack schlägt oder auf das Bett trommelt. Zudem zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden, bevor ein Kon-
sollte die Aggression nie gegen einen anderen Menschen trollverlust stattfindet. Ähnlich dem von Linehan (1996) bei
oder direkt gegen sich selbst gewendet werden, wie das bei der Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung defi-
3 selbstverletzendem Verhalten in Form von Sich-Schneiden, nierten „point of no return“ geht es auch bei der Emotions-
Kneifen oder Schlagen der Fall ist. Der Einsatz dieser Stra- regulation von Patientinnen mit Essstörungen darum, in der
4 tegien sollte daher gezielt für die jeweilige Situation erfol- Handlungskette den Zeitpunkt des richtigen Einsatzes der
gen und dabei so kontrolliert ausgeführt werden, dass kein Technik abzupassen. Auf die Wahl dieses Zeitpunktes wird
5 Schaden für sich selbst oder andere daraus erfolgt. Um den in ▶ Abschn. 11.3.3 noch einmal detailliert eingegangen.
Patientinnen zu verdeutlichen, wann welche Strategie zur Neben einfachen Tätigkeiten wie Treppenlaufen, ge-
Abreaktion kontrolliert eingesetzt werden kann, sollte an- gen einen Boxsack oder Kissen schlagen, putzen, sportliche
6 hand der Gefühlslandkarte zu den verschiedenen Gefühlen Tätigkeiten ausführen oder Altpapier/Altglas entsorgen,
jeweils eine mögliche Strategie der körperlichen und ggf. können zwei weitere gezielte Übungen zur körperlichen
7 emotionalen Abreaktion erarbeitet werden. Abreaktion vorgeschlagen werden. Dies ist zum einen das
Dazu wird gemeinsam mit den Patientinnen für jedes sog. Abklopfen, zum anderen das „Rumpelstilzchen“ (Ka-
Gefühl eine Beispielsituation identifiziert und die jewei- luza 2005; Linehan 1996).
8 lige Strategie, die verwendet werden könnte, exemplarisch Die Übung Abklopfen beinhaltet ein leichtes Schlagen
herausgearbeitet. Im folgenden Textbeispiel ist die Durch- des Körpers mit flachen Händen. Dazu setzen sich die Teil-
9 führung dieser Intervention dargestellt. nehmerinnen mit ausgestreckten Beinen auf den Boden.
Zuerst wird ein Bein angewinkelt und die Fußsohle abge-
10 Therapiegespräch klopft, dann über den ganzen Fuß, Knöchel, Unterschenkel,
Therapeut: – „Ich möchte mit Ihnen nun sog. kurzfristige Abreaktions- Knie und Oberschenkel das ganze Bein bzw. beide Beine
strategien erarbeiten, die in starken Erregungs- und Anspannungszustän- abgeklopft, weiter wird dann über den Po, Bauch, Brustbe-
11 den eingesetzt werden können. Wir haben schon bei der Besprechung
reich, über die Schultern zu den Oberarmen, Ellenbogen
der Hilfen bei einem starken Drang zu essen einige Strategien, wie den
Kopf unter kaltes Wasser halten oder ein warmes Fußbad nehmen, erar-
und Unterarmen, Händen und abschließend vom Halsbe-
12 beitet. Ich möchte nun mit Ihnen noch einmal für weitere Gefühle wie reich über den Hinterkopf zum Gesicht jeder Körperteil ab-
Kummer, Wut, Zorn, Ärger und Ähnliches kurzfristige Strategien heraus- geklopft. Das Klopfen sollte je nach Körperpartie mehr mit
arbeiten, die Ihnen helfen können, sich entweder körperlich oder gefühls- der ganzen Handfläche oder nur mit den Fingerspitzen bzw.
13 mäßig abzureagieren. Können Sie vielleicht eine Situation aus der nahen
leichter und schneller bzw. langsamer erfolgen. Nachdem
Vergangenheit beschreiben, in der Sie ein starkes Ärgergefühl hatten?“
der ganze Körper abgeklopft wurde, sollen Ausstreichungen
14 Frau S.: – „Ja, vorgestern ist mein Freund statt wie verabredet mit mir ins
Kino zu gehen einfach mit seinem Kumpel etwas trinken gegangen. Ich
erfolgen. Dazu werden zunächst die Beine in Richtung Po
hab nichts gesagt, als er kurz angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass und Bauch hochgestrichen, die Bewegung fließend über
15 er nach dem Fußballtraining mit Klaus ein Bier trinken gehen will, aber den Rumpf hin zu den Armen fortgesetzt und über die
ich saß zu Hause und habe innerlich gekocht vor Wut. Ich war so sauer! Hände „ausgestrichen“. Abschließend steht die Patientin
Das hat dann damit geendet, dass ich einen riesigen Essanfall hatte.“
auf, und die Arme werden ausgeschüttelt. Die Übung dient
16 Therapeut: – „Okay, das Gefühl war also Ärger und Wut. Diese Gefühle dazu, die Wahrnehmung auf den Vorgang des Klopfens zu
bringen ja eine Menge Energie hervor, wie wir bereits besprochen ha-
ben. Ihr Freund war aber nicht da, um sich mit Ihnen auseinanderzuset-
lenken, zudem findet eine Aktivierung des Körpers durch
17 zen. Was wäre also eine gute und gesunde Möglichkeit gewesen, die in das Abklopfen statt. Es ist eine recht einfache Übung, die
diesem Moment überschüssige Energie abzubauen?“ schnell und effektiv eingesetzt werden kann.
Die Übung „Rumpelstilzchen“ kann orts- und situ-
18 Frau S.: – „Vielleicht könnte man in solchen Momenten ja putzen, auf-
räumen oder Sachen ausmisten.“ ationsunabhängig durchgeführt werden. Dabei werden
Therapeut: – „Das ist sehr gut. Ausmisten könnte ja zum Beispiel auch abwechselnd der linke und rechte Fuß bewusst fest und
19 sein, das Altpapier zu zerreißen, um diese Energie abzubauen. Eine kräftig auf den Boden aufgestampft, wobei die Intensität
andere wäre, einen Spaziergang um den Block zu machen oder in ein
Kissen zu schreien. Fallen Ihnen noch mehr dieser Möglichkeiten ein?“
des Stampfens langsam gesteigert wird. Beim Hochnehmen
20 Frau S.: – „Naja, ich hätte ja auch eine Freundin anrufen können, um
des Beins sollte eingeatmet und beim Aufstampfen ausge-
meinem Ärger Luft zu machen.“ atmet werden. Nach ca. 10-mal Stampfen werden die Beine
ausgeschüttelt. Abschließend sollte einen Moment bewusst
21 Therapeut: – „Ja, das wäre sicher auch eine Möglichkeit. Das wäre dann
eher eine emotionale Art der Abreaktion gewesen, bei der Ihnen ihre verweilt und sich auf die Empfindungen in den Beinen und
Freundin geholfen hätte. Eine andere Möglichkeit wäre, sich einen Film Füßen konzentriert werden. Abschließend werden die Er-
22 anzusehen, der starke Gefühle hervorruft, um die aktuellen Gefühle
abbauen zu können.“
lebnisse besprochen und erörtert, wie diese Mechanismen
im Alltag Anwendung erfahren könnten.
11.3 • Bewältigung von negativen Gefühlen
195 11
11.3.3 Kognitive Techniken gebeten, sich ihr Ruhebild vor dem inneren Auge zu ver-
gegenwärtigen. Dazu wird die folgende Übungsanleitung
In ▶ Kap. 10 wurden ausführlich kognitive Techniken zur gegeben.
Modifikation von Grundannahmen und automatischen Ge-
danken vorgestellt. Im Rahmen der Emotionsregulation soll Anleitung
nun noch einmal vertiefend auf schnell anwendbare Tech- für Arbeitsblatt 11.5 Ruhebild
Bitte schließen Sie die Augen. Konzentrieren Sie sich zunächst auf Ihren
niken zur Verminderung der aus den negativen Gedanken
Atem. Atmen Sie langsam tief ein und aus und zählen Sie dabei langsam
resultierenden Gefühle eingegangen werden. Ziel ist es bei bis zehn. Wenn Sie bei zehn angekommen sind, stellen Sie sich bitte ihr
diesen Interventionen, über den Einsatz kognitiver Techni- Ruhebild vor. Versuchen Sie, alle Details der Umgebung genau wahrzu-
ken eine Beruhigung herbeizuführen, so dass der Fokus da- nehmen. Erinnern Sie sich daran, wie Sie sich in diesem Moment gefühlt
mit auf der emotionsregulierenden Wirkung der kognitiven haben … frei, leicht, unbeschwert … genießen Sie die Umgebung und
versuchen Sie sich den Geruch vorzustellen, die Geräusche nachzuhö-
Technik liegt. Zu diesen Interventionen zählen vor allem die
ren. Verweilen Sie nun einen Moment in diesem Bild und kommen Sie
Wahrnehmungslenkung auf innere Reize und das Führen zurück, wenn Sie das Gefühl haben, entspannt zu sein.
positiver Selbstgespräche (Wagner-Link 1995; Scholz 2001).

zz Wahrnehmungslenkung auf innere Reize Nachdem diese Übung exemplarisch durchgeführt wurde,
Wie bereits beschrieben, gehen Essanfällen meist Belas- werden die Patientinnen gebeten, die Ruhebildübung am
tungssituationen voraus (▶ Kap. 9). Diese sind häufig mit besten morgens vor dem Aufstehen einmal durchzuführen,
negativen und selbstabwertenden Gedanken verbunden, um in schwierigen Situationen möglichst rasch in das Bild
welche zum Aufbau eines negativen Gefühlszustandes füh- eintauchen zu können.
ren und auch bei Patientinnen mit Anorexia nervosa wird Alternativ kann auch das Imaginieren eines positiven
davon ausgegangen, dass negative Gefühlszustände das Ereignisses durchgeführt werden. Bei der Imagination
Essverhalten ungünstig beeinflussen. Eine Möglichkeit für sollte auf nicht belastende, neutrale oder positive Aktivitä-
die Patientinnen, diesen negativen Gefühlen zu begegnen, ten oder Ereignisse wie Freizeitaktivitäten, Urlaub, Hobbys,
kann die Wahrnehmungsumlenkung auf innere Reize wie nette Menschen, Lustiges, schöne Tagträume etc. fokus-
etwa Vorstellungsbilder, die Imagination eines positiven siert werden. Zudem kann diese Übung auch die Vorstel-
Ereignisses in Form einer Geschichte oder aber auf externe lung eines erfolgreichen Abschlusses einer Aufgabe oder
Reize, welche intensiv betrachtet werden, sein. die Vorstellung, in den lang ersehnten Urlaub zu gehen,
Vorstellungsbilder können aus individuellen Erinne- beinhalten. Als Beispiel kann den Patientinnen folgendes
rungen bestehen, welche mit einem besonders angeneh- Fallbeispiel vorgelesen werden.
men Gefühl verbunden sind. Dabei geht es darum, sich
dieses Bild vor das „innere Auge“ zu holen und sich auf die Fallbeispiel Frau M.
damit verbundenen Empfindungen, Gerüche und Geräu- Wenn ich mich besonders mies fühle, dann stelle ich mir im-
sche zu konzentrieren (▶ Kap. 14; Imaginationsverfahren). mer vor, wie ich mich nach meiner letzten Abi-Klausur gefühlt
Zur Erarbeitung eines solchen Vorstellungsbildes kön- habe. Das war so befreiend, und ich war so stolz auf mich und
nen die Teilnehmerinnen der Reihe nach bezüglich einer glücklich, dass alles hinter mir liegt. Ich fühle noch die Erre-
besonders schönen und intensiven Erfahrung befragt wer- gung, das Gefühl, dass jetzt die Karten neu gemischt sind und
den. Es können dazu Beispiele wie Erinnerungen an einen mir die Welt zu Füßen liegt.
Urlaub am Strand, das Liegen auf einer Wiese oder das
Wandern durch eine Berglandschaft, das Knistern eines Wichtig ist, dass bei dieser Vorstellungsübung vor allem
Kaminfeuers oder die angenehme Wärme von Badewasser das Gefühl des Erfolgs, der eigenen Fähigkeiten im Vor-
in der Wanne bzw. im Whirlpool gegeben werden. Die ein- dergrund steht und das Gefühl des Versagens hierdurch
zelnen Patientinnen werden dann gebeten, zu überlegen, ersetzt wird. Auch dies kann analog zu dem oben darge-
ob sie sich an eine solche Situation erinnern können. Jede stellten Vorgehen in der Gruppe eingeübt werden. Das
Patientin soll nun zunächst diese Situation in der Gruppe heißt, dass zunächst mögliche positive Ereignisse oder
beschreiben. Wenn genug Zeit ist, kann Arbeitsblatt 11.5 Erfolgserlebnisse gesammelt werden und die einzelnen
„Ruhebild“ (▶ http://extras.springer.com) dazu verwendet Patientinnen diese in der Gruppe vorstellen. Danach wird
werden. Die Patientinnen beschreiben dabei zunächst die die Übung in der Gruppe einmal durchgeführt.
von ihnen vorgestellte Situation auf dem Arbeitsblatt und
stellen sie erst dann in der Runde vor (Beispiel in Arbeits- Anleitung
blatt 11.5B . Abb. 11.6 ). zur Vorstellungsübung
Bitte schließen Sie nun noch einmal die Augen und konzentrieren Sie
Im Anschluss an die Vorstellung wird eine „Probe-Ima-
sich auf Ihren Atem. Zählen Sie dabei langsam bis zehn. Wenn Sie bei
gination“ durchgeführt. Hierbei werden die Patientinnen
196 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

zehn angekommen sind, lassen Sie die Erinnerung an ein Erfolgserlebnis kann sowohl positive Handlungsanweisungen („Ich werde
1 auftauchen. Versuchen Sie, sich in diese Situation hineinzuversetzen. Wel- jetzt mit fester Stimme sagen, dass ich die Arbeit nicht mehr
che Menschen waren anwesend, wie haben diese sich Ihnen gegenüber
verhalten? Wie haben Sie sich gefühlt, was haben Sie gesagt oder getan?
erledigen kann“) als auch Ermutigungen („Ich werde das
2 Vergegenwärtigen Sie sich das Gefühl in dieser Situation und lassen Sie schon schaffen“) beinhalten. Um den Patientinnen das Vor-
sich ganz darauf ein. Bleiben Sie einen Moment in diesem Gefühl. Wenn gehen zu verdeutlichen sollte zunächst exemplarisch eine
Sie den Zeitpunkt für gekommen halten, kehren Sie in den Raum zurück belastende Situation einer Teilnehmerin vorgestellt werden.
3 und nehmen Sie das vorherrschende Gefühl mit in die Gegenwart. Diese wird auf dem Flipchart in Stichworten festgehalten
Anschließend wird die Übung besprochen, und die Er- und analog früherer Situations- und Verhaltensanalysen in
4 fahrungen der Teilnehmerinnen werden gesammelt. Den emotionale und kognitive Aspekte aufgeteilt. Durch Nach-
Patientinnen kann empfohlen werden, diese Imaginations- fragen werden mögliche Gedanken, die der Patientin in der
5 übung häufiger durchzuführen, um sich aus dem Alltag he- Situation durch den Kopf gingen, eruiert und notiert. Dann
rauszuziehen und ein positives Gefühl aufzubauen. Sinn- erfolgt eine Einschätzung durch alle Teilnehmer, wie positiv
voll ist es, sich bestimmte „Marker“ dafür zu setzen, um bzw. negativ diese Gedanken auf einer Skala von 0 (sehr
6 sich an diese Vorstellungsübung zu erinnern, etwa, bezo- negativ) bis 100 (sehr positiv) einzustufen sind.
gen auf das Beispiel von Frau M., das Foto der Abiturzeug- An dieser Stelle sollte vom Therapeuten noch mal auf
7 nisübergabe in die Handtasche stecken. Ziel dieser beiden den Einfluss von Gedanken auf Gefühle verwiesen wer-
Übungen ist es, die Fähigkeit positive Gefühle aufzurufen den (Arbeitsblatt 11.3), um die Wichtigkeit der positiven
zu stärken und zu lernen diese in besonders schwierigen Reformulierung nochmals zu betonen. Um eine positive
8 Situationen oder Zuständen einzusetzen. Selbstinstruktion zu erarbeiten, muss zuvor analog zur be-
Ähnlich kann auch der Einsatz äußerer Ablenkungs- reits eingeübten kognitiven Umstrukturierung (▶ Kap. 10)
9 reize gehandhabt werden. Da hierzu keine Imaginations- eine mögliche Alternative bzw. das Verhaltensziel in der
fähigkeiten notwendig sind, kann diese Übung auch bei Situation identifiziert werden. Im Anschluss daran können
10 Patientinnen hilfreich sein, die sich nicht gut auf die Vorstel- mögliche positive Selbstinstruktionen formuliert werden.
lungsübungen einlassen können. Beim Einsatz von äußeren Abschließend wählt diejenige Patientin, deren Beispielsitu-
Ablenkungsreizen geht es darum, einen Gegenstand wie ein ation gerade besprochen wurde, eine mögliche Ermutigung
11 Bild, Blumen oder Parfum, also etwas, woran man riechen für sich aus und probiert diese im Verlauf der Woche aus.
kann, auszuwählen und sich auf diesen Gegenstand zu kon- Im Folgenden ist exemplarisch ein Therapiegespräch
12 zentrieren. Es kann aber auch ein Bild verwendet werden, zur Erarbeitung positiver Selbstinstruktionen dargestellt.
das in einem Moment starker Anspannung betrachtet wird
und möglichst jedes Detail wahlweise im Geiste oder laut
13 beschrieben wird. Falls es ein Parfüm oder ein Riechfläsch-
Therapiegespräch
Therapeut: – „Frau M., Sie haben beschrieben, dass Sie es als sehr belas-
chen ausgewählt wird, sollte daran gerochen werden und tend empfinden, wenn Sie alleine zu Hause sind, keine Verabredung ha-
14 versucht werden, die einzelnen Geruchselemente herauszu- ben und Sie niemand anruft. Dies sind Situationen, in denen Sie häufig
einen Essanfall haben, weil Sie denken, dass Sie keiner mag. Wir haben
finden (▶ Kap. 14). Im Vordergrund bei dieser Vorgehens- nun den Zusammenhang besprochen, der zwischen dem Gefühl des
15 weise steht vor allem die „Aufmerksamkeitsumlenkung“, alleine seins und der Situationsbewertung, dass sie keiner mag, besteht.
wie dies bereits ▶ Kap. 9 im Zusammenhang mit der Ver- Haben Sie eine Idee, was Ihnen in dieser Situation helfen könnte, ein
hinderung von Essanfällen ausführlich beschrieben wurde. positiveres Gefühl zu entwickeln?“
16 Frau M.: – „Ja, ich müsste mir sagen, dass ich Freunde habe und nicht
zz Führen positiver Selbstgespräche alleine bin.“

17 Neben der Vorstellung von Ruhebildern und Erfolgserleb- Therapeut: – „Ja, das wäre eine gute Alternative für den negativen
Gedanken. Gibt es denn auch eine Selbstinstruktion, wie wir das eben
nissen ist das Führen von Selbstgesprächen im Kopf eine besprochen haben, die Ihnen helfen könnte, in der Situation etwas Po-
weitere Möglichkeit zum Umgang mit kurzfristigen Belas-
18 tungssituationen. Diese Technik basiert darauf, dass Gefühle
sitives zu tun, um wieder ein gutes Gefühl zu bekommen?“
Frau M.: – „Ja, ich könnte mir zum Beispiel sagen – lass dich nicht so
und Verhalten meist von Gedanken in Form eines „inne- hängen, ruf einfach mal Isa oder Petra an, irgendjemand wird schon da
19 ren Dialogs“ begleitet werden. Ähnlich wie bereits bei der sein. Ich hab es ja selbst in der Hand.“
Übung „Engelchen und Teufelchen“, dargestellt in ▶ Kap. 10, Therapeut: – „Ja, sehr gut. Das wäre sowohl eine positive Selbstinst-

20 wird hier also ein Selbstgespräch geführt, welches das Ver- ruktion, etwas zu tun und das zweite „Ich hab es ja selbst in der Hand“
wäre so etwas wie eine Ermutigung. Was glauben Sie, würde daraus für
halten positiv beeinflussen soll. Anders als bei der Abwä- eine Gefühl entstehen?“
gung von Pro- und Kontra-Argumenten, geht es bei der po-
21 sitiven Selbstinstruktion nicht um die Hinterfragung eines
Frau M.: – „Naja, Hoffnung halt und Energie, aktiv zu werden.“

negativen Gedankens, sondern um die Formulierung eines


22 positiven oder neutralen Gedankens, der dem negativen Anhand des Dialogs wird deutlich, dass es bei dem Einsatz
entgegensteht (Meichenbaum 1991). Diese Selbstinstruktion von positiven Selbstinstruktionen vor allem um die Anlei-
11.5 • Arbeitsblätter
197 11

tung zur Handlung und damit das Erleben von Selbstkon- sollten letztendlich zu einer alternativen Verhaltensweise
trolle geht. Dies ist damit ein wichtiger Schritt, um Erre- führen, z. B. sich zu entscheiden, stattdessen fernzusehen,
gung kurzfristig abbauen zu können. bis der Freund kommt, und wenn dieser erscheint, nach-
zufragen und seine Erklärung anzuhören.
Idealerweise wird eine individuelle Belastungssituation
11.3.4 Einsatz der vermittelten Techniken von jeder Patientin als Beispiel am Flipchart erarbeitet und
die Handlungskette daraus abgeleitet. Für jeden einzelnen
Die Patientinnen sollten ein Gefühl bzw. Wissen über Handlungsschritt wird dann überlegt, ob und wie die Ver-
den richtigen Zeitpunkt des Einsatzes der verschiedenen haltenskette durch welche Strategie unterbrochen werden
oben dargestellten Techniken entwickeln, um eine Es- kann.
kalation im Sinne des Übertretens der Gefühlsschwelle
(▶ Abschn. 11.3.1) zu vermeiden und wirkungsvoll einen
Essanfall verhindern zu können. Es sollte daher darauf 11.4 Zusammenfassung
geachtet werden, den „point of no return“, den Zeitpunkt,
an dem eine bewusste Veränderung der Gefühlsreaktion
nicht mehr möglich ist, zu erkennen, also z. B. wann das
Verlangen zu essen oder zu erbrechen so stark geworden
- Zunächst wird die Entstehung von Gefühlen bespro-
chen. Dazu werden die Basisemotionen eingeführt
und mögliche Mischemotionen abgeleitet. Im An-
ist, dass er nicht mehr bewältigt werden kann. Dabei sollte schluss daran werden die Patientinnen für die Wahr-
insbesondere betont werden, dass eine frühe Interven- nehmung von Gefühlen über verschiedene Übungen
tion immer einfacher ist und meist auch bessere Erfolgs- wie beispielsweise dem „Gefühlsbild“ sensibilisiert
chancen hat als eine spätere. Um dieses Ziel zu erreichen, und es wird die Funktion von Gefühlen thematisiert.
sollten exemplarisch eine Handlungskette erstellt und Abschließend wird darauf fokussiert, woran unter-
mögliche Interventionszeitpunkte und geeignete Techni-
ken ausgewählt werden (Arbeitsblatt 11.6 ▶ http://extras.
springer.com). Eine Handlungskette schließt dabei die
einzelnen Handlungsschritte in einer Belastungssituation
- schiedliche Gefühle erkannt werden können.
Auf dieser Basis werden Interventionen zur Bewälti-
gung von Gefühlen etabliert, welche den palliativ-re-
generativen Verfahren und den kognitiven Techniken
ein, welche möglicherweise zu einem Essanfall oder gene- zugerechnet werden. Zu den palliativ-regenerativen
rell zu einer übermäßigen Gefühlsreaktion führen kann. Techniken zählen dabei Methoden der Spontanent-
In Arbeitsblatt 11.6B (. Abb. 11.7) ist exemplarisch spannung wie muskuläre Kurzentspannung, vegeta-
eine solche Handlungskette mit alternativen Verhaltens- tive Formen der Entspannung (Atemübungen und
weisen dargestellt. Diese kann den Patientinnen als Bei- autogenes Training) und kontrollierte körperliche
spiel vorgegeben werden. Das Beispiel beschreibt, dass der und emotionale Abreaktionen. Kognitive Techniken
Freund einer Patientin den geplanten Kinobesuch absagt. beinhalten die Aufmerksamkeitsumlenkung, die
Der ursprüngliche Gedanke der Patientin ist: „Der hat Einführung von Ruhebildern und das Einüben von
bestimmt keine Lust mit mir wegzugehen. Der liebt mich
nicht mehr.“ Dieser Gedanke geht mit einem Gefühl von
innerer Unruhe, Ärger und Hilflosigkeit einher und führt
dazu, dass die Patientin hin und herläuft und mehrfach
- positiven Selbstinstruktionen.
Abschließend sollten die eingeübten Techniken
anhand von Verhaltensketten auf mögliche Einsatz-
punkte überprüft werden.
versucht, ihren Freund auf dem Handy anzurufen, ohne
Antwort zu erhalten. Als ihr Partner dann nach Hause
kommt, will sie wissen wo er gewesen sei, und es entbrennt 11.5 Arbeitsblätter
ein Streit. Mit den Patientinnen soll nun gemeinsam über-
legt werden, an welcher Stelle die eben besprochenen Tech-
- Arbeitsblatt 11.1B Landkarte der Gefühle
niken eingesetzt werden könnten. Geeignet erscheint der
Zeitpunkt, an welchem die Gedanken auftreten, dass der
- (. Abb. 11.2)
Arbeitsblatt 11.2B Begleitzustände von Gefühlen
Partner keine Lust hat, mit ihr wegzugehen. Hier könnte
im Sinne einer positiven Selbstinstruktion eine alternative
- (. Abb. 11.3)
Arbeitsblatt 11.3B Modell zum Zusammenhang von
Handlung angestrebt werden, z. B. „Dann nutze ich die
Zeit jetzt für mich“. Emotionale oder körperliche Abre-
-- Gedanken, Gefühlen und Verhalten (. Abb. 11.4)
Arbeitsblatt 11.4B Gefühlsprotokoll (. Abb. 11.5)
aktionen, nachdem der Gedanke aufgetreten ist, wären
z. B. schimpfen oder eine Freundin anrufen, mit der Faust
auf den Tisch hauen, eine Atemübung machen oder die
Hände reiben. Diese Strategien zur Emotionsregulation
- Arbeitsblatt 11.5B Ruhebild (. Abb. 11.6)
Arbeitsblatt 11.6B Situation und Reaktion
(. Abb. 11.7)
198 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 11.1 Headline-2 Seite
Landkarte der 1
Gefühle| | Seite 1
2
3 Landkarte der Gefühle
Hier finden Sie die „Landkarte der Gefühle“. Dabei stellen folgende (Grund-)Emotionen die Länder dar: Interesse, Ekel,
4 Verachtung, Trauer, Traurigkeit, Scham, Ärger, Angst, Neid, Zuneigung und Freude. Diesen Emotionen können verwandte
Emotionszustände zugeordnet werden. Die Länder sind um das Gefühl „Neutralität“ herum angeordnet. Ihre Aufgabe

5 ist es nun, zu überlegen, welche weiteren Gefühlszustände Sie den unterschiedlichen Ländern zuordnen können. Dabei
sollten Gefühle mit geringerer Intensität näher am Land „Neutralität“ liegen, sehr intensive Gefühlszustände weiter weg
davon. Gefühlszustände, die nicht eindeutig einer Grundemotion (also einem Land) zugeordnet werden können, können
6 Sie auch als Brücke zwischen zwei Länder legen.

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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 11.2 Arbeitsblatt 11.1B Landkarte der Gefühle


11.5 • Arbeitsblätter
199 11

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 11.2 | Begleitzustände von Gefühlen | Seite 1

Begleitzustände von Gefühlen


In der Alltagssprache verwenden wir die Bezeichnung „Gefühl“, um verschiedene Befindlichkeiten auszudrücken.
Das können zum einen Gefühle wie bspw. Freude, Trauer oder Wut sein. Diesen Gefühlen können aber auch physiologi-
sche (körperliche) Begleiterscheinungen oder aber auch Gedanken zugeordnet werden. Bitte überlegen Sie anhand von
Beispielen, welchen Gefühlen Sie welchen Gedanken oder körperlichen Begleitzustand zuordnen würden.

(UU|WHQ
Gefühl
.OR‰JHIKO
:87 LP+DOV
Gedanken Körperliche
und Ein- Begleit-
schätzungen symptome =LWWHUQ
,FKIKOHPLFK
XQJHUHFKW =LHKHQLP
EHKDQGHOW %DXFK

+HU]UDVHQ

(UU|WHQ
,FKN|QQWH Gefühl
DXVJHODFKW $QJVW WURFNHQHU0XQG
ZHUGHQ
Gedanken Körperliche
und Ein- Begleit- ZHLFKH.QLH
,FKIKOH schätzungen symptome
PLFK
XQVLFKHU VFKZLW]LJH
+lQGH

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 11.3 Arbeitsblatt 11.2B Begleitzustände von Gefühlen


200 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Material 1.1 11.3


Arbeitsblatt | |Headline-2 | Zusammenhang
Modell zum Seite 1 von Gedanken, Gefühlen und Verhalten | Seite 1
2
3 Modell zum Zusammenhang von Gedanken, Gefühlen und Verhalten

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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 11.4 Arbeitsblatt 11.3B Modell zum Zusammenhang von Gedanken, Gefühlen und Verhalten
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 11.4 | Gefühlsprotokoll | Seite 1


11.5 • Arbeitsblätter

Gefühlsprotokoll
Bitte beobachten Sie sich 2–3mal am Tag und achten darauf, wie es Ihnen gerade geht. Notieren Sie dann, welches
Gefühl in diesem Moment vorherrschend war und beschreiben die unterschiedlichen Komponenten des Gefühls,
das Sie wahrgenommen haben. Bei Schwierigkeiten der Benennung des Gefühls beschreiben Sie bitte einfach die
übrigen Bereiche wie Gedanken, körperliche Begleiterscheinungen, gegebenenfalls situationale Merkmale.

Datum Uhrzeit Gefühl Gedanken/ Einschät- Körperliche Begleiter- Situationale Merkmale

.. Abb. 11.5 Arbeitsblatt 11.4B Gefühlsprotokoll


zungen scheinungen

 K 7UDXULJ )KOHPLFKXQJH .OR‰LP+DOV %LQDOOHLQHNHLQHUUXIWDQ9HUDEUHGXQJ


OLHEW JHSODW]W

 K )UHXGH6WRO] )KOHPLFKEHVWlUNW .ULEEHOQLP%DXFK .RPPHYRP-RJJHQ


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201

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
11
202 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 11.5 Headline-2
Ruhebild | |SeiteSeite
1 1
2
3 Ruhebild
Bitte erinnern Sie sich an einen schönen Urlaub oder eine andere positive Situation, in der Sie sich sehr wohl und unbe-
4 schwert gefühlt haben. Beschreiben Sie die Situation detailliert mit Angaben zu Geräuschen, Gerüchen, der Umgebung
und Ihren eigenen Gefühlen. Wenn Sie mit der Beschreibung fertig sind, versuchen Sie, sich auf diese Situation zu kon-

5 zentrieren und sich vorzustellen, dass Sie sich gerade in dieser Situation befinden. Wichtig ist zu versuchen, die Gefühle,
Geräusche und Gerüche möglichst real nachzuempfinden.

6 Umgebungsbeschreibung:

7 ,FKVFKZLPPHLP%DJJHUVHH
(VLVWEHZ|ONWXQGHVVLQGNDXP/HXWHGD'DV:DVVHULVWDQJHQHKP
NKO'HU:LQGZHKWEHUGLH:DVVHUREHUIOlFKH,FKDWPHGLHIULVFKH%ULVHHLQ
8 3O|W]OLFKNRPPWGLH6RQQHUDXV

9
10 Geräusche:

'LH%OlWWHULQGHQ%lXPHQUDXVFKHQGDV:DVVHUSOlWVFKHUWXQGVFKOlJWOHLFKWH
11 :HOOHQ,FKK|UHPHLQHQ$WHPZLHHUHLQXQGDXVVWU|PWJOHLFKPl‰LJ

12
13
Gerüche:
14
(VGXIWHWQDFK6RPPHUQDFK%OWHQ'DV:DVVHUULHFKWIULVFK

15
16
17
Gefühl:
18 ,FKIKOHPLFKXQJODXEOLFKOHEHQGLJIUHLOHLFKWXQGXQEHVFKZHUW,FKN|QQWHDOOHV
XPPLFKKHUXPYHUJHVVHQ

19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 11.6 Arbeitsblatt 11.5B Ruhebild


11.5 • Arbeitsblätter
203 11

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 11.6 | Situation und Reaktion | Seite 1

Situation und Reaktion


In emotional belastenden Situationen ist es oft schwierig, so zu reagieren wie man es eigentlich möchte. Daher ist es
sinnvoll, schon früh in der Situation gegenzusteuern. Mit dem vorliegenden Arbeitsblatt sollen Sie nun beispielhaft
anhand einer kürzlich aufgetretenen emotionalen Belastungssituation durchgehen, an welchen Punkten Sie den Lauf der
Situation positiv hätten verändern können.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 11.7 Arbeitsblatt 11.6B Situation und Reaktion


204 Kapitel 11 • Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation

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205 12

Techniken zur Verbesserung


sozialer Kompetenzen
T. Legenbauer, S. Vocks

12.1 Einleitung – 206


12.2 Kommunikationstraining – 206
12.2.1 Nonverbale Aspekte der Kommunikation – 207
12.2.2 Verbale Kommunikationsfertigkeiten – 209
12.2.3 Einführen eines Kommunikationsmodells – 210

12.3 Aufbau selbstsicheren Verhaltens – 213


12.3.1 Interventionen zur Steigerung von selbstsicherem Verhalten – 214
12.3.2 Vermittlung eines Problemlöseschemas – 215

12.4 Zusammenfassung – 216


12.5 Arbeitsblätter – 216
Literatur – 229

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
206 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1
-
Ziel
Sensibilisieren für mögliche Schwierigkeiten in der
in verschiedenen Situationen flexibel und angemessen zu
verhalten, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Dazu ist

2 -- Kommunikation
Vermittlung von Kommunikationsstrategien
Vermittlung von Grundlagen zu selbstsicherem Ver-
es wichtig, Merkmale einer interpersonellen Situation zu
erkennen und diese richtig einzuordnen. Im Rahmen des
Trainings sozialer Kompetenzen werden daher verschie-
3
4
- halten in interpersonalen Situationen
Erlernen von Konfliktlösungs- und Problemlösetech-
niken
dene Situationstypen unterschieden, die unterschiedliche
Verhaltensweisen erfordern. Hierzu zählen das Durchset-
zen eigener Rechte, die Aufrechterhaltung von Beziehun-
gen und der Sympathieerwerb (Pfingsten u. Hinsch 1998).

5 -
Vorgehen
Übung nonverbaler Fertigkeiten in der Kommunika-
Neben der richtigen Einordnung der Situation er-
fordert ein sozial kompetentes Verhalten zudem weitere

6 -- tion
Übungen zum direkten Ansprechen von Gefühlen
Einführung und Diskussion eines Kommunikations-
Fertigkeiten in der konkreten Umsetzung wie nonverbale
Kommunikationskompetenzen, d. h. adäquate Mimik,
Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung und Stimme sollten

7 -- modells
Ableitung von Kommunikationsregeln
der jeweiligen sozialen Situation angemessen ausgedrückt
werden (▶ Abschn. 12.2), und angemessene verbale Äu-

- Definition von Merkmalen selbstsicheren Verhaltens


Durchführung von Rollenspielen zur Steigerung der
ßerungen, welche sich auf die direkte, eindeutige und
konkrete Formulierung eigener Bedürfnisse und Gefühle

-
8 Selbstsicherheit beziehen (▶ Abschn. 12.3). Daneben sind interpersonell-
Identifikation von Konfliktsituationen und deren situative Aspekte wie soziale Regeln oder personen- bzw.
9
10 - Auslösern
Anwendung bzw. Aufbau instrumenteller Fertigkei-
ten zur Problemlösung
netzwerkspezifische Bedingungen und inhaltliche As-
pekte wie individuelle Wertmaßstäbe wichtig.
Zur Verbesserung instrumenteller Bewältigungsfähig-
keiten sollten folglich grundlegende soziale Kompetenzen
in den Bereichen Kommunikation und Selbstsicherheit
11 12.1 Einleitung vermittelt werden. In diesem Kapitel werden daher Inter-
ventionsansätze zur Steigerung kommunikativer Fertigkei-
12 In den vorangehenden Kapiteln standen vornehmlich in- ten und selbstsicheren Verhaltens dargestellt. Zusätzlich
traindividuelle Veränderungsmöglichkeiten im Vorder- werden in diesem Modul Techniken zum Lösen von Prob-
grund. In diesem Kapitel soll es nun um die Vermittlung lemen anhand von Konfliktlösesituationen eingeführt, um
13 von Techniken gehen, welche vor allem in interpersonel- die möglicherweise vorhandenen Defizite im aufgabeno-
len Konflikt- und Belastungssituationen eingesetzt werden rientierten Coping zu behandeln. Eine Darstellung der
14 und so langfristig zu einer Steigerung sozialer Kompeten- Forschungsbefunde zu Defiziten im Bewältigungsverhal-
zen führen sollen, da Patientinnen mit Essstörungen oft ten von Frauen mit Essstörungen findet sich in ▶ Kap. 11
15 Defizite in diesen Bereichen aufweisen (▶ Kap. 2). Der Be- sowie im Theorieteil dieses Buches (▶ Kap. 2). Die hier be-
handlungsbaustein schließt damit an den Bereich der Emo- schriebenen sozialen Fertigkeiten hängen zudem eng mit
tionsregulation an, da es sich hier um langfristig affekt- dem Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls zusammen,
16 regulierende Maßnahmen im Sinne des instrumentellen worauf im Rahmen der Interventionen zum Aufbau von
Bewältigungsverhaltens (▶ Kap. 11; Kaluza 2005) handelt. Ressourcen eingegangen wird (▶ Kap. 14).
17 Das Behandlungsmodul basiert auf folgender Definition
sozialer Kompetenz:
Soziale Kompetenz ist die Fähigkeit des Individuums, 12.2 Kommunikationstraining
18 seine sozialen Bedürfnisse, Interessen und Rechte selbst-
ständig zu erkennen und zu artikulieren (Problembewusst- Den ersten Interventionsschritt zur Steigerung sozialer
19 sein), sich zielgerichtet auf deren Verwirklichung hin zu Kompetenzen stellt ein Kommunikationstraining dar.
orientieren (Handlungsplanung) und dieses Wissen in Ein Ziel des Trainings kommunikativer Kompetenzen ist
20 der Weise in sein soziales Handeln zu übertragen (Hand- das Benennen und der adäquate Ausdruck von Gefüh-
lungsausführung), dass es in seinen sozialen Interaktionen len, welches auf den Interventionen zur Verbesserung
subjektiv befriedigende Verstärkung erlangen kann (Hand- der Wahrnehmung von Gefühlen basiert (▶ Kap. 11). Um
21 lungsbewertung; Feldhege u. Krauthan 1979). diese beiden Fertigkeiten zu trainieren, wird im Folgen-
In dieser Definition werden Komplexität und Prozess­ den zunächst auf den nonverbalen, dann auf den verbalen
22 charakter der sozialen Kompetenz deutlich. Das Haupt- Ausdruck von Gefühlen eingegangen. Abschließend wird
ziel eines sozial kompetenten Verhaltens liegt darin, sich den Patientinnen ein Kommunikationsmodell vermittelt,
12.2 • Kommunikationstraining
207 12

welches ergänzend der Verbesserung kommunikativer Fä- Erläuterung des Therapeuten


higkeiten dienen soll und Hinweise auf die „Fallstricke“ der In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen neben dem ge-
sprochenen Wort auch Mimik und Gestik eine Rolle. So geben uns Mimik
Kommunikation im Alltag geben kann. Hierauf aufbau-
und Gestik darüber Aufschluss, wie eine Botschaft bei unserem Kom-
end werden den Patientinnen Strategien zum Klären von munikationspartner ankommt, ohne dass dieser überhaupt etwas sagt.
Kommunikations-Missverständnissen vermittelt. Zudem kann die Interpretation des Gesichtsausdrucks in Situationen,
in denen das Gesagte nicht klar einzuordnen ist oder das Gegenüber
keine Aussage macht oder machen kann, helfen, dessen Gefühle oder
Maßnahmen und Unterlagen Bewertungen zu erschließen. Wenn Sie beispielsweise ein Referat hal-

--
Übungen ten, kann Ihnen das Nicken der Zuhörer oder eine gerunzelte Stirn bzw.
Pantomimeübung ein fragender Blick Aufschluss über die Verständlichkeit Ihres Vortrags

--
geben. Auch kann eine sprachliche Botschaft mehrere Bedeutungen
„Gefühlsbild“ (Variation)
haben, welche durch den Gesichtsausdruck erst zuzuordnen ist. So kann
„Direkter Gefühlsausdruck“ beispielsweise die Frage „Wieso hast du das Zimmer rot gestrichen?“
„Missverständnisse klären“ bedeuten, dass der andere den Anstrich sehr originell, schön oder

-
Arbeitsmaterialien geschmacklos findet. Durch die dazugehörige Mimik wie einem nach
Flipchart, Stifte unten verzerrten Mund bei möglicher Ablehnung oder entsprechend

-
einem Lächeln bei Gefallen können wir aber Aufschluss über die Inten-
Arbeitsblätter
tion der Frage erhalten. Das heißt, dass durch die den Gefühlen zugehö-
Übungsanleitung „Gefühlsbild“

-
rige Mimik die Bedeutung von nicht eindeutigen Aussagen klarer wird.
(▶ Arbeitsblatt 12.1 . Abb. 12.2) Schwierigkeiten entstehen dann, wenn das, was man anhand der Mimik
Rückmeldebogen „Gefühlsbild“ und Gestik erkennt, nicht mit dem übereinstimmt, was das Gegenüber

-(▶ Arbeitsblatt 12.2/12.2B . Abb. 12.3) mit Worten sagt. Zum Beispiel wenn Ihnen jemand auf den Fuß tritt und
Sie sagen „Aua“, lächeln aber dabei. Dann weiß der andere nicht, ob er
Regeln zum Äußern von Gefühlen

-
Ihnen wirklich wehgetan hat oder das „Aua“ nur auf Ihrem Erschrecken
(▶ Arbeitsblatt 12.3 . Abb. 12.4) beruht. Durch diese Unklarheit wird sein Verhalten beeinflusst. Statt
„Übung Äußern von Gefühlen?“ sich also zu entschuldigen, lächelt er möglicherweise zurück und sagt

-(▶ Arbeitsblatt 12.4/12.4B . Abb. 12.5) spaßeshalber „Gern geschehen“. Diese Unklarheit kann also dazu füh-
Übung „Hörfehler“ ren, dass der Mensch sich bei Ihnen nicht entschuldigt und Sie denken

-
„Was für eine ungehobelte Person“ und gehen Ihres Weges. Gravieren-
(▶ Arbeitsblatt 12.5/12.5B . Abb. 12.6)
der wird es, wenn solche Unklarheiten in einer Auseinandersetzung
Missverständnisse klären mit einer anderen Person auftreten. Wenn Sie beispielsweise vor Wut
(▶ Arbeitsblatt 12.6/12.6B . Abb. 12.7) heulen könnten, weil Ihre beste Freundin eine zuvor getroffene Ver-
abredung einfach vergessen hat, Sie aber lächelnd sagen: „Ist nicht so
schlimm!“ und so tun, als ob alles in Ordnung ist, kann Ihre Freundin
nicht wissen, wie Sie sich tatsächlich fühlen. Sie verlässt sich auf Ihre
Aussage und das, was sie sieht. Möglicherweise führt das dazu, dass Sie
12.2.1 Nonverbale Aspekte sich danach nicht mehr bei Ihrer Freundin melden, weil Sie so wütend
der Kommunikation auf sie sind und Ihre Freundschaft dadurch sehr belastet ist, wenn es
nicht zu einer Aussprache kommt. Sie sehen also, dass in bestimmten
Situationen durch Nicht-Äußern von Gefühlen bzw. einem nicht dem
Wie bereits beschrieben, haben Patientinnen, die an Ess- Gefühl entsprechenden nonverbalen Ausdruck Missverständnisse in
störungen leiden, häufig Schwierigkeiten, ihre Gefühle der Kommunikation entstehen können, die weitreichende Folgen für
wahrzunehmen und diese direkt auszudrücken. Aus die- die Beziehungsgestaltung haben können.
Aus diesem Grund möchte ich mit Ihnen zunächst einmal untersuchen,
sem Grunde soll nun – aufbauend auf den Übungen zur
wie man die verschiedenen Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen
Gefühlswahrnehmung – der Ausdruck von Gefühlen in dem entsprechenden Gefühlsausdruck zuordnen kann.
interpersonellen Situationen eingeübt werden. Dazu kann
eine Pantomimeübung durchgeführt werden. Eine weitere
Möglichkeit, um einen ersten Kontakt zum adäquaten Aus- Im Anschluss an diese Einführung sollte mit den Teilneh-
druck von Gefühlen in der Kommunikation zu demonst- mern gesammelt werden, woran man anhand der Mimik
rieren, ist die Wiederholung der bereits in ▶ Kap. 11 vorge- die unterschiedlichen Gefühle erkennen kann. Dazu kann
stellten Übung zum „Gefühlsbild“ in leicht abgewandelter noch einmal die Gefühlslandkarte (▶ Kap. 11) eingesetzt
Form. In der modifizierten Form steht dabei der Ausdruck und es können die einzelnen Hauptemotionen durchge-
des eigenen Gefühls und dessen Wahrnehmung durch die gangen werden. Diese Übung kann auch spielerischer ge-
andere Person im Vordergrund. Grundlage beider Übun- staltet werden, indem die Patientinnen zunächst aufgefor-
gen ist die Beobachtung, dass bei Patientinnen mit Ess- dert werden, ein Gefühl pantomimisch darzustellen. Dazu
störungen häufig Mimik und erlebtes Gefühl nicht über- können kleine Zettel vorbereitet werden, auf denen jeweils
einstimmen, etwa dass sie lächeln, obwohl sie sich ärgern. ein Gefühl steht. Die Patientinnen sollen dieses Gefühl
Um dies zu verdeutlichen, kann die folgende Erklärung dann pantomimisch nachspielen. Die Übung ist vor allem
gegeben werden. für das Gruppensetting geeignet und kann als Einstieg in
208 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

das Thema in ca. 20 min. durchgeführt werden. Ziel ist nach handelt. Dann löst die Gefühlsdemonstrantin auf,
1 es, mögliche Schwierigkeiten in der Erkennung und dem welches Gefühl sie dargestellt hat und Schwierigkeiten
Ausdruck von Gefühlen herauszuarbeiten. Als Einleitung bei der Identifikation des Gefühls sowie in der Darstel-
2 zum Pantomimespiel kann folgende Zusammenfassung lung werden besprochen. Danach findet ein Rollentausch
gegeben werden: statt und die Ratende wird nun Gefühlsdemonstrantin.
Anschließend sprechen Therapeut und Patientinnen zu-
3 Erläuterung des Therapeuten sammen über die Übung und die unterschiedlichen Er-
Wir haben in einer der vorangegangenen Sitzungen gesammelt, welche fahrungen, die Sie damit gemacht haben. Der folgende
4 Gefühle es gibt, und herausgefunden, dass diese Gefühle mit körperli-
chen Reaktionen einhergehen und bestimmte Verhaltensweisen nach
Text kann als Anleitung dienen.
sich ziehen können. Als nächsten wichtigen Punkt haben wir heraus-
5 gearbeitet, dass die Situation, in der ein Gefühl entsteht, uns einen Erläuterung des Therapeuten
Bitte wählen Sie sich zunächst eine Partnerin aus. Einigen Sie sich darauf,
wichtigen Hinweis darauf gibt, welches Gefühl wir gerade erleben.
Gefühle sind aber nicht nur für uns selbst wichtig, sondern auch in der wer in der ersten Runde Beobachterin und wer Gefühlsdemonstrantin
6 Kommunikation mit anderen Menschen. Anhand von Mimik und Gestik ist. In der zweiten Runde werden die Rollen getauscht.
Als ersten Übungsabschnitt möchte ich Sie bitten, sich Ihrer Gefühle
drücken wir unseren momentanen Gefühlszustand aus und teilen an-
deren so nonverbal mit, wie es uns gerade geht. Umgekehrt erfahren gewahr zu werden. Bitte gehen Sie dazu im Raum umher und besinnen
7 wir auch über die Mimik anderer Personen, welche Gefühle diese im Sie sich dabei auf Ihre momentane Stimmung. Versuchen Sie dann, Ihre
jeweiligen Moment empfinden. Gerade in engen sozialen Beziehun- Körperhaltung, Ihren Gesichtsausdruck und Ihren Gang mit Ihren mo-
gen ist es daher wichtig, sich seines Gefühlsausdrucks bewusst zu sein, mentanen Gedanken und Gefühlen in Einklang zu bringen.
8 um nonverbale und verbale Signale stimmig wiederzugeben. Deshalb Als nächstes sollte Ihre Partnerin versuchen zu erraten, in welcher Stim-
möchte ich gerne mit Ihnen folgende Übung machen: mung Sie gerade sind (Verhaltensbeobachtung nonverbal). Dazu gehen
Sie nun bitte auf Ihre Partnerin zu und bleiben stehen. Richten Sie nun
9 Bitte überlegen Sie, wie Sie das Gefühl auf der Karte, die ich Ihnen gleich
austeilen werde, nonverbal darstellen können. Setzen Sie dabei Mimik, Ihre ganze Aufmerksamkeit nach innen auf Ihre momentane Stimmung,
Gestik und den gesamten Körper ein. Die übrigen Gruppenmitglieder die dazugehörigen Gedanken, die Körperhaltung. Ihre Partnerin beob-
achtet Sie dabei und versucht, Ihre Stimmung zu erraten. Sie sollte dazu
10 versuchen bitte zu entschlüsseln, um welches Gefühl es sich handelt. Bei
der Einschätzung erklären Sie bitte jeweils, warum Sie auf das jeweilige das Gesicht, den mimischen Ausdruck, die Haltung der Schultern, die
Gefühl getippt haben. Atmung, die Art und Weise, wie Sie auf dem Boden stehen, betrachten.

11 Ihre Partnerin sollte dann ihre Beobachtungen und Vermutungen hin-


sichtlich des von Ihnen derzeit empfundenen Gefühls auf den Rück-
In der Nachbesprechung der Übung wird vom Therapeuten meldebogen schreiben.

12 nochmals auf die Schwierigkeiten bei der Interpretation Danach möchte ich Sie bitten, einige Sätze, die zu Ihrer momentanen
Stimmung passen, zu äußern ohne die tatsächliche Stimmung direkt zu
von Gefühlen auf der nonverbalen Ebene hingewiesen. benennen (Verhaltensbeobachtung verbal). Wenn Sie beispielsweise
Im Anschluss oder auch alternativ als Einstiegsübung
13 kann die Übung „Gefühlsbild“ (mod. nach Görlitz 1998)
müde sind, können Sie das ausdrücken, indem Sie beschreiben, dass
Sie früh aufstehen mussten und einen langen Tag hatten. Ihre Partnerin
durchgeführt werden. Dabei wird zusätzlich zur nonver- versucht, anhand dieser unkonkreten Aussagen die vermutete Stim-
14 balen die verbale Ebene einbezogen. Die Übung beginnt mung weiter zu spezifizieren und ergänzt ihre Beobachtung auf dem
Rückmeldebogen.
mit einer kurzen Phase des achtsam seins, in der sich Abschließend vergleichen Sie bitte Ihre mimisch und gestisch bzw.
15 durch die bewusste Konzentration auf den momenta- durch indirekte Äußerungen ausgedrückten Gefühle mit den Einschät-
nen Gefühlszustand die Teilnehmerinnen zunächst ge- zungen Ihres Gegenübers. Bitte achten sie darauf, welche Gefühle und
wahr werden sollen, welche Emotion im Moment vor- deren Nuancen korrekt wahrgenommen wurden und wo es Unter-
16 herrschend ist. Die Patientinnen sollen sich dabei genau schiede gab. Wichtig ist darauf zu achten, wo mögliche Schwierigkeiten
im Ausdruck der Gefühle und deren Entschlüsselung lagen. Überlegen
überlegen, wie sie das vorherrschende Gefühl am besten sie sich gemeinsam mit Ihrer Übungspartnerin, wie es dazu gekommen
17 ausdrücken können. Zur Anleitung der Übung werden sein könnte, dass Ihre Gefühle nicht korrekt eingeschätzt und benannt
die Patientinnen gebeten, sich einen Platz im Raum zu werden konnten. Anschließend wechseln Sie bitte die Rollen.
suchen (oder durch den Raum zu gehen) und in sich hi-
18 neinzuhorchen, welches Gefühl sie gerade erleben. Wenn Die Patientinnen bekommen die Übungsanleitung (Ar-
die Patientinnen sich des bei ihnen momentan vorherr- beitsblatt 12.1 . Abb. 12.2) zum Mitlesen zusammen mit
19 schenden Gefühls bewusst sind, sollen Sie eine vorher dem Rückmeldebogen (Arbeitsblatt 12.2 ▶ http://extras.
durch den Therapeuten oder Los bestimmte Partnerin springer.com; Beispiel Arbeitsblatt 12.2B . Abb. 12.3) zur
20 aufsuchen und versuchen, ihr durch nonverbale Signale Übungsdurchführung ausgeteilt.
zu verstehen zu geben, wie sie sich im Moment fühlt. Die Bei der Nachbesprechung der Übung sollte vor allem
Partnerin notiert das von ihr entschlüsselte Gefühl auf darauf geachtet werden, woran die Patientinnen ihr eige-
21 einem Blatt. Im zweiten Teil der Übung geht es darum, nes Gefühl erkannt haben, wie sie versucht haben, es aus-
dass die Gefühlsdemonstrantin durch indirekte Aussagen zudrücken und woran die Partnerin erkannt hat, welches
22 ihren Gefühlszustand umschreibt. Die Partnerin notiert Gefühl es war. Zudem sollte überprüft werden, ob die ver-
sich wieder, um welche Gefühle es sich ihrer Meinung bale Gefühlsbeschreibung und die indirekten Äußerungen
12.2 • Kommunikationstraining
209 12

mit dem dargestellten Gefühl übereinstimmten. Ziel ist es, ren zu verbessern. Das ist wichtig, da die verbale Kommunikation ein
die eingangs erläuterten Schwierigkeiten in der Kommu- wesentliches Mittel ist, um unsere Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse
mitzuteilen. Gelingt uns das nicht gut, kann es zu Missverständnissen
nikation transparent und nachvollziehbar darzustellen und kommen, die uns unzufrieden machen oder dazu führen, dass wir uns
Quellen möglicher Missverständnisse aufzudecken. Auch abgelehnt und unverstanden fühlen. Dies kann zur Folge haben, dass
sollte darauf eingegangen werden, in welchen Situationen wir uns mit Essen trösten oder uns der „Appetit vergeht“. Das heißt, dass
es sinnvoll und gewünscht ist, die Gefühle nonverbal aus- als Konsequenz von Schwierigkeiten in der Kommunikation durchaus
zudrücken und in welchen Situationen es gut sein könnte, ein problematisches Essverhalten verstärkt werden kann. Ein Beispiel
dafür wäre die folgende Situation:
die Gefühle nicht direkt zu zeigen. Stellen Sie sich vor, Sie freuen sich auf das Telefonat mit einer Freun-
din. Als Sie dort anrufen, ist ihre Freundin kurz angebunden und sagt,
dass sie noch arbeiten müsse. Wenn es nichts Wichtiges gäbe, würde
12.2.2 Verbale sie gerne weiterarbeiten. Sie sagen daraufhin, dass es nichts Wichtiges
Kommunikationsfertigkeiten gibt und legen auf. Sie hätten trotzdem gerne mit ihr gesprochen, aber
sagen dies nicht. Sie sind enttäuscht und traurig und Ihnen vergeht der
Appetit. Statt eines Abendessens gehen Sie eine Runde Laufen, um sich
Als nächsten Schritt können auch Fertigkeiten der verba- abzulenken. Dies wäre ein klassisches Beispiel für das Nichtäußern von
len Gefühlskommunikation eingeübt werden. Dazu wird Gefühlen und dessen Einfluss auf essgestörtes Verhalten. Fallen Ihnen
zunächst gemeinsam in der Gruppe (oder im Einzelset- weitere solcher Beispiele ein?
ting) überlegt, wann das direkte Ansprechen von Gefüh-
len sinnvoll ist und wann nicht sowie was es schwierig Wichtig ist an dieser Stelle herauszustreichen, dass es nicht
macht. immer sinnvoll ist, Gefühle offen zu kommunizieren. Hier
Am sinnvollsten ist es, an dieser Stelle ein Beispiel zu sollte deshalb im Sinne eines Diskriminationstrainings ge-
geben, um zu verdeutlichen, was unter einem direkten An- sammelt werden, in welchen Situationen es gut ist, Gefühle
sprechen von Gefühlen gemeint ist. Oft kann es sein, dass zu zeigen und in welchen nicht. Zum Beispiel kann es im
Patientinnen eine falsche Vorstellung davon haben, was beruflichen Kontext wie etwa bei einem Vorstellungsge-
es heißt, ihre Gefühle und Wünsche direkt anzusprechen spräch nicht unbedingt sinnvoll sein, offen sein Gefühl der
und zu äußern. Wenn eine Patientin z. B. einer Kollegin Unsicherheit zu zeigen. Auch kann man durch das Zeigen
sagt, dass sie nicht weiß, wie sie die Akte bearbeiten soll, von Verachtung jemanden verletzen. In diesen Situationen
obwohl sie die Zusatzarbeit gar nicht übernehmen will, ist das Ausdrücken eines Gefühls nicht unbedingt sinnvoll.
kann die Kollegin den Hinweis nicht unbedingt verste- Es ist daher wichtig, mit den Patientinnen abzuwägen, wel-
hen und erklärt ihr, wie sie die Akte bearbeiten soll. Es ches Ziel sie in einer Situation verfolgen und dementspre-
ist daher wichtig, den Patientinnen zu vermitteln, dass es chend zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, Gefühle offen zu
durch nur indirektes Äußern von Gefühlen häufig zu Un- zeigen oder nicht.
genauigkeiten in der Kommunikation und auch zu Miss- Nachdem für die Patientinnen transparent gemacht
verständnissen kommen kann. Eine Konsequenz hieraus wurde, wann und warum es sinnvoll sein kann, Gefühle
könnte die Nichterfüllung ihrer Wünsche sein. Dies kann zu benennen, wird Ihnen als Nächstes ein Informations-
zu chronischer Unzufriedenheit oder Überforderung füh- blatt zum direkten Gefühlsausdruck ausgehändigt, welches
ren und damit im Zusammenhang mit der Entstehung und Regeln zur Formulierung von Gefühlen beinhaltet. Diese
Aufrechterhaltung der Essstörung stehen (▶ Kap. 2). Dies Regeln beinhalten das Äußern von Gedanken und Gefüh-
impliziert, dass es nicht nur wichtig ist, Gefühle wahrneh- len in der Ich-Form, das konkrete Benennen der jeweiligen
men und identifizieren zu können (▶ Kap. 11), sondern in Situation, das Vermeiden von Verallgemeinerungen sowie
bestimmten Situationen auch Gefühlszustände benennen das Ansprechen eines spezifischen Verhaltens in einer be-
und anderen Menschen direkt mitteilen zu können. Das stimmten Situation. Darüber hinaus enthalten die Regeln
folgende Textbeispiel ist ein Einleitungstext zur Übung den Verweis auf die Definition des Ziels, das die Patientin
„Benennen von Gefühlen“. in der Situation verfolgt (▶ Kap. 10 und ▶ Kap. 11). Diese
Zieldefinition kann etwa eine Forderung an den Gesprächs-
Erläuterung des Therapeuten partner oder eine Grenzsetzung beinhalten. Die Regeln zur
Wir haben besprochen, dass Gefühle nonverbal und verbal ausgedrückt Gefühlsäußerung sind auf dem Arbeitsblatt 12.3 „Regeln
werden können und gelernt, dass, in bestimmten Situationen um Miss-
zum Äußern von Gefühlen“ (. Abb. 12.4) dargestellt und
verständnisse zu vermeiden, der nonverbale und verbale Ausdruck
übereinstimmen sollten. Wir haben nun zunächst überprüft, wie gut
sollten mit den Patientinnen im Einzelnen durchgegangen
es uns gelingt, unsere Gefühle nonverbal bzw. durch indirekte Äu- werden.
ßerungen auszudrücken. Dabei haben wir festgestellt, dass indirekte Abschließend wird das Arbeitsblatt 12.4 „Übung
Aussagen viel Spielraum zur Interpretation lassen und deshalb zu Miss- zum Äußern von Gefühlen“ (Beispiel Arbeitsblatt 12.4B
verständnissen führen können. Als nächstes soll es daher darum gehen,
. Abb. 12.5) ausgeteilt und in der Gruppe ausgefüllt. Es be-
unseren verbalen Gefühlsausdruck in der Kommunikation mit ande-
inhaltet Beispielaussagen, welche unkonkrete und indirekte
210 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

Gefühlsäußerungen in sozialen Interaktionen beschreiben. geben werden, bevorzugt individuelle Rollenspiele zum
1 Die Teilnehmerinnen werden gebeten, sich die Aussagen Thema „soziale Kompetenz“ durchführen zu können
durchzulesen und einzuordnen, welches Gefühl in der (▶ Abschn. 12.3.1). Es ist sinnvoll, diejenigen Patientin-
2 Aussage enthalten ist. Nachdem sie das Gefühl identifi- nen auszuwählen, welche die größten Schwierigkeiten im
ziert haben, sollen sie überlegen, wie es unter Anwendung Ausdrücken ihrer Gefühle haben, damit diese die Mög-
der oben genannten Regeln zur Äußerung von Gefühlen lichkeit haben, diese ausreichend zu trainieren. Die Sit-
3 direkter ausgedrückt werden kann. Die einzelnen auf diese zung sollte mit einer Zusammenfassung des Erarbeiteten
Weise formulierten Sätze werden dann vorgelesen. Falls zum nonverbalen und verbalen Gefühlsausdruck durch
4 widersprüchliche Aussagen auftreten, sollten diese dazu den Therapeuten abgeschlossen werden. Zudem möch-
genutzt werden, die Folgen unscharfer oder indirekter ten wir empfehlen, in einer Abschlussrunde das Benen-
5 Formulierungen aufzuzeigen. Dazu können die anderen nen des aktuellen Gefühlszustandes nochmal zu üben,
Gruppenteilnehmerinnen befragt werden. um das Gelernte gleich anzuwenden. Hierbei werden die
An dieser Stelle eignet sich auch der Einsatz von Rol- Patientinnen aufgefordert, zu beschreiben, wie sie sich
6 lenspielen, in denen die Patientinnen gebeten werden, jetzt nach der Therapiesitzung fühlen. Da es sich um eine
Situationen aus ihrem Alltag zu beschreiben, in denen es Abschlussrunde handelt, sollte der Therapeut nicht weiter
7 Ihnen nicht gelungen ist, ihr Gefühl direkt anzusprechen. intervenieren, sondern, soweit möglich, die Aussagen nur
Es wird dann gemeinsam in der Gruppe überlegt, wie das zur Kenntnis nehmen. Die in diesem Abschnitt beschrie-
Gefühl in der beschriebenen Situation idealerweise hätte benen Übungen sind eingeschränkt auf das einzelthera-
8 ausgedrückt werden können. Ist eine mögliche Formu- peutische Setting übertragbar. So kann in den meisten
lierung gefunden, wird ein Rollenspiel durchgeführt, um Übungen der Therapeut als Rückmelder fungieren. Die
9 mit der Patientin das Aussprechen und Formulieren der Patientin kann die Übung auch zu Hause mit einer ver-
direkten Gefühlsäußerung einzuüben. Bei der Einführung trauten Person durchführen.
10 der Rollenspiele sollten die Patientinnen darauf hingewie-
sen werden, dass es gerade im Alltag schwierig ist, neue
Verhaltensweisen zu implementieren und daher das kon- 12.2.3 Einführen eines
11 krete Einüben dieses Verhaltens von großer Wichtigkeit Kommunikationsmodells
ist (▶ Abschn. 12.3). Zur Einführung von Rollenspielen
12 eignet sich folgender Text. Des Weiteren ist die Vermittlung eines Kommunikations-
modells zu empfehlen, welches ergänzend auf die Schwie-
rigkeiten in der Interaktion durch Fehlinterpretationen der
13 Erläuterung des Therapeuten
Wir haben nun schon einiges über Kommunikation gelernt. Zunächst Äußerungen anderer Personen eingeht. Das Modell sollte
haben wir über nonverbale und verbale Kommunikation gesprochen.
für die Patientin praxisnah und inhaltlich leicht verständ-
14 Wir haben überlegt, wie man Gefühle erkennt und ausdrückt, haben
festgestellt, dass es manchmal schwierig ist, einzuschätzen, wie es uns
lich sein und eingängig Informationen darüber enthalten,
gerade geht und dass genau dies es nicht leicht macht, in sozialen In- warum es in der Interaktion zu Missverständnissen kom-
15 teraktionen angemessen zu reagieren. Wir haben gemeinsam überlegt, men kann. Wir empfehlen hier den Einsatz des Modells
dass es in einigen Situationen wichtig sein kann, Gefühle direkt anzu- „Vier Empfangskanäle einer Nachricht“ von Schulz von
sprechen und sind darauf eingegangen, dass das direkte Ansprechen
Thun (1981), da dieses Modell leicht verständlich ist. Das
16 von Gefühlen uns helfen kann, Missverständnisse zu vermeiden. Dazu
Modell soll hier nur übersichtsartig erklärt und dargestellt
ist es wichtig, sich seiner Gefühle bewusst zu sein bzw. auch Schwierig-
keiten in der Wahrnehmung der eigenen Gefühle direkt auszudrücken. werden. Zu einer umfassenden Darstellung möchten wir
17 Zum Beispiel „Ich kann im Moment nicht sagen, wie es mir geht, ich auf die ausführlichen Erläuterungen des Autors (Schulz von
muss darüber noch mal nachdenken“ ist auch ein direkter Ausdruck des- Thun 1981) verweisen. Im Folgenden wird daher nur dar-
sen, wie es Ihnen in diesem Moment zumute ist. Wie das konkret aus-
gestellt, wie dieses Modell in der Behandlung von Essstö-
18 sieht und funktioniert, würde ich gerne mit Ihnen in einem Rollenspiel
rungen ergänzend eingesetzt werden kann (. Abb. 12.1).
ausprobieren. Dazu würde ich eine von Ihnen bitten, eine Situation,
in der Sie Schwierigkeiten mit dem direkten Ausdruck von Gefühlen Das Modell basiert auf der Annahme, dass Nachrichten
19 hatten, zu schildern und dann mit einer anderen Gruppenteilnehmerin immer einen Sender und einen Empfänger haben. Dabei
diese Situation nachzuspielen und dabei möglichst direkt und konkret ist derjenige der spricht, der Sender, der Angesprochene
20 zu sagen, wie es Ihnen in der Situation ergeht und was Ihr Bedürfnis
ist. Eine Anleitung, wie Sie im Gespräch Ihre Gefühle möglichst konkret
ist der Empfänger. Der kommunizierte Inhalt ist die Nach-
ausdrücken können, haben Sie auf dem Arbeitsblatt „Regeln zum Äu-
richt. Außerdem gibt der Empfänger seinerseits Rückmel-
dung über das gerade Empfangene (Feedback).
21 ßern von Gefühlen“.
Schulz von Thun (1981) postuliert, dass jede Botschaft
Aus Zeitgründen werden wahrscheinlich nicht alle Teil- verschiedene Aspekte beinhaltet, nämlich einen Sachin-
22 nehmerinnen ihre individuellen Problemsituationen halt, einen Beziehungsinhalt, eine Selbstoffenbarung und
vorstellen können. Diesen sollte dann die Möglichkeit ge- einen Appell. Etwa die Aussage „Wir sollten einen Kaffee
12.2 • Kommunikationstraining
211 12

In einem Gespräch teilen wir nicht nur Sachinformation mit. Es gibt drei weitere Ebenen, auf denen uns unser Gegenüber
Informationen mitteilen kann. Einfach ausgedrückt können seine Botschaften bei uns auf vier verschiedenen Kanälen
ankommen.

Dazu folgendes Beispiel: Ein Ehepaar fährt zusammen im Auto. Der Mann sitzt am Steuer und die Frau auf dem Beifahrersitz.
Die Frau sagt: „Du, da vorne ist grün!“ Der Mann hat nun verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren:

1. „Fährst du oder fahre ich?“ Dies ist eine Beziehungsreaktion: Er wehrt sich damit gegen die Bevormundung, die er auf der
Beziehungsseite der Nachricht spürt. (Beziehungskanal)
2. „Ja, hier ist grüne Welle, das ist ganz angenehm.“ Damit reagiert er auf den Sachinhalt. (Sachkanal)
3. „Du hast es wohl eilig?“ Hier würde er auf die Selbstoffenbarung reagieren. (Selbstoffenbarungskanal)
4. Indem er Gas gibt, reagiert der Mann auf den Appell. (Appellkanal)

.. Abb. 12.1 Die vier Empfangskanäle einer Nachricht (Adaptiert nach Schulz von Thun 1981)

trinken“ beinhaltet als Sachinhalt der Nachricht die Sach- Im Alltag sind diese verschiedenen Ebenen der Nach-
information, die ich meinem Gegenüber mitteilen möchte, richten meist nicht offensichtlich, d. h. sie laufen implizit
nämlich: „Ich hätte jetzt gerne einen Kaffee“. Der Aspekt ab. Kommunikation ist daher wesentlich komplexer und
der Selbstoffenbarung dagegen bezieht sich auf die Infor- schwieriger, als es den meisten Personen bewusst ist. Dies
mationen, die der Sender mit dem Senden der Nachricht kann dazu führen, dass es zu Fehlern in der Kommunikation
über sich selbst kundgibt. Bei dem Kaffeebeispiel könnte kommt, und zwar dann, wenn der Empfänger die Nachricht
dies sein „Ich bin sehr müde“. Als dritten Aspekt nennt anders interpretiert, als der Sender dies intendiert hat. Um
der Autor den Beziehungsaspekt der Nachricht, wel- die Nachrichten besser entschlüsseln zu können, muss der
cher Informationen darüber beinhaltet, was der Sender Kommunikationsprozess daher transparent gemacht wer-
von seinem Gegenüber hält („Du siehst auch müde aus“). den. Dazu gehört es, dass sich der Sender der Vielseitigkeit
Abschließend ist noch der Appellaspekt hervorzuheben. der Nachricht bewusst ist und seine Absicht möglichst kon-
Dabei handelt es sich um den Teil der Nachricht, mit dem kret macht. Der Empfänger hingegen sollte daher nachfra-
der Sender Einfluss auf den Empfänger nehmen möchte gen, wenn er sich der Bedeutung der Nachricht nicht sicher
(„Koch uns doch einen Kaffee“). ist. Schulz von Thun (1981) verweist hier auf mögliches
212 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

-
„Falsch-Hören“ in Abhängigkeit des individuellen „Hör- ?? Fragen
1 fehlers“. Er hat dafür vier Hörfehler beschrieben: Welche Folgen kann es haben, wenn Sie auf einem
1. Wenn zu viel Wert auf den Sachaspekt einer Nachricht Kanal mehr hören als auf einem anderen? Nennen
2 gelegt wird, kann es zu Missverständnissen kommen, Sie hierfür Beispiele, bezogen auf jeden Kanal!
z. B. wenn der Sender Informationen auf der Bezie- Kennen Sie Beispiele, die für Sie persönlich ganz

-
hungsebene sendet, diese aber auf der Sachebene ver-
3 standen werden. Wenn der Empfänger der Information
typisch sind?
Gibt es einen Kanal, auf dem Sie mehr „hören“ als

-
„Ich habe heute keine Zeit“ nur den Sachaspekt hört, auf den anderen?
4 wird er auf eine mögliche Beziehungsbotschaft wie „Ich Welche Konsequenzen hat es für Sie, dass Sie be-

-
mag mich mit dir heute nicht treffen“ nicht eingehen vorzugt auf einem bestimmten Kanal empfangen?
5 und möglicherweise sagen: „Du hast aber viel zu tun“, Haben Sie eine Idee, was zu tun wäre, um diese
anstatt auf eine möglicherweise vorhandene Konflikt- einseitigen „Hörgewohnheiten“ und die damit

-
situation einzugehen. einhergehenden Missverständnisse zu vermeiden?
6 2. Eine erhöhte Aufmerksamkeit auf den Beziehungs- Welche Konsequenzen hat die Berücksichtigung

-
aspekt einer Nachricht geht dagegen mit einer Über- dieses Modells für Ihren Alltag?
7 interpretation desselben einher. Bei der Aussage „Ich Ist es möglich, mit dem Wissen aus diesem Modell
habe heute leider keine Zeit“ würde das bedeuten, dass die Alltagskommunikation zu verbessern?
der Empfänger hört „Ich mag mich nicht mit dir tref-
8 fen“ und würde dementsprechend reagieren, und zwar Anhand dieser individuellen Beispiele wird nun im An-
beispielsweise mit „Na schön, du hast also keine Lust, schluss an die Diskussion das Arbeitsblatt 12.6 „Missver-
9 deine Zeit mit mir zu verbringen“. ständnisse klären“ ausgefüllt, ein dazugehöriges Beispiel
3. Ähnlich ist eine Überbewertung des Selbstoffenba- ist in Arbeitsblatt 12.6B (. Abb. 12.7) dargestellt. Am
10 rungsanteils zu sehen – hier kann es zu einem Psycho- günstigsten ist es, die Sitzung hiermit zu beenden und das
logisieren der Botschaft durch den Empfänger kom- Arbeitsblatt als Hausaufgabe aufzugeben, damit die Patien-
men. Beispielsweise bei der Aussage „Ich habe heute tinnen mögliche schwierige Kommunikationssituationen
11 keine Zeit“ könnte der Empfänger auf dem Selbstof- notieren und auf die besprochenen Aspekte hin überprü-
fenbarungsohr hören: „Mir geht es nicht gut“. fen können. Bei der Nachbesprechung des Arbeitsblattes
12 4. Die Überbewertung des Appellaspektes ist vor allem sollte diskutiert werden, wie die jeweiligen Botschaften auf
auf der Verhaltensebene hinsichtlich eines „voraus- den verschiedenen Ebenen gedeutet werden können und
eilenden Gehorsams“ zu sehen. Beispielsweise auf welche Konsequenzen ein „Falschhören“ in dem jeweiligen
13 das oben genannte Beispiel könnte ein Appellohr- individuellen Falle hat. Im Anschluss daran soll darauf hin-
Hörfehler zu einem Angebot des Empfängers führen, gearbeitet werden, dass in bestimmten Situationen durch
14 Arbeiten abzunehmen, weil er antizipiert, dass das direkte Gefühlsäußerungen, wie in den letzten Sitzungen
Gegenüber zu viel zu tun hat („Kann ich etwas für bereits erarbeitet, Missverständnisse und „Falschhören“
15 dich tun?“). reduziert werden können.
Anhand von Arbeitsblatt 12.6 (▶ http://extras.springer.
Inwieweit es zu Missverständnissen beim Empfangen von com) werden nun die gesammelten Situationen auf Kom-
16 Nachrichten kommen kann, liegt sowohl im Selbstkonzept munikationsfehler überprüft und es wird im Anschluss
des Empfängers als auch dem Bild und den Erwartungen, gemeinsam in der Gruppe überlegt, wie in dieser Situa-
17 die der Empfänger vom bzw. an den Sender hat, begründet. tion funktionaler hätte reagiert werden können. Dies kann
Zusätzlich scheinen unterschiedliche Sprachmilieus und beispielsweise so aussehen:
-kulturen hier eine Rolle zu spielen.
18 Zur Durchführung der Übung „Hörfehler“ (Arbeits- Therapiegespräch (Bankkonto)
blatt 12.5/12.5B . Abb. 12.6) wird den Teilnehmerinnen als Frau S.: – „Ich habe mich sehr über meine Mutter geärgert, da sie immer
19 Hausaufgabe zur Vorbereitung der Sitzung das Informati- wieder in Frage stellt, was ich tue und mir immer sagt, was ich hätte
besser machen sollen! Ich finde das ganz furchtbar, und letzte Woche
onsblatt zum „Die vier Empfangskanäle einer Nachricht“
hatten wir deshalb auch einen Streit.“
20 (. Abb. 12.1; ▶ http://extras.springer.com) mitgegeben.
Therapeut: – „Können Sie genau beschreiben, was da passiert ist?“
Zunächst werden die Implikationen dieses Modells hin-
Frau S.: – „Naja, ich habe erzählt, dass ich ein Bankkonto eröffnet habe
sichtlich der Interpretation von Situationen/Gesagtem im
21 alltäglichen Leben gemeinsam in der Gruppe überprüft.
und meine Mutter hat sich gleich aufgeregt, dass die Bank Geld für
Überweisungen nimmt und ich doch besser sie hätte vorher fragen
Dazu werden Beispielsituationen am Flipchart gesammelt. sollen, dann wäre das nicht passiert, sie hätte nämlich eine Bank für
22 Zur Durchführung dieser Intervention können folgende mich gewusst, die ein kostenloses Konto mit Kontoführung anbietet.
Fragen gestellt werden: Ich kam mir wirklich sehr blöde vor.“
12.3 • Aufbau selbstsicheren Verhaltens
213 12
Therapeut: – „Wie haben Sie denn in der Situation reagiert?“
- man weiß, was man möchte oder braucht und drückt
aus, was man benötigt oder sich wünscht (Problem-

-
Frau S.: – „Ich habe versucht, mich zu rechtfertigen und am Ende gesagt,
dass ich mache, was ich will und mein eigenes Leben führe. Daraufhin bewusstsein),
war meine Mutter beleidigt und ist aus dem Zimmer gegangen.“
man orientiert sich an der Verwirklichung der eige-

-
Therapeut:
nen Ziele (Handlungsplanung),
„Wenn Sie sich nun die vier Empfangskanäle ins Gedächtnis rufen
man handelt entsprechend der eigenen Bedürfnisse

-
– was glauben Sie genau, ist hier passiert?“
(Handlungsausführung),
Frau S.: – „Ich habe mich angegriffen und kritisiert gefühlt durch die
Aussage meiner Mutter. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mich man handelt derart, dass sowohl man selbst als auch
als ein lebensunfähiges Dummerchen darstellt.“ die anderen zufrieden sein können (Handlungsbe-
Therapeut: – „Hm. Und was für ein Kanal ist damit angesprochen wertung).
worden?“
Frau S.: – „Der Beziehungskanal.“ Nachdem in den ersten Abschnitten die Grundlagen zur
Therapeut: – „Wie könnte die Aussage Ihrer Mutter denn auf den ande- direkten Äußerung von Gefühlen vermittelt wurden, soll
ren Kanälen ankommen?“ in diesem Abschnitt das Äußern von Gefühlen und das
Frau S.: – „Auf dem Sachkanal halt, dass es eine günstigere Bank gibt, Vertreten eigener Meinungen unter dem Aspekt der Selbst-
auf dem Appellkanal wäre das, dass ich sie fragen soll, bevor ich etwas
sicherheit eingeübt werden. Patientinnen haben oft nicht
tue und auf dem Selbstoffenbarungskanal, das weiß ich nicht.“
nur Schwierigkeiten in der Äußerung von Gefühlen, son-
Therapeut: – „Okay, der Selbstoffenbarungskanal könnte heißen ‚Ich
will doch nur dein Bestes, ich sorge mich um dich‘.“ dern häufig vor allem dysfunktionale Annahmen über sich
Frau S.: – „Hm. Ja, das könnte schon gut sein. Trotzdem fühle ich mich
selbst und die Umwelt (▶ Kap. 10) was das Ausdrücken von
angegriffen.“ Wünschen und Rechten verhindert. Daher ist es sinnvoll,
Therapeut: – „Das ist ja auch verständlich. Wichtig ist, dass Sie das auch im Anschluss an das Training der kommunikativen Kom-
direkt ansprechen, weil sonst Missverständnisse passieren können. Sie petenzen das Recht auf eigene Gefühle, Ansichten und
haben die Aussage Ihrer Mutter auf dem Beziehungskanal empfangen Meinungen zu thematisieren. Erst im zweiten Schritt wird
und dementsprechend reagiert. Das hat dazu geführt, dass Sie sich ge-
dann das selbstsichere Verhalten anhand interaktioneller
rechtfertigt haben und sie beide letztendlich aneinander vorbeigeredet
haben und es zum Streit kam.“
Konflikt- oder Belastungssituationen eingeübt.
Dazu werden nach Pfingsten u. Hinsch (1998) die
bereits in ▶ Abschn. 12.1 genannten Situationstypen wie
Mit der Übung zum direkten Gefühlsausdruck und dem Durchsetzung von Rechten, Kommunikation in Beziehun-
Klären von Missverständnissen im Alltag kann nun zum gen und Sympathiewerbung zur Ableitung des eigentlichen
Aufbau instrumenteller Fertigkeiten im Sinne selbstsiche- situationsspezifischen Zielverhaltens herausgearbeitet. Da-
ren Verhaltens übergeleitet werden. neben ist es wichtig, Merkmale selbstsicheren Verhaltens
gemeinsam mit den Patientinnen herauszuarbeiten, um
eine Diskriminierung von selbstsicherem, aggressivem
12.3 Aufbau selbstsicheren Verhaltens und selbstunsicherem Verhalten zu gewährleisten. Häufig
haben Menschen die Vorstellung, dass sie mit ausreichend
In diesem Abschnitt soll der Bogen vom direkten Äußern Schlagfertigkeit auch selbstsicherer wären. Dysfunktio-
von Gefühlen zu sozial kompetentem Verhalten gespannt nale Annahmen hinsichtlich sozial kompetenten Verhal-
werden. Dysfunktionale Annahmen hinsichtlich selbstsi- tens sollten dementsprechend hinterfragt und modifiziert
cheren Verhaltens werden hierbei modifiziert und sozial werden. Eine ausführliche Darstellung des Diskriminanz-
kompetentes Verhalten anhand von standardisierten Bei- trainings findet sich bei Pfingsten u. Hinsch (1998). Ein
spielsituationen und individuellen Problemsituationen weiterer wichtiger Aspekt zur selbstsicheren Bewältigung
eingeübt. verschiedenster Situationen ist das Erkennen und Ersetzen
Nach Ullrich de Muynck u. Ullrich (1978) können von negativen Selbstverbalisationen und der Aufbau posi-
verschiedene Bereiche sozialer Kompetenz unterschieden tiver Selbstverstärkungen. Durch dieses Vorgehen sollen
werden. Der erste Bereich umfasst den des Selbstbildes und die Patientinnen Einsicht in ihre Problematik erhalten und
beinhaltet die Einstellung zu sich selbst, d. h. sich eigene darüber hinaus durch konkrete neue Erfahrungen mit dem
Bedürfnisse und Ansprüche zuzubilligen. Des Weiteren eigenen Verhalten in schwierigen Situationen zur Verhal-
sind darunter soziale Fertigkeiten und Strategien zu subsu- tensänderung geführt werden. Um dieses Ziel zu erreichen,
mieren sowie die Fertigkeit, soziales Verhalten erfolgreich sollen in diesem Modul neben der Informationsvermitt-
auszuführen, ohne dabei unangemessene Ängste oder lung über sozial kompetentes Verhalten weitere therapeu-
Hemmungen zu erleben. Die verschiedenen Aspekte sozi- tische Strategien wie direkte Hilfen während (Prompting)
aler Kompetenz stellen sich damit auf der Verhaltensebene sowie im Anschluss an die Rollenspiele (Coaching) einge-
folgendermaßen dar: setzt werden.
214 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

Verhaltensweise als selbstsicheres Verhalten einstufen?“


1 Maßnahmen und Unterlagen

-
und Gegenbeispiele wie „Ist dann die Aussage ‚Ruf mich
Übungen
einfach nicht mehr an, mit solchen Leuten wie dir habe ich
Diskriminieren von selbstsicheren, unsicheren und
2
-
es nicht nötig meine Zeit zu verschwenden‘ selbstsicher?“
aggressiven Verhaltensweisen
sollte der Therapeut die Patientinnen darin unterstützen,
Rollenspiele zur Einübung selbstsicheren Verhaltens

--
die Diskriminationsfähigkeiten der Teilnehmerinnen zu
3 Arbeitsmaterialien
verbessern. Die Sammlung der Charakteristika von selbst-
Karteikarten
sicherem Verhalten kann mittels Karteikarten oder am
4 Flipchart, Stifte

-
Flipchart erfolgen. An dieser Stelle kann den Patientinnen
Arbeitsblätter
das Arbeitsblatt 12.7 (. Abb. 12.8) mit der Definition des
Soziale Kompetenz

--
5 (▶ Arbeitsblatt 12.7 . Abb. 12.8)
Begriffs ausgeteilt und das Beispiel diskutiert werden.
Im Anschluss daran sollte der Therapeut noch einmal
Feedbackregeln (▶ Arbeitsblatt 12.8 . Abb. 12.9)
zusammenfassen, was unter sozialer Kompetenz zu ver-
6 Sechs Schritte zur Problemlösung

-
stehen ist und daraus den Sinn von Rollenspielen ableiten.
(▶ Arbeitsblatt 12.9 . Abb. 12.10)

7 Übung „Problemlösen“

-
Erläuterung des Therapeuten
(▶ Arbeitsblatt 12.10/12.10B . Abb. 12.11) Wir haben eben die Definition sozialer Kompetenz besprochen. Diese
Protokollbogen für Konflikt- und Problemsituatio- besagt, dass eine Person dann sozial kompetent ist, wenn sie weiß, was
8 nen (▶ Arbeitsblatt 12.11/12.11B . Abb. 12.12) sie möchte oder braucht, ausdrückt, was sie benötigt oder sich wünscht,
sich an der Verwirklichung der eigenen Bedürfnisse orientiert und ent-
sprechend ihrer Bedürfnisse handelt und zwar derart, dass sowohl sie
9 selbst als auch die anderen zufrieden sein können.
Zuvor haben wir bereits verschiedene Aspekte sozial kompetenten Ver-
Interventionen zur Steigerung haltens besprochen. So haben wir festgestellt, dass es wichtig ist, wie ei-
10 12.3.1
von selbstsicherem Verhalten gene Wünsche und Bedürfnisse ausgedrückt werden, nämlich analog zu
den Sprecherregeln, die wir aus der letzten Sitzung schon kennen. Des

11 Zunächst sollte mit den Patientinnen gesammelt werden,


Weiteren haben wir überlegt, dass der Gefühlsausdruck unsicher oder
aggressiv wirken kann, wenn Verallgemeinerungen oder viele Füllwör-
was diese sich unter Selbstsicherheit vorstellen. Manchmal ter mit hinzukommen, also die Sprecherregeln nicht beachtet werden.

12 kommt es vor, dass die Teilnehmerinnen unsicheres und si- Dies sind viele Aspekte, die es nach und nach in den Alltag zu über-
tragen gilt, um eine sichere und möglichst klare und erfolgreiche
cheres Verhalten unterscheiden können, aber Aggressivität Kommunikation zu erreichen. Daher ist es wichtig, die verschiedenen
und Sicherheit gleichsetzen. Ziel dieser ersten Übung ist es
13 herauszufinden, ob dysfunktionale Überzeugungen vorhan-
Facetten selbstsicheren Verhaltens zu üben. Dazu möchte ich mit Ihnen
gerne Rollenspiele durchführen, da es oft leichter ist, sich in Gedanken
den sind wie beispielsweise „Ich muss immer schlagfertig ein „ideales“ und selbstsicheres Verhalten in bestimmten Situationen
14 antworten können, so dass dem anderen das Wort im Halse auszumalen, als dieses vorgestellte Verhalten dann auch tatsächlich
zu zeigen. Wir können dazu eine Standardsituation spielen oder aber
stecken bleibt, anstatt einfach immer nur sprachlos zu sein“, auch konkrete Situationen aus Ihrem Leben, in denen sie sich wün-
15 welche zu einem aggressivem Verhalten oder aufgrund zu schen würden, sich selbstsicherer zu verhalten. Ziel dieser Rollenspiele
hoher Ansprüche an die eigene Reaktion zur Hemmung ist es, konkrete Fähigkeiten zu trainieren, damit es Ihnen dann im Alltag
führen können. Zur Klärung des Begriffs „Selbstsicherheit“ leichter fällt, sich so zu verhalten, wie Sie es sich wünschen. Hierbei
16 können daher folgende Fragen gestellt werden. können Sie sich die Möglichkeit zunutze machen, von den anderen
Teilnehmerinnen Feedback bezüglich Ihres Verhaltens zu bekommen.

-
So können die anderen Gruppenteilnehmerinnen Ihnen mitteilen, wie
17 ?? Fragen Ihr Verhalten auf sie gewirkt hat, was gut war und was Ihrer Meinung
Was verstehen Sie unter dem Begriff „Selbstsicher- nach noch verbessert werden könnte. Um den Erfolg dieser Übung zu

--
erhöhen, sollte die ausgewählte Situation möglichst genau nachgestellt
18 heit“?
Wie sieht selbstsicheres Verhalten genau aus? werden, damit realitätsnah eingeübt werden kann, wie Sie bestimmte
Dinge ausdrücken und formulieren möchten.
Wie zeigt sich selbstsicheres Verhalten nonverbal

-
19 bzw. verbal?
Was ist kein selbstsicheres Verhalten? Danach werden mit den Teilnehmerinnen Rollenspiele zu
20 verschiedenen Problemsituationen durchgeführt. Bei der
An dieser Stelle kann bereits auf mögliche Unterschiede Durchführung von Rollenspielen sollte im Allgemeinen
zwischen aggressivem, selbstunsicherem und selbstsiche- darauf geachtet werden, dass die erprobten Situationen
21 rem Verhalten verwiesen werden. Die Sammlung der Bei- möglichst konkret sind und das Problem, die beteiligten
spiele bezüglich dessen, was unter selbstsicherem Verhalten Personen, der jeweilige Ort und nähere Umstände eindeu-
22 zu verstehen ist, sollte daher vom Therapeuten moderiert tig benannt werden. Ein diagnostisches Rollenspiel, in wel-
werden. Durch Nachfragen wie etwa „Würden Sie diese chem sich die Patientinnen so verhalten wie immer, stellt
12.3 • Aufbau selbstsicheren Verhaltens
215 12

einen möglichen Probelauf zur Identifikation möglicher


- Was glauben Sie, wie haben Ihre Mitspielerinnen

-
Schwierigkeiten dar. Gemeinsam mit den Patientinnen Sie erlebt?
sollte dann auf der Basis dieses Probelaufes das Zielver- Können Sie das gezeigte Verhalten in einer Alltags-

-
halten und ein grober Handlungsplan erarbeitet werden. situation realisieren?
Die Mitspielerinnen für das Rollenspiel werden gemeinsam Was wird gut funktionieren und was könnte
von Therapeut und der Patientin, deren Situation gespielt schwierig werden?
werden soll, ausgesucht. Die Mitspielerinnen im Rollen-
spiel erhalten von der Patientin, die die jeweilige Situation Die Rückmeldung durch eine Beobachterin und den Thera-
ausgewählt hat, eine genaue Beschreibung des darzustel- peuten sollte möglichst konkret sein und sich auf die Dinge
lenden Verhaltens in der Situation und besonders typischer beziehen, die willentlich veränderbar sind und dem Ein-
Verhaltensweisen der im Rollenspiel darzustellenden Per- fluss der Rollenspielerin unterliegen. So sollte z. B. Stottern
sonen als Charakterisierung (z. B. bei einem Rollenspiel zu nicht angemerkt werden. Zudem können Rückmeldungen
einer Konfliktsituation: „Meine Freundin ist immer schnell bereits konkrete Veränderungsvorschläge beinhalten. Fol-
eingeschnappt, wenn ich mal keine Zeit für Sie habe“). Es gende Leitfragen können zur Einforderung von Feedback
können zusätzlich Beobachterinnen eingeteilt werden. gestellt werden bzw. alternativ kann die Patientin selbst das
Diese bekommen spezifische Instruktionen: Während bei- Feedback mit ähnlichen Fragen einholen.
spielsweise eine Beobachterin dazu instruiert wird, insbe-

-
sondere die Mimik und Gestik der betreffenden Person, ?? Fragen
deren Situation gespielt wird, im Rollenspiel im Auge zu Welchen Eindruck hatten Sie vom Verhalten der

-
behalten, soll eine andere Person ausgewählt werden, die Rollenspielerin?
bevorzugt auf den Inhalt der verbalen Äußerungen fokus- Was war gut, was würden Sie möglicherweise
siert. Eventuell kann der Therapeut oder eine Beobachterin anders machen?
Modell/Vorbild für das erwünschte Verhalten geben und
in einem Modelldurchlauf das „ideale“ Verhalten demons- Das Rollenspiel kann im Anschluss an die Rückmeldung ein
trieren (Fliegel 1996). zweites Mal durchgeführt werden. Dabei können der Haupt-
Das Rollenspiel an sich sollte möglichst kurz gehalten darstellerin nonverbale oder verbale Hilfen gegeben werden.
werden und maximal 5 min. umfassen. Der Übungseffekt Diese sollten möglichst konkret formuliert sein und sich auf
ist größer, wenn kurze Sequenzen wiederholt geübt werden zwei bis drei Aspekte beschränken. Möglich ist auch, bei
als wenn nur ein ausgedehntes Rollenspiel durchgeführt dem zweiten Rollenspiel andere Elemente beobachten zu
wird, denn bei einer sehr langen Sequenz ermüden Be- lassen als beim ersten Durchlauf. So könnte beispielsweise
teiligte und Beobachter oft. Auch kommen zu viele Infor- im ersten Durchgang bevorzugt auf den Inhalt der Äuße-
mationen für die anschließende Rückmeldung durch die rungen eingegangen werden, während beim zweiten Mal
Mitpatientinnen und den Therapeuten zusammen. Das primär auf Mimik und Gestik fokussiert wird. Wichtig bei
Rollenspiel wird beendet, wenn das Zielverhalten realisiert, der Umsetzung des Rollenspiels ist die Entwicklung eines al-
die vorgesehene Spielhandlung zu Ende ist oder wenn das ternativen funktionalen Verhaltens. Dazu ist es sinnvoll, der
Rollenspiel nicht seine geplante Funktion erfüllt (z. B. ein- Patientin abschließend zum Aufbau sozialer Kompetenzen
zelne Mitspieler fallen aus der Rolle). Die Auswertung des Fertigkeiten zum Problemlösen zu vermitteln.
Rollenspiels erfolgt anhand der Rückmeldung durch die
Patientinnen bzw. Rollenspielerinnen selbst sowie durch
die Beobachterinnen bzw. den Therapeuten. 12.3.2 Vermittlung eines
Um die Nachbesprechung von Rollenspielen zu struk- Problemlöseschemas
turieren und sinnvoll zu gestalten, sollten mit den Patien-
tinnen Feedbackregeln besprochen werden. Das entspre- Das Problemlösetraining wurde ursprünglich von D’Zurilla
chende Arbeitsblatt 12.8 findet sich in . Abb. 12.9 Die u. Goldfried (1971) entwickelt, wurde aber mittlerweile für
Rückmeldung durch die „Hauptdarstellerin“ selbst kann verschiedene Therapiekontexte wie etwa dem Einsatz in
anhand folgender Fragen moderiert werden. der Paartherapie modifiziert und liegt in verschiedenen
Versionen vor (Hahlweg et al. 1982; Liebeck 1993). Das

-
?? Fragen Problemlösetraining hat zum Ziel, durch die Vermittlung
Wie haben Sie sich während des Rollenspiels ge- eines systematischen Schemas die Selbstwirksamkeitsüber-

--
fühlt? zeugung zu erhöhen und so zukünftige Probleme auch al-
Wie haben Sie Ihr Verhalten erlebt? lein bewältigen zu können (Kaiser u. Hahlweg 1996).

-
Was war positiv an Ihrem Verhalten? Grundlage des Vorgehens ist die Konkretisierung des
Was möchten Sie verändern? Problems und die Formulierung eines realistischen Ziels.
216 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

Darauf basierend werden in einem Brainstorming ver- gegangen ist und wie das Resultat war. Falls es zu keiner
1 schiedene Lösungsmöglichkeiten entwickelt, ohne diese befriedigenden Lösung gekommen ist, sollte überlegt wer-
zunächst zu bewerten. Dies erfolgt erst im nächsten Schritt. den, woran dies lag und was das nächste Mal verbessert
2 Aus den bewerteten Alternativen werden danach die besten werden könnte. Wichtig ist, trotz der Fehlersuche die Pati-
Lösungsmöglichkeiten ausgewählt und die Umsetzung der entin auf vorhandene Ressourcen und Stärken in der Um-
ausgewählten Lösung konkret geplant. Abschließend wird setzung hinzuweisen. Ein Beispiel für einen ausgefüllten
3 der Verlauf der Durchführung bewertet. Bei Misserfolgen Protokollbogen zeigt Arbeitsblatt 12.11B (. Abb. 12.12).
werden mögliche Gründe, wie unkonkrete Problemdefini- Wichtig ist bei all diesen Übungen im Einzelsetting, dass
4 tion oder unvorhergesehene Schwierigkeiten, herausgear- die Möglichkeit zu Rollenspielen auch im Einzelsetting ge-
beitet. Gegebenenfalls werden alternative Lösungsmöglich- nutzt wird, da die Übertragung des besprochenen Inhalts
5 keiten definiert und ausprobiert. Zu einer ausführlichen in den Alltag besser gelingt, wenn im geschützten Rahmen
Darstellung der Anwendung eines Problemlösetrainings Übungsmöglichkeiten für die Patientin bestehen.
siehe auch Kaiser u. Hahlweg (1996).
6 Im Rahmen der Essstörungsbehandlung sollte das
Problemlösetraining in die Bearbeitung von konflikthaf- 12.4 Zusammenfassung
7
8
ten Situationen, welche Gegenstand der Rollenspiele sein
können, integriert werden. Nachdem zunächst innerhalb
der Rollenspiele Fertigkeiten zum Aufbau sozialer Kom-
petenz im Vordergrund standen, verschiebt der Fokus sich
- Zu sozialen Kompetenzen gehören im weiteren Sinne
nonverbale und verbale Kommunikationsfertigkeiten
sowie kognitive Aspekte in der Interpretation von
jetzt auf die Lösung der möglicherweise zugrunde liegen- Aussagen anderer Personen. Im engeren Sinne zählen
9 den Konfliktsituation. Dazu wird den Patientinnen anhand hierzu auch selbstsichere Verhaltensweisen wie
von Arbeitsblatt 12.9B „Sechs Schritte zur Problemlösung“ Äußerungen klarer Forderungen, das Erkennen des
10 (. Abb. 12.10) durch den Therapeuten das Vorgehen beim zugrunde liegenden Problems oder Konfliktes und
systematischen Problemlösen erläutert. zielorientiertes Lösen durch aktives Handeln zu sozial

11
12
Um hierbei möglichst konkret und anschaulich vorzu-
gehen, wird eine Teilnehmerin gebeten, eine für sie kon-
flikthafte Situation zu beschreiben. Anhand der Situation
werden am Flipchart die einzelnen Schritte zur Lösung für
- kompetentem Handeln.
Elemente zur Verbesserung der nonverbalen Kom-
munikation beinhalten das Trainieren eines stimmi-
gen Gefühlsausdrucks hinsichtlich Mimik, Gestik,
diese Problemsituation durchgespielt. Falls eine Patientin Haltung und Stimmlage. Beim Training verbaler
keine eigene Problemsituation in der Sitzung nennen kann, Kommunikation wird die Patientin darin unterstützt,
13 sollte anhand bereits besprochener Themenbereiche eine vorhandene Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse
individuelle Konfliktsituation abgeleitet werden wie etwa anzusprechen, indem Regeln zum verbalen Gefühls-
14 „Meine Mutter macht mir immer Vorschriften“ oder „Mein ausdruck vermittelt und über Rollenspiele eingeübt
Freund schaut beim Abendessen immer fern statt sich mit werden. Ergänzend wird ein Kommunikationsmodell
15 mir zu unterhalten“ durchgeführt werden. Wichtig ist, eingeführt, welches der Aufdeckung von Missver-
dass nach der Ableitung einer guten Problemlösung auch ständnissen und der Vermeidung von Fehlkommuni-

16
17
die Durchführung dieser Lösung im Rollenspiel eingeübt
wird. Idealerweise können alle Teilnehmerinnen eine ei-
gene schwierige Situation im Rollenspiel üben. Eine weitere
Übungsmöglichkeit ist die oben genannte Bearbeitung des
- kation im Alltag entgegenwirken soll.
Die Vermittlung sozialer Fertigkeiten wird anhand
von konkreten individuellen Beispielsituationen
vorgenommen. Zunächst werden dazu Regeln sozial
Arbeitsblattes 12.10 Übung „Problemlösen“ (▶ http://extras. kompetenten Verhaltens vermittelt und im Rollen-
springer.com), auf dem die sechs Schritte mit einem eigenen spiel die Umsetzung und Einübung der erarbeiteten

-
18 Problem nachvollzogen werden können. Ein Beispiel dazu Strategien angestrebt.
findet sich auf Arbeitsblatt 12.10B (. Abb. 12.11). Als Letztes wird mit den Patientinnen das systema-
19 Abschließend zu diesem Baustein kann die Proto- tische Problemlösen eingeübt. Dazu werden den
kollierung von Konflikt- und Problemsituationen über Patientinnen die sechs Schritte der Problemlösung
20 die Woche als Hausaufgabe aufgegeben werden (Arbeits- vermittelt.
blatt 12.11, ▶ http://extras.springer.com). Die Hausaufgabe
kann sowohl zur Wiederholung von Problemlösetechniken
21 als auch des Themas „sozialer Kompetenz“ in der nächsten 12.5 Arbeitsblätter

22
Sitzung aufgegriffen werden. Die Bearbeitung der protokol-
lierten Konfliktsituationen sollte darauf fokussieren, worin
der Konflikt bestand, wie die Patientin bei der Lösung vor- - Arbeitsblatt 12.1 Übungsanleitung „Gefühlsbild“
(. Abb. 12.2)
12.5 • Arbeitsblätter
217 12

- Arbeitsblatt 12.2B Rückmeldebogen „Gefühlsbild“

- (. Abb. 12.3)
Arbeitsblatt 12.3 Regeln zum Äußern von Gefühlen

- (mod. nach Schindler et al. 1999; . Abb. 12.4)


Arbeitsblatt 12.4B Übung „Äußern von Gefühlen“

-- (. Abb. 12.5)
Arbeitsblatt 12.5B Übung „Hörfehler“ (. Abb. 12.6)
Arbeitsblatt 12.6B Missverständnisse klären

-- (. Abb. 12.7)
Arbeitsblatt 12.7 Soziale Kompetenz (. Abb. 12.8)

- Arbeitsblatt 12.8 Feedback-Regeln (. Abb. 12.9)


Arbeitsblatt 12.9 Sechs Schritte zur Problemlösung

- (. Abb. 12.10)
Arbeitsblatt 12.10B Übung „Problemlösen“

- (. Abb. 12.11)
Arbeitsblatt 12.11B Protokollbogen für Konflikt- und
Problemsituationen (. Abb. 12.12 )
218 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.1 | Übungsanleitung „Gefühlsbild“ | Seite 1


2
3 Übungsanleitung „Gefühlsbild“
Bitte wählen Sie sich zunächst eine Partnerin aus. Einigen Sie sich darauf, wer in der ersten Runde Beobachterin und wer
4 Gefühlsdemonstrantin ist. In der zweiten Runde werden die Rollen getauscht.

5 Als ersten Übungsabschnitt möchte ich Sie bitten, sich Ihrer Gefühle gewahr zu werden. Bitte gehen Sie dazu im Raum
umher und besinnen Sie sich dabei auf Ihre momentane Stimmung. Versuchen Sie dann, Ihre Körperhaltung, Ihren Ge-
sichtsausdruck und Ihren Gang mit Ihren momentanen Gedanken und Gefühlen in Einklang zu bringen.
6
Als nächstes sollte Ihre Partnerin versuchen zu erraten, in welcher Stimmung Sie gerade sind. Dazu gehen Sie nun bitte
7 auf Ihre Partnerin zu und bleiben stehen. Richten Sie nun Ihre ganze Aufmerksamkeit nach innen auf Ihre momentane
Stimmung, die dazugehörigen Gedanken, die Körperhaltung. Ihre Partnerin beobachtet Sie dabei und versucht, Ihre Stim-
mung zu erraten. Sie sollte dazu das Gesicht, die Haltung der Schultern, die Atmung, die Art und Weise, wie Sie auf dem
8 Boden stehen, betrachten. Ihre Partnerin sollte dann ihre Beobachtungen und Vermutungen hinsichtlich des von Ihnen
derzeit empfundenen Gefühls auf den Rückmeldebogen schreiben.
9
Danach möchte ich Sie bitten, einige Sätze, die zu Ihrer momentanen Stimmung passen, ohne die tatsächliche Stimmung

10 direkt auszudrücken, zu äußern. Wenn Sie beispielsweise müde sind, können Sie das ausdrücken, indem Sie beschreiben,
dass Sie früh aufstehen mussten und einen langen Tag hatten. Ihre Partnerin versucht, anhand dieser unkonkreten Aussa-
gen das vermutete Gefühl weiter zu spezifizieren und ergänzt ihre Beobachtung auf dem Rückmeldebogen.
11
Abschließend vergleichen Sie Ihre mimisch und gestisch bzw. durch indirekte Äußerungen ausgedrückten Gefühle mit
12 den Einschätzungen Ihres Gegenübers. Bitte achten Sie darauf, welche Gefühle und deren Nuancen korrekt wahrgenom-
men wurden und wo es Unterschiede gab. Wichtig ist darauf zu achten, wo mögliche Schwierigkeiten im Ausdruck der
Gefühle und deren Entschlüsselung lagen. Überlegen Sie sich gemeinsam mit Ihrer Übungspartnerin, wie es dazu gekom-
13 men sein könnte, dass Ihre Gefühle nicht korrekt eingeschätzt und benannt werden konnten.

14 Anschließend wechseln Sie bitte die Rollen.

15
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 12.2 Arbeitsblatt 12.1 Übungsanleitung „Gefühlsbild“


12.5 • Arbeitsblätter
219 12

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.2 | Rückmeldebogen „Gefühlsbild“ | Seite 1

Rückmeldebogen „Gefühlsbild“
Tragen Sie bitte in die Tabelle unten Ihre Beobachtungen während der Übung „Gefühlsbild“ ein.

Beobachtungskategorien Wahrnehmung Wahrnehmung


nonverbal verbal
Was sehe ich? %OLFNWLQGLH*HJHQG0XQG )UKDXIJHVWDQGHQYLHO]XWXQ
– Gesicht ZLQNHOQDFKXQWHQJH]RJHQ KHXWH.ODXVXUVWHKWDQ%DKQ
– Schultern 6WLUQLQ)DOWHQ$XJHQOHLFKW YHUSDVVW]XVSlWJHNRPPHQ
– Atmung
]XVDPPHQJHNQLIIHQ$UPHLQ
– Körperhaltung
– Stand GLH+IWHQIXFKWHOWPLWGHQ
– sonstiges +lQGHQEHLP5HGHQ

Was höre ich? 6FKQHOOHVXQGDXIJHUHJWHV


– Tonlage 6SUHFKHQKRKH7RQODJH
– Inhalt

Welche Gefühle vermute ich? bUJHU:XW bUJHU:XW

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 12.3 Arbeitsblatt 12.2B Rückmeldebogen „Gefühlsbild“


220 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.3 | Regeln zum Äußern von Gefühlen | Seite 1


2
3 Regeln zum Äußern von Gefühlen
4 Ich-Gebrauch
4 Sprechen Sie von Ihren eigenen Gedanken und Gefühlen. Vermeiden Sie das Formulieren von „Du-Sätzen“.
Beispiel: Å,FKELQPGHXQGP|FKWHQLFKWLQV.LQRJHKHQ´ anstatt

5 Å0HLQVWGXQLFKWGDVVHVYLHOOHLFKWIUGLFKHWZDV]XVSlWIUV.LQRLVW
ZHQQGXPRUJHQVRIUKDXIVWHKHQPXVVW"´

6 4 Konkret bleiben
Sprechen Sie über die konkrete Situation und vermeiden Sie Verallgemeinerungen wie „immer“ oder „nie“.
7 Beispiel: Å,FKILQGHHVVFKDGHGDVVGXPLWPLUKHXWH$EHQGQLFKWDXVJHKHQZLOOVW´ anstatt
Å1LHJHKVWGXPLWPLUDXV´

8 4 Verhaltensweisen ansprechen
Sprechen Sie Verhaltensweisen des Gegenübers an, die Sie stören, nicht Charaktereigenschaften.
9 Beispiel: Å(VYHUXQVLFKHUWPLFKZHQQGXPHLQH)UDJHQQLFKWEHDQWZRUWHVW´ anstatt
Å'HLQH,JQRUDQ]QHUYWPLFK´

10 4 Ziele definieren
Sagen Sie konkret, was Sie möchten. Wenn Sie formulieren, was Sie nicht wollen, machen Sie einen Gegenvorschlag,
11 was Sie stattdessen besser fänden.
Beispiel: Å,FKZUGHJHUQHKHXWH$EHQGPLWGLULQV.LQRJHKHQDQVWDWWIHUQ]XVHKHQ´
12
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 12.4 Arbeitsblatt 12.3 Regeln zum Äußern von Gefühlen (mod. nach Schindler et al. 1999)
12.5 • Arbeitsblätter
221 12

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 12.4 Headline-2
Übung „Äußern
Seitevon |
1 Gefühlen“ | Seite 1

Übung „Äußern von Gefühlen“


Bitte lesen Sie sich die beschriebenen Beispielsituationen durch. Überlegen Sie, was die Person eigentlich sagen möchte.
Identifizieren Sie zunächst das Gefühl, das in der Aussage beschrieben wird und tragen Sie es in die Spalte „Gefühl“ ein.
Anschließend versuchen Sie bitte, eine Aussage zu formulieren, die dieses Gefühl direkt ausdrückt.

Situation Gefühl Direkter Ausdruck


Sie sagen zu einem Bekannten, der zu Ihrer bUJHU ,FKlUJHUHPLFKGDUEHUGDVVGXLP
Verabredung zu spät kommt: „Das macht PHU]XVSlWNRPPVWXQGPLFKZDUWHQ
doch nichts, ich bin ja gewöhnt auf dich zu OlVVW%LWWHEHPKHGLFKGDVQlFKVWH
warten.“ 0DOXP3QNWOLFKNHLW
Anna sagt zu einer Freundin, die sie lange )UHXGH ,FKIUHXHPLFKGDVVGXDQUXIVWZLU
nicht mehr gesprochen hat: „Schön, dass du KDEHQXQVVRODQJHQLFKWPHKUJH
dich auch mal wieder meldest!“ VSURFKHQ
Eine Frau sagt zu ihrem Mann, als der später :XW ,FKELQVHKUZWHQGGDVVGX]XVSlW
als angekündigt nach Hause kommt: „Dein NRPPVWGDKHUKDEHLFKGHLQ(VVHQ
Essen habe ich weggeschmissen, weil es kalt ZHJJHZRUIHQ
war.“
Jana hat ihrer Freundin Lea ihren Lieblings- 7UDXULJNHLW ,FKILQGHHVWUDXULJGDVVPHLQ/LHE
pullover geliehen. Lea gibt ihn ihr mit Flecken OLQJVSXOORYHUMHW]W)OHFNHQKDWXQG
zurück und entschuldigt sich dafür. Jana sagt: P|FKWHJHUQHGDVVGXLKQLQGLH
„Ist nicht so schlimm, den hab ich eh nicht 5HLQLJXQJEULQJVW
mehr so gerne getragen.“
Lena wird von ihrer Freundin blamiert; später, (QWWlXVFKXQJ ,FKELQZLUNOLFKHQWWlXVFKWZHLOGX
unter vier Augen fragt Lena sie: „Findest du PLFKYRUGHQDQGHUHQEODPLHUWKDVW
dein Verhalten richtig?“ ,FKP|FKWHQLFKWGDVVGXVRPLWPLU
XPJHKVW

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 12.5 Arbeitsblatt 12.4B Übung „Äußern von Gefühlen“


222 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.5 | Übung „Hörfehler“ | Seite 1


2
3 Übung „Hörfehler“
Im Folgenden finden Sie ein Beispiel, das zeigt, was passiert, wenn auf unterschiedlichen Ebenen, Nachrichten versendet
4 und empfangen werden. Lesen Sie sich dieses Beispiel durch und beschreiben Sie anschließend Ihrerseits Beispielsituati-
onen, an die Sie sich erinnern können und in denen ebenfalls Missverständnisse aufgrund des Hörens auf unterschiedli-

5 chen Ebenen entstanden.

Beispiel: Der Mann fragt beim Mittagessen: „Was ist denn das für ein Gemüse?“ Die Frau antwortet: „Mein Gott, wenn es
6 dir hier nicht schmeckt, kannst du ja woanders essen gehen.“ Hier treten Missverständnisse auf, weil der Mann etwas auf
der Sachebene vermitteln wollte, die Frau jedoch nur auf dem Beziehungs-Kanal empfängt.
7
Situation:
8 0HLQH0XWWHUIUDJWPLFKZRLFKGHQ3XOORYHUJHNDXIWKDEHGHQLFKJHUDGHWUDJH'DUDXIKLQ
VDJHLFKÅ'DVJHKWGLFKZRKOQLFKWVDQ,FKNDQQNDXIHQXQGDQ]LHKHQZDVLFKP|FKWH´
9
10
11
Das habe ich gehört:

12 0HLQH0XWWHUILQGHWGHQ3XOORYHUJUlVVOLFK

13
14
15 Grund des Missverständnisses/Hörfehler:
,FKKDEHDXIGHP%H]LHKXQJVRKUJHK|UWXQGJHDQWZRUWHWGHQQLFKZHKUHPLFKJHJHQGLHDXI

16 GHU%H]LHKXQJVVHLWHHPSIXQGHQH.UlQNXQJ

17
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 12.6 Arbeitsblatt 12.5B Übung „Hörfehler“


12.5 • Arbeitsblätter
223 12

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 12.6 Headline-2
Missverständnisse |
Seite 1 klären | Seite 1

Missverständnisse klären
Bitte notieren Sie hier ein „Missverständnis“, das kürzlich aufgetreten ist. Beschreiben Sie die Situation bzw. die Aussage,
die das Missverständnis ausgelöst hat und überlegen Sie, ob das Missverständnis aufgrund von „Falschhören“ entstanden
sein könnte. Versuchen Sie, die empfangene Botschaft den vier Ebenen nach Schulz von Thun zuzuordnen. Im Anschluss
daran überlegen Sie, wie Sie sich hätten alternativ verhalten können (oder die Situation/Aussage alternativ hätten inter-
pretieren können), um das Missverständnis zu klären oder sogar zu vermeiden.

Situation/Aussage Å'DVDQGHUH.OHLGJHIlOOWPLUEHVVHU´ VDJWPHLQ)UHXQG


DOVZLU]XHLQHU3DUW\JHKHQZROOHQ 

Interpretation 'HUZLOOGDVVLFKGDVDQGHUH.OHLGDQ]LHKH $SHOONDQDO 


(auf welchem Kanal haben Sie gehört?) 'DV.OHLGJHIlOOWLKPDQPLUQLFKWHUILQGHWEHVWLPPWGDVV
LFKGDULQ]XGLFNDXVVHKH %H]LHKXQJVNDQDO 

Gefühle und Verhalten in der Situation ,FKELQJHNUlQNWXQGIKOHPLFKXQZRKO]LHKHPLFKQRFK


PDOXP
Alternative Interpretation 6DFKHEHQH'DVDQGHUH.OHLGJHIlOOWLKPHLQIDFKEHVVHU
ZHLOHUGDV0XVWHUVFK|QHUILQGHW

Alternatives Verhalten 1DFKIUDJHQZLHVRHUGDVPHLQW


0LFKQLFKWXP]LHKHQXQGGDV.OHLGDQEHKDOWHQ

Bewertung der Alternativen 1DFKIUDJHQLVWJXWLFKVROOWHGDVLQ=XNXQIW|IWHUWXQ


'DIUPXVVLFKVHOEVWEHZXVVWHUZHUGHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 12.7 Arbeitsblatt 12.6B Missverständnisse klären


224 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.7 | Soziale Kompetenz | Seite 1


2
3 Soziale Kompetenz
(nach Ullrich de Muynck und Ullrich 1978)
4
Was bedeutet „soziale Kompetenz“? Eine Person ist sozial kompetent, wenn sie ...
1. ...weiß, was sie möchte oder braucht und
5 2. ...ausdrückt, was sie benötigt oder sich wünscht (Problembewusstsein),
3. ...sich an der Verwirklichung der eigenen Ziele orientiert (Handlungsplanung),
6 4. ...entsprechend den eigenen Bedürfnissen handelt (Handlungsausführung),
5. ...und zwar so, dass sowohl sie selbst als auch die anderen zufrieden sein können (Handlungsbewertung).

7 Diese Punkte sollen am folgenden Beispiel verdeutlicht werden.

8 Der Chef legt Frau M. zum vierten Mal in Folge um Punkt 17 Uhr eine Akte auf den Tisch, die sie noch heute bearbeiten soll. Sie
sagt ihm, dass sie diese Arbeit heute nicht mehr erledigen könne, da sie einen Termin habe, die Akte aber morgen früh als erstes
9 bearbeiten werde.

Frau M. zeigt in dieser Situation soziale Kompetenz,


10 4 weil sie weiß, dass sie die Arbeit nicht mehr tun möchte (1.)
4 und deshalb auch ausdrückt, dass sie die Akte heute nicht mehr bearbeiten kann (2.).
11 4 Ihr Ziel ist es, die Verabredung mit einer Freundin einzuhalten und zu entspannen (3.),
4 was sie auch erreicht, indem sie die Zusatzarbeit für heute nicht mehr annimmt, sondern auf morgen verweist (4.).

12 4 Sie bleibt jedoch dem Chef gegenüber freundlich und höflich und bietet eine Alternative an. Der Chef erwidert die
Höflichkeit und ist mit dem Kompromiss einverstanden, sodass Frau M. ihren Termin wahrnehmen kann (5.).

13
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 12.8 Arbeitsblatt 12.7 Soziale Kompetenz


12.5 • Arbeitsblätter
225 12

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.8 | Feedback-Regeln | Seite 1

Feedback-Regeln

Feedback-Geber Feedback-Nehmer
(„Sender“) („Empfänger“)

Vor dem Feedback werde ich... Ich werde...


4 ...feststellen, ob mein Gegenüber bereit ist, 4 ...ein Feedback einfordern
mein Feedback aufzunehmen 4 ...konkrete Fragen stellen
4 ...überprüfen, ob mein Feedback angemes- 4 ...das Feedback annehmen und mich nicht
sen und nützlich ist verteidigen oder rechtfertigen
4 ...einen geeigneten Zeitpunkt wählen 4 ...nachfragen, wenn mir die Bedeutung
4 ...meine eigenen Motive beim Geben des nicht klar ist
Feedbacks betrachten 4 ...meine eigenen Reaktionen (Gedanken/
4 ...ein richtiges Maß finden (keine verletzen- Gefühle) mitteilen
den Äußerungen machen)

Während des Feedbacks werde ich ...


4 ...konkret und verhaltensnah bleiben
4 ...überprüfen, was wie ankommt

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 12.9 Arbeitsblatt 12.8 Feedback-Regeln


226 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.9 | Sechs Schritte zur Problemlösung | Seite 1


2
3 Sechs Schritte zur Problemlösung
Im Folgenden sind sechs Schritte zum Vorgehen beim Problemlösen (Mod. nach D´Zurilla u. Goldfried 1971) beschrieben.
4 Sie stellen geeignete Problemlösestrategien dar, die helfen sollen, Konflikte zu lösen und immer wieder auftretende
Streitauslöser zu vermeiden.

5
6 4. Schritt: Entscheidung über die
1. Schritt: Problem- und Zieldefinition besten Lösungsmöglichkeiten
7
Hier soll definiert werden, wo genau das Hier sollen die einzelnen Vor- und Nach-
8 Problem liegt und welches Ziel man errei- teile gegeneinander abgewogen und
chen möchte. es soll die beste Möglichkeit ausgewählt
werden.
9
10
11 2. Schritt: Entwicklung von
5. Schritt: Planung der Umsetzung
Lösungsmöglichkeiten

12 An dieser Stelle sollen Ideen für Lösungs-


Nun soll die beste Lösungsmöglichkeit
auch in die Tat umgesetzt werden. Dazu
möglichkeiten des Problems gesammelt
13 werden, die geeignet wären, dem gesetz-
sollen konkrete Handlungsschritte erarbei-
tet werden.
ten Ziel näher zu kommen. Die Lösungs-
14 möglichkeiten sollen aber noch nicht
bewertet werden.

15
16
6. Schritt: Bewertung der
Lösungsversuche
17 3. Schritt: Bewertung von
Lösungsmöglichkeiten
An dieser Stelle soll eine Bewertung des
18 Nun sollen die einzelnen Vorschläge
Erfolgs der Lösungsversuche stattfinden.
Dabei ist zu beachten, dass auch Fehl-
hinsichtlich ihrer kurz- und langfristigen
19 Vor- und Nachteile bewertet werden.
schläge oder Misserfolge eine wichtige
Informationsquelle für ein verbessertes
Vorgehen beim nächsten Mal sein können.
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 12.10 Arbeitsblatt 12.9 Sechs Schritte zur Problemlösung


12.5 • Arbeitsblätter
227 12

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.10 | Übung „Problemlösen“ | Seite 1

Übung „Problemlösen“
Versuchen Sie, ein eigenes Problem anhand der „sechs Schritte zum Vorgehen beim Problemlösen“ zu lösen.

1. Schritt: Problem- und Zieldefinition


4. Schritt: Entscheidung über die besten
Lösungsmöglichkeiten
,FKVWHOOHPRUJHQVGHQ:HFNHULP
PHUZHLWHUXQGNDQQGDQQQLFKW
,FKNRPELQLHUHXQGGDQQNDQQ
IUKVWFNHQZHQQLFKQLFKW]XVSlW
LFKJHIKOWOlQJHUOLHJHQEOHLEHQKDEH
NRPPHQZLOO,FKP|FKWHIUKHU
DEHUHIIHNWLYPHKU=HLW
DXIVWHKHQXPPRUJHQVZHQLJHU
6WUHVV]XKDEHQ

2. Schritt: Entwicklung von


Lösungsmöglichkeiten 5. Schritt: Planung der Umsetzung

,FKVWHOOHPLUGHQ:HFNHUPLQ ,FKNOHEHHLQHQJUR‰HQ=HWWHODQ
IUKHUDOVLFKDXIVWHKHQPVVWH GHQ%DGH]LPPHUVSLHJHOGDPLWLFK
,FKVWHOOHDOOH8KUHQLQGHU:RK DEHQGVQLFKWYHUJHVVHGLH6DFKHQ
QXQJPLQYRU IUGHQ0RUJHQEHUHLW]XVWHOOHQ
,FKEHUHLWHDEHQGVVFKRQDOOHV :HFNHUIUKHUVWHOOHQ
YRU 7LVFKGHFNHQ7DVFKHSDFNHQ
.OHLGXQJUDXVVXFKHQ

3. Schritt: Bewertung von


Lösungsmöglichkeiten
6. Schritt: Bewertung der
Lösungsversuche
,FKPVVWHVSlWHVWHQVEHLP.OLQJHOQ
DXIVWHKHQGDPLWLFK=HLWJHZLQQH
'LH.RPELQDWLRQKDWSULPDJH
:HQQDOOH8KUHQYRUJHKHQUHFKQHLFK
NODSSW(VLVWQXUHWZDVXQJHZRKQW
QLFKWPHKU]XUFNVWUHVVHPLFKDEHUYLHO
VLFKDEHQGVVFKRQDXIGHQQlFKV
OHLFKWPHKUGDLFKGHQNHLFKVHL]XVSlW
WHQ7DJYRU]XEHUHLWHQ
:HQQDOOHVVFKRQYRUEHUHLWHWLVWVSDUH
LFKFDPLQLFKPXVVPLFKDEHQGVDXI
UDIIHQGLH9RUEHUHLWXQJHQ]XWUHIIHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 12.11 Arbeitsblatt 12.10B Übung „Problemlösen“


228 Kapitel 12 • Techniken zur Verbesserung sozialer Kompetenzen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 12.11 | Protokollbogen für Konflikt- und Problemsituationen | Seite 1


2
3 Protokollbogen für Konflikt- und Problemsituationen
Bitte notieren Sie hier Konflikte bzw. Problemsituationen, die im Verlauf der Woche aufgetreten sind.
4 Beschreiben Sie die Situation und überlegen Sie entsprechend dem Problemlöseschema, was Ihr Ziel
in der Situation war und welche möglichen Lösungen es dafür gab. Beschreiben Sie in Stichworten,
was Sie zur Lösung des Konflikts/Problems getan haben und bewerten Sie Ihren Lösungsversuch.
5
1. Konflikt/Problemsituation 2. Konflikt/Problemsituation
6 Problem bzw. Konflikt 0HLQ)UHXQGVFKDXWEHLP$EHQGHV ,FKELQIXUFKWEDUPGHXQGND
VHQLPPHU)HUQVHKHQ SXWWELQDEHUHLJHQWOLFKQRFKYHU
7 DEUHGHWXQGZLOOPHLQH)UHXQGLQ
QLFKWHQWWlXVFKHQ

8 Ursprüngliches Verhalten ,FKVDJHQLFKWVXQGlUJHUHPLFK ,FKJHKH]XGHP7UHIIHQREZRKO


GDUEHU LFKYLHO]XPGHELQXQGPLU5XKH
EHVVHUWlWH
9 Gewünschtes Ziel in der $OH[VFKDOWHWGHQ)HUQVHKHUDXVXQG /HQDVDJHQGDVVLFK]XPGHELQ
Situation ZLUXQWHUKDOWHQXQVEHLP$EHQGHV XQG]X+DXVHEOHLEHQ
10 VHQEHUGHQ7DJ
Lösungsmöglichkeiten ,FKVFKDOWHGHQ)HUQVHKHUVHOEVW ,FKUXIH/HQDDQXQGVDJHGDVV

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19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 12.12 Arbeitsblatt 12.11B Protokollbogen für Konflikt- und Problemsituationen


Literatur
229 12
Literatur

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1–3. Pfeiffer, München
231 13

Interventionen zur
Veränderung des Körperbildes
T. Legenbauer, S. Vocks

13.1 Einführung – 232


13.2 Vorstellung des Modells der Körperbildstörung – 233
13.3 Imaginationsübungen – 234
13.3.1 Imaginationsübung „Körperreise“ – 234
13.3.2 Imaginationsübung „Gedanken sammeln“ – 236

13.4 Abtast- und Zeichenübungen – 237


13.4.1 Abtasten und Zeichnen des eigenen Körpers – 237
13.4.2 Übung zur Fremd- und Selbstwahrnehmung – 239

13.5 Modellierübungen – 240


13.6 Spiegel- und Videokonfrontationsübungen – 241
13.7 Zusammenfassung – 244
13.8 Arbeitsblätter – 245
Literatur – 252

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
232 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

1
-
Ziel
Informationsvermittlung zum 4-Komponenten-Mo-
behandelt worden (Vocks 2008). Insbesondere bei buli-
mischen Patientinnen, die nicht wie Frauen mit Anore-

2 - dell des Körperbildes


Veränderung der perzeptiven, affektiv-kognitiven
und behavioralen Komponente des Körperbildes
xia nervosa durch die Fehlwahrnehmung eines starken
Untergewichts gekennzeichnet sind, wurde in der Ver-
gangenheit oft von Interventionen zur Verbesserung des
Körperbildes abgesehen (Übersicht: Böse 2002; Voßbeck-

--
3 Vorgehen Elsebusch et al. 2013). Vielversprechende Ansätze in der
Vermittlung der 4 Komponenten des Körperbildes Behandlung von Körperbildstörungen sind beispielsweise
4
5 - Analyse der Einstellungen zum Körper
Identifikation von Diskrepanzen zwischen Selbst-und
Fremdwahrnehmung über Körperwahrnehmungs-
Spiegel- und Videokonfrontationen (Tuschen-Caffier und
Florin 2002; Vocks und Legenbauer 2010; Voßbeck-Else-
busch et al. 2013), die u. a. dazu führen sollen, Angst- und

6 - übungen
Korrektur des negativen Körperbildes im Rahmen
von Spiegelexpositionen
Ekelgefühle hinsichtlich des Körpers (z. B. über Habitua-
tion) abzubauen und positive Aspekte am eigenen Körper
zu entdecken. Neben der Konfrontationstherapie existie-
ren zudem affektiv-erlebnisorientierte Ansätze, um die
7 Sensitivität gegenüber inneren und äußeren Reizen im
13.1 Einführung Umgang mit dem Körper zu erhöhen. Dazu zählen insbe-
sondere Übungen, die verschiedene Aspekte der Körper-
8 Die negative Einstellung zum eigenen Körper sowie die wahrnehmung wie Gefühl und Bewegung kombinieren
starke Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von Figur und und die Internalisierung neuer Erfahrungen erleichtern
9 Gewicht haben einen hohen Stellenwert in der Entstehung (Görlitz 2001). Dabei werden verschiedene Wahrneh-
und Aufrechterhaltung der Essstörung. Daher ist es wich- mungsaspekte (taktil, visuell, physiologisch, kinästhe-
10 tig, diesem Aspekt Beachtung zu schenken und direkte In- tisch) genutzt, um eine emotionale Reaktion hervorzu-
terventionen zur Verbesserung des Körperbildes durchzu- rufen und einen neuen Bezug von Wahrnehmungs- und
führen (Vocks und Legenbauer 2010; Voßbeck-Elsebusch Erlebensebene herzustellen. Geeignet sind hierbei vor al-
11 et al. 2013). lem körperbezogene interaktionelle Übungen, die durch
Die Entstehung eines negativen Körperbildes hängt mit den Einbezug der Verhaltenskomponente und durch
12 multiplen Ursachen zusammen, die in soziokulturelle (Fa- Rückmeldungen von anderen Patientinnen leichter zu
milie, Peers, Medien) und individuelle Faktoren (kritische einer Veränderung der Einstellung zum eigenen Körper
Lebensereignisse, prämorbides höheres Gewicht u. Ä.) ein- führen, da hier gezielt neue korrigierende Erfahrungen
13 geteilt werden können (Vocks und Legenbauer 2010). Diese gemacht und körperbezogenes Vermeidungsverhaltung
soziokulturellen und individuellen Bedingungen führen bei abgebaut werden sollen.
14 einer Internalisierung des überhöhten Schlankheitsideals zu Ziel dieser Therapiesequenz ist daher zum einen eine
körperlicher Unzufriedenheit, wenn die Wunschfigur nicht erste Überwindung des körperbezogenen Vermeidungs-
15 erreicht werden kann (Stice 1994). Tritt diese Unzufrieden- verhaltens durch die Aufmerksamkeitslenkung auf den
heit zusammen mit anderen Vulnerabilitätsfaktoren wie ei- Körper, zum anderen eine Hinterfragung der bisherigen
nem geringen Selbstwertgefühl, dysfunktionalen Modellen Einstellungen zum eigenen Körper.
16 bezüglich der Einstellung zum eigenen Körper (z. B. inner- An dieser Stelle möchten wir je zwei Übungen aus dem
halb der Familie) auf, kann es zur Ausbildung einer Körper- Spektrum der Imaginationsverfahren sowie der Abtast-
17 bildstörung kommen. Diese Körperbildstörung beinhaltet übungen, und zwar Zeichen- und Modellierübungen, vor-
oft neben negativen Gedanken und Gefühlen dem eigenen stellen, welche sich unserer Meinung nach besonders zur
Körper gegenüber auch die verzerrte Wahrnehmung des Behandlung der Körperbildstörungen bei Essstörungspati-
18 eigenen Körpers und ungünstiges körperbezogenes Verhal- entinnen eignen. Die hier dargestellten Imaginationsübun-
ten in Situationen, in welchen der Körper im Mittelpunkt gen sind eher als Einstiegsübungen zu verstehen, bei denen
19 steht (Komponentenmodell ▶ Abschn. 13.2). Das negative die Patientinnen einen Zusammenhang zwischen Körper
Körperbild wird durch dysfunktionale Bewältigungsstrate- und Gefühl erleben und anfangen sollen, sich mit ihrem
20 gien, wie körperbezogenes Vermeidungsverhalten (z. B. der Körper auseinanderzusetzen. Bei den Abtastübungen geht
Betrachtung des eigenen Körpers im Spiegel aus dem Wege es darum, sich selbst und eine andere Patientin zu berüh-
gehen), aufrechterhalten. Zu einer ausführlichen Darstel- ren und Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrneh-
21 lung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Körper- mung herauszuarbeiten. Bei den Zeichenübungen werden
bildstörungen siehe Vocks und Legenbauer (2010). die Erfahrungen in Form eines Bildes umgesetzt, bei den
22 Die Veränderung des gestörten Körperbildes ist bis- Modellierübungen nutzen die Patientinnen verschiedene
lang in der Essstörungstherapie eher „stiefmütterlich“ Materialien wie Ton, Knete oder Modelliermasse, um eine
13.2 • Vorstellung des Modells der Körperbildstörung
233 13

dreidimensionale Darstellung von ihrem subjektiven Kör- ponenten-Modells des Körperbildes das Abtasten des
perbild anzufertigen. eigenen Körpers mit Zeichnen durchgeführt. Im zweiten
Es ist anzuraten, nicht nur eine Übungsart mit den Pa- Schritt werden das Abtasten der Partnerin und zum Ab-
tientinnen durchzuführen, sondern durchaus mehrere Sit- schluss des Moduls Spiegelkonfrontationsübungen ange-
zungen zur Veränderung des Körperbildes zu planen und leitet.
verschiedene Herangehensweisen zu wählen. Dabei ist es
sinnvoll, zunächst das Komponentenmodell des Körperbil-
des einzuführen und den Einfluss des negativen Körperbil- 13.2 Vorstellung des Modells
des auf die Essstörungssymptomatik zu verdeutlichen. Erst der Körperbildstörung
im zweiten Schritt werden die Patientinnen dazu angelei-
tet, sich mit dem Körper anhand unterschiedlicher Sinne Bevor mit den konkreten Übungen begonnen wird, soll
wie Tasten und Spüren auseinanderzusetzen. Die folgende mit den Patientinnen der Zusammenhang zwischen den
Übersicht fasst die Ziele dieser Übungen zur Verbesserung unterschiedlichen Ebenen einer Körperbildstörung erar-
des Körperbildes noch einmal zusammen. beitet werden. Da in diesem Manual keine umfassende
Körperbildbehandlung dargestellt wird, soll unser hier

-
vorgestelltes Komponentenmodell vornehmlich auf die
Ziele von Körperwahrnehmungsübungen
Störungskomponenten und weniger auf Entstehung und
Herausarbeiten von Zusammenhängen zwischen
Aufrechterhaltung der Körperbildstörung im Konkreten
Gedanken und Gefühlen in Bezug auf den eigenen

-
eingehen. Eine ausführliche Darstellung zur Entstehung
Körper
und Therapie von Körperbildstörungen findet sich in
Vorbereitung der kognitiven Umstrukturierung

-
Vocks und Legenbauer (2010).
körperbezogener Gedanken
Das Komponentenmodell stellt das Körperbild als
Vorbereitung von Aufmerksamkeitsumlenkung auf

--
Produkt sinnesphysiologischer, affektiver und kognitiver
positive Aspekte des eigenen Körpers
Aspekte dar und beinhaltet zudem als weitere Komponente
Verbesserung der Körperwahrnehmung

-
das Verhalten, das durch negative Einstellungen zum Kör-
Aufbau positiver Körperwahrnehmung
per beeinflusst wird. Die einzelnen Komponenten eines
Abbau negativer körperbezogener Emotionen
gestörten Körperbildes umfassen damit „Wahrnehmung“,
„Gedanken“, „Gefühle“ und „Verhalten“.

Die hier benannten Verfahren zur Verbesserung des Perzeptive Komponente Beeinträchtigungen der perzepti-
Körperbildes können demnach je nach zur Verfügung ven Ebene beinhalten die Fehlwahrnehmung bzw. Unter-
stehender Zeit unterschiedlich kombiniert werden. Als oder Überschätzung der eigenen Körperdimensionen. Aus
Einstiegsübung eignet sich zur Herausarbeitung des Zu- der Forschung ist bekannt, dass sowohl Frauen mit Ano-
sammenhangs zwischen Gedanken und Gefühlen zu- rexia als auch Bulimia nervosa dazu neigen, ihre Körper-
nächst eine Körperwahrnehmungsübung, welche in dimensionen als dicker einzuschätzen, als sie tatsächlich
▶ Abschn. 13.3 dargestellt wird. Sie kann im Anschluss sind (Cash und Deagle 1997), auch wenn die Befundlage
an den Therapiebaustein zur Modifikation dysfunktiona- stellenweise uneindeutig ist (Voßbeck-Elsebusch et al.
ler körperbezogener Kognitionen oder an Übungen zur 2013). Im klinischen Kontext ist bei anorektischen Pati-
Emotionsregulation durchgeführt werden. Des Weiteren entinnen allerdings häufig zu beobachten, dass der Grad
kann es sinnvoll sein, die Körperwahrnehmungsübungen des tatsächlich oft extremen Untergewichts verkannt wird
vor den Konfrontationsübungen durchzuführen, um die und wenig Einsicht in die Notwendigkeit der Gewichts-
Patientinnen im Sinne eines graduierten Vorgehens auf zunahme besteht, was u. a. als Folge der perzeptiven Kör-
die Konfrontationsübungen vorzubereiten. Im Anschluss perbildstörung gewertet werden kann. Bei bulimischen
an die Körperwahrnehmungsübungen sollten dann die Patientinnen dagegen kommt es durch die Überschätzung
Spiegel- und Videoexpositionen durchgeführt werden. des meist normalen Körpergewichts eher zu einer Recht-
Abschließend können zudem Expositionsübungen im fertigung für die Fortsetzung der Diätversuche (Vocks und
natürlichen Umfeld, die im Zusammenhang mit körper- Legenbauer 2010).
bezogenem Vermeidungs- und Kontrollverhalten stehen,
durchgeführt werden (Vocks und Legenbauer 2010). Affektive Komponente Die affektive Komponente beinhal-
Ein Beispiel, wie eine Therapiesequenz zur Verbes- tet Gefühle, die sich auf den eigenen Körper beziehen wie
serung des Körperbildes aufgebaut werden kann, ist in beispielsweise Scham, Ekel, Angst, u. ä. Sie gehen eng mit
▶ Kap. 5 dargestellt. Dabei wird als Eingangsübung nach den oben beschriebenen kognitiven Prozessen einher.
Vorstellung der theoretischen Grundlagen des 4-Kom-
234 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

Kognitive Komponente Beeinträchtigungen auf der kog- In . Abb. 13.1 ist der Zusammenhang zwischen den ver-
1 nitiven Ebene zeigen sich dabei insbesondere im Rahmen schiedenen Aspekten des negativen Körperbildes als

2 -
dysfunktionaler körperbezogener Grundannahmen wie:
„Nur wenn ich schlank bin, werde ich von anderen
4-Komponenten-Modell dargestellt.
Dieser sich ergebende Teufelskreis kann verändert wer-

3 - gemocht.“
„Nur wenn ich attraktiv bin, habe ich beruflichen
Erfolg.“
den, indem zum einen die dysfunktionalen Einstellungen
hinsichtlich des Körpers bewusst gemacht und im Sinne
einer kognitiven Umstrukturierung alternative, funktiona-
lere und angemessenere Gedanken erarbeitet werden. Zum
4 Diese Grundannahmen hängen, wie in den vorangegan- anderen ist neben den kognitiven Interventionen auch die
genen Kapiteln (▶ Kap. 10) beschrieben, mit automati- Etablierung neuer Erfahrungen mit dem eigenen Körper
5 schen Gedanken zusammen, welche in Situationen mit wichtig, um eine Veränderung des negativen Körperbildes
körperbezogenen Reizen wie Essen, Exponiertheit des herbeizuführen. Dies ist über Expositionsübungen mög-
Körpers wie beim Schwimmen oder in Sammelumklei- lich, während derer sowohl kognitive und affektive als auch
6 dekabinen sowie in sozialen Kontexten wie Partys oder ggf. perzeptive Aspekte des Körperbildes korrektiv beein-
am Arbeitsplatz auftreten können. Diese könnten folgen- flusst werden können. Imaginationsübungen oder Wahr-
7
-
dermaßen lauten:
„Wenn ich im Spiegel meinen dicken Bauch sehe,
nehmungsübungen bieten hier eine gute Möglichkeit, die
Patientinnen langsam in die Übungen zur Verbesserung
8
9
- könnte ich losheulen.“
„Mein Chef hat mir bestimmt den Auftrag nicht
gegeben, weil ich so zugenommen habe.“
des Körperbildes einzuführen, da dabei nicht nur mit dem
Einsatz des Sehsinns gearbeitet, sondern auch die perzep-
tive Ebene über den Tastsinn mit einbezogen wird.

Behaviorale Komponente Die Beeinträchtigung auf der


Imaginationsübungen
10 behavioralen Ebene bezieht sich schließlich auf die aus 13.3
den anderen Komponenten resultierenden Veränderun-
gen im Verhalten. Dieses körperbezogene Verhalten kann Imaginationsübungen können zwei Zielen dienen: der För-
11 sich sowohl auf Vermeidungsverhalten beziehen wie das derung der Entspannungsfähigkeit (Vaitl und Petermann
Tragen weiter Kleidung zur Verhüllung der Körperformen, 2004) und der Verdeutlichung des Zusammenhangs zwi-
12 ständiges Baucheinziehen oder Muskelanspannen als auch schen Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmung (Görlitz
Kontrollstrategien wie tägliches Wiegen, Abmessen des 2001). Im Folgenden werden nun zwei Imaginationsübun-
Körperumfanges oder wiederholtes Betrachten im Spiegel gen „Körperreise“ und „Gedanken sammeln“ vorgestellt.
13 beinhalten. Die folgenden Materialien und Arbeitsblätter sind dazu
Wie bereits aus der Beschreibung der einzelnen Kom- notwendig:
14 ponenten ersichtlich, besteht eine wechselseitige Beeinflus-
sung der verschiedenen Komponenten untereinander: So
Maßnahmen und Unterlagen
15
--
beeinflusst die negative Einstellung zum Körper die affek-
Übungen
tive Komponente des Körperbildes sowie das Verhalten.
„Körperreise“
Zum Beispiel denkt eine Person, zu dick zu sein und fühlt
16 „Gedanken sammeln“

-
sich traurig und ängstlich. Deshalb trägt sie bevorzugt sehr
Materialien
weite Kleidung, um ihre Körperformen zu verstecken.
17 Durch das Tragen der Kleidung wirkt ihr Körper plum- Stifte; evtl. Kissen
per, und sie bekommt weniger Komplimente von anderen
Menschen, was ihre Annahme, zu dick zu sein, bestätigt.
18 Das negative Körperbild kann so nicht korrigiert werden,
und eine Art Teufelskreis entsteht (Vocks und Legenbauer 13.3.1 Imaginationsübung „Körperreise“
19 2010; Voßbeck-Elsebusch et al. 2013). Daher ist es wichtig,

20 -
den Patientinnen zu verdeutlichen
dass sich das negative Körperbild auf verschiedenen
Ziel der Übung ist es, die Aufmerksamkeit auf den eigenen
Körper zu lenken und den Körper einmal frei von jeder

21 -- Ebenen zeigt und


dass diese Ebenen miteinander interagieren und
es durch diese Interaktion zur Ausbildung eines Teu-
felskreises kommt.
Bewertung wahrzunehmen. Dazu werden die Patientinnen
dazu instruiert, sich entspannt hinzusetzen, wenn möglich
die Augen zu schließen und sich auf eine geführte Reise
durch ihren Körper zu begeben. Die Aufgabe dabei ist, die
22 Aufmerksamkeit auf die auf diese Weise „bereisten“ Kör-
perteile zu richten und zu beobachten, welche Gefühle
13.3 • Imaginationsübungen
235 13
.. Abb. 13.1 Die 4 Komponen-
ten des Körperbildes

… Sind die Züge kraftvoll oder eher langsam und entspannt? … Gehen
auftreten. Dabei sollte keine Bewertung erfolgen. Die auf-
Sie weiter zu Ihrem Bauch. … Versuchen Sie Ihren Bauch zu spüren,
tretenden Gefühle können als diagnostische Hinweise bei- … wie fühlt er sich an? … Gespannt durch die Bewegung, kühl vom
spielsweise für Vermeidungsverhalten genutzt werden. Im Wasser? … Verweilen Sie eine Weile dort. … Stellen Sie sich vor, wie Ihr
Folgenden ist die Anleitung zur Übung dargestellt (mod. Körper durch das Wasser gleitet und das Wasser an Ihrem Bauch entlang
nach Legenbauer und Vocks 2005, S. 112). strömt. … Versuchen Sie in sich hineinzuhorchen, … was fühlen Sie?
… Wandern Sie weiter zu Ihren Beinen. … Spüren Sie, wie Ihre Beine
durch das Wasser gleiten? … Wie fühlt sich das an? … Sind Ihre Beine
Erläuterung des Therapeuten schwer oder leicht? … Versuchen Sie sich jeden Beinschlag vorzustel-
Lehnen Sie sich zurück, schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie len, … wie Sie die Beine anwinkeln … und wieder ausstrecken, … wie
sich zunächst auf ihren Atem. Atmen Sie langsam ein und aus, ganz das Wasser an den Beinen entlang strömt. … Können Sie die Strömung
langsam, tief ein und aus … stellen Sie sich vor, alle Ihre Gedanken spüren? … Gehen Sie weiter zu Ihren Füßen. … Können Sie die einzel-
sind wie Wolken am Himmel – alle störenden Einflüsse ziehen einfach nen Zehen spüren? … Sind die Füße warm oder kalt? … Fühlen sie sich
in diesen Wolken dahin. … Atmen Sie einfach tief ein und aus … ein unterschiedlich an? … Versuchen Sie sich vorzustellen, wie das Wasser
und aus. … durch Ihre Zehen durchfließt. … Genießen Sie noch einmal den Mo-
Versuchen Sie nun sich vorzustellen, Sie schwimmen in einem See, um ment … spüren Sie, wie das Wasser Ihren Körper umgibt. … Versuchen
Sie herum ist Stille, der Wind rauscht in den Bäumen. … Sie sind ganz Sie Ihren Körper im Ganzen wahrzunehmen. … Wie fühlt er sich an?
alleine, das Wasser ist angenehm warm … Sie schwimmen langsam und … Achten Sie nun noch einmal auf Ihren Atem, atmen sie ruhig ein und
entspannt … Sie hören die Vögel zwitschern … und sind ganz ruhig und aus … tief ein und aus … ein und aus. … Kommen Sie jetzt langsam
tief entspannt. … Lassen Sie das Alltagsgeschehen los … spüren Sie wie wieder zurück … recken und strecken sich … öffnen die Augen …
der Wind durch Ihr Haar weht … wie die Wellen bei jeder Bewegung
sanft gegen Ihr Kinn schlagen. … Sie spüren die Sonne auf der Haut im
Gesicht und auf dem Kopf, … hören das leichte Platschen des Wassers.
Zur Besprechung der Körperreise können folgende Fragen
… Spüren Sie, wie das Wasser Sie warm und weich umgibt. … Versu-
chen Sie nun zu erspüren, wie sich der Kopf über Wasser anfühlt … den
gestellt werden:

--
Wind in den Haaren, die Sonne auf der Nase. … Gehen Sie weiter zu
Ihren Schultern und den Armen … stellen Sie sich vor, alle Last des All- ?? Fragen
tags ist von ihnen genommen. … Spüren Sie, wie die Arme bei jedem Wie ist es Ihnen bei dieser Körperreise ergangen?

--
Schwimmschlag durch das Wasser gleiten, … wie das Wasser an Ihren
Welche Entdeckungen haben Sie gemacht?
Armen entlang strömt, … versuchen Sie sich vorzustellen, wie sich das
Wasser durch Ihre Finger drückt. … Wie fühlt sich das an? … Versuchen
Welche Gefühle sind bei Ihnen aufgetreten?
Sie nun, in die verschiedenen Körperteile hinein zu fühlen … verfol- Welche Veränderungen konnten Sie auf körperli-
gen Sie die Bewegung Ihrer Arme. … Können Sie Ihre Muskeln spüren? cher Ebene spüren?
236 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

- Gab es Körperstellen, die Sie nicht wahrnehmen dem kognitiven Modul durchgeführt wird. Die Patien-

-
1 oder nachfühlen konnten? tinnen sollten dann darauf aufmerksam gemacht werden,
War es angenehm, sich zu spüren? wann die von ihnen gemachte Aussage einen Gedanken
2 oder ein Gefühl beinhaltet.
Die Übung kann zu Beginn der Sitzung durchgeführt Im nächsten Schritt soll nun herausgearbeitet wer-
werden und als Einstieg in die Körperbildtherapie genutzt den, dass positive und negative Gedanken unterschiedli-
3 werden. Bei 6–8 Gruppenteilnehmerinnen sind ca. 30 min. che Empfindungen im Körper auslösen. Dazu sollen die
für die Übung zu veranschlagen, so dass im Anschluss die Teilnehmerinnen jeweils einen der niedergeschriebenen
4 zweite Imaginationsübung oder alternativ auch die Einzel- Gedanken aufgreifen und sich auf diesen konzentrieren.
oder Partnerabtastübung durchgeführt werden kann. Die Augen sollten geschlossen bleiben. Die Patientinnen
5 sollen dabei beobachten, wie sie sich bei der Konzentration
auf den Gedanken fühlen. Um den Einfluss der jeweili-
13.3.2 Imaginationsübung „Gedanken gen Valenz (positiv oder negativ) des Gedankens auf das
6 sammeln“ Körpergefühl zu verdeutlichen, sollte die Patientin zwei
Durchgänge machen und sich jeweils auf einen negativen
7 Die Übung „Gedanken sammeln“ eignet sich zur Heraus- und einen positiven körperbezogenen Gedanken konzen­
arbeitung des Zusammenhangs zwischen körperbezogenen trieren. Ist der positive Gedanke zu schwierig in der Vor-
Gedanken und Gefühlen und kann zur Vorbereitung von stellung nachzuerleben oder unglaubwürdig, kann alter-
8 Expositionsübungen eingesetzt werden, um noch einmal nativ eine frühere positive körperbezogene Erfahrung
die körperbezogenen dysfunktionalen Gedanken heraus- gedanklich ausgemalt werden. Nach Durchführung der
9 zuarbeiten. Übung sollte mit den Gruppenteilnehmerinnen bespro-
Die Übung wird mit allen Gruppenteilnehmerinnen zu- chen werden, welche Erfahrungen sie gemacht haben.
10 sammen durchgeführt. Zunächst wird die Anweisung gege-
ben, dass sie sich auf Ihren Körper konzentrieren und für Anleitung Teil 2
2–3 min. die Gedanken sammeln sollen, die ihnen bei der Bitte suchen Sie sich im zweiten Teil der Übung nun einen negativen
11 Konzentration auf den Körper durch den Kopf gegangen Gedanken heraus und überprüfen Sie, mit welchem Gefühl der Ge-
danke einhergeht. Machen Sie dann diese Übung noch einmal mit
sind. Diese Gedanken werden im Anschluss auf dem Ar- einem positiven Gedanken. Falls Sie keinen positiven Gedanken auf-
12 beitsblatt 13.1 „Gedanken sammeln“ (▶ http://extras.sprin- geschrieben haben, können Sie sich eine positive körperbezogene
ger.com) notiert und in der Gruppe vorgestellt. Ein Beispiel Situation vorstellen.
dazu findet sich auf Arbeitsblatt 13.1B (. Abb. 13.5). Die
13 Instruktion zum ersten Teil der Übung kann wie folgt ge- Abschließend werden die Patientinnen gebeten, zu schil-
geben werden: dern, inwiefern sie Unterschiede zwischen den beiden
14 Bedingungen gespürt haben. Ziel ist es, die Patientinnen
Anleitung dafür zu sensibilisieren, dass ein negativer Gedanke auch
15 zu Arbeitsblatt 13.1
Setzen Sie sich bitte bequem hin, schließen Sie die Augen und entspan-
ein negatives körperbezogenes Gefühl bedingen kann, ein
positiver Gedanke hingegen eher mit einem neutralen oder
nen Sie sich. Konzentrieren Sie sich ganz auf Ihren Körper. Wie fühlen
positiven Gefühl einhergeht. Die Nachbesprechung sollte
16 Sie sich in diesem Augenblick in ihm? Was denken Sie über ihn? Bleiben
Sie einen Moment in diesem Zustand und sammeln Sie die verschie- in der Gesamtgruppe durchgeführt werden und könnte
denen Gedanken. Ihnen können dabei Aussagen wie „Ich bin schwer folgendermaßen moderiert werden:
17 und träge“, „Ich bin zufrieden“ oder Ähnliches durch den Kopf gehen.
Schreiben Sie nun diese Aussagen nieder. Waren es nur positive oder
Therapiegespräch
auch negative Aussagen? Ordnen Sie die Aussagen in positive und ne-
18 gative in das Arbeitsblatt „Gedanken sammeln“ ein.
Therapeut: – „Welche Erfahrungen haben Sie während der unterschied-
lichen Abschnitte der Übungen gemacht? Wer möchte denn anfangen
Überlegen Sie, ob die Aussage eher einem Gefühl oder eher einer Be-
und beschreiben, auf welche Aussagen er sich konzentriert hat und was
wertung Ihres Körpers entsprach. Bitte machen Sie hinter die Aussagen
19 auf dem Arbeitsblatt „Gedanken sammeln“, die einem Gedanken ent-
passiert ist?“
sprechen, ein G und hinter ein Gefühl ein E (wie Emotion). Frau S.: – „Also dann fange ich an. Ich habe mir die Aussage: ‚Ich fühle
mich fett‘ als Erstes vorgenommen. Wir hatten ja schon gesagt, dass
20 das eher ein Gedanke ist als ein Gefühl, aber es war einfach etwas, was
Bei der Besprechung sollte darauf geachtet werden, ob Ge- ich ganz häufig im Kopf habe. Ich habe mich daher für diese Aussage
danken und Gefühle korrekt auseinander gehalten werden. entschieden und mich intensiv auf diesen Satz konzentriert“
21 Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Übung zu ei- Therapeut: – „Was haben Sie denn gespürt, als Sie sich auf den Satz
nem frühen Therapiezeitpunkt wie beispielsweise vor dem konzentriert haben?“

22 Emotionsregulierungsmodul, in welchem die Diskrimina- Frau S.: – „Ich habe dabei gemerkt, dass ich angespannt bin und auch
irgendwie traurig und wütend geworden bin.“
tion von Gedanken und Gefühlen eingeführt wird, oder
13.4 • Abtast- und Zeichenübungen
237 13
Therapeut: – „Haben Sie eine Idee, warum Sie der Satz traurig und wü- möchten. Die Übung sollte daher nur von Patientinnen
tend gemacht hat?“ durchgeführt werden, die sich damit einverstanden er-
Frau S: – „Traurig, weil ich es gerne ändern würde, aber nicht kann, wü- klären. Es gibt auch die Möglichkeit, bestimmte Bereiche
tend, weil mich dieser Satz so beherrscht und mich in meinem Leben
einschränkt.“
auszulassen (z. B. bei Frauen mit Missbrauchserfahrungen;
Dialog in ▶ Abschn. 13.5). Sind alle Teilnehmerinnen ein-
Therapeut: – „Wie war das denn mit dem positiven Satz? Gab es einen?“
verstanden, werden die Arbeitsblätter ausgeteilt und die
Frau S: – „Nein, nicht so direkt. Ich hatte mir irgendwie gewünscht, dass
ich mich leicht und beschwingt fühlen würde. Das habe ich mir dann einzelnen Übungsschritte durchgeführt.
beim zweiten Teil ganz intensiv vorgestellt. Dass ich irgendwie leicht Im Folgenden werden alle verschiedenen Varianten
und beschwingt wäre. Das ist auch wieder eher ein Gefühl als ein Ge- der Abtastübung dargestellt, wobei die Übungsteile ähn-
danke, aber was erstaunlich war, ist, dass ich mich wirklich nicht mehr so liche Zielsetzungen haben und daher je nach Gegebenheit
traurig gefühlt habe wie vorher mit der Aussage: Ich bin so fett.“
untereinander ausgetauscht werden können. Falls nicht
Therapeut: – „Sehr gut. Wie ist es denn den anderen ergangen?“
genügend Zeit ist, kann auf eine Auswahl der verschiede-
nen Übungen zurückgegriffen werden. Da im Einzelset-
Falls diese Übung nicht nur dazu genutzt wird, kognitive ting Partnerübungen nicht möglich sind, muss hier auf die
Interventionen vorzubereiten, kann an dieser Stelle insbe- entsprechenden Übungsmöglichkeiten durch Abtasten des
sondere das veränderte positive Körpererleben durch die eigenen Körpers zurückgegriffen werden. Folgende Mate-
positiven Gedanken sowie der Abbau eines möglicherweise rialien werden dafür benötigt.
vorhandenen Vermeidungsverhaltens durch die Beschäfti-
gung mit dem Körper betont werden. Im Anschluss daran
Maßnahmen und Unterlagen

-
eignen sich sowohl Abtast- als auch Zeichenübungen.
Übungen
Kombinierte Zeichen-Abtast-Übung des eigenen
13.4 Abtast- und Zeichenübungen
- Körpers
Partnerabtastübung
Bei Abtast- und Zeichenübungen kann die Diskrepanz
-
Materialien
Stifte

-
zwischen subjektiv empfundenem Körperbild und den
Arbeitsblätter
Erfahrungen beim Abtasten des eigenen Körpers deutlich
Partnerübung zum Abtasten
gemacht werden. Dafür ist z. B. eine Übung geeignet, in
(▶ Arbeitsblatt 13.2/13.2B . Abb. 13.6)
welcher die Patientinnen sich zunächst selbst skizzieren.
Diese Skizze stellt die eigene mentale Repräsentation des
eigenen Körpers dar. Nach diesem ersten Schritt bekommt
die Patientin dann die Aufgabe, sich selbst von oben bis
unten mit geschlossenen Augen abzutasten, um danach 13.4.1 Abtasten und Zeichnen
den erfühlten Körper zu skizzieren. Die Unterschiede der des eigenen Körpers
beiden Bilder werden anschließend betrachtet und die
Diskrepanz zwischen dem vor und nach dem Abtasten Zur Einleitung der Einzelabtastübung werden die Patien-
gezeichneten Bild herausgearbeitet. tinnen zunächst aufgefordert, ein Bild von sich selbst zu
Eine Erweiterung dieser Übung besteht darin, die Pa- zeichnen, und zwar so, wie sie sich im Moment spüren.
tientinnen zunächst sich selbst befühlen zu lassen und das Dazu kann folgender Text verwendet werden:
Erspürte jeweils auf einem Blatt zu notieren, dann eine
Partnerin abzutasten und umgekehrt. Das Ziel dieser Auf- Erläuterung des Therapeuten
gabe besteht darin, das Selbstbild mit dem Fremdbild abzu- Ich möchte mit Ihnen heute eine Übung machen, bei der es darum
geht, das Äußere des Körpers nicht wie generell üblich über die Au-
gleichen. Dies liegt darin begründet, dass die Patientinnen
gen wahrzunehmen, sondern sich ihm mit dem Tastsinn zu nähern. Die
sich selbst oft verzerrt und dick wahrnehmen, andere Per- Übung soll Ihnen dabei helfen, die tatsächliche Beschaffenheit einzel-
sonen aber realistisch einschätzen können. Entsprechend ner Körperpartien zu erspüren und mögliche Diskrepanzen zwischen
hat die Erfahrung, dass die andere Person sich selbst als negativem Körperbild und tatsächlichem Aussehen aufzuzeigen. Zur
deutlich dicker wahrnimmt als sie sich anfühlt, modell- Vorbereitung möchte ich Sie bitten, zunächst ein Bild von sich zu malen.
Das Bild soll nicht schön sein oder Sie wahrheitsgetreu wiedergeben,
haften Charakter und dient dazu, korrektive Erfahrungen
vielmehr geht es um Ihr gefühltes Körperbild.
durch das Erkennen der Diskrepanz zwischen Selbst- und
Fremdwahrnehmung zu initiieren.
Generell ist es wichtig, insbesondere bei den Abtast- Ein mögliches Ergebnis dieser Übung zeigt . Abb. 13.2.
übungen zu beachten, dass einzelne Teilnehmerinnen sich Haben die Patientinnen sich selbst gezeichnet, werden
nur ungern von einer anderen Patientin berühren lassen Sie gebeten, sich nun in eine Ecke des Raums zu stellen
238 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

1
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14
.. Abb. 13.2 Beispiel eines Selbstbildnisses vor dem Abtasten .. Abb. 13.3 Beispiel für ein Selbstbild nach dem Abtasten
15
und sich mit geschlossenen Augen abzutasten und gleich Haben die Teilnehmerinnen die Übung beendet, werden sie
danach das, was sie erspürt haben, ebenfalls zu zeichnen wieder in den Kreis gebeten. Dann sollen alle Patientinnen
16 (Ein Beispiel zeigt . Abb. 13.3). Dazu kann folgende Inst- die Zeichnungen vor sich legen. Eine Freiwillige fängt mit
ruktion gegeben werden. der Erläuterung ihrer beiden Zeichnungen an. Dabei soll
17 darauf geachtet werden, dass sie zunächst erklärt, worauf
Erläuterungen des Therapeuten sie beim Zeichnen des Bildes vor dem Abtasten geachtet hat.
Jetzt möchten wir Sie bitten, sich selbst zu befühlen. Bitte stehen Sie Danach wird sie darüber befragt, inwiefern die Vorstellung
18 dafür auf und tasten Sie sich vom Haar bis zu den Zehen ab. Die in-
ihres Körpers sich von der Realität beim Abtasten des ei-
timen Körperbereiche können Sie auslassen, wenn Sie das möchten.
genen Körpers unterschieden hat und wie sie diese Unter-
19 Wichtig ist, dass Sie das sehr langsam und sorgfältig tun und möglichst
versuchen, viele Einzelheiten wahrzunehmen. Wo spüren Sie Knochen, schiede zeichnerisch umgesetzt hat. Im Vordergrund der
wo fühlt es sich weich an? Was stimmt mit den Erwartungen, die Sie Interpretation steht dabei zunächst das eigene Erleben der
20 haben, überein? Wenn Sie sich von oben bis unten abgetastet haben,
lassen Sie das Ertastete noch einmal auf sich wirken. Versuchen Sie
Patientin. Ist diese mit ihren Erläuterungen fertig, werden
die anderen Teilnehmerinnen aufgefordert, ihr Rückmel-
dann noch einmal ein Bild von sich zu zeichnen, und zwar, wie Sie sich
dungen zu geben. Rückmeldungen der Patientinnen können
21 gespürt haben.
Beginnen Sie nun mit der Abtastübung. Sie können dafür in eine ruhige sich auf mögliche Diskrepanzen in der Selbst- und Fremd-
Ecke gehen. Schließen Sie beim Abtasten die Augen und konzentrieren wahrnehmung beziehen. Alle Teilnehmerinnen sollen nach-
22 Sie sich auf das, was Sie fühlen und erspüren. einander die Möglichkeit erhalten, ihre Zeichnungen vorzu-
stellen und Rückmeldungen aus der Gruppe zu bekommen.
13.4 • Abtast- und Zeichenübungen
239 13

Der Therapeut kann die Besprechung durch die folgen- 13.4.2 Übung zur Fremd-
den Fragen moderieren. und Selbstwahrnehmung

-
?? Fragen Die nachfolgend beschriebenen Übungen eigenen sich
Was fällt Ihnen auf, wenn Sie Ihre eigene Zeich- vornehmlich für die Gruppe, da eine Partnerin erforder-

-
nung betrachten? lich ist. Dazu sollten für die im folgenden beschriebenen
Bitte erklären Sie uns, warum Sie sich so gezeichnet Übungen Zweiergruppen gebildet werden. Einführend

-
haben! soll den Patientinnen Ablauf und Ziel der Übung genau
Worauf haben Sie beim Zeichnen Wert gelegt, erklärt werden. Dabei kann auf bereits gemachte Erfah-

--
was wollten Sie damit ausdrücken? rungen hinsichtlich diskrepanter Selbst- und Fremdwahr-
Was haben Sie vor dem Abtasten empfunden? nehmung aus vorangegangen Sitzungen wie beispielsweise

-
Haben Sie das ertastet, was Sie erwartet haben? den Pantomimeübungen aus ▶ Kap. 11 oder individuellen
Wo gab es Unterschiede zwischen dem, was Sie Beispielen aus dem Interventionsbaustein zur Modifika-
erwartet haben, und dem, was Sie tatsächlich tion dysfunktionaler Kognitionen aus ▶ Kap. 10 verwie-

-
ertastet haben? sen werden. Aufgabe der Patientinnen ist es, sich zunächst
Wenn Sie das erste Bild anschauen und mit dem noch einmal selbst zu ertasten und die Wahrnehmungen
Abtastbild vergleichen, wo sehen Sie Unter- anhand des Arbeitsblattes 13.2 „Partnerübung zum Abtas-

-
schiede? ten“ (▶ http://extras.springer.com) zu beschreiben.
Fällt den anderen Gruppenteilnehmerinnen etwas Im Anschluss daran erfolgt das wechselseitige Abtas-

-
auf? ten in den vorher gebildeten Zweiergruppen. Ist dieses
Was meinen die anderen zu dem Abtastbild, inwie- beendet, werden die Beobachtungen in Arbeitsblatt 13.2
fern entspricht diese Zeichnung dem, was Sie an eingetragen und zunächst in der Kleingruppe bespro-

-
Frau X wahrnehmen? chen (Beispiel Arbeitsblatt 13.2B . Abb. 13.6). Falls Fra-
Gibt es etwas, was Sie Frau X gerne zu ihren Bildern gen oder Ängste aufkommen, sollten diese aufgegriffen

-
sagen möchten? und besprochen werden. Dazu könnte folgender Dialog
Wie wirkt das Bild auf die anderen? stattfinden.

Häufig haben die Teilnehmerinnen anfangs Bedenken, sich Therapiegespräch


auf die Abtastübungen einzulassen. Es ist daher sinnvoll, Frau X.: – „Ich fühle mich bei der Vorstellung, von jemandem angefasst
am Ende der Sitzungen noch einmal zu besprechen, wie es zu werden, keineswegs gut.“
den Patientinnen mit den Übungen insgesamt ergangen ist Therapeut: – „Ja, das kann ich nachvollziehen. Gab es denn schon mal
Übungen, bei denen Sie vorher ein schlechtes Gefühl hatten?“
und wie Sie sich jetzt fühlen. Das Herausstreichen der nicht
eingetretenen negativen Erwartungen einerseits und posi- Frau X.: – „Ja, bei den Übungen, bei denen wir uns Essanfälle vorstellen
sollten und dann das Gefühl aushalten mussten, bis das Verlangen, zu
tiven Effekte andererseits kann die Durchführung weiterer essen wieder zurückgegangen ist. Da hatte ich ziemlich viel Angst vor.“
Übungen erleichtern. Therapeut: – „Und wie war es dann für Sie?“
Für die beschriebene Abtastübung in einer Gruppe mit Frau X.: – „Anfangs sehr anstrengend. Aber was mich überrascht hat, ist,
6–8 Teilnehmerinnen sollte möglichst eine komplette Sit- dass es funktioniert hat und ich danach viel entspannter war.“
zung eingeplant werden. Abschließend kann dann die Wie- Therapeut: – „Das heißt, dass es letztendlich gut war, sich darauf ein-
derholung der Abtastübung (▶ http://extras.springer.com; zulassen. Ich würde Sie daher bitten, sich auf die Übung einzulassen.
Beispiel 13.2B „Abtastübung“ . Abb. 13.7) als Hausaufgabe Sie können selbst bestimmen, wie und wo Ihre Partnerin Sie abtasten
gegeben werden. Es sollte noch einmal betont werden, dass darf. Ziel der Übung ist es ja, seinen Körper auf andere Art zu erleben
als nur durch den Sehsinn. Es kann ja auch sehr schön sein, zu spüren,
vor allem auf Unterschiede vom ersten Abtasten geachtet dass ein anderer Mensch sehr vorsichtig mit einem umgeht. Glauben
werden sollte, beispielsweise, dass es den Patientinnen Sie, Sie können sich einmal darauf einlassen, in bestimmten Bereichen
beim zweiten Mal leichter fällt oder bestimmte Körperteile auszuprobieren, wie es ist, abgetastet zu werden und sich Ihren Gefüh-
überhaupt wieder berührt werden können. len dabei zu stellen?“
Im nächsten Schritt oder auch als Alternative zur Ein- Frau X.: – „Na ja, ich denke, dass es okay wäre, an den Schultern und
zelübung kann eine weitere Übung zum Abtasten und zwar wahrscheinlich auch am Kopf und der Außenseite der Beine. Trotzdem
ist es mir sehr unangenehm.“
das Abtasten einer Partnerin zur Vertiefung der Überprü-
Therapeut: – „Was würde Ihnen denn Sicherheit geben? Soll Ihre Part-
fung der Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrneh-
nerin fragen, bevor Sie zum nächsten Körperteil übergeht, oder möch-
mung durchgeführt werden (▶ Abschn. 13.4.2). ten Sie z. B. die Augen offen halten?“
Frau X.: – „Ja, ich glaube, darauf könnte ich mich einlassen. Wenn Frau Y
mich abtastet und ich die Augen dabei aufhalten kann.“
240 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

Dies ist eine mögliche Einführung und Beschreibung der


- Wie haben Sie, Frau X, das Abtasten bei Frau Y

--
1 Übung in der Gruppe: erlebt?
Haben Sie gefühlt, was Sie gesehen haben?
2
-
Erläuterungen des Therapeuten Haben Sie andere Dinge erwartet?
Sicher kennen Sie das alle, dass manchmal die eigene Einschätzung so Was war Ihnen wichtig, Frau Y zu sagen?
gar nicht der Realität bzw. der Wahrnehmung anderer Personen ent-
3 spricht. Dies gilt insbesondere in Bezug auf das Körperbild, wenn eine
Im Anschluss an die Besprechung sollte der Therapeut
Essstörung vorliegt. Um nun das eigene Körperbild nicht nur in Bezug
auf den Sehsinn kennen zu lernen und die eigene Wahrnehmung zu nochmals die wichtigsten Aspekte zusammenfassen und
4 überprüfen, möchte ich mit Ihnen heute eine weitere Übung machen: die Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung
Ich möchte Sie bitten, sich „fühlend“ mit Ihrem Körper auseinanderzu- herausstreichen.
setzen. Das heißt, dass Sie sich von den Haaren an bis hin zu den Zehen
5 abtasten und dabei auf Ihre Haut, Knochen, Muskeln, Sehnen achten.
Bitte tragen Sie dann Ihre Beobachtungen beim Abtasten in das vor
13.5 Modellierübungen
6 Ihnen liegende Arbeitsblatt „Partnerübung zum Abtasten“ ein.
Wenn Sie damit fertig sind, möchte ich Sie bitten, dass Sie sich von
einer anderen Gruppenteilnehmerin Ihrer Wahl abtasten lassen. Die Die Modellierübung (mod. nach Görlitz 2001) ist kombi-
7 andere Person soll ebenfalls von oben langsam Ihren Körper erfühlen.
Bitte sprechen Sie vorher ab, welche Stellen unangenehm sind und
niert aus Abtastübung und dem Modellieren des eigenen
ausgelassen werden sollen. Lassen Sie sich Zeit für diese Übung. Im
Körpers in Ton oder einem anderen gut formbaren Mate-
rial. Stärker als bei der Zeichenübung wird hier weniger
8 Anschluss schreibt Ihre Partnerin ebenfalls auf, was sie beim Abtasten
Ihres Körpers gespürt hat. Danach besprechen Sie bitte zunächst in der mit dem Sehsinn gearbeitet und der Schwerpunkt auf die
Zweiergruppe, wie Sie die Übung erlebt haben und überprüfen Ihre Modellierung des Erspürten in Ton gelegt. Die Modellier-
9 Beobachtungen auf Unterschiedlichkeiten und Übereinstimmungen.
Wenn Sie dies beendet haben, stellen Sie bitte den anderen Teilneh-
übung eignet sich, ähnlich wie die Abtast- und Zeichen-
merinnen in der Gesamtgruppe vor, was Sie herausgefunden haben.
übungen, gut, um Störungen der perzeptiven Ebene zu
10 Haben Sie noch Fragen dazu? bearbeiten, da zwei Modelle gefertigt und beide Arbeiten
Bitte suchen Sie sich dann jetzt eine Partnerin und ziehen Sie sich an verglichen werden können. Durch die Plastizität des mo-
einen ruhigen Ort zurück. Lassen Sie sich selbst Zeit bei der Durch- dellierten Körperabbildes wird daher die Auseinanderset-
11 führung.
zung mit dem eigenen Körperbild erleichtert.

12 Der Therapeut beobachtet die Teilnehmerinnen bei der


Maßnahmen und Unterlagen

-
Übung, hält sich aber ansonsten zurück. Wenn alle Klein-
Übungen
gruppen mit der Nachbesprechung fertig sind, werden sie
13 Abtasten und Modellieren des aktuellen (verzerrten)

-
in die Gesamtgruppe zurückgebeten und die Ergebnisse
Körperbildes
der Übung werden vorgestellt. Die Grundlage dazu stellen
14 die Eintragungen in das Arbeitsblatt 13.2 dar. Die Bespre- Modellieren des ertasteten Körpers (korrigiertes
Körperbild)

-
chung der Übung wird vom Therapeuten moderiert. Dabei
Materialien
15 sollten verschiedene Aspekte erarbeitet werden: Erleben
Ton (oder ähnliches Material)

-
des eigenen Abtastens, Erwartung für das abgetastet wer-
Arbeitsblatt
den, tatsächlich Erlebtes beim Abtasten, Erfahrung beim
16 Abtasten der anderen Person, gegenseitige Rückmeldung. Körperwahrnehmungsübungen
(▶ Arbeitsblatt 13.3/13.3B . Abb. 13.7)
Diese Aspekte können in Form dieser Fragen an die
17 Gruppe gestellt werden.

18
-
?? Fragen zz Durchführung der Modellierübung
Ich möchte Sie bitten, uns einmal zu beschreiben, Die Aufgabe der Patientinnen ist es zunächst, eine Tonfi-

--
wie Sie das Sich-Abtasten erlebt haben. gur zu Modellieren, die das aktuelle „verzerrte“ Körperbild
19 Gab es Körperteile, die Sie ausgespart haben? darstellt. Sind die Patientinnen mit dem Modellieren der
Gab es Körperteile, die Sie nur schlecht gespürt Figur fertig, werden die Figuren verdeckt. Die Patientin
20
-
haben? soll sich nun mit geschlossenen Augen abtasten (s. auch
Welche Körperteile haben Sie gerne angefasst und Anleitung Abtastübung ▶ Abschn. 13.4.1). Im Anschluss an

-
warum? das Abtasten des eigenen Körpers werden die Patientinnen
21 Haben Sie andere Dinge gespürt, als Sie erwartet gebeten, das, was sie an sich ertastet haben, wenn möglich

--
haben? mit geschlossenen Augen ebenfalls in Ton zu modellieren.
22 Was hat Ihnen Frau Y zurückgemeldet? Abschließend werden beide Figuren miteinander vergli-
Wie war es, als Sie abgetastet wurden? chen und das Ergebnis der Übung in der Gesamtgruppe
13.6 • Spiegel- und Videokonfrontationsübungen
241 13

vorgestellt. Einleitend kann folgende Beschreibung beim


Vorgehen der Übung gegeben werden.

Erläuterungen des Therapeuten


Anhand einiger anderer Übungen haben wir bereits den Unterschied
zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung herausgearbeitet, indem
Sie sich betastet haben und Zeichnungen davon angefertigt haben.
Außerdem haben Sie von einer Mitpatientin Rückmeldungen darüber
bekommen, wie Sie sich anfühlen, wenn Sie betastet werden.
Ich möchte heute mit Ihnen zu dieser Partnerübung eine Anschluss-
übung machen und Sie daher bitten, zunächst mit Ton die Umrisse und
Besonderheiten Ihres Körpers zu modellieren.
Wenn Sie damit fertig sind, ist es Ihre Aufgabe, sich noch einmal abzu-
tasten und das, was Sie ertastet haben, in Ton zu modellieren. Es geht
dabei nicht darum, besonders schöne Figuren zu modellieren, sondern
das, was Sie erfühlt haben, in eine Form zu bringen. Dazu sollten Sie
die Körperumrisse Ihres Körpers ertasten und wenn es für Sie jeweils in
Ordnung ist, auch Bauch und Po. Wenn Sie sich fertig ertastet haben,
dann versuchen Sie, die Besonderheiten von Form, Beschaffenheit wie
Weichheit oder spitze Knochen in den Ton zu modellieren. Probieren Sie,
das, was Sie erfühlt haben, in den Ton zu übertragen.
Behalten Sie bei allen Übungsteilen, wenn möglich, die Augen geschlos-
sen. Ziel der Übung ist es, den Körper und seine Besonderheiten, auf
eine neue Art und Weise kennen zu lernen und auch positive Aspekte
über den Tastsinn zu erleben. Haben Sie noch Fragen dazu?

Bei der Durchführung der Modellierübung ist es wichtig,


ähnlich der vorangegangen Übungen, auf mögliche Berüh- .. Abb. 13.4 Beispiele für Tonfiguren aus der Modellierübung
rungsängste der Patientinnen einzugehen und Befürchtun-
gen zu besprechen. Hilfreich ist an dieser Stelle auch, auf mungsübungen“ (▶ http://extras.springer.com) mitgegeben
frühere Schwierigkeiten bei Abtastübungen hinzuweisen werden. Darauf werden noch einmal wichtige Erfahrungen
und positive Erfahrung mit dem Überwinden der Ängste der Stunde abgefragt. Die Notizen dienen als Erinnerungs-
zu betonen. Hintergrund und vor allem Ziel der Übung grundlage für das Erlebte. Sie unterstützen die weitere
sollten deutlich benannt und an individuellen Beispielen Erarbeitung positiver Aspekte des eigenen Körpers und
erläutert werden. körperbezogener Aktivitäten. Ein Beispiel zeigt Arbeits-
Zum Abschluss der Übung wird gemeinsam bespro- blatt 13.3B (. Abb. 13.7).
chen, wie die Patientinnen die Übung erlebt haben, worauf
sie beim Modellieren geachtet haben und welche Unter-
schiede zwischen den beiden Skulpturen deutlich werden 13.6 Spiegel- und
(. Abb. 13.4). Die anderen Teilnehmerinnen können dazu Videokonfrontationsübungen
Fragen stellen oder auch Eindrücke ihrerseits ergänzen.
Wichtig bei der Besprechung der Modellierübung ist Im Anschluss an die einführenden Körpererfahrungsübun-
zum einen, auf die Umsetzung des Ertasteten beim Mo- gen ist es sinnvoll Expositionsübungen mit Spiegel und
dellieren einzugehen, d. h. darauf zu achten, dass z. B. der Video durchzuführen. Diese dienen dazu, eine verzerrte
Bauch einer Patientin besonders eingefallen dargestellt Betrachtungsweise des eigenen Körpers zu korrigieren, ne-
wurde im Gegensatz zum bislang von ihr beschriebenen gative Gefühle wie Unsicherheit, Angst oder Ekel abzubauen
und gefühlten „Blähbauch“. Zum anderen können, wenn und den Blick für positive Aspekte des eigenen Körpers zu
sowohl die Zeichenübung als auch die Modellierübung ge- sensibilisieren. Der Hauptschwerpunkt sollte dabei vor al-
macht wurden, Unterschiede und Veränderungen über die lem auf der Korrektur der negativen Bewertung des eigenen
beiden Übungen hinweg herausgearbeitet werden. Zudem Körpers und der Neuformulierung der Beschreibungen lie-
sollte Wert darauf gelegt werden, positive Gefühle wäh- gen, so dass es zu einer Verbesserung der negativen Emotion
rend der Übung, sowie positive Aspekte des eigenen Kör- kommt und positive Aspekte des eigenen Körpers erkannt
pers zu erfragen und abgebaute Ängste herauszustreichen. werden. Verschiedene Studien (Jansen et al. 2004) konn-
Für diese Übung sollte eine ganze Gruppensitzung ten zeigen, dass Patientinnen mit Essstörungssymptomen
eingeplant werden. Im Anschluss an die Stunde kann eine sehr defizitorientierte Betrachtungsweise des eigenen
als Hausaufgabe das Arbeitsblatt 13.3 „Körperwahrneh- Körpers zeigen und vor allem auf die Aspekte des eigenen
242 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

Körpers fokussieren, die sie als negativ bewerten. Aus die- Beispiel trainiert werden können. Auch bei der Veränderung der Kör-
1 sem Grunde soll im Folgenden dargestellt werden, wie die perwahrnehmung gibt es solche Übungen, wie wir sie bereits in den
letzten beiden Sitzungen kennen gelernt haben.
Patientinnen durch Expositionsübungen für die positiven Eine sehr wirksame Methode, die ich gerne jetzt mit Ihnen durchführen
2 Aspekte ihres Körpers sensibilisiert werden können. Zu wei- möchte, ist die Spiegelübung. Dabei betrachtet man sich im Spiegel und
teren Zielsetzungen und alternativen Vorgehensweisen bei übt, die negativen Gedanken über den eigenen Körper zu unterbrechen
der Körperkonfrontation siehe Tuschen-Caffier und Florin und sie durch neutrale zu ersetzen. Das ist erst mal einfacher, als positive
3 (2002) und Vocks und Legenbauer (2010). Aussagen zu treffen und hilft, die automatischen negativen Gedanken
zu ersetzen. Genau dies möchte ich mit Ihnen im ersten Durchgang
Die Körperexpositionsübungen können auch ohne die
4 zuvor dargestellten Körpererfahrungsübungen durchgeführt
versuchen. In einem zweiten Durchgang soll es dann darum gehen,
neben der Unterbrechung der negativen Gedanken positive Aspekte
werden. Aus unserer Sicht ist es jedoch empfehlenswert, bei des Körpers zu finden. Bei diesem zweiten Durchgang wird es zunächst

5 eher ängstlichen oder stark vermeidenden Patientinnen auf so sein, dass eine zweite Person Ihren Körper positiv beschreibt und
danach noch einmal Sie selbst. Ziel ist es, dass Sie für Dinge sensibilisiert
diese Übungen nicht zu verzichten, da sie durch den Fokus
werden, die Sie bei ihrem automatisierten Blick in den Spiegel meist gar
auf die Integration von Wahrnehmung, Gefühl und Bewer-
6 tung eine graduierte Herangehensweise ermöglichen.
nicht wahrnehmen und übersehen.

Die hier vorgeschlagene Vorgehensweise für Expositi-


7 onsübungen gliedert sich in drei Expositionsdurchgänge: Es wird dann eine Patientin gebeten, sich vor den Spie-
gel zu stellen und sich von Kopf bis Fuß zu beschreiben.
Die Teilnehmerin sollte wahlweise enge, körperbetonende
8 Maßnahmen und Unterlagen

-
Kleidung oder Badekleidung tragen. Die Körperkonfron-
Übungen
tation wird vom Therapeuten geführt, wobei möglichst alle
9 Neutrale Beschreibung des eigenen Körpers durch
Körperteile durch die Patientin genau beschrieben werden.
die Patientin selbst von Kopf bis Fuß mit Unter-
Eine Auflistung aller zu beachtenden Körperbereiche ist
brechung bei negativen oder selbstabwertenden
10
-
in . Tab. 13.1 mit exemplarischen Fragen dargestellt, für
Aussagen
den Fall, dass die Patientin allein nicht weiterkommt. Eine
Positive Beschreibung der Patientin durch eine

-
ausführliche Version zur geleiteten Spiegel- und Videoex-
11 andere Gruppenteilnehmerin
position findet sich in Vocks und Legenbauer (2010).
Positive Beschreibung des eigenen Körpers durch
Wichtig bei der Durchführung der Expositionsübung
12 die Patientin selbst

-
ist, die Patientin jedes Mal zu unterbrechen, wenn sie nega-
Materialien
tive Aussagen macht. Ziel ist es, durch die Unterbrechung
Ganzkörperspiegel oder Videokamera

-
negative automatische Gedanken über den Körper bewusst
13 Arbeitsblätter
zu machen und durch neutrale oder positive Beschreibun-
So sehe ich mich

-
gen zu ersetzen. Bei dieser Übung kann folgender Dialog
14 (▶ Arbeitsblatt 13.4/13.4B . Abb. 13.8)
entstehen:
So wurde ich gesehen

15
16
- (▶ Arbeitsblatt 13.5/13.5B . Abb. 13.9)
So sehe ich mich jetzt
(▶ Arbeitsblatt 13.6/13.6B . Abb. 13.10)
Therapiegespräch
Therapeut: – „Ich möchte Sie bitten, sich von oben bis unten zu be-
schreiben. Dabei sollten Sie möglichst neutrale Aussagen benutzen.
Jedes Mal, wenn Sie eine negative Aussage machen, werde ich Sie mit
einem Räuspern unterbrechen, so dass Sie diese Aussage in Richtung
einer neutralen oder positiven Bewertung verändern können. Bitte
17 Zur Vorbereitung der Patientinnen auf die Durchführung beschreiben Sie zunächst Ihren Kopf. Was sehen Sie, wenn Sie in den
der Expositionsübung kann folgender Text verwandt wer- Spiegel blicken?“
den.
18 Frau S.: – „Also, als Erstes fällt mir meine furchtbar große Nase auf.“
Therapeut: – „Hmhhmmm!! Das ist eine sehr negative Beschreibung.
Erläuterungen des Therapeuten Versuchen Sie es noch mal.“
19 Bei der Besprechung der bisherigen Übungen haben Sie bereits er- Frau S.: – „Ja … also … ich sehe eine gerade Nase, die nicht stupsnasig
wähnt, dass es Ihnen schwer fällt, positive Rückmeldungen über Ihren ist, wie ich das gerne hätte.“
Körper anzunehmen. Das kann daran liegen, dass die negativen au-
20 tomatischen Gedanken, wie wir sie schon besprochen haben, immer
Therapeut: – „Hmmhmmmhmm!!“
Frau S.: – „Das ist sehr schwierig. Mal sehen. Ich habe ein ovales Gesicht
schneller in Ihrem Kopf sind, als Sie das merken und positive Bewer-
mit einer geraden, Nase … die eher schmal ist und am Ende spitz zu-
tungen durch andere Personen dann gar keine Chance haben. Wir ha-
21 ben schon daran gearbeitet, diese Gedanken wahrzunehmen und zu
läuft, und der Knorpel steht etwas nach vorne über.“

verändern. Das ist bisher schon gut geglückt, aber im Alltag vielleicht Therapeut: – „Ja, sehr gut. Bitte machen Sie weiter …“

22 manchmal noch schwer umzusetzen. Genau deshalb macht man in


der Verhaltenstherapie auch Übungen, in denen diese Dinge an einem
Vor, während und nach der Konfrontationsübung sollte
wiederholt erfragt werden, wie stark angespannt die Pati-
13.6 • Spiegel- und Videokonfrontationsübungen
243 13

.. Tab. 13.1 Fragen bei der Spiegelexposition

Körperbereich Zu beschreibende Körperteile Beispielfragen

Kopf Kopfform Wie würden Sie Ihre Kopfform beschreiben?

Ohren Wie sehen Ihre Ohren aus?

Haare Bitte beschreiben Sie Ihre Haare hinsichtlich Schnitt, Struktur und Farbe!

Gesicht mit Stirn, Augen, Wan- Beschreiben Sie bitte als nächstes Ihr Gesicht: Wie ist seine Form? Wie sehen
gen, Nase, Mund, Kinn die einzelnen Elemente Ihres Gesichtes wie Wange oder Nase aus?

Hals Wie sieht Ihr Hals aus? Ist dieser eher lang oder kurz?

Schultern Schlüsselbein Wie ist Ihr Schlüsselbein geformt?

Schulter Wie sehen Ihre Schultern aus?

Arme Wie lang ist Ihr Arm, wenn er am Körper ausgestreckt ist?

Oberarme Wie würden Sie die Form des Oberarmes beschreiben?

Unterarme Sind die Adern an den Unterarmen sichtbar? Wie verlaufen sie?

Hände Wie sehen Ihre Hände aus? Sind Ihre Finger eher lang oder eher kurz?

Rumpf Brust Bitte beschreiben Sie als Erstes Ihr Dekolleté und danach den Brustansatz.

Bauch Beschreiben Sie Ihren Bauch!

Po Schauen Sie sich von der Seite und von hinten an und beschreiben Sie Ihren
Po. Wie ist seine Form?

Beine Wie sind Ihre Beine insgesamt geformt?

Oberschenkel Wie würden Sie Ihre Oberschenkel beschreiben?

Knie Bitte beschreiben Sie Ihre Knie!

Unterschenkel Wie würden Sie Ihre Wade beschreiben?

Füße Bitte betrachten Sie Ihre Füße. Welche Form haben Ihre Füße?

entin ist. Wichtig ist, nach der Übung zu besprechen, wie Die Teilnehmerin kann sich dazu selbst Rückmeldung
die Patientin die Spiegelübung empfunden hat und wel- von einer Mitpatientin einholen. Eine entsprechende Be-
che Gefühle und Gedanken beim Betrachten des eigenen schreibung einer Teilnehmerin durch eine Mitpatientin
Körpers ausgelöst wurden. Zur Vorbereitung der Spiege- kann so aussehen:
lübung kann auch Arbeitsblatt 13.4 (▶ http://extras.sprin-
ger.com) eingesetzt werden (Beispiel Arbeitsblatt 13.4B Therapiegespräch
. Abb. 13.8), welches die Einstellung der Patientin zum Frau A.: – „Möchtest du mir mal Rückmeldung geben?“
eigenen Körper erfragt. Frau B.: – „Ich sehe eine große Frau mit dicken, lockigen blonden Haa-
In einem zweiten Durchgang wird nun eine andere ren. Das Gesicht ist sehr ebenmäßig mit einer schönen, leichten Bräune.
Gruppenteilnehmerin gebeten, den Körper der Patientin Es ist oval geformt mit einer geraden, schlanken langen Nase, die am
Ende leicht gebogen ist und ganz schmal wird, was ihr ein aristokrati-
zu beschreiben. Es ist gewünscht, möglichst bildhafte und sches Aussehen verleiht. Die Augen strahlen und funkeln. Sie hat lange,
positive Beschreibungen abzugeben. So kann beispiels- dichte Wimpern und einen vollen Mund. Die Schultern sind sehr ge-
weise die Nase aus obigem Fallbeispiel als aristokratisch rade und wirken recht muskulös, als ob sie viel schwimmen würde. Der
beschrieben werden. Diese Fremdbeschreibung soll dazu Brustansatz ist leicht gewölbt und die Brüste sind so mittelgroß. Der
genutzt werden, die Aufmerksamkeit der Patientin auf po- Bauch ist sehr flach, die Taille ist gut zu sehen. Die Hüfte ist ungefähr
so breit wie die Schulter, halt so wie es eigentlich sein sollte. Die Beine
sitive Aspekte zu lenken, die sie normalerweise nicht wahr- sehen muskulös aus, sind schön geformt und lang.“
nimmt. Eine weitere Gruppenteilnehmerin sollte gleichzei-
tig auf dem Arbeitsblatt 13.6 (▶ http://extras.springer.com)
notieren, was über die beschriebene Teilnehmerin ausge- Im Anschluss daran wird die Patientin befragt, wie sie die
sagt wurde, um eine möglichst detaillierte Auflistung po- Expositionsübung für sich empfunden hat. Dabei können
sitiver Aspekte an die beschriebene Person weitergeben zu folgende Fragen gestellt werden:
können. Ein Beispiel zeigt Arbeitsblatt 13.5B (. Abb. 13.9).
244 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

-
13.7 Zusammenfassung

-
?? Fragen
1 Wie haben Sie die Beschreibung Ihres Körpers

-
durch Frau B. empfunden? Das Körperbild einer Person setzt sich zusammen aus
2 Konnten Sie die positiven Aspekte, die Frau B. verschiedenen Komponenten wie der Wahrnehmung

--
beschrieben hat, nachvollziehen? des Körpers, den Gedanken und Einstellungen, die
Wenn ja, welche? eine Person über ihren Körper hat, dem subjektiven
3 Gab es etwas, was Ihnen an sich vorher noch nicht Körpergefühl sowie körperbezogenem Verhalten wie

-
aufgefallen war? Vermeidungs- und Kontrollrituale. Diese Faktoren
4 Wie erging es Ihnen bei der Beschreibung der sind miteinander verbunden und beeinflussen sich
von Ihnen als „Problemzonen“ wahrgenommenen wechselseitig. Die Faktoren und die Wechselwirkung
5
-
Körperbereiche? werden in einem 4-Komponenten-Modell der Kör-
Wie haben Sie es wahrgenommen von einer ande- perbildstörung zusammengefasst. Die Körperbildstö-
rung kann sich damit auf der perzeptiven, kognitiven,

-
ren Person so genau angeschaut und beschrieben
6
--
zu werden? affektiven oder behavioralen Ebene manifestieren.
Wie angespannt waren Sie insgesamt? Neben Spiegel- und Videokonfrontationsübun-
7
-
Was haben Sie gedacht? gen gibt es affektiv-erlebnisorientierte Ansätze zur
Welche Gefühle haben Sie erlebt? Behandlung der Körperbildstörung, welche den
Bereichen Entspannungsübungen sowie Imaginati-
8 Falls noch genug Zeit vorhanden ist, wird die Patientin onsverfahren und Körperwahrnehmungsübungen
nun gebeten, die Expositionsübung zu wiederholen und zuzuordnen sind. Diese dienen dazu, auf eine kogni-
9 dabei selbst nur positive Aspekte ihres eigenen Körpers zu tive Umstrukturierung vorzubereiten, auf positive As-
beschreiben. Dies soll noch einmal vertiefend dazu beitra- pekte des Körpers aufmerksam zu machen und eine
10
11
gen, dass die Betroffenen sich positiv über sich zu äußern
lernen und positive Aspekte ihres Körpers benennen kön-
nen. Dieser Teil der Übung wird zudem als Hausaufgabe
aufgegeben.
- Verbesserung des Körpergefühls zu erreichen.
Zur Identifikation von Einstellungen gegenüber dem
eigenen Körper (kognitive Ebene) und zum Aufzei-
gen des Zusammenhangs zwischen kognitiver und
affektiver Ebene können als Einstieg in die Körper-
12 Erläuterungen des Therapeuten bildtherapie Imaginationsübungen wie eine Körper-
Wir haben uns mit den positiven Seiten Ihres Körpers beschäftigt. Da reise oder das „Gedanken sammeln“ durchgeführt

-
nicht alle an die Reihe kommen konnten, möchte ich Sie bitten, diese
werden.
13 Übungen zu Hause selbst durchzuführen. Sie können sich dabei von
Abtast- und Zeichenübungen, welche dem Bereich
einer anderen Personen, z. B. einer Freundin oder Ihrem Partner be-
schreiben lassen. Im letzten Übungsteil geht es dann allerdings darum, der Körperwahrnehmungsübungen zuzuordnen sind,
14 dass Sie sich nicht von einer anderen Person positiv beschreiben lassen, bieten hinsichtlich der Wahrnehmung des eigenen
sondern dies dann auch selbst tun. Wie Sie alle wissen, ist es nicht so Körpers einen guten Ansatz, korrektive Erfahrungen
15
einfach, die Einstellung zu seinem Körper zu verändern und daher ist
zu machen und körperbezogenes Vermeidungsver-
es wichtig, die positiven Erfahrungen, die Sie in dieser Sitzung gemacht
haben, zu stabilisieren. Das geht am besten, wenn Sie die Übung häufig
halten abzubauen. Zur Vertiefung bietet sich hier
auch die Durchführung einer Partnerabtastübung an,
16 zu Hause durchführen.
um mögliche Vergleiche zwischen eigener Wahrneh-

17
18
Abschließend sollten die Teilnehmerinnen auf dem Ar-
beitsblatt 13.6 „So sehe ich mich jetzt“ (▶ http://extras.
springer.com) ihre eigenen Erfahrungen während der Kör-
perkonfrontationsübungen und möglicherweise neue Per-
- mung und Fremdwahrnehmung herauszuarbeiten.
Abtast-/Modellierübungen stellen eine Erweiterung
der Zeichenübung dar, da die Patientinnen gebeten
werden, das, was sie beim Abtasten erspürt haben, in
spektiven beschreiben, um den Fokus auf positive Körper- ein anderes Medium wie Ton oder Pappmaschee zu
bereiche weiter zu verfestigen (Beispielarbeitsblatt 13.6B übertragen. Durch die plastische Darstellung des Er-
19 . Abb. 13.10). fühlten liegt der Schwerpunkt hier vor allem auf der

20
Im Rahmen der Behandlung des negativen Körperbil-
des empfiehlt sich des Weiteren der Einsatz von Interventi-
onen zum Abbau des körperbezogenen Vermeidungs- und
Kontrollverhaltens sowie zum Aufbau positiver körperbe-
- Korrektur der Wahrnehmung des eigenen Körpers.
Spiegel- und Videokonfrontationen sind weitere
Techniken zur Korrektur des Körperbildes. Hierbei
werden negative Aussagen während der Exposition
21 zogener Aktivitäten. Diese und weitere Interventionsbau- korrigiert, um die automatisch-negativen Gedanken
steine zur Körperbildtherapie sind bei Vocks und Legen- sowie die negativen Gefühle bei der Betrachtung des
22 bauer (2010) ausführlich dargestellt. eigenen Körpers zu unterbrechen und zu verändern.
In einem zweiten Schritt können zudem explizite
13.8 • Arbeitsblätter
245 13

positive Aussagen über den Körper bei der Konfron-


tation angestoßen werden und die Aufmerksamkeit
auf positive Aspekte gelenkt werden.

13.8 Arbeitsblätter

-- Arbeitsblatt 13.1B Gedanken sammeln (. Abb. 13.5)


Arbeitsblatt 13.2B Partnerübung zum Abtasten

- (. Abb. 13.6)
Arbeitsblatt 13.3B Körperwahrnehmungsübungen

-- (. Abb. 13.7)
Arbeitsblatt 13.4B So sehe ich mich (. Abb. 13.8)

- Arbeitsblatt 13.5B So wurde ich gesehen (. Abb. 13.9)


Arbeitsblatt 13.6B So sehe ich mich jetzt
(. Abb. 13.10)
246 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 13.1 | Gedanken sammeln | Seite 1


2
3 Gedanken sammeln
Setzen Sie sich bequem hin, schließen Sie die Augen und entspannen Sie sich.
4 1. Versetzen Sie sich ganz in Ihren Körper. Wie fühlen Sie sich in diesem Augenblick in ihm?... Wie denken Sie über ihn?
Bleiben Sie einen Moment in diesem Zustand und sammeln Sie die aufkommenden Gedanken.

5 2. Schreiben Sie nun die Gedanken in die Spalten dieses Arbeitsblatts. Waren es positive oder negative Gedanken? Ord-
nen Sie die Gedanken in die Kästen unten ein.

6
Positive Gedanken Negative Gedanken

7 ,FKIKOHPLFKDXVJHJOLFKHQ ,FKIKOHPLFKVFKZHU

,FKELQ]XIULHGHQ ,FKIKOHPLFKWUlJH
8 ,FKIKOHPLFKDQJHQHKPZDUPXQGHQW ,FKIKOHPLFKHUVFK|SIW

9 VSDQQW ,FKIKOHPLFKXQZRKO

0HLQ%DXFKLVWVRDXIJHEOlKW

10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 13.5 Arbeitsblatt 13.1B Gedanken sammeln


13.8 • Arbeitsblätter
247 13

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 13.2 | Partnerübung zum Abtasten | Seite 1

Partnerübung zum Abtasten


In dieser Übung geht es darum, inwiefern sich Ihre eigene Körperwahrnehmung von der Wahrnehmung Ihres Körpers
durch eine andere Person unterscheidet. Dies soll unabhängig vom Sehsinn geschehen. Dazu suchen Sie sich zuerst eine
Partnerin. Tasten Sie sich zunächst selbst ab und notieren Sie Ihre Erfahrungen im ersten Kasten. Dann lassen Sie sich von
Ihrer Partnerin abtasten. Tragen Sie dann zunächst ein, was Sie während des Abtastens gespürt haben. Im Anschluss las-
sen Sie sich von Ihrer Partnerin beschreiben, was diese beim Abtasten Ihres Körpers erspürt hat. Tragen Sie die Rückmel-
dung Ihrer Partnerin in das zweite Kästchen ein. Danach tauschen Sie die Rollen und tasten Ihre Partnerin ab.

Beim Abtasten habe ich gefühlt, dass...


PHLQH5LSSHQGHXWOLFKKHUYRUWUHWHQGDVVPHLQ%UXVWEHLQVHKUNQRFKLJLVWGDVVLFKHLQHJDQ]
GQQH7DLOOHKDEHGDVV]ZLVFKHQPHLQHQ2EHUVFKHQNHOQFDHLQH+DQGEUHLW$EVWDQGLVW

Als ich abgetastet wurde habe ich gefühlt, dass...


GDVZHQLJHUXQDQJHQHKPZDUDOVHUZDUWHWKDEH0HLQH$UPHKDEHQVLFKJDQ]GQQDQJH
IKOWXQGDXFKPHLQH5LSSHQNRQQWHLFKZLHGHUGHXWOLFKVSUHQ8QWHUGHQ$FKVHOQKDWHVJHNLW
]HOW0HLQ*HVLFKWKDWVLFKJDQ]NOHLQDQJHIKOWXQGPHLQ+DOVODQJXQGVFKPDO0HLQH%HLQH
NRQQWHQYRQGHQ+lQGHQXPVFKORVVHQZHUGHQ'DVKDWPLFKHUVFKUHFNW

Meiner Partnerin ist beim Abtasten aufgefallen, dass...


LFKJDQ]VSLW]HXQGNDQWLJH(OOHQERJHQKDEHXQGGDVVPHLQH.QLHDXFKVHKUVSLW]VLQG6LH
IDQGPHLQH5LSSHQDXFKVSLW]XQGPHLQH6FKXOWHUQVHKUHFNLJ6LHKDWHLQHVHKUGQQH7DLOOH
JHVSUWXQGNRQQWHPLWEHLGHQ+lQGHQXPPHLQH2EHUVFKHQNHOJUHLIHQ'LHZDUHQJDQ]KDUW
XQGPXVNXO|VQLFKWVZHLFKHVGUDQ0HLQHQ+DOVIDQGVLHVHKUVHKQLJ0HLQH+DXWKDWVLHDOV
VHKUJODWWXQGZHLFKZDKUJHQRPPHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 13.6 Arbeitsblatt 13.2B Partnerübung zum Abtasten


248 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 13.3 | Körperwahrnehmungsübungen | Seite 1


2
3 Körperwahrnehmungsübungen
Bitte tragen Sie ein, welche Eindrücke die Körperwahrnehmungsübungen bei Ihnen hinterlassen haben und welche
4 positiven Rückmeldungen Sie bekommen haben. Achten Sie besonders auf positive Aspekte Ihres Körpers. Beantworten
Sie dazu bitte die vorgegebenen Fragen.

5
Welche körperliche Welche positiven Wie sehen andere Menschen
6 Erfahrung war bei der Übung Erfahrungen haben Sie ihren Körper?
für Sie wichtig? während der Übung

7 (VKDWVLFKDQJHQHKPDQ
gemacht? 'LHDQGHUHQKDEHQPHL
QHQ.|USHUDOVVHKUGQQ
JHIKOWYRQHLQHUDQGHUHQ :LHYRUVLFKWLJMHPDQGDQ XQG]HUEUHFKOLFKHUOHEW
8 3HUVRQEHUKUW]XZHUGHQ GHUHVPLWPLUXPJHKWXQG XQGEHVFKULHEHQ
DXIPHLQH:QVFKHXQG

9 0HLQH$UPHKDEHQVLFK
JDQ]GQQXQG]HUEUHFK
%HGUIQLVVHDFKWHW 9RUDOOHPGLHGQQH7DLOOH
XQGGDVNQRFKLJH%HFNHQ
OLFKDQJHIKOW,FKKDEH XQGPHLQHGQQHQ$UPH
10 PHLQH6FKXOWHUEOlWWHUDOV ZXUGHQEHWRQW
VHKUNQRFKLJHPSIXQGHQ

11
12
13
Wie hat sich Ihre Einstellung Welche Ziele möchten Sie im Sonstiges:

14 zu Ihrem Körper durch diese


Übungen verändert?
Umgang mit Ihrem Körper
noch erreichen? ,FKP|FKWHJHUQHQLFKW
LPPHUJOHLFKDXIGLH
15 ,FKIKOHPLFKLP0RPHQW ,FKP|FKWHPHLQHQ.|USHU QHJDWLYHQ6WHOOHQVHKHQ
WDWVlFKOLFKLUJHQGZLH VRP|JHQZLHHULVWXQG VRQGHUQPHLQHQ.|USHU

16 ]HUEUHFKOLFK$EHUDXFK
LUJHQGZLHZHLFKHURIIHQHU
QLFKWZHLWHUNDVWHLHQ DOV*DQ]HVZDKUQHKPHQ
OHUQHQ
XQGYHUOHW]OLFKHU
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 13.7 Arbeitsblatt 13.3B Körperwahrnehmungsübungen


13.8 • Arbeitsblätter
249 13

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 13.4 | So sehe ich mich | Seite 1

So sehe ich mich


Beschreiben Sie, wie Sie sich selbst sehen. Dabei können sie auf Körperpartien wie Beine, Hüften, Bauch, Arme und Ihr Ge-
sicht eingehen oder Ihre Haut beschreiben. Achten Sie jedoch darauf, dass Sie nur Ihre eigene Sicht darstellen und nicht,
wie andere Menschen Ihrer Meinung nach über Ihr Aussehen denken würden.

,FKKDEHVFKZDU]HILVVHOLJH+DDUHGLHJODWWUXQWHUKlQJHQXQGPHLQ9ROOPRQGJHVLFKWXPUDK
PHQ0HLQH1DVHLVWLUJHQGZLHNUXPPXQGPHLQH$XJHQVLQGUHFKWNOHLQVRZLH6FKZHLQFKHQDX
JHQ6LHVLQGJUQXQGGLH)DUEHPDJLFK,FKKDEHYROOH/LSSHQXQGHLQ*UEFKHQLQGHUOLQNHQ
:DQJH0HLQ+DOVLVWUHFKWVHKQLJXQGODQJPHLQH6FKXOWHUQEUHLWXQGNDQWLJ0HLQ%XVHQLVW]X
NOHLQILQGHLFKXQGPHLQ%DXFKLVWVFKZDEEHOLJXQGVLHKWZLH
LPYLHUWHQ0RQDWVFKZDQJHUDXV0HLQH%HLQHVLQG]XNXU]IU
PHLQHQ2EHUN|USHUXQGVLQG]XGHPYLHO]XGLFN'LHVHKHQDXV
ZLH6WDPSIHU

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 13.8 Arbeitsblatt 13.4B So sehe ich mich


250 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 13.5 Headline-2
So wurde ichSeite
gesehen
1 | | Seite 1
2
3 So wurde ich gesehen
Schreiben Sie auf diesem Blatt auf, welche positiven Rückmeldungen Sie von den anderen Gruppenteilnehmerinnen zu
4 jedem der unten genannten Körperbereiche erhalten haben.

5
6
7
8
9
10
11
12
13
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 13.9 Arbeitsblatt 13.5B So wurde ich gesehen


13.8 • Arbeitsblätter
251 13

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 13.6 | So sehe ich mich jetzt | Seite 1

So sehe ich mich jetzt


Nachdem Sie nun die Spiegelexposition gemacht haben und Rückmeldungen von den anderen Teilnehmerinnen zu
Ihrem Körper bekommen haben, möchten wir Sie bitten, sich noch mal selbst zu beschreiben.

,FKKDEHVFKZDU]HVFKXOWHUODQJHJOlQ]HQGH+DDUHGLHPHLQ*HVLFKWXPUDKPHQ'HU3RQ\IlOOWPLU
IUHFKLQGLH$XJHQ0HLQH6WLUQLVWGXUFKGHQ3RQ\QLFKW]XVHKHQXQGDXFKPHLQH$XJHQEUDXHQ
VLQGNDXPVLFKWEDU0HLQHJUQHQ$XJHQVWUDKOHQXQWHUGHPVFKZDU]HQ+DDUXQGVLQGHLQHFKWHU
Å+LQJXFNHU´0HLQH1DVHLVWOHLFKWJHERJHQPLWHLQHP6WXSVHUDP(QGH0HLQH/LSSHQVLQGYROOXQG
LFKKDEHHLQDWWUDNWLYHV*UEFKHQLQGHUOLQNHQ:DQJH0HLQ+DOVLVWXQJHIlKUVRODQJZLHPHLQ
0LWWHOILQJHUDQLKPVLHKWPDQGLH6HKQHQ0HLQH6FKXOWHUQVLQGFDHLQHLQKDOE+DQGOlQJHQODQJ
XQGDP(QGHOHLFKWDEJHUXQGHW0HLQH$UPHJHKHQPLUELVFD]XU+lOIWHGHU2EHUVFKHQNHOZHQQ
VLHDXVJHVWUHFNWVLQG'LH2EHUDUPHVLQGPXVNXO|VXQGGLH+DXWOHLFKWJHEUlXQW$P8QWHUDUP
KDEHLFKDXIGHUUHFKWHQ6HLWHHLQNOHLQHVUXQGHV0XWWHUPDO0HLQH+lQGHVLQGHKHUUXQGOLFKPLW
ODQJHQ)LQJHUQXQGNXU]HQJHUDGHQXQGIHVWHQ1lJHOQ0HLQ2EHUN|USHULVWDWKOHWLVFKNOHLQHIHVWH
%UVWHXQGHLQHLJHQWOLFKIODFKHU%DXFKPLWQXUHLQHUNOHLQHQKDQGJUR‰HQ:|OEXQJXQGHLQHP
UXQGHQ%DXFKQDEHO$QGHU+IWHNDQQPDQGLH+IWNQRFKHQHUDKQHQ0HLQH%HLQHVLQGPXVNXO|V
'LH2EHUVFKHQNHOVLQGFDHLQH+DQGEUHLWDXVHLQDQGHU2EHUN|USHUXQG%HLQHVLQGXQJHIlKUDXV
JHZRJHQYRQGHU3URSRUWLRQKHU'LH.QLHVLQGHWZDVVSLW]GLH:DGHQHEHQIDOOVPXVNXO|V'LHNDQQ
LFKPLW]ZHL+lQGHQJXWXPIDVVHQ'LH)HVVHOQVLQGJUD]LOXQGGLH)‰HVFKPDOXQGVHKQLJ'LH
)X‰QlJHONXU]JHVFKQLWWHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 13.10 Arbeitsblatt 13.6B So sehe ich mich jetzt


252 Kapitel 13 • Interventionen zur Veränderung des Körperbildes

Literatur
1
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2 rollierte Studie. Theorie-Forschungsstand-Behandlungsmanual.


Roderer, Regensburg
Cash TF, Deagle EA (1997) The nature and extent of body-image distur-

3 bances in anorexia nervosa and bulimia nervosa: A meta-analysis.


Int J Eat Disord 22:107–125
Görlitz G (2001) Körper und Gefühl in der Psychotherapie – Basisübun-
4 gen, 2. Aufl. Pfeiffer, München
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dem Schönheitswahn – ein Ratgeber. Hogrefe, Göttingen
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BN and an exploration of the mechanism of action. Clin Psychol
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6 Tuschen-Caffier B, Florin I (2002) Teufelskreis Bulimie. Ein Manual zur
psychologischen Therapie. Hogrefe, Göttingen
Vaitl D, Petermann F (2004) Entspannungsverfahren – Ein Praxishand-
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Vocks S, Legenbauer T (2010) Körperbildtherapie bei Anorexia und Buli-
mia nervosa. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungs-
8 manual, 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen
Vocks S (2008) Die Behandlung von Körperbildstörungen. In: Herpertz
S, de Zwaan M, Zipfel S (Hrsg) Handbuch Essstörungen und Adipo-
9 sitas. Springer, Berlin, S 219–225
Vossbeck-Elsebusch AN, Vocks S, Legenbauer T (2013) Körperexposition

10 bei Essstörungen: Durchführung und Bedeutung für den Therapie-


erfolg. Psychother Psychosom Med Psychol 63:193–200

11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
253 14

Förderung von Ressourcen


T. Legenbauer, S. Vocks

14.1 Einleitung – 254


14.2 Interventionen zur Steigerung des Selbstwertgefühls – 254
14.2.1 Vermittlung von Informationen zum Aufbau
des Selbstwertgefühls – 255
14.2.2 Übungen zur Steigerung des Selbstwertgefühls – 256

14.3 Etablierung einer ausgewogenen Energiebilanz – 258


14.3.1 Überprüfung der Energiebilanz – 258
14.3.2 Abbau von Energiefressern – 261

14.4 Interventionen zur Steigerung der Genuss-


und Entspannungsfähigkeit – 263
14.4.1 Genusstraining – 263
14.4.2 Übungen zur Steigerung der Entspannungsfähigkeit – 265

14.5 Zusammenfassung – 267


14.6 Arbeitsblätter – 268
Literatur – 281

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
254 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1
--
Ziel
Steigerung des Selbstwertgefühls
Selbstwertgefühls umfassen. Zudem kann zwischen sub-
jektiven und objektiven Ressourcen differenziert werden,

2 - Aufbau positiver Aktivitäten


Erhöhung der Genussfähigkeit und Schulung der
wobei die subjektiv wahrgenommenen Ressourcen für die
Bewältigung von Aufgaben und Wohlbefinden ausschlag-

3 - Sinne
Training der Entspannungsfähigkeit
gebend zu sein scheinen (Willutzki et al. 2005). Neben den
bereits genannten interpersonellen und intrapersonellen
Ressourcen werden zudem externe Ressourcen wie sozi-

4
--
Vorgehen
Erläuterung von Basiswissen zum Selbstwertgefühl
Identifizieren möglicher selbstwertsteigernder Res-
ale Netzwerke, Einkommen u. Ä. beschrieben (Willutzki
et al. 2005). Aus diesen unterschiedlichen Definitionen
ergeben sich als therapeutische Interventionen sowohl
5
-- sourcen
Entwicklung eines individuellen „Selbstwerthauses“
Aktivierung von Ressourcen durch Einführung eines
der Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls als auch die
Identifikation positiver Aktivitäten, die Förderung eines
genussvollen Erlebens dieser Tätigkeiten und das Erlernen

--
6 Energiehaushaltskreises von Entspannungstechniken zur Förderung des Wohlbe-
Vergleich von Einnahmen und Ausgaben findens (Lutz 1999).
7 Übung „Idealtag“ zur Identifikation von Schwierig- In diesem Kapitel werden zunächst Informationen

8 -- keiten in der ressourcenfördernden Alltagsgestaltung


Erarbeitung individueller positiver Aktivitäten
Übung zur Steigerung der Genussfähigkeit (z. B.
über die verschiedenen Komponenten des Selbstwertge-
fühls vermittelt (▶ Abschn. 14.2) und darauf aufbauend
mögliche Ressourcen identifiziert (▶ Abschn. 14.3). Im

9
10
- anhand des „Sinnesspaziergangs“)
Integration von Entspannungsphasen in den Alltag
Anschluss daran wird auf die Umsetzung der bespro-
chenen Strategien im Alltag fokussiert und der Einbau
von positiven Aktivitäten in den Alltag überprüft (▶ Ab-
schn. 14.4).
14.1 Einleitung

11 Forschungsarbeiten belegen, dass Patientinnen mit Ess- 14.2 Interventionen zur Steigerung
störungen ein geringeres Selbstwertgefühl haben (Jacobi des Selbstwertgefühls
12 2000; Jacobi et al. 2003) als gesunde Kontrollpersonen.
Häufig wird von den Patientinnen versucht, dieses über Das Selbstwertgefühl ist ein komplexes Konstrukt, wel-
ein perfektes Aussehen dem Schönheitsideal entsprechend ches sich aus verschiedenen Quellen speist (Potreck-Rose
13 zu kompensieren. Im Rahmen der Erarbeitung eines Stö- und Jacob 2004). Nach Schütz (2000) ist als die wichtigste
rungsmodells für die Essstörung sollten diese Aspekte be- Quelle des Selbstwertgefühls die Bedeutung eigener Er-
14 reits mit den Patientinnen herausgearbeitet worden sein folge und individueller Fähigkeiten zu nennen. In diesen
(▶ Abschn. 8.2). In einem nächsten Therapieschritt sollen Bereich fallen beispielsweise beruflicher Erfolg oder Mu-
15 nun alternative Bereiche zu Figur und Gewicht zur Steige- sikalität, eine schnelle Auffassungsgabe und Ähnliches. An
rung des Selbstwertgefühls identifiziert und etabliert wer- zweiter Stelle steht die Erfahrung von Zufriedenheit und
den. In diesem Zusammenhang ist es v. a. erstrebenswert, Geborgenheit in sozialen Beziehungen wie das Führen ei-
16 die bei Patientinnen mit Essstörungen oft vorhandene ner guten Partnerschaft oder das Vorhandensein verlässli-
starke Verbindung zwischen Selbstakzeptanz und den Be- cher Freundschaften. Eine weitere Quelle sind Fähigkeiten
17 reichen Erfolg und soziale Anerkennung zu lockern. in sozialen Kontakten, wie Offenheit für unterschiedliche
In den vorangegangenen Kapiteln wurde der Fokus Menschen und Ansichten oder die Erfahrung, bei anderen
meist auf die möglichen Defizite der Patientinnen gelegt, Menschen auf positive Resonanz zu stoßen.
18 d. h. es wurde z. B. analysiert, warum in spezifischen Situ- Neben diesen eher fertigkeitsbezogenen und interper-
ationen negative Gefühle entstehen und welche Kompeten- sonellen Bereichen ist eine weitere Quelle des Selbstwert-
19 zen den Patientinnen fehlen, um diese zu bewältigen. Die- gefühls das Ausmaß an Selbstakzeptanz unabhängig von
ser defizitorientierte Arbeitsansatz sollte Ergänzung durch Leistung, Fähigkeiten oder sozialen Erfolgen. Dies bein-
20 die Identifikation von Ressourcen erfahren (Willutzki et al. haltet beispielsweise die Achtung vor der eigenen Person.
2005). Unter dem Begriff „Ressourcen“ kann zum einen Als letzte Quelle für das Selbstwertgefühl sind Macht-
alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimm- gefühle gegenüber anderen Menschen zu nennen. Diese
21 ten Situation wertgeschätzt oder als hilfreich erlebt wird Quelle steht in engem Zusammenhang mit Arroganz und
(Nestmann 1996), verstanden werden. Zum anderen kön- Überheblichkeit und kann bei zu hoher Relevanz für die
22 nen diese auch die von Grawe (1995) definierten Ressour- jeweilige Person zu interpersonellen Problemen führen
cen zwischenmenschlicher Beziehungen und Stärkung des (Potreck-Rose und Jacob 2004).
14.2 • Interventionen zur Steigerung des Selbstwertgefühls
255 14

Die vier Säulen des Selbstwertgefühls nach Potreck- fühl zu entwickeln. Nach dieser Sammlung sollte mit Hilfe

--
Rose und Jacob (2004) beinhalten:
Selbstakzeptanz,
des Therapeuten eine Unterteilung der genannten Aspekte
in die verschiedenen Bereiche in Anlehnung an das oben

--Selbstvertrauen,
soziale Kompetenz und
ein soziales Netz
beschriebene „Vier-Säulen-Modell“ nach Potreck-Rose
und Jacob (2004) erfolgen. Dazu kann folgende Erklärung
gegeben werden:

und beziehen sich auf interpersonelle und intrapersonelle Erläuterung des Therapeuten
Dimensionen. Wir haben am Flipchart nun einige Begrifflichkeiten für Aktivitäten und
Einstellungen gesammelt, welche mit einem positiven Selbstwertgefühl
Anhand dieser Aufzählung sowie den im Teil I be-
zusammenhängen. Wenn wir die verschiedenen Aspekte, aus denen
schriebenen, mit einer Essstörung einhergehenden Merk- sich das Selbstwertgefühl zusammensetzt, nun in verschiedene Kate-
malen wird deutlich, dass einige der selbstwertnährenden gorien einordnen, so ergeben sich die Bereiche
Quellen wie Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen bei – „in einem selbst liegende Bewertungen und Einstellungen“ und
diesen Patientinnen oft nur begrenzt vorhanden sind. – „zwischenmenschliche Erlebnisse“.
Diese zwei Bereiche lassen sich noch einmal untergliedern, so dass wir
In dieser Therapieeinheit sollte daher einleitend mit den
davon ausgehen können, dass das Selbstwertgefühl auf vier Säulen
Patientinnen besprochen werden, welche verschiedenen steht. Dabei sind dem Bereich der „in einem selbst liegenden Bewer-
Facetten das Selbstwertgefühl hat, um ihnen Möglichkei- tungen“ vor allem eine positive Einstellung zu uns selbst – also so etwas
ten zu eröffnen, neue selbstwertsteigernde Ressourcen zu wie „Selbstakzeptanz“ – als erste Säule und „Selbstvertrauen“ als zweite
identifizieren. Säule zuzuordnen. Zur Selbstakzeptanz zählt dabei, sich zu mögen, wie
man ist und dabei auch seine Schwächen zu akzeptieren. Das Selbstver-
Nach der Vermittlung von Basiswissen bezüglich des
trauen hingegen ist eher der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, also
Konstrukts „Selbstwertgefühl“ sollen die Patientinnen ein das Gefühl, Erfolge haben zu können.
individuelles Konzept des eigenen Selbstwertgefühls erar- Der zweite Bereich, welcher die Säulen drei und vier beinhaltet, bezieht
beiten, um im Anschluss daran geeignete Strategien zur sich auf den Umgang mit anderen Menschen. Die dritte Säule bein-
Erhöhung ihres Selbstwertgefühls zu finden. haltet dabei Aspekte wie positive Rückmeldungen und das Gefühl der
Beliebtheit und die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen her-
stellen zu können sowie die Bewältigung sozialer Anforderungssituati-
Maßnahmen und Unterlagen onen entsprechend den eigenen Zielen. Diese Säule wird daher „soziale

--
Kompetenz“ genannt. Neben der sozialen Kompetenz ist aber auch die
Übungen
bestehende Einbindung in ein sog. soziales Netz von Bedeutung. Der
Selbstwerthaus Fokus dieser vierten Säule liegt vor allem auf der Qualität der Beziehun-
Feedbackübung gen wie dem Erleben einer zufriedenstellenden Partnerschaft oder dem

-
Arbeitsmaterialien Vorhandensein von verlässlichen Freunden.
Flipchart, Karteikarten, Stifte

-
Arbeitsblätter
Selbstwerthaus
Die Patientinnen erhalten ergänzend das Arbeitsblatt 14.1B

--
„Selbstwerthaus“ (. Abb. 14.1), auf welchem die Defini-
(▶ Arbeitsblatt 14.1/13.1B . Abb. 14.1)
tion der vier Säulen beschrieben ist und darüber hinaus
Stärken (▶ Arbeitsblatt 14.2/13.2B . Abb. 14.2)
zwei Abbildungen mit je einem Beispiel abgedruckt sind.
Protokollbogen „Positive Ereignisse“
Dieses „Selbstwerthaus“ basiert auf dem vorangegangen
(▶ Arbeitsblatt 14.3/13.3B . Abb. 14.3)
Vier-Säulen-Modell des Selbstwertgefühls und soll den Pa-
tientinnen helfen, bei sich existierende Bereiche, aus denen
sie ihr Selbstvertrauen schöpfen („Selbstwertsäulen“), zu
identifizieren und darauf aufbauend Ideen für mögliche
14.2.1 Vermittlung von Informationen weitere Quellen zur Selbstwertsteigerung zu entwickeln.
zum Aufbau des Selbstwertgefühls Zudem dient das „Selbstwerthaus“ dazu, zu demonstrie-
ren, welche Folgen aus einer einseitigen Fixierung auf
Zunächst wird ein individuelles Modell des Selbstwertge- einen bestimmten Bereich des Selbstwerts (eine „Säule“)
fühls mit den Patientinnen erarbeitet, das darstellt, wor- wie z. B. die Bestätigung von anderen oder Erfolge im Be-
aus sich das Selbstwertgefühl der jeweiligen Person zu- rufsleben entstehen: Wenn diese eine Säule „wegbricht“,
sammensetzt bzw. worauf es basiert. Dafür sollte zunächst hat das gravierende Konsequenzen für die Stabilität des
am Flipchart gesammelt werden, welche Strategien (z. B. „Selbstwerthauses“.
„mit netten Leuten etwas unternehmen“ oder „sich Mut Im nächsten Schritt wird mit jeder Patientin das in-
zusprechen“, „sich selbst loben“) oder Einstellungen (z. B. dividuelle „Selbstwerthaus“ erarbeitet. Dazu werden die
„Jeder darf Fehler machen“, „Ich bin ein liebenswerter Patientinnen gebeten, in das vorgegebene Arbeitsblatt 14.1
Mensch“) dazu führen können, ein positives Selbstwertge- (▶ http://extras.springer.com) die bei ihnen relevanten Säu-
256 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1
len des Selbstwertgefühls zu benennen. Dazu kann fol-
gende Anweisung gegeben werden. - Gibt es noch weitere Dinge, die Ihnen einfallen, die
möglicherweise weitere tragende Säulen für Ihr

-
Selbstwertgefühl sein können?
2 Erläuterungen des Therapeuten Wenn ja, welche stehen Ihnen davon zur Verfü-

-
Wir haben nun in den letzten Stunden intensiv daran gearbeitet, Miss- gung?
verständnisse besser zu klären und in Konfliktsituationen sozial kom-
Könnten diese in Ihr Selbstwerthaus integriert
3
-
petent die eigene Meinung klarer zu vertreten. Wir sind dabei immer
wieder auf den Punkt gekommen, dass das eigene Auftreten in solchen
werden?
Situationen oft daran gekoppelt ist, wie selbstbewusst wir sind. Die Welchen Bereichen können Sie diese Eigenschaft/
4 meisten von Ihnen haben dabei über sich gesagt, dass sie ein niedriges Fähigkeit zuordnen?
Selbstwertgefühl haben und dies gerne stärken würden. Daher möchte
ich zunächst mit Ihnen herausfinden, woraus sich Ihr Selbstwertgefühl
5 zusammensetzt. Hierzu haben wir eben ein allgemeines Modell zum
Im Anschluss an die Identifikation der individuellen
Selbstwertgefühl kennen gelernt, das „Selbstwerthaus“ mit den vier
Selbstwertsäulen können in einem weiteren Behandlungs-
schritt Übungen entsprechend der jeweils identifizierten
6 tragenden Säulen. Nun möchte ich Sie bitten, für sich ein individuelles
Selbstwerthaus zu zeichnen. Dazu bekommen Sie nun ein Arbeitsblatt, Bereiche wie etwa dem Aufbau von Selbstakzeptanz oder
auf dem ein Haus abgedruckt ist. Dieses sog. Selbstwerthaus steht für der Erweiterung des sozialen Netzes ausgewählt werden.
7 Ihr Selbstwertgefühl. Ich möchte Sie jetzt bitten, zu überlegen, auf
welchen Säulen dieses Haus steht. Auf dem Informationsblatt haben
Eine ausführliche Beschreibung für Interventionen zum
Sie bereits ein Beispiel für ein „stabiles“ und für ein „wackliges“ Haus
Aufbau des Selbstwertgefühls für jede der Säulen findet
sich bei Potreck-Rose und Jacob (2004). In diesem The-
8 gesehen. Bitte überlegen Sie nun jeder einzeln für sich, worauf sich Ihr
Selbstwerthaus gründet. rapiemanual sollen an dieser Stelle schwerpunktmäßig
die Säulen Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen fokus-
9 Haben die Patientinnen das Haus gezeichnet, sollte an- siert werden. Auf Interventionen zur Stabilisierung der
hand der Darstellung überlegt werden, welche Bereiche dritten Säule, wurde bereits im Rahmen der Interventi-
10 des Selbstwerts einer Patientin durch die eingezeichne- onen zur Steigerung sozialer Fertigkeiten eingegangen.
ten Säulen repräsentiert werden und inwiefern das dar- Auch die Stärkung der vierten Säule wie der Aufbau bzw.
gestellte Haus stabil ist. Der Therapeut kann dabei von die Erweiterung des sozialen Netzwerks wurde teilweise
11 einem stabilen „Fundament“ sprechen oder beispielsweise durch Interventionen zur Verbesserung sozialer Kompe-
erfragen, inwiefern die verschiedenen Bereiche abhängig tenzen angesprochen, soll aber im Weiteren hier durch
12 von einander sind. Dadurch sollte bei den Patientinnen den Aufbau positiver Aktivitäten und Interessen erweitert
Verständnis dafür geweckt werden, welche Schwierigkei- werden.
ten entstehen können, wenn die Grundlage für ihr Selbst-
13 wertgefühl nur auf einer Säule (z. B. schulische/berufliche
Leistung) basiert. Auch sollen die Patientinnen dazu an- 14.2.2 Übungen zur Steigerung
14 geregt werden zu reflektieren, welche Folgen es hat, wenn des Selbstwertgefühls
die tragende Säule des Selbstwertgefühls aus der Anerken-
15 nung durch andere Personen besteht. Anhand der einzel- Um die Selbstakzeptanz zu stärken, sollen für jede Pati-
nen Häuser einer jeden Patientin sollte im Anschluss an entin mögliche Ressourcen im Sinne von Stärken, Fähig-
die Analyse der verschiedenen Säulen abgeleitet werden, keiten, Talenten u. Ä. identifiziert und die Fähigkeit zum
16 welche weiteren Bereiche hinzukommen können, um das „Eigenlob“ und der Selbstverstärkung trainiert werden. Im
Selbstwertgefühl zu verbessern. Dazu sind folgende Fra- Gruppensetting können dazu durch eine Feedbackrunde
17 gen möglich: positive Eigenschaften der einzelnen Patientinnen heraus-
gearbeitet werden. Diese sollten unabhängig von Figur und

--
Gewicht sein, um nicht die Kopplung von Selbstwert und
18 ?? Fragen
Auf wie vielen Säulen steht Ihr Selbstwerthaus? Figur/Gewicht weiter zu verstärken, sondern gewichtsun-
Welchen Bereichen des Selbstwertgefühls können abhängige Stärken und positive Eigenschaften aufzuzeigen.

-
19 Sie die verschiedenen Säulen zuordnen? Ein weiteres Ziel dieser Feedbackübung ist es, die Diskre-
Wie stabil steht Ihr Haus, wenn Sie es so betrach- panz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung heraus-
20
-
ten? zuarbeiten. Die Patientinnen sollen hierdurch angeleitet
Sind es Säulen, die leicht wegbrechen können, z. B. werden, sich selbst mit all ihren Stärken einmal aus einer
weil sie von den Bewertungen anderer Menschen Außenperspektive zu betrachten und hierdurch auf ihre
21 abhängen oder weil sie instabil sind, da sie nur aus Talente und Fähigkeiten aufmerksam gemacht werden.

-
einem Bereich kommen? Dies geschieht durch eine gegenseitige Rückmeldung der
22 Was müssten Sie verändern, damit Ihr Haus stabiler Teilnehmerinnen über die wahrgenommenen positiven
steht? Eigenschaften jeder einzelner Person.
14.2 • Interventionen zur Steigerung des Selbstwertgefühls
257 14

Ein drittes Ziel dieser Übung liegt in der Stärkung der mehreren positiven Aussagen zu ihr entstanden ist. Im
sozialen Kompetenz durch die Steigerung der Kontaktfä- Folgenden ist die Instruktion für Variante B aufgeführt:
higkeit im Sinne des offenen und ehrlichen Umgangs in
zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Aushalten Erläuterungen des Therapeuten
von Lob. Bei ausreichender Zeit sollte die Feedbackübung Wir möchten mit Ihnen heute eine Übung machen, in der jeder von Ih-
nen positive Eigenschaften von den anderen Gruppenteilnehmerinnen
in der Gruppe auf zwei Arten durchgeführt werden. Bei
zurückgemeldet bekommt. Wir haben für jeden von Ihnen Blätter mit Ih-
der Durchführung von Variante A sollen die Patientinnen rem Namen vorbereitet, die wir nun in der Runde herumgeben und auf
sich ein Symbol überlegen, das eine Charakteristik oder die Sie eine positive Eigenschaft für die jeweilige Gruppenteilnehmerin
Eigenschaft einer bestimmten Patientin darstellt und die- aufschreiben. Dann knicken Sie das Geschriebene um, so dass nur der
ses Symbol zeichnen. Bei Variante B werden schriftliche Name unten und nicht das von Ihnen Geschriebene sichtbar bleibt, und
reichen den Zettel weiter an Ihre Nachbarin zur Linken, die wiederum
Rückmeldungen gegeben. Das Zeichnen eines Symbols
eine positive Eigenschaft der betreffenden Person notiert. Auf diese
fällt den meisten Patientinnen leichter als eine verbale Weise erhält jeder von Ihnen eine Liste mit positiven Eigenschaften.
Rückmeldung zu geben. Zudem steigert es die Intensität Das Ziel dieser Übung liegt darin, dass jeder von Ihnen einige positive
der Interaktion in der Gruppe, da das Symbol erklärt wer- Dinge über sich erfährt und diese „mitnehmen“ kann. Diese Übung ist
den muss. Im Nachhinein wird dann in der Gruppe be- eine Vorbereitung und mögliche Hilfe, an sich selbst eigene Stärken
zu entdecken, da Ihnen durch diese Übung Anregungen bezüglich
sprochen, warum gerade dieses Symbol gewählt wurde und
möglicher bei Ihnen vorhandener Stärken vermittelt werden können.
welche Eigenschaft es darstellt. Variante A ist daher durch Auf dieser Basis können Sie überprüfen, ob die Fremdwahrnehmung,
die Möglichkeit der Beschreibung deutlich vielfältiger als d. h. die Beschreibung Ihrer positiven Eigenschaften durch die anderen
Variante B. Folgender Text ist die Instruktion zur Übung Gruppenteilnehmerinnen, mit Ihrer Selbstwahrnehmung, d. h. dem Bild,
(Variante A). das Sie von sich selbst haben, übereinstimmt.

Erläuterungen des Therapeuten Die einzelnen Punkte zu ihrer Person werden von jeder
Wir möchten mit Ihnen nun eine Feedbackübung machen. Dabei geht Patientin im Anschluss an die Runde laut vorgelesen. Da-
es darum, dass Sie den anderen Teilnehmerinnen eine Rückmeldung
bei sollte sie selbst jede Eigenschaft bzw. Aussage mit dem
darüber geben, was Sie an ihnen als besonders positiv wahrnehmen.
Das kann eine bestimmte Eigenschaft, eine Verhaltensweise oder eine
Satz „Ich bin liebenswert, weil …“ beginnen. In folgendem
Fähigkeit sein. Sie sollten versuchen, das, was Sie rückmelden wollen, Beispiel ist dargestellt, wie eine Patientin die Aussagen von
symbolisch und in Form eines gemalten Bildes darzustellen. Ziel ist, dass ihrem Feedbackbogen vorliest:
jeder von Ihnen etwas darüber erfährt, wie andere Sie wahrnehmen,
unabhängig von Figur und Gewicht. Bitte überlegen Sie sich dann, ob
Fallbeispiel Feedbackbogen

--
das, was die anderen über Sie gesagt bzw. symbolisch dargestellt ha-
ben, auch mit dem Bild übereinstimmt, das Sie von sich selbst haben.
Ich bin liebenswert, weil
ich so ein ansteckendes Lachen habe

--
Wo gibt es Übereinstimmungen, wo Unterschiede?
Bitte nehmen Sie sich nun jeder einen Stift und Papier und überlegen ich gut zuhören kann
Sie jeweils für Ihre rechte Nachbarin (je nach Zeit und Gruppengröße ich weiß, was ich will
auch für weitere Personen), was Sie ihr gerne in Form eines Symbols
ich allem Traurigen auch etwas Positives abgewinnen

--
zurückmelden möchten. Danach besprechen wir die Zeichnungen für
jede Teilnehmerin.
kann
ich eine so beruhigende Stimme und Ausstrahlung habe

--
ich vertrauenserweckend bin
Im Anschluss an die Übung sollte mit den Patientinnen ich offen und ehrlich bin
besprochen werden, wie sie sich mit der positiven Rück- man mit mir Pferde stehlen kann.
meldung seitens der anderen Gruppenmitglieder fühlen
und welche dieser positiven Eigenschaften sie für sich ohne Diese beiden Übungen sind nur im Gruppensetting durch-
Schwierigkeiten annehmen können. führbar. Im Einzelsetting kann jedoch eine modifizierte
In der Übung (Variante B) werden dann die individuel- Form der Feedbackübung eingesetzt werden: so kann sich
len schriftlichen Rückmeldungen gemacht und das „Selbst- die Patientin von anderen, ihr nahestehenden Menschen
loben“ geübt. Dazu notieren die Patientinnen auf einem Feedback einholen, indem sie diese befragt, was sie an ihr
nur mit dem Namen einer Teilnehmerin versehenen Blatt, mögen. Auf dieser Basis können im Einzelsetting mit der
was Ihnen an dieser Person besonders gefällt. Das Blatt Patientin im Weiteren eigene Stärken herausgearbeitet wer-
wird jeweils nach dem Notieren einer Eigenschaft durch den (Arbeitsblatt 14.2 „Stärken“).
eine Gruppenteilnehmerin so umgeknickt, dass das von Im Gruppensetting sollten im Anschluss an die bei-
ihr Geschriebene nicht gelesen werden kann und nur der den Feedbackübungen zur Förderung der Integration der
Name der zu beschreibenden Person am unteren Rand des unterschiedlichen genannten positiven Aspekte in das
Blattes sichtbar ist. Das Blatt wird so verdeckt weiterge- Selbstbild der Patientin die arbeitenden positiven Eigen-
geben, bis am Ende für jede Teilnehmerin eine Liste mit schaften jeder Patientin in das Arbeitsblatt 14.2 „Stärken“
258 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

(▶ http://extras.springer.com) eingetragen werden. Dies Fähigkeiten bekommen, anstatt nur einseitig auf das vermeintlich Ne-
1 eignet sich sowohl für das Einzel- als auch das Gruppen- gative zu schauen.

setting. Es kann zudem gut als Hausaufgabe zum Abschluss


2 der Feedbackübung verwendet werden (Beispiel Arbeits- Nach diesem Baustein ist es sinnvoll, mit dem Aufbau von
blatt 14.2B. Abb. 14.2). weiteren Ressourcen fortzufahren, wie etwa dem Einbau
Im Gruppensetting kann das Ausfüllen von Arbeits- entspannender Tätigkeiten in den Alltag.
3 blatt 14.2 basierend auf den bereits erfolgten Rückmel-
dungen von den Patientinnen eigenständig vorgenommen
4 werden, während es im Einzelsetting oft einer stärkeren 14.3 Etablierung einer ausgewogenen
Strukturierung durch den Therapeuten bedarf. Daher sollte Energiebilanz
5 die Patientin im Einzelsetting nach Verhaltensweisen, Ei-
genschaften und Talenten befragt werden, die sie an sich Um die Säulen des Selbstwertgefühls zu stabilisieren bzw.
mögen könnte. Falls ihr hierbei nur wenige positive As- neue aufzubauen, müssen zunächst mögliche störende
6 pekte einfallen, sollte zusätzlich danach gefragt werden, Einflüsse in der Gewinnung der Ressourcen identifiziert
welche Eigenschaft wohl andere Menschen an ihr mögen werden, bevor auf die Überprüfung der vorhandenen und
7 könnten, bzw. falls die Feedbackübung gemacht wurde, den Aufbau neuer Ressourcen eingegangen werden kann.
kann auf tatsächliche Rückmeldungen anderer Menschen Im Folgenden werden zwei Interventionsmethoden zur
eingegangen werden. Falls auch bei dieser Intervention Identifikation von Ressourcen vorgestellt.
8 keine Stärken identifiziert werden können, sollte als Letztes
nach positiven Eigenschaften von Freunden und Bekann-
9 Maßnahmen und Unterlagen

--
ten gesucht werden, die daraufhin überprüft werden, ob die
Übungen
Patientin möglicherweise einige dieser Eigenschaften selbst
Idealtag
10 besitzt. Die auf diese Weise identifizierten Eigenschaften
Energiehaushalt

-
werden dann in Arbeitsblatt 14.2 eingetragen.
Arbeitsmaterial
Als zusätzliche Übung kann den Patientinnen sowohl
11 Flipchart, Stifte

--
in der Gruppe als auch im Einzelgespräch als weitere Haus-
Arbeitsblätter
aufgabe aufgegeben werden, während der Woche zu proto-
Idealtag (▶ Arbeitsblatt 14.4/14.4B . Abb. 14.4)
12 kollieren, was sie an einem Tag Positives erlebt haben bzw.
Energiehaushalt (▶ Arbeitsblatt 14.5/14.5B

--
was ihnen gut gelungen ist (Arbeitsblatt 14.3 Protokoll-
. Abb. 14.5)
bogen „positive Ereignisse“ ▶ http://extras.springer.com;
13 Beispiel Arbeitsblatt 14.3B . Abb. 14.3). Damit wird der Energiefresser (▶ Arbeitsblatt 14.6 . Abb. 14.6)
Zufriedenheit

-
Blick für Positives und Selbstwertstärkendes weiter gestärkt
14 (▶ Arbeitsblatt 14.7/14.7B . Abb. 14.7)
und die Basis für den Aufbau von Vertrauen in eigene Fä-
Regenerieren

-
higkeiten geschaffen. Um den Patientinnen den Sinn dieser
(▶ Arbeitsblatt 14.8/14.8B . Abb. 14.8)
15 Übung zu verdeutlichen, kann folgende Erklärung gegeben
Wohlfühlwoche
werden:
(▶ Arbeitsblatt 14.9/14.9B . Abb. 14.9)
16 Erläuterungen des Therapeuten
Ich möchte Sie nun bitten, während der Woche bis zur nächsten Sitzung

17 jeden Abend aufzuschreiben, was Ihnen an diesem Tag Positives wider-


fahren ist, bzw. was Sie alles erfolgreich und gut bewältigt haben. Oft ist
14.3.1 Überprüfung der Energiebilanz
es ja so, dass man nur das Negative sieht – wie wir das bereits bei den
18 Denkfehlern besprochen haben. Der Blick für die negativen Dinge, die
einem im Alltag passieren, ist oft deutlich schärfer als für die positiven Als Ursachen einer „Imbalance“ des Energiehaushaltes gel-
Erlebnisse. Diese verzerrte Wahrnehmung führt dazu, dass eine Person ten beispielsweise eine zu starke Arbeitsbelastung oder zu
19 ständig das Gefühl hat, nichts zu können oder von anderen Menschen
nicht gemocht zu werden. Deshalb ist es wichtig, den Blick immer
straffe Zeitplanung im Alltag, die häufig aus überhöhten
wieder auf die positiven Erlebnisse zu lenken und diese im Zuge der
Ansprüchen und perfektionistischem Leistungsdenken
20 überhöhten Selbstkritik nicht weiter auszusparen. Wenn es Ihnen ge- resultieren. Zusätzlich kann es durch ineffiziente Organi-
lingt, positive Erlebnisse wie Erfolge, erledigte Arbeiten, Komplimente sation des Arbeitsalltags wie auch möglicherweise Vermei-
und vieles mehr stärker wahrzunehmen, anzunehmen und sich selbst dungsverhalten in Form von aufschieben wichtiger Auf-
21 zuzuschreiben, kann das langfristig dazu beitragen, das Vertrauen in
gaben oder auch ständige Störungen am Arbeitsplatz zu
die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Hierbei geht es nicht darum, sich
etwas „in die Tasche“ zu lügen und sich selbst durch die „rosarote Brille“
einer erhöhten Belastung und damit Verschwendung von
22 zu betrachten. Vielmehr möchten wir hiermit erreichen, dass Sie ein Energiereserven kommen. Um die Schwierigkeiten bei der
realistisches und ausgewogenes Bild von sich und Ihren Stärken und Ausbalancierung von Energie und mögliche Energiefres-
14.3 • Etablierung einer ausgewogenen Energiebilanz
259 14

ser herauszuarbeiten, wird zunächst die Übung „Ideal- sprüche und ein schlechtes Zeitmanagement sowie Mangel
tag“ durchgeführt. Sie hat zum Ziel, die oben beschrie- an positiven, entspannenden Aktivitäten zum Vorschein.
benen „Energiefresser“ wie versteckte perfektionistische Die Aufgabe des Therapeuten ist es daher, die Gruppe an-
Leistungsansprüche und Überforderungstendenzen zu zuleiten und die Diskussion so zu moderieren, dass die ein-
identifizieren. Im Anschluss daran untersuchen die Pati- zelnen Teilnehmerinnen ihre jeweiligen Muster erkennen.
entinnen im Rahmen der Übung „Energiehaushalt“ ihre Für Frau Z. wäre es also wichtig, zu verstehen, dass ihr
„Energieeinnahmen und -ausgaben“ im Alltag. Abschlie- erhöhtes Anspannungsniveau zum einen mit ihrer Einstel-
ßend werden sie auf mögliche bisher nicht identifizierte lung, alles effektiv und perfekt machen zu müssen, nichts
„Energiefresser“ aufmerksam gemacht und neue Energie- liegen lassen zu dürfen und sich ständig weiterzuent­
spender etabliert. wickeln und fortzubilden zusammenhängt, zum anderen
Bei der Übung „Idealtag“ werden die Patientinnen ge- dass der Tag von diesem Leistungsanspruch so dominiert
beten, einen imaginären Tag zu beschreiben, den sie sich wird, dass genussvolle Aktivitäten wie auch soziale Kon-
als ideal verlaufenden „normalen“ Tag vorstellen würden takte in diesem leistungsfixierten Idealtag nur wenig bis
(Arbeitsblatt 14.4 (▶ http://extras.springer.com) und 14.4B keinen Platz haben. Die Besprechung des Idealtags von
. Abb. 14.4). Was unter „ideal“ zu verstehen ist, ist in die- Frau Z. könnte daher wie folgt aussehen:
sem Zusammenhang von den Patientinnen individuell zu
definieren. Häufig zeigen sich dadurch mögliche Ener- Therapiegespräch
giefresser, da sich die Patientinnen oft zu viel zumuten und Therapeut: – „Frau Z. wenn Sie die Beschreibung Ihres Idealtags so vor-
überhöhte Leistungsansprüche deutlich werden. lesen, fällt Ihnen etwas daran auf?“
Im folgenden Fallbeispiel ist ein solcher Idealtag be- Frau Z.: – „Nun ja, alle Probleme, die ich habe, tauchen darin nicht auf.
schrieben, an welchem die bei vielen Menschen bestehen- Das heißt es gibt keine Schwierigkeiten mit dem Essen, keiner macht
Bemerkungen, weil ich zu wenig esse und ich habe kein schlechtes
den Energie-Imbalancen mit zu hohen Ausgaben und zu Gewissen, dass ich überhaupt etwas esse. Ich kann meine Arbeiten ef-
wenig Einnahmen verdeutlicht werden. fektiv erledigen und habe außerdem noch nette Kontakte mit meinen
Kommilitonen und meinen Mitbewohnern. Keiner sagt etwas darüber,
Fallbeispiel Idealtag Frau Z. dass ich zweimal am Tag Sport mache und ich fühle mich dadurch gut.“
„Ich stehe morgens um 7 Uhr auf und bin frisch und ausge- Therapeut: – „Ja, das ist mir auch aufgefallen. Was glauben Sie, was Ihr
ruht. Ich esse ein gesundes Frühstück mit Müsli und Bana- Anteil daran ist, dass der Tag so gut läuft?“

nen und danach gehe ich eine Runde laufen und dusche, Frau Z.: – „Na ja. Die anderen lassen mich vor allem in Ruhe, weshalb
ich gut arbeiten kann und nicht ständig aufgehalten werde und mich
bevor ich zur Uni fahre. Ich arbeite in der Bibliothek ohne
ärgere, weil ich gestört werde. Und dass ich zweimal am Tag über eine
weitere Störung und schaffe es, das gesamte Referat effek- Stunde Sport machen kann, das schaffe ich wegen des Studiums so-
tiv und schnell zu konzipieren. Danach gehe ich eine Stunde wieso kaum.“
schwimmen und gönne mir auf dem Rückweg zur Bibliothek Therapeut: – „Okay, wenn ich Sie richtig verstehe, dann tragen vor allem
einen großen Milchkaffee zum Mitnehmen. Das Seminar Störungen von anderen und die durch die Uni vorgegebene Tagesstruk-
am Nachmittag ist interessant und es gibt kein unsinniges tur dazu bei, dass Sie oft angespannt sind und es mit dem Essen und
Schlafen nicht so gut klappt. Das sind ja dann eher Dinge, die Sie selbst
Gerede und kein Profilierungsgehabe der verschiedenen
nicht direkt verändern können, sondern die von anderen Menschen
Leute. Es ist sonnig draußen und ich setze mich nach dem abhängen, oder?“
Seminar in die Sonne an den Fluss vor der Mensa. Ich habe Frau Z.: – „Ja, das haben wir ja schon besprochen, dass ich öfter Nein
eine nette Unterhaltung mit einer Kommilitonin, bevor ich sagen soll und mich nicht darüber ärgern sollte, dass andere mich stö-
zum Abendessen nach Hause in die WG fahre. Ich fühle mich ren, sondern stattdessen sagen sollte, dass ich gerne in Ruhe arbeiten
entspannt und gut. In der WG kochen wir gemeinsam und möchte.“

essen zu Abend. Keiner macht Bemerkungen über meine Therapeut: – „Ja, das macht Sinn. Wir haben auch besprochen, dass es,
um die Anspannung insgesamt zu senken und das Selbstwertgefühl zu
kleine Portion. Ich fühle mich wohl und während die ande-
stabilisieren bzw. aufzubauen, ganz sinnvoll ist, sich auch mit anderen
ren einen Film schauen, setze ich mich noch einmal an mein Menschen zu treffen und schöne Dinge zu tun. Gibt es etwas in dieser
Referat und gehe alles noch einmal durch, so dass ich für den Richtung in ihrem Idealtag?“
nächsten Tag perfekt vorbereitet bin. Gegen 22 Uhr gehe ich Frau Z.: – „Ja, ich sitze kurz nachmittags mit meiner Kommilitonin am
entspannt und zufrieden schlafen, da ich es geschafft habe, Fluss und abends esse ich gemeinsam in der WG mit meinen Mitbe-
wenig zu essen, Sport zu machen und die Arbeiten für die wohnern. Das stelle ich mich sehr schön vor, kommt ja leider aber sehr
selten vor.“
Uni ohne Zeitstress zu erledigen und obendrein noch nett
Therapeut: – „Was glauben Sie, warum Sie ihren Idealtag so gestaltet
mit Kommilitonen und meinen Mitbewohnern zusammen-
haben?“
gesessen habe.“
Frau Z.: – „Weil ich schon langsam merke, dass mir das Zusammensein
mit anderen auch guttut. Aber ich habe eben einfach auch Angst davor,
Wie in diesem Fallbeispiel beschrieben, kommen bei dieser was die zu meinem Essverhalten sagen, was ja immer noch nicht so
Übung häufig weiter bestehende überhöhte Leistungsan- 100 % in Ordnung ist.“
260 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

Therapeut: – „Ich finde sehr gut, dass Sie schon selbst beschreiben, nachgefüllt wird oder das Kühlerwasser leer ist. Es bleibt auf der Strecke
1 dass soziale Kontakte Ihnen guttun, auch wenn Sie Ihnen noch Angst liegen, wenn der Tank nicht genügend gefüllt ist oder nicht rechtzeitig
machen. Das ist ja auch genau das, was bei Ihrem Selbstwerthaus ei- Kraftstoff hinzugefügt wird.
gentlich so gar nicht vorkam, so dass Ihr Haus sehr instabil war. Gibt es Übertragen auf den Menschen heißt das, dass auch wir Energie aus
2 denn noch etwas, was bei Ihrem Idealtag auffällt und möglicherweise verschiedenen Quellen benötigen, um zu „funktionieren“. Der Ener-
eher Energie frisst als spendet?“ gieverbrauch soll dabei in langfristig sinnvollem Verhältnis zu der
„nachgefüllten Energie“ stehen und es sollten immer Reserven vor-
3 Frau Z.: – „Naja, ich weiß schon, dass Sie auf den vielen Sport hinaus-
wollen und dass ich außer für die Uni zu arbeiten wenig andere schöne handen sein. Auch müssen wir Menschen dafür sorgen, dass wir in
Dinge tue.“ einem „guten Zustand“ bleiben und uns pflegen. Das ist das Prinzip

4 Therapeut: – „Ja genau. Haben Sie denn eine Idee, wie Sie in Ihren Ide-
altag eher energiespendende und selbstwertfördernde Dinge einbauen
des Energiehaushalts.

könnten, die nicht nur leistungsabhängig sind?“


5 Frau Z.: – „Naja, vielleicht könnte ich abends, statt nochmal zu lernen,
Nachdem diese Erklärung gegeben wurde, erhalten die
auch noch mit meinen Mitbewohnern den Film schauen. Schön wäre Patientinnen das Arbeitsblatt 14.5 „Energiehaushalt“
natürlich auch, wenn ich statt des Sports am Morgen mir mal Zeit lasse (▶ http://extras.springer.com) (Potreck-Rose und Jacob
6 und ausschlafe, anstatt um 7 Uhr aufzustehen, um gleich eine Sportein- 2004). In dieses Arbeitsblatt sollen die Patienten zunächst
heit zu machen. Ich könnte mir vielleicht auch ein gesundes ausgewo- diejenigen Aktivitäten und Bereiche eintragen, welche
7 genes Frühstück vorstellen, mit dem ich mich gut fühle.“
ihnen Energie entziehen. Hierzu teilen Sie den Energie-
kreis in „Tortenstücke“ ein, deren Größe dem Ausmaß an
Das Beispiel macht deutlich, welche Schwierigkeiten bei Energie, die durch verschiedene Bereiche und Aktivitä-
8 dieser Patientin in der Gestaltung des Alltags bestehen. Sie ten „geschluckt“ wird, entspricht. In diese „Tortenstücke“
hat wenige Ideen, wie sie den Alltag positiv und genuss- wird dann der jeweilige Bereich, auf den sie sich beziehen
9 voll gestalten und selbstwertstabilisierende Maßnahmen notiert (z. B. „wöchentlicher Stammtisch“). Im nächsten
in den Alltag einbauen kann. Um die Konsequenz daraus Schritt werden diejenigen Bereiche und Aktivitäten, aus
10 weiter zu verdeutlichen und im Anschluss Veränderungen welchen die Patientinnen ihr Energiereservoir füllen, in ei-
herbeiführen zu können, wird in der folgenden Übung der nen zweiten Kreis eingetragen. Dieser zweite Kreis sollte so
individuelle „Energiehaushalt“ der Patientinnen überprüft. gestaltet sein, dass seine Größe die Menge an Energie sym-
11 Der Energiehaushalt besteht aus zwei Bereichen – näm- bolisiert, die im Verhältnis zur ausgegebenen Energie aus
lich „Energiespendern“ und „Energiefressern“. Die Ener- verschiedenen Quellen erhalten wird. Auch dieser zweite
12 giespender stellen Energie zur Verfügung und umfassen Kreis wird in Tortenstücke eingeteilt, so dass erkenntlich
beispielsweise angenehme Tätigkeiten, emotionale Unter- wird, welcher Lebensbereich wie viel Energie liefert. Als
stützung oder Wertschätzung von Freunden und Familien- Bezugspunkt wird der Zeitraum eines Monats angegeben.
13 mitgliedern, aber auch die Befriedigung persönlicher und Im Anschluss daran wird der Energiehaushalt aller Patien-
physiologischer Bedürfnisse wie ausreichend Schlaf und tinnen daraufhin untersucht, inwieweit ein Gleichgewicht
14 Nahrungsaufnahme. Ihnen stehen die Energiefresser ge- zwischen Einnahmen und Ausgaben existiert. Ein Beispiel
genüber, welche Energie verbrauchen. Energiefresser rau- zeigt Arbeitsblatt 14.5B (. Abb. 14.5). Die Instruktion zur
15 ben Energie, weil sie entweder emotional oder körperlich Bearbeitung des Arbeitsblattes kann folgendermaßen lau-
anstrengend sind, wie beispielsweise eine Auseinanderset- ten:
zung mit dem Partner, Überforderung im Beruf, finanzielle
16 Sorgen, körperliche Erkrankungen oder einfach zu wenig Erläuterungen des Therapeuten
Schlaf oder Nahrung. Den Patientinnen kann das Prinzip Bitte sehen Sie sich das Blatt an. Hierauf sind zwei Kreise eingezeichnet,

17 des Energiehaushaltes am Beispiel des „Autoprinzips“ er- welche die Energieabgaben und Energieeinnahmen symbolisieren. Ich
möchte Sie bitten, für sich zu überlegen, in welche Dinge Sie im letzten
läutert werden. Monat Energie investiert haben und welche für Sie eine Energiequelle
18 Erläuterungen des Therapeuten
waren. Das können ganz verschiedene Dinge, beispielsweise Tätigkei-
ten wie Spazierengehen oder Menschen sein. Bitte tragen Sie in den
Ich möchte mit Ihnen gerne einmal Ihren persönlichen Energiehaushalt ersten Kreis diejenigen Lebensbereiche ein, die Sie Energie kosten. Ach-
19 beleuchten. Jeder Mensch muss mit seinen Energien haushalten, um
nicht „auf der Strecke“ zu bleiben. Das möchte ich Ihnen gerne am Bei-
ten Sie hierbei darauf, dass die Größe das jeweiligen „Tortenstückes“
auch der Energiemenge, die Sie in den bestimmten Bereich investieren,
spiel eines Autos erklären, da ein Mensch wie ein Fahrzeug immer genü- entspricht. Dann zeichnen Sie bitte einen zweiten Kreis. Dieser soll im
20 gend Energie braucht, um zu funktionieren. Diese Energie bekommt es Verhältnis zum ersten Kreis so groß sein, dass sich hierin die Relation
aus verschiedenen Quellen, nämlich der Batterie zum Starten und dem zwischen der von Ihnen abgegebenen (erster Kreis) und der erhaltenen
Kraftstoff zum Fahren. Zusätzlich braucht es Schmiermittel, damit die Energie (zweiter Kreis) erkennen lässt. Wenn Sie also mehr Energie abge-
21 Bremsen, das Getriebe und der Motor funktionieren, es braucht Wasser, ben, als Sie wiederbekommen, sollte der zweite Kreis kleiner sein als der
damit der Motor nicht überhitzt wird und es braucht Pflege, damit die erste. Vermerken Sie in dem zweiten Kreis die Bereiche, aus denen Sie
Karosserie nicht durchrostet. Ein Auto fährt nur dann, wenn all diese Energie ziehen. Vergleichen Sie nun die beiden Kreise: Was fällt Ihnen
22 Dinge beachtet werden. Beispielsweise kann vor einer Fahrt von Ham- auf? Wie sieht Ihre Energiebilanz aus? Was könnten Sie verändern, um
burg nach München das Auto kaputt gehen, wenn das Öl nicht vorher die Energiebilanz ausgewogener zu gestalten?
14.3 • Etablierung einer ausgewogenen Energiebilanz
261 14

Die Nachbesprechung sollte darauf fokussieren, inwieweit Im Gruppensetting können dazu im Anschluss an die
die Energieeinnahme und -ausgabe des letzten Monats Besprechung des Energiehaushaltes gemeinsam mögliche
ausgeglichen war. Im nächsten Schritt wird der Energie- weitere Energiefresser am Flipchart gesammelt werden.
haushalt daraufhin überprüft, ob er ein typisches Beispiel Die Patientinnen können ihre Energiekreise um diese er-
für das letzte Jahr darstellt. Die Überprüfung, inwieweit weitern, sofern diese auf sie persönlich zutreffen. Ergän-
die Energieeinnahmen und -ausgaben ausgeglichen sind, zend dazu sollte den Patientinnen eine Liste mit möglichen
kann relativ einfach über die Größendifferenz aus beiden Energiefressern vorgegeben werden. Auf dieser Liste sind
Kreisen erschlossen werden. Ist die Energiebilanz nega- Beispiele für Aktivitäten und Einstellungen, die zu einer
tiv, sollte im nächsten Schritt überprüft werden, welche vermehrten Belastung im Alltag führen, aufgeführt (mod.
„energieraubenden“ Tätigkeiten entweder wegfallen müss- u. erg. nach Kaluza 2005). Diese Liste ist geeignet, um de-
ten oder welche „energiespendenden“ Aktivitäten hinzu- tailliert alltägliche Energiefresser zu identifizieren.
kommen sollten, um den Energiehaushalt wieder auszu- Als Energiefresser können neben den bereits genannten
balancieren. Hierbei kann auf reines Energietanken wie Oberbegriffen wie Stress und Arbeitsbelastung auch eine
z. B. erholsamer Schlaf, ausreichende Nahrungsaufnahme ungünstige Zeitplanung und widrige äußere Umstände
oder auch bereichernde Kontakte zu anderen Menschen zählen. Beispiele für eine dysfunktionale Zeitplanung
und Lebensumständen fokussiert werden. Umgekehrt sind die Beschäftigung mit eher nebensächlichen Dingen,
können auch „Energiefresser“ z. B. durch eine Reduzie- wenn noch wichtige Arbeit ansteht, das Hinauszögern des
rung der Arbeitsbelastung durch Delegieren verschiedener Arbeitsbeginns, eine inadäquate Prioritätensetzung, über-
Aufgaben an andere, Abgrenzung von ungerechtfertigten lange Arbeitszeiten, aber auch das Beginnen mit neuen
Forderungen anderer oder das Vermeiden zeitraubender Aufgaben, ohne zuvor begonnene Aufträge abgeschlossen
Tätigkeiten abgebaut werden. Zusätzlich sollte auf mögli- zu haben. Als weitere Energiefresser sind ein zu hastiges
che „positive Aktivitäten“ wie beispielsweise das Zusam- Arbeiten, ein häufiger Wechsel zwischen verschiedenen
mensein mit Menschen, die einen emotional unterstützen Aufgaben, eine zu enge Zeitplanung ohne Raum für Unvor-
oder einem Freude bereiten, eingegangen werden. Die hergesehenes und daraus folgender Zeitdruck sowie eine
Nachbereitung des Arbeitsblattes kann durch folgende übertriebene Ordnung oder eine unflexible Vorgehens-
Fragen gestaltet werden: weise bei der Bearbeitung von Aufgaben einzuordnen. Zu
den äußeren Faktoren, welche ebenfalls als Energiefresser

-
?? Fragen fungieren können, zählen ständige Unterbrechungen bei-
Wenn Sie sich die Energieverteilung in beiden spielsweise durch Kunden, Kollegen oder das Telefon, zu

--
Kreisen ansehen, ist diese ausgewogen? viele, zu lange und schlecht vorbereitete Kundengespräche,
In welche Bereiche stecken Sie die meiste Energie? fehlerhafte Informationen, unklare Aufgabengebiete oder
Bekommen Sie aus den Bereichen, in die Sie Ener- Arbeitsaufträge, überflüssige Bürokratie, Unpünktlichkeit

--
gie stecken, auch wieder Energie zurück? und Unzuverlässigkeit von Kollegen und Kunden.
Woher bekommen Sie Ihre Energie? Des Weiteren können spezifische Einstellungen Ener-

-
Wie ist die Verteilung der Energieeinnahmen? giefresser sein. Zu solchen Einstellungen, die zu einer er-
Gibt es mehrere Bereiche aus denen Sie Ener- höhten Belastung führen, zählen beispielsweise Gedanken

-
gie erhalten? wie „Ich muss alles alleine schaffen!“, „Ich muss immer
Bekommen Sie auch aus sich selbst, also unabhän- für andere da sein!“ oder „Um von anderen akzeptiert zu
gig von anderen, Energie? werden, muss ich alles hundertprozentig machen!“. Diese
Gedanken kennzeichnen mögliche Schwierigkeiten damit,
Beide Übungen, sowohl der „Idealtag“ als auch der „Ener- Aufgaben zu delegieren, eine übersteigerte Suche nach An-
giehaushalt“ können analog zu der beschriebenen Vorge- erkennung sowie Probleme, Entscheidungen zu treffen. Ar-
hensweise im Gruppensetting auf das Einzelsetting über- beitsblatt 14.6 (. Abb. 14.6) zeigt eine Liste mit möglichen
tragen werden. alltäglichen „Energiefressern“.
Sind individuelle Verhaltensweisen und Einstellungen
identifiziert, die zum Energiedefizit beitragen, sollten Lö-
14.3.2 Abbau von Energiefressern sungsvorschläge zur Bewältigung der verschiedenen dys-
funktionalen Verhaltensweisen gesammelt werden. Dazu
Nachdem im Rahmen des Energiekreises bereits einige kann auf das Problemlöseschema (▶ Kap. 12) verwiesen
Energiefresser identifiziert werden konnten, soll es in werden und die hierin beschriebene Technik des Brain-
diesem Abschnitt um eine Spezifizierung der einzelnen stormings zur Anwendung kommen. Am sinnvollsten ist
Energiefresser gehen, bevor Maßnahmen zu deren Abbau es, eine Hitliste der häufigsten energiefressenden Verhal-
vorgestellt werden. tensweisen am Flipchart zu erstellen und für die einzelnen
262 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

Punkte gemeinsam in der Gruppe bzw. mit der Patientin zunächst einmal Zielbereiche für ein zufriedenstellendes
1 im Einzelgespräch nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Leben zu definieren, um in einem späteren Schritt entspre-
In diesem Zusammenhang kann die Vermittlung der in chende Strategien zur Zielerreichung zu erarbeiten.
2 der folgenden Übersicht genannten Strategien sinnvoll sein Anhand dieser Liste können im Anschluss die auf dem
(Kaluza 2005): Flipchart aufgelisteten energieraubenden Tätigkeiten ge-
meinsam in der Gruppe nach Prioritäten sortiert werden.
3

--
Trotz einer sinnvollen Prioritätensetzung kann es oft zu
Strategien zum Abbau von „Energiefressern“
einer Überforderung aufgrund von Mangel an Zeit oder
4 setzen von Prioritäten im Alltag,

--
Fähigkeiten kommen. Als zweiter Punkt zur Beseitigung
Aufgaben delegieren,
von Energiefressern sollte daher mit den Patientinnen
emotionale Unterstützung suchen,

-
5 bessere Zeitstrukturierung,
erarbeitet werden, dass Aufgaben manchmal delegiert
werden können. Um zu entscheiden, welche Aufgaben das
Planung des Alltags mit Freiräumen zur Regenera-

-
sind, kann wiederum gemeinsam in der Gruppe überlegt
6 tion,
werden, welche Aufgaben der Energiefresserliste am güns-
Kontrolle externer Störfaktoren.
tigsten an andere Personen abgegeben werden können.
7 Auch hier hilft die Frage: „Wie wichtig ist diese Aufgabe
für mich?“ und die Abschätzung der Konsequenz „Was
Um den Patientinnen diese sechs Hauptstrategien zum Ab- passiert, wenn ich die Aufgabe nicht selbst erledige?“ zur
8 bau von Energiefressern abschließend vorzustellen, sollten Entscheidung weiter. Zur Festlegung der zu delegierenden
die am Flipchart erarbeiteten Punkte zusammengefasst Aufgaben sollten die einzelnen Punkte daher mit den Pa-
9 werden. Zudem können zusammengetragene Lösungs- tientinnen diskutiert werden. Falls ein Delegieren nicht
ansätze aufgegriffen und in die Vorstellung dieser sechs möglich ist, sollte über ein besseres Zeitmanagement oder
10 Strategien integriert werden. Da die meisten der beschrie- auch die mögliche Reduktion der Aufgaben nachgedacht
benen Energiefresser eine ungünstige Prioritätensetzung werden. Anschließend geht es vor allem um die Überprü-
und Schwierigkeiten in der Abgrenzung sind, ist hier die fung der übriggebliebenen Aufgaben und Verpflichtungen.
11 Vermittlung von Strategien zur Bewältigung genau dieser Nach der Einstufung der Aufgaben entsprechend ihrer
Problembereiche notwendig, um Energiefresser im Alltag Wichtigkeit sollte daher zunächst mit den Patientinnen
12 zu reduzieren (Kaluza 2005). überlegt werden, was mit den übrigen Aufgaben und Ver-
Die wichtigste Strategie ist daher die Unterscheidung pflichtungen, Aktivitäten und Ähnlichem geschehen sollte.
von individuell wichtigen und unwichtigen Aufgaben, Der Therapeut kann dazu provozierend fragen:
13 welche zusätzlich nach Dringlichkeit unterteilt werden
können. Die Wichtigkeit einer Aufgabe ergibt sich aus der ?? Frage
14 eigenen Bewertung, die sich mit der Frage: „Wie wichtig ist Was würde denn passieren, wenn Sie diese Aufgaben
diese Aufgabe bzw. diese Aktivität bzw. dieses Ziel für mich einfach streichen würden?
15 persönlich, um im Leben zufrieden zu sein?“ beantworten
lässt. Die Dringlichkeit dagegen ist meist eher durch ex- Die dadurch angeregte Diskussion sollte zum Ergebnis
terne Umstände wie Fristen usw. definiert. Beispielsweise haben, dass es durch den Wegfall unwichtiger und wenig
16 kann der Besuch einer Geburtstagsparty und der damit dringlicher Aufgaben meist zu keinem relevanten per-
verbundene Geschenkeinkauf je nach Freundschaftsgrad sönlichen Verlust kommt, sondern dass häufig eher die
17 unwichtig und wenig dringlich bis sehr wichtig und dring- Angst maßgeblich ist, andere durch Abgrenzung und ein
lich sein. Um eine Priorität setzen zu können, sollten die geringeres Maß an Hilfsbereitschaft zu enttäuschen. Diese
Patientinnen daher für sich Bereiche definieren, die zur dysfunktionale und energiefressende Einstellung sollte
18 Erreichung eines zufriedenen und ausgeglichenen Lebens moderiert durch den Therapeuten dahingehend disputiert
langfristig notwendig sind, beispielsweise: „Was würden werden wie zielführend sie ist (▶ Kap. 10). Ziel ist es, Stra-
19 Sie in zehn Jahren zu dieser Tätigkeit sagen? Wie wichtig tegien der Grenzsetzung für die unwichtigen Aufgaben zu
ist diese mit Abstand betrachtet?“. Diese Bereiche hängen erarbeiten und diese exemplarisch für die am Flipchart ver-
20 meist eng mit den Säulen des Selbstwertgefühls zusammen, bleibenden individuellen Energiefresser durchzusprechen.
können aber auch finanzielle Sicherheiten oder Gesundheit So kann z. B. das Telefon einmal ausgesteckt werden, um
und berufliche Erfüllung beinhalten. zu Hause in Ruhe lesen zu können.
21 Am günstigsten ist es, zur Vermittlung der Strategien Als letzter Schritt zum Abbau von Energiefressern und
zur Prioritätensetzung dieses Thema in der Gruppe aufzu- gleichzeitig auch als Überleitung zum nächsten Interventi-
22 greifen und mit Hilfe des Arbeitsblattes 14.7 „Zufrieden- onsschritt „Aufbau positiver Aktivitäten“, sollte die Zeitpla-
heit“ (▶ http://extras.springer.com; Beispiel . Abb. 14.7) nung mit den Patientinnen thematisiert werden. Die Patien-
14.4 • Interventionen zur Steigerung der Genuss- und Entspannungsfähigkeit
263 14

tinnen sollen angeleitet werden, die neu gewonnene Struktur dysfunktionalen Leistungsansprüchen und Überforderung
in einen Zeitplan umzusetzen, der neben den beruflichen beschreibt. Das Genusstraining nach Lutz (1999) verfolgt
und privaten Verpflichtungen auch ausreichend Pausen und dabei neben der Vermittlung von Regeln zum Genießen vor
Regenerationsphasen enthält. Dazu wird zunächst mit den allem die Veränderung der überhöhten Leistungsansprüche
Patientinnen anhand des individuellen Energiehaushaltes und Überforderungstendenzen hin zu einer hedonistischen
exemplarisch ein Wochenplan (Arbeitsblatt 14.9) erstellt, in Lebensgestaltung. Dazu werden der Patientin in kleinen
dem alle notwendigen Verpflichtungen enthalten sind, aber Schritten Techniken vermittelt, die als Voraussetzung für
in den gleichzeitig auch Pausen und Regenerationsphasen das Zielverhalten des Genießens als grundlegend erachtet
eingebaut werden. Anhand des Arbeitsblattes 14.8 „Regene- werden. Zu diesen Techniken zählen die Differenzierung
rieren“ (▶ http://extras.springer.com) kann gemeinsam mit der sinnlichen Wahrnehmung, die Entwicklung der Fähig-
den Patientinnen überlegt werden, welche Tätigkeiten sich keit zur Aufmerksamkeitsfokussierung und basale Fertig-
für kurze bzw. längere Regenerationsphasen eignen (Beispiel keiten wie die Strukturierung des Alltags, um für Genuss
Arbeitsblatt 14.8B . Abb. 14.8). und Entspannung überhaupt Zeit zu schaffen (Lutz 1999).
Jede Patientin sollte dazu für sich eine Reihe von po- In diesem Teil des Kapitels werden daher Interventionen zur
sitiven Aktivitäten identifizieren und festlegen, welche sie Schulung der Genussfähigkeit (▶ Abschn. 14.4.1) und der
in einem ersten Schritt in ihren Wochenplan integrieren Entspannungsfähigkeit (▶ Abschn. 14.4.2) dargestellt, um
könnte. Als nächstes erfolgt die Planung einer strukturier- auch langfristig das oft vorhandene Grundanspannungsge-
ten Woche anhand von Arbeitsblatt 14.9 „Wohlfühlwoche“ fühl (▶ Kap. 11) zu senken. Ein ausführliches Programm zur
(▶ http://extras.springer.com). Die Patientin wird gebeten, Genussschulung findet sich bei Koppenhöfer (2004).
dieses Arbeitsblatt im Voraus für die folgende Woche aus-
zufüllen und für jeden Tag hinsichtlich der Bereiche Ar-
Maßnahmen und Unterlagen

--
beit, soziale Kontakte, Hobbys und Essen mögliche positive
Übung
Aktivitäten einzutragen und an diesem Tag auch auszu-
Was man alles genießen kann

-
führen. Die Umsetzung sollte jeden Abend reflektiert und
Genussspaziergang
bewertet werden (Beispiel Arbeitsblatt 14.9B . Abb. 14.9).
Unterstufenübungen des autogenen Trainings

-
Durch diese Maßnahme soll die Integration der po-
(Schwereformel)
sitiven Aktivitäten in den Alltag gefördert und auch auf
Imaginationsübung

--
mögliche Zusammenhänge zwischen besserer Stimmung
Arbeitsmaterialien
und vermehrt positiven Aktivitäten hingewiesen werden.
Flipchart, Stifte
Als weitere spezifische Interventionen zum Aufbau posi-
Für Genussübung: Gewürze, Musik-CDs, Instru-
tiver Aktivitäten im Sinne von Energiespendern können
mente, Gemüse, Obst, Pflanzen, Tee, Kaffee
zudem die in ▶ Abschn. 14.4 dargestellten Methoden zur
Steigerung der Genuss- und Entspannungsfähigkeit ange-
-
Arbeitsblätter
Genießen mit allen Sinnen

-
wandt werden.
(▶ Arbeitsblatt1410/14.10B . Abb. 14.10)
Genussregeln
14.4 Interventionen zur Steigerung der
Genuss- und Entspannungsfähigkeit -(▶ Arbeitsblatt14.11/14.11B . Abb. 14.11)
Sinnesspaziergang
(▶ Arbeitsblatt14.12/14.12B . Abb. 14.12)
Im Anschluss an die Identifikation von störenden Einflüssen
wie den Energiefressern bei der Gewinnung von Ressourcen,
insbesondere von positiven Aktivitäten sollte zusätzlich der
Therapiebaustein zur Steigerung der Genuss- und Entspan- 14.4.1 Genusstraining
nungsfähigkeit durchgeführt werden, da Genussfähigkeit
bei Menschen mit psychischen Störungen meist reduziert Um die Differenzierung der Sinneswahrnehmung zu
ist (Lutz 1999), was auch für Patientinnen mit Essstörungen schärfen, sollte mit den Patientinnen zunächst erarbeitet
gilt. Genussfähigkeit bezieht sich nicht nur auf das Essen, werden, über welche Sinne Genuss erlebt werden kann.
sondern beinhaltet die Fähigkeit, auch essensunabhängige Dazu sollte Arbeitsblatt 14.10 „Genießen mit allen Sin-
Situationen, Ereignisse oder Tätigkeiten genussvoll erleben nen“ (▶ http://extras.springer.com) mit den Patientinnen
zu können (Lutz 1999). Dies ist ein wichtiger Ansatz der bearbeitet werden. Das Arbeitsblatt stellt die 5 Sinne vor
euthymen Therapie, welche die Steigerung von Genuss- und gibt die Möglichkeit, zu jedem Sinn genussvolle Tätig-
und Entspannungsfähigkeit als wichtige Grundlage zur Er- keiten zu erarbeiten. Am besten ist es, die Patientinnen zu
höhung der Selbstfürsorge und damit der Reduktion von bitten, das Arbeitsblatt zu Hause auszufüllen und bezüglich
264 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

jedes Sinnes Möglichkeiten des Genusses zu benennen. Die


- Was mögen Sie an dem Gegenstand und was

-
1 Patientinnen können ermutigt werden, die verschiedenen nicht?
aufgeführten Punkte selbst auszuprobieren und im Zu- Gibt es noch etwas, was Ihnen an diesem Gegen-
2 sammenhang mit der Besprechung des Arbeitsblattes über stand auffällt?
ihre Erfahrungen zu berichten (ein Beispiel findet sich in
. Abb. 14.10). Falls keine Möglichkeit besteht, dass die Teilnehmerinnen
3 Bei der Besprechung des Arbeitsblattes sollte darauf selbst draußen Gegenstände suchen, kann der Therapeut
geachtet werden, die individuellen Quellen für Genuss zu verschiedene Dinge zur Therapiesitzung mitbringen, die
4 identifizieren und die mit dem Genießen assoziierten Ge- den einzelnen Sinnen zuzuordnen sind. Dafür eignen sich
fühle und Gedanken herauszuarbeiten. Mögliche Fragen folgende Dinge:
5 dazu sind:

6
??

-
Fragen
--
zz Riechen
Gewürze wie Zimt, Pfeffer, Kardamon, Nelken
Parfüms und Körperöle wie japanisches Heilöl, Köl-

-
Warum empfinden Sie das Betasten von Stoffen als

-
Genuss? nisch Wasser, Orangenöl
7 Welche Assoziationen weckt das Hören von Musik Getränke wie Kaffee, Waldmeistersirup, verschiedene

-
bei Ihnen? Teesorten etc.

-
8 Welche Gefühle gehen mit dem Riechen Ihres

-
Parfüms einher? zz Schmecken
Gewürze wie Salz, Pfeffer, Ingwer, Knoblauch, Zucker

-
Welche Empfindungen haben Sie, wenn Sie ein
9 Glas guten Rotwein trinken? etc. etc.
Nahrungsmittel wie Götterspeise, Mohrenköpfe,
10 Um diese ersten Eindrücke zu vertiefen, wird anschlie- Schokolade, Brot, Fenchelgemüse
ßend mit den Patientinnen eine Genussübung durch-

11
geführt, welche alle Sinne einbezieht. Dazu werden die
Teilnehmerinnen je nach Möglichkeit aufgefordert, sich
--
zz Hören
Meeresrauschen,

12
nach draußen zu begeben und dort spazieren zu gehen,
um sich etwas zu suchen, was Sie entweder gerne riechen,
schmecken, fühlen oder ansehen, und dies wieder mit
hereinzubringen. Im Anschluss an diesen „Sinnesspazier-
- Vogelzwitschern,
verschiedene Musikrichtungen wie Panflötenmusik,
Harfe etc.

-
13 gang“ sollen sie erläutern, was genau sie gesehen, gefühlt, zz Tasten
gerochen oder geschmeckt haben und warum es beson- Pflanzen wie Eicheln, Tannenzapfen, einzelne Blätter

--
14 ders genussvoll war. Um dies herauszuarbeiten, werden die von Bäumen etc.
Teilnehmerinnen nochmals aufgefordert, sich jeweils auf Obst wie Orangen, Paprika, Kartoffeln etc.
15 einen Sinn stark zu konzentrieren und beispielsweise mit Stoffe wie Samt, Seide etc.
geschlossenen Augen an dem mitgebrachten Gegenstand
zu tasten und das Gefühl hierbei zu beschreiben. Zusätz- Wird die Übung mit vom Therapeuten mitgebrachten Ge-
16 lich können die Teilnehmerinnen auch gebeten werden, zu genständen durchgeführt, sollten alle Teilnehmerinnen in
riechen und ggf. zu schmecken. Der Therapeut moderiert der Gruppe zunächst die Gegenstände mit dem jeweiligen
17 die anschließende Besprechung mit folgenden Fragen: Sinn erfassen. Zum Beispiel können Obst und Gemüse
zum Tasten in einer verdeckten Schüssel oder Kräuter in

-
beklebten Einmachgläsern zum Riechen herumgereicht
18 ?? Fragen
Warum genau haben Sie diesen Gegenstand aus- werden. Zum Horchen dagegen können Patientinnen er-

-
gewählt? mutigt werden, mit verschiedenen Alltagsgegenständen
19 Versuchen Sie bitte, die verschiedenen Duftnuan- Geräusche zu machen. Geeignete Alltagsgegenstände

-
cen des Gegenstandes zu beschreiben! sind Papier- oder Plastiktüten, Zellophanfolie, Smarties-
20 Wenn Sie die Augen geschlossen halten, wo- Packungen u. Ä. Nachdem der Gegenstand von allen Teil-

-
ran erinnert Sie der wahrgenommene Geruch? nehmerinnen mit dem entsprechenden Sinn wahrgenom-
Bitte beschreiben Sie genau, wie Ihr Gegenstand men wurde, befragt der Therapeut die Teilnehmerinnen
21
-
sich anfühlt. nach ihren Erfahrungen. Die unterschiedlichen Eindrücke
Wie fühlt sich der Gegenstand an, wenn Sie sanft werden besprochen, bevor mit dem nächsten Gegenstand
22 darüber streichen, und wie, wenn Sie fest dagegen fortgefahren wird. Dazu können die folgenden Fragen ge-
drücken? stellt werden.
14.4 • Interventionen zur Steigerung der Genuss- und Entspannungsfähigkeit
265 14

-
?? Fragen nungsniveaus zu sehen und beinhalten eine Fortsetzung
Wie haben Sie den Gegenstand mit dem jeweiligen bzw. Vertiefung der bereits in ▶ Abschn. 11.3.1 eingeführ-

-
Sinn wahrgenommen? ten Techniken. Sie basieren vor allem auf herkömmlichen
Bitte beschreiben Sie genau, wie Ihr Gegenstand Entspannungsverfahren, welche die Patientinnen möglichst
sich anfühlt bzw. wonach er riecht, schmeckt oder häufig üben sollten, um einen dauerhaften Effekt zu erzielen.

-
sich anhört! Falls keine Zeit verbleibt oder die Patientinnen dem
Hat sich der Gegenstand an allen Stellen gleich Einüben von Entspannungsverfahren gegenüber allzu kri-
angefühlt bzw. gerochen (geschmeckt oder sich tisch eingestellt sind, ist es möglich, nur einen Ausblick auf

-
angehört)? mögliche Entspannungstechniken zu gewähren und mit
Gibt es noch etwas, was Ihnen an diesem Gegen- ihnen beispielsweise den Besuch eines externen Entspan-

-
stand aufgefallen ist? nungskurses (z. B. in der Volkshochschule) zu vereinba-
Was mögen Sie an dem Gegenstand und was nicht? ren. Als langfristige Methoden zur Entspannung scheinen
insbesondere die progressive Muskelentspannung nach Ja-
Nachfolgend werden mit den Teilnehmerinnen die Genuss- cobson und das autogene Training sinnvoll (Schulz 2003),
regeln (Lutz 1999) besprochen und Möglichkeiten überlegt, aber auch meditative Verfahren wie Yoga, Imaginations-
wie diese in den Alltag übertragen werden können. Die Ge- übungen oder buddhistische Meditation sind möglich. In
nussregeln (. Abb. 14.11) sind für Patientinnen als Arbeits- diesem Bereich gilt vor allem, was individuell gefällt, da
blatt 14.11 auf ▶ http://extras.springer.com zu finden. bei einer erzwungenen Entspannung oder Unwohlsein mit
Bei der Besprechung der Genussregeln sollten die ein- der Methode meist kein Entspannungseffekt erreicht wird.
zelnen Teilnehmerinnen immer wieder danach gefragt Wir empfehlen daher, mit den Patientinnen die Grund-
werden, wie sie die Genussregeln im Alltag umsetzen lagen und Möglichkeiten der einzelnen Techniken zu be-
können. Dabei sollte darauf geachtet werden, möglichst sprechen (Vaitl u. Petermann 2004) und als Übung eine
konkrete Verhaltensweisen für diese Umsetzung heraus- Phantasiereise oder eine Atemübung durchzuführen, die
zuarbeiten. Zusätzlich sollte auf mögliche Schwierigkeiten im Folgenden beschrieben werden. Die Auswahl dieser
im Alltag bei der Umsetzung eingegangen und auf die er- beiden Techniken liegt darin begründet, dass sie relativ
arbeiteten Strategien aus ▶ Abschn. 14.3 verwiesen werden. leicht und ohne Hilfsmittel im Alltag umzusetzen sind
Sinnvoll ist es, diese Interventionen mit einer Genuss- und von den Patientinnen in Eigenregie eingeübt werden
Hausaufgabe zu verbinden. Dazu ist z. B. die Wiederho- können. Meist sind sie zudem durch die Konzentration
lung des Sinnesspaziergangs geeignet. Den Patientinnen auf die Handlungsanweisungen leichter durchzuführen
kann dazu das Arbeitsblatt 14.12 „Sinnesspaziergang“ und beinhalten den Aufbau von Selbstkontrolle durch die
(▶ http://extras.springer.com; Beispiel . Abb. 14.12) ausge- Aufmerksamkeitsfokussierung (Vaitl u. Petermann 2004).
händigt werden. Die Erklärung einer solchen Hausaufgabe Ähnliches gilt auch für die progressive Muskelentspannung
kann wie folgt aussehen: nach Jacobson (1990), welche hier in modifizierter Form
als Kombination mit einer Imaginationsübung eingesetzt
Erläuterung des Therapeuten wird (Vaitl u. Petermann 2004).
Wir haben nun einiges darüber erfahren, was Genuss ist und wie er auch
in den Alltag integriert werden kann. Als Hausaufgabe möchte ich Sie
zz Übung zum autogenen Training
daher bitten, an einem bestimmten Tag einen Sinnesspaziergang zu ma-
chen und die Welt um Sie herum ganz bewusst mit allen Sinnen zu genie-
Vor der Durchführung einer Übung aus dem autogenen
ßen. Am günstigsten ist, wenn Sie dies ohne Zeitdruck und in der Natur Training sollte zunächst die Grundlage und das Ziel dieser
tun können, da es viele verschiedene Dinge gibt, die Sie beispielsweise im Art von Entspannung für die Patientinnen erläutert werden.
Wald oder auf einer Wiese wahrnehmen können, wenn Sie sich einmal auf Therapeuten, die mit dem Verfahren nicht vertraut sind,
die Wahrnehmung Ihrer Ohren, Augen und Nase konzentrieren.
können sich an entsprechender Stelle zur Durchführung
der Langform schulen lassen, die hier vorgestellte Schwere-
Ergänzend können im Anschluss an das Genusstraining formel kann jedoch auch ohne spezifische Schulung durch-
einige Übungen zur Steigerung der Entspannungsfähigkeit geführt werden (Vaitl u. Petermann 2004). Wichtig ist der
durchgeführt werden. Hinweis darauf, dass diese Art der Entspannungsübung nur
nach längerer Übung ihre volle Wirkung entfalten kann.
Da viele Teilnehmerinnen Entspannungsübungen im Lie-
14.4.2 Übungen zur Steigerung gen bevorzugen und damit tatsächlich auch bessere neuro-
der Entspannungsfähigkeit muskuläre Entspannungseffekte als im Sitzen erzielt werden
konnten, sollten die Übungen im Liegen durchgeführt wer-
Übungen zur Steigerung der Entspannungsfähigkeit sind den. Falls keine Liegemöglichkeit vorhanden ist, kann die
als langfristige Strategie zum Abbau des erhöhten Anspan- Übung auch im Sitzen durchgeführt werden.
266 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

Das autogene Training ist nach einem einfachen trieren Sie sich jetzt auf Ihren rechten Arm. Sprechen Sie in Gedanken
1 Schema aufgebaut, welches sich in sechs Unterstufenübun- die Schwereformel „Der rechte Arm ist schwer, ganz schwer“ vor sich
her … Gehen Sie nun zu ihrem linken Arm über … Sprechen Sie die
gen (Schwere, Wärme, Herz, Atem, Sonnengeflecht, Stirn- Ruheformel „Der linke Arm ist schwer, ganz schwer“ vor sich her … Las-
2 kühle) gliedert (Vaitl u. Petermann 2004). Der Übende wird sen Sie sich Zeit dabei und spüren Sie einfach passiv, was passiert …
dabei aufgefordert, bestimmte Instruktionen im Geiste auf- Nun sind beide Arme schwer … Sagen Sie sich weiter „Beide Arme sind
zusagen. Die Instruktionen beziehen sich dabei auf physio- schwer“ … Nun erweitern Sie die Formel auf die Beine … Sprechen Sie
3 logische Effekte wie eine neuromuskuläre Entspannung des die Formel weiter vor sich her … „Das rechte Bein ist schwer“ … Erwei-
tern Sie nun die Formel auf das linke Bein … „Das linke Bein ist schwer“
Arms („Mein Arm ist schwer“) und enthalten keine Negati-
4 onen oder zielgerichtete Anstrengungen. Im Vordergrund
… Sagen Sie die Formel weiter vor sich her … Nun sind beide Beine
schwer … Sagen Sie die Formel vor sich her … „Beide Beine sind schwer“
steht die Aufmerksamkeitslenkung auf einen bestimmten … Kommen Sie nun langsam zurück, spannen Sie Arme und Beine ein-

5 Körperteil und eine damit verknüpfte körperliche Reaktion. mal fest an und lassen wieder locker. Atmen Sie tief ein und aus, recken
und strecken Sie sich und öffnen Sie die Augen.
Einführend kann den Patientinnen eine Ruheinst-
ruktion vorgegeben werden, welche z. B. aus der Aussage
6 „Ich bin ruhig, ganz ruhig“ besteht. Für Patientinnen mit Die Wärmeformel kann analog zum beschriebenen Vor-
Essstörungen empfehlen sich vor allem die ersten beiden gehen eingesetzt werden. Diese Übungen zum autogenen
7 Stufenübungen zur Induktion von muskulärer Entspan- Training können sowohl in der Einzeltherapie als auch im
nung. Dazu werden Instruktionen zur Vorstellung der Gruppensetting angewandt werden. Falls keine Liegemög-
Schwere eines spezifischen Körperbereichs wie Arme und lichkeiten vorhanden sind, kann die Übung auch im Sitzen
8 Beine gegeben. Bei der Wärmeübung bezieht sich die Ins- durchgeführt werden.
truktion auf die Formel „Mein rechter Arm ist warm“. Das
9 Formelaufsagen sollte zu Beginn im Abstand von ca. 90 sec zz Imaginationsübung
erfolgen, um die passive Konzentration zu erhalten, ohne Eine weitere Möglichkeit zur Steigerung der Entspan-
10 mit den Gedanken abzuschweifen. Für den Anfang gilt: nungsfähigkeit ist die Durchführung einer Imagination
Je häufiger die Formel aufgesagt wird und je kürzer der gekoppelt an eine Übung zur progressiven Muskelentspan-
Abstand dabei ist, desto besser. nung. Diese Übungsform eignet sich vor allem für Patien-
11 Um die Übung zu beenden, sollte der Muskeltonus in tinnen, die sich auf eine Atementspannungsübung nicht
den bearbeiteten Körperregionen normalisiert werden, was einlassen können oder die passive Konzentration nicht
12 durch Anspannung und Bewegung der Arme und Beine halten können. Durch die An- und Entspannungsbewe-
erreicht wird. Zudem sollten die Patientinnen gebeten gung bei der progressiven Muskelentspannung wird die
werden, kräftig durchzuatmen und sich zu recken und Aufmerksamkeit auf die Bewegung fokussiert und darüber
13 zu strecken. In der Nachbesprechung sollte auf mögliche ein Entspannungszustand erreicht. In Anlehnung an Vaitl
Begleiterscheinungen wie Zucken von Muskelpartien, Zit- u. Petermann (2004) empfehlen wir, mit der Gesichtsmus-
14 tern der Extremitäten oder Phänomene wie Husten und kulatur zu beginnen und Arme sowie Beine in die Übung
Schlucken sowie möglicherweise auch Kribbeln in den mit einzubeziehen. Danach wird eine Imagination einge-
15 Händen eingegangen werden und es sollten diese körperli- führt, welche sich die Patientinnen individuell auswählen
chen Symptome entpathologisiert werden. Teilweise kann können. In der Vorbesprechung sollte jede Patientin nach
es zudem zum Hören von Tönen oder anderen Geräuschen einer möglichen entspannenden Situation gefragt werden,
16 kommen, und Gefühle der Benommenheit und Schwindel welche als Ruhebild dienen kann, um ein zu langes Suchen
können ausgelöst werden. Oft berichten Patientinnen von nach einer entspannten Situation während der Entspan-
17 einströmenden, nicht zu unterbrechenden Gedanken, wel- nungsübung zu vermeiden. Als Beispiel kann auch auf die
che den Übungsablauf stören. Die Patientinnen sollten über bereits in ▶ Kap. 11 vorgestellten Ruhebilder zurückgegrif-
Zusammenhänge zwischen diesen Phänomen und den be- fen werden. In der Nachbesprechung wird dann zum einen
18 schriebenen psychophysiologischen Effekten der Entspan- auf das Erleben während der Entspannung, zum anderen
nung aufgeklärt werden, um mögliche Ängste abzubauen auf die Wahl des Ruhebildes eingegangen. Zudem sollten
19 (ausführliche Übersicht Vaitl u. Petermann 2004). Wichtig mögliche Störungen und körperliche Empfindungen er-
ist, individuelle positive Erfahrungen herauszuarbeiten und fragt werden (▶ Übung zum autogenen Training). Zum Ab-
20 die Patientinnen zum stetigen Training zu motivieren. Die lauf der Übung kann folgende Instruktion gegeben werden
Übung zum autogenen Training könnte so ablaufen: (mod. nach Vaitl u. Petermann 2004):

21 Erläuterung des Therapeuten Erläuterung des Therapeuten


Bitte legen Sie sich auf den Boden und schließen Sie die Augen. Kon- Bitte setzen Sie sich bequem hin. Konzentrieren Sie sich zunächst auf
22 zentrieren Sie sich zunächst auf den Satz „Ich bin ruhig, ganz ruhig“ und
sagen Sie diesen mehrfach hintereinander für sich auf … Bitte konzen-
Ihren Atem und atmen Sie ruhig, ein und aus … ein und aus … Sagen
Sie sich die Ruheformel vor … „Ich bin ruhig, ganz ruhig“ … und atmen
14.5 • Zusammenfassung
267 14
Sie dabei weiter ruhig ein und aus … ein und aus … Bitte runzeln Sie möglich vor … Spüren Sie beispielsweise die Wärme auf der Haut oder
nun die Stirn, halten Sie einen Moment die Anspannung und entspan- den Wind, … hören Sie die Geräusche der Umgebung, … nehmen Sie
nen Sie die Stirn ganz bewusst wieder … Verweilen Sie einen Moment in die Farben und Formen der Umgebung wahr, … begeben Sie sich ganz
der Entspannung und spannen nun die Stirn noch einmal an … Halten in die Situation hinein … Nun werde ich gleich rückwärts zählen von
Sie die Spannung und entspannen Sie nun wieder … Fühlen Sie der fünf bis eins … Fünf … vier … drei … zwei … eins … Bitte recken und
Entspannung nach, … runzeln Sie nun noch einmal die Stirn, … halten strecken Sie sich jetzt … Atmen Sie noch einmal tief ein und aus … und
Sie die Anspannung und entspannen Sie nun wieder … Als Nächstes öffnen Sie die Augen …
ziehen Sie mit Mund und Nase eine Grimasse, runzeln Sie dazu die Nase
und verziehen den Mund … Halten Sie die Grimasse einen Moment
und entspannen Sie nun ganz bewusst das Gesicht … Wiederholen
Die Genuss- und Entspannungsübungen können prob-
Sie nun noch einmal die Gesichtsanspannung, … halten die Spannung lemlos auf das Einzelsetting übertragen werden und die
einen Moment und entspannen Sie nun wieder … Fühlen Sie der Ent- beschriebenen Übungen exemplarisch mit der Patientin
spannung nach … und spannen jetzt noch einmal Nase und Mund an, im Rahmen der Therapiestunde analog zur Gruppenstunde
runzeln Sie Nase und Mund und halten die Anspannung einen Mo- durchgeführt werden.
ment … Entspannen Sie jetzt wieder das ganze Gesicht, … spüren Sie
die Entspannung … Nun ziehen Sie bitte Ihre Schultern nach oben …
Spannen Sie die Schultern dabei ganz fest an und lassen jetzt wieder
14.5 Zusammenfassung

-
locker … Lassen Sie die Schultern einfach nach unten hängen, … ganz
entspannt … Fühlen Sie der Entspannung in den Schultern nach … Nun
ziehen Sie bitte Ihre Schultern noch einmal nach oben, … halten die Das Selbstwertgefühl ist ein komplexes Konstrukt,
Anspannung … und lassen jetzt die Schultern fallen, … einfach nach
unten hängen lassen, … ganz entspannt … Und nun noch ein letztes
welches sich in vier Bereiche unterteilen lässt –
Mal die Schultern hochziehen, … halten Sie die Anspannung … und Selbstvertrauen in eigene Fähigkeiten, Selbstakzep-
lassen jetzt wieder locker … Fühlen Sie der Entspannung in den Schul- tanz, soziale Kompetenz und soziales Netzwerk. Zum
tern nach … Nun winkeln Sie bitte Ihre Arme an und spannen diese Aufbau von Ressourcen wurde in diesem Kapitel vor
an, … halten die Spannung in den ganzen Armen, … halten … halten allem auf die Steigerung von Selbstakzeptanz und

-
… Jetzt lassen Sie bitte locker, … lassen Sie die Arme entspannt an den
Seiten hängen, spüren Sie die Entspannung … Als Nächstes spannen
Selbstvertrauen fokussiert.
Sie die Arme bitte noch einmal an, … halten die Anspannung … und Als Übungen zum Aufbau des Selbstwertgefühls
lassen wieder locker … Spüren Sie der Entspannung nach, … und ein werden z. B. Feedbackübungen oder die Sensibilisie-
rung für Erfolge und positive Erlebnisse im Alltag

-
letztes Mal die Arme anspannen … und entspannen … Bitte ballen Sie
nun nur die Hände zu Fäusten, … fest drücken und wieder loslassen … beschrieben.
Spüren Sie die Entspannung in den Fingern, … und noch einmal die
Hände zu Fäusten ballen … und loslassen, … und noch einmal eine
Im Anschluss an die Erarbeitung von positiven
Faust machen … Halten Sie die Anspannung … und nun entspannen … Aspekten der Person selbst sollten zum Aufbau der
Konzentrieren Sie sich auf den Atem, atmen Sie ein, … halten den Atem verschiedenen Selbstwertkomponenten zum einen
kurz an und atmen wieder aus, … einatmen, kurz anhalten und wieder störende Einflüsse, zum anderen Ressourcen im All-
ausatmen, … einatmen, halten Sie den Atem an … und wieder ausat- tag identifiziert und reduziert bzw. weiter aufgebaut

-
men … Nun ist der gesamte Oberkörper entspannt … Spüren Sie die
Entspannung … Jetzt lassen wir die Entspannung in die Beine fließen,
werden.
… spannen Sie nun beide Oberschenkel an, … halten die Anspannung Zur Überprüfung der Energiebilanz eignen sich
und entspannen wieder … Nun spannen Sie die Oberschenkel wieder Übungen wie die Planung eines Idealtages oder die
an … und entspannen Sie wieder, … und ein letztes Mal … anspan- Identifikation von Energiequellen und Energiefres-
nen … und entspannen … Wir wandern nun wieder zu den Unter- sern. Zum Abbau der störender Einflüsse werden
schenkeln … Ziehen Sie den rechten und linken Fuß nach oben und
spannen Sie damit die Waden an, … halten … und die Füße wieder auf
die individuellen Energiefresser detailliert bespro-
den Boden stellen, … und noch einmal … die Zehen in Richtung Kopf chen und Lösungsmöglichkeiten für die einzelnen
ziehen, … halten … und wieder aufsetzen, … und ein letztes Mal … Bereiche ermittelt. Zum Ausgleich der Energiebilanz
die Füße nach oben ziehen und die Waden anspannen, … halten … werden im Anschluss daran Wochenpläne ausge-
und entspannen … und als Letztes krümmen wir die Füße, rollen die arbeitet, die zur Reduktion der störenden Einflüsse
Zehen ein und halten diese Stellung einen Moment, … und den Fuß
wieder ganz aufsetzen, … und noch einmal … die Zehen einrollen,
dienen und die Integration positiver, energiespenden-
… halten … und entspannen … Spüren Sie der Entspannung in den der Aktivitäten beinhalten. Vertiefend können zur
Füßen nach … und noch einmal … die Füße einrollen, … halten Sie die Ressourcensteigerung zudem Übungen zur Erhöhung
der Genuss- und Entspannungsfähigkeit vermittelt

-
Spannung … und entspannen … Nun ist der ganze Körper entspannt,
… gehen Sie der Entspannung nach … Spüren Sie die Entspannung des werden.
Kopfes, des Oberkörpers und der Beine … Nun möchte ich Sie bitten,
sich eine Situation vorzustellen, in der Sie sich wohl fühlen … Dies kann
Genussfähigkeit bezieht sich auf die Wahrnehmung
beispielsweise das Liegen in der Badewanne oder das Hören einer be- alltäglicher Begebenheiten mit allen Sinnen und kann
stimmten Musik auf dem Bett liegend sein, aber auch der Blick auf das über verschiedene Übungen trainiert werden. Zudem
Meer, während Sie am Strand sitzen oder das Plätschern eines Baches sollten den Patientinnen Genussregeln vermittelt
auf einer Waldlichtung … Versuchen Sie sich in die ausgewählte Situa- werden, welche die Umsetzung von Genuss im Alltag
tion hineinzuversetzen, … stellen Sie sich dabei alles so detailliert wie
erst ermöglichen.
268 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 - Übungen zur Induktion langfristiger Entspannung


sollten bei Patientinnen mit Essstörungen vor allem
im Bereich der muskulären Entspannung angesiedelt
2 sein und können aus dem Bereich des autogenen
Trainings, der progressiven Muskelentspannung oder
auch der Imaginationsverfahren entstammen.
3
4 14.6 Arbeitsblätter

5 -- Arbeitsblatt 14.1B Selbstwerthaus (. Abb. 14.1)

- Arbeitsblatt 14.2B Stärken (. Abb. 14.2)


Arbeitsblatt 14.3B Protokollbogen „positive Ereig-

--
6 nisse“ (. Abb. 14.3)
Arbeitsblatt 14.4B Idealtag (. Abb. 14.4)
7
-- Arbeitsblatt 14.5B Energiehaushalt (. Abb. 14.5)
Arbeitsblatt 14.6 Energiefresser (. Abb. 14.6)
8
-- Arbeitsblatt 14.7B Zufriedenheit (. Abb. 14.7)
Arbeitsblatt 14.8B Regenerieren (. Abb. 14.8)

9
- Arbeitsblatt 14.9B Wohlfühlwoche (. Abb. 14.9)
Arbeitsblatt 14.10B Genießen mit allen Sinnen

10 -- (. Abb. 14.10)
Arbeitsblatt 14.11 Genussregeln (. Abb. 14.11)
Arbeitsblatt 14.12B Sinnesspaziergang (. Abb. 14.12)

11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 14.1 | Selbstwerthaus | Seite 1


14.6 • Arbeitsblätter

Selbstwerthaus
Das Selbstwertgefühl einer Person speist sich aus Faktoren, die in der Person selbst liegen (bspw. das Gefühl, sich zu mögen, wie man ist, eigene Schwächen zu ak-
zeptieren oder der Glaube an eigene Fähigkeiten oder das Gefühl, Erfolg zu haben) und Faktoren, die aus dem Umgang mit anderen Menschen resultieren (bspw.
die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, positive Rückmeldungen, das Gefühl, beliebt zu sein oder Bewältigung von
Anforderungssituationen entsprechend eignen Zielen sowie Qualität von Beziehungen oder Vorhandensein von Freundschaften; Potreck-Rose und Jakob 2004).
Diese Faktoren lassen sich grob vier Bereichen (Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen, soziale Kompetenz und soziales Netz) zuordnen. Wir bezeichnen diese Bereiche

.. Abb. 14.1 Arbeitsblatt 14.1B Selbstwerthaus


als Säulen, da sie den Selbstwert stützen bzw. tragen. Um dies zu verdeutlichen, finden Sie unten exemplarisch zwei „Selbstwerthäuser“, die den Selbstwert inklu-
sive der tragenden Säulen einer Person darstellen. Das Haus links steht für einen instabilen Selbstwert mit Säulen aus nur zwei Bereichen, das Haus auf der rechten
Seite steht für einen stabilen Selbstwert, da dieser viele verschiedene Quellen hat, aus denen er sich speist und damit auf stabilen Säulen steht.
269

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
14
270 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 14.2 Headline-2
Stärken | | Seite
Seite11
2
3 Stärken
Bitte tragen Sie in die beiden Kästen Dinge ein, die Sie an sich selbst mögen, d. h. bestimmte Eigenschaften, Verhaltens-
4 weisen sowie Dinge, die Sie gut können, d. h. bestimmte Fertigkeiten, Talente, Aktivitäten, Hobbys.

5 Was ich an mir mag Was ich gut kann

6 PHLQH6WLPPH NRFKHQ

PHLQHQ.OHLGXQJVJHVFKPDFN EDFNHQ
7 PHLQ/DFKHQ IRWRJUDILHUHQ

PHLQH:RKQXQJVHLQULFKWXQJ :RKQXQJHLQULFKWHQ
8
PHLQH*UEFKHQ 'LQJHVFKQHOOEHJUHLIHQ

9 PHLQ0XWWHUPDODP%DXFK /HXWHPRWLYLHUHQ

PHLQHEODXHQ$XJHQ RUJDQLVLHUHQ

10 PHLQHQ+XPRU 6FUDEEOHVSLHOHQ

PHLQHQ2SWLPLVPXV /HXWHNHQQHQOHUQHQ
11 PHLQH1DWUOLFKNHLW DQGHUHQ]XK|UHQ

12 PHLQH1HXJLHUGH

13
14
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16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 14.2 Arbeitsblatt 14.2B Stärken


14.6 • Arbeitsblätter
271 14

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 14.3 Headline-2
Protokollbogen |
Seite„positive
1 Ereignisse“ | Seite 1

Protokollbogen „positive Ereignisse“


Bitte notieren Sie sich eine Woche lang jeden Abend, welche positiven Erlebnisse und Begegnungen Sie den Tag über
hatten.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 14.3 Arbeitsblatt 14.3B Protokollbogen „positive Ereignisse“


272 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 14.4 Headline-2
Idealtag | |Seite 1 1
Seite
2
3 Idealtag
Bitte beschreiben Sie einen idealen Tag, wie dieser in Ihrem „normalen“ Alltag aussehen könnte.
4
Å,FKZDFKHDXVJHUXKWXQGJXWJHODXQWDXIRKQHGDVVPHLQ:HFNHUNOLQJHOW'LH6RQQHVFKHLQWXQG
5 LFKIKOHPLFKIULVFKXQGIUHXHPLFKDXIGHQ7DJ,FKJ|QQHPLUHLQOHFNHUHV)UKVWFNDXIGHP

6 %DONRQPLWIULVFKHP2EVWXQG%U|WFKHQOHVHGDEHLLQHLQHU=HLWXQJXQGK|UH5DGLR

'DQDFKIDKUHLFKLQGLH6WDGWXQGWUHIIHPLFKPLWPHLQHUEHVWHQ)UHXQGLQ]XP6FKDXIHQVWHUEXP

7 PHO:LUVFKOHQGHUQGXUFKGLH*HVFKlIWHRKQH=HLWGUXFNUHGHQHLQELVVFKHQEHUGLHVXQGGDVXQG

JHQLH‰HQHLQIDFKGHQ7DJ,FKILQGHHLQVFK|QHV76KLUWXQGHLQHQ5RFNXQGPHLQH)UHXQGLQNDXIW
8 VLFKHLQSDDU6FKXKH=XP$EVFKOXVVVHW]HQZLUXQVQRFKDXIGLH7HUUDVVHPHLQHV/LHEOLQJVFDIpV

9 HVVHQHLQHOHFNHUH5XFFROD3L]]DXQGODXVFKHQGHP3OlWVFKHUQGHV%UXQQHQV(LQ6WUD‰HQPXVLNDQW

VSLHOWJHJHQEHUDXIGHP6D[RSKRQXQGHVLVWHLQIDFKHLQHZXQGHUEDUH6RPPHUXQG8UODXEVDWPR

10 VSKlUH

'DQDFKIDKUHLFKPLWGHP)DKUUDGQDFK+DXVHJHQLH‰HGHQ)DKUWZLQGXPGLH1DVHXQGNDXIHPLU
11
QRFKHLQSDDU%OXPHQ=X+DXVHDQJHNRPPHQVHW]HLFKPLFKPLWHLQHP%XFKDXIGHQ%DONRQXQG

12 OHVH

$PIUKHQ$EHQGJHKHLFK]XPHLQHP<RJD.XUV'DQDFKELQLFKKHUUOLFKHQWVSDQQW0LWPHLQHU
13 6FKZHVWHUNRFKHLFKJHPHLQVDPEHYRUZLUHLQHQQHWWHQ)LOPDQVFKDXHQ:LUODFKHQYLHO]XVDPPHQ

14 XQGODVVHQGHQ$EHQGDXIGHP6RIDDXVNOLQJHQ´

15
16
17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 14.4 Arbeitsblatt 14.4B Idealtag


14.6 • Arbeitsblätter
273 14

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 14.5 | Energiehaushalt | Seite 1

Energiehaushalt
In dieser Aufgabe geht es darum, eine Energiebilanz zu erstellen. Bitte tragen Sie dazu in das erste Diagramm diejenigen
Lebensbereiche ein, die Sie Energie kosten. Achten Sie hierbei darauf, dass die Größe des jeweiligen „Tortenstücks“ auch
der Energiemenge, die Sie in den Bereich investieren, entspricht. Dann zeichnen Sie bitte einen zweiten Kreis. Dieser soll
im Verhältnis zum ersten Kreis so groß sein, dass das Verhältnis zwischen der von Ihnen abgegebenen (erster Kreis) und
der erhaltenen (zweiter Kreis) Energie erkennbar wird. Wenn Sie also mehr Energie abgeben als Sie empfangen, sollte der
zweite Kreis kleiner sein als der erste. Vermerken Sie in dem zweiten Kreis die Bereiche aus denen Sie Energie beziehen.
Überlegen Sie dann, wie Ihre Energiebilanz aussieht. Geben Sie mehr Energie ab als Sie erhalten? Welche Bereiche sind es,
die Sie die meiste Energie kosten und welche sind es, die Ihnen die meiste Energie liefern? Was können Sie ändern, um die
Energiebilanz ausgewogener zu gestalten?

Ich gebe Energie ab an

6SRUW
)UHXQG

)UHXQGLQQHQ

SROLWLVFKHV(KUHQDPW )DPLOLH (OWHUQ6FKZHVWHUQ

$UEHLW

Ich erhalte Energie von

)UHXQG

)UHXQGLQQHQ

6SRUW

SROLWLVFKHV(KUHQDPW
$UEHLW

)DPLOLH

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 14.5 Arbeitsblatt 14.5B Energiehaushalt


274 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 14.6 | Energiefresser | Seite 1


2
3 Energiefresser
Bitte lesen Sie sich die folgenden Beispiele für Energiefresser durch und überlegen Sie, welche davon auf Sie persönlich
4 zutreffen.

5
Ich halte mich oft mit
6 Meine Kollegen
Unwichtigem auf

sind unzuverlässig Ich arbeite oft


7 unkonzentriert, so dass
mir Fehler passieren
Ich verbringe viel
8 Zeit mit Wegen
Ich mache nie Pause
von A nach B

9 Ich mache oft Dinge, ohne Ich will alles


dass mir das Ziel klar ist perfekt machen
10
Ich habe oft überflüssigen Ich tue häufig mehrere

11 Papierkram zu erledigen Dinge gleichzeitig

Ich kann Unordnung


12 Oft informiere ich
mich nicht richtig,
Energiefresser
nicht ertragen
was zu Fehlern führt
13 Ich plane meine
Ich sitze in Zeit oft falsch ein

14 vielen unnützen
Besprechungen
Ich mache am
liebsten alles selbst
15 Ich werde ständig
beim Arbeiten
Mir fällt es
16 unterbrochen
schwer Prioritä-
ten zu setzen
Ich will immer für
17 andere da sein/
erreichbar sein Ich habe oft einen
Ich schiebe oft
zu engen Zeitplan
18 Arbeiten vor
Ich kann mich nur
mir her
schwer entscheiden
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 14.6 Arbeitsblatt 14.6 Energiefresser


14.6 • Arbeitsblätter
275 14

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 14.7 Headline-2
Zufriedenheit |
Seite 1 Seite 1 |
Zufriedenheit
Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen. Sie sollen Ihnen Hinweise darauf geben, was Sie für sich unter Zufriedenheit
verstehen.

Wie stelle ich mir ein zufriedenes Dasein vor?

:HQQLFKZHL‰ZDVLFKZLOO)UHXQGHKDEHGLHIUPLFKGDVLQGPHLQH$UEHLWPLFKHUIOOWLFKHLQ

VFK|QHV+REE\KDEH0HLQH/HEHQV]LHOHHUUHLFKWKDEH

Was verstehe ich unter „Wohlbefinden“?

:HQQLFKPLFKXQGPHLQHQ.|USHUVRDN]HSWLHUHQNDQQZLHHULVWXQGLFKPLFKDXVJHJOLFKHQXQG

HQWVSDQQWIKOH

Wie kann ich entspannen?

6SRUWRGHU<RJDLQGHU%DGHZDQQHEHLHLQHPJXWHQ%XFKEHLVFK|QHU0XVLNEHLHLQHP*HVSUlFK

PLWPHLQHU)UHXQGLQ

Was verstehe ich unter „Genuss“?

'DVVVLFKHWZDVVFK|QDQIKOWGDVVHWZDVJXWVFKPHFNWRGHUULHFKWGDVVLFK)UHXGHRGHU:RKOJHIKO

HPSILQGHZHQQLFK'LQJHWXH

Was bedeutet mir Gesundheit?

'DVVHVPHLQHP.|USHUJXWJHKWXQGLFKILWXQGIXQNWLRQVIlKLJELQ

Was verstehe ich unter „Glück“?

0RUJHQVDXI]XZDFKHQXQGPLFKLQPHLQHP.|USHUZRKO]XIKOHQDQGHUHQ0HQVFKHQHLQH)UHXGH

]XPDFKHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 14.7 Arbeitsblatt 14.7B Zufriedenheit


276 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

| |
Material 1.1 14.8 Headline-2
Arbeitsblatt |
Seite 1 Seite 1
Regenerieren |
2
3 Regenerieren
Überlegen Sie, welche Tätigkeit sich für kurz- bzw. längerfristige Regenerationsphasen eignen könnten und tragen Sie in
4 die Kästen unter den Sonnen mindestens drei kurz- und drei längerfristige Aktivitäten zur Regeration ein.

5 Aktivitäten zur kurzfristigen Aktivitäten zur längerfristigen


Regeneration Regeneration
6
7
8
9
10 PLQ%XFKOHVHQ
UHJHOPl‰LJPHLQH
$WHPEXQJHQPDFKHQ

11
12
13
14
15 PHLQH/LHEOLQJVPXVLNK|UHQ PLQGDFKW6WXQGHQVFKODIHQ

16
17
18
19
20 KHL‰H'XVFKH HLQPDOLQGHU:RFKH6DXQD

21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 14.8 Arbeitsblatt 14.8B Regenerieren


Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 14.9 | Wohlfühlwoche | Seite 1


14.6 • Arbeitsblätter

Wohlfühlwoche

Tag Arbeit Soziale Kontakte Hobbys Essen Gefallen hat mir besonders Bewertung insgesamt
0R 6WXQGHQOHUQHQ (LVHVVHQPLW 1DFKPLWWDJV /HFNHUHV)UKVWFN 7ROOHV:HWWHUPLWWDJVLQ 6FK|QHU7DJ
1DGLQH )DKUUDGIDKUHQ LQ5XKHPLWWDJV GHU0HQVDLQGHU6RQQH
0HQVD$EHQGHVVHQ JHVHVVHQXQGJHOHVHQ

.. Abb. 14.9 Arbeitsblatt 14.9B Wohlfühlwoche


PLW0DLNH
'L 9RUPLWWDJVOHUQHQ /HUQHQ ² 0LWWDJVVHOEVW .LQR]XU%HORKQXQJIU *XWHU7DJ
QDFKPLWWDJV ]XVDPPHQPLW NRFKHQ GHQ/HUQWDJ
+DXVDUEHLW 6LONHDEHQGV
.LQRPLW1DGLQH
0L 6WXQGHQJHMREEW 0LWWDJHVVHQPLW $EHQGV<RJDNXUV 0LWWDJHVVHQ <RJDNXUVNRQQWHPLFK 6WUHVVDXI$UEHLW
6RQMD $EHQGHVVHQOH JXWHQWVSDQQHQ ELQQLFKWIHUWLJ
FNHUHU6DODWPLW JHZRUGHQ
3XWHQEUXVW DEHU<RJDZDU
HQWVSDQQHQG
'R 9RUPLWWDJVOHUQHQ ² 1DFKPLWWDJV )UKVWFNXQG ,Q6WDGWDXI0DUNW 6FK|QHU7DJ]XU
QDFKPLWWDJVIUHL 6WDGWEXPPHO 0LWWDJJDQ]RND\ JHZHVHQXQGIULVFKHV %HORKQXQJ.OHLG
DOOHLQH *HPVHXQG3HVWR JHNDXIW
JHNDXIWDEHQGVOHFNHU
JHNRFKWIUPLFKDOOHLQH
)U 9RUPLWWDJV8QL 0LWWDJHVVHQPLW $EHQGV RND\ 1DFKGHP5ROOHUEODGHQ 7ROOHU(LQVWLHJLQV
QDFKPLWWDJV .RPPLOLWRQHQ 5ROOHUEODGHQPLW LP%LHUJDUWHQJHVHVVHQ :RFKHQHQGH
OHUQHQ .DWMDDP5KHLQ XQGJXWXQWHUKDOWHQ
6D ² )UKVWFNHQ ² 2SXOHQWHU%UXQFK $EKlQJHQLP 6FK|QHU7DJ
JULOOHQDP5KHLQ NHLQ0LWWDJ 6FKZLPPEDGJULOOHQ
DEHQGVJULOOHQ
277

6R ² ² $OWH)RWRV 6HOEVWJHPDFKWH 7DJIUPLFKJHQRVVHQ 6FK|QHU7DJJXW


HLQJHNOHEW 3DVWDJHJHVVHQ XQJHVW|UW HUKROW
OHFNHU

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie
14
278 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 14.10 | Genießen mit allen Sinnen | Seite 1


2
3 Genießen mit allen Sinnen
Der Mensch verfügt bekanntermaßen über fünf Sinne, das Sehen, das Hören, das Riechen, das Schmecken und das Tasten
4 betreffend. Bitte überlegen Sie, auf welche Art und Weise mit den fünf Sinnen Genuss empfunden werden kann. Bitte
notieren Sie für jeden Sinn ein persönliches Genusserlebnis.

5
Riechen
6 ²PRUJHQVDQGHUIULVFKDXIJHULVVHQHQ.DIIHHSD
FNXQJULHFKHQ
²IULVFKH=LWURQHQPHOLVVHRGHU3IHIIHUPLQ]HDXV
7 GHP.UlXWHUEHHWLQGHU+DQG]HUUHLEHQ

8
Hören
9 ²GDV%UDXVHQGHUDXIJHGUHKWHQ'XVFKH²GDV
:DVVHUEUDXVHQNOLQJWEHUXKLJHQG
10 ²GDV7RFNWRFNGHV6SHFKWVZHQQLFKDXIGHP
%DONRQVLW]H

11
12 Schmecken
²HLQULFKWLJJXWHU(VSUHVVRLVWHUVWELWWHUHUIOOW
GDQQDEHUGHQJDQ]HQ0XQG
13 ²GHUHUVWH%LVVHQHLQHVVFKDUIHQ&XUU\VGHU
HLQHPGDV:DVVHULQGLH$XJHQWUHLEWXQGGLH

14 1DVHXQGGHQ.RSIJDQ]IUHLPDFKW

15
Tasten

16 ²PHLQH6HLGHQEOXVHLVWJDQ]OXIWLJDXIGHU
+DXWGDVIKOWVLFKOHLFKWXQGIUHLDQ
²ZHQQLFKGDV)HOOPHLQHU.DW]HVWUHLFKHOHGDV
17 IKOWVLFKJDQ]VHLGLJXQGZHLFKDQ

18
Sehen
19 ²GDV*UQGHU%OlWWHUJHJHQGHQEODXHQ+LP
PHOZHQQGLH6RQQHVFKHLQWGDVVLHKWVRIULHG

20 OLFKXQGQDFK8UODXEDXV
²LP+HUEVWGLHEXQWHQ:lOGHU

21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 14.10 Arbeitsblatt 14.10B Genießen mit allen Sinnen


14.6 • Arbeitsblätter
279 14

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt 14.11 | Genussregeln | Seite 1

Genussregeln
(adaptiert nach Lutz 1999)

Gönne dir Genuss


Viele Menschen haben Hemmungen, ein schlechtes Gewissen oder schämen sich, wenn sie sich selbst etwas Gutes tun.
Bei den folgenden Übungen kommt es darauf an, sich über unnötig gewordene Genussverbote klar zu werden und sie
fallen zu lassen.

Nimm dir Zeit zu genießen


Das klingt banal, ist aber eine ganz wichtige Voraussetzung für das Genießen. Genuss geht nicht unter Zeitdruck – aber
manchmal genügt schon ein Augenblick.

Genieße bewusst
Wer viele Dinge gleichzeitig tut, wird dabei kaum genießen können. Wollen Sie Genuss erleben, dann müssen Sie andere
Tätigkeiten ausschalten und sich ganz auf diesen Genuss besinnen. Genuss geht nicht nebenbei.

Schule deine Sinne für Genuss


Genießen setzt eine fein differenzierte Sinneswahrnehmung voraus, die sich durch Erfahrung gebildet hat. Beim Genie-
ßen kommt es auf das Wahrnehmen von Nuancen an. Es gilt hier, die eigenen Sinne zu schärfen.

Genieße auf deine eigene Art


Genuss bedeutet für jeden etwas anderes. Hier kommt es darauf an herauszufinden, was einem guttut und – genauso
wichtig – was einem nicht guttut und was einem wann guttut.

Genieße lieber wenig, aber richtig


Ein populäres Missverständnis über Genießen ist, dass derjenige mehr genießt, der mehr konsumiert. Für den Genuss ist
jedoch nicht die Menge, sondern die Qualität entscheidend. Ein Zuviel wirkt auf die Dauer sättigend und langweilend.
Deshalb sollte man sich beschränken, nicht aus Geiz oder aus falscher Bescheidenheit, sondern um sich das jeweils Beste
zu gönnen.

Überlasse deinen Genuss nicht dem Zufall


Eine Redensart besagt, dass man die Feste feiern soll, wie sie fallen. Das Zufällige, Spontane, Unerwartete bringt häufig
einen ganz besonderen Genuss. Es erscheint jedoch nicht günstig, den Genuss alleine dem Zufall zu überlassen. Im Alltag
wird es oft nötig sein, Genuss zu planen, das heißt die Zeit dafür einzuteilen, die entsprechenden Vorbereitungen zu
treffen, Verabredungen zu vereinbaren usw..

Genieße die kleinen Dinge des Alltags


Genuss ist nicht immer zwangsläufig etwas ganz Außerordentliches. Vielmehr
gilt es, Genuss im ganz normalen Alltag zu finden – in kleinen Begebenheiten
und alltäglichen Verrichtungen. Wer sich selbst im Alltag innerlich dafür offen
hält, kann eine Vielzahl von Quellen für angenehme Erlebnisse gerade auch im
alltäglichen Leben entdecken.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 14.11 Arbeitsblatt 14.11 Genussregeln


280 Kapitel 14 • Förderung von Ressourcen

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

|
Material 1.1 14.12 Headline-2
Arbeitsblatt | Seite 1
Sinnesspaziergang | | Seite 1
2
3 Sinnesspaziergang
Die Natur bietet vielfältige Sinneseindrücke, die es sich lohnt näher zu betrachten. Nehmen Sie sich daher die Zeit, in
4 Ruhe durch einen Park, den eigenen Garten, durch Felder oder den Wald zu gehen. Suchen Sie sich von dem vielfältigen
Angebot an Eindrücken in der Natur die heraus, die Ihren Vorlieben entsprechen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf

5 diese Dinge, die Ihnen besonders gefallen, und nehmen Sie sich Zeit sie bewusst zu genießen.

Sie können dabei auf die folgenden Aspekte achten:


6 4 Farben von Blumen, Bäumen
4 Formen von Blättern, Blüten, Gräsern
7 4 Bewegungen von Tieren während des Flugs oder beim Krabbeln
4 Strukturen wie Maserungen von Baumrinde oder die Oberfläche von Blättern
4 Geräusche – lassen Sie Hintergrundgeräusche auf sich wirken. Hören Sie, welches Klangbild die einzelnen Geräusche
8 zusammen ergeben.

9 Notieren Sie hier Ihre Beobachtungen:

,FKODXIHEHUHLQHQ)HOGZHJ/LQNVYRQPLULVWHLQ5DSVIHOG'HU5DSVEOKWJHUDGHZXQGHUVFK|Q
10 'LH%OWHQVLQGNQDOOLJJHOE'DVLVWHLQHJDQ]IULVFKHXQGIURKH)DUEHGLHPLFKIDVWEOHQGHW'LH

11 %OWHQGHU5DSVSIODQ]HKDEHQHLQHJDQ]EHVRQGHUH)RUP,P*UXQGHJHQRPPHQVLQGHVYLHOHNOHLQH

%OWHQGLHGLHJHVDPWHEOKHQGH6SLW]HZLH7UDXEHQIRUPHQ-HGHHLQ]HOQHNOHLQH%OWHKDWYLHU

12 %OlWWHUGLHPLFKLUJHQGZLHDQGLH)RUPYRQ.OHHEOlWWHUQHULQQHUQ'HU5DSVGXIWHWJDQ]LQWHQ

VLYXQGLUJHQGZLHVHKUV‰OLFK(UHULQQHUWPLFKDQGHQ*HUXFKYRQ+RQLJ'LH%OWHQZLHJHQVLFK
13 OHLFKWLP:LQG6LHZHUGHQYRQ%LHQHQDQJHIORJHQGLHYRQ%OWH]X%OWHIOLHJHQXQGGHQ1HNWDU

14 VDPPHOQ,FKK|UHLKU6XPPHQ,FKVFKDXHLKQHQHLQH:HLOH]XZLHVLHLQGLH%OWHKLQHLQXQG

ZLHGHUKHUDXVNUDEEHOQXQGGDQQZHLWHUIOLHJHQ]XUQlFKVWHQ%OWH

15
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 14.12 Arbeitsblatt 14.12B Sinnesspaziergang


Literatur
281 14
Literatur

Grawe K (1995) Grundriss einer allgemeinen Psychotherapie. Psycho-


therapeut 40:130–145
Jacobi C (2000) Beeinträchtigungen des Selbstkonzeptes bei Ess-Stö-
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bei Essstörungen? Z Klin Psychol Psychother 32:31–40
Kaluza G (2005) Stressbewältigung. Springer, Berlin, Heidelberg
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rapeutisch orientierter Behandlungsansatz zum Aufbau positiven
Erlebens und Handelns. Pabst Science Publishers, Lengerich
Lutz R (1999) Die kleine Schule des Genießens kommt in die Jahre – 15
Jahre Genussprogramm. In: Lutz R, Mark N, Bartmann U, Hoch E,
Stark MF (Hrsg) Beiträge zur euthymen Therapie. Lambertus, Frei-
burg
Potreck-Rose F, Jacob G (2004) Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz und
Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Auf-
bau von Selbstwertgefühl. Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart
Schütz A (2000) Psychologie des Selbstwertgefühls: Von Selbstakzep-
tanz bis Arroganz. Kohlhammer, Stuttgart
Vaitl D, Petermann F (2004) Entspannungsverfahren – Ein Praxishand-
buch. Beltz PVU, Berlin
Williutzki U, Koban C, Neumann B (2005) Zur Diagnostik von Ressourcen.
In: Kosfelder J, Michalak J, Vocks S, Willutzki U (Hrsg) Fortschritte der
Psychotherapieforschung. Hogrefe, Göttingen
283 15

Rückfallprophylaxe
T. Legenbauer, S. Vocks

15.1 Einleitung – 284


15.2 Bilanzierung – 285
15.3 Identifikation zukünftiger Risikosituationen – 286
15.4 Erarbeitung von Strategien zur Überwindung
von Risikosituationen – 287
15.5 Zusammenfassung – 290
15.6 Arbeitsblätter – 290
Literatur – 296

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
284 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

1
2
--
Ziel
Festigung des Therapieerfolges
Vermittlung von Strategien zur Prävention und Be-
wältigung von Rückfällen
fallrisiko zu sensibilisieren. Dazu gehört z. B. eine weiter
bestehende Tendenz zur Überforderung oder eine un-
günstige Zeiteinteilung. Auch mögliche wieder oder neu
auftretende körperliche Faktoren wie eine Gewichtszu-
nahme oder psychische Veränderungen wie Stimmungs-
3
--
Vorgehen
Bilanzierung des Therapieprozesses
Identifizieren von hilfreichen Strategien zur Bewälti-
schwankungen sollten hierbei berücksichtigt und thema-
tisiert werden.
Bei der Rückfallprophylaxe geht es vor allem darum,
4
- gung von rückfallrelevanten Auslösesituationen
Zusammenstellen einer „Notfallkiste“ mit Maßnah-
Frühwarnzeichen herauszuarbeiten, um ein zeitnahes und
effektives Management der möglicherweise auftretenden
5
6
- men zur Rückfallverhinderung
Analyse von schwierigen potenziell einen Rückfall
auslösenden Situationen
Probleme zu erreichen. Abschließend sollte zudem be-
sprochen werden, unter welchen Bedingungen eine Wie-
deraufnahme einer Therapie sinnvoll und notwendig
wäre und auf welche alternativen Hilfsangebote darüber
hinaus zurückgegriffen werden kann. In diesem Kapitel
7 15.1 Einleitung wird die Vorgehensweise beispielhaft dargestellt, in der
folgenden Übersicht sind die Inhalte noch einmal zusam-
Bei der Rückfallprophylaxe stehen verschiedene Schlüs- mengefasst:
8 selaspekte im Vordergrund, deren Beachtung dazu dienen

-
soll, die Patientin auf mögliche Rückfälle vorzubereiten
9 und in den Risikosituationen Bewältigungsstrategien Inhalte der Rückfallprophylaxe
Rückblick auf Therapieverlauf:
schnell verfügbar zu machen. Die Therapieschritte im
nochmalige Reflexion der Vor- und Nachteile der
10 Rahmen der Rückfallprophylaxe sind der Rückblick auf
Essstörung, Betonung der Funktion der Essstörung,
den Therapieprozess, die Fokussierung positiver Verän-
Herausarbeiten der langfristig negativen Konse-

-
derungen, die Thematisierung von möglicherweise weiter
11 bestehenden Vulnerabilitätsfaktoren, die Sensibilisierung quenzen der Essstörung.
Entwicklung der Patientin in der Therapie hervor-
von Frühwarnzeichen sowie die Ermutigung zur Wieder-
12 aufnahme einer Psychotherapie bei deutlicher Verschlech- heben:
Aufzeigen positiver Veränderungen, welche sich
terung (Garner et al. 1997).
im Verlaufe der Therapie bei der Patientin gezeigt

-
Die Rückfallprophylaxe umfasst damit zwei Ziele,
13 zum einen die Festigung der in der Therapie erzielten haben und Betonung von deren Wichtigkeit.
Herausarbeiten von Vulnerabilitätsfaktoren:
Fortschritte und zum anderen die Herausarbeitung von
14 Risikosituationen für Rückfälle und die Erarbeitung von Überprüfung von Risikosituationen für einen
Rückfall, wie Konflikte am Arbeitsplatz, Gewichtszu-
Strategien zum Umgang mit Ihnen. Um diese beiden Ziele
nahme, sowie von möglichen weiter bestehenden
15 zu erreichen, sollte zunächst zusammen mit der Patientin
dysfunktionalen Verhaltensweisen, wie eine dys-
der Therapieverlauf reflektiert und eine Bilanzierung der
funktionale Stressbewältigung und von sonstigen
erreichten Ziele vorgenommen werden. Zur Motivierung
16 der Patientin, sich auch nach Ende der Therapie mit mög- Risikofaktoren wie emotionale Instabilität, depres-
sive Symptome etc.; Thematisierung der Rolle eines
licherweise in Zukunft auftretenden möglichen Schwierig-
17 erneuten Diäthaltens oder möglichen Gewichtsver-

-
keiten auseinanderzusetzen, kann auch noch einmal auf
lusts als Beginn einer Abwärtsspirale.
die langfristig negativen Konsequenzen der Essstörung
Herausarbeitung von Frühwarnzeichen:
und ehemals aufrechterhaltenden Bedingungen eingegan-
18 gen und die ursprüngliche Funktion der Essstörung be- Identifikation von Frühwarnzeichen wie z. B. Stim-
mungsveränderungen, Reizbarkeit, Gefühle von
sprochen werden (▶ Kap. 7 Motivierung).
19
20
Daraus ableitend sollten die neu gewonnenen Fertig-
keiten überprüft und dabei auf die positive Entwicklung
der Patientin eingegangen werden z. B. hinsichtlich der
- Überlastung etc..
Wiederaufnahme der Therapie:
Herausarbeitung von Kriterien für eine Wiederauf-
nahme der Therapie. Thematisierung von Versa-
Veränderung des Essverhaltens, der Etablierung eines
gensängsten.
sozialen Netzwerkes oder der Anwendung sozialer Fer-
21 tigkeiten.
Im nächsten Schritt sollten individuelle Vulnerabi-
22 litätsfaktoren jeder Patientin betrachtet werden, um die
Patientinnen für Situationen mit einem erhöhten Rück-
15.2 • Bilanzierung
285 15
15.2 Bilanzierung Patientin: – „Ja, ich erinnere mich. Wir haben besprochen, dass ich
durch meine eigenen hohen Ansprüche oft sehr angespannt war und
nicht richtig abschalten konnte und dass das Essen mir die notwendige
Die Bilanzierung des Therapieprozesses dient vor allem der Entspannung verschafft hat.“
Betonung neu gewonnener Fähigkeiten und zielt auf die Therapeut: – „Ja, genau. Wie bekommen Sie denn jetzt Ihre Entspan-
Stärkung der Selbstwirksamkeit der Patientinnen ab. nung? Schließlich haben Sie keine Essanfälle mehr und erbrechen auch
nicht mehr.“
Patientin: – „Ich habe ja die Stundenzahl der Kurse, die ich an der
Maßnahmen und Unterlagen

-
Volkshochschule gebe, reduziert, so dass ich insgesamt nicht mehr
Übungen so belastet bin. Außerdem plane ich meinen Tag nun immer so, dass
Zielerreichung schöne Sachen (z. B. in Ruhe einen Kaffee mit Freunden trinken) Platz

-
Arbeitsmaterialien haben. Auf die Kurse, die ich schon oft an der Volkshochschule gehalten
habe, bereite ich mich jetzt weniger intensiv vor. Vor allem helfen mir
Flipchart, Stifte

-
die Spaziergänge mit meinem Hund. Die Bewegung ohne den Druck
Arbeitsblätter des Kalorienverbrennens tut gut, und ich kann mich beim Laufen auf
Bilanzierung (▶Arbeitsblatt 15.1/15.1B . Abb. 15.1) die schöne Umgebung konzentrieren. Das hilft sehr gut.“
Therapeut: – „Sie haben also die Symptome der Essstörung gut bewäl-
tigt und außerdem positive und entspannende Tätigkeiten in den Alltag
eingebaut.“
Um die Patientinnen bei einer Bilanzierung des Therapie-
prozesses zu unterstützen, sollte im ersten Schritt Arbeits-
blatt 8.6 „Weg zur Genesung“ (▶ Kap. 8) auf die Erreichung Können die Patientinnen selbst nur wenig benennen, das
der zu Therapiebeginn festgelegten Ziele hin überprüft sich durch die Therapie verändert hat, so kann der Thera-
werden. Ergänzend dazu sollte den Patientinnen Arbeits- peut moderierend bei der Besprechung eingreifen und zu-
blatt 15.1 „Bilanzierung“ (▶ http://extras.springer.com) rückmelden, was ihm aufgefallen ist. Möglicherweise ist die
ausgegeben werden, in das sie die erreichten Ziele eintra- Schwierigkeit der Patientin, Fortschritte zu beschreiben ein
gen können. Sinnvoll ist es, diese Übung in Kleingruppen Hinweis darauf, dass die Patientin nicht ausreichend Fort-
durchzuführen, um die Patientinnen dazu anzuleiten, ei- schritte in der Therapie gemacht hat. Wie in ▶ Abschn. 15.4
gene Erfolge für sich selbst zu identifizieren und hierbei beschrieben, sollte dann eine mögliche Fortsetzung oder
die Gruppenteilnehmerinnen als Unterstützung nutzen zu Wiederaufnahme der Therapie geprüft werden. Findet die
können. Besprechung in der Gruppe statt, so können die anderen
Arbeitsblatt 15.1 enthält bereits eine Unterteilung in Gruppenteilnehmerinnen um ein Feedback hinsichtlich
mögliche Bereiche, in denen sich Risiken für einen Rück- positiver Veränderungen der jeweiligen Patientin gebeten
fall zeigen können wie Essverhalten, Selbstwertgefühl, Be- werden. Es kann folgender Dialog entstehen, um mögliche
ziehung/Freunde und Arbeitsplatz. Durch die Vorstruktu- positive Veränderungen nochmals hervorzuheben:
rierung des Bilanzierungsbogens werden die Patientinnen
dazu angehalten, für den jeweiligen Bereich im Laufe der Therapiegespräch
Therapie eingetretene Veränderungen herauszuarbeiten. Therapeut: – „Sie haben eben gesagt, dass Sie die Anzahl Ihrer Volks-
Dies ist sinnvoll, um die Patientinnen darin zu unterstüt- hochschulkurse reduziert haben und auch manchmal zweimal die glei-
chen Kurse anbieten. Wie kam das denn?“
zen, Veränderungen auch in Bereichen außerhalb des ge-
störten Essverhaltens zu beschreiben. Der folgende Dialog Patientin: – „Ich habe mir klargemacht, dass mein Leistungsstreben und
Perfektionismus niemandem nutzt und mir nur schadet. Der Druck, den
könnte im Kontext der Bilanzierung des bisherigen Thera- ich mir selbst gemacht habe, hat dazu beigetragen, dass ich immer mit
pieerfolges geführt werden. mir unzufrieden war und auch jede Kritik immer auf mich bezogen
habe.“
Therapiegespräch Therapeut: – „Ich stelle es mir ganz schön schwierig vor, eigene Ansprü-
Therapeut: – „Wenn Sie sich anschauen, was sich im Verlauf der Thera- che zu reduzieren. Sie hatten ja auch einen Grund, warum Ihre Ansprü-
pie alles verändert hat, was fällt Ihnen da ein?“ che so hoch geworden sind, oder?“
Patientin: – „Nun ja, ich habe mein Essverhalten grundlegend geändert, Patientin: – „Ja, ich habe mich nur über Leistung definiert, und wenn ich
erbreche nicht mehr und komme auch mit der Gewichtszunahme von die Leistung nicht erbracht habe, dachte ich, dass ich kein liebenswerter
6 kg einigermaßen klar.“ Mensch bin. Aber ich habe Freunde gefunden und gemerkt, dass die
mich mögen, auch wenn ich nicht alles supertoll mache. Im Gegenteil,
Therapeut: – „Was glauben Sie, was Ihnen dabei am meisten geholfen
sie haben gesagt, dass es ihnen eher unheimlich ist, wenn man alles so
hat?“
perfekt macht und nie Schwächen zeigt.“
Patientin: – „Mein Wille, etwas zu verändern, die Gespräche. Ich weiß
Therapeut: – „Sie haben also festgestellt, dass Sie trotz Ihrer Schwächen
nicht so recht.“
gemocht werden, bzw. so gemocht werden wie Sie sind. Das ist ein
Therapeut: – „Erinnern Sie sich an den Anfang der Therapie, als wir die
sehr wichtiger Schritt, der Ihnen sicherlich helfen wird, Ihre positiven
Funktion der Essstörung besprochen haben? Wobei hat Ihnen denn die
Veränderungen zu stabilisieren.“
Essstörung damals ‚geholfen‘?“
286 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

Patientin: – „Ja, das glaube ich auch, denn wenn es mir jetzt schlecht hinein schon Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um einen
1 geht, kann ich ja zu meinen Freunden gehen und weiß, dass ich da gut Rückfall zu verhindern. Folgender Dialog zeigt, wie dabei
aufgehoben bin. Früher habe ich mich dann eingeschlossen und stun-
denlang gegessen und gekotzt. Das brauche ich jetzt nicht mehr.“
vorgegangen werden kann.
2
Therapiegespräch
15.3 Identifikation zukünftiger
3 Risikosituationen
Therapeut: – „Wenn Sie jetzt die letzten Wochen und Monate ‚Revue
passieren‘ lassen, was gab es denn für Momente, die es Ihnen schwer
gemacht haben, normal zu essen und nicht ständig Ihr Gewicht zu kon-

4 Im Anschluss an die Herausarbeitung der im Rahmen der


trollieren?“
Patientin: – „Als im Fitnessstudio eine andere Trainerin ausfiel und alle
Therapie erzielten positiven Veränderungen wird mit den davon ausgingen, dass ich automatisch ihre Kurse vertrete. Das hat mich
5 Patientinnen reflektiert, welche Situationen bzw. Problem- schon sehr geärgert, und es war sehr schwierig, da gegen all diese Er-
bereiche oder Restsymptome für sie weiterhin schwierig wartungen anzugehen und ‚nein‘ zu sagen. Da war ich kurz davor, wie-
sind bzw. welche mit einem erhöhten Rückfallrisiko ein- der einen Essanfall zu haben“
6 hergehen. Therapeut: – „Aber Sie haben es geschafft, nein zu sagen und auch
keinen Rückfall gehabt. Wie haben Sie das denn gemacht?“

7 Maßnahmen und Unterlagen


Patientin: – „Ich habe viel mit meinem Mann und Freunden darüber ge-
sprochen, was ich machen soll. Das war gut, da ich dadurch das Gefühl

-
Übungen hatte, nicht alleine zu sein.“
8 Sammeln von vorhersehbaren und unvorhersehba- Therapeut: – „Trotzdem fiel es Ihnen schwer; warum?“
ren allgemeinen und individuellen Risikosituationen Patientin: – „Ich kann immer noch nicht so gut damit umgehen, andere

--
auch mal zu enttäuschen, auch wenn ich weiß, dass ich das Recht dazu
9 Arbeitsmaterialien
habe und mich die anderen deshalb auch nicht weniger mögen. Aber
Flipchart, das Gefühl ist eben doch erst mal da.“
Stifte
10
-
Therapeut: – „Das ist eine wichtige Beobachtung. Es fällt Ihnen immer
Arbeitsblätter noch schwer, nein zu sagen aus Angst vor Ablehnung, und die daraus
Schwierige Situationen resultierende Überforderung könnte dann zu einem Rückfall führen.“
11 (▶ Arbeitsblatt 15.2/15.2B . Abb. 15.2) Patientin: – „Ich weiß nicht, im Grunde ist mir ja klar, was ich tun müsste,
aber das ist sicher etwas, worauf ich aufpassen muss und was ich mit
anderen besprechen sollte.“
12
Zur Sensibilisierung für mögliche, in Zukunft auftretende Bei der Sammlung der Risikofaktoren in der Gruppe soll-
Risikosituationen kann den Patientinnen zunächst Ar- ten bereits erste Überlegungen zur Identifikation konkre-
13 beitsblatt 15.2 „Schwierige Situationen“ (▶ http://extras. ter Lösungsansätze für diese potenziellen Schwierigkeiten
springer.com) beispielsweise als Vorbereitung der nächs- vorgenommen werden. Die Teilnehmerinnen werden
14 ten Sitzung als Hausaufgabe mitgegeben werden. Die dabei dazu angeleitet, individuelle Lösungen, die ihnen
Patientinnen sollen auf diesem Blatt notieren, welche persönlich sinnvoll erscheinen, auf dem Arbeitsblatt
15 allgemeinen Situationen, wie Einkaufen, allein zu Hause „Schwierige Situationen“ zu ergänzen (Beispiel Arbeits-
sein etc., oder individuelle Problemsituationen wie etwa blatt 15.2B . Abb. 15.2). Das Ziel dieser Übung liegt vor
kritische Bemerkungen ihres Partners zu Essverhalten allem in der Identifikation möglicher Risikosituationen,
16 oder Figur ihnen weiter schwierig erscheinen könnten. bietet aber gleichzeitig eine Überleitung zum nächsten
Die Patientinnen sollen, angeleitet durch das Arbeitsblatt, Schritt, der Erarbeitung von möglichen Hilfsmaßnahmen
17 verschiedene Typen von Risikosituationen erkennen. (▶ Abschn. 15.4).
Diese sollten gesammelt und am Flipchart angeschrieben Ein weiterer wichtiger Punkt im Rahmen der Inter-
werden, um daraufhin für die verschiedenen potenziel- ventionen zur Rückfallprophylaxe ist die Besprechung
18 len Rückfallsituationen mögliche Lösungen überlegen zu des bisherigen und möglicherweise weiteren Gewichts-
können. Sinnvoll ist hier eine Unterscheidung in vorher- verlaufes. Gerade dieses sensible Thema sollte gesondert
19 sehbare schwierige Situationen, wie z. B. eine Prüfungs- besprochen werden, um eine mögliche Gewichtsabnahme
phase oder Familientreffen, unvorhersehbare Ereignisse, als Reaktion auf negative figurbezogene Kommentare zu
20 wie Konflikte mit dem Partner, beruflicher Stress durch verhindern bzw. die Angst, die mit einer weiteren Ge-
Erhöhung des Arbeitsvolumens etc. und mögliche be- wichtszunahme einhergeht, kanalisieren zu können. Vor
kannte essstörungsspezifische Risikosituationen, wie allem sollten die aus einer möglichen Gewichtszunahme
21 eine Gewichtszu- oder -abnahme, vorzunehmen (Vocks folgenden Konsequenzen kritisch hinterfragt werden. In
u. Legenbauer 2010). nachfolgendem Dialog wird auf eine mögliche Gewichts-
22 Ziel ist es, die Patientinnen für schwierige Situationen abnahme eingegangen:
zu sensibilisieren und sie dadurch zu befähigen, im Vor-
15.4 • Erarbeitung von Strategien zur Überwindung von Risikosituationen
287 15

Therapiegespräch 15.4 Erarbeitung von Strategien zur


Therapeut: – „Sie haben gesagt, dass Sie sich mit ihrem jetzigen Ge- Überwindung von Risikosituationen
wicht wohl fühlen, obwohl Sie ca. 6 kg zugenommen haben. Was wäre
denn, wenn Sie wieder abnehmen würden? Würde dann bei Ihnen wie-
Um Strategien zur Bewältigung neu auftretender oder be-
der der Wunsch auftreten, dieses niedrige Gewicht halten zu wollen?“
reits bekannter Problemsituationen zu erarbeiten, kann in
Patientin: – „Ich glaube eigentlich nicht. Die Vorstellung ist zwar ver-
lockend, aber ich weiß, wenn ich wieder mit dem gezügelten Essen
den unterschiedlichen Bereichen auf die im Verlauf der
anfange, dass ich dann in eine Abwärtsspirale rutschen könnte. Wahr- Therapie identifizierten und aufgebauten Strategien und
scheinlich nehme ich auch nicht ohne Grund ab, ich müsste mir dann Fertigkeiten (▶ Kap. 9 zur Verhinderung von Essanfällen,
wohl überlegen, was gerade los ist.“ ▶ Kap. 11 zur Emotionsregulation und ▶ Kap. 12 zum
Therapeut: – „Ja. Das Gewicht bzw. das Essverhalten sind so was wie Aufbau sozialer Kompetenzen) zurückgegriffen werden.
Ihre ‚Achilles-Ferse‘. Wenn Sie an Gewicht abnehmen, könnte das ein Dazu werden in diesem Abschnitt Übungen sowohl zur
Zeichen sein, dass Sie sich wieder mit Arbeit überlasten oder aber sich
aufgestauter Ärger so bemerkbar macht. Wie könnten Sie denn heraus-
Durchführung von Analysen der Rückfallsituationen als
finden, was los ist?“ auch zur Sammlung von Strategien für deren Überwin-
Patientin: – „Ich könnte ja wieder Essprotokolle schreiben, damit ich dung durchgeführt.
sehe, von welchen Situationen oder Gefühlen mein Essverhalten be-
einflusst wird.“
Maßnahmen und Unterlagen

--
Therapeut: – „Ja, in einer solchen Situation Essprotokolle zu führen,
finde ich eine sehr gute Idee.“ Übungen
Patientin: – „Ich glaube, das würde mir helfen, einen Überblick über Notfallkiste packen
mein Essverhalten zu bekommen und daran könnte ich dann auch se- Allgemeine Strategien zur Rückfallverhinderung

--
hen, welche Ursachen das veränderte Essverhalten hat.“ besprechen
Rückfallprotokollierung
Die Veränderung des Gewichts oder des Essverhaltens
Zwischenbilanzierung festlegen

-
kann als Hinweis auf Veränderungen bzw. Schwierigkeiten
Arbeitsmaterialien
im Alltag, die den Teilnehmerinnen möglicherweise nicht
Flipchart, Stifte

-
präsent sind, dienen. Dies kann mit den Teilnehmerinnen
Arbeitsblätter
wie folgt besprochen werden.
Rückfallprotokoll
Therapiegespräch
Therapeut: – „Wir haben ja eben über die Gewichtsabnahme als Warn-
zeichen dafür, dass etwas wieder ‚im Argen‘ sein könnte, gesprochen.
Gäbe es denn noch andere Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt?“
--
(▶ Arbeitsblatt 15.3/15.3B . Abb. 15.3)
Notfallkiste (▶ Arbeitsblatt 15.4/15.4B . Abb. 15.4)
Zukunftsplanung
(▶ Arbeitsblatt 15.4/15.5B . Abb. 15.5)
Patientin: – „Ja, zum Beispiel, dass ich wieder sehr viel mehr über Essen
nachdenke.“
Therapeut: – „Haben Sie denn auch eine Idee, was im Argen liegen
könnte?“
Als Erstes sollten mit den Patientinnen anhand der gesam-
Patientin: – „Ich könnte mir vorstellen, dass es ein Zeichen für Stress
melten Rückfallsituationen mögliche Alternativen zum
und Überlastung sein könnte.“ Problemverhalten (z. B. Essanfälle) identifiziert werden.
Therapeut: – „Okay, nehmen wir an, das stimmt. Das würde bedeuten, Dazu kann auf bisher erfolgreiche Strategien verwiesen
dass Sie zu viel arbeiten und vielleicht zu wenig Pausen machen. Woran werden. Die möglichen Bewältigungsstrategien sollten
würden Sie beispielsweise merken, dass das Problem in zu wenigen zunächst am Flipchart der jeweiligen Risikosituation zu-
Ruhepausen liegt?“ geordnet werden. Beispielsweise kann in stressreichen
Patientin: – „Naja, das ist schwierig zu sagen, z. B. wenn ich abends im- Zeiten oder bei einer Gewichtszunahme zur Beibehaltung
mer kaputt bin oder mein Buch seit Wochen ungelesen daliegt, dann
eines ausgewogenen Essverhaltens und der Verhinderung
könnte das ja ein Anzeichen für zu viel Stress sein.“
von Essanfällen eine detaillierte Planung von Mahlzeiten
Therapeut: – „Ja, das könnte ein Hinweis sein. Könnten Ihnen das auch
andere Leute zurückmelden?“ empfohlen werden. In diesen Bereich gehört auch die
Patientin: – „Ich könnte z. B. meinen Mann bitten, mir zu sagen, wenn Empfehlung der Durchführung strukturierter Esstage, um
ihm was auffällt, wenn ich z. B. häufiger gereizt bin.“ Heißhunger bzw. lange Hungerphasen und damit auch das
Auftreten von Essanfällen zu vermeiden (3 Mahlzeiten +
2 Snacks zu geplanten Zeitpunkten, ▶ Kap. 9).
Sind nun die verschiedenen Risikosituationen allgemei- Der Patientin kann zudem empfohlen werden, das Es-
nen und individuellen Typs zusammengetragen und auf sen zu protokollieren, wenn sie merkt, dass sich das Ess-
die Kategorien „vorhersehbar“ und „unvorhersehbar“ ver- verhalten verschlechtert oder sie an Gewicht abnimmt.
teilt, wird mit der Erarbeitung von Bewältigungsstrategien Eine weitere Hilfe für den Umgang mit Nahrungsmitteln,
begonnen. wenn das Essverhalten bereits wieder deutlich gestört ist,
288 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

kann die Beschränkung der Essensvorräte sein. Zudem sich zudem erwiesen, nach Abschluss der Therapie eine
1 sollte im Fall einer bestehenden Verschlechterung wieder Zeit lang abends den Tag Revue passieren zu lassen und zu
vermehrt zu Stimuluskontrolltechniken gegriffen werden. notieren, ob es schwierige Situationen gab und wie diese
2 So kann der Patientin in solchen Fällen empfohlen wer- gelöst wurden bzw. wie diese gelöst werden könnten. Dabei
den, Orte mit Nahrungsvorräten stärker zu vermeiden, sollte vor allem auf die vermittelten Problemlösetechniken
etwa nicht in der Küche zu lernen. Auch ein zu häufiges hingewiesen werden, um die Patientinnen anzuhalten, bei
3 Wiegen (nicht öfter als einmal pro Woche) soll vermie- Ihren Überlegungen zur Problemlösung immer konkrete
den werden, um eine gedankliche Fixierung auf das Ge- Vorgehensweisen zu planen, um Schwierigkeiten auszuräu-
4 wicht zu verhindern. Gedanken, die zu Essanfällen führen men (▶ Kap. 12). Dieses Vorgehen erleichtert die Durch-
können, wie „Das ist so lecker, ich kann nicht aufhören führung der geplanten Lösungsversuche und hilft zudem,
5 zu essen“ sollen anhand der kognitiven Techniken auf bereits kleine Erfolge anzuerkennen.
ihren Realitätsgehalt geprüft und umformuliert werden. Im Anschluss an die Besprechung hilfreicher Bewäl-
Zudem sollten die erlernten Regeln zum Genuss bei der tigungsmaßnahmen sollten die Patientinnen jede für sich
6 Nahrungsaufnahme eingehalten werden und mit Ruhe Arbeitsblatt 15.4 „Notfallkiste“ für mögliche kurzfristige
und Genuss gegessen werden. Alternativen für Essanfälle in schwierigen Situationen
7 Sollten dennoch erneute bzw. weitere Essanfälle auftre- ausfüllen (Beispiel Arbeitsblatt 15.4B . Abb. 15.4). Bei der
ten, ist es sinnvoll, die Empfehlung zu geben, nach den Aus- Nachbesprechung ist wichtig, noch einmal auf die tatsäch-
lösern für die Rückfälle zu suchen. Dazu kann der Patientin liche Verfügbarkeit der einzelnen Hilfsmaßnahmen bzw.
8 Arbeitsblatt 15.3 (▶ http://extras.springer.com) „Rückfall- deren Durchführbarkeit einzugehen.
protokoll“ mitgegeben werden. Es ist sinnvoll, dieses in den Zur Etablierung bzw. Stabilisierung der langfristigen
9 vier letzten Therapiestunden bereits einzuführen, so dass Maßnahmen werden zudem mit den Patientinnen drei
der Therapeut die Handhabung erklären kann und in die- weitere Bilanzierungszeiträume (4 Wochen, bzw. 3 und
10 sem Zeitraum auftretende Rückfälle in den verbleibenden 6 Monate) vereinbart, für welche die Teilnehmerinnen je-
Therapiesitzungen besprochen werden können. Das Blatt weils weitere, konkrete Ziele festlegen sollten. In diesem
enthält eine Spalte, in welche die mit dem Rückfallgesche- Rahmen sollen sie dazu ermutigt werden, sich bezüglich
11 hen zusammenhängenden, situativen Gegebenheiten ein- ihrer vorhersehbaren individuellen Risikosituationen (wie
getragen werden können. Hierbei kann die Patientin ihre z. B. der Neigung zu Perfektionismus, die zu einer Über-
12 Hypothesen über mögliche Auslöser oder auch Gedanken lastung im Berufsleben führen kann), gezielt langfristige
und Gefühle im Zusammenhang mit dem Essanfall notie- Zielverhaltensweisen (wie beispielsweise genügend Ruhe-
ren. Zuletzt sollte sie bereits eigenständig im Arbeitsblatt pausen einzulegen), vorzunehmen. Zur genauen Festle-
13 eintragen, wie sie stattdessen mit der Situation hätte um- gung von Zielen kann den Patientinnen Arbeitsblatt 15.5
gehen können (Beispiel Arbeitsblatt 15.3B . Abb. 15.3). „Zukunftsplanung“ ausgeteilt werden. Dieses beinhaltet
14 Um dies herauszufinden, können die Patientinnen auf ihre drei Felder, in welche die Patientinnen Ziele für ihre wei-
bisherigen Fortschritte verwiesen werden. Beispielsweise tere Stabilisierung in den oben benannten Zeiträumen
15 könnten sie ihre Veränderungen in den von ihnen definier- eintragen sollen und konkrete Vorgehensweisen zur Er-
ten Zielbereichen überprüfen und versuchen, herauszufin- reichung dieser Ziele beschreiben können. Diese Ziele wer-
den, welche Strategie genau hilfreich für sie war. Rückfälle den mit den Patientinnen dann in der Gruppe besprochen,
16 sollten entpathologisiert, gleichzeitig sollte aber auch vor um diese auf Umsetzbarkeit zu überprüfen und mögliche
einer möglichen Bagatellisierung gewarnt werden. Die Pa- überhöhte Ansprüche zu relativieren, damit keine Frustra-
17 tientinnen sollten eine wieder auftretende Essstörungssym- tionen auftreten (Beispiel Arbeitsblatt 15.5B . Abb. 15.5),
ptomatik als Zeichen dafür betrachten, dass etwas nicht in falls die Ziele nicht erreicht werden.
Ordnung ist und sich mit möglichen Gründen und Auslö- In der folgenden Übersicht sind verschiedene Maß-
18 sern auseinandersetzen. nahmen zur Überwindung von Risikosituationen getrennt
Zur allgemeinen Vorbeugung von Rückfällen kön- nach allgemeinen essensbezogenen Situationen und mög-
19 nen konkrete Vorschläge für den langfristigen Abbau des lichen individuellen Konflikt- oder Belastungssituationen
Grundanspannungsniveaus gegeben werden (▶ Kap. 14). aufgelistet (Arbeitsblatt 15.6, http://extras.springer.com).
20 Bevor das Arbeitsblatt 15.4 „Notfallkiste“ ausgefüllt
wird, sollten zudem weitere Bewältigungsmaßnahmen für
Strategien zur Überwindung von
allgemeine bzw. individuelle Konflikt- und Problemsitua-
21 Risikosituationen

-
tionen besprochen werden. Zu diesen Situationen zählen
Hilfen zur Beibehaltung eines sinnvollen Essverhaltens
u. a. eigene Wünsche und Bedürfnisse in der Partnerschaft
22 zu äußern oder, wenn es der Situation angemessen ist, diese Überlegen Sie frühzeitig, was Sie wann essen.
auch im Berufsleben direkt anzusprechen. Als sinnvoll hat
15.4 • Erarbeitung von Strategien zur Überwindung von Risikosituationen
289 15

- Planen Sie einen strukturierten Esstag im Voraus, Hilfen zur Bewältigung von individuellen Konflikt- und
um lange Hungerphasen bzw. Heißhunger zu
vermeiden (3 Mahlzeiten + 2 Snacks zu geplanten
-
Belastungssituationen:
Versuchen Sie, wenn es in der jeweiligen Situation

- Zeitpunkten).
Protokollieren Sie Ihr Essen, wenn Sie merken, dass
sich das Essverhalten wieder verschlechtert, oder
-
angemessen ist, direkt zu sagen, was Sie fühlen und
wollen.
Nehmen Sie sich jeden Abend Zeit und denken

- Sie an Gewicht abgenommen haben.


Wenn Sie merken, dass Sie mit Essensvorräten
nicht gut umgehen können, beschränken Sie diese
Sie über Ihren Tag nach. Notieren Sie sich, wenn es
schwierige Situationen gab und überlegen Sie eine
Lösung. Beachten Sie auch die Dinge, die Ihnen gut

--
zunächst, um das Auftreten von Essanfällen zu
erschweren.
Versuchen Sie, mit Ruhe und Genuss zu essen.
Gedanken, die zu Heißhunger führen können wie
- gelungen sind.
Versuchen Sie, bei Ihren Überlegungen zur Lösung
von Problemsituationen immer konkrete Handlun-
gen bzw. Vorgehensweisen zu planen. Das erleich-
„Das ist so lecker, ich kann nicht aufhören zu essen“ tert das Vorgehen und hilft zudem, bereits kleine

- auf Realitätsgehalt prüfen und umformulieren.


Vermeiden Sie Orte mit Nahrungsvorräten (z. B.
Erfolge zu erkennen.

- nicht in der Küche lernen).


Vermeiden Sie ein zu häufiges Wiegen (nicht öfter
als einmal pro Woche), um eine gedankliche Fixie-
Abschließend sollte mit den Patientinnen konkret darauf

-
hingearbeitet werden, wann eine Wiederaufnahme der
rung auf das Gewicht zu verhindern.
Therapie sinnvoll sein könnte. Dazu ist im Folgenden ein
Sollten Sie einen erneuten Essanfall haben, suchen
Beispieldialog ausgestellt.
Sie nach dem Auslöser für diesen und protokollie-
ren Sie Gedanken und Gefühle, die dem Essanfall
Therapiegespräch
vorausgingen. Überlegen Sie sich, wie Sie stattdes-
Therapeut: – „Was wäre denn, wenn Sie nun tatsächlich doch einen
sen mit der kritischen Situation hätten umgehen

-
Rückfall hätten?“
können. Patientin: – „Das wäre zwar nicht schön, aber ich würde versuchen, mir
Bewerten Sie Rückfälle nicht über. Ein einmaliger zu sagen, dass es wohl einen Grund hatte und ich mir gut überlegen
Rückfall heißt nicht, dass Sie nun wieder vollends in muss, was die Ursache dafür war, damit ich es das nächste Mal früh
die Essstörungssymptomatik hineingerutscht sind. genug merke und rechtzeitig gegensteuern kann.“

Auf der anderen Seite sollten Rückfälle von Ihnen Therapeut: – „Es ist sehr wichtig, dass Sie, wenn Sie merken, dass es
alleine doch nicht mehr geht, sich auch wieder Hilfe suchen. Würden
allerdings auch nicht heruntergespielt werden.
Sie das tun?“
Sehen Sie diesen Rückfall als ein Zeichen dafür an,
Patientin: – „Ich würde schon sehr an mir zweifeln, wenn ich es nicht
dass etwas nicht stimmt.

-
alleine hinbekommen würde, nachdem in der Zeit davor alles gut ge-
Hilfen zur allgemeinen Vorbeugung von Rückfällen: klappt hat.“
Versuchen Sie, im Alltag genügend Ruhephasen Therapeut: – „Was meinen Sie damit?“

- einzuplanen.
Versuchen Sie, mögliche Risikosituationen im
Voraus zu erkennen und Bewältigungsstrategien zu
Patientin: – „Ich hätte schon Schwierigkeiten, mich wieder zu melden.“
Therapeut: – „Warum?“

-
Patientin: – „Ich hätte schon das Gefühl, versagt zu haben und Sie zu
planen. enttäuschen.“
Sehen Sie Ihre Essstörung als persönliche Achilles- Therapeut: – „Hilft Ihnen dieser Gedanke langfristig, sich besser zu füh-
ferse, die Ihnen anzeigt, wenn etwas nicht stimmt: len und die Probleme in den Griff zu bekommen?“
Häufige Gedanken über Figur und Gewicht können Patientin: – „Nein, sicher nicht. Und ich weiß auch, dass ich mich für
meine Fehler und Schwächen nicht zu schämen brauche. Also, ich
ein Hinweis auf mögliche bislang unbemerkte
würde Sie wohl vielleicht doch anrufen.“
Schwierigkeiten in verschiedenen Lebensbereichen

--
Therapeut: – „Wann würden Sie das denn tun wollen?“
sein.
Patientin: – „Wenn ich merke, dass Symptome der Essstörung wieder
Nehmen Sie sich nicht zu viel auf einmal vor.
auftreten, sich beispielsweise wieder Essanfälle einstellen und ich nicht
Notieren Sie sich Ihre Fortschritte in den von Ihnen mehr herausfinden kann, warum, oder ich wieder beständig stark mein
definierten Zielbereichen und versuchen Sie heraus- Essverhalten kontrolliere und versuche, an Gewicht abzunehmen.“
zufinden, was genau hilfreich für Sie war, um eine
erfolgreiche Strategie schneller zur Verfügung zu
An dieser Stelle kann noch auf weitere Hilfsangebote wie
haben.
Beratungsstellen, Seelsorgetelefone oder auch Selbsthilfe-
290 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

gruppen verwiesen werden, die neben dem Hausarzt und


1 dem Psychotherapeuten erste Anlaufstellen sein können.

2 Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Patientinnen


mit Essstörungen
– Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www.bgza.de
3 – Bundesfachverband für Essstörungen www.bfe.de
– Deutsche Gesellschaft für Essstörungen www.dgess.de

4
Adressen von niedergelassenen Ärzten sowie Kliniken sind außerdem
über das Portal der Universität Leipzig www.ab-server.de zu finden.

5 15.5 Zusammenfassung

6
7
- Interventionen zur Rückfallprophylaxe beinhalten
neben der Sensibilisierung für Risikosituationen und
der Erarbeitung von Strategien für deren Bewältigung
auch die Bilanzierung des Therapieverlaufs und die
Herausarbeitung der individuellen Erfolge zur Stär-

-
8 kung der Selbstwirksamkeit des Patienten.
Risikosituationen können dabei in vorhersehbare und
9 unvorhersehbare Ereignisse sowie in essensbezogene
und allgemeine Belastungssituationen unterteilt
10 werden. Zur Identifikation von Bewältigungsstrate-
gien sollte diese Unterteilung mit den Patientinnen
eingeführt und Beispiele für die verschiedenen Situa-

-
11 tionstypen erarbeitet werden.
Abschließend sollten mit den Patientinnen mögliche
12 Schwierigkeiten in der Umsetzung und weitere Ziele
für die Stabilisierung besprochen werden. Auch kön-
nen Bilanzierungszeiträume für den Zeitraum nach

-
13 4 Wochen sowie 3 bzw. 6 Monaten geplant werden.
Zuletzt sollte besprochen werden, an wen sich Pati-
14 entinnen bei einer andauernden Verschlechterung
wenden können und wann eine Wiederaufnahme der
15 Therapie sinnvoll ist.

16 15.6 Arbeitsblätter

17
- Arbeitsblatt 15.1B Bilanzierung „Was habe ich er-

-- reicht?“ (. Abb. 15.1)


Arbeitsblatt 15.2B Schwierige Situation (. Abb. 15.2)

--
18 Arbeitsblatt 15.3B Rückfallprotokoll (. Abb. 15.3)
Arbeitsblatt 15.4B Notfallkiste (. Abb. 15.4)
19 Arbeitsblatt 15.5B Zukunftsplanung (. Abb. 15.5)

20
21
22
15.6 • Arbeitsblätter
291 15

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 15.1 Headline-2
BilanzierungSeite |
„Was1habe ich erreicht?“ | Seite 1

Bilanzierung „Was habe ich erreicht?“


Bitte überlegen Sie für sich, welche Ziele und Veränderungen Sie im Verlauf der Behandlung erreicht haben. Überlegen
Sie, in welche der angegebenen Bereiche Sie diese Ziele und Veränderungen einordnen können. Tragen Sie diese dann in
die entsprechenden unten stehenden Kästchen ein.

Essverhalten Selbstwertgefühl

,FKHVVHMHW]WUHJHOPl‰LJXQG ,FKKDEHJHOHUQWPHLQH6FKZlFKHQ
DXVJHZRJHQ0HLQ*HZLFKWLVWLP ]XDN]HSWLHUHQXQGELQPLUPHLQHU
1RUPDOEHUHLFK,FKKDEHPHLQH 6WlUNHQEHZXVVW,FKELQVWRO]DXI
9HUERWVOLVWHDEJHEDXWXQGNDQQ GLH'LQJHGLHLFKJXWNDQQ EVSZ
PLUDXFKPDOHLQ6WFN6FKRNR )RWRJUDILHUHQ.RFKHQ/HXWHPRWL
ODGHRKQHHLQVFKOHFKWHV*HZLVVHQ YLHUHQ 
J|QQHQ

Beziehung/Freunde Schule/Ausbildung/Studium/Arbeit

,FKXQWHUQHKPHZLHGHUPHKUPLW ,FKKDEHLPQlFKVWHQ6HPHVWHUZH
PHLQHUEHVWHQ)UHXQGLQ,FKKDEH QLJHU.XUVHEHOHJWXQGPLU3DXVHQ
EHUKDXSWJHPHUNWGDVVLFKQRFK LQGHQ$OOWDJHLQJHSODQW$X‰HU
)UHXQGHKDEHGLHVLFKIUPLFK GHPKDEHLFKPLUHLQH/HUQJUXSSH
LQWHUHVVLHUHQGLHLFKQXUQLFKWDQ JHVXFKWGDPLWLFK8QWHUVWW]XQJ
PLFKKHUDQJHODVVHQKDEH'DVLVW EHLP/HUQHQKDEHXQGPLFKQLFKW
MHW]WDQGHUV VRVFKQHOOPLWPHLQHQ/HLVWXQJVDQ
VSUFKHQEHUIRUGHUH

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 15.1 Arbeitsblatt 15.1B Bilanzierung „Was habe ich erreicht?“


292 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 15.2 Headline-2 Seite 1
Schwierige Situation | | Seite 1
2
3 Schwierige Situation
Um zu verhindern, dass es durch schwierige Situationen tatsächlich zu einem Rückfall in die Essstörungssymptomatik
4 kommt, sollen Sie versuchen, sich schon jetzt möglicherweise in Zukunft auftretende kritische Situationen zu überlegen
und dafür Lösungsmöglichkeiten zu finden, die Ihnen dann zu gegebener Zeit helfen können, einen Rückfall zu verhin-

5 dern.

6 Schwierige Situation Lösungsmöglichkeit

7
,FKKDEH]XJHQRPPHQXQGIKOHPLFKXQ ,FKZLOOPLFKQLFKWZLHGHULQGHQ7HXIHOV
ZRKO:LOOZLHGHU'LlWKDOWHQ NUHLV]LHKHQODVVHQVRQGHUQYHUVXFKHPHLQ
(VVYHUKDOWHQVWDELO]XKDOWHQXQGUHJHOPl
8 ‰LJ]XHVVHQ

9
-HPDQGPDFKWHLQHQHJDWLYH%HPHUNXQJ ,FKODVVHPLFKGXUFKGLHDQGHUHQQLFKW
10 EHUPHLQH)LJXU SURYR]LHUHQXQGKDOWHPLUQRFKPDOYRU
$XJHQGDVVLFKHLQJDQ]QRUPDOHV*HZLFKW

11
KDEH

12
(VJLEWHLQ)DPLOLHQWUHIIHQDQGHPPLUZLH :HQQMHPDQGYRQGLHVHP7KHPDDQIlQJW

13 GHUDOOHVDJHQGDVVLFKGDV)DOVFKHVWXGLHUH VDJHLFKGDVVLFKHVLP0RPHQWQLFKWGLV
XQGNODUHUH3OlQHIUPHLQ/HEHQKDEHQ NXWLHUHQP|FKWHXQGIUDJHQDFKZDVGLH
VROOWH 3HUVRQVHOEVWJHUDGHWXW
14
15 ,FKQHKPHZHLWHUDQ*HZLFKW]XXQGPXVV ,FKVDJHPLUGDVVPHLQ:HUWDOV0HQVFK
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16 QHKPHPHLQHEHVWH)UHXQGLQ]XPVKRSSHQ
PLW

17
18
19
20
21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 15.2 Arbeitsblatt 15.2B Schwierige Situation


15.6 • Arbeitsblätter
293 15

Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie


Headline-1

Arbeitsblatt | |
Material 1.1 15.3 Headline-2
Rückfallprotokoll
Seite 1 | | Seite 1

Rückfallprotokoll
Rückfälle können immer wieder mal auftreten. Meist passieren sie nicht ohne Grund, so dass es, um weitere Rückfälle
zu verhindern, wichtig ist, die Gründe zu verstehen und für das nächste Mal bessere Alternativen zur Hand zu haben,
um dadurch einem weiteren Rückfall vorzubeugen. Hierzu ist es günstig, sich zunächst vor Augen zu führen, was genau
passiert ist und welche Vermutung darüber besteht, warum es passiert ist. Auch ist es sinnvoll, sich im Sinne der Vorsorge
zu überlegen, was man in Zukunft anders machen möchte damit es in einer vergleichbaren Situation nicht nochmal zu
einem Rückfall kommt. Füllen Sie daher das Protokoll wie im Beispiel nach jedem Rückfall aus.

Was ist passiert? Warum ist es passiert Was kann ich in Zukunft anders machen?
0HLQH(OWHUQXQGPHLQ%UX ,FKKDEPLFKWRWDODOOHLQH 0LFKVHOEVWPLWMHPDQGHPWUHIIHQ
GHUVLQGDP:RFKHQHQGHLQ YHUODVVHQXQGEHUIOVVLJ DOOHLQHLQV.LQRLQV7KHDWHURGHU
GLH%UHWDJQHJHIDKUHQ,FK JHIKOWGDZDU(VVHQHLQIDFK LQGLH6DXQDJHKHQHLQVFK|QHV
ZROOWHQLFKWPLWIKOHPLFK HLQ7URVW 9LGHRDXVOHLKHQPHLQH2PDEHVX
DEHUMHW]WDOOHLQJHODVVHQ FKHQ
KDWWHILHVHQ(VVDQIDOO

1DWDOLHXQG6XVDQQHVLQG $XV)UXVWKDEHLFKPHLQHQ ,FKKlWWHVLHGLUHNWDQVSUHFKHQVRO


]XVDPPHQLQV.LQRJHJDQ JDQ]HQ7HOOHUDXIJHJHVVHQ OHQGDVVHVIUPLFKHWZDVNRPLVFK
JHQXQGPLFKKDWNHLQHUJH XQGKDEHPLFKGDQQWRWDO LVWXQGLFKPLFKDXVJHVFKORVVHQ
IUDJW+DEHHVJDQ]]XIlOOLJ YROOJHIKOWXQGHUEURFKHQ IKOHZHLOZLUMDVRQVWLPPHU]X
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GHU0HQVDEHLP0LWWDJHVVHQ

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 15.3 Arbeitsblatt15.3B Rückfallprotokoll


294 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

1 Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

| |
Material 1.1 15.4 Headline-2
Arbeitsblatt | |
Notfallkiste Seite 1Seite 1
2
3 Notfallkiste
Die „Notfallkiste“ soll Sie im Umgang mit zukünftigen schwierigen Situationen, in denen das Risiko für einen Rückfall in
4 die Essstörungssymptomatik erhöht ist, unterstützen. Bitte überlegen Sie sich nun, was Sie in diese „Notfallkiste“ packen
möchten, und füllen Sie nun Ihre eigene „Notfallkiste“!

5 Der Inhalt meiner Notfallkiste:

6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
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21 © 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

22 .. Abb. 15.4 Arbeitsblatt 15.4B Notfallkiste


15.6 • Arbeitsblätter
295 15

Headline-1
Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie

Material
Arbeitsblatt | |
1.1 15.5 Headline-2
Zukunftsplanung
Seite 1 | | Seite 1

Zukunftsplanung
Um die Stabilisierung Ihrer Erfolge zu gewährleisten ist es sinnvoll, sich immer wieder Ihre Fortschritte vor Augen zu füh-
ren. Zudem sollten Bewältigungsstrategien für mögliche Schwierigkeiten weiter gezielt geübt werden. Bitte überlegen
Sie sich daher, welche Hürden noch überwunden werden müssen. Überlegen Sie sich, welche Sie sich für die nächsten
vier Wochen vornehmen können. Schreiben Sie auf, was Sie in vier Wochen erreicht haben möchten, wie genau Sie das
erreichen werden und ziehen Sie nach vier Wochen Bilanz (bspw. was klappt, was nicht). Wiederholen Sie das Vorgehen
auch für längerfristige Ziele.

© 2014, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Legenbauer T, Vocks S: Manual der KVT bei Anorexie und Bulimie

.. Abb. 15.5 Arbeitsblatt15.5B Zukunftsplanung


296 Kapitel 15 • Rückfallprophylaxe

Literatur
1
Garner DM, Vitousek KM, Pike KM (1997) Cognitive behavioural therapy

2 for anorexia nervosa. In: Garner DM, Garfinkel PE (Hrsg) Handbook


of treatment for eating disorders, 2. Aufl. Guilford, New York, S
121–134

3 Vocks S, Legenbauer T (2010) Körperbildtherapie bei Anorexia und Buli-


mia nervosa. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungs-
manual, 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
297

Serviceteil
Serviceteil

Stichwortverzeichnis – 298

T. Legenbauer, S. Vocks, Manual der kognitiven Verhaltenstherapie bei Anorexie und Bulimie,
https://doi.org/10.1007/978-3-642-20385-5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
298

Stichwortverzeichnis

Entspannung
A C –– vegetative 192
Entspannungsverfahren 139
Abbau von Anspannung 138 Clusteranalysen 186 Erbrechen 15
Ablenkungsreize 138 Cognitive Analytic Therapy (CAT) 45 Ereignisse
Abreaktion Contour Drawing Rating Scale 55 –– auslösende 29
–– kontrollierte 185 Coping Ernährung 91
–– kontrollierte, Strategien 193 –– aufgabenorientiertes 31 Ernährungsbroschüre 91
Allgemeine Depressions-Skala (ADS) 56 –– emotionsorientiert 185 Ernährungsmanagement 41
Alternative 136 –– emotionsorientiertes 31 Ernährungsplan
Ambivalenz 93 –– vermeidend 185 –– ausgewogen 126
Anamneseerhebung 54 Copingstrategien 185 Ernährungstag 126
Änderungsmotivation 88 Ernährungstagebücher 57
–– ambivalent 88 Essanfall
–– Steigerung 90
Angst
D –– Verhinderung 139
Essanfälle 14
–– vor Gewichtszunahme 7 Deprivationszustände –– Definition 32
Angststörung 11 –– nahrungsbezogene 121 –– Funktion 34
Angstsymptome 17 Diabetes mellitus 10, 16 –– Hauptmerkmal Bulimia nervosa 15
Anorexia nervosa Inventar (ANIS) 55 Diagnosekriterien –– Mikroanalyse 32
Aufbau von Stresstoleranz 138 –– Anorexia nervosa 6 –– Verhinderung 71
Aufrechterhaltende Bedingungen 108 Diagnostik Ess-Brech-Teufelskreis 94
Ausdruck von Gefühlen 206 –– medizinisch 107 Essprotokoll 124
Auslösefaktoren –– organmedizinisch 52 –– Auswertung 124
–– external 136 –– psychologisch 52 –– Einführung 124
–– internal 136 Diagnostische Interview für Psychische Essprotokolle 57, 121
Auslöser Störungen (DIPS) 53 Essstörung
–– individuell 108 Diagnostisches Expertensystem (DIA) 53 –– Nachteile 92
–– Lebensereignisse 108 Dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) 44 –– Vorteile 92
Auslösesituation 188 Diät 30 Esstage
Auslösesituationen Diätfolgen 122 –– strukturierte 126
–– Analyse 134 Diätverhalten Esstagebuch 134
Äußern von Gefühlen 209 –– Auslöser für Essanfälle 136 Essverhalten
automatische Gedanken –– Fragen 106 –– gezügeltes 30, 108
–– Veränderung 169 DSM-5-Kriterien 6 –– Normalisierung 70, 119
automatisierte Handlungsmuster 137 dysfunktionale Emotionsregulation 136 –– regelmäßiges 121
–– Veränderung 122

E
Expositionsübung 140
B
Beck Depressions Inventar (BDI) 56
Bedingungen
Eating Attitudes Test (EAT) 55
Eating Disorder Examination (EDE) 53 F
–– auslösende 107 Einbezug der Angehörigen 41 Faktoren
Behandlungsbausteine 72 Einschränkungsprogramm 130 –– aufrechterhaltende 102
Behandlungsrational 102 Elektrolythaushalt 16 –– auslösende 32, 102
Belastungssituationen 125 Elektrolytveränderungen 9 –– biologisch 107
Besprechung des Genogramms 103 Emotionen –– biologische 24
Bewältigung –– bewältigen 41 –– ernährungsphysiologische 26
–– von Belastungssituationen 30 –– erkennen 41 –– familiär 103
Beziehungsmuster Emotion Regulation Questionnaire (ERQ) 56 –– familiäre 27
–– familiär 104 Emotionserkennung 184 –– genetische 24
Biologische Faktoren 107 Emotionsregulation 183 –– individuell 106
Blutbild 9, 16 –– dysfunktional 136 –– individuelle 27
Body Checking Questionnaire 55 –– kurzfristig 138 –– kognitive 28
Body Image Avoidance Questionnaire 55 Emotionsregulationsstrategie –– körperliche 26
–– dysfunktionale 15 –– prädisponierende 24
Emotionsregulationstechniken 71 –– situative 32
Empathieemotionen 187 –– soziokulturell 105
Entscheidungsmöglichkeiten 138 –– soziokulturelle 26
299 A–M
Stichwortverzeichnis

Familiäre Faktoren 103 –– Etablierung 128 Inventory of Drug Taking Situations (ID-
familiäre Regeln 104 Gewichthaltevertrag 130 TSA) 56
Familientherapie 45 Gewichtskurve Inzidenz 5, 13
Fasten –– Besprechung 123
–– Auslöser für Essanfälle 136 Gewichtsrestoration 40
Fluoxetin 46
Folgeerscheinungen
Gewichtsstabilisierung
–– Maßnahmen 128
K
–– Essstörung 91 Gewichtssteigerung 40 Kennenlernspiel 82
–– medizinische 8, 15 –– Maßnahmen 128 Kognitionen
Folgen Gewichtssteigerungsprogramm 70 –– dysfunktionale 31, 33
–– kurzfristig 93 Gewichtssteigerungsvertrag 128 kognitiven Kontrolle 120
–– langfristig 93 Gewichtsverlaufskurve kognitive Prozesse 132
Fragebogen –– anamnestisch 123 Kognitive Techniken 195
–– zum Essverhalten (FEV) 54 Gewohnheiten 137 Kommunikationsfähigkeit
–– zum Figurbewusstsein (FFB) 55 Goal Attainment Scaling (GAS) 56 –– Förderung 41
–– zum körperbezogenen Vermeidungs- und Grundannahmen Kommunikationsfehler 212
Kontrollverhalten (KVK) 55 –– dysfunktionale 29 Kommunikationsmodell
–– zum Körperbild (FKB-20) 55 Gruppenkohäsion 80 –– vermitteln 210
–– zum Umgang mit Belastungen im Verlauf –– Stärkung 81 Kommunikationsstrategien 72
(UBV) 56 Gruppenregeln 82 Kommunikationstraining 206
–– zur Beurteilung des eigenen Körpers –– Definition 81 Konfliktkompetenzen 41
(FbeK) 55 Gruppentherapie 80 Konfliktsituation
–– zur EDE 54 –– Erfahrungsaustausch 80 –– Lösung 216
–– zur Emotionsregulation (EMOREG) 56 –– Indikation 80 Konfrontationstechnik 140
–– zur Erfassung dysfunktionaler Kognitionen –– Schwierigkeiten 80 Konkurrenzerleben
(FEDK) 57 –– Vorteile 80 –– Gruppentherapie 80
–– zur Lebensgeschichte 54 –– Wirksamkeit 43 Kontaktfähigkeit
Fragebögen 54 Gruppenwirkfaktoren 81 –– Förderung 41
–– für spezifische Symptomgruppen 55 Kontrollbedürfnis 106
–– zur Erfassung einer Körperbildstörung 55 Kontrollierte Abreaktion 193
Fremdbestimmungsphasen 128
Fremdkontrollphase 130
H Kontrollverlust 32, 194
Körperbildes
Handlungsmuster –– Verbesserung 72
–– automatisierte 137 Körpergefühle 187
G Handlungsorientierung 94
Hauptemotionen 186
Körpergewicht
–– Normalisierung 70
Gefühl Herausarbeitung Kosten-Nutzen-Abwägung 94
–– alarmierende Funktion 189 –– Vor- und Nachteile 92 Krankheitseinsicht
–– bewältigen 190 Hörfehler 212 –– geringe 8
–– energetisierende Funktion 189 Hormone 25
–– Funktion 189 Hungermechanismen 120
–– Identifikation 190
–– Kommunikationsfunktion 189
L
–– Selbstaufwertungsfunktion 189
–– Selbstverteidigungsfunktion 189
I Lageorientierung 94
Langzeiterfolge 42
Gefühle ICD-10-Kriterien 6, 14 Lebensereignisse
–– adäquater Ausdruck 207 implizite Regeln 105 –– kritische 29
–– benennen 209 Impulsivit 106 Leistungsanspruch 106
Gefühlsausdruck 184 Impulsivität 28 Leistungsorientiertheit 8
Gefühlsbild 190 Individuelle Faktoren 106 Level of emotional awareness Scale
Gefühlsentstehung 188 individuelles Störungsmodell 102 (LEAS) 56
Gefühlskommunikation Informationsverarbeitungsprozesse
–– verbale 209 –– dysfunktionale 108
Gefühlslandkarte 186 Interpersonelle Psychotherapie (IPT) 43
Intervention
M
Gefühlsprotokoll 190
Gefühlswahrnehmung 184, 185 –– kognitive 110 Mahlzeitenaufnahme
gemeinsames Kochen 133 Interventionen 90 –– Emotionen 125
Genesungsbegriff 109 –– Stärkung der Gruppenkohäsion 82 Major Depression 11, 17
Genogramm 102 –– therapeutische 109 Makroanalyse 107
–– Besprechung 103 Interventionsbausteine 88 Maßnahmen
Genussgruppe 73 Interventionszeitpunkt 197 –– kurzfristige 139
Genussregeln 133 Introspektionsfähigkeit 124 medizinische Diagnostik 107
geregeltes Essverhalten Mineralstoffveränderungen 9
Modell
300 Stichwortverzeichnis

–– integratives 102 Problemlösetraining 215 –– Verbesserung 205


Mortalitätsrate 5, 13 Prognose 12 Soziale-Phobie-Inventar (SPAI) 56
Motivation 122 Psychoedukation 91 Soziokulturelle Faktoren 105
Motivationsprobleme 94 Psychotherapieansätze Spontanentspannung 185, 191
Motivierung 87, 122 –– systemische 44 Sport 105
–– Aufrechterhaltung 89 Stabilisierungsphase 130
–– eingeschränktes Problembewusstsein 89 Stimmungen
–– Handlung 89
–– Nachdenklichkeit 89
R –– negative 33
Stimulus
–– Vorbereitung 89 Reaktion –– konditioniert 139
Multidimensional Body.Self Relations Questi- –– konditioniert 139 –– unkonditioniert 139
onnaire (MBSRQ) 55 –– unkonditioniert 139 Störung
Muskelentspannung 191 Reproduktionsfähigkeit 9, 16 –– dysthyme 17
Response 42 –– körperdysmorphe 11
Reversibilität Störungsbilder
N –– somatische Folgeerscheinungen 92
Risikofaktor
–– Anorexia nervosa 4
–– Bulimia nervosa 4
Nachbesprechung –– mäßiges Übergewicht 17 Störungsmodell 70
–– Mahlzeiten 128 Risikofaktoren –– individuelles 102
Nachricht –– Angststörungen 18 Strategien
–– Appellaspekt 212 –– Depressionen 18 –– emotionsregulierende 138
–– Beziehungsaspekt 212 –– Diätverhalten 12 –– kurzfristige 190
–– Empfänger 210 –– Perfektionismus 12 –– zur Verhinderung von Essanfällen 139
–– Sachaspekt 212 Rollenspiele 210, 214 Stress 30, 33
–– Selbstoffenbarungsanteil 212 Rosenberg-Skala 56 Stressbewältigung 108
–– Sender 210 Rückfallprophylaxe 72 Stressbewältigungsverhalten 30
Nahrungsaufnahme Ruhewort 192 Stressmodell 191
–– Dauer 125 Stressverarbeitungsfragebogen (SVF) 56
Nahrungskonfrontation 71 strukturierte Esstage 126
Nahrungsmittelexposition 139 S Strukturierte Interviews 53
Strukturierte Inventar für Anorektische und
Sättigungsmechanismen 120 Bulimische Essstörungen (SIAB) 53
O Schlankheit 105
Schlankheitsideal
Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV
(SKID)
Ödeme 9 –– Fragen 106 –– Persönlichkeitsstörung 53
–– gesellschaftliches 26 Studien zur Wirksamkeit 42
Selbstbestimmungsphase 129
P
Symptomatik 7
Selbstbestimmungsphasen 128 Symptom-Checkliste (SCL-90) 56
Selbstgespräche System
Pantomimeübung 207 –– positive 196 –– gastrointestinales 9, 16
Peers Selbsthilfebücher 45
–– Einfluss 105 Selbsthilfeprogramme 45, 46
Perfektionismus 8, 11, 28
Persönlichkeitsstörungen 11, 17
selbstsicheres Verhalten
–– Aufbau 213
T
Pharmakotherapie 46 –– Merkmale 213 Technik
Phasenmodell –– Steigerung 214 –– palliativ-regenerativ 191
–– der Veränderung 88 Selbstsicherheit 214 Techniken
physiologische Aspekte 187 Selbstverbalisation –– kognitive 71
Positive and Negative Affect Schedule (PA- –– negative 213 –– Veränderung automatischer Gedan-
NAS) 56 Selbstwertbeeinträchtigungen 27 ken 169
positive Selbstinstruktion 196 Selbstwertgefühl 106 Theorie der Handlungskontrolle 94
postingestionale Effekte 132 Self-Control-Schedule 56 Therapeut
postresorptiven Prozessen 132 sensorische Effekte 131 –– als Modell 81
Prädisponierende Faktoren 103 Setting Therapeutenverhalten
Prävalenz 4, 13 –– ambulantes 73 –– förderliches 81
Problem –– einzeltherapeutisches 73 Therapieansätze
–– Konkretisierung 215 –– gruppentherapeutisches 73 –– kognitiv-behaviorale
Probleme –– stationäres 73 –– Wirksamkeit 42
–– kardiovaskuläre 8 Situationsmerkmale 188 Therapiebausteine 70
Problemlösefertigkeiten 72 SORK-Schema 134 –– Ableitung 109
Problemlösekompetenzen 41 soziale Kompetenz Therapie-Inhalte
Problemlösen –– Definition 206 –– für Gruppentherapie 74, 75
–– systematisch 216 soziale Kompetenzen Therapieplan 110
Problemlöseschema 215
301 M–Z
Stichwortverzeichnis

Therapieplanung 124
Therapieprogramm
–– Aufbau 70
Therapieziele 101
–– Ableitung 109
Training
–– soziale Kompetenzen 72

U
Unsicherheitsfragebogen (U-FB) 56
Untersuchung
–– organmedizinisch 52

V
Veränderungen
–– dermatologische 10
–– des Skeletts 10, 16
–– endokrinologische 9, 16
–– neurobiologische 25
–– neurologische 10
Veränderungsbereitschaft 90
Veränderungsfragebogen des Erlebens und
Verhaltens (VEV) 57
Verfahren
–– psychodynamisch orientierte 44
Verhaltensregeln
–– implizit 104
Verhaltenstherapie
–– ambulante 41
–– kognitive (KVT) 40
–– stationäre 40
Verhaltensweisen
–– kompensatorische 15
Verhinderung
–– Erbrechen 133
–– Essanfälle 133
Verlauf 12
Vermeidung
–– hochkalorische Speisen 121
Volition 94

W
Wahrnehmung
–– Hunger 131
–– Sättigung 131
Wahrnehmungslenkung 185, 195
Wahrnehmung von Gefühlen 206

Z
Zielerreichungsarbeitsblattes 109
Zusatznahrung 131
Zwangsernährung 131
Zwillingspaare 4

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